Klosterreform und mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten
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Paul...
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Klosterreform und mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten
Mittellateinische Studien und Texte Editor
Paul Gerhard Schmidt Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
VOLUME 39
Klosterreform und mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten Von
Felix Heinzer
LEIDEN • BOSTON 2008
This book is printed on acid-free paper. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Heinzer, Felix. Klosterreform und mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten / von Felix Heinzer. p. cm. -- (Mittellateinische Studien und Texte ; v. 39) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-90-04-16668-4 (hardback : alk. paper) 1. Manuscripts, Latin--Germany. 2. Monasticism and religious orders--Germany--History--Middle Ages, 600-1500. I. Title. Z106.5.G3H45 2008 091--dc22 2008011342
ISSN: 0076-9754 ISBN: 978 90 04 16668 4 Copyright 2008 by Koninklijke Brill NV, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill NV incorporates the imprints Brill, Hotei Publishing, IDC Publishers, Martinus Nijhoff Publishers and VSP. All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, translated, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without prior written permission from the publisher. Authorization to photocopy items for internal or personal use is granted by Koninklijke Brill NV provided that the appropriate fees are paid directly to The Copyright Clearance Center, 222 Rosewood Drive, Suite 910, Danvers, MA 01923, USA. Fees are subject to change. printed in the netherlands
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ix Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xiii Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
i. die reichenau in karolingischer und ottonischer zeit Ego Reginbertus scriptor – Reichenauer Büchersorge als Spiegel karolingischer Reformprogrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 „Ex authentico scriptus“ – Zur liturgiehistorischen Stellung des karolingischen Sakramentars Cod. Donaueschingen 191 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 „Marcus decus Germaniae“ – Il culto del patrono Veneziano a Reichenau. Relazioni e specificità . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
ii. hochmittelalterliche benediktinerreform: hirsau und sein kreis Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Hirsaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Klösterliche Netzwerke und kulturelle Identität – Die Hirsauer Reform des 11./12. Jahrhunderts als Vorläufer spätmittelalterlicher Ordensstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
vi
inhaltsverzeichnis
Der Hirsauer ‚Liber Ordinarius‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Liturgischer Hymnus und monastische Reform – Zur Rekonstruktion des Hirsauer Hymnars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 „Scalam ad celos“ – Poésie liturgique et image programmatique. Lire une miniature du livre du chapitre de l’abbaye de Zwiefalten
257
Sequenzen auf Wanderschaft – Transferszenarien am Beispiel von „Rex regum dei agne“ und „Sancti merita Benedicti“ . . . . . . . . . . 286 Das Berthold-Sakramentar als liturgisches Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Musik und Liturgie zwischen Reform und Repräsentation. Ein Graduale-Sequentiar des frühen 13. Jahrhunderts aus der schwäbischen Abtei Weingarten (Wien, Kunsthistorisches Museum, Hs. 4981) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Rheinauer Handschriften und die Hirsauer Erneuerungsbewegung des 11. und 12. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . 386
iii. zisterzienser und zisterzienserinnen Maulbronn und die Buchkultur Südwestdeutschlands im 12. und 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 „Ut idem libri ecclesiastici et consuetudines sint omnibus“ – Bücher aus Lichtenthals Gründungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Johannes Zürn aus Neibsheim, ein Herrenalber Mönch des 15. Jahrhunderts als Handschriftenschreiber. Ein Beitrag zur Frage der Beziehungen zwischen Herrenalb und Lichtenthal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Andacht in Wort und Bild – Zum „Herrenalber Gebetbuch“ von 1482/84 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464
inhaltsverzeichnis
vii
iv. reformen am vorabend der reformation Herrenalb – Frauenalb – Lichtenthal: Spurensuche in einem bibliotheksgeschichtlichen Dreieck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Bücher aus der Klausur – Das weltabgewandte Leben der Pfullinger Klarissen im Spiegel ihrer Bibliothek und Schreibtätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Die Lorcher Chorbücher im Spannungsfeld von klösterlicher Reform und landesherrlichem Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
Verzeichnis der benutzten Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 1. Handschriften- und Inkunabelkataloge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 2. Repertorien, Textcorpora und sonstige Nachschlagewerke . . . . 558 3. Sekundärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 Register 1. Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 2. Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 606 3. Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614
VORWORT
„Jeder neue Aufschwung klösterlicher Zucht war von neuem Eifer im Schreiben begleitet“ – dieser lapidare Satz aus Wilhelm Wattenbachs 1871 erstmals erschienenem Werk über das mittelalterliche Schriftwesen1 könnte wie ein Motto über einem Buch stehen, das sich dem fundamentalen, freilich je neu zu differenzierenden und zu kontextualisierenden Zusammenhang zwischen monastischer Reform und Schriftlichkeit widmen will. Wattenbachs Postulat soll hier anhand von vier Grabungsschnitten, die an unterschiedlichen Brennpunkten reformerischer Aktivität ansetzen, einer Prüfung unterzogen werden. Räumliche Klammer dieser Sondierungen ist der deutsche Südwesten, zeitlicher Rahmen die Epoche vom 9. bis zum beginnenden 16. Jahrhundert. Durch den Untersuchungszeitraum ergibt sich eine grundsätzliche Konzentration auf das handschriftliche Buch, den Codex, auch wenn im Schlußabschnitt, der sich mit Entwicklungen der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert befaßt, natürlicherweise auch das gedruckte Buch mit ins Blickfeld rückt. Im Übrigen lässt sich, wie hier zumindest anzudeuten ist, Wattenbachs Axiom mutatis mutandis ohne Weiteres auch auf nachmittelalterliche Reformkontexte und deren Verhältnis zu den neuen, durch den Buchdruck eröffneten Möglichkeiten und Formen von Schriftlichkeit übertragen. Die im Titel für die räumliche Fokussierung gewählte Rede vom deutschen Südwesten meint ein Areal, das sich im Wesentlichen mit dem alten alemannischen Sprachraum und dem Territorium des alten Herzogtums Schwaben deckt, wobei zusätzlich die im Norden und Nordwesten an diesen Raum anschließenden Gebiete bis einschließlich Speyer einzubeziehen sind. Es geht mithin um jenen Raum, der auch in dem von germanistischer Seite initiierten Projekt einer „literarischen Topographie des deutschsprachigen Südwestens im 14. Jahrhundert“ als Untersuchungsrahmen zugrunde liegt.2 1 2
Wilhelm Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, Leipzig4 1896, S. 441. Vgl. Nigel F. Palmer und Hans-Jochen Schiewer, Literarische Topographie des
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vorwort
Die nachstehenden Beobachtungen und Reflexionen verstehen sich als eigenständiger Beitrag zur Rekonstruktion dieser historischen Literaturlandschaft, unterscheiden sich allerdings in verschiedener Hinsicht vom Projekt von Palmer und Schiewer. Diese Differenzen betreffen nicht nur die die weitgehende Konzentration aufs Lateinische und die Ausdehnung des Untersuchungszeitraums, sondern vor allem auch die speziellen Perspektive meines Ansatzes, die sich durch die Koppelung von Buchkultur und klösterlicher Reform ergibt. Außerdem gilt meine Fragestellung nicht so sehr inhaltlichen, also im engeren Sinn textlichliterarischen, als vielmehr formalen (ästhetischen) Aspekten und interessiert sich in besonderer Weise für die Bedingungen der Herstellung und der Verbreitung von Texten und Büchern sowie für die sozialen Formationen, die als Trägergruppen von Textproduktion und rezeption in Erscheinung treten. Es geht mir also vordringlich um jene „nichttextuellen Reflexe auf den Text- und Literaturbetrieb“, die neben den Texten selbst als Parameter für die Herausbildung des Profils einer literarischen Landschaft von wesentlicher Bedeutung sind.3 Das Ziel einer Herausarbeitung des literarischen Reliefs einer Region ist „nur in der Konzentration auf mikrohistorische Studien“ realisierbar, wie Palmer und Schiewer betonen.4 Auch das hier vorgelegte Buch ist als Folge von aufeinander bezogenen Fallstudien strukturiert. Im Kern handelt es sich dabei um eine thematisch geschlossene Zusammenstellung von Untersuchungen, die unter dem Titel „Monastische Reform und mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten“ von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel im Winter 2000/2001 als Habilitationsschrift angenommen wurde, seither aber durch weitere, hier ebenfalls präsentierte Studien fortgeschrieben wurde. Die Texte (Nachweise zu Erstpublikationen finden sich jeweils zu Beginn der einzelnen Abschnitte), dokumentieren ein anhaltendes Interesse für eine Thematik, die sich nicht zuletzt im Kontext meiner Tätigkeit in den Handschriftensammlungen der beiden badenwürttembergischen Landesbibliotheken (von 1981 bis 1986 als Katalogisator in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, von 1988 bis 2005
deutschsprachigen Südwestens im 14. Jahrhundert, in: Regionale Literaturgeschichtsschreibung. Aufgaben, Analysen und Perspektiven, hrsg. von Helmut Tervooren und Jens Haustein (Zeitschrift für deutsche Philologie 122. Sonderheft), Berlin 2003, S. 178– 202, bes. 183 die Überlegungen zur Bestimmung des Untersuchungsfeldes. 3 Vgl. Palmer / Schiewer (wie Anm. 2), S. 181 f. (Zitat S. 181). 4 Ebd., S. 182.
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als Leiter der Handschriftenabteilung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart) mehr und mehr zu einer zentralen Fragestellung meiner wissenschaftlichen Arbeit entwickelt hat. In besonderer Weise betrifft dies die 1991 begonnene und bis heute fortgesetzte Folge von Untersuchungen zur Buchkultur der Hirsauer Reform, speziell der in diesem Kontext produzierten liturgischen Handschriften, einem Komplex, der im Gesamtgefüge dieses Buchs nicht nur quantitativ das Hauptgewicht beansprucht. Die Anregung zur Veröffentlichung in dieser Form verdanke ich insbesondere den Gutachtern des Basler Habilitationsverfahrens, Prof. Dr. Achatz von Müller und Prof. Dr. Wulf Arlt (beide Basel) sowie Prof. Dr. Dieter Mertens und Prof. Dr. Paul Gerhard Schmidt (beide Freiburg i. Br.). Ihnen habe ich daher nicht für ihr gutachterliches Engagement herzlich zu danken, sondern auch für diesen ermutigenden Impuls zur Publikation. In besonderer Weise gilt dies für meinen Vorgänger auf dem Freiburger Lehrstuhl für Lateinische Philologie des Mittelalters, Paul Gerhard Schmidt, der mir in großzügiger Weise anbot, die Arbeit in der von ihm herausgegebenen Reihe „Mittellateinische Studien und Texte“ zu publizieren, und der mit ebenso diskretem wie hartnäckigem Insistieren auch die praktische Umsetzung dieses Vorschlags entscheidend beförderte. Sehr zu danken habe ich auch dem Brill Verlag und seinem Team, speziell Marcella Mulder und Gera van Bedaf, für perfekte Realisierung und äußerst angenehme Zusammenarbeit während der Drucklegung, ebenso den Verlegern der Erstpublikationen für ihre Zustimmung zum Wiederabdruck der Texte sowie Cornelia Baldauf, Matthias Herm und Rolf Schnepf (alle Seminar für Lateinische Philologie des Mittelalters, Freiburg i. Br.) für ihre unermüdliche Hilfe beim Erstellen von Druckmanuskript, Literaturverzeichnis und Indices. Die mit der Publikation eines derartigen „Corpus“ verbundenen Redundanzen werden hier bewusst in Kauf genommen, zumal sie durch den Mehrwert der zusammenhängenden Gesamtpräsentation aufgewogen werden dürften. Redaktionelle Eingriffe betreffen daher lediglich offensichtliche Versehen wie Druckfehler und Ähnliches sowie Nachträge wichtiger Ergänzungen des Forschungsstandes (nur in unabdingbar erscheinenden Fällen) bibliographischer Daten sowie Querverweise auf Beiträge, die ebenfalls in diesen Band aufgenommen wurden. Wulf Arlt, der seit nunmehr bald 20 Jahren im Zuge gemeinsamer Interessen meine Arbeit mit Sympathie und zugleich unbestechlich kritischem Blick begleitet (nicht unbedingt ein Widerspruch, wie ich
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gerade in diesem Zusammenhang lernen durfte), verdanke ich grundsätzliche Denkanstöße und Problemschärfungen, die den hier publizierten Texten in vielerlei Hinsicht zugute gekommen sind. Vor allem aber schulde ich ihm den entscheidenden Ansporn zur Inangriffnahme des Habilitationsvorhabens und die unermüdliche Hilfestellung bei dessen Verwirklichung. Ihm ist deshalb dieses Buch zu seinem 70. Geburtstag in Dankbarkeit und freundschaftlicher Verbundenheit gewidmet. Freiburg im Breisgau, im März 2008 Felix Heinzer
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1. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. Don. 191, f. 5v. Copyright by Joachim Siener, WLB Stuttgart.
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2. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. hist. 2° 415, f. 87r. Copyright by Joachim Siener, WLB Stuttgart.
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3. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. mus. I 2° 65, 235r. Copyright by Joachim Siener, WLB Stuttgart.
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4. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. mus. I 2° 65, 236v. Copyright by Joachim Siener, WLB Stuttgart.
EINLEITUNG
„Gemüse putzen oder Unkraut jäten im Garten, etwas pflanzen, das Haus fegen, Bücher binden, schreiben und korrigieren“ – eine zunächst etwas verblüffende Zusammenstellung von eher banalen Arbeiten in Haus und Garten auf der einen und der Herstellung von (handschriftlichen) Büchern auf der anderen Seite, die sich in einem wichtigen Dokument spätmittelalterlicher Klosterreform, nämlich den vermutlich in den siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts redigierten Caerimoniae der altehrwürdigen Benediktinerabtei in Subiaco findet.1 Die zitierte Aufzählung versteht sich, wie der Kontext zeigt, als eine Liste möglicher Formen gemeinschaftlicher manueller Tätigkeit, der communes labores et exercitia fratrum, in der Zeit nach dem Kapiteloffizium, die nach Maßgabe der Regel (Regula Benedicti, Kap. 48) der Handarbeit gewidmet sein soll. Die Melker Reformmönche, die den sublazensischen Reformansatz knapp vier Jahrzehnte später aufgreifen und an den süddeutsch-österreichischen Raum weitergeben, übernehmen diesen Katalog in ihrem eigenen Brauchtext für die Beschreibung der nachmittäglichen Arbeiten in kaum veränderter Form, freilich mit einer bemerkenswerten Umstellung. Das Bücherschreiben wird hier nämlich an den Beginn der Aufzählung gestellt: „Bücher schreiben, Bücher binden oder korrigieren, Gemüse putzen, das Kloster oder die Kirche, den Kreuzgang oder den Schlafsaal oder je nach Geheiß auch einen anderen Bereich fegen, etwas im Garten machen, die Erde umgraben,
1 Purgare legumina vel in hortis evellere herbas malas, plantare aliquid, scopare domum, ligare, scribere, corrigere libros. Caeremoniae regularis observantiae sanctissimi patris nostri Benedicti ex ipsius Regula sumptae, secundum quod in sacris locis, scilicet Specu et Monasterio Sublacensi practicantur, ed. Joachim F. Angerer, Siegburg 1985 (Corpus Consuetudinum Monasticarum 11/1), S. 90. – Vgl. auch die breiter dokumentierte Fassung dieser bewußt essayistisch gehaltenen Reflexionen unter dem Titel „Exercitium scribendi“. Überlegungen zur Frage einer Korrelation zwischen geistlicher Reform und Schriftlichkeit im Mittelalter, in: Die Präsenz des Mittelalters in seinen Handschriften, hrsg. von Hans-Jochen Schiewer u. Karl Stackmann, Tübingen 2002, S. 107–129. Der Text wurde in der vorliegenden Fassung von den ausführlich diskutierten Fallbeispielen entlastet, die hier jeweils in eigenen Beiträgen vorgestellt werden.
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Holz holen oder irgend etwas anderes dieser Art verrichten“ heißt es nun in Melk.2 Man hat diese Umstellung als Veränderung in der Hierarchie der verschiedenen exercitia interpretiert, zumal Melk für den Vormittag die traditionelle Handarbeit Subiacos weglässt3 – entscheidender freilich und ganz unabhängig von der Frage der Reihenfolge ist die Verbindung von intellektuellen und praktischen Tätigkeiten als gleichberechtigte Möglichkeiten klösterlicher Handarbeit. Zugleich dokumentiert der Melker Text, daß das Herstellen von Büchern hier ausdrücklich unter normativen Vorzeichen steht: Klösterliches Schreiben ist in diesem Kontext weder eine Privatbeschäftigung noch ein professionelles Metier, wie es mittelalterliche Lohnschreiber betreiben, sondern es hat, um die Formulierung in der Kapitelüberschrift des Melker Brauchtexts aufzugreifen, den Status eines exercitium regulare, d. h. es ist als eine Form manueller Arbeit im Sinne der monastischen Ordnung ein gleichermaßen substantieller Bestandteil klösterlicher Existenz wie Gottesdienstfeier, Gebet, Betrachtung, Studium oder Lektüre. Mit dieser Nobilitierung des Schreibens verbindet sich freilich auch die entsprechende Reglementierung und Ritualisierung, der monastische Arbeit generell unterworfen ist. Welche Formen dies annehmen kann, verdeutlicht der entsprechende Abschnitt in den Caeremoniae der Bursfelder Kongregation, einem weiteren wichtigen Dokument der spätmittelalterlichen Benediktinerreform. Hier wird vorgeschrieben, dass sich die Mönche nach einem liturgischen Gebet unter Glockengeläut und in prozessionsartiger Formation gemeinsam zu ihren Arbeitsstätten begeben sollen, wo in einer Atmosphäre der Sammlung
2 Scribere libros, ligare vel corrigere libros, purgare legumina, scopare monasterium vel ecclesiam, claustrum vel dormitorium aut ubicumque iussum fuerit, in hortulis aliquid agere, terram ligna aut alia necessaria fodere aut ferre et similia talia. Breviarium Caeremoniarum Monasterii Mellicensis, ed. Joachim F. Angerer, Siegburg 1987 (Corpus Consuetudinum Monasticarum CM XI/1), S. 72 f. Vgl. jetzt auch Albert Groiss, Spätmittelalterliche Lebensformen der Benediktiner von der Melker Observanz vor dem Hintergrund ihrer Bräuche. Ein darstellender Kommentar zum Caeremoniale Mellicense des Jahres 1460, Münster i.W. 1999 (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 46), S. 163–165. 3 Klaus Schreiner, Benediktinische Klosterreform als zeitgebundene Auslegung der Regel, in: Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 86 (1986), S. 105–195, hier S. 129, Klaus Schreiner spricht von einem „Reflex einer gewandelten Einstellung zum Buch- und Bibliothekswesen“, eine Formulierung die Groiss (wie Anm. 2), S. 164 f., übernimmt (allerdings ohne Nennung seiner Quelle). – Zu den Regelungen der Melker für die vormittägliche Arbeit s. Angerer (wie Anm. 2), S. 60 Z. 2–4.
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und wenn möglich schweigend gearbeitet werden soll.4 Dabei wird betont, daß dem exercitium scribendi, dem Schreiben eben, gegenüber allen anderen Formen von Arbeit der Vorrang einzuräumen sei, weil es einem exercitium spirituale, einer geistlichen Übung also, am nächsten komme.5 Klaus Schreiner hat diesen Text dahingehend interpretiert, dass er „den besonderen Wert klösterlicher Schreibtätigkeit… im Vorgang des Schreibens selbst“ sehe, also gewissermaßen in der von inhaltlichen Kriterien unabhängigen Qualität des Aktes an sich.6 In diese Richtung scheinen auch die Äußerungen Johannes Gersons in seinem 1423 verfassten Traktat zum Lobe der Schreiber (De laude scriptorum) zu gehen, wenn er diejenigen, die Handschriften geistlichen Charakters produzieren, und zwar nicht so sehr die Autoren der Texte, sondern in erster Linie die scriptores quasi mechanici et manuales,7 auf die spirituelle Qualität und religiöse Verdienstlichkeit ihrer Tätigkeit hinweisen will. Wer einen geistlichen Text abschreibt – so Gerson in seinem metrum triplex, das am Ende des Vorspanns seines Traktats dessen 12 considerationes in programmatischer Weise in drei Hexametern zusammenfasst –, der predigt, studiert, gibt Almosen und betet, wenn er schreibt, der übt sich in asketischer Entbehrung und spendet denen, die nach ihm kommen, Salz der Weisheit, lebendiges Quellwasser und Licht, und der verschafft der Kirche Reichtum, Waffen, Schirm und Ehre: Praedicat atque studet scriptor, largitur et orat, Affligitur, sal dat, fontem lucemque futuris, Ecclesiam ditat, armat, custodit, honorat.8
Dist. III, cap. 9. Vgl. Barbara Frank, Das Erfurter Peterskloster im 15. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der Klosterreform und der Bursfelder Union, Göttingen 1973 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 34; Studien zur Germania Sacra 11), S. 97. In diesen Zusammenhang gehört im übrigen auch die für die Benennung der Gegenstände des klösterlichen Alltags, insbesondere der Arbeit in den officinae claustri, im Dienst der Einhaltung des klösterlichen Schweigens entwickelte Zeichensprache, die in Listen so genannter Signa loquendi besonders aus dem Einflussbereich des cluniazensischen Mönchtums noch greifbar ist. Vgl. dazu Walter Jarecki, Signa loquendi. Die cluniazensischen Signa-Listen, Baden-Baden 1981. 5 Inter quae scribendi exercitium tanto censetur esse utilius quanto spiritali vicinius (zitiert nach dem Marientaler Inkunabeldruck von ca. 1475). Vgl. auch Frank (wie Anm. 4), S. 99, und Klaus Schreiner, Klosterreform (wie Anm. 3) S. 123. 6 Klaus Schreiner, Klosterreform (wie Anm. 3), S. 122. 7 Jean Gerson, Oeuvres complètes 9, hrsg. von Palémon Glorieux, Paris 1974, S. 424 (mit der Formulierung erit…sermo… de scriptoribus quasi mechanicis et manualibus librorum). 8 Ebd. 4
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Schreiben als Selbstzweck, als Wert an sich? Eine solche Formulierung dürfte eine unzulängliche Vereinfachung und Zuspitzung des umrissenen Sachverhaltes sein, macht aber deutlich, dass hier eine Dimension des Schreibens (und der Handschrift als Resultat dieses Schreibens) zu reflektieren ist, die in der universitären, höfischen und städtischen Buchkultur des Mittelalters in dieser ausgeprägten Form kaum gegeben ist. Die Ursprünge dieser Tradition lassen sich bis in die Spätantike zurückverfolgen, wenn bereits Cassiodor (ca. 490–583) im ersten Buch seiner zwischen 551 und 562 entstandenen „Instituiones divinarum et saecularium litterarum“ in Formulierungen, die wie eine Vorwegnahme der Ausdrucksweise Gersons anmuten, das vervielfältigende Abschreiben als besonders vornehme Aufgabe der Mönche seiner Gründung Vivarium propagiert.9 Wenn dabei im Sinne einer Qualitätssicherung auch die intensive Beschäftigung mit der etablierten Orthographie des Lateinischen angemahnt wird,10 so manifestiert sich in diesem Bemühen um die Wahrung antiker Bildungsmaßstäbe eine Intention, die sich durch die Geschichte des abendländischen Mönchtums hindurch immer wieder als Kontinuitätsmoment greifen lässt: eine exzeptionelle, theologisch aufgeladene, letztlich im Schrift- und Buchcharakter der biblischen Offenbarung selbst begründete Wertschätzung und Pflege von Sprache, Schrift und Buch.11 Wenn also der Schreibtätigkeit im klösterlichen Selbstverständnis dieser Stellenwert zukommt, so erscheint es nur konsequent, dass dieser Bereich offenbar immer dann verstärkt an Bedeutung gewinnt, wenn eine Rückbesinnung auf die Grundwerte dieser Lebensform stattfindet, wie es Wilhelm Wattenbachs bereits im Vorwort zitierter Satz lapidar
9 Ego tamen fateor votum meum, quod inter vos quaecumque possunt corporeo labore compleri, antiquariorum mihi studia, si tamen veraciter scribant, non inmerito forsitan plus placere, quod et mentem suam relegendo Scripturas divinas salutariter instruunt et Domini praecepta scribendo longe lateque disseminant. Felix intentio, laudanda sedulitas, manu hominibus praedicare, digitis linguas aperire, salutem mortalibus tacitum dare, et contra diaboli subreptiones illicitas calamo atramentoque pugnare. Cassiodori Senatoris institutiones, I 30, 1, ed. by Roger A.B. Mynors, Oxford 1937, S. 75. 10 Sed ne tanto bono mutatis litteris scriptores verba vitiosa permisceant aut ineruditus emendator nesciat errata corrigere, orthographos antiquos legant. Ebd. I 30, 2, Mynors, S. 76. 11 Zu der in diesem Zusammenhang entfalteten Metaphorik vgl. jetzt auch Klaus Schreiner, „Göttliche Schreib-Kunst“. Eigenhändige Aufzeichnungen Gottes, Jesu und Mariä. Schriftlichkeit in heilsgeschichtlichen Kontexten, in: Frühmittelalterliche Studien 36 (2002), S. 95–132.
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zum Ausdruck bringt: „Jeder neue Aufschwung klösterlicher Zucht war von neuem Eifer im Schreiben begleitet“.12 Im Folgenden soll dieser Zusammenhang in mehreren Schritten thematisiert werden. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei naturgemäß den liturgischen Büchern als besonders sensible Indikatoren für Normierung und Kodifizierung zu, gibt sich doch die Vereinheitlichung von Ritus und Repertoire des liturgischen Vollzugs seit frühchristlicher Zeit als zentraler Schwerpunkt kirchlicher Reformbemühungen zu erkennen.13 In der ersten Sektion, die der Abtei Reichenau als Brennpunkt der frühmittelalterlichen Kulturgeschichte des alemannischen Raums gewidmet ist, nimmt daher neben neuen Überlegungen zu den Exlibris-Texten des ersten bekannten Bibliothekars des Bodenseeklosters, Reginbert, und einer Studie zur Entwicklung des Reichenauer Markuskultes und seinen dichterischen Reflexen nicht zufällig die Untersuchung einer Sakramentarhandschrift des 9. Jahrhunderts im Kontext der karolingischen Renovatio besonderen Raum ein. Hier werden grundlegende, auch in späteren Epochen immer wieder zu beobachtende Aspekte der Rolle von Schrift und Buch sichtbar. Solche Kontinuitäten betreffen etwa wortmagische und ritualistische Aspekte, die im Insistieren auf strengster liturgische Formelhaftigkeit und wortwörtlicher „Richtigkeit“ greifbar werden,14 sie gelten aber auch für die Funktion vorbildhafter Texte oder Bücher im Sinne von Musterexemplaren oder, wie die ältere Forschung gerade im Bezug auf die karolingischen Situation gerne sagte, „Urexemplaren“, als Referenz für die intendierte Normierung. Die Beschäftigung mit einer Handschrift wie dem Reichenauer Sakramentar vermag aber auch zu verdeutlichen, wie sehr wir in der Diskussion von reformerischer Kodifizierung und Normierung mit Konzepten arbeiten, die durch intensive Beschäftigung mit der Individualität einer konkreten Quelle eine erhebliche Relativierung erfahren. Die historischen Zusammenhänge sind offenkundig erheblich Wilhelm Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter, Leipzig 41896, S. 441. Vgl. dazu Felix Heinzer, Kodifizierung und Vereinheitlichung liturgischer Traditionen. Historisches Phänomen und Interpretationsschlüssel handschriftlicher Überlieferung, in: Musik in Mecklenburg. Beiträge e. Kolloquiums zur mecklenburgischen Musikgeschichte (Rostock 24.–27. Sept. 1997), hrsg. von Karl Heller u. a., Hildesheim 2000 (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 21), S. 85–106. 14 Arnold Angenendt, Libelli bene correcti. Der „richtige Kult“ als ein Motiv der karolingischen Reform. In: Das Buch als magisches und als Repräsentationsobjekt, hrsg. von Peter Ganz, Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 5), S. 117– 135, bes. S. 118–121. 12 13
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komplexer, die Entwicklungen differenzierter, die Überlieferung sehr viel mehr von Wechselwirkungen geprägt als unsere Erklärungsmodelle und unsere modernen Maßstäbe von Standardisierung und amtlicher Sanktionierung dies vielfach vorauszusetzen scheinen. Die Individualität des einzelnen handschriftlichen Buchs wird gerade aus solchen Zusammenhängen immer wieder deutlich und positioniert sich gewissermaßen als dialektischer Gegenpol zu (notwendigerweise) verallgemeinernden Deutungsszenarien. Dies gilt im Übrigen erst recht für die Verschriftlichung der gesungenen Teile der Liturgie.15 Das impliziert keine Falsifizierung des Postulats einer grundlegenden Bedeutung von Schriftlichkeit für die karolingische Renovatio und analog für andere Reformkontexte, bedeutet aber, daß wir unsere Sicht vom Verlauf solcher Reformvorgänge zu relativieren haben und statt mit Vorstellungen von punktgenauen Veränderungen wohl eher mit Modellen komplexer, vielsträhniger Prozesshaftigkeit operieren müssen. Das karolingische Reichenauer Beispiel demonstriert aber noch einen weiteren grundlegenden Aspekt: Wenn Bücher zu Trägern von Reforminhalten werden, so transportieren sie, wenn sie diese Inhalte verbreiten, zugleich auch bestimmte formale Aspekte bezüglich Schrift, Ausstattung, Layout und ähnlichem mehr und wirken auch auf dieser Ebene exemplarisch und damit stilprägend. Das heißt: die Autorität und Vorbildhaftigkeit der Inhalte überträgt sich in gewissem Maße auf das Erscheinungsbild dieser Handschriften. Die Verbreitung der sogenannten karolingischen Minuskel etwa, die im Einflussbereich Karls des Großen und seiner Nachfolger als eine Art Einheitsschrift die bisherigen regionalen und lokalen Schreibstile weitgehend verdrängt, dürfte ganz wesentlich mit der Propagierung des karolingischen Reformprogramms über das Medium des Buchs zusammenhängen. Auch dafür ist das ehemals Donaueschinger Sakramentar der Reichenau ein Paradebeispiel: nicht nur der außerordentlich qualitätvollen Schrift wegen, die in einem bisher von einem weniger anspruchsvollen Schreibstil, der sog. alemannischen Minuskel, geprägten Umfeld nachhaltige Maßstäbe gesetzt haben dürfte,16 sondern durch sein gesamtes Erscheinungsbild 15 Vgl. Andreas Haug, Zum Wechselspiel von Schrift und Gedächtnis im Zeitalter der Neumen, in: International Musicological Society Study Group Cantus Planus. Papers read at the Third Meeting Tihany, Hungary 19–24 September 1988, Budapest 1990, S. 33–43, und Leo Treitler, The “Written” and “Unwritten Transmission” of Medieval Chant and the Start-Up of Musical Notation, in: Journal of Musicology 10 (1992), S. 131–191. 16 Bemerkenswert in diesem Zusammenhang die Beobachtung von Herrad Spilling: Schreiber und Schrift, in: dies. (Hrsg.), Die karolingische Sakramentarhandschrift Cod.
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bis hin zu Aspekten wie Textgliederung, Interpunktion und Auszeichnungsschriften, die in ihrer durchdachten Systematik zu einer exemplarischen Klarheit und Transparenz der Textpräsentation führen.17 Insgesamt erscheint diese stringente formale Konzeption der Handschrift geradezu modellhaft für das, was Malcolm B. Parkes so treffend als „grammar of legibility“ bezeichnet hat18 – d. h. für eine optimalen Organisation von Schrift und Layout als formalem Gegenstück zu den Bemühungen um die philologische Qualität des Texts. Im 9. Jahrhundert scheint geschriebener Text mehr und mehr als eigenständige sprachliche Manifestation gesehen zu werden, welche die Rechte des Auges mindestens genauso berücksichtigt wie die des Ohrs.19 Reformen – dies der grundsätzliche Schluß, der aus derartigen Beobachtungen zu ziehen wäre – regen offenkundig nicht nur zu einer intensivierten Nutzung von Schriftlichkeit an, sondern tendieren in gleichsam katalysatorischer Rolle auch dazu, Veränderungen in der Einstellung gegenüber dem geschrieben Wort zu befördern20 und damit eine qualitative Weiterentwicklung der Möglichkeiten und Mittel des Kommunikationsmediums Buchs zu provozieren. Der Blick auf die monastischen Erneuerungsbewegungen des Hochmittelalters in der zweiten und dritten Sektion knüpft an vieles an, was im Zusammenhang mit den karolingerzeitlichen Befunden angesprochen wurde. Zugleich wird jedoch auch eine neue Dimension deutlich: Sie betrifft die deutlich gesteigerte Intensität der Qualität von Kommunikation innerhalb von Reformbewegungen, die zu Formen von Verbandsbildung führt, die noch in dieser Epoche, nämlich bei den Zisterziensern, erstmals jene organisatorische Stringenz erreichen, wie sie für die als Orden bezeichneten Formen geistlicher Gemeinschaft charakteristisch ist. In Hirsau, dem „deutschen Cluny“, und seinem Reformkreis ist die Situation hingegen offener und differenzierter: Während sich um Cîteaux ein zentralistisch organisierter Orden konstituiert, Donaueschingen 191 der WLB Stuttgart, Berlin 1996 (Patrimonia 85), S. 17–47, dass „der Maßstab, der mit der Anlage der Handschrift vorgegeben worden war, seinen Einfluss noch bis in den letzten liturgischen Nachtrag ausgeübt hat“ (Zitat S. 18). 17 Näheres dazu bei Spilling (wie Anm. 16), S. 19–25. 18 Malcolm B. Parkes, Pause and Effect. An Introduction to the History of Punctuation in the West, Aldershot 1992, S. 20–34. 19 Parkes (wie Anm. 18), S. 34: „By the ninth century readers and scribes had come to perceive the written medium as an autonomous manifestation of language, which was apprehended as much by the eye as by the ear“. 20 Vgl. die Formulierung von Parkes im Titel seines in Anm. 18 zitierten Kapitels: „Changing Attitudes to the Written Word“.
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bildet sich um Hirsau lediglich ein eher lose strukturierter Verbund von Klöstern aus, der teilweise auch bereits bestehende Häuser mit fest ausgebildeten Eigentraditionen erfasst. Dies spiegelt sich in inhaltlicher wie formaler Hinsicht nicht zuletzt auch in den liturgischen Büchern der beiden Bereiche. Dem hohen Normierungsdruck der Zisterzienser steht bei den Hirsauern eine eigentümliche Spannung von Identität und Individualität gegenüber, wie sich sowohl in Fallstudien zu einzelnen Handschriften als auch im Blick auf größere Zusammenhänge zeigt. Dabei fällt methodisch erschwerend ins Gewicht, daß für Hirsau selbst das erhaltene Quellenmaterial ausgesprochen dürftig ist, was zu diffizilen Argumentationsweisen in Form von Analogieschlüssen zwischen Peripherie und Zentrum nötigt. Zumindest lässt sich aber der exzeptionelle Stellenwert, der Schrift und Buch im Hirsauer Reformkonzept zukommt, aus dem Programm selbst, also den im späten 11. Jahrhundert redigierten Constitutiones Hirsaugienses, sehr genau und detailreich in den Blick nehmen, und ebenso ist das idealtypische Profil des liturgischen Repertoires über mehrere erhaltene, jeweils lokal überfärbte Exemplare des als Referenztext dienenden „Liber Ordinarius“ rekonstruierbar.21 Bemerkenswerterweise erfahren sowohl Hirsau als auch die südwestdeutschen Zisterzienser im 15. Jahrhundert noch einmal einen Reformschub, der in der Hochmittelaltersektion im Sinne eines Ausblicks bereits angesprochen und im abschließenden Teil der Untersuchung noch einmal eingehender thematisiert wird. Der Zisterzienserorden bleibt dabei gewissermaßen „bei sich selbst“ und bemüht sich um eine Erneuerung aus eigener Kraft. Die Hirsauer Klöster hingegen sind aus ihrer eigenen Reformtradition, die – zumal im Zentrum des Verbundes selbst – schon im Lauf des 12. Jahrhunderts signifikant an Kraft verliert, zu einem geistlichen (und in der Folge auch ökonomischen) Aufschwung nicht mehr in der Lage, sondern bedürfen dazu eines Anstoßes von außerhalb. Hirsau selbst öffnet sich den aus Norddeutschland über die rheinaufwärts ausstrahlenden Impulsen der Bursfelder Kongregation, die im Osten und Süden des Untersuchungsraums gelege21 Zur Frage von Auswirkungen der hochmittelalterlichen Benediktinerreform auf Aspekte monastischer Text- und Manuskriptkultur – hier mit Fokussierung auf den Südosten des deutschen Sprachraums, insbesondere auf das (ebenfalls hirsauisch geprägte) Kloster Admont, aber leider unter fast völliger Ausklammerung liturgiegeschichtlicher Fragestellungen – vgl. jetzt auch den Sammelband Manuscripts and Monastic Culture. Reform and Renewal in Twelfth-Century Germany, ed. by Alison I. Beach (Medieval Church Studies 13), Turnhout 2007.
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nen Klöster des alten Hirsauer Reformkreises, so etwa Blaubeuren und Lorch, werden hingegen von der donauaufwärts über Augsburg in den schwäbischen Raum vorstoßenden Melker Reform erfaßt. Generell gilt, daß die Reformen von Melk und Bursfelde im Gegensatz zu hochmittelalterlichen Erneuerungsbewegungen wie Cluny und Hirsau oder den Zisterziensern, nie zu Neugründungen führen, sondern immer auf bereits bestehende Klostergemeinschaften und somit auf eine präexistente Consuetudo treffen, was im Übrigen auch für das ursprünglich ebenfalls hirsauisch geprägte Melk selbst zutrifft. Diese Konstellation führt zu einer eigentümlichen Überlagerung der Traditionsschichten. Die Auswirkungen sind gerade für die liturgischen Bücher erheblich, die mancherorts nicht nur in Einzelheiten, sondern teilweise sogar bezüglicher ganzer Komplexe dem Repertoire der älteren Traditionsschicht verpflichtet bleiben.22 Offenbar galt eine Umformung des liturgischen Repertoires im Sinne gänzlicher Übereinstimmung mit Melk eben sehr viel weniger als Maßstab für eine erfolgreiche Durchführung der Reform, als vielmehr jene Gesichtspunkte, über die Bücher keine Auskunft geben können: die Qualität und Würde der liturgischen Feier, insbesondere des musikalischen Gesangs, und selbstverständlich auch die andern von den Reformern angemahnten Aspekte monastischer Zucht und Disziplin außerhalb des liturgischen Bereichs. Es gehört eben, wie Joachim Angerer betont hat, zu den „Reformprinzipien, die Melk auszeichnen oder auch, je nach dem Standpunkt der Beurteilung, das Reformwerk Melks frühzeitig gefährdeten und es zumindest komplizierter gestalteten und erschwerten, dass die Melker Reformer zwar versuchten, in jedem der von ihnen visitierten Klöster die Observanz von Subiaco einzuführen, aber jedem Konvent die gute und erprobte Eigentradition ausdrücklich beließen“.23Muster, die wir bereits im Rahmen der früh- und hochmittelalterlichen Untersuchungsschritte kennen gelernt haben, scheinen hier erneut eine gewisse Rolle zu spielen, insbesondere die dort im Zusammenhang mit der Hirsauer Reform beobachtete situationsbezogene Flexibilität und pragmatische Toleranz für Sondertraditionen der einzelnen Klöster. 22 Besonders deutlich ist diese Überlagerung an den erhaltenen Handschriften der Hirsauer Gründung Blaubeuren ablesbar. Vgl. dazu Felix Heinzer, Karwoche in Blaubeuren. Zur liturgischen Nutzung von Chor und Klosterkirche, in: Das Kloster Blaubeuren. Der Chor und sein Hochaltar, hrsg. von Anna Moraht-Fromm, Stuttgart 2002, S. 33–39, bes. S. 33 f. 23 Angerer, Breviarium (wie Anm. 2), S. CLXXVII.
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Ein Novum der spätmittelalterlichen Reformbewegung stellt im Vergleich zur hochmittelalterlichen Situation das ausgeprägte Engagement des Landesherrn in diesem Prozeß dar. In besonderem Maß gilt dies vor allem für den Herrschaftsbereich der Grafen und späteren Herzöge von Württemberg.24 Damit kommt tendenziell eine Komponente ins Spiel, die für die spätmittelalterliche Klosterreform generell zu bedenken ist: ein verstärkter Repräsentationsanspruch, der sich bei der baulichen und künstlerischen Neuausstattung der Klöster auswirkt,25 teilweise aber auch im Bereich der Buchkultur. Exemplarisch dafür ist die Entwicklung in der Staufergründung Lorch, die 1462 den Anschluss an die Melker Reform fand. Als ein halbes Jahrhundert später die ökonomischen Voraussetzungen für die Herstellung neuer liturgischer Handschriften für Meß- und Chordienst gegeben waren, wurden diese inhaltlich zwar konsequent nach der Rubrica mellicensis eingerichtet, formal aber – unter spürbarer Einflußnahme des Landesherrn – in Form monumentaler, reich ausgestatteter Chorbücher angelegt. Der dabei entfaltete Luxus scheint den spirituellen Anspruch reformerischer Programmatik zu konterkarieren. Vergleichbare Spannungspotentiale, die historisch adäquat wohl am ehesten im Kontext der mittelalterlichen Konzepte von Stiftung und Stiftergedächtnis zu beurteilen sind, lassen sich im Übrigen auch schon im hirsauisch geprägten Kloster Weingarten unter der Zeit des bedeutenden Abts Berthold zu Beginn des 13. Jahrhunderts beobachten. Die Pfullinger Klarissen, über deren äußerst fragmentarisch erhaltene, zumindest bei den Handschriften fast durchweg erst nach 1500 einsetzende Bibliotheksüberlieferung in der spätmittelalterlichen Sektion ebenfalls gehandelt wird, stellen als Bettelordensgemeinschaft, die in einen städtischen Kontext eingebunden ist, im Vergleich zu den traditionellen Mönchklöstern einen Sonderfall dar. Aber auch hier scheint – in der Zurückgezogenheit der Klausur – das Sammeln und Herstellen von Texten ein wichtiger Aspekt des neu belebten geistlichen Lebens gewesen zu sein. Von besonderem Interesse ist dabei, daß dabei die um 1500 zur Verfügung stehende mediale Palette in ihrer 24 Grundlegend dazu Dieter Stievermann, Landesherrschaft und Klosterwesen im spätmittelalterlichen Württemberg, Sigmaringen 1989; vgl. auch ders., Die württembergischen Klosterreformen des 15. Jahrhunderts. Ein bedeutendes landeskirchliches Strukturelement des Spätmittelalters und ein Kontinuitätsstrang zum ausgebildeten Landeskirchentum der Frühneuzeit. In: ZWLG 44 (1985) S. 65–103, hier S. 98. 25 Dafür ist Lorch selbst, aber mehr noch Blaubeuren ein instruktives Beispiel (vgl. dazu Moraht-Fromm, Kloster Blaubeuren [wie Anm. 21]).
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ganzen Breite zum Tragen kommt: Neben der Handschrift (die wenigen erhaltenen Beispiele zeigen Merkmale, die auf eine ganze Gruppe von Schreiberinnen, ein richtiges Skriptorium also, hindeuten), wurden offenbar auch die Möglichkeiten, die der Buchdruck bot, rege genutzt, und Gleiches gilt für das auf dem Markt greifbare Angebot an druckgraphischen Bildern (drei der vier erhaltenen Handschriften sind mit eingeklebten Holzschnitten als Andachtsbilder ausgestattet26). Bemerkenswert auch, daß selbst bei einer so geringen Quellenbasis netzwerkartige Verbindungen innerhalb des Ordens fassbar werden – insbesondere mit Nürnberg, dem Elsass und mit Brixen, von wo aus die Pfullinger Klarissen die Reformimpulse erhielten –, die für den Aufbau der Buchbestände offenbar eine wesentliche Rolle gespielt haben. Als Fazit der hier vorgelegten Untersuchungen wird man festhalten dürfen, daß das Axiom, Zeiten geistlicher Reform im Mittelalter seien immer auch Epochen intensiver Pflege von Schriftlichkeit, durch die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungsausschnitte grundsätzlich bestätigt wird. Schriftlichkeit erweist sich in den in den Blick genommenen Zusammenhängen in der Tat nicht nur als ein wesentliches Mittel zur Durchsetzung von Erneuerung, als „Faktor von Reform“, wie Klaus Schreiner sich ausgedrückt hat,27 sondern zugleich auch als eines ihrer originärsten Produkte. Allerdings zeigt sich, dass dieser Zusammenhang in unterschiedlichen historischen Kontexten durchaus differenziert zu sehen ist. Reform ist „ein komplexer Begriff für eine komplexe Sache“,28 der für sehr verschiedene Realitäten stehen kann. Wird Reform wesentlich von außen oder, wenn man so will, „von oben“ initiiert und getragen, insbesondere wenn sie sich herrscherlicher Initia26 Außer den in Stuttgart befindlichen, hier näher diskutierten Stücken auch die im Archiv des Klarissenklosters Brixen noch erhaltene, um 1525 vollendete handschriftliche Klosterchronik. Vgl. Hermann Taigel, Chronik einer Pfullinger Klarisse. Eine Brixener Handschrift, Pfullingen 2002, S. 32. 27 Klaus Schreiner, Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter, hrsg. von Hagen Keller, Klaus Grubmüller u. a., München 1992 (Münstersche Mittelalter-Schriften 65), S. 37–75. – Vgl. auch Joachim Wollasch, Reformmönchtum und Schriftlichkeit, in: Frühmittelalterliche Studien 26 (1992), S. 274–286, sowie (mit stärker regionaler Akzentuierung) Klaus Schreiner, Erneuerung durch Erinnerung. Reformstreben, Geschichtsbewusstsein und Geschichtsschreibung im benediktinischen Mönchtum Südwestdeutschlands an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hrsg. von Kurt Andermann, Sigmaringen 1988 (Oberrheinische Studien 7), S. 35–87. 28 Klaus Schreiner, Klosterreform (wie Anm. 3), S. 108.
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tive verdankt wie die karolingische Renovatio, so führt dies zu anderen Situationen als da, wo sich Erneuerung wesentlich aus eigenem, spirituellen Antrieb speist, wie etwa in der monastischen Reform des 11. und 12. Jahrhunderts, wenngleich auch im Falle Hirsaus und seiner „gregorianischen“, also antikaiserlichen Positionierung im Investiturstreit die Dimension der „Wechselbeziehungen zwischen Adel und Reformmönchtum“29 keinesfalls ausgeklammert werden darf. Für die hier im Vordergrund stehende Fragestellung bedeutet dies, daß der Anteil der Mächtigen am Reformvorgang letzten Endes auch das Maß des Repräsentativen in den Ergebnissen der in diesen Zusammenhängen produzierten Schriftlichkeit mitbestimmt. Noch ein weiterer Aspekt ist zu betonen: Reform beinhaltet aus mittelalterlicher Sicht im Gegensatz zu einem modernen Verständnis des Begriffs nicht so sehr den Aspekt der Erneuerung, sondern zielt entsprechend der Bedeutung des lateinischen Wortes (re-formatio) primär auf Wiederherstellung einer als authentisch und vorbildhaft geltenden Vergangenheit.30 Das heißt: die Blickrichtung mittelalterlicher Kirchenund Klosterreform ist inhaltlich grundsätzlich rückwärts gewandt. Auf der Ebene ihrer Strategien und Techniken hingegen ist sie oft erstaunlich innovativ. Das gilt auch für den hier beobachteten Bereich, wie etwa die unter dem Stichwort „grammar of legibility“ für die karolingische Reform diskutierten Aspekte oder auch die Dynamik der zisterziensischen Buchkultur eindrucksvoll belegen. Eine radikale Konsequenz dieser Haltung ist schließlich auch die Option für jene neue Technik der Buchproduktion, die etwa bezüglich der Möglichkeiten gleichförmiger Vervielfältigung liturgischer Bücher oder weitreichender (und sehr viel besser regulier- und kontrollierbarer) Multiplizierung normativer und programmatischer Texte die Möglichkeiten des Schreibens bei weitem übertrifft: die Nutzung des Buch-Drucks also. Nicht nur für den Erfolg Luthers und der von ihm ausgelösten Bewegung bot dieses neue Medium entscheidende Voraussetzung. Auch die Reform des Trienter
29 Klaus Schreiner, Hirsau und die Hirsauer Reform. Spiritualität, Lebensform und Sozialprofil einer benediktinischen Erneuerungsbewegung im 11. und 12. Jahrhundert, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2 (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,2), Stuttgart 1991, S. 59–84, hier S. 62 (im Anschluss an Karl Schmid, Adel und Reform in Schwaben, in: Investiturstreit und Reichsverfassung [Vorträge und Forschungen 17], hrsg. von Josef Fleckenstein, Sigmaringen 1973, S. 295–319). 30 Als „Rückkehr zur forma prima ideal gedachter Anfänge“, wie Klaus Schreiner, Verschriftlichung (wie Anm. 26), S. 42 prägnant formuliert.
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Konzils hat es sich für seine neue liturgische Kodifizierung systematisch zu Nutze gemacht, und bereits die spätmittelalterlichen Reformbewegungen, etwa die benediktinischen Verbände von Melk und Bursfelde (die Caerimonie der Bursfelder Kongregation erschienen schon 1475 im Druck!) oder auch die Brüder vom gemeinsamen Leben haben sich ansatzweise um eine Nutzung der neuen Produktionsform bemüht und zum Teil sogar selbst Offizinen unterhalten. Das bedeutet letztlich das Ende des exercitium scribendi, wobei dieser Bruch zugleich Kontinuität impliziert, denn die neue Technik der Buchherstellung verdrängt die alte, weil sie deren bisherige Aufgaben und Zielsetzungen, nicht zuletzt diejenigen, die sich im Kontext von Reform ergeben, offenkundig noch effizienter zu realisieren vermag.
teil i DIE REICHENAU IN KAROLINGISCHER UND OTTONISCHER ZEIT
EGO REGINBERTUS SCRIPTOR – REICHENAUER BÜCHERSORGE ALS SPIEGEL KAROLINGISCHER REFORMPROGRAMMATIK
Das Doppel-Exlibris des bekannten Reichenauer Schreibers und Bibliothekars Reginbert († 846)1 repräsentiert in mehrfacher Hinsicht einen bemerkenswerten Sonderfall. Schon im 17. Jahrhundert fand die metrische Bearbeitung die Aufmerksamkeit von Johannes Egon, ebenfalls Mönch auf der Reichenau, der die 12 Verse Reginberts 1630 kopierte und in sein Werk „De viris illustribus Monasterii Augiae Maioris“ abschrieb, das ein knappes Jahrhundert später auch im Druck erschien.2 1866 publizierte Philipp Jaffé 1906 dann auch die Prosaversion, die Alfred Holder in seinem monumentalen Katalog der in Karlsruhe verwahrten Reichenauer Pergamenthandschriften erneut abdruckte.3 Die Reichenauer Forschung hat sich in der Folge mehrfach damit befasst, insbesondere Karl Preisendanz und Walter Berschin, der jüngst dankenswerterweise eine kommentierte Edition der beiden Fassungen vorgelegt hat.4 Schon Preisendanz hatte darauf hingewiesen, daß Reginbert vermutlich „anfänglich nur über die prosaische Fassung verfügte, die er vor einige seiner Handschriften setzte“ und dabei für die Urheberschaft der 1
Vgl. Franz-Josef Worstbrock, ‚Reginbert von Reichenau OSB‘, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Zweite, völlig neu bearb. Aufl., Bd. 7, Berlin u. New York 1989, Sp. 1112–1114. 2 In Bernhard Pez, Thesaurus anecdotorum novissimus seu veterum monumentorum, praecipue ecclesiasticorum I/3, Augsburg 1721, das Exlibris Sp. 655. 3 Philipp Jaffé, Monumenta Moguntina, Berlin 1866, S. 425; Alfred Holder, Die Reichenauer Handschriften 1: Die Pergamenthandschriften (Die Handschriften der Großherzoglichen Badischen Hof- und Landesbibliothek in Karlsruhe 5), Leipzig 1906 (Reprint: Wiesbaden 1970), S. 281 (aus Aug. CIX), S. 334 (aus Aug. CXXXVI) und 460 f. (aus Aug. CCII, Teil 2). 4 Karl Preisendanz, Reginbert von der Reichenau. Aus Bibliothek und Skriptorium des Inselklosters, in: Neue Heidelberger Jahrbücher N.F. 1952/53, S. 1–49, bes. S. 13– 15; Walter Berschin, Eremus und Insula. St. Gallen und die Reichenau im Mittelalter. Modell einer lateinischen Literaturlandschaft, Wiesbaden 1987, S. 5 f., S. 55 und Abb. 6; ders. Vier karolingische Exlibris, in: ders. Mittellateinische Studien, Heidelberg 2005, S. 169–178, bes. S. 169–173.
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die reichenau in karolingischer und ottonischer zeit
metrischen Fassung, Reginberts Schüler Walahfrid Strabo ins Gespräch gebracht, eine Hypothese, die er mit dem Hinweis auf eine Similie zum letzten Vers des Reginbert-Metrums (tolle, aperi, recita, ne laedas, claude, repone) zu untermauern suchte.5 Walter Berschin, dem der wichtige Hinweis auf die Tradition des so genannten „Opus geminum“ als gattungsgeschichtlichen Kontext für das Doppel-Exlibris zu verdanken ist,6 hat die Walahfrid-Hypothese aufgegriffen und durch weitere Beobachtungen ergänzt, die ihn zum Schluß führen, die Verse Magno in honore dürften künftig mit guten Gründen zumindest unter die „Walahfridi Strabi carmina dubia“ gerechnet werden.7 Da die Versifizierung des Exlibris auch in Reginberts eigener Niederschrift vorliegt, wäre dann wohl am ehesten mit einer Entstehung noch vor Walahfrids 827 erfolgter Entsendung nach Fulda zu rechnen, wenngleich die Verbindungen zur Reichenau auch von Fulda aus durchaus eng blieben.8 Hilfreich für eine Klärung solcher Fragen wäre eine – allerdings wohl kaum zuverlässig zu realisierende – relative Chronologie der Reginbert Handschriften. Allerdings ist der an erster Stelle von Reginberts berühmter Liste der eigenhändig bzw. unter seiner Aufsicht geschriebenen oder als Geschenk empfangenen Handschriften („Brevis librorum“) genannte Band, nämlich der möglicherweise noch unter Abt Waldo, also um 806, entstandene liber praegrandis mit dogmatischen und kanonistischen Texten (Karlsruhe, BLB, Aug. XVIII), nur verstümmelt erhalten, und es fehlt dadurch – für unsere Fragestellung besonPreisendanz (wie Anm. 4), S. 14 mit Anm. 73 mit Hinweis auf die analog zum Reginbert-Text auf die Buchausleihe bezügliche Formulierung perlege, scribe, reduc (Walahfrid, Car, 45, 16; MGH Poetae Latini 2, rec. Ernestus Dümmler, Berlin 1884, S. 394) Dümmler selbst druckt das Reginbert-Metrum in der „Appendix ad Walahfridi Carimina“ ab (ebd., S. 424). Vgl. auch die Bemerkung von Worstbrock (wie Anm. 1), Sp. 1113, wonach die metrische Fassung „nicht von R. stammen muß“. 6 Berschin, Eremus (wie Anm. 4), S. 55; jetzt auch ders., Exlibris (wie Anm. 4), S. 171, mit Hinweis auf die besonders sinnfällige Darstellung des Texts in der Stuttgarter Handschrift, der „die Form des Prosimetrums … ad oculos demonstriert“. Ein weiteres Zwillings-Exlibris aus karolingischer Zeit enthält das 853 datierte Sakramentar Paris, Bibl. Nat., Lat. 12050 (vgl. David Ganz, Corbie in the Carolingian Renaissance, Sigmaringen 1990, S. 56–57 und 145–146) – Zur Gattung vgl. Ernst Walter, Opus geminum. Untersuchungen zu einem Formtyp in der mittellateinischen Literatur, Diss. Erlangen 1973; außerdem auch Gereon Becht-Jördens, Die Vita Aegil abbatis Fuldensis des Brun Candidus. Ein Opus geminum aus dem Zeitalter der anianischen Reform in biblisch-figuralem Hintergrundstil, Frankfurt am Main 1992. 7 Berschin, Exlibris (wie Anm. 4), S. 173. 8 Man denke etwa an Carm. 75 (Poetae Latini 2 [wie Anm. 5], S. 412 f.): das wunderbare, in sapphischen Strophen gehaltene Heimwehgedicht an die Augia (Musa nostrum plange, soror dolorem). Vgl. dazu Berschin, Eremus (wie Anm. 4), S. 31 f. 5
ego reginbertus scriptor – reichenauer büchersorge
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ders gewichtig – leider die erste Lage.9 Gerade hier hätte man ja mit dem Exlibris, und zwar – wenn das skizzierte Szenario zutrifft – wohl lediglich mit der Prosafassung rechnen können. Der Überlieferungsbefund wird weiter kompliziert durch die Tatsache, daß die erhaltenen Reichenauer Handschriften sowohl Belege für eine auf den Prosatext beschränkte Aufzeichnung als auch für eine Verbindung von prosaischer und metrischer Version bieten. Dazu kommen verschiedentlich kleine Varianten in den einzelnen Handschriften. Zumeist handelt es sich dabei – wie an sich zu erwarten – um eigenhändige Einträge; die Koppelung der beiden Texte stammt allerdings in einem Fall auch von einer anderen Hand.10 Eine tabellarische Übersicht soll diese Zusammenhänge verdeutlichen:11 Nur Prosa
Prosa und Metrum
K2: Karlsruhe, BLB, Aug. CXXXVI (autogr.)
B: Berlin, SBPK, lat. 4° 676 [olim Philipps 18908; zur Zeit in Krakau] (autogr.)
K3: Karlsruhe, BLB, Aug. CCII/2 (autogr.)
S: Stuttgart, WLB, Cod. theol. et phil. 2° 95 (autogr.) Z: Zürich, ZB, Rh. 73 (autogr.) K1: Karlsruhe, BLB, Aug. CIX (nicht autogr.)
Angesichts der Ausnahmestellung dieses Zwillings-Exlibris – als vergleichbare Instanz wäre wohl am ehesten an die schon von Preisendanz ins Spiel gebrachten Widmungsverse (drei Distichen) im so genannten Wolfcoz-Psalter (St. Gallen, Stiftsbibliothek, Hs. 20) zu denken12 – 9 Zur Handschrift s. Holder (wie Anm. 3), S. 58–69, sowie Preisendanz (wie Anm. 4), S. 25 und 35 f. – Druck des Verzeichnisses in: Alfred Holder †, Die Reichenauer Handschriften 3/1 (Die Handschriften der Großherzoglichen Badischen Hof- und Landesbibliothek in Karlsruhe 7), Leipzig 1918 (Reprint: Wiesbaden 1970), S. 91–96 und Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Bd. 1: Die Bistümer Konstanz und Chur, bearb. von Paul Lehmann, München 1918, S. 257–262. 10 Einzelheiten erstmals bei Preisendanz (wie Anm. 4), der allerdings die Zürcher Handschrift nicht kennt, dafür versehentlich die Stuttgarter Handschrift HB XIV 14 anführt (danach auch Worstbrock [wie Anm. 1], Sp. 1113), die das Exlibris allerdings nicht enthält. Umfassend jetzt Berschin, Exlibris (wie Anm. 4). 11 Die Handschriften-Siglen nach Berschin, Exlibris (wie Anm. 4). 12 Preisendanz, Reginbert (wie Anm. 4), S. 14 Anm. 73. Vgl. auch die Würdigung
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die reichenau in karolingischer und ottonischer zeit
scheint es sinnvoll, diese Texte bezüglich einiger Einzelaspekte, insbesondere der graphischen Organisation (Layout und Interpunktion), der stilistischen Merkmale, aber auch inhaltlicher Gesichtspunkte weiter zu diskutieren, zumal in der spezifischen Optik einer Studie zu den Auswirkungen reformerischer Programmatik auf die monastische Buchund Textkultur. Walter Berschins umsichtige Gesamtpräsentation der beiden Texte hat eine verlässliche Grundlage für eine solche Analyse geschaffen. Zunächst zur Prosafassung, die mit guten Gründen Reginbert selbst zugeschrieben werden darf. In den autographen Aufzeichnungen des Texts springt zunächst die durchdachte und konsequent eingesetzte Interpunktion ins Auge. Das Vorgehen erinnert an das in Isidors Etymologiae (I, XX) an Donat anschließende System einer Differenzierung zwischen kleinstem Sinnteil (comma als particula sensus), größerem Sinnabschnitt, der aber noch nicht die abgeschlossene Fülle des ganzen Satzes darstellt (colon oder auch heteroklitisch cola)13 und ganzem Satz (periodus bzw. tota oder integra sententia) mit den entsprechenden Markierungen subdistinctio, media distinctio und distinctio.14 Reginbert verwendet allerdings ein anderes Zeichensystem als Isidor, der im Aufstieg vom kleinsten Sinnteil zum ganzen Satz den Einsatz von Punkten in unterschiedlicher Höhe, nämlich auf der Grundlinie, auf halber Höhe und auf der Obergrenze des Buchstabenbandes empfiehlt (ad imam litteram, ad mediam litteram, ad caput litterae).15 In der besonders elaborierten Aufzeichnung im Karlsruher Aug. CXXXVI (K2) verwendet Reginbert für die kleinste distinctio, z. B. nach spiritus sancti in (1) oder nach scriptor in (2), den Punkt auf der Grundlinie, den er dann für die mittleren Sinneinheiten mit einem als Majuskel gestalteten Anfangsbuchstaben verbindet, der Verse (Poetae Latini 2, S. 477) bei Berschin, Eremus (wie Anm. 4), S. 56 f., sowie Cimelia Sangallensia. Hundert Kostbarkeiten aus der Stiftsbibliothek St.Gallen, beschr. von Karl Schmuki, Peter Ochsenbein u. Cornel Dora, St. Gallen 1998, S. 54. 13 Zu dieser Schwankung vgl. Mittellateinisches Wörterbuch 2, München 1999, Sp. 881, 16; außerdem Peter Stotz, Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters, Bd. 4, München 1998 (Handbuch der Altertumswissenschaft Abt.2, Teil 5,4), VIII § 7.2 (Umdeutung von Neutrum-Plural-Formen auf–a zu Feminin-Singular-Formen.) 14 Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive Originum Libri XX, recogn. Wallace M. Lindsay, Oxford 1910 (Reprint: Oxford 1962), I, XX, 1–5. Vgl. auch Malcolm B. Parkes, Pause and Effect. An Introduction to the History of Punctuation in the West, Aldershot 1992, S. 21 f. 15 Isidor I, XX, 3–5.
ego reginbertus scriptor – reichenauer büchersorge
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während der Schluß der gesamten Periode in K2 und K3 durch ein kommaförmiges Schlusszeichen markiert wird, das an das von Parkes erwähnte, an eine 7 erinnernde Zeichen gemahnt (beschrieben als positura bei Isidor I, XXI, 9), wie es vor allem von irischen Schreibern zur Markierung größerer Zäsuren verwendet wurde.16 Unter Wiedergabe des eben beschriebenen Gliederungssystems durch Komma, Semikolon und Punkt ergibt sich folgendes Bild (die in Klammern eingeschobene Nummerierung dient der leichteren Orientierung bei der Kommentierung): (1) In nomine dei patris et filii et spiritus sancti, a et ω; (2) Hunc codicem ego Reginbertus scriptor, servorum dei servus; (3) Cum permissu et voluntate seniorum ad servitium dei et sanctae Mariae; (4) Ceterorumque sanctorum quibus in Auva servitur, meo studio ac labore confeci; (5) Eumque usibus fratrum inibi deo famulantium aptari et conservari deposco; (6) Perque deum optestor, ut nulli a quoquam extra monasterium donetur aut prestetur; (7) Nisi qui ibi fidem et pignus dederit, donec eum sanum et salvum suo loco restituat.
Reginberts Vorgehen, insbesondere der Einsatz des Großbuchstabens im Sinne einer littera nobilior,17 erinnert an das Verfahren, das in der wohl ebenfalls reichenauischen, noch vor der Mitte des 9. Jahrhunderts entstandenen Sakramentarhandschrift Stuttgart, WLB, Cod. Donaueschingen 191, für die Binnengliederung der liturgischen Orationen zur Anwendung kommt.18 Die übrigen Handschriften mit autographer Aufzeichnung des Prosa-Exlibris bieten allerdings insofern einen etwas anderen Befund, als sie den Einsatz der Großbuchstaben auf die Cola 1 und 2 sowie 6 (In nomine, Hunc, Perque) reduzieren, wobei die Handschrift Rh. 73 der Zentralbibliothek Zürich (Z)19 das gesamte erste Colon in Capitalis rustica bietet. Weitere Differenzen betreffen die Markierung
Parkes (wie Anm. 14), S. 24 f. und S. 30, sowie Pl. 7 und 47. Dazu Parkes (wie Anm. 14), S. 15, S. 23 sowie S. 31–34. 18 Vgl. dazu die Ausführungen von Herrad Spilling, Schreiber und Schrift, in: Das Sakramentar der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek: Cod. Don. 191, hrsg. von Herrad Spilling, Berlin 1996 (Patrimonia 85), S. 17–47, hier S. 19: „Als weiteres Mittel der Seitengestaltung … ist die Interpunktion eingesetzt worden. Sie besteht zwar lediglich aus einem einzigen Zeichen, nämlich einem über der Zeile schwebenden Punkt, der zusätzlich einen größeren Wortabstand bewirkt, wird aber durch den Anfangsbuchstaben des folgenden Wortes modifiziert, der als Majuskel … eine größere, als Minuskel eine kleine Pause ankündigt“. – Zur ehemals Donaueschinger, jetzt Stuttgarter Handschrift vgl. auch das folgende Kapitel in diesem Band (S. 32–63). 19 Vgl. zu dieser Handschrift jetzt auch Marlis Stähli, Die Grabeskirche in Jerusalem. Eine Reichenauer Handschrift in Rheinau, in: Librarium 48 (2205), S. 20–30, bes. S. 21–23. 16 17
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des Schlusses der sententia, wo anstelle der isidorischen positura, also dem 7-Symbol, teilweise ein Zeichen benutzt zu werden scheint, das an die im 8. Jahrhundert einsetzende Umwandlung des älteren Zeichens zum punctus versus denken lässt,20 so etwa in Z, wo außerdem das letzte Wort des Texts (restituat) offenbar ganz bewusst auf Mitte gesetzt wird. Einen Sonderfall des Layouts bietet B, wo nämlich die praktisch gleichlangen Cola sogar auf separate Zeilen gesetzt sind und so infolge des oben beschriebenen Interpunktionssystems jeweils auch mit einer Majuskel beginnen – eine Anordnung, die an das alte, von Hieronymus für ein besseres Verständnis des Bibeltexts propagierte Schreiben per cola et commata erinnert,21 hier freilich durch die Kürze der abgesetzten Einheiten geradezu eine Versstruktur simuliert, was wohl als bewusst stilisierte Angleichung an die unmittelbar anschließende metrische Fassung zu deuten ist. Entscheidend und von den angedeuteten Differenzen unberührt ist die Feststellung, daß Reginbert hier ganz offenkundig um jene Stringenz und Klarheit der formalen Organisation von Schrift und Layout bemüht ist, die als Merkmal der karolingischen Erneuerung gelten darf, daß er also jene verstärkte Transparenz der Schrift auf Sinn hin im Blick zu haben scheint, die von Malcolm B. Parkes so treffend als „grammar of legibility“ bezeichnet wurde.22 In dieselbe Richtung weist auch die von Berschin hervorgehobene Verwendung des Cursus, also der Gebrauch gliedernder, nach einem festen Muster rhythmisch akzentuierter Kadenzen, so genannter Clausulae, für die Satzenden – ein Verfahren, das eine der sorgfältigen Interpunktion korrespondierende, im Sinne antiker Rhetoriktradition geprägte Stilhöhe signalisiert.23 Dieser Befund ist umso bemerkenswerter, als sich die Rezeption des Cursus im Mittelalter eher selektiv vollzieht und die Klauseltechnik gerade im heutigen deutschen Sprachraum im 9. Jahrhundert offenbar eher selten zu beobachten ist – mit der bemerkenswerten Ausnahme
Vgl. zu dieser Entwicklung Parkes (wie Anm. 14), S. 35 f. Parkes (wie Anm. 14), S. 15 f. 22 Parkes (wie Anm. 14), S. 20–34. 23 Berschin, Exlibris (wie Anm. 4), S. 170, verzeichnet fünf Fälle von Cursus planus und die gewichtige Schlusswendung im Cursus tardus, der man den Ausgang von Colon 1 hinzufügen könnte, wenn die griechischen Buchstaben A et ω, wie bei lautem Lesen erforderlich, als Wörter, also als alpha et omega, aufgefasst und vorgetragen werden. Zum Cursus generell vgl. Tore Janson, Prose Rhythm in Medieval Latin, Stockholm 1975, sowie Stotz, (wie Anm. 13), X §§ 25–26. 20 21
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von Hrabanus Maurus und seinem Umfeld,24 womit wir erneut auf Reichenau-Fuldaer Beziehungen verwiesen werden. Manifestieren schon diese eher formalen Aspekte einen Anspruch auf Dignität, der für einen Paratext (als solchen wird man ein Schreiberkolophon grundsätzlich bezeichnen müssen) als eher ungewöhnlich einzustufen ist, so lässt sich Analoges in noch stärkerem Maß bezüglich der inhaltlichen Gestaltung sagen. Die Aussage dieser Selbstäußerung Reginberts lässt sich kurz in folgender Weise zusammenfassen: Nach der Anrufung Gottes (1) und der Nennung des Schreibers (2) betont dieser den offiziellen, gemeinschaftlichen Charakter seiner Leistung – er schreibt mit Zustimmung und im Auftrag des Konvents und im Dienst der Klosterpatronin Maria und der übrigen auf der Reichenau verehrten Heiligen – und bittet um dauerhafte Sicherung des von ihm geschriebenen Buchs, das dem Nutzen der Gemeinschaft der Brüder dienen und deswegen dauerhaft im Kloster bleiben und nur gegen Rückgabeversprechen und Pfand nach auswärts verliehen werden soll. Erscheint das ego des Schreibers in Vermerken dieser Art in der Regel nur in indirekter Form – scriptum bzw. scriptus per me ist eine entsprechend geläufige Form –, so tritt dieses „Ich“ hier im Nominativ und als grammatikalisches Subjekt der ganzen Konstruktion auf den Plan. Dieses bemerkenswerte Szenario wird durch einen Kunstgriff realisiert, der dem Text einen ganz spezifischen Anspruch verleiht: Reginbert rekurriert hier, was bisher nicht beachtet wurde, über weite Strecken auf Strukturprinzipien und Formeln einer ganz anderen Textsorte: die der Urkunde. So entspricht Colon 1 (In nomine dei patris et filii et spiritus sancti) völlig der sog. „Invocatio“ als klassischem Urkundeneingang, und zwar dem Typus, den Leo Santifaller als „im Namen-Invokation“ bezeichnet hat.25 Bemerkenswert erscheint, daß Reginbert hier eine Formel verwendet, die charakteristisch ist für die Praxis der Kanzlei Karls des Großen, die seit der Kaiserkrönung, also nach 800, diesen ursprünglich byzantinischen Invokationstypus offenbar ganz bewusst übernimmt 24 Janson (wie Anm. 23), S. 50–53; vgl. auch Leonid Arbusow, Colores rhetorici, Göttingen 1948, S. 78 f. 25 Heinrich Fichtenau, Forschungen über Urkundenformeln, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 94 (1986), S. 285–339, hier S. 287–292 (zur Terminologie von Santifaller: S. 289).
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und in programmatischem Gestus in die Kaiserurkunden überträgt.26 Bedenkt man weiter, daß diese trinitarische Invokation unter Ludwig dem Frommen, also nach 814, übergangslos durch eine christologische Formel (In nomine domini dei et salvatoris nostri Jesu Christi) ersetzt wurde,27 so könnte hier ein Hinweis auf die Entstehung von Reginberts Text herauszulesen sein, der mit dem wohl in das Ende von Waldos Abbatiat, also kurz vor 806 anzunehmendem Beginn seiner Schreibtätigkeit gut zusammenpassen würde.28 Die über 814 hinaus zu beobachtende Beibehaltung der Formel wäre dann vermutlich im Sinne bewusster Traditions- und Kontinuitätspflege zu interpretieren. Colon 2 mit der durch das Pronomen ego emphatisch verstärkten Selbstnennung des Schreibers weist ebenfalls auf den Urkundenbereich, zumal diese an das Nachbarelement der „Invocatio“, die sog. „Intitulatio“, anspielende Wendung in Verbindung mit einer geradezu klassischen Devotio-Formel (servorum dei servus) auftritt, wie sie häufig an dieser Stelle der Urkunde zu beobachten ist.29 Auch Hadoard, der Schreiber des Zwillings-Exlibris aus Corbie (vgl. oben Anm. 6) verwendet im Übrigen die mit ego gekoppelte Nennung des eigenen Namens, und dies sowohl in der prosaischen wie in der metrischen Fassung. Daß diese, auch in Briefen oft verwendete, später vor allem von Päpsten gebrauchte Junktur durchaus unbefangen auch von Geistlichen niederen Ranges oder weltlichen Fürsten in Anspruch genommen werden konnte, hat Gerd Tellenbach schon vor längerem gezeigt.30
26 Vgl. Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Grossen, bearb. von Engelbert Mühlbacher, Hannover 1906 (MGH Diplomatum Karolinorum 1), S. 77; zu den ideellen Hintergründen: Heinrich Fichtenau, Zur Geschichte der Invokationen und „Devotionsformeln“, in: Ders., Beiträge zur Mediävistik 2, Stuttgart 1977, S. 37–61, hier S. 41. 27 Fichtenau, Geschichte (wie Anm. 26), S. 41, spricht von einer „radikalen Änderung“ gegenüber der kaiserlichen Zeit von Ludwigs Vater; vgl. auch Theo Kölzer, Kaiser Ludwig der Fromme (814–840) im Spiegel seiner Urkunden, Paderborn etc. 2005, S. 20 f. 28 Vgl. oben, S. 18 f, die Überlegungen zu seiner Bücherliste, speziell zu Aug. XVIII. 29 Zur Intitulatio als „Selbstaussage“ s. Herwig Wolfram, Intitulatio 1, Wien etc. 1967, S. 21 ff. und 2, Wien etc. 1973, S. 11 ff.; Fichtenau, Forschungen (wie Anm. 25), S. 293; zu ego im urkundlichen Kontext, v. a. in Privaturkunden, was sehr gut zu Reginberts Situation paßt, s. Fichtenau, Geschichte (wie Anm. 26), S. 48 f.; zum Zusatz servorum dei servus als „Begleitformel der Intitulatio“ vgl. Fichtenau, Forschungen (wie Anm. 25), S. 300–302. 30 Gerd Tellenbach, Libertas. Kirche und Weltordnung im Zeitalter des Investiturstreites, Stuttgart 1936 (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 7), S. 201.
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Rechtliche Konnotationen eignen auch den Verben deposco und obtestor,31 letzteres in Verbindung mit der typischen Partizipialkonstruktion auf per, in den Cola 5 und 6, die hier im Sinne der klassischen „obsecratio“ die Funktion dispositiver Rede im Kontext einer Willenserklärung des Urkundenausstellers erfüllen.32 Für eine weitere in diesem Kontext verwendete Formulierung, nämlich usibus fratrum inibi deo famulantium33 in Colon 5, lassen sich erneut direkte Bezüge zu karolingischen Urkunden namhaft machen, und zwar sowohl zu Kaiserurkunden Karls des Großen, wo sich mehrfach die auf klösterliche Gemeinschaften bezogene Wendung ibidem deo famulari findet,34 und mit noch zahlreicheren und im Wortlaut noch näher stehenden Belegen zu Ludwig dem Frommen, dessen Kanzlei Formulierungen wie pro utilitate fratrum ibidem domino famulantium, ad usus fratrum ibidem deo famulantium oder monachorumque inibi usibus deo famulantium geradezu stereotyp gebraucht.35 Auch die Wendung cum permissu et voluntate seniorum verweist in den Kontext normativer, Rechtsansprüche transportierender Sprache und findet Verwandtes insbesondere in den Canones der alten Konzilien.36 Die sprachliche „Doppelung“ als Stilfigur der Tautologie37 verstärkt im Übrigen den rhetorischen Anspruch des Textes, analog dazu auch Formeln wie studio ac labore oder sanum et salvum in den Cola 4 und 7.
31 Hier wäre im übrigen auf eine Parallele in den Wolfcoz-Distichen (s. Anm. 13) hinzuweisen: Obtestor modo praesentes omnesque futuros / Hoc minime hinc tollant sed stabile hic maneat. 32 Zur sog. „Dispositio“ vgl. Fichtenau, Forschungen (wie Anm. 25), S. 315–321. Entsprechende Belege für deposcere z. B. in: Die Urkunden bis zum Tode Erzbischof Adalberts I. (1137), bearb. von Manfred Stimming, Darmstadt 1932 (Mainzer Urkundenbuch 1), S. 382. Zur „Obsecratio“ vgl. Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 2. Aufl., München 1960, Bd. 1, S. 376 (§ 760). 33 B: inibidem statt inibi deo. Zu dieser typisch mittellateinischen Form, die durch Zusammenrücken von ibidem mit in zu inibidem gebildet wird, vgl. Stotz (wie Anm. 13), Bd. 2, 2000, VI §§ 164.8. 34 Vgl. etwa Mühlbacher (wie Anm. 26), Nr. 194 und Nr. 198. 35 Regesta Imperii 1, nach Johann Friedrich Böhmer neubearb. von Engelbert Mühlbacher, 2. Aufl., Innsbruck 1908, Nr. 583, 961 und 967 Für diese Hinweise danke ich Theo Kölzer (Bonn), der mir freundlicherweise Einblick in den KWIC-Index der in Entstehung befindlichen Edition der Urkunden Ludwigs des Frommen für die MGH gestattete. 36 Konzil von Agde, 506, Canon 27: Monachum, nisi abbatis sui aut permissu aut voluntate ad alterum monasterium commigrantem nullus abba suscipere aut retinere praesumat (Concilia Galliae, cura et studio Carolo Munier, Turnhoult 1963 [CC SL 148], S. 205); Pseudoisidorische Dekretalen, 1. Konzil von Sevilla, cap. 3: cum voluntate et permissu episcopi (PL 130, 595 B). 37 Zu dieser Stilfigur Arbusow (wie Anm. 24), S. 31.
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Aus diesen Beobachtungen könnte sich im übrigen auch die Frage ergeben, ob die für St. Gallen, insbesondere im Zusammenhang mit Winithar, dem bedeutenden Prälaten Waldo (782–784 Abt von St. Gallen, ab 786 bis 806 dann Abt auf der Reichenau, zugleich auch Bischof von Basel und Pavia), dem viel diskutierten Wolfcoz, aber auch Notker Balbulus, immer wieder thematisierten Wechselwirkungen zwischen Skriptorium und Kanzlei bis hin zu einer Personalunion von Buch- und Urkundenschreiber möglicherweise auch für die Reichenau, speziell für Reginbert, von Belang sein könnten.38 Einige wenige Bemerkungen gelten dem metrischen Text, der grundsätzlich im Sinne einer poetischen Nobilitierung zu verstehen sein dürfte39 – eine Hierarchie von Prosa und Dichtung, die sich im übrigen zumindest in B und S auch in der Verwendung einer Auszeichnungsschrift, nämlich der Capitalis rustica, für die Überschrift der zwölf Hexameter (METRUM HEROICUM EXAMETRUM) zu manifestieren scheint.40 Zunächst erneut eine Wiedergabe des Texts nach Berschins Edition:41 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Magno in honore dei domini genetricis et almae Sanctorum quoque multorum quibus Auva fovetur Condidit hoc corpus permissu adiuta priorum Cura Reginberti scriptoris in usibus optans Hoc fratrum durare diu salvumque manere Et ne forte labor pereat confectus ab illo Adiurat cunctos domini per amabile nomen Hoc ut nullus opus cuiquam concesserit extra Ni prius ille fidem dederit vel denique pignus Donec ad has sedes quae accepit salva remittat
38 Für St. Gallen vgl. Beat M. Scarpatetti, Schreiber-Zuweisungen in St. Galler Handschriften des achten und neunten Jahrhunderts, in: Codices Sangallenses. Festschrift für Johannes Duft zum 80. Geb., hrsg. von Peter Ochsenbein und Ernst Ziegler, Sigmaringen 1995, S. 25–56, bes. 52–54 (mit insgesamt eher negativen Resultaten). Zusammenfassend auch Rosamond McKitterick, Schriftlichkeit im Spiegel der frühen Urkunden St. Gallens, in: Das Kloster St. Gallen im Mittelalter. Die kulturelle Blüte vom 8. bis 12. Jahrhundert, hrsg. von Peter Ochsenbein, Darmstadt 1999, S. 69–82, bes. S. 75. 39 Dazu immer noch aufschlußreich Paul Klopsch, Prosa und Vers in der mittellateinischen Literatur, in: Mittellateinisches Jahrbuch 3 (1966), S. 9–24. 40 In Z hingegen wird auch die Prosa mit einer Rustica-Zeile eröffnet. 41 Berschin, Exlibris (wie Anm. 4), S. 170.
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11. Dulcis amice, gravem scribendi adtende laborem 12. Tolle aperi recita ne laedas claude repone. Die Verse nehmen den Inhalt der Prosa zum größten Teil auf und bieten dabei oft sogar eine große Nähe im Vokabular.42 Teilweise bringen sie aber auch neue Akzentuierungen. Vor allem wird der Urkundencharakter des Prosatexts aufgegeben, und damit verbindet sich der signifikante Wechsel von der Rede in der ersten Person zur dritten Person für die Beschreibung des Schreibvorgangs: condidit ersetzt confeci, und durch die indirekte Formulierung cura Reginberti scriptoris entsteht gegenüber dem unmittelbaren ego Reginbertus scriptor der Prosafassung eine Distanzierung zu Namen und Person des Schreibers, auf die Berschin ebenfalls hingewiesen hat.43 Die beiden letzten Verse bringen dann eine deutliche Veränderung der Atmosphäre, denn sie schlagen einen „persönlichen, werbenden Ton“ an, wie Berschin treffend formuliert hat.44 Der Benutzer und Leser des Buchs wird ganz direkt angesprochen, wobei diese Apostrophe in einer eigentümlich schwebenden Offenheit verharrt und sowohl dem Buch als auch dem Schreiber (der dadurch plötzlich wieder in eine Position der Unmittelbarkeit zum Leser rücken würde) in den Mund gelegt werden könnte. Eine vergleichbare Personifizierung des Buchs bietet im Übrigen auch das von Berschin diskutierte spätkarolingische Exlibris aus Lorsch (Reddere Nazario me, lector care, memento / Alterius domini ius quia nolo pati).45 Signalisiert wird dieser Registerwechsel vom Öffentlichen ins Private gleich zu Beginn von V. 11 durch die unvermittelte Anrede Dulcis amice. Die anschließende Junktur gravem laborem steht – wie schon labor in V. 6 – metonymisch für das Buch und spitzt dadurch die der traditionellen Topik von Kolophonen46 verpflichtete Formulierung studio ac labore der 42 Man vergleiche etwa in honore dei domini genetricis et almae im Metrum mit ad servitium dei et sanctae Mariae in der Prosa, ähnlich auch sanctorum quoque multorum quibus Auva fovetur mit ceterorumque sanctorum quibus in Auva servitur, permissu adiuta priorum mit cum permissu et voluntate seniorum und in usibus optans hoc fratrum mit eumque usibus fratrum. 43 Berschin, Exlibris (wie Anm. 4), S. 171. 44 Berschin (wie Anm. 4), S. 6. 45 Berschin, Exlibris (wie Anm. 4), S. 178. 46 Ich nenne stellvertretend die fast schon sprichwörtlichen Verse Scribere qui nescit scribere nullum putat esse laborem, tres digiti scribunt totum corpusque laborat (Hans Walther, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters in alphabetischer Anordnung 4, Göttingen 1966, Nr. 27691; mit verschiedenen Varianten). Eine besonders amplifizierte Prosaversion findet sich in einer Predigthandschrift des 13. Jahrhunderts (Paris, Bibl. Nat., lat. 3827), auf die Antoine Dondaine, „Post-Scriptum“, in: Scriptorium 32 (1978), S. 54 f., aufmerksam gemacht hat.
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Prosaversion dichterisch zu: der labor, und damit in gewisser Weise auch sein Urheber, ist nicht vom Buch zu trennen. V. 12 als Schlussvers des ganzen Metrums schließlich, der als asyndetische Reihung von sechs Imperativen (tolle, aperi, recita, ne laedas, claude, repone) mit effektvoller rhetorische Aufladung aufwartet,47 gelingt es dem Dichter, auf engstem Raum den gesamten Benutzungsvorgang, das Funktionieren des Buches, einzufangen: „Nimm das Buch (bzw. „nimm mich, das Buch“), öffne es, lies daraus vor, beschädige es dabei nicht, dann schließ es und stell es zurück“. Die Assoziation mit dem augustinischen tolle, lege, tolle, lege drängt sich auf und gibt der Formulierung besonderes Gewicht, insbesondere was die vom oder für das Buch in Anspruch genommene Autorität und Wertigkeit betrifft, ist es doch bei Augustin die Bibel, die gelesen werden will.48 Dieser Rekurs, der im übrigen in vergleichbarer Weise auch im ersten Distichon von Isidors versifizierten BiblioteksTituli zu finden ist,49 legt zugleich eine wichtige Differenz offen, nämlich im Vergleich von tolle lege und tolle recita: Nicht um stilles, privates Lesen geht es bei Reginbert, sondern um Vorlesen, um öffentlichen Vortrag des Texts (das dürfte recitare hier zweifellos meinen), und das wäre zum Schluß des Exlibris noch einmal ein dezidiertes Signal für den amtlichen Charakter, den der Reichenauer Mönch hier für seine im Dienst seiner Klostergemeinschaft stehenden Schreibtätigkeit und deren Produkte in Anspruch nimmt. Mit dem Hinweis auf die asyndetische Struktur des letzten Verses haben wir das Feld des rhetorischen und klanglichen „Schmucks“ betreten. Auf dieses Konto ist indessen noch mehr zu verbuchen: die häufige Verwendung von Hyperbaton (bzw. Trajectio),50 das Spiel mit der Technik des Enjambements, das an den Übergängen zwischen den Versen 3 und 4 sowie 4 und 5 zur Anwendung kommt und damit die Kernsaussage über die Tätigkeit des Schreibers (Verse 3–5) zu einem Zum Asyndeton s. Arbusow (wie Anm. 24), S. 45 f. und 59. Aurelius Augustinus, Confessiones VIII, 12 (29), Z. 20, ed. Luc Verheijen, Turnhoult 1981 (Corpus Christianorum Series Latina 27), S. 131. 49 Sunt hic plura sacra sunt hic mundalia plura / Ex his si qua placent carmina tolle lege (PL 83, 1107C; Charles H. Beeson, Isidor-Studien [Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 4,2], München 1913, S. 157). Vgl. auch Jacques Fontaine, Isidore de Séville et la culture classique dans l’Espagne wisigothique 2, Paris 1959, S. 738–741, und Günter Glauche, Schullektüre im Mittelalter, München 1970, S. 7 (jeweils ohne Hinweis auf den augustinischen Hintergrund der Formulierung). 50 Zur Figur s. Arbusow (wie Anm. 24), S. 79 f. Hier z. B. Magno in honore und domini genetricis et alme (V. 1), domini per amabilem nomen (V. 7) oder gravem scribendi attende laborem (V. 11). 47 48
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kompakten sprachlichen Ganzen verfestigt,51 der offenbar gezielte Einsatz der bukolischen Diärese in den Versen 10 und 12, also zur Hervorhebung von eigentlichen Schlüsselstellen des Textes wie salva remittat und claude repone, vor dem abschließenden, den Leser direkt apostrophierenden Verspaar und an dessen Schluß, ebenso der häufige Gebrauch von Alliterationen (übrigens auch im Prosatext), der in Vers 9 sogar mit einer gewissen Raffinesse in chiastischer Anordnung erfolgt.52 Reginberts Doppel-Exlibris reflektiert in verdichteter Form zwei fundamentale Aspekte der karolingischen Erneuerung. Um gleich an die eben präsentierten Beobachtungen zur metrischen Fassungen anzuschließen: Diese zeigen auf engstem Raum, wie vergleichsweise souverän und kreativ man in den ersten Jahrzehnten des 9. Jahrhundert auf der Reichenau mit den formalen, stilistischen und klanglichen Möglichkeiten des Lateinischen umzugehen wusste. Der Dichter des Metrums, ob nun Reginbert selbst oder – wahrscheinlicher – Walahfrid, manifestiert hier ein kompetentes Anknüpfen an das antike Spracherbe, dessen Aneignung mit zu den wichtigsten Zielen der von Karl und seinem Umfeld, insbesondere Alkuin, propagierten Bildungsreform gehörte. Wir berühren hier jenen Aspekt, der diesem Erneuerungsprogramm das durchaus problematische, aber zumindest in formaler Hinsicht nicht ganz unzutreffende Etikett einer „Renaissance“ eingetragen hat.53 Erinnert man sich an die Rede von den antiken Stilfiguren (scemata, tropi et caetera his similia) in Karls bzw. Alkuins Brief „De litteris colendis“54 so erscheint Reginberts Exlibris, zumal sein metri51 Über diese Funktion des Enjambements s. Paul Klopsch, Einführung in die mittellateinische Verslehre, Darmstadt 1972, S. 90. 52 Z. B. dei domini (V. 1), condidit corpus cura (V. 3–4), durare diu (V. 5), cuiquam concesserit (V. 8), ni prius ille fidem dederit vel denique pignus (V. 9), dederit denique donec dulcis (V. 9–10). 53 Eine instruktive Zusammenstellung entsprechender Diskussionsbeiträge bietet Arnold Angenendt, Libelli bene correcti. Der „richtige“ Kult als ein Motiv der karolingischen Reform, in: Das Buch als magisches und als Repräsentationsobjekt, hrsg. von Peter Ganz (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 5), Wiesbaden 1992, S. 117–135, hier S. 117 f. 54 Hier zitiert nach Luitpold Wallach, Alcuin and Charlemagne. Studies in Carolingian History and Literature, Ithaca NY 1959 (t 1969), S. 202–204, bes. § 11: Cum autem in sacris paginis scemata, tropi et caetera his similia inveniantur, nulli dubium est, quod ea unusquisque legens tanto citius spiritualiter intellegit, quanto prius in litterarum magisterio plenius instructus fuerit. Der Satz ist symptomatisch für die Intention der Reform: Sprachlich-literarische Kompetenz, hier die Kenntnis der Stilfiguren, soll einer kompetenteren lectio spiritualis biblischer Texte dienen.
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scher Teil, wie ein Reflex auf die Impulse dieser programmatischen Schrift: Das Inselkloster ist – genauso wie sein Pendant St. Gallen – zu einem bedeutenden Vermittlungszentrum antiker Sprache und Kultur für den alemannischen Raum geworden. Diese Rolle wird nicht nur die beeindruckenden Bücherschätze der beiden Klöster (und als später und negativer Reflex das Interesse von Poggio und anderen italienischen Humanisten im Gefolge der Konstanzer Konzilsväter für die „eingekerkerten“ St. Galler Klassikerhandschriften!) belegt,55 sondern sie wird – in nuce zumindest – eben auch an einem Kleintext wie dem hier untersuchten ablesbar. Ein zweiter Aspekt: Reginberts einzigartiges Zwillings-Exlibris demonstriert – genauso übrigens wie seine bereits erwähnte Bücherliste (s. oben S. 18 mit Anm. 11) – nicht nur ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl als Produzent von Handschriften, sondern auch, ja wohl in erster Linie, das Bewusstsein um den Wert und die Dignität des Buchs, dessen Funktion in seinem klösterlichen Kontext grundsätzlich über private Nutzung hinausreicht, weil es gemeinschaftlichem Gebrauch dient: usibus fratrum inibi deo famulantium, wie es in der Prosaversion des Exlibris heißt. Daß hier, wie gezeigt werden konnte, eine Urkundenformel herangezogen, ja der Text als ganzer urkundenartig aufgebaut und artikuliert wird, macht, wie zum Schluß noch einmal ausdrücklich zu betonen ist, auf sinnfällige Weise deutlich, daß hier für das Buch ein gleichsam amtlicher Status reklamiert wird. Auch der Lorscher Büchervermerk versetzt Leser und Entleiher „in die Welt des Rechts“.56 Im Falle des Reichenauer Exlibris zeigt sich dieser Anspruch im übrigen auch daran, daß der Doppeltext sogar von fremder Hand in einen Reginbertband eingetragen werden konnte (so im Falle von K1) oder aber von Reginberts eigener Hand in eine Handschrift (Z), in der mit Ausnahme der Überschrift zum zweiten Teil in seiner charakteristischen, ausgesprochen eleganten Capitalis rustica keine Zeile von ihm selber stammt.57 Es handelt sich hier eben nicht um einen klassischen Schreibervermerk im Sinne eines Kolophons, sondern eher um eine Art „Label“, das die jeweiligen Bände als unter Reginberts
Dazu die Hinweise bei Berschin, Eremus (wie Anm. 4), S. 6–8 sowi S. 55. So Berschin, Exlibris (wie Anm. 4), S. 178. 57 Die Zuschreibung der Überschrift an Reginbert schon bei Johanne Autenrieth, Irische Handschriftenüberlieferung auf der Reichenau, in: Die Iren und Europa im früheren Mittelalter 2, hrsg. von Heinz Löwe, Stuttgart 1982, S. 911. Vgl. auch Stähli (wie Anm. 19), S. 21 sowie Abb. 24. 55 56
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Obhut entstandene kennzeichnen und gleichsam in ihrem offiziellen Rang beglaubigen soll. Ist Kodifizierung – mit dem Schlüsselbegriff der libelli bene correcti – ein Grundprinzip der karolingischen und generell jeder mittelalterlichen Reform und ihres Bestrebens nach Normativität,58 so darf die Anlehnung an Urkundensprache, wie sie von Reginbert in diesem Kontext praktiziert wird, geradezu als kongenialer Ausdruck der hier intendierten Qualitätssicherung und Authentifizierung gelten.
58 Speziell für den liturgischen Bereich (aber mit generellen Perspektiven): Angenendt (wie Anm. 51), bes. S. 126–135.
EX AUTHENTICO LIBRO SCRIPTUS – ZUR LITURGIEHISTORISCHEN STELLUNG DES KAROLINGISCHEN SAKRAMENTARS COD. DONAUESCHINGEN 191 DER WÜRTTEMBERGISCHEN LANDESBIBLIOTHEK STUTTGART*
I Die seit 1993 in Stuttgart aufbewahrte Sakramentar-Handschrift aus der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek Donaueschingen vergegenwärtigt einen kulturhistorischen Vorgang von großer Tragweite, ist sie doch ein hervorragender Zeuge jener in der Forschung oft diskutierten Bemühungen der karolingischen Herrscher, durch Importe römischer Liturgie- und Rechtsbücher das kirchliche Leben in ihrer Einflusssphäre neu zu prägen und dadurch auch zu einem gewissen Grad der Vereinheitlichung zu bringen. Mit diesem zunächst unter Pippin III. begonnenen und später unter seinem Sohn, Karl dem Großen, noch verstärkt geförderten Prozess einer „Romanisierung“ der liturgischen Praxis im Frankenreich1 befinden wir uns in der ersten Phase einer sich über Jahrhunderte erstreckenden Austauschbeziehung zwischen Rom und dem fränkischgermanischen Kulturraum. Dabei ist die römische Kirche zunächst, in der karolingischen Epoche also, die Gebende, um zwei Jahrhunderte später in der Rezeption der Liturgiebücher der Reichskirche, beson* Erstmals erschienen in: Das Sakramentar der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek: Cod. Don. 191, hrsg. von Herrad Spilling (Patrimonia 85), Berlin 1996, S. 63–83. 1 Raymund Kottje, Einheit und Vielfalt des kirchlichen Lebens in der Karolingerzeit, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 76 (1965), S. 323–342, hier S. 327, charakterisiert die karolingische Liturgiereform im wesentlichen als „Übernahme der römischen liturgischen Praxis“ und somit als „Übernahme und Verbreitung römischer Liturgiebücher“. Cyrille Vogel, La réforme liturgique sous Charlemagne, in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben 2, hrsg. von Bernhard Bischoff, Düsseldorf 1965, S. 217– 232, hier S. 217, verwendet dafür in schlagwortartig verknappter Formulierung den Begriff der „romanisation du culte en pays franc“.
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ders des sog. Pontificale romano-germanicum, ihrerseits die Rolle der Empfangenden zu übernehmen.2 Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass der Hauptimpuls zu den romanisierenden Tendenzen in der Karolingerzeit, auf die wir uns hier zu beschränken haben, offenbar nicht von Rom, also vom Papst und seiner Umgebung, sondern von den fränkischen Herrschern ausgeht. Dies ist sicherlich ein Indiz dafür, dass diese Initiative durch politische Aspekte wesentlich mitbestimmt ist, insbesondere wohl durch den in Karls Krönung in Rom im Jahre 800 gipfelnden Anspruch der Karolinger auf die wiederherzustellende römische Kaiserwürde und die dadurch bedingte Annäherung an das Papsttum.3 Die Folgen dieses Vorgangs für die Geschichte der abendländischen Liturgie – und nicht nur für diese – sind zweifellos gewichtig und folgenreich. Mit dem Import des römischen Sakramentars unter dem Schirm der Autorität des großen Papstes Gregors I., dem es in der unter Karl propagierten Fassung zugeschrieben wird, erfährt das Herzstück des Gottesdienstes der lateinischen Kirche, die Meßfeier, eine entscheidende, bis in unsere Epoche fortwirkende Prägung, wie Cyrille Vogel in seiner Würdigung der karolingischen Liturgiereform in fast schon euphorisch anmutender Weise formuliert hat: „Sans trop simplifier, l’ont peut dire que, substantiellement, l’évolution du culte chrétien de langue latine est achevé, en ce qui concerne la célébration eucharistique, avec l’Hadrianum supplémenté par Alcuin“.4 Allerdings wird man sich hüten müssen, den als Romanisierung bezeichneten Vorgang zu sehr auf ein einzelnes Buch einzuschränken. Das Sakramentar repräsentiert mit seinen Texten sicherlich ein zentrales Moment – aber eben nicht das Ganze – der eucharistischen 2 Vgl. dazu den schon fast klassisch zu nennenden Aufsatz von Theodor Klauser, Die liturgischen Austauschbeziehungen zwischen der römischen und der fränkischdeutschen Kirche vom achten bis zum elften Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 53 (1933), S. 169–189; außerdem Cyrille Vogel, La réforme (wie Anm. 1), und ders., Introduction aux sources de l’histoire du culte chrétien au moyen âge, Spoleto 1966 (jetzt auch in englischer Fassung mit aktualisierter Bibliographie unter dem Titel: Medieval Liturgie. An Introduction to the Sources, rev. and transl. by William G. Storey, Washington D.C. 1986), bes. die Abschnitte III–V, sowie Angelus A. Häußling, Mönchskonvent und Eucharistiefeier, Münster i.W. 1973, S. 175–181. 3 Ob man darin mit Cyrille Vogel, La réforme (wie Anm. 1), S. 219 auch eine bewusste anti-byzantinische Maßnahme – mit dem Ziel einer Verhinderung ostkirchlicher Beeinflussung der fränkischen Liturgiepraxis – erkennen soll, bleibe dahingestellt. Dieser Gedanke erscheint im übrigen auch schon bei Anton Baumstark, Vom geschichtlichen Werden der Liturgie, Freiburg i. Br. 1923, S. 62–64. 4 Cyrille Vogel La réforme (wie Anm. 1), S. 217 f. – Zur Diskussion um die Urheberschaft des Supplements, das hier noch Alkuin zugewiesen wird, siehe unten S. 38 mit Anm. 18.
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Feier. Auch Lesetexte und gesungene Partien und mithin auch andere Bücher wie Lektionar und Graduale gehören in substantieller Weise dazu. Gerade der musikalische Aspekt, für den das Sakramentar keine unmittelbare Bedeutung hat, spielt eine wesentliche Rolle. Mit der Übernahme römischer Liturgiepraxis war die Übernahme der entsprechenden musikalischen Ausformung, des cantus romanus oder der cantilena romana, wie die karolingischen Quellen formulieren, in engster Weise verknüpft, und das auf diese Weise konstituierte, wie das Sakramentar in der Folge mit der Autorität Gregors versehene und als „gregorianisch“ bezeichnete Grundrepertoire wirkte, ähnlich wie die Sakramentartexte in ihrem Bereich, über Jahrhunderte hinweg – und sogar über die Grenzen der Liturgie hinaus – prägend auf die Entwicklungen der Folgezeit: als praktische Norm, aber auch als Gegenstand der musikalischen Theorie und bald schon als Ausgangspunkt kreativer Erweiterungen und Neugestaltungen.5 Überhaupt ist, wie Angelus Häußling zu Recht betont hat, stets zu bedenken, dass die Übernahme liturgischer Bücher Roms, insbesondere des römischen Sakramentars, durch die fränkische Kirche keinesfalls „die ganze Geschichte der römischen Liturgie bei den Franken“ sein kann: Liturgie wird nicht nur in ihren Büchern fassbar, zeigt sich „nicht bloß und … vielleicht nicht einmal in erster Linie als Text, sondern als ein Geschehen, in dem sich in Rollenverteilung gesungenes und vorgetragenes Wort und rituelle Handlung … vereinen“.6 Und noch eine Einschränkung erscheint wichtig: Ist die Zentrierung der karolingischen Liturgiereform auf das Sakramentar an sich schon nicht ganz unproblematisch, so gilt dies erst recht für den Versuch, die Geschichte des römischen Sakramentars im Frankenreich und besonders die Frage nach Zeitpunkt und Umständen seines Imports gewissermaßen auf den präzisen historischen Punkt zu bringen und an einem ganz bestimmten Exemplar des fraglichen Buchs – eben dem unter Hadrian an den Hof Karls des Großen übersandten Authenticum und 5 Einen perspektivenreichen Einblick in diese Zusammenhänge bietet Wulf Arlt, Funktion, Gattung und Form im liturgischen Gesang – eine Einführung, in: Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft N.F. 2 (1982), S. 13–26, hier S. 15 f. Vgl. auch Angelus A. Häußling (wie Anm. 2), S. 180 f. 6 Angelus A. Häußling (wie Anm. 2), S. 178. – In diesem Zusammenhang ist auch zu verweisen auf die Diskussion wortmagischer und ritualistischer Aspekte der Sorge um den „richtigen“ (liturgischen) Text bei Arnold Angenendt, Libelli bene correcti. Der „richtige Kult“ als ein Motiv der karolingischen Reform, in: Das Buch als magisches und als Repräsentationsobjekt, hrsg. von Peter Ganz (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, Bd. 5), Wiesbaden 1992, S. 117–135.
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seiner Deszendenz – festzumachen. Diese Geschichte ist, so scheint es jedenfalls, keineswegs so eindeutig und so linear, wie man dies vielleicht wünschen möchte und in der Forschung zeitweilig auch nachzuweisen hoffte; sie präsentiert sich vielmehr als komplexer, vielsträhniger und einigermaßen langwieriger Prozess, der von Wechselwirkungen geprägt und in seiner Artikulation nur schwer zu durchschauen ist.7 Gerade die intensive Beschäftigung mit konkreten Einzelzeugen dieser Überlieferung8 – die vorliegende Handschrift macht in dieser Hinsicht, wie wir noch sehen werden, keine Ausnahme – hat hier gegenüber gesichert scheinenden Theorien und Erklärungsmodellen durchaus eine kritische Funktion.
II Unter diesen Voraussetzungen eine knappe, angesichts des verfügbaren Raums ohnedies nur als grobe Skizze mögliche Darstellung der Vorgänge um das sog. Hadrianum zu bieten, fällt nicht ganz leicht, ist aber für eine bessere Einordnung unserer Handschrift unumgänglich. Dabei ist trotz der eben geäußerten Vorbehalte erst einmal von jener Sicht auszugehen, die heute, auch wenn in der Spezialforschung manche Fragen keineswegs endgültig beantwortet sind, als mehr oder weniger akzeptierter Forschungsstand gilt.9 7
„La généalogie des sacramentaires est aujourd’hui un exercice des plus périlleux“ – so das nicht gerade ermunternde Fazit von Philippe Bernard am Schluss einer Reihe wichtiger Bemerkungen zur aktuellen Problematik der Sakramentarforschung im Rahmen seiner Rezension des Buchs von Éric Palazzo, (s. Anm. 9), in: Bibliothèque de l’École des Chartes 152 (1994), S. 577–581, bes. S. 580 f. (Zitat S. 581). 8 Etwa die Anm. 9 erwähnte Studie von Joseph Décréaux über das sog. Sakramentar von Marmoutier, den wohl wichtigsten Textzeugen für das hadrianische Gregorianum mit Supplement. Vgl. dazu auch die Rezension von Angelus A. Häußling, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 29 (1987), S. 85 f. 9 Ich folge dabei Angelus A. Häußling (wie Anm. 2), S. 176–178, und den grundlegenden Untersuchungen von Jean Deshusses, Le Sacramentaire grégorien. Ses principales formes d’après les plus anciens manuscrits, Bd. 1–3, Fribourg 1971 ff. (Zusammenfassung der Ergebnisse in Bd. 3, Fribourg 1982, S. 60–92; vgl. auch Jean Deshusses, Les Sacramentaires. Etat actuel de la recherche, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 24 (1982), S. 19–46). Außerdem benutze ich die Überblicksdarstellungen von Éric Palazzo, Histoire des livres liturgiques. Le moyen âge, Paris 1993, S. 47–83, und Marcel Metzger, Les Sacramentaires (Typologie des sources du moyen âge occidental 70), Turnhoult 1994. – Einen gegenüber Jean Deshusses in wesentlichen Punkten veränderten Ansatz bietet Joseph Décréaux, Le Sacramentaire de Marmoutier (Autun 19bis) dans l’histoire des Sacramentaires carolingiens du IXe siècle, Bd. 1–2, Città del Vaticano
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Anzusetzen ist zunächst bei der Funktion des Sakramentars. Dieses ist zu definieren als Buch zum Gebrauch des der Eucharistiefeier vorstehenden Liturgen (Papst, Bischof, Priester) – „le livre du célébrant“10 –, das die gesamten für die Ausübung dieser Funktion notwendigen Gebetstexte enthält. Dieses Material, die sog. euchologischen Texte, umfasst als hauptsächliche Bestandteile das Hochgebet, also den gleichbleibenden Meßkanon vom Präfationsdialog bis zum Paternoster,11 und das Corpus der variablen Meßformulare (mit jeweils drei bzw. vier Orationen12 und – bei den Hauptfesten – einer Präfation) für den Zyklus des Kirchenjahrs und für die Votivmessen zu besonderen Anlässen und Anliegen. Texte für Segnungen und Weihen und sonstige Zusätze können diesen Grundbestand von Fall zu Fall ergänzen. Im fränkischen Gallien waren spätestens seit dem 7. Jahrhundert Sakramentare römischen Ursprungs in Gebrauch. Als wichtigster Typ gilt heute die als Alt-Gelasianum (nach Papst Gelasius I., 492–496) bezeichnete Fassung, eine im 6. oder möglicherweise sogar erst im frühen 7. Jahrhundert entstandene Formelsammlung, deren ältester erhaltener Zeuge der berühmte Cod. Reg. lat. 316 der Vaticana (aus Chelles bei Paris) ist.13 Daneben zirkulierten in Gallien weitere Sakramentare, 1985. Die Reaktion der Fachwelt auf die neuen Thesen von Joseph Décréaux (vgl. auch meine Hinweise in Abschnitt IV des vorliegenden Beitrags) ist recht zurückhaltend und eher zwiespältig: sehr skeptisch etwa die Rezension von Pierre-Marie Gy, in: Revue des Sciences philosophiques et théologiques 71 (1987), S. 117–119, oder auch Éric Palazzo (s. o.), S. 76 Anm. 2; positiver die in Anm. 8 erwähnte Besprechung von Angelus A. Häußling. 10 Éric Palazzo (wie Anm. 9), S. 47 (Überschrift). 11 In karolingischer Zeit findet sich der Kanon üblicherweise – so auch in unserem Fall – am Beginn der Sakramentarhandschriften, während er in den spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Missalien zusammen mit dem Ordo missae im allgemeinen in die Abfolge der Meßformulare für das Kirchenjahr, und zwar meist zum Osterfest, eingefügt wird. 12 Collecta zu Beginn der Messe, Super oblata bzw. Secreta zur Darbringung der Opfergaben und Postcommunio bzw. Ad complendum zum Beschluss der Feier. In manchen Fällen, besonders in der Fastenzeit, kann sich an die Postcommunio eine weitere Oration (Super populum, eine Art Segensgebet) anschließen. 13 Klaus Gamber, Codices Liturgici Latini Antiquiores, Fribourg 1968 (künftig: Gamber, CLLA), Nr. 610 (versprengte Teile der Hs.: Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 7193). Vgl. dazu auch Katharina Bierbrauer, in: Biblioteca Apostolica Vaticana. Liturgie und Andacht im Mittelalter, Stuttgart u. a. 1992, Kat.-Nr. 3 (mit weiterer Literatur zur Handschrift). – Rosamond McKitterick, Nuns’ scriptoria in England and Francia in the eighth century, in: Francia 19 (1992), S. 1–35, bes. S. 6–14, zieht auch eine Lokalisierung in Jouarre, dem Mutterkloster von Chelles, in Erwägung. – Zur liturgiewissenschaftlichen Einordnung ist grundlegend Antoine Chavasse, Le Sacramentaire Gélasien. Vaticanus Reginensis 316, Tournai 1958.
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teils einheimischer, teils römischer Provenienz (u. a. eine ältere Form des Gregorianum). Wechselwirkung und Vermischung dieser verschiedenen Traditionen prägen das Bild der erhaltenen Textzeugen in unübersehbarer Weise. Auch der unter Pippin kurz nach 750 erarbeitete, sehr umfangreiche Sakramentartyp, der in mehreren Rezensionen vorliegt, die in der Forschung als Gelasiana des 8. Jahrhunderts bezeichnet werden,14 mischt Texte unterschiedlicher Herkunft in synkretistischer Weise. Möglicherweise hat gerade diese Situation den Siegeszug des Hadrianum befördert. Jedenfalls scheint das Bestreben nach einem Einheitstext mit normierender Funktion Karl den Großen Mitte der achtziger Jahre des 8. Jahrhunderts dazu veranlasst zu haben, Papst Hadrian I. um die Übersendung eines „reinen“ (immixtum) römischen Sakramentars zu ersuchen. Mit einiger Verspätung – vermutlich zu Beginn des Jahres 786 – erreicht das erbetene Buch den kaiserlichen Hof in Aachen.15 In die Freude über das Geschenk scheint sich jedoch bald eine gewisse Ernüchterung, ja Enttäuschung gemischt zu haben, denn es repräsentierte einen überholten liturgischen Stand, nämlich den der Zeit kurz nach 735, und war, was sich weit gravierender auswirkte, ein typisches Pontifikal-Sakramentar, wie es der Papst für die von ihm in den römischen Stationskirchen präsidierten Festgottesdienste benötigte.16 Mit anderen Worten: das von Hadrian übermittelte Sakramentar ist eigentlich nur ein Auszug aus dem Gregorianum, ein päpstliches Spezial-Sakramentar, wenn man so will, in dem viele der für die normale Gottesdienstpraxis einer Pfarr- oder Klosterkirche unabdingbaren Texte fehlen: etwa die Meßformulare für die Sonntage der Weihnachtszeit, der Zeit nach Epiphanie sowie der österlichen und der (besonders ausgedehnten) nachpfingstlichen Zeit, aber auch die Messen für das Commune Sanctorum, viele wichtige Votivmessen und schließlich auch Texte für Weihen und Segnungen und für die Tauffeier. Als repräsentatives Geschenk für den Kaiser mochte die päpstliche Handschrift ihren Zweck durchaus erfüllen, als grundlegendes Dokument für eine Liturgiereform, die auch und gerade die alltäglichen Bedürfnisse der 14 Antoine Chavasse, Le Sacramentaire dans le groupe dit „Gélasiens du VIIIe siècle“, Bd. 1–2, Steenbrugge 1984. Vgl. auch Éric Palazzo (wie Anm. 9), S. 69–72. 15 Für Einzelheiten sei verwiesen auf Theodor Klauser (wie Anm. 2), S. 181 f., und Cyrille Vogel, La réforme (wie Anm. 1), S. 224–227. 16 Über die möglichen Hintergründe dieses Sachverhalts s. Cyrille Vogel, La réforme (wie Anm. 1), S.227.
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Gemeinden und Klöster einschließen sollte, war das Buch weit weniger geeignet.17 Die angesprochenen Lücken waren unbedingt zu füllen, sollte das „neue“ Sakramentar den Dienst, den ihm der Kaiser und seine Berater zugedacht hatten, wirklich leisten können. In den Handschriften, die direkt oder indirekt auf das Musterexemplar zurückgehen, finden sich denn auch stets mehr oder weniger umfangreiche Anhänge mit ergänzenden Texten für die eben genannten Messen. Eines dieser Supplemente – nach dem ersten Wort seines Prologs (Hucusque) benannt – scheint gewissermaßen offiziellen Status genossen zu haben und galt lange Zeit als Werk von Karls wichtigstem wissenschaftlichem und theologischem Berater, Alkuin, bis die Forschungen von Jean Deshusses diese Kompilation, die auf die gelasianische Tradition, teilweise auch auf ältere gallikanische und wisigothische Quellen zurückgreift, mit weithin akzeptierten Argumenten dem Reformabt Benedikt von Aniane zugewiesen haben.18 Als Ergebnis dieser Vorgänge präsentiert sich die handschriftliche Überlieferung des Hadrianumtexts heute sehr komplex. So unterscheidet Jean Deshusses in der Einleitung seiner Ausgabe vier Textfamilien bzw. Überlieferungsschichten:19 1. das authentische Hadrianum 2. das authentische Hadrianum im korrigierten Zustand 3. das ursprüngliche Gregorianum von Aniane (also das revidierte Hadrianum mit dem Benedikt von Aniane zugeschriebenen Anhang) 4. das korrigierte Gregorianum von Aniane Die ersten beiden Schichten sind in engstem Zusammenhang zu sehen, d. h. ihre Unterscheidung beruht im wesentlichen nur auf sprachlichen Detailkorrekturen, durch die sich die Vertreter des „Hadrianum authentique corrigé“ gegenüber dem Text der „authentischen“ Überlieferung abheben. 17 Cyrille Vogel, La réforme (wie Anm. 1), S. 225, kommentiert nicht ohne Ironie: „Peut-être aussi le Pape s’est-il mépris sur le sérieux et la portée de la demande de Charles: il lui a fait parvenir un cadeau, alors qu’on lui réclamait un document“. 18 Vgl. Jean Deshusses, Le Supplément au Sacramentaire Grégorien, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 9 (1965), S. 48–71; ders., Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 69, und Bd. 3, S. 66–75. Ediert ist das Supplement ebd., Bd. 1, S. 349–605. – Joseph Décréaux (wie Anm. 9), S. 206 ff., hat jetzt hingegen Helisachar, den Kanzler Ludwigs des Frommen, ins Spiel gebracht. 19 Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 61–74.
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Diese, die erste Schicht in der Genealogie von Deshusses also, ist heute nur noch durch eine einzige Handschrift vertreten (Cambrai, Bibliothèque Municipale, Ms.164), die möglicherweise sehr direkt auf das, was Hans Lietzmann das Aachener „Urexemplar“ genannt hat,20 zurückgehen könnte und um 811/812 unter Bischof Hildoard von Cambrai geschrieben worden sein dürfte.21 Etwas zahlreicher sind die Zeugen des korrigierten Texts. Deshusses kann immerhin acht Handschriften nachweisen,22 darunter auch unser, mit der Sigle C2 versehenes ehemals Donaueschinger, jetzt Stuttgarter Exemplar. Noch breiter überliefert ist naturgemäß die revidierte und mit Supplement versehene, von Deshusses als „anianisch“ bezeichnete Fassung (Schichten 3 und 4), die sich ab der Jahrhundertmitte in weiten Teilen Europas durchsetzt und zum Ausgangspunkt der Entwicklung zum späteren Missale Romanum wird.23 Doch zurück zum „korrigierten“ Hadrianum, der Klasse unserer Handschrift. Deshusses hat die Merkmale dieser Gruppe detailliert herausgearbeitet und auf Verwandtschaften unter den einzelnen Textzeugen hingewiesen.24 Ich fasse hier seine Darstellung zusammen: Sämtliche acht Handschriften der Gruppe heben sich von A (Cambrai, Bibliothèque Municipale, Ms.164) durch eine deutlich geringere Zahl sprachlicher Unkorrektheiten und Fehler ab. Offenkundig hat man im Milieu der karolingischen Latinisten schon bald an sprachlichen Unebenheiten mancher Stellen im Text des neuen Sakramentars Anstoß genommen und sich zu glättenden und korrigierenden Eingriffen entschlossen. Dies zeigt sich beispielsweise gleich schon bei der die Handschriften der beiden ersten Klassen charakterisierenden Überschrift, auf deren Inhalt noch näher einzugehen sein wird. In A lautet 20 Hans Lietzmann, Das Sacramentarium Gregorianum nach dem Aachener Urexemplar, Münster i.W. 1921. 21 Näheres zur Handschrift s. Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9) Bd. 1, S. 36 und S. 61 (Sigle A); Klaus Gamber, CLLA (wie Anm. 13), Nr. 720; Éric Palazzo (wie Anm. 9), S. 74 f. – Die Abbildungen in: La Neustrie. Les pays au nord de la Loire de Dagobert à Charles le Chauve (VIIe–IXe siècles), éd. par. Patrick Périn et Laure-Charlotte Feffer, Paris 1985, S. 121 (Kat. Nr. 18), geben eine gute Vorstellung vom Erscheinungsbild des Sakramentars, dessen auffallend schmales Hochformat ein Hinweis auf eine ursprünglich vorhandene oder zumindest vorgesehene Verzierung der Buchdeckel mit Elfenbeinplatten sein könnte (vgl. zu diesem Zusammenhang Bernhard Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters, 2. überarb. Aufl., Berlin 1986, S. 44 f.). 22 Eine Übersicht bietet Jean Deshusses (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 80. 23 Vgl. Éric Palazzo (wie Anm. 9), S. 76 f. 24 Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 62 f.
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sie – übrigens in Goldtinte auf Purpurgrund geschrieben – folgendermaßen: In nomine domini hic sacramentorum de circulo anni exposito a sancto Gregorio papa romano editum ex authentico libro bibliothecae cubiculi scriptum. Die Codices der korrigierten Familie ersetzen hic durch incipit, verbessern die Genitivform sacramentorum in sacramentorium oder liber sacramentorum (so auch C2) und lesen dann expositum bzw. expositus anstelle von exposito (beziehen also dieses Wort auf das Subjekt des Satzes). C2, unsere Handschrift, ersetzt dann als einzige – wie im Titel dieses Beitrags wiedergegeben – auch noch scriptum durch scriptus, bietet also folgende Version des Titels: In nomine domini incipit liber sacramentorum de circulo anni expositus a sancto Gregorio papa romano editus ex authentico libro bibliothecae cubiculi scriptus [siehe S. XIII, Abb. 1]. Die Tatsache, dass die Detailveränderungen des Texts in den einzelnen Exemplaren dieser zweiten Schicht recht unterschiedlich ausgefallen sind, wie ein Blick in den Apparat der Ausgabe von Deshusses deutlich macht, lässt allerdings nicht unbedingt auf eine systematische Überarbeitung im Sinne eines einmaligen, konsequent durchgeführten Korrekturdurchgangs (womöglich sogar in der Originalhandschrift) schließen, sondern weist eher auf einen prozessartigen Vorgang, der sich an verschiedenen Orten und über einen längeren Zeitraum hin abgespielt haben dürfte.25 Die Interpretation der Formel ex authentico libro bibliothecae cubiculi scriptum bzw. scriptus in der eben zitierten Überschrift hat zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Hans Lietzmann vertrat in seiner Ausgabe, die das Aachener Urexemplar rekonstruieren sollte,26 die Ansicht, eben dieses sei mit dem authenticum gemeint und der Ausdruck bibliotheca cubiculi beziehe sich auf die kaiserliche Hofbibliothek. In dieselbe Richtung äußerte sich auch Cyrille Vogel.27 Der ex-authentico-Vermerk wäre aus dieser Sicht zu verstehen als eine Art Echtheits-„Label“ der jeweiligen Abschrift, die sich als Kopie des in Aachen deponierten Mu-
25 Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 62, geht zwar auch von einer gewissen Dauer dieses Prozesses aus, wenn er schreibt, die Ausmerzung der wichtigsten Unkorrektheiten des Hadrianum sei „peu à peu“ vor sich gegangen, möchte aber auf der anderen Seite anscheinend doch an der Vorstellung eines auf eine bestimmte Handschrift, entweder das Urexemplar selbst oder wenigstens eine seiner Abschriften konzentrierten Korrekturvorgangs festhalten, wie die anschließende Frage zeigt: „Fut-ce sur le manuscrit original? Fut-ce sur une copie?“ – meiner Ansicht nach eine eher problematische Hypothese. 26 Hans Lietzmann (wie Anm. 20), S. XVI f. mit Anm. 5. 27 Cyrill Vogel, La réforme (wie Anm. 1), S. 225.
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sterexemplars ausweist. Alban Dold und Klaus Gamber, später auch Bernhard Bischoff, neigten hingegen zur Auffassung, bereits das aus Rom übersandte Exemplar habe diesen Vermerk getragen, authenticum meine also eine in Rom verbliebene Musterhandschrift und bibliotheca cubiculi die päpstliche Bibliothek im Lateranpalast.28 Bleibt diese Frage offen, so ist dennoch festzuhalten, dass sie für die Sache selbst, nämlich den Anspruch des neuen Buchs, die römische Tradition authentisch zu vertreten, im Grunde nicht von Belang ist. Wichtiger erscheint die Tatsache, dass die Formulierung ex authentico libro scriptum/scriptus insofern nicht streng beim Wort zu nehmen ist, als es sich bei den Handschriften, die diesen Vermerk enthalten, keinesfalls immer um direkte Abschriften des Aachener Exemplars handelt. Deshusses spricht von „copies plus ou moins directes“.29 Auch im Falle unserer Handschrift liegt sicherlich eine indirekte Abschrift vor (dazu später). Das neue Buch segelt, wie schon angedeutet, unter der Flagge Gregors des Großen (590–604), wie die Formulierung a sancto Gregorio papa romano editum im Authentizitätsvermerk ausdrücklich belegt. Auch Papst Hadrian bezieht sich in seinem Begleitschreiben zu dem an den Kaiser übersandten Exemplar explizit auf die Autorität seines Amtsvorgängers.30 Dass das „Gregorianum“ nach modernem Verständnis von Urheberschaft kein Werk des großen Papstes ist, seinen Namen also eigentlich zu Unrecht trägt, ist seit längerem geklärt und bedarf hier keiner eigenen Diskussion. Es dürfte nach heutigem Forschungsstand in seiner Grundgestalt während des Pontifikats von Honorius I. (628– 638) als päpstliches Stations-Meßbuch entstanden sein, wobei möglicherweise einzelne Orationen, die auf Gregor zurückgehen, eingeflossen sein könnten.31 Ein typisches Merkmal der korrigierten Hadriana sind die starken Kontaminationsspuren in ihren Texten. Die meisten Handschrif28 Vgl. zusammenfassend Bernhard Bischoff, Die Hofbibliothek Karls des Großen, in: Karl der Große, Bd. 2(wie Anm. 1), S. 42–62, hier S. 44 mit Anm. 15. 29 Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 62. 30 De sacramentario vero a sancto disposito praedecessore nostro deifluo Gregorio papa…(Monumenta Germaniae Historica. Epistolae, Bd. 3, S. 626; vgl. auch Cyrille Vogel, La réforme, [wie Anm. 1], S. 224 f.). 31 Bahnbrechend in dieser Frage waren insbesondere Henry Ashworth, The liturgical prayers of St. Gregory the Great and further parallels to the „Hadrianum“ from St. Gregory the Great’s commentary of the First Book of Kings, in: Traditio 15 (1959), S. 107–161, und 16 (1960), S. 364–373. Vgl. auch Jean Deshusses, Grégoire et le Sacramentaire Grégorien, in: Grégoire le Grand. Actes publ. par Jacques Fontaine, Paris 1986, S. 637–644, sowie Éric Palazzo (wie Anm. 9), S. 73 f.
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ten zeigen nach Deshusses bereits Spuren einer Beeinflussung durch die genetisch jüngere Textstufe der revidierten Fassung Benedikts von Aniane (s. o.), und vielfach ist das Eindringen gelasianischer, also älterer Elemente festzustellen. Umstände und Mechanismen dieses Prozesses, der zu Mischformen vielfältigster Art führte, sind von Deshusses unter Verweisung auf die spezifischen Gesetzmäßigkeiten, denen gerade liturgische Bücher als Trägern „lebendiger“, der Praxis einer konkreten Gemeinschaft dienender Texte in ihrer Genese und Überlieferung unterworfen sind, instruktiv beschrieben worden.32 Dass die Klasse der korrigierten Hadriana keineswegs wie ein monolithischer Block erscheint, versteht sich nach dem eben Gesagten wohl von selbst. Allerdings lassen sich, wie schon angedeutet, durchaus Verwandtschaften zwischen einzelnen Handschriften und somit einzelne Untergruppen herausarbeiten. Dies gilt zunächst einmal für zwei Veroneser Sakramentare aus dem ersten Viertel bzw. zweiten Drittel des 9. Jahrhunderts, nämlich Verona, Biblioteca capitolare, Cod. CI und Cod. LXXXVI (Siglen B1 und B2), die untereinander eng verwandt sind und einen A sehr nahestehenden Text bieten.33 Eine zweite Untergruppe, mit der im übrigen auch die beiden Veroneser Handschriften in einer gewisse Verbindung stehen,34 umfasst drei Handschriften aus dem Bodenseeraum, d. h. aus St. Gallen und/oder Reichenau: Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 49. – Zur weiteren Entwicklung im 9. und 10. Jahrhundert vgl. auch Éric Palazzo (wie Anm. 9), S. 78 f. 33 Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 42 f. und 62; Klaus Gamber, CLLA (wie Anm. 13), Nr. 725 und 726. 34 Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 62, spricht von „raisons historiques“ dieser Verwandtschaft. Gemeint sind die intensiven Kontakte unter den Veroneser Bischöfen Egino und Ratold (ca. 780–799 bzw. 799–840), die als alemannische Adlige aus dem Umfeld des Bodenseeklosters die Verbindung zu ihrem Herkunftsraum stets bewahrten und pflegten (dazu Eduard Hlawitschka, Egino, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 42, Roma 1993, S. 353–356). Über Bücheraustausch zwischen Reichenau und Verona vgl. die Hinweise bei Frank Hoffmann, Bischof Egino von Verona, in: Die Abtei Reichenau. Neue Beiträge zur Geschichte und Kultur des Inselklosters, hrsg. von Helmut Maurer, Sigmaringen 1974, S. 545–551, bes. S. 548 (mit weiterer Lit.), sowie L’Orazionale dell’Arcidiacono Pacifico e il Carpsum del Cantore Stefano. Studi e testi sulla liturgia del duomo di Verona dal IX all’XII sec., a cura di Gilles G. Meersseman etc., Fribourg 1974, bes. S. 25–55. – Zu den Reichenau-Beziehungen Ratolds siehe jetzt auch Regina Dennig-Zettler e Alfons Zettler, La traslazione di san Marco a Venezia e a Reichenau, in: San Marco. Aspetti storici ed agiografici. Atti del Convegno internazionale di Studi Venezia 26–29 aprile 1994, a cura di Antonio Niero, Venezia 1996, S. 689–709, sowie Felix Heinzer, „Marcus decus Germaniae“. Il culto del patrono veneziano a Reichenau. Relazione e specificità, in: Musica e Storia 3 (1995), S. 169–187, bes. S. 174 f. [s. in diesem Band, S. 64–82]. 32
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1. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Ms. 1815 (Sigle C1), 2. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. Don. 191 (Sigle C2) und 3. Oxford, Bodleian Library, Ms. Auct. D.I.20 (Sigle D), anscheinend für Mainzer Gebrauch bestimmt. Alle drei Codices scheinen nach Deshusses35 auf eine gemeinsame Quelle zurückzugehen. Ob unsere Handschrift wirklich in einem so direkten Abhängigkeitsverhältnis zu C1 steht, wie Deshusses dies sieht – „Donaueschingen 191 doit en être une copie directe“36 – bedarf allerdings genauerer Untersuchung und wird noch zu diskutieren sein. Als gemeinsame Quelle von C1, C2 und D vermutet Deshusses eine heute nicht mehr greifbare Handschrift in Aachen bzw. Kornelimünster (Inden) oder aber auf der Reichenau. Trifft diese These zu, wäre dies von erheblicher Bedeutung für den überlieferungsgeschichtlichen Stellenwert der drei Sakramentare, denn diese rückten dadurch in den Kontext des im Zusammenhang mit der Geschichte der Benediktregel so oft zitierten Besuchs der beiden Reichenauer Mönche Tatto und Grimald37 in Kornelimünster, dem Musterkloster Benedikts von Aniane. C1, C2 und D als älteste greifbare Zeugen für eine direkt von Kornelimünster aus erfolgte Übermittlung des Hadrianumtexts in den Bodenseeraum erhielten in dieser Perspektive eine analoge Bedeutung wie die berühmte Handschrift St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 914 für die Überlieferung der Benediktregel, die – als einziger erhaltener Zeuge des sog. „Textus purus“ – eine zentrale Stellung einnimmt.38 Wie der St. Galler Cod. 914 als Abschrift der von Tatto und Grimald um 817 in Kornelimünster besorgten Kopie der aus Monte Cassino übersandten Musterhandschrift der Regel hätten unsere drei Sakramentare als mehr oder weniger direkte Kopien des aus Rom erbetenen und in Aachen deponierten Mustersakramentars eine ganz besondere Wertigkeit als heute noch greifbarer Ausdruck des
Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 63. Ebd. 37 Zur Identität der beiden – Grimald ist nicht zu verwechseln mit dem späteren Erzkapellan Ludwigs des Deutschen – siehe Dieter Geuenich, Beobachtungen zu Grimald von St. Gallen, Erzkapellan und Oberkanzler Ludwigs des Deutschen, in: Litterae medii aevi. Festschrift für Johanne Autenrieth, hrsg. von Michael Borgolte und Herrad Spilling, Sigmaringen 1988, S. 55–68, hier S. 60 f. 38 Seit Ludwig Traubes Textgeschichte der Regula Benedicti von 1898 ist die Literatur zu diesem Aspekt immer breiter geworden. Einen Überblick über den Forschungsstand bietet Bernhard Bischoff, Die Handschrift, in: Regula Benedicti de codice 914 in bibliotheca monasterii S. Galli servato…quam simillime expressa, ed. a Benedikt Probst OSB, St. Ottilien 1983, S. XII–XIV. 35 36
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die reichenau in karolingischer und ottonischer zeit
Bemühens der Bodenseeklöster Reichenau und St. Gallen um direkten Kontakt zum karolingischen Kaiserhof und seiner kirchlichen Reformpolitik und um möglichst unmittelbaren Zugang zu den entsprechenden Normtexten. Damit ist allerdings eine Konsequenz verbunden, die Deshusses so explizit nicht formuliert: Ein auf Tatto und Grimald Bezug nehmendes Deutungsmodell betrifft nicht nur die Frage, wann und auf welchem Weg der Text des Hadrianum in den alemannischen Raum gelangte, sondern impliziert zugleich eine erhebliche Aufwertung der drei bodenseeischen Handschriften als Textzeugen des hadrianischen Gregorianum und bedeutet, dass sich gerade von diesen drei Handschriften aus die These von Deshusses zur tragenden Rolle Benedikts von Aniane im Prozess der Rezeption des neuen Sakramentars in besonders qualifizierter Weise überprüfen lassen müsste. Darauf wird gegen Ende noch einmal zurückzukommen sein.
III Eine eingehende, auch Einzelheiten diskutierende Analyse des Texts unseres Sakramentars erscheint unumgänglich, um die im vorangehenden Abschnitt angedeuteten Perspektiven zu vertiefen und in ihren Aussagen zur Einordnung der Handschrift auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. Allerdings ist dies im Rahmen dieser Publikation nur ausschnittweise möglich. Als Grundlage für das Folgende hier zunächst eine kurze Inhaltsübersicht, die sich auf die Einleitung zum dritten Band der Ausgabe von Deshusses stützt.39 Dabei sind einige Korrekturen erforderlich, insbesondere hinsichtlich der Datierung der einzelnen Teile des Sakramentars, wo sich mehrfach deutliche Verschiebungen ergeben, die auch für das inhaltliche Profil der Handschrift nicht unerheblich sind: Nachträge:
1r.v 2r–4v 4v–5r
39
Offertoriumsgebete (2. Nachtragshand, Ende 10. Jh.) Orationen zu den Lesungen der Osternacht (1. Nachtragshand, Ende 9. Jh.) Meßformulare de s. Gregorio und de s. Marco (2. Nachtragshand, wie 1rv)
Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 23.
ex authentico libro scriptus – zum sakramentar Corpus:
5v–121v 122r–148v
Nachträge:
149r–160v
160r–163v
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Sacramentarium Hadrianum: Deshusses, Nr. 1–20, 33–136, 140–333, 337–1018 (Haupthand, 2. Viertel 9. Jh.) Votivmessen40 (Haupthand; ab 144r andere gleichzeitige Hand) Sonntagsmessen: Deshusses, Nr. 1093–120041 und Formular für den letzten Sonntag nach Pfingsten (Missa de prophetis): Deshusses, Bd.1, S. 717 (2. Nachtragshand, wie 1r.v und 4v–5r). Bücherverzeichnis (3. Nachtragshand, um 1000)
Deshusses setzt die Nachträge durchweg noch in das 9. Jahrhundert. Die paläographische Analyse – ich folge hier den Ergebnissen Herrad Spillings42 – zeigt jedoch, dass sie mit Ausnahme von 2r–4v in das 10. Jahrhundert, und zwar gegen das Jahrhundertende, zu rücken sind. Dies hat insbesondere für die Bewertung des aus dem sog. anianischen Supplement bezogenen Teils 149r–160v nicht unerhebliche Konsequenzen. Lässt die Darstellung von Deshusses an einen bloßen Handwechsel denken („autre écriture contemporaine“), so dass man denken könnte, dieser Anhang sei in das ursprüngliche Konzept der Handschrift von vornherein integriert gewesen, so wird jetzt an dieser Stelle ein deutlicher Zeitsprung erkennbar, der im übrigen durch einen Lagenwechsel und die Verwendung unterschiedlichen Pergaments noch unterstrichen wird.43 Zwar ist nicht auszuschließen, dass dieser Nachtrag einen früher einmal vorhandenen, von einer der beiden Haupthände geschriebenen und somit dem Corpus selbst zuzurechnenden Supplementteil ersetzt, doch bleibt dies rein hypothetisch. Jedenfalls ist der heutige Zustand, von dem zunächst einmal auszugehen ist, an dieser Nahtstelle durch eine ganz klare Zäsur geprägt. Darauf wird später nochmals zurückzukommen sein. 40 Siehe die Übersicht bei Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 23, wobei die Verweisung „comme au ms.“ C1, fol. 164r–184v hinsichtlich der ersten Folioangabe zu korrigieren ist (in der Wiener Handschrift beginnt der entsprechende Abschnitt schon auf Blatt 157r). 41 Formulare VI–XLI des sog. anianischen Supplements. Die Übersicht von Jean Deshusses (siehe Anm. 40) gibt als ersten Text diese Komplexes das Formular V an. Dieses fehlt jedoch in C2, wie im übrigen auch der kritische Apparat zu Nr. 1090–1092 in der Ausgabe erkennen lässt. 42 Herrad Spilling, Schreiber und Schrift, in: Dies. (Hrsg.), Das Sakramentar der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek: Cod. Don. 191, Berlin 1996 (Patrimonia 85), S. 17–47, hier S. 30–36. 43 Für die kodikologischen Einzelheiten darf ich ebenfalls auf den Beitrag von Herrad Spilling (wie Anm. 42), S. 11–16, verweisen.
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die reichenau in karolingischer und ottonischer zeit
Vorher ist aber auf die Nachträge zu Beginn der Handschrift einzugehen, zumal sie sich für die Provenienzfrage als sehr interessant erweisen: 1. Blatt 1r.v enthält sechs Offertoriumsgebete. Dieser zunächst eher private Frömmigkeit repräsentierende Gebetstyp, der dem Kontext der sog. Apologiae sacerdotis zuzurechnen ist,44 hat seine Blütezeit vom (späten) 9. bis zum 11. Jahrhundert. Es handelt sich um Texte, die der Zelebrant in die Meßfeier – hier speziell zur Darbringung der Opfergaben – als Ausdruck seines persönlichen Mitvollzugs, aber auch zur Vergegenwärtigung von Fürbitt-Intentionen verschiedenster Art (pro rege, pro imperatore, pro infirmis, pro familiaribus usw.) einfügt. Aus diesem Textgut, das in der eher persönlichen Prägung seiner Inhalte und seiner Sprache – charakteristisch dafür ist die häufig verwandte Ich Form – zunächst durchaus in einer gewissen Spannung zu dem in den Sakramentartexten kodifizierten „offiziellen“ Gemeinschaftsdienst steht, ist einiges, besonders das auch hier vertretene Suscipe sancta trinitas hanc oblationem quam tibi offero in memoriam incarnationis…, über den sog. rheinischen Ordo Missae in die römische Liturgie und somit in den Meßordo des späteren Missale Romanum eingedrungen.45 Brennpunkte dieser Entwicklung scheinen St. Gallen, Reichenau und Mainz zu sein46. Der Nachtrag in unserer Handschrift fügt sich sehr gut in diesen Zusammenhang, zeigen sich doch deutliche Verbindungen sowohl zu den nachgetragenen Offertoriumsgebeten in Cod. 348 der 44 Vgl. Bonifaz Luykx, Der Ursprung der gleichbleibenden Teile der heiligen Messe (Ordinarium Missae), in: Priestertum und Mönchtum, hrsg. von Theodor Bogler, Maria Laach 1961, S. 72–119; Handbuch der Liturgiewissenschaft, hrsg. von AiméGeorges Martimort, Bd. 1, Freiburg u. a. 1963, S. 319–321; Adrien Nocent, Les Apologies dans la célébration eucharistique, in: Liturgie et rémission des péchés. Conférences Saint-Serge. XXe Semaine d’études liturgiques, Paris 2–5 juillet 1973, Roma 1975, S. 179–196; jüngst Andreas Odenthal, Zwei Formulare des Apologientyps der Messe vor dem Jahr 1000, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 37 (1995), S. 25–44. – Zusammenfassend auch Hans Bernhard Meyer, Eucharistie. Geschichte, Theologie, Pastoral (Gottesdienst der Kirche, Bd. 4), Regensburg 1989, S. 204. 45 Vgl. Bonifaz Luykx (wie Anm. 44), bes. S. 91 ff., und Hans Bernhard Meyer (wie Anm. 44), S. 204–208. Bonifaz Luykx erwähnt S. 80 f. ausdrücklich unsere Handschrift, die er zwischen 842 und 850 datiert, und bezeichnet den Komplex 1rv als „einen der ältesten Texte“ mit Suscipe sancta Trinitas-Gebeten, wobei unklar ist, ob er den Nachtragscharakter der Stelle erkannt hat. 46 Bonifaz Luykx (wie Anm. 44), S. 95–103, von Hans Bernhard Meyer, (wie Anm. 44), S. 204, übernommen. S. jetzt auch Michael G. Witczak, St. Gall Mass Orders (I): Ms. Sangallensis 338. Searching for the Origins of the „Rhenish Mass Order“, in: Ecclesia Orans 16 (1999), S. 393–410.
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Stiftsbibliothek St. Gallen,47 die als älteste (Teil-)Zeugnisse des rheinischen Ordo Missae gelten, als auch zu der berühmten „Missa Illyrica“, dem um 1030 für Sigebert von Minden geschriebenen, reichenauischsanktgallische Tradition vertretenden Meßordo.48 Die folgende Synopse verdeutlicht dies: Cod. Don. 191, 1r.v
Deshusses49
St. Gallen 348
Missa Illyrica
Suscipe sancta trinitas hanc oblationem quam tibi offero pro imperatore nostro…, pro abbate nostro ill. et pro congregationis nostrae salute…
Nr. 4393 (kürzer)
–
PL 138, 1326 D–1327 A (zwei Orationen: pro familiaribus und pro rege et populo christiano)
Suscipe sancta trinitas hanc oblationem quam tibi offero in memoriam incarnationis…(s. o.)
Nr. 4392
Mohlberg (wie Anm. 47), S. 248
PL 138, 1325 D
Offerimus tibi domine calicem salutaris…et munera tibi dicata …
–
Mohlberg, PL 138, 1328 B S. 248 (Ohne (ebenfalls ohne Teil 2: et Teil 2) munera…)
Suscipe sancta trinitas hanc oblationem quam tibi offero pro salute famulorum tuorum…
–
–
PL 138, 1327 A (famuli statt famulorum)
Suscipe sancta trinitas hanc oblationem quam tibi offero pro infirmis famulis tuis…
–
–
PL 138, 1327 A (infirmo statt infirmis)
Suscipe sancta trinitas hanc oblationem quam tibi offero pro animabus famulorum…
Nr. 4395
–
PL 138, 1327 BC
47 Das Fränkische Sacramentarium Gelasianum in alamannischer Überlieferung (Codex Sangall. 348), hrsg. von Kunibert Mohlberg, 3. Aufl., Münster i.W. 1971, S. 247 (Beigabe 1). 48 Vgl. Bonifaz Luykx (wie Anm. 44), S. 95 und S. 103 f., sowie Klaus Gamber, CLLA (wie Anm. 13), Nr. 990. Der Einfachheit halber wird der Text hier nach PL 138, 1305–1336 zitiert. Siehe jetzt außerdem Joanne Pierce, New Research Directions in Medieval Liturgy: The Liturgical Books of Sigebert of Minden (1022–1036), in: Fountain of Life. In Memory of Niels Krogh Rasmussen O.P., ed. by Gerard Austin, Washington D.C. 1991, S. 51–67. 49 Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 262–270, nach den beiden nordfranzösischen Sakramentaren Q und T3: Paris, Bibliotheque Nationale, Ms. lat. 12050 und ms. lat. 2291 aus Corbie bzw. Saint-Amand (Klaus Gamber, CLLA [wie Anm. 13], Nr. 742 und 925).
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die reichenau in karolingischer und ottonischer zeit
Die Gegenüberstellung zeigt, dass die Beziehungen zum Mindener Meßordo eindeutig am stärksten sind, lassen sich hier doch alle sechs Gebete unserer Handschrift belegen, wenngleich mit einigen Abweichungen und Varianten. Noch schlagender – und für die Einordnung der Texte wohl entscheidend – ist allerdings der Vergleich mit dem von Joaquim O. Bragança edierten Ordo Missae des Reichenauer Sakramentars in Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 18005 aus dem frühen 11. Jahrhundert.50 Die ersten fünf Gebete von Cod. Don. 191 stimmen exakt überein mit den Texten 34, 33, 41, 36 und 37 der von Bragança edierten Handschrift (das sechste fehlt im Pariser Sakramentar). Besonders wichtig ist dieser Sachverhalt für die Gebete 1 und 3 unserer Handschrift, die in dieser Form weder im St. Galler Codex 348 noch in der „Missa Illyrica“ eine Entsprechung finden, sondern eben nur im Pariser Sakramentar aus der Reichenau. Wenn nicht alles täuscht, wird hier also die spezifische Tradition des Inselklosters greifbar. Der Vergleich mit der Pariser Handschrift macht im übrigen deutlich, dass sich die Gebete in unserem Sakramentar in einer gewissen Unordnung befinden, die dem liturgischen Ablauf nicht ganz Rechnung trägt (das erste und das zweite müssten ihren Platz tauschen, das dritte gehört als Begleitgebet zur Kelchdarbringung ganz an den Schluss). Dieser Befund und der im Vergleich zu den übrigen Ergänzungen dieser Hand (4v–5r und 149r–160v) in Schriftgrad und Stilhöhe ganz unterschiedliche, weniger feierlich wirkende Charakter der Schrift,51 dazu die Tatsache, dass die Initialen der Gebete zunächst nicht ausgeführt worden sind, lassen den Eindruck entstehen, dass wir es hier mit einem vorläufigen, eher entwurfsartigen Stadium dieser Texte zu tun haben. 2. Die zwölf Orationen zu den Schriftlesungen der Osternachtfeier auf Blatt 2r–4v hat schon Ludwig Schuba in seiner Studie zum sog. Petershausener Sakramentar angesprochen.52 Dieser Nachtrag ist offenkundig Ausdruck des Festhaltens an einer Tradition (zwölf alttestament50 Joaquim O. Bragança, O „Ordo Missae“ de Reichenau, in: Didaskalia. Revista da Faculdade de Teologia de Lisboa 1 (1971), S. 137–162. – Zur Handschrift siehe auch Ludwig Schuba, Reichenauer Texttradition im Petershausener Sakramentar, in: Bibliothek und Wissenschaft 12 (1978), S. 115–140, hier S. 125, sowie Hartmut Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, Stuttgart 1986, Bd. 1, S. 338. 51 Näheres dazu bei Spilling (wie Anm. 42), bes. S. 33 f… 52 Ludwig Schuba (wie Anm. 50), S. 131–134.
ex authentico libro scriptus – zum sakramentar
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liche Lesungen und eine entsprechende Anzahl von Orationen), die der im Hadrianum – und somit auch im Corpus unserer Handschrift (nämlich 45v–46r) – vertretenen Ordnung (vier Lesungen mit vier Orationen) entgegensteht. Über das chronologische Verhältnis der beiden Systeme wird in der Forschung unterschiedlich geurteilt.53 Unbestritten ist allerdings, dass das Zwölfersystem in den fränkischen Gelasiana des ausgehenden 8. Jahrhunderts und ebenso im Supplement zum Hadrianum den Vorzug findet. Der Nachtrag in unserer Handschrift stimmt also mit dieser gelasianischen Tradition überein – allerdings nur, was die Anzahl und die Auswahl der Lesungen anbelangt. Hinsichtlich der Orationen sind hingegen deutliche Abweichungen zu erkennen: nicht nur in der Reihenfolge der Gebete, sondern auch hinsichtlich der herangezogenen Texte, die zum Teil in diesem liturgischen Kontext anderswo gar nicht gebräuchlich sind. Auch hier soll eine Tabelle den Sachverhalt verdeutlichen:54
53 Anton Baumstark, Nocturna Laus. Typen frühchristlicher Vigilienfeier und ihr Fortleben, Münster i.W. 1957, S. 51–54, sieht im Zwölfersystem der jüngeren Gelasiana den Niederschlag einer älteren Gestalt der römischen Ostervigil, die – wahrscheinlich unter Papst Gregor dem Großen – eine Reduktion auf ein Drittel des Bestands an Lesungen und Orationen erfahren habe, während Chavasse, Le Sacramentaire Gélasien (wie Anm. 13), S. 113–115, mit überzeugenden Argumenten für eine Priorität der Viererstruktur plädiert. Vgl. jetzt auch Jordi Pinell i Pons [a cura di Domenico Sartore], Ad celebrandum paschale sacramentum. Il complesso eucologico „per singulas lectiones“ della vigilia pasquale secondo la tradizione Gelasiana, opera di San Leone Magno, in: Ecclesia Orans 15 (1998), S. 163–191. 54 Die Orationen werden nach den Nummern der Edition von Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), zitiert. Die Formulierung „Supplement etc“ soll andeuten, dass das sog. anianische Supplement an dieser Stelle für eine breite Übereinstimmung steht, die bemerkenswerterweise auch die in gelasianischer Tradition stehenden Sakramentare des alemannischen Umfelds der Reichenau einschließt. Insbesondere gilt dies für die bereits erwähnte St. Gallener Handschrift 348 (Kunibert Mohlberg, [wie Anm. 47], Nr. 541–552) und das berühmte, zu Beginn des 11. Jahrhunderts in St. Gallen kompilierte Sacramentarium Triplex Zürich, Zentralbibliothek, Cod. C 43 (Odilo Heiming, Das Sacramentarium Triplex [Corpus ambrosianoliturgicum, Bd. 1,1], Münster i. W. 1968, Nr. 1266–1277) sowie das churrätische, nach einer Vorlage aus Nivelles kurz vor 800 geschriebene Rheinauer Sakramentar (Anton Hänggi und Alfons Schönherr, Sacramentarium Rhenaugiense. Handschrift Rh. 30 der Zentralbibliothek Zürich, Fribourg 1970, Nr. 429–440). Steht eine im Supplement und seinen Parallelen vorkommende Oration in unserer Handschrift an abweichender Position, so wird dies durch den Zusatz (!) angezeigt. Das Ausrufezeichen ohne Klammer markiert hingegen die in der üblichen Reihe gar nicht belegten Formeln.
50
die reichenau in karolingischer und ottonischer zeit Cod. Don. 191 Supplement etc.
nach Lesung I nach Lesung II nach Lesung III nach Lesung IV nach Lesung V nach Lesung VI nach Lesung VII nach Lesung VIII nach Lesung IX nach Lesung X nach Lesung XI nach Lesung XII
1025 1027 1053! 1031 1035 (!) 514! 451! 1037 (!) 1041 440! 510! 1047
1025 1027 1029 1031 1033 1035 1037 1039 1041 1043 1045 1047
nach Ps. 41
371 u. 372
373 (= 1048)
Die ehemals Donaueschinger Handschrift steht hier zunächst allein auf weiter Flur gegen eine breite Phalanx einheitlicher Überlieferung. Parallelen findet unser Nachtrag, wie Ludwig Schuba gezeigt hat, nur im ottonischen Petershausener Sakramentar55 und in drei weiteren Handschriften aus dieser Zeit – Firenze, Biblioteca Nazionale centrale, Cod. B.R. 231, Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 18005 (das im Zusammenhang mit den Offertoriumsgebeten schon erwähnte Sakramentar) und St. Paul im Lavanttal, Stiftsbibliothek, Cod. 20/1 –, die alle ebenfalls mit der Reichenau in Zusammenhang stehen.56 Diese Orationsfolge scheint also, wie Schuba folgert, eine Reichenauer Sondertradition zu repräsentieren.57 Ob wir es dabei wirklich mit der „altgewohnten Ordnung der Abtei“ zu tun haben,58 muss insofern mit einem kleinen Fragezeichen versehen werden, als sich diese These nicht an Textzeugen verifizieren lässt, die in das frühe 9. oder gar in Heidelberg, UB, Cod. Sal. IX b, s. Gamber, CLLA, (wie Anm. 13), Nr. 783. Näheres zu den Handschriften bei Ludwig Schuba (wie Anm. 50), S. 124 f. – Nicht mit einbezogen wurde das Hornbacher Sakramentar (Solothurn, Zentralbibliothek, Cod. U 1, jetzt Domschatz Solothurn, ebenfalls spätes 10. Jh.), das auch aus dem Reichenauer Scriptorium stammt. Die Beschreibung von Alfons Schönherr, Die mittelalterlichen Handschriften der Zentralbibliothek Solothurn, Solothurn 1964, S. 215–223, bietet keinen Nachweis der an der fraglichen Stelle (63v–67r) verwendeten Orationen. Doch ist der höchst interessante Befund vermerkt, dass hier beide Lektionssysteme berücksichtigt sind – und zwar von der Anlagehand! – wobei die Ordnung mit vier Lektionen als ordo apud canonicos celebrandus überschrieben ist. Es werden hier also die beiden Systeme mit unterschiedlichen Bräuchen im monastischen und im weltkirchlichen bzw. kanonialen Bereich in Zusammenhang gebracht. 57 Ludwig Schuba (wie Anm. 50), S. 134. 58 So Ludwig Schuba, ebd. 55 56
ex authentico libro scriptus – zum sakramentar
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das 8. Jahrhundert zurückgehen.59 Unser Nachtrag aus dem späten 9. Jahrhundert scheint der bisher älteste Beleg dafür zu sein. 3. Werfen wir schließlich noch einen Blick auf die von derselben Hand wie die Offertoriumsgebete 1r.v nachgetragenen, also ebenfalls im ausgehenden 10. Jahrhundert aufgezeichneten Meßformulare für Gregor und Markus auf 4v– 5r. Das Interesse der Gregor-Orationen betrifft weniger diese Texte selbst,60 als vielmehr die durch den Nachtrag kompensierte Lücke im Corpus des Sakramentars, wo die eigentlich zu erwartenden Orationen Deshusses Nr. 137–139 fehlen (wie übrigens auch in C1), was für die in Abschnitt IV noch zu diskutierende Einordnung unserer und ebenso der Wiener Handschrift in die Überlieferungsgeschichte des Gregorianum von einer gewissen Bedeutung sein könnte. Das Markus-Formular steht zweifellos im Zusammenhang mit der in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts in der Reichenau aufblühenden Verehrung dieses Heiligen, der bald zum zweiten Patron der Abtei avanciert.61 Die drei Orationen, von denen die erste wie üblich auch für das Fest-Offizium verwendet wurde,62 unterscheiden sich sowohl von den Formeln, die in Venedig, dem Ursprungsort des Markuskults, in Gebrauch waren, als auch von denen, die später in das römische Missale Eingang fanden.63 Allerdings sind sie nicht „nur aus Sakramenta59 Das Palimpsest-Sakramentar Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Aug. CXII aus dem späten 8. Jh. (siehe Anm. 67) bricht leider unmittelbar vor dem Lesegottesdienst der Ostervigil ab. 60 Es handelt sich um die drei Formeln Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Nr. 137, 135 und 47. 61 Felix Heinzer (wie Anm. 34), bes. S. 172 f. Vgl. außerdem Walter Berschin und Theodor Klüppel, Der Evangelist Markus auf der Reichenau, Sigmaringen 1994 (zur Markusmesse S. 16). 62 Das alte Reichenauer Markusoffizium ist nur noch greifbar in einem Nachtrag des 16. Jahrhunderts in der Handschrift Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Aug. LX, die 1516 aus Zwiefalten auf die Reichenau kam, wo der Prior Gregor Dietz Eigentexte für die im Inselkloster besonders verehrten Heiligen eingefügte. Näheres zu den Texten und ihrer Überlieferung: Felix Heinzer (wie Anm. 34), S. 177–180 [in diesem Bd., S. 73 f.] – Zur Handschrift: Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek. Teil 1: Provenienz Zwiefalten, bearb von Sigrid von Borries-Schulten. Mit einem paläographischen Beitrag von Herrad Spilling, Stuttgart 1987 (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Bd. 2,1), S. 131–135 (Anhang 2). 63 Reichenau: Deus qui nobis per ministerium beati Marci…, Hanc domine quaesumus oblationem…, Pasti cibo…, Präfation Et nos te iugiter conlaudare… (Jean Deshusses, Le Sacramentaire [wie Anm. 9], Nr. 3489–3492 = Formular Tc 349, nach der in Anm. 65
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die reichenau in karolingischer und ottonischer zeit
ren Reichenauer Herkunft bekannt“, wie Schuba annahm,64 sondern finden sich, ebenso wie die Präfation, schon im 9. Jahrhundert vereinzelt auch in anderen Quellen, so in einem für Saint-Germain-desPrés bestimmten Sakramentar aus Saint-Amand,65 aber auch im Kölner Pamelius-Sakramentar aus dem späten 9. Jahrhundert und insbesondere im berühmten Sacramentarium Fuldense von ca. 975 (Göttingen, Universitätsbibliothek, Cod. theol. 231).66 Die Belege aus dem 9. Jahrhundert führen in eine Zeit zurück, die noch vor dem Aufkommen der Markus-Verehrung auf der Reichenau liegt; die dort seit dem (späten) 10. Jahrhundert für die liturgische Feier des Evangelisten verwendeten Gebetstexte sind folglich keine Eigenschöpfungen des Inselklosters, sondern – vielleicht über Fulda vermittelte – Importe aus dem westfränkischen Raum (Saint-Amand?).67 Im Verbund mit den übrigen
erwähnten Pariser Handschrift aus Saint-Amand; für C2 siehe Bd. 3, S. 23) – Venedig: Deus qui hunc diem beati Marci…, Hanc in conspectu…, Inenarrabilis sacramenti dulcedine… (Näheres, besonders Belege für die italienische Parallelüberlieferung bei Felix Heinzer, [wie Anm. 34], S. 176 f.) – Missale Romanum: Deus qui beatum Marcum…, Beati Marci evangelistae…, Tribuant nobis… (diese Orationen schon in karolingischen Sakramentaren: vgl. Jean Deshusses, Le Sacramentaire [wie Anm. 9], Nr. 126*–127* und Nr. 3493– 3495). 64 Ludwig Schuba (wie Anm. 50), S. 136. 65 Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. lat. 2291. Vgl. Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 2, S 22 und Bd. 3, S. 39–41 (Sigle T3). 66 Nachweise für die Orationen: Corpus Orationum, inchoante Eugenio Moeller †, subsequente I.M. Clement †, totum opus perfecit Bertrandus Coppieters ’t Wallant, Bd. 3–6 (Corpus Christianorum. Series Latina 160 B–E), Turnhout 1993–1995, Nr. 1823, Nr. 2891 und Nr. 4143 (diese mit weiterer Verbreitung); für die Präfation: Corpus Praefationum, cura et studio Edmond (Eugène) Moeller, Textus A–P und Apparatus A–P (Corpus Christianorum. Series Latina 160 A–B), Turnhout 1980, Nr. 318 (ohne Berücksichtigung der von Jean Deshusses ausgewerteten Handschrift aus Saint-Amand [siehe Anm. 65] und des Nachtrags in Cod. Don 191). – Speziell für das Formular von Fulda, das genau mit der Reichenauer Fassung übereinstimmt: Sacramentarium Fuldense saeculi X., hrsg. von Gregor Richter und Albert Schönfelder, Fulda 1912, S. 102 (Nr. 872–875). – Weitere Streuüberlieferung der „Reichenauer“ Markustexte im 9. Jahrhundert: die Präfation in Reims, Bibliothèque Municipale, Ms. 213 (Jean Deshusses, Le Sacramentaire [wie Anm. 9], Bd. 2, Nr. 3698 und Bd. 3, S. 38); die Postcommunio Pasti cibo (Nr. 4143 des Corpus Orationum, siehe oben) in Verbindung mit der Collecta und der Secreta des später im Missale Romanum verwendeten Formulars (siehe Anm. 63) in mehreren, meist nordfranzösischen Handschriften (Jean Deshusses, Le Sacramentaire [wie Anm. 9], Bd. 1, Nr. 128*). 67 Zu den Verbindungen zwischen der Sakramentartradition von Saint-Amand und Fulda, die hier eine Rolle spielen könnten, vgl. grundsätzlich Éric Palazzo, Les Sacramentaires de Fulda. Étude sur l’iconographie et la liturgie à l’époque ottonienne, Münster i.W. 1994, S. 149–153 u. 157.
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schon besprochenen Nachträgen auf den ersten Blättern unserer Handschrift sind sie allerdings als typisches Reichenauer Merkmal zu werten. Die Nachträge 1r–5r belegen also insgesamt, dass unsere Handschrift spätestens vom ausgehenden neunten Jahrhundert an und mindestens bis zum ausgehenden 10. Jahrhundert auf der Reichenau in Gebrauch war.68 Für das Problem der ursprünglichen Herkunft der Handschrift hat dieser Befund streng genommen zwar keine zwingende Aussagekraft. Dennoch ist er von einigem Gewicht, zumal sich der eben umrissene Zeitraum gesicherter Reichenauer Benutzung noch einmal ganz entscheidend nach rückwärts verlängern lässt: Das von der Haupthand geschriebene Formular der Missa pro omni congregatione sanctae Mariae im Corpus der Handschrift selbst (127v– 128r) zeigt, dass die Handschrift von Anfang an für die Reichenau bestimmt gewesen sein dürfte, wie Herrad Spilling im Ausstellungskatalog „Unberechenbare Zinsen“ hervorgehoben hat.69 Ein Blick in den kritischen Apparat bei Deshusses (Nr. 2255–2259) verdeutlicht übrigens sehr anschaulich, wie relevant diese Messe für die Frage nach dem Bestimmungsort einer Sakramentarhandschrift sein kann: Zwei der fünf angeführten Textzeugen lassen den Namen des angerufenen Schutzheiligen der familia bzw. congregatio offen, die Handschrift aus Saint-Martin in Tours setzt in der Überschrift und in den Orationen den Kloster- und Stadtheiligen Martin ein, das Sakramentar aus Saint-Amand den des hl. Amandus70 und die In dieselbe Richtung deutet wohl auch der kleine Eingriff auf Bl. 16rv, wo höchstwahrscheinlich die beiden Orationen Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Nr. 85 und Nr. 86 radiert und durch das Formular In vigilia theophanie mit den Orationen Nr. 20*, 21* und 23* (siehe Jean Deshusses, Le Sacramentaire [wie Anm. 9], Bd. 1, S. 689) ersetzt worden sind. Genau diese drei Gebete, die im übrigen aus der gelasianischen Tradition stammen (sie finden sich im Alt-Gelasianum, aber auch in den Anm. 54 genannten Handschriften), begegnen auch im nur als Palimpsest erhaltenen Reichenauer Sakramentar Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Aug. CXII (Klaus Gamber, CLLA, [wie Anm. 13], Nr. 835): vgl. die Ausgabe von Alban Dold und Anton Baumstark, Das Palimpsest-Sakramentar im Cod. Aug. CXII (Texte und Arbeiten, Bd. 12), Beuron 1925, S. 10 f., Nr. 15, 1.2.4. Der Nachtrag scheint also die alte, vor-gregorianische Liturgiepraxis der Reichenau wieder aufzugreifen. 69 Vgl. ihre Beschreibung der Handschrift in: „Unberechenbare Zinsen“. Bewahrtes Kulturerbe. Katalog zur Ausstellung der vom Land Baden-Württemberg erworbenen Handschriften der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek, hrsg. von Felix Heinzer, Stuttgart 1993, S. 46 f., hier S. 46: „Bestimmungsort der Handschrift war jedenfalls die Reichenau: in der für den Konvent zu zelebrierenden Messe wird als Patronin Maria angerufen“. 70 Bei Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), nur für die Postcommunio (Nr. 2259) zu verifizieren. 68
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Wiener wie unsere (von Deshusses an dieser Stelle nicht berücksichtigte) Handschrift den von Maria, der Reichenauer Patronin. Weitere, wirklich stichhaltige Argumente für die Lokalisierungsfrage „Reichenau oder St. Gallen“ sind aus der Untersuchung des Texts, wenn ich recht sehe, freilich nicht zu gewinnen. Insofern stellt sich hier eine ähnliche Situation dar wie auf dem Gebiet der in diesem Band geführten paläographischen und kunsthistorischen Diskussion. Allerdings sind die eben angesprochenen inhaltlichen Kriterien nicht ganz ohne Gewicht, erscheint es doch alles in allem naheliegender, dass eine von vornherein für die Reichenau bestimmte und dort mindestens anderthalb Jahrhunderte lang benutzte Handschrift, auch an diesem Ort entstanden ist. Die alternative Hypothese einer Auftragsarbeit St. Gallens für das Inselkloster ist sicherlich nicht auszuschließen, hat aber wohl die größere Beweislast zu tragen.
IV Zwei Fragen, die in den vorhergehenden Abschnitten schon kurz angesprochen wurden, sind noch einmal etwas zu vertiefen: Zum einen betrifft dies das Verhältnis unserer Handschrift (C2) zum Wiener Codex 1815 (C1) und zum anderen den Zusammenhang der durch diese beiden Sakramentare repräsentierten Texttradition mit der Überlieferungsgeschichte des Hadrianum. Deshusses sieht, wie schon erwähnt, C2 als direkte Kopie von C1; an einer Stelle bezeichnet er sie daher sogar einfach als „Dublette“ der Wiener Handschrift, die deren Korrekturen assimiliert habe.71 Diese Einschätzung ist zu relativieren, die letzte Aussage ganz zu streichen, wie wir gleich sehen werden. An der außerordentlich engen Verwandtschaft der beiden Handschriften gibt es sicherlich keinen Zweifel. Die Lücken, die C2 im Grundstock gegenüber C1 aufweist,72 sind leicht zu erklären als AusJean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 2, S. 21 und Bd. 1, S. 36. Es fehlen in der ehemals Donaueschinger Handschrift im Vergleich zum Wiener Codex die Texte Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Nr. 21–32 und 333–336 (Bischofs-, Priester- und Diakonatsweihe sowie Weihe des Chrisams am Gründonnerstag). Eine weitere Abweichung, die sich aus dem Vergleich bei Deshusses, Bd. 3, S. 22 f. zu ergeben scheint, beruht wohl auf einem Versehen, denn die Messe zum Fest Papst Gregors des Großen (Deshusses, Nr. 137–139) fehlt nicht nur in Cod. Don. 191, sondern auch im Wiener Sakramentar, wie dessen Überprüfung zeigt (und 71 72
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lassung von Zeremonien, die dem Bischof vorbehalten sind, d. h. als Ergebnis einer Reduktion des Sakramentartextes auf klösterlichen Bedarf. Angesichts der sonst zu beobachtenden Übereinstimmung der Texte, besonders der sehr speziellen, nur diesen beiden Codices eigenen Zusammenstellung des Votivmessen-Anhangs (C1: 157r–184v; C2: 122r–148v), fallen diese Abweichungen also nicht ins Gewicht und wären kein Argument gegen ein direktes Abhängigkeitsverhältnis. Anders steht es mit den laut Deshusses zu beobachtenden Assimilierungen der Korrekturen der Wiener Handschrift durch unser Sakramentar. Schon ein Blick in den kritischen Apparat von Deshusses zeigt, dass C2 an vielen Stellen der korrigierten Fassung von C1 (also C12) nicht folgt.73 Viel aufschlussreicher ist allerdings die Handschrift selbst, lässt sie doch erkennen, dass die älteste Schicht der Korrekturen in C1, die von einer sehr sorgfältig arbeitenden Hand stammt, frühestens gegen Ende des 9. Jahrhunderts, vielleicht sogar erst im frühen 10. Jahrhundert entstanden sein kann,74 also deutlich jünger ist als die Anlagehand von C2, die somit die Zusätze, Streichungen und Verbesserungen in C1 gar nicht gesehen und berücksichtigt haben kann.75 Sollte also C2 eine Abschrift von C1 sein, dann nur von C1 in unkorrigiertem Zustand, und dies bedeutet, dass für diese Frage die Korrektur-
wie im übrigen auch der kritische Apparat zur fraglichen Stelle in der Ausgabe von Deshusses ausweist). 73 Hier einige besonders augenscheinliche Stellen: Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Nr. 6 (Z. 2), Nr. 11 (Z. 1), Nr. 13 (Z.1), Nr. 185 (Z. 1), Nr. 219 (Z. 1), Nr. 344 (Z. 1), Nr. 374 (Z. 13), Nr. 662 (Z. 1), Nr. 669 (Z. 2, von Jean Deshusses ungenau erfasst: de tribulatione ist auch in C1 Korrekturzusatz, der in C2 nicht übernommen ist), Nr. 829 (Z. 2, von Jean Deshusses nicht verzeichnet), Nr. 993 (Z. 1), Nr. 2561 (Z. 2). – Hier wie auch in den folgenden Anmerkungen beschränke ich mich der Einfachheit halber auf die Angabe der Deshusses-Nummer und (in Klammern) der Zeile innerhalb jeder Formel. Einzelheiten sind dem kritischen Apparat von Jean Deshusses zu entnehmen, wo die Varianten ebenfalls nach Zeilennummern aufgeführt werden. 74 Für diesen Datierungsansatz danke ich Herrad Spilling. 75 Von der ältesten Korrekturhand in C1 stammt im übrigen auch der Zusatz necnon et sancto Gereone… im Libera nos am Ende des Ordo Missae (Deshusses, Le Sacramentaire [wie Anm. 9], Nr. 19, Z. 3), der zweifellos in Richtung Köln deutet (die Position des Zusatzes setzt ein Gereon-Patrozinium der Kirche voraus, in deren Gebrauch das Sakramentar zum entsprechenden Zeitpunkt war). Möglicherweise erfolgte also die fragliche Überarbeitung schon gar nicht mehr im Bodenseeraum (vgl. auch Bernhard Bischoff, Paläographische Fragen deutscher Denkmäler der Karolingerzeit, in: Ders., Mittelalterliche Studien, Bd. 3, Stuttgart 1981, S. 73–111, hier S. 93 f.), was ebenfalls gegen eine Benutzung von C1 im korrigierten Zustand durch den bzw. die auf der Reichenau (oder in St. Gallen) arbeitenden Schreiber von C2 spricht.
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schicht C12 irrelevant ist und dafür lediglich das Verhältnis von C2 und C1 zu untersuchen ist. Die Überprüfung ergibt weitestgehende Übereinstimmung, der nur vereinzelte Abweichungen gegenüberstehen, die im Allgemeinen zudem eher Kleinigkeiten betreffen.76 Ob diese Differenzen ein ausreichendes Argument gegen eine direkte Abhängigkeit unserer Handschrift vom Wiener Codex hergeben, wage ich nicht zu entscheiden. Immerhin dürfte die Vorstellung einer gemeinsamen Quelle bzw. Vorlage, auf die beide Handschriften zurückzuführen sind, zumindest nicht von vorneherein auszuschließen sein. Wesentlich interessanter ist freilich die in Abschnitt II schon kurz gestreifte Frage nach der von Deshusses in Erwägung gezogenen Verbindung der Texttradition der beiden Sakramentare – und der mit ihnen verwandten Handschrift in Oxford77 – mit dem Besuch der Reichenauer Delegation in Aachen und Inden (Kornelimünster) im Jahr 817. Hält die These, wonach die Reichenauer Mönche Tatto und Grimald, die bei Deshusses zu Schülern Benedikts von Aniane geworden sind, an der Entstehung von C1 und C2 oder doch zumindest an der ihnen zugrundeliegenden Vorlage beteiligt gewesen sein könnten,78 genauerer Überprüfung stand? Beginnen wir zunächst mit dem seit Deshusses als „anianisch“ bezeichneten Supplement. Die Wiener Handschrift enthält einen Teil davon, nämlich die Sonntagsmessen (Deshusses, Nr. 1090–1200), als Anhang, der noch der Anlageschicht zuzurechnen ist, während unsere Handschrift diese Messen (ohne Nr. 1090–1093) als Nachtrag des späten 10. Jahrhunderts enthält, wie wir bereits gesehen haben. Bedenkt man, dass das sog. anianische Supplement erheblich umfangreicher ist (es umfaßt in der Edition von Deshusses die Nr. 1019 bis 1805), so wird deutlich, dass es hier nur in sehr beschränktem Maß herangezogen worden ist: eben nur für die Sonntagsmessenreihe, die ja im 9. Jahr-
76 Einige Beispiele: Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Nr. 45 (Z. 4: C1 virtute, C2 virtutem), Nr. 84 (Z.1 f.: C1 caelestibus remediis, C2 caelestis remedii), Nr. 115 (Z. 2: C1 agne, C2 agna), Nr. 164 (Z. 1: C1 in nobis, C2: nobis), Nr. 283 (Z.2: C1 placatos, C2 placitos), Nr. 578 (Z. 2: C1 om. tuarum, C2 tuarum), Nr. 590 (Z. 2, C1: nostrum, C2 nostrorum, von Deshusses nicht vermerkt), Nr. 627 (Z. 2 f., wie Nr. 84). 77 Siehe Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 63. 78 „Des documents contemporains … laissent entendre que deux disciples de saint Benoît à Inden, Tatto et Grimoldus, n’ont peut-être pas été étrangers, sinon à l’execution de ces admirables manuscrits, du moins à celle de copies intermédiaires“ (Jean Deshusses, Le Sacramentaire [wie Anm. 9], Bd. 1, S. 63).
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hundert auch schon vor ihrer Aufnahme in das offizielle Supplement und unabhängig von diesem zirkulierte.79 Es fehlen die Nr. 1201 bis 1514, im Wesentlichen Votivmessen, die in C1 und C2 in anderer Weise abgedeckt sind (vgl. die Inhaltsübersicht, oben S. 44–45), und es fehlen ebenso die Präfationen und Benediktionen (Nr. 1515–1737 und 1738– 1805). Dieser Sachverhalt wirft Fragen auf. Wenn einerseits die „anianische“ Textrevision und Supplementierung tatsächlich zwischen 810 und 815 anzusetzen ist80 und andererseits die beiden Sakramentare in Wien und Stuttgart auf eine beim Aachener Besuch Tattos und Grimalds 817 beschaffte Vorlage zurückgehen sollen, so wäre eigentlich zu erwarten, dass die „neue Ausgabe“ des Sakramentars, eben die nach Deshusses unter der Ägide Benedikts von Aniane kurz zuvor revidierte Fassung des Hadrianum, en bloc – d. h. einschließlich des kompletten Supplements – übernommen wird. Und genau das ist, wie wir eben gesehen haben, nicht der Fall. Zieht man sodann das Corpus des Sakramentartexts heran, so ergibt sich auch hier ein Befund, der gegenüber der Hypothese von Deshusses skeptisch stimmt: Von einer Prägung durch den anianischen Text oder gar von einem „evidenten Einfluss“ desselben81 kann nicht die Rede sein. Einzelnachweise würden hier zu weit führen, doch genügt im Grunde schon die Feststellung, dass an den von Hans Lietzmann untersuchten 23 Stichstellen, „an denen die beiden Klassen (d. h. der unkorrigierte ex-authentico-Text und die anianische Rezension) mit unverkennbarer Deutlichkeit auseinander treten“,82 die Wiener Handschrift kein einziges Mal und unsere ehemals Donaueschinger Handschrift nur gerade in drei Fällen mit den Hauptzeugen des anianischen Texts gehen, sonst aber stets mit A, der Leithandschrift der unrevidierten Version, übereinstimmen. Dieses Zahlenverhältnis spricht für sich,
79 Vgl. dazu Jean Deshusses, Le Sacramentaire grégorien pré-hadrianique, in: Revue Bénédictine 80 (1970), S. 213–237, hier S. 222 f. 80 So Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 68. 81 Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 63. 82 Hans Lietzmann, Handschriftliches zu Alkvins Ausgabe und Sacramentarium, in: Jahrbuch für Liturgiewissenschaft 5 (1925), S. 68–79, hier S. 72, die untersuchten Stellen S. 72–74. Da Hans Lietzmann selbstverständlich nach seiner Sakramentar-Ausgabe (s. Anm. 20) zitiert, dürfte es hilfreich sein, die fraglichen Stellen hier zusätzlich nach der Zählung von Deshusses anzuführen. Es handelt sich um Nr. 48, 68, 84, 91, 121, 129, 164, 167, 220, 284, 334, 374a, 374b, 374c (2 Stellen), 409, 686, 835 (2 Stellen), 838, 981, 986 und 991.
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und es erfährt auch durch die Überprüfung weiterer Stellen keine substantiellen Veränderungen.83 In Verbindung mit den Beobachtungen zum Supplement lässt dieser Sachverhalt eigentlich nur zwei Deutungsmöglichkeiten zu: Entweder steht die von C1 und C2 vertretene Textüberlieferung eben doch nicht im Zusammenhang mit den Ereignissen von 817 und ist also aus der engen Verknüpfung mit Aachen bzw. Inden herauszulösen, oder aber – und diese Konsequenz wäre wohl erheblich brisanter – die in der Forschung seit Deshusses mehr oder weniger allgemein akzeptierte Sicht der Geschichte des gregorianischen Sakramentars im Frankenreich, wie wir sie auch oben in Abschnitt II skizziert haben, müsste doch etwas anders geschrieben werden, und zwar in der von Joseph Décréaux84 gewiesenen Richtung. Dabei ginge es weniger um das Datum der Einführung des neuen Buchs aus Rom – nach Décréaux in der Form, wie sie die Handschrift A aufweist, erst um 810, also nach dem Pontifikat Hadrians –, sondern vielmehr um die Frage nach dem Zeitpunkt und den Umständen der Revision und Supplementierung des importierten Texts. Der Befund unserer Handschrift wäre jedenfalls mit der von Décréaux vertretenen Hypothese einer stufenweisen Entstehung des Supplements und eines erst gegen 835–836 erfolgten Abschlusses der gesamten Revision (unter Helisachar, der seit 831 in der Abtei L’Ile-Barbe bei Lyon Zuflucht gefunden hatte, und nicht mehr unter Benedikt von Aniane)85 sehr viel leichter in Einklang zu bringen: Übernimmt man diese Chronologie, so hätten Tatto und Grimald, sollte die Übermittlung des 83
Dies gilt auch für die gegenüber Hans Lietzmann noch umfangreichere Stellenliste bei Emmanuel Bourque, Étude sur les Sacramentaires romains, Bd. 2,2, Roma 1958, S. 191–194. – Hans Lietzmann, Handschriftliches zur Rekonstruktion des Sacramentarium Gregorianum, in: Miscellanea Francesco Ehrle. Scritti di Storia e Paleografia (Studi e Testi, Bd. 38), Roma 1924, S. 141–158, stellt S. 153 Übereinstimmungen von C1 mit den Textzeugen der revidierten Fassung gegen A zusammen, die sich allerdings bei genauerem Zusehen auf weniger als ein halbes Dutzend, zudem oft nicht sehr eindeutiger Fälle reduzieren. 84 Vgl. Anm. 9. 85 Vgl. Joseph Décréaux (wie Anm. 9), S. 206–234. – Zu untersuchen wäre, wie sich das von Klaus Gamber, Der fränkische Anhang zum Gregorianum im Licht eines Fragments aus dem Anfang des 9. Jahrhunderts, in: Sacris Erudiri 21 (1972/73), S. 267– 289 veröffentlichte südfranzösische Bruchstück, München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 29300/10, das nach Bernhard Bischoff ins erste Drittel des 9. Jahrhunderts zu datieren ist und somit als bisher ältestes Zeugnis für das Supplement gelten kann, zu den Thesen von Joseph Décréaux verhält.
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neuen Meßbuchs in den Bodenseeraum tatsächlich mit ihrer im Jahr 817 unternommenen Reise an den kaiserlichen Hof und zum Musterkloster in Kornelimünster zusammenhängen, die neue Fassung und das (komplette) Supplement zu diesem Zeitpunkt dort noch gar nicht vorfinden können, und genau diese Situation scheint ja der textliche Befund von C1 und C2 – Übernahme lediglich der Sonntagsmessen aus dem Supplement, Affinität zu A und nicht zu den Vertretern der revidierten Fassung im Corpus – zu reflektieren. So könnte man versucht sein, die beiden Sakramentare geradezu als Bestätigung für die Thesen von Décréaux zu werten; zumindest stimmen sie sehr zurückhaltend gegenüber den bisherigen Erklärungsmodellen. Wenn hier von unserer Handschrift aus Rückschlüsse für die Sakramentargeschichte des 9. Jahrhunderts insgesamt gezogen werden, so mag dies zunächst reichlich kühn erscheinen. Diese Ausweitung der Perspektive dürfte sich aber von der Tatsache her legitimieren, dass sich die Reichenau aus zwei Gründen als besonders qualifizierter Ort für eine Verifizierung der Theorie von Deshusses, insbesondere seiner „anianischen“ Hypothese, anbietet: zum einen als wichtiger Kristallisationspunkt der frühen Hadrianum-Überlieferung86 und zum andern aufgrund ihrer intensiven Verbindungen zu der mit dem Namen Benedikts von Aniane verbundenen Reformbewegung.87 Gerade auf der Reichenau und in ihrem Umfeld müsste die Rezeption der vom Reformzentrum ausgehenden Impulse – zumal in einer so zentralen Frage wie der des Sakramentartexts – in besonders deutlicher Weise nachweisbar sein. Wenn der Befund der Handschriften, wie beobachtet, diese Erwartung nicht oder nur in geringem Maß erfüllt, so muss dies zu grundsätzlichen Rückfragen an das Erklärungsmodell führen. Eher von Inden weg weist im übrigen auch die Beobachtung, dass die Ausstrahlung der anianischen Fassung (wenn wir sie noch so nennen dürfen) – zumindest nach den heute noch erhaltenen Handschriften zu schließen – nur recht zögernd in Gang kommt, nämlich kaum vor 830 und mit Schwerpunkt in (Süd-)Frankreich88. Dabei ist es erstaunlich, dass Lyon, besonders die Abtei L’Ile-Barbe, nicht nur Vgl. Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 62 f. Aufschlussreich hierzu ist Dieter Geuenich, Gebetsgedenken und anianische Reform – Beobachtungen zu den Verbrüderungsbeziehungen der Äbte im Reich Ludwigs des Frommen, in: Monastische Reformen im 9. und 10. Jahrhundert, hrsg. von Raymund Kottje und Helmut Maurer (Vorträge und Forschungen, Bd. 38), Sigmaringen 1989, S. 79–106. 88 Vgl. Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 70, und (für das 86 87
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für die wichtigen frühen französischen Textzeugen eine zentrale Rolle spielt,89 sondern offenbar überraschenderweise auch für die älteste erhaltene östliche Gregorianum-Handschrift mit Spuren einer Beeinflussung durch die anianische Rezension, das sog. Sakramentar von Trient90 – auch dies ein Sachverhalt, der sich besser in den Rahmen der Helisachar-Hypothese von Décréaux als in das Erklärungsmodell von Deshusses einfügt. Schließlich ist hier ein weiterer Punkt noch einmal kurz aufzugreifen, nämlich das bei der Inhaltsbeschreibung schon erwähnte Fehlen des „gregorianischen“ Meßformulars für das Fest Gregors des Großen im Corpus der beiden Handschriften C1 und C2. Diese Messe wurde während des Pontifikats von Papst Sergius I. (687–701) eingeführt, d. h. ihr Fehlen in einem gregorianischen Sakramentar signalisiert zumindest grundsätzlich eine vor-hadrianische Traditionsstufe und ist charakteristisch für Handschriften, die einen Überlieferungszweig repräsentieren, der sich noch vor dieser Zeit vom Hauptstamm abgespaltet hat. So findet sich diese Lücke beispielsweise im gerade erwähnten Sakramentar von Trient91 oder auch im Sakramentar der Kathedrale von Tours;92 in Handschriften des Hadrianum jedoch ist sie als Anomalie zu bezeichnen. Gewiss ist dieses Einzelindiz nur von geringem Gewicht, zumal die übrigen unter Sergius eingeführten Neuerungen93 im Text von C1 und C2 berücksichtigt sind, und es mag daher als mehr oder weniger zufälliges Resultat der bei liturgischen Texten so häufig festzustellenden Kontamination94 verbucht werden. Als weiteres Supplement) Bd. 3, S. 74. Vielleicht gehört auch das Anm. 85 erwähnte Fragment in diesen Kontext. 89 Siehe Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 87 f. 90 Vgl. Ferdinando dell’Oro, Il Sacramentario di Trento. Studio codicologicopaleografico, in: Monumenta Liturgica Ecclesiae Tridentinae saeculo XIII antiquiora, Bd. 2A: Fontes Liturgici. Libri Sacramentorum, Trento 1985, S. 3–64. – Zum Einfluss der anianischen Rezension s. Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 83–88, der als Übermittlungsweg, hier ganz wesentlich auf paläographische Beobachtungen Bernhard Bischoffs gestützt (vgl. auch dell’Oro, S. 31–41), die Schiene Lyon-Freising (über Bischof Leidrad)-Salzburg-Trient vorschlägt. 91 Trento, Castello del Buon Consiglio, ohne Signatur. Siehe auch Anm. 90. Zur fehlenden Gregor-Messe vgl. Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 3, S. 84 bzw. die kritische Ausgabe von Ferdinando dell’Oro, in: Monumenta Liturgica Eccelsiae Tridentinae 2A (wie Anm. 90), S. 73–416, hier S. 123. 92 Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 9430. Vgl. Jean Deshusses, Le Sacramentaire grégorien pré-hadrianique (wie Anm. 79), S. 219 f. 93 Siehe Jean Deshusses, Le Sacramentaire (wie Anm. 9), Bd. 1, S. 54 f. 94 Siehe auch oben, S. 42, mit Anm. 32.
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kleines Mosaiksteinchen eines Bildes unseres Sakramentars (und seiner Schwesterhandschrift in Wien), das sich einer allzu glatten Einordnung in das von Deshusses entworfene Panorama mehr und mehr zu sperren scheint, verdient es aber dennoch erwähnt zu werden.
V Die „Nahaufnahme“ eines konkreten Textzeugen setzt, wie sich auch in diesem Fall bestätigt, oft ein beachtliches Maß an kritischem Potential frei, das die als Ausgangspunkt der Untersuchung unabdingbaren Theorien und Denkmodelle für neue Fragen aufbricht und dadurch als vorläufig erweist. Die am Schluss des Untersuchungsgangs angesprochenen Aspekte haben gezeigt, dass der zeitliche und sachliche Interpretationsrahmen, der die Sakramentarforschung für die Karolingerzeit seit der großen Synthese von Jean Deshusses weitgehend bestimmt, in einigen Punkten – besonders hinsichtlich der Rolle Benedikts von Aniane und der Chronologie der ihm von Deshusses zugeschriebenen Revision – möglicherweise tatsächlich neu zu überdenken sein könnte. Auch die Frage, wann genau und auf welchem Weg der Text des neuen „gregorianischen“ Sakramentars vom Zentrum des karolingischen Reichs in den Bodenseeraum übermittelt wurde, bleibt unbeantwortet und ist gegenüber der Position von Deshusses im Grunde noch einmal neu zu stellen. Der Rang und die Würde unseres Sakramentars als frühes Zeugnis der karolingischen „Liturgiereform“ und als hervorragendes Dokument ihrer Rezeption im alemannischen Raum wird dadurch nicht im geringsten geschmälert. Die Handschrift repräsentiert den Anspruch, die Meßfeier als Herzstück der Liturgie auch auf der Reichenau in gleicher Weise zu vollziehen wie in der Kirche Roms und realisiert damit das Grundprinzip dieser Reform: die Ausrichtung auf Rom, aus Sicht der karolingischen Herrscher und ihrer theologischen und politischen Vordenker „das Muster an Kirche überhaupt“.95 Anders gesagt: das im Zentrum des Reichs erwachsene, politisch bedingte Bewusstsein, „auf eine besondere Weise Kirche, ‚römische Kirche‘, zu sein und dies nun auch im Bereich der Liturgie konsequent erweisen zu müssen“, wie
95 Angelus A. Häußling, Liturgiereform. Materialien zu einem neuen Thema der Liturgiewissenschaft, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 31 (1989), S. 1–32, hier S. 17.
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Angelus Häußling treffend formuliert,96 wird hier über einen liturgischen Text nach außen, in die Provinz, weitergegeben, um dort zur Wirkung zu kommen. In der Formulierung ex authentico libro scriptus zu Beginn des Buchs, die den Bezug auf das päpstliche Musterexemplar verbürgen soll, wird dieser Vorgang in prägnanter, geradezu brennpunktartiger Weise fassbar. Die Wendung ex authentico libro als solche lässt an die für die nachtridentinischen römischen Liturgiebücher charakteristische Begrifflichkeit der Editio typica bzw. Editio post typicam oder Editio iuxta typicam (für die approbierte Ausgabe bzw. deren späteren Auflagen und Abdrucke) denken – eine Assoziation, die allerdings sofort energisch zu relativieren ist, weil es sich im Gegensatz zur liturgischen Erneuerung des Tridentinums oder auch des zweiten Vaticanums bei der „karolingischen Liturgiereform“, um erneut Häußling zu zitieren, „wenn nicht alles täuscht, … viel eher um einen lang dauernden Prozess der liturgiekulturellen Aufbesserung als um einen gesetzgeberischen Akt handelte, der von einem bestimmten Zeitpunkt an ein Neues eingeführt hat“.97 Dazu kommt, dass das Ergebnis dieser Reform im Sinne eines konkreten „Erfolgs“ kaum überprüfbar ist, ja vielleicht sogar – zumindest aus heutiger Sicht – eher fraglich erscheinen muss.98 Von einer „Einführung“ neuer liturgischer Bücher wird man in diesem historischen Kontext daher immer mit großer Vorsicht und im Grunde stets in Anführungszeichen sprechen müssen. Auch das gregorianische Sakramentar macht hier keine Ausnahme. Wenn die Analyse unserer Handschrift eines bestätigt hat, dann ist es gerade der Prozesscharakter dieser Vorgänge, der sich der präzisen Einordnung in ein zeitliches und räumliches Raster immer wieder zu verwehren scheint. Dass sich noch nicht einmal mit Sicherheit sagen lässt, ob die Wiener Handschrift wirklich Vorlage des ehemals Donaueschinger Sakramentars war, und sowohl die Frage nach dem Entstehungsort – St. Gallen oder Reichenau – als auch nach der exakten Anbindung der durch die beiden Codices vertretenen Tradition an die Gesamtüberlieferung des hadrianischen Gregorianum letztlich unbeantwortet lassen müssen, erscheint symptomatisch für diese Situation. Aber auch in der anderen Richtung, nämlich bezüglich der Wirkungsgeschichte der Handschrift, ist manches unklar: Ihr fast makello96 97 98
Angelus A. Häußling, Liturgiereform (wie Anm. 95), S. 18. Angelus A. Häußling, Liturgiereform (wie Anm. 95), S. 17. Vgl. Angelus A. Häußling, ebd., bes. auch Anm. 55.
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ser Erhaltungszustand könnte trotz der liturgischen Nachträge aus dem 9. und 10. Jahrhundert an einem dauerhaften und intensiven Gebrauch im Gottesdienst des Inselklosters Zweifel aufkommen lassen.99 Hätte sie etwa, wie das Aachener „Urexemplar“, in ihrem Bereich ebenfalls die Funktion einer Musterhandschrift einnehmen sollen? Allerdings ist keine einzige auf sie zurückgehende Abschrift auszumachen. So bleiben zum Schluss eine Reihe offener, ungeklärter Fragen, zu denen uns die Handschrift selbst vorläufig keine Auskunft gibt. Vielleicht gehört auch dieser Aspekt des Rätselhaften mit zu ihrer Faszination.
99 Auch die alten Reichenauer Bücherverzeichnisse helfen hier nicht viel weiter: Gerne würde man unser Sakramentar mit dem Missale unum Gregorii, in quo publica missa canitur in der Liste der von Abt Erlebald gebrauchten Bücher (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Bd. 1: Die Bistümer Konstanz und Chur, bearb. von Paul Lehmann, München 1918, S. 254) gleichsetzen, da diese Charakterisierung (in der feierlichen Hauptmesse verwendetes Gregorianum) unserer Handschrift durchaus entspricht, doch kann diese kaum schon in der Amtszeit Erlebalds (822–838) entstanden sein. Möglicherweise handelt es sich bei dem Exemplar Erlebalds um die oben (S. 57) diskutierte Vorlage von C1 und C2.
„MARCUS DECUS GERMANIAE“ – IL CULTO DEL PATRONO VENEZIANO A REICHENAU. RELAZIONI E SPECIFICITÀ*
Il titolo di questo intervento, nel contesto della celebrazione giubilare di San Marco, potrebbe destare qualche perplessità. Perché, in questa sede, trattare di Reichenau e non di Venezia? Se rispondessi che il discorso sul culto marciano in vigore nel monastero tedesco, situato nei pressi di Costanza su un’isola del lago omonimo, non può fare a meno della tradizione veneziana, anzi la suppone imprescindibilmente, tale risposta potrebbe sembrare fin troppo facile. Eppure, è la risposta giusta, come mi auguro possa risultare dallo svolgimento del mio tema; e c’è da aspettarsi dunque che questo spostamento di prospettiva, che ci porterà in un primo momento lontani da Venezia, ci faccia poi ritornare al centro del culto marciano occidentale con qualche luce nuova anche per la tradizione veneziana. Spero pertanto che il confronto con questo ‚parallelo‘ tedesco del culto di s. Marco – sul quale Antonio Niero (cfr. nota 2) ha ripetutamente attirato l’attenzione senza approfondire però ulteriormente il problema – si riveli, pur nei suoi limiti, come arricchimento anche per la tematica marciana di Venezia. Quali sono dunque gli obiettivi che mi sono prefisso per questo intervento? In un primo punto cercherò di abbozzare una panoramica del culto di s. Marco a Reichenau, mettendo soprattutto in risalto i punti di collegamento con Venezia; in un secondo vorrei presentare, nelle grandi linee, l’aspetto liturgico di questa tradizione reichenauiana, confrontandola, dov’è possibile, con quella veneziana. In un momento conclusivo metterò a fuoco un particolare della liturgia marciana della Reichenau, l’inno Festum beati martyris (AH 51, n. 173), rintracciando la sua ‚carriera‘ internazionale che, in modo del tutto inaspettato, interessa anche San Marco di Venezia.
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Erstmals erschienen in: Musica e Storia 3 (1995), S. 169–187.
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I Cominciamo con la parte storica. Nelle pubblicazioni sul culto di s. Marco a Venezia qualche accenno alla tradizione di Reichenau si trova, come detto sopra, ma senza particolare insistenza sull’argomento, a parte qualche tentativo di tempra schiettamente polemica nei confronti dell’abbazia tedesca per difendere la singolarità e l’autenticità del culto veneziano1. Uno sguardo, seppur rapido e superficiale, alle due tradizioni, specialmente alle loro fasi iniziali, basta tuttavia per accorgersi che un’indagine più accurata sembra imporsi, tanto sono interessanti e promettenti le coincidenze. Ciò vale innanzitutto per la cronologia delle due traslazioni: se il corpo dell’evangelista secondo la tradizione veneziana è giunto a Rialto dall’Egitto nell’828, il trasferimento da Venezia a Reichenau, di cui si vanta l’abbazia tedesca, sarebbe avvenuto appena due anni più tardi, nell’830. A questo punto mi sembra indispensabile un breve riassunto della legenda reichenauiana (molto meno studiata di quella veneziana)2. Il racconto della presunta traslazione da Venezia al nord delle Alpi ci è offerto dai cosiddetti Miracula s. Marci in Augia, un testo che va datato intorno al 940. Esso ci è trasmesso principalmente nel manoscritto Aug. LXXXIV della Badische Landesbibliothek di Karlsruhe, un codice importantissimo per lo sviluppo del santorale di Reichenau in epoca ottoniana3; accanto al nostro testo contiene infatti una serie di racconti agiografici e lipsanologici propri all’abbazia insulare. Ne cito soltanto due: la Vita S. Symeonis Achivi e il trattato De pretioso sanguine Domini nostri, poiché questi testi nella loro premura di provare l’autenticità di due reliquie piuttosto eccezionali – ambedue di (presunta) origine 1 Cfr. in particolare Santes Pieralisi, De commentitia corporis S. Marci ad Augiam divitem translatione, in: Augustin Maria Molino, De vita et lipsaniis S. Marci evangelistae libri duo, Roma 1864, pp. 287ss. 2 Rinuncio alla pretesa di presentare una bibliografia completa sulla situazione veneziana, limitandomi agli studi più recenti di Antonio Niero, Questioni agiografiche su San Marco, in: Studi Veneziani 12 (1970), pp. 3–27; id., Il culto di San Marco da Alessandria a Venezia, in: Storia e arte del patriarcato di Aquileia (Antichità altoadriatiche 38), Udine 1992, pp. 15–40; e di Silvio Tramontin, Origini e sviluppi della legenda marciana, in: Le origini della Chiesa veneziana, a cura di Franco Tonon, Venezia 1987, pp. 167–186. 3 Si veda Alfred Holder, Die Reichenauer Handschriften, I: Die Pergamenthandschriften, Leipzig 1906 (rist. Wiesbaden, 1970), pp. 227–234. Cfr. ora Theodor Klüppel, Reichenauer Hagiographie zwischen Walahfrid und Berno, Sigmaringen 1980, pp. 84– 86 (descrizione generale del contenuto del codice) e 93–105 (testo marciano, edito a pp. 143–151).
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dalla Terrasanta – sono prodotti molto caratteristici del clima cultuale orientalizzante che in quell’epoca vigeva a Reichenau4. II primo testo racconta la favolosa storia della ‚Hydria‘, cioè d’una brocca utilizzata durante le nozze di Cana, che sarebbe stata portata all’abbazia da un certo Simeone, greco e contemporaneo di Carlomagno; il secondo narra le vicende d’una croce contenente una goccia del sangue di Cristo. Questi racconti, incluso quello che riguarda le reliquie di s. Marco, hanno in comune una certa atmosfera esotica e uno scenario nel quale la Terrasanta, l’Oriente bizantino e, naturalmente, l’Italia come punto d’incontro tra la civiltà orientale e l’occidente occupano una posizione di prim’ordine. S’intende che in questo contesto a Venezia spetta un ruolo da pivot privilegiato. Lo sfondo ideologico comune a questi testi mi sembra individuabile nel desiderio di stabilire tramite le reliquie un contatto diretto, quasi fisico, con l’umanità storica del Salvatore e con la terra che i suoi piedi hanno calpestato. Donde la svolta ad Oriente – da osservare anche altrove in epoca carolingia e ottoniana, – verso un tipo particolare di reliquie che sembrano garantire questo contatto (nel vero senso della parola): oggetti che Cristo ha toccato con le sue stesse mani per operare un miracolo (l’idria) o persino una goccia del suo stesso sangue, ma anche il corpo d’un evangelista, discepolo del principe degli apostoli. È stato osservato che la mancanza di reliquie d’un santo fondatore – come ad s. Gallo per l’omonima abbazia poco distante da Reichenau – potrebbe avere spinto i monaci dell’Augia dives a colmare questo vuoto per mezzo di tali importazioni prestigiose5. Ma torniamo al racconto marciano del codice Aug. LXXXIV. Esso ci narra che Ratoldo, vescovo di Verona sin dal 799 e, come il suo predecessore Eginone, di nobile origine alemanna, cioè proprio della zona di Reichenau6, volendo adornare di reliquie una chiesa che aveva fondato vicino al monastero
4 Theodor Klüppel, Reichenauer Hagiographie cit., pp. 106–140; cfr. anche Walter Berschin, Eremus et Insula. St. Gallen und die Reichenau im Mittelalter. Modell einer lateinischen Literaturlandschaft, Wiesbaden 1987, pp. 28s. 5 Anselm Manser e Konrad Beyerle, Aus dem liturgischen Leben der Reichenau, in: Die Kultur der Abtei Reichenau, a cura di Konrad Beyerle, München 1925, I, pp. 316– 437, specialmente pp. 343–345. Cfr. anche Walter Berschin, Eremus et Insula cit., p. 27. 6 Per Eginone si dispone adesso dell’articolo di Eduard Hlawitschka, in Dizionario Biografico degli Italiani, XLII, Roma 1993, pp. 353–356, dove è menzionato anche Ratoldo. Per Ratoldo e la sua carriera ecclesiatica e al contempo politica nell’ambiente carolingio si veda Josef Fleckenstein, Die Hofkapelle der deutschen Könige, Stuttgart 1959, I, pp. 65, 105 e 113.
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(l’attuale Radolfzell, ad ovest del lago di Costanza), s’incontrò con un ricco veneziano con il quale strinse amicizia. Il veneziano gli avrebbe promesso di procurare, a un prezzo adeguato, quanto Ratoldo desiderava, e gli inviò, in effetti un anno più tardi, il corpo di s. Marco („pretiosissimum corpus beati Marci evangelistae“). Ne attestò la veridicità tramite giuramento e mediante la prova del fuoco e del paiolo. Ratoldo tuttavia dovette promettere di celare la vera identità del santo che poi sarebbe stato depositato, nell’anno 830, nell’abbazia di Reichenau sotto il nome di Valente, mentre a Radolfzell furono portate reliquie dei santi Senesio e Teoponto ottenute a Treviso. La rivelazione dell’identità dell’evangelista sarebbe avvenuta soltanto più tardi, in seguito a vari miracoli operati da s. Marco (un po’ indispettito, a quanto pare, dal suo anonimato). Il culto marciano fu poi ufficialmente riconosciuto dal vescovo Nottingo di Costanza intorno al 930. Dopo il riassunto di questa storia – non priva di qualche nota bizzarra, a dire il vero, – resta da dire che Marco venne in seguito aggiunto alla Vergine Maria come secondo patrono dell’abbazia, e che, negli anni 1304–1305, la reliquia fu collocata in un prezioso scrigno7, tuttora in uso in occasione della solenne processione attraverso l’isola nel giorno della festa marciana (25 aprile). Al di là delle sfumature leggendarie, storicamente v’è da registrare che senza dubbio a Reichenau nei primi decenni del secolo X, se non prima, nasce una venerazione particolare per l’evangelista Marco. Ne troviamo del resto un’interessante conferma esaminando lo splendido sacramentario del IX secolo, scritto nella zona del lago di Costanza e destinato certamente all’uso di Reichenau8. Questo codice, che fino all’inverno 1992/93 apparteneva alla Hofbibliothek di Donaueschingen 7 Jakob Eschweiler, Der Markusschrein der Reichenau, in: Pantheon 31 (1943), pp. 134–141; Hans-Jörgen Heuser, Oberrheinische Goldschmiedekunst im Hochmittelalter, Berlin 1974, pp. 162–164 (n. 61) e figg. 366–400. 8 Cfr. Jean Deshusses, Le Sacramentaire Grégorien. Ses principales formes d’après les plus anciens manuscrits (Spicilegium Friburgense 16), Fribourg 1971, I, p. 36 (sigla C2). La datazione („vers le 3e quart du IXe siècle“) andrà probabilmente un po’ corretta. Il codice sembra essere stato scritto già prima dell’anno 850. La localizzazione esatta – o San Gallo o Reichenau – è rimasta finora in bilico. La destinazione reichenauiana risulta communque chiara dalla menzione della Vergine Maria come patrona del monastero nella messa per la comunità. (ibidem, II, nn. 2255–2259, sigla C). Cfr. adesso Das Sakramentar der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek: Cod. Don. 191, hrsg. von Herrad Spilling (Patrimonia 85), Berlin 1996 (con contributi di Herrad Spilling, Katharina Bierbrauer e Felix Heinzer), con ulteriori precisioni per la datazione e localizzazione. [Vgl. auch in diesem Band, S. 32–63].
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(ms. 191 di quella collezione) e che dopo la vendita dei manoscritti di Donaueschingen allo stato di Baden-Württemberg passò alla Württembergische Landesbibliothek di Stuttgart9, presenta infatti tra le aggiunte del IX–X secolo le tre orazioni e il prefazio della messa di s. Marco10. I testi, scritti da una mano della seconda metà del X secolo, si trovano sulla prima pagina (rimasta vuota) del corpo originale del sacramentario (oggi f. 5r). C’è da notare che le formule si distinguono sia da quelle in uso a Venezia (si veda più sotto), sia da quelle che entreranno nel messale romano11. Si riscontrano in un sacramentario di SaintAmand12, copiato per Saint-Germain-des-Près nel secolo IX, nonché in un sacramentario di Colonia (Gamber, Codices liturgici latini antiquiores, n. 746) e nel famoso sacramentario di Fulda datato ca. 975 (ibidem, n. 970). Una spiegazione di queste concordanze per ora non sembra possibile. Reichenau diventa dunque un focolare importante del culto marciano a nord delle Alpi, forse il più importante dopo Venezia. Ed è evidente che lo diventi proprio sotto l’impulso del culto di s. Marco a Venezia. Recentemente due studiosi tedeschi, Regina Dennig-Zettler e Alfons Zettler, hanno tentato di precisare ulteriormente l’influsso veneziano, cercando di provare che il rapporto tra i due centri non si limita a un certo parallelismo cronologico più o meno casuale, ma ha uno spessore storico molto concreto. Riferisco in questa sede quanto lo stesso Zettler ha esposto a Venezia durante il convegno „San Marco: aspetti storici ed agiografici“ nel 199413. In sostanza della tesi dei due 9 Cfr. Unberechenbare Zinsen. Bewahrtes Kulturgut. Eine Ausstellung der vom Land Baden-Württemberg erworbenen Handschriften der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek, a cura di Felix Heinzer, Stuttgart, 1993, n. 3 (Herrad Spilling). 10 Deus qui nobis per ministerium beati Marci evangelistae, Hanc domine quaesumus oblationem, Pasti cibo spiritualis alimoniae nonché il prefazio Et nos te iugiter conlaudare (Jean Deshusses, Le Sacramentaire grégorien cit., II, nn. 3489–3492). 11 Pierre Bruylants, les Oraisons du Missel Romain, Louvain 1952, I, p. 94 (n. 246). I testi si trovano già in sacramentari carolingi (cfr. Jean Deshusses, Le Sacamentaire grégorien cit., II, nn. 3493–3495). 12 Jean Deshusses, Le Sacramentaire grégorien cit., II, p. 22 (T3 = Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 2291); III, Fribourg 1982, pp. 39–41. 13 Regina Dennig-Zettler e Alfons Zettler, La traslazione di San Marco a Venezia e a Reichenau, in: San Marco. Aspetti storici ed agiografici. Atti del Convegno internazionale di Studi Venezia 26–29 aprile 1994, a cura di Antonio Niero, Venezia 1996, pp. 689–709 (cfr. anche Regina Dennig-Zettler e Alfons Zettler, Der Evangelist Markus in Venedig und in Reichenau, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 144 [1996], pp. 19–46). Si veda inoltre Alfons Zettler, Die politischen Dimensionen des Markuskults im hochmittelalterlichen Venedig, in: Politik und Heiligenverehrung, a cura di Jürgen Petersohn, Sigmaringen 1994, pp, 541–571, specialmente p. 548 nota 29.
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studiosi è la seguente: la storia politica delle relazioni createsi in epoca carolingia tra Venezia e il regno dei Franchi sembra offrire un’interessante spiegazione di come si è giunti al curioso acquisto della reliquia marciana a Reichenau. Va ricordato in questo contesto il grande peso politico che l’abbazia aveva saputo conquistarsi in questo periodo. Basti menzionare il ruolo importante degli abati Gualdo ed Eittone come consiglieri di Pipino e Carlomagno. Eittone fu tra l’altro incaricato da Carlomagno nell’811 d’una missione diplomatica a Bisanzio (per il viaggio navale si imbarcò naturalmente a Venezia). Ricordiamo inoltre che due dei più influenti vescovi franchi delle Venezie, i già menzionati Eginone e Ratoldo vescovi di Verona, provenivano proprio dai pressi di Reichenau e vi trascorsero gli ultimi anni della loro vita. Non sembra quindi esagerato considerare l’abbazia del lago di Costanza come perno fondamentale della politica italiana e bizantina dei Carolingi14. Se torniamo con lo sguardo a Venezia, c’è da rilevare un fatto interessante, ma poco notato finora nella discussione sulle tematiche marciane: l’esilio transalpino nel 830–831 del doge Giovanni Partecipazio, fratello e successore del doge Giustiniano che nell’829 aveva preso in custodia e depositato nel suo palazzo il corpo del santo trafugato dall’Egitto. Giovanni dovette fuggire da Venezia a causa d’una rivolta organizzata dall’ex doge Obelerio di Malamocco15. Secondo la cronaca veneziana di Giovanni Diacono, il doge si rifugiò nel regno dei Franchi, ad Carolum regem16, un’espressione che andrà interpretata: presso la corte di Lodovico il Pio17. I Zettler ora sostengono che la fuga del doge fu progettata e organizzata proprio da Ratoldo di Verona. Questa ipotesi sembra poggiare su argomenti molto validi: Ratoldo, come del resto Reichenau, stava dalla parte di Lodovico e di suo figlio Carlo
14 Si ricordino a questo proposito anche le varie tracce italiane nel famoso libro di confraternità di Reichenau. Cfr. Hubert Houben, Benevent und Reichenau: Süditalienisch-Alemannische Kontakte in der Karolingerzeit, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 63 (1983), pp. 1–19, che tratta anche dei rapporti dell’abbazia con la zona veneta. 15 Cfr. Roberto Cessi, Venezia ducale, Venezia 1963, I, pp. 203ss. 16 Cronaca Veneziana, a cura di Giovanni Monticolo, in: Cronache veneziane antichissime, Roma 1890, p. 111. 17 A Carlo il Calvo, ancora minorenne in quel momento, era stata assegnata una parte del regno carolingio sottratta a Lotario. Ne scaturì un serio dissenso tra Lotario, da una parte, e Lodovico il Pio con il figlio Carlo, dall’altra. Cfr. ad esempio Jörg Jarnut, Ludwig der Fromme, Lothar I. und das Regnum Italiae, in: Charlemagne’s Heir. New perspectives on the reign of Louis the Pious (814–840), a cura di Peter Godman e Roger Collins, Oxford 1990, pp. 349ss.
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nel dissenso tra Lotario e Lodovico, anzi era uno degli esponenti più importanti della politica italiana favorevole a quest’ultimo18. Sembra quindi molto probabile che Ratoldo abbia rappresentato, per il doge minacciato e bisognoso d’aiuto, il punto di riferimento più scontato e quasi d’obbligo per ottenere la protezione dell’imperatore franco e per organizzare il trasferimento oltralpe. Nella precaria situazione in cui Giovanni si trovò, potrebbe perfino esser stato costretto a offrire la preziosa reliquia dell’evangelista, appena arrivata a Venezia, o almeno parte di essa, per compensare l’impegno del vescovo veronese. Questo sarebbe – secondo i due studiosi tedeschi – il nucleo storico del racconto dei Miracula s. Marci in Augia. Va ricordato in questo contesto che nello stesso monastero di Reichenau esisteva una tradizione che attribuisce la dignità dogale al ricco commerciante veneziano dei Miracula. Essa risale almeno al secolo XI: infatti Erimanno di Reichenau (Hermannus Contractus), nella sua cronaca scritta circa un secolo dopo i Miracula, scrive che Ratoldo avrebbe chiesto il corpo di s. Marco al doge di Venezia („a duce Venetiae impetravit“)19. Mi sta a cuore sottolineare che, se presento questa tesi, non intendo assolutamente aprire un dibattito (poco fruttuoso, mi sembra) sulla falsariga di un’opposizione tra Venezia e Reichenau per quanto riguarda l’autenticità della (presunta) reliquia marciana venerata in due luoghi diversi. Dal punto di vista storico sembra invece più importante la constatazione che il racconto reichenauiano – e il culto che esso spiega e ‚giustifica‘ – non sarebbero concepibili senza la tradizione veneziana. Vale a dire se a Reichenau nel Medioevo si venera s. Marco, pretendendo addirittura di possederne il corpo, questo culto non è altro che riflesso e conferma del culto veneziano e dà la misura del suo notevole potenziale d’irradiazione. L’importanza della tesi zettleriana mi sembra 18 Negli Annales Bertiniani egli è menzionato al primo posto fra coloro che „fedeles erant domno imperatori in Italia“ (MGH Scriptores 1, Hannover 1826, p. 428). 19 MGH Scriptores 5, Hannover, 1844, p. 103. Cfr. anche Theodor Klüppel, Reichenauer Hagiographie cit., p. 97 n. 350. La chiosa quattrocentesca duce Venetia nel margine dell’Aug. LXXXIV (f. 139r) non rappresenta una tradizione indipendente, poiché risulta scritta dalla mano di Gallus Öhem, storiografo quattrocentesco di Reichenau. Öhem, utilizzando sia il manoscritto dei Miracula (Aug. LXXXIV appunto) sia il manuscritto reichenauiano dela cronaca di Erimanno lo Storpio (Aug. CLXXV), si è annotato in margine al testo della legenda marciana quanto aveva letto in Erimanno. Per I’identificazione della mano personale di Öhem, nonché per il suo uso di manoscritti della biblioteca di Reichenau, cfr. Felix Heinzer, Die Reichenauer Inkunabeln der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe, in: Bibliothek und Wissenschaft 22 (1988), pp. 1–132: 32–37.
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stia proprio nel fatto che essa consente di precisare meglio le circostanze di questa irradiazione e i canali politico-diplomatici attraverso i quali essa probabilmente è avvenuta. Se nell’830 sia stato veramente trasferito a Reichenau – integralmente o in parte – l’oggetto materiale del nuovo culto, quella reliquia cioè che a Venezia si riteneva fosse il corpo dell’evangelista, resta una questione aperta e, a mio avviso, insolubile sul piano del discorso storico-critico; e questo, in fondo, non modifica sostanzialmente il fatto dell’esportazione del culto come tale.
II Se abbiamo potuto rilevare un intimo collegamento tra Venezia e Reichenau per la fase iniziale del culto di s. Marco, non si può dire altrettanto per lo sviluppo ch’esso ebbe in séguito in questi due focolari marciani, anche se la visita che il cardinale Marco Barbo, patriarca di Aquileia, fece nel 1474 a Reichenau – facendosi mostrare la famosa biblioteca e le reliquie, in modo particolare (presertim) lo scrigno di s. Marco20, – prova che a quell’epoca a Venezia si prendeva per lo meno atto dell’esistenza di quest’altra tradizione marciana in territorio transalpino. La presenza nella Biblioteca Marciana d’un codice del XII secolo dei Miracula s. Marci in Augia, segnalata dalla Dennig-Zettler21, sembrerebbe portare nella stessa direzione. Comunque sia, a parte queste testimonianze piuttosto isolate, nell’alto e basso Medioevo non si riscontrano indici di contatto e ancor meno di contaminazione fra le manifestazioni del culto marciano nei due centri. Questa constatazione vale innanzitutto per la liturgia (il caso particolare dell’inno Festum beati martyris, di cui ci dovremo occupare più avanti, sembra essere l’unica eccezione). Parlare della liturgia della chiesa ducale di Venezia ormai, dopo la magistrale presentazione offertaci da Giulio Cattin22, vuol dire più che altro aggiungere qualche annotazione e magari piccoli ritocchi a un quadro bell’e fatto. Per Reichenau il discorso è molto diverso, come
20 Franz Joseph Mone, Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, Karlsruhe 1848, I, p. 238. Anche questo testo si trova, come aggiunta, nell’importante codice agiografico Aug. LXXXIV. 21 Regina Dennig-Zettler e Alfons Zettler, La traslazione di San Marco a Venezia cit., nota 13. 22 Giulio Cattin, Musica e liturgia a San Marco, voll. 4, Venezia, 1990–1992.
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vedremo. Per quanto riguarda dunque la liturgia marciana di Venezia mi limiterò a un paio di brevi cenni. Se vedo bene, a Venezia emerge un certo divario tra il livello dei testi liturgici (non della solennità e dell’apparato delle celebrazioni!) e l’immenso significato politico del culto marciano. Per l’ufficio del patrono, Cattin ha rilevato ch’esso „non è una creazione originale, come era lecito attendersi nella chiesa ducale a lui dedicata“23, e ne ha sottolineato il carattere composito, per non dire eclettico. Rimane incerta anche la datazione (i primi testimoni manoscritti sono del XIII secolo)24. Per la messa mi limito a segnalare che il corpo delle tre orazioni che riscontriamo nei codici marciani, si ritrova non solo in alcuni manoscritti del secolo XI di origine beneventana – il messale di Baltimore (ms. 6 della Walters Art Gallery) e l’Ottoboniano 145 della Vaticana (solo il primo testo)25 – ma altresi nel noto sacramentario ambrosiano di Ariberto, arcivescovo di Milano, e nell’appendice del sacramentario di Biasca26. Ripeto che il corpo di queste orazioni, di cui la prima è particolarmente interessante (Deus qui hunc diem beati Marci evangelistae, Hanc in conspectu divinae, Inenarrabilis sacramenti dulcedine), non concorda con i testi reichenauiani né con quella tradizione sacramentaria che confluisce più tardi nel Missale Romanum. È solo coincidenza casuale se troviamo qui le stesse concordanze che Cattin ha rilevato per la liturgia delle ore27, cioè le testimonianze parallele nell’area beneventana e in quella della metropoli di Milano?
ibidem, III, pp. 110. Per il testo dell’ufficio e la discussione dell’aspetto musicale, cfr. ibidem, III, pp. 110 s., 259–263 e 3*–18*, nonché Ritva Jacobsson, Sur la tradition liturgique locale dans la basilique de San Marco. L’Office vénitien de Saint Marc l’évangeliste, in: Giulio Cattin (ed.), Da Bisanzio a S. Marco. Musica e liturgia (Quaderni di Musica e Storia 2), Bologna e Venezia 1997, pp. 111–136. 25 Klaus Gamber, Codices liturgici latini antiquiores (Spicilegii Friburgensis Subsidia 1), Fribourg 19682, nn. 445 e 465a. Cfr. Sieghild Rehle, Missale Beneventanum von Canosa, Regensburg, 1972, p. 122 nn. 461–463; Klaus Gamber e Sieghild Rehle, Manuale Casinense. Cod. Ottob. lat. 145, Regensburg, 1977, p. 125 n. 348. 26 Il sacramentario di Ariberto, a cura di Angelo Paredi, in Miscellanea Adriano Bernareggi (Monumenta Bergomensia, 1), Bergamo 1958, nn. 664, 666, 668; Corpus ambrosianum liturgicum, II: Das ambrosianische Sakramentar von Biasca, ed. Odilo Heiming, Münster 1969, nn. 1431s., 1434. 27 Giulio Cattin, Musica e liturgia cit., III, pp. 110s., rileva da una parte un gruppo di testi e melodie che „ricorre uguale nell’ufficio di s. Siro, vescovo di Pavia“, e dall’altra una serie di pezzi testimoniati, a quanto sembra, dal solo antifonario monastico, ms. 21 della Biblioteca Capitolare di Benevento, attribuito da Hesbert nel CAO al monastero beneventano di San Lupo. Un’indagine più vasta delle fonti potrebbe forse chiarire se 23 24
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Il repertorio di Reichenau per la celebrazione liturgica di s. Marco è molto meno noto di quello veneziano, almeno per quanto riguarda la liturgia delle ore. I canti della messa, specialmente il tropo Conveniunt sancto (AH 49, n. 283) e le due sequenze Gaudeant cunctae e Sancti martyris festum (AH 34, n. 274 e AH 53, n. 178), trasmessi nel famoso tropariosequenziario di Bamberg, ms. Lit. 5, scritto nel 1001–100228, sono almeno in parte pubblicati, mentre l’ufficio è praticamente sconosciuto, anche perché si nasconde in aggiunte cinquecentesche d’un paio di codici di Karlsruhe. Questa testimonianza tardiva potrebbe trarre in inganno circa l’età dei testi, che in verità molto probabilmente sono della prima metà del secolo XI. Fanno parte dell’aggiornamento di codici portati da Zwiefalten a Reichenau nel bagaglio d’un gruppo di monaci chiamati nel 1516 a rianimare la vita monastica praticamente decaduta sull’isola29. I monaci zwiefaltensi sotto la guida del loro priore erano ansiosi di celebrare la liturgia nel loro nuovo domicilio secondo la tradizione che vi era stata in vigore nei secoli precedenti. Questa premura è particolarmente evidente nel noto antifonario Aug. LX30. In questo codice databile intorno al 1160, sulla cui origine gli specialisti hanno spesso discusso, ma ormai definitivamente ancorato a Zwiefalten, è stato inserito nella parte del santorale tutto un fascicolo con una serie d’uffici che potremmo definire il „Proprio reichenauiano“ e che sostituiscono i testi zwiefaltensi (cioè in fondo hirsaugiensi)31, oppure introducono santi non celebrati del tutto a Zwiefalten32. Fra queste aggiunte troviamo anche l’ufficio in onore di s. Marco. Purtroppo questo fascicolo è privo di si tratti veramente di concordanze esclusive o se questa impressione sia dovuta soltanto a una nostra conoscenza non ancora completa della tradizione manoscritta. 28 Cfr. Klaus Gamber, Codices liturgici latini antiquiores cit., n. 1372, e Hartmut Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, Textbd., Stuttgart 1986, pp. 311s. Per il profilo particolare dei tropi propri a Reichenau trasmessi in questo manoscritto si vedano le osservazioni interessanti di Ritva Jacobsson, Contribution à la géographie des Saints, in: La tradizione dei tropi liturgici, a cura di Claudio Leonardi e Enrico Menestò, Spoleto 1990, pp. 145–182: 153–167. 29 Cfr. Felix Heinzer, Reichenauer Inkunabeln cit., pp. 11s. 30 Alfred Holder, Die Reichenauer Handschriften cit., pp. 195–202. Per una più esatta datazione e localizzazione cfr. ora Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek. 1: Provenienz Zwiefalten, bearb. von Sigrid von BorriesSchulten, mit einem paläogr. Beitr. von Herrad Spilling, Stuttgart 1987, pp. 131–135 (Anhang 2). 31 Cfr. Felix Heinzer, Der Hirsauer ‚Liber ordinariuis‘, in: Revue Bénédictine“ 102 (1992), pp. 309–347 (menzione di Aug. LX, p. 316 [in diesem Band, S. 185–223]). 32 Questo fascicolo comprende i fogli da 106 a 143 ed è stato scritto dalla mano del
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notazione (eccezion fatta per due antifone particolarmente solenni da cantare nei Vespri durante l’ottava di s. Marco)33 inoltre sembra perduto l’esemplare dal quale questo fascicolo è stato copiato. La tesi di un’origine molto più antica dei testi marciani poggia tuttavia su una base abbastanza solida. Sembrano convalidare quest’ipotesi non soltanto il fatto che la maggior parte dei testi contenuti in questo corpo è assegnabile con certezza al secolo XI (tra l’altro, v’è anche l’ufficio per la festa di s. Meghinrado, attributo a Bernone di Reichenau34), ma anche i criteri interni, stilistici e lessicali. Vi si ritrova pure l’antica orazione Deus qui nobis per ministerium, beati Marci, inserita nel secolo X nel sacramentario carolingio di Reichenau (si veda sopra, alla nota 10). C’è da segnalare inoltre che il corpo del 12° responsorio corrisponde esattamente all’ottava strofa dell’inno Festum beati martyris (AH 51, n. 173), di cui riparleremo e che senza dubbio è stato creato a Reichenau. D’altronde, il testo dell’inno è intimamente legato alle due sequenze appena menzionate. Si confrontino, ad esempio, le strofe 4 e 5 delle sequenze con la strofa 2 dell’inno: Inno AH 51, n. 173 Hunc in quaternis vultibus Propheta quondam providus Signavit, hunc notarium Mysteriarches inclitum
Sequenza AH 34, n. 274 4a Quem propheta vidit futurorum praescius 4b Quattuor vultum animalium unum 5a Iohannes quem virgo mysteriarches 5b Caelestium scripserat esse leonem
Sequenza AH 53, n. 178 4 Istum in animalibus quattuor Ezechiel propheta quondam sacer prospexerat praefiguratum 5 Hunc cernit spiritalibus oculis praesignatum Iohannes leonis in effigie mysteriarches
priore dei monaci venuti da Zwiefalten, Gregor Dietz, le cui tracce si riscontrano anche in altri codici reichenauiani. 33 Marce decus Germaniae Augiensium gloria […] (da qui la citazione scelta per il titolo di questo intervento) e Ave gemma Augiensium salus navigantium […], ed. Franz J. Mone (Lateinische Hymnen des Mittelalters, 3), Freiburg i. Br. 1855, p. 140. Sarei portato a vederci delle aggiunte più recenti (XIV secolo?) al corpo genuino dell’ufficio, che per altro sembrano ispirarsi nel loro vocabolario all’innologia mariana (soprattutto l’antifona Ave gemma: cfr. ad esempio AH 32, nn. 37 e 38 oppure, per la finale, AH 20, n. 229). 34 Heinrich Huschen, Bern (Berno) von Reichenau, in Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Berlin-New York2, 1978, I, coll. 737–747:742; più critica, adesso, Waltraud Götz, Drei Heiligenoffizien in Reichenauer Überlieferung, Frankfurt a. M. 2002, Bd. 1, S. 50–71.
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Un altro accostamento riguarda la settima strofa dell’inno con le strofe 2 e 3 di AH 34, n. 274: Inno (AH 51, n. 173) 7 Laetare, felix Augia Honore tanto praedita Sinu locatum confovens Caelo patronum quem tenes
Sequenza (AH 34, n. 274) 2b Laetetur istis sed maxime Augia sollemnis 3a Quae sanctum suo evangelistam 3b Meruit sinu Marcum fovere
Sembra quindi che ci troviamo di fronte a un insieme di testi (e melodie) per la liturgia marciana – l’inno, le due sequenze e probabilmente anche il tropo Conveniunt – creato per Reichenau e quasi certamente nell’abbazia stessa, e si potrebbe essere tentati di aggiungervi pure l’ufficio in onore dell’evangelista, anche se a proposito dell’ufficio sussistono alcuni dubbi. Mentre infatti per le sequenze e il tropo disponiamo d’un preciso terminus ante quem, costituito dalla datazione del manoscritto Lit. 5 di Bamberg (1001–1002), che è l’epoca nella quale Bernone non si trovava ancora a Reichenau35 per l’ufficio sarei tentato di rilevare dei punti di collegamento proprio con Bernone, e cioè con uffici composti da lui36 e di datare quindi anche l’ufficio marciano a un periodo posteriore al suo arrivo a Reichenau. Dovremmo pertanto, se vedo correttamente, distinguere l’ufficio – da assegnare all’epoca di Bernone, se non proprio a lui – e il complesso inno-sequenze-tropo, composto verso la fine del X secolo, forse all’epoca di Witigowone, abate dal 985 al 997, il quale fece ristrutturare la chiesa abbaziale, specialmente il coro dedicato a s. Marco, trasferendo la reliquia dell’evangelista sull’altare della santa Croce nella navata centrale37. Si potrebbe in effetti ipotizzare che questi lavori, terminati nel Vi venne chiamato da Prüm nel 1008. Anche se si tratta di formulazioni piuttosto generiche. Eccone qualche esempio. Ant. ad Magnificat per s. Marco: Beata martiris Marci evangelistae veneranda nobis adest festivitas […], in qua […] victoriae coronam accipere meruit […]. Ant. ad Magnificat per s. Meghinrado: […] beati Meginradi dies adest natalicius, in quo […] aeternae gloriae consecutus est coronam […]. Resp. VII de s. Marco: […] et talento sibi tradito iam centuplicato in universo mundo. Resp. IV de s. Udalrico: […] ut talentum sibi creditum Domino reportaret duplicatum. 37 Emil Reisser, Die frühe Baugeschichte des Münsters zu Reichenau, hrsg. von Hans Erich Kubach, Berlin 1960, pp. 8ss. e 72ss.; Wolfgang Erdmann e Alfons Zettler, Zur karolingischen und ottonischen Baugeschichte des Marienmünsters zu Reichenau 35 36
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993, possano aver favorito la creazione d’una serie di testi liturgici nuovi per la festa del 25 aprile. L’ufficio invece che, come abbiamo visto, cita uno dei testi del primo nucleo (l’inno)38, sarebbe stato composto nei primi decenni del secolo XI. L’insieme liturgia marciana di questi testi reichenauiani si presenta comunque abbastanza omogeneo e coerente, e in questo si differenzia sensibilmente dalla situazione veneziana. Questo fatto riflette forse il differente carattere dei due centri che influisce non solo sulla funzione del culto e della celebrazione liturgica, ma anche sulla creazione del repertorio dei testi e della musica. Una grande abbazia benedettina come Reichenau, idealmente autosufficiente e quindi più introversa, tenderà, quasi per vocazione, all’autonomia spirituale e liturgica, mentre una chiesa ‚statale‘ come la cappella ducale destinata, nella sua funzione eminentemente pubblica, al servizio d’un sistema politico di respiro diplomatico e commerciale internazionale, sarà di per sé molto più aperta allo scambio e all’assimilazione di stimoli culturali estranei, anche in campo liturgico.
III Abbiamo parlato di sviluppo indipendente delle tradizioni liturgiche marciane a Venezia e a Reichenau, e della diversità dei repertori liturgici che vi si sono formati. È peraltro possibile individuare almeno un elemento comune (o quasi) alla liturgia dei due centri. Si tratta, come ho accennato all’inizio, dell’inno Festum beati martyris, appena discusso nei suoi rapporti con le sequenze marciane di Reichenau (cfr. pp. 74–75). Possiamo infatti constatare un movimento di migrazione, finora rimasto inosservato, di questo pezzo liturgico da Reichenau a Venezia. È possibile mettere a fuoco le tappe di questo percorso e le trasformazioni che l’inno ha in esse subito? Il punto di partenza è chiaro, sia per la localizzazione, sia per la datazione. Festum beati martyris nasce a Reichenau attorno all’anno 1000,
Mittelzell, in Die Abtei Reichenau. Neue Beiträge zur Geschichte und Kultur des Inselklosters, ed. Helmut Maurer, Sigmaringen 1974, pp. 481–522: 515. 38 Oltre al responsorio 12 che riprende testualmente la strofa 8 di AH 51, n. 173, c’è da segnalare anche il responsorio 11 che riflette, seppur in maniera più libera, la strofa 7 dell’inno.
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forse un po’ prima39. Tuttavia il più antico testimone che attualmente lo attesta non è reichenauiano. Si tratta d’un manoscritto originario di Kempten – interessante testimonianza dell’irradiazione del culto marciano centrato a Reichenau – e utilizzato più tardi a Rheinau: il ms. Rheinau 83 della Zentralbibliothek di Zurigo, redatto agli inizi del secolo XI40. II termine del percorso è Venezia, dove l’inno, ritoccato in alcuni punti, approda in un’epoca che finora non possiamo precisare. Festum sancti apostoli (cosi comincia ora la creazione dei benedettini di Reichenau) è pubblicato nel vol. XXII degli Analecta Hymnica (n. 293) da un codice del XVI secolo, e Cattin lo cita avendolo riscontrato nell’Orazionale marciano del 1567, un’altra fonte cinquecentesca dunque41. La data dell’introduzione dell’inno, che fu usato per le Lodi nella chiesa ducale, è molto probabilmente più remota, ma a causa della mancanza di testimonianze precise non è possibile verificare tale ipotesi. Possiamo tuttavia individuare l’anello intermedio tra Reichenau e Venezia nel cosiddetto „innario umbro-romano“. Quest’importante raccolta, costituitasi gradatamente a partire dal X secolo, ci è giunta principalmente in due codici databili intorno all’anno 1050; sono i mss. Vaticano lat. 7172 e Par. lat. 1092. Da parecchio tempo quest’innario ha destato l’attenzione degli studiosi, ed è interessante seguire il cammino dei due codici nell’erudizione moderna, dal momento ch’esso non è privo di qualche curiosità, come ha dimostrato recentemente Claudio Leonardi42. Mentre Ozanam, Dreves (in AH 14) e altri si erano dichiarati per un’origine dei manoscritti, e quindi dell’innario in essi tràdito, dal monastero di S. Severino di Napoli, altri – specialmente Maurice in un articolo del 1899 – avevano spostato l’attenzione verso l’Italia centrale, più precisamente verso Narni nell’Umbria, anche se il Maurice s’era pronunciato per un’origine dei codici da un ambiente romano, molto probabilmente dal Laterano, dove sarebbero stati eseguiti per l’uso di Narni43. Recenti indagini paleografiche, specialmente ad opera di Paola 39
Rinvio alla seconda parte di questo studio. Leo Cunibert Mohlberg, Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich, I: Mittelalterliche Handschriften, Zürich 1952, pp. 196s.; James Mearns, Early Latin Hymnaries. An Index of Hymns in Hymnaries before 1100 with an Appendix from later Sources, Cambridge 1913, p. XVII. 41 Giulio Cattin, Musica e liturgia cit., II, p. 246. 42 Claudio Leonardi, S. Gregorio di Spoleto e l’innario umbro-romano dei codici Par. lat. 1092 e Vat. lat. 7172, in: Lateinische Dichtungen des X. und XI. Jahrhunderts. Festgabe für Walther Bulst zum 80. Geburtstag, Heidelberg 1981, pp. 129–148. 43 Ernesto Maurice, Intorno alla collezione d’Inni sacri contenuta nei manoscritti 40
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Supino Martini44, sembrano rinvigorire l’ipotesi narniana. L’espressione „umbro-romano“ rende comunque abbastanza bene lo status quaestionis: L’impossibilità cioè d’una localizzazione ben precisa della raccolta, la quale appare diffusa in un’area abbastanza vasta45, centrata originariamente su Roma, bacino collettore e centro di diffusione par excellence. Restano da studiare le vie di trasmissione (e di trasformazione) tra Reichenau, il territorio romano e Venezia. Per quanto riguarda la prima fase possiamo senz’altro indicare il binario di trasferimento: I frequenti contatti di Reichenau con la curia papale nel periodo che qui interessa. Viaggi a Roma degli abati reichenauiani sono infatti piuttosto frequenti attorno all’anno 1000. Comincia proprio in quest’epoca la tradizione che prevede la conferma dei neo-eletti abati di Reichenau da parte del pontefice romano, al quale sono offerti in compenso, come prezzo simbolico di quest’atto, vari doni preziosi, tra i quali anche manoscritti46. Si ricordi anche il viaggio romano di Bernone nel 1014 per assistere all’incoronazione imperiale di Enrico II47. Non mancarono quindi le occasioni per una migrazione del nostro inno in zona romana. Lo spostamento va inserito, in ogni caso, in quell’importante movimento di ritorno liturgico dalla Germania a Roma in epoca ottoniana, che costituisce una fase molto interessante nella storia della liturgia occidentale48. Quando e per quali vie proseguì poi il suo percorso fino a Venezia l’inno reichenauiano, trasformato e riattato alle esigenze del luogo di destinazione? Non lo sappiamo. Considerando le numerose concordanze tra la liturgia della chiesa ducale e il repertorio beneventano segnalate da Cattin, tra l’altro proprio per la celebrazione del patrono Vaticano 7172 e Parigino 1092, in: Archivio della Società Romana di storia patria 22 (1899), pp. 5–23. 44 Paola Supino Martini, Roma e l’area grafica romanesca, Alessandria 1987, pp. 226–231. 45 Da segnalare anche testimoni della zona beneventana come il già menzionato Ottoboniano lat. 145 dell’XI secolo e il duecentesco codice VI G 29 conservato a Napoli e utilizzato anche da Dreves in AH 14. Cfr. Mearns, Early Latin Hymnaries cit., p. 34. 46 Theodor Klauser, Die liturgischen Austauschbeziehungen zwischen der römischen und der fränkisch-deutschen Kirche vom achten bis zum elften Jahrhundert, in „Historisches Jahrbuch“, 53, 1933, pp. 169–189, specialmente pp. 185s. e nota 61. 47 Heinrich Hüschen, Bern (Berno) von Reichenau cit., col. 737; cfr. anche Theodor Klauser, Die liturgischen Austauschbeziehungen, cit., p. 188. 48 Cfr. lo studio di Klauser citato alla nota 46 e i lavori ormai classici di Cyrille Vogel, specialmente le prime pagine della sua Introduction aux sources de l’histoire du culte chrétien au Moyen Âge, Spoleto-Torino 19752.
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veneziano49, e tenendo conto della diffusione dell’innario umbro-romano anche a Benevento, si potrebbe forse ipotizzare una trasmissione di Festum beati martyris / Festum sancti apostoli non diretta dalla zona romana a Venezia, ma seguendo una specie di deviazione attraverso Benevento, anche se Thomas F. Kelly in un’intervento durante un’incontro di studio nel 1994 sulla liturgia di San Marco ha richiamato a una grande prudenza sul tema dei presunti rapporti beneventani. La sinossi dei testi (cf. p. 82) rende comunque abbastanza evidente la concatenazione e i rapporti cronologici tra le tre varie versioni dell’inno. La genealogia non suscita interrogativi. È evidente che la versione veneziana ne è l’ultimo membro. Lo dimostra tra l’altro il fatto che soltanto qui la Germania e l’Augia sono sostituite da Venetiae e civitas, mentre nell’innario umbro-romano i toponimi originali non sono ancora cambiati (cfr. strofe 6 e 7). Che non sia esistita una discendenza immediata del testo veneziano da quello di Reichenau è altrettanto chiaro, e lo si vede fin dalle prime linee: cfr. Laetis canamus vocibus / Odis colamus consonis. La versione di Venezia presuppone ovviamente quella dell’innario umbro-romano come anello intermedio, come si può vedere anche nel secondo verso della seconda strofa (propheta providus – propheta praescius), nella quinta strofa (soprattutto all’inizio: Spargens anhelanter sacra – Spargendo plebi lucida) oppure in quella seguente (sacrato corpore – sacratis artubus), tanto per citare solo alcuni esempi. Un caso particolarmente interessante rappresenta la seconda strofa (la terza cioè a Venezia), specialmente l’espressione grecizzante mysteriarches dell’ultimo verso. Mysteriarches, che si trova in Prudenzio e in qualche altro autore cristiano, ma che tutto sommato è piuttosto raro, occupa qui una posizione parallela a propheta, fungendo assieme a questa parola da soggetto a signavit. La frase abbastanza sofisticata gioca sul simbolismo del tetramorfo di Ezechiele (cap. 10) e dei quattro esseri dell’Apocalisse (cap. 4) con il leone come segno di s. Marco, chiamato notarius (nel senso di scriba autorevole). Sullo sfondo di questo parallelismo biblico, mysteriarches si riferisce a s. Giovanni come autore dell’Apocalisse, cioè del libro ‚misterioso‘ per definitionem50. Volendo rendere il senso Giulio Cattin, Musica e liturgia cit., I, pp. 39 s.; III, pp. 110s. L’idea d’una particolare qualità mistagogica di s. Giovanni, autore dell’Apocalisse, può vantarsi d’una lunga tradizione. Si trova ad esempio già in un anonimo commento all’Apocalisse scritto in epoca carolingia (PL 100, col. 1098), dove la tromba di Apoc. 1,11 viene interpretata come simbolo di Giovanni, poiché „de summis mysteriis loquitur“. Cfr. ora per quest’argomento Herbert L. Kessler, „Facies bibliothecae revelata“. Carolingian Art as spiritual seeing, in Testo e immagine nell’alto medioevo 49 50
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della strofa, si potrebbe parafrasarla nel modo seguente: questo (cioè s. Marco) nei quattro volti / il prevedente profeta simboleggiò, / e altrettanto fece per quest’autorevole scriba glorioso / l’autore dei misteri (cioè s. Giovanni). Se ci fossero dei dubbi su quest’interpretazione, il confronto con le sequenze li scioglierebbe subito, come abbiamo visto sopra (p. 74). Le loro strofe 4 e 5 girano infatti attorno allo stesso pensiero, ma aggiungono esplicitamente i nomi dei due visionari: Ezechiel propheta e Iohannes (virgo) mysteriarches“. Questo confronto, oltre a confermare la nostra analisi del testo di AH 51, n. 173, ci offre l’occasione di gettare per cosi dire uno sguardo dietro le quinte dell’‚officina innologica‘ di Reichenau. L’innario umbro-romano legge nei manoscritti principali del Vaticano e di Parigi (v. sopra) mysterii archis (l’editore in AH 14 ne fa mysteriarchi seguendo il codice napoletano del XIII secolo). La versione mysterii archis sembra tradurre qualche difficoltà di comprensione di fronte a mysteriarches e in fin dei conti di fronte a tutta la frase un po’ ermetica dell’autore di Festum beati martyris. A Venezia poi, trovando probabilmente mysterii archis, la versione cioè di Vat. lat. 7172 e del suo parente parigino, si arriva a mystica artis (anche se non si capisce più veramente né il senso né la grammatica di questa costruzione Vidit leonis inclita mystica artis formula). Tocchiamo qui con mano un bell’esempio delle peripezie d’un testo nel suo percorso tra regioni e epoche ben diverse.
IV Giunti alla conclusione di questo confronto panoramico, resta il compito di riassumerne i risultati più importanti: 1) il culto marciano dei due centri, Venezia e Reichenau, si sviluppa in modo chiaramente diverso e rispecchia le diverse funzioni della chiesa ducale e dell’abbazia. Esiste però un collegamento iniziale tra i due filoni di culto. Ovviamente la priorità non solo nell’ordine d’importanza ma anche nell’ordine cronologico spetta a Venezia. La translazione da Venezia a Reichenau nell’anno 830, come viene raccontata nei Miracula s. Marci in Augia, sembra avere uno spessore storico più grande di quanto si pensasse finora. Essa comunque presuppone la tradizione cultuale vene(Settimana di Studio del Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo, 41), Spoleto 1994, pp. 533–594: 569–574.
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ziana, e ne è al contempo riflesso e conferma; 2) la liturgia corrispondente al culto marciano si sviluppa, anch’essa, in modo diverso; più compatta e omogenea forse a Reichenau, più eclettica rispetto ai testi, ma in compenso con maggiore solennità e maggiore sfarzo (conforme alla funziona politica) a Venezia. Se generalmente mancano anche in questo campo i punti di contato tra i due centri, c’è pure da constatare un influsso almeno parziale su Venezia da parte di Reichenau: il trasferimento dell’inno Festum beati martyris dall’isola del lago di Costanza a Rialto, la cui esatta cronologia rimane per ora un interrogativo insoluto. Questo fatto costituisce un fenomeno di ritorno cultuale molto interessante, anche se parziale, per non dire minimo, rispetto al grande impulso iniziale che l’abbazia ricevette da Venetia con la traslatione (fittizia o forse almeno parziale, se crediamo alla tesi di Dennig-Zettler) della reliquia marciana. Possiamo dunque constatare una dialettica di processione e ritorno o, se si preferisce un’altra immagine, un movimento di espirazione (a livello lipsanologico) e respirazione (a livello innologico) il quale nel suo ritmo lento, quasi secolare, si presenta con una nota di maestà degna della Serenissima.
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Reichenau ca. 1000 (AH 51, n. 173)
Innario umbro-romano ca. 1050 (AH 14, n. 67)
Venezia (San Marco?) (AH 22, n. 293)
1. Festum beati martyris Evangelistae nobilis, Dignis colentes laudibus Laetis canamus vocibus.
1. Festum beati martyris Odis colamus consonis, Quem misit orbi provida Regis superna gratia.
1. Festum sancti apostoli, Marci beati martyris, Odis colamus consonis Et laudibus innumeris. 2. Quem superna clementia Magna misericordia In orbem misit providam Per Jesu Christi gratiam.
2. Hunc in quaternis vultibus Propheta quondam providus Signavit, hunc notarium Mysteriarches inclitum.
2. Hunc in quaternis vultibus Propheta quondam prescius Vidit leonis inclitam Mysterii archis formulam.
3. Hunc in quaternis vultibus Propheta quondam prescius Vidit leonis inclita Mystica artis formula.
3. Missus superno numine Fines in Alexandriae Christum revelans incolis Ligatur antro carceris.
3. Missus superno munere Terras in Alexandriae, Doctis refulsit incolis Evangelista nobis.
4. Missus superno munere Terram in Alexandriae, Indoctis fulsit incolis Evangelista nobilis.
5. Spargens anhelanter sacra Verbi salubris spermata Christi libens pro nomine Fuso necatur sanguine.
4. Spargendo plebi lucida Verbo salutis spermata Pro regis alti nomine Fit laureatus sanguine.
5. Spargendo plebi lucida Verbi salutis semina, Pro regis alti nomine Fit laureatus sanguine.
6. Cuius benignus et potens, Nostrae saluti consulens, Christus sacrato corpore Compsit solum Germaniae.
5. Cujus sacratis artubus Salutis auctor omnium Cristus moderno tempore Compsit solum Germaniae.
6. Quem sacratis cum artubus Salutis auctor omnium Christus moderno tempore Fecit decus Venetiae.
7. Laetare, felix Augia, Honore tanto praedita, Sinu locatum confovens, Caelo patronum quem tenes.
6. Laetare, felix Augia, Honore tanto praedita, Tuum fovens carum solo, Habes patronum quem polo.
7. Laetare, felix civitas, Decore tanto praedita, Tuum foventem solium Habes praeconem maximum.
8. O Marce, martyr fulgide, Dei potens apostole, Nos Suevienses incolas Pio favore protegas.
7. Te Marce voto supplici Culpis rogamus perditi, Tuis benigne servulis Laxa malum peccaminis
8. Te Marce, voce supplici Culpis rogamus perditi, Tuis benigne servulis Dimitte noxam criminis.
9. Summo patri sit gloria Eiusque proli maxima, Laudetur et paraclitus In sempiterna saecula.
8. Sit trinitati gloria Et laus honoris maxima, Quae dat coronam martyrum Nunc et per omne saeculum.
9. Sit trinitati gloria Et laus honoris maxima, Qui dat coronas testibus Et sempiternum praemium.
4. Salvator optatissimum Hic visitans apostolum Evangelistam dulcius Dictis salutat mitibus.
teil ii HOCHMITTELALTERLICHE BENEDIKTINERREFORM HIRSAU UND SEIN KREIS
BUCHKULTUR UND BIBLIOTHEKSGESCHICHTE HIRSAUS*
Zu den Problemen, mit denen die Hirsauforschung wohl unwiderruflich leben muss, gehört die Tatsache, dass die Quellen zur Bibliotheksgeschichte dieses bedeutenden Reformklosters außerordentlich spärlich fließen. Es fehlen aussagekräftige Kataloge aus mittelalterlicher Zeit, und – was noch weit schwerer wiegt – von den ehemaligen Beständen der Bibliothek sind heute nur noch wenige und zudem vereinzelte Reste greifbar. Aus diesen Bruchstücken, meist Zufallsfunden, das ursprüngliche Bild rekonstruieren zu wollen, erscheint nahezu aussichtslos. Um diesen Negativbefund mit Klaus Schreiner zu formulieren: es fehlen die Voraussetzungen, „um Schreibschule und Bibliothek von Hirsau in sachlich angemessener Weise kenntlich zu machen“.1 Dieses Schicksal teilte Hirsau mit den meisten anderen Klöstern Altwürttembergs, die der Reformation und ihren Folgen zum Opfer fielen.2 Maulbronn, Herrenalb, Bebenhausen, Adelberg, Lorch sind nur einige Namen, die hier genannt werden könnten. Aber wohl nirgendwo erscheint dieses bibliotheksgeschichtliche Defizit so gewichtig wie im Falle Hirsaus als Reformzentrum von überregionaler Ausstrahlung – zumal der grundsätzliche Zusammenhang zwischen monastischen Reformbemühungen und vermehrter Pflege von Wissenschaft und generell von Schriftlichkeit, d. h. auch in besonderem Maß von Buch und Bibliothekswesen,3 sicherlich auch für die Blütezeit Hirsaus Gültigkeit hat. Anders gesagt: * Erstmals publiziert in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2, hrsg. von Klaus Schreiner (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in BadenWürttemberg 10,2), Stuttgart 1991, S. 259–296. 1 Klaus Schreiner, Hirsau, in: Germania Benedictina 5, hrsg. von Franz Quarthal, Augsburg 1975, 281–303, hier 293. 2 Die Situation der Klöster, die über die Reformationszeit hinaus bestehen blieben und erst im Zuge der Säkularisation an Württemberg fielen – etwa Zwiefalten oder Weingarten –, ist in dieser Hinsicht im allgemeinen bedeutend günstiger. 3 Grundsätzliches zu diesem Zusammenhang bei Klaus Schreiner, Erneuerung durch Erinnerung, in: Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hrsg. von Kurt Andermann (Oberrheinische Studien 7), Sigmaringen 1988, 35–87, bes. 47.
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hirsau und sein kreis
es besteht gerade hier eine besonders krasse Diskrepanz zwischen der einstigen Bedeutung der Bibliothek und dem, was davon an Nachrichten und vor allem an Büchern auf uns gekommen ist. So bleibt nur der Weg mühsamer Spurensicherung, das Sammeln von Bruchstücken und indirekten Zeugnissen – in der Hoffnung, einzelne Mosaiksteinchen oder bestenfalls einige Partien des einstigen Gesamtbildes wieder beizubringen. Dabei ist vorab festzustellen, dass der Ertrag dieses Unternehmens für die verschiedenen Epochen Hirsaus recht unterschiedlich ausfällt. Für die erste Phase, die Anfänge des Klosters in karolingischer Zeit,4 über die wir ja insgesamt nur sehr wenig wissen, lässt sich auch bibliotheksgeschichtlich kaum etwas sagen. Die einzigen Spuren, die in diese Zeit weisen könnten, sind einige Makulaturfragmente in Hirsauer Einbänden des 15. und 16. Jahrhunderts.5 Nebst einem kleinen Bruchstück des frühen 9. Jahrhunderts in der Stuttgarter Inkunabel 4° 1167, das Teile der Dialogi des Sulpicius Severus enthält,6 ist vor allem eine Gruppe von Fragmenten einer großformatigen Bibelhandschrift aus der Zeit um 800 zu erwähnen.7 Diese membra disiecta liegen heute in Basel (Univ.-Bibl., Ms. N I 6 no. 52a/b), Darmstadt (Hess. Landesu. Hochschulbibl., Hs. 4204[1], aus einem Frühdruck mit Provenienz Bad Wimpfen herausgelöst), Karlsruhe (Bad. Landesbibl., Hs. Gengenbach 5),8 Stuttgart (Württ. Landesbibl., Inc. 2° 13539 und Misc.2° 128) 4
Zur Diskussion um den Gründungsvorgang s. auch den Beitrag von Stephan Molitor, Ut fetrur sub Pippino rege… Zur karolingerzeitlichen Gründung Hirsaus, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2, hrsg. von Klaus Schreiner (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,2), Stuttgart 1991, 45–54. 5 Ernst Kyriss, Verzierte gotische Einbände im alten deutschen Sprachgebiet, Textbd., Stuttgart 1951, 18 f. (Nr. 14) bietet eine Übersicht der ihm bekannten Bände, zu denen unterdessen einige weitere Stücke hinzugetreten sind. 6 Sulpicii Severi Libri qui supersunt, rec. Carolus Halm (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 1), Wien 1866, S. 192 f. 7 Bischoff, Bernhard, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigothischen), teil 1: Aachen – Lambach, Wiesbaden 1998, S. 67 (zum Basler Blatt, mit Nachweis aller Membra disiecta), Angaben zu den paläographischen Charakteristika und Lokalisierung: “Oberitalienisches Skriptorium (wohl in der Nähe Veronas)”. 8 Codices Latini Antiquiores, ed. Elias Avery Lowe, Supplement, Oxford 1971, Nr. 1784, sowie jetzt auch Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des 9. Jahrhunderts 1 (wie Anm. 7), S. 370. Eingehende Beschreibung: Die kleinen Provenienzen, beschr. von Armin Schlechter und Gerhard Stamm, nach Vorarb. von Kurt Hannemann und Andreas Degkwitz (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in
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und Tübingen (Univ.-Bibl., Hf 81). Eine Vorstellung vom Erscheinungsbild der Fragmente vermittelt die Abbildung bei Lowe (s. Anm. 8). Die alttestamentlichen Textpartien entsprechen nicht der Vulgata, sondern der altlateinischen Überlieferung. Lowe9 beurteilt die Schrift „of distinctly North-Italian type“, und auch Bernhard Bischoff (s. Anm. 7) plädiert für Oberitalien (mit der Präzisierung Verona) als Schriftheimat. Im Hinblick auf die Geschichte Hirsaus ist dies nicht ohne Interesse, weist doch auch die mit den Namen Noting, Erlafrid und Aurelius verknüpfte Tradition der zweiten Gründung in eben diesen Raum.10 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass im Kloster Reichenau, mit dem die karolingische Aureliuszelle in Hirsau und deren Stifterfamilie in enger Beziehung stand11 und dem auch die Abfassung bzw. Umarbeitung der Vita des Klosterpatrons zu verdanken sein dürfte,12 eine weitere Handschrift desselben Skriptoriums vorhanden war und ebenfalls makuliert wurde.13 Die sich aufdrängende, verlockende Hypothese soll zumindest als Frage formuliert werden: Könnte die in Hirsau um 1500 makulierte Bibelhandschrift möglicherweise den gleichen Weg zurückgelegt haben wie die Reliquien des Gründungheiligen bei der Translation von Italien in den Schwarzwald? Wird hier also – zumal es sich um eine Bibel handelt – vielleicht sogar ein Rest der Grundausstattung des karolingischen Aureliusklosters greifbar? Dabei wäre zu erwägen, ob die Reichenau, die im 9. Jh. nachweislich eine Reihe oberitalienischer Handschriften besaß, als Zwischenstation in Frage kommt oder ob doch an den direkten Weg zu denken ist. Für beide Varianten gibt es jeweils gute Argumente,14 und unabhängig davon bliebe das Faktum bestehen, dass hier ein schmaler aber doch recht bemerkenswerter Brückenschlag über einen sonst
Karlsruhe 13), Wiesbaden 2000, S. 206 (S. 56f. zum Itinerar des verbrannten Trägerbandes von Hirsau über das Priorat Klosterreichenbach nach Gengenbach; vgl. auch Germania Benedictina 5 [wie Anm. 1], S. 341, sowie Ilse Schunke, Studien zum Bilderschmuck der deutschen Renaissance-Einbände, Wiesbaden 1959, S. 148]). 9 Lowe (wie Anm. 8). 10 vgl. Karl Schmid, Kloster Hirsau und seine Stifter (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 9), Freiburg i. Br. 1959, 23–53. 11 Schmid (wie Anm. 10), 37–45. 12 Schmid (wie Anm. 10), 39–44; Theodor Klüppel, Reichenauer Hagiographie zwischen Walahfrid und Berno, Sigmaringen 1980, 26–42. 13 Codices Latini Antiquiores 8, ed. Elias Avery Lowe, Oxford 1959, Nr. 1119. 14 Die erwähnten Augienses oberitalienischer Herkunft stammen meist aus Verona, wo laut Bischoff (s. Anm. 7) das Skriptorium des Reichenauer Homiliarfragments und somit wohl auch der in Hirsau makulierten Bibel zu lokalisieren sein dürfte.
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fast unüberwindlichen Kontinuitätsbruch der Hirsauer Geschichte zu verzeichnen wäre. Wir hätten damit in gewissem Sinn ein bibliotheksgeschichtliches Gegenstück zu dem einzigen, ebenfalls nur fragmentarisch erhaltenen Zeugnis für die bauliche Innenausstattung Hirsaus in karolingischer Zeit, den in St. Aurelius gefundenen Flechtwerkplatten.15 Voraussetzung dafür ist allerdings die Annahme, dass sich die makulierte Bibelhandschrift tatsächlich seit dem 9. Jh. in Hirsau befunden hat und nicht erst in späterer Zeit dorthin gelangte. Zu beweisen ist dies nicht, und hierin liegt denn auch der mögliche Schwachpunkt der skizzierten Hypothese. Für das Hochmittelalter, die Epoche von Hirsaus größter Vitalität und Fernwirkung, ist die bibliotheksgeschichtliche Überlieferungslage zwar etwas günstiger als für die Anfänge des Klosters, aber doch immer noch sehr unbefriedigend, was angesichts der Bedeutung dieser Zeit besonders zu beklagen ist. Etwas besser steht es bezüglich der Spätblüte im 15. und 16. Jh., die Hirsau dem Anschluss an die Bursfelder Reform verdankt. Hier sind nicht nur eine Reihe von Zeugnissen und Nachrichten zur Bibliothek greifbar, sondern darüber hinaus auch Teile des Buchbestands dieser Zeit.16 So ergibt sich für die nachfolgenden Ausführungen eine gewissermaßen selbstverständliche Gliederung: im ersten und zweiten Abschnitt soll der Versuch unternommen werden, die beiden Reformphasen im 11./12. bzw. im 15./16. Jh. jeweils auf ihren bibliotheksgeschichtlichen Ertrag zu befragen, und im Anschluss daran werden die weiteren Schicksale der Hirsauer Bibliothek nach der Aufhebung des Klosters im Jahre 1535 so weit wie möglich nachgezeichnet. Anderseits sind die Beziehungen Notings zu Verona so stark – vgl. Schmid (wie Anm. 10) 34 u. 45–47, – dass auch der direkte Weg von dort nach Hirsau ohne weiteres möglich erscheint. 15 Julius Baum, Die Flechtwerkplatten von St. Aurelius in Hirsau. Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 17 (1958), 241–252. S. jetzt auch Württembergisches Landesmuseum Stuttgart: Die mittelalterlichen Skulpturen 1, bearb. von Heribert Meurer, Stuttgart 1989, 13–16. 16 Einen ersten Überblick über die insgesamt noch erhaltenen Handschriftenbestände bietet jetzt Sigrid Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Ergänzungsband 1), München 1989, 363. Aus der Liste zu streichen ist Karlsruhe, BLB, Durlach 94 (alte Signatur der 2 Zeilen darunter genannten Hs. Rastatt 22); doppelt aufgeführt ist auch die Schlettstädter Hs 13 (früher 99); die beiden Oxforder Handschriften der Bodleian Library (Canon. liturg. 324 und 325) stammen aus der von der Hirsauer Reform erfassten Abtei Moggio (Mosach) in Friaul. Weitere Ergänzungen im Rahmen des vorliegenden Beitrags.
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I. Das 11. und 12. Jahrhundert Hirsaus Blütezeit im Hochmittelalter ist geprägt vom Abbatiat Wilhelms (1069–1091) und den von ihm ausgehenden Reformimpulsen.17 Die Bedeutung seines Wirkens für Hirsau und darüber hinaus für das Mönchtum im deutschen Sprachraum vom Südwesten bis nach Thüringen, Kärnten und Friaul bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Dass in diesem Kontext der Pflege von Buch- und Bibliothekswesen ein besonderer Stellenwert zukommt, ist ebenso selbstverständlich. Dafür spricht zum einen die persönliche Statur Wilhelms als Mann des Geistes und der Wissenschaft18 und zum anderen der zu Beginn schon betonte Zusammenhang zwischen klösterlicher Reform und bewusster Pflege von Schriftlichkeit in all ihren Aspekten. Will man eine Vorstellung der Hirsauer Buch- und Schriftkultur des späten 11. und frühen 12. Jh. gewinnen, so erscheint es angezeigt, zunächst einmal Wilhelm selbst zu befragen, d. h. zu untersuchen, welchen Stellenwert sein Reformprogramm, wie es in den Constitutiones Hirsaugienses greifbar wird, dem Aspekt der Buchproduktion und der bibliothekarischen Büchersorge einräumt. Insbesondere sind hier die Ausführungen Wilhelms über den armarius und die scriptores in den Kapiteln 23 bis 26 des 2. Buchs der Constitutiones heranzuziehen.19 Dabei ist vorwegzunehmen, dass Wilhelm in seinem armarius-Kapitel zwar die entsprechenden Partien der Consuetudines Ulrichs von Cluny (Buch III, Kap. 10) übernimmt20 und somit den Gebräuchen des burgundischen Vorbilds verpflichtet ist, jedoch an mehreren Stellen – besonders da, wo
17 Bernhard Bischoff, Wilhelm von Hirsau. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon [künftig 1VL] 4, Berlin u. a. 1953, 977–981. [Vgl. jetzt auch Pius Engelbert, Wilhelm von Hirsau und Gregor VII., in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 100 (2005), S. 145–180.] 18 Vgl. Bischoff (wie Anm. 17). Der Wilhelm von Wolfgang Irtenkauf, Hirsau. Geschichte und Kultur, Sigmaringen 31987, 191 f. zugeschriebene Bericht über das autodidaktische Erlernen der Schreibkunst stammt von Wilhelms Lehrer Otloh und findet sich in dessen Liber de temptationibus (PL 146, 56 f., bzw. MGH SS. 11, 391; vgl. auch Bernhard Bischoff, Otloh, in: 1VL 3, Berlin u. a. 1943, 658–670, hier 658 f.). 19 PL 150, 1072A–1078B. 20 Der exakte Nachweis der Parallelen (nach PL 149) wird jeweils in den Anmerkungen geliefert. Zu den Bibliotheksgebräuchen Clunys s. jetzt Else Maria Wischermann, Grundlage einer cluniacensischen Bibliotheksgeschichte (Münstersche MittelalterSchriften 62), München 1988, bes. 52–58.
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es um die detaillierte Beschreibung der Amtspflichten des Bibliothekars geht – eigene Ergänzungen anbringt. Der armarius ist zugleich Kantor (hier als praecentor bezeichnet),21 d. h. er trägt die Verantwortung für die Feier der Liturgie22 – eine Verbindung, die auch in anderen monastischen Consuetudines begegnet,23 später übrigens auch bei den Zisterziensern.24 Nur ein nutritus, ein im Kloster Großgewordener also, darf das Bibliothekarsamt ausüben,25 was sicherlich als Indiz dafür zu sehen ist, dass Wilhelm dieser Aufgabe besondere Bedeutung beimisst.26 Zu den Amtspflichten gehört u. a. die Führung des klösterlichen Nekrologs,27 die Aufsicht über die schon in der Benediktregel vorgesehene Bücherausgabe zu Beginn der Fastenzeit28 und – besonders bemerkenswert – die Kontrolle der Bücherausleihe nach auswärts, die nur gegen Hinterlegung eines Pfands gestattet wird.29 Interessant ist auch ein Passus über die sehr detailliert beschriebene Bibliotheksaufsicht, die dem armarius obliegt, da hier der Sonderstatus dieses Bereichs innerhalb des klösterlichen Gefüges zum Ausdruck kommt: Der Bibliothekar darf niemandem ohne triftigen Grund Zutritt in die Bücherkammer gewähren,30 und auch sein Stellvertreter darf diese nur betreten im ausdrücklichen Auftrag des armarius, wenn er in dessen Abwesenheit die Pflichten des Amtsinhabers wahrzuneh-
21 Praecentor, qui et armarius, armarii nomen obtinuit, eo quod in eius manu solet esse bibliotheca, quae et alio nomine armarium appellatur (PL 150, 1072 A = Ulrich, PL 149, 748 D). 22 Tota divinae servitutis ordinatio in ecclesia super nullum pendet quam super illum (PL 150, 1072 B = PL 149, 749 A). 23 Vgl. den sehr kursorischen Überblick bei Fridolin Dressler, Monastische Consuetudines als Quellen der Bibliotheksgeschichte, in: Scire litteras. Forschungen zum mittelalterlichen Geistesleben, hrsg. von Sigrid Krämer u. Michael Bernhard, München 1988, 127–136, bes. 129 u. 134. S. auch Wischermann (wie Anm. 20). 24 Liber usuum ordinis cisterciensis, cap. 116. PL 166, 7093D–1095D. 25 PL 150, 1072 A; entspr. PL 149, 748D–749A. 26 Vgl. dazu Wischermann (wie Anm. 20), 57. 27 Nomina eorum (sc. defunctorum fratrum. nostrum) in martyrologio scribit (PL 150, 1073 D = PL 149, 750 B). 28 PL 150, 1076C–1077A. Der entsprechende Passus bei Ulrich (Buch I, Kap. 52, PL 149, 697 BC) erwähnt den armarius nicht ausdrücklich (s. auch Wischermann [wie Anm. 20], 72). 29 Libros absque licentia potest foris praestare, sed non sine vadimonio (PL 150, 1077 A). Keine Parallele bei Ulrich. Wischermann (wie Anm. 20), 74 erwähnt eine entsprechende Verfügung Hugos von Cluny (wohl Hugos III), die im Briefwechsel von Petrus Venerabilis bezeugt ist. 30 Nec in camera, ubi libri reconduntur, aliquem facit intrare, nisi pro rationabili aliquid huc apportandi vel reportandi, vel aliud quid quod ad illius oboedientiam illic faciendi necessitate pertinet (PL 150, 1077 C). Keine Parallele bei Ulrich.
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men hat.31 Hören wir zudem, dass dem Bibliothekar in der Bibliothek auch das Schreiben und das (laute?) Lesen verboten ist und die Kommunikation mit einem allfälligen Begleiter möglichst in der Zeichensprache zu erfolgen hat,32 so wird deutlich, dass dem Bibliotheksraum ein Status eingeräumt wird, den man wohl ohne Übertreibung als sakral bezeichnen darf. Die in den Anm. 30 und 31 zitierten Texte sind Eigengut Wilhelms, und ohne Parallele bei Ulrich ist auch die Sonderstellung der Schreiber, denen bei Wilhelm ein eigenes Kapitel (Nr. 26) gewidmet ist: Während der armarius und andere Mönche, falls sie etwas zu schreiben haben, dies zwischen den beiden Messen oder vor der Mittagsmahlzeit im Kreuzgang tun sollen – allerdings ohne dass deswegen die Liturgie oder das gemeinschaftliche Essen versäumt werden33 –, haben die eigentlichen scriptores ihre Tätigkeit gemeinsam in eigens dafür bestimmten Räumen zu verrichten, wobei nicht von einem scriptorium die Rede ist, sondern interessanterweise von capellae, und sie sind sogar von Teilen der liturgischen Pflichten des Konvents befreit bzw. sollen das entsprechende Pensum an ihrem Arbeitsort gemeinsam verrichten.34 Ein (polemischer) Beleg für eine entsprechende Dispensierung der kluniazenischen Schreibermönche findet sich übrigens in dem bekannten Streitgespräch „Dialogus duorum monachorum“ des 12. Jh.35 Man ist hier geneigt zu sagen, dass die scriptores in gewisser Hinsicht eine Gemeinschaft in der Gemeinschaft bilden. Eine Ausnahmeregelung in einem so zentralen Bereich des monastischen Lebens wie der Liturgie dokumentiert diese Sonderstellung mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit. Ob die Aufsicht über die Equipe der Schreiber, wie vielfach üblich, ebenfalls dem armarius übertragen war,36 wird nicht ausdrücklich gesagt, ist aber sehr wahrscheinlich, wie auch aus dem unten (Anm. 45) erwähnten Bericht des Codex Hirsaugiensis hervorgeht. 31 Suffraganeus vero eius, nisi ab eo monitus et tunc quando vicem eius absentis per omnia tenet, nequaquam illuc venire debet (PL 150, 1077 D). Nichts Entsprechendes bei Ulrich. 32 Nihil ibi scribit nec legit nec cantat. Nullum ibi verbum cum aliquo confert, nisi sit inevitabilis causa et quae per signa insinuari non potest (PL 150, 1077 CD). Nichts bei Ulrich. 33 PL 150, 7077D–1078A. 34 Sunt autem alii scriptores, quibus iniungitur in capellis ad scribendum iugiter sedere et regulares horas ibidem canere (PL 150, 1078 A). Zur Befreiung von der Teilnahme am Chorgebet s. auch Dressler (wie Anm. 23), 135. 35 Robert B.C. Huygens, Le moine Idung et ses deux ouvrages „Argumentum super quatuor quaestionibus“ et „Dialogus duorum monachorum“, Spoleto 1980, 154 f. (Tertia particula, Z. 21–28). Vgl. auch Dressler (wie Anm. 23), 135. 36 Vgl. Wischermann (wie Anm. 20), 54 f.; Dressler (wie Anm. 23), 134.
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Wilhelms Äußerungen über Bibliothek, Bibliothekar und Schreiber erkennen lassen, wie hoch er die Bedeutung dieses Bereichs für ein regeltreues monastisches Gemeinschaftsleben ansetzt. Gewiss steht diese Wertschätzung in einer langen, schon der Spätantike bei Cassiodor einsetzenden Tradition,37 aber es erscheint dennoch bemerkenswert, mit welcher Sorgfalt Wilhelm – wesentlich eingehender als etwa Ulrich – diesen Aspekt behandelt. Auch ist noch einmal zu betonen, dass Bibliothek und Schreiberbereich beinahe exklavenartig aus dem klösterlichen Lebensraum herausgenommen werden und den Status eines quasi-sakralen Sonderbezirks erhalten. Gewisse Fragen wirft in diesem Zusammenhang die Lokalisierung des Arbeitsplatzes für die scriptores auf. Ist bei der Angabe in capellis der Plural beim Wort zu nehmen (die Anweisung zum gemeinsamen Beten des Offiziums im fraglichen Bereich deutet eher auf einen Einzelraum), und wo ist dieser Ort innerhalb der Hirsauer Klosteranlage anzusiedeln? Von archäologisch-baugeschichtlicher Seite gibt es, soweit ich sehe, dazu keinerlei Anhaltspunkte. An dieser Stelle ist auch der Bericht des Trithemius über die Schreibtätigkeit in Hirsau unter Wilhelm anzuführen, in dem zwei Kategorien von Schreibern unterschieden werden: zwölf Spitzenkräfte, denen v. a. das Abschreiben von biblischen und patristischen Texten für die Lectio anvertraut gewesen sein soll,38 und eine weitere Gruppe von scriptores sine certo numero, die ebenfalls mit (nicht näher umrissenen, vermutlich weniger anspruchsvollen) Schreibaufträgen befasst waren.39 Wie stets bei Trithemius wird man dieser Darstellung bezüglich Einzelheiten skeptisch gegenüberstehen, zumal die Zwölfzahl der Eliteschreiber natürlich als topisch anzusehen ist. Sollte sich, wie so oft bei diesem Autor, ein sachlich richtiger Kern unter dieser Nachricht verbergen, dann vielleicht der, dass Wilhelm in der Tat eine Gruppe besonders qualifizierter Schreiber für wichtige, mehr als nur mechanisches Kopieren erfordernde Arbeiten, namentlich im Bereich des Bibeltexts, bestimmt haben könnte. Eberhard Nestle hat 1889 zu bedenken gege37
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Belege bei Dressler (wie Anm. 23), 133 f.; zu Cluny s. Wischermann (wie Anm. 20),
38 Johannes Trithemius, Annales Hirsaugienses 1, St. Gallen 1690, 227: Sciens autem S. Pater … necessarium mentis pabulum divinarum esse lectionem scripturarum, duodecim e Monachis suis scriptores optimos instituit, quibus ut divinae auctoritatis libros & SS. Patrum tractatus rescriberent, demandavit. 39 Ebd.: Erant praeter hos & alii scriptores sine certo numero, qui pari diligentia scribendis voluminibus operam impendebant.
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ben, dass der in der Vita Theogeri (MGH SS. 12, 449–479) enthaltene Bericht von einer Bibelrevision – im wesentlichen wohl zu deuten als „Herstellung von fehlerfreien Musterexemplaren, bei denen namentlich die Interpunktion in Ordnung gebracht werden sollte“ – in einem Zusammenhang mit dem Passus bei Trithemius stehen könnte.40 Die Fortsetzung in den Annales Hirsaugienses zeigt im übrigen, dass schon zu Trithemius Zeiten nicht mehr allzu viele mittelalterliche Codices vorhanden gewesen sein dürften.41 Erklärt wird dies mit der Tatsache, dass die in fremde Klöster zu Reformzwecken entsandten Mönche stets auch einen entsprechenden Fundus an Büchern aus Hirsau an ihre neue Wirkungsstätte mitgenommen hätten, was angesichts der Vielzahl von Tochterklöstern bzw. monasteria reformanda zu einem Ausbluten der Bibliothek des Mutterklosters geführt habe.42 So wenig stichhaltig diese Erklärung für die Hirsauer Bücherverluste letztlich sein mag, so bringt sie doch einen wichtigen Sachverhalt zur Sprache, nämlich die Grundausstattung von Neugründungen bzw. erneuerten Klöstern mit den notwendigen Texten. Außer den Liturgica gilt dies insbesondere für die schon erwähnten Constitutiones Wilhelms, die als Handbuch der Reform überall vorhanden sein mussten. Belege dafür bieten etwa das Corveyer, das Michelsberger und das heute leider verschollene Zwiefaltener Exemplar (s. u. S. 116 f.), aber auch für Blaubeuren wird berichtet, der aus Hirsau gekommene Gründungsabt Azelin habe von dort libri consuetudinarii mitgebracht.43 Den Export von liturgischen Handschriften in oft weit entfernte Tochterklöster belegt z. B. eine Stelle aus dem sog. Reinhardsbrunner Briefbuch, wo von einem Antiphonar die Rede ist, welches in Hirsau für das thüringische Kloster geschrieben und korrigiert wurde und anscheinend über das Hirsauer Priorat Schönrein a.M. nach Reinhardsbrunn gelangte.44 40 Eberhard Nestle, Die Hirschauer Vulgata-Revision, in: Theologische Studien aus Württemberg 10 (1889), 305–311, das Zitat 311. Der Wortlaut bei Trithemius spricht m. E. allerdings eher für die Einrichtung eines neuen Lectionarium officii (wie üblich mit Bibel- und Vätertexten). Zum ordo lectionum in Cluny vgl. Raymond Etaix, Le lectionaire de l’office à Cluny, in: Recherches augustiniennes 11 (1976), 91–153. 41 Trithemius (wie Anm. 38), 227 f.: Multa fratres per temporis cursum rescripsere volumina, quorum tamen pars minima in hoc Hirsaugiensi Monasterio remansit. 42 Trithemius (wie Anm. 38), 228. 43 Klaus Schreiner, Mönchtum im Geist der Benediktregel. Erneuerungswille und Reformstreben im Kloster Blaubeuren während des hohen und späten Mittelalters, in: Blaubeuren. Die Entwicklung einer Siedlung in Südwestdeutschland, hrsg. von HansMarin Decker-Hauff u. Immo Eberl, Sigmaringen 1986, 93–171, hier 103. 44 MGH Epist. sel. 5, Nr. 50.
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An der Tatsache intensiver Schreibtätigkeit unter Wilhelm und seinen Nachfolgern45 – so das Fazit dieses von den Constitutiones ausgehenden Überblicks – kann kein Zweifel bestehen, und in die gleiche Richtung weist auch ein Blick nach Cluny, dem Vorbild der Reformbestrebungen des Hirsauer Abts. Gewiss darf man die Verhältnisse Clunys nicht einfach unbesehen auf Hirsau übertragen. Dies gilt auch für den Bereich von Bibliothek und Skriptorium. Dennoch dürften sich durchaus Anhaltspunkte zum Stellenwert dieses Aspekts im Gesamtbild der Bemühung um Reform des monastischen Lebens aus einem derartigen Vergleich gewinnen lassen. Für Cluny besitzen wir dazu erfreulicherweise seit kurzem die schon mehrfach zitierte Darstellung von Else Maria Wischermann (s. Anm. 20), die hier eine solide Ausgangsbasis bietet. Ähnlich wie im Falle von Hirsau lässt die geringe Anzahl erhaltener Handschriften aus Cluny nur bedingt Rückschlüsse auf dessen Skriptorium zu.46 Die Katalogsituation ist hingegen für das burgundische Zentrum sehr viel günstiger. Mehrere mittelalterliche Verzeichnisse haben sich erhalten, darunter als wichtigstes Dokument ein unter Abt Hugo III. (1158–1161) angelegter Tafelkatalog,47 der 570 Bände aufführt und damit die Bibliothek Clunys als eine der größten der damaligen Zeit ausweist.48 Ob wir für Hirsau ähnliche Größenordnungen annehmen dürfen, bleibt allerdings sehr unsicher: Nicht nur die Anzahl erhaltener Handschriften aus der Epoche Wilhelms und seiner unmittelbaren Nachfolger ist noch erheblich geringer als für Cluny, auch hinsichtlich der Kataloge ist die Hirsauer Bibliothek ungleich schlechter dokumentiert als ihr französisches Pendant.
45 Der Codex Hirsaugiensis berichtet beispielsweise von Abt Manegold (1156–1165), er habe während seiner Zeit als Kantor (s. o. 5.262) mehr als sechzig Bücher schreiben lassen: Codex Hirsaugiensis, ed. Eugen Schneider (Württembergische Geschichtsquellen 1), Stuttgart 1887, 12. 46 Vgl. Wischermann (wie Anm. 20), 5 f. Von den um 1160 in Cluny verzeichneten Codices (570 volumina) sind heute nur noch knapp 60 greifbar. 47 Überliefert in einer Abschrift der Barockzeit in Paris, Bibl. Nat., ms. lat. 13108; zweimal ediert von Léopold Delisle, Le cabinet des manuscrits de la Bibliothèque impériale 2, Paris 1874, 458–481, sowie ders., Inventaire des manuscrits de la Bibliothèque Nationale. Fonds de Cluni, Paris 1884, 337–373. Zur Bedeutung des Katalogs vgl. Wischermann (wie Anm. 20), passim, bes. 8–10 u. 58–68. 48 Wischermann (wie Anm. 20), 8. Angesichts der teilweise sehr unterschiedlichen Katalogsituation sind derartige Größenvergleiche allerdings stets mit Vorbehalt aufzunehmen.
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Zwar hat sich bekanntlich ein Katalog aus dem 12. Jh. über die unter den Äbten Wilhelm, Bruno, Volmar und Manegold (gest. 1165) geschriebenen und gesammelten Codices erhalten – allerdings ähnlich wie in Cluny nur in einer späteren Abschrift, die im Falle Hirsaus auf das 16. Jh. zurückgeht und dem zweiten evangelischen Abt, Johannes Parsimonius, zu verdanken ist.49 Doch ist dieses Verzeichnis sehr summarisch und zudem unvollständig. Trotz der vielversprechenden Ankündigung Thesaurus procul dubio incomparabilis in der Überschrift bleibt es bei einer eher pauschalen Aufzählung, die nach den libri veteris et novi testamenti und den libri Iosephi historiographi ludaici das gängige Repertoire der Kirchenväter und eine Anzahl mittelalterlicher Autoren nennt (Alkuin, Hrabanus Maurus, Haimo, Anselm von Canterbury, Petrus Damiani, Hermannus Contractus, Bernold von Konstanz, Wilhelm von Hirsau selbst, Paschasius Radbertus, Peregrinus alias Konrad von Hirsau), wobei auf eine Angabe einzelner Werke verzichtet und lediglich der summarische Begriff libri den einzelnen Verfassernamen vorangestellt wird. Vollends unbefriedigend ist der lapidare Schluss, mit dem die Liste abbricht: varii libri chronici et historici et in summa valde multi libri, quorum titulos et auctores nolui huc scribere. Genau da also, wo der Katalog möglicherweise interessant werden könnte, lässt uns der unbekannte Schreiber oder Bibliothekar im Stich, was schon Lessing zu der Klage veranlasste: „Und doch wäre uns das Letztere, was der Verfertiger dieses Catalogi unterlassen, itzt vielleicht das liebste…“50 Genauere Rückschlüsse auf besondere Akzente und Interessenschwerpunkte der hochmittelalterlichen Hirsauer Sammlung lässt diese Verzeichnis selbstredend nicht zu. Schon Bernhard Bischoff hat daher 1954 vorgeschlagen, auf Bibliothekslisten von Hirsauer Tochterklöstern, besonders des Schaffhausener Allerheiligenkloster, zurückzugreifen; hier lasse sich „angesichts des engen Verhältnisses zwischen Schaffhausen und Hirsau“ am ehesten „das geistige Rüstzeug der Hirsauer Reform“ erkennen.51 Raymund Kottje hat diesen Ansatz in seiner 49 Überliefert in Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., Guelf. 134.1 Extrav., f. 71–72. Erstmals veröffentlicht und kommentiert wurde der Katalog in Gotthold E. Lessing, Zur Geschichte und Literatur. Aus den Schätzen der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel 2, Braunschweig 1773, 356–359. S. außerdem Gustav Becker, Catalogi bibliothecarum antiqui, (1885) 219 f. (Nr. 100), sowie Theodor Gottlieb, Über mittelalterliche Bibliotheken (1890) 41 (Nr. 84). Zur Wolfenbütteler Handschrift s. Wolf-Dieter Otte, Die neueren Handschriften der Gruppe Extravagantes 2 (Kataloge der Herzog August Bibliothek 18), Frankfurt a.M. 1987, 109. 50 Lessing (wie Anm. 49), 358. 51 Bernhard Bischoff, Besprechung von Albert Bruckner, Scriptoria Medii Aevi
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Untersuchung über Klosterbibliotheken als Spiegel monastischer Bildungsinteressen und Bildungshorizonte aufgegriffen52 und auf weitere Klöster der Hirsauer Reform ausgeweitet: das um 1085 von Hirsau aus besiedelte Blaubeuren,53 das Doppelkloster Wessobrunn, Michelsberg bei Bamberg54 und Odenheim bei Bruchsal.55 Die Schlussfolgerungen Kottjes für Hirsauer Klöster – „die auffallend ausgeprägte Vorliebe für augustinische Schriften“ einerseits, die „Vernachlässigung der Profanliteratur, zumal der alten römischen“ andererseits56 – wird man angesichts der schwierigen und uneinheitlichen Quellenlage nur mit einer gewissen Vorsicht annehmen dürfen.57 In besonderem Maß gilt dies für den zweiten Teil des Fazits, d. h. für die negative Aussage bezüglich des Verhältnisses zu den klassischen Autoren. Hier wäre vor allem die Frage zu stellen nach dem Schulgebrauch dieser Literatur und dem entsprechenden Niederschlag in den Bücherlisten.58 Wichtig erscheint auch E.M. Wischermanns Einspruch gegen das aus einer Vereinfachung und Pauschalisierung von Kottjes These erwachsene Schlagwort einer generellen „Klassikerfeindlichkeit“ der Cluniacenser im Gegensatz zum „kulturfreundlichen“ Reichsmönchtum, das sich gerade für Cluny selbst in dieser Form keinesfalls vertreten lässt. Für Hirsau ist außerdem an den Dialogus super auctores des Peregrinus alias Conradus Hirsaugiensis aus der ersten Hälfte des 12. Jh. zu erinnern.59 Gewiss Helvetica 6, Genf 1952, in: Historisches Jahrbuch 73 (1954), 492. Bruckner, 27–29, ediert den Katalog der Bibliothek von Allerheiligen aus der Zeit Abt Siegfrieds (1082–1096). 52 Raimund Kottje, Klosterbibliotheken und monastische Kultur in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 80 (1969), 145–162. 53 Vgl. dazu auch Schreiner (wie Anm. 43), bes. 103 f. 54 Im Zusammenhang mit dem 1112 erfolgten Anschluss an die Hirsauer Reform. S. jetzt auch K. Dengler-Schreiber, Scriptorium und Bibliothek des Klosters Michelsberg in Bamberg, Graz 1979, zu den Auswirkungen der Reform auf die Buchbestände 84–92, speziell zum Zuwachs an Augustiniana 89. Die beachtliche Vermehrung von Schulliteratur (ebd. 89 f.) wird von Raimund Kottje nicht erwähnt. 55 Zum Katalog aus dem 12. Jahrhundert s. André Wilmart, Un exemplaire des coutumes d’Hirsauge accompagné d’un catalogue de livres, in: Revue Bénédictine 49 (1937), 90–96. Das „nachdrückliche Bemühen um den Besitz augustinischer Schriften“ (so Kottje [wie Anm. 52], 151) vermag ich aus diesem Verzeichnis allerdings nicht unbedingt herauszulesen. 56 Kottje (wie Anm. 52), 152. 57 Einige Präzisierungen dazu bei Dengler-Schreiber (wie Anm. 54), 239 f. Anm. 673 u. 675 und Wischermann (wie Anm. 20), 26 Anm. 91. 58 Wischermann (wie Anm. 20), 22–27. 59 Jetzt zusammenfassend Robert Bultot, Konrad von Hirsau, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. völlig neu bearb. Aufl. [künftig 2VL], 5, Berlin u. a. 1985, 204–208, hier bes. 206 f.
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legt der Verfasser dieses Traktats gegenüber der weltlichen Literatur, die hier als Material für den Schulbetrieb vorgestellt wird, eine sehr distanzierte Haltung an den Tag. Das Studium der Artes soll aus seiner Sicht dezidiert der divina scientia untergeordnet und dienstbar gemacht werden. Dennoch lässt die Schrift eben doch eine grundsätzliche Vertrautheit mit einem breiten Spektrum klassischer Autoren erkennen, und es fragt sich, ob man wie Kottje den naheliegenden Schluss, die entsprechenden Texte seien in der Abfassungszeit des Dialogus in Hirsau vorhanden gewesen, so ohne weiteres zurückweisen kann.60 Die starke Abhängigkeit Konrads von Bernhard von Utrecht, die v. a Huygens aufgezeigt hat, lässt zwar in der Tat darauf schließen, dass der Hirsauer manche der von ihm behandelten Autoren nur aus zweiter Hand gekannt haben könnte. Der Schrift aber deshalb jegliche Aussagekraft bezüglich der Ausstattung Hirsaus mit Klassikern abzusprechen, geht nun dennoch wohl kaum an.61 Was die positive Aussage Kottjes anbelangt, so scheint tatsächlich eine gewisse Vorliebe für Augustinus62 – und in etwas geringerem Maß auch für Gregor den Großen – an den Bibliotheken der Hirsauer Klöster ablesbar zu sein. Möglicherweise darf man auch die für Michelsberg festgestellte Akzentuierung in Richtung einer „stärkeren Ausrichtung auf die Theologie“ zu Lasten der Quadriviumsfächer und der Naturwissenschaft, d. h. letztlich der Verlust einer „gewissen Universalität der Interessen“63, für die Auswirkungen der Hirsauer Reform im Bereich der Wissenschaftspflege und Bibliothekssorge überhaupt als symptomatisch ansehen. Dies entspräche übrigens auch durchaus der in Wilhelms eigener Entwicklung erkennbaren Tendenz. Es fragt sich allerdings, ob diese Verschiebung der Interessenschwerpunkte in mehr oder minder ausgeprägter Form nicht ohnehin für jede religiöse Reform bezeichnend ist. Jedenfalls ergibt sich aus diesen Feststellungen insgesamt zu wenig Profil, und es bleibt sehr zweifelhaft, ob sich auf diesem Weg überhaupt so etwas wie ein spezifisches Bibliotheks- und somit auch Bildungsprogramm der Hirsauer Reform herausarbeiten lässt. Kottje (wie Anm. 52), 149, ohne nähere Begründung. Vgl. auch die etwas andere Einschätzung bei Norbert Hörberg, Libri sanctae Afrae. St. Ulrich und Afra zu Augsburg im 11. u. 12. Jh. nach Zeugnissen d. Klosterbibliothek, Göttingen 1983, 271 und Schreiner, Mönchtum (wie Anm. 43), 102 f. 62 Besonders krass im Fall von Schaffhausen, wo von 116 im Katalog aufgeführten Handschriften nicht weniger als 60 Werke von Augustin enthalten (vgl. DenglerSchreiber [wie Anm. 54], 240 Anm. 677). 63 Ebd. 60 61
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Bleibt dieser Versuch einer inhaltlichen Annäherung an die Bibliothek Hirsaus somit einigermaßen problematisch, so gilt dies erst recht für die formale Seite unserer Thematik, denn die Frage nach einem für Hirsau typischen Stil der Buchproduktion und Buchgestaltung verweist uns von den sekundären Quellen auf die Handschriften selbst, und hier ist, wie schon mehrfach angedeutet, die Materialbasis außerordentlich schmal. Eine Charakterisierung dessen, was man als Hirsauer Schreib- und Malschule bezeichnen könnte, muss daher beinahe aussichtslos erscheinen. Gewiss bietet sich auch hier, wie schon im Bereich der Bibliothekskataloge, der Ausweg einer Annäherung vom Strahlungsfeld an das nur noch schwach erkennbare Strahlungszentrum an, der Versuch also eines Rückschlusses von Tochterklöstern mit einigermaßen geschlossen erhaltenen Beständen des 11. und 12. Jh. auf Hirsau selbst. Namentlich Zwiefalten und Schaffhausen kommen hierfür in erster Linie in Frage. Methodisch ist dabei zweierlei zu beachten: Zum einen wäre zu fragen nach eventuell vorhandenen Resten der aus Hirsau gelieferten Grundausstattung, und zum andern müsste – was wohl besonders problematisch sein dürfte – untersucht werden, inwieweit die Eigenproduktion der Tochterkonvente die vom Mutterkloster empfangenen Anregungen und Impulse noch widerspiegelt. Für das von etwa 1080 bis 1082 von Wilhelm persönlich geleitete Allerheiligenkloster in Schaffhausen hat Albert Bruckner wahrscheinlich gemacht, dass der überwiegende Teil der Codices des 11. Jh. bereits an Ort und Stelle entstanden sein dürfte; hirsauisches Ausstattungsgut scheint sich kaum erhalten zu haben.64 Es ist jedoch anzunehmen, dass die unter Abt Siegfried (1082–1096) tätigen Schreiber, denen wir den sehr einheitlichen Kern des Schaffhauser Bestands verdanken, zur Hauptsache ehemalige Hirsauer Konventualen waren. Bruckner möchte daher das Schaffhauser Scriptorium dieser Epoche als „selbständigen Ableger Hirsaus“ bezeichnen65 und vertritt auch bezüglich der Buchmalerei von Allerheiligen die Ansicht, „dass, von der gesicherten Schaffhauser Schriftheimat ausgehend, die Codices nur in Allerheiligen ausgemalt worden sein können, die Künstler aber aus Hirsau stammten oder dann mit der Zeit jüngere Kräfte in dem Schaffhauser Scriptorium ihre Ausbildung auf diesem Gebiete durch Hirsauer Maler erfuhren“66. Dürften wir also in den insgesamt sehr qualitätvollen Schaffhauser Codices, so 64 65 66
Bruckner (wie Anm. 51), 29–32 u. 40–43. Bruckner (wie Anm. 51), 31. Bruckner (wie Anm. 51), 42.
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weit sie noch dem 11. Jh. angehören, Zeugnisse sehen, „die den Typus der sonst nicht bekannten Hirsauer Schrift- und Buchkunst repräsentieren“,67 so würde dadurch in der Tat der gewünschte Rückschluss möglich. Allerdings steht und fällt diese Argumentation mit der von Bruckner ins Feld geführten Geschlossenheit der Schaffhauser Bestände des 11. Jh. Ob diese einer genaueren Untersuchung standhält und ob insbesondere die Weiterentwicklung „in einer von Hirsau unabhängigen Richtung“68 nicht doch schon vor 1100 anzusetzen ist, bleibt offen.69 Nicht ganz unerheblich erscheint in diesem Zusammenhang die Beobachtung deutlicher Qualitätsunterschiede zwischen den Erzeugnissen von Allerheiligen unter Abt Siegfried und den frühen Zwiefaltener Arbeiten, die zwar gewisse Ähnlichkeiten mit den Schaffhauser Handschriften aufweisen,70 sich gegenüber diesen jedoch „eher bescheiden, dürftig und 67
Ebd. Ebd. 69 Dass für Schaffhauser Handschriften z. B. auch Vorlagen von der Reichenau benutzt worden sind, zeigt der Hilarius-Codex Schaffhausen, Stadtbibl., Min. 44 (Bruckner [wie Anm. 51], 103). Dieser ist, wie die Übereinstimmungen bezüglich des eigenartigen Textbeginns sowie des fehlenden Schlusses zeigen, vom karolingischen Augiensis CII der Bad. Landesbibl. Karlsruhe abhängig (vgl. die Edition des Hilariustextes von P. Smulders, Corpus Christianorum 62, Turnhout 1979, 12* u. 27*). Zu einer möglichen Verbindung mit Sankt Gallen s. Anm. 70. Dabei sind heute verschollene Zwischenglieder (im Falle von Min. 44 also unter Umständen auch eine Überlieferungskette Reichenau-Hirsau-Schaffhausen) nicht auszuschließen, was die Sachlage weiter kompliziert. 70 Auf eine direkte Abhängigkeit eines Zwiefaltener Codex von einer Schaffhauser Vorlage – ein solches Verhältnis wird bei Sigrid von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 12 in Erwägung gezogen – hat mich Annegret Butz freundlicherweise hingewiesen (Brief vom 20.2.1989). Es handelt sich um die O-Initiale der Augustinus-Handschrift Stuttgart, Württ.Landesbibl., Cod. theol. et phil. 2° 223 (Sigrid von Borries-Schulten (wie Anm. 71), Nr. 21 mit Abb. 39), für die augenscheinlich Schaffhausen, Stadtbibl., Min.39 (Bruckner a. a. O. 102) als Vorbild gedient hat. Die von Butz erkannte Abhängigkeit im Bereich der Buchmalerei lässt sich auch auf textkritischer Ebene bestätigen. Der mir zur Verfügung gestellte Mikrofilm ließ erkennen, dass eine Filiation bestehen dürfte zwischen der karolingischen St. Galler Handschrift 161 (Sigle S in der Edition von J. Zycha, Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 28/1 [1894], im folgenden so zitiert), der Schaffhauser Hs. (künftig A) und der Stuttgarter Hs. aus Zwiefalten (Z). Wo S sich von den übrigen Textzeugen entfernt, gehen A und Z mit, wobei A häufig kleine Veränderungen vorgenommen hat, die dann von Z übernommen werden. Ein paar Beispiele: Zycha 10 (14–15) et – creatura fehlt S, A, Z; Zycha 315 (2) Si nunc: A Si~nunc, am Rand ~ł ñ (d. h. vel non), Z si ł ñ nunc (!), dann ł ñ radiert; Zycha 213 (6): S nonnullo impedimento, A nullo impedimento, dann nullo gestrichen u. überschrieben durch multo, Z multo impedimento; Zycha 245 (5) Quid ergo abhorret a vero: S arbor.e, darüber abhorret, A quid 68
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z. T. grob“ ausnehmen71. Würde man von diesen Codices auf die vom Mutterkloster ausgegangenen Impulse zurückschießen, so käme man wohl kaum zu einem so günstigen Ergebnis für Hirsau wie im Falle von Allerheiligen, und dies stimmt gegenüber Bruckners These zumindest etwas vorsichtig. Für das 1089 von Hirsau aus besiedelte Zwiefalten liegt seit kurzem eine Aufbereitung des hochmittelalterlichen Materials vor, die nicht nur kunsthistorische, sondern auch paläographische Aspekte berücksichtigt.72 Die Voraussetzungen für unsere Fragestellung sind hierdurch besonders günstig. Vom Ausstattungsgut aus Hirsau, nach dem auch hier als erstes zu suchen ist, scheint sich nichts erhalten zu haben, nicht zuletzt wegen des Klosterbrands von 1098, dem eine große Anzahl von Büchern zum Opfer gefallen sein muss.73 Das bereits erwähnte Exemplar der Constitutiones Hirsaugienses, das vermutlich zu diesem Grundstock gehörte, hat zwar diesen Brand überstanden und war 1792 in Zwiefalten noch vorhanden, ist jedoch heute leider ebenfalls verschollen (s. u. S. 116 f.). Die in Hirsau entstandene Stuttgarter Handschrift Cod. theol. et phil. 8° 53 stammt zwar aus der Zwiefaltener Bibliothek, ist jedoch, wie der gotische Hirsauer Einband belegt, zunächst an ihrem Entstehungsort verblieben und frühestens im 16. Jh. nach Zwiefalten gelangt – wie übrigens auch eine Reihe von Drucken mit Hirsauer Einbänden –, hat also mit dem Ausstattungsgut der Neugründung keinen Zusammenhang. Schließlich ist das berühmte dreibändige Passionale (Stuttgart, Württemberg. Landesbibl., Cod. bibl. 2° 56–58), das Albert Böckler 1923 als Hauptwerk der Hirsauer Buchergo arbor ea vero, am Rand ł quid ergo abhorret a vero,/ Z wie A. Die Nachweise ließen sich beliebig vermehren. Am schlagendsten erscheint mir der zuletzt angeführte Fall. Für das Verhältnis von A zu S wäre ähnlich wie bei der Anm. 69 erwähnten Abhängigkeit der Schaffhauser Hs. Min. 44 von einer Reichenauer Vorlage möglicherweise mit Zwischengliedern zu rechnen. 71 Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Teil 1: Provenienz Zwiefalten, bearb. von Sigrid von Borries-Schulten; mit einem paläogr. Beitr. von Herrad Spilling (Katalog der illuminierten Handschriften der Württ. Landesbibl. Stuttgart 2,1), Stuttgart 1987, 11. 72 S. oben Anm. 71. In mehreren Gesprächen gab mir Herrad Spilling freundlicherweise eine Reihe von Detailauskünften als willkommene Ergänzung zu ihrem Katalogbeitrag. Ihrer steten Bereitschaft zu kollegialem Rat in paläographischen Fragen nicht nur im Hinblick auf die Zwiefaltener Codices, sondern auch in anderen Zusammenhängen hat der vorliegende Beitrag viel zu verdanken. 73 Sigrid von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 5 f.; s. a. Herrad Spilling, Paläographische Beobachtungen zur Zwiefaltener Schrift des 12. Jahrhunderts, in: Die romanischen Handschriften (wie Anm. 71), 28–36, hier 29.
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malerei vorstellte,74 nicht nur mit stilkritischen Argumenten, sondern auch mit paläographischen Kriterien definitiv Zwiefalten zugewiesen worden.75 Da der Figurenstil und die Initialornamentik in die Zeit um 1125 bis 1135 weisen,76 was auch vom paläographischen Befund erhärtet wird,77 kommen wir zudem in eine Zeit, die schon deutlich nach der Gründungsphase Zwiefaltens liegt. So gesehen ist das Passionale eher repräsentativ für die unterdessen im Tochterkloster erfolgte Entwicklung des Lokalstils78 und weniger für den Stil des Mutterklosters. Rückschlüsse auf diesen hätten eher von den Erzeugnissen der ersten beiden Jahrzehnte Zwiefaltens auszugehen, doch sind gerade diese Stücke, wie bereits angedeutet, paläographisch wenig geschlossen79 und in buchmalerischer Hinsicht nicht sehr überzeugend und eher heterogen: „ein verbindender Initialstil ist noch nicht recht zu erkennen“.80 Der Schaffhauser und mehr noch der Zwiefaltener Befund legen also Vorsicht nahe im Hinblick auf stilistische Rückschlüsse. Auch die Feststellung, dass sich lokale Eigenarten der Tochterklöster relativ rasch entwickeln und dass sich die Abhängigkeitsverhältnisse komplexer darstellen dürften als lediglich im Sinne einer ziemlich ausschließlichen Prägung durch das Mutterkloster,81 sind hier mitzubedenken. Man wird daher alles in allem nicht viel mehr sagen können, als dass die Buchkunst Hirsaus grundsätzlich jenem Eindruck entsprochen haben dürfte, der uns aus den erhaltenen Zeugnissen der Buchproduktion südwest74 Albert Boeckler, Das Stuttgarter Passionale, Augsburg 1923. Einen Überblick über die Passionalediskussion bietet von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 69. S. jetzt auch Sigrid von Borries-Schulten, Zur romanischen Buchmalerei in Zwiefalten. Zwei Illustrationsfolgen zu d. Heiligenfesten d. Jahres u. ihre Vorlagen, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 52 (1989), 445–471. Dass auch eine Zwiefaltener Haustradition dieses ehrwürdige Stück Hirsau zuschrieb, zeigt der von P. Gabriel Haas angelegte Bibliothekskatalog von 1792 (Stuttgart. Württ. Landesbibl., Cod. misc. 37a, p. 249): Passionale ipsum quod Michael Knittl noster XI. saeculo scriptum atque ex Hirsaugia cum primis colonis anno 1089 ad nos advectum … ex continua Maiorum traditione probat…, heißt es dort in der Beschreibung der dreibändigen Handschrift. Zu Michael Knittel, Mönch und Prior in Zwiefalten (1672–1746), s. Pirmin Lindner, Profeßbuch der Benediktinerabtei Zwiefalten, Kempten 1910, 55. 75 Von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 2, 9 und 69 f. 76 Von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 14 und 69 f. 77 Spilling (wie Anm. 73), 33; von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 69. 78 Vgl. dazu den Überblick bei von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 9–12. 79 Spilling (wie Anm. 73), 29. 80 Von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 12. 81 Querverbindungen zwischen den Neugründungen bzw. reformierten Klöstern, aber auch Einflüsse von nicht-hirsauischen Zentren sind ebenso in Betracht zu ziehen (vgl. dazu auch die in Anm. 69 und 70 angesprochenen Beispiele).
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deutscher, besonders schwäbischer Klöster des ausgehenden 11. und des 12. Jh. entgegenkommt. Eines der augenfälligsten Merkmale dieses Stils ist sicherlich die Bevorzugung der Federzeichnung gegenüber der Verwendung von Deckfarben und Gold.82 Diese Technik – allenfalls durch einfache Kolorierung bereichert – wird durch ihre Sparsamkeit und Schlichtheit gewissermaßen zur Signatur dieser neuen Richtung, und es liegt nahe, hier im Vergleich zur Opulenz und Prachtentfaltung ottonischer Buchmalerei eine „Hinwendung zur Strenge“83 und letztlich einen Ausdruck des Reformgeists, wie er sich gerade in Hirsau besonders manifestiert, erkennen zu wollen. Wieweit dies im einzelnen zutrifft, bedarf sicherlich weiterer Klärung. Grundsätzlich erscheint dieser Zusammenhang jedoch zumindest bedenkenswert.84 Von besonderem Interesse – aber angesichts der Überlieferungslage eben auch von besonderer Schwierigkeit – ist dabei die Frage, inwieweit Hirsau als Zentrum der Reform auch vorbildhaft prägende, also stilbildende Funktion hatte, oder ob es lediglich an allgemeinen Stilentwicklungen partizipierte. Auf jeden Fall ist davor zu warnen, „die unzweifelhafte Bedeutung des weithin tätigen und hochangesehenen Reformklosters ohne Rückhalt in den Monumenten“ einfach „auf entsprechende Aktivität und Qualität in den Bildkünsten“ zu übertragen, wie Renate Kroos im Stauferkatalog von 1977 zu bedenken gegeben hat.85 Dem wäre hinzuzufügen. dass die spärlichen Zeugnisse figürlicher Buchmalerei aus Hirsau – ein leider verschollenes, nur noch in einer Aufnahme von Foto-Marburg verfügbares Doppelblatt, das einmal zur Handschrift K 1001 der Badischen Landesbibliothek gehörte (näheres s. u.) und Renate Kroos offenbar unbekannt geblieben war,86 und ver82
Dazu schon Karl Löffler, Schwäbische Buchmalerei in romanischer Zeit, Augsburg 1928, 75. Vgl. auch Willibald Sauerländer, Die bildende Kunst der Stauferzeit, in: Die Zeit der Staufer 3, hrsg. von Reiner Haussherr u. a., Stuttgart 1977, 205–229, hier 223 f. Zu Zwiefalten jetzt auch von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 22. 83 So François Avril im Zusammenhang mit dem Passionale. Romanische Kunst 1, Mittel- und Südeuropa 1060–1220 (= Universum der Kunst 29) (1983) 194. 84 vgl. auch die Ausführungen von Elisabeth Klemm zur Regensburger Buchmalerei des 12. Jh., wo dieser Wandel ebenfalls deutlich zu erkennen ist: Regensburger Buchmalerei. Von frühkarolingischer Zeit bis zum Ausgang des Mittelalters, Red. Florentine Mütherich u. Karl Dachs (1987) 39 und 42. 85 Renate Kroos, in: Zeit der Staufer (wie Anm. 82), Bd. 1, 551. 86 „Wir besitzen keine antiquarisch oder anderweitig gesicherten Malereien (beliebiger Technik) aus Hirsau im späten 11. und 12. Jahrhundert“, Kroos (wie Anm. 85). Zu einer weiteren illuminierten Handschrift (Arundel 44 der British Library), die ich im Anschluss an das verschollene Doppelblatt in die Diskussion einbringen möchte, s. u. 5.270 f. Das Evangeliar Egerton 809 (ebenfalls British Library), das Sigrid Krämer (wie
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mutlich auch die Londoner Handschrift des Speculum virginum (s. u. S. 108–111) – in der Tat nicht dazu angetan sind, entsprechende Erwartungen allzu hoch zu schrauben. Dasselbe gilt im Übrigen auch für die bekannte Miniatur Wilhelms von Hirsau in der Stuttgarter Handschrift des jüngeren Klosterreichenbacher Schenkungsbuchs (Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. hist. 4° 147, f. Iv), die ebenfalls dem Hirsauer Stil zuzuordnen ist.87 Mit anderen Worten: den Stil einer allfälligen Hirsauer Schreib- und Malschule hat man sich nach allem, was wir vermuten und erschließen können, wohl eher schlicht und verhältnismäßig karg vorzustellen – eher Gebrauchs- als Repräsentationskunst. Und gerade wenn man die Buchproduktion des Schwarzwaldklosters im Zusammenhang mit den Reformidealen sehen will, erscheint diese Annahme um so plausibler. Damit nun zu den erhaltenen Hirsauer Handschriften und Handschriftenfragmenten aus hochmittelalterlicher Zeit. Sigrid von BorriesSchulten konnte 1974 für die Zeit um 1100 nur gerade drei Handschriften nennen (Karlsruhe, Bad. Landesbibl., Karlsruhe 1001; Séléstat, Bibl. humaniste, Ms. 13; Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. theol. et phil. 8° 53), deren Merkmale „auf Hirsau zurückweisen“.88 Entsprechend der kunsthistorischen Fragestellung standen damals illuminierte Handschriften im Vordergrund, aber selbst bei einer Ausweitung auf Codices ohne Buchschmuck und einer Verschiebung der zeitlichen
Anm. 16) als hirsauisch (mit Fragezeichen) anführt und das aufgrund seiner sehr qualitätvollen Ausstattung hier natürlich einen Vorzugsplatz einnehmen würde, ist wohl definitiv auszuscheiden. Schon die Entstehungszeit (3. Viertel des 11. Jh.) stimmt vorsichtig, und auch stilistisch ist es eher in den oberlothringischen Raum (Trier) anzusiedeln (vgl. dazu Ulrich Kuder, Studien zur ottonischen Buchmalerei [Habilschr. München 1989], 403). Der Hirsau-„Verdacht“ geht anscheinend zurück auf einen (mündlichen?) Hinweis von Carl Nordenfalk, zit. von Otto Pächt, The full-page miniatures, in: The St. Albans Psalter (Studies of the Warburg Institute 25), London 1960, 49–177, hier 59 Anm. 5. [Für eine mögliche Entstehung in Schaffhausen oder eher noch in Hirsau plädiert jetzt aber mit guten Argumenten Sigrid von Borries-Schulten, Trier oder Hirsau. Ein kaum bekanntes spätottonisches Festlektionar in London, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3. F. 54 (2003), 45–81]. 87 S. jetzt Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Teil 2: Verschiedene Provenienzen, bearb. von Annegret Butz (Katalog der illuminierten Handschriften der Württ. Landesbibl. Stuttgart 2,2), Stuttgart 1987, Nr. 83 mit Abb. 332 f. 88 Sigrid von Borries-Schulten, Eine Schmuckhandschrift aus Cella Sancti Petri de Monte in der Bayerischen Staatsbibliothek (Clm 6251), in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 3.F. 25 (1974) 27–46, hier 37 f.
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Grenze bis zum Ende des 12. Jh. ist heute nicht sehr viel mehr vorzuweisen. Sigrid von Borries selbst hat unterdessen aufgrund stilistischer Verwandtschaft mit dem Stuttgarter Cod. theol. 8° 53 zwei weitere Handschriften dieses Bestands mit Hirsau in Verbindung gebracht (Cod. bibl. 2° 71 und Cod. theol. et phil. 2° 211), und nach umfangreichen Recherchen – und nicht zuletzt dank einer Reihe von Hinweisen von verschiedenster Seite – vermag ich die Liste meinerseits etwas zu verlängern. Allerdings ist die Zuordnung zu Hirsau jeweils von recht unterschiedlicher Sicherheit und hat in manchen Fällen nur die Qualität eines Indizienbeweises. Zu diesen Stücken tritt eine Anzahl von Fragmenten aus Hirsauer Einbänden hinzu, meist Bruchstücke von Liturgica. Hier zunächst eine Übersicht über die kompletten Handschriften, geordnet nach den heutigen Aufbewahrungsorten: Bamberg, Staatsbibliothek, Lit. 152 (Ed. II 10): Constitutiones Hirsaugienses, Anfang 12. Jh.89 – Die für das Kloster Michelsberg bei Bamberg bestimmte Handschrift (vgl. Profeßformular) dürfte in Hirsau entstanden sein, und zwar vermutlich als Handbuch für den Reformabt Wolfram, der 1112 nach fünfjährigem Aufenthalt im Nagoldkloster mit fünf Mönchen des dortigen Konvents nach Michelsberg zurückkehrte. Diese auf die historischen Vorgänge gegründete Hypothese erfährt insofern eine paläographische Bestätigung, als sich die Schreiberhände90 deutlich von dem in Michelsberg gepflegten Schreibstil dieser Zeit abheben. Der Codex weist nur sehr bescheidenen Initialschmuck auf, der nach Herrad Spilling (s. Anm. 89) von den beteiligten Schreibern stammen dürfte, und ist von einem hellen, unverzierten Schweinslederband umschlossen. Darmstadt, Hess. Landes- und Hochschulbibl., Hs. 929: Rituale, Mitte 12. Jh.91 – Die Entstehung in Hirsau wird belegt durch die Profeßformel p. 81 (in hoc monasterio Hirsaugie quod est constructum in honore beatorum 89 Beschreibung: Katalog der Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Bamberg 1/l1, beschr. von Friedrich Leitschuh, Bamberg 1895, 305 f. S. auch Dengler-Schreiber (wie Anm. 54) passim, bes. 32 f. und 126 f., sowie Spilling (wie Anm. 73), 30 mit Anm. 5 und 8. 90 Nach Dengler-Schreiber (wie Anm. 54) 126 eine Hand, nach Spilling (wie Anm. 89) mindestens vier verschiedene Hände. 91 Beschreibung: Die liturgischen Handschriften der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, beschr. von Leo Eizenhöfer u. Hermann Knaus (Die
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apostolorum Petri et Pauli sanctique Aurelii; Nennung der Patrone auch in der Prozessionsoration Via sanctorum pp. 29–31). Die für den Gebrauch des Abts bzw. des Hebdomadars bestimmte Handschrift enthält im wesentlichen die Texte für die Wasserweihe, die Kollekten der sonntäglichen Prozession zur Segnung der Klosterräume bzw. zu den Stationes in der Marienkapelle und im Chor, weitere Benediktionen und den Profeßordo.92 Paläographisch steht der Codex der Karlsruher Hs. 1001 sowie den Lektionarfragmenten aus Colmar und dem Stuttgarter Hauptstaatsarchiv (s. u. S. 120–122) sehr nahe. Erwähnung verdient der Initialschmuck: vorwiegend in Ranken- und Blattwerkornamentik, an einer Stelle (p. 84) auch Spaltleisten. Für die Spaltleisteninitiale verweist der Darmstädter Katalog (s. Anm. 91) auf „die Hirsauer Manier, wie sie aus dem Stuttgarter Passional bekannt ist“; für das weißgepunktete Flechtwerk der übrigen Initialen wäre zu erinnern an die P-Initiale auf f. 4r im Winterteil des Passionale (Cod. bibl. 2° 57).93 Inhaltlich gesehen stellt das Rituale eine interessante Quelle zur Hirsauer Liturgie dar. Der Abschnitt in den Texten zur sonn- und festtäglichen Segensprozegsion entspricht den diesbezüglichen Vorschriften des Liber ordinarius,94 und für den Profeßritus ist auf Kapitel 74 des ersten Buchs von Wilhelms Constitutiones zu verweisen.95 Der Vermerk f. 1r Liber hic Handschriften der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt 2), Wiesbaden 1968, 321–323 (Nr. 134). Der Katalog datiert das Rituale auf ca. 1170; aufgrund des paläographischen Befunds erscheint aber eine etwas frühere Ansetzung wahrscheinlicher. 92 Einen Überblick über die textlichen Parallelen in den ebenfalls hirsauisch geprägten Ritualien von Rheinau, Zwiefalten und Biburg bietet die Konkordanztabelle bei Walter von Arx, Das Klosterrituale von Biburg (Spicilegium Friburgense 14), Freiburg/Schweiz 1970, 291–337 (s. auch ebd. 63). 93 Von Borries-Schulten (wie Anm. 71), Abb. 71. Zu den italienischen Vorbildern dieses Zierelements s. Boeckler (wie Anm. 74) 25, sowie jetzt auch Larry M. Ayres, An ltalianate Episode in Romanesque Bible Illumination at Weingarten Abbey, in: Gesta 24 (1985), 121–128, bes. 125. 94 Als Vergleichsbasis kann der Rheinauer Liber ordinarius benutzt werden: Anton Hänggi, Der Rheinauer Liber ordinarius (Spicilegium Friburgense 1), Freiburg/ Schweiz 1957, 35 f., 53 f., 62 f. usw. Die Begründung für diesen methodischen „Kunstgriff“ möchte ich demnächst in einem Beitrag zur Hirsauer Liturgiegeschichte nachreichen. Es lässt sich in der Tat zeigen, dass die Rheinauer Überlieferung, besonders Hänggis Hs. C, nach Abzug einiger weniger Rheinauer Lokalzusätze als repräsentativ für die Liturgie Hirsaus gelten und Hänggis Edition somit faktisch auch als Basistext für Hirsau herangezogen werden kann [Siehe jetzt Felix Heinzer, Der Hirsauer ‚Liber ordinarius‘“, in: Revue Bénédictine 102 (1992), 309–347; in diesem Band S. 223]. 95 PL 150, 1002 f.
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Hirsaugiensis olim monasterii fuit ordinis S. Benedicti von einer Hand des 16. Jh. zeigt, dass die Handschrift gegen Ende des Mittelalters (oder sogar schon früher) ihren Ursprungsort verlassen hat (Näheres jetzt Anm. 96). Sie gelangte – möglicherweise aus dem Besitz des Mainzer Erzbischofs Brendel – in die Universitätsbibliothek Mainz und wurde 1803 durch Gotthelf Fischer von Waldheim unter ziemlich dubiosen Umständen nach Darmstadt verkauft.96 Karlsruhe, Badische Landesbibl., Karlsruhe 1001: Missale, um 113497 – Die Entstehung dieser von mehreren Händen geschriebenen und neumierten Missalehandschrift in Hirsau ist gesichert durch das Kalendar und die Alleluia-Reihe der Osterzeit.98 Die Frage nach der „Verwendung in einer bisher noch nicht identifizierten Kirche, die am 14. 2. geweiht worden war und den hl. Nikolaus … als Patron hatte“,99 ließ sich kurz nach der Veröffentlichung von Virgil Fialas Aufsatz (Anm. 99) klären.100 Der erwähnte Kirchweiheintrag, der sich im Kalendar der Handschrift zusätzlich zu den entsprechenden Angaben für das Aurelius- und Peters- und Paulskloster findet (alle drei von anlegender Hand), bezieht sich auf die Kapelle von Schellbronn bei Pforzheim (heute Gemeinde Neuhausen/Enz), wie dank einer Aufnahme des Bildarchivs Marburg (Nr. 144 528) belegt werden kann. Dieses vor 1938 entstandene Foto zeigt die schon erwähnte, heute leider verschollene Doppelseite f. 144v/145r der Karlsruher Handschrift.101 Die zwei Blätter 96
Hermann Knaus, Fischer von Waldheim als Handschriften- und lnkunabelhändler, in: Festschr. für Josef Benzing, hrsg. von Elisabeth Geck, Wiesbaden 1964, 225–280, hier 273 f. – [Ein 1504 datierter Nachtrag des Hirsauer Priors Nikolaus Basellius (s. unten, S. 138–141) auf pp. 70–72 belegt, daß die Handschrift um diese Zeit ihren Entstehungsort noch nicht verlassen hatte.] 97 Beschreibung: Hugo Ehrensberger, Bibliotheca liturgica manuscripta. Nach Handschriften der Großherzogl. Badischen Hof- und Landesbibliothek, Karlsruhe 1889, 61 f. (Nr. 6); Die Karlsruher Handschriften 1: Nr. 1–1299 (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe 4,1), Wiesbaden 1896 (Neudr. m. bibliogr. Nachtr. 1970), 202 und 308. 98 Heinrich Husmann, Die Handschrift Rheinau 71 der Zentralbibliothek Zürich und die Frage nach Echtheit und Entstehung der St. Galler Sequenzen und Notkerschen Prosen, in: Acta Musicologica 38 (1966), 118–149, hier 147–149. Vgl. auch meinen Anm. 94 erwähnten Beitrag zur Hirsauer Liturgie. 99 Virgil Fiala, Das Alpirsbacher Kalendar von 1471, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 25 (1966), 339–376, hier 360 Anm. 30. 100 Vgl. den Hinweis von Wolfgang Irtenkauf in seiner Entgegnung auf den Anm. 98 zitierten Aufsatz Husmanns, in: Acta Musicologica 39 (1967), 100 f. 101 Der Zusammenhang zeigt sich am augenfälligsten anhand der (spätmittelalterlichen!) Foliierung. Ein weiteres fehlendes Blatt (f. 146) enthielt den Beginn des Canon
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gehörten zum Zeitpunkt der Aufnahme zur Sammlung Goldschmidt in Heidelberg. 1848, als der Codex noch in Schellbronn war, laut Mone (s. Anm. 102) „im Besitz der Gemeinde“, war er komplett, d. h. auch das Doppelblatt war vorhanden, wie der Abdruck von 145r in Franz J. Mones Quellensammlung belegt.102 Als die Handschrift, die unterdessen – vermutlich über Mone103 – in das Karlsruher Generallandesarchiv gelangt war (wo sie die Signatur Hs. 73 erhielt), im Jahr 1873 der Badischen Landesbibliothek übergeben wurde,104 scheint das Doppelblatt hingegen bereits gefehlt zu haben. Jedenfalls wird es in dem 1889 erschienenen Liturgica-Katalog Hugo Ehrensbergers nicht erwähnt.105 All dies deutet darauf hin, dass die Entfremdung dieses interessanten Dokuments dem persönlichen „Sammeleifer“ Franz Joseph Mones oder seines Sohns Fridegar106 anzulasten ist. Die Marburger Aufnahme zeigt links drei stehende Heiligenfiguren – Nikolaus als Patron der Schellbronner Kapelle, flankiert von Maternus und Blasius, deren Reliquien laut Weihetext 145r ebenfalls in der Kapelle vorhanden waren107 – und zu deren Füßen einen knienden Konversen mit der Beischrift Fr. Udalricus. In welchem Verhältnis dieser zur Handschrift steht – ob als Maler, als einer der beteiligten Schreiber oder gar als Stifter –, ist nicht zu entscheiden. Unter den urkundlich belegten Hirsauer Konventualen der Zeit ist er nicht zu identifizieren.108 Gegenüber, auf der rechten
Missae und war höchstwahrscheinlich als Zierseite mit einer Initiale oder gar einem Kanonbild zum Te igitur gestaltet (dies dürfte auch der Grund für den Verlust sein). 102 Franz J. Mone, Quellensammlung der badischen Landesgeschichte 1. Karlsruhe 1848, 217. Nach dieser Veröffentlichung auch erwähnt in: Regesta Episcoporum Constantiensium 1, bearb. von Karl Ladewig und Theodor Müller, Innsbruck 1895, Nr. 783. 103 Zu dessen Recherchen für seiner Quellensammlung in öffentlichen, aber auch in privaten Archiven und Bibliotheken s. Michael Klein, Die Handschriften 65 / 1–1200 im Generallandesarchiv Karlsruhe (Die Handschriften der Staatsarchive in BadenWürttemberg 2), Wiesbaden 1987, XIV–XVI. 104 Dazu Klein (wie Anm. 103), XXIII mit Anm. 70. 105 Ehrensberger (wie Anm. 97). 106 Zu dessen Methoden vgl. meine Darstellung in: Die Handschriften von Lichtenthal, beschr. von Felix Heinzer und Gerhard Stamm (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe 11), Wiesbaden 1987, 22–29. 107 Merkwürdigerweise wird der Nebenpatron Ägidius hingegen nicht dargestellt. Zur Beliebtheit dieses Heiligen im Kreis des gregorianisch gesinnten Adels s. Gustav Hoffmann, Spuren hirsauischer Einflüsse in Württemberg, in: Blätter für Württembergische Kirchengesch. NF 35 (1931), 1–95, hier 76–79 (ohne Erwähnung von Schellbronn). Zu Nikolaus ebd. 50–70. 108 In der Liste von Klaus Schreiner, Sozial- und standesgeschichtliche Untersuchungen zu den Benediktinerkonventen im östlichen Schwarzwald (Veröffentlichungen der
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Seite also, ist die 1134 erfolgte Weihe der Kapelle durch Bischof Ulrich von Konstanz festgehalten. Das Tagesdatum ist der 14. Februar – wie vorne im Kalendar –, und damit schließt sich der Kreis. Beiläufig sei darauf hingewiesen, dass durch diese Überlieferung die von Renate Neumüllers-Klauser (Die Inschriften des Enzkreises bis 1650 (1983) Nr. 149) geäußerten Zweifel bezüglich der Richtigkeit der Jahreszahl 1134 in einer heute noch in Schellbronn vorhandenen Inschrift des frühen 16. Jh. ausgeräumt werden können. In Schellbronn besaß Hirsau seit ca. 1075 zehn Hufen aus dem Vorbesitz des Grafen Adalbert von Calw, und um 1110 gelangte die Abtei in den Besitz des ganzen Ortes.109 Damit dürfte der Bau der Kapelle, für die das Missale bestimmt war, zusammenhängen. Um die Mitte des 18. Jh. wurde die „kleine ruinose Capell“ abgerissen und durch den heutigen Bau ersetzt, wobei das Nikolaus-Patrozinium gewahrt blieb.110 Nach dem bedauerlichen Verlust dieses Baudenkmals bleibt somit die Karlsruher Handschrift das einzige erhaltene Zeugnis hochmittelalterlicher Präsenz Hirsaus in Schellbronn. Ist das Doppelblatt mit der Weihenotiz und der Miniatur in historischer und v. a. in kunsthistorischer Hinsicht von Interesse – die Miniatur ist, wie schon erwähnt, eines der ganz wenigen Zeugnisse figürlicher Buchmalerei Hirsaus (wenn auch in diesem Fall nur noch in fotografischer Dokumentation erhalten) –, so liegt die Bedeutung der Handschrift als ganzer vor allem im liturgischen Bereich.111 London, British Library, Ms. Arundel 44: Speculum virginum, 1140– 1145. – In die Diskussion mit einzubeziehen ist auch diese bisher mit Hirsau nicht direkt in Zusammenhang gebrachte Handschrift, welche – als ältester Textzeuge – das Peregrinus alias Konrad von Hirsau Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 31), Stuttgart 1964 kommt, soweit ich sehe, nur gerade Udalricus de Obernruxingen (Oberriexingen) in Frage (157 Nr. 36), aber 1. bleibt unklar, ob es sich bei diesem um einen Konversen handelt, und 2. fehlt jeder Anhaltspunkt für eine sichere Zuordnung der beiden Namensbelege zu ein und derselben Person. 109 Codex Hirsaugiensis (wie Anm. 45), 25 bzw. 28. 110 Die Kunstdenkmäler des Amtsbezirks Pforzheim Land (Die Kunstdenkmäler Badens 9,7), bearb. von Emil Lacroix u. a., Karlsruhe 1938, 195 f. Hier ebenfalls bereits Zweifel an der Richtigkeit des Bau- bzw. Weihejahrs 1134. 111 Der in Acta Musicologica 40 (1967), 101 angekündigte Beitrag von Wolfgang lrtenkauf und Herbert Köllner zur liturgiegeschichtlichen und kunsthistorischen Relevanz der Handschrift ist leider nie erschienen. Für den ersten Aspekt darf ich noch einmal auf die Anm. 94 angekündigte Untersuchung hinweisen, für die das Missale aus Schellbronn verschiedentlich herangezogen wird [in diesem Band S. 00–00].
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zugeschriebene Speculum virginum112 enthält. Eleanor S. Greenhill113 hat in ihrer Dissertation von 1962 auf die Nähe des figürlichen Stils der Federzeichnungen zu Clm 6251 hingewiesen, wobei sie die Münchner Handschrift im Anschluss an Boeckler114 nach Freising lokalisiert. Unterdessen ist jedoch der überzeugende Nachweis einer Entstehung in St. Peter im Schwarzwald erbracht worden,115 und damit sind wir in den Umkreis der Hirsauer Reform verwiesen.116 Greenhills eher zaghafte Hinweise auf Verbindungen zur schwäbischen Buchmalerei, speziell zum Zwiefaltener Passionale,117 gewinnen dadurch erheblich an Gewicht. Entscheidende Klärung bringt m. E. der Vergleich mit dem eben vorgestellten Doppelblatt aus Karlsruhe 1001. Die stilistischen Übereinstimmungen zwischen den Figuren von Arundel 44 und den drei Schellbronner Reliquienheiligen sind so auffallend – v. a. gilt dies für Bild 6 auf f. 46r der Londoner Handschrift (Abb. 6 bei Greenhill) – dass man an einem Werkstattzusammenhang und somit an einer Hirsauer Entstehung auch von Arundel 44 kaum zweifeln kann.118 Auch zeitlich dürfte die von Greenhill um 1140–1145 datierte Handschrift nahe an das 1134 oder kurz danach anzusetzende Schellbronner Doppelblatt zu rücken sein. Die Ähnlichkeiten, in die durchaus auch die Wilhelm-Miniatur im Stuttgarter Cod. hist. 4° 147 (s. o. S. 103) einzubeziehen wäre, sind vor allem erkennbar in der Streckung der Körper, der Gestaltung der Gewandfalten mittels „breiter, langgezogener Hauptlinien und zarter, modellierender Parallellinien“119 und der Ausführung der Gewandsäume und besonders in der Behandlung der Gesichter. Bultot (wie Anm. 59), 205. Eleanor S. Greenhill, Die geistigen Voraussetzungen der Bilderreihe des Speculum Virginum (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie im Mittelalter 39,2), Münster i.W. 1962. Sehr kritisch rezensiert durch Matthaeus Bernards in Zeitschrift für deutsches Altertum. Anzeiger 92 (1963), 76–82. 114 Albert Boeckler, Zur Freisinger Buchmalerei des 12. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 8 (1941), 1–16. 115 Von Borries-Schulten (wie Anm. 88). 116 Von Borries-Schulten (wie Anm. 88), 37 ff. 117 Greenhill (wie Anm. 113). 133 f. und 138 f., wo sogar ein direkter Einfluss von Arundel 44 auf den 3. Band des Passionale postuliert und deswegen ein vorübergehender Aufenthalt der Londoner Hs. in Hirsau oder Zwiefalten erwogen wird (bes. 139). Meine im Folgenden entwickelte Hypothese einer Entstehung der SpeculumHandschrift in Hirsau vermag diese Zusammenhänge sehr viel zwangloser zu erklären. 118 Nicht überzeugend erscheint mir die von Matthaeus Bernards (wie Anm. 113), 81 aufgenommene Lokalisierung der Handschrift im maasländischen Stilkreis durch Peter Bloch, Zur Deutung des sog. Koblenzer Retabels im Cluny-Museum, in: Das Münster 14 (1961), 256–261, hier 259 f. 119 So Greenhill (wie Anm. 113) 133. 112 113
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Auch die durch Parallelstriche erzielte Schattierung der Unterarme bei mehreren Figuren in Arundel 44120 findet im Schellbronner Doppelblatt in der Gestaltung der drei bischöflichen Heiligen, aber auch des Hirsauer Konversen Udalricus eine gewisse Entsprechung. Dazu kommt nun ein Weiteres: Hatte Eleonor S. Greenhill in ihrer Dissertation (s. Anm. 113) zu zeigen gesucht, dass das Speculum virginum nicht vor 1130 anzusetzen sei, was die Londoner Handschrift sehr nahe an die Entstehung des Werks heranrücken würde,121 so führten eine Reihe von paläographischen Beobachtungen in einem Nachtrag von 1966 dann zur überzeugenden These, dass der Befund der Handschrift „einen Einblick in die Arbeitsweise des Verfassers gibt“, so dass wir also in Arundel 44 „die Urschrift des Speculum Virginum besitzen“.122 Sollte es sich hier also zumindest teilweise um ein Autograph des Verfassers handeln (Details bei Greenhill, wie Anm. 113, S. 8), so ergeben sich – von Greenhill nicht ausgesprochen – interessante Konsequenzen für den Entstehungsort des Codex. Dieser muss am Wirkungsort des Verfassers entstanden sein, und wenn man an der seit Trithemius und Parsimonius wirksamen Tradition festhält, wonach Peregrinus alias Konrad in Hirsau tätig war – wie dies übrigens auch schon der Katalog des 12. Jh. tut, wenn er angibt: Libri cuiusdam monachi Hirsaugiensis cognomento Peregrini –, so kann der Schluss nur heißen: Arundel 44 ist in Hirsau geschrieben und gemalt worden. Mit dem eben festgestellten kunsthistorischen Befund fügt sich dies hervorragend zusammen – wobei dieser, beiläufig gesagt, auch als Argument für die noch immer umstrittene Lokalisierung des geheimnisvollen Verfassers geltend gemacht werden könnte. Wir hätten somit aller Wahrscheinlichkeit nach eine weitere komplette Handschrift des Hirsauer Skriptoriums hinzugewonnen, die zudem einen Zyklus künstlerisch zwar nicht sehr anspruchsvoller, ikonographisch aber um so interessanterer Miniaturen enthält. Dabei ist auf das enge Verhältnis von Text und Bild mit Greenhill123 besonders hinzuweisen. Die Feststellung, wie direkt „Schrift und Bild aufeinander reagieren, sich gegenseitig beeinflussen“, aber auch das einiger120
Ebd. Gegen Matthaeus Bernards, Die handschriftliche Überlieferung und die theologische Anschauung des Speculum Virginum, Diss. Bonn 1950, zit. von Greenhill (wie Anm. 113), 8. 122 Eleanor S. Greenhill, Die Stellung der Handschrift British Museum Arundel 144 in der Überlieferung des Speculum Virginum, in: Mitteilungen des Grabmann-Instituts der Universität München 10 (1966), 3–28, hier 8. 123 Greenhill (wie Anm. 122), 10. 121
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maßen Flüchtige, ja „Ungepflegte“ der Miniaturen, könnte sogar zur Frage veranlassen, ob möglicherweise der Autor des Texts nicht nur für die Konzeption der Bilddarstellungen verantwortlich war, sondern diese auch selbst ausgeführt hat – zumal sämtliche Bildinschriften von seiner Hand stammen.124 Auf jeden Fall repräsentiert der Zyklus eine hohe Stufe von Veranschaulichung theologischer (einschließlich mystischer) Inhalte, die in der Art ihrer Wechselbeziehungen von Wort und Bild und in der Komplexität und Dichte ihre Aussage sicher nicht ganz zufällig an die ersten Seiten des jüngeren Zwiefaltener Kapiteloffiziumsbuchs,125 aber auch an die große Initiale in der Orosius-Handschrift Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. hist. 2° 410126 oder die RegensburgPrüfeninger Handschrift Clm 14159127 erinnern. Eine weitere Untersuchung dieser Zusammenhänge, die hier nicht unser Thema sein kann, wäre gewiss lohnend. Paderborn, Erzbischöfl. Akademiebibl., Ms. Hux. 25: Constitutiones Hirsaugienses, um 1090. – Die Handschrift steht in Zusammenhang mit dem unter Abt Markward (1081–1107) erfolgten Anschluss Corveys an die Hirsauer Reform.128 Dem Herausgeber der Constitutiones, Norbert Reimann, verdanke ich den auf Hartmut Hoffmann (Göttingen) zurückgehenden Hinweis auf süddeutschen Charakter der Handschrift. Ein Vergleich anhand von Fotomaterial ergab in der Tat den Befund ausgesprochen enger paläographischer Verwandtschaft mit den aus Hirsau und seinem Umkreis stammenden Schriftdenkmälern der Zeit. Damit dürfte es außer Zweifel stehen, dass der Paderborner Codex von Hirsau aus nach Corvey exportiert wurde, um dort der Erneuerung als Handbuch zu dienen – ein Vorgang, wie er auch für zahlreiche andere Neugründungen bzw. Reforminterventionen Hirsaus zu beobachten ist. Über die historische Relevanz dieser Lokalisierung des Corveyer Exemplars – besonders im Hinblick auf bisher in der Forschung diskutierte Greenhill (wie Anm. 122), 9, die Zitate ebd. 10. Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. hist. 2° 415. Von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 25 f., 100–102 und Abb. 235, 236 u. 258. 126 Von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 117 und Abb. 279. 127 Elisabeth Klemm, Die romanischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek. Teil 1: Die Bistümer Regensburg, Passau und Salzburg (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München 3,1), Wiesbaden 1980, Nr. 35. Vgl. besonders Bild 9 des Speculum Virginum in Arundel 44 (Greenhill [wie Anm. 113], Abb. 9) mit Clm 14159,6r (Klemm, Abb. 69). 128 Vgl. Klemens Honselmann, Corvey als Ausgangspunkt der Hirsauer Reform in Sachsen, in: Westfalen 58 (1980), S. 70–81. 124 125
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Sondertraditionen der Weserabtei innerhalb der Hirsauer Bewegung – wird Norbert Reimann in der Einleitung seiner Edition handeln. Séléstat, Bibliothèque humaniste, ms. 13 (99): Sammelhandschrift (u. a. Bernold von Konstanz), letztes Viertel 11. Jh.129 – Die über 200 Blätter umfassende, inhaltsreiche Handschrift befand sich laut zwei Besitzvermerken des ausgehenden 11. Jh. zu dieser Zeit in Hirsau und ist möglicherweise mit dem Eintrag Libri domini Bernoldi im Bibliothekskatalog des 12. Jh. gemeint. Sie trägt den typischen Hirsauer Einband des 15 /16. Jh. (s. Anm. 137). Ian S. Robinson erwägt eine Identität des Bands mit dem von Bernold während seiner Zeit in St. Blasien nach Hirsau entliehenen Exemplar seines Apologeticum.130 Die Frage, ob Hirsau auch Entstehungsort der Handschrift ist, wird in der Forschung nicht einheitlich beantwortet. Robinson geht zwar aus von einer „wahrscheinlichen Übereinstimmung der für die Besitzvermerke … verantwortlichen Hand mit der hauptsächlichen Texthand“,131 möchte aber den naheliegenden Schluss, der Codex sei folglich auch in Hirsau geschrieben worden, nicht ohne weiteres ziehen. Denkbar ist seiner Ansicht nach auch ein auswärtiger Berufsschreiber, der im Auftrag des Klosters oder eines Stifters gearbeitet haben könnte,132 aufgrund der eigenhändigen Marginalien Bernolds im letzten Teil der Handschrift müsste diese wenn nicht unter „eigener Anleitung“ Bernolds, „so doch wenigstens in seiner engeren Umgebung“ entstanden sein: „in der Domschule von Konstanz also, oder an einem der späteren Aufenthaltsorte Bernolds in St. Blasien oder Schaffhausen“, wobei die Beteiligung eines Konstanzer Glossators (Johanne Autenrieths Anonymus A) nach Robinsons Ansicht den Ausschlag gibt für Konstanz, was somit eine Frühdatierung „kurz nach 1076“ nach sich zieht.133 Herrad Spilling hat unterdessen Robinsons Konstanzer These mit paläographi129 Kurzbeschreibungen: Catalogue général des manuscrits des bibliotheques publiques des Departements 3, Paris 1861, 590 f.; Catalogue des manuscrits en ecriture latine portant des indications de date de lieu ou de copiste 5, Paris 1965, Textbd. 371 (Abb. CCIV im Tafelbd.); Paul Adam, L’humanisme à Séléstat, Séléstat 1962, 117. S. jetzt auch Ian S. Robinson, Zur Arbeitsweise Bernolds von Konstanz und seines Kreises. Untersuchungen zum Schlettstädter Codex 13, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 34 (1978), 51–122 (detaillierte Inhaltsangabe 56–58). 130 Robinson (wie Anm. 129), 64, 94 und 118 f. 131 Robinson (wie Anm. 152), 52. So auch Catalogue des manuscrits en écriture latine … (wie Anm. 128) für den metrischen Vermerk am Schluss der Handschrift. 132 Robinson (wie Anm. 129), 53. 133 Robinson (wie Anm. 129), 62–64.
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schen Argumenten zurückgewiesen und plädiert für Hirsauer Entstehung.134 Die Bernoldschen Glossen wären dann zwar nicht so zwanglos zu erklären, bei den engen Beziehungen zwischen den südwestdeutschen Reformklöstern, gerade etwa zwischen Hirsau und Allerheiligen, wo sich Bernold zeitweilig aufhielt,135 bieten sie jedoch keine unüberwindbaren Schwierigkeiten und brauchen nicht gegen eine Entstehung in Hirsau zu sprechen. Noch unproblematischer wäre natürlich das eben genannte Kloster Allerheiligen, das Stefan Molitor in einer noch unveröffentlichten Studie als Schriftheimat der Handschrift vorschlagen möchte.136 Angesichts der schon mehrfach konstatierten Abgrenzungsprobleme zwischen Hirsau und seinen Tochterklöstern in der fraglichen Zeit wird hier letzte Klarheit kaum zu erreichen sein. Allerdings sei nochmals darauf hingewiesen, dass die zeitgenössischen Besitzvermerke, die zudem denselben Schreibstil repräsentieren wie der Text des Codex, wenn sie nicht sogar von beteiligten Händen stammen, ein schwer zu widerlegendes Argument für Hirsauer Entstehung darstellen. Zur späteren Geschichte der Handschrift ist zu erwähnen, dass sie um 1500 in den Besitz des Schlettstädter Humanisten Beatus Rhenanus gelangte. Von dessen Kontakten mit Hirsau wird im zweiten und dritten Abschnitt dieses Beitrags noch näher zu reden sein. Séléstat, Bibliotheque humaniste, ms. 16(96): Origenes, Vitae Patrum, um 1100.137 – Der von mehreren Händen stammende Codex ist durch einen Besitzvermerk auf f. 48v sowie den typischen Hirsauer Einband als Hirsauer Bibliotheksgut ausgewiesen.138 Er könnte mit dem Eintrag Libri Origenis des alten Katalogs zu verbinden sein. Was die Schriftheimat anbelangt, so erscheint es aufgrund des paläographischen 134
Herrad Spilling, Konstanz oder Weingarten? Ein Exemplar der Moralia Gregors des Großen aus der Zeit des Investiturstreits, in: Litterae medii aevi, Festschr. Johanne Autenrieth, hrsg. von Michael Borgolte und Herrad Spilling, Sigmaringen 1988, 165– 181, hier 177 Anm. 63. 135 Nach Ian S. Robinson, Bernold von Konstanz, in: 1VL 1, Berlin u. a.1978, 795– 798, hier 796, seit etwa 1091. Allerdings ist die Chronologie der Vita BernoIds hier wie in anderen Punkten nicht mit letzter Sicherheit zu klären. 136 Freundlicherweise gab mir Stephan Molitor Einblick in die maschinenschriftliche Fassung seiner Arbeit. 137 Kurzbeschreibungen: Catalogue général… . (wie Anm. 128) 588 f.; Catalogue des manuscrit en écriture latine… (wie Anm. 128) 659; Adam (wie Anm. 128) 99. 138 Den Hinweis auf diese Handschrift verdanke ich Herrad Spilling, die bei der Untersuchung des Bandes enge Verwandtschaft mit frühen Zwiefaltener Schriften feststellte. Die Zugehörigkeit des Einbands zur Hirsauer Werkstatt (ebenso für Ms. 13) überprüfte freundlicherweise Monsieur J. J. Renaudet, Séléstat (briefl. Mitteilung vom 16.1.1990).
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Befunds zumindest sehr wahrscheinlich, dass es sich hier um ein Produkt des Hirsauer Skriptoriums handelt. Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. theol. et phil. 8° 53: Sammelhandschrift, 1. Viertel 12. Jh.139 – Die aus der Zwiefaltener Bibliothek nach Stuttgart gelangte Handschrift trägt einen Hirsauer Einband der Zeit um 1500 und weist f. 1r einen Hirsauer Besitzvermerk140 sowie auf dem Vorderdeckel eine Hirsauer Signatur141 derselben Epoche auf, ist also erst in späterer Zeit nach Zwiefalten gelangt – vermutlich zusammen mit den Tübinger Frühdrucken Hirsauer Provenienz (s. unten, S. 163 f.). Die Entstehung in Hirsau, insbesondere des älteren Teils (Bll.1–91), ist durch inhaltliche Kriterien gesichert. Dieser enthält folgende Texte: 1r–36v Vita S. Silvestri, Bibliotheca Hagiographica Latina (künftig BHL) 7741 f. mit Varianten entsprechend der St. Galler Hs. 568 (s. IX) (vgl. BHL Suppl. 7725a, 7726a, 7728a)–36v–39r Homilie über Vos estis sal terrae (Mt 5,13) aus Chromatius v. Aquileia, tract. IV in Matth. (Corpus Christianorum 9, 402–404) mit mehreren Interpolationen; offensichtlich für die Lektionen der 3. Nokturn des Silvester-Offiziums gedacht (analog wie 39r–40r, wo diese Verwendung durch eine entsprechende Rubrik ausgewiesen ist)142 – 39r–40r De sancto Aurelio episcopo. Lectio VIIII Sint lumbi vestri… (Lc 12,35),143 Fulgentius v.Ruspe, Sermo I, 9–13 (CC SL 91 A, 893–896) mit einigen Auslassungen; dieser Text gehört zum Repertoire des cluniacensischen Lectionarium officii,144 allerdings für die Lektionen
139 Kurzbeschreibungen: K. Löffler, Die Handschriften des Klosters Zwiefalten (1931) 61 (Nr. 178); Sigrid von Borries-Schulten a. a. O. (wie Anm. 71) Nr. 74 mit Abb. 301–303. 140 S. Aurelii Codex. Die Handschrift war also damals möglicherweise nicht im großen Peter- und- Paulskloster in Gebrauch, sondern in der alten Aureliuskirche jenseits der Nagold. 141 Sigrid von Borries-Schulten (wie Anm. 138) liest 1139 (mit Fragezeichen versehen); es handelt sich jedoch um eine der in Hirsau gängigen Signaturen des ausgehenden 15. bzw. beginnenden 16. Jahrhunderts, die jeweils einen Großbuchstaben mit einer arabischen Zahl kombinieren, hier höchstwahrscheinlich H 8 (später überschrieben, vermutlich mit der auch auf dem Rücken wiederkehrenden Zahl 132, in der wir wohl eine spätere Signatur eines nicht zu identifizierenden bibliothekarischen Zusammenhangs zu sehen haben). Die H-Signaturen bezeichnen offenbar die Liturgic, wie aus dem Parsimonius-Verzeichnis von 1581 (s. u. S. 161) hervorgeht. Allerdings taucht unsere Handschrift dort nicht auf, was dafür sprechen könnte, dass sie schon vor 1581 Hirsau verlassen hat. 142 Mt. 5,13 wird auch im Offiziumslektionar von Cluny für die Feste heiliger Pontifices herangezogen, vgl. Raymond Etaix, Le lectionnaire de l’office à Cluny, in: Recherches Augustiniennes 11 (1976), 91–153, hier 133 (Nr. 23). 143 Ebenfalls in Cluny verwendete Perikope für das Commune Pontificum, vgl. Etaix (wie Anm. 142) 133 (Nr. 21). 144 Etaix (wie Anm. 142) 133 (Nr. 20).
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der ersten beiden Nokturnen, für die in Hirsau die Aureliusvita herangezogen worden sein dürfte.145 Bemerkenswert der Anhang zum Fulgentius-Sermo f. 40r (Sed quia beati patris nostri Aurelii festa annua devotione celebramus… – … si priusquam veniat semper timeatur), dessen Beginn mit aller wünschenswerten Deutlichkeit nach Hirsau weist, während das Mittelstück lediglich unverbindlich Formelhaftes und hagiographische Gemeinplätze bietet und der Schluss den Evangelienhomilien Gregors des Großen entnommen ist.146 Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass diese Kompilation in Hirsau selbst entstanden ist; andernfalls wäre an eine Anleihe bei einer nicht identifizierten Commune-Homilie zu denken, ähnlich wie im großen Zwiefaltener Passionale im Anschluss an die Aureliusvita Alkuins Homilia de S. Willibrordo (PL 101, 710D–714A) herangezogen und auf Aurelius umgemünzt wird.147 – 40v leer.–41r–69r Vita S. Basilii (BHL 1023). – 69r–89v Vita S. Aegidii (BHL 95).148 – 89v–91v Translatio S. Nicolai (BHL 6179 b).
Die Absicht, die hinter dieser Zusammenstellung stehen könnte, bleibt etwas unklar. Liturgische Verwendung, wie man sie aufgrund der Struktur von 36v–40r annehmen könnte, scheint fraglich, wenn man sich die Streuung der berücksichtigten Heiligenfeste innerhalb des Kirchenjahrs (31. Dez., 14. Sept., 14. Juni, 1. Sept., 9. Mai) vor Augen führt. Allenfalls wäre an eine Verklammerung zu denken, welche die fünf Heiligen und ihre Feste wenn nicht kalendarisch so doch wenigstens sachlich zusammenhält; vielleicht eine besondere Wertschätzung im Kreis des Reformmönchtums, speziell der Hirsauer Richtung.149 Sehr überzeu-
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Vermutlich die neue, von Wilhelm in Auftrag gegebene Fassung Willirams von Ebersberg (BHL 820). Vgl. dazu Theodor Klüppel (wie Anm. 12) 26–42. 146 Gregorius Magnus, Hom. in Ev. I,13, PL 76, 1127 A. Diese Homilie als ganze wurde in Cluny für das Commune Confessorum verwendet, vgl. Etaix (wie Anm. 142) 132 (Nr. 17). Nur den Schluss (wie in der Stuttgarter Hs.) zieht Hrabanus Maurus für seine Homilia 27 in natali sanctorum confessorum (PL 110, 71 CD) heran. In Hrabans Hom. 24 in natali S. Andreae findet sich übrigens eine fast wörtliche Parallele zum Beginn der Aurelius-Homilie unserer Handschrift: Quia ergo, fratres charissimi, beati Andreae natalitia celebramus, debemus imitari quod colimus (PL 110, 66 B) / Sed quia beati patris nostri Aurelii festa annua devotione celebramus, debemus imitari quod colimus (Cod. theol. et phil. 8° 53, 40r). 147 Eine Adaption desselben Texts auf den hl. Donatianus bietet Saint Omer, Bibl. municipale, ms. 716–5, f. 123r. Näheres dazu bei Réginald Grégoire, Homéliaires Liturgiques Médiévaux, Spoleto 1980, S. 24 mit Anm. 74. 148 Cluny entnimmt die Lektionen für dieses Fest der Vita BHL 93, s. Etaix (wie Anm. 142) 125 (Nr. 141). 149 Aurelius als Hirsauer Patron bedarf hier keiner weiteren Erklärungen, und für Ägidius und Nikolaus darf auf die allerdings nicht sehr differenzierten Ausführungen von Gustav Hoffmann (wie Anm. 107) verwiesen werden. Die Silvestervita könnte eventuell vor dem Hintergrund des Investiturstreits gesehen werden; zur Bedeutung der Silvester-Tradition im Dienst der Zweigewalten-Theorie vgl. Eugen Ewig, Das Bild
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gend ist dieser Ansatz jedoch nicht, und so dürfte es naheliegender sein, an persönliche Interessen und Vorlieben des Kompilators zu denken. Kunsthistorisch und paläographisch ist die Handschrift in verschiedener Hinsicht von Interesse. Die Initialen lassen trotz des nicht sonderlich guten Erhaltungszustands ein beachtliches Niveau erkennen und weisen in der Rankenführung und der Zeichnung der Knollen Beziehungen zu frühen Zwiefaltener Handschriften auf.150 Stilistische Verwandtschaft besteht, wie Sigrid von Borries nachgewiesen hat,151 auch mit den Initialen des Stuttgarter Evangeliars Cod. bibl. 2° 71, das schon Karl Stenzel 1926 mit Hirsau in Verbindung gebracht hatte,152 sowie der Gregor-Hs. Cod. theol. et phil. 2° 211. Von der Hand des Schreibers von Cod. theol. et phil. 8° 53 stammt eine weitere Handschrift des Zwiefaltener Bestands (Cod. theol. et phil. 2° 205),153 und außerdem tritt sie in mehreren Zwiefaltener Codices als Glossen- bzw. Korrekturhand in Erscheinung.154 Anscheinend hat der fragliche Schreiber zunächst in Hirsau und später dann in Zwiefalten gewirkt.155 Bemerkenswert ist allerdings, dass er sowohl im Hinblick auf die erhaltenen Schriftdenkmäler aus Hirsau als auch im Vergleich mit der Zwiefaltener Produktion seiner Zeit absolut singulär wirkt. Lediglich zur Hand des Wiener Physiologus (s. u.) lassen sich gewisse Bezüge erkennen. Laut Gabriel Haas (s. Anm. 74) soll derselben Hand auch das verschollene Exemplar der Constitutiones Hirsaugienses zuzuschreiben sein.156 Dieses Konstantins des Großen im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 75 (1956), 1–46, bes. 13–17. Schwierig wird es hingegen mit Basilius, der sich kaum in diesen Zusammenhang einordnen läßt. 150 Von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 122 und Abb. 301–303. 151 Von Borries-Schulten (wie Anm. 71), Kat.-Nr. 75 und 76. 152 Karl Stenzel, Hirsau und Alspach. Ein Beitr. zur Gesch. d. Hirsauer Reform im Elsass, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 78 (1926) 26–62, hier 52–54; s. auch Karl Löffler, Romanische Zierbuchstaben und ihre Vorläufer, Stuttgart 1927, 25 sowie Ayres (wie Anm. 93), 125 mit Anm. 25. 153 Johannes Chrysostomus, Hom. in Matth. Die im Katalog von P. Gabriel Haas (wie Anm. 74), p. 54 f. erwähnten Miniaturen auf den Innenseiten der Deckel (imagines antiquissimae hinc illincque intus in compactura depictae) sind leider in so desolatem Zustand, dass sie kaum zu erkennen und zu bewerten sind. Es handelt sich um grün, blau und rot lavierte Federzeichnungen des 12. Jahrhunderts – Heiligenfiguren (?) unter Arkaden –, die vermutlich in Zwiefalten entstanden sind. 154 Eine detaillierte Übersicht bietet die Beschreibung bei Von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 122; die Angaben zu den Schreiberhänden sind Herrad Spilling zu verdanken. 155 So auch Von Borries-Schulten (wie Anm. 154). 156 Zu Cod. theol. et phil. 8° 53 vermerkt Haas (p. 317): character … idem esse videtur quo constitutiones ac consuetudines Cluniacenses B. Wilhelmi Hirsaugiensis exaratae sunt.
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verdient vor allem deshalb einen Hinweis, weil es nach der Beschreibung von Haas zu schließen sehr aufwendig gestaltet war. Die Handschrift wurde von einem ganzseitigen Dedikationsbild eröffnet (Maria mit Kind als Patronin Zwiefaltens, flankiert von zwei Leviten oder Diakonen, darunter ein Mönch, der Maria den Constitutionesband darbringt),157 und der Beginn des Textes war durch eine große rote Initiale ausgezeichnet (initiali litera valde magna minio efformata). Damit hebt sich das verschollene Zwiefaltener Exemplar deutlich ab von den erhaltenen Textzeugen der Schrift Wilhelms.158 Um so schwerer wiegt sein Verlust, der im Jahrzehnt zwischen 1792 (dem Datum des Haasschen Katalogs) und der Säkularisation von 1803 (bzw. der endgültigen Überführung der Zwiefaltener Bestände nach Stuttgart im Jahr 1806) eingetreten sein muss.159 Dies ist auch insofern bedauerlich, als die verschollene Handschrift zum Ausstattungsgut Zwiefaltens gehört haben dürfte und, falls Haas richtig beobachtet hat, wohl von einem Hirsauer Schreiber stammte. Ob sie noch in Hirsau entstand oder erst in Zwiefalten, ist dabei eher unerheblich; auf alle Fälle gehört sie in den Kontext der Zwiefaltener Frühzeit, als „Mitglieder des Gründungskonvents, d. h. in Hirsau geschulte Schreiber, die Entwicklung des Zwiefaltener Skriptoriums maßgeblich bestimmt … haben“.160 Als Bindeglied zwischen Hirsau und Zwiefalten wäre der verlorene Codex daher von außerordentlichem Interesse gewesen – nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Buchmalerei. Auf die historische Bedeutung der Handschrift, die u. a. Verbrüderungsverträge zwischen Hirsau und seinen Tochterklöstern161 sowie eine 157 Man fühlt sich bei dieser Beschreibung an die Mariendarstellung im Sommerteil des Passionale erinnert (Cod. bibl. 2° 56, 15r; Von Borries-Schulten [wie Anm. 71], Farbtafel vor S. 1); eine Vorbildfunktion der verlorenen Handschrift wäre hier durchaus denkbar. 158 „Consuetudines-Handschriften weisen – wenn überhaupt – nur sehr einfachen Initialschmuck auf“, stellt Herrad Spilling (wie Anm. 73), 30 Anm. 5 zu Recht fest; ihr Hinweis, die Angaben Löfflers im Anm. 139 zitierten Katalog (dort S. 52), das Zwiefaltener Exemplar sei mit Miniatur- und Initialschmuck versehen gewesen, entbehrten „der gesicherten Grundlage“ (ebd.), ist allerdings unzutreffend; Löfflers Quelle ist der Katalogeintrag von Gabriel Haas. 159 Eine Nachfrage bei Norbert Reimann (Münster), dem Herausgeber des Wilhelmschen Texts für das Corpus Consuetudinum Monasticarum, ergab, dass keine der heute bekannten Handschriften der Constitutiones der Beschreibung von 1792 entspricht. Damit dürfte die Hoffnung, das Zwiefaltener Exemplar als in eine andere Bibliothek „verirrtes“ Stück doch noch zu finden, auf ein Minimum reduziert sein. 160 Herrad Spilling (wie Anm. 73), 29. 161 Vgl. auch Joachim Wollasch, Spuren Hirsauer Verbrüderung, in: Hirsau St. Peter
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Reihe wichtiger Texte zur frühen Geschichte Zwiefaltens enthielt, kann hier nicht näher eingegangen werden. Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. hist. 4° 147: Jüngeres Klosterreichenbacher Schenkungsbuch, frühes 12. Jh.162 – Diese schon mehrfach erwähnte Handschrift mit der bekannten Wilhelm-Miniatur darf der Hirsauer Liste wohl einigermaßen unbedenklich angefügt werden. Die Frage, ob der Codex in Hirsau für die Tochtergründung Klosterreichenbach oder in dieser selbst von einem Hirsauer Mönch geschrieben wurde, lässt sich zwar nicht beantworten, ist jedoch für die Diskussion um den Schriftstil ohne Bedeutung: Die Handschrift ist so oder so als hirsauisch zu bezeichnen, zumal in der fraglichen Zeit ein eigenes Skriptorium für Klosterreichenbach realistischerweise nicht anzunehmen ist. Außer diesen neun Handschriften, die sich einigermaßen sicher für Hirsau in Anspruch nehmen lassen, sind einige weitere zu nennen, für die eine derartige Zuordnung zwar nicht die gleiche Gewissheit in Anspruch nehmen kann, zumindest aber nicht einfach auszuschließen ist. Dazu gehört die Hs. 223 der Österr. Nationalbibl. in Wien mit der ältesten deutschen Physiologusübersetzung, die nach Meinung der älteren germanistischen Forschung von Hirsauer Mönchen bei der Gründung des Klosters St. Paul im Lavanttal im Jahr 1091 aus dem Schwarzwald nach Kärnten gebracht wurde,163 aber auch einige Rheinauer Codices des späten 11. und frühen 12. Jh. sind hier in Betracht zu
und Paul 1091–1991, Bd. 2, hrsg. von Klaus Schreiner (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,2), Stuttgart 1991, 173–193, hier 183 Anm. 113. 162 Vgl. Butz (wie Anm. 87), Nr. 83 mit Abb. 332 f. Für eine eingehende Untersuchung der Handschrift darf verwiesen werden auf die Freiburger Dissertation von Stephan Molitor, deren Drucklegung in den Veröffentlichungen der Kommission für geschichtl. Landeskunde in Baden-Württemberg demnächst zu erwarten ist [mittlerweile 1997 erschienen als Bd. 40 der Reihe A der Kommissionsveröffentlichungen]. 163 Vgl. Hermann Menhardt, Wanderungen des ältesten deutschen Physiologus, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 74 (1937), 37 f. mit weiterer Literatur. Kritisch dazu Nikolaus Henkel, Studien zum Physiologus im Mittelalter (Hermaea N.F., 38), Tübingen 1976, 59–66. Immerhin zeugt die von Henkel 66 Anm. 30 erwähnte Tatsache, dass der (lateinische) Physiologus im Odenheimer Katalog (s. o. Anm. 55) sogar zweimal vertreten ist, von einer erstaunlichen Wertschätzung dieses Texts im Umkreis von Hirsau. S. jetzt auch Christian Schröder, ‚Physiologus‘, in: 2VL 7, Berlin u. a. 1989, 620–634, hier 628.
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ziehen: so z. B. Zürich, Zentralbibl., Rh. 54 und Rh. 74b,164 aber auch Rh. 18–19, Rh. 66 und Rh.70.165 Schließlich sind auch die hochmittelalterlichen Fragmente aus dem Hirsauer Skriptorium noch kurz anzusprechen. Die von Ernst Kyriß als Produkte einer Hirsauer Buchbinderwerkstatt des späten 15. oder frühen 16. Jh. erkannten Einbände (s. o. Anm. 5) erweisen sich hier als ertragreiche Fundgrube. Wolfgang Irtenkauf hat in mehreren Veröffentlichungen zum Hirsauer Buch- und Bibliothekswesen auf diesen Sachverhalt hingewiesen.166 Vgl. Hänggi (wie Anm. 94) L–LII. Beide Codices gehören in die Epoche der Einführung der Reform in Rheinau. Sowohl Rh 54 (Vorstufe der Constitutiones Hirsaugienses) als auch Rh. 74b (Liber ordinarius u. a.) sind offenbar Importstücke, die für die Neuordnung des klösterlichen Lebens und der Liturgie von fundamentaler Bedeutung waren. Sie führen uns also erneut in jenen im einzelnen kaum zu differenzierenden Zwischenbereich zwischen Hirsau und seinen Tochterklöstern. Bringt man die beiden Handschriften in Verbindung mit Abt Cuno, der in Rheinau um 1090 die Hirsauer Gewohnheiten einführte, so käme Petershausen, von wo Cuno nach Rheinau berufen wurde, als Entstehungsort in Frage; denkt man an Abt Otto (um 1108–1124), der die Erneuerung konsolidierte und auch einen Neubau der Klosterkirche unternahm, so rückt Hirsau selbst, wo Otto zunächst Mönch war, oder auch Blaubeuren, wo Otto einige Jahre als Abt wirkte, in den Vordergrund (vgl. Hänggi [wie Anm. 94], XL f.). 165 Über den engen paläographischen und buchmalerischen Zusammenhang dieser vier Codices s. Albert Bruckner, Scriptoria medii aevi helvetica 4, Genf 1940, 47 f. Die ebd. Tf. XXXI abgebildete P-Initiale aus Rh. 19 steht den Initialen des Stuttgarter Cod. bibl.2° 71 (s. o. S. 104 u. 116) sehr nahe; vgl. die Abb. 307, 308 u. 310 bei Von Borries-Schulten (wie Anm. 71). Rh. 66, wo sich nach Bruckner a. a. O. die „Eigenheiten der schwäbischen Malschule“ besonders ausgeprägt zeigen, steht auch textlich in einer nach Hirsau weisenden Tradition: Die Bibelglossen der Handschrift gehören zur Familie S von Elias Steinmeyer und Eduard Sievers, Die althochdeutschen Glossen 5, Berlin 1922, 110 und 234 ff., und offensichtlich ist auch die alte Hirsauer Vorlage, aus der 1511 Johannes Rapolt in der Stuttgarter Handschrift HB IV 27, f. 142r–256r auszugsweise abschrieb (s. Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 2,1, beschr. von Helmut Boese, Wiesbaden 1975, 150), ebenfalls diesem Überlieferungszweig zuzuordnen. Robert Bultot, L’auteur de l’„Altercatio Synagogae et Ecclesiae“ Conrad d’Hirsau?, in: Revue de théologie ascétique et mystique 32 (1965), 263–276, hier 275 f., gibt zu bedenken, ob dieser zweite Teil von HB IV 27 nicht mit Konrad alias Peregrinus von Hirsau in Verbindung zu bringen sei. Bleibt dies spekulativ, so dürfte doch die Glossenfamilie S unzweifelhaft eine in Hirsau beheimatete, vielleicht sogar dort entstandene Tradition verkörpern. Dafür spricht, dass die Textzeugen zumeist aus Hirsauer Klöstern stammen: Weingarten, Admont, Michelsberg, Benediktbeuern oder – wie im Falle der hier angesprochenen Hs. Rh. 66 – eben auch Rheinau. 166 Wolfgang Irtenkauf, Ein bursfeldisches Kalendar aus Hirsau, in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 51 (1957), 257–280, hier 276; ders.: Beiträge zur Einführung der Liniennotation im südwestdeutschen Sprachraum, in: Acta Musicologica 32 (1960), 33–39. 164
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Die karolingischen Makulaturfragmente wurden eingangs bereits erwähnt, so dass wir uns an dieser Stelle auf die Zeugnisse des 11. und 12. Jh. beschränken können. Wie auch in anderen klösterlichen Buchbindereien üblich, wurden meist liturgische Codices makuliert, was die Zuschreibung an Hirsau vielfach etwas erleichtert. Es stellt sich ja die Frage, ob die zerschnittenen hochmittelalterlichen Handschriften ohne weiteres als Erzeugnisse des Hirsauer Skriptoriums vereinnahmt werden können, oder ob es sich dabei nicht auch um Importstücke handeln könnte, die dann für unsere Fragestellung gar nicht herangezogen werden dürften. Die schon mehrfach angesprochenen Erkenntnisse zur Hirsauer Liturgie, namentlich die Rolle des Rheinauer Liber Ordinarius als Grundlage für einen Textvergleich (s. o. Anm. 94), bieten Möglichkeiten, die grundsätzliche Wahrscheinlichkeit, dass die Makulaturfragmente dem Hirsauer Skriptorium entstammen,167 mit inhaltlichen Kriterien zu überprüfen und in den meisten Fällen auch zu erhärten.168 Im folgenden kann lediglich eine Auswahl der interessantesten Stücke vorgestellt werden. Dazu gehören als inhaltlich bemerkenswerte Denkmäler zwei Fragmente des 12. Jh. in der Stadtbibliothek Colmar. Das eine, als hinterer Spiegel der Handschrift 464 verwendet,169 überliefert (mit anfänglichem So Irtenkauf, Kalendar (wie Anm. 166), 276. Im folgenden wird in diesen Fällen jeweils auf Hänggis Edition des Rheinauer Liber ordinarius als Basistext für die Hirsauer Liturgie rekurriert (vgl. Anm. 94). 169 Catalogue général… (wie Anm. 129) 56, Paris 1969, 131 f. Nr. 346. Eine ausführliche Beschreibung bei Victor Leroquais, Les bréviaires manuscrits des bibliothèques publiques de France 2, Paris 1934, 13. Dieses Katalogisat zeigt, dass die Trägerhandschrift (15. Jh.) zisterziensisch ist. Es handelt sich um den für diese Zeit mehrfach belegten Nachtrag von neu eingeführten Festoffizien. Vergleichsbeispiele bieten Karlsruhe, Bad. Landesbibl., L 17, 282v–299r als Ergänzungsteil eines Vollbreviers sowie L 39, L 108 und L 110 als selbständige Faszikel wie die Colmarer Hs. (s. Heinzer/Stamm, Lichtenthal (wie Anm. 106), 99, 133, 263 u. 268). Diese Lichtenthaler Handschriften vertreten im Fronleichnamsoffizium jeweils eine textliche Eigenart (bes. die vom üblichen Zisterzienserformular abweichenden Lektionen aus Augustin, Tr. in Io. 26,11: Nos hodie fratres visibilem accipimus cibum… – so auch in Colmar 464), die anscheinend durch Herrenalb vermittelt wurde, wie sich dies zumindest für L 17 (s. o.) sowie für weitere Handschriften mit diesem Sondergut (L 18, L 20, L 29 und L 57) belegen lässt. Auch die Colmarer Handschrift gehört offenbar in diesen Kontext. Ob dies auf Entstehung in Herrenalb schließen lässt, muss offenbleiben. Dass die Handschrift einen Hirsauer Einband trägt, könnte immerhin in diese Richtung weisen, denn in Hirsaus Nachbarschaft kommen eigentlich nur Maulbronn, Bebenhausen und Herrenalb bzw. die diesen Abteien unterstellten Frauenklöster des Ordens in Frage. Hat Hirsau auch sonst für die schwäbischen Zisterzen Bücher gebunden? Immerhin belegt der Hirsauer Briefsteller in der Hs. Gb 4° 437 des Tübinger Wilhelmstifts (dort 238r) Beziehungen zwischen Hirsau und Bebenhausen, die auch Herrenalb mit einbeziehen (s. u. S. 147), und ebenso sind 167 168
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Textverlust) die in hochmittelalterlicher Zeit in Hirsau gebräuchliche Litanei und wurde daher von Wolfgang Irtenkauf als Grundlage für seinen Litaneivergleich zwischen Hirsau und seinen Töchtern Zwiefalten, Weingarten und Blaubeuren herangezogen.170 Die Kenntnis des zweiten Colmarer Fragments verdanke ich einem freundlichen Hinweis Ursula Schwitallas, die das Bruchstück im Zuge ihrer Recherchen zur Bebenhauser Bibliotheksgeschichte aufspürte. Es handelt sich um zwei Blätter eines sorgfältig ausgeführten, mit Arkadenschmuck versehenen Kalendars (Mai/Juni und September/Oktober), das offenkundig für Hirsau bestimmt war. Die Blätter wurden als Spiegel eines Frühdrucks (Signatur XI 9372) verwendet, nämlich eines Exemplars des 1516 in Basel gedruckten Psalmenkommentars von Hieronymus. Der mit Hirsauer Einband und dem für einen Teil der Hirsauer Bibliothek typischen Unterschnitt-Titel versehene Druck gelangte, wie ein Besitzvermerk des Bebenhäuser Mönchs Jakob Beytter171 zeigt, in das bei Tübingen gelegene Zisterzienserkloster Bebenhausen. Die Makulaturfragmente bieten eine wertvolle Ergänzung unserer Kenntnisse der Hirsauer Liturgie des 11. und 12. Jh. und werden in meinem Anm. 94 genannten Beitrag zur Rekonstruktion des Hirsauer Kalendars herangezogen. Einen Hinweis auf ihre ursprüngliche Verwendung liefern möglicherweise einige Blätter des Stuttgarter Hauptstaatsarchivs (J 522 B XI 742), auf die mich Stephan Molitor aufmerksam gemacht hat. Es handelt sich um Reste eines Lectionarium officii, das außer den Lektio-
in diesem Zusammenhang die für 1509 belegten Kontakte des Maulbronner Mönchs Konrad Leontorius mit Hirsau zu erwähnen (Die Amerbachkorrespondenz 1, bearb. und hrsg. von A. Hartmann, Basel 1942, Nr. 415 und 425 f.). 170 Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 1,2, beschr. von Virgil E. Fiala und Hermann Hauke unter Mitarb. von Wolfgang Irtenkauf, Wiesbaden 1970, XI und 183–187. Eine Ergänzung dazu in meinem Anm. 94 erwähnten Beitrag zur Hirsauer Liturgie. 171 In der Konventsliste von 1560 bezeugt; nach der Aufhebung Bebenhausens in Pairis, dort 1566 gestorben. Über Pairis gelangte der Band mit weiteren Bebenhäuser Büchern in die Colmarer Bibliothek. Zu Jakob Beytter s. Die Zisterzienserabtei Bebenhausen, bearb. von Jürgen Sydow (Germania Sacra NF 16,2), Berlin 1984, 296. Zur Bebenhäuser Bibliotheksgeschichte, bes. in bezug auf Pairis s. E. Gohl (†), Handschriften, Drucke und Einbände aus Bebenhausen, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 49 (1990), 143–167 (zu Beytter 145 und 155); eine umfangreiche Untersuchung mit zahlreichen Ergänzungen – so auch dem hier besprochenen Frühdruckband, der Gohl entgangen war – ist demnächst von Ursula Schwitalla zu erwarten [S. jetzt Ursula Schwitalla, Zur Geschichte der Bibliothek des Klosters Bebenhausen, in: Die Zisterzienser in Bebenhausen, hrsg. von Ursula Schwitalla und Wilfried Setzler, Tübingen 1998, 85–104, zu Beytter 90 f.].
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nen teilweise auch die zugehörigen Antiphonen und Responsorien enthält.172 Die Fragmente wurden aus einem in Hirsau gebundenen Lagerbuch des Amts Tübingen von 1523 (Stuttgart, HStA, Weltl. Lagerb. 1801) herausgelöst.173 Nicht nur im ungewöhnlich großen Format (Blattgröße ca. 41 × 30 cm) und im Ausmaß des Schriftspiegels stimmen die Stuttgarter Lektionarfragmente mit den Colmarer Kalendarbruchstücken überein, sondern auch paläographisch besteht eine ganz enge Verwandtschaft – höchstwahrscheinlich handelt es sich sogar um ein und denselben Schreiber –, so dass man versucht ist, eine ursprüngliche Zusammengehörigkeit dieser membra disiecta anzunehmen, zumal man sich eine Lektionarhandschrift sehr gut mit einem Kalendar vorstellen kann. Ebenfalls von liturgiegeschichtlichem Interesse ist das in der Stuttgarter Inkunabel 2° 13365 steckende Fragment eines für eine Frauengemeinschaft eingerichteten Rituale.174 es stammt aus dem 12. Jh. wie die eben erwähnten Lektionar- und Kalendarbruchstücke und dürfte einer Handschrift angehört haben, die für den quellenmäßig nur schwer fassbaren, unter Abt Wilhelm anscheinend nach Kentheim verlegten Frauenkonvent175 bestimmt war.
172 Diese neumierten Offiziumsteile entsprechen Hänggi (wie Anm. 94) 213 (18–22) und 217 (8–22). Die makulierte Handschrift scheint dem Typus der von Michel Huglo, Les livres de chant liturgique (Typologie des sources du moyen âge occidental 52), Turnhout 1988, 117 als „homéliaire-responsorial“ bezeichneten Vorstufe des notierten Chorbreviers entsprochen zu haben. Die H-Initiale der 1. Lectio zum Fest Allerheiligen auf dem letzten Blatt zeigt enge Verwandtschaft mit der Initiale (ebenfalls H) am Anfang des Stuttgarter Cod. theol. et phil. 8° 53 (Sigrid von Borries-Schulten [wie Anm. 71], Abb. 301). 173 Vgl. Ernst Kyriss, Spätgotische Einbände im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 11 (1952), 244–246, hier 244, und Altwürttembergische Lagerbücher aus der österreichischen Zeit 1520–1534, bearb. von Paul Schwarz, (Veröffentlichungen der Kommission f. gesch. Landeskunde in BadenWürttemberg A 2), Stuttgart 1959, VII f. Wegen Umsignierung des Lagerbuchs (alt 1706, so noch bei Ernst Kyriss zitiert) und weiterer Umstände gestaltete sich die Zusammenführung des Fragments mit seinem Träger einigermaßen schwierig; für kollegiale Hilfe bei diesem Unternehmen habe ich Herrn Dr. G. Cordes zu danken. 174 Es enthält Teile des Officium sepulturae (vgl. von Arx [wie Anm. 92], Nr. 359– 361) und der Kerzenweihe zu Mariae Lichtmeß (vgl. von Arx, Nr. 79, die zweite der beiden Orationen nicht im Klosterbiburger Rituale; s. auch Gebhard Hürlimann, Das Rheinauer Rituale (Spicilegium Friburgense 5), Freiburg/Schweiz 1959, Nr. 19 f.). Im Darmstädter Rituale aus Hirsau (s. o. S. 104) fehlen diese Texte. 175 Vgl. dazu Karl Greiner, St. Nazarius – St. Bartholomäus – Nonnenklösterlein – St. Peter und Paul, in: Schwäbische Heimat 10 (1959), 157–162, hier 159 f., und Karl Greiner und Siegfried Greiner, St. Candiduskirche in Kentheim, Pforzheim 51987, 12 f.
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Einen Hinweis verdient sodann ein bisher unbeachtetes Tonarfragment, das als Vorderspiegel der spätmittelalterlichen Stuttgarter Handschrift Cod. theol. 4° 80 Verwendung gefunden hat. Die Trägerhandschrift, auf die später noch einzugehen sein wird, konnte erst aufgrund des Katalogs von Johannes Parsimonius aus dem Jahr 1581 (s. u., S. 161) als hirsauisch identifiziert werden. Damit rückte auch das Makulaturfragment aus dem 12. Jh., das sonst gar nicht in diese Untersuchung einbezogen worden wäre (da der Einband keine Stempelprägung aufweist und somit nicht als hirsauisch zu erkennen ist), ins Blickfeld. Schriftcharakter und Schmuckelemente fügen sich ohne weiteres in das bisherige Gesamtbild der Hirsauer Produktion, und vor allem liefert der liturgische Befund eine zusätzliche Stütze für die Lokalisierung nach Hirsau: die als Beispiele herangezogenen Offiziumsantiphonen gehören alle zum Repertoire des hirsauischen Liber ordinarius. Interessanterweise wird als Ordnungsprinzip die durch den liturgischen Zyklus geregelte Abfolge herangezogen und nicht, wie vielfach üblich, die alphabetische Reihenfolge der Textinitien. Der teilweise beschnittene Anfang des Tonars lässt sich wie folgt rekonstruieren: [Pri]mus tonus con[sta]t ex prima specie [diape]nte et ex prima [specie] diatesseron su[perius] habens quinque [differ] entias. [Primu]m querite regnum [Dei].… Dieses Initium stimmt fast wörtlich überein mit dem des Tonars Berns von Reichenau,176 dann aber geht das Fragment eigene Wege.177 Bei der Frage nach dem Verfasser ist man natürlich bei einem so dezidiert hirsauisch gefärbten Textbestand versucht, an Wilhelm zu denken. Dass dieser – in musica peritissimus178 – als Ergänzung zu seinem großen theoretischen Traktat auch einen Tonarius verfasst haben könnte, wie beispielsweise Bern oder Frutolf, wäre durchaus denkbar, ja sogar fast zu erwarten. Doch ist bisher ein solcher Text weder überliefert noch durch Hinweise aus anderen Quellen bezeugt. Sollte sich in Gestalt des Stuttgarter Fragments etwa der Rest eines verschollenen Tonar des Hirsauer Abts erhalten haben? Zumindest als Hypothese wäre dies zu erwägen [s. jetzt Ergänzung zu Anm. 177]. Von den drei bei Annegret Butz mit Hirsauer Provenienz vorgestellten, bezüglich Entstehungsort jedoch nicht näher fixierten Stücken PL 142, 1115. Vgl. auch Michel Huglo, Les tonaires, Paris 1971, 290. Bei Huglo findet sich nichts Entsprechendes. [Vgl. jetzt Felix Heinzer und Andreas Traub, Neue Quellen zur Choralreform in Hirsau und der „Tonar des Wilhelm von Hirsau“, in: Musik in Baden-Württemberg 12 (2005), 77–92]. 178 Bernoldi Chronicon (MGH SS 5, 541). 176 177
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(Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. fragm. 24, 53 und 56)179 lassen sich aufgrund inhaltlicher Kriterien als hirsauisch bestimmen. Das Kollektarfragment Cod. fragm. 24 folgt, so weit sich dies verifizieren lässt, dem Liber ordinarius180 und berücksichtigt in der Oration Mentem familiae tuae das Peter- und- Paul- Patrozinium des Hirsauer Klosters, und auch die Antiphonale-Fragmente Cod. fragm. 56 mit Teilen des Commune unius confessoris181 und Bruchstücken der Offizien von Johannes dem Täufer und Paulus182 entsprechen der Hirsauer Liturgieordnung, ebenso die drei unter Cod. fragm. 53 aufbewährten Blätter mit Invitatoriumstonar und Teilen der Offizien für die Pfingstzeit.183 Auf die Bedeutung der zuletzt genannten Fragmente für die in Frage nach der in Hirsau gebräuchlichen Notation hat Wolfgang Irtenkauf schon 1960 hingewiesen. In diesem Zusammenhang sind auch die Makulaturfragmente in Karlsruhe, Bad. Landesbibl., L 135 (Johannes Trithemius, De triplici regione claustralium, hain 15618) zu nennen.184 Es handelt sich um zwei Bruchstücke einer Gradualehandschrift des 12. Jh. (mittleres Drittel) mit Teilen der Liturgie für die Karwoche und für die Osteroktav.185 Besonderes Interesse verdient hier die Ergänzung der linienloButz (wie Anm. 87) 1 f. und Kat. Nr. 7–9, wo allgemein auf den südwestdeutschen Raum verwiesen wird. 180 Hänggi (wie Anm. 94) 144 (Z. 3), 149 (Z. 9), 150 (Z. 1.7.21), [157 (Z. 21)], 158 (Z. 8), 158 (Z. 9 f.) mit Verweisung auf 151 (Z. 18), 159 (Z. 25. 26). Exakte Übereinstimmung lässt sich übrigens auch mit dem Zwiefaltener Kollektar Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. brev. 128 (82v u. 84r–86r) aus dem 12. Jh. sowie dem Weingartner Brevier Stuttgart, Württ. Landesbibl., HB I 98 (156v u. 157v–158v) aus dem 13. Jh. feststellen; lediglich da, wo Alternativorationen vorgesehen sind, bieten die Handschriften der Tochterklöster eine reichere Auswahl als das Hirsauer Fragment. 181 Hänggi (wie Anm. 94) 233 (Z. 33–35), wobei im Stuttgarter Fragment das für den Sommer vorgesehene Responsorium Iustum deduxit und nicht Vir Israelita verwendet wird. 182 Johannes d. Täufer: Resp. 1, 4 (nicht 3, wie irrtümlich bei Irtenkauf, Kalendar [wie Anm. 166] 35), 6, 10 und 11, entspr. Hänggi a. a. O. 180 (Z. 12 f. 14. 19 f. 23); Paulus: Resp. 3, 7 (nicht 6, wie Irtenkauf angibt) 12, Benedictus-Antiphon und Versikel, entspr. Hänggi a. a. O. (wie Anm. 94) 183 (Z. 18 f. 23. 26 f. 32). 183 Sie entsprechen Hänggi 168 (Z. 13–14.17–24) und 246 (Z. 24–30). – Zu erwähnen sind hier außerdem der Vorderspiegel von Stuttgart HB IV 27, ein Brevierfragment entsprechend Hänggi 51 (Z. 22–27), und das Antiphonarfragment Schaffhausen, Stadtbibl., RC 103, das textlich Hänggi 221 (Z. 8–15) entspricht und im übrigen durch eine Rankeninitiale, die stilistisch den Hirsauer Erzeugnissen der Zeit nahtlos einzuordnen ist, auch kunsthistorisch auf das Nagoldkloster weist. 184 Heinzer/Stamm (wie Anm. 106), 289 f.; der Band dürfte aus Hirsau über Frauenalb nach Lichtenthal gelangt sein. 185 Ein etwas älteres Gradualefragment signalisierte mir Stephan Molitor. Es wurde als Einbandverstärkung des Klosterreichenbacher Lagerbuchs H 102/63, Bd. 26 des 179
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sem Neumen durch sog…Litterae significativae“.186 Auf die Frage nach Herkunft und Bedeutung dieser Hilfsbuchstaben für den Choralvortrag näher einzutreten, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Immerhin sei der Gebrauch dieses Notationselements in Hirsau zumindest erwähnt. Für seine Vermittlung könnte vielleicht auch an Einsiedeln zu denken sein, von wo aus Hirsau 1066 neu besiedelt worden war,187 doch ist diese Annahme keineswegs zwingend. Einige liturgische Bruchstücke des 13. und 14. Jh. in den Hirsauer Einbänden sollen hier ebenfalls erwähnt werden, belegen sie doch, dass auch in dieser Epoche, die quellenmäßig kaum belegt ist und als eine Zeit des Niedergangs gilt, die Buchproduktion des Nagoldklosters nie ganz zum Erliegen gekommen ist. Insgesamt darf man festhalten, dass die Fragmentbefunde zwar eine gewisse Verbreiterung des Materials erbringen, ohne dass diese jedoch ausreichen würde für eine solide Darstellung des Hirsauer Skriptoriums während der hochmittelalterlichen Reformepoche. Der Informationswert dieser Bruchstücke dürfte, wie die angeführten Beispiel verdeutlicht haben, eher andere Bereiche betreffen: einzelne Fragen der Klostergeschichte, vor allem aber die Liturgie oder auch Einzelaspekte der Musikpflege. Wenn wir schließlich die Perspektive etwas ausweiten vom Skriptorium auf die Bibliothek, d. h. nach Handschriften fragen, die zwar nicht in Hirsau entstanden sind, aber doch zumindest zeitweilig sich dort befanden und die Buchkultur ihres Aufenthaltsortes beeinflusst haben könnten, so ist auch hier die Ausbeute sehr gering. Otloh, in St. Emmeram Lehrer und Freund Wilhelms, hat diesem nach eigenem Zeugnis vier Handschriften nach Hirsau mitgegeben.188 Leider schei-
Stuttgarter Hauptstaatsarchivs verwendet und enthält den Schluss des Tractus für Palmsonntag (Saepe expugnaverunt), den 2. Tractus für Karfreitag (Eripe me) sowie den Anfang der Improperien Popule meus. Paläographisch auffallend ist der urkundenartige Einschlag der Schrift (bes. r und s). Ob der makulierte Codex in Hirsau oder Klosterreichenbach entstanden ist, lässt sich nicht klären; jedenfalls dürfte er Hirsauer Schreibtradition repräsentieren. 186 Vgl. dazu Riemann Musiklexikon, 12. völlig neu bearb. Aufl., hrsg. von Wilibald Gurlitt, Sachteil, Mainz 1967, 815, und Constantin Floros, Universale Neumenkunde 2, 1970, 134–169 [Auch dazu Näheres in dem Anm. 177 erwähnten Aufsatz von 2005]. 187 Dass Hirsau damals auch mit Einsiedler Choralhandschriften versehen worden sein könnte, hat Wolfgang Irtenkauf, Beiträge (wie Anm. 166), 36 zu bedenken gegeben. 188 Postea vero cum fratre nostro Wilhelmo profectus, dedi ei quatuor libros, inter quos erat Missalis liber satis pretiosus, PL 146, 58 B, und MGH SS 11, 393. Vgl. auch Bernhard Bischoff, Mittelalterliche Studien 2, Stuttgart 1967, 100 Anm. 101.
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nen sich diese Bücher nicht erhalten zu haben, wobei spekuliert werden kann, ob das große Meßbuch, das Parsimonius 1581 in seinem Verzeichnis (dort p. 59) aufführt189 und das 1610 in Hirsau noch zu sehen war,190 mit dem Prunkstück der Mitgift aus Regensburg, dem von Otloh eigens hervorgehobenen Missalis liber satis pretiosus, identisch gewesen sein könnte. Eine weitere Handschrift, die heute glücklicherweise noch erhalten ist – Karlsruhe, Bad. Landesbibl., Rastatt 22191 –, wurde ebenfalls mehrfach mit dem Wechsel Wilhelms aus St. Emmeram nach Hirsau in Verbindung gebracht. Der Codex, der aus dem 9. Jh. stammt und die Briefe des Bonifatius enthält, befand sich seit dem späten 11. Jh. in Hirsau, wie der Eintrag Anno millesimo noagesimo (!) secundo VIIII Kal. Aprilis transmigravimus de sancto Aurelio huc von einer mit dem erwähnten Ereignis etwa gleichzeitigen Hand deutlich macht. Die Vorgeschichte der Handschrift hat sich in einer Reihe von Zusätzen und Nachträgen niedergeschlagen: so enthalten f. 111– 116 die sog. Epistulae Moguntinae, die nach 955/56 und wohl noch vor 975 nachgetragen worden sein dürften, und zwar vermutlich in Mainz selbst,192 während eine Reihe von Korrekturen im Hauptcorpus von einer Hand des 11. Jh. stammt, die von der älteren Forschung Otloh zugeschrieben wurde.193 Dies würde bedeuten, dass Wilhelm diesen Band ebenfalls aus St. Emmeram mitgebracht haben dürfte, doch hat Bernhard Bischoff die Zuschreibung an Otloh entschieden in Frage gestellt.194 Klarer sind die Verhältnisse bezüglich der bekannten italienischen Riesenbibel. Es handelt sich um ein Geschenk Kaiser Heinrichs IV. an Hirsau, das dieser vermutlich noch in den siebziger Jahren dem Aureliuskloster stiftete: Heinricus IIII rex dedit hunc librum S. Aurelio, lautet der entsprechende Vermerk auf f. 92v der heute in München 189 Mit dem Zusatz: Diß buch ligt in der liberi auff dem tisch. Zum Verzeichnis von 1581 s. u. S. 161. 190 Nach dem Bericht Andreas Reichards in der Handschrift Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, 19. 5. Aug. fol., f. 91r–102v, auszugsweise abgedruckt bei Lessing (wie Anm. 49). Das Missale wird hier beschrieben als „ein gar grosses schweres und Pergamentis Buch, das ein einziger Mann nit wol naher thun oder handeln kann, welches inwendig der Decken an Orthen und Enden herumb anstatt der Spangen mit hülzenen Remen beschlagen und ein jedes Blatt ein junge Kalbshaut soll gewest seyn“. 191 Alfred Holder, Die Durlacher und Rastatter Handschriften (Die Handschriften der badischen Landesbibliothek in Karlsruhe 3). Neudr., Wiesbaden 1970, 102–106 u. 212 f. 192 Hartmut Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich (Schriften der MGH 30, 1), Stuttgart 1986, Textbd. 240. 193 Vgl. v. a. Michael Tangl, MGH Ep. sel. 1, IX f. 194 Bischoff (wie Anm. 186), 93.
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befindlichen Handschrift (Clm 13001), von der sich lediglich ein Band (2. Teil des AT, NT komplett) erhalten hat. Es handelt sich um eine der typischen Vulgaten, wie sie während der gregorianischen Reform in Italien produziert wurden, allerdings in einem besonders qualitätvollen Exemplar, das etwa um 1070 entstanden sein dürfte.195 Heinrichs Geste – sicher noch in die Zeit vor dem offenen Ausbruch des Investiturstreits anzusetzen – schließt sich an die lange Tradition königlicher und kaiserlicher Bücherschenkungen an Kirchen und Klöster an, deren hohe Zeit jedoch damals bereits vorüber war.196 Von einer möglichen Beeinflussung der Hirsauer bzw. Zwiefaltener Buchkunst des 12. Jh. durch die italienische Bibel war oben (Anm. 93) schon kurz die Rede. Bekanntlich spielte die Handschrift in Böcklers Argumentation für Hirsauer Ursprung des großen, dreibändigen Passionale (s. o. Anm. 74) eine bedeutsame Rolle, doch ist inzwischen deutlich geworden, dass ähnliche italienische Handschriften auch in anderen Zentren südwestdeutscher Buchkultur vorhanden gewesen sein dürften.197 Das Hirsauer Exemplar wurde schon bald an das neugegründete Tochterkloster Prüfening weitergegeben und gelangte später von dort über St. Emmeram (?) nach München. Von der heute verschollenen Hirsauer Tertullian-Handschrift wird im zweiten Teil noch die Rede sein. Versuchen wir, zum Schluss dieses ersten Abschnitts ein kurzes Fazit zu ziehen. An Klaus Schreiners Verdikt, Skriptorium und Bibliothek Hirsaus seien in sachlich angemessener Weise nicht mehr kenntlich zu machen (s. o., S. 259), ist zumindest für die erste Blütezeit des Klosters kaum zu rütteln. Annähernd ein Dutzend als Eigenproduktion Hirsaus einigermaßen gesicherte Handschriften, einige Stücke, die mit diesem Kern in einer gewissen Verbindung stehen, dazu eine größere Anzahl Fragmente und einige wenige Codices, für die Hirsau wenigstens als Bibliotheksheimat anzusprechen ist – mehr ist trotz intensiver Recherchen nicht beizubringen. Allerdings fällt diese auf den ersten Blick so 195 Eine eingehende Würdigung der Handschrift jetzt bei Larry M. Ayres, The Bible of Henry IV and an ltalian Romanesque Pandect in Florence, in: Studien zur mittelalterlichen Kunst. Festschr. Florentine Mütherich, hrsg. von Katharina Bierbrauer u. a., München 1985, 157–166. 196 Hoffmann (wie Anm. 192), 7–37, bes. 17 f. 197 Vgl. Von Borries-Schulten (wie Anm. 71), 69 mit Erwähnung von Fragmenten weiterer Riesenbibeln in Stuttgart und Schwäbisch Hall; s. auch Ayres, Episode (wie Anm. 93) zu entsprechenden Einflüssen in Weingarten.
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ernüchternde Bilanz etwas günstiger aus, wenn man die zahlreichen Einzelbeobachtungen, die sich dabei ergeben haben, in die Waagschale wirft. Zusammen mit den Zeugnissen aus dokumentarischen Quellen gestatten sie immerhin, einige wichtige Akzente zu setzen. Dazu gehört zunächst einmal der hohe Stellenwert, den Skriptorium und Bibliothek in Hirsau in der hochmittelalterlichen Blütezeit besessen haben müssen. Nicht nur die benediktinischen Reformbewegungen des 15. Jh. insistieren auf der Bedeutung gut ausgebauter Büchersammlungen, auch die hochmittelalterlichen Bestrebungen nach Erneuerung wissen genauso um die zentrale Rolle der Bibliothekssorge: der quasi- sakrale Akzent, mit dem Wilhelm seine Ausführungen zu den Schreibern und zur Bücherkammer versieht, zeigen dies ganz deutlich. Als Reformzentrum hatte Hirsau auch im Bereich des Buchwesens eine weit über die eigenen Mauern hinausreichende Ausstrahlung, vor allem im Hinblick auf die Versorgung der Tochterklöster, wie sich wenigstens in einigen Fällen nachvollziehen lässt. Zumindest in quantitativer Hinsicht dürfte somit die Buchproduktion sehr beachtlich gewesen sein. Der qualitative Aspekt ist weniger leicht zu fassen. Immerhin scheinen die erhaltenen Zeugnisse darauf hinzudeuten, dass die Buchkultur des Nagoldklosters wohl primär dem Gebrauch und nicht der Repräsentation diente. Spielte in der Buchkunst vieler klösterlicher Zentren der ottonischen Zeit der Auftrag von außen, namentlich von Seiten geistlicher und weltlicher Fürsten, eine entscheidende Rolle – „die ottonische Buchmalerei ist weitgehend eine Hofkunst gewesen“, formuliert Hartmut Hoffmann198 zwar sicherlich überspitzt, aber doch etwas Wichtiges treffend –, so stand die Hirsauer Handschriftenproduktion primär im Dienst der regeltreuen monastischen Existenz und einer umfassenden kirchlichen Erneuerung. So ist – sicher nicht zufällig – die Federzeichnung die hauptsächliche, ja fast ausschließliche Technik der Buchmalerei Hirsaus und seines Kreises. Zumindest deuten die erhaltenen Stücke in diese Richtung. Wollte man diesen Sachverhalt auf eine Formel bringen, so könnte man sagen: nicht die Wirkung steht im Vordergrund dieser Kunst, sondern die Illustration inhaltlicher Aussagen. Letzten Endes dürfte die Hirsauer Buchkultur zumindest in der grundsätzlichen Tendenz den Ernst und die Strenge der Reform gespiegelt haben, und die Rede vom Thesaurus incomparabilis im Bibliothekskatalog des 12. Jh. richtet sich wohl auch weniger auf äußeren Prunk der Handschriften, als
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Hoffmann (wie Anm. 192), 7.
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vielmehr auf ihre Zahl und ihren inhaltlichen Wert. Stilbildende Kraft oder gar integrierende Wirkung auf die von der Reform mit erfassten Klöster im Rahmen von Verbandsbildung wie ansatzweise in Cluny199 oder dann vor allem bei den Zisterziensern ist indessen von Skriptorium und Bibliothek Hirsaus kaum oder dann nur für kurze Zeit ausgegangen. Der Abstieg von einem Zentrum der Erneuerung zum Provinzkloster vollzog sich schon im 12. Jh.200 Für das 13. und 14. Jh. versiegen die Quellen fast völlig – auch im Bereich der Bibliotheksgeschichte. II. Die Bursfelder Reformepoche im 15. und 16. Jahrhundert Das Reformkapitel der Benediktinerprovinz Mainz-Bamberg im Jahr 1417 in Petershausen201 markiert den Beginn einer Bewegung, die im Lauf des 15. Jahrhunderts zahlreiche Klöster im deutschen Sprachgebiet erfasste und noch einmal zu einem inneren und äußeren Aufschwung führte. Dies gilt bekanntlich auch für Hirsau. Nach anfänglichen Kontakten mit der Melker Richtung, die über das Kloster Wiblingen bei Ulm vermittelt wurden, schloss sich Hirsau im Jahr 1458 schließlich der Bursfelder Kongregation an und wurde selbst zu einem aktiven Stützpunkt dieses Reformkreises im südwestdeutschen Raum.202 Dass spätmittelalterliche Klosterreform wesentlich auch Bildungsreform war und nicht zuletzt im Bereich der Wissenschaftspflege und des Bibliothekswesens wichtige Impulse brachte, hat Klaus Schreiner in mehreren Studien herausgearbeitet.203 Hirsaus Entwicklung in dieser Zeit ist dafür ein gutes Beispiel. Das Wiedererwachen wissenschaftliVgl. Wischermann (wie Anm. 20), 101 f. Ein Indiz dafür ist etwa das oft zitierte Schreiben Innozenz II. an die Äbte der Zisterzen in der Umgebung Hirsaus bezüglich entlaufener Hirsauer Mönche (Württembergisches Urkundenbuch 4, Stuttgart 1883, 348); zu einer möglichen Präzisierung der Datierung – 1138–1143, eventuell 1138 – vgl. Felix Heinzer, Zwei unbekannte Briefe Bernhards von Clairvaux in einer Handschrift der Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, in: Scriptorium 41 (1987), 97–105, hier 99 Anm. 5. Hier wird deutlich, dass Hirsau bezüglich des Reformanspruchs schon bald der Rang abgelaufen wird. 201 Noch immer maßgeblich ist die Darstellung von Josef Zeller, Das Provinzialkapitel im Stifte Petershausen im Jahre 1417. Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 41 (1922), 1–73. 202 Vgl. Klaus Schreiner, Hirsau (wie Anm. 1), 285 f. 203 Außer den in Anm. 3 und Anm. 43 genannten Arbeiten s. auch Klaus Schreiner, Benediktinische Klosterreform als zeitgebundene Auslegung der Regel. Geistige, religiöse und soziale Erneuerung in spätmittelalterlichen Klöstern Südwestdeutschlands im 199 200
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cher, insbesondere historischer Interessen, umfangreichere Bücherkäufe verbunden mit einer Belebung der klostereigenen Handschriftenproduktion, die Einrichtung einer Buchbinderwerkstatt und nicht zuletzt der Neubau der Bibliothek geben davon Zeugnis. Dass derartige Maßnahmen ohne ein entsprechendes wirtschaftliches Fundament nicht denkbar sind, muss ebenfalls angedeutet werden. In der Tat spielt der ökonomische Aspekt in der Reformbewegung der Benediktiner eine durchaus wichtige Rolle, wobei gesunde finanzielle Verhältnisse nicht nur als Bedingung des geistigen Aufschwungs zu sehen sind, sondern zumindest im Selbstverständnis der Klöster auch als Ausdruck und Frucht geglückter Erneuerung. So gelangte auch Hirsau in dieser Zeit noch einmal zu einem beachtlichen Wohlstand. Doch nun zu den bibliotheksgeschichtlichen Auswirkungen der Reformepoche, und zwar zunächst zu den Handschriften. Ähnlich wie in der hochmittelalterlichen Blütezeit besteht auch hier ein Ungleichgewicht zwischen dem aus zeitgenössischen Quellen zu rekonstruierenden Bestand und dem, was heute noch greifbar ist. Zwar ist das Missverhältnis für die spätere Zeit nicht ganz so krass wie für das 11. und 12. Jh., doch zeigt der Vergleich mit dem nun schon mehrfach erwähnten Verzeichnis von 1581, dass längst nicht alle der dort verzeichneten libri manuscripti auf uns gekommen sind. Die im folgenden verzeichneten Stücke vermögen aber immerhin noch einen Eindruck dessen zu vermitteln, was die neue Wertschätzung des Bücherschreibens durch die Reform – in geradezu programmatischer Weise repräsentiert durch den Traktat De laude scriptorum von Johannes Trithemius – in diesem Bereich bewirkt hat. Dabei handelt es sich sowohl um Importhandschriften als auch um Produkte eigener Schreiber. Als erstes Zeugnis des Reformaufschwungs ist die zur Hauptsache 1446, noch in der Melker Phase also, in Hirsau für Abt Wolfram Maiser von Berg geschriebene Handschrift HB I 46 der Württ. Landesbibl. Stuttgart zu nennen.204 Hauptschreiber ist ein Wiblinger Mönch
Zeichen der Kastler, Melker und Bursfelder Reform, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 86 (1986), 105–195. 204 Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 1,1, beschr. von Johanne Autenrieth u. Virgil Ernst Fiala, unter Mitarb. von Wolfgang Irtenkauf, Wiesbaden1968, 67–73. S. auch Heribert Hummel, Bibliotheca Wiblingiana. Aus Scriptorium und Bibliothek der ehemaligen Benediktinerabtei Wiblingen, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 89 (1978), 510–570, hier 520 (allerdings mit falscher Lesung des Schreibernamens).
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namens Jacobus,205 dem laut Kolophon in Hirsau die domus habitationis des Abts während dessen Abwesenheit als Schreibstube zur Verfügung gestellt wurde – sicherlich auch ein Indiz für die Bedeutung, die man der Herstellung dieser Handschrift beimaß. Diese enthält denn auch in geradezu modellhafter Form grundlegende Texte der Reform, darunter nebst mehreren Statuten des Peterhausener Kapitels (s. o.) die Caerimoniae von Subiaco,206 die bekanntlich als Vorbild der Melker Consuetudines dienten, und einen anscheinend speziell für Hirsau ausgearbeiteten Consuetudinestext (76v–102r), der sich auf eine leider nicht näher umschriebene Visitation beruft. Der Sammelband darf als eigentliches Handbuch für die Klostervisitation bezeichnet werden. Unbeachtet blieben im Stuttgarter Handschriftenkatalog die Signatur F 40 auf dem Vorderdeckel207 sowie die (undeutlich gewordene) Titelaufschrift auf dem Unterschnitt des Buchblocks, wie sie sich auf einer ganzen Anzahl von Hirsauer Bänden dieser Zeit wiederfindet. Damit wird deutlich, dass die Handschrift zumindest vorerst in der Hirsauer Bibliothek verblieb. Dass sie später wie die Rapolt-Handschrift HB IV 27 (s. u.) nach Weingarten gelangte, ist im Zusammenhang mit der zeitweiligen Besetzung Hirsaus durch Weingartner Mönche während des Dreißigjährigen Kriegs208 zu sehen. Ebenfalls in die Jahre um 1450209 fällt die Entstehung von Cod. theol. et phil. 2° 54 der Württ. Landesbibl. mit De potestate ecclesiastica des Augustinus von Ancona. Die Identifizierung als ehemals hirsauischer Bibliotheksbesitz glückte dank der später noch zu erwähnenden Liste Friedrich Christoph Oetingers aus dem Jahr 1743 (s. u., S. 165–167), wo unter den Libri theologici de Theologiae variis locis ein Manuscriptum sed nova
205 Ob es sich bei diesem um den Wiblinger Mönch Jacobus de Leipzig handelt, wie im Handschriftenkatalog (s. Anm. 204) angegeben wird, erscheint sehr zweifelhaft, da dessen Tätigkeit als Schreiber erst ein halbes Jahrhundert nach der Entstehung von HB I 46 ausdrücklich belegt ist (vgl. Hummel [wie Anm. 204], 521). 206 Corpus Consuetudinum Monasticarum XI, 1, ed. Joachim F. Angerer, Siegburg 1985, 129–153; Erwähnung dieser Handschrift S. LVI der Einleitung. Der in HB I 46, f. 134r–136r überlieferte Text der Commendatio trium substantialium religionis ist übrigens auch in dem ebenfalls aus Hirsau stammenden Cod. theol. et. phil. 4° 80 der Württ. Landesbibl. (s. u.) enthalten (dort f. 255r–257r). 207 Im Verzeichnis von 1581 ist der Band allerdings nicht nachzuweisen. 208 Vgl. Klaus Schreiner, Hirsau (wie Anm. 1) 288; außerdem auch Karl Löffler, Die Handschriften des Klosters Weingarten, Leipzig 1912, 14. 209 Wasserzeichen-Expertise von Gerhard Piccard in der Handschriftenabteilung der Württ. Landesbibl.
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arte steganographica reserandum Augustini de Ancona de potestate ecclesiastica210 aufgeführt wird. Da die von Ötinger verzeichneten Bücher vom Stuttgarter Konsistorium angefordert wurden und dessen Bibliothek ihrerseits in die 1765 gegründete Öffentliche Bibliothek überführt wurde, war die Handschrift unter den Beständen der heutigen Landesbibliothek zu erwarten. Dass Cod. theol. et phil. 2° 54 in der Tat das gesuchte Stück ist, steht außer Zweifel. Zwar lässt sich wegen Beschädigung des Einbands die Hirsauer Signatur F 39, die der Katalog von 1581 (p. 10) ausweist, nicht mehr verifizieren, doch zeigt der typische Unterschnitt Titel sowie eine Zählung des 16. Jh. auf dem ersten Blatt (Nr. 5), die auch in anderen Hirsauer Bänden festzustellen ist, dass es sich um die gesuchte Handschrift handeln muss. Etwa ein Jahrzehnt früher ist die theologische Sammelhandschrift Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. theol. et phil. 4° 55 anzusetzen, wie die Wasserzeichenuntersuchung sowie die Datierung zweier Teilstücke (f. 114r: 1438, f. 195r: 1440) schließen lassen. Das inhaltliche Profil dieses bisher ebenfalls nicht als hirsauisches Bibliotheksgut erkannten Bandes ist besonders geprägt durch mehrere antijüdische Streitschriften: die Epistula rabbi Samuelis de erroribus Judaeorum in der Übersetzung des Alphonsus Bonihominis,211 die Pharetra fidei contra Judaeos des Theobaldus des Saxonia212 und die Disputatio contra Judaeos des Paschalis de Roma.213 Die Hirsauer Signatur R 13, ergänzt durch eine etwas jüngere (B 4, ebenfalls auf dem Vorderdeckel) und die Cod. theol. 2° 54 entsprechende Zählung Nr. 6 qt. auf dem ersten Blatt, kennzeichnet die Handschrift als ehemaligen Besitz des Nagoldklosters. Im Verzeichnis von 1581 lässt sich der Band allerdings nicht nachweisen – vielleicht ein Indiz, dass er Hirsau bereits in der Zeit davor verlassen hat. Immerhin sei angemerkt, dass die Epistula Samuelis in einer gedruckten Ausgabe (vermutlich hain 14269 oder 14271, nach der Wiedergabe des Titelblatts durch Parsimonius zu schließen) in der Hirsauer Bibliothek vorhanden war (Katalog von 1581, p. 46). 210 Der Zusatz sed nova arte… dürfte auf die problematische Lesbarkeit der Handschrift aus der Sicht Ötingers anspielen. 211 vgl. Thomas Kaeppeli, Scriptores ordinis praedicatorum medii aevi 1, Roma 1970, 48–54 (die Hs. ebd. 52 genannt). S. auch Eva Schütz, ‚Alfonsus Bonihominis‘, in: 2VL 1, Berlin 1978, 236 f. 212 Die beiden Teile des Texts hier getrennt am Anfang und am Schluss der Handschrift; Teil I mit den in den Drucken hain 12710–2716 überlieferten Eigenheiten. S. zum ganzen: Verzeichnis der lateinischen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin von Valentin Rose 2,1 Berlin 1901, 474 f. 213 Karl Heinz Keller, ‚Paschalis von Rom‘, in: 2VL 7, Berlin 1989, 316 f.
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Eine weitere Sammelhandschrift, die neu für Hirsau verbucht werden kann, ist der oben bei der Diskussion der hochmittelalterlichen Fragmente genannte Cod. theol. et phil. 4° 80 der Württ. Landesbibl. aus der zweiten Hälfte des 15. Jh. Er enthält unter anderem das vierte Buch der Imitatio Christi von Thomas a Kempis214 das Elucidarium des Honorius Augustodunensis,215 Anselms bekannte Meditationes et Orationes,216 das dritte Buch des Traktats „De exterioris et interioris hominis compositione“ Davids von Augsburg und, wie schon erwähnt, die auch in HB I 46 überlieferte Commendatio trium substantialium religionis (s. o., Anm. 204). Nicht nur dieser zuletzt genannte Text, sondern die Handschrift als ganze weist in den Kontext der Reformbewegung und ihres theologisch-spirituellen Programms. Auf die Beliebtheit der Werke von Thomas a Kempis in diesem Milieu hat Klaus Schreiner in seiner Anm. 201 zitierten Studie mehrfach hingewiesen217 und dabei im Hinblick auf Hirsau die Verzeichnung zweier Handschriften und eines Drucks mit Werken dieses Autors im Katalog von 1581 (dort p. 54) nachgewiesen. Diese beiden Handschriften haben sich nicht erhalten, wie es scheint; an ihre Stelle tritt nun Cod. theol. et phil. 4° 80. Dass Parsimonius den Band unter die „Miscellanea Theologica“, (pp. 59– 62 seines Verzeichnisses) und nicht unter Thomas a Kempis einreiht, hängt damit zusammen, dass dessen Name nicht genannt wird und der Text der Imitatio zudem erst mit dem vierten Buch einsetzt. Daher verfährt Parsimonius wie auch sonst bei nicht identifizierbaren Texten, indem er einfach die ersten Zeilen wiedergibt und als Ausgangspunkt für die Einordnung nimmt. In diesem Fall führt dies zu folgendem Eintrag: Tractatus de interna locutione Christi ad animam fidelem, tertia pars de interna consolatione etc. Die Übereinstimmung mit dem Initium der Handschrift ist so exakt, dass kein Zweifel daran bestehen kann, dass die Handschrift der Württ. Landesbibl. mit dem Eintrag von Parsimonius gemeint ist. Die von diesem angegebene Signatur (R 8) lässt sich wie schon bei Cod. theol. et phil. 2° 54 nicht mehr erkennen. Eine 214 Léon M.J. Delaissé, Le manuscrit autographe de Thomas à Kempis et I’„Imitation de Jésus-Christ“ (Les Publications de Scriptorium 2), Bruxelles 1956, 397–404. 215 Yves Lefevre, L’Elucidarium et les lucidaires, Paris 1954, 359–470. Der Schlussabschnitt fehlt in der Handschrift, die zudem einen Text von sehr mangelhafter Qualität bietet. 216 Or. 1, Med. 3, Or. 2, 4, 3, 5–19, Med. 1–2, ed. Frcicus Salesius Schmitt, S. Anselmi Cantuariensis Archiepiscopi Opera omnia 3, Seckau 1946, 5–91. Es folgen die pseudo-anselmianischen Orationes 10, 2 und 14 (diese Zählung nach der in PL 158 aufgenommenen Ausgabe von Bergeron). 217 Schreiner (wie Anm. 203), 149 und 161.
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schöne Bestätigung liefert hingegen der Inhalt der Handschrift, und zwar Anselms Oratio 14 (nach alter Zählung 71) f. 107r–109v. Schon ihre Überschrift– De sancto Aurelio vel alio confessore (bei Anselm an den hl. Nikolaus gerichtet, in vielen Textzeugen jedoch auf den hl. Martin adaptiert oder gar mit dem Zusatz sive ad alium versehen) – ist verräterisch. Das Gebet selbst richtet sich zunächst an Nikolaus, dann aber erscheint f. 107v am Rand der rot unterstrichene Zusatz Aurelius von der Hand des Schreibers,218 und ab 108r wird der alte Hirsauer Patron auch im fortlaufenden Text zum Adressaten.219 Man darf diese Adaption sicherlich im Kontext der unter Abt Bernhard (1460–1482) einsetzenden Aurelius-Renaissance sehen220 und sie wohl auch als Indiz für die Entstehung der Handschrift in Hirsau selbst bewerten. Eine einigermaßen bunte Mischung bietet Cod. theol. et phil. 4° 106 der Württ. Landesbibl. Die Handschrift enthält zunächst das Enchiridion des Augustinus und den pseudo-augustinischen Traktat „De vita christiana“ – beide Texte von derselben Hand und jeweils 1468 datiert –, dann von anderer Hand Exzerpte aus Hugo Ripelins „Compendium theologicae veritatis“ und schließlich einen sehr interessanten meteorologischen Traktat, der laut Schlussschrift auf eine Vorlesung an der Stadtschule Olmütz zurückgeht und 1462 von einem anderweitig nicht nachzuweisenden Schreiber namens Sigismund Lorificis in Wile (Weil der Stadt?) kopiert wurde. Hirsauer Einband und Signatur (T 18) belegen die spätere Zugehörigkeit zur Bibliothek des Nagoldklosters. Das Verzeichnis von 1581 führt den Band p. 9 unter den Schriften Augustins auf. Den bisher vorgestellten Handschriften ist gemeinsam, dass sie sich zumeist nur in dem Sinn mit Hirsau in Verbindung bringen lassen, dass sie einmal der Bibliothek des Klosters angehört haben. Die Frage nach ihrem Entstehungsort bleibt hingegen vielfach unbeantwortet. Für Hirsau als Schriftheimat sind mit Sicherheit lediglich HB I 46 und wohl auch Cod. theol. et phil. 4° 80 in Anspruch zu nehmen.221 Die restliEntspricht Schmitt (wie Anm. 214) 5637. Ebd., 5771 ff. 220 Vgl. dazu Wolfgang Irtenkauf, Kleine Beiträge zur Hirsauer Kirchengeschichte, in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 52 (1958), 121–134, hier 128–130, und Klaus Schreiner, Erneuerung (wie Anm. 3) 66–68. 221 Während der Drucklegung dieses Beitrags stieß ich auf die Beschreibung eines 1438 datierten Handschriftenfragments von 11 Blättern im Stadtarchiv Köln (*W 419), das ebenfalls in Hirsau entstanden ist. S. dazu Joachim Vennebusch, Die theologischen Handschriften des Stadtarchivs Köln 5, Köln 1989, 80. Der Schreiber Petrus Abbich (?) 218 219
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chen Stücke können auch von außerhalb stammen – für den Schlussteil von Cod. theol. et phil. 4° 106 wird dies ja sogar ausdrücklich gesagt. Eine Reihe weiterer Codices lassen sich hingegen ganz präzise mit einzelnen Konventsmitgliedern verknüpfen: sei es als Schreiber dieser Stücke oder doch wenigstens als Besitzer bzw. Vermittler. Zunächst ist hier eine 1474 datierte Handschrift zu nennen, für die der aus BadenBaden stammende Hirsauer Mönch Johannes Ethon als Schreiber verantwortlich zeichnet222 und die, wenn ich recht sehe, mit einem weiteren Glied der Hirsauer Kommunität, dem 1460 und 1482 urkundlich bezeugten Michael von Sachsenheim,223 in Zusammenhang zu bringen ist. Dieses Stück ist möglicherweise das interessanteste Dokument, das in diesem Abschnitt präsentiert werden kann, aber zugleich auch das problematischste, handelt es sich doch – symptomatisch für die Hirsauer Bibliotheksgeschichte als ganze – um eine heute verschollene Handschrift, von der wir nur aus einer Quelle des 16. Jh. überhaupt noch Kenntnis haben. Diese Quelle ist das Tagebuch des bekannten Tübinger Gräzisten und Historikers Martin Crusius. Dieser berichtet zum 1. Oktober 1596, er habe vom Entringer Pastor Johannes Neobolus eine Handschrift zugeschickt erhalten: M. Scr. libellum … scriptum 1474. Teutsche Reimen, de Mechtilde, Eberhardi Barbati matre.224 Noch aufschlussreicher ist aber der Eintrag vom 17. Oktober, in dem Crusius die Lektüre der Handschrift vermerkt und – für uns von außerordentlichem Wert – die Schlussschrift des Büchleins wiedergibt.225 Hier die wichtigsten Abschnitte daraus: (.1474 descriptum ab Ioanne Ethon.) In fine: Diser spruch dichtlich gemacht ist in der zal nach der Geburt Christ, Tuset, vierhundert, sechzig acht iar: nit nie, noch minder, als ein har. Der Dichter von Hirsaw sich kennt, under dem Apt Bernhart genennt…
ist allerdings unter den namentlich bekannten Hirsauer Konventualen der fraglichen Zeit nicht nachzuweisen. 222 Den Hinweis auf die Handschrift fand ich bei Klaus Schreiner, Württembergische Bibliotheksverluste im Dreißigjährigen Krieg, in: Archiv für Geschichte d. Buchwesens 14 (1974), 655–1028, hier 966 Anm. 341. Über die recht bewegte Karriere Johannes Ethons s. Klaus Schreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108), 190 Nr. 254. 223 Klaus Schreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108), 183 Nr. 208. 224 Diarium Martini Crusii 1: 1596–1597, bearb. von Wilhelm Götz und Ernst Conrad, Tübingen 1927, 203. 225 Diarium Crusii 1 (wie Anm. 224), 213 f.
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hirsau und sein kreis Libelli auctor: Min vatter selig Ritter streng genannt Hermann von Sassenhein: durch den ich dicht, das ist doch klein. Miner muter ich nit vergess: zailhafftig sig sy aller mess: Von Strubenhart hiess sie frauw Ann… Libelli titulus, Pfowenhertz…
Die daran anschließende Inhaltsangabe (gefeiert werden die Tugenden der Erzherzogin Mechthild, der Mutter Herzog Eberhards im Bart) erscheint hier entbehrlich; für Einzelheiten darf auf Crusius verwiesen werden. Der zitierte Passus ist indessen bemerkenswert genug. Er besagt mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit, dass Crusius ein Werk eingesehen hat, dessen Verfasser ein Sohn Hermanns von Sachsenheim d. Älteren226 und zwar aus dessen zweiter Ehe mit Anna von Strubenhardt gewesen sein muss. Für die Sachsenheimforschung ist dies ein absolutes Novum: von einer dichterischen Tätigkeit der Söhne des Verfassers der „Mörin“ war bislang nie die Rede.227 Von dessen beiden männlichen Nachkommen scheint Hermann d. Jüngere aufgrund seiner Beziehungen zu Mechthild228 eher in Frage zu kommen als Georg, doch stammen beide, wie es scheint, aus der ersten Ehe Hermanns d. Älteren und müssten daher als Kandidaten ausscheiden. Eine interessante Spur liefern aber möglicherweise die beiden letzten Zeilen des ersten von Crusius zitierten Abschnitts. Hier heißt es zunächst: „Der Dichter von Hirsau sich kennt“. Sollte die etwas merkwürdige Schlusswendung als deutsche Wiedergabe von profitetur bzw. professus zu verstehen sein? Träfe diese Vermutung zu, so würde dies heißen, dass der Verfasser ein Hirsauer Professe sein müsste. Nun findet sich unter den für die fragliche Zeit bekannten Hirsauer Mönchen in der Tat ein höchst interessanter Name: der S. 135 genannte Michael von Sachsenheim. Die Zeile – „under dem Apt Bernhart genennt“ – würde vorzüglich zum Entstehungsdatum des Gedichts (1468) passen, fällt doch die Amtszeit Abt Bernhards in die Jahre 1460 bis 1482. Ein Hirsauer Konventuale Michael von Sachsenheim als Dichter des „Pfowenhertz“? 226 Vgl. zu diesem Dietrich Huschenbett, ‚Hermann von Sachsenheim‘, in: 2VL 3, Berlin u. a. 1981, 1091–1106. 227 So laut freundlicher Auskunft von Dietrich Huschenbett (Brief vom 15.12.1989). 228 Kurt Bachteler, Geschichte der Stadt Großsachsenheim, Großsachsenheim 1962, 58–66.
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Problematisch ist lediglich, dass ein dritter Sohn Hermanns d. Älteren aus den verfügbaren Quellen sonst nicht zu belegen ist, so dass hier offene Fragen bleiben. Ganz unabhängig davon kann jedoch als gesichert festgehalten werden, dass Hirsau als Heimat dieser „Teutschen Reimen“ gelten darf.229 Dichterische Aktivität dieser Art in der Epoche der Bursfelder Reform in Hirsau bedeutet sicherlich eine bemerkenswerte Neuakzentuierung für unsere Vorstellung vom geistigen Profil des Schwarzwaldklosters in dieser Zeit. Zum 21. Oktober 1596 heißt es dann bei Crusius lapidar: illud Alemannicum poema remisi.230 Was später aus der Handschrift wurde, wissen wir nicht; genauso wenig ist zu ermitteln, wie und wann genau Johannes Neobolus in den Besitz des Bändchens gelangte.231 Das Diurnale Schwarzach 9 der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe, das laut Kolophon 1473 von Frater Johannes Unger aus Feuchtwangen, damals Profeßmönch in Hirsau, vollendet wurde, hat Wolfgang Irtenkauf bereits 1958 vorgestellt.232 Für weitere Einzelheiten und eine detaillierte Beschreibung dieser Handschrift (s. jetzt auch den Katalog von Schlechter und Stamm [wie oben, Anm. 8]) darf daher auf seine Darstellung verwiesen werden.233 Gewisse Unklarheiten bleiben bestehen bezüglich der Person des Schreibers234 und im Hinblick auf Zeitpunkt und Umstände des Übergangs dieser Handschrift von Hirsau 229 Ein interessanter Hinweis zu einer besonderen Verbindung zwischen Hirsau und Mechthild bei Dieter Stievemann, Die württembergische Klosterreform des 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 44 (1985), 65–103, hier 78 Anm. 56. 230 Diarium Crusii (wie Anm. 221), 223. 231 Seine Kontakte mit Crusius, die in dessen Tagebüchern vermerkt sind – vgl. Diarium Martini Crusii. Gesamtregister, bearb. von Eugen Staiger (1961), 137 – lassen ihn als engagierten Sammler historischer Nachrichten und Denkmäler erscheinen. Dabei dürfte er auch auf die Pfauenherz-Handschrift gestoßen sein, die wie viele Stücke der ehemaligen Hirsauer Bibliothek nach 1535 abgewandert und in heute nur noch sehr schwer nachzuzeichnenden Umlauf gekommen sein dürfte (vgl. auch Abschnitt III. dieses Beitrags). Vermittelnd könnte dabei Johannes’ Vater Jodokus Neobolus gewirkt haben (vgl. zu ihm Gustav Bossert, Jodocus Neuheller, Neobolus, Luthers Tischgenosse, in: Archiv für Reformationsgeschichte 14 (1917), 277–300), zumal dieser einige Jahre in Herrenalb, also unweit von Hirsau, gelebt hat. 232 Wolfgang Irtenkauf, Kleine Beiträge (wie Anm. 220) 121–125. 233 Zur Deutung der ebd. S. 124 erwähnten „nicht mehr identifizierbaren Eintragung V… egarie (?)“, die als Venegariae bzw. Venagariae zu lesen ist, vgl. Felix Heinzer, Handschriften und Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts aus der Benediktinerinnenabtei Frauenalb, in: Bibliothek und Wissenschaft 20 (1986), 93–124, hier 112 f. 234 Denkbar wäre, dass Unger ursprünglich dem Konvent des unweit seiner Heimatstadt gelegenen Hirsauer Priorats Mönchsroth angehörte und seine Stabilitas dann nach Hirsau verlegte (was der Zusatz tunc temporis zu professum in Hirsaw im Kolophon
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in die Abtei Schwarzach am Rhein.235 Die Handschrift ist insofern ein interessantes Dokument, als sie den ältesten erhaltenen Beleg für die Übernahme der Bursfelder Liturgie in Hirsau darstellt. Ihr Kalendar als „direkte Abschreibevorlage“ für jenes in Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. bibl. 2° 34 zu beanspruchen,236 erscheint allerdings keineswegs zwingend. Eine zentrale Gestalt der Spätblüte Hirsaus – nicht nur in bibliotheksgeschichtlicher Hinsicht – ist ohne Zweifel der aus dem pfälzischen Dürkheim stammende Nikolaus Basellius. Eine erste biographische Annäherung an diesen interessanten Mann verdanken wir ebenfalls Wolfgang Irtenkauf.237 Seine Beziehungen zu Konrad Pellikan, Mutianus Rufus, Erasmus, Johannes Reuchlin, Beatus Rhenanus, aber auch – wie noch zu zeigen sein wird – zu Philipp Melanchthon und insbesondere zu Johannes Trithemius zeigen ihn als typischen Vertreter jener humanistisch gefärbten Mönchskultur des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts, die seit Richard Newald nicht ganz unproblematisch als „Klosterhumanismus“ bezeichnet wird.238 Im Rahmen dieses Beitrags kann nur auf die Bedeutung von Basellius für die Hirsauer Bibliotheksgeschichte eingegangen werden. Nach dem Zeugnis Pellikans war Basellius zumindest seit 1496 librarius seines Konvents, und das Rechnungsbuch des Speyrer Druckers Petrus Drach zeigt, dass der hier auch als Prior bezeichnete Bibliothekar im Herbst desselben Jahres eine größere Anzahl von Büchern geliefert erhielt, die er „bij im andeuten könnte), analog also wie Johannes Rapolt (s. u.) und weitere Mönchsrother Konventualen im Jahr 1517 (s. Klaus Schreiner, Untersuchungen [wie Anm. 108], 199). 235 Hirsau hat für einige Abteien der Diözese Straßburg als Vermittler von Bursfelder Reformeinflüssen gewirkt – vgl. Paulus Volk, Die Straßburger Benediktinerabteien im Bursfelder Kongregationsverband 1481–1624, in: Archiv für elsässische Kirchengeschichte 10 (1935), 153–293; Irtenkauf, Kalendar (wie Anm. 166), 265 f. und Beiträge (wie Anm. 218), 122 –, für Schwarzach wissen wir jedoch lediglich von einem 1456 an Hirsau ergangenen Auftrag zur Visitation, doch bleibt dessen Wirkung sehr zweifelhaft: vgl. erneut Irtenkauf (wie Anm. 166), 265, außerdem auch Schreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108), 80 Anm. 42. Immerhin könnte unsere Handschrift als Indiz dafür zu betrachten sein, dass zumindest gewisse Beziehungen zwischen den beiden Klöstern bestanden und länger anhielten. 236 Vgl. zu dieser Handschrift die Analyse von Irtenkauf, Kalendar (wie Anm. 166). 237 Wolfgang Irtenkauf, Bausteine zu einer Biographie des Nikolaus Basellius, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 21 (1962), 387–391; s. auch Schreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108), 193 Nr. 273. 238 Richard Newald, Beiträge zur Geschichte des Humanismus in Oberösterreich, in: Jahrbuch des oberösterreichischen Musealvereins 81 (1926), 155–223; s. auch Paul Oskar Kristeller, The contribution of religious orders to renaissance thought and learning, in: The American Benedictine Review 21 (1970), 1–155.
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ferkauffen“ sollte.239 Bei den in Kommission genommenen Titeln handelt es sich insbesondere um die neuen Breviere bzw. Diurnalien der Bursfelder Kongregation (11 bzw. 20 Exemplare), die Drach in diesem Jahr gedruckt hatte (GW 5180 und 8504),240 außerdem um nicht weniger als 20 Exemplare der 1495 gedruckten „Arra aeternae salutis“ des mit Trithemius befreundeten Johannes Lambsheim.241 Hier wird ausschnittsweise deutlich, welche Rolle dem Buchdruck in der Reformbewegung zukommen konnte: gedruckte Bücher vermochten die Einheitlichkeit der Liturgie (ein Grundprinzip jeder Erneuerung eines kirchlichen Verbands – bis hin zum Tridentinum und zum zweiten Vaticanum) sehr viel breiter und zugleich sicherer zu garantieren als das „schneeballartige“ Kopieren eines handschriftlichen Normalexemplars, und ebenso bot sich diese neue Form der Vervielfältigung als ideales Mittel der Propagierung wichtiger spiritueller und theologischer Schriften oder auch von Brauchtumstexten der Reform an. Doch zurück zu Basellius. Auch im Bereich der Handschriften, in dem wir uns ja zunächst bewegen wollen, finden sich seine Spuren verschiedentlich. Im Jahr 1507 erhält er laut eigenhändigem Vermerk von einem Bruchsaler Kaplan namens Heinrich Schluder – höchstwahrscheinlich verschrieben für Heinrich Luder242 – einen Codex des 10. Jh. mit dem Kommentar des Remigius von Auxerre zu „De consolatione philosophiae“ des Boethius,243 heute Cod. theol. et phil. 4° 109 der Württ. Landesbibl. Stuttgart. Der Einband stammt aus dem 15. Jh. und kann dem Heidelberger Buchbinder Albertus zugewiesen werden.244 In Irtenkauf, Bausteine (wie Anm. 237) 389. Für Drach kann jetzt benutzt werden Ferdinand Geldner, Das Rechnungsbuch des Speyrer Druckherrn, Verlegers und Großbuchhändlers Peter Drach, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 5 (1964), 1–196. Wolfgang Irtenkaufs Interpretation der fraglichen Stelle (Geldner, 49), diese zeige deutlich, „dass Basellius seine Priesterweihe in Speyer erhielt“, ist nicht haltbar. Die Nachricht von der Weihe bezieht sich lediglich auf die drei Mitbrüder des Hirsauer Bibliothekars, denen Drach die Bücher mitgab, nicht aber auf Basellius, dessen Eigenschaft als Prior ohnedies voraussetzt, dass er bereits Priester war, und dies vermutlich schon seit längerem. 240 Geldner (wie Anm. 239), 184. 241 Geldner, ebd.; s. außerdem Franz Josef Worstbrock, ‚Johannes de Lamsheim‘, in: 2VL 4, Berlin u. a. 1983, 663–668, hier, 665 f. 242 Zu diesem Franz Xaver Glasschröder, Chorregel und Seelbuch des alten Speyerer Domkapitels 1, Speyer 1923, 486; Manfred Krebs, Die Protokolle des Speyerer Domkapitels 1, Stuttgart 1968, Nr. 77 u. ö. (vgl. z. B. die Bücher betreffend: Nr. 1214). 243 vgl. Pierre Courcelle, La consolation de la philosophie dans la tradition littéraire, Paris 1967, 241–274 (ohne Kenntnis dieser Handschrift). 244 Ernst Kyriss (wie Anm. 5) Nr. 39; s. auch Adolf Schmidt, Albertus Hus und Hanns 239
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Hirsau wurde die Handschrift mit D 2 signiert,245 was nebenbei auch einen Anhaltspunkt liefert zur Frage der Datierung dieser nun schon mehrfach erwähnten Signaturen, die also in das frühe 16. Jh. gehören dürften. Eine weitere Handschrift mit einem anonymen Kommentar zum selben Werk des Boethius, der Tübinger Codex Mc 91 aus der zweiten Hälfte des 12. Jh., scheint ebenfalls zeitweilig im Besitz von Basellius gewesen zu sein, wie ein teilweise radierter Eintrag auf dem ersten Blatt vermuten lässt.246 Basellius tritt aber auch selbst als Schreiber in Erscheinung. Am 1. September 1508 beendet er die Niederschrift von Cod. poet. et phil. 4° 76 der Württ. Landesbibl., einem schmalen Bändchen mit den beiden kleinen Traktaten „Colloquia graeca“ und „De quatuor graecae linguae differentiis“ Johannes Reuchlins.247 In der Beschreibung des Stuttgarter Katalogs (s. Anm. 247) wird der auf f. 9v– 10r hinzugefügte griechische Brief übergangen, obwohl es sich dabei um den vielleicht interessantesten Teil der Handschrift handeln dürfte. Basellius versucht sich hier selbst im Griechischen, und als Adressat dieser krausen und ziemlich missglückten Stilübung wird ein gewisser Philippus genannt, von dessen Griechischkenntnissen der Hirsauer Mönch gehört hat und dem er nun gerne mit seinen eigenen Fortschritten imponieren möchte.248 Wenn nicht alles täuscht, handelt es sich hier um keinen geringeren als Philipp Melanchthon, mit dem Basellius über Reuchlin in Kontakt gekommen sein könnte.249 Ob Melanchthon das Elaborat jemals zu lesen erhielt, bleibt zweifelhaft. Nach Stuttgart gelangte die Handschrift übrigens erst 1786 durch Herzog Carl Eugen, der einen Teil der zur Versteigerung anstehenden Sammlung Hermann
Oesterrich. Zwei Buchbinder des 15. Jahrhunderts, in: Jahrbuch der Einbandkunst 1 (1927), 36–38 u. Tf. 12 (auf der Stuttgarter Hs. die Stempel 1, 2 u. 7). 245 Nicht im Verzeichnis von 1581, in dem nicht-theologische Werke generell schwach vertreten sind. 246 Beschreibung der autographen Notiz von Basellius bei Hedwig Röckelein, Die lateinischen Handschriften der Universitätsbibliothek Tübingen 1: Signaturen Mc 1 bis Mc 150, Wiesbaden 1991, 209–210. 247 Die Handschriften der Württ. Landesbibl. Stuttgart, erste Reihe 2: Codices poetici et philologici, beschr. Von Wolfgang Irtenkauf und Ingeborg Krekler mit Vorarbeiten von Isolde Dumke, Wiesbaden 1981, 137 f. 248 Der Text ist gedruckt bei Adalbert Horawitz, Griechische Studien 1. Beiträge zur Geschichte des Griechischen in Deutschland (Berliner Studien zur classischen Philologie und Archäologie 1,4), Berlin 1884 (Reprint Nendeln 1975), 450. 249 Diesen Verdacht bestätigte Heinz Scheible (Melanchthon-Forschungsstelle Heidelberg) in seinem Brief vom 8.1.1990. Das Stück wurde daraufhin als Nachtragsnummer in den ersten Textband des Melanchthon-Briefwechsels aufgenommen.
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von der Hardts in Helmstedt erwerben konnte.250 Der Weg von Hirsau zu von der Hardt bleibt hingegen im Dunkeln. Bereits hingewiesen wurde auf den Basellius-Nachtrag in der Darmstädter Handschrift 929 (s. oben, S. 106). Mit den Stuttgarter Handschriften Cod. theol. et phil. 2° 277 und Cod. poet. et phil. 2° 89 geraten wir in den Bannkreis jenes Mannes, der Basellius in besonderer Weise geprägt hat: Johannes Trithemius. Der Hirsauer Prior und Bibliothekar fügt der autographen Handschrift der Sermones seines Lehrers (Cod. theol. 2° 277) eine Vorrede hinzu, in der er berichtet, wie er den Codex aus Würzburg nach Hirsau geholt habe, um ihn zum Druck zu bringen. In der Straßburger Ausgabe von 1516 fehlt allerdings dieser Text; er wurde also nicht in den Erstdruck aufgenommen.251 Auch die zweite Handschrift ist teilweise Autograph Trithems. Sie enthält dessen „Polygraphia“252 und ist ebenfalls aus Würzburg nach Hirsau gekommen, wo sie auch ihren Einband erhielt. Man wird annehmen dürfen, dass auch hier Basellius Vermittler des Transfers war. Beide Codices gelangten übrigens nach der Aufhebung Hirsaus im Jahr 1535 in die herzoglich württembergische Bibliothek, wo sie jedenfalls 1579 nachzuweisen sind.253 Cod. theol. 2° 277 gibt seine einstige Zugehörigkeit zur fürstlichen Sammlung heute noch mit seinem 1569 datierten Einband zu erkennen, der das württembergische Wappen und die Devise Verbum domini manet in aeternum des am 28. Dezember 1568 verstorbenen Herzogs Christoph zeigt. Die „Polygraphia“ kam später in die Bibliothek des sog. fürstlichen Oberrats,254 wie ein ent250 So laut handschriftlichem Vermerk auf f. lv, der dem späteren Tübinger Kanzler Christian Friedrich Schnurrer zugewiesen werden kann. Zu diesem Vorgang vgl. Christoph Friedrich Stälin, Zur Geschichte und Beschreibung alter und neuer Büchersammlungen im Königreich Württemberg, in: Württembergische Jahrbücher (1837), 293–387, hier 297, sowie Robert Uhland (Hrsg.), Herzog Carl Eugen von Württemberg: Tagebücher seiner Rayssen, Stuttgart 1968, 260. 251 Vgl. Klaus Arnold, Johannes Trithemius (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 23), Würzburg 1971, 38 und 231. 252 Arnold (wie Anm. 251), 190–195 und 247 (hier noch mit der heute ungültigen Altsignatur Cod. misc. 2° 8). Eine Beschreibung der Handschrift bei Irtenkauf u Krekler (wie Anm. 247), 58 f. 253 Robert Uhland, Bayern und Württemberg im Austausch von Schriften des Abts Johannes Trithemius, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 40 (1981), 119–125, hier 123 f. und 125. 254 Zu dieser s. Schreiner, Bibliotheksverluste (wie Arm. 222), 664 f. sowie ders., Württembergs Buch- und Bibliothekswesen unter Herzog Christoph (1550–1568), in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 31 (1972), 121–193, hier 143–150.
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sprechender Vermerk f. 1r sowie die Verzeichnung im Katalog dieser Bibliothek von 1665255 belegen. Im Rahmen des Bücherverkehrs zwischen Hirsau und Würzburg256 darf schließlich auch das zweibändige Original von Trithems Hirsauer „Annales“ nicht unerwähnt bleiben. Klaus Schreiner hat das abenteuerliche und legendenumwobene Schicksal der beiden Bände in allen Einzelheiten nachgezeichnet:257 Nach der Fertigstellung des Werks in Würzburg gelangten die Handschriften 1511 bzw. 1514 nach Hirsau, von dort nach Stuttgart – wohl gleich nach der Aufhebung des Klosters im Jahr 1535 –, später dann in die fürstliche „Liberei“ auf Hohentübingen (um 1568) und schließlich 1635 nach München, wo sie heute die Signaturen Clm 703 und 704 tragen. Mit den Beziehungen zwischen Basellius und Trithemius hängt auch eine Handschrift zusammen, die bisher weder von der Hirsauforschung noch in der Trithemiusliteratur wahrgenommen wurde. Es handelt sich um den Codex S 310 der Univ. Bibl. Bonn. Eine Anfrage der Bonner Handschriftenkonservatorin Irmgard Fischer machte mich 1988 auf die Handschrift aufmerksam. Die Wasserzeichenuntersuchung ergibt eine Datierung in das letzte Jahrzehnt des 15. Jh. Der Band enthält nach der „Expositio super Apocalypsin“ des Matthias de Suecia258 eine Chronik Württembergs, deren Hauptteil Hirsau gewidmet ist. Vergleiche mit den „Annales“ des Trithemius und dem „Codex Hirsaugiensis“ zeigten, dass es sich um eine dem Hirsauer Codex eng verwandte Materialsammlung zur Geschichte Hirsaus handelt, wobei alles darauf hindeuStuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. hist. 2° 1076, f. 22v. Ein in Würzburg verbliebenes Gegenstück dieser Verbindungen ist vermutlich der Frühdrucksammelband L. r. r. q. 94 der Universitätsbibl. Würzburg, auf den Arnold (wie Anm. 247), 212 Anm. 56 hinweist. Laut freundlicher brieflicher Mitteilung von Hans Thurn (Würzburg) vom 4.7.1989 handelt es sich hier um zwei Drucke von 1508 bzw. 1513; nach einem Vermerk auf dem ersten Blatt des Drucks von 1508 wurde dieser von seinem Verfasser, dem Kaisheimer Zisterzienserabt Konrad Reiter, im Jahr 1515 an Nikolaus Basellius geschenkt, der ihn noch vor Trithems Tod (13.12.1516) an diesen weitergegeben haben muss, wie die eigenhändige Titelangabe des Würzburger Abts auf der Außenkante des Bandes zeigt. Dieser trägt übrigens einen Einband des sog. Trithemius-Binders. Die heute gültige Signatur lautet 35/A 20.10. Das Itinerar des Reiter-Drucks wirft ein weiteres Schlaglicht auf die Verbindungen von Basellius. 257 Klaus Schreiner, Abt Johannes Trithemius (1462–1516) als Geschichtsschreiber des Klosters Hirsau, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 31 (1966/67), 72–138; vgl. auch Schreiner, Bibliotheksverluste (wie Anm. 222), 950–994, und Arnold, (wie Anm. 248) 154. 258 Friedrich Stegmüller, Repertorium biblicum medii aevi 3, Madrid 1951, Nr. 5560 (ohne Kenntnis dieser Hs.). 255 256
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tet, dass Basellius deren Urheber ist. Klaus Schreiner hat an anderer Stelle gezeigt, dass hier höchstwahrscheinlich jene Epitome chronica monasterii sui Hirsaugiensi vorliegt, die Trithemius in seiner bibliographischen Notiz über den Hirsauer Mönch anführt.259 Die Vorgeschichte der Bonner Handschrift lässt sich zunächst einmal zurückverfolgen bis in die Jesuitenbibliothek in Koblenz, aus welcher der Band 1821 an seinen heutigen Aufbewahrungsort gelangte. Die hier einsetzende Vermutung, es könnte sich um einen Band aus Trithemius’ Bibliothek in Sponheim handeln, die dieser 1506 dort zurücklassen musste und die später in alle Winde zerstreut wurde,260 zumal Koblenz nicht allzu weit von Sponheim entfernt ist, ließ sich anhand einer Untersuchung des Einbands zur Gewissheit verfestigen. Die von Frau Fischer zur Verfügung gestellten Durchreibungen zeigten, dass die für Bonn S 310 verwendeten Stempel teilweise identisch sind mit denen von Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. hist. 2° 1, einer 1494 in Sponheim geschriebenen Handschrift mit der Chronik des Prämonstratensers Robert von Auxerre.261 Wie eine Anfrage bei der Inkunabelabteilung der Ostberliner Staatsbibliothek ergab,262 finden sich diese Stempelformen außerdem auch in mehreren anderen Handschriften und Inkunabeln, darunter dem ebenfalls aus Sponheim stammenden Ms. theol. 92 der Univ. Bibl. Göttingen.263 Dieser Befund deutete darauf hin, dass hier möglicherweise die Sponheimer Buchbinderwerkstatt, deren Existenz zwar bekannt war, nicht aber das von ihr verwendete Stempelmaterial,264 am Werk gewesen sein könnte. Endgültige Sicherheit lieferte schließlich eine Inkunabel der Stiftskirche St. Marien in Römhild, die den Vermerk trägt: Ligatus est hic liber in Sponheim sub optimo abbate Johanni Tritemio Anno Christi 1496.265 Die vom evangelisch-lutherischen Pfarramt freundlicherweise übermittelten Durchreibungen266 zeigten in der
259 Als handschriftlicher Zusatz im Würzburger Exemplar seines Catalogus illustrium virorum Germaniae (Würzburg, Univ.-Bibl., Mp. f. 64b) s. Irtenkauf, Bausteine (wie Anm. 237), 387, sowie Klaus Schreiner, S. 305 im S. 85, Anm. * zitierten Sammelband. 260 Vgl. Arnold (wie Anm. 251), 70–73. 261 65 und 172. 262 Für mehrere schriftliche Auskünfte in dieser Angelegenheit habe ich Holger Nickel (Berlin) sehr herzlich zu danken. 263 Teilweise ebenfalls Autograph von Trithemius, vgl. Arnold (wie Anm. 251), 66. 264 Arnold (wie Anm. 251), 65 mit Anm. 59. 265 Von Arnold zwar erwähnt, aber anscheinend nie weiter untersucht im Hinblick auf die Frage nach den verwendeten Stempeln. 266 Brief von Pfr. Klaus Dette vom 22. 8.1989, auf freundliche Vermittlung von Hans
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Tat die schon bekannten Stempel.267 Damit ist nicht nur ein neues Instrument vorhanden, um möglicherweise weitere unerkannte Membra disiecta der Sponheimer Bibliothek aufzuspüren,268 sondern – was uns in diesem Zusammenhang besonders interessiert – der Beweis erbracht, dass die Bonner Handschrift tatsächlich aus dem Besitz des Trithemius stammt und wir hier – in einer Sponheimer Abschrift, wie es scheint – einen Teil jenes Materials greifen können, das Basellius Trithemius für seine Arbeiten zur Geschichte Hirsaus zur Verfügung gestellt hat.269 Hat sich Basellius, wie hier deutlich geworden ist, in vielfältiger Weise um die Wissenschaftspflege und die Bibliothek seines Klosters verdient gemacht, so gilt es auf der anderen Seite auch festzuhalten, dass er möglicherweise – wenngleich wohl ohne Absicht – auch an der Abwanderung alter Hirsauer Handschriften beteiligt war. Anlass dazu
Thurn (UB Würzburg). Zum späteren Besitzer des Bands, dem Mainzer Theologen Jacobus Merstetter, s. Sack (wie Anm. 308) 3, 1610. 267 Als wichtigste sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) zu nennen: Ilse Schunke, Die Schwenke-Sammlung gotischer Stempel- und Einbanddurchreibungen 1, Berlin 1979, „Blattwerk“ 126 u. 566, „Kopfstempel“ 34, „Laubstab“ 44, „Lilie“ 55, „Rosette“ 101 u.157 und „Wappen“ 93 (mit Abts- oder Bischofsstab im Kopf und dem Sponheimer Schach in der heraldisch linken Hälfte), außerdem ein kleiner, jeweils auf den Ansätzen der Bände platzierter Dreiblattstempel und eine kleine Vierblattblüte (beide nicht bei Schunke). 268 Für die 1492 nachgewiesenermaßen in Sponheim entstandene Abschrift von Trithems De scriptoribus ecclesiasticis (Berlin, Staatsbibl. Preuß. Kulturbes., Ms. lat. 2° 410, s. Arnold [wie Anm. 251], 119 u. 245) ist dieser Nachweis nicht mehr erforderlich (der Einband weist ebenfalls einige der fraglichen Stempelformen auf), wohl aber beispielsweise für die Handschrift Solg. Ms. 1. 12° der Stadtbibl. Nürnberg (Beschreibung: Die Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg 2,2, bearb. von Ingeborg Neske, Wiesbaden 1987, 154). Offensichtlich handelt es sich hier um eine bisher als verschollen gegoltene Handschrift aus der Sammlung von Trithemius, nämlich die Nummer 16 seiner griechischen Codices. Deren Charakterisierung als Codex minimae formae manualis, scriptus in pergameno in antiquo charactere, continens psalterium totum (s. Paul Lehmann, Merkwürdigkeiten des Abtes Johannes Trithemius, in: Sitzungsberichte der Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Klasse 1961/2, 1–81, hier 14) fügt sich hervorragend zum Nürnberger Psalterium im Duodezformat (11,7 × 8,2 cm). Auch der Göttinger Theol. 202, der ebenfalls die Sponheimer Stempel aufweist, könnte aus der Abtei an der Nahe stammen. Dazu passt im übrigen auch der Inhalt, die von Matthias von Schweden (s. S. 142 mit Anm. 258) edierten Revelationes der hl. Birgitta, die Trithemius kannte und als Zeugnis für die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariens (zu seiner Position im sog. „Makulistenstreit“ s. Arnold, [wie Anm. 251] 103–113) auch im zweiten Band der Annales Hirsaugienses (Druck von 1690, S. 256) zitierte. 269 Vgl. Klaus Schreiner, Trithemius (wie Anm. 257), 107 f. und Arnold (wie Anm. 251), 150. Ein Schriftvergleich mit den Stuttgarter Handschriften des Basellius zeigt, dass der Bonner Codex kaum Autograph des Hirsauer Mönchs sein dürfte.
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waren seine Kontakte zum Schlettstädter Humanisten Beatus Rhenanus. Dessen Korrespondenz gibt Einsicht in die Vorgänge: Im September 1520 gelang es dem aus Durlach stammenden Straßburger Vikar Thomas Rapp, einem Freund von Rhenanus, bei einem Kuraufenthalt im Schwarzwald, vermutlich in Wildbad, den Hirsauer Abt auf Vermittlung von Basellius zur Ausleihe einer zweibändigen TertullianHandschrift an Rhenanus zu bewegen.270 Die Frist sollte ein gutes halbes Jahr betragen – ea lege, ut in dimidiati anni spatio vel paulo prolixiori ad eos tuis expensis redeat, so beschreibt Rapp in seinem Brief an Rhenanus die Modalitäten –, und außerdem hatte der Kontaktmann ein Pfand und eine Haftungszusage zu hinterlassen: dedi quoque cautionem et syngrapham meapte manu descriptam monachis ipsis, ut si casu quippiam ipsi Tertulliano detrimeanti vel macularum vel id genus contingeret, ego reculis meis singula resarcire velim.271 Die Handschrift, deren Empfang Rhenanus zu Ausdrücken höchster Begeisterung veranlasste,272 diente dann bekanntlich zusammen mit einem Codex aus Payerne als Grundlage für die 1521 bei Froben in Basel erschienene Editio princeps der Werke des Kirchenvaters.273 Leider ist der Hirsauer Tertullian seither nicht mehr greifbar. Will man nicht annehmen, er sei gegen die ausdrückliche Vereinbarung, die Rapp ausgehandelt hatte, in Basel oder bei Beatus Rhenanus verblieben und dort verloren gegangen, so müsste der zweibändige
270 Briefwechsel des Beatus Rhenanus, gesammelt u. hrsg. von Adalbert Horawitz und Karl Hartfelder, Leipzig 1886, 248 und 283. 271 Briefwechsel (wie Anm. 270), 248. Dass es sich lediglich darum handelte, die Handschrift vorübergehend zu entleihen, wird hier ganz deutlich; die Formulierung von Wolfgang Irtenkauf, Bausteine (wie Anm. 237) 391 – „1520 September 24 erwirbt Beatus Rhenanus … vom Hirsauer Abt und Basellius eine Tertullian-Handschrift“ – ist also unzutreffend (falsch ist im übrigen auch das Datum – der Kontakt hat vor dem 13. September stattgefunden – und die Darstellung des Vorgangs im Sinne einer direkten Begegnung zwischen Rhenanus und Basellius; s. auch Anm. 270). 272 Accepi non minori gaudio, quam gemmas mihi misisset, schreibt Rhenanus, nachdem er den Tertullian in Basel – vermutlich in der Offizin Frobens – in Empfang genommen hatte. Briefwechsel (wie Anm. 270) 283. 273 Vgl. zum Ganzen auch Lehmann (wie Anm. 268), 60 f. und Pierre Petitmengin, A propos du „Tertullien“ dé Beatus Rhenanus (1521), in: Annuaire de la Société des amis de la Bibliothèque humaniste de Séléstat 30 (1980), 93–106 [In der Zwischenzeit tauchte im Hauptstaatsarchiv Stuttgart ein ins 12. Jahrhundert zu datierendes Doppelblatt auf (Signatur A 284/39 Bü 2a), das Teile von Tertullian Adv. Marc. enthält (II.7.2–13.2) und möglicherweise zur verschollenen Hirsauer Handschrift gehören könnte. Vgl. jetzt auch Pierre Petitmengin, Tertullien entre la fin du XIIe et le début du XVIe siècle, in: Mariarosa Cortesi (Hrsg.), Padri Greci e Latini a confronto. Atti del Convegno di studi della Società Internazionale per lo Studio del Medioevo Latino, Firenze 2004, 63–88].
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Codex nach seiner Rückkehr in seine Bibliotheksheimat verschwunden sein, und zwar noch vor der Verzeichnung des Parsimonius, in dessen Katalog von 1581 er nicht erscheint. Zwei andere Hirsauer Handschriften lassen sich hingegen heute noch unter den auf Rhenanus zurückgehenden Beständen der Bibliothèque humaniste de Séléstat nachweisen, nämlich die beiden im ersten Abschnitt bereits erwähnten Mss. 13 und 16 (s. o., S. 112–114), wobei nicht sicher ist, ob sie zusammen mit den Tertullian-Bänden aus dem Schwarzwald ins Elsass gelangten, oder erst später. Audies multa de aliis antiquissimis codibus (!) qui in monasterio Hirsaugiensi asserventur, hatte Rapp in seinem Brief vom 20. September 1520 Rhenanus in Aussicht gestellt, und diese Ankündigung bzw. die genaueren Informationen, die der Straßburger Vikar seinem Schlettstädter Freund nach seiner Rückkehr geliefert haben dürfte, könnten diesen sehr wohl zu einem weiteren Vorstoß nach Hirsau veranlasst haben. Neben Basellius, der 1524 gestorben ist,274 sind noch drei weitere seiner Mitbrüder zu nennen, die belegen, dass die Schreibtätigkeit in Hirsau auch in den ersten Jahrzehnten des 16. Jh. anhielt: Johannes Widmann, Johannes Rapolt und Valentin Wetzel. Johannes Widmann aus Pforzheim, ein Sohn des bekannten Arztes gleichen Namens, der am württembergischen Hof als Leibmedicus tätig war,275 schrieb 1512 eine kleine Handschrift (Karlsruhe, Bad. Landesbibl., L 58) mit dem Totenoffizium nach Bursfelder Ritus und einem Gebetsanhang, die in der damals mit Hirsau verbundenen Benediktinerinnenabtei Frauenalb in Verwendung war und um 1600 in die Bibliothek der Zisterzienserinnen von Lichtenthal gelangte.276 Etwa in die gleiche Zeit fällt auch die Aktivität von Johannes Rapolt, der mit einigen seiner Mitbrüder, wie Anm. 230 schon erwähnt, aus dem Priorat Mönchsroth nach Hirsau übergesiedelt war.277 Die 1511 datierte Handschrift HB IV 27 der Württ. Landesbibl. wurde in Anm. 164 bereits genannt. Sie ist nicht zuletzt deshalb von Interesse, weil ihre Hinweise auf benutzte Vorlagen zeigen, dass zu Beginn des 16. Jh. in Hirsau heute verschollene Teile Vgl. Blätter für Württembergische Kirchengeschichte N.F. 14 (1910), S. 143. Klaus Schreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108), 195 f. 276 Heinzer u. Stamm (wie Anm. 106), 160 f., sowie Felix Heinzer, Frauenalb (wie Anm. 233), 108. Zum Verhältnis Hirsau – Frauenalb s. u. S. 152. 277 Die Beziehungen zwischen den beiden Häusern dokumentiert übrigens auch die Handschrift Ms. 32 der Thurn-und-Taxis-Hofbibliothek in Regensburg (um 1400) mit Hirsauer Einband und Besitzvermerk des Mönchsrother Konventualen Johannes Merklin, erwähnt bei Ernst Kyriss (wie Anm. 5). Die Angaben über Datierung und Besitzeintrag verdanke ich dem Leiter der Hofbibliothek, Martin Dallmeier. 274 275
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der hochmittelalterlichen Bibliothek noch vorhanden waren. Rapolt ist auch Schreiber einer weiteren, bisher unbeachteten Handschrift: Tübingen, Wilhelmsstift, Gb 4° 437. Der in Anm. 169 schon kurz erwähnte, undatierte und unfirmierte Codex verrät seine Hirsauer Herkunft durch den von Kyriß (s. Anm. 5) verzeichneten Einband und lässt sich aufgrund von Schriftvergleichen mit der eben genannten Stuttgarter Handschrift eindeutig Rapolt zuweisen. Dieser tritt übrigens f. 131r auch als Autor eines marianischen Decastichons in Erscheinung. Der Inhalt des 262 Blätter starken Bands, der noch nirgendwo beschrieben ist, soll wenigstens kurz skizziert werden.278 Es handelt sich um eine vermutlich für persönlichen Gebrauch zusammengestellte Sammelhandschrift. Enthalten sind u. a. eine Anzahl von Briefen des Hieronymus, die metrische Benediktsvita des dem Melker Reformkreis zuzurechnenden Petrus von Rosenheim,279 die pseudo-hieronymianische Epistula supp. 58 (hier als Sermo S. Bachiarii präsentiert),280 Exzerpte aus Cicero, eine Reihe von Epigrammen, Johannes Wimpfelings „De arte metrificandi libellus“, ein „Index dictionum eclogarum“ Baptistae Mantuani, ein offensichtlich auf Hirsauer Material fußender Briefsteller281 sowie einige Verse des bekannten Maulbronner Mönchs und Humanisten Conradus Leontorius.282 Dass dieser in Rapolts Sammlung berücksichtigt wird, ist sicherlich kein Zufall, hat sich Leontorius doch, wie Anm. 169 schon erwähnt, im Jahr 1509 eine Zeitlang in Hirsau aufgehalten. Dass er bei dieser Gelegenheit auch Reuchlin getroffen hat, sei nur nebenbei erwähnt – nicht zuletzt auch deshalb, weil über Reuchlin
278 Dem Leiter der Bibliothek des Wilhelmsstifts, Herrn Dipl.-Bibl. E. Fesseler, danke ich für die mit großem Entgegenkommen gewährte Möglichkeit, die Handschrift eingehend zu untersuchen. 279 S. dazu Hellmut Rosenfeld, ‚Petrus von Rosenheim‘, in: 2VL 7, Berlin u. a.1987, 518–521, hier 520. 280 PL 20, 1037–1062. S. auch Bernard Lambert, Bibliotheca hieronymiana manuscripta 3A, Steenbrugge 1968, 228–230 (mit Erwähnung dieser Hs.). 281 Vgl. z. B. 196v in hoc nostro monasterio hirsaugiensi, 243v in monasterio nostro hirsaugiensi, 247v Ex Hirsow. Dieser Text verdiente eine gründliche Untersuchung. Hier sei lediglich auf einige besonders bemerkenswerte Stellen hingewiesen: 220r Bericht über einen Besuch in Maulbronn und über dortige Buchbestände; 238r Brief des Bebenhäuser Priors Ludowicus – bei Sydow (wie Anm. 171) nicht nachgewiesen – mit Erwähnung einer zum Abschreiben nach Hirsau ausgeliehenen Smaragdus-Handschrift (Kommentar zur Benediktsregel); 241r Übergabe mehrerer Bücher, darunter eine ecclesiastica historia, an Frater Nicolaus (wahrscheinlich Basellius) durch einen namentlich nicht genannten Mönch eines mit Hirsau verbundenen Klosters. 282 Credula versutos odit Germania Gallos.…
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eine weitere alte Hirsauer Handschrift (Ezechielkommentar von Hieronymus) nach Basel abwanderte, und zwar diesmal zu Johann Amerbach.283 Doch zurück zu Rapolt. Der Inhalt der Tübinger Handschrift macht den ehemaligen Mönchsrother Konventualen sicher noch nicht zum Humanisten, dennoch verrät er – genauso wie übrigens auch der Charakter des Schriftbilds – zumindest ausgeprägte Interessen in diese Richtung. Ob dies über die persönlichen Vorlieben Rapolts hinaus für den Hirsauer Konvent dieser Zeit als ganzen symptomatisch ist, ist schwer zu sagen. Immerhin erscheint es bemerkenswert, dass auch der dritte Handschriftenschreiber, den es hier zu nennen gilt, ganz ähnliche Ambitionen erkennen lässt. Es handelt sich um den aus Weil der Stadt gebürtigen Valentin Wetzel, der zunächst Mönch in Hirsau war, von 1531 bis 1581 dann als Prior in Klosterreichenbach wirkte.284 Am 8. September 1553 schenkt er der Lichtenthaler Äbtissin Barbara Vehus285 ein deutsches Gebetsund Andachtsbuch, das er in Hirsau geschrieben und dort schon 1530 vollendet hatte: die Handschrift L 101 der Bad. Landesbibl. Karlsruhe.286. Den größten Teil des Bändchens nimmt eine marianische Betrachtung ein, als deren Verfasser Wetzel den frummen andechtigen vatter Cunradt Becht von Rüthlingen nennt. Offenbar handelt es sich bei Becht, nach Wetzel des loblichen gotzhus Hyrsaw conventual vor zytten, um den Mann, den Trithemius unter dem Namen Cunradus de Ruttlingen als custos et praepositus S. Aurelii in der Liste des Hirsauer Konvents von
283 Hartmann (wie Anm. 169) 1, Nr. 442. Reuchlins Brief datiert vom 20. November 1510 und teilt auch mit, dass in Hirsau von Hieronymus außer dem Ezechielkommentar nichts vorhanden sei (was die Frage nach Rapolts Vorlage für seine Epistolae Hieronymi etwas problematisch macht). Vgl. übrigens auch Nr. 469 (Z. 120) der Amerbachkorrespondenz mit dem Hinweis auf die Bibliotheksreisen Reuchlins nach Bebenhausen, Maulbronn, Hirsau, Denkendorf und Lorch auf der Suche nach Handschriften für den Basler Drucker. 284 Schreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108) 221 Nr. 125. Vgl. auch das Diarium Wetzels (Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 516 Bü 34) über die Jahre 1557 bis 1563. Auf dessen auf dessen Umschlag XPC. V. V.V. genau wie im Kolophon und im Schenkungsvermerk der Karlsruher Handschrift. V.V.V. ist aufzulösen als V(alentinus) V(uezelius) V(uilensis). 285 Vgl. zu dieser Pia Schindele, Die Abtei Lichtenthal, Teil 2, in: Freiburger Diözesanarchiv 105 (1985), 67–248, hier 91–111, sowie Agnes Wolters, Barbara Vehus, Äbtissin zu Lichtenthal 1551–1597, in: Ortenau 41 (1961), 152–158. Wetzels Tagebuch (s. Anm. 284) verzeichnet regelmäßige Besuche in Lichtenthal, wobei auch mehrfach Bücher erwähnt werden (u. a. auch Aufträge an Buchbinder, die Wetzel für Äbtissin Barbara übernahm). 286 Heinzer u. Stamm (wie Anm. 106), 245–247.
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1513 in den Annales Hirsaugienses aufführt.287 Wetzel liefert nun darüber hinaus in seiner „Beschlußred zu dem gutwilligen leser“ Konrads bisher unbekannten Familiennamen (Becht) und sein genaues Todesdatum (15. November 1515). Wetzel lässt seine Würdigung Bechts in ein lateinisches Epitaph münden, dessen Distichen an einigen Stellen die benutzten Quellen durchschimmern lassen. Anleihen bei Dichtungen aus karolingischer Zeit, die auf Benutzung alter Codices der Hirsauer Bibliothek schließen lassen könnten,288 scheinen zwar an ein, zwei Stellen möglich, sind aber mangels erhaltener Handschriften nicht weiter überprüfbar. Ganz eindeutig lassen sich hingegen eine Reihe von wörtlichen Zitaten aus den bekannten Inschriften im Hirsauer Sommerrefektorium feststellen. Hier ein paar Beispiele, wobei die Inschriften nach der Beschreibung des Weingartner Mönchs Hieronymus Rainolt aus dem Jahr 1631 in der Stuttgarter Handschrift HB XV 44 zitiert werden: Picturae (Stuttgart, WLB, HB XV 44)
Wetzel (Karlsruhe, BLB, L 101)
25. Pictura (44r) Et gemitus tristes vesterque (!) quaterque profundas Fuderunt domino corde flagrante preces
V. 25 f. Hinc gemitus tristes vel terque quaterque profundas Ad celos fudit corde flagrante preces
31. Pictura (46r) stercora ob Christum preciosa mundi cuncta putantes
V.8 … ob Christum stercora cuncta putans
59. Pictura (59r) Virtuti sophiam iunxerunt semper utramque
V.21 Et contra ardenter sophiam dilexit utramque
72. Pictura (64r) Respice mortalis spinas et vulnera Iesu Clavos vincla necem, sputa flagella crucem
V. 29 f. Vel luxit mortem spinas et vulnera quinque Clavos vincla crucem, sputa flagella Iesu
287 Unter Abt Bernhard war, wie aus einem Bericht von Erzherzogin Mechthild hervorgeht, in dem ussern closter zu sant Aurelien wieder mönchlich wesen und gotlich dienstbarkeit … uffgericht worden, s. Schreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108), 81. In der großen Klosterkirche scheint sich Becht als Organist betätigt zu haben: Organicis etiam modulis Christo resonabat, rühmt ihn Wetzel in seinem Gedicht (V. 39), und Trithemius bedenkt ihn im Hinblick darauf mit dem (schwülstigen) Epitheton Symphonides Christi. Zur Hirsauer Orgel, die Abt Blasius 1489 errichten ließ, s. Schreiner, Klosterreform (wie Anm. 203), 192. 288 Zu einem analogen Fall, der sich allerdings dank weit günstigerer bibliothekarischer Überlieferung ganz anders dokumentieren lässt, s. Rolf Schmidt, Das Epitaph für Ulrich Rösch, in: Ulrich Rösch. St. Galler Fürstabt und Landesherr, hrsg. von W. Vogler, St. Gallen 1987, 365–380.
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Ob Wetzel direkt von den Wandinschriften kopiert hat oder, was wahrscheinlicher sein dürfte, von einer Fassung in Buch- bzw. Zettelform, oder ob gar eine gemeinsame Vorlage zu postulieren ist, auf die sowohl die Inschriften als auch Wetzels Verse zurückgehen, ist letztlich unerheblich. Wesentlich ist, dass hier eine Tradition greifbar wird, die sich in verschiedenen Zusammenhängen artikuliert und – wie Wetzels Handschrift zeigt – noch bis gegen 1530 wirksam bleibt. Mit ihr ist im übrigen auch die 1833 von Kausler publizierte Vita metrica Wilhelms von Hirsau289 zu verbinden. Das fragmentarisch erhaltene Stück (Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, J 522 B I 669) gehört paläographisch in die Zeit um 1500, wobei der Schreiber ganz offensichtlich eine Schrift des 12. Jh. zu imitieren sucht.290 Ob er dabei eine hochmittelalterliche Vorlage mit diesem Text nachahmt, der somit noch aus romanischer Zeit stammen würde, wage ich nicht zu entscheiden. Eine Untersuchung der genauen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen der Vita (und ihrer eventuell zu postulierenden älteren Vorlage), den Inschriften und Wetzels Text bedürfte einer eigenen Untersuchung. Hier soll lediglich auf einige Parallelen und Similien hingewiesen werden. So erinnern etwa die Verse 12–14 der Vita (O fortunatos o ter quaterque beatos / Mitia colla quibus concessum est subdere tanto / Pastori…) an eine Stelle in der 31. Pictura des Sommerrefektoriums (Hi iugo Christi subdiderunt colla praedulci) und an Vers 12 bei Wetzel (Subdidit et eius mitia colla iugo).291 Dasselbe gilt für die Verse 66–67 der Wilhelmsvita (Hic Benedictinis cervicem legibus ultro / Subdens…), die zudem an die Verse 7–8 von Wetzels Gedicht (Hic Benedictinae iuvenis se religioni obtulit…) denken lassen. Um jedes Missverständnis zu vermeiden: Es geht hier nicht um die Frage nach der (eher geringen) Qualität dieser dichterischen Versuche, sondern lediglich um den Sachverhalt, dass es solche Versuche in Hirsau gegeben hat und dass sie als ein Aspekt der zweiten Blütezeit Hirsaus zumindest wahrzunehmen sind. Sie lassen sich im übrigen zurückverfolgen bis in die Anfänge dieses Neuaufschwungs, wobei insbesondere an einen Mann wie Jacobus de Oppenheim zu erinnern ist, der im Jahr 1457 mit den ersten
Anzeiger für Kunde des deutschen Mittelalters 2 (1833), 70–72. Ein ähnliches Beispiel bietet der Mittelteil des S. 138 und Anm. 236 schon erwähnten Cod. bibl. 2° 34 (f.54r – 77v) der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. 291 S. aber z.B. auch schon V. 8 der interpolierten Fassung von Bertharius de Monte Cassino, Carmen de S. Benedicto: Et domini subdis mitia colla iugo (MGH Poetae 3, S. 398). 289 290
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Reformmönchen aus Mainz nach Hirsau kam und sich als Dichter von Carmina et Rythmi de diversis rebus hervorgetan haben soll.292 Aber auch Trithemius, dem wir diese Nachricht verdanken, hat sich ja mit seinen hagiographischen Dichtungen, die in Hirsau sicherlich bekannt waren, verschiedentlich in diesem Feld versucht, und in Hirsau selbst wäre nebst Rapolt (s. o.) und eben Wetzel auch Friedrich von Wangen zu erwähnen, der in der S. 141 vorgestellten Stuttgarter Handschrift Cod. theol. et phil. 2° 277 als Autor zweier Epigramme auf Trithemius in Erscheinung tritt. Vergleichbares lässt sich in dieser Zeit durchaus auch in anderen Klöstern nachweisen, so etwa, wie schon erwähnt, in Sankt Gallen, aber auch in St. Emmeram,293 in Aldersbach294 und anderswo. Doch noch einmal zurück zu Wetzels Handschrift von 1530. Ihr Inhalt – nebst Bechts Andachtsübung enthält sie noch das bekannte Dictum und Gebet des Schweizer Eremiten Niklaus von Flüe sowie die Beispielerzählung von der „Geistlichen Hausmagd“ – ist noch ganz spätmittelalterlicher Frömmigkeit verpflichtet und kontrastiert in eigentümlicher, fast rührender Weise mit dem humanistischen Gepräge, das Duktus und Vokabular von Wetzels lateinischem Gedicht beanspruchen, vor allem aber mit dem Schriftbild, das unverkennbar humanistischen Vorbildern nacheifert. Die „Geistliche Hausmagd“ in Humanistica geschrieben – vielleicht ist gerade dieser eigentümliche Kontrast das Charakteristische dieser kleinen Handschrift, das ihr einen gewissen Aussagewert hinsichtlich des geistigen Klimas in Hirsau während der letzten Jahrzehnte vor der Reformation verleiht. Fortsetzungen bzw. Ausstrahlungen der hier skizzierten Hirsauer Schreibtätigkeit im 15. und 16. Jh. lassen sich beispielsweise in Frauenalb und im elsässischen Ebersheimmünster konstatieren. Für Frauenalb habe ich dies an anderer Stelle schon nachgewiesen,295 so dass hier einige Hinweise genügen. Die heute noch greifbaren Reste der Bibliothek Frauenalbs, das 1598 unter eher unerfreulichen UmstänSchreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108), 187 Nr. 225. Vgl. Günter Glauche, Die Regensburger Sodalitas litteraria um Christophorus Hoffmann und seine Emmeramer Gebäude-Inschriften, in: Scire litteras (wie Anm. 23) 187–200. Die Parallelen zu Hirsau – bis hin zu den Glasmalereien im Kreuzgang, die 1502 eingefügt wurden – sind erstaunlich und würden eine nähere Untersuchung verdienen. 294 Vgl. Franz Josef Worstbrock. Aus Gedichtsammlungen des Wolfgang Marius, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 44 (1981), 491–504. 295 S. meinen in Anm. 233 zitierten Aufsatz. Dort auch Einzelbelege für die hier folgende Zusammenfassung. 292 293
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den durch den Markgrafen von Baden-Durlach aufgehoben wurde, sind heute unter den Beständen der Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal zu finden. Es handelt sich dabei anscheinend um Flüchtungsgut einer kleinen Gruppe von Frauenalber Nonnen, die 1609 in Lichtenthal Zuflucht fanden. Die Bezüge zu Hirsau sind in den erhaltenen Büchern auf Schritt und Tritt greifbar. Außer zwei Handschriften und zwei Drucken aus der pfälzischen Benediktinerinnenabtei Seebach, mit der Frauenalb im 16. Jh. in enger Verbindung stand, stammen sämtliche Stücke aus Frauenalb selbst oder aber aus Hirsau. Dahinter steht der durch Hirsau vermittelte Anschluss Frauenalbs an die Reformbewegung, der sich seit 1456 abzeichnet und seit 1468 festere Formen annimmt. Gerade die hier angesprochenen Reste der Bibliothek belegen, dass die Beziehungen Frauenalbs zur Reform – in diesem Fall zur Bursfelder Kongregation – stärkere Spuren hinterlassen haben, als bisher vielleicht angenommen wurde. In erster Linie spiegelt sich dies natürlich bei den Liturgica. Nebst einer Gruppe gedruckter Bursfelder Breviere – darunter allerdings kein Exemplar der oben (S. 139) erwähnten Ausgabe von 1496 aus der Offizin Petrus Drachs – sind vier Handschriften anzuführen, deren Textgestalt ganz den Bursfelder Vorschriften entspricht. Die Frage der Schriftheimat lässt sich zwischen Frauenalb und Hirsau nicht immer sicher klären, vor allem bei den älteren Stücken, die noch aus dem 15. Jh. stammen. Das Hymnar Karlsruhe, Bad. Landesbibl., L 62, das um 1535 geschrieben wurde, wird hingegen ziemlich sicher für Frauenalb in Anspruch zu nehmen sein, wo um diese Zeit beachtliche Schreibtätigkeit zu belegen ist (s. u.), während in Hirsau damit nun kaum mehr zu rechnen ist. Hirsauer Herkunft ist hingegen für die schon erwähnte Handschrift L 58 gesichert (s. S. 146), und auch die handschriftlichen Zusätze im Bursfelder Brevierdruck von 1518, der heute in Karlsruhe die Signatur L 127 trägt, weisen in das Männerkloster. Unter den nichtliturgischen Stücken dominieren handschriftliche Gebetbücher, meist in deutscher Sprache, für die durchweg Frauenalber Nonnen verantwortlich zeichnen. Entstanden sind diese Handschriften im zweiten bis vierten Jahrzehnt des 16. Jh. Der inhaltliche Bezug zur Reform lässt sich hier naturgemäß nicht so unmittelbar fassen wie bei den liturgischen Stücken, wo der Vergleich mit den durch gedruckten Ausgaben normierten Bursfelder Texten möglich ist. Dennoch wird man auch diese Gebetbücher durchaus als Ausdruck dafür sehen dürfen, dass die von Hirsau vermittelten Erneuerungsimpulse in Frauenalb noch längere Zeit wirksam waren. Auf alle Fälle
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ist die beachtliche Schreibtätigkeit des Frauenalber Konvents, die hier angesichts sicherlich eingetretener Bücherverluste im übrigen nur ausschnittweise zu erfassen ist, als Folge und Wirkung des entsprechenden Aufschwungs in Hirsau zu sehen. In diesem Sinn darf der Frauenalber Befund auch als ein Stück indirekter Bibliotheksgeschichte Hirsaus interpretiert werden. Nun zu Ebersheimmünster. Bereits Wolfgang Irtenkauf hatte in seinem nun schon mehrfach zitierten Aufsatz von 1957 den Blick auf die elsässische Abtei gelenkt, und zwar im Zusammenhang mit einer Inkunabel des British Museum, nämlich einem Exemplar des S. 139 erwähnten Speyrer Brevierdrucks.296 Handschriftliche Eintragungen zeigen, dass der Band zunächst in Hirsau in Gebrauch war und später dann, wie Irtenkauf wahrscheinlich macht, in Ebersheimmünster oder in Altdorf. Eine unerwartete Verstärkung dieser Spur lieferte nun die Katalogisierung der Lichtenthaler Handschriften. An einigen Stellen zeigten sich auch hier Verbindungslinien ins Elsaß, und zwar ganz speziell nach Ebersheimmünster. So lassen sich in mehreren Kalendaren liturgischer Codices (Karlsruhe, Bad. Landesbibl., L 19 und L 27; Lichtenthal, Klosterarchiv, Hs. 1) Nachträge von einer Hand des 16. Jh. feststellen, die sich auf die Feste der Märtyrerin Apollonia, des Ebersheimmünsterer Stifters Deodat und des Hirsauer Patrons Aurelius beziehen.297 Aurelius hat durch einen Nachtrag von derselben Hand auch Eingang in die Litanei von Lichtenthal, Klosterbibl., Hs. 25, gefunden, und in dieser Handschrift finden sich außerdem zahlreiche Verweisungen auf die beiden 1561 in Ebersheimmünster geschriebenen Sequentiare Karlsruhe, Bad. Landesbibl., L 60 und Lichtenthal, Klosterbibl., Hs. 10.298 Diese zunächst sehr verwirrende Mixtur erklärt sich mit einem Mal, wenn wir hören, dass die schon erwähnte Lichtenthaler Äbtissin Barbara Vehus 1559 um Entsendung eines Beichtvaters aus Ebersheimmünster ersuchte, wobei als bevorzugter Kandidat der priester Bernhardus Irtenkauf, Kalendar (wie Arm. 166), 278–280. Aurelius und Deodat (s. zu diesem auch Irtenkauf, Kalendar [wie Anm. 166], 279) als typische Leitheilige für Hirsau bzw. Ebersheimmünster bedürfen keiner weiteren Erläuterung. Apollonia gehört zu den Hirsauer Zusätzen im Stuttgarter Cod. bibl. 2° 34 (Irtenkauf. 268), ohne dass die hier wirksamen Einflüsse zu fassen wären (vgl. auch Irtenkauf, Beiträge [wie Anm. 220] 124). In Frauenalb ist die „Zahnheilige“ übrigens als Nebenpatronin eines Altars im Jahr 1457 belegt, vgl. Wilhelm Bulk, St. Apollonia. Patronin der Zahnkranken, Bielefeld 1967, 76. 298 Für Einzelheiten darf hier auf den Anm. 106 genannten Handschriftenkatalog verwiesen werden. 296 297
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Minchberger genannt wird, ein einheimbscher, stiller und ziemlich gelehrter mönch, so ein conventual zu Hirsau gewesen.299 Mit anderen Worten: in der elsässischen Abtei befand sich um die Mitte des 16. Jh. ein ehemaliger Hirsauer Konventuale, und wie gleich zu zeigen ist, war Münchberger300 nicht allein. Ob er dann auch tatsächlich in Lichtenthal gewirkt hat, lässt sich nicht sagen. Auch eine zufällig aufgespürte Inkunabel aus seinem Vorbesitz (Bad. Landesbibl., Do 291) brachte dazu mangels Lichtenthaler Provenienzspuren keine Klärung. Der um 1560 in Lichtenthal tätige Beichtvater dürfte aber auf jeden Fall ein ehemaliger Hirsauer Konventuale gewesen sein, der nach der Vertreibung aus dem Schwarzwaldkloster durch Herzog Ulrich in Ebersheimmünster Asyl gefunden hatte und dort – und später auch in Lichtenthal – die Erinnerung an den alten Hirsauer Patron, der in der Bursfelder Epoche neu zu Ehren gekommen war, wach zu halten suchte. In diesen Kontext gehört auch das sogenannte Klosterreichenbacher Seelbuch, das sich heute in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen befindet.301 Eine handschriftliche Notiz darin besagt, das Buch sei durch Matthias Koler, einen früheren Hirsauer Mönch, nach Ebersheimmünster gebracht worden und Koler habe später dort die Abtswürde bekleidet.302 Die Liste der von Grandidier nachgewiesenen Äbte des Klosters enthält in der Tat Kolers Namen und weist ihn als Vorsteher für die Jahre 1551 bis 1591 aus303 – also für eine Amtszeit, die fast genau mit der von Äbtissin Barbara in Lichtenthal zusammenfällt. Diese hat sich möglicherweise nicht zufällig gerade an Ebersheimmünster gewandt, sondern die Tatsache, dass dort ein früherer Hirsauer als Abt amtierte, berücksichtigt. Auch die schon erwähnten Kontakte mit dem ehemaligen Hirsauer Wetzel in Klosterreichenbach könnten hier eine Rolle gespielt haben. Die hier fassbaren Zusammenhänge sind auch für die Frage nach der Ausstrahlung der Bursfelder Reform via Hirsau in den elsässischen Schindele (wie Anm. 285), 93. Erwähnt bei Schreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108), 204 Nr. 327 (ohne Hinweis auf Ebersheimmünster). 301 Ellen Joergensen, Catalogus codicum latinorum medii aevi Bibliothecae Regiae Hafnensis, Kopenhagen 1926, 240 (Lib. impr. sign. 30. 251 adlig.). Vgl. auch Manfred Eimer, Das Klosterreichenbacher Seelbuch in Kopenhagen, in: Württembergische Vierteljahrshefte 42 (1936), 375 f. 302 Schreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108) 204. 303 Paulus Volk, ‚Ebersheimmünster‘, in: Dictionnaire d’histoire et de géographie ecclésiastiques 14, Paris 1960, 1312 f.; Kolers Korrespondenz aus dieser Zeit hat sich erhalten in Strasbourg, Bibl. Univ., Ms. 772; s. Catalogue général… (wie Anm. 129) 47, Paris 1923, 213. 299 300
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Raum von Interesse. 1512 wurde bekanntlich eine Reform von Maursmünster erwogen, wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Risiken jedoch nicht durchgeführt.304 Für Ebersheimmünster ist die Zughörigkeit zum Bursfelder Kongregationsverband offiziell erst seit 1607 bezeugt. Eine Quelle von 1616 spricht jedoch davon, eine Verbindung habe schon „seit Jahrhunderten“ bestanden,305 und auch Leuckfelds Antiquitates Bursfeldenses von 1713 berichten von einem bereits 1482 erfolgten Anschluss Ebersheimmünsters. Die Zuverlässigkeit dieser Nachrichten sind in der Forschung eher negativ beurteilt worden. Fest steht jedenfalls, dass schon 1535 oder kurz danach eine kleine Gruppe von Hirsauer Mönchen in die elsässische Abtei gekommen sein muss und diese spätestens dadurch mit Bursfelder Geist in Berührung kam. Matthias Koler war wohl der Anführer dieser Exilanten, zu denen Bernhard Münchberger gehörte, dazu wohl auch Johannes Junior, der Schreiber der beiden Lichtenthaler Sequentiare, die, abgesehen von einem speziellen Anhang, völlig mit der Bursfelder Liturgie konform gehen,306 sowie der Anm. 307 erwähnte Johannes Boverus. Man könnte dabei zumindest in Erwägung ziehen, ob Koler und seine Gefährten Ebersheimmünster nicht zufällig als Zufluchtsort ausgesucht haben, sondern eben deshalb, weil bereits gewisse Verbindungen zwischen den beiden Häusern bestanden. Dass dabei Klosterreichenbach als Vorposten Hirsaus in Richtung Südwesten eine Art Brückenfunktion ausgeübt hat, erscheint nicht ausgeschlossen. Das Schicksal der Klosterreichenbacher Seelbücher scheint in der Tat darauf zu deuten, dass das Priorat im oberen Murgtal zumindest eine erste Zwischenstation für die vertriebenen Hirsauer auf ihrem Weg ins Elsaß gewesen sein könnte. Auch die im Anm. 284 erwähnten Tagebuch Valentin Wetzels festzustellenden Kontakte zwischen Klosterreichenbach und Ebersheimmünster307 würden gut zu dieser Hypothese passen. S. Anm. 235. Volk (wie Anm. 235) 287. 306 Verglichen wurden die gedruckten Bursfelder Missalien von 1487 und 1515. 307 Vgl. den Eintrag zum 23. August 1562: Under dem nachtessen ist her Johann Boverus von Eberßheimmünster her- khomen. Uff donerstag hernacher den 27. Tag Augusti ist gedachter Johan Boverus wider hinweg gen Weyl der Stat hinab gangen in sein vatterland. Die Heimat von Boverus (Bauer?) spricht für ursprüngliche Zugehörigkeit zum Hirsauer Konvent. Sollte Boverus gar identisch sein mit dem Schreiber der Lichtenthaler Sequentiare? Zum 15. März 1563 vermerkt Wetzel, dass das peurlin von Ergatzingen nach Eberßheim geht. Wollte man weiter zurückgehen, so bietet der Name des von 1511 bis 1540 in Ebersheimmünster regierenden Abts – Georg Reichenbach, s. Volk, Ebersmünster (wie Anm. 303) – Anlass zu Spekulationen. Ist dieser Name als Herkunftsbezeichnung aufzufassen wie 304 305
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Festzuhalten bleibt auf alle Fälle, dass anhand dieser Spuren die Rolle Hirsaus als Bursfelder Reformzentrum in Südwestdeutschland, speziell seine Ausstrahlung in den oberrheinischen Raum bis hinein ins Elsaß, deutlicher fassbar wird, und dies zeigt, dass bibliotheksgeschichtliche Recherchen oft auch zur Klärung historischer Zusammenhänge Anstöße zu geben vermögen. Doch noch einmal zurück nach Hirsau selbst. Der durch die Reform ausgelöste Aufschwung der Bibliothek wirkte sich nicht nur im Bereich der Handschriften aus, sondern hatte auch umfangreichere Erwerbungen gedruckter Bücher zur Folge. Einen gewissen Anhaltspunkt bietet hier das schon öfter herangezogene Verzeichnis von 1581. Es umfasst über 500 Nummern, wovon allenfalls ein Zehntel auf die Handschriften entfällt. Mit anderen Worten: es besteht ein ganz deutliches Übergewicht zugunsten der Drucke – Inkunabeln und Frühdrucke –, wobei angesichts der in Rechnung zu stellenden Verluste nach 1535, für die zahlreiche Stichproben sprechen, die Bestandszahlen der letzten Jahrzehnte vor der Aufhebung wohl noch um einiges höher anzusetzen sind. Ernst Kyriß hat in seinem Anm. 5 zitierten Werk 62 Drucke aus den Jahren 1478 bis 1514 mit Hirsauer Einbänden nachweisen können. Nicht jeder dieser Bände ist dadurch schon mit Sicherheit als Teil der ehemaligen Hirsauer Bibliothek anzusprechen, und auf der anderen Seite ist sicherlich mit einer gewissen Anzahl von Büchern zu rechnen, deren Hirsauer Provenienz sich nicht anhand dieses äußeren Merkmals erkennen lässt und daher unter Umständen gar nicht erkannt ist. In etwa ist mit den Zahlen von Kyriß aber wohl doch der Umfang des heute noch Greifbaren abgesteckt, was bedeutet, dass sich grob gerechnet etwa ein Zehntel des einstmals in Hirsau vorhandenen Bestands an Drucken erhalten hätte. Eine systematische Durchforstung von Altbeständen könnte sicher noch die eine oder andere Ergänzung
im Fall des Hirsauer Mönchs Michael de Richenbach (s. Schreiner, Untersuchungen [wie Anm. 108], 191 Nr. 255), so wäre sogar an Verbindungen zwischen dem Hirsauer Priorat und der elsässischen Abtei seit dem frühen 16. Jh. zu denken. Auf jeden Fall dürfte die Vermutung von Irtenkauf, Kalendar (wie Anm. 166), 280, das Brevier des British Museum sei „wahrscheinlich im Zuge der 1607 erfolgten, Bursfeldisierung“‘ nach Ebersmünster gelangt, so zu präzisieren sein, dass der Band schon wesentlich früher, nämlich spätestens mit Koler und seinen Gefährten, den Weg über den Rhein angetreten hat.
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bringen, und dasselbe gilt für die Durchsicht der Provenienzregister neuerer Inkunabelkataloge.308 Die erhaltenen Drucke hier im einzelnen aufzuführen und zu diskutieren, erscheint wenig sinnvoll. Ich beschränke mich daher auf zwei Aspekte grundsätzlicher Art, die mir nicht unwichtig erschienen. Der erste Hinweis betrifft die inhaltliche Seite dieses Restbestands. Klaus Schreiner hat den interessanten Versuch unternommen, die theologischen und spirituellen Interessen der Hirsauer Mönche während der Bursfelder Zeit etwas herauszuarbeiten, indem er den Katalog von 1581 auf die Autoren hin befragte, die in einschlägigen Lektüreempfehlungen – etwa von Johannes Gerson in seiner Schrift „De libris legendis a monacho“ oder dem Erfurter Benediktiner Nikolaus von Siegen – besondere Hochachtung genießen.309 In der Tat scheint das Schrifttum der Reformbewegung in Hirsau gut vertreten gewesen zu sein. Befragt man die erhaltenen Bestände, so bestätigt sich dieser Befund. Gerade im Bereich der Drucke lassen sich jedoch noch andere Schwerpunkte erkennen, die durchaus Erwähnung verdienen. Dies gilt zum Beispiel für die erstaunlich stark vertretene Predigtliteratur (Sermones-Sammlungen), die auf pastorales Engagement zumindest einzelner Konventualen hindeuten könnte; es gilt aber auch – vielleicht noch überraschender – für Aristoteles und seine Kommentatoren. Von den gut dreißig Hirsauer Inkunabeln der Württembergischen Landesbibliothek gehört immerhin fast ein Fünftel in diesen Bereich. Dazu zählt die Aristoteles-Ausgabe Inc. 2° 1743, der Averroes Band Inc. 2° 2190–2191 sowie Kommentare von Johannes Duns Scotus (Inc. 2° 6441),310 Gerhard von Harderwijck (Inc. 2° 8354),311 Johannes Versoris (Inc. 2° 16047)312 und Petrus Tartareti (Inc. 2° 15338).313 Auch der „Graecismus“ Eberhards von Béthune (Inc. 2° 6526) und die S. 122 schon erwähnte Priscian-Ausgabe Inc. 2° 13365 dürfen in 308 Vorläufig kann ich nur zwei mehr oder weniger zufällige Funde beisteuern: Vera Sack, Die Inkunabeln der Universitätsbibliothek und anderer öffentlicher Sammlungen in Freiburg im Breisgau, Wiesbaden 1985, Nr. 2438; John C.T. Oates, A Catalogue of the Fifteenth-Century Printed Books in the University Library Cambridge, Cambridge 1954, Nr. 1330. 309 Schreiner, Klosterreform (wie Anm. 203) 160–165. 310 Charles H. Lohr, Commentateurs d’Aristote au moyen-âge latin (Vestigia 2), Fribourg/Suisse 1988, 133–135. 311 Jacques Paquet, ‚Gérard de Harderwijck‘, in: Dictionnaire d’histoire et de géographie ecclésiastiques 20, Paris 1984, 772–774. 312 Lohr (wie Anm. 310), 152 f. 313 Lohr (wie Anm. 310), 205.
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diesem Zusammenhang genannt werden, ebenso das „Opus sphaericum“ des Johannes de Sacro Bosco (Inc. 2° 14125), ein Exemplar des berühmten Ulmer Ptolemäus (Inc. 2° 13539)314 und die Geographie des italienischen Humanisten Raffaele Maffei gen. Volaterranus (Misc. 2° 128) – übrigens mit handschriftlichem Eintrag von Basellius – , belegen doch alle diese Texte, dass die geistigen Interessen sich auch Bereichen außerhalb der Theologie zuwandten. Sicherlich wäre bei diesen profanwissenschaftlichen Werken wie schon bei der Frage nach dem inhaltlichen Profil der hochmittelalterlichen Bibliothek Hirsaus nach der Rolle eines allfälligen Schulbetriebs zu fragen, denn gerade für das Schrifttum zu den Artes und zu den Naturwissenschaften ist dies nicht unerheblich: dienen solche Werke primär dem Unterricht, sind sie für das kulturelle Klima des Klosters insgesamt nur bedingt aussagekräftig. Allerdings stoßen wir dann gleich auf die Schwierigkeit mangelnder Nachrichten zum Schulbetrieb Hirsaus in der Zeit des 15. und 16. Jahrhundert. Den einzigen Hinweis, den ich hierzu beibringen kann, entnehme ich dem Anm. 308 genannten Inkunabelband in Cambridge, dessen Käufer und späterer Besitzer, eine offenbar von außerhalb des Klosters stammende Lehrkraft, mitteilt, er sei in Hirsau als Berater für die Schulung der dortigen Novizen zugezogen worden.315 Unabhängig davon bleibt festzuhalten, dass unter den erhaltenen Hirsauer Drucken zwar die Theologie eindeutig dominiert, dass aber auch andere Bereiche, zu denen beispielsweise auch noch das Recht hinzuzufügen wäre, in durchaus beachtlichem Ausmaß vertreten sind. Der zweite Aspekt, den ich etwas hervorheben möchte, betrifft die Vorbesitzer der Hirsauer Drucke, so weit sich dazu anhand der erhaltenen Stücke etwas sagen lässt. Wie repräsentativ diese Erkenntnisse für den ursprünglichen Bestand als ganzen sind, lässt sich natürlich kaum sagen. Was Ferdinand Geldner für die Herkunft von klösterlichen 314 Peter Amelung, Der Frühdruck im deutschen Südwesten 1473–1500, Bd 1: Ulm, Stuttgart 1979, 264–266 und 279–287. Interessant erscheint im Hinblick auf Hirsau der Umstand, dass Petrus Drach (s. o. S. 138 f. mit Anm. 239) mit dem Drucker des Ptolemäus, Lienhart Holl, in engen Geschäftsbeziehungen stand und diesem nicht weniger als hundert Exemplare des 1482 erschienenen Werks abnahm (Amelung, 265 f.). Es ist durchaus denkbar, dass das Hirsauer Exemplar aus dieser Lieferung stammt. 315 Nach dem Kolophon mit der Datierung des Drucks auf den 11. April 1500 folgt handschriftlich: Empta (sc. Acta concilii Constantiensis) a me Rudolfo T. de Rapperschwil eodem anno in Hirsaw Monasterio divi Benedicti in quo tunc imperitiae noviciorum eruditionique eorum consului. Der Käufer dürfte identisch sein mit dem am 8. Mai 1490 in Tübingen immatrikulierten Rudolf D(T)ischmacher de Raperswil, vgl. Die Matrikel der Universität Tübingen von 1477–1600, hrsg. von Heinrich Hermelink, 1, Stuttgart 1906, 80.
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Beständen als typisch erkannt hat, dass nämlich „viele Inkunabeln, die im 15. Jahrhundert von Weltgeistlichen, in geringerem Maße auch von Laien erworben worden waren, zum Teil noch im 15. Jahrhundert, vielfach auch im 16. … Jahrhundert durch Testate und vor allem als Seelgerätstiftungen in klösterlichen oder stiftischen Besitz übergingen“,316 lässt sich in Hirsau nur vereinzelt belegen: unter den Stuttgarter Inkunabeln für die „Sermones“ des Albertus Magnus (Inc. 2° 473), die 1490 (?) dem Ditzinger Pleban Michael gehörten, und für die „Summa Pisanella“ (Inc. 2° 2157), die als Legat des Priesters Wendelin Selin aus Vaihingen, dem in Hirsau auch das Begräbnis gewährt wurde, gekennzeichnet ist; in der Universitätsbibl. Tübingen für den Frühdruck G 111 4° aus dem Vorbesitz des Stammheimer Plebans und Dekans des Landkapitels Weil der Stadt Konrad von Lindenfels. Von der Tatsache, dass Schenkungen nur in sehr geringer Zahl fassbar werden, den Schluss ziehen zu wollen, die Erwerbung gedruckter Bücher sei in Hirsau Ausdruck systematischer und gezielter Bibliothekspolitik gewesen, wäre sicherlich zu weit gegriffen. Dennoch ist es wohl kaum verfehlt, die beachtlichen Bestandzahlen, mögen sie nun auf Schenkungen oder eigene Erwerbungen zurückzuführen sein, als Ausdruck eines sichtlich verstärkten Interesses an Büchern zu deuten. Bloß zufällige oder gelegentliche Akzessionen sind da als Erklärung nicht hinreichend. Der Nährboden dieser Entwicklung ist vielmehr ein aktives Engagement für die Bibliothek, wie es den Erfordernissen der Reform entsprach, denn – um noch einmal Klaus Schreiner zu zitieren – „Klosterreform verpflichtete zu verstärkter Bibliothekssorge“ und „zunehmende Bücherbestände galten als untrügliches Indiz bewusst ergriffener und mit Ernst betriebener … reformatio“.317 Zur Errichtung einer eigenen Druckerei wie in anderen Reformabteien, etwa in Subiaco, das wohl kaum zufällig als erster Druckort Italiens gelten kann, oder auf dem Michelsberg bei Bamberg, in St. Ulrich und Afra in Augsburg, in Blaubeuren, um auch einige Beispiele aus unserem Raum zu nennen, ist es in Hirsau allerdings nie gekommen. Hier mag sich auch die etwas abgelegene, stadtferne Lage des Klosters negativ ausgewirkt haben. Hingegen wurde, wie schon mehrfach angedeutet, entsprechend den wachsenden Bedürfnissen der Bibliothek eine eigene Buchbinderwerkstatt eingerichtet (s. Anm. 5), deren Tätig316 Ferdinand Geldner, Inkunabelkunde, Wiesbaden (1978), 162. Vergleichbares läßt sich auch anderswo, etwa für das Kloster Reichenau, feststellen. 317 Schreiner, Erneuerung (wie Anm. 3), 47.
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keit sich von den siebziger Jahren des 15. Jh. bis 1514, an einzelnen Beispielen wie dem Anm. 173 erwähnten Lagerbuch sogar bis in die zwanziger Jahre des 16. Jh. verfolgen lässt. Auch hier gibt es zahlreiche Parallelen im Bereich der benediktinischen Reformbewegung. Im südwestdeutschen Raum sind hier beispielsweise die eben erwähnten drei Abteien zu nennen. In einigen Fällen hat sich allerdings herausgestellt, dass hinter einer vermeintlichen Klosterbuchbinderei eine bürgerliche Werkstatt steht, die im Auftrag des betreffenden Klosters gebunden hat. Der bemerkenswerteste Fall ist sicher Wiblingen.318 Hier konnte Peter Amelung nachweisen, dass die angeblich aus Wiblingen stammenden Einbände einer Werkstatt im Kreis des Ulmer Druckers und Buchbinders Konrad Dinckmut zuzuweisen sind und dass der charakteristische Schriftbandstempel mit dem Namen des Klosters jeweils erst nachträglich aufgeprägt wurde.319 Die in den Hirsauer Einbänden gefundene Makulatur – nebst den schon erwähnten Fragmenten hochmittelalterlicher Handschriften meist liturgischen Inhalts ist insbesondere ein Bruchstück einer Urkunde Abt Bernhards (1460–1482) im 3. Band der Gerson-Ausgabe von 1483 (Inc. 2° 7621) in Stuttgart zu nennen – spricht dafür, dass in diesem Fall die Werkstatt tatsächlich im Kloster selbst zu suchen ist. Darauf deuten auch Grabungsfunde von Buchschließen und -beschlägen im Bereich nördlich des Langhauses von St. Peter und Paul. In den hier noch durch Fundamentreste bezeugten Gebäuden in der Ecke zwischen Langhaus und nördlichem Querschiff könnte möglicherweise die Werkstatt ihren Platz gehabt haben.320 Libros ligare wird in den Bursfelder Caerimoniae in einem Atemzug mit libros scribere genannt,321 d. h. das Binden von Büchern gehört wie die Schreibtätigkeit und gewissermaßen als deren Ergänzung und Komplement in den Kontext der verstärkten Pflege der Buchkultur in der Reformbewegung, und sie hat Teil am hohen Stellenwert, den das Buch dort genießt. Dass der Tätigkeit dieser spätmittelalterlichen Buchbinderwerkstatt – wie anderwärts auch – durch unzimperliches Makulieren Kyriss (wie Anm. 5), Nr. 36. Peter Amelung, Der Drucker des Ulmer Terenz. Kommentarbd., Dietikon u. a. 1972, 17 ff.; s. auch Hummel (wie Anm. 204) 530–533. 320 Da es sich bei den Funden um die übliche Handelsware der Zeit handelt, dürfte m. E. die Annahme einer Eigenherstellung im Kloster auszuschließen sein. An dieser Stelle wäre rückblickend indessen noch einmal auf die Darmstädter Hs. 929 (s. oben, S. 104 u. 141) hinzuweisen, deren Einband aus dem 12. Jh. stammen dürfte und eine sehr interessante Schließe mit einer Tierfigur in Gelbguss aufweist. 321 Schreiner, Klosterreform (wie Anm. 203), 122. 318 319
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eine ganze Anzahl romanischer Handschriften zum Opfer gefallen ist, muss als negative Begleiterscheinung allerdings auch vermerkt werden.
III. Die Schicksale der Bibliothek nach der Reformation Die Zerstreuung der Hirsauer Bibliothek setzt nicht erst nach 1535 ein. Schon für das späte 12. und besonders für das 13. und 14. Jh. ist im Zusammenhang mit dem inneren und äußeren Niedergang des Klosters sicherlich mit nicht unbeträchtlichen Verlusten zu rechnen. Doch auch die zweite Blütezeit, deren positive Auswirkungen auf die Bibliothek eben dargestellt wurden, ist an der Abwanderung oder gar Vernichtung hochmittelalterlicher Handschriften nicht ganz unbeteiligt. Von den Folgen der Buchbindertätigkeit war gerade die Rede, und die Auswirkungen der Kontakte mit humanistischen Handschriftenforschern wurden ebenfalls schon angedeutet. Eher legendär dürften allerdings die Berichte von den Plünderungen während des Konstanzer Konzils sein, die einem seit dem 16. Jh. häufig bemühten bibliotheksgeschichtlichen Topos entsprechen.322 Das Quadruplex inventarium librorum Hirsaugiensium, das Hirsaus zweiter evangelischer Abt Johannes Parsimonius im Jahr 1581 anlegte und von dem sich anscheinend nur der erste Teil (Inventarium seu catalogus librorum vetustiorum) erhalten hat,323 enthält, wie bereits früher erwähnt, immerhin noch über 500 Nummern. Im Lauf dieser Untersuchung haben Stichproben indessen ergeben, dass eine Reihe heute in Stuttgart und andernorts noch vorhandener Bücher aus Hirsau in diesem Katalog nicht nachzuweisen sind, was darauf hinweist, dass schon vor 1581 die Bibliothek Verluste erlitten haben dürfte. In der Tat gibt es Nachrichten von Abwanderungen von Beständen in der ersten Zeit nach der Reformation. Allerdings sind diese sehr kritisch zu lesen. Der Hinweis Herzog Ludwigs von Württemberg im Jahr 1579, wonach „(wie wir verständigt) der mehrer theil büecher, so vor jaren in unsers closters Hirsaw Bibliotheca, welche gar herrlich gewesen…, lang vor der zeit hinweggekommen sein sollen“,324 ist wohl eher eine Schutzbehauptung, und 322 Schreiner, Bibliotheksverluste (wie Anm. 222), 975, Anm. 377, und Uhland (wie Anm. 253), 123. 323 Das autographe Verzeichnis ist überliefert in der Hs. 37/2 (25.3.9) (ehemals St. Blasianus chart. 37) der Stiftsbibliothek von St. Paul in Kärnten. Im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv sind davon Abschriften (J 40/3 Bü 2) bzw. ein Film (S IV 718) verfügbar. 324 Zitiert bei Uhland (wie Anm. 253), 123.
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der bekannte Passus aus dem handschriftlichen Tagebuch von Martin Crusius zum 26. Januar 1595, der eben genannte Herzog Ludwig habe selbst zu Zeiten von Abt Parsimonius (1569–1588) viele Codices nach Stuttgart verbracht, und zwar nur, um daraus Patronen (Kartuschen) zu fabrizieren – tantum ad usum bombardicum –, hat schon fast legendenähnliche Züge.325 Das Gros der Bibliothek ist allem Anschein nach wohl doch in Hirsau verblieben. Nach Stuttgart geschafft wurden vermutlich nur kleine Teilbestände oder ausgesuchte Einzelstücke wie die S. 141 schon erwähnten Trithemius-Handschriften, die sich spätestens in den sechziger bzw. siebziger Jahren in Stuttgart und Tübingen nachweisen lassen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Angabe auf p. 59 des Parsimonius-Verzeichnis, wonach acht Missalien am 28. März nach Stuttgart geschickt worden seien. Dieser Vorgang ist bezeichnend für das Schicksal der Hirsauer Bibliothek in dieser Zeit. Die Aufhebung des Klosters durch die Reformation hatte eben nicht, wie man zunächst erwarten könnte, einen plötzlichen und umfassenden Abtransport der Bücherbestände zur Folge, sondern eine fast unmerkliche und gewissermaßen schleichende Dezimierung, die sich anscheinend über Jahrzehnte hinzog. Dabei sind die schon erwähnten Flüchtungen einzelner Stücke durch den Konvent selbst, genauer gesagt durch katholisch gebliebene, in anderen Klöstern untergekommene Mönche, mit in Rechnung zu stellen. Das meiste davon wird über Klosterreichenbach abgewandert sein, aber auch Verbindungen mit anderen Klöstern wie etwa Bebenhausen (s. oben S. 121 mit Anm. 171) und möglicherweise Gengenbach (s. oben S. 86 mit Anm. 8) lassen sich als Fluchtwege namhaft machen. Gerade dieses langsame Ausbluten der Bibliothek dürfte für die große Streuung der Restbestände verantwortlich sein. Man denke nur an die Basellius Handschrift mit den Reuchlin-Texten (s. o. S. 140), die in der Sammlung Hermann von der Hardts landete, oder an den ebenfalls mit Basellius verbundenen Volaterranus-Frühdruck (s. oben S. 158), der über die Privatsammlung Joseph Uriots, des ersten Bibliothekars der 1765 gegründeten Öffentlichen Bibliothek,326 nach Ludwigsburg bzw. Stuttgart kam. In manchen Fällen lässt sich auch gar nicht mehr klären, ob die betreffenden Bände vor oder nach den Ereignissen von 1535 abgewanU. a. zitiert schon bei Stälin (wie Anm. 250), 371. Karl Löffler, Geschichte der Württembergischen Landesbibliothek, Leipzig 1923, 4 f. und 246. 325 326
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dert sind, ob es sich also um Tausch oder Schenkung handelt oder eben um Flüchtung. Dies gilt etwa für den eben erwähnten Band aus Bebenhausen, aber auch für den prachtvollen Mailänder Frühdruck Hf 81 (1–2) der Universitätsbibliothek Tübingen, der S. 87 im Zusammenhang mit den karolingischen Bibelfragmenten schon genannt wurde. Ein schönes Exlibris des letzten Herrenberger Propsts Bernhard Farner327 gibt Auskunft über eine erste Station der Tübinger Bände nach ihrem Abschied von Hirsau. Aus Farners Besitz kamen sie in das von ihm testamentarisch bedachte „Stipendium Martinianum“ in Tübingen. Die im 16. Jh. nach Stuttgart verbrachten Bücher gelangten wohl meistenteils in die Bibliotheken von Oberrat und Konsistorium328 – ein Schicksal, das sie mit Beständen anderer aufgehobener Klöster teilten. 1776 wurden diese beiden Sammlungen schließlich der neugegründeten Öffentlichen Bibliothek einverleibt.329 Damit ist der Weg dieser Stücke in die Württembergische Landesbibliothek in seinen wichtigsten Etappen nachgezeichnet. Allerdings gilt dies nicht für alle heute in der Landesbibliothek zu findenden Hirsaugiensien. Manches davon floss zunächst in Klosterbibliotheken des späteren neuwürttembergischen Landesteils ein und kam erst im Zuge der Säkularisation nach dem Reichsdeputationshauptschluß nach Stuttgart. Zwiefalten, Wiblingen und Weingarten sind hier in erster Linie zu nennen. Von diesen drei Umwegen ist der über Zwiefalten nicht genau zu klären. Betroffen davon sind neben dem im ersten Teil ausführlich vorgestellten Cod. theol. et phil. 8° 53 der Württ. Landesbibl. mehrere Inkunabeln und Frühdrucke, die jeweils durch Besitzvermerke der Barockzeit als Zwiefaltener Bibliotheksgut gekennzeichnet sind: HB Inc. 2° 10193 der Württ. Landesbibl. mit späterer Zwiefaltener Signatur 91,330 KH 4° 1831 des Tübinger Wilhelmsstifts und aus den Beständen 327 Die Identifizierung verdanke ich einem freundlichen Hinweis von Pfr. Heribert Hummel (Stuttgart). Zu Farner vgl. Werner Schmidt, Pfarrkirche und Stift St. Maria in Herrenberg, Diss. masch. Tübingen 1960, 192–196. [Zur Bibliothek und zum Exlibris Farners siehe jetzt Die lateinischen Handschriften der Universitätsbibliothek Tübingen Teil 2, beschr. von Gerd Brinkhus und Arno Mentzel-Reuters, Wiesbaden 2001, S. 20 f.; außerdem Oliver Auge, Stiftsbiographien. Die Kleriker des Stuttgarter HeiligKreuz-Stifts (1250–1552) (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 38), LeinfeldenEchterdingen 2002, S. 285–291, bes. 290 f.]. 328 Zu diesen Bibliotheken vgl. Schreiner, Bibliotheksverluste (wie Anm. 222), 664– 669. 329 vgl. Löffler (wie Anm. 326), 13 f. 330 Vgl. den Haasschen Katalog (s. Anm. 74) Bd. c, p. 264.
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der Tübinger Universitätsbibliothek die Inkunabel Gb 337 2° und die Frühdrucke G 111 4° (der S. 159 schon erwähnte Band aus dem Vorbesitz Konrads von Lindenfels) und Gb 239 4°. Unter welchen Umständen diese Bücher nach Zwiefalten kamen, bleibt unklar, während der Druckschriftenkatalog der Zwiefaltener Bibliothek von P. Georg Haller aus dem Jahr 1615331 wenigstens für die Tübinger Bände immerhin einen terminus post quem non liefert: Für den Druck des Wilhelmstifts ist der Sachverhalt nicht ganz eindeutig (der Katalogeintrag p. 1114 f. bietet keine Angabe über Ort und Zeitpunkt des Erscheinens); für die drei Werke der Universitätsbibliothek ist hingegen eine einwandfreie Identifizierung möglich (p. 896, 133 und 580). Das heißt also, dass zumindest diese Stücke schon vor 1615 nach Zwiefalten gelangt sein müssen, und möglicherweise trifft dies auch für die restlichen Drucke und die Handschrift zu. Die aus Wiblingen nach Stuttgart gekommenen Bücher – die Handschrift Gb 4° 437 des Tübinger Wilhelmsstifts332 und die Stuttgarter Inkunabel HB Inc. 2° 14699 – könnten mit der Restituierung Klosterreichenbachs durch Wiblinger Mönche während des Dreißigjährigen Kriegs zusammenhängen: Da das Hirsauer Priorat, wie oben gezeigt wurde, vorläufiger Zufluchtsort einer Gruppe von Hirsauer Konvertualen war, ist durchaus denkbar, dass auch einzelne Teile der Hirsauer Bibliothek dorthin gelangten und auf diese Weise später den Weg nach Wiblingen fanden.333 Ebenfalls mit der Restitution der Klöster nach 1629 hängen die Weingartner Hirsaugiensia zusammen. In den Jahren 1630 bis 1632 und 1634 bis 1648 kam es unter einer Gruppe von Weingartner Professen in Hirsau noch einmal zu einer Wiederbelebung des monastischen Lebens, und anlässlich dieser Episode, der wir ja auch die bekannte Klosterbeschreibung von Hieronymus Rainolt verdanken (s. o., S. 149), Heute Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. hist. 2° 509. S. oben, S. 120 u. 147. Der Codex trägt die Signatur I E. 52, die für die Wiblinger Bestände charakteristisch ist. Vgl. dazu Heribert Hummel, Die Bücherverzeichnisse der ehemaligem Benediktinerabtei Wiblingen, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 37 (1978), 87–121, hier 119. 333 Hummel, Bibliotheca (wie Anm. 204) berichtet S. 559 von zwei Klosterreichenbacher Handschriften, die bei dieser Gelegenheit von den Wiblinger Mönchen in ihr Heimatkloster mitgenommen wurden. Allerdings ist die eine der beiden, das mehrfach erwähnte Reichenbacher Schenkungsbuch, nicht im Priorat selbst aufgefunden worden, sondern 1631 in Horb, wo Reichenbach einen Pfleghof hatte. Vgl. dazu Stephan Molitor, Reichenbacher Schenkungsbuch, jüngere Fassung, in: Die Zähringer 2, hrsg. von Hans Schadek u. a., Sigmaringen 1986, 193 f. 331 332
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dürften vereinzelte Archivalien und Bücher nach Weingarten übergegangen sein. Dazu gehören das Lagerbuch der geistlichen Verwaltung von Stadt und Amt Calw,334 das Visitationshandbuch HB I 46 (s. o., S. 130 f.) und die mehrfach erwähnt Handschrift HB IV 27 von Johannes Rapolt.335 Die ebenfalls aus Weingarten stammende Stuttgarter Inkunabel HB Inc. 4° 15618 hat hingegen mit diesen Vorgängen nichts zu tun. Ihr Itinerar ist noch komplizierter. Der Druck – er enthält das bekannte Werk De triplici regione claustralium, „das offizielle geistliche Handbuch der Bursfelder Kongregation“336 – wurde laut handschriftlichem Vermerk 1513 von Hirsau dem Kloster Lorch geschenkt337 und fand über die Kartause Buxheim im Jahr 1598 den Weg nach Weingarten. Was ist mit den übrigen in Hirsau verbliebenen Büchern geschehen? Wurden sie vor der katholischen Restitution beiseite geschafft? Oder waren Teile davon in Hirsau geblieben, wurde aber von den Weingartnern nicht mitgenommen? Fragen, die wohl nicht näher zu klären sind. Immerhin dürfte die immer wieder kolportierte Nachricht von dem Brand auf Schloss Blumenegg, der von Wunibald Zürcher (1637 bis 1648 Abt in Hirsau) mitgebrachte Hirsauer Handschriften vernichtet haben soll, durch Klaus Schreiners Forschungen wohl endgültig in das Reich der Fiktion verwiesen worden sein.338 Das Ende für die in Hirsau noch verbliebenen Bibliotheksreste brachte die Einäscherung des Klosters durch Mélacs Truppen im Jahr 1692 – so sollte man wenigstens meinen. Nun zeigt aber ein überraschender Fund, dass eine Anzahl Bücher selbst diese Katastrophe überstanden hat. Es handelt sich um ein bisher unbeachtetes Verzeichnis von 1743 mit dem Titel Catalogus librorum in laqueari HirsauStuttgart, Württ. Landesbibl., HB XV 31. Vgl. Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 5, beschr. von Magda Fischer, Wiesbaden 1975, 22 f. 335 Boese (wie Anm. 165), 149 f. bringt irrtümlicherweise den Weingartner Besitzvermerk von 1630 mit dem aus demselben Jahr datierenden Ankauf der Konstanzer Dombibliothek in Verbindung. 336 Schreiner, Klosterreform (wie Anm. 203), 162. 337 Die Beziehung Hirsau-Lorch dokumentiert übrigens auch die Hs. 154 der Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., vgl. Die lateinischen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek 1 (Kataloge der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau 1,1), beschr. von Wilfried Hagenmaier, Wiesbaden 1974, 125–128. Zumindest Teile davon sind wohl Ende des 15. Jh. in Lorch entstanden und waren für den Hirsauer Novizen Augustinus – vermutlich den bei Schreiner, Untersuchungen (wie Anm. 108), 196 Nr. 287 genannten Augustinus de Spira – bestimmt. Hier wird im übrigen eine interessante Querverbindung von Reformklöstern, die unterschiedlichen Kongregationen angehören, auf der Ebene des Bücheraustauschs greifbar. 338 Schreiner, Bibliotheksverluste (wie Anm. 222), 951–954. 334
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giae repositorum.339 Was damit gemeint ist, wird deutlich aus einem in Konzeptform erhaltenen Schreiben des Konsisitoriums, der obersten Kirchenbehörde in Stuttgart, wo man in Erfahrung gebracht hatte, dass in dem Closter Hirsau auf dem dortigen Kirchengewölb annoch ein Vorrath von zerschiedenen alten Büchern vorhanden seye, welche dorten zu nichts taugen, hingegen bey ermeldter hiesiger Consistorial-Bibliothec nützlich untergebracht werden könnten.340 Das „Kirchengewölb“ also ist gemeint mit dem Begriff laquear, und dies kann wohl nur bedeuten, dass in dem Raum über der als evangelische Pfarrkirche genutzten Marienkapelle – im ehemaligen spätgotischen Bibliothekssaal also – die fraglichen Bücher den Brand von 1692 überdauert hatten. Mit der Verzeichnung sollte, wie es in dem zitierten Schriftstück heißt, der Hirsauer Pfarrer betraut werden. Dieser aber war damals kein Geringerer als der bekannte pietistische Theologe Friedrich Christoph Oetinger. Die flüchtig geschriebene Liste trägt denn auch den Schlussvermerk Confecit Catalogum Pastor Hirsaugiensis M.F.C. Oetinger. Das Verzeichnis ist in sechs teils sachlich bestimmte, teils nach Formaten unterschiedene Gruppen gegliedert und enthält immerhin 43 Positionen, darunter auch drei Handschriften. Dass dadurch zumindest eine Handschrift der Württ. Landesbibl. (Cod. theol. et phil. 2° 54) für Hirsau hinzugewonnen werden konnte, wurde S. 131–132 schon dargelegt. Ob das Manuscriptum quod ego non legerim an 37. Stelle in Oetingers Liste mit einer weiteren der S. 132–134 vorgestellten Handschriften identisch ist, lässt sich nur vermuten, mangels inhaltlicher Kriterien jedoch nicht sicher entscheiden. Das unmittelbar davor verzeichnete Manuscriptum lacerum de remediis utriusque fortunae entspricht zwar inhaltlich dem Stuttgarter Cod. theol. et phil. 2° 94, doch fehlen diesem äußere Merkmale, die auf Hirsauer Bibliotheksheimat weisen. Sicher identifizieren lassen sich hingegen drei Drucke: Nr. 7 der Liste entspricht Inc.2° 11000 (Signatur Z 20), Nr. 82° 8060 (P 5), und Nr. 29 schließlich trägt heute die Signatur Inc.2° 1160,3 (alte Signatur G 15 nicht 339 Erhalten im Konvolut Stuttgart, Württ. Landesbibl., Cod. hist. 4° 202 aus dem Vorbesitz des Tübinger Universitätskanzlers Schnurrer (s. Anm. 250). 340 Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 26, 197. Vgl. auch Protokoll der Konsistoriumssitzung vom 5. März 1743, dem Datum des Schreibens, wo deutlich wird, dass die Initiative zu diesem Vorstoß von Regierungsrat Frommann ausging (Stuttgart, Landeskirchliches Archiv, A 2, 1743, p. 94). Für kollegiale Hilfe bei der Sichtung der Konsistorialakten habe ich Herrn Eberhard Gutekunst sehr zu danken. Auf die hier angeführten Quellen des landeskirchlichen Archivs stützt sich wohl auch der entsprechende Hinweis von Christoph Kolb, Die alte Konsistorialbibliothek, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte N.F. 25, 1921, 187–194, hier 188.
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sicher zu erkennen). Alle drei finden sich auch im Katalog von 1581. Als Identifizierungshilfe, die im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht mit letzter Konsequenz ausgeschöpft werden kann, ist Oetingers Verzeichnis sicher von gewissem Interesse. Noch bemerkenswerter erscheint es jedoch als Zeugnis dafür, dass die Geschichte der Hirsauer Bücherbestände in Hirsau selbst erst um die Mitte des 18. Jh. endgültig erlischt. Freilich sind es nur kümmerliche Reste, die hier überdauert haben, und sie tragen zudem deutliche Spuren der erlittenen Unbillen – ein Befund von fast symbolhaften Charakter für die Hirsauer Bibliotheksgeschichte als ganze. Damit schließt sich in gewisser Weise der Kreis. Skriptorium und Bibliothek von Hirsau seien sachlich angemessen nicht mehr darzustellen – so hatte die Prämisse der hier vorgelegten Untersuchung gelautet. Eine Anzahl kleiner und kleinster Mosaiksteinchen konnte zwar zusammengetragen werden, das einstige Gesamtbild lässt sich aber in der Tat bei allem Bemühen nicht mehr rekonstruieren. Immerhin werden die zwei Blütezeiten des Klosters im 11./12. und im 15./16. Jh. – beide verhältnismäßig kurz, aber mit beachtlicher Ausstrahlung – auch bibliotheksgeschichtlich greifbar, wenn auch nur umrisshaft. Und trotz des nur noch als trümmerartig zu bezeichnenden Zustands der erhaltenen Bestände und der Dürftigkeit der Zeugnisse lässt sich für Hirsau zumindest für diese beiden Phasen eine durchaus beachtliche Buchkultur erahnen. Deren Bedeutung liegt allerdings sowohl im Hochmittelalter als auch in der Spätzeit des Klosters nicht in der repräsentativen Außenwirkung oder gar Prachtentfaltung, sondern in einer instrumentalen Funktion: dem Dienst an reformerischen Inhalten.
KLÖSTERLICHE NETZWERKE UND KULTURELLE IDENTITÄT – DIE HIRSAUER REFORM DES 11./12. JAHRHUNDERTS ALS VORLÄUFER SPÄTMITTELALTERLICHER ORDENSSTRUKTUREN*
Monastische Erneuerungsbewegungen stiften Kommunikationsnetze von unterschiedlicher Dichte und Straffheit, aber immer von beachtlicher Tragfähigkeit und Dauer und oft von erstaunlich weit ausgreifender Dimension. Die primäre Funktion solcher Netzwerke ist die Vermittlung vorbildhafter Lebenspraxis im Sinne der regularis vita, dessen also, was seit dem hohen Mittelalter unter dem Begriff der consuetudo subsumiert wird. Mit dieser normativen Funktion, die sich sowohl der Möglichkeiten der Schriftlichkeit (also des Buchs) als auch der Wirkung exemplarischer Praxis (etwa durch das Entsenden von Gründungsoder Reformpersonal) bedient, verbinden sich aber auch formale und ästhetische Wirkungen. Das heißt: Gruppen und Verbände, die sich solcher institutioneller Erneuerung verpflichtet wissen, wirken auch als Vektoren und Übermittlungsträger kultureller Impulse. Dieser These gelten die folgenden Überlegungen. Ich konzentriere mich dabei im folgenden auf einen vergleichsweise engen Ausschnitt dieser Thematik, und zwar auf ein Phänomen, das zumindest bezüglich seines Ausgangspunkts und seiner primären Wirkung im deutschen Südwesten zu lokalisieren ist, nämlich auf die Hirsauer Klosterreform des 11./12. Jahrhunderts. Dabei setze ich einen besonderen Akzent auf den Bereich der Liturgie,1 der als zentrales * Ursprünglich konzipiert für den voraussichtlich 2008 erscheinenden Sammelband „Beiträge zu einer Kulturtopographie des deutschen Südwestens“, hrsg. von René Wetzel und Barbara Fleith. 1 Ausgangspunkt für die hier vorgelegten Überlegungen ist eine Folge aufeinander bezogener Arbeiten zur Hirsauer Liturgiegeschichte: Felix Heinzer, Der Hirsauer ‚Liber ordinarius‘, in: Revue Bénédictine 102 (1992), S. 309–347 (dieser und nachstehend genannten Beiträge von F.H. auch in diesem Band, S. 185–256 u. 286–299); Andreas Haug, Ein ‚Hirsauer‘ Tropus, ebd. 104 (1994), S. 328–345; Lori Kruckenberg, Zur Rekonstruktion des Hirsauer Sequentiars, ebd. 109 (1999), S. 187–207; Felix Heinzer, Liturgischer Hymnus und monastische Reform. Zur Rekonstruktion des Hirsauer Hymnars, in: Der lateinische Hymnus im Mittelalter. Überlieferung, Ästhetik, Aus-
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Moment im Kontext geistlicher Reformaktivität exemplarische Einsichten in grundsätzliche Strategien von Kommunikation und Kodifizierung innerhalb von netzwerkartigen Strukturen wie Orden oder ordensähnlichen Zusammenschlüssen zu eröffnen verspricht. Die an sich erforderliche Kontextualisierung dieses Teilaspekts kann im Rahmen dieses Beitrags nur ansatzweise geleistet werden, wobei zumindest ein etwas genauerer Blick auf die Rolle des Buchs als Kodifizierungs- und Transportinstrument liturgischer Texte und Gesänge und damit auch auf Aspekte einer möglicherweise charakteristischen Hirsauer Buchkultur versucht werden soll.2 Andere Gesichtspunkte wie etwa die diffizile Diskussion einer so genannten „Hirsauer Bauschule“ oder auch eine Einzelfrage wie die der Beziehungen bauplastischer Elemente südwestdeutscher Klosterkirchen des Hirsauer Reformkreises zu Cluny und seinem burgundischen Einflussbereich können hingegen nur gestreift werden, um wenigstens ansatzweise deutlich zu machen, daß mit den (im weitesten Sinne) textlichen Aspekten nur ein Teilbereich eines erheblich reichhaltigeren und komplexeren Befundes angesprochen ist. Im fünften Band seines monumentalen Corpus Antiphonalium Officii, versucht der französische Liturgiewissenschaftler und Musikologe René-Jean Hesbert eine Klassifiziererung der handschriftlichen Quellen, die als Grundlage für die Erarbeitung seines monumentalen Werks gedient haben. Es handelt sich um nahezu 800 Handschriften des liturgischen Stundengebets (Antiphonare und Breviere), die Hesbert im Rahmen seiner Suche nach dem Archetyp des „gregorianischen“ Antiphonars zu einzelnen Überlieferungszweigen gruppieren wollte. Als inhaltliches Kriterium zog Hesbert die Reihen der für die AdventsSonntage vorgesehenen Responsorien zu den Lesungen des Nachtoffiziums heran. Diese haben sich (wie bestimmte andere Folgen von Gesängen) in der mediävistischen Musik- und Liturgiewissenschaft als mögliches Kriterium für eine Herausarbeitung von Überlieferungsnestern herausgestellt, weil sie als Resultat eines je anderen Auswahlzustrahlung, hrsg. von Andreas Haug u.a. (Monumenta monodica medii aevi, Subsidia 4), Kassel etc. 2004, S. 23–52; Felix Heinzer, Sequenzen auf Wanderschaft – Transferszenarien am Beispiel von „Rex regum dei agne“ und „Sancti merita Benedicti“, in: Die Musikforschung 58 (2005), S. 252–259. 2 Erste Überlegungen dazu: Felix Heinzer, Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Hirsaus, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2, hrsg. von Klaus Schreiner (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,2) Stuttgart 1991, S. 259–296 [in diesem Band, S. 85–167].
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griffs auf das zur Verfügung stehende Material und damit als repräsentativ für eine bestimmte liturgische Tradition anzusehen sind. Hintergründe, Möglichkeiten und Grenzen dieses Ansatzes brauchen in diesem Zusammenhang nicht weiter vertieft zu werden. Innerhalb der Handschriften, die der sogenannten monastischen Ordnung des Stundengebets entsprechen, läßt sich nun ein Komplex von Handschriften als eine Gruppe zusammenfassen, die Hesbert als „groupe monastique IV“ bezeichnet hat. Deren hochmittelalterlichen Zeugen stammen aus Klöstern, die Hesbert unter dem Dach einer Zugehörigkeit zur Diözese Konstanz zusammenfassen wollte, was ihn spätestens bei den Textzeugen aus Bayern und Österreich und endgültig bei einer aus Moggio in der Diözese Aquileia stammenden Handschrift in erhebliche Argumentationsnöte bringen mußte (Moggio etwa sei „une fondation de Saint-Gall“ und daher „comme un autre Saint-Gall“, wodurch die geographische Distanz zur Diözese Konstanz quasi aufgehoben werde).3 Diese Aporien lösen sich freilich, sobald man feststellt, daß der Zusammenhang dieser Handschriften bzw. der Orte, an denen sie entstanden sind, nicht durch diözesane Bezüge, sondern durch die gemeinsame Zugehörigkeit zu einem bestimmten klösterlichen Reformkreis, in diesem Fall dem Hirsauer, gestiftet wird.4 Das Beispiel macht in pointierter Weise deutlich, daß für eine Annäherung an liturgische Handschriften reformgeschichtliche Zusammenhänge zu einem wichtigen Verständnisschlüssel werden können, weil sie in erheblichem Maße zu einer besseren Einordnung dieser Quellen und zu einer plausibleren Interpretation ihrer Zusammenhänge beitragen. Dieser Sachverhalt ließe sich auch einer Beobachtung verdeutlichen, die Andreas Haug 1994 gelang, als er eine in ihrer geographischen Streuung zunächst rätselhafte, ja geradezu irritierende Spätüberlieferung des alten Ostertropus Postquam factus homo ebenfalls als Folge der Hirsauer Reform zu interpretieren vermochte.5 Eine wichtige Voraussetzung für den Nachweis solcher Zusammenhänge ist der Rekurs auf den normativen Text zur Regelung des Repertoires der Hirsauer Liturgie. Dieser liturgische „Metatext“ ist, wie ich 1992 zeigen konnte, in dem seit längerem edierten Liber ordi3 René-Jean Hesbert, Corpus Antiphonalium Offici, t. 5: Fontes earumque prima ordinatio, Romae 1975, bes. S. 412. 4 Vgl. dazu Felix Heinzer, Liber Ordinarius (wie Anm. 1), bes. S. 318–334 [in diesem Band, S. 194–210], und – unabhängig davon – David Hiley, Western Plainchant. A Handbook, Oxford 1993, S. 578. 5 Andreas Haug, Ein Hirsauer Tropus (wie Anm. 1).
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narius des seit Ende des 11. Jahrhunderts hirsauisch geprägten Klosters Rheinau greifbar. Wie sich im Vergleich mit parallelen Quellen aus weiteren Klöstern des Reformkreises erweist – nebst Rheinau betrifft dies Zwiefalten und Weingarten im schwäbischen Einflußbereich Hirsaus sowie die altehrwürdige Abtei Schuttern in der Ortenau und das bereits erwähnte friulanische Moggio6 –, ist der als Rheinauer Normtext edierte Ordinarius in Wirklichkeit eine (geringfügig) lokal überfärbte Fassung der Hirsauer Kodifizierung. Daß dabei mit Moggio ein Kloster ins Blickfeld rückt, das einem ganz anderen geographischen und diözesanen Kontext angehört als Hirsau und sein unmittelbares südwestdeutsches Umfeld, gibt dieser peripheren Überlieferung ein ganz besonderes Gewicht für die Beweisführung und ist zugleich ein eindrucksvoller Beleg für die Reichweite der Hirsauer Ausstrahlung. Bietet der Liber ordinarius also einen Schlüssel, um Befunde wie die angesprochene Übereinstimmung der adventlichen Responsorienfolge oder der von Haug beobachteten „Zweitkarriere“ des Ostertropus zu deuten, so ist er doch sehr viel mehr als nur ein Auskunftsinstrument für die Rekonstruktion des liturgischen Repertoires und den Nachweis entsprechender Übereinstimmungen innerhalb des Reformverbands. Als Ausdruck bewußter Normierung und Kodifizierung verweist er zugleich auf den tieferen Grund solcher Konkordanzen, der im Streben nach Gleichförmigkeit und Einheitlichkeit der Lebenspraxis zu suchen ist. Der nachdrückliche Hinweis auf dieses letztlich theologisch begründetem Prinzip ist gerade im Hinblick auf unser Thema kein überflüssiger Exkurs, denn nur weil solche uniformitas den Status eines substantiellen, ja geradezu zentralen Ziels reformerischer Aktivität beansprucht, ist sie auch stark genug, um die Adressaten von Reform zum Verzicht auf Altes und Gewohntes zu bewegen und so die Voraussetzungen für den Transfer und die Rezeption von Neuem und Fremdem zu schaffen. Dies gilt in besonderem Maß für die Liturgie, die ihrem Wesen nach konservativ und beharrungswillig ist.7 6 Näheres zu den Textzeugen aus Rheinau, Weingarten, Moggio und Zwiefalten in Heinzer, Liber Ordinarius (wie Anm. 1). Die Überlieferung aus Schuttern (die eine bisher nicht belegte Verbindung der Ortenabtei zu Hirsau anzudeuten scheint) war mir damals noch nicht bekannt; es handelt sich um die 1276 datierte Handschrift Colmar, Bibliothèque Municipale, Ms. 331 (vgl. Catalogue des manuscrits en écriture latine portant des indications de date ou de lieu de copiste 5, Paris 1965, Textband, S. 123, Tafelbd., Pl. XXVI). 7 Für grundsätzliche Überlegungen zu diesem Thema vgl. Felix Heinzer, Kodifizierung und Vereinheitlichung liturgischer Traditionen. Historisches Phänomen und Interpretationsschlüssel handschriftlicher Überlieferung, in: Musik in Mecklenburg.
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In geradezu klassischer Form findet sich dieses Prinzip liturgischer Gleichförmigkeit bekanntlich in der sog. Charta Caritatis, der ersten „Verfassungsurkunde“ der Zisterzienser, formuliert, wobei die angeordnete Übereinstimmung der liturgischen Gebräuche und Gesänge und der liturgischen Bücher der Tochterklöster mit Cîteaux zunächst eher pragmatisch begründet wird – es soll einer möglichen Verwirrung und Unordnung aufgrund der personelle Fluktuation zwischen Cîteaux und den übrigen Klöstern entgegengewirkt werden –, dann aber durch den Rekurs auf das Ideal der una caritas, des Lebens „in der einen Liebe, nach der einen Regel und nach den gleichen Gebräuchen“ auch eine theologische Vertiefung erfährt.8 Die erhaltenen liturgischen Bücher der Zisterzienser belegen, daß in der Tat eine erstaunliche Annäherung der Wirklichkeit an dieses Ideal erreicht werden konnte. Dieser Grad von zentralistisch strukturierter Uniformität ist charakteristisch für jene Form von geistlicher Gemeinschaft, die wir als Orden bezeichnen können. Gegenüber den Möglichkeiten und Ansprüchen eines eher losen Kloster-Verbands, wie ihn Cluny und die von ihm beeinflußten Reformbewegungen, so auch Hirsau, repräsentieren, ist hier ein erheblicher Qualitätssprung in der organisatorischen Stringenz zu konstatieren. Das heißt zugespitzt formuliert: Während die liturgischen Bräuche und Bücher eines spanischen, englischen, thüringischen oder böhmischen Zisterzienserklosters im 12. und 13. Jahrhundert trotz großer Distanz vom französischen Zentrum in sehr weitgehendem Maße übereinstimmen, so ergibt sich im Einflussbereich eines offenen Gefüges, wie es der Hirsauer Kreis darstellt, ein deutlich differenzierteres Bild. Die Annahme, an der Peripherie dieses Kreises sei eine genaue Replik der Liturgie Hirsaus oder gar Clunys zu greifen, unterschätzt die Brechungen, denen der historische Transferprozeß in mehrfacher Weise unterworfen war.
Beiträge e. Kolloquiums zur mecklenburgischen Musikgeschichte (Rostock 24. – 27. Sept. 1997), hrsg. von Karl Heller u. a. (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 21), Hildesheim 2000, S. 85–106. 8 Et quia omnes monachos ipsorum ad nos venientes in claustro nostro recipimus, et ipsi similiter nostros in claustris suis, ideo opportunum nobis videtur et hoc etiam volumus, ut mores et cantum et omnes libros ad horas diurnas et nocturnas et ad missas necessarios secundum formam morum et librorum novi monasterii [i.e. Cîteaux] possideant, quatinus in actibus nostris nulla sit discordia, sed una caritate una regula similibusque vivamus moribus. Jean de la Croix Bouton, Jean-Baptiste van Damme, Les plus anciens textes de Cîteaux (Cîteaux. Studia et Documenta 2), Achel 1974, S. 92.
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Es geht dabei um mindestens zwei Phasen der Übermittlung und damit auch der Überformung. Der erste, grundlegende Schritt betrifft das Eintreten Hirsaus in die Einflußsphäre Clunys um etwa 1080 – ein Vorgang, der, wie die schlagwortartige Bezeichnung Hirsaus als „deutsches Cluny“ deutlich macht, auch eine Überschreitung kultureller Grenzen (Frankreich/Deutschland – „Romania“/„Germania“) zu implizieren scheint. Aus diesem Vorgang des Empfangens, in der Hirsau als Teil der Peripherie Clunys zu sehen ist, erwächst eine zweite Phase, in der Hirsau den Part des Gebens übernimmt und seinerseits zum Zentrum eines eigenen Reformkreises, wird, wobei diese zweite Phase weiter zu differenzieren ist: Klöster wie St. Georgen im südlichen Schwarzwald oder etwa auch die österreichischen Abteien Admont und Göttweig (die Beispiele wären noch vermehrbar) werden ihrerseits zu Subzentren, um die sich kleinere Reformkreise formieren, denen durchaus eine gewisse Eigenprägung eignen kann. Bereits auf der Ebene der ersten Transferstufe, also von Cluny nach Hirsau, spielen Aspekte der Transformation eine wichtige Rolle. So hat die Fuldaer Benediktinerin Candida Elvert in einer Untersuchung über den Entstehungsprozeß der Hirsauer Constitutiones zu recht betont, für Wilhelm von Hirsau habe bei seiner Orientierung am burgundischen Vorbild nicht die ungebrochene „Konformität der künftigen Hirsauer Bräuche mit denjenigen Clunys“ im Vordergrund gestanden, sondern die Bemühung um einen überarbeiteten, „für die Lebensumstände seiner Abtei geeigneten Text“.9 Allerdings wäre dabei zu betonen, daß die Ausrichtung nach einem Vorbild und das Bemühen um Adaption nicht als Gegensatz oder gar Widerspruch, sondern vielmehr als komplexes und dialektisches Wechselspiel zu sehen wären: im Sinne einer rekontextualisierenden und daher stets auch in gewissem Ausmaß transformierenden Rezeption. Ein Blick auf die Texte selbst, die die Kontakte zwischen Hirsau und Cluny und das Ergebnis dieses Transferprozesses dokumentieren,10
9 Candida Elvert, Eine bisher unerkannte Vorstufe zu den „Constituitones Hirsaugienses“, in: Revue Bénédictine 104 (1994), S. 379–418, hier S. 383. 10 Vgl. dazu Monique Garand, Les plus anciens témoins conservés des Consuetudines Cluniacenses d’Ulrich de Ratisbonne, in: Scire litteras. Forschungenzum mittelalterlichen Geistesleben [Bernhard Bischoff zum 80. Geb. gewidmet], hrsg. von Sigrid Krämer und Michael Bernhard, München 1988, S. 171–182, und v. a. Elvert, Vorstufe (wie Anm. 9), S. 381 f.; neuerdings auch Pius Engelbert, Wilhelm von Hirsau und Gregor VII., in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 100 (2005), S. 145–180.
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zeigt dies in verschiedener Hinsicht. Instruktiv ist insbesondere der Prolog von Wilhelms Hirsauer Brauchtext, wo er diesen als eine vom Großabt Hugo in Cluny autorisierte, in vernünftiger Weise an die kulturelle, geographische und klimatische Situation des Zielortes angepasste Form der aus Cluny importierten consuetudo charakterisiert:11 Accepimus … mandatum a Domino Hugone venerabili Cluniacensium abbate, ut sua freti auctoritate … prout ipsa declarat ratio, secundum morem patriae, loci situm et aeris temperiem de eisdem consuetudinibus si quid esset superfluum demeremus, si quid mutandum mutaremus, si quid addendum adderemus…
Diese bemerkenswerte Aussage belegt, daß in der Tat beides intendiert ist: die bewußt gesuchte Vergewisserung und Beglaubigung des Rückbezugs auf den Ausgangspunkt des Transfers, aber auch der Wille zur verändernden Adaption im Hinblick auf die Zielsituation, den mos patriae, wie Wilhelm formuliert. Zugleich zeigt dieser Text, daß der hier thematisierte Vorgang der Transformation in seiner „grenzüberschreitenden“ Dimension von der empfangenden Seite, hier also von Wilhelm, durchaus wahrgenommen wurde, offenbar aber als Ausdruck bewusster und reflektierter (prout ipsa declarat ratio) situativer Flexibilität verstanden werden muß.12 Daß die Rezeption cluniazensischer Liturgie in Hirsau tatsächlich in strakem Maße einer Brechung unterworfen war, zeigt eine genaue Analyse des aus dem Liber ordinarius rekonstruierbaren Repertoires. Ich brauche nur an Hesberts eingangs erwähnte Aufstellung zu den Adventsresponsorien zu erinnern mit ihrer klaren Scheidung zwischen „groupe clunisien“ einerseits und „groupe germanique“ mit den Hirsauer Zeugen als Untergruppe andererseits. Analoges gilt aber auch für andere traditionsspezifischen Repertoire-Elemente.13 Ganz anders der Befund bezüglich der Rubriken des Liber ordinarius oder auch der in Wilhelms Constitutiones eingestreuten Hinweise zum liturgischen Zeremoniell: Hier sind nicht selten wörtliche Übereinstimmungen mit Ulrich, also mit Cluny, festzustellen. Das heißt: Bezüglich des Repertoires der Texte und Gesänge bleibt Hirsau zwar seiner eigenen kulturellen EinPL 150, 929 CD. Für Einzelheiten vgl. meinen Beitrag, Musik und Liturgie zwischen Reform und Repräsentation. Ein Graduale-Sequentiar des frühen 13. Jahrhunderts aus Weingarten (Wien, Kunsthistorisches Museum, Hs. 4981), in: Wiener Quellen der Älteren Musikgeschichte zum Sprechen gebracht, hrsg. von Birgit Lodes (Wiener Forum für ältere Musikgeschichte 1), Tutzing 2007, S. 113–163, bes. S. 117 f [hier S. 368–371]. 13 Auch hier verweise ich auf den in Anm. 12 genannten Beitrag (dort S. 121 mit Anm. 27–31). 11 12
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bettung verhaftet,14 für die zeremonielle Gestalt des Gottesdienstes – insbesondere im Hinblick auf das Prinzip der „Steigerung“ (um eine nachgerade klassische Formulierung von Kassius Hallinger aufzunehmen)15 – folgt Wilhelm hingegen ganz eng dem burgundischen Vorbild. Einen bemerkenswerten Reflex dieser „Misch-Konstellation“ bietet der bereits erwähnte „Hirsauer“ Oster-Tropus Postquam factus: Da Cluny der Tropenpraxis offensichtlich ablehnend gegenüberstand,16 muß Wilhelm den Anstoß, dieses Erweiterungselement als verbindlichen Bestandteil in seine Reformliturgie aufzunehmen, aus einer anderen Richtung erhalten haben, vermutlich aus seinem Herkunftskloster St. Emmeram in Regensburg, wo Postquam factus seit dem 10. Jahrhundert bekannt war.17 Auf der anderen Seite zeigt sich, daß in Cluny der Beginn der Ostermesse ebenfalls in besonderer Weise ausgezeichnet wurde, indem der Eingangsgesang der Messe bei dieser Gelegenheit einen zusätzlichen zweiten Vers (versus ad repetendum) erhielt, so daß der antiphonale Teil entsprechend dreimal wiederholt wird, wie Ulrich besonders hervorhebt (Introitus ter recantatur quia duos versus habet).18 Es gibt also zwischen Hirsau und seinem französischen Vorbild eine Entsprechung in der grundsätzlichen Zielsetzung, eben einer Steigerung der Emphase dieses herausragenden liturgischen Moments durch eine Amplifizierung des Introitus. Für die inhaltliche Umsetzung dieser Strategie rekurriert man aber in Hirsau auf „einheimisches“ Material und verläßt dabei textlich im Gegensatz zu Cluny, das mit einem Psalmvers operiert, den Bereich des sanktionierten biblischen Texts
14 Vgl. beispielsweise die Anm. 1 genannten Untersuchen von Lori Kruckenberg zum Hirsauer Sequenziar, das im wesentlichen Notkers Liber hymnorum in der seit dem zehnten Jahrhundert im deutschsprachigen Raum weitgehend etablierten Gestalt rezipiert und diesen Grundbestand lediglich an einigen Stellen reorganisiert und verändert. In einigen Fällen dürfte auch ganz unmittelbar der Einfluß der vorhirsauischen Tradition von Wilhelms Herkunftsklosters St. Emmeram in Regensburg greifbar zu werden, etwa im Falle einiger Besonderheiten des Hymnen- und Sequenzenrepertoires. Vgl. dazu erneut Heinzer, Musik und Liturgie (wie Anm. 12), S. 119 f. und 125 [in diesem Band, S. 376–377]. 15 Vgl. Kassius Hallinger, Überlieferung und Steigerung im Mönchtum des 8. bis 12. Jahrhunderts, in: Eulogia. Miscellanea liturgica in onore di Burkhard Neunheuser (Studia Anselmiana 68), Rom 1979, S. 125–187. 16 Dazu David Hiley, Cluny, Sequences and Tropes, in: La tradizione dei tropi liturgici, hrsg. von Claudio Leonardi und Enrico Menestò, Spoleto 1990, S. 125–138. 17 Ich führe hier Beobachtungen und Überlegungen von Andreas Haug weiter (s. Haug, Hirsauer Tropus [wie Anm. 1], S. 340 f.). 18 PL 149, 665A.
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zugunsten einer freien, dichterischen Gestaltung des Erweiterungselementes.19 So bestätigt sich hier im Detail, was wir für das Ganze der Hirsauer Liturgie feststellen konnten: Die Rezeption des transferierten Impulses erfolgt nicht in Form einer kompletten Übernahme des Vorbilds, die eine radikalen Verdrängung der angestammten Tradition bedingen würde, sondern führt zu einer Verbindung des Neuen, von außerhalb Empfangenen mit dem Eigenen. Einen ähnlich differenzierten Befund hat Anneliese Seeliger-Zeiß im Bereich der Bauplastik von Kirchenportalen, speziell der Tympanongestaltung, für das Verhältnis zwischen cluniazensischen Denkmälern in Burgund und der Rezeption solcher Modelle durch hirsauisch geprägte Klöster in Südwestdeutschland beobachten können. Einer verblüffend engen Anlehnung an Cluny und seinen unmittelbaren Einflußbereich im Bereich der Bildprogramme steht hier eine absolute Eigenständigkeit hinsichtlich der reichhaltigen und sprachlich anspruchsvollen Inschriften gegenüber, die in der Regel die Bilddarstellungen in den südwestdeutschen Tympana begleiten und erschließen, während solche Texte im Umfeld von Cluny meist gänzlich fehlen. Ein Paradebeispiel dafür bietet das vor den Toren der Bischofsstadt Konstanz gelegene Petershausen, das gegen Ende des 11. Jahrhunderts vom Konstanzer Bischof Gebhard III, einem früheren Hirsauer Mönch, der Reform zugeführt wurde. Das fragmentarisch erhaltene Portal zeigt im Ikonographischen eine geradezu schlagende Affinität zu burgundischen Vorbildern wie den cluniazensischen Prioratskirchen in Montceaux-l’Etoile oder Anzy-le-Duc, die aber mit einer völligen Eigenständigkeit hinsichtlich des epigraphischen Aspekts kontrastiert.20 Kommen wir noch einmal zurück zum Bereich der Liturgie und fragen hier nach dem Verhältnis Hirsaus als gebende Institution im Verhältnis zu den Klöstern, die von seinem Einfluß im südwestdeutschen Umfeld, aber auch im mittelrheinischen Raum, in Niedersachsen, Thüringen, Bayern, Österreich und sogar in Friaul erfasst werden, Näheres dazu in meinem Anm. 12 genannten Beitrag. Anneliese Seeliger-Zeiß, Epigraphie et iconographie des portes romanes en BadeWurtemberg, in: Epigraphie et iconographie. Actes du colloques tenu à Poitiers les 5–8 octobre 1995, sous la dir. de Robert Favreau, Poitiers 1996, S. 211–225. Für Petershausen ebd. S. 223: „Pour l’iconographie il existe une parenté étonnante entra la majesté … et celles de certaines façades françaises… Les observations du point de vue épigraphique, au contraire, montrent bien que le tympan de Petershausen est une oeuvre singulière en raison de la richesse des inscriptions“. 19 20
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so ist eine weitere Brechung unübersehbar. Was sich in Hirsau herausgebildet hat, wird zwar gezielt an die neu zu gründenden oder zu reformierenden Häuser weitergegeben – wir wissen von entsprechenden Exporten liturgischer Handschriften21 und wir kennen immerhin ein halbes Dutzend Exemplare des Hirsauer Ordinarius aus empfangenden Klöstern –, doch führen Untersuchungen immer wieder zu dem Ergebnis, daß das textliche und musikalische Repertoire liturgischer Handschriften aus Hirsauer Klöstern zwar in substantieller Weise übereinstimmt, gleichzeitig aber auch die Präsenz von Elementen lokaler und regionaler Sondertraditionen wahrnehmbar wird – im Bodenseeraum etwa betrifft dies insbesondere Spuren der Reichenauer Tradition.22 Dieser inhaltliche Befund wiederholt sich in analoger Weise im Zusammenhang mit formalen Aspekten des Buchs. Dessen mediale Rolle als Vermittler ästhetischer Impulse hat gerade im Bereich der Liturgie als einem von kirchlichen Reformen normativ in besonderer Weise aufgeladenen Bereich erhebliche Bedeutung, da Bücher als privilegierte Vermittler reformerischer Programmatik mit ihren Inhalten zugleich auch ästhetische Vorbildhaftigkeit bezüglich Schrift, Layout oder buchmalerischer Ausstattung transportieren: Komponenten, die in gewissem Maße an der Autorität und dem normativen Charakter des Inhaltlichen partizipieren. Das eindrucksvollste Beispiel solcher Vorbildwirkung ist sicherlich die erfolgreiche Karriere der so genannten karolingischen Minuskel im Zuge der Verbreitung des Reformprogramms Karls des Großen und seiner Nachfolger, das sich in ausgeprägter Weise des Buchs als Medium bedient. Läßt sich Ähnliches auch für Hirsau nachzuweisen? Hatte seine Buchkultur ebenfalls vorbildhafte oder gar stilbildende Funktion, zumindest innerhalb seines Reformkreises? Diese Frage ist kaum befriedigend zu beantworten, und zwar einfach deshalb, weil das erhaltene Material – v. a. aus Hirsau selbst – sehr spärlich ist. Die teilweise besser erhaltenen Handschriftenbestände von Tochterklöstern lassen allenfalls den vorsichtigen Schluß zu, daß eine gewisse Sparsamkeit und Zurückhaltung der materiellen und formalen Mittel, insbesondere die klare Bevorzugung der Federzeichnung, als Merkmal eines Hirsauer Stils gelten können. Damit ist insofern nichts Wesentliches gewonnen, als eine derartige Tendenz im Kontext hochmittelalterlicher Klosterre21 22
Vgl. dazu Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 2), S. 263 [in diesem Band, S. 93]. Ausführlicher dazu Heinzer, Musik und Liturgie (wie Anm. 12).
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form wohl weder überraschend noch ungewöhnlich ist. Immerhin läßt sich aber im Vergleich der romanischen Buchproduktion in Klöstern wie Schaffhausen (Allerheiligen), Zwiefalten, Prüfening oder St. Peter in Erfurt bei aller unübersehbaren Differenz auch so viel Gemeinsames erkennen, daß man wohl auch hier eine Dialektik von einheitlicher Grundausrichtung und Offenheit gegenüber regional oder gar lokal bedingten Einflüssen und Traditionen voraussetzen darf. Allerdings bleibt da im Einzelnen noch vieles zu klären.23 In noch stärkerem Maß dürfte dies für einen anderen Bereich ästhetischer Wirkung der Reform gelten: die schwierige und kontroverse Frage einer Hirsauer „Bauschule“. Rolf Berger hat auf der einen Seite Züge einer spezifischen „Hirsauer Baupropaganda“ festgestellt und den Versuch unternommen, „Hirsauer Identitäts-‚Zeichen‘“, etwa Arkadenrahmungen, Schachbrettfriese, Sockelumlaufportale, Kapitellnasen und Eckspornbildungen an den attischen Säulenbasen zu benennen,24 kommt aber in der Synthese seiner Einzeluntersuchungen zum Schluß, daß Wilhelm bei der Konzeption von St. Peter und Paul in Hirsau zwar Grundanregungen aus Cluny übernommen, diese aber unter Rückgriff auf das ihm vertraute architektonische Formenarsenal und die technischen Gestaltungsmöglichkeiten seiner Zeit umgesetzt habe. Bei den zahlreichen Neubauten im Zuge der Verbreitung der Hirsauer Reform seien lediglich Zitate als „Wiedererkennungssymbolik“ verwendet worden. Dennoch gebe es eine Zusammengehörigkeit dieser Architekturzeugnisse, die bei aller Berücksichtigung der Relevanz lokaler Traditionen eben doch eine überregionale Wirkung und Bedeutung der Hirsauer Baukunst begründe.25
23 Vgl. Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 2). An seither erschienenen kunsthistorisch orientierten Arbeiten sind u. a. zu nennen: Katalog der illuminierten Handschriften des 12. Jahrhunderts aus dem Benediktinerkloster Allerheiligen, bearb. von Annegret Butz, hrsg. von Wolfgang Augustyn, Stuttgart 1994; Sigrid von Borries-Schulten, Trier oder Hirsau. Ein kaum bekanntes spätottonisches Festlektionar in London, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst Dritte Folge 54 (2003), S. 45–75; Christine Szkiet, Reichenauer Codices in Schaffhausen. Die frühen Handschriften des Schaffhauser Allerheiligenklosters und ihre Stellung in der südwestdeutschen Buchmalerei des 11. Jahrhunderts, Kiel 2005. 24 Rolf Berger, Hirsauer Baukunst – ihre Grundlagen, Geschichte und Bedeutung (Beiträge zur Kunstgeschichte 12), Bd. 1, Witterschlick/Bonn 1995, S. 172–174. 25 Berger, Baukunst (wie Anm. 24), Bd. 3, 1997, S. 957–962. Jetzt auch (mit etwas anderen Akzenten) Stefan Kummer, Kloster Hirsau und die so genannte „Hirsauer Bauschule“, in: Canossa 1077. Erschütterung der Welt 1, hrsg. von Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff, München 2006, S. 359–370.
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Was lässt sich schließlich für die Frage nach möglichen Merkmalen einer spezifischen literarischen Ästhetik der Hirsauer sagen? Gibt es hier Ansätze, die sich in irgend einer Form dem im Bereich des Liturgischen nachgewiesenen Verschriftlichungsschub zur Seite stellen ließen? Der erhaltene Buchbestand in Hirsau selbst ist, wie schon erwähnt, so gering, dass auch hier wie schon bei den liturgischen Büchern die (tastende!) Suche nach Antworten auf diese Fragen auf die Überlieferung aus dem gesamten Netzwerk der Reform angewiesen ist. Erste Diskussionsanstöße könnten dabei von der Dissertation von Camilla Badstübner-Kizik über die Vita Paulinae, eine Biographie der Gründerin des thüringischen Klosters Paulinzella aus der Feder des wohl aus Hirsau stammenden Mönchs Sigeboto, ausgehen.26 Außerdem hat jüngst Henrike Lähnemann Überlegungen vorgelegt, die ebenfalls die literarische Gattung der Lebensbeschreibung thematisieren: Ausgehend von Willirams deutsch-lateinischer Mischsprache in Willirams von Ebersberg „Expositio in Cantica Canticorum“ wird hier auch seine „Aurelius-Vita“ in den Blick genommen um die These zur Debatte zu stellen, dass im Horizont eines Personendreiecks zwischen Otloh von St. Emmeram, Williram von Ebersberg und Wilhelm von Hirsau eine sehr dezidierte Funktion des Lateinischen im Kontext einer Verknüpfung von geistlichem Reforminteresse und anspruchsvoller Textproduktion erkennbar wird.27 Auch die vom Hirsauer Mönch Heimo (Haimo) verfasste Vita Abt Wilhelms selbst wäre in diese Diskussion einzubeziehen, und möglicherweise gilt dies ebenso für das bekannte Zwiefaltener Passionale (WLB Stuttgart, Cod. bibl. 2° 56–58) aus der Zeit um 1120–1135, das in Bezug auf seine Einzeltexte zwar nicht unbedingt als kreative literarische Leistung gelten kann, aber in seiner Gesamtkonzeption als monumentales Denkmal ausgeprägter hagiographischer Interessen des 26 Camilla Badstübner-Kizik, Die Gründungs- und Frühgeschichte des Klosters Paulinzella und die Lebensbeschreibung der Stifterin Paulina, Münster u. Hamburg 1993. Jetzt auch zusammenfassend dies., Die Vita Paulinae des Sigeboto – Heiligenlegende oder Klostergründungsgeschichte?, in: Kloster Paulinzella und die Hirsauer Reform (= Jahrbuch der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten 9), Rudolstadt 2006, 34–46. 27 Henrike Lähnemann, Concordia persanctae dilectionis. Freundschaft als literarisches Modell in der Aurelius-Vita Willirams von Ebersberg, in: Oxford German Studies 36 (2007) (= Amicitia: Friendship in Medieval Culture. Papers in Honour of Nigel F. Palmer, ed. by Almut Suerbaum and Anette Volfing), S. 184–194. – Zur Aureliusvita Willirams und den damit verbundenen programmatischen Aspekten vgl. auch schon Theodor Klüppel, Der heilige Aurelius in Hirsau. Ein Beitrag zur Verehrungsgeschichte des Hirsauer Klosterpatrons, in: Hirsau St. Peter und Paul Bd. 2 (wie Anm. 2), S. 221–258. bes. S. 247 f.
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Hirsauer Reformkontexts zu sehen ist.28 Jedenfalls könnte ein spezifischer Beitrag der Hirsauer Reform zur literarischen Topographie des deutschen Südwestens nach derzeitigen Eindrücken zu schließen am ehesten im Bereich des hagiographischen Schrifttums zu erwarten sein. Fragt man nach einer stärkeren Profilierung dieses im klösterlichen Raum generell beliebten thematischen Schwerpunkts, könnte man – zumindest bei der „Vita Paulinae“ – ein hirsauisches Spezifikum vielleicht am ehesten in der Tendenz zu einer Vermittlung adliger mit klösterlichen Idealen sehen: „Die ritterliche Vergangenheit und die Tugenden von Vater, Sohn und ‚Neffen‘ Paulinas werden in die Reform integriert.“29 Das würde einem immer wieder hervorgehobenen Grundzug der Hirsauer Bewegung entsprechen, nämlich einer schon im Zentrum wie in den einzelnen Brennpunkten ihrer Peripherie im Kontext von Stiftung oder Erneuerung bestehender Klöster immer wieder zu beobachtenden Verflechtung mit dem unmittelbaren herrschaftlich-adligen Umfeld, die sich im übrigen auch im Zusammenhang mit der eben erwähnten Aurelius-Vita Willirams von Ebersberg beobachten läßt. Wie Karl Schmid scharfsinnig gezeigt hat, war es wohl die gräfliche Gründerfamilie selbst, die wesentlich zur Renaissance der AureliusVerehrung beigetragen und auch die aufwendigen Recherchen nach den Überresten des alten Klosterpatrons angestoßen und finanziert hatte.30 Klösterliches Leben in dem von Wilhelm und seiner Reform intendierten Sinne meinte – gerade auch im Zuge der Bemühungen um Königsunabhängigkeit im Horizont des Investiturstreits – „Mönchsein in der Adelsgesellschaft des Mittelalters“.31 Von dieser eigentümlichen Allianz von Adel und Reformmönchtum an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert, in der sich „mit den geistlichen Zielen… herr28 Zu Heimo vgl. Wolfgang Irtenkauf, ‚Heimo von Hirsau‘, in: 2VL Bd. 3 (1981), Sp. 651–653. Zum Passionale s. jetzt Das Zwiefaltener Passionale. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. bibl. 2 56–58, Bd.2: Die Miniaturen, bearb. von Herrad Spilling, Bd. 3: Kommentar zu den Legenden, bearb. von Mechthild Pörnbacher, Lindenberg 2004. 29 Badstübner-Kizik (wie Anm. 26), S. 162. 30 Karl Schmid, Sankt Aurelius in Hirsau 830(?)–1048/75. Bemerkungen zur Traditionskritik und zur Gründerproblematik, in: Hirsau St. Peter und Paul, Bd. 2 (wie Anm. 2), S. 11–43, hier S. 34 f. 31 Klaus Schreiner, Hirsau und die Hirsauer Reform. Spiritualität, Lebensform und Sozialprofil einer benediktinischen Erneuerungsbewegung im 11. und 12. Jahrhundert, in: Hirsau St. Peter und Paul, Bd. 2 (wie Anm. 2), S. 59–84, hier S. 70. Vergleichbar auch schon Karl Schmid, Adel und Reform in Schwaben, in: Investiturstreit und Reichsverfassung, hrsg. von Josef Fleckenstein, Sigmaringen 1973 (Vorträge und Forschungen 17), S. 295–319.
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schaftliche Interessen [verbanden]“,32 führt im übrigen dann auch ein einigermaßen direkter Weg zu jener Interferenz monastischer und höfischer Kultur, die im Zusammenspiel des thüringischen Landgrafenhofs und des hirsauisch geprägten Klosters Reinhardsbrunn so bedeutende buchkünstlerische Produkte wie den „Landgrafenpsalter“ (heute WLB Stuttgart, HB II 24) und den „Elisabethpsalter“ (Cividale, Museo Archeologico Nazionale, Ms. CXXXVII) hervorbringen sollte.33 Einen Sonderfall, der abschließend kurz anzusprechen ist, stellt in diesem Rahmen das „Speculum Virginum“ dar,34 das thematisch ebenfalls in den Zusammenhang eines im Dienste der Bereitstellung asketischer Modelle stehenden literarischen Engagements gerückt werden darf. Die Hirsauer Verbindungen dieses im 12. Jahrhundert (und in einem zweiten Rezeptionsschub erneut im 15. Jahrhundert) so wirkmächtigen Werkes werden jedoch kontrovers diskutiert. Um 1500 war das Werk in Hirsau, wie beispielsweise Zitate daraus in Inschriften im neuen Dormitorium des Klosters zeigen, durchaus präsent, und Johannes Trithemius schreibt es einem Hirsauer Mönch Peregrinus alias Konrad zu. Der genaue Zusammenhang mit den im Hirsauer Bibliothekskatalog des 12. Jahrhunderts verzeichneten Bücher eines Hirsauer Mönchs namens Peregrinus (cuiusdam monachi Hirsaugiensis cognomento Peregrini) bleibt allerdings strittig. Ich selbst hatte 1991 noch die Möglichkeit eines Hirsauer Ursprungs der von Eleanor S. Greenhill als Autograph taxierten Londoner Handschrift (BL, Ms. Arundel 44) in Betracht gezogen,35 was ich allerdings nach zwischenzeitlicher Autopsie der Handschrift so nicht mehr vertreten kann. Während Constant J. Mews dieser Hirsauer Lokalisierung gefolgt ist, hat Jutta Seyfarth eine Reihe von Argumenten vorgebracht, die eher für das Milieu der Augustiner Reformkanoniker und -kanonissen der Springiersbacher Richtung sprechen, was Nigel Palmer aufgenommen und zugleich in einen Zusammenhang mit der um 1200 einsetzenden Rezeption in Ebd., S. 62. Vgl. Harald Wolter-von dem Knesebeck, Der Elisabethpsalter in Cividale del Friuli. Buchmalerei für den Thüringer Landgrafenhof zu Beginn des 13. Jahrhunderts, Berlin 2001; ders., Der Einband des Elisabethpsalters in Cividale del Friuli. Rheinische „Kleinkunst“ am Hofe der Ludowinger, Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 54/55 (2000/01), S. 63–103. 34 Speculum virginum, hrsg. von Jutta Seyfarth, Turnhout 1990 (CCCM 5); Speculum Virginum – Jungfrauen Spiegel, hrsg. von Jutta Seyfarth, lat.-dt., Bd. 1–3, Freiburg [usw.] 2001 (Fontes christiani 30). Vgl. auch Robert Bultot, Konrad von Hirsau, 2VL, Bd. 5, 1985, Sp. 204–208, bes. S. 205. 35 Heinzer (wie Anm. 2), S. 270 f. [in diesem Band, S. 108–111]. 32 33
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Klöstern des Zisterzienserordens gebracht hat.36 Ganz unabhängig von der Frage der Entstehung des „Speculum“ scheint mir freilich für eine Diskussion literarischer Traditionszusammenhänge auch der Rezeptionsaspekt von erheblicher Bedeutung zu sein. Ikonographische Zusammenhänge deuten darauf hin, daß eine Handschrift des Werks offenbar auch in der Hirsauer Tochtergründung Zwiefalten im 12. Jahrhundert präsent war und dort eine durchaus inspirierende Wirkung ausübte;37 dieser Befund könnte als Indiz dafür gelten, daß ein Text wie dieser, auch wenn er nicht in Hirsau selbst entstanden sein sollte, eben doch sehr paßgenau in das Programm der Reform und damit auch in das Profil ihrer literarischen Interessen und Schwerpunkte zu integrieren war. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Hirsauer Reformbewegung des 11. und 12. Jahrhunderts ein eindrucksvolles Potential kultureller Transferleistung entwickelte, das sowohl durch den Ursprungsrekurs auf Cluny als auch aufgrund seiner weit ausgreifenden Ausstrahlung für eine Diskussion internationaler Dimensionen mittelalterlicher Kultur und ihrer Kommunikationsmechanismen von beachtlichem Interesse ist. Bezeichnend erscheint dabei die in sämtlichen untersuchten Feldern beobachtete Offenheit und Integrationsfähigkeit gegenüber lokalen und regionalen Traditionen – ein situationsbezogener Pragmatismus, der im Hinblick auf die organisatorischen Strukturen des Reformverbands wie auf das entsprechende Zusammengehörigkeitsund Identitätsbewußtsein ein vergleichsweise flexibles Konzept repräsentiert. Diese „offene“ Situation steht in dezidiertem Gegensatz zur erheblich stringenteren, zentralistisch und uniformistisch ausgerichteten Organisationsstruktur der fast zeitgenössisch auftretenden Zisterzienser und später der Bettelorden des 13. Jahrhunderts. Damit dürfte auch einer der Gründe benannt sein, weshalb die Hirsauer schon bald unter massiven Konkurrenzdruck gerieten. Für das unmittelbares 36 Constant J. Mews, Hildegard of Bingen, The Speculum Virginum and Religious Reform, in: Hildegard von Bingen in ihrem historischen Umfeld, hrsg. von Alfred Haverkamp, Mainz 2000, S. 237–267, hier S. 244–249; Seyfarth [Anm. 34], S. 37*– 39*, lat.-dt. Ausgabe [Anm. 34], S. 13–25 (mit Hinweisen auf Verbindungen zum Regularkanoniker Hugo de Folieto und seinem Traktat „De claustro animae“); Nigel F. Palmer, Zisterzienser und ihre Bücher, Regensburg 1998, S. 76–80. 37 Vgl. dazu Felix Heinzer, „Scalam ad coelos“ – Poésie liturgique et image programmatique. Lire une miniature du livre du chapitre de l’abbaye de Zwiefalten, Cahiers de Civilisation Médiévale 44 (2001), S. 329–348, hier S. 339 f. [in diesem Band, S. 270].
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Umfeld des Reformzentrums belegt dies der in diesem Zusammenhang immer wieder zitierte Brief von Papst Innozenz II. an die Zisterzienseräbte der Umgebung, die offenbar fugitivi, also Überläufer aus Hirsau, bei sich aufnahmen.38 Spätestens um etwa 1150 scheinen in Südwestdeutschland für reformbewußte und reformwillige Kräfte andere Gruppierungen, allen voran die Zisterzienser, attraktiver geworden zu sein. Der Brief des Papstes und die Klage des Hirsauer Abts Volmar, auf die er reagiert, erscheinen somit als Indiz für die sich verändernde Situation der klösterlichen Landschaft dieses Raums gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts. Die geschmeidige, anpassungsfähige Haltung der Hirsauer und ihres lockeren Klosterverbandes drohte gegenüber der zentralistisch zugespitzten Schlagkraft der Zisterzienser, dem ersten Orden im modernen Sinn, an Attraktivität zu verlieren, zumal das, was Klaus Schreiner die „charismatische Epoche“ Hirsaus genannt hat, offenbar um 1150 unwiderruflich vorbei war: „Die geistig unruhigen Köpfe der Zeit, die sich nach ursprünglichem und unverbrauchtem Leben sehnten, suchten und fanden in neuen Orden ihre geistige Heimat…, nicht in Hirsau oder bei den Hirsauern“.39 Im Übrigen weist ja auch die eben angesprochene Frage der Zuweisung des „Speculum Virginum“ auf dieses Spannungsfeld unterschiedlicher Formationen und Schichten klösterlicher Reform des Hochmittelalters. Umso beeindruckender ist die in so kurzer Zeit entfaltete Reichweite der Hirsauer Reform und ihrer kulturellen Impulse. Vor allem aber bleibt festzuhalten, dass hier bei aller Vorläufigkeit zum ersten Mal im Raum des deutschsprachigen Südwesten ein Ansatz zum Aufbau eines Netzwerks von Klöstern dokumentiert ist, das im Bereich der Schriftlichkeit Gemeinsamkeiten entwickelt, die über mehr oder weniger zufällige Übereinstimmungen hinausgehen, weil sie Ausdruck bewussten Strebens nach Zusammengehörigkeit waren: Zwar erscheinen die Mechanismen und Instrumente der identitätsstiftenden Verbindungs38 Näheres in meinem Beitrag Maulbronn und die Buchkultur Südwestdeutschlands im 12. und 13. Jahrhundert, in: Maulbronn 1147–1997 und die Anfänge der Zisterzienser in Südwestdeutschland, hrsg. von Peter Rückert (Oberrheinische Studien 16), Stuttgart 1999, S. 147–166, bes. S. 147 f. [in diesem Band, S. 409–410]. 39 Klaus Schreiner, Hirsau und die Hirsauer Reform. Spiritualität, Lebensform und Sozialprofil einer benediktinischen Erneuerungsbewegung im 11. und 12. Jahrhundert, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991. Teil 2 (wie Anm. 2), S. 59–84, hier S. 84. – Vgl. auch Lieven van Acker und Hermann Josef Pretsch, Der Briefwechsel des Benediktinerklosters St. Peter und Paul in Hirsau mit Hildegard von Bingen. Ein Interpretationsversuch zu seiner kritischen Edition, ebd. S. 157–172, bes. S. 159 f.
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pflege noch durchaus offen und „unfest“, und die Selbstvergewisserung des gesamten Reformverbandes hat daher – übrigens auch schon im Vergleich zu Cluny – vergleichsweise eher prekären Charakter.40 Dennoch läßt sich die Hirsauer Erneuerungsbewegung durchaus als Vorläufer und mit allen Einschränkungen eben doch als eine Art modellhafte (allerdings noch fast ausschließlich lateinische) Folie jener literarischen Zusammenhänge und „Lesegemeinschaften“ sehen, zu deren bevorzugten Trägern im 13. und 14. Jahrhundert im südwestdeutschen Raum für die lateinische wie für die volkssprachliche Schriftlichkeit die Zisterzienser und die Mendikanten, insbesondere der Dominikanerorden, werden sollten.
40 Vgl. dazu auch die Beobachtungen von Joachim Wollasch, Spuren Hirsauer Verbrüderungen, in: Hirsau St. Peter und Paul, Bd. 2 (wie Anm 2), S. 173–193, bes. S. 192 f.
DER HIRSAUER ‚LIBER ORDINARIUS‘*
„Nihil operi dei praeponatur“: diese geradezu klassisch gewordene Formulierung der Regula Benedicti (43,3) beantwortet die Frage nach den Prioritäten der Gestaltung monastischen Lebens in einer dieser Regel verpflichteten Gemeinschaft mit lapidarer Klarheit. Die Abtei Hirsau ist diesem Anspruch der Liturgie auf absoluten Vorrang sicherlich gefolgt – zumindest in Epochen geistigen und geistlichen Hochstands, d. h. insbesondere in den Jahrzehnten vor und nach 1100, als das Schwarzwaldkloster ein bedeutendes Reformzentrum war, aber auch in der vom Bursfelder Geist bestimmten Spätblüte im ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhundert. Umso erstaunlicher erscheint es, dass in der Hirsauliteratur dieser Aspekt bisher kaum Beachtung gefunden hat. Vor allem gilt dies für jene kurze, aber weit ausstrahlende Blüte im Hochmittelalter, die Hirsau den Ehrentitel eines „deutschen Cluny“ eingetragen hat und auf die wir uns im folgenden konzentrieren wollen1. Auch in der eben erschienen Festschrift zur 900-Jahr-Feier der Weihe des großen Peter-und-Paul-Münsters2 wird die Hirsauer Liturgie nicht behandelt. Die Gründe dafür liegen hauptsächlich bei der bekanntlich sehr schwierigen Überlieferungslage im Bereich von Bibliothek und Skriptorium. Durch die Ungunst der Geschichte haben sich kaum Handschriften aus Hirsau erhalten, so dass eine Rekonstruktion des inneren Lebens des Klosters – und eben auch der Liturgie – außerordentlich erschwert wird. Nun lässt sich allerdings, wie ich in meinem Beitrag zur Festschrift zeigen konnte, die bibliotheksgeschichtliche Basis über das bisErstmals erschienen in: Revue Bénédictine 102 (1992), S. 309–347. Für das Spätmittelalter ist auf eine Reihe von Arbeiten von Wolfgang Irtenkauf hinzuweisen. Vgl. bes. Wolfgang Irtenkauf, Ein Bursfeldisches Kalendar aus Hirsau, in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 51 (1957), S. 257–280, und ders., Kleine Beiträge zur Hirsauer Kirchengeschichte, in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 52 (1958), S. 121–134. Einige Ergänzungen auch in meinem Anm. 3 zitierten Beitrag. 2 Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 1–2 (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10/1–2), Stuttgart 1991. *
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her Bekannte hinaus durchaus etwas verbreitern,3 und zudem können grundsätzlich auch Liturgica von Tochterklöstern mit besser erhaltenen Beständen wie etwa Allerheiligen in Schaffhausen oder Zwiefalten für eine Rekonstruktion herangezogen werden. Dennoch scheint ein grundlegendes Manko nicht kompensierbar zu sein, denn offenbar fehlt ein Text, der uns die Hirsauer Liturgie des Hochmittelelalters in normativer Gestalt überliefert. Zwar sind die von Abt Wilhelm dem Seligen redigierten Reformconsuetudines, die sog. Constitutiones Hirsaugienses, erhalten, doch sucht man hier vergeblich so etwas wie ein liturgisches Direktorium. Gewiß finden sich immer wieder Hinweise zur Gestaltung des Gottesdienstes, aber es fehlt eben eine zusammenhängende, dem Lauf des Kirchenjahrs folgende Ordnung des Opus divinum, wie sie das erste Buch der Consuetudines Ulrichs bietet, zu dem es bei Wilhelm kein Pendant zu geben scheint4 Vor allem fehlen dadurch die Angaben zu den verwendeten liturgischen Texten. Hat jemals ein solches erstes (oder drittes) Buch Wilhelms existiert? Die Erfordernisse der Reform lassen eigentlich gar keinen anderen Schluss zu. Es muß einen Text gegeben haben, der die Ordnung der Liturgie in Hirsau selbst und in den zahlreichen Klöstern seiner Einflußsphäre verbindlich regelte – ob in Form eines weiteren, heute verschollenen Buchs der Constitutiones, die ja dem cluniazensischen Vorbild so unmittelbar verhaftet sind, oder in Form eines eigenständigen Buchs, bleibe vorerst noch dahingestellt. In seiner grundsätzlichen Einleitung zum Corpus Consuetudinum Monasticarum (künftig CCM) hat Kassius Hallinger zu zeigen versucht, dass gerade bei Wilhelm die eben erst in Cluny erfolgte Verbindung von liturgischen Vorschriften (normae liturgicae) und sonstigen organisatorischen Regelungen des klösterlichen Lebens (normae practicae seu constitutionales) wieder getrennt und die Ordnung der Liturgie in selbständiger Form, d. h. als separater Liber ordinarius, redigiert worden sei5 – ein Schritt, der im übrigen Schule gemacht zu haben scheint6. Sollte diese Sicht der Dinge zutreffen, so wäre Wil-
3 Felix Heinzer, Bibliotheksgeschichte und Buchkultur Hirsaus, in: Hirsau St. Peter und Paul (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 259–296 [in diesem Band, S. 85–167]. 4 Vgl. Max Fischer, Studien zur Entstehung der Hirsauer Konstitutionen, Stuttgart 1910, S. 46; Anton Hänggi, Der Rheinauer Liber Ordinarius (Spicilegium Friburgense 1), Freiburg/Schweiz 1957, S. XXXVIII f. 5 CCM 1, S. XLVII f. 6 Kassius Hallinger spricht von einer „separatio irrevocabilis“ von „directorium liturgicum“ und „liber officiorum vel usuum“, die mit Wilhelm begonnen habe (ebd., S. XLVII).
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helms Liber ordinarius, der hier vorerst nur postuliert wird, so etwas wie ein Prototyp dieser Buchgattung, und in der Tat scheint der handschriftliche Befund darauf hinzudeuten, dass selbständige Libri ordinarii erst um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert in Gebrauch kommen7. Wie aber hat der Hirsauer Ordinarius ausgesehen und in welcher Form könnte er noch greifbar sein? Dass es ihn einmal gegeben haben muß, war in der Forschung eigentlich nie zweifelhaft. In meinem in Anm. 3 erwähnten Festschriftbeitrag hatte ich bereits angedeutet, dass sich hier eine Lösung abzeichnen könnte, und zwar im Zusammenhang mit dem bereits 1957 von Anton Hänggi edierten Rheinauer Liber ordinarius8. Die dabei für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellte ausführliche Darstellung dieses Sachverhalts soll an dieser Stelle nun nachgeholt werden (I). Neben der Rheinauer Handschrift ist dabei insbesondere ein aus der friulanischen Abtei Moggio stammender Codex heranzuziehen (II). Schließlich ist ein in der Zwischenzeit geglückter Fund – eine in ihrer Bedeutung bisher nicht richtig erkannte Zwiefaltener Handschrift – auszuwerten (III) und zumindest ansatzweise eine inhaltliche Würdigung des solchermaßen rekonstruierten bzw. wiedergewonnenen Texts zu versuchen (IV).
I. Rheinau alias Hirsau Hirsauer Handschriften bleiben trotz aller Bemühungen Mangelware. Vor allem gilt dies für Codices des 11. und 12. Jahrhunderts, der bedeutendsten Epoche des Klosters, so dass hier auch fragmentarische Zeugnisse Aufmerksamkeit verdienen. Nun haben sich in der Tat durch die Tätigkeit der spätmittelalterlichen Buchbinderwerkstatt Hirsaus recht zahlreiche Makulaturfragmente aus hochmittelalterlicher Zeit erhalten. Meist handelt es sich dabei um Reste liturgischer Handschriften, die 7 Vgl. Hänggi (wie Anm. 4), S. XIXf. und die Übersicht der bisher veröffentlichten Libri ordinarii S. XXIV–XXXVI. 8 Vgl. Heinzer, Bibliotheksgeschichte (wie Anm. 3), Anm. 94 [hier S. 105]. Hänggis Edition (s. o., Anm. 4) wurde im Rahmen der Untersuchung hirsauischer Handschriften und Handschriftenfragmente mehrfach als Vergleichstext herangezogen; die Begründung dieses Vorgehens soll hier nun nachgereicht werden. Übrigens erwähnt auch Kassius Hallinger (wie Anm. 6), S. XLVII, den Rheinauer Ordinarius als erstes greifbares Beispiel für die anscheinend von Wilhelm ausgehende Verselbständigung des liturgischen Teils der Consuetudines.
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auch mehrfach schon von der Forschung zur Verbreiterung der sonst so schmalen Materialbasis herangezogen wurden, so auch in meinem erwähnten Festschriftbeitrag9. Das methodische Problem, das es dabei zu berücksichtigen galt, führte nun zu außerordentlich interessanten Perspektiven bezüglich des Rheinauer Liber ordinarius und davon ausgehend auch zu wichtigen Erkenntnissen im Hinblick auf die Hirsauer Liturgie. Hier kurz die wichtigsten Schritte dieser Entwicklung: Bei der Bearbeitung der Makulaturfragmente aus den Hirsauer Einbänden galt es ja zunächst die Frage zu klären, ob diese Bruchstücke tatsächlich von ursprünglich hirsauischen Codices stammten, da sie nur unter dieser Voraussetzung für eine Rekonstruktion des dortigen Skriptoriums überhaupt relevant sein konnten. Der Schluss, dass es sich in der Tat um altes Hirsauer Gut handelte, war zwar verlockend und auch einigermaßen plausibel, aber letztlich nicht zwingend, da grundsätzlich auch mit Importstücken zu rechnen war, die der Buchbinderschere zum Opfer gefallen sein konnten. Paläographische oder kunsthistorische Kriterien fielen mangels Vergleichsbasis weitgehend aus, so dass nur eine inhaltliche Überprüfung in Frage kam. Eine solche setzt aber einen verläßlichen, d. h. in diesem Fall für Hirsau gesicherten Vergleichstext voraus – im Idealfall einen Liber ordinarius, der hier aber nicht verfügbar war. Der Versuch, diese Bruchstücke von Gradualien, Antiphonaren usw. dennoch liturgisch einzuordnen, führte schon bald zu einem zunächst überraschenden Ergebnis: In fast allen Fällen konnte eine völlige Übereinstimmung der fraglichen Texte mit dem Rheinauer Liber ordinarius (künftig LOR) nach Hänggis Edition festgestellt werden. Dieser Befund ließ folgende Interpretationsmöglichkeiten zu: 1. Der LOR ist in Wirklichkeit der hirsauische Liber ordinarius bzw. ist diesem sehr ähnlich, was im übrigen bei der engen Verbindung der beiden Abteien in der Entstehungszeit des LOR (Anfang 12. Jh.) auch naheliegend wäre. – 2. Die Fragmente stammen aus Rheinauer Handschriften, die später nach Hirsau gelangten. Die zweite Möglichkeit erschien von vorneherein als sehr unwahrscheinlich und im Grunde rein theoretisch. Zu klären blieb also lediglich, ob sich die unter 1. zusammengefaßten Gesichtspunkte weiter differenzieren ließen. Nun hatte schon Anton Hänggi Hirsauer Einfluss für den von ihm edierten Rheinauer Text erwogen, und er stand damit
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Vgl. Heinzer, Bibliotheksgeschichte (wie Anm. 3), S. 275–278.
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in einer weiter zurückreichenden Tradition. Dass seine Leithandschrift A, also Zürich, Zentralbibl., Rh. 80, aus Hirsau nach Rheinau gekommen sei, wurde bereits im 18. Jahrhundert vertreten, etwa von Augustin Calmet im Jahr 1756, und in derselben Weise äußerte sich 1934 auch noch Ephrem Omlin10. Hänggi kam zu einem zurückhaltenderen Urteil: die Hirsauer Prägung sei zwar unübersehbar, dennoch sei nicht daran zu zweifeln, dass A „in der jetzigen Form für Rheinau bestimmt und dort im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts benutzt worden“ sei11. Ein Umstand, den Hänggi zwar gesehen, in seiner vollen Tragweite jedoch nicht erkannt hat, dürfte für die ganze Frage entscheidend sein: die Tatsache nämlich, dass die Fuldaer Handschrift Aa 72, ein Weingartener Codex von 1319 (Hänggis Handschrift D), einen Text bietet, der sich „auf weite Strecken mit jenem des LOR [deckt]“12. Hänggi zieht daraus den Schluss, entweder sei D „eine auf die lokalen Verhältnisse Weingartens angepasste Abschrift der Rheinauer Handschrift“ – was sehr unwahrscheinlich ist, da keine Beziehungen zwischen den beiden Klöstern im 14. Jahrhundert zu erkennen sind – oder beide gingen „auf die gleiche oder ähnliche Quelle zurück“13. Die Meinung, D könne „über die Liturgie des Klosters Rheinau nichts aussagen“14, ist nur vordergründig richtig, wie gleich zu zeigen ist. D kann sehr wohl etwas, ja sogar Entscheidendes, über den LOR aussagen, zeigt sie doch, dass es sich bei diesem in Tat und Wahrheit nicht um den Rheinauer sondern um den Hirsauer Ordinarius handelt und dass die durch ihn geregelte Liturgie Rheinaus aus Hirsau übernommen ist. Hänggi ist hier buchstäblich einen Schritt zu früh stehengeblieben, indem er den sich aus dem Verhältnis von A und D aufdrängenden Schluss nicht gezogen hat, dass nämlich die gemeinsame Quelle oder vielmehr: die gemeinsame Tradition beider Handschriften nur in Hirsau gesucht werden kann. Dies zeigt der jeweilige historische Kontext. Abt Otto von Rheinau (1104/05–1124), unter dem A geschrieben wurde, war zuerst Mönch in Hirsau unter Wilhelm selbst, kam dann als Abt nach Blaubeuren und schließlich nach Rheinau, das seit der Postulierung Abt Cunos aus Petershausen um 1090 von der Hirsauer Reform geprägt war. Aber auch die Weingartner Handschrift D stammt aus einer Zeit, wo das
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Vgl. Hänggi (wie Anm. 4), S. LII. Ebd., S. LII f. Ebd., S. XLVII. Ebd., S. XLVII. Ebd., S.L.
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Kloster, in dem sie geschrieben wurde, ganz bewusst an die alte Hirsauer Tradition anknüpfen wollte, steht sie doch im Zusammenhang mit den Bemühungen Abt Konrads von Ibach (1315–1336) um eine Hebung der Disziplin im Sinne der ursprünglichen Reformideale. Mit anderen Worten: Der LOR repräsentiert die liturgische Ordnung des Reformzentrums, von dem Rheinau wie Weingarten zum jeweils aktuellen Zeitpunkt maßgeblich geprägt sind. Etwas pointiert könnte man also sagen, dass Hänggi mit seiner Edition im Grund gerade nicht oder nicht nur den Rheinauer Ordinarius publiziert hat, sondern den von Hirsau selbst. Das bedeutet natürlich auch, dass Hänggis Ausführungen über das Alter des Texts zu modifizieren sind. Wenn er schreibt, der LOR stamme „wahrscheinlich aus dem zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts“ und sei mithin der „älteste bisher bekannte und veröffentlichte Ordinarius“15, so ist diese Datierung zwar wohl für die Handschrift A korrekt, nicht aber für den Text also solchen, der sogar noch in das 11. Jahrhundert und aller Wahrscheinlichkeit nach etwa gleichzeitig mit den Constitutiones Hirsaugienses (also wohl noch zu Lebzeiten Wilhelms) anzusetzen sein dürfte. Ist damit das bisher fehlende Hirsauer Gegenstück zum ersten Buch der Consuetudines Cluniacenses Ulrichs gefunden? Man kann diese Frage bejahen – und die in Abschnitt II und III noch vorzustellenden Textzeugen werden die Identifizierung des LOB als Hirsauer LO zusätzlich untermauern –, man muss aber sogleich differenzierend hinzufügen, dass das Verhältnis zu Ulrichs erstem Buch ein relativ komplexes ist. Es zeigt sich zwar, dass auch hier wie im Falle der beiden Bücher der Constitutiones Hirsaugienses (dort bezüglich Ulrichs zweitem und drittem Buch) immer wieder Parallelen zu Ulrich, d. h. Abhängigkeiten des Hirsauer Texts von seinem burgundischen Vorbild, zu erkennen sind. Auf solche Stellen hat im übrigen schon Hänggi mehrfach hingewiesen16. Doch ist zu betonen, dass diese Verbindungen 15
Ebd., S. LIII. Z. B. S. 33 für das einleitende Kapitel über die verschiedenen Festgrade, das weitgehend Ulrich I 11 (PL 149, 654–656) entspricht; S. 47–53 für Weihnachten – vgl. Ulrich I 46 (PL 149, 692 f.); S. 114–139 für Gründonnerstag bis Karsamstag – vgl. Ulrich I 12–14 (PL 149, 657–663). Dabei sind aber auch immer wieder Abweichungen von Ulrich festzustellen, die als hirsauisches Eigengut verbucht werden können. Ein besonders anschauliches Beispiel liefert gerade der zuletzt genannte Abschnitt, wo bei den Ausführungen über die Rasur der Fratres am Karsamstag (Hänggi, S. 134) ein wörtlich Wilhelms Konstitutionen entnommener Text auftaucht (Const. Hirs. II 40, PL 150, 1100 D 6–10 Hänggi, S. 134, Z. 10–13: sed absque cursu canonico… – a priore Benedicite dicatur), der bezüglich der in Cluny vorgesehenen Psalmodie während des 16
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fast ausschließlich im Bereich der Rubriken sichtbar werden, während es im Bereich der liturgischen Texte als solcher anders aussieht. Näheres zu diesem Sachverhalt soll im letzten Teil dieses Beitrags angesprochen werden (IV). Eine Frage für sich ist das Verhältnis von Hänggis Leithandschrift A zu der anscheinend etwas älteren Überlieferung C (Zürich, Zentralbibl., Rh. 74b, Teil III). Der Text von C ist in manchem knapper als A; besonders gilt dies für die Rubriken17. Außerdem bietet C für eine Reihe von Heiligenfesten – Blasius, Afra, Mauritius, Januarius – anstelle von Propriumstexten lediglich die entsprechenden Verweisungen auf das Commune Sanctorum18 und berücksichtigt Feste wie die des Rheinauer Patrons Fintan19, des als „Nachbarheiliger“ St. Blasiens in Rheinau ebenfalls verehrten Trudpert20 oder der Disentiser Heiligen Placidus und Sigisbert, die in A sogar die Translatio Benedicti verdrängt haben21, überhaupt nicht. C scheint also den ursprünglicheren, noch nicht von Rheinauer Lokaltraditionen gefärbten Überlieferungsstand zu bieten und dürfte somit die Hirsauer Liturgie reiner repräsentieren. Dafür spricht im übrigen auch die Tatsache, dass die noch vorzustellenden Textzeugen aus Moggio (E) und Zwiefalten (F) bei den fraglichen Festen meist mit C übereinstimmen. Lediglich das Afra-Offizium in F (fol. 120v–121v) bildet eine Ausnahme, da hier ebenfalls wie in A das bekannte, auf Hermannus Contractus zurückgehende Reimoffizium Gloriosa et beatissima Christi martyr Afra22 vorgeschrieben wird – keineswegs überraschend, wenn man bedenkt, dass sich diese Offiziendichtung des Reichenauer Mönchs in Zwiefalten anscheinend schon Scherens (s. Ulrich III 16, PL 149, 760 A 4 f.) gerade anders entscheidet und absolutes Schweigen vorschreibt. 17 Hänggi (wie Anm. 4), S. L. 18 Ebd., S. L mit Anm. 2. Die Handschrift A hat diese Propriumstexte teilweise auf Rasur, was als Indiz für eine nachträgliche Rheinauer Überarbeitung der ursprünglichen Überlieferung gewertet werden könnte. 19 Ebd., S. 221–223. 20 Ebd., S. 158. 21 Ebd., S. 15 und 187 f. 22 Vgl. Wilhelm Brambach, Die verloren geglaubte ‚Historia de S. Afra martyre‘ und das ‚Salve Regina‘ des Hermannus Contractus, Karlsruhe 1892 (nach der Hs. Aug. LX der Badischen Landesbibliothek); jetzt auch Walter Berschin, Historia S. Konradi, in: Freiburger Diözesanarchiv 95 (1975), S. 107–125, hier S. 114 f. (die Handschriftenliste Walter Berschins könnte erheblich erweitert werden, u. a. durch die Stuttgarter Codices HB I 55, HB I 76, HB XVII 19 und die Fuldaer Handschrift Aa 123), sowie FranzJosef Schmale, Hermann von Reichenau, in: Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 3 (1981), Sp. 1082–1090, hier Sp. 1083 f.
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im 12. Jahrhundert durchgesetzt hatte, wie das bekannte Antiphonale Aug. LX der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe belegt23. D, E und F gehen aber auch gemeinsam mit C gegen A bezüglich der Lektionen für die Nokturnen des Fests Conversio Pauli. Während A vorschreibt: Ad nocturnos legitur sermo beati Augustini ‚Hodie dilectissimi‘ 24, bieten die übrigen Handschriften als Alternative zu Augustinus einen Text aus Gregors Moralia in Iob an: in ultima parte moralium expositio S. Gregorii de rinocerote25 vel sermo beati Augustini (D, fol. 37v; E, fol. 43v; F, fol. 42rb)26. Für eine größere Nähe von C zum Hirsauer Urtext sprechen schließlich auch sprachliche Einzelheiten. Für die Messe zum Fest des hl. Martin beispielsweise schreibt A vor, dass die ministri altaris als liturgische Gewänder dalmatica et tunica zu tragen hätten27, während C anstelle von tunica für das Gewand des Subdiakons den Begriff subtile verwendet, der offenbar in Hirsau dafür üblich war28. Andererseits gibt es Fälle, wo C keine Unterstützung von E und F erfährt, da diese mit A übereinstimmen. Dies gilt beispielsweise für
23 Aus dieser Handschrift edierte Wilhelm Brambach das Offizium (s. Anm. 22). Deren Entstehung in Zwiefalten wurde inzwischen zweifelsfrei nachgewiesen, vgl. Sigrid von Borries-Schulten, Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek. Mit einem paläogr. Beitr. von Herrad Spilling (Katalog der illuminierten Handschriften der Württ. Landesbibl. Stuttgart 2/1), Stuttgart 1987, S. 131– 135; außerdem Herrad Spilling, Reinhard von Munderkingen als Schreiber und Lehrer, in: 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten, hrsg. von Hermann-Josef Pretsch, Ulm 1989, S. 73–100, bes. S. 78–81 zu den Reinhard zugeschriebenen Marginalien über die Quellen der liturgischen Texte des Antiphonales (darunter 170r zum Afra-Offizium der Vermerk: Hanc hystoriam composuit Hermannus Contractus). Zur richtigen Interpretation des nicht als „Regieanweisung“ mißzuverstehenden Begriffs Cantor in diesen Quellenangaben (zu deuten als Hinweis auf den Verfasser der Offiziumstexte, dem die verba zuzuschreiben sind, deren Inhalt, der sensus, meist auf der Umformung von Bibelstellen beruht) vgl. im übrigen schon den Hinweis von Heinrich Husmann, Die Osterund Pfingstalleluia der Kopenhagener Liturgie und ihre historischen Beziehungen, in: Dansk Aarbog for Musikforskning 4 (1964–1965), S.3–62, hier S. 14. 24 Hänggi (wie Anm. 4), S. 813–4. 25 Die Wahl dieses Texts über Job 31, 9 f. (CCSL 143B, S. 1572–1574) dürfte den Einfluß Clunys spiegeln, wo für die Lectiones V–IX des Fests ebenfalls dieser Abschnitt der Moralia vorgesehen war (s. Raymond Étaix, Le lectionnaire de l’office à Cluny, in: Recherches Augustiniennes 11 (1976), S. 91–153, hier S. 113, sowie Candida Elvert in CCM VII/4, S. 45). 26 C liest am Schluss: vel sermo de sancto Paulo (s. Hänggi [wie Anm. 4], Apparat zu S. 813–4). 27 Hänggi, S. 1586. So auch E und F. 28 So in den Constitutiones Hirsaugienses (z. B. PL 150, 947 B 1, 950 C 7 und 1022 C 7); vgl. auch CCM VII/2, S. 290, App. zu Z. 10.
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manche Rubriken29, aber teilweise auch für Differenzen der liturgischen Texte selbst, etwa in der Osterwoche oder am Allerheiligenfest30. Merkwürdig ist auch die Situation bezüglich des alten Hirsauer Patrons Aurelius. A berücksichtigt ihn innerhalb des auf denselben Tag (14. September) fallenden Fests der Kreuzerhöhung wenigstens mit einer Kommemoration (Antiphon und Collecta) am Ende der ersten Vesper und der Laudes sowie mit einer zweiten Oration in der Messe zu Ehren der ebenfalls am 14. September zu feiernden Cornelius und Cyprianus31. Genauso verfahren auch die Handschriften aus Moggio und Zwiefalten – nicht jedoch C. An der für C festgestellten größeren Nähe zur reinen Hirsauer Tradition ändern diese Beobachtungen wohl kaum etwas. Allerdings wird man das Verhältnis von C zu A nicht einfach als lineares sehen können, d. h. im Sinne von Vorlage und (überarbeiteter) Abschrift, wie Hänggi dies anzunehmen scheint32. Eher dürfte es sich um zwei voneinander unabhängige Textzeugen handeln, die jeweils verschiedene Stadien der Überlieferung spiegeln. Entscheidend aber ist, wie hier noch einmal betont werden soll, dass der von Hänggi edierte Text den Hirsauer Liber ordinarius – in der Überlieferung des von Hirsau aus reformierten Klosters Rheinau – greifbar werden lässt. Beiläufig hat im übrigen 1982 auch Petrus Becker auf den hirsauischen Charakter des LOR hingewiesen33. Das Hauptargument für diese These, die Übereinstimmung des Rheinauer Texts mit einem Zeugen aus einem Rheinau nicht direkt verbundenen Kloster, der überdies einer anderen Epoche angehört (die Handschrift D aus Weingarten)34, wird durch die im folgenden zu präsentierenden Handschriften E und F aus Moggio bzw. Zwiefalten zusätzliche Verstärkung erfahren.
29 Von den bei Hänggi, S. 1. Anm. 3, zusammengestellten Texten wurden lediglich stichprobenartige Überprüfungen gemacht. 30 Hänggi, S. 142–144 und S. 217 f. 31 Hänggi, S. 20526f, 206 10f und 20613f. 32 S. LI. 33 Petrus Becker, Die hirsauische Erneuerung des St. Euchariusklosters in Trier, in: Consuetudines monasticae. Eine Festgabe für Kassius Hallinger aus Anlaß seines 70. Geburtstags, Rom 1982, S. 185–206, hier S. 197 Anm. 56. 34 Im Übrigen wären rückblickend auch die als Ausgangspunkt dieser Untersuchung genannten Übereinstimmungen der Makulaturfragmente aus Hirsauer Einbänden mit dem LOR noch einmal anzuführen. Vgl. Heinzer (wie Anm. 3), S. 275–277, bes. Anm. 171 und 179–181a [in diesem Band, S. 122–124].
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hirsau und sein kreis II. Der ‚Ordo Secundum Hirsiacenses aus Moggio‘ (Friaul)
Der Ordo divini officii secundum Hirsiacenses in der Handschrift Can. lit. 325 der Bodleian Library in Oxford aus der Bibliothek der Abtei Moggio in Friaul wurde schon 1913 in einem Aufsatz von Cesare Foligno erwähnt,35 blieb aber in der Hirsauforschung trotz der sprechenden Überschrift praktisch unbeachtet. Wolfgang Irtenkauf, der 1960 im Zusammenhang mit der Frage nach der in Hirsau gebräuchlichen Notation auf Folignos Aufsatz gestoßen war, verfolgte die Spur nicht weiter, da die Heiligen des Sanctorale „durchweg auf Aquileia“ wiesen, so dass die Handschrift für Hirsau nicht relevant sei36. So blieb diese in ihrer Bedeutung für die Hirsauer Liturgie unerkannt. Erst Cesare Scalon, dem eine Reihe wichtiger Untersuchungen zur Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Friauls zu verdanken sind, hat jüngst wieder auf den Oxforder Codex hingewiesen und dessen Bezug zu Hirsau herausgearbeitet37. Seine Darlegungen sind allerdings gekoppelt mit dem irreführenden Schluss, die Verbindung Moggios mit Hirsau sei über das Regensburger Kloster St. Emmeram zu suchen. Auch darauf wird noch einzugehen sein. Doch vorerst zur Handschrift. Sie enthält außer dem mit Kalendar versehenen Liber ordinarius, dem im folgenden unser Augenmerk gelten wird, den früher Boto von Prüfening zugeschriebenen Libellus de miraculis et beneficiis sanctae Mariae38 sowie einige kleiner Nachträge, darunter eine neumierte Fassung der sog. „Mariensequenz aus Muri“39. 35 Cesare Foligno, Di alcuni codici liturgici di provenienza friulana alla Biblioteca Bodleiana di Oxford, in: Memorie storiche Forogiuliesi 9 (1913), S. 292–300, bes. S. 298. Unterdessen wurde der gegen Ende des 12. Jahrhunderts zu datierende Codex auch kurz beschrieben von Andrew G. Watson, Catalogue of dated and datable manuscripts in Oxford libraries, Oxford 1984, Nr. 271 (und Abb. 79). S. außerdem die in Anm. 37 und 39 genannten Studien. 36 Wolfgang Irtenkauf, Beiträge zur Einführung der Liniennotation im südwestdeutschen Sprachraum um 1200, in: Acta Musicologica 32 (1960), S. 33–39, hier S. 34 mit Anm. 4. 37 Cesare Scalon, La Biblioteca Arcivescovile di Udine (Medioevo e Umanesimo, Rd. 37), Padova 1979, S. 21 und S. 28–32. Während der Drucklegung erschien zudem die wichtige Untersuchung von Rudolf Flotzinger, Choralhandschriften österreichischer Provenienz in der Bodleian Library/Oxford (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Sitzungsberichte 580), Wien 1991 (bes. S. 38–48). 38 Franz Josef Worstbrock, Boto von Prüfening, in: Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 1 (1978), Sp. 971–976, hier Sp. 973. 39 Vgl. Konrad Kunze, ‚Mariensequenz aus Muri‘, in: Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd.
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Nicht ganz geklärt ist der Entstehungsort der Handschrift. Hirsau, wie von Watson (s. Anm. 35) vermutet, erscheint sehr unwahrscheinlich. Schon der paläographische Befund und der Buchschmuck, der im Oxforder Katalog der illuminierten Handschriften in das südliche Österreich lokalisiert wird40, sprechen dagegen. Festzuhalten ist jedoch auf alle Fälle, dass die Handschrift, wenn nicht in Moggio, so doch mit Sicherheit für Moggio geschrieben wurde. Dies belegt nicht nur das Kalendar41, sondern auch der Liber ordinarius selbst, dessen Lokaleinschübe (Näheres unten) eindeutig auf die friulanische Abtei weisen42. In Anbetracht aller bisher zur Verfügung stehenden Indizien wird man schließen dürfen, dass als Entstehungsort entweder Moggio selbst in Frage kommt oder aber das Hirsauer Kloster (in Kärnten?)43, über das Moggio Anschluss an die Reformbewegung gefunden und wohl auch die entsprechende Ausstattung mit Büchern erfahren hat44. Für unsere 6 (1987), Sp. 50–54, noch ohne Kenntnis der Oxforder Handschrift. Zu dieser jetzt Barbara Gutfleisch, Eine ostoberdeutsche Handschrift der ‚Mariensequenz aus Muri‘, in: Zeitschrift für deutsches Altertum u. deutsche Literatur 119 (1990), S. 61–75, sowie Rudolf Flotzinger, Zur Melodie der sog. ‚Mariensequenz aus Muri‘, ebd., S. 75–82. 40 Otto Pächt und Jonathan J.G. Alexander, Illuminated Manuscripts in the Bodleian Library Oxford, vol. 1, Oxford 1966, S. 6 (Nr. 81). 41 Vgl. auch Flotzinger (wie Anm. 39), S. 75. 42 Die Aussage von Scalon (wie Anm. 37), S. 28 – „il codice passò qui [d. h. nach Moggio] in una fase successiva“ – ist entsprechend zu modifizieren. Dies gilt auch für eine ähnliche Äußerung in Cesare Scalon, Libri, scuole e cultura nel Friuli medievale, Padova 1987, S. 15. 43 Flotzinger (wie Anm. 39), S. 75, schlägt Münsterschwarzach a. Main vor (ohne restlos überzeugende Begründung). 44 Zur Versorgung Hirsauer Tochterklöster mit Handschriften aus dem Mutterkloster vgl. Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 3), S. 263 [in diesem Band, S. 93]. Die Anfänge Moggios liegen einigermaßen im Dunkeln (vgl. bes. Reinhard Härtel, Die ältesten Urkunden des Klosters Moggio, Wien 1985, S. 25 f. und 35–46). Die Weihe der Klosterkirche dürfte 1118 oder 1119 anzusetzen sein. Ob bereits bei der Gründung Mönche aus dem Bereich der Hirsauer Reform nach Moggio kamen, wie Härtel (S. 25) erwägt, lässt sich aus den liturgischen Büchern allein nicht erschließen, da diese nicht soweit zurückreichen. Auch die ebd. Anm. 4 hervorgehobenen Übereinstimmungen der Altarpatrozinien Moggios mit denen der 1091 geweihten Altäre in Hirsau (St. Peter und Paul) sind nicht sehr überzeugend. Es erscheint indessen recht plausibel, die Anfänge Moggios mit denen der anderen Hirsauer Abtei in Friaul, Rosazzo, in einer gewissen Parallelität zu sehen (vgl. dazu A. von Jacksch, Die Gründung des Benediktinerklosters Rosazzo in Friaul, in: Studien u. Mitteilungen zur Gesch. d. Benediktinerordens 32 (1911), S. 229–240). Vgl. auch die knappen Bemerkungen von Carlo Guido Mor, La matrice hirsacense delle Abbazie di Moggio e Rosazzo, in: Memorie storiche Forogiuliesi 59 (1979), S. 149–150, sowie Scalon, Libri (wie Anm. 42), S. 14–19. Der Anschluß Rosazzos an die Hirsauer Richtung erfolgte anscheinend über Millstatt (vgl. auch Hermann Jakobs, Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung und Rechtsstellung im Zeitalter des Investiturstreits, Köln
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Fragestellung ist dies letztlich nicht von allzu großer Tragweite. Entscheidend ist vielmehr, dass der hier vorliegende Ordo secundum Hirsiacenses mit dem als hirsauisch erkannten LOR übereinstimmt und damit die im ersten Teil entwickelte These auf eine noch breitere Basis stellt und mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit untermauert. Die Tatsache, dass hier ein Kloster in das Blickfeld rückt, das so weit von Hirsau (und Rheinau!) entfernt liegt, ist zum einen ein schöner Beweis für die immer wieder erstaunliche Reichweite der Ausstrahlung Hirsaus und steigert zum andern in gewisser Weise auch die Beweiskraft der Handschrift für unsere Rekonstruktion bzw. Wiedergewinnung des Hirsauer Liber ordinarius, da angesichts dieser Distanzen eine Kontamination der Überlieferungen durch Querverbindungen – in diesem Fall zwischen Rheinau und Moggio – als Erklärung für die Übereinstimmung wohl endgültig ausscheidet. Was diesbezüglich zum Verhältnis von A und D gesagt wurde, ist hier gewissermaßen in gesteigerter Form zu wiederholen. Somit bleibt nur die Annahme einer gemeinsamen Vorlage bzw. Quelle, die im Falle der Oxforder Handschrift in der Überschrift ja überdies explizit genannt wird: die Ordnung der Liturgie im Zentrum der Reform, in Hirsau selbst. Überprüft wurde Can. lit. 325 (künftig E) auf der Grundlage eines Mikrofilms. Die Übereinstimmungen sind absolut schlagend, wobei E, wie in Abschnitt I schon angedeutet, meist mit C gegen A geht, und zwar nicht nur in den Rubriken, sondern auch bezüglich der liturgischen Texte. Der Ordinarius endet im übrigen fol. 159v an derselben Stelle wie A, nämlich mit den Formularen für die Votivmessen. Abgesehen von Kleinigkeiten wie Umstellung der Wortfolge und dergleichen sind Abweichungen lediglich an den Stellen zu finden, wo lokale hagiographische Akzente durchschlagen – analog also wie in Rheinau (s. o. Anm. 18) oder auch in Weingarten45 und Zwiefalten (s. u. Abschnitt III). Einige Beispiele für diese Lokalfärbung von E, die Moggios Zugehörigkeit zum Patriarchat Aquileia widerspiegeln, seien hier ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit angeführt: Im Vorspann über die verschiedenen Feierlichkeitsgrade der Feste (Hänggi, S. 27–33) fügt E zwi-
& Graz 1961, S. 45 f. sowie Cesare Scalon, Fonti e ricerche per la storia del monastero benedettino di S. Maria di Aquileia, in: Il Friuli dagli Ottoni agli Hohenstaufen, Udine 1984, S. 53–189, bes. S. 57–59). Mit der Annahme einer frühen Hirsauer Prägung Moggios, also schon zu Beginn des 12. Jahrhunderts, würde allerdings die Einschätzung von E als Teil einer von auswärts importierten Grundausstattung obsolet. 45 S. z. B. den Apparat zu Hänggi (wie Anm. 4), S. 29 f.
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schen Matthäus und Michael (Hänggi, S. 3012–13) den Patron der nördlichen Nachbarmetropole Salzburg, den hl. Rupert, ein; bei den principales festivitates (Hänggi, S. 323–336) fehlen hingegen die für Rheinau bedeutsamen Feste von Blasius, Januarius, Fintan und Mauritius (325–6). Analoges lässt sich, wie oben schon erwähnt, für das Proprium de Sanctis zeigen, wo die Rheinauer Patrone in E nicht berücksichtigt bzw. nur mit Commune-Texten bedacht werden, während gewissermaßen im Gegenzug zwischen die Feiern der Translatio S. Benedicti am 11. Juli und der hl. Margaretha am 15. Juli das mit einer Oktav ausgestattete Lokalfest von Hermagoras, nach der Legende Schüler des hl. Markus und erster Bischof Aquileias, und seinem Diakon Fortunatus für den 12. Juli46 eingeschoben wird (E, 115v–116r). Ebenso werden fol. 49v zwei weitere Aquileier Lokalheilige, Helarius und Tatianus47, berücksichtigt, wenn auch nur mit einer Verweisung auf die entsprechenden Texte im Commune. Eben diese vier Namen haben übrigens, wie noch zu zeigen sein wird, in anderen Liturgica aus Moggio in die sonst ganz dem Hirsauer Vorbild verpflichtete Allerheiligenlitanei Eingang gefunden48. Für die Frage nach der hochmittelalterlichen Liturgie Hirsaus erweist sich die Oxforder Handschrift in mehrfacher Hinsicht als bedeutsam. Explizit als Ordo secundum Hirsiacenses gekennzeichnet stützt sie mit aller wünschenswerten Deutlichkeit die in Abschnitt I entwickelte Argumentation. Sie bietet sich nicht nur als weiterer Textzeuge für eine eventuelle Edition des Hirsauer Liber ordinarius an – wobei sie auf weite Strecken die Vorzugsposition von C zu bestätigen scheint –, sondern beansprucht außerdem gerade durch die Tatsache, dass sie einer ganz anderen Region angehört als die Rheinauer Überlieferung, eine besondere Aussagekraft, wie oben bereits angedeutet wurde. So erlaubt sie auch – besser noch als die Weingartner Handschrift, die immerhin demselben Diözesankontext angehört wie die Rheinauer Codices – eine stärkere Herausarbeitung des gemeinsamen Textbestands, weil lokale Zusätze nun noch leichter zu erkennen sind. Dies ist nicht unwichtig für die Rekonstruktion der eigentlich hirsauischen Grundsubstanz, die nach allem, was die jetzt zur Verfügung stehenden Textzeugen erschließen lassen, für gewisse ortsbedingte, d. h. letztlich diöze46 Vgl. Pio Paschini u. Patrizia Cannata, Ermagora e Fortunato, in: Bibliotheca Sanctorum, Bd. 5, Roma 1964, Sp. 10–21. 47 Vgl. Filippo Caraffa, Ilario, Taziano, Felice, Largo e Dionigi, in: Bibliotheca Sanctorum, Bd. 7, Roma 1966, Sp. 728–730. 48 Daher haben sie, wie zu Beginn von Abschnitt II schon angedeutet, den HirsauBezug der Handschrift zeitweilig verdeckt.
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san geprägte Variationen, besonders im Bereich des Sanktorale, durchaus offen war. Schließlich öffnet der Oxforder Codex aber auch den Blick auf eine Reihe weiterer Handschriften aus Moggio, deren Hirsauer Prägung im Grunde erst seit Scalon erkannt ist. Auf diesen Bereich kurz einzugehen, erscheint geboten, ja unumgänglich, zumal Scalons Ausführungen eine Reihe von Fragen berühren, die sich in manchen Fällen durchaus weiter klären lassen und zugleich Anlass geben, auf grundsätzliche Aspekte der hochmittelalterlichen Liturgie Hirsaus zu sprechen zu kommen. So gesehen, führt der nachfolgende Exkurs im Grunde nicht eigentlich vom Thema weg. Mehrere der von Scalon vorgestellten Liturgica der Biblioteca Arcivescovile di Udine (im folgenden einfach Udine) lassen sich für Moggio in Anspruch nehmen, und sie alle weisen das für Can. lit. 325 festgestellte Profil auf: hirsauische Grundsubstanz und – entsprechend der historischen und kultgeographischen Situation des Klosters – Aquileier und teilweise auch Salzburger Lokalkolorit. Zu nennen sind hier zunächst insbesondere Ms. 72 und Ms. 77 aus der zweiten bzw. ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts49. Für beide Handschriften – Psalterien mit Kalendar, Hymnar, Totenoffizium und Allerheiligenlitanei – weist Scalon die Herkunft aus Moggio nach, schließt aber aufgrund des Totenoffiziums, näherhin der Responsorien, auf ursprüngliche Entstehung in St. Emmeram (Regensburg) und sekundäre Verwendung in Moggio. dass hier ein Missverständnis vorliegt, wurde oben schon angesprochen, muss aber noch etwas verdeutlicht werden. Scalon stellt Übereinstimmung der Responsorienreihe des Totenoffiziums in den beiden Codices und im übrigen auch in Udine Ms. 73 fest50 und kommt auf-
49 Scalon, La biblioteca (wie Anm. 37), S. 136–138 bzw. S. 143–146. Auch Ms. 78 (Scalon, S. 147 f.) wäre ebenfalls in die Diskussion einzubeziehen. Scalons Lokalisierung nach Weingarten ist nicht haltbar. Das Kalendar zeigt die mehrfach angesprochen Einsprengsel, die nach Aquileia bzw. Salzburg weisen (so übrigens auch Ms. 75), und die beiden Hauptargumente Scalons halten näherer Überprüfung nicht stand: Das Kirchweihdatum vom 12. November hat mit Weingarten nichts zu tun (Die Weingartener Dedicatio fällt auf den 24. Juni), und die Übereinstimmung der nachpfingstlichen Alleluialisten erklärt sich leicht durch die Zugehörigkeit zum selben Reformkreis, eben dem von Hirsau (vgl. auch unten Anm. 85). 50 Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 29 f. Wichtig ist hier v. a. die Responsorienfolge der Vigilia minor: Credo quod, Qui Lazarum, Domine quando, Heu mihi, Ne recorderis, Peccantem me, Requiem aeternam, Rogamus te, Libera me domine de morte.
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grund der Konkordanz mit einigen Handschriften aus St. Emmeram51 zum Schluss, die Verbindung Moggios (und Rosazzos) mit der Hirsauer Richtung sei zustande gekommen „attraverso la mediazione di S. Emmerano di Ratisbona“52. Ähnlich heißt es auch ein paar Seiten weiter: „A noi sembra di aver dimostrato che anche Moggio… deve la sua origine al monachesimo riformato di Hirsau probabilmente attraverso la mediazione di S. Emmerano di Ratisbona“53. Nun zeigt sich jedoch, dass beispielsweise das Zwiefaltener Psalterium Cod. brev. 98 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart (um 1125–1135)54 genau die in Anm. 50 aufgeführte Responsorienreihe hat, und dasselbe lässt sich auch für Liturgica anderer Hirsauer Klöster zeigen, so etwa für das Weingartener Brevier HB I 98 im Stuttgarter Bestand55, um nur gerade ein Beispiel zu nennen. Folgte man Scalons Argumentation, so müssten diese Klöster alle über St. Emmeram Anschluss an Hirsau gefunden haben. Dass dies historisch unhaltbar ist, bedarf kaum längerer Beweisführung. Für die beiden eben genannten Orte beispielsweise lässt sich leicht zeigen, dass sie direkt mit dem Reformzentrum in Berührung kamen; Zwiefalten ist sogar eine unmittelbar von Hirsau aus erfolgte Neugründung noch zu Lebzeiten Wilhelms. Die ins Feld geführte Übereinstimmung ist demzufolge anders – gewissermaßen „sekundär“ – zu erklären: durch die gemeinsame Zugehörigkeit zur Hirsauer Reform, die für das Regensburger Kloster seit der Berufung durch Admonter Mönche unter Abt Berthold (1143–1149) nachweisbar ist56. Das im Gefolge von Knut Ottosen zitierte Add. Ms. 18301 der British Library aus dem 12./13. Jahrhundert fällt in die Zeit nach Vgl. Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 30 mit Anm. 28. Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 29. 53 Ebd. S. 32. 54 Beschreibungen in Codices Breviarii, beschr. von Virgil Ernst Fiala Und Wolfgang Irtenkauf (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Erste Reihe 3), Wiesbaden 1977, S. 123–125, und von Borries-Schulz/ Spilling (wie Anm. 23), Nr. 39. 55 Vgl. Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 1: Codices ascetici (HB I 1–150), beschr. von Johanne Autenrieth und Virgil Ernst Fiala unter Mitarb. von Wolfgang Irtenkauf (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Zweite Reihe 1/1), Wiesbaden 1968, S. 176–180. 56 S. jetzt Das Martyrolog-Necrolog von St. Emmeram zu Regensburg, hrsg. von Eckhard Freise, Dieter Geuenich u. Joachim Wollasch (MGH Libri mem. et Necr. N.S. 3), Hannover 1986, S. 103 mit Anm. 100. Cesare Scalons Formulierung „il monastero bavarese di S. Emmeramo divenne nella seconda metà del Sec. XI un centro diffusore della riforma di Hirsau“ (Cesare Scalon, S. 31 – Hervorhebung von mir) ist nicht haltbar. 51 52
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dem Reformanschluss, und erst recht gilt dies für den Brevierdruck von 157157. Leicht zu entkräften ist auch die von Scalon in diesem Zusammenhang ebenfalls als Argument angeführte Aufnahme des hl. Emmeram in die Liste der in den Litaneien der fraglichen Handschriften angerufenen Heiligen58. Die Namenreihe, die Scalon dabei zitiert59 ist absolut identisch mit der Reihe Hirsaus und seiner Töchterklöster, von der gleich noch eingehender die Rede sein wird. Die Anrufung Emmerams innerhalb der Gruppe Blasi, Emmerame, Lamperte, die von Wolfgang Irtenkauf als typische „Reformgruppe“ bezeichnet wurde, ist sicherlich als Referenz Wilhelms gegenüber seiner früheren Klosterheimat, eben St. Emmeram, zu interpretieren60. Damit steht der im Grunde auch bei Scalon schon fast ausgesprochenen, dann aber durch die eben diskutierte Problematik doch wieder verstellten Schlussfolgerung, die Udineser Handschriften 72 und 77 seien in Moggio entstanden oder doch wenigstens für Moggio bestimmt gewesen, nichts mehr im Weg. Im übrigen zeigt dies nebst den Kalendarien sehr deutlich auch die Schlussoration der Litanei von Ms. 77, wo die Formel per intercessionem apostolorum tuorum Petri et Pauli sancti Galli et sancti Benedicti atque omnium sanctorum61 exakt auf Moggio als GallusKloster zugeschnitten ist. Etwas anders liegt wohl der Fall von Udine Ms. 7362. Die AquileiaHeiligen sind im Kalendar als Nachträge berücksichtigt, ebenso wie einige Weihe- und Nekrologeinträge, die auf Rosazzo zu weisen scheinen. Der Grundstock aus dem späten 11. Jahrhundert ist hingegen hir-
57 Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 30 Anm. 28. Im übrigen wird nicht deutlich, worauf sich die Annahme einer St. Emmeramer Provenienz der Handschrift eigentlich stützt. Sollte sie nur auf die Responsorienreihe begründet sein, läge ein Zirkelschluss vor. Der Catalogue of Additions to the Manuscripts 1848–1853, London 1868, S. 96 gibt keine Angaben zum Entstehungsort der Handschrift; Christine Elisabeth IneichenEder Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Bd. IV/1, München 1977, führt in ihrer Liste der Codices von St. Emmeram (S. 139) die Londoner Hs. nicht auf. 58 Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 30 f. 59 Innocentes, Stephane, Clemens, Sixte, Corneli, Cypriane, Blasi, Emeramme, Lamperte. 60 Wolfgang Irtenkauf, Über die Herkunft des sog. St.-Blasien-Psalters, in: Bibliothek und Wissenschaft 1 (1964), S. 23–49, hier S. 39 und 45; s. auch ders., Noch einmal: Über die Herkunft des sog. St.-Blasien-Psalters, in: Bibliothek und Wissenschaft 2 (1965), S. 59–84, hier S. 64. 61 Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 145. Entsprechende Vergleichsbeispiele bei Wolfgang Irtenkauf (wie Anm. 60: Nachtrag von 1965), S. 63–65. 62 Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 138–140.
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sauisch, wie es scheint, hat jedoch einen Salzburger Einschlag, wie z. B. die Aufnahme des hl. Rupert in die ansonsten rein hirsauische Litanei zeigt. Die Handschrift dürfte somit in einer Hirsauer Abtei im Raum der Erzdiözese Salzburg entstanden sein – wohl in St. Paul im Lavanttal, wie der Eintrag Dedicatio ecclesiae S. Pauli zum 1. Dezember im Grundstock des Kalendars vermuten lässt63 – und gelangte später nach Friaul, und zwar anscheinend nach Rosazzo64. Sind somit die Udineser Handschriften 72 und 77 für Moggio gesichert – einzubeziehen wären wohl auch Udine Ms. 43 und Ms. 45 sowie Oxford, Bodl. Libr., Can. lit. 340 und 34665 –, so können sie nunmehr auch für eine weitere Klärung von Einzelfragen der hirsauischen Liturgie herangezogen werden. Die Responsorienreihe des Totenoffiziums wurde bereits diskutiert. Für den Text der Hirsauer Serie darf noch einmal auf Anm. 50 verwiesen werden. Die Frage nach der Gestalt der Allerheiligenlitanei wurde ebenfalls schon kurz angesprochen; sie soll hier noch etwas vertieft werden. Instruktiv ist die Gegenüberstellung der Litaneien verschiedener Tochterklöster – dafür standen bisher Zwiefaltener und Weingartener Handschriften zur Verfügung, zu denen nun auch die Codices aus Moggio hinzutreten – und der bisher nur verstümmelt überlieferten Litanei Hirsaus selbst. Für Hirsau, Weingarten und Zwiefalten kann auf Wolfgang Irtenkaufs Zusammenstellung zurückgegriffen werden66. Die Udineser Handschriften benutze ich mangels Autopsie auf der Grundlage der Angaben Scalons. Bei der folgenden Synopse entfallen die standardisierten Anfänge der Heiligenlisten bis einschließlich Innocentes. Das Zeichen (–) bedeutet bei Hirsau Textverlust, im Falle der Udineser Handschriften das Fehlen von Angaben bei Scalon. Für identische Einträge steht +. Lokal bedingte Einschübe werden durch kursiven 63 Die Weihe der Klosterkirche von St. Paul scheint in der Tat auf Anfang Dezember (1093) gefallen zu sein: vgl. Die Kunstdenkmäler des Benediktinerstifts St. Paul i. L. und seiner Filialkirchen, bearb. von Karl Ginthart (Österreichische Kunsttopographie 37), Wien 1969, S. 44 und S. 480. 64 Zu den Beziehungen zwischen St. Paul und Rosazzo vgl. Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 28. 65 Vgl. Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 112–116 und S. 21 mit Anm. 3; für Can. lit. 340 s. auch Watson (wie Anm. 35), Nr. 275. 66 Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 1: Codices Ascetici (HB I 151–249), beschr. von Virgil Ernst Fiala und Hermann Hauke unter Mitarb. von Wolfgang Irtenkauf (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Zweite Reihe 1/2), Wiesbaden 1970, S. 184–187 (Anhang I).
202
hirsau und sein kreis
Satz hervorgehoben. Folgende Handschriften wurden dem Vergleich zugrundegelegt: für Hirsau: Colmar, Bibl. mun., Ms. 346 (464), Spiegel (12. Jh.); für Zwiefalten: Stuttgart, WLB, Cod. brev. 100 (um 1130); für Weingarten: Stuttgart, WLB, HB I 240 (Anfang 13. Jh.); für Moggio: Udine, Bibl. Arcivescovile, Ms. 43, Ms. 45, Ms. 72 und Ms. 77 (s. o.); für St. Paul (?): Udine, Bibl. Arcivescovile, Ms. 73. Hirsau
Zwiefalten
Weingarten
Moggio
St. Paul (?)
(–)
Stephane
+
+
+
(–)
Clemens
+
+
+
Alexander (–)
Syxte
+
+
+
(–)
Corneli
+
+
+
(–)
Cypriane
+
+
+
(–)
Blasi
+
+
+
(–)
Emmerame
+
+
+
(–)
Lamperte
+
+
+
Hermachora (–)
Laurenti
+
+
+
(–)
Vicenti
+
+
+
Fortunate Helare Tatiane (–)
Dionysi c.s.t.
+
+
+
(–)
Bonifati c.s.t.
+
+
+
Januari c.s.t.
+
+
+
+
Kyliane c.s.t.
+
+
Cyriace c.s.t.
+
+
M.
+
Mauriti c.s.t.
+
+
C.
+
Gereon c.s.t.
+
+
+
+
+
(–)
+
+
Pelagi Genesi Georgi
+
der hirsauer ‚liber ordinarius‘ Hirsau
Zwiefalten
203
Weingarten
Moggio
St. Paul (?)
+
(–)
+
Prime
(–)
(–)
Feliciane
(–)
(–)
Johannes
(–)
(–)
Paule
(–)
(–)
Pantaleon
(–)
(–)
Gordiane
(–)
(–)
Epimache
(–)
(–)
Vite
(–)
(–)
Crispine Crispiniane Sebastiane
+
Silvester
+
+
(–)
+
Gregori
+
+
(–)
+ Ruperte
Hilari
+
+
(–)
(–)
Martine
+
+ (zweimal)
(–)
(–)
Aureli (zweimal)
+ (einmal)
+ (einmal)
(–)
(–)
Ambrosi
+
+
(–)
(–)
Augustine
+
+
(–)
(–)
Basili
+
+
(–)
(–)
(–)
Nicolae
+
(–)
(–)
(–)
Epiphani
(–)
(–)
(–)
Remigi
+
(–)
(–)
(–)
Maximine
+
(–)
(–)
(–)
Willibalde
+
(–)
(–)
(–)
Udalrice
+
(–)
(–)
(–)
Cunrade
+
(–)
(–)
(–)
Benedicte
+ (zweimal)
(–)
(–)
(–)
Antoni
+
(–)
(–)
(–)
Hilarion
+
(–)
(–)
204
hirsau und sein kreis Hirsau
Zwiefalten
Weingarten
Moggio
St. Paul (?)
(–)
Hieronyme
+
(–)
(–)
(–)
Maure
+
(–)
(–)
(–)
Columbane
+
(–)
(–)
(–)
Galle
+
(–)
(–)
(–)
Magne
+
(–)
(–)
Othmare
+
+
(–)
(–)
Maiole
+
(–)
(–)
Odilo
+
(–)
(–)
Alexi
(–)
(–)
Leonarde
(–)
(–)
Egidi
(–)
(–)
Maria Magdalena
+
+
+
(–)
Felicitas
+
+
+
(–)
Perpetua
+
+
+
(–)
Agata
+
+
+
(–)
Agnes
+
+
+
(–)
Lucia
+
+
+
+
Cecilia
+
+
+
+
+
+
+
Iustina Iuliana
+ Barbara
Afra
+
+
+
+
Margareta
+
+
+
+
Scolastica
+
+
+
+
Walpurga
+
+
+
+
Fidis Ursula
der hirsauer ‚liber ordinarius‘
205
Die Synopse zeigt, wie zutreffend Irtenkaufs These von der „beharrenden Kraft“ der Litanei67 ist. Die Übereinstimmungen im Grundbestand sind frappierend, und sie gewinnen gegenüber Irtenkaufs Tabelle durch die Heranziehung von Textzeugen aus einer ganz anderen Kultlandschaft – Kärnten und Friaul – noch erheblich an Kraft. Das kursiv gedruckte Sondergut der einzelnen Klöster spiegelt jeweils deutlich die lokalen Verhältnisse: für Zwiefalten beispielsweise die Gruppe von Genesius und Pelagius (Konstanzer Bistumspatron)68, ebenso Crispinus und Crispinianus sowie Epiphanius69 oder auch Justina, der in Zwiefalten ein eigener Altar geweiht war70, für Weingarten der Nebenpatron Oswald71, für St. Paul, wie schon erwähnt, der Salzburger Patron Rupert72 und für Moggio die ebenfalls schon mehrfach angesprochenen Aquileier Martyrer Hermagoras und Fortunatus sowie Helarius und Tatianus. Für den im Hirsauer Fragment aus Colmar wegen Textverlust nicht belegten Anfangsteil bis einschließlich Bonifatius darf im Hinblick auf die trotz der Verbreiterung der Vergleichsbasis gleich bleibende Konstanz der Überlieferung73 guten Gewissens eine Rückergänzung aus den anderen Quellen gewagt werden. Für die zweite Lücke, die in der Gruppe der Confessores zwischen Basilius und Othmar besteht, darf wohl ebenso verfahren werden. Zwar fehlt hier einstweilen die Unterstützung durch die Udineser Handschriften, die durch die momentan nicht zu leistende Autopsie noch einzuholen wäre, doch erscheint der Rückschluss von den Tochterklöstern auf Hirsau selbst auch an dieIrtenkauf, Handschriften (Wie Anm. 66), S. 184. Zu Genesius, dessen Kult von Reichenau bzw. dem benachbarten Schienen in den Raum um den Bodensee ausstrahlte vgl. Hermann Tüchle, Dedicationes Constantienses. Kirch- und Altarweihen im Bistum Konstanz bis zum Jahre 1250, Freiburg i. Br. 1949, S. 109 f. (Beleg für Zwiefalten S. 110); zu Pelagius ebd., S. 130 f. 69 Für alle drei Heiligen bei Hermann Tüchle (wie Anm. 68), S. 101 und S. 103, nur Belege für Zwiefalten. 70 Tüchle (wie Anm. 68), S. 116 (Zwiefalten als Ausgangspunkt des Kults im oberschwäbischen Raum). 71 Tüchle (wie Anm. 68), S. 128. 72 Dieser erscheint auch in dem wohl von Admonter Mönchen geschriebenen Rituale des Hirsauer Klosters Biburg bei Regensburg (s. Walter von Arx, Das Klosterrituale von Biburg [Spicilegium Friburgense 14], Freiburg/Schweiz 1970, S. 36 Nr. 66) sowie in drei weiteren Admonter Handschriften, die Walter von Arx zum Vergleich heranzieht (S. 36, Spalten 1–5); allerdings wird Rupert hier zwischen Martin und Aurelius eingefügt. 73 Auch die Anm. 72 eben erwähnten Handschriften aus dem bayerisch-österreichischen Raum untermauern diese Geschlossenheit, wie der Vergleich bei von Arx (wie Anm. 72), S. 36 f. mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit zeigt. 67 68
206
hirsau und sein kreis
ser Stelle vertretbar, zumal er durch die Anm. 72 genannten Admonter und Salzburger Handschriften, welche die Zwiefaltener und Weingartener Überlieferung absolut bestätigen, ausreichend abgedeckt sein dürfte. Der Konstanzer Bischof Konrad, dessen Kanonisierung in das Jahr 1123 fällt, dürfte in diesem Bereich als Einschub zu taxieren sein, obwohl er in Zwiefalten und Weingarten berücksichtigt wird. Hier schlägt offenkundig die Konstanzer Diözesanzugehörigkeit beider Abteien zu Buche, wie der Vergleich mit den Salzburger und Admonter Schwesterhandschriften zeigt74 (die Codices aus Moggio und St. Paul erbrächten vermutlich dasselbe Ergebnis). Epiphanius ist Zwiefaltener Lokalzusatz, wie oben schon erwähnt. Es ist somit möglich, die Hirsauer Allerheiligenlitanei der hochmittelalterlichen Reformepoche komplett zu rekonstruieren. In der obenstehenden Synopse wird sie durch die Folge der normal gesetzten Namen dargestellt, die allerdings wegen der erwähnten Textverluste im Colmarer Fragment zwischen der ersten und der zweiten Spalte hin und her pendelt. Der besseren Übersichtlichtkeit wegen soll sie daher nachstehend noch einmal in geschlossener Form, d. h. ohne das lokale Sondergut, wie es sich durch die Gegenüberstellung herausgeschält hat, zum Abdruck kommen. …/ Stephane, Clemens, Syxte, Corneli, Cypriane, Blasi, Emmerame, Lamperte, Laurenti, Vincenti, Dionysi c.s.t., Bonifati c.s.t., Januari c.s.t., Kyliane c.s.t., Cyriace c.s.t., Mauriti c.s.t., Gereon c.s.t., Georgi, Sebastiane / Silvester, Gregori, Hilari, Martine, Aureli (zweimal), Ambrosi, Augustine, Basili, Nicolae, Remigi, Maximine, Willibalde, Udalrice, Benedicte, Antoni, Hylarion, Hieronyme, Maure, Columbane, Galle, Magne, Othmare, Maiole, Odilo / Maria Magdalena, Felicitas, Perpetua, Agata, Agnes, Lucia, Caecilia, Juliana, Afra, Margareta, Scolastica, Walpurga /…
Nachdem Scalon auch mehrfach auf die nachpfingstlichen Alleluiareihen75 der von ihm untersuchten Handschriften zu sprechen kommt und
74 Vgl. von Arx, S. 37 (Nr. 77). Konrad fehlt hier; an seine Stelle tritt im Biburger Rituale und in zwei Admonter Handschriften Paternianus der in Admont besondere Verehrung genoß (s. von Arx, S. 37 und S. 43 f.). Offensichtlich wird hier eine „Bruchstelle“ greifbar, an der diözesane bzw. lokale Besonderheiten eindringen können. Gerade an diesem Fall erweist sich übrigens der Nutzen der hier angewandten Methode des Vergleichs hirsauischer Handschriften aus unterschiedlichen „Kultlandschaften“. 75 Über die von Gabriel Beyssac erstmals herausgestellte Bedeutung dieser Listen vgl. Michel Huglo, Les listes alléluiatiques dans les témoins du Graduel Grégorien, in: Speculum musicae artis. Festgabe für Heinrich Husmann zum 60. Geburtstag, hrsg. von Heinz Becker u. Reinhard Gerlach, München 1970, S. 218–227.
der hirsauer ‚liber ordinarius‘
207
daraus ebenfalls Argumente für seine St. Emmeramer These abzuleiten sucht76, ist auch auf diesen Punkt noch kurz einzutreten. Die Reihe in Udine Ms. 234 aus dem späten 11. Jahrhundert, Scalons Kronzeuge, stimmt zwar überein mit der in Cod. 948 der Biblioteca Angelica in Rom, und diese Handschrift soll laut Johann Drumbl77 aus St. Emmeram stammen. Jedoch enthält sie gerade nicht die für das vorhirsauische Repertoire von St. Emmeram typische Reihe mit dem charakteristischen Alleluia Magnus dominus für den 7. Sonntag nach Pfingsten78. Udine 234 stammt also sicherlich nicht aus St. Emmeram und entfällt als Stütze von Scalons ohnehin unhaltbar gewordenen These. Lässt sich die Hirsauer Liste selbst ermitteln? Auch hier ist, wie schon bei den Responsorien des Totenoffiziums und der Allerheiligenlitanei, aus dem Liber ordinarius nichts zu gewinnen, sondern nur direkt aus den liturgischen Büchern als solchen, in diesem Fall also aus Missalien bzw. Gradualien. Angesichts der bekannten Überlieferungslage müssen auch hier Codices aus den Tochterklöstern herangezogen werden. In Frage kommen insbesondere Zwiefalten, Weingarten, Rheinau und Schaffhausen. Schon Wolfgang Irtenkauf hatte in seiner Dissertation von 1953 die völlige Übereinstimmung der Alleluiareihen der in Stuttgart befindlichen Handschriften des 12. und 13. Jahrhunderts aus Zwiefalten (Cod. brev. 123)79 und Weingarten (HB I 85 und HB I 236) herausgearbeitet80. Die Feststellung, dass auch die Reihe des bekannten St. Pauler Missale Cod. bibl. 2° 20 der Stuttgarter Sammlung bis auf geringfügige Schwankungen am Schluss mit der Serie von Zwiefalten und Weingarten übereinstimmt, führte Irtenkauf zum Schluss, diesen Handschriften liege eine „allen gemeinsame ältere Quelle“ zugrunde81. Allerdings ist die Zugehörigkeit der fraglichen Klöster zum BenediktiScalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 30 und Appendice II, S. 307–309. Johann Drumbl, Drammaturgia medievale II: Ricostruire la tradizione, in: Biblioteca Teatrale 10–11 (1974), S. 33–76, hier S. 67 (s. auch Scalon, Biblioteca [wie Anm. 37], S. 30). 78. 78 Vgl. jetzt auch Johann Drumbl selbst in seinem Werk Quem quaeritis. Teatro sacro dell’Alto Medioevo, Roma 1981, S. 274 f.; früher schon die maßgebliche Untersuchung von Heinrich Husmann, Studien zur geschichtlichen Stellung der Liturgie Kopenhagens, in: Dansk Aarbog for Musik Forskning 2 (1962), S. 3–58, hier S. 46. 79 Einbezogen wurde auch das spätmittelalterliche Graduale HB XVII 1 der Stuttgarter Landesbibliothek, das ebenfalls dieselbe Reihe aufweist. 80 Wolfgang Irtenkauf, Die Choralhandschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Diss. masch. Tübingen 1953, S. 114–128, bes. S. 119–122. 81 Irtenkauf, Choralhandschriften (wie Anm. 80), S. 122. 76 77
208
hirsau und sein kreis
nerorden als Erklärung dieses Sachverhalts, wie Irtenkauf vorschlägt82, kaum ausreichend, denn für Benediktinerabteien gibt es zumindest in dieser Zeit bekanntlich keineswegs jenen Grad liturgischer Uniformität wie etwa für die Zisterzienser und Prämonstratenser oder etwas später für die Bettelorden. Die „gemeinsame Quelle“ muss also im Zusammenhang mit einer spezifischeren Verbindung der betreffenden Klöster zu suchen sein, und diese kann wohl nur Hirsau bzw. die Hirsauer Reform sein. Dieser Schluss wird im übrigen bestätigt durch die Untersuchungen Heinrich Husmanns, der Irtenkaufs Handschriftengruppe erweitern kann durch Codices aus Rheinau (Zürich, Zentralbibl., Rh. 14, Rh. 23 und Rh. 29), die das jüngere Stadium der Rheinauer Liturgie nach dem Anschluss an Hirsau vertreten und dieselbe Alleluiareihe enthalten wie die genannten Stuttgarter Zeugen83. In der sicher für Hirsau zu beanspruchenden Missalehandschrift K 1001 der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe aus dem 12. Jahrhundert84 fehlen leider die Texte für die nachpfingstlichen Sonntage, so dass dieser wichtige Codex für die Beweisführung nicht herangezogen werden kann. Dennoch wird man aufgrund der so überzeugenden Übereinstimmung der Textzeugen, die nachstehend wiedergegebene Alleluiareihe als Hirsauer Reihe ansehen dürfen: 1. Domine deus meus 2. Deus iudex 3. Diligam te 4. Domine in virtute 5. In te domine 6. Omnes gentes 7. Eripe me 8. Te decet (2: Replebimur) 9. Attendite populi 10. Exultate deo 11. Domine deus salutis 12. Domine refugium
13. Venite exultemus (2: Praeoccupemus) 14. Quoniam deus magnus 15. Confitemini domino 16. Paratum cor meum 17. In exitu Israel (2: Facta est) 18. Dilexi quoniam 19. Laudate dominum 20. Dextera domini 21. De profundis 22. Lauda anima 23. Lauda Hierusalem
Rh. 29 hat als Nr. 21 Qui confidunt, ebenso das St. Pauler Missale Cod. bibl. 2° 20 in Stuttgart, wo zudem die Nr. 21 und 22 um eine Stelle 82
Ebd. Heinrich Husmann, Die Handschrift Rh. 71 der Zentralbibliothek Zürich und die Frage nach Echtheit und Entstehung der St. Galler Sequenzen und Notkerschen Prosen, in: Acta Musicologica 28 (1966), S. 118–149, bes. S. 145–149. 84 Vgl. dazu Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 3), S. 269 f. [in diesem Band, S. 106– 108]. 83
der hirsauer ‚liber ordinarius‘
209
nach unten rücken, so dass Nr. 23 verdrängt wird85. Bemerkenswert ist die Übereinstimmung der Hirsauer Reihe mit derjenigen des elsässischen Reformstifts Marbach86 – ein Sachverhalt der uns später noch beschäftigen soll. Die Liste von Moggio, wie sie anscheinend von der Udineser Handschrift 75 sowie Oxford, Bodl. Libr., Can. lit. 340 vertreten wird, stimmt nicht ganz mit Hirsau überein, scheint aber in sich schon leichte Schwankungen aufzuweisen87. Die „reine“ Hirsauer Tradition ist hier offenbar etwas gelockert worden, wobei die Übereinstimmungen mit Admont88 und die große Nähe zum Missale aus St. Paul (vgl. Anm. 85) darauf schließen lassen, dass hier salzburgische Einflüsse wirksam geworden sind89, was erneut zu der früher schon geäußerten Vermutung einer Verbindung Moggios mit den steirisch-kärtnerischen Klöstern des Hirsauer Kreises passt. Dabei steht die Oxforder Handschrift Hirsau näher als dies bei Udine 75 der Fall ist: erstere weicht nur gerade am letzten Sonntag (Nr. 23) von unserer Liste ab und bietet dort anstelle von Lauda Hierusalem den Vers Qui sanat (vgl. auch Anm. 85), während letztere schon ab Nr. 21 (hier Qui con fidunt, vgl. ebenfalls Anm. 85) der Salzburger Tradition folgt. Schließlich sei noch erwähnt, dass die Handschrift, die den Anstoß zu dieser Überprüfung der Alleluiareihen gab, nämlich Udine 234 (mit Angelica 948), mit dem charakteristischen Einschub Jubilate für den 15. Sonntag, aber ohne Magnus dominus (s. o.), offenbar Regensburger
Es ergibt sich also der Schluss 21. Qui confidunt, 22. De profundis, 23. Lauda anima (diese Folge übrigens auch in Udine 78 und ebenso in Udine 75, dort ergänzt durch einen 24. Vers: Qui sanat). 86 Vgl. Peter Wittwer, Quellen zur Liturgie der Chorherren von Marbach, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 32 (1990), S. 307–361, hier S. 331. 87 Vgl. Huglo (wie Anm. 75), S. 223, wobei die von ihm herangezogene Hs. Udine 93 (15. Jh.) wohl ausgeschieden werden muss. Sie dürfte Salzburger Tradition repräsentieren und hat mit Moggio wohl kaum etwas zu tun. Die Erwähnung von Hs. 75 bei Michel Huglo, Liturgia e musica sacra Aquileiese, in: Storia della cultura veneta 1, Vicenza 1976, S. 312–325, hier S. 321 Anm. 48, beruht hingegen offenkundig auf einem Druckfehler; zu lesen ist Ms. 76. Eine Aufstellung der Liste von Ms. 75 auch bei Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 308. 88 So Huglo (wie Anm. 75), S. 223 Anm. 19. 89 Scalon, Biblioteca (wie Anm. 37), S. 308, führt denn auch die Salzburger Reibe zum Vergleich an und plädiert sogar ausdrücklich für „origine salisburghese“ von Ms. 75 (S. 142) – sicher zu Unrecht, wie meine Darlegungen gezeigt haben dürften (die im übrigen auch durch die Berücksichtigung der schon mehrfach erwähnten „Leitheiligen“ von Aquileia in der Anlageschicht bestätigt wird). 85
210
hirsau und sein kreis
Tradition repräsentiert – aber eben nicht die der Abtei St. Emmeram, sondern die der Dom- bzw. Diözesanliturgie90. Nach diesem längeren Ausflug in das Umfeld der Ordinariumshandschrift der Bodleian Library, der nicht nur einer weiteren Klärung der von Scalon in Bewegung gesetzten Diskussion um Moggio, seine Handschriften und sein Verhältnis zu Hirsau dienen sollte, sondern darüber hinaus auch einige wichtige Ergebnisse für die Frage nach dem liturgischen Repertoire Hirsaus abgeworfen haben dürfte (was seine Länge rechtfertigten mag), ist nun der Hauptstrang unseres Themas wieder aufzunehmen. Der letzte Textzeuge des Hirsauer Liber ordinarius wartet noch auf seine Vorstellung.
III. Ein verkannter Textzeuge aus Zwiefalten Die Handschrift F, die in Abschnitt I schon mehrmals kurz erwähnt wurde, führt im Vergleich zur Oxforder Handschrift in ganz andere Gefilde, und dies in zweifacher Weise: örtlich gesehen von der Peripherie der Hirsauer Reformwirkung zurück in das schwäbische Kerngebiet, nämlich nach Zwiefalten, und in zeitlicher Hinsicht um über 200 Jahre nach vorne, nämlich in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die 172 Blätter umfassende Pergamenthandschrift, heute Cod. theol. 4° 249 der Württembergischen Landesbibliothek, ist laut Kolophon am 23. August 1426 von Gregor von Braunau (Diözese Passau) vollendet worden. Der in Textura geschriebene Anfang (1r–18r) muss hingegen paläographisch noch in das 14. Jahrhundert datiert werden91, und dies führt zu einer einigermaßen irritierenden Situation: die Hand Gregors, die eine Bastarda schreibt, setzt nämlich übergangslos auf der Rückseite von fol. 18 ein, also auf ein und demselben Blatt und zudem ohne textliche Zäsur, also mitten im Satz. Dieser merkwürdige Befund scheint darauf hinzudeuten, dass Gregor ein geraume Zeit vor ihm 90 Vgl. Husmann (wie Anm. 78), S. 56 f., und auch Huglo (wie Anm. 75), S. 223 (zu Angelica 948 als Korrektiv des 1485 gedruckten Regensburger Diözesanmissale). 91 Wenn ich recht sehe, sind in diesem Abschnitt zwei Hände zu unterscheiden: die eine schrieb das Kalendar (1r–6v), die zweite den Anfang des Liber ordinarius (7r– 18r). Die Kalenderhand könnte etwas jünger sein als die des Textschreibers, die auf alle Fälle dem 14. Jahrhundert angehört. Selbst wenn man also das Kalendar etwas später datieren oder es gar als vom Ordinarius-Text ursprünglich unabhängigen, erst nachträglich mit diesem verbundenen Faszikel sehen möchte, bliebe der auffallende Sprung von der Vorderseite zur Rückseite von f. 18 bestehen, denn Gregors Fortsetzung knüpft ja unmittelbar an die ältere Hand an.
der hirsauer ‚liber ordinarius‘
211
begonnenes, dann aber abgebrochenes Projekt neu aufgenommen und zu Ende geführt hat. Die Handschrift trägt einen typischen Zwiefaltener Einband des 17. Jahrhunderts92. Im Katalog von P. Gabriel Haas aus dem Jahr 1792 erscheint sie als Pergamentcodex Nr. 10793. In der Forschungsliteratur kaum beachtet, wurde sie lediglich im Rahmen des Ausstellungskatalogs zur Neunhundertjahrfeier des Klosters Blaubeuren kurz beschrieben94 – allerdings in einer Weise, die den rechten Blick auf ihren Inhalt und ihre Bedeutung eher verstellt als fördert, wird sie doch als Exemplar von Wilhelms Constitutiones Hirsaugienses unter Verweisung auf den Druck dieses Texts in PL 150 vorgestellt. Dass hier ein Missverständnis vorliegt, zeigt schon ein kurzer Blick in die Handschrift. Bereits Gabriel Haas hatte in seinem eben zitierten Katalog festgestellt, dass die Quellenangabe in der fol. 7r von einer Hand des späten 16. oder frühen 17. Jahrhunderts eingefügten Überschrift95 – B. Wilhelmi Hirsaugiensis liber consuetudinum et ceremoniarum monachorum – nicht die Constitutiones meinen könne: ab Constitutionibus Cluniacensibus quas ab eodem Wilhelmo possidemus… diversus liber esse videtur 96. Es handelt sich in der Tat um einen anderen Text – eben um den Hirsauer Liber ordinarius! Übrigens hat auch Carl Lange 1887 in seinem Werk über die Osterfeier den Charakter der Handschrift richtig erkannt und ihren Inhalt als Liber ordinarius charakterisiert97. Dieser erstreckt sich von 7ra bis 160va und folgt, wie ein Vergleich mit Hänggis Edition zeigt, fast ausschließlich dem in A, B, C, D und E überlieferten Text. Der Kompilator hat also in der Tat, wie die Anm. 95 zitierte Überschrift sagt, das meiste (pleraque) aus dem alten Hirsauer Ordinarius geschöpft, während sich die Einsprengsel aus anderen Quellen auf ein Minimum reduzieren. Ein
Vgl. von Borries-Schulten (wie Anm. 23), S. 54 (zu Kat.-Nr. 28 und 29). Karl Löffler, Die Handschriften des Klosters Zwiefalten, Linz 1931, S. 43 f. Zum Haasschen Katalog, heute Cod. misc. 2° 37a–c der Württembergischen Landesbibliothek, vgl. ebd., S. 12. 94 Kloster Blaubeuren 1085–1985. Benediktinisches Erbe und evangelische Seminartradition, hrsg. von Immo Eberl, Sigmaringen 1985, S. 13 (Nr. 44). 95 Hier der vollständige Wortlaut des Eintrags: Hic liber qui est de modo recitandi et peragendi divinum officium libro consuetudinum et ceremoniarum monachorum quem edidit B. Wilhelmus Hirsaugiensis summopere inservit, ex quo pleraque ex integro descripta sunt. Est idem cum codice manuscripto (?) itidem scripto et numero 27 notato. 96 So übrigens auch Löffler (wie Anm. 93), S. 44. 97 Carl Lange, Die lateinischen Osterfeiern. Untersuchungen über den Ursprung und die Entwicklung der liturgisch-dramatischen Auferstehungsfeiern, München 1887, S. 51 f. 92 93
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kurzer Blick auf den schon mehrfach angesprochenen Vorspann über die Festgrade (in der Handschrift 7r–10v) mag dies verdeutlichen. Dieser entspricht genau Hänggi, S. 272–3319, abgesehen von einem kurzen Einschub (10r) mit einigen neumierten Zyklen des Ordinarium missae, der offenbar einer anderen Vorlage entnommen wurde. Dazu kommen selbstverständlich die schon für die anderen Textzeugen festgestellten Varianten im Bereich der Heiligenfeste, etwa 7rb, wo F gegenüber A statt in natale s. Afre, s. Dionysii, s. Clementis, s. Nicolai die Reihe s. Iustine virginis, s. Clementis, s. Cunradi bietet, also die Augsburger Martyrin Afra durch die in Zwiefalten besonders verehrte Justina (s. Anm. 70) und Nikolaus von Myra durch den Konstanzer Bischof Konrad ersetzt. Analoges lässt sich 8va und 9rb-va im Vergleich zu Hänggi, S. 293–7 bzw. S. 308–14 und 323–6, beobachten. 7va bringt übrigens auch eine Klärung für die Textverderbnis bei Hänggi S. 284–5 (id est precedentia… – …aequiparanda sunt), wo mit F (und E) nun gelesen werden kann: praecedentia in hoc praecellunt quod praefatis dominicis aequiparanda sunt. Der eigentliche Ordo per circulum anni beginnt 10vb, und die für den Vorspann gemachten Beobachtungen lassen sich auch auf diesen Hauptteil übertragen. Mit anderen Worten: auch hier besteht weitestgehende Übereinstimmung mit dem als Hirsauer Liber ordinarius erkannten Text, der nur von ganz geringfügigen Einschüben aus fremden Quellen durchsetzt ist: so etwa 43va–44vb (entspricht Hänggi S. 83) die Rubrik zu Purificatio BMV, 56rb-vb die Ausführungen zur erogatio librorum in der Fastenzeit98 (zu vergleichen: Hänggi S. 10217–26) oder 108vb zur Prozessionsordnung während der Sommerzeit (zu vergleichen: Hänggi S. 76). Die erneut auftretenden Varianten im Proprium de Sanctis brauchen hier gar nicht eigens erwähnt zu werden. Der Vergleich mit Hänggis Edition zeigt im übrigen, wie schon angedeutet, dass F vielfach mit C, E und D gegen A zusammengeht. Der Vollständigkeit halber sei noch auf den Schlussteil der Handschrift hingewiesen, der 162ra–171vb eine Mystica descriptio quid rationis habeat totius anni dispositio folgen lässt99, für die ich vorerst lediglich in dem aus Rott am Inn stammenden Clm 15512 (dort 55r–59v)100 und – 98 Der Abschnitt 56rh Z. 1–17 (Einschub gegenüber Hänggi, S. 102 Z. 14 und 15) ist übrigens den Constitutiones Hirsaugienses entnommen (II 72, PL 150, 1143 BC). Ein weiterer Einschub aus den Constitutiones (II 71, PL 150, 1142C–1143A) findet sich kurz vor Ende des Liber ordinarius (158vh–159rh). 99 Inc.: Sancti patres celitus inspirati ita divinum ordinaverunt officium… 100 Vgl. Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Regiae Monacensis, T. IV, Pars III, München 1878, S. 17.
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in fragmentarischer Form – in der Admonter Hs. 108 (dort 135v–136v)101 Parallelüberlieferung nachzuweisen vermag. Die Frage nach der Autorschaft dieses interessanten Texts kann hier nicht weiter diskutiert werden. Immerhin sei wenigstens darauf hingewiesen, dass das Alter der Münchener und der Admonter Handschrift (jeweils 12. Jahrhundert) erkennen lässt, dass der Kompilator von F auch hier eine hochmittelalterliche Vorlage benutzt haben muss. Stellt man zudem fest, dass diese beiden Parallelhandschriften jeweils aus hirsauisch geprägten Klöstern stammen, so ist ein direkter Bezug des Texts zu Hirsau (oder gar zu Wilhelm?) zumindest zu erwägen. In der Zwiefaltener Handschrift schließt sich noch ein Appendix mit mehreren Kleintexten an; identifizierbar sind 172 rab eine Anweisung über die Ankündigung der liturgischen Dienstverteilung an Weihnachten102, danach ein kurzer Abschnitt aus den Constitutiones Hirsaugienses (II 78; PL 150, 1146AB) und schließlich das 15. Kapitel aus Bedas Schrift De temporibus103. Noch einmal zum Schreiber von F: Er ist in Stuttgart mit weiteren Handschriften vertreten, nämlich Cod. poet. et phil. 2° 26 (datiert am 18. Juni 1427 in Zwiefalten) und Teilen von Cod. theol. et phil. 2° 219 (datiert am 7. November 1426). Ein weiterer im Haasschen Katalog von 1792 nachgewiesener Codex, die Papierhandschrift Nr. 57 (datiert am 18. Oktober 1425 ebenfalls in Zwiefalten) ist heute leider verschollen104. Das Kolophon von Cod. poet. et phil. 2° 26 bietet den vollen Namen des Schreibers (Gregorius Sartoris de Prunaw nacionis de Pavaria ex Pataviensi dyocesi, also Braunau am Inn) und gibt außerdem Auskunft über seine Funktion als tunc temporis scriptor in Zwiefalten, was in der verlorenen Zwiefaltener Papierhandschrift Nr. 57 weiter präzisiert wird, da sich Gregor hier als scriptor domini prioris bezeichnet. Ganz offensichtlich haben wir es hier mit einem von auswärts bestellten Lohnschreiber zu tun105, der mindestens vom Oktober 1425 bis zur Jahresmitte 1427 in Zwiefalten beschäftigt war, wie die oben zitierten Kolophone bzw. Datierungen belegen. In diese Zeit fällt nicht nur unser Liber ordi101 Vgl. den handschriftl. Katalog von Jakob Wichner, Admont 1887 (Xerokopie, Ann Arbor 1981), S. 80. Jakob Wichners Angaben zeigen, dass die Admonter Handschrift offenbar nur den Abschnitt 162ra–164vb von F enthält. 102 Identisch mit dem bei Hänggi (wie Anm. 4), S. 49 Anm. 9 (nach Zürich, Zentralbibl., Rh. 95, 129r–130v) abgedruckten Text. 103 Ed. Ch.W. Jones, Turnhout 1980 (CC SL 123 C), S. 599 f. 104 Vgl. Löffler (wie Anm. 93), S. 75. 105 S. auch den Hinweis bei Heribert Hummel, Eine Zwiefalter Bibliotheksgeschichte, in: 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten, hrsg. von Hermann Josef Pretsch, Ulm 1989, S. 101–121, hier S. 111.
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narius mit seiner Datierung im August 1426, sondern auch eine am 10. Oktober vollendete Sammelhandschrift (zumindest teilweise nach Neresheimer Vorlage) mit Reformtexten aus dem Melker Bereich. Dieser Codex, der heute anscheinend verschollen ist und nur noch durch Abschriften in Einsiedeln und St. Gallen106 erschlossen werden kann, dürfte also auch während Gregors Aufenthalt in Zwiefalten geschrieben worden sein. Dies ist insofern von Bedeutung, als daraus ersichtlich wird, dass sich Zwiefalten in dieser Zeit stärker als bisher angenommen für die Reformbewegung, und zwar die der Melker Richtung, interessiert hat107. Dies belegt im übrigen auch die Tatsache, dass in Cod. theol. et phil. 2° 219 (s. o.) u. a. Teile der Sublacenser Consuetudines enthalten sind108. Dass hier (95v) die 1430 datierte und auf den Zwiefaltener Konventualen Johannes Sulger109 gemünzte Profeßformel die Anrufung des Melker Patrons Koloman enthält, sich aber ausdrücklich auf den Zwiefaltener Abt Georg Eger110 bezieht, demonstriert diese Zusammenhänge sozusagen auf engstem Raum. Man geht wohl nicht fehl, wenn man auch Cod. theol. et phil. 4° 249, den Liber ordinarius also, vor diesem Reformhintergrund sieht. Die Handschrift spiegelt sicherlich ein wiedererwachtes Interesse des Zwiefaltener Klosters an der eigenen Vergangenheit, aus der Erneuerungsimpulse zu gewinnen waren, gerade auch im Hinblick auf die vom Petershausener Reformkapitel von 1427 geforderte Rückkehr zu einer würdigen Feier der Liturgie. Dass man sich dabei auf die eigenen WurEinsiedeln, Stiftsbibl., Ms. 237; St. Gallen, Stiftsarchiv, Cod. 369 (vgl. CCM 11,1, S. XL–XLIII und LI f., bes. S. XLI f., mit Anm. 51, allerdings ohne Kenntnis der Zwiefaltener Handschriften). 107 Lediglich Gebhard Spahr, Die Reform im Kloster St. Gallen 1417–1442, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 75 (1957), S. 13–80, hier S. 19, scheint dies anzudeuten. Die anfängliche Distanziertheit, ja Ablehnung der schwäbischen Benediktinerabteien gegenüber den von Melk ausgehenden Reformimpulsen (so Klaus Schreiner, Mönchtum im Geist der Benediktregel. Erneuerungswille und Reformstreben im Kloster Blaubeuren während des hohen und späten Mittelalters, in: Blaubeuren. Die Entwicklung einer Siedlung in Südwestdeutschland, hrsg. von Hans-Martin Decker-Hauff und Immo Eberl, Sigmaringen 1986, S. 93–167, hier S. 113) scheint in Zwiefalten zumindest zeitweilig größerer Offenheit, ja eigentlichem Interesse gewichen zu sein. 108 Nämlich 88va–106vb, nicht von der Hand unseres Schreibers. Die Textgestalt entspricht der sog. Langfassung u (s. CCM 11,1, S. 305 ff., ohne Kenntnis der Stuttgarter Handschrift). 109 Pirmin Lindner, Profeßbuch der Benediktinerabtei Zwiefalten, Kempten und München 1910, S. 36 (Nr. 1230). Die anschließende Formel für die Conversen enthält den Namen von Frater Heinrich Lupf (s. Lindner, Nr. 1247). 110 Lindner (wie Anm. 109), S. 5 (Nr. 31). 106
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zeln zurückbesinnt und die alte Liturgie Hirsaus wieder „ausgräbt“, macht deutlich, dass die Melker Reform den von ihr erfassten Klöstern ein vergleichsweise hohes Maß an Eigenständigkeit beließ, nicht zuletzt im Bereich der liturgischen Traditionen111. Abschließend lässt sich somit festhalten, dass F als jüngster Textzeuge des wiedergewonnenen Hirsauer Liber ordinarius gerade deshalb von großem Interesse ist, weil die Handschrift belegt, dass der hochmittelalterliche Text im 15. Jahrhundert in Zwiefalten nicht nur noch immer greifbar war, sondern anscheinend auch als Richtschnur für die Gestaltung des Gottesdienstes herangezogen wurde (es sei denn, man hätte die Abschrift durch Gregor von Braunau lediglich im Sinne eines antiquarischen Interesses zu verstehen). Die oben zitierte Notiz aus dem späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert zeigt überdies, dass man selbst in dieser Epoche in Zwiefalten noch immer wusste, welche Quelle hier zugrundelag, und dass man diese Quelle auch ausdrücklich mit dem Namen Wilhelms von Hirsau in Verbindung brachte. Die dabei verwendete Ausdrucksweise ex Wilhelmi Hirsaugiensis libro consuetudinum et ceremoniarum monachorum verdient nochmals eigens erwähnt zu werden, scheint sie doch mit dieser Verbindung von Consuetudines und Caeremoniae zu suggerieren, dass die benutzte Vorlage die Hirsauer Brauchtexte in „kompletter“ Form, d. h. Constitutiones mit Liber ordinarius, enthalten haben könnte – also ganz nach dem Vorbild Ulrichs angelegt war. Dass dies nicht bloße Spekulation zu sein braucht, mag die Hs. 99a des Benediktinerstifts Kremsmünster112 andeuten, ein Codex des 12. Jahrhunderts, der außer den Constitutiones Wilhelms auch einen Teil unseres Liber ordinarius beinhaltet (fol. 118r–120r), nämlich – unerkannt!113 – den mehrfach erwähnten Anfangsabschnitt über die Fest111 Vgl. Schreiner (wie Anm. 107), S. 111 f. sowie Joachim F. Angerer in CCM 11,1, S. CLVI f. und clxxvii–clxxix. 112 Hauke Fill, Katalog der Handschriften des Benediktinerstifts Kremsmünster 1, Wien 1984, S. 131–135, bes. S. 133. Zu dieser Handschrift auch Kassius Hallinger, Consuetudo. Begriff, Formen, Forschungsgeschichte, Inhalt, in: Untersuchungen zu Kloster und Stift, Göttingen 1980, S. 140–166, hier S. 165 f. 113 So verwundert es nicht, dass Altman Kellner, Musikgeschichte des Stiftes Kremsmünster, Kassel und Basel 1956, S. 28–31, wo der fragliche Abschnitt in deutscher Übertragung wiedergegeben wird, in diesem eine „den besonderen örtlichen Verhältnissen entsprechende Umarbeitung des 11. Kapitels aus dem ersten Buch der Consuetudines Udalrici“ sieht und entsprechend sogar von „Consuetudines Cremifanenses“ spricht (ebd., S. 27). Der Text repräsentiert zwar in der Tat „für die Liturgiegeschichte des Stifts bedeutsame Aufzeichnungen“ (so Kellner, S. 31) – aber eben gerade nicht als Zeugnis lokaler Gebräuche („unserer Gewohnheiten“, wie Altman Kellner formuliert), sondern als Indiz für die Hirsauer Prägung Kremsmünsters in dieser Zeit.
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grade. Es scheint also tatsächlich Handschriften gegeben zu haben, die beide Texte enthielten. Wie dem auch sei: die für F herangezogene Vorlage, vermutlich ein hochmittelalterlicher Codex, ist leider nicht mehr greifbar114. Schon Gabriel Haas im 18. Jahrhundert weiß nichts mehr davon, so das wir annehmen müssen, dass die Handschrift bereits vor seiner Zeit abhanden gekommen ist. Umso wichtiger ist daher die spätmittelalterliche Abschrift. Die Erwähnung eines vermutlich aus dem 12./13. Jahrhundert stammenden Hirsauer „Caeremoniale“ im Neresheimer Handschriftenverzeichnis in Clm 1379, das um etwa 1721 zu datieren ist,115 könnte sich auf ein weiteres – heute möglicherweise verschollenes – Exemplar unseres Liber ordinarius beziehen. Dafür spricht nicht zuletzt die im Katalog verwendete Terminologie, die unmittelbar an die eben zitierte Überschrift der Handschrift aus Zwiefalten (Liber… ceremoniarum monachorum) erinnert.
IV. Inhaltliche Aspekte Es ist Zeit für ein abschließendes Fazit. Der Hirsauer Liber ordinarius des 11./12. Jahrhunderts ist durch die hier vorgestellten Recherchen wieder greifbar geworden. Dabei können immerhin sechs Textzeugen, nämlich die Handschriften A bis F, namhaft gemacht werden, zu denen für den Vorspann über die Festgrade außerdem, wie eben angedeutet, noch eine weitere hinzutritt (Kremsmünster 99a). Dank der Ausgabe der Rheinauer Zeugen A bis C durch Anton Hänggi liegt im Grunde auch bereits eine – als rheinauisch „getarnte“ – Edition des Hirsauer Texts vor. Die punktuellen Veränderungen der ursprünglichen Hirsauer Substanz im Bereich des Sanktorale durch Rheinauer Lokalakzente lassen sich durch Gegenüberstellung mit den Handschriften aus Weingarten (D), Moggio (E) und Zwiefalten (F) aus Hänggis Text verhältnismäßig leicht herausarbeiten, wie oben an einigen Stellen schon gezeigt wurde. Eine Neuedition würde denn auch im wesentlichen auf eine Revision der Ausgabe Hänggis im Sinne der eben skizzierten Reinigung von 114 Unklar bleibt, ob der Schlusssatz der Anm. 95 zitierten Notiz diese Vorlage meint, zumal die Wendung itidem scripto lediglich als Hinweis auf identische Schreiberhand zu interpretieren sein könnte. 115 Den Hinweis entnehme ich Paulus Weissenberger, Lorcher Handschriften in Neresheim, in: Tübinger Theologische Quartalschrift 140 (1954), S. 304–320, hier S. 311.
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lokal bedingter Überformung bzw. Ergänzung hinauslaufen. Der solcherart rekonstruierte Hirsauer Grundtext würde sich also von Hänggis Edition nur in einzelnen Details unterscheiden, wobei die Veränderungen hauptsächlich im Bereich des kritischen Apparats zu erwarten wären. Ob unter diesen Voraussetzungen eine Neubearbeitung – etwa im Hinblick auf das CCM, wo demnächst eine Neuausgabe der Constitutiones Hirsaugienses zu erwarten ist116 – überhaupt sinnvoll ist, wage ich nicht zu entscheiden. Letztlich ist hier die Frage nach einem vernünftigen Verhältnis von Aufwand und Ertrag und somit auch der ökonomische Aspekt angesprochen. Eine inhaltliche Auswertung des Texts kann an dieser Stelle nur andeutungsweise geschehen. Auf einen bemerkenswerten Aspekt soll aber hingewiesen werden. Er betrifft die Einordnung des Liber ordinarius bezüglich seiner textlichen Seite (im Gegensatz also zu den Rubriken). Sie lässt sich exemplarisch an den Responsorien der Adventszeit aufzeigen, die René-Jean Hesbert bekanntlich als Kriterium herangezogen hat, um die für sein Corpus Antiphonalium Officii (künftig CAO) herangezogenen Antiphonar- und Brevierhandschriften (nahezu 800 Codices) zu klassifizieren117. In Einzelheiten nicht unumstritten, erlaubt das Verfahren eine Herausarbeitung verwandtschaftlicher Beziehung zwischen den Handschriften und die Abgrenzung einzelner Traditions„Familien“. Ein Vergleich der Responsorien unseres Liber ordinarius mit dem von René-Jean Hesbert gesammelten und von Knut Ottosen118 neu geordneten Material führt zu einem sehr interessanten Ergebnis. Es lässt sich nämlich nicht nur – erwartungsgemäß – eine exakte Übereinstimmung mit dem Rheinauer Antiphonar Rh. 28 feststellen119, sondern darüber hinaus mit einer Gruppe von 15 weiteren Handschriften, die bei Hesbert zu einer Gruppe (Nr. IV der „groupes monastiques“) zusammengefasst sind120. Dass es sich dabei, wie die Identi116 Vgl. dazu auch den Beitrag des Herausgebers Norbert Reimann in der Anm. 2 genannten Hirsau-Festschrift. 117 René-Jean Hesbert, Corpus Antiphonalium Officii, Vol. 5: Fontes earumque prima ordinatio, Roma 1975. 118 Knud Ottosen, L’Antiphonaire latin au Moyen âge. Réorganisation des séries de répons de l’Avent, Roma 1986. 119 In der Liste bei Hesbert (wie Anm. 117), S. 5–18, unter Nr. 896. Im zweiten Band des CAO wird Rh. 28 übrigens als eine Leithandschrift für die Edition des Cursus monasticus herangezogen, so dass hier – gewissermaßen „getarnt“ weil von Hesbert nicht erkannt – die Hirsauer Tradition unmittelbar vertreten ist. 120 Hesbert (wie Anm. 117), S. 412. Die Auflösung der dort verwendeten ZahlenSigeln wird durch die oben (Anm. 119) erwähnte Liste ermöglicht. Zu korrigieren sind
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tät der Responsorienreihen mit der im Liber ordinarius vorgeschriebenen Serie vermuten lässt, in der Tat um Liturgica des Hirsauer Kreises handelt, bestätigt die Provenienz der Handschriften (in Klammern jeweils die Sigeln Hesberts), zumindest wenn man die hier vor allem interessierenden Codices aus hochmittelalterlicher Zeit heranzieht: Rheinau mit dem eben erwähnten Antiphonale Rh. 28 (= 896), Weingarten mit der Stuttgarter Handschrift HB I 55 (= 853), Münsterschwarzach mit dem Anm. 120 bereits erwähnten Can. lit. 297 der Bodleiana (= 759) und Moggio mit Can. lit. 346 (= 760)121 sind durchweg hirsauische Klöster. Nebst der ungeklärten Herkunft von Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. 1890 (= 892) bietet nur gerade die Handschrift Γ p 19=Hs. 290 der Oberösterreichischen Landesbibliothek Linz (= 695) Anlass zu einem Fragezeichen, da das Kloster Gleink, aus dem der Codex stammt, nicht direkt mit dem Hirsauer Kreis in Verbindung zu bringen ist, sondern mit den von St. Blasien bzw. dessen österreichischem Pendant Göttweig ausgehenden Reformimpulsen122. Nimmt man die Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts, so dominieren ebenfalls Klöster mit Hirsauer Vergangenheit, nämlich Rheinau und Zwiefalten (mit den Handschriften 897 bzw. 847 und 851 nach Hesberts Zählung) sowie Allerheiligen in Schaffhausen123, während der vermutlich mit
allerdings Hesberts Angaben zu seiner Nr. 759 (Oxford, Bodl. Libr., Can. lit. 297): Die S. 12 gegebene Datierung ist vermutlich durch einen Druckfehler oder durch Verlesen des Datums in der Ostertafel um ein Jahrhundert zurückgerrutscht; korrekt ist nicht 1054, sondern 1154 bzw. 3. Viertel des 12. Jahrhunderts (vgl. auch Watson [wie Anm. 35], S. 43 Nr. 269). Herkunftsort ist nicht St. Burkhard in Würzburg, sondern die seit 1136 hirsauisch geprägte Abtei Münsterschwarzach. 121 Hesbert (wie Anm. 117), S. 412, der die Konstanzer Diözesanzugehörigkeit als wesentliches Kristallisationsmoment dieser Gruppe sieht, versucht das unter diesen Voraussetzungen etwas irritierende Auftauchen einer friulanischen Handschrift dadurch zu erklären, dass er die alte Meinung aufgreift, Moggio sei „une fondation de Saint-Gall“ und daher „comme un autre Saint-Gall“, wodurch die geographische Distanz zur Diözese Konstanz quasi aufgehoben werde. Diese Filiation ist jedoch spätestens seit den Forschungen Scalons als unhaltbar erwiesen. Für die Zugehörigkeit zur fraglichen Gruppe ist dies jedoch überhaupt nicht problematisch, im Gegenteil: gemeinsamer Nenner ist eben nicht Konstanz, sondern die Zugehörigkeit zum Hirsauer Kreis, und diese ist ja unterdessen für Moggio nachgewiesen. 122 Vgl. Jakobs (wie Anm. 44), S. 68, und ders., Der Adel in der Klosterreform von St. Blasien (Kölner historische Abhandlungen 16), Köln u. Graz 1968, S. 114–118 und S. 137 f. 123 Es handelt sich um die Handschrift Rh. 174 des Zürcher Zentralbibliothek, die Hesbert in seiner Übersicht unter Nr. 900 aufführt. Sie stimmt mit der Reihe von Gruppe IV völlig überein, mit Ausnahme des 3. Sonntags, wo die Responsorien zur 10. und 11. Lectio miteinander vertauscht sind. Trotz dieser Abweichung wird man
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St. Trudpert zusammenhängende Stuttgarter Cod. brev. 106 (Hesbert 848) ebenfalls mit St. Blasien zu verbinden sein könnte. Bemerkenswert ist sicher auch, dass die fragliche Responsorienreihe auch noch in so späten Handschriften wie dem St. Galler cod. 545 aus dem 16. Jahrhundert (Hesbert 839) und dem aus Tegernsee stammenden Clm 19557 aus dem Jahr 1624 (Hesbert 740) vertreten ist. Man wird somit sagen dürfen, dass Hesberts monastische Gruppe IV für die Hirsauer Liturgie steht. Gleiches gilt wohl außerdem auch für die Gruppe III, deren 15 Handschriften von Gruppe IV nur gerade beim 10. Responsorium des 4. Adventssonntags abweichen124. Die außerordentlich große Nähe der beiden Gruppen, „évidemment apparentés de très près“125, und die Provenienz der Handschriften von Gruppe III – Gengenbach, Prüfening, Rott am Inn, St. Emmeram (nach dem Anschluss an die Hirsauer Reform) und Zwiefalten als Hirsauer Klöster nehmen den Löwenanteil für sich in Anspruch – lassen darauf schließen, dass auch hier in der Tat die Tradition von Wilhelms Reform zum Tragen kommt126. Die Schwankungen gegen Ende der Reihe dürften den bereits im Zusammenhang mit der Alleluiaserie beobachteten Phänomenen zur Seite zu stellen sein. Die Quatember-Responsorien Clama etc. für die vorweihnachtliche Zeit bestätigen diesen Befund. Auch hier sind gewisse Varianzen festzustellen. Die Liste des Liber ordinarius (nach der Zählung Hesberts die Responsorien Nr. 51–57, 90, 58–59 und 93) stimmt überein mit fünfzehn Handschriften Hesberts127 von denen neun zur oben besprochenen Gruppe IV gehören, nämlich 692, 695, 847, 848, 851, 853, 896, 897 die Handschrift zur Gruppe hinzuzählen dürfen, zumal sie auch in den QuatemberResponsorien (s. u.) mit dieser zusammengeht. 124 Vgl. Hesbert (wie Anm. 117), S. 412. Noch anschaulicher zeigt sich die Verwandtschaft der beiden Gruppen in der Aufstellung bei Ottosen (wie Anm. 118), S. 66–69, 94–97, 165–167 und 180 f. 125 Hesbert, a. a. O. 126 Der Vollständigkeit halber und zur Vermeidung von Missverständnissen sei hingegen festgehalten, dass die bei Hesbert, S. 413, ausdrücklich mit Hirsau etikettierte Handschrift 844 (Stuttgart, Cod. bibl. 2° 34) zwar in der Tat in Hirsau entstanden ist, aber eben erst gegen Ende des 15. Jahrhundert, also nach dem Anschluss des Schwarzwaldklosters an die Bursfelder Reformbewegung im Jahr 1458. Sie erscheint daher auch bei Gruppe V, die auschließlich „des témoins de la réforme de Bursfeld“ umfaßt, und dokumentiert dadurch sehr schön die liturgischen Verschiebungen, die in Hirsau durch die Verbindung mit dem norddeutschen Zentrum im Spätmittelalter ausgelöst wurden. 127 Vgl. Hesbert (wie Anm. 117), S. 502, 505 und 522 (jeweils unter n. 69) sowie Knud Ottosen, S. 237 f.
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und 900 (s. o.), eine weitere (641) hingegen zu Gruppe III. Die restlichen fünf (639 und 642 aus St. Georgen, 689 und 856 aus Weingarten sowie die vielleicht aus St. Gallen stammende 693) sind innerhalb der Gruppen weder III noch IV ohne weiteres zuzuordnen, gehören aber ebenfalls zur großen deutschen Gruppe („groupe germanique“). Unmittelbar verwandt mit der Reihe des Liber ordinarius ist eine wiederum durch fünfzehn Handschriften vertretene Folge, die lediglich das 11. Responsorium (Nr. 91) weglässt128 Auch hier sind erneut eine Reihe von Textzeugen den beiden bekannten Gruppen zuweisbar: 609, 636, 674, 741, 744, 850 und 852 gehören zu Gruppe III129, und Gruppe IV ist durch 839 vertreten. Mit anderen Worten: zwischen den Sonntagsresponsorien und denen der Historia Clama laufen die Verbindungen innerhalb der beiden Gruppen gewissermaßen über Kreuz, was, wie schon angedeutet, eine Bestätigung für deren Zusammengehörigkeit und für den gemeinsamen Nenner Hirsau sein dürfte. Noch wichtiger ist jedoch die Beobachtung, dass zumindest für diesen exemplarischen Teilbereich die vom Hirsauer Liber ordinarius repräsentierte Liturgie in der Auswahl der Texte nicht mit der Tradition Clunys übereinstimmt, sondern im Gegenteil ganz eigene Wege geht. Anhand der von Hesbert erarbeiteten Klassifizierung der handschriftlichen Überlieferung lässt sich nämlich in der Tat nachweisen, dass Hirsau und Cluny mit ihren Einflussbereichen zwei ganz verschiedenen Gruppen zuzuordnen sind. Bei den Responsorien der Adventssonntage bilden die sehr einheitlichen „listes clunisiennes“ innerhalb des monastischen Bereichs die Gruppe I130, die Liste des Hirsauer Liber ordinarius hingegen wird, wie eben gezeigt, von Gruppe IV (und Gruppe III) vertreten. Auch bei einer weitergehenden Zusammenführung der Einzelgruppen zu größeren Überlieferungssträngen werden diese Unterschiede nicht aufgehoben, sondern es bleibt bei der klaren Abgrenzung von „groupe germanique“, worunter auch die Hirsauer Handschriften fallen, und „groupe clunisien“131. Analoges gilt für 128 Hesbert (wie Anm. 117), S. 502, 505 und 522 (jeweils unter n. 61) sowie Knud Ottosen, S. 235 f. 129 Die hier genannte Hs. 636, nämlich der Anm. 23 schon erwähnte Aug. LX der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, wird zwar von Hesbert (S. 412) nicht unter der Gruppe III subsumiert, unterscheidet sich von dieser aber lediglich durch ein zusätzliches Responsorium (92) am Ende der Reihe für den 4. Adventssonntag und darf deshalb zur Gruppe hinzugezählt werden. 130 Hesbert (wie Anm. 117), S. 411. 131 Hesbert (wie Anm. 117), S. 442 f.
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die Quatember-Responsorien132 und im übrigen auch für die AlleluiaListen133 und das Officium defunctorum134. Dieser Sachverhalt erscheint nun doch sehr bemerkenswert, weil er mit den im Bereich der Rubriken des Liber ordinarius hirsaugiensis vielfach festgestellten Abhängigkeiten von Ulrichs Consuetudines, also von Cluny, deutlich kontrastiert. Offensichtlich erfolgte also die Übernahme der cluniazensischen Liturgie durch Hirsau unter Wilhelm nicht einfach „en bloc“, sondern in einer differenzierten Form, die man etwas pointiert auf folgende Formel bringen könnte: Bezüglich des liturgischen Zeremoniells, d. h. bezüglich der Gestaltung und Choreographie des Gottesdiensts, und natürlich auch im Hinblick auf die von Kassius Hallinger immer wieder berufene „Steigerung“ der liturgischen Leistungen, orientiert sich Hirsau ganz stark an Cluny – bezüglich der liturgischen Texte für Offizium und Meßfeier hingegen bleibt es seiner geographischen Lage und der damit verbundenen Tradition verhaftet. So gesehen trifft das oft bemühte Schlagwort vom „deutschen Cluny“ zumindest in dieser Hinsicht etwas Richtiges. Diese Mehrschichtigkeit von Wilhelms Ansatz, die es festzuhalten gilt, wirft natürlich die Frage auf nach den Quellen, die für die Auswahl der Texte eine Rolle gespielt haben könnten. Naheliegend wäre die Annahme, Wilhelm sei hier seiner Herkunft aus St. Emmeram verpflichtet gewesen. Für die Alleluiaverse jedoch kann dieser Nachweis beispielsweise nicht erbracht werden, wie oben (Abschnitt II) schon ausgeführt wurde135, während im Bereich der Responsorien für das Toten132 Hirsau hat die Reihe n. 69 bzw. 61 (s. o. Anm. 127 und 128), Cluny hingegen n. 195 (s. Hesbert, S. 504–506). 133 Die Liste Clunys ist abgedruckt bei Guy de Valous, Le monachisme clunisien, Bd. 1, 2. éd., Paris 1970, S. 410 f. und ist deutlich abweichend von derjenigen Hirsaus (s. Abschnitt II). Im Rahmen der von Hesbert (wie Anm. 75), S. 226 erstellten Klassifizierung in fünf Hauptgruppen ist die Reihe Clunys der dritten (Deus iudex…) diejenige Hirsaus hingegen der vierten (Domine deus…) zuzuordnen, wobei auch hier (nord-) französische Tradition und Tradition des Reichsgebiets (mit Ausnahme des Rheinlands) einander gegenüberstehen. 134 Die Verweisung Candida Elverts in CCM 7,4, S. 9 auf das Pontificale RomanoGermanicum für den Text des Totenoffiziums in Cluny ist zumindest für die Responsorien irreführend. Die in Cluny gebräuchliche Reihe ist eine ganz andere als die des Pontificale. Sie lautet Credo quod, Qui Lazarum, Domine quando, Subvenite, Heu mihi, Ne recorderis, Peccantem me, Domine secundum, Memento mei bzw. Libera me domine (nach den handschriftlichen Aufzeichnungen von Victor Leroquais in der Bibliothèque Nationale Paris). Für die Hirsauer Reihe vgl. Anm. 50. 135 Bemerkenswert ist hingegen die Übereinstimmung der Reihe des elsässischen Chorherrenstifts Marbach (Peter Wittwer, Quellen zur Liturgie der Chorherren von Marbach, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 32 (1990), S. 307–361, hier S. 331 f.) mit
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offizium ebenso wie für die Adventszeit der Vergleich gar nicht angestellt werden kann, da aus vorhirsauischer Zeit offenbar keine entsprechenden Handschriften aus St. Emmeram verfügbar sind136. Überhaupt fällt auf, dass von den gut dreißig Textzeugen, die Hesbert bei den Adventsresponsorien für seine Gruppen III und IV zur Verfügung hat, kein einziger vor das 12. Jahrhundert zurückgeht137. Da zudem die ältesten Vertreter dieser beiden Gruppen aus hirsauischen Klöstern stammen, scheint der Versuch einer Anbindung an ältere Traditionen also zum Scheitern verurteilt. Dass ein oder zwei Handschriften möglicherweise mit St. Blasien zu verknüpfen sind, hilft auch kaum weiter, da wir damit ebenfalls im Umkreis der Reform bleiben. Allenfalls könnte man vermuten, dass die ohnedies nicht immer exakt zu scheidenden Reformansätze der Zeit – vielleicht sogar einschließlich Marbach (s. Anm. 135) – für ihr Repertoire liturgischer Texte aus gemeinsamen Quellen schöpfen. Diese näher zu umreißen, bleibt aber nach wie vor schwierig, zumal auf der anderen Seite auffällige Unterschiede etwa zur Einsiedler Tradition bestehen138, obwohl von da aus durchaus Verbindungslinien zu Hirsau denkbar wären, nicht zuletzt über Wilhelms unmittelbaren Vorgänger, den 1065 nach Hirsau berufenen Abt Friedrich139. Hirsau. Peter Wittwer, dem dies entgangen war, hat unabhängig davon die Vermutung geäußert, Marbach könnte den Hirsauer Liber ordinarius übernommen und den eigenen Bedürfnissen angepasst haben (a. a. O., S. 354 und 359). Trifft, dies zu, wäre dies ein Hinweis auf die Ausstrahlung Hirsaus über die Ordensgrenzen hinaus – aber eben noch keine Antwort auf unsere Frage nach den vorhirsauischen Quellen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Marbach in anderen Bereichen, etwa dem Totenoffizium oder den Clama-Responsorien (die Responsorien der Adventssonntage sind schlecht zu vergleichen, da Marbach als Chorherrenstift nicht dem monastischen Schema der Matutin folgt) von Hirsau abweichende Textreihen bietet. Weitere Anleihen Marbachs beim Hirsauer Liber ordinarius (im Kontext von Gründonnerstag und Karfreitag) signalisiert Josef Siegwart, Die Consuetudines des Augustiner-Chorherrenstifts Marbach im Elsass (Spicilegium Friburgense 10), Fribourg 1965, S. 57 mit Anm. 2 und S. 224–230. 136 Hesbert (wie Anm. 117) führt S. 11 nur gerade zwei Breviere aus dem 14. Jahrhundert für St. Emmeram an (Clm 14741 und 14771). 137 Durch die Fehldatierung (und -lokalisierung) von Can. lit. 297 (s. Anm. 120) schien hier zunächst ein erfolgversprechender Ansatz gegeben, hinter Wilhelm zurückgehen zu können, doch hat sich dies, wie schon erwähnt, als Trugschluss erwiesen, da die Handschrift erst in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts datiert werden kann und mit Münsterschwarzach als Entstehungsort die Einbettung in die Hirsauer Tradition gesichert ist. 138 Die Einsiedler Handschriften gehen im Bereich der Adventsresponsorien ganz eigene, von Hirsau klar abweichende Wege. Vgl. dazu Hesbert (wie Anm. 117), S. 416 und 429. 139 Zur Bedeutung Einsiedelns für Hirsau im 11. Jahrhundert vgl. Hagen Keller,
der hirsauer ‚liber ordinarius‘
223
Sollte in Hirsau also tatsächlich bei der Zusammenstellung der liturgischen Texte des Liber ordinarius durch eine Neuordnung des Materials, das im Reichsgebiet als Umfeld zur Verfügung stand, ein gewisser Bruch gegenüber dieser Überlieferung eingetreten sein? Dies zu klären, erscheint sehr schwierig. Die damit angeschnittenen Probleme implizieren jedoch über den konkreten Anlass hinaus Fragen von grundsätzlichem Interesse: etwa nach den Mechanismen und Auswahlprinzipien, die zur Ausbildung liturgischer Textreihen führen, aber auch nach der Dynamik reformerischer Neuansätze überhaupt, insbesondere nach dem Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität gegenüber der Tradition, aus der sie herauswachsen.
Kloster Einsiedeln im ottonischen Schwaben, Freiburg 1964, bes. S. 79 und S. 134– 138, sowie ders., Ottobeuren und Einsiedeln im 11. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 112 (1964), S. 373–411, bes. S. 397–401 und S. 404 f.
LITURGISCHER HYMNUS UND MONASTISCHE REFORM – ZUR REKONSTRUKTION DES HIRSAUER HYMNARS*
Die folgenden Darlegungen erfordern einige Vorbemerkungen: 1. Was ich hier präsentieren möchte, ist – wie der Untertitel verdeutlicht – im Wesentlichen ein Rekonstruktionsversuch des im Hirsauer Reformkreis gebräuchlichen Hymnars. Damit ist zugleich ein Brückenschlag zur Frage nach Mechanismen und Kriterien der Repertoirebildung impliziert. 2. Ich setze primär beim Aspekt der Hymnentexte an und gehe auf musikalische, insbesondere melodische Fragen nur am Rande ein. 3. Angesichts des oft nur sehr unbefriedigend dokumentierten Überlieferungsbefunds der liturgischen Hymnen, die als Gattung noch immer vergleichsweise schlecht erforscht sind, stehen Aussagen über Konkordanzen, über Schwerpunkte der Überlieferung und Verbreitung, die zunächst oft nur über den Apparat der Analecta Hymnica möglich sind, unter dem grundsätzlichen Vorbehalt der Vorläufigkeit und der durch weitere Forschung zu leistenden Verifizierung oder auch Falsifizierung und ihrer Ergänzung durch weitere Quellennachweise. 1. Rekonstruktion des Hirsauer Hymnars Den Ausgangspunkt dieser Untersuchung bilden frühere Forschungen zu Hirsau, insbesondere die Wiedergewinnung des Hirsauer Liber ordinarius, der für dieses Reformzentrum und seinen Wirkungskreis eine Grundlage für die Rekonstruktion des liturgischen Repertoires insge-
* Erstmals erschienen in: Der lateinische Hymnus im Mittelalter. Überlieferung, Ästhetik, Ausstrahlung, hrsg. von Andreas Haug, Christoph März und Lorenz Welker (Monumenta monodica medii aevi, Subsidia 4), Kassel etc. 2004, S. 23–52.
liturgischer hymnus und monastische reform
225
samt zu bieten verspricht.1 Dabei erweist sich allerdings, dass die aus dem Liber Ordinarius zu gewinnenden Auskünfte insofern sehr unterschiedlich ausfallen, als die Angaben für die Texte des Offiziums sehr präzise und umfassend sind, für die Messliturgie hingegen viel spärlicher und vor allem sehr unsystematisch ausfallen. Für eine Rekonstruktion des Hymnars bestehen also gute Aussichten, während etwa ein entsprechender Versuch für das Sequentiar von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre – zumindest solange, als man sich ausschließlich auf den Liber Ordinarius stützen würde. Auch für das Hymnar zeigt sich indessen, dass eine Überprüfung des aus dem Liber Ordinarius erhobenen Befunds anhand der liturgischen Bücher selbst – also eine Art Gegenlesung – sinnvoll, ja geradezu geboten ist, und zwar einfach deshalb, weil die Liturgie des Hirsauer Reformkreises noch nicht jene Geschlossenheit und Gleichförmigkeit erreicht, wie wir sie etwas später bei den Zisterziensern mit ihrem Postulat absoluter Identität der liturgischen Bücher2 oder etwa bei den Bettelorden konstatieren können. Hirsau ist Musterkloster eines vergleichsweise losen Reformverbands und nicht – wie Cîteaux – Mutterkloster eines straff und zentralistisch strukturierten Ordens. Schwankungen im Repertoire sind daher innerhalb des Hirsauer Kreises immer wieder zu beobachten, selbst bei Handschriften aus ein und demselben Kloster. Charakteristisch ist dabei insbesondere eine gewisse Toleranz für lokale und regionale Sondertraditionen.3 Methodisch bedeutet dies ein relativ differenziertes Vorgehen, da bereits der Normtext, der – wenn auch gewissermaßen „maskiert“, nämlich als Rheinauer Liber Ordinarius – in edierter Form zur Verfügung steht4, kritisch zu benutzen ist: nämlich immer mit einem Seitenblick auf die übrigen, nicht1 Felix Heinzer, Der Hirsauer ‚Liber ordinarius‘ in: Revue Bénédictine 102 (1992), S. 309–347 [in diesem Band, S. 185–223]. 2 Geradezu klassisch formuliert wird dieses Prinzip in der bekannten und oft zitierten Überschrift zum dritten Kapitel der sog. „Carta caritatis“: Ut idem libri ecclesiastici et consuetudines sint omnibus (s. Jean de la Croix Bouton – Jean Baptiste van Damme, Les plus anciens textes de Cîteaux. Sources, textes et notes historiques, Achel 1974, S.14). Vgl. zusammenfassend Alberich Martin Altermatt, Die erste Liturgiereform in Cîteaux (ca. 1099–1133), in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 4 (1985), S. 119–148. 3 Auf einige Beispiele habe ich bereits in meinem in Anm. 1 zitierten Aufsatz hingewiesen (s. dort S. 333 und 344 [in diesem Band, S. 209 u. 219]). 4 Anton Hänggi, Der Rheinauer Liber ordinarius (Spicilegium Friburgense 1), Fribourg 1957. Für den Nachweis, dass Anton Hänggi mit dieser Edition in Wirklichkeit den Normtext der Hirsauer Liturgie zugänglich gemacht hat, darf ich auf meine in Anm. 1 angeführte Untersuchung verweisen.
226
hirsau und sein kreis
rheinauischen Textzeugen, um punktuelle Veränderungen der eigentlichen Hirsauer Substanz durch die eben erwähnten Lokal- bzw. Regionalakzente erkennen und herausschälen zu können.5 Die Gegenlesung stellt ihrerseits insofern vor gewisse Probleme, als aus Hirsau selbst außer einigen vereinzelten Fragmenten bekanntlich keine hochmittelalterliche Liturgica erhalten sind6, so dass auf Handschriften aus Hirsau nahestehenden, d. h. von dort aus gegründeten bzw. reformierten Klöstern zurückgegriffen werden muss. Im Fall des Hymnars führte diese Situation zu folgendem Vorgehen: Zunächst wurde Hänggis Edition des Rheinauer (alias Hirsauer) Liber Ordinarius ausgewertet. Auf diese beziehen sich jeweils die Angaben (Seitenzahlen der Edition sowie in Klammern die Nummern der Zeilen, auf denen sich die entsprechenden Initien finden lassen) in der letzten Spalte der nachstehenden Rekonstruktion. Die Verifizierung anhand früher Hymnarhandschriften aus Hirsauer Klöstern – direkt eingesehen wurden Codices aus Prüfening7, Rheinau8, Weingar5 Vgl. Heinzer, Liber ordinarius (wie Anm. 1), bes. S. 315–317 [in diesem Band, S. 191–193]. Dort auch Hinweise zur größeren Ursprünglichkeit des von Anton Hänggis Handschrift C (Zürich, Zentralbibl., Rh. 74b, Teil III) gebotenen Texts gegenüber der von ihm bevorzugten, stärker von Rheinauer Sondertraditionen geprägten Handschrift A (Zürich, Zentralbibl., Rh. 80). 6 S. dazu Felix Heinzer, Bibliotheksgeschichte und Buchkultur Hirsaus, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2, Stuttgart 1991 (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10/2), S. 259–296, bes. S. 261–279 [in diesem Band, S. 89 ff.]). 7 Stuttgart, Württemberg. Landesbibl., Cod. bibl. 8° 17, kurz nach 1250, später in Zwiefalten (s. Die gotischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Teil 1: Vom späten 12. bis zum frühen 14. Jahrhundert, bearb. von Christine Sauer, mit Beitr. von Ulrich Kuder, Stuttgart 1995 [Die Illuminierten Handschriften der WLB Stuttgart 3/1], Kat.-Nr. 33). – Nach dem Erlanger Symposion teilte mir Raffaella Camilot-Oswald (Erlangen) freundlicherweise brieflich mit, dass auch das Prüfeninger Brevier München, Bayer. Staatsbibl., Clm 23037 ein Hymnar enthält, das bis auf geringfügige Varianten ebenfalls der hier vorgestellten Hirsauer Rekonstruktion entspricht. 8 Zürich, Zentralbibl., Rh. 129, frühes 12. Jh. (s. James Mearns, Early Latin Hymnaries. An Index of Hymns in Hymnaries before 1100, Cambridge 1913, S. XVII; Leo Cunibert Mohlberg, Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich, Bd. 1: Mittelalterliche Handschriften, Zürich 1952, S. 223). – Verglichen wurde auch der 3. Teil der Sammelhandschrift Zürich, Zentralbibl., Rh. 97 (Mearns, S. XVI; Leo Cunibert Mohlberg, S. 206); ganz offensichtlich wurde dieses möglicherweise aus Corvey stammende „vorhirsauische“ Hymnar noch im 12. Jahrhundert durch Korrekturen und Nachträge dem hirsauischen Brauch angepasst. (Auf ursprüngliche Bestimmung für Corvey deuten die beiden Hymnen für den Klosterpatron Vitus AH 14a, Nr. 88b, Str. 1–7 u. 13–20 sowie die schon von Leo Cunibert Mohlberg hervorgehobene Korrektur Saxonia im Martinshymnus AH 50, Nr. 154). Eine Verbindung zwischen Corvey und
liturgischer hymnus und monastische reform
227
ten9, und Zwiefalten10 – erbrachte zwar vereinzelte Abweichungen, die jedoch von so punktueller und letztlich geringfügiger Natur sind, dass sie zwar als Bestätigung der in anderem Zusammenhang schon festgestellten Tendenz der Hirsauer Liturgieordnung zu leichten Repertoireschwankungen (s. o.) zu verbuchen sind, an der grundsätzlichen Übereinstimmung dieser Textzeugen mit der aus dem Liber Ordinarius gewonnenen Liste jedoch nichts ändern. Die nachstehende Rekonstruktion des Hirsauer Standardrepertoires darf also durchaus als verlässlich angesehen werden. Hymni de tempore communes 1.
O lux beata trinitas (AH 51 Nr. 40) So., 1. Vesper
Hänggi, S. 77(20), 256(18)
2.
Deus creator omnium (AH 50 Nr. 7) So. 1. Vesper (Sommer)
S. 237(35)
3.
Primo dierum (AH 51 Nr. 23) So., Matutin
S.72(7), 252(27), 252(24)
Rheinau erscheint zunächst nicht eben naheliegend, wird aber plausibler, wenn man bedenkt, dass das Weserkloster etwa zur gleichen Zeit wie Rheinau ebenfalls Anschluss an die Hirsauer Reform fand (vgl. Klemens Honselmann, Corvey als Ausgangspunkt der Hirsauer Reform in Sachsen, in: Westfalen 58 [1981], S. 70–81, und Felix Heinzer, Bibliotheksgeschichte [wie Anm. 6], S. 271 f. [in diesem Band, S. 111] mit einem weiteren Beispiel für einen Handschriftenaustausch zwischen Corvey und dem südwestdeutschen Kerngebiet der Hirsauer Reform). Diese Hirsau-Adaption von Rh. 97, die sich in analoger Weise offenbar auch für das Sequentiar Rh. 132 nachweisen lässt (den Hinweis darauf erhielt ich freundlicherweise von Lori Kruckenberg-Goldenstein im Rahmen eines in Erlangen mit Andreas Haug gemeinsam durchgeführten Seminars; s. jetzt auch dies., Zur Rekonstruktion des Hirsauer Sequentiars, in: Revue Bénédictine 109 [1999], S. 187–207, hier S. 207), ist in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse, weil sie die durch den neuen liturgischen Brauch veranlassten Veränderungen besonders deutlich hervortreten lässt. 9 Stuttgart, Württemberg. Landesbibl., HB I 98, 13. Jh. 2. Viertel (s. Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart, Bd. 1/1, beschr. von Johanne Autenrieth und Virgil Ernst Fiala, unter Mitarb. von Wolfgang Irtenkauf, Wiesbaden 1968 [Die Handschriften der WLB Stuttgart, 2. Reihe 1/1], S. 176–180, sowie Sauer [wie Anm. 8], Kat.-Nr. 7). 10 Stuttgart, Württemberg. Landesbibl., Cod. brev. 98, um 1125–1135 (s. Codices breviarii, beschr. von Virgil Ernst Fiala und Wolfgang Irtenkauf, Wiesbaden 1977 [Die Handschriften der WLB Stuttgart, 1. Reihe 3], S. 123–125, Die Romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Teil 1: Provenienz Zwiefalten, bearb. von Sigrid von Borries-Schulten, mit einem paläographischen Beitrag von Herrad Spilling, Stuttgart 1987 [Katalog der Illuminierten Handschriften der WLB Stuttgart 2/1], Kat.-Nr. 39). – Das Hymnar (fol. 256r–295v) ist übrigens mit linienloser Neumennotation ausgestattet.
228
hirsau und sein kreis
4.
Nocte surgentes (AH 51 Nr. 24) So., Matutin (Sommer)
S. 237(35), 252(25)
5.
Aeterne rerum conditor (AH 50 Nr. 4) So., Laudes
S. 73(16), 253(6)
6.
Ecce iam noctis (AH 51 Nr. 31) So., Laudes (Sommer)
S. 238(1), 253(7)
7.
Iam lucis orto sidere (AH 51 Nr. 41) Prim
S. 30(3)
8.
Nunc sancte nobis (AH 50 Nr. 18) Terz
S. 30(3), 54(9)
9.
Rector potens (AH 50 Nr. 19) Sext
S. 30(3)
10. Rerum deus (AH 50 Nr. 20) Non
S. 30(3/4)
11. Lucis creator optime (AH 51 Nr. 34) So., 2. Vesper
S. 53(21), 74(1), 253(12)
12. Te lucis ante terminum (AH 51 Nr. 44) Komplet
S. 139 (8/9)
13. Christe qui lux es (AH 51 Nr. 22) Komplet
S. 249(5)
14. Somno refectis artubus (AH 51 Nr. 25) Mo., Matutin
S. 74(3), 253(15)
15. Splendor paternae gloriae (AH 50 Nr. 5) Mo., Laudes
S. 74(18), 253 (29)
16. Immense celi conditor (AH 51 Nr. 35) Mo., Vesper
S. 74(30), 253(37)
17. Consors paterni luminis (AH 51 Nr. 26) Di., Matutin
S. 75(1), 254(1)
18. Ales diei nuntius (AH 50 Nr. 22) Di., Laudes
S. 75(11), 254(13)
19. Telluris ingens conditor (AH 51 Nr. 36) Di., Vesper
S. 75(18), 254(18)
20. Rerum creator optime (AH 51 Nr. 27) Mi., Matutin
S. 75(19), 254(19)
21. Nox et tenebrae (AH 50 Nr. 23) Mi., Laudes
S. 75(31)
22. Celi deus sanctissime (AH 51 Nr. 37) Mi., Vesper
S. 76(4), 254(34)
23. Nox atra rerum (AH 51 Nr. 28) Do., Matutin
S. 76(5), 254(36)
liturgischer hymnus und monastische reform 24. Lux ecce surgit (AH 50 Nr. 24) Do., Laudes
S. 76(17), 255(12)
25. Magnae deus potentiae (AH 51 Nr. 38) Do., Vesper
S. 76(21), 255(16/17)
26. Tu trinitatis unitas (AH 51 Nr. 29) Fr., Matutin
S. 76(22), 255(18)
27. Aeterna celi gloria (AH 51 Nr. 32) Fr., Laudes
S. 76(34), 255 (34/35)
28. Plasmator hominis deus (AH 51 Nr. 39) Fr., Vesper
S. 77(2)
29. Summae deus clementiae (AH 51 Nr. 30) Sa., Matutin
S. 77(4), 255(38)
30. Aurora iam spargit (AH 51 Nr. 33) Sa., Laudes
S. 77(14/15), 256(12)
Hymni de tempore et de sanctis 31. Conditor alme siderum (AH 51 Nr. 47) Adv. domini, Vesper
S. 34(4/5)
32. Verbum supernum (AH 51 Nr. 48) Adv. domini, Matutin
S. 34(21)
33. Vox clara ecce intonat (AH 51 Nr. 49) Adv. domini, Laudes
S. 35(11)
34. Veni redemptor gentium (AH 50 Nr. 8/2–8) Nat. domini, 1. Vesper
S. 47(23), 51(1/2)
35. Agnoscat omne saeculum (AH 50 Nr. 71) Nat. domini, Matutin
S. 51(16)
36. Christe redemptor omnium (AH 51 Nr. 50) Nat. domini, Laudes
S. 53(4)
37. A solis ortus cardine (AH 50 Nr. 53, 1–7) Nat. domini, Vesper
S. 54(19)
38. Sancte dei pretiose (AH 48 Nr. 79/2) Stephanus, Matutin Inventio Stephani
S. 55(13) S. 192(19), 193(4)
39. Stephano primo martyri (AH 14 Nr. 13) Stephanus, Laudes
S. 55(33)
40. Sollemnis dies advenit (AH 51 Nr. 160) Johannes ev., Laudes
S. 57(20 f.)
41. Salvete flores martyrum (AH 50 Nr. 28) Innocentes, Laudes
S. 58(20)
42. Corde natus ex parentis (AH 50 Nr. 26) Oct. nat. domini
S. 61(8), 62(1)
229
230
hirsau und sein kreis
43. Hostis Herodes (AH 50 Nr. 53, 8–11.13) Vig. Epiphaniae, Vesper
S. 66(4)
44. Iesus refulsit omnium (AH 51 Nr. 52) Epiphania, Matutin
S. 66(8)
45. Quod chorus vatum (AH 50 Nr. 155) Purificatio B.M.V., Vesper
S. 82(6)
46. Christe fili Iesu (AH 51 Nr. 147) Benedictus, Vesper
S. 90(29)
47. Magno canentes annua (AH 51 Nr. 146) Benedictus, Laudes
S. 91(20)
48. Ave maris stella (AH 51 Nr. 123) Annunt. B.M.V., Vesper
S. 92(4)
49. Fit porta Christi pervia (AH 27 Nr. 82, II, 4–6) Annunt. B.M.V., Matutin
S. 92(9)
50. Cantemus cuncti (AH 53 Nr. 34) Septuagesima
S. 93(20)
51. Ex more docti mystico (AH 51 Nr. 55) Qudragesima, Vesper
S. 99(18)
52. Clarum decus ieiunii (AH 51 Nr. 57) Quadragesima, Matutin
S. 99(22)
53. Audi benigne conditor (AH 51 Nr. 54) Quadragesima, Laudes
S. 100(3)
54. Dei fide (AH 51 Nr. 63) Qua Christus hora (AH 51 Nr. 65) Ternis ter horis (AH 51 Nr. 66) Quadragesima, Terz-Non
–11
55. Iesu quadragenariae (AH 51 Nr. 58) Dom. 3 et 4 quadr., Vesper
S. 105(22)
56. Vexilla regis prodeunt (AH 50 Nr. 67) Dom. in pass. (bis Coena dom.), Vesper
S. 107(20)
57. Auctor salutis unicus (AH 51 Nr. 71) Dom. in pass. (bis Coena dom.), Matutin
S. 107(25)
58. Rex Christe factor omnium (AH 51 Nr. 72) Dom. in pass. (bis Coena dom.), Laudes
S. 108(3)
59. Ad cenam agni providi (AH 51 Nr. 83) Resurr. domini, Vesper
S. 138(23), 141(20)
60. Te lucis auctor personent (AH 27 Nr. 35) Resurr. domini, Matutin
S. 139(12 f.)
11 Entsprechende Angaben fehlen zwar im Liber ordinarius, doch erscheinen die drei Hymnen in sämtlichen in Anm. 7–10 genannten Handschriften aus Prüfening (einschließlich Clm 23037), Rheinau, Weingarten und Zwiefalten.
liturgischer hymnus und monastische reform 61. Aurora lucis rutilat (AH 51 Nr. 84) Resurr. domini, Laudes
S. 139(25)
62. Vita sanctorum deus (AH 51 Nr. 85) Dom. 2. p. oct. resurr., Vesper
S. 149(35)
62*. Quaesumus auctor omnium (Str. 7 von Nr. 59) Zusatzstrophe zu den Hymnen für die Komplet und die kleinen Horen während der Osterzeit
S. 139(8–9)
63. Festum nunc celebre (AH 50 Nr. 143) Vig. ascensionis domini
S. 163(21)
64. Astra polorum super (AH 51 Nr. 90) Ascensio domini, Matutin
S. 163(35)
65. Iesu nostra redemptio (AH 51 Nr. 89) Ascensio domini, Laudes
S. 164(23)
66. Veni creator spiritus (AH 50 Nr. 144) Pentecostes, Vesper
S. 167(20), 169(9)
67. Beata nobis gaudia (AH 51 Nr. 91) Pentecostes, Laudes
S. 168(20)
67*. Hic Christe nunc paraclitus (AH 50 S. 194 und AH 51, S. 96) Zusatzstrophe zu den Hymnen für die Komplet und die kleinen Horen während der Pfingstoktav
S. 167(28)
68. Salve crux sancta (AH 50 Nr. 223) Inventio s. crucis, Laudes
S. 160(12)
69. Ut queant laxis (AH 50 Nr. 96) Nat. Johannis bapt., Vesper (1. Vesper nur Str. 1–7)
S. 180(3), 181(7)
70. Almi prophetae (AH 2 Nr. 54) Nat. Johannis bapt., Matutin
S. 180(7)
71. Non fuit vasti spatium (AH 50, Nr. 96, Str. 8–13) Nat. Johannis bapt., Laudes
S. 180(29)
72. Aurea luce et decore (AH 51 Nr. 188) Petrus et Paulus, Vesper
S. 182(11), 183(9)
73. Apostolorum passio (AH 50 Nr. 15) Petrus et Paulus, Laudes
S. 183(1)
74. Iesu Christe auctor vitae (AH 51 Nr. 174) Maria Magd., 1. Vesper, Laudes
S. 189(1.17)
75. Votiva cunctis orbita (AH 51 Nr. 175) Maria Magd., Matutin, 2. Vesper
S. 188(App.), 189(24)
76. Huius diei gloria (Mone 3, Nr. 697) Jacobus ap., Vesper
S. 190(15)
77. Martyris Christi colimus (AH 51 Nr. 172) Laurentius, Vesper
S. 196(15)
231
232
hirsau und sein kreis
78. Conscendat usque sidera (AH 50 Nr. 227) Laurentius, Laudes
S. 197(4)
79. Quem terra pontus (AH 50 Nr. 72) Assumptio B.M.V., Vesper
S. 198(14), 199(21)
80. O quam glorifica luce (AH 51 Nr. 126) Assumptio B.M.V., Laudes
S. 199(6)
81. Assertor aequi (AH 2 Nr. 54, 6–9) (vgl. Nr. 70) Decoll. Joh. bapt., Vesper, Laudes
S. 202(11), 202(23)
82. Gaude visceribus (AH 51 Nr. 125) Nativitas B.M.V., 1. Vesper
S. 204(1)
83. O sancta mundi domina (AH 51 Nr. 122) Nativitas B.M.V., Laudes, 2. Vesper
S. 204(25), 205(7)
84. Alma Christi quando fides (AH 51 Nr. 178) Mauritius, 1. Vesper
S. 208(12)
85. Christo celorum agmina (AH 4 Nr. 393) Mauritius, Laudes, 2. Vesper
S. 208(19.29)
86. Christe sanctorum decus angelorum (AH 50 Nr. 146) Michael, 1. Vesper, Laudes
S. 209(15), 210(17)
87. Tibi Christe splendor patris(AH 50 Nr. 156) Michael, Matutin, Vesper
S. 209(17), 210(29)
88. Alma lux siderum (AH 51 Nr. 153) Dionysius, Vesper, Laudes
S. 211(30), 212(4)
89. Vita sanctorum via spes (AH 50 Nr. 123) Gallus, Vesper, Laudes
S. 213(2), 213(24)
90. Christe qui virtus sator et vocaris (AH 14a Nr. 120) Omnes sancti, 1. Vesper
S. 217(10, App.: BC)
91. Christe redemptor omnium (AH 51 Nr. 129) Omnes sancti, Matutin
S. 217(16)
92. Iesu salvator saeculi (AH 51 Nr. 130) Omnes sancti, Laudes, 2. Vesper
S. 218(5), 218(26)
93. Martine confessor dei (AH 27 Nr. 154) Martinus, Vesper, Laudes
S. 220(24), 221(16)
94. Laus angelorum inclita (AH 51 Nr. 140) Andreas, Vesper, Laudes
S. 226(14), 227(1 f.)
Hymni in dedicatione ecclesiae 95. Urbs beata Ierusalem (AH 51 Nr.102) 1. Vesper, Laudes (Str. 7 ff.)
S. 235(28), 236(25)
96. Christe cunctorum dominator (AH 51 Nr. 103) Matutin
S. 237(1)
liturgischer hymnus und monastische reform 97. Christe celorum habitator (AH 51 Nr. 104) 2. Vesper
233
S. 237(20).
Hymni de sanctis communes 98. Exultet celum laudibus (AH 51 Nr. 108) De apostolis, 1. Vesper etc.
S. 227(16) etc.
99. Aeterna Christi munera apostolorum victorias (AH 50 Nr. 17) De apostolis., Matutin
S. 227(22) etc.
100. Sanctorum meritis inclita gaudia (AH 50 Nr. 153) De martyribus, Vesper De confessoribus, Vesper
S. 228(35) etc. S. 230(20) etc.
101. Aeterna Christi munera et martyrum victorias (AH 50 Nr. 17) vgl. Nr. 99 De martyribus, Matutin
S. 229(3) etc.
102. Rex gloriose martyrum (AH 51 Nr. 112) De martyribus, Laudes
S. 229(28) etc.
103. Deus tuorum militum (AH 51 Nr. 114a) De uno martyre, Vesper, Laudes
S. 231(9–11) etc., 232(11) etc.
104. Martyr (Confessor) dei qui unicum (AH 51 Nr. 113) De uno martyre, Matutin De uno confessore, Matutin
S. 231(13) etc. S. 232(22) etc.
105. Iste confessor domini (AH 51 Nr. 118) De uno confessore, Vesper u. Laudes
S. 232(17) etc.
106. Hic est verus christicola (AH 52 Nr. 70) De uno confessore, Vesper u. Laudes
S. 232(17 f.) etc.
107. Virginis proles (AH 51 Nr. 121) De virginibus
S. 234(19) etc.
108. Iesu corona virginum (AH 50 Nr. 21) De virginibus, Vesper, Laudes
S. 234(20) etc.
2. Einordnung und Interpretation Die rekonstruierte Liste umfasst insgesamt 108 Einheiten, ist also vergleichsweise umfangreich, wobei zu differenzieren ist zwischen Hymni de tempore communes mit 30, Hymni festivi de sanctis et de tempore mit 64 und Hymni de sanctis communes mit 14 Nummern (einschließlich der 3 Kirchweihhymnen). Unsere Aufmerksamkeit gilt im folgenden fast ausschließlich dem mittleren Teil, also den Eigenhymnen für die Feste des Jahreskreises und für die Heiligenfeste, denn der erste Teil entspricht
234
hirsau und sein kreis
völlig dem gängigen monastischen Repertoire der Zeit und ist somit wenig spezifisch, und auch die Hymnen für das Commune sanctorum enthalten erwartungsgemäß wenig Interessantes. Eine Ausnahme macht dabei lediglich die Nr. 106, Hic est verus christicola, auf die wir eigens zu sprechen kommen müssen. Für eine erste Einordnung, die sich ausschließlich auf den quantitativen Aspekt beschränkt, vergleiche ich das Hirsauer Hymnar zunächst einmal mit einigen Benediktinerhymnaren des 10. und 11. Jahrhunderts aus Abteien, die wie Hirsau ebenfalls dem deutschen Sprachraum angehören.12 Bewegt sich die Gesamtzahl der enthaltenen Hymnen bei den Hymnaren des 10. Jahrhunderts im allgemeinen etwa bei 60 bis 70, so steigert sie sich nach der Jahrtausendwende und erreicht etwa im Fall des Kemptener Hymnars oder auch der möglicherweise aus Corvey stammenden Sammlung in Zürich, Zentralbibliothek, Rh. 97 (s. Anm. 8) bereits mit Hirsau vergleichbare Bereiche von gut 100 Hymnen. Noch aufschlussreicher ist allerdings die Anzahl der Festtagshymnen, auf deren Zunahme ganz offenkundig das eben konstatierte Anwachsen der Gesamtzahlen zurückgeht: St. Martin in Trier (Trier, Stadtbibl. 1245/597), 10. Jh.: 22 Rheinau (?) (Zürich, Zentralbibl., Rh. 111), 10. Jh.: 22 Schäftlarn (München, Bayer. Staatsbibl., Clm 17027), 10. Jh.: 27+6 Nachtragsnummern Kempten (Zürich, Zentralbibl., Rh. 83), um 1000: 70 Corvey (?) (Zürich, Zentralbibl., Rh. 97), 11. Jh.: 67
Vergleichbare Zahlen wie für Hirsau ergeben sich auch für das bekannte Hymnar von Moissac.13 Es umfasst 116 Hymnen, davon 76 für die Herren- und Heiligenfeste, die durch eine zusätzliche zweite Serie sogar noch um 22 Nummern vermehrt worden sind. Das Zisterzienserhymnar, auf das wir noch mehrfach zu sprechen kommen werden, ist hingegen deutlich kürzer und enthält lediglich 54 Hymni festivi, wobei sich diese Zahl, wenn man das für die Zisterzienser typische Phänomen
12 Eingesehen habe ich das Kemptener Hymnar (s. zu diesem auch Bruno Stäblein, Die mittelalterlichen Hymnenmelodien des Abendlandes [Monumenta Monodica Medii Aevi 1], Kassel 1956, S. 578–581) und die mit Corvey in Zusammenhang gebrachte, in Rheinau überarbeitete Zürcher Handschrift Rh. 97 (s. Anm. 8). Für die übrigen Codices stütze ich mich auf die Einleitung von AH 51, S. XIII– XXVIII. 13 Publiziert in AH 2. – Vgl. auch AH 51, S. XXXV, sowie Jean Dufour, La Bibliothèque et le Scriptorium de Moissac, Genf 1972, S. 151 f.
liturgischer hymnus und monastische reform
235
der Aufteilung der Hymnen in für unterschiedliche Tagzeiten zu verwendende Divisiones berücksichtigt, im Grunde sogar auf 38 reduziert.14 Ist aus diesen Zahlen etwas Signifikantes herauszulesen, etwa im Sinne eines Zusammenhangs mit den Zielen und Ideen der monastischen Reform? Die Antwort auf diese Frage muss wohl sehr zurückhaltend ausfallen. Dass Reform keineswegs automatisch eine quantitative Steigerung bedeuten muss, zeigt schon der Seitenblick auf das Hymnar der Zisterzienser – und wenn man will, auch auf das der Franziskaner (vgl. Anm. 14). Umgekehrt lässt sich eine Zunahme der Hymnen, besonders der für die Feste des Jahreskreises und des Proprium de Sanctis verwendeten Stücke, wie sie das für Hirsau rekonstruierte Repertoire aufweist, durchaus auch in Kontexten beobachten, die nicht unbedingt mit monastischer Reform in Verbindung zu bringen sind. Vorsichtiger und vermutlich zutreffender ist wohl die Annahme, dass dieses Wachstum, das sich insbesondere im Vergleich mit Hymnaren des 10. Jahrhunderts feststellen lässt, zunächst einmal einfach zeittypisch sein dürfte. Anders formuliert: Hirsau entspricht mit seinem im Vergleich zu den Hymnaren von St. Martin in Trier, Schäftlarn oder auch Rheinau (in vorhirsauischer Zeit) deutlich reicheren Repertoire wohl einer für das 11. Jahrhundert allgemein zu beobachtenden Entwicklung, wie sie beispielsweise auch Carl Moberg aufgrund seiner ausgedehnten Recherchen zur Hymnentradition konstatiert hat: „Vom 10. Jahrhundert an vermehrt sich in den verschiedenen Ländern und Kulturkreisen Europas die Zahl der liturgischen Hymnen rasch. Der Grundbestand bleibt wohl überall und immer derselbe, nämlich die ‚irische‘ Hymnenliste (also das sog. ‚Neue Hymnar‘, wie hier zu korrigieren wäre), der Zuwachs gilt zunächst für das Festivale…“.15 Eine weitere, möglicherweise trivial erscheinende, aber dennoch nicht unwesentliche Präzisierung ist in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht unwichtig: Ein größeres, umfangreicheres Hymnen-Repertoire bedeutet selbstverständlich nicht, dass in der entsprechenden Ortskirche oder im entsprechenden Orden eine größere Anzahl Hym14 Vgl. AH 52, S. X–XIII, sowie Stäblein (wie Anm. 12) I, S. 26–50 und S. 512–522; außerdem Chrysogonus Waddell, The Twelfth-Century Cistercian Hymnal, Bd. 1–2, Gethsemani Abbey 1984 (Cistercian Liturgy Series 1–2). – Im Sinne eines Ausblicks mag die Feststellung von Interesse sein, dass das Franziskanerhymnar mit einem relativ beschränkten Repertoire von Festhymnen, nämlich 40, auskommt, während sich das Dominikanerhymnar in diesem Bereich mit über 70 Nummern deutlich differenzierter und reichhaltiger präsentiert (vgl. die Übersicht in AH 52, S XIV–XIX). 15 Carl-Allan Moberg, Die liturgischen Hymnen in Schweden, Bd. 1, Uppsala 1947, S. 18.
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hirsau und sein kreis
nen gesungen worden wäre als anderswo, da ja deren liturgischer Ort und damit auch deren Anzahl im Offizium genau festgelegt ist. Ein größeres Repertoire wirkt sich also lediglich im Sinn einer größeren Auswahl und größeren Differenzierung aus, nicht aber als quantitative Steigerung. Etwas banaler formuliert: am Pensum, das zu singen ist, ändert sich dadurch nichts; dieses wird lediglich abwechslungsreicher. Darauf ist später nochmals zurückzukommen. Versucht man, das rekonstruierte Hymnar des Hirsauer Kreises über die rein zahlenmäßigen Aspekte hinaus auch inhaltlich einzuordnen und zu interpretieren, so stellt sich zunächst die Frage nach einer Vergleichsfolie für die Herausarbeitung spezifischer Züge dieses Repertoires. Dazu bietet sich wohl am ehesten das im Moberg-Zitat eben schon angesprochene sog. „Neue Hymnar“ an, jener Basisbestand monastischer Hymnentradition, der sich im Laufe des 9. und 10. Jahrhunderts im Abendland weitgehend durchgesetzt hat.16 Vor diesem Hintergrund müsste sich die Eigenart und Originalität eines bestimmten Hymnars am deutlichsten herausarbeiten lassen. Das Ergebnis dieser Gegenüberstellung für Hirsau lässt sich am einfachsten in Form der folgenden Liste darstellen, in der noch einmal die Hirsauer Hymnen aufgeführt und die im Neuen Hymnar noch nicht enthaltenen Stücke jeweils durch Fettdruck gekennzeichnet sind: Hymni communes: O lux beata, Deus creator, Primo dierum, Nocte surgentes, Aeterne rerum, Ecca iam noctis, Iam lucis, Nunc sancte, Rector potens, Rerum deus, Lucis creator, Te lucis, Christe qui es, Somno refectis, Splendor paternae, Immense celi, Consors paterni, Ales diei, Telluris ingens, Rerum creator, Nox et tenebrae, Celi deus, Nox atra, Lux ecce, Magnae deus, Tu trinitatis, Aeterna celi, Plasmator hominis, Summae deus, Aurora iam spargit Hymni festivi: Conditor alme, Verbum supernum, Vox clara, Veni redemptor, Agnoscat omne, Christe redemptor, A solis ortus, Sancte dei pretiose, Stephano primo, Sollemnis dies, Salvete flores, Corde natus, Hostis Herodes, Iesus refulsit, Quod chorus vatum, Christe fili Iesu, Magno canentes, Ave maris stella, Fit 16 Maßgeblich dazu ist immer noch Helmut Gneuss, Hymnar und Hymnen im englischen Mittelalter, Tübingen 1968, bes. S. 41–54 und S. 60–68 (tabellarischer Überblick
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237
porta Christi, Cantemus cuncti, Ex more docti, Clarum decus, Audi benigne, Dei fide, Qua Christus hora, Ternis ter horis, Iesu quadragenariae, Vexilla regis, Auctor salutis, Rex Christe factor, Ad cenam agni, Te lucis auctor, Aurora lucis, Vita sanctorum deus, (Quaesumus auctor), Festum nunc, Astra polorum, Iesu nostra, Veni creator, Beata nobis gaudia, (Hic Christe), Salve crux, Ut queant laxis, Almi prophetae, Non fuit vasti, Aurea luce, Apostolorum passio, Iesu Christe auctor, Votiva cunctis, Huius diei gloria, Martyris Christi, Conscendat usque, Quem terra pontus, O quam glorifica, Assertor aequi, Gaude visceribus, O sancta mundi, Alma Christi, Christe celorum, Christe sanctorum, Tibi Christe splendor, Alma lux siderum, Vita sanctorum, Christus qui virtus, Christe redemptor, Iesu salvator, Martine confessor, Laus angelorum In dedicatione: Urbs beata, Christe cunctorum, Christe celorum Hymni de sanctis communes: Exultet celum, Aeterna Christi (ap.), Sanctorum meritis, Aeterna Christi (mart.), Rex gloriose, Deus tuorum, Martyr dei, Iste confessor, Hic est verus, Virginis proles, Iesu corona virginum Ein erster Blick auf die durch Fettdruck hervorgehobenen, im „Neuen Hymnar“ noch nicht enthaltenen Stücke zeigt sofort, dass sich dieser Zuwachs, wie nicht anders zu erwarten, bei den Wochentagshymnen gar nicht niederschlägt, sondern nur bei den Festtagshymnen, wo er annähernd die Hälfte ausmacht. Interessant ist aber vor allem eine Differenzierung dieser neu hinzugekommenen Stücke nach den Schwerpunkten ihrer Verbreitung, soweit sie – mit den zu Beginn geäußerten Vorbehalten – aus dem Apparat der Analecta Hymnica17 zu erschließen ist: – International verbreitetes Repertoire (7 Stücke): Agnoscat (Nr. 35), Dei fide, Qua Christus hora und Ter ternis (Nr. 54a–c), Gaude visceribus über den Hymnenbestand der Sammlung). [Neu: Vgl. auch den Beitrag von Helmut Gneuss zur Erlanger Tagung, publiziert im Mittellateinischen Jahrbuch 35 (2000) unter dem Titel]. 17 Vgl. auch die Hinweise bei Stäblein (wie Anm. 12) und Gneuss, Hymnar (wie Anm. 16).
238
hirsau und sein kreis
(Nr. 82), Alma Christi quando (Nr. 84), Urbs beata Jerusalem (Nr. 95), wobei Dei fide, Qua Christus hora und Ter ternis als Spezialfälle zu bezeichnen sind (s. u.). – Deutschland und Italien (5 Stücke): Sollemnis dies (Nr. 40), Festum nunc celebre (Nr. 63), Christus qui virtus (Nr. 90) und die beiden Prudentius-Centonen Salvete flores (Nr. 41) und Corde natus (Nr. 42). – Ambrosianische Hymnen (4 Stücke): Stephano primo (Nr. 39), Almi propheta (Nr. 70), Apostolorum passio (Nr. 73), Assertor aequi (Nr. 81); allerdings mit Melodien, die sowohl von der Mailänder Fassung selbst als auch von der Umformung der Mailänder Hymnen im Zisterzienserhymnar abweichen und anscheinend eine süddeutsch-schweizerische Sondertradition repräsentieren.18 – Süddeutsche Benediktinerklöster (meist auch in der Hs. CIX der Bibliothek des Domkapitels in Verona19 enthalten, dann jeweils mit * gekennzeichnet) (12 Stücke): Rex Christe (Nr. 58)*, Astra polorum (Nr. 64)*, Jesu Christe auctor vitae (Nr. 74)*, Votiva cunctis (Nr. 75)*, Huius diei gloria (gratia) (Nr. 76)*, O sancta mundi domina (Nr. 83)*, Christo coelorum agmina (Nr. 85), Vita sanctorum via (Nr. 89), Laus angelorum (Nr. 94)*20, dazu die beiden Hymnen Heriberts von Eichstädt (gest. 1042) Salve crux sancta (Nr. 68)* und Conscendat usque (Nr. 78)* sowie der Spezialfall der als Septuagesimahymnus verwendeten Sequenz Cantemus cuncti (Nr. 50)*. 18 Der Melodievergleich stützt sich für das Hirsauer Hymnar auf die neumierte Fassung der Stuttgarter Handschrift Cod. brev. 98 (s. Anm. 10), für Mailand und Cîteaux auf Stäblein (wie Anm. 12), S. 8 und 12 bzw. S. 39 und 42. Lediglich im Fall von Stephano primo und Almi prophetae lassen sich für die Melodien Konkordanzen in nicht-hirsauischen Zeugen ermitteln: für den Stephanshymnus im Kemptener Hymnar (Stäblein [wie Anm. 12], S. 580 mit Verweisung auf S. 256: Melodie 5052), für den Hymnus zu Ehren Johannes des Täufers im Einsiedler Hymnar (Stäblein [wie Anm. 12]) I, S. 296: Melodie 5491) und – mit einigen Varianten – im süddeutsch beeinflussten Hymnar von Verona (Stäblein [wie Anm. 12], S. 393: Melodie 5492), von dem gleich die Rede sein wird (s. a. Anm. 19). 19 Zu dieser vermutlich aus der Veroneser Abtei San Zeno stammenden Handschrift aus dem späten 11. Jahrhundert, die das älteste melodisch lesbare Hymnar italienischen Ursprungs sein dürfte, vgl. Mearns, Hymnaries (wie Anm. 8), S. XIX (Sigle r.), Stäblein (wie Anm. 12), S. 357–406 und S. 597–606, sowie Giuseppe Zivelonghi e Claudia Adami, I codici liturgici della cattedrale di Verona, Verona 1987, S. 44 f. und S. 106 f. (mit Bibliographie). Zu dem schon von Clemens Blume in AH 51, S. 140 festgestellten Zusammenhang mit dem Repertoire der (süd-) deutschen Klöster s. Stäblein (wie Anm. 12), S. 598 (mit Hinweisen auch zur entsprechenden melodischen Verwandtschaft). 20 Nach Ausweis des kritischen Apparates zu AH 51, Nr. 140 findet sich der Hymnus interessanterweise auch in der Handschrift Amiens, Bibl. mun. 131, die aus Corbie zu stammen scheint.
liturgischer hymnus und monastische reform
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– Anscheinend nur in Handschriften aus dem Hirsauer Reformkreis überliefert (3 Stücke): Christe fili Iesu (Nr. 46), Alma lux siderum (Nr. 89) und der Commune-Hymnus Hic est verus christicola (Nr. 106). Das Bild, das sich hier ergibt, ist recht eindeutig: Das Hirsauer Hymnar wurzelt ganz klar in seinem südwestdeutschen Umfeld und zeigt sich fast völlig unberührt von französischen Einflüssen. Bedenkt man die Rolle, die Cluny für die Gestaltung der Hirsauer Liturgie spielt, so verdient dieser Befund besonders hervorgehoben zu werden. Er wird im übrigen auch durch den Vergleich mit dem Hymnenrepertoire von Marmoutier bei Tours, in dem Waddell wohl zu Recht die Tradition des frühen Cluny vermutet21, absolut bestätigt: Nimmt man die Neuerungen Hirsaus gegenüber dem „Neuen Hymnar“, so zeigt sich, dass sie in Marmoutier durchweg fehlen. Die einzige Ausnahme bildet die Dreiergruppe Dei fide, Qua Christus hora und Ternis ter horis für die kleinen Horen der Fastenzeit (Nr. 54), die in beiden Listen auftaucht.22 Stellt man fest, dass diese drei Hymnen offenbar Traditionsgut darstellen, das einerseits zum festen Bestand der Liturgie Clunys gehört23 und andererseits in nicht-hirsauischen Hymnaren des deutschen Sprachraums kaum überliefert ist – der Apparat zu AH 51, Nr. 63, 65 und 66 nennt überhaupt nur eine einzige deutsche Quelle, nämlich Rheinau 129 (s. oben, Anm. 8), wo die drei Stücke bezeichnenderweise in der „Hirsauer“ Nachtragsschicht stehen –, so drängt sich der Schluss auf, dass hier in der Tat eine Berührungsstelle zwischen Cluny und Hirsau greifbar wird. Gleiches gilt wohl auch für die beiden Zusatzstrophen Quaesumus auctor (Nr. 61*) und Hic Christe nunc (Nr. 67*) für die Osterund Pfingstzeit, die ebenfalls aus Cluny übernommen worden sein dürften.24 Im Vergleich zum gesamten Hymnar nehmen sich diese StelWaddell, Cistercian Hymnal (wie Anm. 14), S. 9–16. Für Marmoutier s. Waddell (wie Anm. 14), S. 14 (Nr. 38–40). 23 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Blick in die Brauchtexte Clunys und seiner Umgebung (mit Ausnahme von Ulrich von Zell zitiert nach dem Corpus Consuetudinum Monasticarum, ed. Kassius Hallinger, Siegburg 1963 ff., künftig CCM). Vgl. z. B. Udalrici Consuetudines Cluniacenses I 52 (PL 149, Sp. 697AB), wo die Ausstattung der kleinen Horen mit eigenen Fastenhymnen als Besonderheit (die z. B. von den monachos Italiae et ipsius sedis apostolicae et ecclesiae Romanae nicht geteilt werde) hervorgehoben und Ternis ter horis ausdrücklich zitiert wird; ebenso Consuetudines Fructuarienses-Sanblasianae 147 (CCM 12,1, S. 136). 24 Auch hier ist erneut auf die Brauchtexte zu verweisen: Liber tramitis aevi Odilonis abbatis 71 und 74.3 (CCM 10, S. 107 und S. 114); Udalrici Consuetudines Cluniacenses I 15 und 24 (PL 149, Sp. 665A und Sp. 672B); Consuetudines FructuariensesSanblasianae 181 und 196 (CCM 12,1, S. 195 und S. 223). 21 22
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hirsau und sein kreis
len allerdings nur wie kleine, vereinzelte Farbtupfer aus, die an der – auch an den Melodien ablesbaren25 – deutschen Prägung des Hirsauer Repertoires nichts ändern. Dieser Sachverhalt deckt sich völlig mit dem Befund, der im Zusammenhang mit der Untersuchung des Hirsauer Liber ordinarius bereits für andere signifikante Textreihen aus Offizium und Meßliturgie (Adventsresponsorien, Totenoffizium, nachpfingstliche Alleluiaverse) erhoben werden konnte: Hirsau übernimmt zwar im wesentlichen das liturgische Zeremoniell Clunys, bleibt aber für das liturgische Repertoire seiner eigenen Umgebung, sprich: der Tradition des Reichsgebiets, verpflichtet.26 Die dort angeschnittene Frage nach dem exakten Anknüpfungspunkt Hirsaus innerhalb dieser „deutschen“ Repertoire-Tradition ist also erneut zu stellen, wobei sich zeigt, dass abschließende Antworten auch diesmal nicht zu finden sind. Drei Möglichkeiten stehen dabei im Vordergrund: Einsiedeln, die Tradition der Bodenseeklöster Reichenau und St. Gallen und schließlich St. Emmeram in Regensburg. Wolfgang Irtenkaufs Vermutung, dass aus dem gorzisch geprägten Einsiedeln, von wo aus Hirsau 1065 durch eine Gruppe von Mönchen unter der Leitung von Abt Friedrich, Wilhelms unmittelbarem Vorgänger, neu besiedelt worden war27, auch Choralhandschriften in das Schwarzwaldkloster gelangt sein könnten, erscheint absolut naheliegend.28 Die eben angesprochenen Vergleiche im Bereich der Respon25
Bemerkenswert ist insbesondere der Befund bei Hymnen, die Hirsau mit der Kemptener Überlieferung (Zürich, Zentralbibl., Rh. 83; s. o. S. 234 mit Anm. 12) teilt: Überprüft man den einzigen bisher für die melodische Gestalt des Hirsauer Repertoires zur Verfügung stehenden Textzeugen aus dem 12. Jahrhundert, die Zwiefaltener Handschrift Stuttgart, Württemberg. Landesbibl., Cod. brev. 98 (vgl. Anm. 10), so zeigt sich, dass er in der Wahl der Melodie fast durchweg mit Kempten übereinstimmt. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang das Beispiel von Beata nobis gaudia (Nr. 68): Stäblein (wie Anm. 12), S. 665, weist dafür nicht weniger als 21 verschiedene Melodien nach, und auch hier geht die Zwiefaltener Handschrift mit Rh. 83 zusammen (Stäblein [wie Anm. 12], S. 258: Melodie 5301), während sich z. B. gegenüber der Einsiedler Tradition (Melodie 5302: Stäblein [wie Anm. 12], S. 294 f.) bereits kleine, aber doch unübersehbare Unterschiede feststellen lassen. 26 Vgl. Heinzer, Liber ordinarius (wie Anm. 1), S. 341–346 [in diesem Band, S. 220 ff]. 27 Friedrich wurde 1069 wieder abgesetzt und dann durch Wilhelm ersetzt, der sich allerdings erst 1071 zum Abt weihen ließ. Vgl. Klaus Schreiner, Hirsau und die Hirsauer Reform. Spiritualität, Lebensform und Sozialprofil einer benediktinischen Erneuerungsbewegung im 11. und 12. Jahrhundert, in: Hirsau St. Peter und Paul (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 59–84, hier S. 60 und 81. 28 Wolfgang Irtenkauf, Beiträge zur Einführung der Liniennotation im südwestdeutschen Sprachraum, in: Acta Musicologica 33 (1960), S. 33–39, hier S. 36.
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sorien und der Alleluiaverse haben allerdings gezeigt, dass sich Hirsau diesbezüglich sehr deutlich von der Einsiedler Tradition abhebt29, und dieser Befund wird hier im wesentlichen bestätigt. Zwar sind an einzelnen Stellen, wie etwa bei Almi prophetae (s. o. Anm. 18), Verbindungen mit Einsiedeln nicht von der Hand zu weisen, aber es ergeben sich insgesamt so erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Repertoires30, dass an einer direkten Beeinflussung doch starke Zweifel angebracht erscheinen. Ähnlich ist die Sachlage im Hinblick auf die Tradition der beiden Bodenseeklöster Reichenau und St. Gallen, die wir insbesondere im schon mehrfach genannten Kemptener Hymnar repräsentiert sehen dürfen. Von den melodischen Bezügen zu Rheinau 83 war schon die Rede (s. Anm. 18 und 25), und auch die Verwendung des sanktgallischen Cantemus cuncti (Nr. 50) anstelle eines der üblichen Septuagesimahymnen passt zu dieser Beobachtung, doch auch hier sind die Abweichungen in der Auswahl der verwendeten Hymnen so stark, dass nicht zu übersehen ist, dass Hirsau bei aller grundsätzlichen Verwandtschaft mit dieser Tradition dennoch eigene Wege eingeschlagen und individuelle Lösungen gefunden hat. Die Hypothese einer Anknüpfung an die Tradition von St. Emmeram, die aufgrund der Herkunft Wilhelms aus der Regensburger Abtei besonders verlockend erscheint, bietet von vornherein ein kaum lösbares methodisches Problem, weil sich aus der Zeit vor dem Anschluss an die Hirsauer Reform, der erst in den vierziger Jahren des 12. Jahrhunderts erfolgte, gar keine Offiziumsquellen erhalten haben31, die vorhirsauische Gestalt des St. Emmeramer Hymnars somit nicht mehr greifbar ist. Der Blick zurück scheint also unwiederbringlich verstellt, wenn nicht doch noch, was allerdings sehr wenig wahrscheinlich ist, von irgendwo unbekannte oder unerkannte Handschriften auftauchen. Einigermaßen überraschend öffnet sich nun aber dennoch eine Tür – wenn auch nur gerade einen kleinen Spalt breit – in diese Richtung, und zwar im Zusammenhang mit dem Dionysius-Hymnus Alma lux siderum (Nr. 88) aus dem oben vorläufig als Eigengut angesprochenen Komplex. Vgl. Heinzer, Liber ordinarius (wie Anm. 1), S. 347 [in diesem Band, S. 222]. Dies zeigt der Vergleich zwischen der hier rekonstruierten Hirsauer Liste und der Präsentation des Einsiedler Hymnars in Stäblein (wie Anm. 12), S. 261–301 und S. 581– 589. 31 Vgl. zu diesem Problem schon Heinzer, Liber ordinarius (wie Anm. 1), S. 346 mit Anm. 136 [in diesem Band, S. 221–222]. 29 30
242
hirsau und sein kreis
Geht man aus von den Angaben Clemens Blumes in AH 51, so wäre die Überlieferungssituation von Alma lux siderum identisch wie die von Christe fili Iesu und Hic est verus christicola, da als Quellen – zumindest in der ältesten Überlieferungsschicht – ausschließlich Handschriften aus hirsauischen Klöstern namhaft gemacht werden.32 Nun gibt es jedoch einen weiteren, von Blume nicht herangezogenen Textzeugen aus älterer, vorhirsauischer Zeit, nämlich die aus dem 11. Jahrhundert stammende Münchener Handschrift Clm 14069 aus St. Emmeram.33 Diese Provenienz überrascht ganz und gar nicht, denn in St. Emmeram entwickelt sich bekanntlich um etwa 1040 ein starker Aufschwung der Dionysius-Verehrung, der in der Behauptung kulminiert, man sei im Besitz des heimlich aus St. Denis entführten Leibs des (Pseudo-) Areopagiten und Bischofs von Paris.34 Dass dieser Anspruch, der sich erstmals 1049 in einem – von der Forschung meist Otloh zugeschriebenen – Translationsbericht artikulierte, auch zur Ausformung entsprechender liturgischer Texte (und Melodien), insbesondere eines Offiziums, führte35, gehört zur gängigen Dynamik eines solchen Vorgangs, wie sich aus zahlreichen mittelalterlichen Parallelfällen zeigen ließe. Für Dass der Hymnus auch in dem aus Schäftlarn stammenden Clm 17024, einer nicht-hirsauischen Handschrift also, zu finden ist, dürfte durch das Dionysius-Patrozinium des 1140 in eine Prämonstratenserpropstei umgewandelten Klosters zu erklären sein (vgl. auch Kraus, Translatio [wie Anm. 34], S. 56). 33 Auf die richtige Spur führt der Hinweis in Initia carminum latinorum saeculo undecimo antiquiorum, bearb. von Dieter Schaller und Ewald Könsgen, Göttingen 1977, S. 28 Nr. 92. 34 Vgl. dazu Bernhard Bischoff, Literarisches und künstlerisches Leben in St. Emmeram (Regensburg) während des frühen und hohen Mittelalters, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 51 (1933), S. 102–142, im folgenden zitiert nach dem Wiederabdruck in: ders., Mittelalterliche Studien, Bd. 2, Stuttgart 1967, S. 77–115 (hier bes. S. 102–107); außerdem Helga Philipp-Schauwecker, Otloh und die St. Emmeramer Fälschungen des 11. Jahrhunderts, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Regensburg und die Oberpfalz 106 (1966), S. 103–120, und Andreas Kraus, Die Translatio S. Dionysii Areopagitae von St. Emmeram in Regensburg (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse 1972/4), München 1972. 35 Vgl. Bischoff, Literarisches Leben (wie Anm. 34), S. 105 f., sowie jetzt auch David Hiley, The Regensburg Offices for St Emmeram, St Wolfgang and St Denis, in: 10th International Musicological Congress „Musica Antiqua Europae Orientalis“ Bydgoszcz, September 7th–11th 1994, Bydgoszcz 1994, S. 299–312. – David Hiley möchte das in Clm 14871 überlieferte Offizium mit guten Gründen für Otloh in Anspruch nehmen, dem also nicht nur für die „historische“ Begründung der St.-Emmeramer Dionysius-Verehrung eine wichtige Rolle zufiele, sondern auch für deren liturgische Ausgestaltung; das Offizium in Clm 14069 wäre hingegen als ältere, möglicherweise noch vor die Regensburger Vorgänge zurückreichende Version anzusehen. 32
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uns von besonderem Interesse sind hier die drei Hymnen, die in Clm 14069 auf fol. 23 eingeschoben sind, darunter unser „Hirsauer“ Hymnus, der hier allerdings zwei zusätzliche Strophen über die angebliche Translation der Dionysius-Reliquien nach Regensburg enthält.36 Die Deutung dieses Sachverhalts erscheint klar: Die beiden Sonderstrophen in Clm 14069 sind nicht als regensburgischer Zusatz anzusehen, sondern gehören zum ursprünglichen Bestand des mit großer Wahrscheinlichkeit in St. Emmeram entstandenen Hymnus.37 Von da dürfte Wilhelm, der Vertraute und Freund Otlohs, dessen zentrale Rolle in der Regensburger Dionysius-Begeisterung schon herausgestellt wurde, Alma lux siderum übernommen38 und nach Hirsau gebracht haben, wo das Stück um die zwei fraglichen Strophen gekürzt wurde, um auch außerhalb Regensburgs leichter verwendbar zu sein. In dieser reduzierten Form, wie sie auch in AH 51 erscheint, hat der Hymnus dann seine weitere Karriere gemacht, die ihn als Bestandteil des Hirsauer Repertoires bis nach Thüringen, in die Steiermark und sogar nach Böhmen und Friaul führte. Das oben für Hirsau in Anspruch genommene Eigengut reduziert sich dadurch auf zwei Stücke, doch ist dies leicht zu verschmerzen durch den Gewinn für die so zentrale Frage einer möglichen Verbindungslinie vom liturgischen Repertoire Hirsaus zurück nach St. Emmeram. Erstmals wird hier ein ganz konkreter Zusammenhang greifbar, der freilich nur sehr punktuell ist. Daraus die Folgerung abzuleiten, das ganze Hirsauer Hymnar sei aus Wilhelms früherer Klosterheimat übernommen worden, wäre allerdings zu gewagt und entbehrte jeder sicheren Grundlage. 36 Vgl. Bischoff, Literarisches Leben (wie Anm. 34), S. 106. Clemens Blume erwähnt diese Erweiterung lediglich als Nachtrag in der Emmeramer Handschrift Clm 14741 aus dem 15. Jahrhundert (AH 51, Nr. 153, Apparat S. 179), wo allerdings nur die erste der beiden Strophen erscheint – vermutlich aus der alten (ursprünglichen) Fassung in Clm 14069 in die unterdessen geläufig gewordene gekürzte (Hirsauer) Fassung eingefügt. 37 „Verfasst worden sind die drei Dichtungen wahrscheinlich in St. Emmeram“ (Bischoff, Literarisches Leben [wie Anm. 34], S. 106). 38 Offenbar wurde dabei auch die Melodie der Emmeramer Fassung – eine Variante von Stäbleins Melodie 521 – übernommen, soweit sich aus dem Vergleich der in Anm. 10 und Anm. 25 bereits genannten Zwiefaltener Handschrift (Stuttgart, Württemberg. Landesbibl., Cod. brev. 98) mit Clm 14069, f. 23r (leider nur bis robur martyrum notiert) feststellen lässt. Ich danke David Hiley für seine freundliche Übermittlung von Kopien der Münchener Handschrift. – Zum Versmaß s. Dag Norberg, Introduction à l’étude de la versification latine médiévale (Studia Latina Stockholmiensia 5), Stockholm 1958, S. 124.
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In diesem Zusammenhang erscheint es bezeichnend, dass Hirsau für die Feier des hl. Dionysius zwar den St. Emmeramer Hymnus übernimmt, nicht aber das neue, vermutlich von Otloh geschaffene Offizium.39 Weniger ins Gewicht fallen mag dagegen die Tatsache, dass im Hirsauer Hymnar weder der von Meginfried von Magdeburg eigens für die Regensburger Abtei geschaffene Hymnus Christe iustos hominum favores zu Ehren des Klosterpatrons Emmeram40 Verwendung gefunden hat – als ausgesprochener Patroziniums-Hymnus war er ohnedies kaum außerhalb von St. Emmeram verwendbar –, noch auch der möglicherweise mit Otloh zusammenhängende Nikolaus-Hymnus Creaturae factor omnis.41 Jedenfalls sprechen diese Beobachtungen insgesamt eher für ein selektives Verhältnis Hirsaus zur liturgischen Tradition St. Emmerams. 3. Hirsauer Sondergut Zwei Hymnen sind – nach dem Ausscheiden des Sonderfalls Alma lux siderum – als typische Stücke der Hirsauer Tradition und somit vielleicht sogar als Hirsauer Eigenschöpfungen übriggeblieben: Christe fili Iesu summi zum Fest des hl. Benedikt (unsere Nr. 46) und Hic est verus christicola für das „Commune unius confessoris“ (Nr. 106). Einige Bemerkungen zu diesen Hymnen erscheinen angebracht. Zunächst zu den Textzeugen, welche für die Edition der beiden Texte in den Analecta Hymnica benutzt wurden. In der ältesten Überlie39 Dies zeigt der Vergleich von Hänggi, Liber ordinarius (wie Anm. 4), S. 211 f. mit der Tabelle 2 bei David Hiley, Regensburg Offices (wie Anm. 35). 40 AH 23 Nr. 285. Vgl. dazu Franz-Josef Worstbrock, Meginfried von Magdeburg, in: VL2, Bd. 6 (1986), Sp. 303–305, hier Sp. 305. Zu Meginfrieds Offizium für Emmeram, das ebenfalls nicht in Hirsau Verwendung finden sollte (Emmeram wurde dort nur mir einer Kommemoration bedacht, s. Hänggi [wie Anm. 4], S. 208), vgl. Bischoff, Literarisches Leben (wie Anm. 34), S. 85. 41 Jeweils im Umfeld von Otlohs Nikolaus-Vita (Bibliotheca Hagiographica Latina, Bruxelles 1900–1901, Nr. 6126) findet sich der Hymnus beispielsweise in der am 6. Dezember 1983 bei Sotheby’s versteigerten und 1995 von der Württembergischen Landesbibliothek erworbenen ehemals Weißenauer Passionalehandschrift aus dem 12. Jahrhundert (jetzt: Stuttgart, Württemberg. Landesbibl., Cod. theol. 4° 654, fol. 20rv), aber auch im bekannten „Stuttgarter Passionale“ aus Zwiefalten (Stuttgart, Württemberg. Landesbibl., Cod. bibl. 2° 57, fol. 150r). Den Hinweis darauf verdanke ich Herrad Spilling (Stuttgart). – Gerade der Fall der Passionalehandschrift aus Zwiefalten ist von besonderem Interesse, weil er zu bestätigen scheint, dass das Stück im Kontext der hagiographischen Lesung zwar auch in hirsauisch geprägtem Milieu bekannt war, als gesungener liturgischer Hymnus aber offenbar keine Verwendung fand (im Hymnar Cod. brev. 98 [s. o. Anm. 10] fehlt Creaturae factor omnis bezeichnenderweise).
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ferungsschicht (12./13. Jahrhundert) sind ausschließlich Hirsauer Klöster vertreten, wie die folgende Aufschlüsselung der beiden Apparate zeigt. Es sind in beiden Fällen jeweils weitgehend dieselben Handschriften, die im übrigen, wie eben schon angedeutet, auch die verkürzte Hirsauer Fassung von Alme lux siderum enthalten und selbstverständlich auch im Apparat der übrigen Hymnen der rekonstruierten Hirsauer Liste immer wieder begegnen. Um den Nachweis möglichst knapp zu fassen, beschränke ich mich im folgenden auf die Siglen des kritischen Apparats der Analecta Hymnica, dem die entsprechenden Informationen zur heutigen Bibliotheksheimat und zu den Signaturen der einzelnen Textzeugen entnommen werden können. Ebenso verzichte ich auf Literaturangaben zu Klöstern, deren Zugehörigkeit zur Hirsauer Reform keiner weiteren Erörterung bedarf, und gebe entsprechende Hinweise nur bei Spezialfällen, die in der Forschung kontrovers diskutiert werden oder sonst einer Klärung bedürfen. Christe fili Iesu (AH 51 Nr. 147): A und B: Zwiefalten; C: St. Peter in Salzburg42; D: Prüll43; E: Admont; F: Lokalisierung unklar, aber sicherlich aus einem Kloster der Hirsauer Reform44; G: Rheinau45; H und I: Moggio46; K–M: 42 Zu den Hirsauer Beziehungen St. Peters vgl. jetzt u. a. Joachim Wollasch, „Spuren Hirsauer Verbrüderungen“, in: Hirsau St. Peter und Paul (wie Anm. 6), Bd. 2, S. 173– 193, bes. S. 191 f. 43 Das in AH 51 wegen eines entsprechenden Besitzvermerks aus dem 14. Jahrhundert als Oberaltaicher Handschrift angeführte Brevier (Clm 9633) stammt nach Elisabeth Klemm, Die Romanischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek. Teil 1: Die Bistümer Regensburg, Passau und Salzburg, (Katalog der illuminierten Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München 3/1) Wiesbaden 1980, Kat.-Nr. 140, aus Prüll bei Regensburg. Zur hirsauischen Prägung Prülls s. Germania Benedictina, Bd. 2: Die Benediktinerklöster in Bayern, bearb. von Josef Hemmerle, Ottobeuren 1970, S. 235. 44 London, British Library, Add. 18301: vgl. Heinzer, Liber ordinarius (wie Anm. 1), S. 324 mit Anm. 57 [in diesem Band, S. 199], mit Diskussion der Lokalisierung nach St. Emmeram durch Cesare Scalon, La Biblioteca Arcivescovile di Udine (Medioevo e Umanesimo 37), Padova 1979, S. 30 mit Anm. 28. Diese stützt sich auf die Responsorienreihe des Totenoffiziums, das jedoch nicht für St. Emmeram, sondern für die Hirsauer Liturgie insgesamt charakteristisch ist (s. in diesem Band, S. 198–199; der dort postulierte Zusammenhang mit der Hirsauer Reform wird durch die jetzt festgestellte Relevanz der Handschrift für das Hymnar noch einmal bestätigt). 45 Es handelt sich um das schon mehrfach angesprochene Hymnar Zürich, Zentralbibl. Rh. 97, genauer um seine Hirsauer Nachtragsschicht (Näheres s. oben S. 226 mit Anm. 8). 46 Die alten Signaturen fol. 18 und IV° (= qt.) 32, unter denen die beiden in der
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Weingarten; N: Gengenbach; O: Prüfening47. Unter den darüber hinaus angeführten jüngeren Textzeugen, die ebenfalls fast ausschließlich Hirsauer Klöstern entstammen, sind zwei von besonderem Interesse: die unter der Sigle Q angeführte Handschrift A LVII.1. der Bibliothek des Prager Metropolitankapitels, die möglicherweise aus Ostrov stammt48, und Ms. Arundel 340 der British Library. Die Überlieferung im Prager Kodex dürfte im Zusammenhang stehen mit der über Zwiefalten vermittelten Ausstrahlung der Hirsauer Reform im 12. Jahrhundert nach Böhmen (Kladrau).49 Die bisher wenig beachtete Londoner Handschrift aus dem frühen 14. Jahrhundert, die Mearns versuchsweise nach Salzburg lokalisiert50, kommt durch ihr Auftauchen in den Apparaten von Christe fili und Hic est vere unter starken „Hirsau-Verdacht“, und das Interesse verstärkt sich noch, wenn man im Katalog des Arundel-Bestands51 die Information findet, der Codex enthalte nach dem Hymnar ein „Directorium chori, continens responsoria, versus et antiphonas … pro festis et diebus totius anni …“. Sollte hier etwa – über die Beschäftigung mit dem Hirsauer Hymnar – ein neuer Textzeuge für den Hirsauer Liber ordinarius aufgetaucht sein? Diese einigermaßen überraschende Pointe bestätigte sich zumindest teilweise bei der Überprü-
Biblioteca Arcivescovile in Udine aufbewahrten Handschriften in AH 51 zitiert werden, sind zu ersetzen durch cod. 77 und cod. 45 (s. Scalon, Biblioteca Arcivescovile [wie Anm. 44], S. 143–147 und S. 114–116). Präzisierungen zur Frage der Lokalisierung bei Heinzer, Liber ordinarius (wie Anm. 1), S. 322–325 [in diesem Band, S. 201–204]. 47 Hier wären die für unsere Rekonstruktion herangezogenen, in AH 51 nicht benutzten Prüfeninger Handschriften aus Stuttgart und München (s. o. S. 226 mit Anm. 7) anzuschließen. 48 Adolf Patera, Antonín Podlaha, Soupis Rukopis u ˘ Knihovny Metropolitní Kapitoly Praˇzké, Bd. 1, Prag 1910, S. 48 f. 49 Vgl. hierzu Rainer Joos, Zwiefalten und Kloster Kladrau (Kladruby) in Böhmen, in: 900 Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten, hrsg. von Hermann Josef Pretsch, Ulm 1989, S. 49–60. – In analoger Weise tauchen im Rahmen der von René-Jean Hesbert unternommenen Antiphonar-Klassifizierung mittels der Adventsresponsorien innerhalb der Gruppen III und IV, die als Repräsentanten der Hirsauer Tradition interpretiert werden konnten (vgl. in diesem Band, S. 217–220), ebenfalls böhmische Handschriften auf, nämlich das Brevier VI E 4c und das Antiphonar XIV B 13 der Universitätsbibliothek Prag, beide aus dem Prager St. Georgskloster stammend (s. CAO, Bd. 5, Rom 1975, S. 412 und S. 522). 50 Mearns, Hymnaries (wie Anm. 8), S. XVII Nr. 6. 51 Catalogue of Manuscripts in the British Museum. New Series, vol. 1, London 1834, S. 102.
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fung des Mikrofilms, den das Musikwissenschaftliche Institut Erlangen freundlicherweise besorgte: Die recht komplex und eigenwillig strukturierte Handschrift enthält von 59r bis 64v zumindest Teile des Ordinarius, und zwar Ausschnitte aus der Regelung der Liturgie für die Zeit nach Pfingsten sowie die Ordnung der Votivmessen.52 Das Hymnar entspricht grundsätzlich dem hier rekonstruierten Hirsauer Typus, weist aber einige Einschübe auf: nebst den auch sonst in Handschriften des Hirsauer Kreises öfter zu findenden Standardstücken Chorus novae Jerusalem (AH 50, Nr. 215) und Iam Christus astra ascenderat (AH 51, Nr. 92) zu Ostern bzw. zu Pfingsten (23r und 25v–26r) und dem Vesperhymnus Lux maris zu Mariae Lichtmeß (AH 52, Nr. 50) bemerkenswerterweise auch zwei selten überlieferte Hymnen zu Ehren des hl. Rupert (Macte summe confessorum; AH 23, Nr. 470) und des hl. Blasius ([O] Sancte Blasi plebi tuae53). Der Rupert-Hymnus dürfte der Ansatzpunkt für die Salzburger Lokalisierung bei Mearns gewesen sein. In den Salzburger Umkreis weisen aber auch die von Mone herangezogenen Textzeugen des Blasius-Hymnus, der im übrigen im Schlussteil der Handschrift, der als Antiphonarauszug charakterisiert werden könnte, insofern ein gewisses Gegenstück findet, als dort 171r–172v Teile eines Blasius-Festoffiziums, darunter die auch in Rheinau gesungenen Antiphonen Angelus autem domini und Haec eo orante54, zu finden sind. Möglicherweise darf man diesen Akzent als Spur eines Einflusses der von St. Blasien ausgehenden, über Fruttuaria ebenfalls cluniazensischen Idealen verpflichteten Reform deuten, die bekanntlich gerade im österreichischen Raum, insbesondere über Göttweig, durchaus zum Tragen gekommen ist, und sich dabei nicht selten mit Hirsauer Impulsen berührt hat. Vielleicht ist die Londoner Handschrift, deren teilweise deutsche Rubriken im übrigen auf ein Frauenkloster deuten könnten – etwa das dem hl. Blasius geweihte Göttweiger Nonnenkloster? – ein (später) Zeuge dieser „Gemengelage“.55
52 Hänggi (wie Anm. 4), S. 23732–2384, 2395–18, 2386–12, 23833–2394, 23932–24317, 24421–2482 (ohne 24612–24727), 2494–6 sowie 24910–30 und 2506–16. 53 Für das in den Analecta Hymnica anscheinend nicht nachgewiesene Stück s. Franz Joseph Mone, Lateinische Hymnen des Mittelalters, Bd. 3, Freiburg i. Br. 1855, Nr. 856 (nach zwei Handschriften aus Admont und St. Peter in Salzburg, möglicherweise unseren Textzeugen C und E für Christe fili). 54 Vgl. Hänggi (wie Anm. 4), S. 869 f. und S. 8713 sowie S. 866. 55 Enge Beziehungen zwischen Hirsau und St. Blasien belegen im Übrigen ja auch die Verbrüderungen zwischen den beiden Zentren: vgl. Wollasch (wie Anm. 42), S. 183–186, bes. S. 185 f. (ebd. S. 190 zu Göttweig).
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Hic est verus christicola (AH 52 Nr. 70): A: Rheinau56; B: Prüll (= D in Christe fili), C: Prüfening (= O in Christe fili); D: Admont (= E in Christe fili); E: Moggio57; G: Gengenbach (= N in Christe fili). Zu ergänzen wäre dieses Panorama selbstverständlich durch die für unsere Rekonstruktion herangezogenen und auch für Christe fili berücksichtigten Handschriften aus Zwiefalten und Weingarten. Bemerkenswert ist, dass auch hier Textzeugen aus böhmischen Benediktinerklöstern auftauchen (Siglen F und H–K), was die bei Christe fili gemachte Beobachtung ergänzt und bestätigt. Auch der diesmal im Apparat der AH nicht berücksichtigte Arundel 340 enthält Hic est verus, wie die Überprüfung anhand des Films zeigte und wie sich übrigens auch Mearns, Hymnaries (wie Anm. 8), S. 99, entnehmen lässt. Mearns erwähnt an dieser Stelle übrigens als weiteren Textzeugen Oxford, Bodleian Library, Can. lit. 297 aus dem ebenfalls hirsauisch geprägten Kloster Münsterschwarzach.58 Eine genaue Analyse der beiden Hymnen, die vorläufig als Hirsauer Kreationen gelten dürfen, muss, was die philologische und die musikalische Seite anbelangt, anderweitigen Untersuchungen überlassen bleiben. An dieser Stelle können lediglich einige erste Hinweise gegeben werden. Wenden wir uns zunächst Christe fili zu, so zeigt sich rasch, dass hier keine sonderlich originelle Neuschöpfung vorliegt, sondern ein von mehreren „Vorlagen“ abhängiges Gebilde. Primäres Vorbild, das sozusagen das tragende Gerüst für Christe fili abgibt, ist der seit dem frühen 11. Jahrhundert belegte, vielleicht in der Einflusssphäre St. Gallens und der Reichenau entstandene Mauritius-Hymnus Alma Christi quando fides (AH 51 Nr. 178)59, der auch im Hirsauer Repertoire Aufnahme gefunden hat (Nr. 84). Dies belegen die exakte Übereinstimmung im Strophenbau und in der Melodie60 und die textlichen Bezüge, die aus der folgenden Gegenüberstellung leicht ersichtlich werden: Clemens Blume benutzt hier die Zürcher Handschrift Rh. 129 (s. o. Anm. 8). Udine, Bibl. Arciv., Cod. 72 (olim fol. 13). Vgl. Scalon (wie Anm. 44), S. 136–138; Heinzer, Liber ordinarius (wie Anm. 1), S. 322–325 [in diesem Band, S. 202–204]. 58 S. zu dieser Handschrift auch Heinzer, Liber ordinarius (wie Anm. 1), S. 342 Anm. 119 [in diesem Band, S. 218]. 59 Vgl. auch Mearns, Hymnaries (wie Anm. 8), S. 6. Der älteste Zeuge der Analecta Hymnica ist die Brevierhandschrift Cod. 387 der Stiftsbibliothek St. Gallen, die von Klaus Gamber, Codices liturgici latini antiquiores, 2. verb. Aufl., Freiburg/Schweiz 1968, Nr. 1688b, in das 2. Viertel des 11. Jahrhunderts datiert wird. 60 Melodie 162, deren Stammtext der Kirchweihhymnus Urbs beata Jerusalem (s. oben 56 57
liturgischer hymnus und monastische reform Christe fili
Alma Christi
23–4 Quo beati Benedicti
23–4 Qua beata Thebaeorum induebat agmina
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63–4 Quo beatam Thebaeorum legionem colimus 33–4 Ut honorem mundi omnes mente floccipenderent
33–4 Floccipendunt mundi poenas sub momento vincere
41 Alma Christi sempiterni
41 Alma Christi quando fides
45–6 Christo, quo dignetur esse peccatis propitius
43–4 Ut dignetur nobis Christum facere propitium
Eine zweite, etwas verstecktere Quelle dürfte der altehrwürdige, selbstverständlich auch in Hirsau gebräuchliche Pfingsthymnus Veni creator Spiritus (AH 50, Nr. 144) sein. Besonders deutlich wird dies im Kontext jener merkwürdigen Schwankung, die bezüglich der Anrederichtung des Hymnus zu beobachten ist. Abgesehen von der Schluss-Doxologie, die wie üblich trinitarisch strukturiert ist, richtet sich der Hymnus in seiner Gesamtheit an Christus, wie in den Anfangszeilen der Strophen 1 und 3 deutlich wird (Christe fili Iesu summi, Quem donasti tuo Christe). Im zweiten und dritten Zeilenpaar der Eröffnungsstrophe erfolgt jedoch eine Erweiterung der Anrede auf den Heiligen Geist, was schon Clemens Blume in seiner Ausgabe des Hymnus (AH 51, Nr. 147) herausgestellt hat. Für die Ausrichtung eines Hymnus auf Christus als zweite trinitarische Person lassen sich eine größere Anzahl von Belegen finden, und der eben genannte Pfingsthymnus Veni creator Spiritus ist ein Beispiel für eine Anrede des Heiligen Geistes. Eine Anrede von zweiter und dritter Person, d. h. von Sohn und Geist, ohne (direkte) Nennung der Person des Vaters erscheint hingegen einigermaßen überraschend und, wie Blume anmerkt, „inhaltlich befremdend“. Hier der Wortlaut der ersten Strophe in extenso: Christe fili Iesu summi mentes nostras visita, Coaequalis patri atque nato, alme Spiritus, Una virtus, lumen unum, Deus perpes ex Deo. Nr. 95) sein dürfte und die insbesondere in Deutschland immer wieder für neue Texte herangezogen wurde, wie die Angaben bei Stäblein (wie Anm. 12), S. 548, deutlich machen.
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hirsau und sein kreis
Irritierend ist insbesondere das Unklare, Oszillierende dieser Anrede-Verschiebung. Dies beginnt schon in der zweiten Zeile (mentes nostras visita), die unmittelbar die schon angedeutete Assoziation an Veni creator spiritus weckt und zweifellos als Reminiszenz an mentes tuorum visita, den zweiten Vers des Pfingsthymnus, gedeutet werden darf. Damit ist sowohl ein sprachliches als auch ein theologisches Problem verknüpft, denn die Wendung mentes nostra visita wird nicht nur – wegen der eben angesprochenen Konnotation – im spontanen assoziativen Empfinden auf den Heiligen Geist bezogen, sondern auch auf der theologischen Reflexionsebene, da die gnadenhafte Einwohnung im geheiligten Menschen, die hier gemeint ist, in der biblischen, patristischen und mittelalterlichen Tradition dem Geist in besonderer Weise zugeschrieben, ja geradezu als sein Proprium gesehen wird. Andererseits erlaubt es die Struktur der Strophe nicht, Zeile 2 auf Spiritus in Zeile 3–4 zu beziehen, da sonst der in der ersten Zeile angesprochene Sohn ohne Ergänzung durch ein Prädikat sozusagen als „Vocativus absolutus“ stehenbliebe. So gesehen müsste man die zweite Zeile zur ersten ziehen und den ersten Satz mit visita zu Ende gehen lassen. Diese Phrasierung hätte allerdings, da visita als Verb zu Spiritus nicht mehr verfügbar wäre, auch zur Folge, dass der mit Coaequalis patri beginnende Satz sein Verb erst zu Beginn der zweiten Strophe (Auge fidem) finden, also über das Strophenende hinausreichen würde – eine Konstruktion, die insgesamt unausgewogen und wenig glücklich anmutet. Nicht viel überzeugender erscheint allerdings die Alternative, mentes nostra visita sozusagen in einer Doppelabhängigkeit von Christe und Spiritus schweben zu lassen und auf beide Personen zu beziehen. Eine Bestätigung dieser nicht ganz unproblematischen Sicht könnte man allenfalls in den beiden letzten Zeilen der Strophe, besonders in der Wendung una virtus, lumen unum von Zeile 5, sehen, wie dies auch Blume vorschlägt, nach dessen Meinung sich I, 5–6 „auf Christus und hl. Geist gemeinsam“ beziehen. Allerdings wäre hier anzumerken, was übrigens Blume selbst ebenfalls tut, dass Deus ex Deo (Zeile 6) eine herkömmlicherweise für den Sohn, nicht aber für den Geist gebräuchliche Apposition ist. Mit anderen Worten: Wirkliche Abhilfe für die sprachliche und inhaltliche Problematik des Hymnus, insbesondere der ersten Strophe, bringt keine der beiden Interpretationen. Die Assoziation an Veni creator läßt sich im übrigen bei näherem Zusehen noch etwas verbreitern. So dürfte bei sensibus im eben angesprochenen Beginn der zweiten Strophe Hymnus (Auge fidem puram nostris / semper clemens sensibus) der Anfangsvers der vierten Strophe des
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Pfingsthymnus ebenfalls Pate gestanden haben (Accende lumen sensibus), und Analoges gilt für fons vivus in der zweiten und virtute… perpeti in der vierten Strophe von Veni creator im Hinblick auf fontem vitae diligeret perpetis am Schluss der dritten Strophe des Benedikthymnus. Man tritt dem unbekannten Hirsauer (?) Autor wohl nicht zu nahe, wenn man in Christe fili nicht gerade ein Meisterwerk der Hymnendichtung sieht und den eklektischen Charakter und die oben angedeuteten sprachlichen und inhaltlichen Schwächen des Texts anspricht. Will man dem Hymnus einigermaßen gerecht werden, muss man ihn wohl als eine Art Notbehelf sehen, der dem Dilemma entsprungen sein könnte, dass einerseits das Bedürfnis bestand, für das Fest des Ordensvaters Benedikt als Heiligenfest mit eigenem Offizium für Laudes und Vesper zwei unterschiedliche Hymnen zu singen – offenbar ein wichtiges, wenn auch nicht mit letzter Konsequenz angewandtes Prinzip für die Struktur des Hirsauer Hymnars61 –, andererseits jedoch außer dem für die Laudes verwendeten Magno canentes annua kaum etwas Geeignetes in der Hirsau zugänglichen Tradition greifbar war, da das im deutschen Sprachraum im 11./12. Jahrhundert verfügbare Repertoire an Benedikt-Hymnen ausgesprochen schmal ausfällt. Eher noch unsicherer ist der Boden für eine Einordnung von Hic est verus christicola. Aus der Prager Handschrift XII E 15c (Sigle H in der Edition AH 52, Nr. 70, s. o.) bietet Stäblein den Hymnus mit einer Melodie, die anscheinend nur in Verbindung mit diesem Text vorkommt, also möglicherweise auch für diesen geschaffen wurde.62 Sollte der Text eine Hirsauer Kreation sein, könnte dasselbe also auch für die Melodie zutreffen. Eine Verifizierung anhand des neumierten Zwiefaltener Hymnars (Stuttgart, Cod. Brev. 98) ist leider nicht möglich, da dort die Hymnen für das Commune Sanctorum fehlen. Der Text reiht in wenig origineller Art hymnologische Topoi versatzstückartig aneinander, ohne dass jedoch wirklich klare Anklänge an bekannte Vorbilder oder gar wörtliche Anleihen aus solchen zu entdecken wären. Die einzige Verbindung, die ich erkennen kann, weist von
61 Das zeigt insbesondere der Blick auf den Komplex der nachösterlichen Heiligenfeste, der in unserer Liste mit Nr. 69 beginnt. Für die Matutin (1. Nokturn) wird, wie die entsprechenden Angaben im Liber ordinarius belegen, zumeist ein Hymnus aus dem Commune Sanctorum benutzt. 62 Stäblein (wie Anm. 12), S. 340, S. 595 und S. 685.
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der 3. Strophe von Hic est verus auf die 5. Strophe des anscheinend nur in einer Admonter Handschrift des 12. Jahrhunderts (Admont, Stiftsbibliothek, Cod. 712) überlieferten, für die Feier eines Bekenners bestimmten Hymnus Audi Deus hymnizantum (AH 52 Nr. 120). Beide Strophen beginnen jeweils fast gleichlautend: Huius o Christe meritis der Hirsauer, Huius o Christe gloria der Admonter Hymnus. Das Versmaß, der iambische Dimeter, ist identisch; leider ist nicht zu klären, ob auch die Melodie der beiden Stücke übereinstimmt. Bemerkenswert an diesem freilich nur sehr punktuelle Querbezug, ist nicht nur, dass er mit Admont in ein Kloster der Hirsauer Reform führt, sondern auch, dass Audi Deus in der Admonter Handschrift unmittelbar auf die Vita Wilhelms von Hirsau folgt, was Clemens Blume zur Spekulation veranlasste, der Hymnus könnte vom selben Verfasser stammen wie die Vita, also von Heimo von Hirsau.63 Diese Hypothese mag man zu Recht als sehr unsicher ansehen; bemerkenswert bleibt aber dennoch, dass die Überlieferungssituation des Hymnus innerhalb der Handschrift dezidiert hirsauisch ist. 4. Das Hirsauer Hymnar als Reformhymnar? Überblickt man die bisher gesammelten Beobachtungen, so gewinnt man den Eindruck, dass das hier rekonstruierte Hymnenrepertoire insgesamt einen doch recht eklektischen Eindruck macht. Wir konnten eine grundsätzliche Verwurzelung Hirsaus in der Tradition seines geographischen und historischen Umfelds feststellen, daneben einige – eher punktuelle – Anleihen in Cluny und in St. Emmeram und schließlich zwei eigene Schöpfungen, die allerdings ebenfalls wenig originell anmuten. Der Vergleich mit dem Zisterzienserhymnar lässt diesen Befund vielleicht noch deutlicher werden: Dieses artikuliert den Reformanspruch in Form einer kompromisslosen, fast schon als fundamentalistisch zu bezeichnenden Rückwendung zu einem als authentisch und buchstäblich „regelgerecht“ angesehenen Repertoire, dem der „ambrosianischen“ Mailänder Tradition, das im Rahmen der Choralreform des Ordens im 12. Jahrhundert eine musikalische Umarbeitung und Ver-
63 Vgl. AH 51, S. 137. – Zu Heimo und seiner Vita Wilhelmi s. Wolfgang Irtenkauf, Heimo von Hirsau, in: VL2, Bd. 3 (1981), Sp. 651–653.
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einheitlichung erfährt.64 Beide Schritte, die Repertoire-Entscheidung und die melodische Neugestaltung, sind zu sehen als Ausdruck bewussten und konsequenten Bemühens um Wiederherstellung authentischer liturgisch-musikalischer Tradition, und folgen klar definierten Prinzipien. Im Gegensatz dazu erscheint die Hirsauer Lösung geradezu planund konzeptlos und entsprechend zufälliger und heterogener, so dass sich die Frage aufdrängt, ob es überhaupt statthaft ist, dieses Hymnar unter das Stichwort „Reform“ zu setzen. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass monastische Reform ein Schlagwort für einen komplexen Sachverhalt ist, der durchaus zu sehr unterschiedlichen Umsetzungen in der Praxis führen kann. Das eben angesprochene Beispiel von Cîteaux und Hirsau zeigt dies deutlich: Zwei Bewegungen, die beide für sich in Anspruch nehmen, Reform zu repräsentieren, und die von ihren Zeitgenossen auch als reformerisch empfunden werden, wie ihre Anziehungskraft und ebenso die von ihnen ausgelösten Widerstände belegen, kommen, wie wir gesehen haben, für ihr Hymnar jeweils zu ganz anderen Lösungen. Analoge Divergenzen lassen sich für weitere Aspekte der liturgisch-musikalischen Praxis feststellen, und sie betreffen auch andere Bereiche wie etwa den Kirchenbau oder die wirtschaftlichen und organisatorischen Belange. Dennoch gibt es einen gemeinsamen Nenner für das, was wir an unterschiedlichen Phänomenen und Impulsen unter dem Stichwort Reform zusammenfassen. Reform monastischen (Zusammen-)Lebens bedeutet grundsätzlich eine Erneuerung und Verstärkung des Bezugs zur maßgeblichen Norm dieses Lebens, d. h. zur benediktinischen Regel, oder, wie die hochmittelalterlichen Reformer selbst formulierten: eine Wiederherstellung der vita regularis als Rückkehr zum ursprünglichen Ideal mönchischen Lebens.65 Was heißt dies für den Bereich der Liturgie? Auch hier dürften sich hochmittelalterliche Klosterreformer grundsätzlich darin einig gewesen sein, dass sich liturgische Reform im Horizont der eben versuchten Definition von monastischer Reform artikulieren sollte als Bemühen um authentischen, würdigen Vollzug des Gottesdienstes, dem nach der Regel Benedikts (Kap. 43,3) „nichts vorzuziehen ist“. Das kann ord64 Vgl. dazu Waddell, Cistercian Hymnal (wie Anm. 14), Bd. 1, S. 18–79, sowie Stäblein (wie Anm. 12), S. 512–514. 65 Vgl. etwa die Ausführungen von Schreiner, Hirsau (wie Anm. 27), die über die speziellen Bezüge zu Hirsau hinaus zahlreiche grundsätzliche Hinweise zur Thematik der hochmittelalterlichen Klosterreform enthalten.
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nende Straffung und Vereinfachung, Reinigung von überflüssiger Zutat bedeuten – oder eben auch, wie Cluny und in seinem Gefolge auch Hirsau mit großer, schon manche Zeitgenossen irritierender Konsequenz zeigen, additive Häufung der liturgischen Leistung und geradezu triumphalistisch anmutende Vermehrung des zeremoniellen Prunks. Kassius Hallinger hat dies in seinen Arbeiten immer wieder herausgestrichen und – nicht ohne Polemik und teilweise Überzeichnung – unter dem Stichwort liturgischer „Steigerung“ und „Sollemnisierung“ apostrophiert.66 Man könnte sich daher fragen, ob das Hirsauer Hymnar in irgendeiner Form Merkmale der eben angesprochenen liturgischen Steigerung aufweist und damit – zumindest aus der Sicht Hirsaus selbst und seines cluniazensaischen Hintergrunds – in gewisser Weise doch als Ausdruck reformerischer Haltung gelten könnte. Der Nachweis dafür fällt freilich schwer. Was die Frage einer quantitative Steigerung anbelangt, so haben wir ja bereits festgestellt, dass das für Hirsau konstatierte zahlenmäßige Anwachsen des Hymnars im Vergleich etwa zum sog. „Neuen Hymnar“ durchaus als zeittypische Erscheinung zu erklären ist. Dazu kommt, dass eine mengenmäßige Steigerung analog etwa zur Psalmodie, wo für Cluny in bestimmten Fällen eine Tagesleistung von über 200 Psalmen errechnet wurde67, oder zur Dreifachwiederholung gewisser Festantiphonen68 in diesem Bereich von vornherein gar nicht zu erwarten ist, da Ort und Anzahl der innerhalb eines Festoffiziums zu singenden Hymnen grundsätzlich festliegen, additive Steigerungsmöglichkeiten des Pensums somit ausgeschlossen sind. Lediglich in den Zusatzstrophen Quaesumus auctor und Hic Christe nunc (s. oben S. 239 mit Anm. 24) meldet sich diese typische Zusatzmentalität Clunys kurz zu Wort, allerdings in so isolierter und punktueller Weise, dass sie kaum ernsthaft ins Gewicht fällt. 66 Zuletzt und zusammenfassend in seinem Aufsatz Überlieferung und Steigerung im Mönchtum des 8. bis 12. Jahrhunderts, in: Eulogia. Miscellanea Liturgica in onore di P. Burkhard Neunheuser (Studia Anselmiana 68), Roma 1979, S. 125–187. 67 Vgl. Philibert Schmitz, La liturgie de Cluny, in: Spiritualità Cluniacense, Bd. 2, Rodi 1960, S. 89, zit. in Hallinger, Überlieferung (wie Anm. 66), S. 157 und 177. 68 Zur Steigerung der Feierlichkeit schreibt der cluniazensische Liber tramitis an hohen Festen mehrfach die dreimalige Wiederholung der Antiphon zu Benediktus und Magnifikat vor und prägt dafür die bezeichnende Formulierungen triumphaliter canetur oder – sprachlich geradezu abenteuerlich (Kassius Hallinger, S. 175, spricht sogar von „sprachlicher Vergewaltigung“) – triumphalitur, hoc est: triplicabitur. Vgl. Hallinger, Überlieferung (wie Anm. 66), S. 173–176; die Zitate jetzt zu verifizieren nach CCM 10, S. 130, 138, 149, 162 und 195.
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Eine Sollemnisierung durch innere, qualitative Steigerung, etwa durch größere Vielfalt und größere inhaltliche Dichte der Texte, aber auch durch musikalische Mittel, also durch als schöner und feierlicher empfundene Melodien, theoretisch sogar durch Mehrstimmigkeit (die freilich in dem uns interessierenden Kontext des hochmittellalterlichen Reformmönchtums historisch gesehen noch kein Thema sein kann), ist ebenso schwer zu erkennen, zumal die Kriterien und Bewertungsmaßstäbe in diesem Bereich sehr viel weniger leicht zu objektivieren sind. Ein Beispiel dafür könnte die Verdrängung des alten und so beliebten Septuagesima-Hymnus Alleluia dulce carmen durch die Sequenz Cantemus cuncti (s. Nr. 50 unserer Liste) sein, die man bei den Hirsauern offenbar – textlich oder musikalisch oder in beiderlei Hinsicht – als bessere, adäquatere Lösung empfunden hat.69 Solange wir jedoch nicht wissen, ob bewusste theologische, literarische und musikästhetische Gesichtspunkte oder vielleicht doch nur ein relativ unreflektiertes “modisches” Empfinden zu derartigen Entscheidungen führten, kommen wir in dieser Frage kaum zu präziseren Antworten. Das Hirsauer Hymnar ist zwar das Hymnar einer Reformbewegung, als Reformhymnar im eigentlichen Sinn wie etwa das Hymnar der Zisterzienser lässt es sich allerdings kaum bezeichnen. An diesem Fazit führt an diesem Punkt unserer Überlegungen wohl kein Weg vorbei. Diese Feststellung mag eine gewisse Enttäuschung auslösen, allerdings nur, wenn man verkennt, dass klösterliche Reform durchaus auch eine pragmatische Komponente hat und wie jedes Erneuerungsprogramm Schwerpunkte und Prioritäten setzt. Mit anderen Worten: Die wenig ergiebig erscheinenden Antworten auf die Frage nach dem Reformcharakter des Hirsauer Hymnars könnten einfach auch damit zusammenhängen, dass das reformerische Engagement Hirsaus diesem speziellen Bereich möglicherweise keine sonderliche Bedeutung beimaß, sondern seine Aktivität und seine Kraft auf andere, als wichtiger eingestufte Felder konzentrierte. Unabhängig davon ist zum Schluss freilich festzuhalten, dass uns die Suche nach Indizien qualitativer, inhaltlich-ästhetischer „Steigerung“ mit einem prinzipiellen Problem konfrontiert hat, dessen Diskussion, wenn ich recht sehe, noch kaum begonnen hat. Ich meine damit 69 Da Cantemus in Hirsau auch als Sequenz verwendet wurde (s. Lori Kruckenberg, Zur Rekonstruktion des Hirsauer Sequentiars, in: Revue Bénédictine 109 [1999], S. 187–207, hier S. 191) erklang das Stück an diesem Tag in jeweils verschiedener Funktion also gleich zweimal im Gottesdienst.
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die Frage nach den historischen Bedingungen liturgisch-musikalischer Repertoires des Mittelalters, genauer noch: nach den Auswahl-, Ordnungs- und Sammelkriterien, die zur Ausbildung und Formung derartiger Komplexe beigetragen haben können.
SCALAM AD CELOS – POÉSIE LITURGIQUE ET IMAGE PROGRAMMATIQUE. LIRE UNE MINIATURE DU LIVRE DU CHAPITRE DE L’ABBAYE DE ZWIEFALTEN*
La miniature discutée dans cette étude se trouve dans un manuscrit du 12e siècle écrit et enluminé à Zwiefalten, abbaye bénédictine appartenant au courant de renouveau monastique d’Hirsau.1 Les racines de ce mouvement de réforme sont décidément clunisiennes. Hirsau s’inspire en effet directement des traditions de l’abbaye bourguignonne.2 Quand l’abbé Guillaume, d’abord moine à Saint-Emmeram de Ratisbonne, puis appelé à Hirsau en 1069, s’attela à la tâche de ranimer la vie monastique quelque peu affaiblie de son nouveau monastère, il suit comme modèle pour sa réforme (codifiée par la suite dans les Constitutiones Hirsaugienses) les coutumes observées à Cluny dont il avait obtenu une description par l’intermédiaire d’un ancien moine de Ratisbonne, Ulrich, qui s’est déplacé à Cluny vers 1061.3 Par la suite Guillaume envoie trois délégations de moines en Bourgogne pour s’informer sur place sur des détails passés sous silence ou pas assez bien précisés dans la version écrite des Consuetudines – mesure qui en dit long sur le souci de se conformer méticuleusement à son modèle. Hirsau, monastère plutôt modeste jusque là, se transforme Erstmals erschienen in: Cahiers de Civilisation Médiévale 44 (2001), S. 329–348. Pour une introduction générale à l’histoire de l’abbaye cf. Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, vol. 1–2 (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,1–2), Stuttgart 1991. 2 En plus des articles contenus dans le deuxième volume des mélanges cités à la note 1, cf. Burkhart Tutsch, Studien zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines Ulrichs von Cluny (Vita regularis 6), Münster i. W. 1998, pp. 55–142. 3 Sur le transfert des statuts clunisiens à Hirsau voir Monique-Cécile Garand, Les plus anciens témoins conservés des Consuetudines Cluniacenses d’Ulrich de Ratisbonne, in: Scire Litteras, éd. par Sigrid Krämer et Michael Bernhard, Munich 1988, pp. 171–182, et Candida Elvert, Eine bisher unerkannte Vorstufe zu den ‚Constitutiones Hirsaugienses‘, dans: Revue Bénédictine 104 (1994), pp. 379–418. – Pour une orientation générale sur la vie et les écrits de Guillaume cf. Franz J. Worstbrock, Wilhelm von Hirsau OSB, dans: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. völlig neu bearb. Aufl., éd. par Kurt Ruh et al., t. 10, Berlin et New York 1999, col. 1100–1110. *
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effectivement en une sorte de „Cluny germanique“, comme on l’a parfois appelé, et devint lui-même un véritable „quartier général allemand de la réforme grégorienne“ (pour reprendre une expression de Kassius Hallinger). Son rayonnement est, certes, de courte durée (une cinquantaine d’années peut-être) mais d’une envergure remarquable puisqu’il n’intéresse pas seulement les régions voisines de la Souabe, de l’Alsace et de la Suisse alémanique, mais aussi la Saxe et la Thuringe (mentionnons entre autres Saint-Michel d’Hildesheim et Saint-Pierre d’Erfurt), la Bavière (Ottobeuren, Prüfening, Saint-Emmeram etc.), la Bohémie (Kladrau), l’Autriche (Melk, Admont, Saint-Paul en Carinthie), et atteint même – par l’intermédiaire de l’Autriche – quelques abbayes du patriarcat d’Aquilée en Frioul (Rosazzo et Moggio). Nous touchons là à un réseau de communication fort impressionnant pour la diffusion de ce mode de vie axé sur le retour à la forma prima de la vie monastique, comme disaient les théoriciens de la réforme, réseau qui favorisait en même temps la migration de certaines expressions esthétiques dans le domaine de l’architecture ou dans celui du livre, ainsi que le transfer de traditions spécifiques dans le domaine du cérémoniel et du répertoire liturgiques, pour ne mentionner que ces quelques aspects.4 Le monastère de Zwiefalten, situé au pied du Jura Souabe dans une vallée latérale du jeune Danube, fut fondé en 1089 par une famille de la noblesse régionale qui favorisait les idées propagées par Hirsau et son abbé réformateur.5 Aussi les moines arrivant à Zwiefalten vers la fin de septembre 1089 pour y constituer un premier noyau de communauté sont-ils appelés d’Hirsau. Autre indice d’un lien très étroit entre Hirsau et la nouvelle fondation: celle-ci garde d’abord le statut 4
Pour la question assez controverse d’une architecture „hirsaugienne“ cf. Rolf Berger, Hirsauer Baukunst – ihre Grundlagen, Geschichte und Bedeutung, vol. 1–3 (Beiträge zur Kunstgeschichte 12), Witterschlick/Bonn 1995–1997; pour les aspects de la culture du livre cf. Felix Heinzer, Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Hirsaus, dans: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991 (voir note 1), pp. 259–296 [in diesem Band, S. 85–167]; pour le domaine de la liturgie et de la musique liturgique on consultera notamment Felix Heinzer, Der Hirsauer ‚Liber ordinarius‘, dans: Revue Bénédictine 102 (1992), pp. 309–347 [in diesem Band, S. 185–223]; Andreas Haug, Ein ‚Hirsauer‘ Tropus, ibid. 104 (1994), pp. 328–345; Lori Kruckenberg, Zur Rekonstruktion des Hirsauer Sequentiars, ibid. 109 (1999), pp. 187–207, et Felix Heinzer, Liturgischer Hymnus und monastische Reform: zur Rekonstruktion des Hirsauer Hymnars, dans: Der lateinische Hymnus im Mittelalter. Überlieferung, Ästhetik, Ausstrahlung, hrsg. von Andreas Haug, Christoph März und Lorenz Welker (Monumenta monodica medii aevi, Subsidia 4), Kassel etc. 2004, S. 23–52 [in diesem Band, S. 224–256]. 5 Ouvrage fondamental à consulter: Neunhundert Jahre Benediktinerabtei Zwiefalten, éd. par Hermann Josef Pretsch, Ulm 1989.
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de prieuré soumis immédiatement à l’abbaye-mère et n’acquiert son indépendance qu’en printemps 1091. Guillaume, qui mourra le 4 juillet de cette même année, se rend personnellement d’Hirsau à Zwiefalten pour y installer le premier abbé, Nogger, ancien moine d’Hirsau luiaussi, tandis que Wezzilo, qui avait revêti l’office de prieur jusque là, quitte Zwiefalten pour Saint-Paul en Carinthie où il assumera la charge abbatiale – autre évènement qui nous renseigne sur le fonctionnement du réseau institutionnel et personnel constitué par un mouvement de réforme comme celui d’Hirsau. Sous son deuxième abbée, Ulrich d’Hirschbühl, dont l’abbatiat est d’une durée extraordinaire – de 1095 jusqu’à 1139 (donc plus de quarante ans!) – Zwiefalten vit une première période de floraison spirituelle, économique et culturelle. Lors de la mort d’Ulrich, la communauté est constituée d’environ soixante-dix moines et cent trente convers (frères lais) et de plus de soixante sanctimoniales (de souche noble pour la plupart). La mention de moniales nous indique qu’à Zwiefalten comme dans bien d’autres monastères appartenant au contexte de la réforme d’Hirsau, il existait une communauté féminine. Cette situation de „monastère double“ que je tiens à mettre en évidence, puisque elle n’est pas sans importance pour l’interprétation de notre miniature, est attestée à Zwiefalten dès la fin du 11e siècle et se maintient curieusement jusqu’au 14e siècle6 – je dis curieusement, parce que cela ne correspond pas à l’évolution générale qui aboutit, vers 1150 environ, presque partout à l’abolition de ce système,7 due probablement aux prises de position critiques du deuxième Concile du Lateran en 1139.8 L’unique réaction que nous pouvons observer à Zwiefalten est la tendance d’une séparation plus nette de la communauté féminine,
6 Elmar Blessing, Frauenklöster nach der Regel des Hl. Benedikts in BadenWürttemberg (735–1981), dans: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 41 (1982), pp. 232–249: p. 242, et surtout Urban Küsters, Formen und Modelle religiöser Frauengemeinschaften im Umkreis der Hirsauer Reform des 11. und 12. Jahrhunderts, dans: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991(voir Note 1), t. 2, pp. 195–220: p. 210. 7 Küsters (voir note 6), p. 214: „Das Doppelkloster hat bei den Hirsauern seit der Mitte des 12. Jahrhunderts als Organisationsmodell seine Kraft eingebüßt.“ 8 Rappelons surtout l’interdiction de la célébration commune de l’office par les moniales et les moines ou chanoines dans une même église (Concilium Lateranense II, c. 27, éd. Giuseppe Alberigo, Bologna 31973, p. 179); cf. aussi Franz F. Felten, Hildegard von Bingen zwischen Reformaufbruch und Bewahrung des Althergebrachten. Mit einem Exkurs über das Leben der Reformbenediktinerinnen auf dem Disibodenberg, dans: Jean Ferrari und Stephan Grätzel (éd.), Spiritualität im Europa des Mittelalters. L’Europe spirituelle au Moyen Age, St. Augustin 1998, pp. 123–149: p. 145.
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transférée en 1140 environ à la périphérie orientale du monastère où l’on avait construit de nouveaux bâtiments de clôture et une église réservée à l’office des moniales.9 Plus de quatre-vingts manuscrits écrits pendant l’abbatiat d’Ulrich ont survécu, tous conservés aujourd’hui à Stuttgart, dans les collections de la Württembergische Landesbibliothek. Ces volumes, dans lesquels Herrad Spilling, à la suite d’une analyse paléographique serrée, a pu discerner pas moins d’une bonne centaine de scribes différents,10 sont pour la plupart enluminés; cet ensemble constitue donc un véritable trésor puisque il nous permet de reconstruire minutieusement la production et l’évolution artistique d’un scriptorium de la réforme monastique du haut Moyen Âge. Ceci est d’autant plus remarquable que nous ne disposons de cette opportunité ni pour Hirsau ni pour Cluny même, dont aujourd’hui nous connaissons fort peu de manuscrits datant de cette époque – pour souligner la différence on notera qu’au sein du catalogue des manuscrits enluminés de Stuttgart un volume entier a pu être consacré exclusivement aux manuscrits produits à Zwiefalten au courant du 12e siècle.11 En ce qui concerne l’aspect technique de l’enluminure il faut noter qu’elle se limite strictement et rigoureusement au dessein au trait bicolore (rehaussé dans certains cas par un lavis très discret des fonds). Soulignons l’importance générale de cette observation, puisque il s’agit là d’une tendance qui ne se limite pas au seul cas de Zwiefalten. Bien au contraire: cette technique domine largement au 12e siècle – du moins dans le contexte monastique, où elle semble devenir le moyen d’expression artistique préféré. François Avril y voit même – en parlant, justement, de la réforme issue d’Hirsau et en citant les manuscrits de Zwiefalten! – une sorte de „contrepartie artistique de ce courant de réforme“ qui traduirait „une volonté d’austérité, en rupture complète avec la somptuosité recherché par les artistes ottoniens“.12 Küsters (voir note 6), p. 211. Herrad Spilling (voir note 11), pp. 29 et 33. 11 Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 1: Provenienz Zwiefalten, éd. par Sigrid von Borries-Schulten, avec une contribution paléographique de Herrad Spilling [Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2,1], Stuttgart 1987. – Pour Cluny cf. Else M. Wischermann, Grundlage einer cluniazensischen Bibliotheksgeschichte, München 1986 (Münstersche Mittelalter-Schriften 62), pp. 5–6, pour Hirsau cf. Heinzer, Buchkultur (voir note 4), pp. 259–279 [in diesem Band, S. 85ff]. 12 François Avril, Le temps des croisades (Univers des formes 29), Paris 1982, p. 194. 9
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Le témoin principal cité par Avril pour appuyer ces propos est justement un manuscrit de Zwiefalten, écrit et enluminé entre 1120 et 1135, donc vers la fin de cette première éclosion de l’abbaye sous Ulrich dont nous venons de parler et dont il constitue le chef-d’œuvre. Il s’agit du célèbre „passionnaire de Stuttgart“ en trois volumes, attribué pendant longtemps au scriptorium d’Hirsau et considéré comme l’expression la plus noble de sa culture livresque, par ailleurs si faiblement documentée, comme je viens de le rappeler. Ce n’est qu’en 1987 que, sur la base aussi bien de l’évidence paléographique que d’une comparaison stylistique des miniatures, la question fut définitivement tranchée en faveur de Zwiefalten.13 La renommé du passionnaire est due à une série exceptionnelle de représentations de saints accompagnant le texte (à peu près une centaine d’illustrations, dont la plupart sous forme d’initiales historiées) – série considérée comme l’exemple le plus ancien d’un cycle hagiographique de grande envergure, conservé en occident.14 Je n’insisterai pas sur ce point, mais il me semblait juste de ne pas passer sous silence ce manuscrit qui non seulement représente l’apogée de la production du scriptorium de Zwiefalten dans cette période d’éclosion du monastère, mais qui peut être considéré comme un des jalons les plus importants de l’art roman livresque dans la partie méridionale de l’Empire germanique. Par rapport au passionnaire et les autres manuscrits de cette première époque importante de Zwiefalten, le livre dont nous allons nous occuper spécialement ici – le Cod. hist. 2° 415 de la Württembergische Landesbibliothek à Stuttgart – date d’une période un peu plus récente, à savoir des années soixante du 12e siècle.15 Nous nous rapprochons là du terme de l’abbatiat – plutôt mouvementé – d’un personnage remarquable et problématique à la fois. Il s’agit de Berthold de Grüningen, successeur immédiat d’Ulrich. En 1141, deux ans seulement après
Cf. aussi Elisabeth Klemm: Die Regensburger Buchmalerei des 12. Jahrhunderts, dans: Regensburger Buchmalerei. Von frühkarolingischer Zeit bis zum Ausgang des Mittelalters, réd. Florentine Mütherich et Karl Dachs, München 1987, pp. 39–46: p. 39. Pour Zwiefalten: von Borries (voir note 11), p. 22; pour le contexte d’Hirsau en général: Heinzer, Buchkultur (voir note 4) pp. 266–267. et 278–279. 13 Von Borries-Schulten / Spilling (voir note 11), nos 34–36. 14 Von Borries-Schulten (voir note 11), p. 68. En plus, pour l’iconographie de beaucoup de saints le passionnaire est le plus ancien témoignage connu (ibid., p. 69). 15 Pour une description détaillée du manuscrit cf. Von Borries-Schulten / Spilling (voir note 11), nº 64.
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son élection, un conflit sérieux avec une partie importante de la communauté le forcent à quitter Zwiefalten.16 Il y retourne dans l’hiver 1146/47, mais, cinq ans plus tard, il est encore contraint de renoncer à la dignité abbatiale. Il n’est pas question ici d’étudier en détail ces litiges et les circonstances qui ont contribué à cette problématique. Notons toutefois – et c’est assez inattendue – que c’est précisément à cette crise interne de Zwiefalten que nous devons un des aspects les plus remarquables de l’histoire de l’abbaye au 12e siècle, à savoir les contactes noués avec l’une des personnalités les plus éminentes de cette époque, la prophetissa teutonica Hildegarde de Bingen, qui appartenait elle-aussi au courant d’Hirsau, du moins en ce qui concerne ses origines monastiques de Disibodenberg. Berthold a dû faire la connaissance de la visionnaire lors de son premier exil qui le conduisait en Saxe et en Rhénanie. Aussi, dans les difficultés qu’il éprouvait après son retour à Zwiefalten, il s’adressa plusieurs fois à Hildegarde pour demander son aide spirituelle, et non seulement elle envoya plusieurs lettres à Berthold et ses moines, mais elle leur rendit visite personnellement lors de son dernier voyage en 1170.17 La correspondance nous est conservé partiellement dans un manuscrit du fonds de Zwiefalten, écrit dans le troisième quart du 12e siècle probablement au Rupertsberg près de Bingen, nouveau monastère fondé par Hildegarde; c’est l’oeuvre de plusieurs mains que l’on peut attribuer au scriptorium du Rupertsberg mais en partie aussi à des copistes de Disibodenberg où Hildegard avait été formé avant sont départ pour Bingen et de Zwiefalten même.18 Ce manuscrit, quoique plutôt modeste d’apparence, représente donc un cas fort intéressant de coproduction, et il est surtout d’une grande valeur pour la reconstruction de l’état primitif de l’épistolaire avant le travail rédactionnel auquel ces textes ont été soumis après coup par
16 Sur le rôle de Berthold, pas toujours très heureux, cf. spécialement Herrad Spilling, Sanctarum reliquiarum pignera gloriosa. Quellen zur Geschichte des Reliquienschatzes der Benediktinerabtei Zwiefalten, Bad Buchau 1992, pp. 4–6 et 10–16. 17 Cf. Hermann Josef Pretsch, Die Kontakte des Benediktiner-Doppelklosters in Zwiefalten mit Hildegard von Bingen und Abt Bertholds Konflikt mit seinem Konvent, dans: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 38 (1986), pp. 147–173. Voir aussi Sylvain Gouguenheim, La sibylle du Rhin. Hildegarde de Bingen, abbesse et prophétesse rhénane, Paris 1996, p. 15 avec une carte fort utile des divers voyages d’Hildegarde aux pp. 8–9. 18 Stuttgard, WLB, Cod. theol. et phil. 4° 253. Cf. Marianne Schrader et Adelgundis Führkötter, Die Echtheit des Schrifttums der hl. Hildegard von Bingen, Köln et Graz 1956, pp. 64–79, et von Borries / Spilling (voir note 11), nº 71.
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le dernier secrétaire de Hildegarde, Guibert de Gembloux, comme l’a souligné l’éditeur moderne de ses lettres, Lieven van Acker.19 Mais revenons à Berthold: ce n’est que dans les années de 1158 à 1169, pendant la troisième période de son abbatiat, qu’à Zwiefalten les troubles semblent finalement s’apaiser. C’est dans cette ambiance de stabilité retrouvée que nous assistons à un nouvel essor du scriptorium qui atteint son apogée dans le livre du chapitre écrit et enluminé autour de 1162, et que nous allons étudier maintenant. D’abord quelques mots sur son contenu. Il s’agit, comme je viens de le dire, d’un livre du chapitre destiné à servir à la célébration quotidienne de l’officium capituli.20 Soulignons le fait assez remarquable que la Württembergische Landesbibliothek conserve deux livres de ce type provenant de Zwiefalten et qui datent tous les deux du 12e siècle: en plus du manuscrit qui nous intéresse au premier chef ici et qui est appelé le „nouveau livre du chapitre“, il existe un autre manuscrit, l’„ancien livre du chapitre“, écrit un demi siècle plus tôt, c’est-à-dire entre 1111 et 1120.21 Précisons cependant qu’il manque au Cod. hist. 2° 415 un élément capital, puisqu’il ne contient pas de nécrologe. Les raisons de cette absence ne sont pas très claires. Rolf Kuithan, qui a étudié de près la tradition mémoriale de Zwiefalten, propose d’envisager la possibilité d’une utilisation simultanée des deux manuscrits22 – hypothèse plutôt ardue, me semble-t-il, à moins qu’on veuille y reconnaître un reflet de la situation déjà mentionnée de la 19
Lieven van Acker, Der Briefwechsel der heiligen Hildegard von Bingen. Vorbemerkungen zu einer kritischen Edition, in: Revue Bénédictine 98 (1988), 141–168, et 99 (1989), pp. 118–154. – Cf. aussi Monique Goullet, In vera visione vidi, in vero lumine audivi: Ecriture et Illumination chez Hildegarde de Bingen, in: Francia. Mittelalter 26/1 (1999), pp. 77–102, spécialement p. 78. 20 Pour la typologie cf. Jean-Loup Lemaître, Liber capituli – Le livre du chapitre, des origines au XVIe siècle. L’exemple français, in: Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, hrsg. von Karl Schmid u. Joachim Wollasch, Münster i.W. 1984, S. 625–648; id., Mourir à Saint-Martial. La commémoration des morts et les obituaires à Saint-Martial de Limoges du XIe au Xllle siècle, Paris 1989; Eric Palazzo, Histoire des livres liturgiques. Le Moyen Age: Des origines au XIII siècle, Paris 1993, pp. 173–179. – Les témoins les plus anciens de la règle de saint Benoît sont pour la plupart des manuscrits appartenant à un livre du chapitre (ainsi, p. ex. le célèbre Cod. 914 de la bibliothèque de Saint-Gall, considéré comme le représentant le plus authentique de la règle bénédictine, étant probablement la copie la plus fidèle de l’exemplaire type de Monte Cassino porté à Aix-en-Chapelle suite à la demande de Charlemagne). 21 Il s’agit du manuscrit Cod. theol. et phil. 4° 141 (von Borries-Schulten / Spilling [voir note 11], nº 25). 22 Rolf Kuithan, Die Benediktinerabtei Zwiefalten in der kirchlichen Welt des 12.
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coexistence (déjà mentionnée) de deux communautés au sein d’un „monastère double“. L’enluminure du manuscrit est de haute qualité technique et, en ce qui concerne son iconographie, elle peut être considérée comme toutà-fait exceptionnelle. La partie hagiographique, donc l’illustration du martyrologe, depend souvent, pour les détails, du modèle du passionnaire déjà cité, mais le regroupement des figures des saints d’un même mois sous forme d’une mosaïque rappelant les iconostases byzantines semble représenter une solution formelle absolument originale et toutà-fait singulière dans l’enluminure occidentale. Sigrid von Borries a donc proposé l’hypothèse d’une dépendance de modèles orientaux.23 Par contre, pour les trois grandes miniatures en dehors du contexte hagiographique, la question d’un lien avec des manuscrits byzantins ne se pose pas. Il s’agit d’abord d’une paire de miniatures plein page, au programme iconographique absolument remarquable, qui clôturent la première partie du manuscrit consituée par un ensemble de textes dédiés aux thèmes du comput ecclésiastique, de l’astronomie et de la cosmologie (f. 17r: création, chute des anges révoltés, péché d’Adam et Eve; 17v: cycle de l’année avec ses saisons sous les signes du zodiac) – créations dont on a relevé des rapports étroits mais pas complètement éclairés avec Hildegarde et ses idées.24 La troisième miniature introduit la règle de Saint-Benoît, est c’est elle qui va dorénavant nous occuper [Fig. 2, S. XIV]. Cette miniature se trouve au f. 87r, c’est-à-dire immédiatement avant le début du texte de la règle. Elle a donc la position et la fonction d’une image d’auteur traditionnelle, comme nous la rencontrons dans de nombreux manuscrits médiévaux. Dans le contexte du livre du chapitre, type de manuscrit généralement d’apparence plutôt modeste, ceci est assez remarquable. Exception faite pour le célèbre Codex Guta-Sintram, livre du chapitre du prieuré des chanoinesses augustiniennes de Schwarzen-
Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Untersuchung der Zwiefalter Memorialquellen, Münster i.W. 1997, p. 39. 23 Sigrid von Borries, Zur romanischen Buchmalerei in Zwiefalten: zwei Illustrationsfolgen zu den Heiligenfesten des Jahres und ihre Vorlagen, dans: Zeitschrift für Kunstgeschichte 52 (1989), pp. 445–471. 24 Von Borries / Spilling (voir note 11), pp. 26 et 101. – Voir maintenant aussi Lieselotte E. Saurma-Jeltsch, Die Miniaturen im „Liber scivias“ der Hildegard von Bingen. Die Wucht der Vision und die Ordnung der Bilder, Wiesbaden 1998, pp. 54– 57.
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thann en Alsace achevé en 1154,25 et les deux livres du chapitre (pourtant beaucoup moins riches que le Codex Guta-Sintram) de l’abbaye bénédictine d’Ottobeuren, c’est-à-dire les manuscrits Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. Don. 654 (écrit entre 1160 et 1173), et Cod. Don. 655 (entre 1232 et 1245),26 les quelques exemples pour l’emploi d’une décoration figurative (miniatures, initiales historiées) datent d’une époque plus récente comme le Cod. 71/1 de la bibliothèque de l’abbaye de Saint-Paul en Carinthie, enluminé probablement à Strasbourg dans la deuxième moitié du 15e siècle pour les dominicaines de Kirchheim/Teck en Souabe,27 ou Paris, Bibl. Nationale, Nouv. acq. lat. 772, écrit au début du 14 e siècle à l’usage des dominicaines de „Heiligkreuz“ à Ratisbonne;28 qui plus est, dans ces deux manuscrits tardifs, les éléments figuratifs ne concernent pas le texte de la règle mais se limitent au martyrologue: quarante-trois initiales historiées dans le manuscrit de Kirchheim/Teck, deux (Naissance de la Vierge, Saint Dominique) dans celui de Ratisbonne. A Zwiefalten par contre la constellation règle/image se vérifie même deux fois, car déjà dans l’ancien livre du chapitre (Cod. theol. et phil. 4° 141) le texte de la règle est introduite par une miniature de saint Benoît. Ce n’est qu’à Ottobeuren, abbaye d’observance hirsaugienne comme Zwiefalten, que nous pouvons constater une situation analogue: dans le manuscrit du 12e siècle une miniature plein page de saint Benoît encadrée de quatre vers léonins précède la règle (Cod. Don. 654, f. 92v) et, dans le plus récent, le prologue est orné d’une initiale historiée (Cod. Don. 655, f. 51v). Quant au Codex Guta-Sintram, qui relève du mouvement des chanoines réguliers de saint Augustin de Marbach et
25 Cf. l’édition fac-similé Le Codex Guta-Sintram. Ms. 37 de la Bibliothèque du Grand-Séminaire de Strasbourg, publ. par Béatrice Weis, Lucerne et Strasbourg 1983. 26 Cf. Karl August Barack, Die Handschriften der Fürstlich-Fürstenbergischen Hofbibliothek zu Donaueschingen, Tübingen 1865, pp. 458–459.; Hansmartin Schwarzmaier, Mittelalterliche Handschriften des Klosters Ottobeuren, dans: Ottobeuren 764– 1964 (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 73, 1962, pp. 7–23), pp. 13–14., et surtout Herrad Spilling, Handschriften aus Ottobeuren, dans: Unberechenbare Zinsen. Bewahrtes Kulturerbe. Katalog zur Ausstellung der vom Land Baden-Württemberg erworbenen Handschriften der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek, éd. par Felix Heinzer, Stuttgart 1993, pp. 48–55. 27 Cf. la notice de Gerhard Stamm dans: Das Tausendjährige St. Blasien, t. 1, Karlsruhe 1983, nº. 142, avec 3 planches. 28 Manuscrit qui m’a été signalé par Jeffrey Hamburger (Harvard). On consultera la notice du catalogue de François Avril et Claudia Rabel, Manuscrits enluminés d’origine germanique, t. 1: Xe–XIVe siècle, Paris 1995, nº 161: pp. 183–184. et pl. CXLVII.
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représente donc le même milieu de réforme grégorienne,29 il semble bien que là-aussi la règle (augustinienne à l’occurrence) était à l’origine précédée d’une enluminure placée sur un feuillet aujourd’hui perdu,30 représentant vraisemblablement saint Augustin. La comparaison des deux miniatures de Zwiefalten est très révélatrice, car elle montre que le noyau de la miniature la plus récente, c’està-dire la représentation de saint Benoît avec son arrière-fonds d’architecture, reprend fort exactement (jusque dans les détails) l’image du Cod. theol. et phil. 4° 141.31 Cette opposition est une belle démonstration du potentiel comparatif „longitudinal“ d’un fonds manuscrit aussi riche et aussi serré chronologiquement que celui de Zwiefalten. Dans ce cas précis, elle rend évident un changement de fonction assez net, que l’image subit dans le second manuscrit par rapport à son modèle: les additions iconographiques et les textes qui les accompagnent, c’està-dire les échelles des deux côtés et le dragon en bas de page, ne sont pas seulement des éléments décoratifs surajoutés, mais constituent une transformation substantielle qui charge la miniature d’une qualité programmatique fort différente. Car, si dans le premier manuscrit l’image représente l’auteur, Benoît, sous les traits d’un copiste, dans le second cas il n’est pas seulement question de l’auteur, mais l’œuvre même de cet auteur, c’est-à-dire la règle, devient partie intégrante de cette représentation. Avant d’approfondir cette idée, je dois souligner que ce type d’image didactique, chargée (parfois même surchargée) de textes explicatifs, semble relativement fréquent dans le contexte de la réforme monastique de l’époque que nous étudions. Si, dans ce milieu, la finalité principale de l’enluminure n’est ni la représentation ni la „somptuosité“ (pour reprendre l’expression de François Avril), mais plutôt la promotion du renouveau spirituel dont traitent les textes de ces manuscrits, cette option fondamentale paraît trouver sa véritable expression dans les miniatures qui, comme la notre, réduisent les moyens techniques pour réaliser des programmes complexes et „intellectuelles“, souvent assortis d’un apparat assez important de phylactères, inscriptions, souscriptions etc.32 Ceci expliquera peut-être la prédilection pour le dessein 29 Cf. p. ex. Tutsch, Studien (voir note 2), pp. 356–357., qui souligne les rapports directes entre Marbach et Hirsau. 30 Cf. l’argumentation de Gérard Cames dans le volume de commentaire de l’édition fac-similé (voir note 25), p. 25. 31 Cf. von Borries (voir note 11), p. 102. 32 Philipp Zimmermann (Basel) en insistant sur des textes „superflus“ comme
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au trait que nous avons constatée à Zwiefalten et dans d’autres scriptoria du courant d’Hirsau. Au cours du 12e siècle cette technique s’impose en effet „comme le moyen d’expression idéal pour des images chargées d’une sémantique complexe“33. Autrement dit, nous assistons là à une certaine convergence de l’aspect du contenu et de celui de la technique. Mais revenons à notre miniature et son programme. Saint Benoît, dans l’attitude du scribe assis à son pupitre, est encadré par deux échelles. Commençons par celle à gauche, dont l’interpration par rapport à saint Benoît et à la règle ne fait aucune difficulté. Il s’agit de l’échelle apparue en songe à Jacob (Gen. 28, 11–17).34 Le texte d’accompagnement du manuscrit (Z dans les tableaux suivants) reprend en effet de très près les trois premiers versets de ce passage biblique (citations littérales en italiques!): Gen. 28,11–13
Z
[Iacob…] tulit de lapidibus qui iacebant et subponens capiti suo dormivit in eodem loco, Iacob lapide capiti subposito viditque in somnis in somnis vidit scalam stantem super terram scalam ad celos erectam et cacumen illius tangens caelum par exemple l’adscription S. Benedictus qui accompagne le personnage principal parfaitement compréhensible sans cette addition, a suggéré de ne pas finaliser cette présence plutôt musclée de textes uniquement sous l’aspect d’une interprétation voir même d’une sorte de traduction qui, par l’addition de textes, rendrait plus lisible l’iconographie complexe de l’image, mais plutôt dans le sens d’une double présence du message et dans l’image et dans la parole. – Une certaine analogie dans le domaine de l’art monumental nous est offert par le tympan de l’abbaye de Petershausen près de Constance (appartenant elle-aussi au courant d’Hirsau!), „œuvre singulière en raison de la richesse des inscriptions“ comme l’a souligné Anneliese Seeliger-Zeiß, Epigraphie et iconographie des portes romanes en Baden-Wurttemberg, dans: Epigraphie et Iconographie. Actes du colloque tenu à Poitiers les 5–8 octobre 1995, sous la dir. de Robert Favreau, Poitiers 1996, pp. 211–225: p. 223. 33 Cette observation d’Elisabeth Klemm formulée pour l’enluminure romane de l’école de Ratisbonne (Regensburger Buchmalerei [voir note 12], p. 42) semble être valable pour un contexte beaucoup plus vaste. 34 Von Borries (voir note 11), p. 102, dans son analyse de cet élément iconographique fait allusion à des ressemblances iconographiques avec l’échelle de Jacob dans une miniature du célèbre antiphonaire de Saint-Pierre de Salzbourg. Il faudrait préciser toutefois qu’il y a une nette différence en ce qui concerne le contexte: à Salzbourg la miniature de l’échelle accompagne la messe de la dédicace Terribilis est locus iste, dont l’introit et le graduel se rattachent directement à cette scène biblique, plus précisément à l’exclamation de louange de la part de Jacob après son songe (versets 16–17). La relation texte-image est donc beaucoup plus étroite que dans notre miniature.
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Gen. 28,11–13
Z
angelos quoque Dei ascendentes et descendentes per eam et dominum innixum scalae
et angelos ascendentes et descendentes per eam et dominum scalae innixum
La comparaison montre des concordances évidentes, mais aussi quelques divergences entre Z et le texte biblique. Si la formule initiale (Iacob lapide capiti subposito) peut être interprétée comme une paraphrase abrégeant et résumant le verset biblique correspondant, le second changement est d’une qualité différente: en transformant la description biblique de l’élévation de l’échelle de la terre au ciel (scalam stantem super terram et cacumen illius tangens caelum) dans une formule courte et lapidaire (scalam ad celos erectam), l’auteur de Z fait une opération de jonction avec l’échelle opposée, à laquelle nous reviendrons après l’analyse de l’autre volet de la miniature. Le rapport entre l’échelle de Jacob et le texte de la règle est assez évident, comme l’a déjà remarqué Karl Löffler en 1928,35 puisque cet élément iconographique trouve son pendant textuel dans un chapitre clef de la règle: le chapitre sept, véritable petit traité sur l’humilité comme condition fondamentale de la perfection du moine et de son ascension vers Dieu. Benoît qui en cet endroit, une fois de plus, suit de très près (le plus souvent même littéralement) la Règle du Maître, commence en citant le mot bien connu de Jésus, selon lequel „tout homme qui s’élève sera abaissé et celui qui s’abaisse sera élevé“ (Lc 14, 11 et Lc 18,1 f.; cf. aussi Mt 23, 12), puis illustre cet adage en représentant l’échelle de Jacob: „Aussi, frères, si nous voulons atteindre le sommet de la suprême humilité et si nous voulons parvenir rapidement à cette élévation céleste, à laquelle on monte par l’humilité de la vie présente, il nous faut pour la montée de nos actes, dresser cette échelle qui apparut en songe à Jacob, et sur laquelle il voyait des anges descendre et monter. Cette descente et cette montée n’ont assurément pas d’autre signification, selon nous, sinon que l’élévation fait descendre et l’humilité monter. Quant à l’échelle dressée, c’est notre vie ici-bas. Quand le cœur a été humilié, le Seigneur la dresse jusqu’au ciel. D’autre part, 35 Karl Löffler, Schwäbische Buchmalerei in romanischer Zeit, Augsburg 1928, p. 57. Cf. aussi T. Eriksson, L’échelle de la perfection, dans: Cahiers de la civilisation médiévale 7 (1964), pp. 444–445, et Christian Heck, L’échelle céleste dans l’art du Moyen Âge. Une image de la quête du ciel, Paris 1997, en particulier pp. 56–57.
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les montants de cette échelle, nous disons que c’est notre corps et notre âme. Dans ces montants l’appel divin a inséré différents degrés d’humilité et de bonne conduite, pour qu’on les gravisse“ (cap. VII, 5–7).36 L’échelle de Jacob devient ici la métaphore de l’ascension spirituelle du moine par les gradins d’une humilité intégrale engageant corps et âme et constitue donc la représentation imaginaire par excellence de la doctrine bénédictine des gradus humilitatis. L’intégration de ce thème iconographique dans une image d’auteur qui introduit le texte de la règle apparaît donc très plausible, voir même évidente – et pourtant, à mon avis, l’exemple de Zwiefalten est unique. Venons-en à la deuxième échelle, ajoutée de l’autre côté de l’image de saint Benoît. Au prime abord, elle apparaît plus hermétique que l’échelle de Jacob, et cela aussi bien en ce qui concerne son rapport avec le texte de la règle que pour la cohérence interne de ses éléments. Elle semble tout à fait originelle et sans précédent, comme l’a souligné Christian Heck dans son livre sur le thème de l’échelle céleste dans l’art du Moyen Âge: „L’image ne correspond à aucune composition antérieure, même si certains éléments, pris isolément, se retrouvent ailleurs“.37 L’échelle, dont les échelons portent des têtes de femmes et de quelques moines tonsurés et dont le centre est occupé par un petit personnage nu à la coiffure bouclée, armé d’une épée et d’un bouclier, est plantée dans la gueule d’un immense dragon à trois têtes. Le Christ, dans la même position que du côté opposé, c’est-a-dire dans un médaillon au sommet de l’échelle, brandit un rameau fleuri dans sa main gauche, tandis que sa main droite tient le dragon au bout d’une corde qui se terminée par un hameçon fiché dans l’une des têtes du monstre. Des images analogues illustrent les manuscrits du Speculum Virginum, traité ascétique sous forme de dialogue entre un maître spirituel nommé Peregrinus et son élève Theodora qui a joui d’une certaine réputation dans le courant de la réforme monastique du 12e siècle.38 36 La Règle de saint Benoît, introd., trad. et notes par Adalbert de Vogüe, texte établi et présenté par Jean Neufville, t. 1 (Sources Chrétiennes 181), Paris 1972, pp. 472– 475. Pour le rapport avec la Règle du Maître cf. t. 4: commentaire historique et critique (Sources Chrétiennes 186), Paris 1971, pp. 281–372. 37 Heck (voir note 35), p. 84. 38 Speculum virginum, primitus ed. Jutta Seyfarth (Corpus Christianorum. Continuatio Medievalis 5), Turnhout 1990.
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C’est un rapprochement assez évident39 qui a encore été discuté récemment par Christian Heck dans son ouvrage que je viens de citer.40 Notons entre parenthèses (et ceci n’a pas été vu par les historiens de l’art) que l’observation d’un rapport entre cette image et le Speculum relance la discussion plutôt controverse sur la question de l’origine de ce texte, longtemps considéré comme l’œuvre d’un moine de Hirsau, nommé Conrad;41 cette attribution a été contestée par Jutta Seyfarth dans l’introduction à sa récente édition du texte pour le Corpus Christianorum, sur la base d’un manque d’arguments indépendants du témoignage tardif (et douteux) de Jean Trithème et de la réception de l’œuvre à Hirsau au début du 16e siècle.42 Or, il me paraît difficile d’imaginer la conception de l’échelle des vierges dans notre miniature sans la présence ou du moins la connaissance d’un manuscrit enluminé du Speculum (aujourd’hui perdu) à Zwiefalten, donc dans un milieu inspiré directement par Hirsau, et bien que ce soit là un argument indirect, il s’ajoute fort bien au fait que – ce que Seyfarth semble avoir ignoré – un catalogue de la bibliothèque d’Hirsau rédigé au 12e siècle (donc bien avant Jean Trithème) mentionne des livres „d’un certain moine de Hirsau nommé Peregrinus“.43 Faudra-t-il rouvrir le dossier?44 39 Von Borries (voir note 11), p. 102; cf. aussi Christel Meier, Calcare caput draconis. Prophetische Bildkonfigurationen in Visionstext und Illustrationen: Zur Vision Scivias II 7, dans: Hildegard von Bingen. Prophetin durch die Zeiten, éd. par Edeltraud Forster, Freiburg en Br. 1997, pp. 359–405: pp. 361 et 367 f. avec pl. 10. 40 „Les sept échelons, le Christ en médaillon présentant le rameau, le personnage difforme au glaive, le principe – mais non le motif précis – du dragon à la base de l’échelle, renvoient à l’échelle des vierges du Speculum Virginum, diffusée rapidement après 1140“, Heck (voir note 35), p. 84 – observation reprise et résumée par SaurmaJeltsch (voir note 24), p. 176. 41 Cf. Robert Bultot, Konrad von Hirsau, dans: Verfasserlexikon, 2e éd. (voir note 3), t. 5 (1985), col. 204–208. 42 Seyfarth (voir note 38) pp. 37*–50*, qui propose une localisation dans la région du Rhin moyen et une attribution au milieu de la réforme canoniale (Springiersbach?). Cf. aussi Urban Küsters et Jutta Seyfarth, Speculum virginum, dans: Verfasserlexikon (voir note 3), t. 9 (1995), col. 67–76, spécialement col. 68: „Eine von Trithemius unabhängige bzw. zeitlich vorgelagerte Nachricht über die Zuschreibung an Konrad fehlt“. 43 Libri cuiusdam monachi Hirsaugiensis cognomento Peregrini – cf. Heinzer, Buchkultur (voir note 4), pp. 270s [in diesem Band, S. 110]. 44 Pour cette discussion cf. aussi Nigel Palmer, Zisterzienser und ihre Bücher. Die mittelalterl. Bibliotheksgesch. v. Kloster Eberbach i. Rh. unter bes. Berücksichtigung d. in Oxford u. London aufbewahrten Handschriften, Regensburg 1998, pp. 77–80, ainsi que Constant J. Mews, Monastic educational culture revisited: The witness of Zwiefalten and the Hirsau reform, in: Medieval monastic education, ed. by George Ferzoco und Carolyn Muessig, London etc. 2000, pp. 182–197; id., Virginity, Theology and Pedagogy in the Speculum Virginum, in: Listen, Daughter. The Speculum Virginum
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Regardons de plus près le passage en question du Speculum, c’est-àdire la fin du huitième livre, placé sous le thème paulinien des fruits de l’esprit et de la chair. À cet endroit, les propos de Peregrinus culminent dans un éloge de la castitas présentée comme vertu clef de la discipline virginale et de la vie monastique, et pour illustrer la lutte des vierges contre toute tentation mondaine, le maître fait appel à l’image de l’échelle: „Il nous faut donc élever un’ échelle, dont le bas est guetté par un dragon et dont les échelons sont gardés par un Ethiopien au couteau tiré pour empêcher l’ascension vers le jeune homme placé au sommet de l’échelle qui brandit les rameaux dorés, signes du prix de la victoire“ (Denique scala nobis erigenda est, cuius ima draco cautus observat, Ethiops altiora stricto mucrone possidens arcet ascensum et ad iuvenem in summitate ipsius scalae collocatum, habentem ramos aureolos premiorum indices, accessum. VIII, 727–731, éd. Seyfarth, S. 246). En lisant ce texte et en regardant sa transformation dans l’image (p. ex. dans le ms. Cologne, Historisches Archiv, W 276a f. 78v), le rapport de l’échelle du Speculum à celle de notre miniature est évident. Il faut souligner, cependant, que pour cette image le Speculum dépend d’une source beaucoup plus ancienne, comme son auteur nous l’indique luimême: à la demande de Theodora qui aimerait savoir où, dans la littérature spirituelle, la forma scalae fait sa première apparition (ligne 745 et ss. de l’éd. de Seyfarth), Peregrinus renvoie à la passion de Perpétue, martyre carthaginoise morte en 203. La vision ou plus précisément les deux visions dont parlent les chapitres 4 et 10 de ce texte nous fournissent en effet tous les éléments que nous trouvons, en partie variés et regroupés dans d’autres combinaisons, dans le texte du Speculum: l’échelle représentant la voie étroite et difficile vers la perfection céleste (dans la Visio Perpetuae elle est construite en fer et hérissée de couteaux et d’autres instruments de torture), le dragon qui guette le pied de l’échelle, l’„Egyptien horrible à voir“ (correspondant à l’Ethiopien du Speculum) symbole de l’épreuve que la vierge devra affronter pour préserver sa virginité (dans la Visio il ne la menace pas à mi-hauteur de l’échelle, mais la vierge doit l’affronter en luttant contre lui dans l’arène), enfin le rameau de laurier comme prix de la victoire45. Et
and the Formation of Religious Women in the Middle Ages, ed. by Constant J. Mews, New York 2001, pp. 15–40. 45 Passion de Perpétue et de Félicité suivie des actes, ed. par Jacqueline Amat (Sources Chrétiennes 417), Paris 1996, S. 112–118 und 134–142. Cf. aussi l’analyse de la part de Heck, échelle (voir note 35), pp. 44–46.
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Peregrinus de continuer: „Cette forme d’une échelle tu la trouveras déjà proposée par notre père Benoît, dont tu t’engage à suivre la règle. Il dit en effet que les montants sont le symbole du corps et de l’âme, liés aux échelons de notre discipline céleste“ (Nonne et huiusmodi scale formam a sancto pastore nostro Benedicto habes traditam, cuius observare contendis regulam? Dicit enim latera ipsius scale typum corporis et anime nostre gradibus inserta celestis discipline (Seyfarth, S. 247, Z. 759–762). Pour cette association de l’échelle de la vierge Perpétue avec le chapitre déjà mentionné de la règle bénédictine, ce passage du Speculum Virginum est le plus ancien témoin connu. Cela confirme l’importance capitale de ce texte pour la conception de notre miniature. Et pourtant, un aspect important, voir même la clef de cette image, nous manque toujours. Pour Christian Heck, dans son analyse de la miniature, il est un élément qui ne saurait s’expliquer à partir du seul Speculum. C’est le dragon, dont le principe s’y retrouve – „mais non le motif précis“, comme Heck l’a judicieusement souligné (cf. n. 40): nous l’avons vu, le Speculum connaît en effet, lui aussi, le dragon à la base de l’échelle, mais non pas le motif de l’hameçon pénétrant la mâchoire du monstre au bout de la ligne tenue par le Christ. C’est donc un motif nouveau – et notons que la miniature Zwiefalten en est la représentation plus ancienne qui nos soit connue!46 – et ce motif nouveau précise (pour ainsi dire) la nature du monstre: Il s’agit donc du Léviathan dont parle le livre de Job, comme le texte en bas de la miniature nous le confirme: Numquid capies Leviathan hamo aut armilla perforabis eius. Ipse habet fiduciam ut influat Iordanis in os eius. C’est là une citation abrégée mais presque littérale du célèbre passage du chapitre 40 du livre de Job (vv. 18–21 de la Vulgate; vv. 23–26 selon la numérotation moderne): Iob 40, 18–21 Absorbet fluvium et non mirabitur et habet fiduciam quod influat Iordanis in os eius in oculis eius quasi hamo capiet eum. An extrahere poteris Leviathan hamo et fune ligabis linguam eius numquid pones circulum in naribus eius et armilla perforabis maxillam eius?
46
Z Ipse habet fiduciam ut influat Iordanis in os eius. Numquid capies Leviathan hamo aut armilla perforabis os eius [?]
Von Borries (voir note 11), p. 102, avec bibliographie.
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Ce texte d’une rare force d’expression, tiré du second discours de Dieu adressé à Job qui se révolte contre la providence et la sagesse du Créateur, fut soumis à une lecture christologique dès l’époque des Pères de l’Eglise. L’interprétation type, sur laquelle se base toute la tradition médiévale, se trouve dans le livre 44 du célèbre commentaire de Grégoire le Grand sur Job.47 Dans le verset 18 (habet fiduciam …) Grégoire décèle la confiance, pour ne pas dire l’arrogance, de Satan à s’emparer de sa proie tout facilement que Léviathan qui n’a qu’à nager gueule béante pour absorber sans effort l’eau du fleuve et tout ce qui y vit. Notons en passant que Grégoire fait une différence entre le „fleuve“ et le „Jourdain“: le fleuve signifie le cours de l’humanité qui, dès ses origines, „coule vers le bas“ à cause de sa mortalité (quasi ad ima defluens moriendo), alors que le Jourdain en tant que lieu du baptême du Christ représente les baptisés, qui, eux aussi, sont menacés par la gueule meurtrière de Satan.48 Mais, continue Grégoire en commentant le verset 20 (An extrahere poteris Leviathan hamo?), „ce Léviathan a été pris à l’hameçon car, dans la personne de notre sauveur, Satan, qui par ses satellites mordit le leurre de la corporalité humaine du Christ, a été percé par l’hameçon aigu qu’est la divinité du Christ“49 – image remarquable et ardue de Satan „dupé“ par l’incarnation et la mort du fils de Dieu fait homme, idée que l’on retrouve dans le Speculum ecclesiae d’Honorius Augustodunensis ou encore dans la Légende dorée (chap. 51: De passione Domini; ed. Maggioni, pp. 346 et ss.), pour ne citer que deux exemples; son expression iconographique la plus connue est sans doute la célèbre miniature (f. 84) du Hortus Deliciarum de Herrad de Landsberg,50 à laquelle nous reviendrons plus loin. 47 Gregorius Magnus, Moralia in Iob, cura et studio Marci Adriaen (Corpus Christianorum Series Latina 143B), Turnhout 1985, pp. 1680–1696. 48 Quid hoc loco fluvii nomine nisi humani generis decursio designatur, quae velut a fontis sui origine nascendo surgit, sed quasi ad ima defluens moriendo pertransit? Qui autem signantur appellatione Iordanis, nisi hi qui iam imbuti sunt sacramento baptismatis? Quia enim redemptor noster in hoc flumine baptizari dignatus est, eius nomine debent baptizati omnes exprimi… éd. Adriaen, p. 1680. 49 Sed Leviathan iste hamo captus est, quia in redemptore nostro dum per satellites suos escam corporis momordit, divinitatis illum aculeus perforavit… éd. Adriaen, p. 1687. 50 Cf. Johannes Zellinger, Der geköderte Leviathan im Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg, dans: Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 45 (1925), S. 161–177; Otto Gillen, Ikonographische Studien zum Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg, Berlin 1931, p. 67; Gérard Cames, Allégories et Symboles dans l’Hortus Deliciarum, Leiden 1971, pp. 40–42 (avec mention du manuscrit de Zwiefalten – daté
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Mais retournons d’abord au texte de Grégoire. L’image de l’armilla transperçant la mâchoire de Léviathan dans le verset 20 de Job sert à introduire un aspect nouveau de l’interprétation allégorique: „Avec le jonc (armilla) donc le Seigneur perce la mâchoire de ce Léviathan, puisque, dans la puissance de son ineffable miséricorde, il contre la méchanceté de l’ennemie d’antan pour qu’il soit contraint de relâcher ceux dont’ il s’était déjà emparé et que, pour ainsi dire, retombent de la gueule ceux qui, après la faute, retournent à l’innocence. En effet: qui donc, une fois pris, saurait s’évader de sa mâchoire, si elle n’avait pas été percée? Ne tenait-il pas Pierre dans sa bouche, après la trahison? Ne tenait-il pas David dans sa bouche, après son immersion dans la volupté? Mais quand tous deux retournèrent à la vie par la pénitence, Léviathan, dans un certain sens, dut les laisser échapper par le trou dans sa mâchoire. C’est donc par c trou qu’ont été arrachés à sa gueule ceux qui sont revenus après leur immense péché en faisant pénitence.“51 Dans le commentaire de Grégoire le traitement successif des deux éléments (plutôt répétitifs) de l’imagerie biblique sous un angle différent débouche donc sur une interprétation différenciée: si le motif de l’hameçon se prête à la célébration du triomphe définitif du Christ sur la puissance de Satan, donc à la perspective strictement christologique, voir sotériologique, celui de l’armilla par contre sert à développer l’aspect moral de la conversion et de la pénitence des baptisés „récidivistes“ bénéficiant de la victoire du Christ. Ajoutons en passant que ce n’est certainement pas par hasard si une pièce liturgique
pourtant trop tôt); Rosalie Green et al., Herrad of Hohenbourg, Hortus Deliciarum, London und Leiden 1979, t. 1, p. 135 (reproduction de la miniature) et t. 2, p. 134; à consulter aussi l’article „Angel“ (L. Stauch) dans: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, t. 1, Stuttgart 1937, col. 694–698. – La question de la datation de l’Hortus reste problématique. Actuellement on pense généralement à une réalisation par étapes de ce projet impressionnant, commencé à peu près à l’époque du manuscrit de Zwiefalten (donc autour de 1160) et continué jusque vers la fin du 12e siècle. Cf. Michael Curschmann, Herrad von Hohenburg (Landsberg), dans: Verfasserlexikon, 2. éd. (voir note 1), t. 3, 1981, col. 1138–1144, en particulier col. 1140–1041. 51 Armilla ergo Dominus maxillam Leviathan istius perforat, quia ineffabili misericordiae suae potentia sic malitiae antiqui hostis obviat, ut aliquando eos etiam quos iam cepit amittat; et quasi ab ore illius cadunt, qui post perpetratas culpas ad innocentiam redeunt. Quis enim ore illius semel raptus maxillam eius evaderet, si perforata non esset? At non in ore Petrum tenuit, cum negavit? An non in ore David tenuit, cum in tantam se luxuriae voraginem mersit? Sed dum ad vitam uterque per penitentiam rediit, Leviathan iste eos aliquo modo quasi per maxillae suae foramen amisit. Per foramen ergo maxillae ab eius ore subtracti sunt qui post perpetrationem tantae nequitiae paenitendo redierunt (Adriaen, p. 1692).
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aussi remarquable que le répons Armilla perforata est Leviathan (avec son emphase sur le mot paenitendo qui se termine sur un long mélisme) pour l’office de Sainte Marie Madeleine, que nous rencontrons dans bien des manuscrits d’Europe centrale dès le 12e siècle, comme d’ailleurs aussi à Zwiefalten, se soit inspirée directement de ce passage des Moralia.52 On ne s’étonnera pas non plus d’assister, à la suite de cette relecture, à deux reprises, de la part de Grégoire, à des options différentes au niveau des programmes iconographiques qui s’inspirent de ce passage. Une comparaison de notre miniature avec celle de l’Hortus Deliciarum, mentionnée plus haut, est très instructive à cet égard. Si l’image de l’Hortus – le Léviathan mordant l’hameçon de la divinité du Christ caché par le leurre trompeur de son humanité et attaché à la ligne formée par la généalogie terrestre du fils de Dieu – est complètement centrée sur la capture triomphale du monstre par le pêcheur divin à travers la „ruse“ de l’incarnation, l’artiste qui a conçu la miniature de Zwiefalten fait un choix différent: son point de départ est le motif de l’échelle (complètement absent de la miniature de l’Hortus), c’est-àdire une perspective ascétique tournée vers l’ascension des chrétiens, surtout de ceux qui suivent le chemin de la perfection monastique, option assez „logique“, si l’on veut, dans le contexte de la règle, où se situe notre image; et s’il fait appel au motif du Léviathan, c’est en complément à cette image „moralisante“, ce qui introduit une conception iconographique fort originale qui, comme nous l’avons déjà remarqué, n’a pas de précédant dans l’histoire de l’art chrétien. La question cruciale, qui en découle, est la suivante: quelle est la source d’inspiration pour le créateur de la miniature de Zwiefalten? Ce n’est, nous l’avons vu, ni le Speculum Virginum ni le Speculum Ecclesiae 52 Cf. Franz J. Peters, Das Responsorium „Armilla“, dans: Trierer Theologische Zeitschrift 63 (1954), pp. 371–373, et Walter Berschin, Historia S. Konradi, dans: Freiburger Diözesan-Archiv 95 (1975), pp. 107–128: pp. 115–117. Berschin propose d’attribuer cette pièce au moine Uodalscalc de l’abbaye de saint Ulrich et saint Afra d’Augsbourg (mort en 1151); le chant se retrouve cependant déjà dans la liturgie de Prémontré du 12e siècle (cf. Placide Lefèvre, L’office et la messe de sainte Madeleine dans le rite de Prémontré, dans: Analecta Praemonstratensia 33 (1957), pp. 156–162: pp. 159 et 160), ce qui semble indiquer plutôt une provenance de la région entre bas Rhin et Meuse. – Une connaissance du répons à Zwiefalten nous est attestée par le célèbre antiphonaire Aug. LX de la Badischen Landesbibliothek de Karlsruhe (von Borries / Spilling [voir note 11], appendice nº 2), cf. The Zwiefalten Antiphoner Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Aug. perg. LX. A Cantus Index, introd. by Hartmut Möller (Musicological Studies LV/5), Ottawa 1996, p. 48.
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d’Honorius (comme c’est le cas pour le Hortus)53, ni des textes d’autres auteurs comme Rupert de Deutz ou Hildegarde de Bingen qui parfois ont été proposés.54 La réponse est à chercher ailleurs, comme nous le montrent les textes qui accompagnent l’échelle des vierges: Montant droit: Sanctus Antonius in visu vidit scalam ad celos erectam cuius ima draco observavit et Ethiops evaginato gladio ascensum Médaillon: Atque in summo iuvenis aureum ramum in manu habuit Montant gauche: Hanc ergo scalam ita amor Christi fecit virginibus perviam ut dracone conculcato et Ethiopis gladio transito ad celum perveniant adiuvante Christo.
Ces textes ne sont pas des inventions libres du miniaturiste ou du concepteur, mais dérivent – ce qui jusqu’ici n’a pas encore été relevé – pour la plupart d’un chant liturgique, c’est-à-dire de la séquence Scalam ad coelos de Notker I. de Saint-Gall consacrée aux saintes femmes.55 La 53 Les quelques bribes de texte qui accompagnent la miniature de l’Hortus en indiquent la dépendance du Speculum Ecclesiae d’Honorius Augustodunensis, recueil homilétique intéressant qui puise aux écrits notamment d’Ambroise de Milan, d’Augustin, de Jérôme et de Grégoire le Grand. À cet endroit précis (PL 172, 937BD) Honorius reprend évidemment les passages en question des Moralia (XXXIII, 9 et 12). 54 Cf. von Borries (voir note 11), p. 102 avec indication de bibliographie. Pour Hildegarde voir Zuzana Haefeli-Sonin, Auftraggeber und Entwurfskonzept im Zwiefaltener Martyrolog des 12. Jahrhunderts (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, cod. hist. 2° 415) (Europäische Hochschulschriften, série 28: Kunstgeschichte 147), Bern etc. 1992, p. 94: „Das Zwiefaltener Bild entspricht … einmal mehr einer Vision Hildegards“ (ce qui est trop simplifié); avec plus de prudence et insistant sur l’indépendance du manuscrit de Zwiefalten: Meier, Calcare caput draconis (voir note 39), p. 362 (avec référence à notre miniature): „Wenig nach Hildegards ‚Scivias‘ und unabhängig von diesem visualisiert auch die Bildkunst solche Identitäten“. 55 Wolfram von den Steinen, Notker der Dichter und seine geistige Welt, t. 2 (Editionsband), Berne 1948, p. 90; cf. aussi Analecta Hymnica medii aevi t. 53, nº 245. – Arthur Watson, The Speculum Virginum with special reference to the tree of Jesse, dans: Speculum 3 (1928), pp. 445–469, a déjà indiqué Scalam ad celos comme un texte ayant combine les motifs de l’ethiops et de l’échelle avant le Speculum Virginum (p. 455), mais sans avoir reconnu la séquence comme une œuvre de Notker, puisqu’il la cite (d’après le troisième tome des „Lateinische Hymnen des Mittelalters“ de Franz Josef Mone) comme „hymn, De Virginibus, Puella turbata, in a Kolmar Ms. of the eleventh century“ (probablement Colmar, Bibl. mun., ms. 444 [Kat. 217]).
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synopse suivante montrera que nous avons affaire à un lien très étroit, car la dépendance va jusqu’aux citations littérales – surtout en ce qui concerne la strophe 6 de la séquence (avec une seule petite variante, mais qui n’est pas sans intérêt, à savoir le remplacement de feminis par virginibus qui signale un changement de perspective sur lequel nous reviendrons): Notker 1. Scalam ad coelos subrectam tormentis cinctam
Z Sanctus Antonius in visu vidit scalam ad celos erectam
2. Cuius ima draco servare cautus invigilat iugiter
Cuius ima draco observavit
4. Cuius ascensus extracto Aethiops gladio vetat exitium minitans
et Ethiops evaginato gladio ascensum
5. Cuius supremis innixus iuvenis splendidus ramum aureolum retinet
Atque in summo iuvenis aureum ramum in manu habuit
6. Hanc ergo scalam ita Christi amor feminis fecit perviam ut dracone conculcato et Aethiopis gladio transito
Hanc ergo scalam ita amor Christi fecit virginibus perviam ut dracone conculcato et Ethiopis gladio transito
7. Per omne genus tormentorum caeli apicem queant capere et de manu confortantis regis auream lauream sumere
ad celum perveniant adiuvante Christo
Il faut noter, de plus, que dans Scalam ad celos l’artiste de Zwiefalten n’a pas seulement trouvé son modèle (nettement inspiré, de son côté, par la Visio Perpetuae!) pour la formulation du thème de l’échelle des vierges, mais que la séquence se présente comme la véritable clef pour la combinaison si originale de cette image avec celle de Leviathan capturé et percé par l’armilla – ce que nous n’avions trouvée ni dans le Speculum Virginum ni dans les autres sources proposées jusqu’ici, et qui semble donc être une invention créatrice du génie poétique de Notker. Le motif de l’armilla est en effet introduit par les strophes 9 et 10 de la séquence (Qui praedam tibi tulit et armilla maxillam forat, ut egressus Evae natis fiat, quos tenere cupis) qui représente „la charnière centrale“ du texte et lui confère „une dimension complètement nouvelle“, comme l’a souligné Peter Dronke56 – constatation qui vaut également pour la
56
Peter Dronke, Die Lyrik des Mittelalters, München 1973, pp. 33s.
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miniature. L’échelle seule est d’abord une métaphore pour l’effort de l’homme désirant monter vers Dieu, mais ce n’est que le triomphe du Christ sur Satan par sa mort sur la croix, représenté par le motif de la victoire sur Léviathan, qui accorde à l’élan ascétique de l’homme son couronnement définitif. La descente kénotique de Dieu rend possible l’ascension de l’homme au ciel – dans la formule très suggestive de la séquence, empruntée littéralement par la miniature: „C’est l’amour du Christ qui a permis l’ascension de l’échelle“ (Hanc ergo scalam Christi amor fecit perviam). Qu’en est-il d’Honorius, Rupert, Hildegarde et les autres? Ces noms gardent une certaine valeur en tant que jalons indiquant l’envergure de réception de cet ensemble d’idées et d’images depuis la Visio Perpetuae et saint Grégoire, et ils circonscrivent le contexte plus large d’une tradition, où se situe la miniature de Zwiefalten. Toutefois – et c’est un résultat qu’il faudra retenir – l’inspiration immédiate de la miniature doit désormais être attribuée à la séquence notkérienne. Ce qui me semble alors fort remarquable, c’est que la miniature a puisé son programme non pas au sein de la doctrine théologique, d’un traité ascétique, d’une allégorèse exégétique ou d’une homélie, comme on aurait pu s’y attendre, mais dans un texte poétique et plus précisément dans un morceau de poésie liturgique! C’est un procédé plutôt inusité, me paraît-il, d’autant plus qu’il ne s’agit pas d’une miniature ou d’une initiale historiée accompagnant la séquence dans le contexte de son livre liturgique approprié, c’est-à-dire dans un graduel ou un séquentiaire,57 mais d’une image ayant assumé une valeur autonome dans un terrain étranger à la fonction originale de ce texte. Cette émancipation d’un texte liturgique utilisé comme programme iconographique trouve une certaine analogie, toutefois assez vague, dans un groupe de miniatures d’un manuscrit datant aussi de la deuxième moitié du 12e siècle et provenant probablement d’un milieu comparable à celui de Zwiefalten: le cod. 289 de la bibliothèque du monastère d’Admont. Ce manuscrit, écrit peut-être pour Diemuth, 57 Les exemples d’illustrations de séquences dans des livres liturgiques semblent rarissimes. Un cas exceptionel a été présenté par Jeffrey F. Hamburger, ‚Siegel der Ebenbildlichkeit, voll von Weisheit‘: Johannes der Evangelist und der Bildersprache der Vergöttlichung im Graduale von St. Katharinenthal, in: Die Präsenz des Mittelalters in seinen Handschriften, hrsg. von Nigel Palmer und Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2002, S. 115–137.
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abbesse des moniales bénédictines de Traunkirchen, abbaye fille du Nonnberg (Salzbourg), contient les Meditationes sive Orationes d’Anselm de Canterbury et pourrait être, selon André Wilmart, une copie de l’exemplaire que l’auteur à dédicacé à la comtesse Mathilde de Toscane (une autre copié nous a d’ailleurs été conservée dans le fonds de Zwiefalten!).58 Le texte est accompagné de onze miniatures dessinées au trait sur des fonds verts et bleus et présentant des phylactèteres où figurent des fragments de chants liturgiques neumés. À deux reprises au moins des emprunts ont été faits au Liber hymnorum de Notker: les inscriptions de la miniature illustrant l’oraison adressée à la vierge Marie (f. 21v)59 combine en effet des citations prises de l’hymne Quod chorus vatum (AH 50 nº 155) avec la strophe 9 de la séquence de Noël Natus ante saecula de Notker (AH 53 nº 13), en la répartissant sur les deux anges qui encadrent la vierge et l’enfant: Gaude dei genetrix quam circumstant obstetricum vice et Concinentes angeli gloriam dei. Situation analogue pour la miniature fort intéressante de saint Jean (56r) où la première moitié de l’inscription dans le cadre (Tu leve conjugis pectus respuisti) a est emprunté à la strophe 4 de Johannes Jesu Christo (AH 53 nº 168), autre séquence notkérienne, come Otto Pächt l’a déjà relevé,60 tandis que la seconde partie 58 André Wilmart, Les prières envoyées par S. Anselme à la Comtesse Mathilde en 1104, dans: Revue Bénédictine 41 (1929), pp. 35–45. J’utilise la réédition dans: André Wilmart, Auteurs spirituels et textes dévots du moyen âge latin, Paris 1932, pp. 162–172 (pour les manuscrits d’Admont et Zwiefalten – il s’agit de Stuttgart, WLB, Cod. theol. et phil. 4° 234 – cf. en particulier pp. 165–166.). Voir en outre Otto Pächt, The Illustration to St. Anselm’s Prayers and Meditations, dans: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 19 (1956), pp. 68–83: pp. 70–71. Une première publication des miniatures, sur lesquelles le P. Michael Hermes OSB (Meschede) a attiré mon attention, est due à Paul Buberl, Die illuminierten Handschriften in Steiermark, 1. Teil: Die Stiftsbibliotheken zu Admont und Vorau, Leipzig 1911, pp. 35– 38. L’hypothèse de Traunkirchen a été critiquée récemment par Johannes Tomaschek dans: Schatzhaus Kärntens. Landesausstellung St. Paul 1991, t. 1, Klagenfurt 1991, pp. 56–58 (Catalogue, nº 2.7). – Je remercie vivement Jeffrey Hamburger (Harvard) et Alois Haidinger (Wien) pour leurs précieuses indications bibliographiques au sujet de ce manuscrit. – Cf. maintenant Stefanie Seeberg, Illustrations in the Manuscripts of the Admont Nuns from the Second Half of the Twelfth Century: Reflections on Their Function, in: Manuscripts and Monastic Culture. Reform and Renewal in TwelfthCentury Germany, ed. by Alison I. Beach (Medieval Church Studies 13), Turnhout 2007, pp. 99–121: pp. 106–107. 59 Pour cette miniature, cf. Franz Rademacher, Die Regina Angelorum in der Kunst des frühen Mittelalters, Düsseldorf 1972, pp. 89–90. 60 Pächt (voir note 58), p. 78 avec note 1. Cf. aussi Eleanor S. Greenhill, The Group of Christ and St. John, dans: Festschrift Bernhard Bischoff zu seinem 65. Geb. dargebracht, hrsg. von Johanne Autenrieth und Franz Brunhölzl, Stuttgart 1971, pp. 406–416: pp. 408–409.
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du texte (supra pectus domini Jesu recumbens) correspond au début de l’antienne homonyme pour l’office de l’évangéliste (Corpus Antiphonalium Officii nº 5068). A la différence du manuscrit de Zwiefalten, ces extraits de séquences sont combinés avec des emprunts à d’autres genres de chant liturgique, à qoui s’ajoute, dans le manuscrit d’Admont, une présence réelle de la musique dans les citations liturgiques, puisqu’elles sont pourvues de neumes, ce qui n’est pas le cas dans la miniature du livre du chapitre. C’est là un aspect guère perçu dans son importance par les historiens de l’art qui se sont penchés sur ce manuscrit: Pächt p. ex., bien qu’il ait noté la dépendance notkérienne de l’inscription de l’image de Saint Jean, ne mentionne ni les neumes ni le fait que presque toutes les autres inscriptions sont des extraits de chants liturgiques. Même constatation pour Rademacher qui parle très vaguement de „louange de la sainte Vierge“. Quant à Tomaschek (cf. note 58), il paye une certaine attention aux neumes, en discutant la miniature de Saint Benoît, mais il arrive à la conclusion que cet élément ne représente aucun argument pour une origine liturgique des inscriptions, mais plutôt une sorte de „déguisement“ artificiel de citations bibliques! Nous avons vu, que cette interprétation, au moins en ce qui concerne les cas que nous avons analysés de plus près, ne tient pas debout. Mais revenons à Zwiefalten une dernière fois. D’abord pour deux observations de détail: 1. Rappelons-nous la variante observée dans la citation du texte de Notker par rapport à la version originelle (Hanc ergo scalam ita amor Christi fecit virginibus perviam au lieu de feminis perviam). Elle indique un changement de perspective fort intéressant: au lieu de la femme évoquée chez Notker dans tous les états de vie possibles (jeune-fille, épouse, mère, veuve), c’est la vierge vue comme incarnation d’un mode de vie religieusement idéal, qui est au centre de l’intérêt de notre miniature. Nous assistons là à une relecture symptomatique pour le milieu monastique du 12e siècle que nous retrouvons d’ailleurs dans le Speculum Virginum qui n’hésite pas à transformer Perpetua, l’une des rares femmes mariées et mères parmi les martyres paléochrétiennes, en vierge. Et pourtant, en regardant attentivement la miniature, on découvrira un petit détail qui semble indiquer que cette réduction, à la suite de la „déséxualisation“ qu’elle implique, opère en même temps un certain élargissement de vue et une ouverture en ce qui
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concerne le „gendering“: parmi les têtes féminines sur les échelons on reconnaît en effet plusieurs têtes de moines tonsurés. Ce détail, curieux au prime abord, est probablement le reflet de la coexistence de deux communautés (féminine et masculine) à Zwiefalten, mais en même temps il implique le message, que cette échelle se veut le symbole de l’ascension spirituelle non seulement des feminae, mais des virgines en général, c’est-à-dire de tout personne, femme ou homme, qui aspire à la perfection ascétique. 2. Le début de l’inscription du montant droit de l’échelle des vierges – Sanctus Antonius in visu vidit – n’est évidemment pas tributaire de Notker. De plus il paraît un peu énigmatique, étant donné que la source qu’il indique, à savoir les visions rapportées par la Vita Antonii d’Athanase (dont on avait d’ailleurs une copie à Zwiefalten: dans le troisième volume du grand passionnaire),61 contient des idées et des images dont l’exploitation pour la conception de notre miniature semble beaucoup moins évident que ce n’est le cas pour la Passio Perpetuae.62 D’un point de vue philologique, ce renvoi paraît donc problématique ou carrément faux,63 puisqu’il attribue au texte d’Athanase des choses qu’il ne dit pas. Et pourtant, il y a une „vérité typologique“ dans cette fausse piste, puisque cette évocation de ce champion du monachisme oriental crée une correspondance immédiate avec saint Benoît, père des moines occidentaux, et produit en même temps une symétrie Cod. bibl. 2° 58, 141v–158v. Aussi trouvons-nous dans le chapitre 4 de la vie de saint Antoine (BHL 609) que le diable se rapprocha du saint sous forme de „garçon terrifiant et noir“ (Puer horridus atque niger) qui se présente comme „ésprit de fornication“ (spiritus fornicationis vocor), mais l’image de l’échelle manque. Walter Cahn, Ascending to and Descending from Heaven: Ladder Themes in early medieval Art, dans: Santi e demoni nell’alto medioevo occidentale, Spoleto 1989, pp. 697–724: p. 717 avec note 44, a proposé d’interpréter ce renvoi à saint Antoine comme une allusion à un pasage de la tradition grecque qui manque dans la version latine de la légende BHL 609, c’est-à-dire la vision de Satan comme géant touchant jusqu’au ciel en train d’arrêter l’ascension des âmes ailées des justes (cf. PG 26, Sp. 937–938). La tradition latine connaît effectivement ce motif depuis le 13e siècle et le combine avec celui du jeune noir p. ex. au chapitre 21 de la Légende Dorée consacré à saint Antoine: diabolus in specie pueri nigri ante eum prostratus apparuit … et ecce vidit quendam longum et terribilem caput usqe ad nubes tollentem qui quosdam pennatos ad celum volare cupientes extensis manibus prohibebat et alios libere pervolantes retinere non poterat (Legenda Aurea, ed. critica a cura di Giovanni Paolo Maggioni, t. 1, Florence 1998, pp. 155 et 158). – Cf. maintenant Christian Heck, The vision of St. Antony on the panel at Christ Church Oxford, dans: Journal of the Warburg and Courtauld Institues 59 (1996), pp. 286–293. 63 Heck, Vision (voir note 45), p. 290, parle d’une „over-interpretation“. 61 62
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avec l’échelle de Jacob: Antoine et Jacob – père du désert lui-aussi, si l’on veut – encadrent le personnage principale au centre comme s’ils étaient des figures de „précurseurs“. Aussi, la composition qui en résulte s’apparente-t-elle à un triptyque. Au niveau des textes le parallélisme des deux échelles est assuré par la formule scalam ad celos erectam, qui paraphrase les trois premiers mots de la séquence, laquelle, comme nous l’avons vu plus haut (p. 268), a été interpolée dans le texte biblique accompagnant l’échelle de Jacob. La séquence notkérienne, source directe de l’échelle des vierges, exerce donc aussi un rayonnement sur le volet opposé: elle est la véritable clé de tout l’ensemble! On peut se poser la question de savoir quel est l’auteur de la conception artistique et théologique de cette page. Ce qui semble certain, c’est le rôle de l’abbé Berthold en tant que commanditaire du manuscrit.64 Comme il y a des indices pour des activités aussi bien littéraires qu’artistiques de Berthold, on a même émis l’hypothèse qu’il ait pu jouer un rôle primordial dans la conception des miniatures du livre du chapitre,65 en évoquant son zèle particulier pour la communauté féminine de son abbaye, ses efforts prodigués pour obtenir des reliques relevant du cercle des onze milles vierges de Cologne, mais aussi ses contacts avec Hildegarde dont nous avons parlé plus haut. C’est une idée intéressante, mais plutôt spéculative, d’autant plus que l’argument d’une contribution immédiate de Berthold en tant que scribe ne semble plus pouvoir être retenue, car l’identification de sa main dans le livre du chapitre et dans d’autre manuscrits de Zwiefalten proposée jadis par Luitpold Wallach66 ne résiste pas à une analyse paléographique serrée, comme Herrad Spilling l’a montré.67 En tout cas, il s’agit d’une composition d’une grande originalité artistique et intellectuelle, où image et texte s’amalgament pour constituer un ensemble ingénieux d’une complexité intertextuelle et d’un raffinement artistique remarquables.68 64 Spilling (voir note 11), p. 34: Das „aufwendig gestaltete zweite Kapiteloffiziumsbuch Cod. hist. 2° 415 …[wurde] zweifellos auf Wunsch von Abt Berthold geschrieben und gemalt“. 65 Haefeli-Sonin (voir note 54), pp. 93–97 et 111–117. 66 Luitpold Wallach, Studien zur Chronik Bertholds von Zwiefalten, dans: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 51 (1933), pp. 83–101 et 183–195: pp. 192–194. 67 Cf. les solides arguments de Spilling (voir note 11), p. 33 avec note 2 et p. 112. 68 Dans ce contexte, il faut signaler la présence du motif de l’échelle dans le récit d’une vision dans une chronique rédigée peu avant 1160, donc pratiquement
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Pour conclure, posons-nous la question du rôle de Scalam ad celos subrectam dans la tradition liturgique de Zwiefalten. Nous obtiendrons des résultats assez intéressants.69 Depuis mon article de 1992 où j’ai démontré que le Liber ordinarius de l’abbaye hirsaugienne de Rheinau publié par Anton Hänggi représentait très fidèlement les normes liturgiques de la réforme de Hirsau, nous sommes à même de tenter une reconstruction des divers aspects du répertoire de cette tradition.70 Pour le domaine des séquences, c’est une musicologue américaine, Lori Kruckenberg, qui dans un article récent s’est attelé à cette tâche.71 Ella a pu montrer qu’à Hirsau on a repris en principe le sequentiare „standard“ tel qu’il était établi dans les pays de langue allemande depuis le 10e siècle, c’est à dire essentiellement un ensemble d’une soixantaine de pièces, dont le noyau est constitué par le Liber ymnorum notkérien.72 Hirsau (l’abbé Guillaume?) a cependant réorganisé et modifié ce répertoire en plusieurs points, en écartant, par exemple, Scalam ad celos.73 Autrement dit: cette séquence, qui commence à devenir de plus en plus rare dans les manuscrits à partir du 12e siècle, ne devrait contemporaine à notre manuscrit, la chronique de Petershausen, abbaye bénédictine située devant les murs de la ville de Constance et attachée, comme Zwiefalten, au courant d’Hirsau (cf. Die Chronik des Klosters Petershausen, éd. et trad. par Otto Feger [Schwäbische Chroniken der Stauferzeit 3], Sigmaringen 1978, pp. 134–140: pp. 134–136). Dans ce milieu de réforme, cette imagerie semble donc avoir joui d’un certain prestige. A comparer aussi le dossier rassemblé par Constant J. Mews dans son article Hildegard of Bingen, The Speculum Virginum and Religious Reform, in: Hildegard von Bingen in ihrem historischen Umfeld, hrsg. von Alfred Haverkamp, Mayence 2000, S. 237–267, surtout pp. 244–249. 69 Cette conclusion de mon étude doit beaucoup aux suggestions de Lori Kruckenberg (Oregon) et Silvia Wälli (Basel). 70 Felix Heinzer, ‚Liber Ordinarius‘ (voir note 4). 71 Kruckenberg, Rekonstruktion (voir note 4). 72 Kruckenberg (voir note 4), p. 192: „es ist der Kernbestand des mit dem Namen Notkers von St. Gallen verbundenen Liber ymnorum, wie er, auf etwa 60 Sequenzen erweitert, seit dem zehnten Jahrhundert innerhalb des deutschsprachigen Raums weitgehnd stabil überliefert wurde und eine dauerhafte Basis der Sequenzenpraxis bildete“. 73 Le manuscrit Zürich, ZB, Rh. 132, un séquentiaire de Rheinau, en donne une démonstration remarquable: Un manuscrit plus ancien qui contient le répertoire saintgallien a été adapté aux normes d’Hirsau dont la réforme fut introduite à Rheinau vers 1100 à l’aide d’élimination ou d’insertion de certaines pièces et même de feuillets entiers (Kruckenberg [voir note 4], pp. 204 f.). Le texte de Scalam est carrément mutilé après la strophe 6b, parce que la suite du texte a été arrachée et remplacée par un feuillet d’addition (observation communiquée par Silvia Wälli) – évidence on ne peut plus tangible de l’élimination du répertoire!
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normalement pas se retrouver à Zwiefalten, d’autant plus que nous sommes là, come on l’a vu au début de cet étude, dans une situation de dépendance immédiate par rapport à Hirsau. Et pourtant, notre miniature semble prouver le contraire. Nous en trouvons en effet la confirmation dans les livres liturgiques de l’abbaye, c’est-à-dire dans les séquentiares des deux manuscrits Cod. bibl. 4° 36 et Cod. brev. 123 de la Württembergische Landesbibliothek, datant de la première moitié du 12e siècle: ils contiennent, l’un et l’autre, Scalam ad celos. La pièce était donc connue à Zwiefalten. Mais était-elle aussi utilisée, voir: chantée dans la liturgie? L’analyse des deux manuscrits cités nous montre en effet, que Scalam y figure sans être neumé ou du moins sans une notation complète et systématique. Il faudra donc, semble-t-il, distinguer entre un noyau assez stable de séquences reçues officiellement à Hirsau, autour duquel dans les monastères touchés par son rayonnement réformateur pouvait se former une sorte de halo de pièces supplémentaires suivant la tradition et les préférences particulières de chaque communauté. Cette situation „ouverte“, qui se répète du reste pour d’autres aspects du répertoire liturgique, semble caractéristique d’Hirsau et de son mouvement, où les livres liturgiques font preuve d’une uniformité de base assez remarquable mais en même temps d’une certaine tolérance envers des traditions locales particulières. Scalam ad celos, qui, dans le contexte du courant de Hirsau, se trouve aussi dans le Cod. brev. 160 de la Württembergische Landesbibliothek (un tropaire-séquentiare de l’abbaye de Weingarten) et de même dans le séquentiaire d’Ottobeuren aujourd’hui à Munich (Clm 27130), deux manuscrits qui excèdent la normalité de Hirsau (surtout celui d’Ottobeuren qu’il faut qualifier d’extraordinairement riche), offre un exemple significatif de ce jeu d’unité et d’altérité. Ajoutons en plus, que le genre de la séquence relève d’un domaine que l’on pourrait qualifier d’ornement et de luxe et pour cela jugé superflu et même nocif par des courants plus rigoristes comme celui des cisterciens par exemple! – c’est-à-dire d’un contexte fondamentalement plus variable et moins codifié que d’autres secteurs du répertoire liturgique. Le fait que les mélodies des séquences ont une certaine autonomie et peuvent être liées à des textes différents, est un autre symptôme de cette liberté. Celle de Scalam par exemple (elle porte le joli titre Puella turbata) a été utilisée pour Cantemus cuncti (AH 53 nº 34), séquence de Septuagésime qui appartenait au noyau stable du répertoire d’Hirsau et qu’on y aimait tant qu’on la chantait une deuxième fois le même
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jour, c’est-à-dire pendant l’office ou elle remplaça le vénérable hymne Alleluia dulce carmen.74 En conclusion on peut constater qu’une séquence, qui à Zwiefalten comme à Hirsau, avait perdu sa place de chant liturgique, a survécu en tant que texte devenue image dans le livre du chapitre, jouissant par là d’une présence permanente au cœur de la communauté à l’un des moments clefs de la journée qui se déroule dans le cadre de la règle. Dans cette fonction de „narthex“ du texte normatif, Scalam ad celos assume un rôle de véritable image programmatique de la vie monastique – ce qui est un sort assez remarquable pour une poésie liturgique écartée et tombée en désuétude.
74 Vgl. dazu Felix Heinzer, Liturgischer Hymnus (voir note 4), p. 39 [in diesem Band, S. 255].
SEQUENZEN AUF WANDERSCHAFT – TRANSFERSZENARIEN AM BEISPIEL VON „REX REGUM DEI AGNE“ UND „SANCTI MERITA BENEDICTI“*
Die im folgenden vorgestellten Reflexionen1 gelten zwei Sequenzen, die in je unterschiedlicher Weise die Frage nach den hoch- und spätmittelalterlichen Verbreitungsmodi und Transferwegen neugeschaffener Gesänge dieses Genres aufwerfen: 1) der Ostersequenz Rex regum dei agne (AH 50 Nr. 240) des Reichenauer Musiker-Dichters Hermannus Contractus, und 2) der Benedikt-Sequenz Sancti merita Benedicti (AH 54 Nr. 35). Mein besonderes Augenmerk gilt dabei der Entwicklung plausibler Szenarien der für beide Stücken zu beobachtenden Verbreitung, vor allem der transalpinen Vorstöße. Der durchaus vorläufige, in vielem auch hypothetische Charakter dieser Überlegungen – wie sehr dies zutrifft, zeigt schon die Tatsache, daß im Falle von Sancti merita bereits der Ausgangspunkt, nämlich ein Ursprung nördlich der Alpen, unsicher ist – ruft nach kritischer Gegenlesung. Eine weiterführende Diskussion hätte außerdem der Frage nachzugehen, in welchem Maß die Dynamik dieser Spezialfälle so etwas wie Modellcharakter beanspruchen kann, sich also auch auf Aspekte der Überlieferung und Verbereitung anderer Sequenzen, seien es Einzelstücke oder auch größerere Materialkomplexe, übertragen läßt. 1. Rex regum dei agne Einigermaßen klar sind hier Ausgangs- und (südöstlichster) Endpunkt des Transfers: der Bodenseeraum (Kloster Reichenau) einerseits und Zagreb sowie Esztergom andererseits; offen ist hingegen die Frage nach den Wegen und Mechanismen des Überlieferungsprozesses. Erstmals erschienen in: Die Musikforschung 58 (2005), S. 252–259. Sie gehen zurück auf einen Beitrag anläßlich eines von der Fondazione Levi (Venedig) im Sommer 2002 organisierten Kolloquiums zum Thema „La sequenza: *
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Zum Ausgangspunkt: Die Zuschreibung an den Reichenauer Mönch Hermannus Contractus (gest. 1054) darf als gesichert gelten, auch wenn die in der älteren Forschung (Kehrein, Schubiger, Ösch) zu findende Auskunft, Hermann sei in der Stuttgarter Handschrift Cod. brev. 123 (aus Zwiefalten) ausdrücklich als Autor genannt, nicht zutrifft.2 Für die Urheberschaft Hermanns spricht ein Bündel von Beobachtungen unterschiedlichen Gewichts, die sich aber zu einem stimmigen Gesamtbild fügen: – der Bezug zur Heilig-Kreuz-Sequenz AH 50 Nr. 239 (Grates honos…), die sowohl durch das Zeugnis Gottschalks von Limburg (von Schubiger entdeckt) als auch durch die Beischrift HERIMANNUS in der Handschrift 466 der Stiftsbibliothek Einsiedeln (um 1130) als für Hermann gut belegt gelten darf – der Aufbau und der stilistische Duktus des Textes insgesamt – die für Hermann charakteristische Vorliebe für Gräzismen,3 die in Grates honos allerdings zahlreicher sind als im stärker biblisch ausgerichteten Rex regum – Direkte Entsprechungen von Rex regum (5b) und Grates honos (7ab): Rex regum:
Grates honos:
Calice nos inebria sopi, suscita de torrente bibens in via damna nostra
Fac nos calix inebriet…
tu pontifex hostia
tu patris hostia
bibens nobiscum potum
Itinerari di trasferimento e aspetti di ricezione“. – Der skizzenhafte Charakter des Textes ist hier bewußt beibehalten worden. 2 Näheres dazu jetzt bei Bettina Klein-Ilbeck, Antidotum vitae. Die Sequenzen Hermanns des Lahmen, Diss. Heidelberg (Mikrofiche) 1998, S. 21 f.; vgl. außerdem Franz Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 2, München 1975, S. 455 f. – Arno Borst, Ein Forschungsbericht Hermanns des Lahmen, in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 40 (1984), S. 379–477, S. 398, scheint Hermanns Autorschaft auf die drei Sequenzen über das Kreuz Christi, die Trinität und Maria Magdalena einzuschränken. 3 Vgl. Brunhölzl (wie Anm. 2), S. 456. Walter Berschin, Eremus und Insula, St. Gallen und die Reichenau im Mittelalter – Modell einer lateinischen Literaturlandschaft, Wiesbaden 1987, S. 38–40, spricht im Zusammenhang mit der ebenfalls Hermann zugeschriebenen Magdalenensequenz Exurgat totus almiphonus (s. Analecta Hymnica medii aevi [künftig AH] 50 Nr. 242 bzw. AH 44 Nr. 227) von einer Befrachtung mit „theologischen Graecolatina“, die einen Text wie diesen geradezu zu einer Art „Heiligenschrein aus seltenen und kostbaren Wörtern“ werden läßt.
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hirsau und sein kreis Rex regum:
Grates honos:
torcular calcans tu uva
Et tu, solus qui fortiter crucis torcular … ipse botrus elegans Cypri calcasti 4
Die Analyse des Texts mit seinem dichten Netzwerk von biblischen und theologischen Bezügen würde den hier gegebenen Rahmen sprengen. Der vorläufige Similien-Apparat im Anhang mag andeuten, in welche Richtung diese Arbeit gehen müßte. Bemerkenswert ist die vergleichsweise dünne Überlieferung im Bodenseeraum, also im Umfeld des Ursprungsorts selbst. Die Reichenau selbst fällt fast völlig aus im Überlieferungsbild von Rex regum (bis auf ein spätes Einzelzeugnis des 14. Jahrhunderts in Karlsruhe, Aug 209, f. 11r).5 Das mag zum Teil mit der notorisch schlechten Überlieferungssituation des liturgisch-musikalischen Repertoires des Inselklosters zusammenhängen, entspricht im übrigen aber auch, wie Bettina Klein-Ilbeck zu Recht feststellt, „dem dortigen allgemeinen Umgang mit nicht allein den Werken Hermanns, sondern auch denen der beiden anderen berühmten hauseigenen Autoren Bern und Walahfried“.6 Auch St. Gallen scheint das Stück anscheinend nicht vor 1200 rezipiert zu haben, wie die Aufstellung von Klein-Ilbeck zeigt (Stiftsbibliothek Cod. 379, 1. Hälfte 13. Jh.; außerdem Nachträge des 13. Jh. in Cod. 338, 376, 378, 381 und 382). Einzig der um etwa 1130 zu datierende Codex 366 (472) aus dem Reichenauer Tochterkloster Einsiedeln, der alle fünf Hermann zugeschriebenen Sequenzen enthält (Rex regum übrigens ohne Neumierung),7 springt als früher und wichtiger Textzeuge aus dem Umfeld des Inselklosters einigermaßen in die Bresche. Etwa gleichzeitig ist dann die Regensburger Handschrift Rom, Biblioteca Angelica 948 aus dem beginnenden 12. Jahrhundert.8 Die Hauptmasse der Handschriften stammt aus dem Kontext der sog. gregorianischen Reformbewegung, insbesondere aus Klöstern der Hirsauer Reform (Rheinau, Weingarten, Zwiefalten, Kremsmünster,
4 Hier übrigens durch vir de gentibus nullus tecum die Verbindung mit Is 63, 3 (torcular calcavi solus et de gentibus non est vir mecum) noch stärker als in Rex regum (s. unten). 5 Den Hinweis auf diese Handschrift verdanke ich Calvin Bower. Klein-Ilbeck ist dieser Beleg anscheinend entgangen. 6 Klein-Ilbeck (wie Anm. 2), S. 30. 7 Klein-Ilbeck (wie Anm. 2), S. 184 f. 8 Nicht aus St. Emmeram, vgl. Felix Heinzer, Der Hirsauer ‚Liber Ordinarius‘, in: Revue Bénédictine 102 (1992), S. 309–347, S. 333 [in diesem Band, S. 209 f.].
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Salzburg St. Peter, Admont, St. Paul im Lavanttal), denen sich Belege aus dem Bereich der reformierten Augustiner-Chorherren (Marbach, St. Florian, Seckau) zur Seite stellen lassen. Insgesamt läßt sich eine deutliche Ballung der Überlieferung im Raum der Erzdiözese Salzburg beobachten und im Zusammenhang damit eine weitere Tendenz der Überlieferung in Richtung Südosten. Endpunkte dieses Vorstoßes, der das Patriarchat Aquileia (im Gegensatzzu unserem zweiten Beispiel) nicht zu berühren scheint,9 sind Zagreb und Esztergom:10 Aus Zagreb: – Zagreb, Arhiv HAZU, Cod. III. d. 28 (14./15. Jh.), Cod. III. d. 23 (15. Jh.) – Zagreb, Kaptoski arhiv bez sign. (17./18. Jh.) – Zagreb, Metropolitanbibl., Cod. MR 133 (14. Jh.; erw. im Apparat zu AH 50 Nr. 240) – Gedrucktes Missale der Zagreber Kathedrale von 1511 Außerdem Zagreb, Metropolitanbibl., Cod. MR 70, ein Missale des 13./14. Jahrhunderts aus einer Enklave der Erzdiözese Salzburg im mittelalterlichen Slowenien.11 Aus Esztergom (Gran): – Missale Notatum Strigonense, 14. Jh. (vor 1341)12 Wie ist dieser Befund zu deuten? Folgendes, in thesenartiger Form entwickeltes Szenario scheint mir derzeit am wahrscheinlichsten:
9 Die von Klein-Ilbeck im Handschriftenverzeichnis genannten Codices aus Moggio (Oxford, can. Lit. 340, wohl in Admont geschrieben und später in Moggio in Gebrauch) und Aquileia (Vat. Ross. 76) haben jeweils Ave praeclara (das Sequentiar aus Moggio auch Benedictio trinae unitati), nicht aber Rex regum – und dies, obwohl Rex in Admont augenscheinlich bekannt war, wie die Hs. 786 der dortigen Stiftsbibliothek belegt (Klein-Ilbeck [wie Anm. 2], S. 181). 10 Die Kenntnis der folgenden Textzeugen verdanke ich Hana Breko (Zagreb). 11 Vgl. Hana Breko, Zur Frage des Entstehungs- und Verwendungskontexts von Missale MR 70 der Zagreber Metropolitanbibliothek, in: International Musicological Society Study Group Cantus Planus: papers read at the 9th Meeting; Esztergom & Visegrád, 1998, hrsg. von by László Dobszay, Budapest, 2001, S. 29–43. 12 Missale notatum strigoniense ante 1341 in Posonio, hrsg. von Janka Szendrei etc., Budapest 1982 (Musicalia Danubiana 1), fol. 337.
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hirsau und sein kreis
1. Hauptträger der Verbreitung von Rex regum über den Bodenseeraum hinaus ist das benediktinische Reformmönchtum des 11./12. Jahrhunderts, insbesondere die Hirsauer Richtung. 2. Rex regum gehört allerdings nicht zum eigentlichen Kern des Hirsauer Sequenzenrepertoires, wie es Lori Kruckenberg umrissen hat,13 sondern wird als Einzelstück mitgeschleppt. Das heißt: Hermanns Sequenz ist eines der Stücke, die sich in einzelnen Klöstern in je unterschiedlicher Weise satellitenartig an den festen Kern der in Hirsau rezipierten Sequenzen ankristallisieren konnten. Diese offene Situation ist charakteristisch für die Hirsauer, deren liturgischen Bücher bei substantieller Übereinstimmung im textlichen und musikalischen Repertoire immer auch ein gewisses Maß an Toleranz gegenüber lokalen und regionalen Sondertraditionen aufweisen.14 3. Dieses Ankristallisierungsphänomen ist zunächst für die Hirsauer Klöster des schwäbisch-bodenseeischen Raums (Weingarten, Zwiefalten) zu beobachten und setzt sich dann insbesondere in den bayrischösterreichischen Raum hinein fort (mit Schwerpunkt Erzdiözese Salzburg). Der Handschriftenbefund scheint auf einen parallelen Vorgang im Kontext der Kanoniker-Reform (Seckau, St. Florian) hinzudeuten. 4. Die Belege für Gran und Zagreb dürften mit der großen Bedeutung und Strahlkraft Salzburgs für diese Gebiete zu erklären sein (symptomatisch dafür wohl das Faktum, daß der älteste der Zagreber Textzeugen – das Missale Kapitelbibliothek MR 70 – aus einer Salzburger Enklave stammt). Der Vorgang im einzelnen bleibt allerdings klärungsund diskussionsbedürftig, zumal ein „Wechsel“ vom monastischen in den weltkirchlich-diözesanen Kontext stattzufinden scheint. 5. Der durchaus zu erwartende Vorstoß nach Nordostitalien auf der Schiene der hirsauisch beeinflußen Zentren beidseits der Alpen, also in Kärnten und in der Steiermark (Admont, St. Paul u. a.) und im Raum des Patriarchats Aquileia (Rosazzo und Moggio), wie er von Andreas 13 Lori Kruckenberg: Zur Rekonstruktion des Hirsauer Sequentiars, in: Revue Bénédictine 109 (1999), S. 186–207. 14 Zu einem anderen Beispiel im Bereich der Sequenzen vgl. Felix Heinzer, Scalam ad celos – Poésie liturgique et image programmatique. Lire une miniature du livre du chapitre de l’abbaye de Zwiefalten, in: Cahiers de Civilisation Médiévale 44 (2001), S. 329–348 [in diesem Band S. 257–285], bes. S. 347 f. [hier S. 284–285].
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Haug für den „Hirsauer“ Tropus Postquam factus beobachtet werden konnte15 und auch für die im zweiten Teil dieser Skizze untersuchte Sequenz Sancti merita vorzuliegen scheint, erfolgte offenbar nicht – vielleicht eben deswegen, weil Rex regum (im Gegensatz zu Sancti merita!) nicht zum festen Hirsauer Repertoire gehörte und daher nur selektiv transferiert wurde, wie gerade die in Anm. 9 angesprochene Konstellation symptomatisch belegt. 2. Sancti merita Benedicti Im Gegensatz zur Situation von Rex regum lassen sich hier, wie es scheint, mindestens zwei – zeitlich wie räumlich – deutlich abzugrenzende Überlieferungs- und Transferphasen unterscheiden Eine relativ breit ausgreifende Verbreitung erfährt Sancti merita im ausgehenden 11., v. a. aber im 12. (und teilweise noch im 13.) Jahrhundert im Zusammenhang mit der Hirsauer Reformbewegung. Diese schreibt die Sequenz in ihrem Liber Ordinarius zum Fest der Translation des Ordensvaters vor,16 und zumindest nördlich der Alpen erscheint Sancti merita fast ausschließlich – auf die Ausnahmen ist noch einzugehen – an die Hirsauer Tradition gebunden,17 so dass sie (in Verbindung mit einer charakteristischen Strukturierung des Repertoires für die Osterzeit) sozusagen als eine Art „fingerprint“ des Hir-
15 Vgl. Andreas Haug: Ein ‚Hirsauer‘ Tropus, in: Revue Bénédictine 104 (1994), S. 328–345, S. 335, mit drei Handschriften aus dem Dom von Cividale aus dem 14. und 15. Jh. (zu diesen jetzt auch Raffaela Camilot-Oswald, Die liturgischen Musikhandschriften aus dem mittelalterlichen Patriarchat Aquileia [Monumenta monodica medii aevi, Subsidia 2] Kassel 1997, S. CII und S. 24–42). 16 Liber Ordinarius von Rheinau, ed. Anton Hänggi (Spicilegium Friburgense 1), Freiburg/Schweiz 1957, S. 187 in apparatu. – S. auch die Textzeugen aus anderen Hirsauer Klöstern: Fulda, Hess. Landes- u. Hochschulbibl., Aa 72 (für Weingarten), Oxford, Bodl. Libr., Can. lit. 325 (für Moggio), Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. theol. et phil. 4° 249 (für Zwiefalten). 17 Wichtigste Textzeugen (z. T. nach AH 54 Nr. 35, ergänzt durch Hinweise von Silvia Wälli: Kre 28 [nur Text] (Kremsmünster, Anfang 13. Jh.), Kre 309 (Kremsmünster (?), um 1200), Melk 109 (Regensburg St. Emmeram), Ende 13. Jh., Mü 27130 (Ottobeuren, 12. Jh.), Ox 340 (Admont für Moggio), Stuttgart Cod. bibl. 2° 20 (St. Paul i. L., nach 1136), Stuttgart Cod. brev. 123 (Zwiefalten, um 1140–1150), Stuttgart, Cod. brev. 160 (Weingarten 12. Jh. 1. Viertel), Udine 75 (Salzburg [?]), 1199), Wien, ÖNB 2700 (Salzburg St. Peter, um 1160), Wien, Kunsthist. Mus. 4981 (Weingarten, 13. Jh. 1. Viertel), Zürich Rh. 132 (Rheinau, Überarbeitungsschicht des 12. Jh., s. Kruckenberg [wie Anm. 13], S. 205).
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sauer Sequentiars angesehen werden kann.18 Selbst der Beleg für Nidaros/Trondheim,19 der zunächst als Gegenargument erscheinen könnte, läßt sich aufgrund der schon von Lili Gjerløw erkannten Verbindungen des norwegischen Zentrums zur Gregorianischen Reform20 für diesen Kontext in Anspruch nehmen. Ob dabei an eine direkte Übermittlung auf der benediktinischen Schiene zu denken ist21 oder an den Umweg über die Marbacher Chorherren, die im 12. Jahrhundert zeitweilig das Domkapitel der alten skandinavischen Metropole Lund stellten,22 ist letztlich nicht von entscheidender Bedeutung; daß hinter diesem eindrucksvollen Transfer an die äußerste nördliche Grenze der mittelalterlichen Christianitas in letzter Instanz der Hirsauer Reformimpuls steht, dürfte jedenfalls außer Frage zu stehen. Man könnte angesichts dieses Befundes sogar versucht sein, Hirsau und seine Reform nicht nur als bevorzugtes Transfer-Milieu von Sancti merita zu sehen, sondern in dieser Sequenz geradezu eine Hirsauer Kreation zu vermuten, wären da nicht die „vorhirsauischen“ Belege. Für diese erste Phase steht ein Nest von Belegen aus Nordostitalien aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts mit Schwerpunkt in Mantua: Roma, Bibl. Casantense, Ms. 1741 und Roma, Biblioteca Nazionale Centrale, Ms. 1343 (beide aus Nonantola) sowie Verona, Biblioteca capitolare, Ms. 107 (Mantua, S. Benedetto). In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die Rezeption von Sancti merita in Cividale und Venedig mit diesem Komplex zusammenhängt und ob möglicherweise – wie Lance Brunner23 und vor ihm schon die Bearbeitern von AH 54 annahmen – der Ursprung der Sequenz tatsächlich in Norditalien zu suchen ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang Clm 14322 aus Regensburg St. Emmeram (11. Jh. 2. Viertel).24 Sollten hier die erste jener „Abteien Kruckenberg [wie Anm. 13], S. 201–204. Vgl. Lilli Gjerløw, Ordo Nidarosiensis Ecclesiae, Oslo 1968, S. 366 Z. 24 f. sowie S. 433 und 439. 20 Bezüge zur Hirsauer Bewegung bzw. zu dem mit Hirsau verbrüderten Marbach (s. auch Anm. 22) finden sich auch sonst in der Liturgie von Nidaros, so z. B. Bei den nachpfingstlichen Alleluiaversen (Gjerløw, [wie Anm. 19], S. 98–101). 21 Überlegungen dazu bei Gjerløw [wie Anm. 19], S. 85–90. 22 Zur Übereinstimmung der Nidaros-Alleluiareihe mit derjenigen Lunds s. Gjerløw [wie Anm. 19], S. 98 f. Zur Schiene Marbach-Lund insgesamt vgl. Gjerløw, S. 89, und Peter Wittwer, Quellen zur Liturgie der Chorherren von Marbach, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 32 (1990), S. 307–361, bes. S. 307, 323 und 331. 23 Lance Brunner, Catalogo delle sequenze in manoscritti di origine italiana anteriori al 1200, in: Rivista italiana di musicologia 20, 1985, 191–276. 24 Zur Datierung s. auch Bernhard Bischoff, Mittelalterliche Studien 2, Stuttgart 1967, S. 87. 18 19
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Süddeutschlands“ greifbar werden, die laut AH 54 die Sequenz aus Norditalien übernommen hätten? Von hier aus wäre Sancti merita auch – so könnte man den Faden weiterspinnen im Hinblick auf die durch die Herkunft Wilhelms von Hirsau aus St. Emmeram unmittelbar gegebene Beziehung zwischen den beiden Abteien – in das Repertoire der Hirsauer eingegangen,25 um eine zweite Karriere anzutreten und im Zuge des im ersten Teil bereits skizzierten Südostvorstoßes den Rückweg über die Alpen anzutreten. Aber da sind noch zwei weitere Belege für die Frühgeschichte von Sancti merita zu verzeichnen, und sie stammen aus ganz anderen Räumen als die bisher diskutierten: das sogar schon um 1000 anzusetzende Tropar aus Winchester in der Bodleian Library Oxford26 und ein südfranzösische Cantatorium und Prosar aus dem späten 11. Jahrhundert (Paris. nouv. acq. Lat. 1177). Möglicherweise ist auch die Rezeption von Sancti merita im mittelitalienischen Farfa, zwar nur durch einen späten Zeugen von 1514 belegt (Roma, Biblioteca Nazionale Centrale Vittorio Emmanuele 222 [Farf. 33]), in diesen Zusammenhang einzubeziehen, denn bedenkt man, dass Farfa im frühen 11. Jahrhundert cluniazensisch geworden ist, könnte auch dieser Beleg letztlich nach Frankreich zurückweisen, was wohl auch für die Winchester-Überlieferung gelten dürfte. Jedenfalls lassen diese frühen Quellenbelege aus Frankreich und England die Annahme einer Nord-Süd-Richtung der Ausbreitung von Sancti merita viel plausibler erscheinen als einen Ausgangspunkt dieser Bewegung in Nordost-Italien. So gesehen wird man also eher – in gewisser Weise analog zu Postquam factus – vom Szenario eines doppelten, zeitlich gestaffelten transalpinen Vorstoßes ausgehen dürfen. Und es wäre dann zu fragen, ob zumindest die Belege für Cividale (Civ. 80, 14. Jh. 2. Hälfte),27 doch eher Ergebnisse des zweiten, von der Hirsauer Reform getragenen 25 Wir berühren hier das nach wie vor nicht wirklich geklärte Problem der Frage nach den Wurzeln des textlich-musikalischen Repertoire der (bezüglich des Zeremoniells am Brauch Cluny orientierten) Hirsauer Liturgie. Die Frage nach einer (wenigstens teilweisen) Verwurzelung in der St. Emmeramer Tradition habe ich in bereits in meinem Liber-Ordinarius Aufsatz angesprochen [in diesem Band, S. 221–222], und Beobachtungen in ähnlicher Richtung finden sich bei Haug, Hirsauer Tropus (wie Anm. 15), S. 341. 26 Vgl. dazu David Hiley, Editing the Winchester Sequence Repertory of ca. 1000, in: Cantus Planus. Papers read at the third meeting… 1988, hrsg. von László Dobszay etc., Budapest 1990, S. 99–113. 27 Vgl. Cesare Scalon e Laura Pani, I Codici della Biblioteca Capitolare di Cividale del Friuli, Firenze 1998, S. 268–273.
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Transfers sind. Möglicherweise können hier eine (erst noch zu leistende) genaue philologische Analyse – sowohl im textlichen Bereich als auch hinsichtlich der melodischen Überlieferung (die Melodie ist „Occitana“) – weiterführen. Für Venedig, wo Sancti merita schon im 13. Jahrhundert, also anscheinend früher als in Cividale, rezipiert wird, wie die Berliner Handschrift Mus. Ms. 40608 belegt,28 wäre auch ein Konnex mit dem ersten Schub (über Nonantola etc.) denkbar. 3. Schluß Sequenzen gehören ihrem Wesen und ihrer Funktion nach zu einem Bereich, den wir als den der Lizenz oder gar des „Schmucks“ bezeichnen könnten. Mit dieser im Vergleich zum fester kodifizierten Grundstock der Meßgesänge eher als additionell (wenn nicht sogar als marginal) zu bezeichnenden Stellung und dem freieren (nicht-biblischen!) Textcharakter dürfte es zusammenhängen, daß die Sequenz stets auch unter dem grundsätzlichen Vorbehalt der „Weltlichkeit“ stand, insbesondere in Kontexten kirchlicher Reformbestrebungen. Die Verbote und Einschränkungen beginnen bereits in karolingischer Zeit mit der Synode von Meaux von 845, Cluny singt textierte Sequenzen nur an Hochfesten, gänzlich verboten sind sie bei den Zisterziensern, und die spätmittelalterliche Melker Reform propagiert – gleichsam die gesamtkirchliche Einschränkung des Tridentinums vorwegnehmend – eine Reduktion auf wenige Stücke für die Hochfeste.29 Eben dieser Sonderstatus könnte aber auch dafür verantwortlich sein, daß der Transfer von Sequenzen – zumal dann, wenn es sich nicht um verfestigte, in gewisser Weise standardisierte Komplexe handelt30, sondern um Einzelstücke – anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt als die Verbreitung und Rezep28 Vgl. Giulio Cattin, Musica e Liturgia a San Marco, Venedig 1990, Bd. 1, S. 71, Bd. 2, S. 397. 29 Vgl. zum Ganzen den Überblicksartikel „Sequenz“ von Franz K. Praßl, in: Lexikon des Mittelalters 7 (1995), Sp. 1770–1773. Zu Meaux s. Andreas Haug: Ein neues Textdokument zur Entstehungsgeschichte der Sequenz, in: Festschrift Ulrich Siegele zum 60. Geburtstag, hrsg. von Rudolf Faber, Kassel 1991, S. 9–19. Belege für die Melker Praxis bei Joachim Angerer, Die Liturgisch-musikalische Erneuerung der Melker Reform. Studien zur Erforschung der Musikpraxis in den Benediktinerklöstern des 15. Jahrhunderts (Sitzungsberichte Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse 287,5), Wien 1974, S. 90–94. 30 So etwa der mit Notkers Namen verbundene Liber hymnorum, der – mit einigen Erweiterungen – seit dem 10. Jahhrundert faktisch als stabiler Grundbestand des
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tion grundständiger liturgisch-musikalischer Repertoires oder Repertoireblöcke. Zumindest für den hier beobachteten Bereich zeigt sich, daß die Überlieferung nicht selten außerhalb des eigentlichen Sequentiars, also in Form eines Einzelnachtrags oder innerhalb kleinerer „Ergänzungsnester“ erfolgen kann. Symptomatisch dafür ist beispielsweise die Situation für Rex regum im zweiten Teil des Weingartener „Hausbuchs“ Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB I 240, (13. Jh., 1. Drittel, jedenfalls nach 1217), wo die Sequenz zusammen mit weiteren „extravaganten“ Stücken überliefert ist, die zumindest anfänglich durch den Bezug zur Karwoche und Osterzeit verklammert scheinen, gegen Ende des Abschnitts dann nur noch durch formale Verwandtschaft (Sequenzen), verbunden sind. Und in gewisser Weise scheint sich auch die für Sancti merita beobachtete Mehrphasigkeit der Verbreitung – die Parallele dazu, die Karriere von Postquam factus, führt wohl kaum zufällig in das Feld des benachbarten Genres der Tropen – in dieses eigenwillige Szenario zu fügen.
Sequenzenrepertoires im deutschsprachigen Raum anzusehen ist (vgl. Kruckenberg [wie Anm. 13], S. 192).
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hirsau und sein kreis Anhang I (Text von Rex regum)31
1) Rex regum dei agne leo Iuda magne32 2a) Cruce virtutum33 mors peccati vita iusticiae dans fructum iam ligni vitae34 pro gustu scientiae pro rapina gloriae 2b) Dum tuus sanguis ius rompheae restrinxit flammeae paradisi pandit hortum stirps oboedientiae medicina gratiae 3a) Haec dies domini celebris pax est in terris fulgor inferis et lux superis dies duplici baptismi legis evangelii 3b) Christus pascha est homini35 dum vetus transit novus surgit36 31 Vgl. auch den Übersetzung und Kommentar von Klein-Ilbeck (wie Anm. 2), S. 72–81 und 149–161. 32 Zum Gegensatz Agnus/Leo als Bild für das Ineinsfallen von Leidenshingabe an den Tod und Sieg über den Tod im Ostermysterium vgl. Leo quia diabolum vicit, agnus quia semetipsum offerens, mundum redemit, Ambrosius Autpertus, Expos. in Apoc. 3,5,5 (CC CM 27), S. 260. Nach Klein-Ilbeck (wie Anm. 2), S. 149. 33 Nicht „Kreuz der Kräfte“ (so Klein-Ilbeck, a. a. O.), sondern Kreuz der Tugenden in der Tradition, wie sie exemplarisch Hrabanus Maurus (De laudibus s. crucis, Figura VI) repräsentiert: De quatuor virtutibus principalibus quomodo ad crucem pertineant et quod omnium virtutum fructus per ipsam nobis collati sunt (PL 107, 171–174). Zum Ganzen Robert L. Füglister, Das lebende Kreuz, Einsiedeln 1964, S. 198 ff. 34 Auch hier ist an dieselbe Stelle bei Hrabanus zu denken (Quantos ergo et quales fructus lignum sanctae crucis germine suo proferat, dignum est etiam in hoc sacro carmine modo commemorare, PL 107, 175 A: Beginn der Declaratio figurae). Biblischer Hintegrund (den Hraban an dieser Stelle ebenfalls zitiert) ist selbstverständlich Ps 1, 3: et erit tamquam lignum transplantatum iuxta rivulos aquarum quod fructum suum dabit in tempore suo et folium eius non defluet et omne quod fecerit prosperabitur. 35 I Cor. 5,7: pascha nostrum immolatus est Christus. 36 Alter vs. neuer Mensch (alter Adam – neuer Adam) etc.
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haec dies domini gaude mens expers fermenti plena panis azimi 4a) Submersis hostibus signatis postibus assum pascha nocte domo una cum lactucis ede agrestibus 4b) Accinctis renibus pellitis pedibus cum baculo propera et caput cum intestinis et pedibus vora37 5a) Hac die nos lava Christe mundans hysopo38 fac et dignos hoc mysterio mare siccans39 Leviathan perforans maxillam hamo armilla40 5b) Calice nos inebria sopi suscita de torrente bibens in via41 damna nostra tu pontifex hostia torcular calcans tu uva42 4a und 4b fußen im wesentlichen auf Ex. 12, 7–11: … et sument de sanguine ac ponent super utrumque postem et in superliminaribus domorum in quibus comedent illum et edent carnes nocte illa assas igni et azymos panes cum lactucis agrestibus. Non comedetis ex eo crudum quid nec coctum aqua sed assum tantum igni caput cum pedibus eius et intestinis vorabitis, nec remanebit ex eo quicquam usque mane, si quid residui fuerit igne conburetis. Sic autem comedetis illum renes vestros accingetis calciamenta habebitis in pedibus tenentes baculos in manibus et comedetis festinantes est enim phase id est transitus Domini. Für den Anfang (submersis hostibus) vgl. Ex. 15, 4: electi principes submersi sunt in mari rubro. 38 Ps. 50,9 asperges me hysopo et mundabor. 39 Ex. 14, 29: filii autem Israhel perrexerunt per medium sicci maris. 40 Job 40, 20 f.: An extrahere poteris Leviathan hamo et fune ligabis linguam eius numquid pones circulum in naribus eius et arimilla perforabis maxillam eius? Bestimmend für die Rezeption und Allegorisierung in der christlichen Tradition ist Gregorius Magnus, Moralia in Iob, lib. 33 (Corpus Christianorum. Series Latina 143B), Turnhout 1985, dazu jetzt auch Heinzer, Scalam ad celos (wie Anm. 14), S. 340–343 [in diesem Band, S. 272–275]. 41 Ps. 109,7: de torrente in via bibet. 42 Is. 63, 2–3: torcular calcans. Vgl. auch Apoc. 19, 15: ipse reget eos in virga ferrea et ipse calcat torcular vini furoris irae Dei omnipotentis. 37
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6a) O flos virgineae virgae flagrans plena septemplicis rore lampas vino lacte pulchrior specie rosae rubor lilii candor quo te tantae clementiae consilio microsocmi inclinaveris auxilio ut miseri particeps redemptor esses absque peccati naevo gestans formam peccati 6b) O consanguinee servi domine spes anastaseos primae ultimae per iusiurandum semini Abrahae Firma et nos dux athanatos nos tu convivificans corpori commortuos Adae parenti veteri tu membris fortioribus iungens infirma vitae aternae des pascua, tu pascha
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Anhang II: Exemplarische Überlieferungs-Situation für Rex regum im Hirsauer Kontext (am Beispiel Weingartens). Überlieferungsnest „extravaganter“ Stücke in Stuttgart, WLB, HB I 240, Teil II (nach 1217), 15v–28v: Completorium in sabbato s. Pasche, dann kleine Horen und Vesper für Ostersonntag (offenbar mit Einflüssen nicht-monastischer Praxis: so Vesper mit sog. „Oster-Kyrie“ als Einleitung und hinzugefügtem Oster-Graduale Haec dies mit wechselnden Versen43); Sequenz Mane prima sabbati (AH 54 Nr. 143), 18r In Ieiunio ad completorium Vigilate omnes et orate (CAO 5420: nur B!) und Versus super Media [vita]44 – nicht vorgesehen im Hirsauer Ritus (vgl. CAO 3732, mit B als Zeugen für eine Verwendung am Ostersamstag – nur hier ebenfalls 3 Verse! – und V für die Komplet in der Fastenzeit!), (18v) Kyrie, Gloria, (19r) Hymnus de resurrectione: Chorus novae Hierusalem (AH 50 Nr. 215); Sequenzen Rex regum (AH 50 Nr. 240), Salve proles Davidis (AH 54 Nr. 224, de s. Maria), Magnificent confessio atque pulchritudo (AH 50 Nr. 277, de s. Cruce, Gottschalk v. Limburg), (22r–23r) Grates deo et honor (AH 53 Nr. 119, de s. Afra), (23r–24v) Verbum dei deo natum (AH 55 Nr. 188, de s. Johanne), Dixit dominus ex Basan (AH 50 Nr. 269, de s. Paulo, Gottschalk v. Limburg), Laude Christo debita (AH 55 Nr. 265, de s. Nicolao), Gaude Maria templum summae maiestatis (AH 54 Nr. 213, de s. Maria), Plausu chorus laetabundus (AH 55 Nr. 6, de evangelistis), Qui sunt isti qui volant (AH 54 Nr. 87, de apostolis); (28v) Alma redemptoris mater (AH 50 Nr. 244). Analog folgt in Wien, Kunsthistor. Museum Hs. 4981 (ebenfalls aus Weingarten, 13. Jh.) nach dem „klassischen“ Hirsauer Sequentiar (f. 53v–76v) ein Anhang mit mehreren Mariensequenzen (darunter Mane prima sabbati, Salve proles [wie in HB I 240, s. oben] und Laetabundus) und nebst Victimae paschali auch Rex regum (hier: dei) agne mit der Rubrizierung alia de resurrectione (77r–78r).45
43 Dazu David Hiley, Western Plainchant, Oxford 1995, S. 29. Im Hirsauer Brauch wird die Vesper am Ostersamstag in der Tat more canonicorum gefeiert (s. Hänggi [wie Anm. 16], S. 137, Z. 1–2). 44 In te speraverunt patres nostri, Ad te clamaverunt patres nostri, Ne despicias nos in tempore. 45 Franz Unterkircher, Ein neumiertes Graduale aus Weingarten. Die Handschrift Wien, Kunsthistorisches Museum, Ms. 4981, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 30 (1988), S. 21–32, bes. S. 29–32; [s. auch meinen Beitrag zur Wiener Handschrift in diesem Band, S. 365–385].
DAS BERTHOLD-SAKRAMENTAR ALS LITURGISCHES BUCH* 1. Zum Buchtyp „Sakramentar“, seiner Geschichte und seiner Funktion 2. Zu Aufbau und Inhalt des Berthold-Sakramentars (Inhaltsübersicht) 2.1. Nicht-gregorianische Meßformulare und Orationen 2.2. Die Votivmessen 2.3. Eingeschobene Ritualtexte Tauffeier Palmweihe und Kerzenweihe Benediktionen 2.4. Das Kalendar der Handschrift 3. Das Berthold-Sakramentar als Repräsentationshandschrift
Missalis liber vestitus auro et argento – „Ein Meßbuch mit Silber und Gold bekleidet“: unter diesem Titel erscheint unsere Handschrift in der Liste der unter Abt Berthold geschriebenen Bücher im sogenannten „Liber litaniarum et benedictionum“ (Stuttgart, WLB, HB I 240)1, und vermutlich darf man auch den Eintrag ein Missale, dessen Deckel mit Edelsteinen besetzt 2 in dem 1753 unter Abt Dominicus Schnitzer angelegten Verzeichnis des Weingartner Kirchenschatzes mit Karl Löffler3 auf das Berthold-Sakramentar beziehen.
* Erstmals erschienen in: Das Berthold-Sakramentar. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat von Ms M. 710 der Pierpont Morgan Library in New York, Kommentarband, hrsg. von Felix Heinzer und Hans Ulrich Rudolf (Codices Selecti 100), Graz 1999, S. 217–253. 1 Vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz 1, bearb. von Paul Lehmann, München 1918, S. 405 f. und Hanns Swarzenski, The Berthold Missal. The Pierpont Morgan Library Ms 710 and the Scriptorium of Weingarten Abbey, New York 1943, S. 118 f. Näheres zu dieser Liste und dem Verhältnis der beiden Überlieferungen in HB I 240 und im Berthold-Sakramentar s. Herrad Spilling, Abt Bertholds Bücherverzeichnis – Anhaltspunkt zur Datierung seines Sakramentars?, in: Berthold-Sakramentar (wie oben, Anm. *), S. 187–192 und S. 272. 2 Pirmin Lindner, Professbuch der Benediktiner-Abtei Weingarten (Fünf Professbücher süddeutscher Benediktiner-Abteien 2), Kempten u. München 1909, S. 119, Nr. 92. 3 Karl Löffler, Die Handschriften des Klosters Weingarten (Zentralblatt für Bibliothekswesen Beih. 41), Leipzig 1912, S. 147.
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Als Missale also wird die Handschrift in der klostereigenen Tradition bezeichnet, und dies gilt auch für die wissenschaftliche Forschung bis hin zu Löffler und insbesondere zu Swarzenskis 1943 erschienener, mittlerweile schon als klassisch zu bezeichnender Monographie „The Berthold Missal“. Wenn nunmehr im Titel der vorliegenden Faksimileausgabe und in diesem Kommentarband entsprechend heute gebräuchlicher liturgiewissenschaftlicher Begrifflichkeit nicht mehr von Berthold-Missale, sondern von Berthold-Sakramentar gesprochen wird, so ist diese „Namens-Änderung“ nicht nur eine Frage terminologischer Pedanterie oder wissenschaftlicher Rechthaberei, sondern vielmehr eine Präzisierung, die dazu beitragen kann, den funktionalen Hintergrund dieser Handschrift und ihre Position in der Geschichte der liturgischen Bücher deutlicher ins Blickfeld zu rücken. 1. Zum Buchtyp „Sakramentar“, seiner Geschichte und seiner Funktion Auch Sakramentare sind Meßbücher, aber sie sind es in einem anderen Sinn als jene Bücher, die wir heute als Missalien im eigentlichen Sinn, als sogenannte Plenar- oder Vollmissalien, bezeichnen, und sie setzen gegenüber diesen einen anderen funktionalen Hintergrund voraus.4 Dieser ist wesentlich geprägt durch eine deutliche Differenzierung der liturgischen Rollen bzw. der Anteile von Gesang, Lesung und Gebet, die in ihrem Zusammenwirken das Ganze der eucharistischen Feier ausmachen. Diesen unterschiedlichen Funktionen entspricht in der Frühzeit der abendländischen Liturgiegeschichte auch eine Differenzierung der liturgischen Bücher in separate Einheiten, gewissermaßen in „Rollenbücher“: – Graduale (Antiphonarium missae) mit den dem Kantor und dem Chor anvertrauten gesungenen Teile der Messe, also insbesondere Introitus, Graduale, Alleluiavers, Offertorium und Kommunionvers, (z.T. ergänzt durch das Kyriale mit den Gesängen des ordinarium missae und das Sequentiar). 4 Auf Einzelnachweise kann hier verzichtet werden. Eine zusammenfassende Darstellung mit weiterführenden Literaturnachweisen bietet beispielsweise Éric Palazzo, Histoire des livres liturgiques. Le Moyen Age: Des origines au XIII siècle, Paris 1993, S. 47–83; zur mittelalterlichen Terminologie, besonders zur Verwendung von missale für Sakramentar, vgl. ebd. S. 55–58.
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hirsau und sein kreis
– Lektionar bzw. Epistolar und Evangelistar mit den von Subdiakon (Lektor) und Diakon vorzutragenden Schriftlesungen. – Sakramentar mit den dem Vorsteher der Meßliturgie, d. h. dem Bischof (Papst) oder Priester, vorbehaltenen Texten.5 Das Sakramentar enthält somit im wesentlichen das Corpus der in jeder Messe vom Zelebranten zu sprechenden Orationen (meist drei, in manchen Fällen auch vier)6, die den Löwenanteil des Buchs ausmachen, außerdem das Hochgebet (Canon missae) als Herzstück der eucharistischen Feier, die das Hochgebet einleitenden Präfationen sowie die gleichbleibenden Gebete und Zeremonien vor und nach dem Hochgebet (Ordo missae). Dazu können, wie auch in unserem Fall, weitere Ergänzungen wie Kalendar oder einzelne Texte für Weihen und sonstige sakramentale Handlungen außerhalb der Meßfeier hinzukommen. Als Buch des Zelebranten hat das Sakramentar in der mittelalterlichen Tradition ohne Zweifel den höchsten Stellenwert unter den für die eucharistischen Feier benötigten Bücher, zumal es seit karolingischer Zeit mit der Autorität des großen Papstes Gregor I. verknüpft wird. So gesehen könnte man in der Tat sagen: das Sakramentar ist – zumindest im frühen Mittelalter – das Meßbuch schlechthin. Seit dem Ende des ersten Jahrtausends ist allerdings eine zunehmende Entwicklung von separaten Büchern zum (Voll-)Missale festzustellen. Dieser komplexe Vorgang, der hier nur ganz knapp und vereinfacht angedeutet werden kann, bahnt sich an in den schon seit dem 9. Jahrhundert belegten libelli missarum, kleinen Faszikeln mit allen für ein bestimmtes Fest oder eine kleinere Auswahl von Festen (oder auch Votivmessen) benötigten Texten.7 Das Plenarmissale setzt sich im 12. und 13. Jahrhundert weitgehend durch und verdrängt schließlich die Einzelbücher ebenso wie die etwa auch im Kontext der monastischen Reform des 11. und 12. Jahrhunderts recht verbreitete Lösung in Form 5 Vgl. die zusammenfassenden Darstellungen bei Palazzo (wie Anm. 4), S. 47– 83, und Marcel Metzger, Les Sacramentaires (Typologie des sources du moyen âge occidental 70), Turnhoult 1994. 6 Collecta zu Beginn der Messe, Super oblata bzw. Secreta zur Darbringung der Opfergaben und Postcommunio bzw. Ad complendum zum Beschluss der Feier. In manchen Fällen, besonders in der Fastenzeit, kann sich an die Postcommunio eine weitere Oration (Super populum, eine Art Segensgebet) anschließen. 7 Einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu dieser Thematik bietet Palazzo (wie Anm. 4), S. 124–127, wobei auch die Bedeutung der sogenannten libelli missarum als „formes embryonnaires“ der Vollmissalien besonders hervorgehoben wird.
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von Handschriften, die ein Sakramentar, ein Graduale (oft mit Sequentiar) und ein Lektionar in einem Band vereinigten und gewissermaßen nebeneinander stellten – ein Modell, das offenkundig weniger praktisch und bequem war als das Vollmissale, das die für die einzelnen Messen erforderlichen Stücke gewissermaßen aus den Rollenbüchern herauslöst und zu einem organischen Ganzen, dem Meßformular, zusammenfügt und in geschlossenem, dem liturgischen Vollzug entsprechendem Zusammenhang bereitstellt. Vielleicht kann eine schematische Darstellung für ein ausgewähltes Meßformular, hier die dritte Weihnachtsmesse, diesen Sachverhalt verdeutlichen:8
Meßformular im Vollmissale
Sakramentar
Introitus Puer natus est nobis… Oratio Concede quaesumus, omnipotens deus…
Graduale +
+
Epistola Mutilfariam, multisque modis… (Hebr 1,1–12)
+
Graduale Viderunt omnes fines terrae …
+
Alleluiavers Dies sanctificatus…
+
Sequentia Natus ante saecula…
+ (eventuell Sequentiar)
Evangelium In principio erat verbum… (Jo 1,1–14) Offertorium Tui sunt caeli…
Lektionar (bzw. Epistolar u. Evangeliar)
+
+
8 Dabei werden die gleichbleibenden Teile der Messe, also das sog. Ordinarium Missae (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei), das dem Graduale bzw. einem oft auch als separates Buch vorliegenden Kyriale zu entnehmen war, nicht berücksichtigt; eben sowenig Ordo Missae und Kanon, die im Sakramentar zur Verfügung standen.
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hirsau und sein kreis
Meßformular im Vollmissale
Sakramentar
Secreta Oblata, Domine, munera…
+
Communio Viderunt omnes fines terrae … Postcommunio Praesta, quaesumus, omnipotens deus…
Graduale
Lektionar (bzw. Epistolar u. Evangeliar)
+
+
Dass diese Form der Textdarbietung als Formular im Vergleich mit der durch die Einzelbücher gegebenen Situation einen rascheren und bequemeren Zugriff bietet, dürfte aus dem hier vorgeführten Beispiel unmittelbar deutlich geworden sein. Diese Feststellung rückt freilich nur die eher vordergründige Seite dieser Entwicklung, gewissermaßen deren praktisches Ergebnis, ins Blickfeld. Fragt man nach den historischen Hintergründen, die zu diesem Ergebnis geführt haben, so fällt die Antwort erheblich komplexer aus und kann in diesem Rahmen nur stichwortartig umrissen werden. Eine gewisse Verlagerung der geistigen und geistlichen „Gewichte“ aus der monastischen Sphäre in den Bereich von Stadt und Universität, die für die Kultur- und Geistesgeschichte des 12. und 13. Jahrhunderts insgesamt von großer Bedeutung ist, spielt dabei ebenso eine Rolle wie die zunehmende Mobilität des Klerus: nicht zufällig sind die Bettelorden, v. a. die Franziskaner, maßgebliche Träger und Multiplikatoren dieser Entwicklung. Aber auch tiefer liegende Wandlungen im Verständnis und in der Auffassung der Liturgie, in unserem Fall also der Messe, sind mitzubedenken – auch im Bereich der alten Orden, wo die (stille) „Privatmesse“ im kleinen Kreis oder gar mit dem Priester als alleinigem Akteur gegenüber dem gemeinschaftlichen Konventamt zusehends an Bedeutung gewinnt, und dies nicht erst in der eben angesprochenen Umbruchszeit.9 Die Anstöße dazu sind vielfältiger Natur; zu nennen 9 Maßgeblich dazu Otto Nussbaum, Kloster, Priestermönch und Privatmesse (Theophaneia 14), Bonn 1961, und Angelus A. Häussling, Mönchskonvent und Eucharistiefeier. Eine Studie über die Messe in der abendländischen Klosterliturgie des frühen Mittelalters und zur Geschichte der Meßhäufigkeit (Liturgiewissenschaftliche Quellen
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wären insbesondere „die kultische Verehrung der zahlreichen Heiligenreliquienaltäre, die Anliegen in den verschiedensten Votivmessen, das Totengedächtnis in Meßfeiern“.10 Es scheint in der Tat, dass im Lauf des 9. und 10. Jahrhunderts die gemeinsame Feier des Stundengebets, also der Chordienst, als (liturgische) Hauptbeschäftigung der klösterlichen Gemeinschaft mehr und mehr von der Feier der Messe – oder präziser: vom „Lesen“ von Messen durch den Einzelnen – verdrängt wird und sich der Mönch in diesem Zusammenhang fast unausweichlich zum „klerikalisierten“ Priestermönch entwickelt.11 Stellt man das Berthold-Sakramentar vor diesen Hintergrund, so wird unmittelbar deutlich, dass dieses Buch nicht für die eben angesprochenen Privat- oder Nebenmessen bestimmt war. Ein reines Sakramentar wäre in diesem Kontext wenig sinnvoll, denn der von der Einbindung in eine mitfeiernde Kommunität losgelöste Zelebrant der Privatmesse muss, wie kirchenrechtliche und liturgische Vorschriften immer wieder betonen, alle Funktionen wahrnehmen, die sich in der gemeinschaftlichen Feier auf Kantor und Schola, Lektor (Sub-Diakon) und Diakon verteilen; er benötigt deshalb ein Buch, das die diesen Funktionen entsprechenden Teilbücher in sich vereinigt. Vor dem Hintergrund der Zugehörigkeit Weingartens zum Hirsauer Reformkreis mag es interessant sein, einen Blick in die Hirsauer Konstutionen zu werfen, wo der privata missa ein ganzes Kapitel gewidmet ist (Buch 1, cap. 86), das sehr detailliert deren Ablauf regelt und beschreibt. Das dazu verwendete Buch wird als liber missalis oder einfach nur als missale bezeichnet, aus dem der Zelebrant, wie ausdrücklich gesagt wird, auch alle Meßgesänge (totum cantum qui ad eum[recte wohl: ad eam, sc. missam] pertinet) vorzutragen habe, und zwar eher im „geraden“ Rezitationston, d. h. auf einer Tonhöhe, als wirklich singend (magis
und Forschungen 58), Münster i.W. 1973. Vgl. auch Cyrille Vogel, Une mutation cultuelle inexpliquée: le passage de l’Eucharistie communautaire à la messe privée, in: Revue des Sciences Religieuses 54 (1980), S. 231–250, und Arnold Angenendt, Missa Specialis. Zugleich ein Beitrag zur Entstehung der Privat-Messen, in: Frühmittelalterliche Studien 17 (1983), S. 173–221, mit etwas anderen Akzenten als Häussling. 10 Häussling (wie Anm. 9), S. 346. 11 Cyrille Vogel, La vie quotidienne du moine en Occident à l’époque de la floraison des messes privées, in: Liturgie, Spiritualité, Cultures. Conférence Saint-Serge 1982, éd. par Achille M. Triacca, Paris 1983, S. 341–360, bringt hierzu eine Reihe von Zahlenbelegen, die teilweise von geradezu erdrückenden Quantitäten entsprechender liturgischer „Leistung“ sprechen. Vgl. auch S. 241–246 der Anm. 9 zitierten Veröffentlichung Vogels.
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legit in directum quam audeat cantare).12 Unser Sakramentar ist kein derartiger liber missalis, sondern ein „Rollenbuch“ für den Zelebranten der missa maior, der feierlichen Konventmesse also, das die dem Zelebranten dieser Messe vorbehaltenen Texte enthält – moderner formuliert: kein Buch für die täglichen stillen Meßfeiern, sondern für das festliche Hochamt. Man mag diese Aussage im Hinblick auf den Charakter der Handschrift als repräsentativer Prachtcodex, der ohnehin ganz deutlich in diese Richtung weist, als selbstverständlich, ja sogar überflüssig empfinden. Dennoch erscheint es nicht ganz unwesentlich, darauf hinzuweisen, dass auch die inhaltliche Struktur diesen Funktionszusammenhang belegt. Die liturgiehistorische Einordnung der Handschrift führt im übrigen auch zu der bemerkenswerten Feststellung, dass die vom Auftraggeber getroffene Entscheidung für ein Sakramentar als Einzelbuch keineswegs dem herrschenden Trend der Zeit entspricht, sondern fast schon anachronistisch anmutet. Diese etwas pointiert formulierte Aussage mag übertrieben erscheinen, sie entspricht aber zumindest statistisch gesehen dem Befund der heute noch greifbaren handschriftlichen Überlieferung. Eigenständige Sakramentare aus dem 13. Jahrhundert sind nämlich nur in ganz geringer Anzahl erhalten; vielmehr begegnen überwiegend Vollmissalien oder aber wenigstens Sammelhandschriften, die sich aus Graduale, Lektionar und Sakramentar zusammensetzen, jene eben schon erwähnte, recht verbreitete Übergangslösung, die auch in Weingarten selbst unter Abt Berthold schon seit längerem bekannt und gebräuchlich war, wie dies mehrere Beispiele belegen: so in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart die Handschrift HB I 236 aus dem späten 12. Jahrhundert13 und der freilich sehr viel weniger homogene Sammelband HB I 85, der in Teilen – Sakramentar und Lektionar – sogar aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammt14; außerdem der Fuldaer Codex Aa 6 aus dem ersten Drittel des 12. Jahr12 Constitutiones Hirsaugienses I, 86 (PL 150, 1016 CD). Hirsau übernimmt hier, wie so oft – großenteils wörtlich – Bräuche und Vorschriften Clunys (vgl. Udalricus Cluniacensis: Consuetudines Cluniacenses II, 30: PL 149, 724 AC). 13 Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 1: Codices ascetici 2 (HB I 151–249), beschr. von Virgil Ernst Fiala u. Hermann Hauke, unter Mitarb. von Wolfgang Irtenkauf (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, 2. Reihe 1/2), Wiesbaden 1970, S. 152–157. 14 Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 1: Codices ascetici 1 (HB I 1–150), beschr. von Johanne Autenrieth und Virgil Ernst Fiala, unter Mitarb. von Wolfgang Irtenkauf (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, 2. Reihe 2/1), Wiesbaden 1968, S. 150–153.
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hunderts15. Diese Form, die im übrigen, wie schon erwähnt, gerade aus süddeutschen Reformklöstern auffallend oft belegt ist, dürfte wohl typisch sein für das, was man sich unter dem oben zitierten liber missalis, den die Hirsauer Konstitutionen für die Privatmesse vorsehen, vorzustellen hat. Nach möglichen Beweggründen für den Rückgriff auf die ältere Lösung der Rollenbücher, wie ihn das Berthold-Sakramentar repräsentiert, und für die insgesamt konservative Ausprägung der Handschrift wird noch zu fragen sein. Zunächst einmal dürfte es allerdings sinnvoll sein, einen kurzen Blick auf die Geschichte des Buchtyps Sakramentar zu werfen. Im fränkischen Reich war im 7. und 8. Jahrhundert eine große Vielfalt von Sakramentaren in Gebrauch, die unterschiedlichen Traditionen und Gebräuchen verpflichtet waren. Diese von Wechselwirkungen und Mischformen geprägte Situation dürfte Karl den Großen in seinem auch in anderen Bereichen zu beobachtenden Bemühen um einheitliche Texte mit normierender Funktion dazu bewogen haben, um etwa 785 von Papst Hadrian I. die Übersendung eines reinen römischen Sakramentars zu erbitten. Leider scheint jedoch das aus Rom übermittelte Buch einen überholten liturgischen Stand repräsentiert zu haben, und noch gravierender wirkte sich die Tatsache aus, dass Hadrian offenbar ein typisches Pontifikal-Sakramentar übersandt hatte: ein Buch also, wie es der Papst für die von ihm in den römischen Stationskirchen präsidierten Festgottesdienste benötigte. Es fehlten deshalb in diesem Musterexemplar viele der für die normale Gottesdienstpraxis einer Pfarr- oder Klosterkirche unabdingbaren Texte: etwa die Meßformulare für die Sonntage der Weihnachtszeit, der Zeit nach Epiphanie sowie der österlichen und der (besonders ausgedehnten) nachpfingstlichen Zeit, aber auch die Messen für das Commune Sanctorum, viele wichtige Votivmessen und schließlich auch Texte für Weihen und Segnungen und für die Tauffeier. Man scheint sich daher im Frankenreich rasch um entsprechende Ergänzungen für diese Lücken bemüht zu haben, und so finden sich in den Handschriften, die direkt oder 15 Vgl. Die theologischen Handschriften der Hessischen Landesbibliothek Fulda bis zum Jahr 1600: Codices Bonifatiani 1–3, Aa 1–145a, beschr. von Regina Hausmann (Die Handschriften der Hessischen Landesbibliothek Fulda 1), Wiesbaden 1992, S. 26–30, und Die illuminierten Handschriften der Hessischen Landesbibliothek Fulda 1: Handschriften des 6. bis 13. Jahrhunderts. Tafelbd. bearb. von Herbert Köllner, Stuttgart 1976; Textbd. bearb. von Christine Jakobi-Mirwald auf Grund der Vorarbeiten von Herbert Köllner, Stuttgart 1993, Nr. 38.
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indirekt auf das Musterexemplar zurückgehen, stets mehr oder weniger umfangreiche Anhänge mit ergänzenden Texten für die eben genannten Messen. Eines dieser Supplemente – nach dem ersten Wort seines Prologs (Hucusque) benannt – scheint besonderes Ansehen genossen zu haben und erfuhr weite Verbreitung. Es galt lange Zeit als Werk des Angelsachsen Alkuin (um 730–804), dessen Rolle als einflussreichster wissenschaftlicher, theologischer und kirchenpolitischer Berater Karls hier nicht weiter auszuführen ist. Die Forschungen von Jean Deshusses haben indessen diese Kompilation mit weithin akzeptierten Argumenten dem Reformabt Benedikt von Aniane zugewiesen und in das zweite Jahrzehnt des 9. Jahrhunderts datiert.16 Erst in jüngster Zeit sind auch Argumente gegen diese Hypothese laut geworden, die eher für eine Endredaktion dieses Supplements um 835–836 plädieren und sie mit Helisachar, dem Kanzler und Berater von Karls Sohn Ludwig dem Frommen in Verbindung bringen möchten.17 Das aus Rom übersandte Sakramentar trug zu Beginn einen Authentizitätsvermerk, der auf die päpstliche Bibliothek verwies und den Text des Buchs auf Papst Gregor den Großen (590–604) zurückführte. Dass das „Gregorianum“, wie es daher genannt wird, zumindest nach heutigem Verständnis von Urheberschaft nicht als Werk des großen Papstes gelten kann, ist seit längerem geklärt. Es dürfte sehr wahrscheinlich unter Papst Honorius I. (628–638) als päpstliches Stations-Meßbuch entstanden sein, wobei möglicherweise einzelne Orationen, die auf Gregor zurückzuführen sind, mit verwendet wurden.18 Für das Mittelalter freilich war dieser Rückbezug auf die Autorität Gregors genauso 16 Vgl. Jean Deshusses, Le Sacramentaire Grégorien. Ses principales formes d’après les plus anciens manuscrits, Bd. 1–3, (Spicilegium Friburgense 16. 24. 28), Fribourg/ Suisse 1971–1982, hier Bd. 1, S. 69, und 3, S. 66–75. Ediert ist das Supplement in Bd. 1, S. 349–605. 17 Joseph Décréaux, Le Sacramentaire de Marmoutier (Autun 19bis) dans l’histoire des Sacramentaires carolingiens du IXe siècle, Città del Vaticano 1985, S. 206 ff. – Auch meine Untersuchung des vermutlich reichenauischen Sakramentars Stuttgart, WLB, Cod. Donaueschingen 191, hat zu einem Befund geführt, der eher für eine spätere Datierung des Supplements spricht und sich mit dem Erklärungsmodell von Décréaux wesentlich besser in Einklang bringen lässt als mit der These von Deshusses. Vgl. Felix Heinzer: Ex authentico scriptus. Zur liturgiehistorischen Stellung des Sakramentars, in: Das Sakramentar der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek Cod. Don. 191, Redaktion Herrad Spilling (Patrimonia 85), Stuttgart 1996, S. 63–83 [in diesem Bd., S. 32–63, bes. S. 56–59]. 18 Vgl. Jean Deshusses, Grégoire et le Sacramentaire Grégorien, in: Grégoire le Grand, Paris 1986, S. 637–644, und Palazzo (wie Anm. 4), S. 73 f. (jeweils mit weiterführender Literatur).
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sakrosankt wie im Bereich der liturgischen Musik, des sogenannten Gregorianischen Gesangs19, und dies erklärt wohl wesentlich den Siegeszug des (ergänzten und korrigierten) Gregorianums oder Hadrianums, wie es nach seinem Übermittler auch genannt wird. In der Tat verdrängt es relativ rasch die übrige, teilweise ältere Tradition – freilich nicht ohne Teile davon zu assimilieren – und wird so zum Ausgangspunkt der oben bereits skizzierten Entwicklung, die zum Missale Romanum führt. Besonders stark ist dieser Assimilationsprozesses, der teilweise umfangreiches nicht-gregorianisches Textgut aufnimmt und zu eigentlichen „Mischsakramentaren“ führt, im 10. und 11. Jahrhundert – in jener Zeit also, die zugleich eine Beschleunigung der Entwicklung zum Plenarmissale bringt. Zumindest für das Reichsgebiet scheint Fulda in diesem Prozess eine nicht unwesentliche Rolle gespielt zu haben. In diesen Kontext ist nun auch das Berthold-Sakramentar einzuordnen: als typischer, wenn auch später Vertreter eines sogenannten Sacramentarium mixtum. 2. Zu Aufbau und Inhalt des Berthold-Sakramentars Die inhaltliche Struktur des Berthold-Sakramentars20 gliedert sich in folgende Blöcke: 2v–8r 8v–14v 15r–76r 76v–132r 133r–159v 160r–161v
Kalendar Ordo missae mit gewöhnlicher Präfation (Praefatio communis, 8v–9v) und Hochgebet (Canon missae, 10v – 14r) Proprium de tempore (Weihnachten bis 4. Adventssonntag) Darin folgende Rituale-Einschübe: 34v–37r Ordo für die Palmweihe am Palmsonntag 44r–55r Taufordo für die Osternacht Proprium de Sanctis (Silvester [31.12] bis Apostel Thomas [21.12]) Darin Rituale-Einschub: 80r–82v Ordo für die Kerzenweihe an Mariae Lichtmeß Votivmessen (159rv Nachtrag 13. Jh.) Benediktionen
19 Vgl. dazu jetzt den instruktiven Artikel „Gregorianischer Gesang“ von Andreas Haug in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Bd. 4, Freiburg u. a. 1995, Sp.1033–1037. 20 Für eine detailliertere Präsentation, die auch die Einzeltexte auflistet und gleichzeitig das Verhältnis von Text und Bildschmuck (Initialen und Miniaturen) verdeutlicht, sei verwiesen auf die Übersicht in: Berthold-Sakramentar (wie S. 300, Anm. *), S. 207– 215.
310 161v–164r
hirsau und sein kreis Anordnung Abt Bertholds zur Feier der Marienmesse am Samstag, Verzeichnis der in Bertholds Amtszeit für Weingarten geschriebenen Bücher.
Zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen zu diesem Aufbau: Die hier vorliegende Gliederung repräsentiert im Grunde eine Struktur, die für ältere Sakramentar-Handschriften typisch ist. Im Lauf der Zeit ergibt sich eine deutliche Tendenz, den Ordo missae mit Kanon und Präfation(en) in die Mitte des Buchs zu rücken, wo er im Vollmissale seinen festen Platz gefunden hat und diesen bis heute einnimmt. Man darf diesen Befund als ein weiteres eher konservatives Merkmal des Berthold-Sakramentars verbuchen. Der für die Heiligenfeste reservierte Teil beschränkt sich auf das Proprium, d. h. auf die Feste mit eigenen Orationen. Es fehlen hingegen wie im hadrianischen Gregorianum die Messen des sog. Commune Sanctorum für die Heiligenfeste ohne eigenes Formular. Dieses Manko, für das schon das oben erwähnte karolingische Supplement Abhilfe zu schaffen suchte, ist auffällig, zumal beispielsweise die bereits zitierte Weingartner Missale-Handschrift HB I 236 der WLB Stuttgart in ihrem Sakramentarteil einen Commune-Abschnitt enthält. Das Fehlen von CommuneMessen – das im übrigen das Kalendar mit Verweisungen auf andere Heiligenfeste, deren Orationen zu benutzen sind, zu kompensieren sucht (s. u.) – dürfte als Indiz dafür zu interpretieren sein, dass das Berthold-Sakramentar als für den Abt bestimmtes Fest-Sakramentar zu verstehen ist, für welches Heiligengedenktage ohne Proprium, also ohne eigenes Formular, von vornherein ausgeschieden werden. Weitere Beobachtungen werden diese Vermutung noch bestätigen. 2.1. Nicht-gregorianische Meßformulare und Orationen Die Übersicht über die einzelnen Formulare des Sakramentars (s. Anm. 20) zeigt, dass der Anteil nicht-gregorianischer Texte, wie nicht anders zu erwarten, dort am stärksten ist, wo die Grenzen des Gregorianums als Stationssakramentar am spürbarsten werden, also, wie bereits angedeutet, bei den Sonntagen im Jahreskreis und bei den Votivmessen (die Messen für das Commune Sanctorum spielen hingegen, wie erwähnt, keine Rolle). Eine genaue Überprüfung zeigt, dass bei diesen nicht-gregorianischen Formularen durchweg auf die sogenannte gelasianische Tradition, d. h. auf früher schon aus Rom nach Gallien importierte und
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dort gebräuchlich gewordene Orationen, zurückgegriffen wird, wie sich anhand des kritischen Apparats von Deshusses für die entsprechenden Messen unschwer nachvollziehen lässt. Mit anderen Worten: wir haben hier jene typische Form der Ergänzung des gregorianischen Grundbestands durch Elemente der gelasianischen Tradition, wie sie in analoger Weise bereits im Supplement Hucusque vorliegt21 und wie sie sich in vielfältigster Form seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts und vor allem in den sogenannten „Mischsakramentaren“ des 10. und 11. Jahrhunderts immer wieder nachweisen lässt.22 In geradezu paradigmatischer Form repräsentiert das berühmten Sacramentarium Fuldense von ca. 975 (Göttingen, Universitätsbibliothek, Cod. theol. 231) diesen Sachverhalt.23 Aufgrund seiner zeitlichen und geographischen Nähe zu unserer Handschrift bietet auch der Sakramentarteil des sogenannten „Codex Gressly“, einer wohl aus dem Raum des alten Bistums Basel stammenden Missale-Handschrift des 11. Jahrhunderts24, interessante Vergleichsmöglichkeiten, die im folgenden mehrfach genutzt werden sollen. Die meisten nicht-gregorianischen Ergänzungen erfordern keine Detailuntersuchung, da sie sich nahtlos in das eben skizzierte Bild einfügen. Ein paar besondere Fälle verdienen aber dennoch etwas genauere Aufmerksamkeit: 1. Die (nur durch verweisende Initien vertretenen) Orationen für den Samstag vor dem ersten Fastensonntag (23v) sind zwar gregorianisch (Deshusses, Nr. 150 und 170), erfordern aber dennoch einen besonderen Hinweis. Das Gregorianum sieht hier nämlich im Gegensatz zu den Gelasiana25 kein Formular vor; in der Folgezeit finden sich dann Siehe etwa Deshusses 1 (wie Anm. 16, Nr. 1021–1089). Vgl. die Hinweise bei Palazzo (wie Anm. 4), S. 78 f. 23 Sacramentarium Fuldense saec. X, hrsg. von Gregor Richter und Albert Schönfelder, Fulda 1912, Nr. 2679–2723 (Ordo für Scrutinium und Taufe) und Nr. 2735–2736 (Weihe der Kerzen an Mariä Lichtmeß und der Palmen am Palmsonntag). 24 Diese wichtige Handschrift ist nunmehr in idealer Weise zugänglich gemacht durch die Edition von Anton Hänggi, und Pascal Ladner: Missale Basileense Saec. XI (Codex Gressly), Textband und Faksimile (Spicilegium Friburgense 35), Fribourg 1994. Zum Charakter des Sakramentars als „gelasianisiertes Gregorianum“ s. besonders S. 127–130. 25 Vgl. z. B. das Sakramentar von Gellone als Hauptzeuge der sog. fränkischen Gelasiana des 8. Jahrhunderts: Liber Sacramentorum Gellonensis, cura Antoine Dumas editus (CCSL 159), Turnhoult 1981, Nr. 290–294. – Das fränkische Sacramentarium Gelasianum in alamannischer Überlieferung (Codex Sangall. No. 348), hrsg. von Kunibert Mohlberg, 3. verb. Aufl. (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 1/2), 21 22
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verschiedene Ergänzungen für diese Lücke, die meist sowohl auf gregorianisches als auch auf gelasianisches Material zurückgreifen: vgl. Deshusses, Nr. 71*–75*; Sacramentarium Fuldense (wie Anm. 23), Nr. 390–395; Codex Gressly (wie Anm. 24), Nr. 283 als Nachtrag des späten 11. Jahrhunderts. Es fällt auf, dass das Berthold-Sakramentar an dieser Stelle im Vergleich zu den hier angeführten Zeugen sowohl der gelasianischen Tradition als auch der Mischsakramentare des 10./11. Jahrhunderts ganz eigene Wege geht, indem es auf die erste Oration (und wohl auch, was nicht ausdrücklich vermerkt ist, auf die beiden weiteren Gebete) der Messe des vorangehenden Sonntags zurückgreift und diese durch die Oratio super populum des unmittelbar folgenden ersten Fastensonntags ergänzt. Da die ebenfalls aus Weingarten stammende Stuttgarter Handschrift HB I 236 (s. o., S. 310) die gleiche Besonderheit aufweist, könnte man versucht sein, an eine Sondertradition der oberschwäbischen Abtei zu denken. Tatsächlich aber dürfte hier ein Reflex der alten Zugehörigkeit zur Hirsauer Reform vorliegen. Dafür spricht die Beobachtung, dass diese in den Weingartener Handschriften festgestellte Sonderlösung nicht nur in identischer Form in Sakramentaren anderer Klöster dieses Kreises zu finden ist26, sondern auch ganz exakt den Angaben des Hirsauer Liber ordinarius27 entspricht. Dieser Normtext vermerkt nämlich an der entsprechenden Stelle28: Ad missam, quia officium dominicale canitur, oratio quoque dominicalis dicitur (entsprechend im Berthold-Sakramentar, 23v: ‚Preces nostras‘ ut supra), super populum vero oratio Adesto, que in crastino die post orationem ad complendum invenitur (Berthold-Sakramentar: Adesto quesuMünster i.W. 1971, S. 41, Nr. 266–270, bietet dasselbe Formular und bestätigt damit die Stabilität dieser Tradition. 26 Beispielsweise in Cod. brev. 123 (hier f. 95v) aus Zwiefalten und ebenso in Cod. bibl. 2° 20, dem sogenannten Sakramentar von St. Paul im Lavanttal (f. 94v), beide in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Im Sakramentarteil der Weingartener Sammelhandschrift HB I 85 (s. oben S. 306) fehlen Hinweise zu einer Messe an diesem Tag gänzlich. – Dieser Befund hat vorerst nur stichprobenartige Qualität; eine systematische Untersuchung der Sakramentarhandschriften aus Hirsauer Klöstern ist im Rahmen dieses Kommentars nicht zu leisten. Die Übereinstimmung der im Vergleich zu den Weingartener und Zwiefaltener Codices aus einem ganz anderen Diözesankontext stammenden Handschrift aus St. Paul darf aber sicherlich schon als erhebliche Verstärkung der Argumentation angesehen werden. 27 Anton Hänggi, Der Rheinauer Liber ordinarius (Spicilegium Friburgense 1), Fribourg 1957. Für den Nachweis, dass damit in Wirklichkeit den Normtext der Hirsauer Liturgie zugänglich gemacht worden ist, vgl. Felix Heinzer: Der Hirsauer Liber ordinarius, in: Revue Bénédictine 102 (1992), S. 309–347 [hier S. 185–223]. 28 Hänggi (wie Anm. 27), S. 99 Z. 11–14.
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mus domine ‚Super populum‘). Die ist ein erster Hinweis auf einen Zusammenhang, der uns noch öfter beschäftigen wird: die Verbindung des Berthold-Sakramentars mit der Hirsauer Liturgieordnung. 2. Ein weiterer kritischer Punkt in der Fastenzeit sind die Donnerstage, für die erst unter Papst Gregor II. (715–731) Stationsmessen eingeführt wurden.29 Mit Abweichungen von der Norm ist daher an dieser Stelle unter Umständen zu rechnen, wie der kritische Apparat von Deshusses zeigt. Andere, meist gelasianischen Formularen entnommene Texte bietet etwa das Sakramentar von Trient, das eine Traditionsstufe des Gregorianum um etwa 685 repräsentieren dürfte.30 Das BertholdSakramentar folgt dem Gregorianum, mit Ausnahme des Donnerstags der 3. Woche, wo es ein ähnliches Formular bietet wie das Sakramentar von Trient und lediglich für die abschließende Oratio super populum (Subiectum tibi populum, Deshusses, Nr. 247) wieder mit dem hadrianischen Gregorianum zusammengeht. Ist dieser Befund ebenfalls auf das Konto des Hirsauer Einflusses zu setzen? Der Liber ordinarius gibt an dieser Stelle leider keine Auskunft. Der Blick in die liturgischen Handschriften selbst – herangezogen wurden neben dem BertholdSakramentar erneut die eben schon angeführten Codices aus Weingarten, Zwiefalten und St. Paul – scheint indessen darauf hinzudeuten, dass hier tatsächlich eine Besonderheit vorliegt, die für die Klöster der Hirsauer Einflusssphäre charakteristisch ist. Dabei sind leichte Schwankungen festzustellen: Die Mehrzahl der überprüften Handschriften, nämlich HB I 236 (Weingarten), Cod. brev. 123 (Zwiefalten) und Cod. bibl. 2° 20 (St. Paul im Lavanttal), außerdem auch CC 28 der Stiftsbibliothek Kremsmünster, ein weiterer Zeuge aus einem Hirsauer Kloster31, haben die Reihe Concede quaesumus…ut ieiuniorum, Fac nos domine …ad sancta mysteria, Sacramenti tui, Subiectum tibi (Deshusses, Nr. 347*– 349*, 247), die somit wohl als die eigentliche Hirsauer Fassung der Messe gelten kann; das Berthold-Sakramentar und HB I 85 (ebenfalls Weingarten) ersetzen hingegen die Secreta durch das gelasianische Deus de cuius gratiae rore (Nr. 79* anstelle von Nr. 348*) und bringen somit eine weitere kleine Variante ins Spiel. Für die ersten beiden Orationen, Deshusses 1 (wie Anm. 16), S. 55 f. und 3, S. 81 f. Deshusses 1 (wie Anm. 16), S. 71 f. und 3, S. 83–88. 31 Hauke Fill, Katalog der Handschriften des Benediktinerstiftes Kremsmünster (Verzeichnisse der Handschriften österreichischer Bibliotheken 3/1), Wien 1984, S. 83. – Zur Hirsauer Prägung Kremsmünsters s. auch Heinzer: Liber ordinarius (wie Anm. 27), S. 339 f. mit Anm. 112 und 113 [in diesem Band, S. 215]. 29 30
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also Nr. 347*–348*, gibt Deshusses keine weitere Parallelüberlieferung außerhalb des Sakramentars von Trient an. Für die Frage nach den Wurzeln der Weingartener und damit auch der Hirsauer Sakramentartradition erscheint es daher nicht uninteressant, an dieser Stelle etwas tiefer zu bohren. Die Konsultation des Corpus Orationum32 zeigt, dass die beiden, in den Gelasiana des 8. Jahrhunderts offenbar nicht enthaltenen Formeln jeweils die gleiche Verbreitung aufweisen: die Quellen konzentrieren sich zum einen auf Trient und seinen Einflussbereich (was keiner weiteren Erläuterung bedarf) und zum andern (was eher Fragen aufwirft) auf England. Ein Einzelzeuge, der aber für unsere Fragestellung am interessantesten sein dürfte, ist schließlich das 1571 von dem flämischen Patristiker und Liturgiehistoriker Jacobus Pamelius edierte Kölner Sakramentar der Zeit um 90033, der belegt, dass diese beiden Texte auch im Reich bekannt waren. Auf welchem Wege Hirsau sie kennengelernt und übernommen hat, bleibt allerdings unklar. Fulda etwa, das sonst oft eine wichtige Vermittlungsrolle spielt, fällt an dieser Stelle aus.34 Der Codex Gressly, der als Vergleichshandschrift nochmals herangezogen werden kann, kennt die fraglichen Texte ebenfalls nicht, sondern bietet das komplette Formular des hadrianischen Gregorianum und kombiniert dieses mit der üblichen Messe der gelasianischen Tradition, wobei die entsprechenden Stücke jeweils (außer für das Gebet super populum) in Form einer Alternativ-Oration eingefügt werden.35 3. Ebenfalls noch in der Fastenzeit, genauer gesagt: in der Karwoche, ist eine weitere Auffälligkeit zu verzeichnen, nämlich die aus der Alkuin-Messe zu Ehren des heiligen Kreuzes entnommene Praefation Qui salutem humani generis36, die in das Meßformular zum Palmsonntag einge32 Corpus Orationum, inchoante Eugenio Moeller †, subsequente Jean-Marie Clement†, totum opus perfecit Bertrandus Coppieters ’t Wallant, Bd. 1–6 (CCSL 160–160 F), Turnhout 1992–1995. Unsere beiden Orationen finden sich unter Nr. 750 und Nr. 2587. 33 Köln, Dombibliothek, Hs. 88. Benutzt wurde die Edition von 1609 (Jacobus Pamelius, Missalis ss. Patrum Latinorum sive Liturgici Latini iuxta veterem Ecclesiae Catholicae ritum 2, Köln 1609, S. 232 f.). Vgl. auch Deshusses 1 (wie Anm. 16), S. 30 und 36 f.; 3, 46–48. Eine Beschreibung der Handschrift (und der mit ihr verwandten, etwas älteren Hs. 137, die von Jacobus Pamelius nur vereinzelt herangezogen wurde) jetzt bei Andreas Odenthal, Zwei Formulare des Apologientyps der Messe vor dem Jahr 1000, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 37 (1995), S.25–44, hier S. 27 f. 34 Vgl. Richter / Schönfelder (wie Anm. 23), Nr. 511–515 (die Orationen entsprechen Jean Deshusses, Nr. 80*–82* u. 84*). 35 Hänggi / Ladner (wie Anm. 24), S. 135 f. und S. 346, Nr. 302. 36 Deshusses (wie Anm. 16), Nr. 1837.
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fügt worden ist. Erneut dürfte hier, wie ein Blick in den Liber ordinarius37 und in die liturgischen Bücher der Hirsauer Klöster38 zeigt, eine hirsauische Besonderheit vorliegen, die sich in unserem Fall sogar in der Ikonographie der Intiale zum Beginn der Palmsonntagsmesse niedergeschlagen hat (Darstellung des Gekreuzigten). Auch im Proprium de Sanctis ist eine erhebliche Anzahl zusätzlicher Formulare zu verzeichnen, was nicht zuletzt dadurch bedingt ist, dass unsere Handschrift in relativ großem zeitlichen Abstand zum Gregorianum steht und sich der Kreis der mit einer eigenen Messe bedachten Heiligen mittlerweile nicht unwesentlich vergrößert hat.39 Es ergibt sich ein ähnliches Bild wie beim Proprium de Tempore. Zunächst zur Auswahl der gefeierten Feste: Die Ergänzungen gegenüber dem Gregorianum – für die Inhaltsübersicht s. den Hinweis in Anm. 20 – ordnen sich ein in den Zuwachs an Heiligenfesten, der in ottonischer und salischer Zeit allgemein in die liturgischen Bücher eingedrungen ist. Gegenüber Huots Liste des „fonds commun“ (s. Anm. 39) bleibt für das Berthold-Sakramentar nur ein ganz minimaler Überschuss, nämlich nur gerade die beiden Feste Translatio Benedicti (11. Juli.) und Oswald (5. August). Das Fest der Übertragung der Gebeine des Mönchsvaters von Monte Cassino nach Fleury wird seit dem 8. Jahrhundert gefeiert und gehört gerade in monastischem Kontext zum selbstverständlichen Grundbestand des Sanktorale. Das Berthold-Sakramentar verwendet als erste Oration eine Formel der gelasianischen Tradition und ergänzt sie durch Secreta und Postcommunio der Benedikt-Messe Alkuins (Deshusses, Nr. 3544, 3465, 3466).40 37 Hänggi (wie Anm. 27), S. 112, Zeile 15: Prefacio de cruce per hos V dies dicitur (d. h. von Palmsonntag bis Gründonnerstag). 38 So in den schon mehrfach herangezogenen Stuttgarter Handschriften Cod. bibl. 2° 20 (102v), HB I 236 (70r) und Cod. brev. 123 (104r, übrigens mit dem den Wortlaut des Liber ordinarius exakt aufnehmenden Randzusatz: hec prefatio per hos quinque dies dicitur). HB I 85 ist erneut karger und bietet nichts Entsprechendes. 39 Eine bequeme Übersicht über den um 1100 allgemein verbreiteten Grundstock von Heiligenfesten („fonds commun“) bei François Huot, Les manuscrits liturgiques du canton de Genève (Spicilegii Friburgensis Subsidia 19), Fribourg 1990, S. 43– 47. François Huots Aufstellung differenziert dabei zwischen der gregorianischen und gelasianischen Sakramentartradition der Karolingerzeit und dem Komplex von Heiligen, deren liturgische Verehrung im 10. und 11. Jahrhundert allgemeine Verbreitung erlangte (die Ermittlung dieses Zuwachses gegenüber dem karolingischen Sanktorale stützt sich auf Forschungen von Emmanuel Bourque und Anton Baumstark). 40 Ebenso auch HB I 236, der Zwiefaltener Cod. brev. 123 und Cod. bibl. 2° 20 aus St. Paul.
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So bleibt im Grunde nur der northumbrische König Oswald, Weingartens zweiter Patron, als lokalbedingter Akzent des Sanktorale übrig, wobei dies insofern gleich zu relativieren ist, als für seine Messe keine Eigentexte geboten werden: Man greift hier nicht etwa, wie man erwarten könnte, auf die in England, der Heimat des Heiligen, kreierten und anscheinend bereits im 11. Jahrhundert auch nach Süddeutschland exportierten Propriumsorationen zurück41, sondern zieht das Commune-Formular heran, das im Gregorianum für den hl. Georg (23. April), den hl. Nicomedes (1. Juni) und andere Märtyrer verwendet wird – ein recht bemerkenswerter Kontrast zur privilegierten Behandlung des Festes auf der Ebene der buchmalerischen Ausstattung, aber auch zur Situation im Bereich des Stundengebets, wo in Weingarten seit dem späten 12. Jahrhundert ein eigenes Reimoffizium42 zu Ehren des Heiligen gesungen wird. In HB I 236 fehlt die Oswald-Messe im Übrigen. Was die Wahl der Orationstexte für die Heiligenfeste insgesamt betrifft, so wiederholt sich im Grunde das Bild, das wir schon beim Proprium de Tempore gewinnen konnten. Das Berthold-Sakramentar greift für die gegenüber dem Gregorianum neu hinzugekommenen Feste auf das gelasianische Repertoire zurück und ordnet sich diesbezüglich ziemlich nahtlos in die Tradition der als gelasianisierte Gregoriana zu charakterisierenden Mischsakramentare ein. Zwei Einzelbeobachtungen, die erneut den hirsauischen Hintergrund erkennen lassen, seien aber dennoch erwähnt:
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Vgl. zu diesen Texten Nicolas Orchard, The English and German Masses in Honour of St. Oswald of Northumbria, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 37 (1995), S. 347–358. Übrigens findet sich auch in der schon mehrfach zitierten Stuttgarter Handschrift Cod. bibl. 2° 20 aus St. Paul als Randnachtrag des frühen 13. Jahrhunderts (119r) ein Oswald-Formular, das mit jener Collecta beginnt, die erstmals in einem für Bischof Giso von Wells bestimmten Sakramentar des 11. Jahrhundert belegt ist und später verschiedentlich und mit unterschiedlichen Fortsetzungen verknüpft in süddeutschen Handschriften auftaucht (Orchard, S. 352 f.). 42 Analecta Hymnica Medii Aevi 13 Nr. 81. Vgl. auch Orchard (wie Anm. 41), S. 353 Anm. 21, wo die Fuldaer Handschrift Aa 56 aus dem 13. Jahrhundert als ältester Textzeuge aus Weingarten erwähnt wird. Das Reimoffizium findet sich auch schon in dem etwa um 1200 anzusetzenden Stuttgarter Antiphonar HB I 55. Möglicherweise stammt es ursprünglich aus der flandrischen Abtei Bergues-St.-Winnoc (Winoksbergen), wo man seit der Mitte des 11. Jahrhunderts den Leib des hl. Oswald zu besitzen beanspruchte und wo in einer Handschrift aus der Zeit um 1130–1160 das OswaldOffizium erstmals greifbar wird (vgl. Nicolas Orchard, a. a. O.).
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1. Das Markus-Formular entspricht nicht etwa, wie man durchaus erwarten könnte, der Reichenauer Fassung, die über Fulda aus SaintAmand vermittelte worden sein dürfte (Deshusses, Nr. 3489–3492)43, sondern repräsentiert eine andere Zusammenstellung ursprünglich wohl ebenfalls westfränkischer Texte (Deshusses, Nr. 3493, 3490, 3495). Auffallenderweise hat HB I 236 noch einmal ein anderes Formular, das sich im übrigen nicht nur im Zwiefaltener Cod. brev. 123 findet, sondern ebenso in der St. Pauler Handschrift Cod. bibl. 2° 20 (Deshusses, Nr. 3493, 3494, 3492) – eine Übereinstimmung, die darauf deuten könnte, dass dieses Formular das der Hirsauer Tradition entsprechende sein könnte, während das des Berthold-Sakramentars erneut (wie schon beim 3. Donnerstag der Fastenzeit) eine Variante davon repräsentiert. 2. Die Verwendung der gelasianischen Commune-Oration Deus qui per beatos apostolos (Deshusses, Nr. 279*=3180) mit der Rubrik Require in natali Symonis et Iude während der Oktav von Peter und Paul ist aus dem Liber ordinarius44 als Hirsauer Usus zu belegen, der sich wiederum auch in den eben genannten Vergleichshandschriften belegen lässt. 2.2. Die Votivmessen Besondere Aufmerksamkeit verdienen die zahlreichen Votivmessen (133r– 159v), mit denen wir das gregorianische Terrain vollständig verlassen. Über Quellen bzw. Parallelüberlieferung der einzelnen Formulare orientiert die Anm. 20 erwähnte Übersicht. Interessanter als die einzelnen Formulare ist allerdings deren Ensemble, besonders die an die (üblichen) Wochentagsmessen sich anschließende Folge (136r–154r), in die möglicherweise auch die anschließenden Totenmessen mit einzubeziehen sind. Erstmals hat sich 1962 Klaus Gamber mit diese Folge von Messen beschäftigt, und zwar im Zusammenhang mit der Handschrift Bud. f. 366 der Universitätsbibliothek Jena aus dem 13. Jahrhundert.45 Seine eher problematischen Überlegungen zu einem alten römischen, auf Gregor den Großen zurückgehenden Libellus mit Sonntags- und Votivmessen als Vorlage des Jenaer
43 Vgl. Heinzer, Ex authentico (wie Anm. 17), S. 72 mit Anm. 61–67 [in diesem Band S. 51–53]. 44 Hänggi (wie Anm. 27), S. 184, Zeile 23: Oratio in natali Simonis et Iude. 45 Klaus Gamber, Das Sakramentar von Jena (Texte und Arbeiten 52), Beuron 1962.
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Missale brauchen hier nicht weiter diskutiert zu werden46, wohl aber die Beobachtung, dass diese Reihe „keine Parallelen in den bekannten bzw. edierten Handschriften“ besitzt, jedoch mit den hier verschiedentlich herangezogenen Meßbüchern aus Weingarten – freilich ohne das Berthold-Sakramentar – Zwiefalten.und St. Paul in Zusammenhang zu bringen ist.47 In der Tat lässt sich feststellen, dass diese Folge von Formularen trotz nicht unerheblicher Variationen von Handschrift zu Handschrift – selbst im Vergleich zwischen dem Berthold-Sakramentar und HB I 236 – als recht stabiler Komplex umreißen lässt, der für Sakramentare aus dem Bereich der Hirsauer Reform charakteristisch zu sein scheint. Schon Virgil Ernst Fiala hatte sich in seiner bereits zitierten Einführung zu Gambers Publikation (s. Anm. 46) in dieser Richtung geäußert: „Dabei sind die weitgespannten Zusammenhänge erstaunlich, da das wahrscheinlich aus dem thüringischen Raum stammende Missale Entsprechungen hat in den schwäbischen Klöstern Zwiefalten und Weingarten, im bayrischen Prüfening48 und in St. Paul in Kärnten. Ob da nicht Auswirkungen der Klosterreformen des 11. und 12. Jahrhunderts dahinterstecken?“.49 Die hier in Form einer Frage geäußerte Hypothese lässt sich zweifellos positiv formulieren: Diese Zusammenhänge sind sicherlich durch die hochmittelalterliche Klosterreform zu erklären und, wenn nicht alles täuscht, ganz konkret auf die Zugehörigkeit der betreffenden Klöster zur Hirsauer Richtung zu beziehen. Dafür spricht auch die Beobachtung, dass die fragliche Votivmessenreihe auch in der schon erwähnten Kremsmünsterer Handschrift CC 28 zu finden ist.50 Die Jenaer Handschrift, deren Votivmessen einen Auszug aus dieser Reihe darstellen, weist im übrigen einige der oben herausgear-
46 Vgl. auch die eher reservierten Bemerkungen zu dieser Hypothese in der Einführung des Schriftleiters der Reihe, Virgil Ernst Fiala (S. 6). 47 Gamber (wie Anm. 45), S. 75 und S. 81 f. Eine Übersicht der Reihe nach Cod. brev. 123 findet sich auf S. 75–77. – Da Gambers Äußerungen zu Cod. bibl. 2° 20 (bei ihm unter der Sigle Paul zitiert) bezüglich der Votivmessen nicht ganz so explizit sind, sei hier betont, dass auch diese Handschrift die fragliche Reihe enthält, die hier allerdings mit recht umfangreichen Erweiterungen versehen ist. 48 Fiala spielt hier an auf die bei Gamber (wie Anm. 45), S. 82 Anm. 15 erwähnte Handschrift Clm 23270 der Bayerischen Staatsbibliothek. Ich danke Frau CamilotOswald (Erlangen) für die Möglichkeit, die Votivmessen anhand von Kopien des Mikrofilms zu überprüfen. Die Votivmessenreihe (einschließlich Totenmessen) findet sich f. 130v–154r. 49 In Gamber (wie Anm. 45), S. 7 f. 50 Vgl. Fill (wie Anm. 31), S. 84.
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beiteten Charakteristiken der Hirsauer Sakramentartradition auf 51 und enthält außerdem den Oster-Tropus Postquam factus52, dessen mit der Hirsauer Bewegung verknüpften Zweitkarriere Andreas Haug nachgegangen ist.53 Sie dürfte also ebenfalls aus einem Kloster der Hirsauer Reform stammen, was zum einen die hier vorgetragene Hypothese unterstreicht und zum andern Gambers Vermutung, der Codex stamme aus der – was einzufügen wäre: hirsauisch beeinflussten – Benediktinerabtei St. Peter in Erfurt54, entscheidend verstärkt. Doch noch einmal zurück zu unserer „Hirsauer“ Votivmessenreihe. Wie originell ist diese Zusammenstellung? Lassen sich Vorbilder und Quellen eruieren, an denen Hirsau sich orientiert haben könnte? Schon Gamber hat darauf hingewiesen, dass zahlreiche Formulare unmittelbar aus der gelasianischen Tradition nachgewiesen werden können, einige dieser aber völlig fremd sind.55 Vor allem diese kritischen Stellen, also die Messen ohne Nachweis bei Deshusses, bieten Ansatzpunkte für die eben formulierten Fragen. Solange Parallelüberlieferung im Sacramentarium Fuldense nachgewiesen werden kann – dies gilt insbesondere für die in Anm. 5–7 der Übersicht entsprechend belegten Orationen oder Formulare – kommen wir kaum weiter, da man angesichts der schon erwähnten Bedeutung Fuldas für die Sakramentartradition des 10. und 11. Jahrhunderts kaum viel mehr wird sagen können, als dass es sich hier um Texte handelt, die spätestens seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert im Reichsgebiet grundsätzlich verfügbar und bekannt waren. Interessanter wird es mit einem Formular wie Contra iudices male agentes (148v–149r), einer Votivmesse für die Situation der Bedrohung kirchlicher Institutionen durch Repräsentanten weltlicher Obrigkeit. Zwiefalten, St. Paul und Prüfening bieten hierfür vier Gebete, nämlich die Collecta Exaudi quaesumus domine ecclesiam tuam (Corpus Orationum [wie Anm. 32], Nr. 2539), die Secreta Deus qui ecclesiam tuam ineffabili pretio (Corpus Orationum, Nr. 1569) und die Postcommunio Deprime (Reprime) 51 So die Verwendung der Oration Deus qui nos per beatos apostolos für die Oktav von Petrus und Paulus (vgl. oben S. 317 und Gamber [wie Anm. 45], S. 29) und die besondere Form des Meßformulars für die Translatio S. Benedicti (vgl. oben S. 315 und Gamber, S. 35). 52 Vgl. Gamber (wie Anm. 45), S. 26. 53 Andreas Haug, Ein „Hirsauer“ Tropus, in: Revue Bénédictine 104 (1994), S. 328– 345. Vgl. auch ders., Troparia tardiva (Monumenta Monodica Medii Aevi. Subsidia 1), Kassel u. a. 1995, bes. S. 9. 54 Gamber (wie Anm. 45), S. 15. 55 Gamber (wie Anm. 45), S. 93–95.
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quaesumus omnipotens deus violentiam (Corpus Orationum, Nr. 1068) mit der Alternative Deus pater orphanorum (Corpus Orationum, Nr. 1304). In Weingarten sind, wie schon des öfteren, kleinere Abweichungen zu verzeichnen: Das Berthold-Sakramentar benutzt nur drei Gebete, nämlich Exaudi, Reprime und Deus pater orphanorum, HB I 236 hingegen die ersten drei Formeln. Entscheidender aber als diese Abweichungen ist das Faktum, dass diese Texte und das Meßformular als ganzes außerhalb des Hirsauer Einflussbereichs nur ganz spärlich überliefert sind. Für die Collecta weist das Corpus Orationum lediglich eine Parallele im um etwa 1050 wohl für Niederaltaich geschriebenen Cod. Ross. lat. 204 der Biblioteca Vaticana nach, für die Secreta ebenfalls nur in Cod. Ross. lat. 204 (dort als Schlussgebet verwendet) sowie (als Postcommunio) in einem Anfang des 13. Jahrhunderts zu datierenden Missale der englischen Augustinerabtei Lesnes (Westwood) in der Diözese Rochester (London, Victoria and Albert Museum, Ms. L 404). Die restlichen beiden Gebete sind genauso schmal belegt: Das Corpus Orationum nennt dafür nur zwei Handschriften aus Fonte Avellana und erneut das Lesnes-Missale (dort allerdings lediglich Deus pater orphanorum in der Verwendung als Collecta).56 Von besonderem Interesse ist die Niederaltaicher Handschrift. Sollten hier Zusammenhänge mit der sogenannten „Godehard-Reform“ des 11. Jahrhunderts greifbar werden, dessen Mittelpunkt Niederaltaich war und die auch die Regensburger Abtei St. Emmeram, das Heimatkloster Wilhelms von Hirsau, erfasst hatte?57 Gemeinsamer Nenner der 56 Das Lesnes-Missale (s. Missale de Lesnes, ed. by Philip Jebb, [Henry Bradshaw Socieety 95], Worcester 1964, S. 138 f.) kombiniert Deus pater orphanorum und Deus qui ecclesiam tuam mit der Secreta Suscipe domine preces ecclesiae tuae zu einem Formular In tribulatione ecclesiae. Nicht im Corpus Orationum berücksichtigt ist die von Adolph Franz, Die Messe im deutschen Mittelalter, Freiburg i. Br. 1902, S. 204, bei seiner Diskussion dieses Meßformulars zitierte Handschrift K 1001 der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe (für die beiden Orationen Exaudi…ecclesiam tuam und Deus pater orphanorum). Es handelt sich – man darf wohl sagen: bezeichnenderweise – um eine Hirsauer Handschrift, nämlich ein um 1134 für die Hirsauer Kapelle Schöllbronn bei Pforzheim höchstwahrscheinlich in Hirsau selbst geschriebenes Missale. Vgl. dazu Felix Heinzer: Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Hirsaus, in: Hirsau 1091–1991, S. 259–296, bes. S. 269 f. [in diesem Bd., S. 106–108] (mit weiterer Lit.). – Für die Collecta Exaudi nennt Franz (S. 204 Anm. 2) allerdings auch die Handschrift 340 der Stiftsbibliothek St. Gallen aus dem 10. Jahrhundert. 57 Vgl. Joachim Wollasch, Das Martyrolog-Necrolog von St. Emmeram als Zeugnis für die Geschichte des Mönchtums im Reich, in: Das Martyrolog-Nekrolog von St. Emmeram zu Regensburg, hrsg. von Eckhard Freise, Dieter Geuenich u. Joachim Wollasch (Monumenta Germaniae Historica. Libri memoriales et Necrologia, nova series 3), Hannover 1986, S. 11–27, bes. S. 20–22 und 25.
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hier namhaft gemachten Quellen scheint auf jeden Fall die gregorianische Reform zu sein: Fonte Avellana, unter Petrus Damiani einer der Hauptstützpunkte der Kamaldulenser, und die mit den französischen Reformkanonikern von Arrouaise verbrüderte Augustinerabtei Lesnes58 gehören genauso wie die Hirsauer Bewegung in diesen Kontext, und man könnte geradezu versucht sein, die Texte dieser Orationen als liturgischen Reflex eines zentralen Anliegens der Reform, nämlich des Kampfes um die „libertas ecclesiae“59, zu interpretieren. Eine weitere Besonderheit, die ins Auge springt, ist die Missa universalis (153r–154r), deren Orationen insofern bemerkenswert sind, als sie zwar bereits in nordfranzösischen Sakramentaren des 9. Jahrhunderts überliefert sind (Deshusses, Nr. 3130–3132), im Berthold-Missale und den mit ihm verwandten Handschriften aus dem Hirsauer Bereich jedoch eine erhebliche Erweiterung erfahren haben. Stellvertretend für das ganze Meßformular soll hier die erste Oration, also die Collecta, vorgestellt werden, wobei zur Verdeutlichung des Sachverhalts die Erweiterungselemente durch fetten Satz hervorgehoben werden:
Berthold-Sakramentar
Deshussses, Nr. 3130 (= Corpus Orationum, Nr. 4227)
Pietate tua quaesumus domine nostrorum solve vincula omnium peccatorum, et intercedente beata Maria virgine cum omnibus sanctis tuis domnum apostolicum abbatem nostrum et omnem gradum ecclesiasticum regem et principes nostros famulos et famulas tuas atque locum istum una cum omni congregatione et familia sancti Martini in omni sanctitate custodi, omnesque affinitate fraternitate et familiaritate nobis iunctos et omnes christianos a vitiis purga, virtutibus illustra, pacem et salutem nobis tribue, hostes visibiles et invisibiles remove, aeris temperies indulge, fruges,
Pietate tua quaesumus domine nostrorum solve vincula delictorum et intercedente beata dei genetrice Maria atque omnibus sanctis tuis nos famulos tuos et cunctum populum catholicum in omni sanctitate custodi, omnesque consanguinitate ac
58 Vgl. Karl Bosl, Regularkanoniker (Augustinerchorherren) und Seelsorge in Kirche und Gesellschaft des europäischen 12. Jahrhunderts (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. Abh. N.F. 86), München 1979, S. 71–85, bes. S. 78. 59 Vgl. Brigitte Szabò-Bechstein, Libertas ecclesiae. Ein Schlüsselbegriff des Investiturstreits und seine Vorgeschichte 4.-11. Jahrhundert (Studi Gregoriani 12), Rom 1985, bes. S. 102–223; jetzt auch Hubertus Seibert: Libertas und Reichsabtei. Zur Klosterpolitik der salischen Herrscher, in: Die Salier und das Reich, Bd. 2, hrsg. von Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1991, S. 503–569.
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terrae concede, carnalia desideria repelle infirmis nostris sanitatem restitue, iter agentibus prosperitatem concede, inimicis nostris ac discordantibus et nobis veram caritatem largire, incredulos converte, errantes corrige, simoniacam haeresim et omnes haereses et schismata in ecclesia catholica destrue et omnibus fidelibus vivis ac defunctis in terra viventium vitam aeternam pariter et requiem concede.
familiaritate nobis iunctos a vitiis purga, virtutibus illustra, pacem nobis tribue, hostes remove, inimicis nostris caritatem largire, et omnibus fidelibus defunctis in terra viventium vitam concede.
Die Gegenüberstellung zeigt das Ausmaß der Erweiterung der auf gut das Doppelte angewachsenen Oration auf einen Blick. Einige der Zusätze sind unter das Stichwort bloßer sprachlicher Ausschmückung und Verbreiterung zu subsumieren. Dazu sind zu rechnen: omnium peccatorum, et salutem, visibiles et invisibiles, aeternam pariter et requiem. Als substantielle inhaltliche Erweiterung müssen hingegen die drei längeren Einschübe bezeichnet werden: zu Beginn die Bitte um Schutz und Heiligung der geistlichen und weltlichen Hierarchie, einschließlich der eigenen klösterlichen Kommunität (domnum apostolicum bis familia sancti Martini)60, dann die Aufzählung alltäglicher, „irdischer“ Anliegen wie gutes Wetter, Fruchtbarkeit und Gesundheit an Leib und Seele (aeris temperiem bis prosperitatem concede) und schließlich die Thematisierung von Rechtgläubigkeit, kirchlicher Disziplin und kirchlicher Einheit (incredulos bis destrue). Für die beiden anderen Orationen ist der Befund im übrigen recht ähnlich. Parallelen für diese Einschübe in nicht-hirsauisch geprägten Handschriften sind kaum zu finden. Das Corpus Orationum verzeichnet für Pietate tua überhaupt keine Varianten, während Jean Deshusses wenigstens einige Zusätze aus karolingischen Sakramentaren nachweist, die jedoch im Vergleich zu den Erweiterungen des BertholdSakramentars und der übrigen Handschriften der Hirsauer Gruppe deutlich knapper ausfallen.61
60 In den beiden anderen Weingartener Sakramentaren HB I 236 und HB I 85 nennt die Oration zwischen Papst (domnum apostolicum) und Abt auch den Bischof bzw. die Bischöfe (antistitem bzw. antistites), und der Abschnitt endet mit cum familia ista bzw. locum istum, also ohne explizite Nennung des Patrons; in Handschriften anderer Klöster, etwa Zwiefalten, St. Paul usw. wird Martini selbstverständlich durch den jeweils „zuständigen“ Heiligen ersetzt. 61 Am nächsten kommt den drei großen „Hirsauer“ Einschüben der unter der Sigle Tu1 aufgeführte Textzeuge des späten 9. Jahrhundets aus Tours (Tours, Bibl. Municipale, Ms. 184, mit Paris, Bibl. Nationale, nouv. acq. Ms. lat. 9430). Er hat 1. (nach sanctis tuis) antistites nostros ac regem nostrum cunctamque ecclesiam illis commissam atque abbatem nostrum et cunctam congregationem ei subditam, 2. (nach remove) aeris temperiem bonam et copiam fructuum concede und 3. (nach largire) et nos ab eorum insidiis potenter eripe, incredulos converte,
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Etwas näher stehen erwartungsgemäß Zeugen etwas jüngerer Tradition, so das ottonische Sacramentarium Fuldense und vor allem der Codex Gressly aus dem 11. Jahrhundert, die beide schon mehrfach zum Vergleich herangezogen worden sind. Eine (auf die Erweiterungen zum Standardtext beschränkte) Gegenüberstellung zeigt dies: Berthold-Sakramentar
Sacramentarium Fuldense
Codex Gressly62
omnium peccatorum
omnium delictorum
omnium…delictorum
domnum apostolicum abbatem nostrum et omnem gradum ecclesiasticum regem et principes nostros famulos et famulas tuas atque locum istum una cum omni congregatione et familia sancti Martini
abbatem nostrum et congregationem sancti Bonifacii illi commissam
regem nostrum et episcopum seniorem nostrum et omnes congregationes illi commissas atque locum istum et nos famulos tuos
affinitate fraternitate
affinitate
affinitate
et omnes christianos
necnon et omnes christianos
necnon et omnes christianos
et salutem
et salutem
et salutem
visibiles et invisibiles
visibiles et invisibiles
visibiles et invisibiles
aeris temperies indulge, fruges terrae concede, carnalia desideria repelle, infirmis nostris sanitatem restitue, iter agentibus prosperitatem concede
–
carnalia desideria extingue, aeris temperiem frugesque terrae nobis tribue
ac discordantibus et nobis veram
–
ac discordantibus veram
incredulos converte, errantes corrige, simoniacam haeresim et omnes haereses et schismata in ecclesia catholica destrue
–
–
vivis ac
vivis et
vivis atque
aeternam pariter et requiem
pariter et requiem aeternam
pariter et requiem aeternam
omnibusque populis christianis peccata remitte. – Für die kleineren Erweiterungen (z. B. omnium, affinitate, et omnes christianos, et salutem, visibiles et invisibiles, vivis et, pariter et requiem) finden sich vereinzelte Parallelen, die allerdings auf unterschiedliche Handschriften verstreut sind (vgl. den kritischen Apparat von Deshusses, Nr. 3130). Zu nennen sind hier insbesondere die aus Saint-Amand stammende Handschrift Paris, Bibl. Nationale, Ms. lat. 2292 (Sigle R) und das Mainzer Sakramentar (Ms. 1 der dortigen Seminarbibliothek; Sigle F). 62 Hänggi/Ladner (wie Anm. 24), S. 419 (Nr. 531/1). Die Oration beginnt hier anders als in der sonstigen Überlieferung, nämlich Exaudi nos quaesumus omnipotens et misericors deus et pietate tua…
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Der Codex Gressly kommt dem Berthold-Sakramentar und seinen Verwandten offensichtlich näher als das Fuldaer Sakramentar. Freilich bleibt auch er in der Ausführlichkeit der Erweiterungen hinter der Hirsauer Tradition zurück; Am ergiebigsten ist aber das Niederaltaicher Sakramentar Cod. Ross. lat. 20463, das damit erneut in den Blickpunkt rückt. Hier finden sich nun auch einige weitere Parallelen zu bisher nicht nachgewiesenen Sonderlesarten des Hirsauer Texts: omnium peccatorum, imperatorem nostrum una cum omni congregatione et familia sancti N., familiaritate seu fraternitate, aeternam pariter et requiem. Doch auch hier gibt es kein Pendant für den besonders interessanten, auf Orthodoxie und Kirchenzucht bezüglichen Abschnitt incredulos bis destrue, zu dem sich ohnehin nur gerade die in Anm. 61 angeführte Handschrift des 9. Jahrhunderts aus Tours eine Parallele namhaft machen lässt, die sich überdies auf die ersten zwei Worte (incredulos converte) beschränkt. Sollte in diesem Einschub, in dem ein Zentralthema und zugleich ein Hauptschlagwort der gregorianischen Reform, die „simonistische Häresie“ – im Kontext des Investiturstreits vor allem auf das Problem der Käuflichkeit geistlicher Ämter zugespitzt64 – expizit angesprochen wird, tatsächlich eine Hirsauer Sondertradition dieser Oration fassbar werden? Zumindest als Hypothese ist dies zu erwägen. Endgültige Gewissheit könnte wohl nur eine hier nicht zu leistende systematische Durchsicht aller erhaltenen Sakramentare des 11. und 12. Jahrhunderts bringen. Fasst man diesen Abschnitt zusammen, so ist als Ergebnis festzuhalten, dass sich die Votivmessenreihe des Berthold-Sakramentars in eine Tradition einreihen lässt, die für die Sakramentare der Hirsauer Reform typisch zu sein scheint. Die fragliche Reihe ist in ihrer Zusammensetzung einigermaßen stabil, weist aber von Kloster zu Kloster und von Handschrift zu Handschrift im einzelnen durchaus Varianten auf. Das Berthold-Sakramentar enthält eine im Vergleich zu anderen Text-
63 Verglichen nach Johannes Brinktrine, Sacramentarium Rossianum. Cod. Ross. lat. 204 (Römische Quartalschrift f. christl. Altertumskunde u. f. Kirchengesch. Supplementheft 25), Freiburg i. Br. 1930, hier S. 175 f. Nr. 326. 64 Vgl. Jean Leclercq, „Simoniaca heresis“, in: Studi Gregoriani 1 (1947), S. 523– 530; Gerd Tellenbach, Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert (Die Kirche in ihrer Geschichte 2 F 1), Göttingen 1988, S. 140–145; Hanna Vollrath, L’accusa di simonia tra le fazioni contrapposte nella lotta per le investiture, in: Il secolo XI: una svolta?, a cura di Cinzio Violante e Johannes Fried (Settimana di studio dell’ Istituto Storico Italo-Germanico in Trento 32), Bologna 1993, S. 131–156.
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zeugen, etwa dem Stuttgarter Cod. brev. 123 aus Zwiefalten, etwas kürzere Fassung. Besonders bemerkenswert ist schließlich, dass einige Texte unmittelbar mit der Spiritualität der gregorianischen Reform zusammenzuhängen scheinen, und in den Orationen der Missa universalis in der Form, wie sie das Berthold-Sakramentar und die mit ihm verwandten Codices enthalten, möglicherweise sogar Hirsauer Sondergut vorliegt. Dass die Zeit des Investiturstreits im Bereich des theologischen und kanonistischen Schrifttums und der kirchenpolitischen Publizistik äußerst produktiv war und dabei zu spezifischen sprachlichen Ausdrucks- und Argumentationsformen gefunden hat, ist nichts Neues; der anhand der „Hirsauer“ Votivmessen erhobene Befund legt zumindest die Vermutung nahe, dass Ähnliches, wenngleich nur punktuell, auch im Bereich liturgischer Texte zu finden sein könnte. Diese Spur verdient über den konkreten Anlass hinaus weiterverfolgt zu werden. Für die am Ende der Votivmessen (159rv) nachgetragenen Orationen darf auf die in Anm. 20 erwähnte Inhaltsübersicht (dort Anm. 14– 16) verwiesen werden. Hinzuzufügen wäre hier, dass auch das eben erwähnte, zwischen 1200 und 1220 zu datierende Lesnes-Missale (s. oben Anm. 56) die als Zusatz in das Berthold-Sakramentar aufgenommene Kreuzzugsoration Deus qui admirabili providentia als Nachtrag enthält, wobei man das Gebet dort auf einem Pergamentstreifen gleich an die passende Stelle nach dem Friedensgruß eingeheftet hat (Näheres in der Anm. 20 erwähnen Übersicht, dort Anm. 16). 2.3. Eingeschobene Ritualtexte Einen besonderen Hinweis verdienen die umfangreichen Einschübe von Texten, die im strengen Sinn nicht eigentlich zum Repertoire eines Sakramentars gehören, also die Ordines für die zeremonienreiche Tauffeier in der Osternacht, für die Kerzen- und Palmweihe sowie die Benediktionen am Schluss der Handschrift. Derartige Beigaben finden sich auch schon in zahlreichen älteren Sakramentaren. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel bietet dafür der Hauptvertreter der Gelasiana des 8. Jahrhunderts, das Sakramentar von Gellone, das in seinem zweiten Teil einen umfangreichen Block solcher Texte enthält, so dass man versucht sein könnte, von einem in das Sakramentar integrierten Pontifikale zu sprechen.65 Auch das Gregorianum enthält einzelne
65
Nr. 344–512 der Edition von Dumas (wie Anm. 25). Vgl. auch den Einleitungs-
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Elemente dieser Art, und im Supplement sind sie noch zahlreicher. Gleiches gilt auch für das Sacramentarium Fuldense. Im Lauf der Zeit wurden allerdings die für die nicht direkt mit der Messe verbundenen Sakramente, Weihen und Segnungen benötigten Texte mehr und mehr aus den Sakramentaren herausgenommen und in selbständigen liturgischen Büchern zusammengeführt. Ergebnisse dieses Prozesses sind: 1. das Pontifikale mit den dem Bischof vorbehaltenen Ritualtexten – bedeutendster Vertreter ist das etwa um 950 vermutlich in Mainz entstandene Pontificale Romano-Germanicum, eine wirkmächtige, für die Entwicklung der abendländischen Sakramentenliturgie absolut grundlegenden Quelle66 – und 2. das Rituale als analoges Buch für den Priester, das sich ab der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert (in Frankreich wohl sogar noch etwas früher) zunächst im klösterlichen Bereich, dann auch in den Pfarreien mehr und mehr durchsetzt.67 Der mehrfach erwähnte Codex Gressly aus dem 11. Jahrhundert ist ein schönes Beispiel für ein Zwischenstadium dieses Ablösungsprozesses, denn er hat die Ritualtexte bereits zu einem eigenen in sich geschlossenen Komplex zusammengefasst.68 Allerdings gibt es vereinzelt Texte, die sich weiterhin in Sakramentaren halten, und zwar sind es fast immer – im übrigen bis hin zum Missale Romanum – die Formeln und Rubriken für die Kerzen-, Aschen- und Palmweihe sowie Ordo-Elemente für das Ostertriduum69. Genau diesem Befund entspricht auch das Berthold-Sakramentar, wobei die Aschenweihe nur gerade mit der schon im Hadrianum zu findenden Oration Concede nobis domine presidia militiae christianae vertreten ist und im folgenden nicht weiter zu diskutieren ist. Bemerkenswert ist dabei, dass die Sakramentare der im Lauf dieser Untersuchung immer wieder herangezogenen Missale-Sammelhandband von Jean Deshusses (CCSL 159A), S. XXXII.: „La portion la plus étendue de la seconde partie du Gélasien franc constitue ce qu’on peut appeler le Pontifical“. 66 Cyrille Vogel, Reinhard Elze, Le Pontificale romano-germanique du dixième siècle, Bd. 1–3 (Studi e Testi. 226, 227, 269), Città del Vaticano 1963–1972. – Vgl. auch Palazzo (wie Anm. 4), S. 210–215. 67 Bahnbrechend für die Erforschung dieses liturgischen Buchs ist Pierre-Marie Gy, Collectaire, Rituel, Processional, in: Revue des Sciences philosophiques et théologiques 44 (1960), 441–469, jetzt auch (geringfügig umgearbeitet und ergänzt) in ders.: La Liturgie dans l’Histoire, Paris 1990, S. 91–126, bes. S. 108–120. Vgl. auch Palazzo (wie Anm. 4), S. 197–203. 68 Vgl. Hänggi/Ladner (wie Anm. 24), S. 179–205. 69 Vgl. Emmanuel Bourque, Étude sur les Sacramentaires Romains 2/2 (Studi di Antichità Christiana 25), Roma 1958, S. 516–518.
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schriften aus dem Bereich der Hirsauer Reform, auch aus Weingarten – mit Ausnahme der Handschrift Hs. Aa 32 in Fulda (s. u. Anm. 87), die sicherlich nicht zufällig ebenfalls dem Berthold-Kontext angehört – diese Eigenart nicht aufweisen. Die entsprechenden Texte sind vielmehr in den meisten Fällen in selbständigen Ritualien überliefert, wie sie für Hirsau selbst und für eine Reihe anderer Klöster seines Reformkreises, für Weingarten in der Stuttgarter Handschrift HB I 240, seit dem 12. Jahrhundert vorliegen.70 Berthold scheint sich also in diesem Punkt von den Lösungen, die sonst im Bereich der Reformklöster für diesen Aspekt in zumindest für Deutschland wohl bahnbrechender Weise entwickelt werden, etwas abzusetzen und erneut ein eher „altmodisches“ Modell, eben ein Sakramentar mit eingeschobenen Ritualtexten, vorzuziehen. Betrachten wir die Ritualeinschübe im Einzelnen: Von besonderem Interesse ist der umfangreiche, nicht sehr organisch eingefügte Ordo für die Tauffeier am Karsamstag (44r–54v). Es handelt sich, wie Aufbau und Rubriken zeigen, erwartungsgemäß um eine Ordnung für die Taufe von Kindern, in der die auf Erwachsene zugeschnittenen Riten des Katechumenats mit mehreren „Prüfungsterminen“, sogenannten Skrutinien, die sich in der alten römischen (gelasianischen) Ordnung über die ganze Fastenzeit hinziehen, mit dem eigentlichen Taufakt auf einen Tag konzentriert worden sind.71 Die einleitende Rubrik, die ausdrücklich auf das Sacramentarium Gregorianum Bezug nimmt, entspricht fast wörtlich dem Anfang des Kindertaufritus im Ordo CVII des um 950–960 in St. Alban in Mainz redigierten, für die abendländische Liturgiegeschichte so bedeutsamen Pontificale RomanoGermanicum.72 Damit ist ein Hinweis gegeben, in welche Richtung nach 70 Am bequemsten zu überblicken in der Konkordanztabelle bei Walter von Arx: Das Klosterrituale von Biburg (Spicilegium Friburgense 14), Fribourg 1970, S. 291–337, bes. S. 292 (leider ohne Berücksichtigung von HB I 240). Vgl. auch ebd., S. 60–62 die grundsätzlichen Äußerungen zu den Klosterritualien der gregorianischen Reform. 71 Vgl. zusammenfassend zu dieser Entwicklung Gebhard Hürlimann, Das Rheinauer Rituale (Zürich Rh. 114, Anfang 12. Jh.) (Spicilegium Friburgense 5), Fribourg 1959, S. 36 f. 72 Berthold-Sakramentar: Incipit ordo ad faciendum katechuminum sive baptizandum, ex authentico Sancti Gregorii Sacramentario. Pontificale Romano-Germanicum, Ordo CVII: Ex authentico libro sacramentorum sancti Gregorii papae urbis Rome. Incipit ordo ad baptizandum infantes (Vogel / Elze [wie Anm. 66], Bd. 2, S. 155). – Das hadrianische Gregorianum selbst bietet zur Tauffeier lediglich vier Orationen, den Effata-Ritus und den AbsageDialog zur Salbung (Nr. 356–361); der Text des Pontificale Romano-Germanicum bzw. dessen Vorlage muss also auf ein erweitertes Gregorianum zurückgehen. S. zum ganzen auch Alois Stenzel, Die Taufe. Eine genetische Erklärung der Taufliturgie, Innsbruck
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der Vorlage für diesen Abschnitt des Berthold-Sakramentars zu suchen ist. Der genaue Vergleich lässt allerdings erkennen, dass die Beziehungen recht komplex sind. Zunächst einmal stellt sich heraus, dass die Fassung des Berthold-Sakramentars oft knapper ist und teilweise auch Bezüge aufweist zum Ordo Romanus L, der als Ordo XCIX in das Pontificale Romano-Germanicum aufgenommen wurde,73 wobei der Weingartener Text an den fraglichen Stellen, wie nicht anders zu erwarten, dem durch die Handschrift C (Monte Cassino 451) vertretenen deutschen Überlieferungsstrang folgt, der die alte Mainzer Taufordnung repräsentieren dürfte.74 In diesen Zusammenhang ist also der Weingartener Text einzuordnen. Schon Kretschmar hat übrigens darauf hingewiesen, dass diese Tradition beispielsweise auch auf die Ostertaufe im Rheinauer Rituale weiterwirkt75 – freilich ohne den Hirsauer Kontext der Rheinauer Liturgie des 12. Jahrhunderts zu erkennen. A propros Hirsau: Der Liber ordinarius sieht keine Tauffeier in der Osternacht vor76, was nicht weiter überrascht, da dies im Kontext monastischer Reform ohnedies kaum zu erwarten ist. Entsprechend unterschiedlich ist der Befund in den Ritualien der Hirsauer Klöster (s. o. Anm. 70): Hirsau selbst und ebenso Zwiefalten haben im Gegensatz zu dem eben erwähnten Rheinauer Rituale keine Tauftexte. Ob man dies als Ausdruck unterschiedlichen pastoralen Engagements der einzelnen Klöster interpretieren darf, bleibe dahingestellt. Im Fall des BertholdSakramentars, das für den Abt bestimmt war, wie noch zu zeigen sein wird, hat das Taufformular wohl kaum mehr als repräsentative Funktion77, wobei immerhin zu berücksichtigen ist, dass unsere Handschrift
1958, und Georg Kretschmar, Die Geschichte des Taufgottesdienstes in der alten Kirche, in: Liturgia. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes, Bd. 5, Kassel 1970, S. 1–348, hier S. 331. 73 Michel Andrieu, Les Ordines Romani, Bd. 5, Louvain 1961; Vogel / Elze (wie Anm. 66), Bd. 2, S. 1–141, der Taufordo S. 93–112. – Zur Problematik der Bezeichnung Ordo „Romanus“, die im übrigen auch im Berthold-Sakramentar zu finden ist (mehrfach iuxta ordinem romanum), s. auch Stenzel (wie Anm. 72), S. 267. 74 Vgl. zu diesem Sachverhalt auch Kretschmar (wie Anm. 72), S. 333 f. 75 Kretschmar (wie Anm. 72), S. 334 mit Anm. 132. 76 Vgl. auch Hänggi (wie Anm. 27), S. 135, krit. Apparat zu Z. 24. 77 Dies auch die Ansicht von P. Dr. Angelus A. Häußling in einem Brief vom 29. Mai 1996 zu einer ersten Fassung des vorliegenden Texts: „Hat Abt Berthold in der Ostervigil – gleich wie früh sie am Karsamstag angesetzt war – tatsächlich getauft? Das scheint mir aus mehreren Gründen ganz unwahrscheinlich, ja ausgeschlossen. Es war doch einfach im besten Sinn des Wortes eine ‚Repräsentanz‘, dass der Ordo des ersten der Sakramente in diesem noblen Buch zu finden war, auch wenn er faktisch nicht
das berthold-sakramentar als liturgisches buch
329
damit nicht allein steht: Auch der Rituale-Teil der Stuttgarter Handschrift HB I 240 (dort 78va–88ra), der in der Zeit von Bertholds Vorgänger Meingoz (1188–1200) geschrieben worden sein dürfte78, enthält einen Taufordo, der mit dem Text des Berthold-Sakramentars ganz eng verwandt ist. Möglicherweise handelt es sich dabei um eine unmittelbare Vorstufe der Berthold-Fassung, denn der „Meingoz-Ordo“ steht an einigen Stellen in Einzelheiten dem Ordo des ottonischen Pontifikale noch etwas näher als das Berthold-Sakramentar, das seinerseits den in HB I 240 vorliegenden Text da und dort etwas verändert. Exemplarisch lässt sich dies gleich am Beginn des Ritus zeigen: PRG CVII
HB I 240
Berthold-Sakramentar
Primitus ut infantes ad ecclesiam Cum infantes ad ecclesiam venerint, venerint,
Cum infantes ad ecclesiam venerint, scribantur nomina eorum iuxta romanum ordinem et vocentur in ecclesiam per nomina sicut scripti sunt, tam infantes quam illi qui eos suscepturi sunt,
statuuntur masculi seorsum ad dextris et feminae seorsum a sinistris.
tunc statuantur masculi ad dexteram et feminae ad sinistram.
et tunc statuantur masculi ad dexteram et feminae ad sinistram.
Et vocatis nomine singulis, interroget presbyter
Deinde sacerdos nominatim singulos interroget
Deinde iterum dicis:
dicens:
dicens:
Abrenuntias Satanae?
Abrenuntias Satanae?
Abrenuntias Satanae?
Resp.:
Respondit patronus infantis pro ipso dicens:
Respondit patrinus infantis pro ipso dicens:
Abrenuntio…
Abrenuntio…
Abrenuntio…
Auch andere Stellen bestätigen dieses Verhältnis der drei Texte untereinander. Die Grundstruktur des Weingartener Taufordo ist im übrigen, wie zu erwarten, mit dem des Rheinauer Rituale eng verwandt, und Ähnliches gilt auch für das ebenfalls hirsauisch geprägte Biburger Rituale, wenngleich dieses insbesondere in den Abschnitten 1 und 2 etwas umfangreicher ist. Der Aufbau umfasst:
benutzt wurde“. – Im übrigen ist da, wo der Spender der Taufe explizit genannt wird (52rv des Berthold-Sakramentars) von sacerdos bzw. presbyter vel diaconus die Rede. 78 Fiala / Hauke / Irtenkauf (wie Anm. 13), S. 166 f.
330
hirsau und sein kreis
1. Empfangs- und Vorbereitungsriten mit erstem Absagedialog (im Berthold-Sakramentar 44rv) 2. Katechumenats-Riten, insbesondere Darreichung des Salzes mit anschließenden Segensgebeten (44v–45v), 3. Photizomenats-Riten: Lesung von Mt. 19,13–15 – Tunc oblati sunt Jesu parvuli – zu verstehen im Sinne einer der Kleinkindsituation angepaßten Reduktion der urkirchlichen Übergabe der Evangelien, analog Rezitierung von Glaubensbekenntnis und Vaterunser als letzte Reste der feierlichen „Traditio Symboli“ und „Traditio Orationis“ der altkirchlichen Arkandisziplin, zweite Absage und Salbung mit Katechumenenöl (45v–48v) 4. Weihe des Taufwassers, dritte Absage mit präbaptismaler Salbung, Credo-Dialog, eigentlicher Taufakt (48v–52v) 5. Postbaptismale Salbung mit Chrisam und Übergabe des Taufkleides bzw. Taufhäubchens (52v) 6. Taufkommunion und Firmung (52v–53v) 7. Krankentaufe (53v–54v). Da Gebhard Hürlimann diese Struktur anhand der Rheinauer Fassung eingehend untersucht hat79, kann ich mich hier auf einige Anmerkungen zu den Besonderheiten des Berthold-Sakramentars beschränken: Der Kindertaufe ist eine ursprünglich auf die Erwachsenentaufe zurückgehende Einleitung vorangestellt wie im Pontificale RomanoGermanicum, wo sie aus Absage („widersagst Du dem Satan?“ etc.), Glaubensfragen („Glaubst Du an Gott, den allmächtigen…?“ etc.) und Anhauchung zur Vertreibung des Satans (Exsufflation) besteht80. In Weingarten werden für den Absagedialog, was bei der Kindertaufe nur als konsequent zu bezeichnen ist, ausdrücklich die Paten ins Spiel gebracht (Respondit patrinus infantis pro ipse, 44r), in Rheinau fehlt der Dialog völlig. Die Credo-Fragen fehlen sowohl im Rheinauer Rituale als auch im Berthold-Sakramentar (und übrigens auch im Taufordo des Sacramentarium Fuldense), nicht aber im Rituale von HB I 240, was erneut als Indiz für dessen größere Nähe zum Ordo CVII zu verbuchen ist. Die Formel, mit der die anschließende Stirnsignierung begleitet wird (Accipe signaculum sanctae crucis…), erscheint wie eine Verkürzung des Hürlimann (wie Anm. 71), S. 36–44. Pontificale Romano-Germanicum CVII, Nr. 1–4. Vgl. dazu und zum folgenden auch Kretschmar (wie Anm. 72), S. 331 f. 79 80
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alten gelasianischen Texts Accipe signum crucis tam in fronte quam in corde …81, dessen Fortsetzung sie allerdings nicht übernimmt. Vielmehr geht diese Aufforderung zum Empfang des Kreuzzeichens mit der eigentlichen Bekreuzigungsformel (In nomine patris et filii et spiritus sancti) – auf diese beschränken sich sowohl der Ordo CVII als auch HB I 240 und im übrigen auch das Rheinauer Rituale – eine sonst nicht belegte Verbindung ein.82 Die Signierung selbst ist im ottonischen Pontifikale von drei Orationen begleitet, im Berthold-Sakramentar hingegen nur von einer einzigen. HB I 240, das Rheinauer Rituale und das wohl ebenfalls Hirsauer Einfluss zeigende Wessobrunner Rituale83 weisen dieselbe Struktur auf. Eine analoge Verkürzung ist auch am Ende des ersten Hauptteils des Ritus zu beobachten, wo zwischen dem Effata-Ritus und der mit der präbaptismalen Salbung verknüpften (zweiten) Absage vor der Wasserweihe in Weingarten (Berthold-Sakramentar und HB I 240) wie auch in den übrigen Hirsauer Quellen zwei Gebete (Ordo CVII, Nr. 25 und 26) ausfallen. Interessant ist die Rubrik, die 48v die Prozession zum Taufbecken einleitet. Dies gilt besonders für die Formulierung Post hoc cereus benedicatur et lectiones legantur. Gewiss ist hier traditionell der Ort für die Weihe der Osterkerze und den ausgedehnten Lesegottesdienst, von dem die Täuflinge – so auch im Ordo des Berthold-Sakramentars – ausgeschlossen werden.84 Die Lesungen bzw. die entsprechenden Orationen finden sich jedoch in unserer Handschrift bereits vor dem Taufordo (43r–44r), dieser müsste also, wenn er organisch eingefügt worden wäre, vor diesen Orationen zu finden sein. Hier wird vollends deutlich, dass der Ordo nicht sehr organisch in das Sakramentar eingefügt wurde, sondern eher wie ein Fremdkörper wirkt, was in der Tat nicht unbedingt für eine wirklich praktische Bedeutung dieses Texts spricht.
81 Dazu Kretschmar (wie Anm. 72), S. 71 f. mit Anm. 41. Vgl. Sakramentar von Gellone (Dumas [wie Anm. 25], Nr. 2388). 82 Am nächsten kommt der von Martène veröffentlichte Gladbacher Ordo, der möglicherweise im Zusammenhang der Siegburger Reform stehen könnte und insgesamt der Fassung des Berthold-Sakramentars recht nahe steht, freilich keine Unterbrechung durch Schriftlesungen, Kerzen- und Wasserweihe aufweist (dazu Kretschmar [wie Anm. 72], S. 260 f.). Hier lautet die Formel: Accipe signaculum dei patris et filii et spiritus sancti, s. Edmond Martène, De antiquis Ecclesiae Ritibus 1, 2Antwerpen 1736, S. 201. 83 Von Arx (wie Anm. 70), S. 306. 84 Vgl. etwa Pontificale Romano Germanicum XCIX, Nr. 342–364: Vogel / Elze (wie Anm. 66), S. 94–101.
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hirsau und sein kreis
Anstelle der in Rheinau gesungenen Allerheiligen-Litanei ist im Berthold-Sakramentar und in HB I 240 wie auch im Biburger Rituale für den Gang zum Taufbecken der vermutlich in Sankt Gallen entstandene Prozessionshymnus Rex sanctorum angelorum (AH 50, Nr. 183) vorgesehen, der auch in dem in Cantatoriumformat angelegten Wiener Graduale aus dem Kontext der Berthold-Liturgica85 (dort 24r–25r) zu finden ist. Den als strophische Litanei aufgefassten Text benutzen in diesem Zusammenhang im übrigen manchmal auch schon ältere Ordines.86 Für die langen Texte der Wasserweihe sind die Abweichungen zwischen unserer Handschrift, HB I 240, den Ritualien des 12. Jahrhunderts aus den Reformklöstern und dem Pontificale Romano-Germanicum so geringfügig, dass auf Einzelhinweise verzichtet werden kann. Ob es sich bei dieser Weiterentwicklung des ottonischen Mainzer Taufordo um eine auf Weingarten beschränkte, möglicherweise sogar dort entstandene Sondertradition handelt, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden, wobei die mehrfach erkennbaren Berührungspunkte zu den süddeutschen Klosterritualien des 12. Jahrhunderts aus dem Kontext der Hirsauer Reform den Horizont andeuten, innerhalb dessen diese Überlieferung einzuordnen sein dürfte. Im normativen Text der Hirsauer Liturgie, dem Liber Ordinarius, finden sich dazu allerdings, wie schon angedeutet, keine Angaben. Anders ist dies für die Ordines von Palmweihe und Kerzenweihe, die beide ebenfalls im Meingoz-Rituale in HB I 240 enthalten sind, außerdem auch im Sakramentarteil der Weingartener Sammelhandschrift Aa 32 in Fulda.87 So wird beispielsweise im Ordo für den Palmsonntag in der zweiten Rubrik (f. 35r) ausdrücklich auf den hier liber ordinis genann85 Wien, Kunsthistorisches Museum, Hs. 4981. Vgl. Franz Unterkircher: Ein neumiertes Graduale aus Weingarten, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 30 (1988), S. 21– 32, sowie Andreas Haug: Troparia tardiva (wie Anm. 53), S. 77. [S. jetzt auch Felix Heinzer, Musik und Liturgie zwischen Reform und Repräsentation. Ein GradualeSequentiar des frühen 13. Jh. aus der schwäbischen Abtei Weingarten (A-Wkm 4981), in: Wiener Quellen der Älteren Musikgeschichte zum Sprechen gebracht. Eine Ringvorlesung, hrsg. von Birgit Lodes (Wiener Forum für ältere Musikgeschichte 1), Tutzing 2007, S. 113–136; in diesem Bd., S. 365–385]. 86 Vgl. Vogel / Elze (wie Anm. 66), Bd. 2, S. 133; von Arx (wie Anm. 70), S. 101. – Zu Herkunft und Überlieferung des Texts vgl. Peter Stotz, Ardua spes mundi, Bern 1972, S. 23–25. 87 Zum Fuldaer Codex, der den eingangs angesprochenen Übergangstypus der zusammengesetzten Missale-Handschrift repräsentiert, s. Hausmann (wie Anm. 15), S. 78–81, sowie Köllner / Jakobi-Mirwald (wie Anm. 15), Nr. 57.
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ten Normtext Bezug genommen: Es sei zu verfahren „in der Weise, wie im Ordinarius steht“ (eo modo quo in libro ordinis habetur). Dieser Hinweis bezieht sich auf das in kompliziertem Wechselspiel zwischen Chor, zwei Solisten und einem einzelnen Solisten vorzutragende Gradualresponsorium Collegerunt pontifices, das seinen Platz vor der Evangelienperikope vom Einzug Jesu in Jerusalem hat. Der Blick in den entsprechenden Abschnitt des Liber ordinarius zeigt, dass in der Tat die „Choreographie“ dieses Gesangsstücks dort sehr detailliert beschrieben ist.88 Diese Verweisung, die das Sakramentar von allzu umständlichen Regieanweisungen entlastet, belegt, dass in Weingarten zur Zeit Abt Bertholds ein Exemplar des Hirsauer Liber ordinarius vorhanden und in Gebrauch war89, und lässt erneut erkennen, dass die mittelalterliche Weingartener Liturgie auch in diesem Bereich90 zumindest grundsätzlich dem Hirsauer Vorbild verpflichtet war. Nimmt man diese Spur auf, indem man sozusagen von der anderen Seite, nämlich vom Liber ordinarius her, eine Gegenlesung des gesamten Palmweihetexts im Berthold-Sakramentar versucht, so stellt man eine genaue Übereinstimmung der Texte fest.91 Diese erstreckt sich im übrigen erwartungsgemäß auch auf das Rituale von Rheinau.92 Analoges ist für die Kerzenweihe an Mariä Lichtmeß (80r–82v) festzustellen: Der Vergleich mit dem Liber ordinarius93 ist zwar nicht sehr ergiebig, da das Berthold-Sakramentar an dieser Stelle über die Orationen hinaus nur wenige Angaben etwa zu Rubriken oder AntiphoHänggi (wie Anm. 27), S. 110, Zeile 9–15. Dies ist insofern interessant, als sich lediglich eine spätere, nämlich 1319 datierte Abschrift, die Handschrift Fulda, HLB, Aa 72 (Anton Hänggis Textzeuge D) erhalten hat. Vgl. Heinzer, Liber ordinarius (wie Anm. 27), S. 313 f [in diesem Band, S. 189–193]. Eine genaue Beschreibung bei Hausmann (wie Anm. 15) S. 154–156. 90 Für das Hymnar kann ein analoger Nachweis geführt werden: vgl. Felix Heinzer, Liturgischer Hymnus und monastische Reform. Zur Rekonstruktion des Hirsauer Hymnars, in: Der lateinische Hymnus im Mittelalter. Überlieferung, Ästhetik, Ausstrahlung, hrsg. von Andreas Haug, Christoph März und Lorenz Welker (Monumenta monodica medii aevi, Subsidia 4), Kassel etc. 2004, S. 23–52 [in diesem Bd., S. 224– 256]. 91 Für den Liber ordinarius ist zu vergleichen Hänggi (wie Anm. 27), S. 110 Zeile 3 – S. 111 Zeile 2. Die Übereinstimmung erstreckt sich bis hin zur Formulierung der Rubriken. So entspricht die den Ritus beschließende Anweisung im Sakramentar am Ende von f. 37r (Post hec rami aqua benedicta aspersi et thurificati per custodes ecclesie dividuntur Ant. ‚Pueri hebreorum tollentes‘ imposita) exakt dem Wortlaut des Ordinarius, wo es an der betreffenden Stelle heißt: Finita benedictione rami aqua benedicta aspersi et turificati per custodes dividuntur imposita hac Ant. ‚Pueri Hebreorum tollentes‘ (Hänggi, S. 111, Z. 1 f.) 92 Hürlimann (wie Anm. 71), S. 111–114 (Nr. 26–31). 93 Hänggi (wie Anm. 27), S. 83 Zeile 18 – S. 84 Zeile 7. 88 89
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nen und Responsorien bietet und andererseits der Liber ordinarius die Orationen nicht im einzelnen aufführt. Aussagekräftig ist jedoch die erneute exakte Übereinstimmung des Sakramentars mit dem Rheinauer Rituale, in die auch die Münchener Handschrift Clm 22040, das Wessobrunner Klosterrituale aus dem 12. Jahrhundert, einzubeziehen ist94: Zum einen ist dabei zu berücksichtigen, dass Wessobrunn in dieser Zeit hirsauisch geprägt war, und zum anderen lässt sich, wie Gebhard Hürlimann im Gefolge von Adolph Franz hervorgehoben hat, in der Ausformung des Ritus, wie er aus Rheinau, Wessobrunn und, wie nun zu ergänzen ist, auch aus Weingarten überliefert ist, deutlich französischer Einfluss erkennen, insbesondere anhand des Gebets Adesto supplicationibus nostris und der Präfation fons et origo95 – ein Befund, der sich aus der cluniazensischen Prägung des Hirsauer Zeremoniells und der damit gegebenen Scharnier-Funktion zwischen Frankreich und Deutschland geradezu zwanglos erklärt.96 Auffallend ist freilich, dass gerade das Rituale aus Hirsau selbst (Darmstadt, HHLB, Cod. 929) sich nicht so ganz in dieses Bild fügen will, wobei zu berücksichtigen ist, dass es nur gerade den Anfang der Zeremonie und deren Abschluss im Chor der Klosterkirche dokumentiert, so dass über die eigentlich signifikanten Punkte, eben Adesto und Fons et origo, kaum Aussagen möglich sind.97 Jedenfalls dürfte kein Zweifel bestehen, dass auch hier erneut der Hirsauer Hintergrund der Weingartener Liturgie greifbar wird. Interessant ist in diesem Kontext auch die Frage nach der Aufteilung der liturgischen Funktionen in diesen Riten. Hauptakteur, d. h. die Segensorationen sprechender Zelebrant ist nämlich laut Hirsauer Liber
Hürlimann (wie Anm. 71), S. 108–110, Nr. 18–24, sowie Adolph Franz: Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter 1, Freiburg i. Br. 1909, S. 451 f. 95 Hürlimann (wie Anm. 71), S. 83. – Franz (wie Anm. 94) stellt S. 454 fest: Unter den französischen Formeln „verdienen das Gebet ‚Adesto supplicationibus‘ und die Präfation ‚Deus, origo et fons‘ bemerkt zu werden. Beide stehen auch im Clm 22040, also dem erwähnten Wessobrunner Rituale, und in einer Rheinauer Handschrift, dem von Gebhard Hürlimann herausgegebenen sog. Rheinauer Rituale – und, so wäre zu ergänzen, im Berthold-Sakramentar und ebenso im Weingartener Rituale HB I 240 (67va–70ra). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie aus Frankreich nach Deutschland gekommen sind“. 96 Ein Blick in das Lichtmeß-Kapitel in Ulrichs Consuetudines Cluniacenses (I, 48: PL 149, 695c–696A) ist in diesem Zusammenhang ausgesprochen instruktiv. Besonders hingewiesen sei auf die eben erwähnte Oration Adesto supplicationibus (695D, Z. 10), die Hirsau und sein Kreis also offensichtlich aus Cluny importiert haben. 97 Vgl. von Arx (wie Anm. 70), S. 300–302 (Sigle RiH). Zur Handschrift s. Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 56), S. 268 f. [in diesem Band, S. 104]. 94
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ordinarius bei der Kerzenweihe wie bei der Palmweihe der Abt.98 Die Initialminiatur f. 80r zur zweiten Oration des Kerzenweihritus im Bertholdsakramentar erscheint geradezu als bildliche Umsetzung der aus dem Liber ordinarius gewonnenen Information: Die im Gegensatz zu dem das Buch haltenden Mönch (?) mit dem Pluviale bekleidete und den Bischofs- bzw. Abtsstab haltende Figur mit Segensgestus ist der Abt, dem dieser Ritus vorbehalten ist und der dafür jeweils eigens die cappa, eben das Pluviale, anziehen soll.99 Wenn man so will, mag man in diesem Bild sogar eine Darstellung Bertholds sehen. Jedenfalls wird hier erneut deutlich, dass unsere Handschrift für den Abt selbst bestimmt gewesen sein dürfte: eben als Meßbuch des Abts, das auch ihm vorbehaltene, außereucharistische Weihehandlungen enthält. Bei den Benediktionen (160r–161v) handelt es sich um die klösterlichen Speisesegnungen an Ostern (Käse, Eier, Speck, Lamm)100, die Kräuterweihe am Fest Mariä Himmelfahrt101 sowie – etwas abgesetzt – eine Benediktionsformeln für die Segnung des Lektors an Sonntagen. Ein Blick in die schon erwähnte Konkordanztabelle der süddeutschen Klosterritualien bei von Arx zeigt, dass die österlichen Speisesegnungen in diesem Milieu selbstverständliches Brauchtum war. Die Reihenfolge entspricht übrigens genau der Ordnung der Ritualien von Hirsau und Zwiefalten.102 Die Kräuterweihe am 15. August, deren Formel seit dem 10. Jahrhundert nachzuweisen ist, findet sich auch in den Ritualien von Wessobrunn und Biburg, fehlt hingegen in Zwiefalten und Hirsau.103 Festzuhalten ist im übrigen, dass der Komplex österliche 98 Hänggi (wie Anm. 27), S. 83 Zeile 13–15: Solummodo domnus abba ad processionem cappam induit, quam mox, ut cereos benedixerit, exuit (Lichtmeß); S. 109 Zeile 24 f.: Post terciam domnus abba stola amictus et cappa ramos benedicit (Palmsonntag). 99 Nur der Abt trägt die cappa, wie die Anweisung zur Kerzenweihe ausdrücklich vermerkt (Solummodo domnus abba…), und auch der Passus über die Palmweihe scheint das Tragen der cappa dem Abt vorzubehalten, während ein ihn im Falle seiner Abwesenheit vertretender Priestermönch nur mit der Stola versehen (stola tantum indutus) in Erscheinung treten soll (Hänggi [wie Anm. 27], S. 109, Zeile 25 f.). 100 Von Arx (wie Anm. 70), Nr. 213, 214, 211 und 210 (zur Geschichte dieser Segnungen s. S. 95–98). 101 Von Arx (wie Anm. 70), Nr. 430. 102 Von Arx (wie Anm. 70), S. 312. 103 Von Arx (wie Anm. 70), S. 134 und 332. Die Kräuterweihe erscheint im übrigen auch nicht im Hirsauer Liber ordinarius, der hingegen die Traubenweihe am Fest des hl. Sixtus (6. August) vorsieht und entsprechend altem Brauch (vgl. Franz [wie Anm. 94], S. 371–375) innerhalb der Meßfeier, und zwar während des Hochgebets, vornehmen lässt. Vgl. Hänggi (wie Anm. 27), S. 193 f. und Constitutiones Hirsaugienses I, 85 (PL 150, 1015 BC – hier ist, wie auch in Cluny, die Möglichkeit eines späteren Termins offen gelassen, falls die Trauben am 6. August noch nicht reif sein sollten). Das
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hirsau und sein kreis
Speisesegnungen und Kräuterweihe in übereinstimmender Anordnung auch im Weingartener Rituale HB I 240 (88rb–89ra) steht. Die sonntägliche Benediktion für den Lektor, die den eigentlich liturgischen Teil des Sakramentars beschließt, entspricht genau dem in den Brauchtexten von Cluny und Hirsau vorgeschriebenen Wortlaut für den Segen, den der für die Tischlesung bestimmte Mönch nach der feierlichen Messe vom Zelebranten, an besonderen Feiertagen also vom Abt, erbittet.104 2.4. Das Kalendar der Handschrift Abschließend ist auf das der Handschrift vorangestellte Kalendar einzugehen. Zunächst ist festzustellen, dass – wie übrigens auch in HB I 240 – die in einem liturgischen Kalendar eigentlich zu erwartenden Angaben über den Rang und den entsprechenden Grad der Feierlichkeit der einzelnen Feste fehlen. Vom System, das die Frage der Orationen für Heiligenfeste ohne eigenes Formular durch entsprechende Querverweisungen regelt und damit einen gewissen Ersatz für das fehlende Commune Sanctorum bietet, war oben schon kurz die Rede. Es sei am ersten Beispiel, dem Fest Pauli heremitae am 10. Januar, noch einmal kurz verdeutlicht: Der eben zitierten Nennung des Tagesheiligen folgt in roter Tinte die Verweisung Or. S. Galli, die bedeutet, dass man für die Feier dieses Heiligen, für den im Corpus der Handschrift in der Tat kein eigenes Formular vorgesehen ist, die für den hl. Gallus vorgesehenen Orationen (120v– 121r) benutzen soll, wobei selbstverständlich anstelle von Gallus Paulus einzusetzen ist. Dieses System findet sich auch im Kalendar der schon oft erwähnten Weingartener Handschrift HB I 236 in Stuttgart, aber auch in der ebenfalls schon verschiedentlich herangezogenen Zwiefaltener Missalehandschrift Cod. brev. 123 (ebenfalls in Stuttgart), im bekannten Missale von St. Paul (Stuttgart, WLB, Cod. bibl. 2° 20) und in den Kalendarblättern einer aus Kremsmünster stammenden Missalehandschrift (Graduale, Sequentiar, Sakramentar), die sich als Frag-
Berthold-Sakramentar folgt hier exakt dem Gregorianum mit Präfation und WeiheOration (Jean Deshusses, Nr. 630–631) im Formular der Messe zu Ehren des hl. Sixtus (102r). 104 Udalricus: Consuetudines Cluniacenses II, 34 (PL 149, 725D–726A); Constitutiones Hirsaugienses I, 95 (PL 150, 1026D).
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337
mente 106/1–2 und 107 in der Melker Stiftsbibliothek befinden.105 Dass diese zugegebenermaßen recht zufälligen Hinweise auf Parallelen allesamt in mit Hirsau verbundene Reformklöster führen, könnten darauf hinweisen, dass wir es hier mit einem Verfahren zu tun haben, das in diesem Bereich beliebt und verbreitet war. Ob es sogar ein Spezifikum des Reformkreises darstellt, ist ohne eine systematischen Überprüfung allerdings nicht zu entscheiden. Der Heiligenbestand des Kalendars entspricht, wenn auch nicht ohne kleine Abweichungen, der Weingartener Tradition, wie sie hier durch die Kalendarien der Stuttgarter Handschriften HB I 236 und HB I 240 sowie HB I 98106 vertreten ist. Diese Tradition wiederum ist erwartungsgemäß Hirsau verpflichtet. Die Berücksichtigung des alten Hirsauer Patrons Aurelius am 14. September ist in diesem Zusammenhang lediglich als kleine Einzelheit zu verbuchen; viel entscheidender ist die hirsauische Grundausrichtung des Kalendars als ganzen, wie sie aus dem Vergleich mit anderen Kalendarien aus Klöstern dieses Reformkreises zu erkennen ist. Dazu die folgende Übersicht107:
105 Christine Glassner und Alois Haidinger, Die Anfänge der Melker Bibliothek, Melk 1996, S. 89 mit Anm. 266 sowie Abb. 62 (S. 93.). Zu Kremsmünster s. auch oben Anm. 31 sowie Alois Haidinger: Beobachtungen zum Festkalender des Stifts Kremsmünster, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 109 (1998), S. 27–67, mit weiteren Hinweisen zu dem hier angesprochenen Verweisungssystem. 106 Zu diesem Vollbrevier des 13. Jahrhunderts vgl. Autenrieth / Fiala / Irtenkauf (wie Anm. 14), S. 176–180, und Butz, Kat.-Nr. 7. 107 BS steht für das Bertholdsakramentar. Unter der Überschrift Weingarten vertreten die Kürzel 236, 240 und 98 die drei Stuttgarter Handschriften HB I 236, HB I 240 und HB I 98. Das Kalendar des sog. Heinricus-Sacrista-Missale (New York, Pierpont Morgan Libr., Ms. M 711), das das Bild nur unwesentlich nuanciert, wurde nicht eigens herangezogen, zumal es bereits von Hanns Swarzenski (S. 111–116) unserer Handschrift gegenübergestellt worden ist. Rheinau ist repräsentiert durch das bei Hänggi (wie Anm. 27), S. 2–25 edierte Kalendar des Liber ordinarius (nach den Handschriften Zürich, Zentralbibl., Rh. 80 und Rh. 74b), Zwiefalten durch Cod. brev. 123 und Hirsau selbst durch das S. 320 und Anm. 56 erwähnte Missale K 1001 der BLB Karlsruhe. Zum Kalendar der Hirsauer Handschrift s. auch Virgil Ernst Fiala: Das Alpirsbacher Kalendar von 1471, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 25 (1966), S. 339– 376, hier S. 360–363. – Die Schreibung der Heiligennamen ist normalisiert. Im übrigen wurden die Formulierungen der Handschrift übernommen; insbesondere gilt dies für die Zusätze zu den Namen (martyris, virginis usw.), die nur da erscheinen, wo sie auch im Original verwendet worden sind.
338
hirsau und sein kreis
BS
Weingarten
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
+
+
+
+
+
Basilii ep.
+
+
+
–
+
–
Odilonis conf.108
+
+
+
–
+
–
2. Octava Stephani protomart.
+
+
+
+
+
+
3. Octava Johannis ap.
+
+
+
+
+
+
4. Octava Innocentum
+
+
+
+
+
+
5. Vigilia Epiphaniae
+
+
+
+
+
+
6. Epiphania domini
+
+
+
+
+
+
10. Pauli primi heremitae
+
+
+
+
+
+
11. Gregorii Nazianzeni ep.
+
–
–
–
–
–
Januar 1. Circumcisio domini
7. – 8. – 9. –
12. – 13. Octava Epiphaniae
+
+
+
+
+
+
Hilarii ep.
+
+
+
+
+
+
14. Felicis presb.
+
+
+
+
+
+
15. Mauri abb.109
+
+
+
+
+
+
16. Marcelli pp. et mart.
+
+
+
+
+
+
17. Antonii monachi
+
+
+
+
+
+
18. Prisce virg. et mart.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
19. – 20. Fabiani papae et mart., Sebastiani mart.
+
+
+
+
+
+
21. Agnetis virg. et mart.
+
+
+
+
+
+
108 Basilius und Odilo von Cluny erscheinen zwar nicht im Kalendar von K 1001; da sie jedoch sonst durchwegs belegt sind und überdies in der Hirsauer Litanei angerufen werden (vgl. Heinzer: Liber ordinarius [wie Anm. 27], S. 327 f. [in diesem Band, S. 204 u. 206]), darf man sie wohl dennoch zum Grundstock des Hirsauer Kalendars rechnen. 109 Der Block der Einträge vom 15. bis 19. Januar (Mauri bis Priscae) ist im BertholdSakramentar irrtümlicherweise eine Zeile zu tief gerutscht. Um den Vergleich mit den übrigen Kalendarien sinnvoll durchführen zu können, wurde dieses Versehen hier stillschweigend korrigiert.
das berthold-sakramentar als liturgisches buch BS
Weingarten
339
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
+
+
+
+
+
24. Timothei ap.
+
+
+
+
+
+
25. Conversio s. Pauli
+
+
+
+
+
+
26. Paulae virg.
–
–
–
–
–
–
28. Agnetis virg. secundo
+
+
+
+
+
+
29. Valerii ep.
+
+
+110
+
+
22. Vincentii mart. 23. –
27. –
30. – 31. – Februar 1. Brigidae virg.
+
+
+
+
+
+
2. Purificatio s. Mariae
+
+
+
+
+
+
3. Blasii ep. et mart.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
–
–
–
–
–
–
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
4. – 5. Agathae virg. et mart. 6. – 7. – 8. Coronae virg. 9. –
Altonis111
10. Scholasticae virg. 11. – 12. – 13. – 14. Valentini mart. 15. – 16. Julianae virg. et mart.
Nachtrag des 13. Jahrhunderts. Der Patron von Altomünster, dessen Konvent 1047 nach Weingarten umgesiedelt wurde, erscheint in HB I 236 in der Anlageschicht, in HB I 240 und HB I 98 jeweils als Nachtrag von anderer Hand. 110 111
340
hirsau und sein kreis
BS
Weingarten
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
–
–
–
–
–
–
+
+
+
+
+
+
17. – 18. Fortunati ep. 19. – 20. – 21. – 22. Cathedra s. Petri 23. Vigilia
+
+
+
+
+
+
24. Mathiae ap.
+
+
+
+
+
+
25. Walpurgae virg.
+
+
+
+
+
+
–
–
–
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–
–
+
+
+
–
–
–
–
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–
+
+
+
+
+
+
–
–
–
–
–
–
+
+
+
+
–
–
26. – 27. – 28. Romani abb. März 1. Donati mart. 2. – 3. – 4. Lucii papae 5. – 6. Fridolini conf. 7. – 8. – 9. – 10. – 11. – 12. Gregorii papae 13. – 14. – 15. Longini mart. 16. – 17. Gertrudis virg. 18. –
das berthold-sakramentar als liturgisches buch BS
Weingarten
341
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
+
+
+
+
+
24. Quirini mart.
+
–
–
–
–
–
25. Annuntiatio s. Mariae
+
+
+
+
+
+
–
–
–
–
–
–
+
+
+
+
+
19. – 20. – 21. Benedicti abb. 22. – 23. –
(Crucifixio domini)112 26. – 27. (Resurrectio domini) Ruperti ep. 28. –
Guntrammi regis
29. – 30. – 31. – April 1. – 2. – 3. – 4. Ambrosii ep.
+
5. – 6. – 7. –
112 Dieser Eintrag ist wie die folgenden zu Ostern und Pfingsten als „symbolischer Termin“ eines an sich beweglichen Festtags zu verstehen und daher in Klammern gesetzt. Diese von typologischem Denken geprägte Praxis, die sich in zahlreichen Kalendarien nachweisen lässt, ist exemplarisch greifbar etwa in dem pseudobedanischen, wohl in das 11. Jahrhundert zu datierenden Computus vulgaris (PL 90, 729–788). Dort steht zum 25. März: Annuntiatio virginis Mariae. Dominus crucifixus est, zum 27. März: Resurrectio domini, zum 5. Mai: Ascensio domini, und zum 15. Mai: Descendit spiritus sanctus super apostolos. Vgl. zur Einordnung des Texts Charles W. Jones, Bedae Pseudepigrapha. Scientific Writings falsely attributed to Bede, Ithaca u. a. 1939, S. 59– 79.
342
hirsau und sein kreis
BS
Weingarten
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
–
–
8. – 9. Mariae Aegyptiacae et septem virginum
–
–
–
10. – 11. – 12. – 13. Ermenegildi regis et mart.
–
–
–
–
–
–
14. Tiburtii, Valeriani, Maximi
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
–
–
–
–
–
–
15. – 16. – 17. – 18. – 19. Leonis noni papae 20. – 21. Simeonis ep. et mart. 22. – 23. Georgii mart.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
25. Marci ev.
+
+
+
+
+
+
26. Cleti papae et mart.
–
–
–
Trutperti
–
–
Adalberti ep. et mart. 24. –
27. Anastasii papae et mart.
–
–
–
–
–
–
28. Vitalis mart.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+113
+
+
+
+
+
+
–
–
–
–
–114
–
–
–
–
–
–
29. – 30. Vigilia ap. Philippi et Jacobi Mai 1. Philippi et Jacobi 2. Sigismundi regis et mart. Wib(o)radae virg.
113 114
In HB I 236 ebenso wie in HB I 240 und HB I 98 zusätzlich Walpurgae. K 1001 verzeichnet hier das Kirchweihfest des Hirsauer Peter-und-Paul-Münsters.
das berthold-sakramentar als liturgisches buch BS
Weingarten
343
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
–
–
–
–
–
–
6. Johannis ante portam latinam
+
+
+
+
+
+
7. Domitillae virg.
–
–
–
–
–
–
+
+
+
+
+
+
12. Pancratii, Nerei et Achillei
+
+
+
+
+
+
13. Gangolfi mart.
+
+
+
+115
+
+
14. Bonifatii mart.
+
+
+
+
+
+
19. Potentianae virg.
+
+
+
+
+
+
20. Basillae virg. et mart.
–
–
–
–
–
–
25. Urbani papae et mart.
+
+
+
+
+
+
26. Augustini anglorum ep.
–
–
–
–
–
–
28. Johannis papae et mart.
–
–
–
–
–
–
29. Maximini ep.
+
+
+
+
+
+
3. Inventio s.Crucis Alexandri, Eventii, et Theodoli mart. 4. Floriani mart. 5. (Ascensio domini)
8. – 9. – 10. Gordiani et Epimachi 11. –
15. (Descensio spiritus sancti) 16. – 17. – 18. –
21. – 22. – 23. – 24. –
27. –
115 Rh. 80 hat Gangolf an zweiter Stelle nach Servatius; Rh. 74b (nur Gangolf) erweist sich wie auch sonst als der ursprünglichen Hirsauer Tradition näher stehend.
344
hirsau und sein kreis
BS
Weingarten
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
+
+
1. Simeonis conf.
–
–116
–
–
–
–
2. Marcellini et Petri
+
+
+
+
+
+
3. Erasmi ep. et mart.
+
+
+
–
–
–
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
18. Marci et Marcelliani
+
+
+
+
+
+
19. Gervasii et Protasii
+
+
+
+
+
+
21. Albani mart.
+
+
+
+
+
+
22. Paulini ep.
+
+
+
+
+
+
23. Vigilia s.Johannis bapt.
+
+
+
+
+
+
30. – 31. Petronellae virg.
+
+
+
Juni
4. – 5. Bonifatii et soc. eius 6. – 7. – 8. – 9. Primi et Feliciani mart. 10. – 11. Barnabae ap. 12. Basilidis, Cyrini, Naboris et Nazarii 13. – 14. – 15. Viti, Modesti et Crescentiae 16. – 17. –
20. –
116 HB I 240 hat an dieser Stelle Nicomedes (auch als Nachtrag in Rheinau). Auch im eigentlichen Corpus des Berthold-Sakramentars findet sich zum 1. Juni ein NicomedesMeßformular (91v).
das berthold-sakramentar als liturgisches buch BS
Weingarten
24. Nativitas s.Johannis bapt.
345
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
+117
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
25. – 26. Johannis et Pauli 27. – 28. Vigilia apostolorum Leonis papae 29. Petri et Pauli
+
+
+
+
+
+
30. Commemoratio s. Pauli
+
+
+
+
+
+
1. Octava s. Johannis bapt.
+
+
+
+
+
+
2. Processi et Martiniani
+
+
+
+
+
+
Juli
3. – 4. Udalrici ep. Translatio s. Martini
+
+
+
+
+
+
+
+
+
–
–
–
5. – 6. Octava apostolorum
+
+
+
+
+
+
Goaris conf.
+
+
+
+
+
+
7. Willibaldi ep.
+
+
+
–
–
+
+
+
+
+
+
10. Septem fratrum
+
+
+
+
+
+
11. Translatio s. Benedicti abb.
+
+
+
+
+
+
–
+
–
–
–
–
Marg.
–
–
–
–
–
(Nachtr.) 8. Kiliani et soc. eius 9. –
12. – 13. Margaretae virg. et mart. 14. – 15. Divisio apostolorum
117 Zusätzlich fällt in HB I 240 die Weingartener Kirchweihe auf diesen Tag. Es handelt sich um das alte Datum, das in der Folge durch den 12. November, den Tag der 1182 durch den Konstanzer Bischof Berthold vorgenommenen Weihe des sog. zweiten Münsters, offenbar verdrängt wurde, sich in HB I 240 aber noch gehalten hat.
346
hirsau und sein kreis
BS
Weingarten
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
16. – 17. Alexii conf. 18. – 19. – 20. – 21. Praxedis virg.118 22. Mariae Magdalenae
+
+
+
+
+
+
23. Apollinaris ep. et mart.
+
+
+
+
+
+
24. Vigilia
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Christinae virg. 25. Jacobi ap.119 26. – 27. – 28. Pantaleonis mart. 29. Felicis
papae120
+
+
+
+
+
+
30. Abdon et Sennes mart.
+
+
+
+
+
+
31. Tertullini mart.
–
–
–
–
–
–
1. S. Petri ad vincula121
+
+
+
+
+
+
2. Stephani papae et mart.
+
+
+
+
+
+
3. Inventio s. Stephani protomart.
+
+
+
+
+
+
August
4. – 5. Oswaldi regis et mart.
+
+
+
+
+
+
6. Sixti, Felicissimi et Agapiti
+
+
+
+
+
+
118 Der sonst am 21. Mai in den anderen Kalendaren an zweiter Stelle erscheinende Viktor fehlt hier. 119 Analoge Situation wie am 21. Juli: der sonst stets zusätzlich zu Jakobus an zweiter Stelle genannte Christophorus fehlt im Berthold-Sakramentar. 120 Simplicius, Faustinus und Beatrix (sonst an 2. Stelle) fehlen, sind aber im Innern des Sakramentars mit einem Meßformular berücksichtigt (99v–100r). 121 Die Sieben Makkabäer (sonst an 2. Stelle) fehlen, sind aber im Sakramentar selbst berücksichtigt (100v–101r).
das berthold-sakramentar als liturgisches buch BS
Weingarten
347
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
7. Afrae mart.122
+
+
+
+
+
+
8. Cyriaci et soc. eius
+
+
+
+
+
+
9. Romani mart.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
–
+
10. Laurentii mart.
+
+
+
+
+
+
11. Tiburtii mart.
+
+
+
+
+
+
12. Octava s. Oswaldi mart.
+
+(Ras.)
–
–
–
13. Hypoliti et soc. eius
+
+
+
+
+
+
14. Vigilia s. Mariae
+
+
+
+
+
+
Vigilia s. Laurentii mart.
Eusebii conf.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
17. Octava s. Laurentii mart.
+
+
+
+
+
+
18. Agapiti mart.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
15. Assumptio s. Mariae virg. 16. –
19. – 20. – 21. – 22. Octava s.Mariae
+
+
+
+
+
+
23. Vigilia
Timothei et Simphoriani
+
+
+
+
+
+
24. Bartholomaei ap.
+
+
+
+
+
+
25. –
Genesii
26. – 27. – 28. Augustini ep.
+
+
+
+
+
+
mart.123
+
+
+
+
+
+
29. Decollatio s. Johannis bapt.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Hermetis et Pelagii Sabinae virg.
Donatus (sonst an 2. Stelle) fehlt. Die Reihenfolge ist schwankend, je nachdem, ob Pelagius als Konstanzer Diözesanpatron zum Tragen kommt und weiter vorrückt. In Zwiefalten – aber auch in der Weingartener Handschrift HB I 240 – verdrängt er sogar Augustinus von der 1. Stelle an diesem Tag. 122 123
348
hirsau und sein kreis
BS
Weingarten
30. Felicis et Adaucti
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
+
+
+
+
+
+
(+)124
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+126
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
31. – September 1. Aegidii conf. Verenae virg.125 2. – 3. Antonini mart. 4. – 5. – 6. Magni conf. 7. – 8. (Nativitas s. Mariae)127 (Adriani mart.)
+
+
+
+
+
+
9. Gorgonii mart.
+
+
+
+
+128
+
+
+
+
+
+
+
10. – 11. Proti, Hyacinti, Felicis et Regulae 12. – 13. –
124
Nachtrag. In Rheinau und Zwiefalten an 1. Stelle. 126 Eintrag in Rh. 80 radiert und auf den 2. September verlegt, in Rh. 74b an 2. Stelle (nach Mansueti). Die Schwankung zwischen den beiden Daten (2. und 3. Sept.) ist auch sonst verschiedentlich zu beobachten. 127 Das Fest fehlt im Kalendar, ebenso wie das auf denselben Tag fallende Gedächtnis des Martyrers Adrianus. Da beide aber so konstant belegt sind in allen vergleichbaren Kalendaren sowie im Liber ordinarius und im übrigen auch im Innern des Sakramentars berücksichtigt werden, darf man wohl von einer Unachtsamkeit ausgehen und voraussetzen, dass die Einträge vorgesehen waren. 128 In Zwiefalten wird an diesem Datum die Weihe der Klosterkirche gefeiert, so dass der Eintrag Dedicatio ecclesiae maioris s. Mariae den Tagesheiligen an die 2. Stelle verdrängt. 125
das berthold-sakramentar als liturgisches buch BS
Weingarten
349
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
+
+
+
+
Cornelii et Cypriani
+
+
+
+
+
+
Aurelii ep.
+
+
+
+
+
+129
+
+
+
+
+
+
14. Exaltato s. cruci
15. Nicomedis mart. 16. Eufemiae virg.,
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
20. Vigilia s. Matthaei ap.
+
+
+
+
+
+
21. Matthaei ev.
+
+
+
+
+
+
22. Mauricii et soc. eius
+
+
+
+
+
+
Emmerammi mart.
+
+
+
+
+
+
Luciae et Geminiani 17. Lamperti mart. 18. – 19. –
23. – 24. –
+130
Conceptio Joh. bapt.
25. – 26. –
Justinae131
27. Cosmae et Damiani
+
+
+
+
+
+
28. Venezlai mart.
+
+
+
+
+
+
29. Memoria s. Michaelis
+
+
+
+
+
+
30. Hieronymi presb.
+
+
+
+
+
+
1. Remigii, Germani et Vedasti
+
+
+
+
+
+
2. Leodegarii ep.
+
+
+
+
+
+
Oktober
3. – 4. –
129 Der alte Hirsauer Patron verdrängt hier Cornelius und Cyprianus von der 2. Stelle. 130 In Rh. 74b. 131 Zur Justina-Verehrung in Zwiefalten, das als Ausgangspunkt dieses Kults im oberschwäbischen Raum gelten darf, s. Hermann Tüchle, Dedicationes Constantienses, Freiburg i-Br. 1949, S. 116.
350
hirsau und sein kreis
BS
Weingarten
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
6. Fidis virg. et mart.
+
+
+
–
+
+
7. Marci papae
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
9. Dionysii et soc. eius
+
+
+
+
+
+
10. Gereonis et soc. eius
+
+
+
+
+
+
13. Fortunatae virg. et mart.
–
+
+
(+)132
–
–
14. Calixti papae et mart.
+
+
+
+
+133
+
+
+
+
+
+
+
5. –
Sergii et Bachi 8. –
11. – 12. –
15. – 16. Galli abb. 17. – 18. Lucae ev.
+
+
+
+
+
+
19. Januarii et soc. eius
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
27. Vigilia ap. Simonis et Judae
+
+
+
+
+
+
28. Simonis et Judae
+
+
+
+
+
+
20. – 21. Hilarionis mon. Undecim milium virginum 22. – 23. –
Severini
24. – 25. Crispini et Crispiniani 26. –
29. – 30. –
Am 14. Oktober nach Papst Calixtus (nur in Rh. 80). Zwiefalten verzeichnet hier zusätzlich den Metzer Bischof Caelestes, von dem die Abtei seit 1156 Reliquien besaß (Tüchle [wie Anm. 131], S. 98). 132 133
das berthold-sakramentar als liturgisches buch BS
Weingarten
351
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
+
+
+
+
+
+
Wolfgangi ep.
+
+
+
+
+
+
Vigilia
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
2. Eustachii et soc. eius
+
+
+
+
+
+
3. Pirminii ep.
+
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31. Quintini mart.
November 1. Festivitas omnium sanctorum Caesarii mart.
4. – 5. – 6. Leonhardi conf. 7. Willibrordi ep.
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8. Quatuor Coronatorum
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9. Theodori mart.
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10. – 11. Martini ep. Mennae mart. 12. – 13. Brictius ep. 14. – 15. – 16. Othmari abb.
Findani
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22. Caeciliae virg.
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23. Clementis papae
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Columbani abb.
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Felicitatis mart.
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17. – 18. Octava s. Martini 19. – 20. – 21. –
352
hirsau und sein kreis
BS
Weingarten
Rheinau Zwiefalten Hirsau
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Chrysanti et Dariae
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Vigilia
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24. Chrysogoni mart. 25. – 26. Conradi ep. 27. – 28. – 29. Saturnini, Mauri,
30. Andreae ap. Dezember 1. – 2. – 3. –
Lucii
4. Barbarae virg. et mart. 5. – 6. Nicolai ep. 7. Oct. s. Andreae 8. Conceptio s. Mariae
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(+) Nachtr.(+) Nachtr.
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9. – 10. – 11. – 12. – 13. Lucie virg. 14. – 15. – 16. – 17. –
134 135 136 137
Stattdessen Zenonis. Ergänzt durch Ottiliae. Zusatz Ottiliae wie HB I 236. Zusatz Ottiliae wie HB I 236 und HB I 240.
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+137
das berthold-sakramentar als liturgisches buch BS
Weingarten
353
Rheinau Zwiefalten Hirsau
236
240
98
20. Vigilia s. Thomae ap.
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21. Thomae ap.
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24. Vigilia nativitatis domini
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25. Nativitas domini
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18. – 19. –
22. – 23. –
Anastasiae virg.
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26. Stephani protomart.
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27. Iohannis ev.
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28. SS. Innocentum
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29. Thomae Cantuariensis archiep.
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30. – 31. Silvestri papae
Nimmt man die kursiv gesetzten „Überschüsse“ des Berthold-Sakramentars, von denen gleich die Rede sein wird, einmal aus, so zeigt sich eine erstaunliche Stabilität der Überlieferung nicht nur innerhalb der Weingartener Handschriften (auch noch in dem etwas jüngeren, kurz nach 1228 zu datierenden Brevier HB I 98), sondern auch im Vergleich mit den andern beiden Hirsauer Klöstern aus dem südwestdeutschen Raum (Rheinau und Zwiefalten) und mit Hirsau selbst. Hier wird also ein gemeinsamer Grundbestand greifbar, den wir als Kalendar der Hirsauer Reform ansprechen können, was im übrigen auch durch die überaus enge Verwandtschaft mit dem Kalendar eines hirsauisch geprägten Klosters in ganz anderem landschaftlichen und diözesanen Kontext, nämlich dem des Stifts Kremsmünster (vgl. dazu die in Anm. 105 erwähnte Rekonstruktion Alois Haidingers), bestätigt wird. Die Zusätze unserer Handschrift sind in mehrfacher Hinsicht zu differenzieren. Zunächst ist festzuhalten, dass die ungefähr 30 Einträge
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Nur in Rh. 80.
354
hirsau und sein kreis
bis auf wenige Ausnahmen Sondergut des Sakramentars darstellen, in den übrigen Weingartener Handschriften also nicht erscheinen (auch der Vergleich mit dem Heinricus-Sacrista-Missale verändert, wie in Anm. 107 angedeutet, dieses Bild kaum), was für Ihre Bewertung und Interpretation nicht unwesentlich ist. Das heißt: die für Weingarten typischen Ergänzungen des Hirsauer Grundbestands, der lokalen oder regionalen (diözesanen) Eigentraditionen durchaus offen ist, wie dies auch sonst im Kontext der Hirsauer Liturgiepraxis immer wieder erkennbar ist139, beschränken sich auf ganz wenige Einträge, nämlich die Oktavfeiern für die beiden Klosterpatrone Martin (18. November) und Oswald (12. August) und das Translationsfest Martins (4. Juli), den Konstanzer Bischof Konrad (26. November), der den Diözesankontext des Klosters dokumentiert, sowie den Märtyrer Erasmus (3. Juni) und den Eichstätter Bischof Willibald (7. Juli). Wie ist nun der Rest des Überschusses, also das Eigengut des Berthold-Sakramentars, zu interpretieren? Auch hier ist noch einmal eine Differenzierung anzubringen. Die meisten Heiligennamen der Zusatzschicht haben zwar im Inneren des Sakramentars keine Entsprechung, sind liturgisch also nicht eigentlich relevant. Für eine Reihe davon ist aber doch zumindest ein Zusammenhang mit der hagiographischen bzw. kultischen Eigentradition der Abtei oder wenigstens ihres Umfelds zu erkennen. Die andern Namen, für die ein solcher Bezug nicht nachweisbar ist, sind hingegen wohl eher als Füllsel anzusehen, die meist einem Martyrologium140 entnommen sein dürften. Charak139 Auf einige Beispiele habe ich bereits in meinem in Anm. 27 zitierten Aufsatz hingewiesen (s. dort S. 333 und 344). Sie sind ein Indiz dafür, dass hier wie in anderen Bereichen noch nicht jene gleichförmige Geschlossenheit vorausgesetzt werden darf, wie etwas später bei den Zisterziensern mit ihrer auch explizit artikulierten und durch strenge Normierung der Bücher angestrebten und weitgehende erreichten Forderung nach absoluter Identität der liturgischen Vollzüge und Repertoires. Hirsau ist Ausgangspunkt und Zentrum eines vergleichsweise offenen Reformverbands, nicht eines zentralistisch strukturierten Ordens. – Der hier anhand von Zeugnissen aus dem südwestdeutschen Raum erhobene Befund für das Hirsauer Kalendar – grundsätzliche Übereinstimmung mit jeweils leichter lokaler Färbung – ließe sich anhand von Beispielen aus peripherer gelegenen Klöstern des Reformkreises auf eine noch breitere Basis stellen. Erwähnt sei hier lediglich die aus St. Peter und Paul in Erfurt stammende Handschrift Ross. 181 der Vatikanischen Bibliothek. Dazu Beate Braun, Zur Lokalisierung und Datierung des Codex Vaticanus Rossianus 181, in: Codices Manuscripti 12 (1986), S. 53–75, wo S. 60 und 65 weitgehende Übereinstimmung mit dem Kalendar des Rheinauer alias Hirsauer Ordinarius festgestellt wird (s. auch ebd., Abb. 3 und 8); vgl. jetzt auch Beate Braun-Niehr, Der Codex Vaticanus Rossianus 181. Studien zur Erfurter Buchmalerei um 1200, Bonn 1996. 140 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang noch immer Henri Quentin, Les
das berthold-sakramentar als liturgisches buch
355
teristisch für die erste Kategorie ist etwa der im Zusammenhang der Weingartener Heiligblut-Tradition so prominente Longinus (15. März), und ähnliches gilt – hier nun im Sinne regionaler Bezüge – wohl auch für Fridolin von Säckingen (6. März) oder die seit dem 9. Jahrhundert auf der Reichenau verehrte Fortunata (13. Oktober)141 und die Sankt Galler Inklusin Wiborada (2. Mai)142. Weniger eindeutig ist die Sachlage etwa bei Namen wie Gregor von Nazianz (11. Januar), Romanus (28. Februar), Donatus (1. März), Quirinus von Neuß (24. März), Rupert von Salzburg (27. März) Simeon von Trier (1. Juni), wobei immerhin zu berücksichtigen ist, dass sich Nachweise für Reliquien dieser Heiligen auffallend oft – und vielfach mit Vermittlung über Hirsau – gerade auf die oberschwäbischen Abteien konzentrieren143. Der burgundische König Sigismund (2. Mai) scheint in den Klöstern der gregorianischen Martyrologes Historiques du Moyen Âge, Paris 1908 (Reprint Aalen 1969). – Da sich kein hochmittelalterliches Martyrologium aus Weingarten erhalten hat, lassen sich Übernahmen nur vermuten, aber nicht konkret überprüfen. 141 Die Verehrung Fridolins scheint sich zunächst nur langsam über den unmittelbaren Einflussbereichs Säckingens hinaus entwickelt zu haben; einiges dazu bei Konrad Kunze, Fridolins Weg in die Legendensammlungen bis zur Reformation, in: Frühe Kultur in Säckingen, hrsg. von Walter Berschin, Sigmaringen 1991, S. 77–104, bes. S. 82– 85. – Für die eng mit dem Reichenauer Januariuskult zusammenhängende Fortunata vgl. Wolfgang Haubrichs, Neue Zeugnisse zur Reichenauer Kultgeschichte des neunten Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 126 (1978), S. 1–43, hier S. 40 f. (zur Verbreitung von Fortunata-Reliquien im Bodenseeraum – Petershausen, Zwiefalten, Salem, Weißenau – s. Tüchle [wie Anm. 131], S. 97). Auch das HeinricusSacrista-Missale hat die Heilige in sein Kalendar aufgenommen. 142 Dass die Wiborada-Vita im Kontext der Hirsauer Reform bekannt war, bezeugt das berühmte Zwiefaltener Passionale in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart: der dritte Band, Cod. bibl. 2° 58 (um 1130–1135), enthält – übrigens als ältester Textzeuge – die erste, von Ekkehard I. von St. Gallen verfasste Lebensbeschreibung der Heiligen. Vgl. Vitae sanctae Wiboradae. Die ältesten Lebensbeschreibungen der heiligen Wiborada, Einl., krit. Ed. u. Übers. bes. von Walter Berschin, St. Gallen 1983, S. 10 f.; zur Handschrift s. Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 1: Provenienz Zwiefalten, bearb. von Sigrid von BorriesSchulten, mit e. paläogr. Beitr. von Herrad Spilling (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2,1), Stuttgart 1987, Nr. 36. Auch die zweite Vita war zumindest im Umfeld Weingartens bekannt: Sie wurde zu Beginn des 13. Jahrhunderts, also in der Entstehungszeit unserer Handschrift, in Salem abgeschrieben (Berschin, a. a. O., S. 24 f.). Zur Verbreitung von Wiborada-Reliquien s. Tüchle [wie Anm. 131], S. 145 (Nachweise außerhalb St. Gallens bezeichnenderweise lediglich für Lipbach bei Überlingen sowie für Hirsau und Salem). 143 Tüchle (wie Anm. 131), S. 102 f., 112, 133 f. und 137. Rupert-Reliquien wurden übrigens 1215 bei der Weihe des Weingarten unterstellten Frauenklosters St. Pantaleon bei Buchhorn (später Hofen) in den Hochaltar eingeschlossen (Tüchle, S. 63). – Auch der zum für Weingarten insgesamt charakteristischen Sondergut zählende Erasmus gehört in diese Kategorie (s. Tüchle, S. 103).
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hirsau und sein kreis
Reform insgesamt eine beachtliche Popularität genossen zu haben.144 Dass im Berthold-Sakramentar noch ein weiterer königlicher Kollege hinzutritt, der sonst nicht gerade häufig in Kalendarien auftaucht, nämlich der Westgote Hermenegild (13. April)145, ist zumindest bemerkenswert und könnte zu der Frage Anlass geben, ob die besondere Verehrung des englischen Königs Oswalds in Weingarten eine gewisse Vorliebe für Heilige dieses Standes bewirkt haben könnte – zumal in HB I 236 auch noch der in Chur verehrte Lucius (3. Dezember) hinzukommt, den die Legende ebenfalls zum König macht und im übrigen durch ein Missverständnis zu einem britannischen Herrscher werden lässt, so dass er Oswald noch näher rückt. Den englischen Akzent verstärken zudem die beiden großen Erzbischöfe Augustinus und Thomas von Canterbury (26. Mai und 29. Dezember)146 – auch sie möglicherweise von der Verehrung Oswalds „angezogen“ und gewissermaßen als Nachwirkung eines durch diesen Kult repräsentierten, Weingarten in seiner Anfangszeit durch Judiths Stiftung vermittelten Englandbezugs zu interpretieren. Für andere Namen, etwa die der Jungfrauen Paula (26. Januar), Corona (8. Februar), Domitilla (7. Mai), Basilla (20. Mai), des Bischofs Fortunatus (18. Februar) oder der Märtyrer Simeon (21. April), Florian (4. Mai) und Tertullinus (31. Juli) sind hingegen vorerst keine derartigen Bezüge zu erkennen.147 Hier dürfte es sich in der Tat um bloße Repräsentanz-Einträge handeln. Tüchle (wie Anm. 131), S. 136. Vgl. Quentin (wie Anm. 140), S. 315 u. 382. – In HB I 236 kommt übrigens ein weiterer heiliger König hinzu, nämlich der Frankenherrscher Guntram (28. März). 146 Eine Verehrung Augustins von Canterbury ist im südwestdeutschen Raum sonst kaum nachweisbar (kein einziger Beleg bei Tüchle!); zu den Belegen in den Martyrologien als mögliche Quellen vgl. Quentin (wie Anm. 140), S. 707. – Für Thomas Becket, der auch in den Kalendarien von HB I 240 und HB I 98 sowie in dem unter Berthold geschaffenen Kalendar-Nekrolog des Weingartener Frauenkonvents HB XV 66 (s. Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2: Verschiedene Provenienzen, bearb. von Annegret Butz [Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2, 2], Stuttgart 1987, Nr. 74) auftaucht, scheint sich gerade im Raum um Weingarten eine besonderer Schwerpunkt (früher) Kultrezeption abzuzeichnen: 1192 wurde ihm die Krankenkapelle in Salem geweiht (Tüchle [wie Anm. 131], S. 59 u. 139); das 1995 von der Württembergischen Landesbibliothek erworbene Passionale aus der Prämonstratenserabtei Weißenau in Weingartens unmittelbarer Nachbarschaft (jetzt Cod. theol. et phil. 4° 654) enthält eine bemerkenswerte Sammlung von Thomas zugeschriebenen Mirakeln, die so früh sonst nirgends auf dem Kontinent belegt zu sein scheinen. 147 Hier ist noch einmal auf die Martyrologien als Quelle hinzuweisen. Fast alle hier aufgezählten Heiligen finden sich beispielsweise im weit verbreiteten und wirkmächti144 145
das berthold-sakramentar als liturgisches buch
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Die Hinweise zu den nicht-hagiographischen Aspekten des Kalendars können knapp gehalten werden. Es enthält die in dieser Zeit üblichen astronomisch-astrologischen Informationen: Ganz links neben den römischen Tagesangaben findet sich die Folge der Sonntagsbuchstaben (A–G) zur Bestimmung der Wochentage innerhalb der 28 Jahre des Sonnenzyklus und am äußeren rechten Rand jeder Seite die sogenannte „Goldene Zahl“ (I–XIX ), die sich auf den auf 19 Jahre berechneten Mondzyklus bezieht und die zyklischen Neumond-Daten anzeigt. Beides ist wichtig für die Osterfestberechnung.148 In das Kalendar sind außerdem weitere komputistische Angaben eingefügt: insbesondere die termini für den Osterfestkreis – zentral der primus terminus paschae zum 21. März als frühest möglicher Termin für den Ostervollmond, die sogenannte „Ostergrenze“, und davon abhängig die „Grenzen“ für die mit dem Osterdatum sich verschiebenden Zeiten und Feste (Septuagesima, Quadragesima, Ostern, Bittage, Pfingsten) – außerdem der Ort des Schalttags (locus bissextilis, zum 24. Februar), die Eintrittsdaten der Sonne in die jeweils neuen Tierkreiszeichen, Angaben zu den Jahreszeiten (Nachtgleichen, Sonnwenden, Frühlingsanfang etc.), die in Stunden bezifferte Länge von Tag und Nacht in jedem Monat und anderes mehr. Herkunft und Tradition dieser Einträge kann hier nicht im einzelnen untersucht werden. Das meiste dürfte schon in Bedas Werken zur Zeit und Zeitrechnung zu finden sein.149 gen Martyrologium Usuardi, vgl. Jacques Dubois, Le Martytorologe d’Usuard. Texte et commentaire, Bruxelles 1965. Von diesen sind im Übrigen nur Florian und Tertullinus auch im Kalendar der Heinricus-Sacrista-Handschrift zu finden. Bei Tertullinus könnte man versucht sein, an Verbindungen zum oberbayerischen Stift Schlehdorf zu denken, das unter dessen Patrozinium stand (in den Martyrologien erscheint er am 4. August; der 31. Juli, sein Todestag, setzt also im Grunde die Kenntnis des Passionsberichts voraus). Corona (8.2.) scheint eine Verlesung für Coynt(h)a zu sein. Fortunatus (am 18. Februar) bleibt rätselhaft. 148 Näheres hierzu und zum folgenden noch immer unter den entsprechenden Stichworten bei Hermann Grotefend, Zeitrechnung des deutschen Mittelalters 1, Hannover 1891. – Als Beispiel die Anwendung für das Jahr 1210: Goldene Zahl dieses Jahres (aus einer hier nicht vorhandenen Tabelle zu ermitteln) ist 14, der (zyklisch berechnete) erste Frühlingsneumond fällt somit, wie f. 3v abzulesen ist, auf den 30. März, der entsprechende Vollmond (die sog. Ostergrenze), der sich durch Addition von 13 Tagen errechnet, auf den 12. April. Da in diesem Jahr die Sonntage nach dem Schalttag im Februar jeweils auf den Buchstaben C fallen (ebenfalls einer gesonderten Tabelle zu entnehmen), trifft der Ostersonntag, der nach kirchlicher Gesetzgebung am ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond zu feiern ist, in diesem Jahr auf den 18. April, wie f. 4r abzulesen ist. 149 Man vergleiche etwa die Doppelangaben zu den Anfängen der vier Jahreszeiten
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hirsau und sein kreis
Bei den Versen, die den einzelnen Monaten beigefügt sind, ist ein auffallender Bruch zu konstatieren: Im Januar beginnt die seit karolingischer Zeit weit verbreitete Reihe Iani prima dies…, deren Hexameter die Position der Unglückstage, der sogenannten „Dies Aegyptiaci“, innerhalb jedes Kalendermonats angeben.150 Diese Folge von Merkversen wird jedoch nicht fortgeführt151, sondern wird schon ab Februar ersetzt durch die auf die Tierkreiszeichen bezogene Versreihe Principium Iani… des spätantiken Dichters Ausonius (für Februar: Mense numae in medio…), die dem Mittelalter vor allem über Beda (De temporum ratione, Kap. 16) vermittelt worden sein dürfte.152 Lediglich im Juni kommt noch einmal die Versfolge zu den Unglückstagen zum Zug. Als Fazit dieses Überblicks ist festzuhalten, dass wir es mit einer interessanten Form von Kalendar zu tun haben, dessen Mischcharakter einige grundsätzliche Überlegungen verdient. Grundsätzlich liegt ein liturgisches Kalendar der Hirsauer Reform (einschließlich der Handvoll für Weingarten üblichen Ergänzungen) vor. Dieses Gerüst ist indessen mit einer Reihe von nicht unmittelbar liturgisch relevanten Einträgen aufgefüllt worden, die teilweise aus der speziellen Kultsituation Weingartens oder doch seines Raums herleitbar sind, teilweise aber auch lediglich als (vermutlich meist aus Martyrologien übernommene) Füllsel anzusprechen sind. Diese Zusatzschicht erinnert an Kalendarien
(z. B. Inicium estatis secundum Latinos zum 9. Mai und Estas oritur secundum Ysidorum zum 24. Mai), die sowohl die pagane als auch die patristische Tradition berücksichtigen, mit De temporum ratione 35: Horum autem principia temporum diverse ponunt diversi. Isidorus namque Hispaniensis episcopus…aestatem VIIII kl. Iunias (24. Mai)…habere dixit exortum. Graeci autem et Romani…aestatem VII idus Maias (9. Mai) … inchoari decernunt (CC 123 B, S. 393) Interessanterweise wird in unserem Kalendar mit Berufung auf Ambrosius – gräzisierend: cata Ambrosium (so übrigens auch für den Herbstanfang am 25. August) – zusätzlich noch ein dritter Termin, nämlich der 25. Mai, genannt; das Anm. 112 erwähnte Kalendar des pseudo-bedanischen Computus vulgaris (PL 90, 767/768) hat zu diesem Datum den interessanten Vermerk aestas oritur iuxta quosdam. 150 Initia carminum Latinorum saeculo undecimo antiquiorum. Bibliogr. Repertorium für d. lat. Dichtung d. Antike u. d. früheren Mittelalters, bearb. von Dieter Schaller und Ewald Könsgen, Göttingen 1977, Nr. 7597. 151 Übrigens fehlen, und zwar auch für Januar und Juni, im Kalendar selbst die für die Markierung der Unglückstage üblichen Zeichen in Form von durchgestrichenen D-Buchstaben. 152 Schaller/Könsgen (wie Anm. 150), Nr. 12589. Bei Beda (De temporum ratione 16. CCSL 123 B, S. 333) beginnt die Reihe mit dem Märzvers. Beide Folgen stehen jeweils komplett auch im Kalendar des in Anm. 112 bereits erwähnten pseudo-bedanischen Computus vulgaris (PL 90, 759–786, im Prosa-Anhang zu den einzelnen Monaten).
das berthold-sakramentar als liturgisches buch
359
von Prachtpsalterien aus der Zeit unserer Handschrift oder auch von spätmittelalterlicher Stundenbüchern, führt also in den Bereich des privaten Andachtsbuches. Renate Kroos hat im Kontext grundsätzlicher Erwägungen zu Kalendarien von Privatpsalterien derartige Einträge als „Zeichen der eigenen Devotion“ des jeweiligen Auftraggebers aber auch als „mehr oder weniger gedankenlose Abschrift aus einer Vorlage für den Eigengebrauch“ zu erklären versucht.153 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, wobei zudem ein in Verbindung mit dem Taufordo schon diskutierter Aspekt ins Spiel zu bringen wäre, nämlich die (sakrale) Repräsentanz: Zusätzliche Einträge von Heiligennamen sind wohl nicht zuletzt zu sehen als Ausdruck der Sorge um möglichst umfassende Vergegenwärtigung der Communio Sanctorum im betreffenden Buch; sie sollen Person und Wirkkraft derer vertreten und vergegenwärtigen, die sie bezeichnen. In dieser Funktion erscheinen sie geradezu als Pendant zu den Reliquien, die in den Deckel unseres Sakramentars eingefügt sind. Durch diese Ergänzungen des liturgischen Grundstocks rückt das Kalendar des Berthold-Sakramentars in eine eigentümliche Zwischenstellung zwischen kodifizierter Norm und persönlicher – und wie man im Blick auf den Weingartener Bezug mancher Zusatzeinträge wohl sagen müsste, auch institutioneller – Devotion. Wichtig erscheint, dass es dadurch nicht nur eine individuellere, „freiere“ Note erhält, sondern zugleich auch eine Steigerung seines Repräsentionspotentials erfährt: ein Befund, der sich ohne weiteres in das gesamte Erscheinungsbild der Handschrift einfügt. 3. Das Berthold-Sakramentar als Repräsentationshandschrift Das Berthold-Sakramentar erweist sich aus inhaltlicher Sicht zunächst als typisches Beispiel für die sogenannten Mischsakramentare. Deren eigentliche Blütezeit liegt im 10. und 11. Jahrhundert; unsere Handschrift ist also in gewisser Weise als verspäteter Vertreter dieses Buchtyps zu bezeichnen. Die Detailanalyse hat gezeigt, dass die Handschrift grundsätzlich die liturgischen Bräuche der Hirsauer Reform widerspiegelt, der Weingarten seit Abt Walicho (1088–1108) verbunden ist.154 153 Renate Kroos, Notizen zum „Sankt-Blasien-Psalter“, in: Die Zeit der Staufer 5, Stuttgart 1979, S. 353–387, hier S. 356 und S. 360. 154 Zur Frühzeit Weingartens vgl. Hans Ulrich Rudolf, Das Benediktinerkloster
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hirsau und sein kreis
Die fast als anachronistisch zu bezeichnende Entscheidung für ein Sakramentar anstelle eines Vollmissales oder doch einer zusammengesetzten Missalehandschrift (Sakramentar – Graduale – Lektionar), wie sie im Kontext der Reformklöster in dieser Zeit als die gebräuchliche Lösung erscheint, macht deutlich, dass eine ganz bestimmte Konzeption hinter diesem Meßbuch steht. Rein funktional gesehen impliziert die Reduktion auf das Sakramentar die ausschließliche Verwendung für den feierlichen Konventsgottesdienst, die sog. missa maior. Die Rituale-Einschübe, insbesondere die Texte für die dem Abt vorbehaltenen Segnungen an Lichtmeß und Palmsonntag, verstärken mit anderen inhaltlichen Indizien die im übrigen ohnedies naheliegende Vermutung, dass das als aufwendige Prachthandschrift konzipierte Buch seinem Auftraggeber, also Abt Berthold selbst, für seine Rolle als Zelebrant im eucharistischen Hauptgottesdienst dienen sollte.155 Nun ist freilich zu fragen, in welchem Maße dieses Szenario in der liturgischen Praxis auch wirklich realisiert wurde. Eine ganze Reihe von Beobachtungen deuten nämlich darauf hin, dass der repräsentative Aspekt des Sakramentars mindestens genauso sehr, wenn nicht sogar noch stärker zu veranschlagen ist156. Repräsentation ist dabei in doppelter, freilich durchaus komplementärer Weise zu verstehen: nicht nur als äußerlich sichtbare und greifbare Darstellung von Reichtum und Macht und als Materialisierung des Bewusstseins persönlicher, amtlicher und damit auch gesellschaftlicher Bedeutung und Würde, sondern auch, wie bei der Diskussion des Kalendars eben angesprochen, im Sinne spiritueller Vergegenwärtigung. In diesem umfassenden Sinn des Wortes ist das Berthold-Sakramentar in der Tat eine Repräsentationshandschrift, vielleicht darf man auch einfach sagen: eine Schatzhandschrift – nicht erst im 18. Jahrhunderts (erinnern wir uns an das eingangs zitierte Verzeichnis von Weingarten 1056–1232: Von den Anfängen bis zum Tod Abt Bertholds, in: BertholdSakramentar (wie S. 300, Anm. *), S. 13–41, zur Hirsauer Prägung bes. S. 23–25. 155 Als entsprechendes „Rollenbuch“ für die gesungenen Teile der Liturgie ist wohl das S. 332, Anm. 85 genannte Wiener Graduale bzw. Cantatorium anzusehen. 156 Christine Jakobi-Mirwald hat aufgrund des Erhaltungszustands, insbesondere der fast völlig fehlenden Benutzungsspuren, sogar ganz lapidar formuliert: „Das Bertholdmissale wurde nicht benutzt“ (Christine Jakobi-Mirwald: Kreuzigung und Kreuzabnahme in den Weingartner Handschriften des 12. und 13. Jahrhunderts, in: 900 Jahre Heilig-Blut-Verehrung in Weingarten 1094–1994. Festschrift zum Jubiläum am 12. März 1994, hrsg. von Norbert Kruse und Hans Ulrich Rudolf, Sigmaringen 1994, Teil 1, S. 185–208, hier S. 200).
das berthold-sakramentar als liturgisches buch
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1753), sondern von Anfang an. Dabei sind jene Konnotationen dieses Begriffs mitzubedenken, die jüngst Eric Palazzo in seiner Reflexion über die Rolle des Buchs im mittelalterlichen Kirchenschatz in den Vordergrund gerückt hat.157 Seine Analyse der erhaltenen mittelalterlichen Schatzverzeichnisse erkennt im Kirchenschatz ein wesentliches Element jenes Bemühens um vergegenwärtigendes Gedächtnis, das sich unter dem Stichwort der memoria immer mehr als Schlüsselbegriff zum Verständnis mittelalterlicher Kultur herausstellt: „le trésor apparaît comme l’élément principal de la mémoire spirituelle d’un lieu, comme un monastère par exemple, d’une Église“.158 Konstitutiv für den spirituellen Charakter des Schatzes sind die Reliquien – ohne sie blieben die ornamenta ecclesiae bloße Anhäufung (materiell) wertvoller Gegenstände. Von großer Wichtigkeit ist aber auch die Rolle des liturgischen Buchs, das seit karolingischer Zeit als wesentliches Moment zu den Reliquien hinzutritt und nicht zuletzt für die Memorialfunktion des Kirchenschatzes, der das durch die Stifter grundgelegte und im Lauf der Zeit vermehrte geistliche und materielle Prestiges einer Kirche oder eines Klosters bewahrt und vergegenwärtigt, eben: repräsentiert, bedeutsam ist.159 Die beiden Komponenten sind im übrigen beim BertholdSakramentar – für Schatzhandschriften durchaus kein Einzelfall – durch die Einfügung von Reliquien in den Buchdeckel in gewisser Weise sogar miteinander verschmolzen,160 und man darf, wie bei der Untersuchung des Kalendars angedeutet, vielleicht auch versuchen, die dort festgestellten Zusatzeinträge von Namen nicht liturgisch verehrter Heiligen in diesen Befund mit einbeziehen und ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Reliquiarfunktion der Handschrift – Namen und Reliquien als je verschiedene Form von Präsenz der Heiligen! – zu interpretieren. Bemerkenswerterweise sind im übrigen unter den
157 Eric Palazzo, Le livre dans les trésors du Moyen Âge. Contribution à l’histoire de la Memoria médiévale, in: Annales. Histoire, Sciences sociales 52 (1997), S. 93–118. 158 Palazzo, Le livre (wie Anm. 157), S. 102–104. 159 „Après les reliques, les livres sont les objets du trésor dont la signification symbolique touche le plus directement la fonction mémoriale“ (a. a. O., S. 104). 160 Vgl. auch die entsprechenden Überlegungen von Frauke Steenbock, Der Einband, in: Berthold-Sakramentar (wie S. 300, Anm. *), S. 195–201. – Zur Funktion von Buchdeckeln als Reliquiare vgl. auch Herrad Spilling, Sanctarum reliquiarum pignera gloriosa. Quellen zur Geschichte des Reliquienschatzes der Benediktinerabtei Zwiefalten, Bad Buchau 1992, S. 29 f. Anm. 157.
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Büchern, die in den publizierten Schatzverzeichnissen deutscher Kirchen und Klöster aus dem 9. bis 13. Jahrhunderts aufgeführt werden, gerade Missalien und Sakramentare, die Gattung also, die auch unsere Handschrift repräsentiert, deutlich am stärksten vertreten.161 Das von Palazzo herausgestellte Potential an Erinnerungs- und Vergegenwärtigungskraft, das sich mit dem Begriff Schatzhandschrift verbindet, gestattet es möglicherweise auch, die im Laufe dieser Untersuchung gesammelten Einzelbeobachtungen im Bezug auf eine gewisse Konservativität unserer Handschrift in einen schlüssigen Deutungszusammenhang zu bringen. Zu nennen ist hier in erster Linie die eben noch einmal angesprochene typologische Grundentscheidung für ein Sakramentar als Meßbuch. Aber auch die antiquarischen Elemente, die Frauke Steenbock (s. ihren Beitrag im S. 300, Anm. * zitierten Band) sowohl in formaler Hinsicht als auch bezüglich des verarbeiteten Materials (Wiederverwendung älterer Schmuckelemente) bei der Untersuchung des Einbands beobachtet hat, oder die auf manchen Seiten zu beobachtenden, sehr qualitätvollen Seidenvernähungen des Pergaments – ganz offensichtlich nicht etwa Notbehelf wegen Materialknappheit, sondern raffinierter Kunstgriff, der dem Buch wohl eine besonders urtümliche Note geben soll162 – weisen in dieselbe Richtung. Ist diese auf verschiedenen Ebenen zu bemerkende Rückwärtsgewandtheit und teilweise fast artifizielle Altertümlichkeit mehr als bloße Zufälligkeit, sondern vielleicht sogar beherrschende Idee für die Konzeption Vgl. dazu die Aufstellung bei Palazzo: Le livre (wie Anm. 157), S. 105, die nicht weniger als 51 Meßbücher verzeichnet. Evangeliare (und Evangelistare) folgen mit 28 Nachweisen schon deutlich zurück auf dem zweiten Platz der Statistik. 162 Schon Jakobi-Mirwald, Kreuzigung (wie Anm. 156), S. 200 (mit Anm. 80 f.) hat auf diesen Sachverhalt hingewiesen und eine Interpretation im Sinne einer Archaisierungstendenz vorgeschlagen. Zwar gibt es, wie mir scheint, auch einige „echte“, allerdings sehr fein ausgeführte Loch- oder Rissvernähungen, also Reparaturen im üblichen Sinn (z. B. f. 39, 42, 50, 52, 55, 59–60, 91–93 u. a.). Auffallenderweise weisen aber gerade Folia mit prachtvoller Zierseitengestaltung, besonders häufig Vernähungen auf. Das kann kaum Zufall sein, denn warum hätte man zusammengestückeltes Pergament ausgerechnet für diese Zierseiten verwenden, die intakten Blätter hingegen für die reinen Textseiten reservieren sollen? Zudem reichen die Vernähungen in diesen Fällen, wie ebenfalls schon Christine Jakobi-Mirwald beobachtet hat, mit geradezu systematischer Regelmäßigkeit und Präzision fast stets exakt bis zum Rand des Schriftspiegels bzw. der Initial- oder Miniaturfelder (als besonders schlagende Beispiele nenne ich f. 36, 88, 89, 104–105, 114, 123, 127, 133). Zumindest an diesen „spektakulären“ Stellen dürfte es sich also nicht um reparierte Risse handeln, sondern um gezielt angebrachte und anschließend kunstvoll vernähte Schnitte – im eigentlichen Sinn artifizielle Eingriffe also. Vgl. die etwas andere Interpretation dieses Befundes durch William Voelkle in: Berthold-Sakramentar (wie S. 300, Anm. *), S. 54 u. 56. 161
das berthold-sakramentar als liturgisches buch
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dieses Buches: eben im Sinn jenes ausgesprochenen Traditionsbewusstseins, jenes gewollten und gezielten Anknüpfens an die Ursprünge, das ein konstitutives Moment klösterlicher memoria darstellt? „Parmi les objets du trésor, les livres apparaissent comme les plus représentatifs de la memoria fondatrice d’un monastère, d’une Eglise“, stellt Palazzo treffend fest.163 Es könnte scheinen, als hätte diese Funktion im Fall des Berthold-Sakramentars unmittelbar auf die inhaltliche und formale Konzeption durchgeschlagen. Charakteristisch für den Memorialcharakter der Handschrift ist im übrigen sicherlich auch der – kaum zufällig in Urkundenschrift geschriebene – nicht-liturgische Anhang am Schluss der Handschrift (161v–164r), insbesondere das Verzeichnis der unter Berthold neu geschriebenen Bücher (vgl. dazu Herrad Spilling im S. 300, Anm. * zitierten Band, S. 272 f.). Palazzo hat darauf hingewiesen, dass Schatzhandschriften als Träger von Gedächtnis und Erinnerung ein privilegierter Ort für die Aufzeichnung von Stiftungen und Kircheninventaren sind.164 In diesen mit zahlreichen Beispielen zu belegenden Befund fügt sich das Bücherverzeichnis Bertholds nahtlos ein. Wenige Handschriften, so ist abschließend festzuhalten, tragen ihren Namen so zu Recht wie das Berthold-Sakramentar. Es lässt die eucharistische Feier und somit das Herzstück des Weingartener Gottesdienstes der Bertholdzeit heute noch greifbar werden. Gewiss lässt sich Liturgie nicht auf ihre Bücher reduzieren: sie ist nicht einfach nur Text, sondern ganzheitlicher Vollzug, der gesprochenes wie gesungenes Wort, aber auch Bewegung und Körpersprache im Kontext rituellen Handelns verbindet. Als zentraler und zugleich einziger erhaltener Zeuge dieses Geschehens darf unsere Handschrift dennoch eine herausragende Wertigkeit beanspruchen, zumal der Raum, in dem sich die Liturgie vollzogen hat, das romanische Münster also, das Berthold nach dem Brand von 1215 wieder neu errichten ließ, längst dem Gang der Geschichte zum Opfer gefallen ist. Das Sakramentar ist aber darüber hinaus das ganz persönliche Buch des großen Weingartener Abts: als von ihm für seine spezifische liturgische Funktion in Auftrag gegebene und, wie Christine Sauer in ihrer kunsthistorischen Analyse durchaus wahrscheinlich gemacht hat, auch Palazzo: Le livre (wie Anm. 157), S. 104. Dieses erscheint in gewisser Weise als analoges Phänomen zu dem bei Palazzo, Le livre (wie Anm 157), S. 107 f. mit mehreren Beispielen belegten Befund, dass gerade in Handschriften häufig Schatzverzeichnisse eingetragen wurden. 163 164
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in der Konzeption des Bildprogramms geprägte Handschrift,165 die als Teil des Weingartener Klosterschatzes über Jahrhunderte hinweg Träger memorialer Repräsentation ihres Stifters war und dies – wenngleich in verändertem, nicht mehr sakralen, sondern nunmehr musealem Kontext – bis heute geblieben ist.
165 Christine Sauer, Ausstattung und Ausstattungsprogramm des Berthold-Sakramentars, in: Berthold-Sakramentar (wie Anm. *), S. 97–165, bes. S. 163–165.
MUSIK UND LITURGIE ZWISCHEN REFORM UND REPRÄSENTATION. EIN GRADUALE-SEQUENTIAR DES FRÜHEN 13. JAHRHUNDERTS AUS DER SCHWÄBISCHEN ABTEI WEINGARTEN (WIEN, KUNSTHISTORISCHES MUSEUM, HS. 4981)* Die Handschrift 4981 des Kunsthistorischen Museums, ein GradualeSequentiar des 13. Jahrhunderts aus der oberschwäbischen Benediktinerabtei Weingarten, zeigt auf Bl. 30v den Beginn der Messe zum Ostersonntag mit dem Introitus Resurrexi, der durch einen vorangestellten Erweiterungsgesang geschmückt und dadurch in besonderer Weise ausgezeichnet ist. Es handelt sich um den Tropus Postquam factus homo, der in dieser Form und Funktion, wie Andreas Haug gezeigt hat, als eine Art „fingerprint“ der liturgischen Tradition einer bedeutenden klösterlichen Erneuerungsbewegung des Hochmittelalters, der sog. Hirsauer Reform, anzusehen ist.1 Der Hinweis auf den Reformkontext macht deutlich, dass die Wiener Handschrift in eine klar konturierte, durch normative Vorgaben bestimmte Tradition eingebunden ist. Das läßt sich verdeutlichen durch den Vergleich mit dem entsprechenden Ausschnitt aus dem Hirsauer „Liber Ordinarius“.2 Der Befund der Handschrift entspricht in der Tat bis auf geringfügige Abweichungen diesem Normtext, der die Ordnung
* Erstmals erschienen in: Wiener Quellen der Älteren Musikgeschichte zum Sprechen gebracht. Eine Ringvorlesung (Wiener Forum für ältere Musikgeschichte 1), hrsg. von Birgit Lodes, Tutzing 2007, S. 113–136. 1 Andreas Haug, Ein ‚Hirsauer‘ Tropus, in: Revue Bénédictine 104 (1994), S. 328– 245. 2 Anton Hänggi, Der Rheinauer Liber Ordinarius, Freiburg / Schweiz 1957 (Spicilegium Friburgense 1), S. 141, Z. 14–16: Ad missam ante introitum in medio chori duo fratres albati precinunt solum V. ‚Postquam factus homo‘ ad introitum eius et finem semel tantum inclinantes. – Der Rheinauer Ordinarius ist, wie der Vergleich mit weiteren Überlieferungszeugen gezeigt hat, eine lokal überfärbte Version der Hirsauer Kodifizierung (vgl. dazu Felix Heinzer, Der Hirsauer ‚Liber ordinarius‘, in: Revue Bénédictine 102 (1992), S. 309–347 [hier S. 185–223]); Hänggis Edition kann daher als Referenztext herangezogen werden.
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des liturgischen Zeremoniells und des Repertoires dieser Reformtradition repräsentiert. Zugleich fällt ins Auge, dass die Handschrift an dieser Stelle mit einem buchmalerischen Schmuckelement ausgestattet ist, nämlich einer Initiale mit figürlicher, den Inhalt des Gesangs illustrierender Darstellung, einer sog. „historisierten Initiale“ also. Es handelt sich hierbei um eine von nicht weniger als 76 derartiger Initialen, was für ein liturgisches Buch dieses Typs in dieser Zeit eher außergewöhnlich ist und den ausgeprägten Repräsentationsanspruch der Wiener Handschrift verdeutlicht. Damit sind wir in konzentrierter Form mit einem ganzen Bündel von Fragen konfrontiert, die es im folgenden zu vertiefen und aufzuarbeiten gilt: Das betrifft Einzelaspekte sowohl des Inhaltlichen wie des Ästhetisch-Formalen, aber auch ganz Grundsätzliches zum historischen und funktionalen Kontext der Handschrift. Zunächst einige Hinweise zu ihrer Entstehungssituation. Die Handschrift gehört zu einer Gruppe aufwendig gestalteter liturgischer Bücher, die mit einer der bedeutendsten Figuren der Weingartener Geschichte zusammenhängen: dem von 1200 bis 1232 regierenden Abt Berthold. Der wohl bekannteste und bedeutendste Vertreter dieses Ensembles ist das so genannte „Berthold-Sakramentar“, das durch einen Aufsatz des nach Amerika emigrierten Kunsthistoriker Hanns Swarzenski 1943 erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt wurde,3 und von dem seit einigen Jahren eine Faksimileausgabe vorliegt.4 Diese Handschriftengruppe, und damit auch die Wiener Handschrift, die von Franz Unterkircher im Archiv für Liturgiewissenschaft Ende der achtziger Jahre erstmals ausführlicher untersucht und gewürdigt wurde,5 ist von exemplarischer Relevanz für die im Titel dieses Beitrags angesprochene Thematik von Reform und Repräsentation. Dazu ist zunächst ein wenig weiter auszuholen. 3 Hanns Swarzenski, The Berthold Missal. The Pierpont Morgan Library Ms. 710 and the Scriptorium of Weingarten Abbey, New York 1943. 4 Das Berthold-Sakramentar. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat von Ms M. 710 der Pierpont Morgan Library in New York, Faksimileband, Graz 1995; Kommentarband, hrsg. von Felix Heinzer und Hans Ulrich Rudolf (Codices Selecti 100), Graz 1999. 5 Franz Unterkircher, Ein neumiertes Graduale aus Weingarten. Die Handschrift Wien, Kunsthistorisches Museum, Ms. 4981, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 30 (1988), S. 21–32.
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Mit Epochen kirchlicher, vor allem klösterlicher Reformen verbindet sich in der Regel eine signifikante Zunahme der Schreibtätigkeit, im Bereich der liturgischen Handschriften oft in Verbindung mit einer Tendenz zur Kodifizierung und einer möglichst verbindlichen Fixierung des textlich-musikalischen Repertoires.6 Hier ist allerdings durchaus zu differenzieren. In den neuen zentralistisch strukturierten Orden der Zisterzienser und Prämonstratenser und im 13. Jahrhundert dann bei den Bettelorden, setzt sich diese Form der Vereinheitlichung tatsächlich in sehr weitgehendem Maß durch; frühere Epochen zeigen hingegen ein subtileres und flexibleres Verhältnis zwischen normativer Vorgabe und Individualität der einzelnen Überlieferungsträger. Dies gilt auch für den Klosterverband der Hirsauer Reformtradition. Deren Anfänge fallen in die späten 1070er Jahre, mitten in die Wirren des Investiturstreits, und sind verbunden mit der Person des ursprünglich aus dem Regensburger Kloster St. Emmeram stammenden Abts Wilhelm. Auf der Suche nach Modellen für eine Erneuerung seines Klosters war Wilhelm, vom päpstlichen Legaten für Deutschland, Abt Bernhard von St. Viktor in Marseille, auf Cluny hingewiesen worden.7 Den endgültigen Ausschlag für die Orientierung Wilhelms und seines Reformprogramms am Vorbild der großen burgundischen Abtei – ein Vorgang von großer politischer und gesellschaftlicher Tragweite für das komplexe Gefüge von Adel, Königtum und Reichskirche im 11. und 12. Jahrhundert – gab dann eine Begegnung mit einem Jugendfreund aus Regensburger Zeiten, der 1061 selber in Cluny eingetreten war: Ulrich von Zell, übrigens ein Patenkind Kaiser Heinrichs III.8 6 Felix Heinzer, Kodifizierung und Vereinheitlichung liturgischer Traditionen. Historisches Phänomen und Interpretationsschlüssel handschriftlicher Überlieferung, in: Musik in Mecklenburg. Beiträge eines Kolloquiums zur mecklenburgischen Musikgeschichte (Rostock 24.-27. Sept. 1997), hrsg. von Karl Heller u. a. (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 21), Hildesheim 2000, S. 85–106. 7 Unter allen Klöstern Frankreichs sei Cluny das herausragende Beispiel für klösterliche Disziplin, aus dem, wie Bäche aus einem lebendigen und unerschöpflichen Quell neue Impulse der Erneuerung hervorströmten: ex hoc quasi ex vivo quondam et inexhausto fonte singulos emanasse (PL 150, 929AB). 8 Vgl. zum ganzen Vorgang Monique Garand, Les plus anciens témoins conservés des Consuetudines Cluniacenses d’Ulrich de Ratisbonne, in: Scire litteras. Forschungen zum mittelalterlichen Geistesleben [Bernhard Bischoff zum 80. Geb. gewidmet], hrsg. von Sigrid Krämer und Michael Bernhard, München 1988, S. 171–182; Candida Elvert, Eine bisher unerkannte Vorstufe zu den ‚Constituitones Hirsaugienses‘, in: Revue Bénédictine 104 (1994), S. 379–418; jetzt auch Pius Engelbert, Wilhelm von Hirsau und Gregor VII., in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 100 (2005), S. 145–180.
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Die Annäherung Hirsaus an Cluny erfolgte stufenweise. Wilhelm erbat von Ulrich Auskünfte über die Bräuche Clunys, die er dann um etwa 1080 in schriftlich fixierter Form erhielt. Diese bis heute unter Ulrichs Namen zitierten Aufzeichnung der cluniazensischen Consuetudines9 waren für Wilhelm aber offenbar in mancher Hinsicht zu wenig ausführlich. Daher sandte er mehrere Delegationen von jeweils zwei seiner Mönche nach Cluny, um sich vor Ort über diejenigen Aspekte näher zu erkundigen, deren Behandlung durch Ulrich ihm nicht befriedigend erschien. Das Ergebnis dieses Kommunikationsprozesses, das heißt: den für Hirsau selbst erarbeiteten Brauchtext,10 versteht Wilhelm, wie seinem Prolog zu entnehmen ist, als eine vom Großabt Hugo in Cluny autorisierte Rezeption der dortigen consuetudo, die jedoch an die kulturelle, geographische und klimatische Situation des Zielortes angepaßt werden sollte: Accepimus … mandatum a Domino Hugone venerabili Cluniacensium abbate, ut sua freti auctoritate … prout ipsa declarat ratio, secundum morem patriae, loci situm et aeris temperiem de eisdem consuetudinibus si quid esset superfluum demeremus, si quid mutandum mutaremus, si quid addendum adderemus.11
Diese Aussagen machen deutlich, daß Wilhelm ein Doppeltes intendiert: den beglaubigten Rekurs auf Cluny als Ausgangspunkt der neuen Lebensform, aber auch eine vernünftige (prout ipsa declarat ratio…) Anpassung des Importierten an die Verhältnisse am Zielort des Transfers, den mos patriae, wie es bei Wilhelm in schlagwortartiger Zuspitzung heißt. Dies wird nicht zuletzt an der Rezeption der cluniazensischer Liturgie ablesbar, die in Hirsau mit einer bemerkenswerten Brechung verbunden ist. Für die „Choreographie“ des Gottesdienstes – einschließlich des für Cluny so charakteristischen „Steigerungs“-Prinzips – folgt Wilhelm ganz eng dem burgundischen Modell.12 Symptomatisch dafür sind die zahlreichen, nicht selten bis in den Wortlaut reichenden Übereinstimmungen mit Ulrichs Text in Wilhelms Constitutiones und stärker Patrologia Latina (künftig PL) Bd. 149, Paris 1853, Sp. 635–778. PL, Bd. 150, Paris 1854, Sp. 927–1146. 11 PL 150, 929 CD. 12 So gesehen trifft David Hileys Diagnose – „William did not introduce the Cluny liturgy in the houses which were reformed at first or second hand from Hirsau“ (David Hiley, Western Plainchant. A Handbook, Oxford 1993, S. 578) – nur dann zu, wenn man die Untersuchung auf das Repertoire begrenzt. Auf das Ganze der liturgischen Performanz hin betrachtet ist der Einfluß Clunys jedoch nicht zu übersehen. 9
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musik und liturgie zwischen reform und repräsentation 369 noch in den Rubriken des Liber ordinarius – aber eben nur, soweit sie das Zeremoniell betreffen.13 Bezüglich des Repertoires der Texte und Gesänge hingegen bleibt Hirsau ganz seiner geographischen Situation verhaftet.14 Entsprechende Differenzen der beiden Repertoires lassen sich etwa bei den Responsorien der Adventssonntage beobachten, wo Hirsau ganz anderen Auswahlprinzipien als Cluny folgt, wie ein Blick in die Tabellen in Band 5 von René-Jean Hesberts Corpus Antiphonalium Officii zeigt.15 An solchen Befunden manifestiert sich unübersehbar die alte Differenz der liturgisch-musikalischen Tradition zwischen ost- und westfränkischem Raum, „la division Est-Ouest“, wie Michel Huglo pointiert formuliert hat.16 In Ulrichs Text wird im übrigen das Bewusstsein um diese „grenzüberschreitende“ Transfersituation mehrfach manifest, etwa wenn wenig gebräuchliche Orationen mit dem Zusatz kommentiert werden: nescio si apud Teutonicos ita sunt in usu,17 oder wenn es, um ein musikhistorisch relevantes Genre ins Spiel zu bringen, um Klärungsbemühungen im Zusammenhang mit der französischen und deutschen Terminologie bezüglich der Sequenz geht: Prosa vel quod alii sequentiam vocant (in Kap. 11 des ersten Buchs).18 Geradezu exemplarisch für diese differenzierte Konstellation im Verhältnis von Ritus und Repertoire ist die Verwendung des Tropus Postquam factus als Schmuck des Osterintroitus, den wir eingangs als spezifisches Merkmal der Hirsauer bereits kurz in den Blick genomIch verweise hier auf meinen in Anm. 2 genannten Aufsatz. Im ganzen bleibt die Frage der Anknüpfung an eine präexistierende Tradition freilich schwierig, wobei zumindest vereinzelt auch Verbindungen zur vorhirsauische Situation von Wilhelms Herkunftsklosters St. Emmeram eine Rolle zu spielen scheinen (vgl. auch die Ausführungen zum Ostertropus Postquam factus, unten S. 00, und zum Sequentiar, unten S. 00). 15 René-Jean Hesbert, Corpus Antiphonalium Offici, t. 5: Fontes earumque prima ordinatio, Romae 1975. 16 Michel Huglo, Division de la tradition monodique en deux groupes „Est“ et „Ouest“, in: Revue de musicologie 85 (1999), S. 5–28. 17 PL 149, 653D–654B. 18 PL 149, 656 C. Vgl. auch die Formulierungen post alleluia quaedam melodia neumatum cantatur quod sequentiam quidam appellant und (hinsichtlich des Bewußtseins regional unterschiedlicher Terminologie noch expliziter!) post alleluia nescio quae Gallicanae neumae cantantur in I, 11 und I, 16 (PL 149, 655A und 665D–666A) zu dieser in Deutschland nicht rezipierten textlosen Wiederholung des Alleluia-Melismas nach dem Vers. Vgl. dazu Lori Kruckenberg, Art. Sequenz, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, zweite, neu bearb. Ausg., Sachteil, Bd. 8, Kassel etc. 1998, Sp. 1254–1286, bes. Sp. 1256. Zum historischen Hintergrund dieser Problematik s. Andreas Haug, Ein neues Textdokument zur Entstehungsgeschichte der Sequenz, in: Festschrift Ulrich Siegele zum 60. Geburtstag, hrsg. von Rudolf Faber, Kassel 1991, S. 9–19. 13 14
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men haben. Das burgundische Reformzentrum stand der Tropenpraxis offensichtlich ablehnend gegenüber.19 Dennoch wird auch in Cluny der Beginn der Ostermesse in besonderer Weise ausgezeichnet, freilich geschieht dies über ein anderes Gestaltungsmoment: Der Introitus wird für diese Gelegenheit mit einem zusätzlichen Vers (versus ad repetendum) ausgestattet, so daß der antiphonale Teil entsprechend dreimal wiederholt also insgesamt viermal (zu Beginn und jeweils nach den beiden Versen und der Doxologie) gesungen wird: Introitus ter recantatur quia duos versus habet, wie Ulrich ausdrücklich hervorhebt.20 Daraus ergibt sich ein interessantes Vergleichsbild: Cluny – Antiphona Resurrexi… – Versus Domine probasti me… – Resurrexi… – Doxologie Gloria Patri… – Resurrexi – Versus ad rep. (Intellexisti oder Tu cognovisti…) – Resurrexi…
Hirsau – Tropus Postquam factus homo… – Antiphona Resurrexi… – Versus Domine probasti me… – Resurrexi… – Doxologie Gloria Patri… – Resurrexi…
Hirsau und Cluny entsprechen sich durchaus bezüglich der Intention dieser Umgestaltung des vorgegebenen Materials: Es geht hier wie dort um eine Steigerung der Feierlichkeit dieses privilegierten liturgischen Momentes. Auch das angewandte Verfahren ist an sich identisch: Die Steigerung soll über eine Erweiterung des Grundgesangs erreicht werden. Die inhaltliche Umsetzung vollzieht sich aber jeweils in anderer Weise. Cluny operiert mit einem „Versus ad repetendum“, einem weiteren Psalmvers also, und bleibt damit textlich auf biblischen Territorium.21 Wie Pierre-Marie Gy in diesem Zusammenhang zu bedenken
19 Dazu David Hiley, Cluny, Sequences and Tropes, in: La tradizione dei tropi liturgici, hrsg. von Claudio Leonardi und Enrico Menesto, Spoleto 1990, S. 125–138. 20 Buch I, Kap. 15 (PL 149, 665 A). 21 Dabei ist hinzuweisen auf das diffizile Problem einer Differenzierung solcher Erweiterungselemente. Eine Abgrenzung zwischen nicht dem Psalm entnommenem (biblischem oder auch nicht-biblischem) Vers und Tropus kann in bestimmten Situationen problematisch sein. Vgl. dazu Wulf Arlt, Schichten und Wege in der Überlieferung der älteren Tropen zum Introitus Nunc scio vere des Petrus-Festes, in: Recherches nouvelles sur les tropes liturgiques. Recueil d’études réunies par Wulf Arlt et Gunilla Björkvall, Stockholm 1993, S. 13–93, hier S. 61–66, sowie Ruth Steiner, Non-Psalm Verses for Introits and Communions, ebd., S. 441–447. Vor diesem Hintergrund ist nicht ganz
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gegeben hat, könnte dieses Prinzip durch Clunys Lage in der Kirchenprovinz Lyon, einer historisch gesehen eher „tropenfeindlichen“, gegenüber außerbiblischen Texten in der Liturgie grundsätzlich reserviert gegenüberstehenden Zone bedingt sein.22 In Hirsau hingegen greift man entsprechend der eigenen Traditionsanbindung auf das Verfahren der Tropierung zurück, verlässt also den Bereich des sanktionierten biblischen Texts und stößt in den Raum der freien, dichterischen Gestaltung vor: Der Erweiterungstext besteht aus zwei Hexametern.23 Wilhelm könnte, wie Andreas Haug erwogen hat, den Anstoß dazu aus seinem Herkunftskloster St. Emmeram in Regensburg erhalten haben, wo Postquam factus seit dem 10. Jahrhundert bekannt war.24 So ist hier im Detail verfizierbar, was für das Ganze der Hirsauer Liturgie gilt: Die Rezeption des transferierten Impulses erfolgt nicht in Form einer kompletten Übernahme des Vorbilds, die eine radikale Verdrängung der angestammten Tradition bedingen würde, sondern führt zu einer übersetzenden Verbindung des Neuen, von außerhalb Empfangenen mit dem angestammten Eigenen.25 Das ist symptomatisch für die spezifische „Mentalität“ der Hirsauer, auch für das Verhältnis von Hirsau als Zentrum zu seiner eigenen Peripherie. Hirsaus reformerische Ausstrahlung erfasst im ausgehenden 11. Jahrhundert zunächst die schwäbisch-alemannische Nachbarschaft, teils auszuschließen, daß der zusätzliche versus Ulrichs möglicherweise doch auch im Sinne eines Tropus zu verstehen sein könnte. 22 Pierre-Marie Gy, Les tropes dans l’histoire de la liturgie et de la théologie, in: Research on Tropes, ed. Gunilla Iversen, Stockholm 1983, S. 7–16, und Hiley, Cluny (wie Anm. 19). 23 Dabei scheint Wilhelm seinerseits eine Umformung des frühmittelalterlichen Tropus vorgenommen zu haben, indem er ihn um seine in der ursprünglichen Gestalt vorhandenen drei prosaischen Binnenelemente verkürzte (vgl. dazu Haug, Hirsauer Tropus [wie Anm. 1], S. 329 und 344). 24 Haug (wie Anm. 1), S. 340 f. 25 In gewisser Weise damit vergleichbar ist im übrigen jene Differenzierung, die David Hiley für Cluny selbst im Verhältnis zu seinem französischen Einflußbereich herausgearbeitet hat, wenn er feststellt, daß in den nicht sehr zahlreichen Handschriften, die sich aus von Cluny beeinflußten Klöstern erhalten haben, zwar bezüglich der Auswahl der Gesänge (etwa der bereits genannten nachpfingstlichen Alleluiaverse oder der Adventsresponsorien) meist Konformität mit dem Zentrum zu beobachten ist, ohne daß dies unbedingt Übereinstimmung in der melodischen Gestalt der Einzelgesänge bedeuten muß: „it is clear that when a monastery adopted the order of service and selections of chants performed at Cluny, it might continue to sing those chants in the old way“. Hiley, Plainchant (wie Anm. 12), S. 577 f. (Zitat S. 578).
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durch Neugründungen wie Klosterreichenbach oder Zwiefalten, teils durch Einflussnahme auf bereits bestehende Klöster wie Schaffhausen (Allerheiligen), Rheinau oder eben auch Weingarten. Erstaunlich rasch greift die Reform dann weiter aus, in nördlicher und nordöstlicher Richtung nach Westfalen, Thüringen und Niedersachsen, im Osten und Südosten nach Bayern, in den Salzburger Raum und nach Kärnten und der Steiermark, punktuell auch nach Böhmen und in einem transalpinen Vorstoß sogar bis nach Friaul (Rosazzo und Moggio). Die Diffusionsmechanismen sind relativ komplex und im Einzelnen durchaus unterschiedlich. Teilweise ist eine Vermittlung über Subzentren (wie St. Georgen, Corvey, St. Peter, Admont u. a.) zu beobachten. Die Reform älterer, also bereits bestehender Klöster kann sich durchaus über einen längeren Zeitraum hinziehen, und bedarf oft mehrerer Ansätze. Generell ist festzustellen, dass dieser Prozeß gerade bezüglich der liturgisch-musikalischen Aspekte nicht selten zu erneuten Brechungen führen kann. Die in Hirsau etablierte Verbindung von cluniazensischen und „deutschen“ Elementen wird zwar an die neu zu gründenden oder zu reformierenden Häuser weitergegeben, sei es über die Gründungs- bzw. Reformtrupps aus erprobten Mönchen, die in ihrem Gepäck entsprechend normierte Bücher mitführen,26 sei es über die Korrektur bereits vorhandener Liturgica, die vermutlich anhand des Liber Ordinarius erfolgte (wir kennen immerhin ein halbes Dutzend Exemplare dieses Normtexts aus empfangenden Klöstern). Detaillierte Analysen einzelner Handschriften aus Hirsauer Klöstern belegen aber – bei substantieller Übereinstimmung mit der Norm – auch immer wieder ein erhebliches Maß an Toleranz gegenüber lokalen und regionalen Sondertraditionen: etwa im Bereich des Antiphonars,27 bezüglich des Hymnen- und Sequenzenrepertoires (s. unten, S. 377 f.), aber auch bei den nachpfingstlichen Alleluiaversen28 oder den Formu26 Entsprechende Hinweise in meiner Untersuchung Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Hirsaus, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2, hrsg. von Klaus Schreiner, Stuttgart 1991 (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,2), S. 259–296. 27 Vgl. Hartmut Möller, Antiphonarium Karslruhe, Badische Landsbibliothek, Aug. perg. 60, München 1995 (Codices illuminati medii aevi 37), S. 21–34, zu einzelnen Aspekten auch Heinzer, Liber Ordinarius (wie Anm. 2), S. 341–344 [hier S. 218–220]. 28 Heinzer, Liber Ordinarius (wie Anm. 2), S. 331–333 [hier S. 208–209]. Besonders die Klöster am südöstlichen Ende der Ausstrahlung Hirsaus, also in Kärnten und in der Steiermark und schließlich auch in Friaul, zeigen eine größere Variationsbreite am Schluß der Reihe (ebd., S. 332 mit Anm. 85 [hier S. 209]). Diese stimmt im übrigen fast völlig überein mit der Serie, die auch Honorius Augustodunensis in seiner
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laren für Votivmessen,29 und natürlich auf dem für lokale Traditionen besonders sensiblen Feld der Heiligenverehrung, also in der Ausgestaltung der Allerheiligenlitanei30 und des liturgischen Festkalenders.31 Für Weingarten gilt dies in ausgeprägtem Maße – wohl deshalb, weil hier die Hirsauer Impulse, wie eben schon angedeutet, auf eine bereits vorhandene, durchaus gefestigte Tradition trafen, zumal das Kloster auf dem Martinsberg seit 1056 von Herzog Welf IV. zum Hauskloster und Grablege der süddeutschen Linie seines Geschlechts bestimmt worden war.32 Dieser bedeutende Status der Abtei wurde 1094 durch ein großes Vermächtnis Welf IV. und seiner Gemahlin Judith von Flandern kurz vor deren Tod noch einmal erheblich aufgewertet. Die Stiftung umfasste nicht nur umfangreiche Güter und Rechte, sondern auch einen Schatz bedeutender Reliquien (darunter die für das künftige Renommee Weingartens fundamentale Heiligblut-Reliquie), außerdem Paramente, Kirchengerät und nicht zuletzt liturgische Prachthandschriften englischer und flandrischer Provenienz aus Judiths eigenem Besitz. Gerade dieser in der Folge meist als Judith-Schenkung bezeichnete Komplex prägte das Selbstverständnis des Klosters entscheidend, und das zeitliche Zusammenfallen dieses Vorgangs mit dem Anschluß „Gemma Animae“ voraussetzt (PL 172, 704 ff.), was erneut auf Zusammenhänge mit einer Regensburger Tradition hinweisen könnte. 29 Typisch für diese Situation ist auch eine für die Hirsauer Reform offenbar typische Votivmessen-Reihe, auf die ich anhand der Untersuchung des Weingartener Berthold-Sakramentars gestoßen bin: Sie ist in ihrer Zusammensetzung so konstant ist, daß sie als Ensemble stets erkennbar bleibt, weist aber von Handschrift zu Handschrift immer wieder erhebliche Schwankungen und Varianten auf. Vgl. dazu Felix Heinzer, Das Berthold-Sakramentar als liturgisches Buch, in: Das Berthold-Sakramentar (wie Anm. 4), S. 226–231 [in diesem Band, S. 317–324]. 30 Heinzer, Liber Ordinarius (wie Anm. 2), S. 325–330 [in diesem Band, S. 200–204]. 31 Heinzer, Berthold-Sakramentar (wie Anm. 29), S. 237–251 [hier S. 336–359]. – Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang auch das Material, das Alois Haidinger, Beobachtungen zum Festkalender des Stifts Kremsmünster, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 109 (1998), S. 27–67, zusammengestellt hat. 32 Welf IV. wurde nach dem kinderlosen Tod Welfs III. im Jahre 1055 auf Initiative seiner „italienischen“ Großmutter Imiza, der Mutter Welfs III., in das welfische Erbe nördlich der Alpen eingesetzt. Er entzog dem in der Residenz Altdorf bestehenden Frauenkloster St. Martin die von seinem Vorgänger auf dem Totenbett vollzogene Schenkung des Familienbesitzes, holte die Mönche des bayrischen Klosters Altomünster nach Altdorf und siedelte den dort bestehenden Frauenkonvent nach Altomünster um. Das nunmehr als Benediktinerkloster konstituierte St. Martin, später Weingarten genannt, wurde zugleich zum Hauskloster und zur Grablege der süddeutschen Welfen bestimmt. Nähers dazu bei Hans Ulrich Rudolf, Das Benediktinerkloster Weingarten 1056–1232. Von den Anfängen bis zum Tod Abt Bertholds, in: Das BertholdSakramentar (wie Anm. 4), S. 13–41, bes. S. 16–23.
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an die Reformbewegung – Welf IV. selbst beruft 1088 einen neuen Abt, Walicho, aus Hirsau und unterstellt das Kloster 1094 im Sinne der Libertas romana unmittelbar dem Schutz des Papstes – ist keineswegs nur äußere Koinzidenz, sondern indiziert einen inneren Zusammenhang. Die Identität Weingartens wird künftig durch diese doppelte Referenz bestimmt sein: Es ist hirsauisches Reformkloster, zugleich aber auch privilegiertes und seiner Rolle bewußtes Zentrum welfischer Stiftermemoria. Dies gilt noch immer für die Epoche Abt Bertholds im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts. Damit sind wir endgültig bei der Wiener Handschrift angelangt und können sie einer genaueren Analyse unterziehen. Zunächst zu ihrer Datierung. Sie repräsentiert die spätere Zeit der unter Berthold entfalteten Blüte der Weingartener Buchproduktion. Deren Höhepunkt wird erreicht mit dem eingangs schon genannten, um 1215 entstandenen Prachtsakramentar, einem Spitzenwerk der europäischen Buchmalerei dieser Zeit, das einem anonymen, in kometenartiger Plötzlichkeit auftauchenden und wieder verschwindenden Künstler, dem sog. „Berthold-Meister“ zu verdanken ist. „Wir treffen im Berthold-Sakramentar auf eine plötzlich entfesselte künstlerische Kraft, die nicht aus der Weingartener Eigentradition abgeleitet werden kann. Vielmehr muß angenommen werden, daß es von einer ungewöhnlich kreativen Persönlichkeit geschaffen wurde, die unvermittelt in den lokalen Entwicklungsgang eindringt“, so hat es Swarzenski 1943 formuliert,33 und an dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert. Zum Zeitpunkt der Entstehung der Wiener Handschrift, die um etwa 1220 zu datieren ist, hatte der rätselhafte Maler Weingarten bereits wieder verlassen. Der Künstler von KHM 4981, dem auch die Ausstattung einer weiteren bedeutenden Handschrift, des ebenfalls in New York aufbewahrten Missale des Hainricus sacrista (Ms. 711 der Pierpont Morgan Library), zugewiesen werden kann, steht freilich noch stark unter dem Eindruck, den der Berthold-Meister durch sein Wirken hinterlassen hat, auch wenn in mancher Hinsicht ein Bemühen um Emanzipation von diesem Vorbild erkennbar wird.34 Zwischenstation von KHM 4981, auf dem Weg nach Wien war im 16. Jahrhundert die berühmte Kunst- und Wunderkammer Erzherzog Ferdinands auf Schloß Ambras bei Innsbruck. Wann und unter Swarzenski, Berthold Missal (wie Anm. 3), S. 90. Christine Sauer, „Ausstattung und Ausstattungsprogramm des Berthold-Sakramentars“, in: Das Berthold-Sakramentar (wie Anm. 4), S. 97–165, hier S. 160. 33 34
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welchen Umständen die Handschrift aus Weingarten nach Ambras gelangte, ist nicht zu entscheiden. Der Besitzwechsel dürfte wohl in den Kontext zunehmenden habsburgischen Interesses an Weingarten im ausgehenden Mittelalter – der Ort Altdorf selbst wurde 1452 Teil der Verwaltungseinheit Vorderösterreich –, einzuordnen sein. In inhaltlicher Hinsicht sind die Hirsauer Merkmale evident. Der Ostertropus Postquam factus wurde bereits angesprochen. Ein zweiter Tropus kommt an Weihnachten dazu, nämlich der klassische Einleitungsgesang Hodie cantandus est des Sankt Galler Mönchs Tuotilo zur dritten Messe am Tage. Die entsprechende Stelle im Liber Ordinarius Sequente mox missa… promissis tamen tropis35 spielt mit ihrer Pluralformulierung wohl auf die komplexe, in mehrere dialogartig Elemente aufgegliederte Architektur von Tuotilos Gesang an.36 Das Sequentiar der Wiener Handschrift erfordert eine etwas eingehendere Behandlung. Zunächst eine grundsätzliche Bemerkung zum (unterschiedlichen) Stellenwert der Sequenz im Kontext kirchlicher Reformen. Als typische Erweiterungsform des so genannten gregorianischen Grundstocks der Meßgesänge hat die Sequenz seit ihren Anfängen im 9. Jahrhundert den Charakter eines „schmückenden“ Zusatzes, und hebt sich mit ihren frei gefügten Texten dezidiert von den Propriumsgesängen ab, die fast ausschließlich den biblischen Büchern, insbesondere dem Psalter entnommen sind. Diese Sonderstellung der Sequenz und wohl auch das damit verbundene Potential, zu einem Einfallstor für Weltliches zu werden, hat in Reformkontexten (im übrigen bis hin zum Tridentinum) ähnlich wie auch im Fall der Tropen immer wieder zu einer Problematisierung des Genres geführt. Schon im Jahre 845 bezieht die Synode von Meaux Position gegenüber der Sequenz und anderen fictiones, also nichtbiblischen und nicht durch überlieferte Praxis sanktionierten Texten, die der puritas antiquitatis liturgischer Tradition entgegenstehen.37 So verwundert es nicht, daß die Sequenzen beispielsweise dem radikalen Ansatz der Zisterzienser zum Opfer fallen 35 Hänggi, Liber Ordinarius (wie Anm. 2), S. 54 (Z. 4–5). Zur Frage lokaler Ergänzungen dieses vom Normtext vorgegebenen (schmalen!) Grundstocks an Tropen s. unten, S. 378. 36 Näheres bei Wulf Arlt, Komponieren im Galluskloster um 900: Tuotilos Tropen Hodie cantandus est zur Weihnacht und Quoniam dominus Iesus Christus zum Fest des Iohannes evangelista, in: Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft, N.F. 15 (1995), S. 41–70, bes. S. 45–55. 37 Einzelheiten bei Haug, Ein neues Textdokument (wie Anm. 18).
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und in ihrem liturgischen Repertoire keine Rolle spielen, und dies nicht nur in der Anfangszeit des Ordens, sondern dauerhaft.38 Aber auch in Cluny wo das Singen textierter Sequenzen auf die Hochfeste reduziert bleibt, ist diese Reserve deutlich spürbar. Wenn sich Hirsau also im Gegensatz zum burgundischen Modell ein umfangreiches SequenzenRepertoire leistet, so ist diese Option erneut als Ausdruck der von Wilhelm geforderten Anpassung an den mos patriae zu werten. Wilhelm hält sich dabei, wie Lori Kruckenberg 1999 gezeigt hat,39 erwartungsgemäß an den im deutschen Sprachraum weithin als Standard rezipierten Notkers Liber hymnorum in der seit dem zehnten Jahrhundert im deutschsprachigen Raum weitgehend etablierten Gestalt, reorganisiert und verändert diesen Grundbestand allerdings an einigen Stellen. Diese „undramatische aber doch signifikante Umgestaltung“ (Kruckenberg) betrifft vor allem die Organisation des Repertoires für die Osterzeit. Notker bietet für den Ostersonntag drei Sequenzen an: Laudes salvatori, Pangamus creatoris und Laudes Christo redempti. In Hirsau wird an Ostern selbst lediglich Laudes salvatori beibehalten, die beiden zusätzlichen Stücke werden hingegen auf den Montag bzw. auf die Osteroktav verschoben und lösen dadurch ein komplettes Revirement für die Osterwoche aus.40 Ein weiteres Hirsauer Charakteristikum, auf das ebenfalls schon Lori Kruckenberg hingewiesen hat, ist die Aufnahme der Sequenz Sancti merita zum Fest der Translation des Ordensvaters.41 38
Die Ausnahmen scheinen rar zu sein: Ich nenne das Zeugnis des „Legatus divinae pietatis“ Gertruds von Helfta, dessen viertes Buch mehrfach Hinweise auf in der Konventsliturgie gesungene Sequenzen bietet, die zum Ausgangspunkt für Visionen der Seherin werden, so etwa an den Heiligenfesten für Johannes, Augustinus und Mariä Geburt (Lib. IV, Kap. 3–4, 34, 50 und 51) die Gesänge Verbum dei deo natum, Interni festi gaudia und Ave praeclara (Gertrude d’Helfta, Oeuvres Spirituelles, tom. 4, texte critique, trad. et notes par Jean-Marie Clément etc. [Sources Chrétiennes 255] Paris 1978, S 60, 414–416 und 424). Bemerkenswert und von besonderem Gewicht ist auch die Vision zum dritten Adventssonntag, wo Gertrud in ihrer Entrückung an einer himmlischen Messe partizipieren darf, die von Christus in eigener Person, assistiert von seinen Engeln und Heiligen, gefeiert wird, bei der die himmlischen Heerscharen selbst eine Sequenz anstimmen, nämlich das Jungfrauenlied Gottschalks von Aachen (Limburg) Exultent filiae Sion. Bezeichnenderweise scheint Helfta nie offiziell in den Orden inkorporiert gewesen zu sein, was diese Lizenz begründen könnte. 39 Lori Kruckenberg, Zur Rekonstruktion des Hirsauer Sequentiars, in: Revue Bénédictine 109 (1999), S.186–207. 40 Ebd., S. 199–201. Vgl. auch schon Braun (wie S. 354 Anm. 139), Anm. 50. 41 Ebd., S. 201 und 204; Näheres jetzt bei Felix Heinzer, Sequenzen auf Wanderschaft – Transferszenarien am Beispiel von ‚Rex regum dei agne‘ und ‚Sancti merita Benedicti‘, in: Die Musikforschung 58 (2005), S. 252–259 [in diesem Band, S. 286–299].
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In beiden Fällen scheint Wilhelm der Tradition seines Herkunftskloster St. Emmeram verpflichtet zu sein. So finden wir die Hirsauer Umstellungen für die Osterwoche in fast gleicher Weise schon in St. Emmeramer Handschriften des 11. Jahrhundert und in Abhängigkeit davon auch bei den Augustinerchorherren im Raum der Erzdiözese Salzburger Tradition vor der 1122 einsetzenden Reform,42 und für Sancti merita, das nördlich der Alpen fast nur im Hirsauer Kontext begegnet, gibt es ebenfalls einen „vorhirsauischen“ Beleg aus St. Emmeram (Clm 14322, 11. Jh. 2. Viertel).43 Nun aber zu den Differenzen gegenüber der Hirsauer Norm, die auch in der Wiener Quelle durchaus vorhanden sind. Bleiben wir zunächst beim Sequentiar. Nach dem „klassischen“ Hirsauer Bestand (f. 53v–76v) folgt ein Anhang mit einer Reihe von Oster- und Mariensequenzen. Die Zusammensetzung dieses Komplexes macht die Offenheit eines Klosters wie Weingarten für die internationale „Marktsituation“ und die Austauschbeziehungen auf dem Gebiet neuer liturgischer Lieder deutlich. Von Interesse sind in diesem Zusammenhang besonders die aus Frankreich stammenden Stücke Mane prima sabbati und Laetabundus exultet. Daneben finden wir Wipos berühmtes Victimae paschali und das dem Reichenauer Mönch Hermann dem Lahmen zugeschriebene Rex regum (hier: dei) agne.44 Situationen dieser Art begegnen uns immer wieder in Sequenzenhandschriften hirsauisch geprägter Klöster. Die eher „ornamentale“ Funktion des Genres scheint einen einigermaßen offenen und flexiblen Umgang mit diesem Repertoire zu begünstigen, so dass sich in einzelnen Klöstern zusätzliche Einzelstücke oder auch kleinere Nester wie hier in je unterschiedlicher Weise an den festen Kern des offiziell Rezipierten ankristallisieren konnten und teilweise im Schlepptau dieses Repertoires transferiert wurden, zumal die Sequenz offenbar eine besonders „wanderfreudige“ Gattung zu sein scheint. Rex regum ist ein gutes Beispiel dafür. Die Überlieferung der Sequenz im Bodenseeraum, also im Umfeld ihres Ursprungsortes, ist erstaunlich dünn. Seine eigentliche Karriere scheint das Stück im Reformmilieu angetreten zu 42 Franz Karl Prassl, Psallat Ecclesia Mater. Studien zu Repertoire und Verwendung von Sequenzen in der Liturgie österreichischer Augustinerchorherren vom 12. bis zum 16. Jahrhundert, Diss. Universität Graz 1987, Darstellungsbd., S. 345 und 349. 43 Prassl (wie Anm. 42), S. 347; Heinzer, Sequenzen (wie Anm. 41), S. 256. – Zur Datierung von Clm 14322 s. auch Bernhard Bischoff, Mittelalterliche Studien 2, Stuttgart 1967, S. 87. 44 Näheres s. Heinzer, Sequenzen (wie Anm. 41), S. 259 [in diesem Band, S. 299].
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haben, aus dem die Hauptmasse der Textzeugen stammt. Ausgangspunkt der Rezeption sind vermutlich Hirsauer Klöster des schwäbischbodenseeischen Raums (neben Weingarten sind Rheinau und Zwiefalten zu nennen), und von da aus setzt sich die Verbreitung der Sequenz in den bayrisch-österreichischen Raum hinein fort, wo sie einen besonderen Schwerpunkt im Raum der Erzdiözese Salzburg bildet – übrigens flankiert von einem parallelen Vorgang im Kontext der Salzburger Kanoniker-Reform des 12. Jahrhunderts45 Extravagantes vergleichbarer Art gibt es auch im Graduale-Teil von KHM 4981. Ich nenne zunächst die bisher unbeachtete Aufzeichnung des Kirchweihtropus Laudibus insomnes instate celebribus omnes.46 Der älteste bisher bekannte Textzeuge für diesen Erweiterungsgesang zum Introitus Terribilis ist das bekannte Tropar aus Ottobeuren Clm 27130 aus dem 12. Jahrhundert; dazu kommt ein etwas jüngerer Nachweis in einer Millstätter Handschrift (Graz 1449). Ottobeuren wie Millstatt gehören ebenfalls in den Kreis der Hirsauer Klöster. Weingarten könnte das Stück aus Bayern importiert haben, und es wäre an ähnliche Transferwege wie im Falle von Rex regum zu denken, nur scheinen sie diesmal in die andere Richtung, also von Ost nach West, funktioniert zu haben. Gleiches könnte im übrigen auch gelten für das in der Wiener Handschrift in die Aufzeichnung der österlichen Visitatio sepulchri eingefügte Initium des deutschsprachigen Gesangs „Christ ist erstanden“, dessen älteste Überlieferung in den Raum der Salzburger Kirchenprovinz zu weisen scheint.47 Ein zweiter Hinweis betrifft das Prozessionslied Rex sanctorum angelorum für die Ostervigil (24r–25r). Zur Einordnung dieses Stücks ist ein Seitenblick in das eingangs genannte Prachtsakramentar Abt Bertholds hilfreich. Dieses enthält überraschenderweise eine umfangreiche, nicht sehr organisch eingefügte Ordnung für die Tauffeier an der Ostervigil (44r–54v), und zwar, wie Aufbau und Rubriken zeigen, für die Taufe von Kindern.48 An sich hat ein solcher Ritus seinen primären Ort im Vgl. Prassl, Psallat Ecclesia Mater (wie Anm. 42), S. 43, 48, 55 etc. Analecta Hymnica Medii Aevi, Bd. 49, Leipzig 1906, Nr. 153. 47 Vgl. Walther Lipphardt, Art. ‚Christ ist erstanden‘, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, zweite, völlig neu bearb. Aufl., Bd. 1, Berlin u. New York 1978, Sp. 1197–1201 (mit weiterer Lit.). Jetzt zusammenfassend auch Jürg Stenzl, Musik in der Salzburger Geschichte des Mittelalters, in: Jürg Stenzl, Ernst Hintermaier, Gerhard Walterskirchen, Salzburger Musikgeschichte. Vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert, Salzburg 2005, S. 13–70, hier S. 46. 48 Vgl. Heinzer, Berthold-Sakramentar (wie Anm. 29), S. 232–235 [in diesem Band, S. 327–332]. 45 46
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urbanen, auf Betreuung von Gemeinde ausgerichteten Kontext, also in Bischofs- und Pfarrkirchen. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß der Hirsauer Liber ordinarius als Repräsentant einer monastischen Tradition keine Tauffeier in der Osternacht vorsieht.49 Der Befund der Ritualehandschriften, die für verschiedene Hirsauer Klöster vorliegen, bietet allerdings ein etwas anderes Bild: Die beiden Ritualien, die sich aus Hirsau selbst und aus Zwiefalten erhalten haben, enthalten keine Tauftexte, hingegen finden wir solche in Rheinau, im bayerischen Wessobrunn (Diözese Augsburg), in Biburg (Diözese Regensburg) und eben auch in Weingarten.50 Dieser Befund mag als Ausdruck unterschiedlichen pastoralen Engagements der einzelnen Klöster zu interpretieren sein, auffallend ist allerdings auch, dass zumindest Rheinau, Wessobrunn und Weingarten Klöster mit vor-hirsauischer Tradition sind. Für Weingarten steht das Berthold-Sakramentar übrigens nicht allein: Auch das bei von Arx (s. Anm. 50) nicht berücksichtigte Rituale in der Stuttgarter Handschrift HB I 240 (dort 78va–88ra) aus der Zeit von Bertholds Vorgänger Meingoz (1188–1200) enthält einen Taufordo, der mit dem Text des Berthold-Sakramentars ganz eng verwandt ist, und dazu kommt – zumindest für die Prozession zum Taufbrunnen – auch die Wiener Handschrift. Der Taufritus steht grundsätzlich in der Tradition des um 950–960 in St. Alban in Mainz redigierten, für die abendländische Liturgiegeschichte so bedeutsamen Pontificale RomanoGermanicum und lässt sich als Weiterentwicklung des ottonischen Mainzer Taufordos begreifen.51 Die Abweichungen innerhalb der genannten Hirsauer Zeugnisse sind insgesamt eher marginal; bemerkenswert ist aber – und dies gilt auch für KHM 4981 –, dass beim Weg zum Taufbrunnen in den meisten der genannten hirsauischen Ritualien die konventionelle Allerheiligen-Litanei vorgesehen ist (so z. B. in Rheinau), in Weingarten aber der um die Wende vom 9. zum 10. Jahrhunderts entstandene Gesang Rex sanctorum angelorum (AH 50, Nr. 183), der als strophische Litaneidichtung, aufgefasst werden kann.52 Auch das PontiVgl. auch Hänggi, Liber ordinarius (wie Anm. 2), S. 135, krit. Apparat zu Z. 24. Vgl. Walter von Arx, Das Klosterrituale von Biburg (Spicilegium Friburgense 14) Fribourg 1970, S. 291–337, bes. S. 292. 51 Näheres s. Heinzer, Berthold-Sakramentar (wie Anm. 29), S. 232–234 [in diesem Band, S. 327–332]. Zum ganzen auch Alois Stenzel, Die Taufe. Eine genetische Erklärung der Taufliturgie, Innsbruck 1958, und Georg Kretschmar, Die Geschichte des Taufgottesdienstes in der alten Kirche, in: Leiturgia. Handbuch des evangelischen Gottesdienstes, Bd. 5, Kassel 1970, S. 1–348, hier S. 331. 52 Zu Herkunft, Überlieferung und formalen Aspekten des Texts vgl. Peter Stotz, Ardua spes mundi, Bern 1972, S. 23–25. 49 50
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ficale Romano-germanicum kennt Rex sanctorum bereits als Alternative zur gebeteten Litanei, wenn es vermerkt: Aliqui dicunt letaniam noricam: Rex sanctorum angelorum, wobei etwas unklar bleibt, wie das Epitheton norica, vermutlich ein Herkunftshinweis, genau zu deuten ist. Bis ins 19. Jahrhundert und mit Vorbehalten auch noch in Band 50 der Analecta Hymnica, wurde der Gesang meist dem Sankt Galler Dichter und Notker-Zeitgenossen Ratpert zugewiesen, der als Autor eines anderen Prozessionsliedes, Ardua spes mundi, gesichert ist.53 Die neue Forschung ist von dieser Zuschreibung abgerückt, schließt aber Sankt Galler Entstehung von Rex sanctorum angelorum zumindest nicht aus.54 Jedenfalls ist auffällig, dass die frühesten Belege in der Tat in den Bodenseeraum weisen, nämlich nach St. Gallen selbst mit der ältesten Überlieferung überhaupt, dem Tropar Ms. 381 aus dem 10. Jahrhundert,55 und dem berühmten Reichenauer Tropar-Sequentiar von ca. 1001 (heute Bamberg Lit. 5), wo Rex sanctorum ganz am Schluß als Nachtrag des 11. Jahrhunderts erscheint, der möglicherweise noch reichenauischen Händen zuzuweisen ist.56 Wir hätten es also wie schon im Falle von Hermanns Ostersequenz erneut mit einem Weingartener Tribut an den mos patriae, sprich: die Tradition des Bodenseeraums als dem angestammten kulturellen Kontext des Klosters, zu tun. In dieses Szenario paßt im übrigen auch die auffallend enge Abhängigkeit der bekannten Weingartener Tropenhandschrift Stuttgart, WLB, Cod. brev. 160 aus dem 12. Jahrhundert von dem durch die Bamberger Handschrift repräsentierten Reichenauer Tropen-Repertoire.57 Die Option für das dichterisch geformte Lied anstelle der konventionellen Litanei58 – Poesie statt Prosa, wie man pointiert formulieren könnEbd., S. 23–27. Ebd. S. 9: „Ob dieser Text überhaupt aus Sankt Gallen stammt, ist unsicher“; S.170 dann allerdings die Formulierung „vermutlich ebenfalls sanktgallisch“. 55 Die Gallus-Strophe ist allerdings ein Nachtrag aus der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts (vgl. dazu Wulf Art Susan Rankin, Stiftsbibliothek Sankt Gallen – Codices 484 & 381, Bd. 1, Winterthur 1996, S. 99). 56 Michael Klaper, Die Musikgeschichte der Abtei Reichenau im 10. und 11. Jahrhundert. Ein Versuch, Stuttgart 2003 (Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft 52), S. 42 Anm. 50 weist auf die etwas andere Pergamentqualität der beiden Blätter mit der Aufzeichnung von Rex sanctorum hin, geht aber von einer Reichenauer Entstehung des Nachtrags aus (vgl. auch ebd., S. 37 zur – mit Vorbehalt reichenauischen – Einordnung von Schreiber und Notator dieser Ergänzung). 57 Ebd., S. 70 f. 58 Zu Präzedenzfällen in älteren Ordines vgl. Cyrille Vogel u. Reinhard Elze, Le pontifical romano-germanique du dixième siècle, Bd. 2 (Studi e Testi 227) Città del Vaticano 1963, S. 133; von Arx, Klosterrituale (wie Anm. 49), S. 101. 53 54
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te – als Ausdruck einer repräsentativer Aufwertung des entsprechenden liturgischen Moments wird also nicht durch die Kreierung von etwas Neuem realisiert, sondern mittels einer Anknüpfung an das, was ältere Tradition bereithält. Das erscheint für die Kultur Weingartens insgesamt symptomatisch und manifestiert sich als Grundhaltung in vergleichbarer Weise auch auf der Ebene buchkünstlerischer Ästhetik und Materialität. Diesem Aspekt soll der letzte Teil dieser Studie gelten. Von der anspruchsvollen buchmalerischen Ausstattung war bereits die Rede. Die Besonderheit dieses Erscheinungsbildes der Wiener Handschrift und generell der unter Abt Berthold entstandenen Handschriften wird allerdings erst dann richtig deutlich, wenn man den Kontext der im Hirsauer Reformkreis generell realisierten Buchkunst in den Blick nimmt, die ihrer ganzen Haltung nach wesentlich durch den Dienst am Inhalt bestimmt ist. Diese Funktionalisierung prägt ihr Auftreten, ihren „Stil“, wenn diese etwas riskante Formulierung hier gestattet ist, und unterscheidet sie signifikant von der Produktion der ottonischen Zentren des ausgehenden 10. und frühen 11. Jahrhunderts, die vergleichbar der karolingischen Buchmalerei weitgehend als „Hofkunst“ zu sehen ist, wie Hartmut Hoffmann pointiert formuliert hat.59 Offenbar kann diese programmatische Zurückhaltung unter bestimmten Voraussetzungen aber auch aufgebrochen werden und einen dezidiert repräsentativen Gestus annehmen. Dies lässt sich um etwa 1200 in mehreren Klöstern des Hirsauer Reformkreises beobachten, neben Weingarten etwa in St. Peter in Erfurt60 und in gewisser Weise auch schon im berühmten Antiphonar aus St. Peter in Salzburg (Wien, 59
Hartmut Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, Textbd., Stuttgart 1986, S. 7. 60 Insbesondere für das Missale Ross. 181 der Bibliotheca Apüostolica Vaticana (dazu die Monographie von Beate Braun-Niehr, Der Codex Vaticanus Rossianus 181. Studien zur Erfurter Buchmalerei um 1200, Berlin 1996). Vgl. auch Felix Heinzer, Hirsauer Buchkultur und ihre Ausstrahlung, in: 700 Jahre Erfurter Peterskloster. Geschichte und Kunst auf dem Erfurter Petersberg (Jahrbuch der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten 7 für das Jahr 2003), Rudolstadt 2004, S. 98–104. – In diesem Zusammenhang gehört wohl auch jene ganz spezifische „Misch-Konstellation“, die kurz nach 1200 im Zusammenspiel von hirsauischer Skriptoriums- und Texttradition (vermutlich in Reinhardsbrunn zu lokalisieren) und den künstlerischen und mäzenatischen Möglichkeiten höfischer Kultur am Thüringer Landgrafenhof so bedeutende buchkünstlerische Produkte wie die beiden Landgrafenpsalterien (heute in Stuttgart und Cividale) hervorbringt. Vgl. dazu Harald Wolter-von dem Knesebeck, Der Elisabethpsalter in Cividale del Friuli. Buchmalerei für den Thüringer Landgrafenhof zu Beginn des 13. Jahrhunderts, Berlin 2001, und ders., Der Einband des Elisabethpsalters
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ÖNB, s.n. 2700) aus der Zeit um 1150. Das hohe Ausstattungsniveau der Salzburger Handschrift dürfte der spezifischen Situation des Klosters, insbesondere seiner Nähe zu Bischof und Domkapitel und der dadurch gegebenen Konkurrenzsituation zu verdanken sein. Für die jüngeren Beispiele aus dem ausgehenden 12. und frühen 13. Jahrhunderts müssen hingegen andere Faktoren bedacht werden: Der Elan des Reformimpulses scheint in dieser Zeit vielerorts nachzulassen, zumal die vorbildhaften Ursprünge schon über ein Jahrhundert zurückliegen; zugleich ist im adligen Umfeld spätestens um die Jahrhundertwende das Höfische mit seinem Repräsentationsbedarf zum bestimmenden Faktor kultureller Äußerung geworden. Gerade in Weingarten erweist sich diese Entwicklung als Ergebnis eines ausgeprägten persönlichen Stifterimpulses. Das demonstriert der prunkvolle Einband des Berthold-Sakramentars, das hier erneut heranzuziehen ist, in unverstellter Direktheit. Berthold lässt sich auf dem Einband inmitten der Heiligen ins Bild setzen: Als selbstbewußten adligen Prälat finden wir ihn in Gesellschaft von Maria, den Evangelisten und Erzengeln, den Klosterpatronen Martin und Oswald, der personifizierten Tugenden Humilitas und Virginitas, und in programmatischer Symmetrie zu dem von ihm speziell verehrten großen Bischof Nikolaus von Myra. Die Inszenierung auf dem hinteren Deckel der Wiener Handschrift ist möglicherweise weniger spektakulär – hier lässt sich der Abt zusammen mit dem Künstler, der den Einband hergestellt hat, und Maria darstellen – der dezidierte persönliche Repräsentationsanspruch bleibt aber unübersehbar. Und auch hier ist erneut auf retrospektive, traditionsgebundene Aspekte zu verweisen: Der Einband der Wiener Handschrift mutet an wie ein verspäteter, in Material und Technik zwar schlichter gehaltener, aber doch unübersehbarer Reflex auf ein Stück wie das karolingische Elfenbeindiptychon der St. Galler Handschrift 60, das seinerseits dem Dichter- und Bildschnitzermönch Tuotilo als Anregung für die Einbandtafeln des berühmten Sankt Galler „Evangelium longum“ (Cod. St. Gallen 53) gedient haben soll.61
in Cividale del Friuli. Rheinische „Kleinkunst“ am Hofe der Ludowinger, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 54/55 (2000/01), S. 63–103. 61 Johannes Duft und Rudolf Schnyder, Die Elfenbeineinbände der Stiftsbibliothek St. Gallen, Beuron 1984, S. 13–28, 55–93 u. 157–160; Cimelia Sangallensia. Hundert Kostbarkeiten aus der Stiftsbibliothek St. Gallen, beschr. von Karl Schmuki, Peter Ochsenbein u. Cornel Dora, St. Gallen 1998, S. 94–95 (Nr. 42).
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Mit dem Terminus Diptychon ist ein wichtiges Stichwort genannt. Es macht deutlich, dass wir es hier mit einem Rekurs auf ein im Grunde veraltetes – oder positiver formuliert: archaisches – Buchformat zu tun haben. Das ist mit Sicherheit kein Zufall, sondern eine bewusste Option für eine formale Lösung, die einen spezifischen Traditionsgehalt und das damit verbundenen Prestige ins Spiel bringen will. Das berühmte karolingerzeitliche Cantatorium von Monza, eine der ältesten und ehrwürdigsten Handschriften in der Geschichte der mittelalterlichen Überlieferung des Messgesangs, mit seinem wundervollen, typologisch konzipierten Elfenbein-Diptychon (David – Gregor) hat Berthold mit Sicherheit nicht gekannt, für einen späteren Vertreter dieser Buchform in der Nachbarschaft Weingartens auf der anderen Seite des Bodensees, das Sankt Galler Cantatorium 359 aus dem 11. Jahrhundert, ist dies hingegen keineswegs auszuschließen.62 Die formale Tradition als solche, die St. Gallen 359 verkörpert, dürfte Berthold jedenfalls vertraut gewesen sein, denn er nimmt sie offenbar bewußt in den Dienst seiner Repräsentationsansprüche. Die Strategie, die der Weingartener Abt hier verfolgt, wird noch deutlicher, wenn wir erneut das New Yorker Sakramentar M. 710 mit in die Überlegungen einbeziehen. Auch beim Einband dieser Handschrift sind historisierende Aspekte zu beobachten: Dies gilt sowohl für die ästhetische Konzeption, die sich an karolingischen Vorbildern orientiert, als auch bezüglich des verarbeiteten Materials, werden doch ältere Schmuckelemente wieder verwendet.63 Noch stärker ins Gewicht fallen allerdings grundsätzliche Gesichtspunkte der Buchtypologie als solcher. Das Berthold-Sakramentar ist diesbezüglich fast schon als Anachronismus zu bezeichnen. Die inhaltliche Einzeluntersuchung erweist die Handschrift als späten Zeugen einer Tradition des 10. und 11. Jahrhunderts, und noch irritierender ist die überraschende Entscheidung für ein Sakramentar anstelle eines in dieser Zeit üblichen Vollmissales oder wenigstens einer zusammengesetzten Missalehandschrift (Sakramentar – Graduale – Lektionar), die im Kontext der Reformklöster in dieser Zeit als die gebräuchliche Lösung erscheint. Die Option für das 62 Vgl. die zusammenfassende Beschreibung der Handschrift (mit Abbildung) in Cimelia Sangallensia (wie Anm. 61), S. 104 f., Nr. 47. Zum Einband Duft / Schnyder, Elfenbeineinbände (wie Anm. 61), S. 95–128 u. 160–162. 63 Frauke Steenbock, Der Einband, in: Berthold-Sakramentar (wie Anm. 4), S. 195– 202, hier S. 197 f.; S. 201 der Hinweis auf das für Bertholds Mäzenatentum charakteristische Zusammenspiel von „historischer Tradition des Orts und antiquarischem Interesse“ zur Entwicklung schöpferischer Eigenart.
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Sakramentar, die ja eine grundsätzliche Beschränkung auf die Gebetstexte des Zelebranten (Bischof, Abt, Priester) und den Ausschluß der Texte für die Schriftlesungen sowie der Gesänge bedeutet, impliziert eine drastische Reduzierung des funktionalen Spielraums für das Buch: Das Sakramentar kann nur im feierlichen Konventsgottesdienst, der sogenannten missa maior Verwendung finden, als Rollenbuch des Abts, wie man zugespitzt sagen könnte (das bestätigen Texteinschübe für dem Abt vorbehaltene Benediktionen64 genauso, wie das ganze äußere Erscheinungsbild der Handschrift). Diese bedingt freilich zwingend eine ergänzende Vernetzung mit anderen liturgischen Büchern, und man geht wohl nicht fehl, wenn man im Wiener Graduale-Sequentiar das entsprechende Seitenstück für die gesungenen Teile der feierlichen Messliturgie unter Berthold sehen möchte. Ein Pendant für den noch fehlenden Bereich der Schriftlesung, insbesondere den Vortrag des Evangeliums, ist aus der Bertholdzeit nicht erhalten. Wäre es denkbar, dass eines der kostbaren Evangeliare aus der Schenkung Judiths von Flandern von 1094 diesem Zweck gedient und den „Ornat“ der liturgischen Bücher komplettiert haben könnte? Träfe diese Vermutung zu, so würde die Wiener Handschrift dadurch in einen noch prestigeträchtigeren Zusammenhang gerückt, und ihr dezidiert archaisierender Charakter erschiene noch plausibler. Dieser Rekurs auf die Judithschenkung macht im übrigen etwas Wichtiges deutlich: Bertholds unübersehbares Repräsentationsbedürfnis ist gewiß der entscheidende Faktor für seine außergewöhnlich starken mäzenatischen Aktivitäten, diese persönliche Stifter-Attitude ist indessen eingebettet in eine institutionelle Stifter- und Stiftungstradition, die gerade in Weingarten eine besondere Qualität beansprucht. Faßt man die hier vorgelegten Beobachtungen und Überlegungen zusammen, so lässt sich festhalten, dass die Wiener Graduale-Sequentiar-Handschrift als Zeugnis der Liturgietradition der Hirsauer Erneuerungsbewegung zugleich einen symptomatischen Zug dieser Reform reflektiert, nämlich ihre Flexibilität und ihre Toleranz gegenüber regionalen und lokalen Sondertraditionen. So manifestieren sich in dieser Quelle inhaltlich und nicht zuletzt formal immer wieder Momente der Brechung – ein Phänomen, das sich grundsätzlich auch in anderen hirsauisch geprägten Klöstern findet. In Weingarten verbindet sich die64 Dazu Heinzer, Berthold-Sakramentar (wie Anm. 29), S. 236 [in diesem Band, S. 334–335].
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ses Aufbrechen reformtypischer Normen allerdings mit einem bewusst archaisierenden Gestus als Ausdruck dezidierter Anknüpfung an ältere Traditionswurzeln. Gerade unter Abt Berthold verbindet sich diese Strategie mit einer ausgeprägten Steigerung des repräsentativen Charakters liturgischer Bücher, die vielfach zu eigentlichen Luxushandschriften werden. Dies impliziert ein erhebliches Spannungsmoment, zumal wenn – wie für das Berthold-Sakramentar und möglicherweise auch für die in dessen Gefolge hergestellten Bücher, darunter auch die Wiener Handschrift – eine Umsetzung solcherart gesteigerter ästhetischer Ansprüche mit klostereigenen Kräften nicht mehr zu realisieren ist, so daß auswärtige Künstler herangezogen – und das heißt auch: finanziert – werden müssen. Ist eine solche Entwicklung mit den Grundwerten monastischer Reform überhaupt noch vereinbar? Sind diese Bücher – mögen sie auch in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich „hirsauisch“ sein – überhaupt noch als kohärenter Ausdruck klösterlichen Reformgeists zu sehen? Berthold selbst dürfte sich diese Frage kaum gestellt haben. Sein Beitrag zum kulturellen Glanz seines Klosters, insbesondere der Auftrag zur Herstellung von Handschriften, wie des New Yorker Sakramentars oder des Wiener Cantatoriums sollte der Pflege seiner persönlichen memoria als Stifter gelten, wie die signaturartigen Selbstdarstellungen des Abts auf den Einbänden der beiden Codices unübersehbar erkennen lassen.65 Zugleich aber sind diese Handschriften, gerade weil sie als Repräsentationsstücke konzipiert sind, von vornherein auch daraufhin angelegt, institutioneller Besitz zu werden, nämlich Teil jenes Kirchenschatzes, den Welf und Judith 1094 in so grandioser Weise begründet hatten und dessen Bewahrung – und Vermehrung! – im Laufe der Jahrhunderte das materielle wie das geistliche Prestiges des Klosters dauerhaft vergegenwärtigen sollte. In der Perspektive solcher Kontinuität sind letztlich auch die Momente von Rückwärtsgewandtheit und artifizieller Altertümlichkeit, die wir mehrfach beobachten konnten, zu verorten: Auch sie sind Aspekte jenes gewollten und gezielten Anknüpfens an die Ursprünge, das ein konstitutives Moment klösterlicher memoria und letztlich auch klösterlicher Reform darstellt.
65
Steenbock, Einband (wie Anm. 63), S. 199.
RHEINAUER HANDSCHRIFTEN UND DIE HIRSAUER ERNEUERUNGSBEWEGUNG DES 11. UND 12. JAHRHUNDERTS*
Zwischen den beiden geographischen Brennpunkten des vorliegende Beitrags verläuft heute eine Staatsgrenze: Rheinau befindet sich auf schweizerischem Territorium, wenn auch ausgesprochen exzentrisch gelegen, und die Handschriften der Klosterbibliothek werden heute in Zürich verwahrt – Hirsau hingegen liegt im Nordschwarzwald, gehört also zum deutschen Bundesland Baden-Württemberg.1 Für die Epoche hingegen, in die dieses Thema historisch einzuordnen ist, existiert diese Grenze nicht. Die Wahrnehmung räumlicher Zusammengehörigkeit oder auch Abgrenzung ist in dieser Zeit von ganz anderen Gesichtspunkten bestimmt: nicht zuletzt von der kirchlichen Organisationsstruktur in Gestalt der Diözesen, die vielfach auf alten Stammesgrenzen und damit oft auch auf sprachlichen Gemeinsamkeiten aufsetzen. Das ehemalige Bistum Konstanz etwa, das im Norden bis nach Stuttgart reichte und südlich des Rheines bis zum Gotthard ausgriff, bildete eine starke, identitätsstiftende Klammer zwischen Territorien, die erst später auseinanderdriften sollten und heute unterschiedlichen Staatsgebilden angehören. Nun gibt es freilich in der kirchlichen Landschaft des Hochmittelalters durchaus auch transversale, Kräfte, die sozusagen quer zu diesem Raster wirken. Dazu gehören nicht zuletzt jene Strömungen, die wir als Reformbewegungen bezeichnen. Als „grenzüberschreitende“ Netzwerke von unterschiedlicher Dichte und Straffheit, aber immer mit beachtlicher Tragfähigkeit (zumindest über einen gewissen Zeitraum hinweg), vermittelten sie nicht nur vorbildhafte Lebenspraxis, sondern entfalteten stets auch formale und ästhetische Modellwirkung. Verbin* Erstmals erschienen in: Die Klosterkirche Rheinau III – Frühe Geschichte, Bau und Ausstattung bis in die barocke Zeit, hrsg. von Hans Rudolf Sennhauser (Zürcher Denkmalpflege. Monographien Denkmalpflege 6), Zürich und Egg 2007, S. 157–170. 1 Geringfügig überarbeitete, durch Anmerkungen erweiterte Fassung eines am 10. Juni 2004 im Rahmen der Ausstellung „Die Bibliothek Rheinau. Handschriften aus dem Mittelalter“ in der Zentralbibliothek Zürich gehaltenen Vortrags.
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dungen dieser Art sind also gewissermaßen als Schienen und Übermittlungsträger kultureller Transferbewegungen anzusprechen. Das gilt auch für jene Erneuerungsimpulse, die in den letzten Jahrzehnten des 11. und im beginnenden 12. Jahrhundert von der Benediktinerabtei Hirsau ausgehen und größere Teile des deutschen Sprachraums erfaßen.2 Die Verbreitungsmechanismen dieser Reform sind relativ komplex und vielgestaltig: Es gibt den Weg über die Gründung neuer Priorate und Klöster, etwa in den Fällen von Klosterreichenbach im Murgtal oder Zwiefalten am südlichen Rand der schwäbischen Alb – sehr viel häufiger aber ist das Szenario eines Reformanschlusses bereits bestehender Klöster, die sich in durchaus unterschiedlichem Ausmaß, vielfach auch erst nach einem länger anhaltenden, auch Rückschlage implizierenden Adaptionsprozesses den Idealen der Hirsauer öffnen. Diese Situation trifft auch für Rheinau zu. Erste Berührungen mit Hirsauer Impulsen werden um etwa 1090 über das Kloster Petershausen bei Konstanz vermittelt, dessen Reform kurz zuvor vom Konstanzer Bischof Gebhard III, einem früheren Hirsauer Mönch, forciert worden ist. Dem aus Petershausen nach Rheinau berufenen Reformabt Cuono gelingt freilich die Umformung des klösterlichen Lebens an seinem neuen Wirkungsort nicht ohne erhebliche Spannungen – jedenfalls muß Cuono Rheinau einige Jahre später unter nicht ganz geklärten Umständen wieder zu verlassen. Erst Abt Otto, dem nach einem zeitlich nicht exakt zu fassenden Interim um 1110 die Leitung des Klosters übertragen wird, verhilft der neuen Richtung endgültig zum Durchbruch. Seine Karriere ist typisch für das Szenario der Verbreitung der Reform: Noch unter unter der Gründerfigur, Abt Wilhelm, in Hirsau selbst geformt, kommt Otto 1085 mit dem ersten Hirsauer Missionstrupp in das neu gestiftete Kloster Blaubeuren bei Ulm, dem er ab 1101 auch als Abt vorsteht, und wird 10 Jahre später dann nach Rheinau berufen, wo er der Reform endgültig zum Durchbruch verhilft
2 Vgl. Hermann Jakobs, Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung und Rechtsstellung im Zeitalter des Investiturstreites (Kölner Historische Abhandlungen 4), Köln-Graz 1961; Klaus Schreiner, Hirsau und die Hirsauer Reform. Spiritualität, Lebensform und Sozialprofil einer benediktinischen Erneuerungsbewegung, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2, hrsg. von Klaus Schreiner (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,2), Stuttgart 1991, S. 59–84; ders., Hirsau und die Hirsauer Reform, in: Die Reformverbände und Kongregationen der Benediktiner im deutschen Sprachraum, hrsg. von Ulrich Faust und Franz Quarthal (Germania Benedictina 1), St. Ottilien 1999, S. 89–124.
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und unter anderem auch den Bau der neuen romanischen Klosterkirche ins Werk setzt.3 Mit den hier erwähnten Klöstern – Hirsau, Petershausen, Blaubeuren, Rheinau –, zu denen auch Allerheiligen in Schaffhausen, die Schwarzwaldabteien St. Georgen und St. Peter, Zwiefalten, die Staufergrablege Lorch oder die Welfenstiftung Weingarten hinzuzufügen wären, sind Knotenpunkte der Reform im schwäbisch-alemannischen Kerngebiet der Reform benannt. Deren Ausstrahlung geht aber schon bald über dieses engere Umfeld hinaus und erreicht Niedersachsen, Thüringen, Böhmen, Bayern, Kärnten und die Steiermark, ja sogar Friaul in Nordostitalien. Im Gegensatz etwa zu den Zisterziensern, die mit ihrem Denken in Filiationen und ihrem dezidierten Bemühen um Uniformität erstmals jene straffe organisatorische Verfestigung realisieren, die wir dem Begriff eines kirchlichen Ordens assoziieren, bleibt es bei den Hirsauern bei der vergleichsweise „offenen“ Struktur eines lockeren Verband relativ eigenständig bleibender Klöster – ein Befund, der nicht zuletzt auch für die Frage nach einer spezifischen Buchkultur der Hirsauer relevant ist.
Buch und Bibliothek im Konzept des Hirsauer Reformprogramms Daß Schrift und Buch im Hirsauer Reformkonzept einen hervorragenden Stellenwert beanspruchen, belegt ihr programmatischer Text: die sog. „Constitutiones Hirsaugienses“.4 Diese wurden um 1080–1085 3
Vgl. zusammenfassend Judith Steinmann u. Peter Stotz, Rheinau, in. Frühe Klöster, die Benediktiner und Benediktinerinnen in der Schweiz 2, red. von Elsanne Gilomen-Schenkel (Helvetia Sacra III, 1,2), Bern 1986, S. 1101–1165, bes. S. 1104 f. u. 1131; Helmut Maurer, Zu den Anfängen und zur frühen Geschichte der Abtei Rheinau, in: Klosterkirche Rheinau (wie S. 386 Anm. *), S. 13–25, bes. S. 23–24. Zu Abt Otto s. auch Anton Hänggi, Der Rheinauer Liber Ordinarius (Spicilegium Friburgense 1), Fribourg 1957, S. XL f. 4 Mangels kritischer Edition ist noch immer die Ausgabe des Sanblasianer Mönchs Marquard Hergott von 1726 zu benutzen (Vetus disciplina monastica, Paris 1726, S. 371–570; bequemer zugänglich in Bd. 150 von Jean Paul Mignes Patrologia Latina [künftig PL 150]). – Zu Entstehung und Überlieferung des Texts vgl. Marie-Cécile Garand, Les plus anciens témoins conservés des Consuetudines Cluniacenses d’Ulrich de Ratisbonne, in: Scire Litteras. Forschungen zum mittelalterlichen Geistesleben, hrsg. von Sigrid Krämer und Michael Bernhard, München 1988, S. 171–182; Norbert Reimann, Die Konstitutionen des Abtes Wilhelm von Hirsau, in: Hirsau St. Peter und Paul, Bd. 2 (wie Anm. 2), S. 101–108; Candida Elvert, Eine bisher unerkannte Vorstufe
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unter Abt Wilhelm aufgezeichnet und sind bekanntlich auf weite Strecken den Gebräuchen des großen burgundischen Reformzentrums Cluny verpflichtet. Das Schlagwort vom „deutschen Cluny“, mit dem Hirsau oft belegt wird, bringt diesen Zusammenhang prägnant, wenn auch nicht ohne Verkürzungen, zum Ausdruck. Wilhelm selbst sieht das Ergebnis dieses Prozesses, wie dem Prolog seines Textes zu entnehmen ist, als eine vernünftige (prout ipsa declarat ratio), durch Kürzung, Veränderung und Erweiterung vorgenommene Anpassung des burgundischen Vorbilds an die kulturelle, geographische und klimatische Situation des Zielortes.5 Auch in den Abschnitten über das Buch- und Schriftwesen ist die Ausrichtung Hirsaus an Cluny unmittelbar evident und sie reicht sehr oft bis zu wortgenauer Übernahme des Vorbilds.6 Ich fasse die wichtigsten Gesichtspunkte zusammen: Wie in Cluny selbst und im übrigen auch in zahlreichen anderen monastischen Kontexten ist der Bibliothekar (armarius) auch in Hirsau zugleich Kantor, d. h. er trägt die Verantwortung für die Feier der Liturgie und die dafür erforderlichen Bücher, und hier wie dort wird Wert darauf gelegt, dass diese Aufgabe in der Regel nur einem nutritus, also einem im Kloster aufgewachsenen und geformten Mönch übertragen wird. Das ist ein bemerkenswertes Indiz für die hohe Einschätzung dieses Amtes, das im übrigen auch zum Sprungbrett für die Ernennung zum Abt werden konnte, wie eine Reihe von Beispielen belegt. Besonders interessant sind mehrere signifikante Ergänzungen und Präzisierungen Wilhelms, die der Bibliothek und dem Skriptorium einen fast enklavenartigen Sonderstatus innerhalb des Klosters zuweisen: So darf der armarius niemandem ohne triftigen Grund Zutritt in die Bücherkammer gewähren, wo im übrigen Schreiben, lautes Lesen und Singen untersagt sind und wo die Kommunikation möglichst in der klösterlichen Zeichensprache, den so genannten signa loquendi, zu erfolgen
zu den „Constitutiones Hirsaugienses“, in: Revue Bénédictine 104 (1994), S. 379–418. Zu Wilhelms Leben und Werk s. zusammenfassend Franz Josef Worstbrock, Wilhelm von Hirsau, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. völlig neu bearb. Aufl., hrsg. von Burghart Wachinger u. a., Bd. 10, Berlin u. New York 1999, Sp. 1100–1110. 5 … secundum morem patriae, loci situm et aeris temperiem de eisdem consuetudinibus si quid esset superfluum demeremus, si quid mutandum mutaremus, si quid addendum adderemus (PL 150, 929D). 6 Für Einzelheiten und Belege vgl. Felix Heinzer, Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Hirsaus, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2 (wie Anm. 2), S. 259– 296, bes. S. 261–263 [in diesem Bd., S. 89–92].
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hat.7 Den Schreibern widmet Wilhelm ein eigenes Kapitel. Darin wird unter anderem auch verfügt, daß die scriptores ihre Arbeit gemeinsam in einem eigenen Raum verrichten sollen und dafür zumindest an Festtagen von Teilen des gemeinsamen Chorgebet zu dispensieren seien und das entsprechende Pensum miteinander an ihrem Arbeitsplatz absolvieren sollen – eine für benediktinische Verhältnisse ausgesprochen bemerkenswerte Verfügung, die auch in Texten aus Cluny anklingt und schon im 12. Jahrhundert Gegenstand heftiger Polemik war.8 Dies alles belegt eine hohe Wertschätzung des Bereichs von Buch, Bibliothekar und Schreiber, die durchaus in einer langen Tradition steht, bei Wilhelm aber – selbst gegenüber Cluny – noch zugespitzt und gesteigert erscheint. Wie aber steht es um die wirkliche Schreibtätigkeit der Hirsauer? Die Diskussion dieser Frage ist entscheidend bestimmt von einer grundlegenden Schwierigkeit: Leider ist für für Hirsau selbst, die hochmittelalterliche Bibliotheksüberlieferung praktisch inexistent, lassen sich in diesem Zusammenhang doch nur gerade ein knappes Dutzend Handschriften und einige Fragmente benennen.9 Ein in frühneuzeitlicher Abschrift erhaltenes Bücherverzeichnis des 12. Jahrhunderts bietet auch nur unzureichende Kompensation, weil es leider ziemlich pauschal gehalten ist. Damit sind inhaltlichen und formalen Rekonstruktionsversuchen engste Grenzen gesetzt. Es bleibt also nur der Versuch, Hirsauer Tochtergründungen oder hirsauisch beeinflußte Klöstern in die Betrachtung einzubeziehen und von diesen Befunden möglicherweise auf das Reformzentrum selbst zurück zu schließen. Ein solche Strategie verspricht im übrigen nicht nur neue Beobachtungen und Erkenntnisse für das Zentrum, sondern auch für den jeweils besonders in den Blick genommenen Punkt der Peripherie, in diesem Fall also für Rheinau und seinen Handschriftenbestand.
7 Gerade im Einflußbereich des cluniazensischen Mönchtums sind diese besonders gebräuchlich und verbreitet. Vgl. dazu Walter Jarecki, Signa loquendi. Die cluniazensischen Signa-Listen, Baden-Baden 1981. 8 In dem bekannten Streitgespräch zwischen einem Zisterzienser und einem Cluniazenser aus der Feder des aus dem hirsauischen Prüfening zu den Zisterziensern übergetretenen Idung, vgl. Robert B.C. Huygens, Le moine Idung et ses deux ouvrages „Argumentum super quatuor quaestionibus“ et „Dialogus duorum monachorum“, (Biblioteca degli Studi medievali 10), Spoleto 1980, S. 154 f., und ders. Idungus (von Prüfening), in: Verfasserlexikon, 2. Aufl. (wie Anm. 4), Bd. 4 (1983), Sp. 362–364. 9 Vgl. Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 6), S. 267–279 [in diesem Band, S. 103–125].
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Inhaltliche Schwerpunkte Schon Bernhard Bischoff hatte 1954 vorgeschlagen, auf die gut erhaltene Bibliothek des Klosters Allerheiligen in Schaffhausen zurückzugreifen, um den Versuch zu unternehmen, in kompensatorischer Weise „das geistige Rüstzeug der Hirsauer Reform“ zu rekonstruieren.10 Spätere Forscher, die diesen Ansatz aufnahmen und auf weitere Klöster ausweiteten, betonten die ausgeprägte Präferenz für die Patristik, besonders für die augustinischen Schriften und eine deutliche „Vernachlässigung der Profanliteratur, zumal der alten römischen“.11 Solche Beobachtungen, die im übrigen für eine geistliche Reformbewegung kaum sehr überraschend sein wirken, bedürften allerdings der Nuancierung, vor allem, wenn daraus vergröbernd der Schluß einer generellen „Klassikerfeindlichkeit“ des an Cluny orientierten Mönchtums gezogen wird, wie dies teilweise geschehen ist. Zumindest für den Schulgebrauch wurden die klassischen Autoren mit Sicherheit auch in diesem Milieu herangezogen.12 Das belegt zum Beispiel der bekannte Dialogus super auctores Konrads von Hirsau,13 aber auch ein Bibliotheksbestand wie der des Klosters Michelsberg bei Bamberg, wo nach nach dem 1112 erfolgten Anschluss an die Hirsauer Reform Autoren wie Vergil, Sallust, Ovid und Lucan und sogar der in monastischen Kreisen eher beargwöhnte Terenz zu finden waren; Cicero scheint sogar ganz speziell gepflegt worden zu sein.14 Das mag ein Sonderfall sein – immerhin mahnt er zur Vorsicht. Dies gilt in anderer Hinsicht auch für die vorzüglich erhaltenen hochmittelalterlichen Bibliotheksbestände eines so eng mit Hirsau verbundenen Klosters wie Zwiefalten, wo zumindest für das ausgehende 12. Jahrhundert eine große Offenheit für Bücher und Texte aus dem Kontext der Pariser Universität und ihrem Lehrbetrieb zu registrie-
10 In seiner Besprechung von Albert Bruckner, Scriptoria Medii Aevi Helvetica 6 (1962), in: Historisches Jahrbuch 73 (1954), S. 492. 11 So Raimund Kottje, Klosterbibliotheken und monastische Kultur in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 80 (1969), S. 145–162, hier S. 152. 12 Vgl. zu dieser Frage Else Maria Wischermann, Grundlagen einer cluniacensischen Bibliotheksgeschichte, München 1988, S. 22–27. 13 Zu diesem Robert Bultot, Konrad von Hirsau, in: Verfasserlexikon, 2. Aufl. (wie Anm. 4), Bd. 5 (1985), Sp. 204–208; Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 6), S. 264 und 270 f. 14 Vgl. Karin Dengler-Schreiber, Scriptorium und Bibliothek des Klosters Michelsberg in Bamberg, Graz und Würzburg 1979, S. 87 und 90.
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ren ist.15 Zentrale Figuren der Pariser Scholastik wie Petrus Lombardus, Petrus Comestor und andere finden sich teilweise sogar in und demselben Band in unmittelbarer Nachbarschaft mit patristischen Autoren. Gerade solche Sammelhandschriften stellen den vermeintlich so fest gefügten Gegensatz zwischen Theologia monastica und Theologia scholastica dezidiert in Frage.16 Auch hier also ein eher komplexes und buntes Bild, das den Versuch, ein spezifisches Bibliotheks- und Bildungsprogramm der Hirsauer Reform herausarbeiten zu wollen, von vornherein als ziemlich problematisch erscheinen läßt. Auch für Rheinau scheint nach den Beobachtungen Albert Bruckners, der die erhaltenen Handschriftenbestände in seiner mehrbändigen Veröffentlichung über die Schreibschulen der mittelalterlichen Schweiz erstmals zusammenfassend würdigte, ein gewisser Eklektizismus vorzuherrschen.17 Nicht zu vergessen ist hier im übrigen ein wesentlicher Unterschied gegenüber Hirsauer Neugründungen im eigentlichen Sinn: In Rheinau trifft die Reform auf eine klösterliche Institution mit einer jahrhundertealten, bis in die Karolingerzeit zurückreichenden Tradition – dies ist für das Verständnis der spezifischen Situation dieses Klosters und eben auch für die Frage nach seinem Bibliotheksprofil von wesentlicher Bedeutung. Schärfere Konturen lassen sich für die liturgischen Handschriften herausarbeiten, und hier kommt Rheinau ein geradezu exemplarischer Stellenwert zu. Die Frage nach der spezifischen Gestalt hirsauischer Liturgietradition steht auf einer neuen Grundlage, seit ausgehend von Rheinauer Handschriften der Normtext der Hirsauer Liturgie zurück gewonnen werden konnte. Dieser ist, wie ich vor gut 10 Jahren zu zeigen versucht habe, in dem schon 1956 von Anton Hänggi18 edier-
15 Vgl. Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 1: Provenienz Zwiefalten, bearb. von Sigrid von Borries-Schulten, mit e. paläogr. Beitr. von Herrad Spilling (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2,1), Stuttgart 1987, Nr. 77, 82 u. 83, sowie Die gotischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 1: Vom späten 12. bis zum frühen 14. Jahrhundert, bearb. von Christine Sauer (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 3,1), Stuttgart 1996, Nr. 15, 46–49 u. 105. 16 Näheres dazu bei Constant Mews, Monastic Educational Culture Revisited: The Witness of Zwiefalten and the Hirsau Reform, in: Medieval Monastic Education, hrsg. von George Ferzoco und Carolyn Muessig, London 2000, S. 182–197. 17 Albert Bruckner, Scriptoria Medii Aevi Helvetica 4, Genf 1940, S. 36–62, hier bes. S 45. 18 Hänggi Liber Ordinarius (s. Anm. 3).
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ten Liber ordinarius aus Rheinau greifbar, denn dieser läßt sich als lokal überfärbte Überlieferung der Hirsauer Kodifizierung verstehen.19 Analoge Textzeugen lassen sich mittlerweile für eine Reihe weiterer Klöster des Reformkreises nachweisen (und zwar bis hinein ins 15. Jahrhundert): für Zwiefalten und Weingarten im schwäbischen Einflußbereich Hirsaus, aber auch für die alte Abtei Schuttern in der Ortenau und das friulanische Kloster Moggio nördlich von Udine. Daß mit Moggio ein Kloster ins Blickfeld rückt, das einem ganz anderen Kontext angehört als Hirsau und sein unmittelbares südwestdeutsches Umfeld, gibt dieser Überlieferung ein ganz besonderes Interesse und ist zugleich ein eindrucksvoller Beleg für die Reichweite der Hirsauer Ausstrahlung.20 Diese von Rheinau aus möglich gewordene Rekonstruktion des Liber Ordinarius ist von erheblicher Bedeutung, und dies in verschiedener Hinsicht: 1) ist dadurch eine Basis gegeben, um Gestalt und Repertoire der Hirsauer Liturgie präziser als bisher zu rekonstruieren, 2) liegt damit auch eine Prüfinstanz vor, um Handschriften, für die ein Bezug zur Reform vermutet wird, auf diese Zugehörigkeit hin zu überprüfen, und 3) eröffnen sich damit neue Möglichkeiten, das Ausgreifen und die Einflußnahme dieser spezifischen Tradition nachzuzeichnen. Die Tragweite dieses Sachverhalts soll wenigstens an einem Beispiel kurz etwas verdeutlicht werden. 1964 konnte Ephrem Omlin ein Antiphonar des ausgehenden 12. Jahrhunderts der Engelberger Stiftsbibliothek mit überzeugender Argumentation der Abtei Disibodenberg an der Nahe zuweisen, wo Hildegard von Bingen in der DoppelklosterSituation der ersten Jahrhunderthälfte die erste Zeit ihrer klösterlichen Laufbahn verbrachte.21 Nun ist die Forschung zwar schon lange von einer Hirsauer Prägung des Disibodenbergs ausgegangen, eine 19 Felix Heinzer, Der Hirsauer ‚Liber ordinarius‘, in: Revue Bénédictine 102 (1992), S. 309–347 [in diesem Band, S. 185–223]. 20 Die Bedenken gegenüber dieser Rekonstruktion bei Kristina Krüger, Die romanischen Westbauten in Burgund und Cluny, Berlin 2003, S. 250 f., erweisen sich als unbegründet: 1. liegt nicht nur ein Textzeuge vor, sondern mittlerweile ein ganzes Bündel von solchen (s. oben im Text), d. h. die Argumentation beruht auf einer breiteren Basis; 2. handelt es sich bei der substantiellen, lediglich in Einzelheiten durch lokale Überfärbungen relativierten Übereinstimmung dieser Ordinarien mit der Rheinauer Quelle nicht um eine „Ansicht“ (so Krüger, S. 250), sondern um eine durch genaue Vergleiche belegte Feststellung von Tatsachen; 3. liegt gerade bei der in Krügers Argumentation im Vordergrund stehenden Osterprozession (Hänggi, a. a. O., S. 140 f.) wörtliche Übereinstimmung zwischen Rheinau und den übrigen Textzeugen vor. 21 Ephrem Omlin, Das ältere Engelberger Osterspiel und der Cod. 103 der Stiftsbibliothek Engelberg, in: Corolla Heremitana [Festschrift zum 70. Geb.von Linus Birchler], hrsg. von Alfred A. Schmidt, Olten & Fribourg 1964, 101–126.
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„Gegenlesung“ der Engelberger Handschrift mit Hilfe des Liber ordinarius vermag diese Hypothese aber entscheidend zu verstärken, denn diese Analyse zeigt, daß hier ein typischer Zeuge der Hirsauer Gottesdienstordnung vorliegt. Mit anderen Worten: die liturgische Praxis, die von Anfang an Hildegards klösterlichen Alltag bestimmte, war grundsätzlich den Gebräuchen der Hirsauer Reform verpflichtet. Für die Frage nach dem geistigen Hintergrund Hildegards und ihres Oeuvres ist damit ein wichtiger neuer Aspekt gewonnen.22 Ein entsprechender Vergleich der Rheinauer Liturgica mit dem Normtext steht noch weitgehend aus. Hier wenigstens ein paar erste Hinweise: In René-Jean Hesberts imposantem Corpus Antiphonalium Officii (CAO), der maßgeblichen Ausgabe der Gesangstexte des Offiziums,23 wird das Rheinauer Antiphonar Rh. 28 unter dem Sigel R als eine der Leithandschriften für den Cursus Monasticus herangezogen. Der Vergleich mit dem Liber ordinarius und mit anderen Antiphonaren aus Hirsauer Reformklöstern, den Regula Puskás in ihrer 1984 publizierten Untersuchung für die Matutin-Responsorien von Rh. 28 durchgeführt hat, zeigt, daß das Rheinauer Antiphonar als repräsentativer Vertreter hirsauischer Offiziumstradition zu sehen ist.24 Von besonderem Gewicht ist dabei die sehr enge Übereinstimmmung mit dem bekannten Antiphonar Aug. LX der BLB Karlsruhe, auf die Regula Puskás eigens hingewiesen hat, denn diese wichtige, seinerzeit noch nicht genau lokalisierte Handschrift ist mittlerweile für das bereits genannte, unmittelbar von Hirsau abhängige Zwiefalten gesichert.25 Mit anderen Worten: Das Rheinauer Antiphonar vertritt im CAO – sozusagen „getarnt“, weil bei Hesbert nicht entsprechend ausgewiesen – die überregionale Hirsauer Tradition und erhält dadurch einen erheblichen Mehrwert. 22 Für Einzelheiten vgl. dazu Felix Heinzer, Hildegard und ihr liturgisches Umfeld, in: Hildegards Musik in ihrem historischen Umfeld (Kongreß Bingen 17. bis 19. Sept. 1998), hrsg. von Wulf Arlt und Joseph Willimann (im Druck). 23 René-Jean Hesbert, Corpus Antiphonalium Officii 1–6, Rom 1963–1979. 24 Regula Puskás, Die mittelalterlichen Mettenresponsorien der Klosterkirche Rheinau. Studien zum Antiphonar in Hs Zentralbibliothek Zürich Rh 28, Baden-Baden 1984. 25 Vgl. von Borries/Spilling (wie Anm. 15), Anhang 2; Hartmut Möller, Antiphonarium Karlsruhe, Badische Landsbibliothek, Aug. perg. 60 (Codices illuminati medii aevi 37), München 1995; The Zwiefalten Antiphoner Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Aug. perg. LX. A CANTUS Index, Introd. by Hartmut Möller (Musicological Studies LV/5), Ottawa 1996.
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Diese neue Sicht auf den Rheinauer Ordinarius hat generell eine neue Grundlage für die Herausarbeitung liturgisch-musikalischer Spezifika der Hirsauer Tradition geschaffen. Zu solchen „fingerprints“ zählt beispielsweise der Tropus Postquam factus zum Introitus der Ostermesse, dessen Vorkommen in zahlreichen, in ihrer geographischen Verbreitung eher disparaten Handschriften Andreas Haug selbst 1994 als eine der Hirsauer Reform zu verdankenden Spätkarriere eines älteren, umfangreicheren Ostertropus deuten konnte.26 Auch die Rheinauer Gradualien der Zeit nach 1100 enthalten dieses Erweiterungselement. Besonders instruktiv ist der Vergleich zwischen Rh. 132 und Rh. 14: Im Sammelband Rh. 132, einer vorhirsauischen Handschrift aus dem 11. Jh., finden wir den „Hirsauer“ Tropus am Ende des Buchblocks als Nachtrag des 12. Jahrhunderts, und zwar in unmittelbarer Nachbarschaft zur Sequenz Laudes Christo redempti, die ebenfalls im Zusammenhang mit den Hirsauer Modifizierungen zu sehen ist27 – ein typischer Befund für eine nachträglich vorgenommene Anpassung einer älteren Handschrift an die die neuen Erfordernisse der Reform. Ganz anders die Situation in dem im frühen 13. Jahrhundert geschriebenen Graduale Rh. 14. Hier erscheint Postquam factus bereits als rezipiertes und ganz selbstverständlich in den liturgischen Zusammenhang integriertes Element: direkt dem Eingangsvers Resurrexi vorangestellt, mit dem es auch sprachlich eine organische Einheit bildet (hier wie dort spricht der Auferstandene in der ersten Person!). 1999 hat Lori Kruckenberg den Versuch unternommen, eine spezifisch hirsauische Sequenzenpraxis zu rekonstruieren.28 Im Rahmen ihrer Beobachtungen zu der „undramatischen aber doch signifikanten Umgestaltung“ des entsprechenden Repertoires im Zuge der Reform29 kommt der eben schon genannten Handschrift Rh. 132 eine besondere Rolle zu, verdeutlicht sie doch in ihrem heutigen Zustand die Auswirkungen des Reformanschlusses auf diesen besonderen liturgischen Bereich geradezu augenfällig: In einigen Fällen wurden Rubriken getilgt oder ersetzt, um Einklang mit den Anweisungen des Liber ordinarius zu erzielen. Und vielfach sind Sequenzen des Hirsauer Bestandes auf zusätzlich eingefügten Blättern oder in leer gebliebenem Schrift26
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Andreas Haug, Ein ‚Hirsauer‘ Tropus, in: Revue Bénédictine 104 (1994), S. 328–
27 Lori Kruckenberg, Zur Rekonstruktion des Hirsauer Sequentiars, in: Revue Bénédictine 109 (1999), S.186–207, hier besonders S. 199 ff. 28 Siehe Anm. 27. 29 Kruckenberg (wie Anm. 27), S. 207.
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raum ergänzend hinzugefügt worden, so auch das typisch hirsauische Sancti merita Benedicti.30 In analoger Weise wurde das ebenfalls vorhirsauische, möglicherweise aus Corvey an der Weser stammende Hymnar Rh. 97 im 12. Jahrhundert durch Korrekturen und Nachträge dem hirsauischen Brauch angepaßt – ein symptomatischer Befund für ein Kloster mit vorhirsauischer Vergangenheit, wo man offenbar in manchen Fällen – möglicherweise aus ökonomischen Gründen, aber auch aus Respekt für die angestammte Tradition – zunächst keine neuen, der Reform entsprechenden liturgischen Bücher herstellte, sondern bereits vorhandene mit Hilfe des Liber ordinarius modifizierte und gleichsam „umbaute“.31 Der Rekurs auf einen normativen Text gestattet indessen nicht nur den Nachweis von Traditionszusammenhängen und -zugehörigkeiten, sondern ebenso von bemerkenswerten Differenzen und Brechungen in der Vermittlung und Verbreitung dieser Tradition. Zwar stimmt das Repertoire der liturgischen Bücher aus Hirsauer Klöstern grundsätzlich mit dem Liber ordinarius überein – jedenfalls so substantiell, dass die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Reformkontext deutlich wird. Gleichzeitig sind aber auch immer wieder Varianten, meist im Sinne von Konzessionen an lokale und regionale Sondertraditionen, zu erkennen, wie sie beispielsweise auch Regula Puskás für das Rheinauer Antiphonar herausgearbeitet hat.32 Das heißt: Die liturgische Tradition Hirsaus transportiert auf ihren Transfer-Wegen zwar ein unverwechselbares Profil, oszilliert aber stets in einer gewissen Bandbreite. Dies gilt im übrigen auch für den liturgischen Normtext selbst, wie sich an den einzelnen Textzeugen des Ordinarius – nicht nur in Rheinau – erkennen läßt. Das heißt: Die Weitergabe der Reform und ihrer liturgischen Ordnung zeigt in der Umsetzung von Normen ein erhebliches Maß an Flexibilität und Offenheit für den je anderen Kontext am jeweiligen Zielort des Transfers – eine Haltung, die im Grunde bereits in der eingangs (Anm. 6) zitierten Stelle aus dem Prolog zu Wilhelms ConKruckenberg (wie Anm. 27), 204 f. (zu Sancti merita S. 201 und 204). Felix Heinzer, Liturgischer Hymnus und monastische Reform. Zur Rekonstruktion des Hirsauer Hymnars, in: Der lateinische Hymnus im Mittelalter. Überlieferung, Ästhetik, Ausstrahlung, hrsg. von Andreas Haug, Christoph März und Lorenz Welker (Monumenta Medii Aevi Monodica. Subsidia 4), Kassel etc. 2004, S. 23–52, bes. S. 25 mit Anm. 8 [in diesem Band S. 226] (dort auch Überlegungen zur Provenienz). 32 Puskás (wie Anm. 24). – Vgl. auch Möller, Antiphonarium (wie Anm. 25) für die Zwiefaltener Handschrift Aug. LX; generell zu Schwankungen im Bereich der Offiziums-Repertoires im Hirsauer Bereich s. auch Heinzer, Liber Ordinarius (wie Anm. 19), S. 341–344 [in diesem Band, S. 218–220]. 30 31
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suetudines deutlich wird. Das pragmatisch orentierte Verhältnis zum burgundischen Vorbild wirkt offenbar prägend für Hirsaus Selbstverständnis als Reformmodell für andere Klöster. Ein letzter – freilich nur sehr punktueller – Aspekt inhaltlicher Besonderheiten hirsauischer Textüberlieferung betrifft einen Komplex althochdeutscher Bibelglossen (die sog. „Familie S“ von Steinmeyer/ Sievers),33 der auch in Reinau begegnet (Zürich, ZB, Rh. 66). Seine Überlieferung beschränkt sich fast fast ausschließlich auf Textzeugen aus Hirsauer Klöstern: Admont, Weingarten, Michelsberg, Benediktbeuern und eben auch Rheinau.34 Die verlorene Vorlage, aus der 1511 eine zweifellos in Hirsau entstandene Handschrift (Stuttgart, WLB, HB IV 27) schöpft, ist gleichfalls diesem Überlieferungszweig zuzuordnen.35 Hier greifen wir also offenbar eine spezifische Hirsauer Tradition, die möglicherweise zusammenhängt mit Bemühungen um Normierung und Vereinheitlichung des biblischen Textcorpus selbst, das auf seinen Transferwegen ein Ensemble ankristallisierter Glossen mitgeschleppt haben dürfte. In der Vita von Wilhelms Schüler Theoger, dem späteren Abt von St. Georgen und Bischof von Metz, wird in der Tat berichtet, Wilhelm habe eine Bibelrevision in die Wege geleitet, deren Ergebnis in Form von fehlerfreien Musterexemplaren in den mit Hirsau verbundenen Klöstern verbreitet werden sollte36 – eine Initiative, die im übrigen spätestens seit den Reformbestrebungen unter Karl dem Großen als eine Konstante kirchlicher Erneuerungsbemühungen beobachtet werden kann. Der unbekannte Verfasser der um 1140 entstandenen Theoger-Vita betont auch, in seinem Kloster, nämlich in Prüfening bei Regensburg, habe dieser als correctio bezeichnete Normtext nach wie vor Gültigkeit (cum apud nos perseveret).37
33 Elias von Steinmeyer und Eduard Sievers, Die althochdeutschen Glossen 5, Berlin 1922, S. 110 und 234 ff. 34 Einzelnachweise bei Steinmeyer/Sievers (wie Anm. 33); vgl. auch Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 6), S. 275, Anm. 165 [in diesem Band, S. 119]. 35 Vgl. Helmut Boese, Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 2,1. Wiesbaden 1975, S. 150. 36 Vgl. Eberhard Nestle, Die Hirschauer Vulgata-Revision, in: Theologische Studien aus Württemberg 10 (1889), S. 305–311, hier S. 311; außerdem Worstbrock, Wilhelm von Hirsau (wie Anm. 4), Sp. 1103. 37 Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 12, Hannover 1856, S. 45144–45.
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Gerade im Kontext von Reform, wo Bücher normative Funktionen übernehmen, transportieren sie als mediale Träger von Inhalten auch ästhetische Aspekte: bestimmte Formen von Schrift etwa, typische Gestaltung der Seiteneinrichtung und der buchmalerischen Ausstattung und anderes mehr, und diese formalen Komponenten partizipieren bis zu einem gewissen Maß auch an der Autorität und dem normativen Charakter des Inhaltlichen, üben also ihrerseits Vorbildwirkung aus. Geradezu paradigmatisch hierfür ist die erfolgreiche Karriere der sog. karolingischen Minuskel im Zuge des Reformprogramms Karls des Großen und seiner Nachfolger, das sich zu seiner Verbreitung in ausgeprägter Weise des Buchs als Medium bediente. Ist Analoges für Hirsau nachzuweisen? Hatte seine Buchkultur ebenfalls Modellfunktion, zumindest innerhalb seines Reformkreises? Haben wir möglicherweise sogar Grund, von einem eigentlichen „Hirsauer Stil“ zu sprechen? Auch hier sind wir erneut auf die Peripherie verwiesen: auf Klöster des Reformkreises also, die besser dokumentiert sind als Hirsau selbst. Zwar ist der Befund nicht so eindeutig, dass ein unmittelbarer Rückschluß auf das Zentrum möglich würde; immerhin lassen sich aber Übereinstimmungen erkennen, die nur aus der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Reformkontext erklärbar sind. Das gilt in erster Linie für gewisse Charakteristika des (ornamentalen) Initialstils, die nicht nur für die Klöster des schwäbisch-alemannischen Kernbereichs der Reform wie etwa Zwiefalten oder Schaffhausen, sondern in sehr ähnlicher Form auch in Handschriften aus eher peripher gelegenen Häusern wie etwa dem Erfurter Peterskloster zu beobachten sind.38 Die Initialen der im Zusammenhang mit den Bibelglossen bereits erwähnten Handschrift Rh. 66 fügen sich beispielsweise sehr gut in diesen Zusammenhang. Nicht zuletzt dürfte auch das mehrfach belegte Phänomen des Bücheraustauschs zwischen Klöstern des Reformkreises mit zur Herausbildung dieser Gemeinsamkeiten im Initialstil beigetragen haben. Zu nennen ist hier beispielsweise – um im Kontext von Rheinau zu bleiben – das zweibändige Lektionar Zürich, ZB, Rh. 18 und 19, das
38 Vgl. dazu Andreas Fingernagel, Die illuminierten lateinischen Handschriften deutscher Provenienz der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin (8.-12. Jh.), Bd. 1, Wiesbaden 1991, S. 11.
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im Schaffhauser Skriptorium entstanden sein dürfte.39 Auch die zumindest punktuell faßbare Rolle von Schaffhauser Vorlagen für Zwiefalten40 oder die Quellenbelege für den Export von Handschriften aus Hirsau selbst nach Blaubeuren, Corvey und dem thüringischen Reinhardsbrunn41 gehören in diesen Zusammenhang. Neben diesen Gemeinsamkeiten sind freilich auch immer wieder Differenzen festzustellen, die nicht zuletzt durch die Einwurzelung in die buchkulturelle Tradition des jeweiligen Umfelds bedingt sein dürfte. Gerade bei Klöstern, die eine vor-hirsauische Existenz und damit eine gewisse Eigentradition in Anspruch aufweisen, gilt dies in besonderem Maße. Geradezu exemplarisch läßt sich dies für das Schaffhauser Allerheiligenkloster zeigen. In dessen Frühzeit spielen hier Einflüsse der benachbarten Reichenau eine wichtige Rolle. Dann allerdings, unter dem ersten hirsauischen Abt Siegfried (1080–1096), wird ein markanter Bruch erkennbar – teilweise sogar als Zäsur innerhalb einzelner Handschriften: Die Reichenauer Einflüsse treten deutlich zurück, der Stil wird zurückhaltender, asketischer, und die Schaffhauser Handschriften dieser Epoche, insbesondere ihre Rankeninitialen, zeigen unübersehbare Berührungspunkte mit den Produkten anderer Hirsauer Klöster – ein Befund der nur als Auswirkung des Reformanschlusses überzeugend zu begründen ist.42 Das Schaffhauser Beispiel zeigt, daß sich die Verbindung zwischen Traditionverhaftung im eigenen kulturellen Umfeld und Rezeption von Idealen und Impulsen der Reform – möglicherweise sogar das eigentlich Typische hirsauisch geprägter Handschriftenproduktion – nicht immer als (je unterschiedlich ausfallendes) Mischungsverhältnis ausprägen muß, sondern sich auch als zeitlich differenzierte Schichtung manifestieren kann.43 39 Vgl. Katalog der illuminierten Handschriften des 11. und 12. Jahrhunderts aus dem Benediktinerkloster Allerheiligen in Schaffhausen, bearb. von Annegret Butz, hrsg. von Wolfgang Augustyn, Stuttgart 1994, Nr. 61 und 62. 40 Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 6), S. 265 mit Anm. 70 [in diesem Band, S. 99 f.]. 41 Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 6), S. 263 [in diesem Band, S. 93]. 42 Dies ist in Ergänzung zur Analyse von Rudolf Gamper, Das Schaffhauser Skriptorium im Hochmittelalter, in: Librarium 37 (1994), S. 96–119, wo die Hirsauer Einflüsse zu gering veranschlagt werden, unbedingt zu betonen. Vgl. auch die umfangreiche Einleitung im gleichzeitig erschienen Handschriftenkatalog: Rudolf Gamper, Gaby Knoch-Mund, Marlis Stähli, Katalog der mittelalterlichen Handschriften der Ministerialbibliothek Schaffhausen, Dietikon 1994. 43 Beiläufig sei angemerkt, daß sich hier gewisse Analogien zur Frage nach einer sogenannten „Hirsauer Bauschule“ abzuzeichnen scheinen. Nach den Beobachtungen von Rolf Berger, Hirsauer Baukunst. Ihre Grundlagen, Geschichte und Bedeutung, (Beiträge zur Kunstgeschichte 12), Bd. 3, 1997, bes. S. 957–962, ist auch hier ein
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In ihrer ästhetischen Grundhaltung scheint die in Hirsau und seinem Kreis realisierte Buchkunst insgesamt weniger auf Außenwirkung und Repräsentation als vielmehr auf eine Vermittlungs- und Verdeutlichungsfunktion im Dienst inhaltlicher Aspekte angelegt zu sein. In noch stärkerem Maß als für die Initialornamentik gilt dies für den Bereich der figürlichen Darstellung. In diesem Zusammenhang ist die dezidierte Bevorzugung der Federzeichnung hervorzuheben, die in diesem Kontext zum bevorzugten Ausdrucksmedium wird und sich von der reichen Palette von Deckfarben und opulenten Verwendung von Gold der ottonischen und frühsalischen Buchkunst deutlich differenziert. In diesem Zusammenhang ist auch hinzuweisen auf die ausgeprägte Vorliebe der Reformskriptorien für das, was man textierte Bilder nennen könnte: Miniaturen mit komplexen und vielschichtigen Programmen, die nur noch über einen umfangreichen Apparat von Bei- und Inschriften lesbar sind, so dass wir es vielfach mit eigentlichen Bild-Text-Collagen zu tun haben. Typische Beispiele dafür sind etwa das Autorenbild zur Benediktregel im Zwiefaltener Kapiteloffiziumsbuch von ca. 1160 (Stuttgart, WLB, Cod. hist. 2° 415)44 oder die etwa gleichzeitge, allegoretische David/Christus-Darstellung, die einer möglicherweise in Petershausen entstandenen Handschrift des Psalterkommentars von Pertrus Lombardus (Stuttgart, WLB, Cod. theol. et phil. 2° 341) vorangestellt ist.45 Miniaturen dieses Typs demonstrieren geradezu exemplarisch, wie sich im Kontext von Reformskriptorien die zu großer Verfeinerung gebrachte Federzeichnung „zum idealen Ausdruckmittel bezugsreicher Bildthemen entwickelt“.46 Programmatische, formale und technische Aspekte konvergieren hier also in starkem
ähnliches Spannungsverhältnis zwischen der Relevanz lokaler Traditionen und dem identitätssichernden Moment überregionaler Zusammengehörigkeit und „Wiedererkennungssymbolik“ festzustellen. 44 Von Borries/Spilling (wie Anm. 15), Nr. 64 mit Abb. 258; Felix Heinzer, Scalam ad celos – Poésie liturgique et image programmatique. Lire une miniature du livre du chapitre de l’abbaye de Zwiefalten, in: Cahiers de Civilisation Médiévale 44 (2001), S. 329–348 [in diesem Band, S. 257–285]. 45 Die Romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2: Verschiedene Provenienzen, bearb. von Annegret Butz (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2,2), Stuttgart 1987, Nr. 62 mit Abb. 249 (mit Hinweisen auf Parallelen in München und St. Paul im Lavanttal). 46 Elisabeth Klemm, Die Regensburger Buchmalerei des 12. Jahrhunderts, in: Regensburger Buchmalerei. Von frühkarolingischer Zeit bis zum Ausgang des Mittelalters, Red. Florentine Mütherich und Karl Dachs, München 1987, S. 39–46, hier S. 42.
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Maße. Aus dem Rheinauer Skriptorium sind allerdings, soweit ich sehe, Miniaturen dieses Typs nicht überliefert. Generell wäre an dieser Stelle zu fragen, inwieweit sich das erhaltene Handschriftenmaterial aus Rheinau in das hier skizzierte Szenario einfügen läßt. Albert Bruckner, den ich hier noch einmal zitieren darf, scheint dem zumindest nicht zu widersprechen, wenn er für die Rheinauer Codices das 12. Jahrhundert festhält: „Stilistisch gehören diese Werke meist völlig in den berühmten Kreis schwäbischer Malschulen des späten 11. und des 12. Jahrhunderts, die sich um Hirsau gruppieren …, einen in weiterem Sinn gemeinsamen ornamentalen Stil besitzen und sich schwer von einander unterscheiden. Da Rheinau ebenfalls zu den Hirsauer Reformklöstern zählte, so wird man hier wie anderwärts auch die entsprechenden Einflüsse … annehmen dürfen.“47 Die Frage, ob diese vor mittlerweile gut 60 Jahren geäußerten Überlegungen heute noch Gültigkeit haben, ruft nach neuen Recherchen, die den mittlerweile für Zwiefalten, Schaffhausen, Weingarten und andere Klöster des Reformkreises vorliegenden Forschungsstand berücksichtigen müßten. Nach meinem Eindruck dürfte es hier gewiß zu Differenzierungen kommen, der skizzierte Gesamteindruck wird sich aber vermutlich nicht entscheidend modifizieren, wobei sich vermutlich – ähnlich wie für Schaffhausen oder gar noch stärker – deutliche Spuren von Einflüssen des kulturellen Umfelds entdecken lassen werden, zumal die Rheinauer Bibliotheksbestände nach Bruckners Beobachtung schon für die vor-hirsauische Zeit ausgesprochen stark von Importen geprägt ist.48
Stilbrüche und Krisensymptome Eine grundsätzliche Zurückhaltung der buchkünstlerischen Ästhetik – François Avril hat in diesem Zusammenhang einmal pointiert von einer „volonté d’austérité“ gesprochen49 – erscheint charakteristisch für das Profil der Handschriftenproduktion des von Hirsau bestimmten Reformkreises. Zugleich ist aber auch festzuhalten, daß die situative Flexibilität, die als ebenso typisches Merkmal der Hirsauer Richtung gelten darf, in letzter Konsequenz sogar die Negierung dieser askeBruckner (wie Anm. 17), S. 45. Bruckner (wie Anm. 17), S. 36–45. 49 François Avril, Le temps des croisades (L’univers des formes, Bd. 29), Paris 1982, S. 194. 47 48
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tischen Grundhaltung implizieren kann. Das heißt: Das, was sich als Habitus oder, wenn man so will, als „Stil“ dieser Buchkultur zu erkennen gegeben hat, kann offenbar unter bestimmten Voraussetzungen, etwa als Ergebnis eines wirkungsvollen Stifterimpulses, auch aufgebrochen werden und einen dezidiert repräsentativen Gestus annehmen. Ein Paradebeispiel dafür ist das um etwa 1215 in Weingarten unter der Ägide des bedeutenden Abtes Berthold entstandene und nach ihm benannte Sakramentar: eine Handschrift, die sich im Inhalt wie auch im Erscheinungsbild der Textseiten in keiner Weise von anderen Liturgica der Hirsauer Reform anhebt, die aber dank ihres Buchschmucks, der sich einem von auswärts herangezogenen Maler von Ausnahmerang verdankt, als eines der prächtigsten Zeugnisse deutscher Buchkunst der Übergangs von der Romanik zur Gotik gelten darf 50 – aus reformerischer Perspektive buchstäblich ein „Stil-Bruch“! Hinter dieser Handschrift steht die Figur eines energischen und selbstbewußten Prälaten, der sich auf dem vergoldeten Prachteinband der Handschrift als Stifter gemeinsam mit Maria, den Evangelisten und den Patronen seines Klosters darstellen läßt:51 ein erstaunlicher Befund, der die ambivalenten Situation dieser Handschrift als Produkt eines Spannungsfelds zwischen der Tradition klösterlicher Reform und dem Repräsentationswillen einer einzelnen Persönlichkeit unmittelbar deutlich macht. In Rheinau entsteht wenige Jahre zuvor die bereits mehrfach erwähnte Missale-Handschrift Rh. 14, deren Gradualteil von einer ganzseitigen Miniatur eröffnet wird, das in seinem Programm durchaus an die Konstellation des Weingartener Einbands erinnert. Das Bild zeigt einen knienden Abt Heinricus, wohl den von 1207–1213 regierenden Heinrich, der das Buch in der typischen Haltung eines Stifters den Klosterpatronen Maria und Fintan überreicht.52 Gewiß ist die Rheinauer Miniatur in der künstlerischen Qualität und der materiellen Prachtentfaltung mit dem Berthold-Sakramentar nicht vergleich50 Weiterführend: Das Berthold-Sakramentar. Kommentarband, hrsg. von Felix Heinzer und Hans Ulrich Rudolf (Codices Selecti 100), Graz 1999. 51 „Selbstbewußt stellt der Stifter sich den heiligen Personen zur Seite, wie in dieser Art bisher kaum üblich.“ Frauke Steenbock, Der Einband, in: Berthold-Sakramentar (wie Anm. 50), S. 195–202, hier S. 197 (Abb. des Einbands ebd., Frontispiz und S. 202). 52 Bruckner (wie Anm. 17), Tafel XXXVI. S. jetzt auch Christoph Eggenberger, Die Lebendigkeit des Gottesdienstes im Kloster Rheinau. Die Handschriften der Zentralbibliothek Zürich, Rh. 14 und 29, aus dem 13. Jahrhundert, in: Kunst + Architektur in der Schweiz, 56 (2005), S. 34–39, sowie Hans Rudolf Sennhauser, Zur Rheinauer Ikonographie, in: Klosterkirche Rheinau (wie S. 386, Anm. *), S. 181–199, hier S. 182–183.
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bar. Dennoch sind konzeptionelle Parallelen gegeben, insbesondere in der Hervorhebung des Abts, die in dieser Form in der „klassischen“ Hirsauer Buchkunst kaum vorstellbar erscheint (zumal in einem liturgischen Buch). Und es ist wohl auch bezeichnend, daß etwa zur gleichen Zeit hirsauisch geprägte Mönche für den Landgrafen Hermann I. von Thüringen in arbeitsteiliger Zusammenarbeit mit einer professionellen Malereiwerkstatt an der Produktion von zwei buchkünstlerisch so herausragenden Handschriften wie dem Landgrafen- und dem Elisabethpsalter (heute in Stuttgart bzw. Cividale) beteiligt waren.53 Vor allem das breit angelegte ikonographische Konzept des Elisabethpsalters scheint – übrigens bis hin zur Gestaltung des Einbands54 – ein subtiles „Zusammenspiel der Auftraggeber mit ihrem Hofklerus und den Mitgliedern des Hirsauer Skriptoriums in Reinhardsbrunn“ zu reflektieren.55 Es ist kein Zufall, daß sämtliche dieser zuletzt genannten Handschriften gerade in der Zeit des frühen 13. Jahrhunderts entstanden sind. Der Elan des Hirsauer Reformimpulses hat nachgelassen, die vorbildhaften Ursprünge liegen schon über ein Jahrhundert zurück, und zugleich ist spätestens um 1200 das Höfische mit seinem Repräsentationsbedarf zu einem bestimmenden Faktor kultureller Äußerung geworden, der auch in den klösterlichen Kontext hineinwirkt. So gesehen bietet gerade der Psalter als klassisches Bindeglied zwischen monastischklerikaler und höfisch-laikaler Sphäre ein ideales Terrain für derartige Mischkonstellationen. Daß 1241 der Rheinauer Abt Burkhard II. in einer Urkunde als princeps noster tituliert wird,56 fügt sich im Übrigen durchaus passend in dieses Szenario. Diese Beobachtungen lenken noch einmal zurück zum übergreifenden Thema: der Sicht auf die Hirsauer Reformbewegung als kulturelles Netzwerk. Man könnte Befunde wie die eben angesprochenen innerhalb dieses Denkmodells ohne weiteres als Symptome zentrifugaler Tendenzen lesen, als Ausdruck zunehmender Individualisierung ein-
53 Wichtige Beobachtungen zu dieser bemerkenswerten Mischkonstellation jetzt bei Harald Wolter-von dem Knesebeck, Der Elisabethpsalter in Cividale del Friuli. Buchmalerei für den Thüringer Landgrafenhof zu Beginn des 13. Jahrhunderts, Berlin 2001. 54 Harald Wolter-von dem Knesebeck, Der Einband des Elisabethpsalters in Cividale del Friuli. Rheinische „Kleinkunst“ am Hof der Ludowinger, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 54/55 (2000), S. 63–103. 55 Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter (wie Anm. 53), S. 330. 56 Steinmann/Stotz (wie Anm. 3), S. 1135 mit Anm. 5 im Apparat.
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zelner Klöster, vielleicht sogar im Sinne von Auflösungserscheinungen eines Reformverbands. Dies umso mehr, als im Zentrum der Bewegung schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts unübersehbare Zeichen eines Kräfteschwunds erkennbar werden: Hirsau selbst gerät in dieser Zeit unter starken Konkurrenzdruck. Symptomatisch dafür ist der in diesem Zusammenhang immer wieder zitierte Brief Papst Innozenz II. an die Zisterzienseräbte in der Nachbarschaft Hirsaus zum Problem der ihnen zuströmenden Überläufer aus Hirsau57, und im übrigen gehört auch der Fall des in anderem Zusammenhang schon erwähnten Ex-Prüfeninger Idungus (s. Anm. 8) in diesen Kontext. Für reformbewußte und reformwillige Kräfte üben offenbar schon wenige Jahrzehnte nach der Zeit Wilhelms von Hirsau andere Gruppierungen, allen voran die Zisterzienser und bald auch die Bettelorden, größere Anziehungskraft aus und werden zu einer existenzbedrohenden Konkurrenz, gegen deren „moderne“ Stringenz die geschmeidige, anpassungsfähige Haltung der Hirsauer bald auf verlorenem Posten steht. Hirsau selbst sinkt denn auch spätestens im 13. Jahrhundert auf provinzielles Niveau herab, und seine Ausstrahlung als Mittelpunkt monastischer Erneuerung erlischt praktisch gänzlich. In diesem Zusammenhang wäre schließlich auch zu fragen, in welchem Maß ein Netzwerk von so „offenem“ Charakter, wie es die Hirsauer Reformbewegung offenkundig war, überhaupt imstande sein konnte, bei den Klöstern, die es verknüpfte, eine nachhaltige Wahrnehmung dieser Zusammengehörigkeit zu bewirken und damit identitätsstiftende Kraft zu entfalten. Ein Blick auf die Struktur der Verbrüderungsbeziehungen – das Instrument klösterlicher Verbindungspflege schlechthin – bringt im Vergleich zu Cluny signifikante strukturelle Differenzen an den Tag:58 Im Kontext des burgundischen Vorbilds standen die einzelnen Klöster zu Cluny selbst wie Glieder zu ihrem Haupt und wußten sich als Glieder der einen Cluniacensis ecclesia verklammert, Hirsau selbst hingegen hat diesen Anspruch anscheinend nie erhoben, jedenfalls aber nie durchzusetzen vermocht. Vielmehr sind oftmals eigene, auf das jeweilige Umfeld ausgerichtete Verbrüderungs57 Näheres s. Felix Heinzer, Maulbronn und die Buchkultur Südwestdeutschlands im 12. und 13. Jahrhundert, in: Maulbronn 1147–1997 und die Anfänge der Zisterzienser in Südwestdeutschland, hrsg. von Peter Rückert, Stuttgart 1999 (Oberrheinische Studien 16), S. 147–166, hier S. 147 f. [in diesem Band, S. 409–410]. 58 Wichtige Hinweise dazu bieten die Untersuchungen von Joachim Wollasch, Spuren Hirsauer Verbrüderungen, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2 (wie Anm. 2), S. 173–193, bes. S. 192 f.
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netze einzelner Klöster rekonstruierbar, in denen Hirsau selbst unter Umständen gar keinen Platz mehr findet. Diese Beweglichkeit und Disponibilität bringt zwar eine größere Öffnung für regionale Gruppenbildung, steht aber einer Selbstvergewisserung als Gesamtverband eher entgegen. Damit sind wichtige Ursachen für die Tatsache benannt, daß die Ausstrahlung Hirsaus und seine Reform zwar eine beeindruckende Reichweite entwickelte, in ihrer Dynamik aber auf einen erstaunlich kurzen Zeitraum beschränkt blieb. Auch in Rheinau ist die Reform Episode geblieben, und auch hier ist im 13. Jahrhundert ein signifikanter Personalrückgang zu beobachten.59 Immerhin dokumentieren die noch erhaltenen Handschriften aus der Hirsauer Zeit bis heute diesen wichtigen Abschnitt der Geschichte Rheinaus. Nachdem die 1114 geweihte romanische Klosterkirche wiederholt umgebaut wurde und im 18. Jahrhundert endgültig einem barocken Neubau weichen mußte, sind diese Codices die einzig verbliebenen Zeugnisse, die diese Reformepoche und ihren kulturellen Gestus repräsentieren.
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Steinmann/Stotz (wie Anm. 3), S. 1105.
teil iii ZISTERZIENSER UND ZISTERZIENSERINNEN
MAULBRONN UND DIE BUCHKULTUR SÜDWESTDEUTSCHLANDS IM 12. UND 13. JAHRHUNDERT* Um das Jahr 1140 schickt Papst Innozenz II. ein Schreiben an die Zisterzienseräbte im Einzugsgebiet des Klosters Hirsau, in welchem er sie tadelt, sie hätten, wie aus Klagen des dortigen Abts Volmar hervorgehe, aus Hirsau entlaufenen Mönchen Zuflucht gewährt. Sie sollen die Flüchtigen nach Hirsau zurückschicken und künftig derartige „Überläufer“ nicht mehr in ihre Häuser aufnehmen.1 Als Textzeuge für diesen Brief war bisher nur das in der Hirsauer Gründung Zwiefalten entstandene Kapiteloffiziumsbuch Cod. theol. et phil. 4° 141 der Württembergischen Landesbibliothek bekannt, wo der Text als Nachtrag von einer in das zweite Viertel des 12. Jahrhunderts datierbaren Hand vorliegt.2 Vor einigen Jahren fand sich in der Bibliothek der Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal eine weitere Abschrift in einem aus Herrenalb stammenden Codex aus der Zeit um etwa 1200, und zwar mitten in einer Zusammenstellung von Briefen Bernhards von Clairvaux.3 Repräsentiert die Zwiefaltener Überlieferung gewissermaßen die Seite des Klägers, so rückt mit der Abschrift im Lichtenthaler bzw. Herrenalber Codex, der im übrigen eine Einschränkung Erstmals erschienen in: Maulbronn 1147–1997 und die Anfänge der Zisterzienser in Südwestdeutschland, hrsg. von Peter Rückert (Oberrheinische Studien 16), Stuttgart 1999, S. 147–166. 1 Druck des Briefs: Württembergisches Urkundenbuch 4, Stuttgart 1883, S. 348 (Nachtrag XLIX). Vgl. auch Philipp Jaffé, Regesta pontificum romanorum 1, Leipzig 1885, Nr. 8277. 2 Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 1: Provenienz Zwiefalten, bearb. von Sigrid von Borries-Schulten, mit e. paläogr. Beitr. von Herrad Spilling (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2,1), Stuttgart 1987, S. 50–52 (Nr. 25); zur Datierung des 171r nachgetragenen Briefabschrift s. ebd. S. 51. 3 Es handelt sich um die Handschrift 102 der Lichtenthaler Klosterbibliothek. Vgl. Felix Heinzer u. Gerhard Stamm, Die Handschriften von Lichtenthal (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek 11), Wiesbaden 1987, S. 333 f. sowie Felix Heinzer, Zwei unbekannte Briefe Bernhards von Clairvaux in einer Handschrift der Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, in: Scriptorium 41 (1987), S. 97–105. *
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der bisher nur sehr vage gefassten Datierung auf die Jahre 1138 bis 1143 gestattet4, nun auch die andere Seite ins Blickfeld: die von Hirsau des unlauteren Wettbewerbs angeklagten Zisterzienser. Wer sind diese Klöster, die mit dem Reformzentrum im Schwarzwald in Konflikt geraten? Natürlich möchte man zuallererst an Maulbronn denken, das Hirsau am nächsten gelegene Haus des neuen Ordens. Dies stößt sich allerdings etwas an der Chronologie: der Brief des Papstes kann spätestens 1143 abgefasst worden sein (Innozenz stirbt am 24. September dieses Jahres), zu einem Zeitpunkt also, da Maulbronn noch gar nicht bestand. Sollte etwa schon sein Vorgängerkonvent in Eckenweiher eine für Hirsau bedrohliche Anziehungskraft gehabt haben? Diese gewiss nicht uninteressante Frage ist hier nicht weiter zu vertiefen. Worauf es mir ankommt, ist die Tatsache, dass dieser Text schlaglichtartig die veränderte Situation der monastischen Landschaft unseres Raums gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts beleuchtet: Das Phänomen der Abwanderung aus Hirsau und den Klöstern seines Kreises, das der Papstbrief (und die Beschwerde Abt Volmars) anspricht, signalisiert deutlich, dass für reformbewusste und reformwillige Kräfte andere Gruppierungen attraktiver geworden sind, allen voran die Zisterzienser. „Die charismatische Epoche Hirsaus war unwiderruflich vorbei. Die geistig unruhigen Köpfe der Zeit, die sich nach ursprünglichem und unverbrauchtem Leben sehnten, suchten und fanden in neuen Orden ihre geistige Heimat…, nicht in Hirsau oder bei den Hirsauern“ – so hat Klaus Schreiner in der Hirsau-Festschrift von 1991 diese Verschiebung der Gewichte artikuliert5. Nun geht es hier freilich nicht um die monachi fugitivi, ein in der Geschichte des hochmittelalterlichen Mönchtums im übrigen stets virulentes Problem, sondern um die Frage nach der Rolle Maulbronns für die Buchkultur und Bibliotheksgeschichte seiner Region. Der gewählte Einstieg mag daher zunächst etwas irritieren, doch leitet er, wie mir scheint, unmittelbar zu der Fragestellung hin, auf die ich mich im fol4 Näheres bei Felix Heinzer, Zwei unbekannte Briefe (wie Anm. 3), S. 99 mit Anm. 5. 5 Klaus Schreiner, Hirsau und die Hirsauer Reform. Spiritualität, Lebensform und Sozialprofil einer benediktinischen Erneuerungsbewegung im 11. und 12. Jahrhundert, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991. Teil 2: Geschichte, Lebens- und Verfassungsformen eines Reformklosters, bearb. von Klaus Schreiner (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10/2), Stuttgart 1991, S. 59–84, hier S. 84. – Vgl. auch Lieven van Acker u. Hermann Josef Pretsch, Der Briefwechsel des Benediktinerklosters St. Peter und Paul in Hirsau mit Hildegard von Bingen. Ein Interpretationsversuch zu seiner kritischen Edition, ebd. S. 157–172, bes. S. 159 f.
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genden konzentrieren möchte: Findet der Umbruch, den der Papstbrief in seinen sozialen, kirchen- und letztlich auch machtpolitischen Aspekten erahnen lässt, auch eine Entsprechung auf der Ebene kodikologischer und bibliotheksgeschichtlicher Beobachtungen? Etwas anders formuliert: Führt die Ankunft und rasche Ausbreitung der Zisterzienser mit ihren teilweise neuen Lebens- und Organisationsformen in Südwestdeutschland auch zu neuen Erscheinungsformen, Modellen und Strukturen im Bereich der Produktion und Gestaltung des (handschriftlichen) Buchs? Eine Antwort auf diese Fragen erfordert zunächst eine Vorbemerkung, die als grundsätzlicher Vorbehalt ausfallen muss: Die Quellenlage im bibliotheksgeschichtlichen Bereich, sowohl in Form von erhaltenen Handschriftenbeständen als auch hinsichtlich erhaltener Kataloge oder sonstiger Nachrichten über Buchproduktion und Buchbesitz, ist für Maulbronn ausgesprochen schmal – eine Situation, die Maulbronn im übrigen mit einer Reihe weiterer altwürttembergischer Klöster teilt, die unter den Herzögen Ulrich und Christoph aufgehoben und in evangelische Prälaturen umgewandelt wurden (seien dies nun die beiden anderen Zisterzen Herrenalb und Bebenhausen, die Prämonstratenser in Adelberg oder die Benediktiner von Murrhardt, Alpirsbach und in gewisser Weise auch Hirsau, um die wichtigsten Beispiele zu nennen). Eberhard Gohl hat in seiner unpubliziert gebliebenen Tübinger Dissertation von 1977, auf die in diesem Zusammenhang nachdrücklich zu verweisen ist, die Anstrengung unternommen, trotz dieser widrigen Umstände wenigstens einzelne Bausteine zu einer Maulbronner Bibliotheksgeschichte zusammenzutragen.6 Insbesondere für die spätmittelalterliche Zeit sind ihm hier auch beträchtliche Fortschritte gelungen, und sein Ergebnis lässt sich durch einige zusätzliche Funde unter den Handschriften der zeitweilig unter Maulbronner Patronat stehenden Abtei Lichtenthal7 noch etwas abrunden. Dennoch: für die ersten zwei Jahrhunderte Maulbronns – und diese Zeit steht hier im Vorder6 Eberhard Gohl, Studien und Texte zur Geistesgeschichte der Zisterzienserabtei Maulbronn im späteren Mittelalter, Diss. masch. Tübingen 1977. 7 Vgl. Felix Heinzer u. Gerhard Stamm, Die Handschriften von Lichtenthal (wie Anm. 3), S. 39 f. (u. a. zu vier weiteren Einbänden aus der von Gohl beschriebenen Maulbronner Buchbinderwerkstatt) und Felix Heinzer, Lichtenthaler Bibliotheksgeschichte als Spiegel der Klostergeschichte, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 136 (1988), S. 35–62, hier S. 48 f. und S. 51 (dort im Übrigen auch Hinweise auf zwei Werke eines spätmittelalterlichen Maulbronner Konventualen, Johannes Schwalb aus Ladenburg, die im entsprechenden Artikel des Verfasserlexikons [Bd. 8, Sp. 913 f., Franz Josef Worstbrock] leider keine Berücksichtigung gefunden haben).
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grund – bleibt das Bild so dürftig und zufällig, dass man versucht ist, mangels einer vernünftigen Arbeitsgrundlage auf das eben skizzierte Unterfangen von vornherein zu verzichten. Im übrigen: welch ein Kontrast zur Erhaltung der alten Bausubstanz des Klosters! Der Kodiloge und Bibliothekshistoriker hat im Vergleich dazu auch nicht annähernd so gute Voraussetzungen bezüglich der ihm zur Verfügung stehenden Materialbasis. Vor diesem Hintergrund bleibt im Grunde nur ein Kunstgriff, der allerdings methodologisch einigermaßen vertretbar erscheint: Im Hinblick auf das so hoch angesetzte Ideal gleichförmiger Lebenspraxis der Zisterzienser8, könnte zumindest der Versuch gewagt werden, von Beobachtungen, die sich für den Orden insgesamt als zutreffend erweisen, Rückschlüsse auf den Einzelfall Maulbronn zu ziehen, zumal dann, wenn sie sich wenigstens im unmittelbaren Umfeld, also dem von Lützel ausgehenden Zweig von Klöstern im Oberrhein- und Bodenseegebiet, zu dem auch Maulbronn gehört (insbesondere Neuburg mit Gründungsjahr 1131, Salem 1134, Pairis 1138 und Herrenalb 1149/50) bestätigen lassen. Noch einmal: Die Tragfähigkeit dieses Ansatzes ist prekär, und der hypothetische Charakter der daraus entwickelten Aussagen ist im Folgenden stets mitzubedenken.
I Kommen wir zunächst zu einem Teilbereich der Buchproduktion, dem aber im Mittelalter besonders in Reformepochen zentrale Bedeutung zukommt, nämlich den für den Gottesdienst bestimmten Handschriften. In früh- und hochmittelalterlicher Zeit ist dieser Bereich auch in unserem Raum primär bestimmt durch das Nebeneinander zahlreicher, mehr oder weniger autarker, meist klösterlicher Einzelzentren mit einer entsprechenden Vielfalt der liturgischen Bräuche und Texte – natürlich auf dem gemeinsamen Grund, den die sogenannte karolingische Liturgiereform gelegt hat. Die Reformbewegungen der Bene8 Man denke an die geradezu programmatisch anmutende Formulierung – in actibus nostris nulla sit discordia, sed una caritate una regula similibusque vivamus moribus – am Schluss des berühmten, die liturgischen Bräuche und Bücher betreffenden Abschnitts der Charta Caritatis (Jean de la Croix Bouton / Jean-Baptiste van Damme, Les plus anciens textes de Cîteaux, Achel 1974, S. 92). Vgl zur Thematik jetzt auch Jean-Baptiste Auberger, L’unanimité cistercienne primitive: mythe ou réalité, Achel 1986, bes. S. 25– 41.
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diktiner und der Kanoniker des 11./12. Jahrhunderts verändern diese Situation wesentlich: Es entstehen netzwerkartige Verbindungen, die sich normierend und vereinheitlichend auswirken. Cîteaux und sein Orden bringen diesbezüglich noch einmal eine Steigerung, die man als eigentlichen Qualitätssprung bezeichnen darf. Bei aller Relativierung bezüglich der konkreten Umsetzung der Einheits-Idee ist doch gerade im Bereich der liturgischen Bücher aufgrund der erhaltenen Dokumente eine sehr weitgehende Annäherung der Wirklichkeit an das Ideal festzustellen. Betrachten wir zunächst die oft zitierte, geradezu klassische Formulierung dieses Ideals der uniformitas liturgischer Bücher und Gebräuche im dritten Kapitel der Charta Charitatis: „Da wir alle ihre Mönche [gemeint sind die der Tochterklöster von Cîteaux], die zu uns [also nach Cîteaux] kommen, in unserem Kloster aufnehmen und sie genauso mit unseren Mönchen in ihren Klöstern verfahren, so erscheint es uns angezeigt – und wir wollen es auch so halten –, dass bei ihnen [den Tochterklöstern] die Gebräuche, der liturgische Gesang und alle für das Stundengebet am Tag wie in der Nacht erforderlichen Bücher der Form der Gebräuche und Bücher des ‚Neuen Klosters‘ [d. h. Cîteaux] entsprechen, damit in unserem Tun keine Uneinigkeit herrsche, sondern wir in der einen Liebe, nach der einen Regel und nach den gleichen Gebräuchen leben.“9 Man hat verschiedentlich hingewiesen auf die Dialektik von „raison d’opportunité“ und „raison profonde“10 dieses Texts: Zum einen lässt er noch immer seinen konkreten Anlass erkennen, nämlich das durchaus pragmatisch orientierte Bemühen, die personelle Fluktuation zwischen dem novum monasterium Cîteaux und seinen Tochterklöstern ohne Schaden für die musikalisch-liturgische Einheit zu bewältigen. Zugleich aber enthält er eine theologische Begründung und Überhöhung dieser Maßnahme, indem er sie auf die una caritas als Hauptinhalt und Hauptziel monastischen Gemeinschaftslebens bezieht und dadurch aus ihrer ursprünglichen historischen Situation heraustreten und zu einem auf 9 Et quia omnes monachos ipsorum ad nos venientes in claustro nostro recipimus, et ipsi similiter nostros in claustris suis, ideo opportunum nobis videtur et hoc etiam volumus, ut mores et cantum et omnes libros ad horas diurnas et nocturnas et ad missas necessarios secundum formam morum et librorum novi monasterii [i.e. Cîteaux] possideant, quatinus in actibus nostris nulla sit discordia, sed una caritate una regula similibusque vivamus moribus. Jean de la Croix Bouton / Jean-Baptiste van Damme, Les plus anciens textes (wie Anm. 8), S. 92. 10 So die Formulierung bei Bouton/van Damme (wie Anm. 8), S. 93.
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die Gesamtheit des Ordens ausgeweiteten Prinzip von bleibender Gültigkeit werden lässt.11 Die Folgen sind bekannt, und es ist auf diesem Punkt, um nicht zu sehr ins Allgemeine zu geraten, auch nicht weiter zu insistieren. Ich möchte mich vielmehr auf zwei Fragen konzentrieren: 1. In welchem Maße hat Maulbronn dieser Vorschrift entsprochen? und 2. Inwieweit ist dieses Bemühen um liturgische Uniformität wirklich so revolutionär, wie dies gemeinhin dargestellt wird? Zur ersten Frage: Eine Überprüfung der Maulbronner Situation stößt sich gerade hier besonders empfindlich an der eingangs erwähnten Materialknappheit. Die liturgische Ausstattung des Klosters im 12. Jahrhundert ist überhaupt nicht mehr greifbar. Für das 13. Jahrhundert ist die Situation kaum viel besser. Immerhin haben wir für diese Zeit so etwas wie einen indirekten Einblick in die Maulbronner Verhältnisse über den S. 411 schon angesprochenen Lichtenthaler Handschriftenbestand. Zum einen können wir feststellen, dass die Lichtenthaler Grundausstattung an liturgischen Büchern durchweg mit den Normtexten des Ordens übereinstimmt12 und zum andern stammen diese Handschriften, wie die Katalogisierung ergeben hat, anscheinend fast alle aus der Abtei Neuburg bei Hagenau im Elsass, der 1248 bei der Inkorporation Lichtenthals in den Orden die Paternität über das neue Frauenkloster übertragen wurde. Für unsere Fragestellung ist dies insofern von Interesse, als Neuburg auch Mutterkloster Maulbronns ist. Mit anderen Worten: das unmittelbare zisterziensische Umfeld Maulbronns ist um die Mitte des 13. Jahrhunderts ganz auf der Linie der vom Orden geforderten Uniformität des liturgischen Repertoires und der liturgischen Bücher, so dass wir durchaus Grund haben, dies auch für Maulbronn selbst anzunehmen. Im übrigen lässt 11 Ich darf hier auch verweisen auf meinen Kommentar zu diesem Text im Zusammenhang mit der Untersuchung der liturgischen Grundausstattung Lichtenthals: Felix Heinzer, Ut idem libri ecclesiastici et consuetudines sint omnibus – Bücher aus Lichtenthals Gründungszeit, in: Faszination eines Klosters. 750 Jahre Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal, hrsg. von Harald Siebenmorgen, Sigmaringen 1995, S. 43–47, bes. S. 43 f. [in diesem Bd., S. 437–438]. 12 Vgl. Heinzer, Ut idem libri (wie Anm. 11), bes. S. 44 f. [in diesem Band, S. 441– 443]. Herangezogen wurde der berühmte Normcodex Dijon 114 und für die dort fehlenden Teile (bes. Hymnar und Antiphonar) die Editionen der entsprechenden Ersatzquellen: für das Hymnar Carl Weinmann, Hymnarium Parisiense. Das Hymnar der Zisterzienser-Abtei Pairis im Elsass, Regensburg 1905; für das Antiphonar François Huot, L’antiphonaire cistercien au XIIe siècle d’après les manuscrits de la Maigrauge, in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 65 (1971), S. 302–314.
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sich diese Hypothese anhand eines konkreten Zeugnisses wenigstens punktuell verifizieren: Vermutlich auf Ersuchen des Neuburger Abts hat sich Maulbronn nämlich an der liturgischen Ausstattung Lichtenthals beteiligt und eine Handschrift beigesteuert. Das 1249 datierte Antiphonar, dessen Schreiber Dominicus sich explizit als monachus Mulenbrunenis bezeichnet (heute Ms. 29 der Lichtenthaler Klosterbibliothek), entspricht exakt der liturgischen Norm des Ordens.13 Diese Maulbronner Mitgift für Lichtenthal wurde im übrigen 1978 als damals einzige bekannte „sichere“ Handschrift aus der frühen Zeit des Klosters in der Maulbronner Ausstellung von 1978 gezeigt.14 Unterdessen hat Andreas Traub den Blick auf zwei weitere Liturgica gelenkt, die möglicherweise ebenfalls dem Maulbronner Skriptorium zuzuweisen sind.15 Es handelt sich um zwei Gradualien in Stuttgart und Colmar, die sich, soweit man dies bei Handschriften sagen kann, geradezu wie Zwillinge gleichen. Sie stimmen nicht nur inhaltlich weitgehend überein, sondern auch in kodikologischer Hinsicht (Umfang, Format, Ausstattung), und stammen offenkundig vom selben Schreiber, der sich in beiden Fällen in der gleichen, für Handschriften ungewöhnlichen, stark an Urkundenmonogramme erinnernden Form als BERTOLFUS zu erkennen gibt.16 Der Stuttgarter Codex (HB XVII 22) kommt aus der von Maulbronn aus besiedelten Abtei Schöntal17; die frühere Bibliotheksheimat seines Colmarer Pendants (Ms. 445, Kat.-Nr. 226)18 ist hingegen 13 Vgl. die auf dem Vergleich mit Dijon 114 basierende Beschreibung bei Felix Heinzer/Gerhard Stamm, Die Handschriften von Lichtenthal (wie Anm. 3), S. 320 f. 14 Kloster Maulbronn 1178–1978, Maulbronn 1978, S. 90, Katalogteil, S. 26. Die Notiz zur Lichtenthaler Kirchweihe von 1248, die der Schreiber zusammen mit dem Kolophon dem Antiphonar vorangestellt hat, dürfte die ursprüngliche Bestimmung der Handschrift für Lichtenthal hinreichend belegen. 15 Andreas Traub, Zur Überlieferung des Meßgesangs im Kloster Schöntal, in: Württembergisch Franken 77 (1993) S. 249–268, bes. S. 250 f. 16 Für eine diplomatisch getreuer Wiedergabe des Monogramms vgl. Colophons de manuscrits occidentaux des origines au XVIe siècle 1, Fribourg/Suisse 1965, Nr. 2196 (nur nach der Colmarer Handschrift); eine Abbildung aus der Stuttgarter Handschrift bei AndreasTraub, Zur Überlieferung (wie Anm. 15), S. 260. 17 Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 6: Codices musici 1 (HB XVII 1–28), beschr. von Clytus Gottwald (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, 2. Reihe 6/1), Wiesbaden 1965, S. 36 f.; Die romanischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2: Verschiedene Provenienzen, bearb. von Annegret Butz (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2, 2), Stuttgart 1987, Kat.-Nr. 22. 18 Vgl. Jean Leclercq, Textes Cisterciens à la Bibliothèque de Colmar, in: Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis 10 (1954), S. 308–313, hier S. 313; Catalogue Général des
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die 1138 von Lützel aus gegründeten Abtei Pairis bei Kaysersberg, die nach einer Phase des Niedergangs 1452 Maulbronn zur Reform anvertraut und als Priorat unterstellt wurde und ein knappes Jahrhundert später den durch die Reformation vertriebenen Maulbronner Mönchen als Zufluchtsort dienen sollte19. Dass unter den ehemals Pairiser Beständen auch einzelne Maulbronner Handschriften zu finden sein könnten, war daher, wie Eberhard Gohl formuliert hat, „von vornherein zu erwarten“, und in der Tat ist es ihm auch gelungen, einige Maulbronner „Findlinge“ in Colmar aufzuspüren.20 Traubs Hypothese – „Sollten die beiden Gradualien, die heute in Stuttgart und Colmar liegen, in Maulbronn entstanden und von dort nach Schöntal und Pairis gelangt sein?“21 – ist daher absolut naheliegend. Ich meine sogar, dass eine Maulbronner Entstehung beider Handschriften überhaupt die einzige sinnvolle Erklärung des Sachverhalts bietet: Das Stuttgarter Graduale wäre dann schon recht bald in das Maulbronner Tochterkloster Schöntal gelangt, wo es, wie insbesondere der Nachtrag für den Würzburger Diözesanheiligen Kilian belegt, spätestens im frühen 13. Jahrhundert in Gebrauch war; Colmar 445 dürfte hingegen im Kontext der erwähnten Verbindungen zwischen Maulbronn und Pairis, also vermutlich erst im der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts oder gar als Flüchtungsgut der Reformationszeit, ins Elsass gekommen sein. Nicht ganz folgen möchte ich Andreas Traub lediglich in der Frage der Datierung der beiden Gradualien: eine Ansetzung in das frühe 13. Jahrhundert wie in den Stuttgarter Handschriftenkatalogen, ist zwar sicherlich etwas zu spät, und man wird mit Dom Leclerq (s. Anm. 18) in das 12. Jahrhundert zurückgehen müssen, allerdings wohl kaum bis in die Zeit des Speyerer Domdekans Bertolf, den Traub als Schreiber in Betracht zieht. Der inhaltliche Befund der beiden Handschriften entspricht im Blick auf die Entwicklung des zisterziensischen Kalendars etwa einem Stand um 1175,22 und in diese Zeit oder kurz danach sind die beiden GraduaManuscrits des Bibliothèques Publiques de France 56, Paris 1969, S. 105, Nr. 226. Die Zuschreibung an Abt Bertolf von Murbach (1122–1143) im Handschriftenkatalog ist historisch unhaltbar und verbietet sich im übrigen allein schon angesichts der Datierung der Handschrift, die frühestens um etwa 1175 anzusetzen ist. 19 Dazu zuletzt Traub, Überlieferung (wie Anm. 15), S. 250 (mit weiterer Lit.). 20 Dazu gehört möglicherweise auch das bekannte Hymnar Ms. 441 aus dem 13. Jahrhundert, das Carl Weinmann für seine bereits erwähnte Hymnar-Edition (s. Anm. 12) herangezogen hat. 21 Traub, Überlieferung (wie Anm. 15), S. 250. 22 Signifikant sind insbesondere die Nachträge für Bernhard von Clairvaux (dessen liturgisches Fest 1175 eingeführt) und Thomas von Canterbury (1185) in Colmar 445.
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lien wohl einzuordnen. Wichtiger als diese Frage erscheint in unserem Zusammenhang allerdings, dass auch hier eine völlige inhaltliche und formale Konformität mit der Ordensnorm festzustellen ist. Fasst man diese Überlegungen und Beobachtungen zu einem Gesamtbild zusammen, so besteht kaum ein Grund, daran zu zweifeln, dass Maulbronn dem zisterziensischen Ideal absoluter Identität des liturgischen Repertoires und damit der liturgischen Bücher weitgehend entsprochen haben dürfte. Dann aber ist der Weg frei für die zweite, im Hinblick auf die eingangs formulierte Problemstellung noch interessantere Frage: Ist dieses Prinzip der Einheitlichkeit der liturgischen Bücher, wie es die Zisterzienser bei der Produktion ihrer Handschriften befolgten, wirklich von so radikaler Neuheit, wie es etwa Jean-Baptiste Auberger kürzlich formuliert hat, wenn er schreibt: „La volonté d’unité liturgique, dont témoigne ce texte (gemeint ist der S. 413 angeführte Passus aus der Charta Caritatis) est une grande nouveauté dans le contexte monastique de l’époque“?23 Der monastische Kontext, auf den die Zisterzienser im deutschen Südwesten treffen ist, wie schon angedeutet, geprägt durch die gregorianische Reformbewegung in ihren verschiedenen Spielformen, im unmittelbaren Umfeld Maulbronns in der Gestalt der Hirsauer Reform (vgl. dazu Teil II des vorliegenden Bandes). Der zisterziensische Erneuerungsimpuls trifft also keineswegs auf ein geistliches und kulturelles Vakuum, sondern, wie eingangs gesehen, in einer gewissen Konkurrenz auf eine bereits vorhandene, wenngleich nicht mehr ganz so dynamische Reformsituation – eine Konstellation, die für eine Überprüfung der These Aubergers besonders geeignet ist. Die Hirsauer Verhältnisse können im folgenden geradezu als Folie dienen, um das Neue des zisterziensischen Ansatzes schärfer herauszuarbeiten. Zuerst die Parallelen: Die Charta Caritatis schreibt in ihrem achten Abschnitt über die Neugründung von Abteien (De construendis abbatiis) nicht nur die Mindestzahl der Mönche und den Kanon der erforderlichen Gebäude fest, sondern auch den Grundstock der liturgischen Bücher, die mitzuführen sind.24 Vom Grundsatz her verfährt
Dem entspricht sachlich der Befund der Stuttgarter Handschrift: Der auf Bernhard bezügliche Nachtrag (Verweisung auf das Commune-Formular bzw. die Messe für Benedikt) im 17. Jahrhundert radiert und überschrieben worden, aber immer noch schwach erkennbar; Thomas von Canterbury fehlt hingegen völlig. 23 Auberger, Unanimité (wie Anm. 8), S. 27. 24 Non mittendum esse abbatem novum in locum novellum…sine libris istis: psalterio, hymnario,
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Hirsau nicht anders: Auch hier funktionieren Neugründungen oder Erneuerungen bereits bestehender Klöster über die Entsendung einer Gruppe ausgewählter, bewährter Mönche, die mit einem Grundstock von Büchern – Brauchtexten (Consuetudines) und Liturgica – ausgestattet sind.25 Mit anderen Worten: diese Verbindung von vorgelebter Praxis und schriftlich fixierter Norm, also Büchern, im Dienst des Reformtransfers ist keine Erfindung der Zisterzienser, sondern darf wohl als ein Grundprinzip kirchlicher Reform bezeichnet werden. Die Bemühung um möglichst zuverlässige, verbindliche Exemplare – Codices authentici – grundlegender Texte (insbesondere Bibel, Sakramentar, Rechtstexte, Regel) ist schon ein zentraler Gesichtspunkt der Reformbestrebungen der karolingischen Herrscher, nicht zuletzt im Hinblick auf die als fundamental erachtete, identitätsstiftende Einheit und Gleichförmigkeit der liturgischen Praxis.26 Und gerade im Kontext der Gregorianischen Erneuerung scheint, wie bereits an Hirsau und seiner Reform deutlich abzulesen ist, der Schriftlichkeit als Instrument der Vereinheitlichung eine gesteigerte Bedeutung zuzukommen.27 So gesehen, ist Aubergers Aussage zu relativieren. Die Zisterzienser nehmen eine vorhandene Tendenz auf und führen sie weiter, aber sie tun es, und darin wiederum ist Auberger absolut zuzustimmen, in einer bisher unerreichten Intensität: sowohl in der geradezu als Verabsolutierung anzusprechenden Steigerung der Forderung nach liturgischer Uniformität – von der Norm abweichende Bücher zu haben, ist nicht erlaubt (libros non licet habere diversos formuliert die Charta Caritatis) – als auch in der unerhörten Konsequenz der Durchführung und Kontrolle dieses Postulats. Hier werden erstmals Strukturen und organisatorische Mechanismen fassbar, die typisch sind für einen zentralistischen, strikt konstitutionell verfassten Verband klösterlicher Gemeinschaften, eben das, was wir einen Orden nennen. collectaneo, antiphonario, gradali, regula, missali. Bouton/van Damme, Les plus anciens textes (wie Anm. 8), S. 121. 25 Belege dafür bei Felix Heinzer, Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Hirsaus, in: Hirsau St. Peter und Paul 2 (wie Anm. 5), S. 259–296, hier S. 263 [in diesem Band, S. 93]. 26 Vgl. dazu beispielsweise Raymund Kottje, Einheit und Vielfalt des kirchlichen Lebens in der Karolingerzeit, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 76 (1965), S. 323– 342, zum Konzept des Codex authenticus bes. S. 329 mit Anm. 30. 27 Vgl. die grundsätzlichen Äußerungen zu diesem Aspekt in der programmatischen Einleitung des Herausgebers Gert Melville in: De ordine vitae. Zu Normvorstellungen, Organisationsformen und Schriftgebrauch im mittelalterlichen Ordenswesen (Vita regularis 1), Münster i.W. 1996, S. 1–5.
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Mit diesem Stichwort ist der entscheidende Unterschied zu den benediktinischen Reformen auf den Punkt gebracht: Hirsau oder etwa auch St. Blasien sind Musterklöster weit ausstrahlender, aber vergleichsweise lose zusammengehaltener Reformverbände, Cîteaux hingegen ist Mutterkloster eines straff organisierten Ordens. Die Bücher selbst widerspiegeln dies ganz deutlich: Untersuchungen zur Hirsauer Liturgie führen in unterschiedlichen Bereichen immer wieder zu dem Ergebnis, dass bezüglich des textlichen und musikalischen Repertoires bei substantieller Übereinstimmung dennoch ein gewisses Maß an Toleranz gegenüber lokalen und regionalen Sondertraditionen bewahrt bleibt. Die liturgische Tradition Hirsaus, die immerhin bis Thüringen und Kärnten, ja von dort aus sogar bis nach Friaul ausgreift, oszilliert daher stets in einer gewisse Bandbreite, zum Teil sogar in Handschriften ein und desselben Klosters. Dies gilt etwa für die modale und textliche Organisation im Bereich des Antiphonars28, für die Gestalt von Hymnar und Sequentiar,29 aber auch für in der Liturgiewissenschaft als besonders typisch, d. h. traditionsspezifisch angesehene Komplexe wie etwa die Reihe der nachpfingstlichen Alleluiaverse oder die Allerheiligenlitanei30 und selbst das Kalendar31 – und dies trotz des Bemühens, die liturgische Einheitlichkeit mit einem eigenen normativen Text, dem Liber Ordinarius, zu sichern und zu kodifizieren.32
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Vgl. dazu Hartmut Möller, Antiphonarium Karlsruhe, Badische Landsbibliothek, Aug. perg. 60, München 1995 (Codices illuminati medii aevi 37), bes. S. 21–34, zu einzelnen Aspekten auch Felix Heinzer, Der Hirsauer ‚Liber Ordinarius‘, in: Revue Bénédictine 102 (1992), S. 309–347, hier S. 341–344 [in diesem Band, S. 216–220]. 29 Zum Hymnar Felix Heinzer, Liturgischer Hymnus und monastische Reform – Zur Rekonstruktion des Hirsauer Hymnars, in: Der lateinische Hymnus im Mittelalter. Überlieferung, Ästhetik, Ausstrahlung, hrsg. von Andreas Haug, Christoph März und Lorenz Welker (Monumenta monodica medii aevi, Subsidia 4), Kassel etc. 2004, S. 23–52 [in diesem Band, S. 224–256]; zum Sequentiar Lori Kruckenberg, Zur Rekonstruktion des Hirsauer Sequentiars, in: Revue Bénédictine 109 (1999), S. 187–207. 30 Heinzer, Liber Ordinarius (wie Anm. 28), S. 331–333 (Alleluia-Reihe), S. 325–330 (Litanei) [in diesem Band, S. 208–209 und 202–204]. 31 Vgl. Felix Heinzer, Das Berthold-Sakramentar als liturgisches Buch, in: Das Berthold-Sakramentar. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat von Ms M. 710 der Pierpont Morgan Library in New York, Kommentarband, hrsg. von Felix Heinzer und Hans Ulrich Rudolf (Codices Selecti 100), Graz 1999, S. 217–253, bes. S. 237–251 [in diesem Band, S. 300–364]. 32 Vgl. Heinzer, Liber ordinarius (wie Anm. 28). Es scheint dass die Tendenz, einen solchen normativen Text in eigenständiger Weise, also losgelöst vom Ganzen der Consuetudo zu redigieren, in der Tat erstmals im Milieu der Hirsauer Reform greifbar
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In den zisterzienischen Liturgica ist hingegen eine derartige Flexibilität kaum zu erkennen: das oszillierende Band wird zur Linie – zumindest im Idealfall, der aber, wie die Handschriften belegen, fast durchweg erreicht wird. Dass diese „Verschmälerung“ (um im Bild zu bleiben) freilich auch Reduktion impliziert, sei zumindest angedeutet. Sie ist beispielsweise spürbar in der völligen, fast schon an den Rigorismus des Trienter Konzils erinnernde Aufgabe der Tropen und Sequenzen, jener seit dem 9. Jahrhundert in den Grundbestand des gregorianischen Choralrepertoire eindringenden Erweiterungselemente, die für die Dynamik der europäischen Musikgeschichte von so grundlegender Bedeutung waren (in der Tropenpraxis hat Hirsau – wohl unter dem Einfluss Clunys – ebenfalls eine weitgehende Einschränkung vollzogen, nicht aber im Bereich der Sequenzen33). Auch das Hymnar der Zisterzienser ist gegenüber der eher eklektizistisch anmutenden Hirsauer Praxis gekennzeichnet durch eine reduktive Rückwendung zur „ambrosianischen“ Mailänder Tradition, die als einzig authentische und im buchstäblichen Sinn regel-gerechte angesehen wird.34 Als Fazit dieses ersten Abschnitts ist somit festzuhalten, dass die Zisterzienser eine – freilich um den Preis einer gewissen Verarmung erkaufte – Qualität von Homogenität und Einheitlichkeit liturgischer Bücher in die Kulturlandschaft des südwestdeutschen Raums eingeführt haben, die hier, auch im Bereich der monastischen Reform cluniazensischer Prägung, bisher unbekannt war. Dass auch Maulbronn an dieser markanten und faszinierenden Zäsur beteiligt war, darf man annehmen; konkret nachweisbar ist es freilich nur in sehr punktueller Weise.
wird. Vgl. dazu die Überlegungen von Aimé-Georges Martimort, Les „Ordines“, Les Ordinaires et les Cérémoniaux (Typologie des sources du moyen âge occidental 56), Turnhout 1991, S. 69 f., und jetzt auch Burkhardt Tutsch, Die Consuetudines Bernhards und Ulrichs von Cluny im Spiegel ihrer handschriftlichen Überlieferung, in: Frühmittelalterliche Studien 30 (1996), S. 248–293, hier S. 263 Anm. 54 und S. 290 Anm. 186. 33 Zu den Tropen vgl. Andreas Haug, Ein ‚Hirsauer‘ Tropus, in: Revue Bénédictine 104 (1994), S. 328–345, bes. S. 340–345; zum Sequentiar Kruckenberg (wie Anm. 29). 34 Vgl. dazu Chrysogonus Waddell, The twelfth century Cistercian hymnal (Cistercian liturgy series 1), Trappist/Kentucky 1984, Bd. 1, 18–79.
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II Kommen wir zur Ästhetik der Zisterzienserhandschriften. Dabei geht es allerdings, wie gleich vorauszuschicken ist, nicht um eine weitere Diskussion des so oft und dabei meist indifferenziert und schlagwortartig bemühten „bilderfeindlichen“ Purismus des Ordens in seinen Auswirkungen auf die Buchmalerei.35 Im Kontext meiner Frage nach dem Innovationsschub der Zisterzienser für die Buchkultur unseres Raums soll vielmehr ein anderer Aspekt etwas beleuchtet werden. Ellen J. Beer hat vor einigen Jahren die These formuliert, dass den Zisterzienserskriptorien der Einflusssphäre von Lützel eine besondere Rolle bei der Verbreitung der Initialornamentik des sog. „Channel Style“ zukommt.36 Nach ihren Beobachtungen zeichnet sich hier – am besten überprüfbar anhand der Produktion des Salemer Skriptoriums – um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert eine deutliche Zäsur im Initialstil ab: Noch um 1180 ist die Ausrichtung an der lokalen Tradition unübersehbar: man übernimmt „den Typus der ‚Spaltleisteninitiale‘, wie sie zu jener Zeit im Hirsauer Reformkreis über den ganzen süddeutschen Raum verbreitet war“; nach 1200 erscheint plötzlich, übrigens auch in mehreren Handschriften aus Pairis, ein ganz neuer, einigermaßen unvermittelt, ja im Geamtkontext dieser Codices fast fremdartig wirkender Initialtypus, der die bisherige Monochromie durch eine ausgesprochen bunte Deckfarbenpalette ersetzt, teilweise sogar Blattgold verwendet und eine bis dahin völlig ungewohnte Ornamentik einführt, als deren beherrschende Elemente die Spiralranke und phantas-
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Über die berühmte Reglementierung Litterae unius coloris fiant et non depictae s. jetzt Yolanta Załuska, L’enluminure et le scriptorium de Cîteaux au XIIe siècle, Cîteaux 1989, bes. S. 149–153, die betont, dass der hier vorgeschriebene Ausschluss figürlicher Elemente sich nicht auf das Problem der Miniaturen bezieht, sondern primär auf die Gestaltung der Initialen, und anhand des erhaltenen Materials aus Cîteaux überzeugend illustriert, wie dort ein entsprechender Malstil („Style monochrome“) etwa ab der Mitte des 12. Jahrhunderts gepflegt wird und bis etwa 1180–1190 dominiert. Die Einführung der Statuten von 1134 bringt also, wenngleich mit einiger Verzögerung, einen spürbaren Wandel im Initialstil; hingegen kann nicht die Rede davon sein, dass dadurch in Cîteaux „jede künstlerische Tätigkeit des Skriptoriums erlischt“, wie Ellen J. Beer, Zur Buchmalerei der Zisterzienser im oberdeutschen Gebiet im 12. und 13. Jahrhundert, in: Bau- und Bildkunst im Spiegel internationaler Forschung, Berlin 1989, S. 72–87, hier S. 72, formuliert hat – es sei denn, man wollte, was kaum angeht, das Attribut „künstlerisch“ ausschließlich den Miniaturen bzw. dem figürlicheren Aspekt der Buchmalerei vorbehalten. 36 Beer, Zur Buchmalerei (wie Anm. 35).
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tisch geformte Polypenblätter (octopus leaves) hervorzuheben sind.37 Die Ursprünge dieses neuen Stils sind noch nicht wirklich geklärt, wobei in der neueren Forschung der Einfluss der englischen Buchmalerei um 1150 ebenso hervorgehoben wird wie eine erste Konzentration der Verbreitung zu beiden Seiten des Ärmelkanals, also in Nordfrankreich und England, was diesem Formenrepertoire die bereits erwähnte Bezeichnung „Channel Style“ eingetragen hat.38 Eine wirklich großräumige Verbreitung des Stils scheint allerdings erst durch seine Rezeption in den einflussreichen Pariser Werkstätten während der zweiten Jahrhunderthälfte ausgelöst worden zu sein.39 Von besonderem Interesse ist dabei für uns die Funktion der Zisterzienser in diesem Streuungsprozess: Sie ist so unübersehbar, dass man dem Orden teilweise auch einen entscheidenden Anteil an der Entstehung des Stils zugeschrieben hat; insbesondere die Primarabtei Pontigny wurde in diesem Kontext immer wieder genannt.40 Heute ist in der Frage nach einer kreativen Rolle der Zisterzienser für die eigentliche Entstehung des Channel Style eher Zurückhaltung zu beobachten – an ihrem entscheidenden Anteil für dessen Rezeption und Verbreitung ist hingegen nicht zu zweifeln. Um die Bedeutung und die Auswirkungen dieser Ausstrahlung wenigstens etwas zu gewichten, sei nur gerade angedeutet, dass Channel-Style-Einflüsse etwa in der niedersächsischen Buchmalerei im Umfeld Heinrichs des Löwen oder etwas später in der berühmten thüringisch-sächsischen Malerschule namhaft gemacht werden können.41 In unserem Raum ist an die auffallende Häufung von Pariser 37 Beer, Zur Buchmalerei (wie Anm. 35), S. 74–76. Typisch dafür sind etwa die im 2. Viertel des 13. Jahrhunderts entstandenen Salemer Gradualien Cod. Sal. IX 67, X 7, XI 7 und XI 10 der Universitätsbibliothek Heidelberg. 38 Ich stütze mich hier auf die instruktive, mit zahlreichen Literatur-Hinweisen versehene Darstellung bei Christine Sauer, Die gotischen Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Teil 1: vom späten 12. bis zum frühen 14. Jahrhundert, Stuttgart 1996 (Katalog der illuminierten Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 3/1), S. 9 – Für eine Charakterisierung der besonderen Merkmale der Initialornamentik dieses Stils in den Codices aus dem Filialbereich Lützels, die hier im Vordergrund stehen, kann auf die detaillierte Beschreibung der Initialen der Colmarer Antiphonarien Ms. 314 und 318 bei Beer, Zur Buchmalerei (wie Anm. 35), S. 76, verwiesen werden. 39 Näheres bei Sauer, Die gotischen Handschriften (wie Anm. 38), S. 9. 40 Beer, Zur Buchmalerei (wie Anm. 35), bes. S. 83–85; Sauer, Die gotischen Handschriften (wie Anm. 38), S. 9 f. 41 Dazu Sauer, Die gotischen Handschriften (wie Anm. 38), S. 10 mit Anm. 43 (dort weitere Lit.); für Thüringen (Erfurt) außerdem Beate Braun-Niehr, Der Codex Vaticanus Rossianus 181. Studien zur Erfurter Buchmalerei um 1200, Berlin 1996, S. 161 f.
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Bibelhandschriften mit Channel-Style-Ausstattung in der Konstanzer Dombibliothek zu erinnern, bei denen Ellen Beer eine Vermittlung über das nahegelegene Salem erwogen hat, die nicht ohne Folgen für die Buchmalerei des Bodenseeraums geblieben sei.42 Doch zurück nach Maulbronn. In seinem unmittelbaren Umfeld – auch Salem gehört zum Filiationsbereich Lützels – scheint, wie wir gesehen haben, dieser neue Stil in besonders ausgeprägter Weise rezipiert worden zu sein. Will man diesen Befund für Maulbronn selbst verifizieren, kommt einem die eingangs erwähnte Quellenknappheit erneut schmerzlich zum Bewusstsein. Gewiss könnte man auch hier versuchen, von den Produkten der Schwesterabteien auf die verlorenen Maulbronner Handschriften zu schließen, und sie sich in gleicher Art vorstellen wie die prachtvollen Codices aus Salem oder Pairis in Heidelberg und Colmar43 – zumal bei den Pairiser Handschriften angesichts der vorhin (s. S. 416) schon angedeuteten bibliotheksgeschichtlichen Verbindungen zu Maulbronn (und der aufgrund der liturgischen Uniformität kaum gegebenen inhaltlichen Kriterien für eine Lokalisierung) nicht einmal mit Sicherheit zu entscheiden ist, ob Beer, Zur Buchmalerei (wie Anm. 35), S. 75 und S. 81 f. Vgl. jetzt auch Sauer, Die gotischen Handschriften (wie Anm. 38), S. 9–11, und (speziell für Weingarten) Die illuminierten Handschriften der Hessischen Landesbibliothek Fulda. Teil I: Handschriften des 6. bis 13. Jahrhunderts, Textbd., bearb. von Christine Jakobi-Mirwald, auf Grund d. Vorarb. von Herbert Köllner, Stuttgart 1993, S. 58 und Kat.-Nr. 49, sowie Christine Sauer, Ausstattung und Ausstattungsprogramm des Bertholdsakramentars, in: Das Berthold-Sakramentar. Vollständige Faksimile-Ausgabe der Handschrift Ms. M. 710 der Pierpont Morgan Library New York, Kommentarbd., hrsg. von Felix Heinzer und Hans Ulrich Rudolf, Graz 1999 (Codices selecti 100*), S. 67–165, hier S. 152–154. – Auch im um 1200 zu datierenden Passionale aus der mit Salem in Verbindung stehenden Prämonstratenserabtei Weißenau (Cologny, Bibl. Bodmeriana, cod. 127) sind Elemente des Channel Style unübersehbar (vgl. Solange Michon, Le Grand Passionaire enluminé de Weissenau et son scriptorium autour de 1200, Genève 1990, S. 152 f. und 157 sowie Pl. 31, 48 f., 129, 154 f., 197 usw.). 43 Abbildungen etwa der um 1230–1240 entstandenen mehrbändigen Prachtbibel Cod. Sal. X 19–22 bei Beer (wie Anm. 35), S. 75, und (in Farbe) bei Wilfried Werner, Schreiber und Miniatoren – ein Blick in das mittelalterliche Skriptorium des Klosters Salem, in: Salem. 850 Jahre Reichsabtei und Schloß, hrsg. von Reinhard Schneider, Konstanz 1984, S. 295–342, Tf. XIIa u. b (S. 320); vgl. hier auch mehrere Abbildungen von typischen Initialen des älteren Stils um 1170/80 (etwa Tf. VII u. VIII, S. 315 f.). – Farbabbildungen der Colmarer Handschriften aus Pairis bietet Gérard Cames, Dix Siècles d’Enluminure en Alsace, Strasbourg 1989, S. 45–47, Abb. 76, 81 f., 85–88a (leider mit unbefriedigender Einordnung und Interpretation des Materials – beispielhaft dafür die einigermaßen verblüffende Deutung des octopus leaf : „Dans l’optique cistercienne, la pieuvre, étoile de mer, symbolise sans doute la Vierge ‚Maris Stella‘ et ses noces mystiques avec le Soleil de Justice“…, S. 46 zu Abb. 87). 42
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nicht vielleicht sogar doch Maulbronn als Entstehungsort dieser Stücke in Frage kommt. Eine Beobachtung scheint allerdings bei nüchternem Zusehen eher gegen eine solche Hypothese zu sprechen: Dass die Initialen der beiden kurz vor 1200 wohl in Maulbronn entstandenen Bertolfus-Handschriften vom modernen Stil noch ganz unberührt erscheinen – gleiches gilt übrigens auch für das Anm. 49 genannte, im späten 12. Jahrhundert entstandene Graduale aus der Maulbronner Vaterabtei Neuburg –, ist zwar noch kein Gegenargument (ein vergleichbares Bild bietet sich in dieser Zeit ja auch in Salem, wie wir gesehen haben); dass aber unser zweites „Guckloch“ in die verschollene Maulbronner Handschriftenwelt des 12. und 13. Jahrhunderts, der S. 415 erwähnte Lichtenthaler Ausstattungscodex von 1249, in seiner buchmalerischen Ausstattung keine Spuren des Neuen zeigt, sondern in Stil und Technik (kolorierte Federzeichnung) wie eine leicht provinzielle Weiterentwicklung der typischen süddeutschen Romanik anmutet, stimmt denn doch sehr skeptisch. Hätte Maulbronn um 1200 und in den Jahrzehnten danach wirklich Channel-Style-Handschriften von der hervorragenden Qualität der Colmarer Antiphonarien produziert, wäre ein solcher Rückfall kaum schlüssig zu erklären – es sei denn, man rechnet mit einem analogen Vorgang wie im Bereich der Baukunst, wo der sogenannte „Paradiesmeister“ im frühen 13. Jahrhundert einen höchst qualitätvollen Import frühgotischer Elemente nach Maulbronn gebracht hat, ohne dass nach seinem Weggang dieser Einbruch eines neuen Stils sich unmittelbar ausgewirkt hätte.44 Dies bleibt freilich Hypothese, zumal etwa das von Eberhard Gohl mit guten Argumenten für Maulbronn beanspruchte Psalterium Colmar Ms. 437 (Kat.-Nr. 269) aus dem frühen 13. Jahrhundert auch keinerlei Spuren westlicher Einflüsse aufzuweisen scheint. Anders hingegen die prachtvolle Bibel Colmar Ms. 492 (Kat.-Nr. 3) aus dieser Zeit, deren Maulbronner Besitzver44 Vgl. Peter R. Anstett, Die Baugeschichte des Klosters, in: Maulbronn (wie Anm. 14), S. 69–76, hier S. 72 f. Die Fortsetzung des Klausurausbaus nach der Unterbrechung, die infolge des Weggangs des „Paradiesmeisters“ eingetreten zu sein scheint, ist zunächst sogar geprägt von „stilistisch altertümelnder Bauweise“ (S. 73). Der Parenthese-Charakter der „Paradies“-Bauphase bleibt im übrigen unberührt von der Frage nach der Herkunft bzw. den Vorbildern dieser Architektur, die Ulrich Knapp neuerdings nicht mehr wie die bisherige Forschung in Frankreich sondern in Italien suchen und mit der Ankunft Friedrichs II. in Deutschland in Verbindung bringen möchte (Ulrich Knapp, Das Kloster Maulbronn. Geschichte und Baugeschichte, Stuttgart 1997, S. 87–92; vgl. auch ders., Das Kloster als Stütze der Reichsmacht. Zur Interpretation der Maulbronner Klosterbauten zwischen 1147 und 1300, in: Maulbronn 1147–1997 [wie S. 409, Anm. *], S. 181–197).
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merk allerdings erst aus dem 15. Jahrhundert stammt, so dass wohl eher an ein Importstück zu denken ist. Möglicherweise hat man sich die Ergebnisse der Channel-StyleRezeption in Maulbronn ohnedies eher vorzustellen in der Art einer Handschrift des Decretum Gratiani der Vaticana, auf die Christine Sauer hingewiesen hat.45 Der im frühen 13. Jahrhundert nach Schöntal gestiftete Codex stammt – wie der Stuttgarter Cod. bibl. 2° 69 – aus einem südwestdeutschen Atelier, in dem sich Einflüsse des importierten neuen Stils, die in den zahlreichen ornamentierten DeckfarbenInitialen unübersehbar sind, offenkundig mit einheimischer Formensprache in eigentümlicher Weise vermischt haben. Dass sich möglicherweise eine vergleichbare Vermittlungsfunktion der Zisterzienser auch im paläographischen Bereich, also für die Rezeption der gotischen Schrift (der Textualis) in Deutschland, beobachten lässt, sollte im Zusammenhang mit den hier vorgelegten Überlegungen und Beobachtungen zur buchkünstlerischen Ausstattung der Handschriften des Ordens wenigstens erwähnt werden.46
III Kommen wir noch einmal zurück auf das Lichtenthaler Antiphonar von 1249 aus Maulbronn. Seine buchmalerische Ausstattung passt, wie wir gesehen haben, nicht in das entworfene Bild der Westimporte. Sehr wohl gilt dies aber für die Notation der Handschrift, die absolut auf der Höhe der vorhin erwähnten Channel-Style-Liturgica in Colmar und Heidelberg steht. Es handelt sich um Quadratnotation von vorzüglicher Qualität, und zwar in jener Stilisierung, die sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts in der Ile-de-France ausgebildet hat und in paradigmatischer Form in Quellen mehrstimmiger Musik aus Notre-Dame in Paris
45 Heute Vatikan, Bibliotheca Apostolica, Cod. Pal. lat. 621. Vgl. Sauer, Die gotischen Handschriften (wie Anm. 38), S. 11 und Kat.-Nr. 15 (S. 76). 46 „Auch die Ausbreitung des streng zentralisierten Zisterzienserordens, der sich in Frankreich durch ein in Schrift und Dekor sehr einheitliches Buchwesen auszeichnet, hat den Übergang zur gotischen Schrift begünstigt“, so zusammenfassend Bernhard Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters, 2. überarb. Aufl., Berlin 1986 (Grundlagen der Germanistik 24), S. 178. – Für Süditalien, besonders Calabrien sind diese Zusammenhänge jüngst von Antonio M. Adorisio, Dinamiche librarie cisterciensi. Da Casamari alla Calabria (Bibliotheca Casamariensis 1), Casamari 1996, S. 79 f., diskutiert worden.
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begegnet.47 Hier wird ein Element greifbar, das das Bild der liturgischen Handschriften unseres Raums substantiell prägt und verändert. Dabei ist zu betonen, dass das eigentlich Neue, das durch die Zisterzienserhandschriften hier eingeführt wird, primär in der Tatsache liegt, dass die Notationszeichen auf Linien stehen und somit Tonhöhen und Intervalle „lesbar“ machen. Die Zisterzienser haben das Prinzip einer Notation auf Linien offenbar von Anfang an in ihren Handschriften verwendet.48 Die (heute nicht mehr greifbaren) liturgischen Handschriften der Erstausstattung der südwestdeutschen Zisterzen im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts – und hier ist auch Maulbronn für einmal mit Sicherheit nicht auszunehmen – waren zwar noch nicht mit Quadratnotation versehen, wohl aber von Anfang an auf Linien notiert, wobei die Bezeichnung und systematische Einordnung der Notationszeichen dieser früheren Phase, also vor der etwa um 1200 einsetzenden Übernahme der Quadratnotation, in der Forschung eher kontrovers diskutiert wird.49 Die Zisterzienser sind somit für unseren Raum als absolute Vorreiter der Diastematie anzusprechen. Die Bedeutung dieses Faktums wird erst richtig deutlich, wenn wir uns vor Augen führen, dass gerade in Süddeutschland die Diözesanskriptorien, vielfach aber auch klösterliche Werkstätten, noch bis ins 13. und 14. Jahrhundert an der Notation in campo aperto festhielten.50 Wir berühren hier ein schwieriges Feld: die Frage nämlich nach den Gründen, warum die Entwicklung der Neumenschrift zur Intervallschrift in manchen Gebieten, gerade auch in Süddeutschland, im
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Wichtige Hinweise und Anregungen zu diesem Fragenkomplex verdanke ich der Kompetenz und freundschaftlichen Hilfe von Wulf Arlt (Basel). 48 Solutor R. Marosszéki, Les origines du chant Cistercien, in: Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis 8 (1952), S. I–XVI, 1–179, hier S. 30 f. 49 Vgl. dazu Janka Szendrei, Beobachtungen an der Notation des ZisterzienserAntiphonars Cod. 1799** in der Österreichischen Nationalbibliothek, in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 27 (1985), S. 273–290, hier S. 274–277. – Ein gutes Beispiel für diese Notation aus unserem Raum bietet das im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts zu datierende Graduale Karlsruhe, Bad. Landesbibl., Lichtenthal 2 (Heinzer/Stamm [wie Anm. 3], S. 80 f.) aus der mehrfach erwähnten Maulbronner Paternitätsabtei Neuburg bei Hagenau; die Übergangssituation wird repräsentiert von der interessanten Mischform im Heidelberger Cod. Sal. XI 11 (Werner [wie Anm. 43], S. 345 und Abb. 75). Schöntal scheint hingegen, wie die erhaltenen Handschriften erkennen lassen, die Quadratnotation nie rezipiert zu haben (freundlicher Hinweis von Andreas Traub). 50 Vgl. Janka Szendrei, The introduction of staff notation in Middle Europe, in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 28 (1986), S. 303–319, hier S. 313 f.
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Gegensatz zu anderen Räumen, etwa Frankreich und Italien, viel langsamer und zurückhaltender verläuft. Liegen diesen unterschiedlichen Tendenzen möglicherweise „unterschiedliche musikalische Vorstellungsweisen“ zugrunde, wie Helmut Hucke einmal zur Diskussion gestellt hat?51 Dieser Frage nachzugehen, ist hier nicht der Ort. Festzuhalten ist aber noch einmal das bemerkenswerte Phänomen, dass durch die Zisterzienserhandschriften Neuburgs, Salems, Kaisheims, Maulbronns und der anderen Töchter Lützels ein für Diastematie anscheinend noch kaum sensibilisiertes Umfeld ziemlich abrupt mit dieser neuen musikalischen Aufzeichnungsform konfrontiert wird. Und auch hier gilt erneut: Nur einem straff organisierten, zentralistischen Orden kann es gelingen, so tief verwurzelte kulturelle Unterschiede gewissermaßen außer Kraft zu setzen, denn – um eine Formulierung von Janka Szendrai aufzugreifen – Choralnotation ist „Identitätsausdruck“ einer Gruppe oder Gemeinschaft,52 und Veränderungen in diesem Bereich bedeuten tiefgreifende Einschnitte. Dabei ist noch einmal zu erinnern an die Bedeutung der Schriftlichkeit im Kontext der gregorianischen Reform, die auch hier als übergreifender Horizont zu sehen sein dürfte. Die Bemühung um verstärkte Verschriftlichung musikalischer Sachverhalte in Form von Fixierung und Sicherung durch Notation – und zwar durch eine möglichst präzise Form von Notation – fügt sich nahtlos ein in diese Grundtendenz.53 Es ist wohl kein Zufall, dass erste, spärliche Ansätze zu diaste-
51 Vgl. Helmut Hucke, Der Übergang von mündlicher zu schriftlicher Musiküberlieferung im Mittelalter, in: Report of the twelfth congress of the International Musicological Society (Berkeley 1977), ed. by Daniel Heartz, Kassel 1981, S. 180–191. 52 Janka Szendrei, Choralnotation als Identitätsausdruck im Mittelalter, in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae 27 (1985), S. 139–170. 53 Als spätmittelalterliches Pendant dazu könnte die benediktinische Melker Reform angeführt werden (die übrigens auch Quadratnotation in einen Kulturraum einführt, der bisher eine andere Form melodischer Aufzeichnung gepflegt hat – allerdings nicht aus Frankreich, sondern diesmal aus Italien). Vgl. dazu Joachim F. Angerer, Die musikalisch-liturgische Erneuerung der Melker Reform. Studien zur Erforschung der Musikpraxis in den Benediktinerklöstern des 15. Jahrhunderts, Wien 1974 (Sbb. Akad. Wien 287,5). Der Nachdruck auf der korrekten und gleichförmigen Aufzeichnung des Notentexts in den liturgischen Handschriften ihrer Klöster manifestiert sich beispielsweise darin, dass in den bekannten Chorbüchern des Klosters Lorch von 1511/12 (Stuttgart, WLB, Cod. mus. I 2° 63–65) die Schlussschriften jeweils ausdrücklich die Notenschreiber genannt werden. Einer davon ist der im Melker Kreis und weit darüber hinaus hoch angesehene Meisterscriptor Leonhard Wagner (im Graduale Cod. mus. 2° I 65); dass er nicht für den Text, sondern für die Noten herangezogen wird, erscheint bezeichnend und bestätigt den hohen Stellenwert dieses Aspekts.
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matischer Notation im süddeutschen Raum im 12. Jahrhundert außerhalb des Zisterzienserordens gerade im Kontext der Hirsauer Reform – Hirsau selbst und sein Tochterkloster Zwiefalten sowie das ebenfalls hirsauische Prüfening sind hier zu nennen – beobachtet werden können.54 Und ebenso wenig zufällig erscheint mir die Beobachtung, dass ein Hilfsmittel zur Verdeutlichung der linienlosen Notation wie die Intervallnotation Hermanns des Lahmen von der Reichenau offenbar ebenfalls im Reformkontext besondere Aufmerksamkeit gefunden hat: Wulf Arlt ist es vor kurzem gelungen, erstmals zwei Beispiele für eine Anwendung dieser Buchstabennotation außerhalb der musiktheoretischen Quellen, also in Handschriften der liturgischen Praxis, beizubringen, wobei der eine Beleg paläographisch auf die Reichenau und noch in die Lebenszeit Hermanns weist, der zweite hingegen in die Zeit um 1150 gehört und in den Umkreis des aus St. Blasien nach Engelberg gekommenen Reformabts Frowin einzuordnen ist.55 Nachdem ich einen weiteren Beleg im Gradualteil des Stuttgarter Cod. brev. 123 aus Zwiefalten (ebenfalls um die Mitte des 12. Jahrhunderts)56 finden konnte und Hartmut Möller darauf hingewiesen hat, dass im diastematisch notierten Zwiefaltener Antiphonar Aug. LX der Badischen Landesbibliothek (um 1165–1170)57, der wohl ältesten, komplett erhaltenen südwestdeutschen Benediktinerhandschrift mit Liniennotation, bei zwei Ergänzungen auf dem Blattrand die Neumen ebenfalls durch Intervallbuchstaben verdeutlicht worden sind,58 scheint der Schluss naheliegend, dass die praktische Rezeption der Erfindung Hermanns außerhalb der
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Dazu Wolfgang Irtenkauf, Beiträge zur Einführung der Liniennotation im südwestdeutschen Sprachraum um 1200, in: Acta Musicologica 32 (1960), S. 33–39 (das dort angeführte Antiphonar Aug. LX der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe ist mittlerweile als Produkt des Zwiefaltener Skriptoriums gesichert, s. Anm. 57); Karlheinz Schlager, Neumenschrift und Liniensystem. Zum Notationswechsel in der Münchener Handschrift Clm 23037, in. Musik in Bayern 29 (1984), S. 31–41; Szendrai, The introduction (wie Anm. 50), S. 315 f.; Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 25), S. 277. 55 Wulf Arlt, Die Intervallnotation des Hermannus Contractus in Gradualien des 11. und 12. Jahrhunderts: das Basler Fragment N I 6 Nr. 63 und der Engelberger Codex 1003, in: De Musica et Cantu. Studien zur Geschichte der Kirchenmusik und der Oper, Helmut Hucke zum 60. Geburtstag, hrsg. von Peter Cahn u. Ann-Katrin Heimer, Hildesheim 1993, S. 243–256. 56 Zur Handschrift vgl. von Borries-Schulten/Spilling, Die romanischen Handschriften (wie Anm. 2), Nr. 60. Die Intervallbuchstaben begegnen im Kyriale (Gloria- und Credomelodien). 57 von Borries-Schulten/Spilling, Die romanischen Handschriften (wie Anm. 2), Anhang 2. 58 Möller, Antiphonarium (wie Anm. 28), S. 18 f.
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Reichenau (vgl. Arlts erstes Beispiel) vor allem im Kontext der Benediktinerreform des 11./12. Jahrhunderts zu suchen sein dürfte.59 Ähnlich wie bei der Frage der liturgischen Uniformität haben wir also auch im Bereich der Notation im Verhältnis der Zisterzienser zu den benediktinischen Reformklöstern, auf die sie in unserem Raum treffen, kein einfaches Kontrastbild, sondern ein differenziertes Verhältnis: Bezüglich des ideellen Ziels, der Stabilisierung und Vereinheitlichung auch des musikalischen Aspekts der Liturgie in der schriftlichen Aufzeichnung ist die Stoßrichtung grundsätzlich dieselbe, neu ist – und hier wiederhole ich mich in gewisser Weise – die systematische Umsetzung dieses Ziels bei den Zisterziensern, und zwar mittels konsequenter Nutzung der modernsten aufzeichnungstechnischen Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen. Lediglich in Form einer Hypothese sei angedeutet, dass der Import der auf die Ile-de-France, genauer noch auf Paris zurückweisenden Form der Quadratnotation, wie sie die Liturgica der südwestdeutschen Zisterzienser im 13. Jahrhundert fast durchweg aufweisen, auch ein Vehikel geworden sein könnte für den Transport neuer musiktheoretischer Impulse, aber auch für neue Formen musikalischer Praxis, wie sie gerade im nordfranzösischen Raum in dieser Zeit virulent waren. So hat Anselm Hughes darauf hingewiesen, dass in England gerade bei den Zisterziensern eine ausgeprägte Offenheit für Mehrstimmigkeit zu beobachten ist,60 und auch im deutschsprachigen Raum ist der Anteil der Zisterzienserhandschriften innerhalb der Organa-Überlieferung im 13. Jahrhundert beachtlich.61 In unserem Raum ist erneut auf Salem zu verweisen mit der Karlsruher Sammelhandschrift St. Peter perg. 29a (um 1300), die nebst einem Traktat über Mensuralmusik62 auch drei
59 In diesem Zusammenhang darf vielleicht daran erinnert werden, dass Hermanns Musica gerade bei Wilhelm von Hirsau auf besonderes Interesse gestoßen ist, wie Arlt, Die Intervallnotation (wie Anm. 55), S. 243 betont. 60 Anselm Hughes, Early Medieval Music up to 1300 (New Oxford History of Music 2), London 1954, S. 314 f. 61 Arnold Geering, Die Organa und mehrstimmigen Conductus in den Handschriften des deutschen Sprachgebietes vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, Bern 1952 (Publikationen der Schweizerischen Musikforschenden Gesellschaft. 2. Folge 1), S. 2 (wobei einige der dort getroffenen Zuordnungen mittlerweile zu modifizieren wären, gerade etwa auch die der von Geering als benediktinisch eingestuften Salemer Handschrift St. Peter perg. 29a [s. Anm. 63]). 62 Der da und dort unter dem Namen des Schreibers (Dietricus) zitierte, nur in dieser Handschrift überlieferte „kasuistische“ Traktat, könnte nach Max Haas, Die Musiklehre im 13. Jahrhundert von Johannes de Garlandia bis Franco, in: Geschichte
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zweistimmige Organalsätze enthält, nämlich den mensural aufgezeichneten Alleluiavers Veni sancte spiritus und zwei Kyrie, von denen das zweite als Nachtrag des 14. Jahrhunderts in zwei weiteren Salemer Handschriften (Cod. Sal. IX 67 und XI 7 der Universitätsbibliothek Heidelberg) zu finden ist.63 Auch die eine Reihe von mehrstimmigen Sätzen enthaltenden, in einer „den Formen nach äußerst eleganten, wenn auch dem Wesen nach nicht ganz zentralen Mensuralnotation“ geschriebenen Fragmente (2 als Spiegel verwendete, jetzt freigestellte Blätter des frühen 14. Jahrhunderts) in Colmar Ms. 352 (Kat.-Nr. 270), eine frühe und in verschiedener Hinsicht instruktive Quelle für die Rezeption der französischen Motette im deutschen Sprachraum,64 führen zumindest mittelbar erneut in zisterziensischen Kontext. Die Trägerhandschrift, ein Psalter des ausgehenden 12. Jahrhunderts, ist nämlich im späten Mittelalter offenbar in Pairis in Gebrauch gewesen, wie die zisterzienische Überarbeitung der Litanei und ein Besitzvermerk der elsässischen Abtei belegen.65 Die Hinweise auf die Diözese Speyer
der Musiktheorie 5, hrsg. von Frieder Zaminer, Darmstadt 1984, S. 89–159, hier S. 101 und S. 150 in den siebziger Jahren des 13. Jahrhunderts entstanden sein. 63 Zu St. Peter perg. 29a vgl. Die Handschriften von St. Peter im Schwarzwald. Teil 2: Die Pergamenthandschriften, beschr. von Felix Heinzer und Gerhard Stamm, Wiesbaden 1984 (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe 10/2), S. 72 f., sowie Répertoire International des Sources Musicales [RISM] B IV/1, S. 86. Zu dieser Version von Veni sancte spiritus s. auch Fritz Reckow, Der Musiktraktat des Anonymus 4, Bd. 2, Wiesbaden 1967, S. 52 f. Anm. 56. – Für die beiden Salemer Handschriften in Heidelberg vgl. Ludwig Schuba, Leben und Denken der Salemer Mönchsgemeinde im Spiegel der liturgischen Handschriften, in: Salem (wie Anm. 43), S. 343–365, hier S. 346 und Abb. 77, und Répertoire International des Sources Musicales [nachstehend RISM] B IV/3, S. 346 f., wo der zweistimmige Nachtrag allerdings zu spät (15. Jh.) datiert wird. Zweistimmige Ordinariumsteile finden sich (ebenfalls als Nachträge des 14. Jahrhunderts) auch in den Zisterziensergradualien Wonnenthal 1 und U.H. 1 der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe (RISM B IV/2, S. 72 u. RISM B IV/3, S. 347), deren Distanz zur offiziellen Linie des Ordens sich im Übrigen auch darin äußert, dass beide Handschriften Sequenzen und Tropen enthalten. 64 Zur musikologischen Bewertung der von Jacques Handschin aufgefundenen Fragment aus dem frühen 14. Jahrhundert (Jacques Handschin, Angelomontana polyphonica, in: Schweizerisches Jahrbuch für Musikwissenschaft 3 [1928], S. 64–96, hier S. 84–87, das Zitat zur Notation S. 85) vgl. jetzt Wulf Arlt, Repertoirefragen „peripherer“ Mehrstimmigkeit: das Beispiel des Codex Engelberg 314, in: Trasmissione e recezione delle forme di cultura musicale 1 (Atti del XIV congresso della Soc. Internaz. di Musicologia 1), Torino 1990, S. 97–125, hier S. 100, 108 f. und Anm. 16. – Die Texthand ist nach Martin Steinmann oberrheinisch (s. Arlt, a. a. O., S. 109). 65 Dazu und zum folgenden Victor Leroquais, Les Psautiers manuscrits latins des bibliothèques publiques de France 1, Macon 1940–1941, S. 168.
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im ebenfalls überarbeiteten Kalendar könnten sogar die Vermutung aufkommen lassen, der Psalter sei zeitweilig in Maulbronn gewesen und habe zu den Beständen gehört, die im Zusammenhang mit den oben S. 415 f. beschriebenen Vorgänge von Maulbronn nach Pairis gelangten. Leider scheint eine genauere Datierung und Lokalisierung des Einbands, der auch für die Einordnung der Fragmente von Interesse wäre, nicht möglich zu sein. Sollte die Begegnung mit den neuen Möglichkeiten der Mehrstimmigkeit, wie sie in Frankreich entwickelt worden sind, und die theoretische Reflexion darüber dem südwestdeutsch-alemannischen Raum in verstärktem Maß über die Zisterzienser vermittelt worden sein? Wenn die Quadratnotation dafür das adäquate Aufzeichnungsmedium ist, könnte umgekehrt mit einer gewissen Plausibilität zumindest vermutet werden, dass in einem Kontext, der diese Notationsform bevorzugt und systematisch rezipiert, auch eine besondere Sensibilität für die hier angesprochenen Phänomene musikalischer Innovation besteht. Diese Fragen wären in vertiefter Form zu diskutieren.
IV Schon die kunsthistorischen und musikologischen Beobachtungen der Abschnitte II und III führen letztlich auf ein und denselben Brennpunkt zurück, und dieser heißt Paris. Die zentrale Bedeutung der französischen Metropole für die geistige und kulturelle Entwicklung des 12. und 13. Jahrhunderts ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Insbesondere gilt dies für die Pariser Universität, wo sich die epochale Wende im philosophischen und theologischen Denken von einer primär traditionalen Position zu jener Methode und Denkform, die wir unter dem Stichwort „Scholastik“ subsumieren, in bahnbrechender und wirkmächtiger Weise vollzieht. Damit weitet sich die Perspektive, die bisher fast ausschließlich den liturgischen Handschriften galt, zum Schluss wenigstens andeutungsweise auch auf den Bereich anderer Buchtypen und Textsorten. Der Anschluss an Paris vermittelt sich den Zisterziensern, auch den an der Peripherie des Ordens gelegenen Klöstern, vergleichsweise direkt durch das 1224 von Clairvaux aus begründete Kolleg SaintBernard, das dem Orden die Möglichkeit bot, zumindest eine gewisse Anzahl seiner Mönche in Paris studieren zu lassen. Spätestens im 14. Jahrhundert wird aus dieser Möglichkeit eine institutionalisierte Ver-
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pflichtung mit genauen Regelungen, wobei sich die Zahl der entsandten Studenten an der Konventsstärke zu bemessen hatte.66 Es wäre zu erwarten, dass sich dies auch am inhaltlichen Profil der Zisterzienser-Bibliotheken ablesen lässt – gerade im Verhältnis zu den fast ausschließlich von patristischen Autoren dominierten Bibliotheken der Hirsauer67 –, und zwar in Form eines deutlich vermehrten Anteils scholastischer Texte. Die Untersuchung der Bibliothek des Bernhardkollegs selbst durch Caroline Obert hat denn auch gezeigt, dass diese Bestände, soweit sie rekonstruierbar sind, deutlich erkennen lassen, wie sehr sich der Orden bemühte, die neuen Entwicklungen der Scholastik zu rezipieren und sich ihnen anzupassen; geradezu bezeichnend dafür ist die sehr starke Präsenz von Bettelordenstheologen (meist vertreten mit ihren Sentenzenkommentaren) auf der einen und der extrem geringe Anteil patristischer Texte auf der anderen Seite.68 Hat dieser Sachverhalt auch auf die Bestände unserer südwestdeutschen Zisterzen abgefärbt? Werfen wir zunächst noch einmal einen Seitenblick auf Salem. Hier sind Pariser Studienaufenthalte einzelner Konventualen ab etwa 1270 mehrfach nachzuweisen.69 Spuren davon sind unter den erhaltenen Büchern wenigstens punktuell immer noch greifbar. Dies gilt nicht nur für die eben erwähnte Handschrift St. Peter perg. 29a, die in diesen Zusammenhang gehören dürfte, sondern beispielsweise auch für eine relativ homogene Gruppe von blindgeprägten Einbänden des späten 13. Jahrhunderts (heute ebenfalls im Bestand der Pergamenthandschriften aus St. Peter im Schwarzwald). Sie zeigen so deutliche Einflüsse
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Für die Abteien des deutschen Sprachraums erwächst Paris zwar in späterer Zeit durch die neu errichteten Kollegien in Metz und Heidelberg eine gewisse Konkurrenz; für den uns interessierenden Zeitraum ist die Monopolstellung Paris jedoch unangefochten. Zum Ganzen s. Reinhard Schneider, Studium und Zisterzienser mit besonderer Berücksichtigung des südwestdeutschen Raumes, in: Rottenburger Jb. für Kirchengesch. 4 (1985), S. 103–117, sowie Caroline Obert, La promotion des études chez les Cisterciens à travers le recrutement des étudiants du collège Saint-Bernard de Paris au moyen âge, in: Cîteaux 39 (1988), S. 65–78. 67 Zu dieser in der Forschung teilweise auch kontrovers diskutierten Thematik Heinzer, Buchkultur (wie Anm. 25), S. 264 [in diesem Band, S. 96–97]. 68 Caroline Obert, Les lectures et les œuvres des pensionnaires du collège SaintBernard: Jalons pour l’histoire intellectuelle de l’Ordre de Cîteaux à la fin du Moyen Age, in: Cîteaux 40 (1989), S. 245–289, bes. S. 264 f. 69 Reinhard Schneider, Die Geschichte Salems, in: Salem (wie Anm. 43), S. 11–153, hier S. 78; vgl. auch Felix Heinzer, Textkritisches zu den sog. Obligationes Parisienses, in: Vivarium 29 (1983), S. 127–135, hier S. 128 mit Anm. 9.
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aus Paris, dass man die Buchbinderwerkstatt, die sie hervorgebracht hat, zunächst auch dort ansiedeln wollte. Mittlerweile dürfen die Einbände für Salem als gesichert gelten70 und somit als geradezu exemplarischer Beleg für die über die Zisterzienser vermittelte Ausstrahlung französischer Buchkultur verbucht werden. Von besonderem Interesse ist dabei auch ein bei der Katalogisierung identifiziertes Makulaturfragment aus einem dieser Einbände, da es sowohl paläographisch als auch inhaltlich unmittelbar in das Milieu der Pariser Artistenfakultät weist.71 Auch die schon erwähnte monumentale fünfbändige Bibel der Zeit um 1230/1240 ist in diesem Zusammenhang noch einmal zu erwähnen: die hier noch im 13. Jahrhunderts nachträglich eingearbeitete neue Kapiteleinteilung Stephan Langtons zeigt sehr schön das Bestreben, sich dem in Paris mittlerweile üblichen Standard anzupassen72. Handschriften wie Cod. Sal. VII 120 mit der Psalmenerklärung des Dominikaners Nikolaus de Gorran oder Cod. Sal. IX 43 mit dem Sentenzenkommentars Bonaventura mögen als Beispiele für die Präsenz der Scholastik in Salem genannt sein.73 Ein wichtiges Zeugnis für einen Austausch von Büchern zwischen Paris und deutschen Zisterzen ist in diesem Zusammenhang auch der bemerkenswerte Komplex von nicht weniger als elf Handschriften des 13. und 14. Jahrhunderts (überwiegend Texte scholastischer Autoren),
70 Vgl. Ernst Kyriss, Vorgotische verzierte Einbände der Landesbibliothek Karlsruhe, in: Gutenberg-Jahrbuch 1961, S. 277–285, bes. S. 280–284 und Tf. 3–4; Hermann Knaus, Deutsche Stempelbände des 13. Jahrhunderts, in: Gutenberg-Jahrbuch 1963, S. 245–253, bes. S. 247–252; Friedrich Adolf Schmidt-Künsemüller, Die abendländischen romanischen Blindstempeleinbände, Stuttgart 1985, S. 39 f. (Gruppe 12). Die dortige Diskussion um Salem oder Weingarten als Ort der Werkstatt dürfte sich wohl zugunsten von Salem entscheiden lassen, wobei durchaus Austauschbeziehungen zwischen den beiden Klöstern, die sich auch in anderen Bereichen feststellen lassen, in Rechnung zu stellen sind. Ein wichtiges Argument für Salem und gegen Paris liefert übrigens der weder von Ernst Kyriß und Hermann Knaus, noch von Friedrich Adolf Schmidt-Künsemüller beachtete Einband von Hs. Karlsruhe 1063 der Badischen Landesbibliothek, der ebenfalls einen für diese Gruppe charakteristischen Stempel (Schmidt-Künsemüller, Stempel 19 o und 242 zz) trägt und aus Salem stammt (vgl. Heinzer, Textkritisches [wie Anm. 69], S. 128 Anm. 9). Die richtige Einordnung der Handschrift wurde nicht zuletzt durch die falsche Datierung im Bestandskatalog (Die Karlsruher Handschriften 1: Nr. 1–1299, Repr. Wiesbaden 1970, S. 210) verstellt (die dortige Angabe „s. XV“ ist auf den Nachtragsteil einzugrenzen, das Corpus selbst gehört noch in das 13. Jahrhundert). 71 Näheres bei Heinzer, Textkritisches (wie Anm. 69). 72 Werner, Schreiber (wie Anm. 43), S. 333. 73 Werner, Schreiber (wie Anm. 43), S. 337 f.
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die aus dem Pariser Bernhardskolleg nach Heilsbronn gelangt sind und heute in der Universitätsbibliothek Erlangen aufbewahrt werden.74 Ob in dieser Zeit auch Maulbronner Konventualen nach Paris abgeordnet hat, ist ungewiss und mangels Quellenbelege nicht zu verifizieren. So lässt sich nur vermuten, es könnten wie in Salem und Heilsbronn auch hier im Gepäck von Studenten Bücher aus Paris – und damit nebst neuen Impulsen zur Buchgestaltung auch neue, „moderne“ Texte – zurückgebracht worden sein. Die Krisensymptome um 1280 – monasterium nostrum…tot et tantis tribulationibus subiacet et pressuris, schreibt Abt Siegfried 1282 an seinen Kaisheimer Kollegen, und 1281 war sogar der Antrag auf eine dispersio conventus an das Generalkapitel gestellt worden,75 – sprechen allerdings nicht unbedingt dafür, denn der Besuch des Kollegs in Paris war wesentlich eine Frage der Konventsgröße, das heißt nicht zuletzt auch der wirtschaftlichen Prosperität der einzelnen Klöster.
V Die hier vorgelegten Beobachtungen und Überlegungen lassen sich zum Schluss thesenartig wie folgt zusammenfassen: Die Ankunft der Zisterzienser in Südwestdeutschland in den Dreißiger und Vierziger Jahren des 12. Jahrhunderts verändert die Strukturen und Erscheinungsformen der Buchproduktion dieses Raums nachhaltig und in teilweise geradezu revolutionärer Weise. Eine autochthone Buchkultur, die im wesentlichen durch Benediktinische Reformzentren wie Hirsau oder St. Blasien geprägt ist, wird erstmals und einigermaßen abrupt mit dem „fremdbestimmten“ Buchwesen eines Ordens konfrontiert, dessen Mitte außerhalb der Region liegt.76 Diesem gelingt es, eine Grundidee kirchlicher Reform, die VerObert, Les lectures (wie Anm. 68), S. 256 und 259. Auf diese bisher unbeachtet gebliebene Facette der Maulbronner Geschichte des 13. Jahrhunderts erstmals hingewiesen zuhaben, ist das Verdienst von Maria Magdalena Rückert, Der Übergang der Schöntaler Paternität von der Abtei Maulbronn auf das Zisterzienserkloster Kaisheim im Jahr 1282, in: Württembergisch Franken 81 (1997), S. 51–74, hier S. 56 mit Anm. 20 und S. 59 mit Anm. 32. Vgl. auch ihren Beitrag Die Anfänge der Klöster Schöntal und Bronnbach und ihr Verhältnis zur Mutterabtei Maulbronn, in: Maulbronn 1147–1997 (wie S. 409, Anm. *), S. 101–125. 76 Auch Hirsau war, wie das Schlagwort vom „deutschen Cluny“ anzeigt, in gewisser Weise nach Frankreich geöffnet. Doch erreicht diese Westorientierung niemals die bei den Zisterziensern realisierte Stärke und Qualität. Dies zeigt sich gerade im hier 74 75
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einheitlichung der liturgischen Praxis durch die Uniformierung der entsprechenden Bücher, in noch nie dagewesener Qualität durchzusetzen (I). Er fördert außerdem fast zwangsläufig den Import einer ganzen Reihe von Neuerungen im Bereich des Buchwesens insgesamt: Dazu zählen neue Elemente der technischen und ästhetischen Gestaltung des Buches (II), neue Formen der musikalischen Notation und, damit zusammenhängend, die Öffnung für neue musikalische Entwicklungen (III), aber auch neue Texte und neue intellektuelle Methoden und Fragestellungen (Stichwort: „Scholastik“) (IV). Damit wird der Orden dank seiner Westorientierung zum Medium eines höchst interessanten kulturellen Transfers: Der fundamentale Umbruch in der Buchproduktion, der im nördlichen Frankreich (mit Paris und seiner Universität als Zentrum), der damals nebst Italien urbansten Kernlandschaft Europas, im 12. Jahrhundert einsetzt und sich im 13. Jahrhundert vollends realisiert, wird hier sehr direkt in einen Raum eingeführt, der davon sonst erst allmählich und mit Verzögerung erreicht worden wäre. Die klassische Kulturverspätung der „Peripherie“ – und Peripherie ist Südwestdeutschland hinsichtlich dieser neuen Entwicklung und ihrer Zentren im 12. Jahrhundert zusehends geworden – wird hier gewissermaßen übersprungen und aufgehoben. In der Buchwissenschaft hat sich in letzter Zeit mehr und mehr die Sehweise durchgesetzt, diesen Umbruch als Wandel von der Romanik zur Gotik zu deuten – Gotik weniger als Stilbegriff verstanden, als vielmehr im Sinne einer auf veränderte Bedingungen und Mechanismen der Handschriftenproduktion, insbesondere deren Verlagerung aus klösterlichen Skriptorien in den Kontext von Stadt und Universität, bezogenen Kennzeichnung.77 So gesehen, ließe sich die Rolle der Zisterzienser in der südwestdeutschen Bibliothekslandschaft geradezu als die von Wegbereitern gotischer Buchkultur definieren, welche durch sie in unserem Raum erstmals präsent wird. Die eigentliche Pointe scheint mir freilich darin zu liegen, dass sich dieser Einbruch im Kontext monastischer Zurückgezogenheit volluntersuchten Bereich: Im Bereich der Liturgie wird zwar das Zeremoniell und der Aufwand des burgundischen Reformzentrums übernommen, im textlich-musikalischen Repertoire jedoch bleibt Hirsau der Tradition seines angestammten Umfelds absolut verpflichtet (vgl. Heinzer, Liber Ordinarius [wie Anm. 28] und Heinzer, Liturgischer Hymnus [wie Anm. 29]), und dasselbe gilt für die Gestaltung und Ausstattung seiner Bücher. 77 Vgl. dazu die grundsätzlichen Reflexionen bei Sauer, Die gotischen Handschriften (wie Anm. 38), S. 4.
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zieht, auf einem Terrain also, das der Gotik zunächst fremd ist. Ihrem Ursprung nach ist diese ja ein urbanes Phänomen: Ihre eigentliche Domäne ist die Kathedrale, die Stadt, die Universität, nicht die Einöde und das abgelegene Kloster. In dieser Konstellation einer „monastischen Gotik“, wenn diese schlagwortartige Zuspitzung gestattet ist, liegt somit ein enormes, fast widersprüchlich anmutendes Spannungspotential. Es ist Ausdruck jener eigentümlichen Verbindung von rigoristischem Traditionalismus mit modernsten Kulturtechniken, die für die Zisterzienser nicht nur im Bereich des Buchwesens charakteristisch ist – und vielleicht ist damit auch ein Teil jener Faszination angesprochen, die den neuen Orden, und wohl auch die Maulbronner Mönche, in unserem Raum schon bald attraktiver werden ließ als das „romanische“ Hirsau.
„UT IDEM LIBRI ECCLESIASTICI ET CONSUETUDINES SINT OMNIBUS“ – BÜCHER AUS LICHTENTHALS GRÜNDUNGSZEIT*
„Die liturgischen Bücher und Gebräuche sollen für alle gleich sein“ – so lautet die bekannte, oft zitierte Überschrift zum dritten Abschnitt der ‚Carta caritatis‘, der im Kern auf Stephan Harding, die prägende Gestalt der ersten Zisterziensergeneration, zurückgehenden Verfassungsurkunde des neuen Ordens.1 Dieser Satz steht wie ein Motto über der hier zu diskutierenden Thematik und bringt sie in lapidarer Weise auf den entscheidenden Punkt. Im Text selbst, der dieser Überschrift folgt, wird deutlich, dass dieses Prinzip verschiedene Aspekte hat: auf der einen Seite sind ganz pragmatische Dimensionen zu erkennen, die mit der personellen Fluktuation zwischen Cîteaux und seinen Tochterklöstern zusammenhängen, auf der anderen Seite wird diese aus Gründen der Praktikabilität und Opportunität erwünschte Uniformität theologisch überhöht und auf den Hauptzweck des monastischen Gemeinschaftslebens, die caritas, bezogen: „Da wir alle ihre Mönche (d. h. die der Tochterklöster), die zu uns (d. h. nach Cîteaux) kommen, in unserem Kloster aufnehmen und sie genauso unsere Mönche in ihren Klöstern, so erscheint es uns angezeigt – und wir wollen dies auch so –, daß alle die Gebräuche und die Gesangsweise und alle für das Stundengebet am Tag und in der Nacht und für die Meßfeier erforderlichen Bücher entsprechend der Form der Gebräuche und Bücher des ‚Neuen Klosters‘ (d. h. Cîteaux) besitzen, so dass in unserem Tun keine Uneinigkeit herrsche, sondern wir in einer Liebe, nach einer Regel und gleichen Gebräuchen leben“.2 * Erstmals erschienen in: 750 Jahre Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal, hrsg. von Harald Siebenmorgen, Sigmaringen 1995, S. 43–47. 1 Jean de la Croix Bouton u. Jean-Baptiste van Damme, Bouton, Les plus anciens textes de Cîteaux (Cîteaux. Studia et documenta 2), Achel 1974, S. 14–17. S. jetzt auch Jean-Baptist Auberger, L’unanimité cistercienne primitive: mythe ou réalité. Achel 1986 (Cîteaux: Studia et Documenta. 3), S. 25–41. 2 Et quia omnes monachos ipsorum ad nos venientes in claustro nostro recipimus, et ipsi similiter nostros in claustris suis, ideo opportunum nobis videtur et hoc etiam volumus, ut mores et cantum
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Es kann hier nicht der Ort sein, die Anteile von „raison d’opportunité“ und „raison profonde“ (s. Anm. 2), von praktischen Beweggründen und ideeller Überhöhung also, gegeneinander aufzuwiegen, wobei ohnedies zu fragen ist, ob dieser Versuch überhaupt sinnvoll wäre. Entscheidend ist vielmehr die Feststellung, dass die erhaltenen Dokumente, nicht zuletzt die liturgischen Handschriften, aus der Frühzeit des Ordens und auch aus späteren Perioden erkennen lassen, dass die Uniformität der liturgischen Praxis nicht nur Ideal blieb, sondern auf weite Strecken auch tatsächlich realisiert werden konnte3. Dies gilt, wie wir gleich sehen werden, auch für Lichtenthal. Der eben in extenso zitierte Text zeigt auch, auf welchem Weg die erstrebte Uniformität erreicht werden sollte, nämlich über eine möglichst getreue Nachahmung des im Zentrum des Ordens, dem „Urkloster“ Cîteaux, praktizierten Ritus und der dort verwendeten Bücher. In den Capitula der sogenannten ‚Summa cartae caritatis‘ einer um 1123/1124 anzusetzenden Kurzredaktion der ersten Generalkapitelsbeschlüsse4, wird dieses Prinzip in eine ganz konkrete Vorschrift umgesetzt. Im achten Abschnitt, De construendis abbatiis werden nämlich nicht nur die Mindestzahl der Mönche und die erforderliche Ausstattung mit Gebäuden für eine neu zu errichtende Abtei festgesetzt, sondern es wird auch ganz genau definiert, welcher Grundstock an liturgischen Büchern dem neuen Abt und seinem Konvent mitzugeben sind, nämlich Psalterium, Hymnar, Kollektar, Antiphonar, Graduale, Regel und Sakramentar5. Im nächsten Abschnitt– Quos libros non licet habere diversos (welche Bücher nicht unterschiedlich sein sollen) – wird ein weiteres Mal auf diesem Punkt insistiert, was den Stellenwert der Vorschrift mit aller Deutlichet omnes libros ad horas diurnas et nocturnas et ad missas necessarios secundum formam morum et librorum novi monasterii possideant, quatinus in actibus nostris nulla sit discordia, sed una caritate una regula similbusque vivamus moribus. Bouton / van Damme (wie Anm. 1), S.92 (vgl. auch den Kommentar zu diesem Text, ebd. S. 93, wo zwischen „raison d’opportunité“ und „raison profonde“ differenziert wird). 3 Vgl. die zusammenfassende Darstellung von Lorenz Weinrich, Die Liturgie der Zisterzienser, in: Aachen 1980, S. 157–164. – S. auch Auberger (wie Anm. 1) und die außerordentlich nützliche Literaturübersicht von François de Place, Bibliographie raisonnée des premiers documents cisterciens (1098–1200), in: Cîteaux. Comméntarii cistercienses 35 (1984), S. 7–54, zur Liturgie bes. S.45–54, sowie Alberich M. Altermatt, Die erste Liturgiereform in Cïteaux, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengesch. Bd. 4 (1985), S. 119–148. 4 Bouton / van Damme (wie Anm. 2), S. 18 f. 5 Non mittendum esse abbatem novum in locum novellum… sine libris istis: psalterio, hymnario, collectaneo, antiphonario, gradali, regula, missali… (Bouton / van Damme [wie Anm. 1], S. 121).
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keit zeigt. Ob dieses Streben nach liturgischer Uniformität wirklich eine so große Neuheit im monastischen Kontext dieser Zeit darstellt, wie Auberger dies betont6, erscheint hingegen eher zweifelhaft. Das eben zitierte Vorgehen bei Neugründungen erinnert beispielsweise an die vergleichbare Praxis Hirsaus, wo die Entsendung von Gründungsbzw. Reformkonventen ebenfalls mit einer entsprechenden Grundausstattung an Büchern – primär Liturgica und Brauchtexten – verbunden war7. Im übrigen klingen ähnliche Gedanken schon in karolingischer Zeit bei Benedikt von Aniane und seinem großen Reformprogramm mit dem Ideal der „una consuetudo“ an8. Überhaupt wird man das Bemühen um Vereinheitlichung liturgischer und rechtlicher Praxis mittels genormter Texte, womit meist auch die Sorge um einen korrekten und verbindlichen Bibeltext einhergeht (auch bei den Zisterziensern), als eines der Grundprinzipien kirchlicher – nicht nur monastischer – Reform bezeichnen dürfen. Man denke nur an die für die abendländische Kirchen- und Liturgiegeschichte so fundamentalen Bestrebungen der fränkischen Herrscher des 8. und 9. Jahrhunderts, besonders Karls des Großen, grundlegende Bücher für das Leben der Kirche – Bibel, Sakramentar, Rechtssammlung und Benediktregel (als Ordensregel schlechthin) – in möglichst zuverlässiger Textgestalt zu beschaffen (Stichwort: „Codex authenticus“) und für eine umfassende Verbreitung im Reichsgebiet verfügbar zu halten9. Das eigentlich Neue bei Stephan Harding und seinen Weggefährten ist also weniger der Grundsatz der Vereinheitlichung und Normierung der Texte als vielmehr die Akribie und Bestimmtheit, mit der diese Kodifizierung durchgeführt, und die organisatorische Konsequenz und Strenge, mit der ihre Befolgung beobachtet und eingefordert 6 Auberger (wie Anm. 1), S. 27: „La volonté d’unité liturgique dont témoigne ce texte [die Carta caritatis] est une grande nouveauté dans le contexte monastique de l’époque“. 7 Vgl. Felix Heinzer, Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Hirsaus, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991. Teil 2, bearb. von Klaus Schreiner (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,2), Stuttgart 1991, S. 259–296, hier S. 263 [in diesem Band, S. 93]. 8 Vgl. dazu Kassius Hallinger, Gorze – Kluny. Studien zu den monastischen Lebensformen und ihren Gegensätzen im Hochmittelalter 2. Rom 1951, S. 739– 741 u. 871–874. – Joseph Semmler, Benedictus II: una regula – una consuetudo, in: Benedictine Culture 750–1050, ed. by Willem Lourdaux and Daniel Verhelst (Mediaevalia Lovaniensia 1, 11), Leuven 1983, S. 1–49. 9 Zusammenfassend Raymund Kottje, Einheit und Vielfalt des kirchlichen Lebens in der Karolingerzeit, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 76 (1965), S. 323–342 (S. 329 mit Anm. 30 zum Begriff des „Codex authenticus“).
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wird. Lässt sich beispielsweise für den Kreis der Hirsaus Reform angeschlossenen Klöster durchaus eine gewisse Toleranz gegenüber lokalen und regionalen Sondertraditionen im liturgischen Bereich feststellen10, so geht die Tendenz bei den Zisterziensern ganz dezidiert in die Richtung einer völligen, keinerlei Ausnahmen duldenden Uniformierung. Hirsau generiert einen losen Reformverband, Cîteaux hingegen einen straff organisierten, zentralistischen Orden – auf diesen Gegensatz könnte man den Unterschied zuspitzen. Auch die zweite Zisterziensergeneration um Bernhard von Clairvaux legte großes Gewicht auf das Prinzip eines einheitlichen Corpus liturgischer Bücher für den ganzen Orden. Allerdings äußerte sie in teilweise recht scharfer Form Vorbehalte gegenüber der Gestalt der Ordensliturgie, wie sie sich unter der Ägide Stephan Hardings ausgebildet hatte, besonders hinsichtlich des musikalischen Aspekts. Das Generalkapitel von 1134, dem Todesjahr Stephan Hardings, spiegelt diese Situation ganz deutlich: Die alten Bestimmungen bezüglich der Uniformität der liturgischen Praxis werden bekräftigt, zugleich aber wird eine Reformkommission unter dem Vorsitz von Bernhard von Clairvaux mit der Überarbeitung der Bücher, insbesondere des Antiphonars und des Graduale, beauftragt. Das von der Kommission nach zwölfjähriger Arbeit vorgelegte liturgische Corpus wird vom Generalkapitel von 1147 approbiert und als normativ für den Gesamtorden erklärt11. „Was sich Abt Stephan erwünscht hatte, war Wirklichkeit: Es gab die einheitliche Zisterzienserliturgie. Der Wert der Reform dürfte wohl darin liegen, dass über Jahrhunderte diese Liturgie getreu beibehalten wurde, der Orden sich mit ihr identifizieren konnte, auch wohl dank der Autorität des heiligen Bernhard“12. Heute noch greifbares Resultat dieser zweiten zisterziensischen Liturgiereform – oder genauer: Choralreform – ist das sog. „Exemplar“, die etwa um 1185 zu datierende Handschrift 114 (früher 82) der Bibliothèque municipale de Dijon13. Leider ist der in der Forschung viel dis10 Felix Heinzer, Der Hirsauer ‚Liber ordinarius‘, in: Revue Bénédictine. Bd. 102 (1992), S. 309–347, hier S. 333 u. 344. 11 Vgl. Weinrich (wie Anm. 3) sowie speziell Salutor R. Marosszéki, Les origines du chant cistercien. Recherches sur les réformes du plaint-chant cistercien au XIIe siècle, in: Analecta Sacri Ordinis Cisterciensis. Bd. 8 (1952), S. I–XVI, 1–179. – Chrysogonus Waddell, The twelfth-century cistercian hymnal 1, Trappist / Kentucky 1984, S.71–79. 12 Weinrich (wie Anm. 3), S. 162. 13 Zur Diskussion der teilweise recht unterschiedlichen Datierung der Handschrift in der Forschung s. Auberger (wie Anm. 1), S. 222, sowie Yolanta Załuska, L’enluminure et le scriptorium de Cîteaux au XIIe siècle, Cïteaux 1989, S. 253 (Nr. 74). – Gute
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kutierte Codex verstümmelt: es fehlt der Schluss mit Psalter, Hymnar, Antiphonar und Graduale14. Signifikant für den normativen Charakter der Handschrift ist die Umschrift, die wie ein Rahmen um das Inhaltsverzeichnis (s. Anm. 14) gelegt ist: „In diesem Band sind die liturgischen Bücher enthalten, die in unserem Orden keinensfalls in abweichender Form vorliegen dürfen. Sie sind hierzu einem Corpus zusammengefasst, und zwar besonders aus folgendem Grund: Dieses Buch soll als unveränderliches Normalexemplar dienen, um die Einheitlichkeit zu bewahren undAbweichungen in anderen Büchern zu korrigieren“15.
Lichtenthal war von Anfang an bemüht, dem Ideal liturgischer Uniformität, wie es in seiner Genese und seinen Prinzipien eben skizziert wurde, zu entsprechen. Zumindest gilt dies seit der offiziellen Inkorporierung in den Orden, die von der Stifterin, der Markgräfin Irmengard, anscheinend sehr dezidiert angestrebt wurde und in den Jahren 1247/1248 erreicht werden konnte16. Über die Zeit davor, insbesondere hinsichtlich der in einer Urkunde vom 9. März 1243 genannten Gemeinschaft frommer Jungfrauen17, wohl einer Art Vorstufe der späteren ‚regulären‘ Zisterzienserinnenkommunität (vielleicht eine BeginenSammlung), fehlt hingegen genauere Nachricht. Dass der Sachverhalt der liturgischen Konformität der neuerrichteten Zisterzienserinnenabtei mit dem Gesamtorden nicht nur Postulat oder Hypothese bleibt, sondern aus den erhaltenen Buchbeständen nachgewiesen werden kann, gehört zu den besonderen Glücksfällen der Lichtenthaler Geschichte. Dem ununterbrochenen Bestehen des Klosters über siebeneinhalb Jahrhunderte hinweg entspricht eine für südArgumente für eine Datierung zwischen die Generalkapitel von 1184 und 1186 in: Les ‚ecclesiastica officia‘ cisterciens du Xlle siècle. Ouvrage réalisé par Daniele Choisselet et Placide Venet, Reiningue 1989, S. 49 f. 14 Der Verlust umfasst acht Lagen (vermutlich 112 Blätter), wie man vor der Restaurierung des Einbands rekonstruieren konnte (s. Załuska [wie Anm. 13], S. 253 f.). Das Inhaltsverzeichnis erlaubt die Erschließung des verlorenen Inhalts. Es bietet den Nachweis für folgende Stücke (s. Załuska [wie Anm. 13], PI. CXXIX): Brevarium (= Lectionarium officii), Epistolare, Textus Evangeliorum (= Evangeliar), Missale (= Sakramentar), Collectaneum (mit einleitendem Kalendar), Kalendarium (= Martyrologium), Regula, Consuetudines – ab hier Verlust –, Psalterium, Cantica, Hymnarium, Antiphonarium, Graduale. 15 ln hoc volumine continentur libri ad divinum officium pertinentes, quos utique non decet in ordine nostro diversos haberi. Sunt autem hic in unum corpus ea maxime ratione redacti, ut presens liber sit exemplar invariabile ad conservandam uniformitatem et corrigendam in aliis diversitatem. 16 Vgl. Pia Maria Schindele, Die Abtei Lichtenthal I, in: Freiburger Diözesanarchiv 104 (1984), S. 19–166, hier S. 30 f. 17 Die Urkunde nennt devotas virgines in Lichtenthal (Schindele [wie Anm. 16], S. 25 f.).
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westdeutsche und besonders oberrheinische Verhältnisse schon beinahe sensationell zu nennende bibliotheksgeschichtliche Kontinuität, die uns den alten, gewachsenen Bestand zwar nicht in letzter Vollständigkeit, aber doch in sehr repräsentativer Quantität und Qualität bewahrt hat. Gerade für die Grundausstattung mit liturgischen Büchern, der an dieser Stelle das Hauptaugenmerk gilt, ist dies von großer Bedeutung. Die Katalogisierung der Handschriftenbestände, die heute bekanntlich auf die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe und auf das Kloster selbst verteilt sind,18 hat in der Tat gezeigt, dass dieser Grundstock zu einem großen Teil heute noch greifbar ist19. Damit ist ein ganz unmittelbarer Zugang zu einem wichtigen Aspekt des geistigen Lebens in der Frühphase Lichtenthals gegeben; zugleich ermöglicht dieser glückliche Sachverhalt interessante Einblicke in das Verhältnis der Abtei zum Gesamtorden, besonders zur Paternitätsabtei (für die Gründungsphase Neuburg bei Hagenau), wie wir gleich sehen werden. Hier zunächst ein Überblick über die heute noch greifbaren Ausstattungshandschriften. Es handelt sich – hier in einer Aufzählung entsprechend der Anordnung der Texte im Normalexemplar Dijon 114 (s. o. S. 440–441 mit Anm. 14) – um insgesamt dreizehn Liturgica: zwei Offiziumslektionare (L 1 und Kl.L. 7), ein Kollektar (L 27), ein Kapiteloffiziumsbuch mit Martyrolog und Regel (St. Paul im Lavantal, Stiftsbibliothek, Cod. 31/1)20, drei Hymnare (L 28 und L 32), vier Antiphonare (Kl.L. 19, Kl.L. 26, Kl.L. 29, Kl.L. 108 I) und zwei Gradualien (L 2 und Kl.L. 25). Dazu kommen zwei Sammelbände mit grundlegenden zisterziensischen Verfassungs- bzw. Brauchtexten, die ebenfalls als Bestandteil der Grundausstattung anzusprechen sind. Es handelt sich um Kl.L. 92 mit der schon mehrfach erwähnten ‚Carta caritatis‘ (hier allerdings in der späteren Fassung, deren Redaktion kurz nach der Mitte des 12. Jahrhunderts angesetzt wird) und dem selten überlieferten ‚Libellus definitionum‘ von 1237 sowie um die Hand18 Zu den Hintergründen dieser Situation s. Die Handschriften von Lichtenthal, beschr. von Felix Heinzer und Gerhard Stamm (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe 11), Wiesbaden 1987, S. 21–29. 19 Für Details zu den im Folgenden genannten Handschriften wird grundsätzlich auf die Beschreibungen im Handschriftenkatalog (Heinzer/Stamm [wie Anm. 18]) verwiesen. Das Kürzel L steht dabei für den Fonds Lichtenthal der Badischen Landesbibliothek, Kl.L. für die Bibliothek des noch Klosters selbst. 20 Die Handschrift gelangte über das zu Ende des 16. Jahrhunderts von Lichtenthal aus neu besiedelte Kloster Friedenweiler nach St. Blasien und von hier im Zuge der hinlänglich bekannten Übersiedlung der Sanktblasianer Mönche nach St. Paul in die dortige Bibliothek (vgl. auch Heinzer/Stamm [wie Anm. 18], S. 34).
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schrift 65/323 des Badischen Generallandesarchivs mit dem sog. ‚Liber usuum‘ und den Gründungsberichten von Cîteaux und von Lichtenthal selbst. Die Analyse dieser Handschriftengruppe im Rahmen der Katalogisierung (Heinzer/Stamm 1987, s. Anm. 18) hat zu interessanten Ergebnissen geführt. Zunächst betrifft dies den inhaltlichen Aspekt der liturgischen Codices. Es ließ sich, wie schon angedeutet, durchweg Übereinstimmung mit den Normtexten des Ordens, d. h. mit Dijon 114 bzw. den für die dort fehlenden Teile heranzuziehenden Ersatzquellen21, feststellen. Abweichungen in Form von Sondertraditionen finden sich erst – und nur vereinzelt – in Handschriften des ausgehenden 13. und des 14. Jahrhunderts, und sie werden, auch dies ein beachtenswertes Phänomen, im Zuge der Reform des 15. Jahrhunderts zugunsten der Konformität mit dem Gesamtorden wieder eliminiert22. Bezüglich seiner Datierung und seiner Herkunft bietet der Ausstattungsbestand ein recht geschlossenes, eindeutiges Bild. Mit Ausnahme von L 1, L 2 und Kl.L. 95 (s. u.) lässt sich der gesamte Komplex aufgrund paläographischer und inhaltlicher Kriterien zeitlich auf die Jahre um 1250 ansetzen, was durch die explizite Datierung zweier Handschriften (Kl.L. 7 und Kl.L. 29) auf das Jahr 1249 zusätzlich gestützt wird. Die drei eben genannten Codices sind hingegen etwas älter: Das Lektionar L 1 und das Graduale L 2 stammen aus dem späten 12. Jahrhundert, und auch der Hauptteil von Kl.L. 92 stammt noch aus der Zeit vor der Gründung Lichtenthals (um 1240). Bei diesen drei Stücken liegt also gewissermaßen Zweitverwendung vor, d. h. es handelt sich um Bücher, die bereits anderswo in Gebrauch waren, ehe sie nach Lichtenthal gebracht und dort benutzt wurden. Der Ort der Erstverwendung – und wohl auch der Entstehung – lässt sich für alle drei Handschriften bestimmen: ihre ursprüngliche Heimat ist offensichtlich Lichtenthals Paternitätsabtei Neuburg bei Hagenau. Bedeutet dies, dass die gesamte Gründungsausstattung Lichtenthals aus der elsässischen Abtei stammt? Diese Frage ist im übrigen auch deshalb interessant, weil im Gründungsvorgang Lichtenthals hinsichtlich des Verhältnisses zum Zisterzienserorden zwei Phasen zu unter-
21 Für Einzelheiten s. Joseph Leisibach, Die liturgischen Handschriften der Kantonsund Universitätsbibliothek Freiburg. Freiburg/Schweiz 1976 (Iter Helveticum. 1), S. 16, sowie Heinzer/Stamm (wie Anm. 18), S. 48. 22 Beispielhaft genannt seien hier die Handschriften L 15, L 20 und Kl.L. 4 (vgl. die entsprechenden Beschreibungen in Heinzer/Stamm [wie Anm. 18]).
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scheiden sind, wenn wir die verfügbaren Quellen beim Wort nehmen23: 1. die Berufung des ersten Konvents und der ersten Äbtissin aus der Abtei Wald (Kr. Sigmaringen) durch die Markgräfin Irmengard in den Jahren 1245 bzw. 1247 und 2. die eigentliche Inkorporation in den Orden und die damit verbundene Unterstellung unter die Paternität von Neuburg im Jahr 1248. Zieht man die eingangs zitierten Bestimmungen heran, wonach der Konvent einer Neugründung mit dem erforderlichen Büchergrundstock versehen sein sollte, so wäre eigentlich zu erwarten, dass die aus Wald berufenen Nonnen die notwendigen Bücher von ihrem Herkunftsort mitgebracht hätten. Die erhaltenen Handschriften sprechen aber eher dafür, dass sich der Neuburger Abt direkt um diesen Aspekt kümmerte. Nicht nur die drei ältesten, „vorlichtenthalischen“ Stücke weisen, wie eben gesehen, auf Neuburg, sondern auch die um 1250 eigens für Lichtenthal gefertigten Bücher deuten in dieselbe Richtung. Zwar lässt sich der Nachweis nicht in allen Fällen mit der erwünschten Sicherheit führen; aber überall da, wo sich Ansätze zu einer Lokalisierung ergeben, führen diese in die elsässische Abtei24, während sich für Kloster Wald kein einziger Hinweis findet. Diese vereinzelten Indizien gewinnen an Aussagekraft für den gesamten, hier zur Debatte stehenden Komplex, weil dieser insgesamt einen recht homogenen Charakter aufweist. Es scheint sich also der Schluss aufzudrängen, dass die ganze Grundausstattung Lichtenthals mit liturgischen Büchern auf Neuburg zurückzuführen ist. Einen Sonderfall bildet lediglich das Antiphonar Kl.L. 29, für das ein Maulbronner Schreiber verantwortlich zeichnet, doch verbleiben damit im Bannkreis Neuburgs, denn von dort aus wurde auch Maulbronn besiedelt, so dass wir annehmen dürfen, dass es sich bei der erwähnten Handschrift möglicherweise um eine vom Neuburger Abt veranlasste Auftragsarbeit handelt25. 23 Besonders das ‚Exordium fundationis monasterii Lucidaevallis‘, hrsg. von Franz J. Mone, Quellensammlung der badischen Landesgeschichte 1, Karlsruhe 1846, S. 192– 194. Vgl. zum Ganzen Schindele (wie Anm. 16), S. 27–30. 24 Ich erwähne beispielsweise die Neuburger Einbandmakulatur in Kl.L. 108 (Heinzer/Stamm [wie Anm. 18], S.335) und St. Paul i. L., Cod. 31/1 (ebd., S. 34) oder den Nachweis von Schreiberhänden, die für Neuburg gesichert sind, in anderen Handschriften dieses Komplexes (etwa des Hauptschreibers von Kl.L. 92 in Kl.L. 19 und Kl.L. 26). Auch männliche Schreibernamen (Albertus in L 46 und Kl.L. 100 und Conradus in Kl.L. 7) sprechen gegen Wald und (zumindest grundsätzlich) für Neuburg. 25 Die auf die Lichtenthaler Kirchweihe von 1248 bezogene Notiz des Schreibers zu Beginn der Handschrift spricht dafür, dass diese von Anfang an für die neugegründete Frauenabtei bestimmt war.
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Sollte es jemals so etwas wie eine Urausstattung aus Wald gegeben haben, mit welcher der von dort gekommene Gründungskonvent seine Liturgie feierte26, so ist diese erste Schicht durch die aus Neuburg stammenden Handschriften offenbar völlig verdrängt worden. Sind diese Beobachtungen und Schlussfolgerungen zutreffend, so wäre nebenbei ein weiteres Ergebnis zu verbuchen, nämlich die Gewinnung eines zumindest ausschnittartigen Einblicks in die Tätigkeit des Neuburger Skriptoriums. Dies verdient umsomehr Beachtung, als von der einstmals so bedeutenden Bibliothek der Abtei im Heiligen Forst praktisch nichts mehr erhalten ist27, hier aber, auf dem „Umweg“ über Lichtenthal, plötzlich doch ein beachtlicher Komplex von Handschriften des 13. Jahrhunderts greifbar wird. Halten wir das Wesentliche dieser kurzen Skizze noch einmal fest: Lichtenthals Grundausstattung mit den normierten liturgischen Büchern und Verfassungstexten des Ordens hat sich in eindrucksvollem Maße erhalten. Dieses Ensemble von Handschriften hängt überwiegend mit der ersten Paternitätsabtei Lichtenthals, dem elsässischen Neuburg, zusammen und präsentiert sich seiner Funktion entsprechend schlicht und ohne größere buchkünstlerische Glanzlichter. Als historisches Denkmal ist dieser Komplex indessen von bedeutendem Wert, bietet er doch in seiner relativen Vollständigkeit und Geschlossenheit eine Überlieferungsqualität, wie sie für die wenigsten Klöster des Ordens – gerade auch im deutschsprachigen Raum und besonders am Oberrhein – gegeben ist. Die Neuburger Zisterzienser dürften auch in den darauffolgenden Jahrzehnten für die Versorgung Lichtenthals mit liturgischen Handschriften verantwortlich gewesen sein. Ob die eifrige und recht qualitätvolle Hand, die um etwa 1300 eine ganze Gruppe von Codices schreibt 26 Mit liturgischer Praxis ist ja schon vor der Inkorporation zu rechnen, vielleicht in dem einfachen Holzbau, den das Lichtenthaler „Exordium“ erwähnt (s. Schindele [wie Anm. 16], S. 29). 27 Sowohl Anne Bondéelle-Souchier, Bibliothèques cisterciennes dans la France médiévale. Répertoire des Abbayes d’hommes. Paris 1991, S. 230, als auch Sigrid Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters 2. München 1989, S. 597, belegen dies durch die Spärlichkeit ihrer Nachweise – beide allerdings ohne Kenntnis der hier skizzierten Sachlage, auf die nach Erscheinen von Heinzer/Stamm [wie Anm. 18] auch Pia Schindele, Mittelalterliche Lektionare aus dem ehemaligen Zisterzienserkloster Neuburg im Elsass, in: Cistercienser-Chronik 100 (1993), S. 87–92 aufmerksam gemacht hat. (Die bei Krämer genannte Hs. St. Blas. XXV/4, 18 der Stiftsbibliothek St. Paul i. L. ist identisch mit der S. 442 und 444 (Anm. 24) erwähnten Hs. 31/1).
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(darunter den Löwenanteil der großen, vierbändigen Bibel L 10–14), bereits einer Lichtenthaler Nonne zuzuweisen ist, bleibt vorläufig eine offene Frage. Jedenfalls scheint spätestens im frühen 14. Jahrhundert in Lichtenthal eigene Schreibtätigkeit einzusetzen (vgl. L 15, und andere Handschriften), in einer Zeit, wo derartige Aktivitäten unter anderem auch für Wald nachzuweisen sind28, und wo Lichtenthal selbst sich in geistlicher und kultureller Hinsicht „auf dem Höhepunkt seiner mittelalterlichen Entwicklung“ befand29. Die spätmittelalterliche Reformphase wird – nach einer Zeit der Erschlaffung im 14. und frühen 15. Jahrhundert – diese Ansätze zu einer klostereigenen Handschriftenproduktion besonders im außerliturgischen Bereich zu einer beachtlichen Blüte führen.30 Die Domäne der durch den Orden genormten Liturgica bleibt hingegen auch im 15. Jahrhundert weitgehend Sache der jeweiligen Paternitätsabtei, wobei diese Funktion spätestens um 1440 auf die rechtsrheinischen Klöster Maulbronn und Herrenalb übergeht, was sich auch in den Handschriftenbeständen widerspiegelt.
28 Karl Baur, Mittelalterliche Schreibkunst im Kloster Wald, in: Hohenzollerische Jahreshefte 7 (1940), S. 114–116. 29 Schindele (wie Anm. 16), S. 54. 30 Vgl. dazu Heinzer/Stamm (wie Anm. 18), bes. S. 40–43, sowie Gerhard Stamm, Klosterreform und Buchproduktion. Das Werk der Schreib- und Lesemeisterin Regula, in: 750 Jahre Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal (wie S. 437, Anm.), S. 63–70.
JOHANNES ZÜRN AUS NEIBSHEIM, EIN HERRENALBER MÖNCH DES 15. JAHRHUNDERTS ALS HANDSCHRIFTENSCHREIBER. EIN BEITRAG ZUR FRAGE DER BEZIEHUNGEN ZWISCHEN HERRENALB UND LICHTENTHAL*
Der nachstehende Beitrag ist aus der Katalagisierungsarbeit am Handschriftenbestand aus dem Zisterzienserinnenkloster Lichtenthal in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe erwachsen1. Im Gegensatz zu vielen anderen Provenienzgruppen der Bibliothek handelt es sich hier um einen gewachsenen Bestand, und daher ist auch das Einzugsgebiet, aus dem die Handschriften stammen, im großen und ganzen auf Lichtenthal selber und die nähere Umgebung des Klosters beschränkt. Zum besonderen Reiz eines solchen Bestandes gehören die lokalgeschichtlichen Bezüge, die sich naturgemäß in stärkerem Maße erkennen lassen als bei Provenienzen, die weitgehend auf Sammeltätigkeit des 17. oder 18. Jahrhunderts zurückgehen2. Nicht zuletzt im personengeschichtlichen Bereich lässt sich manches finden: Namentlich Besitz- und Schenkungsvermerke, Nekrologeinträge und natürlich auch die Schlussschriften der Schreiber bieten sich hier an3. * Erstmals erschienen in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 133 (1985), S. 67–80. 1 Vgl. Die Handschriften von Lichtenthal, beschr. von Felix Heinzer und Gerhard Stamm (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe 11), Wiesbaden 1987. Einen ersten Überblick über die Lichtenthaler Altbestände bot schon Gerhard Kattermann, Handschriften und Frühdrucke aus der alten Bibliothek des Klosters Lichtenthal in Baden-Baden, in: Badische Heimat 24 (1937), S. 303–311. 2 Ein typisches Beispiel für eine solche in gewissem Sinn künstlich entstandene Provenienz bieten die Handschriften aus St. Peter. Vgl. Felix Heinzer u. Gerhard Stamm, Die Handschriften von St. Peter im Schwarzwald. 2.Teil: Die Pergamenthandschriften (Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe 10,2), Wiesbaden 1984, bes. die Einleitung. 3 Zu grundsätzlichen Aspekten einer prosopographischen Auswertung von Schreibereinträgen vgl. Beat Matthias von Scarpatetti, Der Katalog der datierten Handschriften als ein bildungsgeschichtliches Instrument für die frühe Neuzeit, in: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. von Bernd Moeller u. a., Göttingen 1983, S. 53–69, bes. S. 62–67.
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Ein Beispiel dafür sei im folgenden herausgegriffen. Es betrifft den Herrenalber Konventualen Johannes Zürn aus Neibsheim bei Bretten, der als Schreiber des sogenannten Herrenalber Gebetbuchs bekannt geworden ist4. Während der Katalogisierung der Lichtenthaler Handschriften hat sich gezeigt, dass der Umfang von Zürns Schreibtätigkeit beträchtlich erweitert werden kann: es lassen sich nicht weniger als zehn Codices namhaft machen, die ganz oder wenigstens zum Teil von seiner Hand stammen. Dies hier darzustellen, erscheint insofern nicht uninteressant, als die Quellen für eine Bearbeitung der Herrenalber Klostergeschichte, insbesondere des kulturellen und geistesgeschichtlichen Aspektes, äußerst spärlich fließen. Nachrichten über den inneren Zustand oder über die Stärke und die Zusammensetzung des Konventes fehlen weitgehend, und auch die Geschichte von Skriptorium und Bibliothek des Klosters lässt sich kaum rekonstruieren, da von den Handschriften- und Bücherbeständen nur sehr wenig erhalten ist. Helmut Pflüger hat zu Beginn seiner grundlegenden Studie über die Verfassungsgeschichte Herrenalbs nachdrücklich auf diese Problematik hingewiesen und dabei fünf Lichtenthaler Handschriften als spärliche, zufällig gerettete Relikte der Klosterbibliothek aufgelistet5. Ein genauerer Blick auf den mittlerweile besser erschlossenen Lichtenthaler Bestand vermag indessen dieses düstere Bild zumindest ein wenig aufzuhellen. Außer den schon genannten Handschriften Zürns, die hier am meisten ins Gewicht fallen, lässt sich auch sonst das eine und andere an Zeugnissen für bibliotheksgeschichtliche Verbindungen zwischen Herrenalb und Lichtenthal beibringen. Diese hängen sicher mit der geographischen Nähe der beiden Klöster zusammen, vor allem aber mit dem zeitweiligen Paternitätsverhältnis, das zwischen ihnen bestand6. 4 Vgl. Wilfried Schwenk, Das Herrenalber Gebetbuch (1482–1484), aufbewahrt in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Seine Wiederentdeckung 1980, Bad Herrenalb 1983, sowie Ausstellungskatalog Zimelien. Abendländische Handschriften des Mittelalters aus den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin, Wiesbaden 1975, S. 229. 5 Helmut Pflüger, Schutzverhältnisse und Landesherrschaft der Reidisabtei Herrenalb von ihrer Gründung im Jahre 1149 bis zum Verlust ihrer Reichsunmittelbarkeit im Jahre 1497 (bzw. 1535) (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 4), Stuttgart 1958, hier: S. 1 f. 6 Vgl. Kattermann (wie Anm. 1), S. 306 f. und Ludwig Reiss, Studien zur Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte des Zisterzienserinnen-Klosters Lichtenthal, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 96 (1948), S. 230–306, hier: S. 233 Anm. 19. Über die genaue zeitliche Abfolge der einzelnen Paternitätsverhältnisse (Neuburg, Maulbronn, Herrenalb, Lützel nach Gerhard Kattermann, etwas anders Ludwig Reiss) herrscht offenbar keine letzte Klarheit. Der Wechsel von Neuburg zu Maulbronn
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Zunächst einige Anmerkungen zu den von Pflüger erwähnten Handschriften. Als Schreiber von Lichtenthal 72 (Vocabularius latino-germanicus) nennt sich ein gewisser Friedericus Fritzmann, dessen Hand allerdings nur ein Teil des Codex zuzuweisen ist. Vermutlich handelt es sich um den 1447 an der Universität Heidelberg immatrikulierten Fridericus Horner de Brim alias Fritzman, abbas sacri monasterii de Matino ordinis Cisterciensium, dyocesis sancti Marci, sacre sedis apostolice cappellanus et primissarius minor, decretorum doctor 7. In welcher Verbindung Fritzmann zu Herrenalb stand, ist nicht auszumachen, ebensowenig der Ort seiner früheren Studien und seiner Doktorpromotion8. Mit Matino ist die kalabresi-
dürfte aber auf jeden Fall nicht erst im 16. Jahrhundert stattgefunden haben (so Ludwig Reiss, a. a. O.), sondern bereits in den 40er Jahren des 15. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Wiedereinführung des regulären Ordenslebens in Lichtenthal. Schon 1422 lässt sich der entsprechende Vorgang für das Kloster Königsbrück im Elsass nachweisen, das anschließend von Abt Albert von Maulbronn reformiert wurde (Bruno Grießer, Die Reform des Klosters Rechentshofen durch Abt Johann von Maulbronn 1431–1433, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 8 [1956], S. 270–284, hier: S. 272) und seinerseits die Reform in Lichtenthal maßgeblich mitgetragen hat (vgl. Pia Schindele, Aus der Geschichte der Abtei Lichtenthal, in: Die Ortenau 58 (1978), S. 398–416, hier S. 407). Eine Stütze findet diese Annahme in der Feststellung, dass in der fraglichen Zeit verschiedene Maulbronner Konventualen als Beichtväter und Kapläne in Lichtenthal tätig waren; das Lichtenthaler Nekrolog GLA Karlsruhe 64/47 nennt folgende: 8v Fr. Jacobus de Gingen (Confessor, gest. 1465), 17v Fr. Johannes de Indagine (Capellanus, gest. 1459), 18v Fr. Nicolaus Helweck de Wyßenburg (Confessor, gest. 1459), 24r Fr. Albertus de Wil(d)perk (Capellanus, gest. 1450). Wann genau der Übergang der Paternität an Herrenalb stattgefunden hat, ist unklar. Der Eintrag o. Bertboldus de Oberndorf, monachus de Alba, hic sepultus im ältesten Nekrolog von Lichtenthal (GLA Karlsruhe 64/19) f. 123r (zum 15. 9.), der von einer Hand des 14. Jahrhunderts stammt, zeigt allerdings, dass schon sehr früh Beziehungen zu Herrenalb bestanden. Sollte der genannte Frater Berthold Beichtvater in Lichtenthal gewesen sein, oder aber der 1324 erwähnte, als Verwalter der Klostergüter tätige „Berthold zu Lichtenthal grauen Ordens“ (Ludwig Reiss, s. S. 250), so würde dies zwar nicht direkt ein Paternitätsverhältnis anzeigen, wohl aber eine zumindest teilweise Delegation der mit der Paternität verbundenen Pflichten von Neuburg an Herrenalb. Herrenalber Beichtväter sind mit Sicherheit erst für das 16. Jahrhundert belegt: Gregor Hüglin (s. Anhang II, Nr. 20), Caspar Niethammer (s. Anhang II, Nr. 40) und Sebastian Lanius (s. unten S. 453 und Anhang II, Nr. 24). Als predicator des Klosters wird außerdem im Nekrolog 64/47, f. 16r ein Fr. Johannes Leycht aus Merklingen genannt (Todestag 19. 8.1520). 7 Gustav Toepke, Die Matrikel der Universität Heidelberg 1, Heidelberg 1884, S. 253. 8 Es sei denn, Horner alias Fritzmann sei identisch mit dem 1428 in Heidelberg immatrikulierten Fredericus Horn aus Nördlingen (s. Toepke [wie Anm. 7], S. 177), dem Sohn des Nördlinger Stadtschreibers Konrad Horn (s. Walther Emil Vock, Die Urkunden der Stadt Nördlingen 3, Augsburg 1965, Nr. 1788 u. 1789), der später in Padua studierte und dort am 25. Februar 1434 zum Doctor iuris canonici promoviert
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sche Abtei Matina oder S. Maria della Matina gemeint, die Fritzmann zur fraglichen Zeit als Kommende übertragen war9. Das von ihm um 1420 – wohl noch in seiner Scholarenzeit – geschriebene Vokabular kam spätestens um 1460 (vielleicht auch früher) in das Schwarzwaldkloster, vermutlich im Zusammenhang mit Fritzmanns Heidelberger Aufenthalt. Da an der dortigen Universität immer wieder Herrenalber Konventualen nachweisbar sind, so beispielsweise im gleichen Jahr wie Fritzmann der spätere Lichtenthaler Beichtvater Johannes de Magstadt (s. Anhang II, Nr. 4), erscheint diese Annahme am wahrscheinlichsten. In den 60er Jahren des 15. Jahrhunderts wurden jedenfalls die Blätter 108, 109 und 122 in Herrenalb in die Handschrift eingefügt10, wobei auf dem letzten Blatt in der Folge mehrfach Einträge über den Klostereintritt von Herrenalber Mönchen vorgenommen wurden11. Außerdem erhielt der Codex auf Bl. 119v einen entsprechenden Besitzvermerk. Zu welchem Zeitpunkt er nach Lichtenthal gelangte, ist indessen nicht genau zu ermitteln. Conrad Hoppeltanz, der Vorbesitzer der Sermoneshandschrift Lichtenthal 85, siegelt 1396 und 1402 zwei Urkunden als Pfarrer von Malsch12. Die laut Explicit im Jahre 1422 vom Kaisheimer Mönch Heinricus in Herrenalb geschriebene Handschrift13 könnte sehr wohl in Malsch,
wurde (s. Gasparo Zonta e Giovanni Brotto, Acta graduum academicorum gymnasii Patavini, Padua, 1922, Nr. 939 a. 979). Allerdings stammt dieser nicht aus Prüm. 9 Vgl. Italia Pontificia 10, ed. Dieter Girgensohn usus W. Holtzmanni schedis, Zürich 1975, S. 89–92 mit weiterer Lit. Von 1410 an wurde die Abtei als Kommende vergeben (s. ebd. S. 90). 10 Die Bl. 108 und 122 bilden das äußerste Doppelblatt der letzten Lage; das entsprechende Gegenstück zu 109 fehlt. Die Datierung dieses Zusatzes beruht wie die des Grundbestandes der Handschrift auf den Wasserzeichen (dazu handschriftl. Gutachten von Gerhard Piccard in der Hss.-Abteilung der Bad. Landesbibliothek). 11 S. Anhang II, Nr. 12–15 u. 22. 12 Abschriften davon wurden als Spiegel für den Einband der Hs. Lichtenthal 64 verwendet. 13 Ein weiterer Kaisheimer Mönch, der auswärts als Schreiber tätig war, nämlich in Maulbronn, ist Johannes Yrsinger, von dessen Hand der ebenfalls 1422 datierte Clm 6499 der Bayrischen Staatsbibliothek stammt (s. Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands u. der Schweiz, III/1: Bistum Augsburg, bearb. von Paul Ruf, München 1932, S. 127 Zeile 34 f.). Das Exil dieser Kaisheimer Konventualen hängt wohl zusammen mit dem Konflikt, den die Abtei mit Bayern auszutragen hatte, wobei Herzog Ludwig VII nach seiner Bannung im August 1420, wie der Chronist Johann Knebel berichtet, dem Kloster so großen Schaden antat, „dass die munich al verschickt m˚usten werden“ (Johannes Knebel, Die Chronik des Klosters Kaisheim [1531], hrsg. von Franz Hüttner, Tübingen 1902, S. 225 Zeilen 36–38).
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wo einerseits Herrenalb eine Grangie als Mittelpunkt seines Grundbesitzes in der Rheinebene hatte14 und andererseits die Lichtenthaler Äbtissin seit 1340 das Patronat über die Pfarrkirche innehatte15, in den Besitz von Hoppeltanz übergegangen sein. Im Lichtenthaler Kopialbuch (GLA Karlsruhe 67/713), 16–17, ist dieser als Benefiziat eines Altars der Lichtenthaler Fürstenkapelle bezeugt für das Jahr 1446. Zu der Zeit dürfte der Codex dann auch Eigentum des Klosters geworden sein – übrigens für einen Naturalpreis: pro uno porco valente florenum vel paulo plus, wie es auf dem Vorsatzblatt heißt. Ob Hoppeltanz mit dem 1429 und 1436 als Pfarrer von Eichstetten im Kaiserstuhl nachgewiesenen Kleriker gleichen Namens16 identisch ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen; aufgrund der nicht gerade häufigen Form des Namens erscheint diese Annahme indessen wahrscheinlich. Bei den beiden Prozessionalien Lichtenthal 53 und 54 sind verwandtschaftliche Beziehungen im Spiel: ad instanciam et usum sororis Dorothee Brenczin, wie es im Kolophon von Nr. 54 heißt, schrieb sie der Herrenalber Konventuale Bernhard Brantz, der laut Kolophon von Nr. 53 aus Baden stammte. Dorothea Brantz oder Brentzin verstarb übrigens laut Totenbuch am 19. Mai 147817. Nicht aus Herrenalb stammt indessen wohl die von Pflüger ebenfalls erwähnte Hs. Lichtenthal 38. Der von ihm als Indiz ins Feld geführte Nekrologeintrag für Fridericus de Eberstein ist da zu wenig aussagekräftig, zumal die anderen Einträge, die etwa aus derselben Zeit stammen, eher nach Lichtenthal weisen18. 14
Helmut Pflüger, Die wirtschaftliche Tätigkeit der Reichsabtei Herrenalb im Landkreis Rastatt. Das herrenalbische Klosteramt Malsch, in: Um Rhein und Murg 3 (1963), S. 55–60; vgl. auch die oben (Anm. 5) genannte Studie Pflügers, S. 85–91 und Karte nach S. 175. 15 Vgl. Reiss (wie Anm. 6), S. 240. 16 Vgl. Julius Kindler von Knobloch, Oberbadisches Geschlechterbuch 2, Heidelberg 1905, S. 105 und Manfred Krebs, Die Investiturprotokolle der Diözese Konstanz aus dem 15. Jahrhundert, Freiburger Diözesan-Archiv 66–74 (1938–1954), Beil., S. 210. 17 Entsprechender Eintrag im Nekrolog GLA Karlsruhe 64/47, f. 10r. Vgl. auch Otto Bernhard Roegele, Bernhard von Baden und die Abtei Lichtental, Heidelberg 1948, S. 39. 18 Für Conradus Rise und seinen Sohn, deren Anniversar im Kalender der Hs. zum 4. September eingetragen ist, haben auch die beiden Lichtenthaler Nekrologien entsprechende Vermerke: GLA 64/19, f. 117r sowie GLA 64/47, f. 17r. Zwei weitere Einträge der Hs. betreffen Heinrich und Agnes Streler aus Ettlingen (23.6. bzw. 17.11.). Die Streler gehörten zu den fünf einflussreichsten Ettlinger Familien des 14. Jahrhunderts
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Ergänzend sind hier jedoch einige andere Handschriften zu nennen. In der heutigen Klosterbibliothek in Lichtenthal befinden sich mehrere Codices herrenalbischer Provenienz: als Hss. 1 und 2 ein 1494 vollendetes, vom Herrenalber Mönch und Lichtenthaler Confessarius Johannes de Magstadt buchmalerisch ausgestattetes und möglicherweise auch von ihm geschriebenes Graduale in zwei Bänden19, dazu die Hs. 102 aus dem 13. Jahrhundert mit herrenalbischem Besitzvermerk20. Auch die Hs. 103 der Lichtenthaler Klosterbibliothek, eine 1465 datierte Regula Benedikti, die auf Bl. 2r das Motto „Soli Christo“ von Sebastian Lanius’ Hand (s. u.) trägt, stammt möglicherweise aus Herrenalb. Unter den Beständen der Badischen Landesbibliothek sind außer Zürns Handschriften (s. u.) die Codices Lichtenthal 40 und 49 zu erwähnen: ein Psalterium und ein zisterziensisches Diurnale, 1459 bzw. 1447 datiert. Beide stammen von der Hand eines Frater Nicolaus Hirßmann de Bruchsella (Bruchsal), der ebenfalls dem Herrenalber Konvent angehört haben könnte. Schließlich ist auf zwei Handschriften des Herrenalber Mönchs Wilhelm Kecheler hinzuweisen, die das vielberufene „fatum libellorum“ von ihrer ursprünglichen Heimat weit weg entführt hat. Die erste, ein Prozessionale, das Kecheler 1460 für seine Schwester Dorothea in Lichtenthal schrieb, kam 1932 in Luzern zur Versteigerung und wurde damals vom bekannten Einbandforscher Ernst Kyriß erworben; der heutige Aufbewahrungsort des später von Kyriß wieder veräußerten Stücks konnte nicht ermittelt werden21. Die zweite Handschrift, ein (vgl. Rüdiger Stenzel, Ettlingen vom 14.-17. Jahrhundert, 1. Halbband, Ettlingen 1982, S. 48 u. 51). Lichtenthal besaß das Patronat über die Ettlinger Pfarrkirche St. Martin (s. Stenzel, S. 98–102). 19 Vgl. Roegele, (wie Anm. 17), S. 58 und S. 64 mit Anm. 51; s. Anhang II, Nr. 4. Die Hand des Johannes von Magstadt meine ich auch in der Hs. 3 der Klosterbibliothek, einem Antiphonale, wiederzufinden. 20 Vgl. Kattermann, (wie Anm. 1), S. 306. Der Codex enthält nach freundlicher Auskunft von Sr. M. Pia Schindele (Brief vom 9.6.1984) das Decretum Gratiani und Briefe Bernhards v. Clairvaux. 21 Vgl. Colophons … (wie Anm. 30), Bd. 2 (1967) Nr. 5837 mit Hinweis auf H. Gilhofer u. H. Ranschburg, Kostbare Bücher und Manuskripte … versteigert im Juni 1932, Luzern 1932, Nr. 20 (S. 8). Die spärlichen Angaben des Katalogs lassen darauf schließen, dass es sich um ein Prozessionale handelt, wie im Fall der oben erwähnten Hs. Lichtenthal 54, mit der Kechelers Codex auch im Format und bezüglich des Einbands übereinstimmt. Der Name des Schreibers wird irrtümlicherweise mit Kechetter angegeben. Dorothea Kechelerin ist mit Todestag am 15. 11. 1488 im
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1444 und 1445 datiertes Psalterium, erscheint im Auktionskatalog Trübners von 1886 (s. u. S. 455 mit Anm. 29) unter Nr. 8. Im ersten Kolophon des Psalters bezeichnet sich Kecheler als Diakon und Mönch in Herrenalb, im zweiten gibt er Hechingen als Geburtsort an. Der mit einer qualitätvollen Miniatur ausgestattete Codex befindet sich heute in der Public Library von Houston (Texas)22. In den Kontext bibliotheksgeschichtlicher Beziehungen zwischen den beiden Klöstern gehören außerdem mehrere gedruckte Bücher, die auf Schenkungen von Herrenalber Mönchen zurückgehen. Hier sind zunächst die heute ebenfalls in Karlsruhe befindlichen Inkunabeln Bi 1 (Nikolaus Perottus, Cornucopiae linguae Iatinae, hain 12697), Kd 1 (Chronica Antonini, dreibändig, GW 2074) und De 135 (Biblia latina, GW 4253) zu nennen. Sie stammen alle aus dem Vorbesitz des Herrenalber Professen Sebastian Metzger oder Lanius aus Calw, der von 1525 bis zu seinem Tod am 4. April 1540 in Lichtenthal als Beichtvater tätig war und dabei das geistige und bildungsmäßige Klima des Klosters nicht unwesentlich beeinflusste23. Lanius, der nach der Aufhebung Herrenalbs in Lichtenthal eingepfründet wurde24, hinterließ in allen Büchern sein Motto „Soli Christo“ und versah zudem das erste der genannten Werke mit einem Schenkungsvermerk, der hier mitgeteilt sei: Hoc libro donavit fr. Sebastianus Lanius Calvensis Monasterii Lucidae vallis suas in Christo filias eiusdem cenobii confessor uti eo in comuni utantur. Anno salutis nostrae M.D.XXXVII.1537.
Nekrolog GLA Karlsruhe 64/47, f. 21v, verzeichnet. Die Kenntnis von der Erwerbung durch Ernst Kyriß verdanke ich einer brieflichen Mitteilung des Auktionshauses vom 2. Juli 1984. Für weitere Auskünfte in dieser Angelegenheit danke ich den Herren Peter Amelung und Wolfgang Irtenkauf (Württemberg. Landesbibliothek, Stuttgart). 22 Vgl. Seymour de Ricci, Census of medieval and renaissance manuscripts in the United States and Canada 2, New York 1937, S. 2164 f. (Nr. 4). Zur Miniatur s. Alfred Stange, Eine mittelrheinische Zeichnung von 1445, in: Belvedere 8 (1929), S. 1–3 mit Abb. 23 Vgl. Schindele (wie Anm. 6), S. 410. Lanius erscheint auch im Bericht über die „Aufhebung des Klosters Herrenalb durch Herzog Ulrich von Wirtemberg“, hrsg. von Fr. von Weech, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 33 (1880), S. 296–358, und zwar S. 313, 330 f. und 346; s. auch den Anhang „Herrenalb im Bauernkrieg“, ebd. S. 358–362, bes. S. 361 f., sowie meinen Anhang II, Nr. 4 [hier S. 462]. Lanius’ Todestag fällt laut Nekrolog GLA 64/47, f. 7r auf den 4. April 1540. 24 Vgl. Schindele (wie Anm. 6), S. 410 mit Anm. 35. Der Pfründbrief liegt heute im GLA Karlsruhe (92/82).
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Erwähnenswert ist auch die Notiz in Band 2 des Antoninus, wo Lanius nach dem Vermerk „Ad Albam dominorum pertinet liber iste“ folgendermaßen auf die Ereignisse im Januar 1536 bei der Aufhebung Herrenalbs Bezug nimmt: Anno domini 1536 post festum Epiphaniae domini coacti sunt Monachi Albenses aut habitum Monasticum exuere aut pensionem accipere aut e cenobio egredi et numquam reverti per Illustris ducis Ulrici Wirttemb. consiliarios etc.25.
Im Bibeldruck De 135 ist hingegen auf dem beschädigten Vorsatzblatt nur noch der Rest eines Besitzvermerks (Hic liber … Lanii Calven… ) zu erkennen. Lanius’ charakteristische Schriftzüge finden sich übrigens mehrfach auch im bereits verschiedentlich erwähnten Totenbuch des Lichtenthaler Konventes wieder26. Gewissermaßen als Gegenstück zu seinen Bücherschenkungen sei schließlich auch das von ihm gestiftete Votivbild erwähnt, das 1534 vom Straßburger Maler Nikolaus Kremer, einem Schüler Hans Baldung Griens, ausgeführt wurde und sich noch heute in Lichtenthal befindet27. Kattermann28 erwähnt eine Bücherschenkung von seiten des langjährigen Beurener Kaplans Gregor Hüglin, ebenfalls Mönch des Herrenalber Konventes (s. Anhang II, Nr. 20). Leider werden in Kattermanns Hinweis weder der Inhalt des Druckes noch sein Aufbewahrungsort bzw. seine Signatur näher spezifiziert, so dass allfälligen Nachforschungen hier enge Grenzen gesetzt sind. Eine Nachfrage in Lichtenthal ergab, dass dort nichts Entsprechendes zu finden ist. Vermutlich ist die Inkunabel nach Karlsruhe in die Bad. Landesbibliothek gekommen und dort beim Bombenangriff von 1942 verbrannt [s. jetzt S. 496]. 25 Vgl. von Weech (wie Anm. 23), bes. S. 347–353, sowie Edgar Fleig, Die Aufhebung des Klosters Herrenalb, in: Freiburger Diözesan-Archiv N.F. 20 (1919), S. 46–112, bes. S. 86–95. 26 GLA Karlsruhe 64/47, f. 3r (zum 2.2.), 4 r (zum 16.2.), 5v (zum 11.3.), 6r (zum 18. u. 20.3.), 6v (zum 25. u. 30.3.), 7r (zum 5. u. 6.4.), 8r (zum 18.4.), 15r (zum 8.8.), 16v (zum 25., 27. u. 31.8.), 18r (zum 23.9.), 19v (zum 16.10.), 20r (zum 22.10.) und 21v (zum 9.11.). 27 Vgl. Roegele (wie Anm. 17), S. 66 und v. a. Hans Rott, Quellen und Forschungen zur südwestdeutschen und schweizerischen Kunstgeschichte im 15. und 16. Jahrhundert, Bd. 3,1, Textband, Stuttgart 1938, S. 93 f. u. Abb. 46. Das auf Seide gemalte Bild lehnt sich, wie Hans Rott entdeckt hat, eng an den Titel-Holzschnitt eines Pariser Drucks von 1513 mit den Sermones Bernhards von Clairvaux an (Rott, S. 94 mit Anm. 1 sowie Abb. 45 auf S. 92). Es ist nicht ausgeschlossen, dass das von Hans Rott erwähnte Karlsruher Exemplar des Drucks aus Lichtenthal stammt und in diesem Fall möglicherweise mit dem an Nikolaus Kremer als Vorlage zur Verfügung gestellten identisch wäre. Leider gehört das Buch jedoch zu den zahlreichen Kriegsverlusten der Bad. Landesbibliothek, so dass sich diese Hypothese nicht nachprüfen lässt. 28 (Wie Anm. 1), S. 308.
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In diesem größeren Rahmen buch- und bibliotheksgeschichtlicher Verbindungen zwischen Herrenalb und Lichtenthal, der hier zumindest andeutungsweise sichtbar geworden ist, ist nun auch Johannes Zürns Tätigkeit als Handschriftenschreiber zu sehen. Von den in der Badischen Landesbibliothek aufbewahrten Lichtenthaler Handschriften stammen nicht weniger als sechs ganz oder wenigstens teilweise von der Hand dieses Schreibers. Zwei weitere Codices Zürns, darunter das schon genannte Gebetbuch, befinden sich heute in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Sie gehören übrigens zu deren ältesten Beständen. Im Katalog des Straßburger Auktionators Trübner von 188629 erscheinen ebenfalls drei Handschriften mit einem Kolophon Zürns, wobei die dritte (Nr. 87 des Kataloges) mit der Karlsruher Hs. Lichtenthal 57 identisch ist. Im ganzen kommen wir damit immerhin auf 10 Codices, die Zürn zuzuordnen sind. Über Johannes Zürns Person, sein familiäres Umfeld und seinen Lebensgang lässt sich leider kaum etwas ausmachen, was über das Kolophon des Gebetbuches hinausginge30. In diesem nennt Zürn das Dorf Neibsheim nordwestlich der Melanchthon-Stadt Bretten als seinen Herkunftsort und bezeichnet sich als Professus und Kantor des Klosters Herrenalb. Hinsichtlich der Chronologie seines Lebens, insbesondere was sein Geburtsjahr, das Jahr seines Klostereintritts und den Zeitpunkt seiner Ernennung zum Kantor betrifft, wissen wir nichts Genaues. Immerhin gibt die Konventsliste von 1497 (Anhang II) gewisse Anhaltspunkte. Sie ist offenbar nach der Chronologie der Eintrittsjahre geordnet, wenn man von den ersten drei Positionen einmal absieht. Diese werden vom regierenden Abt, dem Alt-Abt von Maulbronn und dem Prior ihres Amtes wegen, bzw. im Fall des Maulbronner Prälaten ehrenhalber, eingenommen. Zürns Name erscheint schon an siebter Stelle. Er gehört also zu den ältesten Mitgliedern des Konvents. An vierter Stelle steht Johannes von Magstadt31, von dem wir wissen, dass er 1447 29 Verzeichniss(!) einer werthvollen Sammlung von Pergament- und Papierhandschriften aus dem XII–XV. Jahrhundert …, welche am Samstag den 23. October 1886 … bei Karl J Trübner öffentlich versteigert werden (1886). Zum Hintergrund dieser Auktion, die offenbar größtenteils Handschriften und Drucke aus der Lichtenthaler Bibliothek betraf, vgl. Gerhard Kattermann (wie Anm. 1), S. 303 f. 30 Dieses ist abgedruckt bei Valentin Rose, Verzeichnis der lateinischen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin, Bd. II/2, Berlin 1903, S. 734. Vgl. auch Bénédictins du Bouveret, Colophons de manuscrits occidentaux des origines au XVIe siècle 3, Freiburg / Schweiz 1973, S. 562 (Nr. 11975). 31 S. oben S. 452 mit Anm. 19 sowie Anhang II, Nr. 4.
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zisterzienser und zisterzienserinnen
an der Universität Heidelberg immatrikuliert wurde, und zwar bereits als professus, d. h. nach Beendigung seines Noviziates32. Geht man davon aus, dass man um diese Zeit kaum vor dem 18. Altersjahr das Noviziat als Zisterzienser antreten konnte, und dass dieses mindestens ein Jahr dauerte33, so darf man annehmen, dass Johannes von Magstadt bei seiner Immatrikulation etwa 20 Jahre alt war. Sein Geburtsjahr wäre dann kurz vor 1430 anzusetzen. Ähnliches ist aufgrund der engen Nachbarschaft in der Liste nun auch von Johannes Zürn anzunehmen. Mit seiner letzten datierten Handschrift von 1499 (Anhang I, Nr. 8) als weiterem Anhaltspunkt kommen wir so – mit allen Vorbehalten – auf eine Lebenszeit, die sich etwa im Bereich von 1430 bis 1500 einordnet. Im Jahr 1484, als er das Gebetbuch fertigstellte, wäre er demnach ungefähr 50 Jahre alt gewesen. Seine durch Datumsangaben belegte Tätigkeit als Schreiber von Handschriften erstreckt sich – begrenzt von Nr. 9 (1470) und Nr. 8 (1499) des Anhangs I – über den beachtlichen Zeitraum von fast dreißig Jahren. Als Kantor oblag Zürn die Verantwortung für die Liturgica seines Klosters34, und zwar nicht nur für das Chorgebet des ganzen Konvents, sondern auch im Hinblick auf die Konventsmitglieder, die am gemeinsamen Offizium nicht teilnehmen konnten, weil sie beispielsweise auf Reisen waren oder sich in der Krankenstube aufhalten mussten35. Und gerade in diesen Bereich gehören die Handschriften Zürns: mit Ausnahme des Gebetbuches nur Diurnalien und Reisebreviere, also keine Chorbücher im eigentlichen Sinn. Dass sie zum größten Teil aus Lichtenthaler Besitz stammen – vermutlich gilt dies auch für die unter Nr. 9 und 10 verzeichneten Handschriften –, macht deutlich, dass der Herrenalber Kantor sich schreibend und korrigierend auch um das liturgische Leben im Tochterkloster zu kümmern hatte36. Gerade die Nr. 1, 3,
Toepke (wie Anm. 7), S. 253. Vgl. Vincentius Hermans, De novitiatu in ordine benedictino-cisterciensi et in iure communi usque ad annum 1335, in: Analecta sacri ordinis cisterciensis 3 (1947), S. 1–110, hier: S. 29–32. 34 Vgl. Kapitel 116 der Usus ordinis cisterciensis, PL 166, 1493–1495; s. auch die Edition der Fassung von Cod. 1711 aus Trient durch Bruno Grießer in: Analecta sacri ordinis cisterciensis 12 (1956), S. 153–288, hier: S. 274–276. 35 Officia vero illorum, qui in via directi vel in infirmitorio fuerint, ex toto providere: PL 166, 1495 A und Grießer (wie Anm. 34), S. 251 Zeilen 21 f. 36 Als Parallelfall wäre hier der Salemer Kantor Konrad Fladenschröt zu erwähnen. Dieser schrieb 1475 ein Rituale für die Äbtissin des Salem unterstellten Klosters 32 33
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4 und 6, wo Zürn jeweils nur einzelne Abschnitte (teilweise nach Tilgung des ursprünglichen Textes) oder gar nur einzelne Rubriken (bei Nr. 4) selber geschrieben hat, führen diese Kontrollfunktion besonders anschaulich vor Augen. Was lässt sich zum Charakter von Johann Zürns Schrift sagen? Es handelt sich um eine sehr bestimmt wirkende, persönlich geprägte Textura, die übrigens über die lange Zeit seiner Schreibtätigkeit hinweg erstaunlich konstant bleibt. Spezimina, auf die sich die folgenden Ausführungen beziehen, bieten die Umschlagseiten von Wilfried Schwenks Veröffentlichung zum Herrenalber Gebetbuch (s. Anm. 4). Auffallend ist die Tatsache, dass an den Ansätzen der Buchstabenschäfte kaum eigentliche Brechungen auftreten37. Die Schäfte bleiben gradlinig, sind jedoch unten und oben jeweils mit kleinen spitzwinkligen Aufstrichen versehen, besonders markant bei den Oberlängen von b und h und den Unterlängen von p und q, was der Schrift insgesamt etwas Scharfes und klar Geschnittenes verleiht. Am deutlichsten zeigt sich dies wohl beim h (s. vordere Umschlagseite, 1. Zeile von oben: hore, 11. Zeile von oben: humani). An typischen Einzelformen sind herauszuheben die Abkürzung für -rum (s. vordere Umschlagseite, 15. Zeile von oben: saeculorum), die an eine Drei erinnernde Abkürzung für – (q)ue und – (b)us (s. vordere Umschlagseite, 3. Zeile von unten: Cumque) und besonders das B – förmige Schluss – s (s. vordere Umschlagseite, 4. und 5. Zeile von oben, jeweils am Zeilenende), das am Zeilenende ab und zu auch als langes geschrieben wird (vordere Umschlagseite, 7. Zeile von unten; hintere Umschlagseite, 10. Zeile von oben). Im ganzen zeigt sich das Bild einer kalligraphisch recht ansprechenden Schrift, die Genauigkeit und Schärfe der Einzelform mit einem gewissen Schwung zu verbinden weiß. Ohne sich in das unsichere Feld der Graphologie verirren zu wollen, darf man im individuellen Zuschnitt von Zürns Schrift vielleicht doch einen Ausdruck von Temperament und Charakter eines Mannes erkennen, von dem wir sonst so wenig wissen.
Rottenmünster: die Hs. St. Peter perg. 30 der Bad. Landesbibliothek. Vgl. dazu die Beschreibung in Heinzer/Stamm, St. Peter (wie Anm. 2), S. 74 f. 37 Vgl. zu dieser Thematik Herrad Spilling, Schreibkünste des späten Mittelalters, in: Codices Manuscripti 4 (1978), S. 97–119, bes. S. 108, und Martin Steinmann, Textualis formata, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 25 (1979), S. 301–327, bes. S. 315 f.
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zisterzienser und zisterzienserinnen
Eher kraus wirkt hingegen Zürns Latein im Kolophon des Herrenalber Gebetbuchs, das hier als einziges Zeugnis für den sprachlichen Ausdruck unseres Schreibers herangezogen werden kann38. Dies mag auch die Schwierigkeit erklären, die der Text Wilfried Schwenk beim Übersetzen offensichtlich bereitet hat39. Einiges sei hier kurz berichtigt. Aus dem Wortlaut des Kolophons lässt sich nicht entnehmen, dass der Auftraggeber der Handschrift, Ludwig von Bruchsal, vor deren Fertigstellung verstorben sei40. Im Gegenteil wird ausdrücklich gesagt, er sei zum unten hinzugefügten Zeitpunkt (tempore infra addito), d. h. 1484, als Prokurator des Klosterhofs in Merklingen tätig gewesen. Ludwig war zudem wohl kaum Laienbruder41, wofür es zwei Hinweise gibt: Erstens erhält er den gleichen Titel religiosus, den Zürn sich selber gibt, und zweitens wird er im weiteren Verlauf des Textes als pater et nonnus bezeichnet. Der Einschub ut Benedicti sancti patri nostri normam haut negligam vor nonnus ist, was Schwenk entgangen ist, eine Anspielung auf die Regula Benedicti 63, 12 („iuniores autem priores suos nonnos vocent“), wo der Ausdruck nonnus als Bezeugung des Respektes jüngerer Mönche ihren älteren Mitbrüdern gegenüber empfohlen wird42. Für einen Laienbruder – sprich: für einen Konversen – hätte Zürn wohl kaum diese Formel verwendet. Wendungen wie in necis fruicione und toge mortalis exuicione(!) belegen ein etwas geschraubt wirkendes Bemühen um sprachliche Originalität, und ähnliches lässt sich von der Formel Anno verbigine (für verbigenae) sagen. Die wenig gebräuchliche Bezeichnung verbigena für Christus mochte dem Herrenalber Mönch aus den Hymnen des Prudentius, der „Vita metrica sancti Martini“ des Venantius Fortunatus oder auch aus dem Graecismus des Eberhardus von Béthune, einem beliebten grammatikalischen Schultext des Mittelalters, bekannt sein43. Typisch für Zürns etwas manierierte Latinität ist auch die AusS. oben Anm. 30. Vgl. Schwenk (wie Anm. 4), S. 41. 40 So Schwenk, S. 14, und ebenso der Anm. 4 erwähnte Ausstellungskatalog. 41 So Schwenk, S. 41. Dass zu dieser Zeit üblicherweise die Merklinger Prakuratur von Mönchen, nicht von Konversen, versehen wurde, zeigt die Konventsliste von 1509 (Stuttgart, HStA J1, Hs. 215, 5rv, s. Michael Klein, Die Handschriften der Sammlung J1 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart [1980], S. 243). Vgl. dazu Anhang II, Nr. 22, 40 und 41. 42 Dass sich der Einschub auf nonnus bezieht, um diesen Begriff zu erläutern, nicht aber auf effecit, wie Wilfried Schwenks Übersetzung suggeriert, ergibt sich nicht nur aus dem Inhalt, sondern allein schon vom Grammatischen her: die erste Person Singular negligam verbietet es, dieses Prädikat zu Ludwicus zu ziehen. 43 Prudentius, Cathemerinon III, V. 2 (vgl. Analecta hymnica medii aevi 50 [1907] Nr. 38 und 39); Venantius Fortunatus, Vita s. Martini 3, V. 158 (MGH Auct. ant. IV, 1, 38 39
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drucksweise elementis (nicht Clementis, wie die Anm. 30 genannte Literatur angibt) exaratus; elementa meint hier Buchstaben, die ganze Wendung bedeutet mithin einfach den Vorgang des Schreibens. Johannes Zürns Handschriften, so lässt sich abschließend festhalten, fallen zwar nicht unter die Kategorie der Zimelien – mit Ausnahme des Herrenalber Gebetbuchs, das aufgrund seiner buchmalerischen Ausstattung eine Sonderstellung einnimmt. Als Handschriften-Gruppe sind sie indessen keineswegs bedeutungslos, bilden sie doch ein respektables Zeugnis für die fleißige und durchaus qualitätvolle Schreibertätigkeit dieses Zisterziensermönchs und zugleich ein Mosaiksteinchen für unser Bild von der an Dokumenten so raren „inneren“ Geschichte des Klosters Herrenalb und dessen Beziehungen zu Lichtenthal.
S. 335); Eberhardus Bethunensis, Graecismus, XXV, 314 (ed. Johann Wrobel, Breslau 1887, S.232).
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zisterzienser und zisterzienserinnen Anhang I: Liste der Handschriften Johannes Zürns Datierung durch Zürn (* = mit Namensnennung Zürns)
Inhalt
Anteil Johannes Zürns
1. Lichtenthal 17
Brevier
293rv und 299rv
–
2. Lichtenthal 18
Brevier
ganze Hs.
1472
3. Lichtenthal 20
Brevier
1r–10r, 292v–297v (nur einzelne Abschnitte) u. 306v–310v
1472
4. Lichtenthal 29
Brevier
nur einige Rubriken gegen Ende der Hs.
–
5. Lichtenthal 41
Diurnale
ganze Hs.
1475
Diurnale
17r–25v,
1491*
7. theol. lat. qu. 9 (Rose 725)
Gebetbuch
ganze Hs. (außer 86v–88r)
1482/4*
8. theol. lat. oct. 13 (Rose 746)
Diurnale
ganze Hs.
1499*
9. Nr. 29
Psalter(?)
ab 98r
1470*
10. Nr. 55
Psalter(?)
ganze Hs.
1491*
Karlsruhe, Bad. Landesbibliothek:
6. Lichtenthal 57
256r–266v,
268r–270v, 273r–274v, 287r–289v, 293r–298v
Berlin, Staatsbibliothek Preuß. Kulturbesitz:
Trübner, Auktions katalog (s. oben Anm. 29):
Für die Berliner Handschriften sei verwiesen auf die Beschreibungen bei Rose (s. oben Anm. 30), F. 732–734 bzw. 755–756. Vgl. auch Colophons … (wie Anm. 30) Nr. 11975 und 11976. Die Nr. 10 wird bei Trübner als Lectionarium bezeichnet. Es dürfte sich jedoch um ein Brevier handeln wie im Falle der ebenfalls als Lektionarien aufgeführten Nr. 56 und 57 des Kataloges, die mit den beiden Brevieren Lichtenthal 18 und 29 (s. oben Nr. 2 und 4) identisch sind.
johannes zürn aus neibsheim, ein herrenalber mönch
461
Anhang II: Liste des Herrenalber Konvents von 1497 Die Liste ist folgendem Werk entnommen: Grund und Aktenmäßige Information, worinnen das von dem Hochfürstlichen Haus Baaden-Baaden an das Hochfürstliche Haus Württemberg … gestellte … Restitutionsgesuch die beede Clöster Herrenalb und Reichenbach betreffend bestehe (1754). Sie findet sich in dem dort als Anlage L. abgedruckten Notariatsinstrument. Inhalt dieses Dokumentes ist der Auftrag des Herrenalber Konvents an seinen Abt Bartholomäus, auf dem von Kaiser Maximilian in Worms festgesetzten Tag gegen die Beeinträchtigung der freien Schirmwahl von seiten Württembergs zu protestieren (vgl. Pflüger [wie Anm. 5], S. 74–83, bes. S. 78 mit Anm. 65 a). Das Original liegt heute im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (A 489 Nr. 63). Abgedruckt ist es außer in dem genannten Werk auch bei Chr. von Besold Documenta rediviva monasteriorum praecipuorum in ducatu Wirtenbergico sitorum … (1636) S. 202–206. Im Apparat abgekürzt zitierte Quellen und Literatur: Li. 72
Bad. Landesbibliothek Karlsruhe, Hs. Lichtenthal 72 (s. oben S. 449)
Liste 1509
Herrenalber Konventsliste von 1509 (s. oben Anm. 41)
Nekr. 47
Nekrolog GLA 64/47 von Lichtenthal (s. oben Anm. 6)
Klunzinger
Karl Klunzinger, Urkundliche Geschichte der vormaligen Cistercienser Abtei Maulbronn, Stuttgart 1854
Pflüger
S. oben Anm. 5
Roegele
S. oben Anm. 17
Toepke
S. oben Anm. 7
Von Weech, Aufhebung; ders., Bauernkrieg
S. oben Anm. 23
462
zisterzienser und zisterzienserinnen
1) Herr Bartholome, Appte 2) Herr Johannes Riescher Alter Appte zue Mulpronn 3) Herr Michael Scholl, Prior 4) Johannes Magstatt 5) Erhardus Rastetter 6) Johannes Trapp 7) Johannes Nypsen 8) Heinricus von Wyl 9) Bernhardus Magstatt 10) Oßwaldus von Calw 11) Johannes Schmuser 12) Jacobus Meiß 13) Berchtholdus von Calw 14) Wendelinus Sall 15) Sebastianus Heilprunn 16) Bonifacius Gernspach 17) Wendelinus Gachsheym 18) Marcus Derdinger 19) Jodocus Gryninger 20) Gregorius Hüglin 21) Johannes Vrach
22) 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41) 42) 43)
Heinricus Gernspacher Marcus Gernspacher Sebastianus von Calw Luduicus Leonberg Eustasius Marckpacher Michael von Calw Wendelinus Gauch Stephanus Eppinger Johannes Barckhuser Johannes von Bruchsal Wernherus von Calw Heinricus von Calw Martinus von Wyher Johannes Schnepff Conradus von Bradienheim Anthonius van Gernspach Jacobus von Rottenfels Gallus von Brettheim Caspar Gechinger Georius Gültlinger Johannes von Wympfheym Heinricus von Leonberg
1) Bartholomäus von Richtenberg, 1485–1505 Abt von Herrenalb (Helmut Pflüger, S. 162). 2) Johannes V. Riescher v. Laudenburg, 1476–1488 Abt von Maulbronn, 1504 erneut gewählt, aber von Herzog Ulrich nicht anerkannt, gest. 17. 6. 1506 (Klunzinger, S. 121–122 und Reg. S. 55–57 u. 60). 3) 1479 in Heidelberg immatrikuliert (Toepke 1, S. 363); aus Vaihingen a. E. stammend, 1504–1512 Abt von Maulbronn, gest. 1523 (Klunzinger, S. 123 u. Reg. S. 60 f.). 4) 1447 in Heidelberg immatrikuliert (Toepke 1, S. 253); s. auch oben S. 71 mit Anm. 19. 7) Johannes Zürn aus Neibsheim, s. oben S. 67 und S. 73–76 sowie Anhang I. 12) Jacobus Meiß de Bruchsella, 1468 in Herrenalb eingetreten (Li. 72, 122v); erwähnt Liste 1509, 5r mit dem Zusatz prior 1510(?). 13) Berchtholdus Bock Calwensis, 1468 in Herrenalb eingetreten, wie Nr. 12 (Li. 72, 122v); erwähnt Liste 1509, 5r als portarius mit dem Zusatz procurator Brussel (Bruchsal) 1516. 14) Wendelinus Sall de Calw, 1468 in Herrenalb eingetreten (Li. 72, 122v). 15) Vermutlich identisch mit dem 1471 eingetretenen Frater Sebastianus (Li. 72, 122v). 18) Möglicherweise der 1488 in Heidelberg immatrikulierte Fr. Marcus, professus in Alba dominorum (Toepke 1, S. 392). 20) Schenkt 1493(?) dem Kloster Lichtenthal eine Inkunabel (s. oben S. 454 mit Anm. 28); erwähnt Liste 1509, 5r als prior; Nekr. 47, 2r: (19. 2.) Anno
johannes zürn aus neibsheim, ein herrenalber mönch
22) 23) 24)
25)
27) 31) 33) 35) 36)
37) 38) 39)
40)
41) 43)
463
1520 obiit venerabilis pater Gregorius Hüglin professus in Alba dominorum et ultra viginti annos cappellanus et confessor huius monasterii. Heinricus Büntter de Gernspach, 1482 in Herrenalb eingetreten (Li. 72, 122v); erwähnt Liste 1509, 5r mit Zusatz procurator in Merklingen 1518; s. auch Friedrich von Weech, Bauernkrieg, S. 361. Markus Schön von Gernsbach, Abt 1506–1529 (Pflüger, S. 163; s. auch Liste 1509, 4r–6r und von Weech, Bauernkrieg, S. 359). Vielleicht Sebastian Metzger od. Lanius (s. oben S. 453 mit Anm. 23–27); erwähnt Liste 1509, 5r mit Zusatz 1520; 1518 in Heidelberg immatrikuliert (Toepke 1, S. 514); Nekr. 47, 7r: (4. 4.) Anno salutis 1540 II. Non. Apprilis o. religiosus et gnarus Pater dominus Sebastianus Lanius Calvensis, professus in Alba dominorum, a concionibus et confessionibus in Lucida Valle fidelis minister. (Möglicherweise handelt es sich auch um zwei verschiedene Personen, da die einzelnen Daten schlecht in Einklang zu bringen sind.) Ludovicus Bretter „zu Löwnbergk geboren“ (um 1470), 1485 in Herrenalb eingetreten von Weech, Aufhebung, S. 300, 330, 346, 349); erwähnt Liste 1509, 5r als bursarius mit den Zusätzen 1513 prior 1516 et procurator in Derdingen 1521; Nekr. 47, 12v: (29. 6.) o. fr, Ludowicus … professus in Alba dominorum et bursarius ferme 30 annos, iubileus, suffectus(?) huius monasterii, 1538. Michael Hug de Kalw, professus in Alba dominorum, 1493 in Heidelberg immatrikuliert (Toepke 1, S. 409); erwähnt Liste 1509, 5r. Vermutlich Fr. Johannes Hammer de Alba dominorum, 1493 in Heidelberg immatrikuliert (Toepke 1, S. 409; vgl. ebd. S. 424: Nicolaus Hammer de Bruchsal). Erwähnt Liste 1509, 5v. Fr. Johannes Schnepff de Rottenfels … ord. cist. professus in Alba dominorum, 1496 in Heidelberg immatrikuliert (Toepke 1, S. 420); erwähnt Liste 1509, 5r mit den Zusätzen pistrinarius 1510(?), subbursarius 1511, subprior 1513. Geb. 1472, in Herrenalb 1491 eingetreten (von Weech, Aufhebung, S. 300, 313, 352, 356; ders., Bauernkrieg, S. 361 f.); Fr. Conradus Epp ex Brackenheim in Alba dominorum professus, 1500 in Heidelberg immatrikuliert (Toepke 1, S. 437); erwähnt Liste 1509, 5r mit dem Zusatz vinitor 1510(?) und 5v als prior 1525 (s. auch von Weech, a. a. O.). Erwähnt Liste 1509, 5r. Erwähnt Liste 1509, 5r als pitantiarius mit Zusatz pistrinarius 1516. Gallus Thorwart von Bretten, geb. 1472, in Herrenalb 1492 eingetreten (von Weech, Aufhebung, S. 300 f., 313, 330, 346, 349; ders., Bauernkrieg, S. 326); erwähnt Liste 1509, 5r mit den Zusätzen subbursarius 1510(?), supprior 1511, vinitor 1513. Möglicherweise der Nekr. 47, 19v erwähnte venerabilis Caspar Niethammer, professus monasterii Albe dominorum, confessor huius cenobii (gest. 10. 11. 1523); erwähnt Liste 1509, 5r als Caspar de Gehingen mit den Zusätzen infirmarius 1510(?), procurator in Merklingen 1517(?). Erwähnt Liste 1509, 5r mit dem Zusatz procurator in Merklingen 1507. Erwähnt Liste 1509, 5r mit dem Zusatz cantor 1510(?).
ANDACHT IN WORD UND BILD ZUM „HERRENALBER GEBETBUCH“ VON 1482/84*
Hie fahet an daz edel leben und sterben unßers lieben heren Ihesu Christi in gebeden und in bilden geschriben, wie sich der mensche da in uben sal in betrachtunge mit herzlicher andacht… Mit diesen Worten beginnt eine Folge von Gebetstexten und Miniaturen zum Leben und Sterben Christi in einer Handschrift der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek (Ms. Praed. 169), die um etwa 1490 in einem mittelrheinischen Zisterzienserinnenkloster entstanden sein dürfte1. Eine solche Überschrift könnte genauso in dem heute in der Staatsbibliothek zu Berlin aufbewahrten Herrenalber Gebetbuch stehen, das wenige Jahre früher (nämlich zwischen 1482 und 1484) geschrieben und illuminiert worden ist2. Insbesondere gilt dies für den Passionszyklus, der das eigentliche Corpus der Handschrift eröffnet und auf den ich mich vordringlich konzentrieren möchte3.
* Erstmals erschienen in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 62 (2003), S. 85–99. 1 Die Kenntnis dieser interessanten Handschrift (beschrieben bei Gerhard Powitz, Die Handschriften des Dominikanerklosters und des Leonhardstifts in Frankfurt am Main [Die Handschriften der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main 1], Frankfurt a.M. 1968, S. 372–380) verdanke ich Jeffrey F. Hamburger. 2 Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. theol. lat. qt. 9. Grundlegend noch immer die Beschreibung der Handschrift von Valentin Rose, Verzeichnis der lateinischen Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin 2,2 (Die Handschriftenverzeichnisse der Königlichen Bibliothek zu Berlin 13,2), Berlin 1903, S. 732– 734. – Eine knappe monographische Präsentation mit einer Reihe von Abbildungen der Miniaturen bietet Wilfried Schwenk, Das HerrenalberGebetbuch 1482–1484. Bad Herrenalb 1983. Vgl. außerdem Felix Heinzer, Herrenalber Gebetbuch, in: Mittelalterliche Andachtsbücher. Hrsg. von Gerhard Römer und Hans-Peter Geh. Karlsruhe und Stuttgart 1992, Nr. 36. – Eine eingehende Würdigung aus kunsthistorischer Sicht jetzt bei Paula Väth, Das Herrenalber Gebetbuch, in: 850 Jahre Kloster Herrenalb. Auf Spurensuche nach den Zisterziensern, hrsg. von Peter Rückert und Hansmartin Schwarzmaier (Oberrheinische Studien 19), Stuttgart 2001, S. 89–107. 3 Der vorliegende Aufsatz gibt mit geringfügigen Veränderungen den Text des in Bad Herrenalb am 24.10.2001 gehaltenen Vortrags zur Präsentation des Jubiläumsbandes (850 Jahre Kloster Herrenalb, s. Anm. 2) wieder.
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I Das Leben und Sterben Christi „in Gebeten und in Bildern geschrieben“ – eine bemerkenswerte Formulierung, weil sie das Bild nicht nur als Illustration zu einem Text auffasst, sondern gewissermaßen als eigenen Text, der dem Gebet gleichberechtigt zur Seite steht und für den Benutzer als eigenes Repräsentations-System wirksam wird4. Dieser Benutzer aber – das macht die Rubrik im Frankfurter Gebetbuch deutlich – ist nicht einfach nur ein Leser, sondern ein Mensch, „der sich in Betrachtung üben soll“, und dies wiederum mag uns daran erinnern, dass spirituelle Betrachtung – im heutigen Sprachgebrauch ein zumeist auf Nachdenken und Erwägen eingeengter Begriff – ursprünglich von konkretem Sehen und Schauen ausgeht. Mittelalterliche, vor allem spätmittelalterliche Frömmigkeit ist in der Tat in starkem Maße „Schau-Frömmigkeit“. Geradezu exemplarisch zeigt dies etwa die Äußerung, mit der Franz von Assisi seine berühmte Inszenierung der Geburt Christi am Weihnachtsfest 1223 in der Höhle von Greccio in die Wege leitet (in der Formulierung seines Biographen Thomas von Celano): „Ich will das Andenken jenes Knäbleins feiern, das in Bethlehem geboren wurde, und seine Entbehrung als Neugeborenes, wie es in eine Krippe gebettet bei Ochs und Esel auf dem Heu lag, so weit dies nur möglich ist, mit meinen leiblichen Augen anschauen“5. Das eigentliche Ziel derartiger geistlicher Schau ist freilich die Begegnung mit dem Geschauten, mit dessen „ikonischer“ Präsenz in der Inszenierung oder im Bild solche Frömmigkeit rechnet. Dieses Potential an vergegenwärtigender Kraft befähigt im übrigen das Bild dazu, im Andachtsbuch auch als eigenständige Größe, also unabhängig von textlicher Anbindung, auftreten zu können. Ein frühes, besonders spektakuläres Beispiel dafür bietet etwa die eindrucksvolle Doppelseite mit den Brustbildern von Christus und Maria aus dem heute in der Württembergischen Landesbibliothek verwahrten, um 1240 wohl in Hildesheim illuminierten Prachtpsalterium Cod. Donaue4 Grundlegend zu die materialreiche Untersuchung von Jeffrey F. Hamburger, The Visual and the Visionary. Art and Female Spirituality in Late Medieval Germany. New York 1998, bes. S. 13–34 („Text versus Image“). 5 Volo enim illius pueri memoriam agere, qui in Bethlehem natus est, et infantilium necessitatum eius incommoda, quomodo in praesepio reclinatus et quomodo, adstante bove et asino, supra foenum positus exstitit, utcumque corporeis oculis pervidere. Thomas de Celano, S. Francisci Assisiensis Vita et Miracula I 84, Romae 1906, S. 86 (Hervorhebung in der Übersetzung des Texts von mir).
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schingen 3096, wo der Text auf eine dialogartige Beischrift reduziert ist7. Dieses Miniaturenpaar führt die im eigentlichen Sinn des Wortes „re-präsentative“ Aufladung, die das Andachtsbild im Kontext der abendländischen Rezeption der Ikone im 13. Jahrhundert erfährt, ganz unmittelbar vor Augen: Bilder dieser Art offerieren „Teilhabe durch Anschauung und die Faszination von Präsenz“8. Doch zurück ins Spätmittelalter. Dass das äußerliche, materielle Bild nur Mittel und Weg zur inneren, geistigen Vorstellung sein solle, war immer wieder Inhalt mahnender Äußerungen von Predigern und Theologen dieser Zeit. Hier bahnt sich an, was in der reformatorischen Bewegung als dezidierte Bildkritik zu Wort kommt – pointiert etwa, wenn Martin Luther in einer Predigt im August 1545 betont, Christi Reich sei „ein hör Reich, nicht ein sehe Reich, denn – so die Begründung Luthers – die augen leiten und füren uns nicht dahin, wo wir Christum finden und kennen lernen, sondern die ohren müssen das thun“9. Dennoch: auch in der Reformationszeit blieb die Tradition bildbezogener affektiver Christusfrömmigkeit durchaus wirksam und behauptete sich selbst im unmittelbaren Umfeld Luthers, wie etwa das prominente Beispiel des um 1530 entstandenen Gebetbuchs des sächsischen Kurfürsten Johanns des Beständigen (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 355) zeigt10. Die eindringlichen Gebete – deutsche Übersetzungen pseudo-augustinischer Texte des 12. und 13. Jahrhunderts zur Thematik der Konfrontation des schwachen, sündigen Menschen mit Christus als Schmerzensmann und Erlöser – sind mit qua6 Vgl. Joachim M. Plotzek, Andachtsbücher des Mittelalters aus Privatbesitz. Katalog zur Ausstellung im Schnütgen-Museum. Köln 1987, Nr. 3 (mit weiterer Lit.); „Unberechenbare Zinsen“ – Bewahrtes Kulturgut. Katalog zur Ausstellung der vom Land Baden-Württemberg erworbenen Handschriften der Fürstlich-Fürstenbergischen Hofbibliothek, hrsg. von Felix Heinzer, Stuttgart 1993, Nr. 9 (Christine Sauer) mit Abb. S. 64 f.; Hamburger, The Visual and the Visionary (Anm. 4), S. 297 f. 7 Tu michi nate pater… et tu mihi filia mater… Eine jüngeren Parallelüberlieferung dieses Dialogs zwischen Maria und ihrem gott-menschlichen Sohn findet sich in der Eberbacher Handschrift Oxford, MS Laud. Misc. 632 als Randnachtrag des 14. Jahrhunderts (f. 88r), s. Nigel F. Palmer, Zisterzienser und ihre Bücher. Die mittelalterliche Bibliotheksgeschichte von Kloster Eberbach im Rheingau unter besonderer Berücksichtigung der in Oxford und London aufbewahrten Handschriften, Eberbach 1998, S. 120 (mit Abb. 157). 8 Hans Belting, Das Bild und sein Publikum im Mittelalter, Berlin 1981, S. 203. 9 Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe 51. Weimar 1914, S. 11. Vgl. Thomas Lentes, ‚Andacht‘ und ‚Gebärde‘. Das religiöse Ausdrucksverhalten, in: Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400–1600, hrsg. von Bernhard Jussen und Craig Koslofsky, Göttingen 1999, S. 29–67, bes. S. 49. 10 Zur Handschrift s. Unberechenbare Zinsen (Anm. 6), Nr. 35 (Felix Heinzer).
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litätvollen Miniaturen verbunden, die dem Umkreis von Lucas Cranach dem Älteren zugeschrieben werden. Der Kurfürst selbst wird dabei immer wieder direkt in das dargestellte Passionsgeschehen einbezogen – eine Form der identifikationsstiftenden Aktualisierung, die in dieser Intensität und Unmittelbarkeit wohl nur das Bild zu leisten vermag.
II Nun sind allerdings mit Bildern ausgestattete Gebetbücher (zumal in der Qualität, wie sie das bet büchlein des sächsischen Herzogs oder das Herrenalber Gebetbuch aufweisen) selten und bilden eher eine Ausnahme. Den Löwenanteil unter den illuminierten spätmittelalterlichen Andachtsbüchern nehmen bekanntlich die Stundenbücher ein, die in ihrer inhaltlichen Struktur im Gegensatz zu den sehr viel individuelleren und daher variableren Gebetbüchern eine stärkere Prägung durch liturgische Traditionen zeigen und entsprechend standardisiert sind. Charakteristisch ist hier insbesondere – wie auch der Name Stundenbuch zum Ausdruck bringt – die überwiegende Zusammenfassung der Gebetstexte in Zyklen, die als tagzeitenartig komponierte Offizien organisiert sind (Marienoffizium, Totenoffizium, Offizium vom Leiden Christi usw.) und so noch immer die ursprüngliche Herkunft des Livre d’heures aus dem Umfeld des liturgischen Stundengebetes erkennen lassen11. Daraus ergeben sich auch grundlegende Unterschiede für die buchmalerische Ausgestaltung: Stundenbücher sind wesentlich geprägt von Bildserien, von zyklischen Bildprogrammen also (Leiden Christi zum Passions- und Kreuzoffizium, marianischer Zyklus in Kombination mit Stationen der Kindheit Jesu – Verkündigung an Maria, Heimsuchung, Hirtenverkündigung, Anbetung der Könige etc. – zum Marienoffizium);12 Gebetbücher mit ihren Einzeltexten, die sich nicht oder 11 Marienoffizium und Totenoffizium etwa haben ihre Wurzeln im Bereich der seit hochmittelalterlicher Zeit praktizierten „Zusätze“ zum monastischen Stundengebet, die im übrigen geradezu als Einfallstor privater Andacht und Frömmigkeit gelten können und daher im Kontext monastischer Reform immer wieder kontrovers beurteilt worden sind. Vgl. dazu die grundlegende Arbeit von Albert Schmidt, Zusätze als Problem des monastischen Stundengebets im Mittelalter (Beiträge zur Geschichte d. alten Mönchtums u. d. Benediktinertums 36), Münster i. W 1986; außerdem Joachim M. Plotzek, Andachtsbücher des Mittelalters (Anm. 6), S. 19. 12 Zu den vielfältigen Variations- und Erweiterungsmöglichkeiten eines vergleichsweise stabilen Grundstocks Joachim M. Plotzek, Andachtsbücher (Anm. 6), S. 27–31.
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nur ausnahmsweise an die liturgische Rhythmisierung der kanonischen Tagesstunden anlehnen, bieten in der Regel13 hingegen ein stärker „vereinzeltes“ oder allenfalls wiederholendes Bildrepertoire14. Freilich gibt es durchaus fließende Übergänge zwischen diesen beiden Buchgattungen. Auch für das Herrenalber Gebetbuch trifft dies zu, denn einzelne seiner Teile sind typologisch durchaus dem Bereich des Stundenbuchs zuzurechnen. Dies gilt zunächst für das einleitende liturgische Kalendar nach zisterziensischem Brauch, das mit den Kalendarien der erhaltenen Herrenalber Liturgica weitestgehend übereinstimmt, und es gilt ebenso – die einleitende Rubrik zeigt dies deutlich – für die daran anschließenden Horae canonicae de passione domini (f. 8v–26v), die sich in dieser Form genauso gut in einem Stundenbuch wiederfinden könnten15. Danach entspricht die Handschrift ganz dem Typus des privaten Gebetbuchs mit einer Gruppe nicht zyklisch gebundener Passionsgebete (28r–32r), einer Folge von Mariengebeten (33r–46r) und Heiligengebeten (46v–66r). Auch der nächste, etwas heterogenere Abschnitt (66v–82v) enthält Einzelgebete (u. a. zum Antlitz und zu den Wunden und Gliedern Christi, Kommunion- und Meßgebete, das Stabat mater, Gebete zum hl. Bernhard u. a.). Mit den Bußpsalmen, dem sog. Symbolum Quicumque und der Allerheiligenlitanei (83r–86r und 101r–103v) kehren wir zum Schluss16 dann wieder auf ein Terrain zurück, das für das Stundenbuch, aber auch für dessen ursprünglichen Nährboden, die „privaten“ Zusätze zum monastischen Stundengebet17, charak13
Vereinzelt begegnen allerdings auch in diesem Buchtyp Zyklen. Besonders hervorzuheben sind (nebst der hier zu Beginn genannten Frankfurter Handschrift Praed. 169) die christologischen Bildfolgen im sog. Hildegard-Gebetbuch (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 935) und dessen kürzlich entdecktem, wichtigem Vorläufer, Ms. 104 der Bibliothèque Humaniste de Séléstat. Vgl. dazu Hamburger, The Visual and the Visionary (Anm. 4), S. 151–184 (mit weiterer Literatur). 14 Vgl. dazu grundsätzlich Frank O. Büttner, Die Illumination mittelalterlicher Andachtsbücher, in: Mittelalterliche Andachtsbücher (Anm. 2), S. 11–54. 15 Diese weitverbreitete Zuordnung der Passionsstationen zu den Tagzeiten – Gethsemane mit Verrat und Gefangennahme zur Matutin, die Vorführung Christi vor Pilatus zur Prim etc. – findet ihren klassischen Ausdruck in dem auf die einzelnen Horen aufgeteilten Hymnus Patris sapientia Deus homo captus est, hora matutina… (Analecta Hymnica Medii Aevi 30. Nr. 13; in den Quellen oft Papst Johannes XXII. zugeschrieben), der auch im Herrenalber Gebetbuch das Rückgrat des kurzen Offiziums bildet. 16 Auf die irritierende Situation am Ende der Handschrift – die Haupthand (Johannes Zürn) schreibt bis 86r und setzt erst nach einer (von einer späteren Hand teilweise ausgefüllten) Lücke von einem Dutzend Blätter auf f. 101r mit dem Quicumque erneut ein – hat Väth, Gebetbuch (Anm. 2), S. 95, hingewiesen. 17 Vgl. zu dazu Schmidt (Anm. 11). – Zur entsprechenden Rolle von Bußpsalmen und Litanei im Zisterzienserorden vgl. ebd., S. 73–75, 79–82 (dort auch Belege zum
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teristisch ist. Bußpsalmen und Litanei spielen bekanntlich vor allem in der Totensorge eine wichtige Rolle – so wird etwa auch von Bernhard von Clairvaux berichtet, er habe als Novize für seine verstorbene Mutter die Bußpsalmen täglich still gebetet –, sie erscheinen aber auch in anderen Kontexten als beliebtes Zusatzpensum18. Wie immer man diese Mischform benennen will – wir bewegen uns in jedem Fall nicht in der offiziellen, gemeinschaftlichen Liturgie, sondern im Bereich der persönlichen Andacht und Frömmigkeit eines Einzelnen. Entsprechend nimmt die Handschrift innerhalb der erhaltenen Reste der Herrenalber Buchproduktion eine gewisse Sonderstellung ein: Sie stammt zwar von der Hand Johannes Zürns, jenes Mannes also, den wir als wichtigsten Schreiber des Klosters in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts namhaft machen können19, doch gehören dessen übrige Handschriften alle in den eigentlich liturgischen Bereich und sind außerdem fast völlig schmucklos. Zu verzeichnen sind lediglich ein paar kleine figürliche Initialen mit Rankenbordüren im Diurnale von 1499 (Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. theol. lat. oct. 13)20 und die farbenfrohen, aber eher unprofessionell und etwas naiv wirkenden Miniaturen eines ohnedies nur teilweise von Zürns Hand stammenden, später in Lichtenthal benutzten Breviers (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, L 20)21. Der Kontrast dieser Malereien zu den Miniaturen des Gebetbuchs ist unübersehbar: deren hohe technische Qualität22 weist unzweifelhaft auf ein Atelier außerhalb des Klosters23. Die hohe Wertigkeit des Bildes im Bereich der privaten
auswendigen Beherrschen von Bußpsalmen und Litanei und zu deren Funktion im privaten Beten). 18 Belege dazu bei Schmidt (Anm. 11), S. 79–82 und S. 89. 19 Vgl. Felix Heinzer, Johannes Zürn ein Herrenalber Schreibermönch, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 133 (1985), S. 67–80 (S. 77 eine Aufstellung der Handschriften, die Zürns Hand ganz oder teilweise zuzuordnen sind [in diesem Band, S. 460]; dasselbe, etwas aktualisiert, in meinem Beitrag: Herrenalb – Frauenalb – Lichtenthal. Spurensuche in einem bibliotheksgeschichtlichen Dreieck, in: 850 Jahre Kloster Herrenalb [Anm. 2], S 75–88, dort S. 87 [in diesem Band, S. 501]). 20 Beschrieben bei Rose (Anm. 2), S. 755 f. 21 Vgl. die Abbildungen in Mittelalterliche Andachtsbücher (Anm. 2), S. 133, und 850 Jahre Kloster Herrenalb (Anm. 2), Tafel 40. 22 Dazu Väth, Gebetbuch (Anm. 2), S. 100. 23 Ähnliches gilt vermutlich für die qualitätvolle Miniatur in einem 1444 und 1445 datierten Psalterium, das dem Herrenalber Mönch Wilhelm Kechler aus Hechingen zu verdanken ist (vgl. Alfred Stange, Eine mittelrheinische Zeichnung von 1445, in: Belvedere 8 [1929], S. 1–3 mit Abbildung). Näheres zur Geschichte des heute in der Public Library Houston (Texas) verwahrten Stücks bei Heinzer, Zürn (wie Anm.
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Frömmigkeit hat also in diesem Fall zu einem Repräsentations- und Qualitätsanspruch geführt, der die hauseigenen Möglichkeiten überstieg und deshalb – in heutiger Terminologie formuliert – nur auf dem Weg des „outsourcing“ zu realisieren war. Mit anderen Worten: Die herkömmliche Tradition monastischer Skriptoriumstätigkeit funktioniert zwar noch für den Bereich des Textes, für die Ebene des Bildes hingegen muss auf die neuen Möglichkeiten professioneller, wohl städtischer Werkstattproduktion rekurriert werden – eine für spätmittelalterliche Klöster öfter zu beobachtende24, ausgesprochen interessante und spannungsvolle Konstellation. Bevor wir uns näher mit dem Bildschmuck der Handschrift und den damit zusammenhängenden Fragen beschäftigen, zunächst ein paar Bemerkungen zu ihrem Schreiber und ihrem Auftraggeber, jener beiden Personen also, an denen sich die Verbindung der Handschrift mit Herrenalb festmachen lässt, und in diesem Zusammenhang auch einige Uberlegungen zu einem möglichen Entstehungs- und Funktionsszenario.
III Über Herkunft und Lebensweg des Schreibers Johannes Zürn läßt sich nicht sehr viel mehr sagen als das, was der Schlussschrift des Gebetbuchs zu entnehmen ist (Anhang). Zürn stammt offenbar aus dem Dorf Neibsheim nordwestlich von Bretten, wo er nach grober Schätzung 19), S. 71 [in diesem Band, S. 453]. Hermann Ehmer (Stuttgart) verdanke ich den Hinweis auf eine weitere, mir bisher unbekannte Station dieser Irrfahrt: 1888 erscheint die Handschrift zusammen mit zwei weiteren Herrenalber Codices im Katalog 60 des Münchener Antiquariats Ludwig Rosenthal (vgl. die entsprechende Notiz von Eberhard Nestle, in: Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 3 [1888], S. 88). 24 Vgl. z. B. die vergleichbare Misch-Situation im Falle der bekannten Lorcher Chorbücher aus dem frühen 16. Jahrhundert. Dazu zuletzt Felix Heinzer, Reform und Reformation, Landesherr und Kloster – die Lorcher Chorbücher von 1511/12 und Herzog Ulrich, in: „Alte Christen – Neue Christen“. Der Streit um die Reformation in Württemberg, hrsg. von Peter Rückert, Stuttgart 1999, S. 16–24 [in diesem Band in vertiefter Ausarbeitung, S. 523–550]. Beate Braun-Niehr, Aurelius Augustinus ‚Enarrationes in psalmos‘ – die erste Quinquagena aus Eberhardsklausen mit einer Miniatur aus der Werkstatt des Meisters der Darmstädter Passion, in: Maler des Lichtes. Der Meister der Darmstädter Passion, Berlin 2000, S. 37–41, hat vergleichbare Konstellationen für die Windesheimer Kongregation festgestellt, wo man sich anscheinend mehrfach „auswärtiger Kräfte bediente, um besonders wichtige Handschriften zusätzlich zum üblichen Initialschmuck mit Miniaturen zu versehen“ (Zitat S. 41).
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um etwa 1430 geboren worden sein dürfte25. In einer Konventsliste von 1497 erscheint er unter den ältesten Mönchen des Konvents. Seine älteste datierte Handschrift stammt aus dem Jahr 1468, die jüngste von 1499. Bald nach diesem Zeitpunkt ist er wohl verstorben. Insgesamt können wir Zürn ein knappes Dutzend Codices zuweisen, immerhin etwa ein Drittel des noch erhaltenen Restbestands an Handschriften aus dem Herrenalber Skriptorium26. Es handelt sich dabei, wie schon angedeutet, praktisch durchweg um Liturgica – ein Profil, das sehr gut dem Amt Zürns entspricht, das er laut Schlussschrift des Gebetbuchs in Herrenalb zu versehen hatte: Als Kantor war er zuständig für die Liturgie des Klosters und damit auch für die Ausstattung mit korrekten, den Ordensvorschriften konformen liturgischen Büchern, und er sollte dabei auch jene Konventsmitglieder mit dem Erforderlichen versorgen, die auf Missionen außerhalb des Klosters unterwegs waren oder sich im Krankenbereich aufhalten mussten27. Zürns erhaltene Handschriften, keine Chorbücher, sondern meist Breviere und Diurnalien (Teilbreviere für die Tageshoren), fügen sich in ihrer Typologie passgenau in diesen Kontext ein. Der Weg der erhaltenen Handschriften Zürns führte im übrigen fast durchweg über Die Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal (Baden-Baden), was sich daraus erklärt, dass Lichtenthal im Kontext der spätmittelalterlichen Reformbestrebungen28 in den 1440er Jahren vom elsässischen Neuburg aus zunächst Maulbronn, einige Jahrzehnte später dann Herrenalb unterstellt und von dort aus seelsorglich betreut wurde. Zumindest teilweise dienten diese Bücher möglicherweise auch dem Gebrauch der aus Herrenalb nach Lichtenthal entsandten Beichtväter. Über die Biographie des als Auftraggeber – oder besser: als Stifter – genannten Ludovicus de Bruchsella wissen wir noch weniger. Wir kennen nicht einmal seinen Zunamen; de Bruchsella dürfte wie verNäheres dazu bei Heinzer, Zürn (Anm. 19), S. 73 f. [in diesem Band, S. 455–456]. Eine komplette Liste der Herrenalber Handschriften, soweit sie heute noch greifbar bzw. aus älteren Quellen dokumentierbar sind, bietet mein Anm. 19 erwähnter Beitrag Herrenalb – Frauenalb – Lichtenthal (dort S. 87 f. [in diesem Band, S. 501–502]). 27 Officia vero illorum qui in via directi vel in infirmitorio fuerint, ex toto providere (Ecclesiastica Officia 115, 26, ed. Danièle Choisselet et Placide Vernet, Les ‚ecclesiastica officia‘ cisterciens du XIIe siècle, Reiningue 1989, S. 324). 28 Vgl. dazu jetzt auch Klaus Schreiner, Spätmittelalterliches Zisterziensertum im deutschen Südwesten. Spiritualität, gesellschaftliche Rekrutierungsfelder, soziale Verhaltensmuster, in: Maulbronn 1147–1997 und die Anfänge der Zisterzienser in Südwestdeutschland, hrsg. von Peter Rückert (Oberrheinische Studien 16), Stuttgart 1999, S. 43–77, bes. S. 48–55. 25 26
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gleichbare Zusätze bei anderen Herrenalber Konventualen dieser Zeit eine bloße Herkunftsbezeichnung sein und ist keinesfalls als Hinweis auf (nieder-)adlige Abstammung zu verstehen29. Unhaltbar ist die seit Schwenk immer wieder vertretene Meinung, Ludwig sei ein Konverse, also ein Laienmönch, gewesen. Dagegen spricht eine Reihe von Beobachtungen: der Ton und das Vokabular des Kolophons – ein Konverse würde kaum als religiosus vir und pater bezeichnet und erst recht nicht mit dem der Benediktregel entnommenen, den Senioren des Konvents vorbehaltenen Ehrentitel nonnus –, die Aufnahme des für den Priester bestimmten Meßvorbereitungsgebetes Summe sacerdos (mit der Formulierung me indignum servum tuum quem inter cetera dona tua etiam ad officium sacerdotale vocare dignatus es) in den Textbestand der Handschrift (f. 60r– 62v)30, und nicht zuletzt der Blick in die Liste der Merklinger Pfleger, der verdeutlicht, dass diese wichtige Außenstation in der Spätzeit Herrenalbs durchweg mit Vollmönchen besetzt wurde (meist mit einem weltlichen Amtmann als Gehilfen), darunter beispielsweise auch dem späteren Abt Markus Schön von Gernsbach31. Ebenso irreführend ist die bei Schwenk zu findende Annahme, Ludwig sei noch vor der Fertigstellung der Handschrift verstorben. Das Kolophon gibt dies keinesfalls her, und im übrigen belegt ihn eine Urkunde von 1485 (die ihn, nota bene, als „geistlichen herrn“ bezeichnet) noch immer in voller Aktion im Rahmen seines Amtes in Merklingen32. Liest man die – zugegeben schwierige – Schlussschrift33 aufmerksam und mit einem genauen Blick auf die einzelnen Formulierungen, so 29 Vgl. die zahlreichen Beispiele in der Analyse der Konventsliste von 1497 (Heinzer, Zürn, S. 78–80 [in diesem Band, S. 461–463]): Johannes Zürn selbst (Johannes Nypsen, so auch f. 62v im Gebetbuch, s. unten Anm. 30), Berchtholdus von Calw (alias Berchtholdus Bock Calvenis in der Handschrift Lichtenthal 72 der BLB Karlsruhe) usw. 30 Zur Überlieferung dieses weit verbreiteten, auch in das Missale Romanum eingegangenen Gebets, das meist unter der Überschrift Oratio sancti Ambrosii erscheint, vgl. André Wilmart, Auteurs spirituels et textes dévots du moyen-âge latin. Paris 1932, S. 101–125 (Edition des Texts S. 114–124). Am Ende dieses Texts steht übrigens – wie auch am Ende des Passionsoffiziums – die Datierungsangabe des Schreibers (1482), in diesem Fall auch verbunden mit der Namensnennung (Iohannes Nypsen). 31 Heinzer, Zürn (Anm. 19), S. 74 Anm. 41 und Helmut Pflüger, Schutzverhältnisse und Landesherrschaft der Reichsabtei Herrenalb von ihrer Gründung im Jahre 1149 bis zum Verlust ihrer Reichsunmittelbarkeit im Jahre 1497 (bzw. 1535) (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 4), Stuttgart 1958, S. 140 mit Anm. 33. 32 Beleg bei Pflüger (Anm. 28), S. 140 Anm. 33 (wobei die Abt Markus betreffende Urkunden-Nummer zu 549 zu korrigieren ist). 33 Zu den Problemen bei der Lesung dieses sehr geschraubt wirkenden Texts vgl. Heinzer, Zürn (Anm. 19), S. 75, sowie unten, S. 480–481.
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schält sich ein weiterer Aspekt, der möglicherweise über die Umstände der Entstehung dieses Buchs etwas mehr Aufschluss geben könnte, deutlicher heraus, als bisher beachtet. Die im Zusammenhang mit der Namensnennung des Schreibers gebrauchten Wendungen (ab eque religioso und in Alba nostro coenobio) wirken merkwürdig und für ein Kolophon doch recht ungewöhnlich. Von sich selbst spricht normalerweise ein Schreiber nicht in dieser Form. Eher denkt man dabei an Formulierungen aus der Sicht eines Dritten, und fast könnte man sich am Schluss die Unterschrift eines solchen Dritten, etwa des Abtes, vorstellen. Das mag zugespitzt formuliert sein, aber insgesamt gewinnt man doch den Eindruck, dass dieses Buch, so sehr es von seiner Typologie her dem Bereich der Privatfrömmigkeit angehört, sich seiner Entstehung nach dennoch einem offiziellem Auftrag von Abt und Konvent verdankt oder doch zumindest deren Konsens voraussetzt. Jedenfalls ist diese Handschrift allem Anschein nach nicht einfach als Ergebnis eines „Privatunternehmen“ zu sehen. Vielleicht führt die Idee der spirituellen Versorgung eines auf einen Außenposten abgeordneten, von der Gemeinschaft und ihrer Liturgie getrennten Mönchs eher in die richtige Richtung, und eine solche Vorstellung würde im übrigen auch gut zu dem oben skizzierten Aufgabenprofil des Kantors passen. Wichtig scheint mir auch das bisher zu wenig beachtete Moment der Stiftung, das die Formulierungen im Schlussteil des Kolophons unüberhörbar prägt: Nicht nur für sich, sondern für die Späteren (man möchte an seine Nachfolger in der Merklinger Pflege denken) lässt Ludwig das Buch herstellen34 – und auch dieser Gesichtspunkt, der so etwas wie einen „Generationenvertrag“ impliziert, führt seinem Wesen nach über den rein privaten Rahmen hinaus in den Raum der Gemeinschaft. Freilich bleibt auch im Rahmen dieses Erklärungsmodells ein aus heutiger Sicht irritierender Rest von privater Verfügung, zumal der Auftrag nicht von außerhalb kommt, sondern aus dem Konvent selbst. Was für ein Mann war Ludwig von Bruchsal und welche Stellung hatte er innerhalb des Herrenalber Konvents, dass er sich den mit dieser Stiftung verbundenen materiellen Aufwand für die Malerei, der ein erheblicher gewesen sein muß, leisten konnte und auch leisten durfte? 34 Über die Mehrdeutigkeit von facere (hier efficere; analog auch patrare, ja selbst scribere) in diesem Zusammenhang, wo Verben dieser Art einfach auch soviel wie „den Auftrag erteilen, veranlassen, die Verantwortung für etwas übernehmen“ bedeuten können, vgl. Hartmut Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 30), Stuttgart 1986, Textbd., S. 87.
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Ist das nicht ein Verstoß gegen die klösterliche Gütergemeinschaft und das Verbot von Privateigentum? Offenbar ist hier eine differenziertere Betrachtungsweise erforderlich. Hartmut Hoffmann hat in seinem Buch über die Buchkultur im ottonischen Reich eine ganze Reihe von Belegen für derartige individuelle Stiftungen von Mönchen zusammengetragen, die jeweils der eigenen Gemeinschaft erhalten bleiben sollten35. Nicht selten wird dabei ausdrücklich betont, dass dies cum voluntate oder permissione abbatis geschah, wohl deshalb, weil man sich, wie Hoffmann formuliert, „bewusst war, wie heikel eine solche Schenkung aus den Händen eines Mönchs war“, vor allem dann, wenn – wie auch in unserem Fall – der Stifter ausdrücklich genannt wird, weil dadurch das Vorhandensein von privatem Vermögen oder doch besonderen Zuwendungen von Verwandten oder Freunden in gewissem Maß öffentlich gemacht wird36. Zwar lassen sich solche früh- und hochmittelalterlichen Sachverhalte nicht unbesehen auf die Verhältnisse in Herrenalb im 15. und 16. Jahrhundert übertragen, aber zumindest ist damit ein Hinweis auf ein denkbares Szenario gegeben, zumal wir feststellen können, dass in dieser Zeit auch sonst ein Verfügungs- und Stiftungsrecht einzelner Konventualen manifest wird: so in den verschiedentlich belegten Bücherschenkungen von Herrenalber Mönchen an den Lichtenthaler Konvent37. Am augenfälligsten zeigt sich dies im Falle des aus Calw stammenden Sebastian Metzger (oder Lanius, wie er sich latinisierend nannte), der um 1500 oder kurz danach in Herrenalb eintrat und in den 1520er und 30er Jahren als Beichtvater in Lichtenthal wirkte, wo er dann nach der Aufhebung Herrenalbs 1536 bis zu seinem Tod am 4. April 1540 auch eine bleibende Zuflucht fand. Über ein halbes Dutzend Inkunabel- und Frühdruckbände aus seinem persönlichen Besitz (als solcher belegt durch Eigentumsvermerk und Motto!) hat er dem Lichtenthaler Konvent vermacht38. Womöglich noch spektakulärer ist das von ihm 1534 in Straßburg bei dem Baldung-Schüler Nikolaus Krämer für Lichtenthal in Auftrag gegebene, auf Seide gemalte Votivbild, das Metzger sogar als Stifterfigur mit Wappen zeigt39. So erscheint es nicht ganz unbegründet, ein in gewisser Weise vergleichbares Modell, Hoffmann (Anm. 34), S. 80–84. Hoffmann (Anm. 34), S. 80–91 [zum Rekurs auf diese Formel s. auch oben, S. 21 u. 25]. 37 Heinzer, Spurensuche (Anm. 25), S. 80–84. 38 Heinzer, Spurensuche (Anm. 25), S. 81 f. 39 Heinzer, Zürn (Anm. 19), S. 72 [in diesem Band S. 454]. 35 36
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bei dem sich das Interesse am eigenen „memorialen Weiterleben“ (man denke an den Schluss des Kolophons: sui existant memores) mit stifterischem Engagement für die Gemeinschaft verbindet, auch für unser Gebetbuch anzunehmen.
IV Damit nun aber zu jenem Aspekt des Gebetbuchs, dem die Handschrift in erster Linie ihre Bekanntheit verdankt: dem Buchschmuck. Ich nehme hier die kunsthistorischen Beobachtungen und Überlegungen auf, die Paula Väth zum Herrenalber Tagungsband beigesteuert hat. Dabei konzentriere ich mich, wie eingangs angekündigt, vor allem auf den Passionszyklus, der mit seinen 14 Bildern knapp die Hälfte des insgesamt 30 Miniaturen umfassenden figürlichen Schmucks der Handschrift ausmacht. Die Miniaturen zu den Horae canonica de passione domini beruhen fast vollständig auf graphischen Vorlagen, insbesondere den komplett übernommenen Kupferstichen des Passionszyklus von Martin Schongauer, die in den späten 1470er Jahren, also kurz vor unserer Handschrift, entstanden sein dürften40. Eine solche Nutzung ist keineswegs so außergewöhnlich, wie man denken könnte. Insbesondere im deutschsprachigen und speziell im süddeutschen Raum ist dieses Phänomen weit verbreitet. Teile von Schongauers Passionsfolge, um bei dieser zu bleiben, haben beispielsweise auch für das zwischen 1492 und 1496 im Umfeld des Stuttgarter Hofs entstandene Stundenbuch des Grafen und späteren Herzogs Eberhard im Bart (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. brev. 1) als Vorlage gedient. Was Ulrich Merkl in seiner Arbeit zur Buchmalerei Bayerns in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts festgestellt hat – dass nämlich die dortigen Buchmaler in dieser Zeit den überwiegenden Teil ihrer Motive aus druckgraphischen Vorlagen bezogen – dürfte auch für den südwestdeutschen Raum Gültigkeit haben41, und man kann davon ausgehen, dass dieser Prozess bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einsetzt, als Künstler aller Gattungen 40 Der hübsche Martin. Kupferstiche und Zeichnungen von Martin Schongauer. Kat. von Fedja Anzelewsky u. a. Strasbourg 1991, S. 363. 41 Ulrich Merkl, Buchmalerei in Bayern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Spätblüte und Endezeit einer Gattung. Regensburg 1999, S. 155.
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ihre Sammlungen von Zeichnungen und Skizzen durch Konvolute graphischer Blätter ersetzten, „so dass bis um 1470 das Musterbuch ausgedient hatte – und durch die ‚moderne‘ Form des Bildvorrats, die druckgraphische Vorlagensammlung, verdrängt wurde“42. Umsw interressanter sind die Modifikationen, die in der Rezeption der Vorlagen zu beobachten sind. Schon die Umsetzung von der primär linearen, einer zeichnerischen Sprache verpflichteten Graphik in die Farbigkeit und Plastizität der Malerei impliziert automatisch einen Wandel, und dieser verkappte „Medienwechsel“, wenn man so formulieren darf, ist mehr als nur eine Veränderung im Technischen, denn er eröffnet auch neue Ausdrucksmöglichkeiten im Bereich des Atmosphärischen und der affektiven Aufladung des Bildes. Paula Väth hat außerdem die interessante Beobachtung gemacht, dass bei der Übernahme der an sich minutiös kopierten Kupferstiche ein bemerkenswerter Vorgang hinsichtlich des Bildfensters festzustellen ist: „Der Bildausschnitt der Miniatur ist in der Regel etwas enger, so als würde der Betrachter die Szenerie wie durch ein Brennglas heranzoomen.“ Die dadurch erzielten Überschneidungen von Personen durch den Bildrand tragen zu einer dramaturgischen Steigerung des Bildes bei43. Dies lässt sich etwa beim Vergleich der Miniatur der Gefangennahme Christi mit ihrem graphischen Vorbild sehr deutlich erkennen (Abb 3 und 4 in der Erstpublikation, s. oben S. 464, Anm. *). Den entscheidenden Unterschied sieht Väth freilich im Bereich des künstlerischen, fast möchte man sagen: des spirituellen Konzepts. „Während in den Schongauer’schen Vorlagen Christus weder die Geißelung noch die Dornenkrönung etwas anhaben kann, kein Tropfen Schweiß oder Blut an seinem Körper zu sehen ist, ist Christus in den Miniaturen gezeichnet von Leid, Qual und Erschöpfung. Und noch etwas: Bei Schongauer hält Jesus in jeder Szene die Augen gesenkt, als schaue er in sich selbst hinein. In den Miniaturen richtet sich der Blick des Christus dagegen direkt zum Betrachter“44. Die Intention dieser vom Maler realisierten Veränderungen erscheint klar: Sie zielen auf stärkere Versinnlichung und größeren Realismus in der Darstellung des Leidensaspektes und bewirken damit eine Steigerung des affektiven Potentials der Bilder, und zugleich intensiviert der Kunstgriff des Blickkontakts genau das, was wir als die aktualisierende, begegnungs42 43 44
Merkl (Anm. 41), S. 156. Väth (Anm. 2), S. 103. Väth (Anm. 2), S. 105.
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stiftende Kraft des Bildes bezeichnet haben: „Christus tritt bedrängend in Beziehung zu dem betenden Betrachter“, wie Paula Väth treffend beobachtet hat45. Es bleibt die Frage nach der Lokalisierung. Die Meinung der bisherigen Forschung schwankt zwischen dem nördlichen Oberrhein (Speyer?, Mainz?) und Straßburg, was vor allem Jan Lauts dezidiert vertreten hatte46. Auch die Untersuchungen Paula Väts haben hier keine endgültige Sicherheit bringen können, wenn gleich sie sich eher der Straßburger These zuzuneigen scheint und dabei (wie Jan Lauts) erneut eine Entstehung der Miniaturen im kreativen Milieu des so genannten „Gewandstudienmeister“ (oder auch Meister der Coburger Rundblätter), eines Nachfolgers des Meisters der Karlsruher Passion, als Szenario ins Gespräch bringt47. Aus historischer Sicht wäre hinzuzufügen, dass gerade über Lichtenthal, mit dessen Konvent Johannes Zürn und seine Mitbrüder ja vielfältige Verbindungen unterhielten, der Weg ins Elsass durchaus eine gewisse Plausibilität beanspruchen könnte – zumal seit der Reform des Frauenklosters um die Mitte des 15. Jahrhunderts, die sich in personeller Hinsicht wesentlich auf die aus Königsbrück bei Sufflenheim nach Lichtenthal versetzten Nonnen stützte48. Das vom Herrenalber Sebastian Metzger für die Lichtenthaler Nonnen in Straßburg bestellte und ausgeführte Votivbild, auf das S. 474 bereits hingewiesen wurde, ist zwar 50 Jahre später zu datieren – die Kontaktmechanismen könnten aber durchaus ähnlich gewesen sein.
V Eine Reihe von Fragen um die Entstehung und den Auftraggeber des Herrenalber Gebetbuchs und nicht zuletzt das Problem einer Werkstattzuordnung bleiben offen. Die Handschrift selbst jedoch hat sich auf einem im Einzelnen nicht nachvollziehbaren Weg, der sie ihrem Entstehungsraum entfremdet und bis nach Berlin geführt hat,49 45
Väth, ebd. Vgl. die Hinweise bei Wilfried Schwenk (Anm. 2), S. 18–20. 47 Väth (Anm. 2), S. 106 f. 48 M. Pia Schindele, Die Abtei Lichtenthal, in: Freiburger Diözesan-Archiv 104 (1984), S. 19–166, hier S. 129 f. 49 Die Handschrift dürfte (vermutlich zusammen mit der zweiten Berliner ZürnHandschrift, dem 1499 datierten Diurnale Ms. lat. theol. 8° 13) wohl in der zweiten 46
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bis heute erhalten. Sie ist verfügbar geblieben als ein interessantes Zeugnis, das uns einen, wenn auch nur sehr begrenzten Blick in jenen Innenraum des geistigen Klimas Herrenalbs vermittelt, von dem wir im Grunde so wenig wissen. Paula Väth hat in ihrem Beitrag (dort S. 107) darauf hingewiesen, dass die Miniaturenseiten des Buchs stärker abgegriffen sind als die Textseiten: ein Indiz dafür, welche Rolle gerade die Bilder des Buchs in der Frömmigkeit seiner Benutzer gespielt zu haben scheinen. Nimmt man die gängigen Vorstellungen von der angeblichen „Bilderfeindlichkeit“ der Zisterzienser als Maßstab, so könnte diese Beobachtung Verwunderung hervorrufen. Diese Vorstellungen gilt es freilich in verschiedener Hinsicht zu relativieren. Die immer wieder angeführten Äußerungen Bernhards sind sehr viel differenzierter zu sehen, als dies oft geschieht, und sie sind vor allem nicht einfach als platte Zurückweisung oder gar Verurteilung des Bildes an sich zu lesen, sondern eher als ein grundsätzliches Plädoyer für ein spirituelles, anagogisches Verständnis des Bildes, dessen Funktion die des Verweisens und Weiterleitens vom sinnlich Schönen zum geistig-geistlich Schönen ist, wie es Bernhards Zeitgenosse Hugo von St. Viktor im Anschluß an Augustin geradezu klassisch formuliert hat: A pulchritudine visibili ad invisibilem pulchritudinem mens humana convenienter ascendit 50. Dennoch ist nicht zu übersehen, dass es ein weiter Weg ist von Bernhards Anschauungen bis zu unserem Andachtsbuch. Am pointiertesten zeigt dies das Motiv des Amplexus („Bernhardsminne“), das f. 72v (mit Datierung 1484) die Gebete zum hl. Bernhard einleitet51. Ausgerechnet Bernhard selbst wird hier zum Bildthema52 – oder noch zugespitzter formuliert: der Ikonoklast wird zur Ikone! Der mentalitäts- und frömmigkeitsgeschichtliche Wandel vom hohen zum späten Mittelalter hat das Erbe Bernhards offenkundig auch in seinem Orden nicht unangetastet gelassen, Hälfte des 17. Jahrhunderts (zwischen 1668 und 1718) nach Berlin gekommen sein, wie Beate Braun-Niehr (Berlin) mir als Resultat ihrer Recherchen freundlicherweise mitteilte. 50 Expositio in hierarchiam caelestem. S. Dionysii II (PL 175, 949C). Vgl. zum Ganzen auch Conrad Rudolph, The „Things of Greater Importance“. Bernard of Clairvaux’s Apologia and the Medieval Attitude Toward Art, Philadelphia 1990, bes. S. 107–110. 51 Vgl. Väth (Anm. 2), S. 94 (mit Taf. 24). 52 Vgl. auch Jean-Claude Schmitt, La culture de l’Imago, in: Annales. Histoire, Sciences Sociales 51 (1996), S. 3–36, hier S. 26: „Paradoxalement, ce modèle [de la vision extatique devant le crucifixe] connaît un premier succès à propos de saint Bernard, en dépit de la réserve exprimée par celui-ci à l’égard des images matérielles“.
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wobei im übrigen gerade Bernhard mit seiner Betonung spiritueller Affektivität, wie sie der Amplexus geradezu paradigmatisch repräsentiert, einer der Väter dieser Entwicklung zu einem sinnlicheren Verständnis von Andacht und Frömmigkeit gewesen sein dürfte53. Dabei darf wohl auch für Ludwig von Bruchsal und seine Herrenalber Mitbrüder in Anspruch genommen werden, was Brian Patrick McGuire in diesem Zusammenhang formuliert hat: „Like their twelfth-century forbearers, the Cistercians of the Late Middle Age accepted the physical on the way to the spiritual. In embracing the human Christ, they expected to make their way to God“54. Die Reformation wird das komplexe Verhältnis von Bild und Frömmigkeit – wenn auch nur zögernd und keineswegs undifferenziert und bruchlos (erinnern wir uns an das Gebetbuch des sächsischen Kurfürsten!) – einer weiteren, epochalen Transformation unterwerfen55. Für Herrenalb und viele andere klösterliche Gemeinschaften sollte dieser Umbruch zugleich das Ende des monastischen Lebens bedeuten56.
53 Vgl. zu diesem Themenkomplex Jeffrey F. Hamburger, Visual and Visionary (Anm. 4), S. 134–148. 54 Brian P. McGuire, The Difficult Saint. Bernhard of Clairvaux and his Tradition, Kalamazoo 1991, S. 249. 55 Vgl. dazu Sergiusz Michalski, The Reformation and the Visual Arts, London 1989, und den Überblick von Ulrich Knöpf, Die Bilderfrage in der Reformationszeit, in: Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 90 (1990), S. 38–64 (zu Luther selbst bes. S. 58–63). 56 Vgl. Hermann Ehmer, Die Reformation in Herrenalb. Das Ende des Klosters und der Versuch eines Neubeginns, in: 850 Jahre Kloster Herrenalb (Anm. 2), S. 139–166.
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zisterzienser und zisterzienserinnen Anhang
Schlußschrift von Ms. theol. qt. 9 (f. 103r)57 Ad instantiam precesque religiosi haut non devoti viri Ludovici de Bruchsella (tempore infra addito in Merklingen procuratoris officio functi) hic orationum libellus elementis ab eque religioso Iohanne Zurn de Nyposheim, in Alba nostro cenobio cantore, anno verbigine millesimo quadringentesimo octogesimo quarto exaratus finit. Quem revera pater et (ut Benedicti sancti patris nostri normam haut negligam) nonnus Ludwicus suprafatus ob summi tonantis laudem gloriam nec si honorem non tam sibi ac presentibus quam posteris effecit et dubio procul reliquit, petens ipsis insuper humillime supplicans, quatenus in necis fruicione et togae mortalis exutione penes iudicem equitatis districtissimum sui existant memores, matreque gloriosissima interveniente sua propiciatum et exhibeant et reddant. Auf das Drängen und Bitten des geistlichen und frommen Mannes Ludwig von Bruchsal hin (der zur unten genannten Zeit als Pfleger in Merklingen wirkte), ist dieses Gebetbüchlein von seinem geistlichen Mitbruder Johannes Zürn aus Neibsheim, Kantor in unserem Kloster Herrenalb, im Jahr 1484 nach Christus geschrieben und vollendet worden. Dieses Buch hat aber der genannte Vater und (um der Regel unseres heiligen Vaters Benedikt zu folgen) „Großvater“ Ludwig zu Lob, Herrlichkeit und Ehre des Allerhöchsten zweifellos nicht so sehr für sich und für die, die jetzt leben, machen lassen und gestiftet, sondern für die Späteren, mit der Bitte und in demütigem Flehen, dass sie, wenn er den Tod kosten und die sterbliche Hülle ablegen wird, vor dem strengen Richter der Gerechtigkeit seiner gedenken und diesen durch die Fürbitte seiner glorreichen Mutter gnädig stimmen mögen.
Zürn hat hier – wohl weil er nur so dem gesteigerten Anspruchsniveau der Handschrift zu genügen meinte – offenkundig die letzten Reserven der ihm zu Gebote stehenden sprachlichen Virtuosität angezapft und sich in Wortwahl und syntaktischer Konstruktion zu nicht gerade alltäglichen Höhen aufgeschwungen, um nicht zu sagen: verstiegen, was schon Valentin Rose zu der leicht irritiert wirkenden Charakterisierung veranlasst hatte, die Schlussschrift sei in „absonderlich gesuchten Worten“ geschrieben58. Dem inhaltlichen Verständnis ist Zürns geschraubter Stil, wie mehrfach angedeutet, nicht gerade zuträglich. Ein paar Bemerkungen zu Einzelheiten des Texts: 57 Valentin Rose (Anm. 2), S. 734. Bis revera pater ut Benedicti sancti auch übernommen in Colophons de manuscrits occidentaux des origines au XVIe siècle, Bd. 4. Fribourg/Suisse 1973, Nr. 11975. Ein Übersetzungsversuch bei Wilfried Schwenk (Anm. 2), S. 41. – In der vorliegenden Wiedergabe wurde die Interpunktion Zürns im Sinne eines besseren Textverständnisses leicht modifiziert. 58 Rose (Anm. 2), S. 734.
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Sehr gekünstelt wirken die doppelten Verneinungen haut non und nec si, etwas manieriert auch die den Tod umschreibende Wendung in necis fruitione et togae mortalis exutione, die in ihrem ersten Teil fast wie eine Contradictio in adiecto anmutet- fruitio ist in geistlichen Texten der Väterzeit und des Mittelalters in der Regel positiv konnotiert-, während der zweite Teil wie eine schwülstige Aufladung der in dieser Tradition geläufigen Formulierung carne bzw. corpore oder auch mortalitate exutus daherkommt. Das in der Datierung verwendete, seltene Wort verbigina – richtig eigentlich: verbigena – als Bezeichnung für Christus hätte Zürn z. B. bei Prudentius, Cathemerinon III, Vers 2 (vgl. auch Analecta Hymnica Medii Aevi 50, Nr. 38 und 39) oder Venantius Fortunatus, Vita s. Martini 3, Vers 158 (MGH Auct. Ant. IV, 1, S. 335) finden können. Vermutlich schöpft er aber eher aus dem weitverbreiteten spätmittelalterlichen lateinisch-deutschen Wörterbuch „Vocabularius ex quo“ (von dem in der Herrenalber Bibliothek im übrigen seit ca. 1460 ein handschriftliches Exemplar verfügbar war!)59. Hier das entsprechende Lemma in der ehemals Herrenalber Handschrift: Verbigena est Christus quia genitus de verbo.60. Analoges dürfte für die Wendung elementis … exaratus finit gelten. Rose hat versehentlich clementis gelesen, was in den „Colophons“ (Anm. 57) sogar in Großschreibung wiedergegeben wird und so einen Eigennamen suggeriert. Elementa steht hier für „Buchstaben“, elementis exarare meint also einfach den Vorgang des Schreibens. Dazu der Vocabularius (erneut nach der Herrenalber Handschrift): Elementum ain Element vel der littera alphabeti ain puochstab61, und Exarare uß eren vel phflügen vel scribere62. Keine Probleme bietet, weil von Zürn selbst genannt, die Quelle des liebevollen Epithetons nonnus für den „Senior“ Ludwig: die Benediktregel63. Erneut bezeichnend für den gesamten Tenor des Kolophons erscheint die litotische Formulierung dieser Verweisung: ut Benedicti sancti patris nostri normam haut negligam. 59 Heute Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, L 72. Vgl. Die Handschriften von Lichtenthal. Beschr. von Felix Heinzer und Gerhard Stamm. [Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe 11]. Wiesbaden 1987, S. 180 f., sowie Heinzer, Zürn, S. 69. – Für die Verfizierung der Lemmata in der ehemals Herrenalber Handschrift danke ich Wolfgang Runschke (Karlsruhe). 60 Vgl. auch ‚Vocabularius ex quo‘. Überlieferungsgeschichtliche Ausgabe. Gemeinsam mit Klaus Grubmüller hrsg. von Bernhard Schnell u. a., Bd. 5. Tübingen 1989, S. 2847. 61 Vgl. in der Ausgabe (Anm. 60), Bd. 3. 1988, S. 870. 62 Vgl. in der Ausgabe (Anm. 60), Bd. 3, S. 938. 63 Regula Benedicti 63,12: iuniores autem priores suos nonnos vocent.
teil iv REFORMEN AM VORABEND DER REFORMATION
HERRENALB – FRAUENALB – LICHTENTHAL: SPURENSUCHE IN EINEM BIBLIOTHEKSGESCHICHTLICHEN DREIECK*
Zur Vorstellung eines mittelalterlichen Klosters gehört als substantielle Komponente monastischer Kultur auch der Aspekt einer mehr oder weniger entfalteten Buchkultur: ein funktionierendes Skriptorium also, vielleicht sogar eine Einbandwerkstatt, jedenfalls aber eine klösterliche Bibliothek.1 Für Herrenalb freilich konnte Helmut Pflüger 1958 in seiner Dissertation nur gerade fünf Handschriften als Überbleibsel der Bibliothek anführen (die Handschriften L 38, L 53, L54, L 72 und L 85 der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe), und für Frauenalb äußerte Moritz Gmelin bereits 1880 die düstere Vermutung, die Frauenalber Bibliothek sei in den Privatbesitz der letzten Äbtissin und ihrer Mitschwestern gelangt und so „auf beklagenswerte Weise zerstreut worden“.2 Die Spurensuche hat also außerhalb anzusetzen. Wie sich im Titel schon andeutet, bieten Bibliothek und Bibliotheksgeschichte der Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal bei Baden-Baden einen solchen „archimedischen Punkt“. Das hat seinen Grund: Lichtenthal repäsentiert bekanntlich in bibliotheksgeschichtlicher Hinsicht eine Situation, die man als Glücksfall bezeichnen darf. Die Lichtenthaler Bestände des Mittelalters und der frühen Neuzeit, insbesondere die Handschriften, sind in geradezu * Erstmals erschienen in: 850 Jahre Kloster Herrenalb. Auf Spurensuche nach den Zisterziensern, hrsg. von Peter Rückert und Hansmartin Schwarzmaier (Oberrheinische Studien 19), Stuttgart 2001, S. 75–88. 1 Für eine kritische Durchsicht des Manuskripts danke ich sehr herzlich Nigel Palmer (Oxford) und Beate Braun-Niehr (Berlin). 2 Helmut Pflüger, Schutzverhältnisse und Landesherrschaft der Reichsabtei Herrenalb von ihrer Gründung im Jahre 1149 bis zum Verlust ihrer Reichsunmittelbarkeit im Jahre 1497 (bzw. 1535), Stuttgart 1958, S. 1 (Beschreibungen der genannten Handschriften jetzt in Heinzer/Stamm, Handschriften [wie unten Anm. 3]); Moriz Gmelin, Urkunden, Regesten und Nachweisungen zur Geschichte des Klosters Frauenalb, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 23 (1871), S. 263–342, hier S. 268.
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reformen am vorabend der reformation
exzeptioneller Weise erhalten geblieben, und die Bibliothek des Klosters wird dadurch in vielfältiger Hinsicht als „Spiegel der Klostergeschichte“ nutzbar, wie ich früher bereits gezeigt habe.3 Das gilt aber nicht nur für die eigenen Bestände, sondern Lichtenthal, das im Gegensatz etwa zu Herrenalb und Frauenalb (um bei unserem Thema zu bleiben) die Reformation überdauerte, hat auch als eine Art Sammelbecken für Bücher aufgehobener Klöster gewirkt, so auch für die beiden Albtalklöster. Die Verbindungslinien zu Lichtenthal sind dabei ganz unterschiedlicher Art: Die Achse Herrenalb-Lichtenthal ist durch gemeinsame Ordenszugehörigkeit vorgegeben und gewinnt durch die Übertragung der Paternität und seelsorglichen Betreuung des Frauenklosters an Herrenalb im späten 15. Jahrhundert eine ganz spezifische Aktualisierung. Im Falle von Frauenalb hingegen ist etwas anderes wirksam geworden: die Funktion als „Fluchtpunkt“ (im eigentlichen Sinn des Wortes), die Lichtenthal in den Wirren von Reformation und Gegenreformation über Jahrzehnte hinweg für die Klosterlandschaft am Oberrhein und im Schwarzwald hatte, und zwar, wie dieses und andere Beispiele zeigen, auch über die Schranken und Grenzen unterschiedlicher Ordenszugehörigkeit hinweg4.
Frauenalb Beginnen wir zunächst mit Frauenalb. Ich präsentiere hier in knapper Zusammenfassung die Ergebnisse von Forschungen, die ich bereits 1986 in „Bibliothek und Wissenschaft“ detailliert vorgestellt habe.5 Die heute noch nachweisbaren Bücher – 15 Handschriften und ca. 10 Drucke aus dem späten 15. und dem frühen 16. Jahrhundert fanden sich 3 Felix Heinzer, Lichtenthaler Bibliotheksgeschichte als Spiegel der Klostergeschichte, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 136 (1988), S. 35–62. Vgl. außerdem Die Handschriften von Lichtenthal, beschr. von Felix Heinzer und Gerhard Stamm. Mit einem Anhang: Die heute noch in Lichtenthal aufbewahrten Handschriften des 12. bis 16. Jahrhunderts, beschr. von Felix Heinzer (Die Handschriften der BLB Karlsruhe 11), Wiesbaden 1988, bes. S. 36–44. 4 Pia M. Schindele, Die Abtei Lichtenthal, in: Freiburger Diözesanarchiv 104 (1984), S. 19–166 und 105 (1985), S. 67–248, hier 105 (1985), S. 135; Heinzer, Lichtenthaler Bibliotheksgeschichte (wie Anm. 3), S. 54. 5 Felix Heinzer, Handschriften und Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts aus der Benediktinerinnenabtei Frauenalb, in: Bibliothek und Wissenschaft 20 (1986), S. 93–124 (mit Einzelbelegen für das hier Referierte).
herrenalb – frauenalb – lichtenthal
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mit Ausnahme zweier in Nürnberg und St. Gallen aufgespürter Gebetbücher und einem schönen Beutelbuch in der Sammlung Otto Schäfer in Schweinfurt6 alle unter den Lichtenthaler Beständen der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe; dazu kam eine Inkunabel mit dem „Goldenen Spiegel der sündigen Seele“ des Kartäusers Jacobus de Gruitrode – ebenfalls aus Lichtenthaler Vorbesitz – in der historischen Bibliothek des Rastatter Ludwig-Wilhelm-Gymnasiums.7 Offenkundig handelt es sich um Flüchtungsgut, das kurz nach 1600 im Rahmen der (bisher kaum registrierten) Übersiedlung einer Handvoll Frauenalber Nonnen aus ihrem aufgehobenen Kloster nach Lichtenthal den Weg aus dem Albtal an die Oos gefunden hat. Gmelins Annahme läßt sich also wenigstens ein Stück weit revidieren, und damit verbindet sich durchaus auch ein historischer Erkenntnisgewinn. Denn so spärlich diese Restbestände sein mögen, so werfen sie doch das eine oder andere Schlaglicht auf bisher unbeachtete Aspekte der Frauenalber Klostergeschichte der Zeit um 1500. Unter den Büchern, die das kleine Häufchen Frauenalber Nonnen (drei Konventfrauen und eine Laienschwester) 1609 bei der Umsiedlung nach Lichtenthal im Gepäck mitführten, waren überwiegend private Andachts- und Gebetbücher. Lediglich zwei Drucke (einer davon nur noch indirekt nachweisbar) können als Reste einer gemeinschaftlichen Klosterbibliothek angesprochen werden. Dies könnte zum einen mit dem Klosterbrand von 1508 und den Plünderungen im Bauernkrieg zusammenhängen, zum andern auch mit der faktischen Auflösung der vita communis im 15. Jahrhundert zugunsten einer eher unverbindlichen Gemeinschaft adliger Stiftsdamen mit Privateigentum, Einzelstuben und ohne einheitliche Ordenskleidung. Dennoch blieb man Reformimpulsen, die eine gewisse Gegenkraft zu dieser Entwicklung freisetzen konnten, nicht ganz verschlossen. Anstöße dazu sind freilich nicht etwa von Herrenalb ausgegangen, das in dem uns hier beschäftigenden Zusammenhang trotz seiner geographischen Nachbarschaft für Frauenalb offenbar keine Rolle spielt, 6 Schweinfurt, Bibl. Otto Schäfer, OS 1233. Vgl. Andachtsbücher des Mittelalters in Privatbesitz. Katalog zur Ausstellung im Schnütgenmuseum, bearb. von Joachim M. Plotzek, Köln 1987, S. 247, Nr. 87; Europäische Einbandkunst aus sechs Jahrhunderten. Beispiele aus der Bibliothek Otto Schäfer, bearb. von Manfred von Arnim, Schweinfurt 1992, S. 27 f. 7 Heinzer, Frauenalb (wie Anm. 5), S. 101; jetzt auch beschrieben im Katalog von Ewa Dubowik-Belka, Inkunabeln der Historischen Bibliothek der Stadt Rastatt im Ludwig-Wilhelm-Gymnasium, Wiesbaden 1999, Nr. 101.
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sondern vielmehr von seiten der Bursfelder Reformbewegung. Aus den offiziellen Quellen der Bursfelder Kongregation ist die Qualität der Verbindung nicht genau zu erschließen – der deutliche Bursfelder Akzent in den wenigen erhaltenen Liturgica (meist Drucken mit handschriftlichen Ergänzungen) aber auch inhaltliche Indizien in den Gebetbuchhandschriften (dort mit deutlichen Spuren von niederrheinischen und generell norddeutschen Einflüssen im Repertoire der Texte) zeigen jedoch, daß hier mehr als nur lose Kontakte bestanden haben dürften. Vermittelt wurde der Anschluß vermutlich über Hirsau; aber auch das nahegelegene Gottesaue, das seit 1458 ebenfalls zur Bursfelder Kongregation gehört, könnte eine gewisse Rolle gespielt haben. Ein Teil der Bücher, zwei Handschriften und zwei Drucke, darunter die schon erwähnte Rastatter Inkunabel, belegen überdies rege Beziehungen Frauenalbs zum ebenfalls bursfeldisch geprägten Benediktinerinnenkloster Seebach bei Bad Dürkheim während des 16. Jahrhunderts. Bibliotheksgeschichtliche Spuren lassen auch hier historische Verbindungen und Zusammenhänge sichtbar werden. Die wichtigste Erkenntnis für Frauenalb selbst scheint mir freilich die zu sein, daß in diesem Kontext mehrere Konventualinnen, darunter auch eine letzte Vertreterin der Stifterfamilie, Anna von Eberstein, die Anm. 6 genannte Katharina Röder und die spätere Äbtissin Katharina von Remchingen, als Schreiberinnen von Handschriften (teilweise auch in skriptoriumsartiger Zusammenarbeit) in Erscheinung treten. Es manifestiert sich also auch in Frauenalb der typische Aufschwung im Bereich der Schreibtätigkeit, der bekanntlich als fast schon gesetzmäßige Konsequenz monastischer Reform anzusehen ist8 und im übrigen als Beleg dafür verbucht werden darf, daß die spätmittelalterlichfrühneuzeitliche Phase des Klosters vielleicht doch nicht nur im Zeichen des Verfalls zu sehen ist.
8 Vgl. die Einleitung zu diesem Band (S. 1–13). Speziell für die Bursfelder Richtung, die allerdings im Gegensatz etwa zur Melker Reform die Pflege von Wissenschaft und Studium eher zurückhaltend betrieb (Figuren wie Trithemius sind eher Ausnahmeerscheinungen): Klaus Schreiner, Benediktinische Klosterreform (wie S. 2 Anm. 3), bes. S. 120–128, sowie Walter Ziegler, Die Bursfelder Kongregation, in: Germania Benedictina 1, St. Ottilien 1999, S. 315–374, bes. S. 338 (zur Rolle des Buchdrucks) u. S. 347 (jeweils mit weiterführender Literatur).
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Herrenalb Kommen wir nun zum zentralen Thema dieser Untersuchung, den Herrenalber Zisterziensern. Auch hier führt der Umweg über Lichtenthal zu neuen Erkenntnissen. Die Katalogisierung der Lichtenthaler Handschriften in der Badischen Landesbibliothek und in der Abtei selbst (und ein Seitenblick auf die erhaltenen Druckbestände des 15. und 16. Jahrhunderts) hat zu einer nicht unerheblichen Verbreiterung der Materialbasis geführt (s. Anhang): Mittlerweile sind immerhin über 20 Handschriften sowie etwa ein halbes Dutzend Frühdrucke nachweisbar, die sich in irgend einer Weise mit Herrenalb in Verbindung bringen lassen. Die historischen Rahmenbedingungen für das Auftauchen derartiger Bücher in der Lichtenthaler Bibliothek wurden eingangs schon kurz angedeutet:9 Im Kontext der spätmittelalterlichen Reformbewegung, die im 15. Jahrhundert auch die südwestdeutschen Zisterzienser erfaßte,10 ging die Paternität über Lichtenthal in den 1440er Jahren von Neuburg in rechtsrheinische Verantwortung über: zunächst an Maulbronn, einige Jahrzehnte später dann an Herrenalb. Nimmt man die Präsenz der Beichtväter im Frauenkloster als Kriterium, so erfolgte der nirgends explizit bezeugte Übergang erst in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts, denn noch 1488 ist ein Maulbronner Konventual als confessarius belegt, und die entsprechenden Spuren in der Lichtenthaler Nekrologüberlieferung lassen in der Tat Rückschlüsse auf eine Tätigkeit von Herrenalber Seelsorgern frühestens für die neunziger Jahre zu. Zieht man hingegen die im Lichtenthaler Bestand erhaltenen Handschriften von Herrenalber Mönchen heran, so bietet sich ein etwas anderes Bild. Die frühesten Belege stammen bereits aus den 40er Jahren, wobei zunächst allerdings eher familiäre als institutionelle Verbindungen maßgeblich gewesen zu sein scheinen.11 Möglicherweise muß man auch mit einer Mischkonstellation rechnen, in der einzelne Aufgaben – Einzelnachweise bei Heinzer, Lichtenthaler Bibliotheksgeschichte (wie Anm. 3). Vgl. dazu jetzt auch Klaus Schreiner, Spätmittelalterliches Zisterziensertum im deutschen Südwesten. Spiritualität, gesellschaftliche Rekrutierungsfelder, soziale Verhaltensmuster, in: Maulbronn 1147–1997 und die Anfänge der Zisterzienser in Südwestdeutschland, hrsg. von Peter Rückert (Oberrheinische Studien 16), Stuttgart 1999, S. 43–77, bes. S. 48–55. 11 Vgl. in der Handschriftenliste (Anhang II) insbesondere die Nr. 16 und 17 von Wilhelm Kechler (davon die erste für Kechlers Schwester Dorothea geschrieben) sowie Nr. 20 und 21 (Bernhard Branz für seine Schwester Dorothea). 9
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wie etwa die Ausstattung mit (korrekten) Liturgica – von Maulbronn an das näher gelegene Herrenalb delegiert wurden. Ein paar Beobachtungen zu diesen Handschriften: Bemerkenswert erscheint mir, daß die eben genannten Stücke fast durchweg ein und derselben Gattung angehören. Es sind Liturgica: nebst drei Prozessionalien (Nr. 16, 20 und 21 der Handschriftenliste im Anhang) und dem zweibändigen Graduale des als Beichtvater in Lichtenthal tätigen Johannes von Magstadt (Anhang, Nr. 13)12 ausschließlich Breviere und Diurnalien, also Teilbreviere für das während des Tags zu verrichtende Offizium13. Vor allem Johannes Zürn, dessen Produktion als Schreiber ich an anderer Stelle zu erfassen versucht habe,14 scheint sich auf die Herstellung solcher Bücher geradezu spezialisiert zu haben, wie ein Blick auf die Liste seiner Handschriften zeigt (s. Anhang). Nichtliturgisches ist hingegen kaum vertreten.15 Dieser Befund dürfte auch damit zusammenhängen, daß in Lichtenthal selbst im Bereich etwa der hagiographischen und generell der spirituellen und erbaulichen Literatur (nicht zuletzt im Bereich volkssprachlicher Texte) in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts eine beachtliche Eigenproduktion verzeichnet werden kann, die hauptsächlich mit dem Namen der als Schreiberin und Übersetzerin tätigen Schwester Regula (gest. 1478) in Verbindung zu bringen ist.16 Es liegt also so etwas wie eine Arbeitstei-
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Johannes von Magstadt hat im übrigen auch das aus Neuburg stammende, der Grundaustattung Lichtenthals angehörende Graduale aus der Mitte des 13. Jahrhunderts (Ms. 25 der Lichtenthaler Klosterbibliothek) ergänzt, s. Heinzer/Stamm, Handschriften (wie Anm. 3), S. 316. 13 Bücher, die erforderlich waren für Mitglieder des Konvents, die aus irgend einem Grund am gemeinsamen Chorgebet verhindert waren und daher für sich allein das entsprechende Pensum zu absolvieren hatten – etwa wegen Krankheit oder einer Reise, wie sie mit bestimmten Klosterämtern verbunden sein konnte (für die Moniales wohl weniger aktuell als für die Mönche). 14 Felix Heinzer, Johannes Zürn, ein Herrenalber Schreibermönch, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 133 (1985), S. 67–80 [in diesem Band, S. 447–463]. 15 Die Handschriften Nr. 14 und 15 (s. Anhang) stammen aus dem persönlichen Besitz von Sebastian Lanius (s. u.), waren also zunächst nicht für Lichtenthal bestimmt; Nr. 23 ist unsicher. 16 Vgl. Gerhard Stamm, Regula. Lichtenthaler Schreibmeisterin, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. völlig neu bearb. Aufl., 7, Berlin u. New York 1989, Sp. 1131–1134; ders., Klosterreform und Buchproduktion. Das Werk der Schreib- und Lesemeisterein Regula, in: 750 Jahre Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal, hrsg. von Harald Siebenmorgen, Sigmaringen 1995, S. 63–70. – Dazu neuerdings Pia M. Schindele, „Die ordenung. die daz Capitel von Zitel … hat gemacht“
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lung vor, in welcher das für die Aufsicht zuständige Männerkloster in erster Linie die Verantwortung für die Liturgica wahrnimmt. Wie bewußt und konsequent dabei die Kontrolle der liturgischen uniformitas, deren zentrale Bedeutung für den Zisterzienserorden ich hier nicht weiter auszuführen brauche, ausgeübt wurde, belegt die Beobachtung, daß die im späten 13. und im 14. Jahrhundert teilweise eingedrungenen Abweichungen von der in der Grundausstattung Lichtenthals so eindrucksvoll belegten Konformität mit der liturgischen Norm des Gesamtordens17 im Zug der spätmittelalterlichen Reformphase aus den Handschriften konsequent eliminiert werden: durch Streichungen und Überschreibungen, teilweise auch durch Herausschneiden der entsprechenden Blätter.18 Die prominente Rolle, die Johannes Zürn in diesem Zusammenhang spielt, nimmt nicht wunder, umfaßt doch die Aufgabe des Kantors, die ihm in Herrenalb übertragen war, in erster Linie die Kontrolle der normgerechten liturgischen Praxis und der dazu erforderlichen Bücher. Das bekanne Gebetbuch (Nr. 8 der Liste), das Zürn 1482–1484 für seinen als Prokurator des Klosterhofs in Merklingen tätigen Mitbruder Ludwig von Bruchsal19 schreibt, ist hingegen ein Sonderfall, da es weder für den Herrenalber Konvent noch für Lichtenthal bestimmt ist. Als persönliches, repräsentatives Auftragswerk eines Einzelnen gehört es in jene Sphäre persönlicher Andacht und Frömmigkeit, deren wichtigster spätmittelalterlicher Vertreter das Stundenbuch ist. Dies mani-
(HS 3, 11 r): eine bisher unbekannte Handschrift der Sr. Regula im Archiv der Abtei Lichtenthal, in: Freiburger Diözesan-Archiv 116 (1996), S. 79–122. 17 Dazu Felix Heinzer, „Ut idem libri ecclesiastici et consuetudines sint omnibus“ [in diesem Band, S. 437–446]. 18 Vgl. Heinzer, „Ut idem“ (wie Anm. 17), bes. S. 45 mit Anm. 22 [hier S. 443]. Allerdings schlüpft dabei dennoch – und zwar, wie es scheint, gerade aus Herrenalb – ein (zumindest teilweise) extravagantes Element an der Kontrolle vorbei und dringt in die Lichtenthaler Liturgica ein: ein Fronleichnamsoffizium, das sowohl bezüglich der verwendeten Lesetexte als auch in Teilen der Gesangsstücke von der Ordensnorm deutlich abweicht (teils schon in der Anlage der aus Herranalb gekommenen Breviere, teils als Überschreibungen der ordensüblichen Texte). Vgl. dazu die Anm. 169 bei Felix Heinzer, Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Hirsaus, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2, Stuttgart 1991 (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,2), S. 259–296 [in diesem Band, S. 120 f.]. 19 Vgl. zu diesem Wilfried Schwenk, Das Herrenalber Gebetbuch (1482–1484), aufbewahrt in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin, Bad Herrenalb 1983, S. 41; Ergänzungen dazu bei Heinzer, Johannes Zürn [wie Anm. 14], S. 75 f. [in diesem Band, S. 458].
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festiert sich nicht zuletzt in der aufwendigen, im Vergleich zu den sonst schmucklosen Handschriften Zürns ganz aus der Reihe fallenden Ausstattung (nicht weniger als 30 Miniaturen, zum Teil nach Kupferstichen Schongauers, des Meisters E.S. und anderen), die mit Sicherheit einem auswärtigen, vielleicht in Straßburg oder – eher noch – im Speyerer Raum angesiedelten Maler bzw. Maleratelier zuzuschreiben ist (Näheres dazu in diesem Band, 464–481, bes. 475–477). Doch zurück nach Lichtenthal. Aufgrund der eben angesprochenen Dominanz des Liturgischen würde ein unmittelbarer Rückschluß auf das Gesamtbild von Buchproduktion und Buchbesitz in Herrenalb, der nur von den über Lichtenthal geretteten Überresten ausgeht, sicherlich eine einseitige Vorstellung ergeben. Eine Erweiterung der Perspektive bringt schon das Berliner Gebetbuch. Aber auch in anderer Richtung läßt sich das Bild wenigstens ansatzweise ergänzen und abrunden: Zunächst ist in diesem Zusammenhang die Handschrift 102 der Lichtenthaler Klosterbibliothek, das einzige bisher bekannte Zeugnis der Herrenalber Bibliothek aus hochmittelalterlicher Zeit (Nr. 14), anzusprechen.20 Der erste Teil, der um 1200 zu datieren ist, bietet Auszüge aus dem Decretum Gratiani. Der interessantere zweite Teil, der noch ins späte 12. Jahrhundert gehört, enthält eine Sammlung von Briefen Bernhards von Clairvaux mit den typischen („vorredaktionellen“) Struktur-Merkmalen der Handschriften aus der Filiation von Morimond, zu der Herrenalb ja auch gehört (über Neuburg und Lützel). Codices dieser Familie enthalten nicht selten einzelne Briefe oder Briefgruppen, die später keinen Eingang in das offizielle Corpus gefunden haben. Sie sind also für manche Überraschung gut. So auch die Lichtenthaler Handschrift, in der bei der Katalogisierung zwei bisher unbekannte Briefe Bernhards entdeckt wurden – übrigens in unmittelbarer Nachbarschaft eines weiteren bemerkenswerten Texts: einer Abschrift der bisher nur aus einer Kopie in einer Zwiefaltener Handschrift (Stuttgart: Cod. theol. et phil. 4° 141) bekannten Stellungnahme Papst Innozenz II. zur Frage der aus Hirsau in benachbarte Zisterzienserabteien „übergelaufenen“ Mönche (zu datieren in die Jahre 1138–1143).21 Ein in zwei Hexametern abgefaßter Besitzvermerk (Attinet hic Albe liber ordinis 20 Beschreibung der Handschrift: Heinzer/Stamm, Handschriften (wie Anm. 3), S. 333 f.; s. außerdem Felix Heinzer, Zwei unbekannte Briefe Bernhards von Clairvaux in einer Handschrift der Zisterzienserinnenabtei Lichtenthal, in: Scriptorium 41 (1987), S. 97–105. 21 Felix Heinzer, Maulbronn und die Buchkultur Südwestdeutschlands im 12. und 13. Jh., in: Maulbronn (wie Anm. 9), S. 147–166, hier S. 147 [in diesem Band, S. 409].
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cisterciensis / Quisquis eum tollat nullo se munere solvat)22 sichert die Handschrift als Besitz Herrenalbs schon für die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts. Daß der Codex auch in Herrenalb geschrieben wurde, ist dadurch nicht mit Gewißheit zu folgern, erscheint aber doch recht plausibel. Unklar ist der Zeitpunkt des Transfers nach Lichtenthal. Eine Spur ergibt sich möglicherweise aus der Tatsache, daß der erste Vers des Besitzvermerks im 16. Jahrhundert von dem Herrenalber Konventualen Sebastian Metzger kopiert worden ist, um einen Inkunabeldruck als Eigentum des Klosters zu kennzeichnen.23 Der aus Calw stammende Metzger (oder Lanius, wie er sich latinisierend nannte), der um 1500 oder kurz danach in Herrenalb eingetreten sein dürfte, wirkte nämlich in den 1520er und 30er Jahren als Beichtvater in Lichtenthal und fand dort nach der Aufhebung Herrenalbs 1536 eine bleibende Zuflucht.24 Über ein halbes Dutzend Inkunabel- und Frühdruckbände, die breite Leseinteressen verraten, hat er offenbar in die Lichtenthaler Bibliothek eingebracht,25 außerdem wohl auch die eine oder andere Hand22 Vielleicht ursprünglich: Attinet hic Albis…, womit auch hier, wie im zweiten Vers, die Gesetzmäßigkeiten des Leoniners erfüllt wären. – Vergleicht man die Ex-libris, die sich bei Anne Bondéelle-Souchier, Bibliothèques Cisterciennes dans la France médiévale. Répertoire des Abbayes d’hommes, Paris 1991, finden, so zeigt sich, daß die Zisterzienser (zumindest in Frankreich, aber wohl auch darüber hinaus) – nicht unerwartet – einigermaßen stereotype Formulierungen bevorzugen (im 12./13. Jh. sehr häufig einfach Liber Sancte Marie in Verbindung mit der Ortsangabe, so z. B. auch in Morimond, zu dessen Filiation Herrenalb über Bellevaux, Lützel und Neuburg gehört), der metrische Herrenalber Vermerk (vor allem der erste Vers) vor dieser Folie also durchaus originell erscheint. Andeutungsweise Vergleichbares bietet lediglich der Vermerk Est liber hic sancti Bernardi Clarevallensis in zwei aus dem Pariser Bernhard-Kolleg stammenden, heute in Brügge aufbewahrten Handschriften (vgl. Bondéelle-Souchier, S. 244). 23 Es handelt sich um Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Dg 213 (Bonaventura: Opuscula, hain 3468), s. Heinzer/Stamm, Handschriften (wie Anm. 3), S. 22 Anm. 6 und S. 333. Mit demselben Vermerk ist auch ein Band der Summa Theologica des Antoninus Florentinus (GW 2197) ausgestattet, der heute unter der Signatur Inc. 2° 1256 (2) in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart aufbewahrt wird. 24 Vgl. dazu und zum folgenden Schindele, Die Abtei Lichtenthal, 1985 (wie Anm. 4), S. 81 und 84, und Heinzer, Johannes Zürn (wie Anm. 14), S. 72 [in diesem Band, S. 462]. 25 Heute Karlsruhe, BLB, Bi 1 (Nicolaus Perottus: Cornucopiae Linguae Latinae, hain 12697), Dq 30 (Johannes Nider OP: Tractatus de morali lepra und Manuale confessorum, hain 11813 und 11834; vermutlich von Johann Zürn rubriziert), Kd 1,1–3 (Antoninus Florentinus: Chronica GW 2074), Pc 24 (Cicero: Orationes, hain 5125), De 135 (Biblia latina, GW 4253), 42 A 1159 RH (Marsilius Ficinus: De religione christiana & fidei pietate opusculum. Xenocrates de morte eodem interprete, Straßburg: Knoblouch, 1507 – Hrabanus Maurus: De institutione clericorum etc., Pforzheim: Anselm, 1505). Vgl. dazu Heinzer, Zürn (wie Anm. 14), S. 71 f.) und Heinzer/Stamm, Handschriften (wie Anm. 3), S. 22 Anm. 6. – Der Anm. 23 erwähnte Bonaventuradruck
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schrift (so die heute in Überlingen aufbewahrte, von der Hand Johannes Zürns stammende Brevier-Handschrift [Anhang, Nr. 11], die Regelhandschrift Nr. 15 und vermutlich eben auch den Sammelband mit den Bernhard-Briefen [Nr. 14]). Die Bücher sind durch seinen eigenhändigen Besitzvermerk und sein Motto Soli Christo gekennzeichnet. Bemerkenswert ist die Dedikationsnotiz in einem Inkunabeldruck der “Cornucopia linguae latinae” des italienischen Humanisten Niccolò Perotti, einem weitausgreifenden Kommentar zu Martial, den Metzger den Lichtenthaler Nonnen 1537 zu gemeinschaftlichem Gebrauch vermachte26 – ein Geschenk, das im übrigen auch ein interessantes Schlaglicht auf die Interessen und das geistige Klima des Frauenklosters im frühen 16. Jahrhundert wirft. Die konfessionelle Polemik der Zeit spiegelt sich in einem Exemplar der 1536 in Freiburg erschienenen Ausgabe der Apologia des Kontroverstheologen Georg Witzel – ein „vertedigs rede … wider seyne affterreder die Luteristen … vnd preiß alter Römischen Kirchen“, wie es im Untertitel heißt –, ein Buch, das Metzger kurz nach der zu Anfang dieses Jahres erfolgten Aufhebung seines Klosters durch Herzog Ulrich von Württemberg erworben haben dürfte.27 Und in noch persönlicherer Akzentuierung kommt uns diese Auseinandersetzung entgegen in der autobiographischen Notiz im zweiten Band der Antoninus-Inkunabel (s. Anm. 25) über die Vertreibung der Mönche durch die conciliarii des Herzogs28 – die entscheidende Zäsur in Metzgers Leben, der vier Jahre später, am 4. April 1540, in seinem Lichtenthaler Exil starb. Metzgers Bücher spiegeln zumindest andeutungsweise etwas von jenem humanistischen Einfluß, den wir um 1500 bei südwestdeutschen Zisterziensern da und dort entdecken können. Der Schlüssel zur Deustammt hingegen kaum aus Metzgers persönlichem Besitz, sondern ist eher gemeinschaftliches Herrenalber Bibliotheksgut. 26 Hoc libro donavit fr. Sebastianus Lanius Calvensis Monasterii Lucidaevallis suas in Christo filias eiusdem cenobii confessor uti eo in communi utantur. Anno salutis nostrae M.D.XXXVII. 1537. 27 Aus der Lichtenthaler Bibliothek gelangte der Band wie die beiden Anm. 7 und Anm. 35 erwähnten Inkunabeln in der Folge in die Historische Bibliothek des Rastatter Ludwig-Wilhelm-Gymnasiums. Vgl. Felix Heinzer, Aus Handschriften und Inkunabeln der historischen Lehrerbibliothek des Ludwig-Wilhelm-Gymnasiums in Rastatt, Rastatt 1989 (Vortragsreihe der historischen Lehrerbibliothek des LudwigWilhelm-Gymnasiums Rastatt 1), S. 55–57 mit Abb. von Metzgers Motto (S. 56). 28 Anno domini 1536 post festum Epiphaniae domini coacti sunt monachi Albenses aut habitum monasticum exuere aut pensionem accipere aut e cenobio egredi et numquam reverti per illustris ducis Ulrici Wirttemberg conciliarios etc. Zu den Vorgängen von 1536 vgl. Edgar Fleig, Die Aufhebung des Klosters Herrenalb, in: Freiburger Diözesanarchiv N.F. 20 (1919), S. 46–112, bes. S. 86–95.
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tung dieses Befunds ist wohl Metzgers Immatrikulation in Heidelberg im Juli 1518,29 wo die südwestdeutschen Zisterzienser bekanntlich analog zur Pariser Situation ein eigenes Kolleg unterhielten.30 Daß hier Berührungen mit neuen kulturellen Strömungen nicht ausblieben, läßt sich verschiedentlich zeigen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang etwa der enge Kontakt des in Heidelberg lehrenden Humanisten Adam Werner von Themar zum Zisterzienserkolleg, die sich nicht nur in mehreren Gedichten Werners niederschlägt, sondern beispielsweise auch in einer heute in Colmar liegenden Persius-Handschrift, als deren Schreiber der seit 1488 in Heidelberg eingeschriebene Bebenhäuser Prior Felix Huber zeichnet. Huber hat den römischen Satiriker ganz offensichtlich über Werner von Themar kennengelernt, der 1489 eine Persius-Vorlesung anbot.31 Dieses erstaunliche Zeugnis humanistischen Interesses ist übrigens mit einer Cicero-Inkunabel zusammengebunden, die Huber ebenfalls in Heidelberg erworben haben dürfte, denn der Sammelband trägt den Einband einer dort zu lokalisierenden Werkstatt.32 Der Maulbronner Konventuale Conrad Leontorius33 mit seinen Kontakten zu Reuchlin und anderen Humanisten wäre als weiteres Beispiel anzuführen für derartige Berührungen mit neuen Bildungshorizonten.
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Gustav Toepke, Die Matrikel der Universität Heidelberg 1, Heidelberg 1884, S.
30 Vgl. dazu Reinhard Schneider, Studium und Zisterzienser mit besonderer Berücksichtigung des südwestdeutschen Raumes, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengesch. 4 (1985), S. 103–117. 31 Vgl. dazu Karl Hartfelder, Werner von Themar, ein Heidelberger Humanist, Karlsruhe 1880. Zur Persius-Vorlesung von 1489 s. Reinhard Düchting, Hrotsvita von Gandersheim, Adam Werner von Themar und Guarino Veronese, in: Ruperto-Carola 33 (1963), S. 77–89, hier S. 80; zu den Kontakten Werners mit den Zisterziensern vgl. Adalrich Arnold, Der Humanist Adam Werner und seine Beziehungen zum Heidelberger Cistercienserkolleg, in: Cistercienser-Chronik 48 (1936), S. 130 ff. 32 Colmar, Bibliothèque municipale, Inc. I 5859 (Cicero: Epistulae ad familiares, Venedig 1491: GW 6845). Der Einband stammt aus der bei Ernst Kyriss, Verzierte gotische Einbände im alten deutschen Sprachgebiet, Textbd. u. Tafelbd. 1–3, Stuttgart 1951–1958, unter Nr. 152 verzeichneten Werkstatt („Hl. Katharina“), vgl. Ursula Schwitalla, Zur Geschichte der Bibliothek des Klosters Bebenhausen, in: Die Zisterzienser in Bebenhausen, hrsg. von Ursula Schwitalla und Wilfried Setzler, Tübingen 1998, S. 85–104, hier S. 90 und S. 94 mit Anm. 55. 33 Vgl. zu ihm noch immer Georg Wolff, Konrad Leontorius. Biobibliographie, in: Beiträge zur Geschichte der Renaissance und der Reformation. Joseph Schlecht zum 60. Geb. dargebracht, hrsg. von C. Baeumker u. a., München 1917, S. 363– 410; außerdem Johannes Reuchlin, Briefwechsel, 1: 1477–1505, bearb. von Matthias Dall’Asta, Stuttgart 1999, S. 79 f. mit Anm. 1.
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Mit den Inkunabeln und Frühdrucken aus Metzgers Besitz haben wir den Bereich des handschriftlichen Buchs verlassen. In diesem Zusammenhang sind drei weitere Inkunabelbände herrenalbischer Provenienz zu nenen, die über die Lichtenthaler Bibliothek erhalten geblieben sind und unser Bild der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Buchbestände Herrenalbs noch etwas ergänzen können: 1. ein in seiner inhaltlichen Konstellation recht bemerkenswerter Sammelband der Badischen Landesbibliothek mit dem um 1487 zu datierenden Erstdruck des berüchtigten Malleus Maleficarum des Dominikaners Heinrich Institoris (H. 9238) und der ebenfalls in den achtziger Jahren (nicht nach 1489) in Straßburg gedruckten lateinischen Fassung des sogenannten „Buchs der Beispiele“, einer auf indische Vorbilder zurückgehenden, auch unter dem Titel „Bidpai“ bekannte Sammlung von Fabeln, die in der Übertragung durch Johannes von Capua (Directorium vitae humanae) im 13. Jahrhundert den Weg ins lateinische Abendland gefunden hat;34 2. eine lange als verschollen geltende, jetzt aber dank der Katalogisierung der Rastatter Gymnasiumsbibliothek wieder aufgetauchte Inkunabel (Sermones Bernhards von Clairvaux, Basel 1495) aus dem Vorbesitz des Herrenalber Mönchs Gregor Hüglin, der gut 10 Jahre in Lichtenthal als Beichtvater und Prediger wirkte, von wo aus der Band in die Bibliothek des Baden-Badener Lyceums und schließlich nach Rastatt gelangte;35 3. ein weiterer Band aus Hüg34 Karlsruhe, BLB, Dc 1, vgl. Heinzer/Stamm, Handschriften (wie Anm. 3), S. 22 Anm. 6 (mit falscher Signatur und falscher H.-Nummer für den ersten Druck). – Friedmar Geissler, Die Inkunabeln des Directorium vitae humanae, in: Beiträge zur Inkunabelkunde NF 3 [1965], S. 7–47, führt S. 23 das Karlsruher Exemplar an, allerdings mit irrtümlicher Lesung des Besitzvermerks („albam dominarum“) und entsprechender Fehldeutung „aus Frauenalb“. Für eine erneute Überprüfung des Bandes, die dessen Herrenalber Herkunft bestätigte, danke ich Christoph Mackert (Karlsruhe/Leipzig). 35 Schon Gerhard Kattermann, Handschriften und Frühdrucke aus der alten Bibliothek des Klosters Lichtenthal in Baden-Baden, in: Badische Heimat 24 (1937), S. 303– 311, hier S. 308, hat auf diesen Band hingewiesen – leider ohne Hinweis auf Aufbewahrungsort und Signatur, so daß darüber im Rahmen der Erschließung der Lichtentaler Bestände in Karlsruhe und Baden-Baden nur spekuliert werden konnte (s. oben, S. 454). Eine genaue Beschreibung jetzt bei Dubowik-Belka (wie Anm. 7), Nr. 43. Es handelt sich um den Druck GW 3944. Der Eintrag Hüglins ist allerdings sinnentstellt und teilweise irreführend wiedergegeben: statt certa annum domini 1493 ist zu lesen circa annum, statt iterum inconfessorem iredem assumptionem vermutlich iterum in confessorem ibidem assumptum und statt ad proprium Monasterium hoc est albandnorum revocatum natürlich hoc est Albam Dominorum, also Herrenalb (Spekulationen bezügl. St. Blasien [Dubowik-Belka, S. 126] erübrigen sich damit); eine Abbildung des leider ebenfalls nicht ganz korrekt gelesenen Lichtenthaler Besitzvermerks aus dem 16. Jh. (Dyß buch gehort ins closter Liechtendal)
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lins Vorbesitz: die 1490 in Speyer bei Petrus Drach gedruckten Sermones des Robertus Caracciolus, GW 6054 (heute Universitätsbibliothek Heidelberg, Q 8238 qt. INC). Schließlich ist in diesem Kontext auch kurz jene Bücherliste im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart zu erwähnen, auf die bereits Helmut Pflüger hingewiesen hat.36 Sie bezieht sich auf die vom letzten katholischen Abt Lukas Goetz von Merstetten hinterlassene Privatbibliothek, die auf Befehl von Herzog Ulrich von Württemberg 1548 nach Stuttgart transportiert werden sollte. Die recht umfangreiche Titelfolge umfaßt, soweit die oft eher knappen Angaben einen Rückschluß erlauben, offenbar meist Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts. Sollte sich etwas davon erhalten haben, dürfte es in die Bestände der Stuttgarter Landesbibliothek eingegangen sein (das Anm. 23 erwähnte AntoninusExemplar könnte dem Eintrag Anthoninus duo libri entsprechen). Auffallend ist der ausgesprochen hohe Anteil an juristischen, speziell kanonistischen Titeln, der auf prononcierte Interessen des Besitzers in diesem Gebiet schließen läßt. Zwar ist über das intellektuelle Profil und die Vorbildung und Studienlaufbahn des Abts nicht viel zu ermitteln, doch läßt die Immatrikulation in Tübingen im Jahre 1495 und insbesondere das dort abgelegte Examen eines Magister Artium37 auf einen überdurchschnittlichen Bildungshorizont schließen. Der interessanteste Titel der Liste ist nebst einer „theutschen bibel mit figuren“ unzweifelhaft der Eintrag Odo de Analeticis. Es handelt sich um ein eher seltenes Werk mit schmaler Verbreitung: den in lediglich 15 Handschriften überlieferten zahlensymbolischen Traktat Analetica numerorum von Odo von Morimond (1116–1161)38. Sämtliche Textzeugen stammen – nicht überraschend – aus dem Einflußbereich Morimonds.39 Das leider verschollene Herrenalber Exemplar ist eine
bietet Tafel VIII bei Dubowik-Belka. Aus dem Beginn von Hüglins Eintrag geht hervor, daß der Band nicht nur von ihm erworben, sondern auch gebunden wurde: comperatus (!) et illigatus (dazu unten S. 498 mit Anm. 40). – Zu Hüglins Tätigkeit in Lichtenthal vgl. auch Schindele, Die Abtei Lichtenthal 1984 (wie Anm. 4), S. 159 mit Anm. 837. 36 Pflüger, Schutzverhältnisse (wie Anm. 2), S. 1 mit Anm. 5. 37 Heinrich Hermelink, Die Matrikeln der Universität Tübingen 1, Stuttgart 1906, S. 104. 38 Odon de Morimond: analetica numerorum et rerum in theographyam, ed. critique princeps par Hanne Lange (Cahiers de l’Institut du Moyen-âge Grec et Latin / Institut for Graesk og Latinsk Middelalderfilologie 40), Copenhague 1981, mit weiterer Literatur zu Autor und Werk. 39 Lange, Odon de Morimond (wie Anm. 38), S. XXXVI und XXXVIII.
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(zumindest virtuelle) Bestätigung dieses Befunds – und zugleich ein weiterer Hinweis darauf, daß die verlorenen Altbestände Herrenalbs durchaus Überraschendes enthalten haben könnten. Zu den Aspekten klösterlicher Buchkultur gehört schließlich auch die Frage nach einer Einbandwerkstatt. Auch hier war die Bearbeitung der Lichtenthaler Bestände das auslösende Moment, denn es zeigte sich dabei, daß ein knappes Dutzend der mit Herrenalb zuammenhängenden Handschriften und Drucke (und nur diese!) gleichartige Einbände aufweisen. Der Schluß, diese im Katalog der Lichtenthaler Handschriften als Einbandgruppe II präsentierten qualitätvollen Arbeiten, dunkelbraune Kalbslederbände mit sehr charakteristischer Blindstempelprägung,40 als Produkte einer aus den Archivalien, soweit ich sehe, nicht dokumentierten Herrenalber Buchbinderwerkstatt anzusprechen, lag also nahe.41 Eine endgültige Bestätigung fand sich dann in Stuttgart in Gestalt einer Handschrift mit einer deutschen Meßerklärung42 aus dem Dominikanerinnenkloster Maria-Reuthin bei Wildberg an der Nagold (Cod. theol. et phil. 8° 30), deren erster Teil 1458 datiert ist und die laut Besitzvermerk Schwester Elisabeth Kechler gehörte – wohl ebenfalls einer Verwandten (möglicherweise einer weiteren leiblichen Schwester) des Herrenalber Mönchs Wilhelm Kechler (vgl. oben Anm. 11).43 Da auch dieses kleine Bändchen einen gleichartigen Einband aufweist, wird man davon ausgehen dürfen, daß es ebenfalls in Herrenalb – vielleicht sogar auch von Kechler – geschrieben wurde. Eines dürfte jedenfalls feststehen: Als gemeinsamer Schnittpunkt der Linien, die diese Handschriften verbinden, und damit als Entstehungsort der Einbände kommt nur Herrenalb in Frage. Damit ist nicht nur eine weitere interessante Facette für unser Bild von der Herrenalber Buchkultur gewonnen, sondern zugleich auch eine Handhabe, womöglich 40 Heinzer/Stamm, Handschriften (wie Anm. 3), S. 45 (mit Nennung der Signaturen) und Abb. 23 (Stempelmaterial) und 27 (Einzelband). 41 Der vom Herrenalber Gregor Hüglin stammende Einband der oben erwähnten Rastatter Inkunabel (s. Anm. 35) ist kein Produkt dieser Werkstatt, sondern eine entsprechend schlichtere, bezeichnenderweise nicht mit Stempelverzierung ausgestattete (Gelegenheits-)Arbeit eines einzelnen. 42 Der bisher ungedruckte Text ist noch in zwei weiteren Handschriften (München, Bayerische Staatsbibl., Cgm 109, und Dillingen, Studienbibliothek, cod. XV 34) überliefert. Näheres dazu Verfasserlexikon, 2. Aufl. (wie Anm. 16) 6, Sp. 443 f. (Kurt Illing). 43 Im Jahrzeitbuch von Maria-Reuthin (nach Gabelkhover, Genealog. Coll. Gen. HStAS, J 2, Nr. 48g IV, f. 1474) taucht innerhalb der umfangreichen Kechler-Einträge zweimal ein Wilhelm auf. Vgl. Friedrich Gand, Das verlorene Seelbuch des Klosters Maria-Reuthin, Böblingen 1979, S. 103 f.
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eine weitere, bisher mit Herrenalb nicht in Zusammenhang gebrachte Handschrift für das Albkloster in Anspruch zu nehmen. Es handelt sich um Ms. Add. 22395 der British Library in London,44 einen 1858 von der Bibliothek erworbenen Codex, der die deutsche Prosafassung des Schachbuchs von Jacobus de Cessolis enthält und ebenfalls die fraglichen Einbandmerkmale aufzuweisen scheint. Daß das Schachbuch kaum je in klösterlichem Überlieferungszusammenhang auftaucht, muß nicht unbedingt gegen Herrenalb sprechen: denkbar wäre auch eine Auftragsarbeit für einen auswärtigen Besteller aus dem Milieu des (adligen) Laienpublikums. Problematischer ist allerdings ein Besitzvermerk aus dem 16. Jahrhundert, der auf das unterfränkische Iphofen (südöstlich von Würzburg) weist, und besonders die Einband-Makulatur (Urkundenfragmente), die sich laut Mitteilung von Nigel Palmer, der die Handschrift in London dankenswerterweise für mich eingesehen hat, auf den Tiroler Raum bezieht. Auf eine weitere Handschrift, die mit dem adligen Umfeld Herrenalbs in Zusammenhang gebracht werden könnte, hat mich Nigel Palmer im Anschluß an die Herrenalber Tagung hingewiesen: Gemeint ist das deutsche Legendar Mscr. 31 2° der Kantonsbibliothek in Luzern,45 das durch ein Allianzwappen Eberstein/Vinstingen auf Blatt 1r mit Bernhard I. von Eberstein (1381–1440) und seiner Gemahlin Agnes von Vinstingen in Zusammenhang gebracht werden kann – ein einsamer, versprengter Rest einstigen Buchbesitzes der Herrenalber (und Frauenalber) Stifterfamilie?
Zusammenfassende Thesen Ich fasse meine Ergebnisse thesenartig zusammen: 1. Die alte klösterliche Buchkultur im Albtal ist nur noch ansatzweise rekonstruierbar. Der Schwerpunkt des Erhaltenen liegt im 15. und frühen 16. Jahrhundert. Hochmittelalterliches ist so gut wie völlig verschol44 Robert Priebsch, Deutsche Handschriften in England 2, Erlangen 1901, S. 189 mit Anm. 1. 45 Zur Handschrift s. Werner Williams-Krapp, Die deutschen und niederländischen Legendare des Mittelalters. Studien zu ihrer Überlieferungs-, Text- u. Wirkungsgeschichte (Texte und Textgeschichte 20), Tübingen 1986, S. 43. – Peter Kamber (Luzern) verdanke ich den Hinweis, daß die Handschrift zwei Wasserzeichen aufweist, welche eine vorsichtige Datierung in die Zeit zwischen 1420 und 1426 gestatten.
500
reformen am vorabend der reformation
len. Eine Ausnahme macht hier nur die Handschrift mit den BernhardBriefen. Als besonderer Aspekt ist der Nachweis einer spätmittelalterlichen Herrenalber Buchbinderwerkstatt hervorzuheben. 2. Hinter diesen heute noch greifbaren Spuren ist als Hauptmotor einmal mehr die spätmittelalterliche Reformbewegung mit ihren produktiven Impulsen für die Buchproduktion zu erkennen – für Frauenalb in Gestalt der über Hirsau vermittelten Bursfelder Reform. 3. Bibliotheken im eigentlichen Sinn, d. h. als Einrichtung der klösterlichen Gemeinschaft, sind allerdings für Herrenalb wie für Frauenalb kaum mehr wirklich zu fassen. Was sich erhalten hat, gehört im Falle Herrenalbs entweder in den Kontext der Sorge um liturgische Bücher für ein Frauenkloster (Lichtenthal) im Rahmen des Paternitätssystems oder zum Bereich des persönlichen Buchbesitzes einzelner Konventsmitglieder. Für Frauenalb gilt letzteres praktisch ausschließlich. 4. Ein Teil der erkannten Verbindungen ist offenbar nicht nur institutionell bedingt, sondern beruht auch auf verwandtschaftlichen Zusammenhängen. Das Beispiel der Handschrift aus Maria-Reuthin deutet an, daß auf dieser Ebene auch Unterschiede in der Ordenszugehörigkeit kein unüberwindbares Hindernis darstellen. Vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, daß eine direkte Verbindung zwischen Herrenalb und der benachbarten „ergänzenden Klostergründung“ der Ebersteiner (Herwig John), Frauenalb also, im Bereich von Buch und Bibliothek bislang nicht nachweisbar ist. Herrenalber und Frauenalber Bücher mischen sich erst in Lichtenthal, am dritten Ort: im Fluchtpunkt also, um dieses Bild noch einmal aufzunehmen.
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501
Anhang: Handschriften aus dem Herrenalber Skriptorium * = Verbleib unbekannt S = Schreiber
I. Handschriften Johannes Zürns (in chronologischer Reihenfolge) 1. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 17 Brevier
Einschübe
o.D.
2. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 29
Brevier
Einzelne Rubriken
o.D.
3. Karlsruhe, BLB, K 3164
Diurnale
ganze Hs.
1468
4. Kat. Trübner 188646, Nr. 29*
Psalter(?)
ab 29r
1470
5. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 18
Brevier
ganze Hs.
1472
6. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 20
Brevier
Einzelne Partien
1472
7. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 41
Diurnale
ganze Hs.
1475
8. Berlin, SBB-PK, Ms. theol. lat. Gebetbuch 4° 9
ganze Hs.
1482/84
9. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 57
Diurnale
Einzelne Partien
1491
10. Kat. Trübner 1886, Nr. 55*
Brevier (?)
ganze Hs.
1491
11. Überlingen, LSB, Ms. 35
Brevier
ganze Hs.
1498
ganze Hs.
1499
12. Berlin, SBB-PK, Ms. theol. lat. Diurnale 8° 13
46 Verzeichniss einer werthvollen Sammlung von Pergament- und Papierhandschriften …, welche am Samstag den 23. Oktober 1886. bei Karl J. Trübner öffentlich versteigert werden, Straßburg 1886. Zu Hintergründen und Verlauf dieser ausschließlich Bücher aus Lichtenthal enthaltenden Auktion vgl. Heinzer/Stamm, Handschriften (wie Anm. 3), S. 22–29.
502
reformen am vorabend der reformation II. Sonstige (nach Bibliotheken geordnet)
13. Baden-Baden, Lichtenthal, Ms. 1–2
Graduale (S: Johannes von Magstadt)
1494
14. Baden-Baden, Lichtenthal, Ms. 102
Decretum Gratiani, Bernhard v. Clairvaux: Epistolae
um 1200
15. Baden-Baden, Lichtenthal, Ms. 103
Regula Benedicti etc.
1465
16. Gilhofer & Ranschburg 1932, Nr. 20*
Prozessionale (S: Wilhelm Kechler für seine Schwester Dorothea in Lichtenthal)
1460
17. Houston Texas, Public Library, Ms 4
Psalter (S: Wilhelm Kechler)
1444/45
18. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 40
Psalter etc. (S: Nikolaus Hirsmann)
1459
19. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 49
Diurnale etc. (S: Nikolaus Hirsmann)
1447
20. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 53
Prozessionale (S: Bernhard Branz)
1467
21. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 54
Prozessionale (S: Bernhard Branz für seine Schwester Dorothea in Lichtenthal)
1463
22. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 72
Vocabularius ex quo (S: Fridericus Fritzmann)
um 1420
23. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 85
Sermones (S: Heinrich von Kaisheim)
1422
24. Stuttgart, WLB, Cod. theol. „Von der hl. Messe“ (für et phil. 8° 30 Elisabeth Kechler in MariaReuthin)
1458
III. Unsichere Stücke 25. Karlsruhe, BLB, Lichtenthal 78
Marquard von Lindau
um 1450
26. London, British Library, Add. 22395
Schachzabelbuch
1464
BÜCHER AUS DER KLAUSUR – DAS WELTABGEWANDTE LEBEN DER PFULLINGER KLARISSEN IM SPIEGEL IHRER BIBLIOTHEK UND SCHREIBTÄTIGKEIT*
Betrachtet man die Altbestände der Württembergischen Landesbibliothek, insbesondere ihre Handschriftensammlung, so ist nicht zu übersehen, in wie starkem Maße sie durch den Zuwachs aus den zu Beginn des 19. Jahrhunderts säkularisierten aufgehobenen Klosterbibliotheken geprägt ist.1 Ohne die Handschriften aus Zwiefalten, Weingarten oder Schöntal – um nur gerade drei besonders gewichtige Komplexe zu nennen – böte die Stuttgarter Handschriftensammlung ein ganz anderes Bild, und dies in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht. Ganz anders stellt sich die Situation hinsichtlich der im 16. Jh., also im Zuge der Reformation, aufgehobenen Klöster dar. Hier klaffen in aller Regel große Lücken, sind meist nur äußerst karge Reste der alten Bestände, oftmals gerade noch eine Handvoll Bücher der einstmals so bedeutenden Bibliotheken greifbar. Das gilt für die großen Abteien wie Hirsau, Alpirsbach, Murrhardt, Maulbronn, Herrenalb, Lorch, Adelberg und andere mehr, aber auch für die Stadtklöster der Bettelorden sieht es kaum besser aus. Damit fällt eine wichtige Quelle für die Frage nach dem spirituellen und kulturellen Klima dieser Klöster und nach den Interessens- und Bildungshorizonten ihrer Mitglieder weitgehend aus, und wir sind oft auf mühsame Spurensuche anhand von ausgesprochen spärlichem und vereinzeltem Material verwiesen.2 Die Pfullinger Klarissen machen da leider keine Ausnahme. * Erstmals erschienen in: Franziskus, Klara und das Pfullinger Kloster (Beiträge zur Pfullinger Geschichte 13), Pfullingen 2003, S. 40–61. 1 Eine umfassende Orientierung zur Säkularisation bietet jetzt der große Katalog der Bad Schussenrieder Jubiläumsausstellung: Alte Klöster – neue Herren. Die Säkularisation im deutschen Südwesten 1803, hrsg. von Volker Himmelein etc., Ostfildern 2003. Zu den bibliotheksgeschichtlichen Aspekten vgl. den Beitrag von Magda Fischer, „Geraubt oder gerettet?“. Die Bibliotheken säkularisierter Klöster in Baden und Württemberg (Bd. 2,2, S. 1263–1296). 2 Ich habe in einigen exemplarischen Fällen versucht, den Ursachen dieses Befundes nachzugehen und die erhaltenen Mosaiksteinchen zusammenzutragen. Vgl. z. B.
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reformen am vorabend der reformation 1. Reste der Klosterbibliothek
Nur ganze wenige Bücher aus dem Besitz der Pfullinger Klarissen sind heute noch greifbar, und zwar in der Stuttgarter Landesbibliothek sowie in der Universitätsbibliothek Tübingen und im Tübinger Wilhelmsstift. Zumindest indirekt hängen auch diese Bände mit der Säkularisation zusammen, denn an ihre heutigen Aufbewahrungsorte gelangten sie durchweg über die eben schon genannten Bibliotheken von Weingarten und Zwiefalten, die in diesen und anderen Fällen zu Auffangbecken für einzelne Bestände aus reformationszeitlich aufgehobenen Klöstern wurden. Es handelt sich dabei um vier Handschriften und ein gutes halbes Dutzend Bände mit Drucken des 15. und frühen 16. Jahrhunderts. Die Ausbeute ist also recht bescheiden; ob weitere Recherchen zu einer Ergänzung dieses Ensembles führen, erscheint allerdings eher fraglich. Hier zunächst ein kurzer Überblick über die Handschriften (alle Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek) 1) HB I 26 (Anfang des 16. Jh., nach 1511) Deutsche geistliche Sammelhandschrift3 Provenienz: über den bedeutenden Tübinger Rechtsprofessor Christoph Besold, der später konvertierte, in die Sammlung seines Vetters, des Tübinger Schloßhauptmanns Nikolaus Ochsenbach, und mit der Ochsenbach-Bibliothek 1659 nach Weingarten4 und von dort später nach Stuttgart Felix Heinzer, Buchkultur und Bibliotheksgeschichte Hirsaus, in: Hirsau St. Peter und Paul 1091–1991, Bd. 2, hrsg. von Klaus Schreiner (Forschungen und Berichte der Archäologie des Mittelalters in Baden-Württemberg 10,2), Stuttgart 1991, S. 259–296; Maulbronn und die Buchkultur Südwestdeutschlands im 12. und 13. Jahrhundert, in: Maulbronn 1147–1997 und die Anfänge der Zisterzienser in Südwestdeutschland, hrsg. von Peter Rückert (Oberrheinische Studien 16), Stuttgart 1999, S. 147–166; Herrenalb – Frauenalb – Lichtenthal: Spurensuche in einem bibliotheksgeschichtlichen Dreieck, in: Herrenalb, hrsg. von Peter Rückert und Hansmartin Schwarzmaier (Oberrheinische Studien 19), Stuttgart 2001, S. 75–88 mit Taf. 40–45 [alle Texte auch in diesem Band]. 3 Nähere Beschreibung: Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 1,1: Codices Ascetici (HB I 1–150), beschr. von Johanne Autenrieth u. Virgil Ernst Fiala, Wiesbaden 1968 (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart 2,1,1), S. 40–42. 4 Zur Geschichte dieser interessanten Büchersammlung vgl. Magda Fischer, Die Handschriften aus dem Besitz des Johann Friedrich Ochsenbach, in: Die Handschriften der ehemaligen Königlichen Hofbibliothek 5, Wiesbaden 1975 (Die Handschriften der
bücher aus der klausur
505
2) HB I 87 (um 1515–1520) Deutsches Gebet- und Andachtsbuch.5 Provenienz: Ochsenbach-Bibliothek (s. Hs. Nr 1.), Weingarten 3) Cod. hist. 4° 177 (um 1500–1505) Statutenbuch, u. a. mit deutscher Fassung der Klarissen-Regel von 1263 (diese auch in HB I 87)6 und den Statuten des Provinzialvikars Johannes von Lahr von 14557 Provenienz: Zwiefalten 4) Cod. theol. et phil. 4° 190 (um 1480) Geistliche Sammelhs., sog. „Pfullinger Liederhandschrift“ aus dem Umfeld des elsässischen Dominikaners Johannes Kreutzer8 Provenienz: Zwiefalten Dazu kommen sieben Bände mit Inkunabeln und Frühdrucken, die alle über Zwiefalten nach Stuttgart gelangt sind,9 also denselben Weg eingeschlagen haben wie die Handschriften Nr. 3 und 4. Mit Ausnahme des Missaledrucks Gi 399 der Tübinger Universitätsbibliothek, der in jeder Hinsicht für sich steht (Näheres später), tragen alle Bände der folgenden Liste, nicht überraschend meist Werke franziskanischer Autoren, den Vermerk ad confessorium, stammen also aus dem „Apparat“ der Pfullinger Beichtväter:
Württembergischen Landesbibliothek 2,5), S. 89–108 (die beiden Pfullinger Bände erwähnt S. 103 und 106). 5 Beschreibung: Autenrieth / Fiala (wie Anm. 3), S. 155–157. 6 Vgl. Norbert R. Wolf, ‚Klarissenregel‘ (mhd. u. mndl.), in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. völlig neu bearb. Aufl. [künftig: 2VL], Bd. 4, Berlin u. New York 1983, Sp. 1184–1187, (die vorliegende alemannische Fassung erwähnt und besprochen Sp. 1185). 7 Vgl. Kurt Ruh, ‚Klarissenstatuten‘, in: 2VL 4 (1983), Sp. 1187–1190, bes. Sp. 1189. 8 Vgl. Volker Honemann, Kreutzer, Johannes, in: 2 VL 5 (1985), Sp. 358–363, sowie Michael Curschmann u. Gisela Kornrumpf, ‚Pfullinger Liederhandschrift‘, in: 2VL 7 (1989), Sp. 584–587. Jetzt auch Volker Kalisch, „Ich bin doch selber ich“. Spuren mystischer Frömmigkeit im geistlichen Liedgut des 15. Jahrhunderts, Düsseldorf 1999, und Hermann Taigel, Die Lieder der Pfullinger Liederhandschrift (um 1470), Reicheneck 2002. 9 Ausgesprochen hilfreich bei dieser Recherche war die von der Universitätsbibliothek Tübingen betreute Datenbank INKA = „Inkunabel-Katalag Deutscher Bibliotheken“ (dort auch nähere Angaben zu den einzelnen Bänden).
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reformen am vorabend der reformation
Tübingen, Universitätsbibliothek Cd 1122 Duns Scotus, Johannes: Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis (lib. I–IX) etc. Venedig: Bonetus Locatellus für Octavianus Scotus, 20. November 1497. 2° (GW 9065) angeb.: Duns Scotus, Johannes: Commentaria in XII libros Methaphysice Aristotelis. Venedig, Simon de Luere für Andreas Torresanus, 6. Mai 1503; Duns Scotus, Johannes: Opusculum praeclarissimum. Conclusiones numero CCCLXXVIII. Venedig, Simon de Luere für Andreas Torresanus, 6. Mai 1503; Trombetta, Antoninus: Opus doctrinae Scoticae in Thomistas. Hrsg. von Johannes Antonius Patavianus. P. 1–4. Venedig: Hieronymus de Paganinis, 15. November (P. 1), 24. Dezember (P. 2) und 8 November (P. 3) 1493. 2° (HC 15645) Provenienz: Zwiefalten Gb 398 Augustinus, Aurelius: De trinitate. [Basel:] Johann Amerbach, 1490. 2° (GW 2928) angeb.: Augustinus, Aurelius: De civitate Dei Basel: Johann Amerbach [u. Johann Petri], 13. Februar 1489. 2° (GW 2887) Provenienz: Zwiefalten Gb 729.2 Pelbartus de Temesvar OFM: Stellarium coronae Beatae Mariae Virginis. Hagenau: Heinrich Gran für Johann Rynman, 2. Mai 1498. 2° (HC 12563) Provenienz: Zwiefalten Gi 399 Missale Romanum. Venedig: Johannes u. Gregorius de Gregoriis, Jacobus Britannicus und Antonius de Stanchis, 31. Januar 1482/83. 8° (HC 4192) Provenienz: Zwiefalten
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Tübingen, Wilhelmsstift Gb 333 Ockham, Guilelmus de: Super IV libros Sententiarum u. a. Lyon: Jean Trechsel, 9.–10. November 1495. 2° (HC 11942) angeb.: Ockham, Guilelmus de: Quodlibeta septem u. a. Straßburg: [Drucker des Jordanus (= Georg Husner)] „nach“ 6. Januar 1491. 2° (HC 11941); Richardus Armachanus: Defensorium curatorum contra eos, qui privilegiatos se dicunt u. a. [Lyon:] Jean Trechsel, 20. Oktober 1496. 2° (HC 13675) Provenienz: Zwiefalten Gb 571 Angelus Carletus OFM: Summa de casibus conscientiae. Nürnberg: Anton Koberger, 28. August 1488. 2° (GW 1927) Provenienz: Zwiefalten Gb 644 Leonardus de Utino, OP: Sermones quadragesimales de legibus dicti. Venedig: Franz Renner u. Nikolaus von Frankfurt, 1473. 2° (H 16117) Provenienz: Zwiefalten Zwei Aspekte sind an dieser Stelle zu unterstreichen: 1. Diese Überreste von Pfullinger Bibliotheksbeständen weisen durchweg in das zeitliche Umfeld der spätmittelalterlichen Reformphase (nach 1461). Zu den Anfängen des Klosters im 13. Jahrhundert gibt es hingegen keinerlei Verbindungslinien. Das kleine Fenster, das sich durch die im Einband der Inkunabel Gb 571 des Wilhelmsstifts (s. oben) gefundenen Fragmente aus dem 12. und frühen 14. Jahrhundert zu öffnen scheint,10 unterliegt starken Vorbehalten: Die Hypothese, hier könnten Reste alter Pfullinger 10 Der nur mit Streicheisen verzierte Einband der Inkunabel Gb 571 des Wilhelmsstifts (s. oben) enthält zwar mehrere handschriftliche Makulaturfragmente: ein Doppelblatt (ca. 26,5 × 17 cm) eines süddeutschen Kalenders (Perg., 15. Jh.); ein unvollständiges Doppelblatt aus einem lat. Psalter (Perg., Mitte 12. Jh.) sowie einige Streifen einer Pergamenthandschrift mit mittelhochdeutschen Versen (wohl aus einer Erlösungslegende, um 1300). Vgl. Thomas Wilhelmi, Wiegendrucke im Tübinger Wilhelmsstift: Katalogisierung mit Überraschungen, in: Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte 5 (1991), S. 7–12, hier S. 9 f.; außerdem auch: 750 Jahre Klarissenkloster der heiligen Cäcilie in Pfullingen. Begleitheft zur Ausstellung vom 14. Juni bis 8. September 2002.
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Bestände greifbar werden, setzt voraus, dass der Einband des späten 15. Jahrhunderts auch in Pfullingen gefertigt worden ist, was zwar denkbar, aber eben nicht schlüssig belegbar ist, und selbst dann bliebe immer noch die Frage nach der ursprünglichen Herkunft der verarbeiteten Handschriftenbruchstücke. 2. Die Bände aus der Handbibliothek der Confessores reflektieren mit ihren inhaltlichen Schwerpunkten – Theologie, Predigt, Beichte – ganz deutlich die Tätigkeitsfelder klösterlicher Seelsorge. Für die Frage nach Bildung und Kultur der Klarissen selbst, geben sie im Grunde kaum etwas her.11 Diese eher schmale Materialgrundlage gestattet zwar durchaus einige interessante Einzelbeobachtungen – an ein geschlossenes bibliotheksgeschichtliches Bild ist aber unter diesen Voraussetzungen nicht zu denken. Es bleibt bei einzelnen Mosaiksteinchen, die manches erahnen lassen und dazu anregen, Linien etwas weiter auszuziehen, welche aber, wie hier von vornherein zu betonen ist, grundsätzlich unter dem Vorbehalt des Hypothetischen stehen müssen. 2. Ein Pfullinger Skriptorium? Von besonderem Interesse sind zunächst die Hinweise auf eine klostereigene Schreibtätigkeit der Pfullinger Klarissen, zumal es gewisse Anzeichen gibt, die auf mehr als nur sporadische Aktivitäten in diesem Bereich zu deuten scheinen. Hauptschreiberin, die in mehreren der erhaltenen Codices begegnet, ist Schwester Katharina von Weil. Ausgangspunkt für alle weiteren über Schriftvergleich erfolgten Zuschreibungen sind ihre 1522 bzw. 1520 datierten Vermerke in HB I 87: Bit got für die schriberin S. Kattherina von Wijl (14r, ähnlich auch noch einmal 109v). Über Herkunft, soziale Stellung und Bildungshintergrund Katharinas wissen wir nichts; möglicherweise ist sie identisch mit der in Pfullinger Archivquellen genann-
Ausstellungskonzeption u. Texte: Raimund Waibel (Beiträge zur Pfullinger Geschichte 11), Pfullingen 2002, S. 24. 11 Insofern ist Raimund Waibels Interpretation der erhaltenen Bibliotheksreste als Hinweis darauf, „dass sich die Pfullinger Klarissen intensiv und wissenschaftlich mit theologischen Fragen auseinandersetzten“ (750 Jahre Klarissenkloster [wie Anm. 10], S. 21), zu relativieren.
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ten Kettrina Schriberin12 (Gatz, S. 242), doch läßt sich leider über ihre Person und ihren Lebensweg vorerst nichts ermitteln. Hier die Anteile Katharinas in den Pfullinger Handschriften: – HB I 26 1r, 7r–8v, 11r, 16v–17r, 19r–23r, 221v – HB I 87 Kalendar (1r–14r), Regel (16r–62r), Marianische Texte etc. 69r–83r (am Schluß Fürbitte für den 1514–1517 als Beichtvater in Pfullingen bezeugten P. Gregor Heilmann)13; Passionstexte etc. 84r–102r und 103r–109v; 153r–156r – Cod. hist. 4° 177 ganz Neben Katharinas Hand finden wir eine Reihe weiterer Hände, in HB I 87 beispielsweise nicht weniger als sechs: A) 64r–68v; B) 83v– 84r; C) 109v–112v (Sr. Margrett)14; D) 113r–114v; E) 115r–136v und 147v– 152v; F) 137r–147r. Bemerkenswert ist dabei, dass sich Katharina mit den übrigen Schreibern und Schreiberinnen zum Teil nur für kurze Stücke abwechselt, wobei im Sammelband HB I 26 der Handwechsel mehrfach (z. B. 8v) mitten im Satz zu beobachten ist.15 Diese Situation (teilweise vergleichbar übrigens auch in den S. 488 diskutierten Handschriften der Frauenalber Nonnen) entspricht in kleinerem Rahmen durchaus dem, was Karin Schneider für das Skriptorium des bedeutenden Reformklosters der Nürnberger Dominikanerinnen von St. Katharina festgestellt hat: „zahlreiche Handschriften [sind] in Gemeinschaftsproduktion geschrieben; die Hände wechseln nicht lagenweise oder zu Ende eines Texts, sondern ganz willkürlich“.16 Beobachtungen dieser Art sprechen dafür, dass auch für Pfullingen zumindest für die Zeit um 1500 mit der Schreibtätigkeit einer ganzen Gruppe, also mit einem eigentlichen Skriptorium gerechnet werden darf. Das ist als erstes Ergebnis dieses Überblicks ein bemerkenswerter Befund. Es liegt nahe, diese Beobachtungen als Ergebnis des klassischen Zusammenhangs von Reform und Verschriftlichungsschub zu interpretieren. Dies gilt vor allem im Blick auf den Sammelband Cod. hist. 4° 12 Johannes Gatz, Pfullingen, Klarissen, in: Alemania Franciscana Antiqua 17, Landshut 1972, S. 169–243, hier S. 242 (leider ohne nähere Angaben zur Quelle). 13 Gatz (wie Anm. 12), S. 217. 14 Nennt sich 112v. Möglicherweise handelt es sich um Margareta Harscherin (Gatz [wie Anm. 12], S. 242), der wir im Zusammenhang mit dem Missaledruck aus Jerusalem (s. unten, Anm. 32) noch einmal begegnen werden. 15 Der Vermerk „Bastarda von einer Hand“ im Handschriftenkatalog (s. Anm. 4) ist entsprechend zu modifizieren. 16 Karin Schneider, Die Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg 1: Die deutschen mittelalterlichen Handschriften, Wiesbaden 1965, S. XIV.
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177, der eine Reihe von fundamentalen Dokumenten zur Verfassung der Klarissen enthält, so nebst der deutschen Klarissenregel auch die um etwa 1455 vom Vikar der Straßburger Provinz der Observanten, Johannes von Lahr, redigierten Reformstatuten (vgl. oben, Anm. 6 und 7). Die Handschrift – erst 50 Jahre nach dem eigentlichen Reformvorgang entstanden! – erscheint wie ein Ausdruck bewußten Erinnerns und erneuten Festschreibens der 1461 in Pfullingen eingeführten Reform. Das Vermächtnis dieser Erneuerung soll bewahrt und künftigen Generationen verläßlich tradiert werden. Im übrigen erscheint es in diesem Zusammenhang auch bemerkenswert, dass Katharina von Weil die in Cod.hist. 4° 177 aufgezeichnete Regel, also den normativen Text schlechthin, in der knapp zwei Jahrzehnte jüngeren Handschrift HB I 87 (16r–53r) erneut kopiert, was nicht nur paläographisch interessante Vergleichsmöglichkeiten eröffnet, sondern als erneutes Indiz für die Nachhaltigkeit des Reformschubs in Pfullingen gewertet werden darf. 3. „Einpildung“ – zur Rolle der Bildlichkeit Es fällt auf, dass nicht weniger als drei der vier erhaltenen Handschriften Bildschmuck in Form von eingeklebten druckgraphischen Blättern aufweisen. Vor allem gilt dies – nicht ganz unerwartet – für die beiden Codices HB I 26 und HB 1 87, die in den Bereich persönlicher Frömmigkeit und Andacht einzuordnen sind. Aber auch die Statutenhandschrift Cod.hist. 4° 177 weist ein solches Bild auf (21v), und zwar handelt es sich um das Bruchstück eines kolorierten Holzschnitts mit der Darstellung der hl. Klara (Abwehr der Sarazenen), das in die Initiale zum 22. Kapitel über die Äbtissin eingefügt worden ist. Die Intention ist offenkundig: Das Bild gibt dem Regeltext eine personalisierende Zuspitzung: Klara selbst ist die exemplarische Äbtissin, an deren Vorbild sich alle späteren Vorsteherinnen auszurichten und zu messen haben. HB I 87 enthält ein kleines Andachtsbildchen (83v), einen Holzschnitt mit der Darstellung des von der heiligen Lanze durchbohrten Herzens Jesu, ein sogenanntes Speerbildchen,17 offenbar ein Produkt 17 Vgl. dazu Karl Richstätter, Die Herz-Jesu-Verehrung des deutschen Mittelalters, München 21924, S. 243; Adolf Spamer, Das kleine Andachtsbild vom XIV. bis zum XX. Jahrhundert, München 1930, S. 36 f. Anläßlich der Nürnberger Heiltumsweisungen, bei
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der Nürnberger Offizin Kaspar Hochfeders, außerdem einen weiteren Holzschnitt (Pfingsten) als Textillustration zu einem Heiliggeist-Gebet (153v). Besonders reich ist die Ausstattung von HB I 26 mit acht druckgraphischen Bildern: nebst zwei Einblattdrucken aus der Pforzheimer Offizin des Thomas Anselm, nicht weniger als sechs kolorierte Holzschnitte aus einem der aufwendigsten Druckwerke des 15. Jahrhunderts: dem „Schatzbehalter“ des Franziskaners Stephan Fridolin. Ein paar Hinweise zu Fridolin und seinem Werk: Der um 1430 in Winnenden geborene Fridolin ist nach seinem Eintritt in den Franziskanerorden in Esslingen, Bamberg und Mainz nachzuweisen, unternimmt dann eine Romreise (die ihm auf dem Rückweg überdies eine Entführung nach Korsika beschert!) und wirkt schließlich – für unser Thema von besonderem Interesse – 16 Jahre lang bis zu seinem Tod im Jahr 1498 als Prediger und Seelsorger für die Klarissen in Nürnberg (mit einer Unterbrechung in Basel, wo er 1487–1489 in gleicher Funktion tätig ist). Der Schatzbehalter enthält eine Folge von Predigten, die Fridolin im Nürnberger Klarissenkloster gehalten und auf Bitten einer Zuhörerin in schriftlicher Form zusammengestellt und publiziert hat. Das Werk spiegelt die Entstehungssituation der Fridolinschen Predigten, die keineswegs nur an die Klarissen adressiert waren, sondern an eine Predigtgemeinde, die auch nichtklösterliche Gottesdienstbesucher, also „ein am städtischen Leben partizipierendes, nicht im Orden lebendes Publikum“ umfaßte.18 Immerhin stammen aber zwei der drei erhaltenen Exemplare, über deren Bibliotheksheimat im 15./16. Jahrhundert wir Bescheid wissen, aus Klosterbibliotheken: nämlich aus dem Nürnberger Klarissenkloster und der Laienbibliothek der Basler Kartause.19 Die Pfullinger Blätter, die ja zumindest ein fragmentarisch verfügbares Exemplar voraussetzen, wären daher ebenfalls auf das Konto klösterlichen Gebrauchszusammenhangs zu verbuchen; bei Seegets sind sie unberücksichtigt geblieben. der auch die Heilige Lanze gezeigt wurde, erfolgte die Durchstoßung dieser Bildchen mit der Reliquie (Hinweise zu diesem Blättchen verdanke ich der Kompetenz und Freundlichkeit von Sabine Griese, Münster). 18 Petra Seegets, Passionstheologie und Passionsfrömmigkeit im ausgehenden Mittelalter. Der Nürnberger Franziskaner Stephan Fridolin (gest. 1498) zwischen Kloster und Stadt, Tübingen 1998, hier S. 45 und 205–213. 19 Seegets (wie Anm. 18), S. 45 f.
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Gedruckt wurde der Schatzbehalter bei Koberger in Nürnberg (vollendet am 8. November 1491).20 Mit 352 Blatt im Folioformat und 96 ganzseitigen Holzschnitten von Michael Wolgemut und Hans Pleydenwurff ist das Werk eines der aufwendigsten Druckprojekte der Inkunabelzeit, von dem heute noch ca. 140 Exemplare nachweisbar sind.21 Über die ursprüngliche Herkunft und das Schicksal des ausgeschlachteten Bandes, der hinter den Bruchstücken in der Pfullinger Handschrift steht, wissen wir nichts. Immerhin erscheint es bemerkenswert, dass unter den 7 erhaltenen Inkunabel- und Frühdruckbänden nicht weniger als zwei mit Einbänden des Nürnberger Franziskanerklosters22 versehen sind (nämlich die Bände Cd 1122 der Tübinger Universitätsbibliothek und Gb 644 des Wilhelmstifts). Buchimporte aus Nürnberg, dem Druckort des Schatzbehalters, waren also für Pfullingen offenbar durchaus nichts Außergewöhnliches, und damit eröffnet sich auch eine relativ naheliegende Transferschiene für die in HB I 26 eingefügten Blätter, zumal auch die Nürnberger Provenienz des Speerblättchens in HB I 87 in dieselbe Richtung weist. Fridolins Werk, in dessen Zentrum die Betrachtung des Leidens Christ steht (den Hauptteil bilden die als zweites Buch zusammengefassten einhundert „Gegenwürfe“, also Betrachtungsgegenstände, zum Leiden Christi), stützt sich ganz wesentlich auf die Kraft der Bilder. Diese sind nicht einfach nur schmückendes Begleitwerk zum Text, sondern stehen diesem gleichberechtigt zur Seite und fungieren in gewisser Weise selbst als Text.23 Sie fördern, wie Fridolin in seiner Vorrede formuliert, sowohl das Verständnis des zur Debatte stehenden Gegenstands als auch seine Bewahrung im Gedächtnis in ganz spezifischer Weise, indem sie diesen Gegenstand im betrachtenden Leser gleichsam habitualisierend „einbilden“: „Es ist auch ze wissen, das ettlich gegenwuerff von pildwerck figuren haben umb der layen willen, fuer die diss buechlein allermaist entworffen ist, auff das, das die, die sunst nit geschrifft oder puecher haben, sich
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Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Nr.10329. Seegets (wie Anm. 18), S. 169–176. 22 Ernst Kyriss, Verzierte gotische Einbände im alten deutschen Sprachgebiet, Textbd. und Tafelbd. 1, Stuttgart 1951–1953, Werkstatt Nr. 24. 23 Grundlegend zu diesem Thema: Jeffrey F. Hamburger, The Visual and the Visionary. Art and Female Spirituality in Late Medieval Germany, New York 1998, bes. S. 13–34. 21
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dester bas behelffen muegen in der verstentnus und behaltung diser gegenwuerf durch die auslegung und einpildung sollicher figuren.“24 In der Pfullinger Handschrift ist diese Funktion der Bilder womöglich noch gesteigert, denn sie sind hier aus ihrem ursprünglichen TextBild-Zusammenhang herausgelöst. Man traut ihnen autonome Wirkung zu: „behaltung und einpildung“ aus sich selbst, ohne direkte Anbindung an ihre ursprüngliche Umgebung. Der neue Zusammenhang, in den die Bilder eingebettet werden, bleibt zwar ein religiöser, doch bietet HB I 26 im Gegensatz zur homogenen Situation des Schatzbehalters eine buntes Mosaik unterschiedlicher geistlicher Texte (alle in deutscher Sprache): 1) 1r–32v Petrus von Ailly: Betrachtung über die Tugenden des hl. Joseph25 2) 32v–36v Predigt von den zwölf Tugenden Abrahams 3) 37r–72v Leben der hl. Agnes von Prag26 4) 72v–74v Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1452 5) 75r–214v Auszüge aus dem bekannten Pilgerbericht des Ulmer Dominikaners Felix Fabri von seiner Fahrt ins Heilige Land, in zwei Teile gegliedert27 6) 214v–240r Zusammenstellung erbaulicher Exempelgeschichten und Wundererzählungen Die Fragmente aus dem Schatzbehalter, mit einer Ausnahme Blätter mit je einem Bild auf der Vorder- und auf der Rückseite,28 sind meist an den Nahtstellen dieser Texte zwischengeschaltet. Das beginnt mit 24
Schatzbehalter, f4 vb (Hervorhebung im Text von mir). Der 1350 in Compiègne geborene, 1420 in Avignon verstorbene Theologe, später auch Bischof von Cambrai, wurde 1413 zum apostolischen Legaten für Deutschland ernannt und nahm als solcher mit seinem Schüler Johannes Gerson am Konstanzer Konzil teil. Seine Rezeption im deutschen Sprachraum blieb anscheinend ein eher punktuelles Phänomen. Vgl. zum Ganzen Karin Schneider, Petrus de Alliaco, in: 2VL 7 (1989), 496–499 (ohne Kenntnis der vorliegenden Übersetzung). 26 Tochter König Ottokars I. von Böhmen, geb. 1205, 1234 in das von ihr gestiftete Klarissenkloster in Prag eingetreten. Zu Form und Inhalt des offenkundig nach dem Vorbild der Franziskus-Vita angelegten Texts und zu dessen deutschen Übertragungen vgl. Kurt Ruh, ‚Agnes von Böhmen‘ (von Prag), in: 2VL 1 (1978), Sp. 82–84. 27 Abschrift davon in der ebenfalls aus einem süddeutschen Frauenkloster (Klarissen?) stammenden Handschrift Wolfenbüttel 18.14 Aug. 4°, 1r–203r. Vgl. jetzt Randall Herz, Die ‚Reise ins gelobte Land‘ Hans Tuchers des Älteren (1479–1480), Wiesbaden 2002 (Wissensliteratur im Mittelalter 38), S. 139 f. 28 Nur das letzte der eingefügten Blätter (in der Handschrift Bl. 231a) ist einseitig bebildert; der rückseitige Text wurde beim Einbinden in die Handschrift überklebt. – 25
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dem Blatt z2 des Schatzbehalters, das der Handschrift wie ein Vorsatzblatt vorgeheftet ist. Es zeigt auf der Vorderseite Christus inmitten der 24 Ältesten der Apokalypse (71. Figur des Schatzbehalters) und auf der Rückseite die Fußwaschung (Fig. 46). Ein illustrativer Bezug zum anschließenden Beginn der Josephs-Betrachtungen des Petrus von Ailly fehlt völlig. Gleiches gilt für die folgenden beiden Blätter: Bl. 36a (Fig. 55 / 56: Befreiung Jojachims / Vernichtung der Ägypter im Roten Meer) zwischen Text 1) und 2) und Bl. 74a (Fig. 28 / 29: Herodes und die drei Weisen / Tötung Johannes des Täufers) zwischen Text 4) und 5). Einen freilich nur sehr allgemeinen Bezug zum Text könnte man allenfalls bei Bl. 138a erkennen, das zu Beginn des zweiten Teils von Felix Fabris Pilgerbericht, also in Text 5), eingefügt worden ist. Das Blatt enthält die Figuren 18 u. 17 (Isaaks Opferung und die Verheißung von Isaaks Geburt an Abraham durch den dreifaltigen Gott in Gestalt dreier Engel an Abraham). Die Verbindung geht allerdings nicht über den sehr allgemeinen Zusammenhang hinaus, daß das von Fabri besuchte heilige Land auch die Heimat der alttestamentlichen Patriarchen war. So bestätigt sich also die Stellung dieser Holzschnitte als eigenständiger Andachtsbilder, die nicht mehr – wie in ihrer urspünglichen Funktion im Schatzbehalter – als Teile eines Zyklus, sondern als isolierte, „de-kontextualisierte“ Einzelbilder auftreten – im buchstäblichen Sinne „aufgehoben“ und wie kostbare Edelsteine in den neuen Buchzusammenhang eingefügt. In dieser Zweitverwendung haben sie eine analoge Funktion wie die beiden von vornherein als autonome Bilder konzipierten Einblattdrucke, die ebenfalls in die Handschrift eingefügt worden sind (10v und 121v): zwei Marienbilder, die an ganz alte Traditionen bildlicher Vergegenwärtigung anknüpfen. Besonders der Holzschnitt 10v transportiert dezidiert die Vorstellung einer „ikonischen“ Präsenz der dargestellten Person, will er doch, wie die Umschrift betont, Maria so zeigen, wie sie gemalt der Ewangelist S. Lux (Lukas), welch heilig gemeld ist zu Rom, und der Begleittext unterhalb der zweiten Graphik, der die sybenförmige grüssung des hl. Bernhard vor der Marienstatue im Speyerer Dom zur Nachahmung empfiehlt, impliziert ebenfalls eine performative, begegnungsstiftende Funktion der Bilddarstellung. Bilder als mediale Habitualisierungsinstrumente von Frömmigkeit – wie Jeffrey Hamburger gerade im Hinblick auf weibliche KlostergeIm Zuge der Anpassung an das etwas kleinere Format der Handschrift wurden die Blätter beschnitten, so dass die gedruckten Überschriften nicht mehr vorhanden sind.
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meinschaften formuliert hat: „images … used as instruments of commemoration, prayer, and devotion“29 – hatten auch in der Abgeschiedenheit der Pfullinger Klarissen Konjunktur. Die erhaltenen Bücher aus ihrer Bibliothek weisen jedenfalls in diese Richtung. 4. „Terra sancta“ Raimund Waibel hat im Begleitheft zur Jubiläums-Ausstellung bereits darauf hingewiesen, dass die Texte in HB I 26, besonders der eben erwähnte Pilgerfahrtsbericht Felix Fabris, ein besonderes Interesse am Heiligen Land zu bezeugen scheinen.30 Einen weiteren Hinweis in diese Richtung bietet das schon erwähnte kleine Missal Romanum, das über Zwiefalten in die Universitätsbibliothek Tübingen gelangt ist. Das Anfang der achtziger Jahre des 15. Jahrhunderts in Venedig gedruckte und mit einem italienischen Einband versehene Buch scheint in Pfullingen geradezu den Status einer Reliquie genossen zu haben, wie eine handschriftliche Notiz auf dem hinteren Vorsatz erkennen läßt. Hier ist zu lesen: Der würdig vatter Cherubin Harscher hat diß meßbüchlin seiner swester Margreta Harscherin gelassen zu brauchen zu jrem trost von liebe wegen. Er hat oft darin gelesen in dem h. land, da er gardian zu dem hl. Grab war,31 da ist diß büchlin offt gelegen uff dem altarstein des hl. Grabes und also hat es vil hl. stett und heiltumb berührt, darum soll man es nit verschenken sunder es in eren han und den swestern zu trost lassen, sunder den die es kundent versten und die von sinem geschlecht in diß selig Gotzhus kaemend und bittend Got für in und mich sine arme lybliche swester.32
Hamburger (wie Anm. 23), S. 29. 750 Jahre Klarissenkloster (wie Anm. 10), S. 9. 31 Vgl. Leonhard Lemmens, Die Franziskaner im hl. Lande, Münster i.W. 1916 (Franziskanische Studien. Beiheft 4), bes. S. 148–151 zur Funktion der Franziskaner als Hüter der Grabeskirche und des dortigen Altars. Cherubin Harscher wird bei Lemmens allerdings nicht erwähnt. 32 Gatz (wie Anm. 12), S. 212. – Über Cherubin Harscher war bisher leider nichts Weiteres zu ermitteln (s. auch Anm. 31); Margarete Harscher (s. auch oben Anm. 14) stirbt 1505 in Pfullingen (Gatz [wie Anm. 12], S. 212 und 242). Es handelt sich wohl um dieselbe Ulmer Patrizierfamilie, der auch der von Eberhard im Bart für die Zeit der Pilgerfahrt von 1468 in seinen Regimentsrat berufene Hans Harscher angehört (vielleicht Cherubins und Margaretes Vater? – vgl. zu diesem Gerhard Faix, Die Pilgerfahrt Eberhards im Kontext der Landesherrschaft, in: Eberhard im Bart und die Wallfahrt nach Jerusalem im späten Mittelalter, hrsg. von Gerhard Faix und Folker Reichert, Stuttgart 1998, S. 65 und 67). 29 30
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Das Buch hat vil hl. stett berührt – das ist der entscheidende Satz in dieser Notiz. Die geradezu körperliche Konkretheit des Bezugs zu den Orten des Erdenlebens Christi – den Stätten, die er mit sinen hailigen fußtritten und mit sinem kostlichen blut hat gehailiget,33 – ist für den mittelalterlichen Menschen von fundamentaler Bedeutung. Über Cherubin Harschers Missale, das dieser als Guardian der Jerusalemer Grabeskirche auf dem dortigen Altar benutzt hatte, wußten sich die Pfullinger Klarissen gleichsam in unmittelbarem Kontakt mit dem Grab Christi selbst! Die Sehnsucht nach physischer Verbindung mit den Schauplätzen des irdischen Lebens und Sterbens Jesu, die hier spürbar wird, hat im späteren Mittelalter, v.a. in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einem fast schon boomartigen Anschwellen der Pilgerfahrten nach Jerusalem geführt.34 Vor allem Vertreter des hohen Adels (Eberhard im Bart mit seiner bekannte Wallfahrt von 1468 sei als prominentestes Beispiel für den württembergischen Raum genannt),35 aber auch vornehme Bürger und Kleriker stellen das hauptsächliche Personal der zahllosen Pilgerberichte, die sich aus dieser Zeit erhalten haben. Klosterfrauen hingegen waren von vornherein ausgeschlossen von dieser Bewegung, zumal wenn sie wie die Pfullinger Klarissen in strenger, jede Mobilität verhindernder Klausur lebten. Vor diesem Hintergrund ist die Verehrung für das Meßbuch aus der Heiliggrab-Kirche erst richtig zu verstehen und einzuschätzen. Genau diese Situation führt auch dazu, dass man sich das Heilige Land mit seinen Stätten gleichsam ins Kloster holt und im Inneren der Klausur inszeniert. Schon bei Bernhard von Clairvaux findet sich der bemerkenswerte Satz: Claravallis … est Jerusalem36 – will sagen: wer im Kloster lebt, hat Anteil an jener Gnade, die der fromme Pilger in Palästina sucht. Das 15. Jahrhundert formt dies noch konkreter aus: sei es in Andachten wie der in elsässischen Klöstern praktizierten „geistlichen Meerfahrt“ oder gar so leibhaftig wie die Villinger Klarissen (damit sind wir in nächster Nähe zu den Pfullinger Frauen!), deren Reformäbtissin Ursula Haider um 1490 in ihrem Kloster die heiligen Stätten Jerusalems, des Berges Sinai und Roms in Form von steinernen Tafeln einrichten ließ, für deren andächtigen Besuch sie von Papst So Felix Fabri zu Beginn seiner „Sionspilgerin“ (s. unten, mit Anm. 38). Vor allem in der Zeit zwischen 1450 und 1500. Vgl. die Angaben bei Folker Reichert, Eberhard im Bart und die Wallfahrt nach Jerusalem im späten Mittelalter in: Faix / Reichert [wie Anm. 32], S. 9. 35 Dazu jetzt Reichert / Faix (wie Anm. 32). 36 Reichert (wie Anm. 34), S. 10 mit Anm. 6. 33 34
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Innozenz VIII. die gleichen Ablaßvergünstigungen erlangte, die den Pilgern an Ort und Stelle zugesichert waren.37 Eine Andachtsanleitung für die Karwoche aus dem Jahr 1659 zeigt, dass diese Praxis bis in die frühe Neuzeit anhielt. Daß in Pfullingen Ähnliches praktiziert wurde, ist offenbar nicht belegt. Immerhin erscheint die Aufnahme von Felix Fabris Bericht über seine Pilgerfahrt von 1483 in die Sammelhandschrift HB I 26, in einen durch und durch geistlich geprägten Kontext also, vor diesem Hintergrund noch einmal in einem anderen Licht: Hat man diesen Text nicht vielleicht doch in erster Linie als „Drehbuch“ für eine innere, geistliche Pilgerfahrt gelesen? Fabri selbst hat ja für die Ulmer Dominikanerinnen, die er betreute, 1492 einen Auszug seines Berichts verfaßt, der unter dem Titel „Sionspilgerin“ dazu anleiten soll, wie ain geistliche iunckfrow oder ain ander andechtig from still mensch die heiligen pilgerfertt sol verbringen on leiplich ußschweifung.38 Haben die Pfullinger Schwestern ein Exemplar dieses Texts besessen? Fast möchte man es vermuten – die spärlichen Reste ihrer Büchersammlung bieten dafür aber keinen sicheren Beleg. 5. Alma Redemptoris Mater Kehren wir noch einmal kurz zurück zu HB I 26. Im Schlußteil, unter den dort zusammengetragenen Exempeln und Mirakeln findet sich ein interessanter Text zu der marianischen Antiphon Alma Redemptoris Mater, die seit dem 13. Jahrhundert meist dem großen Reichenauer Mönch Hermann dem Lahmen zugeschrieben wird.39 Die Zuweisung wird in einer Legende, die in fünf Handschriften des 15. Jahrhunderts aus dem südwestdeutschen Raum überliefert ist, mit einer Reise nach Köln in Verbindung gebracht, bei der Hermann angeblich vom Rauschen und Klappern von Mühlrädern am Rhein zur Kreation dieses
37 Renate Stegmaier-Breinlinger, „Die hailigen Stett Rom und Jerusalem“. Reste einer Ablaßsammlung im Bickenkloster in Villingen, in: Freiburger Diözesan-Archiv 91 (1971), S. 176–201. 38 Felix Fabri: Die Sionpilger, hrsg. von Wieland Carls, Berlin 1999 (das Zitat aus der Einleitung von Fabris Text, S. 77 der Edition von Carls). 39 Nach heutiger Forschung könnte das Stück schon im späten 9. Jh., also lange vor Hermann, entstanden sein. Vgl. Franz Brunhölzl, Zur Antiphon „Alma redemptoris mater“, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 78 (1967), S. 321–324.
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Gesangs inspiriert worden sei.40 Bemerkenswerterweise wird die lateinische Fassung dieser Geschichte nicht etwa in hagiographischem, sondern in musiktheoretischem Kontext überliefert, nämlich im Rahmen der Kommentierung des Traktats „Flores musicae“ des Reutlinger Klerikers Hugo von Spechtshart. Der Antiphon (bzw. deren Initium) ist dort jeweils ein kurzer einleitender Gesang vorangestellt, der das Entstehungsszenario beschreiben soll und ebenfalls Hermann zugewiesen wird (Dum starem supra ripam Reni fluminis…). Eine Fassung dieser Legende in deutscher Sprache erscheint nun auch in unserer Pfullinger Handschrift, worauf Wolfgang Irtenkauf 1967 erstmals hingewiesen hat.41 Hier der Text im Wortlaut: …Under vil hüpschen dingen die er [nämlich Hermann] macht… macht er och disen Antiphon „Alma redemptoris mater“ mit sölcher wyß und hie nachfolgender geschicht: Es begab sich dass er by dem wasser des Rins vilicht spazierens oder ergetzlicheit halb ging als vil er mocht. Und hort da daz kirben und karren der nün mülreder von welchen ußgingen mangerley stimmen. Uß disem ward sin gemüt erweckt und geducht in er würd gezogen zu singen etwaz quinti toni. Also bald hub er an mit uffgeflogener verstentnus und durchwürckung des heiligen Geists und macht diesen Antiphon Alma redemptoris mater. Und sagt da vor dem bischoff an der stat also: ‚Dum starem supra ripam Reni fluminis‘ etc. Daruff denn eben get im anfachen die ant. ‚Alma‘ [Zusatz:] Diß hab ich darum gemacht dass man in künfftig zit wiß wie die ant. ein ursprung hab.
Die Ursprungslegende soll nicht nur erklären und Authentizität beglaubigen, sondern sie will zugleich Verbindung zu dieser Entstehungssituation herstellen und diese gleichsam in die Gegenwart hereinholen – eine Überwindung und Annullierung des zeitlichen Abstands, die man gewisser Weise als Analogie zum Bemühen um die Überwindung räumlicher Distanz in der geistlichen Pilgerfahrt sehen könnte. Es erscheint im übrigen keineswegs zufällig, dass der vorliegende Text gerade in Pfullingen auftaucht. Die Nähe zu Reutlingen, dem Entstehungsort von Hugo Spechtsharts Werk, dürfte hier eine Rolle spielen. Vielleicht hatte man sogar Zugang zu einer Handschrift der „Flores“. Überhaupt möchte ich das Stück – mit aller Vorsicht – gerne als Beleg für die geistigen Interessen und das Rezeptionsverhalten der Pfullinger Klarissen – und entsprechend auch als Hinweis auf heute nicht mehr vorhandene Bibliotheksbestände! – verbuchen. Wenn denn 40 Jacques Handschin, Hermannus Contractus-Legenden nur Legenden?, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 72 (1935), S. 1–8. 41 Wolfgang Irtenkauf, Mirakel und Musik im Mittelalter, in: Die Musikforschung 17 (1964), S. 34–39.
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die Kompilation tatsächlich hier entstanden sein sollte, hätte der Autor oder die Autorin im übrigen auch eine (bisher nicht identifizierte) „Cronick von dem öbern Schwabenland“ zur Verfügung haben müssen, denn auf eine solche rekurrieren die einleitenden Ausführungen zur Abstammung und Jugend Hermanns. Ein zweites, an die Hermann-Legende anschließendes Exempel zu Alma redemptoris ist dem „Fortalitium Fidei“ des spanischen Franziskaners Alphonsus de Spina, einem stark antisemitisch akzentuierten Häretik-Traktat, entnommen.42 Möglicherweise war dieses Werk, das im 15. Jahrhundert in mehreren gedruckten Ausgaben auf den Markt kam, ebenfalls in der Pfullinger Bibliothek vorhanden. 6. Kontrafaktur Abschließend wenigstens ein paar Worte zu der bekanntesten Handschrift aus der Bibliothek der Klarissen, der sog. „Pfullinger Liederhandschrift“ (Stuttgart, WLB, Cod. theol. et phil. 4° 190) – eine Bezeichnung, die allerdings in doppelter Weise missverständlich sein könnte: Zum einen, weil die Handschrift nicht in Pfullingen entstanden ist, sondern als Importstück von auswärts – vermutlich aus dem Elsaß – hierher kam, und zum andern, weil der Titel „Liederhandschrift“ den Charakter des Buchs nur sehr bedingt trifft. Das eigentliche Corpus besteht aus geistlichen Betrachtungen, die wohl zumeist dem 1468 verstorbenen elsässischen Dominikaner Johannes Kreutzer zuzuweisen sind;43 die Lieder hingegen, genauer: die Liedtexte (Melodien sind keine enthalten!), bilden nur einen vergleichsweise kurzen Anhang von 10 Blättern. Die Überschriften der Traktate – geistlicher Mai, geistlicher Sommer, geistlicher Herbst (im Sinne der Weinlese) – deuten an, dass diese Texte stark von der Bilder- und Gedankenwelt der Hohelied-Mystik geprägt sind, die für Kreutzers Spiritualität zentrale Bedeutung hat. Inwieweit die Lieder ebenfalls mit Kreutzer zusammenhängen, bedarf noch der Klärung. Es handelt sich dabei um sogenannte Kontrafakturen, d. h. geistliche Umtextierungen bereits bekannter, weltlicher Lieder – wie beim letzten dieser Lieder (von anderer Hand nachgetragen) 42 Auch dieses ist in der bereits erwähnten Wolfenbütteler Handschrift enthalten (s. Herz [wie Anm. 27]), S. 141. 43 Vgl. oben, Anm. 8.
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in der Überschrift ausdrücklich gesagt wird: Contrafäct uff einen geistlichen sinn. Gerade dieses Beispiel führt diesen Umformungsprozeß vom Weltlichen zum Geistlichen besonders prononciert vor Augen, handelt es sich doch um die Kontrafaktur des sog. „Pfaffenliedleins“, eines offenbar weit verbreiteten Spottliedes: Der Bauer, der seine Frau verloren hat, muß sie im Pfarrhaus suchen gehen – eine Satire, welche zugleich Mißstände im zölibatären Klerus und bäuerliche Einfalt aufs Korn nimmt.44 Das richtige Funktionieren der Kontrafaktur (oder allgemeiner gesagt: der Parodie) setzt natürlich die Kenntnis des parodierten Stücks voraus. Die Handschrift bietet den entsprechenden Hinweis, indem sie den Anfang des parodierten weltlichen Lieds zitiert (Es hat ein mann sin wip verlorn) – damit ist der zeitgenössische Rezipient offenbar ausreichend informiert. Eine Gegenüberstellung der jeweils ersten Strophen soll das technische Verfahren demonstrieren: Formal prägende Aspekte wie Melodie, Anzahl der Verse und weitgehend auch die Reimworte, vor allem am refrainartigen Schluß, bleiben unverändert; zugleich erfolgt eine inhaltliche Umakzentuierung über den Austausch tragender Satzteile gegen andere, die neue (spirituelle) Konnotation deutlich signalisierende Begriffe – geradezu exemplarisch nachvollziehbar in der ersten Zeile an Subjekt und Objekt des Satzes, wo man (bzw. in anderer Überlieferung bawr) durch mönsch und wip durch gotts huld ersetzt werden. Es hat ein mann sin wip verloren er kunnt sie nimmer finden. Er klopfet an den pfarrhof an: „habt ihr mein frewlein drinnen“? Habt ir mein frewlein eingetan, so laßt sie wider ußer gan! Last uß, last uß! Ich darf ir selbs im huß
Es hat ein mönsch gotts huld verloren das schuff sin große sünde. Er gieng zu eim priester ußerkorn Er tet’s doch im verkünden Der priester sprach: Nu volg Du mir Und loß die sünd, das rot ich dir Trib uß, trib uß! Jesus besitzt din huß
Aus dem antiklerikalen Spottlied wird eine Katechese, die über einen ausgedehnten Dialog von insgesamt 11 Strophen hinweg den ratsuchenden Sünder zur Buße aufruft. Ähnlich gebaut ist auch die Kontrafaktur eines bekannten Trinkliedes, des sog. „Muskatellerlieds“ von Ivo de Vento: Den liebsten bulen den 44 Vgl. zum Ganzen Uwe Ruberg, contrafact uff einen geistlichen sinn – Liedkontrafaktur als Deutungsweg zum Spiritualsinn?, in: Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters, hrsg. von Klaus Grubmüller u. a., München 1984, S. 69–82, bes. S. 72 f.
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ich han, der ist mit reifen bunden wird umtextiert zu Den liebsten herren den ich han, der ist mit lieb gebunden: Anstelle des im Keller liegenden Weinfasses mit seiner berauschenden Kraft wird nun der Gekreuzigte, der durch sein vergossenes Blut Heil und Leben wirkt, besungen. Erneut ist das Hohelied wie schon im Prosateil der Handschrift die Folie dieser geistlichen Allegorese. Ob und in welcher Form die Rezeption dieser „Lieder“ in Pfullingen in der alltäglichen Lebenspraxis des Klosters funktioniert hat, wissen wir nicht. Haben wir uns private Lektüre einzelner Schwestern vorzustellen oder aber Vorlesen im Konvent oder gar gemeinsames Singen? Diese Frage muß offenbleiben. Das liedli hie ein ende hatt zu hymmelischen eren, heißt es in der Schlußstrophe der Pfaffenlied-Kontrafaktur, und weiter: Hilff hochgelopte trinitat / daz wir von sünden keren / Ach hymmelische kaiserin / hilff uns zu den gnaden din / In din rych, dyn rich / ganz ymmer ewicklich. Finis. Damit ist Richtung und direktives Ziel der Umdeutung klar vorgegeben – im Sinne der zentralen Lebensprogrammatik der Pfullinger Klarissen. Wir könnten dieses Ziel als Grenzüberschreitung, als Transzendierung des in der Erfahrungswelt hier und jetzt Vorgegebenen umschreiben – ein Stichwort, unter das sich letztlich alles, was wir an Beobachtungen zu den Pfullinger Bücherresten gesammelt haben, subsumieren ließe: – die Rolle der Bildlichkeit als Impuls für eine imaginierende Andacht – der verinnerlichende Nachvollzug in der „geistlichen Pilgerfahrt“ – der Zeitsprung aus der Gegenwart in die Vergangenheit beim Exempel der marianischen Antiphon – die Kontrafaktur im Sinne eines allegorischen Lesens des Weltlichen als Figur des Geistlichen Bücher haben grundsätzlich das Potential zu solcher Transzendierung, denn sie haben die Macht, in ihren Lesern einen von der äußeren Situation unabhängigen Innenraum zu kreieren. Im Kontext klösterlicher Klausur kommt ihnen diese Funktion noch in gesteigertem Maße zu. Die Mauer des radikalen „Begrabenseins für die Welt“, wie Klara von Assisi die Beschließung ihrer Schwestern verstanden hat, konnten und wollten die Bücher der Klarissen nicht niederreißen (das wird zwanzig Jahre nach dem Wirken Katharinas von Weil und ihrer Gefährtinnen in radikaler Weise die Reformation tun), wohl aber dazu beitragen, die äußere Begrenzung auf eine innere Weite hin zu öffnen und jenen spirituellen Innenraum zu stiften, der Klausur erst
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sinnerfüllt machen kann. Ob und in welchem Maße die Pfullinger Frauen dabei zu der Erfahrung vorgedrungen sind, ihre (im Idealfall frei gewählte) Eingeschlossenheit als Freiheit zu erfahren – die „Kontrafaktur“ schlechthin –, darüber sagen diese Bücher nichts aus. Sie sind immerhin Wegweiser, wenn auch fragmentarische und semantisch durchaus offene, in diese Richtung.
DIE LORCHER CHORBÜCHER IM SPANNUNGSFELD VON KLÖSTERLICHER REFORM UND LANDESHERRLICHEM ANSPRUCH*
Es gehört zu den fast schon als ironisch zu bezeichnenden Merkwürdigkeiten der Geschichte von Kloster Lorch, dass es die ihm von der Intention des Stifters zugedachte Mission als Hauskloster und damit auch als Gedächtnis-Ort seines Geschlechts erst in der Retrospektive des späten Mittelalters, also kurz vor seiner Auflösung, und in noch emphatischerer Weise im Grunde erst in der Nachwirkung – im Phänomen neuzeitlicher, bis heute nachklingender Stauferbegeisterung – zu realisieren vermochte. Außer dem Stifter selbst, Herzog Friedrich I. von Schwaben, finden sich unter den hier bestatteten Glieder des Geschlechts kaum bedeutende Namen. Der erste staufische König, Konrad III., einer der Söhne Friedrichs, hatte zwar den Wunsch geäußert, in der neuen Grablege beigesetzt zu werden, wurde dann aber doch in Bamberg begraben. Und auch von den späteren Stauferkönigen und -kaisern fand keiner seine letzte Ruhestätte in Lorch: Ihre Gräber liegen weit verstreut in Deutschland und Italien. So ist es nicht verwunderlich, dass Lorch nie zu überregionaler Größe aufstieg und zumal nach dem Aussterben der Staufer mit König Konradins Hinrichtung in Neapel im Oktober 1268 vollends in provinzielle Durchschnittlichkeit absank. Erst der Anschluss an die Melker Reformbewegung im Jahre 1462 brachte Lorch noch einmal eine späte Blüte, die in verschiedener Hinsicht ihre Spuren hinterlassen hat. Insbesondere die bauliche Umgestaltung von Kirche und Kloster, vor allem aber drei imposante, reich ausgestattete Chorbücher, ein Graduale und zwei Antiphonarien, sind hier als markanteste Ergebnisse dieses Vorgangs zu nennen. Sie werden seit
* Erstmals erschienen in: 900 Jahre Kloster Lorch. Eine staufische Gründung vom Aufbruch zur Reform, hrsg. von Felix Heinzer, Robert Kretzschmar und Peter Rückert, Stuttgart 2004.
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dem späten 18. Jahrhundert unter den Signaturen Cod. mus. I 2° 63–65 in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart aufbewahrt.1 Beim Blick auf den Verlauf des Anschlusses Lorchs an die Melker Bewegung auffallen, dass die drei Chorbücher zu einem relativ späten Zeitpunkt entstanden, nämlich in den Jahren 1510–15122; Lorch gehörte damals, wie Klaus Graf zu Recht angemerkt hat, „immerhin bereits seit einem halben Jahrhundert (seit 1462) zu den Reformklöstern“3 – eine durchaus bemerkenswerte zeitliche Differenz, über die nachzudenken ist.
I Eine wesentliche Voraussetzung für diese Situation liegt im Selbstverständnis der Melker Reform. Es gehört, wie Joachim Angerer mehrfach betont hat, grundsätzlich zu den „Reformprinzipien, die Melk auszeichnen oder auch, je nach dem Standpunkt der Beurteilung, das Reformwerk Melks frühzeitig gefährdeten und es zumindest komplizierter gestalteten und erschwerten, dass die Melker Reformer zwar 1 Eine detaillierte Beschreibung der Handschriften bei Clytus Gottwald, Codices Musici (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, 1. Reihe, Bd. 1) 1964, S. 116–126. – Vgl. außerdem Werner Gebhardt, Wolfgang Irtenkauf, Die Schriftmuster des Laurentius Autenrieth vom Jahre 1520. Faksimile der Handschrift Cod. hist. 4° 197 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Stuttgart 1979; Heribert Hummel, Die Bibliothek des ehemaligen Benediktinerklosters Lorch, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 92 (1981), S. 131–164; Ulrich Merkl, Buchmalerei in Bayern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Spätblüte und Endzeit einer Gattung, Regensburg 1999, S. 279–285 (Kat.-Nr. 7), im wesentlichen auf Gottwald fußend; Felix Heinzer, Reform und Reformation, Landesherr und Kloster – die Lorcher Chorbücher von 1511/12 und Herzog Ulrich, in: Alte Christen – Neue Christen. Der Streit um die Reformation in Württemberg, hrsg. von Peter Rückert, Stuttgart 1999, S. 16–24. 2 In früheren Veröffentlichungen bin ich jeweils von einer Entstehung in den Jahren 1511–1512 ausgegangen (vgl. Heinzer [wie Anm. 1]). Hummel (wie Anm. 1), S. 140, und nach ihm auch Klaus Schreiner, Klosterreform als zeitgebundene Auslegung der Regel, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 86 (1986), S. 105–195, hier S. 138, setzen jedoch wohl zurecht den Beginn der Schreibarbeiten des Graduale Cod. mus. I 2° 65 in den Herbst 1510: eine auf der Hochrechnung von Laurentius Autenrieths Schreibleistung im Antiphonar Cod. mus. I 2° 64 beruhende Annahme (Näheres s. unten Anm. 12). 3 Klaus Graf, Ordensreform und Literatur in Augsburg während des 15. Jahrhunderts, in: Literarisches Leben in Augsburg während des 15. Jahrhunderts, hrsg. von Johannes Janota und Werner Williams-Krapp (Studia Augustana 7), Tübingen 1995, S. 100–159, hier S. 113.
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versuchten, in jedem der von ihnen visitierten Klöster die Observanz von Subiaco einzuführen, aber jedem Konvent die gute und erprobte Eigentradition ausdrücklich beließen“.4 Diese Flexibilität führt zu einer gewissen Ambivalenz: Einerseits insistiert man durchaus auf der Vereinheitlichung der liturgischen Praxis und des entsprechenden textlich-musikalischen Repertoires, d. h. auch der Bücher, was nur über systematische Abschreibetätigkeit zu realisieren war (oder aber – wozu im Melker Kontext mehrfach Ansätze gab – auf dem Weg über die neue Technik des Buchdrucks).5 Andererseits zeigt man sich angesichts der praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Ziels durchaus kompromissbereit. Geradezu exemplarisch steht dafür ein Votum Martins von Senging, des Wortführers der Melker auf dem Basler Konzil: Dem Einwand, die systematische Herstellung neuer liturgischer Handschriften könnte am erforderlichen Aufwand und an den Kosten (pretiositas) scheitern, begegnet er mit dem Vorschlag, man könnte eine solche Aktion unter Umständen auch über mehrere Jahre strecken und ratenweise durchführen oder einfach auch statt des teuren Pergaments das billigere Papier als Beschreibstoff und anstelle der aufwendigen Textura-Schrift die bescheidenere Notula verwenden, bis günstigere Zeiten kämen (donec tempus prosperius arridebit)6. Auch in Lorch dürfte der ökonomische Aspekt eine Rolle gespielt haben – ein Kloster brauchte eine solide wirtschaftliche Basis, um ein so ambitioniertes Unternehmen wie die Herstellung neuer liturgischer Bücher in Angriff zu nehmen, zumal wenn diese in derart repräsentativer Weise gestaltet sein sollten, wie dies in Lorch der Fall war. Der noch in den sechziger Jahren, also sehr rasch nach Einführung der Reform, in Angriff genommene gotische Umbau des Chors dürfte die Kräfte und Mittel des Klosters nachhaltig in Anspruch genommen haben. Außerdem hatte man möglicherweise nur kurze Zeit vor dem Anschluss an die Melker Reform schon einmal die Mühe der Her-
4 Breviarium Caeremoniarum Monasterii Mellicensis, ed. Joachim F. Angerer (Corpus Consuetudinum Monasticarum 11,2). Siegburg 1987, S. CLXXVII. 5 Vgl. Joachim Angerer, Die liturgisch-musikalische Erneuerung der Melker Reform. Studien zur Erforschung der Musikpraxis in den Benediktinerklöstern des 15. Jahrhunderts (Sitzungsberichte Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 287,5), Wien 1974, S. 128. – Vor allem die 1465 in Subiaco eingerichtete Druckerei (die erste in Italien!) und die Offizin in St. Ulrich und Afra in Augsburg sind in diesem Zusammenhang zu nennen. 6 Angerer, Erneuerung (wie Anm. 5), S. 127 f.
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stellung großformatiger Liturgica auf sich genommen. Darauf könnten zwei bisher unbeachtete Fragmente deuten: ein in Cod. mus. I 2° 64 (also dem zweiten der drei heute in Stuttgart befindlichen Chorbücher) als Einbandmakulatur verwendetes Bruchstück eines Doppelblatts und ein beschnittenes Blatt im Pfarramt des ehemals lorchischen Alfdorf, wo es als Umschlag eines Familienregisters Verwendung gefunden hat.7 Es handelt sich um Fragmente einer, oder (wie die Unterschiede in Layout, Schrift und Einzelheiten der Notation vermuten lassen), vermutlich zweier Antiphonar-Handschriften von stattlicher Größe. Beide Blätter sind paläographisch ins 15. Jahrhundert zu datieren, wobei ich eher an die Jahrhundertmitte oder sogar an die 2. Hälfte denken würde (aufgrund des „konservativen“ Charakters liturgischer Schriften sind solche Datierungen freilich immer nur ziemlich grob zu treffen). Inhaltliche Gesichtspunkte lassen allerdings eine Datierung vor der Melker Phase Lorchs einigermaßen zwingend erscheinen: Die erhaltenen Gesänge (im Stuttgarter Fragment Ausschnitte aus HeiligenOffizien der Monate Februar und März, im Alfdorfer Blatt Teile des Allerheiligen-Offiziums) stimmen im Gegensatz zu den beiden Antiphonarien von 1511/12 nicht mit der römischen Liturgie überein, wie sie die Melker im Anschluss an Subiaco (mit Anpassungen an die monastischen Verhältnisse) übernommen haben, sondern mit der Hirsauer Ordnung, die ja in Lorch vor dem Anschluss an die Melker Richtung grundsätzlich bestimmend gewesen sein dürfte.8 Dazu kommt die traditionelle deutsche Hufnagelnotation, die ebenfalls für eine vormelkische Situation charakteristisch ist. Es scheint sich hier also in der Tat ein Fenster zu öffnen, das den Blick auf eine Schicht liturgischer Bücher freigibt, die vermutlich erst kurz vor der Ankunft der Reformer aus
7
Den Hinweis auf das zweite Fragment verdanke ich Herrn Pfr. Probst in Alfdorf. Für Alfdorf Übereinstimmung mit dem Hirsauer Liber Ordinarius (Anton Hänggi, Der Rheinauer Liber ordinarius [Spicilegium Friburgense 1], Freiburg/Schweiz 1957, S. 217 f.); Nachweis, dass der von Anton Hänggi publizierte Rheinauer Normtext bei Ausblendung seiner leichten lokalen Überfärbung den Hirsauer Ordinarius greifbar werden lässt, bei Felix Heinzer, Der Hirsauer „Liber Ordinarius“, in: Revue Bénédictine 102 (1992), S. 309–347 [in diesem Band, S. 185–223]. Für die römische Ordnung, die in Melk – und entsprechend auch in den Lorcher Antiphonaren – durch Anleihen im Commune Sanctorum aufgestockt wird, vgl. Stephen J.P. van Dijk, Sources of the modern Roman liturgy. The ordinals from Haymo of Faversham and related documents (1243–1307) 2, Leiden 1963, S. 168 f. Das Stuttgarter Fragment enthält das im Hirsauer Kontext gängige Reimoffizium für Gregor (Analecta Hymnica Medii Aevi [künftig AH] 5 Nr. 64), dazu ein Scholastica-Offizium, für das bisher nur in der (hirsauisch geprägten) Tradition Weingartens Parallelen nachweisbar sind. 8
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Wiblingen unter dem späteren Abt Jodokus Winkelhofer, also um etwa 1450, entstanden ist. Trifft diese Vermutung zu, so wäre es absolut verständlich, dass in Lorch zunächst weder die Mittel noch die Motivation für einen neuerlichen Kraftakt dieser Art vorhanden waren. Von einem solchen zu sprechen, erscheint durchaus angebracht, und dies allein schon im Hinblick auf die Bereitstellung des Schreibmaterials, also des Pergaments, das für (repräsentative) Liturgica auch um 1500 nach wie vor das bevorzugte Material war, wie ja auch die eben zitierte Äußerung Martins von Senging zeigt. Die durchschnittliche Dimension des Kalbspergaments, wie es für die Chorbücher Verwendung gefunden hat, ist eine schwankende Größe, wie dies bei aus Tieren gewonnenen Produkten nicht anders zu erwarten ist. Man wird aber dennoch von einem Format ausgehen können, dessen Mittelwert etwa bei 50–60 x 70–80 cm liegt.9 Die einmalige Faltung einer solchen Haut ergibt ein Doppelblatt, das dem Format der Chorbuchseiten – ca. 57 × 39 cm10 – recht genau entspricht. Wir kommen also für die annähernd 900 Pergamentblätter der drei Handschriften insgesamt auf einen Bedarf von rund 450 Kälbern, die dafür ihr Fell lassen mussten. Einiges davon war vielleicht aus den Herden der Klosterhöfe zu gewinnen, der überwiegende Teil musste aber wohl doch über Ankauf von bereits bearbeiteten Häuten beschafft werden. Die entsprechenden Kosten lassen sich nur sehr vage beziffern. Einen gewissen Anhaltspunkt liefern Zahlen aus der ebenfalls melkisch beeinflussten Abtei Tegernsee, wo um 1500, also in zeitlicher Nähe zum Lorcher Unternehmen, im Durchschnitt ca. 1 Gulden für ein Dutzend bearbeiteter Häute gezahlt wurde.11 Für die ca. 450 Pergamente, die in Lorch erforderlich waren, ergäbe dies immerhin die beachtliche Summe von 35–40 Gulden als Kaufpreis für den Beschreibstoff.
9 Vgl. dazu Léon Gilissen, La composition des Cahiers, in: Scriptorium 26 (1972), S. 3–33; ders., Prolégomènes à la Codicologie, Gand 1977, S. 29. 10 Die Maße von 61 × 43 bzw. 41,5 cm in den Handschriftenbeschreibungen von Clytus Gottwald (s. Anm. 1) beziehen sich auf die Formate der Einbanddeckel, nicht der Buchblöcke. 11 Ludwig Rockinger, Über Schreibstoffe in Bayern, in: Archivalische Zeitschrift 1 (1876), S. 246–275, bes. S. 255–262, wo auch die Möglichkeit des Austauschs von rohen Fellen gegen bearbeitetes Pergament (mit entsprechendem Aufpreis) angesprochen wird; S. 260–262 Angaben zu den Preisen. – Vgl. auch (mit überwiegend englischen Quellen) Michael Gullick, From Parchmenter to Scribe, in: Pergament. Geschichte, Struktur, Restaurierung, Herstellung, hrsg. von Peter Rück, Sigmaringen 1991, S. 145– 157, bes. S. 147. Durchaus vergleichbare Angaben auch bei Merkl (wie Anm. 1), S. 126.
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Stärker noch als die Beschaffung dieses Rohmaterials schlägt freilich der personelle und organisatorische Aufwand für das Schreiben zu Buche – von der buchmalerischen Ausstattung ganz zu schweigen. Ein Blick auf den tabellarischen Überblick (s. S. 449–450) macht deutlich, dass dieses Unternehmen über nicht weniger als zwei Jahre hinweg ein ganzes Team von Schreibern und Notatoren beschäftigte, wobei teilweise parallel gearbeitet wurde (übrigens auch in der Kooperation von Schreibern und Maler, wie die bisher unbeachtete Datierung 1511 der Initiale in Cod. mus. I 2° 65, 137r belegt). Abgeschlossen wurde das wohl schon im Herbst 1510 begonnene Projekt12 im September 1512, zumindest was Textschrift und Notation anbelangt. Die Übersicht zeigt auch, dass Lorch dabei Unterstützung aus dem von der Reform gestifteten Netzwerk erfuhr: So finden wir unter den sechs Text- und drei Notenschreibern auch Mönche aus anderen Klöstern des Melker Reformkreises, insbesondere aus der Augsburger Abtei St. Ulrich und Afra, der für die Ausbreitung der Reform in Schwaben bekanntlich eine zentrale Stellung zukam und aus der auch die Vorlagen für die Lorcher Bücher gekommen sein dürften. Vor allem der als Autor eines berühmten Schreibmusterbuchs, der „Proba centum Scripturarum“, bekannte Meisterschreiber Leonhard Wagner ist hier zu nennen. Er übernimmt die Notation der Gradualehandschrift, wobei er, wie besonders zu betonen ist, die im Kontext süddeutscher Benediktinerhandschriften des Mittelalters ungewohnte Quadratnotation verwendet – ein sinnfälliges Zeichen für die über Melk und dessen Vorbild Subiaco vermittelte Neuausrichtung auf die römische Liturgie und deren Gesangs- und Aufzeichnungspraxis. Aber auch aus Murrhardt (Conradus Bavari) und Elchingen (Balthasar Schad) werden Schreibermönche angefordert. Gut ein halbes Jahrhundert nach Erfindung des Buchdrucks werden hier also noch einmal – ganz im Sinne der spätmittelalterlichen 12 Autenrieth braucht ca. 140 Tage (6.3. bis 25.7.1512) für die 68 Blätter des Proprium de Tempore von Cod. mus. I 2° 64, d. h. ca. 2 Tage für ein Folio. Für die 266 Blätter der am 6. März 1512 vollendeten Gradualehandschrift wären also etwa 530 Tage anzusetzen, was rückwärts gerechnet einen Arbeitsbeginn Ende September/Anfang Oktober 1510 ergeben würde (s. auch oben Anm. 2). Diese Rechnung kann natürlich nur einen sehr groben Anhaltspunkt bieten; bei aller Unschärfe, mit der hier zu rechnen ist, scheint es aber doch kaum zweifelhaft, dass Autenrieth seine Arbeit noch vor dem Jahresende 1510 aufgenommen hat.
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Benediktinerreform – die alten Mechanismen monastischer Schreibtradition reaktiviert. Für die buchmalerische Ausstattung wird hingegen „Outsourcing“ betrieben: Der Auftrag geht an einen weltlichen Künstler, nämlich an den in Augsburg ansässigen, mit St. Ulrich und Afra eng verbundenen Buchmaler Nikolaus Bertschi.13 So verbinden sich monastische Skriptoriumstradition und professionelle städtische Werkstattarbeit, wobei bemerkenswerterweise die sehr detaillierten Schlussschriften der drei Handschriften nur den ersten Aspekt thematisieren, denn sie nennen zwar die Schreiber und ausdrücklich auch die Notenschreiber und ebenso den Lorcher Abt als Patron des ganzen Unternehmens, nicht aber den Illuminator. Dieser kommt nur in den Handschriften selbst – und zwar buchstäblich „am Rande“–zu Wort: nämlich mit einer Handvoll Datierungsangaben in den Bordüren, die an einer Stelle (auf der Weihnachts-Seite 13v des Graduale) auch Bertschis Monogramm NB und die verschränkten Mondsicheln als redendes Namenszeichen aufweisen,14 und insbesondere mit dem berühmten Selbstbildnis im Sequentiar des Graduale (s. unten). Diese Verschränkung unterschiedlicher Traditionen der Buchherstellung – die wir übrigens in analoger Form auch im Reformzentrum selbst, also in Augsburg, beobachten können – gehört zu den interessantesten Aspekten des Lorcher Projekts, denn es geht hier nicht nur um Differenzen bezüglich der Arbeitsweisen und Produktionsformen, sondern auch um unterschiedliche soziale und kulturelle Bezugsund Wertsysteme, und dies impliziert ein erhebliches Spannungs-, ja Konfliktpotential. Wie sind, wie Klaus Graf in diesem Zusammenhang gefragt hat, die religiös-asketischen Grundwerte der Ordensreform mit der üppigen buchmalerischen Ausstattung solcher Luxushandschriften
13 Vgl. den Beitrag von Johannes Wilhelm, Nikolaus Bertschi. Ein Aspekt der Verbreitung der Renaissance im südwestdeutschen Raum, in: 900 Jahre Kloster Lorch (wie oben, S. 523, Anm. *), S. 127–131. – Zu Bertschis Karriere und seinem Oeuvre s. auch Merkl (wie Anm. 1), S. 41–47 sowie Walter Berschin, Neue Forschungen zum Augsburger Buchmaler Nicolaus Berschin d. Ä. (Bertschi, Bertschy; † um 1542), in: Scriptorium 55 (2001), S. 228–248. 14 Zur Bedeutung dieses Zeichens („schin“ für den zweiten Bestandteil des Namens) s. Albert Haemmerle, Nikolaus Berschin, ein unbekannter Augsburger Formschneider um 1530 und sein Monogramm, in: Vierteljahreshefte zur Kunst und Geschichte Augsburgs 1 (1935), S. 73–81, sowie jetzt auch Berschin, Neue Forschungen (wie Anm. 13), S. 245 (Berschin ist die Verwendung des Zeichens im Graduale entgangen; als ältesten ihm bekannten Beleg nennt er das in Nürnberg verwahrte „MontfortGebetbuch“ von 1515.)
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zu vereinbaren?15 Sind diese Bücher – mögen sie auch, wie die Schlussschriften der drei Lorcher Bände betonen, secundum rubricam Mellicensem geschrieben und notiert sein – wirklich noch als kohärenter Ausdruck klösterlichen Reformgeists zu sehen?
III Fragen wie diese führen über die materiellen und ökonomischen Aspekte hinaus zu einem differenzierteren Verständnis des Entstehungsszenarios der drei Lorcher Handschriften, denn sie thematisieren ein Zusammenspiel unterschiedlicher Kräfte und Interessen, das überhaupt erst die Voraussetzungen dafür geschaffen hat. Im Falle Augsburgs – das ist hier zumindest anzudeuten – ist nicht zu übersehen, dass St. Ulrich und Afra, wie Klaus Graf zu Recht zu bedenken gegeben hat,16 als „Reformkloster“ zugleich auch „Stadtkloster“ war und als solches in enger Verflechtung mit einem kulturell hochstehenden urbanen Umfeld stand, das sich auch auf das Kloster selbst und seine kulturelle Atmosphäre auswirkte.17 Dass mehrfach städtische Maler an Buchprojekten der Augsburger Mönche mitwirken, erscheint dafür symptomatisch, und auch das Lorcher Engagement Nikolaus Bertschis, den man – meist im Schlepptau Leonhard Wagners – fast schon als feste Größe in diesem Kontext bezeichnen kann, ist offensichtlich über St. Ulrich und Afra vermittelt worden. Die Nachbarschaft Bertschis und seiner Frau neben Wagner in der Darstellung des Graduale (f. 236v), zeigt dies in sehr sinnfälliger Weise. Auch für Lorch ist eine solche außerklösterliche Komponente in Anschlag zu bringen, die allerdings im Gegensatz zur Augsburger Situation nicht durch die Einbindung in ein städtisches Milieu gegeben ist. Umso stärker greifen hier die Mechanismen landesherrschaftlicher Verhältnisse. Das zeigt schon ein erster Blick auf die reiche Heraldik im Graf, Ordensreform (wie Anm. 3), S. 113. Graf, Ordensreform (wie Anm. 3), S. 112 und 114. 17 Ein gutes Beispiel dafür sind auch die jüngst von Peter Amelung thematisierten freundschaftlichen Verbindungen des Klosters mit dem Milieu um den Humanisten Konrad Peutinger, den Maler Hans Burgkmaier und andere Vertreter der Augsburger Stadtkultur der Zeit um 1500 (Peter Amelung, Ein unbekannter Peutinger-Brief, in: Bücher, Menschen und Kulturen. Festschrift für Hans-Peter Geh zum 65. Geburtstag, hrsg. von Birgit Schneider, Felix Heinzer und Vera Trost, München 1999, S. 81–87). Vgl. auch Berschin (wie Anm. 13), S. 244. 15 16
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Buchschmuck der Chorbücher, wo die dominierende Präsenz des Landesherrn unübersehbar ist. Auffallend ist dabei nicht nur die Anzahl der Belege, sondern vor allem auch die Tatsache, dass die herzoglichen Wappen stets an inhaltlich markanter Stelle erscheinen. Ein erstes Beispiel dafür bietet die eben angesprochene Seite aus dem Sequentiar der Gradualehandschrift mit den Darstellungen von Wagner und Bertschi (236v). Sie führt in geradezu programmatischer Weise die Akteure vor Augen, deren Zusammenwirken die Chorbücher zu verdanken sind – nicht nur (am unteren Rand) die Ausführenden, nämlich den mönchischen Schreiber (genauer: den Notator) und den bürgerlichen Maler als Vertreter der beiden Produktions-„Welten“, sondern auch die Initiatoren und Mäzene des Projekts: links die Repräsentanten der kirchlichen Reform-Netzwerks (die Äbte von Lorch und von St. Ulrich und Afra, der Fürstpropst von Ellwangen und ein bisher ungedeutetes Wappen18), und am oberen Rand in dominierender Position den Landesherren, vertreten durch die württembergischen Teilwappen, die das Reichswappen flankieren. [Abb. 4, S. XVI]. Wohl noch eindrucksvoller ist die Situation der ersten Seite der Handschrift, zumal hier die heraldische Repräsentation durch eine bildliche Darstellung ergänzt und verstärkt wird. Die Bordüre zeigt auf dem unteren Blattrand den knienden Herzog mit seiner Gemahlin Sabina von Bayern, beide in festlicher Kleidung, zwischen ihnen das Reichswappen, flankiert von den Wappen Württembergs und Bayerns. Bemerkenswert ist die perfekte Symmetrie dieses Dedikationsbilds, die Sabina genau so ins Blickfeld rückt wie den Herzog selbst. Man denkt unmittelbar an die Stuttgarter Hochzeitsfeier Ulrichs und Sabinas am 2. März 1511, die exakt in den Entstehungszeitraum der Chorbücher fällt. Sollte die zentrale Präsenz des Reichsadlers – ähnlich wie übrigens ja auch auf f. 236v – etwa gar ein Indiz für ein Engagement Kaiser Maximilians sein, Sabinas Onkel, auf dessen energisches Betreiben die Hochzeit überhaupt erst zustande gekommen war? Die beiden Antiphonare ergänzen diesen Befund in je anderer Weise. Cod. mus. I 2° 64 zeigt auf der Eröffnungsseite das Wappen 18 Zu denken wäre an den aus Augsburg stammenden persönlichen Sekretär und einflussreichen Ratgeber Kaiser Maximilians, den späteren Salzburger Erzbischof Matthäus Lang von Wellenburg, der 1511 u. a. die Würden eines Bischofs von Gurk (entsprechend das heraldisch linke Wappen oben) und Dompropsts von Augsburg (das heraldisch rechte Wappen) auf sich vereinigte. Unklar bleibt allerdings das untere Wappen mit dem Bocksrumpf, da Lang offenbar ein anderes persönliches Wappen führte.
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der im 15. Jahrhundert ausgestorbenen Herzöge von Teck, deren Besitz an die Württemberger gefallen war. Bei der Herzogserhebung von 1495 bot Teck gewissermaßen den historischen „Unterstock“ für die nobilitierende Aufpropfung und entsprechend wird das Wappen als konstitutives Element in die aufgebesserte württembergische Heraldik aufgenommen. Der neu ernannte Herzog und seine Nachkommen dürfen künftig von solchem hertzogtumb zu Deck tittels, wappens und namens, auch aller eeren und wirden gebrauchen, wie der Herzogsbrief des Kaisers ausdrücklich festhält.19 Teck vertritt hier also Württemberg. Das andere Antiphonar, Cod. mus. I 2° 63, hat zwar zu Beginn keine Wappendarstellung, bietet aber am Anfang des Proprium de Sanctis, das den zweiten Hauptteil der Handschrift bildet (f. 223r), also ebenfalls an sehr prominenter Stelle, eine ausgesprochen interessante heraldische Kombination: Unter dem Fürstenwappen stehen die Wappen der vier herzoglichen Hofämter, jeweils geviert in der Verbindung von Amtsemblem und persönlichem Wappen des Amtsinhabers:20 1. Marschall Konrad Thumb von Neuburg21, 2. Truchsess Dietrich Späth von Zwiefalten22, 3. Schenk Philipp von Nippenburg (?), 4. Kämmerer Rudolf von Sulz. Gewisse Probleme bieten die beiden letzten Wappen. Philipp von Nippenburg hat nach den sonst greifbaren Quellen das Schenkenamt als Erbamt offenbar erst 1515 übertragen erhalten, und als Kämmerer ist für diese Zeit an sich Wolf von Gültlingen belegt. Allerdings scheint der Nippenburger, wie Jakob Frischlin berichtet, bei der Hochzeit von 1511 in seiner Eigenschaft als Hofmeister dem Herzog beim Festmahl 19 Dazu Petra Schön, Wappen – Siegel – Territorium: Die Entwicklung des württembergischen Wappens bis 1495, in: 1495. Württemberg wird Herzogtum, bearb. von Stephan Molitor, Stuttgart 1995, S. 45–52, bes. S. 47 f. (Abdruck der Quelle ebd., S. 82–85, der Teck betreffende Passus S. 85). Vgl. auch Hans-Martin Decker-Hauff, Zu den Wappen auf Bl. 236v, in: Zum Lorcher Graduale Blatt 236v und zu den Wappen (Begleitheft zum Faksimile aus Cod. mus. I 2° 65 der WLB Stuttgart), Göppingen 1991, S. 3–12, hier S. 5–8 (Die „Lösung mit Teck“). 20 In den Beschreibungen des Buchschmucks bei Gottwald und Merkl (wie Anm. 1) sind diese unidentifiziert geblieben. 21 Ein Bruder des auf der Bertschi/Wagner-Seite im Graduale mit seinem Wappen vertretenen Ellwanger Propstes Albrecht und der Schwiegervater des 1515 von Ulrich ermordeten Hans von Hutten. Vgl. Irmgard Kothe, Der fürstliche Rat in Württemberg im 15. und 16. Jahrhundert, Stuttgart 1938, S. 100; Franz Brendle, Dynastie, Reich und Reformation. Die württembergischen Herzöge Ulrich und Christoph, die Habsburger und Frankreich (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 141), Stuttgart 1998, S. 33–44. 22 Dietrich Späth spielte in der Hutten-Affäre und vor allem bei der im selben Jahr arrangierten Flucht Sabinas ebenfalls eine wichtige Rolle (Brendle [wie Anm. 21] S. 38 f. und 42 f.)
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als Schenk aufgewartet zu haben,23 und auch der Graf von Sulz, dessen Wappen hier an vierter Stelle erscheint, hat bei dieser Gelegenheit eine prominente Rolle gespielt. Vielleicht ist also aus dieser zunächst etwas irritierenden Situation sogar ein weiteres Argument für eine direkte Verbindung der Stiftung Ulrichs (und Sabinas) mit ihrer Hochzeit zu gewinnen. Festzuhalten bleibt auf jeden Fall, dass hier die Heraldik nicht nur den Landesherrn, sondern zugleich auch die Spitze seines Hofstaats ins Spiel bringt.24 Das württembergische Wappen erscheint ein weiteres Mal im Inneren der Handschrift, nämlich auf der opulent ausgestatteten Zierseite zum Fronleichnamsoffizium (151r). Der untere Rand der Seite zeigt die bekannte Darstellung der Prozession, die an diesem Tag von Lorch nach Schwäbisch Gmünd führt, oben finden wir erneut eine Wappenleiste, in der das Württembergische Wappen zusammen mit dem des Herzogtums Schwaben – eine bedeutungsvolle Symmetrie (die noch zu vertiefen sein wird)! – die beiden Wappen des regierenden Abtes und des Klosters flankiert. Dieser auffällige Befund signalisiert fraglos eine mäzenatische Funktion des Herzogs. Das heißt: Für den mit dem künstlerischen Schmuck der Bücher verbundenen Aufwand erfolgt ein Rückgriff auf das traditionelle Modell der Stiftung, ein Instrument also, für das eine Verbindung von spirituellem und repräsentativem Moment geradezu kon23 Zum Ganzen vgl. Theodor Schön, Regesten zur Geschichte der Herren von Nippenburg, in: Gerhard Leutrum von Ertringen, Die Gräflich Leutrum’sche Frauenkirche zu Unter-Riexingen, Stuttgart 1891, S. 111–178, hier Nr. 450; auf Schön stützt sich Reinhold Rau, Beiträge zur Genealogie und Geschichte der Herren von Nippenburg, in: Ludwigsburger Geschichtsblätter 23 (1971), S. 7–38, hier S. 9; zusammenfassend Walter Bernhard, Die Zentralbehörden des Herzogtums Württemberg und ihre Beamten 1520–1629 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 70–71), Stuttgart 1972, S. 521. – Frischlins Bericht (Carmen de nuptiis ducis Ulrici de Wirttemberg): Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. hist. 2° 329, 19v. – Eine gewisse Unsicherheit ergibt sich auch aus der Tatsache, dass das Wappen der Nippenburger an sich zwei Flüge zeigt, hier aber nur ein Flug dargestellt ist (allerdings in einer etwas ungewohnten Form, die möglicherweise als missverständliche Umsetzung einer unklaren Vorlage interpretiert werden könnte). Auch das Württembergische Wappen ist im übrigen ebenfalls nicht ganz korrekt, nämlich spiegelverkehrt, dargestellt (freundlicher Hinweis von Petra Schön, HStA Stuttgart). 24 Bertschi hat dasselbe Thema in analoger Form schon einige Jahre zuvor für die Erzämter des Stifts St. Gallen aufgegriffen (auf der ersten Seite des Graduale Cod. 1767 der Stiftsbibliothek). Vgl. Josef Holenstein, Zur Forschung über den Buchmaler Nikolaus Bertschi von Rorschach, in: Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 16 (1956), S. 75–98, Abb. 1., und Merkl (wie Anm. 1), S. 275 f. (Kat. Nr. 3).
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stitutiv ist. Damit fällt auch ein neues Licht auf den angesprochenen Konflikt von materiellem Luxus und Reformidealen: Die Chorbücher sind Produkte reformorientierter Schreibtätigkeit, zugleich aber manifestiert sich in ihnen auch unübersehbar der Repräsentationswille eines fürstlichen Stifters. Allerdings ist zu unterstreichen, dass nicht nur der Herzog allein in dieser Funktion in Erscheinung tritt. Neben seiner unmittelbaren Entourage – Gemahlin und Hofstaat – partizipieren auch eine ganze Reihe von Personen aus dem Umfeld des Klosters und aus dem Kloster selbst an diesem Stiftungsverhältnis, das hier gewissermaßen in den Plural zu setzen ist, wie sich an einer ganzen Reihe von Belegen ablesen lässt. Ich nenne exemplarisch: – im Antiphonar Cod. mus. I 2° 63 den Reutlinger Mediziner Lucas Spechtshart mit Wappen und Namensinschrift (f. 31v)25, den gelehrten Lorcher Stadtpfarrer Magister Thomas Köllin (f. 296v)26 oder die beiden Familien Gaisberg (282r)27 und Schechingen (286v).28 – im zweiten Antiphonar (Cod. mus. I 2° 64) neben mehreren Wappen und Schriftbändern, die sich auf Lorcher Konventualen beziehen, doctor Jerg Nytel aus der mit Lorch in vielfältiger Weise verbundenen Stuttgarter Familie Nüttel (f. 248r), von 1520 bis zu seinem Tod auch Chorherr an der Stuttgarter Stiftskirche.29 25 Entweder der 1512 verstorbene ehemalige Leibarzt der Erzherzogin Mechthild und ihres Sohnes Eberhard im Bart (womit wir erneut im Umfeld des württembergischen Hofes wären), oder dessen gleichnamiger Sohn. Vgl. Miriam Zitter, Die Leibärzte der württembergischen Grafen im 15. Jahrhundert (Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte 1), Leinfelden-Echterdingen 2000, S. 101–106. 26 Klaus Graf, Kloster Lorch im Mittelalter, in: Lorch. Beiträge zur Geschichte von Stadt und Kloster. Heimatbuch der Stadt Lorch 1, Lorch 1990, S. 39–95, hier S. 91 f. 27 Zu dieser Familie s. Friedrich von Gaisberg-Schöckingen, Der „Urstamm“ der Freiherren von Gaisberg, in: Ludwigsburger Geschichtsblätter 44 (1990), S. 65–79. Hinter dem Wappen steht möglicherweise Hans VI. von Gaisberg (vgl. ebd., S. 70, sowie Immanuel C. Rösler, Die Schorndorfer Gaisberg und ihre Zeit, in: Remstal 22 (1968), S. 31–37, bes, S. 36), der als württembergischer Rat und Vogt in Stuttgart zum unmittelbaren Umfeld Herzog Ulrichs gehört. 28 Zur engen Verbindung dieses niederadligen Geschlechts mit Lorch s. Graf, Kloster Lorch (wie Anm. 26), S. 65 – Vgl. auch Oliver Auge, Niederadelige Erinnerungskultur in Kloster Lorch: Die Familien Woellwarth und Schechingen, in: 900 Jahre Kloster Lorch (wie oben, S. 523, Anm. *), S. 99–118. 29 Vgl. Graf, Kloster Lorch (wie Anm. 26), S. 67. Zur Person und Karriere Nüttels s. jetzt Oliver Auge, Stiftsbiographien. Die Kleriker des Stuttgarter Heilig-Kreuz-Stifts
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– im Graduale Cod. mus. I 2° 65 das aufwendige Stifterbild von Ludovicus Reich, Pleban in Rudersberg bei Welzheim und ehemals auch in der Lorch inkorporierten Pfarrkirche in Welzheim selbst, als fautor huius monasterii mit Wappen und Schriftband (f. 202r), aber auch – gleich mehrfach dargestellt – den regierenden Abt Sebastian Sitterich selbst (219r) und den Schreiber Laurentius Autenrieth, neben dem Bild seines Namenspatrons kniend (218r). Aber noch einmal: Leitfigur dieses „Konsortiums“30 ist zweifellos der Herzog selbst, und es ist wohl davon auszugehen, dass sein persönlicher Stifterwille eines der auslösenden Momente für das Lorcher Buchprojekt war. Eine ganz entscheidende Voraussetzung für diese Konstellation ist zweifellos in der Neubelebung der Erinnerung an die staufischen Anfänge des Klosters zu sehen, die in Lorch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wie eingangs schon angedeutet, einen signifikanten Aufschwung erlebt – am sinnfälligsten greifbar anhand der prachtvollen Staufertumba, die Abt Nikolaus Schenk von Arberg im Jahr 1475 in der Mitte der Klosterkirche errichten ließ, um die Überreste aus den Einzelgräbern in repräsentativer Weise zusammenzuführen, aber auch in der Gründungserzählung im so genannten „Roten Buch“ des Priors Augustin Seitz um 1500.31 Für die landesherrliche Seite war diese Entwicklung insofern von großer Bedeutung, als bei den Württembergern gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Idee einer Restituierung des 1268 mit dem Tod des letzten Staufers erloschenen Herzogtums immer mehr in den Vordergrund rückte32: Hätt gern den Titel des Herzogthums zu Schwaben (1250–1552) (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 38), Leinfelden-Echterdingen 2002, S. 364–368 (die Verbindungen mit Lorch und der Eintrag ins Graduale S. 367 f. erwähnt). 30 Eine mit unserem Fall in mancher Hinsicht vergleichbare Netzwerksituation hat Andreas Bräm, Imitatio Sanctorum. Überlegungen zur Stifterdarstellung im Graduale von St. Katharinenthal, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 49 (1992), S. 103–113, für das berühmte Graduale aus dem Dominikanerinnenkloster St. Katharinental bei Diessenhofen (Kt.Thurgau) aus dem frühen 14. Jahrhundert nachweisen können. 31 Vgl. Klaus Graf, Staufer-Überlieferungen aus Kloster Lorch, in: Von Schwaben bis Jerusalem. Facetten staufischer Geschichte, hrsg. von Sönke Lorenz und Ulrich Schmidt, Sigmaringen 1995, S. 209–240. 32 Dass dies zu Konflikten mit entsprechenden Hegemonialansprüchen der Habsburger, insbesondere Maximilians, führen musste, sei hier lediglich angedeutet. Vgl. Helmut Maurer, Der Herzog von Schwaben. Wirkungen und Wesen seiner Herrschaft
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gehabt heißt es denn auch vom ersten Herzog, Eberhard im Bart, im einem Bericht von Georg Spalatin über die Standeserhebung des Württembergers auf dem Wormser Reichstag von 1495, und Ähnliches findet sich auch bei Oswald Gabelkhover.33 Für Ulrich selbst darf der Tübinger Poeta laureatus Heinrich Bebel zitiert werden, der den Herzog in der Vorrede zu seiner „Epitome laudum Suevorum“ von 1509 (die übrigens Konrad Thumb von Neuburg gewidmet ist)34 als den wahren Nachfolger und gleichsam als „Rächer“ des letzten Staufers Konradin feiert, und seiner festen Hoffnung Ausdruck gibt, Schwaben möge alles, was es in Konradin verloren habe, in diesem Einen wiedererlangen (et quicquid in Conradino ultimo Suevorum duce… amisimus, in hoc uno nos recuperaturos spero constantissime).35 Ulrichs Engagement bei der Entstehung der Chorbücher erscheint in diesem Licht als Versuch, sein Geschlecht in die neu belebte Stiftertradition Lorchs hineinzustellen und diese in gewisser Weise für sich selbst in Anspruch zu nehmen – zumal vor dem Hintergrund der engen Bindung des Klosters an die Württemberger, denen es im 13. Jahrhundert und definitiv dann 1304 gelungen war, die Vogteirechte über Lorch nach dem Erlöschen der Staufer an sich zu ziehen und das Kloster in ihre sich entwickelnde Landesherrschaft einzubinden.36 Damit bietet sich auch eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach den Gründen für die Zeitdifferenz zum eigentlichen Reformvorgang in Lorch an: Der Versuch einer „Instrumentalisierung der Staufertradition durch das Haus Württemberg“ – wie immer deutlicher wird: eine entscheidende Voraussetzung für die Entstehung der Lorcher Chorbücher – scheint erst mit Ulrich, jedenfalls nicht vor 1500, richtig virulent geworden zu sein.37 in ottonischer, salischer und staufischer Zeit, Sigmaringen 1978, S. 300; Hans-Georg Hofacker, Die schwäbische Herzogswürde. Untersuchungen zur landesfürstlichen und kaiserlichen Politik im deutschen Südwesten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 47 (1988), S. 71–148; Klaus Graf, Eberhard im Bart und die Herzogserhebung, in: Württemberg wird Herzogtum (wie Anm. 19), S. 9–43, hier S. 22 f.; jetzt auch Brendle (wie Anm. 21), S. 329–332. 33 Graf, Herzogserhebung (wie Anm. 32), S. 20–23 und S. 41. 34 Vgl. Dieter Mertens, „Bebelius … patriam Sueviam … restituit“. Der poeta laureatus zwischen Reich und Territorium, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 42 (1983), S. 145–173, bes. S. 165–172. – Zu Konrad Thumb von Neuburg s. oben Anm. 21. 35 Heinricus Bebelius, Epitome laudum suevorum atque principis nostri Udalrici ducis Wirtenbergensis et Thec. 1509, S. a II v. 36 Graf, Kloster Lorch (wie Anm. 26) bes. S. 66 und 81. 37 Vgl. in diesem Zusammenhang die Hinweise Klaus Grafs in seiner Rezension des
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IV Geradezu exemplarisch manifestiert sich Ulrichs Strategie einer Staufer-Anknüpfung in einer Bildseite, die in ihrer politischen Aussagekraft bisher gar nicht wahrgenommen worden ist und deshalb eine genaue Analyse verdient. Sie eröffnet das Sequentiar in der Gradualehandschrift (235r) [Abb. 3, S. XV]. Die Initiale G (für Grates nunc omnes, der Sequenz zur ersten Weihnachtsmesse) zeigt das Wappen der Staufer mit den drei liegenden goldenen Löwen auf schwarzem Schild,38 umgeben von den Wappen vier weiterer schwäbischer Herzogsgeschlechter: 1) Schildach (= Schiltach bzw. Urslingen): eine kleine Adelsfamilie aus Irslingen bei Rottweil stammend, die kurzzeitig, d. h. von ca. 1177 bis 1198 im Kontext der staufischen Italienkampagnen den Herzogstitel von Spoleto an sich ziehen konnte, später dann vorwiegend in Schiltach im Kinzigtal ansässig ist. Der letzte Urslinger, Rainald VI., stirbt 1442. Der Besitz der Familie fällt großenteils an die Württemberger.39 Spätmittelalterliches Interesse an „Herkommen“ und Stammes-Sagen sieht das Geschlecht in typischer etymologisierender Ableitung als nordalpinen Ableger der römischen Orsini (Ursini), so noch Felix Fabri in einem den kleineren schwäbischen Herzogsfamilien gewidmeten Kapitel seiner Descriptio Sueviae: …prope Rottwilam, castrum videlicet Urslingen, quia de genere Ursinorum de Roma, fundavit et dicebatur Dux de Urslingen, communiter tamen appelabatur Dux de Schiltach …40
Buchs von Thomas Fritz über Ulrich den Vielgeliebten, in: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte 123 (2001), S. 261. 38 Offenbar differenziert man in Lorch, wie auch diese Seite belegt, zwischen dem Hauswappen der Staufer und dem Wappen des schwäbischen Herzogtums durch unterschiedliche Tingierung des Schildes (schwarz für die Staufer, rot für Schwaben). Entsprechend sehen auch die im „Roten Buch“ (S. 98) und in einer Abschrift des späten 16. Jahrhunderts (heute in Weimar, HAAB, Cod. 2° 81, 103v) überlieferten Verse „de armis ducum Sueviae“ für das Herzogswappen einen roten Schild vor: Tres glaucos rufo spacio depinge leones… (vgl. dazu auch Graf, Staufer-Überlieferungen [wie Anm. 31], S. 226). – Anders Eberhard Gönner, Das Wappen des Herzogtums Schwaben und des Schwäbischen Kreises, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 26 (1967), S. 18–45, hier S. 31 f., ohne Berücksichtigung der Chorbücher. 39 Klaus Schubring, Die Herzöge von Urslingen (Veröffentlichungen d. Komm. f. geschichtl. Landeskunde B 67). Stuttgart 1974, S. 28 ff. und 74–94. 40 Zitiert nach der Ausgabe von Melchior Goldast, Suevicarum rerum Scriptores aliquot veteres. 1605, S. 214.
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2) Rinfelden: der 1057 zum Herzog von Schwaben erhobene, spätere Gegenkönig Rudolf von Rheinfelden, der 1079 vom ersten staufischen Herzog (Friedrich I.) abgelöst wird41 3) Zeringen: die Herzöge von Zähringen, zunächst Konkurrenten der Staufer im Anspruch auf das schwäbische Herzogtum, ab 1098 dann sozusagen in „paralleler“ herzoglicher Stellung im Westen des alten Stammesgebiets42 4) und schließlich Deck, das bereits erwähnte Geschlecht der Herzöge von Teck, ein jüngerer Zweig der Zähringer. Zusammenstellungen dieser Art sind offenbar symptomatisch für eine ganz bestimmte Form von historiographischem Patriotismus, der sich in Schwaben in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als Ausdruck eines sich herausbildenden Regionalbewusstseins verstärkt beobachten lässt. Felix Fabri wurde eben schon genannt. Eine entsprechende Notiz findet sich beispielsweise auch am Schluss einer spätmittelalterlichen Augsburger Handschrift der Weltchronik Burchards von Ursberg (Clm 4351 der Bayerischen Staatsbibliothek München), die 1473 in der Druckerei von St. Ulrich und Afra als Vorlage für eine unter dem Namen Historia Friderici Imperatoris herausgebrachte Teilausgabe von Burchards Werk diente.43 Dass im Vorspann dieses Drucks übrigens auf Lorcher Überlieferungen, insbesondere die dortigen Staufer-Inschriften, zurückgriffen wird,44 ist ebenso bezeichnend wie die Tatsache, dass ein Exemplar der Ausgabe auch in Laurentius Autenrieths Privatbibliothek vorhanden war.45 Solche Verbindungen signalisieren das Milieu, in dem die Grates-Seite zu verorten ist. Ihre Bordüre wird von 30 Wappen gebildet, die sich um das gesamte Blatt ziehen und die wichtigsten Adelsgeschlechter (meist Grafen) im Raum des alten Herzogtums Schwaben repräsentieren. Ein bemerkenswertes textliches Pendant dazu findet sich in der Sammelhandschrift 4° Cod. 149 der Augsburger Stadt- und Staatsbibliothek: eine Aufzäh41 Vgl. Jörgen Vogel, Rudolf von Schwaben. Die Fürstenopposition gegen Heinrich IV. im Jahre 1072 und die Reform des Klosters St. Blasien, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 132 (1984), S. 1–30. Zusammenfassend: Tilman Struve, Rudolf von Rheinfelden, in: Lexikon des Mittelalters 7, 1995, Sp. 1070 f. 42 Zu dieser Entwicklung vgl. Maurer (wie Anm. 32), S. 221 ff. 43 Einzelheiten bei Wilhelm von Giesebrecht, Kritische Bemerkungen zur Ursperger Chronik, in: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Philologische und Historische Klasse 1881,1,5, S. 201–239, hier S. 206. 44 Klaus Graf, Staufer-Überlieferungen (wie Anm. 31), S. 224 f. 45 Heribert Hummel (wie Anm. 1), S. 159 und S. 161, Nr. (75).
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lung aller grafschaften, so under den hertzogen von Schwaben gewesen und gehört haben (f. 418r).46 Diese Quelle verweist erneut auf Leonhard Wagner und zugleich nach Lorch, denn der Codex stammt zur Gänze von Wagners Hand, und die Liste, die zwar nur teilweise mit der Bordüre im Graduale übereinstimmt, aber analoge Intentionen verrät, gehört zu einem Komplex von Aufzeichnungen, die sich Wagner während seines Aufenthalts in Lorch als historiographische Ernte zusammengestellt und ins heimatliche Kloster mitgenommen hat.47 Aber auch auf landesherrlicher Seite gibt es heraldische Programme, die in ihrer formalen Struktur durchaus mit der Lorcher Wappenseite zu vergleichen sind: etwa eine Darstellung im bekannten Wappenbuch des Konrad von Grünenberg von 1483, wo das württembergische Grafenwappen die Hauptstelle einnimmt und von einem aus den Wappen von 21 Grafschaften und Adelsherrschaften gebildeten Band umschlungen ist,48 oder auch ein (leider nur in Kopien des 16. Jahrhunderts erhaltenes) Gemälde einer Ratssitzung Eberhards III. von Württemberg.49 Hier geht es um Visualisierungen des fürstlichen Ranganspruchs Württembergs, die ins Bild setzen, was als entscheidende Voraussetzung für den Anspruch auf das Herzogtum Schwaben als „Zwischengewalt“ zu gelten hat, nämlich den Nachweis der Bindung adliger Herren, zumal von gräflichem Rang, an den eigenen Herrschaftsbereich.50 Die Lorcher Komposition führt die beiden Ansätze in gewisser Weise zusammen. Ihre besondere Raffinesse liegt in einer subtilen Strategie der Substitution. Da ein direktes Einfügen des württembergischen
46 Eine detaillierte Beschreibung der Handschrift bei Wolf Gehrt, Die Handschriften der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg 4° Cod. 1–150. 1999, S. 194–225. Herrn Dr. Gehrt danke ich herzlich für die Übermittlung einer Kopie der fraglichen Seite. Zur Vermeidung von Irritationen dürfte ein Hinweis auf abweichende Foliierungsangaben angebracht sein: bei Gehrt die neue, jetzt maßgebliche Zählung, die um 26 Einheiten differiert (also 418r statt 392r). 47 Einzelheiten dazu bei Klaus Graf, Staufer-Überlieferungen (wie Anm. 31), S. 225 f. 48 Klaus Graf, Herzogserhebung (wie Anm. 26), S. 14 (mit Abb.). 49 900 Jahre Haus Württemberg. Leben und Leistung für Land und Volk, hrsg. von Robert Uhland. 1984, S. 78 (mit Abb.). 50 Vgl. Maurer (wie Anm. 32), S. 299 f., sowie Hofacker (wie Anm. 32), S. 79. – Das etwas irritierende Auftauchen des Wappens von Tirol in der Bordüre des Chorbuchs ist möglicherweise zu verstehen als Reaktion auf die Ansprüche der Habsburger Herzöge, insbesondere von Sigmund dem Münzreichen von Tirol, der sich seit 1474 beim Kaiser um die Belehnung mit dem Herzogtum Schwaben bemühte (vgl. Maurer [wie Anm. 35], S. 300; Baum, Sigmund der Münzreiche. 1987; Hofacker [wie Anm. 32], S. 79–114; Klaus Graf, Herzogserhebung [wie Anm. 26], S. 23).
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Wappens in das Hauptfeld in Anbetracht der habsburgischen Ambitionen auf die schwäbische Herzogswürde politisch nicht opportun war, erfolgte die Anbindung an das zentrale Stauferwappen über einen doppelten Kunstgriff: 1) über das Wappen von Teck, das, wie schon angesprochen, seit 1495 als heraldische Signatur der württembergischen Herzogswürde gelten darf und hier durch seine Position im Initialfeld, das den schwäbischen Herzogsgeschlechtern reserviert ist, gleichsam stellvertretend auch Württemberg an dieser Würde teilhaben lässt,51 und 2) durch die herausgehobene Position des württembergischen Wappens selbst in der linken oberen Ecke des Rahmens, also in unmittelbarer Nachbarschaft zur Initiale und damit auch zum Stauferwappen. Maximilian, mit dessen Hegemonialansprüchen die Württemberger in dieser Frage empfindlich kollidierten, wendet eine analoge, allerdings sehr viel direktere Strategie an, wenn er etwa in der propagandistischen Bilderfolge des „Triumphzugs“ das staufische Wappen kurzerhand annektiert und unter den Bannern der vorländischen Herrschaften Österreichs aufziehen lässt52 – ähnlich übrigens auch schon 1499 in dem großangelegten heraldischen Programm des von Jörg Kölderer im Auftrag Maximilians bemalten Wappenturms am Eingang zur Innsbrucker Hofburg.53 Gerade im Vergleich mit solchen Darstellungen wird der besondere Status des Lorcher Bilds deutlich: Ulrich artikuliert seinen Anspruch im Gegensatz zum Kaiser nicht auf der publizistisch-propagandistischen Ebene, sondern an eher ungewohntem Ort: im klösterlichen Liturgiebuch! Diese Strategie ist möglicherweise als Ausdruck von Vorsicht und Zurückhaltung gegenüber dem ranghöheren Prätendenten zu verstehen, jedenfalls aber wirkt das Blatt in seiner Umgebung fast wie ein Fremdkörper. Dies betrifft nicht so sehr die massive Präsenz von Wappen an sich, die ja in den Chorbüchern durchaus eine wichtige Rolle spielen, als vielmehr die Tatsache, dass hier das Heraldische – und das damit verbundene politische Programm – in einen Bereich eindringt, der sonst der sakralen Thematik vorbehalten bleibt, nämlich in die Initiale. Damit durchbricht diese Seite ein Grundmuster der buchmalerischen Ausstattung der Chorbücher, die Initialminiaturen stets als 51 In gewisser Weise gilt Analoges für Urslingen, wenn man bedenkt, dass auch Schiltach praktisch gleichzeitig mit der Herrschaft Teck an Württemberg gefallen war. 52 Dazu Hofacker (wie Anm. 32), S. 117 (mit weiterer Lit.). 53 Patrick Werckner, Der Wappenturm Kaiser Maximilians I. in Innsbruck, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 34 (1981), S. 101–113. – Von Kölderer stammen ja im übrigen auch die ersten Entwürfe zum Triumphzug und zur Ehrenpforte.
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Illustration des jeweiligen liturgischen Inhalts, die Bordüren hingegen textunabhängig zu gestalten. Ein besonders markantes Beispiel für dieses Prinzip ist die Eröffnungsseite des Antiphonars Cod. mus. I 2° 63. Die Initiale zeigt ein adventliches Thema, nämlich die Weissagung der Geburt Christi an Kaiser Augustus durch die tiburtinische Sibylle, steht also in unmittelbarem Bezug zum liturgischen Thema (es geht um die Vesper am Vorabend des ersten Adventssonntag). Am Rand dann der Kontrast dazu: Blumen, Schmetterlinge, eine Raubkatze, Jäger und Holzdiebe, vor allem aber die Szene am Fuß der Seite mit Koch und Kellermeister, die sich gegenseitig bedienen. Die kommentierenden Schriftbänder machen das „Gegenweltliche“ des Bilds vollends deutlich: Vinum bonum et suave personemus illud ave etc. nimmt eine seit dem 13. Jahrhundert geläufige Parodie der Mariensequenz Verbum bonum et suave auf;54 löschst du mir den durst, so gib ich dir die wurst im zweiten Spruchband ist hingegen ein fast wörtliches Zitat aus dem 81. Kapitel von Sebastian Brants Narrenschiff, das die „Selbstbedienungsmentalität“ der unzuverlässigen Dienerschaft aufs Korn nimmt.55 Solches Auftauchen von Antithetischem oder gar Subversivem am Rand mittelalterlicher Handschriften gehört in der Buchmalerei seit den Drôlerien der französischen Gotik – als „image on the edge“, wie Michael Camille so treffend formuliert hat56 – durchaus zum gängigen Erscheinungsbild vor allem von Zeugnissen privater Frömmigkeit wie Gebet- und Stundenbüchern. Für die klösterliche Liturgietradition, wie sie die Chorbücher repräsentieren, erschient dies jedoch eher ungewöhnlich. Der Tribut an das „gemischte“ Entstehungsszenario ist unübersehbar. Das Bildprogramm zur Weihnachtssequenz bleibt aber dabei nicht stehen, sondern zieht an dieser einen Stelle sogar die Initiale auf die weltliche Seite hinüber. Nicht das liturgische Festgeheimnis, also Weihnachten, sondern fürstliche Heraldik als Initialminiatur – in dieser Sub54 Die Sequenz ist greifbar in AH 54 Nr. 218. Zur Parodie vgl. Paul Lehmann, Die Parodie im Mittelalter, Stuttgart 1963, S. 124–127, und die Belege bei Hans Walther, Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris Latinorum. Alphabetisches Verzeichnis der Versanfänge mittellateinischer Dichtungen, 2., durchges. Aufl. mit Erg. u. Berichtigungen zur 1. Aufl., Göttingen 1969, Nr. 20366. 55 Kap. 81, Verse 53 f.: Der keller spricht: brot mir eyn wurst / Her koch, so lesch ich dir den durst. Für den Hinweis auf diese Stelle danke ich Rudolf Veit (Stuttgart). 56 Michael Camille, Image on the Edge. The Margins of Medieval Art, London 1992.
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stitution manifestiert sich der instrumentalisierende Zugriff des Politischen auf das Liturgisch-Sakrale! Dass er gerade hier, also im Kontext des Sequentiars, stattfindet, ist symptomatisch, befinden wir uns doch hier in einem Bereich, der aufgrund seines textlich wie musikalisch freien Charakters immer ein potentielles Einfallstor für Weltliches und wohl auch deshalb in Kontexten kirchlicher Reform seit jeher eher verpönt war. Die Verbote und Einschränkungen beginnen schon mit der Synode von Meaux von 845, Cluny singt textierte Sequenzen nur an Hochfesten, gänzlich verboten sind sie bei den Zisterziensern, und auch Melk verlangt – das Tridentinum vorwegnehmend – eine Reduktion auf vier Gesänge.57 Dass das Lorcher Graduale trotz dieser restriktiven Linie der Melker mit einem großangelegten (und reich verzierten!) Sequentiar ausgestattet wurde, ist bezeichnend für die eingangs schon angesprochene Flexibilität und Toleranz der Melker Reform. Inspirierend wirkte offenbar – so überraschend das hier zunächst erscheinen mag – die NotkerRenaissance in St. Gallen im Vorfeld der Feier des 600. Todestages des Dichtermönchs am 6. April 1512.58 Die Vermittlungsschiene verläuft sehr direkt: Am 1. August 1510, also unmittelbar vor dem Lorcher Projekt, vollendete nämlich das bewährte Duo Wagner / Bertschi in St. Gallen ein prachtvoll illuminiertes Sequentiar, das heute leider bis auf zwei Blätter im Basler Kupferstichkabinett und in der Zentralbibliothek Zürich als verloren gelten muss.59 Als Grundlage für diese Luxushandschrift diente der so genannte „Codex Cuontz“ (St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 546), eine umfangreiche Sequenzensammlung, die der St. Galler Konventuale Joachim Cuontz zusammengestellt hatte.60 Liest man nun im Lorcher Graduale die ungewöhnliche – im Grunde nicht liturgische, sondern hagiographisch-historiographische! – Rubrik zu Natus ante saecula (AH 53 Nr. 15), der ersten Notkersequenz (auf der nun schon mehrfach diskutierten Seite 236v [Abb. 4, S. XVI]), so wird der Zusam57 Vgl. zum Ganzen den Überblicksartikel „Sequenz“ von Franz K. Praßl (Lexikon des Mittelalters 7. 1995. Sp. 1770–1773). Zu Meaux s. Andreas Haug, Ein neues Textdokument zur Entstehungsgeschichte der Sequenz, in: Festschrift Ulrich Siegele zum 60. Geburtstag, hrsg. von Rudolf Faber, Kassel 1991, S. 9–19. Belege für die Melker Praxis bei Joachim Angerer, Erneuerung (wie Anm. 5), S. 90–94. 58 Vgl. dazu Andreas Haug, Sankt Gallen, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neu bearb. Ausgabe, Sachteil 8, Kassel 1998. Sp. 948–969, bes. Sp. 959 f. und 967. 59 Merkl (wie Anm. 1), S. 276 f. (Kat.-Nr. 4). 60 Vgl. Frank Labhardt, Das Sequentiar Cod. 546 der Stiftsbibliothek von St. Gallen und seine Quellen 1, Bern 1959.
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menhang mit St. Gallen unmittelbar evident: Ad summam missam sequentia beati Notkeri monachi santi Galli et compositoris sequentiarum heißt es in Lorch – Notkerus… sequenciarum primus primorum extitit fundator et compositor in der Würdigung Notkers bei Cuontz (85r).61 Leonhard Wagner, der übrigens 1510 in St. Gallen aus den dortigen Handschriften eine ganze Reihe von Texten Notkers, Tuotilos, und anderer exzerpierte und in seine bereits erwähnte Kollektaneenhandschrift aufnahm, schlägt hier eine bisher wenig beachtete Brücke von St. Gallen nach Lorch, wo im übrigen auch eine Reihe von Versen aus dem „Liber benedictionum“ Ekkehards IV. (gest. nach 1056)62 und eine im berühmten HartkerAntiphonar und weiteren St. Galler Handschriften belegte tropenartige Einleitung zum Te Deum (ebenfalls in Hexametern)63 als Beischriften in der Bordüre zur dritten Weihnachtsmesse im Graduale (f. 13v) Verwendung finden, außerdem in der Bordüre zu Mariae Himmelfahrt (f. 219r) zwei Textsplitter (Qua gloria und Quae domino coeli) aus dem 8. Versikel der Notker-Sequenz Congaudent angelorum (AH 53 Nr. 104). Offenbar hat Wagner über seine Funktion als Notator hinaus einen wichtigen Part 61 Labhardt (wie Anm. 60), S. 27 f.; vgl. auch Haug, St. Gallen (wie Anm. 58), Sp. 967 (mit Erwähnung der Lorcher Rubrik). – Auch der Leoniner zur Notker-Darstellung Bertschis auf der ersten Seite des Anm. 24 bereits genannten Graduale Cod. 1767 der St. Galler Stiftsbibliothek gehört in diesen Zusammenhang (und könnte im übrigen darauf hindeuten, dass die Handschrift eher um 1510 als um 1506, wie von Merkl [wie Anm. 1] vorgeschlagen, zu datieren ist). Der Vers stammt aus Ekkehard IV., Liber benedictionum (ed. Johannes Egli, Der Liber Benedictionum Ekkeharts IV. nebst den kleineren Dichtungen aus dem Codex Sangallensis 393 (Mitteilungen zur Vaterländischen Gesch. 31), St. Gallen 1909, S. 225). Wagner hat ihn 1510 ebenfalls in seine Sammelhandschrift aufgenommen (vgl. Rolf Schmidt, Reichenau und St. Gallen. Ihre literarische Überlieferung zur Zeit des Klosterhumanismus in St. Ulrich und Afra zu Augsburg um 1500, Sigmaringen 1985, S. 157 Nr. 4; Gehrt [wie Anm. 46] S. 217). 62 Virgo parensque datum…, Rore dei plena…, Virgo mater natum… Natus adest…, Mundum confractum… (Lib. ben. I, 20.110, II, 17.22.29. ed. Egli [wie Anm. 61], S. 12, 17, 23 f.). – Genau in derselben Zusammenstellung und Reihenfolge wie im Lorcher Graduale (einschließlich der bei Egli [wie Anm. 61] nicht nachgewiesenen Texte!) finden wir die Verse in Wagners Sammelhandschrift (f. 436r) (vgl. Schmidt [wie Anm. 61], S. 164 u. Gehrt [wie Anm. 46], S. 224). Diese Beobachtung erlaubt nun auch die Rekonstruktion der teilweise unlesbar gewordenen Texte in der Lorcher Handschrift und damit eine Ergänzung und Korrektur der Transkriptionen von Gottwald und Merkl (wie Anm. 1). – Einige Verse (Laus honor infanti…, Natus adest Christus… und Gloria virginee…[Lib. ben. II, 7.22.44, ed. Egli [wie Anm. 61], S. 23 und 25]) finden sich übrigens schon in dem ebenfalls von Bertschi illuminierten Graduale St. Gallen 1767 (zu diesem auch Anm. 24 und 54). 63 Quid regina poli… im Hartker-Antiphonar (St.Gallen 390), p. 8 und 50 (außerdem auch in den Codices St. Gallen 376 und 382; vgl. Schmidt [wie Anm. 61], S. 161 Nr. 20, und Gehrt [wie Anm. 46], S. 218). Siehe auch Corpus Troporum 3, éd. critique des textes par Gunilla Björkvall u. a., Stockholm 1982, S. 215 und 253.
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für das Gesamtkonzept der Chorbücher und nicht zuletzt für deren Bildprogramm gespielt, denn auf sein Konto dürften diese St. Galler Entlehungen gehen. Auch für die Wappenmalereien ist sein Einfluss nicht gering zu veranschlagen.64 Aber noch einmal zu Grates nunc omnes. Gibt es Gründe – einmal abgesehen vom eher trivialen Sachverhalt, dass sich der Beginn eines Textabschnitts ohnedies für eine Auszeichnung anbietet – warum das hochpolitische Bildprogramm in der Lorcher Handschrift gerade im Zusammenhang mit diesem Gesang entwickelt wird? Intertextuelle Bezüge zur Sequenz selbst sind nicht zu erkennen – sehr wohl aber zum liturgischen Kontext, den sie vertritt: Grates gehört zur ersten Weihnachtsmesse (der so genannten Missa in galli cantu) und wird dort unmittelbar nach dem als Alleluia-Vers verwendeten Psalmtext Filius meus es tu hodie genui te (Ps. 2, 7) gesungen, der im übrigen schon im Eingangsgesang Dominus dixit ad me Verwendung findet.65 Dieser „genealogischen“ Prägung der Messe entspricht auch das im dritten Teil der Matutin, also unmittelbar vor der Messe, gelesene und kommentierte Evangelium: der so genannte Liber generationis Jesu (Mt 1), welcher der innergöttlichen Zeugung des Sohnes ab aeterno gleichsam seine Abstammung als Mensch gegenüberstellt. Ernst-Dieter Hehl und Wolfgang Christian Schneider haben gezeigt, dass gerade dieser Text des irdischen „Stammbaums Jesu“ für die ottonischen und salischen Dynasten zu einer Art Legitimationsbasis ihres sakral aufgefassten Königtums geworden ist.66 Dies belegen eine Reihe von Bildzeugnissen, meist aus illuminierten Handschriften. Besonders gilt dies für die Herrschermedaillons, die in manchen Evangeliaren des 10./11. Jahrhunderts als Bestandteil des Initialschmucks zum Beginn des Matthäus-Evangeliums erscheinen. Die teils durch die Beischriften der Medaillons identifi64 Zum heraldisch überaus kompetenten Milieu, das Wagner in Augsburg zur Verfügung stand, s. schon Decker-Hauff (wie Anm. 19), S. 7 f. Vgl. jetzt auch Berschin (wie Anm. 13), S. 244, der die Augsburger Sodalitas literaria ins Spiel bringt, mit der die Mönche von St. Ulrich und Afra rege Kontakte pflegten (vgl. auch oben, Anm. 17). In diesem Zusammenhang ist auch das hochinteressante Wappenkonvolut aus Bertschis Werkstatt zu erwähnen, auf das Merkl (wie Anm. 1), S. 166–171, hingewiesen hat. 65 Antiphonale missarum sextuplex, d’après le graduel de Monza et les antiphonaires de Rheinau, du Montblandin, de Compiègne, de Corbie et de Senlis, éd. par RenéJean Hesbert, Bruxelles 1935, Nr. 9a. 66 Wolfgang Christian Schneider, Die Generatio imperatoris in der Generatio Christi, in: Frühmittelalterl. Studien 25 (1991), S. 226–258; Ernst-Dieter Hehl, Maria und das ottonisch-salische Königtum. Urkunden, Liturgie, Bilder, in: Historisches Jahrbuch 117 (1997), S. 271–310.
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zierbaren Herrscher und ihre Vorfahren werden über das Bild in die Ahnenfolge Jesu Christi einbezogen und dadurch gleichsam zu heilsgeschichtlichen Figuren stilisiert.67 Eine so emphatische Form herrscherlicher Beglaubigung kann natürlich nicht mehr Anspruch unserer ein halbes Jahrtausend jüngeren Bildseite sein. Dennoch scheint mir hier eine bewusst intendierte Anknüpfung adligen „Herkommen“Denkens an die christologische generatio-Thematik vorzuliegen, die in ihrem direkten und unverhüllten Einsatz des heraldischen Vokabulars die Intertextualität mit dem Geistlich-Liturgischen in gewisser Weise fast noch stärker – und provozierender – in Anspruch nimmt als das ottonische Beispiel. Eine derartige Zuspitzung ist nur möglich vor dem Hintergrund des angesprochenen Phänomens der Lorcher „Staufer-Renaissance“: Diese ist als Rückbesinnung des Klosters auf die eigenen Ursprünge genuiner Ausdruck jener für Melk und andere spätmittelalterliche BenediktinerReformen so charakteristischen Haltung, die Klaus Schreiner auf den prägnanten Begriff „Erneuerung durch Erinnerung“ gebracht hat.68 Zugleich eröffnet sie aber auch dem Landesherrn die Möglichkeit einer Anknüpfung an identitätsstiftende Traditionen und bietet sich so als gemeinsamer Nenner der beiderseitigen Interessen und Ansprüche an. Dies hat indessen seinen Preis. Wenn sich herrschaftlicher Repräsentationsanspruch des liturgischen Buchs bedienen will, so hat er sich auch den Funktionsmechanismen dieses Mediums einzufügen. Vor allem betrifft dies den Grad der „publicity“, mit dem er rechnen darf. Die Innsbrucker Turmfassade – um nochmals das Beispiel Maximilians aufzunehmen – zielt ganz bewusst auf breite öffentliche Wahrnehmung, die Malereien in den Lorcher Chorbüchern haben hingegen in ihrem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang im Grunde kaum ein Publikum: sichtbar sind sie nur für jene Handvoll Mönche, die sie im Gottesdienst benutzen. Bleibt – so möchte man einwenden – die Lorcher Bildseite unter solchen Voraussetzungen nicht eine Botschaft ohne Adresse und mithin auch eine Botschaft ohne Sinn? Gerade für eine politisch intendierte Ikonographie muss Öffentlichkeitswirkung ja als konstitutiv angesehen Wolfgang Christian Schneider (wie Anm. 65), S. 240. Klaus Schreiner, Erneuerung durch Erinnerung. Reformstreben, Geschichtsbewusstsein und Geschichtsschreibung im benediktinischen Mönchtum Südwestdeutschlands an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hrsg. von Kurt Andermann (Oberrheinische Studien 7), Sigmaringen 1988, S. 35–87. 67 68
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werden. Éric Palazzo hat allerdings jüngst zurecht daran erinnert, dass sich die Rolle des liturgischen Bildes – und das gilt dann auch für ein politisch aufgeladenes Bild in liturgischem Kontext – aus mittelalterlicher Perspektive durchaus nicht nur über die direkte Funktionalität des Gesehenwerdens definiert, sondern auch oder sogar primär über die Kategorie der Präsenz: „Les images liturgiques… n’ont … pas été spécialement conçues pour être vues… L’essentiel aux yeux des contemporains était que l’image … soit là, présente au moment du déroulement de la liturgie.“69 Das setzt freilich ein religiös-kultisches Verständnis von Liturgie voraus, das uns fremd geworden, um nicht zu sagen: weitgehend abhanden gekommen ist. So gesehen ist es eine zusätzliche Pointe der Lorcher Stauferseite, uns daran zu erinnern, dass neben dem Mainstream der funktionalen Bildlichkeit auch so etwas wie eine „andere“, verborgenere Tradition des „non-vu“ existiert, deren Wurzeln, wie Paul Veyne unter dem Stichwort „œuvres d’art sans spectateurs“ gezeigt hat, bis in die römische Antike zurückreichen70 – anders (und zugespitzt) formuliert: ein Modus von Bildlichkeit, dessen Funktionieren gerade darauf beruht, dass er nicht auf Funktionalität reduzierbar ist.
V Herzog Ulrich suchte freilich ganz dezidiert die Außendarstellung, galt es doch für ihn, wie Gabriele Haug-Moritz formuliert hat, „den Bedeutungszuwachs des Hauses Württemberg, das scheinbar nahtlose Anknüpfen an die Erfolge seines Großonkels Eberhard… nicht nur zu erkämpfen, sondern auch für andere zu veranschaulichen: durch ein prachtvolles Auftreten auf dem Reichstag, durch einen prestigefördernden Hofstaat, durch eine … prachtvoll inszenierte Hochzeit …“.71 Wenn er hier nun auch das liturgische Buch als Repräsentati-
69 Eric Palazzo, Iconographie et liturgie dans les études médiévales aujourd’hui: un éclairage méthodologique, in: Cahiers de Civilisation Médiévale 41 (1998), S. 65–69, hier S. 67; erneut (in größerem Zusammenhang) in ders.: Liturgie et société au Moyen Age, Paris 2000, S. 153. 70 Paul Veyne, Conduites sans croyance et œuvres d’art sans spectateurs, in: Diogène 143 (1988), S. 3–22. 71 Gabriele Haug-Moritz, Ulrich – Herzog von Württemberg (1487–1550). Eine biographische Skizze, in: Herrschaft im Wandel (Tübinger Universitätsreden N.F. 36), Tübingen 2001, S. 65–89, hier S. 72 (Hervorhebung im Text von mir).
die lorcher chorbücher
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onsinstrument benutzt, dann dürfte dies durchaus im Bewusstsein der eben angesprochenen Eigengesetzlichkeit dieses Mediums geschehen, ja möglicherweise sogar als gezielte Inanspruche des mit einer solchen Geste verbundenen Potenzials an religiöser „Beglaubigung“ des eigenen Anspruchs. Es bleibt die Frage, in welchem Maße der Herzog die Lorcher Handschriften noch als Projekt im Kontext klösterlicher Reform – und damit in ihrem Zusammenhang mit der Initiative seines Großvaters 50 Jahre zuvor – wahrgenommen hat. Zwar setzt er sich praktisch gleichzeitig, nämlich 1510, für eine Reform der Benediktiner in Murrhardt ein, wie im übrigen auch die Schlussschrift des ersten Teils in Cod. mus. I 2° 64 (f.106r) erkennen lässt,72 und verhindert dabei in seiner Eigenschaft als Klostervogt die Umwandlung der Abtei in ein weltliches Chorherrenstift. Dieser Vorgang signalisiert ein grundsätzliches Interesse an klösterlicher Erneuerung, und Ulrichs Haltung erscheint als symptomatischer Ausdruck „für die Mentalität und Verfassung einer Gesellschaft, in der Frömmigkeit und Politik, geistliche und weltliche Ordnung im Interesse des ‚allgemeinen Heils‘, der ‚publica utilitas‘, eng miteinander verflochten waren.“73 Insgesamt aber ist Ulrichs Agieren in Kirchen- und Klosterangelegenheiten, das vor einem bis ins 15. Jahrhundert zurückreichenden Traditionshintergrund kontinuierlichen landesherrlichen Reformengagements zu sehen ist, nicht ohne Ambivalenz: In der am Beispiel der Lorcher Chorbücher und ihrer künstlerischen Ausstattung beobachteten Tendenz zur Vereinnahmung und Instrumentalisierung kündigen sich bereits Vorgänge wie der in seiner Selbstverständlichkeit fast schon irritierende, der Finanzierung der Hofkapelle geltende Zugriff auf kirchliche Pfründen im Jahr 1517 an. Die eigentliche „Brisanz dieses um sich greifenden neuen Selbstverständnisses von herrschaftlicher Einflussnahme auf die Kirche“74 manifestiert sich allerdings erst 72 Der Schreiber Conradus Bavari vermerkt dort ausdrücklich, er sei derzeit auf Anordnung des Herzogs von seinem Abt nach Murrhardt abgeordnet, um dort die Reform ins Werk zu setzen (pro tunc autem ordinatione illustris principis Udalrici ducis de Wirtemberg et Teck etc. a reverendo in christo patri et domno Sebastiano abbati … ad monasterium sancti Januarii episcopi et martyris Murrhardt pro initianda reformatione destinatus…). 73 So Klaus Schreiner, Benediktinische Klosterreform als zeitgebundene Auslegung der Regel, in: Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 86 (1986), S. 105–195, hier S. 189, der sich zwar auf die Situation des ausgehenden 15. Jahrhunderts unter Eberhard im Bart bezieht, doch lässt sich diese Charakterisierung der Verhältnisse ohne weiteres auch auf Ulrichs Epoche übertragen. 74 Vgl. dazu Dieter Stievermann, Die württembergischen Klosterreformen des 15.
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reformen am vorabend der reformation
zwei Jahrzehnte später, dann aber in drastischer Zuspitzung: in der vom Herzog verfügten Aufhebung Lorchs und der anderen klösterlichen Einrichtungen Württembergs, deren alte Existenzform mit den ungleich radikaleren Vorstellungen von Reform, die der Landesherr vertritt, nicht mehr kompatibel ist. Am Schicksal einer Figur wie Laurentius Autenrieth, dem Hauptschreiber der Gradualehandschrift, ist dies geradezu exemplarisch abzulesen. Als letzter katholischer Abt Lorchs erlebt er zwei Jahrzehnte später die Aufhebung des Klosters durch den Herzog in der ganzen Härte der institutionellen und persönlichen Konsequenzen. Die Partner von 1511 werden 1535 zu Antagonisten – aber damit bin ich bei einem Thema, das Peter Rückert in einem eigenen Beitrag verhandelt hat.75 Eine abschließende Pointe: Von den Chorbüchern berichtet Autenrieth den württembergischen Beamten, der aus Lorch ausgewiesene Konvent habe sie „mit in hinweggenommen“.76 Das mutet geradezu symbolträchtig an: Die Konstellation einer Erinnerungsgemeinschaft von Kloster und Landesherr, wie sie die Ikonographie der Handschriften eindrucksvoll dokumentiert, ist spätestens 1535 endgültig zerbrochen. Dass die prachtvollen Codices gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf Umwegen doch noch nach Stuttgart gelangten, ist wiederum ein anderes Kapitel.77
Jahrhunderts. Ein bedeutendes landeskirchliches Strukturelement des Spätmittelalters und ein Kontinuitätsstrang zum ausgebildeten Landeskirchentum der Frühneuzeit, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 44 (1985), S. 65–103, hier S. 98. 75 Peter Rückert, Laurentius Autenrieth. Ein Lorcher Abt zwischen Reform und Reformation, in: 900 Jahre Kloster Lorch (wie oben, S. 523, Anm. *), S. 149–163. 76 Hummel (wie Anm. 1), S. 153. 77 Über Herzog Karl Eugen. Dazu Paulus Weißenberger, Lorcher Handschriften in Neresheim, in: Theologische Quartalschrift 140 (1960), S. 304–320, bes. S. 312–315.
die lorcher chorbücher
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Anhang: Herstellung der Lorcher Chorbücher 1. Anteile der beteiligten Schreiber und Maler Cod.mus. I 2° 63
Cod.mus. I 2° 64
Fridericus Scriptoris de Schorndorf (Lorch)
2r–57r(?): 1512 (?)
213r–308r: bis 28.1.1512
Balthasar Schad de Esslingen (Elchingen)
57r(?)-104v: bis 22.9.1512 105r–181r: bis 28.3.1512 221r–315v: bis 1.8.1512
Udalricus Flechsinhar (Augsburg)
182r–221r:1511
Cod.mus. I 2° 65
Text
Conradus Bavari (Lorch/Murrhardt)
1r–106r: bis 22.1.1512
Laurentius Autenrieth de Blaubeuren (Lorch)
107r–175r: bis 25.7.1512
Udalricus Goedelin (Lorch)
177r–212r: bis 21.10.1511
ganz: bis 6.3.1512
Notation Michael Keuerleber de Nürtingen (Lorch)
182r–221r(?): 1511
1r–175r: bis 25.7.1512 ganz: bis 6.3.1512
Leonhard Wagner (Augsburg) Malerei Nikolaus Bertschi
242r:1512
137r:1511 177r, 190r: 1511 17v, 107r, 139r, 144v: 13v, 236v: 1512 1512
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reformen am vorabend der reformation 2. Synoptisches Szenario (Text und Notation)
Cod.mus. I 2° 63
Cod.mus. I 2° 64
Cod.mus. I 2° 65 Beginn wohl Sept./Okt. 1510
1511: Commune Sanctorum (182r–221r) bis 21.10.1511 Commune Sanctorum (177r–212r) bis 22.1.1512: Proprium de Tempore, Winter (1r–106r) bis 28.1.1512 (d. h. praktisch gleichzeitig!): Proprium de Sanctis (213r–308r) 1512 (vor 57r–104v): Proprium de Tempore, Winter bis Epiph. (2r–181r) Abschluss 6.3.1512 bis 28.3. 1512: Proprium de Tempore, Sommer (105r–181r) bis 25.7.1512: Proprium de Tempore, Sommer (107r–175r) bis 1.8.1512: Proprium de Sanctis (221r–315v) bis 22.9.1512: Proprium de Tempore, Rest des Winterteils (57r–104v)
VERZEICHNIS DER BENUTZTEN LITERATUR
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REGISTER
1. Handschriften Admont, Stiftsbibliothek Cod. 712: 252 Amiens, Bibliothèque Municipale Ms. 131: 238 Baden-Baden, Kloster Lichtenthal, Archiv Hs. 1: 153 Baden-Baden, Kloster Lichtenthal, Bibliothek Hs. 1–2: 452, 502 Hs. 3: 452 Hs. 7: 442, 444 Hs. 10: 153 Hs. 19: 442, 444 Hs. 25: 153, 444, 490 Hs. 26: 442, 444 Hs. 29: 415, 424, 442, 443, 444 Hs. 92: 442, 444 Hs. 100: 444 Hs. 102: 492–493, 502 Hs. 103: 452, 502 Hs. 108: 444 Baltimore, Walters Art Gallery Ms. 6: 72 Bamberg, Staatsbibliothek Lit. 5: 73, 75, 380 Lit. 152: 104 Basel, Universitätsbibliothek Ms. N I 6 No. 52a/b: 86–87 Benevento, Biblioteca Capitolare Ms. 21: 72
Berlin, Staatsbibl. Preuß. Kulturbes. Ms. lat. 2° 410: 144 Ms. lat. 4° 676 [olim Philipps 18908; zur Zeit in Krakau]: 19 Ms. theol. lat. 4° 9: 460, 464–481, 491, 501 Ms. theol. lat. 8° 13: 460, 469, 477, 501 Mus. Ms. 40608: 294 Bonn, Universitätsbibliothek S 310: 142–143 Cambrai, Bibliothèque Municipale Ms. 164: 39 Città del Vaticano s. Roma Cividale, Biblioteca Capitolare Ms. 80: 293 Cividale, Museo Archeologico Nazionale Ms. CXXXVII: 181, 381, 403 Colmar, Bibliothèque Municipale Inc. I 5859 (beigebundene Handschrift): 495 Ms. 331: 171 Ms. 346: 202 Ms. 352: 430 Ms. 437: 424 Ms. 444: 276 Ms. 445: 415–416 Ms. 464: 120 Ms. 492: 424
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Cologny-Genf, Bibliotheca Bodmeriana, Cod.127: 423 Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Cod. 929: 104, 141, 160, 334 Cod. 4204: 86 Dillingen, Studienbibliothek Cod. XV 34: 498 Einsiedeln, Stiftsbibliothek Ms. 237: 214 Ms. 366: 288 Ms. 466: 287 Firenze, Biblioteca Nazionale e Centrale Cod. B.R. 231: 50 Frankfurt a.M., Stadt- und Universitätsbibliothek Ms. Praed. 169: 464 Freiburg i. Br., Universitätsbibliothek Hs. 154: 165 Fulda, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Aa 6: 306 Aa 32: 327, 332 Aa 56: 316 Aa 72: 189, 291, 333 Aa 123: 191 Göttingen, Universitätsbibliothek Ms. theol. 92: 143 Ms. theol. 231: 52, 311 Graz, Universitätsbibliothek Ms. 1449: 378 Heidelberg, Universitätsbibliothek Cod. Sal. VII 120: 433 Cod. Sal. IX b: 50 Cod. Sal. IX 43: 433 Cod. Sal. IX 67: 442, 430 Cod. Sal. X 7: 422 Cod. Sal. X 19–22: 423, 433 Cod. Sal. XI 7: 422, 430
Cod. Sal. XI 10: 422 Cod. Sal. XI 11: 426 Houston (Texas), Public Library Ms. 4: 453, 502 Jena, Universitätsbibliothek Ms. Bud. f. 366: 317–318 Karlsruhe, Badische Landesbibliothek Aug. XVIII: 18, 24 Aug. LX: 51, 73, 192, 220, 275, 394, 396, 428 Aug. LXXXIV: 65, 66, 70, 71 Aug. CII: 99 Aug. CIX: 17, 19 Aug. CXII: 51, 53 Aug. CXXXVI: 17, 19 Aug. CLXXV: 70 Aug. CCII: 17, 19 Aug. 209: 288 Gengenbach 5: 86 Karlsruhe 1001: 102, 103, 105, 106–108, 109, 208, 320, 337, 338, 342 Karlsruhe 1063: 433 Karlsruhe 3164: 501 Lichtenthal 1: 442, 443 Lichtenthal 2: 426, 442, 443 Lichtenthal 10–14: 446 Lichtenthal 15: 443, 446 Lichtenthal 17: 120, 460, 501 Lichtenthal 18: 460, 501 Lichtenthal 19: 153 Lichtenthal 20: 460, 469, 501 Lichtenthal 27: 153, 442 Lichtenthal 28: 442 Lichtenthal 29: 460, 501 Lichtenthal 32: 442 Lichtenthal 38: 451, 485 Lichtenthal 39: 120 Lichtenthal 40: 452, 502 Lichtenthal 41: 460, 501 Lichtenthal 46: 444 Lichtenthal 49: 452, 502 Lichtenthal 53: 451, 485, 502 Lichtenthal 54: 451, 452, 485, 502 Lichtenthal 57: 455, 460, 501
1. handschriften Lichtenthal 58: 146, 152 Lichtenthal 60: 153 Lichtenthal 62: 152 Lichtenthal 64: 450 Lichtenthal 72: 449, 485, 461, 502 Lichtenthal 78: 502 Lichtenthal 85: 450, 485, 502 Lichtenthal 108: 120 Lichtenthal 110: 120 Lichtenthal 127: 152 Lichtenthal 135: 124 Rastatt 22: 88 St. Peter perg. 29a: 429–430, 432 St. Peter perg. 30: 457 U.H.1: 430 Wonnenthal 1: 430 Karlsruhe, Badisches Generallandesarchiv 65/323: 443 64/19: 449, 451 64/47: 449, 451, 453, 454, 461 67/713: 451 Köln, Dombibliothek Hs. 88: 314 Hs. 137: 314 Köln, Historisches Archiv W 276a: 271 Kremsmünster, Stiftsbibliothek CC 28: 291, 313, 318 CC 309: 291 Lichtenthal s. Baden-Baden Linz, Universitätsbibliothek Hs. 290: London, British Library Add. Ms. 18301: 199, 245 Add. 22395: 499, 502 Arundel Ms. 44: 102, 108–111, 181 Arundel Ms. 340: 246, 248 Egerton 809: 102 London, Victoria and Albert Museum Ms. L 404: 320
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Luzern, Zentral- und Hochschulbibliothek KB Ms. 31 2°: 499 Mainz, Bischöfliches Priesterseminar Ms. 1: 323 Melk, Stiftbibliothek Cod. 109: 291 Fragm 106/1–2: 336 Fragm. 107: 337 Monte Cassino, Biblioteca dell’Abbazia Cod. 451: 328 München, Bayerische Staatsbibliothek Cgm 109: 498 Clm 703–704: 142 Clm 935: 468 Clm 1379: 216 Clm 4351: 538 Clm 6251: 109 Clm 6499: 450 Clm 9633: 245 Clm 13001: 127 Clm 14069: 242, 243 Clm 14159: 111 Clm 14322: 292, 377 Clm 14741: 222, 243 Clm 14771: 222 Clm 14871: 242 Clm 15512: 212 Clm 17024: 242 Clm 17027: 234 Clm 19557: 219 Clm 22040: 334 Clm 23037: 226, 230, 428 Clm 23270: 318 Clm 27130: 284, 378 Clm 29300/10: 58 Napoli, Biblioteca Nazionale Cod. VI G 29: 78
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New York, Pierpont Morgan Library Ms. 710: 300–364, 366, 373–374, 378–379, 382–385, 402 Ms. 711: 337, 354–355, 357, 374
Ottob. lat. 145: 72, 78 Pal. lat. 621: 425 Ross. 76: 289 Ross. 181: 354, 381 Ross. 204: 320, 324
Nürnberg Stadtbibliothek Solg. Ms. 1. 12°: 144
Roma, Biblioteca Casanatense Ms. 1741: 292
Oxford, Bodleian Library Auct. D.I.20: 43, 56 Canon. liturg. 297: 218, 248 Canon. liturg. 325: 194, 196, 198, 291 Canon. liturg. 340: 201, 209, 289, 291 Canon. liturg. 346: 201 Laud. Misc. 632: 466
Roma, Biblioteca Nazionale Centrale Vittorio Emmanuele Ms. 1343 : 292
Paris, Bibliothèque Nationale de France Lat. 1092: 77 Lat. 2291: 47, 52, 68 Lat. 2292: 323 Lat. 3827: 27 Lat. 9430: 60, 322 Lat. 12050:18, 47 Lat. 13108: 94 Lat. 18005: 48, 50 Nouv. acq. lat. 772: 154 Nouv. acq. lat. 1177: 293 ˇ Praha, Národní Knihovna Ceské Republiky VI E 4c: 246 XII E 15c: 251 XIV B 13: 246
Sankt Gallen, Stiftsbibliothek Cod. 20: 19 Cod. 53: 382 Cod. 60: 382 Cod. 161 Cod. 338: 288 Cod. 340: 320 Cod. 348: 46–49 Cod. 359: 383 Cod. 366: 288 Cod. 376: 288, 543 Cod. 378: 288 Cod. 379: 288 Cod. 381: 288, 380 Cod. 382: 288, 543 Cod. 387: 248 Cod. 390: 543 Cod. 545: 219 Cod. 546: 542 Cod. 914: 43 Cod. 1767: 533, 543
Regensburg, Fürst Thurn-undTaxis-Hofbibliothek Ms. 32: 146 Reims, Bibliothèque Municipale Ms. 213: 52 Roma, Biblioteca Angelica Cod. 948: 207, 209, 210, 288 Roma, Biblioteca Apostolica Vaticana Lat. 7172: 77
Saint Omer, Bibliothèque Municipale Ms. 716–5: 115 Sankt Gallen, Stiftsarchiv Cod. 369: 214
Sankt Paul (Kärnten), Stiftsbibliothek Cod. 30/1: 50 Cod. 31/1 (alt 25.4.18): 442, 444, 445 Cod. 37/2 (alt 25.3.9): 161 Cod. 71/1 (alt 25.2.1): 265
1. handschriften Schaffhausen, Stadtbibliothek Min. 44: 99–100 RC 103: 124 Schweinfurt, Bibliothek Otto Schäfer OS 1233: 487 Séléstat, Bibliothèque Humaniste Ms. 13: 103, 112–113, 146 Ms. 16(96): 113–114, 146 Ms. 104: 468 Solothurn, Bischöfliches Archiv Codex Gressly: 311–314, 323– 326 Solothurn, Domschatz o.S. (Hornbacher Sakramentar, ehemals ZB Solothurn, Cod. U 1): 50 Strasbourg, Bibliothèque du Grand Séminaire Ms. 37: 265 Strasbourg, Bibliothèque Nationale et Universitaire Ms. 772: 154 Stuttgart, Hauptstaatsarchiv A 284/39 Bü 2a: 145 A 516 Bü 34: 148 H 101/56, Bd. 1801: 122 H 102/63, Bd. 26: 124 J 522 B 1 669: 150 J 522 B XI 742: 121 Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek Cod. bibl. 2° 20: 207, 208, 291, 312, 313, 315, 316, 317, 318, 336 Cod. bibl. 2° 34: 138, 150, 153, 219 Cod. bibl. 2° 56–58: 100, 105, 117, 119, 179, 244, 281, 355 Cod. bibl. 2° 69: 425 Cod. bibl. 2° 71: 104, 116 Cod. bibl. 4° 36: 284 Cod. bibl. 8° 17: 226
603
Cod. brev. 1: 475 Cod. brev. 98: 199, 227, 238, 240, 243, 244, 251 Cod. brev. 100: 202 Cod. brev. 106: 219 Cod. brev. 123: 207, 284, 287, 291, 312, 313, 315, 317, 318, 325, 336, 337, 428 Cod. brev. 128: 124 Cod. brev. 160: 284, 291, 380 Cod. Donaueschingen 191: 21, 32–63, 67, 308 Cod. Donaueschingen 309: 465– 466 Cod. Donaueschingen 355: 466– 467 Cod. Donaueschingen 654: 265 Cod. Donaueschingen 655: 265 Cod. fragm. 24: 124 Cod. fragm. 53: 124 Cod. fragm. 56: 124 Cod. hist. 2° 1: 143 Cod. hist. 2° 329: 533 Cod. hist. 2° 410: 111 Cod. hist. 2° 415: 111, 257–285, 400 Cod. hist. 2° 509: 164 Cod. hist. 2° 1076: 142 Cod. hist. 4° 147: 103, 109, 118 Cod. hist. 4° 177: 505, 510 Cod. hist. 4° 197: 524 Cod. hist. 4° 202: 166 Cod. misc. 2° 37a–c: 101, 211 Cod. mus. I 2° 63–65: 427, 523– 550 Cod. poet. et phil. 2° 26: 213 Cod. poet. et phil. 2° 89: 141 Cod. poet. et phil. 4° 76: 140 Cod. theol. et phil. 2° 54: 131– 132, 133, 166 Cod. theol. et phil. 2° 94: 166 Cod. theol. et phil. 2° 95: 19 Cod. theol. et phil. 2° 211: 104, 116 Cod. theol. et phil. 2° 219: 213– 214 Cod. theol. et phil. 2° 223: 99
604
register
Cod. theol. et phil. 2° 277: 141, 151 Cod. theol. et phil. 2° 341: 400 Cod. theol. et phil. 4° 55: 132 Cod. theol. et phil. 4° 80: 123, 131, 133–134 Cod. theol. et phil. 4° 106: 134 Cod. theol. et phil. 4° 109: 139 Cod. theol. et phil. 4° 141: 263, 265–266, 409, 492 Cod. theol. et phil. 4° 234: 278 Cod. theol. et phil. 4° 249: 210, 214, 291 Cod. theol. et phil. 4° 253: 262 Cod. theol. et phil. 4° 654: 244, 356 Cod. theol. et phil. 8° 30: 498, 502 Cod. theol. et phil. 8° 53: 100, 103, 114, 115, 116, 122, 163 HB I 26: 504, 509–513, 515, 517 HB I 46: 130–131, 133, 134, 165 HB I 55: 191, 218, 316 HB I 76: 191 HB I 85: 207, 306, 312, 313, 315, 322 HB I 87: 505, 508– 512 HB I 98: 124, 199, 227, 337–356 HB I 236: 207, 306, 310, 312, 313, 315– 318, 320, 322, 336, 337– 356 HB I 240: 202–204, 295, 299, 300, 327, 329–332, 334, 336, 337–356, 379 HB II 24: 181, 381, 403 HB IV 27: 119, 124, 131, 146, 397 HB XIV 14: 19 HB XV 31: 165 HB XV 44: 149 HB XV 66: 356 HB XVII 1: 207 HB XVII 19: 191 HB XVII 22: 415 Tours, Bibliothèque Municipale Ms. 184: 322
Trento, Castello del Buon Consiglio Sakramentar o.S.: 60, 313–314 Trier, Stadtbibliothek Hs. 1245 / 597: 234 Tübingen, Wilhelmsstift Gb 4° 437: 120, 147, 164 Udine, Biblioteca Arcivescovile Ms. 43: 201, 202–204 Ms. 45: 201, 202–204, 245–246 Ms. 72: 200, 201, 202–204, 248 Ms. 73: 198, 200 Ms. 75: 209, 291 Ms. 77: 200, 201, 202–204, 245– 246 Ms. 78: 209 Ms. 93: 209 Ms. 234: 207, 209 Überlingen, Leopold Sophien Bibliothek Ms. 35: 494, 501 Verona, Biblioteca Capitolare Cod. LXXXVI: 42 Cod. CI: 42 Cod. CIX: 238 Wien, Kunsthistorisches Museum Hs. 4981: 174, 291, 299, 332, 365– 385 Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 1815: 42, 45, 51, 54–60 Cod. 1890: 218 Cod. ser. n. 2700: 291, 381–382 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek Guelf. 134.1. Extrav.: 95 Cod. 19. 5. Aug. 2°: 126 Cod. 18.14 Aug. 4°: 513, 519 Würzburg, Universitätsbibliothek Mp. f. 64b: 143
1. handschriften Zagreb, Arhiv HAZU Cod. III. d. 23: 289 Cod. III. d. 28: 289 Zagreb, Kaptoski arhiv bez sign. (17./18. Jh.): 289 Zagreb, Nacionalna i Scenˇciliˇsna Biblioteka Cod. MR 70: 289 Cod. MR 133: 289 Zürich, Zentralbibliothek Cod. C 43: 49 Rh. 14: 395, 402 Rh. 18: 119, 398 Rh. 19: 119, 398 Rh. 28: 217, 394
605
Rh. 29: 402 Rh. 30: 49 Rh. 54: 119 Rh. 60: 119 Rh. 66: 119, 397, 398 Rh. 70: 119 Rh. 73: 19, 21 Rh. 74b: 119, 226, 337–353 Rh. 80: 225, 337–353 Rh. 83: 77, 234, 240 Rh. 95 Rh. 97: 226, 227, 234, 245, 396 Rh. 111: 234 Rh. 129: 226, 248 Rh. 132: 227, 283, 291, 395 Rh. 174: 218
606
register 2. Personen
Adalbert II, Graf von Calw 18 Agnes von Böhmen (von Prag) 513 Agnes von Vinstingen, Gemahlin Bernhards I. von Eberstein 499 Albertus, Buchbinder in Heidelberg 139 Albertus de Wildberg, Mönch in Maulbronn 449 Albrecht Thumb von Neuburg, Fürstpropst von Ellwangen 532 Alkuin 29, 33, 38, 95, 115 Alphonsus de Spina 519 Ambrosius 385 Ambrosius Autpertus 296 Anselm von Canterbury 95, 133– 134, 279 Antenoreo s. Obelerio Antonius von Gernsbach, Mönch in Herrenalb 462–463 Athanasius von Alexandria 281 Augustinus 28, 96–97, 120, 134, 192, 276, 478 Augustinus von Ancona 131 Augustinus von Canterbury 356 Augustinus von Speyer, Mönch in Hirsau 165 Autenrieth, Laurentius, Abt von Lorch 524, 528, 535, 538, 548– 549 Azelin, Mönch in Hirsau und Abt von Blaubeuren 93 Baldung Grien, Hans 454, 474 Barco, Marco, Patriarch von Aquileia 71 Barkhauser, Johannes, Mönch in Herrenalb 462 Bartholomäus von Richtenberg, Abt von Herrenalb 461–462 Basellius, Nicolaus, Prior und Bibliothekar in Hirsau 106, 138– 147, 158, 162 Bavari, Konrad, Mönch in Murrhardt 528, 547, 549
Beatus Rhenanus 113, 138, 145–146 Bebel, Heinrich 536 Becht, Konrad, Mönch in Hirsau 148–149, 151 Beda Venerabilis 213, 357–358 Benedikt von Aniane 38, 42–43, 56–59, 61, 308 Bern (Berno) von Reichenau 74– 75, 78, 123 Bernhard, Abt von Saint-Victor (Marseille) 367 Bernhard von Clairvaux 409, 416, 440, 452, 454, 468–469, 478–479, 492, 494, 496, 502, 514, 516 Bernhard I. von Eberstein 499 Bernhard von Gernsbach, Abt von Hirsau 134, 136, 149, 160 Bernhard von Magstatt, Mönch in Herrenalb 462 Bernhard von Utrecht 97 Berno s. Bern Bernold von Konstanz 95, 112–113, 123 Bertharius von Monte Cassino 150 Berthold, Abt von Weingarten 300–364, 366, 374, 381–385, 402 Berthold, Bischof von Konstanz 345, 354 Berthold von Grüningen, Abt von Zwiefalten 261–263, 282 Berthold von Oberndorf, Mönch in Herrenalb 449 Bertolfus, Domdekan in Speyer 416 Bertolfus, Mönch in Schöntal 415, 424 Bertschi, Nikolaus, Augsburger Maler 529–533, 542–544, 549 Besold, Christoph 461, 504 Beytter, Jakob, Mönch in Bebenhausen 121 Birgitta von Schweden 144 Bock, Berthold, Mönch in Herrenalb 462 Bonaventura 433
2. personen Bonifatius 126 Bonifatius von Gernsbach, Mönch in Herrenalb 462 Boverus, Johannes, Mönch in Hirsau und Ebersheimmünster 155 Brant, Sebastian 541 Branz (Brantz), Dorothea, Nonne in Lichtenthal 451, 489, 502 Branz (Brantz), Bernhard, Mönch in Herrenalb 451, 489, 502 Brendel von Homburg s. Daniel Bretter, Ludwig, Mönch in Herrenalb 462–463 Bruno, Abt von Hirsau 95 Büntter, Heinricus, Mönch in Herrenalb 462–463 Burchard von Ursberg 538 Burgkmaier, Hans 530 Burkhard II., Abt von Rheinau 403 Carl Eugen, Hzg. von Württemberg 140 Christoph, Hzg. von Württemberg 141, 410 Cicero 147, 391, 493, 495 Cranach, Lucas d.Ä. 467 Crusius, Martin, Gräzist und Historiker 135–137, 162 Cuno (Cuono), Abt von Rheinau 119, 189, 387 Cuontz, Joachim, Mönch in Sankt Gallen 542–543 Daniel Brendel von Homburg, Erzbischof von Mainz 106 David von Augsburg 133 Dietz, Gregor, Mönch in Zwiefalten u. Prior auf der Reichenau 51, 74 Diemut, Äbtissin von Traunkirchen 278–279 Dietricus, Mönch in Salem (?) 429 Dietrich Späth von Zwiefalten 532 Dinckmut, Konrad, Drucker in Ulm 160 Drach, Petrus, Drucker in Speyer 138–139, 152, 158, 497
607
E.S., anonymer Kupferstecher 492 Eberhard von Béthune 458 Eberhard III. von Württemberg 539 Eberhard V. von Württemberg, auch Eberhard im Bart (als Hzg.: Eberhard I.) 135–136, 475, 515– 516, 534, 536, 546–547 Eberstein s. Agnes, Bernhard, Friedrich Egino, Bischof von Verona 42, 66, 69 Ekkehard I. von Sankt Gallen 355 Ekkehard IV. von Sankt Gallen 543 Epp, Konrad, Mönch in Herrenalb 462–463 Erasmus von Rotterdam 138 Erhard, Mönch in Herrenalb 462 Erlafrid, Graf von Calw 87 Ethon, Johannes, Mönch in Hirsau 135 Eustasius von Marbach, Mönch in Herrenalb 462 Fabri, Felix 513–517, 537–538 Farner, Bernhard, Propst in Herrenberg 162 Ferdinand, Erzherzog von Österreich 374 Fischer von Waldheim, Johann Gotthelf, Naturforscher u. Bibliothekar 106 Fladenschröt, Konrad, Mönch in Salem 456 Flechsinhar, Ulrich, Mönch in Sankt Ulrich und Afra (Augsburg) 549 Franziskus von Assisi 465, 513 Fridericus Scriptoris, Mönch in Lorch 549 Fridolin, Stephan 511–512 Friedrich I., Hzg. von Schwaben 523, 538 Friedrich II., dt.-röm. Kaiser 424 Friedrich von Eberstein 451 Friedrich, Mönch in Einsiedeln u. Abt von Hirsau 222, 240
608
register
Friedrich von Wangen, Mönch in Hirsau 151 Frischlin, Jakob 532–533 Frommann, Friedrich Wilhelm 166 Frutolf von Michelsberg 123 Gabelkhover, Oswald 498, 536 Gaisberg s. Hans Gallus von Bretten, Mönch in Herrenalb 462–463 Gauch, Wendelin, Mönch in Herrenalb 462 Gebhard III. von Zähringen, Mönch in Hirsau u. Bischof von Konstanz 176, 387 Gelasius I., Papst 36 Georg von Gültlingen, Mönch in Herrenalb 462 Gerson, Johannes 3–4, 157, 160, 513 Gertrud von Helfta 376 Giovanni Partecipazio, Doge 69 Gödelin, Ulrich, Mönch in Lorch 549 Götz, Lukas, Abt von Herrenalb 497 Gottschalk von Aachen (von Limburg) 287, 299, 376 Gregor I., Papst 33–34, 40–41, 49, 54, 60, 97, 115–116, 192, 273– 275, 297, 302, 308, 317, 327, 526 Gregor II., Papst 313 Gregor Sartoris von Braunau 210– 211, 213, 215 Grimald, Mönch auf der Reichenau 43–44, 56–59 Haas, Gabriel, Mönch in Zwiefalten 101, 116–117, 163, 211, 213, 216 Hadoard von Corbie 24 Hadrian I., Papst 33–34, 37, 41, 58, 307 Haider, Ursula, Äbtissin der Klarissen in Villingen 516–517 Haimo von Auxerre 95 Haimo von Hirsau 179, 252
Haller, Georg, Mönch in Zwiefalten 164 Hammer, Johannes, Mönch in Herrenalb 462–463 Hans VI. von Gaisberg, württembergischer Rat 534 Hardt, Hermann von der 140–141, 164 Harscher, Cherubin, Franziskanerguardian in Jerusalem 515–516 Harscher, Hans 515 Harscher, Margarete, Klarissin in Pfullingen 509, 515 Heilmann, Gregor, Beichtvater der Pfullinger Klarissen 509 Heinrich, Mönch in Kaisheim 450, 502 Heinrich II., Abt von Rheinau 402 Heinrich II., röm.-dt. Kaiser 78 Heinrich IV., röm.-dt. Kaiser 126– 127 Heinrich von Calw, Mönch in Herrenalb 462 Heinrich von Leonberg, Mönch in Herrenalb 462–463 Heinrich von Weil, Mönch in Herrenalb 462 Heinrich der Löwe, Hzg. von Sachsen und Bayern 422 Heimo s. Haimo Heito, Abt der Reichenau 69 Helisachar 38, 58, 60, 308 Helweck, Nicolaus, Mönch in Maulbronn 449 Hermann I., Landgraf von Thüringen 403 Hermann von der Reichenau (Hermannus Contractus) 70, 95, 191–192, 286–291, 377, 380, 428–429, 517–519 Hermann von Sachsenheim (der Ältere u. der Jüngere) 136–137 Hermenegild, westgot. Königssohn 357 Herrad von Landsberg (von Hohenburg) 273–274
2. personen Hildegard von Bingen 262–264, 276, 278, 282, 393–394 Hildoard, Bischof von Cambrai 39 Hirs(s)mann, Nikolaus, Mönch in Herrenalb 452, 502 Holl, Lienhart, Drucker in Ulm 158 Honorius I., Papst 41, 308 Honorius Augustodunensis 133, 273, 276, 372 Hoppeltanz, Konrad, Pfarrer in Malsch 450–451 Horner, Fridericus (alias Fritzmann), Abt von Santa Maria della Matina 449–450, 502 Huber, Felix, Mönch u. Prior in Bebenhausen 495 Hüglin, Gregor, Mönch in Herrenalb 449, 454, 462–463, 496– 498 Hug, Michael, Mönch in Herrenalb 462–463 Hugo (der Große), Abt von Cluny 174, 368 Hugo III., Abt von Cluny 90, 94, 174 Hugo von Sankt Viktor 478 Hrabanus Maurus 22–23, 95, 115, 296, 493 Idung 91, 390, 404 Imiza von Luxemburg 373 Innozenz II., Papst 129, 183, 404, 409–410, 492 Innozenz VIII., Papst 517 Institoris, Heinrich 496 Irmengard, Markgräfin von Baden 441, 444 Irsinger, Johannes, Mönch in Kaisheim 450 Isidor von Sevilla 20–21, 28, 358 Jacobus, Mönch in Wiblingen 131 Jacobus de Cessolis 499 Jacobus de Giengen, Mönch in Maulbronn 449 Jacobus de Oppenheim, Mönch in Hirsau 150–151
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Jacobus von Rotenfels, Mönch in Herrenalb 462–463 Jodocus von Markgöningen, Mönch in Herrenalb 462 Johann der Beständige, Kurfürst von Sachsen 466–467 Johannes de Capua 496 Johannes Diaconus 69 Johannes de Indagine, Mönch in Maulbronn 449 Johannes von Lahr 505, 510 Johannes von Lamsheim 139 Johannes von Magstadt, Mönch in Herrenalb 450, 452, 455–456, 462, 490, 502 Johannes von Urach, Mönch in Herrenalb 462 Johannes von Wimpfen, Mönch in Herrenalb 462–463 Judith von Flandern 356, 373, 384– 385 Junior, Johannes, Mönch in Hirsau und Ebersheimmünster 155 Karg, Johannes s. Parsimonius Karl der Große 6, 23–25, 29, 32– 37, 66, 69, 177, 263, 307, 397, 439 Katharina von Remchingen, Äbtissin von Frauenalb 488 Katharina von Weil, Klarissin in Pfullingen 508–510, 521 Kechler (Kecheler), Dorothea, Nonne in Lichtenthal 452, 489, 502 Kechler (Kecheler), Elisabeth, Nonne in Maria Reuthin 498, 502 Kechler (Kecheler), Wilhelm, Mönch in Herrenalb 452–453, 469, 489, 502 Keuerleber, Michael, Mönch in Lorch 549 Klara von Assisi 510, 521 Knebel, Johannes, Mönch in Kaisheim 450 Knittel, Michael, Abt von Zwiefalten 101
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register
Kölderer, Jörg 540 Köllin, Thomas, Stadtpfarrer von Lorch 534 Koler, Matthias, Mönch in Hirsau u. Abt in Ebersheimmünster 154– 156 Konrad III., dt. König 523 Konrad, Bischof von Konstanz 206, 212 Konrad von Grünenberg 539 Konrad von Hirsau 95–97, 108, 110, 119, 181, 269–272, 391 Konrad von Ibach, Abt von Weingarten 190 Konrad Thumb von Neuburg 532, 536. Kremer, Nikolaus 454, 474 Kreutzer, Johannes 505, 519 Lang von Wellenburg s. Matthäus Lanius (Metzger), Sebastian 449, 452–454, 462–463, 474, 477, 490, 493–496 Leicht, Johannes, Mönch in Herrenalb 449 Leidrad, Bischof von Freising 60 Leontorius, Konrad, Mönch in Maulbronn 121, 147, 495 Lindenfels, Konrad, Pleban in Stammheim 159, 164 Lorificis, Sigismund 134 Lothar I. 70 Lucan 391 Luder, Heinrich 139 Ludwig der Fromme 24–25, 38, 69–70, 308 Ludwig VII., Hzg. von Bayern 450 Ludwig, Hzg. von Württemberg 162 Ludwig von Bruchsal, Mönch in Herrenalb und Prokurator in Merklingen 458, 470–473, 479– 480, 491 Lupf, Heinrich, Konverse in Zwiefalten 214 Luther, Martin 12, 137, 466, 479
Maffei (Volaterranus), Raffaele 158 Maiser, von Berg, Wolfram, Abt von Hirsau 130 Manegold, Abt von Hirsau 95 Marcus von Oberderdingen, Mönch in Herrenalb 462 Markward, Abt von Corvey 111 Martial 494 Martin von Senging, Mönch in Melk 525, 527 Martin von Weiher, Mönch in Herrenalb 462 Mathilde, Markgräfin von Tuszien 279 Matthäus Lang von Wellenburg 531 Matthias von Lingköping 144 Maximilian I., röm.-dt. Kaiser 461, 531, 535, 540, 545 Mechthild von der Pfalz, Erzherzogin von Österreich 135–136, 149, 534 Meginfrid von Magdeburg, Domscholastikus 244 Meingoz, Abt von Weingarten 329, 332, 379 Meiß, Jacobus, Mönch in Herrenalb 462 Mélac, Ezéchiel comte de 165 Melanchthon, Philipp 138, 140 Merklin, Johannes, Mönch in Mönchsroth 146 Merstetter, Jakob 144 Metzger s. Lanius Michael, Pleban in Ditzingen 159 Michael von Reichenbach, Mönch in Hirsau 156 Michael von Sachsenheim, Mönch in Hirsau 136–137 Mone, Franz Josef 107, 247 Mone, Fridegar 107 Münchberger, Bernhard, Mönch in Hirsau und Ebersheimmünster 154 Mutianus Rufus 138
2. personen Neobolus, Johannes 135, 137 Niethammer, Kaspar, Mönch in Herrenalb 449, 462–463 Niklaus von Flüe 151 Nikolaus von Gorran 433 Nikolaus Schenk von Arberg, Abt von Lorch 535 Nikolaus von Siegen 157 Noting, Bischof von Konstanz 67 Noting, Bischof von Vercelli 87 Notker (Nogger), Abt von Zwiefalten 259 Notker I. (Balbulus) von Sankt Gallen 26, 175, 276–281, 283, 294, 376, 380, 542–543 Nüttel, Georg, Chorherr in Stuttgart 534 Obelerio Antenoreo, Doge 69 Ochsenbach, Nikolaus 504–505 Odo von Morimond 497 Öhem, Gallus 70 Oetinger, Friedrich Christoph 131– 132, 166–167 Origenes 112 Orsini, römische Patrizierfamilie 537 Oswald, König von Northumbria 205, 315–316, 354, 356, 382 Oswald von Calw, Mönch in Herrenalb 462 Otloh von SanktEmmeram 89, 125–126, 179, 242–244 Otto, Abt von Blaubeuren u. Rheinau 119, 189, 387–388 Ovid 391 Pamelius, Jacobus 52, 314 Parsimonius, Johannes, Abt von Hirsau 95, 110, 114, 123, 126, 132–133, 146, 161–162 Partecipazio s. Giovanni Paschasius Radbertus 95 Paulina, Stifterin von Paulinzella 179–180 Pellikan, Konrad 138 Peregrinus s. Konrad von Hirsau
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Perrotti, Niccolò 494 Persius 495 Petrus von Ailly 513 Petrus Comestor 392 Petrus Damiani 95 Petrus Lombardus 392, 400 Petrus von Rosenheim 147 Peutinger, Konrad 530 Philipp von Nippenburg 532–533 Pippin III. 32, 37, 69 Pleydenwurff, Hans 512 Poggio Bracciolini 30 Prudentius 238, 458, 481 Rainald VI., Hzg. von Urslingen 537 Rainolt, Hieronymus, Mönch in Weingarten 149, 164 Raiter, Konrad, Abt von Kaisheim 142 Rapolt, Johannes, Mönch in Hirsau 119, 131, 138, 146–148, 151, 165 Rapp, Thomas 145–146 Ratold, Bischof von Verona 42, 66–67, 69–70 Ratpert von Sankt Gallen 380 Reginbert von Reichenau 5, 17–31 Regula, Nonne in Lichtenthal 490 Reich, Ludwig, Pleban in Rudersberg und Welzheim 535 Reichenbach, Georg, Abt von Ebersheimmünster 155 Reinhard von Munderkingen, Abt von Zwiefalten 192 Reuchlin, Johannes 138, 140, 147– 148, 162, 495 Rheinfelden s. Rudolf Riescher, Johannes, Abt von Maulbronn 462 Rise, Konrad 451 Rudolf von Rheinfelden, Hzg. von Schwaben u. dt. Gegenkönig 538 Rudolf von Sulz 532–533 Rupert von Deutz 276, 278 Rupert von Salzburg 197, 201, 203, 205, 247, 355
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Sabina von Bayern, Gemahlin Hzg. Ulrichs von Württemberg 531– 533 Sachsenheim s. Hermann u. Michael Sall, Wendelin, Mönch in Herrenalb 462 Sallust 391 Schad, Balthasar, Mönch in Elchingen 528, 549 Schechingen 534 Schenk von Arberg s. Nikolaus Schmuser, Johannes, Mönch in Herrenalb 462 Schnepf, Johannes, Mönch in Herrenalb 462–463 Schnitzer, Dominicus, Abt von Weingarten 300 Schnurrer, Christian Friedrich 141, 166 Schön, Marcus, Mönch in Herrenalb 462–463 Scholl, Michael, Mönch u. Prior in Herrenalb 462 Schongauer, Martin 475–476, 492 Schwaben s. Friedrich Sebastian von Heilbronn, Mönch in Herrenalb 462 Seitz, Augustin, Prior in Lorch 535 Selin, Wendelin, Priester in Vaihingen 159 Sergius I., Papst 60 Siegfried, Abt von Maubronn 434 Siegfried, Abt von Schaffhausen (Allerheiligen) 98, 399 Sigebert, Bischof von Minden 47 Sigeboto, Mönch in Hirsau und Paulinzella 179 Sigmund d. Münzreiche, Erzherzog von Tirol 539 Sigismund, König von Burgund 355 Simeon von Trier 355 Sitterich, Sebastian, Abt von Lorch Späth von Zwiefalten s. Dietrich Spalatin, Georg 536 Spechtshart, Hugo 517–518
Spechtshart, Lucas, Reutlinger Mediziner 534 Stephan von Eppingen, Mönch in Herrenalb 462 Stephan Harding 437, 439–440 Stephan Langton 433 Streler, Agnes, Ettlinger Bürgerin 451 Streler, Heinrich, Ettlinger Bürger 451 Sulger, Johannes, Mönch in Zwiefalten 214 Sulz, Grafen von s. Rudolf Symeon Achivus (Bardo) 66 Tatto, Reichenauer Mönch 43–44, 56–59 Teck, Herzöge von 532, 538, 540 Tertullian 127, 145–146 Theoger von Metz 93, 397 Thomas Becket (Thomas von Canterbury) 356, 416–417 Thomas a Kempis 133 Thüringen s. Hermann Thumb von Neuburg s. Albrecht, Konrad Tischmacher, Rudolf 158 Trapp, Johannes, Mönch in Herrenalb 462 Trithemius, Johannes, Abt von Sponheim und Würzburg 92, 93, 110, 124, 130, 138, 139, 141– 144, 148–149, 151, 162, 181, 270 Trübner, Karl. J., Verleger u. Buchhändler in Straßburg 453, 455, 460, 501 Tuotilo von Sankt Gallen 375, 283, 543 Ulrich, Bischof von Konstanz 108 Ulrich, Konverse in Hirsau (?) 107 Ulrich von Hirschbühl, Abt von Zwiefalten 259–261 Ulrich, Hzg. von Württemberg 410, 454, 462, 494, 497, 531– 547
2. personen Ulrich von Zell (von Cluny) 89–92, 173–175, 186, 190, 215, 239, 257, 334, 367–371, 388, 420 Unger, Johannes, Mönch in Hirsau 137 Uodalscalc, Mönch in Sankt Ulrich und Afra (Augsburg) 275 Uriot, Joseph 162 Urslingen s. Rainald Vehus, Barbara, Äbtissin in Lichtenthal 148, 153 Venantius Fortunatus 458–459, 481 Vento, Ivo de 520 Vergil 391 Volaterranus s. Maffei Volmar, Abt von Hirsau 95, 183, 409–410 Wagner, Leonhard, Mönch in Sankt Ulrich und Afra (Augsburg) 427, 528, 530–532, 539, 542–544, 549 Walahfrid Strabo 18, 29 Waldo, Abt der Reichenau 18, 26, 69 Walicho, Abt von Weingarten 359, 374 Welf III., Hzg. von Kärnten 373 Welf IV., Hzg. von Bayern 373–374, 385 Wendelin von Gochsheim, Mönch in Herrenalb 462 Werner von Calw, Mönch in Herrenalb 462 Werner von Themar, Adam 495 Wetzel, Valentin, Prior in Klosterreichenbach 145, 148–151, 154–155 Wezzilo, Prior in Zwiefalten u. Abt von Sankt Paul im Lavanttal 259
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Wiborada, Inklusin in Sankt Gallen 355 Widmann, Johannes, Mönch in Hirsau 146 Wilhelm von Hirsau 89, 92, 95, 105, 115, 117, 122–123, 125–126, 128, 150, 173–175, 179–180, 186, 199, 211, 215, 221, 240–241, 243, 257, 282, 293, 320, 367–371, 389– 390, 396–397, 404, 429 Williram von Ebersberg 115, 179– 180 Wimpheling (Wimpfeling), Jakob 147 Winithar, Mönch in Sankt Gallen 26 Winkelhofer, Jodokus, Mönch in Wiblingen und Abt in Lorch 527 Wipo 377 Witigowo, Abt von Reichenau 75 Witzel, Georg 494 Wolfcoz, Mönch in Sankt Gallen 19, 26 Wolfram, Abt auf dem Michelsberg 104 Wolgemuth, Michael, Nürnberger Maler 512 Württemberg s. Carl Eugen, Christoph, Eberhard, Ludwig, Ulrich Zähringen, Herzöge von 538; s. auch Gebhard III. Zürcher, Wunibald, Abt in Hirsau 165 Zürn, Johannes, Mönch in Herrenalb 447–463, 468–477, 480– 481, 490–494, 496, 501
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register 3. Orte
Aachen 37, 39–41, 43, 56–58, 63, 263 Adelberg 85, 411, 503 Admont 8, 119, 173, 199, 205–206, 209, 213, 245, 247–248, 252, 258, 278–280, 289–291, 372, 397 Agde 25 Aldersbach 151 Alpirsbach 411, 503 Altdorf s. Weingarten Altomünster 339, 373 Ambras 374–375 Anzy-le-Duc 176 Aquileia (Stadt und Patriarchat) 71, 170, 194, 196–198, 200, 209, 289– 291 Augsburg 529–531, 544 St. Ulrich und Afra 9, 97, 159, 275, 525, 528–549 Augustinerchorherren s. Lesnes, Marbach, Seckau, Sankt Florian, Springiersbach Bamberg 511 Basel, Stadt und Bistum 26, 121, 145, 148, 311, 511 Kartause 511 Klarissenkloster 511 Konzil 525 Bebenhausen 85, 120–121, 148, 162–163, 411 Bellevaux 493 Benediktbeuern 119, 397 Benediktiner und Benediktinerinnen s. Admont, Alpirsbach, Altomünster, Anzy-le-Duc, Augsburg, Benediktbeuern, Biburg, Bingen, Blaubeuren, Bursfelde, Cluny, Corbie, Corvey, Disentis, Disibodenberg, Ebersheimmünster, Einsiedeln, Elchingen, Erfurt, Farfa, Fleury, Frauenalb, Fulda, Gellone, Gengenbach, Gleink, Göttweig, Gottesaue,
Hildesheim, Hirsau, Hofen, Kempten, Kentheim, Kladrau, Klosterreichenbach, Kornelimünster, Kremsmünster, L’IleBarbe, Lorch, Mainz, Mantua, Marmoutier, Marseille, Melk, Michelsberg, Millstatt, Mönchsroth, Moggio, Moissac, Montceaux-l’Étoile, Monte Cassino, Murrhardt, Neapel, Neresheim, Niederaltaich, Nonantola, Oberaltaich, Odenheim, Ostrov, Ottobeuren, Payerne, Petershausen, Prag, Prüfening, Prüll, Regensburg, Reichenau, Reinhardsbrunn, Rheinau, Rosazzo, Rott am Inn, Saint-Amand, Saint-Denis, Sankt Blasien, Sankt Gallen, Sankt Georgen, Sankt Paul im Lavanttal, Sankt Peter im Schwarzwald, Sankt Trudpert, Salzburg, Schäftlarn, Schaffhausen, Schönrein, Schuttern, SintWinoksbergen, Sponheim, Subiaco, Tegernsee, Tours, Traunkirchen, Weingarten, Wessobrunn, Wiblingen, Zwiefalten Benevent 72, 79 Bergues s. Sint-Winoksbergen Biburg 105, 122, 205–206, 329, 332, 335, 379 Bingen 262 Blaubeuren 9–10, 93, 96, 119, 121, 159, 189, 387–388, 399, 549 Blumenegg, Schloß in Vorarlberg 165 Bretten 448, 455, 470 Brixen 11 Bronnbach 434 Bursfelde, einschl. Bursfelder Kongregation 2, 8–9, 13, 88, 129, 138–139, 146, 152, 154–157, 160, 165, 185, 219, 488, 500 Buxheim 165
3. orte Calw 108, 165, 453, 462, 472, 474, 493 Chelles 36 Cîteaux 7, 172, 225, 238, 253, 413, 421, 437–438, 443 Cividale 291–294 Clairvaux 431 Cluny 9, 89–96, 114–115, 129, 169, 172–176, 178, 182, 184, 186, 190, 192, 220–221, 239–240, 252, 254, 257, 260, 293–294, 306, 334–336, 338, 367–371, 376, 389–391, 404, 420, 542 Corbie 24, 47, 238 Corvey 93, 111, 226–227, 234, 372, 396, 399 Denkendorf 148 Disentis 191 Disibodenberg 262, 393 Ditzingen 159 Dominikaner und Dominikanerinnen s. Kirchheim/Teck, MariaReuthin, Nürnberg, Regensburg, Sankt Katharinenthal, Ulm Durlach 145 Ebersheimmünster 151, 153–155 Ebersmünster s. Ebersheimmünster Eckenweiher 410 Eichstetten am Kaiserstuhl 451 Einsiedeln 125, 214, 222–223, 238, 240–241, 287–288 Elchingen 528, 549 Ellwangen 531–532 Erfurt, Sankt Peter 178, 258, 319, 354, 381, 398 Esslingen 511 Esztergom 289 Farfa 293 Fleury 315 Fonte Avellana 320–321 Franziskaner s. Bamberg, Esslingen, Jerusalem, Mainz, Nürnberg; s. auch Klarissen
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Frauenalb 124, 146, 151–153, 485– 488, 496, 499–500 Freising 60, 109 Fulda 18, 23, 52, 68, 309, 311, 314, 317, 319, 324, 330 Gellone 311, 325, 331 Gengenbach 86–87, 162, 219, 246, 248 Gleink 218 Göttweig 173, 218, 247 Gottesaue 488 Gran s. Esztergom Gurk 531 Hechingen 453, 469 Heidelberg 139, 449–450, 456, 462–463, 495 Kolleg Sankt Jakob 432, 495 Helfta 376 Herrenalb 85, 120, 409–412, 446, 447–502, 503–504 Herrenberg 163 Hildesheim 465 St. Michael 258 Hirsau, einschl. Hirsauer Reform 7–10, 12, 73, 83–405, 409–411, 417–421, 428–429, 432, 434–436, 439–440, 488, 492, 500, 503, 526 Hofen, Sankt Pantaleon 3 Inden s. Kornelimünster Innsbruck 540, 545 Iphofen 499 Irslingen 537 Jerusalem 509, 515–517 Franziskanerkloster 516 Kaisheim 142, 427, 434, 450, 502 Kartäuser s. Basel, Buxheim Kempten 77, 234, 238, 240–241 Kentheim 122 Kirchheim/Teck 265 Kladrau (Kladubry) 248, 258 Klarissen s. Basel, Brixen, Nürnberg, Pfullingen, Villingen
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Klosterreichenbach 87, 103, 118, 124–125, 148, 154–155, 164, 372, 387, 461 Köln 52, 55, 68, 282, 314, 517 Königsbrück 449, 477 Konstantinopel 513 Konstanz (Stadt, Kathedrale, Bistum) 64, 67, 112, 165, 170, 176, 205–206, 218, 347, 386–387, 423 Konzil 30, 161, 513 Kornelimünster, früher Inden 34, 56, 58–59 Kremsmünster 215–216, 288, 291, 313, 318, 336–337, 353 Lesnes 320–321, 325 Lichtenthal 146, 152–155, 409–411, 414–415, 424–425, 437–463, 469– 474, 477, 485–502 L’Ile-Barbe 58–59 Lorch 9–10, 165, 388, 503, 523–550 Lorsch 27, 30 Ludwigsburg 162 Lützel (Lucelle) 412, 415, 421–423, 427, 448, 492–493 Lund 292 Lyon 58–60, 371 Mailand 238, 252, 420 Mainz (Stadt und Erzbistum) 43, 46, 106, 126, 144, 151, 323, 326– 328, 332, 477, 511 Franziskanerkloster 511 Sankt Alban 327, 379 Malsch 450 Mantua, San Benedetto 292 Marbach 209, 221–222, 265–266, 289, 292 Maria-Reuthin bei Wildberg 498, 500, 502 Marmoutier 35, 239 Marseille, Saint-Victor 367 Maulbronn 85, 147–148, 409–436, 444–450, 455, 471, 489–490, 503 Meaux (Synode 845) 294, 375, 542 Melk, einschl. Melker Reform 1–2,
9–10, 129–131, 147, 214–215, 294, 427, 523–528, 542 Merklingen, Herrenalber Klosterhof 449, 458, 463, 472, 480, 491 Metz 397, 432 Michelsberg bei Bamberg 93, 96– 97, 104, 159, 391, 397 Millstatt 378 Mönchsroth 137–138, 146, 148 Moggio 88, 170–171, 193–218, 258, 289–291, 393 Moissac 234 Montceaux-l’Étoile 176 Monte Cassino 43, 150, 263, 315, 328 Morimond 492–493, 497 Murrhardt 411, 503, 528, 547, 549 Narni 77–78 Neapel 523 San Severino 77 Neibsheim 447–449, 455, 462, 470, 480 Neresheim 214, 216, 548 Neuburg 412–415, 424, 427, 443– 445, 471, 489, 492 Nidaros 292 Niederaltaich 320, 324 Nonantola 292, 294 Nürnberg 510–512 Dominikanerinnenkloster St. Katharina 509 Franziskanerkloster 512 Klarissenkloster 11, 511 Oberaltaich 245 Odenheim 96, 118 Ostrov 248 Ottobeuren 258, 265, 284, 378 Pairis 121, 148, 412, 416, 423, 430– 431 Paris 391–392, 422, 425, 429, 431– 435 Collège Saint-Bernard 431–434, 493; s. auch Saint-Germaindes-Prés
3. orte Paulinzella 179 Payerne 145 Petershausen 48, 50, 119, 129, 176, 189, 214, 267, 283, 355, 378–388, 400 Pfullingen, Klarissenkloster 503– 522 Prämonstratenser s. Adelberg, Weißenau Prag 246, 251, 513 St. Georg 246 Prüfening 111, 127, 178, 219, 226, 246, 258, 318–319, 390, 397, 428 Prüll 245, 248 Radolfzell 67 Rechentshofen 449 Regensburg (Stadt und Diözese) 209–210, 288, 379, 397 Dominikanerinnenkloster Heiligkreuz 265 Sankt Emmeram 125–126, 151, 175, 194, 198–200, 207, 210, 219, 221–222, 240–245, 252, 257–258, 288, 291–292, 320, 367, 369, 371, 377 Reichenau 5–6, 17–84, 87, 99–100, 177, 240–241, 286–288, 317, 355, 380, 399, 428–429, 517 Reinhardsbrunn 93, 181, 399, 403 Reichenbach s. Klosterreichenbach Reutlingen 518 Rheinau 49, 77, 105–106, 118– 120, 171, 187–197, 207–208, 216– 218, 225–227, 234–235, 247, 283, 328–334, 338–353, 379, 386–408, 526 Römhild 143 Rom 32–34, 41, 58, 61, 77–79, 307, 310, 511, 514, 516–517 Rosazzo 195, 199–201, 258, 290, 372 Rott am Inn 212, 219 Rottenmünster 457 Rudersberg 535
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Säckingen 355 Saint-Amand 47, 52–53, 68, 317, 323 Saint-Denis 242 Saint-Germain-des-Prés 52, 68 Saint-Guilhem-le-Désert s. Gellone Salem 355, 412, 421–424, 427, 429– 434 Salzburg (Stadt und Erzdiözese) 60, 197–198, 201, 205–206, 209, 246–247, 289–291, 372, 377–378, 382, 531 Nonnberg 279 Sankt Peter 206, 209, 245–247, 267, 288–291, 381–382 San Lupo (Benevento) 72 Sankt Blasien 112, 191, 218–219, 419, 428, 434, 442 Sankt Florian 289–290 Sankt Gallen 26, 30, 42–63, 66–67, 99, 151, 170, 214, 218, 240–241, 248, 263, 276, 288, 332, 355, 380– 383, 486, 542–543 Sankt Georgen 173, 220, 372, 388, 397 Sankt Katharinenthal bei Diessenhofen 535 Sankt Paul im Lavanttal 118, 201, 258–259, 265, 289 Sankt Peter im Schwarzwald 109, 372, 388, 432 Sankt Trudpert 219 Santa Maria della Mattina 449– 450 Schäftlarn 234–235, 241 Schaffhausen, Allerheiligen 95, 98– 99, 112–113, 178, 186, 207, 218, 372, 388, 398–401 Schellbronn (Enzkreis) 106–110 Schiltach 537 Schönrein am Main 93 Schöntal 415–416, 425–426, 434, 503 Schuttern 171, 393 Schwäbisch Gmünd 533 Seckau 289–290 Seebach 152, 488
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Sinai 516 Sint-Winoksbergen 316 Speyer (Stadt und Bistum) 138–139, 153, 416, 430, 477, 492, 497, 514 Spoleto 537 Sponheim 143–144 Springiersbach 180 Stammheim (Stuttgart-Stammheim) 159 Straßburg (Stadt und Diözese) 138, 141, 145–146, 265, 454–455, 474, 477, 492, 496, 510 Stuttgart 132, 140, 162–163, 166, 386, 475, 531–534, 548 Subiaco 1, 9, 131, 159, 214, 526, 528
Wald 444–446 Weil der Stadt 134, 148, 159 Weingarten 10, 121, 131, 163–165, 171, 189–190, 198–207, 288–291, 295, 299–300, 305–306, 312– 322, 327–366, 372–402, 503– 505 Weißenau 244, 355–356, 423 Welzheim 535 Wessobrunn 96, 334–335, 379 Wiblingen 129–131, 160, 163–164, 527 Wildbad 145 Winchester 293 Worms 536
Tegernsee 527 Tours 60, 322, 324 Saint-Martin 53 Traunkirchen 279 Treviso 67 Trient 60, 313–314 Konzil 12, 62, 139, 294, 375, 420, 542 Trier 103 Sankt Martin 234–235 Trondheim s. Nidaros Tübingen 122, 142, 159, 162, 497, 536
Zagreb 289–290 Zisterzienser und Zisterzienserinnen s. Aldersbach, Bebenhausen, Bellevaux, Bronnbach, Cîteaux, Clairvaux, Eckenweiher, Heidelberg (Kolleg Sankt Jakob), Herrenalb, Kaisheim, Königsbrück, Lichtenthal, Maulbronn, Morimond, Neuburg, Pairis, Paris (Collège Saint-Bernard), Rottenmünster, Salem, Santa Maria della Mattina, Schöntal, Wald Zwiefalten 51, 73–74, 93, 98–102, 105, 109–124, 163–164, 171, 178– 182, 186–187, 191–193, 199–219, 243–248, 251, 257–285, 288, 312– 313, 317–319, 328, 335–353, 372, 378–388, 391–394, 398–401, 409, 428, 504–507, 515
Ulm 129, 158, 160, 387, 513, 515 Dominikanerinnenkloster 517 Vaihingen/Enz 159, 462 Venedig 64–82, 292, 294, 515 Verona 42, 66, 69, 87–88, 238 Villingen, Klarissenkloster 516–517
MITTELLATEINISCHE STUDIEN UND TEXTE 1. Metellus von Tegernsee. Die "Quirinalien". Untersuchungen und Text 1965. Jacobsen (Ed.). 2. Pseudo-Ovidius. De vetula. Untersuchungen und Text. Klopsch (Ed.). 1967. ISBN 90 04 01464 0 3. Lange. Philologische Studien zur Latinität west-hispanischer Privaturkunden des 9.-12. Jahrhunderts. Langosch (Ed.). 1966. ISBN 90 04 01465 9 4. Joseph Iscanus. Werke und Briefe. Gompf (Ed.). 1970. ISBN 90 04 01466 7 5. Numen litterarum: the Old and New in Latin Poetry. Witke (Ed.). 1971. 6. Theobald. Physiologus. Edited with introduction, critical apparatus, translation and commentary by P.T. Eden. 1972. ISBN 90 04 03444 7 7. Geoffrey of Vitry. The commentary of Geoffrey of Vitry on Claudian De Raptu Proserpinae. Transcribed by A.K. Clarke and P.M. Giles with an introduction and notes by A.K. Clarke. 1973. ISBN 90 04 03674 1 8. Könsgen, E. Epistolae duorum amantium. Briefe Abaelards und Heloïses? Edition und Untersuchungen. 1974. ISBN 90 04 03875 2 9. Dronke, P. Fabula. Explorations into the uses of myth in medieval Platonism. Reprint 1985. ISBN 90 04 07715 4 10. Jacobsen, P.C. Flodoard von Reims. Sein Leben und seine Dichtung De Triumphis Christi. 1978. ISBN 90 04 05407 3 11. Langosch, K. Donisii Comedia Pamphile. Untersuchungen und Text. 1979. ISBN 90 04 06007 3 12. Mann, J. Ysengrimus. Text with translations, commentary and introduction. 1987. ISBN 90 04 08103 8 13. Petrus Presbyter. Carmina. Text und Kommentar. Herausgegeben von M. Rener. 1988. ISBN 90 04 08797 4 14. Nigel of Canterbury. The Passion of St. Lawrence, Epigrams and Marginal Poems. Edited and translated by J. M. Ziolkowski. ISBN 90 04 08865 2 15. Orbàn, A.P. Novus Phisiologus. Nach Hs. Darmstadt 2780. 1989. ISBN 90 04 08894 6 16. Hilarius Aurelianensis. Versus et Ludi epistolae. Ludus Danielis Belouacensis. [Die Egerton Handschrift]. Bemerkungen zur Musik des Daniel-Spiels von Beauvais von M. Bielitz. 1989. ISBN 90 04 09070 3 17. Unterkircher, F. (Ed.). Hugo von Lüttich: Peregrinarius. 1991. ISBN 90 04 09325 7 18. Hugo von Mâcon. Die Gesta Militum. Ein bisher unbekanntes Werk der Erzählliteratur des Hochmittelalters. Herausgegeben von E. Könsgen. 1990. ISBN 90 04 09201 3 19. Harting-Corrêa, A. Walahfrid Strabo’s Libellus de Exordiis et Incrementis. 1996. ISBN 90 04 09669 8. 20. Westra, H.J. (Ed.). The Berlin Commentary on Martianus Capella’s De Nuptiis Philologiae et Mercurii. Book I. With the Assistance of C. Vester. 1994. ISBN 90 04 10170 5 21. Mann, N. & B. Munk Olsen (Eds.). Medieval and Renaissance Scholarship. Proceedings of the Second European Science Foundation Workshop on the Classical Tradition in the Middle Ages and the Renaissance (London, Warburg Institute, 27-28 November 1992). 1997. ISBN 90 04 10508 5 22. Haye, T. Das lateinische Lehrgedicht im Mittelalter. Analyse einer Gattung. 1997. ISBN 90 04 10668 5 23. Westra, H.J. & T. Kupke (Eds.). The Berlin Commentary on Martianus Capella’s De Nuptiis Philologiae et Mercurii. Book II. With the Assistance of B. Garstad. 1998. ISBN 90 04 10968 4
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