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G. F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G.F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller deutscher Sprache. BASTEI LÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine großen Taschenbuch-Bestseller.
Jede Fährte endet Hills City sollte für Jesse Adams nur der Durchgang auf dem Ritt nach Norden sein. Aber dann muss er erkennen, dass die Zeit seines ruhelosen Reitens zu Ende ist. Und es sind drei Anlässe, die ihn in der kleinen Stadt festhalten: ein kaltblütiger Mord, dessen Zeuge er wird, die Arroganz eines größenwahnsinnigen Weidekings, der ihn aus dem Land jagen will, und eine schöne Frau, die seine Hilfe braucht …
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH
Band 43 392
1. Auflage: Juli 2003 Vollständige Taschenbuchausgabe
Bastei Lübbe Taschenbücher
ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe
Originalausgabe
All rights reserved
© 2003 by
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG,
Bergisch Gladbach
Lektorat: Will Platten
Titelillustration: Askin
Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg
Satz: Wildpanner, München
Druck und Verarbeitung:
AIT Trondheim, Norwegen
Printed in Norway
ISBN 3-404-43392-0
Sie finden uns im Internet unter
http://www.bastei.de
oder
http: //www.luebbe.de
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
Es waren damals viele Burschen ruhelos unterwegs. Sie suchten nach einer Chance – oder wollten ganz einfach nur immer wieder sehen, was hinter den Bergen in der Ferne, jenseits einer Ebene oder auf der anderen Seite eines Flusses ist. Sie mussten reiten, und ihre Campfeuer waren überall verteilt wie die Sterne am Himmel. Sie ritten eine Zickzackfährte. Doch jede Fährte endet irgendwann und irgendwo. Und jeder Mann ist sein eigener Hüter. Auf ihn kommt es zumeist an, wie seine Fährte eines Tages endet! Diese Geschichte hier erzählt von Jesse Adams. Er war einer jener Texaner, die nach Norden ritten. Und er war ein Mann, der sich überall unter Männern behaupten konnte. Er kam damals im Jahre 1874 in das Thousand Hills County.
1
Es ist schon später Nachmittag, als Jesse Adams auf der Poststraße von Süden her in die kleine Rinderstadt Hills City geritten kommt und sein scheckiges Pferd am äußersten Ende des SaloonHaltegeländers anbindet. Er tut es auf eine Art, die es gestattet, mit einem einzigen Griff die Zügelenden vom Haltebalken zu lösen. Er nimmt dann den Hut ab, klopft sich den Staub aus der Kleidung und sieht einige Atemzüge lang zu, wie sein Schecke vorsichtig aus dem Tränktrog trinkt, der hier bei der Haltestange als »Kundendienst« für die Pferde der Saloongäste immer frisch gefüllt wird. Jesse Adams ist ein Vertreter jenes dunkelhaarigen und irgendwie indianerhaft wirkenden Typs, und man sieht ihm den Texaner an. Er trägt den Texas-Kniff im flachkronigen Hut, der ein Band aus Klapperschlangenhaut hat. Sein Sattel ist ein typischer Texassattel mit einem Rohlederlasso, wie man es im Buschland am Brazos verwendet, so man ein Könner und kein nur durchschnittlicher Cowboy ist. Er trägt auch die Chaps des Buschlandes sowie Stiefel aus San Antonio, die als Stickerei den Texas-Stern aufweisen, und er trägt einen schwarzen Colt in einem schwarzen, steifen Holster auf eine so sehr selbstverständliche Art, dass man ihn sich ohne
diese tief unter der linken Hüfte hängende Waffe gar nicht vorstellen könnte. Er ist kein ganz junger Bursche mehr. Er mag etwa achtundzwanzig Jahre zählen, und dies ist in diesem Land schon ein beträchtliches Alter. Mit achtundzwanzig Jahren hat es hier jeder besondere Mann, der nicht zum Durchschnitt gehört, schon zu etwas gebracht oder ist auf dem besten Weg dazu. Denn hier fangen die Männer schon mit dreizehn oder vierzehn Jahren an, und ihre Kindheit ist kurz. Jesse Adams wirkt auf eine männliche Art beinahe hübsch. Doch es sind einige harte Linien in seinem Gesicht, die von rauen Wegen erzählen, von Kämpfen, von langen Ritten und einem manchmal recht harten Leben. Er hat graue Augen, die ruhig und fest blicken, und er ist etwas über mittelgroß, wiegt etwa hundertsiebzig Pfund und besitzt kräftige Schultern, eine schlanke Taille und lange leicht gekrümmte Beine. Er ist ein typischer Reiter. Seine Augen betrachten prüfend die Pferde an der Haltestange und dann den Saloon. Er wendet sich um und betrachtet die einzige und sehr staubige Hauptstraße der Stadt. Schräg gegenüber befindet sich das Gerichtsgebäude. Und dort stehen viele Menschen. Offensichtlich haben sie drinnen keinen Platz mehr und folgen den Ereignissen
dort drinnen durch die offene Eingangstür und die offenen Fenster. Es sind überall viele Wagen und Sattelpferde abgestellt. Was dort drinnen auch verhandelt werden mag, es muss für viele Menschen dieser Stadt und des Landes interessant sein. Für Jesse Adams jedoch ist es vollkommen uninteressant, denn er ist fremd hier und hat keinerlei Beziehungen zu diesem Land und den Menschen. Wenn er jedoch hier eine Arbeit fände, würde er einige Wochen bleiben. Seine Geldmittel sind nämlich aufgebraucht bis auf drei Dollar und zwanzig Cent, und obwohl ein Mann eine gewisse Zeit von Kaninchenfleisch leben kann, würde Jesse Adams doch lieber wieder seine Kasse etwas auffüllen. Und in Bezug auf Arbeit ist er nicht wählerisch. Er ist schon alles gewesen. Er blickt sich noch weiter um, und nun erkennt er da und dort auf den Plankengehsteigen, an den Ecken und Hauswänden Männer, die sich irgendwie abseits halten und scheinbar nur so herumstehen, Zigaretten rauchen und auf die Zeit warten, da sie zum Abendbrot ins Restaurant gehen können. Es sind keine Städter. Es sind Reiter wie Jesse auch, und sie alle sind durchweg dunkel gekleidet. In ihrer Nähe stehen dunkle Pferde
abgestellt, und jene Burschen sind scharfgesichtig und falkenhaft. Jesse Adams kennt sich aus im Rinderland, und er war schon in vielen solchen Städten. Er begreift, dass von überall her viele Beobachter in die Stadt gekommen sind – eben jene Männer. Und es sind gewiss Beobachter, die aus verborgenen Camps kamen, von irgendwoher aus den Hügeln. Das ist überall so, wenn in solchen Rinderstädten, die Mittelpunkt und Versorgungszentrum sind, Veränderungen im Gange sind, die Auswirkungen auf das ganze Land haben könnten. Jesse Adams kennt sich aus. Er geht nun langsam in den Saloon hinein, denn in einem Saloon kann ein Mann zumeist immer erfahren, ob und wo er eine passende Arbeit bekommen könnte. Im Saloon ist nur ein einziger Gast, ein großer, klotzig wirkender, rothaariger Mann, der verwegen und piratenhaft wirkt und strahlende Augen hat, so als wäre die ganze Welt nichts anders als ein wildes und prächtiges Vergnügen. Er prostet Jesse zu und sagt kehlig: »Die Bar ist geschlossen, denn Wayne Banner und sein Gehilfe gehören zu den Geschworenen. Aber ich habe mir vorher eine ganze Flasche gekauft. Bruder, ich lade Sie ein, wenn Sie unbedingt
etwas Feuerwasser haben müssen, um den Staub aus der Kehle zu spülen.« Indes er spricht, betrachtet er Jesse Adams abschätzend, und er hat einen harten und scharfen Blick. Vielleicht redet er so viele Worte, um dabei in aller Ruhe sein Gegenüber abschätzen zu können. »Ist das eine Gerichtsverhandlung dort drüben?«, fragt Jesse und nimmt eines der leeren Gläser. Der rothaarige Riese schenkt ihm aus der Flasche ein. Sie trinken sich dann im Spiegel zu und betrachten sich auch im Spiegel, der hinter der Bar hängt. »Es handelt sich um Ringo Jacks«, sagt der Rotkopf dann, als sie die Gläser absetzen. »Er soll ein Viehdieb sein. Das ganze Land ist voller Viehdiebe. Und die Rancher wollen bei Ringo Jacks anfangen. Aber sie werden nicht damit durchkommen. Die Jury ist fair. Ringo Jacks soll beim Viehdiebstahl einen Cowboy der Bit Ranch erschossen haben. Und nun möchten ihn die Rancher gerne an einem Ast hängen sehen. Doch die Jury ist fair. Die Beweise reichen nicht aus. Ich wette darauf, dass Ringo Jacks als freier Mann aus dem Gerichtsgebäude herauskommen wird.« Nach diesen Worten schenkt er nochmals ein, und er schnauft dabei auf eine vitale Art durch die Nase – so etwa wie ein gesunder Büffelbulle, dem es auf einer grünen Weide besonders gut gefällt.
Sie trinken wieder. »Ich bin Jeremy Walker«, sagt der Rotkopf dann. »Und ich glaube jetzt, dass Sie vollkommen fremd hier sind, Bruder. Sind Sie geschäftlich unterwegs?« Er fragt es mit einem belustigten Funkeln in den Augen und kneift dabei leicht ein Auge zu. »Tex, dies ist eine ziemlich raue Weide«, murmelt er. »Ein Fremder, der hier ahnungslos hereinstolpert, sollte möglichst schnell Bescheid wissen. Nun, ich bin also Jeremy Walker. Ich bin so bekannt wie ein Stier mit zwei Köpfen.« »Ich nicht«, murmelt Jesse. »Ich bin nur Jesse Adams und würde gerne ein paar Pferde zureiten oder einen ähnlichen Job annehmen. Ich brauche etwas Reisegeld. Gibt es hier irgendwo einen passenden Job?« Er hält das noch halb volle Glas in der Hand und sieht den Rotkopf fragend an. Der betrachtet ihn nun ernst von oben bis unten. Dann verziehen sich seine Lippen zu einem schiefen und scharfen Grinsen. »Versuchen Sie es mal, Bruder«, murmelt er dann. Er hebt wieder sein Glas. Auch Jesse trinkt. Durch die Schwingtür kommt ein Mann. Es ist ein Cowboy. Er hält an, betrachtet die beiden Männer am Schanktisch und wendet sich dann ab. Er verlässt den Saloon.
Draußen wird es nun laut. Eine Stimme ruft laut: »Die Jury hat keinen Schuldspruch fällen können. Die Beweise reichen nicht aus, so sagte der Obmann! Ringo Jacks ist frei! Ringo Jacks ist ein freier Mann!« »Das habe ich vorausgesagt, nicht wahr?« Jeremy Walker fragt es mit schief zur Seite geneigtem Kopf. Jesse Adams nickt ihm zu und sagt: »Wenn ich wieder bei Kasse bin, lade ich Sie zu einem Drink ein.« Damit geht er hinaus. Er bleibt gleich vor dem Eingang auf dem Gehsteig stehen und späht hinüber. Sein Pferd steht rechts von ihm, etwa zwanzig Schritte entfernt am äußersten Ende der langen Haltebalken. Die Menschen drängen inzwischen aus dem Gerichtsgebäude und füllen die Straße mitsamt den Gehsteigen. Sie bilden Gruppen oder gar eine Art Spalier. Ja, sie alle nehmen irgendwie eine Aufstellung wie Kirchgänger, die das Hochzeitspaar aus der Kirche kommen sehen wollen. Doch hier gibt es kein Hochzeitspaar. Es komm ein Mann heraus – zögernd und offensichtlich furchtsam. Es ist ein kleiner Mann, ein noch junger Mann. Er ist rothaarig, krummbeinig, wie es ein Cowboy nur sein kann, und er trägt abgenutzte Weidekleidung. Jesse Adams ist sicher, dass er blaue Augen besitzt und sommersprossig ist. Er kennt diese
Typen. Sie sind drahtig, flink und verwegen. Sie sind so leicht nicht umzuwerfen und nehmen es mit so manchem größeren und äußerlich beachtlicher wirkenden Mann auf. Der Rotkopf aber ist unsicher. Dies ist auch kein Wunder, denn es starren ihn viele Augenpaare an. Jesse Adams beobachtet eine Gruppe von Männern, die ganz offensichtlich Rancher sind. Diese Männergruppe wirkt irgendwie hart und unversöhnlich. Sie starrt den krummbeinigen Rotkopf unverwandt an, und dies erzeugt wahrscheinlich die Unsicherheit in ihm. Er ist unbewaffnet. Längs der Straße sind jetzt einige Dutzend Cowboys verteilt. Sie stehen überall am Rand der Plankengehsteige, und sie alle wirken grimmig, drohend und gefährlich. Der Hauch von Gefahr und Gewalttätigkeit weht plötzlich auf der staubigen Hauptstraße von Hills City. Jesse Adams spürt das deutlich, wie es gewiss auch alle anderen Menschen spüren. Und es ist ja auch alles so einfach und klar, so leicht verständlich. Dieser Rotkopf dort ist jener Ringo Jacks, der verdächtig war, beim Viehdiebstahl einen Cowboy getötet zu haben. Die Rancher und Cowboys haben ihn vor ein Gericht gebracht. Doch die Beweise reichten nicht aus. Die Jury konnte ihn nicht schuldig sprechen.
Und nun ist Ringo Jacks wieder frei. Doch es ist eine gefährliche Freiheit. Dies wird nun klar. Von der Jury wurde er zwar freigesprochen, doch das erkennen die Rancher und Cowboys nicht an. Für sie ist Ringo Jacks offensichtlich schuldig. Und nun haben sie die Ränder der Gehsteige besetzt und warten auf Ringo Jacks. Und irgendwie wird es zu einer Gewalttätigkeit kommen, vielleicht sogar zu einer Lynchpartie. Es ist still, unwahrscheinlich still. Die Bürger der Stadt, die Rancher mit ihren Cowboys und die Fremden, die zusehen, sie alle beobachten den kleinen, krummen, rothaarigen Mann. Der steht da und zögert. Es sieht so aus, als wollte er sich umwenden und wieder ins Gerichtsgebäude gehen. Doch dort erscheint nun ein Mann im Eingang. Es ist ein kaum mittelgroßer, drahtiger und schon grauköpfiger Mann. Er trägt einen Stern, ist also der Sheriff dieses Distriktes. Ringo Jacks blickt ihn an, und er scheint leise etwas zu sagen. Doch der Sheriff schüttelt den Kopf und macht eine unmissverständliche Bewegung, die nichts anderes bedeutet als: Scher dich aus der Stadt! Fort mit dir! Neben Jesse Adams kommt jemand aus dem Saloon. Jesse blickt zur Seite und erkennt Jeremy Walker. Und Jeremy Walkers Gesichtsausdruck
ist nun ernst, lauernd und wirkt überdies noch herausfordernd und kühn. »Sie werden ihn erledigen«, murmelt er. »Und das bedeutet dann den offenen Krieg außerhalb des Gesetzes. Sie werden ihn erledigen und stellen sich damit ebenfalls außerhalb des Gesetzes. Nun gut …« Er verstummt irgendwie frohlockend. Er wirft einen Seitenblick auf Jesse Adams und grinst wieder sein scharfes Lächeln. »Dies ist ein verrücktes Land«, sagt er. »Pass nur gut auf, Tex, damit du alles richtig lernst und begreifst. Und wenn ich dir einen Rat geben darf, dann bitte als fremder Satteltramp hier nirgendwo auf einer Ranch um Arbeit.« Indes ging Ringo Jacks einige Schritte, und er musste bis fast in die Mitte der Fahrbahn ausweichen. Er hält inne, blickt sich um, wendet sich wieder in die alte Richtung und geht hastig weiter. Er kommt nun auf gleiche Höhe mit dem Saloon. Jesse Adams kann erkennen, dass er viele Sommersprossen hat, sehr viele. Er kann auch die unruhigen, furchtvollen und ständig ihre Blickrichtung verändernden Augen des Burschen erkennen. Er sieht den Schweiß auf dem sommersprossigen Gesicht. Ringo Jacks hält nun an und starrt irgendwie Hilfe suchend und hoffnungsvoll auf den Mann neben Jesse, auf jenen Jeremy Walker also.
Irgendwie findet zwischen beiden ein stummes Frage- und Antwortspiel statt. Jesse Adams hat deutlich diesen Eindruck. Doch dann senkt Ringo Jacks den Kopf und schluckt mühsam. »Ich habe kein Pferd«, sagt er dann heiser. »Jerry, ich brauche ein Pferd. Kannst du mir dein Pferd leihen?« »Ich brauche es selbst«, erwidert Jeremy Walker. »Ich bin selbst kein willkommener Gast in dieser Stadt. Ich brauche es selbst. Das siehst du doch ein, Ringo?« Dieser nickt leicht, schluckt wieder und wendet sich auf der Fahrbahn in Richtung Ortsausgang. Er geht langsam weiter, und von überall blickt man auf ihn. Hinter ihm setzt sich die Gruppe der Rancher in Bewegung und folgt ihm. Die Cowboys an den Rändern der Gehsteige, die er schon passierte, folgen ihm ebenfalls, stumm und unheilverkündend. Und der Weg bis zum Ortsausgang ist noch weit. Und wer weiß, was außerhalb der Stadtgrenze noch alles auf Ringo Jacks wartet? Und er hat keine Waffe, kein Pferd. Was aber ist in diesem Land und in solch einer Situation ein Mann ohne Waffe und ohne Pferd? Nichts! Ein Garnichts ist er! Denn er kann sich nicht verteidigen! Er kann auch nicht die Flucht
ergreifen! Er ist ein Mann ohne Chance, und wenn dieses Spiel besonders hart gespielt wird, dann ist er sogar schon fast ein toter Mann. All dies ist nun in Ringo Jacks wirksam. Vorhin frohlockte er noch, als die Jury keinen Schuldspruch fällen konnte. Doch dann, als er auf die Straße kam, begriff er mehr und mehr, dass die Rinderzüchter ihn nicht ungeschoren davonkommen lassen wollen. Und die Cowboys wollen einen toten Kameraden rächen, der von Viehdieben getötet wurde. Man fand die Hufabdrücke von Ringo Jacks’ Pferd am Tatort. Und man fand das schweißnasse Tier im Corral von Ringo Jacks’ kleiner Ranch. Doch für die Jury genügte das nicht. Ringo hatte betrunken im Bett gelegen. Und er hatte dann behauptet, ihm wäre sein Pferd gestohlen worden und der Dieb wäre der Mörder und hätte das Tier zurückgebracht, um den Verdacht auf ihn, Ringo Jacks, zu lenken. Sein Pferd hinterließ nämlich bemerkenswerte Abdrücke. Es sind die kleinsten Hufabdrücke von allen Pferden im ganzen Land. Ringo Jacks war immer stolz darauf, dass sein Pferd so zierliche Hufe besitzt. Nun würde er das Tier gerne unter sich haben. Denn es ist auch sehr schnell. Er würde damit vielleicht allem Verdruss entkommen können.
Aber das Tier steht im Mietstall. Er müsste in den Stall gehen, müsste es satteln und könnte dann fortreiten. Doch der Stall wäre sicherlich gerade der richtige Ort für die Cowboys, um ihm die Haut abzuziehen. Und wenn sie ihn erst einmal verprügeln würden, würden sie ihn vielleicht tot oder für immer zum Krüppel schlagen. Dieser Gefahr möchte Ringo Jacks gerne entgehen. Seine Angst ist plötzlich sehr viel größer als sein Verstand. Und als er fast am Saloon und der langen Reihe der daran wartenden Sattelpferde vorbei ist, da tut er etwas, was sehr dumm und verrückt von ihm ist. Er wendet sich nach rechts und springt vorwärts. Er ist sehr schnell, und die nackte Furcht, die wilde Angst, ja fast ein Entsetzen treiben ihn an. Es ist das letzte Pferd der Reihe, das er sich aussucht. Es ist ein sehniger, zäh und schnell wirkender Schecke. Es ist Jesse Adams’ Tier. Ringo Jacks sieht sofort, dass der Knoten, mit dem die Zügelenden befestigt sind, mit einem einzigen Griff gelöst werden kann. Und er tut es, springt mit einem Comanchensprung in den Sattel, reißt das Tier zur Seite und setzt die Sporen ein.
Dies alles geschieht ungeheuer schnell. Kein indianischer Pferdedieb hätte es besser machen können. Das scheckige Pferd wiehert schrill und saust davon wie aus einer Kanone abgeschossen. Jesse Adams macht den Ansatz einer Bewegung, um den Diebstahl seines Pferdes zu verhindern. Doch dann lässt er es bleiben. Denn die Entfernung ist zu groß. Er kann nicht einmal den Colt ziehen und schießen. Denn es sind nun viele, sich bewegende Männer zwischen ihm und dem Flüchtenden. Männer, die von dem Plankengehsteig auf die Fahrbahn springen und die den Versuch machen, den Reiter aus dem Sattel zu stoßen oder das Pferd scheu zu machen. Doch Ringo Jacks hält sich im Sattel. Er hat das Pferd schnell unter Kontrolle gebracht, treibt es hart an und stößt nun einen wilden Indianerschrei aus, wohl um sich Mut zu machen, um das Pferd anzutreiben und auch irgendwie als Herausforderung und im Trotz der Verzweiflung gegen die ganze Meute, die ihm etwas antun will. Er kommt bis kurz vor den Ortsausgang. Und er reitet dabei zwei Männer nieder, die sich an sein Pferd oder an seine Beine hängen wollen. Dann aber krachen einige Revolver. Man lässt einen Pferdedieb nicht entkommen. Was Ringo Jacks tat, war der Meute gerade recht. Die Entfernung ist schon etwas weit.
Deshalb treffen die Revolverkugeln nicht nur den Mann, sondern auch das Pferd. Es ist Jesse Adams’ Pferd. Noch bevor er das Tier erreicht, ist es tot. Und auch Ringo Jacks, der einige Yards weit über den Hals des stürzenden Tieres segelte und sich am Boden überschlug, ist tot. Jesse Adams kümmert sich nicht um die sich um Ringo Jacks drängende Meute, um all die Rinderleute, zu denen sich nun auch die Bürger der Stadt gesellen. Jesse nimmt seinem toten Pferd den Sattel ab. Er lädt ihn sich auf die Schulter und blickt sich um. Der grauköpfige Sheriff, der die ganze Zeit vor dem Gerichtsgebäude stand, kommt daher. Er sieht Jesse an und sagt: »Ringo Jacks hat im Mietstall ein Pferd stehen. Sie können sich dieses Tier als Ersatz geben lassen. Gehören Sie zu Jeremy Walker?« Die Frage kommt scharf und schnell, und sie sollte ihn gewiss überraschen oder überrumpeln. »Nein«, sagt Jesse Adams. »Ich bin fremd hier. Und ich werde mir das Pferd holen.« Er wendet sich ab. In seiner Stimme lag unverkennbar ein verächtlicher Klang. Und auch der Blick, mit dem er den Sheriff betrachtete, war verächtlich. Indes er zum Mietstall geht, denkt er: Was ist das für ein Sheriff? Was ist dies für ein Land?
Oh, zum Teufel, auf was für eine Weide bin ich hier geraten?
2
Es ist ein gutes Pferd, eine mausgraue Stute, zäh und ausdauernd und dabei sicherlich auch schnell. Doch für Jesse Adams ist sie etwas zu zierlich, zu leicht. Sie konnte Ringo Jacks’ hundertdreißig Pfund sicherlich mühelos tragen. Doch Jesse Adams wiegt etwa vierzig Pfund mehr. Er hat in ihr also nicht den richtigen Ersatz gefunden. Das macht ihn noch bitterer als ohnehin. Der Schecke ist ihm ein guter Kamerad gewesen. Der alte Stallmann beobachtet ihn von der Futterkiste her. »Das Pferd ist etwas zu leicht für Sie«, sagt er dann plötzlich. »Vielleicht sollten Sie es verkaufen – vielleicht an Kate Sueman. Sie wollte es schon immer haben. Hundert Dollar bot sie Ringo erst vergangene Woche dafür. Sie sagte, es wäre ein Pferd für Ladys. Doch Ringo gab es nicht her.« Jesse Adams nickt. Er rechnet schnell. Hundert Dollar für dieses Tier, das ist viel Geld. Er könnte für dreißig Dollar einen guten Durchschnittsgaul bekommen und hätte wieder Geld in der Tasche. Er ist dem alten Stallmann dankbar. »Wenn es klappt«, sagt er, »bringe ich Ihnen eine Flasche Whisky, Großvater. Oder trinken Sie …«
»Mir ist Rum lieber, mein Junge.« Der alte Bursche grinst. Jesse Adams nickt. »Und wo finde ich diese Kate Sueman?«, fragt er ruhig. »Ihr gehört das Hotel«, erwidert der Oldtimer. »Red Kate Sueman führt das Hotel hier in Hills City.« Jesse geht hinaus. Als er aufsitzen will, kommen zwei Männer in den Hof und winken ihm zu. Es sind zwei Cowboys, und sie versperren ihm den Weg. Einer sagt ungeduldig: »He, Bruder, dir hat doch das Pferd gehört, welches Ringo Jacks von der Haltestange stahl?« »Richtig«, sagt Jesse, »es war ein gutes Hundert-Dollar-Pferd. Und ein paar Stümper haben es erschossen. Sie haben einfach drauflosgeknallt, um Ringo Jacks zu erwischen. Wart ihr vielleicht diese Stümper?« Sie betrachten ihn wütend, und sie sind ärgerlich. Es passt ihnen nicht, dass ein Fremder, den sie für einen Satteltramp halten, so zu ihnen redet. »Du musst in der Stadt bleiben«, sagt einer nun trocken. »Du musst warten, bis die Leichenschau stattgefunden hat. Es muss alles seine Richtigkeit haben. Ein Pferdedieb wurde auf der Flucht erschossen. Er wurde sogar auf frischer Tat erwischt. Du bist der Mann, dem er das Pferd gestohlen hat. Und du wirst dies zu
Protokoll geben. Hast du das verstanden, Bruder?« »Ich bin nicht dein Bruder«, erwidert Jesse. Und er fügt hinzu, nachdem er aufgesessen ist: »Ich bleibe noch eine Weile in der Stadt, denke ich.« Er reitet aus dem Hof des Mietstalles und bis vor das Hotel. Im Westen versinkt nun die Sonne, und es ist die Zeit, da man in den Häusern bald die Lampen anzünden muss und überall zu Abend isst. Auch im Restaurant des Hotels ist viel Betrieb. All die Gäste und Besucher der Stadt, die noch nach der Gerichtsverhandlung bleiben, nehmen jetzt im Restaurant das Abendbrot ein. Überall stehen Sattelpferde und Wagen. Durch die offenen Fenster des Restaurants tönt Stimmengewirr. Jesse Adams geht hinein. Er verspürt einen gewaltigen Hunger, und als er auf einer schwarzen Tafel mit Kreide geschrieben lesen kann: Hammelbraten, grüne Bohnen, Bratkartoffeln Apfelkuchen und Kaffee, da erliegt er seiner Versuchung und beschließt, einen Dollar zu opfern und sich ein nobles Abendessen zu leisten. Er findet noch einen Platz an einem langen Tisch, an dem Rancher und Vormänner sitzen, irgendwie als geschlossene Gruppe wirkend.
Jesse würde sich lieber an einen anderen Tisch setzen, doch es ist sonst alles besetzt. Man betrachtet ihn aufmerksam, studiert ihn, schätzt ihn ab. Jeder oder fast jeder Mensch im Raum weiß, dass er der Mann ist, dessen Pferd sich Ringo Jacks nahm. Ein hässliches Mädchen bedient hier, doch sie arbeitet sehr flink und macht keinen Weg nutzlos. Sie geht nie in die Küche zurück, ohne sich einen Berg schmutziges Geschirr aufzuladen. Jesse bekommt schnell sein Essen, und indes er isst, erwidert er alle aufdringlichen und forschenden Blicke mit ruhiger Gelassenheit. Einer der Rancher am Tisch, der sich indes eine Zigarre angesteckt hat, richtet nun seinen Blick fest und zwingend auf ihn. Er ist ein bulliger, rotblonder und helläugiger Mann, mit gesunden, roten Wangen und dem Gebaren eines Mannes, der jede Art vom Widerstand im ersten Ansturm zu überwinden gewohnt ist und der vor nichts auf dieser Welt Respekt hat. Er ist noch nicht alt, kaum älter als Jesse Adams, und als Jesse ihn betrachtet, denkt er an einen noch jungen, doch sehr starken und mutigen Bullen, der sich eine Weide erobert hat und dem niemand in den Weg zu treten wagt. Jesse Adams erwidert den Blick des Mannes ernst und gelassen. »Wer sind Sie« fragt der Rancher über den Tisch. »Sind Sie einer von Jeremy Walkers
Freunden? Sie waren bei ihm im Saloon, und Sie standen mit ihm vor dem Saloon, als Ringo Jacks stehen blieb und zu euch einige Worte sprach. Was sagte Ringo Jacks?« In Jesse Adams’ Augen ist nun ein belustigtes Funkeln zu erkennen. »Mister«, sagt er, »Sie stellen viele Fragen auf einmal. Doch ich will versuchen, sie nacheinander zu beantworten. Nun, ich bin Jesse Adams. Und ich habe Jeremy Walker im Saloon zum ersten Male gesehen. Und als Ringo Jacks vor uns stehen blieb, wollte er ein Pferd haben. Er bat um ein Pferd.« Alle Augen, die auf Jesse gerichtet sind, werden nun scharf und blicken irgendwie drohend. Der Rancher aber, der das Wort führt, knirscht deutlich hörbar mit den Zähnen. »Die Art, wie Sie mit mir reden, gefällt mir nicht sehr«, sagt er schwer. »Ich bin Lester Stonewall, und ich bin der Vorsitzende der Ranchervereinigung.« Er sagt es auf eine nachdrückliche Art, und Jesse, der sich auskennt, weiß nun, dass er wahrhaftig den wohl mächtigsten und einflussreichsten Mann des Landes vor sich hat. In diesem Rinderland gibt es keine stärkere Gruppe als die der Rinderzüchter, zumal sie sich organisiert und vereinigt haben. Und der Vorsitzende dieser Vereinigung hat in diesem
Land sicherlich mehr Macht und Einfluss als der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Jesse Adams weiß, dass er in diesem Distrikt Verdruss und ganz bestimmt keine Arbeit bekommt, wenn er es sich jetzt mit diesem Mann verdirbt. Er steht dann von Anfang an auf der »Schwarzen Liste«. Er spürt in sich wieder den alten, bitteren und kalten Zorn. Auf solche Burschen stieß er überall und spuckte ihnen vor die Füße oder mitten ins Gesicht. Soll er es auch hier wieder tun? Soll er auch diesem stolzen Mister sagen, dass ihm dessen Art ebenfalls nicht gefällt? Doch Lester Stonewall, wie er sich soeben vorstellte, als erwartete er, dass sein Name in allen Staaten und Territorien bekannt wäre, spricht schon weiter. Er sagt sehr bestimmt und knapp: »Die Leichenschau findet gleich statt. Sie werden beim Sheriff zu Protokoll geben, dass Ringo Jacks Ihnen das Pferd stahl! Haben Sie verstanden, Adams?« Er spricht scharf und befehlend. Und seine Frage zuletzt klingt arrogant. Etwas an Jesse Adams – vielleicht dessen ruhiger Blick – gefällt ihm nicht. Und so will er ihm auf seine Art klarmachen, dass er ein Boss und Adams nur ein Satteltramp ist. Aber Jesse Adams ist kein Satteltramp – vielleicht ein ruheloser Reiter, dessen
Zickzackfährte nie endet. Doch ein Satteltramp ist von Jesse Adams so sehr verschieden wie ein streunender Hund, der Herr und Bleibe verlor, von einem frei am Himmel segelnden Falken, der die Welt entdecken will und überall mal eine Weile bleibt. Dass Lester Stonewall dies nicht an Jesse Adams erkennen kann, ist sein großer Fehler. »Ich habe verstanden, was Sie von mir wollen«, erwidert Jesse Adams. »Und da wir gerade von meinem Pferd sprechen, so möchte ich feststellen, dass es ein recht gutes Pferd war. Ich ritt es schon vier Jahre, und es war ein ›Trickpferd‹. Ich würde gerne wissen, welche närrischen Stümper das Tier mit ihren Revolvern beschossen. Es war ein sehr müdes Pferd. Ich bin heute mehr als vierzig Meilen geritten. Fast alle anderen Pferde waren ausgeruhter. Dieser Ringo Jacks war vor Angst fast völlig kopflos, sonst würde er sich nicht ausgerechnet das müdeste Tier ausgesucht haben. Doch jeder Narr hätte wissen müssen, dass man den Pferdedieb mit frischeren Tieren leicht hätte einholen können. Er wäre keine drei Meilen weit gekommen. Aber man machte es sich leichter. Man knallte einfach mit den Colts in die Gegend. Es war diesen Revolverkünstlern vollkommen gleich, ob sie statt dem Manne auch dem Tier etwas tun würden. Und jetzt geben Sie mir auch noch den Befehl, Mister, dieses merkwürdige Schützenfest
nachträglich zu unterstützen und es als legale Notwendigkeit erscheinen zu lassen.« »Es war notwendig, Adams«, schnappt einer der anderen Männer am Tisch. Und dann wird es wieder still. Sie alle starrten ihn an. Auch an den anderen Tischen ist es still. Vorhin klirrte da und dort nach Geschirr, klapperten Essbestecke und murmelten Stimmen, wie es überall in einem Speisesaal ist, in dem einige Dutzend Gäste essen. Doch nun ist es still. Jesse Adams hebt plötzlich den Kopf und blickt über jenen Lester Stonewalls Kopf hinweg auf eine Frau, die aus dem Durchgang zur Küche in den Speisesaal tritt. Sie trägt einen weißen Kittel, so als hätte sie bisher in der Küche gearbeitet. Doch es ist etwas an ihr, was sie nicht wie eine Angestellte erscheinen lässt. Sie wirkt sehr stolz und beherrscht. Im Lampenlicht leuchtet ihr Haar wie poliertes Kupfer. Und ihre Augen sind so grün, wie Jesse Adams es bisher nicht für möglich hielt. Ja, sie ist eine Frau, kein Mädchen mehr. Man sieht ihr das irgendwie an. Sie mag fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig sein. Und um die Mundwinkel ihres vollen Mundes ist ein herber Zug. Sie ist für eine Frau mehr als mittelgroß. Ihre Nase ist klein und hat einen leichten Schwung nach oben. Sie hat hochstehende Wangenknochen und einen etwas
zu breiten Mund. Ihre Augen stehen weit auseinander, und die Brauen haben einen besonderen Schwung und sind sehr viel dunkler als ihre Kopfhaare. Sie trägt den Kopf auf eine besondere, auf eine stolze und eigenwillige Art. Es ist alles richtig an ihr, sie ist eine stattliche und begehrenswerte Frau. Sie nähert sich und blickt auf Jesse Adams. Gewiss hatte sie die Unterhaltung zwischen ihm und Stonewall in der Anrichte gehört und kam in den Speisesaal, um Jesse Adams zu betrachten. Er erwidert ihren Blick. Und Lester Stonewall wendet sich um und betrachtet sie. »Hallo, Kate«, sagt er gedehnt. »Das Essen war gut. Ich glaube, du kannst Männer auf jede Art verwöhnen.« »Sicherlich – wenn ich sie mag«, erwidert sie kühl, und ihre Stimme klingt dunkel, kehlig und etwas rauchig. Diese Stimme lässt irgendwie ahnen, dass sie erfahren ist und raue Wege ging. Diese Stimme passt so gut zu dem herben Zug um ihre Mundwinkel. Sie drückt irgendwie aus, dass Kate Sueman keine Illusionen mehr hat. Lester Stonewall wendet sich wieder Jesse Adams zu. »Cowboy«, sagt er hart, »Sie gehen jetzt sofort auf der Stelle zum Sheriff und geben zu Protokoll, dass Ringo Jacks ihr Pferd stahl. Und wenn Sie das getan haben, dann reiten Sie aus dem Land. Sie gefallen mir und meinen Freunden
nicht – gar nicht! Wie ich hörte, hat der Sheriff Ihnen gestattet, sich Ringo Jacks’ Tier als Ersatz anzueignen. Damit ist alles erledigt. Haben Sie verstanden?« Jesse Adams nickt. »Yes, Sir«, sagt er ernst und erhebt sich. Sein Gesicht ist sehr ausdruckslos. Er blickt sich um, und dann begegnet sein Blick dem von Kate Sueman. Sie öffnet leicht die Lippen und lässt etwas von ihren Zähnen sehen. Es soll ein Lächeln sein. Und sie sagt ruhig: »Ich hörte schon, dass Sie Ringos Pferd haben. Doch es dürfte für Sie etwas zu leicht sein. Es ist ein Pferd für eine Frau oder für einen sehr leichten Mann. Ich möchte es kaufen. Ringo wollte es nicht für hundert Dollar weggeben.« »Ich schon«, sagte Jesse. »Es ist wirklich zu leicht für mich.« »Dann kommen Sie bitte in mein Büro, bevor Sie Stonewalls Befehl ausführen und zum Sheriff gehen.« Sie spricht die Worte etwas sarkastisch und verächtlich, und er hat das Gefühl, als wollte sie ihn gegen Lester Stonewall aufwiegeln. Sie ist Stonewall bestimmt nicht gewogen – dies wurde schon klar. Jesse Adams beugt sich leicht über den Tisch und blickt Stonewall an.
»Darf ich dem Wunsche der Lady nachkommen, Sir?«, fragt er sanft. Lester Stonewalls buschige Brauen ziehen sich zusammen. Seine Augen werden schmal, und sein Gesicht wird böse und grimmig. Doch in Jesse Adams’ Gesicht ist keinerlei Ausdruck. Da nickt Stonewall. »Verschwinden Sie bloß«, knurrt er. Jesse Adams geht, und nun sehen die schweigenden Gäste, dass er sich auf seinen nicht sehr hochhackigen Stiefeln sehr leicht und katzenhaft bewegt. Sie sehen, auf welche Art er den Revolver trägt, und die Waffe wirkt bei ihm dort unter der Hüfte irgendwie anders als bei einem gewöhnlichen Cowboy oder Tramp. Nicht wenige der Leute bekommen plötzlich die Witterung einer unbestimmbaren Möglichkeit in die Nasen. Es geht ihnen wie einem Mann, der im Wald plötzlich auf einen streunenden Hund trifft und die leise Ahnung verspürt, dass dieser Hund gar kein Hund, sondern ein Wolf sein könnte. So geht es den Leuten. Dann ist Jesse Adams hinter Kate Sueman verschwunden. Er folgt ihr durch einen Gang in das kleine Hotel-Büro, und er lässt eine etwas unbehagliche Stille zurück.
Die Rancher am Tisch blicken auf Lester Stonewall, der nachdenklich seine Zigarre betrachtet. Einer der Männer murmelt sanft, indes überall wieder die Bestecke klappern und die Stimmen wieder murmeln: »Wenn er vielleicht doch von Jeremy Walker ins Land gerufen wurde? Wenn er vielleicht doch einer von …« Jesse Adams darf sich setzen, indes Kate Sueman eine Kaufbescheinigung ausschreibt und dann das Geld auf den Tisch zählt. Als er es einsteckt, fragt sie sanft, wobei ihre grünen Augen ihn fest anblicken: »Was werden Sie tun, Mister …« Sie zögert und sagt dann nach einem Blick auf die Kaufbescheinigung: »… Jesse Adams? Ich verstand Ihren Namen doch richtig?« »Es ist auch mein richtiger Name«, sagt er. Nun sehen sie sich an. Jesse wird sich darüber klar, dass diese begehrenswerte Frau sehr klug ist. Er fragt sich, ob sie einen Mann, einen Freund oder sonst wie einen Beschützer hat, oder ob sie sich hier in diesem Männerland aus eigener Kraft behauptet. Aber er erkennt an ihrem geraden und festen Blick, dass sie gewöhnt ist, mit Männern umzugehen. »Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet«, sagt sie ruhig.
»Ich weiß noch nicht, was ich tun werde«, sagt er. »Ich möchte gern ein Zimmer mieten und lange schlafen. Ich habe gut gegessen und schlief lange nicht in einem richtigen Bett. Und morgen will ich mir ein starkes und zähes Pferd kaufen.« »Und Lester Stonewalls Befehl?«, fragt sie. Er betrachtet sie nun sehr wachsam. »Sie mögen ihn nicht?«, fragt er. Nun lächelt sie auf eine spröde Art. »Lester Stonewall ist in diesem Land der große Mann. Vor zwei Jahren noch gab es in dieser Stadt und in diesem Land noch einen anderen Mann, der ihm gewachsen war. Dieser Mann hieß Frank Sueman, und ich war seine Frau. Er wurde in einer dunklen Nacht aus einer Gasse heraus erschossen. Und als er tot war, gab es keinen Mann mehr in diesem Land, der Lester Stonewall gewachsen oder ebenbürtig gewesen wäre.« »Ich verstehe«, murmelt Jesse Adams. Ihre vollen Lippen öffnen sich wieder zu einem Lächeln, aber es ist das Lächeln einer Kämpferin. Ihre Augen funkeln. Sie greift zur Seite an das Schlüsselbrett und legt einen Schlüssel auf das Anmeldepult. »Da ist der Schlüssel für ihr Zimmer«, sagt sie kehlig. »Und solange Sie Lester Stonewalls Befehle missachten, also gegen seinen Willen in dieser Stadt und in diesem Land bleiben, ist dieses Zimmer frei für Sie. Denn dann betrachte
ich Sie als guten Freund, den man gastlich aufnimmt.« Er nimmt den Schlüssel. »Aber ich werde ihr Pferd erst in den Mietstall zurückbringen«, sagt er. »Es steht draußen vor der Tür. Ich werde dem Stallmann Bescheid sagen, dass Sie es gekauft haben.« Er geht langsam zur Tür. Aber die Stimme der Frau holt ihn ein. Sie sagt: »Was werden Sie beim Sheriff zu Protokoll geben?« Er blickt sie über die Schulter lange an. Dann sagt er langsam: »Ich glaube, Sie hassen Lester Stonewall. Und Sie verstehen sich auf Männer. Sie haben ein feines Gefühl. Sie konnten genau spüren, dass ich von diesem Stonewall nichts hinnehmen würde. Ich war drauf und dran, ihm die Faust aufs Auge zu schlagen. Dies haben Sie gespürt. Doch versuchen Sie nicht, mich irgendwie für Ihre Wünsche einzuspannen. Ich werde das Zimmer bezahlen, und ich werde auch nicht lange bleiben. Es bringt nichts ein, Streit mit Burschen wie Stonewall zu suchen. Es gibt dann stets nur Verdruss und …« Er verstummt. Seine Finger berührten flüchtig den dunklen Kolben seines Revolvers und zuckten fort, so als würden sie auf eine glühende Ofenplatte gefasst haben. Er geht schnell hinaus, nimmt draußen das Pferd und reitet wieder zum Mietstall zurück.
Der alte Stallmann ist noch da und nickt befriedigt, als er hört, dass Kate Sueman das Pferd kaufte. Er sagt dann: »Wir haben einen dunkelbraunen Wallach, der für Sie das richtige Pferd wäre. Sehen Sie sich das Tier morgen früh an. Ich glaube, Sie werden es kaufen.« »Wem gehört der Stall?«, fragt Jesse Adams. Der alte Excowboy auf der Futterkiste grinst und zeigt dabei einige Zahnstummel. »Mein Bruder Tube und ich, wir haben seit einiger Zeit diesen Mietstall von Kate Sueman gepachtet. Ich bin Tate Hole. Wenn Sie einen alten Burschen sehen, der mir zum Verwechseln ähnlich sieht, dann ist es mein Bruder Tube. Und was Kate Sueman betrifft, so gehört ihr nicht nur das Hotel und dieser Mietstall, ihr gehört die halbe Stadt. Und es war wohl auch ihrem Einfluss zu verdanken, dass die Jury so objektiv war und die Indizien gegen Ringo Jacks nicht für ausreichend hielt, um einen Schuldspruch zu fällen. Und was Ringo Jacks Todesursache betrifft, so wird es sehr auf Sie ankommen, mein Junge aus Texas. Wenn Sie nämlich zu Protokoll geben, dass Ringo Jacks ihr Pferd nicht gestohlen hat, dann war es Mord.« »Das ist mir klar«, murmelt Jesse Adams und geht hinaus. Als er fast schon die Ausfahrt zur Straße erreicht hat, treten ihm aus dem Schatten zweier abgestellter Planwagen drei Männer entgegen. Sie
versperren ihm den Weg. Und von hinten um den Wagen herum nähert sich ein vierter Mann. Sie haben ihn nun eingekeilt und in ihrer Mitte. Eine Stimme sagt drohend: »Bruderherz, du scheinst einer von der dickköpfigen Sorte zu sein, die sich Salz statt Zucker in den Kaffee tut und die gerne mal in den Wind spuckt oder mit einer quer vor der Brust getragenen Lanze durch den Wald marschieren will. Doch das geht nicht! Das ist geradezu dumm! Und damit du begreifst, wie dumm es ist, wenn man erhaltene Befehle nicht sofort haargenau ausführt, bekommst du jetzt erst einmal eine kleine Abreibung!« Nach diesen Worten fallen sie ihn von allen Seiten her an. Sie erleben eine böse Überraschung, denn er macht es ihnen nicht so einfach und leicht. Er kämpft hart und ganz wie ein Mann, der schon durch hundert wilde Kämpfe ging und der keinen Sieg zu verschenken hat. Er schlägt sehr schnell und genau, und er trifft die Burschen sehr schmerzvoll und präzise wie ein Preiskämpfer. Und so gibt es einige schlimme Zeichen in ihren Gesichtern. Es gibt einige angeknickte Rippen, denn seine Fäuste kommen wie Eselstritte. Doch sie sind harte und raue Burschen, ausgesucht für solch eine Sache. Sie sind in vierfacher Übermacht, und so bekommen sie ihn
schließlich unter. Und da er sich so wehrte, da er ihnen seine Zeichen einprägte und ihnen Schmerzen zufügte, verprügeln sie ihn schlimmer, als es ihnen befohlen wurde oder ihre eigene Absicht war. Sie sind wütend geworden und zerschlagen ihn ziemlich schlimm. Und als er dann vor ihnen am Boden liegt, zerschlagen, blutend und halb benommen, sich krümmend vor Schmerz und voller Not, da sagt ihr Anführer keuchend zu ihm nieder: »Dies war noch gar nichts gegen die Abreibung, die du bekommen wirst, wenn du noch einmal etwas sagst oder tust, was dem Boss nicht gefällt, oder wenn du einen erhaltenen Befehl nicht sofort ausführst. Merk dir eines, mein Junge: In diesem Land ist Stonewall der Boss. Und wenn er etwas will, dann wird es gemacht.« Sie gehen nun davon, und sie fluchen leise vor sich hin, denn die Sache wurde auch für sie ziemlich hart und schmerzvoll. Mit zwei von ihnen wäre dieser Jesse Adams gut zurechtgekommen. Sie wissen nun, was für ein gefährlicher Kämpfer er ist. Er liegt keuchend und stöhnend am Boden. Es fehlt ihm an Luft, und er spürt Schmerzen überall. Er kommt dann auf Hände und Knie, und in seinem Kopf summt es wie in einem Bienenhaus. Der Alte aus dem Stall kommt mit einem Eimer Wasser. Jesse kniet davor, wäscht sich und
steckt, als er wieder genügend Luft bekommen kann, den Kopf hinein. Das Wasser tut gut, es erfrischt und macht einen klaren Kopf. Tate Hole, wie der Stallmann ja heißt, hat auch ein Handtuch mitgebracht. Indes Jesse vorsichtig sein zerschlagenes Gesicht abtupft und das nasse Haar trocknet, sagt Tate Hole trocken: »Ja, so geht es hier jedem Außenseiter, der nicht den Hut abnimmt, wenn er mit dem großen Lester Stonewall redet, ihm nicht die Stiefel küsst und nicht in seiner Stimme jenen respektvollen Klang hören lässt, der dem Großen, Mächtigen und Edlen gebührt, hahaha!« Sein Lachen ist sarkastisch und bitter. Jesse Adams geht in den Stall zurück und setzt sich auf die Futterkiste. Tate Hole folgt ihm erst nach einer Weile, doch er bringt ihm den Revolver, den er während des Kampfes verloren hat. »Ich fand ihn unterm Wagen«, sagt der alte Excowboy. »Ich habe zugesehen«, fügt er hinzu. »Sie können kämpfen, Texas.« Jesse Adams erwidert nichts. Er ruht sich aus, drückt das Handtuch immer wieder gegen sein zerschlagenes Gesicht. Erst nach einer Weile bringt er seine Kleidung in Ordnung. Der Alte bringt eine Bürste aus seinem Verschlag, der Stallbüro und Schlafraum zugleich ist. Er bürstet ihn ab. Auch den Hut hat er mitgebracht.
Als Jesse seine Taschen durchsucht, sind die hundert Dollar fort, die Kate Sueman ihm für das Pferd zahlte. Er sagt es Tate Hole, und nun nehmen sie die Stalllaterne und gehen noch einmal hinaus. Sie suchen den Boden genau ab, doch das Geld findet sich nicht. Es gibt keinen Zweifel daran, dass es Jesse Adams aus der Tasche gestohlen wurde, als er fast bewusstlos am Boden lag und die vier Burschen von ihm abließen. Sie haben ihn verprügelt und bestohlen. In ihm ist ein heißer Zorn.
3
Einige Minuten später betritt er das Sheriffsbüro, und der so sehr wie ein alter, erfahrener und grau gewordener Falke wirkende Sheriff hebt den Kopf und blickt von einem Stoß Fahndungsblätter und Steckbriefen auf, die er studierte. Es ist eine Sammlung aus vielen Staaten und Territorien der letzten Jahre. Jesse ahnt, dass der Sheriff seinetwegen nachgesehen hat, aber vielleicht tut er das bei jedem Fremden, der in seinen Distrikt kommt. »Sie kommen spät, sehr spät«, murmelt der Sheriff. In seinem lederhäutigen, hageren und scharf geschnittenen Gesicht bewegt sich nichts. Auch seine Falkenaugen sind unpersönlich und verraten nichts außer Härte und Schärfe. Er nimmt ein Blatt Papier und taucht die Feder ein. »Wie war das also?«, fragt er. »Sie standen neben Jeremy Walker vor dem Saloon, als Ringo Jacks sich ihr Pferd nahm. Da Sie ihm dies nicht erlaubt hatten, war es doch wohl klarer und einwandfreier Diebstahl, nicht wahr? Und es war doch auch in Ihrem Sinne, dass einige rechtliche Bürger unseres Landes versuchten, den Pferdedieb aufzuhalten? Er ritt sie nieder, und da endlich griffen einige beherzte Männer zur
Waffe. Das war doch in Ihrem Sinne als Bestohlener?« Er blickt Jesse Adams kalt an. »Nein«, sagt Jesse, »das war nicht in meinem Sinne. Ringo Jacks war unbewaffnet, und ich hatte nichts dagegen, dass er sich mein Pferd nahm. Ich hätte das Tier schon irgendwie zurückbekommen. Ich habe mich nicht bestohlen gefühlt. Und ich gab auch keinem Menschen den Auftrag, ihn daran zu hindern, mit meinem Pferd fortzureiten.« Als er es gesagt hat, legt der Sheriff den Federhalter hin und lehnt sich zurück. Er betrachtet ihn ernst und sagt dann schlicht: »Sie sind verprügelt worden, wie ich sehe. Vielleicht schlafen Sie sich erst einmal aus und kommen morgen wieder. Das …« »Ich bin hier, um eine Anzeige zu machen, Sheriff! Ich bin im Hof des Mietstalles von vier Burschen überfallen worden. Sie schlugen mich zusammen und raubten mich aus. Ich hatte zuvor von Mrs Sueman Geld für das Pferd erhalten. Ich wollte mir für dieses Geld morgen ein stärkeres Tier kaufen und fortreiten. Doch ich wurde überfallen und ausgeraubt. Nehmen Sie diese Anzeige zu Protokoll, Sheriff.« »Haben Sie einen Zeugen für Ihre Behauptungen?« »Der Stallmann kam aus dem Stall und sah zu, wie die vier Burschen mich zusammenschlugen.«
»Ich werde ihn morgen fragen«, murmelt der Sheriff. »Doch wenn Sie kein Geld haben, können Sie auch nicht für Ihren Unterhalt sorgen. Dann gelten Sie als Landstreicher. Ich muss Sie deshalb aus der Stadt weisen – und natürlich aus meinem Distrikt.« Nun grinst Jesse Adams mit seinen zerschlagenen Lippen, so gut er es vermag. »Ich weiß schon, wo ich hier angelangt bin«, sagt er. »Und ich weiß auch, was für ein Sheriff Sie sind, Mister. Ihre Sorte gibt es da und dort. Sagen Sie Ihrem Boss, dass er einen Fehler machte. Er hätte mich nicht so bedrängen sollen. Ich vertrage es nicht, wenn man mir auf die Zehen tritt. Und jetzt haben mich seine rauen Jungens sogar noch bestohlen. Das war ein Fehler!« Er geht zur Tür. Dort wendet er sich noch einmal. »Ihr Name ist Luke Wagoner, nicht wahr, Sheriff?«, fragt er verächtlich. »Und Sie lieben Ihren Stern, weil ein alter Mann wie Sie nicht mehr im Sattel leben will wie ein Cowboy, weil ein alter Mann wie Sie nicht Stallmann werden will wie die Brüder Hole, und weil es sonst keine Chancen mehr für Sie gibt. Dieser Stern dort sichert Ihnen ein ruhiges Leben. Was zu tun ist, erledigt ohnehin Lester Stonewall oder tun seine Beauftragten. Sie aber sind nur eine Attrappe, ein hölzerner Indianer, der als Dekoration in einem Store steht.«
Er geht zwei Schritte zurück und blickt im Lampenschein in Luke Wagoners Augen, und er erkennt die Müdigkeit und die bittere Resignation darin. »Ringo Jacks wurde auf offener Straße ermordet«, sagt er hart. »Und ich wurde soeben niedergeschlagen und ausgeraubt. Sehen Sie zu, Sheriff, wie Sie da herauskommen können. Und sollten Sie erst gar nicht versuchen, da herauszukommen, nun, dann …« Er verstummt, macht eine wegwerfende und deutlich erkennbar verächtliche Handbewegung. Dann fügt er hinzu: »Mister, ich war selbst schon in einigen Städten Gesetzesmann! Und ich kann dort, wo ich einmal den Stern trug, zu jeder Zeit wieder zurückkommen. Hören Sie nur auf, mich hier als Tramp zu behandeln.« Er geht nach diesen Worten hinaus. Als er in die Hotelhalle kommt, steht Kate Sueman hinter dem Anmeldepult. Sie hat ganz klar ersichtlich auf ihn gewartet. Und sie sieht die Zeichen der Schlägerei an ihm. »Nun«, sagt sie, »ich hörte bereits, dass man Ihnen die Taschen leerte. Tate Hole war soeben hier und berichtete, dass Sie zum Sheriff gingen. Was nun, Texasmann?« Er weiß, dass sie auf seine texanische Herkunft anspielt, um seinen Stolz anzustacheln, einen
Stolz, den alle Texaner im besonderen Maße besitzen, vielleicht deshalb, weil ihre Väter das Land von den Mexikanern eroberten, es zu einem selbstständigen Staat machten, der dann als mit den Vereinigten Staaten gleichberechtigter Staat dem Bund beitrat. Es war mit Texas also völlig anders als mit all den Territorien, die irgendwann einmal zu Bundesstaaten erhoben wurden. Irgendwie besitzen die Texaner nun einmal eine besondere Art von Stolz. Dies hängt mit ihrer Geschichte zusammen und nicht zuletzt mit jener Schlacht bei Alamo, wo sich einige Texaner gegen fünftausend Mexikaner so lange hielten, bis General Sam Houston eine Freiwilligenarmee sammeln und die Mexikaner für immer vertreiben konnte. Er lächelt schief bei ihrer Frage. »Was nun?«, wiederholt er, und es ist eine Frage, die er sich selbst stellt, dies kann sie erkennen. »Ich kann mir kein Pferd mehr kaufen«, sagt er. »Ich werde wohl erst jene Burschen finden müssen, die mich ausraubten. Ich kann nicht einmal das Hotelzimmer bezahlen, das …« »Sie haben alles frei, das sagte ich schon«, unterbricht sie ihn. »Doch was haben Sie beim Sheriff angegeben?« »Dass ich mich nicht bestohlen fühlte, dass ich keinen Auftrag gab, Ringo Jacks aufzuhalten, und dass ich Ringo Jacks’ Tod für Mord halte.«
Er lächelte abermals schief. »Wie wird der Sheriff wohl aus dieser Sache herauskommen? Was ist denn der Richter für ein Mann?« »Richter Louis Garland reist morgen wieder ab. Er kommt dann erst in drei oder vier Monaten wieder hier durch und erledigt die inzwischen angelaufenen Fälle. Er wollte heute schon weiter und ist in Eile. Er möchte schnell zurück nach Lincoln, wo seine um dreißig Jahre jüngere Frau ihn vielleicht gar nicht so sehr vermisst. Er ist sehr in Eile.« Sie kommt hinter dem Anmeldepult hervor und tritt näher an Jesse heran. »Wenn Sie Arbeit suchen«, sagt sie langsam, »ich hätte einen Posten für Sie.« Er betrachtet sie sehr ernst und nachdenklich. »Bis jetzt ist alles so gekommen, wie Sie es gern hätten«, murmelt er. »Nun, ich sitze hier fest, ohne Geld, ohne Pferd. Was wäre das also für ein Job?« Sie tritt an eine Karte, die an der Wand hängt, wohl für die Hotelgäste bestimmt, die sich über diese Stadt und über ihre weitere Umgebung und das Land informieren wollen. Es sind alle Wege und Pfade eingezeichnet, alle Ranches und Siedlungen. Sogar die Weidegebiete der einzelnen Ranches sind farbig schraffiert und die Brandzeichen in dieses Gebiet eingezeichnet. Es ist eine gute Karte für jeden
Menschen, der sich über das Land informieren will. »Mein Mann hatte diese Karte gezeichnet«, sagt sie und deutet auf einige hellblaue Flecken. »Das sind einige Siedlerstätten, die ich nach und nach während der letzten Monate kaufte. Und der gelbe Fleck hier, der an diese Siedlerparzellen grenzt, ist Ringo Jacks’ kleine Ranch. Zusammen ist dies alles schon eine ganze Menge, zumal es stets nur auf die Wasserrechte ankommt, weil niemand sonst die Weide benutzen kann, die zwischen den Wasserstellen liegt. Ich suche einen Vormann oder Verwalter, der aus diesen Parzellen und Ringo Jacks’ Ranch eine richtige große Ranch machen kann. Ach, ich habe es noch nicht gesagt! Als Ringo Jacks im Gefängnis saß, hat er seine Ranch an mich verkauft.« »Und der Kaufpreis?«, fragt Jesse merkwürdig scharf. Sie lächelt. »Tausend Dollar«, sagt sie. »Ich habe sie für Ringo nach der Bank in Cheyenne überweisen lassen. Dort wollte er hin. Er wollte sie dort abheben.« Sie lächelt auf ihre blitzende Art, und sie hat einen geraden und festen Blick. Sie ist eine Frau, die in einem Männerland mit Männern Geschäfte macht. Sie ist in dieser Stadt nicht ohne Einfluss. Jesse beginnt zu ahnen, warum die Jury zu Ringo Jacks so gnädig war. Er hat seine kleine Ranch an
Kate Sueman verkauft, und dafür ließ sie wohl ihren Einfluss wirksam werden. Und nun will sie ihn als Vormann anwerben. Sie ist eine klug und kühl rechnende Frau, ehrgeizig und geschäftstüchtig. Jemand hat vor fast zwei Jahren aus dem Hinterhalt ihren Mann getötet. Und sie hat etwas gegen Lester Stonewall, das hat Jesse Adams klar genug spüren können. An all diese Dinge denkt er nun, indes er sich das Angebot überlegt. Seltsam, dass ich immer wieder und überall solche Angebote bekomme, denkt er, und dann erinnert er sich wieder an all seine Zickzackfährten, die bis jetzt nirgendwo endeten, und er denkt an seine Kämpfe und daran, dass er trotzdem noch keine Reichtümer sammeln konnte. Er denkt an den Sheriff, denkt an die vier Burschen, die ihn verprügelten und bestahlen, und er denkt an Lester Stonewall und an jenen Jeremy Walker, den er bis jetzt noch nicht einordnen konnte. »Wer ist dieser Jeremy Walker?«, fragt er geradezu. Ihre Augenlider senken sich etwas, und so kann er nichts in ihren Augen erkennen. Er blickt auf ihr glänzendes Haar, und sie sind sich dicht genug gegenüber, dass er ihren Duft spüren kann. Sie ist begehrenswert, denkt er.
Dann hört er sie sagen: »Jeremy Walker – nun, er ist ein Außenseiter. Er ist mutig, verwegen und behauptet sich durch Kühnheit. Irgendwo in den Hügeln hat er eine Ranch. Er hat eine starke Mannschaft, und man sagt, dass er gestohlene Rinder kauft. Als die Rancher sich damals zur Rinderzüchter-Vereinigung zusammenschlossen, wurde er nicht aufgenommen.« »Aha«, murmelt Jesse Adams. Er denkt wieder nach, und er weiß, dass er kaum noch eine Wahl hat. Er besitzt kein Geld, kein Pferd, und nachdem er beim Sheriff eine Aussage machte, die Stonewall bestimmt nicht gefallen wird, steht er sicherlich im Umkreis von fast hundert Meilen auf der Schwarzen Liste. Nirgendwo würde er Arbeit bekommen. Er müsste zu Fuß sehr weit laufen. »Was zahlen Sie für diese Arbeit?«, fragte er ruhig. Sie sehen sich nun aus nächster Nähe an, und er spürt deutlich die Kraft und den zwingenden Willen dieser begehrenswerten Frau. Sie betrachtet ihn seltsam. »Ich zahle immer den vollen Preis«, erwidert sie. »Wenn Sie die Dinge in Gang gebracht haben, können Sie Ihren Lohn selbst festsetzen, und ich werde mich entscheiden, ob ich ihn zahlen will.« Nun kann er in ihren Augen eine Menge Dinge lesen, die mit Worten nicht zu ahnen sind. Es sind
nur Möglichkeiten – keine Versprechen. Aber er weiß Bescheid. Er zögert. Etwas warnt ihn. Sein Verstand sagt ihm, dass sie ihn einkaufen will, weil sie daran glaubt, dass er Lester Stonewall gewachsen sein könnte. Er denkt an die erhaltenen Prügel, an das fehlende Geld. Und er spürt am ganzen Körper die Schmerzen der Fußtritte. Sein Gesicht ist angeschwollen und zerschlagen. Er stellt sich Lester Stonewall vor. Und da sagt er: »Wir werden es miteinander versuchen. Ich brauche hundert Dollar Vorschuss. Dafür bleibe ich zumindest eine Woche. Und nach dieser ersten Woche gebe ich endgültig Bescheid, ob ich bleiben oder fortreiten werde.« »Abgemacht!«, sagte sie schnell und hält ihm die Hand hin. Er betrachtet diese Hand. Sie ist schlank und schmal, eine typische Frauenhand. Doch ihr Zugriff ist fest. »Wir reiten morgen früh hinaus. Ich zeige Ihnen alles selbst«, sagt sie. Er geht hinauf und blickt unterwegs auf den Schlüsselanhänger. Er hat Zimmer Nummer sieben, und es ist ein recht nettes und behagliches Zimmer. »Die Sieben hat mir noch nie Glück gebracht«, murmelt er.
4
Am anderen Morgen fühlt er sich gar nicht gut. Er hinkt eine Weile schief und krumm in seinem Zimmer umher. Nach einer Weile geht es ihm etwas besser. Sein zerschlagener Körper protestiert nicht mehr so sehr durch Schmerzen gegen jede Bewegung. Jesse Adams blickt zum Fenster hinaus und hinunter auf die Straße. Die Morgenpostkutsche fährt vor das Hotel. Einige Reisende warten bereits. Ein kleiner, drahtiger Mann mit einem Spitzbart tritt aus dem Hotel. Der Hausbursche trägt sein Gepäck, und der Mann hat eine schwarze Tasche unterm Arm. Der Sheriff tritt zu ihm. Die Entfernung bis zu Jesse Adams’ Fenster beträgt etwa fünf Yards. Jesse kann den Sheriff fragen hören: »Und wann kommen Sie wieder nach Hills City, Richter?« »Erst in zwei Monaten, Sheriff! Und es kann sogar noch später werden. Es ist bedauerlich, dass verschiedene Dinge jetzt nicht mehr erledigt werden konnten. Es ist gestern ein Mann auf offener Straße erschossen worden. Und Sie als Sheriff sind zugleich auch Ankläger. Ich bin sehr gespannt …«
»Es wird diesbezüglich keine Anklage geben, Richter«, unterbricht der Sheriff. »Ringo Jacks hatte ein Pferd gestohlen. Er ritt auf der Flucht zwei Männer nieder, die ihn aufhalten wollten. Und dann …« »Er hat mein Pferd nicht gestohlen«, sagt Jesse Adams vom Fenster nieder. »Ich war damit einverstanden, dass er sich mein Pferd nahm. Für mich war es kein Diebstahl, nur ein Ausleihen. Niemand hatte ein Recht dazu, ihn aufzuhalten. Und dass man auf ihn schoss, war rücksichtsloser Mord.« Der Sheriff und der Richter stehen unten auf dem Plankengehsteig vor der haltenden Kutsche und blicken zu ihm empor. Der Fahrer und dessen Begleitmann, die anderen Fahrgäste – sie alle blicken zu dem Mann oben im Fenster empor. Und sie begreifen, was seine Worte bedeuten, nämlich genau was er sagte: »Und dass man auf ihn schoss, war rücksichtsloser Mord.« Der Richter wendet sich an den alten und so müden Sheriff. »Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, was zu tun ist?«, fragt er gefährlich sanft. »Nein, Richter«, murmelt Luke Wagoner bitter und resigniert und sieht dann zu, wie der Territoriumsrichter Louis Garland in die Kutsche klettert.
Er sieht weiter zu, wie die anderen Fahrgäste in der Kutsche verschwinden und diese dann aus der Stadt rollt. Dann blickt der Sheriff wieder nach oben. Jesse Adams steht immer noch am Fenster und blickt auf ihn nieder. Sie betrachten sich schweigend, der alte, müde und resignierende Mann, der seinen Posten behalten möchte – und der harte Texaner, den man übel behandelte und dessen Stolz schlimm verletzt wurde. Dann geht der Sheriff zu seinem Büro zurück. Und er denkt bitter dabei: Wenn die Jury auf unberechtigten Totschlag erkennt, dann ist dies für den Richter ein unerledigter Fall, bis ich ihm die Burschen vorführe, die jene Schüsse abfeuerten. Es waren Cowboys aus Stonewalls Mannschaft. Wenn ich sie verhafte, zertritt Stonewall mich wie einen Käfer. Was soll ich denn tun? Indes Jesse Adams sich wäscht und dann zum Frühstück geht, tritt die Jury auf der Straße am Schauplatz des Geschehens zusammen. Doktor Paul Griffits kommt aus der Schreinerei, zu der das Bestattungsgeschäft gehört. Er tritt zu den sechs Bürgern der Stadt, die zusammen die Jury bilden und sagt trocken: »Er wurde von drei Kugeln in den Rücken getroffen und starb daran. Hier ist der Totenschein!«
Er reicht das Papier dem Sheriff und geht davon. Die sechs Bürger blicken nun den Sheriff an. Er erwidert bitter ihre Blicke, und er weiß, dass er sich nun entscheiden muss. Er weiß, dass es Bürger sind, die hinter Kate Sueman stehen, weil sie ihr und ihrem so heimtückisch ermordeten Mann viel verdanken. Frank Sueman, der diese Stadt gründete oder zumindest daran maßgeblich beteiligt war, hatte ihnen damals tüchtig unter die Arme gegriffen. Sie waren sich alle mit ihm einig, dass ihre junge Stadt ein dicht besiedeltes Hinterland haben müsste, viele Siedler, Farmer und nicht zu große Rancher. Viele Menschen verhelfen einer Stadt zum Aufschwung, zu regem Handel. Doch daraus wurde nichts. Die großen Rinderleute verdrängten die kleineren Nachbarn und wurden mächtig groß. Viele von ihnen halten auf den Hauptranches eigene Kantinen, und sie beschäftigen in eigenen Werkstätten eigene Handwerker. Die Stadt verdient an den großen Ranches längst nicht so viel, wie wenn das Land dichter besiedelt wäre. Dann bestünde auch die größere Chance, dass eines Tages einmal eine Nebenlinie der Union Pacific gebaut würde und Hills City County-Stadt werden könnte. Die großen Rancher halten jede Art von Aufschwung auf. Sie brauchen das Land für ihre
Herden, die von verhältnismäßig wenigen Reitern bewacht werden. Nein, die Bürger hier sind nicht für die Rinderleute. Frank Sueman hatte ihnen damals viel zu sehr die Möglichkeiten gezeigt. Der Sheriff weiß das. Und er weiß, dass zwei oder drei Männer vorhin hörten, was jener Jesse Adams aus dem Hotelfenster zum Richter hinunter auf die Straße rief. Diese Worte verbreiteten sich längst wie ein Lauffeuer. Sie nageln den Sheriff gewissermaßen fest. Ja, er muss sich nun entscheiden. »Der Besitzer des Pferdes fühlte sich nicht bestohlen«, sagt er. »Die Schüsse waren ein bedauernswerter Irrtum.« Er schluckt mühsam und presst die Lippen zusammen. Dann öffnet er sie und sagt gepresst: »Ich schlage vor, dass die Jury sich auf berechtigten Totschlag einigt. Die Jungens mussten ja glauben, auf einen Pferdedieb zu schießen. Und …« Er verstummt zögernd und ziemlich ratlos, als er die Verachtung in den Gesichtern der Männer erkennt. Er schämt sich plötzlich, und indes er einige Sekunden mit gesenktem Kopf vor ihnen steht und auf ihre Füße starrt, da erinnert er sich an seine gute Zeit. Er war einmal ein guter Sheriff, damals in anderen Städten und Countys. Er war ein mutiger,
rechtlicher und unbestechlicher Sheriff. Alle Menschen respektierten und achteten ihn. Er ist sein ganzes Leben lang Sheriff gewesen. Schon mit knapp zwanzig Jahren hat er irgendwo als Hilfsmarshal angefangen. Und jetzt? Er hebt den Blick wieder. Trotz ist darinnen. »Nun?«, fragt er. Der Vormann der Jury – es ist der Schmied – sagt trocken: »Wenn dieser Jesse Adams zu Protokoll gibt, was er vorhin aus dem Hotelfenster zum Richter hinunterrief, dann war Ringo Jacks’ Todesursache ›unberechtigter Totschlag‹. Dies ist unser einstimmiger Beschluss!« Luke Wagoner nickt. Er wendet sich ab und geht davon. Er muss jetzt die ganze Sache in diesem Sinne protokollieren und sie dem Richter bei dessen nächstem Besuch vorlegen. Aber bis dahin werden zwei bis drei Monate vergehen. Und das ist eine lange Zeit. Die Stadt hat den Krieg gegen die Rancher begonnen, vor allen Dingen gegen Lester Stonewall. Kate Sueman steckt dahinter, denkt der Sheriff bitter. Diese Frau, der die halbe Stadt gehört, steckt dahinter. Sie will jenes Ziel erreichen, das ihr Mann damals nicht mehr anstreben konnte. Sie kämpft gegen Lester Stonewall. Jeder Mensch im Land weiß das. Und ich bin hier Sheriff. Wie
soll ich die Dinge meistern? Als gewissenhafter Sheriff müsste ich jetzt zwei von Stonewalls Cowboys verhaften, denn von zumindest diesen weiß ich, weil ich es sah, dass sie auf Ringo Jacks geschossen haben. Dieser Jesse Adams und diese Stadt, hinter der Kate Sueman steht, zwingen mich noch dazu, Lester Stonewall anzugreifen. Wenn ich es tue, bin ich erledigt! Und wenn ich es nicht tue, wird mir diese Stadt täglich vor die Füße spucken. Noch während des Frühstücks sieht Jesse Adams die so bemerkenswerte Frau wieder. Sie kommt reitfertig angezogen zu ihm an den Tisch und lässt sich eine Tasse Kaffee bringen. »Können Sie reiten?«, fragt sie und spielt damit auf die erhaltenen Prügel an. Er lächelt schief, und weil er vorhin auf seinem Zimmer in den Spiegel blickte, weiß er, dass er ein zerschlagenes und schon stark verfärbtes Gesicht hat. »Zwei- oder dreimal bekam ich schlimmere Prügel«, sagt er und isst den Rest der vier Spiegeleier und des Schinkens. Er nimmt zum Kaffee viel Milch, und er betrachtet dann die Frau. Sie trägt einen rehledernen Reitrock, der geteilt ist. Dazu hat sie eine grüne Hemdbluse gewählt, zu der ihr rotes Haar einen wundervollen Kontrast bildet. Sie hat es einfach hinter dem
Nacken mit einem Samtband zusammengebunden. Irgendwie wirkt sie jünger, mädchenhafter, und ihre Augen sind groß. Sie wäre prächtig, wenn sie nicht so hart, so kühl und so berechnend und planend wie ein Mann wäre, denkt er. Sie besitzt den heißen Ehrgeiz eines Mannes, der ein hohes Ziel vor Augen hat. Es ist das Ziel ihres Mannes. Und sie hasst diesen Stonewall. Zwischen ihr und ihm gibt es einen Grund für diesen Hass. Er hört sie fragen: »Wo war es, als Sie noch härtere Prügel bekommen haben?« Nun denkt er nach, und er erinnert sich wieder an einige Begebenheiten. Als er den Blick wie aus weiter Ferne wieder auf die Frau ihm gegenüber richtet, erkennt er das angespannte Forschen in ihrem Blick. »Ich war Marshal in einer wilden Treibherdenstadt – Revolvermarshal«, murmelt er. »Doch das geht Sie nichts an. Irgendwann und irgendwo und auf irgendeine Art bezieht jeder Mann einmal Prügel. Und das ist gut so, denn er wird sonst zu hochmütig und verliert die Maßstäbe.« »Können wir jetzt reiten?«, fragt sie, ohne auf seine Worte einzugehen. Er erhebt sich wortlos. Sie verlassen das Restaurant durch die Hintertür. Im Hof stehen zwei Pferde. Eines kennt Jesse schon.
Es ist Ringo Jacks’ Pferd. Das andere Tier ist ein starker, zäher und sicherlich auch schneller Dunkelbrauner. Sein eigener Sattel liegt auf diesem Pferd. Sie sitzen auf und reiten aus der Stadt. Kate Sueman reitet im Herrensitz. Sie sitzt sehr geschmeidig im Sattel, ganz und gar eine Reiterin, die auch ein wilderes Pferd fest unter Kontrolle halten könnte. Der Weg ist weit, etwa zwölf Meilen. Es wird später Vormittag, als sie die Hügel durchritten haben und in ein Tal kommen. Sie halten an. Kate Sueman deutet nach Süden und dann nach Norden. »Es sind fünf Täler«, sagt sie. »Dies ist das größte und mittlere Tal. Sie sind alle miteinander verbunden, etwa so wie eine Kette. Dieser Creek durchfließt sie von Norden nach Süden. Es sind meine Täler. Ich habe sie nach und nach erwerben können und stets pünktlich die Grundsteuern entrichtet. Das Mitteltal hier gehört Ringo Jacks. Alles zusammen ist eine prächtige, geschützte und nur durch wenige Zugänge betretbare Weide. Sie haben freie Hand, Jesse Adams! Sie können Reiter anwerben. Sie können Rinder für die Zucht kaufen, Pferde – und eben alles, was zum Aufbau einer Ranch gehört. Und natürlich muss ein richtiges Haus und müssen alle notwendigen Nebengebäude errichtet werden. Ringo Jacks
wohnte in einer kümmerlichen Hütte – dort drüben …« Er folgt ihrer die Richtung weisenden Hand mit einem ruhigen Blick und verlängert in Gedanken die Linie bis zu einer Biegung des Creeks. Nun erkennt er die Hütte und einen Corral unter den hohen Bäumen dicht beim Creek. Es ist ein herrlicher Platz. Aber er erkennt im Corral auch Pferde, und nun sieht er einen Mann am Creek bei einem Busch sitzen und einen Fisch aus dem Wasser ziehen. Ein anderer Mann kommt mit einem Eimer aus der Hütte und holt Wasser. Er bewundert offensichtlich den Fisch, den ihm der Angler zeigt. Sie gehen dann beide in die Hütte zurück und nehmen den Fisch mit. »Das sind wahrscheinlich Cowboys der Stonewall-Mannschaft. Stonewall benutzt diese Täler als Weide für seine Rinder. Und ich habe es bisher nicht gewagt, ihn von hier zu vertreiben. Ich hielt bisher auch geheim, dass ich die Besitztitel von jenen Leuten kaufte, die sich von Stonewalls Bit Ranch zu sehr bedrängt fühlten und lieber aufgaben, als ihr Leben zu riskieren. Denn darauf läuft es hinaus, Jesse Adams!« »Ich weiß«, sagt dieser langsam. Dann stellt er die Frage: »Warum tun Sie dies alles, Kate Sueman? Warum wollen Sie gegen
Lester Stonewall und die ganze ViehzüchterVereinigung ankämpfen?« Sie erwidert nicht sogleich. Sie schluckt, und ihr Blick fliegt über das Tal und zu den Hügelketten im Osten hinüber. Doch dann zeigt sie auf die Hügel. »Dort hinter den Hügeln ist kein gutes Land. Der Oregon Trail führt dort durch das Platte River Valley. Alle Siedler ziehen an diesen Hügeln vorbei, und die, die nachsehen kommen und eine grüne Weide vorfinden, werden von der Rinderzüchter-Vereinigung vertrieben. Sie finden nirgendwo Zugang. Sie kommen nirgendwo durch die Hügel. Aber dies hier, diese fünf Täler, die würden wie breite Breschen sein. Denn ich würde alle Wagentrecks durchlassen. Ich würde …« Sie verstummt. Es ist, als möchte sie nicht ihre Begeisterung zeigen – oder ihren heißen Ehrgeiz. »Und das alles soll ich für Sie erledigen?«, fragt er. Sie beißt auf ihre Unterlippe und nickt heftig. »Ich sagte Ihnen, dass Sie selbst Ihren Lohn bestimmen können. Ich weiß genau, was ich von Ihnen verlange.« Wieder betrachten sie sich, und nun zeigt sie ihm ganz deutlich eine Lockung. Nun lässt sie ihn ahnen, dass sie vielleicht wirklich jeden Preis zahlen will, jeden!
Sie wirkt wahrhaftig begehrenswert und so sehr lebendig. Ihr Haar ist vom Reiten etwas zerzaust, und ihre Wangen sind gerötet. Sie bewegt sich geschmeidig im Sattel, um die Bewegungen des Pferdes abzugleichen. Sie könnte wundervoll sein, denkt Jesse Adams. Aber sie ist zu kalt, zu berechnend. Sie will mit allen Mitteln ein Ziel erreichen, und ich weiß noch nicht einmal, welches Ziel. Aber dann denkt er an die Chance. Hier kann er wieder einmal Geld verdienen – wieder einmal. Er denkt nicht weiter. Er nickt. Dann reitet er wieder an. Sie folgt ihm. Und sie reiten in das Tal nieder und genau auf die Hütte an der Creekbiegung zu. Unterwegs begegnen sie wieder einem Rudel Rinder, das ruhig grast. Alle Rinder tragen den Bit-Brand der Stonewall Ranch, die grobe Darstellung einer Kandare. Als sie wenig später den Creek durchreiten, kommen die beiden Männer aus der Hütte. Es sind Weidereiter, zwei hagere, falkenäugige, hartgesichtige Burschen. Die Art, wie sie ihre Revolver tragen, verrät, dass sie zu jener Sorte Revolver-Cowboys gehören, die sich für doppelten Lohn verdingt und dafür bereit ist, Revolverarbeit zu verrichten. Jesse Adams kennt die Sorte gut. Er zögert noch einmal, und es ist ein allerletztes Zögern, ein Abwägen und Prüfen.
Doch dann denkt er wieder an die Prügel, die er erhielt. Er denkt an die hundert Dollar, die man ihm stahl. Er besäße nicht einmal mehr ein Pferd. Gewiss, Kate Sueman will ihn für ihre Ziele einspannen. Doch alle Dinge auf dieser Erde haben ihren Preis. Er hat wieder ein Pferd unter sich. Er kann seinen Lohn selbst bestimmen. Und so entschließt er sich. Er sitzt ab, tritt neben sein Pferd und sagt ruhig: »Ihr seid hier fertig. Jungens! Mrs Sueman ist die neue Besitzerin, und ich bin ihr Verwalter. Also packt eure Siebensachen und bestellt Stonewall einen schönen Gruß!« Sie müssen seine Worte erst verarbeiten. Doch dann begreifen sie, dass er sie zum Teufel jagen will. Und er sieht doch so verprügelt aus. Vielleicht haben sie sogar schon gehört, dass er von Männern ihrer Mannschaft zurechtgestutzt worden ist. Sie blicken sich um, wie um zu sehen, ob er Hilfe im Hinterhalt hat. Doch sie können nichts erkennen, nirgendwo in der Nähe. Sie glauben nun, dass er allein gekommen ist. Spöttisch betrachten sie ihn. »Geh zu Lester Stonewall«, sagt einer. Und der andere fügt lässig hinzu: »Wenn er uns sagt, dass wir hier fort sollen, dann ist die Sache klar.«
Sie blicken nun auf Kate Sueman, die geschmeidig im Sattel sitzt und sich abwartend verhält. »Ihre Ein-Mann-Mannschaft genügt nicht«, sagt einer der Männer. »Sie sollten diesem Pilger eine zweite Tracht Prügel ersparen. Da kann ja jeder kommen und behaupten, er wäre der neue Besitzer oder die neue Besitzerin. Tut uns Leid, Madam!« Sie nickt, und es wirkt fast gleichgültig. Dann sieht sie Jesse Adams an, und auch jetzt ist ihr Blick verschleiert. Es ist aber dennoch völlig klar, dass es sich jetzt erweisen wird, ob er für diese Stellung etwas taugt. Als er seinen Revolver zieht, geschieht dieses so schnell und wirkt wie Zauberei, dass die beiden Cowboys scharf die Luft einziehen. Dann begreifen sie jäh, dass sie ihn unterschätzt haben, wohl deshalb, weil er so zerschlagen und verprügelt aussieht. Doch nun wissen sie Bescheid. Sie sahen ihn den Revolver ziehen. »Ein Revolvermann«, sagt einer gepresst. »Einen Revolvermann haben Sie sich angeworben, Madam.« Sie gibt keine Antwort. Sie beobachtet Jesse. Und dieser sagt nun ruhig: »Vier Mann von eurer Mannschaft überfielen mich im Hof des Mietstalles. Sie verprügelten mich und raubten dann hundert Dollar aus meiner Tasche. Diese
vier Schufte tragen meine Zeichen in ihren Gesichtern. Bestellt ihnen Grüße von mir. Sagt ihnen, dass …« »Ich habe ihn gut im Visier!«, ruft eine etwas schrille Stimme. Jesse Adams wendet langsam den Kopf. Rechts hinter ihm hält Kate Sueman auf ihrem Pferd. Doch links von ihm, wo der Creek die Biegung macht und einige dichte Büsche und einige Bäume stehen, da steht ein noch junger Bursche und visiert ihn tatsächlich über Kimme und Korn eines Gewehres an. Es ist ein junger Cowboy. Vielleicht war er zu Fuß auf der Jagd, kam zurück und hörte den Wortwechsel. »So ist es richtig, Jerry«, sagt einer der beiden hartgesottenen Burschen. »Schön, dass du vorzeitig von deinem Jagdausflug zurückkommst. Behalte diesen Burschen nur gut im Visier und schieß ihm den Kopf ab, wenn er sich auch nur bewegt. Wir holen uns jetzt seine Kanone. Und dann haben wir ihn!« Er ruft es frohlockend. Er und sein Gefährte wollen sich bewegen, und sie fassen an ihre Revolver, wollen diese ziehen. Doch Jesse sieht sie an, und er hat seinen Revolver noch auf sie gerichtet. »Langsam«, sagt er. »Ihr bleibt dort stehen und rührt euch nicht mehr vom Fleck. Ich warne euch. Ihr seid hier unberechtigt auf fremdem Boden. Ich habe euch aufgefordert zu
verschwinden. Wenn ihr dieser Aufforderung nicht Folge leistet und sogar noch zur Waffe greift, so ist dies glatter Landfriedensbruch. Dann wird es hart für euch!« Sie zögern. Sie sind nun doch vorsichtiger als zuerst. Sie wissen nun, dass er wahrscheinlich ein Revolvermann ist, der so leicht nicht zu schlagen ist. Doch sie vertrauen auf den jungen Burschen, der mit einem Gewehr auf Jesse Adams zielt. »Wenn du auf uns zielst, bist du gleich tot«, sagt einer. Der junge Bursche hinter Jesse sagt nun schrill: »Ich zähle bis drei! Dann muss der Colt vor dir auf dem Boden liegen. Oder ich schieße dir wahrhaftig den Kopf von den Schultern. Achtung! Ich zähle nun! Eins! Zwei! …« Schon als er zum zweiten Male zählt, wirbelt Jesse Adams herum. Er duckt sich dabei. Das Gewehr kracht, doch er bewegt sich viel zu schnell. Die Kugel verfehlt ihn. Er trifft den jungen Cowboy, schnellt dann zur Seite, rollt sich über den Boden und kniet hinter einem Baum. Die beiden harten Burschen haben gezogen und geschossen. Auch sie trafen nicht. Es war, als hätten sie versucht, einen am Boden sich wälzenden Puma zu treffen, der ein Lasso um eine Tatze bekam und nun daran zappelt und herumspringt.
Als Jesse Adams einen der beiden Männer trifft, lässt der andere den Revolver fallen und hebt die Hände. Sie fanden keine Deckung und waren Jesses Kugeln ausgesetzt. Da er unverletzt in Deckung des Baumes gelangen konnte, hat er gewonnen. »Oh, ihr drei Narren«, sagt er scharf. Er beobachtet einige Sekunden lang Kate Sueman, die zu dem vor Schmerz stöhnenden Jungen reitet und bei ihm absitzt. Bald ruft ihre Stimme beruhigend: »Der hat nur einen langen Streifschuss am ganzen Arm entlang vom Ellbogen bis zur Schulter.« Sie kommt zu Fuß zurück, und sie hat das Gewehr des jungen Cowboys bei sich. Nun tritt sie zu dem am Boden sitzenden Mann, den Jesse in die Schulter traf. Sie öffnet sein Hemd und nimmt ihm das Halstuch ab. »Die Kugel zerschlug ihm das Schlüsselbein«, sagt sie kühl. Jesse erschrickt irgendwie über diese Kühle. Ein tiefes Bedauern ist in ihm. Er sieht den gesund gebliebenen Mann an. »Das alles hättet ihr euch sparen können«, spricht er. »Ich schieße schneller und besser als ihr alle von der Bit Ranch. Versucht es nicht nochmals!« »Ja, er wäre höchstens aus dem Hinterhalt zu erledigen, so wie damals mein Mann Frank Sueman erledigt wurde!« Kate Sueman spricht es mit klirrender Stimme. Sie ruft spröde: »Packt euch! Packt euch endlich!«
Nun erkennt Jesse, dass ihre kühle Ruhe von vorhin künstlich war und dass sie ihre Anspannung kaum noch ertragen kann. »Ja, wir gehen schon«, sagt der unverletzte Mann. »Ich lege nur eben Notverbände an und hole unsere Pferde. Wir verschwinden, Mister. Doch ich gebe Ihnen mein Wort, dass Lester Stonewall sich dies nicht bieten lässt.«
5
Wenig später sind Kate und Jesse allein. Sie blicken den drei Reitern nach, von denen zwei verwundet sind. Jesse lädt seinen Revolver auf. Kate Sueman betrachtet ihn. Er erwidert ihren Blick. »Zufrieden?«, fragt er, und in seiner Stimme ist eine Mischung von Spott, Ironie, Härte – und Bitterkeit. Sie nickt. Dann nagt sie an ihrer Unterlippe. »Sie sind einen guten Preis wert«, erklärt sie dann. »Und ich werde ihn zahlen. Hören Sie, Jesse! Mein Mann hatte eine Idee, einen Plan, eine Aufgabe! Er hat die Stadt Hills City gegründet. Und er wollte ein dichtbesiedeltes Land. Er wollte Handel und Aufschwung. Eines Tages sollte es hier eine Nebenlinie der Union Pacific geben. Aber er wurde hinterrücks ermordet! Ich will …« »So sehr haben Sie ihn geliebt?«, fragt Jesse Adams Sie gibt ihm darauf keine Antwort. Sie blickt irgendwohin in die Ferne, als könnte sie dort irgendwelche Bilder sehen. »Diese selbstherrlichen und großspurigen Halbgötter«, sagt sie dann hart. »Sie kamen mit ihren Rinderherden hier an, nachdem mein Mann die Stadt gegründet hatte. Sie besetzten die Weide
und verjagten alle kleinen Leute. Sie waren von Anfang an mächtig und rau. Sie kamen mit starken Cowboy-Mannschaften. Und nachdem sie unter sich das Weideland aufgeteilt hatten, schlossen sie sich zu einer RinderzüchterVereinigung zusammen und wählten den rauesten und übelsten Burschen unter sich zum Vorsitzenden ihrer Vereinigung. Und nun wollen sie über dieses Land herrschen – für immer. Mein Mann stand ihren Bestrebungen im Weg. Also warben sie einen Mörder an, der aus dem Hinterhalt schoss. Ja, ich will sie bekämpfen! Ich will alles hergeben, um sie zu bekämpfen. Jesse, ich bin ziemlich wohlhabend. Ich will, dass Sie eine große Ranch aufbauen, die zu einer starken Kraft und Macht im Land wird. Und es wäre vielleicht gut, wenn wir uns zu diesem Zweck vorübergehend mit Jeremy Walker verbinden würden. Aber ich mache Ihnen da keine Vorschriften.« Sie wendet sich zur Hütte. »Vielleicht kann ich für uns jetzt ein Mittagessen kochen. Ich habe großen Hunger.« Sie geht hinein. Er aber wandert umher und betrachtet die nähere Umgebung der Ranch. Als sie dann eine gute Stunde später essen, sagt er zwischendurch ruhig: »Schicken Sie Handwerker aus der Stadt heraus. Ich werde inzwischen hier den Platz für das Ranchhaus und alle Nebengebäude abstecken. Es gibt viel Arbeit.
Und ich werde im Land umherreiten und mich über alle Dinge informieren. Wenn Sie genug Geld haben, werde ich Ihnen eine erstklassige Ranch aufbauen. Aber ich muss wissen, wie viel Geld Sie anlegen wollen?« Sie blickt ihm eine Weile stumm in die Augen, und er spürt, wie sie ihn bis in den Kern zu erforschen versucht. Eine starke Kraft strömt von ihr aus und versucht, tief in ihn einzudringen. Sie verlässt sich dabei sicherlich sehr auf ihren Instinkt; und der ist, was Männer betrifft, bei so mancher Frau besonders sicher und untrüglich. »Ich gebe Ihnen Vollmacht über zwanzigtausend Dollar«, sagt sie. »Sie wagen viel, denn ich bin Ihnen ein Unbekannter, von dem Sie nur wissen, dass er es mit jedem Revolverschwinger aufnehmen kann. Sie wissen nicht, ob ich als Rancher etwas tauge, ob ich Sie nicht betrügen werde und ob ich mich nicht …« »Sie sind ein stolzer Texaner, der verprügelt und beraubt wurde«, unterbricht sie ihn. »Und Sie denken immer wieder daran, wie Sie Lester Stonewall diese Prügel zurückzahlen können. Nun, ich gebe Ihnen die Gelegenheit. Und mich werden Sie nicht betrügen – nein, das glaube ich nicht. Nein!« Sie hat sich erhoben und steht ihm auf der anderen Seite des Tisches, an dem sie aßen, gegenüber. Ihr Gesicht hat sich verändert. Es
wurde zum Gesicht einer Frau, die einem Mann gefallen will und die erkennen lassen möchte, daß es sich lohnt, sie erobern zu wollen. Er kann dies erkennen und spüren. Ja, sie wirkt nun sehr begehrenswert, lockend, ganz wie ein lohnender Preis. Auf diese Art sicherte sich so manche Frau der Geschichte die Hilfe von Feldherrn und Eroberern. Jesse Adams begreift es, und er fragt sich, wie weit Kate Sueman gehen will, um sich seiner Hilfe zu versichern. Er geht ruhig um den Tisch herum, tritt vor sie und betrachtet sie fest. Er erkennt ein Funkeln in ihren Augen, und er fasst sie, zieht sie an sich und küsst sie auf eine etwas raue Art. Einen Herzschlag lang hat er das Gefühl, als würde sie nachgeben und seinen Kuss erwidern. Doch dann beginnt sie zu kämpfen, macht sich frei und schlägt ihn klatschend ins Gesicht. »So nicht, Mister!« Sie keucht es zornig, und nun ist das Funkeln in ihren Augen deutlicher. Er grinst schief. »Das war Ihr Glück«, sagt er. »Denn für diesen Preis hätte ich es nicht getan. Ich wäre dann nicht der richtige Mann für Sie gewesen. Ich wollte Ihnen jedoch klarmachen, dass es gefährlich ist, auf diese Art einen Mann mit Haut und Haaren einfangen zu wollen. Madam, ich bin Ihr Partner! Das ist mein Preis! Ich baue Ihnen
eine Ranch auf, die in diesem Land zu einer Macht werden wird. Sie geben das Geld – ich kämpfe. Aber wir sind Partner.« Sie wischt sich mit dem Handrücken über den Mund und tritt einen Schritt zurück. In ihren Augen ist ein sehr verwirrter Ausdruck. Dann aber geht sie hinaus. Draußen sitzt sie auf und sagt vom Sattel aus auf ihn nieder: »Ich bringe in der Stadt alles in Gang! Morgen kommen die Handwerker heraus!« Sie reitet davon, und es sieht fast wie eine Flucht aus. Er arbeitet bis zum späten Nachmittag. Er steckt mit Hilfe von Pflöcken die zukünftige Ranch ab und bestimmt so die Lage und Größe aller Gebäude und der Corrals. Am späten Nachmittag sitzt er auf, nimmt das Gewehr aus dem Sattelschuh und überprüft die Ladung. Dann reitet er davon und verschwindet in den Hügeln. Es ist ein unübersichtliches Land, mit tausend verborgenen Winkeln und Verstecken. Doch es ist auch ein sehr geschütztes Land, mit viel Wasser und fruchtbarem Boden. Denn die Hügel sind zumeist bewaldet. Während der heißen Jahreszeit gibt es viel Schatten. Der Wasserhaushalt des Landes ist noch nicht vom Menschen zerstört worden. All diese Weiden auf
den sanften Hängen bieten sich an für die Zucht guter Rassetiere ganz gleich welcher Art. Der Boden wäre auch sehr geeignet für Farmer. In den geschützten Tälern zwischen den Hügeln würde es gewiss stets gute und reiche Ernten geben, ganz gleich, was man anbaute. Jesse trifft überall auf Rinderrudel, die grasend umherwandern oder bei den Bächen und Wasserstellen stehen. Der Bit-Brand der Stonewall Ranch ist überwiegend. Doch je weiter Jesse nach Süden kommt, umso zahlreicher werden andere Brandzeichen. Zweimal erspäht Jesse von den bewaldeten Hügelkämmen Reiter, streifende Cowboys. Und einmal erblickt er in der Ferne ein Rauchsignal, das er nicht deuten kann. Er erreicht dann die Wagenstraße nach Laramie und wendet sich nach Osten. Er reitet langsam der Nacht entgegen, ganz ein erfahrener, vorsichtiger, auf eine sehr geschickte Art reitender Mann, der durch ein ihm noch fremdes Land streift. Immer wieder hält er inne, lauscht, wittert und spürt irgendwie den Pulsschlag, den Atem und die Geheimnisse dieses Landes. Als er dann Lichter in der Nacht erkennt, ist es schon fast Mitternacht. Er hält an und stellt sich die Landkarte vor, die in der Hoteldiele hing und die er so genau studiert hat.
Es muss Harvey Mannens Ranch sein, denkt er. Das Brandzeichen ist, so glaube ich, die Pfeilspitze. Er wendet sich nach Norden, und er sieht im Verlauf seines langen Rittes noch mehr Lichter da und dort in der Nacht. Es sind Ranches oder deren Vorwerke, Grenz- oder Weidehütten. Es ist gegen Morgengrauen, als er wieder in die Nähe von Ringo Jacks’ einstiger Ranch kommt. Ihm fällt ein, dass alles, was Kate Sueman zu einer großen Ranch vereinen und aufbauen will – was er für sie aufbauen soll – noch keinen Namen und noch kein Brandzeichen hat. Er sah einige magere und sehr kümmerliche Pilgrim-Rinder, die Ringo Jacks’ Brandzeichen trugen. Kate Sueman hat ihn darauf aufmerksam gemacht. Es war ein einfaches Kreuz. Plötzlich ist er sehr neugierig, was für ein Brandzeichen Kate Sueman haben will. Als er in die Nähe der Hütte kommt, hält er an und lauscht. Dieses Lauschen wird belohnt, denn er hört ein Pferd schnauben. Er zieht den Revolver und reitet ein Stück weiter. Im Osten zeigt sich das erste Grau am Himmel, und die Kühle der sterbenden Nacht nimmt zu. Aus dem Creek steigt Nebel, und die Weide wird überall nass vom Tau. Vor der Hütte auf der Bank sitzt ein Mann. Jesse Adams erkennt es am roten Glühpunkt einer
Zigarre, und als er nahe genug herangeritten ist, erkennt er auch die Silhouette des Mannes unter dem schiefen Vordach der Hüte. »Adams! Jesse Adams?« Jesse erkennt die fragende Stimme sofort. Er weiß, wer da zu Besuch gekommen ist und auf ihn wartet, geduldig und mit einer Zigarre, die nun wieder aufglüht. Es ist Jeremy Walkers Stimme. Und sie klingt freundlich und irgendwie belustigt. »Ich bin es«, erwidert Jesse. Er gleitet aus dem Sattel und steht dicht bei seinem Pferd. Er hält den Revolver immer noch in der Hand und ist sehr wachsam. »Kommen Sie, rauchen wir eine Zigarre«, sagt Jeremy Walker ruhig. »Ich habe heute am späten Nachmittag Mrs Sueman getroffen, die zurück zur Stadt wollte. Ich hörte, dass Sie nun ihr Partner sind und eine Ranch aufbauen. Nun, da Sie sicherlich nicht Stonewalls RinderzüchterVereinigung beitreten wollen, so bringt uns das vielleicht einander etwas näher.« Jesse Adams erwidert nichts. Er stellt sein Pferd an den Tränktrog und geht dann langsam zu Jeremy Walker hinüber. Er geht zuerst in die Hütte hinein, sieht nach, ob dort jemand weilt. Dann setzt er sich vor der Hütte auf die Bank neben Walker. Er nimmt aus dessen Zigarrentasche eine Zigarre. Als er sie anzündet,
betrachten sie sich im Schein des Zündholzflämmchens. Die Nacht weicht dem nahenden Tage, und überall sind Nebel. Alle Dinge werden grau. Es gibt keine Schatten mehr, und in den Waldstücken verstummen die Vogelstimmen, die bis eben noch zu hören waren. Es ist jene Stunde, da sich der Wechsel zwischen Tag und Nacht vollzieht und sich das Nachtgetier zurückzieht, sich nach erfolgreicher Jagd auf Beute zur Ruhe legt. »Ich kann und will Ihnen in jeder Beziehung helfen«, murmelt Jeremy Walker, »denn ich brauche Bundesgenossen in diesem Land. Ich kann Ihnen für den Anfang einige zuverlässige Reiter überlassen. Ich kann Ihnen eine kleine Herde billig verkaufen und übernehme sogar das Umbränden auf ihr Brandzeichen. Ich überlasse Ihnen gute Rinderpferde und …« Er verstummt, macht eine Pause des Zögerns und spricht nach dieser Pause weiter: »… und garantiere Ihnen, dass diese Ranch von den Viehdieben nicht behelligt wird.« Als er verstummt, will Jesse etwas Sarkastisches erwidern. Doch er lässt es bleiben und lauscht in die sterbende Nacht. Die Nebel dämpfen sicherlich so manches Geräusch. Doch was Jesse nun hört, ist unverkennbar und nicht zu verwechseln.
Er lauscht lange. Jeremy Walker stört ihn nicht, sitzt still neben ihm und wartet. Das Geräusch wird langsam schwächer und schwächer. »Es war eine Rinderherde«, sagt Jesse Adams. »Durch dieses Tal wurde ziemlich schnell eine Rinderherde getrieben. Als sie aus dem Schutz des Waldstückes dort im Süden kam, war das Treiben hier zu hören. Und nun ist die Herde im kleinen Canyon, der durch die Hügel nach Nordosten führt, verschwunden.« »Richtig, so ist es«, murmelt Jeremy Walker als Antwort. »Viehdiebe!« Jesse stellt es mit ziemlicher Überzeugung fest, und zugleich ahnt er auch, warum Ringo Jacks von den Ranchern erledigt wurde. Es war ihnen jede Art recht. Zuerst wollten sie es gesetzlich machen. Doch als dies nicht ging, ließen sie es auf die raue Art machen. Sie erreichten, dass Ringo Jacks nervös wurde, sich das erste beste Pferd nahm und zum Pferdedieb wurde. Dies genügte ihnen. »Dies ist ein gutes Land für Viehdiebe«, murmelt Jeremy Walker. »Es ist ein unübersichtliches Land. All die tausend Hügel und Täler bergen viele Geheimnisse. Es gibt hier sehr viele Menschen, die von den Großranchern ruiniert, vertrieben und zertreten wurden, weil sie Kleine waren, die sich nicht kraftvoll wehren
konnten. Nun stehlen sie Vieh und holen sich irgendwie zurück, was ihnen die Großen einst nahmen. Was ist daran schlecht? Es ist ein gerechter Ausgleich. Zuerst nahmen sich die Großen und Mächtigen die Weide und vertrieben alle Kleinen. Sie teilten die Weide unter sich auf, und ihre Rinderherden vermehrten sich unermesslich. Nun werden sie von den Kleinen bestohlen.« Er macht eine Pause und erhebt sich. Er lässt den Zigarrenstummel auf den Boden fallen und tritt ihn sorgfältig aus. »Es gibt nicht mehr viele Wege auf die Ostseite der Hügel, auf denen man Rinder treiben kann. Es sind nur wenige Wege. Einer davon ist dieser hier. Deshalb wollte Lester Stonewall Ringo Jacks’ Ranch kaufen. Ringo wollte nicht, und noch im Gefängnis spielte er Stonewall einen Streich. Er verkaufte an Kate Sueman.« Er tritt nach diesen Worten zu seinem Pferd, und an der Art, wie er sich in den Sattel schwingt, erkennt man seine piratenhafte Geschmeidigkeit. Obwohl er schwer und klotzig ist, bewegt er sich leicht und schnell. Er ist ein gefährlicher Mann, ein Außenseiter, der sich durch Kühnheit behauptet. Dass er in der Stadt war, obwohl dort alle Rancher weilten, beweist seine Kühnheit. »Ringo Jacks kassierte von den Viehdieben, wenn diese über sein Gebiet trieben, eine Art Zoll. Werden auch Sie Zoll kassieren?«
Jeremy Walkers Frage klingt etwas spöttisch. »Wir werden sehen, wir werden sehen«, erwidert Jesse sanft. »Und für ihr Angebot, mir zu helfen und beizustehen, danke ich. Vielleicht komme ich noch darauf zurück, vielleicht aber auch nicht. Ich sehe in diesem Land noch nicht ganz klar.« Jeremy Walker lacht leise zu diesen Worten. Bevor er abreitet, sagt er trocken: »Wenn Lester Stonewall Ihnen die Haut in Streifen schneidet, dann werden Sie wohl klar sehen.« Dann reitet er davon. »Er ist ein Viehdieb«, murmelt Jesse. »Er ist der Mann, für den alle Burschen, die von den großen Ranchern irgendwann einmal getreten wurden, Rinder stehlen. Und er redet ihnen sicherlich ein, dass dies nur ein gerechter Ausgleich wäre. Er hat hier gesessen und mit mir geredet, bis die Herde vorbei war.« Nach diesem gemurmelten Selbstgespräch geht er in die Hütte, um sich ein Frühstück zu bereiten. Er findet nicht mehr viele Vorräte vor. Wenig später zieht er sich mit zwei Decken in die Büsche beim Creek zurück und schläft einige Stunden. Er hat das Gewehr und den Revolver griffbereit neben sich. Doch er wird nicht gestört. Lester Stonewalls Reiter lassen sich nicht blicken.
Gegen Mittag reitet Jesse zu der Rinderfährte hinüber. Er schätzt die Herde, die man bei Morgengrauen durch das Tal trieb, auf etwa achtzig Tiere. An den Hufspuren erkennt er auch, dass es sich zumeist um Jungtiere gehandelt hat, also Kälber, die noch keinen Brand tragen, so genannte Mavericks. Jesse denkt darüber nach. Und da er so seine Erfahrungen hat, ist ihm klar, dass die Viehdiebe gewiss Helfer unter den Ranchmannschaften haben. Es ist nicht so leicht, fast hundert Kälber zu sammeln, die zwar noch ungebrannt, doch schon der Muttertiere entwöhnt sind. Selbst wenn man bedenkt, dass die Rancher und viele Cowboys vor zwei Tagen lange in der Stadt waren und Viehdiebe ungestört arbeiten konnten, ist es keine kleine Sache. Man kann wohl leicht eine große Rinderherde sammeln, wenn man wahllos alle Tiere abtreibt. Doch dies hier waren Jungtiere, denen man nicht ansehen kann, von welcher Ranch sie stammen. Die Ohrenmarken sind kein Beweismittel. Dazu kommt, dass der Diebstahl nahezu unbemerkt vonstatten ging, denn sonst hätten schon Verfolger auftauchen müssen. Die Herde ist inzwischen längst in Sicherheit. Jesse Adams reitet sehr nachdenklich zur Ranch zurück, also zu der jämmerlichen Hütte, die Ringo Jacks gehörte.
Von Westen her kommen einige Wagen durch das Tal. Kate Sueman hat in Hills City also alle Dinge in Gang gebracht. Die Wagen bringen Bauholz und Baumaterial, Werkzeuge, Proviant und all die vielen anderen notwendigen Dinge. Und sie bringen Handwerker aus der Stadt, Leute die froh sind, wieder einmal etwas verdienen zu können. Für Jesse Adams gibt es nun eine Menge Arbeit. Und es vergehen drei Tage ohne jeden Zwischenfall. Jesse Adams ist von früh bis spät auf den Beinen. Er plant, rechnet, trifft Anordnungen und bringt all die ersten Anfänge in Gang. Am vierten Tag kann er dann die Handwerker ihrer Arbeit überlassen, denn es gibt für sie kaum noch irgendwelche Fragen. Jesse Adams schwingt sich nach dem Frühstück in den Sattel. Kate Sueman hat ihm eine genaue Karte des Weidegebietes mitgeschickt. Er will einmal die Grenzen abreiten und das Land über die Grenzen hinaus kennen lernen. Das wird viele Tage und sogar Wochen dauern. Denn das Land ist unübersichtlich und birgt tausend Geheimnisse.
6
Da er das Land nach Westen zu erforschte und sich mit ihm vertraut machte, erreicht er nach Anbruch der Nacht die Stadt. Er bringt sein Pferd in den Mietstall und sieht dort den alten Stallmann im Laternenlicht auf der Futterkiste sitzen. »Hallo, Tate«, sagt er. »Dieses Pferd hat eine gute Abendmahlzeit verdient, denke ich.« »Ich bin nicht Tate, ich bin Tube«, sagt der Stallmann entrüstet. »Meinen kleinen Bruder Tate erkennt man daran, dass er stets das Mittagessen auf der Weste hat. Kann man bei mir erkennen, dass es Spinat gegeben hat?« Er deutet auf seine flaschengrüne Weste, auf der grüne Spinatreste wahrhaftig nicht zu erkennen sind. »Und überdies hat der Kleine schon eine Glatze, während ich noch meine Haarpracht besitze«, fügt er noch gekränkter hinzu und nimmt für einen Moment den Hut ab. Er setzt ihn jedoch schnell wieder auf, bevor Jesse zählen kann, wie viel Haare ein spärliches Dasein auf seinem Kopf fristen. »Ich dachte, dass Tate und Sie Zwillingsbrüder wären«, murmelt er. »Hoii, das sind wir auch. Doch er ist der Kleine! Er kam später auf die Welt. Ich bin der
Ältere und Erfahrenere. Und dieses Pferd wird ein gutes Abendbrot bekommen.« Jesse Adams grinst, und als er dann auf den dunklen Hof tritt, ist er sehr wachsam und hält den Colt in der Hand. Er denkt an den Überfall hier, an die erhaltenen Prügel und an den Verlust des Geldes. Doch diesmal lauert ihm niemand auf. Als er auf die Straße tritt, wartet ein Mann neben der Ausfahrt auf ihn. Es ist der Sheriff, und er murmelt: »Ich sah Sie in die Stadt kommen, Adams. Kommen Sie in mein Büro und unterschreiben Sie das Protokoll. Warum sind Sie überhaupt in der Stadt? Ist es die RancherVersammlung, die …« »Rancher-Versammlung?«, fragt Jesse Adams. »Wo sind sie versammelt?« »Nun, im Hinterzimmer des Saloons natürlich! Aber …« »Ich komme später in Ihr Büro, Sheriff«, sagt Jesse und macht nun sehr schnelle Schritte. Als er ins Hotel kommt, kommt Kate Sueman gerade aus ihren Wohnräumen in die Diele. Sie ist angezogen für einen Ausgang. Als sie Jesse erkennt, leuchtet es in ihren Augen sekundenlang auf. Dann aber sagt sie schlicht: »Es trifft sich gut, dass Sie kommen, Jesse! Da ist eine Versammlung der Rancher im Saloon. Ich hörte erst vor zehn Minuten davon. Doch ich möchte hin.«
»Natürlich gehen wir hin«, sagt er ruhig und nimmt ihren Arm. Als sie auf die Straße treten, blickt sie zu ihm empor, und er erinnert sich daran, dass er sie ziemlich rau geküsst hat und dass sie sich wehrte, ihn sogar schlug. Aber das gefiel ihm, und auch jetzt gefällt es ihm, so mit ihr auf dem Gehsteig entlang zum Saloon zu gehen. Einige Bürger erkennen sie und blicken ihnen nach. Als sie in den Saloon treten, ist dieser nur schwach besucht. Aber die wenigen Gäste sind sofort interessiert. Vor der Tür zum Hinterzimmer stehen zwei Cowboys. »Macht nur Platz, Jungens«, sagt Jesse lässig. Sie kennen ihn. Einer hat noch einige blaue Flecken im Gesicht. Jesse glaubt, dass es einer der vier Burschen ist, die ihn überfielen. Die Nase des Mannes ist schief, und sie wurde vor nicht sehr langer Zeit geknickt. Das sieht man ihr an. Der Mann sagt nun grob: »Hier kommst du nicht rein mit dieser Frau da – du nicht!« Jesse Adams packt zu und schleudert ihn zwischen die Tische und Stühle des Saloons. Der Mann reißt einen Tisch um und fällt zwischen die Stühle. Der andere Bursche springt Jesse Adams an, doch der wirbelt herum und trifft ihn unter der Gürtelschnalle. Er ist ein unversöhnlicher und
mitleidloser Mann. Und er explodierte wie Dynamit. Der Cowboy stöhnt, fällt auf die Knie und hält sich den Leib. Jesse Adams aber öffnet nach dem so schnellen und explosiven Ausbruch die Tür und lässt Kate Sueman eintreten. Stolz und selbstbewusst tritt sie ein. Er folgt ihr und schließt die Tür. Etwa ein Dutzend Männer sind im Raum versammelt. Es sind die großen Rancher des Landes und deren Vormänner. Sie betrachten das Paar. Lester Stonewall sitzt am Kopfende des langen Tisches, ein bulliger, vitaler Mann, dem man ansieht, dass er überall das Heft in der Hand hat. Er überwindet die Überraschung zuerst, starrt Kate Sueman an und grinst dann breit. »Nun, Kate«, sagt er, »was soll’s denn sein? Es ist doch schon lange her, dass du in den Hinterzimmern von Saloons mit Männern an einem Tisch saßest und dein Glück probiertest. Was soll’s denn heute sein?« In seiner Stimme ist ein gefährlich sanfter, hinterhältiger und gemeiner Beiklang. Seine Augen glitzern bösartig. Ja, er gleicht einem sehr gereizten Bullen, der den Kopf gesenkt hält und vielleicht schon im nächsten Moment angreifen wird.
Seine Worte verraten Jesse Adams etwas über Kate Sueman. Sie und Lester Stonewall scheinen sich gut zu kennen. Sie muss – wenn seine Worte stimmen – früher in den Saloons ihr Geld verdient haben. Seine Worte lassen vermuten, dass sie eine Spielerin war, die mit Männern in den Hinterzimmern oder Spielräumen von Saloons Karten spielte. Jesse Adams ahnt, dass Kate Sueman diesen Lester Stonewall aus einer Zeit kennt, die vor ihrer Ehe mit Frank Sueman liegt. Sie geht auf seine bösartigen Anspielungen nicht ein. Sie sagt knapp: »Dies ist eine Rancher-Versammlung, wie ich hörte. Nun gut, ich besitze eine Ranch. Dies ist mein Partner Jesse Adams. Es hat sich wohl inzwischen herumgesprochen, dass wir eine Ranch aufbauen. Man hat anscheinend vergessen, uns zu dieser Rancher-Versammlung einzuladen. Und so sind wir ohne Einladung gekommen. Die beiden Flegel vor der Tür wollten einer Lady den Zutritt verwehren. Mein Partner musste ihnen Anstand beibringen. Lester Stonewall, deine Männer können sich nicht benehmen. Sie fallen immer wieder unliebsam auf. Und es wird zu keinem guten Ende führen, wenn du dieses wilde Rudel nicht besser unter Kontrolle halten kannst.« Sie setzt sich an den Tisch.
Und die Versammlung staunt. Doch dann sehen alle Augen auf Jesse Adams und studieren ihn aufmerksam. Denn er ist der Mann, mit dessen Hilfe sich Kate Sueman auf der Weide einen Platz erobern will. Er ist der Mann, mit dem man rechnen muss. Und er hat ja schon einige Proben abgelegt, die beachtenswert sind. Er sagt nichts. Er steht bei der Tür, lehnt mit einer Schulter an der Wand und erwidert ihre Blicke. Sie haben ihn an jenem Tag, da man Ringo Jacks erschoss, schon im Restaurant an ihrem Tisch beim Essen gesehen. Doch sie unterschätzten ihn. Nun betrachten sie ihn sorgfältiger. Vielleicht vergleichen sie ihn mit Lester Stonewall, messen ihn mit ihm. Und sie fragen sich, was noch alles kommen wird. Es gibt schon einen Außenseiter im Land – Jeremy Walker. Daran denken sie mit einiger Sorge. Aber Lester Stonewall macht es kurz. Es ist seine Art, alle Dinge sofort rau und scharf anzugehen, alles auf die Hörner zu nehmen, was ihm nicht gefällt. Und so sagt er knapp: »Den Vorsitz dieser Versammlung führe ich. Und ich nehme nun eine offene Abstimmung vor. Wir stimmen jetzt durch Handzeichen ab, wer dafür ist, Kate Sueman mit ihrem Partner als Mitglieder mit zusammen einer Stimme in unsere
Vereinigung aufzunehmen. Wer dafür ist, soll die Hand heben!« Er blickt von einem Manne zum anderen. Es wird keine Hand erhoben. Es herrscht eisiges Schweigen und eine irgendwie dumpf anmutende Bedrückung. Einige der anwesenden Männer haben sogar ihre Blicke gesenkt und starren auf die Tischplatte. Sie wagen es nicht, Lester Stonewall anzusehen. »Gut«, sagt er schnappend. »Und wer enthält sich der Stimme?« Nun heben sich drei Hände zögernd und kaum erkennbar. Es sind drei schon ältere Rancher, Männer, die nach all den harten und kampfvollen Jahren müde wurden und Ruhe und Frieden wollen. Man sieht ihnen das an. »Gut! Jim Sanders, Abe Morgan und Bill McClellan enthalten sich der Stimme. Gut!« Lester Stonewall blickt sich um. »Und Neinstimmen?« Nun heben sich alle anderen Hände. Lester Stonewall nickt. Er blickt Kate Sueman an und richtet den Blick dann auf Jesse Adams. »Raus, Adams, raus hier!« Er sagt es mit böser Grobheit, die zugleich Beleidigung und Herausforderung sein soll. »Ich komme auf Sie schon noch zurück, Adams«, fügt er hinzu. Jesse Adams tritt langsam hinter Kate Suemans Stuhl.
»Das wäre es wohl, Partner«, sagt er zu ihr nieder, fasst den Stuhl bei der Lehne und zieht ihn ein Stück zurück, indes sie sich ruhig erhebt. Sie stehen dann nebeneinander und blicken die Versammlung ruhig an. »Das wollte ich genau wissen«, sagt Kate Sueman. »Ich kam her zu dieser Versammlung, vergesst das nur nicht! Es ist gut!« Die letzten drei Worte spricht sie mit einem unverkennbar befriedigten Klang in der Stimme. Sie geht zur Tür. Aber sie hält inne, als Jesse Adams nun einige Worte spricht. Er sagt: »Stonewall, man hat mir hier ziemlich übel mitgespielt. Mein Pferd wurde getötet. Dann wurde ich verprügelt, und jene Jungens, die zu viert über mich herfielen, stahlen mir mein ganzes Geld aus der Tasche. Als wir später dann zu Ringo Jacks’ Ranch kamen, schossen zwei Ihrer Cowboys auf mich. Stonewall, ich habe nun genug von Ihnen hingenommen. Wenn Ihre Leute oder Sie noch einmal rau zu mir werden …« »Was ist dann?!«, brüllt Lester Stonewall los und springt auf. Er starrt Adams an. Doch bald darauf blickt er zu Kate Sueman, die an der Tür wartet. »Kate, schicke ihn wieder fort«, sagt er rau. »Es war leicht für dich, dir einen Revolvermann zu angeln. Es gibt eine bestimmte Sorte von Männern, die tut alles für die Gunst einer reizvollen Frau, nicht wahr, Kate? Doch du
solltest nicht in diesem Stil weitermachen, Kate! Du solltest diesen Burschen wieder fortschicken.« Er starrt Jesse Adams hart an. Der aber sagt: »Wenn Ihre Leute oder Sie noch einmal rau zu mir werden, dann komme ich zu Ihnen und schlage Sie so lange von den Beinen, bis Sie nicht wieder aufstehen können, großer Mann! Wir sind hergekommen, um unseren guten Willen zu zeigen. Wir wollten nicht daran zweifeln, dass diese Rancher-Vereinigung eine Gemeinschaft ist, an der alle …« »Halt endlich dein Maul und mach, dass du rauskommst, Revolverschwinger!« Mit diesem Gebrüll unterbricht ihn Lester Stonewall, und er hat ein dunkelrotes Gesicht. Auf seiner Stirn treten die Adern dick hervor. Jesse Adams nickt. Er öffnet die Tür und lässt Kate hinaus. Er folgt ihr, und die beiden Cowboys, die er vorhin aus dem Wege »räumte«, stehen beim Schanktisch und starren ihn böse an. Er führt Kate Sueman am Arm aus dem Saloon, in dem jetzt sehr viele Gäste sind. Als sie dann draußen auf dem Plankengehsteig sind, zittert Kate Sueman am ganzen Körper. Er spürt es deutlich, denn er führt sie immer noch am Arm. Und als sie ein erleuchtetes Geschäft passieren, da sieht er, dass Tränen über ihre Wangen laufen. Sie weint, und an einer dunklen
Stelle hält sie inne und bringt ihr Gesicht mit einem Taschentuch in Ordnung. »Er beleidigt mich immer«, sagt sie dann gepresst. »Er ist ein Hundesohn, und ich begegnete ihm zum ersten Mal, als ich in Saint Louis in einer Spielhalle als Bankhalterin und Kartenausteilerin beim Faro arbeitete. Er …« »Ich will es nicht wissen«, sagt Jesse Adams sanft. »Ich weiß auch so, dass er zu der Sorte gehört, die überall auf etwas herumtrampeln muss, weil es zu ihrem Lebensgefühl gehört. Ich will nicht wissen, was zwischen Ihnen und diesem Bullen war, Kate.« Er hat sie nun bis vor das Hotel gebracht und hält an. »Ich muss noch zum Sheriff«, sagt er. »Ich will meine Aussagen, die er zu Protokoll brachte, unterschreiben. Und dann möchte ich noch ein Abendbrot. Ich bin hungrig.« Er geht davon. Sie blickt ihm nach, und als sie wieder in die Hoteldiele tritt, als ihr Gesicht beleuchtet wird, da könnte ein Beobachter in ihren Augen wieder jenen verwunderten und irgendwie verwirrten Ausdruck erkennen wie in dem Augenblick, als er sie geküsst und sie ihn geschlagen hat, und als er dann sagte, dass dies ihr Glück gewesen sei, dass er es für diesen Preis nicht getan hätte.
Der Sheriff sagt kein Wort. Er legt das beschriebene Blatt vor Jesse hin und sieht zu, wie Jesse es durchliest. Jesse streicht dann einige Sätze oder gibt dem Wortlaut durch Zusätze eine andere Bedeutung. Er macht dies alles sehr geschickt, was auf eine gute Schulbildung schließen lässt. Er unterschreibt dann. »Was werden Sie jetzt tun, Gesetzesmann?«, fragt er den Sheriff, und er gibt dem Wort »Gesetzesmann« absichtlich einen spöttischen und fast hohnvollen Klang der Verachtung. Luke Wagoners alte Falkenaugen blitzen zornig. Er sagt: »Ich war auch einmal so jung wie Sie, Adams – und ich wollte …« Er verstummt und winkt resigniert ab. Er hält es nicht mehr für wichtig genug, zu erklären, was er einmal wollte, als er jung und voller Ideale war. »Ich diene jetzt etwa dreißig Jahre dem Gesetz«, murmelt er. »Ich habe in einem halben Dutzend Städten und Distrikten den Stern getragen. Und ich konnte mir in all den Jahren etwa viertausend Dollar sparen. Ich wurde siebenmal von den Beinen geschossen. Und meine Frau verließ mich bald, weil sie nicht länger in Angst leben konnte. Das war damals in …« Wieder verstummt er bitter und winkt resigniert ab.
»Ich war viele, viele Jahre ein rechtlicher, ein furchtloser und unbestechlicher Sheriff. Ich trat überall für das Gesetz ein und kannte keine Unterschiede zwischen einem großen und mächtigen Burschen und einem kleinen und schwachen Mann. Ich ging stets unbeirrbar meinen Weg und machte mir viele Feinde und wenige Freunde. Denn die Menschen vergessen so schnell, wenn man ihnen Gutes tut, und sie vergessen nie, wenn man sie hart anfasst. Nun bin ich ein alter Mann. Und ich wurde müde, bitter. Ja, ich hänge an meinem Job. Ich möchte ihn nicht verlieren. Denn ich bin zu alt, um noch irgendwo anders Sheriff werden zu können. Wenn ich den Job hier verliere, geht es abwärts mit mir. Und ich verliere meinen Job schon bei der nächsten Wahl, wenn ich mir die RancherVereinigung zum Feind mache.« »Das ist mir klar«, murmelt Jesse. »Ringo Jacks wird nicht davon lebendig, wenn ich nun einige Burschen festnehme, die auf ihn geschossen haben, weil sie glaubten, er wäre ein Pferdedieb. Er wird nicht mehr lebendig und …« »Sie sind eine traurige Niete«, unterbricht ihn Jesse und erhebt sich. »Er wurde vor Ihren Augen erschossen. Er fühlte sich vor lauter Furcht in dieser Stadt und in Anwesenheit des Sheriffs so wenig sicher, dass er in Panik geriet und auf ein Pferd sprang. Seinen Tod haben Sie auf dem Gewissen! Dass …«
»Machen Sie, dass Sie rauskommen!«, sagt der Sheriff mit plötzlicher Schärfe. Dann sagt er bitter: »Glauben Sie vielleicht, dass ich nicht selbst darüber nachdenke? Ja, ich weiß genau, dass Ringo Jacks Furcht hatte und dass ich nichts getan habe, um ihm diese Furcht zu nehmen. Ich weiß das alles! Es war eine beschämende Sache für mich. Aber Sie hergelaufener Revolverschwinger sind nicht der richtige Mann, um mir Vorwürfe machen zu können.« Jesse Adams hat sich erhoben. Er sieht den Sheriff fast mitleidig an und nickt. »Ich weiß nicht, wie ich sein werde, wenn ich alt geworden bin«, sagt er langsam. »Doch ich glaube, dass ich lieber Saloons ausfegte, als ein solch trauriger Sheriff zu sein.« Er geht hinaus. Und als er die Tür öffnet, sich im Lichtschein befindet, da kracht von der gegenüberliegenden Straßenseite ein Gewehr. Die Kugel fetzt jedoch nur durch Jesses Kleidung, denn er machte in diesem Moment eine schnelle Wendung, um noch einmal auf den Sheriff zu blicken. Die Kugel schlägt neben dem Sheriff in den eisernen Kanonenofen und prallt von dort ab und gegen die Wand. Jesse Adams aber tut scheinbar etwas völlig Unvernünftiges. Denn er springt nicht in Deckung, nicht in den Raum zurück. Nein, er
springt vorwärts, wohl wissend, dass der Gewehrschütze erst durchladen muss. Diese winzige Zeitspanne nutzt Jesse Adams – und das beweist wohl ganz besonders seine Gefährlichkeit. Nur ein Mann mit besonderen Eigenschaften kann sich so schnell entschließen. Und sein Mut scheint geradezu selbstmörderisch zu sein. Doch er weiß genau, was er tut. Er tut es nicht mit blinder Furchtlosigkeit, die närrisch und leichtsinnig ist. Er tut es auch nicht im blinden Zorn. Sein Verstand arbeitet kalt und scharf. Er springt geduckt und wie ein Apache über die Fahrbahn. Er bewegt sich so schnell wie ein Berglöwe. Und als der Gewehrschütze in der dunklen Gassenmündung durchgeladen hat, feuert Jesse mit seinem Colt in die Gasse hinein. Es ist ein unwahrscheinliches Kunststück, sich so schnell zu bewegen und dabei zu schießen. Natürlich tut er es auf gut Glück. Selbst als er das Mündungsfeuer des Gewehres aufblitzen sieht und dahinter die Silhouette eines knienden Mannes in der dunklen Gasse erkennt, kann er bei der raschen Bewegung, in der er sich befindet, nicht zielen. Seine Kugeln aber machten den Heckenschützen nervös. Sein zweiter Schuss streift nicht einmal die Kleidung des sich so schnell bewegenden Jesse Adams.
Und dann ist Jesse schon über die Mitte der Fahrbahn hinweg. Er wirft sich plötzlich der Länge nach in den Staub. In seinem Revolver sind noch zwei Kugeln. Er kann vom Boden aus auch undeutlich den Mann in der dunklen Gasse erkennen. Der Bursche ist schon auf der Flucht, läuft in die Gasse hinein. Doch Jesse Adams will keinen Heckenschützen entkommen lassen, der ihm das Leben nehmen wollte. Nein! Er gibt einen Schuss ab. Als er sich dann erhebt, kommt der Sheriff neben ihn. Luke Wagoner hat eine Schrotflinte in den Händen und schnauft: »Ist er fort?« »Er liegt dort in der Gasse«, sagt Jesse, und auch er atmet heftig, so schnell hat er sich bewegt. Von überall laufen Menschen herbei, Bürger, Fremde, Cowboys, Rancher und wer sonst alles noch in der Stadt ist und auf die Straße kann. Der Sheriff aber geht plötzlich mit schussbereiter Schrotflinte in die Gasse hinein. Bevor Jesse Adams ihm folgt, ruft er über die Schulter einer Gruppe von Bürgern zu: »Holt eine Laterne oder Lampe!« Er folgt dann dem Sheriff und findet ihn bei einem stöhnenden Manne knien. Der Bursche ächzt schmerzvoll:
»Mein Bein – oh, mein Bein! Das Knie ist zerschossen! Dieser Hundesohn hat mir …« Er bricht stöhnend ab. Der Sheriff nimmt das Gewehr, das neben dem Manne am Boden lag. Der Lauf ist warm. Indessen hat Jesse ein Zündholz angezündet, um den Mann besser betrachten zu können. Es ist einer der beiden Burschen, die Kate und ihm den Zutritt zur Versammlung versperren wollten. Es ist der Bursche, den er zwischen die Tische und Stühle schleuderte und dessen Gesicht noch die Zeichen eines Kampfes aufweist, sodass Jesse ihn im Verdacht hat, einer jener Kerle zu sein, die ihm im Mietstallhof aufgelauert haben. »Pech gehabt, Heckenschütze«, sagt er zu ihm. »Doch du brauchst dir sonst keine Sorgen zu machen, Heckenschütze. Der Sheriff wird dir schon nichts tun. Du wolltest mich zwar aus dem Hinterhalt erschießen, doch was ist das schon? Ringo Jacks wurde ja wirklich erschossen, und die Burschen, die es taten, laufen immer noch frei herum. Und dabei ist Ringo Jacks tot. Ich aber lebe noch. Der Sheriff wird dir bestimmt nichts tun.« Er lacht verächtlich, und all sein grimmiger Hohn ist gezielt und soll den Sheriff treffen. Nun kommen einige Männer in die Gasse, von denen einer eine Laterne trägt.
Sie lassen Jesse Adams vorbei, und sie betrachten ihn mit deutlich erkennbar gemischten Gefühlen, als er sie passiert. Er fühlt sich müde und ausgebrannt, als er das Hotel erreicht. Kate Sueman steht vor der Tür. Sie folgt ihm, und in der Diele sagt sie auf eine spröde und schrille Art: »Man wollte Sie erschießen, Jesse, nicht wahr? Man wollte Sie auf die gleiche Art erschießen, wie mein Mann erschossen wurde.« »So ist es«, murmelt er, und er wirkt sehr nachdenklich. »Einer von Lester Stonewalls Männern wollte mich aus dem Hinterhalt abknallen. Doch sagen Sie jetzt nicht, dass Stonewall dahinter steckt. Für so dumm und primitiv halte ich ihn nun doch nicht. Nein, dies ist ein völlig anderes Spiel. Aber von mir aus können alle Menschen im Land denken, dass er mich auf diese Art ausschalten wollte.« Er öffnet die Hand. »Ich habe keinen Hunger mehr. Ich möchte mich schlafen legen. Kann ich ein Zimmer bekommen?« Sie betrachtet ihn wieder auf eine staunende und verwirrte Art. Dann nimmt sie vom Schlüsselbrett einen Schlüssel. Es ist wieder Nummer sieben. Er geht langsam und ohne jedes weitere Wort hinauf. Er zieht sich nur die Stiefel aus und legt den Waffengurt ab. Und er fühlt sich müde und ausgebrannt.
7
Am anderen Morgen ist alles anders. Als er zum Frühstück kommt, leistet Kate ihm Gesellschaft. Auch sie nimmt das Frühstück zu sich. Sie betrachtet ihn manchmal mit einem unruhigen Forschen und lächelt einige Male ein wenig auf eine Art, als wollte sie ihn um Verzeihung bitten. Er entschließt sich plötzlich, denn er hat erkannt, dass er gewissen Dingen richtig auf den Grund gehen muss. »Was ist zwischen Ihnen und diesem Stonewall?«, fragt er. »Ich glaube, ich muss es wissen, um ihn besser beurteilen zu können. Dieser Heckenschütze gestern …« »Der Sheriff hat ihn eingesperrt und will ihn vor die Jury bringen, wenn Sie Anzeige wegen versuchten Totschlages erstatten«, unterbricht sie ihn. Jesse staunt. Doch dann vergisst er die Sache für eine Weile. Er blickt Kate forschend an. Und sie begreift, dass er alles wissen muss – alles, was sie ihm vielleicht schon gestern erzählen wollte. Sie lässt ihn nicht warten. Sie beginnt sehr gefasst: »Ich lief mit siebzehn Jahren von daheim fort. Wir hatten einen Saloon in Santa Fe, und als mein Vater starb, nahm meine Mutter sich einen Mann,
der mir nachstellte. Ich lief also fort, und meine Wege waren dann ziemlich rau. Manchmal fragte ich mich, warum ich eigentlich fortgelaufen war. Nun gut, ich wurde dann drei Jahre später Kartenausteilerin in Saint Louis. Das war vor sieben Jahren. Ich bin jetzt siebenundzwanzig. Damals kam Lester Stonewall in die Stadt. Er hatte eine Treibherde verkauft und wollte sich amüsieren. Er blieb an meinem Spieltisch hängen und verlor all sein Geld. Irgendwie gefiel er mir damals. Er sah so aus, als wollte er die ganze Welt erobern, und ich dachte mir, dass so ein Mann gerade richtig wäre für ein Mädel wie mich. Ach, ich wollte in ein anderes Leben. Ich wollte raus aus den Spielhallen, doch ich fürchtete mich davor, in einer Siedlerhütte leben zu müssen. Ich war auf rauen Wegen gewandert und wollte etwas vom Leben. Nun, ich ließ mich von Lester Stonewall beeindrucken. Wir trafen uns jeden Tag, und schon am dritten Tag sagte er mir, dass ich das Mädel wäre, das er bisher ohne Erfolg gesucht hätte. Er wäre sehr froh, mich endlich gefunden zu haben. Ich wäre das Mädchen seiner Träume. Er würde mich zu seiner Frau machen. Ja, dies alles sagte er mir. Und ich glaubte ihm. Nach drei Wochen ritt er dann fort. Als ich ihn fragte, wann er zurückkäme und wann wir heiraten würden, da lachte er nur und sagte, dass ich nicht zu viel verlangen dürfte und dass es doch ganz schön gewesen wäre, und er nun genug
hätte und wieder an die Arbeit gehen müsste. Dann ritt er lachend davon. Und ich wusste, dass er mich die ganze Zeit …« Ihre Stimme versagt ihr. »Schon gut«, murmelt Jesse Adams. »Sie waren also eines jener Mädchen, das sich einen Mann ausgesucht hatte und dann reingelegt wurde. Es war eine Lektion, nicht wahr?« Sie nickt. »So war es wohl«, murmelt sie. »Mein Glück verließ mich dann. Ich wurde krank, und ich brachte dem Spielsaloon auch als Bankhalterin und Kartenausteilerin kein Glück. An meinen Spieltischen gab es keine nennenswerten Einnahmen. Ich wurde entlassen und verließ die Stadt, die mir so wenig Glück gebracht hatte. Unterwegs in der Postkutsche saß Frank Sueman mir gegenüber. Er sah mich immerzu an. Doch ich hatte genug von den Männern. Ich hasste sie alle. Lester Stonewall hatte mir zu übel mitgespielt, als dass ich einem Mann gegenüber noch freundliche Gefühle haben konnte. Ich übersah Frank Sueman. Doch ich wurde unterwegs sehr krank. Es war Typhus, und niemand wollte mich aufnehmen. Ich war eine Fremde, die nirgendwo einen Platz bekam. Man fürchtete die Ansteckung, die große Seuchengefahr. Ich war am Ende meiner Pechsträhne angelangt. Doch da nahm sich Frank Sueman meiner an. Er mietete abseits der Stadt ein Haus. Er sorgte für mich. Als ich gesund
wurde, begann für mich ein neues Leben. Frank sagte mir, dass er mich vom ersten Moment an geliebt habe. Da ich im Fieber viel geredet hatte, kannte er schon meine ganze Geschichte. Er wusste alles über mich. Und er nahm mich zur Frau. Oh, er war ein …« Sie bricht ab, hält inne. Und dann sagt sie ganz ruhig und fest: »Er war gut zu mir. Er war ein Mann, dem Lester Stonewall nicht das Wasser reichen konnte. Er hatte einiges Vermögen und war unterwegs, um sich eine besondere Aufgabe zu suchen. Er sagte immer, dass ein Mann sich irgendwann in seinem Leben einmal an einer großen Sache versuchen müsse. Nun, seine große Sache war diese Stadt hier. Er gründete sie. Er baute das Hotel, den Store, den Mietstall. Er holte Menschen ins Land, richtete die Frachtlinie ein und gab seinen Mitbürgern alle Hilfen. Er sagte, dass in diesem Land einmal tausend Familien leben würden. Denn es wäre ein fruchtbares Land, geschützt und gut für alle Vorhaben. Er sagte, dass wir eine Bahnlinie bekommen würden und Hills City die Hauptstadt eines selbstständigen Countys werden würde.« Sie macht eine Pause und trinkt zwei Schluck Kaffee. In ihrem Gesicht ist ein irgendwie traurig und verloren wirkender Ausdruck. In ihrem Herzen ist jetzt gewiss ein großes Bedauern.
Doch dann bewegt sich alles in ihrem Gesicht. Es strafft sich, wird energisch. Ja, sie ist eine Kämpferin. Sie blickt ihn fest an, und in ihren Augen erkennt er nun ein entschlossenes Leuchten. »Dann kamen die großen Rinderzüchter aus Texas herauf«, sagt sie schlicht. »Zuerst kam Harvey Mannen, und dann Jim Sanders und Abe Morgan. Sie kamen mit großen Herden und starken Mannschaften. Sie nahmen sich die beste Weide und ließen ihre Cowboys auf Siedlerstätten eintragen, sodass sie eines Tages von diesen Cowboys die Besitztitel übertragen bekamen. Aber es war noch genug Land da. All die Siedler und Farmer, die mein Mann ins Land geholt hatte, konnten sich noch ausdehnen und gute Plätze finden. Doch im nächsten Jahre kam dann Lester Stonewall ins Land. Er war in Texas einer der großen Maverickjäger gewesen, hatte sich mit der Besatzungstruppe gut verstanden und einige Herden nach Dodge City zum Verkauf getrieben. Er kam mit fast fünftausend Rindern und fast drei Dutzend Reitern hier an. Er wurde sofort der große Mann im Land. Es ist seine Art, jeden anderen Mann in die Ecke zu drängen, sich selbst in den Vordergrund zu schieben und überall das Heft in die Hand zu nehmen. Nach ihm kam dann noch Bill McClellan, und es kamen noch einige kleinere Rancher ins Land. Zuerst ging jeder seinen eigenen Weg, ja, sie
versuchten sogar, sich gegenseitig das beste Land und die besten Wasserstellen abzunehmen. Es sah einige Male nach einem Weidekrieg aus. Doch dann waren plötzlich Viehdiebe im Land. Jeremy Walker hatte sich im Nordosten jenseits der Hügel im Canyon-Land niedergelassen. Er war von Anfang an ein Außenseiter, der eigene Wege ging. Und er kannte Lester Stonewall und war ganz offensichtlich sein Gegner. Inzwischen hatte Frank Sueman auch alle Siedler und Farmer zu einer Gemeinschaft gemacht, zu einer starken Gruppe im Land, die geschlossen für ihre Rechte eintrat und von den großen Ranchern respektiert werden musste. Sie konnten nun niemanden mehr von der Weide und den Wasserstellen vertreiben, sich nicht mehr ausweiten. Die Grenzen im Land waren gezogen. Und die Viehdiebe wurden stärker und mehr und mehr zu einer Gefahr.« Sie verstummt ruhig und schenkt sich und Jesse noch einmal die Tassen voll. Dann sagt sie schlicht: »Nun gelang es Lester Stonewall, die Rancher zu einer Vereinigung zu bewegen. Sie gründeten die ViehzüchterVereinigung, deren Vorsitz er übernahm. Dies machte ihn zum großen Mann im Land. Er gab nun die Befehle. Die einzige Gegenkraft war Frank Sueman. Denn auch Frank führte eine starke Gruppe an. Und vor allen Dingen war er furchtlos. Er war gewaltig stark und schnell mit
dem Revolver. Er war ein Kämpfer. An einem Abend kam es zwischen ihm und Stonewall zu einem schlimmen Kampf. Stonewall war beleidigend und gemein zu mir gewesen. Er hatte anderen Menschen gegenüber erwähnt, daß er mich schon vor Frank Sueman gekannt hatte und …« »Es ist nicht wichtig, was Stonewall sagte«, murmelt Jesse Adams ruhig und tut sich viel Milch in den Kaffee. Kate nickt. »Frank schlug ihn fünfmal zu Boden«, spricht sie weiter. »Es war am Unabhängigkeitstag beim großen Festball. Frank schlug ihn vor allen Leuten fünfmal zu Boden. Dann konnte Stonewall nicht mehr aufstehen. Drei Tage später wurde Frank aus dem Hinterhalt getötet. Als er tot war, brach die Partei der Siedler und Farmer auseinander. Die Menschen hatten Furcht. Ihr Führer war ermordet worden, und sie begriffen, dass es auch jedem anderen mutigen Mann so ergehen könnte, der gegen die Viehzüchter-Vereinigung Widerstand leistete. Sie bekamen es mit der Angst zu tun, zumal die Rancher auf der Jagd nach Viehdieben immer wieder in ihre Häuser einbrachen und aus eigener Machtvollkommenheit Hausdurchsuchungen machten. Einige Male fand man die Häute frisch geschlachteter Weiderinder, an deren Brandzeichen man erkennen konnte, dass die Tiere gestohlen wurden. Nun, die Rancher
wurden mehr und mehr die einzige Partei. Die Siedler gaben auf. Viele zogen aus dem Land. Aber ich gebe nicht auf! Ich nicht! Ich will …« Sie hält inne. In ihren Augen ist ein heißes Leuchten. »Jesse, Sie verstehen doch, dass ich kämpfen muss?« Er denkt nach. »Vielleicht«, murmelt er dann. »Vielleicht ist es richtig. Aber ich bin nicht sicher. Sie sind eine begehrenswerte Frau, Kate. Und Sie sind noch jung. Das Leben kann für Sie noch einmal völlig neu und von vorne beginnen. Dieser Kampf, den Sie jetzt kämpfen, könnte Sie innerlich so sehr verhärten, dass …« Er bricht ab, lächelt etwas traurig und zuckt mit den muskulösen Schultern. »Eine Frau wie Sie, Kate, die sollte Wärme und Güte verschenken. Sie könnte …« »Ich weiß, was ich könnte«, unterbricht sie ihn hart. »Ich habe es mir immer gewünscht: eine Familie, Kinder. Und ich wollte ihnen allen ein Heim bereiten. Es sollte mein Glück sein, einen Mann und Kinder zu haben. Und ich weiß, ich hätte viel Liebe, viel Wärme und Güte und all das, was sein muss, für sie gehabt. Aber ich muss Lester Stonewall niederkämpfen! Ich muss ihn am Boden liegen sehen. Denn er ist ein Hundesohn.« Sie blickt zu Jesse auf, der sich erhebt.
»Wir werden sehen«, sagt er und geht langsam hinaus. Sie blickt ihm bewegungslos nach. Und wieder ist ein etwas unsicherer und verwirrter Ausdruck in ihren Augen. Jesse Adams beeilt sich. Er geht zuerst zum Sheriff und erstattet dort Anzeige gegen jenen Heckenschützen, den der Sheriff tatsächlich verhaftet hat. »Was ist in Sie gefahren, Sheriff?«, fragt Jesse Adams spöttisch. »Haben Sie keine Angst, dass Sie jemandem auf die Zehen treten, wenn Sie diesen Burschen in der Zelle behalten?« Luke Waltoner bekommt vor Zorn einen dunkelroten Kopf. Doch er erwidert nichts auf diesen Hohn. Er sagt vielmehr schlicht: »Der Bursche heißt Larry King. Und er gehört auch zu den Burschen, die auf den flüchtenden Ringo Jacks schossen. Ich habe ihn also nicht nur wegen des Anschlages auf Sie, sondern auch wegen der Beteiligung an der Schießerei auf Ringo Jacks festgenommen. Er ist ein Cowboy der Stonewall Ranch.« »Cowboy?«, fragt Jesse grimmig. Er unterschreibt dann die Anzeige. Und bevor er geht, betrachtet er den Sheriff ernst. »Hören Sie, Luke Wagoner! Für Recht und Gesetz können Sie von mir jede Hilfe bekommen. Haben Sie keine Angst mehr vor den Ranchern, vor der mächtigen Vereinigung, vor Stonewall?«
»Ich habe nie Angst gehabt«, brummt der Sheriff. »Ich wollte nur meinen Job behalten und nicht gegen die Partei sein, deren Sheriff ich bin. Es waren die Rancher, die mich ins Land holten und mit Hilfe ihres Einflusses zum Sheriff machten. Aber es ist über Nacht eine Menge anders geworden. Frank Sueman wurde damals aus dem Hinterhalt erschossen, nachdem er Lester Stonewall verprügelt hatte. Und nun wurde auf Sie aus dem Hinterhalt geschossen, nachdem Sie mit Lester Stonewall ziemlich rau umsprangen und von Kate Sueman irgendwie dazu gebracht wurden, Frank Suemans Nachfolger zu werden.« »Richtig!« Jesse Adams sagt es scharf, und es ist irgendwie ein warnender Klang in seiner Stimme. »Es ist über Nacht eine Menge anders geworden«, wiederholt der Sheriff fast gemächlich. »Die Rancher stehen nicht mehr geschlossen hinter Stonewall. Der Mordanschlag auf Sie hat sie erschreckt. Stonewalls Stil macht ihnen Angst. Denn sie müssen ja daran glauben, daß er Gegner, die ihm gewachsen oder gar überlegen sind, hinterrücks umbringen lässt. Ich habe gestern noch mit einigen dieser Rancher gesprochen. Sie wünschen eine Aufklärung der Dinge. Sie stehen hinter mir. So ist das nun! Stonewalls Stil gefällt ihnen nicht. Er kann sie nicht mehr beherrschen. Sie beginnen ihn zu fürchten. Wenn er hinter dem Anschlag auf Sie
steckt, Jesse Adams, dann hat er in seinem Zorn unbeherrscht und übereilt einen Fehler gemacht.« Jesse Adams nickt unmerklich. Doch er ist sehr nachdenklich. Er fragt plötzlich: »Kann ich den Gefangenen sehen und mit ihm sprechen?« Der Sheriff nickt sofort, und so treten sie bald darauf in den Zellenraum. Es gibt hier vier Gitterkäfige, doch nur einer ist besetzt. Die Tür der Zelle ist nicht einmal verschlossen, da der Gefangene ein zerschossenes Bein hat. Man hat ihm eine Matratze auf die Schlafpritsche gelegt. Sein Bettzeug ist blauweiß kariert wie im Hotel. Der Doktor hat die Kugel entfernt und alles getan, was notwendig war. Der Mann liegt ruhig da. Er hat nur leichtes Wundfieber. Als Jesse Adams zu ihm ans Bett tritt, leuchtet es böse und hassvoll in den Augen des Burschen. »Wer gab dir den Auftrag?«, fragt Jesse Adams. Der Bursche grinst. »Keinen Auftrag! Ich versuchte es aus eigenem Antrieb. Du hattest mich im Saloon von der Tür weggestoßen und unter einen Tisch geschleudert. Im offenen Revolverkampf war ich dir nicht gewachsen. Doch ich wollte mich rächen. Lester Stonewall hatte mich nämlich entlassen, weil es mir nicht gelungen war, dir den Zutritt zu verwehren.« Er verstummt heiser.
Jesse Adams steht nachdenklich an dem Krankenlager, blickt auf ihn nieder und schüttelt dann langsam den Kopf. »Nein«, sagt er. »Du lügst! Du bist keiner von der heißen Sorte, die wegen erhaltener Prügel einen Mord begeht. Du bist einer von der billigen Sorte, die man sich kaufen kann. Und du hast da und dort schon Hiebe bezogen, dass es dir nicht viel ausmacht, wenn es einmal mehr ist. Nein, mein Freund, ich glaube dir nicht! Aber pass auf! Du bist in der Klemme. Ich habe Anzeige erstattet. Du wirst wegen versuchten Mordes vor eine Jury kommen. Und der Sheriff ist mein Zeuge. Das bringt dich für viele Jahre als Sträfling in einen Steinbruch. Doch ich mache dir einen Vorschlag. Ich bin nicht an dir interessiert. Du bist nur einer dieser Lumpen, die einem manchmal in die Wade beißen. Ich will deinen Auftraggeber wissen. Ich ziehe meine Anzeige sofort gegen dich zurück, wenn du mir sagst, wer dich damit beauftragt hat, mich zu töten. Und wenn ich meine Anzeige zurückziehe, gibt es keine Verhandlung gegen dich! Überlege es dir, mein Junge!« Er geht nach diesen Worten hinaus, holt sich sein Pferd aus dem Mietstall und sagt zum Stallmann: »Nun, Tube, hat er auch erstklassiges Futter bekommen und nicht zu viel Körner?«
»Ich bin nicht Tube«, sagt der alte Bursche. »Ich bin Tate! Tube, der mein Zwillingsbruder ist, erkennt man daran, dass er keine Haare mehr auf dem Kopf hat und immer so aussieht, als hätte er Bauchschmerzen. Er kann es nicht verwinden, dass er als erster Zwilling auf diese schlechte Welt kam, hahaha!« Er sieht zu, wie Jesse das Pferd sattelt und sagt dann: »Nach diesem Mordanschlag auf Sie ist Lester Stonewall unter den Mitranchern erledigt. Die sind ja auch harte Burschen und kennen keine Gnade. Doch sie schätzen den Stil doch nicht, den Stonewall anwendet. Junger Mann, dass Sie am Leben blieben, ist gut, aber noch besser ist, dass die Rancher sich nun vor Stonewall fürchten.« Jesse Adams erwidert nichts zu diesen Worten. Doch als er aus der Stadt reitet, denkt er: Nein, so dumm und primitiv ist Lester Stonewall nicht. So geht er bestimmt nicht vor! Ich kann ihn nicht leiden, denn er ist ein Bulle, der alles niedertrampelt, was sich ihm in den Weg stellt. Ich konnte die Burschen seiner Sorte noch nie leiden. Doch ich traue ihm nicht einmal zu, dass er Frank Suemans Tod veranlaßt hat. Nein, er ist von der Sorte, die es nach einer Niederlage immer wieder versucht. Er hätte nochmals mit Frank Sueman gekämpft – und nochmals – und nochmals, bis es ihm irgendwann geglückt wäre, ihn zu schlagen. Er ist ein Bulle, ein schlauer und
ehrgeiziger Bulle, der jeden Gegner selbst auf die Hörner nimmt – im offenen Angriff. Jesse Adams reitet langsam weiter, und er nimmt diesmal einen anderen Weg. Er biegt weit nach Süden aus und erkennt dann an den Brandzeichen der Rinder dieser Weide, dass er sich auf dem Weidegebiet der Harvey-MannenRanch befindet. Er biegt nach einigen Meilen nach Nordosten ab, und als er einem kleinen Pfad folgt, der durch einen Creek führt, da trifft er auf einen Reiter, der auf eine verwegene und piratenhafte Art ein lautloses und blitzendes Lachen zeigt. Es ist Jeremy Walker.
8
»Das Land ist mächtig groß und weit. Es besitzt zehntausend versteckte Winkel, und zwei Armeen könnten eine Weile voreinander Verstecken spielen. Doch man trifft sich dennoch in diesem Land, wenn es der Zufall will.« Jeremy Walker spricht die Worte auf bedächtige Art. Jesse Adams lenkt sein Pferd zu ihm ins Wasser des Creeks. Die Tiere stehen nun so nebeneinander, dass sie sich gegenseitig die Schwänze um die Nasen schlagen können. Und die Steigbügel der Reiter berühren sich. Die Männer blicken sich aus nächster Nähe an. »Zufall?«, fragt Jesse Adams. »Ich glaube nicht an Zufälle. Jeremy Walker, waren Sie in der vergangenen Nacht in der Stadt?« Jeremy Walkers linkes Augenlid zuckt kurz, doch sicherlich hat dies nichts mit der so plötzlich und trocken gestellten Frage zu tun. Sein Gesicht bleibt ruhig. »Nein«, sagt er, »so oft bin ich nicht in Hills City. Warum fragen Sie, Jesse Adams?« Jesse berichtet ihm von Larry King, der aus der dunklen Gasse auf ihn schoss. Und er endet mit den Worten: »Was halten Sie davon?«
Jeremy Walkers Gesicht ist völlig ausdruckslos. »Nun, ich glaube nicht, dass Stonewall dahinter steckt«, sagt Walker dann sanft. »Ich kenne Stonewall ziemlich gut. Wir waren vor dem Krieg und während des Krieges einmal Partner. Wir trieben Rinder und Pferde für die kämpfenden Armeen. Stonewall ist nicht feige. Aber ich kann mich auch täuschen. Auf jeden Fall wird dies seinen Freunden und Anhängern zu denken geben. Ich bin da sehr genau informiert. Er wird dem ganzen Rancher-Verein immer unheimlicher. Ich glaube, durch diesen Anschlag auf Sie, Jesse Adams, verliert Lester Stonewall mächtig Boden unter den Füßen, mag er mit dem Mordversuch zu tun haben oder nicht. Er wird seinem Verein wirklich immer unheimlicher.« Er lächelt breit nach diesen Worten und fügt bedeutsam hinzu: »Nun, dies ist für uns beide gut, nicht wahr? Uns beiden ginge es besser, wenn die Rancher sich nicht mehr so einig wären.« »Das stimmt«, murmelt Jesse nachdenklich. Jeremy Walkers Augen funkeln seltsam, und er bewegt im Sattel seinen klotzigen Körper. »Vielleicht komme ich Sie wieder einmal besuchen«, sagt er. »Und wie steht es mit Rindern? Sie haben die Ranchgebäude und Corrals schon halb fertig. Die Handwerker aus der Stadt arbeiten schnell und gut. Sie könnten doch jetzt langsam mit dem Kauf von
Zuchtrindern anfangen. Ich hätte da eine Herde tragender Weidekühe für Sie – etwa dreihundert Tiere. Was werden Sie denn für ein Brandzeichen wählen? Die Tiere tragen alle den WagenradBrand. Es gibt aber hier weit und breit keine Wagenrad-Ranch. Wollen Sie nicht ein Wagenrad als ihr Brandzeichen wählen?« Es ist ein fast unverhülltes, schamloses und freches Angebot. Jesse Adams begreift es sofort. Er erwidert nicht sogleich. Doch als er dann spricht, hat seine Stimme den schleppenden Tonfall, der für einen Texaner so typisch ist. Er sagt: »Jeremy, ich kaufe keine gestohlenen Rinder. Jim Sanders’ Brandzeichen sah ich erst heute noch. Sein Weideland grenzt an Harvey Mannens Weide. Harvey Mannens Brand ist die Pfeilspitze. Sanders’ Brand ist ein Kreuz in einem Kreis. Und aus diesem Kreuz-im-Kreis haben Sie leicht ein Wagenrad machen können.« »Mein Angebot war nur ein Scherz.« Jeremy Walker grinst. »Ich wollte nur mal sehen, wie Sie reagieren. Nun gut!« Er will sein Pferd in Bewegung setzen. »Noch etwas, Jeremy«, sagt Jesse Adams. Walker hält inne und betrachtet ihn fragend. Er schiebt den Hut zurück, und sein rotes Haar leuchtet grell und herausfordernd in der Sonne. »Was soll’s denn sein?«, fragt er.
»Treibt kein fremdes Vieh mehr über meine Weide«, sagt Jesse. »Ich dulde das nicht. Ich werde jedem ehrlichen Rancher gegen jeden Viehdieb Unterstützung geben. Ich will nicht in Ringo Jacks’ Lage kommen. Und ich bin nicht der Meinung, dass die Viehdiebe dieses Landes sich nehmen, was ihnen zukommt. Jeremy, es ist eine Warnung!« Nach diesen Worten reitet er davon. Als er sich umblickt, hat Jeremy Walker seine Hand am Revolver. Jesse Adams reißt sofort sein Pferd herum. Er hat nun ebenfalls die Hand an der Waffe. »Noch etwas, Jeremy Walker?« Dieser zögert. Dann nimmt er die Hand von der Waffe und sagt sanft: »Heute nicht, Jesse.« Er reitet ohne ein weiteres Wort davon, ein Mann, der sich Jesse Adams gegenüber ziemlich offen zu erkennen gab, der aber dennoch voller Geheimnisse ist, ein kühner und verwegener Mann, der ständig durch das Land reitet. Er ist unzweifelhaft ein gefährlicher Mann. Jesse kann sich vorstellen, dass er sich da und dort mit anderen Männern trifft, die seine Handlanger oder Spione sind, Männer, die als scheinbar ehrliche Cowboys auf den Lohnlisten der Rancher stehen. Und dann werden in dunklen Nächten bald wieder Rinder auf verborgenen Pfaden getrieben werden.
Nachtfalken werden reiten und vielleicht wird irgendwo geschossen werden. Die Rancher aber werden wieder einmal ihre Reiter sammeln, ein starkes Aufgebot bilden und auf die Jagd nach Viehdieben und deren Helfer gehen. Doch diesmal werden sie einen Gefangenen nicht vor eine Jury bringen. Nein! Diesmal werden sie es selbst und eigenhändig machen. Als Jesse Adams dann später die Ranch erreicht, wird seine grimmige Stimmung etwas besänftigt. Denn die Handwerker aus Hills City haben gute Arbeit geleistet. Sie sind seit seinem Wegritt ein gutes Stück vorwärts gekommen. Am nächsten Tag ist Jesse Adams der Meinung, dass es nun an der Zeit wäre, eine Mannschaft anzuwerben und hart arbeiten zu lassen. Er hat schon die ganze Zeit über dieses Problem nachgedacht und ist zu dem Entschluss gekommen, einen Brief an Pat O’Connor nach Cheyenne zu senden. Pat O’Connor hat in Cheyenne einen Saloon. Und er würde ihm sicherlich einige tüchtige und zuverlässige Cowboys schicken, die garantiert nicht zu den Viehdieben gehören. Jesse bespricht gerade mit den beiden Schreinern die Einrichtung des Schlafhauses und des Speiseraumes, als draußen Hufschlag ertönt. Einer der Handwerker blickt durch eines der noch unverglasten Fenster und sagt dann, sich wieder
in den großen Raum wendend: »Das sind die wilden Skinners! Es sind die Skinner-Brüder, die Indian-Skinners!« Die Worte des Handwerkers sagen eigentlich schon genug. Jesse Adams tritt aus dem Rohbau des Schlafhauses, und er glaubt zuerst, vier wie Cowboys gekleidete Indianer zu erblicken. Doch dann erkennt er, dass es sich um vier indianerhafte Weiße handelt. Sie wirken ziemlich abgerissen. Doch ihr Lederzeug, die Waffen, die Lassos, die Sättel, dies alles haben sie gut in Ordnung. Sie sind mittelgroß, untersetzt und sehen so aus, als würden sie auch rohes Fleisch nicht verschmähen. Ihre stoppelbärtigen Gesichter wirken ernst und verschlossen. Sie sind hohlwangig, doch es ist eine gesunde Hagerkeit. Auf eine wilde Art sind sie hübsch, etwa so wie ein wildes und geschmeidiges Tier einen prächtigen Anblick bietet. Sie sitzen auf schwarzen Pferden, auf struppigen, zähen und sicherlich auch schnellen Tieren. Und sie haben die gleichen schnellen, hellen und scharfen Augen. »Nun?«, fragt Jesse Adams, nachdem er sie betrachtet hat. Sie erwidern noch nichts auf seine Frage. Sie betrachten ihn noch eingehend, schätzen ihn ab und verständigen sich dann mit kurzen Blicken.
Dann sagt der eine: »Wir sind die Skinners. Ich bin Ben, der älteste Skinner. Das sind meine Brüder Billy, Bole und Bart. Wir haben keinen guten Ruf. Bei allen Ranchern im Land sind wir unten durch und stehen auf der schwarzen Liste. Wir lebten bis jetzt dort in den Hügeln – irgendwo dort. Ich sagte, ich wäre der älteste Skinner. Vor einigen Tagen starb nämlich unser Vater. Wir hatten ihn recht gern, denn auf seine Art war er nicht übel. Nun, er gab uns vor seinem letzten Atemzuge noch einen guten Rat. Er sagte uns, dass wir uns ehrliche Arbeit suchen sollten. Mister, wir haben keinen guten Ruf. Doch wir haben es unserem Vater versprochen, nach einer ehrlichen Arbeit zu suchen. Haben wir hier vielleicht eine Chance?« Er schweigt nach dieser etwas unbeholfenen und für ihn auch gewiss sehr langen Rede. In seinen hellen Augen funkelt es irgendwie hitzig, so als bereitete er sich innerlich schon darauf vor, einer Absage mit jenem Stolz zu begegnen, der eines armen Mannes einziger Besitz ist auf der Welt. Doch Jesse Adams hat inzwischen lange genug nachdenken können. Er kennt diese Sorte von wilden Jungen. Sie sind gar nicht so übel, wenn man sie richtig anfasst. Und er versteht sich darauf, solche Burschen anzufassen.
Er nickt und sagt knapp: »Ihr seid eingestellt. Ich zahle einem Spitzen-Cowboy vierzig im Monat. Ob ihr Spitzen-Cowboys seid, werde ich schnell herausfinden. Bevor ich Vieh auf die Weide bringe, möchte ich ein Abwandern der Rinder verhindern. Wir fangen drüben beim Canyon an. Reitet hin, nehmt euch Werkzeuge mit, die ihr dort aus dem Wagen nehmen könnt und errichtet quer vor dem Canyon eine Schranke mit einem Gatter. Ich komme am Abend hin und sehe mir alles an.« Sie betrachten ihn. Dann blicken sie hinüber zu der bezeichneten Canyon-Mündung. Es ist jener Canyon, in den die Viehdiebe ihre Herde trieben – in jener ersten Nacht, als Jeremy Walker vor der Hütte auf Jesse Adams gewartet hatte. Die Skinners wissen sofort, was Jesse Adams’ Anordnung zu bedeuten hat. Denn sie kennen sich aus, und vielleicht haben auch sie schon gestohlene Rinder durch dieses Tal und in diesen Canyon getrieben. Sie begreifen, was Jesse Adams’ Anordnung bedeutet. Und wenn sie noch insgeheim zu den Viehdieben des Landes gehörten, arbeiteten sie – wenn sie eine feste Schranke errichten – gegen ihre und ihrer Freunde Interessen. Doch sie erwidern ruhig und fest Jesse Adams’ Blicke. Sie meckern auch nicht, dass sie nun junge Bäume fällen, Löcher graben und damit
eine Arbeit verrichten sollen, die keinem Vollblut-Cowboy, der im Sattel lebt, schmeckt. Sie gehen wortlos an die Arbeit. Sie holen sich Werkzeuge und reiten hinüber zu der steilen Hügelkette, durch die der Canyon führt. Jesse Adams ist zufrieden. Oh, er wird die vier Burschen tüchtig arbeiten lassen. Es gibt ja noch sehr viel zu tun. Als er dann am späten Nachmittag nachsehen kommt, kann er sehen, dass die indianerhaften Burschen gute Arbeit leisteten. Sie haben einen Stangenzaun gezogen, den man so leicht nicht umbrechen könnte. Und sie haben ein doppeltes Gatter eingebaut. Sie betrachten ihn schweigend. »Nun gut«, sagt er. »Es gibt noch mehr solche Lücken. Ich werde euch alle Täler aufzeichnen, die zu unserer Ranchweide gehören.« Er sitzt ab, geht zu einer staubigen Stelle, hockt sich nieder und nimmt einen Span in die Hand. Er zeichnet eine grobe Landkarte in den Staub, und die Skinners hocken um ihn herum und sehen zu. »Ja, das dachten wir uns, dass dieses Gebiet zu dieser Ranch gehört«, murmelt Ben Skinner dann. »Wir werden die Weide überall dort einzäunen, wo Rinder zu- und abwandern könnten. In Ordnung! Doch wann wird es Sattelarbeit für uns geben? Wann wird es …«
»Ich mache mich morgen auf den Weg, um Rinder und Pferde zu beschaffen, und noch einige Dinge mehr. Ich sehe euch an, dass ihr euch auf alle Tiere versteht, die vier Beine haben. Ich will auch eine Maultierzucht in Gang bringen. Und auch Pferde und Rinder werden von mir nicht wahllos beschafft. Wir züchten hier nur erstklassige Tiere, die besseren Ertrag bringen. Es wird eine Muster-Ranch.« Sie betrachten ihn schweigend. Sie sagen nichts zu seinen Worten. Doch er kann unschwer erraten, daß sie etwas denken, was man in Worten so ausdrücken würde: »Neue Besen kehren gut! Und jeder Mann hat am Anfang große Pläne und Illusionen.« »Kommt zum Essen«, sagt er zu ihnen und sitzt wieder auf. Indes er davonreitet, hört er Bart Skinner zu den Brüdern sagen: »Habt ihr gehört, wir sollen doch noch etwas zu essen bekommen. Mein leerer Magen ist mir unter dem Hosenbein in den linken Stiefel gerutscht. Dieser Mister hat uns den ganzen Tag arbeiten lassen und nicht gefragt, wann wir zum letzten Mal gegessen haben.« »Er probiert uns aus, begreifst du denn das nicht, Kleiner?«, fragt Ben Skinners Stimme zurück.
Jesse Adams hat die ganze Nacht darüber nachgedacht, von wem er Rinder und Pferde kaufen soll. Als er dann am anderen Morgen losreitet, ist er entschlossen, seiner Idee zu folgen. Unterwegs denkt er einmal schmunzelnd daran, was die vier Skinners zum Abendessen vertilgt haben. Sie aßen mehr als die neun Männer aus der Stadt, die nach ihrem harten und langen Arbeitstag auch wahrhaftig viel verputzten. Jesse Adams hat die Landkarte gut im Kopf. Er reitet einem bestimmten Ziel zu und kommt nach etwa zehn Meilen an einen Reit- und Fahrweg, der von Westen her kommt, wahrscheinlich also von der Poststraße nach Hills City und nach Südosten führt. Dort muss die Halbmond-Ranch von Bill McClellan liegen, einem jener drei Rancher also, die sich bei der Abstimmung im Hinterzimmer des Saloons ihrer Stimme enthielten. Nachdem Jesse dem Ranchweg zwei Meilen gefolgt ist, erblickt er hinter der nächsten Hügelkette die Ranch. Ja, es ist Bill McClellans Halbmond-Ranch, und sie ist recht groß. Es ist keine rein zweckmäßig errichtete Männerranch, nein, es ist das Heim einer großen Familie. In den Corrals sind viele Tiere zu sehen, und auf den weitläufigen Koppeln tummeln sich
Pferde und Zuchtrinder, Maulesel und Maultiere. Bei einem Zureite-Corral stehen oder sitzen ein halbes Dutzend Männer und sehen zu, wie ein rabenschwarzes Pferd einen Reiter gen Himmel feuert und dann wie ein wilder Teufel auf den Reiter losgeht, als er über den Boden rollt. Der schwarze Teufel will den Mann wahrhaftig zerstampfen. Doch der Bursche bringt sich mit knapper Not zwischen den Corralstangen hindurch in Sicherheit. »Dieser schwarze Hundesohn ist gar kein richtiges Pferd«, sagt er schrill und keuchend. Dann japst er nach Luft. Doch seine Worte finden wenig Gehör. Die Männer haben sich nämlich Jesse Adams zugewandt, der langsam herbeigeritten kommt. Er hat den Rancher Bill McClellan erkannt und freut sich, nicht erst nach ihm fragen zu müssen. Als er das Pferd anhält, fordert ihn McClellan nicht zum Absitzen auf, fragt vielmehr: »Was wollen Sie hier, Adams?« »Ich baue eine Ranch auf«, sagt dieser ohne Umschweife. »Und wir sind Nachbarn. Ich möchte Pferde, einige Esel und eine Herde Rinder kaufen. Vielleicht sind Sie an dem Geschäft interessiert?« Bill McClellan ist ein kleiner, drahtiger und rotgesichtiger Mann, mit einem Knebelbart wie Buffalo Bill und blitzenden Augen. Er gleicht
sogar jetzt noch als alter Mann einem Kampfhahn. »Ich bin nicht interessiert«, sagt er. »Kaufen Sie woanders!« Jesse nickt. »Ja, ich habe schon Angebote«, sagt er. »Mir wurden Rinder angeboten, die den Wagenrad-Brand tragen. Ich werde sie wohl nehmen müssen.« Er kann sehen, wie Bill McClellan wütend wird. Denn aus einem Halbmond-Brand lässt sich genauso leicht ein Wagenrad-Brand machen wie aus dem Kreuz-im-Kreis-Brand, den Jim Sanders auf dieser Weide führt. Jesse hat richtig gerechnet, dass auch McClellan Vieh verliert und darüber Bescheid weiß, dass es irgendwo umgebrändet wird. »Wer bietet Ihnen Rinder mit diesem Brandzeichen an?«, fragt der Rancher scharf. Jesse gibt ihm keine Antwort, grinst nur schief. Er blickt in den Corral auf das schwarze Pferd. Es handelt sich um einen Hengst, und man kann sehen, dass er ein richtiger Verbrecher ist, wie man bei Pferden sagt, die sich nicht reiten lassen und auf jeden Menschen losgehen. Doch diesen Hengst kennt er. »Ein hübsches Pferdchen ist das«, sagt Jesse lässig. »Konnte ihn schon jemand reiten?« Er kann sehen, wie die Männer alle schamrot werden, so als wären sie liebe alte Tanten, denen
man einen unpassenden Witz erzählte. Ja, sie schämen sich ganz offensichtlich. Und der alte Bill McClellan knirscht mit den Zähnen und sagt dann widerwillig: »Wir werden ihn schon klein kriegen, diesen Teufelssohn! Darüber braucht sich niemand Sorgen zu machen. Und ich gehe jede Wette ein, dass auch Sie ihn nicht länger als eine Minute reiten können, mein Junge!« Jesse Adams erwidert nicht sofort etwas auf die grimmigen Worte. Er betrachtet erst noch einmal den schwarzen Hengst und schätzt ihn genau ab. Aber es gibt für ihn keinen Zweifel, dass er ihn kennt. Dann blickt er Bill McClellan an und sagt: »Dann wetten wir doch, Mister, wenn Sie kein Feigling sind!« Es ist eine Herausforderung, und die Augen des Rancher blitzen sofort grimmig. Er plustert sich auf wie ein kleiner Kampfhahn, und seine Männer, die einen Halbkreis gebildet haben, murmeln und knurren böse. Jesse aber sitzt auf seinem Pferd, blickt auf die Männer nieder und grinst auf eine Art, die ihnen abermals die Röte in die Gesichter treibt. Sie begreifen, dass dieser Texaner nun die ganze Halbmond-Ranch herausgefordert hat. »Was ist ihr Einsatz?«, bellt McClellan auch schon die Frage scharf heraus. »Ich wollte für zehntausend Dollar Rinder, Pferde und Esel für die Maultierzucht kaufen«, erklärt Jesse lässig. »Ich setze diese zehntausend
Dollar ein – und Sie den Gegenwert an Tieren. Ist Ihnen die Wette zu hoch, Mister? Sie bekommen das Geld, sollte ich verlieren. Doch ich bekomme die Tiere, sollte ich gewinnen. Ist das klar?« Bill McClellan zögert. Sicherlich rechnet er erst einmal aus, wie viel Tiere er verlieren könnte. Es wären etwa sechshundert erstklassige Rinder, zwei Dutzend guter Pferde und einige Esel. Und da er mehr als zehntausend Rinder und fast tausend Pferde besitzt, erscheint ihm die Wette nicht so hoch, wie man vielleicht denken könnte. Überdies fühlt er sich herausgefordert und spürt noch einmal wie ein alter Kampfhahn Freude daran, solch eine Herausforderung annehmen zu können. »Es gilt!«, sagt er. »Doch da es um eine Zehntausend-Dollar-Wette geht, genügt nicht eine einzige Minute im Sattel. Sie müssen das schwarze Teufelsbiest richtig unter Kontrolle bekommen und mit ihm im Corral eine Acht reiten.« »Das mache ich«, grinst Jesse. Und dann sitzt er ab. Und die Männer geraten alle in Bewegung. Zwei von ihnen reiten auf starken Pferden in den Corral hinein und keilen den Hengst zwischen ihren Tieren fest. Und der schwarze Bursche lässt sie auch gewähren, so als wüsste er genau, dass er sonst mit einigen Lassos zu Fall gebracht wird.
Jesse Adams aber kniet vor dem Corral am Boden und schnallt die Sporen ab. »Was machen Sie da?«, fragt McClellan. »Sie wollen das Biest doch wohl nicht ohne Sporen reiten? Dann können Sie ihm ja nicht heimzahlen, was er alles anstellt, um Ihnen die Knochen …« »Solch ein zahmes Pferdchen reite ich stets ohne Sporen«, unterbricht ihn Jesse ruhig und geht in den Corral hinein. Er geht von vorne auf den eingekeilten Hengst zu und stampft mehrmals fest mit den Füßen auf, so als wollte er die Füße fest in die Stiefel bringen. Dann bleibt er einen Schritt vor dem schnaubenden Tier stehen, zieht den Hut und schwingt ihn mit tiefer Verbeugung. »Gestatten Sie, Sir, dass ich auf Ihnen reite«, sagt er ernst. Und er weiß, dass die Zuschauer ihn für verrückt halten. Der Hengst schnaubt nicht mehr, sondern steht still da. Er ist nun äußerlich sehr sanft und ruhig. »Gebt ihn frei«, sagt Jesse Adams zu den beiden Reitern. Und diese ziehen ihre Pferde zur Seite, sodass der schwarze Hengst frei und ledig im Corral steht. Die Zügel hängen jetzt zu Boden. Jesse nimmt sie, so als wäre der Hengst ein lammfrommes Pferd, auf welchem er jeden Tag reitet und sitzt leicht und selbstverständlich wirkend auf.
Der Hengst geht willig unter ihm, bockt nicht, tanzt nicht und gehorcht willig jedem Zügelzug und Schenkeldruck. Jesse lenkt ihn in Achten, Schleifen und anderen verschlungenen Figuren durch den Corral, und als er dann anhält und die Männer betrachtet, die da draußen beim Corral stehen, da könnte man denken, all diese Männer mitsamt ihrem Rancher wären zu Salzsäulen erstarrt. Einige der Cowboys haben ihre Münder weit geöffnet, so sehr staunen sie und können es nicht begreifen. Jesse sitzt ab, lässt die Zügel fallen und kommt aus dem Corral. Sie betrachten ihn wie ein Wunder, so etwa als hätte er zwei Köpfe oder trüge ein Geweih. »War es gut so?«, fragte er den Rancher. Bill McClellan sieht aus, als würde ihm jeden Moment der Kopf platzen, so wie heute ein Kinderluftballon, der zu sehr aufgepustet wurde. Dann ächzt er: »Das war Zauberei! Oder Sie haben uns reingelegt, Mister!« Jesse grinst breit. Er deutet mit dem Daumen über die Schulter hinter sich. »Dies ist Black Jack! Ich kenne ihn. Er war vor mehr als einem Jahr mit einem Mexikaner in Santa Fe. Er war eine Schaunummer, mit der der Mexikaner viel Geld verdiente. Er war darauf abgerichtet, jeden gespornten Reiter zu feuern. Und man musste zuvor vor ihm den Hut ziehen
und ihn darum bitten, ihn reiten zu dürfen. Es war eine prächtige Nummer. Der Zirkus, in dem er auftrat, hatte noch eine Menge guter Artisten. Es gab Feuerschlucker, Zauberer, Seiltänzer und eine Jungfrau, die in einer Kiste liegend zersägt wurde. Doch Black Jack war die große Nummer. Es brach dann ein Brand aus. Das Pferd lief in die Freiheit und blieb verschwunden. Ich frage mich, wie es hier nach Wyoming kommt. Von Santa Fe in Mexiko ist das ein langer Weg.« »Wir fingen ihn vor vier Wochen mit einigen Stuten, die er uns aus dem Corral entführte«, würgt der Rancher hervor. »Zuerst wollten wir ihn abschießen wie jeden Wildhengst, der unsere Stuten entführt. Doch dann sahen wir die Sporennarben an seinen Flanken, und wir begriffen, dass er ein Kampfhengst war, der sich den Weg zurück in die Freiheit erobert hatte. Meine Jungens kamen auf die Idee, ihn zu reiten. Doch keiner schaffte ihn. Und da wollten wir ihn für das jährliche Rodeo aufbewahren, damit sich auch alle anderen Reiter des Landes an ihm erfolglos versuchen. Doch immer wieder juckte es meine Reiter. Auch heute wieder versuchte es einer. Nun gut, Sie haben mich reingelegt, Jesse Adams! Sie hätten nicht einmal zuzugeben brauchen, dass Sie diesen schwarzen Hundesohn schon kannten.« »Die Wette gilt natürlich nicht«, sagt Jesse Adams ruhig. »Es war nur ein Scherz von mir.
Ich wollte einfach mal sehen, was Sie und Ihre Männer für Gesichter machen.« Er lächelt – und plötzlich grinsen die Männer alle zurück. Sie sind ihm nicht böse. Es war ein richtiger Cowboyscherz, und er hat ja dann auch Farbe bekannt und das Rätsel gelöst. Und was vor allen Dingen wichtig ist: Jesse Adams hat der Mannschaft den Trick verraten, mit dessen Hilfe man diesen schwarzen Teufel reiten kann. Die Augen der Reiter beginnen zu funkeln vor Freude und Vergnügen bei dem Gedanken, wie sie nun alle anderen Mannschaften des Landes mit diesem Trickpferd reinlegen können. Auch ihr Rancher hat diesen Gedanken. »Sie sind fair, Adams«, spricht er. »Sie sind nobel und fair. Könnten Sie mir versprechen, zu keinem Menschen darüber zu reden, mit was für einem Trick man dieses Pferdchen reiten kann?« Jesse Adams grinst und hebt schwörend drei Finger. »Ich selbst habe soeben meinen Spaß gehabt. Und nun gönne ich Ihnen und dieser Mannschaft diesen Spaß. Ja, ich verspreche, dass von mir niemand etwas erfahren wird.« Nun hat er gewonnen. Es gibt keine Schwierigkeiten mehr auf der Halbmond-Ranch für ihn. Er wurde zu einem lieben Gast, und er wird Rinder, Pferde, Stuten und Esel bekommen, um Maulesel und Maultiere züchten zu können.
Es ist ein Glückstag für ihn. Und das alles geschah, weil vor einem Jahr ein Trickpferd aus einem brennenden Zirkus in die Wildnis lief und nach diesem langen Jahr hier in Wyoming auftauchte. Es hat einen langen Weg hinter sich – durch ganz Colorado. Und hier half es auf eine zwar ungewollte, doch sehr passende Art einem Mann, sich eine Ranchmannschaft und deren Boss zu Freunden zu machen.
9
Es vergehen einige Tage, und es gibt keinerlei unliebsame Zwischenfälle. Der Aufbau der Ranch geht zügig und planmäßig weiter. Es ist so, als gäbe es keinen Verdruss im Land. Indes die Gebäude der Ranch ihrer Vollendung entgegengehen und auch eingerichtet werden, leisten auch Jesse Adams und seine vier Reiter harte Arbeit. Sie säubern die Weide von fremden Rindern. Es sind besonders Tiere mit Stonewalls BitBrand, die sie aus den Tälern jagen. Sie sperren dann alle Durchgänge mit Hilfe von Stangenzäunen und bekommen mehr und mehr eine völlig abgeschlossene Weide, die von den Hügelketten begrenzt wird und auf der sich ihre Rinder nicht mit anderen Tieren vermischen können. Auch ein Abwandern ist kaum möglich. Dies alles ist notwendig, wenn man eine besondere Rasse züchten will. Die Tiere dürfen sich dann nicht mit irgendwelchen Tieren anderer Ranches vermischen. Der alte Bill McClellan bedient sie bestens. Er schickt eine Anzahl Pferde. Es sind gute Rinderpferde darunter und einige Stuten für die eigene Zucht. Er schickt auch einen prächtigen Eselhengst und dann endlich die erste Herde Rinder. Es sind nur etwa fünfzig Tiere, angeführt
von einem mächtigen Bullen, der fast so fleischig wie ein Hereford-Stier ist, der aber die kurzen Hörner eines »Shorthorn-Stieres« und die zähe Härte eines »Longhorn-Bullen« besitzt. Dieser Bulle ist eine ganz besondere Kreuzung. Und auch die Kühe sind es. »Mehr können wir euch von diesem Kreuzungsversuch nicht ablassen«, sagt einer der Cowboys, die mit dieser Herde kamen. »Was ihr in den nächsten Tagen bekommt, sind besonders ausgewählte Longhorns und einige Shorthorns. Der Boss wünscht Ihnen viel Glück, Adams. Lester Stonewall und einige andere Rancher sind sehr wütend, dass Bill McClellan euch Tiere verkauft. Doch Morgan, Sanders und auch Mannen halten zu McClellan. Lester Stonewall hat mächtig an Einfluss verloren. Er ist sehr wütend. Sie werden sich vorsehen müssen, Adams.« Wieder vergehen einige Tage, und die meisten Handwerker kehren in die Stadt zurück. Die vier Skinners sind wahrhaftig gute Cowboys, und es ist an der Zeit, dass sie die neuen Rinder mit dem Brand der Ranch zu bränden beginnen. Da Kate Sueman die ganze Zeit nicht aus der Stadt auf die Ranch herausgekommen ist, beschließt Jesse, in die Stadt zu reiten. Er nimmt zwei der Skinners mit. Denn er will seiner
Mannschaft für gute Arbeit einen Stadturlaub ermöglichen. Die vier Skinners losen unter sich aus. Es sind Ben und Bart, die gewinnen und mit in die Stadt dürfen. Es ist später Nachmittag, als Jesse mit Ben und Bart in die Stadt geritten kommt. Er hat ihnen einen Vorschuss gegeben und nickt nur, als sie ihn beim Saloon fragend anblicken. Er reitet weiter, indes sie beim Saloon anhalten und absitzen. Er hält erst beim Hotel an, sitzt ab und geht hinein. Kate Sueman sitzt in ihrem kleinen Büro über dem Speisezettel für die kommende Woche. Sie legt jedoch den Bleistift weg und lächelt ernst und gut, als er ins Büro tritt und fragt, ob er hier richtig bei Kate Sueman wäre. Sie geht auf seinen Scherz ein und erwidert: »Ja, ich bin Kate Sueman, Mister. Was wünschen Sie?« »Ich dachte es mir doch, dass Sie es wären«, spricht er. »Obwohl wir uns schon einige Jahre nicht mehr sahen, konnte ich mich noch einigermaßen an Ihr Gesicht erinnern, Partner.« »Ich weiß, ich hätte mich mal auf der Ranch blicken lassen sollen«, sagt sie bittend und besänftigend zugleich. »Doch ich habe in diesen Tagen die monatlichen Abrechnungen zu machen. Und ich wollte nicht stören. Ich möchte mich überraschen lassen und …«
Sie verstummt etwas hilflos. In ihren Augen ist wieder ein etwas verwirrter Ausdruck. »Es ging alles ruhig und glatt«, sagt er. »Wir haben von McClellan Vieh gekauft, Pferde und Esel. Er wird die Rechnung vorlegen. Sie müssen pünktlich zahlen, Kate.« »Das werde ich«, erwidert sie und betrachtet ihn auf eine Art, die er einfach nicht zu deuten weiß. »Und wir müssen uns ein Brandzeichen ausdenken«, spricht er weiter. »Ich will jetzt gleich zum Schmied, damit er einige Brenneisen anfertigt.« Er blickt sie fragend an. Sie aber erhebt sich. Sie trägt ein grünes Kleid, das zu ihrem Haar einen wundervollen Kontrast bildet. Sie ist mädchenhaft und fraulich zugleich, und sie bewegt sich auf eine Art, die ihm gefällt. Er beobachtet sie, wie sie Wein in zwei Gläser füllt und eine Kiste Zigarren aus dem Schrank nimmt. Er bedient sich. Sie trinken sich zu, und sie sagt zuvor: »Auf unsere Ranch! Auf unsere Partnerschaft! Auf die Lonestar Ranch!« Und als sie die Gläser absetzen, fragt er: »Lonestar? Einsamer Stern? Einzelstern? Soll dies das Brandzeichen sein?« Sie nickt. »Partner«, sagt sie, »du kommst aus Texas. Du bist Texaner. Ich dachte mir, dass du dich über das Symbol des Einstern-Staates freuen würdest. Und vielleicht ist es ein guter Stern, der
dich hierher in dieses Land führte – auf einer langen Zickzackfährte. Vielleicht endet diese Fährte hier! Vielleicht ist hier der Platz, wo du bleiben wirst bis zum Ende deines Lebens.« »Vielleicht, Kate«, murmelt er. Er senkt den Blick und steckt sich etwas umständlich die Zigarre an. Dabei spürt er ständig die Nähe Kates und fühlt zwischen sich und ihr etwas Gemeinsames. Er kann es zuerst nicht so richtig deuten, doch plötzlich begreift er, dass er den starken Wunsch hatte, sie zu sehen. Jene Strömung zwischen ihr und ihm, die er nun so deutlich spürt, hat nichts mit ihrer Partnerschaft als Rancher zu tun. Nein! Er erinnert sich daran, dass er sie damals ziemlich rau geküsst hat und dass sie ihn schlug. Er blickt sie nun an und vergisst seine Zigarre. Er möchte sie noch einmal küssen, und er weiß, dass er es jetzt anders täte, sanfter, zärtlicher – ganz anders. Er erschrickt dann und holt sich in die Wirklichkeit. zurück. »Dann will ich die Brandeisen bestellen«, sagt er und wendet sich zur Tür. Kate lacht seltsam. »Die Brandeisen sind fertig. Ich bestellte sie schon vor einigen Tagen. Ich werde demnächst mal zur Ranch hinauskommen. Ist sonst noch etwas, Jesse?« Sie wirkt nun wieder kühl und beherrscht. Doch soeben hat er in ihren Augen noch
Weichheit und einen besonderen Ausdruck erkennen können, den er nicht zu deuten wusste. Doch jetzt ist sie wieder die kühle Partnerin. »Sonst ist nichts«, murmelt er und geht hinaus. Sein nächster Weg führt zum Sheriff. Der sitzt im Büro hinter seinem Schreibtisch und schneidet von einem Strang Tabak eine Portion ab für seine Pfeife. Jesse Adams setzt sich, ohne aufgefordert zu sein. Er fragt: »Wie steht es denn? Was macht Larry King? Behauptet er immer noch, aus eigenem Antrieb auf mich geschossen zu haben?« Der Sheriff nickt und stopft sich die Pfeife. »Larry King hat es nicht eilig«, sagt er brummig. »Sein Bein ist noch nicht geheilt, und er weiß genau, dass der Richter erst in zwei oder gar drei Monaten wieder nach Hills City kommt. Er hat Zeit, sich richtig auszukurieren und auf die weitere Entwicklung der Dinge zu warten. Der gehört zu der Sorte, die immer optimistisch ist und noch unter dem Galgen auf einen glücklichen Umstand, der zum Ausweg und zur Rettung wird, hofft.« Er verstummt auf eine weise und abgeklärt wirkende Art. Er wirkt überhaupt völlig anders als vor Tagen, irgendwie ruhiger, sicherer und selbstbewusster. Nachdem er die Pfeife angezündet hat, raucht er eine Weile. Er betrachtet Jesse prüfend.
»Ich habe inzwischen Erkundigungen über Sie eingeholt«, murmelt er. »Sie waren tatsächlich da und dort in wilden Städten und Camps Marshal oder auf eine andere Art auf der Seite des Gesetzes. Mein Kollege in Cheyenne kennt Sie gut. Er hat mir …« »Es ist nicht wichtig, was ich war«, unterbricht ihn Jesse. »Ich hielt es nirgendwo lange aus und sammelte keine Reichtümer. Vielleicht, wenn ich jetzt nicht eine Ranch aufbauen würde, ginge es mir im Alter wie Ihnen, Sheriff. Eines Tages ist jeder Mann irgendwo am Ende der Fährte. Er will und kann nicht länger reiten. Er muss auf einem Platz bleiben. Und wenn er aus seinem Leben nichts machen konnte, ist es ein karger und kümmerlicher Platz.« »So ist es wohl.« Luke Wagoner nickt. Er drückt mit seinem schwieligen Daumen die Glut fester in die Pfeife. »Einige Dinge habe ich herausfinden können«, murmelt er noch sanfter. »An jenem Tag, da sich die Rancher im Hinterzimmer des Saloons versammelten, war Jeremy Walker in der Stadt. Es haben ihn zwei oder drei Leute gesehen, denn er kam in die Stadt geschlichen wie ein Fuchs in den Hühnerstall. Er hatte sein Pferd außerhalb der Stadt zurückgelassen und wurde durch die Hintertür des Saloons von Wayne Banner eingelassen. Der Saloonwirt setzte ihn dann in eine kleine Kammer. Und dort konnte Jeremy
Walker jedes Wort hören, was die Rancher bei ihrer Versammlung redeten.« Dem Sheriff ist die Pfeife ausgegangen. Er legt deshalb eine Pause ein und wirkt, als gäbe es außer seiner Pfeife nichts auf dieser Welt, was besonders wichtig wäre und ihn erregen könnte. Doch in Jesse Adams’ Kopf jagen sich die Gedanken. Er erinnert sich sofort daran, dass er Jeremy Walker am nächsten Morgen an einem Creek getroffen hat. Und er hat Jeremy Walker gefragt, ob er in der Stadt gewesen sei. Walkers Augenlid hat zwar etwas gezuckt, doch seine Verneinung hat echt geklungen. Und nun stellt sich dies als Lüge heraus. Er war also doch in der Stadt und hat sogar die Rancher belauschen können. Er hat dann auch Jesses Worte gehört, seinen Streit mit Stonewall. Der Sheriff zündete indes seine Pfeife wieder an. Er spricht nun noch sanfter und schlichter: »Als Frank Sueman damals aus dem Hinterhalt getötet wurde, hatte es zuvor zwar zwischen ihm und Lester Stonewall einen Kampf gegeben – drei Tage vorher. In jener Nacht aber, da er ermordet wurde, hatte es etwas anderes gegeben, nämlich eine Versammlung aller Siedler, Farmer und Kleinrancher. Frank Sueman hatte sie zusammengerufen. Und sie haben ebenfalls im Hinterzimmer des Saloons beraten. Es ging darum, wie sie sich gegen den Druck der Rancher zur Wehr setzen könnten. Überdies hatte Frank
Sueman eindringlich davor gewarnt, sich mit den Viehdieben gegen die Rancher zu verbünden. Nun, ich fand heraus, dass Jeremy Walker auch jene Versammlung belauschte.« »Wie fanden Sie das heraus, Sheriff?« »Wayne Banner hat sich mit seinem Barmann verkracht. Er hat ihn dabei erwischt, als er nicht alle Einnahmen in die Kasse tat. Er hat ihn gefeuert. Der Barmann nahm die Post nach Laramie. Und von dort sandte er einen Brief an mich. Ich ging dann zu Wayne Banner und sagte ihm auf den Kopf zu, dass er Jeremy Walker die Möglichkeit gab, stets alle Versammlungen zu belauschen. Er gestand es schließlich. Es stimmt also.« »Und warum erzählen Sie mir das alles, Sheriff?« Der Sheriff erhebt sich, legt die Pfeife fort, öffnet eine Schublade und nimmt einen Stern heraus. Er wirft ihn auf den Tisch und sagt schlicht: »Ich bin ein ziemlich alter Mann. Doch Sie boten mir mal Ihre Hilfe an, Jesse. Ich kann nirgendwo Hilfe annehmen, nicht von den Ranchern und nicht von Jeremy Walker. Die Siedler und Farmer aber wurden unbedeutend im Land. Und in der Stadt hier gibt es nur friedliche Bürger, die sich vom Gesetz beschützen lassen. Jesse Adams, mein Kollege in Cheyenne schrieb mir, dass er Sie vor einigen Wochen gern zum Ersten Hilfssheriff gemacht hätte, Sie aber
ablehnten. Diese Empfehlung genügt mir. Denn ich brauche Hilfe. Ich möchte Sie zu meinem Vertreter ernennen. Und zugleich will ich Ihnen die Autorität eines Gesetzesmannes geben. Wollen Sie ehrenamtlicher Hilfssheriff sein?« Jesse Adams denkt nach. Ja, er hat schon da und dort den Stern getragen, und es wurde dann immer von ihm verlangt, mit dem Revolver zu kämpfen. Irgendwann war alles ausgekämpft, und er ritt weiter. Und hier? Auch hier wird er dem Sheriff Revolverhilfe geben müssen. Denn der alte Falke ist wieder wach geworden, hat sich irgendwelche Dinge ausgerechnet und bestimmte Entschlüsse gefasst. Er, Jesse Adams, hat ihm Hilfe angeboten. Und er baut hier eine Ranch auf, für Kate Sueman und für sich. Es ist noch nicht abzusehen, wie die Dinge sich entwickeln werden. Doch was auch kommen mag, dieser alte Sheriff verlangt nicht nur Hilfe von ihm. Nein, er gibt ihm zugleich auch welche. Er gibt ihm die Autorität des Gesetzes. Er macht ihn zu einem Gesetzesmann. Ob da auch wieder Kate Sueman und die Bürger dieser Stadt wirksam wurden? Jesse Adams denkt kurz an diese Möglichkeit. Dann aber nickt er, streckt die Hand aus und nimmt den Stern.
»Sie sind vereidigt, Jesse, ist das klar?«, fragt der Sheriff. Jesse nickt und steckt sich den Stern an. »Ich bin vereidigt«, sagt er. Nun betrachten sie sich, und sie können ihre Gedanken gegenseitig erraten. Es ist ja alles so klar. Dadurch, dass sie wissen, dass Jeremy Walker die beiden Versammlungen belauschte, eröffnen sich ihnen Möglichkeiten. Jesse Adams spricht sie aus. Er ist mit seinen Überlegungen fertig. Er sagt schlicht: »Es gab zwei wichtige Männer im Land, Anführer starker Gruppen. Und es gab einen dritten Mann, der sein eigenes Spiel mischte. Es traf sich sehr gut für Jeremy Walker. Als er hörte, dass Frank Sueman seine Anhänger davor warnte, sich mit den Viehdieben zu verbünden, entschloss er sich, den Siedlern und Farmern ihren überragenden Anführer zu nehmen. Es kam ihm dabei sehr gelegen, dass Lester Stonewall, der drei Tage zuvor von Frank Sueman verprügelt worden war, dadurch in den Verdacht geraten musste, für den feigen Mord verantwortlich zu sein. Doch Lester Stonewall konnte sich trotz des schmutzigen Verdachtes behaupten. Er blieb der Anführer der Rinderzüchter.« Er verstummt und wischt sich erregt übers Gesicht.
»Nicht Stonewall, sondern Walker ist verantwortlich für Frank Suemans Tod. Und jener …« Er verstummt wieder, tauscht mit Luke Wagoner einen Blick aus und setzt sich dann in Bewegung. Sie betreten langsam den Zellenraum. Larry King sitzt im Bett, hat sein verwundetes Bein lang ausgestreckt und blättert in einem alten Magazin. Nun blickt er auf Jesses Stern. »Aaah«, macht er, »da ist ja noch ein zweiter Stern am Himmel aufgezogen. Der alte Knacker hat wohl Furcht bekommen?« Jesse Adams und Luke Wagoner erwidern darauf nichts. Sie treten vielmehr in die Zelle und blicken auf Larry King nieder. »Du hast jetzt deine letzte Chance, Larry«, spricht Jesse mild. »Du kannst immer noch den Namen deines Auftraggebers nennen. Dann ziehe ich meine Anzeige zurück. Dann bist du frei und kannst mit der nächsten Postkutsche aus dem Land. Überleg es dir gut, Larry!« Der grinst böse und hohnvoll. »Ich mache mir keine Sorgen. Mir geht es gut hier. Und ich bleibe dabei, dass ich keinen Auftraggeber hatte. Ich wurde von ganz persönlichen Rachewünschen angetrieben.« Als er es gesagt hat, blicken ihn der alte Sheriff und sein junger Gehilfe grimmig an. »Du bist erledigt, Larry«, sagt der Sheriff.
»Wir wissen, dass Jeremy Walker in der kleinen Kammer neben dem Hinterzimmer des Saloons saß und lauschte. Wir wissen auch, dass er dich dann später damit beauftragte, mich abzuschießen. Er wusste, dass nach meinem Streit mit Stonewall der Verdacht abermals auf diesen fallen würde, einen unliebsamen Gegner auf gemeine und heimtückische Art beseitigt zu haben. Er wollte Lester Stonewall erledigen als Anführer der Rinderleute und …« »Das kann niemand beweisen, das ist gelogen!« Larry King ruft es mit schriller Stimme. Und er ist nun noch blasser als zuvor. Jesse Adams beugt sich vor. »Du wolltest mich töten, damit dein eigener Rancher, mit dem ich Streit hatte, in Verdacht geraten sollte. Aber pass auf, Larry, jetzt lege ich dich rein. Jetzt verbreite ich die Nachricht, dass du gestanden hast, in Wirklichkeit immer für Jeremy Walker gearbeitet zu haben. Ich mache bekannt, dass du gestanden hast, in Walkers Auftrag auf mich geschossen zu haben. Und dann werden wir mal sehen, was Mister Walker tun wird! Larry, was meinst du? Wird Walker abwarten, bis es zu einer Verhandlung kommt und du deine Aussagen vor den Geschworenen und dem Richter …« »Oh, ihr Hundesöhne«, ächzt Larry King. Auf seinem blassen und kranken Gesicht glänzt Schweiß.
Und der Sheriff und Jesse lassen sich mit ihm auf ein weiteres Gespräch nicht ein. »Du bist erledigt, Larry«, sagt Jesse nur und geht hinaus. Im Büro brummt der Sheriff dann: »Er wurde ganz blass und bleich und erschrak bis in seinen innersten Kern. Ich gehe jede Wette ein, dass unsere Vermutung stimmt. Jeremy Walker hat einen besonderen Stil.« »Dieser Larry King schmort jetzt im eigenen Saft«, sagt Jesse. »Das wird er nur wenige Tage aushalten.« Sie betrachten sich schweigend. »Wir können sonst gar nichts machen«, murmelt der alte Sheriff dann. »Ich könnte höchstens noch zwei Burschen verhaften, von denen ich weiß, dass sie mit auf Ringo Jacks geschossen haben. Aber was nützt das, Jesse? Sind wir doch ehrlich. Ringo Jacks war irgendwie mit den Viehdieben verbunden. Und als er hier in der Stadt davonkommen wollte, wurden die Rinderzüchter wild. Ringo Jacks erschrak furchtbar, bekam höllische Angst und wurde zum Pferdedieb. So war es doch!« »Wir werden sehen«, murmelt Jesse langsam. »Es ist ein großes Spiel mit vielen Tricks. Stonewall ist in diesem Land der große, harte und unduldsame Bursche. Doch Jeremy Walker spielt überall mit und holt immer wieder eine Karte aus dem Ärmel.«
Er blickt den Sheriff an. »Irgendwas wird in den nächsten Tagen geschehen«, sagt er. »Ich baue eine Ranch auf. Dies passt Stonewall nicht, und es passt Jeremy Walker nicht, nachdem er vergeblich versuchte, mich auf seine Seite zu ziehen und sich mit mir gegen die Rinderzüchter zu verbinden. Einen dieser Großrancher habe ich schon auf meine Seite bekommen. Nun, wir werden sehen, Sheriff! Wenn Sie mich brauchen, haben Sie dann einen Boten, der mich holen kann?« »Den habe ich.« Luke Wagoner nickt. Er blickt Jesse Adams dann nach und denkt dabei: Es war schon gut, dass ich ihn zu meinem Vertreter machte. Er ist so, wie ich in seinem Alter war. Doch er ist klüger als ich. Er baut eine Ranch auf. Seine unruhige Fährte wird hier enden.
10
Als Jesse Adams in den Saloon tritt, blinkt der Stern auf seiner Hemdtasche. Alle Gäste und auch die Leute, die zum Saloon gehören, staunen ihn an. Wayne Banner hat zwar einen neuen Barmann, doch er steht ebenfalls mit hinter dem Schanktisch. Er fragt Jesse nach seinen Wünschen und gießt ihm ein. »Hilfssheriff geworden?«, fragt er beiläufig. »Sie können es Jeremy Walker erzählen«, erwidert Jesse und gibt damit dem Saloonbesitzer zu verstehen, daß er alles weiß und daß der Sheriff ihn vollkommen einweihte. Der Saloonbesitzer bekommt einen roten Kopf. »Das werde ich ihm nicht zu berichten brauchen«, murmelt er sanft. »Als Sie hereinkamen, Adams, gingen sofort einige meiner Gäste hinaus. Und sie haben jetzt schon sehr schnelle Pferde unter sich und reiten verschiedenen Zielen zu. Mister, es wird jetzt überall gemeldet und bekannt gemacht, dass Luke Wagoner Sie zum Gehilfen macht. Und einigen wichtigen Männern dieses Landes wird dies nicht gefallen.« »Gefällt es Ihnen?«, fragt Jesse spöttisch. »Ich bin Saloonwirt, ich muss mich mit allen Leuten gut stellen«, erwidert Wayne Banner.
Jesse blickt ihn fest an. Es ist der kühle, harte und warnende Blick eines Texaners. »Passen Sie auf, dass Sie nichts falsch machen, Wayne Banner«, sagt er, und es ist eine scharfe Warnung, obwohl seine Stimme ruhig und fast sanft klingt. Er zahlt das Bier und geht hinaus. Als er auf die Straße tritt, muss er daran denken, dass wieder aus einer der gegenüberliegenden Gassen auf ihn geschossen werden könnte. Es ist inzwischen Abend geworden. Die Dämmerung hat sich über die kleine Stadt gesenkt. Drüben beim Store stehen die Pferde der beiden Skinners, die mit Jesse in die Stadt kamen. Auch das Packpferd, welches sie bei sich hatten, ist dort angebunden. Jesse geht hinüber zum Store, tritt ein und erblickt seine beiden Cowboys. Sie schäkern mit einem Mädchen herum, das sie bedient. Sie haben eine lange Liste auf dem Ladentisch liegen, und es wird noch einige Zeit dauern, bis sie fertig sind und alle Dinge auf dem Packpferd haben. Das blonde Mädel ist die Tochter des StoreGeschäftsführers. Alle blicken sie nun auf den eintretenden Jesse Adams. Und die beiden Skinner-Brüder staunen über Jesses Stern genauso wie die Gäste des Saloons. »Hoiii, Sheriff!« Ben Skinner ruft es staunend.
»Ehrenamtlicher Hilfssheriff«, sagt Jesse. »Und ich darf den Stern eigentlich nur dann tragen, wenn ich dienstliche Dinge erledige.« Er nimmt den Stern ab und steckt ihn in die Hemdtasche. Er ist der Meinung, dass er ihn dieser Stadt nun lange genug gezeigt hat. »Ich reite wieder zur Ranch zurück und nehme die Brandeisen von der Schmiede mit«, sagt er. Als er den enttäuschten Ausdruck in den Gesichtern der beiden Burschen erkennt, grinst er und sagt sanfter: »Oh, ihr könnt schon noch zum Abendbrot bleiben und noch etwas Spaß haben. Ich will euch erst morgen früh auf der Ranch sehen. Vergesst jedoch das Packpferd mit den vielen notwendigen Dingen nicht.« Er geht hinaus. Als er sich sein Pferd holt, das vor dem Hotel steht, tritt Kate Sueman heraus. »Komm herein zum Abendessen, Jesse! Oder muss ich Sheriff sagen?« Er tritt langsam auf den Plankengehsteig, der hier vor dem Hotel und dem Restaurant verandaartig ausgebaut wurde. »Ich reite jetzt gleich«, sagt er. »Seit ich in der Stadt bin, habe ich ein unruhiges Gefühl. Es treibt mich zurück zur Ranch. Ich wollte ja auch nur mit dir über das Brandzeichen sprechen.« Sie stehen sich dicht gegenüber, und sie spüren beide eine Gemeinsamkeit zwischen sich, eine Vertrautheit.
Er überlegt, ob er ihr sagen soll, dass Stonewall wahrscheinlich nichts mit dem Mord an ihrem Mann zu tun hat. Doch er lässt es bleiben. Es sind ja nur Vermutungen. Es fehlt der Beweis. »Ich komme bald hinaus auf die Ranch«, sagt sie sanft. »Ich mache mich frei und bringe eine ganze Wagenladung von Dingen mit, die nur eine Frau für notwendig hält, aber Männern gut gefallen. Es soll keine nüchterne Männerranch sein. Es soll ein Heim werden.« Sie legt für einen Moment ihre Hand gegen seine Brust, und es ist ihm mit einem Mal, als ginge von ihren Fingerspitzen ein Strom auf ihn über. Er blickt auf ihr zu ihm erhobenes Gesicht nieder, und wieder verspürt er den Wunsch, sie zu küssen. Doch er erinnert sich daran, dass sie ihn damals schlug. Er weiß, dass er nicht bleiben und mit ihr zusammen das Abendbrot essen will, weil er danach vielleicht wieder in Versuchung geraten würde. Er ist betroffen und erschrocken über seine Gefühle, doch es gibt keinen Zweifel mehr. Der Wunsch, sie zu sehen, hat ihn in die Stadt getrieben. Und jetzt, da er mit ihr zusammen sein könnte, fürchtet er eine Abweisung. »Nun gut, Kate«, murmelt er und tritt zu seinem Pferd. Er sitzt auf und reitet davon. Sie blickt ihm bewegungslos nach. Von irgendwoher
dringt ein Lichtschein durch die Abenddämmerung, und in diesem gelben Lichtschein ist ein Glanz in Kate Suemans Augen zu erkennen. Nein, sie blickt nicht mehr verwirrt und etwa ratlos hinter Jesse Adams her. Und sie denkt: Wenn er mich noch einmal küssen würde, ich würde ihn nicht mehr so herb abweisen. Oh, ich schlug ihn sogar! Nein, ich würde ihn festhalten und seine Küsse von ganzem Herzen erwidern. Sie sieht dann, wie Jesse Adams Silhouette nach links in der Einfahrt zur Schmiede verschwindet. Sie weiß, dass er dort die Brandeisen holt, die sie anfertigen ließ. Einige Gäste drängen sich an ihr vorbei ins Restaurant. Eine Stimme ruft frohlockend: »Oha, heute gibt es Rehrücken!« Sie folgt ihren Gästen und begibt sich in die Küche, um ihrem Chinesenkoch dabei zu helfen, die vielen Portionen fertig zu machen. Aber sie denkt den ganzen Abend an Jesse, und sie weiß ganz klar, dass er vor ihr die Flucht ergriff. Sie ahnte, dass er glaubte, sie würde abermals zutiefst erschrecken und sich verzweifelt gegen ihn wehren, würde er sie zu küssen versuchen. Er ritt fort, um dieser Versuchung entkommen zu können. »Ich werde morgen oder übermorgen zu ihm fahren«, murmelt sie einmal. »Oh, ich werde ihn
spüren und erkennen lassen, dass ich ihn nicht abweisen würde. Oh, ich wünschte, seine unruhige Zickzackfährte ginge hier zu Ende. Wahrhaftig, ich liebe ihn. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal einen Mann lieben könnte.« Nachdem sie dies leise vor sich hin flüsterte, denkt sie: Stonewall war gemein zu mir, und ich hasse ihn dafür. Frank Sueman war gut zu mir, und ich war ihm dankbar und fühlte mich bei ihm glücklich und geborgen. Aber Jesse Adams – oh, bei Jesse Adams ist alles ganz anders und neu – ich kann es nicht erklären. Indes reitet Jesse Adams in die Nacht. Die Sterne beginnen zu leuchten, und der volle Mond wird immer wieder von langsam segelnden Wolken verdeckt. Der Wind kommt von Westen. Adams spürt ihn im Rücken. Und es ist möglich, dass noch im Verlauf der Nacht die Bewölkung zunimmt und es einen längeren Regen gibt, einen dieser warmen und langen Regen, die dem Land so wohl und so gut tun. Doch solch ein Wetter bevorzugen stets die Viehdiebe. Dies ist auf jeder Weide so. Eine verhältnismäßig helle Nacht ist gut für das Zusammentreiben von Rindern. Und wenn diese Nacht dann nachher dunkel wird und der Regen jede Fährte verwäscht, so ist dies jedem Viehdieb,
der seine Herde schon in Marsch gesetzt hat, gerade recht. Jesse Adams reitet langsam. Er hält immer wieder an und lauscht in die Nacht. Hinter seinem Sattel hat er die drei Brandeisen, in einem Sack eingewickelt, festgeschnallt. Nach etwa sechs Meilen, als der Mond wieder einmal für eine Minute das Land mit bleichem Licht übergießt, trifft Jesse Adams auf dem Reitund Fahrweg auf einen Mann, der am Rand auf einem großen Stein sitzt und das Pferd hinter sich an einem starken Busch festgebunden hat. Der Mann erhebt sich bei Jesses Annäherung und tritt mitten in den Weg. Bullig und klotzig steht er dort, so als wollte er schon allein an seiner Haltung erkennen lassen: An mir kommt niemand vorbei. Es ist Lester Stonewall. Jesse Adams begreift, dass man Lester Stonewall schon am Nachmittag davon Meldung machte, dass er, Jesse Adams, nach der Stadt geritten sei. Irgendwie hat Lester Stonewall sich dann ausgerechnet, dass Jesse Adams nicht die Nacht über in der Stadt bleiben würde. Er kam dann von seiner Ranch herüber, setzte sich hier an den Weg und wartete. Seine Rechnung ging auf.
Er hebt die Hand und sagt kehlig: »Adams, ich habe hier auf dich gewartet. Steig ab! Wir haben einige Dinge zu klären.« Jesse Adams überlegt drei Atemzüge lang. Und er lauscht dabei in die Runde und blickt sich um, so gut er dies kann. Er kommt jedoch zu der Überzeugung, dass Lester Stonewall wirklich allein gekommen ist, um hier mit ihm unter vier Augen etwas zu klären und auszutragen. »Mir ist es recht«, sagt Jesse Adams und sitzt ab. Er führt sein Pferd auf die andere Seite des Weges und bindet es an einem jungen Baum fest. »Ich habe meinen Waffengürtel ans Sattelhorn gehängt«, klingt Lester Stonewalls Stimme zu ihm herüber. »Ich bin unbewaffnet, Mister! Denn es soll eine richtige Unterhaltung zwischen Männern werden!« »Auch das ist mir recht«, erwidert Jesse noch ruhiger als zuvor. Doch bevor er seinen Waffengurt ablegt und ans Sattelhorn hängt, zögert er kurz und überlegt. Was ist, wenn dies eine gemeine und hinterhältige Falle ist? Was ist, wenn Stonewall mit Hilfe eines Tricks erreichen möchte, dass er waffenlos ist? Und was ist, wenn nicht Jeremy Walker, sondern doch Lester Stonewall hinter Frank Suemans Mord und auch dem Anschlag auf ihn, Jesse, steckt? Dann wäre er ihm waffenlos ausgeliefert, denn dann hätte Stonewall bestimmt eine Waffe in der Tasche.
Doch Jesse Adams glaubt an keine Gemeinheit. Er hat das feste Gefühl und ist davon überzeugt, dass Stonewall sich mit ihm von Mann zu Mann auseinander setzen möchte. Und da er sich wieder an die Prügel erinnert, die er vor dem Mietstall von vier Burschen erhalten hat, verspürt er eine grimmige Freude und Genugtuung in sich, als er nun den Waffengürtel ans Sattelhorn hängt und auf den Weg tritt, wo Stonewall ihn erwartet. »Was soll’s denn sein, Mister?«, fragt er. Stonewall stößt einen schnaufenden Laut des Zornes aus. »Zuerst hielt ich dich für einen dieser Sattelstrolche, die, wenn sie im Land bleiben, bald zu den Viehdieben gehören«, sagt Stonewall langsam. »Ja, ich glaubte, man müsste mit dir hart umspringen. Und ich sagte meinen Reitern Bescheid, sodass sie dich verprügelten. Nun gut, das war falsch. Das war völlig falsch. Du wurdest dadurch zu meinem Gegner. Und du hast dann einige Dinge fertig bringen können, die ich niemals für möglich hielt.« Er schnauft wieder und wischt sich mit seiner großen Hand übers Gesicht. »Diese Kate Sueman ist verrückt«, sagt er dann. »Sie glaubt, dass ich ihren Mann hätte umbringen lassen. Und sie würde sich deshalb an den Teufel selbst mit Leib und Seele
verschenken, wenn sie mich nur mit Hilfe dieses Teufels zerbrechen und am Boden liegen sehen könnte. Sie hat es verstanden, dich für ihre Rache einzuspannen, Adams!« »Nein«, sagt dieser. »Mir macht es zwar keine Freude, doch es ist mir ein Bedürfnis, einen großmäuligen Burschen auf die richtige Größe zurechtzustutzen, der vier seiner Handlanger auf mich hetzte, der mir Befehle erteilen wollte. Nun, ich gebe zu, dass ich eine Weile daran glaubte, dass du Frank Sueman umbringen ließest und auch für den Mordanschlag auf mich verantwortlich bist.« »Und jetzt glaubst du das nicht mehr?«, fragt Stonewall scharf. In seiner Stimme ist ein freudiger Klang. »Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Es könnte noch ein anderer Mann dahinterstecken, ein schlauer und hinterhältiger Schurke, der in diesem Land mit vielen falschen Karten spielt.« »Es freut mich sehr, das aus deinem Munde zu hören«, sagt Stonewall schwer. »Denn ich habe in diesem Land das Gesicht verloren. Man glaubt wahrhaftig, dass ich Frank Sueman umbringen ließ und jenem Larry King den Auftrag gab, dich auf gleiche Art wie Frank Sueman abzuschießen. Jener Bursche, der dies alles schlau eingefädelt hat, konnte erreichen, dass die ganze RancherVereinigung, deren Vorsitz ich habe, auseinander bricht. Meine bisherigen Freunde und Nachbarn
misstrauen mir. Sie fürchten meine Hinterhältigkeit, meine Art, Widersacher aus dem Wege räumen zu lassen. Es tut mir gut, von einem meiner Feinde zu hören, dass er mich nicht für einen …« »Nun gut! Und was ist sonst noch?«, fragt Jesse Adams. Lester Stonewall schnauft wieder. Er atmet einige Male tief durch, und er muss offensichtlich erst wieder umschalten, neue Gedanken verfolgen. Dann sagt er: »Kate Sueman will mich am Boden liegen sehen. Und sie will die Pläne ihres Mannes ausführen. Sie will mit Ihrer Hilfe eine starke und mächtige Ranch aufbauen, in deren Schutz dann Siedler und Farmer Fuß fassen. Es war Frank Suemans Plan, das Land zu bevölkern. Er wollte seiner Stadt das notwendige Hinterland geben, mit einer fleißigen Bevölkerung. Er scheiterte, und das ganze Land glaubt, ich hätte ihn erledigen lassen. Nun gut, soll es die ganze Welt glauben! Es ist mir gleich. Ich will meine Ranch noch weiter ausdehnen. Sie soll noch viel größer und mächtiger werden. Deshalb kann ich nicht zulassen, dass Kate Sueman, die mich auch noch aus anderen Gründen hasst, mit Ihrer Hilfe Frank Suemans Pläne verwirklicht. Ich kann es nicht zulassen. Jesse Adams, wir werden es jetzt austragen. Wenn ich Sie schlagen kann, geben Sie hier auf und verlassen das Land. Wenn ich Sie
schlagen kann, verlassen Sie Kate Sueman, lassen sie allein. Sie wird dann ihre Pläne für immer aufgeben. So schnell findet sie keinen dritten Mann, den sie gegen mich stellen könnte.« Er sprach zuletzt sehr höflich und korrekt, nicht so grob und rau wie am Anfang. Er beugt sich vor, um Jesses Antwort zu hören. Jesse Adams lacht leise. »Ich freue mich, Mister, Ihnen die Prügel zurückzahlen zu können, die ich von vier rauen Burschen in Ihrem Auftrag erhielt. Und wenn ich Sie nicht schlagen kann, dann will ich wahrhaftig aus diesem Land verschwinden.« Als Lester Stonewall dies hört, stößt er einen zufriedenen Laut aus. Und dann greift er an. Sein Angriff ist für ihn typisch. Denn er stürmt vorwärts, als wäre er ein Büffel, der alles niederstampfen und auf die Hörner nehmen möchte. Jesse Adams hält ihn mit zwei schmetternden Schlägen auf. Aber Stonewalls Ansturm ist zu gewaltig. Es gelingt Stonewall, dicht an Adams heranzukommen. Er umfasst ihn in Hüfthöhe und hebt ihn aus. Sie fallen um, und Jesse kommt unter Stonewall zu liegen, der etwa zweihundertzehn Pfund wiegt und also fast vierzig Pfund schwerer ist als er. Stonewall keucht und knurrt auf eine grimmige und zugleich auch frohlockende Art. Er kniet nun über Adams und schlägt rechts und
links auf ihn ein. Seine Schläge sind wuchtig. Er ist ein Mann, der einen Gegner mit solchen Schlägen zertrümmern kann. Jesse Adams bäumt sich mit aller Kraft und kann sich auf die Seite drehen. Es gelingt ihm, Stonewall von sich zu stoßen. Und obwohl er von den Schlägen benommen ist, ist er zuerst auf den Beinen. Er trifft auch zuerst. Es ist ein mächtiger Aufwärtshaken. Er kann ihn mit etwas Glück genau auf den Punkt landen, und nun folgt er dem rückwärts taumelnden und mit den Armen rudernden Mann. Er trifft ihn mehrmals auf die Rippen und die Leberpartie. Es ist ein harter und explosiver Kampf zweier Männer. Für Lester Stonewall bedeutet ein Sieg in diesem Kampf sicherlich viel, nicht nur, dass Jesse Adams dann aufgeben und aus dem Land reiten will, sollte Stonewall gewinnen. Nein, Lester Stonewall bekämpft in diesem Kampf auch eine böse Erinnerung an die Niederlage durch Frank Sueman. Kate hat ihn damals am Boden liegen sehen, jene Kate, zu der er einmal vor vielen Jahren gemein war, und gegen die er sich wie ein Schuft benommen hat. Er hatte jedes Mal danach ihren Triumph spüren können. Frank Sueman ist tot, und er steht im Verdacht – den allerdings niemand laut zu äußern wagt und für den es auch keinerlei Beweise gibt –, Frank Suemans Ermordung veranlasst zu haben.
Doch immer, wenn er Kate begegnete, da spürte er deutlich ihren Triumph, und es war ihm so, als hörte er sie immer sagen: »Hinterrücks konntest du ihn durch gekaufte Handlanger töten lassen. Doch im ehrlichen Kampf schlug er dich! Er schlug dich fünfmal zu Boden und zahlte dir zurück, was du mir einmal antatest. Er war besser als du, Lester Stonewall – in allen Dingen und auf jede Art war er besser. Er gehörte zum Salz der Erde, du aber taugst nichts.« Und nun hat sie wieder einen Mann finden können, der gut zu ihr ist und für sie eintritt. Oh, sie hat ihn gewiss angeworben, um ihn, Stonewall, endgültig erledigen zu lassen. Aber er wird ihn schlagen. Er, Lester Stonewall, wird diesmal gewinnen. Und er wird Kate diesen Mann vor die Füße legen. Er wird sagen: »Diesmal hat es nicht geklappt, Kate!« Von diesen Dingen wird Lester Stonewall also angetrieben, indes er mit Jesse Adams kämpft. Oh, er kämpft gut! Er will nicht nochmals gegen einen von Kates Männern verlieren. Ja, er betrachtet Jesse irgendwie als Kates Mann, als Streiter für ihre Rache. Als er damals gegen Frank Sueman verlor, machte er sich den Vorwurf, als Großrancher vielleicht körperlich zu weich geworden zu sein. Und so lebte er die vergangenen zwei Jahre härter, hielt sich immer in Form und nahm oft genug schwere körperliche Anstrengungen auf
sich, um hart, zäh und stark zu bleiben. Er hielt sich schnell und trainierte oft genug wie ein Preisboxer. Es sollte ihm nicht noch einmal passieren, von einem Mann geschlagen zu werden. Und so liefert er jetzt Jesse Adams einen gewaltigen Kampf. Es ist wie eine Schlacht. Sie fügen sich Schmerzen zu, und was sie tun, wäre so dumm und völlig sinnlos, wenn der Ausgang des Kampfes nicht die Zukunft des Landes und vieler Menschen beeinflussen würde. Sie kämpfen hier etwas aus, was weit über einer primitiven Prügelei liegt. Sie kämpfen es aus, wie es nun einmal in solch einem wilden Land von harten Männern ausgekämpft wird. Aber Lester Stonewalls Zuversicht zerbröckelt langsam, kommt ins Wanken und macht mehr und mehr einer wilden Furcht Platz, die zu einer Panik zu werden droht. Denn all seine Schläge richten nichts aus. Jesse Adams ist zu schnellfüßig, und wenn er ihn wirklich einmal voll trifft, so erweist er sich als hart und zäh. Wenn Stonewall nicht wüsste, wie hart er schlagen kann, würde er die Schuld daran, dass der Gegner nicht fällt, bei sich suchen. Doch er schlägt hart, und er weiß, dass ihn dies Kraft kostet, wenn seine Schläge abgeblockt oder abgeduckt werden, sodass alle Kraft ins Leere pufft.
Und Jesse Adams trifft ihn seinerseits immer wieder. Er kontert ihn so trefflich und gnadenlos, lässt sich auf keinen Nahkampf oder Ringkampf mehr ein, gleitet immer wieder zur Seite, wenn Stonewall angreift und nach ihm zu greifen versucht, um ihn nochmals umklammern und ausheben zu können. Bei Stonewall stellt sich Luftmangel ein. Er ist ein schwerer Mann, der nun schon eine lange Zeit in schneller Bewegung ist wie ein Leichtgewicht. Und es ist zum Verzweifeln, dass er immer noch zu langsam ist für diesen Gegner. Stonewall spürt, wie seine Härte erschlaffen will, wie es ihm Mühe macht, schnell zu sein, noch hart zu schlagen und die Schläge des Gegners zu ertragen. Er versucht es noch einmal mit einem wilden Ansturm, stürmt ins Leere, wirbelt herum und bekommt dann die harten Schläge, die wie Eselstritte wirken. Er wirft sich keuchend gegen Adams und bekommt dessen Rechte auf die Herzspitze. Er weiß dann nicht zu sagen, wie es kommt, dass er am Boden sitzt. Doch er spürte einen starken Schmerz unter dem Kinn und begreift, dass er gegen einen Aufwärtshaken rannte. Er kommt sich ziemlich dumm vor, wie er so im Staub des Weges sitzt, und er verspürt einen Moment den Wunsch, sitzen bleiben zu können. Er möchte sich ausstrecken, ausruhen.
Doch dann bekommt er wieder Mut, und es ist der Mut der Verzweiflung, der Angst. Nein, er möchte nicht abermals von einem Mann geschlagen werden, der zu Kate Sueman gehört. Er möchte ihr auf diese Art nicht nochmals unterliegen. Und so springt er grollend auf und greift wieder an. Damals, als er gegen Frank Sueman kämpfte, erhob er sich fünfmal. Gegen Jesse Adams schafft er das nicht. Er erhebt sich nur zweimal. Beim dritten Niederschlag bleibt er liegen, seufzt bitter und wird ohnmächtig. Der Luftmangel ist an dieser Bewusstlosigkeit besonders schuld. Lester Stonewall ist ausgebrannt. Er ist gar kein so großer Mann. Er wurde abermals in diesem Land von einem anderen Mann geschlagen.
11
Jesse schwankt zu seinem Pferd und lehnt sich dagegen. Er muss sich anlehnen und festhalten, denn es dreht sich alles um ihn. Er kann nichts mehr erkennen. Es ist alles dunkel vor seinen Augen. Und es braust in seinem Kopf. Er kann gar nicht genug Luft bekommen. Schließlich spürt er mehr und mehr die Schmerzen. Lester Stonewalls Fäuste trafen ihn überall schlimm, zeichneten ihn und schlugen ihn fast in Stücke. In Jesse ist ein großes Bedauern. Selbst jetzt schon, während seine körperliche Not so groß ist, ist die Erkenntnis in ihm, dass es dumm und unnütz war, mit Stonewall zu kämpfen. Er hat sich von Stonewall herausfordern lassen, und er hat ihm sogar zugesagt, aus dem Land zu gehen, sollte Stonewall ihn schlagen können. Das war dumm. Und unverantwortlich. Denn er hätte Kate Sueman und den Sheriff im Stich lassen müssen, einen Sheriff, den er irgendwie aufrütteln und verändern konnte, dem er Hilfe versprach, und der ihn zum Gehilfen machte. Er hat dies alles aufs Spiel gesetzt. Nach einer Weile geht es ihm besser. Er kann wieder sehen, nachdem sich einige Minuten lang feurige Kreise vor seinen Augen drehten. Doch es
geht vorbei, nur die Schmerzen überall am Körper bleiben. Er kann dann den Waffengurt nicht umlegen, denn seine Hände sind zu zerschlagen. Er zieht sich mühsam in den Sattel, hockt dort eine Weile und reitet dann zu Stonewall hin. Stonewall ist wieder bei Besinnung, doch er liegt mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken im Staub und atmet auf eine Art, die wie ein ständiges Schluchzen klingt. Jesse blickt vom Pferd müde und bitter auf ihn nieder. »Zu was war es gut?«, fragt er heiser. »Zu was ist es überhaupt gut, dass es immer wieder Narren gibt, die sich bekämpfen. Nur weil …« »Reite fort! Reite fort! Sieh nicht so aus dem Sattel auf mich nieder!« Stonewall keucht es. Er versucht, sich aufzusetzen, doch er kann es noch nicht. Es muss schlimm für ihn sein, Jesse im Sattel so hoch über sich zu sehen. Jesse begreift es. Er sagt: »Stonewall, ich will keinen Streit mehr. Stonewall, ich will Frieden und ein gegenseitiges Auskommen.« Nach diesen Worten reitet er langsam in die Nacht. Bei jedem Schritt des Pferdes spürt er Schmerzen. Nach einigen Meilen kann er nicht mehr weiter. Er muss anhalten, vom Pferd steigen und
ausruhen. Er legt sich der Länge nach ins Büffelgras und entspannt sich. All die Schmerzen im Leib, die mit jedem Schritt des Pferdes unerträglicher wurden, nehmen ab. Jesse Adams versinkt in eine Art Halbschlaf. Er ist zutiefst erschöpft und ausgehöhlt. Dieser Halbschlaf ist vielleicht auch eine halbe Bewusstlosigkeit. Irgendwann dann in der Nacht erwacht er. Denn es regnet. Es ist ein warmer Regen, der leise und monoton vom Himmel rauscht. Jesse bleibt bewegungslos liegen. Der warme Regen tut ihm gut. Er lässt sich das Wasser in den Mund regnen, und er wäscht sich damit das Gesicht. Als er vollkommen durchnässt ist, so als wäre er in einem Fluss geschwommen, erhebt er sich. Sein Pferd steht mit hängenden Zügeln in der Nähe. Als er aufsitzt, verspürt er wieder die Schmerzen überall. Doch als er reitet, kann er es ertragen. So reitet er also langsam durch die Nacht. Irgendwann erreicht er die Ranch, reitet unter den neuen, großen halb offenen Wagenschuppen und rutscht langsam vom Pferd. Ihm wird plötzlich klar, dass der Wagen der beiden Schreiner, die noch hier auf der Ranch arbeiten, fort ist. »Nanu!« Er stößt es heiser hervor und nimmt seinen Revolvergurt vom Sattelhorn. Durch den Regen wurden seine schmerzenden und
angeschwollenen Hände, deren Knöchel aufgeschlagen sind, geschmeidiger, sie wurden ja gewissermaßen vom Regen gebadet. Er legt sich den Gurt um und geht zum Schlafhaus hinüber. Hier wird ihm klar, dass etwas nicht in Ordnung ist. Denn die Tür wurde hier mit Gewalt aus den Angeln gerissen. Alle Fenster sind zerschlagen, und zwar nicht nur die Scheiben, sondern die Fensterkreuze und Rahmen. Jesse ruft heiser: »Spencer! Garrett! Seid ihr dort drinnen?« Doch keiner der beiden Schreiner meldet sich. Jesse überlegt, ob vielleicht Billy oder Bole Skinner auf der Ranch sein könnten. Doch er glaubt es nicht. Sie hatten den Auftrag, in dieser Nacht draußen auf der Weide zu sein. Und Ben und Bart sind gewiss noch in der Stadt oder erst unterwegs nach der Ranch. Es muss schon einige Stunden nach Mitternacht sein. Wenn der Regen nicht wäre, könnte man vielleicht schon im Osten den helleren Schein am Himmel sehen, der das Nahen des Tages ankündigt. Jesse geht ins Schlafhaus hinein und sucht nach dem Tisch mit der Lampe. Doch er fällt schon bald über irgendwelche Dinge und landet zwischen Trümmern. Er flucht bitter und schmerzvoll und bleibt einige Atemzüge lang liegen.
Dann tastet er umher und fühlt, dass alles, was hier im Schlafhaus an Einrichtung war, vollkommen in Trümmer geschlagen wurde. Alle Betten, Bänke, Regale, Schränke und der große Tisch wurden zerschlagen. Die Arbeit der Handwerker, von denen die Schreiner noch hier auf der Ranch waren, wurde vernichtet. Jesse findet in der Hosentasche noch einige Zündhölzer. Er hat wenig Hoffnung, dass sie noch brennen könnten, denn er ist bis auf die Haut durchnässt. Doch das vierte Zündholz zündet wahrhaftig, und für einige Sekunden kann er dann die ganze Zerstörung sehen. Ja, hier haben einige wilde Burschen mit Äxten und Vorschlaghämmern gehaust. Hier wurde alles zerschlagen und ruiniert. Von den beiden Schreinern ist nichts zu sehen. Jesse Adams glaubt auch nicht mehr, dass sie noch auf der Ranch sind. Da ihr Wagen fort ist, werden sie die Ranch verlassen haben. Er, Jesse, kam zuletzt nicht auf dem Wagenweg geritten, sondern wählte einen Abkürzungsweg über die Weide. Er hat sie deshalb verfehlt. Sie hätten ihm sagen können, wer die Zerstörung hier anrichtete. Es ist sicher, dass sie von jenen Burschen den Befehl erhielten, zu verschwinden. Man hat sie vielleicht sogar verprügelt oder auf andere Art in ihnen eine heiße Furcht erzeugt.
Jesse Adams tritt langsam in den Regen hinaus und denkt darüber nach, wem er dies zu verdanken hat. Hat Stonewall seiner Mannschaft einen entsprechenden Befehl gegeben, indes er selbst am Weg auf Jesse Adams wartete, um mit ihm zu kämpfen? Jesse glaubt es nicht. Er denkt an Jeremy Walker. Ja, Walker ist sein Feind. Nachdem all seine Angebote und Versuche nicht glückten, ihn auf seine Seite zu ziehen, wurde er sein Feind. Und es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass jener Larry King von Jeremy Walker den Auftrag hatte, ihn, Jesse, zu töten. Jeremy Walker wiederholte nochmals das gleiche Spiel mit ihm wie bei Frank Sueman. Nur hatte er Glück und wurde nicht getroffen. Und nun war Jeremy Walker sicherlich mit einer Horde hier. Jesse geht um den Schuppen herum und zu den Corrals. Es regnet immer noch unaufhörlich und monoton. Doch der Regen tut ihm gut. Er kühlt das Gesicht, erfrischt und lindert. Im Corral befinden sich keine Tiere mehr. Die Pferde für die Herdenarbeit, die Zuchtstuten, der Eselhengst und der wertvolle Zuchtbulle und die beiden Milchkühe sind fort. Ausgeraubt, denkt Jesse Adams grimmig. Obwohl er erschöpft und voller Schmerzen ist, resigniert und bitter nach seinem Kampf mit
Stonewall, strömt nun aus seinem Kern ein kalter Zorn und ergreift von ihm Besitz. Er geht zum Ranchhaus hinüber. Hier ist er auf noch schlimmere Dinge gefasst, doch sie werden noch übertroffen. Er riecht Blut. Wie zum Hohn ließen die wilden Burschen hier die Lampe heil. Sie hängt an einer Kette vom Deckenbalken des Wohnzimmers. Jesse stößt mit dem Kopf dagegen, als er sich in den dunklen Raum tastet. Er findet in der Tiefe seiner Hosentasche noch ein Zündholz, das zündet, steckt die Lampe an und sieht dann auch sofort, welche Ursache der durchdringende Blutgeruch hat. Es riecht nämlich wie in einem Schlachthaus. Eine der beiden Milchkühe liegt im Raum – totgeschossen. Man hat das unschuldige Tier ins Haus getrieben und dann im Wohnzimmer erschossen. Und natürlich hat man auch hier alles zerschlagen und zertrümmert, was zu zertrümmern ging und zerstört werden konnte. Die zweite Milchkuh findet er im anderen Zimmer. Er sagt kein Wort. Er flucht nicht. Er denkt nur immer an Jeremy Walker und dessen Herausforderung. Ja, dies ist nicht nur eine Warnung an ihn, Jesse Adams. Nein, dies ist zugleich auch eine Herausforderung. Anders kann es nicht sein.
Jeremy Walker hätte die Ranch vollkommen zerstören oder gar abbrennen lassen können. Doch vielleicht hat er ein Abbrennen wegen des Regens nicht für sehr erfolgversprechend gehalten. Aber wahrscheinlich würde er auch bei trockenem Wetter kein Feuer angelegt haben. Das Ganze ist gewissermaßen nur ein Schlag ins Gesicht, eine Herausforderung. Jesse Adams glaubt, dass Walker damit erreichen will, dass er, Jesse, in seinem Zorn irgendwelche unüberlegte Dinge tut und vielleicht sogar nach Jeremy Walker zu suchen beginnt und in eine Falle reitet. Ja, Jeremy Walker, der damals am Creek schon die Hand am Revolver hatte, kniff vor einem Kampf, als Jesse ihn fragte: »Sonst noch etwas, Walker?« »Heute nicht«, hat Walker erwidert, hat also gekniffen und ist fortgeritten, ihm waren wohl Ort, Stunde und die ganze Situation nicht passend. Jesse Adams tritt langsam wieder aus dem Haus und in den Regen. Nun wird es im Osten langsam hell. Selbst die dunklen Regenwolken können den Tag nicht länger fernhalten. Jesse wandert langsam um die Ranch. Es ist alles zerstört. Sogar die Corralstangen sind umgeworfen. Sicherlich warfen die Reiter ihre Lassos darüber und ließen die Pferde ziehen, bis die Stangen brachen oder aus der Erde gezogen wurden.
Jesse geht in die Scheune, und hier findet er etwas Stroh. Er streckt sich darauf aus und entspannt sich. Er muss ausruhen und nachdenken. Denn eines ist klar: Jeremy Walker wird den Aufbau dieser Ranch immer wieder stören. Jeremy Walker will, dass Jesse Adams nach ihm zu suchen beginnt, dass er sich vielleicht sogar in Walkers Gebiet und Machtbereich wagt. Und dort wäre dann die Falle aufgestellt. Oder vielleicht hat Jeremy Walker vor Stunden mit einem rauen Rudel hier nach ihm gesucht, wollte ihn erledigen, traf ihn nicht an und ließ die Zerstörungen aus Wut und Enttäuschung anrichten. Er möchte aufspringen, möchte etwas tun, in Gang bringen, doch er weiß zu gut, dass er sich ausruhen muss. Er ist körperlich ganz und gar nicht einsatzfähig. Und so bringt er es fertig, einzuschlafen – für eine Weile. Als er erwacht, ist es Tag, ein grauer, trüber Regentag. Er kann nicht lange geschlafen haben, kaum eine Stunde. Denn es ist noch grauer Morgen. Er hört nun ein Pferd kommen. Als er sich schnell erheben will, stöhnt er schmerzvoll. Denn all seine Muskeln rebellieren gegen die schnelle Bewegung. Er erhebt sich langsam und vorsichtig wie ein Greis, und er tritt schief und krumm aus der
Scheune und flucht nun in Gedanken über seinen jämmerlichen Zustand. Der Reiter ist nun in den Ranchhof gekommen. Es ist Billy Skinner. Und er ist nicht allein. Er hat seinen Bruder Bole vor sich quer über den Schenkeln liegen wie einen Sack. Er kommt nun langsam vor die Scheune geritten und blickt auf Jesse Adams nieder. »Diese Schufte haben Bole auf dem Gewissen«, sagt er. »Sie haben Bole aus dem Sattel geschossen, weil er nicht die Schranke für sie öffnen wollte. Sie wollten mit einer gestohlenen Herde durch unser Tal, und Bole war bei der Schranke und sagte, sie kämen hier nicht durch. Bole dachte an die Worte unseres Vaters. Er wollte ehrliche Arbeit verrichten. Sie schossen ihn aus dem Sattel, rissen die Schranke nieder und trieben die Herde durchs Tal. Sie nahmen von unseren Rindern mit, was sie erwischen konnten und …« Er verstummt heiser. »Ich kam zu spät«, spricht er dann. »Ich war weiter im Westen. Ich hatte nicht einmal die Schüsse gehört. Als ich kam, war alles schon vorbei. Ich fand Bole bei der niedergerissenen Schranke. Er lebte noch und berichtete mir alles. Sie hatten geglaubt, er wäre schon tot. Jeremy Walker war dabei. Er hatte das Kommando.«
Wieder verstummt er heiser und gepresst. Er blickt auf den toten Bruder nieder, den er vor sich liegen hat. »Ich hätte nie gedacht, dass Jeremy Walker und dessen Burschen uns gegenüber so gemein sein würden«, spricht er dann. »Wir kennen sie fast alle. Und einige Male – ich gebe es ehrlich zu – ritten wir sogar mit ihnen oder …« Er verstummt, denn er möchte wohl doch nicht ganz sagen, wie sehr die Skinners auf der anderen Seite des Gesetzes waren. Doch dann spricht er: »Als unser Vater verlangte, dass wir ehrlich werden sollten, und wir ihm dies versprachen, da meinte es Bole besonders ernst und feierlich. Und nun ist er tot.« Er verstummt nach diesen Worten bitter. Dann betrachtet er Jesse Adams und fragt: »Was ist mit dir, Boss? Du siehst schlimm aus. Was geschah mit dir?« »Ich habe mich nur mit Stonewall geprügelt«, murmelt Jesse und tritt näher heran, um Billy zu helfen, den Toten vom Pferd zu nehmen. Sie bringen ihn auf das Stroh, auf dem eben noch Jesse gelegen hat. Sie holen zwei Decken und hüllen Bole darin ein. »Das sollen Jeremy Walker und dessen Burschen büßen«, knirscht Billy Skinner. Sein Gesicht ist dabei ganz unbeweglich und ausdruckslos. Er gleicht nun mehr einem Indianer
denn je. Jesse glaubt, dass die Skinners zumindest zu einem Viertel Indianerblut in sich haben. »Wenn doch Ben und Bart endlich kämen«, murmelt Billy eine Weile später, als sie nochmals alle Schäden auf der Ranch betrachten und die toten Kühe mit Hilfe ihrer Pferde an den Lassos aus dem Haus geschleift haben. Er hat es kaum ausgesprochen, als der Hufschlag dreier Pferde hörbar wird und die beiden Skinners mit ihrem Packpferd in Sicht kommen. Jesse geht ins Ranchhaus hinüber, um dort mit dem Aufräumen zu beginnen. Er möchte die drei Brüder erst einmal allein lassen. Erst später, sehr viel später kommen die Skinners zu ihm. »Wir werden uns Jeremy Walkers Skalp holen«, sagt Ben Skinner, und seine Indianeraugen glühen heiß. »Er wird auf euch warten«, erwidert Jesse. »Er wird auf jeden nur möglichen Verfolger warten – auf mich, auf ein Aufgebot der Rancher. Er hat Vieh gestohlen, ist hier wie ein Wilder mit einer wilden Horde eingebrochen und hat schlimm gehaust und hat einen Toten hinterlassen. Er wird mit Verfolgern rechnen und Vorsorge getroffen haben. Wer ihn nun verfolgt, wird in eine Falle rennen. Ich denke ständig darüber nach. Ich glaube immer mehr, dass Jeremy Walker sich nun
stark genug fühlt, um das ganze Land herauszufordern. Er will es austragen. Und er will den Platz bestimmen. Also hat er Dinge tun lassen, die …« Er bricht ab. Denn abermals erklingt Hufschlag. Diesmal ist es eine sehr starke und schnell und verwegen reitende Mannschaft. Jesse Adams und die Skinners treten aus dem Haus. Die Sicht ist nicht weit, obwohl es nun schon Vormittag wurde. Doch der Tag ist so trübe und voller Regen. Aus diesem Regen taucht nun eine Mannschaft auf. An der Spitze reitet der alte Sheriff Luke Wagoner. Und fast alle Rancher, die Jesse Adams damals im Hinterzimmer des Saloons versammelt sah, sind dabei. Und Lester Stonewall ist dabei, aber nicht als Anführer, nicht als der Mann, der allen anderen Männern sagt, was gemacht werden muss. Er ist irgendwie deutlich erkennbar als geduldeter Mitläufer dabei. Und er ist schwer gezeichnet von dem Kampf und litt während dieses Rittes die allergrößten und allerschlimmsten Qualen. Jesse Adams weiß es zu gut. Er muss die Härte dieses Mannes anerkennen. Lester Stonewall hat nicht den Platz an der Spitze oder unter den ersten Ranchern. Er hält sich am Rand des großen Rudels der Reiter, und irgendwie wirkt er wie ein
ausgestoßener Herdenbulle, der von dem Rudel gerade noch geduldet wird. Ja, er ist wahrhaftig ein Mann, der sein Gesicht verlor. Jesse Adams kann ihm nicht länger Aufmerksamkeit widmen, denn der alte Sheriff hat inzwischen das Pferd angehalten und spricht nun zu ihm nieder: »Ah, du bist der Mann, mit dem Stonewall sich geprügelt hat. Oha, ihr seht euch äußerlich jetzt so ähnlich wie zwei zerrissene Stiefel. Aber jetzt hört jeder Streit im Land auf. Jetzt müssen wir alle zusammenhalten. Denn die Banditen haben diese Nacht gezeigt, dass sie sich vor nichts mehr fürchten und in diesem Land bald mächtiger sind als die gutgearteten Menschen, als die menschliche Gemeinschaft.« Nach diesen Worten schweigt der Sheriff. Aber gleich darauf sagt er trocken: »Sie haben eine Ranch überfallen – eine richtige große Ranch. Sie kamen zu Bill McClellan auf die Hauptranch. Sie hielten alle Bewohner dort mit Schüssen in den Häusern und Quartieren und räumten indes die Corrals aus. Sie stahlen wertvolle Zuchttiere und vor allen Dingen die Pferde. Sie haben mehr als zweihundert Pferde mitgenommen. Und es gab unter McClellans Männern einen Toten und einige Verwundete. Dies alles war eine Herausforderung. Wir begreifen, dass es Jeremy Walker nun ganz offen und auf die raue Art
austragen will. Ja, er war dabei! Er wurde erkannt. Seine Stimme war zu hören. Wir haben nun dieses Aufgebot zusammengestellt und reiten in sein Gebiet. Wir wollen ihn stellen und schlagen. Er ist zu einer Gefahr für unser Land geworden. Er trat aus jenem Zwielicht heraus und gab sich zu erkennen. Und er ist nicht nur ein Rancher, der mit Viehdieben Geschäfte macht, er ist auch nicht einfach nur ein Viehdieb, nein, er ist zu einer Gefahr, zu einer Macht geworden, die sich nicht mehr fürchtet, sondern offen und rau ihre Ziele verfolgt. Es soll um die Rinder dieses Landes gekämpft werden. Es soll um fast zweihunderttausend Rinder gekämpft werden. Und wir haben solche Fehden schon da und dort zwischen Viehdieben und Rinderzüchtern gehabt. Also, Jesse! Ich habe dich zu meinem Gehilfen ernannt. Setz dich auf dein Pferd und komm mit uns!«
12
Hinter Jesse Adams bewegen sich die drei Skinners. Oh, er kann sich leicht denken, dass sie gern mit diesem Aufgebot reiten würden. Und jeder Mann dieses Aufgebotes ist sicherlich mit ganzer Überzeugung dabei. Er sieht fast alle Rancher des Landes und deren Vorleute und zuverlässigsten Cowboys. Obwohl das Aufgebot in aller Eile gesammelt wurde, ist es recht zahlreich. Doch viele dieser Männer sind weit und schnell geritten, um rechtzeitig zum Sammelpunkt zu kommen. Sie sind nun entschlossen, es auszutragen. Was Bill McClellan passierte, kann ihnen auch passieren. Sie haben begriffen, dass sie zusammenhalten und handeln müssen. Und nun sehen sie alle, wie Jesse Adams den Kopf schüttelt. »Nein«, sagt er, »es ist nicht der rechte Moment. Wenn ihr in dieses wilde Hügelland reitet – dort im Nordosten –, so werdet ihr euren Kampf bekommen. Jeremy Walker und die ganze wilde Horde warten gewiss auf euch. Sie wollen eine Entscheidung. Das ist sicher. Sie wollen aber die Chancen auf ihrer Seite haben. Sie werden euch eine Falle stellen. Sie kennen sich aus in den tausend Hügeln! Sie werden vielleicht mit euch
Katz und Maus spielen. Nein, es ist nicht der rechte Moment. Ihr werdet erwartet.« Als er verstummt, sieht er ihnen an, dass sie ihn verwünschen. Sie glauben ihm nicht. Sie sind anderer Meinung. Sie sind ein starkes Aufgebot und entschlossen und selbstbewusst. Sie trauen sich zu, jede gleichstarke Bande von Viehdieben zu schlagen. »Diese Bande hat auch hier gehaust«, sagt Jesse. »Sie haben Bole Skinner getötet, der sie nicht durch unsere Schranke und dieses Tal lassen wollte. Sie haben hier alles zerstört und das wenige Vieh und die Pferde dieser Ranch gestohlen. Ich bin genauso zornig wie ihr. Mich drängt alles dazu, diese Banditen zu verfolgen, Rache und Vergeltung zu üben. Doch es wäre falsch. Vielleicht könnten wir zusammen die Bande schlagen. Ich will dies nicht abstreiten. Doch welchen Preis müssten wir zahlen? Oha, es würde eine Menge Blut fließen! Nein, lasst euch nicht auf diese Art in eine Falle locken. Ihr seid jetzt heiß vor Zorn und wild von all den Wünschen nach Vergeltung. Doch in diesen Zustand wollte die Bande uns mit vollster Absicht versetzen. Wut und Rachewünsche machen blind. Ich reite nicht mit euch! Ich rate euch ab davon, jetzt in das wilde Hügelland zu reiten. Ich möchte euch raten, den Banditen diesen Gefallen nicht zu tun …«
»Oha, er hat ganz einfach Angst, dieser Adams! Hören wir nicht auf ihn! Er hat ganz einfach Angst!« Eine Stimme ruft es aus der dichten Traube der Reiter. Und jetzt kommt Stonewall wieder ins Spiel, der vor Prügel kranke und dennoch so harte Stonewall. Denn er reitet vor, bis er neben dem Sheriff und noch vor den anderen Ranchern ist. »Man wirft mir allerlei vor«, spricht er heiser und scharf. »Man wirft mir insgeheim vor, dass ich meine Gegner durch Heckenschützen abknallen lasse. Aber es ist gelogen! Es ist gelogen! Jeremy Walker steckt dahinter. Er untergrub so meine Position. So verlor ich mein Gesicht hier im Land. Jeder Narr glaubt, ich ließe meine besonderen Feinde hinterrücks abknallen. Aber ich will euch die Wahrheit zeigen! Ich reite auch allein in die Hügel! Ich bin nicht feige! Ich zeige euch genau, wo ich stehe! Vor mir braucht sich kein Freund und Nachbar zu fürchten, und auch meine Feinde brauchen nicht zu befürchten, dass ich sie hinterrücks abschießen lasse. Ich reite! Wer kommt mit mir?« Und er reitet wahrhaftig. Er treibt sein Pferd an, reitet um das Haus und verschwindet aus dem Blickfeld. Drei oder vier seiner Reiter, die mit dabei sind, folgen ihm.
Die Rancher blicken sich an. Dann nicken sie sich wortlos zu, schweigend und entschlossen. Sie folgen ihm, ohne dem Sheriff und Jesse noch einen weiteren Blick zu schenken. Dann folgt das ganze Rudel. Nur der Sheriff bleibt noch eine Minute. Er blickt auf Jesse nieder und sagt bitter: »Vielleicht hast du Recht, Jesse! Es könnte so sein, dass die wilde Horde sich stark genug fühlt, um das ganze Land herauszufordern. Doch ich muss mit dem Aufgebot reiten! Ich bin der Sheriff! Ich bin es diesen Ranchern schuldig, dass ich an ihrer Spitze reite! Ich bin der Sheriff!« Er will schon anreiten, doch er zögert noch. »Aber wenn wir in eine Falle reiten, wenn wir geschlagen werden? Was wird dann sein? Dann ist wohl alles verloren, nicht wahr? Ich wüsste gern, ob du einen Trick im Ärmel hast, mein Junge?« Jesse Adams schüttelt den Kopf. »Keinen Trick«, sagt er. »Aber ich hole ihn mir! Ich hole mir Jeremy Walker! Mitten aus dem Tausend-Hügel-Land hol ich ihn mir!« Der Sheriff betrachtet ihn ernst. »Viel Glück, Jesse, wenn wir es nicht schaffen sollten! Behalte den Stern, den ich dir gab, noch eine Weile. Wenn wir erfolgreich zurückkommen, musst du ihn abgeben. Aber …«
Er spricht nicht weiter. Er treibt sein Tier an. Er muss sich beeilen, um das Aufgebot wieder einzuholen. Jesse Adams wendet sich um. Die drei Skinners stehen noch da und blicken ihn an. »Nun?«, fragt er. »Wir können das Aufgebot immer noch einholen«, spricht Ben Skinner. »Wir kennen uns im Tausend-Hügel-Land gut aus. Wir möchten erst unseren Bruder beerdigen. Denn wenn wir erst einmal auf der Fährte sitzen, könnten viele Tage vergehen. Boss, wir werden uns Jeremy Walkers Skalp holen. Doch Sie sprachen soeben ähnliche Absichten gegenüber dem Sheriff aus. Vielleicht könnten wir gemeinsam …« Einige Stunden später hat Jesse Adams die drei Indian-Skinners ziemlich unter Kontrolle bekommen. Er hat mit ihnen nüchtern und sachlich gesprochen und sie irgendwie überzeugt. Vielleicht entspricht es auch ihrem Wesen, eine Jagd geduldig und nach entsprechenden Vorbereitungen in Gang zu bringen. Sie sprechen auch nicht viel über den so gewaltsamen Tod ihres Bruders. Man könnte glauben, dass ihnen dieser Verlust nicht besonders nahe geht. Doch das täuscht. Sie haben eine indianische Großmutter gehabt. Und dieser indianische Viertelanteil ist in ihnen noch wirksam genug,
sodass sie alle Gefühle tief in sich verborgen halten. Sie begraben dann den Bruder. Als sie am offenen Grabe stehen, blicken sie sich nach Jesse Adams um, irgendwie erwartungsvoll und bittend. Doch er begreift, dass sie sicherlich kein Gebet kennen. Sie gingen nie zur Schule, lebten mit ihrem Vater immer nur in der Wildnis und lernten nichts anderes, als sich in einem rauen Land und unter harten Burschen zu behaupten. Irgendwie sind sie Halbwilde. Jesse Adams tritt vor und spricht: »Das Leben ist nur ein Moment, der Tod ist auch nur einer!« Er hat dies irgendwann und irgendwo einmal gelesen. Er weiß nicht mehr, dass es aus Maria Stuart von Schiller ist. Er las es irgendwo einmal übersetzt. Doch er erinnert sich jetzt daran, und so spricht er es aus. Und er erinnert sich an einen anderen Spruch, den er ebenfalls einmal las und den ein Mann mit Namen Humboldt prägte: »Der Tod ist kein Abschnitt des Daseins, sondern nur ein Zwischenereignis, ein Übergang aus einer Form des endlichen Wesens in eine andere.« Er ist nicht sicher, ob ihn die drei Skinners verstehen. Und so sagt er schließlich schlicht: »Der Herr ist allen Seelen gnädig, und so wird er auch dieser Seele gnädig sein. Dass er Bole zu sich nahm, hat sicherlich seinen Grund. Der
Ratschlag des Herrn ist unergründlich. Doch sicherlich hat alles seine Ordnung auf dieser Welt.« Er spricht dann das Vaterunser. Und es ist eine richtige kleine Andacht an einem Grab. Die drei Skinners atmen schwer und hörbar. Sie schließen dann das Grab des Bruders. Jesse lässt sie allein. Er ist müde und erschöpft. Und er weiß genau, was Lester Stonewall jetzt durchmacht. Der Ritt ist für Stonewall gewiss die Hölle. Doch vielleicht will er mit dieser Leistung die Niederlage in seinem Herzen ausradieren. Jesse Adams legt sich in der alten Hütte Ringo Jacks’ zur Ruhe. Er besitzt nicht Lester Stonewalls Ehrgeiz. Er muss Kräfte sammeln, muss seinem schmerzenden und erschöpften Körper Erholung gönnen. Hier in der alten Hütte hat die Bande nichts zerstört, sie hat es wohl in der Eile vergessen. Jesse schläft sofort ein. Und er schläft den ganzen Tag bis in die Nacht hinein. Als er sich dann erhebt, fühlt er sich besser. Doch sein Hunger beißt ihn schlimm und unerträglich, und so geht er zur neuen Ranch hinüber und sieht im Küchenhaus noch Licht. Er tritt ein und nickt den drei Skinners zu, die am wieder reparierten Tisch sitzen und ein spätes Abendessen verspeisen.
»Habt ihr noch etwas übrig für mich?«, fragt er. Bart, der noch einen Zuckersack als Küchenschürze umgebunden hat und ganz offensichtlich den Küchendienst ausübt und das Abendessen kochte, beeilt sich, ihm einen gefüllten Teller vorzusetzen. Es gibt »Beef and dumplings«, also eine Rindfleischsuppe mit Mehlklößchen, ziemlich dick, doch nicht ganz so dick wie Brei. Bart hat einen großen Topf gekocht. Jesse Adams’ vor Stunden noch schmerzender Magen ist sichtlich wieder in Ordnung, sichtlich deshalb, weil Jesse den Inhalt dreier randvoller Teller herunterbringen kann. Billy Skinner isst fünf Teller leer, und als er sich erhebt, um Feuer für die Zigarette aus dem Herd zu holen, kann er nicht gerade und aufrecht gehen, weil der Magen zu prall gefüllt ist und zu sehr spannt. Als sie alle rauchen, schweigen sie eine Weile. Dann sagt Ben Skinner: »Ja, sie haben die Stangenzäune niedergebrochen, ihre gestohlenen Tiere quer durch unser Tal getrieben und von unseren Tieren mitgenommen, was sie bekommen konnten.« Er macht eine Pause und fügt dann hinzu: »Wir haben in Ordnung gebracht, was wir konnten, doch die Handwerker werden noch einmal viel Arbeit bekommen. Aber es lohnt alles
nicht, wenn Jeremy Walker in der Lage ist, es beim nächsten Mal, wenn er wieder mit gestohlenen Rindern durch dieses Tal zieht, alles abermals zu zertrümmern. Jener Ringo Jacks war sein Mann. Sie sind es nicht, Boss. Deshalb …« »Wir müssten ihn ausräuchern! Wir müssten seine Siedlung zerstören, an allen vier Ecken anzünden wie ein Rattennest!« Bart unterbricht Ben mit diesen wilden Worten. »Siedlung?«, fragt Jesse Adams und schlürft den heißen Kaffee, der seine zerschlagenen und immer noch angeschwollenen Lippen schmerzen lässt. »Siedlung?«, fragt er nochmals. »Ich denke, Jeremy Walker hat eine Ranch dort im Tausend Hügel-Land?« »Es ist mehr als eine Ranch«, nimmt Ben wieder das Wort. »Es war zuerst nur ein Camp, ein Camp von Viehdieben. Dann wurde eine Ranch daraus. Denn Jeremy Walker ist ehrgeizig. Es gibt ja überall im Rinderland zwischen Mexiko und Kanada genügend große und mächtige Rancher, die mal als Viehdiebe begonnen haben. Denn wo es kein Gesetz gibt, hat der Stärkere stets das Recht. Und dies ist wohl nicht nur im Westen so. Er baute wahrhaftig eine Ranch auf. Doch es kamen zu viele Leute zu ihm. Es kamen Geächtete und Gejagte, die eine Zuflucht suchten. Es kamen junge Burschen, die ein wildes Banditenleben führen wollten und die
nichts anderes kannten. Es kamen die erfahrenen Viehdiebe, die davon gehört hatten, dass es hier gute Möglichkeiten für sie gibt und dass Jeremy Walker stark genug ist, um es mit den Ranchern aufnehmen zu können. Es kamen aber auch viele einstige Farmer und Siedler, die von den Rinderzüchtern vertrieben worden waren. Diese Siedler und Farmer kamen mit Familien, mit Frauen und auch Kindern. Und es kamen Burschen wie wir. Unser Vater war immer ein Sattelstrolch, ein Pferdedieb und – oha, wir haben schon alles gemacht, mit den Indianern Handel getrieben, Pferde gefangen, Pelztiere gejagt – aber auch Vieh gestohlen. So trieben wir damals auch in dieses Land hier und stießen auf Jeremy Walker. Wir ließen uns wenige Meilen entfernt von ihm in einem kleinen Tal nieder, ritten oft genug für ihn und …« Er bricht mit einer Handbewegung ab, die besagen soll, dass das nun alles vorbei sei. »Aber wir hatten unseren Vater sehr gern«, spricht er dann weiter. »Er war zwar ein ewiger Tramp und ein kleiner Schurke, doch er hatte etwas an sich, was ihn liebenswert machte. Und als er dann auf dem Sterbebett lag, rief er uns zu sich und sagte, dass es ihm endlich klar wäre, wie nutzlos doch sein ganzes Leben war, völlig ohne Sinn und Zweck. Er sagte uns, dass es zum Schluss doch ein recht erbärmliches Gefühl wäre, wenn man zurückblickte und sich an gar nichts
erinnern könnte, was einen Sterbenden mit Stolz erfüllte. Er gab uns einige Ratschläge. Und deshalb änderten wir unser Leben und wurden ehrliche Cowboys. Unser Bruder Bole ist dabei gestorben.« Er bricht ab und schüttelt den Kopf. »Ich kam ganz von der Sache ab«, murmelt er dann. »Ja, Jeremy Walker hat bei seiner Ranch eine richtige Siedlung erstehen lassen, fast eine kleine Stadt. Sie wurde mehr und mehr zur Basis seiner Macht. Man kann ihn deshalb nicht einen gewöhnlichen Viehdieb nennen. Er hat einen Teil der Bevölkerung dieses Landes auf seiner Seite. Man kann sagen, dass er diesem Land eine völlig andere Ordnung geben will. Vielleicht will er eine Art Banditenstaat errichten in diesem Teil des Territoriums. Man hat ihn lange genug unterschätzt. Und es ist schwer und fast unmöglich, unbemerkt durch das Tausend-HügelLand bis zu ihm zu gelangen. Es werden alle Wege bewacht. Dies bewog uns schließlich auch, nicht mit dem Aufgebot zu reiten. Es hat nicht viele Chancen. Wenn man zu Jeremy Walker will, muss man zu Fuß und in der Nacht über die Hügelkämme wandern. Da hätte man eine Chance.« »Wir werden es in einigen Tagen versuchen«, sagt Jesse Adams. Er erhebt sich. »Ich kann noch etwas Ruhe vertragen.« Damit geht er hinaus.
Die Skinners blicken noch lange auf die Tür, die er sachte hinter sich schloss. Dann sagt Ben, der ältere der Brüder: »Macht euch nur keine Sorgen, Brüder! Der zahlt alle Schulden zurück. Und Jeremy Walker hat eine Menge Schulden bei ihm. Wir liegen richtig, wenn wir uns für die Stunde bereithalten, da er auf seine Art mit Mister Jeremy Walker abrechnen wird.« Am anderen Tag arbeiten sie, als wäre nichts vorgefallen. Sie errichten die niedergebrochenen Corrals wieder und wollen später auch die niedergebrochenen Schranken fester denn je neu aufbauen, sodass das Tal wieder abgeschlossen ist, keine fremden Rinder hereinwandern können und die wenigen Tiere, die ihnen noch verblieben, im Tal bleiben. Gegen Mittag kommt jedoch Kate Sueman von der Stadt her. Sie kommt mit einem von zwei Pferden gezogenen Wagen, der hochbeladen mit vielen Dingen ist. Als sie anhält und die Männer näher an den Wagen treten, ist in ihren Augen ein ernstes Forschen. Natürlich weiß sie wie jeder Mensch in der Stadt und im ganzen Land, dass ein starkes Aufgebot in das Tausend-Hügel-Land geritten ist, um Jeremy Walker zu stellen und zu vernichten. Vielleicht glaubte sie sogar, niemanden hier anzutreffen.
Sie hat aber auch schon mit raschem Blick feststellen können, dass es auf der Ranch eine Menge Zerstörungen gab. Sie sieht an Jesse all die Zeichen eines schlimmen Kampfes. Aber sie stellt keine hastigen Fragen. Sie sitzt ruhig auf dem Wagen und betrachtet die Männer ernst. Jesse tritt heran und fasst sie am Unterarm. »Steig ab, Kate«, murmelt er. »Ich werde dir eine ganze Menge erzählen müssen. Sollen die Jungens den Wagen abladen?« Sie nickt sofort und sagt zu den Skinners: »Ja, ladet bitte alles ab. Es ist viel Geschirr dabei. Achtet darauf, dass nichts zerschlagen wird. Ich werde gleich beginnen ein Essen zu kochen.« Sie lässt sich von Jesse aus dem Wagen helfen, und sie trägt ein blaues Leinenkleid und eine Schürze wie eine Farmerin oder Siedlerfrau. Jesse wandert mit ihr ein Stück um die Ranch, und er berichtet ihr alles. Er spricht auch über Stonewall und sagt auch, dass er ihn nicht mehr für den Mann hält, der für den Mord an Frank Sueman verantwortlich ist und der Larry King auf ihn, Jesse, hetzte. Kate Sueman ist dann eine Weile still. Sie setzen sich auf einen Stapel Bauholz. Kate denkt lange nach, und sie sitzt mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen da. Jesse betrachtet sie von der Seite, und er bewundert ihr Profil, ihren Nacken und den Glanz ihres Haares. Er spürt ihre so
lebendige und warme Nähe, und als sein Blick in die Runde des Tales wandert, da findet er dies alles schön. Und er verspürt nun sehr den Wunsch, hier leben und arbeiten zu können, und Kate müsste an seiner Seite leben. Sie würde hier ihre innerliche Ruhe finden. Sie würde vergessen können, was Stonewall ihr antat. Es würde nicht mehr wichtig für sie sein. Und … Weiter kommt Jesse nicht mit seinen Gedanken. Denn sie blickt nun auf und wendet den Kopf. Sie sieht ihn fest an. »Ja, ich habe Stonewall gehasst«, sagt sie. »Ich wollte ihn mit allen Mitteln bekämpfen. Und ich habe in dir den Mann erkannt, der es mit Stonewall aufnehmen konnte. Ich sicherte mir deine Hilfe. Ich wollte mich in diesem Männerland behaupten. Ich wollte auch unter den Rinderzüchtern mächtig werden. Doch jetzt …« Sie verstummt zögernd und blickt ihn etwas unruhig und verwirrt an. »Es ist mir alles nicht mehr wichtig«, sagt sie. »Als ich hier ankam und euch sah, da freute ich mich, dass ihr nicht mit dem Aufgebot geritten seid. Und …« »Doch, wir werden reiten. Wir müssen Jeremy Walker ausschalten – oder er wird das ganze Land beherrschen. Jeremy Walker ist der große Feind. Stonewall war nur ein kleiner Bursche, und das war er damals schon, als er dich so sehr
enttäuschte. Er war immer ein kleiner Bursche, der durch sein Auftreten sich selbst und die Welt bluffte. Jeremy Walker ist die große Gefahr. Und die muss erledigt werden.« »Und dann?«, fragt sie plötzlich. Er überlegt, und er blickt dabei abermals in die Runde und auf die neuen Gebäude der Ranch. Es gibt noch so sehr viel zu tun, doch es ist dies ein schönes Tal, ein fester Platz, eine Heimstatt. Hier könnte ein Mann etwas aufbauen. »Ich bin überall herumgeritten«, beantwortet er ihre Frage langsam. »Und nirgendwo hatte ich das Gefühl und spürte den Wunsch: Hier musst du bleiben! Doch jetzt spüre ich das! Kate, ich möchte hier bleiben. Ich möchte diese Ranch aufbauen und noch einige andere Dinge tun. Und ich möchte manchmal so wie jetzt mit dir irgendwo am Rande der Ranch sitzen und …« Er verstummt. Doch sie fragt schnell: »… und? Sprich weiter! Was wolltest du noch sagen?« Er betrachtet sie. »Ich würde dich heute anders küssen«, sagt er dann. »Ich würde es aus anderen Beweggründen tun und …« »Ich weiß!« Nun ist sie es, die ihn unterbricht. Denn es gibt jetzt kaum noch Worte, die das, was zwischen ihnen ist, erklären müssten. Sie spüren es viel zu stark. »Seit einiger Zeit wünsche ich mir, dass deine Zickzackfährte hier enden möge«, spricht sie
langsam. Doch sie fügt hinzu: »Aber ich würde wohl auch überallhin mit dir gehen, Jesse – ohne zu fragen. Ich würde dich auch auf einer Zickzackfährte begleiten. Ich blieb die ganze Zeit in der Stadt, um über dies alles nachdenken zu können. Ich weiß nicht, wie alles kam. Ich …« Und nun kommt sie in seine Arme. Sie küssen sich sanft, und er spürt nicht und denkt auch nicht daran, dass seine Lippen so zerschlagen sind. Aber als sie sich lösen und dorthin blicken, wo der Canyon zum Tausend-Hügel-Land führt, dort, wo die Schranke niedergebrochen wurde, da taucht dort ein Reiter auf, dem andere Reiter folgen. Jesse und Kate sehen das geschlagene Aufgebot zurückkommen.
13
Ja, es ist ein geschlagenes Aufgebot. Dies kann man erkennen an der Art, wie die Männer auf ihren müden und stolpernden Pferden sitzen. Sie haben Verwundete, und auf manchem Pferd sitzen zwei Reiter. Auf einigen Schleppbahren bringen sie Tote mit. So kommen sie langsam allein, in kleineren Gruppen und in mehr oder weniger großen Abständen aus dem Canyon ins Tal und nähern sich der Ranch. Jesse hält Ausschau nach dem Sheriff, und er ist erleichtert, ihn endlich zusammengesunken und verwundet auf einem Pferd sitzen zu sehen, das ziemlich am Schluss des traurigen Zuges stolpert. Die Reiter halten auf dem Ranchhof an. Dort sind nun die drei Skinners zur Stelle, helfen überall. Und Kate Sueman ist in die Küche gelaufen, um Essen zu bereiten, Kaffee zu kochen. Jesse Adams hebt den Sheriff vom Pferd. Er wundert sich über das leichte Gewicht des alten Mannes, der noch so zäh ist, dass er mit einer Wunde in der Seite und einem zerschossenen Arm reiten konnte.
»Ja, sie haben uns eine Falle gestellt, als wir besonders klug und schlau zu handeln gedachten und uns …« Der Sheriff verstummt knirschend. Jesse trägt ihn ins Schlafhaus, wo inzwischen einige Bettgestelle instand gesetzt wurden. Andere Männer tragen andere Verwundete herein. Es wird geflucht, gestöhnt und viel gesprochen. Das Aufgebot ist offensichtlich froh, heil aus dem Tausend-Hügel-Land herausgekommen zu sein. Sie alle sind übermüdet, hungrig und zugleich bedrückt. Diese Bedrückung versuchen sie durch lautes Reden zu überwinden. Jesse hört alles in Bruchstücken. Doch es wird ihm klar, dass dieses Aufgebot bei Morgengrauen ein Camp überfallen wollte, das die Viehdiebe unterwegs errichtet hatten, um die gestohlenen Tiere ausruhen zu lassen. Die Späher des Aufgebotes hatten gemeldet, dass die Bande im Camp sehr sorglos wäre und sichtlich nicht mehr an eine Verfolgung dächte. Als das Aufgebot aber dann im Morgengrauen über die Viehdiebe herfallen wollte, mussten sie auf dem Weg dorthin durch einen engen Canyon. Sie führten ihre Pferde im Schritt, um keinen unnötigen Lärm zu machen. Als sie im Canyon waren, bekamen sie von oben Feuer. Sie brachen dann zwar bis zum Camp durch, doch das war verlassen. Sie aber hatten Tote und Verwundete,
hatten Pferde verloren und wurden abermals angegriffen. Sie ergriffen die Flucht. Jeremy Walker und dessen wilde Horde schlugen sie. Jesse Adams müht sich um den Sheriff. Er säubert dessen Wunden und legt gute Verbände an. Er bringt ihm etwas von dem starken Kaffee und hat einen Schluck Whisky in den Kaffee getan. Auch für die anderen Männer wird ähnlich gesorgt. Die Ranch ist für das geschlagene Aufgebot der erste richtige Rastplatz. Etwas später dann versammelt sich eine große Männergruppe beim Sheriff und Jesse Adams. Die Rancher Harvey Mannen, Bill McClellan, Abe Morgan und Jim Sanders gehören dazu. Und Jesse kann nicht länger warten. Er muss nun fragen: »Was ist mit Lester Stonewall? Ich sehe ihn nicht!« »Er deckte mit zwei oder drei seiner Cowboys unsere Flucht«, sagt Bill McClellan, der einen blutdurchtränkten Kopfverband trägt. »Wir haben ihn nicht mehr gesehen. Wir hörten nur eine Weile das heftige Schießen.« Es wird nun wieder still. Die Männer betrachten Jesse Adams, so als erwarteten sie etwas. Und eine Stimme sagt gepresst: »Sie hatten die ganze Sache richtig beurteilt, Adams! Wir hätten auf Sie hören sollen. Sie waren nicht so närrisch, sich in diese Falle locken zu lassen.
Doch wir hielten uns eben für stärker als die wilde Horde. Nun gut, was nun? Wir wurden geschlagen. Nicht wenige von unseren Cowboys werden aus dem Land verschwinden. Einige werden zu den Viehdieben überlaufen. Wir hatten schon lange Spione innerhalb unserer Mannschaften. Nun, was soll jetzt getan werden?« Jesse Adams gibt keine Antwort. Er blickt auf den Sheriff, der sich etwas erholt hat. Er nimmt ihm den geleerten Becher ab. »Wenn ich etwas vorhaben sollte, so würde ich es nicht sagen«, erklärt er plötzlich. »Wegen der Spione, und weil es vielleicht sogar unter den Ranchern selbst Burschen geben könnte, die für sich einen Sonderfrieden aushandeln möchten, weil sie sich in ihrer Furcht Illusionen hingeben, die denen eines Kaninchens ähnlich sind, das glaubt, vom Wolf verschont zu werden, wenn es die Artgenossen verrät! Halt, Männer! Ich will keinen von Ihnen beleidigen. Doch ich habe einige Weidekriege hinter mir! Ich war da und dort dabei. Und ich kenne die Menschen. Wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht, bekommen sie die dümmsten Einfälle! Aber wozu das Gerede! Ich habe nicht vor, gegen die Bande etwas zu unternehmen. Ich kam vor einigen Wochen in dieses Land, und ich werde es genauso schnell wieder verlassen. Ich gebe auf und verschwinde wieder aus diesem Land. Man
soll für eine verlorene Sache keine Zeit und kein Wagnis mehr verschwenden.« Sie starren ihn an, und sie sind enttäuscht und verbittert. Doch dann können sie es ihm wohl nicht verübeln. Denn schließlich ist er doch noch mehr oder weniger ein Fremder im Land. Sie wenden sich ab und gehen hinaus. Sie wollen sich um ihre Pferde kümmern. Sie haben Hunger und Durst. Und bei der Küche soll es etwas zu essen geben. Die Verwundeten bleiben zurück. Jemand ist weiter zur Stadt geritten und holt den Arzt. Und Jesse sitzt immer noch am Bett des alten Sheriffs, der bisher nur zuhörte. Nun lächelt Luke Wagoner. »Du bist vorsichtig, mein Junge«, sagt er. »Doch ich glaube nicht, dass deine Fährte wieder aus diesem Land führen wird. Ich glaube, dass du den Stern bald anstecken wirst, den ich dir gab.« »Ich möchte ihn noch eine Weile behalten«, murmelt Jesse Adams zurück. »Und du wirst es besser machen als wir Narren«, sagt Luke Wagoner und lächelt bitter. »Hast du die Skinners auf deiner Seite?« Jesse nickt. Nach einer Weile schläft der Sheriff ein. Jesse geht hinaus. Und er fragt sich, was aus Lester Stonewall wurde.
Schon eine Stunde später beginnt sich das Aufgebot aufzulösen. Zuerst reiten einige Cowboys allein oder in Gruppen davon. Auch die Rancher trennen sich. Nur der alte Bill McClellan kommt noch einmal zu Jesse. Er blickt ihn fest an und sagt dann: »Viel Glück, Jesse Adams!« »Wobei?«, fragt dieser mit einem mürrischen Ausdruck. »Sie sind zu fair, mein Junge, als dass Sie sich davonschleichen könnten«, sagt der alte Rancher. »Sie hätten mich neulich mit der Wette reinlegen können. Doch Sie waren zu anständig. Und ich denke, Sie werden kämpfen und sich Jeremy Walker holen. Viel Glück!« Er tippt gegen Jesses Hemdtasche. »Da ist der Stern noch drinnen.« Bald darauf stehen Jesse und Kate allein vor dem Küchenhaus. Sie blickt zu ihm empor. »Man hat mir gesagt, dass du aus dem Land schleichen möchtest wie ein Hund mit eingezogenem Schwanz aus einem Käfig mit Wölfen. Doch ich glaube es nicht. Ich glaube, dass du etwas tun wirst. Und ich habe Angst, Jesse, ich möchte mit dir fort! Ich will nicht, dass …« Sie verstummt, denn sie blickt in seine Augen, und sie erkennt darin den festen Entschluss und begreift, dass ihre Worte machtlos sind.
»Zwei Dinge will ich klären«, murmelt er. »Ich will nachsehen, was aus Stonewall wurde. Und ich will Jeremy Walker fragen, was er sich dabei gedacht hat – bei all den Dingen, die er in letzter Zeit tat.« Er blickt auf Kate nieder: »Es muss so aussehen, als verließe ich das Land. Ich werde in die Stadt reiten, mich betrinken und einen schlechten Eindruck machen. Ich werde mich irgendwo mit den Skinners treffen. Und dann werden wir uns wie Indianer ins Tausend-HügelLand schleichen. Es kann viele Tage oder gar Wochen dauern, bis wir dort sind, wo wir sein möchten. Kate, wir können diese Ranch nicht aufbauen, solange es einen Jeremy Walker gibt. Er hat die Rancher geschlagen, und der Weg durch unser Tal ist einer der Hauptwege, auf denen die Viehdiebe gestohlene Herden abtreiben. Es gibt ein halbes Dutzend Gründe, warum wir uns Jeremy Walker holen müssen.« »Nenne mir den wichtigsten Grund, Jesse!« Sie fordert es drängend. Er macht eine in die Runde deutende Armbewegung. »Es ist schön hier«, sagt er. »Ich möchte diese Ranch wirklich aufbauen. Ich möchte dir eine erstklassige Ranch aufbauen und zugleich hier den festen Platz finden, den ich sicherlich mehr oder weniger unbewusst gesucht habe. Jede Fährte endet einmal, und meine Fährte soll hier
enden, hier in diesem Tal, auf dieser Weide. Und wenn ich eines Tages alles richtig aufgebaut habe, so möchte ich, dass du all deine Geschäfte in der Stadt aufgibst und zu mir herauskommst.« »Ja«, sagt sie schlicht. Und sie weiß, dass sie ihn nicht mehr davon abhalten kann, Jeremy Walker zu vernichten. Aus diesen Gedanken heraus sagt sie: »Das ist der Unterschied zwischen dir und Stonewall! Stonewall musste stets an der Spitze einer Gefolgschaft reiten. Er musste Anführer sein und Männer hinter sich haben. Du aber bleibst allein. Du führst kein Aufgebot. Du willst es nicht auf diese Art machen, obwohl du es nicht nur für uns, für dich und mich, sondern für das ganze Land tun wirst. Jesse, begreifst du, wie großartig das ist? Denn wenn du Erfolg hast, wirst du der natürliche Anführer in diesem Land sein. Alle Menschen werden immer nur auf dich sehen. Und die harte und rücksichtslose Rinderzüchter-Vereinigung könnte sich wandeln, könnte duldsamer und rechtlicher werden gegenüber den Kleinen und Schwachen. In dieses Land könnten auch wieder die Kleinen gezogen kommen und sich sicher und geborgen fühlen. Der Aufbau, den Frank Sueman einleiten wollte, ginge dann vonstatten.« Er nickt langsam. Es wird ihm jetzt erst klar, dass er die Zukunft des ganzen Landes maßgeblich beeinflussen könnte. Denn er würde
an Stonewalls Stelle treten, und er ist so völlig anders als Stonewall. Kate sagt: »Doch ich habe Angst! Ich fürchte mich sehr! Jesse, vielleicht solltest du dein Leben nicht riskieren. Vielleicht sollten wir …« Sie verstummt nach diesem Versuch, noch einmal seinen Sinn ändern zu wollen. Sie spürt zu sehr, dass er entschlossen ist. Er ist zu sehr ein Kämpfer. Und Jeremy Walker hat ihn zu sehr herausgefordert und hat zu viel Schlimmes getan. Ein Mann wie Jesse Adams kann da nicht aufgeben. Am Abend dieses Tages reitet Jesse Adams in die Stadt. Er geht sofort in den Saloon und betrinkt sich. Er verkündet unmissverständlich, dass er nicht länger in diesem Land bleiben will und noch diese Nacht fortreiten wird. Er schimpft nach Art Betrunkener auf die ganze Welt und geht dann auf die Straße. Fast die ganze Stadt beobachtet ihn, und es sind auch einige Cowboys und Rancher in der Stadt. Er geht zum Gefängnis, tritt ein und geht in den Zellenraum. Hier liegt immer noch Larry King. Jesse sagt zu Larry King: »Du hast gewonnen, Bursche! Der Sheriff liegt verwundet auf der Lonestar Ranch. Es sind noch mehr Verwundete dort, und sie werden von Kate Sueman und dem Arzt betreut. Die Rancher und ihr ganzes
Aufgebot wurden von Jeremy Walker und dessen wilder Horde geschlagen. Ich gehe fort, mein Freund! Ich ziehe meine Anzeige gegen dich zurück und verschwinde aus dem Land. Du hast Glück gehabt, mein Junge.« »Ich habe ein zerschossenes Knie und werde für immer ein steifes Bein behalten«, erwidert Larry King böse. Jesse Adams dreht ihm den Rücken, geht hinaus und stolpert wie ein Betrunkener zu seinem Pferd, das noch vor dem Saloon steht. Eine Menschengruppe sammelte sich auf der Saloonveranda an. Viele Augen beobachten, wie er sich mühsam und ganz wie ein Betrunkener in den Sattel zieht und zu seinem Pferd mit schwerer Zunge sagt: »Also los, verschwinden wir von hier! Dies ist keine Stadt mehr für uns! Und auch dieses Land ist nichts mehr für uns!« Sie blicken ihm nach. Dann sagt der Sattler bitter: »Er war auch kein Frank Sueman. Frank Sueman hätte uns eine andere Zeit gebracht, wenn man ihn nicht hinterrücks abgeknallt haben würde.« Nach diesen Worten verstummt er erschrocken, wendet sich ab und geht in seinen Laden zurück. Jemand der Männer murmelt: »Hätte – hätte …«
Die Stadt bleibt hinter Jesse Adams zurück. Er hält irgendwann an einem kleinen Creek an und sitzt ab. Um es echt aussehen zu lassen, trank er wirklich viele Whiskys und spürt eine zunehmende Trunkenheit. In der Stadt bekämpfte er sie nach Kräften. Als er sich in dem kühlen Wasser des Creeks gewaschen hat und seinen Ritt fortsetzt, fühlt er sich besser, und nach einer Weile bekommt er wieder einen klareren Kopf und fühlt sich nicht mehr so trunken. Er biegt von der Poststraße ab und reitet nach Nordosten über das Weideland. Er taucht zwischen den Hügeln unter und richtet sich nach einigen Landmarken. Denn die Nacht ist wieder recht hell. Der Regen hat längst einer Schönwetterperiode Platz gemacht. Mond und Sterne leuchten. Es ist ein gutes Reiten. Jesse hält sich stets im Schatten der Hügel, Bodenwellen und Gehölze. Er hat eine indianerhafte Art, so durch eine helle Nacht zu reiten, fast unbemerkt wie ein Schatten. Als darin die Morgennebel steigen und die Kühle erfrischt, erreicht er den Rand des Tausend-Hügel-Landes und reitet durch einen Canyon. Es ist noch dunkel in diesem Canyon, der sich nach einer halben Meile gabelt. Jesse reitet in die linke Fortsetzung hinein und trifft bald darauf auf
die drei Skinners, die plötzlich von rechts aus einer Felsenspalte zum Vorschein kommen. »Hier ist es, Boss«, sagt Ben Skinners kehlige Stimme. »Sie müssen absteigen und das Pferd führen. Glauben Sie, dass Sie unbemerkt durch das Land ritten?« »Ich glaube es«, erwidert Jesse. Bald darauf hat er sein Pferd in einen Felskessel gerührt, in dem es Wasser und genügend Gras gibt. Und von diesem Moment an ist er gewissermaßen verschwunden. Er und die Skinners werden in den nächsten Tagen von keinem Menschen mehr gesehen. Sie brauchen drei Nächte für den Weg. Am Tag verstecken sie sich irgendwo, schlafen, essen kalten Proviant und ruhen sich aus. Bei Nacht schleichen sie durchs Land. Die Skinners sind wie Indianer. Und sie kennen einigermaßen die Umwege, auf denen sie sich ihrem Ziel nähern. Bei Tag stellen sie immer wieder fest, dass das wilde Hügelland gar nicht so menschenleer ist. Sie würden bei Tag auf den wenigen Wegen immer wieder auf Reiter stoßen, die umherstreifen, Rinder oder Pferde treiben oder gar Waren transportieren. Auf diesen Wegen gibt es oft genug keine Ausweichmöglichkeiten. Man muss immerzu damit rechnen, in einem Canyon,
zwischen zwei Hügeln oder hinter dem nächsten Kamm auf Reiter zu stoßen. Jesse Adams begreift schnell, wie schwer es ist, sich bei Tag und zu Pferd unbemerkt Jeremy Walkers Burg zu nähern. Das wilde und unübersichtliche Land wird gut bewacht. Aber die Skinners und Jesse sind zu Fuß. Sie ließen ihre Pferde in jenem Felskessel zurück. Sie schleichen zu Fuß auf Pfaden und Wegen und auf den Kämmen langer Hügelketten, die man zu Pferd niemals benutzen könnte. Nach jener dritten Nacht liegen sie dann auf einem flachen Hügel und blicken auf ein Tal nieder, in dem es zwei Bäche gibt. Es ist ein langes Tal in Form eines dicken Fisches, und es führen sehr viele Zugänge hinein und Ausgänge hinaus. Es gibt einige Waldinseln, und es gibt in der nördlichen Hälfte eine Ranch und in der südlichen Hälfte eine kleine Stadt oder große Siedlung. »Das ist es«, sagt Ben Skinner zu Jesse, als sie alles im ersten Licht des neugeborenen Tages immer deutlicher erkennen können. »Auf der Ranch, da ist Mister Jeremy Walker, und dort in der Stadt, dort sind all die Gauner und Schurken versammelt, jene wilde Horde, die für ihn reitet.« Jesse nickt. Und er begreift jetzt, dass Jeremy Walker ein mächtiger Mann ist, der viele Reiter
in die Sättel bringen kann. Dieser Jeremy Walker, der schon einen schlechten Ruf hatte, als er ins Land kam und den die Rinderzüchter nicht in ihre Vereinigung aufnahmen, hat sich hier abseits und in der Stille zu einer Macht entwickelt. »Wir werden diesen Mister heute nach Mitternacht besuchen«, sagt Jesse ruhig und legt sich dann auf die Seite, um zu schlafen. Sie haben die Reihenfolge der Wachen unter sich schon ausgemacht. Jesse Adams fühlt sich körperlich wieder recht wohl und in Ordnung. Der lange Schleichmarsch und die langen Ruhetage haben ihn vollkommen wieder in Ordnung gebracht. Er könnte wieder mit einem Burschen wie Lester Stonewall kämpfen. Bevor er einschläft, denkt er noch kurz an Stonewall. Er fragt sich, was aus Stonewall wurde. Liegt er tot irgendwo in diesem wilden Land? Oder haben ihn Jeremy Walkers Leute lebend in die Gewalt bekommen? Denn es hätte sein können, dass Jeremy Walker diesen Mann lebend haben wollte. Als Jesse dann am Mittag die Wache übernimmt und das Tal beobachtet, stellt er bald darauf eine Menge Bewegung auf der Ranch und in der Siedlung fest. Er sieht zwei Reitertrupps zum Vorschein kommen. Die kleinere Reiterschar kommt von der
Ranch, und die größere Mannschaft kommt von der Siedlung her. Beide Trupps treffen sich nicht weit von dem Hügel entfernt, auf dem Jesse Adams mit den drei Skinners liegt. Sie vereinigen sich zu einem starken Trupp von fast fünfzig Reitern und verschwinden nach Westen zu in einem der Canyons, die aus dem Tal führen. Es ist für Jesse alles klar. Die Viehdiebe reiten aus, um den geschlagenen Ranchern Rinder abzunehmen. Gewiss haben sie hier nur auf Nachrichten gewartet, auf Meldungen über den Stand der Dinge im Rinderland. Sie hörten inzwischen gewiss, dass viele Cowboys aus dem Land ritten und die Rancher gar nicht mehr vereinigt sind und zusammenhalten. Sie hörten sicherlich auch, dass Jesse Adams sich in der Stadt betrunken hat und verschwunden ist. Nun hoffen sie, dass sie leichte Arbeit haben. Das große Viehabtreiben kann beginnen. Die Rancher werden ihnen nur wenig Widerstand entgegensetzen können. So ähnlich liegen sicherlich die Dinge. Jesse Adams hat nur eine Sorge, nämlich: Hoffentlich ist Jeremy Walker nicht unter den Reitern! Hoffentlich verlässt er nicht seine Ranch und dieses Tal, nachdem er, Jesse, mit den drei Skinners so mühevoll und unbemerkt bis in seine Nähe gelangen konnte.
Doch Jesse Adams’ begreifliche Sorge schwindet bald. So sehr er mit seinen scharfen Augen auch die Reiter Mann für Mann betrachtet, Jeremy Walker ist nicht dabei. Die Skinners, die er inzwischen weckte, schieben sich bäuchlings neben ihn, und alle spähen sie nieder. »Das trifft sich gut«, sagt Ben Skinner dann. »Die ganze Bande zieht auf Raub aus. Und so werden wir dort unten nicht sehr viele Gegner vorfinden. Jesse, wie hart werden Sie sein?« Jesse greift in die Hemdtasche und holt den Stern hervor. »Ich bin der Sheriff«, sagt er, »und wir haben hier ein Camp von Banditen, Mördern und Gesetzlosen gefunden, ein Schlupfwinkel, in den sich immer wieder Geächtete und Gesetzlose flüchten können.« Er macht eine Pause. »Wir werden es zerstören müssen, dieses Camp der Banditen.« Sie betrachten ihn schweigend, und sie erkennen den bitteren Ausdruck in seinem Gesicht. Sie begreifen, dass es ihm nicht leicht fällt, dies alles zu verantworten. Die Entscheidung kann ihm niemand abnehmen. Doch die Gelegenheit ist nun so günstig. Sie können in Abwesenheit der Bande deren Schlupfwinkel vernichten. Sie können einer starken Bande die Basis nehmen, von der aus sie ihre Macht ausübt.
Er steckt sich den Stern offen ans Hemd. »Wir werden Jeremy Walker richtig verhaften«, sagt er. »Dies ist notwendig. Wenn wir es schaffen, ist das Gesetz stärker als alle anderen Kräfte in diesem Land, stärker als die Banditen, aber auch stärker als die RancherVereinigung. Und so muss es sein.« Sie denken über seine Worte nach, und sie sind drei wilde und indianerhafte Burschen, die den Tod ihres Bruders rächen möchten. Doch sie ahnen und begreifen immer mehr, was Jesse Adams soeben meinte und wie es sein muss. Sie warten bis zum Anbruch der Nacht und machen sich dann auf den Weg. Dieser Weg ist nicht ungefährlich, denn sie sind zu Fuß. Im Tal aber weiden viele Rinder, alles gestohlene Tiere, die zumeist noch die Brandzeichen ihrer wirklichen Besitzer tragen. Und diese wilden Weiderinder greifen jeden Fußgänger an. Sie haben nur vor Reitern Respekt. Doch irgendwie schaffen es die vier Männer, von den halb wilden Rindern nicht bemerkt zu werden. Sie erreichen etwa eine Stunde vor Mitternacht die Ranch und dringen zwischen Scheunen und Ställen hindurch bis an den Rand des Ranchhofes vor. Im Schlafhaus, im Küchenhaus und im Ranchhaus brennt noch Licht. Und aus dem Stall,
an dessen Ecke sie stehen, tritt ein pfeifender Bursche, der wohl nochmals nach den Tieren sah. Um diese Jahreszeit sind ja zumeist nur kranke Tiere im Stall oder solche, die Nachwuchs erwarten. Der pfeifende Mann will an der Ecke vorbei. Doch Jesse Adams greift ihn im Genick und zieht ihn mit einem heftigen Ruck hinter die Ecke des Stalles. Ben Skinner hat seinen Revolver zur Hand und klopft damit dem Pechvogel auf den Hut, aber nicht zu stark, nur so viel, dass der Bursche nicht aufschreit. »Ihr arbeitet recht gut zusammen«, stellt Bart trocken fest. Und dann warten sie, bis der Mann wieder bei Bewusstsein ist und den Ernst seiner Lage begriffen hat. Jesse sagt dann zu ihm: »Diese Ranch und die Siedlung sind umstellt und eingekreist. Wir sind mehr als hundert Mann. Ihr habt keine Chance, mein Junge. Wo ist Jeremy Walker?« Der Bursche, dem die erhaltene Kopfnuss noch Schmerzen bereitet, überlegt nicht lange. »Der Boss ist im Ranchhaus«, sagt er gepresst. »Und wer ist bei ihm?« »Lester Stonewall. Man hat Stonewall im Ranchhaus in ein Bett gelegt.« Jesse Adams denkt über diese Nachricht nach. Stonewall muss also verwundet sein. Und Jeremy Walker hat ihn bei sich im Ranchhaus. Aber es
war ja schon zuvor klar, dass Walker und Stonewall sich von früher kannten. Was hat es jedoch zu bedeuten, dass Stonewall nun bei Jeremy Walker ist?
14
Wäre Jesse Adams jetzt schon drinnen im Ranchhaus, so könnte er gerade in diesem Moment erfahren, warum Stonewall bei Jeremy Walker seine Not ertragen muss. Ja, er ist sehr in Not, voller Schmerzen und völlig am Ende. Jeremy Walker steht bei ihm am Bett und blickt auf ihn nieder. »Na, wie geht es dir?«, fragt er mit einer Stimme, die irgendwie erwartungsvoll klingt. »So schlecht, wie du es mir immer gewünscht hast«, erwidert Stonewall gepresst. »Das Pferd, das auf mich fiel, hat meine Beine mehrmals gebrochen. Und da ich hier nicht die Hilfe eines guten Arztes bekommen kann, wird es schlimm für mich. Ich werde den Brand in die Beine bekommen. Du Schuft hast …« »Wir werden ein Geschäft machen, Lester«, unterbricht ihn Walker sehr trocken. »Ich habe dich jetzt lange genug schmoren lassen in deiner Not. Doch wenn du noch nicht weich sein solltest, kann ich dich noch etwas …« »Was willst du?«, fragt Stonewall gepresst. »Wir waren einmal Partner vor dem Krieg und auch noch während des Krieges. Wir trieben Rinder und Pferde zum Mississippi und dann während des Krieges zu den Versorgungsdepots
der Armee. Damals hast du mich um den Erlös einer ganzen Herde betrogen.« »Ja, ich hatte das ganze Geld verspielt«, murmelt Stonewall bitter, und er denkt an jene Zeit, da er Kate Springfield kennen lernte, jene Kate, die heute Kate Sueman heißt. Ja, er machte ihr damals den Hof und versprach ihr die Ehe. Sie hatte an ihn geglaubt und war schlimm von ihm enttäuscht worden. Aber was konnte ein Mann wie er tun, der das Geld seines Partners verlor und der sich damit einen Feind gemacht hatte, wie es keinen schlimmeren geben konnte? Sie betrachten sich eine Weile schweigend. »Du wirst mir die Leitung deiner Ranch übertragen, Lester«, sagt Jeremy Walker dann. »Du machst mich zu deinem Partner und überträgst mir die Leitung deiner Ranch. Es sind schon Reiter unterwegs, die dafür sorgen werden, dass du ärztliche Hilfe bekommst. Doch du musst dir darüber klar sein, dass ich nun dein Partner bin und die Befehle gebe. Ich habe die Leitung deiner Ranch. Und so komme ich endlich mit einem großen Schritt ins Rinderland unter deine Nachbarn und in die jederzeit in erreichbarer Nähe liegende Stadt. Ich bin hier im Tausend Hügel-Land zu sehr abseits, zu weit weg vom Schuss. Ich brauche ein neues Hauptquartier. Es soll deine Ranch sein. Und ich bin dort dein Partner. Ich werde von dieser neuen Basis aus die
Stadt und das ganze Rinderland erobern. Meine tüchtigen Jungens werden von hier aus den Ranchern immer wieder in den Rücken fallen – und so …« Er kommt nicht weiter. Denn es kam jemand ins Haus und trat leise durch die Tür. Jeremy Walker hörte es nicht. Doch er erkennt es an Lester Stonewalls Augen, die an ihm vorbei auf die Tür blicken. Er wendet langsam den Kopf, denn er spürt plötzlich den Anprall einer Gefahr. Und dann erblickt er Jesse Adams. Adams hat den Revolver schussbereit in der Hand. Und er trägt einen Stern. Er kam als Gesetzesmann. »Wenn Sie wollen, Walker, dann können Sie es versuchen«, sagt Adams kühl, so trocken und kühl, wie es nur ein Texaner kann. »Sie sind verhaftet, Walker«, spricht er weiter. »Sie sind wegen Landfriedensbruchs, Viehdiebstahls, Totschlags und Mordbeteiligung verhaftet. Ich werde Sie bei dem geringsten Verdacht eines Fluchtversuches niederschießen.« Jeremy Walker atmet langsam aus. Eine Starre ist in ihm, eine lähmende Betäubung. Dann schnappt er sichtbar nach Luft, fängt sich langsam und bekommt sich wieder unter Kontrolle. »Ich hätte mich nicht täuschen lassen dürfen«, murmelt er. »Ich hätte nicht darauf reinfallen
dürfen. Ich hätte der Nachricht keinen Glauben schenken dürfen, dass Sie aufgegeben hätten und aus dem Land geritten wären, Adams. Ich habe Sie unterschätzt.« »So ist es«, sagt Jesse Adams ruhig. Er nähert sich Jeremy Walker und zielt dabei auf dessen Bauch. Er tritt so nahe an ihn heran, dass er ihm die Revolvermündung gegen den Leib drücken kann. Und dann nimmt er ihm den Revolver aus dem Hosenbund. Walker trägt keinen Waffengurt im Haus. Doch er hatte sich einen Revolver in den Hosenbund geschoben. Er atmet nun heftig, und sein Gesicht wechselt von einem blassen Ausdruck in jene Dunkelheit über, die in einem Gesicht erscheint, wenn einem Mann vor wildem Zorn das Blut zu Kopf steigt. Als Jesse zurücktritt, wirft sich Jeremy Walker gegen ihn. Er verlässt sich darauf, dass Jesse nicht auf einen unbewaffneten Mann schießen wird. Er bekommt den Revolverlauf hart gegen den Magen gestoßen. Und er erstarrt vor Schrecken über seinen Mut der Verzweiflung. Er sieht nun auch die Skinners hereinkommen. Er kennt sie, und er weiß, dass sie wegen Bole, ihrem getöteten Bruder, hier sind. Er erzittert plötzlich. Denn nun wird ihm richtig klar, dass er erledigt ist, dass er geschlagen wurde. »Nun gut«, sagt er.
Ben Skinner fesselt ihm die Hände auf dem Rücken, und er sagt dabei zu ihm: »Wenn es nach uns ginge, so würden wir dich umbringen, so wie ihr unseren Bruder umgebracht habt. Doch Jesse Adams will dem Gesetz zum Sieg verhelfen. Jesse Adams sagt, dass in einem Land das Gesetz stärker sein müsse als die größten Burschen.« Indes trat Jesse an Stonewalls Lager. »Ich hörte, dass Sie dem Aufgebot den Fluchtweg deckten«, sagt Jesse langsam. »So war es.« Stonewall nickt. »Doch als ich dann selbst die Flucht ergriff, schossen mir die Banditen das Pferd zusammen. Es fiel über mich und brach mir mehrmals die Beine. Ich bin ganz am Boden, Adams. Dies wird euch alle freuen, nicht wahr?« »Wir haben uns geprügelt, Stonewall, und damit war es für mich mehr als genug. Und was Kate betrifft, nun, sie kam vor wenigen Tagen über alles hinweg. Sie denkt nicht mehr daran. Sie hasst Sie nicht mehr, Stonewall. Nein, ich glaube nicht, dass es uns freut, Sie so am Boden liegen zu sehen, zerschmettert und erledigt. Aber es ist vielleicht die große Lektion für Sie, die Sie so nötig bekommen mussten.« »Ich weiß«, brummt Stonewall. »Doch was nun?« Jesse nimmt die Decke von seinen Beinen. Er sieht, dass diese Beine geschient wurden.
»Wenn Sie hart genug sind, einen Transport nach Hills City aushalten zu können …«, murmelt er. »Ich bin hart genug«, sagt Stonewall. »Sie hatten mich schlimm verprügelt, Adams. Doch ich war auch hart genug, um trotz aller Schmerzen mit dem Aufgebot zu reiten.« »Dann werden wir Stangen und eine Bahre zwischen zwei Pferden anbringen und Sie darin transportieren«, entschließt sich Jesse Adams. »Wir stellen Sie mitsamt Ihrem Bett hier erst einmal auf den Hof. Denn wir lassen von dieser Banditenranch nichts stehen.« Ben Skinner stößt Jeremy Walker vor sich her nach draußen. Die beiden anderen Skinners aber tragen Stonewall mitsamt dem Bett hinaus. Draußen auf dem Hof haben sich drei Männer versammelt. Es sind der Koch und zwei Helfer dieser Ranch. »Verschwindet«, sagt Jesse zu ihnen. »Hier ist alles vorbei!« Sie starren ihn an und betrachten auch die drei Skinners und den gefesselten Jeremy Walker, der ihr Boss war. Dann laufen sie ins Quartier hinüber, um ihre Siebensachen zu holen. Sie spürten die grimmige Entschlossenheit der Männer, diese Unversöhnlichkeit, die keine Gnade kennt.
Jeremy Walker steht dann neben Stonewalls Bett mitten auf dem Hof. Er bekam die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden. Bart bewacht ihn. Ben und Billy aber gehen zu den Corrals und satteln dort Pferde. Sie werden auch eine Bahre aus Stangen, Segeltuch und Decken herstellen. Jesse Adams aber geht ins Ranchhaus hinein. Bald brennt es drinnen. Stonewall sagt zu Walker empor: »Für dich kommt diese Lektion zu spät, Jeremy, nicht wahr? Wir waren beide hart und rücksichtslos. Und wir wurden dann Feinde. Aber …« »Ach, halt nur den Mund«, unterbricht ihn Jeremy Walker klirrend. Sie sehen dann, wie Jesse Adams hinüber zum Schlafhaus geht und dann zu den Futterscheunen und überall zu den Gebäuden der Ranch. Der Feuerschein der brennenden Bauten erhellt die helle Nacht nicht besonders, er färbt sie nur rötlichgelb. Jesse Adams kommt dann zu den wartenden Männern herüber. Jeremy Walker starrt ihn an und murmelt: »Ich habe dich unterschätzt, so sehr unterschätzt. Es war mein großer Fehler. Damals am Creek, als ich die Hand schon am Revolver hatte, da hätte ich es wagen sollen. Damals, als mir klar wurde, dass ich dich nicht auf meine Seite bekommen
würde, dass du ein neuer Frank Sueman sein könntest, dass …« Er verstummt gepresst. Die beiden Skinners kommen mit den Pferden und der Trage, die zwischen zwei Tieren an langen Stangen befestigt wurde, sodass die Pferde gewissermaßen zu Krankenträgern wurden. »Wenn du es damals gewagt hättest, Walker«, erwidert Jesse Adams, »wäre einigen Menschen erspart geblieben, von der wilden Horde getötet oder verwundet zu werden. Denn ich hätte dich getötet.« »Und warum hast du es heute nicht getan?« »Heute bin ich der Vertreter des Sheriffs. Und heute bin ich der Ansicht, dass es besser ist, wenn du dich vor dem Richter und der Jury verantworten musst.« Sie heben Stonewall in die Trage. Stonewall stöhnt. Und dann muss Jeremy Walker aufsitzen. Sie binden ihm die Beine unter dem Pferdebauch zusammen. Dann reiten sie in Richtung Siedlung. Schon unterwegs kommen ihnen von dort Menschen entgegen. Es sind all die Zurückgebliebenen, die nicht mit der starken Bande geritten sind. Sie erschrecken, als sie auf Jesse Adams’ Hemd den Stern erkennen. Sie erschrecken noch mehr, als sie Jeremy Walker gefesselt auf dem Pferd erblicken.
All diese Menschen gehören zu jenen Gestrandeten, die von der menschlichen Gemeinschaft irgendwann und immer wieder ausgestoßen und vertrieben wurden, bis sie auf ruheloser Wanderung hier im Tausend-HügelLand ankamen und eine Siedlung aufbauten. Es sind Menschen, die sich Mühe gaben, aus einem Banditencamp eine Stadt zu machen. Es sind einige ältere Männer, keine Reiter, sondern Burschen, die irgendwo als Ladenclerks, Spieler, Barmänner oder Handwerker ihr Brot verdienten und dann auf die schiefe Bahn gerieten. Es sind ehemalige Siedler dabei, und Frauen sind es, die ihr Geld in den Saloons verdienten und von Stufe zu Stufe sanken. Sie wollten zur brennenden Ranch kommen, um löschen zu helfen. Als sie erkennen, dass ein Sheriff gekommen und Jeremy Walker ein Gefangener ist, da erstarren sie vor Schreck. Doch sie wagen keinen Widerstand. Sie sind jene tiefste Sorte unter Banditen. Sie sind keine Gewalttätigen, sondern nur die dienstbaren Niedrigsten, die von den Bissen und Brocken leben, die vom Tisch der Sattelpiraten fallen. Jesse Adams betrachtet sie im Feuerschein. Er spürt Mitleid und Verachtung zugleich. Doch er weiß, dass sie von sich aus nie die Kraft haben würden, aus ihrer Siedlung eine faire Stadt zu machen. Sie gehören zu der unreinen Sorte,
die es längst aufgegeben hat, wieder empor zu wollen. Vielleicht könnte der eine oder andere Mensch unter ihnen innerhalb einer rechtlichen und ehrenwerten Gemeinschaft noch einmal auf einen besseren Weg kommen, doch sie alle zusammen werden immer der Hort oder die Basis des Übels sein. Jesse Adams entschließt sich nun. Es fällt ihm schwer. Doch er will diesem Land eine neue Zeit bringen. Banditen sollen hier keine Basis, keinen Platz mehr finden. Er sagt: »Eure Siedlung wird brennen wie die Ranch! Packt eure Siebensachen! Eure Siedlung war die Zuflucht von Banditen und Mördern! Ich zerstöre dieses Verbrechernest!« Es dauert wieder drei Tage. Denn mit dem kranken Stonewall kommen sie nicht schnell vorwärts. Indes im Rinderland die Viehdiebe Rinder stehlen und die Rancher kaum noch Widerstand leisten, weil ihnen die meisten Cowboys fortlaufen, nähern sich Jesse Adams und die Skinners mehr und mehr der Stadt. Sie holten zu einem weiten Umweg nach Norden aus. Es ist am dritten Tag kurz nach Sonnenaufgang, als sie Hills City erreichen und Jeremy Walker in eine Zelle des Gefängnisses bringen.
Am späten Nachmittag dieses Tages ist es im ganzen Land bekannt. Und alle Rancher und die noch verbliebenen Cowboys kommen in die Stadt. Jesse Adams spricht dann mit ihnen im Saloon. Und als er mit seiner Rede fertig ist, hat er sie erneut zu einer Mannschaft geformt. Er ist für sie der große Mann, denn er fing Jeremy Walker und zerstörte dessen Ranch und die Banditensiedlung. Er führt dann noch in der Nacht eine große Mannschaft, der sich auch einige Städter anschlossen, hinaus auf die Weide, um die einzelnen Banden der Viehdiebe zu jagen. Doch sie finden keine Rustlerbande mehr auf der Weide, nirgendwo, obwohl sie drei Tage lang das ganze Land durchkämmen und bis tief ins Tausend-Hügel-Land vorstoßen. Sie finden viele Rinderrudel und ganze Herden, die von den Viehdieben unterwegs aufgegeben wurden. All diesen Banditen und Rustlern musste es mächtig in die Glieder gefahren sein, als sie hörten, dass ihre Stadt und die Ranch dem Erdboden gleichgemacht wurden und dass Jeremy Walker als Gefangener in der Stadt sitzt. Sie gaben auf. Sie konnten sich ausrechnen, dass die gutgearteten Menschen des Rinderlandes sich noch einmal zusammenschließen und kämpfen würden. Sie aber waren ohne Führer.
Es ist schon spät in der Nacht an einem der nächsten Tage, als Jesse Adams vor das Ranchhaus geritten kommt, in dem Kate Sueman geblieben ist, um den Sheriff und die anderen Verwundeten zu pflegen. Und obwohl alle Verwundeten längst zur Stadt transportiert wurden, kam Kate Sueman nicht mit, sondern blieb auf der Ranch. Als Jesse vor das Ranchhaus reitet, sieht er drinnen die Lampe brennen. Die Tür öffnet sich. Kate tritt heraus. »Bist du gekommen?«, fragt sie in die Dunkelheit, an die sich ihre Augen noch nicht gewöhnt haben. »Ja«, sagt er. »Jede Fährte endet. Und so bin ich endlich hier.« »Ich habe gewartet«, sagt sie. Und dann kommt sie zu ihm, indes er absitzt. ENDE