K.G. Schmitt-Thomas Integrierte Schadenanalyse
Karlheinz G. Schmitt-Thomas
Integrierte Schadenanalyse Technikgestaltung und das System des Versagens
2., bearbeitete und erweiterte Auflage Mit 285 Abbildungen
o. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Karlheinz G. Schmitt-Thomas (em.) Bayerischer Forschungsverbund Materialwissenschaften (FORMAT) Arcisstr. 21 80333 M¨unchen E-Mail:
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Vorwort zur 2. Auflage
Mit der ersten Auflage des vorgelegten Buchs wurde der Versuch unternommen, die Schadenanalyse als geschlossenes Wissensgebiet zusammenhängend darzustellen. Neben den Untersuchungsmethoden und den Morphologien von Schäden nimmt eine zentrale Stellung dabei die systematische Vorgehensweise nach speziellen Regeln ein. Die durchweg positive Aufnahme der ersten Auflage machte außer einigen kleinen Korrekturen nur wenig Änderungen erforderlich. Als wesentliche und notwendige Ergänzung wurden in der zweiten Auflage die Fallstudien zu Schadenuntersuchungen erheblich erweitert. Besonders wurde dabei darauf geachtet, die Regeln zum Vorgehen bei der Schadenanalyse konsequent anzuwenden, indem von Untersuchungsschritt zu Untersuchungsschritt bis zur Ursache und der Auslösung des Schadens vorgedrungen wird. Die Schadenfälle lehnen sich an die praktische Arbeit des Instituts für Schadenanalyse IST GmbH an. Bei der Ausarbeitung der Fälle ist besonders der Leiter dieses Bereichs, Herrn Dr.-Ing. Ralph Malke, zu nennen, dem ich für seine Arbeit sehr danke. Dank gebührt ebenfalls dem Leiter des Bereiches Forschung und Entwicklung bei der IST GmbH, Herrn Dr.-Ing. Stephan Schmitt, der mir bei der Bildauswahl und -zusammenstellung ebenso wie beim Korrekturlesen wertvolle Unterstützung leistete. Schließlich sei in den Dank eingeschlossen meine Sekretärin, Frau Ingrid Köstler, die in bereitwilliger Mehrarbeit das Schreiben der Manuskripterweiterung übernommen hat. Ebenfalls sei auch dieses Mal wieder dem Springer-Verlag gedankt für seine Kooperationsbereitschaft und Unterstützung bei der Manuskripterstellung. München, im Mai 2004
em.Univ.Prof. Dr.-Ing. Kh.G. Schmitt-Thomas
Vorwort zur 1. Auflage
Die Aufgabe des Ingenieurs ist nicht damit erfüllt, naturwissenschaftliche Erkenntnisse in technische Anwendungen umzusetzen. Technik und Technologien können ihren Nutzen für die Gesellschaft und den Einzelnen erst dann bringen, wenn sie sicher und zuverlässig sind. Dies aber erfordert, Risiken zu erkennen und Sicherheit zu gestalten durch die fachgerechte Analyse von Mängeln, Fehlern und Schäden, wie sie stets mit der Anwendung unserer Technik, insbesondere aber mit der Einführung von neuen Technologien verbunden sind. Mit diesem Buch „Integrierte Schadenanalyse – Technikgestaltung und das System des Versagens“ habe ich versucht, meine mehr als 35jährige Erfahrung in der Schadenforschung zusammenzufassen. Herangeführt wurde ich an dieses faszinierende Gebiet des Ingenieurwesens durch Herrn Dr.-Ing. E. J. Pohl, damals Mitglied des Vorstands der Allianz Versicherung AG, der mich zu seiner Zeit als jungen Ingenieur mit dem Aufbau und der späteren Leitung eines Schadenforschungsinstituts beauftragte, das als das größte seiner Art in Europa galt. In dieser Aufgabe fand ich stete Unterstützung durch meinen Lehrer, Herrn Professor Dr.-Ing. habil. Heinz Borchers, dessen Lehrstuhl ich später als Nachfolger übernehmen durfte. Beiden Persönlichkeiten gilt meine tief empfundende Dankbarkeit für meine frühe Förderung und Unterstützung, mit der die Grundlage für meinen Werdegang und nicht zuletzt für diese Darstellung der Schadenanalyse geschaffen wurde. Von Herrn Dr.Ing. E. J. Pohl wurde darüber hinaus dem Lehrstuhl von Professor Dr.-Ing. H. Borchers umfangreiches Bildmaterial aus seiner einzigartigen Sammlung von Schadenfällen überlassen, das in dieses Buch teilweise Eingang gefunden hat. Zahlreiche Beispiele, insbesondere zur Beschreibung von Planung und Durchführung von Schadenanalysen sowie der Ableitung der Untersuchungsergebnisse stammen aus der aktuellen Arbeit des Instituts für Schadenanalyse IST GmbH in München, dessen technischen Leiter, Herrn Dr.-Ing. R. Malke, und dessen Mitarbeitern ich meinen Dank ausspreche. Mit gesonderten Abhandlungen haben zu diesem Buch beigetragen – Herr Dr.rer.nat. Wolfgang Loos, Abschnitt 9.4 „Feinstrukturuntersuchungen“ – Herr Dr.-Ing. Ralph Malke, Abschnitt 10.1 „Polymere Kurzfaserverbundwerkstoffe“ – Herr Dipl.-Ing. Tobias Hiermer und Herr Dr.-Ing. Ralph Malke, Abschnitt 10.2 „Langfaser- und Gewebeverbundwerkstoffe“ – Herr Dipl.-Phys. Josef Mittermeier und Frau Dipl.-Ing. Christine Schubert, Abschnitt 10.3 „Technische Keramik“ Diesen Autoren gilt mein Dank und meine Anerkennung für ihre Mithilfe bei der Abrundung des thematischen Inhalts des Buches.
VIII
Vorwort
Herr Dr. W. Loos hat es in bewährter Weise übernommen, das Manuskript einer kritischen Durchsicht zu unterziehen und Anregungen zu geben. Von Herrn Dipl.-Ing. Stephan Schmitt wurde das umfangreiche Bildmaterial bearbeitet und die Stimmigkeit der Bildunterschriften mit dem Text überprüft. Beiden Herren aufrichtigen Dank für ihre wertvolle und unverzichtbare Kleinarbeit. Schließlich seien in meinen Dank eingeschlossen alle diejenigen, die mir mit ihrem Rat und ihrer Erfahrung zur Seite standen. Nicht zuletzt ist dabei meine Sekretärin, Frau I. Köstler, zu erwähnen, die in stets bereitwilliger Mehrarbeit das Schreiben des Manuskriptes übernahm. Wie immer dann, wenn das Schreiben eines Buchmanuskripts neben den aktuellen Verpflichtungen und der Tagesarbeit vorgenommen werden muß, kommt vieles im persönlichen Umfeld zu kurz. Für das große Verständnis für diese Situation und für die stets erwiesene Geduld danke ich meiner Frau Annette sehr herzlich. Schließlich möchte ich in meinen Dank einschließen den Springer Verlag für sein Interesse an diesem Manuskript und für seine verständnisvolle Betreuung. München, Januar 1999
em.Univ.Prof. Dr.-Ing. Kh.G. Schmitt-Thomas
Inhaltsverzeichnis
0
Einführung...............................................................................................
1
1
Geschichte der Technik – Geschichte der Versagens und der Schadenfälle.............................................................................................
3
2
Erkenntnisgewinn aus dem System technischen Versagens ................
9
3
Evolution und Selektion in der Technik................................................
11
3.1 3.2
Vorbild Natur ................................................................................... Autonomes technisches Design........................................................
11 13
Ereignisketten von Pannen zu Katastrophen .......................................
20
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7
Kleinteile und „Sonstiges“ ............................................................... Der Fall Corvair – kein Endpunkt .................................................... Ein Schicksalsbolzen in der Zivilluftfahrt........................................ Verstrickungen auf See .................................................................... Automation und Schnittstelle Mensch-Maschine............................. Zuverlässigkeit von Hard- und Software ......................................... Wenn Bauwerke ihre Festigkeit verlieren ........................................
20 21 22 23 26 27 28
Strategischer Standort der Schadenanalyse .........................................
31
5.1
31 31 34 37 40 43 46 46 46 48 49 50 51 51 52
4
5
5.2
Produktzyklus .................................................................................. 5.1.1 Konstruktions- und Planungsphase........................................ 5.1.2 Realisierungsphase................................................................. 5.1.3 Nutzungsphase....................................................................... 5.1.4 Wartungs- und Reparaturphase.............................................. 5.1.5 Folgerungen zur Qualitätssicherung ...................................... Kriterien für Bauteilgestaltung und Werkstoffwahl ......................... 5.2.1 Ursprünge der Werkstoffprüfung........................................... 5.2.2 Mechanische Beanspruchung................................................. 5.2.3 Riß- und Fehlertoleranz ......................................................... 5.2.4 Reibkorrosionsbeanspruchung............................................... 5.2.5 Schwingungsrißkorrosionsbeanspruchung (SwRK) .............. 5.2.6 Spannungsrißkorrosionsbeanspruchung (SpRK) ................... 5.2.7 Thermomechanische Beanspruchung .................................... 5.2.8 Schadenanalyse und technische Sicherheit ............................
X
6
Inhaltsverzeichnis
Begriffe und Sequenzen bei Versagensprozessen .................................. 6.1 6.2 6.3
7
8
59
Konzeption einer Schadenuntersuchung ........................................... 59 Arbeits- und Entscheidungsschritte bei der Schadenklärung ............ 62 Befundvergleiche zur Bewertung und Zuordnung von Schadenmerkmalen ........................................................................... 67
Voraussetzungen und Planung werkstoffkundlicher Untersuchungen ................................................................................................. 8.1 8.2 8.3
75
Einteilung und Aufgabenstellung...................................................... Untersuchungsziel............................................................................. Untersuchungsmaterial...................................................................... 8.3.1 Auswahlkriterium Schädigungsgrad...................................... 8.3.2 Auswahlkriterium Initialschaden ........................................... Zuordnung und Kennzeichnung von Untersuchungsmaterial ........... Entnahme und Versand von Untersuchungsmaterial ........................ Probenplan für die Laboruntersuchungen .........................................
75 76 77 78 79 81 83 84
Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale.............................
86
8.4 8.5 8.6 9
Begriffsdefinition.............................................................................. 53 Begriffsbewertungen......................................................................... 54 Ursache – Wirkungszusammenhang ................................................. 55
Systematik der Schadenklärung ............................................................. 7.1 7.2 7.3
53
9.1
9.2
9.3
Äußere Beurteilung von Schadenteilen............................................. 9.1.1 Untersuchungsverfahren ........................................................ 9.1.2 Makromorphologische Merkmale.......................................... 9.1.3 Mikromorphologische Merkmale .......................................... Fraktographie .................................................................................... 9.2.1 Untersuchungsverfahren ........................................................ 9.2.2 Makrofraktographische Bruchmerkmale ............................... 9.2.2.1 Gewaltbrüche ..................................................................... 9.2.2.2 Wechselbeanspruchungsbrüche (Schwingbrüche, Dauerbrüche) .......................................... 9.2.2.3 Brüche unter korrosiven Zusatzeinflüssen ......................... 9.2.2.4 Thermisch beeinflußte Riß- und Bruchvorgänge ............... 9.2.3 Mikrofraktographische Bruchmerkmale................................ 9.2.3.1 Gewaltbrüche ..................................................................... 9.2.3.2 Werkstoffehler.................................................................... 9.2.3.3 Wechselbeanspruchungsbrüche.......................................... Metallographie .................................................................................. 9.3.1 Makroschliffe (Makroschnitte) .............................................. 9.3.1.1 Makroschliffe ungeätzt....................................................... 9.3.1.2 Makroschliffe geätzt .......................................................... 9.3.2 Mikroschliffe .........................................................................
86 86 87 92 96 98 100 100 108 117 125 131 131 145 146 152 153 153 158 166
Inhaltsverzeichnis
9.4
9.3.2.1 Mikroschliffe ungeätzt........................................................ 9.3.2.2 Mikroschliffe geätzt............................................................ 9.3.2.3 Schadenerscheinungen im Mikrogefüge............................. Feinstrukturuntersuchungen (Dr. Loos) ........................................... 9.4.1 Methodik................................................................................ 9.4.2 Anwendungsmöglichkeiten.................................................... 9.4.3 Anwendungsbeispiel..............................................................
XI
168 169 171 188 189 190 192
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen......................... 194 10.1 Polymere Kurzfaserverbundwerkstoffe (Dr. Malke)........................ 10.1.1 Äußere Beurteilung geschädigter Bauteile............................ 10.1.2 Fraktographische Beurteilung geschädigter Bauteile............ 10.1.2.1 Makrofraktographische Bruchmerkmale ............................ 10.1.2.2 Mikrofraktographische Bruchmerkmale............................. 10.1.3 Plastographische Untersuchungen ........................................ 10.2 Langfaser- und Gewebeverbundwerkstoffe (Hiermer/Dr. Malke) ........................................................................ 10.2.1 Äußere Beurteilung............................................................... 10.2.2 Fraktographie ........................................................................ 10.2.2.1 Gewaltbrüche...................................................................... 10.2.2.2 Wechselbeanspruchungsbrüche (Dauerbrüche).................. 10.2.3 Plastographie......................................................................... 10.3 Technische Keramik (Mittermeier/Schubert)................................... 10.3.1 Schadenbild........................................................................... 10.3.2 Versagensarten...................................................................... 10.3.3 Weibullanalyse...................................................................... 10.3.4 Schadenanalyse..................................................................... 10.3.5 Qualitätskontrolle .................................................................
194 197 197 198 199 202 203 204 204 205 210 210 212 213 214 217 219 219
11 Werkstoffcharakterisierung .................................................................. 221 11.1 Chemische Analyse.......................................................................... 11.1.1 Integrative chemische Analyse (Stückanalyse)..................... 11.1.2 Feinbereichsanalyse .............................................................. 11.2 Festigkeitseigenschaften .................................................................. 11.2.1 Zugfestigkeit ......................................................................... 11.2.2 Bruchverhalten...................................................................... 11.2.3 Zeitstandfestigkeit................................................................. 11.2.4 Festigkeit unter mechanischer Wechelbeanspruchung ......... 11.3 Korrosionsverhalten ......................................................................... 11.3.1 Bewertung der elektrochemischen Korrosion (Feuchtekorrosion)................................................................ 11.3.2 Bewertung der Hochtemperaturkorrosion.............................
222 222 224 227 232 235 239 240 241 242 244
12 Simulationsuntersuchungen ................................................................... 246 13 Abfassung des Schadengutachtens ........................................................ 252
XII
Inhaltsverzeichnis
14 Fallbeispiele für Schadenanalysen ......................................................... 257 14.1 Prinzip zur Darstellung der Schadenuntersuchungen ....................... 257 14.2 Ablauf der Schadenklärung an Praxisfällen ..................................... 259 14.2.1 Klärung der Verantwortlichkeit beim Radnabenbruch eines Nutzfahrzeuges .......................................................... 259 14.2.2 Untersuchung der Bruchursache an Rotorarmen von Laborzentrifugen ................................................................. 267 14.2.3 Ursache plötzlich auftretender Falzungenauigkeit an einem Falzapparat einer Rollenoffsetmaschine ................... 274 14.2.4 Widerspruchsklärung aus verschiedenen Schadenuntersuchungen an einem Tragring ..................................... 280 14.2.5 Klärung einer Schadenserie bei Slicern in der Wurstwarenfabrikation ........................................................ 289 14.2.6 Versagen einer Neukonstruktion von Wärmetauscher platten für einen Luftvorwärmer ......................................... 296 14.2.7 Nachweis von Kausalitäten zwischen einem Störfall an einem Kraftwerkskessel und Schäden an Sammler und Berohrung ........................................................................... 302 14.2.8Klärung der Ursache von Verformung am Flammrohr eines Industriekessels .......................................................... 311 14.2.9 Korrosionsursache an einem Ölkühler für eine Schiffsmaschine .................................................................. 318 14.3 Ergebnisdarstellung aus Untersuchungen weiterer Schadenfälle ..................................................................................... 324 14.3.1 Ursache von Maßinstabilitäten im Walzspalt eines Yankee-Trockenzylinders einer Papiermaschine ................ 324 14.3.2 Zusammenhang zwischen korrosionsinduzierten Brüchen an Saugwalzen und Stranggußparametern ............ 328 14.3.3 Alterbestimmung einer Wasserleitung ................................. 332 15 Schlußbetrachtung .................................................................................. 335 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 337 Sachverzeichnis ................................................................................................ 345
0 Einführung
Technische Entwicklung ist ein Prozeß, der sich nicht in Laborversuchen, Simulationsuntersuchungen und Testläufen vollständig zum Abschluß bringen läßt. Erfahrungen aus dem Verhalten in vielfältigem Praxiseinsatz unter den dort auftretenden außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Bedingungen und Konstellationen sind unverzichtbar, um optimale Gestaltung und Ausführung von Bauteilen, Maschinen, Anlagen und Geräten zu erreichen. Die Praxis stellt somit das Versuchsfeld dar, das Erkenntnisse zu liefern in der Lage ist, um Technik so zu gestalten, daß diese weitest möglich sicher und zuverlässig in allen Situationen ist. Dieses Buch wendet sich entsprechend an Ingenieure aller Fachrichtungen und in allen Funktionen. Der Entwickler, der Fertigungsingenieur, der Betreiber, der Kundendienstingenieur und der Überwacher sind in gleicher Weise angesprochen. Um aus dem Verhalten und dem Versagen der Technik im praktischen Einsatz die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist ein streng folgerichtiges Vorgehen bei der Untersuchung von Stör- und Schadenfällen erforderlich. Dabei sind die Merkmale an Schadenteilen und Vergleichsteilen im Zusammenhang mit den Schadenumständen und mit den aus Prüfungen bekannten Bauteileigenschaften zu sehen. Aus dem vollständig nachzuvollziehenden Schadenablauf sind die Maßnahmen zur Schadenverhütung abzuleiten. Dieser Prozeß wird allerdings nie zu einem Abschluß kommen, weil eine sich ständig weiterentwickelnde Technik immer wieder zu Neuland führt, das auch wieder neue Risiken und Schadenfälle beinhaltet, die erneuter Aufklärung und Erkenntnisgewinnung bedürfen. Technische Entwicklung bleibt damit immer in gewissem Maße ein iterativer Prozeß des trial and error. Hier soll der Versuch unternommen werden, das Gebiet der Schadenanalyse und seine Einbettung in die technische Entwicklung erstmals in eine geschlossene Darstellung zu bringen. Zunächst wird aufgezeigt, wie die Geschichte der Technik gleichzeitig eine Geschichte der Versagensfälle ist und welche Bedeutung die Erfahrung aus Irrwegen und Fehlentwicklungen für den technischen Fortschritt hat. Spektakuläre und weniger spektakuläre Schäden, Unfälle und Katastrophen werden aufgeführt, um die oft vielfache Vernetzung von Einzelvorgängen im Schadenereignis erkennbar zu machen. Solche Beispiele können naturgemäß nur eine kleine Auswahl sein und finden nahezu täglich in Meldungen und Nachrichten ihre Fortsetzung. Sie reichen von der Reaktorkatastrophe über Flugzeugabstürze, Zwischenfällen bei Transporten radioaktiven Materials bis zu Schiffsuntergängen und der ICEKatastrophe, die kurz vor Abschluß dieses Manuskripts die Öffentlichkeit beschäftigt hat. Nahezu zwangsläufig führt diese Betrachtung zu den Ursprüngen technischen Versagens, die in allen Phasen eines Produktzyklus von der ersten Idee bis zur Verwertung und Entsorgung liegen können. Strategie und Planung der Schadenanalyse lassen unmittelbare Parallelen zur Entwicklung eines Produkts und zur Konstruk-
2
0 Einführung
tionssystematik erkennen. Das Rückverfolgen der Produktentstehung und des Produktlebenslaufs bis zum Schadenereignis ist dabei vergleichbar mit der Arbeitsweise in der Kriminalistik, um die es sich als „technische Kriminalistik“ schließlich auch handelt. Es gehört entsprechend dazu die Erfassung und Auswertung von Indizien am Schadenobjekt und hier wieder besonders am Schadenteil. Diese Bewertung von Schadenmerkmalen ist Aufgabe von Laboruntersuchungen, die schwerpunktmäßig fraktographische und metallographische Untersuchungen zum Gegenstand haben. Damit läßt sich gleichzeitig auch die Frage beantworten, warum gerade werkstoffkundliche Untersuchungen bei der Schadenaufklärung vielfach eine zentrale Bedeutung einnehmen. Der Werkstoff ist oft der einzige zuverlässige Datenträger, aus dem sich Schadeninitiierung, Schadeneinflüsse und Schadenabläufe ableiten und beweisen lassen. Allerdings führt diese Tatsache zuweilen auch dazu, daß versucht wird, Schäden allein durch Laboruntersuchungen aufzuklären. Hier verhält es sich wieder wie in der Kriminalistik, die nicht in der Auswertung von Spuren steckenbleiben darf, sondern durch Einbeziehung des Umfelds die Ergebnisse zu verifizieren hat. Die Werkstoffprüfung und die Werkstoffcharakterisierung ist nach diesem Verständnis ähnlich einzuordnen wie die Bewertung der Berechnung und der Konstruktion. Mit Hilfe der Kennwerte aus geeigneten Prüfverfahren läßt sich beurteilen, ob die Anforderungen, die bei einem gegebenen Einsatzzweck gefordert sind, durch die Bauteileigenschaften erfüllt werden oder ob durch Mängel in der Gestaltung, durch falsche Werkstoffwahl und –behandlung, durch Fertigungs- und Betriebseinflüsse oder durch Prüf- und Überwachungsmängel schadenrelevante Faktoren vorliegen. Die Schadenanalyse als Bestandteil der technischen Entwicklung und des technischen Fortschritts ist im besten Sinn ein interdisziplinäres Wissensgebiet, das sich in einer einzigen Abhandlung wohl in seiner vielfältigen Vernetzung darstellen läßt, aber nicht in allen Einzelheiten vollständig behandelt werden kann. Mit diesem Buch soll nicht nur ein Beitrag zu den Anstrengungen für Sicherheit und Zuverlässigkeit moderner Technik geleistet werden, sondern auch eine Anregung zu mehr Offenheit und Ehrlichkeit bei der Diskussion über Probleme und Gefahren, die mit unserer Technik verbunden sein können. Nur auf diese Weise kann der sogenannten Technikfeindlichkeit begegnet werden, die wohl eher ein Mißtrauen der Öffentlichkeit ist, das seinen Nährboden in der viel zu oft betriebenen Verharmlosung von Problemen findet, die erst dann sichtbar werden, wenn es zu alarmierenden Zwischenfällen, Unfällen und Katastrophen gekommen ist. So ist es die Absicht, über die Bereitstellung einer sicheren und zuverlässigen Technik hinausgehend auch zu mehr Technikakzeptanz und zu mehr Vertrauen der Öffentlichkeit in die Ergebnisse der Ingenieurarbeit beizutragen.
1 Geschichte der Technik
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1 Geschichte der Technik – Geschichte der Versagens- und der Schadenfälle
Die Technik stellt bis in die frühesten zurückverfolgbaren Zeiträume der Entwicklungsgeschichte die Voraussetzung dar, daß sich der Mensch durchsetzen und Naturgesetze nutzbar machen konnte. Werkzeuge für das Überleben schuf der Mensch stets unter Einsatz seiner planenden und schöpferischen Phantasie. In der Art der Gestaltung von Kunst und Technik bestanden zumindest bis in das Zeitalter der Renaissance keine Gegensätze. Die Phantasien zur Überwindung der dem Menschen gesetzten Grenzen eilten immer wieder weit über das beim jeweiligen Erkenntnisstand und den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu Realisierende hinaus. Im Vordergrund standen dabei Träume und Wünsche nach außergewöhnlichen Kräften, nach Unangreifbarkeit und nach der Überwindung von Raum, Zeit und irdischen Dimensionen. Dieses Streben kommt in Sagen und dichterisch ausgestalteten historischen Überlieferungen in Form phanasievoll ausgeschmückter technischer Ideen zum Ausdruck. Bereits in der griechischen Mythologie wird die Erfindung von Zirkel, Säge und Töpferscheibe genannt. Dädalus entflieht nach der Sage mit seinem Sohn Ikarus mit Hilfe künstlicher Flügel der Gefangenschaft des Königs Minos. Die Grenzen und die Gefahr dieses Fluges werden dabei angesprochen, indem nach dieser Sage Dädalus’ Sohn Ikarus der Sonne zu nahe kommt. Das Wachs, das die Federn der Flügel bindet, schmilzt und Ikarus stürzt ins Meer. Unter den Fabeln um Archimedes (285 bis 212 v. Chr.) befindet sich die Erzählung von seinem Sonnenmotor und von der Versenkung feindlicher Schiffe mit Hilfe von Hohlspiegeln. Immerhin liegen diesen Darstellungen bereits klare theoretische Erkenntnisse zugrunde, zu deren Umsetzung allerdings die Voraussetzungen noch fehlten. Gesichert scheint jedoch, daß durch Archimedes einfache Maschinen angegeben wurden allein auf der Basis axiomatisch deduktiver Erkenntnisse. Nach den Berichten gehören dazu der Hebel, der Flaschenzug und die Schraube zur Vervielfachung der Kraft. In diesem Zusammenhang wird Archimedes auch der Satz zugeschrieben: „Gib mir einen Punkt, wo ich stehen kann, und ich werde die Erde in Bewegung setzen“. Der Archimedes zugeschriebene Ausspruch „heureka“ beruht auf einem vermutlich legendären Bericht über die Entdeckung des Archimedischen Prinzips. Dieses Prinzip darf wohl als erster Bericht über ein zerstörungsfreies Prüfverfahren angesehen werden. Archimedes stellte mit Hilfe des Gewichtsverlustes beim Eintauchen in Wasser fest, ob die Krone König Hierons wirklich aus purem Gold gefertigt war. Er konnte dabei auf jegliche Probenahme und damit Beschädigung der Krone verzichten.
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1 Geschichte der Technik
Der Antrieb von einfachen Arbeitsmaschinen und von Fortbewegungsmitteln war über lange Zeiträume hinweg nur mit Hilfe der Kraft des Menschen und des Tieres möglich, wobei es gelang, mit einfachen Mitteln die Kräfte durch die Vergrößerung des Weges zu erhöhen. In der Entwicklungsfolge gelang es, zur Krafterzeugung fallendes Wasser, Wind und schließlich Wärme und Feuer heranzuziehen. Die Wassermühle ist die erste Maschine des Altertums, die nicht durch Muskelkraft betrieben werden mußte. Die Schiffe des Altertums wurden gerudert, wenn auch früh schon ein kleines Segel zur Hilfe genommen wurde, das aber zunächst nur das Segeln vor dem Wind ermöglichte. Die Windmühlen werden ein Jahrtausend nach den Wassermühlen datiert. Heron von Alexandrien war in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts n. Chr. der einzige Mensch des Altertums, von dem bekannt ist, daß er mit Hilfe des Feuers Maschinen in Bewegung setzte (Bild 1-1). So erzeugt er durch Erwärmung einer Kugel in dieser Dampf, der durch Düsen ausströmte und die Kugel nach dem Reaktionsprinzip, d.h. nach dem Prinzip des Strahlantriebs, in Bewegung setzte. Um 1750 wurde dieses Reaktionsprinzip dann von Segner als Vorform der Wasserturbine umgesetzt. Die Maschinen des Altertums waren jedoch meist noch nicht zur Erzeugung nutzbarer Energie zu verwenden, sondern vielmehr unter Spielwerke und Zauberapparate einzuordnen. Die Einheit von Kunst und Ingenieurwesen manifestiert sich in den Bauwerken des Altertums wie den Pyramiden und in den Kathedralen des Mittelalters. Leonardo da Vinci und Michelangelo waren Künstler, die der Ingenieurkunst ebenso verschrieben waren wie der Malerei und der Bildhauerei. Die Bauten des Altertums ebenso wie die Kathedralen des Mittelalters entstanden, bevor die mathematische Behandlung der Festigkeitsprobleme in erschöpfender Weise möglich gewesen ist. Die Bauwerke wurden geschaffen aus Visionen, aus künstlerischer Intuition unter Beachtung der Harmonie der Proportionen. Die Ausführung der Technik allein aus Vorstellungen, Empirie und Formen, die der Phantasie entsprangen, ist dort an ihre Grenzen gestoßen, wo der Bau von Maschinen und Vorrichtungen die wissenschaftliche Durchdringung der Gesetzmäßigkeiten der Physik ebenso voraussetzte wie das Vorhandensein entsprechender Materialien und von Technologien, um diese zu formen und in ihren Eigenschaften zu beeinflussen. So hat Leonardo da Vinci viele Vorrichtungen und Maschinen erdacht und gewollt, zur Funktion jedoch konnte er sie nicht bringen. Erst mit den naturwis-
Bild 1-1. Heronsball. Erzeugung einer Drehbewegung nach dem Reaktionsprinzip
1 Geschichte der Technik
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senschaftlichen Erkenntnissen der Neuzeit konnten physikalische Gesetze in ihren Zusammenhängen so erfaßt werden, daß sie Vorgaben für den Ingenieur und für sein Handeln werden konnten. Die Bereitstellung von Materialien, Werkzeugen und Vorrichtungen ebenso wie die Erschließung von Ressourcen für Betriebs- und Hilfsstoffe waren unverzichtbar für die Realisierbarkeit technischer Ideen. Der Freiraum der Phantasie des Ingenieurs war durch diese notwendigen Voraussetzungen gegenüber den vorangegangenen Zeiträumen naturgemäß eingeengt und fokussierte sich auf ein realitätsbezogenes technisch-wissenschaftliches Denken. Die physikalischen Gesetzmäßigkeiten sind Eckpunkte, mit denen die Grenzen gesteckt werden, innerhalb derer die Ausführung technischer Geräte und Maschinen in unterschiedlicher Weise vorgenommen wird. Erst aus der Erfahrung mit ihren Schwächen und Versagensfällen im Gebrauch beginnt eine Evolution dieser Technik, die zu einer optimalen Anpassung an bestehende Anforderungen führt. Die Voraussetzung zur Umsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in zuverlässige Technik und Technologien ist die Verfügbarkeit von Werkstoffen, die den zur sicheren Beherrschung der naturgesetzlichen Abläufe notwendigen Anforderungen standhalten, für deren Erzeugung und Verarbeitung die notwendigen Prozesse bestehen und für deren Qualifizierung entsprechende Berechnungs- und Prüfverfahren vorhanden sind. So ist immer wieder die Verfügbarkeit des Materials der kritische Pfad, durch den der Fortschritt in der kulturellen, zivilisatorischen und technischen Entwicklung vorgegeben wird. Zunächst standen dem Menschen zur Schaffung von Werkzeugen, Geräten und Ausrüstung nur solche Stoffe zur Verfügung, die ihm von der Natur ohne Anwendung von physikalisch-technischen Verfahrensschritten unmittelbar geboten wurden. Es war dies neben dem Holz als Baumaterial der Stein, der die Mindestanforderung an Härte, Festigkeit und Verschleiß erfüllen konnte, die an einen Werkstoff für Werkzeuge und Waffen zu stellen war. Unter den Metallen waren als Erstes diejenigen der Verwendung zugänglich, deren Gewinnung die geringsten Anforderungen an metallurgische Kenntnisse und Technologien stellte, also Metalle, die entweder in reiner Form, d.h. gediegen, in der Erdrinde vorkommen oder die durch sehr einfache Verfahren unter geringem Energieaufwand vom oxidischen in den metallischen Zustand übergeführt werden konnten. So ist es durchaus kein Zufall, daß der Mensch zur Realisierung seiner technischen Fähigkeiten zunächst die Metalle zur Verfügung hatte, die durch ihre Stellung in der elektrochemischen Spannungsreihe als edel eingeordnet werden. Die ältesten Metalle in der zeitlichen Abfolge der Werkstoffverwendung sind entsprechend Gold und Silber, als ältestes Gebrauchsmetall erscheint dann das Kupfer. Durch Zugabe des ebenfalls vergleichsweise edlen und leicht darzustellenden Zinns zum Kupfer war eine frühe Legierungstechnik gegeben, mit der es gelang, den Schmelzpunkt der auf diese Weise entwickelten Bronzen gegenüber dem des reinen Kupfers herabzusetzen und damit die Verarbeitbarkeit dieser Legierung gegenüber dem reinen Kupfer insbesondere durch Gießen und Schmieden erheblich zu erleichtern. Die Stellung der Metalle in der elektrochemischen Spannungsreihe und damit die Möglichkeit zu ihrer Gewinnung in Abhängigkeit vom technischen Wissen und Können haben mehr Einfluß auf die Menschheitsentwicklung gehabt als viele andere Ereignisse, die von der Geschichtsschreibung in den Vordergrund gestellt werden, aber letztlich doch nur Folge der Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen sind,
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1 Geschichte der Technik
sich zu verwirklichen. Ganze geschichtliche Epochen werden entsprechend nach den verfügbaren Materialien Stein, Bronze und Eisen gekennzeichnet. Die Erzeugung von Metallen wie Eisen und Zink erforderte dabei bereits höher entwickelte metallurgische Verfahren und war erst entsprechend später möglich, bis schließlich auch die unedlen Metalle wie Aluminium und Magnesium im vergangenen Jahrhundert erstmals darstellbar waren (Bild 1-2). Neben den Möglichkeiten zur Anpassung und Verbesserung der Eigenschaften metallischer Werkstoffe durch das Legieren wurden in empirischer Weise auch bereits in frühgeschichtlicher Zeit Techniken entwickelt, um durch mechanische und thermische Behandlung die Beanspruchbarkeit des Werkstoffes gezielt zu steigern. Es gehören dazu die Verfestigung durch Kaltverformung um 4000 v. Chr. und die Stahlhärtung um 1000 v. Chr. Die Werkstoffbehandlung in früher Zeit war ausschließlich das Resultat reiner Empirie und erfolgte oft unter dem Nimbus der Mystik nach streng gehüteten Rezepturen. Die Vorgehensweise ist allerdings aus heutiger Sicht leicht verständlich. So brachte die „Wärmebehandlung“ von Schwertern in organischen Substanzen wie Stallmist oder Jauche einen Effekt zustande, den wir heute in die Gruppe des „Karbonitrierens“ einordnen könnten. Im Bereich der organischen Werkstoffe wurden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts im wesentlichen Naturprodukte chemisch verändert, wie z.B. bei der Vulkanisation von Kautschuk, der Herstellung von Zelluloid, Kunsthorn und Zellglas. Die Entwicklung der vollsynthetischen organischen Werkstoffe, der Polymerwerkstoffe, setzte die wissenschaftliche Grundlage der Makromolekularchemie voraus, die in den 20er Jahren unseres zu Ende gehenden Jahrhunderts geschaffen wurde. Die Entwicklung der technischen Keramik baut nicht nur auf die aktuellen Erkenntnisse der Festkörperstrukturforschung auf, sondern benötigt auch geeignete Werkstoffe für Werkzeuge, die z.B. beim Heißpressen Drücken von 40 MPa bei Temperaturen um 1500 °C standhalten. Damit zeigt sich die enge Vernetzung, die zwischen dem jeweiligen Entwicklungsstand verschiedener Wissensgebiete und
Bild 1-2. Beziehung zwischen der elektrochemischen Spannungsreihe und der Verfügbarkeit einiger ausgewählter Metalle (nach Hornbogen/Warlimont)
1 Geschichte der Technik
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Technologien besteht, um den Transfer in vielfältige technische Systeme vorzunehmen. Die Betrachtung des Ablaufs technischer Entwicklungen vom Gedanken bis zur Realisierung zeigt, daß dieser Schritt stets an eine Vielzahl von Voraussetzungen gebunden ist, die zum Teil in langen Prozessen geschaffen werden müssen. Innovationsschritte eröffnen nicht nur viele neue Möglichkeiten, sondern machen auch zahlreiche Schwachstellen sichtbar, aus denen sich Aufgaben stellen, die in zum Teil mühevoller Kleinarbeit zu lösen sind, bevor neue Technologien zum Tragen kommen können. In eindrucksvoller Weise manifestierten sich solche Zusammenhänge und Abhängigkeiten in der Geschichte der Einführung der Dampfkraft. Die Vervielfältigung der Kräfte und der Leistung, die mit Hilfe dieser Umsetzung thermischer Energie zu erzielen war, machte nicht nur die Möglichkeiten dieser Technologie, sondern auch deren Gefahrenpotentiale deutlich. Dieser erste Schritt in das technische Zeitalter ist begleitet von Schäden und Katastrophen. Kessel explodierten wegen Werkstoffmängeln, fehlerhafter Fertigung, unzureichender Konstruktion und fehlender Betriebserfahrung. Eisenbahnen entgleisten wegen Brüchen an Rädern, Achsen und Schienen. Bedingt durch die Kenntnis der Mängel und Schwachstellen wurden neue Verfahren zur Erschmelzung von Stahl, für das Schmieden und Walzen, aber auch für die Weiterverarbeitung entwickelt. Mit vielen anderen Gebieten haben sich wichtige Synergien ergeben. So mit der Verfahrenstechnik, mit dem Stahlbau, dem Schiffsbau, aber auch mit Verfahren zum Fügen der Einzelteile, wie Nieten, Schrauben, Schweißen, Hartlöten und vieles andere. Schließlich waren auch Entwicklungen in weiter entfernten Bereichen, wie zum Beispiel in der Bodenmechanik für den Schienenunterbau, zu leisten. Im Wissen um die Risiken beim Betreten von technischem Neuland haben sich geeignete Prüfverfahren zur Qualifizierung der Werkstoffe entwickelt. Versuchsanstalten und Überwachungsorganisationen wurden gegründet. So hat der im Eisenbahnbau tätige A. Wöhler sich um 1860 mit dem Werkstoffverhalten unter fortdauernder Wechselbeanspruchung befaßt und die nach ihm benannten Wechselfestigkeitskurven aufgestellt. Er gilt damit als einer der Väter moderner Werkstoffprüfung. Zur Überwachung von Maschinen und Anlagen, zur Erarbeitung von Richtlinien und zur Aufklärung von Schwachstellen wurde 1866 der erste „Dampfkesselüberwachungsverein“ in Mannheim gegründet. Fünf Jahre später entstand die Königlich Mechanisch-Technische Versuchsanstalt in Berlin als Vorläufer der heutigen Bundesanstalt für Materialprüfung. In diese Zeiten fallen auch die Gründungen der Technischen Hochschulen, die mit der wissenschaftlichen Ingenieurausbildung und mit ihrer Forschung die Basis für Neuentwicklungen und für die Vorhersehbarkeit des Werkstoff- und Betriebsverhaltens mit Hilfe von Berechnungsmethoden geliefert haben. Innovation bedeutet heute und auch in Zukunft stets das Betreten von Neuland. Im Gesamtsystem der Anwendung und des Anwendungsumfelds können sich immer wieder Einflüsse und Einflußkomplexe ergeben, die nicht vorhersehbar sind und erst im Einsatz offenbar werden. Innovation bedeutet stets auch Risiko und entsprechenden Erkenntnisgewinn. Ohne Innovation aber wird auf wichtige Chancen verzichtet. Vom Haushaltsgerät bis zur kerntechnischen Anlage, vom Rechner bis zum Kraftfahrzeug stellen sich die Schwachpunkte erst im dauernden und verbreiteten Gebrauch heraus. Eine Neuentwicklung, wie ein neuer Typ eines Fahrzeuges,
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1 Geschichte der Technik
aber auch nur eine Änderung, führt nicht selten auch zur Aufdeckung neuer Mängel und zu einem Ansteigen von Rückrufaktionen, um Verbesserungen durchführen zu können. Die Aufdeckung von Schwachstellen und die wissenschaftliche Klärung des Systems des Versagens ist damit ein bedeutendes Instrument für die Entwicklung einer sicheren Technik. Chance und Risiko hängen eng zusammen. In der chinesischen Sprache wird dies damit verdeutlicht, daß für beide Begriffe das gleiche Wort steht.
1 Geschichte der Technik – Geschichte der Versagens- und der Schadenfälle
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2 Erkenntnisgewinn aus dem System technischen Versagens
Die ingenieurmäßige Umsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse unter sinnvoller Nutzung der Ressourcen in anwendbare Technik ist ein Kreativitätsprozeß, der sich signifikant von der Erfassung und der verstandesmäßigen Durchdringung der Naturgesetze unterscheidet. Aufbau und Struktur, ebenso wie Gesetzmäßigkeiten und ihr Zusammenspiel vom Kosmos bis zu den Elementarteilchen, sind von einer Schöpfung, die außerhalb von Menschen faßbarer Dimensionen liegt, vorgegeben. Der exakten Naturwissenschaft bleibt die Aufgabe, diese Gesetzmäßigkeiten innerhalb der Möglichkeiten und Grenzen unseres Denkens und Handelns zu erfassen und zu verstehen. Dies erfolgt durch Beobachten, theoretische Überlegungen und experimentelles Verifizieren. Anders stellt sich die Aufgabe des Ingenieurs. Er geht von den vorgegebenen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen aus und versucht, diese mit Hilfe von ihm selbst geschaffener Vorrichtungen im Rahmen der Naturgesetzlichkeiten und der verfügbaren Materialien so zu beeinflussen, daß sie vom Menschen beherrscht und in seinem Sinne genutzt werden können. Dem Ingenieur bleiben in seinem vorgegebenen Rahmen dazu eine Reihe von Möglichkeiten, die a priori nicht übergeordnet festgelegt, sondern menschlicher Entscheidung anheim gestellt sind. Allein die Aufgabe, durch elastische Formänderungsarbeit mechanische Energie aufzunehmen, zu speichern und wieder abzugeben, um damit Stöße zu mildern, läßt sich mit einem Wirkprinzip erfüllen, das grundsätzlich allen Federn gemeinsam ist. Die Ausführungsformen von Federn sind vielfältig und unterscheiden sich zunächst nach der Art der Beanspruchung Zug, Druck, Biegung, Torsion und Schub. Sodann werden je nach der gewünschten Chrakteristik zur Energieaufnahme Metalle, faserverstärkte Polymere, Elastomere, insbesondere Gummi, und sogar Keramik eingesetzt. Schließlich finden auch gasförmige Medien in Gasdruckfedern Verwendung. Die Auswahlkriterien für den Lösungsweg für eine bestimmte technische Aufgabe richten sich nach möglichst vollständigen Anforderungsprofilen, in deren Aufstellung Erfahrung in Montage, Betrieb und Wartung einzugehen haben. Bereits am genannten Beispiel der Feder, also eines zunächst relativ einfachen Maschinenelements, zeigt sich deutlich, daß die Ausführung einer Maschine und Anlage dem Ingenieur Entscheidungen abverlangt, die nicht eindeutig mit dem Ergebnis einer deterministischen Berechnung zu treffen sind. Neben rechnerisch erfaßbaren Auslegungskriterien erfordert die technische Gestaltung vielfältige Überlegungen und Beurteilungen von Zusammenhängen ebenso wie die Auswertung von Ergebnissen aus Versuchen und schließlich aus dem Betriebs- und Störverhalten in der Praxis.
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2 Erkenntnisgewinn aus dem System technischen Versagens
Die Entscheidungs- und Kreativitätsprozesse des Ingenieurs unterliegen allen Schwächen und Irrtümern, die menschlichem Handeln innewohnen. Erst bei der Anwendung ausgeführter Technik zeigt sich in letzter Konsequenz, wo Schwachpunkte liegen, mit denen vorher nach Art und Umfang nicht gerechnet wurde, und wie diese im Ablauf technischer Vorgänge und Prozesse zur Auswirkung kommen können. Als Grundlage für einen iterativen Prozeß, wie es die Verbesserung von Zuverlässigkeit und Sicherheit in der Technik darstellt, ist somit die Erarbeitung von Erkenntnissen aus der Nutzungsphase der technischen Produkte erforderlich. Solche Erkenntnisse über unerwartete Fehlfunktionen, Schwachstellen und Auslösung von Versagensprozessen erfordern konsequenterweise ein Vorgehen, das wieder streng wissenschaftlich ausgerichtet ist und Ähnlichkeit hat mit dem wissenschaftlichen Vorgehen bei der Aufklärung von Naturgesetzen. Die systematische wissenschaftliche Aufklärung von Versagensfällen in der Technik ist eine Aufgabe, die sich oft aus zahlreichen Teilproblemen zur Klärung der Einflüsse aus den verschiedenen Phasen der Produktentstehung und Produktnutzung zusammensetzt. Das Ergebnis eines technischen und/oder menschlichen Versagens ist ein Endzustand, bei dem das „Warum“ und das „Wie“ einer Ereigniskette mit Indizien und Recherchen nachvollzogen werden muß. Zur Aufklärung dienen in gleicher Weise wie in der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung die Beobachtungen, die Einordnung der Beobachtungen in Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge und schließlich die Verifizierung eines theoretischen Modells im Experiment. Die Selektion der für die technischen Anwendungen optimalen und zuverlässigen Lösungswege kann sich somit letzten Endes nur aus der Praxisbewährung der vom Ingenieur geschaffenen Produkte ergeben, da einzig auf diese Weise die Vielfältigkeit aller z.T. nicht vorhersehbaren Einflußgrößen auf Bauteile und Material und die dabei entstehenden Reaktionen offenbar werden. In der Schlußfolgerung aus der Aufklärung der Einflüsse, die bei einem Versagensablauf auslösend und begünstigend wirksam werden, haben sich Rückwirkungen auf Annahmen und Vorgaben, Berechnungen, Gestaltung, Werkstoffwahl, Werkstoffbehandlung, Fertigung und Betrieb zu ergeben, die zur Ausbildung einer bestimmten Gestaltung und Form eines technischen Produktes führen. Eine solche Rückkopplung zwischen dem Kreativitätsprozeß und der Analyse des Verhaltens im technischen Einsatz unter unterschiedlichen Bedingungen ist dabei unabhängig davon, ob die Wahl der Ausführung eines technischen Erzeugnisses nach Vorbildern der Natur oder aufgrund eigenständiger logischer Überlegungen und Folgerungen geschieht. In eine solche analytische Betrachtung sind bereits die Überlegungen und Annahmen, die zu einer bestimmten Gestaltung eines technischen Erzeugnisses geführt haben, mit in das System von Funktion und Fehlfunktion einzubeziehen, um schon im Ansatz Schwachstellen und Versagensursachen und -möglichkeiten aufzuklären.
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3 Evolution und Selektion in der Technik
Die vielfachen Wechselbeziehungen zwischen physikalischen Grundlagen und den Möglichkeiten ihrer Umsetzung werden im Wandel technischer Ausführungsformen deutlich. Der Prozeß einer laufenden Modifizierung und Anpassung ist dabei unabhängig davon, ob eine technische Lösung einer Aufgabe nach dem Vorbild der Natur oder durch eigenständige Ideen des Menschen erfolgte. In der Konstruktionslehre wird vermittelt, daß komplexere Systeme, wie Maschinen oder Anlagen, in Teilsysteme und Systemelemente strukturiert werden, um nach verschiedenen Vorbildern bewährte Teillösungen in die Lösung eines neuartigen Gesamtproblems einzubeziehen. Die im Verlauf von Selektionsprozessen sich herausbildende Gestaltung von Einzelkomponenten ist überwiegend völlig unspektakulär, kann jedoch für die Zuverlässigkeit eines Gesamtsystems wesentlich sein, da damit die Möglichkeit besteht, bekannte Einzelkomponenten und die damit vorliegenden Erfahrungen zu nützen (vgl. VDI-Merkblatt 2221 – Methodik zum Entwickeln und Konstruieren technischer Systeme und Produkte, vgl. Kap. 7, Bild 7-2).
3.1 Vorbild Natur Oft sind die Designbeispiele, die uns durch die Natur aufgrund einer Evolution über Jahrmillionen gegeben werden, bei der Wahl von Lösungswegen und der technischen Gestaltung Vorbild. Eindrucksvoll läßt sich dabei vor Augen führen, wie sich bestimmte Formen und Funktionen durch natürliche Auslese herausbildeten. So kann gezeigt werden, wie die Ausbildung der Nase des Delphins sich in der BugGestaltung moderner Schiffe widerspiegelt. Ebenso ist das Vorbild von Winglets an den Flügelenden, die zur Energieeinsparung von Flugzeugen beitragen, bei Vogelflügeln zu finden (Bild 3-1 a, b, c und d). Der Aufbau tragender Strukturen kann auf zahlreiche Beispiele in der Natur zurückgreifen. Für die Stabilisierung großer, schwerer Oberflächen werden diese nach dem Vorbild der Fächerpalme in Zick-Zack-Faltung oder als Wellung, wie beim Wellblech oder der Wellpappe, ausgeführt. Am Beispiel des Baumes läßt sich zeigen, wie dieser in Gestalt und Werkstoffstruktur einer Anpassung an das Prinzip konstanter Spannung für ein anforderungsgerecht gestaltetes Bauteil folgt. Der Verlauf der Holzfasern ist dem Kraftflußverlauf optimal angepaßt und ergibt eine Minimierung der Schubspannungen zwischen den Fasern. Damit ist durch die Natur ein Vorbild gegeben für die Optimierung der Struktur von Faserverbundwerkstoffen. Viele andere Beispiele werden für Vorbilder in der Natur zur Gestaltung von Strukturen genannt, vom Insektenbein bis zur Muschelschale und Koralle.
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3 Evolution und Selektion in der Technik
a
b
c
d Bild 3-1. Vorbilder in der Natur für technische Ausführungsformen a) Delphinkopf b) Bug-Wulst c) Spreizflügel bei Vogel
d) Winglet bei Airbus
Die Übertragbarkeit aus der Natur in die Technik ist vorzugsweise dann gegeben, wenn es sich um eine äußere Gestaltung bzw. Formgebung handelt, wie bei der strömungsgünstigen Ausbildung von Körpern. Beim strukturellen Aufbau von tragenden Bauteilen ist die Übertragbarkeit zwar grundsätzlich gegeben, jedoch dadurch eingeschränkt, daß es sich bei den Baustoffen in der Natur um Biomaterialien handelt mit eigenen Stoffparametern, die sich vor allem auch ihrem Umfeld anpassen können im Gegensatz zu einer toten Materie, wie sie in der Technik zur Verarbeitung kommt. Auch bei technischen Werkstoffen findet eine Veränderung der Kennwerte statt, die jedoch in Richtung eines Verfalls, eines Lebensdauerverbrauchs gerichtet ist und sich in einer Verminderung von Sicherheit und Zuverlässigkeit ausdrückt. Diese Tatsache wird oft bei der Auslegung und Berechnung von Bauteilen und Komponenten zu wenig beachtet. Werkstoffkennwerte werden bei der Auslegung im Neuzustand zugrundegelegt, meist ohne zu berücksichtigen, daß durch die Nutzung eine gravierende Änderung der Auslegungskennwerte eintreten kann, die dann im Systemzusammenhang ein Versagen auslösen und begünstigen kann. Auch die Modellierung von Funktionen nach der Natur für technische Anwendungen stößt auf Grenzen, die hier wiederum nicht zuletzt durch die tote Materie der Funktionswerkstoffe bedingt sind. So stellt der Rechner in seinem Aufbau eine Modellierung des Prozeßablaufs im Gehirn dar, die auf der Grundlage der Erkenntnisse der Kybernetik beruht. Die Aufnahme von Eindrücken, die Umsetzung in Weitermeldungen, die Koordination, Verarbeitung und Auslösung von Aktionen im menschlichen Gehirn wird im Aufbau eines Rechners nachzuvollziehen versucht. Neuronen und Synapsen finden ihre Entsprechung in Halbleiterbauelementen mit
3.2 Autonomes technisches Design
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ihrer Vernetzung. Um mit diesen Elementen aus toter Materie die Aufnahme und Verarbeitung von Signalen nachzuvollziehen, bedurfte es der Grundlage der Äquivalenz der Kontinuitäts- und der Diskontinuitätsbetrachtung beim Ablauf von Vorgängen, wie sie von N. Wiener nachgewiesen wurde. Im Fall des Gehirns, also der lebenden Materie, erfolgt die Aufnahme und Verarbeitung der Vorgänge analog, die Maschine ist auf eine digitale Aufnahme und Verarbeitung der Signale angewiesen. Die in der Natur nicht vorkommende Digitaltechnik ist auf dem Gebiet der Datenverarbeitung eine Hilfe bei der Übertragung von Vorgängen aus der Natur in technische Modelle, ähnlich wie es im Falle der Fortbewegung seit Jahrtausenden das Rad darstellt, das ebenfalls in der Natur kein Vorbild hat, sondern die schrittweise Fortbewegung in eine kontinuierliche umsetzt. Wie schwerfällig die Fortbewegung in der unmittelbaren Modellierung der Natur selbst mit den Mitteln der Hochtechnologie ausfällt, wird in einer Käfersimulation als Lauf- und Klettermaschine deutlich. Mehr als dies im Bewußtsein der Ingenieure verankert ist, findet die Gestaltung der Technik ihre Grenzen, aber auch ihre Möglichkeiten in der Verfügbarkeit technischer Werkstoffe mit ihren spezifischen Eigenschaften und deren zeit- und beanspruchungsabhängigen Veränderungen. Das Bewußtsein der Einheit von Gestaltung und Material, wie dies in der Natur demonstriert wird, ist bei Konstrukteuren oft zu wenig ausgeprägt. Ingenieurkonstuktionen sind aus einer vergleichsweise geringen Anzahl von Materialien aufgebaut, die dem Konstrukteur vorgegeben sind, während die Materialforschung als eigenständiges Gebiet betrachtet wird, das nicht in den engeren Tätigkeitsbereich des berechnenden und konstruierenden Ingenieurs fällt. Zunehmend aber läßt sich die Gestaltung der äußeren Form und Struktur zuverlässig belastbarer Konstruktionen nicht von der inneren Struktur des Werkstoffes trennen. „Besserer Werkstoff“ in diesem Sinn kann sich nur aus einer Harmonie zwischen innerer und äußerer Struktur, zwischen Makro- und Mikrostruktur, ergeben und im Sinne einer Anpassung zwischen Werkstoffstruktur und Beanspruchungsverläufen verstanden werden. Als Beispiel für einen derartig anforderungsgerechten Werkstoffaufbau kann die Schalenstruktur des Schädels von Wirbeltieren herangezogen werden. Zwischen zwei in ihrer Makrostruktur homogen aufgebauten Platten liegt eine Knochenschicht aus Schwammgewebe. Ein Beispiel, das unter anderem auch einen Weg weisen könnte, wie die Belastbarkeit von Keramik unter Zug- und Scherkräften verbessert werden könnte.
3.2 Autonomes technisches Design Die Anforderungen, die heutige Technik zu erfüllen hat, lassen sich nicht allein nach dem Vorbild der Natur erfüllen, sondern verlangen eigenständige Problemlösungen. Unter der Vielfalt von autonomen Lösungsmöglichkeiten der Aufgaben in unterschiedlichen technischen Bereichen ist es immer wieder die Bewährung in der Praxis, die empirische Erfahrung, die evolutionär Ausführungen und Bauformen beeinflußt. Die Erfahrungen aus dem Einsatz technischer Einrichtungen lassen sich dabei nicht durch Ergebnisse aus dem Versuchsfeld ersetzen, da dabei für die Bean-
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3 Evolution und Selektion in der Technik
spruchungsbedingungen wiederum Annahmen zu treffen sind, die beim Einfließen der Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis oft wieder korrigiert werden müssen. Nicht zuletzt wird der Wandel in der Gestaltung der Technik aber auch durch Änderungen in den Voraussetzungen, den Ressourcen, dem Umfeld und durch sich wandelnde Anforderungen ebenso wie durch Modeströmungen und selbst ideologienahe Ansichten bestimmt. Technische Evolution ist somit eingebunden in ein Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis, Ressourcenverfügbarkeit, Verarbeitungstechnologien und nicht zuletzt den Gegebenheiten der Ökologie, Ökonomie und den damit verknüpften Verhaltensrastern und Trends. 1 Gebrauchsgegenstände Je näher technische Hilfsmittel, Werkzeuge und Einrichtungen der unmittelbaren Handhabung durch den Menschen stehen, desto stärker wird ihre Gestaltung von Gewohnheiten, Benutzerfreundlichkeit und Toleranz gegenüber unsachgemäßer oder fehlerhafter Anwendung bestimmt. Die Beeinflussung der Formen und der Gestaltung durch nicht immer konkret faßbare und rationale Überlegungen wird an alltäglichen Dingen deutlich, wie Axt, Hammer, Eßbestecken, Nägeln, Büroklammern, Sicherheitsnadeln, Reißverschluß, Schraubendreher und vielen anderen Gebrauchsgegenständen. Selbst einfachste Gebrauchsgegenstände, wie beispielsweise Büroklammern, werden in einer Vielfalt hergestellt, die einen Hersteller sogar damit werben läßt, daß er die größte Auswahl der Welt an Büroklammern zu bieten hat. Gewißermaßen repräsentativ für fast alle einfachen Gebrauchsgegenstände hat jedes Büroklammermodell – wie alle Produkte – gegenüber dem anderen einige Vorteile, aber notwendigerweise auch Nachteile, auf die natürlich in der Werbung nicht näher eingegangen wird. Eng verknüpft mit der Entwicklung der Form derartiger Gebrauchsgegenstände ist die Herstellbarkeit und die Konstruktion entsprechender Maschinen. Schraubenköpfe und dazu gehörige Schraubendreher sind Beispiele, wie Auffassungen über Handhabbarkeit und unterschiedliche Anforderungen zu verschiedenen Ausführungsformen gelangen. Auch der Reißverschluß kann dazu dienen aufzuzeigen, wie ein einfacher Gebrauchsgegenstand eine vergleichsweise lange Evolution erfahren hat. In den Jahren 1893 bis 1913 entwickelte sich der Hakenverschluß zum hakenlosen Verschluß, wie er auch heute noch gefertigt wird und bei dem konvexe und konkave Seiten einzelner Zähne ineinander greifen. In der Literatur über Design und Evolution von Gebrauchsgegenständen wird angenommen, daß es zwanzig- bis dreißigtausend Dinge des täglichen Gebrauchs gibt, die in unterschiedlichen Formen existieren. Die Vielfalt der Gebrauchsgegenstände und Werkzeuge wird in Zusammenhang gebracht mit einer fortwährenden Evolution neuer Bedürfnisse, die durch die Entwicklung neuer Konstruktionen von Maschinen und Geräten geschaffen werden. Zunehmend komplizierte, kompakte und miniaturisierte Ausführungen erfordern neue Werkzeuge für den Zusammenbau und das Zerlegen und diese neuen Werkzeuge machen es wiederum möglich, daß wiederum weitere neue Ausführungsformen realisiert werden können. 2 Elemente und Komponenten von Maschinen und Anlagen Wesentlich vielschichtiger als bei einfachen Gebrauchsgegenständen, die für sich allein stehen, ist die Entwicklung einzelner Konstruktionselemente zu sehen, die in
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Funktionsweise und Ausführung in die Entwicklung komplexer Maschinen einbezogen sind und dabei zuweilen maßgebenden Einfluß auf deren Funktionsprinzip haben. In besonders anschaulicher Weise lassen sich solche Entwicklungen, die in ein komplexes System einbezogen sind, am Straßenfahrzeugbau und an der Entwicklung der Verbrennungskraftmaschine veranschaulichen. Allein die Forderung, Stöße und Unebenheiten der Fahrbahn bereits durch das Rad aufzunehmen und zu dämpfen, führte zu zahlreichen Formen und Ausführungen von Rädern, die sich in Patentschriften zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden lassen. Mit mehr oder weniger sinnreichen Ausführungen wurde versucht, über Hebel- und Federelemente sowohl vertikale Schläge als auch in Drehrichtung wirkende Verzögerungs- und Beschleunigungskräfte aufzunehmen (Bild 3-2). Solche Entwicklungen endeten, nachdem es gelungen war, durch entsprechende Vulkanisationsbehandlungen Gummimischungen herzustellen, die den harten Anforderungen schlechter Straßenverhältnisse und der Kraftübertragung über das Rad standhalten konnten. Damit wurde die Konstruktion der Luftbereifung möglich, die eine dem federnden Rad weit überlegene Lösung mit entsprechend zukunftssicherem Entwicklungspotential darstellte. Auch die Entwicklung der Bremsen zeigt, wie sich in langfristigen Entwicklungsprozessen, die wiederum von vielen sich ändernden Randbedingungen und Vorgaben abhängen, bestimmte Bauformen herausbilden. Die Radreifenbremse, Außenbackenbremse, Außenbandbremse, Innenbackenbremse und schließlich die Scheibenbremse sind Entwicklungen, die teils unabhängig voneinander in verschiedenen Anwendungsbereichen abliefen, teils aber in mehr oder weniger nachvollziehbaren Entwicklungsschritten stattfanden. Werden auch noch die verschiedenen Werkstoffe und Werkstoffkombinationen der Reibpartner ebenso wie die verschiedenen Arten zur Kühlung von Bremsen berücksichtigt, so wird vollends offenbar, in
Bild 3-2. Federndes Rad für „Motorfahrzeuge“
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welcher Vielfalt das einfache physikalische Prinzip, Bewegungsenergie durch Reibung zu vernichten, in die technische Anwendung übergeführt werden kann. Unter sich weiter entwickelnder Werkstoff- und Fertigungstechnik werden zuweilen nach Jahrzehnten Entwicklungen wieder aktuell, die bereits längst verlassen waren. Ein Beispiel dazu liefert die Mehrventiltechnik, insbesondere die Vierventiltechnik für Fahrzeugmotoren. Bereits im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts wurden Vierventilmotoren gebaut, später wurde diese Technik in Abwägung der Vor- und Nachteile dieser Bauart wieder verlassen, um etwa 80 Jahre später unter geänderten Randbedingungen wieder aufgegriffen zu werden. Ebenfalls in einer frühen Entwicklungsstufe der Verbrennungskraftmaschine wurde eine alternative Technik zur konventionellen Ventilsteuerung mit der Schiebersteuerung entwickelt, bei der konzentrisch zu den Zylindern bewegte Hülsen die Gaswechselvorgänge regelten (Mercedes-Knight Motor). Auch für diese Technik waren damals viele Voraussetzungen nicht gegeben, so daß sie wieder verlassen wurde, allerdings bis heute nicht wieder aufgetaucht ist. In welchem Maße die gezielte Aufklärung von Schwachpunkten und die Schaffung technischer Vorbedingungen entscheidend für die Durchsetzung bestimmter Wirkprinzipien sind, zeigt sich deutlich im Fall des Kreiskolben- bzw. Wankelmotors. Zunächst waren wesentliche Ursache des Versagens die Dichtleisten, die Voraussetzung waren, um einen Motor nach dem Kreiskolben-Prinzip zu akzeptablen Laufzeiten zu bringen. Reibpartner der Dichtleisten war eine hart verchromte Trochoide aus Leichtmetallguß, auf der nach kurzen Laufzeiten starke Rattermarken auftraten. Zunächst wurden als Dichtleisten Metallleisten eingesetzt, dann Leisten aus Preßkohle. Unter den zahlreichen, in die Erprobung genommenen Werkstoffen sind weiter Gußwerkstoffe, ähnlich denen für Kolbenringe, keramische und metallkeramische Werkstoffe (Cermets) und Hartmetalle. Ebenfalls erfuhren die Oberflächen spezielle Behandlungen, indem sie mit Metallspritzschichten, Auftragsschweißschichten und Aufdampfschichten versehen wurden. Sogar Gußleisten mit Goldfüllungen fanden Verwendung. Schließlich wurden in einer Endphase der Entwicklungen pulvermetallurgisch erzeugte Leisten aus Ferrotic eingesetzt. Bei diesem Werkstoff ist in eine härtbare Stahlmatrix Titancarbid eingelagert (Bild 3-3). Die Entwicklungs- und Leidensgeschichte des Kreiskolbenmotors setzt sich jedoch fort mit Rissen im Gehäusemantel und mit Verschleißproblemen, besonders bei den Seitenteilen von Mehrscheibenmotoren.
Bild 3-3. Wankel-Motor (nach D.Korp)
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Die Fülle von Schäden und Schwachstellen, die bei grundlegenden Neuentwicklungen zu analysieren sind, läßt im Ergebnis erkennen, daß konstruktive Gestaltung, Werkstoffentwicklung und Entwicklungen von Betriebs- und Hilfsmitteln, wie Schmierstoffen, Hand in Hand gehen müssen. Es wird aber zugleich deutlich, wie eine Entwicklung von einzelnen Teilen und Komponenten einer komplexen Technik mit ihren unterschiedlichen spezifischen Problemen Fachleute verschiedener Disziplinen anspricht. Dabei zeigt sich, in welchem Maße Defizite durch unterschiedliche Denkweisen, wie sie innerhalb der Disziplinen bestehen, eine Kompatibilität der Einzelentwicklungen erheblich erschweren. Auch bei der Entwicklung der Verbrennungskraftmaschine nach dem konventionellen Hubkolben-Prinzip waren beim damaligen technischen Stand die Probleme grundsätzlich nicht geringer als bei der betrachteten Entwicklung der Kreiskolbenmaschine. Intensive Beanspruchungs- und Versagensanalysen zeigten die besonderen Schwierigkeiten, die es bei der Kolbenentwicklung zu überwinden galt und noch gilt. Im Bereich des Bolzenlochs mit seinen Aufgaben zur Kraftübertragung bestanden die Schwierigkeiten vorzugsweise in Rißbildungen und im Bolzenklopfen. Am Kolbenschaft waren die Probleme gegeben durch Klappern und durch Fressen. Der Kolbenboden bereitete Schwierigkeiten mit der Wärmeableitung und infolgedessen mit dem Durchbrennen. Schließlich waren nicht unerhebliche Probleme in der Kolbenringpartie und mit der Abdichtung zu lösen. Zur Problemlösung waren auch hier Wege über Konstruktion und Fertigung, wie auch über die Werkstoffentwicklung zu beschreiten. Im Gegensatz zur Kreiskolbenmaschine setzte die Entwicklung der Bauelemente für die Hubkolbenmaschine auf einem sehr niedrigen Erwartungshorizont ein, wobei sich die Anforderungen erst mit den Möglichkeiten steigerten. So wurde noch Mitte der 20iger Jahre an der TH Berlin-Charlottenburg die Ansicht vertreten (G. Becker), daß für große Personenkraftwagen eine Motorlebensdauer von zwanzigtausend Kilometern völlig ausreichend ist. Von Anbeginn der Entwicklung der Kreiskolbenmaschine dagegen mußte diese sich an der inzwischen hochentwickelten Hubkolbenmaschine messen lassen. Ein Vergleich, der insbesondere bei Berücksichtigung der erforderlichen Entwicklungskosten eine ungünstige Basis darstellen mußte. Völlig andere Voraussetzungen hingegen liegen dann vor, wenn ein neues Arbeitsprinzip in andere Domänen reicht, wie z.B. die Entwicklung der Gasturbine in der Energieerzeugung und für Flugtriebwerke. Hier wird gegenüber der Kolbenmaschine ein höherer Leistungsbereich und, wie beim Flugantrieb, auch ein anderes Antriebsprinzip erschlossen, so daß eine unmittelbare Konkurrenzsituation nur sehr bedingt vorliegt. In der Entwicklung der Dampfturbine läßt sich wieder ein Beispiel unter vielen für das Selektionsprinzip in der Technik finden. Bis Ende der Fünfziger Jahre standen bei Turbosätzen für die Energieversorgung Axial- und Radialturbinen nebeneinander. Die Vorteile der Radialturbine, insbesondere nach dem Prinzip Ljungström, wurden in der Literatur überzeugend dargelegt. Im Betrieb und besonders mit zunehmender Größe wurden jedoch die Probleme mit dieser Art der Konstruktion unübersehbar. Bei diesen Radialdampfturbinen wurden die Laufschaufeln an einem Ende mit einem Ring verbunden, der seinerseits an der Radscheibe befestigt war. Am anderen Ende waren die Schaufeln ebenfalls in einem Ring verschweißt, dessen Verbindung mit der Radscheibe freikragend über die Schaufeln erfolgt. Unter den
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Dampfkräften waren der freie Ring und entsprechend auch die Schaufeln einer ständigen umlaufenden Pendelbewegung ausgesetzt. Die Befestigungen der Schaufeln in den Ringen durch Einschweißungen wurden bei diesen Beanspruchungen oft noch unter Mitwirkung korrosiver Einflüsse durch Umlaufbiegedauerbrüche zerstört, wodurch es zum Ausfall der Kraftwerksaggregate kam. Viele Versuche mit verschiedenen Schweißungen und Schweißzusatzwerkstoffen führten nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung des Betriebsverhaltens. Nicht zuletzt wegen dieser Schwachstelle werden heute Radialturbinen für Kraftwerke nicht mehr gebaut (Bild 3-4, 3-5 und 3-6).
Bild 3-4. Schaufelelement einer Radialturbine mit Verformungslinie
3-6. Rißorientierung im Gefüge nach Bild 3-5
Bild 3-5. Rißbildung zwischen Schaufel und Schweißung
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Auch die sog. Stöckichtgetriebe – ein kompaktes Planetengetriebe – sind aus dem Einsatz in Kraftwerken verschwunden, nachdem zahlreiche Schäden zu sehr kostspieligen Ausfällen geführt haben. Erfolg oder Mißerfolg technischer Entwicklungen und Wandlungen sind nicht immer anhand eines einzigen Bauelements oder einer bestimmten Konzeption allein zu verstehen. Stets sind neue Lösungswege in einem Gesamtsystem unter Einbeziehung vieler Voraussetzungen und eines weiten Umfelds zu beurteilen. Es gehören dazu die Verfügbarkeit von Werkstoffen, Betriebs- und Hilfsstoffen, weiterhin Fertigungsverfahren, Qualifikationsregeln, Bedienbarkeit, Instandhaltung, Richtlinien und schließlich gesetzliche Regelungen. Nicht zuletzt sind gerade heute und in Zukunft auch Kreislaufbetrachtungen, d.h. Recyclierbarkeit von Stoffen, mit zu beachten. Die Beurteilung von Fehlfunktionen oder von einem Versagen eines Bauteils, einer Maschine oder einer Technologie muß folgegerichtig die gesamte Bandbreite der genannten Einflüsse mit berücksichtigen und in ihrer Wirksamkeit bewerten und gewichten. Das Versagen ist somit in einem System zu sehen, dessen Aufklärung oft weit gezogene Systemgrenzen erfordert.
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4 Ereignisketten von Pannen zu Katastrophen
4 Ereignisketten von Pannen zu Katastrophen
Die Berichterstattung über technische Pannen, kleinere und größere Versagensfälle bis hin zu Katastrophen ist zum gewohnten Bestandteil täglicher Nachrichten und Meldungen geworden. Sicherlich ist die Frage gerechtfertigt, warum ein solches „technisches“ Versagen auch beim heutigen Erkenntnisstand auftreten kann, zuweilen sogar im Wechselspiel von Diagnose und Abhilfe auftreten muß. Verstehen läßt sich ein solches Versagen meist nicht allein aus der technischen Perspektive einzelner Elemente, Komponenten oder einzelner Geräte oder Anlagen innerhalb ihrer engeren Systemgrenzen. Die uns umgebende und die von uns genutzte Technik ist vom Beginn ihres Entstehens bis zu ihrer Einbindung in ihr Nutzungsumfeld und in ihrer Beziehung zum Verhalten des Menschen bis zu ihrer Verwertung oder Entsorgung in einem sehr vielfältigen Netzwerk zu sehen. Ein technisches Versagen in einem solchen System, ein Schaden also, ist ein plötzliches und unerwartetes Ereignis und wird z.B. durch die Versicherungswirtschaft demgemäß rechtlich definiert. Der Schaden läßt sich damit im Hinblick auf seine auslösenden Einflüsse als unstetiger Vorgang verstehen, der auf der Grundlage der Katastrophentheorie nach dem französischen Mathematiker Thom steht. Vergleichbare unstetige Prozesse im Bereich der Technik sind das Knicken von Stäben, die Anregung des Flatterns von Flugzeugflügeln, ebenso wie das Schmelzen und Verdampfen von Stoffen. Allem gemeinsam ist, daß sich nach Überschreiten eines Punktes oder einer Schwelle Instabilitäten ergeben und damit ein Umspringen eines bis dahin stetigen Verhaltens eintritt. Der Katastrophentheorie folgend, lassen sich auch die Verhaltensweisen gesellschaftlicher Strukturen bis hin zu kriegerischen Verwicklungen bei Streitigkeiten ebenso deuten wie physische und psychische Krankheiten und Ausnahmezustände. Der Soziologe C. Perrow sieht in Abhängigkeit von einer unterschiedlich starken Kopplung der Systeme MenschMaschine die Gefahr, daß unerwartete katastrophale Beeinflussungen auftreten können. Für die Schadenanalyse und insbesondere für die Schadenverhütung ist das Verständnis der Katastrophentheorie bedeutsam, um verschiedene Einflußgrößen in ihrem Zusammenwirken nicht nur zu erkennen, sondern so zu entkoppeln, daß Schadenabläufe nicht ausgelöst werden können oder zu unterbrechen sind.
4.1 Kleinteile und „Sonstiges“ Ein eindrucksvolles Beispiel für die Rolle, die scheinbar untergeordnete Teile für die Auslösung verhängnisvoller Versagensabläufe spielen können, ist die Challenger-Katastrophe im Jahr 1989. Ursache dieser Katastrophe war ein nur wenige Dollar wertes Kleinteil, ein O-Ring, in einem Dichtungssystem, dessen tempe-
4.2 Der Fall Corvair – kein Endpunkt
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Bild 4-1. Kühlwasserverschluß eines Pkw aus Messing und Stahlteilen
raturabhängiges Werkstoffverhalten nicht berücksichtigt wurde. Dieses Beispiel zeigt, daß unter den „main streams“ technischer Entwicklungen die oft kritische Bedeutung scheinbar unwichtiger Kleinteile untergehen kann, die beim Einsatz jedoch entscheidend für die Funktion komplexer technischer Systeme sein können. Zahlreiche anschauliche Beispiele für Lücken in der Erkenntnis über mögliche Folgen von scheinbar untergeordneten Schwachstellen und dem daraus resultierenden Versagen stecken in den jährlich 25 bis 30 Rückrufaktionen, die Millionen von Fahrzeugen betreffen und in die nahezu alle großen Automobilhersteller einbezogen sind. Ursache dieser Aktionen sind dabei oft Kleinigkeiten, die hinter imponierender Technik verschwinden. Gerade aber diese Unzulänglichkeiten, wie fehlende oder ungeeignete Schraubensicherungen, scheuernde Kabel, ungünstige Anschlüsse von Bremsleitungen, sind es, die zu schwerwiegenden Gefährdungen führen können. Manchmal erscheint es geradezu unverständlich, welch elementare Fehler beim heutigen Stand von Wissenschaft und Technik an primitiven Teilen gemacht werden. So läßt sich im Druckkühlsystem eines hochpreisigen Fahrzeugs ein Verschluß finden, der aus Messing- und Stahlteilen zusammengebaut ist und bestimmungsgemäß dem Feuchteklima des Systems ausgesetzt wird. Es ist dies geradezu ein Schulbeispiel dafür, wie die Kombination eines edleren Metalls (Messing) mit dem unedleren (Stahl) zur korrosiven Zerstörung des Stahlteils führen muß (vgl. Abschn. 11.3.1, Bild 4-1).
4.2 Der Fall Corvair – kein Endpunkt Gefahrenpotentiale in Konzeptionen, Konstruktionen und Auslegungen, die in der Einschätzung und im Versuchsbetrieb nicht erkannt wurden oder einer Fehleinschätzung unterlagen, können Kreise ziehen, die zu einem neuen Bewußtsein für technische Sicherheit und einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit führen. Einschneidende gesetzgeberische Maßnahmen können dadurch ausgelöst werden, wie
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4 Ereignisketten von Pannen zu Katastrophen
sie die neue Ära der Produkthaftungsgesetze darstellen. Am Anfang einer solchen als Beispiel dienenden Entwicklung steht eine Prozeßserie durch den US-Rechtsanwalt und Verbraucherschützer Ralph Nader gegen General Motors. Ausgelöst wurden diese Aktivitäten durch den Kompaktwagen von Chevrolet des Typs Corvair mit einem luftgekühlten Sechszylinderboxermotor. Die Fahreigenschaften dieses Fahrzeugs, insbesondere seine ausgeprägten Übersteuerungsneigungen, wurden mit einer Serie von Unfällen in Verbindung gebracht und führten zu hohen Schadenersatzforderung an den Hersteller. Ein aktuelles Beispiel, wie sich derartige Fehleinschätzungen in komplexen und gekoppelten Systemen auswirken können, ist die offenbar unzureichende Sicherung der Heckklappe eines Kleinbusses gegen unbeabsichtigtes Aufspringen bei einem Unfall. Ein US-Bundesgericht verurteilte den Chrysler-Konzern zur Zahlung eines Schadenersatzes von umgerechnet 460 Mio DM an die Eltern eines Jungen, der durch Herausschleudern bei einem solchen Unfall ums Leben kam. Mindestens 37 Menschen starben bei ähnlichen Unfällen mit Fahrzeugen von Chrysler zwischen 1984 und 1995 nach Angaben US-amerikanischer Verkehrssicherheitsbehörden. Ein gerade beim Abschluß dieses Manuskripts in der Öffentlichkeit stark beachtetes unerwartetes Verhalten bei bestimmten Fahrzuständen ist die Kippneigung der neu auf den Markt gebrachten A-Klasse von Mercedes-Benz. Auch hier wurde auf der Grundlage der vorausgegangenen Abschätzungen, Berechnungen und Simulationen das Verhalten in der harten Praxis nicht vorhergesehen.
4.3 Ein Schicksalsbolzen in der Zivilluftfahrt Die Bedeutung des Hinterfragens von ursächlichen und begünstigenden, zuweilen auch verborgenen Schadeneinflüssen ist gerade auch dann zu beachten, wenn eine Untersuchung zu einer vordergründig als offensichtlich einzustufenden Schadenursache geführt hat. Oft existieren Schwachstellen, die auch unter anderen Umständen als den bei der Untersuchung festgestellten Bedingungen zu einem Versagen führen können. Die vergleichende Betrachtung zweier schlagzeilenträchtiger Flugunfälle, die 14 Jahre auseinanderliegen, macht diese Aussage deutlich. Beim Start eines Linienflugzeugs vom Typ DC10 am 25.5.1979 in Chicago löste sich ein Triebwerk an einer sog. Pylonbefestigung und das Flugzeug kam mit 140 Passagieren zum Absturz, die ausnahmslos zu den Todesopfern zählten. Die Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, daß nach Wartungsarbeiten am Triebwerk beim Wiedereinbau mit Hilfe von Hebezeugen der Bolzen beschädigt wurde. Als Konsequenz wurden strenge Vorschriften für den Triebwerkseinbau und für die Montage derartiger Befestigungen ebenso wie für ihre Überwachung veranlaßt. Ebenfalls durch das Lösen des Triebwerks an einer ähnlichen Pylonbefestigung bei einem Frachtflugzeug vom Typ Boeing 747 der El-Al kam es 1993 in Amsterdam wiederum zu einem Absturz. Wie bei dem Unfall in Chicago stellte es sich heraus, daß auch hier der für die Fixierung des Triebwerks entscheidende Haltebolzen gebrochen war und zum Unfall führte (Bild 4-2). Soweit sich die Untersuchungsergebnisse des Flugunfalls in Amsterdam nachvollziehen lassen, müssen hier jedoch andere betriebliche Einflüsse zum Versagen geführt haben. Gerade die Bedingungen, denen der Bolzen für eine Triebwerkshalterung unterworfen
4.4 Verstrickungen auf See
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Bild 4-2. Pylonbefestigung mit Lage der Haltebolzen und Ablauf des Lösens des Triebwerks (nach Time-Magazin ’79)
ist, erfüllen die Voraussetzungen zu einer Schadenart, die unter den Begriff der Reibkorrosion eingeordnet werden kann. Unter derartigen Reibkorrosionsbeanspruchungen findet ein drastischer Abfall der Wechselfestigkeit statt, wodurch schließlich mit Dauerbrüchen zu rechnen ist (vgl. Abschn. 9.1.2). In Konsequenz ergibt sich aus dieser Betrachtung der beiden, nach den äußeren Bedingungen ähnlichen Flugunfälle, daß es zur vollständigen Aufgabe der Schadenuntersuchung gehören muß, nicht nur die Ursache des aktuellen Versagens vollständig aufzuklären, sondern auch aus der Analyse des gesamten Beanspruchungsprofils und seiner möglichen Abweichungen auf sämtliche Schwachstellen und damit Gefahren an gleichartigen Bauteilen hinzuweisen. Auf diese Weise lassen sich Maßnahmen treffen, die ein Versagen von Bauteilen unter allen abzusehenden Bedingungen ausschließen.
4.4 Verstrickungen auf See Besonders deutlich wird die Wechselbeziehung zwischen dem Zusammenwirken einer Mannschaft und der von ihr zu beherrschenden Technik auf einem in sich
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4 Ereignisketten von Pannen zu Katastrophen
abgeschlossenen begrenzten Funktionsraum eines Schiffes. Wie es durch die Verkettung von zum Teil banalen menschlichen und technischen Fehlern zu Katastrophen kommen kann, führt die Anatomie des Fährschiffsunfalls der Harold of Free Enterprise vor der belgischen Küste am 6.3.1987 vor Augen. Am Anfang der durch die Untersuchung zu Tage gebrachten Ereigniskette standen Zeitdruck, Personalmangel und unklare Zuständigkeiten. Der erste Offizier versäumte, das Schließen der Bugklappen zu überwachen, der Bootsmann, der ihr Offenstehen bemerkte, sah das Schließen nicht als seine Aufgaben an und sein Stellvertreter, der dafür zuständig gewesen wäre, schlief nach Erledigung anderer Aufgaben in seiner Kabine. Der Kapitän ahnte nichts – erstens, weil ihm die Betriebsvorschrift nahelegte, sich nur um Gemeldetes zu kümmern, zweitens, weil es auf der Kommandobrücke keine Bugklappenanzeige gab. Trotz offener Bugklappen wäre die Fähre vielleicht nicht gleich gekentert, wenn sie nicht vornüber im Wasser gelegen hätte. Weil die Laderampe unter den gegebenen Umständen nicht die richtige Höhe hatte, hatte die Besatzung das Schiff buglastig getrimmt, um das Ein- und Ausfahren zu ermöglichen. Weil der Fahrplan drängte, waren die Ballasttanks vor dem Ablegen jedoch nicht wieder geleert worden. Daß bei dem durch die betrachteten Umstände bedingten Kentern der Fähre 192 Menschen ums Leben kamen, ist schließlich der mangelhaften Notfallausrüstung zuzuschreiben. Die Rettungswesten waren nicht nur schwer handhabbar, sondern teilweise sogar weggeschlossen, aus Angst vor Vandalismus. Insgesamt lassen sich die zahlreichen Einzelereignisse zu einer Kaskade zusammenfassen, die schließlich in der Katastrophe endete (Bild 4-3). Vielfach stehen einer sauberen technischen Aufklärung von Versagensfällen vordergründige Interessen der Betroffenen, wie Schadenersatzansprüche, entgegen. Danach wird oft bei Untersuchungen erwartet, eine einzige eindeutige Ursache und einen Sündenbock zu finden. Bei solchen Erwartungen bleibt außer Betracht, daß bei Schäden in einem Gesamtsystem zahlreiche Einflußgrößen mit unterschiedlicher Gewichtung zusammenwirken und ihr zufälliges Zusammentreffen an einem kritischen Schnittpunkt nach Art einer Katastrophenmaschine den Unglücksfall in seinem ganzen Ausmaß auslöst. Auch dafür steht ein zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Manuskripts aktuelles Beispiel. Gegenseitige Schuldzuweisungen resultieren aus den aus unterschiedlicher Sicht getroffenen gutachterlichen Stellungnahmen zur Fährschiffkatastrophe der Estonia in der Ostsee im Jahr 1995, bei der fast 1.000 Menschen den Tod fanden. In den Berichten wird zunächst als Ursache eine zu schwache Auslegung des Verschlusses für das Bugvisier angegeben. Ebenfalls wird die Positionierung der Bugrampe zur Einfahrt in das Schiff genannt, die als Schott hätte funktionieren müssen. Konstruktionsbedingt wurde diese aber vom abreißenden Bugvisier mit ausgehebelt. Zusätzlich hätte die Fähre für den Einsatz außerhalb der Küstenzone, wo sich die Katastrophe ereignete, über eine weitere Schottwand verfügen müssen, die gefehlt hat. Ursprünglich soll das Schiff nicht für Fahrten außerhalb der Küstenzone vorgesehen gewesen sein. Weiter wird festgestellt, daß zumindest zwei der manuell einzulegenden Sicherungshaken nicht in ihrer Position waren. Ob darüber hinaus zwei weitere hydraulische Sperrvorrichtungen ordnungsgemäß gerastet hatten, ist offenbar nicht mehr eindeutig feststellbar. Schließlich wird berichtet, daß erhebliche Mängel in der Wartung des Schiffes vorgelegen haben und daß die Schiffsführung Warnungen über das sich in harter See lockernde und lösende Bugvisier ausreichende Zeit vor der Katastrophe durch Besatzungsmitglieder und Passagiere mißachtet habe.
4.4 Verstrickungen auf See
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Bild 4-3. Schadenverknüpfung (nach Romberg)
In der Auflistung der zahlreichen wirksamen Faktoren bei der Auslösung der Estonia-Katastrophe erscheint besonders interessant die Meinung einer Untersuchungskommission, daß zum Zeitpunkt des Baus der Fähre in den siebziger Jahren noch keine hinreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlagen über die Kräfte, die auf große Fähren wirken! Auch wenn Wartungs- und Managementfehler zweifelsfrei im Fall Estonia wie in vielen anderen Fällen zur Katastrophe geführt haben, so ist es doch Aufgabe der Technik, die Auslegungen so zu treffen, daß auch Wartungs- und Bedienungsmängel in einem gewissen Maße von der Technik toleriert werden, daß also eine Fehler- und Schadentoleranz gegeben ist, die auch als fail-safe-Auslegung bezeichnet wird. Die Feststellung, daß zum Zeitpunkt des Baus der Fähre Erkenntnislücken bestanden, unterstreicht die Bedeutung einer wissenschaftlich und objektiv durchgeführten Schadenanalyse, deren Ergebnisse in eine verantwortungsbewußte technische Entwicklung zu integrieren sind.
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4 Ereignisketten von Pannen zu Katastrophen
4.5 Automation und Schnittstelle Mensch-Maschine Die Automatisierung bei der Steuerung von Maschinen und Anlagen sowie bei der Überwachung von Prozessen hat nach statistischen Auswertungen zu einer Abnahme von Schäden durch Fehlbedienungen geführt. Gleichzeitig haben sich mit der Einführung rechnergesteuerter Arbeits- und Verfahrensabläufe jedoch auch neue Schwachstellen gezeigt, die zu kritischen Versagenssituationen führen können. Mit zunehmender Komplexität von Hard- und Software steigt dabei wiederum die Möglichkeit, von fatalen fehlerauslösenden Konstellationen. „Die Pannenserie im Bahnhof Altona reißt nicht ab“ lautet eine Pressemeldung 1995, der weiter zu entnehmen ist, daß Notfahrpläne in Kraft gesetzt werden, um die Schwierigkeiten mit einem neuen Stellwerk zu überbrücken. Kennzeichnend für diese Ausfälle ist die offizielle Stellungnahme eines Bahnsprechers, der dazu bekannt gibt, daß das neue Stellwerk einwandfrei funktioniert – es aber keinen Menschen gibt, der diese komplizierte Technik auf Anhieb richtig bedienen könnte. Damit ist ein wichtiger Faktor der Unsicherheit moderner Technik angesprochen. Inkompatibilitäten an der Schnittstelle zwischen hochkomplexer Technik und dem Menschen sind ein nicht unwichtiger Teil bei der Aufklärung von Versagensfällen im Gesamtsystem und beim Ansatz von Verbesserungen, um zu höherer Zuverlässigkeit zu gelangen. Diese Schwachstelle zwischen Mensch und Technik erklärt in vielfältiger Weise Fehler und Pannen, sei dies nun an der neuen Kommunikationsanlage im Deutschen Bundestag, die ihre Aufgabe zunächst nicht zu erfüllen vermochte, oder sei es das augeklügelte Gepäcksystem im neuen Großflughafen von Denver, dessen Fehlfunktionen die Inbetriebnahme des Airports nachhaltig in Verzug brachten. Kommunikationsprobleme zwischen Mensch und Maschine werden besonders dort offenbar, wo sich kritische Situationen ergeben können, die in ihrer Vielfältigkeit bei der Programmierung von rechnergesteuerten Systemen nicht bedacht worden waren. Zahlreiche Beispiele dafür ergeben sich allein mit der Einführung des „fly by wire“ in der Luftfahrt, wobei Steuersignale erst von einem Rechner überprüft werden, bevor sie zur Ausführung kommen. Kennzeichnend für ein solches Kommunikationsproblem zwischen Mensch und Maschine ist der Fall des Airbus A 320 „Kulmbach“ der Lufthansa, der 1993 in Warschau über die Landebahn hinausgeschossen ist und in Brand geriet, wobei es Todesopfer gab. Bei diesem Unfall wurde wegen der Seitenwindkorrektur beim Aufsetzen das linke Federbein des Hauptfahrwerks zunächst nicht belastet. Ein einbeiniges Landen in dieser Form war im Rechnerprogramm nicht vorgesehen und es wurde signalisiert, daß das Flugzeug noch nicht aufgesetzt hat. Als Folge wurden beim beabsichtigten Einschalten des Umkehrschubs die Störklappen auf der Flügeloberseite nicht ausgefahren und nicht rechtzeitig ausreichender Bodenkontakt hergestellt. Das Gegenteil hat sich bei einem anderen Zwischenfall mit einem A 320 der Air Lanka ereignet. Nach einem ersten harten Aufsetzen prallte die Maschine nochmals ab – bouncing-Effekt -, die Störklappen fuhren aus und ließen das Flugzeug zurückkrachen. Es zeigt sich, daß bei rechnergesteuerten Abläufen sich dann Gefahrenpotentiale einstellen können, wenn bei außergewöhnlichen Situationen entsprechende Reak-
4.6 Zuverlässigkeit von Hard- und Software
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tionen oder Eingriffe des Menschen vom Programm nicht zugelassen und blockiert werden. Immerhin ist im Cockpit der neuen Boeing 777 vorgesehen, daß die Rechnersteuerung mit Knopfdruck überbrückt werden kann.
4.6 Zuverlässigkeit von Hard- und Software Wie bei allen technischen Einrichtungen beginnt auch die Zuverlässigkeit von Rechnern bei den einzelnen Bauelementen und Baugruppen. Starke Beachtung hat 1994 in der Öffentlichkeit ein fehlerhaftes Arbeiten des damals neuen Pentiumprozessors bei Divisionen mit vielstelligen Gleitkommazahlen gefunden. Der Fehler stellte sich heraus, nachdem bereits über 6 Millionen Stück des Prozessors ausgeliefert worden sind. Die Bedeutung der Praxisbewährung, d.h. der Erfahrung aus Fehlfunktionen, läßt sich aus einer Stellungnahme in der Fachpresse zur Frage einer vollständigen Funktionsprüfung entnehmen. Es wird festgestellt, daß kein Hersteller alle denkbaren Rechenoperationen hundertprozentig durchspielen und sein Produkt austesten kann. Es heißt in diesem Zusammenhang weiter „Der beste Test ist immer der, wenn ein Prozessor millionenfach ausgeliefert ist und sich über eine lange Zeitspanne hinweg niemand beschwert“. Aus gutem Grund wird bei sicherheitsrelevantem Einsatz von Mikroprozessoren, wie bei der Steuerung von Kernkraftwerken oder in der Luftfahrt, auf bewährte Chips älterer Generationen zurückgegriffen, auch wenn diese weniger schnell und komfortabel sind. Schließlich ist für die sichere Funktion mikroelektronischer Baugruppen deren Robustheit bei vielfältiger Einwirkung von mechanischen, thermischen und korrosiven Einflüssen ein entscheidender Faktor. Anschlußdrähte mit einem Zehntel der Dicke eines Menschenhaares und Verkleinerungen der Breite von Leiterbahnen und der Leiterbahnabstände bis zu 0,1 mm lassen den Einflüssen durch das Einsatzumfeld mikroelektronischer Bauteile vermehrte Bedeutung zukommen. Schon die mechanische Beanspruchung durch Einbauspannungen, durch Wärmedehnungen und durch Beschleunigungskräfte bei Vibrationen können zu Spannungen in Kontaktierungen führen, die bis in den Bereich der Streckgrenze und darüber führen. In Motorräumen können Metallisierungen und Lötpunkte thermische Beanspruchungen bis nahe an den Schmelzpunkt erfahren. Geringste nur mit Hilfe elektronen- und lasermikroskopischer Verfahren festzustellende Verunreinigungen, z.B. durch Waschmittelrückstände, können bei den hohen Eingangsimpedanzen der Bauelemente und bei den geringen Leiterabständen bis zu 0,1 mm zu Kriechströmen und zu Brückenbildungen durch Ionenmigrationen auf Leiterplatten und damit zu gravierenden Funktionsausfällen führen (Bild 4-4). Aus Isoliermaterialien ergeben sich Ausgasungen von Essigsäuren, Ammonium und Formaldehyd, die mit den Kombinationen mehrphasiger metallischer Werkstoffe ein System ergeben, das zu vielfältigen Korrosionserscheinungen führen kann. Oft werden Funktionsausfälle mikroelektronischer Bauelemente nicht oder nur unzureichend aufgeklärt, da eine präzise Schadenanalyse unterbleibt, weil bei Fehlfunktionen die ganzen Baugruppen ausgetauscht werden. Zuweilen aber treten die unangenehmen Folgen solcher Funktionsausfälle dann in den Vordergrund, wenn unter atmosphärischen Bedingungen, wie z.B. im Winterhalbjahr 94/95 in größerer Zahl Fernbedienungen zur Desaktivierung von Wegfahrsperren von Fahrzeugen ausfallen und die Fahrzeuge abgeschleppt werden müssen.
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4 Ereignisketten von Pannen zu Katastrophen
Bild 4-4. Ionenmigration zwischen zwei Leiterbahnen (CuSnPb ) auf einer FR-4-Leiterplatte
Mitten im Reiseflug eines Linienjets der Lauda Air in Fernost hat sich der Umkehrschub der Maschine eingeschaltet und das Flugzeug wurde buchstäblich in der Luft zerrissen. Wie bei der Einbindung solcher sicherheitsrelevatener Funktionen in eine Rechnerüberwachung und Rechnersteuerung ein solcher Vorfall auftreten konnte, ist nie völlig aufgeklärt worden. Es ist nicht auszuschließen, daß dabei eine Störung in den miniaturisierten Strukturen der Hardware ursächlich war. Die heute noch fehlenden Erfahrungen über das Langzeitverhalten mikroelektronischer und mikromechanischer Komponenten, die hohen Anforderungen ausgesetzt sind, wie z.B. in Kraftfahrzeugen, können durchaus noch nicht erkannte Zeitbomben beinhalten.
4.7 Wenn Bauwerke ihre Festigkeit verlieren Mit seinen Stahlbetonbrücken ging der Schweizer Bauingenieur Maillard vor fast 100 Jahren neue originelle Wege. Es wurden diese Brücken in ihrer eigenen Ästhetik als Beispiel einer „strukturellen Kunst“ bezeichnet. Die erste dieser Brücken, die als Ganzes einen Kastenträger bildeten, entstand bei Zuoz im Engadin. Bei dieser Brücke zeigten sich in der Nähe der Druckfundamente senkrecht orientierte Risse. Maillard führte eingehende Untersuchungen der Spannungen und Formänderungen der Brücke durch und setzte sie in Bezug zu Form und Verlauf der Risse. Durch diese beispielhafte Analyse des Schadens entstand eine abgewandelte Brückenkonstruktion, mit der die schadenauslösenden Schubspannungen einfach dadurch vermieden wurden, daß die Bereiche, in denen die Risse auftraten, weggelassen wurden (Bild 4-5). In der weiteren technischen Entwicklung entstanden Stahlbetonkonstruktionen, die zu immer schlankeren Ausbildungen und zu größeren Spannweiten führten. Im Hallenbau wurde in den zwanziger Jahren ein völlig neuer Abschnitt durch die Verwendung von Stahlbetonschalen eingeleitet. Viele in der Architektur bekannte Namen stehen in Verbindung mit den Gestaltungsmöglichkeiten, die mit der Spann-
4.7 Wenn Bauwerke ihre Festigkeit verlieren
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Bild 4-5. Brücke von Maillard. Beseitigung rißverursachender Schubspannungen (links) durch Aussparungen (rechts)
betonbauweise gegeben waren. Beispiele sind unter vielen das Olympia-Eisstadion in Grenoble und die ähnlich gestaltete Kongreßhalle in Berlin, deren Dach in Schalenbauweise an Pfingsten 1978 zum Einsturz kam. Nicht zuletzt dieses Ereignis lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Schwachpunkte einer solchen Stahlbetonbauweise. Zahlreiche Brücken, insbesondere für Autobahnen und Straßen, sind nach Benutzungsdauern von 20 Jahren und zum Teil erheblich weniger in einem Zustand, der starke Bedenken gegen die Sicherheit entstehen läßt. Viele dieser Brücken müssen saniert werden oder Neubauten weichen. Warum können solche Fehler nach einem halben Jahrhundert Erfahrung in der Stahlbetonbauweise entstehen? Es wäre zu einfach, dies auf Fehler in Berechnung und Gestaltung unter konventioneller Sicht zurückzuführen. Der Festigkeitsverlust bis zur Einsturzgefahr solcher Bauwerke ist bedingt durch die Einwirkung von Beanspruchungsarten, die bei der Auslegung nicht oder nicht genügend beachtet wurden und deren Bedeutung erst bei der Ursachenforschung für Schäden offenbar wurden. Zusammensetzung und Gefüge des Zements haben sich im Laufe der Entwicklung verändert und dadurch unterschiedliches Schwinden und Quellverhalten verursacht. Die Betonstähle entwickelten sich zu höheren Festigkeiten und wurden dadurch in den speziellen Klimaten des Betons anfällig für spezifische Korrosionsarten, insbesondere für Rißkorrosionen (vgl. Abschn. 9.2.2.3, 9.3.2.3 und 11.3.1). Weiter kommen Umgebungseinflüsse unter feuchten Medien hinzu, die sich aus Verwendung von Streusalzen, aber auch durch die Einwirkung der Luftverschmutzung ergeben und die nicht nur durch Risse im Beton an die Bewehrung gelangen, sondern auch durch porenbedingte Kapillaren. Auch im Stahlbau läßt sich zeigen, wie die bei der Auslegung unberücksichtigten Zusatzeinflüsse bis zum Einsturz der Bauwerke führen können. Am 9. Mai 1985 ist die Decke des Hallenbades in Uster bei Zürich eingestützt und forderte 12 Todesopfer. Das Hallenbad war 1972 eröffnet worden. Ursache des Deckeneinsturzes waren Brüche der Aufhängebügel für die Decke. Um keine Rostbildung an den Bügeln zu haben, wurden diese aus einem austenitischen korrosionsbeständigen CrNi-Stahl (Wst.Nr. 1.4301) mit dem Handelsnamen V2A gefertigt. Die Bügel zeigten entsprechend auch keinen äußerlich sichtbaren Rostansatz, sie waren metallisch blank. Es trat jedoch die für ein tragendes Bauteil weit gefährlichere Spannungsrißkorrosion ein, deren Bedingungen voll erfüllt waren. Es lag mit dem austenitischen CrNi-Stahl ein spannungsrißkorrosionsanfälliger Werkstoff vor. Durch die Tragbelastung waren Spannungen in ausreichender Höhe vorhanden und schließlich war mit der chlorid-ionenhaltigen Feuchteatmosphäre des Schwimmbades das spannungsrißkorrosionsauslösende Medium gegeben (vgl. Kap. 5). Der Fall Uster führte zu zahlreichen Überprüfungen von Hallenkonstruktionen, insbesondere für Schwimm-
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4 Ereignisketten von Pannen zu Katastrophen
bäder, wodurch weitere gefährliche Konstellationen vorgefunden wurden und rechtzeitig beseitigt werden konnten. Der Blick auf die Schäden an Bauwerken bestätigt, wie gerade erst durch die vollständige Analyse der Versagensfälle Einflüsse auf die Konstruktionen in ihrer ganzen Bedeutung erkannt werden, die bei Planung, Berechnung und Ausführung jedoch nicht ausreichend Beachtung fanden. Zum Teil sind die Fehler bei der Ausführung dieser Bauwerke darauf zurückzuführen, daß bei Planung und Bau solcher für eine lange Lebensdauer vorgesehenen Einrichtungen Erkenntnislücken bestanden. Zum Teil ist die Ursache aber auch in geänderten Beanspruchungs- und Umfeldbedingungen zu sehen. Fehler im Maschinen-, Anlagen- und Gerätebau werden oft aus fortbestehender Unkenntnis, durch Verdrängung von Versagensursachen oder durch Erfahrungsverlust in Wiederholungsfällen gemacht. Zuweilen treten Fehler auch nicht eindeutig zutage, da gerade bei Produkten sehr kurzer Innovationszyklen eine Ausmusterung vor Erreichen der Lebensdauer erfolgt. Bei Bauwerken hingegen sind es oft die nach einer längeren Gebrauchsdauer sich offenbarenden Schwachstellen, die das – zuweilen vorzeitige – Ende der Lebensdauer bestimmen.
5.1 Produktzyklus
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5 Strategischer Standort der Schadenanalyse
Der strategische Standort der Schadenanalyse wird deutlich aus der vorangegangenen Betrachtung der vielfältigen Einflüsse in simultaner und sequentieller Wirkung auf Bauteile, Komponenten, Maschinen, Anlagen und Bauwerke, die in einer oft nicht vorhergesehenen Art wirksam werden können. Im Umgang mit der Technik ist somit ein Prüffeld gegeben, das in unmittelbarer und schonungsloser Weise Fehler und Irrtümer durch Versagensabläufe, Schäden, Unfälle und Katastrophen sichtbar werden läßt. Dem ersten Augenschein einer Schadens- und Versagensursache ist meist mit großer Skepsis zu begegnen, da vielfach die offensichtlichen Spuren und Vorgänge bei einem Versagen nicht die Ursache, sondern bereits Folge in einer Kette von auslösenden und begünstigenden Ereignissen sein können. Die Wurzel des Versagens kann in allen Phasen eines Produkts von der Idee und Aufgabenstellung über Konzept, Entwurf und Fertigung bis zu den verschiedenen Phasen des Gebrauchs liegen. Um die Ergebnisse einer Schadenuntersuchung in eine technische Entwicklung und Verbesserung einfließen lassen zu können, ist es erforderlich, im Produktzyklus die Ursprünge fehlerhafter Überlegungen und Handlungen aufzudecken, um dort mit der Schadenverhütung anzusetzen. Über den Produktzyklus hinaus können Erkenntnisse aus wissenschaftlich systematischer Schadenuntersuchung wichtige Voraussetzungen für weitere technische Entwicklungen liefern. Es gehören dazu Berechnungsverfahren, Prüfmethoden und Impulse für Forschung und Entwicklung.
5.1 Produktzyklus Die Zielsetzung der Schadenanalyse als ein rückkoppelndes Glied in der Kette von der Idee bis zur Ausführung und bis zum Gebrauch technischer Einrichtungen verlangt es, daß in die Schadenklärung alle Überlegungen und Handlungen mit einzubeziehen sind, die im Qualitätskreis als Verkettung der einzelnen Qualitätssicherungselemente enthalten sind (Bild 5-1). Mit einer solchen Standortbestimmung wird gewährleistet, daß in einem Regelkreis Erfahrungen mit einem Produkt wieder in dessen technische Verbesserung einfließen, wobei die Maßnahmen in einer möglichst frühen Phase der Produktentstehung zu treffen sind. 5.1.1 Konstruktions- und Planungsphase Die Recherchen zu Versagensursachen haben bereits bei der Aufstellung des Lastenhefts und bei der Produktspezifikation, bei der Bestellung eines Geräts oder einer
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5 Strategischer Standort der Schadenanalyse
Bild 5-1. Qualitätskreis
Anlage zu beginnen. Insbesondere ist dabei die Frage bedeutsam, ob die Anforderungen an das Produkt vollständig und richtig definiert sind und ob die Anforderungsgrenzen unter Berücksichtigung der erforderlichen Sicherheit und Zuverlässigkeit festgelegt wurden. Dabei ist in die Überlegungen die Frage einzubeziehen, ob die Wahl des Arbeitsprinzips einer Maschine oder Anlage und ob die Gestaltung des Produkts entsprechend erfolgt ist. Gerade der Gestaltungsfreiraum des Ingenieurs verlangt Entscheidungen, die nicht immer deterministisch bestimmbar und berechenbar sind, sondern die sich auf Erfahrungen aus dem Betrieb von technischen Einrichtungen, Anlagen und Geräten abstützen müssen. Nach der Betrachtung und kritischen Auseinandersetzung mit den grundlegenden Festlegungen der Rahmenbedingungen für ein Produkt ist zu prüfen, ob bei der Dimensionierung korrekt vorgegangen wurde und ob die richtigen Berechnungsverfahren zum Einsatz gekommen sind. Bei einer Schadenanalyse, die bis zu den Wurzeln technischen Versagens vordringt, zeigt sich, welche hohe Bedeutung die Planungsphase für die Produktsicherheit hat. So hat eine Untersuchung ergeben, daß sich am Innengehäuse einer Topfturbine vorzeitig Risse mit dem Charakter von Zeitstandschäden gebildet haben (vgl. Abschn. 9.2.2.4). Die dafür erforderlichen Spannungen sind auf instationäre Temperaturverteilungen bei den zahlreichen An-
5.1 Produktzyklus
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und Abfahrten zurückzuführen. Die hohe thermische Wechselbeanspruchung war bei der Berechnung der Lebensdauer nicht berücksichtigt worden, da die Turbine für einen konstanten Grundlastbetrieb bestellt worden war (vgl. Abschn. 11.2.3). Dieses Beispiel kann für viele andere stehen, die repräsentativ sind für Ausfälle, die sich aus der Diskrepanz zwischen den Spezifikationen bei einer Bestellung und dem tatsächlichen Einsatz ergeben. Auf einen Fehler im Entwurf sind Risse in der Schweißnaht von Spanplattenpressen zurückzuführen. Untersuchungen von Rissen im Bereich von Schweißnähten gehen konventionell immer von der Beurteilung der Schweißnahtgüte, von Gefüge und von Härteverläufen aus. Solche Betrachtungen waren in den vorliegenden Fällen jedoch nicht zielführend. Bedeutsam für den Ansatz weiterer Untersuchungen war die Tatsache, daß mehrere konstruktiv ähnliche Pressen von gleichartigen Schäden betroffen wurden. Es wurde daraufhin eine Analyse der Spannungsverläufe durch Dehnungsmeßstreifen an intakten Pressen durchgeführt und eine Finite Elementberechnung vorgenommen. Daraus ergab sich, daß die Schweißnähte im höchstbeanspruchten Bereich des Pressenrahmens lagen. Darüber hinaus waren die Rahmen und die Schweißnähte zusätzlich noch den feuchten Dämpfen aus der Spanplattenfertigung ausgesetzt. Unter diesen Bedingungen lag die Lebensdauer der Schweißnähte nur noch im Zeitfestigkeitsbereich. Gleichartige Schäden waren zu vermeiden, indem die Schweißnähte durch eine Verlegung um 90° zur ursprünglichen Lage in einen Bereich niedrigerer Spannungen gebracht wurden und damit die Beanspruchung in den Dauerfestigkeitsbereich verlegt werden konnte (Bild 5-2). Ähnliche Fälle der Aufdeckung konstruktiver Schwachpunkte durch die Simulationsuntersuchung sind in Kap. 12 enthalten. Bei kritischer Ursachenforschung läßt sich nachweisen, daß viele der in Kap. 4 dargestellten Fälle den Ausgangspunkt des Versagens in einer bei der Planung nicht beachteten oder erwarteten Beanspruchung haben. Zu berücksichtigen ist schon bei Planung und Konzeption, daß immer wieder Zusatzbeanspruchungen durch nicht vorhersehbare Einflüsse in der Realisierungs- und Nutzungsphase auftreten können.
Bild 5-2. Rahmen von Spanplattenpresse mit Spannungsverlauf
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5 Strategischer Standort der Schadenanalyse
Es gehört zu solchen Einflüssen auch eine Fehlbedienung, wenn gegen diese in Voraussicht keine Maßnahmen ergriffen wurden (vgl. Abschn. 5.1.3). 5.1.2 Realisierungsphase In der Realisierungsphase eines Produktes stellen die Wahl der Fertigungsverfahren, der Fertigungsabfolge sowie der Werkstoffbehandlung und der Oberflächenbehandlung wichtige Einflußgrößen auf Qualität und Zuverlässigkeit dar. Wie selbst kleine Ursachen, z.B. durch nicht ausreichende Oberflächengüte, zu Schäden in Millionenhöhe führen können, läßt sich am Beispiel einer Dampfturbinenschaufel zeigen. Beim Ausreiben einer Bohrung zur Befestigung einer Reiterfußschaufel ist eine ungenügende Oberflächengüte hergestellt worden. Im Grund solcher Riefen konnte ein Dauerbruch seinen Ausgang nehmen, der zum Lösen der Schaufel und zu deren Durchgang durch die Turbine führte (Bild 5-3 a und 5-3 b). An einem einsatzgehärteten Bauteil läßt sich zeigen, wie auch bei einer laufenden Prüfung solcher Teile gravierende Fehler, die zum Versagen führen, unerkannt bleiben können. Bolzen für den Einbau in eine sicherheitsrelevante Komponente werden in Durchlauföfen einsatzgehärtet. Ein Bolzen, der von einer Palette gefallen ist, blieb längere Zeit im Ofen liegen und hat in der Ofenatmosphäre praktisch eine Aufkohlung, die bis zur Durchhärtung führte, erhalten. Nach einer Wartung des Ofens wurde der Bolzen gefunden und auf die Palette zurückgelegt. Eine automatische Härteprüfung am Schluß der Wärmebehandlung hat das Teil unbeanstandet durchlaufen, da die geforderten Härtewerte an der Oberfläche erfüllt waren. Mit der Prüfung konnte die Tatsache, daß der Bolzen nahezu über den ganzen Querschnitt völlig versprödet war, nicht erfaßt waren. Die unübersehbare Zahl möglicher Montagefehler, von vergessenen Sicherungsscheiben bis zu Schrauben, die zu lose oder zu fest angezogen sind, läßt sich hier nicht vollständig auflisten. In welchem Maße auch solche Fehler komplexe
Bild 5-3 a. Bohrung mit Riefen und Bild 5-3 b. Schliff durch die riefige Bohrung Dauerbruch in einer Turbinenschaufel
5.1 Produktzyklus
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metallkundliche Rückverfolgung zur Ursachenklärung erfordern, läßt sich jedoch an der Wärmebehandlung einer Baustellenschweißung an einer Hochdruckheißdampfleitung aufzeigen. Für die Schweißung war ein hochlegierter lufthärtender Stahl ordnungsgemäß vorgewärmt worden. Nach dem Abkühlen aus der Schweißhitze ist der dabei entstehende spröde Martensit nach Vorschrift einer Anlaßbehandlung zu unterziehen, um eine ausreichende Zähigkeit einzustellen. Die Abkühlung nach dem Schweißen wurde in diesem Fall jedoch nicht bis unter die Martensitlinie vorgenommen, so daß bei diesem Vorgang der Austenit erhalten blieb, Martensit somit noch gar nicht gebildet wurde. Mit Hilfe von Wärmematten wurde dann der immer noch bestehende Austenit wieder aufgeheizt, was jedoch völlig sinnlos war, da bei der nun folgenden Abkühlung erstmals Martensit entstand, der naturgemäß in unangelassenem und sprödem Zustand vorlag. Bei der Aufnahme des Probebetriebs ist die Heißdampfleitung an einer Kerbstelle spröde zerborsten, wobei erhebliche Personen- und Sachschäden entstanden. Ein anderer Fall eines Montagefehlers, der fast schon unter die Kuriositäten einzuordnen ist, ist ein Beispiel für eine offenkundige Schadenursache, die scheinbar bereits aus dem ersten Augenschein zu klären ist. An der Kompressorwelle eines von mehreren baugleichen Kompressoren trat nach kurzer Betriebszeit ein Dauerbruch, an den anderen Kompressoren traten Lockerungen der Welle-Nabe-Verbindungen auf. Nach der Demontage der kraftschlüssigen Verbindung Welle – Nabe hat sich das überraschende Bild ergeben, daß die Wellen mit zahlreichen dicht gesetzten Körnerschlägen versehen waren (Bild 5-4). Die Rückverfolgung hat ergeben, daß die als Pressitz auszuführende Verbindung so viel Luft hatte, daß nur ein „Schiebesitz“ gegeben war. Die unter Zeitdruck stehenden Monteure auf der Baustelle haben das Untermaß der Welle durch die Aufwerfungen am Rand der Körnerschläge ausgeglichen, wobei zunächst ein ausreichender Kraftschluß hergestellt wurde, der allerdings nicht dauerhaft sein konnte. Zur Bestimmung des Hintergrundes einer solchen offensichtlichen Schadenursache und zur Vermeidung gleichartiger Fehler, ist der Ursprung im Produktzyklus zu untersuchen. Verschiedene Möglichkeiten sind dabei als Ursache denkbar.
Bild 5-4. Sitz mit Körnerschlägen
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5 Strategischer Standort der Schadenanalyse
Die Angabe eines nicht ausreichenden Übermaßes der Welle zur Herstellung der erforderlichen Umfangsspannung für den Reibschluß der Verbindung kann auf einer Fehleinschätzung der Möglichkeiten auf der Baustelle zum thermischen Schrumpfen beruhen. Ebenfalls ist es möglich, daß ein Berechnungs- oder Übertragungsfehler vorliegt oder daß bei der Herstellung des Bauteils die Fertigungstoleranzen nicht entsprechend den Vorgaben eingehalten wurden. Wie auch immer die fehlerhafte Passung zustande gekommen ist, so ist der Ansatz für die Schadenabhilfe im Qualitätssicherungssystem zu suchen. Der Ausgangspunkt für Schäden kann paradoxerweise zuweilen sogar in Kennzeichnungen liegen, die Hinweise für die richtige Montage geben sollen oder mit denen die Produktqualität und Herkunft belegt wird. Im hochbeanspruchten Bereich in der Mitte eines Kolbenbodens sind mit Schlagzahlen Montagehinweise angebracht, die den Bruch des Kolbenbodens bewirkten (Bild 5-5 a). Die Bruchmorphologie sowie die Dicke und Ausbildung des Belags auf der Bruchfläche zeigen, daß der Bruch abschnittsweise vorgedrungen ist (Bild 5-5 b). Im Schliff durch den Kolbenboden wird sichtbar, daß Anrisse bereits beim Einschlagen der Markierung entstanden (Bild 5-5 c).
a
c
b Bild 5-5 a, b und c. Kolbenboden mit Rissen, ausgehend von Schlagzahlen
5.1 Produktzyklus
Bild 5-6 a. Prothesenhals mit Laserbeschriftung
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Bild 5-6 b. Gefüge im Bereich der Beschriftung
Vergleichsweise kurze Zeit nach der Implantation eines Hüftgelenkimplantats aus einer TiAlV6 4-Legierung (Bild 5-6 a) kam es zum Bruch im Schaft. Der Ausgang des Anrisses und des folgenden Dauerbruches wird im Schliff sichtbar (Bild 56 b). Durch die Wärmeeinbringung bei der Laserbeschriftung und durch die rasche Abschreckung der kleinen erwärmten Zone infolge der Wärmeabfuhr durch die große Masse des Werkstoffes im kalten Restquerschnitt wurde das Aushärtungsgefüge der Ti-Legierung lösungsgeglüht. Die Festigkeit ist dadurch in einer engen Zone drastisch abgefallen, wodurch der Bruch bei Belastung des Implantats ausgelöst werden konnte (vgl. Abschn. 9.3 Metallographie). Schließlich können sich auch noch beim Versand von Produkten Schäden einstellen, die außerhalb der Palette üblicher Transportschäden liegen und nicht sofort mit dem Transport in Zusammenhang zu bringen sind. Aluminiumkabel für Überlandleitungen in Indonesien wurden von Frankfurt/Main zum Versand gebracht. Die Kabel waren auf Kabeltrommeln aufgewickelt und waren durch Packpapier sorgfältig geschützt. Nachdem die Kabel auf dem Seeweg ihren Bestimmungsort erreicht hatten, wurde beim Auspacken und beim Ausrollen festgestellt, daß die Kabel zum Teil stark durch Lochkorrosion geschädigt waren. Weder Kabeltrommel, Papier noch Klebstoff ließen Hinweise auf die Ursache der hohen Chloridionenkonzentration auf der Kabeloberfläche erkennen, die ursächlich für die Lochkorrosion war. Durch schrittweises Zurückverfolgen der einzelnen Arbeitsgänge konnte das mit hohem Chloridgehalt versetzte Wasser als ursächlich identifiziert werden, das zur Verarbeitung des Klebers benutzt wurde. 5.1.3 Nutzungsphase Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch in den Grenzen der vorgesehenen Lebensdauer von Geräten, Anlagen und Einrichtungen ist in der Nutzungsphase ein Versagen dann auszuschließen, wenn die Eigenschaften der Maschinen oder Einrichtungen den für den vorgesehenen Gebrauch zu stellenden Anforderungen genügen. Da grundsätzlich Schadenursachen immer in Abweichungen des Eigenschaftsprofils von Bauteil, Komponente oder Maschine von den zu stellenden Anforderungen zu sehen sind, kann bei einem Versagen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch davon ausgegangen werden, daß Fehler oder Schwachstellen im Produkt verantwortlich
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5 Strategischer Standort der Schadenanalyse
sind. Lassen sich umgekehrt eindeutige Fehler oder Schwachstellen nicht nachweisen, so liegt der Schluß nahe, daß das zu Schaden gekommene Produkt nicht dem bestimmungsgemäßen Gebrauch unterworfen war oder daß das Ende der Lebensdauer erreicht worden ist. Im Sinne der strategischen Zielsetzung der Schadenanalyse, die darin besteht, die Schadenverhütung gezielt anzusetzen, ist der Ursprung eines Schadens vor dem Hintergrund einzelner oder auch mehrerer Qualitätssicherungselemente im Produktzyklus zu sehen. Damit lassen sich Schadenursachen in die Bereiche Planungsfehler (einschließlich Werkstoffwahl), Fertigungs- und Montagefehler (einschließlich Werkstoffbehandlung), Wartungs- und Instandhaltungsfehler und schließlich Bedienungsfehler einteilen. Ein Schadeneintritt wird im allgemeinen bei Gebrauch bzw. Nutzung oder Beanspruchung erkennbar, selbst dann, wenn die Schädigungsursache in vorangegangenen Phasen der Produktentstehung oder bereitstellung zu sehen ist. Die Tatsache, daß ein Schaden im allgemeinen bei der Nutzungsphase offenbar wird, rechtfertigt naturgemäß nicht den Schluß, daß auch die Ursache in der Nutzung bzw. im Einsatz des Produkts liegen muß (vgl. Kap. 4). Es ist weiter anzunehmen, daß der Schaden immer an einer Schwachstelle im Werkstoff oder am Bauteil eingeleitet wird, d.h. an Kerben, Querschnittsübergängen, Schweißnähten, Kontaktstellen verschiedener Werkstoffe und ähnlichem, auch dann, wenn eine einwandfreie Konstruktion und Ausführung gegeben ist. Damit ergibt sich für die Zielsetzung der Schadenanalyse die Problematik der Zuordnung des Schadens zu bestimmten Produktzyklen. Die Ableitung eines Bedienungsfehlers oder die Abweichung vom bestimmungsgemäßen Gebrauch läßt sich aus einer Schadenanalyse in Konsequenz nur dann schlüssig vornehmen, wenn innerhalb der Bauteillebensdauer der Schaden bei einwandfreier Ausführung und bei fehlerfreiem Zustand der Maschine oder Anlage eingetreten ist. Zuweilen ist damit der Nachweis eines Nutzungsfehlers nicht immer einfach, da oft die Frage im Raum steht, ob eine Kerbausführung, eine Oberflächengüte, ein Werkstoffzustand oder eine Fügeverbindung für die vorgesehene Nutzung noch tolerierbar oder nicht mehr beanspruchungsgerecht ausgeführt war. Unter diesem Aspekt sind die Beispiele vorzeitigen und unvorhersehbaren Ausfalls bzw. von Schäden durch die Art der Nutzung zu sehen und aus diesem Grund sind auch oft Auseinandersetzungen über Garantieansprüche und Ersatzpflichten programmiert. In der Tat können die Übergänge von fehlerhafter Bedienung, also von menschlichem Versagen zum technischen Versagen, sehr fließend sein. Die Grenzen werden umso verschwommener, je mehr Abläufe automatisiert sind, in außergewöhnlichen Fällen aber doch der Eingriff des Menschen noch nötig ist. Für den Eingriff durch den Operateur wiederum ist die Art von Anzeigen sowie die Sinnfälligkeit in der Anordnung von Schaltern und von Bedienungsfolgen entscheidend. Der Unfall des Kernreaktors bei Three Miles Island (USA) 1979 trat ein, weil der Kühlmittelstand zu niedrig war als Folge einer falschen Ventilstellung. Die falsche Ventilstellung wurde nicht erkannt, weil die Anzeige lediglich die Steuersignale für die Ventile angab, nicht aber unmittelbar die Stellung der Ventile und auf diese Weise ein Klemmen des Ventils unerkannt blieb. Tschernobyl ist ein Beispiel eines komplexen Versagens, das viele Bereiche mit einbezieht von der Konstruktion, dem Kraftwerksmanagement bis zu den Operateuren, vergleichbar mit den Beispielen unter Abschn. 4.4. Die Richter im TschernobylProzeß nannten 1987 eine Gesamtzahl von 71 Verstößen gegen Sicherheitsvor-
5.1 Produktzyklus
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schriften. Damit wird durch dieses Beispiel die Betrachtung der Ereignisketten bei technischem Versagen ergänzt (vgl. Bild 4-3). Neben der Vielzahl von Schäden durch Überschreiten der Leistungsgrenzen, durch Überhitzung, durch Schmierstoffmangel sowie durch Korrosion infolge ungeeigneter Betriebs- und Kühlmedien sei hier stellvertretend auf die Rolle von Werkstoffveränderungen durch Überbeanspruchungen, z.B. bei Brems- und Reibvorgängen, verwiesen. Bei den umwandlungshärtbaren Kohlenstoffstählen für Tragseile von Seilbahnen, auf denen die Laufrollen ablaufen, kann ein Blockieren der Laufrollen beim Bremsen zu hohen lokal begrenzten Temperaturen in Randschichtbereichen führen. Die schroffe Abschreckung dieser kleinen Bereiche durch die umgebende kalte Werkstoffmasse führt zur Bildung nicht angelassenen Martensits mit hoher Härte und Sprödigkeit. Bei weiterem normalen Betrieb wirken solche Bereiche als Rißstarter, die schließlich zum Bruch führen (Bild 5-7). Ein inzwischen klassisches Beispiel, wie durch die Änderung der Nutzung für eine Konstruktion eine Lücke zwischen den Anforderungen und den Eigenschaften entstehen kann und wie damit Katastrophen ausgelöst werden können, ist die Serie der Comet-Unfälle zu Beginn der 50iger Jahre. Für den Rumpf der betroffenen DH 106 „Comet“ MK1 und MK2 wurde eine Ausführung gewählt, die sich für den konventionellen Propellerantrieb als außerordentlich robust und zuverlässig erwiesen hatte (Bild 5-8). Um die Unfälle, die durch den Bruch der Rumpfkonstruktion der Flugzeuge bewirkt wurden, aufklären zu können, wurden die Bruchstücke eines Flugzeuges aus dem Mittelmeer geborgen und weitestmöglich wieder zusammengesetzt. Durch Simulationsversuche im Wassertank wurde versucht, den Schaden nachzuvollziehen. Es zeigte sich, daß an Kerbstellen, insbesondere an den Fensterausschnitten, Daueranrisse ausgelöst wurden, die dann bei Erreichen einer kritischen Rißlänge zum Zerbersten des Rumpfes führten (Bild 5-9). Dies jedoch sind in diesem Fall nur Schwachstellen, die lagebestimmend für den Schaden wirkten, schadenursächlich hingegen ist die Änderung im Nutzungsprofil der an sich robusten Rumpfkonstruktion. Während bei Propellerantrieb die Flughöhen für einen wirtschaftlichen Betrieb zwischen 3500 und 7000 m liegen, betragen
Bild 5-7. Reibmartensit im wärmebeeinflußten Randbereich eines Tragseils (nach Metals Handbook)
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5 Strategischer Standort der Schadenanalyse
Bild 5-8. Flugzeug vom Typ DH 106 „Comet“ MK 1
Bild 5-9. Risse in Comet Rumpfstruktur
diese für den Strahlantrieb zwischen 9000 und 14000 m. Der Rumpf, der unter innerem Überdruck mit einer Druckhöhe von etwa 3000 m steht, hat im Fall des Strahlantriebs Druckwechselamplituden infolge des Flugprofils von etwa dem dreibis vierfachen zu ertragen, wodurch sich eine entsprechend stärkeres „Atmen“ der Struktur ergibt. Unter solchen Beanspruchungen wurde ein vorzeitiges Ende der Wechselbelastbarkeit erreicht, die zu einer Serie von Unfällen führte mit der Folge, daß das Baumuster aus dem Verkehr gezogen werden mußte. Im Sinne der ursprünglichen Konstruktion wurde hier die Rumpfstruktur mit dem Strahlantrieb nicht mehr bestimmungsgemäß eingesetzt. 5.1.4 Wartungs- und Reparaturphase Die Vielfalt schadenauslösender Einflüsse in der Wartungs- und Reparaturphase ist nicht geringer als in anderen Phasen eines Produktzyklus. Dabei sind es nicht nur die Wartungs- und Reparaturarbeiten an der Maschine oder Einrichtung selbst, die zu Schadenfällen führen, sondern auch Arbeiten in der Umgebung des betroffenen
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Objektes, durch die dieses in Mitleidenschaft gezogen wird. Allgemein bekannt sind die Beispiele für die Auslösung katastrophaler Brände durch Schweißarbeiten. Daß durch solche Arbeiten jedoch auch völlig anders gelagerte Schäden an zunächst nicht einbezogenen Objekten verursacht werden können, zeigt der Fall einer gebrochenen Dampfturbinenwelle. Der Umlaufbiegedauerbruch der Welle weist in seiner Morphologie auf eine Fehlstelle an der glatten Welle als Ausgangspunkt hin (Bild 5-10). Durch eine metallographische Untersuchung wird nachgewiesen, daß diese Ausgangsstelle einen kleinen Werkstoffbereich hoher Aufhärtung mit einer Einbrandkerbe und Thermoschockrissen darstellt (Bild 5-11). Durch einfache Simulation am Schadenteil war nachzuweisen, daß der Schadenausgang der Zündstelle einer Elektrode entspricht. Die weiterführenden Recherchen zu den Schadenumständen deckten auf, daß in der Umgebung der Welle Elektroschweißarbeiten vorgenommen wurden. Dabei wurde versuchsweise eine Elektrode an der sich gerade in der Nähe befindlichen glatten Welle gezündet und so eine Ablaufkette des Schadenereignisses eingeleitet. Zunächst nicht ohne weiteres erkennbar war die Ursache eines dauerbruchauslösenden Anrisses in der Antriebswelle einer Arbeitsmaschine. Am präparativ geätzten Makroschliff durch den Wellenquerschnitt parallel zur Fläche des Umlaufbiegedauerbruchs zeigt sich, daß im Rahmen von Reparaturarbeiten eine Keilnut mit
Bild 5-10. Dauerbruch an Turbinenwelle
Bild 5-11. Zündstelle von Elektrode an der Turbinenwelle nach Bild 5-10
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5 Strategischer Standort der Schadenanalyse
Schweißgut ausgefüllt wurde, um die Welle mit einer neuen Keilnut zu versehen. Beim Versuch, diese zu fräsen, lag der Verlauf der Keilnut nicht exakt auf der Mantellinie der Welle. Es wurde daher auch diese Fräsung der Keilnut mit Schweißgut wieder aufgefüllt (Bild 5-12). Nachdem schließlich die vorschriftsmäßige Keilnut mit den erforderlichen Passungen hergestellt war, sind die „metallurgischen Kerben“ in Form der Schweißeinflußzonen in der Welle verblieben. An diesen Stellen sind die Anrisse, die zum Dauerbruch der Welle führten, entstanden. Völlig anders gelagert sind Schäden durch Fehler bei Verbindungen, Anschlüssen und Verkabelungen nach Wartungsarbeiten. Kennzeichnend für diese Art Fehler ist die Ursache eines S-Bahn-Brandes im Jahr 1996 unter dem Isartorplatz in München, bei dem 12 Menschen Rauchvergiftungen erlitten haben. Wie durch Untersuchungen festgestellt wurde, ist nach Wartungsarbeiten die Ölpumpe des Kühlsystems für den Trafo falsch angeschlossen worden. Es wurde dadurch das erhitzte Kühlmittel nicht in den Kühler, sondern zurück ins Trafo-Gehäuse gedrückt. Darüber hinaus war ein Rückschlagventil falsch eingebaut, so daß dieser fehlerhafte Kreislauf nicht unterbrochen wurde und in Folge zu so weit steigenden Temperaturen führte, daß eine regelrechte Explosion erfolgte. Bemerkenswert an diesem Vorgang ist, daß nach einem Jahr die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I zu Freisprüchen führten, weil die Schuldfrage nicht einwandfrei zu klären war. Dies entspricht den oft in solchen Fällen sich darstellenden fließenden Grenzen zwischen menschlichem und technischem Versagen. Eine einwandfreie Konstruktion sollte in jedem Fall eine derartig verhängnisvolle Fehlverbindung unmöglich machen. Wesentlich folgenschwerer erwies sich der falsche Anschluß eines Kabels zu einer Warnlampe für die Triebwerksüberwachung an einem Verkehrsflugzeug. Auf einer innerenglischen Verbindung ist ein Triebwerk des Linienflugzeugs in Brand geraten und sollte der Handlungsanweisung entsprechend vom Piloten ausgeschaltet werden. Fatalerweise signalisierte jedoch die Warnlampe den Brand für das noch intakte Triebwerk, das irrtümlich stillgesetzt wurde. Damit war das Flugzeug ohne Antrieb, was zu einer verhängnisvollen Bruchlandung führte.
Bild 5-12. Welle mit Keilnut und Füllschweißungen im Makroschliff
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5.1.5 Folgerungen zur Qualitätssicherung Aus den vorangegangenen Betrachtungen und aus dem Verständnis der notwendigen Passung zwischen Anforderungen und Eigenschaften ergibt sich, daß diese in den verschiedenen Phasen eines Produktzyklus bestimmt und beeinflußt werden. Einmal ist es möglich, daß die Anforderungen nicht richtig oder nur unvollständig definiert wurden, zum anderen besteht die Möglichkeit, daß bei richtiger Definition der Anforderungen durch fehlerhafte Konzeption und Ausführung die erforderlichen Eigenschaften nicht erreicht werden. Selbstverständlich sind auch Fehlpassungen durch Fehlleistungen in verschiedenen Phasen des Produktzyklus möglich. Um bei der Analyse von Schäden die Ansatzpunkte für eine wirkungsvolle Schadenverhütung zu erarbeiten, sind unter dem Gesichtspunkt der zu stellenden Anforderungsprofile folgende Fragen zu stellen: 1. Waren alle Informationen über die Anforderungen eines Betreibers einer Anlage bekannt und wurden diese eindeutig definiert? 2. Sind alle Zustände und Betriebsbedingungen, die unter normalen und unter abweichenden außergewöhnlichen Betriebsumständen möglich sein können, in der Konzeptions- und Planungsphase berücksichtigt? 3. Sind die sich aus Frage 1 und Frage 2 ergebenden Forderungen im Hinblick auf die Beanspruchungshöhe einzelner Bauteile (mechanisch, thermisch, korrosiv, verschleißend) richtig und in ihren erforderlichen Grenzen festgelegt? Komplementär sind für die Überprüfung des Eigenschaftsprofils als Fragen zu stellen: 1. Erfüllen die Eigenschaften, die sich durch Konzeption, Gestaltung und Dimensionierung ergeben, die aufgestellten Forderungen? 2. Sind Werkstoffe, Werkstoffbehandlung, Fertigungs- und Verarbeitungsverfahren im Hinblick auf die zu erfüllenden Forderungen richtig gewählt und in ihrem Zusammenwirken optimiert? 3. Sind vollständige und sachgerechte Pläne und Anweisungen vorhanden für Versand, Montage, Bedienung, Überwachung und Instandhaltung der Anlage und ihrer Komponenten? Sowohl beim Anforderungsprofil als auch ganz besonders beim Eigenschaftsprofil ist zu berücksichtigen, daß die einzelnen Parameter in vielfältiger Weise sich gegenseitig beeinflussen. So sind Konstruktion, Werkstoffwahl, Fertigungs- und Behandlungsverfahren in sehr enger Weise miteinander verzahnt. Die Bauteileigenschaften ergeben sich schließlich aus der Wirksumme aller Parameter, wie sich allein aus der Tatsache veranschaulichen läßt, daß ein sprödes oder duktiles Werkstoffverhalten keine reine Werkstoffeigenschaft ist, sondern in hohem Maße von der Bauteilgestaltung und den Beanspruchungsumständen abhängt (vgl. Abschn. 5.2.2 und 11.2.2). Die Komplexität sowohl im Parameterfeld der Anforderungen als auch der Eigenschaften wird bereits an einem einfachen Beispiel deutlich. Das Übertragungsdrehmoment einer Welle läßt sich z.B. durch Änderung der Dimensionierung vergrößern, um die Torsionsspannungen in der Welle gleichzuhalten. Es läßt sich jedoch auch bei gleicher Dimensionierung der Welle ein höheres Drehmoment dann
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aufnehmen, wenn ein Werkstoff höherer Festigkeit höhere Spannungen erträgt. Beide Entscheidungen haben jedoch unterschiedliche Auswirkungen auf weitere Parameter. Die Vergrößerung des Wellendurchmessers bringt größere bewegte Massen und vor allem bei Lastwechseln eine höhere dynamische Beanspruchung mit sich. Unabhängig davon müßte bei einer Änderung der Dimensionierung die übrige Maschinenkonstruktion den geänderten Maßen angepaßt werden, was wiederum Folgen für die Auslegung anderer Komponenten haben müßte. Die Wahl des höherfesten Werkstoffes mag zunächst als die einfachere Lösung erscheinen, hier jedoch ist zu berücksichtigen, daß die höhere Festigkeit auch einen höheren Widerstand gegen plastische Formänderungen bedeutet. Die Fähigkeit eines Werkstoffes, durch plastische Formänderungen Spannungsspitzen abzubauen, die entweder durch fertigungsbedingte Kerbwirkungen oder durch Inhomogenitäten im Werkstoffvolumen entstehen, ist jedoch ein erheblicher Sicherheitsfaktor. So vermag ein duktiler, also formänderungsfähiger metallischer Werkstoff im Kerbgrund unter Einwirkung hoher Spannungsspitzen durch Fließen die Spannungen abzubauen und einen verfestigten Volumenbereich um den Kerb zu bilden (Bild 5-13). Ein hochverfestigter Werkstoff besitzt diese Möglichkeit des Spannungsabbaues nur noch in geringem Maße oder überhaupt nicht mehr. Fehler im Werkstoffvolumen, wie z.B. Kerben durch Bearbeitungsungenauigkeiten oder kleine Anrisse, bilden dann im Kerbgrund hohe Spannungskonzentrationen, die zum Anriß und Bruch führen. Die Sicherheit sehr spröder Werkstoffe, nicht zuletzt gerade von Keramik, wird schließlich nur noch durch Art und Verteilung von Fehlern nach einer Weibullstatistik bestimmt (vgl. Abschn. 10.3 ). Andererseits können Werkstoffe, wie z.B. Polymere, die zwar sehr duktil sind, jedoch in der Verformungszone keine Verfestigung aufweisen, Spannungsspitzen in Kerben nicht in gleicher Weise durch einen Bereich mit Verformungsverfestigung aufnehmen wie metallische Werkstoffe. Bei Bauteilen und Komponenten, an die hohe Sicherheitsanforderungen gestellt werden, ist bei der Aufstellung des Eigenschaftsprofils entsprechend die Betrachtung der Rißsicherheit oder komplementär die Gefahr des Sprödbruches zunehmend bedeutsam geworden. Durch die Fähigkeit eines Werkstoffes, Spannungen in einer Rißspitze durch Formänderungen aufzunehmen, um ein sofortiges Ausbreiten eines Anrisses zu vermeiden, werden katastrophale Versagensfälle verhindert (vgl. Abschn. 11.2.2). Bei der Gegenüberstellung von Anforderungen bzw. Beanspruchungen auf der einen Seite und Eigenschaften auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, daß die jeweiligen Kriterien nicht streng deterministisch zu einer Deckungsgleichheit kommen können, sondern daß immer mit einer bestimmten Streubreite solcher Kennwerte zu rechnen ist. Die Bedeutung dieser Streubereiche läßt sich am Beispiel der
Bild 5-13. Verformung und Rißbildung bei duktilem a bzw. sprödem b Werkstoff
5.1 Produktzyklus
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in einem Werkstoffquerschnitt auftretenden Spannungen und der auf der anderen Seite dafür erforderlichen Festigkeitswerte darstellen. Das Bauteil wird nach konventioneller Betrachtung den Beanspruchungen dann standhalten, wenn die erforderlichen Festigkeitswerte höher liegen als die Spannungen, die durch die Belastung entstehen können. Infolge von Schwankungen struktur- und gefügebedingter Parameter ergeben sich jedoch Streuungen in den Festigkeitswerten technischer Werkstoffe. Ebenfalls ist bei den Beanspruchungen mit einer Streubreite durch die Betriebsweise zu rechnen. Bei einem Sicherheitsabstand zwischen Belastung und Festigkeit, der die Streubreiten beider Größen nicht berücksichtigt, ist es denkbar, daß die Streubereiche sich überschneiden und in diesem so entstehenden Bereich ein Versagen des Bauteils auftreten kann. Bei der Analyse von Schwachstellen und Versagensfällen ist es somit bedeutsam, die möglichen Streuungen sowohl auf der Beanspruchungsseite wie auch auf der Eigenschaftsseite mit in Betracht zu ziehen. Vielfach lassen sich Versagensursachen erst durch Einbeziehung solcher Betrachtungen aufklären und gezielte Maßnahmen zur Verhinderung von Versagensbereichen durch entsprechende Sicherheitsbeiwerte oder Verringerung von Streubreiten ergreifen (Bild 5-14). Schließlich ist bei der Untersuchung der Schadenursachen die Lebensdauer bzw. die Betriebszeit einer Maschine, Anlage oder Komponente zu beachten. Durch Veränderungen von Passungen und Bearbeitungsgüten ebenso wie durch Änderungen im Regelverhalten können sich Vergrößerungen im Beanspruchungsstreubereich ergeben. Auf der anderen Seite laufen im Werkstoff unter mechanischer, thermischer und korrosiver Beanspruchung Mechanismen ab, die Änderungen in Gefüge und Struktur bewirken. Entsprechend der Gefüge-Eigenschaftsbeziehungen hat dies Auswirkungen auf die Eigenschaften und insbesondere auf die Eigenschaftsstreuungen der Werkstoffe. Mit zunehmender Betriebs- bzw. Lebensdauer von Maschinen und Anlagen ergeben sich somit Vergrößerungen der Streubereiche auf beiden Seiten, also sowohl auf der Seite der Anforderungen als auch auf der Seite der Werkstoff- bzw. Bauteileigenschaften. Aus dieser Tatsache geht hervor, daß die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Bauteilen und Komponenten mit zunehmender Lebensdauer gesetzmäßig abnimmt. Auf der einen Seite stehen somit Fehler durch Planung, Konzeption und Realisierung, die sich erst in der Nutzungsphase offenbaren und behoben werden können, auf der anderen Seite stehen die Schäden durch das Erreichen der Lebensdauergrenzen. Der Verlauf der Zuverlässigkeit bzw. der Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts über der Lebensdauer läßt sich entsprechend in einer sog. Badewannenkurve darstellen (Bild 5-15).
Bild 5-14. Streubreiten von Beanspruchungen und Eigenschaften
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5 Strategischer Standort der Schadenanalyse
Bild 5-15. Ausfallwahrscheinlichkeit eines Gerätes in Abhängigkeit von der Nutzungsdauer A = Ausfallwahrscheinlichkeit t = Nutzungszeit
5.2 Kriterien für Bauteilgestaltung und Werkstoffwahl Der im vorangegangenen gemachte Versuch der Zuordnung von schadenursächlichen Einflüssen auf die unterschiedlichen Phasen der Entstehung und Nutzung eines Produkts ist bedeutsam für einen rationellen und wirkungsvollen Ansatz von Verbesserungen und für die Schadenverhütung. Weit hinausgehend über die Betrachtung eines einzelnen Produkts und spezifischer Bedingungen bei der Auslösung und beim Ablauf bestimmter Schäden ist eine systematische Schadenanalyse geeignet, grundlegende Erkenntnisse für ingenieurwissenschaftliche Forschungsund Entwicklungsgebiete zu gewinnen. Der Natur der Gegenstände der Schadenanalyse entsprechend gehören dazu vorzugsweise Beziehungen zwischen Beanspruchungen und Werkstoffverhalten sowie im Zusammenhang damit Berechnungsverfahren und Methoden zur Vorhersage von Bauteilreaktionen. 5.2.1 Ursprünge der Werkstoffprüfung Wird die Geschichte der Werkstoff- und Bauteilprüfung betrachtet, so zeigt sich, daß deren Ursprünge mit dem Beginn der technischen Entwicklung vor etwa 150 Jahren und mit den damit einhergehenden Schadensfällen verknüpft sind. Mit den ständig steigenden Anforderungen an Werkstoffe und Bauteile und mit dem in unserer technisierten Welt notwendigen Verlangen nach Sicherheit im Umgang mit der Technik wurden die Grenzen konventioneller Werkstoffprüfungen deutlich. Konventionelle und normierte Prüfverfahren sind lediglich in der Lage, das Verhalten eines Werkstoffs oder Bauteils unter standardisierten Bedingungen festzustellen (vgl. Kap. 11). Mit dem Input aus den Ergebnissen der Schadenanalysen wird versucht, Prüfverfahren, die an die technische Praxis angepaßt sind, zu entwickeln und zu verbessern sowie Berechnungsverfahren zu schaffen, die eine Vorhersage der Zuverlässigkeit und der Schadentoleranz erlauben. 5.2.2 Mechanische Beanspruchung Wichtige Erkenntnisse aus der Schadenanalyse fließen in das Wissensgebiet über Art und Umfang des Lebensdauerverbrauchs von Bauteilen und Komponenten vor
5.2 Kriterien für Bauteilgestaltung und Werkstoffwahl
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Bild 5-16. Verknüpfung bei der Lebensdauervorhersage (nach Buxbaum)
allem bei zusammengesetzten Beanspruchungen ein. Zu den Versuchen, die Bauteillebensdauer für einen sicheren Betrieb unter stochastischen Abfolgen mechanischer Belastung abzuschätzen, gehören die Schadensakkumulationshypothesen. Die Grundidee zu diesen Hypothesen geht davon aus, daß bei wechselnden Beanspruchungen eine Werkstoffveränderung oder -schädigung aus der Summation irreversibler Teilschädigungen aus einzelnen Beanspruchungsabschnitten besteht. Selbst wenn davon ausgegangen wird, daß im Bauteil die rein mechanische Beanspruchung für sich allein auftritt, so stellt schon die Wechselwirkung zwischen Beanspruchungsschwankungen solche Schadensakkumulationshypothesen in Frage. Die Schädigungswirkung eines bestimmten Beanspruchungskollektivs ist somit abhängig von der Schädigung durch andere vorangegangene oder auch noch folgende Beanspruchungs-Zeitverläufe. Von ganz entscheidender Bedeutung für die Bauteillebensdauer und damit für die unter Betriebsbelastung ablaufenden Vorgänge sind Werkstoff, Werkstoffbehandlung, Gestaltung des Bauteils und Umgebungsbedingungen. Betriebsbeanspruchung und Bauteilausführung sind lebensdauerbestimmend und müssen miteinander in Übereinstimmung stehen (Bild 5-16). Der Einfluß von Querschnittsübergängen, Bohrungen und Kerben wird mit der Formzahl und der Kerbwirkungszahl erfaßt und findet in der Gestaltfestigkeitslehre seinen Niederschlag. Für die Prüfung des Festigkeitsverhaltens unter Lastkollektiven, ähnlich der Betriebsbeanspruchung lieferte die Entwicklung der servohydraulischen Prüfmaschinen die Voraussetzung. Die Versuchsstrategie zur Prüfung unter zeitlich veränderlichen Beanspruchungen in Anlehnung an betriebliche Belastungen läßt sich nach Gruppen einteilen in
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− Programmbelastungsversuche − Zufallslastenversuche − Betriebslastennachfahrversuche. Die mit derartigen Versuchen ermittelte Betriebsfestigkeit läßt auch bei Prüfungen am Bauteil oder Komponenten immer noch nicht mit letzter Sicherheit auf das Verhalten von Maschine und Gerät unter den vielfältigen und wechselnden Bedingungen der Praxis schließen. Solche Erkenntnisse und Erfahrungswerte ergeben sich zuverlässig erst aus dem Einsatz der Bauteile, Komponenten und Anlagen und durch die dabei gewonnenen Betriebserfahrungen sowie aus Schadenanalysen. 5.2.3 Riß- und Fehlertoleranz Ein Wissensgebiet, das sich unmittelbar aus der Notwendigkeit ergab, Schadenabläufe zu verstehen und vorauszusagen, ist die Bruchmechanik, mit deren Hilfe das katastrophale spröde Versagen von riß- oder fehlerbehafteten Bauteilen durch entsprechende Auslegung verhütet werden soll. Als unmittelbarer Anlaß für die Aufnahme der Forschungen auf diesem Gebiet, werden denn auch immer wieder spektakuläre Fälle spröden Versagens von Großbauteilen aufgeführt. Dabei wird das spröde Auseinanderbrechen von sogenannten Liberty-Schiffen während des 2. Weltkriegs im Nordmeer genannt, aber auch die im Zusammenhang mit nicht auslegungsgemäßer Nutzung bereits erwähnten Comet-Unfälle (vgl. Abschn. 5.1.3) stehen neben anderen als Beispiele für Katastrophen durch plötzliches Reißen oder Zerbersten. Kennzeichnend ist es, daß eine der spektakulärsten Katastrophen der Seefahrt in diesem Jahrhundert nicht mit der äußerst gefährlichen spröden Ausbreitung eines kritischen Anrisses in Verbindung gebracht wurde, weil zum Zeitpunkt des Unfalls die Erkenntnisse der Bruchmechanik noch in weiter Ferne lagen. Der Untergang der Titanic am 15.4.1912 hat sich in den zahllosen Beschreibungen immer so dargestellt, daß ein Eisberg den Schiffsrumpf an Steuerbord von der Vorpiek bis zum Kesselraum auf fast 90 m Länge, d.h. über fast ein Drittel der Schiffslänge, „wie mit einem Dosenöffner“ aufgeschlitzt hatte. Als 1985 das Wrack der Titanic gefunden wurde, konnte der erwartete klaffende unter Verformungen in den Rumpf geschnittene Riss nicht entdeckt werden. Der Rumpf war vielmehr durch einen verformungslosen Riss spröde geborsten. Wird der heutige Wissenstand zur Interpretation der damaligen Katastrophe herangezogen, so wird deutlich, daß der Stahl bei der vorliegenden Dicke und Verarbeitung mit Nieten bei den Temperaturen zwischen den Eisfeldern sprödes Verhalten aufwies. Der Schlag durch die Kollision mit dem Eisberg hat vermutlich zwischen einem oder mehreren Nietlöchern einen Anriß ausgelöst, der sich spröde und schlagartig ausgebreitet und die Wand durchtrennt hat. Mit der linear elastischen Bruchmechanik werden Anriß und Bruch energetisch betrachtet. Wenn Spannungen nicht durch Fließen des Werkstoffs abgebaut werden können, findet eine elastische Speicherung der Energie entsprechend der Spannungskonzentration statt, bis diese die Kohäsionskräfte überschreitet und ein Riß instabil den Bauteilquerschnitt durchtrennt. Gerade bei hochfesten Werkstoffen und bei sicherheitsrelevanten Bauteilen großer Dimensionen hat sich gezeigt, daß ein plötzliches sprödes Zerbersten auch dann eintreten kann, wenn die konventio-
5.2 Kriterien für Bauteilgestaltung und Werkstoffwahl
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nell anzusetzenden Nennspannungen sogar noch unterhalb der Streckgrenze liegen. Ein solches Bauteilversagen geht von Fehlern und Ungänzen in technischen Werkstoffen aus, deren Gefahrenpotential nur dann richtig erkannt werden kann, wenn es gelingt, quantitativ unter bekannten Beanspruchungsbedingungen zulässige Fehlergrößen für definierte Bauteile und Werkstoffe zu berechnen. Für diese Berechnung wird eine bruchmechanische Kenngröße Kc – der kritische Spannungsintensitätsfaktor – herangezogen. Mit ihm lassen sich die Rißgrößen bestimmen, die bei bekannten Nennspannungen noch tolerierbar sind und damit ein sprödes Brechen nicht erwarten lassen (vgl. Abschn. 11.2.2). So bedeutsam die Kenntnis von zulässigen Rißgrößen für die Sicherheit ist, so reicht umgekehrt für die originäre Aufklärung einer Schadenursache allein die Feststellung nicht aus, daß ein sprödes Versagen des Bauteils die Überschreitung einer kritischen Fehlergröße ist. Die Schadenursache läßt sich erst dann feststellen, wenn eine Untersuchung der Entstehung solcher Fehler und ihrer kritischen Größe zur Sprödbruchauslösung zu eindeutigen Ergebnissen geführt hat. So muß bei der Schadenanalyse unbedingt mit berücksichtigt werden, daß auch die Feststellung einer kritischen Fehlergröße aufgrund eines Kc-Wertes, der bei einer Abnahmeprüfung ermittelt wurde, nicht zu einer konstant anzunehmenden Kenngröße führt. Durch Betriebseinflüsse kann ein Werkstoff Versprödungserscheinungen erfahren, die eine ursprünglich noch tolerierbare Rißgröße unter geänderten Werkstoffzuständen nun zu einem kritischen Fehler machen. Werden bei Schadenuntersuchungen an Bauteilen, die einen spröden Bruch erlitten haben, nachträglich Fehlergrößen festgestellt, die den Bruch erklären, so ist es weitere Aufgabe der Schadenanalyse, den Zeitpunkt der Entstehung eines solchen Fehlers festzustellen, um an die Wurzeln der Ursache heranzukommen und um nachhaltige Schadenverhütungsmaßnahmen ergreifen zu können. In einem Großkraftwerk in Leipzig ist 1994 eine Getriebewelle unter Fliehkräften spröde zerborsten und hatte neben vier Todesopfern noch umfangreiche Folgeschäden, u.a. durch Brand, nach sich gezogen. Wenn nach einem solchen Schaden in der Bruchfläche Fehlstellen vorgefunden werden, die sich als sprödbruchauslösend nachweisen lassen, kann es möglicherweise zu einfach sein, anzunehmen, daß derartige Fehler bereits nach dem Schmieden vorhanden sein mußten und bei zerstörungsfreien Prüfungen einfach übersehen wurden. Nur wenn durch eine sorgfältige und systematische Schadenanalyse auszuschließen ist, daß auch in nachfolgenden Bearbeitungsgängen wie Wärmebehandlungen derartige Trennung entstehen können, kann ein solches Urteil als bewiesen gelten. Unabhängig davon ist stets zu berücksichtigen, daß Trennungen, die mit nichtmetallischen Einschlüssen gefüllt sind, teilweise schalldurchlässig und somit schwer detektierbar sind. 5.2.4 Reibkorrosionsbeanspruchung Wenn kraft- oder formschlüssige Verbindungen vorliegen, sind bei kleinen oszillierenden Relativbewegungen zwischen den Partnern die Voraussetzungen für Reibkorrosion gegeben, wodurch ein drastischer Abfall der dynamischen Festigkeitswerte gegenüber den Kennwerten aus Werkstoff- und Bauteilprüfungen auftritt. Die Reibkorrosion ist auch unter anderen Begriffen wie Reibverschleiß, Reiboxidation, Passungsrost, Fretting Corrosion, Contact Fatigue u.a. bekannt. Betroffen von die-
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ser Form von Schäden sind vor allem mechanische Fügungen durch Schrumpfen, durch Keilnut, durch Schrauben und Nieten sowie durch Passbolzen u.ä. Von einer definierten Wechselfestigkeit kann bei Reibkorrosionsbeanspruchung nicht mehr ausgegangen werden (vgl. Abschn. 9.1). 5.2.5 Schwingungsrißkorrosionsbeanspruchung (SwRK) Es ist wiederum eine wichtige Erkenntnis aus der Schadenanalyse, daß dynamisch beanspruchte Bauteile in Abhängigkeit von Art und Form der Einwirkung umgebender Medien zum Teil signifikante Einbußen an der ertragbaren Lastwechselzahl erleiden. So traten in den Zwanziger Jahren in England immer wieder Achsbrüche an Eisenbahnwagen auf, obwohl diese dauerfest ausgelegt waren und keine Mängel an Werkstoff und Ausführung festgestellt werden konnten. Erst als die Lage der betroffenen Achsen in die Untersuchungen einbezogen wurde, stellte sich heraus, daß die betroffenen Achsen stets in der Nähe der Toilettenauslässe lagen. Durch den dadurch gegebenen wechselnden Einfluß korrosiver amoniakalischer Medien liefen die Schäden nach einem Mechanismus ab, der heute als Schwingungsrißkorrosion bezeichnet wird. Diese Form des Versagens wurde erst sehr viel später Gegenstand werkstoffkundlicher Forschung, nachdem auch an anderen dynamisch beanspruchten Bauteilen bei gleichzeitigem Medieneinfluß vorzeitige Brüche beobachtet wurden. Exemplarisch dafür sind besonders Dampfturbinenschaufeln im Übergang vom Naßdampf zum überhitzten Bereich (Wilson-Bereich), wo sich auf der Oberfläche der Schaufeln Wasserinhaltsstoffe aufkonzentrieren können. Ebenfalls traten gegenüber der Auslegung nach dynamischen Kennwerten vorzeitige Brüche auf an zahlreichen unterschiedlichen Bauteilen wie Pumpenwellen, Propellerwellen von Schiffen, schwingenden Stahltauen im Meerwasser oder in feuchter Atmosphäre, ebenso wie an Bohrgestängen in Erdölfeldern und an zahlreichen Elementen des Chemieapparatebaues. Die durch solche Schadensfälle initiierten Forschungsarbeiten ließen die Mechanismen erkennen, die zum Abfall der Wechselfestigkeit in korrosiven Medien, aber auch schon bei Adsorption in der Oberflächenschicht führen (Bild 5-17).
Bild 5-17. Einfluß korrosiver Medien auf die Wechselfestigkeit eines ferritischen Konstruktionswerkstoffes
5.2 Kriterien für Bauteilgestaltung und Werkstoffwahl
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5.2.6 Spannungsrißkorrosionsbeanspruchung (SpRK) Das äußerst breite Gebiet der Korrosionsforschung und der Entwicklung von Korrosionsprüfverfahren ist wieder in hohem Maße durch Betriebserfahrungen und damit durch Ergebnisse aus Schadenanalysen geprägt. Zu verstehen ist dies vor allem aus der Vielzahl der spezifischen Korrosionsarten, die stets als System aus Werkstoff, Werkstoffkombinationen, mechanischen Beanspruchungen und Medien bzw. Mediumsbedingungen wie Strömungen und Temperatur zu sehen sind. Im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Sicherheit sind ganz besonders lokale Korrosionsarten wie Spannungsrißkorrosion, Kornzerfall oder Wasserstoffversprödung von katastrophaler Auswirkung (vgl. Abschn. 9.2.2.3, 9.3.2.3 und 11.3). Auch ohne Materialabtrag und ohne äußerlich sichtbare Korrosionsangriffe können dadurch tragende Bauteile plötzlich nach Art eines Sprödbruches versagen. Wie einseitig geprägte Lastenhefte und unvollständige Anforderungsprofile zu solchen unerwarteten Schadenfällen führen können, läßt sich an der Verwendung amagnetischen Materials für den U-Boot-Bau veranschaulichen. Beim Aufbau der Flotten in Europa nach dem zweiten Weltkrieg sollte durch ein spezielles Material u.a. die Ortung mit magnetisch gestützten Systemen erschwert werden. Vor dieser Zielsetzung trat die Betrachtung des Korrosionssystems Seewasser, Spannungen im Schiffskörper und spannungskorrosionsempfindliches Material in den Hintergrund. Im Einsatz versagten die Boote durch Spannungskorrosionsrisse im Rumpf in katastrophaler Weise. 5.2.7 Thermomechanische Beanspruchung Gute theoretische Voraussetzungen für rechnerische Lebensdauervorhersagen sind im Fall der thermomechanischen Beanspruchung gegeben. Auf der Grundlage der Arrheniusbeziehung für zeit- und temperaturabhängige Prozesse gibt es verschiedene Methoden zur Lebensdauerabschätzung. So läßt sich zum Beispiel mit Hilfe des Larsson-Miller-Parameters aus dem Kriechen des Werkstoffs in Kurzzeitversuchen bei entsprechend hohen Temperaturen auf das Langzeitkriechverhalten bei niedrigerer Temperatur, wie sie im Betrieb gegeben ist, schließen. Dies bedeutet gerade bei Werkstoffentwicklungen, daß Kennwerte für die Werkstoffwahl und für die Auslegung von Bauteilen schneller als bei Echtzeitversuchen zur Verfügung stehen, da z.B. die Ermittlung der 105h Zeitstandfestigkeit ca. 12 Jahre in Anspruch nimmt. Diese Art der Abschätzung der Bauteilsicherheit von thermomechanisch beanspruchten Komponenten kann indessen nur einen sehr groben Anhalt geben. Bei der Echtzeitprüfung ergeben sich gegenüber den abgekürzten Prüfverfahren unter der Temperatureinwirkung zeitabhängige Werkstoffveränderungen, die zusätzlich zu den unter mechanischen Belastungen ablaufenden Kriechprozessen auftreten und die in der abschätzenden Berechnung unberücksichtigt sind. In der technischen Anwendung schließlich treten unter thermomechanischer Beanspruchung eine Vielzahl von Einflüssen auf, die sich in Prüfverfahren nicht wiederfinden. Neben den Einflüssen, die bereits bei der rein mechanischen Beanspruchung gravierende Abweichungen zwischen Prüfwerten und betrieblichem Verhalten bewirken können, treten bei thermomechanischen Beanspruchungen zusätzlich Einflüsse durch Tem-
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5 Strategischer Standort der Schadenanalyse
peraturwechsel, Wärmespannungen, Temperaturgradienten im Bauteil, umgebende Medien und ähnliches auf. Derartige Komplexbeanspruchungen führen gerade bei thermomechanisch beanspruchten Bauteilen zu sehr unterschiedlichen Lebensdauern. Diese Unsicherheiten machen es erforderlich, daß sicherheitsrelevante Komponenten wie Hochdruckheißdampfleitungen einer regelmäßigen Überwachung des Lebensdauerverbrauchs durch spezielle Verfahren zur Dehnungsmessung, Gefügeuntersuchung, aber auch mit Hilfe neuentwickelter zerstörungsfreier Prüfverfahren unterzogen werden. Bei vorzeitigem Lebensdauerverbrauch bleiben es wieder die systematischen Schaden- und Schwachstellenanalysen, durch die sich die Ursachenkomplexe aufklären lassen. 5.2.8 Schadenanalyse und technische Sicherheit Der Überblick über die Wechselbeziehungen zwischen Schadenanalyse, Werkstoffprüfung und Berechnungsverfahren zur Sicherheitsgestaltung technischer Produkte zeigt, daß die Einbeziehung der Erfahrungen aus systematischen Schadenanalysen unumgänglich ist. Ganz besonders wertvoll kann es sein, im Fall von Schäden vorher getroffene Annahmen über Bauteil- und Komponentensicherheit mit den tatsächlich abgelaufenen Schadenmechanismen zu vergleichen, um Lücken in Prüfund Berechnungsverfahren aufzudecken.
6.3 Ursache – Wirkungszusammenhang
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6 Begriffe und Sequenzen bei Versagensprozessen
Art und Bedeutung einzelner Teilvorgänge innerhalb von Ereignisketten, die zu Versagen, Unfällen und Katastrophen führen, sind nach ihrem Stellenwert und ihrer Abfolge einzuordnen, um Ursachen vollständig aufzuklären und Maßnahmen zur Schadenverhütung wirkungsvoll anzusetzen. Die Logik von Schadenabläufen sollte sich bereits in den zur Beschreibung verwendeten Begriffen spiegeln, um unmißverständlich Zusammenhänge darzustellen. Exemplarisch für solche Begriffe stehen Schadenerscheinung, Schadenart, Schadenbild, Schadenform, Schadenauslösung, Schadenbegünstigung, Schadenort, Schadenumfang, Schadenumstände und schließlich Schadenursache.
6.1 Begriffsdefinition Mit der Schadenerscheinung wird im Wortsinn verstanden, wie ein Schaden in Erscheinung tritt, also z.B. durch Lockerung, Verkrümmung, Unwucht, Undichtheit, Blockieren, Loslösen, Zerbersten u.a. Unter der Art eines Schadens wird zunächst die Art einer die Erscheinung bewirkenden Beanspruchung und das ihr zugeordnete Schadenbild gekennzeichnet. So sind nach Schadenarten zu unterscheiden: Schäden durch mechanische, thermische, ektrolytisch-korrosive, hoch-temperatur-korrosive (Gas-Metall-Reaktionen) und ggf. auch noch durch tribologische Beanspruchungen. Das diesen Schadenarten zugeordnete Schadenbild besteht in Rissen, Brüchen, Abtragungen, Anfressungen, Verfärbungen, Gefügebeeinflussungen, um nur einige Schadenbilder zu nennen. Mit den Merkmalen aus den Schadenbildern werden Schlüsse auf die Beanspruchungen gezogen, unter denen das Schadenbild entstanden ist. Die Untersuchungen zur Definition des Schadenbilds und der daraus zu ziehenden Schlüsse sind Gegenstand des Kap. 9 „Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale“. Es ist Gegenstand verschiedener Richtlinien (VDI 3822 und SEW 110 E (1978)), eine Zuordnung zwischen Schadenbildern und Beanspruchungen herzustellen. Die Schadenform ist eine weitere Präzisierung der Schadenart, also z.B. im Fall des Schadenbilds „Bruch“ sind hier die Bruchformen einzuordnen wie Torsionsgewaltbruch, Umlaufbiegedauerbruch, um nur zwei von den zahlreichen Schadenformen zu nennen, auf die noch näher einzugehen ist (vgl. Kap. 9). Vielfach wird unter dem Hauptbegriff der Schadenart, also z.B. dem mechanischen Schaden das spezielle Schadenbild dieser Schadenart durch den Unterbegriff der Bruchart gekennzeichnet. Die Bruchart steht in diesem Fall synonym zu der im vorangegangenen gegebenen Definition der Schadenform und ist vom Oberbegriff der Schadenart
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6 Begriffe und Sequenzen bei Versagensprozessen
zu unterscheiden. Analog gelten die Definitionen für die Schadenart „elektrolytische Korrosion“, das Schadenbild „lokaler Korrosionsangriff“ und die Korrosionsform, wie z.B. lochförmiger oder linienförmiger Werkstoffabtrag. Auch hier kann in Analogie zu den mechanischen Schäden synonym zur Korrosionsform der Begriff der Korrosionsart stehen. Schadenerscheinung, Schadenart und Schadenbild mit weiteren Untergliederungen sind mit Hilfe der Schadenanalyse in einen Ursache-Wirkungszusammenhang zu bringen. Dazu sind zusätzliche Indizien erforderlich, die sich sowohl aus werkstoffkundlichen Untersuchungen wie auch aus einem Nachvollziehen von Planung, Berechnung und Konstruktion ebenso wie aus einer Analyse von Fertigung und Montage ergeben können. Die Wertung und Gewichtung solcher zusätzlicher Indizien soll Aufschluß geben über die zeitliche und die örtliche Schadenauslösung, über schadenbegünstigende Einflüsse und über eine mögliche zeitabhängige Abfolge bei der Entstehung von Schadenerscheinungen und Schadenarten. Durch Informationen und Gegenprüfung mit Indizien aus technischen Untersuchungen ist die Voraussetzung gegeben, um in einem komplexen System vielfältiger Wirkparameter primär schadenursächliche Einflußgrößen nachzuweisen. Wenn nicht durch das Schadenumfeld einige Möglichkeiten mit Sicherheit auszuschließen sind, müssen eine der Anzahl der Möglichkeiten entsprechende Zahl von Untersuchungen oder Überlegungen angestellt werden, um schrittweise einzelne Möglichkeiten auszuschließen und schließlich die verbleibende Möglichkeit als schadenursächlich oder schadenmitursächlich nachzuweisen. Gerade in diesem Zusammenhang ist es angezeigt, zwischen den Begriffen „schadenursächlich“, „schadenauslösend“ und „schadenbegünstigend“ zu unterscheiden.
6.2 Begriffsbewertungen Nicht immer lassen sich diese Unterscheidungen aus der Untersuchung des Schadenteils allein treffen. Veranschaulichen läßt sich dies am Gewaltbruch des Anlenkbolzens an einem gegossenen Gleitstein für eine industrielle Schneidmaschine. Der Übergang vom Gleitstein zu dem durch Drehen aus diesem herausgearbeiteten Bolzen ist wesentlich schärfer ausgeführt, als dies den Regeln vorschriftsmäßiger konstruktiver Ausführung entspricht. Nach einem ersten Augenschein liegt es nahe, diesen erheblich zu scharf ausgeführten Querschnittsübergang als schadenursächlich einzustufen. Eine weitere Recherche über Betriebserfahrungen mit baugleichen Maschinen ergibt, daß zahlreiche Bauteile in der vorgefundenen Ausführung trotz des zu beanstandenden Querschnittsübergangs offenbar infolge der Überdimensionierung des Teils ohne Schäden im Einsatz sind. Aus dieser Tatsache und aus Freßspuren auf der Gleitfläche des Bauteils läßt sich schließen, daß die Schadenursache in einer Überlastung des Bauteils, wahrscheinlich durch Festgehen infolge Schmierstoffmangels, zu sehen ist. Der scharfe Querschnittsübergang jedoch ist eindeutig schadenbegünstigend in Ansatz zu bringen. Mit dem Begriff des schadenbegünstigenden Einflusses wird ein Wirkzusammenhang mit der Schadenursache hergestellt, im Gegensatz zu dem Begriff „lagebestimmend für einen Schaden“. Im Fall einer mechanischen Überlastung eines Bauteils wird der Anriß oder Bruch in Querschnittsübergängen, Keilnuten oder
6.3 Ursache – Wirkungszusammenhang
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Bohrungen stattfinden, auch dann, wenn diese vorschriftsmäßig und anforderungsgerecht ausgeführt sind. In diesem Fall ist es gerechtfertigt, von einer lediglich lagebestimmenden Wirkung zu sprechen. Zuweilen kann sich die Frage stellen, ob ein Einfluß mitursächlich, begünstigend oder nur lagebestimmend ist. Dies hängt oft von einer quantitativen Wertung additiv wirkender Einflüsse in ihrer Summe ab. Darzustellen ist dies im Fall eines Anrisses oder Bruchs eines Bauteils durch Überschreitung der zulässigen Spannung unter statischer oder wechselnder Last. Eine solche Überschreitung der ertragbaren Festigkeit kann eintreten allein unter Lastspannungen, unter Lastspannungen und inneren Spannungen infolge der Verarbeitung oder auch unter Lastspannungen und Anschlußspannungen. Schließlich ist auch das Zusammenwirken aller drei Einflüsse bei der Überschreitung der zulässigen Spannung denkbar. Jeder dieser Beiträge zur Überschreitung einer bestimmten Spannung kann auch bereits für sich allein unter der Voraussetzung ausreichender Höhe hinreichend sein, so daß das Zusammenwirken zur Schadenauslösung grundsätzlich nicht notwendig ist (vgl. Bild 7-4). Zu Spannungen unterschiedlicher Herkunft, die entweder jede für sich allein oder auch erst gemeinsam zum Schaden führen, gehören beispielsweise Querschnittsübergänge und dort auslaufende thermisch-randschichtgehärte Zonen, wie beim Übergang vom Zapfen zur Wange an Kurbelwellen. Bei einem ungünstigen Auslauf dieser randschichtgehärteten Zone können sich die dort gegebenen Bereiche der Spannungsumkehr mit den Last- und Kerbspannungen im Übergangsradius so addieren, daß es zu Anriß und Bruch kommt. Erst eine ins einzelne gehende Analyse vermag in diesen Fällen mehrere Einflußgrößen aufzudecken, von denen jede für sich allein bereits hinreichend sein kann. Ebenfalls kann eine solche Analyse aber auch eine mögliche dominierende Rolle eines einzelnen dieser Einflüsse aufecken. Anders liegt der Fall, wenn das Zusammenwirken mehrerer Einflußgrößen notwendige Voraussetzung für die Auslösung einer bestimmten Schadenart ist, dabei aber jede dieser Einflußgrößen für sich allein noch nicht hinreichend ist. Dies ist im Fall der Spannungsrißkorrosion gegeben. Diese tritt dann auf, wenn – ein spannungsrißkorrosionsanfälliger Werkstoff vorliegt – Spannungen gegeben sind – ein spannungsrißkorrosionsauslösendes Medium vorhanden ist. Je nach Auslegung einer Komponente kann zum Beispiel das unbeabsichtigte Auftreten einer einzigen Einflußgröße, z.B. des Mediums, bei den anderen auslegungsgemäßen Einflüssen der kritische Pfad zur Schadenentstehung sein. Liegen umgekehrt die Schadenmerkmale der Spannungsrißkorrosion vor, so lassen sich damit zwangsläufig die drei notwendigen Einflußgrößen beweisen (vgl. Abschn. 7.2, Bild 7-4).
6.3 Ursache – Wirkungszusammenhang Nicht immer ist der Ursache-Wirkung-Zusammenhang eindeutig, wie bereits am einfachen Beispiel zu zeigen ist. Beobachtet wird die Schadenerscheinung „Lockerung eines Schraubenbolzens“. Die Untersuchung ergibt als Schadenbild einen An-
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6 Begriffe und Sequenzen bei Versagensprozessen
riß im Gewindegrund. Im Hinblick auf den Ursache-Wirkung-Zusammenhang sind mehrere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. - Zu geringes Anzugsdrehmoment bewirkt eine Lockerung und als Folge einen Daueranriß im Gewindegrund unter überlagerter Biegung, ggf. auch unter Reibkorrosionsbedingungen. - Zu hohes Anzugsdrehmoment bewirkt einen Gewaltanriß im Gewindegrund, der als Daueranriß weiterwachsen konnte und zur Lockerung führte. - Fehlende Schraubensicherung hat primär die Lockerung bewirkt, die dann zum Daueranriß führte. - Durch Kriechbeanspruchung hat sich eine Spannungsrelaxation ergeben, die als Lockerung in Erscheinung trat und in weiterer Folge zum Daueranriß führte. - Durch korrosive Abtragungen in der Auflagefläche des Schraubenkopfes hat sich eine Lockerung mit ihren weiteren Folgen ergeben. - Konstruktiv, fertigungstechnisch oder bedingt durch Werkstoffehler haben sich lokal hohe Kerbwirkungen ergeben, die entweder lagebestimmend oder gar schadenauslösend wirken konnten. Im Fall eines folgenschweren Verkehrsunfalles eines Motorrollers, der durch einen Trennbruch der hinteren Achswelle zustandekam, läßt sich die Bedeutung der Ableitung einer Schadenabfolge veranschaulichen (Bild 6-1). Der Unfall ereignete sich wenige Betriebsstunden nach einer Reparatur, die veranlaßt war durch merkliches axiales Spiel am Hinterrad. Zur Beseitigung wurde zwischen Wellenbund und Bremstrommel eine Unterlagscheibe eingebracht und die Befestigungsmutter nachgezogen. Mit der Schadenanalyse ist zu klären, ob den Reparaturbetrieb ein Verschulden durch zu scharfes Anziehen der Mutter trifft, ob ursächlich ungeeigneter Werkstoff bzw. unzulängliche Fertigung in Frage kommt oder ob der Bruch erst als Folge des Unfalls durch Gewalteinwirkung zustandekam. Durch die Stückanalyse wird ein NiCrMo-Vergütungsstahl identifiziert, wie er in vielen zehntausenden dieser Fahrzeuge eingesetzt wurde. Der Vergütungzustand und die Härte sind anforderungsgerecht, Werkstoffehler waren durch die Metallographie nicht nachweisbar. Der Bruch liegt im ersten tragenden Gewindegang und damit im höchst beanspruchten Wellenquerschnitt. Die Trennung verläuft senkrecht zur Welle und läßt in der Lichtreflektion drei verschiedene Bruchbereiche erkennen. Ein Bereich A erscheint dunkel und verhämmert, ein Bereich B ist glatt ohne Verhämmerung und ein Bereich C zeigt eine deutlich zerklüftetere Topographie als die Bereiche A und B (Bild 6-1). Die mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM) vorgenommene mikrofraktographische Beurteilung zeigt im Bereich A eine weitgehende Einebnung der Bruchmorphologie, im Bereich B sind die Merkmale eines Wechselbeanspruchungsbruches zu erkennen, während der Bereich C einem zähen Gewaltbruch zuzuordnen ist (Bild 6-2, vgl. Abschn. 9.2.2 und 9.2.3). Eine Durchmusterung des durch Absätze gekennzeichneten Ausgangs des Wechselbeanspruchungsbruches zeigt eine weitaus zu scharfe, nicht normgerechte Ausführung des Gewindegrundes mit zum Teil groben Bearbeitungsspuren (Bild 63). Damit lassen sich der Ablauf des den Unfall verursachenden Schadens und die Verantwortlichkeiten eindeutig ableiten. Zunächst wurde durch die unvorschriftsmäßige Ausführung des Gewindes eine unzulässig hohe Kerbspannung verursacht,
6.3 Ursache – Wirkungszusammenhang
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die zu dem festgestellten Daueranriß führte. Nach dem Anriß und einem gewissen Rißfortschritt waren die Montagespannungen soweit abgebaut, daß nur noch eine unwesentliche Rißvergrößerung eintrat, wie sich durch die Hämmerspuren auf der Bruchfläche erweist. Durch die Beseitigung der Lockerung und die dazu erforderlichen Befestigungsspannungen ist es zu einem raschen Weiterwachsen des Anrisses gekommen bis zu einem Restquerschnitt, der nicht mehr den Betriebsbeanspruchungen gewachsen war und damit zum Restbruch des Bauteils führte. Zwanglos ergeben sich daraus die Verantwortlichkeiten. Zunächst war auslösend für den Primärschaden eine nicht beanspruchungsgerechte Gestaltung und Ausführung des Bauteils. Bei der Beseitigung der infolge eines Anrisses erfolgten Lockerung ist es unterblieben, die Ursache der Lockerung dieses sicherheitsrelevanten Bauteils festzustellen. Auf diese Weise konnte eine Schadenfabfolge, wie sie durch die Analyse aufgeklärt wurde, in Gang gesetzt werden, die zum Weiterwachsen des Risses bis zum Bruch und damit zum Unfall geführt hat.
Bild 6-1. Gebrochene Hinterachswelle eines Motorrollers. Bruchfläche der Welle mit 3 Bruchbereichen
Bild 6-2. Mikrofraktographisches Bild der Bruchbereiche A und B nach Bild 6-1
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6 Begriffe und Sequenzen bei Versagensprozessen
Bild 6-3. Ausführung des Gewindes auf der Welle im Bruchbereich
7.1 Konzeption einer Schadenuntersuchung
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7 Systematik der Schadenklärung
Wird das Versagen einer technischen Einrichtung als komplexer Vorgang in einem System gesehen (vgl. Kap. 4 und 6), das durch vielfältige Einflußgrößen bestimmt ist, so wird bereits deutlich, daß die Klärung aller wirksamen Faktoren unabhängig vom konkreten Fall eine eigenständige Arbeitstechnik erfordert. Eine solche übergeordnete Vorgehensweise bei der Schadenklärung, die festgelegten Regeln und Gesetzen folgt, gewährleistet eine Überprüfbarkeit und Vergleichbarkeit von Ergebnissen auch dann wenn sie von unterschiedlichen Seiten unabhängig voneinander gewonnen wurden. Kennzeichnend für eine solche Systematik ist die Struktur der Schadenklärung mit ihrer Untersuchungsabfolge und den Fragetechniken zur Bestimmung der Relevanzen der einzelnen Faktoren, die im Zusammenwirken oder in zeitlicher Abfolge zum Versagen geführt haben. Die Kenntnis der Schadenmerkmale und der Aussagen einzelner Untersuchungsverfahren hat sich in eine systematische Abfolge von Arbeitsschritten einzuordnen. Die Anwendung von Einzelwissen ist zwar wertvoll und notwendig, reicht jedoch zu einer fundierten und beweissicheren Schadenklärung aus dem gleichen Grund nicht aus, wie die Summe von Einzelteilen und von Teilwissen noch kein Ganzes macht. Erst in der Synthese der analytischen Einzelergebnisse ist die Problemlösung in Form einer lückenlosen Versagensaufklärung erreichbar.
7.1 Konzeption einer Schadenuntersuchung Um die Anforderungen an eine Schadenuntersuchung als Grundlage zur Sicherheitsgestaltung technischer Einrichtungen, Anlagen und Geräte zu erfüllen, hat sich ein der Konstruktionssystematik analoges Vorgehen bei der Schadenklärung entwickelt. Im Falle der Entwicklung und der Konstruktion ist die Aufgabe gegeben, für eine bestimmte Funktion oder Wirkung ein physikalisches Prinzip zu wählen und technisch umzusetzen. Im Falle der Schadenklärung besteht die Aufgabe in der Rückverfolgung einer technischen Ausführung und des zugrunde liegenden Prinzips, um daraus die Gründe für eine Fehlfunktion oder ein Versagen abzuleiten. Als allgemeine Systematik (Problemlösungsmethodik) für die Aufgabenstellungen in der Konstruktion und Entwicklung wird angegeben: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Konfrontation (Aufgabenstellung) Information (Hintergründe) Definition (Ziele) Kreation (Vorgehensweise) Beurteilung (Bewertung von Lösungswegen) Entscheidung (für eine Lösung)
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7 Systematik der Schadenklärung
Diese allgemeine Problemlösungsmethode zur Lösung konstruktiver und prozeßtechnischer Aufgaben läßt sich folgerichtig auf die Erfordernisse der Schadenklärung übertragen. Für diesen Fall ist zunächst der Lösungsweg nachzuvollziehen, der zu einer konstruktiven Gestaltung oder zu einem Prozeßablauf entsprechend den Gegebenheiten am schadengegenständlichen Objekt geführt hat. Ziel der allgemeinen Methode zur Lösung technischer Problemstellungen ist zunächst eine Konstruktion oder ein Prozeßablauf, der eine sichere und zuverlässige Erfüllung von vorgegebenen Anforderungen gewährleistet. Wird dies nicht erreicht, findet also eine Fehlfunktion oder ein Versagen statt, so muß zwangsläufig an irgendeinem Element oder auch an mehreren Elementen einer Gesamtheit eine Abweichung des Anforderungsprofils als Soll-Wert von den tatsächlichen Gegebenheiten als Ist-Wert vorliegen. Eine solche Soll-Ist-Abweichung kann bereits in der Methodik liegen, die zur Gestaltung eines Objekts oder Ablaufs geführt hat. Es heißt das, daß in jeder Phase der Problemlösungsmethode von der Aufgabenstellung bis zur Entscheidung für eine bestimmte Lösung Fehler gemacht werden können, die im Ergebnis zu einer schadenursächlichen, einer schadenbegünstigenden oder einer schadenauslösenden Deckungslücke zwischen Anforderungen und Eigenschaften führt. Abgestimmt auf die Erfordernisse der Schadenklärung ergibt sich eine spezielle Systematik aus der allgemeinen Problemlösungsmethode (APM) mit analogen Phasen wie bei Entwicklungsaufgaben. Diese abgewandelte Form für die Schadenanalyse und die Schadenklärung lautet: 1. Konfrontation mit einem Schaden und Problemsuche zur eindeutigen Formulierung der Untersuchungsaufgabe. Auch bei „augenscheinlich“ eindeutigen Schadenursachen sollte die Formulierung der Untersuchungsaufgabe nur in Ausnahmefällen entfallen, da eine beweissichere Schadenableitung im allgemeinen auf die Kohärenz mehrerer Indizien mit Informationen zum zeitlichen und örtlichen Umfeld aufbauen muß. Es kann sich dabei herausstellen, daß ein zunächst scheinbar eindeutiger Schaden nicht das Primärereignis darstellt, sondern bereits eine Folge einer oder mehrerer vorausgegangener Fehlentscheidungen oder Fehlfunktionen ist. 2. Information (Problemanalyse) Es sind alle Informationen zusammengetragen, die für das Versagen von Relevanz sein können. Solche Informationen bedingen zum Teil die Beantwortung von Fragestellungen aus dem Bereich des Produktzyklus wie auch aus dem Systemumfeld (vgl. Kap. 5). Die Kernfragen zur Problemanalyse erfordern die Beantwortung der Fragen: – Entsprechen die tatsächlichen Gebrauchsbedingungen den vorgesehenen Einsatzbedingungen? – Sind die getroffenen Annahmen für die Auslegung richtig gewählt? – Entsprechen die Dimensionierung, Gestaltung und Werkstoffeigenschaften den vorgesehenen Bedingungen? – Sind die Betriebsbedingungen im vorausgegangenen Zeitraum konstant geblieben oder sind Änderungen vorgenommen worden? – Ist durch die Gebrauchsbedingungen und die Zeitdauer des Einsatzes ein Lebensdauerverbrauch eingetreten, der zu Veränderungen der Eigenschaften geführt hat? – Sind durch Wartungs- und Reparaturarbeiten Veränderungen eingetreten, die sich auf Bauteil- und Anlagensicherheit auswirken?
7.1 Konzeption einer Schadenuntersuchung
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3. Definition (Ziele) Aus der Auswertung der Problemanalyse werden Soll-Ist-Abweichungen gesucht. Untersuchungsmaterial wird ausgewählt und der Ansatz einzelner analytischer Untersuchungsschritte wird festgelegt (Untersuchungsplan). 4. Kreation Anhand der Ergebnisse aus einzelnen analytischen Untersuchungsschritten (vgl. Kap. 9, 10 und 11) wird die Kohärenz zwischen den Ergebnissen aus den Informationen bzw. der Problemanalyse mit den Ergebnissen der Einzeluntersuchungen überprüft. Aus den Informationen und Ergebnissen der Laboruntersuchungen lassen sich Hypothesen bilden über die Zuordnung der ermittelten Eigenschaften, Zustände und der Schadenbilder zu einer Schadenart und weiter zu schadenauslösenden und schadenbegünstigenden Einflüssen für sich allein und in ihrem Zusammenwirken. 5. Beurteilung Die Hypothesen, die auf definierten Soll-Kriterien zur Zuordnung von Schadenbildern zu Schadenarten und Schadenursachen aufbauen, werden mit den tatsächlichen Ist-Befunden auf ihre Belastbarkeit geprüft. 6. Entscheidung Die Hypothesen werden bewertet und die wahrscheinlichste und beweissicher nachvollziehbare Hypothese für den Schadenablauf und schließlich die Schadenursache formuliert. In der praktischen Durchführung der Schadenklärung werden die oben beschriebenen Phasen oft zu einem Vorgehen in drei Hauptabschnitten zusammengefaßt (Bild 7-1). Mit dem ersten Abschnitt wird die Schadensituation erfaßt, d.h. es wird eine Beschreibung des Zustands und der Lage der Schadenorte an der Anlage vorgenommen. Hypothesen zum Schadenablauf werden gebildet, das Untersuchungsmaterial wird bestimmt und entnommen (Phasen 1 und 2). Mit dem zweiten Abschnitt werden Laboruntersuchungen angesetzt und Indizien zum Beweis oder zum Gegenbeweis von angenommenen Schadenablaufketten zusammengetragen. Dies wird solange fortgesetzt, bis die Indizien aus den verschiedenen Einzeluntersuchungen ein gesichertes Ergebnis zum vollständigen Schadenbild und entsprechend zur Schadenart liefern (Phasen 4, 5 und 6). Mit dem dritten Abschnitt schließlich wird der vermutete Schadenablauf und das daraus zu erwartende Schadenbild mit den tatsächlichen Befunden aus der Schadenaufnahme (Situationsanalyse) und den Einzeluntersuchungen verglichen. Bei widerspruchsfreiem Zusammenpassen von Schadenbild und Schadenart, wie es sich aus der Schadensituation einerseits und aus den Einzeluntersuchungen andererseits
Bild 7-1. Hauptabschnitte bei einer systematischen Schadenuntersuchung
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7 Systematik der Schadenklärung
Bild 7-2. Vergleich zwischen den Arbeitsschritten bei der Produktentwicklung und der Schadenanalyse
ergibt, ist der Beweis für die Schadenursache erbracht. Werden keine Übereinstimmungen zwischen Schadensituation, Schadenbeobachtungen und Untersuchungsergebnissen erzielt, so sind weitere Untersuchungen anzusetzen, ggf. ist der Schaden unter den angenommenen Bedingungen zu simulieren bzw. nachzuvollziehen und mit den Befunden zu vergleichen (Phase 6) (vgl. Kap. 12). Bei der Untersuchung komplexer Schäden an Maschinen und Anlagen, in die eine Reihe verschiedener Komponenten mit unterschiedlichen Schadenmerkmalen einbezogen sind, ist oft die Aufgliederung in Teiluntersuchungen sinnvoll. Auch in dieser Vorgehensweise spiegelt sich die Analogie zwischen den Arbeitsschritten bei einer Produktentwicklung und einer Schadenklärung. Zur Veranschaulichung der Parallelitäten der Arbeitsschritte, des Aufgliederns, Kombinierens und Auswählens in der Konzept- und Entwicklungsphase eines Produkts sind diese den entsprechenden Arbeitsschritten bei der Schadenanalyse gegenübergestellt (Bild 7-2).
7.2 Arbeits- und Entscheidungsschritte bei der Schadenklärung Die Ableitung einer Schadenart und Schadenform aus einem Schadenbild und schließlich die Definition der Schadenursache beruht auf der Tatsache, daß die Beanspruchung, insbesondere aber die Überbeanspruchung eines Werkstoffs charakteristische Spuren hinterläßt. Der Werkstoff wird damit zum Datenträger, dessen Daten, d.h. dessen Aussagen über Beanspruchungen, die der Werkstoff, bzw. das Bauteil gesehen hat, jedoch erst durch geeignete Untersuchungsmethoden zugänglich werden.
7.2 Arbeits- und Entscheidungsschritte bei der Schadenklärung
a) Ursache bekannt Schadenbild bewiesen
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b) Ursache unbekannt aus Schadenbild abzuleiten
Bild 7-3. Vergleich zwischen Zuordnung Schadenursache-Schadenbild und Ableitung Schadenbild – Schadenursache
Die Problematik der Zuordnung eines scheinbar eindeutigen Schadenbilds zu unbekannten Beanspruchungen, wie es die Aufgabe einer Schadenuntersuchung ist, läßt sich an einem einfachen Beispiel darstellen. Wird angenommen, daß in einer Umlaufbiegemaschine durch eine überhöht eingestellte Belastung ein Umlaufbiegedauerbruch erzeugt wird, so ergibt sich eindeutig der Kausalzusammenhang (Bild 7-3): – – – –
Schadenauslösung: mechanische Überlastung Schadenart: Bruch durch mechanische Überlastung Schadenform (Bruchart): Umlaufbiegedauerbruch Schadenbild: ebene Bruchfläche senkrecht zur Längsachse, Absätze am Bruchrand, samtartiges Bruchgefüge, grobkörniger Restbruchbereich (vgl. Abschn. 9.2.2.2)
Wird umgekehrt das eben beschriebene Schadenbild festgestellt, so ist damit keineswegs eindeutig bewiesen, daß die Auslösung des Schadens allein durch eine mechanisch-dynamische Belastung unter Amplituden oberhalb der Dauerfestigkeit an Luft erfolgt ist. Die makroskopische Erscheinung des Bruchs kann ebenso durch eine Herabsetzung der Wechselfestigkeit infolge der Einwirkung eines korrosiven Mediums (Schwingungsrißkorrosion im passiven Zustand) oder unter Adsorptionseinwirkungen durch bestimmte Additive, z.B. im Schmierstoff, oder andere oberflächenaktive organische Flüssigkeiten eingetreten sein (vgl. Abschn. 5.2.2, Bild 5-16). Schließlich ist auch das Zusammenwirken mehrerer dieser und anderer Einflußgrößen denkbar, die gemeinsam zu einem Bauteilversagen geführt haben. Das Schadenereignis steht damit am Endpunkt eines Fehlerbaums als Ergebnis verschiedener Faktoren, die mit „Und-Verknüpfungen“ oder mit „Oder-Verknüpfungen“ verbunden sind (Bild 7-4). Anschaulich lassen sich diese Verknüpfungen am Beispiel eines Bauteilversagens unter Spannungsrißkorrosion darstellen. Zur Auslösung der Spannungsrißkorrosion sind als Bedingungen erforderlich: 1. spannungsrißkorrosionsanfälliger Werkstoff 2. spezifisches Agens 3. kritische Spannungen Jede dieser Bedingungen ist notwendig, für sich allein aber noch nicht hinreichend zur Erzeugung von Spannungsrißkorrosion. Die Bedingungen 1,2 und 3 für
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7 Systematik der Schadenklärung
Bild 7-4. Fehlerbaum A – Auslösendes Ereignis Notwendige und hinreichende Bedingung ist erfüllt E – Einzelkomponente für auslösendes Ereignis Notwendige Bedingung, für sich allein aber nicht hinreichend B – Begünstigende Komponente Weder notwendig noch hinreichend, im Gesamtkomplex aber eine kritische Größe darstellend
diese Schadenart müssen somit in einer „Und“-Verknüpfung gegeben sein. Wird nun die erforderliche Spannung betrachtet, so kann sich diese ergeben sowohl aus Lastspannungen als auch aus Eigenspannungen und aus dem Zusammenwirken beider Spannungsarten. Grundsätzlich gilt, daß jede Spannungsart für sich allein hinreichend sein kann, daß es aber auch möglich ist, daß erst in der Addition die Spannungshöhe zur Auslösung dieses Schadens ausreicht. Die Spannungen sind somit als „Oder“ -Verknüpfungen im Fehlerbaum zu finden. Die Verknüpfung der Einflußgrößen in einem Fehlerbaum, die schließlich zum Nachweis einer Schadenursache führt, gibt zwangsläufig das Vorgehen zur Klärung des schadenwirksamen Einflußkomplexes, der Definition der Schadenart und schließlich der Schadenursache vor. Das Vorgehen nach Abschn. 7.1 zur Ableitung der wirksamen Einflußgrößen für das Bauteilversagen beinhaltet eine Zuordnung der Merkmale zu Beanspruchungen entsprechend dem Vorgehen bei einer Faktorenanalyse (Bild 7-5). Es sei angenommen, daß die Merkmale 1, 2 und 3 sowohl eine Hypothese über eine Schadenursache nach A wie auch nach B stützen. Durch Fortführung der Untersuchungen sind dann weitere eindeutige Merkmale zu ermitteln, die den Nachweis der Schadenursache nach A oder B ermöglichen. Diese Vorgehensweise läßt sich am Beispiel der Frage veranschaulichen, ob an einem Überhitzerrohr eine Schädigung durch hohe Dauertemperaturen oder durch einmalige außergewöhnliche Überhitzung aufgetreten ist. So soll angenommen werden, daß durch die − Beurteilung der Außenseite − Analyse des Außenbelags − metallographische Untersuchung
7.2 Arbeits- und Entscheidungsschritte bei der Schadenklärung
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Bild 7-5. Faktorenanalyse zur Auswahl der wahrscheinlichen Ursache
Merkmale 1, 2 und 3 geliefert werden, die als Ursache langzeitige Temperatureinflüsse (Schadenart A) ebenso wie einmalige stark überhöhte Spitzentemperatur (Schadenart B) möglich sein lassen. Erst die Untersuchung des Rohrinnenbelags liefert die differenziert zuzuordnenden Merkmale 4 oder 5, die entweder eine langzeitig hohe Dauertemperatur oder eine einmalige starke Überhitzung beweisen. Unter der Maßgabe normaler Betriebstemperatur – im hier betrachteten Fall sind ca. 500 °C anzunehmen – wird ein Röntgenbeugungsdiagramm den ordnungsgemäß ausgebildeten schwarzen Innenzunder als Magnetit ausweisen. Ausscheidungen im Magnetit entstehen, wenn Temperaturen oberhalb der Wüstit-Temperatur von ca. 600 °C aufgetreten sind und der dabei entstandene Wüstit bei anschließend fortwirkenden Normalbetriebstemperaturen in Magnetit (Fe3O4) und metallisches Eisen zerfallen ist. Damit läßt sich aus den entscheidenden Merkmalen 4 oder 5 feststellen, ob langzeitige Einwirkungen dauernden Betriebs oder hohe Übertemperaturen als außergewöhnliche Betriebsbelastung zum Schaden führten (Bild 7-5). Die aufgezeigte Arbeitsmethodik zur Schadenklärung läßt sich in einem Flußdiagramm zusammenfassen (Bild 7-6). Die in Abschn. 7.1 beschriebenen Phasen 1 und 2 der allgemeinen Problemlösungsmethode (APM) sind im Flußdiagramm unter dem Begriff „Schadenaufnahme“ eingeordnet, die zugleich dem Hauptabschnitt 1 der Schadenuntersuchung zukommt (Bild 7-1). In Phase 3 der APM wird in Auswertung der Information (Problemanalyse) ein Untersuchungsplan aufgestellt, mit dem erste Hypothesen zu überprüfen sind. Die Phase 4 der Problemlösungsmethode beinhaltet die Laboruntersuchungen, die jeweils in einen Arbeitsschritt und einen Entscheidungsschritt unterteilt sind entsprechend Hauptabschnitt 2 (Bild 7-1). Es bedeutet dies, daß nach jedem Arbeitsschritt, wie mechanische Prüfung, metallographische Untersuchung, Fraktographie, Feinbereichsanalyse usw., im folgenden Entscheidungsschritt zu prüfen ist, ob sich das Ergebnis mit den bestehenden Hypothesen in Übereinstimmung bringen läßt und ob dieses Ergebnis ausreicht, um eindeutig eine der bestehenden Hypothesen oder eine andere neue Hypothese zum Schadenablauf und zur Schadenart als zutreffend nachzuweisen. Nach jedem Untersuchungsschritt ist somit zu prüfen, ob gemäß der Faktorenanalyse (Bild 7-5) die Beweise zur Kennzeichnung einer Schadenart ausreichen, oder ob weitere Untersuchungen erforderlich sind. Es zeigt sich, daß während einer Schadenanalyse ein Untersuchungsplan entsprechend erhaltener Zwischenergebnisse und daraus sich ergebender Hypothesen lau-
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7 Systematik der Schadenklärung
Bild 7-6. Aufbaulogik der Prosa nach IST (Ingenieurdienst für sichere Technik) GmbH
fend fortzuschreiben ist. Der dargestellte Ablauf zeigt gleichzeitig, daß für den Fall, daß ein eindeutiges Ergebnis nicht erreichbar sein sollte, präzise angegeben werden kann, welche Informationen zur Erarbeitung der Eindeutigkeit fehlen. Führt ein Entscheidungsschritt zu dem Ergebnis, daß die Befunde ausreichend sind, um eindeutig eine Schadenart zu identifizieren, d.h., daß keine weiteren Untersuchungen erforderlich sind, so ist dies mit dem „Ergebnisvergleich“ zu überprüfen (Bild 7-6). Die im Ergebnisvergleich angegebene Gegenüberstellung eines Soll-Zustands mit einem Ist-Zustand heißt im Fall der Schadenanlyse, daß alle zu erwartenden Faktoren bzw. Merkmale für eine bestimmte Schadenart undursache (Soll-Zustand) den tatsächlichen aus Schadenaufnahme und Untersuchungsergebnissen gegenübergestellt werden (Hauptabschnitt 3, Bild 7-1). Im Vergleich mit der allgemeinen Problemlösungsmethode entspricht dies der Phase 5, wobei diese Operation die Zusammenhänge aus dem Fehlerbaum (Bild 7-4) mit einbezieht. Es werden somit alle Fakten mit ihren örtlichen, funktionellen und zeitlichen Verknüpfungen berücksichtigt und ihre Übereinstimmung mit der aus der Situationsanalyse und den Laboruntersuchungen erarbeiteten Hypothese über den Schadenablauf geprüft.
7.3 Befundvergleiche zur Bewertung und Zuordnung von Schadenmerkmalen 67
Für den Fall, daß ein eindeutiger Nachweis der Hypothese für den tatsächlichen Schadenablauf in seinen Kausalitäten auch dann noch nicht möglich sein sollte, so ist entsprechend Phase 6 der APM eine Simulationsuntersuchung nötig oder es sind Messungen und Beobachtungen an baugleichen Anlagen vorzunehmen (Hauptabschnitt 3, Bild 7-1) (vgl. Kap. 12 „Simulationsuntersuchungen“). Nach der beweissicheren Ableitung der Schadenursache ist gemäß Flußdiagramm (Bild 7-6) folgerichtig der Ansatz wirkungsvoller Maßnahmen zur Schadenverhütung vorzunehmen. Die Dokumentation nach Kriterien, wie sie zur Schadenklärung benützt wurden, bildet schließlich ein bedeutsames feedback zur Beurteilung von Fehlermöglichkeiten bereits in der Planungsphase von technischen Einrichtungen ebenso wie für die Aufstellung von Prüf-, Überwachungs- und Wartungsplänen. Die dargestellte Logik in der Untersuchung von Schäden zeichnet zwangsläufig die Programmstruktur für eine rechnerunterstützte Schadenanalyse vor. Sämtliche Elemente, die im systemtechnischen Vorgehen zur Schadenklärung enthalten sind und beschrieben wurden, haben sich bei einer rechnergestützten Schadenanalyse entsprechend wiederzufinden.
7.3 Befundvergleiche zur Bewertung und Zuordnung von Schadenmerkmalen Laboruntersuchungen über die Auswirkung bestimmter Beanspruchungen oder Behandlungen von Werkstoffen und Bauteilen gehen von einem definierten Ausgangszustand des Prüflings aus, auf den sich als Nullpunkt in Abhängigkeit der betrachteten Einflußgrößen die Merkmale in Form von spezifischen Veränderungen beziehen. Im Fall der Schadenuntersuchung ist im allgemeinen dieser Ausgangspunkt als Bezugspunkt eines beanspruchungsabhängigen Merkmals nicht gegeben, so daß es oft außerordentlich schwierig ist, den Einfluß des Gebrauchs auf den Zustand von Werkstoff und Bauteil einigermaßen präzise festzulegen. Um einen Bezug zwischen Beanspruchung und Bauteil oder Werkstoffzustand herstellen zu können, bleibt im Fall der Schadenanalyse als relativer Maßstab lediglich der Vergleich zwischen unterschiedlichen Teilen oder Zonen. Voraussetzung ist es, daß das Untersuchungsmaterial oder Bereiche des Materials verschiedenen Zonen zugeordnet werden können, die örtlich, zeitlich und funktionell unterschiedlichen und zumindest in ihrer Korrelation zueinander weitgehend bekannten Beanspruchungen unterworfen waren. Anschaulich läßt sich dieses Vorgehen bereits sehr einfach an Richtreihen zur Veränderung von Gefügen in Abhängigkeit von Temperatur und Zeit darstellen. Wird dabei die Perlit-Auflösung in einem warmfesten Stahl, wie einem St 45.8, betrachtet, so muß für eine Korrelation zwischen Gefüge und Temperatur/Zeiteinwirkung von einem Soll-Zustand des Werkstoffes ausgegangen werden, der jedoch nicht immer festliegt (vgl. Abschn. 9.3.1, Bild 9-86 und 9-87). Sehr gut lassen sich derartige Beeinflussungen dann bestimmen, wenn z.B. in einem Wärmetauscher verschiedene Rohrabschnitte gleichen Werkstoffs, aber unterschiedlicher Temperaturbeaufschlagung verglichen werden oder wenn wenigstens ein Vergleich möglich ist zwischen Feuerraumzugewandter und -abgewandter Seite.
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7 Systematik der Schadenklärung
Der Nutzen einer solchen Vorgehensweise wird besonders deutlich bei der Beurteilung von Zeitstandbeeinflussungen oder Zeitstandschäden. Im Fall einer Hochdruckheißdampfleitung ergibt sich eine solche Möglichkeit durch den Vergleich des Gefügezustandes an einem Flansch mit dem Gefüge in einem hochbeanspruchten Wandabschnitt der Rohrleitung, wie zum Beispiel an der Außenseite eines Rohrkrümmers. Im Flansch, der außer den Anschlußspannungen keinen wesentlichen mechanischen Beanspruchungen unter Innendruck unterworfen ist, ergibt sich die Gefügeänderung weitgehend nur unter thermischer Beeinflussung. Bei gleicher thermischer Beeinflussung wird insbesondere in dem durch Innendruck zusätzlich mechanisch hoch beanspruchten Wandbereich des Rohrkrümmers der Anteil der Werkstoffschädigung durch Zeitstandkriechen deutlich. Es kann dann aus dem Vergleich des Zustands des Werkstoffs mit Gefügerichtreihen zur Zeitstandschädigung (VGB-Richtreihen) eine Entscheidung über den Weiterbetrieb oder einen Austausch vorgenommen werden. Das Vorgehen nach der vergleichenden Gegenüberstellung unterschiedlicher Befunde in Abhängigkeit von Ort, Zeit, Art und Form einer Beanspruchung läßt sich in eine standardisierte Abfragesequenz zusammenfassen. Ein Beobachtungsergebnis wird dabei kategorisiert nach den Fragen: Was?, Wo?, Wann?. Komplementär stehen die Fragen: Was nicht?, Wo nicht?, Wann nicht?. Schließlich gibt es noch die Frage nach dem örtlichen, zeitlichen und funktionellen Umfang, auf den sich ein Befund bezieht. In allgemeiner Form ist diese Vorgehensweise als Kepner-Tregoe-Methode bekannt und kommt für Schwachstellenanalysen auf verschiedensten Gebieten einschließlich der Administration und des Managements zur Anwendung. Der vorteilhafte Einsatz dieser Methode in der technischen Schadenanalyse läßt sich an einigen sehr unterschiedlich gelagerten Fällen verdeutlichen. Gemeinsam ist diesen Fällen jeweils, daß der Schlüssel zur Klärung in einer gezielten Vergleichsbetrachtung liegt. In einem zwölfstöckigen Wohnhaus sind Wasserversorgungsleitungen durch korrosive Angriffe auf der Rohrinnenseite undicht geworden. Die Untersuchung der Rohre hat ergeben, daß sich Störungen der natürlichen schützenden Deckschicht eingestellt haben. Werkstoffkundliche Untersuchungen und Wasseranalysen haben zu keiner Klärung des Schadens führen können. Eine Betrachtung der Orte der auftretenden Rohrschäden führte zu dem Ergebnis, daß die Schäden im Keller und in den unteren Stockwerken des Gebäudes auftraten, um mit der Stockwerkshöhe abzunehmen und etwa ab dem vierten Stockwerk überhaupt nicht mehr aufzutreten. Auch in benachbarten Einfamilienhäusern, die an die gleiche Wasserversorgung angeschlossen waren, traten keine gleichartigen Rohrschäden auf. Es hat sich daraus der Schluß ziehen lassen, daß die Deckschichtstörung strömungsbedingt ist. Infolge des Gesamtwasserverbrauchs hat sich ein für den Querschnitt zu hoher Wasserdurchsatz in der Hauszuführung und in den unteren Stockwerken ergeben. Die mit zunehmender Stockwerkshöhe abnehmende Zahl der Verbraucher am Leitungsstrang führte entsprechend zu vermindertem Durchsatz und geringerer Strömungsgeschwindigkeit, durch die ein Deckschichtabtrag ebenso wie in den benachbarten Einfamilienhäusern nicht mehr stattfand. Die Abhilfe ergibt sich folgerichtig damit, daß der zu gering gewählte Rohrquerschnitt in der Wasserzuführung des Wohngebäudes durch einen größeren Rohrquerschnitt zu ersetzen war. Die vergleichenden Betrachtungen lassen sich für gleiche Geräte, Bauteile und Komponenten mit unterschiedlichen Einsatzbedingungen ebenso anwenden, wie
7.3 Befundvergleiche zur Bewertung und Zuordnung von Schadenmerkmalen 69
für unterschiedliche Werkstoffe in gleichen Bauteilen oder gleiche Werkstoffe in unterschiedlichen Bauteilen. Das Beispiel eines Zementmühlengetriebes zeigt die Anwendung der Vorgehensweise bei der Betrachtung gleichartiger konstruktiver Ausführungen, jedoch unterschiedlicher Dimensionierung. Auf der Grundlage einer bewährten Konstruktion, die ihre Eignung im harten Dauerbetrieb gezeigt hat, wird ein gleichartiges Getriebe für höhere Übertragungsleistungen gebaut. Dazu wird die Dimensionierung der Zahnräder und Wellen entsprechend geändert, was zu einer Erhöhung des Achsabstands um 50 % führt. Ebenfalls im Hinblick auf die Erhöhung der Beanspruchung wird zum ersten Mal ein vakuumerschmolzener Stahl für die Zahnräder eingesetzt. Drei Jahre nach Produktionsbeginn dieser neuen Bauausführung sind weltweit 15 Getriebe zum Antrieb von Zementmühlen und Drehrohröfen in Betrieb . Bei einer Routinekontrolle nach 3500 Betriebsstunden wurde an einem einsatzgehärteten Zahnrad eines solchen Getriebes ein Flankenschaden festgestellt. Auf einer Länge von 170 mm sind Oberflächenausbrüche an der getriebenen Flanke des Stirnrads aufgetreten. Nach einem Zurückschleifen des Zahns im Schadenbereich als behelfsmäßige Reparatur ist der Nachbarzahn nach weiteren 3000 Betriebsstunden im Kantenbereich ausgebrochen (Bild 7-7). Die Analyse der Konstellationen bei den Getriebeschäden ergibt, daß es sich bei der Art des Schadens, also bei der Frage „Was ist aufgetreten?“, immer um Schäden an der Kante der getriebenen Flanke handelt. Die Frage nach dem „Wo“, das heißt bei welchen Getrieben dieser Schaden auftritt, beantwortet sich damit, daß diese Schäden nur bei den für eine erhöhte Übertragungsleistung in ihren Abmessungen vergrößerten Getrieben auftreten. Bei Getrieben gleicher Konstruktion, aber kleinerer Abmessungen werden solche Schäden nicht beobachtet. Die zeitliche Zuordnung der Schäden mit Hilfe der Frage nach dem „Wann“ zeigt, daß erste Hinweise auf Überlastung an der Kante durch starke Pittingbildung nach etwa 3000 Stunden auftreten. Nach etwa 3500 bis 6000 Stunden werden Kantenausbrüche beobachtet. Die Frage nach dem Ausmaß der Schäden ergibt, daß alle fünfzehn der baugleichen
Bild 7-7. Zurückgeschliffener und ausgebrochener Zahn eines Zementmühlengetriebes
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7 Systematik der Schadenklärung
Getriebe betroffen sind, nicht aber die konstruktiv gleichartige kleinere Ausführung. Daraus leitet sich die Hypothese ab, daß der Schaden mit den Änderungen zur Anpassung an eine höhere Übertragungsleistung im Zusammenhang steht, das heißt, daß die Änderung der Dimension oder der Übergang auf einen vakuumerschmolzenen Werkstoff ebenso als schadenrelevant zu betrachten sind, wie die sich ergebenden unterschiedlichen Bedingungen bei der Einsatzhärtung. Werkstoffkundliche Untersuchungen bezogen sich auf die Ermittlung der Kennwerte und auf metallographische Betrachtungen. Eigenschaften und Zustand des Werkstoffes gaben keine Hinweise auf schadenwirksame Einflüsse. Spezielle Betriebsbedingungen oder Wartungsfehler sind nicht nachweisbar, da alle Getriebe des größeren Typs gleichartige Schäden zeigten. Somit bleibt die Hypothese zu prüfen, daß der Schaden mit der Veränderung der Geometrie durch die Vergrößerung des Getriebes im Zusammenhang steht. Eine Nachrechnung der Stirnradbeanspruchung ergab unter den regulären Annahmen eine ausreichend bemessene Sicherheit gegen Flankenausbruch von 1,7 und gegen Zahnausbruch von 3,7. Die weitere rechnerische Überprüfung der Beanspruchungsverhältnisse des Getriebes ergab, daß durch die Erhöhung des Achsabstandes unzulässige Verformungen des Gehäuses auftreten, die bei der Berechnung nicht ausreichend berücksichtigt wurden und die zum Kantentragen der Stirnräder führten. Zur Schadenabhilfe wurde eine Versteifung der Gehäuse vorgenommen. Ein anderer Fall eines Getriebeschadens veranschaulicht, daß bei Vergleichsbetrachtungen auch die Gegenüberstellung einer vorgefundenen Ausführung mit gegebenen Regeln, d.h. ein Soll-Ist-Vergleich, bedeutsame Hinweise auf ursächliche oder zumindest mitursächliche Einflüsse bei einem Schaden zu liefern im Stande ist. Ein Wasserkraftwerk besteht aus zwei baugleichen Einheiten von je einer Francis-Turbine, einem Getriebe und einem Generator. Die rechtsdrehenden Francis-Turbinen sind über eine Kupplung an die senkrechte Antriebswelle des Getriebes angeflanscht. Der Abtrieb zum Generator erfolgt über eine waagerechte ebenfalls rechtsdrehende Welle (Bild 7-8). An den Getrieben beider Einheiten ist es wiederholt zu Ausfällen durch Ausbrüche an den bogenverzahnten Kegelritzeln gekommen.
Bild 7-8. Schematischer Aufbau des Kegelstirnradgetriebes
7.3 Befundvergleiche zur Bewertung und Zuordnung von Schadenmerkmalen 71
a
b Bild 7-9 a, b. Kegelritzelwelle mit ausgebrochenem Zahn (Passungsrost an Sitzflächen des Pendelrollenlagers)
Am linkssteigend-bogenverzahnten Kegelritzel mit 14 Zähnen – zugehöriges Tellerrad 39 Zähne – ist ein Zahnflankensegment nahezu vollständig ausgebrochen (Bild 7-9 a und b). Oberhalb der Zahnfußausrundung sind an fast allen Zähnen matte Flächen erkennbar, die sich in einem schmalen Streifen nahezu vollständig über die Zahnbreite erstrecken. Die Tragbilder sind am Kegelritzel leicht zum Zahnfuß, am Tellerrad leicht zum Zahnkopf hin verschoben. Der schadengegenständliche Ausbruch am Ritzel wurde als Dauerbruch festgestellt, der von sichelförmigen Anrissen unter der Oberfläche ausgeht. Im Bereich der Oberflächenveränderungen auf der konkaven Flankenseite am Ritzel wurden metallographisch kleine Ausbrüche bestätigt. Als auslösend für den neben äußeren Befunden auch durch werkstoffkundliche Untersuchungen dokumentierten Schaden können weder betriebliche noch werkstoffbedingte Einflüsse nachgewiesen werden. Der Ansatzpunkt für die Erklärung der Schadenauslösung wird durch Vergleich der vorliegenden Ausführung der Verzahnung (Ist-Ausführung) mit den durch konstruktive Regeln vorgegebenen Soll-Ausführung gefunden. Es wird als Regel angegeben (Niemann/Winter), daß die Bogenrichtung bei spiralverzahnten Kegelritzeln so zu wählen ist, daß die bei der Kraftübertragung entstehende Axialkraft von der Kegelspitze weg gerichtet ist. Drehrichtung und Steigung der Bogenverzahnung haben mithin gleich zu sein. Beim schadengegenständlichen Ritzel ist dies nicht der Fall. Die Bogenverzahnung des Ritzels ist linkssteigend, die Drehrichtung hingegen rechts. Aus dieser Tatsache läßt sich zwanglos die Verschiebung des Tragbildes erklären ebenso wie die oberhalb der Zahnfußausrundung beobachteten schmalen Streifen, die sich der Einwirkung der Kante am Zahnkopf zuordnen lassen und die einer Graufleckigkeit durch Schubwechselermüdung zugeordnet werden können. Grund für die Abweichung von der konstruktiven Regel bei bogenverzahnten Kegelritzeln mag es in diesem Fall sein, daß die Getriebe nach einem Baukastenprinzip aufgebaut sind und nicht speziell für den hier gegebenen Einsatzzweck gefertigt wurden. Bei Schäden unter thermischen Einflüssen kann unterschiedliche thermische Belastung nicht nur durch Vergleichsbetrachtungen des Gefüges und des Oberflächen-
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7 Systematik der Schadenklärung
belages bzw. der Abzehrung nachgewiesen werden. Darüber hinaus lassen sich auch Erkenntnisse aus Lage und Ausführung der Bauteile, wie z.B. bei Wärmetauscherrohren, auswerten. Am Schaden an Wärmetauscherrohren eines Hochdruckverdampfers (HDV) kann veranschaulicht werden, wie solche Erkenntnisse aus der Betrachtung verschiedener Rohrausführungen, Rohrlagen, Betriebszeiten und schließlich der Betrachtung anderer Anlagen gewonnen werden können. Der Schaden besteht aus Deckschichtstörungen und dadurch hervorgerufenen Innenkorrosionen bis zum Durchbruch der Wärmetauscherrohre des HDV. Die vom Schaden betroffenen Rohre sind Rippenrohre in einem einer Gasturbine nachgeschalteten Abhitzekessel. Zu klären ist die Ursache für die aufgetretenen Lekkagen. Für eine vergleichende Betrachtung des Innenzustands stehen neben den schadengegenständlichen Rippenrohren aus dem Hochdruckverdampfer auch Glattrohre dieses Anlagenteils zur Verfügung. Ebenfalls sind Rippenrohre und Glattrohre aus dem Niederdruckverdampfer (NDV) für die Untersuchung vorhanden. Weiterhin stehen Glattrohre zur Verfügung, durch die im Zuge einer früher vorgenommenen Reparaturmaßnahme die geschädigten Rippenrohre ersetzt wurden. Im ursprünglichen Zustand des Abhitzekessels kamen die Glattrohre in den Durchtrittsbereichen durch die Kesselwand und in den Umlenkbereichen zum Einsatz. Im Hochdruckverdampfer (HDV) beträgt der Druck des eintretenden Wassers 100 bar, entsprechend einer Sättigungstemperatur von ca. 310 °C. Der Abgasmassenstrom von ca. 77 kg/sec hat vor dem HDV eine Temperatur von ca. 560 °C. Auf der Innenseite der Rippenrohre des HDV wurden insbesondere im Bereich des Übergangs von den Glattrohren zu den Rippenrohren große muldenförmige Abtragungen und farblich unterschiedliche Oxidschichten von rotbraun bis schwarz sichtbar. Das Wachstum der schwarzen Oxidschichten ging augenscheinlich zu Lasten der Wanddicke und führte zu den beobachteten Leckagen (Bild 7-10). Die Rippenrohre im NDV zeigten ein ähnliches jedoch deutlich abgeschwächtes Schadenbild im Vergleich zu den entsprechenden Rohren des HDV. Alle Glattrohre des HDV – sowohl die ursprünglich bereits vorhandenen wie auch die zum Ersatz der Rippenrohre eingebauten – wiesen eine relativ gleichmäßige rot bis schwarzbraune Färbung auf. Metallographische Untersuchungen ergeben entsprechend der äußeren Beurteilung insbesondere im Bezug auf die Belagsbildung und die Angriffe der Innenoberfläche zuzuordnende Befunde.
Bild 7-10. Muldenförmiger Abtrag auf der Rohrinnenseite eines Rippenrohres
7.3 Befundvergleiche zur Bewertung und Zuordnung von Schadenmerkmalen 73
Die vergleichende Betrachtung der Glatt- und Rippenrohre führt folgerichtig zu der Annahme, daß die Temperaturverhältnisse insbesondere die Temperaturdifferenz zwischen Rohrinnenwand und Medium mit dem Schadenmechanismus in Zusammenhang stehen. Der auf der Verdampfungsfläche übertragene Wärmestrom, das heißt die Heizleistung, bestimmt in hohem Maße die Siedezustände des Mediums, die sich einteilen lassen in: 1. Blasenströmung und Pfropfenströmung entsprechend Blasensieden und teilweise konvektivem Wärmeübergang, 2. Ringströmung entsprechend konvektivem Wärmeübergang an die Flüssigkeit, 3. Spritzerströmung mit konvektivem Wärmeübergang an den Dampf. Die Wärmeübergangskoeffizienten für das unberippte und berippte Rohr berechnen sich mit: − unberipptes Rohr: − beripptes Rohr:
a=121W/m²K a=5441W/m²K
Mit diesen Wärmeübergangskoeffizienten lassen sich die Rohrinnentemperaturen bzw. die Temperaturdifferenzen zwischen Rohrinnenwand und Medium berechnen. Unter den Verhältnissen des Hochdruckverdampfers ergibt sich für diese Temperaturdifferenz für das − unberippte Rohr ca. 39 °C − berippte Rohr ca. 240 °C Durch die Berippung der Rohre nach dem Kesselwanddurchtritt erfolgt somit eine schlagartige Erhöhung der Temperaturdifferenz, die eine entsprechende Veränderung des Siedemechanismus zur Folge hat. Die Lage der Schäden an der Rohrinnenwand läßt sich mit diesem Temperatursprung und der Veränderung des Siedemechanismus exakt in Übereinstimmung bringen. Es kommt dort zu einem plötzlichen Umschlag des Verdampfungsmechanismus mit der Folge des Abreißens der Blasen. Dadurch werden auf die Oxidschicht Kräfte ausgeübt, die zu deren Zerstörung führen. Eine nicht optimale Oxidschichtausbildung begünstigt diesen Prozeß. Auf den Glattrohren fehlt entsprechend der geringeren Wärmestrombelastung das an den Schadstellen gefundene Bild. An den Rippenrohren des Niederdruckverdampfers sind ähnliche Schäden wie im Hochdruckverdampfer jedoch erst in einem Anfangsstadium zu sehen. Mit dem dargestellten Fall wird jedoch gleichzeitig auch die Tatsache deutlich, daß meistens nicht eine einzige Ursache für sich allein als schadenwirksam gekennzeichnet werden darf, sondern daß nach weiteren Einflußparametern zu suchen ist, die ebenfalls in Betracht zu ziehen und hinsichtlich ihrer Schadenwirksamkeit zu gewichten sind. Somit darf die Wasserchemie im schadenwirksamen Umfeld nicht außer Betracht bleiben. In diesem Fall wird durch einschlägige Wasseranalysen festgestellt, daß die Werte nicht voll den strengen Richtlinien entsprechen, wie sie für Energieversorgungsunternehmen gelten. Für eine Industrieanlage jedoch, wie sie hier gegeben ist, muß eine Auslegung gewählt werden, die gegenüber den wasserchemischen Bedingungen eine ausreichende Toleranz besitzt. Zur sicheren Schadenverhütung haben hier entsprechend primär Maßnahmen in der Ausführung des Wärmetauschers zu erfolgen. Die entscheidende Bedeutung der Ausführung des Kessels bzw. der Zusam-
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7 Systematik der Schadenklärung
menhang zwischen Heizflächenbelastung und Schaden wird schließlich dadurch unterstrichen, daß mit gleichem Speisewasser auch andere Kessel versorgt werden, die nicht die kritische Kombination von Glattrohren und Rippenrohren aufweisen und die ohne Schaden betrieben werden.
8.3 Untersuchungsmaterial
75
8 Voraussetzungen und Planung werkstoffkundlicher Untersuchungen
8.1 Einteilung und Aufgabenstellung Zusammengefaßt ergibt sich die Aufgabe der werkstoffkundlichen Untersuchung von Schadenteilen mit der Feststellung der Eigenschaften eines Bauteils und der Erfassung der sich im Werkstoff abbildenden Versagensmechanismen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind den vorgefundenen oder recherchierten Schadensituationen gegenüberzustellen. Aus dieser Aufgabenstellung der werkstoffkundlichen Schadenuntersuchung ergibt sich eine Einteilung in zwei grundlegende Bereiche. 1 Erfassung kennzeichnender Schadenmerkmale (vgl. Abschn. 9 u. 10) Die Schadenmerkmale können zugänglich sein durch äußere Beurteilung, Bruchflächenbeurteilung (Fraktographie), Gefügebeurteilung (Metallographie). Darüber hinaus sind je nach Lage spezieller Einzelfälle für die Kennzeichnung eines Schadens eine Vielzahl einzelner Befunde heranzuziehen, wie Zusammensetzung einzelner Gefügebestandteile, Konzentrationsverlauf einzelner Elemente, Struktur (Gitteraufbau) des Werkstoffs und verschiedener Werkstoffbereiche, innere Spannungen und Spannungsgradienten, Härteverläufe im Bauteil, Härte von einzelnen Gefügebestandteilen, Art und Zusammensetzung von Korrosionsprodukten und -rückständen, um nur einige zu nennen. Das Instrumentarium zur Gewinnung der Befunde reicht von der äußeren Betrachtung über lichtoptische Hilfsmittel, wie Lupe und Makroskop, bis zum Lichtmikroskop. Weiterhin ist für die Erfassung mikromorphologischer Merkmale der Einsatz des Rasterelektronenmikroskops notwendig. Mit Hilfe der Elektronenstrahlmikroanalyse läßt sich die chemische Zusammensetzung einzelner Gefügebestandteile und die Aufnahme von Konzentrationsprofilen einzelner Elemente vornehmen. Röntgenographische Feinstrukturuntersuchungen machen die Struktur des Werkstoffs und der Werkstoffbereiche zugänglich. Mit Hilfe röntgenographischer Verfahren können ebenfalls Spannungen und Spannungsverläufe erfaßt werden. Je nach Lage eines Falls kann es erforderlich sein, daß von den heute zur Verfügung stehenden festkörperphysikalischen Untersuchungsverfahren praktisch alle in den verfahrensbedingten Einsatzgrenzen zur Anwendung kommen können. Die Verfahren reichen bis hin zu Untersuchungen mit leistungsfähigen Neutronenquellen. Bei all diesen werkstoffkundlichen Untersuchungen hat jedoch der zu erwartende Aussagewert in einem realistischen Verhältnis zum Aufwand zu stehen.
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8 Voraussetzungen und Planung werkstoffkundlicher Untersuchungen
Statistische Auswertungen von weit mehr als 5000 Schadenfällen zeigen, daß im Hinblick auf die Häufigkeit ihres Einsatzes bei der Schadenklärung neben der äußeren Beurteilung die metallographischen Untersuchungen sowie die makrofraktographischen und mikrofraktographischen Auswertungen an der Spitze stehen. 2 Prüfverfahren zur Werkstoffcharakterisierung (vgl. Kap. 11) Wenn mit den Merkmalen die „Fingerabdrücke“ der auf einen Werkstoff oder ein Bauteil wirksam gewesenen Beanspruchungen, erfaßt wurden, so muß komplementär dazu der Grund für die vorgefundenen Werkstoffreaktionen bzw. für das Versagen angegeben werden. Dafür kommt in Frage, daß entweder eine nach Art, Form und Höhe nicht vorgesehene Überbeanspruchung auf das richtig ausgelegte Bauteil eingewirkt hat oder daß die Auslegung für eine vorgesehene Beanspruchung falsch gewählt war. Auf einen einfachen Fall angewendet heißt das: Wenn in einer Zugstange die Merkmale eines duktilen Gewaltbruchs festgestellt werden, so hat entweder eine unzulässige Überlast gewirkt oder bei zulässiger Last ist der Bruch eingetreten, weil die auslegungsgemäßen Festigkeitswerte vom Werkstoff nicht erfüllt wurden. Um bei gegebenen Merkmalen entscheiden zu können, welcher Ablauf dem Versagen zugrundeliegt, müssen die Werkstoffspezifikationen einer Überprüfung unterzogen werden, wozu die Feststellung der Festigkeitskennwerte sowie der Korrosions- und Temperaturbeständigkeit ebenso gehört wie die chemische Zusammensetzung aus der Stückanalyse (vgl. Kap. 11). Schließlich gehört zur Werkstoffcharakterisierung auch wieder die metallographische Untersuchung, die jedoch an Werkstoffbereichen durchzuführen ist, die vom Schadenablauf unbeeinflußt sind und den Ausgangszustand repräsentieren. Mit den Prüfverfahren zur Werkstoffcharakterisierung ist zu klären, ob für den Einsatzzweck − das richtige Material gewählt wurde, − das Material im geforderten Zustand vorliegt, oder ob − Materialverwechslung vorliegt, − falsche Behandlung oder Verarbeitung des Werkstoffs erfolgte, schließlich, ob − Zwischenprüfungen und Endprüfungen des Werkstoffs und Bauteils ordnungsgemäß durchgeführt und dokumentiert wurden.
8.2 Untersuchungsziel Naturgemäß muß es Ziel der werkstoffkundlichen Schadenuntersuchung sein, die Schadenursache beweisbar abzuleiten. Damit allerdings ist dieses Ziel nur sehr wenig präzise angegeben, insbesondere bei Berücksichtigung der Begriffe, die im Zusammenhang mit Versagensprozessen definiert wurden (vgl. Kap. 6). Dem schrittweisen Vorgehen einer Schadenuntersuchung entsprechen demnach die Erfassung der Schadenerscheinung sowie die Zuordnung der Schadenart und des zugehörigen Schadenbilds. Schließlich ergibt sich als weitere Fokussierung der Zielsetzung die Definition der Schadenform und der Weg zur Schadenursache. Zusammen mit den Eigenschaften von Werkstoff und Bauteil, die den schadenspezifischen Merkmalen
8.3 Untersuchungsmaterial
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gegenüberzustellen sind, läßt sich als Ergebnis der Schadenuntersuchungen die Frage beantworten, ob die Schadenauslösung zurückzuführen ist auf 1. den Komplex nicht beanspruchungsgerechter Ausführung, wozu im einzelnen gehören Fehler in − Planung, − Berechnung, − Gestaltung, − Werkstoffwahl und Fertigung, 2. den Komplex Überbeanspruchung, dem im einzelnen zugrundeliegen können − Bedienungsfehler einschließlich Fehlfunktionen automatischer Überwachungen und Regelungen, − Wartungsfehler, − unsachgemäße Reparatur/Ersatzteile, − Ende der Lebensdauer. Bei der Beantwortung der Frage zur Schadenauslösung kann es sich schließlich durchaus ergeben, daß sowohl Faktoren aus Komplex 1 als auch aus Komplex 2 zusammenwirken. Die Klärung der Schadenursache als Endpunkt der Untersuchungen beinhaltet eine weitere Vertiefung der den einzelnen Faktoren unter Komplex 1 und Komplex 2 zugrundeliegenden Einflüssen und Handlungen (vgl. Bild 7-4 und 7-5).
8.3 Untersuchungsmaterial Ob die Auswahl des Untersuchungsmaterials aufgrund eines zielorientierten Untersuchungsplans erfolgen soll oder ob umgekehrt der Untersuchungsplan erst aufgrund der Sichtung des Untersuchungsmaterials aufzustellen ist, läßt sich nicht allgemein festlegen, da dies vom jeweiligen Fall abhängt (vgl. Abschn. 7.2, Bild 76). Grundsätzlich aber ist es im Sinne einer konsequent systematisch durchgeführten Schadenanalyse wünschenswert, daß die Auswahl des Untersuchungsmaterials von demjenigen vorgenommen wird, der die Schadenuntersuchung durchzuführen hat. Die Auswahl des Untersuchungsmaterials erfolgt im Idealfall aufgrund der Besichtigung des Schadenorts, der vom Schaden betroffenen Anlage und der eingeholten Informationen. Zu den durch Besichtigung und Recherchen gewonnenen Angaben gehören: − Anlagenbetreiber und Zweck der Anlage − Beschreibung der betroffenen Anlage (Art, Hersteller), Typ, Leistungsdaten, Herstellungsdatum, Inbetriebnahme − Anzahl der Anlagen oder Einrichtungen gleichen Typs − Gesamtbetriebsstunden (Betriebsstunden seit letzter Überholung, Wartung, Inspektion) − Betriebsweise (Dauerbetrieb, Schichtbetrieb, Bedarfsbetrieb Spitzenlastenbetrieb, Änderungen in der Betriebsweise) − Schadenerscheinung und -art (Bruch, Blockieren, Überhitzung, Explosion ...) − Ort des Schadeneintritts (im allgemeinen nur bei ortsbeweglichen Maschinen und Einrichtungen von Bedeutung)
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8 Voraussetzungen und Planung werkstoffkundlicher Untersuchungen
− Zeitpunkt des Schadens (Datum, Uhrzeit, bei Anfahren, Lastwechsel, gleichförmigem Betrieb, Abfahren, nach Veränderungen, nach Eingriffen) − Personal (Schichtbeginn, vor, während, nach Pause, nach x Arbeitsstunden, Schichtende, Handbetrieb, Automatikbetrieb) − Beobachtungen (Geräusche, Anzeigen, Erschütterungen) − Vorschäden (an der selben Anlage, an gleichen Anlagen) − Ausmaß des Schadens und Schadenfolgen 8.3.1 Auswahlkriterium Schädigungsgrad Aufgrund des Bilds, das mit den genannten und/oder weiteren Angaben vom Schadenort und der Schadensituation vorliegt, und aufgrund der vorliegenden Fragestellungen hat die Auswahl und die Entnahme des Untersuchungsmaterials zu erfolgen. In den meisten Fällen wird das Untersuchungsmaterial, das von anderer Seite ausgewählt wurde, der untersuchenden Stelle vorgelegt. Es sind dann die im Vorangegangen aufgeführten Informationen besonders wichtig, um eine Ordnung des Materials im Sinne der Systematik der Untersuchungen vornehmen zu können und um aufgrund der ersten Vorstellungen zum Schadengeschehen die richtigen Untersuchungen zum Nachweis des Schadenablaufs anzusetzen. Bei der Bestimmung des zu entnehmenden Untersuchungsmaterials oder bei der Ordnung des vorgelegten Materials ist es ein wichtiger Grundsatz, Proben zu wählen, die soweit irgend möglich vergleichende Betrachtungen zulassen (vgl. Abschn. 7.3). Dazu wird zweckmäßig nach unterschiedlich starker Ausprägung eines Schadenbilds gesucht, z.B. nach unterschiedlichen Abzehrungen von gleichartigen Rohren aus verschiedenen Zonen eines Wärmetauschers. Ein gleiches Vorgehen kann auch bei Rissen und Brüchen angewendet werden. Meist liefert nicht der voll ausgebildete Bruch, dessen Gefüge zuweilen durch äußere Einflüsse verschmiert, verzundert oder korrodiert sein kann, die erforderlichen eindeutigen Hinweise, sondern es sind die ersten Anrisse, die nach dem Aufbrechen wichtige Informationen zu einem Anrißbeginn und zu Anrißfortschritt liefern. Damit wird deutlich, daß bei Schäden durch Risse und Brüche stets nach Bereichen gesucht werden soll, die möglichst neben voll ausgebildeten Bruchflächen auch vergleichbare Trennungen im Frühstadium zeigen. Das Auffinden solcher Proben kann durch Vergleich gleichartiger Bauteile unter gleichen Betriebsbedingungen oder auch durch die Betrachtung verschieden hoch beanspruchter Zonen in einem Bauteil erfolgen. Das dargelegte Vorgehen läßt sich an Beispielen aus der praktischen Arbeit veranschaulichen. Der ausgeprägte Dauerbruch an einer Welle aus einem chromlegierten Stahl läßt sich makrofratographisch als Umlaufbiegedauerbruch unter scharfer Kerbwirkung am ganzen Umfang identifizieren. In weiteren Kerben der Welle werden Parallelanrisse gefunden, während die Bruchfläche durch die mechanische Einwirkung infolge Anlaufens an die Gegenbruchfläche für mikrofraktographische und feinbereichsanalystische Untersuchungen nicht mehr geeignet ist, sind diese Voraussetzungen an den parallel liegenden Daueranrissen gegeben. Die mikrofraktographische Betrachtung läßt in der Bruchfläche freiliegende Korngrenzen erkennen. Die Feinbereichsanalyse an den Rißmündungen zeigt dort ein relatives Anwachsen des Chrom- und Sauerstoffsignals sowie eine relative Abnahme des Eisensignals. Weiterhin werden Chloride gefunden. Damit liegt der Nach-
8.3 Untersuchungsmaterial
Bild 8-1 a. Pumpenwelle mit SwRK-Bruch
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Bild 8-1 b. Mikrofraktographie des SwRK-Bruchs
weis vor, daß die unsaubere Oberflächenbearbeitung der Welle zwar lagebestimmend für die Anrisse war, daß jedoch zusätzlich der Einfluß von Schwingungsrißkorrosion bei Einleitung und Fortschritt der Trennung in Ansatz zu bringen ist (Bild 8-1 a und b). Die Voraussetzung für die vergleichende Befundauswertung wie bei dem in Abschn. 7.3 betrachteten Fall der Schäden an einem Wärmetauscher mit Rippenrohren und Glattrohren ist wieder nur erfüllt aufgrund der geeigneten Auswahl des Untersuchungsmaterials. Im dargestellten Fall des Wärmetauschers umfaßt das Untersuchungsmaterial die Positionen 1. Rippenrohre, 2. Glattrohre, 3. Glattrohre mit vergleichsweise kurzer Betriebszeit, die als Ersatz ausgebauter Rippenrohre eingebaut wurden, 4. Rippenrohre aus einem weniger hoch belasteten Wärmetauscher, 5. Glattrohre aus dem weniger hoch beanspruchten Niederdruckverdampfer. Damit sind hier die Voraussetzungen zu einer systematischen Korrelation der Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen an diesem Material gegeben und die sich ergebenden Analogien führen zu der Schadenursache. 8.3.2 Auswahlkriterium Initialschaden Bei einer Anlage, die durch einen nach Betriebsbeobachtungen plötzlich eingetretenen Schaden ausgefallen ist, werden oft eine Vielzahl verschiedener Anlagenteile gefunden, die vom Schaden betroffen sind. Ein solcher Fall ist gegeben bei einer Dampfturbine, bei der durch Brüche mehrere Laufschaufelreihen zerstört wurden
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8 Voraussetzungen und Planung werkstoffkundlicher Untersuchungen
Bild 8-2. Turbinenläufer mit zerstörten Laufschaufelreihen
und weitere Zerstörungen an Leitschaufeln vorliegen (Bild 8-2). Auch weist die Turbine eine völlige Zerstörung der Lager auf. In Fällen wie dem erwähnten stellt sich zunächst die Aufgabe, den Ursprung des Schadens zu finden. Das Vorgehen dazu bestimmt sich aus der Tatsache, daß Schäden durch Gewalteinwirkung mit hoher Wahrscheinlichkeit als Folgeschäden einzustufen sind. Um den Ausgang des Schadens aufzufinden, muß nach Schadenbildern gesucht werden, die sich über einen längeren Betriebszeitraum der Maschine oder Anlage entwickeln konnten, die also unter Fortdauer bestimmter Beanspruchungen eingeleitet wurden und sich während des Betriebes weiter entwickeln konnten bis zum Ausfall der Anlage. Im Falle der mechanischen Beanspruchungen ist somit nach Teilen zu suchen, die Daueranrisse und Dauerbrüche zeigen. Ebenfalls gehören zu den Schadenbildern, die sich über lange Betriebsperioden entwickeln, Schäden unter korrosiven Einwirkungen oder unter langzeitigen thermischen Belastungen ebenso wie Erosions- , Kavitations- und Reibrosterscheinungen. Am Fall des Turbinenschadens, bei dem mehrere Laufreihen entschaufelt wurden (Bild 8-2), ausgeprägter Lagerschaden entstanden ist und weitere Komponenten zu Schaden gekommen sind, werden zunächst die Laufschaufeln einer eingehenden Durchmusterung unterzogen. Dabei werden Bruchflächen beurteilt, Anrisse erfaßt sowie Verbiegungen und Anstreifspuren nach Lage und Umfang bewertet. Es werden dabei keine Bruchflächen gefunden, die Merkmale von Daueranrissen zeigen. Vielmehr liegen ausschließlich Trennungen mit den Merkmalen von Gewaltbrüchen vor. Die Untersuchungen der korrelierenden Anstreifspuren an Leitschaufeln und Gehäuse lassen auf einen Fluchtungsfehler der Läuferachse schließen, der unmittelbar vor Schadeneintritt aufgetreten sein muß, wie aus Art und Ausbildung der Spuren unter Gewalteinwirkung zu entnehmen ist. Damit ergibt sich als Hypothese für die Abfolge der Ereignisse folgerichtig, daß erst die Achsverlagerung des Läufers aufgetreten ist und als Folge das Anstreifen mit den dadurch verursachten Schaufelbrüchen eintrat. In Konsequenz läßt sich nun als Ursache für die Achsverlagerung auf den Lagerschaden in Form von Verschmieren des Lagermetalls und Ausbrüchen schließen, die sich mit Übertemperaturen und als Ursache dazu mit Ölmangel in Verbindung brin-
8.4 Zuordnung und Kennzeichnung von Untersuchungsmaterial
81
Bild 8-3. Federteller mit eingezogenen Ventilkeilen durch Überdrehzahl
gen lassen. In Verfolgung der weiteren Sequenz des Schadenablaufs führt die systematische Suche nach ausgefallenen Maschinenelementen, die sich logisch in die Ereigniskette des Schadens einordnen lassen, zur Auffindung eines Dauerbruches in einer Antriebswelle, die dem Ölpumpenantrieb diente. Damit stellt sich als Einleitung des Schadenereignisses mit den außerordentlich umfangreichen Folgeschäden das Versagen der Schmiermittelversorgung dar. Als Ursache des schadenauslösenden Dauerbruches läßt sich zunächst ein unsauberer Querschnittsübergang mit scharfen Bearbeitungsriefen angeben. Die Schadenabhilfe hat folgerichtig bei der Bearbeitung aber auch bei der konstruktiven Ausbildung und bei Werkstoffwahl und Werkstoffbehandlung des Ölpumpenantriebs anzusetzen. Ein anderer Fall ist gegeben mit einem infolge Überdrehzahl zerstörten Fahrzeugmotor. Auch hier können bereits bei der Auswahl des Untersuchungsmaterials Hinweise auf Zusammenhänge bei der Zerstörung einzelner Komponenten und Bauteile gewonnen werden. Unter verschiedenen Schadenkennzeichen, die bei Überdrehzahl eines Motors entstehen können, ist das Einziehen der Ventilkeile in den Federteller ein wichtiges Indiz (Bild 8-3). Je nach Ausprägung dieses Merkmals läßt sich zumindest qualitativ ein Rückschluß auf die Höhe der Überdrehzahl anstellen. Voraussetzung für eine solche Zuordnung ist aber wieder, daß die Werkstoffkennwerte, insbesondere die Härtewerte, des Federtellers den Anforderungen entsprechen, daß also der Werkstoff nicht zu weich ist und damit seinerseits als Ursache für das Einarbeiten der Ventilkeile ausgeschlossen werden kann. Eine weitere Absicherung der Diagnose „Überdrehzahl“ ist durch Kennzeichen wie eine Berührung des Auslaßventils mit dem Kolben möglich, wobei dieses Kennzeichen jedoch nur bei einer erheblichen Drehzahlüberschreitung auftritt. Ein möglicher Lagerschaden in diesem Gesamtzusammenhang würde dann als Folgeerscheinung in der Schadenabfolge einzustufen sein.
8.4 Zuordnung und Kennzeichnung von Untersuchungsmaterial In den beschriebenen Fällen zeigt sich, wie Besichtigungsbefunde an einer Maschine und Anlage und Informationen zum zeitlichen und örtlichen Schadenumfeld zu
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8 Voraussetzungen und Planung werkstoffkundlicher Untersuchungen
koordinieren sind mit nachfolgenden Laboruntersuchungen, um eine folgerichtige Beweisführung zum Schadenablauf vornehmen zu können. Zu diesem Zweck ist eine strenge Ordnung des Untersuchungsmaterials und dessen unverwechselbare Kennzeichnung mit einer Pos.Nr. unumgänglich, wie sie sinnvoll in Form einer tabellarischen Einteilung vorgenommen wird. Im Sinne der Zuordnung und Eindeutigkeit ist es vorteilhaft, eine Fotodokumentation über die Entnahmestellen der Teile vorzunehmen oder entsprechende Skizzen anzufertigen. Die Angaben zum Untersuchungsmaterial sollten damit im einzelnen enthalten: − − − − −
Datum der Entnahme, wer hat entnommen Positionsnummer, Bildnummer, Einbauort/-lage Art der Entnahme Teile/Probenbezeichnung, Hauptabmessungen Sonstiges
In speziellen Fällen, wie z.B. bei der Entnahme von Rohrproben, ist der Scheitelpunkt und die Strömungsrichtung des Mediums anzugeben, im Fall von Kesselrohren ist die dem Feuer zugekehrte Seite zu kennzeichnen. Sinngemäß gilt eine solche Kennzeichnung für alle Proben, bei denen Art und Richtung der Beanspruchung ebenso wie die örtliche Lage der Proben zueinander für die Beurteilung von Untersuchungsergebnissen bedeutsam ist. Liegen bei umfangreicheren Schäden, wie z.B. an einer Turbine, Untersuchungsstücke vor aus Laufschaufelreihen, Leitschaufelkränzen, Radial- und Axiallagern, Kupplung und Ventilregelung, so sollten diese Gruppen mit getrennten Positionen versehen werden. Innerhalb dieser Positionen ist dann eine Durchnumerierung in Untergruppen vorzunehmen. Die Ordnung der Positionen, das heißt der verschiedenen Elemente oder Baugruppen einer Maschine oder Anlage, ist eine wichtige Voraussetzung, um bei komplexen Schäden, die mehrere Komponenten betreffen, diese einzeln zu untersuchen und dann die Ergebnisse der getrennt untersuchten Komponenten zur Aufklärung von Kausalzusammenhängen zusammenfassend auszuwerten (vgl. Abschn. 7.1). Wieweit es erforderlich sein kann, zur Schadenklärung Untersuchungsmaterial heranzuziehen, das weitab vom Schadenort mit dem Schaden scheinbar in keinem Zusammenhang steht, zeigt sich im Fall eines Rohrreißers in einem Steilrohrkessel mit Stirnwandbrenner. Indizien aus äußerer Schadenbeurteilung, Gefügeuntersuchung und Zunderuntersuchung ergeben, daß eine Überschreitung der Warmfestigkeit des Rohrmaterials vorliegt. Die weitere Verfolgung der Ereigniskette im Hinblick auf die Ursache der Übertemperatur weist auf eine fehlerhafte Temperaturregelung hin. Die Auslösung dieses Fehlers führt schießlich zur Untersuchung einer entsprechenden Leiterplatte in der Regelelektronik, die Spuren von Kriechströmen durch Ionenmigration zeigt (vgl. Bild 4-4). Ursache dieser Kriechströme sind schließlich Flußmittelrückstände aus der Leiterplattenproduktion. Entsprechend ist hier der Ansatz zur Schadenverhütung in der Prozeßüberwachung bei der Baugruppenfertigung zu suchen.
8.5 Entnahme und Versand von Untersuchungsmaterial
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8.5 Entnahme und Versand von Untersuchungsmaterial Unabhängig von der Art eines Schadens und der vom Schaden betroffenen Maschine oder Anlage sind für die Entnahme des Untersuchungsmaterials bestimmte allgemeingültige Regeln zu beachten. Nur bei Einhaltung solcher Regeln für die sachgemäße Entnahme, Kennzeichnung, Verpackung und den fachgerechten Versand der Schadenstücke sind die Voraussetzungen für die Ausschöpfung aller Möglichkeiten eines vollständigen Nachweises des Schadenablaufs und aller Einflußgrößen durch die Laboruntersuchungen gegeben. Zunächst ist es bedeutsam, daß auf dem Weg von der Entnahme bis zur Untersuchungsstelle durch die Handhabung des Materials dieses keinerlei Veränderung erfährt. Es gehört dazu, daß keine Verformungen bei der Entnahme stattfinden und daß Wärmeeinwirkungen in dem zu untersuchenden Bereich z.B. durch Brennschneiden oder durch Erwärmen zur Lockerung der Teile vermieden werden. Ebenfalls ist Vorsicht geboten, um zu vermeiden, daß durch die Kennzeichnung des Materials mit Hilfe von Schlagzahlen, Elektroschreiber, Laserschreiber oder Farben eine Veränderung der Teile in den für die Untersuchungen wesentlichen Bereichen bewirkt wird. Eine schonende und im allgemeinen neutrale Kennzeichnung der Teile ist durch Anhängeetiketten möglich. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß selbst Handschweiß bei Berührung der Proben zur Verfälschung von Befunden führen kann, wie z.B. durch Vortäuschung von Chloriden auf Oberflächen. Risse und Fehlstellen sind nicht vor Ort aufzubrechen, da sonst Gefahr besteht, daß die Rißflanken mit allen ihren Informationen über Einleitung und Fortgang der Trennmechanismen nicht originär erhalten bleiben. Im Fall von Brüchen sollten beide zusammengehörige Bruchhälften für die Untersuchung bereitgestellt werden. Insbesondere für die Erfassung kennzeichnender Merkmale, die sich der Richtung der bruchwirksamen Beanspruchung zuordnen lassen, ist die Verfügbarkeit beider Bruchhälften unumgänglich (vgl. Abschn. 9.2.3 „Mikrofraktographie“). Selbstverständlich ist die Bruchfläche für den Transport so zu schützen, daß das Bruchgefüge keine Beeinflussung erfährt. Verschmutzungen, Aufschmierungen, Anlaufschichten, Ablagerungen und Korrosionsprodukte dürfen nicht durch Reinigen entfernt werden, da diese außerordentlich wichtige Indizien zur Ableitung eines Schadenvorgangs darstellen. Lösen sich Innen- und Außenbeläge bei der Entnahme, so sind diese sorgfältig nach Herkunft getrennt zu verpacken. Dazu werden zweckmäßig Behälter aus PE-Materialien, Glas oder Acryl-Behälter verwendet, nicht jedoch chloridabspaltende PVC-Verpackungen. Sind Beläge zu entnehmen, so ist darauf zu achten, daß durch die für die Entnahme verwendeten Werkzeuge, z.B. Schaber, keine Verunreinigung des entnommenen Produkts entsteht. Für den Fall, daß Wasseruntersuchungen insbesondere im Zusammenhang mit Wärmetauscherschäden durchzuführen sind, sollten zum Vergleich nach Möglichkeit Proben genommen werden von Rohwasser, aufbereitetem Wasser, Speisewasser, Kesselinhaltswasser und Kondensat. Für den Transport dieser Proben geeignete Behälter sind die sich neutral verhaltenden PE-Flaschen. Bei Öluntersuchungen ist wieder im Sinne der Bedeutung vergleichender Untersuchungen von Proben neben dem gebrauchten Öl auch Neuöl gleicher Füllung
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8 Voraussetzungen und Planung werkstoffkundlicher Untersuchungen
nach Möglichkeit zu beschaffen. Selbstverständlich ist auch hier darauf zu achten, daß in den Kanistern zum Probentransport keine Rückstände vorliegen, die eine Veränderung der Probenbeschaffenheit bewirken können.
8.6 Probenplan für die Laboruntersuchungen Zur Durchführung der nach systematischer Abfolge vorzunehmenden Untersuchungsschritte (vgl. Abschn. 7.2 und Bild 7-6) sind aus dem vorschriftsmäßig gekennzeichneten Untersuchungsmaterial Proben zu entnehmen. Grundregel muß es dabei stets sein, daß jederzeit nachvollziehbar ist, aus welchem Teil des Untersuchungsmaterials (Position) welche Proben in welcher Lage und für welche Untersuchungen entnommen wurden. Für den Check, ob die Aussagen eines Gutachtens stets in zweifelsfreiem Bezug zu einem bestimmten Teil und zu definierten Proben stehen, sollten immer die Fragen zu beantworten sein: − Woher, d.h. aus welchem Teil (Position), stammt die Probe? − Wie wurden die Schnitte im Bauteil (Position) zur Entnahme der Probe gelegt? − Welche Richtung in bezug zum Schnitt nimmt die Probe ein (Längsrichtung, Querrichtung, Dickenrichtung)? − Auf welche Stelle einer Probe bezieht sich die Beschreibung eines Untersuchungsergebnisses (Rand, Mitte, Rand)? − Wie wurde untersucht (Art der Untersuchung, z.B. Makro- oder Mikroschliff, Probenpräparation...)? Zur Veranschaulichung dieser Vorgehensweise sei angenommen, daß aus einem zur Untersuchung vorliegenden Teil, gekennzeichnet mit Position 1, ein Makroschliff entnommen wird bzw. daß Schnitte zur entsprechenden Schliffentnahme gelegt werden. Die Schnitte und damit die Lage der Schliffe wird in einer Gesamtaufnahme des Teils eingezeichnet oder in einer Skizze angegeben (vgl. Bild 5-6 a). Aus einem so geschnittenen Teil bzw. aus dem sich ergebenden Makroschliff werden dann der oder die Mikroschliffe entnommen (vgl. Bild 5-6 b). In einem angenommenen Fall, daß mehrere Mikroschliffe, z.B. vom Rand (Außenseite), Querschnittsmitte und Rand (Innenseite), aus einem Teil, gekenn-zeichnet mit Position 1, entnommen werden, würde sich für die Schliffe eine Kennzeichnung ergeben mit: 1.
1. 1 Mikroschliff Nr. nach Lage im Schnitt bzw. im Makroschliff oder Bauteil Lage des Schnittes bzw. Makroschliffs aus Photo oder Skizze (Bild-Nr....) Positionsnummer
Im Sinn der Übersichtlichkeit sollten insbesondere bei komplexeren Untersuchungen die Bezeichnungen und Beschreibungen der Proben in einem Probenplan
8.6 Probenplan für die Laboruntersuchungen
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den Ergebnissen einzelner Untersuchungsschritte übersichtlich vorangestellt werden. So ist ein der beispielhaft gewählten metallographischen Untersuchung analoges Vorgehen bei der Kennzeichnung der Lage einer makroskopischen Bruchfläche und der in Bezug zu dieser vorgenommenen mikrofraktographischen (rasterelektronen-mikroskopischen) Untersuchungen anzuwenden. Selbstverständlich ist auch bei allen anderen Untersuchungsschritten entweder zur Feststellung von Werkstoffbeeinflussungen oder zur Werkstoffcharakterisierung eine Probenbeschreibung vorzunehmen, die eine einwandfreie Identifizierung von Lage und Richtung der Proben zuläßt. Nur auf diese Weise kann eine verwertbare Aussage aus chemischen Analysen sowie Härtereihen und Festigkeitskennwerten vorgenommen werden. Die Forderung, daß es mit Hilfe des Probenplans jederzeit möglich sein muß, eine Probe, deren Untersuchungsergebnis beschrieben wird, nach Entnahmeort, Lage und Richtung eindeutig zu identifizieren, sollte zum wesentlichen Kriterium erhoben werden für die Beurteilung der Qualität einer Schadenuntersuchung. Ein Gutachten, bei dem die eindeutige Zuordnung von Proben und Untersuchungsergebnissen nicht möglich ist, entbehrt einer wichtigen Vertrauensgrundlage. Es entspricht in gewissem Sinn einer Konstruktion ohne Zusammenstellungszeichnung und Stückliste. Bei Schadenuntersuchungen, die aus mehreren Untersuchungsschritten bestehen, erweist es sich als sinnvoll, für jeden Untersuchungsschritt – wenn Eindeutigkeit nicht ersichtlich ist – den Probenplan voranzustellen. Insbesondere ist dies zweckmäßig bei metallographischen und mikrofraktographischen Beurteilungen, aber auch für die Kennzeichnung von Entnahmestellen für Analysen des Werkstoffs und von Reaktionsprodukten.
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Nach langjährigen statistischen Auswertungen von Schäden an Anlagen und technischen Einrichtungen aufgrund von Daten aus der Versicherungswirtschaft sind etwa 8 bis 9 % aller Schäden ursächlich auf Werkstoffehler zurückzuführen. Der Anteil von Konstruktions- und Montagefehlern liegt danach um 30 %, von Bedienungs- und Wartungsfehler um 43 %. In der Gruppe „Sonstige“ mit etwa 18 % sind die Schäden enthalten, die als ungeklärt gelten, ein Prozentsatz, der beim heutigen Stand der Erkenntnisse und den verfügbaren Untersuchungsverfahren nicht mehr hinnehmbar erscheint. Warum aber hat gerade die werkstoffkundliche Untersuchung bei einem vergleichsweise geringen Anteil von Werkstoffehlern im engeren Sinn eine derart zentrale Bedeutung bei der Aufklärung von Schadenereignissen? Eine auf ein Bauteil einwirkende Beanspruchung mechanischer, thermischer und/oder korrosiver Art hinterläßt im Werkstoff kennzeichnende Spuren. Der Werkstoff wird gewissermaßen zum Datenträger und enthält eine Reihe von Informationen über vorangegangene Beanspruchungseinwirkungen, die mit spezifischen Untersuchungsmethoden zugänglich werden. Zusammen mit einer Schadensituation und den Angaben zu einem Schadenablauf läßt damit die werkstoffkundliche Untersuchung die Überprüfung der Befunde aus einem vernetzten System von Beanspruchungsparametern und Randbedingungen auf ihre Kohärenz und Plausibilität zu. Die Untersuchungsmethoden und die damit zu erfassenden Merkmale werden eingeteilt nach Untersuchungsschritten im folgenden jeweils im Zusammenhang abgehandelt. Dabei ist stets zu beachten, daß oft erst die Kombination der Ergebnisse aus unterschiedlichen Untersuchungsschritten den Schadenablauf nachzuvollziehen erlaubt, wie dies in Kap. 7 „Systematik der Schadenklärung“ dargestellt wurde.
9.1 Äußere Beurteilung von Schadenteilen 9.1.1 Untersuchungsverfahren Als erster Schritt der labormäßigen Schadenuntersuchung ist eine äußere, d.h. makroskopische Beurteilung der Teile vorzunehmen. Als Untersuchungsverfahren steht natürlich zunächst die Betrachtung mit dem sogenannten „unbewaffneten Auge“ zur Verfügung. Weiter ist der Einsatz von Lupe und Makroskop zweckmäßig, um insbesondere eine Übersicht über die morphologische Beschaffenheit von Oberflächen zu bekommen. Dabei ist es oft sehr wichtig, mit der Beleuchtung zu experi-
9.1 Äußere Beurteilung von Schadenteilen
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mentieren, die gerade bei dem Erkennen äußerer Strukturen bedeutsam sein kann. Es kommen hierfür sowohl Quellen für diffuses Licht als auch punktförmige Beleuchtungsquellen (spot lights) in Frage. Bei der Bestimmung von Lage und Verlauf von Rissen und Brüchen können zur Verbesserung der Erkennbarkeit Rißprüfverfahren herangezogen werden, wie Eindringverfahren, magnetinduktive Rißprüfung oder Wirbelstromprüfungen. Beim Einsatz dieser Hilfsmittel ist jedoch wie überhaupt bei allen Maßnahmen, die einen Eingriff in die Oberfläche bzw. den Oberflächenzustand der Untersuchungsteile bedeuten, Vorsicht geboten, um nicht die äußere Beschaffenheit, wie sie auch durch Ablagerungen und Korrosionsprodukte mitbestimmt ist, zu verändern. Für Hohlkörper oder für längere Rohrabschnitte kann zweckmäßig ein geeignetes Endoskop verwendet werden, um ein vorzeitiges Trennen der Proben und damit eine mögliche Zerstörung von Indizien zu vermeiden. Im Zusammenhang mit der im Vorfeld der Probennahme stehenden Beurteilung sind schließlich noch zerstörungsfreie Prüfverfahren, wie Durchstrahlungsprüfung mit Röntgen- oder Gammastrahlen und Ultraschallprüfverfahren, zu nennen. Auch wenn die Anwendung dieser Verfahren im engeren Sinne keine „äußere Beurteilung“ mehr ist, so sind diese doch wichtig, um eine richtige Lage von Schnitten zum Zertrennen der Proben für weitere Untersuchungen festzulegen. Es ist stets zu bedenken, daß nach einem Zertrennen der Proben für weitere Untersuchungen mitunter bedeutsame Schadenmerkmale nicht mehr vorhanden sind, auf die man gerne aufgrund späterer Untersuchungsbefunde zurückgreifen möchte. Mit Fotodokumentation und Skizzen sollten alle Befunde belegt werden, die nach Durchführung der verschiedenen Untersuchungsschritte verloren gehen könnten. Dabei ist stets mit der Dokumentation die Lage von Schnitten für weitere Probenahmen genau anzugeben. Gravierende Fehler auf diesem Gebiet können die Klärung von Schadenursachen entscheidend erschweren oder sogar unmöglich machen. Es läßt sich von einem Fall berichten, wo Bruchflächen durch Hobeln oder Bohren bei Anlieferung der Teile zerstört waren, nur um Späne für Werkstoffanalysen zu erhalten. 9.1.2 Makromorphologische Merkmale Zur Erfassung der kennzeichnenden Merkmale aus der äußeren Beurteilung ist eine Beschreibung der Untersuchungsteile vorzunehmen, in der die folgenden Gesichtspunkte enthalten sind: 1. Beschreibung des Bauteils bzw. der Probe (Position). Dabei sollten, soweit zutreffend, enthalten sein: − Konstruktionsmerkmale, wie Geometrie, Gestaltung, Querschnittsübergänge, Toleranzen − Fertigungsart, wie gegossen, geschmiedet, Oberflächenbearbeitung, Oberflächenbehandlung 2. Angaben zur Schadensituation und Benennung des Schadens. Aus der Schadensituation an der Maschine oder Anlage (vgl. Abschn. 8.3) und aus dem ersten Augenschein der beschädigten Bauteile wird die wahrscheinliche Versagensart des betreffenden Bauteils benannt wie: Bruch, Verformung, Über-
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
hitzung, Korrosion, Fressen. Im einzelnen sind diese Benennungen durch die speziellen Kennzeichen an der Probe zu belegen bzw. auch in Frage zu stellen. 3. Lage, Art und Form von Trennungen am jeweiligen Bauteil (Position). Riß- und Bruchverläufe in bezug zur Form des Bauteils und zum Oberflächenzustand, wie z.B. Riefen oder Korrosionsnarben. Ebenfalls, soweit möglich, ist der Bezug zur Beanspruchungsrichtung und zu den Spannungsverläufen zu beachten. 4. Spuren thermischer Einflüsse, wie Verzug, Anlauffarben, Zunder, Brandspuren jeweils ohne oder mit Rißfeldern verbunden. 5. Merkmale korrosiver Beanspruchung in Form von Korrosionsprodukten, flächigem, lokalem oder punktförmigem Angriff. 6. Merkmale tribologischer Beanspruchung. Es gehören dazu Anstreifspuren, Freßspuren, Schlag- bzw. Prallspuren, Verhämmerungen, Erosions- und Kavitationsspuren. Mit der Auswertung der durch äußere Beurteilung zusammengestellten Merkmale werden die Hypothesen über mögliche Schadenabläufe gebildet und zur Überprüfung geeignete weitere Untersuchungsschritte festgelegt. Bei der Festlegung geeigneter Untersuchungsschritte zum Nachweis bestimmter Schadenarten leisten Richtlinien, wie die erwähnte VDI 3822, wichtige Hilfestellung, da dort die jeweils für eine Schadenart zutreffende Merkmalkombination aus den verschiedenen Untersuchungsverfahren zusammengestellt ist. Wichtige Folgerungen aus den unter 1 bis 6 aufgeführten, durch äußere Beurteilung zu erfassenden Merkmalen sind zunächst Verformungen des Bauteils und Verformungen und Einschnürungen an Rißflanken. Solche Kennzeichen deuten auf Gewaltbrüche und lassen die Annahme zu, daß die Schadenerscheinungen Folgen von vorangegangenen Primärereignissen sind. Verformungslose Trennungen sind Folge eines spröden Werkstoffverhaltens bedingt durch den Spannungszustand im Bauteil und/oder die gegebenen Werkstoffeigenschaften. Nach der Lage der Trennung im Bezug zur Beanspruchungsrichtung ebenso wie im Hinblick auf fehlende makroskopische Verformungsspuren im Bauteil stellen sich Brüche unter Wechselbeanspruchung ebenfalls als makroskopisch verformungslos dar. Auch unter der Einwirkung von Korrosionseinflüssen ergeben sich verformungslose Trennungen infolge von Spannungsrißkorrosion, insbesondere an austenitischen Stählen oder an Messingen. An runden Querschnitten, wie Rohren oder Wellen, weisen Längsrisse auf Umfangsspannungen, Querrisse auf Biege- oder Zugspannungen hin. Trennungen unter 45 Grad zum Querschnitt kennzeichnen Torsionseinwirkungen, wenn dabei keine signifikanten Verformungen vorliegen. Bei verformungsfähigem Material stellt sich die Trennung unter Torsion als Schubbruch in Umfangsrichtung, d.h. quer zur Längsachse, dar. Aus den dargelegten Zusammenhängen ergibt sich, daß Längsrisse an Rohren ein Versagen unter Innendruck kennzeichnen, Quer- bzw. Umfangsrisse weisen Zug- oder Biegespannungen, wie sie unter Temperaturwechseln auftreten können, als schadenwirksam aus. Auch Anschlußspannungen verursachen Umfangsrisse, wie z.B. in der Wärmeeinflußzone von Schweißnähten. Entsprechendes gilt für Wellen, bei denen Längsrisse auf thermische Einwirkungen, wie z.B. Risse durch Oberflächenhärtung oder auf Schleifrisse, schließen lassen (Bild 9-1 und 9-2)
9.1 Äußere Beurteilung von Schadenteilen
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Bild 9-1. Härtespannungsrisse in der Einsatzhärteschicht einer Spindel
Bild 9-2. Schleifrisse an einer Welle (durch Magnetpulverprüfung verdeutlicht)
Alle diese Folgerungen stehen unter dem Vorbehalt, daß nicht andere Einflüsse, wie Texturen, Querschnittsübergänge, Riefen oder Oberflächenbeschädigungen und schließlich auch thermische Einwirkungen durch Schweißen, den Trennungsverlauf beeinflussen. Weitreichend und kontinuierlich verlaufende Verformungen sind Zeichen hoher Verformbarkeit, langsam schwellender Krafteinwirkung oder, wenn thermische Einflüsse in Frage kommen, können sie Folge von Kriechvorgängen sein. Umgekehrt zeichnet sich in lokal begrenzten Verformungen eine eingeschränkte Verformungsfähigkeit oder eine örtlich schlagartige Krafteinwirkung ab. Spuren thermischer Einflüsse zusammen mit Rißfeldern, die entweder parallel oder orthogonal verlaufen, geben Hinweise auf Thermoschock- oder Thermowechselbeanspruchung, soweit diese mit den Informationen zur Schadensituation in Übereinstimmung zu bringen sind. Thermische Einflüsse zusammen mit makroskopisch spröden und zuweilen unregelmäßig gezackt verlaufenden Trennungen lassen
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b
a Bild 9-3 a, b. Korrosion an einer Pumpenwelle durch ungeeignete Werkstoffkombination im Bereich der Berührung mit dem Elektrolyten
auf Warmversprödung (Blaubrüchigkeit) des Werkstoffs oder auf niedrig schmelzende Phasen im Werkstoff und/oder auf Reaktionen mit umgebendem Medium schließen. Die Merkmale korrosiver Beanspruchung geben Hinweise auf aggressive Medien, Wirkung von Oberflächenbehandlungen, wie Beizen, und konstruktions- bzw. einbaubedingte Korrosionsgefährdung wie Spalt- oder Kontaktkorrosion (Bild 9-3, vgl. auch Bild 4-1 und Abschn. 11.3.1). Die Merkmale tribologischer Beanspruchung kennzeichnen Schäden durch Verschleiß, die sich in Anlehnung an DIN 50320 gliedern lassen. In sog. geschlossenen Systemen treten Schäden durch Gleit- und Wälzbeanspruchungen an vorzugsweise
Bild 9-4. Erosion durch Kohlenstaub an der Schlagplatte einer Kohlenstaubmühle (Schultern durch Stahlverschleiß in Richtung des Pfeils)
9.1 Äußere Beurteilung von Schadenteilen
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Bild 9-5. Laufschaufel im Naßdampfgebiet einer Dampfturbine mit Tropfenschlag an der Eintrittskante und Erosion im Blatt
klassischen Maschinenelementen auf. Zum Verschleiß in offenen Systemen gehört der Abrasivverschleiß (Bild 9-4) mit Furchungsverschleiß, der Prallverschleiß sowie hydroabrasiver Verschleiß, Dampf- bzw. Tropfenerosion (Bild 9-5), Tropfenschlag und Kavitation. Als Kombination verschiedener Einflüsse, insbesondere von mechanischen und korrosiven Einflüssen, sind Schadenarten wie Reibkorrosion einzuordnen. Beanspruchungen durch Reibkorrosion sind bei der Ableitung von Bruchursachen an Maschinenelementen, die unter Vibrationen stehen und kleine Relativbewegungen zueinander erlauben, mit in Betracht zu ziehen. Solche Verbindungen können beispielsweise Welle-Nabe-Verbindungen (vgl. Bild 9-47) oder Kerbverzahnungen (Bild 9-6) sein, aber auch Schraubverbindungen unter dynamischen Beanspruchungen. Die Ergebnisse der äußeren Beurteilung sind die Grundlage für die Fortführung der Schadenanalyse mit Hilfe gezielt angesetzter weiterer Untersuchungsschritte. Nur in Ausnahmefällen und bei genauer Kenntnis des Schadenumfelds ist eine beweiskräftige Schadenfeststellung allein mit äußeren Befunden möglich.
Bild 9-6. Abtragung durch Reibkorrosion unter kleinen Axialverschiebungen an einer Kerbverzahnung
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
9.1.3 Mikromorphologische Merkmale Die äußere Beurteilung ohne Hilfsmittel kann in ihrer Aussage in entsprechend gelagerten Fällen durch den Einsatz höherer Vergrößerungen erweitert werden. Insbesondere eignet sich zur Darstellung der Mikromorphologie von Bauteiloberflächen die Rasterelektronenmikroskopie (vgl. Abschn. 9.2.1), wie sie bei der Mikrofraktographie herangezogen wird. Mit Hilfe der mikromorphologischen Beurteilung von Bauteiloberflächen werden Informationen über Art und Form von Werkstoffabtragungen und die dabei ablaufenden Mechanismen zugänglich. Dabei sind über die makroskopische Beurteilung hinaus Rückschlüsse auf die Beanspruchungen möglich, die auf das Bauteil gewirkt haben und die als schadenwirksame oder schadenbegünstigende Einflüsse in Betracht zu ziehen sind. Im wesentlichen betreffen diese Merkmale Beanspruchungen, wie sie bereits bei der äußeren Beurteilung von Untersuchungsobjekten aufgeführt wurden (vgl. Abschn. 9.1.2). Bei korrosiven und bei thermischen Beanspruchungen ist die Mikrostruktur der Oberfläche durch den Materialangriff meist infolge der Belegung mit Reaktionsprodukt schwer zugänglich. Eine Reinigung der Oberflächen birgt die Gefahr, daß die Topographie der Mikrooberfläche beeinträchtigt wird und nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form erscheint. Soweit die Mikromorphologie angegriffener oder abgetragener Bereiche erkennbar ist, lassen sich sinngemäß Beurteilungskriterien heranziehen, die im Zusammenhang mit der Mikrofraktographie und der Metallographie abgehandelt sind (vgl. Abschnitt 9.2.3 und 9.3). Im wesentlichen ist dabei die Feststellung bedeutsam, ob lokaler oder flächiger Materialverlust bzw. Oberflächenangriff trans- oder interkristallin erfolgt ist, ob sich der Werkstoff duktil oder spröde verhält und wie weit Mikrorisse und Verformungen vorliegen (vgl. Bild 9-72 und 9-73). Die Betrachtung der Mikrotopographie von Oberflächen eignet sich besonders zur Erfassung von Merkmalen, die sich tribologischer Beanspruchung zuordnen lassen und die es erlauben, eine solche Beanspruchung in ihrem Ablauf zu analysieren. Es stellt sich in solchen Fällen zunächst die Frage, wie weit Verschleißbeanspruchungen und Verschleißspuren normalen betrieblichen Beanspruchungen entsprechen oder als Folge außergewöhnlicher Einflüsse entstanden sind. Jedes Bauteil, das in geschlossenen oder offenen Systemen einer tribologischen Beanspruchung unterworfen ist, zeigt erwartungsgemäß Abnutzung durch normalen Verschleiß, so daß dieser noch nicht als Schaden einzustufen ist. Die Frage nach einem Schaden hat sich damit auseinanderzusetzen, ob die Mikromorphologie einer Oberfläche außergewöhnliche Beanspruchungen erkennen läßt und damit ein vorzeitiges Lebensdauerende eines Bauteils vorliegt. Der Verschleiß im offenen System umfaßt den Strömungsverschleiß unter Abrasiv- und unter Prallbeanspruchung (vgl. VDI-Richtlinie 3822 Blatt 5.2). Das strömende Medium kann flüssig oder gasförmig sein und es kann zudem noch Feststoffanteile enthalten. An der Mikromorphologie der Oberfläche läßt sich der Winkel eines in der Strömung befindlichen Bauteils bestimmen und damit liegt ein Beurteilungskriterium vor, ob die Einbaulage bestimmungsgemäß war oder ob schadenbegünstigende Abweichungen vorhanden waren. Im Fall der Schaufelfläche mit einer Al-Korrosionsschutzschicht eines Gichtgasgebläses für ein mit hohem Feststoffanteil belastetes Gichtgas läßt sich dies veranschaulichen. Unter Winkeln
9.1 Äußere Beurteilung von Schadenteilen
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a
b Bild 9-7 a, b. Oberflächenbeeinflußung durch Feststoffpartikel im Gasstrom unter Auftreffwinkeln von ca. 30° (Abrasion bzw. Mikrozerspanung)
im Bereich von etwa 30° zeigt sich eine wellenförmige Oberflächenstruktur, die bei höheren Vergrößerungen den Mechanismus der Mikrozerspanung durch die Partikel im Gasstrom erkennen läßt (Bild 9-7 a und 9-7 b). Bei annähernd senkrechtem Auftreffwinkel ergibt sich eine durch den Partikelaufprall bedingte Oberflächenzerrüttung (Bild 9-8 a und 9-8 b). Je nach Anströmrichtung auf die Oberfläche sind unterschiedliche Werkstoffeigenschaften zur Verschleißminderung angezeigt. Im Fall der Abrasion und der Mikrozerspanung ist eine hohe Härte und damit ein hoher Zerspanungswiderstand vorteilhaft. Im Fall des Prallverschleißes ist die Zerrüttung der Oberfläche durch ein hohes Energieabsorptionsvermögen zu vermindern. Verschleißschäden in geschlossenen Systemen, d.h. an klassischen Maschinenelementen, treten vorzugsweise unter Gleit- und Wälzbeanspruchung auf. Die Beanspruchungsrichtung kann einsinnig oder oszillierend bzw. vibrierend sein.
a
b Bild 9-8 a, b. Oberflächenbeeinflußung durch senkrecht auftreffenden Gasstrom mit Festkörperpartikeln (Prallverschleiß bzw. Oberflächenzerrüttung)
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Schadenbilder, die unter solchen tribologischen Überbeanspruchungen entstehen, werden in Blatt 5.1 der VDI-Richtlinie 3822 beschrieben. Wichtige Merkmale für außergewöhnliche Einflüsse bzw. für Überbeanspruchungen sind Riefen, Kratzer und Werkstoffübertrag. Für das Ergebnis einer Schadenanalyse und für die Bestimmung der Eingriffsmöglichkeit ist es oft wichtig, den Zeitpunkt innerhalb des Produktzyklus und die Ursache von solchen Schädigungen zu bestimmen und in einen Kausalzusammenhang zu stellen. Im Fall von Brüchen an Federn für kleine Vakuumpumpen läßt sich dies veranschaulichen. Die Riefe am Biegeradius der Federn läßt sich auf den Einfluß des Biegewerkzeuges zurückführen. Durch Kerbwirkung und plastische Verformung der Oberflächenschichten konnten Dauerbrüche ausgelöst werden (Bild 9-9). Durch das Anlaufen von Oberflächen an einen Reibpartner erfolgt Zungenbildung, Randschichtverformung, Werkstoffübertrag und thermische Beeinflussung der Randzonen. Diese Erscheinungen sind ebenso wie Reibmartensitbildung unter Zuhilfenahme metallographischer Untersuchungsverfahren zugänglich (vgl. Bild 5-7). Für die Bestimmung der Gegenfläche, unter deren Wechselwirkung eine Oberflächenbeschädigung verursacht wurde, wird neben der mikroskopischen Bestimmung von Partikeln auch die Feinbereichsanalyse eingesetzt (vgl. Abschn. 11.1.2). Auf diese Weise ließen sich lokale korrosive Angriffe an einem Implantat aus einer Titanlegierung aufklären. Das Implantat kam bei der Vorbereitung des operativen Eingriffs mit einem Werkzeug aus nicht korrosionsbeständigem Stahl in Berührung (vgl. Abschn. 11.3.1). Durch das aufgeschmierte Fremdmetall konnte später unter Bildung eines galvanischen Elements Korrosion ausgelöst werden. In besonderem Maße können im Fall der Reibkorrosion einzelne Stadien dieses Schadenablaufs in der Mikromorphologie der Oberflächen erkannt werden. Die Reibkorrosion ist ein komplex mechanisch-korrosiv wirkender Schädigungsvorgang. Als Mechanismen treten auf Adhäsion, Abrasion und Oberflächenzerrüttung. Die reibbedingte Aktivierung der Oberflächen führt zu tribochemischen Reaktionen mit den umgebenden Medien, wie Luft, Feuchtigkeit und Schmierstoff. Der primä-
Bild 9-9. Riefe am Biegeradius einer kleinen Feder durch Werkzeugeinwirkung. Ausgang eines Dauerbruchs
9.1 Äußere Beurteilung von Schadenteilen
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re Vorgang der Reibkorrosion ist die Entstehung frischer Metalloberflächen durch Abrasion, Ausbrüche und Materialübertragung. Unter Reaktion mit dem umgebenden Medium entstehen dann Oxidschichten und oxidische Partikel, die im Spalt zermahlen werden (Bild 9-10). Eigendeckschichten des Werkstoffs werden fortlaufend unter Reibbeanspruchung wieder abgehoben und zerstört (Bild 9-11). Partikel werden in die Oberfläche eingedrückt und bilden Kerben und Mikrorisse (Bild 9-12). Davon ausgehend erfolgen schließlich Dauerbrüche von Bauteilen unter Reibkorrosionsbeanspruchung weit vor Erreichen der Wechselfestigkeit.
Bild 9-10. Schematische Darstellung des Reibkorrosionsvorgangs
Bild 9-11. Abhebung einer Oxidschicht unter Reibverschleiß
Bild 9-12. Abdruck von oxidischen Partikeln in einer Bauteiloberfläche
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Ein anderer Fall der Werkstoffzerstörung unter kombiniert mechanisch-korrosiver Beanspruchung besteht in der Erosionskorrosion. Dabei werden Eigendeckschichten des Werkstoffes unter Erosion bzw. unter Tropfenschlag oder Kavitation geschädigt und abgetragen. Durch die Störungen der Eigendeckschicht kann auch in korrosionsbeständigen Systemen ein fortschreitender Werkstoffangriff erfolgen bis zur völligen Zerstörung von Bauteilen, die diesem Mechanismus unterworfen sind.
9.2 Fraktographie Eine Vielzahl von Versagensfällen wird dadurch verursacht, daß ein Bauteil mit tragender Funktion nach vorausgegangener mehr oder weniger großer Deformation oder auch völlig verformungslos bricht. Entsprechend wird die Analyse eines Schadens eng mit der Beurteilung der als Ergebnis einer bruchwirksamen Überlast vorliegenden Bruchfläche verbunden. Zunächst soll der Zustand des Bauteils sowie Lage und Gefüge einer Bruchfläche Auskunft darüber geben, ob der Bruch als Endstadium einer Energieaufnahme durch Verformung eingetreten ist oder ob eine Sprödtrennung ohne Verformungsspuren vorliegt (vgl. Bild 9-14). Ein Verformungsbruch an einem Bauteil kann grundsätzlich nur durch eine mechanische oder eine mechanisch-thermische Überlastung eintreten. Eine richtige Bauteildimensionierung und eine richtige Werkstoffwahl vorausgesetzt – was stets zu überprüfen ist – wird sich die Schadenanalyse dann auf Auslegung und Betriebsbedingungen bzw. -belastungen zu konzentrieren haben. Umgekehrt ist bei beanspruchungsgerechter Auslegung und normalen Betriebsbedingungen das Eintreten eines Bruches ein Indiz dafür, daß Werkstoffwahl und Werkstoffzustand nicht den Anforderungen an das Bauteil entsprochen haben können. Mit einzubeziehen in diese Betrachtung ist stets die Möglichkeit, daß Werkstoffzustand und Werkstoffeigenschaften zeitabhängigen Veränderungen unterworfen sind und daher erst beim Eintreten des Schadens nicht mehr den Anforderungen entsprochen haben. Die Ursachen des verformungsarmen bzw. des verformungslosen, also spröden Versagens eines Bauteils durch Bruch sind meist sehr viel komplexer als bei Verformungsbrüchen und – entsprechend dem schlagartigen Eintreten des Sprödbruchs – folgenschwerer und damit oft Gegenstand vielschichtiger Schadenanalysen. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde (vgl. Abschn. 9.1 „Äußere Beurteilung von Schadenteilen“), ergibt sich das spröde Versagen eines Bauteils nicht allein durch die mit Hilfe von Kennwerten charakterisierten Werkstoffeigenschaften, sondern es ist wesentlich bestimmt durch Gestalt und Dimension des Bauteils, durch Beanspruchungsgeschwindigkeit und durch Umgebungsbedingungen, wie z.B. durch die umgebenden Medien. Eine verformungslose Trennung erfordert zur Ableitung der Ursachen bzw. von Hypothesen zu den Ursachen eine eingehende Betrachtung des Bruchgefüges unter Einbeziehung mikrofraktographischer Bruchmerkmale (vgl. Abschn. 9.2.3). Liegen glatte Bruchflächen mit spaltflächigen Strukturen vor, so ist zumindest in erster Näherung auf eine mechanische Überlastung als bruchursächlich zu schließen, wobei zur Beweisführung allerdings das Auffinden des Bruchausgangs bedeutsam ist. Werden interkristalline Trennungen gefunden, so bedeutet dies immer ein Kennzeichen dafür, daß Zusatzeinflüsse zur mechanischen Beanspruchung vorlagen, die
9.2 Fraktographie
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entweder den Werkstoffzustand betreffen oder aber daß bestimmte Umgebungseinflüsse, wie Temperatureinflüsse, oder Reaktionen mit umgebenden Medien vorgelegen haben. In einem gesunden Werkstoff wird eine Trennung auch bei höher verfestigten Zuständen mit entsprechend eingeschränkter Formänderung transkristallin erfolgen. Die interkristalline Trennung bedeutet, daß entweder in der Kornmatrix, z.B. durch Überhärten, eine völlige Blockierung von Gleitvorgängen stattgefunden hat und damit die Korngrenzen zu Schwachstellen werden oder aber daß durch korrosive oder thermische Einwirkungen die Festigkeit der Korngrenzen drastisch herabgesetzt wurde, so daß wiederum der schwächste Pfad entlang der Korngrenzen verläuft. Schließlich ist zu beachten, daß auch der Dauerbruch einer makroskopisch verformungslosen Trennung entspricht, wie bereits die Lage der Dauerbruchflächen zur Wirkspannung entsprechend einem Normalspannungsbruch beweist (vgl. Bild 9-14). Im Fall des Dauerbruchs erfolgt der Rißfortschritt in mehr oder weniger kleinen Sprüngen mit unterschiedlichen mikroskopischen Verformungsanteilen, wobei der Fortschritt der Rißspitze jeweils nach Erschöpfung der Wechselfestigkeit in diesem Bereich makroskopisch spröde erfolgt. Trotz der mitunter zentralen Bedeutung von Bruchuntersuchungen bilden solche Untersuchungsschritte, wie andere Untersuchungen auch, nur einen Mosaikstein in der Aufklärung des Schadengeschehens, die im allgemeinen weitere Untersuchungen zur Verifizierung erfordern. Dabei nimmt als ergänzendes Verfahren die Metallographie einen hohen Stellenwert ein (vgl. Abschn. 9.3). Wie die Beispiele zur Bruchaufklärung zeigen, sind jedoch auch analytische, insbesondere feinbereichsanalytische (vgl. Abschn. 11.1.2), Untersuchungen ebenso wie Strukturuntersuchungen (vgl. Abschn. 9.4) und sogar durchstrahlungselektronenmikroskopische Untersuchungen je nach Sachlage erforderlich. Die verschiedenen Brucharten, wie sie sich nach Auswertung der Befunde aus den jeweils erforderlichen Untersuchungsverfahren ergeben, lassen sich im wesentlichen einteilen in: 1. Brüche durch einmalige mechanische Überlastung (Gewaltbrüche) unter Zug, Biegung, Torsion oder Druck − zähe Gewaltbrüche − spröde Gewaltbrüche 2. Brüche durch Wechselbelastung (Schwingbrüche) Zug, Druck, Biegung, Torsion jeweils schwingend oder schwellend − mit duktilem Restgewaltbruch − mit sprödem Restgewaltbruch 3. Brüche unter thermischer Zusatzbeanspruchung − Warmsprödbrüche (Blaubruch, Rotbruch) − Kriechbrüche (Zeitstandbrüche) − Thermowechselrisse (Dehnungswechsel) − Thermoschockrisse − Wärmespannungsrisse (Härten, Schweissen, Schleifen) 4. Brüche unter zusätzlichen Medieneinflüssen − Spannungsrisskorrosion
98
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
− Schwingungsrisskorrosion − wasserstoffinduzierte Brüche − Flüssigmetallversprödung (Lötbrüchigkeit) 9.2.1 Untersuchungsverfahren Die Untersuchungsverfahren zur fraktographischen Bruchflächenbeurteilung sind grundsätzlich zu unterscheiden nach der Vorgehensweise und dem Instrumentarium zur makrofraktographischen Bewertung und nach der erforderlichen Ausstattung für die mikrofraktographische Bruchflächenanalyse. Die Methodik und das Instrumentarium zur makrofraktographischen Beurteilung ist im wesentlichen identisch mit der Ausstattung, wie sie zur äußeren Beurteilung zur Anwendung kommt. Auch und gerade bei der makroskopischen Bruchflächenbeurteilung – der Makrofraktographie – kommt es auf die Erfassung kennzeichnender Bruchgefüge und Strukturen mit dem bloßen Auge und bei geringen Vergrößerungen (Lupe, Makroskop) an. Bei der Bewertung der Bruchflächen mit diesen Hilfsmitteln bilden sich wichtige Informationen ab, die bei höheren Vergrößerungen in Einzelheiten aufgelöst werden und damit nicht mehr zugänglich sind. Es gehören dazu: − − − −
Strähnen Rastlinien Anlauffarben und Bruchflächenbelegungen
In hohem Maße ist bei makrofraktographischen Beurteilungen und Dokumentationen der richtige Einsatz von Beleuchtungstechniken erforderlich. Je nach Beleuchtung und Aufnahmewinkel bei einer Fotodokumentation können z.B. Rastlinien ebenso wie andere auf unterschiedlichem Reflexionsvermögen des Gefüges beruhende Kennzeichen unterdrückt oder deutlich hervorgehoben werden. Auf diese Weise sind sogar Manipulationen von Untersuchungsergebnissen möglich und auch schon vorgekommen. Zusätzlich zu den Beleuchtungstechniken lassen sich insbesondere bei stark reflektierenden Oberflächen- und Bruchgefügen Überstrahlungen durch andere Hilfsmittel, wie z.B. ein Vermattungsspray, vermeiden. Die mikrofraktographische Beurteilung von Bruchflächen beginnt etwa bei 20-facher Vergrößerung und reicht bis zur 2000-fachen, zuweilen auch 10.000-fachen Vergrößerung. Höhere Vergrößerungen sind bei Bruchflächenbeurteilungen im allgemeinen nicht mehr zielführend, da diese zumeist keine eindeutig kennzeichnenden Merkmale zusätzlich erkennen lassen. Die Mikrofraktographie ist in sinnvoller Weise erst möglich geworden durch die Einführung des Rasterelektronenmikroskops. Gegenüber der lichtoptischen Betrachtung ist die Schärfentiefe beim Rasterelektronenmikroskop um das etwa 103-fache gesteigert. Dadurch wird es möglich, vollständige Oberflächentopographien einer Betrachtung auch bei höheren Vergrößerungen zugänglich zu machen. Im Rasterelektronenmikroskop (Bild 9-13) wird die Vergrößerung nicht durch direkte Abbildung über ein Linsensystem wie im Lichtmikroskop oder im Durchstrahlungselektronenmikroskop erzeugt, sondern durch die Übertragung der aus einer Abrasterung einer Probe mit kleinen Zeilenlängen gewonnenen Signale auf die großen Zeilenlängen eines Bildschirms.
9.2 Fraktographie
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Bild 9-13. Blockschaltbild zur Wirkungsweise des Rasterelektronenmikroskops
Das Rasterelektronenmikroskop besteht aus einer Elektronenkanone, durch die Elektronen mit einer Spannung von 1 – 50 kV in einer evakuierten Säule beschleunigt werden. Mit Hilfe von Kondensorlinsen werden die Elektronen zu einem feinen Elektronenstrahl von ungefähr 5 nm Durchmesser gebündelt und auf die Präparatoberfläche fokussiert. Durch Ablenkspulen in der untersten Kondensorlinse wird der Elektronenstrahl mit über 1.000 Zeilen rasterförmig über den Bereich der Präparatoberfläche geführt. Von der Präparatoberfläche treten schnelle rückgestreute Primärelektronen (Rückstreuelektronen) und langsame ausgelöste Sekundärelektronen aus. Die beiden Elektronenarten werden von entsprechenden Elektronenkollektoren aufgefangen und zu Signalen verarbeitet. Über eine Verstärkeranordnung wird durch das jeweils ausgewählte Signal die Helligkeit des Abbildungsstrahls der Bildröhre gesteuert, wobei die Ablenkung der Bildröhre synchron mit der Ablenkung des Primärelektronenstrahls auf der Probe läuft. Damit ist jeder Punkt des abgerasterten Bereichs auf der Probe eindeutig einem Punkt auf dem Leuchtschirm der Bildröhre zugeordnet. Die Vergrößerung ergibt sich einfach aus dem Verhältnis der Zeilenlänge (A) auf dem Leuchtschirm zu derjenigen (a) auf der Probe (Bild 9-13). Durch Veränderung der Zeilenlänge auf dem Objekt und damit des Übersetzungsverhältnisses bei konstanter Zeilenlänge auf dem Leuchtschirm lassen sich stufenlos veränderliche Vergrößerungen von 20 : 1 bis ungefähr 100.000 : 1 erreichen, wobei für die Fraktographie die nützlichen Vergrößerungen bis zu etwa 10.000 : 1 reichen. Bei der Mikrofraktographie erfolgt die Abbildung, wegen der dadurch gegebenen höheren Auflösung, meist mit Hilfe des Sekundärelektronensignales. An Schadenteilen sind Einzelheiten der Bruchflächen zuweilen durch Verschmutzung, Korrosion und Verzunderung überdeckt. Im besonderen Maße können dadurch mikrofraktographische Beurteilungen erschwert oder verhindert werden, aber auch die makrofraktographische Beurteilung kann eine Beeinträchtigung erfahren. Die Reinigung der Bruchflächen läßt sich nur mit äußerster Vorsicht vornehmen, da durch die Reinigung wichtige Merkmale verändert oder verfälscht werden können. In vielen Fällen hat sich zur Reinigung das Arbeiten mit Zitronensäure bewährt. Auch die Anwendung der Ultraschallreinigung kann vorteilhaft sein.
100
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
9.2.2 Makrofraktographische Bruchmerkmale Unter den makrofraktographischen Bruchmerkmalen ist zunächst das Ausmaß der äußeren Verformung von verformungslos bis stark verformt zu nennen. Sodann ist die Lage der Bruchfläche zur Axialrichtung des Bauteils bedeutsam, um entweder bei bekanntem Werkstoffverhalten eine Aussage über Art und Richtung der bruchwirksamen Spannung treffen zu können oder um bei bekannten Belastungsrichtungen das Werkstoffverhalten zu beurteilen. (vgl. Abschn. 9.1.2 ). Nach VDIRichtlinie 3822 wird die Lage der Bruchfläche angegeben mit quer, längs, schräg, radial, tagential und schraubenförmig. Die Topographie der Bruchfläche bildet inhomogene Spannungszustände ab oder läßt Änderungen im Spannungszustand während des fortschreitenden Trennmechanismus erkennen. Als Begriffe zur Benennung der Topographie geben die VDI-Richtlinien 3822 an: eben, abgewinkelt, stufenförmig, fräserförmig, terrassenförmig, zerklüftet, kegelförmig, trichterförmig und faserig. Das Bruchgefüge charakterisiert die Oberfläche des Bruchs oder von Bruchabschnitten. Die Beschreibung erfolgt mit Hilfe der optischen Wirkung, d.h. mit Hilfe der Reflexion von matt über glitzernd bis glänzend. Die Körnung der Bruchfläche bzw. ihre Rauheit wird mit grobkörnig, feinkörnig, samtartig bis glatt bzw. verschmiert angegeben. Im Bruchgefüge lassen sich je nach den Bruchbedingungen und -mechanismen Texturen erkennen, deren wichtigsten die Begriffe beinhalten: Strähnen, Absätze und Rastlinien. Weiterhin sind als Merkmale von Bruchflächen zu nennen: Nebenrisse, Rißfelder und Bruchflächenbeläge.
9.2.2.1 Gewaltbrüche 1 Bruchlage Die Zuordnung der im vorangegangenen aufgeführten Bruchmerkmale zu den Bruchbedingungen und zu den Werkstoffeigenschaften gibt wichtige Hinweise zum Schadenablauf. Im Fall des Gewaltbruchs gibt zunächst die Lage und der Verlauf der Bruchfläche im Bauteil, d.h. das Zerstörungsschema, einen Hinweis auf die Art der bruchwirksamen Spannung. Unter der Voraussetzung eines einachsigen Spannungszustands liegt die Bruchfläche bei duktilen Werkstoffen in der Ebene der größten Schubspannung. Bei sprödem Werkstoffverhalten dagegen verläuft die Bruchfläche in der Ebene der größten Normalspannung. Die Zuordnung der vier Grundarten des Kraftangriffs, Zug, Druck, Biegung und Torsion, zu der Lage der Bruchflächen geht aus Bild 9-14 hervor. Während in glatten Zug- und Druckproben die Spannungen homogen über den Querschnitt verteilt sind, liegt bei Biegung und Torsion eine inhomogene Spannungsverteilung mit einer zum Rand ansteigenden Spannung vor. Inhomogene Spannungsverteilungen mit Spannungsüberhöhungen sind aber auch geometriebedingt an Kerben durch Querschnittsänderungen, wie z.B. Bohrungen, Nuten und Absätzen, gegeben. Rißspitzen bei Anrissen stellen Extremfälle scharfer Kerben mit entsprechend hohen Spannungskonzentrationen dar (vgl. Abschn. 5.2.3 und 11.2.2).
9.2 Fraktographie
101
Bild 9-14. Zerstörungsschemata (Lage der Bruchflächen) bei unterschiedlichem Werkstoffverhalten und verschiedenen Grundbeanspruchungen
Allgemein entstehen inhomogene Spannungsverteilungen beim Angriff von Kräften aus unterschiedlichen Richtungen. Diese Fälle bedeuten eine Abweichung vom einachsigen Spannungszustand und gegenüber diesem unter den Bedingungen von Zugspannungen ein zunehmend spröderes Werkstoffverhalten. Der Spannungszustand wird durch die Mehrachsigkeitszahl κ, die zwischen 0 und 1 liegt, ausgedrückt. Zunehmendes κ bedeutet ein zunehmend spröderes Verhalten. Bei einachsiger Zugbeanspruchung beträgt κ = 0, bei allseitiger Zugbeanspruchung beträgt κ = 1 (Bild 9-15). Art des Spannungszustandes
σ1
einachsig
≠ 0
zweiachsig
≠ 0
dreiachsig
≠ 0
σ2
σ3
Bemerkung
0
0
≠
0
0
≠
0
≠ 0
hydrostatisch
σ1
=
σ2
= σ3
reiner Schub
σ1
= - σ2
rotationssymetrisch
≠ 0
mittelwertig
≠ 0
σ2 σ2 = (σ1 + σ3 )/2
0
σv = 0 σm = 0
= σ3 ≠ 0
Bild 9-15. Spannungszustände an einem kubischen Volumenelement
σ2 = 0
102
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Unter allseitigem Druck wird der Schubspannungsanteil im Werkstoff erhöht und damit dessen Neigung zum Zähbruch. Diese Tatsache wird nutzbar gemacht beim Druckumformen, wie z.B. beim Fließpressen und Strangpressen. Selbst spröde Werkstoffe können auf diese Weise noch etwas Duktilität erhalten. Für Bauteile unter Betriebsbeanspruchung bedeutet die dargestellte Abhängigkeit des Bruch- bzw. Verformungsverhaltens von der Bauteilgeometrie, daß je nach der Bauteilgestaltung unterschiedlich inhomogene Spannungszustände vorliegen und damit bei gleichen Werkstoffeigenschaften unterschiedliche Sprödbruchneigung gegeben ist. Gegenüber glatten Bauteilen wird folglich die Gefahr des spröden Versagens an Kerben, Querschnittsübergängen, aber auch bei zunehmenden Bauteilquerschnitten vergrößert. Mit zunehmender Dicke wächst die Tendenz zur Bildung eines ebenen Formänderungszustands (ebener Dehnungszustand) entsprechend einem dreiachsigen Spannungszustand. Der ebene Spannungszustand liegt dann nur noch in Oberflächennähe vor. In der Mitte von ausreichend großen Querschnitten ergibt sich unter dem ebenen Dehnungszustand eine Formänderungsbehinderung. Es bildet sich in Probenmitte ein Normalspannungsbruch aus, der zur Oberfläche hin mehr oder weniger ausgeprägte Scherlippen besitzt (Bild 9-16). Mit zunehmender Dicke wird der in der Mitte der Probe beginnende Normalspannungsbruch entsprechend dem Spannungszustand größer, die Scherlippen werden kleiner, bis sich schließlich im Extremfall bei ausreichender Dicke der rein ebene Formänderungszustand ergibt und sich ein spröder Normalspannungsbruch einstellt (Bild 9-16). Am Gewaltbruch einer Pleuelstange als Folge eines Kolbenfressers lassen sich Scherlippen und ein in der Mitte des Querschnitts liegender Normalspannungsbruch infolge der Formänderungsbehinderung erkennen (Bild 9-17).
Bild 9-16. Verlauf der Bruchfläche in Abhängigkeit von der Bauteildicke mit Übergang vom Schubbruch zum Normalspannungsbruch. Zugeordnet ist der kritische Spannungsintensitätsfaktor Kc (vgl. Abschn. 11.2.2)
9.2 Fraktographie
103
Bild 9-17. Zuggewaltbruch einer Pleuelstange als Folge eines Kolbenfressers
Neben der dargestellten Versprödung unter mehrachsigen Spannungszuständen (Mehrachsigkeitsversprödung) wirkt sich auch eine Erhöhung der Beanspruchungsgeschwindigkeit in zunehmend spröderem Verhalten des Werkstoffs aus (Hochgeschwindigkeitsversprödung). So können sich unter schlagartiger Beanspruchung oder explosionsartigem Anstieg der Beanspruchungsgeschwindigkeit Sprödbrüche auch in duktilen Werkstoffen einstellen. Dieses Verhalten ist darauf zurückzuführen, daß die Gleitvorgänge im Werkstoff mit endlicher Geschwindigkeit ablaufen, also einer entsprechenden Zeit bedürfen. Übersteigt die Geschwindigkeit des Spannungsanstiegs die Grenzgeschwindigkeiten für die Gleitvorgänge, so können Spannungen nicht mehr durch die Gleitungen abgebaut werden und es entstehen folgerichtig Versprödungen. Bei bekannter Verformungsfähigkeit eines Werkstoffes läßt sich auf diesem Weg ein Rückschluß auf die Beanspruchungsgeschwindigkeit und damit z.B. auf Explosionen ziehen. Ebenfalls nimmt die Sprödigkeit des Werkstoffs mit fallenden Temperaturen zu, es stellt sich die Tieftemperaturversprödung ein. Auch diese Versprödungsart ist mit der Abnahme der Atombeweglichkeit im Gitter und damit mit der Zunahme der Widerstände gegen Platzwechselvorgänge im Rahmen von Gleitmechanismen zu verstehen. Die Folgen der Nichtbeachtung des Übergangs vom duktilen zum spröden Werkstoffverhalten mit fallenden Temperaturen läßt sich am Beispiel eines gebrochenen Kranhakens aufzeigen. Vor dem Einsatz ist der Kranhaken einer Belastungsprüfung unterzogen worden, die ohne Beanstandungen bestanden wurde. In einer kalten Nacht mit Temperaturen unterhalb von –20 °C ist beim Einschwimmen eines Brückenteils einer Donaubrücke bei Regensburg der Sprödbruch des Kranhakens mit erheblichen Folgeschäden aufgetreten. Gleichzeitig wird an diesem Beispiel deutlich, daß auch bei Abnahmeprüfungen und bei Inspektionen durch Nichtberücksichtigung bestimmter Betriebsumstände Fehler auftreten können, wodurch
104
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-18. Spröd gebrochener Kranhaken
die Wirksamkeit solcher Prüfungen fragwürdig wird (Bild 9-18, vgl. Abschn. 9.2.3.1). Nach der Betrachtung des Einflusses des Spannungszustandes sowie der Beanspruchungsbedingungen auf Bruchart und -lage einer Bruchfläche muß auf die Bedeutung des Werkstoffzustands bzw. der Werkstoffeigenschaften für das Bruchgeschehen eingegangen werden. Bei einem hochfesten Werkstoffzustand werden Schubspannungen nur noch bedingt oder überhaupt nicht mehr durch Gleitvorgänge im Werkstoff umgesetzt. Es werden in diesem Fall nur die Normalspannungen wirksam, die zu verformungslosen Trennbrüchen führen. Bei vollkommen spröden Werkstoffen, wie Keramik, finden keine Gleitvorgänge statt. Es können dort unabhängig vom Spannungszustand nur Normalspannungsbrüche ausgebildet werden. Eine Festigkeitssteigerung in einem metallischen Werkstoff durch Wärmebehandlung und/oder Kaltverformung bedeutet gleichzeitig eine Einschränkung des Formänderungsvermögens. Angreifende Kräfte werden dann u. U. nicht durch Gleitvorgänge abgebaut, sondern in Form elastischer Energie gespeichert, bis eine Entlastung durch einen spröden Gewaltbruch erfolgt (vgl. Abschn. 11.2.2). Anrisse, Querschnittsübergänge und Kerben sind damit in hochfesten Werkstoffen in bezug auf Bruchauslösung wesentlich kritischer zu sehen als in formänderungsfähigem Material. 2 Bruchgefüge Für den Werkstoffzustand und in Abhängigkeit davon für die Geschwindigkeit, mit der eine Bruchfront einen Querschnitt durchläuft, liefert das Korngefüge einer Bruchfläche wichtige Hinweise. Dieses Gefüge einer Bruchfläche läßt sich nach VDI-Richtlinie 3822 charakterisieren mit den Begriffen „glatt“, „samtartig“, „feinkörnig“ bis „grobkörnig“. Eine instabil und verformungslos den Querschnitt mit hoher Geschwindigkeit durchtrennende Bruchfront erzeugt ein samtartig feinkörniges Gefüge. Solche Gefüge werden insbesondere in feinkörnigen Werkstoffen hoher Härte und hoher Festigkeit gefunden. In ihrer Oberflächenrauheit haben diese Bruchgefüge oft starke Ähnlichkeit mit der samtartigen Oberfläche, wie sie sich auf Dauerbrüchen befindet, wodurch eine gewisse Verwechslungsgefahr besteht.
9.2 Fraktographie
105
Mit zunehmender Korngröße im Werkstoffgefüge nimmt auch die Grobkörnigkeit des Bruchgefüges zu. Dies ist leicht verständlich, da mikroskopisch die Bruchfront in ihrem Verlauf durch die richtungsabhängigen Eigenschaften von Korn zu Korn bestimmt wird und damit die Rauheit der Bruchoberfläche mit der Korngröße des Gefüges und den entsprechenden Orientierungen der Trennungen im Gefüge in Zusammenhang steht. Gefügebedingte Richtungswechsel einer Bruchfront korrelieren auch mit der Geschwindigkeit, mit der die Bruchfront durch den Werkstoff dringt. Bei sehr hohen Geschwindigkeiten erfährt die Bruchfront durch ihre hohe kinetische Energie weniger Ablenkungen als bei niedrigen Geschwindigkeiten. Eine mit sehr hoher Geschwindigkeit fortschreitende – mikrofraktographisch spaltflächige – Bruchfront ist sehr feinkörnig. Mit abnehmender Geschwindigkeit nehmen die Richtungswechsel und die Verformungsanteile zu. Die Bruchfläche wird grobkörniger, rauher und weist u.U. eine zunehmende Strähnigkeit in Richtung des Bruchfortschritts auf. Sehr deutlich wird dieser Zusammenhang bei sprödem Ausbreiten eines kritischen Risses, insbesondere in großen Querschnitten. So ist auf der im Sprödbruch zerborstenen Turbinenwelle (Bild 9-19, vgl. auch Bild 9-22 und 9-23) die sehr feinkörnige Bruchfläche des mit sehr hoher Geschwindigkeit (ca. 1000 m/s) gestarteten kritischen Risses zu erkennen (vgl. Abschn. 11.2.2). Mit zunehmenden Rißwiderständen und zunehmendem Abbau der elastischen Energie wird die Bruchfläche grober und strukturierter, entsprechend der sich vermindernden Rißfortschrittsgeschwindigkeit im Bauteil. Mikrofraktographisch entsprechen diesen makrofraktographischen Charakteristiken der Trennung eine Spaltflächigkeit im Startbereich des Risses und ein zunehmender Wabenanteil mit fortschreitend sich verlangsamender Bruchfront (vgl. Abschn. 9.2.3.1). Mit zunehmender Ausbreitung und Verlangsamung der Bruchfront und mit zunehmenden Verformungsanteilen bilden sich im makrofraktographischen Bruchgefüge Strähnen (Bruchlinien) ab, die die Ausbreitungsrichtung kennzeichnen. Die Unterschiede im Bruchgefüge entsprechend unterschiedlicher Rißfortschrittsgeschwindigkeit und unterschiedlicher Verformungsfähigkeit kommen
Bild 9-19. Bruchfläche eines spröd zerborstenen Turbinenläufers (Allianz)
106
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
an den Zahnausbrüchen an zwei vergleichbaren Ritzelwellen unterschiedlicher Festigkeit zum Ausdruck. Die eine Welle (Bild 9-20) ist vergleichsweise weich und verformungsfähig entsprechend einem sehr hoch angelassenen oder normalgeglühten Stahl. Das Bruchgefüge ist grobkörnig rauh mit deutlichen Graten und Strähnen in Bruchfortschrittsrichtung. Der Anrißbereich ist durch Absätze gekennzeichnet, die sich in den Strähnen fortsetzen. Eine andere Welle (Bild 9-21) liegt in höherfestem Zustand vor. Das Bruchgefüge des Zahnausbruchs ist feinkörnig, wobei auch hier, ausgehend von Absätzen
Bild 9-20. Zahnausbruch bei angelassenem – weichem – Werkstoff
Bild 9-21. Zahnausbruch bei höherfestem Werkstoff
9.2 Fraktographie
107
im Anrißbereich, Strähnen in Bruchfortschrittsrichtung abgebildet sind, jedoch weit weniger ausgeprägt als in dem Werkstoff niedrigerer Festigkeit. Im übrigen zeichnen sich bei diesem Ausbruch zwei muschelförmig flache konkav gewölbte Teilbruchflächen ab, die durch einen Grat getrennt sind. Es entspricht dies zwei Rißausgangsbereichen. An einer Vielnutwelle bildet sich in der Körnigkeit der Bruchfläche und den fächerförmig auseinanderlaufenden Strähnen der Bruchausgang a (Bild 9-22) und der Bruchfortschritt ab. Lage und Verlauf der Bruchfläche kennzeichnen hier einen spröden Torsionsgewaltbruch (vgl. Bild 9-14). Die Kohärenz zwischen Bruchgefüge und Verlauf der Bruchfläche im Bauteil in Abhängigkeit von unterschiedlichen Verformungsanteilen beim Trennmechanismus zeigt sich am Torsionsgewaltbruch einer genuteten Hohlwelle (Bild 9-23). Ausge-
Bild 9-22. Spröder Torsionsgewaltbruch mit sich verlangsamender Gewaltbruchfront
Bild 9-23. Spröder und im Verlauf (ab a) zunehmend duktil fortschreitender Torsionsgewaltbruch einer Hohlwelle
108
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
hend von einem von mehreren Teilanrissen ist ein unter 45° zur Längsachse liegender der Hauptnormalspannung folgender überwiegend spröder Torsionsbruch erfolgt. Im Verlauf des Bruchfortschritts hat die sich verlangsamende Bruchfront (ab a) zu einer duktilen in Schubspannungsrichtung – also senkrecht zur Längsachse liegenden – Torsionsbruchfläche geführt. Die Bruchgefüge beweisen diese unterschiedliche Duktilität mit einer zunehmenden Verschmierung und Einebnung des Rauheitsprofils der Bruchoberfläche. 3 Bruchtopographie Ausgeprägte Topographien von Bruchflächen in Form von Stufen, Absätzen und terrassenförmig gegliederten Trennungen entstehen durch Oberflächenfehler, wie Bearbeitungsspuren, oder durch richtungsabhängige Werkstoffeigenschaften, wie Texturen oder zeilige Gefügebestandteile. Unter solchen Gegebenheiten entstehen Anrisse an verschiedenen Stellen oder in verschiedenen Ebenen, die sich vereinigen und die zu Topographien führen, die mit den vorausgegangenen, in Abschn. 9.2.2 aufgeführten Begriffen beschrieben werden. Mehrere Anrisse, die sich durch die Kerbwirkung in den Nuten einer Vielnutwelle ergeben, vereinigen sich z.B. über spröde Torsionsgewaltbruchteilflächen zu einem fräserförmigen Aussehen der Trennung (vgl. Bild 9-30). Anrisse in verschiedenen Ebenen, wie sie z.B. bei gewalztem Material unter Beanspruchungen in Dickenrichtung entstehen können, führen durch ihre Vereinigung zu einem terrassenförmigen Aussehen der Bruchfläche (vgl. Bild 9-24).
9.2.2.2 Wechselbeanspruchungsbrüche (Schwingbrüche, Dauerbrüche) 1 Mechanismen Brüche unter Lastwechselbeanspruchungen werden allgemein als Dauerbrüche bezeichnet (vgl. Abschn. 11.2.4). Die Richtungen der Wechselbeanspruchung können dabei grundsätzlich den Richtungen des Lastangriffs entsprechen, wie sie im Zusammenhang mit den Gewaltbrüchen dargestellt wurden (vgl. Bild 9-14). Zum Un-
Bild 9-24. Vereinigung verschiedener Anrisse durch zeilenförmige Ungänzen zu einem Terrassenbruch
9.2 Fraktographie
109
terschied von diesen liegen jedoch die Kräfte unter schwellenden oder schwingenden Spannungsamplituden unterhalb der Streckgrenze. Ausnahmen können niederzyklische Dehnungswechselbeanspruchungen bilden (vgl. Bild 9-27). Unter solchen Wechselbeanspruchungen laufen mikroplastische Vorgänge ab und es werden dadurch Veränderungen in der Mikrostruktur des Werkstoffes bewirkt, die vielfach als Ermüdung bezeichnet werden. Damit wird der Pfad einer abschnittsweise vordringenden Trennung vorbereitet (vgl. Abschn. 9.2.3.3). Die Höhe der Wechselbeanspruchungsamplituden bestimmt dabei nach dem Wöhler-Schaubild die Anzahl der ertragbaren Lastwechsel, bis es zu der abschnittsweise vordringenden Bruchfront kommt. Damit wird ein Zeitfestigkeitsgebiet bis zu etwa 105 Lastwechsel und ein Dauerfestigkeitsgebiet 107 Lastwechsel unterschieden. In einem erweiterten Wöhler-Schaubild (Bild 9-25) wird neben der Wöhler-Linie noch eine Schadenslinie angegeben, bei deren Überschreitung eine definierte Wahrscheinlichkeit der Rißbildung gegeben ist, ohne daß diese Risse jedoch bei der jeweiligen Amplitude wachstumsfähig sind. Schließlich enthält dieses Schaubild noch eine Grenzlinie der Verformungsspuren. Dies bedeutet, daß oberhalb dieser Linie bei Gefügeuntersuchungen Spuren von Mikrogleitungen festzustellen sind (vgl. Bild 11-13). Die elementaren Gleitmechanismen durch Versetzungsgleiten auf definierten Gleitebenen führen an Hindernissen, wie z.B. Korngrenzen oder Ausscheidungen, zu einem Aufstau der ablaufenden Versetzungen. Die Breite von Gleitbändern, innerhalb derer der Ablauf von Versetzungen erfolgt, ist ein Maß für die mikroplastischen Vorgänge. Hat die Breite dieser Gleitbänder und damit die Höhe von elastischen Verspannungen einen kritischen Betrag erreicht, so führt dies zu Mikrorissen in Korndimensionen (Bild 9-26). An dynamisch beanspruchten Maschinenelementen lassen sich bei Vergleichsmessungen in Abhängigkeit von zunehmenden Betriebszeiten bzw. Lastwechselzahlen auch zunehmende Härten entsprechend der durch die Gleitmechanismen bewirkten Verfestigungsvorgänge beobachten. Dabei liegen die Härtezunahmen in Querschnittsübergängen der dort vorauseilenden Ermüdung folgend höher als z.B. in glatten Bauteilen.
Bild 9-25. Erweitertes Wöhler-Schaubild
110
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-26. Bildung eines Mikrorisses bei Erreichen einer kritischen Gleitbandbreite und der entsprechend zugeordneten Spannungskonzentration
Im Übergangsbereich zwischen Wechselbeanspruchungsbruch und Gewaltbruch liegen Bruchvorgänge unter langsamen Lastwechseln bzw. Dehnungswechselbeanspruchungen oberhalb der Streckgrenze (Low Cycle Fatique, LCF), bei denen makroskopisch bereits messbare Verformungen erkannt werden. Die unter solchen wechselnden Beanspruchungen im Gefüge erfolgenden Mechanismen werden zunächst durch eine Verfestigung des Werkstoffs infolge der Verformungsvorgänge deutlich. Nach Bildung elementarer Risse zeigt sich eine makroskopisch zunehmende Wechseldehnung, die auf die Mikrorisse im Gefüge zurückzuführen ist (Bild 9-27). 2 Schwingbruchgefüge Das abschnittsweise Vordringen eines Risses unter Wechselbeanspruchungen bildet sich im mikrofraktographischen Bild als Schwingstreifen ab, die makrofraktographisch nicht sichtbar sind (vgl. Abschn. 9.2.3.3). Makrofraktographisch wird das Schwingbruchgefüge gekennzeichnet durch ein feinkörniges, samtartiges Erscheinungsbild. Infolge der mit dem Vordringen der Bruchfront zunehmenden Spannungen im Restquerschnitt und damit auch an der Rißspitze, werden die Sprünge im
Bild 9-27. Mechanische Hysterese bei Dehnungswechseln oberhalb der Streckgrenze mit Verfestigung und folgender Entfestigung
9.2 Fraktographie
111
Fortschreiten des Wechselspannungsrisses größer, wodurch sich eine zunehmende Vergröberung des Bruchgefüges ergibt. Aus dem makrofraktographischen Bruchgefüge von Dauer- bzw. Schwingbrüchen sind eine Reihe bedeutsamer Informationen zu entnehmen. Zunächst zeigt sich aus der Lage der Bruchfläche im Bauteil die Beanspruchungsrichtung. Die Zuordnung zwischen Beanspruchung und Lage der Bruchfläche entspricht dabei der Lage von Sprödbrüchen (vgl. Bild 9-14). Aus Form und Lage der Dauer- und Restbruchfläche ergibt sich die Art der Wechselbeanspruchung im Fall von einseitiger Biegung, doppelseitiger Biegung und allseitiger Biegung (Bild 9-28). Rastlinien entstehen dann, wenn ein Wechselbeanspruchungsbruch unter Lastwechselkollektiven auf unterschiedlichen Beanspruchungshorizonten vordringt. Die nur mikrofraktographisch sichtbaren Schwingstreifen dagegen sind einzelnen Sprüngen der Bruchfront zuzuordnen und damit einzelnen oder wenigen Lastamplituden (Bild 9-29, vgl. Bild 9-76). Bei einem runden Querschnitt und bei einseitiger Biegung umschließt die konkave Seite der Krümmung der Rastlinien am Bruchanfang den Anrißbereich. In Abhängigkeit von der Höhe der Kerbwirkung am Umfang des runden Querschnitts ändert sich die Krümmung im Verlauf des Dauerbruchfortschritts. Ohne Kerbwirkung bleiben die Rastlinien konkav zum Bruchausgang geöffnet, bei schwacher Kerbwirkung verflacht deren Verlauf und bei hoher Kerbwirkung wechselt die Krümmung mit dem Bruchfortschritt von konkav zu konvex. Entsprechendes gilt für doppelseitige Biegung und umlaufende Biegung. Bei dieser dringen bei hoher Kerbwirkung die Rastlinien konzentrisch bis zu einem in der Mitte liegenden
Bild 9-28. Makrofraktographische Erscheinungsform von Dauerbrüchen. Belastungsart, Spannungshöhe und Kerbwirkung lassen sich aus den Bruchbildern erkennen.
112
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-29. Beziehung zwischen makrofraktographisch sichtbaren Rastlinien und nur mikrofraktographisch auflösbaren Schwingungsstreifen
Restbruch vor. Analoge Schlüsse auf die Höhe von Umfangskerbwirkungen lassen sich auch bei rechteckigen Querschnitten ziehen. Geht das Rißwachstum bei einem Dauerbruch von mehreren Anrissen aus, so setzt sich die Bruchfläche aus mehreren Teilbruchflächen zusammen, die sich zunächst unabhängig voneinander bilden und sich durch den Restbruch vereinigen. Eine kennzeichnende Erscheinungsform für einen solchen Bruch ist z.B. der fräserförmige Bruch wie er an einer Kerbverzahnung oder einer Vielnutwelle dann entsteht, wenn sich zahlreiche Daueranrisse in den einzelnen Kerben bilden (Bild 9-30). Im allgemeinen wird davon ausgegangen, daß der Anriß, von dem ein Dauerbruch ausgeht, an der Oberfläche des Bauteils entsteht und dort bei Sicherheitsüberprüfungen auch erkannt werden kann. Dies jedoch ist durchaus nicht immer der Fall, da Werkstoffinhomogenitäten unter der Oberfläche ebenfalls zu Rißeinleitung
Bild 9-30. Fräserförmiger Bruch durch zahlreiche Daueranrisse in den Keilnuten einer Welle entstanden
9.2 Fraktographie
113
Bild 9-31. Dauerbruch mit Rastlinien ausgehend von einer Fehlstelle unterhalb der Oberfläche
und Rißwachstum führen können. Insbesondere besteht diese Gefahr bei Wälzbeanspruchungen, bei denen die Hauptschubwechselbeanspruchungen unter der Oberfläche liegen (Bild 9-31). Mit Bild 9-31 wird gleichzeitig deutlich, wie die rasterelektronenmikroskopische Betrachtung, die allgemein unter Mikrofraktographie eingeordnet wird, ohne scharfe Trennung ihren Anschluß an die Makrofraktographie findet. Die REM-Darstellung (Bild 9-31) läßt hier kennzeichnende Merkmale einer makrofraktographischen Beurteilung erkennen, wie sie mit einem Einschluß und Rastlinien vorliegen. Aufgrund der gegebenen Dimensionen allerdings erweist sich hier das REM als vorteilhaftes Hilfsmittel. 3 Restbruch Nachdem der tragende Querschnitt durch die einseitig, doppelseitig oder allseitig vordringende Schwingbruchfront soweit abgenommen hat, daß die Bruchfestigkeit überschritten wird, tritt der sog. Restbruch als Gewaltbruch ein. Dieser Gewaltbruch erfolgt wegen der hohen Kerbwirkung an der bis zum Restquerschnitt vorgedrungenen Schwingbruchfront im allgemeinen ohne starke Verformungen. Die Restbruchfläche hebt sich jedoch von der Schwingbruchfläche durch deutlich gröberes Bruchgefüge und oft durch eine zerklüftete Oberfläche ab. Vielfach wird angegeben, daß die Größe der Restbruchfläche die Höhe der Nennspannung widerspiegelt. Demnach ist bei hoher Nennspannung eine große Restbruchfläche zu erwarten. Eine kleine Restbruchfläche weist unter dieser Maßgabe nicht nur darauf hin, daß eine niedrige Nennspannung vorhanden ist, sondern daß auch die Auslösung des initialen Daueranrisses unter einer hohen örtlichen Spannungskonzentration erfolgt sein muß. Für die Gültigkeit dieser Regeln ist es erforderlich, daß Dauerbruchflächen von Bauteilen ähnlicher Dimension und von Werkstoffen ähnlicher Eigenschaftsbereiche für Härte, Festigkeit und Formänderungsvermögen betrachtet werden. Bei hochfesten Werkstoffen werden nur geringe Wechselgleitvorgänge ablaufen und somit eine Rißbildung unter Überschreitung der Wechselfestigkeit erst nach
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
vergleichsweise hohen Lastwechselzahlen erfolgen. Ist jedoch ein erster Anriß vorhanden, so werden die hohen Spannungskonzentrationen an der Rißspitze nicht mehr durch lokale plastische Vorgänge im Werkstoff abgebaut, sondern es kommt zu einer instabilen, d.h. spröden, Rißausbreitung (Kurvenzug 2, Bild 9-32). Anders läuft der Mechanismus bei einem weniger hochfesten, aber formänderungsfähigeren Werkstoff ab. Hier wird sich bei Überschreiten der ertragbaren Wechselbeanspruchungsamplitude bereits nach sehr viel geringeren Lastwechselzahlen als beim hochfesten Werkstoff ein Daueranriß bilden können. An der Rißspitze jedoch können sich keine so hohen Spannungskonzentrationen aufbauen wie in einem hochfesten Werkstoff, da durch plastische Vorgänge an der Rißspitze die hohe Spannungskonzentration abgebaut wird. Der Riß in einem solchen Werkstoff wächst bedeutend langsamer als in hochfestem Material und erreicht erst bei einer sehr viel größeren Länge eine kritische Größe, die den Restbruch auslöst (Kurvenzug 1, Bild 9-32). 4 Initialvorgänge und Schadenverhütung Die Lage des ersten Anrisses beim Dauerbruch und damit auch der Zeitpunkt der Rißeinleitung ist in erheblichem Maße durch örtliche Kerbwirkungen und die damit verbundenen Spannungskonzentrationen bestimmt. Querschnittsübergänge, Nuten, Keilverzahnungen, Bohrungen u.a. sind daher bevorzugte Ausgangspunkte für Daueranrisse. An glatten Oberflächen wird die Oberflächengüte bestimmend für den ersten Anriß, der sich an Bearbeitungsriefen oder Oberflächenbeschädigungen ebenso bildet wie an thermisch beeinflußten Stellen (vgl. Bild 5-3, Bild 5-10 und Bild 5-11).
Bild 9-32. Anrißbildung und Rißwachstum unter Wechselbelastung bei einem hochfesten Werkstoff (Kurve 2) und einem weniger festen duktilen Werkstoff (Kurve 1)
9.2 Fraktographie
115
Anrißauslösung und Rißfortschritt beim Dauerbruch erfolgen zwar stets unter einer Zugspannungskomponente, jedoch muß sich diese Spannung durchaus nicht immer unter der äußeren Lastspannung ergeben. Dauer- bzw. Schwingbrüche können durch thermisch induzierte Spannungen infolge von Temperaturwechseln ebenso entstehen wie durch Schweißeigenspannungen in dynamisch beanspruchten Bauteilen und durch Anschlußspannungen oder auch Spannungen infolge von Richtvorgängen. Schließlich können auch Spannungsfelder in auslaufenden Oberflächenhärtezonen zur Entstehung von Daueranrissen beitragen (vgl. Abschn. 9.1.2). Folgerichtig läßt sich die Wechselbelastbarkeit von Bauteilen erhöhen durch Steigerung der Oberflächengüte (Bild 9-33) und durch das Einbringen von Druckvorspannungen mittels Strahlen oder Rollen (Bild 9-34).
Bild 9-33. Einfluß der Oberflächengüte auf die Wechselfestigkeit im Verhältnis zur Zugfestigkeit (nach Kloos)
Bild 9-34. Einfluß von Druckvorspannungen in der Oberfläche (Oberflächenverfestigung) durch Rollen auf die Ausfallrate von Achsschenkeln unter Wechselbiegebeanspruchung (nach Kloos)
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Gleichzeitig bergen aber selbst solche Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit gegen Versagen durch Schwingbrüche wieder ein Risiko in sich wie nahezu alle technischen Vorkehrungen und Handlungen. So wurde zur Steigerung der Schwingfestigkeit die Öse zur Klappenbetätigung an einem Transportflugzeug einer Kugelstrahlbehandlung unterzogen. Durch eine zu starke Beaufschlagung mit Strahlgut wurden aber gerade durch diese Behandlung Risse in der Oberfläche erzeugt, die schließlich zur Auslösung eines Schwingbruches führten (Bild 9-35 a und b). Das Rollen von Gewinden bewirkt durch die dabei eingebrachten Druckvorspannungen eine signifikante Steigerung der Wechselfestigkeit von Schrauben. Aber auch hierbei können wieder Fehlstellen geschaffen werden, die schließlich zu einem Dauerbruch führen. So ist beim Rollen von Gewinden die Gefahr von Überwalzungen gegeben, die als Rißstarter wirken können (Bild 9-36) Druckspannungszonen sind unter Umständen sogar geeignet, fortschreitende Wechselbeanspruchungsrisse zum Stillstand zu bringen. So werden z.B. im Flugzeugbau um Nietlochbohrungen konzentrische Einprägungen (Sickungen) angebracht, um Anrisse, die von der Bohrung ausgehen, zum Stillstand zu bringen, wenn diese in die Druckspannungszone der Sickung einlaufen (Bild 9-37). Diese Maßnahme hat jedoch die Verformbarkeit bzw. die Festigkeit und Härte des Werkstoffs
Bild 9-35 a. Gebrochene Öse eines Steuerorgans für ein Flugzeug
Bild 9-35 b. Ursächlicher Anriß für den Ösenbruch durch zu starkes Kugelstrahlen
9.2 Fraktographie
a
117
a
Bild 9-36. Überwalzungen (a) in einem gerollten Gewinde für wechselfeste Schrauben
Bild 9-37. Auffangen eines Daueranrisses durch eine Druckvorspannungssicke
zu berücksichtigen. Bei zu großer Festigkeit und Härte kann die Einprägung einer Sicke zu Anrissen und damit wieder zur Auslösung von Brüchen führen. Kontakt- und Kraftübertragungsflächen, die örtlichen Überhöhungen von Tragkräften, z.B. durch Passungsfehler, ausgesetzt sind, erweisen sich infolge dieser lokalen Spannungserhöhungen als Schwachstellen, die bei dynamischer Beanspruchung Wechselbeanspruchungsrisse auslösen können. Exemplarisch steht dafür eine Schaufelbefestigung mit Hilfe eines Tannenbaumfußes, bei dem durch Verspannen in der Doppelpassung zusätzliche Kräfte auftreten, die zu Daueranrissen führten (Bild 9-38).
9.2.2.3 Brüche unter korrosiven Zusatzeinflüssen Alle zusätzlich zu der mechanischen Beanspruchung auf ein Bauteil wirkenden äußeren Einflüsse durch umgebende Medien verursachen ganz allgemein eine Verän-
Bild 9-38. Verspannungen und Anrißbildung im Tannenbaumfuß einer Dampfturbinenschaufel
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
derung des Werkstoffverhaltens unter mechanischer Belastung. Reaktionen mit der Werkstoffoberfläche und die daraus folgenden Vorgänge in Gefüge und Struktur sowie die Veränderung der Kohäsionskräfte beeinträchtigen die Formänderungsfähigkeiten und die Bruchfestigkeiten. In den makro- und auch mikrofraktographischen Erscheinungen der Schädigungs- bzw. Bruchmerkmale ergeben diese Zusatzeinflüsse oft kennzeichnende Merkmale in mehr oder weniger ausgeprägter Form. Zuweilen fehlen aber auch solche Merkmale im Bruchbild und sind erst durch andere weiterführende Untersuchungen zu erkennen. Für die Hypothese, daß Risse und Brüche unter Zusatzeinflüssen entstanden sind, ist es notwendig, das betriebliche Umfeld, dem die Komponente oder das Bauteil ausgesetzt ist oder war, so weit wie möglich zu klären. In jedem Fall besteht bei Vorhandensein reaktiver Medien in irgendeiner Form der Verdacht, daß diese Einflüsse zunächst mitwirksam für den Schaden anzusetzen sind. Entsprechende Nachweise sind dann neben den fraktographischen Untersuchungen je nach Lage des Falles mit Hilfe metallographischer Untersuchungen, Feinbereichsanalysen und Feinstrukturuntersuchungen zu führen. Der Einfluß korrosiver Medien auf Bauteile, während diese unter mechanischer Belastung stehen, kann im wesentlichen zu zwei Versagensarten führen. Es sind dies die Spannungsrißkorrosion (SpRK) und die Schwingungsrißkorrosion (SwRK). 1 Spannungsrißkorrosion (SpRK) Die Spannungsrißkorrosion ist eine spezifische Korrosionsart, die dann auftritt, wenn ein spannungskorrosionsempfindlicher Werkstoff vorliegt, ein spezifisches Agens einwirkt und wenn Zugspannungen im Werkstoff gegeben sind (vgl. Abschn. 11.3.1). Gesichert erscheint heute, daß dieser korrosive Angriff an Unstetigkeiten auf der Oberfläche erfolgt, z.B. an Gleitstufen, die zu einem lokal eng begrenzten Aufreißen von Deckschichten führen. Aus dieser Tatsache geht hervor, daß die SpRK im allgemeinen auf solche Werkstoffe beschränkt ist, die gegen abtragende Korrosion durch Deckschichtbildung beständig sind (vgl. Abschn. 11.3 „Korrosionsverhalten“). Entsprechend fehlen in der Regel sichtbare Korrosionsprodukte und ein äußerer flächiger Angriff auf den Werkstoff. Unter der extrem scharfen mechanischen und „chemischen“ Kerbwirkung entstehen spröde Trennungen. Im makrofraktographischen Bild heben sich solche Trennungen durch Spannungsrißkorrosion deutlich von möglichen Restbruchbereichen ab (Bild 9-39). Kennzeichnend ist der Bruch an einem austenitischen Bandagendraht, der von einer Trennung infolge von Spannungsrisskorrosion (SpRK) ausgeht. Die dunkel erscheinende Bruchfläche (Bild 9-39) erstreckt sich normal zur anliegenden Zuspannung und ist ohne sichtbare Verformung erfolgt. Davon ausgehend ist der noch nicht durch SpRK geschädigte Restquerschnitt als duktiler Bruch mit Scherlippen entstanden. Ein weiteres Charakteristikum der durch SpRK entstandenen spröden Trennungen sind im Fall des transkristallinen Verlaufs vielfach kleine fächerförmige bzw. gefiedert erscheinende Absätze in Bruchausbreitungsrichtung. Beim Zusammentreffen von Rissen in mehreren Ebenen entstehen zuweilen auch stärker gegliederte Trennflächen (Bild 9-39). Die Mitwirkung einer SpRK-auslösenden Zusatzbeanspruchung ist allein durch die Bruchfläche indessen noch nicht ausreichend bewiesen und bedarf mindestens noch einer metallographischen Überprüfung (vgl. Abschn. 9.3). Im hier dargestell-
9.2 Fraktographie
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Bild 9-39. Bruchfläche durch SpRK an einem austenitischen kaltverfestigten Stahl
ten Fall zeigt sich im metallographischen Schliffbild, daß von der Oberfläche ausgehend kennzeichnend für SpRK sich verästelnde Risse vorlagen (Bild 9-40). SpRK kann sowohl transkristallin (z.B. austentische Stähle) wie auch interkristallin (z.B. unlegierte Stähle – in diesem Fall Laugensprödigkeit -und Aluminiumlegierungen) oder auch gemischt (z.B. Kupferbasislegierung) auftreten. Abhängig ist die Art der Risse von Legierung, Medium und Spannungshöhe. Die Notwendigkeit der Beachtung der äußeren Gegebenheiten bei der Festlegung auf den Befund, daß Spannungsrißkorrosion vorgelegen hat, läßt sich am Schaden an einem Auslaßventil einer Wasserleitung veranschaulichen. (Bild 9-41). Aufgrund des metallographischen Befundes am Zuleitungsrohr, das mit einem Außengewinde für die Befestigungsmutter versehen war, wurde Spannungsrißkorrosion als ursächlich angesehen. Die erforderlichen Spannungen wurden dabei
Bild 9-40. Schliff durch Spannungskorrosionsrisse nach Bild 9-39
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-41. Armatur mit Anriß im Wasserauslauf (B) und Bruch im Befestigungsgewinde (A)
in einem zu starken Anziehen der Mutter gesehen (A Bild 9-41). Nicht beachtet wurde, daß ebenfalls auch im Bereich des Mundstücks des Auslaßventils ein quer verlaufender Riß vorhanden war (B Bild 9-41). Ebenfalls konnten Deformationen des Auslaßrohrs festgestellt werden. Im metallographischen Befund zeigt der Riß im Auslaßrohr einen gleichartigen Verlauf wie der Riß im Bereich des Befestigungsgewindes. Im Auslaufrohr jedoch können keine Spannungen in Rohrlängsrichtung wirken, die Voraussetzung für SpRK sind und die durch Anschlußkräfte bewirkt sein könnten. Die Lage der Risse und Verformungen lassen vielmehr darauf schließen, daß durch Gewalteinwirkung, z.B. durch das Abstützen einer Person am Auslaufrohr, die Verformungen und die Risse entstanden sind. Für diese Hypothese spricht auch das Fehlen von Druckspuren an den Gewindeflanken des Befestigungsgewindes, wie sie bei einem zu starken Anziehen der Befestigungsmutter entstehen müßten. Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß die Armatur aus einer Kupfer-Zinklegierung G-CuZn37Pb besteht und daß aus diesem Werkstoff zahlreiche Armaturen im vorhandenen Wasserleitungsnetz gefertigt sind. Falls das Wasser spannungskorrosionsauslösend hätte sein können, müßten solche Schäden an zahlreichen anderen Stellen ebenfalls auftreten. Unabhängig davon wäre ein Wasser, das z.B. durch den Nitratgehalt Spannungskorrosionen auslösen kann, nicht mehr als Trinkwasser geeignet. 2 Wasserstoffinduzierte Rißbildung Bei der unter Einwirkung von Wasserstoff auftretenden Rißbildung ist zu unterscheiden nach der wasserstoffinduzierten Spannungsrißkorrosion (SpRK) oder der kathodischen SpRK und der wasserstoffinduzierten Rißkorrosion ohne Mitwirkung von Spannungen. Die Ableitung der Schadenart erfordert eine präzise Analyse des betrieblichen Umfelds, insbesondere die Klärung der Bedingungen zur Wasserstoffaufnahme und die Kenntnis des Werkstoffverhaltens unter diesen Voraussetzungen. Nach der Adsorption des Wasserstoffs ist es von untergeordneter Bedeutung, ob dieser elektrolytisch erzeugt wurde oder als kalter Druckwasserstoff gasförmig vorgelegen hat. Die Aufnahme des Wasserstoffs aus der Gasphase als Druckwasserstoff erfordert bei unlegierten und niedrig legierten Stählen Dehnungswechselbeanspruchungen. So kann z.B. an Druckbehältern für wasserstoffhaltige Gase, insbesondere an Rie-
9.2 Fraktographie
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fen oder anderen Kerbstellen, unter langsamen Füll- und Entleerungsprozessen die Adsorption von Wasserstoff erfolgen und zum Zerbersten der Behälter infolge wasserstoffinduzierter SpRK führen. Kubisch flächenzentrierte Stähle, d.h. austenitische Stähle, ebenso wie Kupferbasislegierungen sind weitgehend unempfindlich für diese Versagensart. Die wasserstoffinduzierte Rißbildung oder Wasserstoffversprödung, die ohne Mitwirkung von äußeren Spannungen erfolgt und zu spröden interkristallinen Rissen führt, entsteht, wenn durch elektrochemische Vorgänge, wie bei Beizprozessen, bei galvanischen Vorgängen oder u.U. auch beim Gasaufkohlen, sich atomarer Wasserstoff bildet, der dann entlang der Korngrenzen in das Werkstoffinnere dringt. Eine Rekombination des atomaren zu molekularem Wasserstoff, z.B. an nichtmetallischen Einschlüssen, sprengt die Korngrenzen und führt zu den kennzeichnenden interkristallinen Rissen (Bild 9-42). Makrofraktographisch haben rein interkristalline Bruchflächen oft eine ähnliche Morphologie wie Gußbruchflächen. Eine präzise Zuordnung des Charakters derartiger Trennungen bedarf auch hier wieder weiterer Untersuchungen mit Hilfe der Mikrofraktographie und der Metallographie (vgl. Abschn. 9.3). 3 Interkristalline Korrosion In korrosionsbeständigen Stählen kann z.B. durch Ausscheidung von Chromkarbiden an den Korngrenzen örtlich eine Chromverarmung und damit eine auf diese Bereiche lokalisierte Sensibilisierung gegenüber korrosivem Angriff entstehen. Solche Vorgänge laufen diffusionsgesteuert unter thermischen Einflüssen ab. Örtlich können solche Sensibilisierungen z.B. in Schweißeinflußzonen entstehen, die dadurch anfällig für interkristalline Korrosion werden. In einem derartig sensibilisierten Werkstoff finden an den Korngrenzen selektiv Reaktionen mit einem korrosiv wirkenden Medium statt, wodurch die Festigkeit drastisch vermindert bzw. der Werkstoffzusammenhang teilweise oder ganz aufgelöst werden kann. Je nach dem Ausmaß der Korngrenzenschwächung, kann sich unter mechanischer Beanspru-
Bild 9-42. Interkristalline Versprödung durch Wasserstoffaufnahme und Rekombination an einem nichtmetallischen Einschluß
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
chung eine spröde Trennung ausbilden, bis zum Extremfall einer Trennung, die nur noch den geschwächten Korngrenzen folgt und auch ohne äußere Spannung zu einem Kornzerfall, also einer Werkstoffauflösung führt. Die verformungslosen Brüche, die sich auf diese Weise ausbilden, haben sehr unregelmäßige Oberflächen mit Grabenfeldern und Nebenrissen. Das Bruchgefüge stellt sich in einer rauhen metallisch glänzenden bis matten Oberfläche dar, wobei ein sandartiges Herauslösen einzelner Körner zuweilen beobachtet werden kann (vgl. Abschn. 9.2.3 „Mikrofraktographie“). 4 Schwingungsrißkorrosion (SwRK) Im Gegensatz zur SpRK ist die SwRK nicht an spezifische Voraussetzungen bezüglich Werkstoff und Medium gebunden, sondern kann in allen reaktiven bzw. korrosiven feuchtigkeitshaltigen gasförmigen und flüssigen Umgebungen und an allen metallischen Werkstoffen auftreten. Das besondere Charakteristikum für SwRK ist, daß es dabei bei vielen Werkstoffen eine Dauerfestigkeit im strengen Sinn, d.h. in Form eines waagerechten Astes der Wöhler-Linie, nicht mehr gibt. Auch bei hohen Lastwechselzahlen oberhalb von 107, die als „dauerertragbar“ gelten, treten noch Schwingungsrißkorrosionsbrüche auf (Bild 9-43). Voraussetzung für das Auftreten der SwRK ist die Gleichzeitigkeit von dynamischer und korrosiver Beanspruchung. Eine Aufeinanderfolge von Korrosion und dynamischer Beanspruchung beeinflußt die Zahl der ertragbaren Lastwechsel in weit geringerem Maße als die gleichzeitige Einwirkung der korrosiven und mechanischen Belastung. Bei einer Aufeinanderfolge dieser Einflüsse wirken im wesentlichen Kerbeinflüsse von korrosiven Angriffen lebensdauerherabsetzend. Unter den Bedingungen der SwRK dagegen sind es die durch Wechselspannungen ausgelösten aktiven Mikrogleitungen, die an der Oberfläche durch austretende und in Tätigkeit befindliche Gleitbänder hoch aktive Bereiche schaffen. Durch die Anlagerung von Fremdatomionen aus einem aktiven Medium an die durch Wechselgleitungen aktivierte Metalloberfläche wird deren Energie erniedrigt und Gleitvorgänge ebenso wie Trennungen – also die Bildung freier Oberflächen – nach der AdsorptionsSprödbruch-Hypothese erleichtert (Bild 9-44). Beobachten läßt sich der Effekt adsorptiver Einwirkungen bei einer Belastung eines Zugstabes, z.B. aus unlegiertem Stahl, in einer Zugprüfmaschine an trockener Luft und im Vergleich dazu in einer polaren organischen Flüssigkeit. Bei der Belastung in der polaren Flüssigkeit zeigt sich aufgrund der Oberflächenadsorptionseffekte ein Abfallen der Streckgrenze im Vergleich zur Belastung an trockener Luft
Bild 9-43. Schematische Wöhlerlinien für einen ferritischen Werkstoff ohne und mit gleichzeitigem Korrosionseinfluß (Schwingungsrißkorrosion, SwRK)
9.2 Fraktographie
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Bild 9-44. Beeinflussung der Kraft F zur Rißausbreitung und zur Gleitlinienbildung durch Adsorptionseffekte. A = Matrixatom; B = adsorbiertes Fremdatom; C = Trennebene (Spaltebene); S = Gleitebene (Gleitband)
(Rehbinder-Effekt). Die Wirkung eines derartigen Effekts auf die Wechselfestigkeit von Bauteilen konnte bei der Einführung bestimmter insbesondere sulfidhaltiger Additive zur Verminderung des Verschleißes, z. B. an Hypoidverzahnungen beobachtet werden. Die Verschleißverminderung durch die Additive war nachhaltig gegeben. Es wurde jedoch beobachtet, daß die Zahnfußwechselfestigkeit nennenswert herabgesetzt war und es dadurch zu Zahnausbrüchen gekommen ist. Die Aktivierung der Korrosionsvorgänge in Mikrobezirken an der Oberfläche eines wechselbeanspruchten Bauteils dokumentiert sich, wenn während der Beanspruchung in einem Elektrolyten durch eine geeignete Anordnung das Elektropotential gemessen wird, das repräsentativ für das Auflösungsbestreben eines Metalls ist, in diesem speziellen Fall naturgemäß für das Auflösungsbestreben, das sich auf die aktiven Gleitbänder bzw. auf die Anrißoberfläche bezieht. Werden die elektrochemischen Messungen während einer Umlaufbiegebeanspruchung durchgeführt, so zeigt sich, daß nach dem Beginn der Beanspruchung und nach einer vom Werkstoff abhängigen Inkubationsperiode das Elektropotential bis zum Bruch des Bauteils absinkt. Nach dem Bruch zeigt sich eine gewisse Passivierung der Bruchund Bauteiloberfläche in einem Wiederanstieg des Potentials (Bild 9-45).
Bild 9-45. Verlauf des Elektropotentials wechselbeanspruchten Cr-Stahls in einem Elektrolyten von der Anrißbildung bis zum Bruch (nach Spähn)
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Die Schwingungsrißkorrosion im aktiven Zustand, d.h. an Systemen Werkstoff/ Medium, die nur eine geringe Fähigkeit zur Erneuerung der unter der mechanischen Beanspruchung gestörten Schutzschichten besitzen, zeigt Brüche, die von zahlreichen Anrissen an der Oberfläche ausgehen und daher bereits in ihrem makrofraktographischen Erscheinungsbild Hinweise auf diese Art des Versagens liefern. Beispielhaft ist der Schwingungskorrosionsbruch an einer Gebläseschaufel, die dem Medium Gichtgas unter Feuchtigkeitseinflüssen ausgesetzt war (Bild 9-46). Systeme Werkstoff/Medium, die dichte, stabile und festhaftende Schutzschichten bilden und Störungen in diesen Schutzschichten rasch auszuheilen vermögen, führen zu SwRK in passivem Zustand. Dauerbrüche unter diesen Bedingungen sind makroskopisch nur schwer von Dauerbruchflächen zu unterscheiden, die an Luft entstanden sind. Zum Nachweis von Schwingungsrißkorrosionsmechanismen sind dann wieder weiterführende Untersuchungen, insbesondere mikrofraktographische und Feinbereichsuntersuchungen erforderlich. Der Dauerbruch an einer Pumpenwelle aus dem Stahl X20Cr13 ist repräsentativ für eine Untersuchungsabfolge, die notwendig ist, um SwRK in diesem Fall nachzuweisen (vgl. Abschn. 8.3 und Bild 8-1 a und b). Wie ganz allgemein bei der Aufklärung von Schadenfällen ist es besonders bei Verdacht auf kombinierte bzw. komplexe Beanspruchungen, wie bei der SwRK, bedeutsam, im einzelnen zu analysieren, ob und worin sich die tatsächlichen Beanspruchungskomplexe, die ein vom Schaden betroffenes Bauteil gesehen hat, von den auslegungsgemäßen Daten unterscheiden, d.h. wie weit das Anforderungsprofil an ein Bauteil vom tatsächlich gegebenen Eigenschaftsprofil abweicht. Unter den Bedingungen der SwRK kann sich das Dauerfestigkeitsverhalten verschiedener Stähle im Vergleich zu ihrer Reihung an Luft völlig verändern oder sogar umkehren. So erfahren niedrig legierte Vergütungsstähle, die auf hohe Festigkeitswerte eingestellt wurden, unter SwRK-Beanspruchungsbedingungen einen drastischen Abfall ihrer ertragbaren Lastwechsel. Hoch legierte Stähle, insbesondere auch austenitische Stähle, deren Wechselfestigkeit an Luft unter derjenigen niedrig legierter Vergütungsstähle liegt, übertreffen diese jedoch unter SwRK-Bedingungen zum Teil beträchtlich. Grundsätzlich tritt Schwingungsrißkorrosion unter allen Korrosionsbedingungen auf, die auch ohne dynamische Beanspruchung zu einem Angriff auf der Bauteiloberfläche führen können (vgl. Abschn. 11.3). Druckvorspannungen in der Oberfläche, die allgemein die Wechselfestigkeit erhöhen, wirken auch unter SwRK-Bedingungen, von Ausnahmen abgesehen, positiv auf die Lebensdauer.
Bild 9-46. Bruch unter Schwingungsrißkorrosion im aktiven Zustand (Verdichterschaufel)
9.2 Fraktographie
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5 Grenzfälle Bauteile, die kraft- oder formschlüssig miteinander in Kontakt stehen, und geringen fortgesetzten, meist höherfrequenten Relativbewegungen unterworfen sind, zeigen äußerlich die Erscheinung der Reibkorrosion (vgl. Abschn. 9.1 „Äußere Beurteilung von Schadenteilen“. Auch unter diesen Bedingungen entstehen frische Metalloberflächen, die sehr reaktiv sind, wobei sie gleichzeitig unter dynamischer Beanspruchung stehen. Solche zu Anriß und Bruch führenden Versagensbedingungen sind grundsätzlich der SwRK vergleichbar. Auch dabei sind wiederum alle metallischen Werkstoffe anriß- und bruchgefährdet, ähnlich wie dies bei der SwRK beschrieben wurde. Kennzeichnend für Anrisse und Brüche, die sich durch Lockerung bilden, ist die Rißbildung an einer Welle-Nabe-Verbindung durch einen Preßsitz. Nach der Lockerung des Sitzes haben sich unter der Beanspruchung durch Relativbewegung der Bauteile Anrisse in mehreren Ebenen gebildet, die einem SwRK-Bruch im aktiven Zustand vergleichbar sind. Die korrosive Beanspruchung war in diesem Fall durch die Feuchteeinwirkung an der Umgebungsatmosphäre gegeben (Bild 9-47). Eine andere Grenze zur SwRK bilden Dehnungswechselrisse unter simultaner mechanischer und korrosiver Beanspruchung, wie z.B. in einem mit sauerstoffhaltigem Wasser beaufschlagten Ablaßrohr eines Hauptsammlers eines Kessels, der infolge von Wärmespannungen gleichzeitigen Dehnungswechseln unterworfen ist (Bild 9-48). Bei Beanspruchungen unter langsamen Dehnungswechseln wird die Bedeutung der Lastwechselfrequenz für Schädigungen durch Schwingungsrißkorrosion deutlich. Da der Korrosionsvorgang zeitabhängig abläuft, kommt bei langsamen Lastwechseln einem Lastwechselzyklus ein höherer Korrosionsanteil zu als bei sehr raschen Lastwechseln. Damit ergibt sich, daß der Anteil der Korrosion bei Schädigungen durch Schwingungsrißkorrosion bei langsamen Lastwechseln sehr viel größer als bei raschen Lastwechseln ist.
9.2.2.4 Thermisch beeinflußte Riß- und Bruchvorgänge Unter die thermisch beeinflußten Riß- und Bruchvorgänge sind zunächst Brüche unter konstanter äußerer mechanischer Belastung bei höheren Temperaturen einzu-
Bild 9-47. Reibrostspuren mit Dauerbruch und Daueranrissen an einer Welle-Nabeverbindung
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-48. Risse in einem mit sauerstoffhaltigen Wasser beaufschlagten Rohr unter langsamen Dehnungswechseln
ordnen. Es handelt sich dabei um die sog. Zeitstandbrüche (vgl. Abschn. 11.2.3). Weiter zählen dazu Bruchvorgänge unter langsam ablaufenden mechanischen Wechselbeanspruchungen, bei denen ebenfalls in den Lastphasen eine zeitabhängige Werkstoffschädigung ablaufen kann. Eine andere Art der thermisch beeinflußten Riß- und Bruchvorgänge sind Trennungen durch Wärmespannungen, wie sie bei einmaliger Einwirkung entstehen können. Dies ist der Fall bei Thermoschock- oder Härterissen.Thermisch bedingten Wechseldehnungen können zu Temperaturwechselrissen führen. Schließlich sind noch Rißbildungen beim Schweißen zu nennen, die jedoch auch wieder auf Wärme- bzw. Schrumpfspannungen zurückzuführen sind. Hier wird je nach dem Temperaturbereich der Rißentstehung zwischen Heißrissen und Kaltrissen unterschieden. 1 Zeitstandbrüche Bei Belastung metallischer Werkstoffe bei Raumtemperatur erfolgt im linear elastischen Bereich unterhalb der Streckgrenze eine elastische Dehnung des Werkstoffs, die ähnlich einer Federkennlinie proportional der anliegenden Kraft ist. Zu verstehen ist dieses Verhalten durch den Aufbau innerer elastischer Verspannungen, die mit den äußeren Kräften im Gleichgewicht stehen. Der Werkstoff erfährt somit eine mit der elastischen Dehnung einhergehende reversible Verfestigung. Der Betrag der elastischen Dehnung bleibt zeitlich unabhängig erhalten, solange die von außen anliegende Kraft unverändert konstant einwirkt (Bild 9-49). Bei höheren Temperaturen, d.h. bei Stählen oberhalb von 350 – 400 °C, bewirkt die thermische Einwirkung eine parallel zur Verfestigung ablaufende Entfestigung, so daß unter einer konstanten Last der Werkstoff sich zeitabhängig fortlaufend weiter dehnt, bis der Bruch eintritt (Bild 9-50). Der beschriebene Mechanismus bildet sich in einer Kriechkurve ab, mit der zugeordnet zu einer bestimmten Temperatur und Belastung der zeitabhängige Dehnungsverlauf angegeben wird. Die Kriechkurve zeigt dabei drei Bereiche, und zwar das Anfangskriechen bei Beginn der Beanspruchung, das Gleichmaßkriechen im stationären Zustand zwischen Verfestigungs- und
9.2 Fraktographie
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Bild 9-49. Proportionalität zwischen Kraft und Dehnung im Bereich der elast. Linie
Entfestigungsvorgängen und schließlich das Beschleunigungskriechen vor dem Kriechbruch. Das Kriechen ist lebensdauerbegrenzend bei allen heißgehenden Bauteilen und Komponenten, die statischen oder niederzyklischen Belastungen ausgesetzt sind. Niederzyklische Belastungen bewirken dabei höhere Schädigungsraten als statische. Dies läßt sich qualitativ aus der Kriechkurve verstehen, da fortlaufende Be- und Entlastungen das wiederholte Anlaufen der Kriechvorgänge bewirkt. Es wird dabei jedesmal wieder der Bereich des Anfangskriechens durchlaufen, der im Vergleich zum Gleichmaßkriechen höhere Kriechraten beinhaltet (Bild 9-50). Ein auf die Dauer stationäres Gleichmaßkriechen stellt sich unter diesen Bedingungen nicht ein. Unter mechanischen Beanspruchungen bei Temperaturen oberhalb ca. 30 % Ts (Schmelztemperatur in K) ergibt sich nicht mehr eine mit zunehmender Dehnung
Bild 9-50. Zeitabhängigkeit der Dehnung bei Kriechbeanspruchung, εi Anfangsdehnung,
ε Bruchdehnung, εs stationäre Kriechgeschwindigkeit
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
eintretende Erschöpfung des Formänderungsvermögens, die bei weiterer mechanischer Beanspruchung zum Gewaltbruch führt, sondern es stellt sich ein grundsätzlich anderer Schädigungsmechanismus ein. Unter fortlaufender Kriechdehnung wird der Kriechbruch durch die damit verbundene Querschnittsminderung ausgelöst. Es ergibt sich daraus als Merkmal des Kriech- bzw. Zeitstandbruchs, daß dieser eine hohe Gleichmaßdehnung zeigt und je nach Temperatur und Beanspruchungsbedingungen Trennflächen aufweisen kann, die außerordentlich dünn ausgezogen sind. Die Bruchflächen von Kriechbrüchen zeigen sich makroskopisch rauh und vielfach gezackt, mitunter ergibt sich so eine Morphologie ähnlich der von Gußbruchflächen. Mikrofraktographisch und metallographisch wird sichtbar, daß je nach Temperaturbereich die Trennungen mit hoher Duktilität unter Hohlraumbildung transkristallin und bei höheren Temperaturen (500 – 600 °C bei Stählen) interkristallin verlaufen. Dabei besteht jedoch auch noch eine gewisse Abhängigkeit des Bruchverlaufs von der Höhe der Beanspruchung. Rohrreißer weisen oft in repräsentativer Weise die beschriebenen Kennzeichen auf. Das Überhitzerrohr aus einem warmfesten Stahl 15Mo3 mit 25 mm Außendurchmesser aus einem Benson-Kessel ist auf einer Länge von 55 mm aufgerissen. Die ursprüngliche Wanddicke von 5 mm beträgt an den Rißflanken noch 1,2 mm. Der Rohrumfang bis zum Riß hat sich um 18 Prozent vergrößert (Bild 9-51). Eine Überschreitung der Zeitstandfestigkeit und dadurch bedingtes Reißen wird oft durch stetige Wanddickenschwächung und die dadurch bewirkte entsprechende Erhöhung der in Umfangsrichtung wirkenden Spannungen ausgelöst. Diese Tatsache ist insbesondere zu beachten, wenn bei der Klärung der Schadenursache z.B. der Anteil von Überhitzung und derjenige von einer steigenden Spannung infolge der Wanddickenschwächung zu betrachten ist, um differenziert die schadenauslösenden Einflüsse zu erkennen. An Bauteilen, wie z.B. Hochdruck-Heißdampfleitungen wird zur Verfolgung der Zeitstanddehnung die Zunahme des Rohrumfangs gemessen, die zur Gewährleistung der Sicherheit ein festgelegtes Maß nicht überschreiten darf. Andere Bauteile, die Zeitstandbelastungen unterworfen sind und die eine Erfassung zeitabhängiger Dehnungs-Schädigungsvorgänge erfordern, sind Dampf- und Gasturbinenschaufeln im Bereich hoher Temperaturen, ebenso wie Teilfugenschrauben und Gehäuse bzw. Gehäusekomponenten unter hohen Innendrücken. Aus dem Mechanismus des Schädigungsablaufs bei Zeitstandbeanspruchung läßt sich ableiten, daß Zeitstandschädigungen zur Erfassung ihrer Merkmale neben dem äußeren Befund und der makrofraktographischen Beurteilung die mikrofraktographische und metallographische Untersuchung erfordern.
Bild 9-51. Aufgerissenes Rohr durch Überschreiten der Zeitstandfestigkeit
9.2 Fraktographie
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2 Thermoschock- und Temperaturwechselrisse Wenn im stofflichen Zusammenhang befindliche benachbarte Bereiche eines Bauteils oder einer Komponente unterschiedlichen Temperaturen unterworfen werden, entstehen durch die Wärmedehnungen bzw. Dehnbehinderungen nicht unbeträchtliche thermisch induzierte Spannungen. Solche Spannungen können durch einmaligen schroffen Thermoschock auftreten und führen dann zu Thermoschockrissen. Bewirkt werden kann dies durch Auftreffen eines kalten Mediums, z.B. Wasser, auf eine hoch erwärmte Bauteiloberfläche, wie dies z.B. der Fall ist, wenn Einspritzwasser auf die Innenoberfläche von Einspritzkühlern auftrifft. Auch das Ablöschen eines erhitzten Motorblocks mit kaltem Wasser kann solche Thermoschockrisse hervorrufen. Die Entstehung von Härterissen beim Abschrecken größerer Bauteile, insbesondere aber an Querschnittsübergängen, folgt ebenfalls dem Mechanismus des Thermoschockrisses. Schließlich sind auch Schleifrisse dem Mechanismus der Thermoschockrisse zuzuordnen (vgl. Abschn. 9.1.2, Bild 9-2). Bei zu starkem Schleifdruck treten in der Oberfläche Temperaturspitzen auf, die infolge der Dehnbehinderungen in der Randzone zu Längsrissen an runden Bauteilen führen. Die Risse bilden sich insbesondere bei randschichtgehärteten Bauteilen, die in der Randzone entsprechend der Verfestigung praktisch keine Duktilität mehr besitzen. Liegen durch Temperaturwechsel bedingte Wechselspannungen vor, so können dabei Temperaturwechselrisse ausgelöst werden. Das Verhältnis Thermoschock- zu Temperaturwechselriß ist vergleichbar dem Verhältnis von Gewaltanriß zu Daueranriß. Die Temperaturwechselrisse werden mitunter auch unter den Begriff „thermische Ermüdung“ eingeordnet. Eine eindeutige Zuordnung der thermisch bedingten Rißbildung bedarf wieder eines Zusammenfügens der Ergebnisse mehrerer Untersuchungsschritte zu einem beweisbaren Befund. Am Bauteil selbst ist die Rißlage in bezug zu möglichen thermischen Ausdehnungen bzw. Dehnungsbehinderungen zu betrachten. An ebenen Platten stellen sich solche Risse oft als ein Netzwerk dar. Bei Bohrungen werden sie vielfach durch Umfangsspannungen an den Lochlaibungen bestimmt, wie am Beispiel der Innenoberfläche eines Sammlers mit strahlenförmig verlaufenden Rissen zu sehen ist (Bild 9-52). An aufgebrochenen Rissen zeigt die Rißflanke, ob ein abschnittsweises Vordringen unter
Bild 9-52. Innenoberfläche eines Sammlers mit Temperaturwechselrissen
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-53. Aufgebrochene Temperaturwechselrisse
Thermowechseln oder eine einmalige Spannungsspitze unter Thermoschock wirksam war. Die Risse auf der Sammleroberfläche manifestieren sich auf diese Weise als Thermowechselrisse (Bild 9-53). Bedingt durch die unter Wärmespannungen auftretenden Stauchungen und Dehnungen der betroffenen Oberflächenbereiche zeigen sich sowohl Thermoschockwie auch besonders Thermowechselrisse zur Oberfläche hin meist klaffend. Im metallographischen Befund (vgl. Abschn. 9.3.2.2) stellt sich der kennzeichnende Thermoschockriß im allgemeinen mit einer scharf auslaufenden Rißspitze dar. Zunder im Riß besitzt meist keine ausgeprägte Längsspaltung entlang einer definierten Mittellinie. Der Thermowechselriß zeigt dagegen an der Rißspitze Abrundungen durch die im Zuge der Wechselbeanspruchung dort auftretenden Fließvorgänge. Zunderfüllungen zeigen oft eine Längsspaltung. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß auch unter Temperaturwechselbeanspruchungen bei gleichzeitiger Einwirkung korrosiver Medien Thermowechselrisse auftreten können, bei denen der Trennvorgang nach Art des Mechanismus einer Schwingungsrißkorrosion unterstützt sein kann. Ein Beispiel dafür ist der Schadenfall an einem Ablaßrohr des Hauptsammlers eines Schmelzkammerkessels (vgl. Bild 9-48). In diesem Fall ist die korrosive Mitwirkung an den Auskolkungen der Risse infolge des korrosiven Mediums einwandfrei zu erkennen. Wie sich immer wieder beweist, treten in praktischen Schadenfällen oft Zwischenformen von Schadenbildern auf, die kombinierten Mechanismen zuzuordnen sind. So können auch Übergänge zwischen Thermowechseltrennungen und Brüchen bei niederzyklischen Beanspruchungen unter hohen Temperaturen fließend sein. Der Verlauf dieser Trennungen durch mechanische Belastungen bei höheren Temperaturen oder auch durch thermisch induzierte Spannungen kann je nach dem Temperaturniveau, bei dem die Rißbildung erfolgt, transkristallin, interkristallin oder gemischt erfolgen. Der Rißverlauf stellt somit für sich wieder ein Beweismittel für die bei der Auslösung des Schadens vorgelegene Temperatur dar. Die Bedeutung der Art der thermischen Beanspruchung für die Lebensdauer einer Anlage läßt sich anhand eines Schadens an einer Topfturbine veranschaulichen. An den Übergängen zu den Paßflächen zwischen Außen- und Innengehäuse sind
9.2 Fraktographie
131
Risse mit dem Charakter von Zeitstandtrennungen aufgetreten, bevor die auslegungsgemäße Lebensdauer erreicht worden ist. Die Aufklärung des Schadens war anhand der Informationen über die Betriebsweise der Turbine möglch. Nach ca. 90.000 Bh im Dauerbetrieb wurde die Maschine im fortlaufend wechselnden Sptizenlastbetrieb eingesetzt, wobei nach 20.000 Bh die schadengegenständlichen Risse auftraten. Durch die Wechselbeanspruchung war die Verkürzung der Lebensdauer begründet (vgl. Bild 9-50). 9.2.3 Mikrofraktographische Bruchmerkmale Die standardmäßig mit dem Rasterelektronenmikroskop durchgeführte Mikrofraktographie ist eine weiterführende und in vielen Fällen eine unverzichtbare Ergänzung zur äußeren Beurteilung und zur makrofraktographischen Untersuchung geworden. Mit Hilfe der Mikrofraktographie können die Schädigungsmerkmale in Bezug gesetzt werden zu ihrem Ablauf in Gefüge und Struktur des Werkstoffs. So läßt sich erkennen, wie weit der Werkstoff bei Einleitung und Fortschritt von Trennungen mehr oder weniger duktil bis spröde reagiert. Ebenfalls lassen sich die unter Wechselbeanspruchung in kleinen Schritten abschnittsweise vordringenden Trennungen deutlich von zügig erfolgten Trennungen unterscheiden. Wichtige Hinweise sind auch dem im mikrofraktographischen Bild sichtbaren trans- oder interkristallinen Verlauf zu entnehmen, insbesondere dann, wenn Mitwirkung von Korrosion oder erhöhten Temperaturen bei Einleitung und Entwicklung eines Schadens in Betracht zu ziehen ist. Schließlich ist über die mikrofraktographische Untersuchung hinaus der Einsatz des Rasterelektronenmikroskops (REM) zur Untersuchung der Mikromorphologie von Oberflächen zu erwähnen. Es lassen sich dadurch in Ergänzung zur äußeren Beurteilung oft wichtige Informationen gewinnen über die Art korrosiver Beanspruchung und über Verschleiß bzw. über Korrosionseinwirkungen (vgl. Abschn. 9.1.2 und 9.1.3).
9.2.3.1 Gewaltbrüche Die Gewaltbrüche sind entsprechend ihrer mikrofraktographischen Erscheinung als duktil, quasi spröde, spröde und schließlich als trans- oder interkristallin ausgewiesen. Wichtige Merkmale der Gewaltbruchflächen zur Kennzeichnung des Bruchcharakters sind Waben, Rosetten und Kämme, Spaltflächen und Korngrenzflächen. Die für den Bruchcharakter kennzeichnenden Entstehungsmechanismen der Bruchmerkmale seien im einzelnen betrachtet. 1 Waben Die Waben sind ein Merkmal für duktile Werkstoffe. Unter den im Werkstoff ablaufenden Gleitvorgängen und durch Gleitbehinderungen infolge des zunehmenden Versetzungsaufstaus an Hindernissen, wie Korngrenzen, und harten Phasen im Gefüge, wie z.B. Karbiden, bilden sich zunächst Hohlräume (Bild 9-54). Die Hohlräume vergrößern sich unter Zunahme der äußeren plastischen Dehnung, wobei zwischen den Hohlräumen Wände verbleiben. Diese Wände ziehen sich je nach dem Grad der Duktilität zu mehr oder weniger scharf ausgezogenen Schneiden aus, die schließlich zur Trennung führen. Die sich bildenden trichterför-
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-54 a, b. Entstehung von Spannungskonzentrationen und Mikrorißbildung durch Versetzungsreaktionen a Aufstau von Versetzungen an sich schneidenden Gleitebenen b Aufstau von Versetzungen vor einem Hindernis (z.B. Fremdphase oder Korngrenze)
Bild 9-55 a-c. Bildung der für duktile Werkstoffe kennzeichnenden Wabenstruktur a Zugwaben: auf beiden Bruchflächen gleichartig rund ausgebildet b Biegewaben: auf beiden Bruchflächen gleichsinnig nach einer Seite geöffnet c Schubwaben: auf beiden Bruchflächen gegensinnig geöffnet
migen Waben sind dabei in der Aufsicht rund oder einseitig geöffnet je nach den verursachenden Spannungen (Bild 9-55). Bei sehr reinen Einkristallen, wie z.B. einem Aluminium-Einkristall, entfällt die wabenförmige Morphologie im mikrofraktographischen Bild der Bruchfläche, da der sich ausziehende Restquerschnitt nicht mehr aus einer großen Zahl von Hohlräumen entsteht, sondern nur noch aus einer einzigen Schneide gebildet wird (Bild 9-56). Bei einem warmfesten Stahl, der zahlreiche Karbide im Gefüge aufweist, ist dagegen zu sehen, wie sich Hohlräume um die als Gleithindernisse wirkenden Karbide bilden. Die trichterförmigen Waben sind dann von den ausgezogenen Schneiden umgeben (Bild 9-57). Größe und Tiefe der Waben geben Hinweise auf das Verformungsvermögen des Werkstoffs. Sehr duktile Werkstoffe mit geringem Verfestigungsexponenten und entsprechend hoher Verformbarkeit bilden große und tiefe Waben. Abnehmendes Formänderungsvermögen bildet sich in kleiner werdenden und flacher verlaufenden Waben ab. Entsprechend zeigt sich die mit steigender Temperatur zunehmende Formänderungsfähigkeit eines Werkstoffs in einer gleichlaufenden Zunahme von Größe und Tiefe der Waben. Im Fall der Zeitstandbeanspruchung stehen dabei die Waben oft mit tiefen trichterförmigen Hohlräumen in Verbindung, die sich unter Kriechvorgängen vorzugsweise im Bereich der Korngrenzen bilden (Bild 9-58, vgl. Abschn. 9.3). Bei Zeitstandbeanspruchungen im oberen Temperaturbereich entstehen schließlich Korngrenzentrennungen durch das sog. viskose Korngrenzengleiten (vgl. Abschn. 9.2.3.1-4 und 9.2.3.3).
9.2 Fraktographie
Bild 9-56. Zur Schneide ausgezogener Gewaltbruch eines Al 99.999 Einkristalls
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Bild 9-57. Waben eines duktilen Gewaltbruchs eines warmfesten Stahls. Im Wabengrund sind Karbide sichtbar
Bild 9-58. Waben mit ausgeprägten Scherwänden aus Poren durch Kriechbeanspruchung (Zeitstandbruch)
Um Hinweise auf die bruchwirksame Beanspruchungsrichtung zu erhalten, ist bei Wabenbrüchen die Betrachtung der beiden Bruchhälften erforderlich. Während bei überwiegender Zugbeanspruchung die Waben vorzugsweise grübchenförmig rund (dimples) ausgebildet sind (Bild 9-55 a), findet bei Biegebeanspruchung eine Verzerrung und Öffnung der die Hohlräume umgebenden Grate in gleichsinniger Richtung auf beiden Bruchhälften statt (Bild 9-55 b). Im Fall einer Scherbeanspruchung bilden sich Waben, die sich auf den beiden Bruchhälften als
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-59. Scherwaben in einem ferritisch-austenitischen Werkstoff
gegensinnig verzerrt und geöffnet darstellen (Bild 9-55 c und 9-59). In gewalzten und in gezogenen Bauteilen führt die herstellungsbedingt zeilige Ausbildung des Gefüges ebenfalls zu einer Auswirkung auf die Waben, die dann eine dem Gefüge entsprechende gestreckte Form annehmen. 2 Rosettenbruchflächen Bei einer zunehmenden Einschränkung des Verformungsvermögens des Werkstoffs ergeben sich Bruchflächen, die durch rosettenförmige Trennungen gekennzeichnet sind. Solche Rosetten gehen von Zentren aus, in denen entweder Andeutungen von Waben oder Störungen im Werkstoffzusammenhang, z.B. durch Karbide, zu sehen sind. Wenn eine solche als Zentrum entstandene Anrißfläche eine kritische Größe erreicht hat, läuft von dort ein Riß über eine gewisse Entfernung unter so hoher Geschwindigkeit weiter, daß dabei nicht mehr der Mechanismus der sich bis zu Waben vergrößernden Hohlräume ablaufen kann. Der Riß läuft vielmehr von einem Zentrum meist mehr oder weniger konzentrisch in den umgebenden Werkstoffquerschnitt. Nach einer gewissen Länge einer solchen Rißausbreitung in einzelnen Bahnen wird die Trennung wieder aufgefangen, wobei ein Wabenfeld entsteht. Wölbungen in den
Bild 9-60. Ausbreitung eines Rosettenbruchs (Quasispaltbruch) Z = Zentrum, St = Stufen, K = Kämme, W = Wölbungen, Sch = Scherflächen, Wa = Waben
9.2 Fraktographie
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Bild 9-61. Kennzeichnende Mikromorphologie eines Rosettenbruchs
Bruchbahnen und Kämme zwischen diesen Bereichen machen eine gewisse Restduktilität des Werkstoffs sichtbar. In der Form der Rosettenbrüche läßt sich der beschriebene Mechanismus vollständig nachvollziehen (Bild 9-60 und Bild 9-61). Rosettenbrüche werden vorzugsweise bei vergüteten Stählen, insbesondere im höheren Festigkeitsbereich, beobachtet, wobei mit zunehmender Einschränkung der Formänderungsfähigkeit der Wabenanteil und die Verwölbungen sowie die Größe der Kämme abnehmen. Der Zusammenhang dieser mikromorphologischen Merkmale in Abhängigkeit von Bedingungen, die zunehmend spröderes Werkstoffverhalten hervorrufen, läßt sich sehr deutlich beobachten bei − sinkender Beanspruchungstemperatur − Erhöhung der Beanspruchungsgeschwindigkeit − Verschärfung geometrischer oder metallurgischer Kerben (Mehrachsigkeitsverprödung). 3 Spaltbrüche Ein zumindest makroskopisch vollkommen sprödes Verhalten eines metallischen Werkstoffs dokumentiert sich in sog. Spaltbrüchen. Diese spaltflächigen Trennungen folgen den kristallinen Ebenen in der Gitterstruktur des atomaren Aufbaus metallischer Werkstoffe (Bild 9-62). Die Entstehung solcher Spaltflächen ist vergleichbar einem Bruch, wie er beim Zerschlagen eines Kristalls entsteht, und der in seiner Morphologie durch die Art der Kristallstruktur bestimmt wird. Deutlich wird dieser Zusammenhang in der Art, wie sich im mikrofraktographischen Bild der Winkel zwischen zwei Kristallitebenen einer Kippgrenze abbildet (Bild 9-63). In gleicher Weise werden auch Zwillingsgrenzen durch Umlenkung des Bruchpfades sichtbar. Linienstrukturen in Spaltflächen entsprechen Stufen zwischen parallelen Ebenen, lassen aber gleichzeitig erkennen, daß bei Metallen selbst bei extrem sprödem Verhalten der Einleitung eines Bruches eine gewisse Versetzungsbewegung, d.h. gewisse Gleitvorgänge, vorausgehen müssen, wie aus der Theorie der Bruchauslösung belegt wird (vgl. Bild 9-54).
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-62. Orientierung der Trennung entlang kristallographischer Ebenen bei sprödem Bruch. Hier folgt die Trennung Kippgrenzen.
Bild 9-63. Kennzeichnende Mikromorphologie eines spaltflächigen Bruchs
Die im mikrofraktographischen Bild spaltflächige Bruchmorphologie ist kennzeichnend für Sprödbrüche, wie sie entstehen, wenn im bruchmechanischen Sinn eine kritische Rißgröße überschritten wird und eine instabil gewordene Bruchfront einen Restquerschnitt schlagartig durchtrennt. Dieser gefürchtete Vorgang führt zu katastrophalem Versagen und ist Gegenstand der bruchmechanischen Berechnung und Auslegung von Bauteilen (vgl. Abschn. 9.2.2.1, 5.2.3 und 11.2.2). Versprödend kann auch das Eindringen atomaren Wasserstoffs insbesondere bei höherfesten Werkstoffzuständen unter äußeren Zugspannungen wirken. Der Wasserstoff lagert sich dann im Bereich der Spannungsfelder, wie z.B. an Kerbstellen oder an Verunreinigungen an und behindert die Gleitfähigkeit von Versetzungen. In weiterer Folge werden Trennvorgänge mit sprödem Charakter und spaltbruchartiger Morphologie ausgelöst. Unter diesen Umständen kennzeichnen spaltbruchartige Trennflächen transkristalline wasserstoffinduzierte Spannungsrißkorrosion. Zu beachten ist, daß Spaltflächen stets transkristallin, also innerhalb des Kornvolumens, verlaufen, ebenso wie auch Waben- und Rosettenbrüche und daß diese nicht mit interkristallinen Brüchen verwechselt werden dürfen. 4 Interkristalline Brüche Bei interkristallinen Brüchen verläuft die Trennung entlang der Korngrenzen. Sie stehen also nicht in Verbindung mit konventionellen Gleitvorgängen, wie sie durch Versetzungsbewegungen auf kristallinen Ebenen bewirkt werden und die zu elastischer und plastischer Verformung führen. Die Verlagerung der Werkstoffreaktion unter Belastung und Überbelastung in die Korngrenzen stellt eine vom normalen Verhalten des Werkstoffs unter äußerer mechanischer Beanspruchung abweichende Reaktion dar. Gegenüber der Kornmatrix, d.h. gegenüber dem Kristallitvolumen im Korn, ist nun die Korngrenze zur Schwachstelle geworden, die unter der äußeren Belastung nachgibt. Eine solche Verlagerung von Formänderungen und vor allem
9.2 Fraktographie
137
von Trennvorgängen in die Korngrenze bedeutet grundsätzlich, daß durch veränderte Werkstoffeigenschaften oder durch Umgebungseinflüsse eine Beeinträchtigung des Werkstoffs stattgefunden hat, die gerade im Zusammenhang mit schadenauslösenden oder schadenbegünstigenden Einflüssen besondere Beachtung verdient. Die Herabsetzung der Korngrenzenfestigkeit kann auf vielfältige Einflüsse zurückzuführen sein, die zu ihrer Aufklärung einerseits meist eine Betrachtung des gesamten Schadenumfelds und andererseits weiterführender vertiefter Untersuchungen bedürfen. 4.1 Thermische Einflüsse Zunächst ist als Einfluß, der zu einem Abfall der Korngrenzflächenfestigkeit führt, das „Aufweichen“ der Korngrenzen bei höheren Temperaturen zu nennen. Die Temperatur, bei der eine Verlagerung der Gleit- und Trennvorgänge vom Kornvolumen in die Korngrenze erfolgt, wird als Äquikohäsivtemperatur bezeichnet. Bei Überschreiten dieser Temperatur laufen Verformungsvorgänge zunehmend durch viskoses Korngrenzengleiten bis zur Trennung entlang der Korngrenzen ab. Entsprechend diesem Mechanismus wird bei Kriechbrüchen beobachtet, daß mit steigenden Beanspruchungstemperaturen der Anteil interkristalliner Brüche zunimmt. Die Feststellung der Korngrenzenschädigung unter Kriechbeanspruchung läßt sich differenziert durch metallographische Untersuchungen erkennen (vgl. Abschn. 9.3.2.2). Rißbildungen durch thermisch induzierte Spannungen im Temperaturbereich des Aufschmelzens oder des Erstarrens und bei Temperaturen im Bereich der Stahlumwandlung Ferrit-Austenit-Ferrit sind ebenfalls durch interkristallinen Verlauf gekennzeichnet. Die Erstarrungs- und Umwandlungsspannungen liegen in Temperaturbereichen, die eine gegenüber der Matrix erheblich verminderte Korngrenzenfestigkeit bewirken bzw. im Fall der Erstarrungsvorgänge an den Korngrenzen noch flüssige Phase der Restschmelze aufrechterhalten. Entsprechend finden sich solche Risse an Gußstücken, insbesondere wenn die Restschmelze an den Korngrenzen angereichert ist mit Elementen wie Schwefel, Phosphor, Niob und Silizium. Sinngemäß erfolgt die Bildung von Heißrissen im Schweißgut oder im hoch erhitzten Bereich der Wärmeeinflußzone nach dem gleichartigen Mechanismus ebenfalls als interkristalline Trennung. Beim Abschrecken und beim Aufheizen über die Umwandlungstemperatur können thermisch induzierte Spannungen bei temperaturbedingt herabgesetzter Korngrenzenfestigkeit zu Trennungen führen, die sich entlang der Primärkorngrenzen (ehemalige Austenitkorngrenzen) orientieren. Entsprechend stellen sich Härterisse als interkristallin entlang ehemaliger Austenitkorngrenzen verlaufend dar (Bild 9-64). Die Morphologie in der mikrofraktographischen Abbildung ist bei Aufschmelzrissen durch eine gewisse Einformung der polygonen Korngrenzflächen zu abgerundeten Erscheinungsformen gekennzeichnet, wobei Porenbildungen auftreten. Durch Zugabe von karbidbildenden Elementen wird die Formänderungsfestigkeit, insbesondere bei höheren Temperaturen, sowohl im Korninneren wie auch an den Korngrenzen gesteigert. Die Wirkung der Karbide kann jedoch bei fehlerhafter Wärmebehandlung und/oder bei langzeitig hohen Temperatureinflüssen auch zu Karbidausscheidungen an den Korngrenzen führen, die dort über eine gewollte Verfestigung hinaus zu einer Warmversprödung führen. Derartig warmversprödete Werkstoffe brechen wiederum an den Korngrenzen und kennzeichnen
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-64. Interkristalliner Verlauf entlang ehemaliger Austenitkorngrenzen eines durch Abschreckspannungen erzeugten Risses (Härteriß)
diesen Versagensmechanismus durch eine Karbidbelegung an den Korngrenzflächen (Bild 9-65, vgl. Bild 9-113 a und 9-113 b). 4.2 Wasserstoffeinfluß Bei höherfesten Werkstoffzuständen und äußeren oder inneren Spannungen, speziell an Kerbstellen, dringt an der Oberfläche adsorbierter atomarer Wasserstoff, z.B. bei Beizprozessen oder galvanischen Behandlungen, bevorzugt entlang der Korngrenzen in den Werkstoffquerschnitt ein. Bei der Rekombination des atomaren zu molekularem Wasserstoff entstehen sehr hohe Drücke (ca. 103 bar), wodurch speziell im oberflächennahen Bereich die Korngrenzen aufgesprengt werden und inter-
Bild 9-65. Interkristalline Tennungen durch Karbidausscheidungen bei Gußstahl G – X 10 Cr 13
9.2 Fraktographie
139
Bild 9-66. Interkristalliner Bruchverlauf durch Wasserstoffversprödung an einem martensitgehärteten Vergütungsstahl
kristalline Brüche entstehen, die auf den Korngrenzen krähenfußartige Haarlinien und Poren aufweisen können (Bild 9-66). Es wird angegeben (B.V. Whiteson), daß im Fall der interkristallinen Spannungsrißkorrosion diese Haarlinien nicht oder nur weniger als bei der Wasserstoffversprödung ausgeprägt sind. Dennoch läßt sich allein aufgrund der Mikrofraktographie keine zweifelsfreie Zuordnung einer interkristallinen Trennung zu Spannungsrißkorrosion oder Wasserstoffversprödung vornehmen. Dies ist wieder nur durch Kenntnis der Schadenumstände und durch vertiefte Untersuchungen möglich. Die interkristalline Spannungsrißkorrosion wird hauptsächlich an unlegierten Stählen und an Al-Werkstoffen beobachtet (vgl. Abschn. 9.2.2.3). Bei wasserstoffinduzierter Rißbildung läßt sich auch feststellen, daß unter den erwähnten Bedingungen eine von der Oberfläche in den Querschnitt vordringende Trennung zunächst interkristallin verläuft, dann aber mit steigender Spannung im Restquerschnitt übergeht in einen quasi-spaltbruchartigen oder in einen spaltflächigen Bruchverlauf. Transkristalline Brüche werden unter dem Einfluß rekombinierenden Wasserstoffs bevorzugt im Inneren des Werkstoffs bei Anreicherung an Einschlüssen und Verunreinigungen ausgelöst (vgl. Bild 9-42). Die Gefahr der Wasserstoffadsorption an Oberflächen läßt sich bei Beizprozessen oder galvanischen Prozessen durch Verwendung geeigneter Inhibitoren vermindern. Umgekehrt wird die Wasserstoffanlagerung und die Aufnahme in den Werkstoff bei Anwesenheit von Promotoren, wie Schwefelwasserstoff oder Wasserstoffverbindungen des Phosphors und des Arsens, erheblich unterstützt. Durch eine Glühung nach Beizprozessen läßt sich aufgenommener Wasserstoff austreiben. Im Fall des Stahl sind dazu Temperaturen um 200 °C erforderlich. Auch unter der Einwirkung von Druckwasserstoff kann es zu Trennungen entlang der Korngrenzen kommen. Bei Stählen wird unter der Einwirkung von Druckwasserstoff, insbesondere oberhalb von 200 °C infolge des bevorzugten Diffusionsweges entlang der Korngrenzen der Korngrenzenzementit unter Methanbildung
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
nach der Reaktion Fe3C + 2H2 = 3Fe + CH4 aufgelöst. Die dabei entstehende interkristalline Rißigkeit hat Ähnlichkeit mit Trennungen unter Zeitstandbeanspruchung. Sie läßt sich jedoch bei Kenntnis der Schadenbedingungen davon unterscheiden. Ebenso sind bei Aufkohlungsprozessen in Methangasatmosphäre (Einsatzhärtungen) Schäden durch Wasserstoffaufnahme infolge der Zersetzung des Methans in Kohlenstoff – zur Aufkohlung – und Wasserstoff möglich. Da wasserstoffinduzierte Brüche sowohl trans- als auch interkristallin sein können, kann die Wertung dieses Merkmals nur ein Beitrag im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung der schadenursächlichen Einflüsse und Merkmalkombinationen aus verschiedenen Untersuchungsschritten sein. Eine weitere interkristalline Schädigungsart ist die sog. Wasserstoffkrankheit bei Kupfer, das nicht sauerstofffrei ist. Bei der Verarbeitung durch Hartlöten, z.B. im Generatorenbau, greift entstehender Wasserstoff Oxidsäume an den Korngrenzen an und führt unter Aufreißen durch Wasserdampfbildung zu einem interkristallinen Rißnetzwerk. Der Wasserstoff kann in diesen Fällen durch Dissoziation von Wasserdampf aus Kohlenwasserstoffen (Fettresten) oder reduzierenden Gasen stammen. Die Wasserdampfbildung verläuft nach der Reaktion Cu2O + H2 = 2Cu + H2O. In sauerstofffreiem Kupfer kann entsprechend diese Schadenart, die zu ihrem Nachweis einer metallographischen Untersuchung bedarf, nicht auftreten. 4.3 Korngrenzenkorrosion Zu den Korrosionsvorgängen, die im mikrofraktographischen Bild freigelegte Korngrenzflächen erkennen lassen, d.h. die zu interkristalliner Rißbildung führen, gehört die bereits erwähnte interkristalline bzw. kathodische Spannungsrißkorrosion (vgl. Abschn. 9.2.2.3). Bei diesem Mechanismus erfolgt die Risskeimbildung im Werkstoffinneren unter Einwirkung des korrosionsbedingt entstehenden Wasserstoffs. Eine andere Art der interkristallinen Trennung wird durch selektive Korrosion von Korngrenzen bewirkt. Bei austenitischen Chrom-Nickel-Stählen ergibt sich dieser Fall durch Verarmung des die Passivität bewirkenden Chroms an den Korngrenzen durch Chromkarbidbildung. Ein solcher Vorgang kann z.B. in Schweißeinflußzonen auftreten. Merkmale für diese Art von interkristallinen Trennungen können Korrosionsprodukte an Korngrenzen sein. Darüberhinaus läßt sich in Ergänzung zum rasterelektronenmikroskopischen Bild mit Hilfe der Elektronenstrahlmikroanalyse die Chromverarmung in den Korngrenzen nachweisen (vgl. Abschn. 11.1.2). Vermieden werden kann eine solche Korngrenzensensibilisierung bei korrosionsbeständigen austenitischen Stählen durch Absenkung des C-Gehalts oder durch die Kohlenstoffbindung an andere starke Karbidbildner, wie Titan und Niob. Selektive Korngrenzenkorrosion, die auch als Kornzerfall bezeichnet wird, tritt ebenfalls an ausscheidungshärtbaren Leichtmetallegierungen auf, wie AlZnMgund AlZnMgCu-Legierungen. 4.4 Flüssigmetallversprödung Die Aufzählung von Schädigungen, die sich im mikrofraktographischen Bild durch freigelegte Korngrenzen, also interkristallin, darstellen, ist nicht vollständig ohne die Betrachtung der Flüssigmetallversprödung oder Lötbrüchigkeit. Ihrer Natur nach entstehen solche Schäden bei Einwirkung flüssigen Metalls auf metallische Werkstoffe im festen Zustand, wie z.B. beim Verzinken, beim Ausgießen von Lager-
9.2 Fraktographie
141
Bild 9-67. Flüssigmetallversprödung durch Hartlot im Gewinde eines Stahlrohres
gehäusen oder beim Umgießen von Bolzen mit Lagermetall, beim Verschweißen austenitischer CrNi-Stahlbleche, die mit niedrigschmelzenden Metallen belegt waren, z.B. durch zinkstaubhaltige Farbe. Die Theorie der Flüssigmetallversprödung geht davon aus, daß durch das Einwirken und das Eindringen von Metallschmelzen die Oberflächenenergie herabgesetzt und damit die Rißeinleitung unter äußeren und/oder inneren Spannungen erheblich erleichtert wird. Entsprechend den bevorzugten Eindringpfaden entlang der Korngrenzen verläuft die Trennung überwiegend interkristallin (Bild 9-67, zur deutlichen Darstellung ist hier ein Schliffbild gezeigt, das eingedrunges Zink an den Korngrenzen erkennen läßt). Dennoch sind nach dem Mechanismus der Flüssigmetallversprödung auch transkristalline Rißverläufe, z.B. in Aluminiumlegierungen mit gestrecktem Korn, bekannt (vgl. Abschn. 9.3.2.3-9). In Stahl wurde eine Abhängigkeit der Bruchcharakteristik vom Kohlenstoffgehalt beobachtet. Die Einwirkung von Flüssigmetall führt nicht zwangsläufig zur katastrophalen Versprödung, sondern oft nur zu einer starken Erniedrigung der Duktilität. In jedem Fall ist die Schädigung durch Flüssigmetalleinwirkung deutlich durch die Benetzung der Bruchflächen mit Fremdmetall zu erkennen. Die Fremdmetallbelegung kann bei entsprechender Ausprägung schon bei makrofraktographischer Beurteilung deutlich werden. In Ergänzung zu der mikrofraktographischen Untersuchung wird ein solcher Nachweis zweckmäßig mit Hilfe der Metallographie und der Feinbereichsanalyse geführt (vgl. Abschn. 9.3.2 und 11.1.2). 4.5 Fallbeispiele für interkristalline Trennungen Die große Vielfalt von werkstoffbedingten Fehlern, von Fertigungseinflüssen und von Beanspruchungsarten, die zu interkristallinen Trennungen führen, läßt nur in Ausnahmefällen eine vollständige und zweifelsfreie Bestimmung schadenursächlicher oder schadenauslösender Faktoren allein durch das mikrofraktographische Bild zu. Umso bedeutsamer sind jedoch die Hinweise aus dem mikrofraktographischen Bild für den Ansatz weiterer Recherchen zum Schadenumfeld und die Durchführung weiterführender Untersuchungen. In hohem Maße gilt hier die allgemeine Regel sorgfältiger Schadenaufklärung, daß Teilergebnisse aus einem bestimmten Untersuchungsschritt erst in der Gesamtheit aller erforderlichen Unter-
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
suchungen zu schlüssigen Ableitungen von Schadenursachen führen. An einigen Beispielen soll dies aufgezeigt werden, wobei der Vermeidung von Fehlschlüssen besondere Bedeutung zukommt. 4.5.1 Ausscheidungsfreie Korngrenzensäume An einer ausscheidungshärtbaren AlCu-Legierung wird mikrofraktographisch eine ausgeprägt interkristallin verlaufende Trennung gefunden (Bild 9-68). Aufgrund dieses Bildes läßt sich zunächst vermuten, daß der Werkstoff spezifischen, in diesem Fall interkristalline Spannungsrißkorrosion auslösenden Medien ausgesetzt war. Dabei kommen in Frage Halogenidlösungen oder auch organische Medien, wie Alkohole, Ether und Öle. Bei höherer rasterelektronenmikroskopischer Vergrößerung fallen an den Korngrenzflächen bemerkenswerte Strukturen auf, die zwar sehr flach sind, jedoch Ähnlichkeit mit der Morphologie duktiler Brüche aufweisen (Bild 9-69). Um die Ursache dieser Erscheinung aufzuklären, sind Gefügeuntersuchungen notwendig. In diesem Fall wird dabei die Durchstrahlungselektronenmikroskopie herangezogen, um Art, Form und Verteilung von Ausscheidungen im Werkstoff festzustellen. Die Untersuchung ergibt, daß schmale Korngrenzenbereiche weitgehend ausscheidungsfrei geblieben sind und entsprechend eine nur vergleichsweise geringe Festigkeit in diesen Korngrenzensäumen vorliegt (Bild 9-70). Unter Einwirkung mechanischer Beanspruchung hat sich eine plastische Verformung bis zum Bruch nur in den sehr kleinen Volumenbereichen um die Korngrenzen ergeben, wodruch sich das Bild einer makroskopisch annähernd verformungsfreien Trennung ergab. Die Ursache dieses unter mechanischer Beanspruchung rein interkristallinen Versagens ist somit eine nicht werkstoffgerechte Wärmebehandlung zur Einstellung des richtigen Auscheidungszustandes der Legierung. 4.5.2 Bildung eines Korngrenzeneutektikums Der Bruch einer Gasturbinenschaufel aus einer Nickelbasislegierung läßt wiederum im mikrofraktographischen Bild ein interkristallines Bruchgefüge erkennen. Auch
Bild 9-68. Interkristalliner Bruch einer AlCu-Legierung
Bild 9-69. Wabenähnliche Morphologie auf den Korngrenzenflächen des interkristallinen Bruchs
9.2 Fraktographie
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Bild 9-70. Durchstrahlungselektronenmikroskopische Aufnahme der Ausscheidungsstruktur in der AlCu-Legierung nach Bild 9-68 und 9-69 in Korngrenzennähe (V = 30.000 x)
dieser Bruch ist makroskopisch verformungslos erfolgt. Auf den freigelegten Korngrenzflächen wird eine ungewöhnliche netzartige Struktur sichtbar. Weitere Hinweise zum Schadenmechanismus lassen sich in diesem Fall durch Feinbereichsanalysen auf den Korngrenzflächen erhalten (vgl. Abschn. 11.1.2). Es zeigt sich, daß in diesen Bereichen hohe Schwefelanteile vorliegen. Die Recherche nach der Herkunft des Schwefels führt zu dem Brennstoff für die Gasturbine, wobei sich herausstellt, daß ein mit hohen Schwefelverunreinigungen versetzter minderwertiger Brennstoff zur Anwendung gekommen ist. Die Schwefelanteile sind beim Betrieb vorzugsweise entlang der Korngrenzen in den Querschnitt eindiffundiert und haben Nickelsulfid gebildet. Das Nickelsulfideutektikum hat einen Schmelzpunkt von nur 645 °C. Bei den Betriebstemperaturen von 800 – 900 °C haben sich stellenweise Aufschmelzungen an den Korngrenzen ergeben, die zum Versagen des Bauteils führten (Bild 9-71). 4.5.3 Wasserstoffbildung im Schmierstoffspalt Durch das Versagen eines Hubschraubergetriebes ist es zu einem sehr folgenschweren Absturz bei einer Flugvorführung gekommen. Die Untersuchung des Getriebes ergab, daß an den hochbelasteten Zahnflanken zum Teil sehr starke pittingförmige Schädigung aufgetreten ist, die stellenweise zu Rissen und schließlich zu dem unfallverursachenden Ausbruch geführt hat. Das Auftreten der Ausbrüche war aufgrund der Laufzeit des Getriebes bei der gegebenen Belastung nicht erklärbar, da die Grübchenermüdungsfestigkeit bei weitem noch nicht erreicht sein konnte. Die rasterelektronenmikroskopische Untersuchung der zum Teil recht großflächen pittingartigen Ausbrüche zeigte im Untergrund ein interkristallines Bruchgefüge (Bild 9-72 und Bild 9-73). Dieses Erscheinungsbild weist darauf hin, daß es sich hier nicht um den üblichen Ermüdungsvorgang durch Schubwechselbeanspruchung handeln kann, der zur Pittingbildung führt. Bei diesen Mechanismen entstehen transkristalline Brüche, z. T. sogar mit Strukturen, die Schwingungsstreifen erkennen lassen (vgl. Abschn. 9.2.3.3 „Wechselbeanspruchungsbrüche“. Der interkristalline Verlauf der Trennun-
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-71. Bruchfläche einer Gasturbinenschaufel aus Ni-Basislegierung mit NickelsulfidKorngrenzeneutektikum
gen gab Veranlassung, weiterführende Untersuchungen, insbesondere aber Simulationsbeanspruchungen, zum Nachvollziehen der verschiedenen Hypothesen über den Schadenablauf durchzuführen. Als Ergebnis umfangreicher Untersuchungen war es möglich, als Schadenursache eine interkristalline Korngrenzenschädigung durch Wasserstoff nachzuweisen. Die Bildung des Wasserstoffs läßt sich auf die Bedingungen im Schmierspalt zwischen den Zahnflanken zurückführen. Das verwendete Öl war mit sulfidhaltigen Additiven versetzt. Darüber hinaus hatte dieses Öl einen nennenswerten Feuchtigkeitsgehalt. Unter den hohen Drücken und örtlich hohen Temperaturen im Schmierspalt sind die Bedingungen zur Bildung von atomarem Wasserstoff gegeben, der dann in den Oberflächenbereich eingedrungen ist und zu den beobachteten Ausbrüchen führen konnte.
Bild 9-72. Ausbrüche an Zahnflanke
9.2 Fraktographie
145
Bild 9-73. Trennfläche im Ausbruch nach Bild 9-72
9.2.3.2 Werkstoffehler Werkstoffehler in Form von Ungänzen, wie Poren, Lunker und Einschlüsse, ergeben im mikrofraktographischen Bild charakteristische Merkmale, die darauf beruhen, daß in mehr oder weniger ausgeprägter Form die Morphologie einer aus der Schmelze frei erstarrten Oberfläche sichtbar wird. Innerhalb eines Bruchverlaufs durch ein Werkstoffvolumen, das ursprünglich stoffschlüssig verbunden war, fallen solche Fehlstellen, bei denen bereits vor dem Bruch kein Werkstoffzusammenhang bestand, deutlich ins Auge. So heben sich die runden und glatten Formen eines unverschweißten Mikrolunkers mit dem dafür ursächlichen Belag auffallend vom Verlauf eines durch mechanische Überlast erzeugten Bruches ab (Bild 9-74). Ebenfalls zeigen sich in eindeutiger Weise die Schlackeneinschlüsse als Restschmelze zwischen den Dendritenarmen bei einem Gußstahl (Bild 9-75). In Bruchoberflächen können sich die durch Kornseigerung vorgezeichneten Bruchpfade deutlich abbilden (vgl. Bild 9-97 a und 9-97 b).
Bild 9-74. Unverschweißte Fehlstelle (Mikrolunker) im Werkstoffvolumen mit oxidischer Oberflächenbelegung
146
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-75. Schlackenhaltige Restschmelze zwischen den Dendritenarmen eines Gußstahls
Nach der Weiterverarbeitung durch Schmieden oder Walzen führen die mit Verunreinigungen angereicherten Bereiche zu einer zeiligen Anordnung im Gefüge (vgl. Abschn. 9.3 „Metallographie“).
9.2.3.3 Wechselbeanspruchungsbrüche Im mikrofraktographischen Bild lassen sich auch im Fall der Brüche durch zyklisch wechselnde Beanspruchung wieder zusätzliche Informationen zur Ergänzung grundlegender makrofraktographischer Befunde gewinnen. Die Aussagen aus dem mikrofraktographischen Bild beziehen sich vorzugsweise auf den Bruchausgang (vgl. Bild 9-31) auf die Spannungsamplituden im Bruchfortschritt und auf die Mitwirkung von Zusatzeinflüssen, insbesondere korrosiver Art. Die Informationen aus dem mikrofraktographischen Bild im Hinblick auf Einzelheiten des Bruchmechanismus sollten jedoch stets in Verbindung mit dem äußeren Befund und der makrofraktographischen Brucherscheinung gesehen werden. 1 Schwingstreifen Die in Abschn. 9.2.2.2 beschriebenen Vorgänge zur Bildung und zum Fortschritt eines Wechselbeanspruchungsrisses zeigen sich im mikrofraktographischen Bild in Form der Schwingstreifen – mitunter auch als Bruchlinien bezeichnet – ab (Bild 9-76). Die Schwingstreifen sind klar zu unterscheiden von den in Abschn. 9.2.2.2 genannten Rastlinien. Innerhalb einer Rastlinie sind die Abstände der Schwingstreifen annähernd gleich. Beim Überschreiten einer Rastlinie wird eine Änderung des Abstands der Schwingstreifen, bedingt durch unterschiedliche Amplitudenhöhen oder durch Frequenzänderungen, beobachtet (vgl. Bild 9-29). Im Vorstadium der Anrißbildung laufen unter Wechselbeanspruchung unterhalb der Streckgrenze mikroplastische Gleitvorgänge im Gefüge ab. Bei Erschöpfung des Formänderungsvermögens durch Akkumulation der mikroplastischen Vorgänge findet ein erster Anriß in Korndimension statt (vgl. Abschn. 9.2.2.2 und Bild 9-26). Durch Aufstau von Versetzungen auf verschiedenen Gleitebenen an Hindernissen
9.2 Fraktographie
147
Bild 9-76. Schwingstreifen (Bruchlinien) im mikrofraktographischen Bild eines Dauerbruchs an einer Al-Legierung
und durch die sich dabei aufbauende Spannung entsteht dabei der Rißkeim. Der Vorgang ist insoweit vergleichbar der Entstehung von Spannungskonzentrationen bei einsinniger Beanspruchung oberhalb der Streckgrenze (vgl. Bild 9-54). Oberhalb der Streckgrenze läuft dieser Mechanismus jedoch unter einmaliger Überbeanspruchung ab, unterhalb der Streckgrenze sind dazu je nach Amplitudenhöhe zahlreiche Lastwechsel erforderlich. Aus dem Verständnis dieses Mechanismus erklärt sich, daß der Anfangs- oder Protoriß einer Phase 1 zuzuordnen ist, das weitere Rißwachstum dagegen einer Phase 2 (Bild 9-77). Bei mikrofraktographischer Betrachtung – zuweilen aber auch schon makrofraktographisch – läßt sich am Rißausgang entsprechend der Phase 1 eine Schubspannungslippe oft nur in der Dimension eines Korns beobachten. Die weitere Ausbreitung des Wechselbeanspruchungs- bzw. Dauerrisses erfolgt dann entsprechend Phase 2 als Normalspannungsriß bzw. Bruch analog dem Verhalten eines spröden Werkstoffes. Damit bildet die Bruchfläche die
Bild 9-77. Verlauf einer Dauerbruchfläche unter Zugschwellbeanspruchung im Korngefüge mit: Rißbildungsstadium 1 entsprechend einem Schubspannungsbruch Rißbildungsstadium 2 entsprechend einem Normalspannungsbruch
148
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Tatsache ab, daß die Anrißbildung noch unter mehr oder weniger starken Verformungen erfolgt. Die Rißausbreitung jedoch unter den hohen Spannungskonzentrationen an der Rißspitze und der entsprechenden Gleitbehinderung makroskopisch spröde stattfindet. Bei kleinen Rißfortschrittsgeschwindigkeiten und damit bei niedrigen Spannungsamplituden kann der Abstand der Schwingstreifen auch mehreren Lastwechseln entsprechen. In einem mittleren Bereich der Rißfortschrittsgeschwindigkeit wird bei kubisch flächenzentrierten Metallen, insbesondere bei austenitischen Stählen, Aluminium und Nickelbasislegierungen eine gute Übereinstimmung zwischen dem Abstand der Schwingstreifen und der mittleren Rißverlängerung pro Lastwechsel festgestellt. Damit ist es zumindest in diesem Bereich annähernd möglich, durch integratives Abschätzen der Anzahl der Schwingstreifen auf die Anzahl der Lastwechsel vom Anriß bis zum Bruch zu schließen und bei bekannter Frequenz damit auch den Zeitpunkt der Anrißbildung grob zu schätzen (Bild 9-78). Mit zunehmenden Spannungsamplituden bilden sich insbesondere zum Restbruch hin Nebenrisse parallel zu den Schwingstreifen. Weiter ansteigende Spannungen bis zur Restbrucheinleitung haben zunehmend gewaltbruchartige Bruchgefüge zur Folge (Waben, Rosetten, Spaltbrüche). Bei kubisch raumzentrierten Strukturen, d.h. hier insbesondere bei ferritischen Stählen und dabei speziell wieder in vergütetem Zustand dieser Werkstoffe, ist die Ausbildung von Schwingstreifen vergleichsweise unregelmäßig und mitunter nur noch schwer im Hinblick auf Rißfortschrittsgeschwindigkeiten auszuwerten (Bild 9-79). Die fortschreitende Bruchfront, die durch die Schwingstreifen gekennzeichnet ist, wird infolge des vielkristallinen Gefüges in verschiedene Bahnen aufgeteilt. Die bei verformungsfähigen Materialien abgerundet erscheinenden Schwingstreifen erscheinen in spröden Werkstoffen kantiger und zeigen vielfach zwischen den Strei-
Bild 9-78. Lastwechsel-Rißverlängerungsdiagramm bei verschiedenen Lastamplituden zur Abschätzung eines Anrißzeitpunkts
9.2 Fraktographie
149
Bild 9-79. Unregelmäßige Ausprägung von Schwingstreifen in der Dauerbruchfläche eines vergüteten Cr-Stahls
fen Nebenrisse (Bild 9-80). Der spröde Schwingungsbruch dokumentiert sich darüberhinaus oft auch in einer bei höherer Vergrößerung sichtbar werdenden radialen Unterteilung der Schwingungsstreifen (Bild 9-81). Die mikrofraktographischen Erscheinungsformen von Schwingbrüchen lassen sich aus den Verständnis über das Zustandekommen der Schwingstreifen erklären. Unter Vernachlässigung der die Trennung bewirkenden Versetzungsreaktionen werden die Schwingstreifen als Folge von Aufweitung und Zusammendrücken der Riß-
Bild 9-80. Schematische Darstellung des Bruchgefüges und des Bruchflächenprofils von duktilen und spröden Schwingungsbrüchen a) duktile Schwingstreifen b) spröde Schwingstreifen
150
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-81. Spröde Schwingstreifen auf der Dauerbruchfläche eines Gußstahls V
flanken verstanden. Der Rißfortschritt wird der Aufweitungsphase zugeordnet. Beim Zusammendrücken erfolgt je nach Duktilität die Entstehung einer Stauchfalte. 2 Interkristalline Trennungen Ebenso wie bei einsinniger Beanspruchung ergeben sich auch unter Wechselbeanspruchung interkristalline Trennungen, wenn besondere Werkstoffzustände gegeben sind oder aber wenn Zusatzeinflüsse zur mechanischen Beanspruchung vorliegen (vgl. Abschn. 9.2.3.1). Entsprechend sind solche Morphologien das Signal, auf zusätzliche schadenrelevante Einflüsse neben der mechanischen Beanspruchung zu achten. So läßt eine solche Morphologie auf Schwingungsrißkorrosion als schadenauslösend oder schadenbegünstigend schließen. Das gleichzeitige Auftreten dynamischer und korrosiver Beanspruchung manifestiert sich im mikrofraktographischen Bruchbild durch das gemischte Auftreten von trans- und interkristallinen Anteilen. Die für den jeweiligen Werkstoff kennzeichnende Erscheinungsform der Schwingstreifen stellt sich vorzugsweise auf den transkristallinen Bereichen dar, wie im Beispiel des Schwingungsrißkorrosionsbruchs an einem vergüteten Stahl X20Cr13 (vgl. Kap. 8, Bild 8-1 b). Die freigelegten Korngrenzen im Bruchbild der Schwingungsrißkorrosion weisen Ähnlichkeit mit den Korngrenzentrennungen auf, wie sie unter entsprechenden Bedingungen bei Wasserstoffversprödung oder kathodischer Spannungsrißkorrosion entstehen können. Im Gegensatz zu den dabei entstehenden Trennungen, die nur in geringem Umfang transkistalline Trennungen enthalten, sind im Fall der Schwingungsrißkorrosion transkristalline Bereiche erkennbar, die sich über mehrere Korngrößen erstrecken. Nicht ganz gesichert ist die Ansicht, daß aus dem Verhältnis des trans- zum interkristallinen Anteil an der Trennung auf den Anteil der mechanischen Wechselbeanspruchung und der Korrosion Schlüsse möglich sind. Bei Temperaturen im Bereich des Kriechens bzw. bei Hochtemperaturplastizität verwischen sich zunehmend die mikromorphologischen Merkmale in der Bruchfläche, die auf ein abschnittsweises Vordringen der Trennung hindeuten. Diese Tatsache ergibt sich folgerichtig aus dem Mechanismus des Kriechens, bei dem im
9.2 Fraktographie
151
Gegensatz zur Wechselbeanspruchung unter Raumtemperatur die Verfestigung durch Wechselgleitungen infolge von Erholungs- und Rekristallisationsvorgängen wieder rückgängig gemacht wird. Die Kriechschädigung kann somit als ein bis zur Erschöpfung fortlaufender plastischer Prozess, wenn auch unter dynamischen Bedingungen, mit Unterbrechungen aufgefaßt werden. Lediglich im unteren Temperaturbereich lassen sich zuweilen noch schwingstreifenähnliche Muster erkennen, die darauf hindeuten, daß immer noch Verfestigungen stattgefunden haben. Das abschnittsweise Entstehen einer Trennung läßt sich jedoch oft sehr gut im makrofraktographischen Bild erkennen, da in zeitlicher Abhängigkeit die Trennflächen unterschiedlich dicke Beläge aufweisen. Damit zeigt sich wieder, daß zu einer schlüssigen Ableitung von Schadenabläufen die verschiedenen Untersuchungstechniken folgerichtig ineinanderzugreifen haben. 3 Fehldeutungen Fehldeutungen von streifigen Morphologien können sich dann ergeben, wenn eine Trennung durch perlitisches Gefüge läuft, wodurch die Ferrit- und die Zementitanteile eine schwingstreifenähnliche Erscheinung vortäuschen können (Bild 9-82 a und b). In ähnlicher Weise können sich in der Mikromorphologie einer Trennfläche auch geschnittene Martensitplatten auswirken (Bild 9-83 a und b). Unter bestimmten Umständen können auch durch Gleitbänder Schwingstreifen vorgetäuscht werden, insbesondere wenn freigelegte Korngrenzflächen vorliegen, auf denen eine solche Morphologie zutage tritt.
a
b
Bild 9.82 a, b a Schematische Darstellung einer Trennfläche durch plattenförmig im Perlitkorn angeordneten Zementit b Streifige Ausbildung des Perlits im Schliff (Aufnahme Acta Metallurgica)
152
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
a Bild 9-83 a. Entstehung einer Oberflächenmorphologie durch Martensitplatten Bild 9-83 b. Vorgetäuschte schwingstreifenähnliche Muster durch Martensitplatten
9.3 Metallographie Mit der Metallographie wird der Zustand und die Reaktion im Gefüge des Werkstoffs unter schadenwirksamen Beanspruchungen zugänglich gemacht. Die kennzeichnenden Merkmale eines Schadens auf Bauteiloberflächen und auf Bruchflächen werden durch die metallographische Untersuchung in Bezug gesetzt zu dem Gefüge, wie es sich im allgemeinen in Schnitten darstellt. In speziellen Fällen lassen sich auch auf Bauteiloberflächen, insbesondere auf vergleichsweise glatten Oberflächen, ohne und mit Vorbehandlungen durch Ätzen ebenfalls unterschiedliche Gefügezonen erkennen. Mit der Beziehung zwischen morphologischen Befunden an Oberflächen und Bruchflächen und dem Schadenbild im Werkstoffgefüge werden in vielen Fällen wichtige Erkenntnisse gewonnen, um schadenursächliche und schadenbegünstigende Einflüsse gezielt zu erkennen oder bestehende Vermutungen zunächst weiter einzugrenzen. Voraussetzung für aussagekräftige Ergebnisse ist die Beachtung der Regeln für die Probennahme und den Untersuchungsplan (vgl. Abschn. 8.3 und Abschn. 8.4). Die Schlifffläche erstreckt sich im allgemeinen senkrecht zur Bauteiloberfläche und/oder Bruchfläche. Dabei können die Schliffe als Längsschliffe parallel zur Längsachse eines Bauteils oder zu einer angenommenen Verformungsrichtung liegen. Querschliffe werden folgerichtig senkrecht zu den Längsschliffen entnommen. Darüber hinaus erweisen sich zusätzlich auch Oberflächenschliffe, die entsprechend eine Fläche parallel zur Oberfläche aufweisen, als aussagekräftig. Oft wird vergleichend die Betrachtung eines Längs- und Querschliffes zweckmäßig sein, um Richtungsabhängigkeiten im Werkstoff deutlich zu machen. Der Bezug von Verformungen, Seigerungen, Faser- und Rißverläufen zu der Bauteilgeometrie und dem Bruchverlauf läßt sich vorteilhaft im Makroschliff veranschaulichen. Im Mikroschliff stellt sich der Bezug von Form und Art einer Schädigung zu Ausbildung und Zusammensetzung des Korngefüges dar. Rißverläufe und Rißnetzwerke ebenso wie nichtmetallische Verunreinigungen heben sich im
b
9.3 Metallographie
153
ungeätzten Schliff klar und deutlich für eine Dokumentation ab. Mit der Ätzung werden dann insbesondere Trennungen mit Zustand und Form des Gefüges in einen Zusammenhang gestellt. Zum Herausarbeiten der für die Klärung von Schadenabläufen benötigten Merkmale sind je nach Sachlage unterschiedliche Ätzverfahren und in Abstimmung damit verschiedene lichtoptische Betrachtungs- und Aufnahmetechniken erforderlich. 9.3.1 Makroschliffe (Makroschnitte) Makroskopische Beurteilungen werden vorteilhaft unter Zuhilfenahme geeigneter Beleuchtungseinrichtungen mit dem unbewaffneten Auge und/oder mit dem Makroskop im allgemeinen bei Vergrößerungen bis 20x vorgenommen. Die Beurteilung eines Makroschliffs läßt sich mit den Untersuchungsergebnissen am Mikroschliff (vgl. Abschn. 9.3.2) in eine ähnliche Beziehung setzen wie die makrofraktographische Beurteilung mit der mikrofraktographischen. Zum vollständigen Bild gehört die Übersicht der sich im Bauteilschnitt abzeichnenden Zonen und Fehler, verbunden mit der lichtoptischen Gefügeuntersuchung zur Zuordnung von Einzelheiten.
9.3.1.1 Makroschliffe ungeätzt 1 Konturen Der ungeätzte Makroschliff als Schnitt durch das Bauteil mit äußerlich erkennbaren Schädigungen oder Oberflächenveränderungen ist besonders geeignet, um Form und Tiefe solcher Erscheinungen im Querschnitt zu erkennen. Eindrucksvoll läßt sich diese Darstellung an den Verquetschungen und Ausbiegungen der Verzahnung eines Ritzels und eines Gegenrads aus einem Ölpumpenantrieb einer Turbine dokumentieren (Bild 9-84). Die Vermutung eines zu weichen Werkstoffs oder Werkstoffzustands führt hier folgerichtig zu den weiteren Untersuchungsschritten bestehend aus Mikroschliff, Härtemessungen bzw. Härtereihen und chemischer Analyse. Im beschriebenen Fall hat sich herausgestellt, daß ein für solche Teile grundsätzlich
Bild 9-84. Makroschliff durch Ritzel und Gegenrad aus einem Ölpumpenantrieb mit starken Verquetschungen
154
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-85. Querschnitt durch Kühlbalken einer Rostfeuerung mit abgetragenem Bereich
geeigneter Stahl 38MnSi4 in weichgeglühtem Zustand ohne Oberflächenhärtung vorlag und damit das Anforderungsprofil insbesondere im Hinblick auf die Flächenpressung nicht erfüllt war. Bei der äußeren Beurteilung zeigte der Kühlbalken der Rostfeuerung eines Dampfkessels eine Ausbeulung auf der oberen, dem Feuer zugekehrten Kante. Im Makroschliff werden an dieser Stelle signifikante örtliche Abtragungen sichtbar (Bild 9-85). Zur weiteren Untersuchung wurde in diesem Fall durch Feinstrukturanalyse die Zunderzusammensetzung auf der Innenseite des abgetragenen Bereichs durchgeführt, wobei nur in diesem Bereich eine deutliche Verzunderung vorlag. Durch den Nachweis von Wüstit ließ sich dann auf Temperaturen im Schädigungsbereich zwischen 600 °C und 700 °C schließen (vgl. Abschn. 9.4). Das Gefüge bestätigte dort durch Koagulation des Perlits eine örtlich langzeitige Überhitzung bei Temperaturen von ungefähr 700 °C (Bild 9-86, vgl. Bild 9-87). Zusammen mit weiteren Indizien, wie
Bild 9-86. Gefüge des Kühlbalkens Bild 9-85 im abgetragenen Bereich
Bild 9-87. Gefüge des Kühlbalkens Bild 9-85 im nicht abgetragenen Bereich
9.3 Metallographie
155
Bild 9-88. Unterschiedliche Werkstoffreaktion an der Oberfläche eines Saugwendemantels in Abhängigkeit vom Gefügezustand einer Al-Bronze GC-CuAl 9.5 Ni
Wasserlinien auf der Innenwand des Kühlbalkens, läßt sich der Schaden im thermisch höchstbelasteten Bereich des Bauteils auf Wassermangel zurückführen. Zur Erfassung von Lage, Form und Verlauf von Abzehrungen, insbesondere an Kesselrohren, erweist sich der Makroschliff über den Rohrquerschnitt als vorteilhaft. Soweit die Aufgabe in der Aufnahme des Verlaufs der Konturen eines Bauteils besteht, kann man sich auch auf einen vorgeschliffenen Schnitt durch das Bauteil beschränken, von dem dann eine Abbildung durch einfachen Lichtabdruck auf Fotopapier hergestellt werden kann. Insbesondere bei Nichteisenmetallen und hier wieder speziell bei Cu-Basiswerkstoffen bilden sich auf den Außenflächen verschiedene Gefügebereiche, oft bereits ohne Ätzbehandlung, ab. Dies ist auf die Reaktion der Oberfläche mit der Atmosphäre und die hierbei differenziert entstehenden Oxidschichten bzw. dadurch bedingten Reflexionen zurückzuführen. Kennzeichnend dafür ist die äußere Erscheinung eines Trockenzylinders einer Papiermaschine, der apfelschimmelartige Flecken aufweist (Bild 9-88). Diese Erscheinung ist im hier erwähnten Fall der Schlüssel zum Ansatz weiterer Untersuchungen, mit denen dann die Schadenursache nachzuweisen war (vgl. Abschn. 14.3). 2 Volumenfehler Fehler im Vormaterial, wie in Blöcken und Brammen, aber auch im Formgebungsprozeß begründete Fehler führen zu Fehlstellen im Bauteil, die sich von der Oberfläche in die Tiefe des Querschnitts erstrecken oder die im Inneren des Querschnitts liegen. Zu den zum Teil bereits auf der Oberfläche sichtbaren Fehlern gehören Überwalzungen, Überschmiedungen, Einwalzungen, z.B. von Zunder, Eindrückungen und Ziehriefen. Ohne Verbindung zur Oberfläche treten im Inneren des Querschnitts Fehler hervor, wie unverschweißte Poren und Lunker, z.B. in Form von Dopplungen, Schmiedefalten oder durch den Formgebungsprozeß verursachte innere Aufreißungen.
156
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-89 a. Blasen in einem Stahlgußteil im Makroschliff
Bild 9-89 b. Blasen in einem Stahlgußteil in der Röntgendurchstrahlungsaufnahme
Schließlich können sich Wärmebehandlungsfehler sowohl an der Oberfläche als auch im Querschnitt von Bauteilen zeigen (vgl. Abschn. 9.1.2 „Äußerer Befund“). Alle Trennungen, die sich in die Tiefe des Querschnitts erstrecken, sind vorteilhaft in ungeätzten Schliffen zu erkennen – dies gilt auch für die Mikroschliffe (vgl. Abschn. 9.3.2.1). In den ungeätzten Schliffen heben sich solche Trennungen von gleichmäßig hellen, nicht durch Gefügestrukturen unterbrochenem Untergrund ab. Kennzeichnend für solche in Makroschliffen sich abzeichnende Fehler in ihrem Bezug zum Bauteil sind Blasen, die nach kurzer Betriebszeit zum Bruch von Schlägerarmen aus Stahlguß für eine Naßkohlemühle führten (Bild 9-89 a und 9-89 b). Zum Vergleich ist dem Makroschliff die Erscheinung dieses Fehlers in einer Röntgendurchstrahlungsaufnahme gegenübergestellt. Eine im Warmwalzprozeß nicht zur Verschweißung gekommene Fehlstelle hat eine Dopplung gebildet, die dann unter Last Riß und Bruch einer Kranbahn ausgelöst hat (Bild 9-90). Im Makroschliff zeigen sich die Öffnung der Fehlstelle unter
Bild 9-90. Unverschweißter Lunker in einem Schienenprofil. Unter Last hat sich die Fehlstelle geöffnet und sich verzweigende Risse eingeleitet.
9.3 Metallographie
157
Bild 9-91. Bruchfläche einer verformungsarm gebrochenen Ritzelwelle
Last sowie die Verformungen im Schienkopf mit Rissen, die von der Fehlstelle ausgehen. Der Bruch einer Ritzelwelle in einer Wasserturbine gab Veranlassung zur Anfertigung eines Makroschliffs (Bild 9-91). Im Querschnittsübergang der Welle zum Radkörper werden im ungeätzten Makroschliff zahlreiche senkrecht zur Achse liegende Materialtrennungen sichtbar. Es handelt sich hier um Schmiedefehler, die nach ihrer Lage auf den Materialfluß beim Anstauchen und einen ungenügenden Verschmiedungsgrad zurückzuführen sein dürften (Bild 9-92). Ebenso wie Befunde aus anderen Untersuchungsschritten dürfen auch die Ergebnisse der Beurteilung des Makroschliffes nicht für sich allein gesehen werden, son-
Bild 9-92. Schmiedefehler in der Ritzelwelle
158
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
dern müssen im allgemeinen mit Befunden aus anderen Untersuchungsschritten in Verbindung gebracht werden, um beweissicher eine Schadenbeurteilung durchführen zu können.
9.3.1.2 Makroschliffe geätzt Die makroskopische Beurteilung chemisch unvorbehandelter Oberflächen und Schnitt- bzw. Schliffflächen findet ihre Grenze nicht nur dadurch, daß feine Fehlstellen unsichtbar bleiben. Vielfach erlaubt erst eine Makroätzung, den Werkstoffzustand insbesondere in seinen Unterschieden über einen Querschnitt zu bestimmen und Fehlererscheinungen in diesem Zusammenhang zuzuordnen. Nach ihrer Zielsetzung lassen sich die makroskopischen Ätzverfahren einteilen in: − Ätzung zur Verdeutlichung von kleinen Fehlstellen, wie feine Risse und Poren, die ohne Hilfe eines Ätzmittels für das Auge nicht oder nur schwer sichtbar sind. − Ätzungen zur Identifizierung von Inhomogenitäten in der chemischen Zusammensetzung über Querschnitte von Bauteilen sowie Ätzungen zur Bestimmung der Art und Lage von Verunreinigungen. − Ätzungen zum Erkennen von Verläufen von Aufkohlungs-, Aufstickungs- und Entkohlungszonen. − Ätzungen zum Erkennen von Gefügeorientierungen durch die Erstarrungsbedingungen beim Guß, ebenso wie durch den Walz- und Schmiedeprozeß. − Ätzungen zur Ermittlung von Korngrößenverteilung, von Wärmeeinflußzonen und von Schweißungen. − Ätzungen zur Bestimmung von Kaltverformungen. Entsprechend dem Angriff des Ätzmittels und der Ätztechnik werden die Makroätzungen eingeteilt in Tiefätzverfahren, Flachätzverfahren und Abdruckverfahren. Makroätzungen mit speziellen hierzu entwickelten Ätzmitteln werden überwiegend für die Beurteilung von Stählen eingesetzt. Makroätzungen von NE-Metallen werden vielfach mit Mikroätzmitteln durchgeführt, wobei diese dann in höherer Konzentration und mit längerer Ätzzeit als bei der Mikroätzung in Anwendung kommen. 1 Tiefätzungen Tiefätzungen werden z.B. bei Stählen mit Salzsäure, Schwefelsäure oder Mischungen aus beiden in verschiedenen Konzentrationen durchgeführt. Temperatur und Zeit müssen mit dem Werkstoff abgestimmt sein. Bei Kohlenstoffstählen ergeben sich im allgemeinen Temperaturen von 70 °C bis zum Siedepunkt und Zeiten von 15 bis 120 Minuten. Um definierte Ätzbedingungen zu gewährleisten, wird vor der Ätzung die Probe in Wasser auf die Ätztemperatur gebracht. Die wichtigsten Erscheinungen, die an tiefgeätzten Proben sichbar werden, sind: 1.1 Risse Soweit Risse nicht bereits einer äußeren Beurteilung des ungeätzten Prüflings zugänglich sind, werden Warmrisse, Schleifrisse, Härterisse, Abschreckrisse, Überwalzungen und Überschmiedungen u.a. durch eine Tiefätzung deutlich hervorgehoben. Weiterhin können feine innere Risse, wie z.B. Flockenrisse, sichtbar gemacht werden. Solche Flockenrisse werden durch wasserstoffverursachte Spannungen im
9.3 Metallographie
159
Bild 9-93. Flockenrisse in einem Wälzlagerstahl 2 h gebeizt bei 60° C in 1 Tl. HCl + 4 Tl H2O (V = 10 x)
Temperaturbereich um 200 °C dann ausgelöst, wenn größere Schmiedestücke zu schnell abgekühlt werden, so daß der Wasserstoff aus zeitlichen und räumlichen Gründen nicht entweichen kann. Nach einer Makroätzung mit Salzsäure bei 60 °C zeigen sich solche Flockenrisse deutlich (Bild 9-93), wobei sich diese charakteristisch in der Bruchfläche von gehärteten Bauteilen bestätigen (Bild 9-94). 1.2 Seigerungen Zur Identifizierung von Seigerungen nach Art und Lage werden spezielle Ätzverfahren in Anwendung gebracht (vgl. Abschn. 9.3.1.2-2). Auch im Tiefätzbild sind Seigerungen zu erkennen. Mit Schwefel und Phosphor angereicherte Stellen heben sich gegenüber der Umgebung deutlich dunkler ab (vgl. Bild 9-101). 1.3 Entkohlungen, Aufkohlungen und Nitrierschichten Entkohlungsschichten werden durch die Ätzung weniger angegriffen als der unbeeinflußte Werkstoff. Sie erscheinen dadurch hell und bleiben nach längeren Ätzzeiten auch im Relief stehen. Aufgekohlte Bereiche reagieren entsprechend um-
Bild 9-94. Erscheinung von Flockenrissen in der Bruchfläche eines Pendelrollenlagers (vgl. Bild 9-93)
160
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-95 a. Einsatzhärteschicht mit Rissen nach Überkohlung
Bild 9-95 b. Einsatzhärteschicht nach zu geringer Aufkohlung oder nach Abtrag durch Flankenschliff
gekehrt und lassen durch den stärkeren Ätzangriff Tiefe und Verlauf erkennen, wie sich am Beispiel von Schäden durch fehlerhafte Einsatzhärtungen zeigen läßt. So zeigt sich als Ursache von Zahnausbrüchen an einem Großzahnrad die Überkohlung bei der Einsatzhärtebehandlung. Die dadurch verursachten Härtespannungsrisse durchsetzen die Einsatzzone und dringen teilweise in den Kern ein (Bild 9-95 a). Ausbröckelungen an den Zahnflanken einer Ritzelwelle zeigen im Gegensatzzum vorangegangenen Fall als Ursache eine fehlende Härteschicht bzw. eine viel zu geringe Einsatzhärtetiefe (EHT) (Bild 9-95 b). Derartige Schäden durch Überschreiten der Grübchenermüdungsfestigkeit treten nicht nur bei ungenügender Härtung auf, sondern auch dann, wenn Geometriefehler beim Fräsen mit der Schleifbearbeitung ausgeglichen werden und die Härteschicht bis in Bereiche geringerer Härte abgetragen wird. Auch mit nitrierten Bereichen reagieren Tiefätzmittel sehr stark. Bei der Interpretation von tiefgeätzten Proben sind Fehldeutungen der Ätzerscheinungen möglich. Mangansulfideinschlüsse im Stahl können durch Tiefätzung herausgelöst werden und erscheinen dadurch um den Faktor 200- bis 300fach vergrößert. Dies führt dazu, daß herausgelöste Einschlüsse als Porosität gedeutet werden können und damit zu Fehlschlüssen, insbesondere im Hinblick auf schadenbegünstigende oder schadenursächliche Fehlstellen führen. Ebenfalls ist es möglich, daß durch die Ätzung selbst Risse in Form von Beizrissen ausgelöst werden können, wie dies der Fall sein kann, wenn fehlerfreie Proben zur Feststellung von Härterissen solchen Ätzungen unterzogen werden. Um derartige Fehler zu vermeiden, müssen gehärtete Proben vor einer solchen Prüfung
9.3 Metallographie
161
auf Härterisse erst angelassen werden oder aber eine Rißprüfung ist nicht durch Ätzung, sondern durch Penetrationsflüssigkeit vorzunehmen. 2 Flachätzung Da Ätzmittel für Flachätzungen wesentlich milder als Tiefätzmittel wirken, wird an die Oberfläche bzw. an die Schlifffläche eine entsprechend höhere Güteanforderung als bei Tiefätzungen gestellt. Um durch Flachätzung Einzelheiten hervorzuheben, ist die Schlifffläche durch Feinschleifen und Polieren sorgfältig vorzubereiten, ähnlich wie dies bei Mikroschliffen erforderlich ist. Die wesentlichen Nachweise, die sich mit Flachätzungen vornehmen lassen, sind: 2.1 Übersichtsgefüge Durch eine Ätzung, die als Kornflächenätzung wirkt, werden Korngrößenverteilungen und Kornorientierungen durch differenzierte Reflexion sichtbar. So zeigt sich deutlich eine Grobkornzone, die im Bereich der kritischen Verformung in einem durchschossenen Zinnblech durch Rekristallisation eingestellt wurde (Bild 9-96). In gleicher Weise werden auch Erstarrungs- und Verformungsstrukturen sichtbar. 2.2 Kristallseigerungen (Mikroseigerungen) Bei Legierungen, die konstitutionsbedingt in einem Temperaturintervall erstarren, bilden sich Kristallite, deren Zusammensetzung über den Kristallquerschnitt nicht homogen ist (Mikro- oder Kristallseigerung). Bei gegossenen Bauteilen läßt sich dadurch infolge entsprechenden Ätzangriffs das Makrogefüge sichtbar machen. So bildet sich in einer gegossenen austenitischen Turbinenschaufel die grobkristalline stengelig erstarrte Struktur (Bild 9-97 a) ab. Die Bedeutung solcher Strukturen für die Bauteilsicherheit wird im Bruchbild dieser Schaufel deutlich (Bild 9-97 b). Die Trennung folgt in diesem Fall den im Makroschliff sichtbaren Stengelkristalliten, da durch die Anreicherung von Fremdatomen an den Kristallitgrenzen dort die mechanischen Eigenschaften nicht mehr den Festigkeitsanforderungen genügen und den Bruchpfad bestimmen. Insbesondere durch die Diffusionsträgheit von Phosphor und Schwefel läßt sich auch nach Wärmebehandlungs- und Formänderungsvorgängen ein Primär- und
Bild 9-96. Grobkornzone um Durchschüsse in einem Zinnblech, entstanden durch Rekristallisation im kritischen Kaltverformungsbereich
162
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
a a
b a
Bild 9-97 a. Stengelkristallite in einer gegossenen Turbinenschaufel aus austenitischem Stahl b Bruchgefüge der Turbinenschaufel entlang der Stengelkristallite
Sekundärgefüge unterscheiden. Bei dendritischer Erstarrung tritt so in Gußteilen die Dendritenstruktur hervor. Nach Umformprozessen zeichnet die Phosphorverteilung deutlich den Faserverlauf ab (Bild 9-98). Für die Schadenanalyse ist diese Tatsache bedeutsam, um zu entscheiden, ob Risse z.B. bei Formänderungsprozessen entstanden sind oder ob diese erst durch die betriebliche Beanspruchung hervorgerufen wurden. Aus dem Faserverlauf an einem Niet zeigt sich, daß der Anriß im Übergang vom Schaft zum Kopf erst nach der Fertigung entstanden ist. In diesem Falle liegt interkristalline Spannungsrißkorrosion des unlegierten Stahls unter Einwirkung einer Alkalilauge (Laugensprödigkeit) vor (Bild 9-98). Eine Rißbildung während des Warmumformprozesses
Bild 9-98. Faserverlauf in einem Niet mit Spannungsrißkorrosionsanriß (Ätzung nach Oberhoffer)
9.3 Metallographie
163
Bild 9-99 a. Durch Ammoniak zerstörte Schraube aus Automatenstahl b Selektiv herausgelöste Sulfidzeilen bei der Schraube aus Automatenstahl
würde sich in einer Auslenkung der Faser, die dann um die Trennung herum laufen würde, abzeichnen. Der Nachweis phosphorreicher Stellen und damit auch der Faserstruktur wird vorteilhaft mit einem von Oberhoffer angegebenen Ätzmittel durchgeführt 1 (Bild 9-98). Die Ätzeffekte beruhen generell darauf, daß bestimmte Gefügebestandteile auf definierte Angriffsmittel differenziert reagieren. Solche Reaktionen bedeuten gleichzeitig, daß diese entsprechenden Bestandteile auch Schwachstellen sein können, wenn sie im Betrieb gleichartigen Medien, wie sie im Ätzmittel enthalten sind, ausgesetzt werden. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist eine Schraube, für die durch eine Verwechslung Automatenstahl verwendet wurde (Bild 9-99 a). Dieser Werkstoff ist durch ausgeprägte Sulfidzeilen gekennzeichnet. Die Schraube war in einem Amoniakkompressor eingesetzt. Durch die Einwirkung des Mediums wurden schließlich die Sulfidzeilen vollständig herausgelöst (Bild 9-99 b). 2.3 Schweißungen Ähnlich wie in Gußgefügen kann auch in Schweißungen das Primärgefüge sichtbar gemacht werden. Auch hier reagieren die geeigneten Ätzmittel bevorzugt auf die Phosphorverteilung im Stahl. Um Aufbau und Qualität von Schweißnähten zu untersuchen, wird oft das Ätzmittel nach Adler2 zur Anwendung gebracht. Einzelne Schweißlagen, Schweißübergänge und Wärmeinflußzonen werden nach einer solchen Ätzbehandlung im Makroschliff gut sichtbar (Bild 9-100). 1
500 cm3 Wasser, 500 cm3 Ethylalkohol, 50 cm3 Salzsäure, 30 g Eisen(III)chlorid, 1 g Kupferchlorid und 0,5 g Zinnchlorid. An den phosphorreichen Stellen bildet sich eine Kupferhaut, die vor weiterem Säureangriff schützt. Die phosphorreichen Stellen erscheinen hell. 2 25 cm3 Wasser, 3 g Kupferammoniumchlorid, 50 g konzentrierte Salzsäure, 15 g Eisenchlorid
164
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-100. Mehrlagige Wurzel- und Füllschweißung einer V-Naht an einer Heißdampfleitung
2.4 Block- oder Makroseigerungn Bei der Erstarrung von unberuhigten Stählen reichert sich in Querschnittsmitte die infolge niedrig schmelzender Bestandteile zuletzt erstarrende Schmelze an. Diese so entstandene Block- oder Makroseigerung wird deutlich sichtbar durch die Verteilung von Schwefel- und von Oxidbestandteilen. Vorteilhaft wird Art und Verteilung solcher Verunreinigungen mit Hilfe eines Abdruckverfahrens dargestellt. Der Nachweis der Schwefelverteilung im Stahl wird im allgemeinen mit Hilfe des SchwefelAbdruckverfahrens nach Baumann3 auf Fotopapier vorgenommen. Die Oxidverteilung im Stahl wird durch einen modifizierten Baumann-Abdruck nachgewiesen (Bild 9-101).
Bild 9-101. Schwefelabdruck nach Baumann vom Querschnitt eines Kranhakens mit starken Makroseigerungen 3
Tränken nicht ausfixierten Fotopapieres (Brom-Silber) in 5 %iger Schwefelsäure. Auflegen der Emulsionsseite auf Probenoberfläche. Reaktion mit den sulfidischen Bestandteilen erzeugt Schwefelwasserstoff, der das Bromsilber braun färbt. Anwendbar bei Tageslicht. Modifizierung des Baumann-Abdrucks durch Tränken des Fotopapiers mit 20% Salzsäure und Entwicklung in Lösung von 2 g Kaliumhexacyanoferrat (III) auf 100 cm3 Wasser. Oxideinschlüsse ergeben Blaufärbung.
9.3 Metallographie
165
b
a
Bild 9-102 a. Korrosiver Angriff entsprechend inhomogener Verformungsbereiche (Fließfiguren) an einem kaltgerichteten Rohr b Schnitt durch die Wand des Rohrs mit Verformungsbereich
2.5 Kaltverformung (Kraftwirkungsfiguren) Bei Überschreitung der Elastizitätsgrenze eines alterungsempfindlichen Stahls stellen sich inhomogene Verformungen ein, die auf glatten Oberflächen in Form von Fließfiguren (Lüders’sche Linien) erkennbar werden. Solche inhomogenen Verformungen in Form von Fließfiguren sind Stellen bevorzugten chemischen Angriffs. Deutlich wird dies z.B. an einem kaltgerichteten Rohr, das im Bereich der dadurch entstandenen Fließfiguren korrosiv angegriffen wurde (Bild 9-102 a). Entsprechend lassen sich durch ein geeignetes Ätzmittel, z.B. nach Fry4 solche Bereiche inhomogener Verformung durch den Ätzangriff hervorheben. In Längsschliffen durch die Wandungen von kaltgerichteten Rohren werden die Kraftwirkungsfiguren sichtbar und ihr Zusammenhang mit den Oberflächenangriffen wird deutlich (Bild 9-102 b). Spuren von Kaltverformungen im Gefüge sind weiterhin geeignet, Hinweise auf Verformungen und Bearbeitungsvorgänge zu liefern, wenn die äußerlich erkennbaren Merkmale beseitigt worden sind. Als Beispiel dafür kann das Abfeilen oder Abschleifen von Schlagzahlen gelten. Infolge von Verformungsspuren, die sich auch in tiefere Werkstoffschichten noch fortsetzen, läßt sich durch die stärkere Anätzbarkeit kaltverformter Bereiche der Nachweis von beseitigten Schlagzahlen führen (Bild 9-103 a, b und c). Solche Nachweise lassen sich unterstützen, wenn durch Glühung 4
100 cm3 Wasser, 120 cm3 Salzsäure, 90 g Kupferchlorid. Vor der Ätzung wird die Ausscheidung von Eisennitrid durch künstliche Alterung bei 200-250° C über ½ Stunde in Gang gebracht.
166
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
a
b
c Bild 9-103 a. Schlagmarkierung b Abgefeilte Schlagmarkierung c Durch Ätzung (Fry) wieder sichtbar gemachte Schlagmarkierung
die Erkennbarkeit infolge von Ausscheidungsvorgängen (Reckalterung) erhöht wird. 9.3.2 Mikroschliffe Analog der durchgängig anzuwenden Strategie bei der Schadenklärung – von der Übersicht zum Detail – wird mit der lichtoptischen Untersuchung der Mikroschliffe der Zugang zu Einzelheiten im Werkstoffgefüge geöffnet. Auch hier hat wiederum sowohl die Untersuchung der ungeätzten wie auch der differentiell geätzten Schliffe ihre spezifische Position als Teilschritt in der Klärung der Schadenabläufe und – zusammenhänge. Der Vergrößerungsbereich zur Beurteilung von Mikroschliffen liegt im allgemeinen zwischen 50 x und 1000 x. Höhere Vergrößerungen bedürfen bei lichtoptischen Verfahren besonderer Maßnahmen wie Ölimmersionsverfahren und/oder UV-Beleuchtung. Die lichtoptischen Beurteilungen werden mit Metallmikroskopen, d.h. mit Auflichtmikroskopen, vorgenommen. Das dabei sichtbar werdende Korngefüge besitzt je nach Erstarrung oder der Folge von Formgebungs- und Wärmebehandlungsprozessen außerordentlich große Unterschiede. Die Korndurchmesser in metallischen Werkstoffen schwanken innerhalb vier Zehnerpotenzen von < 0,01 mm bis > 10 mm. In technischen Werkstoffen liegen die Kornflächen vielfach zwischen 400 und 30.000 μm2. Zur Betrachtung des Korngefüges können Hellfeld- und Dunkelfeldbilder herangezogen werden. Diese beiden Arten der Darstellung hängen vom Beleuchtungswinkel ab. Bei senkrechtem Auftreffen der Lichtstrahlen werden diese an glatten
9.3 Metallographie
a
167
b Bild 9-104 a, b. Gefüge von Reinsteisen, geätzt mit 1%iger alkoholischer Salpetersäure (V = 100 x ) a Hellfeldbeleuchtung b Dunkelfeldbeleuchtung
Flächen, z.B. Kornflächen, in sich zurückreflektiert, während sie an stärker angeätzten Stellen, z.B. Korngrenzen, abgelenkt werden und nicht mehr wie die in sich reflektierten Strahlen ins Objektiv treffen (Bild 9-105 a). Korngrenzen erscheinen infolgedessen dunkel, Kornflächen heben sich hell ab. Die Helligkeitsgrade sind dabei von Korn zu Korn unterschiedlich, wobei in manchen Fällen die Verwendung von polarisiertem Licht vorteilhaft ist. Dieser Effekt ist darauf zurückzuführen, daß die Kristallstruktur entsprechend ihrer unterschiedlichen Orientierung die Schliffoberfläche in unterschiedlichen Winkeln schneidet und entsprechend einen unterschiedlichen Ätzangriff erfährt (Bild 9-104 a und 9-104 b). Bei Schrägeinfall der Lichtstrahlen werden an den glatten Kornflächen die reflektierten Strahlen aus dem Bereich des Objektivs abgelenkt, während die an den durch Ätzen aufgerauhten Stellen gestreuten Strahlen das Objektiv treffen (Bild 9-105 b).
Bild 9-105 a, b. Strahlengang im Lichtmikroskop bei Auflichtbeleuchtung a senkrecht (Hellfeldbeleuchtung) b schräg (Dunkelfeldbeleuchtung)
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Durch geeignete Ätzungen werden im Schliff unterschiedliche Phasen sichtbar, d.h. Bestandteile, die nach Struktur und/oder Zusammensetzung verschieden sind. Ein reines Metall oder ein Metall, dessen Bestandteile eine feste Lösung bilden, besteht aus Körnern, die gleiche Zusammensetzung aufweisen. Es liegt somit ein homogenes Gefüge vor, wie z.B. bei reinem Aluminium oder auch reinem Eisen (Bild 9-104 a). Wenn eine Metallegierung aus Gefügebestandteilen zusammengesetzt ist, die ihrerseits unterschiedlich aufgebaut sind − eine Metallegierung also aus Körnern unterschiedlicher Zusammensetzung –, so liegt ein heterogenes Gefüge vor. Ein solches heterogenes Gefüge ist zum Beispiel bei einem unlegierten ferritischen Stahl gegeben, der bei Kohlenstoffgehalten unterhalb von 0,8 % aus Ferritmischkristallen und aus Perlitinseln besteht. Die Perlitinseln wiederum sind in sich inhomogen zusammengesetzt aus streifenförmig angeordnetem Ferrit und Zementit (Fe3C) (Bild 9-106, vgl. Bild 9-82) In manchen Fällen ist auch im lichtoptischen Vergrößerungsbereich die Gefügebeurteilung mit dem Rasterelektronenmikroskop durchaus vorteilhaft, da neben bestimmten Ätzverfahren, oder auch zusammen mit diesen Merkmalen zugänglich werden, die im Lichtmikroskop nicht auf gleiche Weise darzustellen sind (vgl. Abschn. 9.2.1). Insbesondere ist das Rasterelektronenmikroskop vorteilhaft, wenn der unterschiedliche Ätzangriff in der Topographie der Schlifffläche sichtbar gemacht werden soll, wie z.B. der Ätzangriff an den Korngrenzen (Bild 9-107).
9.3.2.1 Mikroschliffe ungeätzt Grundsätzlich ist der ungeätzte Schliff bei mikroskopischer Beurteilung in gleicher Weise wie im Fall des Makroschliffs geeignet, Risse und Ungänzen im Werkstoff zu erkennen. Entsprechend der unterschiedlichen Vergrößerungsbereiche von Makround Mikroschliff sind hier die Dimensionen der zu erkennenden Fehlstellen in einer anderen Größenordnung. Bestimmte Fehler, wie Rißnetzwerke, lassen sich somit je nach ihrer Größe und Ausdehnung entweder im Makro- oder im Mikroschliff erfassen. Die Informationen über bestimmte Schadenmechanismen lassen sich anhand von interkristallinen Trennungen, von transkristallinen sich verzweigenden Rissen
Bild 9-106. Gefüge eines Stahls mit 0,4 % C bestehend aus Ferrit und Perlit V = 600 x 1 (Ätzung HNO3) (Aufnahme Lette-Verein Berlin)
9.3 Metallographie
a
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b Bild 9-107 a, b. Darstellung von Korngrenzen in einer Nickelbasislegierung a lichtmikroskopische Darstellung b rasterelektronenmikroskopische Darstellung
und von parallel verlaufenden, zuweilen auskorrodierten Rissen veranschaulichen (vgl. Abschn. 9.3.2.3). Auch die Reinheitsgradbestimmung erfolgt an ungeätzten Mikroschliffen mit Hilfe bestimmter Schlackenrichtreihen, z.B. nach Diergarten, mit denen Größe, Verteilung und Form der Verunreinigungen erfaßt werden. Dabei wird grundsätzlich nach spröden Einschlüssen und nach Einschlüssen mit Warmplastizität unterschieden (Bild 9-108). Plastische Einschlüsse sind insbesondere Sulfide und manche Silikate. Spröde Einschlüsse sind Oxide und der Großteil der komplexen Silikate. Die Beurteilung des Reinheitsgrades wird im allgemeinen bei Vergrößerungen von V = 100 x vorgenommen.
9.3.2.2 Mikroschliffe geätzt Zur Entwicklung des Primär- und des Sekundärgefüges der Werkstoffe gibt es eine Vielzahl von Ätzmitteln, die je nach Aufgabenstellung mit unterschiedlichen Konzentrationen und auch bei unterschiedlichen Temperaturen zur Anwendung kommen. Für ferritische Stähle wird für die Ätzung vielfach 3 %ige bis 5 %ige alkoholische Salpetersäure (HNO3) benützt (vgl. Bild 9-106). Bei austenitischen Stählen wird oft ebenfalls mit Salpetersäure, aber auch mit Salzsäure und mit Gemischen aus beiden gearbeitet. Für bestimmte Gefügebestandteile werden wiederum spezielle Ätzmittel eingesetzt, wie z.B. zum Erkennen von Karbiden5 und von Sigmaphasen.6 Zur metallographischen Präparation von Aluminium und Aluminiumlegierungen sind Flußsäure und Gemische von Flußsäure, Salzsäure und Salpetersäure im allge5 6
z.B. 10 g Oxalsäure 100 cm3 Wasser, elektrolyt. Ätzung bei 2 V z.B. 10 g Chromsäure (CrO3) 100 cm3 Wasser elektrolyt. Ätzung bei 60 V, 30 – 90 s
170
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-108. Beispiel einer Gefügerichtreihe zur Bestimmung von Art und Stärke der Verunreinigungen
meinen geeignet. Zur Entwicklung des Feingefüges bei Kupfer und Kupferlegierungen finden Ammoniumhydroxid und Ammoniumsulfat Verwendung. Die Vielfalt von Ätzmittel und der Vorgehensweise bei ihrer Anwendung erlaubt es, verschiedene Phasen in den Metallen zu identifizieren, für die unter Umständen aufwendige Feinstrukturuntersuchungen zur Anwendung kommen müßten. Auch sehr feine Ausscheidungen lassen sich insbesondere bei Farbätzungen in ihrer Gesamtwirkung erfassen, obwohl diese im einzelnen nur mit Hilfe der Durchstrahlungselektronenmikroskopie sichtbar zu machen sind. Bedeutsam sowohl für das mechanische wie auch das Korrosionsverhalten kann die Korngröße sein. Zwischen Korngröße und Festigkeitskennwerten bestehen gesetzmäßige Zusammenhänge wie z.B. die Hall-Petch-Beziehung, die einen Zusammenhang zwischen Korndurchmesser und Streck- bzw. Elastizitätsgrenze herstellt. Bruchzähigkeitswerte sind bei feinkörnigen Werkstoffen höher als bei gleichartigem Werkstoff in grobkörnigem Zustand. Ebenso ist die Ermüdungsrißausbreitung bei feinkörnigem Werkstoff sehr viel langsamer als bei großkörnigem. Aus diesem
9.3 Metallographie
171
Grund sind für hohe mechanische Anforderungen, insbesondere bei Wechselbelastungen Feinkornbaustähle sehr geeignet. Umgekehrt verhält es sich bei mechanischen Belastungen unter hohen Temperaturen. Das sog. Zeitstandkriechen (vgl. Abschn. 9.2.2.4) läuft bevorzugt an den Korngrenzen ab, die in diesem Fall Schwachstellen darstellen. Der grobkörnige Werkstoff ist bei solchen Beanspruchungen also gegenüber dem feinkörnigen wegen der geringeren Anzahl der Korngrenzen im Vorteil. Auch in zahlreichen spezifischen Fällen der Korrosionsbeanspruchung kann Korngrenzenangriff stattfinden. Die Betrachtung und Bewertung der Korngröße gehört bei der Schadenuntersuchung entsprechend zur vollständigen Sammlung der Indizien, aus denen sich ein Schadenablauf rekonstruieren lassen kann. Zur Bestimmung der Korngröße sind verschiedene Richtreihen bekannt, wobei meist die ASTM-Richtreihe mit Korngrößen von 1 (grobes Korn > 62.000 μm2) bis 8 (feines Korn < 420 μm2) herangezogen wird. Bei der Darstellung des Korngefüges können sich fließende Übergänge von der makroskopischen zur mikroskopischen Erfassung ergeben, ähnlich wie dies bei den ungeätzten Schliffen der Fall ist.
9.3.2.3 Schadenerscheinungen im Mikrogefüge Aus der metallographischen Gefügeuntersuchung lassen sich wichtige Hinweise ableiten auf schadenursächliche oder schadenbegünstigende Einflüsse ebenso wie auf Spuren, durch die der Schadenablauf abgebildet wird. Dabei sind insbesondere bedeutsam Gefügeform und Gefügeausbildung, Phasenzusammensetzung, Phasenverteilung, Ausscheidungen, Korngrenzen, Zustand sowie Verlauf von Trennungen und Abtragungen. Soweit sich die Gefügezustände der Werkstoffverarbeitung und behandlung zuordnen lassen, sind Einflüsse der Formgebung, der Wärmebehandlung oder nachfolgender Behandlungen im Hinblick auf ihre Schadenrelevanz zu erkennen. Betriebliche Gefügebeeinflussungen geben Hinweise auf schadenwirksame Beanspruchungen, wie thermische, korrosive und mechanische Überlastungen nach Art, Höhe und Dauer. Bei solchen Schadenabläufen läßt sich die Rolle einzelner Gefügebestandteile als Schwachstellen differenziert nachweisen. Beispiele der Schadenklärung anhand metallographischer Untersuchungen sind bereits in Abschn. 5.1.2 (Implantatbruch) und in Abschn. 5.1.4 (Dauerbruch einer Turbinenwelle) aufgeführt. 1 Gefügeanomalien Unter bestimmten Gießbedingungen kann sich aus einem vergleichsweise groben Austenitkorn des Stahlgusses bei der Umwandlung der Ferrit in Form von grobnadeligen, spießigen Bändern ausscheiden, wodurch die Zähigkeits- und Dehnungswerte erheblich vermindert sind. Auch bei Schweißnähten kann solches Gefüge entstehen. Durch Normalisierungsglühen läßt sich dieses als Widmannsstätten’sches Gefüge bezeichnete Überhitzungsgefüge beseitigen und eine beanspruchungsgerechte Einstellung der mechanischen Kennwerte ist möglich (Bild 9-109). Bei langsamer Abkühlung z.B. bei Stählen im Bereich der Zementitbildung oder bei langzeitiger Glühung in solchen Temperaturbereichen können sich bei übereutektoiden Stählen (Kohlenstoffgehalte > 0,8 %) an den Korngrenzen mit steigen-
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-109. Widmannstätten’sches Gefüge eines nicht glühbehandelten Stahlgusses V = 100 x (Aufnahme Lette-Verein Berlin)
dem Kohlenstoffgehalt zunehmend breitere Zementitschalen bilden, die die Zähigkeit herabsetzen und die Bruchanfälligkeit entsprechend steigern (Bild 9-110). Beseitigen läßt sich der Korngrenzenzementit durch Weichglühen. Dabei wird das Zementitnetzwerk aufgelöst und kugelig eingeformt (Bild 9-111). Bei kohlenstoffarmen Stählen kann an den Korngrenzen in Form entarteten Perlits tertiär Zementit auftreten, der das Formänderungsvermögen ebenfalls, z.B. bei Tiefziehstählen, stark einschränkt (Bild 9-112). Anlaßversprödung, insbesondere von legierten Werkstoffen mit Karbidbildnern, tritt im Temperaturbereich zwischen 400° C bis 550° C bei sehr langsamer Ofenabkühlung auf. Die Neigung zu Anlaßversprödung wird durch verminderten Phosphorgehalt und Zulegieren von Molybdän (Mo) herabgesetzt. Anlaßversprö-
Bild 9-110. Gefüge eines übereutektoiden Stahls (Perlit + Korngrenzenzementit) V = 500 x 1 (Aufnahme Lette-Verein Berlin)
9.3 Metallographie
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Bild 9-111. Gefüge eines Stahls wie Bild 9-110 mit kugelig eingeformtem Zementit V = 500 x 1 (Aufnahme Lette-Verein Berlin)
dete Stähle lassen perlschnurartige Karbidausscheidungen bevorzugt an den Korngrenzen erkennen. Durch Anwendung besonderer Ätzmittel können anlaßversprödete Stähle damit erkannt werden7. Nach grundsätzlich ähnlicher Kinetik wie bei der Anlaßversprödung laufen Korngrenzenausscheidungen, insbesondere auch Karbidausscheidungen, bei hohen betrieblichen Dauertemperaturen und in Schweißeinflußzonen von versprödungsgefährdeten Stählen wie 14MoV6 3 oder X17CrMoVNb12 1 ab (Bild 9-113 a und b, vgl. Bild 9-65). Werkstoffe in derartigen Zuständen können zu sprödem Bauteilversagen führen.
Bild 9-112. Gefüge eines Tiefziehstahls (0,04 % C) mit Tertiärzementit an den Korngrenzen V = 600 x 1 (Aufnahme Lette-Verein Berlin) 7
50 g Pikrinsäure, 50 g Xylol, 50 cm3 Ethylalkohol
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-113 a. Warmfester Stahl X17CrMoVNb12.1 mit Karbidausscheidungen an den Korngrenzen (versprödet)
Bild 9-113 b. Zum Vergleich warmfester Stahl X17CrMoVNb12.1 ohne Karbidausauscheidungen (unversprödet)
An ferritischen und austenitischen Chromstählen ist bei langzeitigen Temperatureinwirkungen zwischen 550 °C bis 800 °C abhängig vom Chromgehalt die Ausscheidung eines harten, spröden Gefügebestandteils als intermetallische FeCr-Verbindung – der sog. σ-Phase – zu beobachten (Bild 9-114). Insbesondere sind heißgehende Teile von Wärmetauschern, wie Kesselrohre, von dieser Schadenart betroffen. Bei Sigmaphasenbildung verlieren die Bauteile bei Temperaturen unter 260 °C vollständig ihre Zähigkeit. Die Sigmaphasenbildung bedeutet somit den Verlust der Brauchbarkeit solcher Teile. Durch Glühung bei 1200 °C und schneller Abkühlung läßt sich die σ-Phase auflösen. Die σ-Phase läßt sich durch spezielle Ätzverfahren (Königswasser, Chromsäure (vgl. Fußnote 6, S. 169 )) nachweisen (Bild 9-115). Dabei ist zur Identifizierung die Feinbereichsanalyse vorteilhaft, durch die eine der Zusammensetzung entsprechende Cr-Anreicherung sichtbar wird. Durch die Wirkung des Stickstoffs im Stahl insbesondere bei unberuhigten Qualitäten tritt Reckalterung auf. Dehnung und Einschnürung erfahren dabei eine starke Abnahme. Das metallographische Bild zeigt bei derart geschädigten Werkstoffen in der Ferritmatrix häufig Ausscheidungen von Stickstoffnadeln, wodurch die Versprödung bewirkt wird. Bei der Verformung zeigen derart alterungsanfällige Stähle Fließfiguren (vgl. Bild 9-102). Die Blausprödigkeit von weichen Stählen tritt im Temperaturbereich von 200 °C bis 300 °C auf, also im Bereich blauer Anlauffarbe. Die Blausprödigkeit läßt sich als eine beschleunigte Form der Reckalterung verstehen.
9.3 Metallographie
175
Bild 9-114. Zustandsschaubild Fe-Cr mit Temperatur- und Legierungsbereich für σ-Phasenbildung
Bild 9-115. Gefüge einer Legierung mit 60 % Fe und 40 % Cr mit Segregaten von σ-Phasen (nach Schumann)
2 Martensitversprödung Beim Stahlhärten kann verfahrensbedingt z.B. bei zu hoher Austenitisierungstemperatur nach dem Abschrecken Restaustenit, d.h. noch nicht umgewandelter Austenit, in dem martensitischen Gefüge verbleiben. Möglichkeiten zur Umwandlung eines solchen Restaustenits bestehen in geeigneter Anlaßbehandlung oder in Tieftemperaturauslagerung. Restaustenit, der nicht durch entsprechende Behandlung beseitigt wurde, kann sich jedoch auch bei dynamischer Beanspru-
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
chung eines Bauteils oder bei Auftreten sehr niedriger Temperaturen noch umwandeln. Abgesehen von Maßänderungen des Bauteils tritt dann durch den nachträglich umgewandelten Austenit ein spröder nicht angelassener Martensit auf, der zu Rissen und Brüchen führen kann. An Achswellen von Lastkraftwagen, die beim Bau eines industriellen Großprojektes an der Kama in der vormaligen Sowjetunion eingesetzt waren, sind auf diese Weise Brüche aufgetreten. Während einer sehr strengen Kälteperiode mit Temperaturen um minus 45 °C ruhte der Baubetrieb. Bei Wiederaufnahme des Betriebs nach Eintritt wärmeren Wetters traten serienweise die Schäden auf. Durch die Gefügebeurteilung und durch Mikrohärtemessungen ließ sich die Ursache der Versprödung auf umgewandelten Restaustenit zurückführen, der zu sprödem nicht angelassenen Martensit führte. Lokale hohe Wärmeeinbringungen können auch durch Reibvorgänge, wie durch das Anstreifen von Maschinenteilen oder durch Blockiervorgänge beim Bremsen entstehen. Die Wirkung der Wärmeeinbringung durch Anstreifen läßt sich deutlich am Schliffbild durch verschiedene Zonen einer Turbinenscheibe erkennen. Bei einem solchen Anstreifen können unmittelbar an der Oberfläche Temperaturen von 800 °C und darüber entstehen, wobei infolge der Abschreckwirkung durch den umgebenden Werkstoff nicht angelassener harter und spröder Martensit entsteht. Im Schliffbild werden diese Zonen durch einen hellen Saum sichtbar (Bild 9-116). In vergleichbarer Weise kann es zu Rissen und Brüchen an Tragseilen von Seilbahnen kommen. Durch Blockiervorgänge beim Bremsen werden auch hier lokale hohe Wärmeeinwirkungen verursacht, die in gleicher Weise wie zuvor beschrieben zu Reibmartensit führen, der nicht dunkel erscheint wie ein Anlaßgefüge oder ein
Bild 9-116. Schliffbild durch eine Turbinenscheibe mit örtlicher Erwärmung auf 800-900 °C nach Anstreifen
9.3 Metallographie
177
Bild 9-117. „White etching Areas“ oder „butterflies“ durch Bildung spröden Martensits infolge Austenitumwandlung durch dynamische Beanspruchung
„patentiertes Gefüge“ bei Drähten, sondern sich durch nicht angeätzte helle Säume an der Oberfläche abhebt (vgl. Bild 5-7). Nicht angelassener spröder Martensit, der sich in Form solcher heller nicht anätzbarer Stellen darstellt, ist auch unter dem Begriff „white etching areas“ oder „butterflies“ bei dynamisch beanspruchten Bauteilen mit höheren Kohlenstoffgehalten (> 1 %) bekannt, wie z.B. bei Wälzlagerstählen (Bild 9-117). Mitunter läßt sich der sprödbruchbegünstigende Gefügezustand erst aus dem Vergleich guter und schlechter Teile erkennen. Im Fall eines spröde gebrochenen Bolzens für die Übertragung eines Bremsmomentes wird durch die metallographische Untersuchung ein grobnadeliges martensitisches Gefüge sichtbar, während nicht zu Schaden gekommene Bolzen sehr viel feineres bainitischmartensitisches Gefüge aufweisen. Da alle Bolzen aus dem Stahl 100Cr6 bestehen, ist die Ursache für das spröde Brechen des schadengegenständlichen Bolzens in ungeeigneter Wärmebehandlung zu sehen. Durch eine zu lange Austenitisierungszeit geht Karbid zunehmend in Lösung, womit der Kohlenstoffanteil im Mischkristall ansteigt. Durch diesen beim Abschrecken härtewirksamen Kohlenstoff und durch die Vergröberung des Austenitkorns hat sich der schadenursächlich ungeeignete Werkstoffzustand, der zu dem spröden Verhalten führte, eingestellt. Allein mit der Härtemessung wäre die Art der fehlerhaften Wärmebehandlung nicht nachzuweisen gewesen. 3 Zeitstandgeschädigte Gefüge Unter Zeitstandbeanspruchung, d.h. bei mechanischer Belastung und Temperaturen im Bereich oberhalb 350 °C bis 400 °C, läuft eine zeitabhängige plastische Dehnung ab, die wegen fehlender Verfestigung unter fortdauernder Belastung nicht mehr zum Stillstand kommt (vgl. Abschn. 9.2.2.4, Bild 9-50). Die dabei ablaufenden Vorgänge im Gefüge bestehen in der Reihenfolge des fortschreitenden zeitstandbedingten Schädigungsgrades in (Bild 9-118): − Bildung von einzelnen Poren an Korngrenzen a) − Zusammenschluß der Poren zu Porenketten b) b’) − Bildung durchgehender Korngrenzentrennungen c)
178
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-118. Fortschreitende Zeitstandschädigung (schematisch) von a) vereinzelte Poren über b) (Porenketten) bis c) (Korngrenzentrennungen) zugeordnet zur Kriechkurve
Zwischen den metallographisch erfaßbaren Schädigungen und der Zeitstandkriechkurve besteht ein unmittelbarer Zusammenang, so daß aus dem metallographischen Befund eine Abschätzung des Lebensdauerverbrauchs bzw. der Bauteilsicherheit möglich ist (Bild 9-118, vgl. Bild 12-4). Entsprechend wird die metallographische Untersuchung zur Überwachung der Bauteilsicherheit zeitstandbeanspruchter Komponenten als ambulantes Verfahren vor Ort herangezogen. Dazu wird an den zu untersuchenden Teilen, insbesondere an Heißdampfleitungen, der zu untersuchende Bauteilbereich abgeschliffen, poliert und geätzt. Sodann wird vom Gefüge ein Lackabdruck genommen, der im Labor metallographisch beurteilt wird. Zuweilen wird die metallographische Beurteilung auch unmittelbar vor Ort mit aufsetzbaren Mikroskopen durchgeführt. Die metallographische Beurteilung für die Zeitstandschädigung erfordert Übung und Erfahrung, da z.B. durch zu starkes Ätzen aus dem Gefüge Karbide herausgelöst werden können und damit Poren vorgetäuscht werden. Um einheitliche Kriterien für die metallographische Beurteilung von Zeitstandschäden festzulegen, sind Richtreihen für den Schädigungsgrad aufgestellt worden. Die Einordnung nach diesen Richtreihen gibt die zulässige Grenze für den Weiterbetrieb der sicherheitsrelevanten zeitstandbeanspruchten Komponenten an. Allgemein haben sich für die Einteilung der Zeitstandschäden nach Schädigungsklassen die VGB-Richtlinien eingeführt. 4 Schädigung durch Übertemperaturen Übertemperaturen wie sie z.B. in Wärmetauschern infolge Wasser- bzw. Dampfmangels entstehen, sind von Zeitstandschäden zu unterscheiden. Sie dauern maximal einige Stunden und Poren und Korngrenzenrisse treten dabei im allgemeinen noch nicht auf. Es sind unter diesen Umständen jedoch ebenfalls kennzeichnende Gefügezustände zu beobachten, die einer Einwirkung von Übertemperaturen zugeordnet werden können. So wird unter der Wirkung von Übertemperaturen eine Perliteinformung beobachtet, die einem weichgeglühten Gefüge mit kugeligen Karbiden entspricht (vgl. Bild 9-86 und 9-87). Dieses Merkmal allein ist jedoch zum Nachweis der Überhitzung wiederum nur zusammen mit anderen Informationen und Kennzeichnungen geeignet. Einmal ist bei Beurteilungen von Gefügen im Hinblick auf Übertemperaturen meist nicht bekannt, in welchem Gefügezustand z.B. Wärmetauscherrohre zum Ein-
9.3 Metallographie
179
bau gekommen sind. So ist es durchaus möglich, daß bei der Wärmebehandlung in der Fertigung eine gewisse Perliteinformung bereits stattgefunden hat und diese dann nicht mehr mit betrieblichen Einwirkungen korreliert werden kann. Zum anderen ist bei sehr hohen Übertemperaturen auch eine teilweise oder vollständige Austenitisierung des Werkstoffs möglich, so daß ein annähernd normalgeglühter Zustand mit neu gebildetem Perlit sich wieder einstellen kann. Auch bei langzeitigen thermischen Belastungen und Spannungen, die unterhalb der Grenze liegen, die zu ausgeprägten Zeitstandschäden führt, läßt sich ebenfalls eine Gefügeänderung in Richtung weichgeglühtem Zustand beobachten. Um in diesen Fällen Hinweise auf Höhe und/oder Dauer der Übertemperatureinwirkungen zu finden, läßt sich die Dicke des dampfseitigen Innenzunders heranziehen, der zeit- und temperaturabhängig zunimmt. Bei bekannten Betriebszeiten lassen sich dann aus einem verstärkten Wachstum Schlüsse auf Übertemperaturen ziehen. Ein weiteres wichtiges Indiz zum Nachweis der Überschreitung bestimmter Temperaturgrenzen ist auch die Art des dampfseitigen Zunderbelags. Aus dem erwünschten schwarzen Magnetit (Fe3O4) wird in Abhängigkeit vom Sauerstoffgehalt etwa bei Temperaturen oberhalb 600° C Wüstit (FeO) gebildet (vgl. Abschn. 9.4). Wenn nach Störfällen, bei denen die entsprechende Temperaturgrenze für Wüstit überschritten wird, im Anschluß wieder unter normalen Betriebsbedingungen ein Weiterbetrieb erfolgt, so findet eine Rückumwandlung des Wüstits in Magnetit statt. Auch in solchen Fällen läßt sich die Bildung des Wüstits nachweisen, da dann innerhalb des sich wieder gebildeten Magnetits metallische Eisenpartikel aufgefunden werden können. 5 Thermisch induzierte Rißbildung Eine besondere Form der Rißbildung durch mechanische Überbelastung sind Trennungen, die infolge thermisch induzierter Spannungen entstanden sind. Zu unterscheiden sind dabei Thermoschockrisse bei einmaligem hohen Temperaturgradienten und Thermowechselrisse, wie sie in Form thermischer Ermüdung unter vielfachen Temperaturwechseln auftreten (vgl. Abschn. 9.1 und 9.2.2.4 „Makrofraktographie“). Wenn nach einem Schadeneintritt nicht längere Betriebszeiträume vergangen sind, sind kennzeichnende Unterscheidungsmerkmale zwischen Thermoschock- und Temperaturwechselrissen vorhanden. Der Thermoschockriß dringt senkrecht zur Oberfläche ein und endet spitz (Bild 9-119). Der Temperaturwechselriß dringt ähnlich wie der Thermoschockriß ein, ist jedoch im allgemeinen breiter und vor allem enden solche Risse infolge der Fließvorgänge an der Rißspitze stumpf. Diese Fließvorgänge an der Rißspitze werden ausgelöst durch die fortdauernden Temperaturwechsel im Betrieb. Oft ist der Zunder in solchen Rissen in der Mitte gepalten (Bild 9-120). 6 Schäden durch Verformungswirkung Im Fall des kristallinen metallischen Werkstoffs gleiten bereits im elastischen Bereich, jedoch in verstärktem Maße im plastischen Bereich, bestimmte Gitterebenen aufeinander ab. Entsprechend bestimmt die Möglichkeit, solche Gleitsysteme im Werkstoff in Gang zu setzen, dessen Verformbarkeit und damit auch dessen Fähigkeit, Spannungsspitzen durch plastisches Nachgeben abzubauen. Bei geringer oder fehlender Verformbarkeit können sich elastische Verspannungen soweit aufbauen,
180
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-119. Thermoschockrisse
daß die Kohäsionskräfte überschritten werden und eine Trennung, unter Freisetzung der elastisch gespeicherten Energie, ausgelöst wird (vgl. Abschn. 11.2.2 ). Für Art und Ausmaß von Verformungen des Werkstoffs unter mechanischer Belastung und für die Belastungsbedingungen finden sich im metallographischen Bild Hinweise, die mit den Hypothesen zu Schadenabläufen in Vergleich zu setzen sind. Der verformte Werkstoff zeigt innerhalb der Körner Gleitbänder. Die Gleitbänder
Bild 9-120. Temperaturwechselrisse
9.3 Metallographie
181
Bild 9-121. Bei hoher Vergrößerung werden einzelne Gleitstufen (-linien) innerhalb der Gleitbänder sichtbar
(Bild 9-121) entstehen durch das Abgleiten der Versetzungen auf bestimmten Gleitebenen und in bestimmten Gleitrichtungen. Daß sich die Verformung auf bestimmte Gleitbänder konzentriert, läßt sich vereinfacht so verstehen, daß durch die Gleitungen bestimmte Gleitpfade „gespurt“ werden, auf denen die weiteren Gleitvorgänge bevorzugt ablaufen. Schließlich ergibt sich durch das Drehen der Körner in die günstigste Gleitrichtung auch eine Kornausrichtung, die metallographisch in Form von Kornstreckungen (Texturen) sichtbar wird (Bild 9-122). Neben dem Abgleiten auf Gleitebenen erfolgen bei einigen Metallen mehr oder weniger ausgeprägt auch Verformungen durch das Umklappen von Gitterebenen, d.h. durch die sog. Zwillingsbildung. Solche Verformungszwillinge treten besonders bei kubisch flächenzentrierten und hexagonalen Metallen auf (Bild 9-123). Bei zügig verformten ferritischen Stählen (α-Fe) werden Verformungszwillinge nicht beobachtet. Bei sehr hohen Verformungsgeschwindigkeiten, wie sie bei schlagartiger oder explosionsartiger Beanspruchung und bei niedrigen Temperaturen gegeben sind, treten solche Verformungszwillinge jedoch auch in diesen Stählen auf. Ihre Erscheinungsform ist dabei wesentlich weniger ausgeprägt und unregelmäßiger als bei kubisch flächenzentrierten und hexagonalen Metallen (Bild 9-124). Allgemein finden mit steigender Beanspruchungsgeschwindigkeit zunehmend Feingleitungen statt, d.h. es bilden sich statt der Gleitbänder Gleitstufen und Gleitlinien mit regelmäßigen Abständen. Aus der Gleitlinienstruktur und der Zwillingsbildung lassen sich zusammen mit weiteren Indizien und den Randbedingungen wichtige Hinweise auf Geschwindigkeit und Art einer mechanischen Beanspruchung entnehmen. Insbesondere lassen sich Schlüsse auf Schlagwirkungen oder Explosionen ziehen.
Bild 9-122 a, b. Durch einsinnige Verformung bewirkte Kornausrichtung und Kornstreckung (Textur) a unverformt b verformt
182
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-123. Gefüge einer Cu-Legierung mit Zwillingsbildung
Bild 9-124. Zwillinge in einem Kohlenstoffstahl (Neumann-Bänder) durch Explosionsbeanspruchung (Samuels and Lamborn)
7 Korrosionsbedingte Risse Entscheidungen, ob und in welchem Maße kombinierte Beanspruchungen durch korrosive und mechanische Einwirkungen am Schadenablauf beteiligt waren, werden oft wesentlich durch die metallographischen Befunde unterstützt. So bieten im metallographischen Bild Spannungskorrosionsrisse kennzeichnende Erscheinungsformen in Abhängigkeit von Werkstoffen, von mechanischen Spannungen und von korrosiven Medien. Voraussetzung für die Annahme der Spannungsrißkorrosion ist das Vorhandensein eines kritischen Systems, d.h. eines spezifischen Agens, eines spannungskorrosionsempfindlichen Werkstoffes und innerer und/oder äußerer Spannungen (vgl. Abschn. 7.2).
9.3 Metallographie
183
Bild 9-125. Interkristalline Risse an unlegiertem Stahl durch Laugenversprödung
Interkristalline Spannungsrißkorrosion, gekennzeichnet durch ein oft weit verzweigtes Rißnetzwerk, tritt an unlegierten und niedrig legierten Stählen auf, wobei die spezifischen Angriffsmittel Alkalilaugen und Nitratlösungen sind. Diese Korrosionsart wird auch als Laugenversprödung bezeichnet (Bild 9-125). An AlWerkstoffen tritt die interkristalline Korrosion an den technisch wichtigen ausscheidungsgehärteten Legierungen bei Einwirkung von Chloridlösungen und in organischen Medien, wie Alkoholen, Ethern und Ölen auf (vgl. Abschn. 9.2.3.1). An Kupfer-Zink-Legierungen (Messingen), insbesondere an Legierungen mit mehr als 37 % Zink, liegt das zweiphasige Gefüge des α-β-Messings vor. Dieser Werkstoff zeigt in ammoniakalischen Medien ebenfalls eine interkristalline Form der Spannungsrißkorrosion. Insbesondere in kaltverformtem Zustand erfolgen die Spannungskorrosionsrisse in Kupferbasiswerkstoffen auch ausgeprägt transkristallin (Bild 9-126). Für die trans-kristalline Spannungsrißkorrosion ist ein büschelförmiger Rißverlauf kennzeichnend. In Chrom-Nickel-Stählen tritt diese Spannungsrißkorrosionsart unter Einwirkung von chloridhaltigen wässrigen Lösungen auf. Schwingungsrißkorrosion (SwRK) im aktiven Zustand ist im metallographischen Bild durch eine Anzahl parallel liegender, überwiegend korrosionsproduktgefüllter Anrisse gekennzeichnet (Bild 9-127). Oft sind diese Anrisse trichterförmig an der Rißmündung geöffnet. Ein einzelner oder einige dieser Risse dringen unter Wachtsumspräferenzen in den Querschnitt vor und führen so zu dem kennzeichnend zerklüfteten Schwingungsrißkorrosionsbruch. Im Schliff unterscheiden sich solche SwRK-Risse im aktiven Zustand signifikant von der Erscheinung des normalen Daueranrisses (Bild 9-128). Schwingungsrißkorrosion im passiven Zustand, wie sie an korrosionsbeständigen Stählen auftritt, kann ebenfalls zu mehreren, parallel liegenden Anrissen führen, insbesondere bei Einwirkung chloridhaltiger lochkorrosionserzeugender Medien. Die Risse unter den Bedingungen passiver Schwingungsrißkorrosion unterscheiden sich im allgemeinen wenig von mechanisch erzeugten Daueranrissen. Entsprechend
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-126. Spannungsrißkorrosion an doppelt-federhartem Rohr (CuZn 37)
Bild 9-127. Daueranriß durch Schwingungsrißkorrosion im aktiven Zustand
ist makrofraktographisch der Bruch durch Schwingungsrißkorrosion kaum von einem mechanisch erzeugten Dauerbruch zu unterscheiden. Mikrofraktographisch jedoch enthält die Schwingungsrißkorrosionsbruchfläche einen mehr oder weniger großen Anteil freigelegter Kornflächen (interkristalliner Anteil) (vgl. Abschn. 9.2.3.3).
9.3 Metallographie
185
Bild 9-128. Daueranriß an Luft
8 Sonderformen der Korrosion Einige spezielle Korrosionsarten und die zu ihrem Auftreten notwendigen Bedingungen lassen sich erst durch die metallographische Untersuchung beweiskräftig nachweisen. Als ausgewählte Beispiele werden dazu aufgeführt: − Entzinkung − Potentialverschiebung durch Zinkumwandlung − Spongiose 8.1 Entzinkung Es handelt sich dabei um eine selektive Korrosion in dem Sinn, daß nur ein Legierungsbestandteil, in diesem Fall das Zink, aus einer Kupfer-Zink-Legierung in Lösung geht und das von dieser Korrosionsart betroffene Messing auf diese Weise als schwammiges Kupfer seine Festigkeit verliert. Die Neigung des Messings, nach dieser Korrosionsart zu versagen, hängt vom Zinkgehalt ab. Cu-Zn-Legierung von 15 bis 20 % Zn sind relativ beständig, während Messinge mit etwa 30 % Zn eine deutliche Entzinkungsneigung zeigen. Umgekehrt verhält es sich mit der Neigung zu Erosionskorrosion. Dabei sind die höher zinkhaltigen Messinge im Vorteil. Die Neigung zur Entzinkung kann verringert werden durch die Zugabe von 1 % Sn (Admiralitätsmessing) und geringe Gehalte von As, Sb oder P. Der Vorgang der Entzinkung wird durch Lokalelementbildung unter Ablagerungen oder ungenügender Deckschichtbildung ausgelöst. Zunächst geht dabei das Messing in Form von Cu- und Zn-Ionen in Lösung. Die edleren Cu-Ionen scheiden sich am Ort ihres Entstehens wieder ab, während die Zink-Ionen in Lösung bleiben. Es entsteht dadurch das kennzeichnende schwammige Gefüge, das keine Festigkeit mehr besitzt. Je nach den Bedingungen erscheint die Entzinkung im Schliff lokal pfropfenförmig bis zum großflächigem, von der Oberfläche her vordringendem Angriff. An einem Rohr aus CuZn 24 zeigt sich das metallographisch typische Bild der Entzinkung (Bild 9-129). In diesem Fall wurde die Entzinkung durch Lokalelementbildung infolge Ablagerungen ausgelöst und ist pfropfenförmig vorgedrungen. Unter flächigen Korrosionsbedingungen ist jedoch auch ein gleichmäßiges Vordringen der Entzinkung bekannt. Das schwammige Entzinkungsgefüge durch
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-129. Pfropfenförmige Entzinkung eines Messingrohrs aus CuZn 29
Bild 9-130. Schwammiger Cu-Niederschlag durch Entzinkung an der Oberfläche des Bauteils, dargestellt mit rasterelektronenmikroskopischer Aufnahme
das wieder abgeschiedene Kupfer wird an der Oberfläche eines betroffenen Bauteils im Rasterelektronenmikroskop sehr deutlich (Bild 9-130). 8.2 Potentialverschiebung durch Phasenumwandlung In sauerstoffhaltigem heißem Wasser bildet sich oberhalb von 60 °C aus der porösen isolierenden Zinkhydroxidschicht an der Oberfläche von Verzinkungen die Halbleiterverbindung Zinkoxid. Durch diese Umwandlung entsteht eine Sauerstoffelektrode, deren Potential im Gegensatz zum Zinkoxid oberhalb des Eisenpotentials liegt und damit das Eisen anodisch in Lösung bringt. Dieser Vorgang wird eingeleitet, wenn örtlich die spröden und wenig fest haftenden Zinkoxidschichten abplatzen und danach in örtlicher und zeitlicher Folge anodische Auflösung der Reinzinkschicht (η-Phase) der ζ-Phase, der δ-Phase, der γ-Phase und schließlich des Eisens erfolgt (Bild 9-131). Dieser Korrosionsvorgang zeigt, daß verzinkte Bleche in sauer-
9.3 Metallographie
187
Bild 9-131. Aufbau einer Verzinkungsschicht
stoffhaltigen Wässern oberhalb 60° C nicht eingesetzt werden sollen, da sonst starke lokale Korrosionen bis zum Durchbruch auftreten können (Bild 9-132). 8.3 Spongiose Die Spongiose oder Graphitierung ist eine spezielle Korrosionsart, die an lamellarem oder aber auch an globularem Grauguß auftreten kann. Die Oberfläche von Bauteilen, die von einem derartigen Korrosionsvorgang betroffen sind, zeigt sich weich und abfärbend wie Graphit. Im metallographischen Schliff ist zu sehen, daß beim Ablauf dieser Korrosion der Potentialunterschied zwischen Graphit und Eisen wirksam wird. Das Eisen löst sich auf und das Graphitgerüst bleibt bestehen. Die Bedingungen zu einer derartigen Korrosion sind gegeben insbesondere in saurem und brackigem Wasser unter Sauerstoffmangel. Das Auftreten von Spongiose wird auch nach der Reinigung von Anlagen durch Säure mit Zusätzen von Sparbeize beobachtet. Vor einer derartigen Prozedur sollten Bauteile aus Gußeisen ausgebaut werden (Bild 9-133).
Bild 9-132. Lokale Korrosionen an einem verzinkten Boiler durch Warmwasser
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
Bild 9-133. Spongiose an globularem Graugruß
9 Flüssigmetallversprödung Die Wirkung eines schmelzflüssigen Metalls auf ein festes Metall, die in der Störung des Zusammenhalts, d.h. in der Bildung von Trennungen besteht, wird im metallographischen Bild offensichtlich durch den Nachweis des in den Trennungen erstarrten flüssigen Metalls. Diese Schadenart ist auch unter Lötbrüchigkeit bekannt, sie tritt auf, wenn die Schmelze im festen Metall löslich ist und das feste Metall unter Spannung steht (vgl. Abschn. 9.2.3, Bild 9-67).
9.4 Feinstrukturuntersuchungen8 Die im Gefüge eines Werkstoffes vorliegenden Gleichgewichts- bzw. Nichtgleichgewichtsphasen bestimmen in teilweise erheblichem Maße dessen Eigenschaftsprofil, weshalb die Phasenzusammensetzung eines Werkstoffes häufig entscheidend festlegt, ob und inwieweit ein aus diesem Werkstoff gefertigtes Bauteil dem bei der Auslegung zugrunde gelegten Anforderungsprofil entspricht. Hierbei ist insbesondere zu beachten, daß die Phasenzusammensetzung ihrerseits wiederum von den verschiedenartigen Einflüssen, denen ein Bauteil bei Herstellung, Bearbeitung und Betrieb ausgesetzt ist, verändert werden kann. Unter ungünstigen Umständen führt dies dazu, daß das Bauteil die Anforderungen, auf die hin es ausgelegt wurde, nicht mehr erfüllt und ein Schaden eintritt. Aus dem gleichen Grunde können sich auch schadenauslösende Beanspruchungen, deren Höhe außerhalb des bei der Bauteilauslegung berücksichtigten Rahmens liegt, in entsprechenden Veränderungen der Phasenzusammensetzung des verwendeten Werkstoffes widerspiegeln. 8
Von Dr.rer.nat. W. Loos
9.4 Feinstrukturuntersuchungen
189
Ebenso ist im Hinblick auf Schadenabläufe vielfach die Wechselwirkung eines Bauteiles mit umgebenden Medien von Bedeutung, wobei diese Wechselwirkung sich auf der Bauteiloberfläche in Form von Reaktionsprodukten oder Ablagerungen dokumentieren kann. Die Art solcher Ablagerungen bzw. Reaktionsprodukte gibt hierbei oftmals Auskunft über die näheren Umstände – z.B. Temperatur, chemische Bedingungen etc. – die zu ihrer Entstehung geführt haben und kann somit wertvolle Hinweise zur Aufklärung eines Schadens liefern. Ferner können, wegen ihrer Überlagerung mit Lastspannungen, Eigenspannungen und, wegen der dadurch bedingten Anisotropie – d.h. Richtungsabhängigkeit – insbesondere der Festigkeitseigenschaften, auch Vorzugsorientierungen der Kristallite (Körner) eines Werkstoffes – sog. Texturen – schadenauslösend bzw. schadenbegünstigend wirken. Um Schadenabläufe beweiskräftig nachvollziehen zu können, stellen sich dementsprechend oft folgende Aufgaben:
− Analyse der Phasenzusammensetzung eines Werkstoffes Die Bestimmung der im Gefüge eines Werkstoffes auftretenden Phasen erfolgt in der Regel anhand eines entsprechend angeätzten metallographischen Schliffes. Hierbei handelt es sich jedoch um ein indirektes Verfahren, da quantitativ formulierbare Zusammenhänge zwischen dem atomaren Aufbau – d.h. der Feinstruktur – einer Phase und deren Erscheinungsbild im geätzten Schliff nicht existieren und deshalb die Auswertung eines Schliffbildes rein empirisch erfolgen muß. Aus diesem Grunde können sich immer wieder Fälle ergeben, bei denen Aussagen über die Phasenzusammensetzung eines Werkstoffes allein aufgrund metallographischer Untersuchungen nicht mit der notwendigen Sicherheit zu treffen sind, und die Verwendung von Methoden, die den direkten Zugang zur Feinstruktur erlauben, erforderlich werden. − Bestimmung der Art von Ablagerungen oder Reaktionsprodukten auf Bauteiloberflächen Hierbei geht es darum festzustellen, welche chemischen Verbindungen eine Ablagerung oder ein Reaktionsprodukt enthält und ggfs. in welchen allotropen Modifikationen diese vorliegen. Die bloße Analyse der Elementzusammensetzung reicht in diesem Zusammenhang vielfach nicht aus. − Messung von Eigenspannungen und Texturen Zur Lösung der beschriebenen Aufgaben werden heute routinemäßig vielfach Methoden der röntgenographischen Feinstrukturanalyse verwendet, sofern es sich bei den zu untersuchenden Substanzen um kristalline Festkörper handelt. Im Rahmen von Schadenanalysen werden Texturuntersuchungen und Eigenspannungsmessungen wegen des in der Regel erforderlichen hohen Aufwandes eher selten vorgenommen, weshalb die entsprechenden Methoden im folgenden nicht besprochen werden sollen. 9.4.1 Methodik Im Inneren eines kristallinen Festkörpers, z.B. eines Kristalliten in einem vielkristallinen Haufwerk, sind die Atome, aus denen dieser Festkörper zusammengesetzt ist, in einer durch die jeweilige Kristallstruktur festgelegten Weise regelmäßig
190
9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
im Raum angeordnet. Eine derartige regelmäßige räumliche Anordnung von Atomen wirkt nun auf Röntgenstrahlen in ähnlicher Weise wie ein optisches Strichgitter auf sichtbares Licht. Durch Interferenz löschen sich die an den einzelnen Atomen einer solchen regelmäßigen Anordnung gebeugten Röntgenstrahlen in den meisten Richtungen gegenseitig aus, in einigen anderen verstärken sie sich. Als Folge davon läßt sich bei Bestrahlung eines kristallinen Festkörpers mit Röntgenstrahlung ein Interferenzmuster – ein sog. Diffraktogramm – beobachten, wobei die Richtungen, d.h. die Winkellagen relativ zum einfallenden Strahl, und die Intensitäten der auftretenden Interferenzmaxima charakteristisch für die untersuchte kristalline Substanz sind, sodaß ein solches Diffraktogramm gleichsam als röntgenographischer „Fingerabdruck“ zur Identifizierung dieser Substanz herangezogen werden kann . Die routinemäßige Identifizierung kristalliner Substanzen nach diesem Prinzip wird dadurch möglich, daß in Form der sog. JCPDS – Datei eine Sammlung röntgenographischer „Fingerabdrücke“ für mehrere zehntausend kristalline Einzelsubstanzen verfügbar ist. Wird das Diffraktogramm einer unbekannten kristallinen Substanz aufgenommen, so läßt sich diese Substanz durch Vergleich des gemessenen Diffraktogrammes mit den in der JCPDS – Datei tabellierten röntgenographischen „Fingerabdrücken“ identifizieren. Besteht das untersuchte Material aus einer Mischung mehrerer kristalliner Einzelsubstanzen, so entsteht das erhaltene Diffraktogramm durch Überlagerung der Interferenzmuster der in der Mischung enthaltenen Einzelsubstanzen, die dann wieder durch Vergleich mit der JCPDS – Datei identifiziert werden können. Die Intensität, mit der das Interferenzmuster einer Einzelsubstanz im Diffraktogramm einer Mischung auftritt, läßt sich mit Hilfe entsprechender Auswerteverfahren in den Massenanteil dieser Einzelsubstanz umrechnen. Dieses Vorgehen setzt allerdings voraus, daß die untersuchte Probe hinreichend feinkörnig und texturfrei ist, was gegebenenfalls durch Zerkleinern zu einem feinen Pulver erreicht werden kann, sofern hierdurch die Phasenzusammensetzung nicht verändert wird. Die hier kurz geschilderte Methodik bildet die Grundlage für die qualitative und quantitative Analyse von Gemischen kristalliner Einzelsubstanzen und ist damit sowohl auf die Ermittlung der Phasenzusammensetzung von Werkstoffen als auch auf die Bestimmung der kristallinen chemischen Verbindungen, die in Reaktionsprodukten oder Ablagerungen auf Bauteiloberflächen vorliegen, anwendbar. 9.4.2 Anwendungsmöglichkeiten 1 Bestimmung der Phasenzusammensetzung von Werkstoffen Im Gefüge von Vergütungsstählen kann, sofern hierauf bei der Wärmebehandlung nicht speziell Rücksicht genommen wird, nicht zu Martensit umgewandelter Austenit – sog. Restaustenit – vorliegen, der thermodynamisch unstabil ist und deshalb dazu neigt, sich bei langzeitig tiefen Bauteiltemperaturen oder bei dynamischer Beanspruchung in Martensit umzuwandeln. Hierdurch ist, da der auf diese Weise entstandene Martensit nicht angelassen ist, die Gefahr der Bauteilversprödung, und, wegen der mit der Umwandlung von Austenit in Martensit verbundenen Volumenänderung, die Gefahr des Bauteilverzuges gegeben. Sowohl Verzug als auch Versprödung eines Bauteiles können sich schadenauslösend oder schadenbegünsti-
9.4 Feinstrukturuntersuchungen
191
gend auswirken, weshalb zur Aufklärung von Schadenabläufen der Nachweis von Restaustenit oftmals bedeutsam ist. Abgesehen von Restaustenit ist Bauteilversagen auch sonst häufig darauf zurückzuführen, daß durch ungeeignete Temperaturführung bei der Herstellung ein nicht beanspruchungsgerechter Werkstoffzustand eingestellt wurde. In derartigen Fällen kann sich die fehlerhafte Temperaturführung in bestimmten Phasen widerspiegeln, die im Werkstoffgefüge auftreten, und deren Nachweis somit einen entscheidenden Beitrag zur Aufklärung der Schadenursache liefert. Ebenso können Phasen, die im Gefüge eines Werkstoffes auftreten, einen Rückschluß auf Temperaturen, die beim Betrieb eines aus diesem Werkstoff hergestellten Bauteiles aufgetreten sind, zulassen. Ein Beispiel hierfür bietet etwa die σ – Phase in hochwarmfesten Chromstählen, die sich bei Cr-Gehalten über 10 Masse – % infolge zu niedriger Betriebstemperaturen bildet und die Gefahr der Versprödung mit sich bringt. 2 Analyse von Reaktionsprodukten Die im Hinblick auf Schadenabläufe bedeutsamsten Reaktionen zwischen einem Bauteil und seiner Umgebung sind sicherlich die Korrosionsreaktionen, wobei insbesondere zu unterscheiden ist zwischen elektrochemischer Korrosion, d.h. Korrosion unter Einwirkung von Feuchtigkeit, und Hochtemperaturkorrosion. Im Zusammenhang mit Korrosionsreaktionen läßt die Analyse der entstandenen Korrosionsprodukte häufig Rückschlüsse auf Einzelheiten des Reaktionsablaufes zu, aus denen sich entscheidende Hinweise auf die Schadenursache ergeben. Ein wichtiger Spezialfall der Hochtemperaturkorrosion ist die Bildung von Oxidschichten auf der Oberfläche thermisch belasteter Stahlbauteile, etwa der Innenwand von Überhitzerrohren in Dampfkesseln. Bei der Reaktion von Eisen mit oxidierenden Medien, z. B. Heißdampf, gebildetes Eisenoxid kann dabei – abhängig vom Sauerstoffangebot – in drei Formen, die sich im Sauerstoffgehalt unterscheiden, vorliegen, nämlich als Wüstit ( FeO ), Magnetit ( Fe3O4 ) oder Hämatit ( Fe2O3 ), wobei Wüstit nur oberhalb von etwa 700 °C gebildet wird und bei langsamem Abkühlen unter diese Temperatur in Eisen und Magnetit zerfällt. Wird Wüstit hingegen rasch abgekühlt, so bleibt er metastabil bis Raumtemperatur erhalten. Auf diese Weise liefert die Anwesenheit von Wüstit in einer Zunderschicht den unmittelbaren Beweis dafür, daß die Oxidation des betreffenden Bauteiles während einer längeren Betriebsperiode bei einer Temperatur oberhalb von ca. 700 °C erfolgte. Aus der Abwesenheit von Wüstit kann hingegen nicht geschlossen werden, daß bei der Oxidation und somit beim Betrieb des Bauteiles die Temperatur von 700 °C allenfalls kurzfristig überschritten wurde. In diesem Falle muß zum Beweis einer als möglich vermuteten Schädigung durch hohe Dauertemperaturen allerdings erst der Nachweis erbracht werden – z.B. anhand eines metallographischen Schliffes –, daß der ursprünglich gebildete Wüstit in ein Gemisch von Eisen und Magnetit zerfallen ist. Vielfach werden Reaktionen zwischen einem Bauteil und einer eigens zu diesem Zweck speziell hergestellten Umgebung absichtlich ausgeführt, um durch chemische Modifikation der Bauteilrandschicht beanspruchungsgerechte Oberflächeneigenschaften zu erzeugen. Beispiele hierfür sind etwa das Nitrieren, das Inchromieren, das Borieren usw., wobei es häufig entscheidend darauf ankommt, durch geeignete Prozeßführung genau die beabsichtigten Reaktionsprodukte zu er-
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9 Beanspruchungsreaktionen und Schadenmerkmale
halten, da sich sonst die angestrebten Eigenschaften nicht einstellen und die Gefahr eines Bauteilversagens entsteht. Aus diesem Grunde ist die Analyse der in einer modifizierten Randschicht auftretenden Verbindungen für die Klärung von Schadenfällen oft von großer Bedeutung. 3 Analyse von Ablagerungen In vielen Fällen besteht die Wechselwirkung eines Bauteils mit seiner Umgebung darin, daß sich Stoffe aus der Umgebung auf der Bauteiloberfläche ablagern und dort entweder locker liegen bleiben oder aber mehr oder weniger fest haftende Beläge bilden, ohne jedoch den Bauteilwerkstoff selbst chemisch zu verändern. Wie bereits das sprichwörtliche Beispiel vom Sand im Getriebe zeigt, können derartige Ablagerungen zu schwerwiegenden Funktionsbeeinträchtigungen von Maschinen oder Anlagen führen und so zum Auslöser von Schäden werden. In diesem Zusammenhang ist etwa die Problematik der rauchgasseitigen Bildung von Ansätzen auf Heizflächen von Dampferzeugern zu nennen sowie die von zahlreichen Einflußfaktoren und ihren vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten abhängige Entstehung von Kesselstein. Gerade zur Aufklärung von Schäden, bei denen einer dieser beiden genannten Themenkreise eine auslösende oder begünstigende Rolle spielt, ist die möglichst umfassende Analyse der entstandenen Ablagerungen oft unverzichtbarer Bestandteil der vorzunehmenden Untersuchungen. 9.4.3 Anwendungsbeispiel Die Anwendung der röntgenographischen Feinstrukturanalyse als Teilschritt bei der Klärung eines Schadenfalles soll am Beispiel eines Kesselschadens erläutert werden: An zahlreichen Steigrohren (Verdampferrohren) eines Schwerölkessels zur Prozeßdampferzeugung waren Ausbeulungen aufgetreten, die feuerraumseitig in übereinstimmender Höhe angeordnet waren. Die äußere Beurteilung zeigte, daß die Morphologie des Belages auf den Außenflächen der Kesselberohrung dem für den Normalbetrieb üblichen Zustand entsprach. Auch der Innenzunder wies die für den Normalbetrieb charakteristische Ausbildung auf, jedoch wurden im Bereich der Ausbeulungen auf dem Innenzunder bis zu ca. 3 mm dicke poröse und teilweise festhaftende weiße bis bräunliche Beläge festgestellt. Als Folgerung aus der äußeren Beurteilung ergab sich die Hypothese, daß infolge der Bildung schlecht wärmeleitender Beläge auf dem Innenzunder der Wärmeübergang in der Rohrwand erheblich beeinträchtigt wurde, sodaß es an den von der Belagbildung betroffenen Stellen zu einer Überhitzung des warmfesten Rohrwerkstoffes (St 35.8) kam und ein Zeitstandschaden eintrat. Zur Überprüfung dieser Hypothese wurde eine metallographische Untersuchung vorgenommen, wobei an denjenigen Mikroschliffen, die aus dem Bereich der Ausbeulungen entnommen worden waren, tatsächlich die Einformung des lamellaren Perlits in körnigen Zementit nachgewiesen werden konnte. Dieser Befund beweist zweifelsfrei, daß der Rohrwerkstoff einer langzeitigen Einwirkung von Temperaturen oberhalb 700 °C ausgesetzt war. Die eindeutige Feststellung der Schadenursache erforderte somit die Aufklärung der Entstehung der bei der äußeren Beurteilung gefundenen wärmeisolierenden
9.4 Feinstrukturuntersuchungen
193
Beläge auf dem Innenzunder. Hierzu war zunächst zu bestimmen, aus welchen chemischen Verbindungen diese Beläge zusammengesetzt sind. Zu diesem Zweck wurden mit Hilfe der Röntgenbeugung Diffraktogramme der Innenbeläge aufgenommen (Bild 9-134), auf denen die Interferenzmuster von Magnetit (Fe3O4), Hydroxylapatit {Ca5(PO4)3OH} und Anhydrit (CaSO4) auftraten, die sich anhand der JCPDS-Datei identifizieren ließen. Der nachgewiesene Magnetit ist dabei Bestandteil des normalen Innenzunders, das Vorliegen von Hydroxylapatit zeigt, daß versucht wurde, durch Zugabe von Trinatriumphoshat zum Kesselspeisewasser Ca-Ionen in fast wasserunlöslichen Hydroxylapatit überzuführen und auf diese Weise aus dem Speisewasser auszufällen. Dieses als Resthärtebindung bekannte Verfahren kann zwar im Rahmen der Speisewasserkonditionierung, also zusätzlich zu der im jedem Falle notwendigen Speisewasseraufbereitung, zur gängigen Praxis beim Dampferzeugerbetrieb gehören, birgt jedoch die Gefahr in sich, daß sich schwer entfernbare Phosphatbeläge auf dem Innenzunder bilden. Im vorliegenden Falle war es überdies – wie durch Leitfähigkeitsmessungen festgestellt wurde – seit einiger Zeit zu einer erhöhten Konzentration gelöster Ionen im Speisewasser gekommen, was durch verstärkte Zugabe von Trinatriumphoshat ausgeglichen werden sollte. Der im Innenbelag nachgewiesene Anhydrit zeigt jedoch, daß trotzdem noch genügend Calziumsulfat im Speisewasser gelöst war, das sich dann beim Verdampfungsprozeß im Restwasser lokal soweit anreicherte, bis die Löslichkeitsgrenze überschritten war und das Auskristallisieren an der Rohrinnenwand erfolgte. Die im Rahmen der Analyse des geschilderten Schadens ausgeführten Untersuchungen lieferten somit eindeutig den Beweis dafür, daß die mangelhafte Qualität des Kesselspeisewassers infolge fehlerhafter Aufbereitung und ungeeigneter Konditionierung ursächlich für den eingetretenen Schaden war.
Bild 9-134. Diffraktogramm vom Innenbelag eines Steigrohres ANH: Anhydrit HAP: Hydroxylapatit MAG: Magnetit
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10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
Das Verformungs- und Bruchverhalten von Bauteilen aus nichtmetallischen Werkstoffen zeigt makroskopisch eine gleichartige Abhängigkeit vom Beanspruchungszustand und von den Werkstoffeigenschaften wie metallische Werkstoffe. Somit ist auch hier für die Beurteilung von Brucharten das Versagensschema nach Bild 9-14 in gleicher Weise wie für Metalle gültig. Entsprechend der unterschiedlichen Reaktion auf äußere Beanspruchungen in Gefüge und Struktur nichtmetallischer Werkstoffe ergeben sich dort jedoch unterschiedliche Morphologien in den mikrofraktographischen Bruchgefügen und in materialographischen Schliffbildern im Vergleich zu metallischen Werkstoffen. Besonders bei Verbundwerkstoffen ist für die Trennmechanismen auch noch das Verhalten und die Bindung von Verstärkungsfasern in der Matrix bedeutsam. Schließlich ist auch bei korrosiven Angriffen Gefüge und Struktur des Werkstoff maßgebend. Bei polymeren Werkstoffen sind chemische Angriffe vorzugsweise durch spezielle Lösungsmittel zu erwarten. In dem hier gegebenen Zusammenhang werden diese spezifischen Schädigungsarten bewußt ausgespart, da sie Gegenstand spezieller Literatur sind. Keramik verhält sich ihrer Natur nach spröde und ist in Bezug auf das Bruchverhalten besonders stark abhängig von inneren und äußeren Fehlstellen in Bauteilen. Bei Keramik ist ebenfalls ein chemischer Angriff auf den Werkstoff durchaus möglich, der jedoch im hier gegebenen Zusammenhang keiner weiteren Betrachtung unterzogen werden soll.
10.1 Polymere Kurzfaserverbundwerkstoffe1 Das Versagensverhalten von gefüllten und ungefüllten Verbundwerkstoffen mit Polymermatrix ist neben den äußeren Beanspruchungen stark vom jeweiligen Werkstofftyp abhängig. Bei den Matrixwerkstoffen muß zunächst zwischen Duroplasten, Thermoplasten und Elastomeren unterschieden werden. Im Gegensatz zu den duroplastischen und thermoplastischen Polymeren, welche bei Raumtemperatur normalerweise relativ hart sind, weisen die Elastomere, aufgrund ihrer weitmaschig gebundenen Makromoleküle, ein gummielastisches Verhalten auf. Zu ihnen zählen beispielsweise Polyurethan (PUR) und Styrol-Butadien-Copolymerisat (SBR). Der Unterschied zwischen den Duroplasten und Thermoplasten besteht vor allem darin, daß thermoplastische Polymere reversibel plastifiziert werden können. Sie 1
Von Dr.-Ing. R. Malke
10.1 Polymere Kurzfaserverbundwerkstoffe
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eignen sich daher für den Einsatz in Spritzgießprozessen. Zu der großen Gruppe der Thermoplaste gehören beispielsweise Polyvinylchlorid (PVC), Polystyrol (PS) sowie die große Gruppe der kristallinen bzw. teilkristallinen Polymere, zu deren Vertretern Polyamid (PA), Polyäthylen (PE) und Polyetheretherketon (PEEK) zählen. Unter einer Kristallisation bei Polymeren wird der mehr oder weniger regelmäßige, gitterartige Aufbau der Makromoleküle verstanden. Der Kristallisationsgrad liegt normalerweise zwischen 20 und 80 %, ist jedoch, insbesondere durch die Verarbeitungsbedingungen und mit einer thermischen Nachbehandlung einstellbar. Im Gefüge derartiger Polymerwerkstoffe liegen die kristallinen Bereiche vorwiegend in Faltungsblöcken oder -lamellen vor (Sphärolithe). Zwischen diesen finden sich, entsprechend des eingestellten Kristallisationsgrades amorphe Matrixbereiche. Wie bereits erwähnt ist bei den Duroplasten keine reversible Erwärmung möglich. Ursache hierfür ist es, daß neben den Vernetzungspunkten der Makromoleküle zusätzliche chemische Bindungskräfte zwischen diesen vorliegen. Zu den duroplastischen Polymeren zählen beispielsweise Epoxidharze (EP) und Phenoplaste (PF). Die aufgezeigte Vielfalt der Polymerwerkstoffe macht deutlich, daß im Rahmen dieses Abschnittes nur ein grober Überblick über deren Versagensmechanismen bzw. -formen gegeben werden kann. In vielen technischen Anwendungen finden jedoch die oben dargestellten Polymere als Matrixsysteme in sog. Verbundwerkstoffen ihren Einsatz. Darunter versteht man generell die Kombination verschiedener Werkstoffe mit unterschiedlichen Eigenschaften zu einem Werkstoff, der die Eigenschaften idealerweise kombiniert und so zu einer Verbesserung der Gesamteigenschaften beiträgt. Zunächst sollen partikel- und kurzfaserverstärkte Verbunde betrachtet werden, im folgenden (vgl. Abschn. 10.2) wird dann auf polymere Verbundwerkstoffe mit Langfaserverstärkung eingegangen. Als Faserwerkstoffe kommen vor allem Glas, Kohlenstoff und Metalle zum Einsatz, wobei Glaskurzfasern aufgrund ihrer relativ geringen Kosten ein großes Anwendungsspektrum besitzen. Kohlenstoffkurzfasern werden vor allem in Bauteilen eingesetzt, bei denen eine hohe mechanische Festigkeit, bei gleichzeitig niedrigem spezifischem Gewicht gefordert wird. Das Einsatzgebiet metallischer Fasern ist im Vergleich zu den beiden bisher genannten Fasertypen relativ begrenzt. Sie werden bisher vor allem zur Verbesserung der elektrischen Eigenschaften, beispielsweise zur Steigerung der elektromagnetischen Abschirmung, eingesetzt. Das Versagensverhalten der kurzfaserverstärkten Polymerwerkstoffe wird hauptsächlich von der Matrix, den Fasern sowie dem Interface zwischen Faser und Matrix beeinflußt. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der sog. kritischen Faserlänge sowie des sog. „aspect ratio“ von großer Bedeutung. Während man unter dem „aspect ratio“ das Verhältnis von Faserlänge zu Faserdurchmesser versteht, beschreibt die kritische Faserlänge lc diejenige Faserlänge, ab der eine optimale Kraftübertragung zwischen Faser und Matrix stattfinden kann. Zum Verständnis der Verstärkungs- bzw. auch Versagensmechanismen ist es notwendig, sich kurz mit den Vorgängen der Kraftübertragung in einem faserverstärkten Polymerwerkstoff zu beschäftigen. Unter Beanspruchung kommt es an der Grenzfläche zwischen Faser und Matrix durch Schubspannungen zur Spannungsübertragung. Als kritische Faserlänge wird dabei diejenige Länge bezeichnet, bei der gerade die in der Matrix vorherrschende Spannung vollständig auf die Faser übertragen werden kann (Bild 10-1).
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10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
Bild 10-1. Schematische Spannungsverteilung entlang einer Verstärkungsfaser τI = Schubspannung im Interface; σF = Zugspannung in der Faser
Für das Versagensverhalten bedeutet dies, daß je nach vorliegender Faserlänge und -orientierung unterschiedliche Versagensabläufe wirksam sind. Bei Faserlängen l > lc tritt nach dem Auftreffen der Rißfront (1) auf die Faseroberfläche zunächst eine lokale Grenzflächenablösung (2) auf, die sich in einem Grenzflächengleiten (3) fortsetzt. Im Faserquerschnitt kann sich jedoch gleichzeitig eine entsprechende Spannung aufbauen, die bei Überschreiten der Bruchspannung zum Faserbruch (4) und anschließenden Pull-Out (5) führt. Bei einer effektiven Faserlänge l < lc kommt es nach einer Rißinitiierung und der damit verbundenen Matrixverformung (1) zum Grenzflächengleiten mit nachfolgender Ablösung (2) und einem anschließenden Pull-Out (5) der Faser. In Bild 10-2 sind schematisch beide oben beschriebenen Mechanismen dargestellt.
Bild 10-2. Versagensmechanismen bei unterschiedlichen Faserlängen
10.1 Polymere Kurzfaserverbundwerkstoffe
197
Das Auftreten unterschiedlicher Faserlängen ist vor allem auf den Herstellungsprozeß und auf die dabei auftretenden Interaktionen zwischen Faser und Verarbeitungsmaschine, Faser und Matrix sowie Fasern untereinander zurückzuführen. Im Bauteil selbst kommt es darüber hinaus aufgrund strömungsmechanischer Vorgänge während der Formfüllung zur Ausbildung einer Faserorientierungsverteilung über den Querschnitt. 10.1.1 Äußere Beurteilung geschädigter Bauteile Vergleichbar mit geschädigten Bauteilen aus metallischen Werkstoffen kommen für die äußere Beurteilung sowohl das bloße Auge, als auch eine Lupe oder ein Makroskop zum Einsatz. Neben einer Beurteilung der Bruchflächen können bei diesem Untersuchungsschritt z.T. bereits herstellungsbedingte Fehlstellen erkannt werden, die auf die Versagensursache schließen lassen. Im Bereich der Anschnitte – Einspritzpunkte – sind thermische Werkstoffschädigungen bei thermoplastischen Werkstoffen meist relativ leicht anhand von Fließfiguren, die durch thermisch geschädigtes Polymer verursacht wurden, zu erkennen. Derartige Schädigungen sind auf eine zu hohe Massetemperatur oder auf zu klein ausgelegte Anschnittquerschnitte zurückzuführen. Im letzteren Fall kommt es durch eine zu starke Reduzierung des Querschnitts zu einer Steigerung der inneren Reibung und einer daraus resultierenden kritischen Temperaturerhöhung des Polymers. Verformungen des Bauteils die auf eine äußere Kraft- bzw. Temperatureinwirkung zurückzuführen sind, lassen sich mit der äußeren Beurteilung ebenfalls gut erkennen und entsprechend zuordnen. So führen beispielsweise überhöhte Betriebstemperaturen bei thermoplastischen Werkstoffen meist nur zu starken Verformungen, wogegen bei Duroplasten eine thermische Zersetzung des Polymers zu erkennen ist. Mechanische Überbeanspruchungen führen hingegen jedoch häufig zu farblichen Veränderungen an der Oberfläche, die auf Verformungen in der Mikrostruktur zurückzuführen sind. Bei transparenten Kunststoffen bewirken diese eine Trübung, die auf die Bildung von Mikrohohlräumen und Fibrillen im Inneren des Werkstoffes zurückzuführen sind. 10.1.2 Fraktographische Beurteilung geschädigter Bauteile Vergleichbar mit metallischen Werkstoffen, kann auch bei Polymeren die fraktographische Beurteilung der Bruchfläche entscheidend zur Rekonstruktion und Lösung des Schadenfalles beitragen. Unterschieden wird auch hier zwischen makround mikrofraktographischen Methoden, wobei die zur Durchführung der Untersuchung eingesetzten Hilfsmittel mit den in Abschn. 9.2.1 beschriebenen übereinstimmen. Lediglich zur Durchführung der mikrofraktographischen Untersuchung mit Hilfe des Rasterelektronenmikroskopes (REM) ist es notwendig, daß die Oberfläche eine Leitfähigkeit aufweist. Dies kann beispielsweise durch das Abscheiden eines dünnen Goldfilmes auf dieser realisiert werden.
198
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
10.1.2.1 Makrofraktographische Bruchmerkmale Zu den makrofraktographischen Bruchmerkmalen zählen vor allem evtl. vorhandene Verformungen sowie die Lage und Morphologie der Bruchfläche. Zur Charakterisierung lassen sich die Begriffe, welche zur Beschreibung einer metallischen Bruchfläche dienen, verwenden. Die Ausbildung der Bruchfläche ist dabei von der Beanspruchungsgeschwindigkeit und -temperatur wie auch vom Werkstoff entscheidend abhängig. Schadenauslösende, werkstoffbedingte Merkmale wie beispielsweise un- oder nur teilweise aufgeschmolzenes Granulat, Poren usw. sind bei der makroskopsichen Beurteilung der Bruchflächen gut erkennbar. Dabei bilden sich Poren meist als sphärische Vertiefungen ab, die eine relativ glatte Oberfläche besitzen. Unaufgeschmolzenes Granulat ist auf der Bruchoberfläche einerseits meist farblich, andererseits als überwiegend scharfkantige geometrische Struktur zu erkennen. 1 Gewaltbrüche Unverstärkte Polymere weisen gegenüber den verstärkten und gefüllten meist ein duktileres Verhalten auf. So sind Einschnürungen an verstärkten Kunststoffen im Bereich der Bruchebene meist nur in einem sehr geringen Maße erkennbar. Derartige Werkstoffe besitzen meist ein sprödes Bruchverhalten, wobei die Bruchebene eine senkrecht zur Belastungsrichtung liegende Ausrichtung aufweist. Mit zunehmender Beanspruchungstemperatur tritt eine Erhöhung der duktilen Versagensmerkmale auf. Das Versagensverhalten des Werkstoffes ändert sich von spröd hin zu einem visko-plastischen Verhalten, bei dem auf der Bruchfläche bereits makroskopisch deutliche Verformungen und große Fibrillen zu erkennen sind. Bei einer Langzeitbeanspruchung eines normalerweise spröde versagenden Polymers kommt es, vergleichbar mit einer Temperaturerhöhung ebenfalls zu einer Zunahme der duktilen Versagensanteile. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die untereinander vernetzten Makromolekülketten bei sehr langsamen Beanspruchungsgeschwindigkeiten eine Beweglichkeit zulassen, und dabei deren Neuausrichtung ohne gleichzeitige Trennung möglich ist. 2 Schwingungsbrüche Bei den Schwingungsbrüchen muß zwischen gut verformbaren und wenig verformungsfähigen Polymerwerkstoffen unterschieden werden. Je nach Verformungsverhalten kommt es zu einer charakteristischen Ausbildung der Bruchmorphologie. Bei gut verformbaren Polymeren kommt es unter wechselnder Last zu elastischen Verformungsvorgängen. An Inhomogenitäten wie Einschlüssen oder auch Fasern kommt es aufgrund irreversibler Deformationen und den dabei auftretenden Bewegungen der Makromolekülketten zu Erwärmungen. Das Versagensverhalten weist Ähnlichkeiten mit dem des thermisch induzierten Kriechens auf. Bei hohen Beanspruchungsgeschwindigkeiten und Belastungen kann dies sogar zu inneren Aufschmelzungen führen. Eine eindeutige Zuordnung ist jedoch bei derartigen Werkstoffen nur bedingt möglich, da besonders unter höheren Beanspruchungstemperaturen die Bruchmerkmale mit denen eines Gewaltbruches vergleichbar sind und normalerweise makroskopisch erkennbare Bruchbahnen nicht vorliegen.
10.1 Polymere Kurzfaserverbundwerkstoffe
199
Bei wenig verformungsfähigen Polymerwerkstoffen ist auf der Bruchoberfläche die Ausbildung einer relativ scharfen Rißfront gut zu erkennen. Ausgangspunkte derartigen Versagens sind meist Inhomogenitäten wie Einschlüsse, Poren o. ä.. Mit abnehmender Verformbarkeit weist die Dauerbruchfläche eine immer glatter erscheinende Oberfläche auf, die sich von der Restgewaltbruchfläche deutlich unterscheiden läßt.
10.1.2.2 Mikrofraktographische Bruchmerkmale Im Hinblick auf eine eindeutige Klärung des Schadenfalles erscheint die mikrofraktographische Beurteilung der Bruchfläche mit Hilfe des Rasterelektronenmikroskopes (REM) in vielen Fällen als eine unverzichtbare Ergänzung zu den beiden vorausgegangenen Untersuchungsschritten an Polymerwerkstoffen. 1 Gewaltbrüche Je nach Polymertyp – Duro- bzw. Thermoplast oder Elastomer – zeigen die mikrofraktographischen Versagensmerkmale ein mehr oder weniger ausgeprägtes sprödes bzw. duktiles Versagensverhalten auf. Ein rein sprödes Verhalten, wie dies bei Metallen beobachtet werden kann, tritt jedoch bei Polymeren nicht auf, da selbst bei makroskopisch spröd erscheinende Morphologien bei hohen Vergrößerungen duktile Merkmale zu erkennen sind. Bei den Gewaltbrüchen wird zunächst unterschieden zwischen sog. Normalspannungs-, Reiß- und Schubbrüchen sowie den sog. Crazes. Bei Normalspannungsbrüchen kommt es zunächst zu einer faserförmigen Werkstofftrennung, die auf der Bruchoberfläche eine wabenartige Struktur hinterläßt. Bei Reißbrüchen, die aufgrund einer ungleichmäßig über den Querschnitt vorliegenden Spannung entstehen kommt es zur Bildung von kammartigen Strukturen. Darüber hinaus bilden sich auf der Oberfläche v- bzw. u-förmige Grate, deren Spitzen gegen die Belastungsrichtung weisen. Der Schubbruch wird durch Überschreiten der kritischen Schubspannung ausgelöst. Die sich dabei bildende Bruchmorphologie entspricht der des Reißbruches, wobei jedoch die gegenüberliegenden Bruchflächen gegenläufige Bruchstrukturen aufweisen. Unter Crazes versteht man bei Polymerwerkstoffen Anrisse in der Mikrostruktur, die zur Entlastung eines beanspruchten Werkstoffbereiches auftreten. Dabei kommt es zur Bildung sogenannter Fibrillen, Polymerfäden mit Durchmessern von unter 1 μm. Crazes liegen zumeist auch im Anfangsstadium des Gewaltbruches vor und unterscheiden sich in der Morphologie der Bruchfläche deutlich von diesem. Sie sind auf der Bruchoberfläche als sehr kleine Fäden und Zipfel zu erkennen. Entsprechend der Lage der Crazes – im Inneren des Bauteils oder an dessen Oberfläche (Bild 10-3) – besitzen die Zipfel und Fäden eine kreis- bzw. halbkreisförmige Anordnung. Ein weiteres Kriterium bei der Unterscheidung von Gewaltbrüchen ist die Länge der sich während des Bruches bildenden Polymerfäden. Dabei spricht man von einem duktilen Werkstoffverhalten, wenn die Fadenlänge l > 1 μm beträgt. Unterhalb dieser Länge zählt der Werkstoff zu den spröden Polymeren. Neben dem Vernetzungsgrad der Makromoleküle ist die sich unter Bruchbeanspruchung ausbil-
200
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
Bild 10-3. Bruchfläche eines duroplastischen Vakuumgießharzes mit halbkreisförmiger Anordnung des Crazeanrisses
dende Fadenlänge auch stark von den Umgebungsbedingungen, wie Temperatur und Beanspruchungsgeschwindigkeit abhängig. So führen niedrige Temperatur und hohe Beanspruchungsgeschwindigkeit, ebenso wie Zusätze und Fasern zu einer Verformungsbehinderung und damit zu einem spröder werdenden Verhalten. Umgekehrt führen hohe Beanspruchungstemperaturen zu einem duktiler werdenden Versagensverhalten. Bild 10-4 zeigt die fraktographische Ausbildung eines kurzfaserverstärkten teilkristallinen Thermoplasten bei unterschiedlichen Beanspruchungstemperaturen. Bei der Beurteilung der Bruchfläche ist es daher notwendig, die Versagensbedingungen möglichst genau zu kennen. In umgekehrter Weise lassen sich jedochbei bekanntem Polymer und dessen Versagensverhalten von der Morphologie der Bruchoberfläche Rückschlüsse auf die Bedingungen während des Versagens schließen. Die mikrofraktographische Bruchfläche eines spröden Polymers ist gekennzeichnet durch Stufen und streifenförmige Muster an deren Rändern duktile Kennzeichen wie Fäden zu erkennen sind. Die stufen- und streifenförmigen Strukturen haben dabei Höhen im Mikrometerbereich. 2 Schwingungsbrüche Vergleichbar mit den Gewaltbrüchen, muß auch bei Schwingungsbrüchen zwischen einem makroskopisch duktilen bzw. spröden Werkstoffversagen unterschieden werden. Bei duktilen Schwingungsbrüchen liegen zwischen den Schwingungsbruchbahnen Strukturen vor, die Kennzeichen eines Gewaltbruchs aufweisen. Die auf den Bahnen erkennbaren Schwingungsstreifen haben eine abgerundete Form. Bei einem spröden Verhalten sind auf der Bruchoberfläche, neben den Schwingungsstreifen Nebenrisse und Stufen erkennbar. Strukturen mit höherer Festigkeit, beispielsweise Sphärolithe in kristallinen Polymeren zeichnen sich in der Bruchebene deutlich ab.
10.1 Polymere Kurzfaserverbundwerkstoffe
201
a
b
c Bild 10-4 a-c. Mikrofraktographische Merkmale der Bruchfläche bei unterschiedlichen Prüftemperaturen a RT b 100° C c 200° C
202
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
10.1.3 Plastographische Untersuchungen Bei den plastographischen Untersuchungsmethoden ist zunächst zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Vorgehensweisen zu unterscheiden. Dies ist einerseits die Untersuchungsmethode vergleichbar mit den metallographischen Untersuchungen, d. h. einer Begutachtungen im Auflichtverfahren, andererseits ist dies die Methode des Durchlichtverfahrens, welche an dünnen Schnitten und Schliffen des zu untersuchenden Werkstoffes zum Einsatz kommt. Das Auflichtverfahren wird überwiegend bei faserverstärkten Polymeren eingesetzt um dort die Faserverteilung bzw. deren -orientierung zu untersuchen. Bei kristallinen und teilkristallinen Polymeren besteht darüber hinaus die Möglichkeit diese Strukturen durch Verschieben beispielsweise der Aperturblende sichtbar zu machen. Ebenso können mit der Auflichtmethode Einschlüsse und sonstige Inhomogenitäten untersucht werden. Hervorzuheben ist dabei, daß die Präparation, besonders faserverstärkter Polymere einiger Erfahrung bedarf, um vor allem Faserausbrüche an schräg angeschliffenen Fasern zu verhindern. Die Präparationsproblematik besteht dabei vor allem in der unterschiedlichen Härte zwischen Matrix und Verstärkungsphase, wie bei dem Anschliff eines C-faserverstärkten teilkristallinen Polyaryletherketons (Bild 10-5). Das Duchlichtverfahren, inbesondere unter Benutzung von polarisiertem Licht, ist bei Polymerwerkstoffen mit kristallinen Anteilen weitaus aussagekräftiger, bedarf jedoch eines deutlich höheren Präparationsaufwands. Zur Durchführung derartiger Untersuchungen ist eine durchstrahlbare, dünne Scheibe des zu untersuchenden Polymeres nötig. Diese kann bei weichen und unverstärkten Polymeren mit Hilfe des Mikrotoms hergestellt werden. Die Schichtdicken betragen üblicherweise 10 μm. Bei harten und vor allem verstärkten Polymeren kann es jedoch beim Schneiden mit dem Mikrotom zu Deformationen des Polymers kommen, durch die bei der Beurteilung Fehlinterpratationen möglich sind. Zur Untersuchung derartiger Polymere sollten daher sog. Dünnschliffe angefertigt werden.
Bild 10-5. Anschliff eines teilkristallinen thermoplastischen Werkstoffes mit C-Kurzfasern
10.2 Langfaser- und Gewebeverbundwerkstoffe
203
Bild 10-6. Dünnschliff eines teilkristallinen thermoplastischen Werkstoffes mit C-Kurzfasern im polarisierten Licht
Die Untersuchungen mit Hilfe des Durchlichtverfahrens dienen vor allem zur Beurteilung kristalliner Strukturen, aber auch von Einschlüssen, Lunkern, Poren, Rissen und Kaltverschweißungen. Bild 10-6 zeigt die feinkristalline Matrix eines Ckurzfaserverstärkten Polyaryletherketons im polarisiertem Licht an einem Dünnschliff.
10.2 Langfaser- und Gewebeverbundwerkstoffe2 Polymere Verbundwerkstoffe mit unidirektionaler Faserverstärkung oder Gewebeverstärkung haben in vielen Bereichen der Technik bereits seit längerem Einzug gehalten. Dies hat zur Folge, daß es auch an derartigen Werkstoffen aufgrund Lükken zwischen Anforderungs- und Eigenschaftsprofil zu Schäden kommen kann. Zur Darstellung der Schadenbilder werden im Folgenden vor allem Schäden durch mechanische Überbeanspruchung herangezogen. Darüber hinaus sind auch thermische (Zersetzung einer polymeren Matrix ab einer bestimmten Temperatur), tribologische und chemisch/physikalischen Schädigungen (Alterung durch UV-Bestrahlung, Hydrolyse von Polyester-GFK) oder auch komplexe Schädigungen möglich. Die Beispiele zur Schadenuntersuchung beziehen sich ferner auf CFK mit einer Epoxidharzmatrix und einer Verstärkung mit Kohlenstoffasern auf Polyacrylnitrilbasis (PAN). CFK mit Epoxidharzmatrix versagen im allgemeinen spröde, wobei der Bruch ohne sichtbar vorausgehende plastische Verformung bereits bei sehr geringen Dehnungen erfolgt.
2
Von Dipl.-Ing. T. Hiermer und Dr.-Ing. R. Malke
204
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
10.2.1 Äußere Beurteilung Die äußere Beurteilung von Schäden bereitet an derartigen Werkstoffen oftmals Schwierigkeiten, da insbesondere durch Schlag oder Stoß Schäden auftreten, die äußerlich nur schwer erkennbar sind (sog. „Impact“ Schäden). Eine gewisse Zugänglichkeit von Schäden von der Probenoberfläche her kann gegeben sein durch: − optische Begutachtung mit und ohne Vergrößerungsglas − Speckle-Interferometrie − Makroskop 10.2.2 Fraktographie Die bruchwirksamen Beanspruchungen lassen sich in Zug, Druck, Biegung und Torsion einteilen. Es lassen sich weiterhin drei Belastungsfälle (Mode I – III) unterscheiden (vgl. Bild 11-11). Zusätzlich ist darüber hinaus noch zwischen interlaminarer und translaminarer Brucheinleitung zu unterscheiden. Bei Schichtverbunden, d.h. bei wechselnder Orientierung der einzelnen unidirektionalen Lagen lassen sich drei Bruchtypen, intralaminar, interlaminar und translaminar, unterscheiden (Bild 10-7). Bei den interlaminaren Brüchen wird der Verbund durch einen Matrixbruch zwischen den Fasern getrennt. Bei translaminaren Brüchen verläuft der Bruch hingegen quer zur Faserrichtung, wobei Faserbrüche auftreten. Demgegenüber treten intralaminare Brüche nur begrenzt in einer Laminatschicht auf. Allgemeiner wird zwischen Zwischenfaserbruch (ZFB) und Faserbruch (FB) unterschieden, wobei mit dem Faserbruch nicht das Versagen einer einzelnen Faser, sondern mehrerer, nebeneinanderliegender Fasern bezeichnet wird. Die Bruchverläufe kennzeichnen dabei die Beanspruchungsrichtung (Bild 10-8). Für matrixorientierte „glatte“ Brüche (interlaminar und intralaminar) eignet sich ggf. das Lichtmikroskop für weitere Untersuchungen. Für translaminare Brüche mit einer stärker strukturierten Oberfläche ist jedoch ausschließlich das Rasterelektronenmikroskop (REM) für die mikrofraktographische Beurteilung zu verwenden.
Bild 10-7. Bruchtypen bei Schichtverbunden
10.2 Langfaser- und Gewebeverbundwerkstoffe
205
Bild 10-8. Bruchverläufe bei unidirektionalen Faserverbundwerkstoffen
10.2.2.1 Gewaltbrüche Charakteristische Brucherscheinungen zeigen sich bei Verbundwerkstoffen sowohl in der Matrix, als auch an der Faser oder im Interface. Dabei wird das „sichtbare“ Interface, d. h. die Grenzschicht zwischen Faser und Matrix, auf der Bruchfläche auch als Faserbett bezeichnet. Bei unidirektionalen Faserverbundwerkstoffen treten interlaminare und translaminare Bruchmerkmale auf. 1 Zugversagen Tritt eine Zugbelastung in Faserrichtung auf, so bricht der Verbund translaminar. Auf der Bruchfläche sind sogenannte „Fiber-Pull-Outs“ zu erkennen, wobei als „Fiber-Pull-Out“ das Herauslösen und -ziehen der Faser aus der Matrix nach dem Bruch der Faser bezeichnet wird. Deutlich sind herausgezogene Fasern und „Faserkanäle“ in der Matrix zu erkennen (Bild 10-9). Der Verlauf des translaminaren Bruchs ist quer zur Faserlängsrichtung. Die unter Zug gebrochenen Fasern weisen bei guter Haftung eine rauhe Manteloberfläche auf. Das Versagen der einzelnen Fasern ist auf Fehlstellen in der Faser oder an ihrer Oberfläche zurückzuführen. Ausgehend vom Rißausgangspunkt sind auf der Bruchfläche sog. „Radial Markings“ zu erkennen, die den Bruchverlauf anzeigen (Bild 10-10).
206
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
Bild 10-9. Fiber-Pull-Outs bei Zugversagen eines unidirektionalen Faserverbundwerkstoffes
Bild 10-10. Radial Markings bei Zugversagen von Fasern
Tritt eine Zugbelastung senkrecht zur Faserrichtung auf, so kommt es zu einem Matrixbruch (Bild 10-11). Die Bruchfläche verläuft dabei interlaminar, d. h. zwischen den Fasern und liegt parallel zur Faserrichtung. Die einzelnen Faserschichten werden voneinander getrennt, so daß auf der Bruchfläche, entsprechend den vorliegenden Haftungsbedingungen Fasern und „Faserbetten“ aus Matrixharz zu erkennen sind.
10.2 Langfaser- und Gewebeverbundwerkstoffe
207
Bild 10-11. Fasern und Faserbetten bei Zugversagen quer zur Faserrichtung
2 Druckversagen Bei einem Versagen unter Druckbeanspruchung kommt es bei unidirektional verstärkten Verbunden zur einem translaminaren Versagen mit der Ausbildung von charakteristischen Stufen auf der Bruchfläche. Die Morphologie der Bruchfläche ist auf ein Knickversagen der Fasern zurückzuführen (Bild 10-12 a und 10-12 b). Bei guten Haftungsbedingungen zwischen Fasern und Matrix knicken unter Druckbelastung in Faserrichtung mehrere Faser gleichzeitig aus. Dadurch kommt es zur Entstehung der typischen Treppen- bzw. Terrassenstruktur. Unter Torsionsbeanspruchung kommt es zur Ausbildung ähnlicher terrassenförmiger Strukturen, wobei jedoch zusätzlich Faser und Matrixpartikel („debris“) zu erkennen sind. 3 Biegeversagen Unter Biegebelastung versagen unidirektionale Verbunde meist durch die dabei auftretende Schubbeanspruchung zunächst interlaminar, ehe ein translaminarer Biege-
a Bild 10-12 a. Entstehung von Knickbändern (schematisch)
208
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
b Bild 10-12 b. Knickbänder bei Druckversagen von unidirektionalen Faserverbundwerkstoffen
bruch auftritt. Ein Charakteristikum ist bei diesem Versagen die sog. „Hackle“Struktur (hackle = engl. zerkleinern). „Hackles“ sind Bruchstücke der Matrix, die in kleinen Partikeln an den Fasern anhaften (Bild 10-13). Das Gegenstück zu den „Hackles“ sind die sog. „Scallops“ auf der Gegenbruchfläche (Bild 10-14). Dabei handelt es sich um muschelartige Ausbrüche in der Matrix. Der Scherbruch verläuft interlaminar in der Matrix. Unter reiner Scherbeanspruchung stehen die „Hackles“ im rechten Winkel zur ebenen Bruchfläche. Ursache hierfür sind Zugspannungsrisse zwischen den Fasern (Bild 10-15).
Bild 10-13. Hacklestruktur bei Schubversagen
10.2 Langfaser- und Gewebeverbundwerkstoffe
209
Bild 10-14. Scallops bei Schubversagen
Bild 10-15. Entstehung von Hackles u. Scallops (schematisch)
Auf den Faserbruchflächen eines unidirektional verstärkten Verbundes (CFK), der unter Biegebeanspruchung translaminar versagte, können zwei Bereiche unterschieden werden (Bild 10-16). Die rauhe Fläche (linke Seite der Faserbruchfläche) ist auf die Zugbeanspruchung zurückzuführen, wogegen die glatte Seite der Faserbruchfläche einer Druckbeanspruchung zugeordnet werden kann. Zwischen den beiden Flächen befindet sich die neutrale Achse. 4 Torsionsversagen Bei einer auf ein Torsionsversagen zurückzuführenden Bruchfläche läßt sich diese in einem achsennahen Bereich und den Randbereich einteilen. Während es im torsionsachsennahen Bereich der Bruchfläche zur Ausbildung einer Stufenstruktur mit anhaftenden Faser- und Matrixpartikeln kommt (vgl. Bild 10-12 b), liegen im Randbereich die charakteristischen Erscheinungsformen eines Zugversagens vor (vgl. Bild 10-9).
210
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
Bild 10-16. Biegebruchfläche von Fasern
10.2.2.2 Wechselbeanspruchungsbrüche (Dauerbrüche) Auch unter Wechselbeanspruchung kommt es zur Ausbildung von inter- und translaminaren Brüchen. Bei interlaminaren Dauerbrüchen sind sowohl auf den Bruchflächen der Matrix, als auch auf denen des Interface Schwingstreifen zu erkennen. Demgegenüber treten bei translaminaren Dauerbrüchen in CFK-Werkstoffen in der Matrix Gewaltbrucherscheinungen auf. Schwingbrüche können von lokal begrenzten Defektstellen mit geringerer Festigkeit (z. B. harzreiche Bereiche mit geringerem Faseranteil, großen Poren, Fertigungsfehler, im Betrieb entstandene, von außen nicht sichtbare Impactschäden usw.) oder aber von Bereichen mit lokalen Spannungskonzentrationen, beispielsweise Bohrungen, ausgehen. An den Schwingstreifen im „Faserbett“ eines interlaminaren Dauerbruches ist die Richtung des Bruchverlaufs zu erkennen. Entsprechend dem Betrachtungswinkel im REM können die Schwingstreifen, die sich in der Matrix als Stufen abzeichnen, hell oder dunkel erscheinen. Ein weiteres Kennzeichen eines Dauerbruches sind sog. „Roller“, zylinderförmige (ellipsoidförmige) Matrixpartikel auf der Bruchfläche (Bild 10-17). 10.2.3 Plastographie Die Plastographie wird analog zur Metallographie zur Erfassung von Schadenmerkmalen eingesetzt. Das wichtigste Hilfsmittel ist das Lichtmikroskop mit einer bis zu 1000-fachen Vergrößerung. Das Verfahren dient dazu, innere Schäden, wie beispielsweise Delamination und Fehlstellen (Poren, Risse usw.), in einem Bauteil sichtbar zu machen. Zur Präparation wird aus dem schadhaften Bauteil eine Probe herausgetrennt. Geeignet sind dünne schnellaufende Trennscheiben, die mit geringem Vorschub be-
10.2 Langfaser- und Gewebeverbundwerkstoffe
211
Bild 10-17. Matrix-Roller auf Dauerbruchflächen
wegt werden. Ungeeignet sind Bügel- oder Bandsägen mit groben Sägezähnen, da durch diese Sekundärschäden in der Probe erzeugt werden. Eine mit Hilfe des Auflichtverfahrens zu untersuchende Probe wird in Kalteinbettmittel, z. B. ein kaltaushärtendes duroplastisches Harz eingebettet und anschließend in mehreren Schleifstufen mit feiner werdender Körnung präpariert. Dem Schleifvorgang folgen, analog zu den Metallen, die abschließenden Polierstufen. Ein Ätzen der Schliffe ist meist nicht erforderlich. Insbesondere bei Schliffen senkrecht zu den Fasern ist darauf zu achten, daß Faserausbrüche möglichst vermieden werden, da es dadurch zu Fehlinterpretationen kommen kann.
Bild 10-18. Querschliff eines unidirektionalen Faserverbundwerkstoffes
212
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
Bild 10-19. Riß in einem Verstärkungsgeflecht (Querschliff)
Im polierten Zustand können unter dem Lichtmikroskop Risse, Poren und Lufteinschlüsse sowie die Faserlage und -verteilung ermittelt werden. Zur Bestimmung der Faserlage sowie der Faserverteilung kommt es vermehrt zum Einsatz automatischer Bildverarbeitungssysteme. Faserform und -verteilung sowie Schadenerscheinungen zeigen sich kennzeichnend in plastographischen Schliffen (Bilder 10-18 und 10-19).
10.3 Technische Keramik3 Keramiken eröffnen aufgrund ihrer hohen Härte, ihrer guten Verschleiß- und Oxidationsbeständigkeit, der geringen Dichte sowie der hohen Festigkeiten bei hohen Temperaturen ein weites Feld der Einsatzmöglichkeiten. Trotzdem konnten sie sich als Strukturmaterialien bis heute nur Nischen in der Anwendung erobern, die bei weitem nicht ihrem Potential entsprechen. Um ihre Schwachstellen, die Sprödigkeit, die große Streuung der Festigkeitswerte und der Lebensdauer, zu beseitigen, sind in der letzten Zeit große Anstrengungen unternommen worden. So lassen sich drei verschiedene Wege dazu feststellen: − Die Entwicklung verbesserter Herstellungsverfahren zur Vermeidung oder Minimierung kritischer Fehler, − Entwicklung bruchzäher Keramiken, die eine gewisse Schadenstoleranz aufweisen − Wahrscheinlichkeitsberechnungen und Belastungsanalysen. Es werden Oxid-, Carbid- und Nitridkeramiken unterschieden. Wesentlich für die Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten von Keramik sind neben der Zusammensetzung aber auch die Formgebungsverfahren.
3
Von Dipl.Phys. J. Mittermeier und Dipl.-Ing. C. Schubert
10.3 Technische Keramik
213
Die am häufigsten eingesetzten Strukturkeramiken sind: Aluminiumoxid (Al2O3), Siliciumcarbid (SiC: drucklos gesintert, reaktionsgebunden, rekristallisiert, siliciuminfiltriert), Siliciumnitrid (Si3N4: heißgepreßt, heißisostatisch gepreßt, reaktionsgebunden), Zirkoniumdioxid (ZrO2) und Magnesiumoxid (MgO). 10.3.1 Schadenbild Bei technischer Keramik stehen Festigkeit bzw. Festigkeitstreung in kausalem Zusammenhang mit Oberflächen- und Volumendefekten. Durch Kombination der Weibullanalyse mit fraktographischen Untersuchungen lassen sich daher sehr gut bruchauslösende Defekte nachweisen (vgl. Bild 10-27). Das Eigenschaftsprofil der verschiedenen Keramikarten ist hingegen vom Herstellverfahren abhängig und kann von Hersteller zu Hersteller erheblich schwanken (Bild 10-20). Werkstoff
Dichte EBiegefeModul stigkeit
Zugfestig- krit. Kerbkeit Spannungs- schlagintensitäts- zähigkeit faktor KIc
Bruch- max. dehnung Einsatztemperatur
g/cm³
GPa
MPa
MPa
J/m²
%
°C
7,8
210
*)
360-700
*)
105-106
10-20
400
Warmfeste 7,8 Stähle
210
*)
500-1000
*)
Gußeisen GG
7,3
70-130 300-600
150-400
15-25
104
<2
400
Al-Legierungen
2,8
70
150-300
350
*)
105
5-20
250
Holz
0,21,2
10
50-150
70-130
*)
104
*)
Kunststoff
0,92,2
1-4
10-150
10-70
*)
106-108
2-1200
200
Konstrukti- 2,4-6 onskeramik
100400
200-1300 50-70% von σB
5-15
*)
<0,1
10002000
Porzellan
2,5
50-70
100
1
*)
Glas
2,5
70
70-100
<1
10*)
Stahl
30-60
MPa m
800
200-1200
*) Angabe nicht üblich
Bild 10-20. Werkstoffkennwerte verschiedener Materialien im Vergleich (nach Rottenbacher)
1 Transkristalliner Bruch Ein typisches Merkmal für einen Sprödbruch, wie er bei allen Materialien auftritt, ist der trans- oder intrakristalline Bruch, der quer durch die Kristallite (Körner) geht,
214
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
Bild 10-21. Transkristalliner Bruch
Bild 10-22. Interkristalliner Bruch. Tritt bei keramischen Werkstoffen häufig bei unterkritischem Rißwachstum auf.
wie schematisch dargestellt ist (Bild 10-21). Er entsteht durch die Separation der Atombindungen entlang bestimmter, vom Kristalltyp abhängiger, kristallographischer Ebenen. Erreicht die Rißfront ein Korn mit anderer Orientierung, entstehen die typischen Flußmuster. 2 Interkristalliner Bruch Das Gegenstück zum trans- oder intrakristallinen Bruch ist der interkristalline. Bei ihm separiert der Riß die Körner entlang der Korngrenzen, was ein ähnliches Bild liefert wie der Bruch in wasserstoffversprödetem Stahl. Eine solche Bruchfläche wird oft auch anstelle eines keramographischen Anschliffes zur Gefügebeurteilung herangezogen (Bild 10-22). Als Beispiel kann auf der Bruchfläche einer gekerbten Al2O3-Probe beobachtet werden, daß nach zyklischer Belastung in unmittelbarer Umgebung der Kerbe die Rißausbreitung interkristallin erfolgte (Bild 10-23 a) entsprechend einem unterkritischen Rißwachstum. Die Restbruchfläche zeigt hingegen transkristalline Rißausbreitung (Bild 10-23 b). Allgemein läuft der Schadensverlauf in Keramiken immer nach dem Schema Bild 10-24 ab. 10.3.2 Versagensarten 1 Spontanes Versagen Beim Beaufschlagen eines Bauteiles mit einer Last breitet sich im Material ein bestimmtes Spannungsfeld aus. Sowohl durch die geometrische Form (Querschnittsverjüngungen, enge Radien) als auch durch Inhomogenitäten im Werkstoff kann der örtliche Spannungsintensitätsfaktor – ein Maß für den lokalen Spannungszustand – einen kritischen Wert erreichen. In diesem Fall tritt spontanes, katastrophales Versagen des Bauteils auf. Die größte (schlechteste) der Inhomogenitäten ist dabei versagenauslösend. Zu den intrinsischen (zum Gefüge gehörenden) Fehlern zählen z.B. Preßfehler, große Poren, Riesenkörner und Einschlüsse. Aber auch extrinsische, d.h. von außen eingebrachte Fehler können kritische Größenordnungen erreichen, z.B. Kratzer, Löcher und durch die Endbearbeitung eingebrachte Risse.
10.3 Technische Keramik
215
a
b Bild 10-23. Bruchfläche einer zyklisch belasteten Al2O3-Probe
Auf der Bruchfläche einer zyklisch belasteten Al2O3-Probe läßt sich aufgrund der Topographie der Bruchfläche der bruchauslösende Defekt in Form eines KnoopEindrucks sehr leicht identifizieren (Bild 10-25). Kritische Fehler sind oft nur wenige Mikrometer groß. Aufgrund der Topographie der Bruchfläche kann der bruchauslösende Defekt sehr leicht identifiziert werden. Die Endbearbeitung verursacht oftmals auch Zonen mit Eigenspannungen oder sogar mit verändertem Gefüge.
216
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
Bild 10-24. Entstehungsgeschichte von Bruchschäden (nach Kappert)
2 Unterkritisches Rißwachstum Die im Werkstoff vorhandenen oder eingebrachten Risse sind oft kleiner als die kritische Rißlänge und müssen demzufolge nicht sofort zum Ausfall des Bauteils führen. Vielmehr können sie sich unter Wechselbeanspruchung verlängern (unterkritisches Rißwachstum) und erst später einen Bruch auslösen. Wie lange ein Bauteil mit seinen unterkritischen Rissen eine bestimmte Belastung im Einsatz erträgt, kann durch Simulationsversuche abgeschätzt werden. Unterkritisches Rißwachstum unter konstanter und langsam ansteigender Spannung wird oft durch korrosive Einflüsse wie z.B. Wasser oder Wasserdampf unterstützt. Im Gegensatz dazu tritt bei zyklischer Belastung ein mechanischer Ermüdungseffekt auf. Bei Keramiken spricht man deshalb von statischer bzw. zyklischer Ermüdung, was in der Metallkunde der Spannungsrißkorrosion bzw. der Ermüdung entspricht. Ein Phänomen, das zuerst bei Aluminiumoxidkeramiken und später auch bei Si3N4- und SiC-Materialien nachgewiesen wurde, ist die Steigerung des Rißwiderstandes KI mit wachsender Rißlänge a, das sogenannte R-Kurven-Verhalten (Bild 10-26).
Bild 10-25. Bruchfläche einer Al2O3-Probe mit Knoop-Eindruck
10.3 Technische Keramik
217
Bild 10-26. Ansteigende Rißwiderstandskurve
Durch Reibungseffekte der Rißflanken auf einer bestimmten Länge hinter der Rißspitze wird der Energiegewinn durch Rißausbreiten geschmälert, und die Rißwachstumsgeschwindigkeit verlangsamt sich. Auch andere Verstärkungsmechanismen, wie das „Transformation toughening“ (Umwandlungsverstärkung) in ZrO2 oder die Rißüberbrückung in Partikel- oder Faserverbundwerkstoffen, bewirken ein außergewöhnliches R-Kurven-Verhalten. 3 Kriechen Zeitstandschädigungen, die sich in plastischer Verformung und Porenbildung bei Langzeitbeanspruchung unter erhöhten Temperaturen äußern, sind bei metallischen Werkstoffen seit langem bekannt und untersucht. Die Kriechneigung von Strukturkeramiken ist bei Temperaturen bis 1000°C sehr klein und der Kenntnisstand des Kriechverhaltens von Keramiken noch gering. Ursachen des Kriechens sind Vorgänge im Gefüge wie Korngrenzengleiten oder spannungsinduzierte Diffusionsprozesse. Auch das unterkritische Rißwachstum spielt eine gewisse Rolle. Besonders anfällig für Kriechen sind Keramiken mit glasiger Phase an den Korngrenzen. Erzeugt wird die Glasphase durch den Einsatz von Sinterzusätzen oder durch natürliche Verunreinigungen des Materials. Ab einer bestimmten Temperatur wird der Glastransformationspunkt (TG) überschritten, und die Viskosität der Korngrenzenphase verringert sich, was Gleiten und Diffusionsvorgänge begünstigt. 10.3.3 Weibullanalyse Aufgrund vorwiegend kovalenter Bindungen und geringer Atomabstände der oftmals leichten Elemente sind bei Keramiken hohe Bindungskräfte und hohe theoretische Festigkeiten zu erwarten. Die tatsächlichen Festigkeiten liegen aber weit darunter, da selbst in Einkristallen Fehlstellen vorliegen. Bei mechanischer und/oder thermischer Belastung treten an diesen Fehlstellen Spannungsüberhöhungen auf, die bei niedrigen Temperaturen im Gegensatz zu den duktilen metallischen Werkstoffen nur zu einem sehr geringen Teil durch plastische Verformung oder durch Mikrorißbildung abgebaut werden können. Die statistische Verteilung dieser Fehlstellen (Lage, Form, Größe, Art) ist deshalb für die starke Streuung der Festigkeitskennwerte verantwortlich. Es ergibt sich das Problem, daß die großen Streuungen in der Bruchspannung durch einen Mittelwert mit Standardabweichung nur unzureichend beschrieben werden und man nichts über die Zuverlässigkeit des Materials aussagen kann. Deshalb bedient man sich einer statistischen Methode, der Weibullstatistik, die vom Konzept des schwächsten Gliedes (weakest link concept) ausgeht, das die größte Fehlstelle als bruchauslösend annimmt. Dafür werden die Ergebnisse von minde-
218
10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
stens 30 Biegeversuchen einbezogen, mit einer bestimmten Extremwertverteilung, der Weibullverteilung, beschrieben und im sogenannten Weibulldiagramm (doppeltlogarithmisch) dargestellt (Bild 10-27).
Bild 10-27. Weibulldiagramm und zugehörige Bruchflächen
10.3 Technische Keramik
219
Das Auftragen der Versagenswahrscheinlichkeit gegen die Bruchspannung ergibt eine Gerade, deren Anstieg der Weibullmodul m ist und deren Lage durch den Weibullskalierungsparameter σo bestimmt ist. Beide Parameter werden mit Hilfe der sog. Maximum-Likelihood-Methode abgeschätzt. Der Weibullmodul m liefert Aussagen über die Festigkeitsstreuung. Eine enge Verteilung – also alle Proben brechen bei der selben Spannung – hätte ein m gegen unendlich, ein geringer Wert (<10) bedeutet eine relativ große Streuung der Festigkeitswerte. Für Konstruktionskeramiken sind heute Werte zwischen 10 und 20 üblich. Der Weibullskalierungsparameter σo bestimmt die Lage der Weibullgeraden im Weibulldiagramm und kann als eine Art gemittelte Festigkeit betrachtet werden. Bild 10-27 zeigt als Beispiel die Weibullverteilung von 30 trockengepreßten Al2O3-Proben, deren Festigkeit im Vierpunktbiegetest nach DIN 51110 ermittelt wurde. Den Meßpunkten mit größter bzw. kleinster Bruchspannung sind mikrofraktographische Bilder der Bruchflächen mit jeweils zwei verschiedenen Vergrößerungen zugeordnet. Man sieht deutlich die bruchauslösenden Preßfehler in unmittelbarer Umgebung der Fasen an den Probenkanten. Die Probe mit der kleinsten Bruchspannung zeigte, wie erwartet, den größten Preßfehler. 10.3.4 Schadenanalyse Zur Schadenanalyse reicht die makroskopische Beurteilung des Bruches meist nicht aus. Vielmehr bedient man sich der Mikroskopie, vornehmlich der Stereomikroskopie und der Rasterelektronenmikroskopie (REM), um detaillierte Aussagen über die Bruchursache treffen zu können. Von Vorteil ist hier die große Tiefenschärfe des REM. Beachtet werden muß aber, daß aufgrund der geringen elektrischen Leitfähigkeit bzw. des isolierenden Charakters der allermeisten Keramiken die Bruchfläche mit Gold oder Gold / Palladium besputtert wird. Soll zusätzlich eine Elementanalyse mit der Feinbereichsanalyse durchgeführt werden, empfiehlt sich die Bedampfung mit Kohlenstoff, um eine Überlagerung mit den Goldpeaks zu vermeiden. Fraktographische Untersuchungen dienen dazu, riß- und versagenauslösende Defekte zu ermitteln. Aus der Topographie der Bruchoberfläche mit Bruchausgang, Bruchfortschritt und Restbruchfläche kann der Versagensablauf meist sehr gut nachvollzogen werden. 10.3.5 Qualitätskontrolle Zur Beurteilung der Schadenstoleranz im Rahmen der Qualitätskontrolle werden auch zerstörungsfreie Prüfverfahren herangezogen. Oberflächenrisse macht der Farbeindringtest sichtbar, bei dem das Bauteil mit einer organischen, ausbrennbaren Farbflüssigkeit (z.B. Fuchsin o.ä.) getränkt wird. Fehlernachweise im Volumen können mit dem Verfahren der MikrofokusRöntgenprüfung mit einem Auflösungsvermögen bis herunter zu einigen μm durchgeführt werden. Dieses funktioniert nach dem selben Prinzip wie die Röntgen-
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10 Schadenmerkmale an nichtmetallischen Werkstoffen
durchleuchtung in der Medizin. Zur Fehlercharakterisierung sind meist zwei Aufnahmen in zueinander senkrechten Lagen notwendig. Allerdings wird daraufhingewiesen, daß die Detektierung von Fehlstellen in unterschiedlichen Bauteillagen verschieden erfolgreich ist. So wurden oberflächennahe Fehlstellen und Oberflächenfehler schlechter aufgespürt als gleichgroße Volumenfehler. Auch akustische Prüfverfahren werden oft angewendet. Ältestes Beispiel ist die Klangprüfung, die bei Gläsern, grob- und feinkeramischen Produkten sowie Porzellan zu den Standardverfahren gehört. Porositätsermittlungen können über Ultraschallgeschwindigkeits- und -schwächungsmessungen durchgeführt werden. Ein wesentliches Verfahren der Qualitätssicherung ist der sogenannte Proof-Test, ein Überlastverfahren, das angewendet wird, um Komponenten mit zu großen Fehlern schon vor dem Einsatz auszusondern. Hierbei werden alle Bauteile einer Produktionsserie mit einer Last beaufschlagt, die über dem Lastmaximum im Betrieb liegt. Komponenten mit zu großen Fehlern versagen bereits jetzt, so daß angenommen werden kann, daß die nicht versagenden Bauteile mit angemessener Lebensdauer die Belastungen im Einsatz ertragen werden.
11 Werkstoffcharakterisierung
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11 Werkstoffcharakterisierung
Schadenwirksame Einflüsse sind im Bereich der mechanischen, korrosiven und thermischen Überbeanspruchung, vielfach aber auch im komplexen Zusammenwirken verschiedener Beanspruchungsarten zu finden. Die Spuren dieser Beanspruchungen und besonders der Überbeanspruchungen sind zugänglich durch die im Kap. 9 aufgeführten Beurteilungsverfahren von der äußeren Beurteilung über fraktographische, metallographische bis zu speziellen Sonderuntersuchungen. Der entscheidende Schritt zur Bestimmung der Auslösung eines Versagens bedarf neben den Schadenerscheinungen weiterer Kriterien und Informationen zum Schadenfall. Erst damit wird zu den Ansatzpunkten geführt, um zukünftig gleichartige Schäden zu vermeiden. Der Werkstoff als solcher ist nach Schätzungen nur in 15 bis 20 % der Fälle für den Schaden ursächlich, er ist aber für die Schadenaufklärung als Träger der schadenwirksamen Spuren ein wichtiger, oftmals sogar der einzige Beweisgegenstand. Ausgehend von der Tatsache, daß Schäden grundsätzlich dann entstehen, wenn die Anforderungen an ein Bauteil, an eine Maschine oder an eine Anlage nicht mit deren Eigenschaften übereinstimmen, wenn also eine Deckungslücke zwischen Anforderungs- und Eigenschaftsprofil besteht, muß die ertragbare Beanspruchung mit der tatsächlich aufgetretenen Beanspruchung verglichen werden. Die dazu erforderliche Kenntnis der Eigenschaften des gewählten Werkstoffs und des gegebenen Werkstoffzustands ist mit einer geeigneten Charakterisierung, d.h. mit geeigneten Prüfverfahren zu gewinnen. Schließlich ist die Werkstoffcharakterisierung auch wieder insoweit erforderlich, als sehr viele kennzeichnende Schadenmerkmale im Zusammenhang stehen mit der Art und den Eigenschaften des Werkstoffs. Zur Werkstoffcharakterisierung dienen die Prüfungen auf − chemische Zusammensetzung, − Festigkeitseigenschaften mit Bruchmechanik und thermomechanischen Eigenschaften, − Korrosionsverhalten. Ein aussagekräftiger Beitrag zur unmittelbaren Schadenklärung, mit Hilfe einer Werkstoffcharakterisierung ist allerdings nur möglich, wenn Proben zur Werkstoffprüfung aus dem Schadenbereich entnommen werden können. Es ist stets zu beachten, daß auch bei richtiger Werkstoffwahl Werkstoffveränderungen durch den Betrieb möglich sind, die dazu führen, daß der Werkstoff nicht mehr die gestellten Anforderungen erfüllt. Damit wird die Tatsache unterstrichen, daß Sicherheit und Zuverlässigkeit einer Maschine, Anlage oder Vorrichtung zeitabhängig sind, auch dann, wenn keine offensichtlichen Veränderung wie korrosiver Abtrag und Verschleiß vorhanden sind (vgl. Bild 5-15).
222
11 Werkstoffcharakterisierung
11.1 Chemische Analyse Mit Ausnahme der unlegierten Stähle und Gußeisensorten1 werden Eisen- und Nichteisenmetalle anhand ihrer Analysen identifiziert und Normen und/oder Richtlinien zugeordnet. Dadurch lassen sich Angaben über Sollwerte der Festigkeit und über Anwendungsbereiche gewinnen. 11.1.1 Integrative chemische Analyse (Stückanalyse) Unter diesem Begriff soll verstanden werden, daß ohne definierte laterale Auflösung die Querschnittszusammensetzung einer Probe oder eines Probenabschnitts bestimmt wird. Dazu werden naßchemische, spektroskopische und chromatographische Verfahren eingesetzt. Die diesen Gruppen zugeordneten Verfahren sind im einzelnen: 1 Absorptionsspektroskopie Bei der im Zusammenhang mit Schadenanalysen im Vordergrund stehenden Atomabsorptionsanalyse (AAS) wird eine Probe in gelöster Form benötigt. Das in der heißen Flamme in Metalldampf umgewandelte Aerosol absorbiert dann charakteristische Wellenlängen, die den zu bestimmenden Elementen zugeordnet werden können. Die UV/VIS-Photometrie zur Bestimmung organischer und anorganischer Stoffe ist heute weitgehend durch die AAS verdrängt. Bei der Infrarotspektroskopie (IR) werden von der zu analysierenden Substanz Strahlungsfrequenzen einer Infrarotquelle absorbiert, die mit den Eigenschwingsfrequenzen der Moleküle dieser Substanz übereinstimmen. Die IR-Spektroskopie bestimmt folgerichtig keine Elemente sondern chemische Verbindungen mit Dipolcharakter. Anwendungsgebiete der IR-Spektroskopie, sind Analysen von – organischen Stoffen (Kraftstoffe, Öle, Fette, Trennmittel, Flußmittel, Korrosionsschutzmittel, Kunststoffe) – anorganische Stoffe (Korrosionsprodukte u.a.) – gasförmige Stoffe (z.B. Abgase) 2 Emissionspektroskopie Bei dieser Analysenmethode wird die zu analysierende Probe durch energetische Anregung zur Emission charakteristischer Wellenlängen angeregt. Im Fall der Röntgenfloureszenzanalyse (RFA) wird die Probe mit sog. weißer Röntgenstrahlung angeregt, der dann emittierte Röntgenstrahl besteht aus Eigenstrahlung der einzelnen Elemente. Die Eigenstrahlung wird mit Hilfe eines Röntgenspektrometers nach ihrer Lage und und für das Element kennzeichnenden Wellenlänge erfaßt. Die Konzentration der Elemente zeigt sich in der Intensität der Röntgenstrahlung. Die Emission der Eigenstrahlung wird im Fall des induktiv gekoppelten Plasmaverfahrens (ICP/ES) durch ein Argonplasma angeregt. Bei der Funkenemission be18 Unlegierte Stähle und Gußeisensorten werden nach Festigkeitskennwerten eingeteilt bzw. im Fall von Stahlblechqualitäten nach Gütegruppen (Abkantgüte bzw. Tiefziehgüten)
11.1 Chemische Analyse
223
steht folgerichtig die Anregung der für die Elemente chrakteristischen Strahlung in einem Lichtbogen. 3 Chromatographie Diese Analyseverfahren untergliedern sich in gaschromatographische (GC) und flüssigkeitschromatographische (HPLC) Verfahren. Dem Wesen des Verfahrens entsprechend, muß die Probe als Gas oder in Form einer verdünnten Lösung vorliegen. Das Prinzip dieser Analysenmethode geht in jedem Fall von einer stationären und einer mobilen Phase aus. Entsprechend dem spezifischen Verteilungskoeffizienten der zu analysierenden Substanzen verlassen diese unterschiedlich schnell die stationäre Phase und werden über die mobile Phase einem Detektor zugeführt. Die unterschiedlichen Retentionszeiten kennzeichnen Elemente und Verbindungen. Zur Anwendung kommt die Chromatographie zur: Bestimmung von Gasgehalten in metallischen Werkstoffen (z.B. Wasserstoff in Stahl) Untersuchung von Verunreinigungen und Reaktionsprodukten an Bauteilen(z.B. Nachweis, daß Ablagerungen an Einspritzdüsen durch Reaktion des Kraftstoffes mit Elastomerbestandteilen verursacht wurden)Analyse von Medien, die mit schadengegenständlichen Teilen in Wechselwirkung standen. 4 Naßanalytische Verfahren Die im Vorangegangenen aufgeführten physikalischen und physikalisch-chemischen Verfahren bedürfen ebenso wie die im folgenden dargestellten, feinbereichsanalytischen Verfahren einer Eichung. Um die dafür erforderlichen Absolutgehalte der Elemente einer Probe quantitativ zu bestimmen, sind naßanalytische Verfahren unumgänglich. Ebenso sind folgerichtig auch naßanalytische Bestimmungen für die Durchführung von Schiedsanalysen vorgeschrieben. Die naßanalytischen Verfahren umfassen im wesentlichen die Gravimetrie und die Titrimetrie. 5 Stellung der integrativen chemischen Anaytik in der Schadenklärung An einem Fallbeispiel läßt sich darstellen, wie schrittweise durch den Einsatz verschiedener Analyseverfahren die Klärung eines Schadenfalls erfolgen konnte. An einem Zweitaktmotor für eine Kettensäge ist ein Kolbenfresser aufgetreten. Der Betreiber verlangte kostenlosen Ersatz eines neuen Motors. Im Fall von Zweitaktmotoren, die mit Kraftstoff-Ölgemisch betrieben werden, liegt bei derartigen Schadenfälle der Verdacht nahe, daß der Ölanteil im Kraftstoff zu gering war. Als Besonderheit im hier gegebenen Schadenfall wurde beobachtetet, daß Kolben und Zylinderkopf eine ungewöhnlich starke Verkokung aufwiesen. Zur weiteren Eingrenzung der Schadenursache wurden die Kraftstoffreste aus dem Tank schrittweise mit geeigneten Untersuchungsmethoden analysiert. Zunächst zeigte sich aus dem Eindampfrückstand, daß der Ölanteil den Vorschriften entsprach (Gravimetrie). Als weiteres wurde der Calciumgehalt der Gemischprobe mit Hilfe der Atomabsorptionsanalyse (AAS) untersucht. Calcium ist als Bestandteil von Additiven in vielen gängigen Zweitaktölen enthalten. Die Analyse ergab jedoch, daß im Gemisch auffälligerweise kein Calcium gefunden werden konnte. Dies veranlaßte eine weitere Analyse des Eindampfrückstandes mit Hilfe der Infrarotspektroskopie. Ein Vergleich des IR-Spektrums mit dem Spektrenkatalog bewies, daß zur Schmierung des Motors nicht ein Zweitaktöl sondern ein Kettenhaftöl, das normalerweise für die Schmierung der Kette eingesetzt wird, verwendet wurde. Die Ursache des Motor-
224
11 Werkstoffcharakterisierung
schadens als Folge der Verwendung eines ungeeigneten Öls konnte somit durch die Abfolge geeigneter Analyseverfahren eingegrenzt und geklärt werden. 11.1.2 Feinbereichsanalyse Die technologischen Eigenschaften von Bauteilen und damit deren Übereinstimmung mit den Anforderungen, lassen sich nicht allein mit der integralen chemischen Zusammensetzung (Stückanalyse) bestimmen. Oft ist es für die Werkstoffcharakterisierung und damit für die Beurteilung der Eignung bedeutsam, die Verteilung von Elementen im Gefüge zu kennen, also z.B. innerhalb eines Korns oder es ist von Interesse, die Zusammensetzung verschiedener Gefügebestandteile wie unterschiedlicher Phasen zu kennen, und schließlich können auch Informationen erforderlich sein über Korngrenzensubstanzen und über Ausscheidungen und Einschlüsse sowie Verunreinigungen. Für solche Analysen mit einer lateralen Auflösung um 1μm ist es notwendig, die zu analysierenden Bereiche selektiv durch geeignete Anregung zur Aussendung ihrer charakteristischen Strahlung anzuregen. Es bietet sich dazu eine Elektronenkanone wie im Rasterelektronenmikroskop an, dessen fein fokussierter Elektronenstrahl eine geeignete Anregungsquelle bildet (vgl. Abschn. 9.2.1). Bei der energiedispersiven Röntgenanalyse (EDS) emittieren die vom Elektronenstrahl getroffenen Bereiche Röntgenstrahlung, die durch einen geeigneten Detektor in Spannungsimpulse umgesetzt wird. Die so nach ihren Energiestufen sortierte Strahlung kennzeichnet selektiv die vom Elektronenstrahl abgerasterte Fläche im Hinblick auf ihre Elementzusammensetzung. Es läßt sich dann für verschiedene Elemente der Gehalt in einem Punkt (Punktanalyse) (Bild 11-1), ihre Verteilung über eine Fläche (Flächenanalyse) (Bild 11-2) oder entlang einer Linie (Linien-analyse) angeben (Bild 11-3). Die wellenlängendispersive Analyse (WDS) mit Hilfe eines Spektrometers hat ein höheres Auflösungsvermögen als die energiedispersive Analyse, ist aber auch mit höherem gerätemäßigem und zeitlichem Aufwand verbunden. Der Zusammenhang zwischen Energie E und der Frequenz ν bzw. der Wellenlänge λ ist durch das Planck’sche Wirkungsquantum h gegeben. E = hν
oder
E=
hc λ
dabei ist: c Lichtgeschwindigkeit λ Wellenlänge Die Röntgenstrahlung wird unter dem Elektronenstrahl aus einem birnenförmigen, in die Tiefe sich erstreckenden Volumenbereich abgegeben. Damit ist die Tiefenauflösung begrenzt. Wenn es bei Schadenanalysen auf eine hohe Auflösung in die Tiefe ankommt, werden die vom Elektronenstrahl ausgelösten Augerelektronen ausgewertet. Während die Erfassungstiefe bei der energie- und wellenlängendispersiven Analyse etwa 1μm beträgt, liegt diese bei der Augerelektronenspektroskopie (AES) bei ca. 1 nm bei einer Nachweisgrenze von ca. 0,1 %
11.1 Chemische Analyse
225
Bild 11-1. Spektrum einer Punktanalyse mit Intensitätsanteilen der einzelnen Elemente bei einer Asbestprobe
Stoffmengenanteil. Tiefenprofile von Gehalten verschiedener Elemente nach diesem Verfahren werden gewonnen durch ein schichtweises Abtragen der Oberfläche mit Hilfe des Ionenätzens. Die mit der elektronstrahlangeregten Feinbereichsanalyse erzielbaren Nachweisgrenzen sowie die laterale und die Tiefenauflösung sind im Vergleich in Tabelle (Bild 11-4) gegenübergestellt.
226
11 Werkstoffcharakterisierung
Bild 11-2. Verteilung der Elemente (O, Cr, Mn, Ti, S) über eine Fläche (Flächenanalyse) (Die Punktdichte entspricht der Elementkonzentration)
Zu unterscheiden von der Feinbereichsanalyse, ist die völlig anders aufgebaute und eingesetzte Feinstrukturuntersuchung, mit deren Hilfe der kristalline Aufbau des Werkstoffs und die Art von Verbindungen wie von Korrosionsprodukten untersucht wird (vgl. Abschn. 9.4). Mit Hilfe dieser Untersuchungsmethode sind auch innere Spannungen erfaßbar.
11.2 Festigkeitseigenschaften
227
Bild 11-3. Verlauf der Konzentrationen der Elemente (Sauerstoff a) und Schwefel b)) vom Korninneren über eine Korngrenze (Linienanalyse) (Die Signalhöhe entspricht der Elementkonzentration)
11.2 Festigkeitseigenschaften Um ein Bauteil so auszulegen, daß es den zu erwartenden mechanischen Beanspruchungen standhält, ist dieses mit den Methoden der Festigkeitsberechnung zu dimensionieren. Zur Gewährleistung der Bauteilsicherheit unter den anzunehmenden Einsatzbedingungen gehört zur Bauteilauslegung nicht nur die Bauteildimensionierung sondern auch die geeignete Wahl des Werkstoffs. Die für die Festigkeitsberechnung erforderlichen Kennwerte zur Charakterisierung der mechanischen Eigenschaften des Werkstoffs, werden mit Hilfe normierter Prüfverfahren in reproduzierbarer Weise gewonnen. Bei der Schadenanalyse wird nach der Identifizierung des Werkstoffs durch die chemische Zusammensetzung auf diese Kennwerte zurückgegriffen, um zu überprüfen, ob für den vorgesehenen Einsatz die erforderlichen Anforderungen erfüllt waren. Folgerichtig läßt sich daraus grundsätzlich erkennen, ob eine nicht vorgesehene, unzulässige Beanspruchung, eine falsche Auslegung oder nicht werkstoffgerechte Behandlung als schadenauslösend in Ansatz zu bringen ist (vgl. Abschn. 5.2). Die Prüfverfahren zur Ermittlung der Kennwerte sind vielfältig und werden, unter Beachtung der für die Bauteilauslegung kritischen Beanspruchungen, ausgewählt. Bei einmaliger zügiger oder schlagartiger Lasteinwirkung ist entsprechend zu unterscheiden nach − − − −
Art der Beanspruchung: Zug, Druck, Biegung, Torsion Form bzw. Geschwindigkeit der Lastaufbringung: zügig, schlagartig Geometrieeinflüssen: ungekerbt, gekerbt Temperaturbedingungen: Tieftemperatur, Hochtemperatur
228
11 Werkstoffcharakterisierung
11.2 Festigkeitseigenschaften
Bild 11-4. Verfahren der elektronenstrahlangeregten Feinbereichsanalyse und ihre Anwendungsbereiche
229
230
11 Werkstoffcharakterisierung
11.2 Festigkeitseigenschaften
Bild 11-5. Prüfverfahren und Normen zur Ermittlung mechanischer Eigenschaftskennwerte
231
232
11 Werkstoffcharakterisierung
Bei dynamischer Beanspruchung, also bei einer Beanspruchung unter Lastwechseln, ist eine Unterteilung in gleicher Weise möglich, im Hinblick auf die Parameter Belastungsart, Geometrie und Temperatur. Vielfältiger gestaltet sich bei Wechselbeanspruchungen naturgemäß die Form der Lastaufbringung, die sich einteilen läßt nach der Frequenz, der Mittellast, der Form der Amplituden und der Amplitudenfolge. Die Fülle der verschiedenartigen Prüfverfahren, die sich bereits aus der aufgeführten Einteilung durch die verschiedenen Kombinationen der Prüfparameter ergeben, erfährt eine nochmalige Erweiterung, wenn das Werkstoffverhalten unter betrieblichen Bedingungen und im Bauteil mit einer möglichst guten Annäherung beschrieben werden soll (Bild 11-5). Zur Charakterisierung der mechanischen Werkstoffeigenschaften im Rahmen der Schadenanalyse muß oft aus Gründen des nicht ausreichend verfügbaren Materials oder auch wegen der Notwendigkeit, kleinere Bereiche differenziert zu betrachten, eine Beschränkung auf die verschiedenen Verfahren der Härteprüfung erfolgen. Unter bestimmten Voraussetzungen sind aus den Härtewerten näherungsweise Umrechnungen auf die Zugfestigkeit zulässig. 11.2.1 Zugfestigkeit Die Festigkeitberechnung geht von der Sicherheit gegen bestimmte Versagensarten aus. Vorzugsweise sind dabei als Versagensarten bei statischer Beanspruchung bedeutsam − unzulässig große Verformung (elastisch-plastisch) − Verformungsarmer Bruch (Sprödbruch) − Instabilität, Kollaps (Knicken, Beulen) Die für eine solche Berechnung erforderlichen Kennwerte, insbesondere Streckgrenze und Bruchfestigkeit, werden aus dem normierten Zugversuch gewonnen. Dabei wird ein glatter Stab mit Einspannenden einer angenähert einachsigen Belastung in einer geeigneten Zugprüfmaschine unterzogen. Unter definiert ansteigender Kraft ergibt sich ein Last-Verlängerungs- oder Spannungs-Dehnungs-Diagramm, das zunächst durch eine linear mit der Last zunehmende Verlängerung den elastischen Bereich – die Hooke’sche Gerade – kennzeichnet (Bild 11-6 a bis d). Mit Überschreiten der Streckgrenze setzt dann eine makroskopisch plastische Dehnung ein, die schließlich – je nach Werkstoffzustand – unter mehr oder weniger ausgeprägter Einschnürung des Zerreißstabes bis zum Bruch zunimmt. Das Verhalten des Werkstoffs im Zugversuch läßt sich mit den im Spannungs-Dehnungsdiagramm enthaltenen Kenngrößen beschreiben. Es sind dies insbesondere Zugfestigkeit (Bruchfestigkeit) Streckgrenze (Dehgrenze) 0,2 % Dehngrenze obere Streckgrenze untere Streckgrenze Bruchdehnung Gleichmaßdehnung Brucheinschnürung
Rm (N/mm²) Rp (N/mm²) bzw. Re(N/mm²) Rp0,2 (N/mm2) ReH (N/mm²) ReL (N/mm²) A (%) Ag (%) Z (%)
11.2 Festigkeitseigenschaften
233
Je nach den Werkstoffeigenschaften sind verschiedene kennzeichnende Erscheinungsformen der Spannungs-Dehnungsdiagramme zu unterscheiden. Ein spröder Werkstoff zeigt einen nur sehr kleinen oder – im Extremfall – keinen Bereich plastischer Dehnung (Bild 11-6 d). Verschiedene Legierungen, z.B. Kupferbasislegierungen mit Zusätzen von Zink bzw. Zinn oder Aluminiumbasislegierungen, zeigen einen ausgeprägten Streckgrenzendehnbereich, d.h. es erfolgt eine Dehnung ohne einen Spannungsanstieg (Bild 11-6 c). Bei unlegierten Stählen wird, bedingt durch gelösten Kohlenstoff und Stickstoff, im weichgeglühten Zustand eine obere und untere Streckgrenze beobachtet, wobei sich ein mehr oder weniger ausgeprägter Bereich inhomogener Verformung beim Durchlaufen der Streckgrenzendehnung ergibt (Bild 11-6 b). Werkstoffe mit einer derartigen Form der Streckgrenze zeigen nach der Verformung an der Oberfläche Fließlinien oder Lüdersbänder (vgl. Abschn. 9.3.1.2, Bild 9-102). Wird in den glatten Zugstab eine Kerbe eingebracht, so ergibt sich eine Behinderung der plastischen Verformung und
Bild 11-6 a-d. Spannungs-Dehnungsverläufe metallischer Werkstoffe a kontinuierlicher Übergang an der Streckgrenze b Ausbildung einer oberen und unteren Streckgrenze mit Unstetigkeiten c gleichförmiger Streckgrenzendehnbereich d sprödes Werkstoffverhalten
234
11 Werkstoffcharakterisierung
eine Spannungserhöhung im Kerbgrund unter Zugbeanspruchung. Bei duktilen Werkstoffen wird durch diese Kerbwirkung die Streckgrenze und die Brucheinschnürung unterdrückt. Es entsteht dann ein Spannungs-Dehnungs-Diagramm, wie es bei Verwendung eines glatten Zugstabs einem spröden Werkstoff entspricht. Wie schon allein die Veränderung des Spannungs-Dehnungsverhaltens durch das Anbringen einer Kerbung im Zugstab zeigt, läßt sich das Bauteilverhalten durch die im Zugversuch gewonnenen Festigkeitskennwerte nur unvollkommen bewerten. An einem Werkstoff, der sich im Zugversuch als duktil erweist, kann sich im Bauteil das gefürchtete spröde Versagen einstellen unter Einfluß von: − mehrachsigen Beanspruchungen, wie in geometrischen Kerben und Querschnittsübergängen, aber auch im Bereich von Schweißnähten mit ihren inneren Spannungszuständen, die entsprechend auch als metallurgische Kerben bezeichnet werden. Ähnliche Bedingungen können auch im Auslauf von örtlichen Wärmebehandlungszonen vorliegen, wie sie bei randschichtgehärteten Bauteilen gegeben sind. Besonders kritisch kann sich die Überlagerung von geometrischen Kerben durch Querschnittsübergänge mit inneren Spannungen durch Wärmebeeinflussung auswirken. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine oberflächengehärtete Zone in einem Kurbelzapfen im Querschnittsübergang zur Wange ungünstig ausläuft. − Hochgeschwindigkeitsbeanspruchung, wie bei schlagartigen und explosionsartigen Krafteinwirkungen − Tieftemperaturbeanspruchung. Veranschaulichen läßt sich das von den Zugfestigkeitskennwerten völlig abweichende Werkstoffverhalten im Fall des Bruchs eines Pressenrahmens. An einer Hydraulikpresse mit 400 t Werkzeugdruck ist einer von vier rechteckigen Zugholmen bei maximimaler Betriebsbeanspruchung schlagartig gerissen. Die Zugfestigkeit des unlegierten Kohlenstoffstahls beträgt 690 N/mm². Die Bruchdehnung ergibt sich mit 20 %. Nach diesen Werten liegt ein duktiler Werkstoff vor. Die Bruchfläche jedoch zeigt makroskopisch keine Verformungen, mikrofraktographisch zeigt sich das Bild eines Sprödbruchs mit vorwiegend spaltflächigen Trennungen. (vgl. Abschn. 9.2.3.1). Der Bruch geht vom Radius eines Querschnittsübergangs aus, der deutliche Bearbeitungsriefen und davon ausgehend kleine Wechselbeanspruchungsanrisse zeigt. Im Bereich des Übergangsradius des Zugholmes zur Querverbindung des Rahmens ist eine rechteckige Platte angeschweißt. Der verformungslose Bruch des Rahmens ist bedingt durch die Bauteildicke (70 mm), den Querschnittsübergang, die groben Bearbeitungsriefen und die zusätzlich in diesem Bereich liegende Schweißnaht (Bild 11-7). Bei einem Werkstoff mit einem ausreichenden Verformungsvermögen im Zugversuch ist hier das spröde Versagen ausschließlich auf die Beanspruchungsbedingungen, insbesondere auf die an der Schadenstelle gegebenen Spannungszustände, zurückzuführen. Damit zeigt sich die Bedeutung der Bewertung des Bruchverhaltens des Werkstoffs mit Hilfe geeigneter Kennwerte wie z.B. aus der bruchmechanischen Beurteilung für die Sicherheit von Bauteilen und Komponenten. Im hier vorliegenden Fall hat infolge ungenügender Bruchzähigkeit ein kleiner Daueranriss genügt, um eine kritische Rißlänge zur Auslösung eines Sprödbruchs darzustellen.
11.2 Festigkeitseigenschaften
235
Bild 11-7. Lage der Sprödbruchfläche im Gestell einer Hydraulikpresse
11.2.2 Bruchverhalten Die Sicherheit eines Werkstoffs gegen sprödes und damit plötzliches und unvorhergesehenes Versagen wird wesentlich bestimmt durch seine Fähigkeit, Energie aufzunehmen und in plastische Verformung umzusetzen. Wesentlich für das Werkstoffverhalten ist damit die Zähigkeit des Werkstoffs, bzw. des Bauteils. Zur Beurteilung der Sprödbruchsicherheit müssen Prüfbedingungen gewählt werden, die geeignet sind, einen spröden Anriss auszulösen. Bedingungen zur Auslösung des spröden Bruches sind − mehrachsige Spannungszustände − hohe Beanspruchungsgeschwindigkeiten − tiefe Temperatur. Die Kriterien zur Sprödbruchbeurteilung werden mit einer Vielzahl verschiedener Prüfverfahren und Probenformen in unterschiedlicher Weise bereitgestellt. Am verbreitetsten ist die Kerbschlag-Biegeprobe, mit deren Hilfe der Arbeitsverbrauch beim Bruch einer Probe in Abhängigkeit von der Temperatur ermittelt wird. Bauteilnähere und damit praxisrelevantere Bedingungen werden mit Hilfe verschiedener Bruchsicherheits- und Rißauffangversuche geschaffen. Alle diese Versuche besit-
236
11 Werkstoffcharakterisierung
zen den Nachteil, daß kein Kennwert geliefert wird, der unmittelbar zur rechnerischen Bauteildimensionierung und zur Festlegung kritischer Fehlergrößen geeignet ist. Die bruchmechanische Prüfung eines Werkstoffs liefert einen solchen Kennwert Kc, der es erlaubt, für diesen Werkstoff, unter der Bedingung linear-elastischen Verhaltens, die zulässige Größe eines Risses anzugeben, bei deren Überschreitung das Bauteil unter einer bestimmten Beanspruchung spröde versagt. Durch den Zusammenhang zwischen zulässiger Rißgröße und ertragbarer Beanspruchung kann unter der Maßgabe bestimmter anzunehmender Fehlergrößen die Bauteilsicherheit gegen Bruch angegeben werden (Bild 11-8). Die Bedeutung des bruchmechanischen Kennwertes Kc bzw. KIC für die Werkstoffauswahl im Hinblick auf die Sicherheit gegen sprödes Versagen wird deutlich, wenn z.B. ein hochlegierter martensit-aushärtender Stahl mit einem üblichen Vergütungsstahl bei gleichen Festigkeitswerten verglichen wird. Die höhere ertragbare Spannungsintensität an einer Rißspitze und damit die höhere Bruchsicherheit, läßt beim martensit-aushärtenden Stahl bei gleicher Festigkeit wie bei üblichem Vergütungsstahl größere Fehlergrößen tolerieren und stellt damit eine entsprechend größere Sicherheitsreserve dar (Bild 11-9). Ein Beispiel für eine wichtige Anwendung des KC-Wertes für die Bauteilauslegung ist die Philosophie „Leck vor Bruch“ bei Hochdruckleitungen und Druckbehältern. Die in einem Bauteil noch zulässige Rißgröße, d.h. die Rißgröße, die noch nicht kritisch für die Auslösung eines Sprödbruchs ist, sollte in einem solchen Fall deutlich größer sein als die Wanddicke (Bild 11-10). Bei einer unter Wechsellast anzunehmenden, elliptischen Ausbreitung eines Fehlers, wird bei Erfüllung der Forderung „Leck vor Bruch“ die Wanddicke durchbrochen, noch bevor der Riß seine kritische Größe erreicht hat. Der Riß offenbart sich dann durch ein Leck, bevor er eine Ausdehnung annehmen kann, die zu einem katastrophalen spröden Zerbersten des Bauteils führen würde.
Bild 11-8. Beziehung zwischen der Bruch-Nennspannung und der kritischen Rißlänge (KIC) bei einem Stahl für den Anlagenbau σB = Bruchfestigkeit, σS = Streckgrenze
11.2 Festigkeitseigenschaften
237
Bild 11-9. Spannungsintensitätsfaktor KIC und Bruchfestigkeiten σB bei zwei unterschiedlichen Stahltypen
Die Kenntnis der Rißgröße, die noch zulässig ist, ohne daß diese zum vollständigen Bauteilversagen durch Bruch führt, ist auch von Bedeutung im Hinblick auf die Bauteilprüfung und Überwachung. Risse müssen in jedem Fall eine Größe erreichen können, die ihre sichere Erkennbarkeit durch zerstörungsfreie Verfahren gewährleistet, bevor diese kritisch werden, bevor sie also den Restbruch, insbesondere den spröden Restbruch, auslösen. So bedeutsam auch der Kc- bzw. KIc-Wert für die Sicherheit eines fehler- bzw. rißbehafteten Bauteils ist, so schwierig ist es, wegen der erforderlichen Probengröße und Form diesen Wert im Rahmen einer Schadenanalyse an Schadenteilen zu ermitteln und ihn in die Schadenklärung einzubeziehen. Bei bekannten Kennwerten aus der Zugfestigkeitsprüfung – insbesondere wenn diese Kennwerte eine gewisse Duktilität des Werkstoffs ausweisen – ist es jedoch im Rückschluß möglich, aus der Analyse einer Sprödbruchfläche auf die Bedingungen bei der Sprödbruchauslösung zu schließen (vgl. Beispiele unter Abschn. 11.2.1, Bild 11-7 sowie Abschn. 9.2.2.1 und 9.2.3.1). Die Fläche einer Trennung, von der ein Sprödbruch ausgelöst wurde, kennzeichnet eine kritische Rißgröße im Sinne der Bruchmechanik. Die Morpholo-
Bild 11-10. Bei halbkreisförmiger Ausbreitung eines Anrisses 2 c tritt Leck vor Bruch ein, wenn 2 a = 2 t < Krit. Rißlänge (vgl. Bild 11-8)
238
11 Werkstoffcharakterisierung
Bild 11-11. Rißöffnungsarten zur Ermittlung der Spannungsintensitätsfaktoren KI, KII, oder KIII
gie dieser initialen Trennung zeigt, ob diese einem Werkstoffehler oder einem durch Betriebseinflüsse bis zur kritischen Größe gewachsenen Wechselbeanspruchungsriß zuzuordnen ist. Durch Schlußfolgerung sind weitere Hinweise auf außergewöhnliche Betriebsumstände, auf Werkstoffveränderungen und auf Spannungszustände unter Einbeziehung weiterer Kriterien der Schadenuntersuchung möglich. Der Werkstoffkennwert Kc bzw. KIc (der Index I kennzeichnet die gebräuchliche Rißöffnungsart (Bild 11-11)) wird konventionell mit Hilfe der CT-Probe (CompactTension) gewonnen. Bei dieser Probe wird im Grund einer einseitig eingearbeiteten Kerbe ein Schwingungsanriß vorgeschriebener Länge erzeugt und anschließend unter Zugbelastung die Probe mit einer Prüfmaschine im Gewaltbruch gebrochen (Bild 11-12). Während der Lastaufbringung im Zugversuch wird die Rißaufweitung in der mechanisch gefertigten Kerbe abgegriffen. Aufgrund der nur geringen zulässigen Rißaufweitung ist sicherzustellen, daß die plastische Zone an der Rißspitze vernachlässigbar ist, daß also die Bedingungen der linear elastischen Bruchmechanik Anwendung finden können. Um diese Bedingungen sicherzustellen, sind in Abhängigkeit von den statischen Festigkeitskennwerten Probenabmessungen vorgeschrieben, die den ebenen Dehungszustand, d.h. das verformungslose Brechen der Proben gewährleisten (Bild 11-12, vgl. Bild 9-16). Bei nicht mehr vernachlässigbarer plastischer Zone vor der Rißspitze müssen andere Bruchmechanikkonzepte Verwendung finden. In Anwendung sind dazu das COD-(Crack Opening Displacement) und das J-Integralkonzept sowie die Ermittlung von Rißwiderstandskurven (R-Kurven).
Bild 11-12. CT-Probe mit Angabe der Abmessungen in Abhängigkeit von der Streckgrenze zur Erfüllung der Bedingungen der linear-elastischen Bruchmechanik (LEB)
11.2 Festigkeitseigenschaften
239
11.2.3 Zeitstandfestigkeit Bei Raumtemperatur besteht bei metallischen Werkstoffen im Bereich der elastischen Dehnung ein Gleichgewichtszustand zwischen Belastung und Probendehnung, vergleichbar der linearen belastungsabhängigen Auslenkung einer Federwaage. Bei höheren Temperaturen – bei Stählen oberhalb 350 °C – werden die unter äußeren Belastungen bewirkten Spannungen und Verfestigungen im Werkstoff zeitabhängig wieder abgebaut, d.h. ein Gleichgewicht zwischen Belastung und Auslenkung besteht dann nicht mehr. Die bei erhöhten Temperaturen nach den Diffusionsgesetzen wirkenden Entfestigungen im Werkstoff führen dazu, daß unter konstanter Last die Dehnung des Werkstoffs zeitabhängig weiter zunimmt, bis zum Eintritt eines sogenannten Zeitstandbruchs oder Kriechbruchs. Die bei konstanter Belastung zeitabhängige Dehnung wird in einer Kriechkurve dargestellt, die im wesentlichen 3 Bereiche erkennen läßt (vgl. Bild 9-118). Bereich 1: Übergangskriechen Bereich 2: stationäres Kriechen Bereich 3: tertiäres Kriechen (Beschleunigungskriechen) bis zum Eintritt des Kriechbruchs Technisch nutzbar sind die Bereiche 1 und 2 der Kriechkurve. Zur Bestimmung der Bauteillebensdauer und der Bauteilsicherheit werden Zeitstandfestigkeitskurven herangezogen, aus denen bei bestimmten Temperaturen die maximal zulässigen Spannungen für eine geforderte Lebensdauer zu entnehmen sind. Diese Linien stellen entweder Zeitstandbruchlinien dar oder – sinnvoller – Grenzlinien einer bestimmten, für das Bauteil zulässigen Zeitstanddehnung. Zur Aufnahme der Kriechkurven (vgl. Bild 9-118) und den daraus abzuleitenden Zeitstandbruchlinien bzw. Zeitstanddehngrenzlinien wird eine Zugprobe in einem Röhrenofen bei konstanter Kriechtemperatur und konstanter Last geprüft. Die zeitabhängige Dehnung wird fortlaufend registriert. Die Angabe der Zeitstandfestigkeit geht im allgemeinen nicht über 105 h hinaus. Für die Schadenanalyse ist die Bestimmung der Zeitstandsfestigkeitskurven an Bauteilproben zur Werkstoffcharakterisierung meist nicht praktikabel. Nach der Definition des Werkstoffs durch die chemische Analyse läßt sich jedoch anhand der für diesen Werkstoff bekannten Zeitstandbruchlinien und Zeitstanddehngrenzlinien dessen Eignung für den gewählten Temperatur- und Belastungsbereich beurteilen. Entsprechend der Aufgabe der Schadenanalyse kann der Werkstoffkennwert und sein Vergleich mit der SollBetriebsbeanspruchung herangezogen werden für einen folgerichtigen Rückschluß nach einem Schadenfall auf die vorausgegangene Geschichte der Beanspruchungsabläufe. Als wichtige Anhaltswerte dienen dabei die am Bauteil festzustellenden Zeitstanddehnungen und die Gefügezustände (vgl. Abschn. 9.3.2.2). So ergibt ein vorzeitiger Lebensdauerverbrauch Hinweise auf Übertemperaturen oder Zusatzbeanspruchungen wie außerplanmäßig hohe Thermowechselbeanspruchungen, aber auch auf Mitwirkung von Einflüssen wie Hochtemperaturkorrosion oder Erosion. Als Fallbeispiel läßt sich der Schaden am Topfgehäuse einer Dampfturbine heranziehen. Bei der Revision des Topfgehäuses wurde im Radius der Anlegeschulter zur Zwischenstopfbuchse ein umlaufender Riß festgestellt. Ebenfalls wurde ein Riß
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11 Werkstoffcharakterisierung
gefunden an einer umlaufenden Nut, mit der das Topfgehäuse mit dem Außengehäuse verbunden ist. Eine Werkstoffuntersuchung ergab, daß der Werkstoff des Topfgehäuses nach einer Betriebsbeanspruchung von 78600 h noch die Eigenschaften neuer Gußstücke aus dem Werkstoff GS-17CrMoV5.11 besitzt. Zeitstandschädigungen, wie sie zunächst vermutet wurden, konnten auch durch die Gefügeuntersuchungen nicht gefunden werden. Entscheidende Hinweise zur Schadenklärung ließen sich aus der Betriebsweise der Turbine ziehen. Während der Gesamtbetriebszeit hat die Maschine 445 Starts erfahren, davon allein 310 Starts in den letzten 18000 Stunden. Dies entspricht dem Einsatz im Spitzenlastbetrieb während der letzten Betriebsperiode. Durch das Nachvollziehen der Betriebsbedingungen ließen sich die unterschiedliche Durchwärmung der einzelnen miteinander in Verbindung stehenden Komponenten und die dadurch bedingten Relativdehnungen rechnerisch abschätzen. Bei einer Beaufschlagung mit einer Temperatur von 537°C und einer mittleren instationären Temperatur zwischen 460°C und 500°C ergaben sich an den kritischen Stellen mit Spannungen von 830 N/mm2 bereits Überschreitungen der Warmstreckgrenze. Die Anrisse sind somit auf Warm-Dehnungswechselermüdung zurückzuführen. Aufgrund der Untersuchungen konnte für die Maschine ein Anfahrprogramm angegeben werden, das einen besseren Temperaturausgleich gewährleistet und damit zu niedrigeren Spannungen durch unterschiedliche Wärmedehnung führt. 11.2.4 Festigkeit unter mechanischer Wechselbeanspruchung Aus der Auswertung von Schadenfällen geht hervor, daß Risse und Brüche überwiegend unter wechselnder mechanischer Belastung entstehen. Dies gilt nicht nur für den Bereich des Maschinenbaus im weitesten Sinn, sondern darüber hinaus auch für Tragwerke wie Brücken, Masten u.ä.. Unter dynamischen Beanspruchungen, wie sie die Wechselbeanspruchung darstellt oder unter Schwingbeanspruchungen beträgt die schadenfrei ertragbare Nennspannung für ein Bauteil oft nur noch ein Bruchteil der an einer Normprobe gemessenen Zugfestigkeit. Die unter normierten und einheitlichen Bedingungen gewonnenen dynamischen Kennwerte besitzen schon unter Prüfbedingungen deutlich größere Streubreiten als die statischen Festigkeitskennwerte. Die Prüfung der Wechselfestigkeit erfolgt in Zug-DruckPrüfmaschinen, in Umlaufbiege-, Wechselbiege- oder Torsionswechselprüfungen. Die aus diesen Prüfungen gewonnene Beziehung zwischen ertragbarer Lastwechselzahl und Spannungsamplitude wird in sogenannten Wöhler-Schaubildern dargestellt. Die Wöhler-Linie ist dabei die Linie, bei deren Überschreitung mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit der Bruch der Proben eintritt (Bild 11-13). Bei ferritischen Stählen, d.h. bei Eisenwerkstoffen mit kubisch raumzentriertem Gitter wird eine Grenzlastspielzahl angegeben, bei der die Wöhler-Linie in einen waagerechten Ast einläuft. Der Werkstoff wird dann als dauerfest betrachtet. Unter Einwirkung von oberflächenaktiven bzw. korrosiven Medien gibt es in diesem Sinn keine Dauerfestigkeit. Ebenfalls kann bei austenitischen Stähle und NE-Metallen nur noch bedingt von einer Dauerfestigkeit gesprochen werden, d.h. von einer Amplitude, die in beliebig hoher Laswechselzahl ertragen wird. Keramik und Polymerwerkstoffe zeigen unter Wechselbeanspruchungen entsprechend ihrem Aufbau grundsätzlich andere Reaktionen in der Werkstoffstruktur als Metalle und weisen
11.3 Korrosionsverhalten
241
Bild 11-13. Wöhlerlinien für Ausfallwahrscheinlichkeiten von 10 %, 50 % und 90 %
entsprechend unterschiedliches Verhalten unter dieser Belastungsart auf (vgl. Kap. 10). Die Lebensdauer eines Bauteils, d.h. die Zahl der ertragbaren Lastwechsel, kann mit den Werten aus einer Wöhler-Linie bei zunehmender Komplexität der Einflußfaktoren kaum auch nur noch annähernd angegeben werden. Neben Gestalt und Bearbeitungsgüte eines Bauteils wird die Wechselfestigkeit entscheidend beeinflußt durch Belastungsfolgen, Belastungsfrequenzen, Temperatur und umgebende Medien. Im Rahmen einer Schadenanalyse sind die Kennwerte aus normierten Schwingfestigkeitsversuchen somit nicht geeignet, um daraus schlüssige Folgerungen zur Versagensursache unmittelbar abzuleiten. Im Fall des Bauteilverhaltens unter komplexen Betriebsbeanspruchungen nimmt vielmehr gerade die Schadenanalyse eine entscheidende Bedeutung ein, um Art und Umfang der verschiedenen Parameter aus einem Versagensablauf abzuleiten. Aus solchen Erkenntnissen der Schadenuntersuchung lassen sich dann Betriebsfestigkeits- bzw. Simulationsuntersuchungen planen, mit deren Hilfe eine sichere Bauteilauslegung möglich wird (vgl. Kap. 5 und Bild 5-16).
11.3 Korrosionsverhalten Zur Charakterisierung der metallischen Werkstoffe nach ihrer chemischen Beständigkeit ist zunächst von ihrer Stellung in der elektrochemischen Spannungsreihe auszugehen, mit der eine Reihung der Metalle nach ihrem Auflösungsbestreben gegeben ist. Je nach dem Auflösungsbestreben eines Metalls ergibt sich unter Standardbedingungen gegenüber einer festgelegten Normalelektrode eine bestimmte charakteristische elektrische Spannung. Im Vergleich verschiedener Metalle untereinander gelten die elektropositiveren Metalle als edler gegenüber einem Vergleichsmetall, die elektronegativeren als unedler. So ist Zink auf einem negativerem Potential als Kupfer und damit unedler als dieses (Bild 11-14).
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11 Werkstoffcharakterisierung
Bild 11-14. Potential(-differenz) von Kupfer und Zink gegenüber dem Elektrolyten (Lösung). U ist die meßbare Spannung zwischen einer Kupfer- und einer Zinkelektrode
Bei Existenz eines Feuchteklimas, also insbesondere bei Temperaturen unterhalb des Siedepunkts bzw. Taupunktes von Wasser oder anderen feuchten Medien, tritt die sogenannte elektrolytische Korrosion ein. Bei erhöhten Temperaturen setzen sich die Metalle dagegen in einer unmittelbaren chemischen Reaktion mit einem gasförmigen Medium um, wobei zunächst das Reaktionsbestreben wieder der Stellung des Metalls in der elektrochemischen Spannungsreihe entspricht. Das tatsächliche Korrosionsverhalten sowohl unter Feuchteeinwirkung wie auch bei Einwirkung gasförmiger Medien, ist von der primär gegebenen chemischen Beständigkeit zu unterscheiden. Bei Korrosion bildet sich auf der Oberfläche eines Metalls ein im allgemeinen oxidisches Korrosionsprodukt. Entweder liegt das Produkt locker auf, wie gewöhnlicher Eisenrost oder es bildet sich ein durchgehender dichter und festhaftender Oxidfilm wie z.B. auf Aluminium. Im ersten Fall kommt die Korrosion nicht zum Stillstand sondern schreitet bis zur vollständigen Umsetzung des Metalls in ein Korrosionsprodukt fort. Im zweiten Fall wird das Metall durch den gebildeten oxidischen Film vor weiterer Korrosion geschützt. Auf diese Weise ist unter atmosphärischen Bedingungen das unedlere Aluminium korrosionsbeständiger als das im Sinne der Spannungsreihe edlere Eisen. Auch wird ein unlegierter Stahl dadurch korrosionsbeständiger, daß ihm z.B. Chrom als Legierungselement zulegiert wird, das zwar unedler als Eisen ist, aber bewirkt, daß sich auf Eisen eine Schutzschicht, ähnlich wie bei Aluminium bildet. In ähnlicher Form wirken auch Legierungselemente wie Aluminium und Silizium in Stahl. 11.3.1 Bewertung der elektrochemischen Korrosion (Feuchtekorrosion) Aus der vorangegangenen Übersicht ergibt sich, daß Korrosion als eine Systemeigenschaft aufgefaßt werden muß, die abhängig ist von der Art des Metalls, einem umgebenden Elektrolyten bzw. Medium und einer in elektrisch leitender Verbindung stehender Gegenelektrode. Diese Gegenelektrode kann gegeben sein durch heterogene Oberflächen, also bereits durch gefügebedingt mikroskopisch unterschiedliche Oberflächenbezirke, durch bedeckte und unbedeckte Oberflächenbereiche oder durch unterschiedliche, in Verbindung stehende Metalle, wie z.B. eine Stahlschraube in einem Messingblech (Kontaktkorrosion) und schließlich auch noch durch verformte und unverformte Bereiche, wie sie z.B. in Tiefziehteilen und
11.3 Korrosionsverhalten
243
Bild 11-15. Verschiedene Formen und Mechanismen lokaler Korrosion
in Falzen vorliegen. Je nach derartigen Bedingungen bilden sich korrosive Abtragungen in flächiger oder lokaler Form aus (Bild 11-15). In Spalten oder an schlecht belüfteten Stellen einer Konstruktion ergibt sich die Korrosion durch Veränderung des Elektrolyten in Richtung stärkerer Aggressivität (Ansäuerung). Bei der Verbindung verschiedener Metalle in einer Maschine oder einer Anlage wird Korrosion durch deren Potentialdifferenz ausgelöst (Kontaktkorrosion). Ein Fallbeispiel wurde mit der Korrosion einer Pumpenwelle aus einem korrosionsbeständigem Chromstahl in Berührung mit einer Spannhülse aus Messing aufgeführt (vgl. Bild 4-1 und 9-3). Eine Stahlschraube im Messingblech löst sich unter Einwirkung eines Elektrolyten, wie er durch Feuchtigkeit gegeben ist, unter Korrosion auf. Verformte Bereiche werden stärker als unverformte abgetragen, da die Verformung das Material zu einem unedleren Potential hin verändert (vgl. Bild 9-3). Dem Abtrag eines Werkstoffs unter elektrolytischer Korrosion entspricht ein äquivalenter elektrischer Strom. Damit ist es möglich, das Korrosionsbestreben eines Metalls aus den funktionellen Zusammenhängen zwischen Potential, Elektrolyten und Stromdichte mit Hilfe von Stromdichte-Potentialmessungen zu erfassen. Gegenüber einer den Korrosionsbedingungen entsprechenden Gegenelektrode, stellt sich in einem bestimmten zu wählenden Elektrolyten ohne Außenstrom ein sogenanntes Ruhepotential (Korrosionspotential) ein. Unter einem aufgeprägten äußeren Potential zeigt sich bei schutzschichtbildenden Bedingungen (Passivierbarkeit des Werkstoffs) zunächst ein mit dem Potential ansteigender Strom, entsprechend dem Werkstoffabtrag. Danach wird die Bildung einer Schutzschicht erkennbar durch den Abfall des Korrosionsstroms auf geringe Werte, entsprechend dem nun vor weiterem Abtrag geschützten Werkstoff. Bei einem weiteren Ansteigen des Potentials wird die Schutzschicht entweder örtlich durchbrochen (Lochfraßpotential) oder die schützende Wirkung der Deckschicht ist gänzlich aufgehoben (Durchbruchspotential) (Bild 11-16). Bei Spannungsrißkorrosion (SpRK) wird ein scharf lokalisierter Angriff durch örtliches Aufreißen der Schutzschicht angenommen. Diese Korrosionsart beschränkt sich daher im allgemeinen auf passivierbare Werkstoffe. Die Prüfung auf SpRK-Beständigkeit wird unter einer definierten Verformung (Biegeprobe, Zeitstandprobe) und Einwirkung eines Mediums vorgenommen, wobei die Standzeit bis
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11 Werkstoffcharakterisierung
Bild 11-16. Schematische Strom-Spannungskurve eines passivierbaren Metalls. UK Korrosionspotential, Up Passivierungspotential, UL Lochfraßpotential, UD Durchbruchspotential, ip Passivierungsstromdichte, Ip’ passive Reststromdichte
zum Bruch zur Werkstoffcharakterisierung geeignet ist. Ebenfalls läßt sich anhand von zeitlich konstant zunehmender Dehnung (constant strain) bei Einwirkung des spannungsrißkorrosionsauslösenden Mediums bis zum Bruch ein Beurteilungskriterium für die Spannungsrißkorrosionsempfindlichkeit des Werkstoffs finden. Schließlich spielen für die Beurteilung derart komplexer Abhängigkeiten, wie sie bei der Korrosion gegeben sind, Simulationsproben eine gewisse Rolle. Werkstoffzustände und Beanspruchungsbedingungen sind den realen Verhältnissen dabei weitestmöglich anzupassen. Zur Beurteilung solcher Proben werden Massenänderung, Angriffstiefe sowie Anzahl und Fläche örtlicher Korrosionen bestimmt. Daraus lassen sich als Kenngrößen ableiten der flächenbezogene Massenverlust, die Abtragungsgeschwindigkeit, die Lochzahldichte und die Eindringgeschwindigkeit. Aus diesen Informationen lassen sich schließlich in weiterer Ableitung Schlüsse auf die Bauteillebensdauer ziehen. 11.3.2 Bewertung der Hochtemperaturkorrosion Bei hohen Temperaturen werden unter thermischer Energie die Atome als Ionen aus ihrem metallischen Verbund im Festkörper gelöst und können unmittelbar in chemische Reaktion treten mit einem umgebenden gasförmigen Medium. Bei der Hochtemperaturkorrosion entfällt somit der Massetransport durch einen Elektrolyten und der korrespondierende Elektronenfluß durch einen metallischen Leiter, wie dies modellhaft in der elektrolytischen Zelle vorliegt. Der Angriff durch Hochtemperaturkorrosion erfolgt vorwiegend gleichmäßig unter Ausbildung von Deckschichten, die in unterschiedlicher Wirkung vor weiteren Reaktionen schützen. Lokker abblätternder Zunder führt zu fortdauerndem Materialverbrauch. Das Material zundert nach einem linearen Gesetz ab. Dichte Zunderschichten führen zu einer parabolischen oder logarithmischen Abnahme der Verzunderung (Bild 11-17). Bei Stählen wird die Zunderbeständigkeit erreicht durch Zulegieren von Elementen, die auch zur Korrosionsbeständigkeit bei elektrolytischer Korrosion durch Deckschichtbildung führen. Es sind dies vorzugsweise Chrom, Aluminium und Silizium.
11.3 Korrosionsverhalten
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Bild 11-17. Zeitlicher Verlauf der Bildung von Oxidschichten (Zundergesetze) 1 linear, 2 parabolisch, 3 logarithmisch
Die Charakterisierung der Werkstoffe im Hinblick auf ihre Zunderbeständigkeit, erfolgt mit Hilfe der Thermowaage, bei der unter der Reaktion des Prüflings mit dem interessierenden gasförmigen Medium die Gewichtszunahme fortlaufend registriert werden kann, wodurch sich die Zeitgesetze bei der Hochtemperaturkorrosion ergeben. Neben der Reaktion mit sauerstoffhaltigen Medien sind gerade im Hinblick auf die Materialzerstörung Angriffe durch schwefelhaltige, kohlenstoffhaltige, stickstoffhaltige und chloridhaltige Gase von Bedeutung. Unter solchen Bedingungen bilden sich oft abblätternde und pustelförmige Schichten aus, die eine Beständigkeit des Werkstoffs nicht mehr gegeben sein lassen.
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12 Simulationsuntersuchungen
12 Simulationsuntersuchungen
Durch die zusammenfassende Auswertung der Ergebnisse, die aus den verschiedenen Untersuchungsschritten zur Schadenaufklärung gewonnen wurden, ergibt sich schließlich eine Merkmalkombination aus der ein definierter Schadenablauf abzuleiten ist. Es darf dabei jedoch nicht übersehen werden, daß sich solche Ergebnisse einer Untersuchung zumindest teilweise auf phänomenologische Befunde stützen müssen, die nicht immer eindeutig sind, d.h., die u.U. auch eine andere Deutung zulassen als sie bei der Ableitung einer Schadenursache getroffen wurde. In solchen Fällen ist das Ergebnis mit einem Soll-Ist-Vergleich der Schadenerscheinungen zu überprüfen. Dazu wird in einem Simulationsversuch der als Ursache für den Schaden angenommene Beanspruchungskomplex eingestellt und unter diesen Bedingungen am gleichartigen Bauteil das Schadensbild hergestellt. Bei richtigen Annahmen zum Schadenablauf müssen sich im Simulationsversuch die gleichen Merkmale wieder einstellen, wie sie am originären Schadenteil vorgefunden wurden. Ein SollSchadenbild in seiner gesamten Merkmalkombination wird auf diese Weise einem im Simulationversuch gewonnenen Ist-Schadenbild gegenübergestellt, um damit den Beweis für die Richtigkeit der Ableitung der Schadenursache zu finden oder um das Ergebnis zu korrigieren. Gerade dann, wenn einzelne Merkmale oder Merkmalkominationen mehrdeutig sind und wenn Lücken in den Informationen zum Schadenumfeld bestehen, können Simulationsuntersuchungen nützliche Hilfe bieten. Ergibt z.B. das makroskopische Bruchbild einen weitgehend verformungslosen Bruch an einem glatten Bauteil aus einem Werkstoff, der nach Analyse- und Härtewerten ausreichende Duktilität erwarten läßt, so ist das Bruchverhalten zunächst durch die Mikrofraktographie zu verifizieren. Wird dort ein spaltflächiger Bruch vorgefunden, so bestehen mindestens die Möglichkeiten, daß das Bauteilversagen bei tiefen Temperaturen, bei sehr hohen Belastungsgeschwindigkeiten oder bei beiden stattgefunden hat. Ein weiteres Indiz zumindest für hohe Beanspruchungsgeschwindigkeiten besteht in der metallographischen Beurteilung. Werden dort ausgeprägte Feingleitungen und/oder Zwillingsbildungen im Falle eines ferritischen Werkstoffs vorgefunden, so sind hohe Belastungsgeschwindigkeiten möglich. Die Einstellung verschiedener Simulationsbedingungen mit Variationen von Temperatur und Belastungsgeschwindigkeit ist geeignet, eine Merkmalkombination wie am Schadenteil einzustellen und damit die Umstände bei Schadeneintritt sehr stark einzugrenzen. In besonderem Maße ist man auf die Simulation von Beanspruchungsbedingungen sowohl bei der Qualifizierung von Werkstoffen als auch beim Nachvollziehen von Schadenabläufen im Fall korrosiver Beanspruchungen oder gar bei komplexkorrosiven Beanspruchungen angewiesen. Die Vielfalt der Korrosionsbedingungen erlaubt aus standardisierten Prüfungen nur sehr allgemeine Aussagen
12 Simulationsuntersuchungen
247
zum Schadenbild, das sich unter spezifischen Einsatzbedingungen vollständig anders als bei Standardprüfungen einstellen kann. Ein Fallbeispiel unter nahezu unbegrenzt zahlreichen Beanspruchungskonstellationen ist das Nachvollziehen von Korrosionen im Feuerraum von Kesseln unter Einwirkung komplexer Sulfate und Vanadyl-Vanadate (Bild 12-1). Im Fall derartiger Hochtemperaturkorrosionsbedingungen lassen sich labormäßig die Betriebsbedingungen nachvollziehen, indem in Röhrenofen synthetische Brenngase bei entsprechenden Temperaturen über Proberohre geleitet werden. Als Beispiel, wie ein schlüssiger Nachweis eines Schadenablaufs mit der Simulation unter den angenommenen Bedingungen zu führen ist, mag der in Abschn. 9.2.3 aufgeführte Fall dienen. Die Aufklärung der Ursache der dort beschriebenen pittingartigen Ausbrüche von Zahnflanken durch Wasserstoff aus dem Schmiermittel war letztlich nur durch die Simulation möglich (Bild 9-72 und 9-73). Oft ist es sehr aufwendig und zum Teil auch außerordentlich schwierig, Simulationsbedingungen herzustellen, die dem angenommenen Schadenablauf entsprechen und dazu auch die notwendigen Teile oder Komponenten zur Verfügung zu haben, die aus gleichartigem Werkstoff und gleichen Werkstoffzuständen bestehen wie im schadengegenständlichen Fall. Die Durchführung von solchen Simulationsversuchen wird daher oft auf Fälle beschränkt, deren Aufklärung den äußerst hohen Aufwand rechtfertigen. Solche Fälle sind z.B. Katastrophen, wie Flugzeugabstürze, Schiffsuntergänge, Chemieunfälle, Explosionen o.ä.. Gute Voraussetzungen für die Überprüfung von Beanspruchungsbedingungen, die als schadenursächlich angenommen werden, sind dann vorhanden, wenn mehrere gleichartige Anlagen in Betrieb sind. Veranschaulichen läßt sich dieses Vorgehen bei der Klärung der Ursachen von Zeitstandbrüchen an einem Sammlerrohr eines Kraftwerks. Wichtige Voraussetzung war in diesem Fall, daß mehrere baugleiche Kraftwerksblöcke in Betrieb waren. Die Risse auf einem Teil des Umfangs im Schweißeinflußbereich sind nach 21.000 Betriebsstunden und 215 Starts aufgetre-
Bild 12-1. Hochtemperaturkorrosion durch Alkalisulfat an ZÜ-Rohr
248
12 Simulationsuntersuchungen
Bild 12-2. Lage der Risse an einem Sammlerrohr
ten (Bild 12-2). Der Rohrwerkstoff war 15MoV63, die Beanspruchung erfolgte mit 540 °C und 60 bar. Zunächst war mit den Untersuchungen der Zustand des Werkstoffs im Bereich der Schweißnaht zu klären. Dabei ergab sich, daß keine Versprödungen vorlagen, wie sie bei dem hier gegebenen Werkstoff auftreten können. Metallographisch und fraktographisch waren einwandfrei Risse durch Überschreiten der Zeitstandfestigkeit festzustellen (Bild 12-3). Unter Zugrundelegen der Werkstoffkennwerte läßt sich rechnerisch für einen solchen Schaden unter den bekannten Bedingungen ein deutliches Überschreiten der Kriechbruchspannung von 69 N/mm2 ermitteln. Spannungen in solcher Höhe können weder durch den Innendruck noch durch Anschlußspannungen unter den ungünstigsten anzunehmenden Bedingungen erreicht werden.
Bild 12-3. Risse durch Überschreiten der Zeitstandfestigkeit
12 Simulationsuntersuchungen
249
Die Herkunft der Spannungen ließ sich in diesem Fall durch Messungen an einem baugleichen Block während des Anfahrens klären. Es wurden dazu 56 Thermoelemente durch Flammspritzen in dem entsprechenden Bereich des Sammlers angebracht (Bild 12-4). Im Temperatur-Zeitverlauf beim Anfahrvorgang zeigt sich, daß auf einem Teil des Sammlerumfangs bei Wandtemperaturen von 420 °C Temperaturabfälle bis zu 260 K gemessen wurden. Diesen Temperatureinbrüchen entsprechen Kontraktionen von 0,35 %, die jedoch durch die feste Verbindung mit den restlichen Rohrbereichen nicht stattfinden können, sondern in Spannungen bzw. Verformungen umgesetzt werden. Nach dem Temperaturausgleich ergeben sich in den dehnbehinderten Rohrbereichen Eigenspannungen, die zusammen mit Anschlußspannungen und Innendruck bis zu 150 N/mm2 ansteigen. Bei der gegebenen Betriebstemperatur entspricht dieser Spannung recht genau eine Zeit bis zum Erreichen der Zeitstandbruchfestigkeit von 20.000 Stunden. Dies ist auch die tatsächliche Lebensdauer, die bis zum Schadeneintritt festzustellen war. An zwei weiteren neueren baugleichen Blöcken waren ebenfalls beginnende Zeitstandschäden zu erkennen. Entsprechend den kürzeren Betriebszeiten war jedoch dort noch kein Bruch aufgetreten.
Bild 12-4. Lage der Meßstellen und Temperaturverläufe am Sammlerrohr
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12 Simulationsuntersuchungen
Festzustellen war nun noch die Ursache der Temperaturabsenkungen auf einem Teil des Sammlerumfangs beim Anfahren. Es stellte sich heraus, daß konstruktiv bedingt beim Anstoßen der Turbine durch sog. Spucken Wasser in den Sammler eingebracht wurde und dadurch die Spannungen bzw. Verformungen infolge der Dehnungsunterschiede auf den verschiedenen Rohrsegmenten bewirkt wurden. Gezielte Abhilfe war somit ermöglicht. Unter der Maßgabe, daß die erforderlichen Angaben und Randbedingungen bekannt sind, lassen sich Schadenabläufe durch mechanische und thermische Beanspruchungen mit Hilfe von 3 D-CAD und Finite-Element-Berechnung flexibler und einfacher nachvollziehen als dies mit Versuchsaufbauten möglich ist. Ein beispielgebender Fall liegt bei Ausbrüchen in den Auflageflächen von Druckstempeln einer Spanplattenpresse vor. Nach langjähriger Betriebszeit sind dort Ausbrüche mit einem auffallenden kalottenförmigen Verlauf entstanden. Die Kolben bzw. die Druckstempel bestehen in Querschnittsmitte aus perlitischem Graugruß, die Randzone weist ein ledeburitisches Gefüge auf. Der Verlauf der Bruchflächen ist konkav ausgehend vom Randbereich zur Mitte des Stempels, so daß sich die kalottenförmigen Ausbrüche ergaben. Der ausgebrochene Werkstoffbereich ließ sich aus der Druckfläche herausheben (Bild 12-5). Zur Klärung des Schadens wird zunächst von den konstruktiven Gegebenheiten bei der Übertragung der Druckkräfte vom Kolben bzw. vom Druckstempel auf die Heizplatte der Presse ausgegangen. Die Flanschplatte, die zur Kraftübertragung dient, besitzt eine kreisrunde Aussparung, so daß die Druckkräfte ringförmig über die Kolbenstirnfläche eingeleitet werden. Der sich dadurch ergebende Spannungsverlauf im Kolben läßt sich mit Hilfe der Finiten-Element-Analyse darstellen (Bild 12-6). Auf dieser Grundlage können mit 3 D-CAD-Darstellung die elastischen Wechselverformungen im Kolben eindrucksvoll sichtbar gemacht werden. Die zunächst unerklärliche Form der Ausbruchflächen im Kolben folgt genau dem Verlauf der Schubwechselspannungen, wie sie bei jedem Lastzyklus der Presse auftreten und die schließlich durch Ermüdung des Gußwerkstoffes die Ausbrüche hervorgerufen haben.
Bild 12-5. Ausbrüche in der Auflagefläche von Druckstempeln
12 Simulationsuntersuchungen
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Bild 12-6. Spannungsverlauf in den Druckstempeln
Durch die Rechnersimulation des Schadenablaufs wird schließlich nachgewiesen, daß eine Reparatur durch Auffüllen des ausgebrochenen Volumens mit Schweißgut wenig sinnvoll ist. In einem solchen Fall bleiben die Spannungsverhältnisse bei Belastung der Kolbenstirnfläche die gleichen, wie sie zum Ausbruch führten. Wirkungsvolle Abhilfe ist hingegen zu erwarten, wenn das ausgebrochene Werkstoffvolumen nicht ersetzt wird, sondern wenn eine Kalottenförmige Ausarbeitung der Stirnfläche erfolgt, so daß Schubspannungen nicht mehr auftreten können. Der hier gegebene Fall ist weitgehend vergleichbar mit dem Fall der Entstehung von Schubspannungsrissen in einer zur damaligen Zeit sehr fortschrittlichen und ästhetischen Brückenkonstruktion von Maillard (vgl. Bild 4-5). Die Abhilfe wurde damals bereits dadurch erreicht, daß an den kritischen Stellen der Brücke Aussparungen angebracht worden sind und damit Schubspannungen nicht mehr auftreten konnten.
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13 Abfassung des Schadengutachtens
13 Abfassung des Schadengutachtens
In Gliederung und Inhalt des Schadengutachtens soll Konzeption und Durchführung der Schadenuntersuchung ebenso wie die Logik der Beweisführung eindeutig zu erkennen sein. Insoweit spiegelt sich im Schadengutachten im besonderen Maße die bei der Schadenuntersuchung beschriebene Vorgehensweise wider (vgl. Kap. 7, 8 und 9). Entsprechend hat die Prüfung eines Gutachtens im Hinblick auf die Belastbarkeit seiner Aussagen und auf korrekte Abfassung von der Frage auszugehen, ob es für einen Außenstehenden möglich ist, die Annahmen, das Vorgehen und die sich daraus ergebende Beweisführungskette lückenlos Schritt für Schritt nachzuvollziehen. Dazu müssen zunächst aus einem solchen Gutachten alle Angaben zu entnehmen sein, die im Schadenfall zugänglich waren und dem Vorgehen zur Schadenklärung zugrundegelegt wurden. Es sind sodann Schritt für Schritt für die Einzeluntersuchungen geeignete Fragenkataloge abzuarbeiten. Nach jedem Untersuchungsschritt, d.h. nach äußerer Beurteilung, makrofraktographischer Beurteilung, mikrofraktographischer Beurteilung, metallographischer Beurteilung usw., ist, soweit möglich, eine Entscheidung anzugeben, welche Vermutungen oder welche sicheren Erkenntnisse aus den jeweiligen Ergebnissen eines Untersuchungsschrittes zu gewinnen sind (vgl. Kap. 7, Bild 7-6). Die Gliederung des Gutachtens ergibt sich aus der logischen Folge der Untersuchungsschritte bzw. den diesen zugeordneten Fragenkatalogen. Aus den im Anschluß an einen Untersuchungsschritt gezogenen Schlußfolgerungen ergibt sich in folgerichtiger Weise der nächste Untersuchungsschritt, mit dem die vorher angestellten Vermutungen bestätigt oder widerlegt werden. Sind alle Parameter in einem Schadenablauf beweisbar geklärt, erübrigen sich weitere Untersuchungen oder Recherchen. Bleiben im Hinblick auf irgendwelche schadenrelevanten Einflüsse Annahmen, die nicht schlüssig beweisbar sind, so muß sich in einem Gutachten zumindest angeben lassen, warum eine restlose Klärung nicht möglich war. Es kann dies bedingt sein durch Lücken in den Angaben, fehlendes oder unvollständiges Untersuchungsmaterial oder fehlenden Zugang zu bestimmten Merkmalen wegen nicht vorhandener Untersuchungsmöglichkeiten. Eine wesentliche Voraussetzung für die lückenlose Nachvollziehbarkeit einer Untersuchung und für die Beweisführung ist die vollständige Auflistung und Kennzeichnung des vorliegenden Untersuchungsmaterials ebenso wie die eindeutige Angabe der Proben oder Probenausschnitte, die den einzelnen Untersuchungsschritten zugrunde lagen entsprechend den Ausführungen in Abschn. 8.2. Die Probenwahl und die Wahl der untersuchten Probenbereiche ist entscheidend für den Erfolg der Untersuchung und der Beweisführung. Schließlich ist die Nachvollziehbarkeit immer nur dann gegeben, wenn stets eindeutig klar ist, auf welche Probe bzw. welchen Probenabschnitt sich die im Gutachten dargestellten Befunde bezie-
13 Abfassung des Schadengutachtens
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hen. Bei Gutachten, die solche Regeln unberücksichtigt lassen, ist stets Vorsicht geboten, da je nach der Probenauswahl oder Probenkombination Fehlschlüsse oder sogar Manipulationen möglich sind. Ein nach den Regeln zur Schadenuntersuchung (vgl. Kap. 5) aufgebautes Gutachten hat grundsätzlich die bereits unter Abschn. 8.3 aufgeführten Angaben zu enthalten. Es gehören dazu: 0. Gutachtenauftrag 1. Schadenaufnahme an der Anlage oder Anlaß zur Schadenuntersuchung 1.1 Feststellung, Befunde − Hersteller einer Anlage, Typ, Leistungsdaten, Herstellungsdaten, Inbetriebnahme, Betreiber, Betriebsweise der Anlage − Ort des Schadeneintritts Produktionsstätte, Einsatzgebiet, Umfeld der Anlage, des Geräts, oder der Einrichtung − Schadenäußerungen plötzlicher Stillstand, plötzliche Temperaturänderung, Zerbersten, Bruch, Verformung, Geräuschentwicklung, Feuer .... − Zeitpunkt des Schadeneintritts Datum, Uhrzeit, bei Schichtwechsel, Anfahren, nach .... Stunden Dauerbetrieb, Teillast, Vollast, Abfahren, nach Wartung, Reparatur, Schweißarbeiten, usw. − Vorgeschichte der Anlage Inspektionen, Überholungen, Vorschäden, Austauschteile ..... 1.2 Schlußfolgerungen aus der Schadenaufnahme Die aus den Schadenumständen und der vorgefundenen Schadensituation gezogenen Schlußfolgerungen können bereits Vermutungen beinhalten, deren Prüfung bzw. Nachweis oder auch deren Widerlegung sich dann folgerichtig als Ziel der weiterführenden Schadenuntersuchung angeben lassen. 2. Untersuchungsmaterial Zum Untersuchungsmaterial ist zunächst anzugeben, wann, d.h. welche Zeit nach dem Schaden, es durch wen entnommen wurde. Auch die Angabe der Art der Anlieferung kann bedeutsam sein. Nach den in Abschn. 8.4 aufgeführten Regeln hat eine nach Positionen numerierte Auflistung des Untersuchungsmaterials zu erfolgen. Dabei ist für jede einzelne Position zur vollständigen Beschreibung erforderlich: − − − − −
Positionsnummer Bezeichnung des Teils Hauptabmessungen Entnahmeort Entnahmeart (Sägeschnitt, Trennschnitt, Abschlagen)
Es kann sich auch der Fall ergeben, daß an einer komplexen Anlage oder Einrichtung sehr unterschiedliche Baugruppen von Schäden betroffen sind. So können an einem Turbosatz Schäden vorliegen an Getriebe, Kupplung, Schaufeln, Wärmetauscher und Steuerungshydraulik. In einem solchen Fall ist es sinnvoll, das Untersuchungsmaterial nach den verschiedenen Baugruppen getrennt aufzulisten.
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In Konsequenz wird das Gutachten in diesen Fällen zweckmäßig so angelegt, daß für jede Baugruppe anhand des ihr zugeordneten Untersuchungsmaterials eine vollständige Schadenuntersuchung und, soweit möglich, eine Teilursachenklärung durchgeführt wird. Die Teilergebnisse der Schadenanalyse für die verschiedenen Baugruppen werden dann zusammengeführt, um die Logik im Schadenablauf herauszuarbeiten und die Teilschadenereignisse in ihrer Sequenz nach Primär- und Folgeereignissen angeben zu können. 3. Äußere Beurteilung (vgl. Abschn. 9.1) 3.1 Feststellungen, Befunde Wie bei allen anderen, später folgenden Untersuchungsschritten ist die äußere Beurteilung klar getrennt nach den einzelnen Positionen des Untersuchungsmaterials durchzuführen. Auch gleichartige Bauteile aus verschiedenen Bereichen, z.B. Rohre aus Wärmetauschern, sind getrennt zu beschreiben, da für die Folgerungen zur Schadenursache gerade Unterschiede im Schadenbild in Abhängigkeit von der Einbaulage und den dadurch bedingten Beanspruchungsbedingungen wichtig sein können (vgl. Abschn. 7.3). Eine zusammenfassende Beurteilung mehrerer Komponenten sollte nur bei offensichtlicher Identität erfolgen, wobei dies besonders zu erwähnen und zu begründen ist. Auch der Darstellung der äußeren Beurteilung ist wieder ein entsprechender Fragenkatalog zugrundezulegen, der sich aus den an den Untersuchungsteilen äußerlich feststellbaren kennzeichnenden Merkmalen ergibt. Jeweils getrennt nach Positionen sind die als wesentlich zu beachtenden Fragen bereits unter Abschn. 9.1.2 aufgeführt. Im Zusammenhang seien diese hier sinngemäß wiederholt mit den folgenden Beschreibungen: − Gestaltung des Bauteils (Querschnittsübergänge, Kerben, Nuten) − Zustand des Bauteils (Verschmutzungen, Ablagerungen, Brandspuren, Zunder, Korrosionsprodukte) − fertigungstechnische Ausführung (geschruppt, feingedreht, poliert ...) − Oberflächenbehandlung (lackiert, elektrolytisch beschichtet, andere Beschichtungen ....) − Lage des Schadens am Bauteil (Bruch, Risse, Verformungen, Merkmale für Korrosion, Verschleiß, thermische Überbeanspruchungen) 3.2 Schlußfolgerungen aus der äußeren Beurteilung Wie auch bei allen weiteren Untersuchungsschritten sind aus den Feststellungen, die als eindeutige Beobachtungen getroffen werden, getrennt die Schlußfolgerungen zu ziehen. Die Schlußfolgerungen sind zumindest nach den ersten Untersuchungsschritten zunächst als Vermutungen anzusetzen, die meist noch nicht bewiesen sind. Es ergeben sich in Konsequenz Entscheidungen für weitere Untersuchungsschritte mit Laborhilfsmitteln, um mit dem dadurch gegebenen Zugang zu weiteren Merkmalen eine Schadenursache soweit eingrenzen zu können, bis im Erfolgsfall ein eindeutiges Ergebnis vorliegt. Die Schlußfolgerungen, die sich aus der Bestandsaufnahme und der äußeren Beurteilung als Basisuntersuchungen ergeben, werden somit im allgemeinen die
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Grundlage zur Festlegung spezifischer Laboruntersuchungsschritte und zur Definition der für diese gestellten Aufgaben sein. 4. Spezifische Vertiefungsuntersuchungen zur Erfassung von Schadenmerkmalen Nach den Basisuntersuchungen zur Schadensituation (Schadenaufnahme an der Anlage) und zur äußeren Beurteilung der Schadenteile ist je nach Lage eines Falles eine Vielzahl von spezifischen Vertiefungs- bzw. Laboruntersuchungen möglich und angezeigt. Für diese Vertiefungs- bzw. Laboruntersuchungen ist aufgrund der Basisuntersuchungen oder bereits vorausgegangener anderer Laboruntersuchungen die Aufgabenstellung bzw. die Begründung der Untersuchungen im Gutachten auszuführen. Die wichtigsten Verfahren für die Vertiefungsuntersuchungen betreffen zunächst die Methoden zur Erfassung der Schadenmorphologie, des Werkstoffzustands und der Werkstoffzusammensetzung. Die entsprechenden Untersuchungsschritte sind: − Makrofraktographie − Mikrofraktographie − Metallographie Makrometallographie Mikrometallographie Feinbereichsanalyse einzelner Gefügebestandteile Mikrohärteprüfung Aufgrund der Auswertung der morphologischen Untersuchung läßt sich aus der Summe der mit den einzelnen Verfahren zugänglich gemachten Merkmalen die Schadenart ableiten bzw. es können anhand der vorgefundenen Spuren im Werkstoff die schadenwirksamen Einflüsse dargestellt werden. Um zur Ursache des Schadens vorzudringen, ist es jedoch noch erforderlich, die durch den Betrieb gegebenen Anforderungsprofile den beim Schaden tatsächlich wirksamen Beanspruchungen gegenüberzustellen. 5. Vergleich zwischen Eigenschaften von Werkstoff und Bauteil mit den Anforderungen aus dem Betrieb Damit das mit Hilfe der morphologischen Untersuchungen definierte Schadenbild entstehen kann, müssen Lücken bestehen zwischen den aufgetretenen Beanspruchungen und den Eigenschaften von Bauteil und Komponente, d.h., es müssen SollIst-Abweichungen vorhanden sein. Zum Vergleich der Eigenschaften des Werkstoffs bzw. des Bauteils mit den Anforderungen an das vom Schaden betroffene Teil werden Prüfverfahren zur Charakterisierung der Eigenschaften durchgeführt. Dazu gehören: − − − −
mechanische und thermomechanische Prüfung einschließlich Bruchmechanik Korrosionsprüfung Hochtemperaturkorrosionsprüfung Betriebsfestigkeitsversuch (Simulation der Betriebsbedingungen)
Um die mit den geeigneten Versuchen ermittelten Werkstoffeigenschaften mit den betrieblich auftretenden Beanspruchungen vergleichen zu können, sind schließlich in den einschlägigen Fällen Berechnungen oder Abschätzungen erforderlich. Auf dieser Grundlage läßt sich beurteilen, ob ein Versagen bei auslegungsgemäßen
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Beanspruchungen auf Werkstoff- und Konstruktionsfehler zurückzuführen ist oder ob außergewöhnliche, nicht der Auslegung entsprechende Betriebsumstände dafür in Ansatz zu bringen sind. Mit einem solchen Soll-Ist-Vergleich läßt sich die Übereinstimmung zwischen Anforderungen und Eigenschaften überprüfen bzw. es können Deckungslücken zwischen Anforderungs- und Eigenschaftsprofil aufgezeigt werden. Auf der Grundlage dieser Betrachtungen leitet sich schließlich die Schadenursache oder eine Ursachenkette mit auslösenden und begünstigenden Einflüssen ab. 6. Schlußfolgerungen zur Schadenursache und Maßnahmen zur Schadenverhütung Ein nach den dargestellten Grundsätzen abgefaßtes Gutachten läßt Schritt für Schritt den Prozeß zur Ableitung der Schadenart und schließlich der Schadenursache erkennen. In der Schlußfolgerung werden die durch verschiedene Untersuchungsmethoden nachweisbaren Erscheinungsformen von Überbeanspruchungen an einem Bauteil zusammenfassend dargestellt und die gezogenen Schlüsse zur Schadenart in ihrer Folgerichtigkeit widergegeben. Wenn schließlich durch den Vergleich von Bauteilbeanspruchungen mit Bauteileigenschaften Deckungslücken sichtbar werden, ist der Weg zur Angabe der Ursache für die Entstehung der festgestellten Schadenmerkmale frei. Es läßt sich in dieser Darstellung aber auch erkennen, ob und warum es zu einer Erkenntnis über Schadenbild und Schadenart auch Alternativen geben kann, d.h. ein Befund nicht vollständig beweisbar ist, z.B. durch Informationslücken oder fehlende Untersuchungsmöglichkeiten, oder durch unvollständiges Probenmaterial oder nicht vorhandende Untersuchungsmethoden. Aufbauend auf derart gewonnene Untersuchungsergebnisse können gezielt und effizient Maßnahmen zur Schadenverhütung angegeben werden.
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