Inselparadies im blauen Meer
Julia James
Julia Saison-Herbst 46 – 3/04
gescannt von suzi_kay korrigiert von briseis...
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Inselparadies im blauen Meer
Julia James
Julia Saison-Herbst 46 – 3/04
gescannt von suzi_kay korrigiert von briseis
1. KAPITEL
Umgeben von einer Aura des Reichtums und der Macht, stand Theo Atrides auf dem Podest der breiten, weit geschwungenen Treppe. Seine dunklen Augen verengten sich, als er in den überfüllten Bankettsaal des Hotels schaute. Dort unten wogte eine Menschenmenge - Männer in schwarzen Smokings und Frauen in Abendkleidern, die in allen Regenbogenfarben leuchteten. An der Decke wetteiferten die prächtigen Kristalllüster mit dem Glitzern der im Saal zur Schau getragenen Juwelen. Von seinem Aussichtspunkt aus ließ Theo seinen wachsamen Blick über die versammelte Gästeschar wandern. Plötzlich schien sein kraftvoller Körper sich zu spannen. Ja, sie waren da! Alle beide. Aufmerksam musterte er die Frau, und es zuckte um seine Mundwinkel. Sie wollte auffallen, daran bestand kein Zweifel. Sie war mittelgroß, mit einer schlanken und dennoch sehr weiblichen Figur, die sie bewusst zur Schau stellte. Die blonden Haare fielen ihr in weichen Wellen über den bloßen Rücken. Ihr Teint war hell wie eine schimmernde Perle und bildete einen aufregenden Gegensatz zu dem knappen schwarzen Kleid, das so tief ausgeschnitten war, dass es die zarten Knospen ihrer Brüste kaum verhüllte. Auch der kleine straffe Po zeichnete sich unter dem eng anliegenden Rock ab, der ihre aufregend langen Beine nur bis zur Mitte der Oberschenkel bedeckte. Ihre Füße steckten in provokanten schwarzen Stilettos. Ein perfektes Outfit, das zum Ausziehen verführte. Lachend warf die Frau den Kopf zurück, so dass ihre herrlichen Haare über den nackten Rücken fielen und die blitzenden Diamanten an ihren Ohrläppchen sichtbar wurden. Theo war nicht nah genug, um ihr Gesicht zu erkennen, aber er spürte, wie sich Begehren in ihm regte. Die heiße Sehnsucht, die in ihm aufstieg, mischte sich mit Zorn. Frauen wie diese bedeuteten nichts als Schwierigkeiten - vor allem für die Männer, die sich in ihrem Netz verfingen. Langsam ging er die Treppe hinunter. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sich Leandra derart entblößt gefühlt. Bei jedem Atemzug fürchtete sie, dass der tiefe Ausschnitt ihre Brüste schließlich doch noch völlig freigab. Und bei jeder Beinbewegung hatte sie das Gefühl, der enge Rock rutsche ihr fast bis zum Po empor. Chris musste verrückt sein, sie in ein solches Kleid zu stecken! Doch er hatte darauf bestanden, dass sie so aufreizend aussehen sollte, wie es nur irgend ging, sonst wäre die ganze Maskerade vollkommen sinnlos. Aber Leandra fand es grässlich, wie sie in dem provokanten Aufzug wirkte. Sie holte schnell und tief Luft, so wie sie es immer tat, um ihr Lampenfieber zu bezwingen. Schließlich ist das hier nichts anderes als ein Bühnenauftritt, sagte sie sich. Auch wenn diese glanzvolle Wohltätigkeitsgala in einem der Londoner Top-Hotels nicht gerade zu den Gelegenheiten gehörte, bei denen sie üblicherweise anwesend war. Sie war eher an Kellertheater und Kleinbühnen gewöhnt - das normale Los einer unbekannten Schauspielerin. Nun jedoch stand sie dank Chris neben einem gut aussehenden, jungen griechischen Millionär, und ihr war beinahe schlecht vor Aufregung. Demos Atrides, der die englische Filiale des riesigen Atrides- Firmenimperiums leitete, lächelte ihr beruhigend zu. Leandra strahlte übers ganze Gesicht, so wie es ihre Rolle erforderte. Sie mochte ihn, und nicht nur wegen Chris. Trotz seines Reichtums war Demos eher schüchtern. Nicht nur sie scheute die bevorstehende Konfrontation. Ob ihr kleines Schauspiel überzeugend genug war? Leandra schluckte. Ich darf sie auf keinen Fall enttäuschen, schoss es ihr durch den Kopf, immerhin bin ich ausgebildete Schauspielerin. Demos berührte sie leicht am Arm, und sie zuckte ein wenig zusammen.
„Er ist da", sagte er mit seiner sanften, melodischen Stimme, ohne den griechischen Akzent verbergen zu können. Seine Miene war angespannt. Leandra holte noch einmal tief Luft. „Na, dann mal los!" meinte sie. Während er auf sie zuging, merkte Theo, wie seine Stimmung sich verdüsterte. Eigentlich hatte er gar nicht hier sein wollen, aber sein Großvater Milo hatte auf seinem Kommen bestanden. Als Patriarch des Atrides-Clans war er es gewohnt, seinen Willen durchzusetzen. Deshalb nahm er es sich auch so zu Herzen, dass sein jüngerer Enkel sich weigerte, sich ihm zu beugen. An sich sah es Demos gar nicht ähnlich, Ärger zu machen. Er hatte immer alles getan, was Theo von ihm verlangt hatte, und führte das Londoner Büro fleißig und mit großer Kompetenz. Seine Affären hatte er immer höchst diskret behandelt; selbst Theo wusste nichts darüber. Warum also all das Theater wegen dieser Frau? Theo presste den Mund zusammen. Der Grund war unübersehbar - blond, üppig und sehr sexy. Kein Wunder, dass sein Cousin nicht nach Hause kommen wollte, um Sofia Allessandros zu heiraten, die Frau, die sein Großvater für ihn bestimmt hatte. Welcher Mann würde schon eine solche Geliebte aufgeben? Demos spürte eine schwere Hand auf seiner Schulter, und einen Moment lang fühlte er sich wie beim Anbruch des Jüngsten Gerichts. Dann hatte er sich wieder gefasst. „Theo!" rief er mit erzwungener Freude aus. „Schön, dich zu sehen! Meine Sekretärin sagte mir, dass du angerufen hast, um zu fragen, wo ich heute Abend sei." Er blickte seinem Cousin über die Schulter. „Wo ist Milo?" „Er ruht sich aus", entgegnete dieser knapp. „Der Flug war anstrengend für ihn. Du hättest ihm das ersparen sollen, Demos." Demos errötete leicht. „Es war nicht notwendig, dass er kommt", gab er in abwehrendem Ton zurück. „Ach nein?" Theo wandte seinen Blick der Frau zu, die wie eine Klette an Demos' Arm klebte. Als er vor ein paar Minuten zum ersten Mal ihr Gesicht gesehen hatte, war es, als habe er einen Schlag in die Magengrube bekommen. Sie war nicht im Geringsten das, was er erwartet hatte. Er hatte angenommen, dass diese Frau mit dem auffallend sexy Körper ein ausdrucksloses Gesicht haben würde. Stattdessen schaute sie ihn mit wachen bernsteinfarbenen Augen an. Sein Blick verfing sich in ihrem, obwohl sie viel zu viel Lidschatten aufgelegt hatte und die Wimpern übermäßig stark getuscht waren. Theo betrachtete das dick aufgetragene Make-up, aber selbst dies vermochte ihre fein geschnittenen Züge mit den hohen Wangenknochen und der geraden Nase nicht zu verbergen. Ebenso wenig, wie der dunkelrote Lippenstift über die sanft geschwungene Linie ihres Mundes hinwegtäuschen konnte. Am liebsten hätte Theo ein Tuch genommen und all die Schminke abgewischt, die diese außergewöhnliche Schönheit verdeckte. Für den Bruchteil einer Sekunde empfand er etwas, das nichts mit seiner unmittelbaren und nur allzu leicht zu durchschauenden Reaktion auf die Reize der Frau vor ihm zu tun hatte. Etwas, das ihn beunruhigte, ihn berührte ... Rasch rief er sich zur Vernunft. Es spielte keine Rolle, was er von Demos' Geliebter hielt. Das Einzige, was zählte, war, dass er seinen Cousin von ihr trennte und nach Athen zu seiner Verlobung mit Sofia Allessandros brachte. Alle erwarteten dies. Besonders Milo wollte unbedingt den Fortbestand der Familie in der nächsten Generation sichern. Theo wusste, dass sein Großvater sich nie von der Tragödie vor acht Jahren erholt hatte, als seine beiden Söhne und deren Ehefrauen bei einem Absturz des Privatjets der Atrides-Familie ums Leben gekommen waren. Theo selbst war kaum Zeit zum Trauern geblieben. Im Alter von vierundzwanzig Jahren hatte er plötzlich vollkommen allein das gesamte Atrides-Imperium leiten müssen, da Milo nach dem Verlust einen Schlaganfall
erlitten hatte, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Geschäftskonkurrenten hatten ihre Chance gewittert. Doch Theo hatte sie alle erfolgreich abgewehrt, und jetzt war der Atrides-Konzern größer und vermögender als je zuvor. Heute wagte niemand mehr, seinen mächtigen Chef herauszufordern. Nur ein Erbe für die nächste Generation wurde noch gebraucht. Milo hatte Recht. Doch eine Heirat war nichts für Theo. Falls irgendjemand Milo den ersehnten Urenkel schenken würde, mussten es Demos und Sofia sein. Und was dieses Flittchen betrifft, das so dekorativ an Demos' Arm hängt ... Tja, die muss sich nun eben einen neuen reichen Lover suchen, dachte Theo. Wieder ließ er den Blick über sie gleiten. Bei diesem Aussehen dürfte ihr das wohl kaum schwer fallen ... Leandra starrte den Mann an, der sie mit dunklen, halb geschlossenen Augen musterte. Er war nicht nur in geradezu unverschämter Weise mit körperlichen Vorzügen ausgestattet, sondern besaß zudem eine atemberaubende sexuelle Anziehungskraft. Du liebe Güte, er war einfach umwerfend! Von Demos hatte sie genug über den großen bösen Cousin Theo gehört. Er war nicht nur ein harter Geschäftsmann. Frauen scharten sich um Theo Atrides, und er nahm sich diejenigen, die ihm gefielen, vergnügte sich mit ihnen und ließ sie dann fallen, um sich neuen Reizen zuzuwenden. Leandra konnte es verstehen. Es war nicht nur, weil dieser Mann steinreich war. Theo Atrides hätte Frauen auch dann massenweise angelockt, wenn er keine einzige Drachme besessen hätte! Leandra fühlte sich hilflos unter dem Eindruck seiner physischen Gegenwart - von der gebieterischen Körpergröße bis hin zu dem feinen, betörenden Duft seines After Shave, gepaart mit herber, kraftvoller Männlichkeit. Die Fotos, die sie von ihm gesehen hatte, hatten sie keineswegs auf den echten Theo Atrides vorbereitet. Da Demos' gutes Aussehen sie nicht im Mindesten interessierte, hatte sie angenommen, dass sie seinem Cousin gegenüber ebenso immun sein würde. Ein großer Fehler! Theo Atrides besaß markantere Züge, seine scharfen, tief liegenden Augen waren dunkler als die seines sechsundzwanzigjährigen Cousins, und auch sehr viel ausdrucksvoller. Seine Nase war schmal und gerade, die hohen Jochbeine ausgeprägt, und das Kinn wirkte wie gemeißelt. Sein Mund war nicht so weich und voll wie der von Demos, sondern breit und beweglich und, wie Leandra mit einem unbehaglichen Gefühl feststellte, unglaublich sinnlich. Um sich zu schützen, setzte sie den leeren Gesichtsausdruck eines Flittchens auf, der zu ihrer Rolle passte. Das gestattete ihr, ihn so zu betrachten, wie sie es wollte. Nicht dass sie davon ausging, er würde sie auch nur ein zweites Mal anschauen. Alle seine Frauen waren entweder selbst Berühmtheiten - einige Supermodels, eine Opernsängerin, eine Oscar-Preisträgerin -, entstammten dem europäischen Adel oder waren Sprösslinge amerikanischer Wall-Street-Magnaten. Doch Theo Atrides musterte Demos' Geliebte überaus gründlich. Während sie seinen prüfenden Blick beinahe körperlich spürte, merkte Leandra, dass ihr die Knie weich wurden. Ihr stockte der Atem, und ihr Herz schien zu stolpern. Kurz bevor sie endgültig dahinzuschmelzen drohte, wurde ihr bewusst, mit welch unverhohlener Geringschätzigkeit er sie betrachtete. Es war eindeutig, was er von Frauen hielt, die derart offenherzig gekleidet waren wie sie. Einerseits hätte Leandra am liebsten das nächste Tischtuch gepackt und sich damit bedeckt. Andererseits hätte sie dem unverschämten Kerl nur allzu gern eine saftige Ohrfeige verpasst! Stattdessen verhielt sie sich ihrer Rolle entsprechend. „Demos", säuselte sie, wobei sie sich noch enger an ihn presste, „wer ist denn dieser unwahrscheinlich attraktive Mann?" Leandras leichte Atemlosigkeit war nicht nur gespielt. Ihr Körper schien außer Kontrolle geraten zu sein und reagierte auf Theo Atrides in einer Weise, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Es war erschreckend und aufregend zugleich.
Demos wollte antworten, doch sein Cousin kam ihm zuvor. „Theo Atrides", murmelte er, seine Stimme tief und rau, der starke griechische Akzent unverkennbar. An Demos gewandt, erkundigte er sich: „Und dies ist...?" Glaubt er etwa, ich kann nicht für mich selbst sprechen? dachte Leandra verärgert. „Leandra", stellte Demos zögernd vor. „Ross", ergänzte sie mit einem leicht schneidenden Unterton und streckte die Hand aus. „Leandra", wiederholte Theo Atrides gedehnt. „Sie sind entzückend, Leandra. Ganz und gar hinreißend." Der Blick seiner dunklen Augen mit den schweren Lidern glitt erneut über ihren Körper, und sie hatte das Gefühl, als würde Theo ihr jedes Kleidungsstück einzeln ausziehen. Dann ergriff er ihre Finger mit den dunkelrot lackierten Nägeln. Seine Berührung war elektrisierend. Leandra erbebte unwillkürlich. Seine große Hand fühlte sich warm, glatt und kräftig an. Ihre eigene wirkte zerbrechlich darin und unglaublich hell im Kontrast zu seiner olivfarbenen Haut. Ohne Eile hob Theo sie an. Doch anstatt höflich ihre Knöchel mit dem Mund zu streifen, wie sie es erwartete, drehte er ihre Hand um. Als er die Innenfläche mit leicht geöffneten Lippen berührte, hatte Leandra das Gefühl, dass ihre Nervenenden förmlich explodierten. Sanft und sinnlich glitt er mit der Zunge über ihre Haut. Leandra spürte, wie ein Schauer der Erregung ihren gesamten Körper durchlief. Plötzlich fühlte sie seine Zungenspitze zwischen ihren Fingern. Schock, Empörung und aufflammende sexuelle Erregung raubten ihr den Atem. Sie war außer Stande, sich zu bewegen, auch nachdem er sie losgelassen hatte. Dann riss sie hastig ihre Hand zurück. Es war, als ob ihre Haut Feuer gefangen hätte, und einen Moment lang schien sich die Welt um sie her zu drehen. Hilflos und mit leicht geöffnetem Mund starrte sie Theo Atrides an, der ihr zulächelte. Es war ein vertrauliches, wissendes, nachsichtiges Lächeln. Sie stand kurz davor, blindlings zu ihm zu gehen, sich an seinen schlanken, durchtrainierten Körper zu schmiegen und sich ihm vollständig hinzugeben. Wie von einem Magneten wurde sie von ihm angezogen. Doch sie musste widerstehen! Schließlich war sie hier, um die Geliebte seines Cousins zu spielen, weiter nichts. Nur mit größter Willensanstrengung gelang es ihr, sich zurückzuhalten. Thee mou, dachte Theo, als sie zögernd zurückwich. Die Frau steht ja geradezu in Flammen! Unvermittelt entstand ein Bild vor ihm, wie sie unter ihm lag - nackt und voller Sehnsucht nach ihm - und sich ihm leise stöhnend hingab. Aber er wehrte die Vorstellung heftig ab. Das hier war nicht der richtige Zeitpunkt, um sexuelles Interesse an einer Frau zu entwickeln, die eine Bedrohung für die Stabilität seiner Familie und ihrer Zukunft darstellte! Ihre glühende Reaktion auf seine absichtliche erotische Provokation hatte nur bewiesen, dass ihre Gefühle für Demos sie keineswegs davon abhielten, auch anderen Männern gegenüber aufgeschlossen zu sein. Treu war sie mit Sicherheit nicht! Theo wandte sich wieder seinem Cousin zu, und Leandra fragte sich, weshalb sie sich auf einmal verloren anstatt erleichtert fühlte. „So", sagte Theo in amüsiertem Ton zu Demos, „das ist es also, was dich so lange in London festhält. Ich verstehe! Ich muss sagen, ich bin nicht überrascht, jetzt, da ich diesen reizenden weiblichen Leckerbissen kennen gelernt habe ..." Erneut ließ er den Blick schamlos über sie gleiten. „Aber ..." Gebieterisch hielt er die Hand hoch. „Alle guten Dinge haben irgendwann ein Ende. Sofia wartet auf dich. Es ist Zeit, nach Hause zu kommen." Demos war angespannt. „Ich bin noch nicht bereit dazu", entgegnete er kurz. Seine sonst so sanfte Stimme klang gepresst. „Dann mach dich bereit!" erwiderte Theo unnachgiebig. Er ergriff seinen Cousin mit sanftem Nachdruck bei der Schulter und drehte ihn ein wenig von Leandra fort, als sei sie ein unerwünschter Eindringling.
Um sie noch mehr auszuschließen, sprach er schnell und leise auf Griechisch weiter. „Milo wird uns bald verlassen, Demos. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Seine Ärzte wissen das, und er weiß es auch. Er ist alt und hat in seinem Leben schon zu viel ertragen müssen. Tu ihm das nicht an! Komm nach Hause und verlobe dich mit Sofia! Das ist alles, worum er dich bittet. Er möchte einfach sicher sein, dass die Familie in der nächsten Generation weiter bestehen wird. Du kannst es ihm nicht übel nehmen, dass er sich Sorgen macht. Er weiß wahrhaftig, wie unberechenbar das Leben ist! Er muss sicher sein, dass bald ein Urenkel unterwegs ist. Er braucht einen Erben." Steif gab Demos zurück: „Milo hat zwei Enkel, Theo. Warum tust du ihm nicht diesen Gefallen?" Theos Miene verdüsterte sich. „Ich bin nicht der Typ zum Heiraten, kleiner Cousin." „Und was ist, wenn ich es auch nicht bin?" „Was soll das heißen?" fragte Theo argwöhnisch. Sekundenlang sah Demos ihn nur an, als wolle er etwas sagen. Doch dann streifte er lediglich Theos Hand von seiner Schulter ab. „Das heißt, dass ich noch meinen Spaß haben will. Ich bin noch nicht so weit, dass ich heiraten möchte, und schon gar nicht Sofia Allessandros!" Sein Tonfall wurde drängend. „Sorg dafür, dass Milo das einsieht, Theo! Bitte!" Zorn flammte in Theo auf. Zorn auf beide - auf Milo, weil er sich in anderer Leute Angelegenheiten einmischte, und auf Demos, weil er darauf bestand, sein eigenes Leben zu führen, obwohl er eine Verantwortung trug. Und ganz besonders Zorn auf die junge Frau, die an Demos' Arm hing und die Ursache für all diese Probleme war. Theo wollte fort von hier, fort von den endlosen familiären und geschäftlichen Anforderungen. Am liebsten irgendwohin, wo es nichts zu tun gab, als über die blaue Ägäis zu schauen, den Zikaden zu lauschen, den intensiven Duft der Macchia einzuatmen und den leichten Südwind auf seinem Körper zu spüren. Mit einer weichen, anschmiegsamen Gespielin in seinen Armen ... So wie die an Demos' Seite ... Energisch verbannte er diese gefährlich verlockende Vorstellung. „Genug!" Er machte eine kurze, brüske Handbewegung. „Ich erwarte dich morgen, Demos. Milo möchte dich um neun Uhr sehen. Wir wohnen in der Penthouse-Suite hier im Hotel. Sei bitte pünktlich!" Finster sah er zuerst seinen Cousin an, und dann Leandra. „Und sieh zu, dass du heute Nacht etwas Ruhe bekommst!" erklärte er, nun wieder auf Englisch. An seinem Blick war deutlich zu erkennen, was er dachte. Welcher Mann würde schon schlafen wollen, wenn er eine Frau wie sie an seiner Seite hatte? Doch Leandra war ohne jede Bedeutung. Bald würde ihr Eindringen in seine Familienangelegenheiten ein Ende haben, und zwar für immer. Demos Atrides öffnete die Tür zu seinem Apartment und ließ Leandra eintreten. Sofort wurde sie heftig umarmt. „Na?" fragte der außerordentlich gut aussehende, blonde junge Mann in einem Ton langjähriger Vertrautheit. „Wie ist es gelaufen? Ist er aufgetaucht?" Leandra machte sich los, warf ihre Handtasche auf das seidenbezogene Sofa und schleuderte einen ihrer hohen Pumps von sich. Die Füße taten ihr höllisch weh. Sie schwieg. „Oh ja, er ist aufgetaucht!" antwortete Demos an ihrer Stelle. „Und?" wollte der andere Mann wissen. „Hat er es geschluckt?" Demos lachte kurz auf. „Absolut." Der Blonde lachte und zeigte dabei makellos weiße Zähne. Leandra lachte ebenfalls, wenn auch ironisch. „Lieber Himmel, Chris!" meinte sie bissig, zog den zweiten Schuh aus und massierte die schmerzenden Knöchel. „Dank dieses Kleides, in das du mich reingezwängt hast, hat Theo Atrides mich angesehen, als wäre ich ein billiges Flittchen!" Ein Frösteln überlief sie bei der Erinnerung daran, wie er sie mit Blicken ausgezogen hatte
... Doch Chris war begeistert. „Das ist ja toll, Lea ... Genau das, was wir erreichen wollten! Er muss glauben, dass Demos total von seiner sexy Geliebten besessen ist. Apropos sexy ..." Er nahm sie bei den Schultern. „Schatz, du siehst zum Anbeißen aus! Lecker!" Aber Leandra war nicht in der Stimmung für solche Albereien. „Hör auf, Chris!" Sie machte sich los und strebte auf das Badezimmer zu. „Ich muss mich unbedingt von diesem lächerlichen Outfit befreien!" Der Abend war anstrengender gewesen, als Leandra gedacht hatte. Daran war nur dieses verflixte Kleid schuld -und Theo Atrides! Sie stieg aus der Dusche und trocknete sich ab. Es war ihr so einfach und außerdem als eine gute Tat erschienen, sich als Demos' Geliebte auszugeben. Sie hatte lediglich in das Gästezimmer in seinem Luxusapartment ziehen und die letzten drei Wochen so tun müssen, als lebe sie mit ihm zusammen. So lange, bis seine Familie begriffen hatte, dass er nicht nach Hause kommen würde, um Sofia Allessandros zu heiraten. Leandra betrachtete ihr Spiegelbild, während sie sich die Knoten aus dem nassen Haar kämmte. Ob der Auftritt heute Abend wohl überzeugend genug gewesen war? Würden sie ihn jetzt endlich in Ruhe lassen? Sie hoffte es, denn eine weitere Begegnung mit Theo Atrides würde sie nicht ertragen können. Ohne dass sie wusste, warum, war ihr plötzlich traurig zu Mute. Theo Atrides war der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war, doch er hatte in ihr nichts weiter gesehen als eine billige Sexgespielin. Aber was, wenn es nicht so gewesen wäre? Sie hielt mit dem Kämmen inne und überließ sich ihren Fantasien. Sie sah sich selbst in einem schwarzen langen Samtkleid, eine weiße Rose im dezenten Ausschnitt, das Haar zu einem eleganten Nackenknoten gebunden, das Gesicht nur mit einem leichten Make-up geschminkt, eingehüllt von dem sinnlichen Duft eines exklusiven Parfüms. Wenn ich so ausgesehen hätte, dann hätte Theo Atrides mich vielleicht anders angeschaut, dachte Leandra verträumt. Sinnlich ja, aber ohne diese beleidigende Verachtung in seinem Blick. In seinen dunklen Augen hätte sich nichts anderes gezeigt als das Begehren eines Mannes für eine Frau - so alt wie die Welt, ein ewiger Hunger, der danach verlangte, gestillt zu werden. Sie seufzte, verzaubert von ihrer eigenen Vision. Dann jedoch wurde sie wieder nüchtern. Kleine Schauspielerinnen waren nicht seine Sache, gleichgültig, was sie trugen. Und selbst wenn, sagte sie sich, würde es ihnen auch nichts nützen. Er lässt sie ja doch alle fallen. Entschlossen wandte Leandra sich wieder ihren Haaren zu und begann sie energisch zu kämmen, so als wolle sie etwas herausreißen, was gerade in ihr Wurzeln geschlagen hatte ein Unkraut, das zwar wie eine Orchidee aussah, aber in Wirklichkeit nichts anderes war als eine Giftpflanze. Als sie ins Wohnzimmer kam, tranken Chris und Demos Kaffee. In einen Bademantel gehüllt, schenkte sich Leandra auch eine Tasse ein und ließ sich dann neben Chris aufs Sofa fallen. Er legte ihr den Arm um die Schultern. „Geht's dir jetzt besser?" fragte er mitfühlend. Sie nickte. „Ja. Tut mir Leid, aber ehrlich, so wie du mich aufgetakelt hast ... Ich habe mich so nackt gefühlt! Und Demos' Cousin hat mich angeguckt, als wäre ich ein absolutes Flittchen! Es war grauenvoll!" Sie holte tief Atem. „Aber jetzt ist ja alles vorbei,, dem Himmel sei Dank! Ach, Demos!" Leandra warf ihm die Diamantohrringe zu. „Da, bitte sehr!" Er fing sie auf und legte sie auf den Couchtisch, ehe er Leandra direkt ansah. „Danke, Lea! Tausend Dank! Und es tut mir Leid, dass mein Cousin sich dir gegenüber so respektlos verhalten hat", meinte er verlegen. Sie winkte ab. „Schon gut", versuchte sie es herunterzuspielen. „Ich werd's überleben. Und
außerdem war das ja unser Plan, dass ich aussähe wie die Sexgespielin eines reichen Mannes. Eigentlich sollte ich froh sein, dass er es geglaubt hat!" Oh ja, in der Tat hatte Theo Atrides sie für eine Sexgespielin gehalten. Sie starrte in ihre Kaffeetasse. Ein Schauer überlief sie, als sie sich bemühte, die Erinnerung an ihn, an sein Bild, abzuschütteln. „Lea, bist du okay?" Sie blickte auf. „Ja, klar, mir geht es gut. Ich bin nur ein bisschen müde." Forschend sah Chris sie an. „Ist dir der Mistkerl unter die Haut gegangen?" fragte er leise. Demos zuckte ein wenig zusammen bei dieser ungnädigen Beschreibung seines Cousins, zu dem er immer aufgeschaut hatte, sagte jedoch nichts. Leandra biss sich auf die Lippe. Sie könnte zwar leugnen, wie sie auf Theo Atrides reagiert hatte, aber davon würde sich keiner der beiden lange täuschen lassen. „Ja", gab sie daher zu. „Aber das macht nichts. Das Einzige, was zählt, ist, dass er Demos jetzt in Ruhe lässt." Sie bemühte sich, einen fröhlichen Ton anzuschlagen. Ich muss mich einfach zusammenreißen, ermahnte sie sich. Es hat nicht die geringste Bedeutung, dass ich vor Theo Atrides beinah dahingeschmolzen wäre oder dass er der umwerfendste Mann ist, den ich je zu Gesicht bekommen habe. Es ist auch egal, dass er mich für ein bereitwilliges Sexobjekt hält. Ich werde ihn schließlich nie wieder sehen.
2. KAPITEL
Düster blickte Theo von der Penthouse-Suite, die er mit seinem Großvater bewohnte, auf den Hydepark hinaus. Die Bäume hatten sich bereits herbstlich verfärbt; der Sommer war vorüber. Demos war gerade gegangen, und sein Wortwechsel mit Milo war nicht erfreulich verlaufen. Nachdem sein Großvater ihm eine Gardinenpredigt über Pflicht, Verantwortung, Familie und Sofia Allessandros gehalten hatte, die in Athen auf ihn wartete, hatte Demos nur stur das wiederholt, was er am Abend zuvor zu Theo gesagt hatte. Er sei nicht bereit für eine Ehe und wolle sein Junggesellenleben auch weiterhin genießen. Dann war er gegangen. Theo wandte sich zu Milo um. „Bist du dir wegen dieser Heirat so sicher?" fragte er. Mit blitzenden und trotz des Alters noch immer scharfen Augen sah Milo ihn an. „Demos braucht eine solide Ehe. Sofia Allessandros ist genau die Richtige für ihn." Vorsichtig antwortete Theo: „Ich weiß, dass du es eilig hast. Aber kannst du ihm nicht noch ein bisschen Zeit lassen? Es ist immerhin sein Leben, Milo." „Ich mache mir Sorgen um ihn", sagte der alte Mann. „Ich möchte ihn bei Sofia Allessandros in guten Händen wissen." Theo runzelte die Stirn. „Du meinst, wegen dieser Frau? Eine Bettgenossin, mehr nicht. Er wird sie bestimmt nicht heiraten, wenn es das ist, worüber du dir Sorgen machst!" Milos Mund wurde schmal. „Junge Männer sind oft töricht!" Er fixierte Theo mit einem durchdringenden Blick aus seinen dunklen Augen. „Du wärst damals eine solch unüberlegte Ehe eingegangen..." Einen Moment lang schwieg Theo. Dann zuckte er die Achseln. „Nun, das habt ihr, Vater und du, ja verhindert, nicht wahr? Ebenso wie jene andere ,kleine Komplikation', die damit zusammenhing!" Milo spürte, dass der Vorwurf an ihn zurückgegeben worden war. Wieder blitzten seine Augen. „Wir haben nur getan, was notwendig war. Eine solche Frau ... du solltest uns dankbar sein!" „Dankbar", wiederholte Theo schwerfällig. Der alte Mann stieß einen unwilligen Laut aus. „Geld hat ihren wahren Charakter zum Vorschein gebracht! Das ist immer so bei Frauen dieses Schlages!" Unruhig rutschte er in seinem Sessel hin und her. Ein Ausdruck des Schmerzes huschte über sein Gesicht, und Theo empfand Mitleid mit ihm. Die Vergangenheit war vorbei. Sein Großvater und sein Vater hatten getan, was sie für das Beste hielten. Und er wusste, dass die beiden Recht gehabt hatten. An Geld zeigte sich in der Tat der Charakter eines Menschen. Und Theo war wirklich dankbar dafür, dass ihm seine Illusionen zerstört worden waren. Sich Täuschungen hinzugeben war immer gefährlich, im Geschäftsleben ebenso wie beim Sex. Inzwischen machte er sich keine Illusionen mehr. Er wusste, was er von Frauen wollte einfache, angenehme Freuden ohne Verwicklungen und Schmerz. Eine Ehe jedoch würde er niemals eingehen. Auch wenn Milo ihn noch so sehr bedrängte, dass er den Familiennamen weitergeben solle, hatte er beschlossen, dass er nie wieder einer Frau sein Glück anvertrauen würde. „Sofia wird Demos eine gute Ehefrau sein. Das weißt du", erklärte Milo. Ja, sie war von Kindheit an dazu erzogen worden, die perfekte Gattin eines reichen Mannes zu sein. Und wie jedes griechische Mädchen aus gutem Hause war sie so jungfraulich wie der Morgentau. Ein Schatten glitt über Theos Miene. Das Bild von Demos' hinreißender junger Bettgenossin stieg vor ihm auf. Üppig und verführerisch, hielt sie Männer von ihren fami liären Verpflichtungen ab. Als habe er seine Gedanken gelesen, setzte Milo hinzu: „Solange Demos eine Geliebte hat,
die ihm das Bett wärmt, wird er Sofia keines Blickes würdigen." Der grimmige Ausdruck kehrte in Theos Gesicht zurück. „Diese da würde jedem Mann das Bett wärmen!" Die Augen seines Großvaters verengten sich. „Auch deins, Theo?" Theo zuckte unwillkürlich zusammen, doch Milo hätte sein Geschäftsimperium nicht aus dem Nichts aufbauen, können, ohne andere Menschen zu durchschauen. Er lachte rau. „Nun, das wäre auch eine Art, das Hindernis zu beseitigen!" Theo presste den Mund zu einer dünnen Linie zusammen. „Ich hatte eigentlich an etwas Einfacheres gedacht." Wieder lachte sein Großvater auf. „Es gibt nichts Einfacheres als Sex." „Außer Geld", korrigierte ihn sein Enkel und sah ihm direkt in die Augen. „Diese Methode funktioniert immer. Das solltest du doch am besten wissen." Milo ignorierte die Bitterkeit in Theos Stimme. Damals hatte er getan, was er tun musste. Jene Frau war eine Gefahr für seine Familie gewesen. Genau wie diese Frau jetzt. „Ja", stimmte er zu und lehnte sich in dem Sessel zurück. „Geld ist eine gute Methode." Theo nickte. „Ich kümmere mich darum. Spätestens in einer Woche ist sie aus seinem Bett verschwunden!" Leandra runzelte konzentriert die Stirn. „Kannst du mir bitte noch mal mein Stichwort sagen, Demos?" „Selbstverständlich." Er lächelte hilfsbereit, doch sie sah den niedergeschlagenen Blick in seinen Augen. Das Gespräch mit seinem Großvater an diesem Morgen war schmerzlich für ihn gewesen, das wusste sie, und er tat ihr Leid. In den Wochen, die sie in seinem Apartment verbracht hatte, hatte sie eine große Zuneigung zu dem jungen Mann entwickelt, der aus einer so ganz anderen Welt stammte. Warum versucht seine Familie ständig, über sein Leben zu bestimmen? dachte sie bei sich. Es ist schon schlimm genug, dass sein Großvater ihn unter Druck setzt, aber jetzt macht sein Cousin auch noch mit! Theo Atrides war ganz anders als Demos. In Demos' Gesellschaft fühlte sich Leandra sicher und ungezwungen. Seinem Cousin gegenüber wäre dies jedoch niemals der Fall. Unwillkürlich durchlief sie ein Schauer. Dann widmete sie sich entschlossen wieder der Textseite vor ihr. Es war sehr liebenswürdig von Demos, dass er sich bereit erklärt hätte, ihr dabei zu helfen, diese äußerst schwierige Rolle zu lernen. Sie würde Leandra zwar weder Reichtum noch Ruhm einbringen, aber es war ein großes Privileg, dafür ausgewählt worden zu sein. Auch wenn das MarchesterFestival hoch spezialisiert war, besaß es doch einen hervorragenden Ruf. Außerdem half ihr die Anstrengung des Lernens, die Gedanken an Theo Atrides aus ihrem Kopf zu verbannen. Er schien sie zu verfolgen. Immerzu musste sie an ihn denken. Seine halb geschlossenen Augen, mit denen er sie von Kopf bis Fuß gemustert und ihren Körper entflammt hatte... Selbst in Leandras Träumen tauchte er auf, obwohl sie wusste, dass sie ihn nie wieder sehen würde. Er würde mit seinem Großvater nach Athen zurückkehren, sich seine Niederlage im Hinblick auf Demos eingestehen, und das würde es dann sein. Letztendlich konnten weder Theo noch sein Großvater Demos dazu zwingen, Sofia Allessandros zu heiraten. Demos musste nur standhaft bleiben. „Demos", fragte Leandra nun. „Bist du dir sicher, dass es Sofia Allessandros nichts ausmacht, wenn du sie nicht heiratest? Es scheint ja so, als sei sie ihr ganzes Leben lang da von ausgegangen, dass du es tust." Unbehaglich sah er sie an. „Ich kann es nicht ändern, Leandra. Du weißt doch genau, dass ich sie nicht heiraten kann. Wenn ich es täte, würde ich ihr damit schweres Unrecht zufügen." Sie schwieg einen Augenblick, ehe sie vorsichtig fragte: „Kannst du ihr denn den Grund dafür nicht sagen? Und deiner Familie?" Demos' Miene wurde verschlossen. „Verlang das nicht von mir!" erwiderte er. In seinem
Tonfall lag eine Mischung aus Angst und Schuldgefühl. Leandra mochte ihn nicht drängen. Er hatte seine eigene Last zu tragen. Eines Tages würde er bestimmt in der Lage sein, sich davon zu befreien, aber jetzt noch nicht. Er war noch nicht so weit. Stattdessen erkundigte sie sich: „Wann fliegt dein Großvater denn voraussichtlich nach Athen zurück?" Der düstere Ausdruck in seinen Augen verstärkte sich noch. „Ich weiß es nicht genau. Theo möchte, dass er einen Facharzt in der Harley Street aufsucht, solange er hier in London ist." „Oh. Und was soll ich dann tun? Was würdest du für das Beste halten?" „Wenn du so lieb wärst, weiter hier zu wohnen, wäre ich dir außerordentlich dankbar, Leandra." Demos' Stimme klang bittend. Sie lächelte ihm beruhigend zu. „Natürlich. Wenn du das möchtest. Ich kann mich wohl kaum über meine Unterkunft beschweren! Das ist der reinste Luxus hier! Und ich helfe gerne, wenn ich kann. Es gibt ein Sprichwort im Englischen - In for a penny, in for a pound, was so viel heißt wie: Mitgefangen, mitgehangen!" Mit einem verschmitzten Lächeln tippte sie auf ihr Skript. „Aber ich werde hart verhandeln, mein lieber griechischer Millionär! Zurück an die Arbeit!" Die Köpfe zusammengesteckt, brüteten sie über den Worten des Textes. Auf einmal musste Leandra lachen, und ihre bernsteinfarbenen Augen blitzten übermütig. „Wenn dein Cousin uns so sehen könnte! Das würde er nie glauben. Nie!" Sie erinnerte sich an die unverhohlene Verachtung in Theo Atrides' Blick, als er sie wie ein Sexobjekt betrachtet hatte, und ein Gefühl tiefer Befriedigung erfüllte sie. Es war ein schöner Tag, selbst im Zentrum Londons. Das milde, sonnige Herbstwetter hielt an. Leandra ging die Edgware Road entlang. Sie fühlte sich wohlig müde und angenehm austrainiert von ihrem Tanzunterricht in Paddington. Die Schauspielerei bedeutete harte Arbeit. In London wimmelte es nur so von aufstrebenden jungen Talenten, und der Kampf um Rollen war knallhart. Dennoch, schon immer hatte Leandra Schauspielerin werden wollen, und ihre konservativen Eltern waren sogar einverstanden gewesen, weil sie glaubten, dass es nicht lange dauern würde, bis sie diese Phase hinter sich ließ. Traurigkeit überkam sie. Der Tod ihrer Eltern bei einem Reisebus-Unglück war so unvermittelt, so brutal gewesen. Selbst heute noch, zwei Jahre danach, hatte sie bei der Er innerung daran das Gefühl, als würde ihr jemand ein Messer in die Brust stechen. Chris war so liebevoll zu ihr gewesen. Als treuer Freund hatte er sie unter seine Fittiche genommen und sich um sie gekümmert, als sie unter Schock stand und vor lauter Trauer zu nichts mehr fähig gewesen war. Deshalb hatte sie auch keine Sekunde gezögert, als er sie darum gebeten hatte, Demos einen Gefallen zu tun. Eine Autohupe hinter ihr ließ sie zusammenfahren. Auf der Edgware Road herrschte dichter Verkehr, und Leandra war noch immer ein ganzes Ende von Demos' Wohnung in Mayfair entfernt. Sie schnitt ein Gesicht. Dieses herrliche Apartment würde sie auf jeden Fall vermissen! Sie besaß eine winzig kleine Eigentumswohnung an einer belebten Straße südlich der Themse. Mehr konnte sie sich trotz des elterlichen Erbes bei den astronomischen Londoner Immobilienpreisen nicht leisten. Bald wieder dahin zurückkehren zu müssen erfüllte sie nicht gerade mit besonderer Freude. Zum ersten Mal in ihrem Leben begriff sie, weshalb es Frauen gab, die bereit waren, ihre Selbstachtung gegen einen solch luxuriösen Lebensstil einzutauschen. Ihre Miene verdüsterte sich. Für genau so eine Frau hält Theo Atrides mich, das ist offensichtlich, dachte sie. Eine, die sich nur deshalb mit einem Mann zusammentut, weil er reich ist! Einmal mehr durchzuckte sie heftiger Zorn gegen Demos' Cousin. Reizender weiblicher Leckerbissen ... von wegen! Jemand rempelte sie auf dem belebten Gehweg an. Mechanisch wich Leandra aus und
wurde prompt von der anderen Seite angerempelt. Mit zusammengezogenen Augenbrauen schaute sie nach rechts und links. London war im Großen und Ganzen recht sicher, wenn man sich halbwegs vernünftig verhielt. Aber Raubüberfälle auf der Straße gab es überall. Daher hielt sie ihre Umhängetasche noch fester. Dann geschah alles ganz schnell. In der einen Sekunde wurde sie auf dem breiten Gehweg eingekeilt, und in der nächsten hatten zwei Männer sie an den Ellbogen gepackt, vorwärts geschoben, und ehe sie noch schreien konnte, in das Innere einer großen schwarzen Limousine gestoßen, die plötzlich am Kantstein anhielt. Jemand schlug die Wagentür zu. Leandras Kopf wurde mit Gewalt nach hinten gezogen, und eine fremde Person drückte ihr einen Wattebausch auf Nase und Mund. Entsetzt riss sie die Augen auf, doch sobald ihr das Betäubungsmittel in die Lungen drang, schlössen sich ihre flatternden Lider, und sie verlor das Bewusstsein. „Und, hat er dir gesagt, wie viel Zeit mir noch bleibt?" Milos Stimme klang schroff, doch Theo konnte die Erschöpfung darin heraushören. Milo war zwar zäh, aber das Alter forderte inzwischen doch seinen Tribut. „Sechs oder vielleicht auch neun Monate. Wenn du großes Glück hast, vielleicht ein Jahr." Theo redete nicht um den heißen Brei herum. Milos Augen blitzten auf. „Ha! Lang genug, um mitzubekommen, dass ein Urenkel unterwegs ist!" Theo blickte aus dem Fenster der Limousine, die der Chauffeur langsam die Harley Street hinuntersteuerte, denn es war mitten im stärksten Berufsverkehr. „Der Arzt will dich auf neue Medikamente setzen", sagte er. „Er meint, dadurch könntest du noch etwas Zeit gewinnen. Er will gleich damit anfangen, aber dazu muss er dich eine oder zwei Wochen zur Beobachtung hier behalten. Du brauchst nicht ins Krankenhaus zu gehen. Deshalb habe ich die Suite noch für die nächsten vierzehn Tage gebucht. Ich werde natürlich bei dir bleiben." „Nicht in diesem verdammten Hotel!" rief Milo höhnisch. „Wir werden in dem Apartment wohnen. Ich wollte sowieso mehr mit Demos zusammen sein." Theo zog die Brauen zusammen. „Aber das Mädchen ist noch dort. Ich hatte bisher keine Gelegenheit, sie abzufinden!" Milo lachte barsch auf. „Spar dir dein Geld! Die Sache ist schon erledigt." Theo fuhr herum. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich darum kümmere ..." „Tja, jetzt habe ich dir die Mühe abgenommen. Und auf meine Art war es sehr viel billiger, und auch sicherer!" „Was soll das heißen?" Theo beschlich ein höchst ungutes Gefühl. „Was hast du getan?" Mit grimmiger Befriedigung sah Milo seinen Enkel an. „Sie ist weg", erklärte er. „Sie war im Weg, also habe ich sie entfernen lassen." Ein Schauder lief Theo über den Rücken. „Was ... genau ... hast du mit ihr gemacht?" Wieder stieß Milo ein barsches Lachen aus. „Schau mich nicht so an, als ob ich sie hätte umbringen lassen! Ihr geht es sehr gut. Sie sonnt sich gerade an einem Strand." Misstrauisch erwiderte Theo seinen Blick. „Sie hat sich zu einem Urlaub bereit erklärt?" fragte er skeptisch. „Ich habe keine Zeit damit verschwendet, sie zu fragen. Ich habe sie einfach weggeschickt!" Erneut wurde Theo von jenem unbehaglichen Kältegefühl erfasst. „Du hast sie weggeschickt? Wie? Und wohin?" „Ich habe sie heute Morgen beschatten lassen, als sie Demos' Apartment verließ", erklärte Milo grimmig. „Sie wurde in ein Auto verfrachtet, zu einem Flugfeld gebracht, und das war's. Schau mich nicht so an, mein Junge!" fügte er hinzu. „Noch bin ich nicht völlig handlungsunfähig! Ich kenne Agenturen, die solche Aufträge diskret erledigen!" Theo war entsetzt. „Willst du mir damit etwa sagen", fragte er ungläubig, „dass du sie hast
entführen lassen?" Milo stieß einen gereizten Laut aus. „Ich habe sie entfernen lassen! Das ist alles! Ihr geht es gut, das habe ich dir doch gesagt!" Theo fluchte. „Wo? Wo ist sie, Milo?" fragte er eindringlich. Sein Großvater lachte rau. „Hast du es so eilig, sie zu finden? Willst du womöglich Demos' Platz bei ihr einnehmen?" Theo ignorierte den höhnischen Ton. Ein beklemmendes Gefühl stieg in ihm auf. War Milo denn vollkommen wahnsinnig geworden? Hatte er tatsächlich eine britische Staatsbürgerin aus den. Straßen Londons entführen und außer Landes bringen lassen? „Wo ist sie?" wiederholte er ungeduldig. Milo funkelte ihn an. „Sprich nicht in diesem Ton mit mir! Sie ist auf dieser Insel von dir, deinem kleinen Versteck. Dort, wohin du deine Bettgenossinnen mitnimmst!" Theos Augen schienen schwarzes Feuer zu sprühen. „Was?" „Hast du etwa geglaubt, ich hätte keine Ahnung, dass du diese Insel gekauft hast?" fragte sein Großvater spöttisch. „Natürlich habe ich es gewusst. Aber wenn du ein solches Geheimnis daraus machen willst, warum sollte ich mich einmischen? Ein Mann möchte seine Privatsphäre haben, wenn er sich Eros hingibt. Das respektiere ich. Du siehst also ..." Er klang hochzufrieden mit sich. „Demos* kleines Flittchen wird sich dort absolut wohl fühlen. Sie kann sich genüsslich bräunen und für den nächsten Beschützer hübsch machen. Und wenn ich sie wieder gehen lasse, werden Demos und Sofia verlobt sein!" Triumphierend blickte er seinen Enkel an, der ihn noch immer fassungslos anstarrte. „Billiger als eine Abfindung, und wesentlich sicherer!" „Mit nur einem kleinen Nachteil", entgegnete Theo langsam. „Nämlich dass Entführung eine Straftat ist." Wie er die folgenden vierundzwanzig Stunden überstand, konnte Theo hinterher nicht mehr sagen. Milo, dem nicht im Mindesten bewusst war, was er angerichtet hatte, wurde ins Hotel zurückgefahren. Danach musste Theo mit Demos sprechen, der völlig außer sich war, nachdem er aus dem Büro zurückgekehrt war und festgestellt hatte, dass Leandra offenbar spurlos verschwunden war. „Was hat Milo getan?" Demos wurde leichenblass. „Ihr geht es gut, Demos. So viel ist sicher", sagte Theo. „Ich fahre sofort dorthin!" Theo packte ihn bei der Schulter. „Nein! Ich erledige das." Anklagend sah Demos ihn an, und Theo konnte unschwer seine Gedanken erraten. Mit einem grimmigen Lächeln schüttelte er. den Kopf. „Sogar ich habe meine Grundsätze, kleiner Cousin." Einen Moment lang schauten sie sich in die Augen. Sein ganzes Leben lang war Theo für Demos wie ein großer Bruder gewesen. „Vertrau mir!" sagte Theo mit fester Stimme. „Du bleibst hier und kümmerst dich um Milo." Er holte tief Luft. „Im Augenblick möchte ich ihm lieber nicht zu nahe kommen!" Kopfschüttelnd fuhr er fort: „Ich wusste ja, dass er verzweifelt war, aber eine strafbare Handlung zu begehen! Er scheint sich überhaupt nicht darüber im Klaren zu sein, was er da getan hat." Wenn er keine Möglichkeit fände, die junge Frau zum Schweigen zu bringen, wäre diese imstande, vor Gericht zu gehen. Dann müsste Milo möglicherweise sogar mit einer Gefängnisstrafe rechnen - ein gefundenes Fressen für die Presse ... Beruhigend drückte er Demos die Schulter. „Vertrau mir!" sagte er noch einmal und ging. Aber selbst danach nahmen die Schwierigkeiten kein Ende. Der Atrides-Privatjet musste am Boden bleiben, weil der britische Luftraum völlig überfüllt war. Erst spät am nächsten Tag konnte Theo endlich fliegen. In Athen wurde er von Sofias Vater empfangen, der annahm, dass Demos nun doch
gekommen war. Den aufgeregten Yannakis Allessandros zu beruhigen und ihm zu versichern, dass Demos' Abwesenheit keine Kränkung seiner geduldig wartenden Tochter bedeutete, hatte Theo noch mehr wertvolle Zeit gekostet. Hinzu kam, dass der Atrides-Helikopter, der in Athen stationiert war, einen Motorschaden hatte und alle anderen unterwegs waren. Daher mietete Theo einen Hubschrauber, den er selbst fliegen wollte. Je weniger Personen von Leandra Ross' illegalem Aufenthalt auf der Insel wussten, desto, besser. Allerdings wurde sein Pilotenschein von der Hubschrauberagentur einer überaus gründlichen Prüfung unterzogen, da die zuständigen Mitarbeiter sichergehen wollten, dass der Chef eines der größten Konzerne des Landes bei seinem Alleinflug nicht womöglich abstürzte. Als er den Helikopter schließlich ostwärts über das Mittelmeer steuerte, stand die Sonne bereits recht tief am Horizont, und Theo war so übel gelaunt wie schon lange nicht mehr. Leandra saß auf einem Felsen, und die Sonne brannte unbarmherzig auf sie nieder. Unablässig suchte sie den blendend hellen Himmel mit den Augen ab, ehe sie ihren Blick wieder zum Horizont senkte. Ihre Miene war angespannt, und sie hatte Kopfschmerzen. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Als sie mühsam aus ihrer Betäubung aufgewacht war, hatte sie sich auf einem Bett in einem kühlen, schattigen Raum wieder gefunden. Er war sparsam, aber luxuriös eingerichtet. Auf dem großen Doppelbett lag eine wunderschöne, handgenähte Patchwork-Decke, und die antiken Möbel waren aus dunklem Holz. Eine schreckliche Furcht hatte sich Leandras bemächtigt. Angestrengt hatte sie versucht, ihre Erinnerung zurückzugewinnen. Da ist ein Auto gewesen. Ich bin einfach hineingestoßen worden. Dann ist alles schwarz geworden ... Entsetzt hatte sie sich hochgerappelt und war zu der Glastür gestolpert, vor der die doppelflügeligen Läden geschlossen waren. Sie hatte sie geöffnet und die Lamellentüren aufgestoßen. Dahinter lag die Terrasse in gleißendem Sonnenlicht, das es in England zu dieser Jahreszeit nicht mehr gab. Und auch der schwere, intensive Duft, der von den üppig wuchernden Blumen in den Tontöpfen herrührte, passte nicht zu England. Als sie sich umsah, erblickte Leandra eine mediterrane Landschaft und dahinter das leuchtend blaue Meer. Das Haus schien aus einer Reihe von nebeneinander liegenden Räumen zu bestehen, deren Terrassentüren alle geschlossen waren. Plötzlich wurde die Tür. des letzten Raumes, über der sich eine mit Weinlaub bewachsene Pergola erstreckte, geöffnet, und eine ältere Frau trat heraus. Sie war schwarz gekleidet und trug einen Eimer und einen Wischmopp. Als sie Leandra erblickte, nickte sie lächelnd mit dem Kopf, setzte ihre Putzutensilien ab und bedeutete Leandra mit ein paar Gesten, zu ihr zu kommen. Auf einmal dämmerte es Leandra, wo sie sich befand. Griechenland! Ich bin in Griechenland! schoss es ihr durch den Kopf. Und wenn ich in Griechenland bin, kann es dafür nur einen Grund geben ... Demos. Das hier hat irgendetwas mit Demos Atrides zu tun. Die unterschiedlichsten Gefühle wechselten sich in ihr ab, unter anderem auch Erleichterung. Eine dunkle, schreckliche Furcht hatte von ihr Besitz ergriffen, dass sie entführt und in die weiße Sklaverei in den Mittleren Osten verschleppt worden war. Aber weshalb hat Demos mich hierher gebracht? Und mit solch extremen Mitteln? fragte sie sich. „Demos?" brachte sie mit bebender Stimme hervor. Doch die Frau lächelte, nickte lediglich und machte erneut ein paar Handbewegungen. Fröstelnd wurde Leandra klar: Ihr Gegenüber war taub, sie benutzte die Zeichensprache. Ein hysterisches Lachen blieb ihr in der Kehle stecken. Es bestand nicht die geringste Chance, dass sie sich mit einer tauben Griechin verständigen konnte! Schließlich nahm die Frau sie beim Arm und führte sie sanft in den Raum, aus dem sie gekommen war, zu einem
großen, weichen Sofa, das vor einem leeren, steinernen Kamin stand. Verwirrt und von einem Schwächeanfall überwältigt, schloss Leandra die Augen. Wenige Minuten später schlug sie sie jedoch wieder auf, als die Griechin ein Tablett mit Essen hereinbrachte. Erst jetzt merkte Leandra, wie hungrig sie war, und griff zu. Sie stürzte sich auf die Suppe und das köstliche, frisch gebackene Brot und spülte alles mit heißem Kaffee hinunter. Ihr Blick fiel auf eine Zeitschrift, die auf dem Sofatisch lag. Es war ein Modemagazin in griechischer Schrift. Sie war also tatsächlich in Griechenland. Aber wo? Nach dem Essen erkundete sie die Villa. Da diese nicht besonders groß war, dauerte es nicht lange, bis ihr klar wurde, dass der einzige andere Mensch außer ihr die Haushälterin war. Leandra ging nach draußen. Irgendwo musste Demos doch sein! Das Anwesen bestand aus einer beeindruckenden Gartenanlage im Mittelmeerstil, ohne Rasen, aber mit zahlreichen kleinen, steingefliesten Pfaden sowie blühenden Pflanzen und Büschen. Hier und da stand ein Olivenbaum, Überreste eines früheren Olivenhains. Instinktiv schlug Leandra einen schmalen Pfad ein, der hinunter zum Meer zu führen schien. Nach einigen Minuten gelangte sie zu einem herrlichen sichelförmigen Strand. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Es war wunderschön! Leichte Wellen plätscherten auf den goldenen Sand. Von beiden Seiten wurde das Gelände schützend von weißen Kalksteinfelsen eingefasst, die in der Sonne leuchteten. Leandra schaute zurück zum Haus, das hinter den Olivenbäumen halb versteckt lag. Es war ein idyllischer Ort - sehr ländlich. Doch von Demos war weit und breit nichts zu sehen. Abgesehen von der Haushälterin gab es nur noch einen älteren Mann, der die Pflanzen bewässerte und anscheinend ihr Ehemann war. Auch er verständigte sich lediglich durch Zeichen und war offenbar ebenfalls taub. Leandra umrundete das Grundstück, entschlossen, sich zu irgendeiner öffentlichen Landstraße durchzuschlagen, und von dort aus zu einem Dorf oder einer Taverne, wo sie nach London telefonieren konnte, um herauszufinden, was in aller Welt hier vor sich ging! Zumindest hatte sie ihr Portemonnaie dabei, und irgendwo würde sie sicherlich Geld wechseln können. Auf einmal hielt sie inne. Sie konnte keine Auffahrt zur Villa entdecken, keinen Sandweg, der zu einer Straße führte. Nichts. Die Landschaft schien sich einfach immer weiter zu erstrecken, während sie allmählich anstieg. Leandra fand einen schmalen Pfad und folgte ihm. Vielleicht musste sie zunächst querfeldein gehen, um weiter im Landesinneren auf eine Straße zu stoßen. Irgendwo musste es hier doch so etwas wie eine Verkehrsverbindung geben, auch wenn das Anwesen noch so abgelegen war. Nach der absoluten Stille zu urteilen, ist es sogar sehr abgelegen, stellte Leandra beunruhigt fest. Entschlossen setzte sie ihren Weg fort, bis sie die Kuppe des Hügels erreicht hatte. Oben blieb sie stehen und schaute hinunter. Dort unten, in der Nähe des Strandes, erblickte sie die Villa. Dahinter war ein flaches Feld zu sehen. Der moderne Metallhangar und der Windsack zeigten, dass es sich um einen Hubschrauberlandeplatz handelte. Gleich unterhalb des Landeplatzes befand sich eine kleine Bucht mit einer Mole aus Stein und einem Bootshaus, aber ein Boot war nicht zu sehen. Seitlich der Villa lag ein weiteres kleines Steingebäude, vermutlich das Wohnhaus des Haushälterehepaares. Weiter hinten sah sie den Strandab schnitt, den sie vorhin entdeckt hatte. Leandra ließ ihren Blick schweifen und wandte sich in die entgegengesetzte Richtung. Das Meer war immer noch da. Sie drehte sich einmal um ihre eigene Achse. Doch das Wasser erstreckte sich ringsum. Leandra war zutiefst erschrocken. Sie blieb reglos stehen, wie erstarrt, als sie die Erkenntnis wie ein Blitzschlag traf. Ich bin auf einer Insel.
Theo drosselte den Motor und setzte den Helikopter auf. Endlich war er am Ziel. Routiniert schaltete er alle Kontrollfunktionen aus, nahm die Kopfhörer ab und schaute aus dem Fenster. Die Frau schien auf ihn gewartet zu haben. Er hatte gesehen, wie sie herbeigelaufen kam, als er zur Landung ansetzte. Der Lärm der Rotorblätter war natürlich über die ganze Insel hinweg zu hören. Theos Miene verfinsterte sich. Was war das doch alles für ein Riesenschlamassel! Billiger als eine Abfindung? Von wegen! Es würde ein Vermögen kosten, sie nach allem, was sie durchgemacht hatte, wieder zu besänftigen. Der Schweiß sammelte sich unter dem Kragen seines Geschäftsanzuges. Er sehnte sieh nach einer Dusche und einem großen, kühlen Bier. Erschöpft öffnete er die Schiebetür und sprang zu Boden. Hoffentlich neigte die junge Frau nicht zu hysterischen Anfällen. Denn das, was ihr zugestoßen war, hatte ihr mit Sicherheit große Angst eingejagt. Theo ging auf sie zu. Be wegungslos stand sie da. Mit raschen, weit ausgreifenden Schritten näherte er sich ihr. Wenn er nicht gewusst hätte, dass es Leandra Ross war, die dort auf ihn wartete, hätte er sie niemals wieder erkannt, wie er feststellen musste. Das anschmiegsame Sexkätzchen war verschwunden. Ihr schlanker, kurvenreicher Körper, den sie neulich so attraktiv zur Schau gestellt hatte, war nun fast vollständig von Jeans und einem Sweatshirt verhüllt. Das herrliche blonde Haar hatte sie nachlässig auf dem Kopf zusammengesteckt, und sie trug überhaupt kein Make-up. Trotzdem sah sie umwerfend aus. Während er auf sie zuging, spürte Theo, wie sein Körper reagierte. Sie besaß eine unbewusste Anmut, wie sie so reglos dastand. Wie eine Nymphe aus den griechischen My then, die von Apollo erblickt wurde, oder von Dionysos oder irgendeinem anderen der Olympier, und die unschlüssig war, ob sie vor dem sich nähernden Gott flüchten oder seinem Begehren nachgeben sollte ... Rasch wischte Theo diese Gedanken beiseite. Sie war lediglich eine Komplikation - dank Milo sogar eine äußerst gefährliche! Und die Angelegenheit musste so schnell wie möglich bereinigt werden. Das war alles. Er blieb vor ihr stehen.
3. KAPITEL Wie versteinert starrte Leandra Theo an. Nachdem sie stundenlang aufs Meer hinausgeschaut hatte, war sie durch das Rotorengeräusch auf die Ankunft des Hubschraubers aufmerksam geworden und sofort zum Flugfeld gestürzt. Als der Helikopter gelandet war und die Tür sich geöffnet hatte, fiel ihr Blick auf die Gestalt eines Mannes, der ihr nur allzu bekannt war. Makellos gekleidet in seinem maßgeschneiderten Anzug, die dunklen Augen hinter einer Pilotenbrille verborgen, entstieg Theo Atrides dem Hubschrauber, stieß die Tür hinter sich zu und kam ihr entgegen. Er wirkte so kühl, so ungerührt und gelassen, dass Leandra von einer ungeheuren Wut erfasst wurde. Kaum stand er vor ihr, fing sie an, mit geballten Fäusten auf seine breite Brust einzuschlagen und ihn anzuschreien. All die Angst, der Zorn, die Verwirrung und die Empörung über ihre Entführung entluden sich in einem regelrechten Tobsuchtsanfall. Es war also gar nicht der liebenswürdige, um sie besorgte Demos, der ihr dies hier angetan hatte, sondern sein eingebildeter, arroganter, verabscheuungswürdiger Cousin, der sie an jenem Abend angesehen hatte, als sei sie Abschaum. „Sie sind schuld!" schrie sie ihn an. „Sie stecken dahinter! Und ich weiß auch warum! Um mich loszuwerden! Nur deshalb! Damit Sie Demos nach Hause schleppen und ihn dazu zwingen können, Sofia zu heiraten! Wie können Sie es wagen! Sie sind ja völlig wahnsinnig!" Unvermittelt packte Theo Leandras Hände und hielt sie von sich fort. „Seien Sie still!" Ihr Gesicht verzerrte sich nur noch mehr. „Ich werde ganz bestimmt nicht ruhig sein! Sie haben mich entführt, und ich werde dafür sorgen, dass Sie ins Gefängnis kommen!" „Ich habe gesagt, Sie sollen den Mund halten, Sie Furie! Dann werde ich Ihnen alles erklären." Theo sah sie mit durchdringendem Blick an, und sein Griff um ihre Handgelenke war hart wie eine Eisenklammer. Leandras Augen funkelten vor Wut, ihre Brust hob und senkte sich heftig, sie rang keuchend nach Atem, und ihr Gesicht glühte vor Zorn., Doch sie hatte aufgehört zu schreien. Scharf befahl Theo ihr zurückzutreten. Sie gehorchte, doch vorsichtshalber hielt er ihre Handgelenke noch immer fest. „Lassen Sie mich los!" fauchte sie ihn an und versuchte vergeblich, sich seinem stählernen Griff zu entwinden. „Nur wenn Sie mich anhören!" „Was gibt's da schon zu erklären, Mr. Atrides?" zischte sie giftig. „Sie haben mich entführt, und ich werde Sie dafür hinter Gitter bringen!" Er stieß einen Fluch aus. „Ich habe Sie nicht entführt. Und ich bin nicht verantwortlich für Ihre Anwesenheit hier, die ich ebenso bedaure wie Sie." Er holte tief Luft. „Das können Sie mir glauben!" Finster betrachtete er sie. Eine solche Xanthippe hatte ihm gerade noch gefehlt. Das perfekte Ende eines ohnehin schon unerträglichen Tages! „Also", fuhr er fort. „Wenn Ihr hysterischer Anfall endlich vorbei ist, hören Sie mir jetzt zu!" Noch immer hämmerte ihr das Herz wild in der Brust, und sie zitterte am ganzen Körper, doch sie nickte knapp. Theo gab sie frei. „Na gut!" stieß sie mit blitzenden Augen hervor. „Sie haben gesagt, dass Sie es mir erklären wollen. Dann also los! Ich möchte zu gerne hören, was Sie zu meiner Entführung zu sagen haben, Mr. Allmächtig
Theo Atrides! Und danach können Sie es dann auch gleich der Polizei vortragen!" Seine Miene verdüsterte sich bei ihrem feindseligen, gehässigen Tonfall. Niemand durfte so mit ihm sprechen! Er versteifte sich und richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf, so dass er noch furchteinflößender wirkte. „Sprechen Sie nicht in diesem Ton mit mir!" wies er sie kalt an, ganz der Chef des AtridesKonzerns, der von jedermann respektvoll behandelt wurde. „Versuchen Sie das dem Richter zu sagen, der Sie wegen Entführung und Freiheitsberaubung verurteilen wird!" schoss sie wütend zurück. Theo hob gebieterisch die Hand. „Seien Sie still! Ich versichere Ihnen, ich habe keinen Anteil an diesem Debakel! Und wenn Sie sich endlich dazu herabließen, mich anzuhören, würde ich Ihnen erklären, was geschehen ist." Er blickte an ihr vorbei. „Aber nicht hier. Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir. In zwanzig Minuten erwarte ich Sie auf der Terrasse." Mit diesen Worten entfernte er sich und ging mit langen Schritten auf die Villa zu. Langsam ließ Leandra die Hände sinken. Er hat mich stehen lassen, dachte sie fassungslos. Er hat mich entführt, gefangen gesetzt, und jetzt lässt er mich hier einfach so stehen. Das ist unglaublich, dachte sie. Unglaublich! Zwanzig Minuten später trat Theo auf die überwachsene Terrasse hinaus, wo Leandra, deren Nerven noch immer blank lagen, an einem schmiedeeisernen Tisch saß. Nun jedoch stockte ihr der Atem. Sie sah Theo Atrides an und konnte nicht mehr wegschauen. Du lieber Himmel, er war aber auch wirklich umwerfend! Sein Haar war noch feucht vom Duschen und glänzte wie Ebenholz. Statt des Geschäftsanzuges trug er jetzt eine perfekt geschnittene, legere Hose und dazu ein Polohemd mit einem diskret auf der Tasche angebrachten Designerlogo. Ohne die Sonnenbrille konnte Leandra nun die halb geschlossenen dunklen Augen mit dem durchdringenden Blick erkennen, die er auf ihr ruhen ließ. Sobald er ihr gegenüber Platz genommen hatte, kam die Haushälterin aus dem Wohnzimmer, das sich direkt hinter der Pergola befand, und brachte ein Tablett mit einem Glas Bier und einer Kanne Kaffee herbei. Theo suchte ihren Blick, machte ein paar kurze Zeichen, so dass sie lächelte und nickte, ehe sie sich zurückzog. „Agathias ist taub", sagte er, nahm einen ausgiebigen Schluck von seinem Bier und lud Leandra mit einer Handbewegung ein, sich Kaffee einzuschenken. „Genau wie ihr Ehemann Yiorgos." „Das ist mir auch schon aufgefallen", entgegnete Leandra unfreundlich. „Wie praktisch, Gefängniswärter anzuheuern, die nicht hören können, dass Ihre Gefangenen ihre Freiheit verlangen!" Theos nachtschwarze Augen blitzten auf. „Als gehörloses Paar - besonders in ihrer Generation - finden sie es angenehmer, hier unter sich zu sein. Dieses Fleckchen Erde hier, das sie für mich verwalten, ist eine Zuflucht für sie. Aber sie werden zu ihrer Familie aufs Festland zurückkehren, wenn sich im Winter das Wetter hier verschlechtert. Und sie sind ganz sicher keine von mir angeheuerten Gefängniswärter, Miss Ross!" „Sie haben doch gerade zugegeben, dass dies Ihre Insel ist!" gab Leandra zurück. „Ja", bestätigte Theo. „Sie ist mein Eigentum. Aber Agathias und Yiorgos sind nicht als Aufseher hier, sondern lediglich als Hausverwalter. Alles, was sie über Sie wissen, ist, dass man Sie bewusstlos vom Helikopter ins Haus getragen hat." Seine Miene verdüsterte sich. „Ich fürchte, Agathias nahm an, Sie seien betrunken gewesen." „Betrunken?" wiederholte Leandra empört. „Ich wurde betäubt, Mr. Atrides! Aus der Edgware Road entführt und unter Gewaltanwendung bewusstlos gemacht! Wagen Sie es ja nicht, mir zu unterstellen, ich sei nicht nüchtern gewesen!" „Nichts läge mir ferner! Ich weiß genau, was passiert ist."
Ihre Augen weiteten sich, und ein anklagender Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. „Sie stecken also doch dahinter!" Er stieß einen unwilligen Laut aus. „Nein! Ich hatte nichts mit dieser Sache zu tun, Miss Ross. Absolut nichts!" Mit zusammengepressten Lippen sah sie ihn über den Tisch hinweg an. „Ach, nein? Und wer, bitte, ist dann dafür verantwortlich? Sagen Sie es mir!" verlangte sie bissig. Einen Moment lang sah er sie nur schweigend an. „Es war mein Großvater", bekannte er dann leise. Sie fuhr auf. „Ihr Großvater! Ist er denn komplett verrückt geworden?" Theo seufzte und griff wieder nach seinem Bier. „Nein, das nicht. Aber alt, Miss Ross, und sein Leben nähert sich dem Ende." Er blickte sie offen an. Sie sah nicht im Geringsten so aus wie auf der Wohltätigkeitsgala, als sie an Demos' Arm gehangen hatte. Das erinnerte ihn daran, weshalb er hier war. An den einzigen Grund, der ihn hergeführt hatte. Nämlich, um sie von Demos zu trennen. Es ging ihm nicht darum, sich zu fragen, wie es möglich war, dass sich ihre Augen von Bernstein zu Gold und wieder zu Bernstein verwandeln konnten. „Mein Großvater ist fest entschlossen, so lange nicht zu sterben, bis mein Cousin sich verheiratet hat. Demos hat Ihnen doch sicher erzählt, dass eine junge Griechin auf ihn wartet?" Leandra überlegte, wie sie am besten reagieren sollte. Ihr war gerade aufgegangen, dass sie weiterhin Demos' Geliebte spielen musste, wenn sie nicht die gesamte Täuschungsaktion auffliegen lassen wollte. Rasch dachte sie nach. Dann zuckte sie die Achseln. „Ich weiß, dass seine Familie will, dass er diese Ehe eingeht", antwortete sie. „Aber das ist doch schließlich allein Demos' Entscheidung, nicht wahr?" Theo ignorierte ihre Bemerkung. „Mein Großvater ist ein kranker alter Mann, Miss Ross, der in seinem Leben schon viel Kummer erlebt hat. In seinem ... Eifer, die Hochzeit zu beschleunigen, hat er ...", Theo wählte seine Worte sorgfältig, beinahe wie in einem Presseinterview mit sensationsgierigen Journalisten, „... in diesem Fall... möglicherweise etwas übers Ziel hinausgeschossen." Zorn stieg in Leandra hoch. Übers Ziel hinausgeschossen? Wenn man jemanden gegen seinen Willen irgendwo hinbrachte und gefangen hielt? „Er hat mich entführen lassen!" fuhr sie heftig auf.. Theos Miene war undurchdringlich. Bei seinen Geschäften ging es um Millionen, und er wusste, wie er seine Gefühle verbergen konnte, wenn es sein musste. „Das ist ein sehr hartes Wort, Miss Ross", meinte er gedehnt. „Aber es entspricht der Wahrheit!" entgegnete sie. Er trank von seinem Bier, um noch etwas Zeit zu gewinnen, ehe er den nächsten Schritt machte. Leandra beobachtete ihn argwöhnisch. „Miss Ross", fing er wieder an. „Ich gebe gerne zu, dass hier ein großer Fehler begangen worden ist. Sie sind ... völlig unabsichtlich ... einer Erfahrung ausgesetzt worden, die zweifellos äußerst unangenehm gewesen ist..." Er empfand Gewissensbisse. Sie hatte absolut jedes Recht, böse zu sein. Milo hatte sich unmöglich verhalten. Doch Theo musste sie unbedingt davon abbringen, Anzeige zu erstatten. Zu diesem Zweck war er bereit, ihr eine großzügige Entschädigung anzubieten. Vorausgesetzt, sie erklärte sich auch bereit, ihre Affäre mit Demos zu beenden. Theo wollte gerade ansetzen, doch sie kam ihm zuvor. „Mr. Atrides, es ist mir vollkommen egal, wer den Befehl gegeben hat, mich hierher zu bringen! Ich will nur weg von dieser Insel, klar? Und zwar jetzt sofort. Noch heute Abend." „Ich fürchte, das ist unmöglich", erwiderte er schroff.
Ihre bernsteinfarbenen Augen blitzten. „Sie sind hergekommen, dann können Sie mich auch von hier fortbringen. Ist doch ganz einfach!" „Das ist überhaupt nicht einfach", wehrte er ab. „Der Hubschrauber muss aufgetankt werden, und es wird allmählich zu dunkel zum Fliegen. Ich habe mir den Wetterbericht nicht angesehen und auch keinen Rückflug am Athener Flughafen angemeldet. Außerdem bin ich nicht in der Stimmung, mich heute noch irgendwo anders hin zu begeben!" Leandra wurde blass und umklammerte mit den Händen krampfhaft die Tischplatte. „Aber ich muss von hier weg! Ich muss! Ich verlange von Ihnen, dass Sie mich auf der Stelle nach Athen zurückbefördern und mir einen Flug nach London besorgen!" Panik schwang in ihrer Stimme mit, doch Theo ignorierte es. Er schob sein leeres Glas beiseite und erhob sich. „Ich reagiere weder auf Befehle noch auf Bitten. Heute Abend fliegt niemand mehr irgendwohin, und das ist endgültig! Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich muss mich mit meinem Büro in Verbindung setzen. Genießen Sie die Annehmlichkeiten meiner Insel!" Sein Blick war leicht ironisch. „Sie dürfen sich überall frei bewegen. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause!" Damit ging er davon, während Leandra vor Wut fast erstickte. „In ungefähr einer Stunde wird Agathias das Abendessen servieren", warf er noch über die Schulter zurück. „Seien Sie pünktlich!" Er verschwand in der Villa und überließ Leandra ihrem Zorn. Ich werde die ganze Nacht hier festsitzen, zusammen mit diesem unerträglichen Theo Atrides, dachte sie empört. Etwas Schlimmeres konnte sie sich kaum vorstellen. Leandra brauchte nicht lange, um sich zum Essen umzuziehen. Nachdem sie in dem an ihr Zimmer angrenzenden Bad geduscht hatte, brachte sie es nicht über sich, dieselben Kleider wieder anzuziehen, die sie schon seit zwei Tagen trug. Doch das einzige andere Kleidungsstück, das sie finden konnte, war ein dünner seidener Morgenmantel, der an der Badezimmertür hing. Vermutlich war er von einer früheren Besucherin hier zurückgelassen worden. Es war offensichtlich, was es mit dieser Insel auf sich hatte. Hierher nahm Theo Atrides seine berühmten Geliebten mit, wenn sie dem Blitzlichtgewitter der Paparazzi entkommen wollten. Lediglich von einem tauben Ehepaar umsorgt, konnte man hier so ungestört sein, wie man wollte. Leandra band den Gürtel des Negliges eng zu. Nun, Theo Atrides' glamouröses Sexualleben hatte nicht das Geringste mit ihr zu tun. Er sollte sie schließlich nur nach Athen zurückbringen. . Wenn sie allerdings nicht verhungern wollte, sah es wohl so aus, als müsste sie seine Gesellschaft zum Abendessen erdulden. Trotzig ging sie auf bloßen Füßen den Flur entlang zum Esszimmer, das ins Wohnzimmer überging. Als sie eintrat, blickte Theo, der im Begriff war, eine Flasche Wein zu öffnen, zu ihr herüber und hielt abrupt inne. Leandra Ross stand am anderen Ende des Raumes, mit nichts außer einem kurzen, seidenen Morgenmantel bekleidet, den sie in der Taille so fest gegürtet hatte, dass ihre Brüste sich üppig unter dem straffen Stoff abzeichneten. Die langen Haare, die ihr über die Schultern fielen, sahen auf dem dunkelroten Seidenstoff wie gesponnenes Gold aus. Ihre schlanken Beine waren cremefarben und seidig glatt, die schmalen Füße entblößt. Theo spürte, wie sein Körper unwillkürlich reagierte, drängend und voller Verlangen. Doch ein zynischer Gedanke dämpfte sein Begehren, und er verzog den Mund. Glaubte sie etwa, wenn sie ihren Körper zur Schau stellte, könnte sie ihn dazu veranlassen, sie noch heute Abend zurückzufliegen? Ein verächtliches Glitzern erschien in seinen Augen. Oder steckte noch mehr dahinter? Wenn sie dachte, sie könnte ihn so um den Finger wickeln wie Demos, hatte sie sich
getäuscht. Er suchte sich die Frauen aus, mit denen er ins Bett ging, nicht umgekehrt! Und so verführerisch Leandra Ross auch sein mochte, Theo hatte nicht die Absicht, dieses ganze Durcheinander noch komplizierter zu machen, als es ohnehin schon war. Alles andere wäre der reinste Irrsinn! Leandra entging Theos Geringschätzigkeit keineswegs, und sofort regte sich Zorn in ihr. Er schaut mich schon wieder so an, als ob ich ein Stück Dreck wäre! Nur der Hunger hinderte sie daran, in ihr Zimmer zurückzuflüchten. Stattdessen produzierte sie ein strahlendes, falsches Lächeln und setzte sich an den Tisch. Ist mir doch egal, was der Kerl von mir denkt, versuchte sie sich Mut zu machen. Er hat schließlich überhaupt keine Bedeutung für mich! Ein sarkastischer Zug lag in seiner Miene, als er ihr gegenüber Platz nahm. In diesem Moment kam die Haushälterin herein, mit einem Tablett, auf dem zwei Suppenschalen standen, und stellte es auf dem polierten Esstisch ab. Der aromatische Duft vertrieb jeden anderen Gedanken, und kaum hatte Agathias ihr serviert, begann Leandra bereits zu löffeln. Sie aß schnell, voller Heißhunger. Außerdem schmeckte es köstlich, ebenso wie der delikat gewürzte Fisch, der danach folgte. Ohne sich zu überflüssiger Konversation mit ihrem Tischgenossen verpflichtet zu fühlen, leerte Leandra ihren Teller bis auf den letzten Krümel. Mit einem Stück Brot aus dem Korb, der zwischen ihr und ihrem Gastgeber stand, nahm sie sogar noch die restliche Sauce auf. Sie war so auf ihre Mahlzeit konzentriert, dass sie beinahe vergaß, dass sie sich in Theo Atrides' höchst unwillkommener Gesellschaft befand. Als Agathias kam, um den Tisch abzuräumen, brachte sie gleich den Kaffee mit. Dann eilte sie wieder geschäftig hinaus. Theo schenkte Wein nach und füllte auch Leandras Glas auf. Da sie schon mehr getrunken hatte, als sie es normalerweise gewohnt war, übersah sie den Alkohol geflissentlich und goss sich lieber eine Tasse Kaffee ein. Jetzt, mit vollem Magen, fühlte sich Leandra schon fast rundum wohl. Von den Nachwirkungen des Betäubungsmittels war nichts mehr zu spüren, und selbst ihre Kopf schmerzen hatten nachgelassen. Vielleicht war sie auch deshalb besser gelaunt, weil sie morgen um diese Zeit wieder in London sein würde, zurück unter zivilisierten Menschen! Ein Frösteln überlief sie. Die ganze Sache war wirklich grauenhaft gewesen! Nun jedoch, da sie sich innerlich ruhig fühlte, gut gegessen und ein großes Glas Wein getrunken hatte, erfüllte sie ein ungläubiges Staunen darüber, dass Demos' Großvater sich tatsächlich zu einer solchen Straftat hatte hinreißen lassen. Eine Entführung! Allerdings musste sie gerechterweise zugeben, dass ihr im Grunde eigentlich nichts zugestoßen war. Vielleicht habe ich vorhin ja wirklich ein wenig überreagiert, als Theo aus dem Hubschrauber gestiegen ist, dachte sie. Verlegen erinnerte sie sich daran, dass sie sich wie eine Rasende auf ihn gestürzt hatte. Immerhin ist er ja sofort hergeflogen, um mich nach London zurückzubringen, überlegte sie widerstrebend. Und er scheint auch wirklich entsetzt darüber zu sein, was sein Großvater sich geleistet hat. „Mr. Atrides", begann sie leicht nervös. „Ich möchte mich dafür entschuldigen, wie ich mich vorhin bei Ihrer Ankunft benommen habe. Ich ... ich ... hatte große Angst ... Ich war ... schrecklich verwirrt, und ich... wusste nicht, was passiert war..." Sie brach ab. Theos Miene wirkte verschlossen. So als ob er einzuschätzen versuche, was ich gesagt habe, ging es ihr durch den Kopf. Nein, verbesserte sie sich, sondern so, als ob er einzuschätzen versuche, warum ich es gesagt habe. Aufmerksam sah sie ihn an und fragte sich im Stillen, was wohl in ihm vorgehen mochte. Er hob die Schultern, so dass sie das Spiel seiner Muskeln unter dem eng anliegenden Polohemd erkennen konnte. Leandra wurde bewusst, wie perfekt sein Körper gebaut war. An diesem Mann gab es wahrhaftig kein Gramm Fett zu viel! Wie immer er sich auch fit halten mochte, er war hervorragend durchtrainiert...
Entschlossen kehrte Leandra mit ihrer Aufmerksamkeit wieder zu dem zurück, was Theo gerade sagte. „Bitte, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen! Ihre Reaktion war vollkommen verständlich." Seine zuvorkommende Antwort erstaunte sie so sehr, dass sie ihn lediglich verblüfft ansah. Er wirkt auf einmal anders als zuvor, stellte sie fest und merkte dann auch, woran das lag. Der Sarkasmus war aus seinem Gesichtsausdruck verschwunden. Stattdessen war er jetzt erstaunlich liebenswürdig. „Außerdem", fuhr Theo fort, „hatten Sie schließlich ein Recht auf einen Gefühlsausbruch. Keine Frau, die so schön ist wie Sie, sollte jemals etwas Derartiges erdulden müssen." Leandra blinzelte verwundert. Was hatte Schönheit denn damit zu tun? Entführt zu werden würde jeden Menschen zu Tode erschrecken! Noch immer lag der umgängliche Ausdruck in seiner Miene, und seine Stimme klang weich und glatt. „Ich denke, Miss Ross, es ist an der Zeit, dass wir eine Vereinbarung treffen, die, davon gehe ich aus, diese ... Eskapade ... zur Zufriedenheit aller Beteiligten beenden wird." Eskapade? Das hört sich an, als hätte ich mich freiwillig in eine Art verrücktes Abenteuer begeben! dachte sie verärgert. Theo legte eine Pause ein. Er schloss die Finger um den Stiel seines Weinglases und hob es an den Mund. Leandra beobachtete ihn dabei, außer Stande, ihren Blick von ihm loszureißen. Dann setzte er das Glas wieder ab. Offenbar hatte er bemerkt, dass sie ihn beobachtete. Er lächelte. Leandra spürte, wie ihr Herzschlag einen Moment lang aussetzte. Noch nie zuvor hatte sie Theo Atrides lächeln sehen. Denn wenn es der Fall gewesen wäre, hätte sie sich daran in allen Einzelheiten erinnert. An die Art und Weise, wie seine Lippen sich teilten und dabei weiße, ebenmäßige Zähne enthüllten, ebenso wie an die tiefen Linien zwischen seinen Nasenflügeln und den Mundwinkeln. Es war ein unwiderstehliches Lächeln, so berauschend und umwerfend, dass Leandra nur dasitzen und ihn anschauen konnte. Plötzlich schien sie ziemlich außer Atem zu sein. Und ihr war deutlich bewusst, dass sie nur mit einem Nichts von Morgenmantel bekleidet dasaß - nur etwa eine Armeslänge von dem Mann entfernt, in dessen Gegenwart ihr schon beim ersten Mal, als sie ihn gesehen hatte, die Knie weich geworden waren. Und sie waren hier, auf Theo Atrides' Privatinsel - einem kleinen Paradies, wohin er Frauen mitnahm, die er wegen ihrer Schönheit und Attraktivität als seine persönlichen, intimen Gefährtinnen ausge wählt hatte ... Ein Gefühl der Schwäche machte sich in ihr breit, während gleichzeitig Hitze durch sie hindurchzuströmen schien. Wie es wohl wäre, eine jener Frauen zu sein? Wie wäre es, von Theo Atrides hierher gebracht zu werden, mit ihm zu essen und zu trinken, danach auf die mondbeschienene Terrasse hinauszutreten und zu spüren, wie er hinter ihr stand und die Arme um ihre Taille schlang? Sie an seinen kraftvollen Körper heranzog, über ihre Hüften streichelte, ihre Brüste umfasste und sie zu sich umdrehte, um mit den Lippen ihren Mund zu suchen, ihn zu erforschen, bis sie nach Atem rang ...? Die Vorstellung war so übermächtig, dass Leandra sich dazu zwingen musste, sie von sich zu weisen. Nein! Theo Atrides kann meinetwegen Hunderte von Frauen hierher bringen, sagte sie sich entschlossen. Ich werde sicherlich nie eine davon sein! Es machte ihr nichts aus, dass er dasaß und sie aus seinen dunklen Augen mit den schweren Lidern ansah, als könne er ihren Körper enthüllen und damit tun, was immer ihm beliebte ... Nimm dich zusammen, ermahnte sie sich. Die Realität ist anders, trostlos und höchst
unromantisch. Ich habe nichts mit Theo Atrides zu tun, nicht das Geringste! sagte sie sich energisch. Er ist nichts weiter als der Pilot, der mich nach Athen zurückfliegen und in ein Flugzeug nach London setzen wird. Endlich, sprach er weiter, wieder in diesem sanften, glatten Tonfall, der Leandra ein eigentümliches Unbehagen verursachte. Sie hörte zu. Theo hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, eine Hand flach auf dem Tisch, die andere auf der Armlehne. Er wirkte durchaus entspannt. Seine tiefe Stimme klang weich und gelassen. „Und daher, als eine Geste der ... Versöhnung ... Miss Ross, bin ich bereit, Ihnen im Hinblick auf den ... Stress, dem Sie unter worfen waren, eine großzügige Entschädigung anzubieten. Ich bin mir sicher, ich kann darauf zählen, dass Sie sie in dem Sinne akzeptieren werden, in dem sie angeboten wird - als eine Bestätigung des... Vertrauens... zwischen uns. Sagen wir ..." Ausdruckslos ließ er den Blick auf Leandra ruhen. „... fünfzigtausend Pfund." Verständnislos starrte sie ihn an. Wovon redete er? „Selbstverständlich", fuhr er mit samtweicher Stimme fort, doch Leandra konnte den schneidenden Unterton darin heraushören, „werden Sie verstehen, dass ich Sie im Gegenzug darum bitten muss, gewisse ... Sicherheiten ... zu unterzeichnen, die mein Rechtsberater noch aufsetzen wird. Außerdem", setzte er liebenswürdig hinzu, „bin ich bereit, noch einmal dieselbe Summe hinzuzufügen, als ... Trost ... für die Beendigung Ihrer Affäre mit meinem Cousin." Theo wünschte, Leandra würde ihn nicht so über den Tisch hinweg anstarren. Er zog es vor, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn er Verhandlungen führte. Und der Blick, mit dem sie ihn aus diesen bernsteinfarbenen Augen ansah, war ihm dabei keine große Hilfe. Mit welchen Edelsteinen würde ich diese Frau schmücken, wenn sie mein wäre? fragte er sich. Vielleicht mit Smaragden, zu ihren blonden Haaren? Oder mit Saphiren ...? „Sagen Sie das noch einmal!" Ihr Ton klang seltsam, doch das war eine willkommene Unterbrechung seiner unangemessenen Träumerei. Leandra Ross würde garantiert keine Edelsteine von ihm be kommen, sondern lediglich Geld. Schnell, einfach - und sehr effektiv. „Hunderttausend Pfund alles in allem", bestätigte er, und seine Stimme hatte etwas Endgültiges. Er hatte nicht die Absicht, sich von einer Frau ausbluten zu lassen, die ihn zu der Fantasie verleitete, dass er ihr eine glitzernde Kette um den schlanken Hals legte, während er sich mit seinem Blick an ihren wohlgeformten, üppigen Rundungen ergötzte ... „Sie wollen mir eine Abfindung zahlen", meinte sie langsam. Bei dieser unschönen Beschreibung wurde seine Miene verschlossen, um den Widerwillen zu verbergen, den er selbst bei dem empfand, was er tat. Aber Theo wollte einfach nur diese ganze unerfreuliche Angelegenheit so rasch wie möglich hinter sich bringen. „Fünfzigtausend dafür, dass ich mich nicht über die Entführung beschwere, und noch mal das Gleiche dafür, dass ich Demos in die Wüste schicke. Sehe ich das richtig?" erkundigte sie sich sachlich. Er neigte zustimmend den Kopf. Leandra sah ihn unverwandt an. In ihren Augen lag ein Ausdruck, den er nicht zu deuten vermochte. „Sie erwarten wirklich, dass ich darauf eingehe, nicht wahr?" Theo erwiderte ihren Blick. „Es ist ein sehr großzügiges Angebot und, wie ich glaube, auch ein faires." Trotz seines sanften Tonfalls beobachtete er sie wie ein Habicht. Um diesen verabscheuungswürdigen Vorgang zu beschleunigen, fügte er hinzu: „Schließlich ... bedeutet mein Cousin Ihnen nur sehr wenig." Etwas regte sich in ihrer Miene, doch noch ehe sie antworten konnte, gewann Theos Sarkasmus die Oberhand. „Oder wollen Sie etwa behaupten, dass Sie bis über beide Ohren in Demos verliebt sind?" „Natürlich nicht!" gab Leandra zurück.
Spöttischer Triumph blitzte in seinen Augen auf. Erschrocken wurde ihr erst jetzt bewusst, was sie getan hatte. Sie war mit der Wahrheit herausgeplatzt, die für Theo mit Sicherheit nur einen Schluss zuließ. „Aha!" Unverhüllter Triumph lag in seiner Stimme. „Sie sind also doch nur hinter seinem Geld her." Leandra bemühte sich, ihre Fassung wiederzugewinnen, und suchte nach Worten, um die Situation zu retten. Und vor allem wollte sie den Ausdruck der Geringschätzigkeit in seinem Gesicht auslöschen. „Sie irren sich!" rief sie. „Ich liebe Demos vielleicht nicht, aber ich ... ich bin ihm sehr zugetan!" „Zugetan!" Seine Stimme troff vor Verachtung. Leandra stieß ihren Stuhl zurück und sprang auf. Sie musste weg von hier, und zwar sofort! Vorher jedoch wollte sie ihm unbedingt eine Lektion erteilen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, wobei sie nicht merkte, dass dadurch der Saum des Bademantels gefährlich hoch rutschte. Theo allerdings entging dies keineswegs. Unwillkürlich ließ er den Blick nach unten gleiten. Christos, noch ein bisschen höher, und meine Vermutung, dass sie nichts darunter trägt, wird sich bestätigen! Sein Körper reagierte bereits auf diesen Gedanken, und Theo bewegte sich unbehaglich auf seinem Stuhl. Zum Teufel mit dieser Frau! Zum Teufel dafür, dass sie dort stand und er sie am liebsten auf seinen Schoß gezogen und ihre langen nackten Beine um seine Hüften gespürt hätte ... Und zum Teufel dafür, dass sie von Demos sprach, obwohl Theo ihn gerade zur Hölle wünschte! Genau wie den Rest der Welt! Weil alles, wonach er sich in diesem Moment schmerzlich sehnte, diese goldhaarige, verführerische Schönheit war, deren Augen Feuer sprühten! „Ja. Zugetan. Gibt es dagegen irgendetwas einzuwenden, Mr. Atrides?" Sie ließ die Arme sinken, und das Oberteil des Seidennegliges klaffte ein Stück auseinander, so dass das Tal zwischen ihren Brüsten sichtbar wurde. Das lange Haar fiel ihr in seidigen Wellen über die Schultern, die schönen Augen schimmerten wie Bernstein, ihre weichen, vollen Lippen waren leicht geöffnet, und ihr Körper ... oh, dieser verlockende, herrliche Körper... die üppigen Brüste, die straffen, schlanken Oberschenkel, die den geheimen Ort der Lust zwischen sich bargen... Theo spürte, wie eine heiße Welle der Erregung seinen Körper durchströmte. Getrieben von einem Verlangen, dem er nicht länger zu widerstehen vermochte - und es auch gar nicht wollte. Leandra stand abwartend da. Christos, den ganzen Abend hatte sie es doch nur darauf angelegt, und jetzt würde sie es auch bekommen! Er würde ihr eine Lektion darüber erteilen, was zwischen einem Mann und einer Frau vonnöten war, um sie zusammenzuhalten ... Zugetan! Sie war Demos zugetan! Sie stand da wie die Gestalt gewordene Versuchung und glaubte, dass Zuneigung ausreichte, um einen Mann zu halten! Leandra war wie gebannt, ihre Gliedmaßen auf einmal schwer wie Blei. Sie hätte weglaufen müssen. Fliehen. Aber dazu war sie einfach nicht in der Lage. Sie stand wie ange wurzelt, wie Daphne im Lorbeer, als sie versuchte, vor dem Gott Apollo zu fliehen, der ihr die Unschuld rauben wollte. Ihr fiel das Atmen schwer. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, und ihr war schwach zu Mute. Doch in ihren Adern glühte ein Feuer...
4. KAPITEL
Theo kam auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Leandra war noch immer außer Stande, sich zu rühren. Seine kraftvolle Männlichkeit überwältigte sie, und sie fühlte sich schwach wie ein kleines Kätzchen, während sie wartete, bis er sie erreicht hatte. „So ...", sagte er leise, seine Stimme tief und rau. „Sie sind meinem Cousin also zugetan, ja?" Er sah sie herausfordernd an. In seinen Augen lag jetzt nicht mehr jener verächtliche Ausdruck, sondern ein dunkles, schwarzes Funkeln. Er stand dicht vor ihr. Viel zu nah ... Leandra war klar, dass sie besser daran getan hätte, zurückzuweichen, doch sie konnte es einfach nicht. Er streckte die Hand nach ihr aus. „Aber Zuneigung hält einen Mann nicht bei einer Frau. Sie ist viel zu schwach, sie reicht nicht aus. Wie könnte sie ..." Leandra spürte, wie er mit seinen schlanken, sinnlichen Fingern ihren Hals berührte. Seine flüchtige Liebkosung schien jeden Millimeter ihrer Haut in Flammen zu setzen. „Wie könnte Zuneigung dies hier ersetzen?" Zart ließ er die Finger abwärts gleiten und streifte über die Mulde am Schlüsselbein, wo der Puls heftig zu pochen begann. Seine Berührung hinterließ eine feurige Spur, die auf ihrer Haut brannte und bis ins tiefste Innere ihres Körpers einzudringen schien... Er strich über das Revers ihres Morgenmantels und streichelte über ihre weiche Haut. Leandra stockte der Atem. Er ließ sie nicht aus den Augen, während er über die sanfte Wölbung ihrer Brust fuhr, auf die bereits verlangend aufgerichtete Knospe zu. Theo lächelte. Es war ein teuflisches Lächeln - wissend und erwartungsvoll. Es wischte die Lügen zwischen ihnen beiseite und ließ nichts anderes zu als die Wahrheit, nämlich dass ihr Körper sich nach seinem sehnte ... Leandras Lippen öffneten sich unwillkürlich, als sie ihn hilflos ansah, gebannt von seinem Blick. Sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick vor Lust ohnmächtig zu werden. Sie wollte, dass er sie berührte, mit seiner Hand ihre volle Brust umschloss und die vor Erwartung schmerzende Spitze reizte, bis es sie zur Ekstase trieb ... „Sehen Sie?" Lächelnd betrachtete Theo sie, die Augen unter den schweren Lidern sinnlich träge. Schon so viele Frauen waren bei seinen Liebkosungen dahingeschmolzen. „Jetzt verstehen Sie, meine hübsche weiße Taube, nicht wahr? Dies ist es, was einen Mann und eine Frau miteinander verbindet." Sein Flüstern war nur für sie bestimmt, für sie ganz allein. Ein kleiner Laut entrang sich ihrer Kehle. Leandra merkte, wie sie unwiderstehlich von ihm angezogen wurde. Ihr war zu Mute, als würde sie gleich das Bewusstsein verlieren, doch sie war nicht imstande, sich zu bewegen. Sie konnte nur noch fühlen - die unendliche Lust, die ihr seine Berührungen bereiteten, diese sanften, erregenden Zärtlichkeiten... Und dann war es vorbei. Ohne Vorwarnung ließ Theo sie los, und Leandra hatte das Gefühl zu schwanken. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, genau wie das Leuchten in seinen Augen. Er trat an den Tisch, griff nach seinem Weinglas und trank einen großen Schluck daraus. Nachdem er es wieder abgesetzt hatte, begann er zu sprechen. Nun hatte seine Stimme einen vollkommen anderen Ton angenommen und klang barsch, spöttisch und voller Sarkasmus. Leandra war zu benommen und viel zu erschüttert, um zu hören, wie viel Mühe ihn dies kostete, denn fast hätte er tatsächlich die Kontrolle verloren. Nun musste er um jeden Preis wieder zur Vernunft kommen. „So ...", erklärte er daher schroff. „Jetzt hätten wir also geklärt, dass Ihre Gefühle für meinen Cousin Sie nicht im Mindesten daran hindern, sich auch von jedem anderen Mann sexuell erregen zu lassen, der diesen hinreißenden Körper liebkost, mit dem Sie mich schon den ganzen Abend so verführerisch gereizt haben. Lassen Sie uns die Angelegenheit ein für
alle Mal erledigen!" Sein Tonfall war hart und kompromisslos. „Nehmen Sie Ihr Geld, und gehen Sie! Ich will, dass Sie verschwinden, und zwar für immer!" Ob sie es jetzt endlich begriffen hatte? Das hoffte Theo inständig. Sich von ihr loszureißen hatte ihn wesentlich mehr Kraft gekostet, als er vorher gedacht hatte. Sehr viel mehr sogar. Und die Härte in seiner Stimme galt ihm selbst ebenso wie Leandra. Es war töricht gewesen, ihr beweisen zu wollen, dass ihre Zuneigung zu Demos jederzeit erlöschen konnte. Theo war gefährlich nahe daran gewesen, diese ganze verdammte Geschichte in den Wind zu schreiben und sich das Einzige zu holen, was er an diesem fürchterlichen Durcheinander wirklich haben wollte - nämlich diese Frau und ihren verführerischen Körper. Obwohl er viel lieber ihre vollen Brüste umfasst und mit dem Daumen über die hart gewordenen Spitzen gestrichen hätte, die sich unter der glatten Seide abzeichneten, hatte Theo seine gesamte Willensanstrengung aufbieten müssen, um sich von Leandra zu lösen. Dennoch hatte er es tun müssen, denn ihm war keine andere Möglichkeit geblieben. Leandra Ross bedeutete Schwierigkeiten. Das hatte Theo schon von dem Moment an gewusst, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Und ihre Verführungskünste, denen er sich gerade eben nur mit größter Mühe hatte entziehen können, waren ein weiterer Beweis dafür. Er würde sich von keiner Frau manipulieren lassen. Unter gar keinen Umständen. Keine Illusionen mehr. Nie wieder. Verächtlich verzog er die Lippen. Über Leandra Ross gab er sich keinen Täuschungen hin. Sie war an Demos nur wegen seines Geldes interessiert, das war alles. „Nun?" meinte er, um die Sache endlich hinter sich zu bringen. Er hatte einen üblen Geschmack im Mund. „Das Einzige, womit ich zu handeln bereit bin, ist Geld, Miss Ross. Das muss ausreichen, um Sie sowohl für den Verlust Ihrer Freiheit als auch den des Luxus zu entschädigen, den Sie als Geliebte meines Cousins genossen haben. Mein Angebot beläuft sich auf einhunderttausend Pfund, und ich empfehle Ihnen, es mit Würde anzunehmen." Er schwieg, und sie sah ihn nur stumm an. Ihre bernsteinfarbenen Augen waren vollkommen ausdruckslos. Schließlich sagte sie sachlich: „Und ich schlage vor, dass Sie mir zuerst das Geld zeigen, Mr. Atrides." „Natürlich." Seine Stimme war ebenso nüchtern wie ihre. Aber irgendetwas, das er nicht genau bestimmen konnte, löste in ihm ein beklemmendes Gefühl aus. Es war, als würde sich eine eiserne Faust in ihm schließen. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, wenn ihm nicht ohnehin schon die ganze Zeit klar gewesen wäre, wonach eine Frau wie sie vor allem strebte, hätte er es womöglich für Enttäuschung gehalten. „Wenn Sie einen Moment warten würden." Mit langen Schritten verließ er den Raum und ging zu seinem Büro, das sich am Ende des Flurs befand. Es dauerte nicht lange. Als Theo zurückkehrte, stand Leandra noch immer an derselben Stelle, wie eine Statue. Sie beobachtete Theo. Er hielt ihr einen. Scheck entgegen. Sie streckte die Hand aus, und er gab ihn ihr. Sie warf einen Blick darauf, um die Summe zu überprüfen. Ja, einhunderttausend Pfund, zahlbar an Leandra Ross. Ausgestellt auf das persönliche Konto von Th. Atrides bei einer äußerst renommierten Londoner Bank. Sie holte tief Luft. Dann zerriss sie den Scheck in winzige Stückchen, die sie durch die Finger auf den Boden rieseln ließ. „Sie ...", ihre Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, „... sind wahrhaftig der verabscheuungswürdigste Mensch, der mir jemals untergekommen ist!" Ihre Brust hob und senkte sich vor Zorn, den sie nur mühsam im Zaum hielt. „Wie können Sie es wagen, mir Geld anzubieten? Wie können Sie es wagen?" Ihre Stimme wurde lauter. „Ich kann nicht glauben, dass Sie und Demos irgendwelche
gemeinsamen Gene besitzen! Wie ist es möglich, dass er mit jemandem verwandt ist, der so niederträchtig ist wie Sie?" Sie war fuchsteufelswild. Theo hatte nicht nur angenommen, sie sei käuflich, sondern ihr auch noch unterstellt, sie habe sich ihm an den Hals werfen wollen! Wütend und giftig fauchte sie: „Und nur zu Ihrer Information: Ich trage diesen Bademantel einzig und allein aus dem Grunde, weil ich nichts anderes habe! Ihr netter Großvater hat sich nämlich nicht die Mühe gemacht, mir extra einen Koffer zu packen! Also schmeicheln Sie sich bloß nicht damit, dass ich dieses grauenvolle Ding Ihretwegen angezogen habe! Ich würde Sie nicht einmal anfassen, wenn Sie mir auf einem Silbertablett serviert würden, mit einem Apfel im Mund! Sie sind der verachtungswürdigste, hassenswerteste Mensch, dem ich je begegnet bin!" Mit wutverzerrtem Gesicht wich sie vor ihm zurück, wobei sie ihm einen vernichtenden Blick zuwarf. An der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. „Fahren Sie zur Hölle, Theo Atrides! Und schmoren Sie dort bis in alle Ewigkeit!" Dann stürmte sie hinaus und schlug die Tür so heftig hinter sich zu, dass der gesamte Raum bebte. Theo stand da und schaute auf die Papierfetzen, die um ihn her auf dem Boden verstreut lagen. Vor Zorn hatte er den Mund zusammengepresst. Gleichzeitig schüttelte er ungläubig den Kopf. Mit hochgezogenen Schultern saß Leandra in ihrem Zimmer auf dem Bett, verletzt und wütend zugleich. Ihr war elend bis ins tiefste Innere. Was für ein gemeiner, niederträchtiger Kerl dieser Mann doch war! Ihr Geld anzubieten in dem Versuch; sie abzufinden! Und als ihm dies nicht gelungen war, da hatte er seine sexuelle Ausstrahlung spielen lassen, und sie war wie Butter in seinen Händen gewesen ... Sie stöhnte. Nein, sie durfte nicht daran denken, dass sie einfach so dagestanden und zugelassen hatte, dass er sie streichelte... sie anfasste, als sei sie ein lebloses Stück Stoff Heiße Röte stieg ihr ins Gesicht. Sie hasste sich selbst dafür. Wie konnte es angehen, dass ihr Körper auf einen Mann wie Theo Atrides derartig erregt reagierte? Einen Mann, der sein Vermögen dazu benutzte, sich aus allen Schwierigkeiten herauszuwinden, und nichts Schlimmes dabei fand! Einer, der glaubt, Frauen seien käuflich, dachte sie. Und der auch glaubt, er könne mich kaufen! Wut trat nun an die Stelle ihrer Beschämung. Das war schon besser! Zorn und Abscheu gegenüber Theo Atrides zu empfinden war wesentlich sicherer. Alles andere war viel zu gefährlich. Böse erinnerte sie sich daran, wie er ihr mit verächtlich gekräuselten Lippen einhunderttausend Pfund als Abfindung angeboten hatte. Ja, das war die Seite von Theo Atrides, an die sie denken musste, und an nichts anderes! Mit diesem Bild vor sich, riss sie sich den vermaledeiten Seidenbademantel vom Leib und schleuderte ihn in eine Ecke. Das exklusive Designeretikett daran war ihr gleichgültig. Sie hasste diesen Stofffetzen. Dass dieser Schuft annehmen konnte, sie habe das Ding absichtlich für ihn angezogen! Erbost schlug sie die Bettdecke zurück und kroch zwischen die Laken. Von der Welt da draußen hatte sie für heute wahrlich genug. Von dieser verfluchten Insel, und ganz besonders von dieser tückischen Schlange, die sie heute Abend in Versuchung geführt hatte. Die Sonne warf schmale Lichtstrahlen über die kühle, schattige Terrasse an der Vorderfront der Villa. Es war früh am Morgen, und ein Hauch von Herbst hing in der Luft, selbst in dieser warmen Klimaregion. Tautropfen glitzerten auf den aromatisch duftenden Pflanzen, die entlang der Steinfliesen wuchsen, und auf dem Weinlaub der Pergola. Theo ließ den Blick über sein Inselreich schweifen. Zwar machte es nur einen Bruchteil
seines Besitzes aus, aber es war ihm lieb und teuer. Er hatte es vor vielen Jahren gefunden, als sein Herz noch immer schmerzte von der Wunde, die ihm noch vor dem schrecklichen Tod seiner Eltern zugefügt worden war. An jenem furchtbaren Tag vor acht Jahren, als ihr Flugzeug in das schimmernde Ägäische Meer gestürzt war. Inzwischen war es der Ort, an den er kam, um Frieden zu suchen, aber keine Einsamkeit. In all den Jahren, seit er gezwungen gewesen war, die Leitung des Atrides-Konzerns zu übernehmen, hatte er die Insel als den einzigen Ort genutzt, der es ihm ermöglichte, dass er seinen kurzen, lustvollen Affären in privater Zurückgezogenheit nachgehen konnte. Ich sollte öfter allein herkommen, dachte er. Hier gab es eine Schönheit, eine Abgeschiedenheit und Zeitlosigkeit, die ihm gut tat. In Gedanken wanderte er zurück zu all den Frauen, die er mit hierher gebracht hatte. Sie waren so sorgfältig ausgewählt und so eifrig darauf bedacht, ihm zu gefallen. So viele. Frauen aus seiner eigenen Welt. Reiche Frauen, Erbinnen, vermögende Geschiedene, Filmstars, Supermodels und Opernsängerinnen. Frauen, bei denen er darauf vertrauen konnte, dass sie ihre Liaison mit ihm so diskret behandelten, wie er es für notwendig erachtete. Frauen, die sich darüber bewusst waren, dass das, was er ihnen bot, nicht mehr als eine Liebelei war, ein kultiviertes, lustvolles Spiel. So vergänglich wie die Wellen, die sich am Strand brachen, und so unverfänglich, dass es niemals bis zu den Tiefen seiner Emotionen vordrang, sondern stets angenehm und seicht blieb. Hätte er mehr von ihnen erwartet, wären jene Frauen sicherlich enttäuscht gewesen. Sie waren hierher gekommen, Theo hatte sich mit ihnen vergnügt, und dann waren sie wieder gegangen. Und er hatte sich der nächsten zugewandt, und danach wieder einer anderen. In seiner Erinnerung verschwammen die Gesichter ineinander; ihre Körper verschmolzen zu einem. Stirnrunzelnd schaute er auf das Meer hinaus, das in diesen frühen Stunden des Tages so still und glatt wirkte. Im Geiste tauchte eine einzigartige Frau vor ihm auf, deren Gesicht ihm immer deutlich vor Augen blieb. Eine Frau, die nicht aus seiner Welt stammte. Er sah sie vor sich wie eine zweite Aphrodite, die sich als Schaumgeborene aus den unergründlichen Tiefen des Meeres erhob. Sie leuchtete wie helles Gold, ihre Haare wie ein Wasserfall, ihre schönen Glieder seidig schimmernd, von der frühen Morgensonne geküsst, ihre Brüste wie süße Blumen, die darauf warteten, gepflückt zu werden. So viel Schönheit! Einen Augenblick lang stockte ihm der Atem. Doch er riss sich zusammen. Nein, sie ist nichts für mich! Es ist unmöglich! Zahl sie aus und sieh zu, dass du sie loswirst! Theos Gesicht wurde angespannt. Aber sie wollte das Geld nicht annehmen, das er ihr geboten hatte! Sie hatte es ihm entgegengeschleudert, als wäre es Gift. Warum? Warum hatte sie das getan? Wollte sie versuchen, noch mehr herauszuschlagen? War es das? Oder ist es für sie tatsächlich eine Beleidigung? Einmal da, ließ sich der Gedanke nicht mehr vertreiben -gleichgültig, wie unbehaglich Theo sich dabei fühlte. Er wollte nicht, dass Leandra Ross imstande war, es als Beleidigung aufzufassen, wenn man ihr einhunderttausend Pfund anbot, damit sie ihren Geliebten aufgab und davon absah, Milo für das, was er ihr angetan hatte, gerichtlich verfolgen zu lassen. Theo wollte nicht, dass sie zu solchem Anstand fähig war! Es wäre ihm viel lieber, sie als käuflich und habgierig betrachten zu können. Aber weshalb? Wieso war es ihm so wichtig, dass sie jemand sein sollte, den er verachten konnte? Die Antwort war ihm augenblicklich klar.
Verachtung würde ihn vor seinem Begehren ihr gegenüber bewahren ... Leandra zog ihre Kleider an. Sie waren verknittert und schmutzig, doch sie achtete nicht darauf .Jedenfalls waren sie gut genug, um damit nach Athen zurückzufliegen. Nur das zählte. Mit eiserner Entschlossenheit konzentrierte sie sich auf das Einzige, was sie noch aufrechterhielt - nämlich, dass sie in wenigen Stunden in Athen und auf dem Weg nach Hause sein würde. Sie machte ihr Bett ordentlich, vergewisserte sich, dass das Badezimmer sauber und aufgeräumt war, griff schließlich nach ihrer Umhängetasche und ging hinaus auf die Terrasse. Dort würde sie warten, bis Theo Atrides erschien, und dann würde sie sich so lange an seine Fersen heften, bis sie sicher im Helikopter saß und diese verfluchte, grässliche Insel hinter sich ließ. Dieser Ort sah zwar aus wie das Paradies, aber das täuschte. Die Sonne stand bereits recht hoch. Mit dem nahenden Herbst wurden auch die Tage kürzer, doch die Temperatur war noch immer angenehm. Als Leandra die Wärme auf ihrer Haut spürte, empfand sie plötzlich ein kurzes Bedauern, dass sie diesen Ort verlassen würde. Rasch wehrte sie das Gefühl jedoch ab. Gleichgültig, wie schön diese Insel auch war, sie musste von hier fort, so schnell wie möglich. Am gegenüberliegenden Ende der Terrasse, wo sich die Pergola befand, saß Theo Atrides bereits am Frühstückstisch. Er telefonierte und gestikulierte dabei mit kurzen, scharfen Handbewegungen. Wieder einer seiner Lakaien, der heruntergeputzt wird, dachte Leandra säuerlich und ging auf weichen Sohlen zu ihm. Nun, ihr sollte es egal sein. Sie würde sowieso kein Wort mit dem werten Mr. Theo Atrides wechseln. Der einzige Grund, dass sie sich überhaupt in seine Nähe begab, war der, dass sie keine Lust hatte, sich das Frühstück entgehen zu lassen. Sie trat an den Tisch, zog einen Stuhl hervor und setzte sich. Dann griff sie gleichzeitig nach der Kaffeekanne und einer Tasse, ohne ihrem Gastgeber auch nur einen Blick zu gönnen. Außerdem war Theo Atrides noch immer damit beschäftigt, seinen unglücklichen Angestellten in schroffem Ton abzukanzeln. Leandra nahm sich Brot, Butter und Honig und schaute dann entschlossen zum Strand und dem dahinter liegenden Meer hinunter. Mit einem letzten knappen Befehl beendete Theo das Gespräch und legte das Telefon zur Seite. Zum Teufel noch mal! Das hat mir gerade noch gefehlt! dachte er ärgerlich. Noch eine Krise, um die ich mich kümmern muss! Der Direktor seiner amerikanischen Niederlassung hatte völlig unvermittelt seine Kündigung eingereicht. Jetzt musste Theo den heutigen Tag damit verbringen, einen Ersatz für ihn zu finden und sich mit der unvermeidlichen Menge von Finanzjournalisten, Wall-Street-Analysten, Investoren, Großkunden und Lieferanten he rumzuschlagen, die alle wissen wollten, welche Maßnahmen er diesbezüglich zu ergreifen gedachte. Theo hatte gerade seinem Mediendirektor eine scharfe Standpauke darüber gehalten, dass er erst durch den mitternächtlichen Anruf des Herausgebers einer bekannten Wirtschaftszeitung aus New York, der ihn um einen Kommentar gebeten hatte, von der bevorstehenden Kündigung erfahren hatte. Mit finsterer Miene starrte er nun auf die Person, die für das zweite gegenwärtige Durcheinander verantwortlich war. Nach der Art und Weise zu urteilen, wie Leandra Ross ihn ignorierte, war sie noch immer genauso überheblich wie gestern Abend. Okay, diese Sache werden wir jetzt gleich klären, sagte er sich. „Miss Ross ..." Mit erhobenen Augenbrauen wandte sie sich ihm zu. Theos Gesicht war verschlossen. Gut, das war ganz in ihrem Sinne. Leandra nahm einen ähnlich unbeteiligten Ausdruck an. Noch einmal würde sie ihre Selbstbeherrschung ihm gegenüber nicht verlieren. Sie würde gelassen und würdevoll bleiben, gleichgültig, wie sehr er
sie auch provozierte. Sie hatte nur ein Ziel im Auge - sobald es irgend möglich war, von dieser Insel zu verschwinden. Hoffentlich sogar sehr bald, dachte sie, als sie erleichtert feststellte, dass Theo Atrides seinen maßgeschneiderten Geschäftsanzug trug, so als beabsichtige er, direkt vom Flugfeld in eine Vorstandssitzung hineinzumarschieren. Ausgezeichnet! Das bedeutete, dass er in Kürze starten würde, worüber Leandra höchst erfreut war. Theo betrachtete sie einen Moment lang, und sie hielt seinem Blick ohne weiteres stand. „Sie haben die Nacht über Gelegenheit gehabt, Ihr Verhalten zu überdenken", erklärte er dann abrupt. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich weder Zeit noch Lust habe, diese unangenehme Angelegenheit weiter hinzuziehen! Ich werde Ihnen einen zweiten Scheck über die entsprechende Summe ausstellen. Und Sie werden mir den Gefallen tun, ihn ohne weitere Temperamentsausbrüche zu akzeptieren. Wenn wir in Athen ankommen, wird mein Anwalt Ihnen schriftliche Vereinbarungen vorlegen, die er gerade aufsetzt. Sie werden diese unterzeichnen und danach nach London zurückkehren, wo Sie Ihr Geld in Empfang nehmen können." Er hörte sich an, als würde er mit seiner Sekretärin sprechen anstatt mit der Frau, die er von seinem Cousin loseisen und zudem daran hindern wollte, einen fürchterlichen Skandal zu verursachen. Leandra antwortete in einem ebenso nüchternen, entschiedenen Ton. „Ich werde keine wie auch immer geartete Zahlung von Ihnen annehmen, Mr. Atrides", gab sie knapp zurück. „Nichts, was Sie sagen oder tun, wird etwas daran ändern. Trotzdem bin ich bereit, ein Papier zu unterschreiben, aus dem unzweifelhaft hervorgeht, dass Ihr Großvater für meine Entführung verantwortlich ist. Und ich werde Ihnen das Unterzeichnen des Dokuments nicht in Rechnung stellen!" fügte sie anzüglich hinzu. Über den Tisch hinweg sah sie ihn ruhig an. „Sehen Sie, Mr. Atrides, ich habe nämlich absolut kein Interesse daran, dass mein Name durch den Schmutz der Boulevardblätter gezogen wird. Denn dies würde mit Sicherheit geschehen, falls meine Entführung über die Polizei bekannt würde." Allein schon bei dem Gedanken, was die Regenbogenpresse aus der Geschichte machen würde, wurde Leandra eiskalt. „Aber", fuhr sie mit frostiger Stimme fort, „ich werde keinen Versuch Ihrerseits dulden, meine ... Beziehung ... zu Ihrem Cousin abzubrechen. Das geht niemanden außer ihm selbst etwas an. Ich kann nachvollziehen, dass es Ihnen schwer fällt zu verstehen, dass Sie sich mit Ihrem riesigen Vermögen nicht immer alles kaufen können, was Sie wollen. In diesem Punkt jedoch werden Sie sich wohl damit bescheiden müssen", setzte sie sarkastisch hinzu. Theo, der seinen Blick auf sie gerichtet hielt, hörte sie bis zu Ende an. Leandra war anders, vollkommen anders, als er sie bisher eingeschätzt hatte. Er hatte sie als anschmiegsames Sexkätzchen gesehen, als wilde Furie, als Verführerin im Neglige, und dann erneut als Zornesgöttin. Doch diese Leandra Ross jetzt war wiederum ganz anders - kühl, gelassen, ruhig und ... voller Würde. Auf sie angewandt, erschien ihm dieses Wort seltsam. Würde war etwas, das Theo normalerweise nicht mit Frauen wie ihr in Verbindung brachte. Und dennoch, wie sie dort saß, nur mit einem verknitterten Sweatshirt und Jeans bekleidet, die Haare locker im Nacken zusammengebunden, besaß sie die Haltung einer Aristokratin, ja sogar einer Königin. Eine Frau, die sich nicht kaufen ließ. Geld bringt ihren wahren Charakter zum Vorschein! hörte er im Geiste Milos höhnischen Spott. Nach allem, was Theo über Leandra Ross wusste, nach allem, was er über Frauen wie sie gelernt hatte, hätte sie seinen Scheck an sich reißen müssen, als wäre es die wertvollste Sache ihres Lebens, der eigentliche Grund für ihre Existenz.
Doch das tat sie nicht. Sie lehnte sein Geld ab. Und zwar bis auf den letzten Penny. „Also gut!" Er nickte, griff nach der Kanne und schenkte sich Kaffee ein. Als er merkte, dass Leandra ihn noch immer ansah, blickte er auf. „Das ist alles?" fragte sie. Er trank einen Schluck, ehe er die Tasse wieder absetzte. „Wollten Sie noch etwas sagen?" Sie presste die Lippen zusammen. Seine kühle, abweisende Art war ihr so fremd, dass sie dadurch verwirrt war. Doch rasch hatte sie sich wieder gefasst. Wenn er es so wollte, umso besser. „Ich wollte nur fragen, wann wir abfliegen. Ich bin bereit, sobald Sie fertig sind. Schließlich muss ich ja keinen Koffer packen", fügte sie spitz hinzu. „Ich werde demnächst aufbrechen", erwiderte Theo Atrides. „Aber Sie werden mich nicht begleiten." Leandra hatte das Gefühl, als habe er ihr einen Stoß in die Magengrube versetzt. „Was soll das heißen, ich werde Sie nicht begleiten? Natürlich komme ich mit!" Er schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, das ist unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Nun, da Sie mir klar zu verstehen gegeben haben, dass Sie kein Geld akzeptieren werden, um Demos zu verlassen, muss ich Sie darauf hinweisen, dass Sie im Augenblick nicht zu ihm in sein Apartment zurückkehren können. Mein Großvater wohnt dort, solange er sich einer medizinischen Behandlung sowie einigen Untersuchungen unterzieht. Ich bin mir sicher, Sie werden verstehen, dass es Demos völlig unmöglich wäre, sich Ihnen so zu widmen, wie Sie es wünschen, während er sich um seinen Großvater kümmert. Deshalb", fuhr er in demselben kühlen, distanzierten Tonfall fort, „muss ich Sie um Ihr Einverständnis bitten, noch eine Weile hier zu bleiben." Fassungslos starrte sie ihn an. „Auf gar keinen Fall!" rief sie aus. Theo hob die Brauen. „Wo wollen Sie denn hingehen, Miss Ross, wenn Sie in London ankommen, ohne Ihre Wohngemeinschaft mit meinem Cousin für eine Woche oder so wieder aufnehmen zu können? Hätten Sie meine finanzielle Unterstützung angenommen, dann wären Sie sicherlich in der Lage gewesen, schnell und problemlos eine vorübergehende anderweitige Unterkunft zu finden. Aber so? Haben Sie eigene finanzielle Mittel?" Leandra holte Luft, um ihm zu sagen, dass sie eine eigene Einzimmerwohnung besitze, in die sie zurückkehren könne. Doch dann schloss sie abrupt den Mund wieder. Wollte sie wirklich, dass Theo Atrides sich in ihr Privatleben drängte? Er würde bestimmt darauf bestehen, sie entweder selbst zu begleiten oder von einem seiner Angestellten hinbringen zu lassen. Und das Letzte, was sie wollte, war, dass dieser unerträgliche Mann auch nur das Geringste über ihr wahres Leben erfuhr! Wenn Milo Atrides bei Demos wohnte, konnte sie selbstverständlich nicht wieder dorthin zurückkehren. Und sich bei Chris einzuquartieren war ebenfalls zu riskant. Denn sie musste unter allen Umständen vermeiden, Theos Aufmerksamkeit in diese Richtung zu lenken. Was sollte sie also tun? Wohin konnte sie gehen? Theo, der ihr Zögern als Bestätigung seiner Annahme auffasste, dass sie bei ihrer Rückkehr nach London kein Dach über dem Kopf haben würde, erhob sich. „Das dachte ich mir. Sie sehen also, es wäre für alle Beteiligten wesentlich einfacher, wenn Sie noch eine Weile hier blieben, nicht wahr? Als mein Gast, Miss Ross, sonst nichts. Wie Sie ja bereits wissen, ist die Insel wunderschön ..." Er machte eine weit umfassende Geste mit der Hand. „Und Sie könnten Ihren Aufenthalt hier als eine Art Urlaub betrachten. Ihnen steht alles zur freien Verfügung. Warum nicht ein paar friedliche Tage ausspannen und die Sonne genießen? Nehmen Sie gerne alle Möglichkeiten hier in Anspruch! Ich bin mir sicher, dass Agathias passendes Badezeug für Sie finden wird." Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die golden an seinem schlanken Handgelenk glänzte. „Und jetzt müssen Sie mich leider entschuldigen. Ich kann nicht länger bleiben. Ich muss mich um einige dringende
geschäftliche Angelegenheiten kümmern." Damit ging er davon, hinunter zum Landeplatz, wo der Helikopter auf ihn wartete, den er schon am frühen Morgen gemeinsam mit Yiorgos aufgetankt hatte, sobald er von den schlechten Nachrichten aus den USA erfahren hatte. Die Konzentration, die die Instrumentenkontrolle von ihm erforderte, war Balsam für ihn. Sie hinderte ihn am Nachdenken. Und zwar weniger darüber, wer in aller Welt seinen Vertreter in New York ersetzen konnte, sondern vor allem darüber, was er mit Leandra Ross anstellen sollte. Es wurde kein guter Tag. Abgesehen davon, dass Theo verzweifelt nach einem Ersatz für seinen Direktor in den USA suchte, musste er sich außerdem noch mit Demos herumschlagen, der mehrmals anrief, weil er dringend auf eine Nachricht von Leandra wartete. Wird Demos denn nie Ruhe wegen seiner verschwundenen Geliebten geben? dachte Theo ärgerlich. Er benutzte die gegenwärtige Geschäftskrise als Ausrede, um das Gespräch mit seinem Cousin so kurz wie möglich zu halten. Er teilte ihm lediglich mit, dass Leandra Ross sich entschieden habe, noch ein paar Tage auf der Insel zu bleiben, um sich zu erholen. Weiter sagte er nichts, und schon gar nicht erwähnte er, dass er versucht hatte, sie mit Geld abzufinden. Und damit gescheitert war. Ein zusätzliches großes Ärgernis. Wenn sie keine Zahlung von ihm annahm, was brauchte es dann, um sie von Demos zu trennen? In dieser Hinsicht musste er sich wirklich schnell etwas einfallen lassen. Dies wurde noch drängender durch eine Einladung, die er nicht ablehnen konnte - nämlich zum Lunch mit Sofias Vater. Das war zwar das Letzte, wonach Theo momentan der Sinn stand, aber er durfte Yannakis Allessandros nicht noch mehr gegen sich und seine Familie aufbringen, als Demos es bereits getan hatte. Und zu allem Überfluss hatte der Mann auch noch seine Tochter mitgebracht! Freundlich und hübsch saß Sofia Allessandros still dabei, während Yannakis mit Theo über die Wirtschaftswelt diskutierte. „Sie wird Demos eine gute Frau sein, nai?" strahlte der liebevolle Vater. „Sie weiß, wann sie Männer übers Geschäftliche reden lassen muss, ohne sie abzulenken. Demos ist ein Glückspilz!" Theo stimmte dem zu, so wie Yannakis es erwartete, versicherte Sofia liebenswürdig, dass Demos bald in Athen sein würde, um sie zu ehelichen, und verabschiedete sich dann so bald wie möglich. Zu seinem Leidwesen stellte Theo fest, dass Sofias Fügsamkeit seine Laune nicht gerade verbessert hatte. Er ertappte sich dabei, wie er ihr Verhalten mit dem der temperamentvollen Frau mit den blitzenden Augen verglich, die er an diesem Morgen auf der Insel zurückgelassen hatte. Aber es war ein Fehler, an Leandra zu denken. Vor seinem geistigen Auge sah er sie ständig vor sich, in dem knappen Bademantel, in dem sie sich zur Schau gestellt hatte. Nachdenklich runzelte Theo die Stirn. Allerdings hatte sie dies offenbar nicht mit Absicht getan. Was hatte sie gesagt? Dass Milo sich nicht die Mühe gemacht habe, ihr einen Koffer zu packen? Theos Stirnfalte vertiefte sich. Er hielt die Hand empor, um seinen Finanzdirektor zu unterbrechen, mit dem er sich gerade im Gespräch befand. Dann rief er seine Sekretärin zu sich und teilte ihr leise und in knappen Worten mit, was er benötige. Mit ausdrucksloser Miene verließ sie pflichtgetreu den Raum, um ihren Auftrag zu erfüllen. Sofort danach wandte sich Theo wieder seinem Angestellten zu. Doch zu spät. Nun, da Leandra Ross ihm erneut ins Bewusstsein geraten war, konnte er den Gedanken an sie nicht mehr loswerden. Was sie wohl gerade macht? fragte er sich. Nimmt sie vielleicht ein Sonnenbad am Strand? In seiner Fantasie sah er sie sogleich auf dem Sand ausgestreckt, ihr Körper ein herrlicher Anblick. Nackt unter der Sonne wartete sie auf ihn ...
Rasch verbannte er diese verlockende Vorstellung aus seinen Gedanken und dämpfte die Reaktion seines Körpers darauf, indem er unbehaglich auf seinem Ledersessel hin und her rutschte. Als es Theo endlich gelungen war, einen neuen Direktor für seine amerikanische Niederlassung zu ernennen, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Er stand auf und schob seine Unterlagen zusammen. „Verzeihen Sie, meine Herren", beendete er seine letzte Sitzung an diesem Tag. „Ich habe noch eine dringende Verpflichtung. Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen in dieser Angelegenheit. Und ich denke, wir werden von jetzt ab gute Fortschritte machen. Morgen früh bei der Konferenzschaltung werden wir weiter beraten. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag." Gleich darauf verließ er mit langen Schritten das Büro, um seiner in der Tat äußerst dringenden Verpflichtung nachzukommen. Leandra lag am Strand, genau wie Theo es sich vorgestellt hatte. Nun, jedenfalls beinahe. Sie war nicht ganz nackt. Der entzückende kleine, runde Po war noch von einem winzigen Stückchen Stoff bedeckt. Doch das spielte weiter keine Rolle. Theo sah, dass sie schlief. Das rhythmische Heben und Senken ihres Oberkörpers verriet durch keinerlei Anzeichen, dass sie sich von seiner leisen Annäherung gestört fühlte. Eine Zeit lang stand er nur da und betrachtete sie. Freude und Befriedigung erfüllten ihn. Ja, das ist es! Das ist genau die richtige Entscheidung! Damit wäre das Problem gelöst! Mit kühler, scharfer Logik hatte Theo die Situation analysiert und die perfekte Lösung für das Dilemma "gefunden, mit dem er konfrontiert war. Nämlich wie er einen Keil zwischen Leandra Ross und Demos treiben konnte. Sie wollte kein Geld, was bei einer Frau wie ihr schon erstaunlich genug war. Also blieb ihm nur ein Ausweg. Sie hatte ja bereits eingestanden, dass sie für Demos nicht mehr als Zuneigung empfinde. Na, dachte er ironisch, dann wollen wir doch mal sehen, wie weit diese Zuneigung geht. Nicht besonders weit, daran bestand überhaupt kein Zweifel. Die Art, wie Leandra jedes Mal dahinschmolz, wenn er sie berührte, war der Beweis, dafür. Theo lächelte selbstzufrieden. Er wusste genau, was er tun musste. Und damit würde er jetzt auch gleich anfangen. Hier auf seiner Insel, an seinem Privatstrand, unterhalb seiner Villa. Er würde Leandra Ross in vollkommener, umfassender und verzehrender Weise zeigen, dass sie für ihn geschaffen war, und nicht für Demos! Und wenn er schließlich mit ihr fertig wäre, das Verlangen nach ihr endgültig überwunden hätte, dann würde sie nie wieder zu Demos zurückkehren. Niemals! Leandra träumte. Der Schlaf hatte sie beinahe im selben Moment übermannt, als sie sich auf einem Handtuch in den weichen Sand gelegt hatte. Der Frieden und die Stille der Insel waren so absolut, dass ihre gequälten Sinne Ruhe und Erholung fanden. Im Gegensatz zu Theo hatte Leandra eine ruhige Zeit verbracht. Ihre ursprüngliche Empörung darüber, hier zurückgelassen zu werden, war allmählich in ein Gefühl der Entspannung übergegangen, und der Stress der vergangenen Tage hatte in den langen Stunden immer mehr nachgelassen. Als sie sich unter der warmen ägäischen Sonne an den Strand gelegt hatte, war Leandra letztendlich doch froh, immer noch auf dieser Insel zu sein. Machte es denn tatsächlich einen Unterschied, ob sie sich nun noch ein bisschen länger hier auf diesem paradiesischen Fleckchen Erde aufhielt? Theo Atrides war verschwunden, zusammen mit seinem beleidigenden Scheckbuch. Es gab also keinen Grund, weshalb sie sich nicht einfach zurücklehnen und von den Strapazen der letzten Tage erholen sollte. Und genau das hatte sie auch getan. Zunächst hatte sie jedoch darauf bestanden, Agathias bei der Hausarbeit zu helfen, obwohl diese heftig versuchte, sie davon abzuhalten. Danach hatte sie ein leichtes Mittagessen auf der Terrasse zu sich genommen, das aus einem Salat
bestand, den sie gemeinsam mit der Haushälterin zubereitet hatte. Und schließlich, nachdem sie den schlichtesten der schicken Designerbikinis ausgewählt hatte, die Agathias für sie ge holt hatte, war Leandra zum Strand hinuntergegangen. Dort war sie mehrmals quer durch die kleine Bucht geschwommen, um sich abzukühlen. Dann hatte sie sich großzügig mit der Sonnencreme eingerieben, die sie in ihrem Badezimmerschränkchen gefunden hatte. Danach hatte sie das Handtuch auf dem warmen Sand ausgebreitet und es sich darauf bequem gemacht. Und nun träumte sie. Sie befand sich in einem Wirrwarr verschiedener Bilder: Der Tanzunterricht; der Schrecken ihrer Entführung; ja selbst das auffällige Brummen des Helikopters erdröhnte so laut, als wäre es real. Doch Leandra befand sich nicht in dem Hubschrauber, sondern war auf der Flucht vor ihm, während er sie dunkel und drohend über die Insel verfolgte. Plötzlich war er verschwunden, aber sie musste trotzdem weiterlaufen, fliehen ... vor etwas, dem sie sich nicht stellen konnte. Etwas, dem sie niemals nachgeben durfte. Doch dann stolperte sie, stürzte und fiel völlig außer Atem in den Sand. Während sie so dalag, verschwand auf einmal die Angst, gejagt zu werden. Die Bedrohung war fort, als habe es sie nie gegeben. Stattdessen vernahm sie eine sanft murmelnde Stimme, warm und beruhigend, und spürte eine Berührung, beinahe greifbar. Es war wie Finger, die zart an ihrer Wirbelsäule entlangfuhren. Leandra entspannte sich völlig und war nur noch erfüllt von dieser herrlichen Empfindung. Das sinnliche Streicheln schien über die anmutige Form ihres Rückens hinabzugleiten, beinahe schwebend, wie der Schaum der Wellen, und so leicht, dass sie es kaum wahrnahm. Und dann bewegte es sich wieder zurück zu ihrem Nacken, zu der sensiblen Stelle am Genick, wo unzählige Nervenenden plötzlich zu vibrieren schienen. Es war ein so überwältigend schönes Gefühl, dass sie einen leisen Seufzer ausstieß. Ihr war zu Mute, als würden sich die Umrisse ihres Körpers im Sand auflösen. Wieder seufzte sie. Die geschickten Finger berührten ihr Ohrläppchen, fuhren an ihrem Hals entlang und strichen ihr das Haar von der Wange. Im Traum spürte Leandra, wie ein Schatten sich über sie senkte und die warme Sonne ausblendete. Unwillkürlich überlief sie ein kleiner Schauer, der erneut all ihre Sinne zum Vibrieren brachte. Dann, zärtlich und besänftigend, spürte sie einen Kuss auf ihrer Schulter, langsam und sinnlich ... Sie schlug die Augen auf. Dies war kein Traum. Der Schatten über ihr war nur allzu real. Theo Atrides, der neben ihr ausgestreckt lag, hob seine Lippen von ihrem Rücken und nahm seine Hand von ihrem Nacken. Bestürzt fuhr Leandra empor. Zu spät bemerkte sie, dass das Bikinioberteil, dessen Verschluss sie aufgemacht hatte, zerknüllt auf dem Handtuch lag. Sie saß halb nackt vor Theo Atrides!
5. KAPITEL
Für einen Moment, der ihr wie eine Ewigkeit vorkam, saß Leandra regungslos da, nackt bis zur Taille, während Theo Atrides lässig auf die Ellbogen gestützt neben ihr lag. Er genoss den Anblick ihrer bloßen Brüste, der goldblonden Haare, die ihr über die Schultern fielen - eine zweite Aphrodite, die zu seinem Vergnügen an den Strand geworfen worden war. Ein hoher, erstickter Laut entrang sich ihrer Kehle. Mit einem Schrei des Entsetzens rappelte sie sich auf und presste das Handtuch an sich. Als sei der Leibhaftige höchstpersönlich hinter ihr her, stürzte sie zur Villa hinauf, um Zuflucht in ihrem Zimmer zu suchen. Keuchend erreichte sie die Terrassentür. Doch da wurde sie von hinten festgehalten, so dass ihre verzweifelte Flucht abrupt beendet war. „Leandra! Es ist alles okay! Ich wollte Sie nicht erschrecken!" Theo klang besorgt und belustigt zugleich. Er ließ die Hände an ihren Armen heruntergleiten. „Dummes Mädchen", meinte er amüsiert. Seine Belustigung brachte das Fass nun endgültig zum Überlaufen. Er findet es also komisch, ja? dachte Leandra bissig. Er findet es zum Lachen, dass mein Bikinioberteil abgerutscht ist und er sich an mir hat ergötzen können. Wutschnaubend riss sie sich von ihm los und rannte in ihr Zimmer, wo sie mit einem Weinkrampf auf ihrem Bett zusammenbrach. Die ganze Zeit hielt sie das Handtuch umklammert. Sie konnte es einfach nicht länger ertragen. Das war wirklich das Allerletzte! Sie hatte geglaubt, der Kerl sei endlich verschwunden. Dabei hatte er lediglich auf eine günstige Gelegenheit gewartet, um sie ... aufs Neue zu quälen! Dieses Mal war es ihm gelungen! Er hatte sie fast nackt gesehen. Die Tränen strömten ihr heiß und brennend über die Wangen. Das Handtuch an sich gepresst, saß sie zusammengekauert da und schluchzte laut. Theo war ihr gefolgt und mitten im Zimmer stehen geblieben. Er starrte sie fassungslos an. Seine gute Laune war schlagartig verpufft. Was war nur los mit dieser schrecklichen Frau? Weshalb hatte sie denn nun schon wieder einen hysterischen Anfall? Gereizt betrachtete er sie. Er verabscheute es, wenn Frauen weinten. Sie taten es nur dann, wenn sie ihn dazu zwingen wollten, etwas zu tun, das er nicht wollte. Das war ihm immer so abstoßend erschienen! Einzelne Tränen rollten wie Perlen über ihre Wangen hinab, natürlich ohne je das Make-up zu verderben. Ein diskretes Naseschnauben, ein paar herzzerreißende Schluchzer, und dann wurden die Augen behutsam mit einem Spitzentaschentuch abgetupft. Und zum Schluss ein unglückliches: Oh, Theo, wie kannst du nur so grausam zu mir sein? Der Tränenfluss hörte jedoch sogleich auf, sobald er ihrem Willen nachkam. Dann war alles wieder eitel Sonnenschein, ein Lächeln und Säuseln und liebster Theo!, bis er auch das satt hatte! Böse sah er Leandra an. Oh ja, sie weinte! Und wie! Die Tränen liefen ihr in Strömen über die Wangen. Er zog die Brauen zusammen. Aber sie sah nicht so aus wie die Frauen sonst, wenn sie das in seiner Gegenwart taten. Leandras Augen waren rot und geschwollen. Tränen tropften an ihrem zitternden Kinn herunter, und auch ihr Schluchzen und Naseschnauben war nicht hübsch und zierlich. Stattdessen stieß sie heftige, keuchende Laute hervor und schniefte vernehmlich, während sie sich an dem Handtuch festklammerte, als sei es ein Rettungsring. Und noch immer liefen ihr die Tränen unaufhörlich übers Gesicht. Theo betrachtete sie. Sie sah elend aus, so viel war sicher! Das Verlangen nach ihr, das ihn die ganze Nacht und den ganzen Tag über gequält hatte, war vollkommen vergessen. Eine Weile beobachtete er sie. Sie schien tatsächlich außer sich zu sein. Er wartete darauf, dass sie ihm verstohlene Blicke zuwarf, um seine Reaktion zu überprüfen, doch das geschah nicht. Ihr Schluchzen wurde lediglich leiser, klang dafür aber umso unglücklicher.
Ohne sich bewusst zu sein, was er tat, nahm Theo ein Taschentuch aus seiner Brusttasche. Es war aus glänzender weißer Seide und mit einem Monogramm versehen. Er schüttelte es aus und trat ans Bett. „Hier", sagte er schroff und hielt Leandra das Taschentuch hin. Ohne ihn anzusehen, ergriff sie es und wischte sich damit heftig die Augen. Danach schnaubte sie sich laut die Nase, wobei sie noch immer dieses lächerliche Handtuch an sich presste. Sie schniefte wieder und rieb sich mit den Händen über die tränenverschmierten Wangen, während sie das durchnässte Taschentuch zusammenknüllte. „Ich werde es auswaschen", erklärte sie mit erstickter Stimme. Theo machte eine abwehrende Handbewegung. Er schaute Leandra an. Sie sah grauenhaft aus - das Gesicht fleckig, die Haut feucht und gerötet und ihre Augen trübe und rot unterlaufen. Sie war meilenweit entfernt von dem verwöhnten kleinen Sexkätzchen, das an jenem Abend im Bankettsaal des Hotels an Demos' Arm gehangen hatte. Und wenn er daran dachte, wie er seine Hand unter dieses hauchdünne Nichts geschoben hatte, das sie gestern Abend getragen hatte, oder an ihren sonnengebräunten Körper vorhin am Strand - so schien das alles noch viel weiter entfernt zu sein! Theo runzelte die Stirn. In ihm regte sich eine Empfindung für diese Frau, die er nicht recht zuordnen konnte. Es war ein Gefühl, das er nicht gewohnt war, und schon gar nicht Frauen gegenüber. Plötzlich jedoch wurde es ihm klar. Er hatte Mitgefühl mit ihr. Er machte einen Schritt auf sie zu, hielt dann aber wieder inne. Er merkte, dass er die Tränen von den Wangen wischen und Leandra in die Arme nehmen wollte. Nicht um sie zu küssen oder zu liebkosen, sondern lediglich um sie zu trösten, ihr zu sagen, dass alles in Ordnung sei. Dass es ihm Leid tue und dass er sie nicht habe zum Weinen bringen wollen. Erstaunt blieb er stehen. Wann habe ich das letzte Mal eine Frau umarmt, nur um sie zu halten, aus Zuneigung und Freundlichkeit? fragte er sich. Aber warum sollte er für Leandra Ross freundliche Gefühle hegen? Schließlich hatte sie ihm bisher nichts als Ärger und Probleme bereitet. Es war nur so, dass sie so verdammt elend aussah, wie sie dort auf dem Bett hockte, mit gesenktem Kopf und verschwollenem Gesicht überhaupt keine Schönheit... „Warum haben Sie geweint?" Theos Frage klang ein wenig schroffer als beabsichtigt. Leandra zuckte leicht zusammen, fasste sich jedoch schnell wieder. „Weil ich Sie hasse!" gab sie heftig zurück. „Sie lassen mich einfach nicht in Ruhe!" Er war ein wenig verblüfft, doch dann lächelte er amüsiert. „Wenn Sie wollen, dass ein Mann Sie in Ruhe lässt, paidi mou, dann sollten Sie nicht entflammen, wenn er Sie berührt." Seine Belustigung verstärkte sich. „Genauso wenig sollten Sie sich mir wie eine Meeresnymphe präsentieren, nackt und mit Brüsten so weiß wie Schaum, gekrönt von tiefstem Korallenrot..." Zu seinem Erstaunen überzog eine dunkle Röte ihr Gesicht. Einen Augenblick lang glaubte Theo, sich zu täuschen, denn eine Frau wie Leandra Ross würde doch niemals verlegen sein. Doch es war so, und es stand ihr ebenso wenig wie das Weinen, sondern machte sie höchst unattraktiv. „Warum schämen- Sie sich?" fragte er verständnislos. „Weil ich Ihre Brüste gesehen habe?" Die Röte breitete sich über ihren Nacken und ihr Dekollete aus. „Aber wieso?" Leandra sprang auf, kniff die Augen zusammen und riss sie dann weit auf. „Weil es mir peinlich ist!" schrie sie ihn an, als sei er unglaublich dumm, ihr eine solche Frage zu stellen. Ungläubig sah er sie an. „Das muss es nicht", sagte er. „Sie haben wunderschöne Brüste, paidi mou. Prachtvoll.
Hoch und fest. Voll, aber nicht zu schwer. Wie aus Perlmutt. Sie sind perfekt. Dafür brauchen Sie sich wirklich nicht zu schämen! Ich habe selten so etwas gesehen." Leandra blieb der Mund offen stehen. Er dachte wirklich, dass es ihr unangenehm wäre, Brüste zu haben, die seinen Ansprüchen nicht genügen könnten! Jetzt hatte es ihr wahrhaftig die Sprache verschlagen. Theo hatte die Augenbrauen zusammengezogen. „Ich möchte Ihnen etwas sagen", erklärte er. Sie wappnete sich. Was kam jetzt? Eine schmeichelhafte Versicherung, dass auch der Rest ihres Körpers durchaus seinen Ansprüchen genüge? Ein hysterisches Lachen blieb ihr in der Kehle stecken. Was hatte er hier überhaupt verloren? Wieso war er zurückgekommen? Warum war er nicht in Athen oder dort, wo er normalerweise wohnte, wenn er nicht gerade Leute zu kaufen versuchte, damit sie das taten, was er wollte? Wenn ich gewusst hätte, dass er hierher zurückkommt, dann hätte ich heute Morgen seinen Hubschrauber gestürmt und darauf bestanden, dass er mich zum Festland bringt! dachte sie wütend. Theo holte tief Luft. Das, was er vorhatte, ging ihm gegen den Strich, denn er musste nur selten um Verzeihung bitten. Aber jetzt war dieser Fall eingetreten, und er wollte es hinter sich bringen. „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen", sagte er und sah sie an. Auch wenn er keine große Lust dazu verspürte, war ihm dennoch klar, dass er es tun musste. Jede Frau, die einhunderttausend Pfund abgelehnt hatte, wollte, dass ihre Geste gebührend gewürdigt wurde. Theo war großmütig. Wenn es notwendig war, konnte er auch selbstkritisch sein. Und wenn Leandra Ross daraufhin endlich ihre Rolle als Furie aufgab und wie eine normale Frau reagierte, die seine Aufmerksamkeiten genoss, anstatt dagegen anzukämpfen, dann war es die Sache auf jeden Fall wert. Mit zusammengezogenen Brauen betrachtete er sie. Sie starrte ihn noch immer an. Ihre Röte verblasste allmählich, und ihre Schönheit kehrte zurück. Doch den Ausdruck in ihrem Gesicht vermochte er nicht zu deuten. Misstrauisch behielt er sie im Auge. Ob sie wohl gleich wieder aus irgendeinem unerfindlichen Grund explodieren würde? Noch nie hatte Theo eine Frau kennen gelernt, die derart leicht aus der Haut fuhr. Nicht einmal die Opernsängerin, mit der er einmal kurz zusammen gewesen war, hatte ein solch überschäumendes Temperament besessen. Nun, das wird sich wohl legen, sagte er sich. Bald, sehr bald sogar, würde Leandra Ross unter seinen Berührungen schnurren wie ein Kätzchen ... Im Augenblick allerdings bedachte sie ihn mit einem argwöhnischen Blick. Was ist denn jetzt schon wieder? dachte er verärgert. „Entschuldigen?" brachte sie schließlich hervor. „Sie wollen sich bei mir entschuldigen?" Seine Lippen wurden schmal. Sie hörte sich an, als habe er gerade gesagt, dass er ins Kloster gehen oder Posaune spielen wolle. „Ja", erwiderte er gepresst, holte noch einmal tief Atem und begann: „Gestern Abend ... und heute Morgen ... da fühlten Sie sich gekränkt, als ich Ihnen Geld anbot. Bitte, glauben Sie mir, es lag mir fern, Sie zu beleidigen! Ich dachte lediglich, dies sei eine Möglichkeit, die Sie für ... akzeptabel halten würden. Aber da habe ich mich offensichtlich geirrt. Ich denke, die Sache ist damit für uns beide erledigt." So, das dürfte genügen! fand Theo und fuhr fort, um sein nächstes Ziel in Angriff zu nehmen. Seine Stimme veränderte sich. „Nun ... Sie erwähnten heute Morgen, dass Sie dringend Kleider zum Wechseln brauchen. Ich habe dieser unangenehmen Situation abgeholfen, und sobald Sie sich ... frisch gemacht haben, können Sie sich aussuchen, was Ihnen gefällt! Ich denke, dass bei den Sachen, die ich mitgebracht habe, etwas dabei sein wird, was Ihnen zusagt." Er schaute auf. seine Uhr. „Vielleicht möchten Sie mir nachher bei einem Drink
Gesellschaft leisten? Sagen wir, in einer Stunde? Auf der Terrasse? Oh ...!" Auf dem Weg zur Tür hielt er inne, da ihm plötzlich noch etwas einfiel. „Es müssten auch alle Toilettenartikel dabei sein, die Sie benötigen. Ich habe meiner Sekretärin gesagt, welcher Typ Sie sind. Ich hoffe also, dass die Auswahl Ihren Wünschen entspricht." Ein letztes Mal blickte er zurück. Leandra stand noch immer regungslos wie eine Statue. „Leandra", meinte Theo sanft. „Bitte, entspannen Sie sich! Ab jetzt wird sich zwischen uns alles ändern. Das verspreche ich Ihnen." Sein Blick wurde weich. Sie sah wirklich äußerst anziehend aus, wie sie so dastand mit diesem verlorenen Ausdruck in ihrem Gesicht, verwirrt und voller Argwohn. „Vertrauen Sie mir!" sagte er. Dann war er fort. Ihm vertrauen! Das hatte dieser Mistkerl doch gerade gesagt! Leandra schwankte, ob sie erneut in Tränen ausbrechen oder sich stattdessen mit einem ausgesprochen rüden Schimpfwort Luft machen sollte. Theo Atrides vertrauen? Eher wäre sie noch bei einer Schlange bereit dazu! Leandra schüttelte den Kopf. Sie war erschöpft, schockiert und durcheinander. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sekundenlang stand sie einfach nur da. Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus und beschloss, unter die Dusche zu gehen. Auf bloßen Füßen lief sie ins Badezimmer. Das heiße Wasser belebte zumindest ihre Sinne, und die gewohnten Bewegungen des Einseifens und Haarewaschens übten eine beruhigende Wirkung auf sie aus. Als sie schließlich aus der Kabine trat und sich abzutrocknen begann, fühlte sie sich wesentlich besser und wieder in der Lage, klare Gedanken zu fassen. Was soll ich jetzt tun? überlegte sie. Theo Atrides ist zurück; und man braucht kein Genie zu sein, um zu wissen, weshalb. Die kleine Szene am Strand ist ziemlich eindeutig gewesen. Ihre Züge wurden hart. Oder steckte noch mehr dahinter? Vielleicht war das ja nur die nächste Runde in dem Bestreben, Demos unter die Haube zu bringen? Nun, wenn es so war, würde sie dem verehrten Mr. Atrides eines ganz klar zu verstehen geben. Sie mit Geld abzuspeisen funktionierte nicht. Und wenn er glaubte, sie würde ihm jetzt willenlos in die Arme sinken ... und in sein Bett... und Demos dabei vergessen, dann hatte er sich gewaltig geschnitten! Sie lief hinaus ins Schlafzimmer - und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Agathias war dort und hängte gerade die letzten Stücke einer scheinbar kompletten Garderobe auf. Ein Stapel flacher, leerer Kartons und Tüten renommierter Modehäuser lagen auf dem Bett verstreut. Sobald Agathias Leandra bemerkte, drehte sie sich zu ihr um und strahlte sie an, wobei sie auf die schönen Kleider zeigte, die sie gerade im Schrank verstaute. Begeistert deutete Agathias außerdem auf einen enorm großen Kosmetikkoffer, der auf der Kommode stand. Dann sammelte sie rasch Leandras Sachen ein, gab ihr zu verstehen, dass sie diese waschen wolle, und ging hinaus. Leandra war viel zu verblüfft, um sie aufzuhalten. Frisch geduscht und rasiert und in bequemer Freizeitkleidung trat Theo voller Elan unter die Pergola hinaus. Er war ausgezeichneter Laune. Zwar hatte Leandra ihn mit all ihrem Weinen einmal mehr aus der Fassung gebracht, aber wahrscheinlich lag das nur an ihren Hormonen. Frauen neigten eben dazu, sich über Nichtigkeiten aufzuregen - und wer wusste schon, weshalb? Schließlich hatte sie auch allen Grund gehabt, sich aufzuregen. Aber damit war es nun vorbei. Ab jetzt würden sie nur noch Schönes miteinander erleben, genau wie er es zu ihr gesagt hatte. Sicherlich hatte sich Leandras Stimmung unterdessen merklich gebessert. Agathias hatte bestimmt die neuen Kleider für sie ausgepackt, und Leandra würde im siebten Himmel schweben! Das Budget, mit dem er seine Sekretärin betraut hatte, war sehr großzügig bemessen gewesen. Und wenn sie erst das sah, was er ihr mitgebracht hatte, würde ihr dies
den Atem rauben. Er hatte es selbst noch einmal in Augenschein genommen, ehe er es in die Schublade des Sideboards im Wohnzimmer gelegt hatte. Es war in der Tat ein auserlesenes Stück! Wie für sie geschaffen! Abwesend prüfte er die Temperatur der Champagnerflasche, die in einem Eiskühler auf dem Tisch stand. Für welches der Abendkleider wird sie sich wohl entscheiden? fragte er sich. Er hatte extra mehrere bestellt, und da das exklusive Modegeschäft, in dem er bevorzugt einkaufte, nichts in der Art des provokanten Outfits führte, in dem Demos sie zu der Gala mitgenommen hatte, würde sie in jedem Fall atemberaubend aussehen, gleichgültig, welches Kleid sie auch bevorzugte. Theo sog tief die betörend duftende Luft ein und genoss die Vorfreude auf die Annehmlichkeiten des bevorstehenden Abends. Wie ruhig und friedlich es hier war! Nur die Grillen zirpten in den Büschen. Er schaute hinunter aufs Meer, das nun, am Ende des Tages, dunkler aussah. Was konnte sich ein Mann mehr wünschen als einen solchen Ort? Und eine schöne Frau dazu ... Ein angenehmes Wohlgefühl erfüllte ihn. Schritte auf der Terrasse ließen ihn aufhorchen. Erwartungsvoll wandte er sich um. Doch als er die Frau erblickte, die sich ihm näherte, war er verdutzt. Was in aller Welt trug sie denn da? Jedenfalls kein Abendkleid. Als Leandra näher kam, sah er, dass sie einen Strandsarong trug. Die lange Stoffbahn im Dschungelmuster bedeckte sie von der Taille bis zu den Knöcheln. Aber anstatt dazu ein passendes Bikinitop zu tragen, hatte sie sich für ein langärmliges, hoch geschlossenes, weiß und blau gestreiftes Baumwollhemd entschieden, das eigentlich zu einer Caprihose gehörte! Mit dem Sarong zusammen sah es völlig daneben aus! Stirnrunzelnd dachte Theo: Hat die Frau denn überhaupt keinen Sinn für Mode? Während er ihre Erscheinung weiter verblüfft musterte, wurde ihm bewusst, dass sie noch etwas Schlimmeres getan hatte, als einen Rock mit einem vollkommen verkehrten Oberteil zu kombinieren. Sie hatte ihre Haare unter einem Schal versteckt, dessen Farben sich mit dem bunten Dschungelmuster des Sarongs ganz und gar nicht vertrugen. Und zudem hatte sie nicht das geringste Make-up aufgelegt. Leandra platzte vor Lachen beinah laut heraus, als sie Theos bestürzte Miene sah. Oh ja, das hatte er sich so gedacht, dass sie sich in eins von diesen engen, figurbetonten, ärmellosen und tief ausgeschnittenen Abendkleidchen reinquetschte, mit denen er sie so reichlich ausgestattet hatte! Genau das Richtige für ein bisschen Geschmuse am späteren Abend! Tja, Pech gehabt, es würde nicht dazu kommen - von allem anderen ganz zu schweigen! Sobald sie den Tisch erreicht hatte, nahm Leandra Platz und betrachtete angewidert die Champagnerflasche. Ach so, er wollte sie also erst abfüllen. Das war der Plan,, ja? Von wegen, Freundchen! „Ich fürchte, Mr. Atrides", erklärte sie spröde, „dass ich mir gar nichts aus Champagner mache. Und ich fürchte auch, dass ich schlechte Neuigkeiten für Sie habe. Ich habe nämlich nicht die geringste Absicht, als Ihre Urlaubsunterhaltung herzuhalten. Ich trage Teile der Garderobe, die Sie mir gekauft haben, einzig und allein aus dem Grund, weil ich selbst keine Kleidung zum Wechseln habe. Und ich bin auch nur deshalb hier, weil ich keine Lust habe zu verhungern. Ich lege keinen Wert auf Ihre Gesellschaft, und ich möchte so wenig davon mitbekommen wie nur irgend möglich. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?" Beim Sprechen hatte sie das Kinn gereckt. Ein ausgesprochen festes Kinn, fand Theo. Fest und energisch. Mit einem winzigen Grübchen darin, das durchaus zum Küssen verlockte. Doch er hörte zu, bis sie fertig war. Während ihrer kleinen Rede zuckte es amüsiert um seine Mundwinkel. Ja, dachte er, sie unterhält einen wirklich gut, diese Leandra Ross! Er war von ihrer Art aufrichtig angetan. All
die Legionen von Frauen, die ihn sonst so einfältig anlächelten und angurrten oder ihm aufreizende Schlafzimmerblicke zuwarfen, erschienen ihm jetzt todlangweilig! „Nun, ich muss sagen, ich stelle mit Erleichterung fest, dass Ihre höchst bizarre Kleiderzusammenstellung für diesen Abend einen bestimmten Zweck verfolgt", antwortete er, wobei er versuchte, ernst zu bleiben. „Aber wenn Champagner nicht nach Ihrem Geschmack ist, was hätten Sie denn gern stattdessen?" „Etwas Alkoholfreies", gab sie schroff zurück. Sie merkte, dass er sich bemühte, nicht zu lachen, und das ärgerte sie. Er sollte sich nicht über sie lustig machen. „Selbstverständlich", sagte Theo liebenswürdig. „Wenn Sie mich kurz entschuldigen würden?" Er verschwand im Wohnzimmer und kehrte gleich darauf mit einer gekühlten Flasche Mineralwasser und einem entsprechenden Glas zurück. „Ich habe welches mit Kohlensäure genommen, weil das ebenso funkelt wie Ihre Augen", meinte er. Wieder spielte ein amüsiertes Lächeln um seine Mundwinkel. Leandra wünschte, er würde sie einfach nur böse anschauen, so wie er es normalerweise immer tat. Nicht nur, weil sie sich ziemlich sicher war, dass er sich darüber lustig machte, wie sie seiner offenkundigen Absicht, sie zu verführen, Widerstand leistete. Vielmehr deshalb, weil Theo Atrides' Gesichtszüge, wenn seine Miene sich humorvoll erhellte, noch sehr viel attraktiver waren als gewöhnlich, wenn er die Rolle des einflussreichen Geschäftsmagnaten spielte. Finster sah Leandra ihn an, ehe sie an dem Wasser nippte, das er ihr eingegossen hatte. Er selbst schien nichts trinken zu wollen. „Kein Champagner für Sie?" erkundigte sie sich zuckersüß. „Es hat ja auch wenig Sinn, eine Flasche davon zu verschwenden, da ich Ihnen heute Abend nicht zur Verfügung stehen werde. Aber ich bin mir sicher, wenn Sie einen Ihrer Angestellten auf dem Festland anriefen, könnte der Ihnen einen Filmstar herüberschicken und ihn per Fallschirm hier abspringen lassen, da ich heute ja nicht als Dessert auf der Speisekarte stehe!" Theo Atrides lehnte sich zurück und schmunzelte. Er musste zugeben, dass er sich mit seinem Gast prächtiger unterhielt, als er erwartet hatte. Ein Glitzern trat in seine Augen. „Ach nein? Aber Sie dürfen nicht vergessen, meine reizende Leandra, dass die Nacht noch jung ist", meinte er. „Und es ist immer das Vorrecht einer Frau, ihre Meinung zu ändern! Wer weiß, was uns dieser Abend noch bringen wird? Und nun, wenn Sie es wünschen, lassen Sie uns hineingehen!" Er stand auf und wies mit einer Handbewegung auf die Esszimmertür. Steif erhob auch Leandra sich und ging ins Haus. Wenigstens kriegt er diesmal nichts von mir zu sehen, dachte sie mit grimmiger Befriedigung. Abgesehen von ihrem Gesicht und ihren Händen hatte sie nicht einen Zentimeter Haut entblößt. Sie war vollkommen bedeckt, vom Kopf bis zu den Knöcheln! Ihr war klar, dass sie lächerlich aussah und dass die Teile nicht zusammenpassten. Aber schließlich bestand der einzige Zweck dieser Auswahl darin, so viel wie möglich von ihr zu verhüllen, ihre Haare eingeschlossen. Sie setzte sich zu Tisch. Es gab wunderbar zart gekochtes Lammfleisch, und Leandra langte kräftig zu. Das Mittagessen war schon lange her, und die Inselluft schien ihren Appetit zu steigern. Von dem Wein jedoch, den Theo ihr einschenkte, nahm sie nur hin und wieder einen sparsamen Schluck. Ganz im Gegensatz zu ihrem Gastgeber, wie sie bemerkte. Obwohl er nicht übermäßig viel trank, sprach er der Flasche herzhaft zu, und es war offensichtlich, dass er den Wein genoss, der, wie Leandra vermutete, ein sehr guter Jahrgang war. Wieder eines der schönen Dinge des Lebens, mit denen er sich verwöhnte! Nun, ihr sollte es recht sein. Sie ertappte sich dabei, dass sie ihn während des Essens beobachtete. Der feine, olivgrüne Kaschmirpullover, den er trug, brachte seine gebräunte Hautfarbe hervorragend zur Geltung.
Leandra betrachtete Theos Gesicht mit der ausgeprägten Nase und dem breiten, lebhaften Mund. Seine nachtdunklen, glitzernden Augen mit den schweren Lidern begegneten von Zeit zu Zeit ihrem Blick. Die Unterhaltung verlief angenehmer als sonst. Und schlimmer als am Abend zuvor konnte es ja auch nicht mehr werden. Heute schien Theo Wert darauf zu legen, sie ein wenig aus der Reserve zu locken. „Erzählen Sie mir etwas von sich, Leandra!" forderte er sie auf, nachdem Agathias den Hauptgang serviert hatte und wieder hinausgegangen war. „Stammen Sie aus London?" Sie dachte an das Haus an der englischen Südküste, in dem sie aufgewachsen war. Nach dem Unfalltod ihrer Eltern hatte sie es geerbt, es jedoch als Ferienunterkunft vermietet, um ihr mageres Einkommen als Schauspielerin aufzustocken. „Ja", log sie, denn sie wollte nicht, dass Theo Atrides irgendetwas über sie wusste. „Und aus welchem Stadtteil?" „Ahm ... den kennen Sie sicher nicht." „Stellen Sie mich auf die Probe!" Sie zuckte die Achseln. „Wozu? Inwiefern wäre das von Interesse für Sie?" „Das nennt man Konversation, paidi mou. Das ist das, was Leute miteinander machen, wenn sie zusammen eine Mahlzeit einnehmen." „Ich nehme mein Dinner nicht mit Ihnen ein. Ich sitze nur zufälligerweise am selben Tisch wie Sie!" Erneut zuckte es um Theos Mundwinkel. Es würde bestimmt viel Spaß machen, sie zu zähmen. Bald, sehr bald, würde dieses fauchende Kätzchen in seinen Armen schnurren. Ruhig fuhr er fort: „Sie sind also aus London. Aber reisen Sie denn auch gern?" „Nur wenn ich nicht dazu gezwungen werde", entgegnete sie honigsüß. Er ignorierte ihren Seitenhieb. „Ich werde nächste Woche nach New York fliegen. Vielleicht hätten Sie ja Lust, mich zu begleiten?" Leandra hielt inne, eine volle Gabel in der Hand. „Nach New York?" wiederholte sie verständnislos. „Ja", bestätigte er in gelassenem Tonfall. „Kommen Sie mit mir!" Sein Blick ruhte auf ihr. Sie presste die Lippen zusammen. „Nein, danke!" Er lächelte und schien ihre Reaktion nicht übel zu nehmen. „Dann würde Paris Ihnen vielleicht mehr gefallen. Oder Mailand." Ein verschmitztes Funkeln trat in seine Augen. „Dort könnten Sie sich Ihre eigenen Kleider aussuchen, Leandra, da die, die ich Ihnen mitgebracht habe, ganz offenkundig nicht Ihrem Geschmack entsprechen." „Das bezweifle ich", erwiderte sie abweisend. „Außerdem werde ich nächste Woche wieder bei Demos in London sein." Im Augenblick hatte sie das Gefühl, dass selbst ein erfundener Liebhaber ihr als Schutz dienen könne. Trotz all ihres Widerstandes und ihrer Entschlossenheit, sich nicht der flüchtigen sexuellen Lust von Theo Atrides hinzugeben, fühlte sich Leandra irgendwie schwach. Er war gefährlich für sie - sogar sehr gefährlich. Und nun, da er auch seine Feindseligkeit ihr gegenüber aufgegeben hatte, musste sie umso mehr aufpassen. Zum Beispiel, wenn er lächelte, so wie jetzt. „Natürlich", stimmte er zu, doch seine immer noch funkelnden Augen zeigten ihr, dass er sich über ihre Antwort amüsierte. Sie wünschte, er würde sie nicht auf diese Weise ansehen, sondern wieder zu seinem unangenehmen Verhalten von vorher zurückkehren, damit sie ihn verabscheuen konnte. Selbstverständlich war sie von seiner augenblicklichen Haltung auch nicht gerade begeistert. Er war sich so sicher, dass sie ihm wie ein reifer Pfirsich in den Schoß fallen würde. Dennoch hatte sie Mühe, sich seiner Anziehungskraft zu entziehen. Der Kerl ist ja so davon überzeugt, dass er mich verführen kann! dachte Leandra.
Aber wäre es wirklich so schlimm, wenn er es täte? Wie aus dem Nichts kam ihr plötzlich dieser Gedanke. Entsetzt unterdrückte sie ihn jedoch sofort. Nein, natürlich durfte sie Theo Atrides nicht nachgeben! Wie konnte sie so etwas auch nur in Erwägung ziehen? Doch zu spät. Wie es wohl wäre, nicht mehr gegen ihn anzukämpfen, ihn anzusehen und sich endlich einzugestehen, was von Anfang an zwischen ihnen da gewesen war? Auf ihn zuzugehen, seine Arme um sich zu spüren, stark und zärtlich, sich ihm einfach hinzugeben und zuzulassen, dass er mit ihr machte, was er wollte ... Nein. Nein, nein und nochmals nein! Sie durfte es sich nicht einmal vorstellen! Das war viel zu gefährlich! Theo Atrides war kein Mann für sie. Und er würde es auch nie sein. Niemals. Erschüttert über ihren Selbstverrat, griff Leandra nach ihrem Weinglas und nahm einen tiefen Schluck daraus. Als sie es wieder abstellte, begegnete sie Theos Blick. Die Belustigung darin war geschwunden. Stattdessen war er plötzlich nur noch von einem verzehrenden Begehren erfüllt. Einen endlos langen Moment schauten sie einander nur an. Zwischen ihnen entstand eine so machtvolle Strömung, dass sie sich davon überwältigt fühlte. Er nickte langsam. „Ja", sagte er mit tiefer, ernster Stimme. „Sie können es leugnen, so viel Sie wollen, Leandra. Aber es ist da, und es wird auch nicht einfach verschwinden. Ganz egal, was Sie tun, um gegen mich anzukämpfen - selbst wenn Sie in Sack und Asche gingen, würde ich Sie trotzdem begehren. Und ich werde Sie auch bekommen." Verneinend schüttelte sie den Kopf. „Nein, Mr. Atrides. Das werden Sie bestimmt nicht." In seinen dunklen Augen blitzte es humorvoll auf, und ein amüsiertes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Nun ja, jedenfalls nicht, solange Sie darauf bestehen, mich Mr. Atrides zu nennen. Kommen Sie, ich heiße Theo! Sie müssen sich daran gewöhnen." Seine Stimme wurde noch tiefer und rauer, während seine Augen eindringlich und glühend auf ihr ruhten. „Und bis die Morgendämmerung anbricht, werden Sie meinen Namen in Ihrer Ekstase immer wieder ausgerufen haben, immer wieder, bis wir beide uns gänzlich verausgabt haben ..." Unwillkürlich sah sie es vor sich - ihre beiden Körper ineinander verschlungen, ermattet von der Leidenschaft, verschmolzen zu einem einzigen Wesen ... Theo erkannte es an ihrem Gesichtsausdruck. „Sehen Sie?" sagte er, und wieder wurde seine Stimme tief und leise. Hilflos schaute Leandra ihn an. „Warum kämpfen Sie gegen mich, Leandra?" fragte er eindringlich. „Ich bin doch nicht Ihr Feind. Und das war ich auch nie. Von mir haben Sie nichts zu befürchten, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Alles, was ich möchte, ist, Ihnen Freude und Vergnügen zu bereiten. Was ist daran so falsch?" Falsch ...? dachte sie verzweifelt. Alles daran war falsch! Wirklich alles! Er war viel zu gefährlich für sie. Warum konnte sie ihm gegenüber nicht einfach immun sein? Warum hatte sie immer das Gefühl, dass sie sich innerlich auflöste, wenn er sie so anschaute? Weshalb fing ihr Herz dann an zu pochen, fühlte und ihr gesamter Körper sich so unendlich schwach an? „Hören Sie auf, gegen mich anzukämpfen, Leandra, und lassen Sie es zu, dass ich Ihnen das Vergnügen schenke, denn ich weiß, dass Sie sich danach sehnen!" Sein Tonfall war leise und sinnlich. Leandra spürte, wie ihr das Blut wie flüssiges Feuer durch die Adern strömte und ihr jegliche Vernunft raubte. Sie versuchte, sich dagegen zu wehren, doch sie war außer Stände dazu. Gefangen von Theos Blick, fühlte sie sich ihm hilflos ausgeliefert. Was hatte es überhaupt für einen Sinn, gegen ihn anzukämpfen, und im Grunde auch gegen
sich selbst? Seit dem Moment, als sie Theo Atrides das erste Mal gesehen hatte, brannte ein Feuer in ihr, von dessen Existenz sie bisher nichts geahnt hatte. Und es zu löschen war ihr unmöglich. Sie hatte es versucht. Mit allen Mitteln! Sie hatte sich bemüht, ihn zu hassen und zu verachten. Sie hatte ihn angeschrien und ignoriert. Doch es war alles umsonst gewesen. Das wusste sie jetzt. Theo Atrides hatte sie in seinen Bann geschlagen. Irgendwie musste sie die Kraft finden, zu widerstehen und sich von ihm zu befreien. Doch wie sollte sie das anfangen? Was konnte sie jetzt noch vor ihm retten? Er lächelte. Es war ein träges, wissendes Lächeln. Er wusste um ihre Schwäche ihm gegenüber, durch die jeder Widerstand aussichtslos wurde. Nachsichtig meinte Theo: „Nun haben Sie ja Ihr kleines Spielchen mit mir gespielt, und es hat mich auch amüsiert. Aber das ist jetzt vorbei. Gehen Sie, und ziehen Sie sich um, Leandra! Machen Sie sich schön für mich! Dann kommen Sie ins Wohnzimmer! Dort wird Agathias uns den Kaffee servieren und danach gehen, so dass wir ganz allein sind. Sehr privat." Wieder nahm seine Stimme einen sinnlichen Unterton an. Er war so sicher, so absolut sicher, dass sie einfach tat, was er wollte, und zu ihm kam, um sich von ihm verführen zu lassen. Wie unglaublich praktisch für ihn! Sie presste die Lippen zusammen. „Nein", erwiderte sie dann in jenem spröden, kontrollierten Tonfall, der ihn allmählich zu ärgern begann. „Das glaube ich kaum. Genauer gesagt, Mr. Atrides", sie vermied es absichtlich, ihn beim Vornamen zu nennen, „werde ich mich jetzt zurückziehen. Gute Nacht!" Leandra erhob sich und schob ihren Stuhl ordentlich unter den Tisch. Sie hätte zwar gerne noch einen Kaffee getrunken, aber nicht in Theo Atrides' Gesellschaft, während man sehr privat miteinander auf einem Sofa saß! Mit hoch erhobenem Kopf strebte sie zur Tür, wobei die Sohlen ihrer Segeltuchschuhe auf den Steinfliesen leise quietschten. Doch als sie an ihm vorbeiging, hielt Theo sie am Handgelenk fest.
6. KAPITEL
Leandra versuchte, sich loszureißen, doch Theos Griff war eisern. Er drehte sie zu sich herum, während er zugleich aufstand. „Hören Sie auf wegzulaufen!" sagte er sanft. „Hören Sie auf, sich zu wehren! Hören Sie auf ... mit mir zu spielen!" In seiner Stimme lag eine Intensität, die sie bisher noch nicht kannte. Leandra schaute zu ihm auf. Er war ihr so nah, dass sie sein After Shave wahrnehmen konnte, den Duft seiner kraftvollen Männlichkeit. Sie fühlte sich machtlos, überwältigt von ihm. „Lassen Sie mich los!" Sie wand ihr Handgelenk hin und her, und Theo lockerte seinen Griff ein wenig. Zärtlich fuhr er mit den Fingern über ihre Haut, so dass ein erregender Schauer durch ihren Körper rieselte. Leandra hätte sich befreien sollen, denn Theo hielt sie nicht mehr fest, doch sie war nicht dazu imstande. Sie konnte es nicht. „Dummes Mädchen", meinte er mit dieser weichen, sinnlichen Stimme, und in seinen dunklen Augen konnte sie Humor und Nachsicht erkennen - und Verlangen. Mit der freien Hand hob er behutsam ihr Kinn, und sein Daumen glitt über ihr Ohrläppchen. Leandra bebte unwillkürlich. Ihre Schutzmechanismen versagten auf einmal alle. „Keine Spielchen mehr", wiederholte er leise und strich ihr über die vollen Lippen. Dabei übte er leichten Druck aus, bis sie sich öffneten und Leandra einen kaum hörbaren Seufzer ausstieß. Mit seinem Finger zeichnete Theo in sinnlicher Weise eine Linie entlang der feuchten Innenseite ihrer Unterlippe, während Leandras Herz zu pochen begann. Er zog sie enger an sich, so dass sich ihre Beine zwischen seinen kräftigen Schenkeln befanden, und Leandra sehnte sich danach, sich gegen ihn zu lehnen, um seinen durch trainierten Körper an ihrem zu spüren. Stumm blickte sie zu ihm empor, und ihre Hand wurde schlaff unter seinem Griff. Theo entging dies nicht, und er ließ sie los. Als sie ihm daraufhin beide Hände auf die Schultern legte und sie um die kraftvollen Muskeln darunter schloss, fuhr er mit seinen Liebkosungen fort. Er strich ihr über die Hüfte und die sanfte Rundung ihres Pos. Dann presste er sie an sich. Leandra schnappte nach Luft, als sie seine harte Erregung spürte. Ihre Reaktion gefiel ihm. Wieder fuhr er ihr mit dem Daumen über die Lippen. „Spüren Sie, wie sehr ich Sie will?" sagte er sanft. „Also gehen Sie, meine süße weiße Taube, bevor ich Sie küsse und endgültig verloren bin ...! Gehen Sie schnell! Machen Sie sich schön für mich! Und dann, wenn Sie zurückkommen, schmücken Sie Ihre Schönheit hiermit!" Er löste sich von ihr, und sie fühlte sich plötzlich leer und wie beraubt. Was geschah nur mit ihr? Weshalb stand sie hier, schwankend wie in einem Traum, jeder Nerv vor Sehnsucht vibrierend? Einer Sehnsucht, sich diesem Mann hinzugeben, der solche Macht über sie besaß, dass sie nicht zu widerstehen vermochte ... Theo zog die Schublade des Sideboards auf und nahm eine schmale schwarze Schachtel heraus. Er reichte sie ihr. „Für Sie, Leandra. Für Ihre Schönheit. Und dafür, dass ich Sie begehre." Wie betäubt stand sie da. „Nehmen Sie es!" forderte er sie auf. Nun gehörte sie ihm, dessen war er sich sicher. Erleichterung durchflutete ihn. Die Abwehr und die Spielchen waren vorbei. Jetzt gab es nichts mehr außer Leidenschaft und Verlangen. Eine tiefe Befriedigung erfüllte ihn. Bald würde er sie in den Armen halten und endlich, endlich das bekommen, wonach er sich schon seit Tagen verzehrte ... Sie hob den Deckel der Schachtel an. Ein exquisit gearbeiteter Diamantenanhänger lag dort auf weichem Samt. Das Licht fing sich in den Facetten und brach sich in leuchtenden
Regenbogenfarben. Leandra hob ihn heraus und ließ die Goldkette durch ihre Finger gleiten. Dann blickte sie zu Theo auf. Heute Nacht könnte ich ihn haben! Er könnte mir gehören! Ich könnte in seinen Armen liegen, in seinem Bett... Ein Gefühl der Verwegenheit erfasste sie. Sie wollte ihn so sehr, sie war ihm hoffnungslos verfallen. Mit leicht geöffneten Lippen schaute sie ihn an, die Augen vor Begehren verschleiert. Theo erwiderte ihren Blick. Seine Augen waren ebenfalls verhangen. Auf einmal stieg ein Frösteln in Leandra auf, und Selbstverachtung erfüllte sie. Sie spürte die schweren, scharf- . kantigen Brillanten in ihrer Hand. Theo Atrides bot ihr lediglich seinen Reichtum an. Das war alles, womit er sie in Versuchung führte. Werte, die ihr nichts bedeuteten. Und genau das, dachte Leandra, wobei all die Hitze von eben sich zu eisiger Kälte zusammenzog, ist alles, was ich für ihn bin. Ich bin für diesen Mann nichts weiter als ein Kör per, den man kaufen kann, ein Objekt, an dem man seine Lust befriedigen kann. Nicht mehr wert als Diamanten. Langsam ballte sie die Hand zur Faust, als ob der Schmerz, den die geschliffenen Steine ihr bereiteten, das Weh auslöschen könnte, das ihr Herz durchflutete. „Legen Sie sie an, Leandra, und schmücken Sie Ihre Schönheit für mich!" sagte Theo Atrides voller Befriedigung und Vorfreude. In einer einzigen schwungvollen Bewegung schleuderte Leandra die Kette quer über den Tisch. Ihr Gesicht war verzerrt vor Widerwillen gegen die Brillanten und gegen den Mann, der sie ihr geschenkt hatte. Mit einem erstickten Schrei stürzte sie hinaus, um Zuflucht in ihrem Zimmer zu suchen. Das Mondlicht schien auf den Fußboden des Zimmers, in dem Leandra schlief. Es war weit nach Mitternacht. Theo stand da und betrachtete sie. Im Schlaf besaß sie eine absolute Schönheit. Das helle Haar lag wie ein Fächer auf dem Kissen ausgebreitet, und lange Wimpern beschatteten ihre Wangen, die wie aus Alabaster wirkten. Während er so auf sie herunterschaute, merkte er, wie ihn erneut die Sehnsucht überkam. Warum? fragte er sich. Warum begehrte er sie so sehr? Wieso bekam er sie nicht mehr aus dem Kopf? Weshalb ließ sie ihm keine Ruhe? Bei anderen Frauen war ihm das noch nie so ergangen. Warum also bei dieser hier? Und weshalb war sie vorhin mit einem Schrei weggelaufen? Es war, als würde Theo ihn erneut hören, und es wurde ihm schwer ums Herz. Wieso? Wieso lief sie immer vor ihm davon? Zu viele Fragen quälten ihn. Fragen, die er nicht stellen und auch lieber nicht beantworten wollte. Mit düsterer Miene wandte er sich ab und ging hinaus. Am nächsten Morgen war Leandra als Erste auf. Trotzig trug sie ihre von Agathias gewaschenen Jeans und das Sweatshirt. Sie saß am Tisch unter der Pergola, die Hände im Schoß verschränkt. Agathias brachte ihr Kaffee und das Frühstück, doch Leandra war kaum in der Lage, sich dafür mit einem Lächeln zu bedanken. Ebenso wenig war sie imstande, auch nur einen Bissen herunterzubekommen. Ihre Niedergeschlagenheit schien sie fast zu erdrücken. Sie wartete. Die Zeit verging quälend langsam. Schließlich, als die Sonne bereits den Garten durchflutete und dort, wo ihre Strahlen durch das Weinlaub der Pergola fielen, die Steinfliesen wärmte, vernahm Leandra Theos Schritte. Agathias kam mit ihm heraus und brachte frischen Kaffee für ihn. Leandras unberührtes Tablett nahm sie kopfschüttelnd wieder fort.
Theo setzte sich. Doch nach der langen Zeit des Wartens war es Leandra unmöglich, auch nur ein Wort herauszubringen, und so schwieg sie. „Leandra ..." Er brach das Schweigen, Wobei ein seltsamer Unterton in seiner Stimme mitschwang. Sie blickte auf. Ihr Gesichtsausdruck war trostlos. „Sagen Sie es mir!" sagte Theo. Die Niedergeschlagenheit in ihrer Miene traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. „Sagen Sie mir, was ich falsch gemacht habe! Welches Verbrechen ich diesmal begangen habe!" Es schien ihm wirklich nicht klar zu sein. Das war das Schlimmste daran. Genauso, wie er ihr einen Scheck über einhunderttausend Pfund ausgestellt hatte, um ihr Schweigen zu erkaufen und sie vom Bett seines Cousins fern zu halten, und sich nicht das Geringste dabei gedacht hatte. Und auch dieses Mal war ihm offenbar nicht klar, was er verbrochen hatte! Aber Leandra wusste, was ihr Fehler gewesen war. Dummheit! Es war unverzeihlich dumm gewesen, ihn so nahe an sich herangelassen zu haben und selbst so nahe daran gewesen zu sein, sich ihm hinzugeben. Nun, das kam davon, wenn man Wünschen nachgab, von denen man im Grunde wusste, dass sie einem nicht gut taten. Und Theo Atrides zu begehren - ein hoffnungsloses, sehnsüchtiges Begehren -, das war in der Tat ein außerordentlich schädlicher Wunsch. „Ihr Schweigen hilft uns nicht weiter, Leandra. Wenn Sie es mir nicht sagen, kann ich es nicht wissen!" In ihren Augen blitzte es auf. Das, was er getan hatte, war seiner Meinung nach ja kein Verbrechen, sondern einfach nur die übliche Praxis. Ein Scheck, ein Diamantenanhänger - was gab es da schon für einen Unterschied? Gar keinen. „Sagen wir einfach", erwiderte sie bissig, „dass ich es ebenso wenig schätze, mit Brillanten gekauft zu werden, wie durch einen auf Ihr persönliches Konto ausgestellten Scheck!" Theos Miene verfinsterte sich. „Ich versuche Sie doch nicht zu kaufen! Sie beleidigen mich!" Ungläubig starrte sie ihn an. „Ich beleidige Sie? Du liebe Güte, Sie schenken mir Diamantschmuck und halten das nicht für eine Beleidigung?" „Natürlich nicht! Leandra, ich habe Ihnen den Anhänger geschenkt, weil ich weiß, dass er wunderschön an Ihnen aussehen wird. Aus dem gleichen Grund habe ich Ihnen auch die Kleider mitgebracht. Ihre Schönheit schreit geradezu danach, geschmückt zu werden!" „Ach ja?" höhnte sie. „Tja, mein Lieber, timeo Danaos -et dona ferentes." Er war vollkommen verblüfft. „Das bedeutet", fuhr sie in demselben bissigen Tonfall fort, „ich fürchte die Griechen, selbst wenn sie Geschenke bringen. Das Trojanische Pferd, verstehen Sie?" „Ja, natürlich verstehe ich! Aber woher in aller Welt...?" Theo hielt inne, ehe er plötzlich mit der Zunge schnalzte. „Ah, ich nehme an, mein kleiner Cousin Demos hat sich mit Ihnen amüsiert!" Ein Glitzern lag in seinen Augen. „Und haben Sie ebensolche Einwände dagegen gehabt, als er Ihnen diese Diamantohrringe geschenkt hat, die Sie auf der Gala getragen haben?" Leandra wollte widersprechen, besann sich jedoch eines Besseren. Sie konnte schlecht sagen, dass die Ohrringe lediglich für diesen Abend geliehen gewesen waren. Sonst hätte sie ihre Rolle verraten. „Aha!" meinte Theo und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Also wenn mein Cousin Ihnen Diamanten gibt, nehmen Sie sie gerne. Aber wenn ich es tue, betrachten Sie das als eine Beleidigung!" Leandra hatte sich rasch wieder gefangen. „Ja, allerdings!" erklärte sie heftig. „Sie beleidigen mich immerzu! Sie haben es schon in dem Augenblick getan, als Sie mich zum ersten Mal gesehen haben! Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie Demos' Cousin sind!"
„Aber Sie lieben ihn nicht. Das haben Sie selbst gesagt", gab er schneidend zurück. Sie funkelte ihn an. „Nein. Aber ich empfinde eine Zuneigung für ihn. Sie denken, dass das nicht zählt, aber das stimmt nicht, Theo Atrides! Zuneigung ist etwas sehr Wichtiges." „Zuneigung ist etwas für Schoßhündchen!" „Wie können Sie es wagen, ihn zu verspotten? Demos hat etwas, was Sie nicht einmal in hundert Millionen Jahren haben werden! Er ist liebevoll, und er ist rücksichtsvoll. Er ist tausendmal netter als Sie!" Sie hatte die Stimme erhoben. „Also nehmen Sie gefälligst Ihren Schmuck und Ihre Designerkleidung, Mr. Atrides, und schenken Sie sie jemandem, der sie haben will! Jemandem, der glaubt, dass diese Dinge wichtig sind - wichtiger als Herzensgüte und Rücksichtnahme. Und versuchen Sie ja nicht, mir mit Ihrem Sex-Appeal zu imponieren! Es ist mir egal, ob Sie die heißeste Nummer im Bett sind seit Casanova! Ich komme sehr gut ohne Sie zurecht!" Theos Augen verengten sich. Er wollte nicht hören, wie Leandra Demos vor ihm pries. Er wollte nicht hören, dass sie seine Geschenke verachtete. Und schon gar nicht, dass sie ihr Verlangen nach ihm leugnete! „Ich könnte dafür sorgen, dass es Ihnen nicht egal ist, paidi mou. Ich könnte Ihren Körper liebkosen, bis Sie vor glühender Hitze dahinschmelzen würden!" „Und dann würden Sie mir noch ein hübsches Glitzerding schenken, um mich zu entlohnen! Sehr viel geschmackvoller, als einer Frau Geld zu geben! Männer, die versuchen, sich Sex zu erkaufen, machen mich krank!" Er stieß einen entnervten Laut aus. „Leandra, da meine Geschenke Sie offenbar so sehr aufregen, gebe ich Ihnen mein Wort, dass ich. Ihnen nie wieder auch nur einen Kaffee bezahlen werde! Reicht Ihnen das? Sie haben etwas als Kränkung aufgefasst, was wirklich überhaupt nicht so gemeint war. Meiner Erfahrung nach freuen sich Frauen, wenn man Ihnen Schmuck schenkt. Sie sind nicht der Ansicht, dass ich sie damit für Sex bezahle." „Weil sie selber reich sind!" „Ja, wahrscheinlich. Aber der springende Punkt ist der, dass ich nicht versucht habe, Sie mit einem teuren Schmuckstück für eine Nacht mit Ihnen zu entlohnen! Sie sind eine schöne Frau, das wissen Sie! Kleider und Brillanten schmücken schöne Frauen, das ist alles. Und jetzt", er hob die Hände, „lassen Sie uns dieses Thema bitte beenden!" Seine Stimme nahm einen anderen Tonfall an. „Was würden Sie heute gerne machen?" „Nach Hause fahren!" Theo seufzte. „Wie Sie wissen, ist das leider nicht möglich." „Dann können Sie ja verschwinden!" Er war gerade im Begriff gewesen, sich die Kaffeekanne zu nehmen, zog seine Hand jedoch wieder zurück. „Zufälligerweise ist das hier meine Insel. Hören Sie ...!" Er wusste nicht, was er tun sollte, damit Leandra Ross endlich ihre Abwehrhaltung ihm gegenüber aufgab. „Können wir nicht vielleicht eine Art... Waffenstillstand schließen, Leandra? Wenn es irgendwie möglich ist, würde ich nämlich gerne einen ruhigen, entspannten Tag hier verbringen. Könnten Sie sich nicht damit einverstanden erklären, ohne immer gleich in Rage zu geraten?" „Das ist nur, weil Sie mich ständig zur Weißglut bringen!" Wieder stieß er einen Seufzer aus. Diese Frau war wirklich anstrengend, aber diese Mühe war es wert, wenn er sie schließlich mit in sein Bett nehmen würde. „Also gut! Wenn ich mich sehr bemühe, dies nicht zu tun, wären Sie dann bereit, sich zu beruhigen und mein Friedensangebot anzunehmen? Es beinhaltet keinerlei Hintergedanken, Leandra, sondern soll einfach nur sicherstellen, dass wir einen entspannten Tag haben, den wir gemeinsam verbrin gen." Sie warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. „Ich will aber auch nicht wieder von Ihnen angefallen werden!" Er hielt die Hände empor. „Gut. Im Austausch für ein paar schöne, ruhige Stunden bin ich
damit einverstanden. Also, Frieden?" Theo streckte ihr die Hand entgegen, aber Leandra sah ihn misstrauisch an. „Nun?" meinte er fragend. Langsam und vorsichtig, als würde dieser Schritt ihr ganzes Leben verändern, ergriff sie seine Finger. „Waffenstillstand", sagte sie und ließ ihn los, beeilte sich jedoch hinzuzufügen: „Aber verwechseln Sie das nicht mit Kapitulation!" Er lächelte sie verschmitzt an. „Kapitulation? Oh nein, paidi mou, wenn Sie mir gegenüber die Waffen strecken, dann werden Sie das bestimmt nicht mit irgendetwas anderem verwechseln, das versichere ich Ihnen!" Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht, glühend und ausdrucksvoll, so dass ihr der Atem stockte und sie schon protestieren wollte. „Aber im Augenblick", fuhr er dann fort, „werde ich mich mit einem Waffenstillstand zufrieden geben." Leandra drehte sich vor dem langen, ovalen Spiegel, der in den Kleiderschrank in ihrem Zimmer eingelassen war. Das Sommerkleid war wunderhübsch und ausgesprochen feminin. Trotz des Designeretiketts war es sehr schlicht -sonnengelb und mit winzigen weißen Blüten übersät. Es besaß ein hohes Oberteil mit einem Nackenträger, war tailliert und hatte einen wadenlangen Rock. Es gab also nichts daran auszusetzen. Abgesehen davon, dass Theo Atrides sie gebeten hatte, es anzuziehen. Ein Waffenstillstand bedeutete, dass man Kompromisse schließen musste. „Wenn wir einen ruhigen, entspannten Tag miteinander verbringen wollen, wären Sie dann eventuell bereit, sich etwas Passendes aus den Kleidungsstücken herauszusuchen, die ich für Sie mitgebracht habe?" hatte er sie mit größter Liebenswürdigkeit gefragt. Um ehrlich zu sein, war Leandra froh, aus ihren warmen Sachen herauszukommen. Allerdings nicht ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sie sich lediglich etwas ausleihen würde, denn sie hatte nicht die geringste Absicht, auch nur ein einziges Teil aus der Kollektion mit nach Hause zu nehmen. Das Kleid, das sie trug, hatte ihr sofort gefallen, und sie hatte nicht widerstehen können. Jetzt, da sie sich drehte und ihr die offenen Haare wie ein goldener Schleier um die Schultern fielen, merkte sie, wie ihre Stimmung sich allmählich besserte. Sie schlüpfte in ein Paar hübscher Sandaletten und wunderte sich darüber, wann Theo Atrides sich wohl die Zeit genommen hatte, nach ihrer Schuhgröße zu schauen. Dann kehrte sie auf die Terrasse zurück. Leandra fing den Duft nach frisch gebackenem Brot auf, und auf einmal bekam sie Hunger. Sobald sie an den Tisch trat, erhob Theo sich und rückte ihr zuvorkommend einen Stuhl zurecht, als sei sie eine Herzogin. „Darf ich sagen, dass Sie bezaubernd aussehen?" sagte er vorsichtig humorvoll, so als ob er tatsächlich glaubte, ein solches Kompliment könne erneut ihren Ärger erregen. „Vielleicht", antwortete sie beinah ebenso vorsichtig und nahm Platz. Er lächelte, während sich ihre Blicke begegneten. Zum Frühstück wählte Leandra frisches Brot und Butter, und dazu süßen kretischen Honig. Beim Essen fragte sie Theo, wer denn früher auf der Insel gelebt habe, bevor er sie gekauft hatte. „Niemand", antwortete er. „Für einen landwirtschaftlichen Betrieb ist sie zu klein. Aber es wurden Olivenbäume angepflanzt, und gelegentlich haben auch Ziegen hier geweidet. Die Villa ist neu, aber aus alten Steinen gebaut, die ich von einer Ruine habe herbringen lassen, die ich woanders erworben habe. Die Söhne von Agathias und Yiorgos arbeiten für mich, und die beiden alten Leute waren, wie schon gesagt, gerne bereit und sogar sehr froh darüber, an einem so abgeschiedenen Ort leben zu können." Sie schaute sich um. „Es ist sehr schön hier." „Ja, sehr schön", wiederholte Theo, doch sein Blick galt nicht der Insel, sondern
ausschließlich ihr. Diese Frau war das reinste Chamäleon. Jetzt war sie schon wieder jemand anderes, so wie er sie noch nicht gesehen hatte. In dem Sommerkleid sah sie wirklich bezaubernd aus, genau wie er es ihr gesagt hatte. Natürlich auch begehrenswert, so wie immer. Er wusste, dass er sie wollte, aber so wie sie dasaß, so bildhübsch, wollte er auch ... mehr. Er hatte zwar keine Ahnung, worin dieses Mehr genau bestand. Aber was immer es war, er wollte auch das. Und Theo Atrides pflegte dafür zu sorgen, dass er das bekam, was er wollte. Leandras Vorsicht ihrem Gastgeber gegenüber erreichte neue Höhen und Tiefen. Theo Atrides gab sich alle Mühe, ihr gegenüber charmant zu sein, und er hatte großem Erfolg damit. Das alarmierte sie. Leandra fühlte sich hin und her gerissen. Einerseits war ihr klar, dass ein Mann wie er, der mühelos ein riesiges Geschäftsimperium leitete, sowie ein ganzes Heer ständig wechselnder, fantastischer Frauen unterhielt, äußerst gewandt in der Kunst war, sich liebenswürdig zu verhalten, wenn er wollte. Andererseits war ihr ebenso klar, dass er seinen Charme als Waffe benutzte, um seinen Willen durchzusetzen, sei es im Geschäftlichen oder im Bett. Doch nur weil sie seine Taktik durchschaute, bedeutete das noch lange nicht, dass sie ihm gegenüber immun war. Er zog alle Register, um sie für sich einzunehmen. Leandra merkte zwar, was er tat, und ihr war der Grund dafür klar. Dennoch ließ sie sich von ihm verzaubern, obwohl ihr bewusst war, dass ihn das noch gefährlicher machte, als es ohnehin schon der Fall war. Diesem Theo Atrides - in der charmanten, gut gelaunten, höflichen und zuvorkommenden Version -, der sie tatsächlich ansah, anstatt sie zu begutachten, so als sei sie eine besonders schöne Frau, die er bewunderte, konnte sie wesentlich leichter verfallen als dem erfahrenen Verführer. Warum das so war, mochte sie lieber nicht so genau erforschen. Stattdessen wollte sie einfach nur diesen Tag in seiner Gesellschaft genießen. Nachdem sie ihr Frühstück beendet hatten, ging Theo kurz ins Haus, um in seinem Büro anzurufen. Von dort bekam er die erfreuliche Nachricht, dass in seinem Imperium alles hervorragend lief, unter anderem auch die Sache mit dem neuen Chef seiner amerikanischen Niederlassung. Theo gab seiner Sekretärin die Anweisung, dass er außer in einem Notfall nicht gestört zu werden wünsche, und machte sich dann auf die Suche nach Leandra. Er fand sie in der Küche, wo sie Agathias beim Abwasch half. Erstaunt zog er die Augenbrauen zusammen. Wieder hatte das Chamäleon seine Farbe geändert! Nie hätte er gedacht, dass eine Frau wie Leandra Ross bereitwillig ihre Hände bei der Hausarbeit schmutzig machte. Und sie schien Agathias für sich gewonnen zu haben. Die Haushälterin strahlte sie anerkennend an, auch wenn sie höchst besorgt darüber war, dass Leandra sich womöglich ihr hübsches Kleid beflecken könnte. Theo nahm Leandra mit hinaus auf die Terrasse, wo Yiorgos auf seine Bitte hin eine Sonnenliege unter der Pergola aufgestellt hatte. Sobald Leandra es sich darauf bequem gemacht hatte, reichte Theo ihr einen Stapel englischer Hochglanz-Magazine und einige beliebte Bestseller, die er aus dem Bücherregal im Wohnzimmer geholt hatte. Zwar war dies nicht Leandras üblicher Lesestoff, aber es war besser als nichts, und gierig stürzte sie sich darauf. Theo hingegen öffnete seinen Laptop und begann zu arbeiten. Etwa eine Stunde verging auf diese angenehme Weise, nur unterbrochen von Agathias, die den Vormittagskaffee servierte. Mit ausgestreckten Beinen lag Leandra in der Wärme der herbstlichen ägäischen Sonne, halb im Schatten des Weinlaubs, das sich über ihr rankte. Sie blätterte in den Zeitschriften, während Theo sich auf seine Pflichten konzentrierte. Es war, als sei Leandra gar nicht da. Doch das war ihr nur recht, denn dadurch hatte sie die Gelegenheit,
sich endlich einmal an dem Anblick von Theo Atrides satt zu sehen. Es versetzte ihr einen Stich des Bedauerns, dass diese Tage, die sie gemeinsam auf seiner Insel verbrachten, die einzige Zeit in ihrem Leben waren, die sie jemals mit Theo zusammen sein würde. Ein Gefühl der Traurigkeit und des bevorstehenden Verlustes machte sich in ihr breit. Nur einmal schaute er kurz auf, ganz offensichtlich beschäftigt mit irgendeiner geschäftlichen Angelegenheit. Dabei registrierte er, dass Leandra ihn betrachtete. Ein kaum wahrnehmbares Aufblitzen zeigte sich in seinen dunklen Augen, und er warf ihr ein flüchtiges Lächeln zu, ehe er sich erneut seiner Arbeit zuwandte. Ringsum verbreiteten das besänftigende Zirpen der Grillen, das Rascheln der Meeresbrise in den Olivenbäumen und Oleanderbüschen und gelegentliches Vogelgezwitscher eine friedliche und entspannte Stimmung. Schließlich loggte sich Theo Atrides aus dem Programm aus, schloss den Deckel seines Laptops, ordnete seine Unterlagen und blickte zu Leandra hinüber. „Sie sind eine ausgesprochen beruhigende Gesellschafterin", meinte er mit einem leicht überraschten Unterton. „Das ist selten bei einer Frau." Anerkennend sah er sie an, und trotz all ihrer Entschlossenheit, sich keinen Deut darum zu scheren, was er von ihr hielt, war sie über das Kompliment erfreut und errötete unwillkürlich. Als er ihre Reaktion bemerkte, lächelte er. Es war ein herzliches Lächeln, das sie zutiefst berührte. Schließlich erhob er sich und hielt ihr die Hand entgegen. Die Sonne stand mittlerweile höher, und ein leichter Wind war aufgekommen. „Kommen Sie!" sagte Theo. „Wir haben lange genug herumgesessen. Es wird Zeit für einen kleinen Spaziergang." Dann musterte er Leandra. „Hm, so entzückend Ihr Kleid auch ist, ist es vielleicht doch nicht ganz das Richtige für eine Inselwanderung." Also ging sie hinein," um sich umzuziehen, und als sie wieder herauskam, stellte sie fest, dass auch er etwas anderes anhatte. Statt der perfekt sitzenden Chinos und des Poloshirts trug er nun verwaschene, zu Shorts abgeschnittene Jeans sowie ein weißes T-Shirt, unter dem sich jeder Muskel seiner Brust und des breiten Rückens abzeichnete. Leandra stockte der Atem, und sie starrte ihn an. Dann merkte sie, dass Theo auch sie unverwandt ansah. Sie hatte nicht gedacht, dass die türkisfarbenen Shorts sonderlich eng oder knapp waren, doch nach dem Ausdruck zu schließen, mit dem sein Blick auf ihren schlanken Oberschenkeln ruhte, war sie da nicht mehr so sicher. Glücklicherweise war das dazu passende Top mit seinem runden Ausschnitt und den- Armein, die bis zum Ellbogen reichten, weit geschnitten. Leandra riss den Blick von Theos langen, kraftvollen, mit dunklen Härchen bedeckten Beinen los, ebenso wie von seinem Bizeps und den muskulösen Unterarmen. Und sie war dankbar, als er ihr eine Sonnenbrille gab und auch. selbst eine aufsetzte. „Haben Sie sich mit Sonnenschutzmittel eingecremt?" fragte er. „Sie dürfen sich Ihre wunderbare Haut nicht verbrennen, paidi mou." Sie bejahte mit einem Nicken. „Gut, dann gehen wir", erklärte er und wandte sich ab. Leandra band sich noch rasch die Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen und eilte ihm nach. Es war ein erstaunlich angenehmer Ausflug. Sie sprachen wenig miteinander und genossen die Stille und den endlos weiten Ausblick über das funkelnde, azurblaue Wasser. Manchmal nahm Theo Leandra bei der Hand, um ihr über steiniges Gelände hinwegzuhelfen, was ihr ein seltsames Gefühl der Geborgenheit vermittelte. Einmal blieb er wie angewurzelt stehen und deutete stumm auf eine Eidechse, die regungslos auf einem Felsen saß. Gleich darauf flitzte das Tier davon, und sie setzten ihren Weg fort. Leandra bückte sich, um einen Zweig des Thymians abzupflücken, der überall wuchs, und rieb die winzigen grünen Blätter zwischen ihren Fingern, um seinen typischen,
durchdringenden Duft in sich aufzunehmen. Theo wartete geduldig auf sie. Am äußersten Punkt der Insel blieben sie stehen und schauten auf die Ägäis hinaus. „Gibt es irgendetwas Schöneres auf der Welt?" meinte Theo. Es war eine rhetorische Frage, die keiner Antwort bedurfte, denn dieses Mal galt sein Blick tatsächlich der Landschaft und dem Meer, das sie umgab. Er gehört hierher, dachte Leandra bei sich. Er gehört zu diesem hellen leuchtenden Land und der glühenden Sonne. An diesen uralten, zeitlosen Ort, dessen Wurzeln Tausende von Jahren in die Vergangenheit reichen. Er ist ein Teil davon. Dieser Gedanke verursachte ihr eine seltsame Empfindung, die sie nicht zu deuten vermochte. Theo wandte sich ihr zu. „Es ist ein kleines Paradies, nai?" sagte er leise, und wieder hatte sie dieses eigenartige Gefühl. „Alles, was Ihnen jetzt noch fehlt, wären ein paar Filmstars, die per Fallschirm vom Himmel schweben!" scherzte Leandra. Ein Lächeln spielte um seine Lippen. „Ich ziehe es vor, wenn sie nacheinander kommen, paidi mou." Plötzlich runzelte er die Stirn. „Eine schöne Frau reicht mir, Leandra", erklärte er. „Dachten Sie, ich wäre an mehreren gleichzeitig interessiert? Nein, seien Sie versichert, ich besitze keinerlei Neigungen in dieser Richtung. Ein Mann, eine Frau und ihre gemeinsame Leidenschaft. Das ist alles, was es jemals geben sollte. Seien Sie also ganz unbesorgt, falls Sie das beunruhigt haben sollte!" „Vorausgesetzt, sie sind reich und berühmt!" entgegnete sie, wobei sie sich bemühte, einen leichten Ton anzuschlagen. Er schmunzelte. „Ah, also das ist es! Es stimmt, ich habe mein Interesse bisher auf Frauen beschränkt, die sich in meiner Welt bewegen. Aber das ist zu unserem gegenseitigen Vorteil und Schutz. Diese Insel ist für diese Frauen ebenso ein Zufluchtsort wie für mich, weil sie ein Leben im Rampenlicht führen, ständig verfolgt von Klatschreportern. Aber das heißt nicht", Theos Stimme klang weich und neckend, „dass ich in Ihrem Fall keine Ausnahme machen könnte." In Leandras bernsteinfarbenen Augen blitzte es verärgert auf. „Oh, meinetwegen begeben Sie sich also auf die Ebene des niederen Volkes, ja?" Er merkte, dass sie gekränkt war, und verfluchte sich selbst. „Nein! Das habe ich nicht gemeint, Leandra. Es war ein Scherz, und zwar ein ziemlich ungeschickter." „Sehr witzig", gab sie zurück und wandte sich ab. Theo holte sie schnell ein. „Ich habe Sie verletzt, das tut mir Leid." Er hob ihre Hand an die Lippen. „Verzeihen Sie mir!" In seinem Blick lag eine Aufrichtigkeit, die sie noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte, und ihr wurde schwer ums Herz. Sie entzog ihm ihre Finger, und er versuchte nicht, sie festzuhalten. Immerhin hatte er ihr ja versprochen, sich ihr nicht mehr aufzudrängen. Theo ging wieder voran. Auf dem Rückweg von ihrer fast kreisförmigen Route ging es eine niedrige Klippe hinunter zu der Mole auf der Nordseite der Insel, hinter dem Hubschrauberlandeplatz. Dort lag ein hochmodernes Motorboot - eindeutig das Spielzeug eines Millionärs. Anscheinend hatte Yiorgos es zuvor aus dem Bootshaus geholt. An Bord befanden sich ein Picknickkorb und eine Angelausrüstung. „Zeit, um den Wind in den Haaren zu spüren", bemerkte Theo und strebte auf das schnittige Wasserfahrzeug zu. „Und es wird auch Zeit für unser Mittagessen." Er half Leandra einzusteigen, machte die Taue los, sprang geschmeidig an Bord und stellte sich ans Steuer. Er ließ den Motor an, entfernte sich vorsichtig von der Mole und lenkte das Boot hinaus aufs offene Meer. Es war fantastisch. Die Ägäis wogte sanft auf und ab, während sie elegant die Wellen durchschnitten. Leandra saß auf der Bank und hielt sich fest. Sie bemühte sich, sich nicht
allzu sehr von Theo Atrides gefangen nehmen zu lassen, der das Boot mühelos steuerte, während ihm der Wind das dunkle Haar zerzauste. Einmal drehte er sich um und zeigte mit einem jungenhaften Grinsen auf die Villa, als sie die Insel zur Südseite hin umrundeten. Leandra, der es plötzlich ganz leicht ums Herz wurde, grinste zurück. Ihr war klar, dass sie eigentlich keinen Spaß mit Theo Atrides haben sollte, aber es war einfach zu schön. Er rief ihr etwas zu, doch der Wind trug seine Worte davon. Leandra hob das Gesicht in den angenehm kühlen Fahrtwind und spürte, wie ihr erfrischende Gischt über die bloßen Arme und Beine spritzte. Es war wunderbar! Großartig! Theo ließ das Boot durchs Wasser schnellen, und es war offensichtlich, dass er dessen Motorkraft und Manövrierbarkeit genoss, ebenso wie die Tatsache, dass er die Kontrolle über das Fahrzeug besaß. Auch er sah glücklich aus. Als er sein Ziel erreicht hatte, stellte er den Motor ab und warf den Anker aus. Augenblicklich herrschte Stille um sie herum. Auf Theos Anweisung hin packte Leandra den Picknickkorb aus, während er seine Angelleinen aufstellte. Es war ein schlichtes, aber festliches Mahl, das aus frischem Brot, Käse, kaltem Bratenaufschnitt, Tomaten und Oliven bestand. Dazu gab es eine Flasche gekühlten Weiß wein sowie Pfirsiche und Granatäpfel als Dessert. Sie ließen es sich schmecken. Leandra hatte ihre Beine auf dem Holzsitz am Heck ausgestreckt, und Theo saß auf der Bank an der Steuerbordseite. Leandra betrachtete ver stohlen seine muskulösen Schenkel, und es entging ihr auch nicht, dass die abgeschnittenen Jeans sich über seinen Lenden spannten. Rasch schaute sie fort, hinaus auf das in der Sonne silbrig glitzernde Meer. Theo sah die feine Röte auf ihren Wangen, und er hatte auch ihre verstohlenen Blicke bemerkt, doch Leandra war sich dessen nicht bewusst. Er spürte, wie sein Körper darauf zu reagieren begann, und überlegte, ob er es wagen könnte, ihre Hemmungen einfach zu durchbrechen. Heute Abend würde er dies ohnehin tun, dazu war er fest entschlossen. In diesem Moment ruckte eine der Angelleinen und lenkte ihn von seinen Gedanken ab. Als sie wieder zur Anlegestelle zurückfuhren, diesmal ein wenig langsamer, lehnte sich Leandra zurück, ließ das Haar in der Brise flattern und ihre Finger durch das klare Wasser gleiten. Sie fühlte sich herrlich ruhig und entspannt. Als ob all das Durcheinander und die Anspannung der vergangenen Tage fortgeweht worden seien. Jetzt gab es nur noch die friedliche Stille des Meeres. Es ist himmlisch, dachte sie, schloss die Augen und hielt das Gesicht in die Sonne. Sie vergaß vollkommen, dass sie nicht aus freien Stücken hier war und eigentlich überhaupt keinen Wert auf Theo Atrides' Gesellschaft gelegt hatte. Sie beobachtete ihn, als er das Boot um die Landzunge herumsteuerte. Er sah so umwerfend gut aus. Leandra gefiel es, einfach nur dazusitzen und ihm zuzuschauen. Er drehte das Lenkrad, um das Boot auf einen neuen Kurs zu bringen. „Das sieht so leicht aus!" rief sie aus. „Darf ich es vielleicht auch mal probieren? Ich habe noch nie selbst ein Boot gefahren!" Theo warf ihr einen Blick über die Schulter hinweg zu und drosselte die Geschwindigkeit fast gänzlich. „Kommen Sie her!" forderte er sie auf, und Leandra tat wie geheißen. Er legte ihre Hände ans Steuerrad, so dass sie ein Gefühl für das Boot auf dem Wellengang bekam. Dann gab er langsam Gas. „Lenken Sie direkt in die Sonne!" sagte er. Er stand dicht hinter ihr. Um das Gleichgewicht zu wahren, hatten sie beide die Beine gespreizt. Leandra konnte die rauen Härchen an Theos Beinen auf ihrer bloßen Haut spüren, und mit dem Rücken lehnte sie an seiner starken, breiten Brust. Zu spät ging ihr auf, dass dies keine gute Idee gewesen war. Aber es machte solchen Spaß, zu steuern! Als hätte er ihre Gedanken gelesen,
beschleunigte Theo noch ein wenig und legte seine Hände auf ihre. Warm und kräftig um schlossen sie Leandras Finger... Das Meer, die Sonne und die salzige Gischt rasten an ihnen vorbei. Das Wasser schlug an den Rumpf, der das Wasser unter seinem Kiel teilte. Leandra flatterten die Haare in die Augen, doch das Einzige, was sie empfand, war ein Rausch der Geschwindigkeit. Schließlich brachte Theo das Boot wieder zum Stillstand. Hastig löste sich Leandra von ihm und setzte sich zurück auf die Holzbank. „Nun?" fragte er. „Fantastisch!" Leandra lachte. „Einfach unglaublich! Vielen Dank!" Er warf ihr einen ironischen Blick zu. „Dann habe ich also endlich eine Möglichkeit gefunden, Ihnen eine Freude zu bereiten, paidi mou!" Ihre Blicke trafen sich. Einen Moment lang herrschte absolutes Schweigen, während das Boot sanft auf den Wellen schaukelte, mitten im goldenen Sonnenschein. Irgendetwas geschah zwischen ihnen. Leandra konnte zwar nicht sagen, was es genau war, doch es war so machtvoll, so stark und zwingend, dass es ihr den Atem verschlug. Nein! Bitte nicht! Das halte ich nicht aus! Lass nicht zu, dass das geschieht! Doch es geschah. Jetzt und hier, unter dem strahlenden ägäischen Himmel verliebte sie sich in Theo Atrides. Und sie war außer Stande, irgendetwas dagegen zu tun.
7. KAPITEL
Auf der Fahrt zurück zur Insel herrschte eine friedliche Stimmung. Die überschäumende Lebensfreude, die sie in den Stunden zuvor miteinander geteilt hatten, war einer erwartungsvollen Ruhe gewichen. Die Atmosphäre zwischen Theo und Leandra schien mit einer seltsamen Vertrautheit geladen. Aber er berührte sie kein einziges Mal, noch sah er sie mit verführerischen Blicken an. Und dennoch war sich Leandra seiner Nähe so bewusst, dass ihre Haut förmlich prickelte. Beflissen half sie Theo dabei, das Boot zu vertäuen und die Angelausrüstung sowie den Picknickkorb von Bord zu holen, ehe sie gemeinsam zum Haus zurückkehrten. Leandra achtete darauf, dass sie etwas Abstand zwischen sich und ihm ließ, um jeden zufälligen Kontakt mit ihm zu vermeiden. Inzwischen war ihr seine Nähe noch intensiver und beunruhigender bewusst. Sobald die Villa in Sichtweite kam, brach er das Schweigen. „Ich muss Agathias unseren Fang bringen. Hätten Sie danach Lust, schwimmen zu gehen? Sollen wir uns am Strand treffen?" Sofort schoss Leandra die Erinnerung an ihre letzte Begegnung dort durch den Kopf. Sie schob sie von sich. „Ja. Das wäre toll. Bis nachher!" Sie eilte davon, weil sie unbedingt von ihm wegkommen wollte. Typisch, dachte sie einige Minuten später entnervt, als sie die Auswahl an Badesachen in Augenschein nahm. Es befand sich kein einziger Einteiler darunter, und jeder Bikini war winziger als der vorherige. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, mit Theo Atrides baden zu gehen! Aber Leandra hatte große Lust, sich ein wenig zu erfrischen. Nun, da die Brise vom offenen Meer nicht mehr da war, fühlte sie sich erhitzt und sehnte sich nach einer Abkühlung. Die Sonne begann langsam zu sinken, und als Leandra zum Strand hinunterkam, war der Sand noch heiß unter ihren Fußsohlen. Froh darüber, dass von Theo noch nichts zu sehen war, ließ sie ihr Handtuch und ihr T-Shirt fallen und lief leichtfüßig in die Wellen. Energisch schwamm sie mehrere Bahnen quer durch die Bucht. Es tat ihr gut, doch erst als sie das Dutzend beinahe voll hatte, merkte Leandra, dass sie nicht mehr allein im Wasser war. Es war Theo, der sie mit seinen kraftvollen, rhythmischen Zügen innerhalb von Sekunden überholt hatte. Angestachelt von seinem Können, begann Leandra schneller zu kraulen. Obwohl er ihr natürlich weit überlegen war, lieferte sie ihm dennoch einen guten Wettkampf. Am äußersten Ende der Bucht angekommen, zog Theo sich an einem großen flachen Felsen empor. „Hier", sagte er und streckte ihr eine Hand entgegen, um ihr ebenfalls aus dem Wasser zu helfen. Atemlos kletterte sie hoch und sank keuchend auf den Stein. Theo lachte. „Sie schwimmen ausgezeichnet! Aber ich möchte Sie nicht zu sehr ermüden, paidi mou." In seinen Augen funkelte es amüsiert. „Ich möchte, dass Sie sich noch ein paar Kräfte für später aufsparen." Leandra setzte sich aufrecht hin und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Zumindest sollte er vernichtend werden. Doch als sie in seine Augen sah, musste sie wegschauen. „Nicht", sagte sie leise. „Was ... nicht?" fragte Theo ruhig. Er hatte aufgehört zu lächeln. „Schauen Sie mich nicht so an!" Leandras Stimme klang angestrengt und brüchig. Irgendetwas an der Art, wie sie ihn ansah, berührte ihn. Ihre schlanken, sonnenwarmen Gliedmaßen, ihr wasserglänzender perfekter Körper, mit dem sie sich ihm so verlockend zeigte... Und noch etwas anderes an ihr, das er nicht recht zu fassen vermochte. Das, was ihm heute
Morgen schon aufgefallen war. Bisher hatte sie ihr Geheimnis für sich behalten, doch sie würde es ihm enthüllen. Dessen war er sich sicher. Ebenso wie er sich jetzt sicher war, dass sie heute Abend endlich zu ihm kommen würde. Sanft legte er ihr seinen Zeigefinger auf den Mund. „Schsch!" sagte er, und dann streifte er mit einer schnellen, flüchtigen Berührung ihre Lippen. Gleich darauf tauchte er mit einem perfekten Kopfsprung ins Wasser ein. Leandra schaute ihm nach. Pfeilgerade schwamm er zum Ufer zurück. Ohne noch einmal zu ihr hinüberzusehen, ging er über den Strand. Sie konnte seinen durchtrainierten, geschmeidigen Körper erkennen, der von der untergehenden Sonne in ein goldenes Licht getaucht wurde. Theo griff nach seinem Handtuch, das er neben Leandras gelegt hatte, schlang es sich um den Nacken und ging weiter. Von dem Felsen aus folgte sie ihm mit ihren Blicken, bis er in der Villa verschwunden war. Langsam hob sie die Hand, und mit einem merkwürdig hilflosen Gefühl legte sie ihre Finger dorthin, wo seine Lippen sie berührt hatten. An diesem Abend trug Leandra eines der Kleider, die Theo ihr mitgebracht hatte. Es war von schlichter Schönheit, schmal geschnitten, aus azurfarbenem, golddurchwirktem Chiffon, und besaß einen sanft fließenden Ausschnitt. An den Schultern von feinen Spaghettiträgern gehalten, reichte es ihr bis zu den Knöcheln. Der edle Stoff raschelte sacht um Leandras Beine, als sie auf die Terrasse hinaustrat. Theo war nicht dort. Sie schaute sich um, und dann entdeckte sie ihn am Strand. Leandra ging zu ihm hinunter. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, sah Theo aufs Meer hinaus, betrachtete den Sonnenuntergang. Er hatte eine Baumwolldecke auf dem Sand ausgebreitet, und darauf stand ein Eiskühler mit einer .Flasche Champagner. Leandra hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen, doch als Theo sich zu ihr umwandte, erstarb es. In seinen Augen lag ein Ausdruck, den sie noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Es war Begierde - schiere, uneingeschränkte Begierde. Einen langen Moment, der ihr wie eine Ewigkeit erschien, sahen sie einander an und tauschten die Botschaft aus, die Leandra nun nicht länger verleugnen konnte. Mit einem unmerklichen, bestätigenden Nicken brach Theo schließlich den eindringlichen Blickkontakt ab. „Nehmen Sie Platz", sagte er und nahm die Champagnerflasche aus dem Kübel, um sie zu entkorken. Während er die perlende Flüssigkeit in die Gläser goss, ließ Leandra sich auf der Decke nieder. Theo reichte ihr einen gefüllten Kelch und setzte sich neben sie. Champagner bei Sonnenuntergang am Strand, mit einem gut aussehenden Millionär an meiner Seite! Eigentlich müsste ich das für kitschig halten, dachte sie, während sie an dem eisgekühlten Getränk nippte. Doch es war nicht kitschig. Es war einfach ... Das Wort drängte sich ihr auf, und sie konnte es nicht mehr verdrängen. Romantisch. Aber das hier ist nicht romantisch! dachte sie gequält. Romantik ist nur etwas für Liebende! Und wir sind keine Liebenden! Wir dürfen es nicht sein! Warum nicht? schlich sich der verräterische Gedanke bei ihr ein. Leandra suchte verzweifelt nach Gegenargumenten, aber sie schienen sich alle in Luft aufgelöst zu haben. Sie waren ohne jede Bedeutung, nicht mehr wichtig. Sie sprachen kaum, sondern saßen einfach nur da, genossen die Stimmung des Augenblicks und beobachteten die Sonne, während sie im Meer versank. Leandra hatte die Beine untergeschlagen und achtete darauf, genügend Abstand von Theo zu halten. Dieser saß mit angezogenen Knien da, das Champagnerglas in der Hand. Im Gebüsch hinter ihnen vernahmen sie das Zirpen der Grillen. Ein leiser Wind spielte in Leandras Haaren. Sie
bemerkte Theos Blick, war jedoch außer Stande, ihm zu begegnen. Als das letzte Glühen am Horizont verschwunden war, blieben sie noch einen Moment lang sitzen. Schließlich stand Theo mit einer geschmeidigen Bewegung auf und streckte die Hand aus, um Leandra hochzuhelfen. Nur für Sekundenbruchteile überließ sie ihm ihre Hand, entzog sie ihm jedoch sogleich wieder, sobald sie ihr Gleichgewicht gefunden hatte. Theo griff nach der Champagnerflasche und schwang sie lässig hin und her, während sie zur Villa zurückgingen. Im Haus war es kühl, und Leandra fröstelte. Deshalb holte sie rasch den Schal, der zu dem Kleid gehörte, aus ihrem Zimmer und schlang ihn sich um die Schultern. Als sie zurückkehrte, war Theo bereits im Esszimmer und wartete darauf, dass er seinen Platz einnehmen konnte. Leandras Glas hatte er wieder gefüllt. Agathias kam herein und brachte schmackhafte, appetitanregende Mezzes, die hervorragend zu dem Champagner passten. Dann holte Theo einen leichten, offenen Weißwein herbei, während Agathias den frisch gefangenen Fisch servierte, den sie mit Zitrone, Olivenöl und Kräutern gegrillt hatte. Dazu gab es fein gewürzten Reis. Gelegentlich wechselten sie ein paar Worte, sprachen jedoch nicht viel. Leandra fühlte sich beinahe wie in einem Traum. Durch den Champagner war ihr ungewohnt leicht zu Mute. Die Realität schien heute Abend außer Kraft gesetzt. Leandra ließ sich treiben, getragen von einem langsamen, unausweichlichen Energiestrom, von dem sie nicht wusste, wo er sie hinführen würde. Oder besser gesagt, sie wusste es, wollte es sich jedoch nicht eingestehen. „Kommen Sie!" sagte Theo nach dem Essen. Dann erhob er sich und reichte Leandra die Hand. Sie ergriff sie kurz, ließ sie dann aber wieder los. Theo ging voran ins Wohnzimmer, wo gegen die nächtliche Kühle ein Feuer in dem riesigen, aus Stein gehauenen Kamin entzündet worden war. Auf dem langen, niedrigen Couchtisch davor standen ein Kännchen und zwei Tassen bereit. Ich trinke meinen Kaffee, dachte Leandra, und dann werde ich zu Bett gehen. Ja, ganz bestimmt, sobald ich meine Tasse geleert habe. Sie ließ sich auf dem einen Ende des Sofas nieder, und Theo, der heute Abend eine dunkle Hose und ein schwarzes Hemd trug, schenkte ihr ein. Während des Essens hatte sich Leandra alle Mühe gegeben, ihn möglichst nicht anzusehen. Doch nun wurden ihre Augen unwiderstehlich von ihm angezogen, und sie sah, wie die Hose sich über den starken Schenkeln spannte, wie die aufgerollten Ärmel den Blick auf die kräftigen Sehnen seiner Unterarme freigaben, wie der offene Kragen seinen Hals zeigte und die gekräuselten Härchen erahnen ließ, die unter dem Stoff verborgen lagen... Leandra trank noch einen Schluck von ihrem Wein, den sie mit herübergebracht hatte. Nach dem Champagner war dies vielleicht nicht besonders klug, aber durch den Wein blieb ihr der träumerische Zustand erhalten. Sie hatte das Gefühl, sich wie in einem Nebel zu bewegen, und die Wirklichkeit schien immer noch sehr weit weg zu sein. Theo stellte eine Tasse vor sie hin, bevor er sich mit seiner ebenfalls aufs Sofa setzte. Obwohl er am anderen Ende Platz genommen hatte, schien er den gesamten Raum mit seiner Gegenwart zu erfüllen. Unbewusst rückte Leandra ihre Beine ein wenig ab, um ihm nicht so nahe zu sein. Sie blickte in die knisternden, züngelnden Flammen des Kaminfeuers und hörte, wie Agathias das Haus verließ. Jetzt gab es nur noch sie selbst und Theo. Schweigen hüllte sie ein. „So", sagte Theo schließlich leise, „jetzt musst du mir sagen, wie es weitergehen soll, Leandra. Dies ist der Augenblick, in dem du deine Wahl treffen musst. Komm aus freien Stücken zu mir, oder sag mir ins Gesicht, dass du es nicht willst!" Sie sah ihn an. Der Klang seiner Stimme war ernst. Sein Blick ruhte auf ihr, und Leandra erkannte etwas
darin, das sie nicht zu verleugnen vermochte. Sie wollte es auch gar nicht verleugnen. Jetzt nicht mehr. Sie war unfähig, irgendetwas zu sagen. Doch Worte waren überflüssig. Was sich zwischen ihnen abspielte, war jenseits aller Vernunft und Logik. Es war so viel stärker ... Als Theo erneut sprach, war sein Tonfall leise und eindringlich. „Schweigen ist Zustimmung, meine süße Leandra ..." Sie sah ihn an und sog seinen Anblick förmlich in sich auf. Er brannte sich in ihr Gedächtnis, in ihr Herz, und der Blick aus seinen nachtschwarzen Augen schien sie zu ver zehren. „Es muss aus deinem eigenen, freien Willen geschehen. Sonst nicht. Ich habe bei dir schon viel zu viele Fehler gemacht, Leandra. Wenn du jetzt zu mir kommst, dann deshalb, weil es die Antwort auf das Begehren zwischen uns ist, auf die Flamme der Leidenschaft." Er neigte sich zu ihr. Sie war nicht imstande, sich zu bewegen. Theo nahm ihr das Weinglas aus der Hand und stellte es auf den Tisch. „Wenn es nicht so ist", sagte er noch immer leise, „wenn es zwischen uns kein Verlangen gibt, dann sag es mir jetzt, Leandra!" Er berührte ihren Mund mit den Fingern, so zart wie ein Schmetterlingsflügel. „Sag mir, dass ich gehen soll!" meinte er. „Sag mir, ich soll aufhören! Sag mir, dass ich das hier nicht tun soll...!" Er strich ihr sanft über die feuchten Lippen. „Oder das hier ..." Damit legte er die Hand in ihren Nacken. „Oder das ..." Theo zog sie an sich, ohne dass sie auch nur den geringsten Widerstand leisten konnte. „Oder dies ..." Sein Mund bedeckte den ihren. Der Kuss war die reine Ekstase. Der Druck seiner Lippen war so sanft, dass Leandra glaubte, sterben zu müssen. Theo zog sie mit sich empor, ohne sich von ihr zu lösen. Als sie beide standen, schmiegte er ihre weiche, nachgiebige Gestalt an seinen starken, kraftvollen Körper. Er hielt sie an seine Hüften gepresst und ließ sie spüren, wie erregt er war. Er vertiefte den Kuss und teilte ihre Lippen mit der Zunge. Theo vergrub eine Hand in Leandras Haar, während er gleichzeitig den Geschmack ihres Mundes voll auskostete. Mit der anderen Hand umfasste er ihren Po und drückte sie an sich. Er hörte, wie sie aufkeuchte, außer Stande, noch länger gegen ihn anzukämpfen, und ein Gefühl des Triumphes stieg in ihm auf. Und auch tiefe Erleichterung. Sie gehörte ihm! Ein kehliger Laut entrang sich ihm, und seine Küsse begannen einen langsamen, pulsierenden Rhythmus anzunehmen. Er saugte und knabberte an ihren Lippen, so dass Leandra leise Stöhnlaute von sich gab und ihm ihr Gesicht entgegenhob. Ihre Augen waren geschlossen; die langen, gebogenen Wimpern ruhten auf der hellen, durchscheinenden Haut ihrer Wangen. Das Haar fiel ihr in langen Wellen über den Rücken hinab. Ihre Brüste pressten sich gegen seinen Körper, und Theo konnte ihre vor Erregung harten Spitzen durch den zarten Stoff ihres Kleides hindurch fühlen. Mit einer Hand hatte sie seinen Nacken umschlungen, und er spürte ihre Finger, die die sensible Haut an den Wirbeln streiften. Mit der anderen Hand hielt sie ihn an der Hüfte fest. Es dröhnte in Theos Ohren, als er sich an ihrem Anblick ergötzte. Er würde sie endlich besitzen! Leandra hatte ihn so lange auf Distanz gehalten, aber jetzt, jetzt war die Stunde der Erfüllung da. Er merkte, wie sich die wohlvertraute Erregung in ihm aufbaute, und obwohl ihm zu Mute war, als seien seine Sinne betäubt, war ihm doch bewusst, dass sein ganzes aufgestautes Verlangen nach ihr in ihm explodieren würde, wenn er sich jetzt nicht rasch zu rückzog. Und das war ganz und gar nicht das, was er wollte. Er wollte so viel mehr.
Langsam und mit größter Willensanstrengung löste er sich von ihr. Es war die reinste Qual. Den Kontakt mit ihrem Körper aufzugeben war körperlich schmerzhaft. Er wollte Leandra aufs Sofa betten, den feinen Chiffon des Kleides über ihre seidenglatten Beine hinauf schieben, ihre Hüften heben und in sie eindringen - wieder und wieder, bis sie beide in einem alles verzehrenden Rausch versanken. Doch noch war es nicht so weit. Vorsichtig schob er sie von sich, hielt sie dabei jedoch an den Schultern fest, da sie taumelte. Sie schlug die Augen auf, und ihr verhangener Blick verfing sich mit seinem. „Oh, meine Leandra!" flüsterte er, und ihrer beider heißer Atem vermischte sich miteinander. „Dies ist es, weshalb du mir gehörst! Du hast es vom ersten Moment an gespürt, als wir uns begegnet sind, auch wenn du so viel Zeit damit verschwendet hast, es zu leugnen! Aber nun ..." Er machte eine Pause, um ihren Anblick in sich aufzunehmen. „Nun wirst du dich mir nicht mehr versagen können." Er ließ die Finger an ihren Armen herabgleiten und ergriff ihre Hände. „Komm!" sagte er leise und führte sie hinaus. Wie in Trance folgte sie ihm. In dem Raum hinter ihnen wurde der Kaffee kalt, und nach einer Weile verlosch auch das Feuer im Kamin. Theo nahm Leandra mit in sein Zimmer und führte sie zu seinem Bett. Sie ging einfach mit, sie konnte nicht anders. Vom Verstand her wusste sie genau, dass das, was sie tat, Wahnsinn war. Der pure Wahnsinn! Denn was immer Theo Atrides von ihr wollte, es war sicher nicht für immer. Vielleicht sogar nur für heute Nacht. Aber da sich eine Ewigkeit ohne ihn vor ihr erstreckte, musste dieses eine Mal genug sein. Der jetzige Augenblick war alles, was sie hatte und jemals haben würde. Sie würde nur dies von ihm bekommen, mehr nicht. Er stand vor ihr und sah sie an. Ein seltsamer Ausdruck lag in seiner Miene. Leandra konnte sexuelles Begehren darin erkennen, eine solch sinnliche Leidenschaft, dass die Knie unter ihr nachzugeben drohten. Aber es lag noch etwas anderes in seinen Gesichtszügen, etwas, das sie bei dem dämmrigen Licht nicht genau zu deuten vermochte. Doch es zählte nicht. In diesem Augenblick herrschte zwischen ihnen nur noch Begierde. Alles andere war verschwunden. Der Rest der Welt existierte nicht mehr. Es gab nur diesen einen Moment. „Leandra ..." Theos Stimme klang leise und rau. Seine hohe, dunkle Gestalt ragte vor ihr auf. Er hatte ihren hartnäckigen Widerstand überwunden, und nun hielt er sie mit den stärksten Fesseln, die es überhaupt gab - den Fesseln der Leidenschaft und des Verlangens. „Leandra ..." Er hob die Hand und strich ihr über die Wange. Mit seinen Fingerkuppen zeichnete er die Linie ihres Nackens nach und ließ den Daumen auf dem heftig pochenden Puls in ihrer Halsgrube ruhen. „Dein Herz schlägt für mich", sagte er heiser. Er ließ die Fingerspitzen an dem zarten Stoff ihres Schals entlanggleiten, der über ihren Schultern lag, und lächelte. „Dieser Schleier entflammt mich ... Du entflammst mich. Nach all dem langen Warten ist jetzt die Zeit gekommen, da du deinen Schleier lüftest und mir deine Schönheit unverhüllt zeigst." Er streifte ihr den Chiffonschal von den Schultern, und er flatterte zu Boden. Dann fuhr er ihr mit der Hand über die bloße Haut ihres Arms, über die schlanke Taille und die sanfte Rundung ihrer Hüfte. Seine Berührungen hinterließen eine Spur des Feuers. Schließlich suchte er den verborgenen Reißverschluss am Rücken ihres Kleides. In einer einzigen raschen Bewegung hatte er ihn geöffnet und das Kleid gleich mit herabgezogen, so dass der azurfarbene Stoff ihr um die Füße fiel. Theo raubte es den Atem.
Leandra stand vor ihm, nackt wie Aphrodite, die aus dem Schaum emporstieg. Und von ebensolcher Schönheit. Zunächst berührte er sie nicht, sondern betrachtete sie nur und erfreute sich an dem Bild, das sie ihm bot. Sein Begehren für sie war verzehrend. Sie genoss es. Nach all ihren Ängsten, all ihrem Widerstand, war sie schließlich hier und stand vor ihm, nackt und schön. Begehrt. Und sie wusste, dass Theo Atrides, den sie mehr wollte als jeden anderen Mann auf der Welt, sie jetzt mit in sein Bett nahm, damit sie sein wurde. Zärtlich berührte er sie. Er umfasste ihre Schultern, streichelte ihr über die Arme, hielt an den Ellbogen inne, um sie zu betrachten - ihr Gesicht, ihre Brüste, deren Spitzen sich schon allein durch seinen Blick versteiften, ehe er sie mit seinen Daumen streifte. Unter seinen Liebkosungen schwollen ihre Knospen an und wurden zugleich hart und empfindsam. Schließlich umschloss Theo ihre straffen Brüste voller Verlangen. Dann glitten seine Hände langsam tiefer, umspannten Leandras Taille, ehe er mit dem Daumen ihren Nabel umspielte. Danach ruhten seine Hände auf ihren Hüften, bevor er ganz zart die gekräuselten Härchen zwischen ihren Schenkeln berührte. Erwartungsvolle Erregung durchströmte sie, und sie bebte unwillkürlich. Plötzlich ließ sich Theo auf ein Knie nieder, neigte den Kopf zu ihr, und Leandra spürte, wie sein Mund die empfindsame Stelle zwischen ihren Schenkeln berührte. Es kam ihr vor wie eine Huldigung an ihre Weiblichkeit. Dann erhob er sich wieder und ließ sie los. „Leg dich hin für mich, meine süße Geliebte! Erlaube meinen Augen, sich an dir zu erfreuen, und dann meinem Körper ...!" flüsterte er. Sie streckte sich auf dem Bett aus, und ihre Gestalt schimmerte wie gemalt. Seine dunklen Augen verengten sich, während er sie betrachtete, unfähig, den Blick von ihr abzuwenden. Leandra empfand die Macht und die Schönheit ihrer Weiblichkeit, die nur für seine Augen bestimmt war. Theo streifte seine Kleidung ab, und als sie seinen nackten Körper sah, breitete sich ein Lustgefühl in ihr aus. Es war überwältigend. Er schien nur aus Muskeln, Sehnen und straffer Haut zu bestehen. In dem dämmrigen Licht wirkte er wie aus Stein gemeißelt - der Inbegriff eines Mannes. Plötzlich regten sich leise Zweifel in Leandra. Sicherlich ging Theo davon aus, dass sie auf sexuellem Gebiet ebenso reichhaltige Erfahrung besaß wie er. Vielleicht würde er sich betrogen fühlen, wenn sie im Austausch dagegen nur eines bieten konnte, nämlich ihr grenzenloses Verlangen. Doch dann kam er zu ihr aufs Bett und kniete sich über sie. Sie fühlte seine kraftvollen Schenkel an ihren Flanken, und mit seinen starken Händen hielt er ihre Arme neben ihrem Kopf aufs Kissen gedrückt. „Jetzt habe ich dich, •meine göttliche Aphrodite ..." Ein Schauer der Lust durchzuckte sie. „Und was wirst du mit mir machen?" flüsterte sie, wobei sie mit halb geöffneten Lippen zu ihm aufschaute. Theo lachte leise und triumphierend. „Was ich mit dir machen werde?" wiederholte er mit sanfter, spöttischer und zugleich rauer Stimme. „Alles, was ich will, meine hinreißende Göttin. Alles, was ich will ..." Langsam neigte er den Kopf zu ihr herab. „Alles ...", flüsterte er und nahm Besitz von ihrem Mund. Er war ein unersättlicher Liebhaber, der absolute Hingabe von ihr forderte, indem er ihren Körper liebkoste und ihr Verlangen steigerte, bis er sie an den Rand der Ekstase gebracht hatte und sie all ihre Zurückhaltung aufgab. Er küsste und streichelte sie, bis Leandra nur noch aus einer einzigen Flamme der Sehnsucht und der Begierde zu bestehen schien. Kurz bevor Theo endgültig von ihr Besitz ergriff, hielt er inne und blickte sie fragend an. „Ist es sicher?" stieß er heiser hervor.
Sicher? Auf gar keinen Fall ist es das! schoss es ihr durch den Kopf. Mich Theo Atrides hinzugeben ist das Gefährlichste, was ich je in meinem Leben getan habe! Doch dann erhellte ein Strahlen ihr Gesicht. Was hatte Sicherheit mit Begehren zu tun? Mit dieser überwältigenden, wilden Süße, die ihren vor Verlangen bebenden Körper erfüllte? Dies war jenseits aller Vernunft, jenseits allen Denkens. Es war ein Wunder, Verzauberung, reines Gefühl, das wie eine mächtige Woge über ihr zusammenschlug und sie überschwemmte. Ja, alldem würde sie sich hingeben. Sie wollte sich dem Begehren, dem Wunder, der Verzauberung unterwerfen, und auch Theo Atrides und allem, was er von ihr verlangte ... „Ja", hauchte Leandra deshalb. „Ja!" Es war ein Versprechen. Mit geschlossenen Augen hob sie ihm ihren Mund entgegen. Theo senkte seine Lippen darauf, kostete ihren herrlichen Geschmack, um sein Verlangen zu stillen. Er drang in sie ein. Sie war bereit für ihn, bog sich ihm entgegen, voller Sehnsucht danach, ihn in sich aufzunehmen und zu spüren. Einen Moment lang leistete ihr Körper Widerstand, doch dann öffnete er sich ganz und empfing Theo ohne jeden Vorbehalt. „Christos ... du bist ja so eng!" Er klang schockiert, verständnislos. Für Sekundenbruchteile zögerte er, zog sich ein wenig zurück. Doch Leandra grub ihre Finger in seine Schultern und zog ihn wieder zu sich hinunter. „Ich will dich!" flüsterte sie mit heiserer Stimme. „Ich will dich, Theo. Oh ja, ich will dich so sehr!" Sie hob die Hüften noch höher und schlang die Beine um ihn. Mit einem triumphierenden Laut drang er erneut in sie ein, noch kraftvoller, noch tiefer. Sie schrie auf vor Lust, als er sie vollkommen ausfüllte. Er zog sich zurück, und sie empfand den Verlust als unerträglich. Wieder kam er zu ihr, um sich mit ihr zu vereinen, mit ihr zu verschmelzen. Immer wieder stöhnte sie auf, während seine Stöße in einem leidenschaftlichen Rhythmus immer stärker und erregender wurden. Leandra dröhnte das Blut in den Ohren. Und dann wurde sie von den verzehrenden Flammen ihrer Empfindungen verschlungen, die sie durchzuckten. Sie bog den Kopf nach hinten, und ihr Schrei der Erfüllung zerriss die Luft, vermischt mit Theos heiserem Stöhnen, als er ebenfalls den Höhepunkt erreichte. Erschöpft sank er auf sie. Keuchend und wie betäubt lag sie unter ihm. Ihr war, als habe sie gerade eine Reise in eine unbekannte Welt hinter sich. „Ich wusste nicht... Ich habe nie ..." Ihre Stimme war schwach, und ihre Hände glitten von seinen schweißnassen Schultern. „Ich wusste nicht ..." Mehr brachte sie nicht heraus, überwältigt von einer Freude, die so intensiv war, dass es ihr die Sprache verschlug. Theo stützte sich auf die Ellbogen. Seine Brust, die sich in raschem Wechsel hob und senkte, verriet, dass auch er zutiefst erschöpft und befriedigt war. „Aber jetzt weißt du es", sagte er, während er sie mit einem glühenden Blick betrachtete.
8.KAPITEL
Leandra lag unter ihm, noch immer so benommen und überwältigt, dass sie nur zu Theo emporzuschauen vermochte. Er bedeckte ihr Gesicht mit sanften Küssen - ihre Stirn, ihre Schläfen, die Mundwinkel. Küsse, mit denen er seinen Besitz besiegelte, sein Terrain markierte. Auf dem Rücken ausgestreckt, lag sie da, und er hielt ihre Handgelenke fest. Theo, der mit seinen Zärtlichkeiten nicht aufhörte, murmelte dabei Liebesworte in seiner eigenen Sprache. Schließlich wurden seine Küsse intensiver, drängender, bis Leandras Lippen sich ihrem Druck öffneten. Dieses Mal liebte er sie langsamer, ausgiebiger, bis sie stöhnte, sich unter ihm wand und um Erlösung von den köstlichen Qualen ihrer sich ständig steigernden Erregung flehte. Als er sie endlich zum Höhepunkt kommen ließ, schluchzte sie beinahe, so sehr sehnte sie sich nach ihm. Er sank in sie hinein, und sie hatte das Gefühl, überzufließen, mit seinem Körper zu verschmelzen ... Danach nahm Theo sie noch einmal, ohne ihr einen Augenblick der Ruhe zu gönnen. Sein Körper hatte sich schon erholt, bevor bei ihr die Wellen der Erregung verebbt waren, so dass sie noch immer erregt war, als er begann, sie aufs Neue zärtlich zu reizen. Mit kleinen Vorstößen seiner harten Männlichkeit neckte er das angeschwollene, pulsierende Tor zu ihrem Inneren. Leandra packte ihn bei den Hüften, hielt seine straffen Pobacken umklammert, doch er lachte nur. „Willst du mich, meine entzückende Meeresnymphe?" fragte er. Ihre Antwort war nichts als ein Stöhnen. Theo rollte sie herum, wobei er wieder tief in sie eindrang, um sie seine Erregung hart und groß in ihr spüren zu lassen. Es dauerte einen Moment, bis sie merkte, dass sie nun oben lag. Leandra hob den Kopf. „Setz dich ... rittlings auf mich!" befahl er. Sobald sie seiner Aufforderung nachgekommen war, schob er sie ein kleines Stück zurück, um sie in die Position zu bringen, in der er sie haben wollte. Sofort glitt er wieder in sie hinein, tiefer als je zuvor, und sie schnappte unwillkürlich nach Luft. „Und jetzt reite mich!" Seine Stimme klang rau, drängend. An Leandras Gesicht konnte er erkennen, wie neuerliche Erregung sich ihrer bemächtigte. Wieder lachte er. „Das gefällt dir, nai? Nun, mir auch, meine herrliche, hemmungslose Nymphe mit dem langen goldenen Haar und dem prachtvollen Körper, die ihre Lust an mir befriedigt." Halb richtete sich Theo auf, so dass sie die straffen Muskeln seines Unterleibs fühlte. In den dunklen Brusthaaren hingen Schweißperlen, in denen sich das Licht fing. Er ergriff ihre Hände und biss zart in den Daumenballen. „Reite mich ...!" wiederholte er. Sie folgte seiner Anweisung, hob und senkte ihren Kör-. per auf ihm, während Wellen der Lust sie durchströmten und Theos Blick so verschleiert war, wie sie es noch nie an ihm gesehen hatte. Leandra ritt auf ihm, weiter und immer weiter, bis sie das Gefühl hatte, ihr gesamter Körper stünde in Flammen. Als sie sich zurücklehnte, veränderte sich der Winkel, in dem er in sie eindrang, und glühende Hitze schoss explosionsartig durch sie hindurch. Sie schwankte, denn ein ungeheurer Wirbel der Ekstase erfasste sie. Keuchend und nach Luft schnappend, erlebte sie einen nie gekannten, lang andauernden Orgasmus. Schließlich wurde sie ruhiger, Sank auf seinem Körper zusammen, bis sie herunterzugleiten drohte. Sofort hielt Theo sie fest. „Du hattest dein Vergnügen, Leandra", erklärte er. „Jetzt bin ich an der Reihe." Beinahe wäre sie dazu nicht mehr in der Lage gewesen, doch seine kraftvollen,
kontrollierten Bewegungen rissen sie mit. Sie ritt ihn wieder, in einem gleichmäßigen, unbarmherzigen, gnadenlosen Rhythmus, der ihn immer höher trieb und zugleich immer tiefer. Sein ganzes Sein war nur auf diese eine Empfindung ausgerichtet, auf diese schier unerträgliche Lust. Leandra, die ihn beobachtete, sah plötzlich, wie sich sein Gesicht verzerrte, als er den Gipfel der Ekstase erreichte. Mit einem unkontrollierten Zittern gab sich Theo ihr vollkommen hin. In diesem Moment war er allmächtig und dennoch unglaublich verletzlich. Eine unerwartete wilde Zärtlichkeit erfüllte Leandra. Und auf einmal beugte sie sich zu ihm herab, umschloss sein Gesicht mit ihren Händen und presste es an ihre Brüste. „Theo, Theo, Theo ...!" flüsterte sie, während er sich in ihr verströmte. Sie schmiegte sich an ihn, bis er schließlich ruhiger wurde und sie ihn festhalten konnte. Für immer. Oder zumindest für heute Nacht... Es war erstaunlich. Leandras Glieder waren schwer wie Blei, jeder einzelne Muskel schien kraftlos zu sein. Sie konnte sich kaum bewegen. Dennoch hatte sie das Gefühl, in der Luft zu schweben, irgendwo ganz weit oben. Dies war der Theo-Effekt, der großartige, wundervolle, unglaubliche, strahlende TheoEffekt! Leandra streckte sich wohlig. Der Morgen war nach einer Nacht angebrochen, die so umwerfend, so wild gewesen war, dass sie es noch immer kaum fassen konnte. Obwohl nun die helle ägäische Sonne durch das Fenster hereinschien, war es kein Traum, keine Fantasie gewesen. Die letzte Nacht war real - so real, dass sie sich geradezu glühend in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte. Ein berauschendes Glücksgefühl durchströmte Leandra, und sie lächelte verträumt vor sich hin. „Theo ... Theo ... Theo ..." Es klang beinahe wie eine Beschwörungsformel. Als habe er sie gehört, öffnete sich die Tür, und Theo, lediglich mit einem kurzen Bademantel bekleidet, der seinen kraftvollen Körper kaum vollständig bedeckte, trat ins Zimmer. In den Händen trug er ein voll beladenes Frühstückstablett. Mit leuchtenden Augen streckte Leandra ihm die Arme entgegen, ließ sie dann jedoch wieder auf das zerwühlte Bett fallen. „Theo, ich habe überhaupt keine Kraft mehr!" beschwerte sie sich. Er lachte leise und stellte seine Last auf dem Nachttisch ab. „Ich werde dir etwas zu essen geben, damit du wieder zu Kräften kommst", erwiderte er, wobei ein Versprechen in seinen dunklen, glänzenden Augen lag. „Du wirst sie bald wieder benötigen, glaub mir ...!" Als er sich aufs Bett setzte, gab die Matratze unter seinem Gewicht nach. Mit seinem schlanken Zeigefinger zeichnete er den Umriss ihrer Knospen nach, während sie vor ihm in den Kissen lag, nackt wie die Göttin der Liebe. Unter seiner Berührung versteiften sich die Spitzen. Theo lachte erneut, leise, rau und erwartungsvoll. „Sehr bald sogar ...", versprach er. Er fütterte Leandra mit in Honig getauchten Weißbrotstückchen und leckte ihr dann die klebrigen Spuren von den Lippen. Sobald sie gesättigt war, übernahm sie die Aufgabe, ihn zu füttern. Er lag vor ihr wie ein prächtiger orientalischer Pascha, mächtig und träge. Und beide genossen die kleine Unterbrechung. Dann umfasste er ihren Nacken und zog sie zu sich herunter. Es dauerte lange, bis sie wieder auftauchten, um ihren Kaffee zu trinken. Als er sich schließlich aufrichtete, betrachtete Theo die Frau in seinem Bett. Sie lag da mit gespreizten Beinen, die Arme ausgebreitet, das Haar um ihren Kopf
ausgebreitet, ihre Lippen geschwollen und ihre Brustspitzen noch immer halb erregt. Ihre Haut war von feinem Schweiß überglänzt und an manchen Stellen von Theos Liebesbissen verfärbt. Theo wurde warm ums Herz, als er Leandra anschaute, die nun endlich sein war. Er fühlte sich wie ein König. Nein, wie der Kaiser der ganzen Welt! Eine solche Geliebte hatte es schon lange nicht mehr in seinem Leben gegeben. Wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht erinnern, jemals einer anderen Frau begegnet zu sein, die eine derartige Wirkung auf ihn ausübte. Bei Leandra war er atemlos vor Verlangen, auch wenn sie es gerade gestillt hatte. Von ihr konnte er einfach nicht genug bekommen. Sie brachte seine Gefühlswelt völlig durcheinander. Ein Name tauchte in seiner Erinnerung auf, doch er schob ihn rigoros beiseite. Nein, diese Frau hier in seinem Bett, die so lange gegen seine Begierde, sein Verlangen nach ihr angekämpft hatte, sie war nicht so wie jene andere. Ganz und gar nicht! Im Geiste sah Theo die dunklen vorwurfsvollen Augen seines Cousins vor sich, doch auch dieses Bild verdrängte er sogleich. Demos hatte eine Braut, um die er sich kümmern musste. Seine Junggesellentage waren gezählt. Im Leben seines Cousins war für Leandra kein Platz mehr. Sie gehört nur noch mir allein! dachte Theo triumphierend. Und zwar so lange, wie, ich sie will, ohne dass uns irgendetwas daran hindert. Die Zukunft strahlte in goldenen Farben. „So möchte ich mich an dich erinnern", sagte er zu Leandra. „In mein Gedächtnis, eingeprägt. Du gehörst mir, mir ganz allein!" Sie genoss seine besitzergreifende Art. Ja, sie gehörte ihm, vollkommen und absolut. Und im Augenblick gehörte er auch ihr. Im Laufe des Vormittags lehrte Theo Leandra einige höchst erregende Techniken, und was immer sie noch an Scheu oder Zurückhaltung empfunden hatte, war bald vorbei. Selbst nach einem ausgiebigen, herrlichen Mittagessen auf i5er Terrasse gönnte er ihr keine Pause. Auf dem warmen Sandstrand, unter freiem Himmel und im Schein der Mittelmeersonne nahm er sie erneut, dieses Mal unendlich sanft. Und danach trug er sie in das seichte Wasser, um sie in den leichten Uferwellen zu baden. Schließlich lagen sie beide noch immer nackt auf dem Sand, und Leandra schlief in Theos Armen ein. Als sie erwachten und die langen Sonnenstrahlen wie geschmolzenes Gold über dem türkisfarbenen Meer glänzten, führte er sie zur Villa zurück. Sie schlenderten durch den Garten wie Götter aus vergangenen Zeiten, als sei dies ihr eigenes, privates Paradies. Von einer Schlange war weit und breit nichts zu sehen. „Also gut, dann zweimal hintereinander! Komm schon! Du hast gesagt, dass du das kannst!" „Ich gebe niemals ein Versprechen, das ich nicht halten kann. Weißt du das immer noch nicht, paidi mou?" Theo lächelte Leandra zu, ehe er mit einer schnellen, entschiedenen Handbewegung ein Omelett hoch in die Luft warf. Mit einem vernehmlichen Klatschen landete es wieder in der Pfanne, bevor es beim nächsten Mal zu Leandras Verblüffung noch höher flog. Geschickt fing Theo es auch diesmal wieder auf und grinste sie jungenhaft an. „Dreimal!" forderte sie ihn nun heraus, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen. Sie waren in der Küche. Leandra war mit einer pastellfarbenen legeren Hose und einem Baumwollpullover aus der ihr zur Verfügung gestellten Garderobe bekleidet. Theo dagegen trug lediglich enge Jeans, in der sich nicht nur jeder Muskel seiner Schenkel und seines Pos abzeichnete, sondern auch die Wölbung seiner Männlichkeit deutlich zu erkennen war. Leandras Brüste prickelten. Sie trug keinen BH, und daher zeigte sich unter dem weichen Stoff ihres Pullovers die Rundung ihres Busens ebenso wie die aufgerichteten Spitzen. Sie sehnte sich danach, wieder von Theo in Besitz genommen zu werden. Ihr Liebesakt am Meer1 hatte ihr Verlangen nur noch verstärkt. Sie hatte ihn gebeten, mit ihr zusammen zu duschen,
doch er hatte abgelehnt. „Nein", hatte er gesagt und sie von sich geschoben, als sie sich dicht an ihn geschmiegt hatte. „Ich möchte, dass du dich noch viel mehr nach mir sehnst." Er legte ihr den Finger auf den Mund. „Du musst lernen, was wahrer Hunger ist, Leandra." Sie schnappte nach seinem Finger und saugte daran. Theo zog ihn fort und tippte ihr damit tadelnd an die Wange. Sie griff danach und biss sanft hinein. „Ich bin aber jetzt hungrig", erklärte sie. Lachend entzog er ihr seine Hand. „Dann werde ich dir etwas zu essen machen." Daraufhin hatte er sie in die Küche mitgenommen. „Milch, Eier, Mehl", hatte er verkündet, alles herbeigeholt, die entsprechenden Mengen in eine Küchenmaschine getan und Leandra angewiesen, diese einzuschalten. Während der Omelettteig gerührt wurde, sollte Leandra noch Käse, Schinken, Obst, Sahne, Sirup und Schokolade auf den Tisch stellen. „Ein Essen für die Götter", lachte Theo. „Einfach, schnell, nahrhaft und ausgesprochen vielseitig. Pass auf! Die Pfanne ist heiß!" Es war in der Tat ein himmlisches Festmahl, bei dem viel gelacht und mit großem Appetit gegessen wurde. Sie saßen einander gegenüber an dem sauber geschrubbten Holzküchentisch, während sie gemeinsam mehrere Omeletts aufaßen. Nie zuvor in ihrem Leben hatte Leandra eine Speise besser geschmeckt. Und dazu gab es einen hervorragenden Jahrgangssekt. Schließlich kehrten sie ins Bett zurück, wo Leandra die Erfahrung machte, wie wahrer Hunger nach einem nackten, erregten Körper sich stallen ließ. Ihr Liebesspiel glich einem Flächenbrand, der sie verzehrte. Die ganze Nacht lang wechselten sich Befriedigung und erneutes Begehren miteinander ab, bis Leandra das Gefühl hatte, ihr Körper sei nur noch eine einzige glühende Flamme der Leidenschaft. Immer wieder brachte Theo sie an den Rand der Ekstase, so dass ihre Schreie der Lust sich in der Nachtluft vermischten und ihr Echo bis zu den Sternen trugen. Einmal führte er Leandra nach draußen in die kühle Nachtluft, hieß sie, sich an die noch sonnenwarme, weiß getünchte Hauswand zu lehnen, und nahm unter dem Sternenhimmel erneut von ihr Besitz, indem er sie zu sich emporhob. Als er sie danach freigab, lief sie nackt und mit bloßen Füßen wie eine Nachtelfe zum Strand hinunter. „Fang mich!" rief sie ihm zu, während ihre langen Haare im Mondlicht leuchteten. Theo sprintete ihr hinterher und brachte sie schließlich mit einem Hechtsprung zu Fall, so dass sie atemlos stürzte. Sie fielen auf den Sand, rollten darauf umher, außer Atem vor Gelächter, bis Theo Leandra hochhob, mit ihr in die Wellen hineinlief und sie lachend ins Meer warf. Ihr entrüstetes Kreischen verstummte abrupt, als das Wasser über ihr zusammenschlug. Theo tauchte ihr nach. Leandra kam hoch, kreischte wieder, entwand sich ihm und tauchte davon. Hinauf, hinunter durch die Wellen und das tintenschwarze Meer, bis Theo sie an ihren nassen Haaren zu fassen bekam, sie küsste, an sich presste und auf den Strand trug, als sei sie Aphrodite selbst - und danach zurück in sein Bett, um sie erneut zu besitzen. Leandra war zu Mute, als befände sie sich im Paradies. Doch am Morgen tauchte die Schlange auf und zerstörte ihr Glück. Es geschah ohne Vorwarnung. Gerade hatten sie sich wieder geliebt. Angenehm müde lag Leandra in Theos Arme gekuschelt. Ihre Wange lag an seiner behaarten Brust. „Leandra", meinte er. „Warst du schon mal in New York?" „Nein." Lächelnd ließ sie ihre Hand über seinen flachen Bauch gleiten. „Gut", sagte Theo befriedigt. „Dann wird es mir ein besonderes Vergnügen bereiten, dir die Stadt mit all ihren Sehenswürdigkeiten zu zeigen und mich mit deiner Schönheit zu schmücken. Ich habe dir ja erzählt, dass ich nächste Woche rüberfliegen muss." Flüchtig
runzelte er die Stirn. „Hast du einen Pass?" „Hm!" murmelte sie schläfrig. New York! Ihre Augen leuchteten. Doch Theo hätte ihr auch sagen können, dass er sie mit ins Death Valley nehmen wolle, und Leandras Freude wäre genauso groß gewesen. Er möchte, dass ich mitkomme! Freude und Erleichterung erfüllten sie. Auch wenn ihr Zusammensein kurz und vergänglich sein mochte, war Leandra glücklich, dass es noch nicht vorbei, nicht auf die Tage auf dieser paradiesischen kleinen Insel beschränkt war. Froh darüber, dass er ihrer noch nicht überdrüssig war, spürte sie, wie er ihren Arm streichelte. „Ich werde deinen Pass nach Athen bringen lassen. Die Agentur, die mein Großvater beauftragt hatte, dich hierher zu bringen, hat es geschafft, die Einreiseformalitäten zu umgehen. Aber wenn wir reisen wollen, brauchst du Reisedokumente." Theo zog die Brauen zusammen. Ihre Papiere waren sicherlich in Demos' Apartment, und die Erinnerung daran, dass Leandra vor ein paar Tagen noch die Freundin seines Cousins gewesen war, war ihm gar nicht willkommen. Doch das war vorbei. Sie gehörte jetzt ihm, und zwar so lange, wie er sie wollte. Und wie sehr das der Fall war! Sein Verlangen nach ihr war unersättlich! Für ihn war sie noch genauso frisch und süß wie beim ersten Mal, als er sie in Besitz genommen hatte! Nein, noch mehr! Es gab etwas an Leandra Ross, was ihn vollkommen in den Bann schlug. Theo wusste zwar noch immer nicht, was es genau war, aber er würde es herausfinden. Er würde sie so lange behalten, bis er ihrer überdrüssig war. Gleichgültig, wie lange es dauerte. Dieser Gedanke genügte, um einen strahlenden, leuchtenden Ausdruck in seinen Augen hervorzurufen. Dann fiel ihm noch etwas ein. Es war zwar nur eine Banalität, aber da er nun mal praktisch veranlagt war, konnte er das auch gleich mit erledigen. „Gibt es noch irgendetwas, was du aus London brauchst, Leandra?" erkundigte er sich. „Persönliche Gegenstände, so etwas in der Art. Ich meine keine Kleider ... Ich werde dir alles zur Verfügung stellen, was du benötigst! Ach ja, und du solltest mir sagen, ob du noch ausreichend mit der Pille versorgt bist. Ich könnte deinen Gynäkologen anrufen lassen, damit er dir ein weiteres Rezept ausstellt, wenn du noch mehr brauchst. Oder du kannst in Athen zu einem Arzt gehen, wenn dir das lieber ist." Er lächelte sie an, seine dunklen Augen halb geschlossen. Leandra schaute zu ihm auf, und ihr stockte unwillkürlich der Atem, so überglücklich fühlte sie sich. „Und?" hakte Theo nach, während er weiter ihren Arm streichelte. „Was?" murmelte sie, abgelenkt von den erregenden Empfindungen, die seine Berührungen in ihr auslösten. „Die Pille ... Brauchst du noch mehr davon, oder hast du genug?" Ein elektrisierendes Prickeln breitete sich auf ihrer Haut aus. „Ich nehme die Pille nicht", antwortete sie, drückte ihren Mund auf seine Brust und verlagerte ihr Gewicht ein wenig auf die Hüften, damit sie sich dichter an ihn schmiegen konnte. Sie spürte, wie Theo ihren Ellbogen packte. Das Streicheln hatte unvermittelt aufgehört. „Und womit verhütest du dann?"
9. KAPITEL
Theos Stimme hatte plötzlich einen vollkommen anderen Klang. Leandra löste die Lippen von seiner Brust und hob den Kopf, um ihn anzuschauen. Er hatte ebenfalls den Kopf vom Kissen erhoben und sah sie an. In seiner Miene war keine Freundlichkeit mehr, nur noch die Forderung nach einer Antwort auf seine Frage. „Du hast mir gesagt, dass es sicher sei." Sie starrte ihn an. Wovon sprach er? Theo setzte sich auf und rückte von ihr ab. „Bevor wir uns das erste Mal geliebt haben. Da hast du mir gesagt, dass es sicher sei." Seine Stimme klang immer noch so anders. Furcht stieg in ihr auf. Was war los? Weshalb verhielt er sich so merkwürdig? Was hatte sie getan? Empfängnisverhütung. Darum ging es. Daran hatte Leandra überhaupt nicht gedacht. Sie hatte es völlig verdrängt. Irgendwann in den langen Stunden jener ersten Nacht hatte sie registriert, dass Theo selbst keinen Schutz benutzt hatte. Ihr war klar, dass sie sich darüber hätte Gedanken machen sollen, aber das hatte sie nicht getan. Sie hatte die Freiheit genossen, in der ihr Liebesspiel stattgefunden hatte, und außerdem war es ihrer Meinung nach sicher genug. Immerhin konnte jeden Tag ihre Periode einsetzen. Dann bestand doch keine Gefahr, oder doch? Unvermittelt verließ Theo das Bett. Er warf seinen Frotteebademantel über und verknotete den Gürtel, so fest es ging. Als er Leandra wieder anblickte, war seine Miene verschlossen. „Theo ..." Ihre Stimme klang gepresst, weil sie versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Was geschah hier? Er antwortete nicht. „Ich bin schon zu lange von meinem Büro fort", erklärte er. „Es tut mir Leid, aber ich werde dich heute allein lassen müssen." Beunruhigt betrachtete sie sein Gesicht. Irgendetwas war passiert. Das spürte sie. Als sie ihm nachschaute, wie er mit langen Schritten ins Badezimmer ging und die Tür hinter sich schloss, wurde ihr beinahe schwindlig. Er machte sich Sorgen, weil sie nicht verhütet hatte. Natürlich macht er sich deshalb Sorgen! Was glaubst du denn? Und du solltest dir auch Sorgen machen! ermahnte sie eine innere Stimme. Leandra wurde von tiefer Bestürzung und Scham überflutet. Wie konnte ich nur so dumm sein, nicht über die Konsequenzen dessen, was ich tat, nachzudenken? warf sie sich vor. Ich habe mich genau so verhalten, wie keine Frau es jemals tun sollte - ich hatte ungeschützten Sex mit einem Mann, weil ich vor lauter Egoismus und Leidenschaft nicht mehr klar denken konnte! Ich habe mich benommen wie der verantwortungsloseste Teenager auf der ganzen Welt! Gedankenlos, selbstsüchtig, leichtsinnig ... Ich könnte schwanger sein! Doch anstatt dass dieser Gedanke sie erschreckte, erfüllte er sie mit einem überwältigenden Glücksgefühl. Schwanger ... schwanger von Theo! Eine Sekunde lang war sie so glücklich, dass sie es selbst, kaum glauben konnte. Es könnte sein, dass ich Theos Kind in mir trage! Doch dann zerplatzte die Seifenblase. Du Dummkopf! Wie verantwortungslos kann man nur sein? schalt sich Leandra. Ein Kind von einem Mann zu wollen, für den sie nicht mehr war als ein verführerisches Zwischenspiel! Bilde dir bloß nichts ein, meine Liebe, ermahnte sie sich. Im Moment findet er dich zwar toll, aber du hast von Anfang an gewusst, dass es ihm nichts bedeutet, gar nichts. Du hast es gewusst! Und seine Reaktion gerade eben war der Beweis dafür. Hatte sie etwa Freude in seinem Gesicht gesehen, als sie damit herausgeplatzt war, dass sie die Pille nicht nahm? Dachte sie vielleicht, dass ein Mann wie Theo Atrides wollte, dass seine ständig wechselnden
Liebesgefährtinnen von ihm schwanger wurden? Denn das war alles, was sie für ihn war. Mehr nicht... Blicklos starrte sie auf die sonnenbeschienene Terrasse hinaus. Das Paradies war gerade in Schutt und Asche versunken. Theo war nicht etwa gemein zu ihr. Er nahm einfach eine distanzierte, unpersönliche Höflichkeit an. Es war wie eine Mauer, die sie nicht zu durchdringen vermochte. Nicht, dass sie sich nicht darum bemüht hätte. Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, so dumm und so verantwortungslos gewesen zu sein, dass sie ihm sein Verhalten nicht einmal übel nehmen konnte. Erst kurz bevor er gehen wollte, fasste sie nach seinem Hemdsärmel und rief: „Theo ... meine Periode ... sie müsste in ein oder zwei Tagen kommen. Bitte mach dir deshalb keine Sorgen!" Er lächelte ihr kurz zu und entschuldigte sich, um zum Helikopter zu gehen. Es wurde ein langer, endloser Tag, und Leandra war von einer ungeheuren inneren Rastlosigkeit getrieben. Während sie auf der Terrasse auf und ab ging oder versuchte, sich durch Schwimmen abzulenken, spürte sie, wie ihre Anspannung stetig anwuchs. Sie vermisste Theo schon jetzt. Sie vermisste sein Liebesspiel, sein Lachen ... sie vermisste ihn. Ein tiefer Schmerz bohrte sich in ihr Herz. Komm zu mir zurück! Ach, komm doch so schnell zu mir zurück, wie du nur kannst! flehte sie still. Immerhin kann er sich ja in Athen problemlos Kondome besorgen, dachte sie sehnsüchtig. Als die Sonne sich dem Westen zuneigte, stieg Leandra zum höchsten Punkt der Insel hinauf, um den Horizont abzusuchen und angestrengt auf den Klang von Rotorblättern zu lauschen. Während sie dort saß und wartete, dachte sie an den ersten Tag hier, als sie an derselben Stelle gesessen hatte, von Schrecken erfüllt über das, was ihr zugestoßen war. Seitdem hatte sich ihr Leben total verändert. Es war komplett auf den Kopf gestellt worden. Nichts war mehr so wie vorher. Sie hatte sich in Theo Atrides verliebt. Das war es, was geschehen war, dessen war sie sich bewusst. Das war der Grund dafür, dass sie ihm in sein Bett gefolgt war und jede Vorsicht, jedes Misstrauen einfach außer Acht gelassen hatte - außer Stande, die Gefühle zu verleugnen, die sie überwältigt hatten. Oh, ihr war völlig klar, dass Theo ihre Liebe nicht erwiderte. Das war unmöglich. Aber ihre Gefühle für ihn waren unauslöschlich. Sie würde nie aufhören, ihn zu lieben. Wieder begann sie, den Himmel mit ihren Blicken abzusuchen. Doch an diesem Abend kehrte Theo Atrides nicht auf die Insel zurück. Allein in Theos Bett, wälzte sich Leandra hin und her und sehnte sich danach, seinen warmen Körper neben sich zu spüren, in sich ... Am nächsten Morgen saß sie auf der Terrasse und las niedergeschlagen eines der Bücher, die Theo ihr herausgesucht hatte, als plötzlich das Geräusch eines Hubschraubers an ihr Ohr drang. Sogleich eilte sie hinunter zum Landeplatz, aber nachdem der Helikopter gelandet war, stieg nicht Theo aus, sondern ein junger Mann, den sie nicht kannte. „Miss Ross ... Mr. Atrides bittet darum, dass Sie nach Athen zurückkehren, wenn es Ihnen recht ist", sagte er höflich, nachdem er sie begrüßt hatte. Ohne große Neugier sah er sie an, und Leandra wurde schlagartig klar, dass er nichts Ungewöhnliches daran fand, wenn sein Boss seine Bettgefährtinnen auf seiner Privatinsel absetzen oder abholen ließ. Unglücklich ergab Leandra sich in ihr Schicksal. Nach der Landung in Athen wurde sie von einem Chauffeur durch die überfüllten Straßen gefahren, bis sie eine ruhige, aber vornehme Gegend erreichten., In der Hoffnung, Theo zu sehen, blickte sich Leandra um. Doch sein Assistent brachte sie lediglich in ein anonymes Gebäude. Wie sie schnell merkte, handelte es sich um eine Privatklinik.
Sie wurde von einer Krankenschwester in Empfang genommen, die sie freundlich, aber unverbindlich behandelte. Der Arzt allerdings, der Leandra untersuchte, war wesentlich offener. Er führte eine vollständige gynäkologische Untersuchung bei ihr durch, stellte ihr detaillierte Fragen über ihren Menstruationszyklus und machte sich Notizen. Dann bedachte er sie mit einem unpersönlichen Lächeln und reichte sie an die Schwester weiter, damit diese einen Schwangerschaftstest mit ihr machte. Leandra versuchte zu erklären, dass es dafür noch viel zu früh sei, aber die Krankenschwester lächelte nur und bestand auf der Durchführung. Also gab Leandra nach. Danach wurde sie in den Warteraum zurückgebracht, wo Theos Assistent sie erwartete. Höflich begleitete er sie aus der Klinik und brachte sie zu •einem großen, luxuriösen Hotel im Athener Stadtzentrum. „Mr. Atrides wird Sie im Laufe des Tages aufsuchen. Bitte verlassen Sie daher das Zimmer möglichst nicht!" erklärte der junge Mann, ehe er sich verabschiedete. Ohne seine Vorwarnung hätte sich Leandra sogleich in das Gewühl auf den Straßen gestürzt, um sich von den düsteren Vorahnungen abzulenken, die sie quälten, seitdem Theo sie verlassen hatte. Gefangen in dem prächtig ausgestatteten Raum, blieb ihr nun nichts anderes übrig, als unruhig auf und ab zu laufen oder ziellos zwischen den Fernsehkanälen hin und her zu schalten. Was ging hier vor sich? Was war nur los? So viele Fragen wirbelten ihr durch den Kopf. Warum hatte die Krankenschwester einen Schwangerschaftstest gemacht, obwohl man so bald nach dem Liebesakt sicherlich noch kein zuverlässiges Ergebnis erwarten konnte? Leandra hatte ihr und dem Arzt mitgeteilt, dass sie bald ihre Regel bekommen werde, und die ihr wohl bekannten körperlichen Veränderungen, die damit zusammenhingen, bestätigten dies. Doch was sie am meisten beunruhigte, war Theos Abwesenheit. Sie versuchte, vernünftig zu sein. Sie erinnerte sich daran, dass Theo Atrides ein einflussreicher Industriemanager war, der ein riesiges Firmenimperium zu leiten hatte; dass Männer wie er viele Stunden arbeiteten und nur wenig Zeit für romantische Tändeleien hatten. Sie musste eben einfach so lange abwarten, bis er sein Büro verlassen und zu ihr kommen konnte. Und wenn es so weit war, wollte sie für ihn bereit sein! Voller Vorfreude leuchteten ihre bernsteinfarbenen Augen auf, und sie verbrachte die nächsten beiden Stunden damit, ein ausgedehntes Schaumbad in der riesigen Badewanne zu nehmen und sich einem gewissenhaften Schönheitsprogramm zu unterziehen. Kurz nachdem Leandra in. dem Hotel abgesetzt worden war, hatte ein Page ihr einen Koffer voller Kleidung von der Insel für sie gebracht, ebenso wie ein Beauty-Case, in dem alles vorhanden war, was sie brauchte, um sich für Theo so schön wie möglich zu machen. Als sie sich im Spiegel betrachtete, angetan mit einem der wunderschönen Negliges, die Theos Sekretärin besorgt hatte, hob sich Leandras Stimmung. Ihr hellblondes Haar, frisch gewaschen und geföhnt, fiel ihr in langen Wellen über den Rücken hinunter. Ihr Make-up war zart, unterstrich dadurch jedoch ihre natürliche Schönheit. Ihre Haut war glatt und duftete, und ihr gesamter Körper war von der Sehnsucht nach Theo erfüllt. Wenn er kommt, dann werde ich ihn um Verzeihung bitten, dass ich so nachlässig gewesen bin, keinen Gedanken an Empfängnisverhütung verschwendet zu haben, dachte sie bei sich. Er wird mir verzeihen! Bestimmt wird er verstehen, dass der Sex mit ihm mich dermaßen überwältigt hat, dass ich völlig vergessen habe, mich zu schützen! Dann, wenn sie ihm alles erklärt hatte, würde er sie wieder anlächeln, und dieser düstere, beunruhigte Ausdruck würde aus seiner Miene verschwinden. Und darin würde sie ihm aufs Neue gehören - so lange, wie er sie haben wollte ... Weil sie nämlich nicht schwanger war. Dessen war sich Leandra ganz sicher. Aus einem plötzlichen Impuls heraus bestellte sie eine Flasche Champagner beim Zimmerservice und stellte sie in den Minikühlschrank in ihrem Zimmer. Sie ließ die Jalousien
herunter und schlug die Bettlaken zurück. Jetzt würde es sicherlich nicht mehr lange dauern, bis Theo da war! Er kam am frühen Abend. Leandra hörte, wie er seine Schlüsselkarte draußen einsteckte, und wirbelte herum, sobald sich die Tür öffnete. Sie war wie gebannt von seinem Anblick. Theo blieb regungslos auf der Schwelle stehen. Sein Blick ruhte auf ihr. In seiner Wange zuckte ein kleiner Nerv, und er wirkte aufs Äußerste angespannt. Und ungeheuer sexy. Sie ging auf ihn zu. Sie konnte nicht anders. Sechsunddreißig Stunden hatte sie nun schon ohne ihn auskommen müssen, und sie war völlig ausgehungert nach ihm. Sie brauchte ihn, und zwar jetzt sofort! Sie presste sich an ihn und war glücklich, endlich wieder seinen harten, starken Körper zu spüren. Eng an ihn gedrückt, schlang sie ihm die Arme um den Nacken. „Oh Theo, ich habe dich so vermisst!" rief sie aus. Dann hob sie ihm den Mund entgegen, um ihn zu küssen. Theo versteifte sich, jeder Muskel war bis zum Zerreißen gespannt. Seine Hände schlössen sich fest um ihre Oberarme, und er schob sie entschieden von sich. „Nein, Leandra. Fass mich nicht an!" Sein Tonfall war düster. Ängstlich und mit einem verwirrten Ausdruck in den Augen sah sie ihn an, denn sie konnte es nicht verstehen. Er ließ die Tür hinter sich zufallen, ehe er das Zimmer durchquerte, um den Abstand zwischen sich und ihr zu vergrößern. Sie folgte ihm mit ihrem Blick, wobei ihr Herz wie verrückt hämmerte. Was war nur los? Es dauerte nicht lange, bis Theo sie aufklärte. „Es hat keinen Zweck, Leandra." Noch immer klang seine Stimme schleppend. „Deine Tricks werden nicht länger funktionieren." „Meine Tricks?" wiederholte sie verständnislos. Auf einmal lag ein trostloser Blick in seinen Augen. „Wie würdest du es denn sonst nennen?" fragte er. Sein Gesicht war verschlossen, genau wie gestern Morgen, als er nach Athen zurückgeflogen war. „Vielleicht", fuhr er in demselben, ausdruckslosen Tonfall fort, „würdest du es ja als Versicherungspolice bezeichnen. Als Einnahmequelle. Eine, die nicht versiegt, ein ganzes Leben lang." Leandra war bestürzt. „Theo ... bitte ...! Ich verstehe nicht! Hör zu, wenn du mir böse bist oder dich darüber aufregst, dass ich so dumm war, nicht an Verhütung zu denken, dann kann ich das verstehen! Es tut mir Leid! Wirklich! Es war töricht und leichtsinnig von mir, das weiß ich. Aber ...", sie bemühte sich um ein Lächeln, das ihr jedoch nicht so recht gelingen wollte, „ich war einfach zu ... glücklich." Wieder versuchte sie zu lächeln, aber auch diesmal gelang es ihr nicht. „Ich habe einfach alles um mich herum vergessen - außer dir, Theo ..." Sie brach ab. Sein Gesicht war noch immer verschlossen und undurchdringlich. Leandra fiel auf, dass er plötzlich älter aussah, so als würde er die Last der gesamten Welt auf seinen Schultern tragen. Nervös verschränkte sie die Finger ineinander. Theo bemerkte es, und der trostlose Ausdruck in seinen Augen verstärkte sich noch. „Leandra", sagte er schwerfällig, „wenn es nur beim ersten Mal gewesen wäre, dann hätte ich dir vielleicht, vielleicht sogar geglaubt! Vielleicht hätte ich gedacht, dass Verhütung tatsächlich das Letzte gewesen ist, woran du gedacht hast. Der Himmel weiß", meinte er mit sarkastischem Selbstvorwurf, „es war auch das Letzte, was mich kümmerte!" Er holte tief Luft, ein Laut, der beinahe schmerzlich klang. „Aber du kannst nicht einfach dastehen und mir erzählen, dass du es zwei ganze Tage lang einfach vergessen hast. Wir haben uns so oft geliebt, dass du irgendwann im Laufe dieser Zeit daran gedacht haben musst!
Dir war ja zu dem Zeitpunkt auch klar, dass ich keine Vorsichtsmaßnahmen ergriffen habe. Wenn du genauso ungeschützt warst, warum hast du dann nichts gesagt? Was mich betrifft ..." Ein bitterer Unterton schwang in seiner Stimme mit. „Da ich wusste, dass du Demos' Geliebte gewesen bist und er sich deshalb mit Sicherheit davon überzeugt hatte, dass nichts passiert, gab es mir ein solches Gefühl der Freiheit, dass ich nicht widerstehen konnte! Ich habe mich auf ungeschützten Sex mit dir eingelassen, weil ich dir vertraut habe, Leandra." Er ließ den Blick über sie gleiten. „Und du hast mich verraten." Sie stieß einen protestierenden Ausruf aus, den Theo jedoch ignorierte. „Du kannst doch nicht ernsthaft von mir erwarten, dass ich dir abnehme, du hättest zwei volle Tage lang schlicht ,vergessen', an Verhütung zu denken. Und das bedeutet..." Seine Augen wurden hart. „Es gibt nur eine Erklärung für dein Schweigen in dieser Hinsicht. Es war Absicht. Du hast vorsätzlich ungeschützten Sex mit mir gehabt." Heftig schüttelte Leandra den Kopf. „Nein! Nein, Theo ... das stimmt nicht. Das ist wirklich nicht wahr!" Er machte eine ungeduldige Handbewegung. „Leandra, du bist doch kein naiver Teenager mehr! Du bist eine sexuell sehr erfahrene Frau. Du warst die Geliebte meines Cousins. Selbstverständlich wusstest du ganz genau, was du tatest! Du wolltest mich in dem Glauben lassen - was ja auch funktioniert hat -, dass du die Pille nimmst. Was hätte ich denn sonst von einer Frau denken sollen, die wochenlang mit Demos zusammengelebt hat? Und was soll ich jetzt von dir glauben, außer dass du mich absichtlich hintergangen hast?" „Nein", widersprach sie schwach. Sie konnte nicht fassen, was hier gerade geschah. Sie konnte es nicht fassen, dass ein einfacher, dummer Fehler eine solch fürchterliche Wirkung hatte. Als Theo weitersprach, klang seine Stimme kalt. Er verurteilte sie. „Und zu welchem Zweck hättest du mich auf diese Weise hintergangen, Leandra? Warum hättest du wohl absichtlich ungeschützten Sex mit mir gehabt? Meiner Ansicht nach gibt es dafür zwei mögliche Gründe, und beide sind unverzeihlich." Mit seinen dunklen Augen blickte er zu ihr herüber, wies sie zurück. „Entweder du warst schon schwanger, oder du hattest die Hoffnung, es zu werden." Entsetzt schnappte sie nach Luft und wies diese Anschuldigung sofort weit von sich. „Nein! Nein, Theo!" Er stieß einen heiseren Laut aus. „Nun, was die erste Möglichkeit angeht, bist du entlastet. Der Arzt an der Klinik, in der du heute gewesen bist, hat mir versichert, dass du nicht schwanger bist." Verächtlich verzog er den Mund. „Es scheint also, dass du nicht schon ein Kind von Demos erwartest, wie ich zuerst vermutet hatte." Ungläubig starrte sie ihn an. „Ein Kind von Demos?" wiederholte sie fassungslos. Das also war seine Sorge gewesen? Deshalb hatte man sie heute in der Klinik einem Schwangerschaftstest unterzogen? Achselzuckend erwiderte er: „Ja, warum nicht? Das hätte von Anfang an dein Plan sein können. Wer weiß? Wenn du von Demos schwanger gewesen wärst, hätte dies seine Verlobung sofort gestoppt, und du hättest einen Mann gehabt, der dich dein Leben lang finanziell unterstützt hätte. Allerdings ..." Theos Stimme klang schroff. „Als deine Liaison mit meinem Cousin so abrupt endete und dir klar wurde, dass seine Verlobung mit Sofia Allessandros nur eine Frage der Zeit war, könntest du sehr gut beschlossen haben, dass ich einen durchaus angemessenen Ersatzvater abgebe! Die Blutsverwandtschaft ist eng genug, dass du das Kind von Demos leicht als meines hättest ausgeben können. Und ich bin noch um einiges reicher als er!" Leandras Mund fühlte sich trocken an. Was Theo ihr da unterstellte, war einfach schrecklich! Das glaubt er doch nicht wirklich, dachte sie. Das kann doch nicht sein! Sie wollte etwas sagen, aber er fuhr in demselben leidenschaftslosen Ton fort, der sie frösteln ließ.
„Offenbar bist du jedoch nicht schwanger von Demos. Wenigstens dafür sollte ich wohl dankbar sein. Jetzt muss ich nur noch abwarten, ob mich ein Schicksal erwartet, das fast ebenso schlimm wäre. Nämlich selbst ein Kind mit dir gezeugt zu haben." Leandra zuckte zusammen, als habe er sie geohrfeigt. Theo sah, wie sie zurückwich, und lächelte dünn, ohne jeden Humor. „Ach, schau doch nicht so beunruhigt drein! Dazu besteht kein Anlass. Denn solltest du tatsächlich ein Kind erwarten, Leandra, dann wird dir deine sprudelnde Einnahmequelle dein Leben lang sicher sein, keine Sorge! Kein Sprössling von mir wird jemals abgelehnt oder unehelich geboren werden. Gleichgültig, was ich von seiner Mutter halte! Jedes meiner Kinder wird sicher und geborgen aufwachsen, und ich werde es lieben! Du kannst also gewiss sein, dass ich dich heiraten werde. Und als meine Frau und Mutter meines Kindes wirst du dein Leben im Luxus verbringen. Na, ist das keine erfreuliche Perspektive für dich?" Sie wurde blass. Das waren grauenvolle Aussichten, absolut fürchterlich! Mit Theo verheiratet zu sein, weil ihm keine andere Wahl blieb, und nur deshalb, weil er das Gefühl hatte, er müsste einem Kind gegenüber seine Pflicht erfüllen, das er niemals gewollt hatte das war das Schlimmste, was Leandra sich vorstellen konnte. Sie schüttelte den Kopf. Das würde nie geschehen. In den langen Stunden seiner Abwesenheit hatte sie diesbezüglich bereits einen Entschluss gefasst. Falls sie wirklich schwanger sein sollte und ihre eigene Torheit dazu geführt hatte, dass sie ein Baby bekam, dann würde sie keinerlei Ansprüche an Theo stellen. Sie würde nach England zurückkehren, das Kind austragen und es allein erziehen. Sie war sich darüber bewusst, dass es schwierig werden würde, aber sie wusste auch, dass sie es schaffen würde. Ihren Beruf müsste sie dann zwar aufgeben, aber das war ihr egal. Sie könnte in dem Haus ihrer Eltern am Meer leben. Im Sommer würde sie Bed-and-Breakfast-Gäste aufnehmen und im Winter Pensionsgäste beherbergen. Irgendwie würde sie schon zurechtkommen. Doch sie würde Theo Atrides nie wieder sehen. Leandra wurde schwer ums Herz. Aber schließlich war es ja auch so, dass sie ihn ohnehin nicht mehr wiedersehen würde, sobald er ihrer erst einmal überdrüssig geworden wäre und der Sex mit ihr seinen Reiz für ihn verloren hätte. Sie machte sich keine Illusionen darüber, dass sie ihm auch nur das Geringste bedeutete ... Es wird keine gemeinsame Zukunft mit Theo geben. Was immer auch geschehen mag, ich werde ihn niemals bekommen. Aber ich könnte wenigstens ein Kind von ihm haben Eine Woge süßer, bohrender Sehnsucht stieg in ihr auf bei dem Gedanken, Theos Baby in ihren Armen zu halten Seine schroffe Stimme riss sie aus ihren Träumereien. Die erschreckende Sachlichkeit seiner Worte ließ Leandra erstarren. „Falls deine Periode sich verspäten sollte, wirst du danach sofort einen zweiten Schwangerschaftstest machen. Wenn das Ergebnis positiv ist, werden wir unverzüglich heiraten." Wieder verzog er den Mund. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch vor Demos vor den Traualtar treten würde, und das auch noch mit einer solchen Braut an meiner Seite." Als sie die kalte Verachtung in seiner Stimme hörte, zuckte Leandra erneut zusammen. Sie musste ihm klarmachen, dass er sich irrte! Dass er im Unrecht war! Und dass sie es niemals absichtlich auf eine Schwangerschaft angelegt hatte! Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Theo, bitte glaub mir, es war nichts anderes als eine Nachlässigkeit, dass ich nicht an Verhütung gedacht habe!" Geringschätzig kräuselte er die Lippen. „Nachlässigkeit? Nein, das glaube ich kaum. Ich kenne die Methoden deiner ehrgeizigen Geschlechtsgenossinnen besser, als du denkst, Leandra. Was meinst du wohl, warum ich mich bisher auf Frauen beschränkt habe, die selber reich sind?" Er hob die Brauen. „Glaubst du etwa, du wärst die Erste, die ihre Gebärmutter als Möglichkeit zum Geldverdienen nutzt, um sich auf Kosten des Atrides-Vermögens zu bereichern?"
Seine Stimme klang hohl. „Aber du warst mit Sicherheit die Cleverste. Das will ich dir gerne zugestehen. Oh ja, das kann man wohl sagen!" Quer durch den Raum schaute Theo zu ihr herüber, über eine Kluft, die so tief war, dass Leandra klar wurde, sie würde sie nie mehr überbrücken können. Es war alles zerstört, was zuvor so schön ... und so kurz zwischen ihnen aufgeblüht war. Als Theo fortfuhr, trafen sie seine Worte wie Messerstiche. „Wie alle Betrüger es tun, hast du meine Schwächen ausgenutzt, Leandra. Du hast gemerkt, dass ich dich dafür verachte, dass du eine Frau bist, die sich ihre Liebhaber nach der Größe ihrer Bankkonten aussucht. Und dir war klar, dass ich mit einer solchen Frau niemals ins Bett gehen würde. Also hast du dir das Mäntelchen der Tugend umgehängt! Du hast einen hohen Einsatz riskiert, indem du die einhunderttausend Pfund, die dir sicher gewesen wären, abgelehnt hast, um dir eine noch viel größere Beute zu angeln!" Seine Stimme besaß auch weiterhin diesen ausdruckslosen Tonfall. Leandra war zu Mute, als würde sie mit einer ätzenden Flüssigkeit übergössen, die etwas so Kostbares zerstörte, dass es ihr geradezu physischen Schmerz bereitete. „Und dann hast du dasselbe Spiel mit der Diamantkette noch einmal gespielt. Dieses Mal waren es Tränen anstatt Wut, die du mir vorgespielt hast. Und es hat geklappt, Leandra. Oh ja, es hat sogar hervorragend funktioniert! Genau wie deine Empörung über die Kleider, die ich für dich gekauft habe. Und wie dein ach so überzeugendes Widerstreben, meinem Drängen nachzugeben! Ja, wirklich ausgesprochen clever, Leandra. Langsam, aber sicher hast du mich auf diese Weise in deinem Lügennetz eingefangen ..." Ihr Herz war wie versteinert und so schwer wie Blei. Theo sprach weiter, und sie zwang sich dazu, ihm zuzuhören. Die Welt brach um sie her zusammen, und Leandra wurde von einer Übelkeit überwältigt, die bis in ihr tiefstes Inneres reichte. Es war alles so schrecklich schief gegangen. „Du hast mich zum Narren gemacht, mich verwirrt, mich vollkommen um den Verstand gebracht vor lauter Verlangen nach dir! So lange, bis ich von dir besessen war! Wachs in deinen Händen! So wie du es die ganze Zeit über geplant hattest..." Seine Stimme klang jetzt wie aus sehr weiter Ferne, beinahe wie vom anderen Ende der Welt. „Und als du mich erst einmal in der Falle hattest, konntest du gar nicht mehr verlieren, nicht wahr, Leandra? Gleichgültig, was passierte, du hättest immer davon profitiert! Wenn du nicht schwanger geworden wärst oder ich angefangen hätte, selbst für Verhütung zu sorgen, dann wärst du meine verwöhnte Geliebte geworden, und ich hätte mein Vermögen über dir ausgeschüttet. Und wenn du richtig Glück gehabt hättest und eine Schwangerschaft eingetreten wäre, dann wäre dein Profit noch größer geworden! Du wärst dein ganzes Leben lang finanziell abgesichert gewesen, auch wenn ich dich nicht geheiratet hätte. Und falls ich es doch getan hätte ... Und die Chancen dafür standen recht gut, denn schließlich hast du ja gewusst, dass mein Großvater sich verzweifelt einen Erben wünscht. Also, was wäre schon dabei, wenn sein anderer Enkel ihm diesen Nachkommen schenkte? Nun, als Mrs. Theo Atrides hätte dir die ganze Welt zu Füßen gelegen!" Theo senkte die Stimme, und seine Augen glühten wie von einem mörderischen Feuer. „Oder hattest du womöglich noch einen ganz anderen Plan? Warst du vielleicht auf eine letzte große Abfindung aus?" Theos Stimme klang leise und barsch. „Hättest du es vorgezogen, ein Vermögen zu machen, ohne dir deine herrliche, üppige Figur zu ruinieren, Leandra? Hast du geglaubt, du könntest deine Hand für einen Scheck mit genügend Nullen darauf aufhalten, um in eine Abtreibungsklinik gehen zu können ...?" Leandra fühlte sich einer Ohnmacht' nahe. Sie presste sich die .Hände auf die Ohren, um sich vor der Bösartigkeit von Theos letzter, ungeheuerlicher Anschuldigung zu schützen. „Nein!" stieß sie gequält hervor. „Nein! Nichts von dem, was du mir vorgeworfen hast, ist
wahr! Das stimmt alles nicht!" Theos Gesicht war hart wie Stein. „Nichts davon ist wahr? Ich bilde mir das also alles nur ein, ja? Dass du bewusst und in voller Absicht mehrfach ungeschützten Sex mit mir hattest ... Und dass du nicht einmal, nicht ein einziges Mal daran gedacht hast, diese Tatsache zu erwähnen?" In seiner Stimme lag unverhohlener Hohn. Hilflos sah Leandra ihn an. Wie konnte er nur solche Dinge zu ihr sagen? Sie beschuldigen, dass sie geplant habe, ihn zu hintergehen, um Geld von ihm zu kriegen! Wie konnte er so etwas auch nur denken, nach allem, was sie miteinander erlebt hatten? Forschend suchte sie in seinem Gesicht nach dem Mann, der ihr das Paradies gezeigt hatte. Es war nichts mehr da, keine Spur von dem Liebhaber, dem sie sich so rückhaltlos und voller Freude hingegeben hatte, der im Feuer der Leidenschaft von ihr Besitz genommen und sie in den Armen gehalten und an sein Herz gedrückt hatte. Nichts war mehr davon übrig. Er war nur noch ein Fremder. Nein, schlimmer als das. Irgendetwas erstarb in ihr. Niedergeschlagen und mit gesenktem Kopf stand sie da. „So war es nicht, Theo. Ich schwöre dir, dass es nicht so war." Mehr konnte sie nicht sagen. Das war die einzige Wahrheit, an der sie sich festklammern konnte, während die Welt um sie her einzustürzen schien. Theo stieß einen verächtlichen Laut aus und schüttelte den Kopf. „Es interessiert mich nicht, Leandra. Nichts, was du sagst, hat noch irgendeine Bedeutung. Es gibt nur eines, was zählt - bekommst du ein Kind von mir oder nicht? Das ist alles, was ich wissen will. Sonst nichts." Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Leandra sah, wie der Ärmel seines Jacketts zurückrutschte; sie sah sein starkes, kraftvolles Handgelenk und spürte, wie ihr die Knie weich wurden, weil sie sich so sehr nach ihm sehnte. Theo presste die Lippen zusammen. „Ich muss jetzt gehen. Ich bin zu einem Geschäftsessen verabredet." Sein Tonfall war distanziert und kühl. „Morgen fliege ich für einige Tage nach Mailand. Falls deine Periode noch nicht eingesetzt hat, wenn ich zurückkomme, werde ich dich zu einem weiteren Schwangerschaftstest in die Klinik begleiten. Und dann", er holte tief Luft, „werden wir weitersehen." Er schaute sich in dem Raum um. „Ich hoffe, du fühlst dich hier wohl und hast alles, was du brauchst?" Dieses Mal klang seine Stimme höflich wie die eines völlig Unbekannten. Leandra nickte nur stumm, denn sie war unfähig, auch nur irgendein Wort hervorzubringen. Aber was gab es schon zu sagen? Nichts. Gar nichts. Nie wieder. „Gut", meinte er. „Schön, dann werde ich jetzt gehen. Falls du den Wunsch haben solltest, die Sehenswürdigkeiten Athens zu besichtigen, steht dir ein Wagen zur Verfügung. Dein Pass ist mittlerweile eingetroffen, aber ich nehme an, du hast nichts dagegen, dass ich ihn so lange behalte, bis wir das Ergebnis des zweiten Schwangerschaftstests kennen. Bitte unternimm keinen Versuch, Athen zu verlassen, Leandra! Ich will meine Zeit nicht damit verschwenden, dich erst suchen zu müssen. Und was Demos angeht", seine Stimme nahm einen noch schrofferen Unterton an, „möchte ich dich bitten, keinen Kontakt zu ihm aufzunehmen. Mein Großvater wohnt noch immer bei ihm, und Demos' Sekretärin hat die Anweisung bekommen, dich nicht zu meinem Cousin durchzustellen, falls du ihn im Büro anrufen solltest. Sein Leben ist schon so kompliziert genug, ohne dass du ihn wieder belästigst." Noch einmal sog Theo scharf den Atem ein. „Ich denke, das wäre alles. Dann wünsche ich dir noch einen schönen Abend." Damit ging er. Leandra fing den feinen, kaum wahrnehmbaren Duft seines After Shave
auf, den Duft seines männlichen Körpers. Doch Theo hatte sie nicht berührt. Er hatte sie nicht einmal mehr eines Blickes gewürdigt. Er hatte das Zimmer einfach verlassen. In der Stille, die eintrat, nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, in der Leere, die sich wie ein bodenloser Abgrund in ihrem Leben auf getan hatte, begannen Leandra langsam die Tränen über das Gesicht zu laufen. Die Türen des Lifts schlössen sich hinter Theo, und eine tiefe Traurigkeit erfüllte ihn. Er fühlte sich niedergeschmettert, absolut vernichtet. Was für ein Narr ich doch gewesen bin! Was für ein unbeschreiblich törichter Dummkopf! schalt er sich. Er hatte geglaubt, das Paradies gefunden zu haben, doch es hatte sich als eine Fata Morgana herausgestellt. Genau wie damals. Hintergangen! Er war hintergangen worden! Sein Vertrauen in eine Frau zu setzen - wie ein kompletter Narr! Genau wie es damals gewesen war! Als würde die Zeit zurückgedreht, empfand er den Schock und den Schmerz von damals wieder aufs Neue. Er hatte gedacht, dass Leandra, von der er hingerissen gewesen war und die ihn jenseits aller Vernunft in ihren Bann geschlagen hatte, nicht so war wie jene andere Frau ... Aber sie war ganz genauso! Eine falsche Schlange. Falsch und hinterlistig. Zwar hatte sie all seine Anschuldigungen abgestritten hatte ihn gequält angeschaut, als er ihr sogar diesen letzten, furchtbaren Vorwurf an den Kopf geworfen hatte ... Aber was hieß das schon? Sie war eine kluge Frau und wusste sehr wohl, wie sie ihm das vorspielen konnte, was er in ihr hatte sehen wollen! Sie wusste, was sie ihm hatte vortäuschen müssen, damit er in ihr die Frau sah, von der er so begeistert war! Und die er mit solchem Triumph besessen hatte! Aber jetzt werde ich nicht mehr auf sie hereinfallen, dachte Theo. Nie wieder. Von dem Augenblick an, als sie in seinen Armen gelegen hatte und er zu Eis erstarrt war, weil ihm aufgegangen war, dass er gerade zwei Tage in einem Liebesrausch mit einer Frau verbracht hatte, die mit voller Absicht und mit vollem Bewusstsein ungeschützten Sex mit ihm gehabt hatte - von jenem entsetzlichen Moment an war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Nun hatte er sie durchschaut. Im Nachhinein konnte er jedes ihrer geschickten Manöver erkennen, mit denen sie ihn zum Narren gehalten hatte! Ihre Täuschung war vorbei... Ebenso wie das Glück, das er an ihrer Seite gefunden hatte. Dieses glühende, brennende, befreiende Glück, das die Fesseln der Vergangenheit durchschnitten und ihm eine Zukunft eröffnet hatte, von der er geglaubt hatte, dass sie niemals für ihn bestimmt war ... Illusionen! Alles nur Illusionen! Er musste sie sich aus dem Herzen reißen, gnadenlos und unbarmherzig. Sonst würden sie ihn zerstören. Dunkelheit schien ihn zu umgeben. Eine Dunkelheit, die alles andere ausblendete und nur noch diesen entsetzlichen Alb träum zurückließ, der ihm alles fortriss, von dem er geglaubt hatte, dass es ihm gehöre, und ihm das Glück raubte, das er mit Leandra gefunden hatte. Und dennoch flehte Theo inständig darum, dass es einen Grund geben möge, irgendeinen vollkommen unschuldigen Grund, warum Leandra ihm nicht gesagt hatte, dass sie ungeschützt sei. Doch ein solcher unschuldiger Grund existierte nicht. Es gab nur Gründe, die sie schuldig sprachen. Sie hatte es mit Absicht getan, um Geld von ihm erpressen zu können. Ich hätte wissen müssen, dass eine Frau, die bereits die Geliebte eines reichen Mannes gewesen ist, alles tun würde, um sich auch auf Kosten des nächsten zu bereichern, dachte er bitter. Ein flammender Schmerz durchzuckte ihn. Nein, es war mehr als das. Es war Verzweiflung, schiere überwältigende Verzweiflung. Der Lift fuhr hinunter. Der Hölle entgegen ... Drei Tage später wusste Leandra ganz sicher, dass sie nicht schwanger war. Sie rief in der
Klinik an, wie man ihr aufgetragen hatte, und gab diese Information mit tonloser Stimme weiter. Nach einer Stunde kam einer von Theos Assistenten, um sie zur Klinik zu fahren. Leandra vermutete, dass der Arzt strikte Anweisungen hatte, ihre Behauptung durch eine Untersuchung zu überprüfen. Ihr Wort allein genügte nicht. Als alles vorüber war, saß sie im Warteraum und starrte die Wände an. Sie fühlte sich wie betäubt, war vollkommen gefühllos. Nach einer Weile traf Theo ein. Sein Anblick war für Leandra wie ein Stich mitten ins Herz. Sie saß da wie versteinert. Das Sprechen kostete Theo sichtlich Mühe. „Ich habe erfahren, dass du nicht schwanger bist." Sie nickte knapp, schwieg jedoch. Er wirkte unbehaglich und ruhelos. Der Blick, mit dem Leandra ihn ansah, kam aus sehr weiter Ferne. „Gut ... sehr gut", meinte er. Dann hielt er inne, schaute sie an und holte tief Atem. „Leandra ..." „Ich will nach Hause!" brach es aus ihr heraus, scharf und in einem schneidenden Ton. Er erstarrte. „Jetzt sofort! Heute noch! Gib mir meinen Pass zurück! Ich fahre mit dem Taxi zum Flughafen und nehme den nächsten Flug! Du kannst mich nicht länger hier zurückhalten. Jetzt nicht mehr!" Etwas wie Schmerz huschte über seine Miene. Doch das kümmerte Leandra nicht. Es war ihr egal. „Ich will weg von hier, Theo! Und zwar augenblicklich!" Sie war lauter geworden, und ihre Stimme klang höher als sonst. Sie hatte das Gefühl, unter einem ungeheuren Druck zu stehen, der ihr die Luft zum Atmen nahm. „Leandra ..." Sie erhob sich und brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. „Nein! Ich will nichts mehr von dir hören! Gar nichts! Du hast deutlich gemacht, was du von mir hältst! Und jetzt, da ich es dir erspart habe, mich heiraten zu müssen, muss ich nicht länger hier bleiben! Deshalb will ich weg, und zwar jetzt gleich!" Er zog die Brauen zusammen. „Wohin willst du gehen? Zu Demos kannst du nicht zurück!" Mit zusammengebissenen Zähnen zischte sie ihn an: „Oh, keine Angst! Er ist sicher vor mir!" Für einen kurzen, boshaften Moment war sie in Versuchung, ihm die Wahrheit entgegenzuschleudern! Nämlich dass sein kostbarer Cousin schon immer sicher vor ihr ge wesen war! Hoffnung flackerte in ihr auf, eine sehnsüchtige, verzweifelte Hoffnung. Wenn ich Theo sage, dass ich niemals Demos' Geliebte gewesen bin, dann kann ich ihn ja vielleicht davon überzeugen, dass er kein Recht dazu hat, mir all diese widerwärtigen Dinge zu unterstellen! Doch kaum war diese Hoffnung aufgeflammt, erlosch sie auch schon wieder. Vernichtet von einer Wahrheit, die Leandra nicht widerlegen konnte. Was machte es schon aus, dass sie noch nie die Geliebte eines reichen Mannes gewesen war? In Theos Augen war sie ja dennoch eines Verbrechens schuldig, das sie in diese hinterhältige, betrügerische Frau verwandelte, für die er sie hielt. Ein Verbrechen, das sie absolut verdammte. Dass sie so leichtsinnig und verantwortungslos gewesen war, sich keine Gedanken über Verhütung zu machen, als er sie in seine Arme gezogen und in sein Bett mitgenommen hatte. Wie konnte sie Theo gegenüber jemals beweisen, dass sie nicht darauf gehofft hatte, ein Kind von ihm zu bekommen, um ein Druckmittel gegen ihn in der Hand zu haben, mit dem sie ihn um seinen kostbaren Reichtum erleichtern würde? Eine mittellose Schauspielerin,
dachte sie voller quälender Bitterkeit, ist doch genau die Sorte Frau, die sich auf Kosten eines griechischen Millionärs bereichern will, der ihr zufällig über den Weg läuft und sie ins Bett bekommen möchte ... Und was wäre, wenn sie ihm jene andere Wahrheit erzählte? Diejenige, die sie sich zunächst selbst nicht hatte eingestehen wollen, die sich aber von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag immer mehr herausgestellt hatte, als sie in Theos Armen gelegen hatte? Dort im Paradies, dem verlorenen, vergifteten Paradies. Die Wahrheit, die Leandra wie einen Messerstich spürte, der ihr das Herz durchbohrte. Was wäre, wenn sie Theo sagte, dass sie sich in ihn verliebt hatte? In einen Mann, der sie verurteilte und ihr niemals glauben würde, dass sie unschuldig sei? Sie brauchte nicht einmal nachzudenken, um diese Frage zu beantworten. Er würde lediglich annehmen, es sei nur ein weiterer Trick, um ihm sein Geld abzuknöpfen. Als habe er ihre Gedanken gelesen, brach Theo das zwischen ihnen eingetretene unheilvolle Schweigen. „Falls du Geld brauchst ...“, fing er an. Leandra wurde wütend. „Nein danke!" fiel sie ihm gehässig ins Wort. Sein Reichtum hatte schließlich alles zerstört, was zwischen ihnen existiert hatte. „Ich werde selbstverständlich für die Kosten deines Rückflugs nach London aufkommen", erklärte Theo schwerfällig. „Nicht nötig!" Seine Augen funkelten. „Soviel ich weiß, war es nicht deine Schuld, dass du hier in Griechenland gelandet bist. Deshalb ist es die Pflicht der Atrides-Familie, dich nach Hause zurückzubringen, ohne dass dir dadurch irgendwelche Kosten entstehen." Sie schloss die Augen. „Das ist mir völlig egal. Ich will einfach nur weg von hier. Lass mich einfach nur gehen! Ich will endlich nach Hause." Leandra sah so niedergeschlagen aus, so gebrochen. Einen schrecklichen Augenblick lang fragte Theo sich, ob er sich in ihr nicht womöglich doch geirrt hatte. Doch dann verhärtete sich sein Herz. Dies war die Frau, die wie eine Klette am Arm seines. Cousins gehangen hatte, die Demos' Diamanten getragen und sein Bett gewärmt hatte. Oh ja, sie mochte vielleicht aussehen wie die personifizierte Unschuld, wie eine goldhaarige Meeresnymphe, aber er wusste es besser! Er hatte sie durchschaut. Es war alles nur Schauspielerei, nichts weiter! Geld bringt ihren wahren Charakter zum Vorschein! Die Worte seines Großvaters brannten wie Säure. Manche Frauen, so wie auch diese hier vor ihm, waren zu gerissen, um sich in so einfachen Schlingen zu verfangen. Sie spielten um sehr viel höhere Einsätze. Sie spielten mit den Gefühlen der unglücklichen Männer, nach denen sie ihre Netze auswarfen... Und sie zum Narren machten. „Also gut", antwortete Theo schroff. „Du kannst nach Hause gehen. Du kannst tun, was immer du willst. Dir mit deiner Schönheit und deiner Gerissenheit einen anderen vernarrten, leichtgläubigen Idioten einfangen. Was mich betrifft ..." Seine Stimme klang gequält. „Ich wünschte, ich wäre dir niemals begegnet!" Blind starrte Leandra auf die Dächer Südlondons hinaus. Theo war nicht mehr in ihre Nähe gekommen, sondern hatte es seinem Assistenten überlassen, sie aus der Klinik abzuholen und zum Flughafen zu bringen, wo ihr Pass sowie ein Flugticket für sie bereitlagen. Demos und Chris hatten sie vom Flughafen in London abgeholt. Nur ein Blick auf Leandras Gesicht hatte genügt, dass sie einander erschrockene Blicke zuwarfen. „Was hat Theo mit dir gemacht, Lea?" fragte Chris leise und ergriff ihre Hand. Verzweifelt hielt sie sich an ihm fest. Demos kannte seinen Cousin. Er kannte ihn nur allzu gut. Vertrau mir, hatte Theo zu ihm gesagt.
Ihm vertrauen, in welcher Hinsicht? fragte sich Demos nun. „Wenn er dich entehrt hat", sagte er zu Leandra, als sie alle drei in der großen Limousine saßen, „dann wird er dich heiraten. Das verspreche ich dir!" Ein Schauder überlief sie, und sie stieß einen erstickten, verängstigten Laut aus. Wieder wechselten Demos und Chris besorgte Blicke miteinander. „Bitte!" flehte Leandra mit gepresster Stimme, „bringt mich einfach nur nach Hause! Ich möchte nur ganz schnell heim!" Nach der luxuriösen Ausstattung von Demos' Apartment in Mayfair und der ländlichen Schönheit von Theos Privatinsel kam ihr ihre kleine Dachwohnung öde und trostlos vor. Doch das passte genau zu ihrer Stimmung. Unerwiderte Liebe. Der Ausdruck ging Leandra durch den Kopf. Was für ein Witz! Wie furchtbar, wie schrecklich! Früher war ihr dies immer als ein so romantischer Zustand erschienen. So emotional, so seelenvoll. Das traditionelle Schicksal jeder Heldin in einem Theaterschauspiel. In Wirklichkeit war es nichts von alledem. Es war eine grauenvolle, hässliche Seelenpein - grausamer als Medeas vergiftetes Gewand -, die ihr den Körper und das Herz zerschnitt. Tag für Tag eine einzige Qual. Eine Woche nach der andern ... Eine Wunde, die niemals heilen würde. Die Arbeit war Leandras Rettung. Ihre Verbindung zur Realität. Die Proben für das Marchester-Festival hatten begonnen und nahmen sie völlig in Anspruch. Aber Leandra war dankbar dafür, denn sich in ihre schwierige Rolle zu vertiefen half ihr, ihre eigenen, schmerzlichen Gefühle für Theo Atrides zu verdrängen. Sie gab sich große Mühe, ihr Leben weiterzuleben. Selbst wenn ihr zu Mute war, als sei ihr Leben bereits vorbei und als würde der Schmerz niemals enden. Die Welt war leer ohne Theo. Doch er war für immer aus ihrem Leben verschwunden. Nur in ihren Träumen konnte Leandra noch mit ihm zusammen sein, doch es war eine Qual, sie auszuhalten. Wenn sie allein in ihrem Bett lag, war sie von Theos Gegenwart erfüllt - ihr Körper, ihre Seele -, und dann durchlebte sie immer wieder die mitreißende Leidenschaft ihrer Vereinigung. Wenn sie morgens aufwachte, waren ihre Wangen tränenfeucht aus Kummer um das, was sie verloren hatte. Außerdem gab es für sie noch eine weitere bittere Pille zu schlucken: Theo Atrides hatte sie offenbar wie Staub von seinen Händen abgeschüttelt. Er hatte sich neuen Vergnügungen zugewandt. Leandra musste mit ansehen, wie unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit Diana Delado, eine der berühmtesten Sängerinnen, mit Theo Atrides an ihrer Seite auftrat: Mit Sicherheit war er ihr Liebhaber, doch vielleicht sogar, den wilden Spekulationen der Klatschspalten zufolge, auch ihr nächster Ehemann. Eine skandalöse Affäre mit einem prominenten verheirateten US-Senator hatte dafür gesorgt, dass alles, was Diana Delado tat, und vor allem, mit wem sie es tat, auf beiden Seiten des Atlantiks auf das allergrößte Interesse stieß. Während der Herbst allmählich in den Winter überging, musste. Leandra damit fertig werden, ständig irgendwo Bilder der schönen südländischen Sängerin in Begleitung des Mannes zu sehen, der sie in einem anderen Leben ins Paradies geführt hatte. Ehe er sich selbst als die Schlange darin entpuppt hatte. Leandra fand ein Foto in einem der Hochglanz-Magazine, in dem all ihr Schmerz zusammengefasst war. Auf den . Stufen des Casinos in Monte Carlo stand Diana Delado in einem glamourösen Abendkleid Seite an Seite mit Theo, der in seinem Smoking umwerfend aussah. Er lächelte die zierliche Sängerin an, die direkt in die Kamera schaute. Der Anblick von Theos dunklem, glänzendem Haarschopf, seinen markanten Gesichtszügen, dem trägen, belustigten Lächeln, das um seine sinnlichen Lippen spielte - all das verursachte in Leandra das Gefühl, als würde ihr jemand ein Messer im Herzen herumdrehen. Sie starrte es eine Zeit lang an. Dann schnitt sie das Bild sorgfältig aus und klebte es an die Innentür ihres Kleiderschranks.
Hin und wieder würde sie die Tür öffnen, das Bild betrachten und sich daran erinnern, was er ihr angetan hatte. Danach würde sie die Tür langsam wieder schließen und sich ihrem eigenen Leben zuwenden. Der Premierenabend des Marchester-Festivals kam herbei. Chris und Demos waren da, um Leandras Auftritt zu sehen. Zwar waren beide ihretwegen noch immer besorgt und machten sich Vorwürfe, dass sie sie mit solch katastrophalen Folgen in ihren Plan verwickelt hatten, um Demos' Verlobung mit Sofia Allessandros zu verhindern. Aber dennoch hatte sich Leandra seit ihrer Rückkehr nach London nicht oft mit ihnen getroffen, da die beiden sie zu sehr an Theo Atrides erinnerten. Doch sie freute sich, Chris und Demos wieder zu sehen, als diese vor der Premiere zu ihr kamen, um ihr Glück zu wünschen. Sie umarmte beide. „Ich habe Neuigkeiten für dich", berichtete Demos und beobachtete sie dabei aufmerksam. „Sofia Allessandros hat sich mit einem anderen Mann verlobt. Mich hat sie abgeschrieben." Vorsichtig fuhr er fort: „Es scheint, dass sie mit der neuen Wahl ihres Vaters sehr glücklich ist. Er lebt in Athen, und ich weiß, dass sie nie nach London ziehen wollte." Leandra lächelte. „Ich bin froh, dass es für sie gut ausgegangen ist. Und auch für dich, Demos." Demos sah sie noch immer an. „Ich möchte dir noch einmal von ganzem Herzen für deine Freundlichkeit danken, Leandra." Abwehrend schüttelte sie den Kopf. „Das ist doch nicht der Rede wert." „Doch", widersprach er. „Das ist es sehr wohl. Ich weiß, welchen Preis du dafür bezahlen musstest, dass du mir geholfen hast." Seine dunklen, freundlichen Augen, die denen seines Cousins so ähnlich waren, ruhten auf ihr. Nur dass Theo sie niemals so liebevoll angesehen hatte ... Ihr wurde schwer ums Herz. „Es war nicht deine Schuld, Demos. Es war ganz allein meine." „Demos will Theo erzählen, dass das zwischen euch alles nur eine Täuschung gewesen ist", sagte Chris. In Leandras honigfarbenen Augen blitzte es auf. „Es hat keinen Sinn", erwiderte sie bedrückt. „Und es macht mir nichts aus, was er über mich denkt." Hinter ihrem Rücken wechselten Chris und Demos bedeutungsvolle Blicke. „Theo ist nicht mehr so wie früher, Leandra", meinte Demos langsam. „In den letzten Wochen hat er sich ... irgendwie verändert. Auf dem Weg nach New York hat er hier in London einen Zwischenstopp eingelegt. Und er wollte ..." Er hielt inne, ohne den Blick von ihr zu wenden. „Er wollte wissen, ob du wieder mit mir zusammen bist. Ich habe ihm gesagt, dass das nicht der Fall sei. Darüber schien er... erleichtert zu sein." Sie zuckte die Achseln. „Natürlich. Dich von mir zu trennen war ja schließlich der Zweck der ganzen Sache, nicht wahr?" Ein bitterer Unterton schlich sich in ihre Stimme. Leandra wollte, dass die beiden aufhörten, über Theo zu sprechen. Sie wollte seinen Namen nie wieder hören. Daher wechselte sie abrupt das Thema. „Hat dein Großvater sich sehr darüber aufgeregt, Demos? Ich meine, dass Sofia einen anderen heiratet?" Demos ließ sich auf die Ablenkung ein. Der Schmerz, der in Leandras Augen aufgeflammt war, als er von seinem Cousin gesprochen hatte, war ihm nicht entgangen. „Ich habe ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen", gab er zu. „Aber was soll ich machen? Ich werde niemals in der Lage sein, ihm den Erben, den er sich wünscht, zu schenken." Ein quälender Schmerz durchzuckte Leandra bei seinen Worten. Ich hätte es vielleicht tun können ... Ich hätte ihm vielleicht den Erben schenken können, nach dem ersieh so verzweifelt sehnt! Doch dann erfasste eine eisige Kälte ihr Herz. Im Geiste hörte sie noch einmal aufs Neue,
wie Theo sie verurteilt und verdammt hatte ... Deshalb lenkte sie das Gespräch in andere Bahnen, auf ein Gebiet, mit dem Theo Atrides nicht das Geringste zu tun hatte. „Ich möchte mich bei dir für all die Unterstützung bedanken, die du mir für meine Rolle gegeben hast, Demos! Ohne dich hätte ich sie sicher nie gelernt!" Er lachte ein wenig über sich selbst. „Ich freue mich, dass ich dir behilflich sein konnte. Und ich wünsche dir ganz viel Glück für heute Abend." „Hau sie um, Lea!" meinte Chris fröhlich, der ebenso wie Demos aufstand, um sie allein zu lassen, damit sie sich auf die Vorstellung vorbereiten konnte. „Es ist zwar nicht so mein Ding, aber trotzdem, sie werden dir zu Füßen liegen!" Nach der Aufführung wurde Leandra sowohl von ihren beiden Freunden als auch von der gesamten Besetzung zu ihrer Leistung beglückwünscht. Sie fühlte sich ausgelaugt. Es war geistig und emotional eine außerordentlich anspruchsvolle Rolle. Doch sie war auch erfüllt von einem Gefühl der inneren Befriedigung, das sich immer nach einer gelungenen Darbietung einstellte. Zudem hatte sich ihre Stimmung wesentlich verbessert. Ihre harte Arbeit hatte sich ausgezahlt, und die Produktion wurde als großer Erfolg gewertet. Die Besetzung und das Publikum entspannten sich nach der Premiere bei einer exklusiven Feier. Danach zog Leandra noch mit Chris und Demos los und endete schließlich gemeinsam mit den beiden in Demos' Suite im besten Hotel der Stadt,, wo Demos zur Feier des Tages eine Flasche Champagner hervorholte. Als sie diese geleert hatten, war Leandra froh, es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer gemütlich machen zu können. Auf dem Couchtisch standen noch die leeren Gläser. Lachend warf Chris ihr eine Decke aus dem Schlafzimmer über und ließ sie dann allein. Spät und mit einem leichten Kater erwachte Leandra am nächsten Morgen. Sie fühlte sich noch immer aufgekratzt. Die Freude, eine gute Vorstellung abgeliefert zu haben, trotz der überaus schwierigen Rolle, überflutete sie mit Glücksgefühlen. Und ihr gelang es ausnahmsweise, den nagenden Schmerz zu unterdrücken, der sie sonst an jedem Morgen überfiel, wenn ihre lebhaften, wilden Träume von Theo Atrides, in denen sie immer wieder aufs Neue die Glückseligkeit ihrer erotischen Vereinigung erlebte, der harten, grausamen Realität wichen. Leandra stand auf, strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht und verzog die Miene, weil sie noch immer den jadegrünen Abendanzug trug, in dem sie geschlafen hatte und der nun nach einer Nacht auf dem Sofa fürchterlich zerknittert aussah. Nein, ermahnte sie sich entschieden. Denk nicht an Theo! Denk lieber an gestern Abend... an den heutigen und die folgenden! Die Aufführung ist alles. Dein Können ist das Einzige, was zählt. Widme dich deiner Schauspielkunst, und zwar ausschließlich! Das ist alles, was dir noch bleibt... Eine Dusche weckte ihre Lebensgeister wieder, und eine halbe Stunde später saß Leandra mit untergeschlagenen Beinen am Fußende von Demos' Bett und ließ sich ein herzhaftes Frühstück schmecken. Sie trug einen Hotelbademantel, und die Haare fielen ihr offen über den Rücken hinab. Demos, der in seinem schwarzen, mit Monogramm bestickten Seidenpyjama äußerst elegant wirkte, lehnte in den Kissen und trank Kaffee. „Schade, dass keine Kritiken darüber geschrieben werden!" sagte er zu ihr. „Die würden ein einziges Loblied auf dich singen, da bin ich mir ganz sicher!" Sie lachte. „Das Festival ist viel zu klein dafür. Ich schätze, die Aufführung schafft es bis ins Lokalblatt der nächsten Woche, falls sie gerade nichts anderes zu berichten haben!" Leandra streckte sich genüsslich. „Ich muss los. Wenn die übrigen Schauspieler mitbekommen, dass ich die Nacht in einem Luxushotel verbracht habe, anstatt mit ihnen zusammen in der Pension, dann lynchen sie mich!" Sie stellte das Frühstückstablett auf den Fußboden und wollte gerade den Gürtel ihres Bademantels, der über ihren Brüsten leicht auseinander gerutscht war, wieder fester ziehen.
Da hörten sie, wie die äußere Tür der Suite geöffnet wurde. Fragend schaute Leandra zu Demos. „Noch mal der Zimmerservice?" „Ich habe nichts bestellt...", begann er erstaunt. In diesem Augenblick wurde die Schlafzimmertür aufgestoßen und die hohe, gebieterische Gestalt von Theo Atrides erschien in der Türöffnung. Jeder Muskel seines Körpers schien aufs Äußerste angespannt.
10. KAPITEL
Sekundenlang rührte sich niemand. Alle waren wie versteinert. Dann brach Theo Atrides mit harter, schroffer Stimme das Schweigen. Doch er sprach nicht zu seinem Cousin, der ihn wie vom Donner gerührt anstarrte, sondern er wandte sich an Leandra. „Zieh dich an!" Sein Ton war knapp und angespannt. Sein unbarmherziger Blick schien sie zu durchbohren. Wortlos sah sie ihn an. Das Herz hämmerte ihr wie verrückt in der Brust, und das Atmen kostete sie Mühe. Eine Mischung aus Angst und - was noch viel schlimmer war überschäumender Freude darüber, Theo wieder zu sehen, überschwemmte sie. „Zieh dich an!" befahl er noch einmal in herrischem Ton. „Wir gehen." Seine Worte ergaben für sie keinen Sinn. Noch immer starrte sie ihn einfach nur an - seine hohe, schlanke, muskulöse Gestalt; das dunkle, leicht gewellte Haar; die Augen unter den halb geschlossenen Lidern und der breite, sinnliche Mund, der nun von tief eingegrabenen Linien umrahmt war. Demos erholte sich als Erster. „Was zum Teufel soll das? Was fällt dir eigentlich ein ...?" fing er an. Aber Theo unterbrach ihn rücksichtslos. „Ich nehme Leandra mit", erklärte er grob. „Sie gehört mir, nicht dir. Und das wird immer so bleiben. Ich will sie, und sie wird mit mir gehen. Sie wird nicht zu dir zurückkehren! Niemals!" Sein Blick wanderte zu Leandra, und es war, als wolle er sie mit den Augen verschlingen. Noch immer hielt sie ihren Bademantel zusammengerafft, unfähig, irgendetwas zu sagen oder einen klaren Gedanken zu fassen. Hilflos, verständnislos starrte sie Theo einfach nur an, während ihr Herz wie wild pochte. Mit einem barschen Lachen kam er auf sie zu, bis er genau vor ihr stand. „Ich will dich zurück", sagte er. „Ohne dich kann ich nicht leben. Ich will keinen einzigen Tag mehr ohne dich sein. Du wirst all den Luxus bekommen, den du haben willst. Du kannst mein gesamtes Vermögen ausgeben! Meine Leandra ...!" Betäubt, so als habe sie keinen eigenen Willen mehr, ließ sie es zu, dass er seine Hände um ihre Oberarme schloss, um sie vom Bett emporzuziehen. Seine Nähe, sein männlicher Duft verursachten ihr ein Gefühl der Schwäche. „Theo ... ich ..." Ihre Stimme klang dünn und brüchig. In diesem Augenblick ging die Badezimmertür auf, und Chris erschien im Schlafzimmer blond, unglaublich gut aussehend und nur mit einem Handtuch bekleidet, das er um die schmalen Hüften geschlungen hatte. Seine glatte, nackte Brust war noch feucht vom Duschen. „Was zum Teufel ...?" sagte er und starrte den Besucher verblüfft an. Als Theo herumfuhr und sein Blick auf den halb nackten jungen Mann fiel, stand er so regungslos da wie eine Steinsäule. Leandra stockte der Atem, und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Diesen Ausdruck hatte sie bisher nur ein einziges Mal im Gesicht von Theo Atrides gesehen, nämlich in dem Moment, als ihm bewusst wurde, dass sie nicht verhütet hatte. Einen endlosen Moment lang hing der Blick des Mannes, der ihr den Himmel gezeigt und sie dann in die Hölle gestoßen hatte, an Chris. Schließlich sah er wieder zu Leandra hin, vorbei an Demos, der in seinem schwarzen Seidenpyjama im Bett saß. Theo ließ die Hände von ihren Armen sinken und wich zurück, als empfinde er plötzlich einen ungeheuren Abscheu vor ihr. Seine Augen wurden stumpf. Es war, als würde etwas in ihm verlöschen. Ein Wort entschlüpfte ihm. Leandra verstand es nicht, doch die Art und Weise, in der er es hervorstieß, genügte, dass sie blass wurde. Demos schnappte schockiert nach Luft.
Theo ignorierte ihn ebenso wie Leandra. Er blickte von dem halb nackten blonden Mann, der immer noch auf der Türschwelle stand, zu seinem dunkelhaarigen Cousin im Bett und verzog die Lippen. Es hätte ein Lächeln sein können, doch das war es nicht. Schließlich schaute er Leandra wieder an. Vernichtend. Voller Widerwillen, so als ekle er sich vor jedem Wort, das er aussprechen musste, sagte er: „Und ich habe einmal gedacht, ich müsste dich beruhigen, dass ich keinen Gefallen an Perversionen habe!" Verächtlich senkten sich seine Mundwinkel. „Kein Wunder, dass du mir damals nicht geantwortet hast! Ich glaubte, das wäre deshalb, weil du schockiert warst..." Mühsam riss er den Blick von ihr los und sah die beiden Männer an, die ihn noch immer mit Entsetzen anstarrten. „Und dabei hast du die ganze Zeit..." Er brach ab, ehe er mit einem seltsam erstickten Ausruf aus dem Zimmer stürmte und krachend die Tür hinter sich zuschlug. Der Schock im Raum schien eine Ewigkeit zu dauern. Auf einmal spürte Leandra, wie eine heiße, brennende Röte vom Kopf bis zu den Zehen durch sie hindurchschoss. „Lea ... hat er gerade gesagt...?" stieß Chris mit ungläubig krächzender Stimme hervor. Sie registrierte, dass plötzlich Demos aus dem Bett sprang und mit lauter Stimme einen wütenden Redeschwall auf Griechisch losließ. Da kam Bewegung in sie, und sie stürzte zur Tür. „Lea!" rief Chris ihr besorgt hinterher. „Nicht! Überlass ihn uns ...!" Doch es war zu spät. Sie stürmte bereits wie ein Racheengel ins Wohnzimmer. „Wage es ja nicht, jetzt zu gehen!" schrie sie, glühend vor Zorn. Theo, der schon an der Tür zum Korridor war, blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um. „Sag nichts, Leandra ...! Kein Wort", entgegnete er leise und grausam. „Ich würde dich mit meinen bloßen Händen erwürgen ..." Mit einem Aufschrei packte sie eines der leeren Champagnergläser und schleuderte es gegen seinen Rücken. Es prallte ab und zerbrach auf dem Fußboden. Theos Schultern spannten sich an, doch er wandte sich noch immer nicht um. „Sieh mich an, du widerwärtiger, bösartiger Mistkerl!" schrie Leandra ihn an und warf ein zweites Glas nach ihm. Er fuhr herum, das Gesicht verzerrt. „Wie kannst du es wagen?!" fauchte sie wütend. „Wie kannst du es wagen, das, was du gerade von dir gegeben hast, auch nur zu denken, geschweige denn, es mir ins Gesicht zu sagen? Du bist wirklich der niederträchtigste Charakter, der mir je untergekommen ist! Du weißt nichts - gar nichts!" Verächtlich verzog Theo die Lippen. „Die Beweise sprechen für sich, paidi mou. Eine Frau, ein Bett, zwei Männer. Und alle drei von euch ... wie soll ich mich ausdrücken ... mehr oder weniger spärlich bekleidet." Seine Stimme schien vor Verachtung zu triefen. „Wenn man bedenkt, dass ich schon geglaubt hatte, Demos habe dich verführt. Verglichen mit dir ist er das reinste Unschuldslamm! -Hast du deine kleine Dreier-Nummer mit Demos und dem blonden Adonis da begonnen, bevor oder nachdem du die Beine für mich breit gemacht hast?" Seine Worte trafen sie wie Peitschenhiebe. „Tut mir Leid, dass ich dich so gelangweilt habe. Wenn ich deine Vorlieben gekannt hätte, hätte ich ein paar junge Männer für dich einfliegen lassen, um dich bei Laune zu halten. Aber ich fürchte, auf mich hättest du bei diesen Spielchen verzichten müssen. Dergleichen ist nicht mein Ding." Er wandte sich wieder zum Gehen. Leandra warf auch noch das letzte Glas nach ihm. Es verfehlte ihn jedoch und zerschellte an der Wand neben ihm. Er zuckte übertrieben theatralisch zusammen und öffnete die Tür der Suite. „Geh zurück in Demos' Bett, Leandra! Mag ja sein, dass ihm deine Perversionen gefallen.
Mir jedenfalls nicht. Du machst mich krank. Ihr alle macht mich krank." Das klang abschließend, endgültig. Leandra wurde von einem nie gekannten Zorn überwältigt, und es brach aus ihr heraus: „Ich bin noch nie mit Demos im Bett gewesen! Ich war niemals seine Geliebte! Ich habe weder mit ihm noch mit Chris geschlafen! Keiner von ihnen würde mich überhaupt wollen! Sie schlafen nämlich miteinander, du Vollidiot!" Sie rang nach Atem. „Das ist der Grund, weshalb Demos Sofia nicht heiraten konnte! Er ist schwul ... er liebt Chris ... und das ist alles ein solch grauenvolles Durcheinander, dass ich ... ich ..." Ihr versagte die Stimme, und hilflos hob sie die Hände. Mit einem plötzlichen Schrei, der tief aus ihrem Inneren kam, wandte sie sich ab, rannte durchs Schlafzimmer ins Bad, schlug die Tür hinter sich zu und verriegelte sie, um sich gegen die ganze Welt zu verbarrikadieren. Für immer. Die Hotelbar war leer, bis auf einen Tisch am hinteren Ende, an dem zwei Männer saßen. Der eine von ihnen lehnte, die Ellbogen auf den Knien abgestützt, mit gebeugten Schultern vornüber und ließ den Kopf hängen. Neben ihm auf dem Tisch stand ein volles Whiskyglas, die halb leere Flasche daneben. Es war Nachmittag. „Was soll ich bloß tun?" fragte Theo und griff achtlos nach seinem Drink. „Was zur Hölle soll ich jetzt machen, kleiner Cousin?" Er sprach Griechisch, und die Worte klangen bereits undeutlich. Demos wollte antworten, doch Theo sprach weiter: „Ich habe alles kaputtgemacht. Alles! Grundgütiger, wie konnte ich mich dermaßen irren? Dass ich sie so falsch eingeschätzt habe! So grundfalsch! Ich habe es vermasselt - auf der ganzen Linie!" „Das hast du", bestätigte Demos schonungslos. Theo hob den Blick. Er sah hager und mitgenommen aus. „Wie konnte das passieren?" fragte er. „Wie konnte ich so falsch liegen?" „Weil du immer nur das Schlimmste von ihr gedacht hast. Du hast sie verurteilt und verdammt. Jedes Mal", erwiderte Demos ohne Mitleid. Er wusste, wie sehr Theo Leandra verletzt hatte. Er hatte es in ihrem gequälten Blick gesehen. Theo fuhr auf. „Christos, du wolltest doch, dass ich sie für deine Geliebte halte! So wie sie an dir dranhing! Deine Diamanten getragen hat! Nichts weiter als ein Flittchen, das sich wegen deines Geldes an dich herangeschmissen hat!" Ein wenig unbehaglich zuckte Demos die Achseln. „Leandra ist Schauspielerin, Theo. Sie hat bloß eine Rolle gespielt! Das war nicht ihr wahres Ich." „Hast du sie bezahlt?" wollte Theo in aggressivem Ton wissen. „Hast du sie dafür entlohnt, dass sie deine Geliebte spielt? Hat sie dafür Geld von dir genommen?" Einen Moment lang sah es so aus, als würde sein sonst so friedliebender Cousin ihm eine Ohrfeige verpassen. Doch Demos beherrschte sich. „Nein", sagte er ruhig. „Leandra hat es aus reiner Freundschaft getan. Sie und Chris kennen sich schon seit Jahren. Sie sind seit der Schauspielschule miteinander befreundet. Als er ihr von unserem ... Dilemma erzählt hat, war sie bereit, uns auszuhelfen." Mit plötzlicher Heftigkeit fügte er hinzu: „Ich wünschte bei Gott, ich hätte sie nie in diese ganze Sache mit hineingezogen!" In seinen sanften Augen blitzte es zornig auf. „Als Milo verrückt geworden ist und sie entführt hat, hast du mir gesagt, ich könne dir vertrauen, Theo. Und ich habe dir vertraut! Aber was hast du getan? Du hast sie verführt! Ich hätte es wissen müssen, Theo! Ich hätte wissen müssen, wozu du fähig bist!" Grimmig setzte er hinzu: „Ich habe ihr gesagt, ich würde dich dazu zwingen, eine ehrbare Frau aus ihr zu machen! Bei dem Gedanken war sie entsetzt, aber ich schwöre dir bei Gott, Theo, wenn sie ihre Zustimmung auch nur andeutet, dann wirst du sie heiraten! Und wenn ich dir höchstpersönlich die Pistole auf die Brust setzen muss!" Ein langes Schweigen trat ein.
„Jetzt will sie mich bestimmt nicht mehr. Nein. Ich habe alles kaputtgemacht, für den Rest meines Lebens." Theo nahm seinen Drink und kippte ihn in einem Zug herunter. Dann goss er sich einen neuen Whisky ein. Er sah seinen Cousin an. „Ich habe sie verloren", sagte er trostlos. „Ich liebe sie, aber ich habe sie verloren." Er griff nach dem Glas und wollte es gerade leeren. Da wurde es ihm aber aus der Hand genommen. Wütend fuhr er auf. „Nein", sagte Demos scharf, erhob sich und trug Glas und Flasche zum Tresen. „Es reicht jetzt, Theo! Steh auf! Los! Du bist zwar ein mieser Kerl, der es wirklich nicht besser verdient hat und der sich im Selbstmitleid badet. Aber wir sind eine Familie, und ich gebe dir noch eine Chance." Er zerrte seinen Cousin empor, was bei der Größe und Trägheit Theos keine leichte Aufgabe war. Er ignorierte dessen Protest und erklärte barsch: „Und glaub ja nicht, dass ich das deinetwegen tue! Ich tue es für Leandra. Ich möchte, dass sie dich auf Knien sieht!" Demos schleppte Theo zum Lift und schob ihn unsanft hinein. Auf dem Weg nach oben lehnte Theo zusammengesunken an der Wand, benebelt vom Whisky und in düstere Gedanken versunken. Doch plötzlich sah er seinen Cousin direkt an, als sei ihm etwas eingefallen, das er bisher vergessen hatte. „Demos, warum zum Teufel hast du mir nicht einfach gesagt, dass du schwul bist?" fragte er verständnislos. Seine Stimme gehorchte ihm nicht mehr richtig. „Wieso hast du mir diesen Blödsinn über eine Geliebte vorgemacht?" „Du wolltest, dass ich Sofia heirate, schon vergessen?" gab dieser gereizt zurück. „Ja, aber doch nicht, wenn du schwul bist, ich bitte dich!" rief Theo aus und fuhr sich mit der Hand durch das dichte, schwarze Haar. Nach einem Moment blickte er Demos erneut in die Augen. „Dieser Typ, mit dem du zusammen bist ... Chris ... Sag mir, kleiner Cousin, ging es dir auch so schlecht, als du dich in ihn verliebt hast?" „Ja", antwortete Demos. „Aber jetzt nicht mehr", meinte er und sah Theo zum ersten Mal mitfühlend an. „Jetzt bedeuten wir einander alles." Der Weg zur Faulkner-Bibliothek in Marchester führte über eine eindrucksvolle Freitreppe unter einem korinthischen Säulenportal hindurch in eine geräumige Vorhalle. George Augustus Faulkner hatte im achtzehnten Jahrhundert ein Vermögen im Zuckerhandel gemacht und sich gesellschaftliche Anerkennung dadurch erkauft, dass er dem Marchester Institute of Arts and Mechanical Instruction beträchtliche Spenden zukommen ließ. Nun war das Institut zur Universität von Marchester geworden und die grandiose, neoklassizistische Bibliothek zu einer ihrer zentralen Einrichtungen. „Ich fasse es nicht", knurrte Theo Atrides seinem Cousin leise zu, während sie die Stufen hinaufgingen. „Du steckst mich unter eine kalte Dusche, um mich auszunüchtern, schüttest Wasser und tonnenweise Kaffee in mich rein, schickst mich ins Bett, damit ich meinen Rausch ausschlafe, und schleppst mich dann hierher?" „Die Atrides AG ist einer der Sponsoren", gab Demos ungerührt zurück. „Es ist meine Pflicht, hier zu erscheinen. Und deine auch." „Ich habe nichts gespendet!" „Nein, das habe ich getan. Das Marchester-Festival hat den besten Ruf im ganzen Land. Du wirst schon sehen." Theo verdrehte entnervt die Augen. „Ich könnte mir hundert schönere Dinge vorstellen, um den Abend zu verbringen!" „So, tatsächlich?" entgegnete Demos. „Dann hast du eben Pech gehabt." Zehn Minuten später saßen sie im Ovalen Salon mit dem berühmten AdamDeckengemälde. Theo lehnte sich in seinem zierlichen, vergoldeten Stühlchen zurück, das für einen Mann von seinem Körperbau ausgesprochen unbequem war, und wappnete sich innerlich für einen öden Abend. Lediglich die Höflichkeit seinen Gastgebern gegenüber hielt den Ausdruck tödlicher
Langeweile von seiner Miene fern. „Ein Haufen englischer Amateure ... na toll!" brummte er seinem Cousin mit gedämpfter Stimme zu, sobald der Vorhang aufging. „Nicht alle von ihnen", erwiderte Demos geheimnisvoll. Das Schauspiel begann. Trotz all seiner hellenischen Zweifel, ob englische Schauspieler überhaupt in der Lage seien, die Pracht des attischen Dramas aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert in der Originalsprache wieder auferstehen zu lassen, musste Theo Atrides doch zugeben, dass die neoklassizistische Bibliothek ein perfekter Ort für die Aufführung war. Außerdem war Sophokles' mitleidloses Drama über Antigone, die auf so tragische Weise hin und her gerissen war zwischen der Loyalität ihrer Familie und der Gemeinschaft gegenüber, heute noch genauso bedeutungsvoll wie damals, als es vor so langer Zeit unter der gleißenden ägäischen Sonne zum ersten Mal aufgeführt wurde. Doch als die junge Prinzessin Antigone, die wie traditionell üblich mit einer Maske auftrat, auf der Bühne erschien und die Worte zu sprechen begann, die Sophokles vor über zweitausend Jahren geschrieben hatte, fuhr Theo plötzlich auf. „Sag mir, dass ich träume!" flüsterte er seinem Cousin tonlos zu. „Nein", gab Demos leise zurück. „Leandra spielt die Antigone. Sie hat ihren Abschluss als Altphilologin an der Universität von Marchester gemacht und wurde eingeladen, die Rolle in dieser hoch spezialisierten Produktion zu übernehmen." „Oh, mein Gott!" stöhnte Theo kopfschüttelnd. „Schsch!" zischte der Mann hinter ihnen böse. Es war Leandras früherer GriechischProfessor. Leandra musste all ihre Professionalität aufbieten, um die Aufführung zu überstehen. Da es keine richtige Bühne gab, hätte sie nur drei Schritte zu machen brauchen, um Theo Atrides zu berühren. Als das Schauspiel seinem dramatischen Höhepunkt zustrebte, war sie überaus dankbar, dass es die höchste Konzentration von ihr erforderte, in angemessen stilisierter Form zu spielen, in einer antiken, fremden Sprache zu sprechen und Antigones Qualen darzustellen, während die Tragödie ihren Lauf nahm, in der die Prinzessin ihrem Gewissen folgte und dafür mit ihrem Leben bezahlte. Am Ende der Vorstellung war Leandra vollkommen erschöpft. Außerdem empfand sie Furcht. Sie wusste nicht, weshalb Demos Theo mitgebracht hatte. Doch jetzt war er da, keine drei Meter von ihr entfernt, und ihr war klar, dass sie sich der Begegnung mit ihm stellen musste. Sie zog sich um und sagte ihren Mitspielern, die gemeinsam essen gehen wollten, dass sie vielleicht später noch nachkommen werde. In Jeans und Sweatshirt, das Haar wie gewohnt zu einem Zopf zusammengebunden, kehrte sie dann in den Ovalen Salon zurück. Abgesehen von Theo war niemand mehr dort. Als Leandra eintrat, drehte er sich zu ihr um. Auch wenn sie sonst etwas darum gegeben hätte, dass es nicht so wäre, wurden ihr die Knie allein schon deshalb weich, weil sie ihn wieder sah. Es verschlug ihr den Atem. In seinem dunkelgrauen Geschäftsanzug, der förmlichen Krawatte und dem weißen Hemd sah Theo atemberaubend aus. An seinem gebräunten Handgelenk glänzte eine schmale goldene Uhr. Leandra überfiel der fast unwiderstehliche Impuls, zu ihm hinzulaufen, die Arme um ihn zu schlingen und ihn nie wieder gehen zu lassen. Theos Miene wirkte angespannt. „Warum hast du es mir nie gesagt, Leandra? Du hattest genügend Gelegenheiten, es mir an den Kopf zu werfen!" „Was denn?" fragte sie leise. Nicht nur die halbe Länge des Raumes trennte sie voneinander, sondern noch sehr viel
mehr. Seine Augen verdüsterten sich. „Dass du bloß eine Rolle spielst!" Sie presste die Lippen zusammen. „Ich hatte keine andere Wahl. Ich musste Demos schützen." „Du hast mich durch die Hölle gehen lassen, weil du mir vorgetäuscht hast, du seist seine Geliebte!" warf er ihr vor. Sein Gesicht war hager, und seine Stimme klang brüchig, doch Leandra hatte kein Mitleid mit ihm. „Ich ...? Ich habe dich durch die Hölle gehen lassen? Grundgütiger, Theo Atrides, du bist wirklich das Allerletzte! Nach allem, was du zu mir gesagt hast, all diesen widerwärtigen Anschuldigungen ...!" Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Dann reckte sie mit eisigem Gesichtsausdruck das Kinn. „Nur zu deiner Information, Mr. Atrides ..." Ihr Ton war kalt. „Obwohl ich nur eine mittellose Schauspielerin bin, habe ich nicht deshalb ungeschützten Sex mit dir gehabt, um dir ein Kind anzuhängen. Es war dumm und gedankenlos von mir, ja, das stimmt. Aber glaub mir, dein kostbares Geld war das Letzte, woran ich zu dem Zeitpunkt gedacht habe! Und auch dies zu deiner Information, Mr. Atrides", fuhr sie unbarmherzig fort, wobei sie sah, wie er unter der Sonnenbräune blass wurde, „ich würde kein Kind von dir haben wollen, und wenn du mich auf Knien anflehen würdest, dich zu heiraten! Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als deine Frau zu sein! Selbst im Austausch für das immense Privileg, all dein Geld ausgeben zu dürfen!" erklärte sie mit beißendem Sarkasmus. Ehe Theo etwas erwidern konnte, holte sie tief Atem, warf energisch den Kopf zurück und fuhr fort: „Und nun, da wir diese Angelegenheit geklärt haben, sage ich dir den Grund, aus dem ich hier bin. Ich möchte dir nämlich dringend raten, Demos und Chris in Ruhe zu lassen! Sie haben schon genug Druck erlebt, und beide sind gute Freunde von mir. Also denk nicht mal daran, deine charmante Taktik zu wiederholen, indem du Chris Geld anbietest, damit er Demos verlässt!" Theos Miene verdüsterte sich. „Das würde mir nicht mal im Traum einfallen!" „Wieso nicht?" fuhr Leandra ihn an. „Du warst doch der Meinung, die Methode sei gut genug, um mich loszuwerden, als du glaubtest, ich würde das Bett mit deinem Cousin teilen! Warum so zimperlich, nur weil Chris ein Mann ist? Oder liegt es vielleicht daran", fragte sie bissig, „weil du zufälligerweise nicht mit ihm ins Bett willst?" „Genug!" Theo machte eine heftige Handbewegung. Er kam auf sie zu, und sie wich zurück, woraufhin er abrupt stehen blieb. „Ich möchte nicht über Demos oder seinen Geliebten sprechen. Ich will über uns reden!" Ihre Lippen bebten. „Es gibt kein uns. Es hat nie eines gegeben." „Doch, das hat es von Anfang an", sagte Theo leise, wobei sich sein Gesichtsausdruck veränderte. „Seit ich dich das erste Mal sah, wie du in diesem kleinen, schwarzen sexy Kleid an Demos' Arm hingst! Wenn ich nicht geglaubt hätte, dass du die Geliebte meines Cousins wärst, hätte ich dich mit in mein Hotelzimmer genommen, und wir wären noch am selben Abend miteinander ins Bett gegangen! Ich hätte keinen einzigen Tag gewartet, um von dir Besitz zu nehmen, Leandra - nicht mal eine Stunde ..." Die Erinnerung an jene elektrisierende erste Begegnung mit ihm flammte in ihr wieder auf. Als er es bemerkte, schwand die Trostlosigkeit in seinen Augen ein wenig. Er machte einen Schritt auf sie zu. „Ich habe dich damals schon begehrt, Leandra. Und ich wollte nicht, dass Demos dich besitzt. Ich habe mir eingeredet, dass es deshalb wäre, weil er frei sein sollte, um Sofia zu heiraten. Aber gleichzeitig erkannte ich, dass ich dich für mich haben wollte. Für mich ganz allein." Seine Augen waren dunkel und voller Verlangen. Leandras Herz begann zu pochen, und Feuer schien durch ihre Adern zu strömen. Oje, er war so gefährlich ...! Wenn er jetzt zu ihr käme und sie in die Arme nähme, dann würde sie einfach dahinschmelzen. Sie wäre außer
Stande, ihm zu widerstehen. „Ich dachte, es würde so einfach sein", fuhr Theo fort. „Stattdessen hast du gefaucht und gewütet und mir Diamanten ins Gesicht geworfen! Du hast die ganze Zeit nur Widerstand geleistet. Du hast mich fuchsteufelswild gemacht, mich zur Weißglut gereizt ..." Seine Stimme nahm einen sanften, zärtlichen Ton an. „Bis mir der wahre Grund dafür klar wurde, weshalb ich nicht wollte, dass du gegen mich ankämpfst." Er blickte ihr in die honigfarbenen Augen, und Leandra hatte das seltsame Gefühl, dass sie ihn zum allerersten Mal durchschauen konnte. „Mir lag nichts daran, dass du dich geschlagen gibst, sondern ich wollte, dass du mich liebst. So wie ich ..." Er brach ab, sprach dann jedoch weiter: „So wie ich begann, dich zu lieben." Wieder nahm seine Stimme einen anderen Tonfall an. „Ich habe viele Frauen kennen gelernt, aber mit keiner einzigen von ihnen war es so wie mit dir. Es war mehr als Lei denschaft. Etwas in dir hat mich auf eine Art berührt wie noch keine Frau jemals zuvor. Etwas, was nur zwischen uns beiden existierte. Und auf einmal waren alle anderen Geliebten egal, die es zuvor gegeben haben mochte. Das, was wir miteinander hatten, gehörte nur uns allein. Da wusste ich, dass ich dich bei mir behalten, mein Leben und mein Bett mit dir teilen wollte." Theo ließ den Blick auf ihr ruhen. „Du hast mich zum glücklichsten Mann der Welt gemacht, Leandra." Gepresst fuhr er fort: „Doch dann wurde mir plötzlich alles entrissen! Als ich merkte, dass du nicht verhütet hattest, gab es für mich nur einen einzigen Gedanken. Ich dachte, dass alles nur eine Lüge gewesen sei! Dass es dir nicht das Geringste bedeutet habe. Dass du nicht mich wolltest, sondern es nur auf mein Vermögen abgesehen hättest. Also", schloss er düster, „bin ich dich losgeworden." Leandra stand regungslos da. „Ja", flüsterte sie kaum hörbar. „Das ist wohl wahr." Er hörte sie nicht, denn er war in seine eigenen Erinnerungen versunken. „Als ich dich nach London zurückgeschickt habe, Leandra, habe ich mir geschworen, nie wieder an dich zu denken, dich aus meinem Leben, aus meinem Herzen, meinem Gedächtnis auszulöschen, als hätte es dich nie gegeben. Und es hat lange gedauert, bis ich mir eingestehen konnte, weshalb dies für mich so notwendig war." Sie sah den Schmerz in seinen Augen, der ihren eigenen widerspiegelte. „Ich hatte mich in dich verliebt und dachte, du hättest mich verraten, mich zum Narren gehalten. Das konnte ich dir nicht verzeihen!" Theo holte tief Luft. „Ich versuchte, dich zu vergessen, aber das ging nicht. Du warst immer da, bei Tag und bei Nacht, bist in meine Träume eingedrungen, und tagsüber hat mich die Sehnsucht nach dir gequält. Allmählich wurde mir klar, dass ich dich wiederhaben wollte, ganz egal, wer oder was du auch sein mochtest. Ich wollte dich hassen und verachten, aber das konnte ich nicht. Ich konnte mich nur nach dir sehnen, denn ohne dich hatte ich keinen inneren Frieden. - Tausend Erinnerungen an dich quälten mich, und ich hielt es einfach nicht mehr aus. Trotz alldem, wofür ich dich noch immer hielt, konnte ich nicht länger ohne dich sein." Er hielt kurz inne. „Als Demos mir sagte, du habest ihn verlassen, war ich voller Freude! Und gestern hat seine Sekretärin, die ich gebeten hatte, mich auf dem Laufenden zu halten, mich in Athen angerufen, um mir zu sagen, dass er hierher kommen würde, um sich mit dir zu treffen. Daraufhin bin ich sofort nach England geflogen und hierher gekommen, um zu verhindern, dass du zu ihm zurückkehrst. Denn du solltest zu mir zurückkommen! Ich bin dir nachgefahren, um dich zurückzugewinnen, gleichgültig zu welchen Bedingungen. Und dann habe ich dich aufs Neue verloren." Theo wandte sich ab. Etwas in ihm war zerbrochen, und es schmerzte Leandra zutiefst, ihn so zu erleben. „Als ich dich in Demos' Zimmer gesehen habe, war mir das egal. Ich hatte dich ihm schon
einmal weggenommen und würde es auch wieder tun. Ich wusste, sobald ich dich in meinen Armen hielte, hätte er keinerlei Bedeutung mehr für dich. Und ich wollte dir alles verzeihen! Aber dann ... öffnete sich die Badezimmertür, und ein zweiter Mann kam herein. In diesem Augenblick ist für mich eine Welt zusammengebrochen. " Er schaute ihr in die Augen. „Ich sah eine Frau, die sich nichts dabei dachte, ein sexuelles Spielzeug für zwei Männer gleichzeitig zu sein! Dafür hatte ich nur Abscheu und Widerwillen übrig. Einer solchen Frau konnte ich nicht verzeihen. Und deshalb habe ich dich erneut zurückgewiesen. Diesmal für immer." Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Schließlich sprach Theo weiter, und seine Stimme klang bitter. „Doch ich hielt es nicht aus, Leandra, ich musste einsehen, dass ich mich geirrt hatte. Und nun kannst du mich auslachen, so viel du willst." Schwerfällig setzte er hinzu: „Denn du bist nichts von alldem, wofür ich dich gehalten habe. Gar nichts." Der nächste Atemzug tat ihm beinahe weh. „Ich habe dich vollkommen falsch eingeschätzt, Leandra. Ich habe immer nur das Schlechteste von dir angenommen. Von An fang bis Ende. Ich war ein Dummkopf, und noch schlimmer - ein Mistkerl, ein Schuft." Er wandte sich ab und entfernte sich von ihr, ohne noch einmal zurückzublicken. Als er die hohe Doppeltür des Salons erreicht hatte, griff er nach der vergoldeten Türklinke, um sie zu öffnen. „Ich zahle den Preis für das, was ich dir angetan habe, Leandra. Für das, was ich in meiner Arroganz von dir dachte, als ich immer nur nach dem Schlimmsten in dir Ausschau gehalten habe! Nun ja, jetzt ist mir auch die letzte Illusion geraubt - dass du mich noch jemals in deinem Leben haben willst, nach allem, was ich dir angetan, zu dir gesagt habe und wessen ich dich beschuldigt habe! Demos sagte, dass er mich auf Knien vor dir sehen wolle. Für dich ist meine Abbitte sicherlich eine Genugtuung. Und ich kann dir noch eine geben: Ich sehe mich dem unaussprechlichen Schmerz ausgesetzt, eine Frau zu lieben, die nur mit Abscheu an mich denken kann!" Theo stieß einen langen, heftigen Seufzer aus, der seinen kraftvollen Körper erschütterte. Den stolzen Kopf gesenkt, sagte er dann mit rauer, leiser Stimme: „Leb wohl, Leandra! Gib Acht auf dich! Und falls du jemals irgendetwas benötigen solltest, was dir ein Atrides zur Verfügung stellen könnte, lass es mich wissen! Ich stehe für immer in deiner Schuld." Ohne noch einmal zu ihr zurückzuschauen, verließ er den Raum und war fort.
11. KAPITEL
Die niedrig stehende winterliche Sonne neigte sich dem Horizont zu, als der Helikopter über das dunkler werdende Wasser surrte. Theos Miene war finster. Dies war ein Ausflug, zu dem er nicht die geringste Lust verspürte. Eigentlich gab es auch gar keinen Grund dafür. Demos hatte wohl kaum eine per sönlich geführte Tour über die Insel nötig, die er ihm vermacht hatte. Theo wollte nie wieder einen Fuß darauf setzen. Dorthin zu kommen würde für ihn eine ganz besondere Qual bedeuten. Doch Demos hatte darauf gedrungen, und zwar so sehr, dass Theo nachgegeben hatte. Er hatte sich innerlich gewappnet und zugesagt. Allerdings hatte er darauf bestanden, dass sein Cousin die Maschine gefälligst selbst steuern solle. Während des gesamten Fluges wechselten sie kein Wort miteinander. Sobald sie gestartet waren, ließ Theo seinen Aktenkoffer aufschnappen und vergrub sich in seine Unterlagen. Die Arbeit war das Einzige, woran er sich momentan festhalten konnte. Aber der Schmerz, der in ihm wütete, ließ sich nicht wirklich betäuben. Er fraß an ihm wie ein Krebsgeschwür. Und Theo war sich darüber bewusst, dass es noch schlimmer werden würde. Es waren nur noch wenige Tage bis Weihnachten, und die Vorstellung, mit seiner Familie bis kurz nach Neujahr zusammen sein zu müssen, war für ihn grauenvoll. Es hatte eine Zeit gegeben, vor einer halben Ewigkeit, da hatte er daran gedacht, welche Freude er seinem kränkelnden Großvater bereiten würde, wenn er ihm seine eigene Braut vorstellte. Auch wenn Demos niemals derjenige wäre, der Milo Urenkel schenkte, würde Theo das an seiner statt tun! Doch es würde keine Atrides-Braut geben, um Milo die letzten Monate auf dieser Welt zu verschönern. Oder um die Leere im Leben seines Enkels zu füllen. Theo wandte sich wieder seinen Geschäftspapieren zu. Gewinn und Verlust. Vor allem Verlust. Es war früher Abend, als sie landeten. Wenigstens würden sie nicht lange bleiben können. Theo wollte dieses qualvolle Erlebnis so schnell wie möglich hinter sich bringen. Da das Tageslicht bald schwand, bestand Demos darauf, zunächst eine Tour über die Insel zu machen. In düsterer Stimmung begleitete Theo ihn. Dabei bemühte er sich, seine Blicke möglichst nicht schweifen zu lassen und sich so gut es ging vor seiner Umgebung zu verschließen. Aber die Erinnerungen überfluteten ihn dennoch. Demos, dieser verdammte Kerl, schien der melancholischen, schmerzlichen Stimmung seines Cousins gegenüber völlig unempfänglich zu sein. Er sprach über Banalitäten wie Wasserversorgung und Telekommunikationsverbindungen. Theo antwortete knapp und nur das Allernötigste, wobei er trostlos auf die stürmischen Wellen des Meeres starrte. Der Winter war gekommen. Doch für Theo würde es nie wieder einen neuen Frühling geben. Zahllose Erinnerungen stürmten auf ihn ein. Bilder von Leandra an seiner Seite, sein Arm um ihre Schultern, während sie sein Reich durchstreift hatten - ihr ganz privates Paradies. Und wie er sich ihr dann zugewandt und sie geküsst hatte. Danach ihre eilige Rückkehr zum Haus, ins Bett ... ihre leidenschaftliche, ekstatische Vereinigung. Wieder durchzuckte ihn der Schmerz, schlimmer denn je. Dass er all dies verloren hatte, war kaum zu ertragen. Die Vertreibung aus dem Paradies ... Als Demos und er sich der Gartenanlage bei der Villa näherten, wurde der Schmerz über seinen Verlust noch stärker. Theo dachte daran, wie Leandra unter dem Weinlaub der Pergola gesessen oder sich auf der Terrasse gesonnt hatte. Wie sie an der Wand gelehnt hatte, das Gesicht zum Sternenhimmel erhoben, die Beine um seine Hüften geschlungen. Wie sie sich an ihm festgehalten hatte, ebenso nackt wie er, als er sie an sein klopfendes Herz gedrückt hatte. Es hatte nur für sie gepocht. Nur für sie.
Aber ich habe es nicht gewusst, dachte er traurig. Ich habe es erst gemerkt, als es schon zu spät war. Zu spät. Die schrecklichsten Worte, die er sich vorstellen konnte. Theo fragte sich, wo sie wohl sein mochte, die Frau, die er nicht mehr für sich gewinnen konnte, weil er sich seiner Liebe zu ihr erst bewusst geworden war, als er sie schon verloren hatte. Dass sie irgendwo unter der gleichen Sonne lebte wie er, war sein einziger Trost. Wie seltsam, dachte er, dass Liebe einem so etwas antut. Wie mächtig sie ist. Die größte Macht der Welt. Abgesehen von Kummer ... und Verlust. Plötzlich merkte er, dass er auf den gewundenen Steinstufen, die von dem höher gelegenen unebenen Gelände zum geschützten Garten der Villa führten, nur noch seine eigenen Schritte hörte. Er warf einen Blick über die Schulter zurück. Demos war nirgendwo zu sehen. Stirnrunzelnd und verärgert über eine weitere Verzögerung, drehte sich Theo um und begann, die Anhöhe wieder emporzusteigen. Da vernahm er auf einmal, dass der Hubschraubermotor gestartet wurde, und gleich darauf das Dröhnen der Rotorblätter. Einen kurzen Moment später sah er, wie die Maschine sich hinter der Villa in die Luft erhob, einen Moment lang auf der Stelle schwebte, dann abdrehte und aufs Meer hinausflog. Theo war wie vom Donner gerührt. Er konnte es nicht fassen. Was zum Teufel fällt Demos eigentlich ein!- dachte er erbost. Mich hier einfach sitzen zu lassen! Er weiß doch ganz genau, dass das Motorboot um diese Jahreszeit nicht mehr hier vor Anker liegt und dass Yiorgos und Agathias bei ihrer Familie auf dem Festland sind! Wütend lief er die Stufen zur Villa hinunter. Jetzt musste er den Stromgenerator anwerfen, seinen Computer anschließen und sich einen zweiten Helikopter kommen lassen, damit er von hier wegkam. Wenn das wieder einer von Demos' blöden Scherzen war, würde er sich auf etwas gefasst machen können! Das Hubschraubergeräusch verklang allmählich in der Ferne, und die abendliche Stille breitete sich aus. Doch plötzlich vernahm Theo ein neues Geräusch ... ein leises Klicken. Unvermittelt blieb er stehen. Die Glastür zum Wohnzimmer öffnete sich. Eine Frau trat auf die Terrasse hinaus. Es war wie eine Vision, ein Traum. Eine Fata Morgana seines verlorenen Glücks. Sie trug ein schwarzes Samtkleid, dessen weit schwingender Rock bis zum Boden reichte. Aus der nachtschwarzen Korsage erhoben sich schneeweiß ihre Schultern. Eine weiße Rose war an ihrem Ausschnitt befestigt. Das goldblonde Haar war zu einem eleganten Knoten in ihrem Nacken geschlungen. Sie war das Schönste, was Theo jemals gesehen hatte. Die Frau, die ihm das Kostbarste auf der Welt war. Leandra sah ihn nur an, und sein Herz machte einen Sprung. „Du bist entführt worden", sagte sie zu ihm. Er stand wie erstarrt. „Tatsächlich?" fragte er heiser. „Jetzt bist du mein Gefangener", erklärte sie, und ihre Worte klangen wie ein Versprechen. Theo kam einen Schritt auf sie zu, nur einen einzigen. „Unter einer Bedingung", antwortete er. Sie schüttelte den Kopf, wobei das Licht der letzten Sonnenstrahlen auf ihr schönes Gesicht fiel. Der Duft ihres Parfüms wehte zu Theo herüber, und er musste all seine Willenskraft aufbieten, um stehen zu bleiben. „Nein", sagte Leandra. Ihre Augen strahlten wie Sterne, wie ein Reflex auf den Abendstern, der leuchtend tief am Himmel stand. Venus, die Göttin der Liebe ... Leandra war die Fleisch gewordene Göttin. „Nur eine Bedingung", wiederholte Theo rau. Sie blickte ihn beunruhigt an.
„Ich möchte, dass das Urteil auf lebenslänglich lautet", sagte er zu der Frau, die er liebte. Ihre Augen begannen zu glänzen. Tränen schimmerten darin. Ein leiser, erstickter Laut entschlüpfte ihr. Doch da war Theo schon bei ihr, und die Kluft zwischen ihnen war verschwunden. Für immer. Liebevoll umschloss er ihr Gesicht mit seinen schmalen, starken Händen. „Ich liebe dich, despinis. Ich liebe dich, doch ich habe dich überhaupt nicht verdient. Aber wenn du mir eine zweite Chance gibst, werde ich mich deiner würdig erweisen, und wenn es mein ganzes Leben lang dauert!" Sie schaute zu ihm auf. Die noch unvergossenen Tränen schimmerten glitzernd an ihren Wimpern. Sie waren lang und dunkel und ungeschminkt, ganz anders als damals, als er Leandra das erste Mal gesehen hatte und am liebsten die dicken Make-up-Schichten von ihrem Gesicht gewischt hätte, um die wahre Schönheit darunter zu entdecken. Schon damals hatte er sich in sie verliebt, aber er war zu blind gewesen, zu dumm und zu arrogant, um es zu begreifen! Doch jetzt wusste er es. „Kannst du mir verzeihen, Leandra? Darf ich mein Leben lang dein Gefangener sein?" Sie schüttelte den Kopf. „Nein", flüsterte sie. „Du darfst nur mein Geliebter sein." Theo lächelte. Es war ein Lächeln, das sich über seinem gesamten, schmal gewordenen Gesicht ausbreitete und seine Augen erreichte, sein Herz und ihres. „Oh, das bin ich ... das bin ich für alle Ewigkeit Leandra! Meine Leandra. Meine Geliebte, meine große Liebe. Meine Braut und meine Frau. Die Mutter meiner Kinder. Das Juwel meines Herzens. Mein Leben, mein Herz, mein Augenstern, mein Ein und Alles." Sie sah Tränen in seinen dunklen Augen - und zog ihn an sich. Schließlich, eine Ewigkeit später, gingen sie ins Wohnzimmer, wo das Feuer im Kamin brannte und eisgekühlter Champagner auf sie wartete. Gemeinsam stießen sie auf Demos an, der diesen listigen Plan ausgeheckt hatte, um sie nach der kurzen Spielzeit von Antigone hier auf der Insel wieder zusammenzubringen, wo sie zuerst ihr Glück gefunden hatten. Danach führte Theo Leandra in das kühle Schlafzimmer zum Bett, das sie mit ihrer Liebe wärmten, bis sie beide von der Leidenschaft glühten, die jeder bei dem anderen entfacht hatte. Dann hielt er sie eng an . sein Herz geschmiegt. „Wie kannst du mir verzeihen?" fragte Theo, der einst so arrogant gewesen war und nun so demütig durch die Liebe. „Nach allem, was ich dir angetan, was ich zu dir gesagt habe ..." Leandra blickte ihm lächelnd in die forschenden Augen. „Ich liebe dich", sagte sie einfach. Mehr brauchte er nicht zu hören, und mehr brauchte sie auch nicht zu sagen. Ein neckendes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Weißt du, Vergil hat auch gesagt: Omnia vincit amor", meinte sie sanft. „Soll ich es dir übersetzen?" Sein Blick wurde reumütig. „Die Liebe überwindet alles." „Sehr gut", sagte sie anerkennend und belustigt zugleich. „Du bist selbst auch gar kein schlechter Altphilologe, Theo Atrides." Sein Blick wurde noch bedauernder. „Demos ist der Gelehrte in unserer Familie." „Ich weiß. Er war ein hervorragender Sprachlehrer. Ohne ihn hätte ich Antigone nie gelernt!" Anstelle des reumütigen Blicks erschien nun ein Ausdruck der Verwunderung und Selbstironie auf seinem Gesicht. „Bis an mein Lebensende werde ich nicht vergessen, wie ich mich gefühlt habe, als ich merkte, dass du die Antigone spieltest", sagte er. Schmunzelnd versicherte Leandra: „Ich auch nicht. Und ich muss gestehen, ich habe ein paar sehr unschöne Dinge über dich gedacht, als ich dich dort neben Demos habe sitzen sehen!" Ein Schatten verdunkelte ihre Augen. „Theo, wegen Demos ... und Chris. Hast du etwas dagegen? Ich hatte solche Angst, dass du sie verurteilst, und sie ebenfalls."
Verständnislos sah er sie an. „Wie kann ich etwas dagegen haben? - Du magst mich für einen erzkonservativen Chauvinisten halten, despinis mou", meinte er. „Aber zu wissen, dass du nie mit ihm geschlafen hast, erfüllt mich mit tiefer Befriedigung! Meine Eifersucht auf ihn hat mich geradezu aufgefressen. Und jedes Mal, wenn du seine Vorzüge gepriesen hast, war das für mich ein Schlag!" „Wie wird dein Großvater darauf reagieren, dass Demos schwul ist?" fragte sie vorsichtig. „Wir haben beschlossen, ihm nicht zu erzählen, dass er dich als deine Geliebte ausgegeben hat, um die Heirat mit Sofia zu vermeiden. Jetzt, da er dem Tod so nahe ist, hat das keinen Sinn mehr. Vor allem, da sie nun glücklich mit einem anderen verlobt ist." Leandra lächelte. „Ich freue mich für sie. Sie hat mir immer Leid getan, solange sie auf Demos gewartet hat, der sie doch niemals heiraten konnte. Aber ich hoffe, Milo wird nicht allzu enttäuscht sein, sie als Schwiegerenkelin verloren zu haben." In Theos Augen leuchtete es auf. „Aber er wird dich dafür bekommen, mätia mou. Milo wird vor Freude außer sich sein. Sein sturer älterer Enkel, der ewige Frauenheld, erfüllt nicht nur seine familiäre Pflicht und heiratet, sondern bringt auch gleich die perfekte Braut mit nach Hause! Sie ist nicht nur schön wie die schaumgeborene Aphrodite ..." Zärtlich streichelte er über ihren Bauch. „... und wird ihm den lang ersehnten Erben schenken, sondern ist zu allem Überfluss noch in der Lage, Sophokles im Original zu zitieren!" Mit einem verschwörerischen Lächeln setzte er hinzu: „Vermutlich kann sie sogar auch ein wenig Neugriechisch, nicht wahr? Wie praktisch für eure kleine Komödie", meinte er trocken, „dass Agathias und Yiorgos taub sind und du nicht mit ihnen sprechen konntest." Ein Ausdruck des Selbstvorwurfs erschien auf seinem Gesicht, als er nun nüchtern meinte: „Ich habe so lange gebraucht, bis ich begriffen habe, dass du nicht im Mindesten die Frau bist, für die ich dich gehalten habe. Kannst du mir wirklich und wahrhaftig verzeihen, dass ich durch meine eigenen Vorurteile geblendet war?" Leandra blickte schuldbewusst drein. „Ich habe dir die Wahrheit vorenthalten, indem ich dich getäuscht habe, Theo. Ich habe versucht, Demos zu schützen. Ich konnte ihn nicht verraten. Er hatte solche Bedenken, es dir zu sagen, weil er befürchtete, du würdest ihn daraufhin enterben." „Er und Chris lieben sich. Wie kann ich sie dafür verurteilen?" Sie runzelte die Stirn. „Aber wird Milo nichts dagegen haben, dass ich die Frau bin, die er für Demos' Geliebte gehalten hat?" „Dagegen haben? Im Gegenteil, er wird vor Selbstzufriedenheit geradezu platzen. Er hat sofort gemerkt, dass ich von dir hingerissen war! Und da du überhaupt nicht so bist wie ..." Er brach ab. Leandra spürte seine plötzliche Anspannung. „Theo ...?" fragte sie besorgt. Er drückte sie noch enger an sich. Dann, so als ob er endlich alles loswerden wollte, begann er zu sprechen. Währenddessen hielt Leandra ihn fest in ihren Armen. „Ich war einundzwanzig", erzählte er zögernd und starrte dabei an die Decke. „Es war in Paris. Sie hieß Mireille. Sie war Tänzerin in einem Nachtclub. Sie war achtundzwanzig und näherte sich dem Ende ihrer Karriere, was ich natürlich nicht bemerkt habe. Sie allerdings schon. Ich war ... vollkommen vernarrt in sie. Ich wollte sie heiraten. Sie sagte mir, dass sie schwanger sei. Am gleichen Abend rief ich meine Eltern an, um ihnen mitzuteilen, dass ich meine Braut mit nach Hause bringen würde. Das war der glücklichste Moment meines Lebens." Theo hielt inne und schien weit in die Vergangenheit zu schauen. „Am nächsten Tag kam mein Vater nach Paris, weil Milo ihn geschickt hatte. Er zahlte Mireille drei Millionen Dollar und brachte sie in eine Abtreibungsklinik. Sie ist gerne mitgegangen. Danach ist sie mit dem Geld nach Südamerika geflogen, und ich habe sie nie
wieder gesehen." Der sachliche Ton konnte seinen Schmerz nicht verbergen. Theo schöpfte mühsam Atem, ehe er fortfuhr. „Mein Vater sagte mir, dass Mireille ihm gestanden habe, dass das Kind nicht von mir, sondern von einem anderen Liebhaber sei. Offenbar hatte sie einige davon, und alle waren sehr viel erfahrener als ein einundzwanzigjähriger Junge. Er be zeichnete die Abtreibung als eine kleine Komplikation." Seine Stimme war voller Bitterkeit und Schuldgefühl. „Wir alle zusammen haben ein unschuldiges Kind getötet, nur um den guten Namen der Atrides' vor einem unerfreulichen Skandal zu bewahren." Er machte eine Pause. „An dem Tag habe ich mir geschworen, dass ich mich nie wieder einfangen oder benutzen lassen würde, um ein Kind zu zeugen, das nur aus Habgier empfangen wurde, um an das Atrides-Vermögen heranzukommen. Und deshalb ... deshalb ..." Erstickt brach er ab. Liebevoll legte Leandra ihm die Hand auf den Mund. „Schon gut, Theo. Es ist okay. Jetzt verstehe ich es", sagte sie sanft. Er sah sie an, und der Blick, mit dem sie ihm in die Augen schaute, zeigte ihm, dass sie alles verstanden und ihm alles verziehen hatte. Zärtlich und dankbar küsste er sie. Doch dann vertiefte er den Kuss und spürte Erregung in sich aufsteigen. „Paidi mou", sagte er mit belegter Stimme. „Ich bin verrückt nach dir, meine süße, bezaubernde Leandra!" „Das beruht auf Gegenseitigkeit", stöhnte sie leise, als sie sich seinen verführerischen Zärtlichkeiten hingab. „Yineka mou, ich sehne mich schon wieder nach dir", murmelte er. Aber es gab noch zwei Dinge, die Leandra geklärt haben musste. „Theo?" Er hob den Kopf. In ihren Augen lag ein fragender Ausdruck, und ihre Stimme klang besorgt. Theo wollte beides fortküssen. Nie wieder sollte Leandra sich Sorgen machen müssen. Doch als er erneut ihren Mund suchte, entzog sie sich ihm. „Was ist denn, despinis mou?" fragte er. „Theo", fing sie ein wenig verlegen an, „ich bin zwar nicht die Geliebte von Demos gewesen, aber ich habe ... zwei andere Liebhaber gehabt. Einen während des Studiums. Er war mein erster Freund, und wir haben, na ja, ein bisschen herumexperimentiert. Den zweiten auf einer Theatertournee. Er spielte den Mr. Darcy in einer Bühnenversion von Pride and Prejudice. In Kniehosen sah er einfach umwerfend aus. Aber als die Tournee vorbei war, war es auch mit uns sehr schnell zu Ende. Das ist alles", sagte sie. Theo nahm ihr Geständnis mit größter Unbekümmertheit auf. „Ab jetzt wird es nur noch mich geben", erklärte er entschieden. Leandra lächelte glücklich. „Das soll mir recht sein", meinte sie neckend. „Aber was ist mit dir? Gilt dieselbe Regel auch für dich?" Empört starrte er sie an. „Selbstverständlich! Warum sollte ich eine andere Frau wollen außer dir? Meine schöne Aphrodite!" „Aber was ist mit Diana Delado?" Seine Miene war verständnislos. „Mit wem?" „Diana Delado", wiederholte sie. „Die Presse war doch voll davon!" Als er den vorwurfsvollen Ton in ihrer Stimme bemerkte, verzog Theo das Gesicht. „Wird eine der schönsten und glamourösesten Frauen der Welt dich nicht als ihren Begleiter vermissen?" stichelte Leandra. Sie versuchte, tapfer zu sein, doch Theo kannte sie inzwischen, und er konnte die Angst, dass seine Vergangenheit ihre gemeinsame Zukunft vergiften würde, in ihrer Stimme hören. Doch das durfte nie geschehen. Er stützte sich auf den Ellbogen auf und stieß einen übertriebenen Seufzer aus. „Diana Delado", erklärte er geduldig, „wird ihren Senator heiraten, dessen Frau die
Scheidung eingereicht hat, um mit einem sechsundzwanzigjährigen Tennisprofi zusammen zu sein. Ich habe lediglich die Presse ein wenig abgelenkt, bis Diana ihre wahren Absichten preisgeben konnte. Und wir haben nicht miteinander geschlafen", sagte er mit Nachdruck, wobei er Leandra eindringlich ansah. „Seit ich dich kennen gelernt habe, habe ich keine an dere Frau mehr berührt, und ich werde es auch nie wieder tun. Es gibt nur noch dich für mich. Und durch die Gnade Gottes und dein großmütiges, verzeihendes Herz bist du hier bei mir, in meinen Armen. - Und nun, meine Liebste, gibt es noch irgendetwas, was du mit mir besprechen möchtest?" „Ja", antwortete sie und lächelte. Zu wissen, dass der Mann, den sie liebte, einer der schönsten Frauen der Welt so gleichgültig gegenüberstand, beruhigte sie außerordentlich. Auch wenn sein Verlangen nach ihr noch so stark war, versuchte Theo sich so gut es ging zu beherrschen. Dies war die Frau, die er liebte. Er hatte sie durch seine eigene arrogante Torheit verloren, doch sie hatte ihm die Chance gegeben, sie zurückzugewinnen. Nie wieder würde er irgendetwas tun, wodurch er sie noch einmal verlieren könnte. Er würde jede ihrer Launen ertragen. Auch diejenigen, die ihn zum Wahnsinn trieben, wie zum Beispiel, dass sie ausgerechnet jetzt solche dummen Fragen stellte. „Worüber möchtest du reden, despinis mou?." erkundigte er sich in ausgesucht höflichem Tonfall. „Ich möchte gerne wissen", erwiderte Leandra, wobei sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr und einen Schenkel über Theos Hüfte legte, „wann du endlich anfängst, mich zu lieben. Du lässt mich warten, Theo." Sie senkte die Lider mit den langen Wimpern, ehe sie verführerisch lächelnd wieder zu ihm aufschaute. „Und ich warte nicht gerne. Wirklich überhaupt nicht, Theo, Darling ..." Doch das musste sie auch nicht. Er stürzte sich auf sie wie ein Mann, der kurz vorm Verhungern stand. Sie hatte ihm die ganze Welt geschenkt, und auch das Paradies. -ENDE -