2006 digitalisiert by Manni Hesse
Das Totenreich In den Westbergen Die Männer von Kurna sind Steinträger und Büffelhir...
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2006 digitalisiert by Manni Hesse
Das Totenreich In den Westbergen Die Männer von Kurna sind Steinträger und Büffelhirten, Kameltreiber, Schiffer und Feldarbeiter. So stehen sie eingetragen in dem Polizeibuch des Dorfschulzen und in den Erhebungslisten der Zählbeamten. Daß es für viele nur Scheinberufe sind, mit denen man sich ausweist vor der Obrigkeit und dem Gericht, weiß jeder Bub, sobald er groß genug ist und sich im Dorfe umschaut. Wenn die braunen Kinder der Fellachen sich in den heißbrodelnden Nächten des Sommers zum Schlafen in die großen Steinschalen kuscheln, die unter hohen Dattelpalmen auf den Hofmauern ruhen wie die Storchennester auf dem Haupte der Memnonkolosse, sehen die Buben oft mehr, als sie wissen dürfen und den Alten lieb ist. Es . entgeht ihnen nicht, wie spät in der Nacht hier und dort aus den fensterlosen Lehmhütten dunkle Gestalten heraustreten, die einen schnellen, sichernden Blick in die Dorfstraße werfen und dann mit huschenden Schritten nach dem Gebirge zu verschwinden. Die Buben ziehen wie vor etwas Ungehörigem die Köpfe ein, grübeln wohl über die Heimlichkeiten der Großen, und da sie keine rechte Antwort wissen und auch die hellen Sterne über ihnen am schwarzen Himmel schweigsam sind, fallen sie bald in den tiefen Schlaf der Jugend. Am Morgen sind die nächtlichen Schemen nahezu vergessen — keiner der Jungen wird fragen, niemand im Dorfe spricht von dem nachtscheuen Getue und Gehabe, und doch wissen alle, daß die Männer auf verbotener Schatzsuche sind. Dann eines Tages, wenn die Fellachenknaben herangewachsen, gehen auch sie wie ihre Väter, Vorväter und alle Geschlechter von Kuma vor ihnen mit Steinhaue und Grabschaufel * zur Nachtzeit hinaus in die Totenberge, um zu tun, was jene I taten. 2
Das Fellachendorf mit der Handvoll seiner strohgedeckten Wohnhöhlen, die aus Nilschlamm gebaut sind, liegt zwischen Fluß und Wüste unter den roten Felsklippen der Thebanischen Westberge. Das unendliche Sandmeer der lybischen Wüste stürzt hier in einer erstarrten Kaskade von Schrunden, Spalten, Schluchten und wilden Wänden vieihundert Meter tief jäh in das Fruchtland des oberägyptischen Niltales. Drüben, auf dem Ostufer des Heiligen Flusses, „dort wo die Sonne aufgeht", ragen die Denkmäler hoch, die sich von dem hunderttorigen Theben erhalten haben: es sind die Tempel, und Palastruinen der einstigen gewaltigen Pharaonenstaat, zermürbt von den Kriegen der Jahrtausende, von den Schlammfluten des Stromes und dem Sandgewöik des Chamasin, des rotdunklen Sturmes der Wüste. Von der Höhe der Klippen sieht man fern die gewaltigen Monumente des Sonnengottes, die Säulenhallen, Galerien, Höfe, Stufenbauten und Sphinxalleen des AmonTempels von Karnak und der Sonnenheiligtümer von Luksor. Nur selten rudern die Fellachen des Westufers hinüber in die Ruinenstadt. Ihr Reich ist am Tag und in den Nächten die Uferlandschaft des Sonnenuntergangs, das Land der Toten, wo ihre Äcker sich bis in die Terrassen der Opfertempel erstrecken. Längs der Felsenmauern sind weithin die Säulenhallen, die Kolosse der Götter- und Pharaonenbilder, die zerfallenen Häuser der Priester und der Beamten und die zertrümmerten Gemeinschaftshäuser der Einbalsamierer, der Grabdiener, Totengräber und Grabwächter gelagert. Gelbgeschnäbelte Felikane, buntfarbene Wiedehopfe, Wildtauben leben hier. Rote Rinder grasen auf breiter Flur, und dort, wo das aufflutende Wasser des Stromes zurückgeblieben ist, gründein rosigfarbige Flamingos im fetten Schfamm. Die selbst in den Trümmern noch überwältigende Architektur des Westufers ist jedoch nur Schwelle, feierlicher Vorraum des Totenreiches selber, jenes erhabensten, erschütterndsten Friedhofes der Erde, der sich in den hundertfältig geborstenen Schluchten des „Tales der Könige" bis tief in die Gebirgswelt des Wüstensaumes hineinzieht. Wenige düstere Felspfade führen aus den Dörfern des Niltales in dieses Labyrintn der Grüfte und Grabgängei bis in seine Engpässe und veisandeten Verzweigungen ist es durchhöhlt und durchlöchert. An tausend Gräber, unterirdische Ruhestätten von Königen, Prinzen und Prinzessinnen des Hofstaates, von Priestern. Priesterinnen und 3
Hofbeamten liegen hier geöffnet, aufgerissen, durchwühlt in den violetten, braunen, bläulichen Schatten der Hänge und Talgründe. Tot unter Toten ist die Natur. Kein Grashalm findet in dem Schutt und Geröll, in den Trümmern der Grabbauten und in dem rotgelb hereingewehten Wüstensand Nahrung. Nur selten einmal trägt der Wind Regenwolken von Westen heran, selten nur ergießen sie ihre Last in die glühenden Gründe. Abd-el-Rasuls Entdeckung Mit dem Erwachen der wissenschaftlichen Altertumskunde zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren große Ausgrabungs-
Vorhof zu einem Sonnentempel in Theben (heute Karnak), der „Stadt der Lebenden" am Ostuter des Nils. An den Vorhol schloß sich in den altägyptischen Tempeln die große Säulenhalle, dann erst trat man in die „Cella", das innerste Heiligtum mit dem Bild des Gottes. i
expeditionen aus vielen Ländern in das Tal der Könige gekommen, hatten die Schluchten bis in ihre letzten Winkel durchforscht, was noch an Grabausstattungen vorhanden war, gesichert, die unterirdischen Grabfluchten vermessen und die geborgenen Schätze in die Museen der ganzen Welt verbracht. Als sie in den vierziger Jahren die Zelte abbrachen, galt die Tallandschaft des Todes als erschöpft. Die Männer der Spatenwissenschaft wandten sich ergiebigeren Fundstätten in anderen Teilen Ägyptens zu. Immer aber, wenn eine Expedition ihre bewaffneten Wächter zurückzog und das Feld freigab, begann im Tal der heimliche Kampf der Eingeborenen aus den Siedlungen des Vorlandes gegen das Besitz- und Grabungsrecht der Regierungsleute, die nach wie vor über jeden Spatenstich in diesem Katakombenreich argwöhnisch wachten. So machten sich also die einheimischen Schatzgräber nächtlicherweise auf, um auf verschwiegenen Wegen in das Totenland einzudringen, die zurückgelassenen Schutthalden aufzuwühlen und in schnell gegrabenen Stollen nach unerforschten Totenkammern zu suchen. * Unter denen, die aus dem Dorfe Kurna Nacht für Nacht diesem heimlichen Gewerbe nachgingen, war Abd-el-Rasul mit seinen Söhnen der schlaueste und verschwiegenste. Die Talklüfte waren ihm von jung an vertraut. Als Grabungsarbeiter hatte er die Männer der Wissenschaft beobachtet, wie sie zu Werke gingen, hatte ihren Gesprächen gelauscht, sich ihre Vermutungen eingeprägt und von ihren Kenntnissen und Erfahrungen viel profitiert. Aber das Tal gab keine Schätze mehr preis, soviel die Männer von Kurna auch gruben und schürften. Deshalb verlegten sie ihr Arbeitsfeld und stiegen in den Nächten in die Felsen hinter der Dorfgemarkung, wo der zauberhafte Opfertempel von Der-el-Bahri mit seinen Säulengängen, Terrassen und Kammern vor dem Sockel der Bergwände lag; hier gruben sie in versteckten Felsspalten und verborgenen Höhlen. Und eines Nachts — es war im Sommer des Jahres 1875 —, als eben fern im Osten der erste Frühschimmer der Sonne den Himmel verfärbte, fanden sie, was sie suchten. Abd-el-Rasul, der Vater, hatte in einer Zerklüftung der Felsen eine gemauerte Öffnung erkannt. Im Taumel der Entdeckerfreude und Gier riß er einige der mörtellos gefügten Sieine heraus, rief seine Söhne heran und gemeinsam stürzten sie nun die schmale Wand ins Innere. Heißer Brodem schlug ihnen entS
gegen, mit flackerndem Ollicht drangen sie In das Dunkel. Aus der Finsternis trat der Umriß eines Mumiensarges hervor, dann ein zweiter, ein dritter, — immer mehr. Dicht standen sie aufgereiht längs der Felswände. Die gänzlich überraschten Bauern zählten dreißig kostbare Totengehäuse. Sie fanden darin herrliche Skarabäuskäfersteine, Amulette, Dolche, Perlenkragen und Goldgehänge und viele Inschrifttafeln. Abd-el-Rasul nahm seinen Söhnen das Schweigegelöbnis ab; niemand sollte je von dieser Schatzkammer erfahren. Sie verschlossen den Zugang mit herbeigeschafftem Geröll und stiegen, erregt, glückstaumelnd, hinab in die Ebene und kehrten in ihre ärmlichen Hütten zurück. Man sah in der Folge die Leute aus dem Hause des Abd-elRasul viel bei den Händlern für Altertümer stehen, die von Zeit zu Zeit in das Dorf kamen, sah sie mit den Fremden feilschen, wenn sie von Luksor her die thebanische Totenstadt besuchten. In den Antiquitätenläden Kairos tauchten altägyptische Funde von unbekannter Herkunft auf, mit Namen von Königen, nach denen man jahrzehntelang vergeblich geforscht hatte, und Schriftbändefn mit überraschendsten Texten. Die Beamten der Regierung, die Männer aus den Museen, die dem Rätsel der seltsamen Altertümer nachspürten und bald erkannten, daß sie aus den thebanischen Gräbern stammen mußten, kamen auch in das Dorf am Der-el-Bahri. Aber niemand von den Dorfgenossen konnte ihnen sagen, woher der Reichtum kam. Abdel-Rasul und seine Söhne schwiegen. Ihre Lebensweise hatte sich seit jener Nacht in den Felsen nicht auffällig gewandelt. Sechs Jahre nach der Entdeckung des Mumiengrabes in den Felsen von Kurna überraschte ein kgl. Beamter einen der RasulSöhne, wie er einen Käferstein mit herrlichen Schriftbildern an einen Fremden vprkaufte. Und da man im Ägypten jener Jahre mancherlei Mittel kannte, um verstockte Münder zu öffnen, kam die Wahrheit bald ans Licht. Die Welt horchte auf. Ein einfacher Bauer hatte das Massengrab der mächtigsten Herrscher des alten Ägypten entdeckt. Die Namen der größten Pharaonen des Mittleren und Neuen Reiches standen auf den Särgen verzeichnet. Nun erklärte sich auch, warum man im Tal der Könige so viele der Totengrüfte leer gefunden hatte. Im 14. Jahrhundert v. Chr., in einer Zeit ständiger Grabberaubungen, hatten die Priester die Königsmumien aus ihren Grüften entfernt und ihnen in den Klippen bei Kurna in aller Verschwiegenheit eine neue Heimstatt geschaffen e
Die Entdeckung des Fluchtgrabes bewies, daß die Felsen der Totenstadt von Theben ihre letzten Geheimnisse noch immer nicht preisgegeben hatten. Es ergab sich, daß die wissenschaftliche Durchforschung des Tales in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allzu früh eingestellt worden war.
Die Tragödie der toten Pharaonen Die nächtlichen Plünderzüge des Abd-el-Rasul und seiner Dorfgenossen waren nur einige der zahllosen Beraubungen, denen die Königsgräber des Niltales seit Jahrtausenden ausgesetzt gewesen waren. Das Schicksal der toten Pharaonen war seit den Urzeiten eine einzige Tragödie. Das zeitlose Leben im Schattenreiche des Totengottes Osiris, das die Könige des Doppelreiches für das Dasein nach ihrem Heimgange erträumt hatten, verwandelte sich in eine ewige Flucht vor den Schändern ihrer geheiligten Gräber. Schon im frühesten Altertum drangen aus den Zelten der Wüste, aus den Hütten des Niltales, selbst aus den Palastwohnungen höchster Beamten die Schatzgräber in die geweihten Bezirke, vergriffen sich an den Opfergaben und zerrten selbst die Toten aus ihrer bergenden Hülle. Wenn deshalb die Pharaonen der Frühzeit über ihre Gräber die Steinberge der Pyramiden schichteten, so geschah das nicht nur, um in diesen Denkmälern den eigenen Ruhm und den Ruhm des Gottes in fernste Zeiten zu tragen; unter den lastenden Quadern schien auch die Unversehrtheit des Leibes für alle Zeiten gesichert. Nur der Oberaufseher der Bauten kannte die genaue Lage der Grabkammer tief in der berghohen Pyramide, in die der Tote in Hockerstellung gebettet war. Die bauenden Sklaven wurden zum Schweigen gebracht. Im Grabinnersten selber wachten dämonische Gestalten der Unterwelt über die Ruhe des Herrschers. In vielmaligen Windungen und mit listig erdachten Irrgängen und vorgetäuschten Pforten und Kammern verwirrte sich der Zugang ins Innere. Riesige Fallblöcke wurden bei der Schließung des Grabes in die Enge des Stollens gekeilt und der Gang selber mit undurchdringlichen Felsbrocken gefüllt. Draußen aber legten sich die Quadern der Pyramidenwand in dichter Verkleidung über die Ausmündung des Grabganges. Und doch ist in der Folgezeit keine der Pyramidenkammern verschont geblieben. Die Schatzgräber haben selbst die übermenschlich erscheinenden Steinsperren durchbrochen. 7
So kam es, daß um das Jahr 1500 v. Chr. fast keines der Pharaonengräber im unteren Nilland nicht entweiht und ausgeplündert war. Flucht in die Felsen Eben um das Jahr 1500 v. Chr., als die Herrscher der 18. Dynastie den Thron Ägyptens bestiegen, gab man die herkömmliche Art der Totenbestattung auf; die toten Könige begannen in die Felsen zu flüchten. Die mütterliche Erde sollte ihnen gewähren, was die aufgetürmten Pyramidenberge ihren Vorgängern nicht gegeben hatten: das ungestörte Einswerden mit den Göttern der Tiefe und die Geborgenheit vor der Gier der Menschen. So zogen sich die heimgegangenen Könige aus den Bereichen der Lebenden zurück. In den Westbergen seiner Residenz Theben, am Wüstenrande, dort wo Re-Amon, die Sonne, allabendlich hinabsteigt in das Reich der Nacht, dort suchte sich der Begründer des 18. Herrschergeschlechtes, Thutmosis I., die Stelle, wo er nach seinem Tode dem Herrn des „Lichtortes" unbehelligt nahe sein konnte. In die äußerste Falte des Tales, das seitdem das ,,Tal der Könige" hieß, ließ er von den vertrautesten Männern des Hofes die Gruft in die weißen Kalkfelsen treiben und gab Befehl, daß das dunkle Grabtor nach seiner Bestattung der Felsenumgebung gleichgemacht würde. — Wir wissen heute, daß auch dieses Versteck auf die Dauer die Ruhe des Herrschers nicht schützen konnte. Auch sein Grab im verlorensten Winkel des Tales wurde erbrochen und all seiner Reichtümer beraubt. Die Nachfolger Thutmosis des Ersten schufen um das Jahr 1375 v. Ch. im Tale der Könige die „Totenstadt", einen geschlossenen Gräberbezirk, und unterstellten ihn dem Schutz der Priester und unzähliger Wächter, die in den Kasernen vor dem Gebirge wohnten. Das Schutz- und Zauberzeichen der Gräberstadt, das Bild des Anubisgottes und der neun Gefangenen sollte das unverbrüchliche Siegel dieses einzigartigen Friedhofs und seiner Grabgewölbe sein. Die Opfertempel der einzelnen Könige und die Kolosse ihrer riesigen Granitbilder, die vordem mit den Kammergrüften verbunden gewesen waren, wurden nun fernab vor den Bergen errichtet. An diesen Tempelstätten machten die dahingeschiedenen Könige in ihren goldenen t Schreinen zum letzten Male halt, bevor die Priester sie über 8
Das „Land des Todes" mit dem Tal der Könige aut dem Westufer des Nil bei Theben. Die riesigen 21 m hohen Memnon-Kolosse sind die Tortiguren zu einem der verschwundenen Totentempel, von denen das Ramesseum und der Der-el-Bahri-Tempel am besten erhallen sind. die Felspässe ins „Tal" geleiteten. Nur bis zu den Tempeln folgte das wehklagende Volk. Unnahbar blieb ihm die Totenstadt in den Felsen. Ein Grabräuberprozeß vor 3000 Jahren Doch aus den Urkunden Ägyptens, aus den Inschriften in den Fluchtgräbern und aus den Erkenntnissen der Ausgrabungen 9
ergibt sich, daß auch der Bannbezirk der Totenstadt die Plünderer nur kurze Zeit ferngehalten hat. Wieder brachen Raubbanden in den Frieden des Tales. Die Geschichte hat uns einige dieser Grabschänder mit Namen überliefert, und es überrascht kaum, unter ihnen auch höchste Beamte der nahen Hauptstadt zu finden: Pesar, den Vorsteher der Oststadt, Pewero, den Stadtbeamten der Weststadt und Chamwese, den Wesir, den Allgewaltigen Thebens. Weniger erlaucht waren ihre Helfersheller: Hapi, der Steinmetz, Iramun, der Bildhauer, Amuhab, der Bauer, Kemwese, der Wasserträger und Chenufer, der Neger. Man wurde ihrer bald habhaft und konnte auch die Auftraggeber überführen. „Wir sind alle hineingedrungen in das Grab des Königs", gestanden sie vor Gericht. „Wir öftneten die Särge und die Hüllen und fanden die erhabene Mumie des Königs. Da war eine große Reihe von Amuletten und goldenem Geschmeide an seinem Hals; sein Kopf war mit einer goldenen Maske bedeckt. Ihre Hüllen waren innen und außen versilbert und mit allen köstlichen Steinen ausgelegt. Wir rissen das Gold ab, das wir an der erhabenen Mumie des Gottkönigs fanden. Die Amulette und Schmuckstücke, die an ihrem Halse waren, und die Hülle, in der sie ruhte, raubten wir. Wir fanden des Königs Gemahlin in der gleichen Weise. Alles, was wir bei ihr fanden, nahmen wir mit. Wir stahlen ihre Geräte, als da waren Gefäße aus Gold, Silber und Bronce. Dann teilten wir die Beute und das Gold, das wir gefunden und die Amulette, Schmuckstücke und die kostbaren Hüllen in acht Teile." Um jene Zeit, da dieser Prozeß verhandelt wurde, war es auch, daß die um die Toten besorgten Priester Thebens damit begannen, die bedrohten Gräber zu räumen und die Mumiensärge der Pharaonen in schnell ausgehauene Höhlenverstecke zu überführen. Damals kamen auch die dreißig Pharaonen in jenes Massengrab, das Abd-el-Rasul 3000 Jahre später im Jahre 1875 bei Kurna aufdeckte und ausraubte.
Priesterinnen, Einsiedler und Wegelagerer Nur selten sah das „Tal der Könige" nach dem Ausgang der 18. Dynastie ein Totenbegängnis. Zuweilen kam ein Trauerzug aus den nahen Tempeln, wenn eine der Priesterinnen xlie geweihte Erde der verlassenen Königsgrüfte für ihre eigene Toten10
Stätte gewählt hatte. Ihre prunklosen und schlecht ausgestatteten Gräber boten den Schatzsuchern keinen Anreiz menr. In unheimlicher, grausiger Einsamkeit lag der entvölkerte Felsenkessei mit seinen autgerissenen Grüften in der brüienden Sonne des Wüstenrandes. Schwarz und düster öftneten sich bis hoch in die Hange die Pforten der leeren Gräber. Auf versandeten Stuten, die in die unterirdischen Gänge und Hallen und in die Felsverstecke führten, sonnte sich müdes Getier. Für die Ägypter der Spatzeit wurde das ,,Tal der Konige" eine Stätte des orauens, des Totenzaubers und des Unheils. Als das Christentum im Nillande den Kampf mit den alten Göttern begann und Paulus von Theben, Pachomius und Antonius der Einsiedler in der „Thebais" Mönche um sich sammelten, scharten sicti im Tal fromme Klausner, Vorläufer des abendländischen Mönchtums, um eine christliche Kapelle, besiedelten die Höhlen und Grüfte der Pharaonen und lebten in Zurückgezogenheit und Selbstverleugnung dem neuen Glauben. Vom dritten bis zum achten Jahrhundert n. Chr., 500 Jahre lang, hallte das Tal wider von frommen Gesängen. Seit dem Beginn des Mittelalters aber ist unser Wissen um das Tal fast für ein volles Jahrtausend unterbrochen. Als im 17. Jahrhundert wieder erste Nachrichten von Reisenden aus der thebanischen Totenlandschaft zu uns dringen, hat sich das Bild der Landschaft gänzlich gewandelt: In den Katakomben der Könige haust gefährliches Räubervolk, in den Felsennestern verbergen sich Geächtete, entsprungene Sträflinge, flüchtige Soldaten, gesuchte Verbrecher und sind zum Schrecken der Dörfer und Gehöfte geworden. Mit ihnen hatten sich auch noch jene Expeditionen auseinanderzusetzen, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in das Tal gekommen, das Totengefilde durchsucht und es dann als erschöpft aufgegeben hatten.
Carter erwirbt eine Konzession Ein weiterer Abschnitt in der Geschichte des Tals der Könige begann in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nach der aufsehenerregenden Auffindung des Fluchtgrabes von Kurna. Der Räuber Abd-el-Rasul hatte ungewollt den Beweis erbracht, daß das Totenland der Westberge keineswegs „erschöpft" war, wie man geglaubt hatte. So belebte sich der Talgrund von neuem. 11
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Auf den durchwühlten Halden und dem Abraum vorangegangener Grabungen erstanden zum zweiten Male die Schattenzeite der Expeditionen. Unter Anleitung der Forscher und von ihnen mißtrauisch überwacht, gruben hingeborene des NUtals, Nubier Oberägyptens und Beduinen der Wüste neue Suchgräben durch den Suiotter und die Sandanschwemmungen und bohrten ringsum tiefe Stollen in die Felswände. Man entdeckte wohl immer wieder neue Grüfte, aber bei der Öffnung fand man sie meist leer. Die glückhaftesten Funde gelangen dem amerikanischen Gelehrten Theodor Davis, der mit einer Konzession der ägyptischen Regierung und mit reichlichen Mitteln das Totengebirge durchsuchte. Er stieß u. a. auf die Grabstätte des großen Ketzerkönigs Amenophis des Vierten, der unter dem Namen Echnaton die alten Götter des Landes verbannt und dessen Namen das nachfolgende Geschlecht aus dem Andenken der Menschen getilgt hatte. Er lag, aller Reichtümer beraubt, in einem jämmerlichen Felsenloch des Tales; seine Getreuen hatten die Königsmumie, um sie vor der Entweihung durch das aufgebrachte altgläubige Volk zu bewahren, aus dem Prunkgrab seiner neu errichteten Sonnenresidenz Amarna entführt und sie heimlich in der Einöde der Westberge versteckt. Theodor Davis grub zwölf Winter hindurch. Dann aber kam er zu der Überzeugung, daß nun endgültig jedes weitere Suchen vergebens sei und so überließ er leichten Herzens seine Grabungsrechte zwei unermüdlichen und kundigen Männern, die schon seit längerer Zeit neben ihm im Tal gearbeitet hatten: es war der Generalinspektor für ägyptische Altertümer, der Amerikaner Howard Carter, der einst Davis' Mitarbeiter gewesen war, und der englische Kunstsammler und LiebhaberArchäologe Lord Cavernon, der nach Ägypten gekommen war, um Heilung von einer Erkrankung der Atmungsorgane zu finden, und nun von der Leidenschaft des Forschers gepackt wurde. Diesen beiden Männern sollte in einer plötzlichen Entdeckung ein überwältigender Fund gelingen, der alles in den Schatten stellte, was bis dahin aus dem Boden Ägyptens zutage getreten war. Lord Cavernon unterstützte das Werk durch großzügige Geldmittel, die er mehr als zehn Jahre hindurch Carter freigiebig zur Verfügung stellte.*) *) Der nun folgende Bericht und die das Grab betreffenden Angaben auf den vorgehenden Seiten stützen sich auf die Nachrichten, die seinerzeit die Londoner Zeitung ,,Times" über den Verlauf der neuesten Ausgrabungen
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Carter hatte lange darüber nachgesonnen, ob das Totenbuch des Tales der Könige wirklich bis zur letzten Seite durchblättert sein könne. Gab es vielleicht nicht doch noch ein Fleckchen Fels, das der Aufmerksamkeit der Forschung entgangen, einen sandüberschwemmten Hang, der nicht gründlich genug durchgraben, einen Streifen Talgrund, über den man achtlos hinweggeschritten war? Er durchwanderte in den Morgenstunden, bevor das Tal zur Gluthölle wurde, und abends die Schluchten und Kessel, die Pässe und Mulden, kletterte in die Felsen oder durchforschte sie mit dem Fernglas und beobachtete und durchmaß die Schuttberge und Wüsteneien der älteren Baustellen. Dann wieder saß er über den Chroniken der Pharaonengeschlechter, soweit sie nach seiner Vermutung dem Tal der Könige verbunden gewesen waren, und sichtete immer wieder von neuem die Kataloge und Sammlungen der Funde aus den ausgeräumten Grabkammern. So kreisten seine Gedanken immer enger um eine Gestalt, die in den schriftlichen Quellen nur selten genannt war, deren Weg aber einmal in dieses Tal der Toten geführt haben mußte. Es war Tut-ench-Amon, Schwiegersohn des Ketzerkönigs Echnaton und seiner Gemahlin Nofretete, Echnatons zweiter Nachfolger auf dem Herrschersessel des ägyptischen Doppelreiches. Nun waren im Tal schon früher einige merkwürdige Funde zutage getreten, ein Becher und Goldblättchen, auf denen man den Namen Tut-ench-Amons entziffert hatte. Aber noch erregender war es für Carter, sich mit jenen seltsamen Tongefäßen zu beschäftigen, die Theodor Davis aus einem Felsenloch geborgen hatte und die nichts Geringeres enthielten als Überreste von der Totenfeier, die dem Pharao Tut-ench-Amon bei seinem Leichenbegängnis bereitet worden war: leinene Kopftücher der Klageweiber und Halskragen aus Blumen, wie sie die Flötenspielerinnen des Totengefolges getragen hatten. Carter und Lord Cavernon kamen nicht von dem Gedanken los, daß das Grab des "Pharao Tut-ench-Amon noch unerkannt im Totenbereich der Westberge liegen müsse. So eröffnete Carter nach langjähriger Vorbereitung im Jahre 1917 mit hundert erfahrenen Arbeitern der nahen Dörfer einen neuen „Feldzug" in die Bergim Tal der Könige veröffentlicht hat, und auf das großartige dreibändige Prachtwerk, in dem Howard Carter zusammen mit A. C. Mace seine Erlebnisse niederlegte.
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weit der Könige. In der Mitte des Tales setzten sie die Spitzhacken und Spaten an. Es war ein Vorstoß ins Ungewisse.
Carter endeckt eine Treppe An dieser Stelle lagen ungeheure Geröllmassen aufgeschüttet, die während früherer Grabungen bei der Freilegung der nahen Gräber Ramses' Tl., Ramses' VI. und Merenptahs abgelagert worden waren. Carter durfte mit Recht vermuten, daß der Boden unter diesen Gesteins- und Sandpackungen von den Archäologen des vorigen Jahrhunderts, die ihr ganzes Augenmerk auf die höher gelegenen Gräber gerichtet hatten, kaum durchsucht worden war. Einen lanqen Winter rollten die Loren, wanderten die Geröll- und Erdmassen, veränderte sich das Gelände. Und auch ein zweiter Winter ging über dieser Enttrümmerung dahin. Längst war der gewachsene Boden erreicht, aber nirgendwo zeigten sich die Spuren eines künstlichen Eingriffs in den Untergrund, nirgendwo die Andeutung eines verschütteten Zugangs. Das Ergebnis war grausam enttäuschend; das so hoffnungsfroh begonnene Unternehmen war fehlgeschlagen. Die Hilfsarbeiter gingen in ihre Dörfer zurück. Mit dem Stamm seiner Ausgraber zog Carter, mutlos geworden, in erfolgversprechenderes Gelände und grub sich hier in die Tiefe. Aber die Unruhe darüber, daß er im Umkreis der Ramsesgräber vielleicht doch nicht das Äußerste unternommen haben könne, begleitete den Rastlosen von einer Versuchsgrabung zur anderen. Diese Selbstvorwürfe bedrängten ihn solange, bis er sich im siebten Winter, dem letzten, der für die Gräberforschung im Tale vorgesehen war, doch noch einmal entschloß, mit seinen Arbeitern in das Gräberfeld des ersten Winters zurückzukehren. Und da geschah am fünften Tage das Unerwartete, kaum mehr Erhoffte. Am Abend des 3. November 1922 waren die Arbeiter auf dem nun wieder vertrauten Schuttgelände an den Ramsesgräbern einen Meter tief in den Boden vorgedrungen und hatten dann, weil die Nacht hereinbrach, das Werkzeug in den Zelten verstaut und sich zur Ruhe gelegt. Früh am Morgen des 4. November setzten sie von neuem an. Carter kam etwas später aus seinem Zelt zu ihnen herüber. „Kaum war ich", so be14
schreibt er in seinem Erinnerungsbuch das nun folgende Ereignis, „an diesem Morgen an der Arbeitsstätte angelangt, als eine ungewöhnliche Ruhe, die durch den Stillstand der Arbeiten verursacht war, mir zum Bewußtsein brachte, daß sich etwas Außergewöhnliches ereignet haben mußte. Man rief mir schon von weitem zu, man habe eine in den Felsen gehauene Stufe gefunden. Diese Nachricht erschien mir unglaublich. Aber nach erneutem, fast überstürztem Weitergraben ergab sich, daß wii wirklich am Eingang eines Einschnittes standen, der ungefähr in der gleichen Höhe mit der heutigen Talsohle angelegt war." Noch wollte Carter an das Unerhörte nicht glauben. Konnte es nicht doch wieder nur der Zugang zu einer unvollendeten Grabkammer sein, wie man sie so häufig im Tale freigelegt hatte? Und wenn das nicht der Fall war: würde es nicht wieder eines jeder zahlreichen Gräber sein, die schon vor Jahrtausenden ausgeräubert, ausgeräumt, geschändet worden waren und die der Forschung nichts Nennenswertes mehr eintrugen? Er befahl die Weiterarbeit und schon trat eine Stufe nach der andern aus dem Schutt, der Einschnitt weitete sich zu einem drei Meter hohen und zwei Meter breiten Treppenabsturz und am Abend war es so weit, daß Carter durch das Steingeschiebe nach vorn klettern konnte und gegen eine steinerne Tür faßte. Er warf, was noch im Wege lag, hinter sich und nun sah er auch im Lichte einer Kerze das Grabzeichen: es waren die bekannten Siegel der Totenstadt, Anubis mit den neun Gefangenen. Aber das Märchenreich, das hinter dieser Tür begraben lag, das ahnte er in dieser Stunde noch nicht. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl hatte ihn erfaßt. Am folgenden Morgen brachte der Postbote ins Haus Lord Cavernons, der zu diesem Zeitpunkt in England weilte, ein Kabel-Telegramm: ,,Habe endlich überraschende Entdeckung im ,Tal' gemacht. Ein Grab mit unbeschädigten Siegeln. Bis Sie hier sind, wird alles wieder zugeschüttet. Sie müssen dabei seinl Carter". „überall glänzendes, schimmerndes Gold" Am 23. November traf der Lord im Tal der Könige ein, und am folgenden Morgen lagen die Stufen wieder frei. Als nun 15
die elektrische Leuchte nach unten gebracht war und die ganze Fläche der zugemauerten Tür hell angestrahlt vor ihnen lag, bückte sich Carter plötzlich zur Erde, entriß dem neben ihm stehenden Arbeiter die Traglampe, beleuchtete eines der unteren Siegel und betrachtete es aufmerksam. „Lord", rief er dann auf-
Lage des Tui-endi-Amon-Grabes im Tal der Könige,
Grundriß des Tut - ench Amon-Grabes mit den vier versiegelten Türen. Größe der Kammern: Vorkammer (1. Raum) 8 X 3,60 m; Seitenkammer (2. Raum) 4 X 2,90 m; Sargkammer 6,40 X 4 m; Schatzkammer 3,50 X 4 m. Größe der Schreine und Särge, in die der König gebettet war: 1. Schrein 5,20 X 3,25 X 2,75 m (Höhe); 2. Schrein 4,70 X 2,90 X 2,30 Dl; 3. Schrein: 4,20 X 2,50 X 2 m, 4. Schrein 3,90 X 2 X 1,70 m. Gelber Quarzitsarg 2,75 X 1,50 X 3,50 m, äußerster Goldsarg 2,25 m lang; mittlerer Goldsarg 2 m lang; innervier Goldsarg 1,85 m lang. jubelnd, „Lord, es ist Tut-ench-Amons Siegel. Das ist das Grab, das wir suchen. Es ist Tut-ench-Amons Grab, in dem wir stehen." Als das Licht der Lampe nun in scharfem Strahl prüfend den Putz der Türwand abtastete, machte Carter noch eine weitere Entdeckung, die ihn erbleichen ließ. Deutlich hob sich im oberen Teil eine Schicht ab, die nachträglich aufgebracht sein mußte. Es gab keinen Zweifel: das Grab war zu irgendeiner Zeit, wahrscheinlich kurz nach der Bestattung wieder geöffnet worden. Also auch dieses Königsgrab geplündert! Als man die Siegel gelöst, die Tür herausgebrochen und in einen mit Schutt 17
angefüllten, abwärts führenden Gang eingedrungen war, der sich 8 Meter tief an die Treppe anschloß, erkannte man hier auch den schmalen und engen Kriechgang, den die Grabräuber einst durch den Abraum gewühlt hatten. Tiefste Enttäuschung bemächtigte sich der Entdecker. Aber noch bestand Hoffnung, daß wenigstens ein Teil der Grabausstattung von den Räubern verschont geblieben war. Das Ausräumen des Stein- und Scherbengerölls währte bis zum andern Tag. Die Männer arbeiteten nun in fieberhafter Erregung. Und dann kam , das große, alles überstrahlende Glück... ! „Dieser Tag wurde für uns der Tag der Tage" schreibt Carter über das märchenhafte Erlebnis dieses 24. November 1922. „Der Tag wurde so wunderbar, wie ich nur jemals einen erlebt habe und wie ich niemals wieder einen erleben kann. Am Morgen wurde das Ausräumen fortgesetzt, gezwungenermaßen langsam wegen der zerbrechlichen Gegenstände, die mit dem Schutt vermischt waren. Dann kamen wir in der Mitte des Nachmittags, zehn Meter von der äußeren Tür entfernt, an eine zweite versiegelte Tür, die eine fast genaue Wiederholung der ersten darstellte. Die Siegelabdrücke waren hier weniger deutlich, aber doch noch als die Tut-ench-Amons und der Totenstadt zu erkennen. Auch hier waren die Zeichen vom öffnen und Wiederschließen der Tür auf dem Mörtel ganz deutlich sichtbar. Inzwischen hatte sich bei uns die Überzeugung gefestigt, daß wir im Begriff waren, ein Versteck zu öffnen und kein Grab. Die Anordnung von Treppe, Gang und Türen erinnerte uns sehr stark an das Versteck Echnatons, das in der Nachbarschaft unserer jetzigen Ausgrabung von Davis gefunden worden war. Langsam, verzweifelt langsam, so schien es uns, wurden die Geröllreste aus dem Gang fortgeschafft, die das untere Ende der Tür versperrten, bis wir schließlich die ganze Tür frei vor uns hatten. Der entscheidende Augenblick war gekommen. Mit zitternden Händen machte ich eine kleine Öffnung in der linken oberen Ecke. Dunkelheit und Leere zeigten, soweit eine hindurchgesteckte Eisenstange reichen konnte, daß das, was auch hinter der Tür lag, leer und nicht wie der eben ausgeräumte Gang ausgefüllt war. Lichtproben wurden aus Vorsicht gegen möglicherweise vorhandene giftige Gase angewandt, dann erweiterte ich das Loch, führte eine Kerze hindurch und spähte hinein, während Lord Carnarvon und andere neben mir standen, begierig, den Urteilsspruch zu hören. 18
Zuerst konnte ich nichts sehen, da die aus der Kammer entweichende heiße Luft das Licht der Kerze zum Flackern brachte. Als meine Augen sich aber an das Licht gewöhnten, tauchten bald Einzelheiten im Innern der Kammer aus dem Nebel auf, seltsame Tiere, Statuen und Gold — überall glänzendes, schimmerndes Gold! Für den Augenblick — den andern, die neben mir standen, muß es wie eine Ewigkeit erschienen sein — war ich vor Verwunderung stumm. Als Lord Carnarvon die Ungewißheit nicht länger ertragen konnte und voller Ungeduld fragte: „Können Sie etwas sehen?" war alles, was ich herausbringen konnte: „Ja, wunderbare Dinge!" Dann erweiterten wir das Loch, so daß wir beide hindurchsehen konnten, und führten eine elektrische Lampe ein. Sicher hatte man nie vorher in der ganzen Geschichte der Ausgrabungen so Wunderbares geschaut, wie es uns jetzt das Licht der Lampe enthüllte. Der Leser mag sich vorstellen, wie uns die dort ausgebreiteten Sdiätze erschienen, als wir durch die Öffnung in dem zugemauerten Eingang auf sie hinabschauten und den Lichtstrahl — das erste Licht, das seit 3000 Jahren die Dunkelheit der Kammer durchdrang — von einem Gegenstand zum andern wandern ließen, mit dem vergeblichen Bemühen, uns den Schatz zu deuten, der vor uns lag. Ein ganzes Museum, so schien es mir, voller Gegenstände in scheinbar endlosem Überfluß übereinandergehäuft."
Das Leben ist ohne Tod Wer den Sinn all der Tausende von Grabbeigaben, kostbarer und oft so hausbackener, die man nach der Freilegung des Zuganges in den Kammern des Grabes fand, in allen Einzelheiten verstehen wollte, der verlöre sich in das geheimnistiefe Dunkel einer aus uralten Quellen gespeisten Glaubenswell, in der Götter und Geister, Dämonen, Soukgestalten, Zauberbann und Beschwörung das Dasein der Lebenden und Toten beherrschten. Noch niemandem ist es bis heute gelungen, das verschlungene Zaubergewirr, in das der altägyptische Mensch. König wie Sklave, versponnen war, ganz zu durchschauen. Unendlich ist die Zahl der magischen Namen, Kräfte und Zeichen, deren er sich im Leben und Tode bediente. Halten wir einen Augenblick inne, bevor wir uns in den Grabkammern des Tut-ench-Amon umsehen, und fragen wir die 19
Wissenschaft, mit welchen Vorstellungen die Ägypter des zweiten vorchristlichen Jahrtausends den Tod und das Jenseits betrachteten. Für den Göttergläubigen des Nillandes war das Leben eigentlich ohne Tod. Die Heimgegangenen lebten als gute oder böse Wesen weiter im Schattenlande des Totengottes Osiris. Dort, wo Re-Amon, die göttliche Sonne, zur Nacht in die west-
Altägyptische Götterbilder: Falkengott, Sonnengott und Hathoi, die stierköpfige Himmelsgöttm, die den König nährt. liehen Gegenden der Erde, in die Berge und Wüsten tauchte, dort lag das dunkle Reich der Abgeschiedenen. Abend für Abend, wenn mit der Sonne die ewigen Wasser, die am Himmelsgewölbe entlangströmen, in breiten Wasserfällen hinab zum Westen niederstürzen, erwarten hier die Toten den Strahlengott und folgen der Sonnenbarke mit ihrem Geleit leuchtender Götter in eine niedere Welt, in der Gefahren und Hinterhalte lauern. Zwölf Stunden lang, für die Dauer der Nacht, zieht die göttliche Schar durch lange, düstere Gänge, in denen zahllose Dämonen und Geister, die einen feindlich, die anderen freundlich, den Weg zu verstellen trachten oder über die Schwierigkeiten der Reise hinweghelfen. In Zwischenräumen stehen große Tore, jedes von einer riesenhaften Schlange bewacht, und führen zu einer ungeheuren Halle flammenden 20
Feuers, die mit furchtbaren Ungeheuern und Henkersknechten bevölkert ist. Dann folgen weitere dunkle und enge Gänge, blindes Tasten in der Dunkelheit, neues Kämpfen mit übelwollenden Geistern und ein erneutes, jubelndes Willkommen von Seiten der gütigen Götter. Und um Mitternacht beginnt die Fahrt empor zu den östlichen Gegenden der Welt. Wenn dann am Morgen die Grenzen des Landes der Dunkelheit erreicht sind, taucht die Sonne aus dem Osten empor, um das Licht des neuen Tages zu entsenden." So ist es in der Nacht. Am Tage aber ist die reine Seele in keiner Gefahr. Dann verlassen die Toten als Schwalben oder als Reiher die Gräber und durchflattern die Stätten der Menschen. Umherfliegend grüßen sie den lebenspenden Re-Amon am Himmelsgewölbe, den „Herrn des Lichtortes", wenn er in seiner Morgenbarke als Horusknabe am Osthimmel aufsteigt, als geflügelte Aton-Scheibe den Mittag durchzieht und als Atum, der Alte, den Tageslauf hinter den Heiligen Bergen des Westens beschließt. Damit die umherflatternde Seele bei ihrer abendlichen Rückkehr ins Totenreich den Leib auch wiedererkennt, zu dem sie gehört, muß der Tote die Züge und die Gestalt des Lebenden tragen. Seit alters, seit man die Pharaonen nicht mehr in den Pyramidenbergen begräbt, kennen die Priester die geheimnisvolle Kunst, durch Einbalsamieren den toten Körper unversehrt zu erhalten. Osiris, der Totengott, hat ihnen diese Kenntnis vermittelt. Seth, sein Bruder, erschlug ihn im Streit. Aber die trauernden Götter nahmen aus dem Leibe des Getöteten das Vergängliche, die Eingeweide, salbten den Körper des Gottes mit festigenden Salben und ölen und umhüllten ihn mit langen Streifen von grobem Leinen, damit der eingefallene und verdörrende Leib wieder dem Lebenden gleiche. In der Mumiengestalt des Osiris ruhen seitdem die Toten Ägyptens in den Grabhügeln und Kammern. Auch Re-Amon, die Sonne, die ebenso unbarmherzige wie gnädige Glutsonne Ägyptens, hilft die Körper erhalten. In der ausgetrockneten Erde der Gräber hütet sie die zur Mumie verwandelte Hülle der Toten durch die Jahrtausende. So leben die Dahingegangenen also im Reiche des Osiris ein zweites Leben. Etwas vom irdischen Glück mit hinüberzunehmen in die Gefilde der Tiefe, ist das höchste Anliegen der Lebenden: Helfer, Schutzgeister zu haben gegen die bösen 21
Altägyptiscte Darstellung des Totengerichts vor Osiris, dem Totengott. Das Herz des Toten wird gewogen. Sdiutzgötter, Diener, Nahrung, Opiergaben werden dem Verstorbenen tür das Leben im Jenseits mitgegeben. Kräfte der Unterwelt und Nahrung für Ka, die Seele; Diener, die bei den harten und schweren Fronarbeiten im Jenseits, beim Pflügen, Bewässern und Kornpflanzen, zur Seite stehen, Fürsprecher beim Totengericht, wenn das Herz des Verstorbenen gewogen wird, Amulette gegen den bösen Zauber und Erinnerungen an einst, an Jugend und Schönheit, an Ruhmestaten und frohe Zeiten. Der Jenseitsglaube der alten Ägypter weiß Irdisches und Ewiges nicht mehr zu trennen.
Die Ausstattung des Grabes Doch wenden wir uns wieder dem Augenblicke zu, als die Entdecker des Grabes im Scheine einer Lampe die ungeheuren Schätze erblickten, die den Grabraum wie die reiche Requisitenkammer eines Theaters anfüllten. So wie die ängstlichen Grabräuber in gehetzter Flucht die Gruft vor 3000 Jahren verlassen hatten, fand man nach dem Durchbruch der Türwand die Grabgaben des Königs. Truhen und Kasten waren erbrochen, durchwühlt und beraubt; noch lagen am Boden die Perlen der kostbaren Gehänge, von den Dieben aus den Behältern gerissen und in der Hast des Aufbruchs verloren. Das 22
liegengebliebene Schärpentuch eines Plünderers enthielt noch die eingeknoteten Goldringe, mit denen er sich davonmachen wollte; unterwegs war es dem Eiligen entfallen. Viel Goldwerk und Edelgestein war geraubt; aber das noch Vorhandene übertraf jede Vorstellung. An den Wänden standen die Totensträuße aus Weiden- und Wasserlilienblättern und wildem Salbei. Da hingen die Girlanden aus Dattelpalmenblättern, aus den Blättern der blauen Wasserrose und aus Airaunenfrüchten, die Blumenhaiskragen aus Beeren des Waldnachtschattens und aus Blüten und Früchten wilder Pflanzen. In einem goldenen Leuchter stand noch die erloschene Opferkerze, am Boden lag die ausgebrannte Schilffackel, die man „zur Vertreibung der Osirisfeinde, „in welcher Gestalt sie auch kommen mochten", entzündet hatte. Die alabasternen und goldbedeckten Opferund Salbgefäße waren da, die man im Leichenzuge getragen, der Baldachin, unter dem der Tote zu Grabe gebracht, die riesigen Straußenwedel, mit denen man ihm Kühlung zugefächelt hatte. Dem verwöhnten Gottkönig mangelte selbst im Tode nichts von dem, was ihm im Leben angenehm gewesen war: 43 große tönerne Weinkrüge mit den erlesensten Gaben der Weingärten — ihre Jahrgänge und die Namen der Kellermeister las man auf den Schildern — hatte der Hof dem toten Pharao ins Grab gegeben. 35 schwere Alabasteigefäße enthielten noch Reste der lebenerhaltenden öle und Salben; das meiste hatten die Räuber in Schläuchen davongeschleppt. In 116 Binsenkörben waren dem König Trauben und Datteln, Melonenkerne und Nüsse, in eiförmigen Behältern Brote und Bratenstücke hingestellt, damit er nicht hungere. Er konnte mit eigener Hand das Korn mähen, wenn er dessen bedurfte. Ein Holztrog mit Erde und eingestreuten Körnern war in einen winzigen Fruchtacker verwandelt. Die Reibmühle fehlte nicht, das Korn zu mahlen, auch nicht der Getreidespeicher, die Ernte zu bergen. Und wenn ihn dürstete, so konnte er selber das Bier bereiten; Zuber und Siebe waren vorhanden. Nicht ohne seinen Hofstaat, ohne seine Diener und Wächter sollte er ins Totenreich gehen, nicht ohne Prunk und Behaglichkeit, nicht ohne die schützenden Geister, die ihn im Leben umgaben. Auf goldenen Thronsesseln wird er dort unten Herr seines Totengefolges sein. Da steht in seinem Grabe der großartige Thronsitz seines Palastes, das herrlichste Meister23
werk, das Ägypten hervorgebracht. Das ergreifend in Gold getriebene Szenenbild auf seiner Rücklehne zeigt die Jungvermählten, den königlichen Knaben Tut-ench-Amun und die Mädchenkönigin Enches-en-Amon in einer Begegnung voll lieblicher Zuneigung; Aton, der Ketzergott, breitet seine Strahlenhände über das Paar. Manchmal wird sich der tote König auch auf den Thron seines Hohenpriesteramtes niederlassen, um auf diesem Sitz von Elfenbein, Ebenholz und gehämmertem Gold die Opfergaben zu empfangen, die ihm die Getreuen draußen in der Menschenwelt zutragen und darbringen. Neun wundersam geschnitzte Ruhelager und zahlreiche Sessel und Stühle, die in den Kammern verteilt stehen, werden den von der Nachtpilgerfahrt Ermüdeten aufnehmen; Ebenholzstützen, Löwen, Nilpferde aus Elfenbein und mit güldenem Zierrat tragen die geflochtenen und gewebten Polster. Auf edelgeformten Nackenstützen ruht das müde Haupt. Nicht wird es dem Pharao an prächtigster königlicher Gewandung fehlen. In zahlreichen Truhen und Kästen, von denen sich jedes als ein kostbares Erzeugnis altägyptischer Handwerkskunst darbietet, liegen die Pracht- und Prunkgewänder für ihn bereitet; obwohl räuberische Hände sie durchwühlten und Kostbarstes verschwand, ist das Zurückgelassene doch für uns ein Kulturreichtum ohnegleichen: das Gewand der 100 000 Perlen, das Staatskleid der 3000 Goldrosetten, das goldgestirnte Priestergewand aus Leopardenfell, das strahlende Prunkmieder, das aus vieltausend Gold-, Fayence- und Buntglasstücken gefügt ist, die mit Gold-, Lapislazuli- und Karneolperlen bestickte Mütze, die Perlhalsbänder und breiten Perlenkragen, die großen, farbenreichen Brustkragen, die Halsketten mit den herrlichen Edelsteinen und die goldenen Sandalen. Nichts ist vergessen. Die Handwerker der Unterwelt werden, wenn sie dem König neue Gewänder zumessen, den noch im Tode unantastbaren Leib des Erlauchten nicht zu berühren brauchen; denn auch seine Kleiderbürste ist ihm ins Grab gestellt und die Ellenmaße liegen bereit. An seinem Spiegeltisch wird er sich aus winzigen Töpfchen salben, den kostbaren Schatztruhen kann er den Armschmuck, die Ohr- und Fingerringe entnehmen mit Steinen aus Türkis, Lapislazuli, Kalzit, Karneol, Chalzedon, aus grünem Feldspat, durchsichtigem Quarz, aus Serpentin, Fayence und durchleuchtendem Edelglas. Vielleicht lädt er einen der Diener an eines der Spielbretter, die das Grab aufweist, und bewegt zur Unterhaltung und inneren Sammlung die zierlich geschnitz24
ten Ebenholz- und Elfenbeinsteine. Oder er greift zum Schreibrohr, nicht ohne zuvor zu Thot, dem Gott der Rede, der Zahlen und Schrift, um gute Gedanken gebetet zu haben. Vielleicht auch besteigt er einen der vier weichfedernden Jagdwagen, goldprunkende leichte Fahrzeuge, die in der Vorkammer stehen, und durchjagt die ewigen Gefilde. An meisterlich geschnitzten, gold- und edelsteinbesetzten Bogen, an Wurfspeeren, Sichelschwertern, Wurfhölzern, Jagdkeulen und Schlangentotschlägern ist kein Mangel. Vielhundert leichte Pfeile mit Metallund Steinspitzen liegen unter den Waffen; und auch ein Lederpanzer und Schilde in großer Zahl. Groß ist die Dienergefolgschaft des Königs. Zwar sind nicht, wie in den ältesten Zeiten des Königtums, die Getreuesten dem Pharao in den Tod gefolgt, indem sie sich opferten. Seit der Pyramidenzeit verrichteten geschnitzte Figuren den Dienst im Grabe. Mehr als vierhundert herrlich gestaltete kleine Statuen entdeckte man im Grabe Tut-ench-Amuns und an 2000 winzige Gerätschaften, Hacken, Spaten, Joche, Körbe und Wassergefäße, mit denen sie arbeiten konnten. Wurde der Pharao selber einmal zum Dienst gerufen, dann standen plastische Bilder des Königs bereit, ihn zu vertreten; denn die Unterirdischen ließen sich täuschen. Eine Flotte von Schiffsnachbildungen mit Schiffsknechten, welche die Ruder und Segel bedienten, trug den Herrscher durch die Gewässer der Unterwelt oder zur Jagd auf Nilpferde und Wassergetier. Gute Götter aber, die in 22 kostbaren, versiegelten Schreinen den König wie eine Leibwache umstanden, gaben dem Toten Gewißheit, daß kein böser Geist seinen Frieden beunruhigen konnte.
Das Aufbrechen der letzten versiegelten Pforte Rings umgeben von allem, was ihm im Leben lieb gewesen, beschützt von den Geistern der Tiefe, versehen mit allem, was ihm bei den Beschwernissen des ewigen Pilgerns dienlich sein konnte, war der königliche Jüngling begraben worden. Die Forscher waren fassungslos, geblendet von dem schier unermeßlichen Reichtum der angehäuften Schätze, von denen schon jedes einzelne Stück für ein Museum ein begehrenswerter Besitz gewesen wäre. Mit unendlicher Sorgfalt räumten die Männer Teil um Teil aus den Kammern, sicherten sie in geduldiger, oft monatelanger Arbeit und luden sie dann zum 2R
Transport auf bereitgehaltene Nilbarken, um sie ins Regierungsmuseum von Kairo zu bringen. Noch aber war die brennendste Frage dieser Grabung nicht beantwortet; sie konnte auch nicht beantwortet werden, solange nicht die Vorkammern leer gemacht waren und eine vierte versiegelte Tür freilag, hinter der man wohl die Sargkammer vermuten durfte. Die Frage aber war diese: Befand sich der tote König noch an der Stätte seiner Bestattung, und wie würde man seinen Grabraum vorfinden, da die Räuber — nach dem Zustand der vierten Siegeltür zu urteilen — auch in diesen geheiligten Raum eingedrungen zu sein schienen. Das Aufbrechen der versiegelten Pforte, die von der Vorkammer in die Sargkammer führte, das Hereinfallen des ersten Lichtes in die geballte Finsternis war wieder einer jener erregenden Augenblicke, an denen diese denkwürdige Grabung so reich war. Lassen wir über die Öffnung der Königspforte, zu der man erlauchte Zeugen geladen hatte, den Entdecker selber sprechen. „Wenn wir sie öffneten, die versiegelte Tür", berichtete Carter in der Erinnerung an diese Stunde, „würden wir Jahrtausende überbrücken. Wir würden uns einem König nähern, der vor 3000 Jahren geherrscht hatte. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen und die Gäste versammelt waren, suchte ich den hölzernen Querbalken über der Tür, brach dann den Mörtel sehr vorsichtig ab und nahm die kleinen, die oberste Schicht bildenden Steine heraus. Die Versuchung, jeden Augenblick innezuhalten und einen Blick hineinzuwerfen, war unbezwinglich. Nachdem ich, nach ungefähr zehn Minuten, ein Loch gemacht hatte, das groß genug war, führte ich eine kleine elektrische Lampe hindurch. Staunenerregendes enthüllte ihr Licht. Kaum ein Meter von der Tür entfernt stand da etwas, was sich soweit erstreckte, wie man sehen konnte und den Eingang in die Kammer versperrte. Mir schien es, als sei es eine Mauer aus massivem Gold. Für den Augenblick wußten wir nicht, welche Bewandtnis es mit dieser Mauer hatte. Ich fing deshalb an, das Loch so schnell zu erweitern, wie ich es nur wagen konnte. Dabei versuchten wir, die Siegelabdrücke auf dem dicken Mörtel der Tür zu erhalten. Jeder Stein wurde nach einem Plan entfernt und wurde dann durch eine Kette von Arbeitern den Gang hinauf und aus dem Grab nach draußen gebracht. W
Nach der Entfernung einiger weiterer Steine war das Geheimnis der goldenen Mauer gelöst. Was uns den Weg versperrte, war die Wand eines gewaltigen Schreines, erbaut, um den eigentlichen Sarg zu decken und zu schützen. Jetzt konnten auch die Zuschauer in der Vorkammer diesen Schrein im Schein der Lampen sehen. Wie ein Stein nach dem anderen gelockert und die goldene Außenseite des Schreins allmählich sichtbar wurde, konnten wir. das Prickeln der Erregung spüren, in das die Zuschauer dieser dramatischen Szene gerieten . . . Es gab keinen Zweifel mehr: es war die Sargkammer, vor der wir standen. So unqeheuer war das große Bauwerk des Schreines, daß es fast die ganze Kammer ausfüllte. Von oben bis unten war es von Gold überzogen und in seine Seiten waren Füllungen aus leuchtend blauer Fayence eingelassen, auf denen wieder und wieder die Zauberzeichen dargestellt waren, die dem tempelartig gebauten Grabmonument Stärke und Sicherheit verleihen sollten." Der einzige Gedanke, der alle Miterlebenden in diesem Auoenblick durchfuhr, war der, ob der Schrein unangetastet geblieben war, oder ob die Grabräuber auch dieses innerste Heiligtum erbrochen hatten. Anscheinend war dies der Fall. Die Siegel waren von den Türen entfernt und die Riegel an den breiten, schweren Flüaeln" waren geöffnet worden. Aber schon folgte eine neue Überraschung. Im Innern stand, ganz eng in den ersten Schrein eingebaut, ein zweiter Schrein. In höchster Erregung untersuchte Carter seine Verriegelung. „Er ist unversehrt geblieben!", rief er den Anwesenden zu: man sah jedoch wie Carter zögerte, die Siegel von dem Ebenholzverschluß des zweiten Schreines zu lösen. „Wir fühlten uns als Eindringlinge", sagte er später, „dieses Gefühl wurde vielleicht durch den ergreifenden Eindruck eines mit goldenen Rosetten verzierten, leinenen Bahrtuches verstärkt, das über den inneren Schrein herabhing. Wir fühlten, daß wir dem toten Könige nun ganz nahe waren." Aber.der Leiter der Ausgrabung hatte sich getäuscht, als er glaubte, daß man mit der Öffnung der ersten Flügeltüren dem Pharao nahe gekommen war. In schier unnahbare Ferne hatte sich der König zurückgezogen. Tut-ench-Amons Totenruhe war durch die heilige Neun magisch behütet: durch fünffach ineinandergeschachtelte Schreine, dreifach ineinandergestellte Särge und zuletzt noch durch eine Gesichtsmaske aus purem Gold. Nicht nur vor den Menschen hatte er sich au? yj
diese Weise geschützt, sondern auch vor den Ungeistern der Tiefe, den Unholden und Unwesen des Totenreiches. Nur sein eigener Ka, seine Leibseele, konnte den Neunzauber des Schreines durchbrechen, wenn sie über Tag in Vogelgestalt unter die Lebenden zurückkehrte. Monate behutsamster Arbeit gingen darüber hin, bis man das letzte Geheimnis des goldenen Grabtempels enthüllen konnte. Jedes der tief und vielfach geschichteten Sarggehäuse war eine neue Offenbarung von unvorstellbarer Schönheit. Als man die unverletzten Siegel des zweiten Prunkschreines entfernt hatte, der wie der erste von Goldstuck und zaubervollem Figurenwerk überzogen war, zeigte sich dem Blick eine weitere Goldwand versiegelter Doppeltüren, die den dritten Schrein verschlossen hielten; auch dieser mit seiner blendenden Vergoldung und seinen symbolreichen Bildern ein Meisterstück von unermeßlicher Kostbarkeit. Die entsiegelte Türöffnung des dritten Schreines legte dann den vierten Schreintempel frei, das innerste der vergoldeten Holzgehäuse, und auch jn seinen Goldgrund waren außen und innen Darstellungen und Texte aus dem ,J3uch von dem, was in der Unterwelt ist" und aus dem Buch von der „Vernichtung des Menschengeschlechtes" in erhabener, ernster Bilder- und Sinnzeichensprache gegraben, über die Stirnfläche breitete Nephfvs, die Schutzgöttin, ihre Flügel. Als man auch an diesem letzten Schrein die Siegelstricke von den Riegeln geknotet hatte, trat zum Erstaunen aller ein Sarkophag aus gelbem und rötlichem Quarzit ins Licht: die ausgestreckten Arme und die entfalteten Schwingen der Schutzgöttinnen Isis, der Bringerin der Niltlut, Nephtis, der Totengöttin, Nerths. der Göttermutter, und Selkets, der Hüterin des Schattenreiches umgaben ihn. Jetzt erst war man dem König wirklich nahe; denn der Quarzitsarkophag enthielt die drei eigentlichen Mumien-Särge, die dichtgefügt ineinandersteckten und wie eine dreifache Schale den Leichnam des Pharao eng umhüllt hielten. Da war der äußerste Sarg: wie eine liegende Goldstatue in Menschengestalt war er geformt, wie Osiris. der Herr d»s Totenreiches selber. Doch das goldstrahlende Antlitz glich dem Angesichte des Königs Tut-ench-Amon, wie man ihn von den wenigen erhalten gebliebenen Steinbildern her kannte. Der Blick der in Alabaster und Obs'dian schimmernden Augen ging träumerisch in eine unbegreifliche Ferne. Die Goldhände der Figur hielten die Zeichen der Herrschermacht, das schlichte Krummszepter 28
und die dreifach geteilte Geißel. Ergreifender aber als alle goldene Pracht dieses Bildes war ein schlichter welker Kranz aus Olivenblättern, aus blauen Lotos- und aus Kornblumenblüten, der die Stirn der Königsgestalt bedeckte. Niemand zweifelte daran, daß es der letzte Gruß der königlichen Witwe, der liebreizenden Anches-en-Amon, an den Verstorbenen war. Dem ersten Sarg glich der zweite: auch er war vergoldet und der erhabenen Osirisgestalt nachgebildet. Das Antlitz trug ebenfalls die Züge Tut ench-Amons. Beide Särge übertraf der massive Goidreictitum des dritten und letzten Osirissarges, dessen meisterliche Bearbeitung den hohen Stand der ägyptischen Goidschmiedekunst bewies. Die Last des Sarges war so groß, daß acut kräftige Arbeiter ihn kaum zu heben vermochten. Zum dritten Male blickten die Männer in das in Gold nachgestaltete Antlitz des Königs.. Als sie den Deckel auch des dritten Sarges entfernt hatten, fanden sie endlich den Toten selber; er lag da, wie der Osirisgott mit Binden und Polstern umschnürt. Der Leib war über und über bedeckt mit Amuletten und Zauberbehängen, mit Prunkgürteln und Zierwaffen, mit magischen Schriftbändern und Skarabäen. Die Arme trugen die Last kostbarster Reifen und Ringe, Finger und Zehen steckten in goldenen Hülsen. Haupt und Brust aber waren zunächst nicht sichtbar; eine lebensvoll in Gold gehämmerte Maske bedeckte sie. Als Carter in ehrfürchtiger Scheu und mit zagenden Händen auch diese äußerste Verhüllung abhob, erblickte man das friedvolle und sanfte, edie und vornehme Anlitz des Jünglings Tut-ench-Amon, „des schönen Gottes, des Herren der Beiden Länder, des Fürsten, der dem Re gleicht, des Geliebten, dessen Antlitz glitzert wie Amon, die Sonne". Das schmale Haupt des Pharao war bekrönt mit einem Golddiadem von wundersam schlichter Schönheit. Die inneren Organe des Toten fand man in Goldbehältern in einem Viermumienschrein, der in der kleinen Schatzkammer neben der Sargkammer aufgebaut stand. Dort entdeckte man auch in vergoldeten Osirissärgen die Mumien der beiden tot geborenen Kinder des königlichen Paares. Wie die Vornehmen des Landes lagen sie gebettet, und Spielzeug,-Spieltische und niedliche Möbel dienten ihnen zur Unterhaltung im Reich der Toten. * Die Auffindung und Öffnung der Tut-ench-Amon-Gruft war das letzte große, und zugleich das bedeutendste Ereignis in der wechselvollen Geschichte des „Tales der Könige". Als man 29
es nicht mehr zu hoffen wagte, hatte der Friedhof in den Westbergen das einzige fast unversehrt gebliebene Pharaonen-Grab der altägyptischen Zeit freigegeben. Heute stehen die Goldsärge, die übergoldeten Schreine, die tausend Kunstwerke des Grabes in den lichten Sälen des Nationalmuseums in Kairo. Hier fand die Jahrtausendgeschichte des Totenlandes einen vorläufigen Abschluß. Hinter den Glasscheiben einer Schauvitrine lag lange Zeit neben vielen anderen altägyptischen Herrschern auch der tote Pharao Tut-ench-Amon, der Knabenkönig von Theben, eine Nummer im Katalog, ein Objekt der Neugier. Bis sich die Ägypter ihrer großen Vergangenheit erinnerten und in einer neuen Pilgerfahrt die Mumien ihrer Könige in ihre alten Felsenkammern zurückführten. Nun können die Seelen der Könige wieder allnächtlich mit Re-Amon, der Sonne, durch die Gefilde des dunklen Westens wandern und am Tage auf Vogelschwingen über das Stromland des heiligen Nil ziehen — wie seit Jahrtausenden. Diesen
Lesebogen
schrieb
Antonius
Lux
Das Bild aut der Vorderseite des Umschlags zeigt König Tut-ench-Amon in Gestalt eines Wächters. Die Figur stand mit einer zweiten gleichartigen zu Seiten der 4. versiegelten Tür, die in die Sargkammer tührte. — Aut der Rückseite des Umschlags oberer Teil des massiv goldenen Sarges, in den die Mumie des 18jährigen Pharao gebettet war (Foto: Mus). — Zierleiste aui S. 2 SJtaraDäen-Zaubersteine. Benutzte und empfehlenswerte Literatur: H. Carter und A. C. Mo c e ; Tut-ench-Amun. Leipzig 1924—1934. W. v. B i s s i n g : Die Kultur des alten Ägypten. Leipzig 1919. H. S c hae 1 e r und W. A n dae : Die Kunst des alten Orients Berlin 1925. A. Ermann: Die ägyptische Religion. Berlin 1909. B. Portner: Geschichte Ägyptens. München 1925. LUX-LESEBOGEN Nrj 54 / Heftpreis 20 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte. Verlag Sebastian Lux, Murnau-Mündien. Bestellungen (vierteljährlich 6 Hefte zu DM 1,20) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. Druck: Buchdruckerei Hans Holzmann, Bad Worishofen i(.
Das Reich Alt-Ägyptens Die Landschalt Altägyptena mit ,den bedeutendsten Reichsstädten. Seit den Urzeiten ist das Tal des Nils, die größte Oase der Erde, in das Land der roten Krone (Unterägypten im Nildelta mit der Hauptstadt Memphis bzw. Heliopolis) und das südliche Land der weißen Krone (Oberägypten im mittleren Niltal südlich Kairos mit der Hauptstadt Theben bzw. Tel el Amarna) geschieden. Der Kampl um die Einheit der „Beiden Länder" und um die Vorherrschail bestimmt einen Großteil der ägyptischen Geschichte. Die Ägyptologie (die Erforschung des Altertums in Sprache, Geschichte, Kunst und Kultur) unterscheidet bis zum Untergang der ägyptischen Freiheit im Jahre 332 v. Chr. dreißig Herrschergeschlechter = Dynastien und teilt die 1. — 10. Dynastie dem Alten Reich zu (3200 — 2100), die 11. — 17. Dynastie dem Mittleren Reich (2100—1600), die 18. — 30. Dynastie dem Neuen Reich (1600 — 332 v. Chr.). Drei Kullurzeitaller heben sich hervor: 3000 — 2500 v. Chr. das Zeilalter der Pyramiden, 2000 v. Chr. die klassische Zeit der ägyptischen Kunst und Literatur, die Bauzeit der großen Deiche und Schleusen, 1580 — 3330 v. Chr. die Zeit der 18. Dynastie als 2. Blütezeit der Kunst, der Vorherrschalt über den alten Orient und des Welthandels. Der 18. Dynastie gehört auch Tut-ench-Amon („Gold am Leben ist Amon") an, der von 1360 — 1350 regierte. Er bestieg als 9jähriger den Thron, den er 10 Jahre innehatte. Tut-ench-Amon war mit seiner Halbschwester Anches-en-Amon („Sie lebt von Amon") verheiratet. 31