Atlan ‐ Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 704 Das neue Konzil
Im Tal der Götter von Peter Griese
Unter Stahlmä...
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Atlan ‐ Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 704 Das neue Konzil
Im Tal der Götter von Peter Griese
Unter Stahlmännern und Nomaden
Auf Terra schreibt man gerade die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide, eben noch dem sicheren Tode nahe, sich nach einer plötzlichen Ortsversetzung in einer unbekannten Umgebung wiederfindet, wo unseren Heiden alsbald ebenso gefährliche Abenteuer erwarten wie etwa in der Galaxis Alkordoom, der bisherigen Stätte seines Wirkens. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam‐Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die fremde Sterneninsel zu bereisen, um die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wiederaufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. Die Daten des Psi‐Spürers der STERNSCHNUPPE bringen Atlan dazu, den Planeten Cairon anzufliegen. In der Maske eines Eingeborenen besucht er diese Welt, deren Bewohner, wie er meint, vom Erleuchteten bedroht werden. Aber die Situation auf Cairon wirkt äußerst unübersichtlich und widersprüchlich. Mehrere Faktoren scheinen beim Spiel um die Macht wirksam zu sein. Einem dieser Faktoren begegnet Atlan IM TAL DER GÖTTER …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide erlebt eine große Überraschung. Chipol ‐ Atlans junger Begleiter – ein Daila. Chossoph ‐ Ein fanatischer Bathrer. Takkarat ‐ Sippenführer der Freien Nomaden Fumsel – Eine anhängliche Wildkatze.
1. Ich hörte das dumpfe Brausen und Stampfen, aber ich konnte es nicht schnell genug identifizieren. Die Nacht war dunkel, denn Cairon besaß keinen Mond. Sehen konnte ich also fast nichts. Irgendwie kam mir das Geräusch vertraut vor, aber meine sonst so unfehlbare Erinnerung schien diesmal nicht hundertprozentig zu funktionieren. Gefahr! signalisierte der Extrasinn. Ich zog Chipols Vleeh, dessen Leine ich in der rechten Hand hielt, näher an mich heran. Das Dröhnen wurde lauter. Etwas raste auf uns zu, was mit den räuberischen Nomaden, denen wir nun seit Stunden und nach dem Entkommen aus Bakholom folgten, nichts zu tun haben konnte. Ich verlangsamte unser Tempo und hielt schließlich ganz an. Als die Geräusche unserer Reittiere verstummt waren und nur das ansteigende Gestampfe hörbar war, erkannte ich die Gefahr. Auf Cairon war so manches in jüngster Zeit in große Unordnung geraten. Und das hier war eine ausgemachte Stampede! Ich richtete mich im Sattel auf. Stampfende Hufe! Dann sah ich gegen das fahle Licht der sternenreichen Nacht die Staubwolke. Es gehörte nicht viel Scharfsinn dazu, um zwei Dinge zu erkennen. Die Wolke kam aus der Richtung, in der die Nomaden geritten waren, folgten. Das war aber auch unsere Richtung.
Es würde also die Räuber erwischen – oder schon erwischt haben. Und dann uns! »Was ist das, Atlan?« fragte der Daila. Aus seiner müden Stimme klang Sorge. »Tiere auf der Flucht vor irgend etwas«, antwortete ich, während ich mich umblickte. In der fast vollkommenen Dunkelheit ließ sich nicht viel erkennen. Für eine Flucht zurück war es bestimmt zu spät. Nach der Staubwolke zu urteilen, die die Sterne verhüllte, war die Herde nur noch zwei oder drei Kilometer entfernt. Sie würde unsere müden Vleehs mit Leichtigkeit einholen, selbst wenn wir sie zu größter Eile antreiben würden. Mir allein würde das notfalls nicht gelingen, aber Chipol, dem schon mehr als eine halbe Nacht Schlaf fehlte, war dazu bestimmt nicht in der Lage. Ausweichen zur Seite, riet mir der Logiksektor. Ich folgte diesem Rat. »Vorwärts, Junge!« Unsere Vleehs setzten sich wieder in Bewegung. Ich strebte auf eine Anhöhe zu, die mir einen besseren Überblick erlauben würde. Chipol folgte mir schweigend. Dann sah ich die Herde. Sie war viel näher, als ich es vermutet hatte. Und die Breite, die sie einnahm, war so groß, daß an ein Entkommen nicht mehr zu denken war. sich. Auch Chipol schien die tödliche Gefahr zu erkennen oder zumindest zu ahnen. Er richtete sich in seinem Sattel auf, blickte auf die schwarze Wolke, die den Nachthimmel vollkommen verdüsterte und dann auf mich. Meine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt. Ich erkannte sein angstverzerrtes Gesicht aus der Nähe. Zu allem Übel wurden nun auch noch die Vleehs unruhig. Ich hatte alle Mühe, mein Reittier im Zaum zu halten, und Chipol erging es nicht besser. Sein Vleeh bäumte sich auf und versuchte den Reiter abzuschütteln. Mit einem raschen Zupacken riß ich den Daila aus dem Sattel und setzte ihn vor mir ab. »Vorwärts!« brüllte ich meinem Vleeh zu, während das andere mit der kärglichen Ausrüstung, die Chipol mitgeführt hatte, irgendwo
in der Dunkelheit verschwand. Erkennen konnte ich nur in der unmittelbaren Umgebung etwas. Eine felsige Anhöhe oder etwas Ähnliches hätte schon unsere Rettung vor der heranrasenden Herde sein können. Aber das Land war, seit wir den Nomaden in Richtung Westen gefolgt waren, immer flacher geworden. Der Bewuchs war niedrig. Das rauhe Gras reichte dem Vleeh gerade bis an das untere Gelenk. Endlich folgte das Tier meiner Anweisung. Es schien instinktiv erfaßt zu haben, daß etwas Grauenvolles auf es zukam. Es galoppierte schnurstracks voran und ließ sich kaum noch lenken. Unsere Richtung führte uns sowohl seitlich zu der Herde, als auch von dieser weg. Meine Hoffnung, der Stampede noch ausweichen zu können, hatte ich längst aufgegeben, aber etwas Zeit gewann ich so doch noch. an mich. Er behinderte mich dadurch, das Vleeh energischer in eine andere Richtung zu drängen, aber damit mußte ich mich abfinden. Vielleicht fand das Tier mit seinem Instinkt eher einen Ausweg als ich mit meinem Verstand und dem Extrasinn, der beharrlich schwieg. Das Dröhnen und Stampfen kam schnell näher. Ich blickte zurück und sah schon die ersten Tiere im wilden Galopp heranrasen. Die dunklen Leiber bildeten eine wogende Masse, die alles niedertrampelte, was sich ihr in den Weg stellte. Schrille Schreie mischten sich in das monotone Hämmern der Hufe. Das Vleeh raste einen Abhang hinab. Ich brauchte alle Kraft und Geschicklichkeit, um mich mit dem Jungen im Sattel zu halten. Mehrmals geriet das Tier ins Stolpern, und es glich schon fast einem Wunder, daß es nicht stürzte. Auf meine Lenkkommandos reagierte es gar nicht mehr. Bizarre Linien tauchten vor uns auf. Ich brauchte fast zu lange, um zu erkennen, daß das Vleeh genau auf eine Gruppe knorriger Bäume zusteuerte. Das Getrampel der aufgebrachten Tiere hinter uns war so nah, daß ich meinte, schon den keuchenden Atem zu hören.
Ich erkannte unsere Chance. Mit aller Gewalt riß ich an der Trense des Vleehs. Das Tier reagierte nicht mehr. Es wurde nur noch von der Panik angetrieben, die wie ein glühender Funke von den Wildtieren auf es selbst übergesprungen war und es alles vergessen ließ, was es in der bathrischen Zivilisation angelernt bekommen hatte. Wahrscheinlich nahm es nicht einmal mehr wahr, daß sich zwei Reiter auf seinem Rücken befanden. Die Baumgruppe kam näher. Ich gaben plötzlich nach. Irgendwo mußten die Lederbänder zerfetzt worden sein. Ich wagte das Äußerste. »Halt dich allein fest!« brüllte ich dem Jungen ins Ohr. Dessen Hände verkrampften sich am Vorderteil des Sattels. Ich richtete mich auf, bis ich halb auf dem Vleeh kniete. Mit einem Ruck warf ich den Lederbeutel mit den wenigen Habseligkeiten über die Schulter. Dann packte ich Chipol mit dem linken Arm an der Hüfte. Meine rechte Hand blieb so noch frei. Als die knochigen Bäume direkt vor uns auftauchten, zog ich meine Beine ganz auf den Sattel. Das Risiko war unverantwortlich, aber ich sah keinen anderen Ausweg. Wenn das Vleeh jetzt eine unregelmäßige Bewegung machte, würden wir direkt vor die heranstampfende Herde geworfen werden. In der Dunkelheit sah ich einen stämmigen Ast auftauchen. Ich legte alle Kraft in den Sprung, mit dem ich in die Höhe schnellte und Chipol mitriß. Mit der freien rechten Hand wollte ich nach dem Ast packen, aber irgendwie hatte ich mich verkalkuliert. Ich prallte mit der Halspartie gegen das rettende Hindernis. Mein Arm griff ins Leere, umfaßte dann aber den Ast. Chipol hing noch in meinem linken Arm. Der Schmerz, der beim Aufprall entstanden war, drohte mir die Sinne zu rauben. Ich sah bunte Sterne vor meinen Augen tanzen. »Hinauf, Chipol!« Ich drückte den Jungen in die Höhe, bis dieser den Ast zu fassen bekam.
»Laß los!« rief er. Ich konnte es kaum verstehen, denn unter uns trampelte die Herde bereits heran. Chipol kroch auf den und tastete sich dort weiter nach oben. Der Zellaktivator hämmerte mit meinem Puls um die Wette, um den enormen Kräfteverschleiß auszugleichen. Ich fühlte mich von der zwar kurzen, aber doch ungewöhnlichen Belastung total erschöpft. Weiter! drängte der Logiksektor. Ich mobilisierte die letzten Reserven und hangelte mich an dem Ast entlang, bis ich an eine Stelle kam, an der es etwas einfacher möglich war, mich ganz nach oben zu ziehen. Kaum war mir das gelungen, da drohte ich abzurutschen, denn der Baum geriet in heftige Bewegung. Er stellte für die rasende Herde ein Hindernis dar, das diese in ihrem blinden Wahn gar nicht Wahrnahmen. .Endlich befand auch ich mich am Stamm des Baumes. Er machte einen kräftigen Eindruck. Meine Hoffnung, daß er den anstürmenden Tieren standhalten würde, stieg wieder etwas. Chipol rief über mir etwas, aber in dem Lärm verstand ich kein Wort. Sehen konnte ich ihn auch nicht mehr, denn längst hatte der aufgewirbelte Staub alles in einen undurchdringlichen Nebel verwandelt. Ich kletterte wie ein Blinder weiter, tastete mich an dem Stamm entlang, bis ich einen dickeren Ast spürte. Die Höhe mußte nun ausreichen. Schwer atmend verharrte ich. Dicht neben mir hustete der Daila. Er war also in meiner Nähe, und das beruhigte mich. Auch die Ledertasche hing noch über meiner Schulter. Ich schob sie ein Stück in Richtung des Halses, um unsere letzten Habseligkeiten nicht doch noch zu verlieren. »Ich sitze gut!« schrie mir der Junge ins Ohr. »Und du?« Ich brachte noch kein Wort heraus. Ob er mein Nicken sah, wußte ich nicht. Erst einmal brauchte ich eine Pause und frische Luft. Letzteres würde auf sich warten lassen. Ich spürte den sandigen
Geschmack auf meinen Lippen. Der Baum, auf dem wir in vielleicht fünf oder sechs Metern Höhe ums nackte Dasein kämpften, schüttelte sich noch immer unter dem Ansturm der unter uns vorbeirasenden Herde. Als Chipol seinen kleinen Arm unter meinen schob, fühlte ich eine gefühlsmäßige Wärme, die mir neuen Mut gab. Ich schüttelte mich und öffnete die sandverkrusteten Augen. Sie schmerzten und begannen sofort zu tränen. Ich ließ dem Salzwasser freien Lauf, denn ich wußte, daß das einen gewissen Reinigungseffekt bewirken würde. Noch immer drängten sich die brüllenden und tobenden Tierleiber unter uns vorbei. Ich erkannte zwischen den Staubfahnen Wildvleehs, aber auch die eigentlich sanften Xarrhis, viele Laufvögel und unter diesen Mandali und eine Reihe anderer Tiere. Mein Verstand begann wieder in Ruhe und Sachlichkeit zu arbeiten. Die Stampede umfaßte also ganz verschiedene Tiere der Natur von Cairon. Für die Fauna einer jeden Welt war das ungewöhnlich, was wiederum nur bedeuten konnte, daß die Ursache dieser animalen Panik auch in etwas Ungewöhnlichem begründet sein mußte. Ungewöhnlich – das stand für mich gleichbedeutend mit den Aktivitäten meines Erzfeindes, des Erleuchteten, der sich in Alkordoom noch das Juwel genannt hatte. Damit war keineswegs gemeint, daß mein unbekannter Gegner die Tiere gezielt gegen Chipol und mich oder gegen die Nomaden aufgewiegelt hatte. Gegen die Räuber von Bakholom bestimmt schon deswegen nicht, weil ich den Verdacht hegte, daß diese im Sinn des Erleuchteten handelten. Und daß er meine Anwesenheit vermutete, konnte ich zwar nicht ausschließen, aber solcher Mittel würde sich der Erleuchtete wohl kaum bedienen. Nein, es mußte anders sein. Der geregelte Ablauf des Lebens auf Cairon war aus den Fugen geraten. Die Nomaden verhielten sich in
dieser Jahreszeit ungewöhnlich. Die Priester und Priesterschüler der Bathrer, die über das Wahakú verfügten (was nichts anderes als »Psi‐Potential« bedeutete) wurden entführt. Die normalen Bathrer in ihren Felsenstädten gerieten in Unruhe oder Panik. Was mit den aus ihrer gewohnten Umgebung entfernten Wahakús geschah, konnte ich nicht beurteilen. Aber die Verschiebung von Psi‐Potentialen konnte auch einen Einfluß auf eine bislang geregelte Natur nehmen. Und letztlich war da der Erleuchtete selbst. Ich besaß zwar keine konkrete Spur von ihm, aber die Hinweise waren deutlich. Er besaß psionische Macht. Er experimentierte mit Psi‐ Potentialen, um das geheimnisvolle Ding EVOLO zu bauen. Auch von dort konnten also Einflüsse auf die Natur Carions ausgeübt werden. Aber keine gezielten Einflüsse, meinte der Logiksektor. Das stimmte. Die Stampede konnte eigentlich nur eine indirekte Auswirkung der jüngsten Veränderungen sein. Die wahren Zusammenhänge würde ich vielleicht nie erfahren. Sie waren auch nicht von Bedeutung. Es zählte allein, daß auf Cairon etwas geschah, was auf die Aktivitäten des Erleuchteten hinwies – und damit auf seine Gegenwart. Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als das Stampfen und Dröhnen der Tierleiber allmählich abschwoll. Die Hauptgefahr war im Augenblick überstanden. Die Dunstschlieren begannen sich zu legen. Ich konnte Chipol erkennen, denn hinter ihm bildete sich am Horizont der erste Schimmer des sich ankündigenden neues Tages. Die letzten Tiere tobten unter uns vorbei. Das Hämmern der Hufe verlief sich allmählich. Die Steppe dröhnte auch dann noch, denn das ferner werdende Gestampfe erreichte noch jetzt meine Ohren. An ein Verlassen unseres unbequemen Aufenthaltsorts war noch nicht zu denken, denn noch immer tauchten vereinzelte Tiere oder kleine Gruppen auf, die der großen Stampede folgten. Ich suchte mir eine bequemere Sitzmöglichkeit. Meine Gedanken
glitten wieder in die jüngste Vergangenheit zurück. Ich erlebte in wenigen Sekunden noch einmal, was seit jenem denkwürdigen Moment geschehen war, als ich den Auftrag der Kosmokraten angenommen hatte. Die Stationen meiner Aufenthalte in Alkordoom rasten an mir vorbei. Sarah Briggs weckte schmerzliche Emotionen in mir, aber dieser Verlust wurde von einer Tatsache überboten. Mein Werk dort in Alkordoom war unvollendet geblieben, aber das zählte nicht. Wichtig waren allein zwei Dinge. Der Keim für eine Wende war gelegt worden. Mit Flora Almuth und Arien Richardson besaß Alkordoom zwei Faktoren, die den negativen Mächten Paroli bieten konnten. Ihr Einfluß würde sich durchsetzen. Viel entscheidender aber war der zweite Faktor. Es war mir überrasehend schnell gelungen, den eigentlichen Gegner, den Erleuchteten, dazu zu bewegen, Alkordoom zu verlassen! Mit diesem Teilerfolg hatte ich das erste Kapitel meines Auftrags abschließen können. Dabei hatte ich zu spüren bekommen, welches großes Interesse die Mächte jenseits der Materiequellen an meiner Mission hatten. Ich war erneut versetzt worden – diesmal ohne Ankündigung! Ein zweiter Beweis des Kosmokraten war gefolgt. Sie hatten mir auf mysteriöse Weise ein neues Raumschiff zur Verfügung gestellt, die STERNSCHNUPPE. Auch dies zeigte mit aller Deutlichkeit, daß ich nicht etwa vergessen war. Der dumpfe Nackenschlag war dann bald gefolgt. Ich hatte die bittere Erfahrung machen müssen, daß ich den Ausweg, mit dem mich die Kosmokraten doch irgendwie »gelockt« hatten, nicht mehr besaß. Mein Wille in Verbindung mit dem Stichwort »Varnhagher‐ Ghynnst«, um die freiwillige Mission abzubrechen, funktionierte nicht mehr. Das bedeutete, daß ich bleiben mußte, wo ich war, nicht jedoch, daß ich den Auftrag weiter verfolgen mußte! Es hatte so schön freiwillig geklungen, als ich den Auftrag der Kosmokraten angenommen hatte. War ich nicht doch eine
Marionette gewesen? Jetzt kam es mir jedenfalls so vor, und die Unbill, die ich hier in der Galaxis Manam‐Turu hinnehmen mußte, konnte daran nichts ändern. Nun spürte ich eine ganz neue Art von Freiheit in mir. Die Kosmokraten unterstützten mich zwar auch weiterhin – aber was ich jetzt tat oder nicht tat, das war wahrhaftig freiwillig. Das letzte Band der Gängelei war zerrissen. Diese Tatsache spornte mich auf ungeahnte Weise an, den tiefen und finsteren Spuren zu folgen, die der Erleuchtete auf seinem Weg hinterließ. Dieser Handlanger der Mächte des Chaos besaß sicher gute Gründe, sein Betätigungsfeld aus dem hochtechnisierten Alkordoom in diese Galaxis zu verlagern. Und hier speziell zu der noch sehr natürlichen Welt Cairon. Dabei konnte nicht nur zählen, daß es hier Psi‐Potential in der Form des Wahakú fast im Überfluß gab. Er wollte dich »abhängen«, vermutete der Extrasinn. Oder in eine Umgebung zwingen, in der du nicht bestehen kannst. Da kannte mich mein unbekannter Gegner aber schlecht. Meine Glieder waren vom unbequemen Sitzen steif geworden. Chipol hielt sich tapfer. Er ließ mich in Ruhe, denn er besaß das sichere Gespür eines jungen Wesens, das merkte, das sein älterer Freund in Gedanken versunken war. Ich blickte auf, als die Sonne Tsybaruul sich über den Horizont schob. Die Dunstwolke, die noch immer in der Luft lag, wurde erst jetzt richtig deutlich. Ich sah nirgends mehr Tiere, aber die Landschaft zu unseren Füßen zeigte deutlich die breite Spur der Vernichtung, die in sie gepflügt worden war. Nachdenklichkeit befiel mich, als ich Chipol half, nach unten zu klettern. Auch der Junge schien nicht nur müde, sondern auch sehr betroffen zu sein. Er deutete stumm auf die dunklen Körper der Vögel, die in großer Höhe kreisten und sich nach und nach dort zu Boden senkten, wo zertrampelte Tierleiber lagen. Ich nahm ihn an der Hand, und wir folgten der Spur der
Verwüstung, bis er mich zurückhielt. »Da!« Seine Hand deutete auf einen blutigen Klumpen, zwischen dem Gesteinsbrocken, Sand und ein paar Fetzen von Wasserbehältern und Vorratssäcken erkennbar waren. »Dein Reit‐ Vleeh.« »Oder deins«, sagte ich. Wir fanden nichts Brauchbares mehr zwischen den Resten. Die Stampede hatte gründliche Arbeit verrichtet. »Komm!« Ich deutete in die Richtung, in der die Nomaden gezogen waren. Sicher hatte auch sie – oder zumindest ein Teil davon – die rasende Herde aus Wildvleehs, Mandali und Xarrhis erwischt. Das Gros mit den entführten Priestern und Priesterschülern war jedoch sehr wahrscheinlich dem Unheil entkommen. Das war meine Spur! Die Fährte, die zum Erleuchteten führen sollte. Und ich dachte in keiner Sekunde daran, diesem selbstgesetzten Ziel nicht mehr zu folgen! Chipol setzte ein freches Lachen in sein Gesicht. »Ich bin zwar hundemüde, Atlan, aber ich folge dir. Wenn es sein muß, auch bis zu den Ufern des Nichts.« Ich drückte seine Hand etwas fester, und er verstand diese Geste. 2. Wir hatten die Spur der Vernichtung verlassen. Den Nomaden konnten wir ohne Reittiere ohnehin nicht schnell genug folgen, und außerdem benötigten wir eine Pause. Der Junge war vollkommen erschöpft. Da Chipol ein ehrgeiziges Bürschchen war, versuchte er das vor mir zu verbergen. Ich zeigte ihm nicht, daß ihm das kaum gelang. Ich suchte einen Platz, an dem er ungestört etwas ruhen konnte. Wenn die Sonne erst hoch am Firmament stand, würde es schwierig
sein, zu schlafen. Ich konnte mich auf meinen Zellaktivator verlassen, der auch über längere Zeit meine Kräfte regenerieren konnte, selbst wenn ich keine Nahrung aufnahm. Mit Chipol war das anders. Ich mußte mich nicht nur nach ihm richten – ich wollte es. Hier war keine Welt, in der ich meine Mitstreiter bis zum Äußersten drängen konnte, in der ich Risiken wagen durfte oder gar Leben gefährden. Meine Jagd auf den Erleuchteten war anders geworden. Und dieser Bursche sollte sich wundern, wie anpassungsfähig ein alter Arkonidenfürst sein konnte. Ein Stöhnen lenkte mich auf das Geschehen in meiner Umgebung. Ich sah eine Hand, die sich aus einem Gebüsch in die Höhe reckte. »Warte hier«, forderte ich Chipol auf. Ohne auf seine Antwort zu warten, eilte ich zu der Gestalt, die dort lag. Es war unschwer zu erkennen, daß es sich um einen der Nomaden handelte. Zweifellos war er von seinem Reit‐Vleeh abgeworfen worden und zwischen die Hufe der rasenden Tiere geraten. »Wasser!« bettelte er mit gebrochenen Augen. In dem Ledersack, den ich hatte retten können, befand sich noch ein Rest der nun so kostbaren Flüssigkeit. Da ich erkannte, daß dieser Mann nur noch Minuten zu leben hatte, flößte ich ihm behutsam die Flüssigkeit ein. Die Blicke aus seinen Augen, die wie Irrlichter in seinem zerschrammten Gesicht zuckten, waren der Dank, den ich erntete. »Bring mich zu den anderen«, flüsterte der Todgeweihte. »Bring mich ins Tal der Götter.« Ich wußte nicht, was ich erwidern sollte. Eine Antwort war dann aber nicht mehr möglich, denn seine gebrochenen Augen schlossen sich für immer. Als ich mich erhob, stand Chipol neben mir. Er war meiner Bitte nicht gefolgt und hatte seiner Neugier freien Lauf gelassen. Ich empfand nicht das Bedürfnis, ihn dafür zu rügen. Irgendwie
konnte ich ihn sogar verstehen. Mir mit meinen ungezählten Lebensjahren machte es sehr viel weniger aus, ein intelligentes Wesen sterben zu sehen oder in unserer augenblicklichen Lage den Kopf hoch und den Blick vorwärts zu halten. Aber Chipol … Wenn ich an das dachte, was ihm widerfahren war. »Ich werde diesem Mann ein ordentliches Begräbnis gewähren«, sagte ich zu dem jungen Daila. »Sieh du dich bitte nach einem geeigneten Platz um, wo wir ruhen können.« Er entfernte sich schweigend. Ich sah die kreisenden Aasfresser am Himmel, sah sie an den Kadavern sitzen, die die rasenden Tiere hinterlassen hatten, aber diesen Mann würde ich nicht den Vögeln überlassen. Der Boden war weich. Steine lagen genügend herum. Wenig später war die Tätigkeit beendet. Ich blickte mich nach Chipol um. Er stand auf einer kleinen Anhöhe und hielt etwas in seinen Händen. Ich ging zu ihm hinüber. »Dort die Buschgruppe.« Er deutete hinter sich. »Weicher Boden, etwas Schatten, wennʹs zu warm wird. Ein guter Rastplatz, oder?« »Ja.« Ich nickte ihm zu. »Aber was ist das?« Er hielt ein Tierchen in die Höhe, das einer Miniaturausgabe eines terranischen Tigers glich. Es mußte sich wohl um eine Wildkatze von Cairon handeln. »Das«, erklärte Chipol fast feierlich, »ist Fumsel. So habe ich ihn genannt. Er ist verletzt, aber ich werde ihn pflegen, bis er wieder gesund ist.« Er reichte mir das Fellbündel. Der Kopf glich tatsächlich dem eines Tigers, aber hier handelte es sich fraglos um ein ausgewachsenes Tier, das von seiner Statur her einfach kleiner gewachsen war. Ich kannte die Fauna von Cairon erst zu einem Bruchteil. Die kleinen Knopfaugen blickten treu, ja fast hilfesuchend. »Fumsel«, sagte ich, weil mir einfach nichts anderes einfiel. »Wieso heißt er Fumsel?«
Chipol nahm mir die Wildkatze wieder ab. Er legte sich mit ihr auf den Boden, und das Tierchen schob sich nah an ihn heran. »Er heißt Fumsel«, sagte der Daila, der die Augen schon geschlossen hatte, »weil ich es so entschieden habe. Es kann doch nicht richtig sein, daß du stets alles bestimmst.« Fumsel schnurrte, und so verzichtete ich auf eine Antwort. Ich glaubte, es war auch besser so. Chipol schlief Sekunden später ein, wie seine gleichmäßigen Atemzüge verrieten. Ich sprach ihn noch zweimal an, aber die einzige Antwort, die ich bekam, war ein unwilliges Knurren von Fumsel. Ich hockte mich auf den Boden, nahm ein Stück Trockenfleisch aus dem geretteten Vorratsbeutel und biß hinein. Wenn der junge Daila erwachte, würde die andere Hälfte seinen Hunger stillen. Was viel wichtiger war, ich mußte mich um etwas Trinkbares bemühen. Auch in meinen Gliedern steckte die Müdigkeit, aber ich erhob mich. Zunächst suchte ich die nähere Umgebung ab, damit ich die Gewißheit besaß, daß meinem jungen Freund keine Gefahren drohten. Danach erklomm ich die höchste Erhebung in der Nähe. Von den Nomaden war nichts mehr zu sehen. Sie waren, das wußte ich nun, auf dem Weg ins Tal der Götter. Wer diese Götter waren, das wußte ich nicht, aber ich ging davon aus, daß sich dahinter der Erleuchtete verbarg – in welcher Form auch immer. Allmählich entfernte ich mich immer weiter von Chipol weg. Es mußte hier doch einen Bach oder eine andere Wasserquelle geben, aus der ich etwas Trinkbares schöpfen konnte. Ich fand nichts dergleichen, aber plötzlich, als ich mich durch eine Buschgruppe drängte, erblickte ich drei friedlich äsende Vleehs. Zahme Vleehs, wie die Sättel und die dicken Packtaschen bewiesen. Bepackte Vleehs! Fortbewegungsmittel, konstatierte der Extrasinn. Damit hatte er recht. Ich schritt mit behutsamen Schritten auf die Tiere zu. Sie sträubten
sich nicht, als ich die herabhängenden Zügel packte und miteinander verknotete. Als ich mich in Bewegung setzte, folgten sie mir willig. Erst mußte sich Chipol ausschlafen, dann würde ich den Nomaden folgen. Als ich bei dem Jungen ankam, hatte auch Fumsel sich eingerollt und die Augen geschlossen. * In unserer augenblicklichen Situation war ich auf jede kleine Hilfe angewiesen. Die Vleehs, die ich zufällig gefunden hatte, stellten eine große Hilfe dar. Noch besaß ich das kleine Funkgerät, mit dem ich die STERNSCHNUPPE rufen konnte. Ein solcher Schritt hätte aber alle meine Pläne zerstört, denn dann wäre mit Sicherheit der Erleuchtete auf meine Gegenwart aufmerksam geworden. Mit den Hilfsmitteln und den Waffen, die mir zur Verfügung standen, war ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einer daraus entstehenden direkten Auseinandersetzung der Unterlegene. Dieser Weg schied also aus. Ich untersuchte die Satteltaschen der drei Vleehs. Die »Beute«, die ich zufällig gemacht hatte, erwies sich als außerordentlich nützlich. Ich entdeckte Kleidungsstücke aus Fell und Leder, die den früheren Besitzern gehört haben mochten oder als Handelsware gedient hatten – der Unterschied war für mich bedeutungslos – und die mir und auch Chipol passen würden. In dieser Bekleidung würde man uns womöglich sogar für Nomaden halten. Das bedeutete aber auch, daß ich mich näher an die Verfolgten würde heranwagen können. Zunächst kleidete ich mich um. Dann suchte ich passende Stücke für Chipol heraus und legte sie bereit. Der Junge schlief noch immer tief und fest, und ich dachte nicht daran, ihn zu wecken. Der Vorsprung der Nomaden würde sich um so leichter aufholen lassen,
je frischer der Lausebengel war. Die gefundenen Tiere bestätigten auch meinen Verdacht, daß die räuberischen Nomaden auch von der Stampede gehörig getroffen worden waren. Sonst hätten sich die Tiere nicht hier herumgetrieben. Mit Schaudern dachte ich daran, daß ihre früheren Besitzer vielleicht abgeworfen worden waren und irgendwo ein trauriges Ende gefunden hatten. Ein Ende, sagte der Extrasinn kühl, daß sie dem Erleuchteten zu verdanken haben. »Wahrscheinlich«, entgegnete ich laut. Fumsel hob seinen Kopf und schnarrte mich unwillig an. Als ich mit meinen Händen versuchte, ihn zu der unter Chipols Arm und schlief weiter. Die Wildkatze besaß keine ernsthaften Wunden. Sie war wohl zwischen die Hufe der Wildvleehs geraten und arg gebeutelt worden. Wenn sie innere Verletzungen besessen hätte, würde sie nicht so friedlich – und so wachsam – schlafen. Ich band die neuen Vleehs an den Büschen fest. Die Tiere waren besonders zahm. Die Folgen der Stampede hatten sie offensichtlich abgeschüttelt. Mühelos ließen sie sich so umdirigieren, daß ihre Körper dem schlafenden Chipol Schatten spendeten. Trotz meines Zellaktivators fielen auch mir dann die Augen zu. Es gab Momente, in denen selbst die unverständliche Technik des wunderbaren und lebenserhaltenen Eis versagten. Oder ich hatte mich doch zu sehr angestrengt. Ich schlief ein. Mein Traum war sehr merkwürdig. Ich sah etwas, das ich kannte. Das ich seit langer Zeit kannte, und das ich aus meiner bewußten Erinnerung verdrängt hatte. Mein fotografisches Gedächtnis versagte in diesem Traum, denn ich fand keine Lösung, was das war, was ich sah. Als ich erwachte, mußte ich mich mit zwei Dingen gedanklich gleichzeitig befassen. Warum war ich wach geworden?
Was bedeutete dieser Traum? Ich versuchte im Wachzustand – etwas benommen war ich noch – die Bilder in mein Gedächtnis zu rufen, die mir im Schlaf begegnet waren. Das gelang. Aber auch jetzt versagte jede Methode, »das Bekannte« zu identifizieren. Ich wußte nur, daß ich es kannte. Jede andere Möglichkeit der Zuordnung oder Beziehung fehlte. Ein Traum, sagte ich mir. Eine Spielerei deines überstrapazierten Unterbewußtseins. – Und damit tat ich die Sache ab. Ein Fauchen! Und ein sanfter, aber doch energischer Schlag in mein Gesicht. Ich fuhr in die Höhe. Auf meiner Brust saß Fumsel. Er hatte mich geweckt. Chipol schlief noch den Schlaf des gerechten Gestreßten. »Was ist los, Katze, heh?« Ich richtete mich auf. Fumsel schien wieder vollkommen in Ordnung zu sein. Er rannte in das nächste Gebüsch und kam dann wieder zu mir zurück. Er sprang auf meine Knie und baute ein Männchen. Ein Hinweis auf die Richtung, meldete sich der Extrasinn. Gefahr! Allmählich dämmerte es mir. Meine Schlaftrunkenheit wich von mir. Ich stand auf, und im selben Augenblick hörte ich zwei Stimmen. Sie unterhielten sich ziemlich ungeniert, wie ich an der Lautstärke und am Tonfall erkennen konnte. Die Worte selbst verstand ich nicht. Die Büsche bogen sich zur Seite. Zwei zerlumpte Gestalten, zweifellos Nomaden, kamen zum Vorschein. Sie stutzten, als sie mich, die drei Vleehs und den schlafenden Jungen sahen. Ich streckte beide Hände von mir, um so meinen Willen zu einer friedvollen Begegnung zu demonstrieren. Der eine der beiden lachte herzhaft und erwiderte die Geste. Der andere wirkte eher verschüchtert. »Laum«, sagte der Erste und deutete auf sich. »Laum‐laum.« Dabei zeigte er auf den anderen. Die beiden kamen mit offenen Händen auf mich zu. Ich ignorierte die gierigen Blicke, die sie auf die Vleehs warfen, und reichte ihnen
meine Hände. Urplötzlich sah ich zwei Dinge gleichzeitig. Ein spitzes und schlankes Messer in der Hand des einen bathrischen Nomaden, und Fumsel, der ihm an die Kehle sprang. Der mit dem Messer war der, der mich so herzhaft angelacht hatte. Er kümmerte sich nicht um die kleine Wildkatze, denn von ihr ging keine ernsthafte Gefährdung aus. Statt dessen hechtete er sich mit einem Sprung auf mich. Ich hatte schon einen Fehler gemacht, denn mein Vertrauen war falsch gewesen. Vielleicht war ich auch noch vom Schlaf zu benommen, denn ich reagierte erst gar nicht und dann zu spät. Fumsels Gekreische berührte mich mehr als der Nomade, der sich auf mich stürzte und versuchte, mir sein Messer in die Rippen zu stoßen. Ich wehrte mich instinktiv, aber nicht energisch genug. So war es mehr Zufall als gezielte Absicht, daß ich den Angriff abwehren konnte. Fumsel schoß auf einmal wieder zwischen mir und dem Nomaden herum. Ich erwischte dessen messerbewehrte Hand, drückte sie zur Seite, und das Eisen bohrte sich in die Brust des Nomaden. Ich erhob mich und versuchte zu verstehen, was geschehen war. Ich hatte den Nomaden im Kampf getötet, aber es gefiel mir nicht. Er war bestimmt in einer noch weniger beneidenswerten Lage gewesen als Chipol und ich, aber seinen Tod hatte ich nicht gewollt. Paß auf! quäkte der Logiksektor. Ich starrte auf den Mann, der leblos zu meinen Füßen lag. Narr! Der andere Nomade! Ich hörte eher auf Fumsels quietschendes Kreischen als auf den Extrasinn. Die Antwort bekam ich prompt. Ich spürte in Sekundenbruchteilen einen Schmerz auf dem Kopf. Ein Gedanke jagte durch mein Bewußtsein, bevor ich ins Reich der Träume versank: Es waren zwei!
* Chipol rüttelte mich wach. Ich brauchte diesmal nur Sekunden, um die Lage zu erfassen. Mit einem Satz war ich auf den Beinen. Neben mir lagen die beiden Nomaden, der eine, den ich im Kampf hatte töten müssen, und der andere … »Ich konnte nicht anders.« Der Junge zeigte auf einen Stein, der neben dem bewußtlosen Mann lag. »Fumsel hat mich geweckt, als du umgefallen warst. Man muß eben ständig auf dich aufpassen.« Ich begriff. Unser kleiner Freund, der sich instinktiv uns angeschlossen hatte, hatte meine Unaufmerksamkeit wieder ausgeglichen. Er hatte Chipol geweckt, als der zweite Nomade mir eins über den Schädel gezogen hatte. Der Junge hatte den Mann mit einem Stein getroffen. Der Besinnungslose räkelte sich. Ich wartete ab. Chipol rief nach Fumsel, aber der war verschwunden. Als der Bathrer wieder auf den Beinen stand, starrte er seinen toten Kumpan an, dann Chipol und mich. Seine Hände verkrampften sich. Ich rechnete mit einem erneuten Angriff, aber plötzlich drehte sich der Mann um, stieß einen unverständlichen Fluch aus und rannte davon. Ich hinderte ihn nicht daran, obwohl ich wußte, daß es für ihn besser gewesen wäre, wenn er sich uns angeschlossen hätte. Schweigend machte ich mich erneut daran, den Leichnam zu vergraben. Chipol suchte in der Umgebung herum, bis er Fumsel fand, der sich verängstigt unter einem Busch verkrochen hatte. Dann durchsuchte der Daila die Satteltaschen der drei Vleehs. Er fand etwas Eßbares und die Wasserflasche. Während ich noch das Loch für den toten Nomaden aushob, wühlte er weiter in den Taschen der von mir gefundenen Tiere. »Du hast gute Beute gemacht«, lobte er mich, als ich meine Arbeit beendet hatte und zu ihm ging. Er hielt mir seine gefüllten Hände
entgegen. »Jaculruns.« Ich nahm einer der erbsengroßen, dunkelbraunen Nüsse in die Hand. Ich hatte auf Cairon schon mit diesen Früchten Bekanntschaft gemacht. Sie stammten von einer agavenähnlichen Gebirgspflanze, aus deren Samen man ein anregendes, goldbraunes und schmackhaftes Getränk bereiten konnte. Die eigentliche Bedeutung der Jaculrun‐Nüsse war eine andere. Da es keine Geldwährung auf Cairon gab – der Handel lebte vom Tausch‐, hatte es sich eingebürgert, die Jaculruns als eine Art Zahlungsmittel zu benutzen. Das System schien gut zu funktionieren, weil die bis zu zehn Meter hohen Jaculrunstauden nur in abgelegenen Gebieten wuchsen und nicht von jedermann abgeerntet werden konnten. »Wir sind reich«, feixte Chipol und wühlte in der Satteltasche. Der vermeintliche Reichtum bedeutete mir wenig. Ich mußte aber zugeben, daß unser Fund uns für einige Zeit helfen würde, wenn wir wieder eine der Felsenstädte aufsuchen müßten. Mein nächstes Ziel war jedoch das Tal der Götter, denn dieses war das Ziel der räuberischen Nomaden, die die Priester und ihre Schüler entführt hatten. Gemeinsam mit dem Jungen durchsuchte ich die weiteren Satteltaschen. Die meisten waren mit Lederwaren gefüllt. Ich fand aber auch dauerfest gemachte Trockenfrüchte und dergleichen mehr. Chipol zog unter einem Bündel Felle einen Dolch hervor. »Huch!« stieß er aus und ließ die Waffe zu Boden fallen. »Ein Geisterdolch!« »Unsinn.« Ich hob den kunstvoll gearbeiteten Dolch auf und betrachtete ihn genauer. »Das Symbol!« Der junge Daila deutete auf den Griff. Eine wirklich merkwürdige Ziselierung war dort in das bernsteinähnliche Material eingearbeitet worden. Ich wußte nicht, was die Muster bedeuteten, aber sie sprachen mich mit der einem Kunstwerk eigenen Weise an. »Ich habe das schon in Bakholom
gesehen. Es ist das Zeichen der Geister.« »Es gibt keine Geister, mein kleiner Freund.« Meine Hand strich über die gebogene, unterarmlange Klinge. Auch auf dem Metall waren kunstvolle Muster eingeritzt. Ein Mäander zog sich entlang des Klingenrückens. In der Vertiefung erkannte ich Reste von eingetrocknetem Blut. »Der Dolch ist bestimmt mehr wert als alles andere«, vermutete Chipol. »Es ist besser, wenn du dich jetzt ankleidest.« Ich ignorierte seine Bemerkung und deutete auf die Sachen, die ich für ihn ausgesucht hatte. »Wir werden dann wie Nomaden aussehen, und das kann uns nur helfen.« Der Junge streifte sich die Fell‐ und Lederkleidung über. Zum Schluß wechselte er auch sein Schuhwerk gegen die Sandalen, die ich gefunden hatte. »Zufrieden?« Er lachte mich an. »Mit dir ja. Aber nicht mit dem.« Ich zeigte auf Fumsel, der sich über die Jaculruns hermachte und sie gierig verschlang. Chipol klatschte in die Hände. Die Wildkatze machte einen Satz von dem Vleeh herab und verschwand zwischen den Büschen. »Wir brechen auf«, entschied ich. »Die Nomaden haben einen beträchtlichen Vorsprung.« 3. Als die Sonne am höchsten stand, erblickte ich in der Ferne eine Dunstwolke. Sie lagʹ genau in der Richtung, in der die räuberisch gewordenen Nomaden gezogen waren. Als ich genauer hinsah, erkannte ich diese auch. Wir hatten damit den Vorsprung des Trecks schneller aufgeholt, als ich es gehofft hatte. Die Erklärung dafür lag auf der Hand. Die Nomaden waren von der Stampede schlimmer erwischt worden, als ich es vermutet hatte. Sie hatten viel Zeit
verloren, um sich wieder zu sammeln und um ihren Weg fortzusetzen. Die Spuren, auf die wir unterwegs gestoßen waren, hatten diesen Verdacht schon entstehen lassen. Aber ich hatte noch mehr erkannt. Vermehrt waren wir auf Teile von herumstreunenden Herden gestoßen, um die sich niemand mehr kümmerte. Die Nomaden schienen sich ganz auf ihre neue Aufgabe zu konzentrieren, nämlich Priester und Priesterschüler zu entführen. Ihre Herden, die sie in der jetzigen Jahreszeit problemlos ernährt hätten, vernachlässigten sie total. Die vereinsamten Tiere gerieten schnell in Panik, und das lag wohl einfach daran, weil sie ihre Herrn vermißten. Die Urtriebe erwachten, und einer dieser Auswüchse mußte zu der großen Stampede der vergangenen Nacht geführt haben, der wir mit knapper Not entkommen waren. Einzelne Reiter, die in unsere Nähe kamen, schenkten uns kaum Beachtung. Wir wichen ihnen aus, oder sie taten dies aus sich heraus. Aus der Distanz ordnete man uns natürlich auch als Nomaden ein, die dem großen Zug in Richtung des Tales der Götter folgte. Untereinander schien es bei den verschiedenen Sippen der Nomaden kaum noch Streitigkeiten zu geben. Auch diese Veränderung schrieb ich dem Einwirken des Erleuchteten zu. Wir hielten fortan einen gleichmäßigen Abstand zu den Nomaden. Die Gefahr einer Entdeckung ging ich dabei bewußt ein, denn mein nächstes Ziel war es, ganz zu den Nomaden zu stoßen. Chipol drehte sich während des Rittes mehrfach um. Und als ich einmal seinem Blick folgte, erkannte ich Fumsel, der uns beharrlich folgte. Als der junge Daila die Wildkatze rief, schoß diese auch prompt heran und sprang auf Chipols Vleeh. Dort legte sie sich mit einer Selbstverständlichkeit hin, die mein Staunen weckte. »Er hat sicher früher einem Nomaden gehört«, vermutete der Junge. »Vielleicht ist sein Herr bei der Stampede umgekommen.« Ich nickte zustimmend. Nach weiteren zwei Stunden fiel das Gelände stärker ab. Die
Vegetation wurde dichter, was den Schluß zuließ, daß hier mehr Wasser vorhanden war. Die Nomaden waren nurmehr eine Meile vor uns. Sie strebten einem Einschnitt zu, der immer deutlicher erkennbar wurde. Ich lenkte unsere Vleehs etwas seitlich aus der ursprünglichen Richtung, wo das Gelände noch anstieg. Erst wollte ich mir einen Überblick besorgen, bevor ich ein unnötiges Risiko einging. Der Zug der Nomaden verschwand in dem Tal. Wenig später erkannte ich einen breiten Fluß, der sich in einer großen Biegung träge durch das Tal wälzte. »Achtung!« rief Chipol. Im gleichen Moment entdeckte auch ich die vier Reiter, die aus dem Eingang des Tales mit hohem Tempo in unsere Richtung geritten kamen. Ich hielt an. »Laß sie ruhig kommen, Chipol. Wir stellen uns ein bißchen dumm. Mal sehen, wie sie reagieren.« Es waren berittene Nomaden. Da ihre Kleidung frei von jedem Staub war, konnten sie nicht zu denen gehören, denen wir gefolgt waren. Sie schwangen Speere und hielten dicht vor uns an. Mißtrauische Blicke begutachteten uns. »Hallo!« Ich hob eine Hand zum Gruß. »Was sucht ihr hier?« fragte der vorderste der Reiter. »Kennt ihr den Weg nicht?« »Welchen Weg?« Ich setzte eine fragende Miene auf und zuckte verlegen mit den Schultern. »Zum Tal der Götter natürlich.« »Leider nein«, gab ich zu. »Wir hatten den Anschluß zu den anderen nicht herstellen können.« Der Nomade schüttelte verwundert den Kopf. »Bist du blind?« »Das nicht gerade«, heuchelte ich unterwürfig. »Ich mußte mich um meinen Jungen kümmern. Er leidet unter einer schrecklichen Magenverstimmung. Er hat wohl etwas Falsches gegessen.« Chipol fing prompt an, sich zu winden, an den Bauch zu fassen und zu stöhnen. »Es geht schon wieder los«, jammerte er sehr
überzeugend. »Ihr habt Beute.« Der Nomade deutete mit seinem Speer auf unsere dicken Satteltaschen und auf das dritte Vleeh, das bepackt war. »Also müßt ihr euch erst bei eurem Sippenführer melden und dann die Beute den Stahlmännern präsentieren. So wird es verlangt.« »Aha«, machte ich. »Zu welcher Sippe gehört ihr?« fragte ein anderer Wächter. »Eigentlich zu keiner mehr. Wir kommen von weither, aus dem Osten.« »Gut.« Ich verbarg meine Überraschung, daß die Nomaden so schnell auf meine Lügen eingingen. Besonders genau schienen sie ihre Wächtertätigkeit nicht zu nehmen. Wahrscheinlich gingen sie davon aus, daß sich sowieso niemand aus den Städten so weit nach Westen verirren würde. Die dortigen Bathrer und die Händler galten als viel zu feige, um ein solches Risiko einzugehen. »Wenn ihr hier zu keiner Sippe gehört, dann fragt nach Takkarat von den Freien. Und nun verschwindet ab ins Tal, bevor wir ungemütlich werden.« Ich bedankte mich überschwenglich, und prompt ließ Chipol sein Gestöhne sein. Die Reiter folgten uns noch ein Stück. Als sie sahen, daß wir nicht vom vorgeschriebenen Weg abwichen, verlor ich sie aus den Blicken. Mein weiteres Interesse galt dem Kennenlernen der Umgebung. Während wir in den Einschnitt zum Tal der Götter ritten, suchten meine Augen alles ab. Entlang dem Fluß grasten auf fetten Weiden die Reittiere der Nomaden. An den Hängen, die zu beiden Seiten des Flusses anstiegen, entdeckte ich mehrere Gruppen von Zelten. Lagerfeuer flackerten, und die Gerüche, die uns schon jetzt erreichten, verrieten, daß hier die Mahlzeiten zubereitet wurden. »Ich habe Hunger«, reagierte Chipol darauf. Zwischen den Zelten liefen viele hundert Nomaden herum. Sie
gehörten jedoch nicht zu denen, denen wir aus Bakholom gefolgt waren, denn dieser Troß strebte dem Ende des Tales zu. Dort, wo der Fluß nach links abbog, erstreckte sich das eigentliche Tal der Götter. Was ich dort sah, ließ in mir neue Hoffnungen aufkeimen, daß ich auf der richtigen Fährte war. Es war ganz und gar ungewöhnlich, was sich unseren Blicken darbot, denn es paßte nicht zum Lebensstil der Nomaden. Hier erhoben sich etwa zwei Dutzend Gebäude, die aus Steinen und Fertigbauteilen bestanden. Der Treck strebte einer freien Fläche vor diesen Bauten zu. Ich trieb unsere Vleehs an, um schnell Anschluß zu gewinnen. Dabei suchte ich weiter alles mit meinen Augen ab. Inmitten der künstlichen Bauten erhob sich ein einzelnes, besonders augenfälliges Bauwerk. Es war aus den gleichen Materialien hergestellt wie die anderen, aber das Dach bestand aus einer metallenen Kuppel von mindestens zwanzig Metern Durchmesser. Die Sonne Tsybaruul spiegelte sich vieltausendfach in den Segmenten der Halbkugel. Ich spürte sofort, daß diesem Ort eine besondere Bedeutung zukam. Vielleicht saß dort der Erleuchtete. Sei nicht zu voreilig mit deinen Schlüssen, bremste mich der Extrasinn. Wir gewannen Anschluß an den Treck, denn dieser bewegte sich nicht mehr. Ich verhielt mich im Hintergrund, um erst einmal zu beobachten. Auch wollte ich es nicht riskieren, frühzeitig entlarvt zu werden. Wie berechtigt diese Sorge war, zeigte sich wenig später. Aus mehreren Häusern traten Gestalten, nach hominidem Vorbild gebaute Roboter. Die Bedeutung des Wortes »Stahlmänner«, das die berittenen Talwächter benutzt hatten, wurde schlagartig klar. Die Anwesenheit der technischen Produkte bedeutete aber mehr. Sie war – neben den Bauten und insbesondere dem Kuppelbau – ein deutliches Zeichen für die Anwesenheit des Erleuchteten.
Oder seiner Helfer, korrigierte mich der Extrasinn. Die Nomaden trieben die Priester und Priesterschüler auf einem Haufen zusammen. Ich hielt mich weiterhin zurück, da wir mit diesen Entführten nichts direkt zu tun hatten. Und außerdem befürchtete ich, daß die Roboter womöglich in der Lage sein könnten, das zu tun, wozu die Talwächter nicht in der Lage gewesen waren, nämlich unsere wahre Identität zu erkennen. Wenn es sich um Roboter des Erleuchteten handelte – und daran zweifelte ich nicht‐, so würden diese sicher wissen, wer es war, der ihren Herrn aus Alkordoom vertrieben hatte. Die Roboter nahmen die entführten Bathrer in Empfang. Die Priester wagten keinen Widerstand. Willenlos ließen sie sich in die Baracken abführen, die sich um den Kuppeldom scharten. Die Nomaden mieden diesen Ort, denn sie formierten sich mit ihren Reittieren in einem Halbkreis um die Ansiedlung. Deutlich war zu erkennen, wie sie um die hintersten Plätze rangelten. Es war, als ging von dem Kuppelgebäude etwas Umheimliches aus. Chipol und ich gerieten in dieses Gedränge. Ich hörte unwillige Rufe, bei denen vom »Sitz der Götter« und dem »Ort der Götter« und dem »Tabu« die Rede war. Mein Verdacht wurde dadurch erhärtet. Als die entführten Bathrer in den Gebäuden verschwunden waren, trat einer der Roboter auf die Nomaden zu. »Die Inspizierung und Ablieferung der anderen Beute erfolgt später«, schnarrte die Maschine. »Auf euch wartet der Lohn der Götter. Geht erst zu euren Stämmen und bereitet euch für die Ablieferung vor. Ihr wißt, daß die Götter an Metallen aller Art und an Mineralien besonders interessiert sind. Wenn die Sonne über den Wipfeln steht, werdet ihr zur Prozession gerufen werden. Dann seid bereit.« Die Nomaden wandten sich ab. Auch ich beeilte mich, eine gewisse Entfernung zwischen die Stahlmänner und uns zu bringen. Mir war klar, daß der wichtigste Teil der Beute die Bathrer sein
mußten. Sie hatten die Roboter sofort in Empfang genommen. Die übrigen Dinge konnten warten. Der Hinweis auf die »Übergabeprozession« ließ mich vermuten, daß hier ein Ritual ablaufen sollte, das in erster Linie der Lenkung der einfachen Gemüter der Nomaden dienen sollte. Diese scharten sich zusammen und jede Schar steuerte eine der Zeitsiedlung am Eingang des Tales an. Jede Sippe schien hier einen eigenen Bereich zu haben, wie die unbenutzten Flächen zwischen den Zeltgruppen bewiesen. Ich wartete, bis sich die meisten Nomaden verstreut hatten, dann sprach ich einen, der zufällig vorbeikam, an. »Heh, Freund, wo finde ich Takkarat von den Freien?« Der Nomade fixierte mich mißtrauisch. »Ein Streuner?« Damit meinte er wohl mich. Ich schloß mich dem rauhen Ton der Nomaden an, die ja als kriegerische und rauhe Gesellen galten. »Gib eine vernünftige Antwort, Bursche!« Mit einer blitzschnellen Bewegung packte ich den Nomaden am Hals. »Oder du lernst die Kräfte eines Streuners kennen.« Er deutete auf eine kleine Ansammlung von Zelten und schüttelte meinen Griff ab. Ich ließ ihn gehen und setzte mit Chipol unseren Weg fort. Ein alter, grauhaariger Nomade trat uns entgegen, als wir die Zelte erreichten. Der Mann strahlte Sympathie und Gelassenheit aus. »Ich bin Takkarat«, stellte er sich vor. »Sippenführer der Freien Nomaden. Was führt euch zu mir?« Ich stieg vom Vleeh. »Die Talwächter sagten uns, daß wir uns dir anschließen sollen. Wir sind fremd hier, aber wir sind dem Ruf der Götter gefolgt, der schon weite Teile von Cairon erreicht hat. Wir kommen von …« »Halt!« Takkarat grinste. »Du scheinst nicht zu wissen, wo du bist. Bei den Freien, wie sie meinen Haufen nennen, fragt niemand nach Herkunft oder Ziel. Seid willkommen.« Um so besser, dachte ich. Das macht die ganze Sache einfacher. Ich
nannte unsere Namen. »In Ordnung, Atlan.« Der Sippenführer reichte mir seine mächtige Pranke. »Sucht euch einen Platz, wo ihr euer Zelt aufstellt. Und denkt daran, daß ich in meinem Lager keinen Streit dulde. Die Freien Nomaden sind ein zusammengewürfelter Haufen, aber ich dulde keinen Ärger und keine Feindschaften. Die Götter wollen es so.« Er ließ uns einfach stehen. »Komm!« Ich winkte Chipol und zog meine beiden Vleehs an den Leinen hinter mir her. Der Junge zögerte. »Nun geh schon!« schnarrte eine Stimme in meinem Rücken. Ich drehte mich langsam um. Dort standen zwei Stahlmänner. Ein eisiger Schreck durchzuckte mich, aber ich konnte meine Überraschung verbergen. Sie kontrollieren also auch die Nomaden in ihren Zeltdörfern! folgerte der Logiksektor. Bleib gelassen! Ich gab keine Antwort, nahm Chipols Vleeh an der Leine und ging weiter. Erst nach einem guten Stück Weg blickte ich zurück. Die Roboter waren verschwunden. »Puh!« sagte der Daila. »Ich dachte schon, jetzt ist es aus.« Wir suchten uns einen Platz, der nicht zu weit vom Fluß entfernt war und ließen uns erst einmal nieder. Chipol stellte aus den Vorräten ein Mahl zusammen, während ich die Vleehs von ihrer Last befreite und aus den Fellen ein Zelt baute. Meinen umherschweifenden Blicken entging nicht, daß auch in den anderen Zeltdörfern Stahlmänner ihre Runden drehten. Zwischenfälle bemerkte ich nicht. Die Roboter schienen die Nomaden in Ruhe zu lassen, und diese akzeptierten die Helfer der Götter. 4.
Während Chipol unser neues und dürftiges Heim und die drei Vleehs bewachte, inspizierte ich unauffällig das Zeltlager der sogenannten Freien Nomaden. Schon an den äußeren Anzeichen dieser Leute war zu erkennen, daß sie ein wilder Haufen waren, die allen möglichen Sippen entstammten. Takkarat führte ein hartes Regime. Ich erlebte es mehrmals, wie er in Streitigkeiten eingriff. Einmal kamen auch Roboter zu Hilfe, was sehr schnell für Ordnung sorgte. Allmählich bewegte ich mich immer ungenierter und tat dabei so, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, daß ich hier war. Die Stahlmänner kümmerten sich in der Tat auch jetzt nicht um mich. Verschiedene Nomaden versuchten, mich in Tauschgeschäfte zu verwickeln. Der Tenor schälte sich bald heraus: Metalle und Mineralien gegen Felle, Leder und Nahrungsmittel. Das war so zu verstehen, daß jeder Nomade versuchte, möglichst viel Metall in seinen Sitz zu bekommen. Die Worte der Roboter schienen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Der Sinn der Sache war mir noch nicht ganz klar, denn was nützten dem Erleuchteten Metalle, wenn er diese hier nicht verarbeiten konnte. Fehlspekulation, behauptete der Extrasinn. Er hat ja auch die Stahlmänner irgendwo hergestellt oder herstellen lassen. Immer vorausgesetzt, es handelt sich hier um Auswirkungen oder Aktivitäten des Erleuchteten. Ich habe da noch Zweifel. »Ich nicht«, erwiderte ich laut. »Wer anders sollte hinter der Sache stecken?« Daraufhin schwieg der Extrasinn. Ich sprach einen älteren Nomaden an, der keinen wilden Eindruck machte, und fragte ihn, wann die Stahlmänner die übrige Beute ansehen würden. »Das weiß man nie«, antwortete der Alte mürrisch. »Ich warte nun schon vier Tage darauf.« Er gehörte also nicht zu den Nomaden, denen wir gefolgt waren. »Du wirst es schon merken.«
»Und die Götter? Wann melden die sich?« Er sah mich an, als hätte ich einen schlimmen Frevel begangen. Dann wandte er sich ab und ging. Viel schlauer war ich nicht geworden. Die ganze Situation war irgendwie unbefriedigend. Ich trat auf der Stelle. Ich wartete auf etwas Bestimmtes, aber ich konnte nicht sagen, was es war. So empfand ich es fast als Erleichterung, als ich Chipols gellenden Schrei hörte. Unser Zelt war nicht weit entfernt. Ich rannte los. Der Daila raufte mit einem kräftigen Nomaden. Worum es dabei ging, war nicht zu erkennen. Chipol war natürlich hoffnungslos unterlegen. Ich packte den Mann von hinten und entdeckte im gleichen Augenblick den Geisterdolch, der auf dem Boden lag. Chipol war wohl wieder einmal zu neugierig gewesen und hatte die Waffe aus unserer Ausrüstung geholt, um mit ihr zu spielen. Der Nomade ließ den Jungen los, als er meinen Griff spürte. Er fuhr herum. Ich sah in ein rauhes Gesicht, das von schwarzen Haaren umsäumt war. Fanatisch blitzende Augen funkelten mich böse an. »Verschwinde!« fauchte er mich an. »Das sagt dir Chossoph.« »Du verschwindest«, antwortete ich ruhig. An einer Prügelei hatte ich kein Interesse. Mein Rundgang durch das Zeltdorf hatte zur Genüge bewiesen, daß Takkarat und die Stahlmänner nicht mit sich spaßen ließen. Außerdem galt es, keinerlei Aufmerksamkeit zu erregen. »Du gehörst zu ihm?« Chossoph deutete angewidert auf den Daila. »Dann bist du auch ein Beutedieb.« »Verschwinde!« wiederholte ich. »Das sagt dir Atlan.« Die untersetzte, aber sehr kräftig wirkende Gestalt warf sich auf mich. Chossoph stieß dabei wütende Worte aus. Er schien halb von Sinnen vor Wut zu sein. Ich wehrte seine Schläge ab, ohne ihn direkt anzugreifen. Das änderte sich erst, als Chossoph plötzlich aus seinem
Fellumhang eine armlange Keule zerrte und damit auf mich eindreschen wollte. Das war des Guten zuviel. Ich wich den ersten beiden Schlägen noch aus, aber dann setzte ich einen blitzschnellen Griff an, der den Nomaden zu Boden schleuderte. Die Keule rollte ins Gras. Ich versetzte ihr einen Tritt, so daß sie außer Reichweite Chossophs war. »Du bist wohl scharf auf das Metall«, stellte ich fest. »Du willst dich bei den Göttern in ein besonders gutes Licht setzen.« Chossoph stand wieder auf. Er verharrte in gebückter Stellung und hechtete sich urplötzlich wieder auf mich. Wir stürzten zusammen zu Boden. Er umschlang meinen Oberkörper sehr geschickt, so daß die Luft pfeifend aus meinen Lungen wich. »Vorsicht!« rief Chipol. Ich wollte gerade einen Gegengriff ansetzen, da packten mich stählerne Hände und rissen mich hoch. Chossoph erging es nicht anders. Die Stahlmänner waren schnell zur Stelle gewesen. Auch Takkarat tauchte zwischen den Zelten auf. »Er hat angefangen!« Chipol wies klagend auf den Nomaden. »Er wollte mir den Dolch stehlen.« »Bei den Göttern«, kreischte Chossoph. »Das ist mein Dolch. Es ist ein einmaliges Stück, und es wurde mir in Umharaton gestohlen. Diese beiden Nomaden sind Diebe der übelsten Sorte. Sie bestehlen die eigenen Leute, um gut gerüstet vor die Götter treten zu können.« Ich blickte gelassen in die giftsprühenden Augen meines Kontrahenten. Ganz ausschließen konnte ich nicht, daß er zumindest zu einem Teil die Wahrheit sagte. Die Stadt Umharaton war zwar weit entfernt, aber es konnte stimmen, daß jemand Chossoph dort den Geisterdolch abgenommen hatte. Die drei Vleehs, die ich nach der Stampede gefunden hatte, hatten zu dem Treck der Räuber gehört. Es mußte folglich Beutediebe unter den Nomaden geben. »Nun behaupte noch«, schrie ich erbost zurück, obwohl ich es
nicht war, »daß die Vleehs auch dir gehören.« Ich mußte mich den Nomaden und ihrer Wildheit anpassen, um nicht aufzufallen. »Es sind nicht meine Vleehs.« Chossoph schüttelte unwillig den Kopf. »Aber der Dolch gehört mir.« Er versuchte, sich aus dem Griff des Roboters zu winden, aber dieser hielt ihn eisern fest. Ein anderer Stählerner hob den Dolch auf. Er schenkte der Waffe keine besondere Aufmerksamkeit. »Wer hat diese Waffe ins Tal der Götter gebracht?« fragte der Stahlmann stur. »Ich!« rief Chipol, bevor ich etwas sagen konnte. Das stimmte sogar, denn der Dolch war in der Ausrüstung versteckt gewesen, die Chipols Vleeh getragen hatte. Chossoph sprach nichts mehr. Er schien es nicht zu wagen, die Unwahrheit zu sagen. Das war für mich ein weiterer Beweis, daß ihm der Dolch tatsächlich gehörte. Der Roboter reichte dem Jungen die Waffe. »Sie gehört dir.« Dann wandte er sich an Chossoph und mich. »Ihr scheint einem grundlegenden Irrtum zu unterliegen«, erklärte der Stahlmann. »Es kommt nicht darauf an, wie groß die Beute ist, die ihr den Göttern spendet. Art und Umfang der Gaben haben keinen Einfluß auf die zu erwartende Belohnung. Jeder, der sich für die Ziele der Götter einsetzt und sich in die gesetzten Regeln fügt, wird seinen Lohn erhalten. Euer Streit ist daher unsinnig. Im Namen der Götter, unterlaßt jeden Zwist!« Das waren deutliche Worte. Die Stahlmänner, die Chossoph und mich hielten, gaben uns frei. Der Nomade erweckte den Anschein, sich sofort wieder auf mich stürzen zu wollen. Ich blieb abwehrbereit stehen, rührte mich aber nicht. »Geht!« befahl der Sprecher der Roboter. Chossophs Blicke hätten eine ganze Armee töten können, aber er trollte sich knurrend. Bevor er hinter dem nächsten Zelt verschwand, warf er mir noch einen letzten Blick zu, der eine nicht
minder deutliche Aussage beinhaltete: Wir sprechen uns noch, Atlan! Mach dich auf etwas gefaßt! Auch die Stahlmänner verschwanden. Takkarat blieb nachdenklich stehen. Als wir allein waren, trat er auf mich zu. Ich rechnete mir aus, daß er sich nun nach der Herkunft des Dolches erkundigen würde, aber es kam ganz anders. »Du bist keiner von uns, Atlan.« Er blickte mir fest in die Augen. »Aber mach dir keine Sorgen. Von mir wird niemand etwas erfahren.« »Ich bin jetzt einer von euch«, antwortete ich. »Das wird sich noch herausstellen. Vor den Göttern besteht keine Lüge.« Er wartete keine Antwort ab und ging. Ich fühlte mich unbehaglich und begann, das Tal der Götter mit anderen Augen zu sehen. Wo gab es hier schnelle und sichere Fluchtwege, wenn mir der Boden unter den Füßen zu heiß werden sollte? * Der Rest des Tages verlief ohne Besonderheiten. Die Ankündigung der Stahlmänner, daß die Beute abzuliefern sei, wenn die Sonne über den Wipfeln steht, bewahrheitete sich nicht. Zumindest war damit nicht der heutige Tag gemeint. Die Nomaden ertrugen dies mit Gelassenheit. Sie schienen auch insgesamt besser informiert zu sein als ich. Oder sie taten nur so. Kurz vor Einbruch der Dämmerung näherte sich aus der Ebene hinter dem Tal ein weiterer Treck mit Nomaden. Die bereits Anwesenden kümmerten sich kaum darum. Sie gingen ihrem Lagerleben nach. Der Zug führte ebenfalls einige Dutzend Priester und Priesterschüler mit. Auch waren die Vleehs dick bepackt mit Beute.
Ich verfolgte das Geschehen aufmerksam, ließ mir das aber nicht anmerken. Chipol tobte mit Fumsel herum. Auch das trug dazu bei, daß meine Neugier unbemerkt blieb. Die Nomaden sammelten sich vor den Häusern. Auch sie mieden die Nähe des stählernen Kuppelbaus. Die Stahlmänner kamen, und alles andere lief so ab, wie ich es bereits erlebt hatte. Viele Fragen stürmten wieder auf mich ein. Wer hatte in so kurzer Zeit diese künstlichen Bauten errichtet? Die Bewohner von Cairon wären dazu niemals in der Lage gewesen. Auch unter der Anleitung fremder Intelligenzen erschien mir das unmöglich. Die Roboter machten nicht den Eindruck, daß sie zu etwas anderem taugten, als Priester einzusperren und im Tal der Götter für Ordnung zu sorgen. Aber da konnte ich mich täuschen. Während es dunkler wurde, reifte ein Plan in mir heran. Ich würde noch in dieser Nacht versuchen, mit den eingesperrten Priestern Kontakt aufzunehmen. Ich wollte endlich wissen, was hier wirklich geschah. Und ob meine Annahme richtig war, daß dies alles das Werk des Erleuchteten war, oder die des Extrasinns, der mehr zu einem anderen, noch unbekannten Machtfaktor tendierte. Mein Traum aus der letzten Nacht fiel mir wieder ein. Mein Unterbewußtsein besaß keinerlei hellseherische Fähigkeit, aber es hatte mir im Schlaf etwas vorgegaukelt, das eher vermuten ließ, daß ich mich irrte. Ich wartete, bis Chipol fest schlief. Dann kroch ich wieder aus dem Zelt. Es brannten nur noch einzelne Lagerfeuer. Auf der anderen Seite des namenlosen Flusses war eine große Rauferei zwischen zwei Nomadensippen im Gang. Ich erkannte im Schein eines Lagerfeuers, wie ganze Scharen der Stahlmänner zu dieser Stelle eilten. Das schien mir eine gute Gelegenheit zu sein, den geplanten Ausflug zu wagen. Ich schob mich zwischen die Büsche am Hang. Jenseits davon gab es keine Zeltdörfer und auch keine Wachen. In einem großen Bogen würde ich so auf die andere Seite der künstlichen Siedlung gelangen. Dort war alles dunkel.
Ich hörte ein raschelndes Geräusch und verharrte. Stille. Als ich mich wieder bewegte, war das Geraschel wieder da. Ich pfiff leise und bekam ein Maunzen zur Antwort. »Komm her!« zischte ich. Fumsel kam geduckt auf mich zugeschlichen, als hätte er ein schlechtes Gewissen. Ich nahm ihn auf den Arm und gab ihm eine Jaculrunnuß aus meinem Vorrat. Hastig schlang er die kleine Kugel hinunter. »Genug, mein Freund. Verhalte dich still, dann nehme ich dich auch mit.« Von da an folgte er mir auf Schritt und Tritt. Er war schon ein raffiniertes kleines Biest, denn jetzt bewegte er sich völlig lautlos. Also war es Absicht gewesen, als er zu Beginn geraschelt hatte. Ich erreichte einen schmalen Bach, dessen Wasser hinab ins Tal zum großen Fluß lief. Fumsel sprang mit einem gewaltigen Satz aufs andere Ufer. Dort wartete er, bis ich mit nassen Füßen wieder an seiner Seite war. Der Bewuchs wurde dichter. Das erschwerte die Orientierung nur unwesentlich, gab mir aber eine gute Deckung. Ungehindert kam ich bis auf etwa 50 Schritte an die Rückseite einer Baracke heran. Inzwischen war es tiefe Nacht. Der Schatten des Gebäudes war deutlich zu erkennen. Wenn es hier aber technische Sicherungsmaßnahmen geben sollte, so würde, ich sie höchstens durch Zufall entdecken. Fumsel drängte sich zwischen meinen Beinen hindurch an mir vorbei. »Geh voran!« flüsterte ich. Die Wildkatze schien zu begreifen. Sie bewegte sich langsam, und ich folgte ihr mit mehreren Metern Abstand, so daß ich ihren Umriß gerade noch erkennen konnte. Es blieb alles ruhig, bis ich die Hauswand erreichte. Hier war es noch dunkler, aber meine Augen hatten sich längst daran gewöhnt. Ich tastete mich an der Wand entlang zum nächsten Fenster.
Meine Hände fühlten Glas, das von einem dünnen, aber sehr stabilen Maschennetz überzogen war. Dahinter war gar nichts zu erkennen. Auf mein leises Klopfen hin geschah auch nichts. Schließlich wurde ich dreister, denn ohne jegliches Ergebnis wollte ich diesen nächtlichen Ausflug nicht beenden. Ich zog ein Feuerholz hervor und rieb es an der Hauswand. Als die Flamme aufloderte, schirmte ich sie mit der freien Hand ab und hielt sie dicht vor das Fenster. Das Gesicht eines jungen Bathrers, eines Priesterschülers, wurde sichtbar. Der Mann kniff die Augen kurz zusammen, dann drohte er mir mit der Faust und machte eine eindeutige Geste. Ich solle verschwinden. Das verstand ich nun überhaupt nicht. So dumm konnten die Priester und ihre Schüler doch nicht sein, daß sie jegliche Hilfe ablehnten! Das Feuerholz erlosch, und es herrschte wieder Dunkelheit. Die Stille war groß. Auch von den Zeltlagern drangen keine Geräusche mehr zu mir herüber. Ich schlich weiter, bis ich an eine Tür kam. Erwartungsgemäß war sie fest verriegelt. Ich rüttelte am Griff, bis ich auf der anderen Seite eine dumpfe Stimme hörte: »Wir schlafen, Stahlmann.« Es war zum Verzweifeln. Die Gefangenen schienen einen Heidenrespekt vor den Robotern zu haben. Und auf die Idee, daß ihnen jemand helfen wollte oder daß einer der Nomaden sich hierherwagen würde, kamen sie nicht. Mehr noch, der junge Bathrer, der jeglichen Kontakt verweigert hatte, war typisch für einen Gefangenen, der sich ganz in sein Schicksal ergeben hatte. Wut kam in mir auf. Wie sollte man von jemand Informationen bekommen, der jegliche Unterstützung ablehnte? Sie stehen wahrscheinlich unter einem Schock, vermutete der Extrasinn. Sie wurden aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen, in die Fremde verschleppt und in ein Gebäude gesteckt, das sie für so unmöglich
halten wie die Stahlmänner. Trotz ihrer Psi‐Kräfte sind die bathrischen Priester simple Gemüter. Wahrscheinlich stimmte das. Ich mußte jedenfalls einsehen, daß ich bei diesen verstörten Bathrern vorerst nichts erreichen würde. Bevor ich mich auf den Rückweg begeben konnte, stieß Fumsel ein warnendes Fauchen aus. Ich verharrte in jeder Bewegung. Dumpfe Schritte klangen auf. Stahlmänner! »Die Gefangenen haben sich geirrt«, hörte ich die Stimme eines Roboters. »Oder sie haben es gewagt, uns in die Irre zu führen. Es wird Zeit, daß die Götter kommen, denn dann kann so etwas nicht mehr passieren.« »Das glaube ich auch«, antwortete ein zweiter Stahlmann. »Sehen wir aber trotzdem nach.« Sie verhielten sich nicht gerade geschickt, sagte ich mir, aber zweifellos würden sie mich in Kürze entdecken. Ich nahm Fumsel vom Boden auf und hielt ihn dicht vor mein Gesicht. »Hau ab, Kleiner!« flüsterte ich. »Und mach einen Lärm für hundert Wildvleehs.« Er sprang aus meiner Hand und verschwand geräuschlos. Schon Sekunden später hörte ich sein Fauchen von links, wo auch die Stahlmänner gingen. Dem Fauchen folgte ein Schlag. Ich sah die Wildkatze in die Höhe springen. Sie war aus meiner Sicht nur ein Schatten vor dem fast schwarzen Nachthimmel. Fumsel sprang gegen die Hauswand und kletterte behend daran hoch. Die Stahlmänner reagierten schnell. Ein Scheinwerfer flammte auf, und ein Schuß zischte durch die Nacht. Fumsel war aber noch schneller. Er verschwand in der Höhe. »Ein kleines Tier«, meinte der eine Roboter abfällig. Ich hörte die Worte kaum noch, denn ich war längst davongeeilt. Die Büsche nahmen mich auf. Dort wartete ich noch, um mich nicht durch andere Geräusche zu verraten. Fumsel hob unterdessen auf dem Dach mit einem schrecklichen Gejaule an, das mich an die
Katzen der guten alten Erde erinnerte. Ich bewegte mich weiter und wurde schneller, als ich merkte, daß ich unentdeckt geblieben war. Meine rechte Hand umschloß in der Felltasche ein gutes Dutzend Jaculruns – Fumsels Belohnung für sein hilfreiches Ablenkmanöver. Kurz nachdem ich den Bach überquert hatte, tauchte die Wildkatze wieder bei mir auf. Ich lobte sie und gab ihr die Nüsse zu fressen. Die kleine Episode mit Fumsel hatte mich so erheitert, daß ich etwas leichtsinnig wurde und nicht genau auf meine Umgebung achtete. Als die Gestalt vor mir auftauchte, war es schon fast zu spät. Ich ging in Deckung. »Du fürchtest dich, Atlan?« Das war Takkarat. »Es hätte jemand anders sein können«, entgegnete ich und trat auf den Sippenführer zu. »Chossoph?« »Vielleicht.« »Er schläft schon lange. Wo warst du? Ich sehe es nicht gern, wenn sich meine Leute nachts außerhalb des eigenen Lagers herumtreiben.« »Oben am Bach. Fumsel hatte Durst.« Ich deutete auf die Wildkatze. Takkarat starrte mich schweigend an. Trotz der Dunkelheit spürte ich seinen unnachgiebigen Blick. »Du wirst deine Gründe haben«, sagte er dann schwer, »mich zu belügen. Du warst am Ort der Götter, aber die Götter und ihre Stahlmänner haben dich nicht gesehen.« Ich hielt es für richtiger, nichts zu antworten. »Gute Nacht, Atlan.« Der Sippenführer beendete damit das Gespräch, drehte sich um und ging zurück zum Lager. Ich folgte ihm wortlos und nachdenklich. 5.
Am nächsten Tag trafen zwei weitere Trupps Nomaden im Tal der Götter ein. Der eine führte zehn gefangene Priester mit, der andere an die hundert Packtiere, die mit großen Körben behangen waren. Ich begab mich möglichst unauffällig zur zweiten Gruppe, um in Erfahrung zu bringen, welche Beute dort angeschleppt wurde. Auch andere Nomaden waren plötzlich neugierig. Die Körbe waren oben offen. So war es leicht, den Inhalt festzustellen. Es handelte sich um rohe Erzbrocken, die erst jüngst irgendwo auf Cairon abgebaut worden sein mußten. Die Aktivitäten der Helfer des Erleuchteten deuteten damit immer mehr auf etwas hin, was mir rätselhaft erschien. Daß der Erleuchtete an den Wahakús der Priester, also an deren psionischen Bewußtseinsanteilen, interessiert war, war plausibel. Seit Alkordoom stand fest, daß dieser Gegner EVOLO baute und daß er dafür Unmengen an Psi‐Potentialen benötigte. Die Suche nach Erzen und Mineralien, die hier mit reichlich primitiven Mitteln betrieben wurde, stand in keiner logischen Beziehung zur ersten Tatsache. Es mußte also einen Grund geben, den ich überhaupt noch nicht ins Kalkül gezogen hatte. Fast hatte es den Anschein, als ob jemand begänne, Cairons Bodenschätze auszubeuten. Der Treck mit den Erzen wurde von den Stahlmännern direkt abgewiesen. Die Priester wurden hingegen zu den anderen in die Häuser gesperrt. Wieder fiel der Hinweis, daß in nächster Zeit die gesamte Beute der Nomaden inspiziert werden würde. Die Nomaden suchten sich einen freien Platz in der Nähe des namenlosen Flusses und gingen zur Rast über. Ich schlenderte zu ihnen hin und versuchte ein Gespräch anzubändeln. »Eine Menge Erz habt ihr da mitgebracht.« Ich nickte einem Nomaden anerkennend zu. »Wo findet man das?« Wieder einmal erntete ich mißtrauische Blicke. »Die Götter werden schon wissen«, brummte der Nomade
unwirsch, »wofür diese wertlosen Steine gut sind.« Dann wandte sich der Mann ab. Mir war durch seine Bemerkung zumindest deutlich geworden, daß die Nomaden sich der Bedeutung des Erzes gar nicht bewußt waren. Sie befolgten offensichtlich ohne großes Nachdenken die gegebenen Anweisungen. Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Ich blickte zur Seite. Wieder war mir Takkarat gefolgt. Der Sippenführer schien ein besonderes Auge auf mich geworfen zu haben. Es wurde Zeit, daß ich mehr über ihn in Erfahrung brachte. »Was willst du?« fragte ich nicht gerade freundlich. »Das wollte ich dich auch fragen, Atlan.« Takkarat blieb gelassen. »Du steckst deine Nase in alle möglichen Dinge. Ich weiß nicht, ob es klug ist, so zu handeln.« »Warum nicht?« »Du könntest die Götter erzürnen.« Wir verließen die neu angekommenen Nomaden, so daß niemand unserem Gespräch folgen konnte. Takkarat lenkte unseren Weg zum Fluß hinunter. »Ich sehe nur Stahlmänner«, widersprach ich. »Sie mögen auf dich eindrucksvoll wirken. Für mich sind es jedoch dumme Maschinen.« Er blickte mich überrascht an. »Du kennst die Stahlmänner aus deinem früheren Leben?« »So könnte man es ausdrücken«, räumte ich ein. »Natürlich sind die Stahlmänner nur Helfer der Götter.« Der alte Sippenführer hockte sich auf einen umgestürzten Baumstamm. »Aber die Götter selbst werden bald erscheinen. Ich habe bereits einmal miterlebt, wie sie kamen. Sie besänftigten alle, die Priester und die Nomaden.« »Du hast sie gesehen, die Götter?« »Nicht direkt«, gab Takkarat zu. »Aber ich habe die Sänfte gesehen, in der sie kamen. Es ist nicht klug von mir, darüber zu sprechen.«
»Du hast Angst«, sagte ich ihm auf den Kopf zu. »Das weniger, Atlan. Ich bin ein alter Mann, und obwohl ich aus einer der kriegerischsten Sippen stamme, habe ich mich immer darum bemüht, daß wir alle in Frieden und Eintracht miteinander leben. Cairon ist groß. Cairon kann alle ernähren.« »Du denkst weiter als die übrigen Nomaden«, lockte ich ihn. »Vielleicht. Meine Gedanken sind frevelhaft. Daher kann ich sie nicht offen aussprechen.« »Das muß du selbst entscheiden, Takkarat. Wenn du dich mir anvertrauen willst, brauchst du keinen Verrat zu fürchten. Ich vertraue dir ja auch.« Der alte Nomade wartete eine Weile. Unauffällig suchten seine Augen die Umgebung ab. Es war niemand in der Nähe, der uns hören konnte. »Ich habe einen furchtbaren Verdacht«, sagte er dann leise. »Nach meiner Meinung werden wir alle von den Helfern der angeblichen Götter eingelullt. Ich habe beobachtet, wie die Nomaden willig alle Anweisungen der Stahlmänner ausführen. Jeder Widerstand erlahmt schnell. Und ich habe gesehen, was mit den Priestern geschieht, die doch eigentlich die Elite aller Bewohner von Cairon sein sollten. Auf mich wirken die Worte der Stahlmänner nicht. Ich habe nie an den Größen Geist der Harmonie geglaubt, wohl aber an die Harmonie. Ich habe Harmonie praktiziert, Atlan. Was die Götter, die jetzt unsere Geschicke lenken, wirklich tun und wollen, weiß ich nicht. Aber ich kann dir sagen, daß es weder etwas mit der Harmonie des Großen Geistes, noch mit meiner persönlichen Harmonie zu tun haben kann. Wir werden immer unfreier. Und wir werden mißbraucht und ausgebeutet. Wir haben unsere Herden im Stich gelassen, die Natur in Unordnung gestürzt, nur um diesen Göttern zu dienen. Beim besten Willen, Atlan, das kann nie und nimmer richtig sein.« »Ich sehe es auch so, Takkarat. Du bist ein kluger Mann. Ich vertraue dir. Es ist mein persönliches Ziel, herauszufinden, was die
wahren Absichten dieser Götter sind. Und es ist mein Ziel, diese falschen Götter, die sich hier eingenistet haben, von Cairon zu vertreiben.« »Du bist keiner von uns, nicht wahr?« Er stellte diese Frage ohne jedes Mißtrauen. »Ich sagte es schon, ich bin jetzt einer von euch. Allein das zählt. Was ich vorher war oder warum ich hier bin, ist ohne Bedeutung. Mein Problem ist, daß ich allein auf mich gestellt bin. Chipol, der Junge, ist bisweilen eher ein Hemmschuh als ein Helfer, aber er braucht mich.« »Du solltest dich mit Chossoph versöhnen«, schlug der Sippenführer vor. »Auch er ist ein Einzelgänger, der etwas plant.« »Was?« »Ich weiß es nicht. Meine Vermutung leite ich aus seinem Verhalten her. Mir entgeht nichts. Auch Chossophs Augen blicken zu oft zum Ort der Götter. Die anderen Nomaden meiden diesen Platz, wann immer es geht. Sie schauen nicht einmal hin. Du bist da anders. Chossoph auch.« »Berichte mir von der Sänfte der Götter«, bat ich ihn. Bevor Takkarat antworten konnte, erklang ein Fanfarensignal aus dem Bereich der künstlichen Bauten. Ich erkannte drei Stahlmänner, die meterlange Hörner trugen. Überall erhoben sich die Nomaden von ihren Lagern. »Die Prozession beginnt, Atlan«, erklärte mir Takkarat. »Wir müssen gehen und die Beute zur Ablieferung bereitstellen. Wir werden später Gelegenheit haben, uns über alles zu unterhalten.« Ich folgte ihm zu unserem Lager. Chipol erwartete mich bereits. Er hatte auch längst festgestellt, daß eine rege Betriebsamkeit von den Nomaden Besitz ergriffen hatte. Auf dem breiten Weg neben dem Fluß formierten sich die Scharen mit ihren beladenen Tieren. Stahlmänner strömten aus den Häusern und begannen damit, die Nomaden zu ordnen. Noch immer erklangen die Fanfaren. Auf mich wirkte diese seltsame monotone Musik gar nicht, aber
die Nomaden schienen fasziniert zu sein. Ich sah einige Gesichter, die nur noch stur geradeaus blickten. »Wir nehmen ein Vleeh«, entschied ich. »Mal sehen, was die Roboter von unseren Gütern halten.« »Der Dolch«, meinte Chipol. »Was ist mit ihm?« »Willst du ihn behalten?« »Lieber nicht. Die Roboter wissen, daß wir ihn haben. Sie könnten ihn als einen Testfall benutzen. Wir geben ihn ab.« Chossoph kam mit zwei bepackten Vleehs und einem Xarrhi an uns vorbei. Sein Blick war frei und selbstbewußt. Auch ihn schienen die Fanfarenklänge nicht zu berühren. Er warf uns böse Blicke zu. Seine Feindschaft war ungebrochen. »Ich kann diesen Kerl nicht leiden«, zischte der junge Daila. »Wenn ich erwachsen wäre, würde ich ihn grün und blau schlagen.« »Na, na!« versuchte ich ihn zu besänftigen. Aber Chipol reagierte nicht darauf. Er drohte Chossoph mit geballten Fäusten, was der aber nicht sah. »Gib mir dein Funkgerät«, bat ich den Jungen. Ich wollte kein Risiko eingehen und die Geräte, mit denen wir notfalls die STERNSCHNUPPE rufen konnten, nicht mit zu den Stahlmännern nehmen. Die als harmlosen Schmuck getarnten Geräte enthielten auch Metall. Wenn die Roboter mit speziellen Sensoren nach allem Metallischen suchen würden, bestünde die Gefahr, daß wir die wertvollen Geräte verlieren würden. In unserem Zelt hatte ich ein Stück der Grasnarbe herausgelöst und darunter einen kleinen Hohlraum geschaffen. Ich wickelte die beiden Geräte in ein Stück Leder und versteckte sie dort. Fumsel verfolgte interessiert mein Tun. »Du bleibst am besten hier«, sagte ich zu der Wildkatze und hoffte, daß sie mich ein wenig verstand, »und paßt auf unsere Sachen auf.« Sorgfältig legte ich das Stück Rasen über das Versteck. Darauf
packte ich die übrigen Felle, die wir für unsere Schlafstellen verwendeten. Fumsel legte sich oben drauf und begann zu schnurren. »Beeilt euch!« hörte ich eine schnarrende Stimme von draußen. Die Stahlmänner trieben die Nomaden zusammen. Ich nahm unser Tier an den Zügeln und folgte den anderen. Auf dem Weg zum Fluß wartete Takkarat auf uns. Ein Stahlmann stand neben ihm. Der Sippenführer der Freien Nomaden winkte uns kurz zu. Ich erwiderte die Geste. »Kommst du nicht mit?« fragte Chipol den Alten. »Mein Platz ist hier«, lautete die Antwort. Am Fluß richteten die Stahlmänner eine regelrechte Prozession aus. Jeweils fünf Vleehs bildeten eine Reihe. Ich ordnete mich so ein, daß ich einen Außenplatz bekam, damit ich gute Beobachtungsmöglichkeiten hatte. Dann brach die seltsame Fanfarenmusik ab. Es folgte kein weiteres Kommando durch die Stahlmänner, aber der mehrere hundert Meter lange Troß setzte sich in Bewegung. Das Ziel war klar. Wir strebten dem großen Platz vor den künstlichen Bauten zu, wo die Priester an die Roboter übergeben worden waren. Eine Gruppe der Nomaden stimmte einen summenden Gesang an. Die Melodie enthielt keine Worte, und sie ähnelte der Fanfarenmusik der Roboter. Die Nomaden schienen sich selbst noch in ihrem geistig abwesenden Verhalten zu bestärken. Vielleicht war das aber auch nur eine unbewußte Schutzreaktion aus Angst vor dem Unbekannten. Der gewaltige Troß bewegte sich gleichmäßig und geordnet. Der Zug hatte etwas Feierliches an sich, das auf mich aber eher wie ein Mummenschanz wirkte. Ich spielte jedoch brav mit. Als Chipol in den seltsamen Singsang einstimmte, summte ich ebenfalls mit. »Noch hast du die Chance, den Dolch herauszurücken«, hörte ich hinter mir. Ich drehte mich um und erkannte Chossoph, der unbemerkt in der Reihe hinter uns einen Platz gefunden hatte. Auf
eine Antwort verzichtete ich. »Gib mir den Geisterdolch!« drängte der Nomade weiter. »Andernfalls wird ein Unglück passieren.« Chipol blickte zurück und streckte dem Nomaden die Zunge heraus. »Ihr werdet es bereuen«, schimpfte Chossoph. Dann tauchte ein Stahlmann auf. Seine künstlichen Augen strichen über uns hinweg. »Wer hat gesprochen?« fragte er. Er bekam keine Antwort. Die Spitze des Zuges erreichte den. Platz. Die nachfolgenden Nomaden mit ihren Tieren hielten an. Es gab ein kurzes Gedränge. Plötzlich stand Chossoph neben mir. Seine Augen funkelten wild. Er packte mich an den Armen. »Atlan!« Es war fast ein Flehen. »Gib mir den Dolch. Er ist für die Götter bestimmt, aber nicht in der Weise, wie du dir das vorstellst.« »Ich habe ihn nicht hier«, log ich frech. Für Chossoph schien eine Welt zusammenzubrechen. Er ließ mich los und begab sich wieder zu seinen Tieren. Erneut erklangen die Fanfaren der Stahlmänner. Die Inspektion des Raubguts wurde damit angekündigt. Zehn Stahlmänner begannen in der vordersten Reihe, die Beute zu begutachten. Ich besaß einen günstigen Platz und konnte so verfolgen, was im einzelnen geschah. Die Roboter hatten es in erster Linie auf alles abgesehen, was im weitesten Sinn unter natürlichen Rohstoffen zu verstehen war. Alles Metall wurde auf Bahren abgelegt. Diese wurden von weiteren Stahlmännern in die Baracken transportiert. Ein zweites Inspektionsteam untersuchte danach die übrigen Güter. Besonders schöne Felle oder Nahrungsmittel gingen in den Besitz der Götter über. Die meisten Naturalien wurden den Nomaden aber belassen. Es schien also eine dreigeteilte Wertigkeit für die Beutestücke zu
geben. Oberste Priorität besaßen die Priester und Priesterschüler. Dann folgten Metalle und Mineralien. An den übrigen Dingen bestand nur geringes Interesse. Noch bevor wir an der Reihe waren, erlebte ich, wie die Nomaden, die ihre Beute bereits abgeliefert hatten, belohnt wurden. Die abgefertigten Nomaden wurden zu einem Blechcontainer geführt, den die Stahlmänner aus einem der Häuser geholt hatten. Dort wurden ihnen kleine Geräte ausgehändigt. Ich erkannte Trommelrevolver, aber auch Waffen, die noch moderner wirkten. Wer seinen Lohn empfangen hatte, mußte sich abseits der anderen aufstellen. Die Roboter wollten noch eine Erklärung abgeben. Dann waren wir an der Reihe. Ich öffnete die Packtaschen und breitete die Waren, ausschließlich Felle, gegerbt und ungegerbt, auf dem Boden aus. Die Stahlmänner zeigten sich wenig interessiert. Auch die Trockenfrüchte stießen auf wenig Begeisterung. Schließlich zog ich den Dolch hervor und legte ihn ab. Sofort griff einer der Roboter danach und fixierte ihn aus der Nähe. Er hob die Waffe hoch. »Metall«, schnarrte er und warf sie auf die Trage, die neben ihm stand. Der künstlerische Wert war wohl ohne Bedeutung. Hinter mir stieß Chossoph einen, Pfiff aus. »Das wirst du mir büßen!« drohte er. Erst eine scharfe Zurechtweisung des Stahlmanns brachte ihn zum Schweigen. »Empfangt euren Lohn«, erklärte der Roboter. »Jeder von euch bekommt zwei Donnereier.« Ich zog mit Chipol und dem Vleeh zur Ausgabestelle. Dabei warf ich einen letzten Blick auf den Dolch. Auch Chossophs Augen ruhten auf der Waffe. Der Geisterdolch glühte auf und war kurz danach verschwunden. Ich dachte erst, daß meine Sinne mir einen Streich spielten. Als ich aber noch einmal hinsah, war der Dolch noch immer verschwunden. Chossophs Blicke begegneten mir, aber ich vermochte nicht zu erkennen, was in dem Mann vorging. Die nachdrängenden
Nomaden schoben uns weiter. Ich empfing die angekündigten Donnereier. Sie entpuppten sich als Handgranaten. Der Roboter, der sie uns überreichte, sagte nur, daß wir nicht damit herumspielen sollten und daß uns die Handhabung noch erklärt würde. Ich steckte die eiförmigen Dinger in eine Satteltasche und begab mich zur befohlenen Sammelstelle. Hier sah ich, daß praktisch alle Nomaden Waffen besaßen. Sie kannten diese nicht und plapperten nur die Worte nach, die sie von den Stahlmännern gehört hatten: Feuerpfeile, Donnereier, Flammenschleudern und Ferntöter. Mir schauderte, denn wie mit diesen unwissenden Nomaden umgesprungen wurde, das war frevelhaft. Die ganze Prozedur der Abgabe der Beutestücke dauerte Stunden. Einigen Nomaden wurde die Zeit zu lang. Sie wollten die Sammelstelle verlassen, aber die Stählernen hinderten sie daran. Chossoph tauchte wieder in meiner Nähe auf. Er hielt in der einen Hand seine Keule, in der anderen einen Trommelrevolver. Ich konnte nicht erkennen, ob die Schußwaffe geladen war. Auch vermochte ich nicht zu beurteilen, ob der Nomade in der Lage war, richtig damit umzugehen. Jedenfalls fühlte ich mich nicht ganz wohl in meiner Haut. Ich mußte wachsam bleiben. Chipol feixte, als er unseren Widersacher sah. Ich sah ihm an, daß er sich am liebsten auf den Mann gestürzt hätte. »Gib mir ein Donnerei!« verlangte er von mir. »Dann zeige ich es diesem hinterhältigen Burschen.« Ich fand, daß Chipol reichlich übertrieb. Oder stimmte mit Chossoph etwas nicht, was nur der Junge bemerkte? Endlich hatte der letzte Nomade seine Beute abgegeben. Die Roboter verschwanden zum Teil. Etwa ein Dutzend von ihnen trat vor die versammelten Nomaden. Einer davon sprach. »Ihr habt einen reichen Lohn für eure Mühe bekommen. Der Dank der Götter war großzügig, und ihr wart treue Diener. Dir habt das erhalten, was ihr für euer Leben braucht, Waffen. Dir seid gute und
tapfere Kämpfer. Die neuen Waffen kennt ihr noch kaum. Deshalb sollt ihr euch an ihnen üben. Wir werden euch helfen und anleiten, damit ihr eure Waffen richtig einsetzt. Wir werden Wettbewerbe veranstalten. Die Sieger werden eine Elitegruppe bilden, die ganz besonders hoch in der Gunst der Götter stehen wird. Ihr werdet mit den Waffen üben, damit ihr auf den weiteren Zügen in die Städte bessere Beute macht. Die Götter sind noch nicht zufrieden, denn die Städte sind reich, und auf dem Land herrschen Armut und Not. Die Götter wollen Gerechtigkeit walten lassen.« Viele Nomaden spendeten spontan Beifall. Sie glaubten das, was sie hörten. Ich kannte Cairon noch nicht so gut, um über alle Verhältnisse Bescheid zu wissen. Aber daß es sich hier um eine faustdicke Lüge handelte, war klar. Das Leben der Bathrer unterschied sich zwar grundlegend von dem der Nomaden, aber beide Parteien waren durchaus in der Lage, ohne Raubzüge zu leben. »Wenn ihr die neuen Waffen beherrscht«, fuhr der Stahlmann fort, »könnt ihr das Tal der Götter zu neuen Taten verlassen. Zuvor bringt eure Speere und alle anderen Waffen, die aus Metall sind. Wir brauchen sie, um für euch im Auftrag der Götter neue Waffen zum Wohl eurer Zukunft herzustellen.« Auch das war eine durchsichtige Lüge, aber die Nomaden merkten das nicht. Mir ekelte vor den Machenschaften der Roboter und ihres Herrn. Die Nomaden von Cairon waren zwar rauhe Gesellen, aber bei dem Leben, das sie führten, und bei dem Entwicklungsstand, den sie erreicht hatten, war das erforderlich. Leider waren sie nicht erfahren im Umgang mit Fremden. So erkannten sie nicht, wie schamlos sie ausgenutzt wurden. Ich malte mir ein Bild von der Zukunft dieses Planeten aus. Es war kein schönes Bild. Ich sah Heerscharen von modern bewaffneten Nomaden durchs Land ziehen und eine Stadt nach der anderen ausplündern. Die Streiter, die sich in mehreren Kämpfen bewährt hatten, waren nun
mit Energiestrahlern ausgerüstet. Die Städter konnten sich ihrer nicht erwehren. Ihre Zivilisation schritt unaufhaltsam dem Untergang entgegen. Aber die Diener der falschen Götter brauchten auch diese Wesen, dennʹ längst hatte man begonnen, die Bodenschätze, die jetzt noch weitgehend unangetastet in der Erde lagen, abzubauen. Dafür brauchte man Arbeitskräfte. Versklavte Bathrer und für den Kampf untaugliche Nomaden wurden hierfür benutzt. Cairon ging unaufhaltsam einem raschen Ende entgegen. Es mußte etwas geschehen. Ich mußte alles daran setzen, die Macht des Erleuchteten zu brechen und ihn zumindest von hier zu vertreiben. Du nimmst dir allerhand vor, spottete der Extrasinn. Dabei weißt du nicht einmal, wer dein Gegner wirklich ist. In diesem Punkte irrte sich der Extrasinn. Ich wußte, wer mein Gegner war. Was ich nicht wußte, war, wie ich ihn besiegen konnte. Ihn, das Juwel, den Erleuchteten, dem nichts im Weg stand, um sein Ziel zu erreichen. Außer mir. 6. Der Abend war nah. Ich hielt mich aus den beginnenden Kampfübungen und Schulungsprogrammen erst einmal heraus. Die Stahlmänner hatten genug mit den Nomaden zu tun und behelligten uns auch nicht. Auch verspürte ich auch nicht das geringste Interesse, mich an diesen Kämpfen zu beteiligen. Sie waren sinnlos. Und ich wäre höchstens erneut in die Gefahr geraten, entlarvt zu werden. Während ich beobachtete, wie einige wenige Roboter die gefangenen Priester in den Baracken mit Nahrungsmitteln und Wasser versorgten, trat Chossoph auf mich zu. Ich straffte meine Muskeln, blieb aber unbewegt sitzen. Chipol hob sofort ein wildes
Geschrei an und verlangte von mir, den Nomaden mit Donnereiern zu bewerfen. Der Junge hatte keine rechte Vorstellung von der Wirkung einer Handgranate. »Du bist ein Feigling, Atlan«, versuchte Chossoph mich zu provozieren. »Jeder läßt sich an den neuen Waffen schulen und sucht die Bewährung im Kampf. Nur du hockst hier und schnitzt sinnlos an einem Stück Holz herum.« Ich sah ihn an, aber ich sagte nichts. Fumsel kam aus dem Zelt. Er erblickte den Nomaden und fauchte grimmig. Dann rannte er zu Chipol und kletterte auf dessen Schulter. Von dort setzte er sein Gezeter mit allen möglichen Tönen fort. Ich registrierte, daß Chossoph nicht nur bei meinem jungen Freund Chipol heftiges Mißtrauen erregte, sondern auch bei der Wildkatze. »Du kannst einem Kampf nicht ausweichen«, stänkerte Chossoph weiter. »Die Stahlmänner holen jeden, auch dich. Und ich werde dein Gegner sein. Dann kann ich meine Rache üben, weil du den Geisterdolch auf dem Gewissen hast.« Ich stand auf. »Unser Streit ist unsinnig«, sagte ich. »Auch Takkarat hat das bereits festgestellt. Und außerdem ist es egal, wer den Göttern den Dolch übergab. Und noch eins sollst du wissen, Chossoph. Ich bin weder ein Feigling, noch ein Dieb. Den Dolch habe ich in der Ausrüstung dieser Vleehs nach der großen Stampede gefunden.« Der streitsüchtige Nomade sah mich zweifelnd an. Seine Hände zuckten nervös. »Du redest zuviel, Atlan«, rief Chipol aus sicherer Entfernung. »Es wäre besser, wenn du ihm ein paar auf die Nase gibst.« Chossophs Gegenwart weckt in dem Jungen aggressive Gefühle, bemerkte der Extrasinn. Das muß etwas bedeuten. »Nun ist der Dolch weg, Chossoph«, fuhr ich unbeirrt fort. »Das ist doch ein guter Grund, unsere Streitigkeiten zu begraben.« »Du bist ein Narr.« Die Zornesadern schwollen im Gesicht des
Nomaden. »Du weißt nichts, und du verstehst nichts. Hast du nicht bemerkt, daß sich der Dolch auflöste?« »Ich habe dieses Wunder gesehen«, gab ich zu. »Nur habe ich es nicht verstanden.« »Da gibtʹs nichts zu verstehen. Er hat sich aufgelöst, weil er seiner Bestimmung nicht mehr zugeführt werden konnte.« Das klang außergewöhnlich. Chossoph wußte etwas, was sicher auch mich interessierte. »Ich hole ihn zurück«, versprach ich, »wenn du mir erklärst, was die Bestimmung des Dolches war.« »Pah!« Chossoph lachte verächtlich. »Du kannst nicht etwas herbeischaffen, was nicht mehr existiert. Du verstehst nichts, dummer Nomade. Ich werde meine Rache an dir vollstrecken, egal wie.« »Er ist doch nur unsichtbar geworden«, meinte ich leichthin, um so weitere Informationen aus Chossoph herauszulocken. Er ging jedoch nicht darauf ein. »Ich werde dafür sorgen, daß dich die Stahlmänner zum Kampf zwingen und du mein Gegner wirst.« Er schwang seine mächtige Keule. Dann drehte er sich um und ging. »Den Geistern sei Dank«, stöhnte Chipol. »Ich kann diesen üblen Kerl nicht riechen. Allein seine Nähe macht mich nervös.« In diesem Punkt stand ich noch vor einem Rätsel. Klar war mir nur, daß an Chossoph etwas Besonderes sein mußte. Vielleicht wirkte er unbewußt auf psionischer Ebene auf bestimmte Wesen in seiner Umgebung. Wenn das zutreffen sollte, dann konnte er eigentlich nur einer der Priester sein, denn allein dort gab es Psi‐ Kräfte. Ein Priester in Tarnung. Ganz konnte ich das nicht ausschließen. Es war aber auch denkbar, daß er ein normaler Nomade oder Bathrer war oder aus einem anderen Winkel Cairons kam, und daß er nur zufällig über gewisse Kräfte oder Ausstrahlungen verfügte. Vielleicht wußte er selbst nichts davon.
»Es ist Zeit für dich, dich hinzulegen.« Ich schlug die Eingangsdecke unseres Zeltes zurück. Chipol kam an meine Seite. Er setzte Fumsel ab, der sofort im Zelt verschwand. »Du gehst heute nacht wieder auf die Suche?« fragte der Junge leise. Er hatte also die gestrige Exkursion bemerkt. »Vielleicht«, antwortete ich ausweichend, obwohl mein Plan längst ausgereift war. »Du solltest mich mitnehmen, Atlan. Vier Augen sehen mehr als zwei.« »Vier Beine machen mehr Lärm als zwei.« »In Ordnung.« Er merkte, daß sein Wunsch bei mir auf Ablehnung stieß und gab schnell nach. »Dann tu mir wenigstens einen Gefallen. Komm heil zurück.« »Versprochen.« Ich lachte ihn an. »Und nun ab in die Felle.« Ich hockte mich vors Zelt und wartete. Von meinem Platz aus konnte ich sehen, was in den meisten Lagern der Nomaden geschah. Die Lagerfeuer erhellten die Nacht. Überall streiften Stahlmänner herum. Ihre Zahl war ungewöhnlich hoch. Sie wollen verhindern, daß mit den Waffen Unsinn geschieht, meinte der Logiksektor. Das stimmte. Ich hörte vereinzelt Schüsse und wildes Geschrei, aber alle ungewöhnlichen Geräusche verebbten schnell. Die Stahlmänner sorgten für Ordnung. Für mich zählte nur, daß sie beschäftigt waren. Meine Chancen, erneut unbemerkt zu den Baracken zu gelangen, stiegen dadurch. Ich hatte mir genau eingeprägt, in welches Haus die letzten Priester verfrachtet worden waren. Dort wollte ich mein Glück versuchen. Chipol schlief. Oder er stellte sich schlafend. Gegen seine Neugier war kein Kraut gewachsen, aber ich wußte, daß ich. mich auf ihn verlassen konnte. Er würde mir nicht folgen. Ich packte alle Sachen, die ich vorbereitet hatte, in die Brusttaschen meines Fellumhangs und tauchte in der Dunkelheit
unter. Fumsel folgte mir nicht. Es war mir ganz recht, daß er bei Chipol blieb. Wenn dieser wach werden würde, würde er sich nicht ganz allein fühlen. Diesmal wählte ich einen noch größeren Bogen, um auf die andere Seite des Ortes der Götter zu gelangen. Heute war es heller vom Schein der Lagerfeuer als in der vorigen Nacht. Ich schritt zügig aus. Der Bach, der mir als Hilfslinie diente, führte kaum Wasser. Es hatte nun schon mehrere Tage nicht geregnet. Meine Sinne waren entspannt. So hörte ich auch rechtzeitig ein leises Geräusch in meiner Nähe. Ich blieb stehen. Etwa zwanzig oder dreißig Schritte von mir entfernt bewegte sich jemand. Er tat dies vorsichtig und langsam, aber ich hatte es dennoch bemerkt. Die Geräusche kämen näher. Ich duckte mich langsam unter einen Busch, der mir aber den Blick nicht ganz versperrte. Die Gestalt tauchte schließlich am Rand der kleinen Lichtung auf, die ich überblicken konnte. Es war zu dunkel, um die Person zu identifizieren, aber es war zweifellos ein Nomade. Er trug dicke Felle und einen glatten Beinschutz aus Leder. Der Unbekannte sah sich um. Dann blieb er unschlüssig stehen. Ich zog eine Jaculrunnuß heraus und warf sie auf die andere Seite der Lichtung. Beim Aufprall auf einem Busch entstand ein klatschendes Geräusch. Die Gestalt zuckte herum. Was dann geschah, weckte erst meine Verwunderung, dann eine Erkenntnis, der Erleichterung folgte. Der Unbekannte rief leise: »Atlan?« Ich erkannte die Stimme. Es war Takkarat. Was, bei allen Göttern von Cairon, veranlaßte den Sippenführer, hier in der Nacht nach mir zu suchen? »Hier!« sagte ich gedämpft. »Den Geistern sei Dank.« Der alte Nomade atmete auf und näherte sich mir. »Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr. Ich wäre sehr enttäuscht von dir gewesen.«
Takkarat hockte sich neben mir ins Gras. »Ich will dein Vorhaben nicht stören«, beschwichtigte er mich sogleich. »Aber ich dachte, du könntest jemand brauchen, der dir den Rücken deckt.« »Dagegen hätte ich nichts einzuwenden«, flüsterte ich. »Aber woher wußtest du, daß ich …« »Ich ahnte es.« Er legte besänftigend seine Hand auf meinen Arm. »Und nun geh. Alles, was ich von dir erbitte, ist die Antwort auf die eine Frage. Wer sind diese falschen Götter?« Für eine Diskussion war dies weder der Ort, noch die Zeit. So behielt ich mein Wissen um den Erleuchteten auch jetzt für mich. Vielleicht würde sich später noch eine Gelegenheit ergeben, mit Takkarat zu sprechen. Ich wollte insbesondere mehr über die geheimnisvolle Sänfte erfahren, wie er im Zusammenhang mit den vermeintlichen Göttern erwähnt hatte. Daß der Sippenführer nicht an diese Gottheiten glaubte und sich seine eigenen Gedanken machte, hatte er mir längst bewiesen. Ich konnte ihm vertrauen. »Ich gehe«, sagte ich knapp, denn jedes Wort konnte mich verraten. »Viel Glück, Atlan! Die wahren Götter mögen dich geleiten.« Mehrmals blieb ich stehen, um festzustellen, ob Takkarat mir folgte. Ich hörte und sah jedoch nichts, was darauf hinwies. Dann tauchten die Schatten der Baracken vor mir auf. Mein fotografisches Gedächtnis half mir, auch in der fast vollkommenen Dunkelheit das Gebäude ausfindig zu machen, in dem die zuletzt angekommenen Priester untergebracht worden waren. Ich tastete mich an die Hauswand heran und lauschte. Die üblichen Geräusche Schlafender drangen an meine Ohren. Meine Hände glitten über die Fertigbauteile, bis ich eine Tür erreichte. Erwartungsgemäß war sie verriegelt. Diesmal war ich aber besser vorbereitet. Ich schob einen dünnen Holzstab durch die Türritze und fuhr diesen langsam in die Höhe, bis ich auf einen Widerstand stieß. Hier
mußte also der Riegel selbst sitzen. Meine Finger tasteten sich über die Fläche der Tür neben dem Riegel. Ich entdeckte zwei Löcher, die nebeneinander angeordnet waren. In diese schob ich die abgeknickten Drähte, die ich aus den Haarspangen geformt hatte, die bei der gefundenen Ausrüstung gewesen waren. Dann begann ich behutsam damit, die Drähte zu bewegen. Nach einer Weile stieß ich mit dem linken Draht auf etwas, was nur kurz nachgab. Ich ließ diesen Draht in der Stellung und versuchte es mit dem anderen. Auch hier fand ich bald einen elastischen Widerstand. Nun bewegte ich beide Drähte. Ein leises Klicken erklang, und die Tür öffnete sich ein Stück nach innen. Ich schob sie so weit auf, daß ich bequem durch die Öffnung gehen konnte. Sehr leichtsinnig, bemerkte der Extrasinn kühl. Hast du vergessen, daß die anderen Priester eine Alarmierungsmöglichkeit besaßen? Warum sollte es hier anders sein? Ich verzichtete auf jede Reaktion und schloß die Tür. Hier drinnen war es noch dunkler als draußen. Es drang praktisch kein Licht durch die kleinen, vergitterten Fenster. So gönnte ich meinen Augen eine kurze Phase der Umstellung. Allmählich erkannte ich ein paar Umrisse. Das Haus besaß nur einen einzigen Raum. Etwa zehn dicke Träger ragten senkrecht in die Höhe und stützten das Dach ab. Als ich mich ein Stück seitlich bewegte, gerieten diese zwischen mich und die Fenster auf der anderen Seite. So konnte ich diese Schatten identifizieren. Der Raum war von gleichmäßigen Schlafgeräuschen angefüllt. Die Priester mußten auf dem blanken Boden liegen. Ich ging auf die Knie und kroch langsam voran. Dabei stieß ich auf ein Fell. Meine Hände tasteten sich an die Gestalt heran, die darauf lag und schlief. Ich bekam die Schulter zu fassen und rüttelte daran. Der Bathrer reagierte nicht darauf. Ich beugte mich über ihn und bemerkte einen seltsamen Geruch.
Im Nu waren mir mehrere Dinge klar. Auf Arkon hatten wir dieses Pflanzenprodukt Aar‐Archän genannt. Das bedeutete Schlafdroge. Die Stahlmänner mußten den Gefangenen diesen Stoff mit den Mahlzeiten verabreicht haben. Der typische Geruch der Droge war eine Ausdünstung des Körpers, die erst dann auftrat, wenn der Betroffene bereits in Morpheusʹ Armen lag. Das Aar‐Archän für sich war vollkommen geruchlos. Der Geruch war so typisch, daß ein Irrtum ausgeschlossen war. Da ich die Wirkung dieses Produkts zur Genüge kannte, war mir auch klar, daß ich von keinem der Priester etwas erfahren würde. Man hatte die Neuankömmlinge ganz bewußt so ruhiggestellt, daß sie keinen Unsinn anrichten konnten. Meine Bemühungen waren umsonst gewesen. Ich ärgerte mich, als ich mich in Richtung der Tür bewegte. Als ich ins Freie trat, verzichtete ich darauf, den Riegel wieder ins Schloß rasten zu lassen. Sollten die Priester ruhig die Baracke verlassen, wenn sie erwachten! Und sollten die Stahlmänner ruhig herumrätseln, wer das Schloß geöffnet hatte! Aber ohne greifbares Ergebnis würde ich diese Nacht nicht beenden. Du riskierst zuviel, warnte mich mein zweites Bewußtsein. Ich mißachtete diesen Hinweis und bewegte mich schnell auf eine Buschgruppe zwischen den Häusern zu. Dort wartete ich, ob irgendwelche verdächtigen Geräusche zu hören waren. Alles blieb ruhig. In weniger als hundert Metern Entfernung ragte die Kuppel des zentralen Gebäudes in die Höhe. Dort war das Haus, in dem die vermeintlichen Götter sein mußten. Ich fühlte in meinem Fellumhang die beiden Donnereier, die ich mitgenommen hatte. Die ganze Ungerechtigkeit, die den Nomaden widerfuhr, und die, die die Bathrer dadurch erleiden mußten, stachelte mich an. Auch der Mißerfolg bei den betäubten Priestern trug seinen Teil zu meinem Verhalten bei. Ich wollte in den
Kuppelbau, egal, wie groß das Risiko war. Als aus den Zeltlagern wieder einmal Schüsse herüberklangen und lautes Geschrei, schien mir ein günstiger Augenblick gekommen zu sein. Ich verließ das Versteck und schlich mich an einer Barackenwand entlang in Richtung des Kuppeldoms. Der Boden war weich. Meine Schritte erzeugten keine verräterischen Geräusche. Und außerdem tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß die Stahlmänner mit den Nomaden beschäftigt waren. Einmal hatte ich das Gefühl, daß mir jemand folgte. Als ich aber eine kurze Pause einlegte, um mich zu vergewissern, war alles in der Nähe still. Ich erreichte unbehelligt den Kuppelbau. Schon bei Tag und aus der Entfernung hatte ich festgestellt, daß er keine Fenster oder etwas Vergleichbares besaß. Es existierte nur ein großes Portal mit sieben Stufen. Wie die dunkle Öffnung dahinter aussah, wußte ich nicht. Als ich die unterste Stufe betrat, beschlich mich ein seltsames Gefühl. War ich meinem Erzfeind wirklich so nah, wie ich es zugleich hoffte und auch befürchtete? Egal, eine Umkehr war jetzt ausgeschlossen. Ich trat in den dunklen Torbogen. Der Extrasinn protestierte wieder, aber ich hörte nicht auf ihn. Ich wollte endlich Klarheit. Bis jetzt war mir noch immer etwas eingefallen, um Gefahren zu entkommen. Der Eingang des Kuppelhauses war gut und gern dreißig mal dreißig Meter groß. Die beiden Türflügel bestanden aus massivem Eisen. Mit meinen Möglichkeiten war hier ein Eindringen fast unmöglich. Selbst die Donnereier würden dieses Hindernis nicht beseitigen können. Resignation befiel mich. Du hättest besser auf jemand gehört, der mehr Vernunft besitzt, hörte ich die innere Stimme des Extrasinns. Auf mich! Ich wollte nicht aufgeben. Meine Hände fuhren über die eisernen Torflügel, und plötzlich gab ein Teil davon nach. Eine Tür von normaler Größe war in dem einen Flügel eingelassen! Sie war nicht
einmal verschlossen. Die Götter mußten sich verdammt sicher fühlen! Die Götter? spottete der Extrasinn. Ich dachte, du glaubst an den einen, der sich hinter allem verbirgt, an den Erleuchteten. Ich trat ein. Ich sah nichts. Ich hörte nichts. Der Boden war glatt und fest, als ich zwei Schritte nach vorn machte. Hinter mir schloß sich die Tür lautlos. »Heh!« sagte ich ziemlich laut. Keine Antwort! Keine Reaktion! »Es ist Besuch da.« Diesmal war meine Stimme noch lauter. Wieder geschah nichts. Ich zog zwei Feuerhölzer hervor und entzündete sie an den Sohlen meiner Sandalen. Die beiden kleinen Lichter konnten den großen Raum kaum erhellen, daher entzündete ich den Holzhalm, mit dem ich in der Baracke der gefangenen Priester nach der Verriegelung getastet hatte. Nun besaß ich genügend Licht. Der Schock, den ich erlebte, drang mit aller Vehemenz in meine Knochen. Die Enttäuschung kämpfte mit der Überraschung. Der Kuppelbau war leer! Total leer! 7. Keine Götter! Ich stand auf der untersten der sieben Stufen zum Eingang der Kuppel. Natürlich sind es keine Götter, aber irgend jemand muß die Stahlmänner doch lenken! Trotz meiner Enttäuschung und der Verwirrung, die daraus resultierte, behielt ich einen kühlen Kopf. Ich hatte etwas in Erfahrung gebracht. Es war nicht das, was ich erhofft hatte, aber zumindest stand jetzt fest, daß die Roboter allein bestimmten, was in Tal der Götter geschah. Zumindest galt dies für die
augenblickliche Situation. Ich bewegte mich entlang des Kuppelgebäudes, bis ich an die Stelle kam, wo die nächsten Büsche sehr nah waren. Gleichzeitig hörte ich zwei Geräusche. Im selben Augenblick legte sich eine Hand von hinten über mich und verschloß meinen Mund. »Ich binʹs, Takkarat«, hörte ich. »Bleib ruhig. Die Stahlmänner sind da. Sie haben etwas bemerkt. Vielleicht war im Kuppelbau doch eine Alarmanlage. Ich habe einen Fluchtweg für uns vorbereitet.« Er ließ die Hand wieder los. Nun hörte ich den dumpfen Klang der stählernen Füße der Roboter. Es mußten vier oder fünf sein. »Danke«, flüsterte ich. »Du erinnerst mich an einen Freund, der sich Colemayn nannte. Was soll ich tun?« »Verschwinde in den Büschen und warte auf meine Überraschung. Wir sprechen später über alles, in Ordnung?« Ich schöpfte keinen Verdacht, und doch waren meine Gedanken so nah an der Wahrheit gewesen. Mit raschen Schritten überquerte ich die kurze Entfernung zu den Büschen. Takkarat blieb zurück. Ich erklomm eine Anhöhe, die zwar nicht in meiner Fluchtrichtung lag, mir aber einen guten Überblick erlaubte. Unten vor dem Kuppelbau flammten plötzlich Lichter auf. Es handelte sich um Scheinwerfer, die die Stahlmänner mitführten. Die Roboter schrien etwas, was ich nicht verstehen konnte. Eine gewaltige Explosion schleuderte die Stahlmänner auseinander. Im zuckenden Lichterschein sah ich den Arm Takkarats, der ein Donnerei geschleudert hatte. Dann rasten Flammenbahnen durch die Nacht. In den wenigen Pausen, die nicht von den zischenden Strahlen erfüllt waren, hörte ich das Lachen des Sippenführers. Allmählich verstand ich, was der Alte beabsichtigt hatte. Die angebliche Falle, die er für unsere Flucht aufgebaut hatte, war er selbst. Er wollte die Stahlmänner ablenken, damit ich ungehindert entkommen konnte! Ich hatte einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Mein Entschluß
stand fest. Ich würde Takkarat helfen, egal wie der Kampf mit den Robotern enden würde. Denk an Chipol! sagte der Logiksektor. Ich rannte los und sah im gleichen Moment, wie Takkarats Donnereier zwei Maschinen zerrissen und der Flammenstrahl eines dritten Roboters in seinen Körper raste. Ich rannte dennoch weiter, aber ich stolperte über eine Wurzel und fiel der Länge nach hin. In meinem Kopf drehte sich alles. Es gab auch Nomaden, die ihre letzte Hoffnung auf mich setzten und dafür sogar freiwillig in den Tod gingen! Wie schlimm erging es doch diesen armen Kerlen, wenn sie nicht durch die Tricks der falschen Götter und ihrer robotischen Handlanger eingelullt wurden! Ich brauchte alle innere Kraft, um aufzustehen und mich leise von diesem Ort zu entfernen. Ich tappte mehr durch die Nacht, als daß ich gezielt meinen Weg suchte. Sogar der Extrasinn schwieg. Als ich einmal zurückblickte, herrschte in der Umgebung des Kuppelbaus wieder Ruhe. Die Dunkelheit der Nacht verbarg, was dort geschehen war. Kurz vor dem Bach kam mir Fumsel entgegen. Ich ahnte, daß Chipol nicht weit entfernt war. Tatsächlich wartete er an dem fast ausgetrockneten Rinnsal. Seine herzliche Umarmung tröstete mich etwas über den Schmerz hinweg, der noch in mir tobte. * Am folgenden Morgen wurde ich schon früh von einer großen Unruhe geweckt, die das Lager erfüllte. Ich trat ins Freie und sah mich um. Sogleich fiel mir die große Zahl der Stahlmänner auf, die sich in meiner Zeltstadt aufhielten. Es gehörte nicht viel Scharfsinn dazu, die Ursache dafür zu erraten. Unten am Fluß brachen ganze Sippen auf, um auf neue Raubzüge
zu gehen. Auch dort befanden sich Roboter. Ich wunderte mich etwas über diesen frühen Aufbruch, denn an den neuen Waffen konnten diese Nomaden noch gar nicht richtig geschult sein. Die Stahlmänner ließen sie aber gewähren. Es ging ihnen wohl nicht schnell genug, neue Beute zu bekommen. Ich wartete, bis Chipol ebenfalls das Zelt verließ, um frisches Wasser fürs Frühstück zu holen. »Ich muß mich ein wenig umsehen«, erklärte ich ihm. Er nickte nur verschlafen. Ich strebte dem Mittelpunkt unseres Lagers zu, wo sich bereits viele Nomaden versammelt hatten. Unter ihnen entdeckte ich auch Chossoph, der sich jedoch nicht an den Gesprächen beteiligte. Aus den ersten Wortfetzen erkannte ich schon, daß es um Takkarat ging. Man hatte ihn tot in seinem Zelt gefunden. Das war wieder typisch für die Stahlmänner, die den Ort der Götter nicht beschmutzen wollten. Nur sie konnten den toten Sippenführer hierhergeschafft haben. Die Roboter befahlen uns alle auf den Platz vor Takkarats Zelt. Einer von ihnen meldete sich zu Wort. Sofort schwiegen die Nomaden unterwürfig. »Euer Sippenführer Takkarat ist tot«, erklärte die Maschine sehr unpersönlich. »Er wurde von einer Feuerschleuder in seinem Zelt getötet. Der Töter wird von den Göttern bestraft werden. Ihr braucht euch nicht darum zu kümmern. Aber ihr müßt in Zukunft wachsam sein, wenn jemand nachts durch das Lager schleicht. Vielleicht solltet ihr Wachen aufstellen, die uns alarmieren. Das wird eine Aufgabe des neuen Sippenführers sein, der nun aus eurem Kreis ernannt werden muß.« Sie fädelten das Ganze sehr geschickt ein, mußte ich feststellen. In einer Erklärung wurde jeder Makel vom Ort der Götter gewischt. Gleichzeitig wurden die Nomaden angestachelt, sich gegenseitig zu bespitzeln und zu verraten. Meine Aufgabe wurde dadurch bestimmt nicht leichter.
»Wen sollen wir wählen«, rief einer der Nomaden. »Wir kennen uns untereinander kaum, denn die Freien Nomaden stellen keine einheitliche Sippe dar.« »Es wird nicht gewählt«, sagte der Roboter schroff. »Es wird gekämpft. Der Sieger wird Sippenführer.« Die Nomaden schwiegen, denn von dieser Mitteilung waren sie nicht gerade begeistert. »Teilt dies allen Angehörigen eures Stammes mit«, fuhr der Stahlmann fort. »Bewerber müssen sich hier bei mir melden. Und nun geht!« Die Diskussionen brandeten wieder auf, während sich die Versammelten zu ihren Zelten begaben. Nur Chossoph blieb stehen. Er wartete, bis die meisten Nomaden verschwunden waren. Dann trat er zu den Stahlmännern. »Ich bin der erste Kandidat«, erklärte er. »Welche Waffen sind mir erlaubt?« »Keine«, antwortete der Roboter. »Es zählen nur die Körperkraft und die Geschicklichkeit. Dein Name?« Ich drehte mich ab und ging. Mit diesem unsinnigen Gerangel um den Posten des Sippenführers wollte ich nichts zu tun haben. Einen Nutzen würde mir dieses Amt auch nicht bringen, denn Privilegien beinhaltete es nicht. Ich würde nur die Aufmerksamkeit der anderen Nomaden und auch die der Roboter auf mich lenken und durch allen möglichen Kleinkram von meinem Vorhaben abgelenkt werden. Als ich zu unserem Zelt zurückkehrte, hatte Chipol schon das Feuer entzündet und den blechnapf mit frischem Wasser darauf gesetzt. Ein Bündel getrockneter Teeblätter lag bereit. Ich erzählte ihm, was geschehen war. »Du willst dich bewerben?« fragte er interessiert. »Du mußt es tun, denn dann kannst du diesem fiesen Chossoph endlich eins auswischen und außerdem selbst Sippenführer werden.« Seine Wut auf den finsteren Nomaden hatte keinen Deut
nachgelassen. Ich erklärte ihm, aus welchen Gründen ich mich nicht bewerben würde. Er sah das wohl ein, aber sein Gesicht verriet deutlich, daß er mit meiner Entscheidung nicht glücklich war. Später ging ich noch einmal zum Versammlungsplatz. Irgend jemand hatte inzwischen Takkarats Zelt abgebaut. Mit Holzpfählen und Lederriemen war ein Viereck abgesteckt worden. Das mußte die »Arena« sein, folgerte ich. »Du willst dich bewerben?« sprach mich einer der Stahlmänner fast leutselig an. »Wie ist dein Name?« »Nein, nein« wehrte ich ab. »Ich bin für solche Kämpfe ungeeignet. Und am Posten des Sippenführers habe ich kein Interesse.« »Schade«, meinte der Stahlmann fast menschlich bedauernd. »Vielleicht überlegst du dir es noch.« Ich suchte schleunigst das Weite. Hinter dem nächsten Zelt sprachen mich zwei Nomaden der Sippe der Freien an. »Du willst kandidieren?« wollte der eine wissen, und der andere nickte eifrig. »Bestimmt nicht. Warum sollte ich?« »Dann weißt du es nicht«, meinte der Zweite. »Chossoph ist der einzige Kandidat. Niemand anders will sich bewerben. Das ist schade.« »Von mir aus kann er Sippenführer werden«, erklärte ich und heuchelte durch meine Gestik Desinteresse. »Weißt du, woher Chossoph kommt?« fragte der erste Nomade. Ich schüttelte den Kopf. »Das ist das eine Problem. Niemand im Lager kennt ihn. Auch bei den anderen Sippen ist er ein Fremder. Er gehört zu keinem Stamm. Er hat sich hier ein paar Freunde angeworben, aber das geschah nur, weil sie ihn fürchteten. Es geht etwas Unheimliches von ihm aus.« Das war zwar hochinteressant, aber ich behielt meine Mimik bei und sagte nur: »Auf mich wirkt er nicht. Er ist streitsüchtig und stark, aber das ist ja keine Seltenheit.«
»Du verstehst uns nicht.« Jetzt sprachen beide durcheinander. Sie waren wirklich aufgeregt. »Keiner weiß, woher Chossoph kommt und wer er ist. So einen kann man doch nicht Sippenführer werden lassen.« »Wenn er euch nicht paßt, so meldet euch bei den Stahlmännern«, meinte ich. Die Ansichten der beiden Nomaden waren erstaunlich, denn Chossoph glich von der äußerlichen Erscheinung her den Nomaden, was man von mir jedoch nicht in allen Einzelheiten behaupten konnte. »Wir dachten, du stellst dich zum Kampf. Du hast ihn doch einmal schon fast besiegt.« Das war also auch bekannt! Ich konnte es nicht ändern. »Da handelte es sich um ein Mißverständnis«, wiegelte ich ab. »Ihr müßt euch schon einen anderen Kandidaten aussuchen.« Mit diesen Worten ließ ich die beiden stehen, denn ich wollte auch nicht durch solche Kleinigkeiten in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Ich ließ den Rest des Vormittags verstreichen. Das gewohnte Bild in den Zeltdörfern änderte sich kaum. An vielen Plätzen schulten die Stahlmänner die Nomaden im Umgang mit den neuen Waffen. Das Lager der Freien Nomaden bildete hier eine Ausnahme, die ich sehr begrüßte. Hier warteten die Roboter erst die Ernennung eines neuen Sippenführers ab. Neue Trecks mit Gefangenen trafen ein. Die Prozedur der Übergabe der Priester verlief in der bekannten Form. Andere Sippen bauten ihre Zelte ab und begaben sich auf neue Raubzüge. Die Streitigkeiten unter den Nomaden der anderen Zeltlager nahmen jedoch zu. Die Stahlmänner hatten alle Hände voll zu tun. Ich versuchte, die Gründe dafür in Erfahrung zu bringen und hörte verschiedenen Gesprächen zu. Allmählich schälte sich so etwas heraus, was mich sehr interessierte. Ein Gerücht machte die Runde. Am nächsten Tag sollten angeblich die Götter im Tal erscheinen! Meine Versuche herauszufinden, woher diese Fama stammte,
verliefen ergebnislos. Etwas anderes fiel mir noch auf. Chossoph schlich auffällig oft in der Nähe unseres Zeltes herum. Wenn ich ihn ansah, feixte er und verschwand. Einmal drohte er mir mit beiden Fäusten. Dabei lachte er lautlos. Wir hatten gerade unser Mittagsmahl eingenommen (Chipol hatte ein paar Felle gegen frisches Fleisch bei der Jägersippe eingetauscht und ein paar Jaculruns draufgelegt), als ein Fanfarenstoß ertönte. Er kam aus der Richtung, wo früher Takkarats Zelt gestanden war. »Es geht los«, sagte ich. Chipol nickte und streichelte Fumsel, der auf seinen Knien lag. »Also hat Chossoph doch noch mindestens einen Mitbewerber gefunden. Gehen wir?« Ich erhob mich. Der Daila schickte die Wildkatze ins Zelt, und wir gingen. Es dauerte nicht lange, da hatten sich alle Freien Nomaden – es waren etwa 60 oder 70 – um das abgesteckte Quadrat versammelt. Einer der Stahlmänner hob seine Hand. Es kehrte Ruhe ein. »Freie Nomaden!« sprach der Stahlmann. »Es hat sich nur einer von euch für das Amt des Sippenführers beworben. Die Bewährungsfrist ist abgelaufen. Der eine ist Chossoph. Er kann sein Amt nicht antreten, weil die Götter verlangen, daß ein Kampf durchgeführt wird. Die Regeln der Götter schreiben für diesen Fall vor, daß der einzige Bewerber sich seinen Gegner selbst aussuchen darf. Die einzige Bedingung, die er einhalten muß, ist, daß sein Kontrahent vom gleichen Geschlecht ist wie er selbst.« Ein Geraune ging durch die Reihe der Versammelten. Chossoph stand mit selbstgefälligem Lächeln hinter den Stahlmännern und wartete. Der Sprecher der Stahlmänner wandte sich ihm zu. »Nenne uns den Namen deines Gegenkandidaten, Chossoph!« Er wird sich einen simplen Burschen aussuchen, meinte mein Extrasinn. So kommt er am leichtesten an die vermeintliche Macht.
Chossoph trat einen Schritt nach vorn. »Mein Gegner«, verkündete er laut, »heißt Atlan!« Ich dachte, ich höre nicht richtig. Und neben mir klatschte Chipol vor Freude in die Hände. Bewegung kam in die Nomaden, und plötzlich ruhten alle Blicke auf mir. 8. Die Stahlmänner waren bei mir, bevor mir etwas eingefallen war, um diese ungewollte Situation zu beseitigen. An eine Flucht war überhaupt nicht zu denken. Natürlich fürchtete ich mich nicht vor Chossoph. Ich würde ihn nur zu gern gewinnen lassen. Bei dem Zorn, den er gegen mich hegte, würde ein solches Ende für mich nicht gut aussehen. Und gewinnen wollte ich diesen Kampf auch nicht, denn dann hätte ich das leidige Amt des Sippenführers einnehmen müssen, was meine Pläne nur behindern würde. Die Roboter zerrten mich in das abgesteckte Quadrat. Sie tasteten meinen Körper nach irgendwelchen Waffen ab, fanden aber keine, da ich nichts dieser Art bei mir trug. Mein Zellaktivator erregte nur kurze Aufmerksamkeit, dann wurde er als Talisman eingestuft und nicht mehr beachtet. Chossoph grinste überheblich und selbstbewußt von der anderen Seite herüber. Er spannte seine Muskeln, während ihn die Stahlmänner nach Waffen absuchten, und zeigte sein Gebiß. Seine stechenden Augen funkelten noch böser als sonst, und um seine schmalen Lippen lag ein Zug von Zufriedenheit. Ich öffnete alle meine Sinne und glaubte jetzt erstmals zu spüren, daß ein geistiger Hauch von ihm zu mir herüberwehte. Waren das psionische Energien? Oder spielte ich mir selbst einen Streich in meinen unbewußten Gedanken? Etwas stimmte mit diesem Burschen nicht. Darin war ich mir nun
ganz sicher. Aber was war es? »Der Kampf«, verkündete der Sprecher der Stahlmänner laut, »wird ohne Unterbrechung geführt, bis ein Sieger feststeht. Es ist dem Sieger überlassen, was er mit dem Verlierer anstellt. Der Sieger wird Sippenführer.« Mir schmeckte das gar nicht, denn diese Regeln zwangen mich zu einer aktiven Gegenwehr. Chossoph würde keine Sekunde zögern, mich zu töten, wenn es ihm gelänge. Egal, wie der bevorstehende Kampf ausgehen würde, ich war der Gelackmeierte – wie man früher auf Terra zu sagen pflegte. Ich schenkte den umherstehenden Nomaden kaum Beachtung. Auch auf ihre Rufe hörte ich nicht. Sie feuerten mich an, noch bevor die Stahlmänner den Kampf freigegeben hatten. Chossoph besaß hier keine echten Freunde. Seine Aura weckte Furcht, und diese bewirkte Unterwürfigkeit. Eigentlich war das alles im Sinn der Roboter, denn einen so energischen und gefürchteten Führer mußten sie sich wünschen. Womöglich stellten sie sich auch noch gegen mich. In der Erfindung von kleinen und großen Lügen waren sie ja große Meister, wie die Geschehnisse um Takkarats Tod bewiesen hatten. Und von der offenen Barackentür oder von entflohenen Priestern war nichts zu hören gewesen. An die letzte Möglichkeit dachte ich auch nicht ernsthaft, denn ich kannte die anhaltende Wirkung des Aar‐Archän zur Genüge. Der Sprecher der Roboter hob einen Arm. Aus dem Hintergrund erklang wieder eine Fanfare. Sie dröhnte in meinen Ohren wie das Kreischen des Metalls eines abstürzenden Raumschiffs. Chossoph machte einen Schritt in meine Richtung. Etwas stimmt nicht, meldete sich mein Logiksektor sehr besorgt. Ich kann dir nicht sagen, was es ist, denn es handelt sich nur um indirekte Anzeichen, die von Chossoph und den Robotern ausgehen. Sei vorsichtig! Die Fanfare verstummte. Der Arm des Stahlmanns sank nach unten, und seine Stimme erschallte: »Der Entscheidungskampf beginnt!«
Ich blieb stehen und wartete auf die Reaktionen oder Maßnahmen meines Gegners. Ausgerechnet in diesem Moment drängte sich die Erinnerung an den seltsamen Traum nach der Stampede in mein Bewußtsein. »Das Bekannte, das ich nicht erkannte!« Sollte das etwas mit Chossoph zu tun haben? Dafür gab es keinen Hinweis. Mein Gegner holte zu einem gewaltigen Faustschlag aus, aber ich duckte mich und wich zur Seite aus. Es mußte aber eine Beziehung zwischen meinen unbewußten Ahnungen geben und dem, was hier geschah. Eigentlich konnte das nur mit den »Göttern« zu tun haben. Hatte mich das Gerücht angesteckt, das seit einiger Zeit hier die Runde machte? »Du bist eben doch ein Feigling« schrie mich Chossoph an. Seine Fäuste wirbelten durch die Luft, aber sie trafen mich nicht. Es gab keine Götter. Nur der Erleuchtete aus Alkordoom konnte sich hinter dem Übel verbergen, das hier geschah. Daran zweifelte ich nicht. Auch die Einwendungen des skeptischen Extrasinns änderten nichts daran. Die Freien Nomaden brachen in ein wildes Gejohle aus, als auch der nächste Angriffsversuch Chossophs wirkungslos verpuffte. Der Wüterich prallte gegen einen Begrenzungsmast. Als er zurücktaumelte, stolperte er über mein Bein und fiel hin. Oder hatte der Erleuchtete mit der Szene Cairon nur ein gewaltiges Spektakel aufgebaut, das mich von seinem wahren Aufenthaltsort und seinen Aktivitäten ablenken sollte? Kannte er mich so gut, daß er wußte, daß ich die armen Kerle von Bathrern, Nomaden und sonstigen Caironern nicht im Stich lassen würde? Sollte ich mich hier verzetteln, während er ungestört an EVOLO bastelte und die unabschätzbare Gefahr immer mehr wuchs? Chossoph bewies seine Wendigkeit, denn er war schneller auf den Beinen, als ich es vermutet hatte. Das konnte nicht stimmen! Die Priester, die ganz eindeutig über psionische Fähigkeiten verfügten, waren das oberste Ziel aller Aktionen der Stahlmänner. Der Traum mußte eine verrückte
Siegelung sein. Die Geschichte mit den Psi‐Potentialen kannte ich gut genug aus Alkordoom. Ich blockte auch den nächsten Angriff erfolgreich ab. Die Anfeuerungsrufe der Zuschauer dröhnten in meinen Ohren, aber ich ignorierte sie. Mit einem raschen Seitenblick vergewisserte ich mich über das Verhalten der Stahlmänner. Sie standen starr da und schienen keine Ambitionen zu haben, sich einzumischen. Es mußten inzwischen an die tausend Priester in den Baracken sein. Von dort war praktisch nichts zu hören. Die Nomaden sprachen kaum darüber. Gelegentlich stritten sie sich, wer die größere Beute für die Götter erzielt hatte, aber mit dem Zweck der Gefangennahme setzte sich keiner auseinander. Chossophs folgende Attacke zeigte eine Änderung seiner Taktik. Er versuchte mehr und mehr, in meine Nähe zu gelangen. Was er sich davon versprach, war mir ein Rätsel. Takkarat hatte das bestimmt getan, aber er lebte nicht mehr. Er war eine Ausnahme gewesen. Ich hatte nichts von ihm über die geheimnisvolle Sänfte der Götter erfahren, weil wir einfach keine Gelegenheit mehr gehabt hatten, miteinander zu sprechen. Sein Opfertod verpflichtete mich in einer Beziehung mehr etwas gegen den Frevel, der hier geschah, zu tun, als es der Auftrag der Kosmokraten war, der längst mein eigener Auftrag war. Chipols Gejohle übertraf noch die Stimmen der Nomaden. Diese stachelten ihn aber noch an. Ich blieb aufmerksam, als Chossoph sich auf mich warf und beide Arme um meine Brust schlang. Eine wirkliche Gefahr bestand für mich nicht. Sei vorsichtig, warnte der Logiksektor erneut. Und beende deine Grübeleien, die dich nur ablenken! Ich fühlte mich nicht nur als Herr der Situation. Ich war es auch. Ganz bewußt ließ ich mich von Chossoph umreißen. Wir stürzten beide in den staubigen Boden. Wieder blockte ich einen Faustschlag in mein Gesicht ab. Dabei bekam ich einen seiner Arme zu fassen. Ich riß ihn herunter, so daß ich auf dem Nomaden (war er wirklich
einer?) hockte. Ich erwartete die Gegenaktion, und sie kam. Wenn die Götter, die vermeintlichen Götter, wirklich in nächster Zeit kommen würden, würde ich sie sehen. Ihn sehen, den Erleuchteten! Chossoph nutzte den Schwung, den ich ihm verpaßte, geschickt aus. Der Sand wirbelte auf, als wir erneut auf den Boden prallten. Diesmal war er oben. Seine linke Hand preßte sich auf meine Kehle. Ich packte sein Handgelenk und wehrte den Druck ab. Mit der anderen Hand faßte ich nach seiner Bekleidung, um ihn zur Seite zu reißen. Ich kam nicht dazu. Seine freie Hand ballte sich zu einer Faust und schlug auf meine Brust ein. Die Bewegung war schnell, aber nicht so schnell, daß ich den Schlag nicht verkraftet hätte. Ich spürte einen stechenden Schmerz, der mir fast die Sinne raubte. Er hat dir ein Messer in die Brust gestoßen! schrie der Extrasinn. Ich hatte nur die Faust gesehen. Da war kein Messer gewesen. Mit einer letzten Kraftanstrengung zog ich meine Beine an und streckte sie dann ruckartig aus. Chossoph wurde zur Seite geschleudert, aber er landete geschickt auf seinen Beinen. Ich sah seine leeren Hände und das Blut, das durch das Fell auf meiner rechten Brustseite drang. Die Kraft, um noch einmal aufzustehen, besaß ich nicht. Die Schmerzen tobten in mir und brachten mich an den Rand der Besinnungslosigkeit. »Nun werde ich dich töten, Atlan!« schrie er. »Ich bin der Sieger, und ich habe die freie Entscheidung über dein Schicksal.« Chipol stand plötzlich vor mir. Er sagte etwas zu Chossoph, was ich nicht verstand. Meine Sinne waren zu benommen. Ein Bild aus der fernen Vergangenheit tauchte vor mir auf, der Kampf mit Perry Rhodan, den ich auch verloren hatte. »Es ist mir egal, wie er stirbt«, hörte ich Chossoph. »An Kindern vergreife ich mich nicht. Ich bin der neue Sippenführer, und ich kann über euch bestimmen.« Meine Augen fielen einfach zu. Ich hörte noch, wie die Nomaden
in ihrer Meinung umschwenkten und dem Sieger zujubelten. Danach reagierte ich nur noch auf Chipols Worte. Der Daila half mir in die Höhe. Er stützte mich auf dem Weg zu unserem Zelt. Ich hielt die Hand auf die blutende Brustwunde, die mir unerklärlich war. Dann lag ich endlich auf den Fellen. Fumsel schlich wie ein begossener Pudel um mich herum. »Das kommt wieder in Ordnung«, tröstete ich Chipol und die Wildkatze. Dabei verließ ich mich auf den Zellaktivator, der die Heilung der Wunde beschleunigen würde. »Ruh dich aus«, sagte der Daila. »Ich versorge die Wunde.« Ich schloß die Augen. * Als ich erwachte, war ich allein im Zelt. Von Chipol und der Katze gab es keine Spur. Draußen war es noch hell, also dauerte der Tag noch an. Ich schätzte, daß es später Nachmittag war. Ich wollte mich erheben, aber die Schmerzen in meiner rechten Brustseite tobten noch immer. Nur ganz langsam kam ich nach oben. Ich kroch auf den Eingang des Zeltes zu und schlug das lose Fell zurück. Vor meinen Augen sah ich die ehernen Füße eines Stahlmanns. Mein Blick ging nach oben. »Du brauchst an den Schulungskämpfen nicht teilzunehmen«, sagte der Roboter, »bevor du nicht gesund bist.« »Was ist mit Chipol? Wo steckt er?« Mir fielen die Worte noch sehr schwer. »Der Junge braucht nicht zu kämpfen.« Diese Antwort beruhigte mich etwas. Der Stahlmann bewegte sich fort, und ich kroch ins Zelt zurück. Der Zellaktivator pulsierte ruhiger. Ich spürte ihn kaum noch. Das war ein sicheres Zeichen, daß die Heilung schnelle Fortschritte machte. Ich suchte noch immer nach einer Erklärung, wie Chossoph mir
diese Verletzung hatte beibringen können. Seine Hand war leer gewesen, als sie auf meine Brust niedersauste. Das hatte ich genau gesehen. Woher rührte dann aber die tiefe Stichwunde? Eine Antwort fand ich nicht. Allmählich fühlte ich mich besser. Ich verließ das Zelt. Das Lagerfeuer war fast völlig heruntergebrannt. Ich schob die Glut zusammen und legte etwas Reisig und ein paar Stücke Holz nach. Das Feuer fand wieder neue Nahrung. Die Wärme tat mir gut. Es war kurz vor dem Einbruch der Dunkelheit. Das Treiben im Tal der Götter entsprach den Verhältnissen, die ich nun zur Genüge kannte. Ich machte mir Sorgen um meinen jungen Freund. Fumsel tauchte zwischen meinen Füßen auf. Seine Reaktionen verrieten Freude. Wenn er da war, konnte Chipol auch nicht mehr weit entfernt sein. Der Daila kam angerannt. »Ich war die ganze Zeit über hier« rief er mir zu und hechtete ins Zelt. Ich verstand erst, worum es gehen konnte, als Chossoph in Begleitung von zwei mir unbekannten Nomaden auftauchte. Die beiden nicht weniger finsteren Gestalten stellten sich links und rechts hinter dem neuen Sippenführer auf. »Hast du den Bengel gesehen«, fragte Chossoph scharf, »dem du den Rest deines Lebens zu verdanken hast?« »Er schläft seit langem.« Ich deutete mit einer Hand auf das Zelt und stocherte mit der anderen im Feuerholz herum. »Du hast dich schnell erholt«, stellte Chossoph fest. »Hab ich nicht.« Einer der Begleiter des Sippenführers schlug die Decke am Eingang des Zeltes zurück und schaute hinein. Dann nickte er Chossoph zu. »Dann war es jemand anders«, meinte der Nomade. »Euer Glück. Wenn du morgen fit bist, verlange ich von dir, daß du dich an den Schulungen beteiligst.« »Bin nicht fit«, antwortete ich leise. Chossoph winkte seinen Begleitern, die er wohl zu Adjutanten
gemacht hatte, zu und ging seines Weges. Ich wartete noch eine Weile, bevor ich den Jungen rief. Vorsichtig streckte der seinen Kopf aus dem Zelt. Als er sah, daß ich allein war, kam er ganz heraus und hockte sich mit schuldbewußtem Gesicht zu mir. Auch Fumsel kroch aus irgendeiner Ecke hervor und legte sich zwischen uns. »Also«, sagte ich. »Was?« »Was hast du angestellt?« »Deine Wunde stammt von einem Dolch.« Chipol wand sich wie ein Aal. »Ich habe aber keinen gesehen, als Chossoph mit dir kämpfte.« »Ich auch nicht«, antwortete ich. »Weiter!« »Ich habe deine Wunde versorgt.« »Weiche nicht vom Thema ab. Was hast du gemacht? Wo bist du gewesen?« »In Chossophs Zelt.« Plötzlich sprudelte er die Worte heraus. »Ich war neugierig und leichtsinnig, das gebe ich zu. Du mußtest aber ruhen, also mußte ich Nachforschungen anstellen. Ich habe seine Sachen untersucht. Zuerst fand ich nichts Besonders. Chossoph ist ein normaler Nomade, auch wenn keiner weiß, von welchem Stamm er kommt. Dann fand ich den Geisterdolch. Er war warm.« »Wie bitte?« »Er besitzt den Dolch, den du den Stahlmännern übergeben hast«, behauptete der Junge. »Ich habe ihn gesehen. Ich habe auch gesehen, daß der Geisterdolch unsichtbar werden kann. Verstehen kann ich das alles natürlich nicht. Da mußt du deinen Verstand bemühen. Ich meine aber, daß Chossoph dich mit diesem Dolch – als er unsichtbar war – in die Brust getroffen hat.« »Wo ist der Dolch jetzt?« »In Chossophs Zelt. Ich habe mich nicht getraut, ihn anzufassen. Und dann hörte ich Stimmen und mußte verschwinden.« Ich hatte eigentlich keinen Grund, an den Worten des Daila zu zweifeln, aber dennoch erschien mir seine Erzählung reichlich
unglaublich. »Du hast Glück gehabt«, sagte ich. »Ich hätte dir nicht helfen können. Es wäre besser gewesen, wenn du vorher mit mir gesprochen hättest. Ich möchte gern wissen, wo du steckst, sonst nimmt das ein böses Ende.« »Ich konnte nicht mit dir reden«, erklärte er treuherzig. »Du hast ja geschlafen.« »Bist du sicher« wollte ich noch wissen, »daß es genau der Dolch war, den ich den Stahlmännern gegeben habe?« »Ganz sicher«, behauptete Chipol. An diesem Abend legte ich mich früh zur Ruhe. Ein Ausflug in der Nacht kam nicht in Frage. Ich fühlte mich noch zu schwach. Auch Chipol war müde. Ich sah es ihm an. Nach einer kleinen Mahlzeit kroch er zuerst ins Zelt. Fumsel blieb noch bei mir, aber als ich mich erhob und die Eingangsdecke hochschlug, verschwand er mit einem Satz in Chipols Richtung. Bevor ich das Zelt schloß, sah ich Chossoph in der hereinbrechenden Dämmerung stehen. Seine Augen brannten wie das glühende Holz unseres herabbrennenden Lagerfeuers. Die Schmerzen in der Brust hatten nachgelassen. Ich schlief schnell ein und träumte nichts. 9. Die gespannte Lage in den Zeltdörfern hielt auch am nächsten Tag an. Im Lager der Freien Nomaden begannen nun auch wieder die Schulungskämpfe an den neuen Waffen. Ich mimte den Verwundeten, obwohl die Wirkung des Zellaktivators die Wunde schon fast völlig verschlossen hatte. Die Stahlmänner, die zur Inspizierung an unserer Unterkunft vorbeikamen, nahmen mir meine Lüge ab. An dem Platz, an dem der Zweikampf zwischen Chossoph und
mir stattgefunden hatte, richteten die Stahlmänner ein Schulungszentrum ein. Ich beobachtete die Aktivitäten aus sicherer Entfernung. Auch Chossoph war da. Er spielte sich bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund. Manchmal wurde er dabei sogar den Stahlmännern lästig, die ihn einige Male abweisen mußten. Der neue Sippenführer lenkte dann schnell ein. Bei einer solchen Gelegenheit verließ Chossoph die Ausbildungsstätte und kam direkt auf mich zu. Ich wartete, bis er mich sehen mußte. »Ich möchte dich etwas fragen«, sagte ich ohne Begrüßung. Er zuckte kaum merklich zusammen. »Was willst du?« kam die schroffe Gegenfrage. »Wenn du dich schon wieder fit fühlst, dann geh zu den anderen und lasse dich ausbilden.« »Wer bist du?« fragte ich. Der Sippenführer fühlte sich sicher, wie sein Lächeln bewies. »Das solltest du wissen. Ich bin dein Chef.« »Woher kommst du? Du gehörst keinem Nomadenstamm an. Bist du einer aus der Priesterkaste oder ein Händler?« »Du bist verrückt.« Er lachte. »Mein Sieg über dich scheint deinem Kopf nicht gut bekommen zu sein. Wenn du mich beleidigen willst, so sollst du wissen, daß ich dich jederzeit töten kann.« »Mit dem unsichtbaren Geisterdolch?« Er verzog keine Miene in seinem grimmigen Gesicht. »Wovon redest du da?« »Oder machst du das mit der Psi‐Kraft deines Bewußtseins?« provozierte ich ihn weiter. »Leg dich in dein Zelt, und werde gesund.« Er drehte sich zur Seite, um seinen Weg fortzusetzen. »Wir können jeden Mann brauchen, der sich mit den neuen Waffen auskennt.« »Ich kenne all diese Waffen«, behauptete ich. »Die Ausbildung interessiert mich nicht. Du interessierst mich. Wer bist du wirklich?« Für einen Sekundenbruchteil hatte ich das Gefühl, daß eine
geistige Haßwelle auf mich einströmte. Es konnte aber auch eine Täuschung sein. Chossoph begab sich zurück zu den Stahlmännern. Vom Ausbildungsplatz her ertönten die ersten Schüsse und Detonationen. Ich folgte dem Sippenführer. Die Stahlmänner brüllten ihre. Anweisungen, aber plötzlich herrschte Stille. Keiner der Roboter bewegte sich mehr. Ich eilte schnell weiter, denn hier mußte etwas Ungewöhnliches geschehen sein. Die Nomaden starrten mit fragenden Blicken auf die Roboter. Chossoph sprach einen an, aber der stand da wie eine eherne Statue. Auch als der Nomade an ihm rüttelte, geschah nichts. Ich sah hinüber zu den anderen Lagern. Dort bot sich mir das gleiche Bild. Die Stahlmänner waren erstarrt, und die Nomaden spielten verrückt. Einige wirkten fast hilflos. Die gespenstische Szene dauerte etwa eine halbe Minute, dann regten sich die Roboter. »Die Ausbildung ist für heute beendet«, erklärte einer. »Bringt eure Waffen in die Zelte und holt sie heute nicht mehr hervor.« Ohne eine weitere Erklärung rannten sie mit höchster Geschwindigkeit in Richtung ihrer Unterkünfte davon. Die Nomaden blickten sich ratlos an, bis Chossoph dafür sorgte, daß sie die Anweisung der Stahlmänner befolgten. Mit schleppenden Schritten begaben sie sich zu ihren Zelten. In den anderen Lagern sah ich ähnliche Bilder. Ich ging zu Chossoph. »Meine Fragen hast du nicht beantwortet, Sippenführer«, erklärte ich bedauernd. »Vielleicht wirst du mir aber sagen, was das jetzt zu bedeuten hat.« »Ich weiß es nicht«, gab er überraschend zu. »Vielleicht …« Er brach ab und deutete in Richtung meines Zeltes. »Verschwinde endlich! Du hast gehört, was die Stahlmänner verlangt haben.« »Ich trage keine Waffen bei mir«, entgegnete ich. »Also habe ich nichts zu befolgen, was die Stahlmänner gesagt haben.«
Er wollte aufbrausen, aber in diesem Moment erklang ein vielfacher Fanfarenklang vom Ort der Götter. Er brach ab, und eine laute Stimme schallte durch das Tal: »Nomaden, Kämpfer, tapfere Krieger! Eure Taten und euer geduldiges Warten werden nun belohnt. Noch heute werden die Götter erscheinen. Jubelt! Es ist der Tag eures Glücks.« Tatsächlich brachen viele Nomaden in Jubelrufe aus. Ich machte mir ein etwas anderes Bild als diese. Das plötzliche Erstarren der Stahlmänner konnte nur bedeuten, daß sie alle gemeinschaftlich auf dem Funk weg eine wichtige Botschaft erhalten hatten. Was der Inhalt dieser Nachricht gewesen war, hatten die Roboter nun mitgeteilt. Ich eilte zurück zu Chipol, der mich schon sehnsüchtig erwartete. »Endlich tut sich etwas.« Er freute sich offensichtlich. »Nur mit der Ruhe, mein Freund«, erwiderte ich. »Wir wissen nicht genau, wer diese Götter sind. Sie könnten uns aber gefährlich werden.« »Das macht nichts.« Er ballte seine kleinen Hände zu Fäusten. »Ich nehme an, daß es die sind, die für das Verschwinden meiner Angehörigen verantwortlich sind.« »Vielleicht, Chipol. Wir dürfen nichts überstürzen. Zügle also deine Neugier und deine Rachegelüste.« Er nickte, aber ich hatte das Gefühl, daß er gar nicht zugehört hatte. In seinen dunklen Augen funkelte es wild. Wir begaben uns auf eine Anhöhe in der Nähe unseres Zeltes. Von dort konnten wir beobachten, was im Tal der Götter geschah. In den Zeltdörfern der Nomaden herrschte eine außergewöhnliche Ruhe. Die Ankündigung der Roboter hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Die ewigen Streitereien waren vergessen. Jeder räumte seine Habseligkeiten in sein Zelt und war darüber hinaus bemüht, alles in einen ordentlichen Zustand zu versetzen. Ein Teil der Stahlmänner vor den künstlichen Bauten war verschwunden. Ob sie in die Gebäude gegangen waren oder an
einen anderen Ort, ließ sich nicht sagen. Die verbliebenen Roboter stellten sich in zwei Reihen auf, die eine breite Gasse ließen. Das Spalier reichte vom Kuppelbau bis zu den ersten Zeltdörfern. Wenig später erklangen wieder Fanfaren. Ich erwartete die Landung eines Raumschiffs, denn das würde in das bisherige Bild passen. Meine Augen suchten den Himmel über Cairon ab, aber ich entdeckte nichts! Da kniff Chipol meinen Arm und deutete auf den Eingang des Tales. Zuerst sah ich nur eine graue Dunstwolke von gewaltigen Ausmaßen. Das mysteriöse Gebilde war etwa einhundert Meter lang und auch fast so breit. Es hatte die Form einer abgeflachten Halbkugel mit einer Höhe von etwa dreißig Metern. Die Bodenfläche bewegte sich dicht über der Grasnarbe am Taleingang. Aus dem Innern der Wolke erstrahlte allmählich ein schwaches, rötliches Licht, als ob dort eine Flamme entzündet wurde. Leise Klänge drangen an meine Ohren. Sie schwollen schnell zu größerer Lautstärke an. Damit schälte sich auch eine Melodie heraus, die in ihrem Grundprinzip den Fanfarenklängen der Stahlmänner glich. Die Wolke begann sich an ihren Rändern zu verflüchtigen, je näher sie kam. Aus dem von roten Strahlen durchsetzten Grau formten sich dunkle Gestalten, die den Kern der Wolke kreisförmig umgaben: eine Vielzahl von Stahlmännern, die mit gravitätischen Schritten das Innere begleiteten. Längst hatte der seltsame Zug alle Nomaden in ihren Bann geschlagen. Auf die Klänge der Fanfaren reagierten die Bewohner des Tales ohnehin mit hypnoseähnlichem Verhalten. Die Nomaden strömten aus ihren Zeltdörfern hinab zum großen, namenlosen Fluß. Dort stellten sie sich entlang des breiten Trampelpfads in geordnetem Spalier auf. Der Weg der Wolke war erkennbar. Er führte durch die Nomadensiedlungen hin zum Spalier der Stahlmänner vor dem Kuppelbau. Auch unser Zeltdorf leerte sich rasch. Jeder wollte die ankommenden Götter aus der Nähe sehen. Da ich von unserem
Platz aus alles gut verfolgen konnte, beschloß ich, mich nicht diesem Zug anzuschließen. Die Gefahr, dadurch die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, war gering, denn die Stahlmänner wußten ja, daß ich schwer verletzt war. Zumindest mußten sie das annehmen. In Wirklichkeit spürte ich keine Folgen des seltsamen »Dolchstoßes« mehr. Ich drückte Chipol sanft, aber energisch wieder in die Hocke, als dieser aufspringen wollte, um den Nomaden zu folgen. Das pathetische Gehabe der Roboter wirkte fast lächerlich. Es war der typische Mummenschanz, mit dem man einfache Völker begeistern und lenken konnte, also ein Teil des Planes der »Götter«. Der Zug bewegte sich sehr langsam. Ich konnte abschätzen, daß noch etwa eine Viertelstunde vergehen würde, bevor er vor dem Kuppelbau angekommen sein würde. »Ich bin gleich zurück«, sagte ich zu dem Daila und stand auf. Er blickte mich fragend an. »Ich möchte nur etwas nachsehen.« Der Weg zum Ausbildungsplatz war kurz. Dort hatte auch Chossoph nun sein Zelt aufgeschlagen. Ich schlich mich leise von der Rückseite heran und warf einen Blick durch einen Spalt. Meine Vermutung wurde bestätigt. Der neue Sippenführer war ebenfalls nicht zum Empfang der Götter gegangen. Er kniete in seinem Zelt und bewegte sich nicht. Sein Kopf lag in den Händen. Er meditierte. Oder er machte etwas Ähnliches. Unbemerkt gelangte ich zu Chipol zurück. Die Wolke hatte inzwischen ein weiteres Stück des Weges zurückgelegt. Und sie hatte sich verändert. Die grauen Schwaden hatten sich fast vollständig verflüchtigt. Auch der rötliche Schimmer, dessen Quelle ich nicht feststellen konnte, löste sich auf. Die Stahlmänner schritten aber noch immer* mit stolzierenden Gesten einher, und die eindringlichen Klänge waren etwas lauter geworden. Ein großer Schatten wurde im Innern der Wolke sichtbar. Noch waren die Umrisse zu undeutlich, um etwas Konkretes sagen zu können. Ich erkannte aber weitere Stahlmänner in einer Linie, die dicht vor einem großen Kasten schritten. Die Musik klang in einer
wilden Dissonanz aus, die auch mich seltsam berührte. Die letzten Reste der grauen Dunstwolke und des rötlichen Schimmers verschwanden. Die »Götter« zeigten sich in der Form einer riesigen Sänfte, die rundum mit bunten Tüchern behangen war und keinen Einblick ins Innere erlaubte. Zu beiden Seiten des etwa dreißig mal dreißig Meter großen Kastens schritten zwei Reihen von Trägern, alles Stahlmänner in der bekannten hominiden Form. Hinter der Prozession, die etwas Feierliches, aber auch – insbesondere für mich – etwas Lächerliches an sich hatte, drängten sich die Nomaden zusammen und folgten ihr in gebührendem Abstand. Viele hielten die Hände in die Höhe und zeigten so ihre Unterwürfigkeit und Ergebenheit. Einige Nomaden, deren Begeisterung regelrecht überschwappte, wollten die Phalanx der umgebenden Stahlmänner durchbrechen und zur Sänfte vordringen. Die Roboter reagierten ungewöhnlich hart. Sie setzten zwar keine Waffen ein, aber sie packten diese Nomaden und schleuderten sie in hohem Bogen in die Masse des folgenden Zuges. Dort stimmten die Nomaden wieder einen wortlosen Gesang an. Sie schaukelten sich selbst in einen tranceähnlichen Zustand. Damit kehrte auch wieder Ruhe ein. Die Prozession erreichte den großen Platz vor den künstlichen Bauten. Die dort postierten Stahlmänner drängten die Nomaden ab, so daß die Sänfte ungehindert das Portal vor dem Kuppelbau erreichte. Die Nomaden formierten sich zu einem Halbkreis. Keinem wurde es gestattet, näher an die geheimnisvolle Sänfte zu gelangen. Takkarats Worte fielen mir wieder ein. Er hatte von einer Sänfte im Zusammenhang mit den Göttern gesprochen. Leider hatten wir nicht mehr ausführlich darüber sprechen können. Da der alte Sippenführer aber davon gewußt hatte, war klar, daß sich dieses Schauspiel nicht zum ersten Mal ereignete. Das dunkle Loch des Portals gähnte weit. Unter dem ausbrechenden Jubel der Nomaden, der die neuerlichen Fanfarenklänge übertönte, trugen die Stahlmänner die Sänfte in den
Kuppelbau. Die Roboter warteten, bis sich mit einem lauten Schlag die Tore geschlossen hatten. Dann drängten sie die anstürmenden Nomaden noch weiter zurück. Es entstand ein kurzzeitiges Gerangel, dann trolltenʹ sich die Massen. Als ich einen kurzen Blick zur Seite warf, entdeckte ich Chossoph, der zwischen den Zelten stand und mit unbewegter Miene das Geschehen verfolgte. Bei den Stahlmännern entstand neue Bewegung. Sie schritten in kleinen Gruppen zu den Baracken, in denen die Priester untergebracht waren. Die Türen wurden geöffnet. Die Gefangenen strömten heraus. Die Stahlmänner bemühten sich, die Priester und Priesterschüler zu Gruppen von etwa zehn Personen zu formieren, aber das gelang nicht so recht. Die Bathrer waren aufgebracht. Einige widersetzten sich mit bloßen Fausthieben den Anweisungen der Roboter. Andere versuchten zu fliehen. Laute und wütende Schreie drangen an meine Ohren. Da war von »falschen Göttern«, »Frevlern an der Harmonie« und der »Rache des Großen Geistes« die Rede. Die Stahlmänner hatten alle Hände voll zu tun, um die aufgebrachten Gefangenen zur Ruhe zu bringen. Diese hatten mit ihren Möglichkeiten keine Chance, etwas am unabwendbaren Geschehen zu ändern. Eine Gruppe der Priester setzte ihre hypnotischen Psi‐Kräfte ein und hetzte zuschauende Nomaden auf die sich wehrenden Stahlmänner. Der plötzliche Umschwung im Verhalten der bathrischen Priester war eigentlich nur so zu erklären, daß diese bislang unter Medikamenten oder Drogen gestanden waren. Und jetzt, wo die Götter gekommen waren, wurde darauf verzichtet. Da mußte ein tieferer Sinn dahinterstecken. Ich vermutete, daß es etwas mit der Abgabe der Wahakús an den Erleuchteten zu tun hatte. Daß der Extrasinn gegen diesen Verdacht protestierte, wunderte mich nicht. Ich ging nicht darauf ein. Schließlich hüllten sich die Roboter in schimmernde
Schutzschirme, was bei den Nomaden, die alles aus sicherer Entfernung beobachteten, erregte Rufe auslöste. Die Bemühungen der psi‐begabten Priester stießen damit aber auf eine Grenze, die sie nicht überwinden konnten. Die erste Gruppe der Gefangenen erreichte das Portal des Kuppelbaus. Weitere Gruppen, alle eng bewacht von den Stahlmännern, formierten sich dahinter. Allmählich leerten sich alle Baracken. Ich schätzte die Zahl der Priester ab. Es mochten etwa tausend sein. Die meisten verhielten sich jetzt ruhig. Einige wirkten noch etwas benommen, andere waren einfach niedergeschlagen und fügten sich in das Schicksal, das ihnen unabwendbar erscheinen mußte, und wieder andere sahen wohl aus Vernunft ein, daß jeder Widerstand zwecklos war. Die Aufsässigen waren energisch belehrt worden. Die erste Gruppe der Gefangenen wurde in den Kuppelbau geführt. Kurz danach folgten weitere. Die Stahlmänner, die sie begleiteten, kehrten sofort wieder um, als sie die Priester durch die bewußte kleine Tür geschoben hatten, durch die ich auch gegangen war. Sie halfen den anderen Robotern, weitere Gruppen von Priestern zu formieren. Im Innern des Kuppelbaus war die Anwesenheit der Stahlmänner also nicht erforderlich, überlegte ich. Oder es befanden sich dort bereits Roboter, die die Gefangenen weiterleiteten. In mir keimte der Verdacht auf, daß die Sänfte nichts weiter war, als ein Transmitter, der die Priester an einen anderen Ort abstrahlte. Das ganze Gehabe deutete daraufhin, die Gruppenbildung und das rasche Einschleusen. Mir gefiel das nicht, denn noch hoffte ich, den Erleuchteten selbst oder deutlichere Anzeichen seines Wirkens in der Sänfte zu entdecken. Du willst also wieder in den Kuppelbau? spottete der Logiksektor. Warum springst du nicht gleich in einen Vulkan? Sein Sarkasmus traf mich nicht. Ich wußte, was ich wollte. So beschränkte ich mich auf weitere Beobachtungen und verzichtete
auf die wenig erfolgversprechende Diskussion mit meinem zweiten Ich. Sehr bald mußte ich einsehen, daß meine Spekulationen nicht nur sehr falsch gewesen waren. Ich erkannte auch, daß die Zusammenhänge ganz andere seift mußten. Die erste Gruppe der Priester verließ nämlich schon sehr bald wieder den Kuppelbau. Eine zweite Tür im Portal hatte sich geöffnet, die mir bislang unbekannt gewesen war. Und noch etwas versetzte mich in Erstaunen. Die Stahlmänner kümmerten sich kaum um diese Priester. Sie wiesen ihnen lediglich den Weg. Die Metallarme deuteten in Richtung der abseits stehenden Nomaden und der Zeltdörfer. Ohne Begleitung der Roboter schritten diese Bathrer friedlich und lammfromm zu den anderen Bewohnern Cairons und mischten sich unter sie. Nirgendwo erkannte ich auch nur den Ansatz für einen Fluchtversuch oder ein Auflehnen oder einen Widerspruch. Für die Stahlmänner schien dieses Verhalten ganz selbstverständlich zu sein. »Sie wurden ihres Psi‐Potentials beraubt«, stellte ich laut fest. »Wie konnte das so schnell geschehen? Sie erinnern mich an die erbarmungswürdigen Völker, die ich in der Sonnensteppe von Alkordoom kennengelernt hatte.« Diesmal widersprach mir der Extrasinn nicht. Keine Stunde später war alles zu Ende. Sämtliche Priester und Priesterschüler hatten den Kuppelbau besucht, und danach waren sie entweder in die nun nicht mehr verschlossenen Baracken oder zu den Nomaden zurückgekehrt. Bathrer und Nomaden vermischten sich in friedlicher Eintracht. Entführer und Entführte sprachen miteinander, als sei nichts geschehen oder als empfänden alle tiefe Ehrfurcht vor den Göttern. Die Priester sammelten sich dann an eigenen Plätzen, als bildeten sie eine eigene Sippe im Tal der Götter. Während sich einige um die Belange des täglichen Lebens kümmerten und dabei von den
Stahlmännern unterstützt wurden, sonderten sich die Älteren weiter ab und begannen zu meditieren oder zu beten. »Ich muß wissen, was da geschehen ist, Chipol.« Ich erhob mich. »Du bleibst mit Fumsel hier beim Zelt und bei den Tieren. Bitte keine Extratouren.« Der Daila nickte brav, und ich hoffte, daß er es auch so meinte. Ich suchte zunächst ein Zeltlager auf, in dem noch einige Priester mit den Nomaden sprachen. Niemand nahm an meiner Anwesenheit Anstoß. Die Gespräche, die ich unauffällig belauschte, waren ganz harmlos. Die Götter wurden gelobt, und die Nomaden gaben bereitwillig Auskünfte zu verschiedenen Fragen, die die Nahrungsversorgung, die Orte, an denen es trinkbares Wasser gab, und andere Dinge mehr betrafen. Waren diese Fragen beantwortet, so zogen sich die Priester wieder zurück. Ich sprach einen von ihnen an. »Kann ich dir helfen, mein Freund? Ich habe Zeit. Wie geht es dir und den Deinen?« »Danke«, lautete die freundliche Antwort. »Es ist alles in bester Ordnung.« »Wie war es im Kuppelbau bei den Göttern?« Ich ging nun den direkten Weg, um etwas über das undurchsichtige Geschehen zu erfahren. »Angenehm«, antwortete der Bathrer. »Sehr angenehm.« »Kannst du mir das nicht näher erklären? Ich bin gern bereit, dich gebührend zu entschädigen.« »Wenn du die Erkenntnisse um die wahren Geister besitzen würdest, Nomade, würdest du mir ein solches Angebot gar nicht machen.« Der Bathrer wirkte belustigt, blieb aber freundlich. »Wie sehen die Götter aus? Ich muß es wissen«, drängte ich weiter. Der Priester schüttelte fast mitleidig seinen Kopf. »Bilder sind ohne Bedeutung, wenn du vom Geist ergriffen wirst. Die Seele des Wesens besitzt keinen Körper, denn die sterbliche Hülle ist ein
Zwischenstadium auf dem Weg zur wahren Erkenntnis.« Ich gab es auf. Von diesem Mann würde ich keine konkrete Antwort bekommen. Auch meine Versuche, von anderen Priestern etwas zu erfahren, scheiterten zur Gänze. Ich erhielt stets nur vage und ausweichende Antworten. Entweder konnten die Bathrer nichts sagen, weil sie nichts wußten, oder sie wollten einfach nicht. Ansonsten wirkten sie aber ganz normal und geistig stabil. Ob sie ihr Wahakú verloren hatten, konnte ich nicht feststellen. Schließlich besuchte ich direkt eins der Lager der Priester. Die meisten von ihnen meditierten in gebückter Haltung. Und dort, wo noch diskutiert wurde, bewegten sich die Themen um tiefsinnige und für mich letztlich unverständliche Dinge religiösen Inhalts. Andere ergingen sich in Monologen über die Gnade der Götter, aber auch daraus konnte ich keine konkreten Hinweise entnehmen. Auf dem Rückweg zu Chipol traf ich auf eine Gruppe von Priesterschülern, die sich weniger verschlossen präsentierten. Sie führten Übungen in der Schulung ihrer emphatischen oder hypnotischen Psi‐Fähigkeiten durch. Ich beobachtete die Jugendlichen eine Weile, dann stand für mich endgültig fest, daß ich einem weiteren Irrtum unterlag. Sowohl die Priester als auch ihr Nachwuchs verfügten noch uneingeschränkt über das Wahakú! Von einer Entfernung des Psi‐ Potentials konnte keine Rede sein! Ich habe es dir immer gesagt, meldete sich der Extrasinn. Du gehst von falschen Voraussetzungen aus. Du erwartest die direkte Gegenwart des Erleuchteten von Alkordoom, aber was hier wirklich ist, weißt du nicht! Und was ist das? fragte ich gedanklich zurück. Ich weiß es auch nicht. 10. Die abendliche Dämmerung senkte sich über das Tal der Götter.
Chipol und ich hockten an unserem Lagerfeuer und nahmen eine Mahlzeit ein. Von Chossoph war schon seit Stunden nichts zu sehen gewesen. Ich war ganz froh, daß er nicht auftauchte, zumal das auch Chipols Aggressivität eindämmte. Die Stahlmänner kündigten mit einer Fanfare eine neue Mitteilung an, die laut über das Tal erschallte. »Nomaden, Krieger, tapfere Kämpfer! Wir wissen, daß auch ihr die Götter sehen und besuchen wollt. Aber ihr müßt euch noch gedulden. Vielen von euch mag das nicht gefallen, aber auf euch wartet eine weitere Belohnung. Die Götter brauchen jetzt aber Ruhe. Ihr jedoch dürft feiern. Wir werden euch Wein bringen, während ihr die Feuer entfacht und die Lobgesänge anstimmt.« Diese Ankündigung besänftigte sogar die wildesten Anhänger der Götter. Wie die Stahlmänner es gesagt hatten, so geschah es dann auch. Fässer wurden aus den Baracken herbeigeschleppt und unter den verschiedenen Sippen verteilt. Es dauerte keine Stunde, da hatte sich das ganze Tal in einen feiernden Haufen Nomaden verwandelt. Die Priester jedoch begaben sich zur Ruhe. In unserem Zeltdorf wurde ein Fest auf dem Ausbildungsplatz eingerichtet. Mehrere große Zelte verwehrten mir die direkte Sicht auf den Platz, aber das empfand ich als Vorteil. Auch kam es meinen Plänen sehr entgegen, daß überall gefeiert, gesungen und getrunken wurde. Die Nomaden waren den Alkohol wenig gewohnt. Schon bald, so vermutete ich, würde sich das Tal in eine Stätte der Ruhe verwandeln. »Muß ich nicht schlafen?« fragte mich Chipol, als die Dunkelheit nur noch von den nahen und fernen Lagerfeuern durchbrochen wurde. »Nein«, antwortete ich. »Wir bleiben wach.« »Du planst etwas?« Der Daila war begeistert. »Und diesmal bin ich dabei?« »Ich plane etwas, aber direkt dabei bist du nicht. Es wäre zu gefährlich. Aber ich brauche dich.«
Ich erklärte ihm, was ich beabsichtigte. Dann sprachen wir noch einmal alle Einzelheiten durch. Ich verließ unser Zelt und ging zum Ausbildungsplatz in der Nähe von Chossophs Zelt. Hier lagen die Nomaden auf dem Boden herum und schliefen. Drei Unentwegte hockten noch lallend am fast zur Gänze heruntergebrannten Lagerfeuer und schwelgten in Gesprächen über ihre erfolgreichen Raubzüge und die, die noch zum Wohl der Götter durchgeführt werden würden. Von Chossoph fand ich keine Spur. Auch als ich einen Blick in sein Zelt warf, entdeckte ich ihn nicht. Dann kehrte hier Ruhe ein. Laute Schnarchtöne aus allen Ecken verrieten, daß der Wein die von den Stahlmännern gewünschte Wirkung erzielt hatte. Ich verbarg mich unter einem Zeltvordach, als eine Streife von zwei Stahlmännern auftauchte. Die beiden Roboter äußerten sich zufrieden und verschwanden wieder. Auch in den anderen Lagern kehrte allmählich Ruhe ein. Ich schlich zu Chipol zurück. Der Junge hatte die Reittiere schon gesattelt und oberhalb unseres Zeltes in einer Buschgruppe versteckt. Auch er hatte die beiden patrouillierenden Stahlmänner gesehen und sich erfolgreich vor ihnen verborgen. Auf den Abbau des Zeltes verzichteten wir, weil wir ein weiteres in der Ausrüstung besaßen und dies vielleicht doch zu auffällig gewesen wäre. »Hast du an unsere Funkgeräte gedacht?« fragte ich. »Natürlich. Ich denke an alles. Hier sind die Donnereier.« Er reichte mir die Handgranaten, deren nicht unerhebliche Wirkung ich inzwischen bei der Ausbildung der Nomaden hatte beobachten können. »Ich würde dich lieber begleiten«, versuchte es Chipol noch einmal, aber ich bestand darauf, daß er bei den Vleehs blieb und mir so eine Fluchtmöglichkeit bereithielt. Mein Ziel war der Kuppelbau. Ich rechnete nicht mehr mit aller Sicherheit damit, den Erleuchteten dort vorzufinden. So stellte ich
mich innerlich auf jede denkbare Möglichkeit ein, um keinen Fehler zu begehen. Dazu gehörten auch die Fluchtmöglichkeiten und die Aufgabe, die Chipol dabei übernehmen mußte. Der Junge lenkte schließlich ein, und ich machte mich auf den Weg. Ohne Behinderung erreichte ich auf dem schon bekannten Umweg das Gelände hinter den Baracken. Überall herrschte Totenstille. Auch in den Zeltlagern waren alle Stimmen verstummt und die Feuer erloschen. Ich tastete mich an einer Barackenwand entlang, bis im fahlen Licht der Nacht der Kuppelbau auftauchte. Wachen entdeckte ich nicht. Auch vor dem Portal war nichts auszumachen. Die Stahlmänner verließen sich auf die Wirkung des Weins, und ich schloß nicht aus, daß sie diesem etwas in der Art des Aar‐Archän beigemengt hatten. Mit schnellen und leisen Schritten huschte ich die sieben Stufen hinauf und drückte mich in eine Ecke. Dort wartete ich erneut. Nichts rührte sich. So tastete ich mich zu der Stelle, wo die Tür in den einen Flügel des Portals eingelassen war. Auch diesmal war sie nicht verriegelt. Rasch schob ich mich hinein und achtete darauf, daß die sich von allein schließende Tür keine Geräusche verursachte. In einer Nische wartete ich, bis sich meine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten. In der Mitte des ehernen Saales stand die Sänfte. Sie stellte eigentlich nichts weiter dar als einen riesigen Kasten, der mit bunten, mehrfach gefalteten Tüchern bedeckt war. Durch den Stoff und ein paar schmale Spalten drang ein schwaches, warmes, rötliches Licht in die Halle. Meine Augen brauchten sich kaum umzustellen, um alle Einzelheiten zu erfassen. Das Kuppelgebäude war ansonsten so leer wie bei meinem ersten Besuch. Ich entdeckte keine Stahlmänner und auch sonst keine Veränderungen oder Besonderheiten. Auch herrschte absolute Stille. Ich mußte meinen heftigen Atem zügeln, denn nun erfaßte mich doch eine ungewöhnliche Aufregung. Ich ahnte, daß ich kurz vor
einer entscheidenden Entdeckung stand. Ich tastete noch einmal nach den Donnereiern, die griffbereit in meinen Taschen steckten. Dann zögerte ich nicht mehr länger. Mit wenigen Schritten überquerte ich den freien Raum bis zur Sänfte. Meine Sinne waren bis zum Äußersten angespannt, aber nichts geschah. Ich schlug ein Tuch zur Seite. Kühle Luft und ein eigentümlicher, schwacher Geruch schlugen mir entgegen. Eine vage Erinnerung drängte sich in mein Bewußtsein, aber ich hatte die gleichen Probleme wie bei dem Traum nach der Stampede. Ich konnte den Geruch nicht identifizieren. Mein Blick suchte die Szene ab. Woher das schwache Licht kam, ließ sich nicht feststellen. Fast schien es mir, als ob die Tücher aus sich heraus fluoreszierend strahlten. Dann traf mich eine bittere Enttäuschung. Die Sänfte war leer! * Unmöglich! Auch der Extrasinn schien dieses Ereignis nicht ins Kalkül gezogen zu haben. Ich mußte zugeben, daß ich mit allem gerechnet hatte, aber damit nicht. Herrschten die Stahlmänner am Ende gar ohne einen Herrn? Der Geruch! Ich hob prüfend meine Nase. Dabei fiel mein Blick erstmals auf die Dachfläche der Sänfte. Eine sich schwach bewegende Traube – mit der Spitze nach unten – hing dort herab. Sie bestand aus etwa zwei Dutzend verschiedener Leibern, die sich alle glichen. Als eins der Wesen kurz seine Flughäute im Schlaf streckte und sich dann wieder an die anderen klammerte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Der Geruch! Der Träum! Die vagen Vermutungen des Extrasinns!
Die Enttäuschung über die vermeintliche leere Sänfte verpuffte in Sekundenbruchteilen, und an ihre Stelle traten Fassungslosigkeit und Entsetzen. Schlagartig wurden Erinnerungen in mir wach, denn die Traube, die dort über mir in die Sänfte hing, bestand aus Lebewesen, die ich aus der vergangenen Geschichte der Menschheit und der Milchstraße gut genug kannte. Hyptons! In mir protestierte alles, denn das war nicht nur eine Undenkbarkeit. Es warf auch meine ganzen Mutmaßungen über das Wirken des Erleuchteten über den Haufen. Meine Denkmodelle brachen zusammen wie ein Kartenhaus. Ich war so perplex, daß auch der Extrasinn schwieg. Wie konnten Angehörige dieses Volkes nach Manam‐Turu gelangen? Mir wurde schlagartig klar, daß ich meine Mission wieder einmal unter falschen Annahmen gesehen hatte. Es ging hier nicht nur darum, den Erleuchteten aufzuspüren und ihn an der Herstellung des geheimnisvollen Objekts EVOLO zu hindern, das die Kosmokraten doch reichlich global als »Gefahr für das Universum« und »Gefahr für sie selbst« bezeichnet hatten. Mit dem Auftauchen dieser Hyptons mußte ich zwangsläufig vieles anders sehen, denn nun waren auch meine Gefühle in bezug auf die Menschheit Terras angesprochen. Die bisherigen Erfahrungen nach der Versetzung von Alkdoom machten schlüssig, daß es eine Verbindung zwischen dem Erleuchteten und zumindest diesen Hyptons geben mußte. Worin diese bestand, war noch ein Rätsel, über das zu spekulieren es sich nicht lohnte. Ich rief mir ins Gedächtnis, was ich über dieses fledermausähnliche Volk wußte, das einmal ein fester Bestandteil im Konzil der Sieben Galaxien gewesen war. Diese Macht, angeführt von den schwarzhäutigen Laren, hatte vom Jahr 3459 an bis zum Jahr 3585 nicht nur die Menschheit der Erde, sondern nahezu alle Völker
der Milchstraße gegängelt, den ganzen Planeten Erde mit Luna zur Flucht getrieben und unsägliches Leid gebracht. Die Völker, die dies bewirkt hatten, waren nach der Erfüllung des Achtzig‐Jahres‐Planes, der mit Hilfe der Kelosker zu einem Vier‐ Jahres‐Plan umfunktioniert worden war, in alle Winde zerstreut worden. Die Herrschaft des Hetos der Sieben war nach 126 Jahren gebrochen worden, von denen ich die meiste Zeit auf Gäa in der Provcon‐Faust verbracht hatte, um dort eine neue Menschheit fern des Zugriffs der Laren und ihrer Verbündeten aufzubauen – das Neue Einsteinsche Imperium. Perry Rhodan, ich und alle anderen Verbündeten hatten nach unsäglichen Mühen und Mißverständnissen gesiegt. Die Milchstraße war befreit worden, aber eigentlich hatte sich so niemand richtig die Frage gestellt, was aus den Völkern des Konzils geworden war. Die Hyptons, die auch eigene Machtbestrebungen verfolgt hatten, waren in ihre Schranken gewiesen worden. Nach dem jetzigen Stand meiner Kenntnisse mußten sie sich in ihre Heimatgalaxis Chmacy‐Pzan zurückgezogen haben, wo sie ohnehin alle Völker unterjocht hatten. Sie hatten insbesondere an Bord der Laren‐Schiffe, der SVE‐ Raumer, eine bedeutende Funktion eingenommen. Die Laren hatten sie als Paralogik‐Psychonarkotiseure bezeichnet. Das bedeutete, daß sie andere Wesen beeinflussen konnten, diese Narkose aber nicht direkt wirkte, sondern mehr den freiwilligen Wunsch des Empfängers förderte, den Willen der Hyptons zu erfüllen. Direkt spüren konnte kein Wesen etwas von dem, was ihm mit den fünfdimensionalen Psi‐Impulsen eingegeben wurde. Das seltsame Verhalten der Priester und ihrer Schüler fand damit eine schnelle, wenn auch überraschende Erklärung. Chmacy‐Pzan war nicht Manam‐Turu. Auch daran gab es keinen Zweifel. Nach der terranischen Zeitrechnung war heute der 2. März des Jahres 3819. Seit den letzten direkten oder indirekten Kontakten
der Menschen mit den Hyptons waren also 234 irdische Jahre vergangen. Das war Zeit genug, um ein neues Machtpotential aufzubauen, neue Eroberungspläne zu schmieden und in die Tat umzusetzen – ob allein oder mit anderen Völkern des ehemaligen Konzils. Ich starrte noch immer reichlich verdattert auf die Traube aus Hyptonleibern, während sich meine Gedanken überschlugen. Die einzelnen Wesen glichen 60 bis 70 Zentimeter großen Fledermäusen. Ich sah die übergroßen Trichter an beiden Seiten der Köpfe, mit denen die Hyptons ausgesandte Ultraschallimpulse zur Orientierung aufnehmen konnten. Ich erinnere mich an die geistigen Fähigkeiten dieser Wesen, die wir als Planer, Umgestalter und Regulatoren gekennzeichnet hatten. Die übergroßen, kugelförmigen Augen waren jetzt geschlossen, aber ich kannte den unangenehmen Zwang, den sie bei längerer Betrachtung erwecken konnten. Hier würde ich im Augenblick nichts mehr erreichen können. Ein neuer Gegner, der ein alter war, war erkannt worden. Die Reaktionen der Priester waren mir nun klar. Was hinter allem steckte, würde sich zeigen. Ich wollte die Sänfte wieder verlassen, als ich schnelle Schritte von draußen hörte. Ein Vorhang der Sänfte wurde zur Seite gerissen. Ich sprang in eine Ecke und sah die Gestalt, die hereinstürmte. Ein wilder Schrei brach aus dem Mund Chossophs: »Tod den falschen Göttern!« In seiner Hand lag eine hochmoderne Strahlwaffe, wie ich sie weder von den Stahlmännern, noch von woandersher kannte. Ein breiter Strahl schoß aus der Waffe und überstrich die ganze Sänfte. Ich mußte mich zu Boden werfen, um nicht getroffen zu werden. Die Tücher glühten auf. Einige fingen Feuer. Die Hyptons erwachten von einer Sekunde zur anderen. Sie flatterten aufgeregt hin und her und stießen schrille Töne aus. Ich schob mich in Richtung einer unversehrten Wand.
Dann flammte ein Schutzschirm auf, der die Paralogik‐ Psychonarkotiseure einhüllte. Die Traube formierte sich wieder am alten Platz. Von draußen erklang das Heulen von Alarmsirenen. Von überall flammten Lichter auf. Das Getrappel von schweren Schritten der den. Ich packte Chossoph, der mich überrascht ansah. Der Zorn in seinen Augen wich der Überraschung. »Abhauen!« zischte ich. »Hier kannst du nichts mehr erreichen.«. Ich wartete keine Antwort ab und zerrte ihn mit. Er ließ das willig geschehen, bis wir das Portal erreichten. Etwa zehn Stahlmänner näherten sich über den beleuchteten Vorplatz. Meine Donnereier flogen durch die Luft. Die Detonationen rissen die Roboter von den Füßen. Chossoph rannte los, wobei er wild um sich feuerte. Um mich kümmerte er sich nicht. Ich nutzte die Verwirrung unter den Stahlmännern, um mich ebenfalls in die nächste dunkle Ecke zu retten. Nun flammten weitere Lichter auf. Überall rannten Roboter herum. Das Getrappel eines Vleehs hörte ich kaum, aber mir war klar, daß Chossoph die Flucht zunächst gelungen war. Meine Donnereier hatte ich alle verbraucht. Um mich zu retten, gab es nur einen Weg. Ich mußte mich auf den langen Weg machen, der zu Chipol und unseren Tieren führte. Es war mir klar, wie riskant das war, denn in wenigen Minuten würde es hier überall nur so von Stahlmännern wimmeln. Ich spurtete los und grübelte dabei noch über die Motive Chossophs nach. Der Mann, ob Nomade oder nicht, würde mir immer ein Rätsel bleiben. Und ob ich ihm noch einmal begegnen würde, war eine zweite Frage. Die Frage ist, bemerkte der Extrasinn, ob du die nächsten zehn Minuten überlebst. Das stimmte. Ich erreichte die ersten heraneilenden Roboter. »Hierher, Atlan!« hörte ich Chipol rufen. Der Bengel war mir
tatsächlich mit den Vleehs gefolgt. Ich hätte ihn für seine Neugier ohrfeigen und für sein Hiersein umarmen können. Aber für beides war jetzt keine Zeit. Ich schwang mich auf das Reittier. Der Lärm hinter uns war inzwischen so angeschwollen, daß wir keine Rücksicht mehr auf die Geräusche zu nehmen brauchten, die wir verursachten. Bathrer und angetrunkene Nomaden rannten heran. »Dort hinauf, Kleiner!« Ich deutete auf einen dicht bewachsenen Steilhang, der den rückwärtigen Teil des Tales der Götter abschloß. »Da werden sie uns nicht vermuten. Außerdem müssen sie auch noch Chossoph folgen.« Wir trieben unsere Tiere zu höchster Eile und nutzten dabei jede natürliche Deckung aus. Endlich erreichte ich die Spitze des Steilhangs. Ich blickte zurück. Im Tal der Götter ging es drunter und drüber. Die Feuer brannten wieder. Und dort, wo der Kuppelbau stand, lag alles im gleißenden Licht der Scheinwerfer. Direkte Verfolger konnte ich nicht erkennen. »Komm!« Ich deutete in die mondlose Nacht Cairons. »Es ist sicher gut, wenn wir ein Stück Entfernung zwischen uns und diesen Ort bringen. Bei Tagesanbruch wird man uns verfolgen.« Chipol zögerte. »Was ist, Junge?« Ich setzte mein Vleeh in Bewegung. »Ich komme«, antwortete Chipol bedrückt. »Und ich hoffe, daß Fumsel uns auch findet. Ich habe ihn irgendwo verloren.« »Er wird uns bestimmt finden.« Wir ritten los, und die Nacht hüllte uns, wie schützend, in ihre Schatten ein. ENDE
In Manam‐Turu den Hyptons zu begegnen, das hatte Atlan auch in seinen wildesten Träumen nicht erwarten können. Doch die Tatsache, daß Mitglieder dieses berüchtigten Konzilvolkes auf Cairon zugange sind, läßt sich nach den Erlebnissen im Tal der Götter nicht länger leugnen. Für Atlan und seinen jungen Begleiter bleibt jetzt nur die Flucht von Cairon … FLUCHT VON CAIRON – unter diesem Titel erscheint auch der nächste Atlan‐Band. Der Roman wurde von Hubert Haensel geschrieben.