Im Klirren der Blankwaffen Roy Palmer One-Eye-Doolin meinte, in dem prasselnden Regen seine drei Verfolger abgehängt zu...
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Im Klirren der Blankwaffen Roy Palmer One-Eye-Doolin meinte, in dem prasselnden Regen seine drei Verfolger abgehängt zu haben. Und darum kehrte er mit seiner „Scorpion" zu jener Stelle auf der Caicos-Bank zurück, wo sie mit Draggen Schätze vom Grund aufgefischt hatten. Seine Kerle waren weniger entzückt: Vielleicht tauchten auch die drei Schiffe wieder auf, die sie hier vertrieben hatten. Sie hatten recht. Fluchend mußte One-Eye-Doolin wieder das Feld räumen, denn gegen drei bestens bestückte Kampfschiffe hatte er nichts zu vermelden. Er entwischte in den Atlantik. Indessen versteckten sich der Seewolf, die Rote Korsarin und Edmond Bayeux mit ihren Schüfen zwischen den Caicos-Inseln. Und als One-Eye-Doolin wiederum zum Fischen auftauchte, kreisten sie ihn ein das Ende einer Jagd... 1. Sie fühlten sich im wahrsten Sinne des Wortes wie neu geboren Luiz, der Schwarzbart, Pablo, der Häßliche, Felipe, der Andalusier, und Marco, der Mann aus Murcia, den alle nur „alter Knochen" nannten. Sie hätten tot sein können, und doch lebten sie. Sie, vier Hundesöhne aus der Crew des Diego Machado, hatten das Massaker an der Bucht bei Batabanó überlebt. Sie glaubten, die einzigen Überlebenden der „Trinidad" zu sein. Doch sie irrten sich. Acht weitere Kerle aus der MachadoMannschaft waren gefangengenommen und nach Havanna überführt worden. So war es auch Alonzo de Escobedo, dem sehr ehrenwerten Gouverneur von Kuba, ergangen. Um das Los, das die Kerle jedoch in Havanna fristeten, waren sie nicht zu beneiden; De Campos, der Generalkapitän, hatte sie ins Stadtgefängnis sperren lassen. Dort schmorten sie jetzt. Ein Prozeß wartete auf sie. De Campos war ein harscher Eisenfresser, der sich auf keinen Kompromiß einließ. De Escobedo und die „Trinidad"-Kerle hatten versucht, die spanische Krone zu bestehlen und zu betrügen, indem sie versucht
hatten, den Schatz des Don Antonio de Quintanilla zu entwenden. Darauf standen drastische Strafen. Die Hauptpersonen des Romans: Luiz, Pablo, Felipe und Marcodie vier Oberlebenden der „Trinidad" geraten vom Regen in die Traufe. Don Diego de Campos der Generalkapitän leidet an der Ruhmsucht, aber er hat noch mehr Fehler. Old O'Flynn läuft mit seiner „Empress of Sea" den Dons auf und davon. Dan O'FLynn rettet Schiffbrüchige und muß sich mit Spaniern herumschlagen. Philip Hasard Killigrew hat auch mal den Mut, seinen Gegnern auszuweichen. Luiz, Pablo, Felipe und Marco hatten es da schon bedeutend besser. Seit vier Tagen hausten sie nun schon in den Schatzhöhlen an der Bucht bei Batabanó, nachdem sie der Seewolf ihrem Geschick überlassen hatte. Sie hatten noch genug zu essen und zu trinken und kratzten hier und da ein paar Schatzüberreste aus den Höhlen und Grotten zusammen, die übersehen worden und zurückgeblieben waren. Was wollten sie mehr? Sie waren frei und gingen bei der ganzen Sache nicht einmal leer aus. Sie hätten Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, für seine Großzügigkeit ewig dankbar sein müssen. Und doch waren sie's nicht. Sie verfluchten ihn schon wieder und wünschten ihm die Pest, die Blattern und die Cholera an den Leib. Ähnlich fromme Sprüche hatten sie für Hasards „Anhang" auf Lager. Die „Piratenhure" damit war Siri-Tong gemeint und die anderen „Dreckfresser und Galgenstricke" also die Crew der Roten Korsarin sowie Edmond Bayeux und dessen Männer von der „Le Griffon" sollten zur Hölle fahren oder auf der Stelle zerplatzen. Es war die einhellige Meinung der vier Spanier, daß sie nichts Besseres verdient hätten. Am 30. Mai hatten Luiz, Pablo, Felipe und Marco allerdings noch ganz anders geredet. Richtig geläutert waren sie gewesen und hatten Hasard versprochen, fortan ein redliches und ehrliches Leben zu führen. Das war ihr Dank für die Rettung. Schließlich hätte der Seewolf ja auch anders mit ihnen verfahren können. Er hätte sie erschießen, enthaupten oder totprügeln lassen können. Oder aber er hätte die vier an der Rahnock hochziehen lassen
können. Eine weitere Möglichkeit wäre gewesen, sie den Reiz und die Spannung des Kielholens kennenlernen zu lassen. Nichts von alledem. Obwohl Luiz, Pablo, Felipe und Marco versucht hatten, die „Trinidad" zu entern, beziehungsweise in die Schatzhöhle einzudringen und die „englischen Hurenböcke" abzustechen, hatte der Seewolf sie begnadigt. Die vier hatten einfach in ihrem Gefängnis, der Vorpiek der „Trinidad", bleiben dürfen. Gefesselt zwar, aber das war das geringste Problem. Daß man sie nicht auch noch losschnitt, konnten sie denn doch verstehen. Die Überraschung hatte sich eingestellt, als die drei Schiffe „Isabella IX.", „Caribian Queen" und „Le Griffon" die Bucht bei Batabanó verlassen hatten. Luiz, Pablo, Felipe und Marco hockten eine Weile da, frohlockten und grinsten, lachten und freuten sich, daß sie mit einem blauen Auge davongekommen waren. Dann verstummten sie. War da nicht etwas ein Geräusch? Tatsächlich. Im Inneren der „Trinidad" ertönte ein verhaltenes Gluckern. Bald wurde ein schwaches Rauschen daraus. „He, was ist denn das?" fragte Pablo. „Hörst du das nicht, du Arsch?" zischte Felipe. „Das ist Wasser!" „Wie hast du mich genannt?" „Seid mal still", sagte Luiz scharf. „Und fangt bloß nicht wieder an zu streiten." Sie schwiegen und versuchten, Genaueres zu erlauschen. Das Gluckern und Rauschen nahm zu. Die Kerle blickten sich untereinander an. Verflogen war die Euphorie über das Glück, noch mal mit dem Leben davongekommen zu sein. Ihr Verdacht verdichtete sich zur Gewißheit, und sie kriegten es plötzlich mit der Angst zu tun. „Schweinerei!" brüllte Luiz. „Die haben den Kahn angebohrt!" „Wir ersaufen!" heulte Pablo. „Quatsch!" rief Marco. „Los, beeilt euch! Wir müssen als erstes unsere Fesseln loswerden! Dann brechen wir das Schott auf!" Natürlich hatte der Seewolf die „Trinidad" anbohren lassen. Ferris Tucker und Blacky hatten das Werk schnell und diskret durchgeführt, dann waren sie an Bord der „Isabella" zurückgekehrt. Die drei Schiffe segelten davon und der Bauch der „Trinidad" füllte sich mit Seewasser'. Aber Hasard hatte nicht vor, die vier Spanier wie die Ratten ersaufen zu lassen. Er hatte das genau berechnet: bevor die Galeo-
ne wirklich zu sinken begann, hatten sie sich von ihren Stricken befreit. Und das Schott zur Vorpiek war nicht zugeriegelt. Felipe hatte die ausgezeichnete Idee, sich hinzuwerfen und die Fesseln seines Kumpans Marco mit den Zähnen aufzunagen. Marco half mit, indem er die Handballen gegeneinanderpreßte und so Druck erzeugte, der die Stricke immer mehr weiterte. Schließlich sprangen sie auf, und er war frei. Sofort half Marco dem Andalusier, seine Fesseln loszuwerden. Dann waren Luiz und Pablo an der Reihe. Luiz schwitzte abwechselnd heiß und kalt. So mutig, wie er immer tat, war er in Wirklichkeit nicht. Zum Beispiel hatte er Angst vor Schlangen. Er hütete sich aber, diese Schwächen vor den anderen zu zeigen. Pablo keuchte und stöhnte. Er hatte die Panik noch im Nacken. Und es knarrte tief im Inneren des Schiffes. Dann neigte sich die „Trinidad" etwas nach Backbord. Sie begann zu sinken. „Raus!" brüllte Luiz. Er warf sich mit Pablo gegen das Schott. Das Schott flog sofort auf und knallte außen gegen die Längswand. Luiz und Pablo stürzten auf den Gang, gerieten sich gegenseitig ins Gehege und wälzten sich auf den Planken. Sie fluchten und rappelten sich wieder auf. Felipe und Marco lachten und stürmten an den beiden vorbei. Als erste erreichten sie das Oberdeck. Rasch schauten sie sich nach allen Seiten um. Die drei Schiffe der „englischen Hurensöhne" waren verschwunden. Die „Trinidad" krängte bereits beachtlich nach Backbord. Marco behielt die Ruhe. Es wäre ein Fehler gewesen, das Schiff einfach zu verlassen. Denn sie konnten noch die Vorräte retten, die sich an Bord befanden. „Alle Mann von Bord!" brüllte Luiz. „Nein!" schrie Marco zurück. Er blickte zu dem Schwarzbärtigen und dem Häßlichen, die soeben im offenen Vordecksschott auftauchten. „Auf keinen Fall! Wir heben den Anker hoch und steuern ans Ufer!" „Bist du verrückt?" heulte Pablo. „Herrgott!" rief Felipe. „Haut doch ab, ihr Schlappschwänze! Aber laßt euch nicht mehr blicken!" „Ja, verzieht euch!" schrie auch Marco wütend. Luiz ging endlich ein Licht auf. Der Proviant! Wenn Pablo und er ins Wasser sprangen und an Land schwammen, schauten sie in
die Röhre. Sie konnten nach Batabanó laufen, würden unterwegs aber mächtigen Hunger und Durst kriegen. Und vielleicht gab es an Bord noch einiges mehr zu holen! Was immer es war, man konnte es nicht einfach Marco und Felipe überlassen. „Pablo", sagte Luiz keuchend. „Los, hilf mit! Wir müssen den verfluchten Anker hieven!" „Warum?" Pablo riß Augen und Mund weit auf. Ein Schnelldenker war er noch nie gewesen. „Frag jetzt nicht!" brüllte Luiz. Pablo zog es vor, keine weiteren Fragen zu stellen. Er packte mit an, und die vier Kerle drehten mit vereinten Kräften das Gangspill. Sie hievten den schweren Stockanker vom Grund der Bucht hoch und ließen die ramponierte Galeone zum Ufer treiben. Es war kein leichtes Manöver, denn das Schiff hatte inzwischen viel Wasser gezogen und krängte immer stärker nach Backbord. Sie war zu einem schwerfälligen, trägen, sinkenden Klotz geworden, die einst so stolze „Trinidad". Mit Ach und Krach gelang es Luiz, Pablo, Felipe und Marco, das Großsegel zu setzen. Nur ganz langsam glitt das Schiff auf den hellen Sandstrand der Bucht zu. Die Schräglage war jetzt derart stark, daß sich die vier am Schanzkleid festklammern mußten. Schließlich lief die „Trinidad" auf. Im Rauschen und Gurgeln der durch die Bohrlöcher hereinschießenden Wassermassen war ein Knirschen zu vernehmen. Ein Ruck lief durch den Segler. Er neigte sich noch etwas mehr nach Backbord, lag dann aber völlig still. Die Distanz, die es nunmehr noch bis zum Ufer zurückzulegen galt, betrug etwa zwanzig Yards. Die vier Kerle atmeten auf. „Na, wie haben wir das gemacht?" brüllte Luiz. Ihm fiel ein mächtiger Stein vom Herzen. Er hatte wirklich gräßliche Angst gehabt, vom Wasser in der Vorpiek überrascht zu werden und jämmerlich wie eine Ratte ersaufen zu müssen. Der Andalusier warf seinem schwarzbärtigen Spießgesellen einen verächtlichen Blick zu. „Wir ist gut. Wenn Marco nicht so schlau gewesen wäre, das Schiff zu retten, läge der Kahn jetzt auf dem Grund. Da, wo er eben noch geankert hat, ist das Wasser ja tief genug. Es hätten höchstens noch die Mastspitzen 'rausgeschaut." „Na, das weiß ich doch!" stieß Luiz hervor. „Glaubst du, ich bin so blöd, daß ich's nicht gleich kapiert habe?"
„Ich glaube es", erwiderte Felipe. Während Luiz noch überlegte, wie er diese Äußerung auslegen sollte, ergriff Marco, der älteste der vier, wieder das Wort. „Hört mal zu, Leute. Wir sollten zusehen, daß wir miteinander auskommen. Wir sind durch dick und dünn gegangen, und es hat sich gezeigt, daß es das Beste ist, wenn wir zusammenhalten." „Ja, das stimmt", pflichtete Luiz ihm sofort bei. „Also", fuhr Marco fort. „Es hat keinen Sinn, daß wir uns wegen der idiotischsten Kleinigkeiten in die Haare geraten. Seid also friedlich und regt auch nicht auf. Wir leben ja. Haben nicht mal 'n Kratzer abgekriegt." „Und diese Bastarde sind endlich weg", sagte Pablo, als ginge es ihm erst jetzt richtig auf. „Vor allem dieses Narbenungeheuer. Der Faßteufel. Herrgott, er muß mit dem Satan verwandt sein." Mit dem „Ungeheuer" war Edwin Carberry gemeint, der Luiz und Pablo in der Schatzhöhle eine „hübsche, kleine Falle" gestellt hatte. Als er wie der Leibhaftige aus dem einen Faß gesprungen war, hatte die beiden Spanier im wahrsten Sinne des Wortes der Schlag getroffen. Mit dem Profoshammer dem Hieb, gegen den kein Kraut gewachsen war hatte Carberry sie gefällt. So waren sie zu Gefangenen geworden. Auch Marco und Felipe war es an Bord der „Trinidad" nicht besser ergangen. Die Arwenacks hatten sie überlistet und eingesperrt. Anschließend hatten die vier Kerle in den Schatzhöhlen beim Abbergen der Truhen, Kisten und Fässer helfen müssen unter der eisernen Fuchtel des Profos'. Dies war ein Erlebnis, das sie nie vergessen würden. Das Grauen saß ihnen immer noch im Nacken. „In Ordnung", sagte der Mann aus Murcia. „Wir sind uns also einig?" „Einig", antwortete Luiz. „Alles klar", erwiderte auch Pablo. „Und du bist unser Anführer?" fragte Felipe lauernd. „Das hab' ich nicht gesagt", entgegnete Marco. „Aber wir können ja einen Anführer wählen." „Ich schlage Luiz vor!" rief Pablo. Felipe grinste. „Ich bin für Marco." Marco war darüber selbst erstaunt. Der Andalusier war hinterhältig und undurchschaubar, unberechenbar und heimtückisch. Aber vielleicht sah er wirklich ein, daß sie einen Anführer brauchten und der Mann aus Murcia für diese Aufgabe am besten geeignet war. Bislang hatte er sich stets als der umsichtigste Kerl ge-
zeigt, und er war ja, auch der Älteste und hatte die meiste Erfahrung. „Hand hoch", sagte Luiz. „Wer ist für Marco?" Marco und Felipe hoben die Hände. Der Andalusier grinste wieder. Dann war es Marco, der fragte: „Und wer wählt Luiz?" Der Schwarzbart und Pablo rissen ihre Hände hoch. „Unentschieden", sagte Luiz. „Ist nicht so schlimm. Dann müssen wir eben losen. Hat einer 'ne Münze?" Es stellte sich heraus, daß keine Münze aufzutreiben war, nicht einmal ein winziger Silberling. Die Seewölfe hatten den vier Kerlen ja alles abgenommen, als sie gefangengesetzt worden waren ihre Waffen und die wenigen Taler und Dukaten, die sie als Beute bei sich trugen. Luiz, Pablo, Marco und Felipe waren mit anderen Worten blank. Sie hatten nur noch das, was sie auf dem Leibe trugen. Aber Felipe ließ nicht locker. Er begann, das Schiff zu durchsuchen. Seine Kumpane folgten ihm mit halb erwartungsvollen, halb mißtrauischen Mienen. Der Andalusier nahm sich die Kapitänskammer vor. Er rutschte auf den schrägen Planken aus, fiel hin und rappelte sich fluchend wieder auf. Er durchwühlte die Koje des einstigen Kapitäns der „Trinidad", Diego Machado, riß alles heraus und wurde schließlich wirklich fündig. Unter der Koje ließ sich eine Planke lockern. In dem Hohlraum darunter befand sich ein kleiner Sack mit Goldmünzen. „Hurra!" brüllten die Kerle. „Woher hast du das gewußt?" fragte Marco. Der Andalusier lachte, warf den Beutel in die Höhe und fing ihn wieder auf. „Ich habe es nur geahnt. Machado war ein krummer Hund, gerissen, aber nicht zu gerissen. Daß er irgendwo noch 'ne Rücklage hat, habe ich mir einfach gedacht. Na ja, und er fühlte sich wohl am sichersten, wenn er auf den Talerchen schlafen konnte." „Teilen wir?" fragte Pablo. Felipe warf ihm einen Blick zu, als wolle er ihn erschlagen. „Und wenn ich den Beutel für mich behalte? Was ist dann?" „Das ist nicht gerecht", entgegnete Luiz. „Wir halten zusammen, haben wir gesagt." „Felipe", sagte Marco. „Mach keinen Mist." Der Andalusier grinste, lachte, schüttelte den Kopf. Dann öffnete er den Beutel. Sie teilten sich den Inhalt zwanzig Piaster. Jeder
erhielt fünf Goldmünzen. Dann ging die Wahl über die Bühne. Sie einigten sich darauf, daß der Kopf der Münze für Marco stand, die Zahl für Luiz. Pablo durfte die Münze hochwerfen. Sie wirbelte durch die Luft. Felipe fing sie geschickt auf und wies sie sofort in der geöffneten Handfläche vor. „Kopf", sagte Felipe und wieder grinste er. Es wirkte gleichsam diabolisch, als wolle er sagen: Ich hab's ja gewußt. Marco nickte. „Gut. Fangen wir also an. Wir durchsuchen den Kahn und nehmen alles mit, was wir noch bergen können Proviant und Waffen." „Und Gold", fügte Pablo hinzu. „Mehr ist wohl nicht zu finden", sagte Marco. „Die Engländer haben das Schiff geplündert. Macht euch keine falschen Hoffnungen." In der Tat mehr als die zwanzig Piaster waren an Bord der „Trinidad" an Münzen nicht mehr aufzutreiben. Weitere Geheimverstecke des Diego Machado existierten nicht, so sehr die vier Kerle auch forschten und alles abtasteten und beklopften. Luiz war enttäuscht, gab sich aber Mühe, dies nicht zu zeigen. Er hatte der Wortführer sein wollen. Es gefiel ihm, einen kleinen Haufen herumzukommandieren, und es schwebte ihm im übrigen auch vor, sich ganz der Piraterie zu verschreiben, sich ein Schiffchen zu beschaffen und mit einer Meute auf Kaperfahrt zu gehen. Schon jetzt schien sich aber abzuzeichnen, daß sich dies mit Marco, Felipe und Pablo nicht verwirklichen ließ. Irgendwann würde er sich absetzen und seiner eigenen Wege gehen. Ihr blöden Hunde, dachte Luiz, als er in die Waffenkammer eindrang, ihr werdet schon noch kapieren, was für ein Verlust es für euch ist, wenn ich euch im Stich lasse. Aber mir ist es dann egal, was aus euch wird. Von mir aus könnt ihr über den Jordan gehen. * Der erste Blick, den Luiz in die Waffenkammer der „Trinidad" warf, bereitete ihm sogleich eine herbe Enttäuschung. Die Kammer war leer. Der Gegner hatte alles mitgenommen, was er brauchen konnte. Die Waffen hingegen, für die er keine Verwendung hatte, hatte er Wohlweislich in der Bucht versenkt.
Luiz fluchte vor Wut, dann nahm er sich das Pulverdepot vor. Das Ergebnis fiel hier ähnlich aus: keine Unze Pulver hatten die Arwenacks und ihre Kameraden vom Bund der Korsaren an Bord der „Trinidad" zurückgelassen. Nur noch zwei leere Fässer gähnten Luiz höhnisch an. Der Schwarzbart trat gegen das eine Faß. Es kippte um, aber Luiz stöhnte auf. Er hatte sich bei dem Tritt fast den großen Zeh verstaucht. Zornig kehrte er an Oberdeck zurück. Hier hatten die Kumpane inzwischen andere Aktivitäten entwickelt. Sie hatten die Jolle zu Wasser gebracht und waren dabei, einigen Proviant sowie ein Fäßchen Wein und etliche Flaschen Schnaps in dem Boot zu verstauen. Dieser Anblick munterte Luiz wieder auf. „Na, ihr habt ja Glück gehabt", sagte er. Marco wandte sich halb zu ihm um, „Und du?" „Nichts", erwiderte der Schwarzbart. „Keine Waffen, keine Munition." „Dann eben nicht", sagte Felipe. „Wir haben aber wenigstens die Messer aus der Kombüse. Damit läßt sich auch was anfangen. Und einen Stein zum Messerschleifen finde ich auch wieder." Den Stein hatte der Gegner ihnen abgenommen, als sie überrumpelt worden waren. Wenig später setzten die Kerle mit der Jolle zum Ufer über. Als sie an Land standen, blickten sie sich etwas ratlos an. „Und?" fragte Pablo. „Was jetzt? Gehen wir nach Batabanó?" „Augenblick mal", entgegnete Marco. „Keiner ist mehr hier, da können wir uns doch in aller Ruhe noch mal in den Höhlen umsehen." „Ach, da liegt nichts mehr rum", sagte Luiz. „Sag das nicht", erwiderte Felipe. „Wir haben ja auch in Machados Kammer noch was gefunden. Also, ich meinerseits habe gar nichts dagegen, noch ein bißchen in den Höhlen herumzukriechen. Und wenn wir nur ein paar Silberlinge zusammenkratzen, das ist doch schon was." „Der Meinung bin ich auch", pflichtete Pablo ihm bei. „Nachschauen schadet ja nichts." „Schon gut, meinetwegen", brummte Luiz. Er war überstimmt, und Marco führte ja sowieso das Wort. Also brachen sie zu den Höhlen auf und schleppten ihren Proviant mit.
Als sie die Höhlen aber erreichten, blickten sie sich erst einmal äußerst mißtrauisch um. Durfte man denn sicher sein, daß die Bastard-Engländer nicht wieder für eine üble Überraschung gesorgt hatten? Was war, wenn sie einen Wachtposten zurückgelassen hatten, etwa den Faßteufel, das Monstrum? Luiz fühlte sich von kalter Angst gepackt, als er über diesen Punkt nachdachte. Unwillkürlich duckte er sich zwischen den Felsen. Sein Kopf ruckte hin und her, er spähte nach links und nach rechts. „Na, was ist los?" fragte Felipe mit hämischem Tonfall. „Du hast die Hosen ganz schön voll, was?" „Sag das nicht noch mal." „Keine Bange, von den Hurensöhnen ist keiner mehr da." Der Andalusier lachte wieder auf seine aufreizende Art. Luiz hätte Felipe gewünscht, daß jetzt irgendwo der Riese mit dem Rammkinn aufgetaucht wäre. Doch es blieb alles ruhig. Es stimmte: die Engländer hatten niemanden zurückgelassen. Warum hätten sie das auch tun sollen? Es gab ja nichts mehr zu bewachen. Doch gelinde Zweifel hatten die vier Spanier immer noch auch, als sie in die Schatzhöhlen eindrangen. Zu schlimm war das, was sie erlebt hatten, zu frisch noch die Erinnerung daran. Sogar das Faß, in dem der Teufel von einem Profos gelauert hatte, war noch da. Marco übernahm die Führung. Er war es auch, der einen Kienspan entdeckte und ihn mit einiger Mühe entfachte. Die Flamme stieg auf, blakender Rauch kräuselte sich zur Höhlendecke hoch. Draußen war es dunkel geworden. Man konnte die Nachtvögel schreien hören, doch das unterschwellige Rauschen des nahen Wasserfalles überdeckte alle anderen Laute wie beispielsweise das Quaken der Frösche oder das Zirpen der Zikaden im Dschungel. „So", sagte Marco. „So weit wären wir schon mal. Jetzt sehen wir uns in aller Ruhe auch in den Nebenhöhlen um." „Moment!" sagte Felipe. „Wie wär's denn, wenn wir erst mal richtig einen zwitschern würden?" „Eine gute Idee", erwiderte Pablo sofort grinsend. „Und Kohldampf habe ich auch." „Ja, da habt ihr recht", meinte Marco. „Ich habe auch Hunger und Durst."
„Glaubst du etwa, ich nicht?" fragte Luiz. „Aber da sind noch ein paar Sachen, die wir vom Boot abholen müssen", sagte Felipe. „Zum Beispiel die beiden letzten Proviantsäcke und die Kombüsenmesser." „Geh du los", sagte Marco. „Nimm Pablo mit. Bringt das Zeug herauf. Wir schlagen hier vorläufig unser Lager auf. Morgen sehen wir weiter." Der Andalusier und der Häßliche rückten ab. Sie kletterten in den Felsen nach unten und liefen zur Jolle zurück, vorbei an den Überresten der Rutsche, die die Bastard-Engländer für den schnelleren Transport der Schätze errichtet hatten. Unterwegs stolperte Pablo über die Luftwurzel einer Mangrove. Er knallte der Länge nach hin und stieß mit dem Kopf gegen einen Baum. Benommen lag er da. Aber Felipe traf keine Anstalten, dem Kumpan zu helfen. Er lachte nur. „Was ist denn mit dir los?" Pablo schüttelte fluchend den Kopf, als könne er dadurch den jähen Schmerz abwerfen. „Siehst du das nicht?" „Ja, du fällst mal wieder über deine eigenen Füße." Pablo rappelte sich auf und zischte: „Was heißt hier, mal wieder?" Der andere sah ihn höhnisch an. „Na, du benimmst dich ja immer wie ein Tolpatsch." „Halt deine Schnauze, du Mistfresser." „Wie hast du mich genannt?" „Du bist ein Drecksack", erwiderte Pablo. „Und ich lasse mich von dir nicht anpöbeln." „Weißt du eigentlich, was du riskierst?" fragte Felipe lauernd. „Wenn du dich schlagen willst, kannst du dein Fett kriegen", entgegnete Pablo. „Denk aber dran, daß du jetzt kein Messer hast." Das bedachte der Andalusier wirklich. So lenkte er wieder ein, und sie setzten ihren Marsch zum Boot fort. Am Ziel beluden sie sich mit den Proviantsäcken und nahmen die Kombüsenmesser und einige andere Geräte an sich, die von Nutzen sein konnten, zum Beispiel ein paar Töpfe und Pfannen sowie Mucks und Becher für Wein und Schnaps. Felipe spielte mit dem Gedanken, Pablo ein wenig mit dem Messer zu kitzeln und ihm Angst einzujagen. Aber das führte zu nichts. Es schürte nur den gegenseitigen Haß. Vielleicht brauchte
der eine den anderen noch. Man durfte nicht vergessen, daß man sich in einer menschenleeren Gegend, praktisch mitten im Urwald, befand. Die Gefahren konnten mannigfach sein, und nur zu viert war man stark genug, jedem Unheil zu trotzen. Das leuchtete auch einem Kerl wie Felipe ein. So kehrte er friedlich mit seinem Begleiter Pablo zu den Höhlen zurück. Sie keuchten und schnauften, als sie sich durch den Felsspalt ins Innere zwängten. Dann setzten sie ihre Last ab. Marco und Luiz hatten indessen bereits das Weinfaß angezapft und nahmen eine Kostprobe zu sich. „Ja!" rief Marco. „Der Wein ist gut! Keine Spur verdorben! Also auf unsere Zukunft!" „He", murrte der Andalusier. „Was fällt euch eigentlich ein? Ihr fangt einfach ohne uns an zu saufen? Das war so aber nicht abgesprochen." Marco goß jedoch gleich zwei Becher für Felipe und Pablo voll, und so wurden auch diese beiden schnell zufriedengestellt. Kurz darauf fielen die Kerle über die Schiffsvorräte her. Es wurde eine ausgedehnte, üppige und feuchte Mahlzeit daraus. Am Ende streckten sich die vier auf dem Höhlenboden aus und schliefen ein. Ihr Schnarchen erfüllte die Grotte. Doch sie hatten Glück, es behelligte sie niemand. Sie waren jetzt tatsächlich weit und breit die einzigen menschlichen Lebewesen. 2. Richtig Luiz, Pablo, Marco und Felipe hatten genügend Zeit. Sie brauchten sich nicht zu beeilen. Wer sollte schon erscheinen und sie stören? Sie konnten in aller Ruhe durch die Höhlen kriechen und nach Überbleibseln suchen nach Resten aus den Schatztruhen und Schatzkisten, die vielleicht „vergessen" oder „übersehen" worden waren, als der Gegner den ganzen Reichtum abtransportiert hatte. Am ersten Tag wurden die Kerle allerdings nicht fündig. Sie schlossen ihr Unternehmen mit einem Essen ab, tranken sich tüchtig voll und beschlossen weinselig, am nächsten Morgen nach Batabanó aufzubrechen. Am nächsten Morgen jedoch war es ausgerechnet Pablo, der im hintersten Winkel einer Nebenhöhle auf eine Münze stieß.
„Hier!" brüllte er außer sich vor Freude. „Gold!" Und wahrhaftig es war Gold. Marco untersuchte die Münze, biß hinein und brach sich fast die Zähne ab. Echtes Gold. Die Kerle lachten und hieben Pablo auf die Schulter, daß dieser zu husten begann. Dann wurde die Suche intensiver und mit größtem Eifer fortgesetzt. Es verstrichen aber Stunden, bis auch Luiz auf eine Münze stieß. Sein Grölen tönte durch das Labyrinth und hallte von den Wänden und Decken wider. Noch einmal spielte sich die gleiche Szene ab. Die drei anderen Kerle rannten zu ihm und begutachteten seinen Fund. Wieder echt Gold! Marco legte die beiden gefundenen Münzen in seine offene Hand. „Spanische Reales", sagte er. „Ich weiß nicht, warum die Engländer sie hier zurückgelassen haben. Aber eins ist sicher es müssen sich noch mehr Münzen finden lassen." Er war ja nicht dabeigewesen, als sich nach dem Beschuß der Höhlen durch die Kanonen der „San Sebastan" das Labyrinth mit Wasser gefüllt hatte. Die Fluten hatten einige Kisten zerstört und deren Inhalt weggeschwemmt. Natürlich hatten die Kerle der „Trinidad", die sich in den Höhlen verschanzt hatten, versucht, alles wieder zusammenzukratzen. Aber sie hatten auch wegen des Mangels an Licht doch einiges übersehen. Luiz, Marco, Felipe und Pablo krochen also weiter herum. Sie scheuerten sich die Knie wund, aber es störte sie nicht. Sie schufteten, wie sie nur unter der Knute Carberrys geschuftet hatten doch auch das nahmen sie bereitwillig in Kauf. Keine Mühe war ihnen zu gering, kein Opfer zu groß. Sie wollten reich werden. Offenbar schien es jetzt doch noch zu klappen. Richtig berauscht waren sie vor lauter Gier, und sie vergaßen alles andere um sich herum. Zumindest würden sie wohlhabend sein. Sie lachten und kicherten, rutschten herum und kratzten hier und da eine Münze aus dem Sand, der den Höhlenboden bedeckte. Am Abend zählten sie die Ausbeute. „Hölle und Teufel!" stieß Marco hervor. „Wir haben jetzt schon vier Reales, drei Piaster und fünf Dublonen zusammen. Ist das vielleicht nichts?" „Und ob das was ist!" brüllte Luiz. „Das muß begossen werden!" „Ja! Wein her!" grölte Pablo.
Felipe goß bereits die Becher voll. Die vier stießen miteinander an, lachten und tranken. Sie kippten auch Schnaps in die durstigen Kehlen, schnitten Speck ab und kauten und schmatzten auf den Stücken herum. Daß der vorhandene Proviant bereits rapide zur Neige ging, schien ihnen nicht aufzufallen. Sie benahmen sich immer sorg- und argloser und stellten draußen nicht einmal einen Wachtposten auf. Warum auch? Nachdem die „englischen Hurensöhne" abgezogen waren, herrschte wieder Ruhe und Frieden im Urwald der Bucht bei Batabanó. Im Prinzip - das konnten Luiz, Marco, Pablo und Felipe inzwischen bescheinigen hatte Don Antonio de Quintanilla sein geheimes Schatzversteck völlig richtig gewählt. Die Höhlen wurden von dem Wasserfall verborgen, niemand vermochte sie zu entdecken. Es mußte schon ein Eingeweihter sein, der von diesem Platz etwas wußte. Nicht mal ein Eingeborener schien sich in diese Gegend zu verirren. Den ganzen Trubel, den es um den Schatz gegeben hatte, hatte sich Alonzo de Escobedo ja allein eingebrockt, als er sich zu den Höhlen hatte führen lassen. Daraufhin hatte er beschlossen, den immensen Schatz für sich ganz allein zu heben. Dieser mißlungene Beutezug bedeutete gleichzeitig sein Ende. Luiz, Felipe, Pablo und Marco konnte dies alles völlig gleichgültig sein. Sie scherten sich einen Dreck um den feinen Señor Gouverneur, um den König und um die Nation. Sie waren keine Patrioten, sondern Galgenstricke und Schnapphähne. Diego Machado hatte eine üble Bande um sich geschart. Er selbst war tot, doch seine Kerle sorgten dafür, daß die „Tradition" der „Trinidad" aufrechterhalten wurde. So schliefen sie wieder, wachten am Morgen auf und setzten ihre Arbeit fort. Als sie die Höhlen gründlich abgeforscht und weitere Münzen zusammengetragen hatten, unternahmen sie auch Streifzüge durch die Umgebung! des Labyrinths. Hier, zwischen den Felsen und am Ufer des Flusses, stießen sie tatsächlich wieder auf Gold- und Silbermünzen. Als die ersten Kisten und Truhen zur Bucht geschleppt worden waren, hatte es sich ja ergeben, daß hin und wieder eine zu Boden gekracht war. Dabei hatte sich der Inhalt entleert, und beim anschließenden Einsammeln war man nicht immer mit der erforderlichen Sorgfalt zu Werke gegangen. Vergeßlichkeit, Oberflächlichkeit wer legte schon Wert auf ein paar läppische Münzen, wenn es um Millionenwerte ging? Davon
profitierten jetzt Luiz, Pablo, Marco und Felipe. Sie lasen auf, was es aufzulesen gab, häuften in der Höhle, die sie zu ihrem Lager ausersehen hatten, die Münzen an und hatten bald einen ansehnlich kleinen Berg zusammen. Die Laune der vier Kerle besserte sich von Tag zu Tag. Marco, der die Idee gehabt hatte, die Schatzhöhlen noch einmal aufzusuchen, wurde als Anführer des kleinen Trupps voll akzeptiert, sogar von Luiz. Es war eine gute Idee gewesen. Immer wieder stöberten sie in den verstecktesten Winkeln Münzen auf, auch mal eine Perle oder einen Diamanten. Abends wurde dann gebechert. Vier Tage waren nun herum, seit sich die vier aus der Vorpiek der „Trinidad" befreit hatten. Die Vorräte waren aufgebraucht, es gab nur noch ein paar trockene Scheiben Schiffszwieback, ein bißchen Wein und eine Flasche Rum. Aber das störte die Kerle nicht. „Wir haben genug", sagte Marco zusammenfassend. „Eigentlich können wir aufbrechen. Hier gibt es wirklich nichts mehr zu holen." „Eigentlich wollte ich noch drüben, am anderen Ufer des Flusses, suchen", sagte Luiz. „Da könnte noch was rumliegen." „Meinetwegen", erwiderte Marco. „Ach, hauen wir lieber ab", sagte Felipe. „Morgen haben wir nichts mehr zu beißen und zu saufen. Dann will ich lieber in Batabanó sein, ein bißchen rumhuren und mir den Hals vollaufen lassen." „Wir könnten auch die Jolle nehmen und damit nach Batabanó fahren", sagte Pablo. „Pullen meinst du", sagte Marco. „Ein Segel hat der Kahn ja nicht." „Immer noch besser, als durch den Dschungel zu marschieren", meinte der Andalusier. „Wie weit ist es eigentlich bis nach Batabanó?" wollte Pablo wissen. „Bin ich ein Hellseher?" brummte Luiz. Er erhob sich, verließ die Höhle und stieg in den Felsen ab. „Mehr als zwanzig Meilen sind's aber bestimmt!" rief er noch. „Da hat er recht", sagte Marco. Felipe hatte wieder sein spöttisches Lächeln aufgesetzt. „Ausnahmsweise mal."
„Hör auf", sagte Marco. „Ich schätze, daß wir bis nach Batabanó sogar dreißig Meilen oder ein wenig mehr haben. Das mit der Jolle ist eigentlich keine schlechte Idee. Wir könnten ja auch einen Mast und ein Segel herstellen. Na, was haltet ihr davon?" „Nicht viel", erwiderte Felipe. „Schon wieder Arbeit. Ich habe allmählich die Nase voll." „Ich auch", pflichtete Pablo ihm bei. „Ihr seid ganz schön beschränkt", sagte Marco. Sein Gesicht verzog sich ärgerlich. „Das nennt ihr Arbeit? Wollt ihr lieber durch den Urwald rennen? Von mir aus gern. Aber paßt auf, daß euch unterwegs keine Schlangen beißen." „He, den Einfall mit der Jolle habe ich aber gehabt", sagte Pablo. „Dann darfst du dich auch mit dem Notmast und dem Segel beschäftigen", sagte Felipe lachend. Mit diesen Worten stand er ebenfalls auf und verließ die Höhle. Er schritt ein Stück zwischen den Felsen nach unten, dann blickte er zu Luiz, der inzwischen den Fluß durchquert hatte und auf der anderen Seite bei den Büschen herumkroch. Schließlich verschwand er im Dickicht. Marco und Pablo sahen sich an. „Felipe stinkt mir", sagte Pablo. „Und auf Luiz würde ich auch ganz gern verzichten", murmelte Marco. „Meinst du, daß wir uns einig werden?" „Über was?" fragte Pablo verblüfft. Marco deutete auf den kleinen Berg Münzen. „Wir können durch zwei teilen. Aber nur, wenn wir uns die beiden vom Hals schaffen." Nachdenklich betrachtete Pablo die Münzen und dann die Kombüsenmesser, die weiter hinten in der Höhle lagen. Gar nicht so schlecht, dachte er, hätte mir auch einfallen können. Felipe schlich draußen herum und überlegte, wie er die drei Kumpane erledigen konnte. Er hatte vor, allein mit der Jolle nach Batabanó aufzubrechen. Ob er segeln konnte oder pullen mußte, war ihm ziemlich egal. Ihm ging es um den Haufen Gold und Silber, den sie zusammengekratzt hatten allein darum. Luiz kroch durch das Dickicht, verharrte und hob eine verdreckte Münze auf, die sich halb unter die Luftwurzel eines Mangrovenbaumes geschoben hatte. Er grinste. Nicht schlecht, dachte er, während er das Ding zwischen Daumen und Zeigefinger drehte
und wendete. Ob noch mehr Münzen in diesem Bereich herumlagen? Der Schwarzbart robbte weiter. Er plante, noch alles mitzunehmen, was er in diesem Gestrüpp zwischen die Finger bekam. Dann wollte er von der rückwärtigen Seite zu den Höhlen zurückkehren. Er würde einen nach dem anderen überraschen und abstechen Marco, Pablo und Felipe. Ein kurzes, scharfes Messer hatte sich Luiz schon heimlich in den Gurt geschoben. Es war der Morgen des 2. Juni 1595. Die Lage spitzte sich zu, die Dinge trieben ihrem unvermeidlichen Höhepunkt entgegen. Und doch sollte sich alles ganz anders entwickeln, als die vier Kerle sich das vorstellten. Von dem, was sie an diesem Tag noch erwartete, ahnten sie jedoch nichts. * Schiffe näherten sich der Bucht bei Batabanó. Es waren die „Sant Jago", die „San Sebastian" und die „Monarca", drei gut bestückte Kriegsgaleonen aus Havanna. Die „Sant Jago" war das Flaggschiff und wurde vom Generalkapitän Don Diego de Campos geführt. Die „San Sebastian" segelte unter dem Kommando des Don Gaspar de Mello. Die „Monarca" wurde von Juan de Alvarez befehligt. Sehr unterschiedlich waren diese drei Männer. Don Diego de Campos war ein harter Eisenfresser, der mit dem Schädel durch die Wand oder durchs Schott rannte und weder Kompromisse noch Diskussionen duldete. Seiner Meinung nach hätte de Mello den Seewolf in der Bucht bei Batabanó zusammenschießen müssen, statt vor ihm davonzusegeln. Dies nachzuholen, war der Señor Generalkapitän mit dem schnell zusammengestellten und ausgerüsteten Verband aus dem Hafen von Havanna ausgelaufen. Er wollte El Lobo del Mar stellen und der spanischen Krone überführen. Don Gaspar de Mello war ein besonnener, disziplinierter Mann. Für ihn stand das Wohl der Mannschaft an erster Stelle. Danach kam das Schiff und erst dann die Belange der spanischen Krone. Niemals hätte er seine Männer für einen solchen Wahnwitz geopfert. Er hatte genau gewußt, warum er vor dem Seewolf kapitu-
liert hatte. Schließlich hatte dieser drei Schiffe gehabt, mit denen er die „San Sebastian" hätte versenken können. Juan de Alvarez war ein in Ehren ergrauter und handfester Seemann. Ihm konnte keiner etwas vormachen. Er wußte, daß de Campos sich irrte. El Lobo del Mar ließ sich nicht packen jedenfalls nicht auf diese Art. Da mußte man schon schneller und klüger sein. Doch Alvarez dachte nicht daran, irgendeinen Kommentar zu den Befehlen des Señor Generalkapitäns abzugeben. Der mußte eben mal wieder mit dem Kopf durch die Wand Pardon, durchs Schott -, und keiner konnte ihn daran hindern. Don Diego de Campos stand auf dem Achterdeck seines Flaggschiffs, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Blick glitt über die Einfahrt der Bucht, die sich jetzt vor dem Dreier-Verband öffnete, und forschte die angrenzenden Uferstreifen ab. Kurz darauf, als die „Sant Jago" vor der „San Sebastian" und der „Monarca" in die Schatzbucht einlief, sah der Generalkapitän starr auf die gestrandete „Trinidad", die lädiert mit starker Backbordkrängung unweit des Ufers lag. Doch wo waren die „Vögel", die de Campos zu jagen und zu stellen gedachte? Ausgeflogen außer der „Trinidad" befand sich kein anderes Schiff in der Bucht. War es denn überhaupt die richtige Bucht? Natürlich, ein Zweifel war ausgeschlossen. Der Beweis dafür war die „Trinidad". Und Don Gaspar de Mello erinnerte sich selbstverständlich nur zu gut an die Lage der Bucht. Mit verkniffener Miene zückte Don Diego de Campos sein Spektiv und zog es auseinander. Er hob es ans rechte Auge, drückte das linke Auge zusammen und spähte durch das Okular. Die „Trinidad" war verlassen, soviel vermochte er auf Anhieb zu erkennen. Kein Mensch befand sich mehr an Bord, und auch die Ratten schienen das lecke, ramponierte Schiff verlassen zu haben. Der Ausguck der „Sant Jago" konnte auch nicht mehr sehen. Genauso ging es den Ausguckposten im Großmars der „San Sebastian" und der „Monarca". Die „Trinidad" war leer ein Geisterschiff. In der Bucht und in der näheren Umgebung regte sich nichts. „Hier sind keine Engländer mehr", sagte der Erste Offizier der „Sant Jago" dummerweise, denn de Campos ranzte ihn wegen dieser überflüssigen Bemerkung sofort an.
„Das sehe ich selber!" stieß de Campos barsch hervor. „Ich bin ja nicht blind." Er ließ das Spektiv wieder sinken, überlegte nur kurz und fällte dann seine Entscheidung. „Weit können sie noch nicht sein. Wir erwischen sie noch. Aber vorher will ich den Tatort inspizieren." So gingen die drei Kriegsschiffe in der Bucht vor Anker. De Campos ließ von jeder Galeone ein Beiboot abfieren. Die Kapitäne der „San Sebastian" und der „Monarca" mußten zum Ufer übersetzen. De Campos ließ sich ebenfalls an Land pullen. Als seine Jolle landete und er ausstieg, warf er zunächst einen verwunderten Blick auf die Überreste der „Rutsche", die Ferris Tucker mit einigen Helfern für den Transport der Schatzkisten konstruiert hatte. De Mello und Alvarez standen nur wenige Schritte entfernt und beobachteten, wie ihr Generalkapitän die Überbleibsel des „Schatzraubes" und die Spuren im Sand untersuchte. Die beiden Kapitäne tauschten nur einen Blick, sagten aber nichts. Ihre Meinung behielten sie für sich. Daß sie insgeheim beide das gleiche dachten, war ihnen klar. Mit langen, etwas stelzenden Schritten steuerte de Campos nun auf de Mello und Alvarez zu. „Lagebesprechung", sagte er schroff. „El Lobo del Mar hat das Weite gesucht, natürlich aus Angst vor Vergeltungsschlägen unsererseits. Er kann sich ja ausrechnen, daß wir uns diese bodenlose Unverfrorenheit und Gemeinheit nicht gefallen lassen." Hätte Don Diego de Campos auch nur geahnt, daß der „Pirat" Killigrew noch vor kurzem in Havanna gewesen war, hätte er vor Wut wahrscheinlich seinen Helm zerbissen. Aber der Señor Generalkapitän wußte nicht, welche Bedeutung das Handelshaus von Manteuffel in Havanna hatte und was für Pläne dort geschmiedet wurden. Auch Alonzo de Escobedo hatte nie herausgekriegt, wer Arne von Manteuffel wirklich war. Das war ja nicht einmal dem gerissenen Don Antonio de Quintanilla gelungen. Also hatten die Spanier auf Kuba keinen Verdacht, daß der Feind ihnen sozusagen auf dem Pelz hockte und jeden ihrer Schritte rechtzeitig genug erfuhr, um sich entsprechend darauf einzustellen. Und das war gut so. Wie sonst sollte der Bund der Korsaren seine Beutezüge planen und durchführen? Seine Aller katholischste Majestät, König Philipp II., sollte auch weiterhin kräftig geschröpft
werden. Hasard und seine Kameraden hatten an der CherokeeBucht einen neuen Stützpunkt eingerichtet, nachdem die Schlangen-Insel versunken war. Und die Nachrichtenübermittlung per Brieftauben funktionierte bereits wieder. Don Diego de Campos schaute sich um und richtete seinen Blick dann auf seine beiden Kapitäne. „Ich will den Tatort genau untersuchen", erklärte er. „Jeder von Ihnen holt sofort zwanzig Seesoldaten an Land. Die Trupps werden ausschwärmen und nachsehen, ob sich noch irgendwo Engländer verkrochen haben." Wieder nahmen de Mello und Alvarez die Befehle entgegen und gaben sie an ihre Mannschaften weiter. Die Jollen kehrten zu den Schiffen zurück und holten die Seesoldaten. Auch de Campos kommandierte zwanzig seiner Männer unter Leitung des Ersten Offiziers von der „Sant Jago" ans Ufer der Bucht. Hier versammelten sich die Soldaten und sahen ihren Generalkapitän an. Sie wußten nicht so recht, welchem Zweck das Ganze dienen sollte und was de Campos zu finden hoffte. Engländer bestimmt nicht das war absurd. Aber keiner stellte Fragen, keiner ließ auch nur die leiseste Bemerkung fallen. De Mello war sofort bewußt, daß der Generalkapitän mit seinem Vorhaben eine völlig andere Absicht verfolgte. De Campos neigte nämlich zu der Ansicht, de Mello habe ihm über die Geschehnisse an der Schatzbucht eine Art Bären aufgebunden. Außerdem war de Campos darauf scharf, dem etwas aufmüpfigen Don Gaspar de Mello etwas am Zeuge zu flicken. Doch nicht nur Don Gaspar de Mello war sich dieser Dinge bewußt. Auch Juan de Alvarez ahnte, daß der sehr ehrenwerte Señor Generalkapitän de Mello sozusagen „in die Pfanne hauen" wollte. Ob ihm dies aber gelang, war noch die zweite Frage. Zu den Seesoldaten der „Sant Jago", die an Land beordert worden waren, gehörten auch zwei Männer namens Rodrigero und Soares. Diese beiden waren dicke Freunde. Sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Auch sie waren sich wie alle anderen Seesoldaten und Seeleute darüber einig, daß de Campos nicht nur ein knarscher Nußknacker, sondern auch ein ziemlicher Leuteschinder war. Deshalb waren sie froh daß die Engländer verschwunden waren. Eigentlich hatten sie in Havanna schon mit ihrem Leben abgeschlossen und
sich betrunken, als sie gehört hatten, daß der Dreierverband zur Jagd auf den Seewolf auslaufen würde. Sie waren daraufhin von de Campos verdonnert worden. Aber er hatte sie nicht auspeitschen lassen. Dies wiederum war kein menschlicher Zug von ihm. Vielmehr brauchte er für sein geplantes Unternehmen jeden Mann und konnte auf keinen verzichten. Soares und Rodrigero konnten sich ein Grinsen kaum verkneifen. Sollte der „Alte", wie de Campos genannt wurde, doch recht lange an der Bucht herumsuchen. Ihnen war das nur recht. Und wenn de Campos seinem Capitän de Mello eins auswischen wollte was konnten sie dafür? Das war immer noch besser als ein höllisches Gefecht gegen den berüchtigten und gefürchteten El Lobo del Mar. De Mello mußte noch einmal erklären, wie sich alles zugetragen hatte. Er tat dies mit einer wahren Engelsgeduld. Dauernd stellte der Generalkapitän Zwischenfragen. Er wollte alles mögliche wissen, auch die unwichtigsten Sachen. De Mello stand Rede und Antwort. Er berichtete von Diego Machados Verrat und der Meuterei der Mannschaft der „Trinidad". Dann schilderte er, wie er die „Trinidad" am Auslaufen gehindert und die Höhlen mit den Kanonenkugeln der „San Sebastian" beschossen hatte. Schließlich endete er damit, wie die Engländer eingegriffen hatten. Er, de Mello, hatte keine andere Wahl gehabt; er hatte die Bucht räumen müssen und konnte noch froh sein, daß El Lobo del Mar ihn hatte davonsegeln lassen. De Campos wollte schon wieder aufbrausen, weil de Mello sich den Erzfeind der spanischen Nation durch die Lappen hatte gehen lassen, besann sich dann aber doch eines Besseren. Er begann mit der Untersuchung der Umgebung. Die Seesoldaten mußten ausschwärmen, den Strand nach Spuren abforschen und das Dickicht durchkämmen. Schon schnell wurde de Campos klar, mit welch genialer Idee die Schätze aus den Höhlen zum Strand hinunter bugsiert worden waren. Zwar hatte Ferris Tucker die Hölzer zur Rutsche wieder abmontiert, aber anhand der Spuren war zu rekonstruieren, daß eine solche Vorrichtung existiert hatte. So gelangten die Seesoldaten nach einiger Zeit allmählich an den neuen Ausgang der Höhlen. Natürlich hatte de Mello die Führung übernommen. Hin und wieder verharrte er und blickte zu de
Campos und Alvarez zurück, die ihm folgten. Manchmal mußte er auch neue Erklärungen abgeben, denn der Generalkapitän wollte über alles „genau und exakt Bescheid wissen". De Mello ließ diese Prozedur über sich ergehen. Was sollte er anderes tun? Schließlich war de Campos sein Vorgesetzter, und er, de Mello, konnte nicht dauernd das militärische Reglement verletzen, indem er gegen ihn aufbegehrte. Am neuen Ausgang der Höhlen hatten Carberry und Barba die letzten acht Deserteure der „Trinidad" gewissermaßen „kassiert". Davon wußte de Mello noch zu berichten. Der Rest wie Luiz, Pablo, Felipe und Marco einen Vorstoß gegen die Männer des Bundes der Korsaren gewagt hatten war ihm allerdings nicht bekannt. Und so ahnten die Männer der drei Kriegsgaleonen nichts davon, daß sich doch noch vier Kerle am Tatort befanden. De Campos, de Mello, Alvarez und die Gefolgschaft der Seesoldaten wurden erst stutzig, als die Stimmen vernahmen. Männerstimmen, die aus den Höhlen an ihre Ohren drangen. Sie sprachen Spanisch. Verblüfft blickten sich die Soldaten untereinander an. Was, in aller Welt, hatte das zu bedeuten? Der Generalkapitän fackelte nicht lange. „Das müssen Versprengte der „Trinidad" sein", urteilte er mit messerscharfem Verstand und dieses Mal lag er genau richtig. „Anders kann ich es mir nicht erklären. Sofort festnehmen, die Hunde!" 3. Felipe, der Andalusier, hätte die drei Kriegssegler bemerken können, als sie in die Bucht glitten. Doch er befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in den Felsen vor den Höhlen, sondern an dem Spalt, der ins Innere führte. Hier gedachte er, den ersten seiner Spießgesellen, der ihm zwischen die Finger geriet, zu töten. Natürlich hatte auch er ein Messer. Er hielt es jetzt in der rechten Hand. Unten, am Hang, hatte er einen Stein gefunden, mit dem er seine Waffe hatte wetzen können. So brauchte er nur noch zuzuschlagen. Der Zeitpunkt war günstig. Luiz kroch immer noch unten im Gestrüpp herum, fiel vorläufig also aus. Den könnte sich der Andalusier später vornehmen.
Er hatte also nur zwei Männer zu überwältigen: Marco und Pablo. Im Rauschen des Wasserfalles konnte er ihre Stimmen hören. „Sieh doch mal nach, wo Felipe steckt", sagte Marco gerade. Marco hatte mit Pablo einen Plan ausgeheckt. Felipe sollte hereingelockt und erstochen werden. Später war dann Luiz an der Reihe. Pablo sollte ganz einfach zu Felipe gehen und ihm mitteilen, daß man in der Höhle noch eine dicke Perle gefunden habe. Die wollte der Andalusier sicherlich begutachten und dann war er reif. Pablo schlüpfte durch den Spalt ins Freie. Sofort warf sich Felipe auf ihn und stach mit dem scharfen Messer auf ihn ein. Doch Pablo reagierte schneller, als der Andalusier gedacht hatte. Er wand sich wie eine Katze, zückte selbst einen Dolch, den er sich vorher zugesteckt hatte, und setzte sich zur Wehr. Die Klinge von Felipes Messer prallte gegen einen Stein. Das ergab einen harten, klirrenden Laut. Geröll bewegte sich unter den beiden kämpfenden Kerlen. Diese Laute wiederum hörte Marco und sofort eilte auch er ins Freie, um nach dem Rechten zu sehen. Marco erfaßte die Situation mit einem Blick und trat Felipe mit voller Wucht in die linke Körperseite. Felipe stöhnte auf und krümmte sich zusammen. Für einen Augenblick war er wie gelähmt. Pablo wollte sich wie von Sinnen mit dem Messer auf ihn stürzen, doch Marco hielt ihn zurück. „Warte!" zischte er. „Luiz kann jeden Moment auftauchen!" Es war besser, Felipe in der Höhle den Rest zu geben. Marco nahm dem Andalusier das Messer ab. Als Felipe aufspringen wollte, verpaßte ihm der Mann aus Murcia noch einen brettharten Hieb. Sie nannten ihn „alter Knochen", aber seine Faustschläge hatten es in sich. Gemeinsam schleppten Marco und Pablo den Andalusier in die Höhle. Hier warfen sie ihn zu Boden. „Du Schwein!" zischte Pablo. „Du wolltest mich abmurksen, was? Aber jetzt kriegst du, was du verdienst!" Wieder versuchte Felipe, sich zu befreien. Doch Marco war auf der Hut und knallte dem Kerl die Faust in den Nacken. Felipe stöhnte und sackte zu Boden. „Warum hast du das getan?" zischte Pablo dann. „Es es war ein Versehen", erwiderte Felipe, dem nichts Besseres einfiel. „Ich habe dich verwechselt."
„Mit wem denn?" wollte Marco wissen. „Mit 'nem Engländer." Marco und Pablo lachten höhnisch. „Hier sind keine Engländer mehr", entgegnete Pablo. „Das weißt du so gut wie wir. Du wolltest mich erdolchen, damit du mit mir nicht zu teilen brauchst." Felipe schaute vom Boden zu seinen beiden Gegnern hoch. Seine Augen funkelten vor Haß. „Und ihr? Was habt ihr denn vor, ihr Drecksäcke?" „Du bist schon immer ein blöder Hund gewesen", erwiderte Pablo. „Ich kann dich nicht leiden. Wir brauchen dich auch nicht mehr." „Los", sagte Marco. „Besorg es ihm, Pablo." „Nein!" schrie Felipe. „Das könnt ihr doch nicht tun! Das dürft ihr nicht!" Ihn packte die Panik und er rutschte bis an die Höhlenwand zurück. Pablo rückte mit dem erhobenen Messer auf den Andalusier zu. Er grinste wild und bewegte das Messer hin und her. „Na, du Spinner?" rief er. „Hast du jetzt die Hosen voll?" In diesem Augenblick geschah es. Marco vernahm ein schwaches Geräusch und fuhr noch herum. Zu spät! Seesoldaten drangen in die Höhle ein. Sie waren mit ein paar Sätzen heran, packten Marco und rissen dann auch Pablo zurück. „Wer seid ihr?" heulte Pablo und stach mit dem Messer um sich. Aber einer der Seesoldaten schlug ihm die Waffe aus der Hand. Dann verpaßte ein anderer Seesoldat Pablo einen Hieb in den Magen. Der Häßliche krümmte sich. Er würgte, hustete und spuckte. Felipe rappelte sich auf und rannte davon. Der Ausgang war durch die Soldaten versperrt. Aber er konnte noch ins Labyrinth fliehen. Vielleicht gab es woanders noch einen anderen Ausgang. Felipe wußte es nicht, hoffte aber darauf. Doch zwei, drei Soldaten waren dem Andalusier dicht auf den Fersen. Es wurde zwar immer dunkler, aber sie konnten den Flüchtigen noch vor sich erkennen. Felipe taumelte etwas. Er war von den Hieben, die er hatte einstecken müssen, noch benommen. Plötzlich stolperte und stürzte er. Sofort hatten die Seesoldaten ihn eingeholt. Sie stoppten, bückten sich nach ihm und rissen ihn zu sich hoch. Felipe fluchte und
wollte sich losreißen. Doch er hatte keine Chance. Sie hatten ihn eisenhart im Griff und ließen ihn nicht mehr los. Die Soldaten zerrten Felipe in die erste Höhle zurück. Don Diego de Campos, de Mello und Alvarez waren nun zur Stelle und betrachteten die drei Gefangenen. Der Generalkapitän rümpfte die Nase. „Widerlich", sagte er. „Das sollen Spanier sein? Die sind ja total verludert und verdreckt." „Wir sind Spanier!" stieß Pablo zornig hervor. „Halt doch dein Maul", sagte der Andalusier. De Campos fragte: „Wie heißt ihr?" Marco begriff, daß es besser war, nichts zu verheimlichen. Es hatte ja ohnehin keinen Sinn. „Marco, Pablo und Felipe von der „Trinidad", Señor. Wir haben nichts verbrochen, sondern uns vorhin nur erschrocken." „Aha", entgegnete der Generalkapitän. „Und was treibt ihr hier?" „Wir haben uns retten können", erwiderte Marco, der Mann aus Murcia. „Wir sind wohl die einzigen Überlebenden, schätze ich." Er schickte einen hilfesuchenden Blick zu de Mello. „Sie wissen doch, was hier geschehen ist, nicht wahr?" „Ja", erwiderte de Campos. Er deutete auf die Münzen, Perlen und Edelsteine, die am Boden lagen. „Und was ist das?" „Ein paar Münzen", erwiderte Felipe höhnisch. „Was sonst?" De Campos wandte sich an seinen Ersten Offizier. „Der Kerl empfängt nachher sechs Hiebe mit der Neunschwänzigen. Wegen Frechheit." Pablo kicherte. Felipe schwieg. De Campos fixierte Pablo, und auch dieser verstummte. Dann war es Marco, der freiwillig wieder das Wort ergriff. „Señor", sagte er zu de Campos. „Das haben wir gefunden. Es sind die Überreste des Schatzes. Wir dachten..." „Einkassieren!" befahl de Campos. Die Soldaten holten einen Lederbeutel und füllten ihn mit den Goldmünzen, den Perlen und den Diamanten. Marco, Felipe und Pablo war es zum Heulen zumute. Aber sie sprachen kein Wort. „Ihr seid zu dritt?" fragte de Campos barsch. „Ja, Señor", erwiderte Marco. Soviel Ganovenehre, daß er Luiz nicht verriet, hatte er denn doch noch. Und wenn Luiz auf freiem Fuß blieb, gab es vielleicht
noch eine Chance. Bestimmt half er seinen Kumpanen aus der Patsche und befreite sie. Wenn er nicht eingriff, sah es übel aus für Marco, Pablo und Felipe. Natürlich kannten sie den Generalkapitän aus Havanna und waren über seine rüden Methoden im Bilde. „Das glaube ich nicht", sagte de Campos. Er gab den Soldaten einen Wink. „Draußen suchen. Vielleicht treiben sich da noch mehr Kerle herum." Er richtete seinen Blick wieder auf Marco. „Ihr seid nicht die einzigen Überlebenden der „Trinidad". Acht sitzen in Havanna im Kerker. De Escobedo wurde ebenfalls eingesperrt." „Das hat er verdient", sagte Marco. „Warum?" fragte de Campos sofort. „Weil er den Schatz für sich einheimsen wollte." „Nicht für die Krone?" „Für sich ganz allein", erwiderte Marco. Irgendwie spürte er, daß es eine Chance gab, wenn er die Wahrheit sagte und so viel wie möglich über de Escobedo und den verbrecherischen Diego Machado berichtete. „Er hat sich mit unserem Capitän, Machado, zusammengetan. Aber der Capitän de Mello hat sie durchschaut. Dieses Komplott und den Verrat an der Krone wollte er verhindern." Jetzt hatte de Campos eine erste Bestätigung, daß alles, was de Mello erzählt hatte, der Wahrheit entsprach. Also konnte er ihm doch nichts am Zeuge flicken. Halb so schlimm viel wichtiger war, von den festgenommenen Kerlen zu erfahren, in welche Richtung sich die Engländer gewandt hatten. Im Freien kletterten unterdessen die Seesoldaten in den Felsen herum und hielten nach weiteren „Versprengten" der „Trinidad" Ausschau. Rodrigero und Soares gehörten zu diesem Trupp. Sie waren diejenigen, die sich als erste dem Fluß näherten und auf die Idee verfielen, ihn zu überqueren. „Man kann hindurchwaten", sagte Rodrigero, als sie direkt an dem Wasserlauf standen. Er konnte auf den flachen Grund sehen und beobachtete einen Schwarm Fische, der sich mit der Strömung entfernte. „Aber vielleicht gibt es giftige Würmer", sagte Soares. „Hier?" Rodrigero grinste. „Das glaub' ich nicht. Das Wasser ist klar genug. Man würde sie sehen." „Bist du ganz sicher?"
„Natürlich nicht." Rodrigero schickte sich an, den Fluß zu durchqueren. „Aber stell dich nicht so an. Los!" Soares wollte sich nicht vorwerfen lassen, ein Feigling zu sein. Er folgte dem Freund. Als sie fast drüben, am anderen Ufer, angelangt waren, zuckte er aber doch zusammen. Nicht, weil ihn ein giftiger Süßwasserwurm gestochen oder ein Krebs gezwickt hatte, sondern weil von drüben, aus dem Dschungeldickicht, ein gellender Schrei ertönte. * Wie ein Maulwurf kroch Luiz durch das Gestrüpp und hielt ausgiebig Nachlese. Er hatte allen Grund, sich Mühe zu geben. Jetzt hatte er schon drei Münzen gefunden und in die Tasche gesteckt. Der Henker mochte wissen, wie sie hierher geraten waren. Egal Luiz dachte nicht weiter darüber nach. Irgendeiner der „Trinidad"Kerle konnte sie ins Dickicht befördert haben, um eine Kleinigkeit für sich abzuzweigen. Oder aber die Münzen waren schon auf dem Hertransport durch Don Antonio de Quintanilla verlorengegangen. Möglich war alles, gerade in dieser verrückten Gegend und bei diesem wahnwitzigen Unternehmen. Luiz hatte schon viel erlebt. Aber dieser BatabanóCoup überraf alles. Daß er immer tiefer in den Dschungel vordrang, fiel dem Schwarzbart eigentlich gar nicht richtig auf. Die Gier hatte ihn wieder voll gepackt. Er vergaß auch, daß er einige Schwierigkeiten hatte, sich im Urwald zu orientieren. Andere Kerle wie Marco, Pablo und Felipe fanden sich da besser zurecht. Luiz verharrte erst, als er hinter seinem Rücken Stimmen zu. hören glaubte. Lauernd hob er den Kopf. Seine Miene wurde tückisch. Wer war das? Marco, Pablo und Felipe? Suchten sie ihn? Nein, das Waren nicht ihre Stimmen. Eben wollte Luiz sich aufrichten, da schob sich aus dem Halbdunkel des Gestrüpps etwas auf ihn zu. Eine Schlange. Ihr Leib berührte seine linke Hand. Luiz schrak zusammen, wandte den Kopf und erblickte das Reptil. Vor Entsetzen schrie er gellend auf. Die Schlange bäumte sich auf, ihr Oberkörper pendelte hin und her. Die gespaltene Zunge schob sich zwischen ihren Lippen her-
vor. Sie öffnete ihr Maul mit den dolchspitzen Zähnen, ließ es wieder zuschnappen und gab einen zischenden Laut von sich. Luiz war wie gelähmt. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, eine Giftschlange vor sich zu haben. Zornig schob sie sich noch dichter auf ihn zu. Gleich beißt sie mich, durchfuhr es ihn, nein! Er wollte wieder schreien, aber die Panik schnürte ihm die Kehle zu. Schritte näherten sich von hinten. Luiz nahm es nicht mehr richtig wahr. Er war sicher, sterben zu müssen. Das Grauen hielt ihn wie in einem Bann fest. Er war zu keiner Reaktion fähig. Er hätte jetzt zum Messer greifen sollen doch er konnte es nicht. Rodrigero und Soares, von dem Schrei des Schwarzbärtigen angelockt, näherten sich und sahen den Kerl, der wie paralysiert dahockte. Soares entdeckte die Schlange und zückte seinen Säbel. Die Schlange zischte und fuhr mit dem Kopf hin und her. Soares ließ sich nicht beirren. Er blieb neben Luiz stehen und schlug in dem Moment mit dem Säbel zu, als der Kopf des Tieres auf den Schwarzbart zustieß. Die Klinge trennte den Kopf der Schlange säuberlich ab. Er flog ins Gebüsch. Der Leib des Reptils wand sich zuckend auf dem Boden und blieb schließlich reglos liegen. Luiz stöhnte. Er war aschfahl im Gesicht. Kalter Schweiß war ihm ausgebrochen. Er sah aus, als müsse er sterben, obwohl die Gefahr gebannt war. „Donnerwetter", sagte Rodrigero zu Soares. „Das hast du toll hingekriegt. So kenne ich dich gar nicht." ,Es ist nicht die erste Schlange, die ich erledige." „Sie hätte den Burschen hier glatt gebissen." Rodrigero packte Luiz an der Schulter und schüttelte ihn. „He! Was ist denn mit dir los? Geht's dir nicht gut?" „Ich will hier weg", murmelte Luiz. Nur schwerfällig erhob er sich und drohte, in den Knien einzuknicken. Dann aber wankte er mit den beiden Seesoldaten davon. Daß sie ihre Pistolen zogen und ihn in Schach hielten, begriff er erst, als sie das Dickicht verließen und zu den Felsen schritten. Rodrigero und Soares nahmen an, es handle sich bei dem Schwarzbart um einen Verrückten. Doch bald stellte sich heraus, daß der Kerl völlig normal war. Er wurde Don Diego de Campos und den beiden Kapitänen vorgeführt. „Wer bist du?" herrschte der Generalkapitän ihn an.
„Luiz", erwiderte der Schwarzbart. „Luiz und weiter?" „Alle nennen mich nur Luiz." „Scheußlich", sagte de Campos. „Diese Bastarde haben nicht einmal einen Nachnamen." Luiz blickte zu Rodrigero und Soares. „Danke", murmelte er. „Für die Rettung." „Nicht der Rede wert", entgegnete Soares. „Was ist geschehen?" schnappte de Campos. Rodrigero berichtete in knappen Zügen, was sich abgespielt hatte. De Campos nickte nur. Er hätte den beiden Soldaten seine Anerkennung aussprechen können. Aber das war nicht seine Art. Wer gelobt wurde, bildete sich nur was ein. Also war es besser, keinen Mann zu loben, damit er nicht eingebildet und überheblich wurde. So und ähnlich lauteten Don Diego de Campos' verschrobene Prinzipien. De Campos wandte sich wieder an Marco. „Du hast mich angelogen. Das wirst du büßen. Erster, notieren Sie den Mann. Er kriegt nachher auch sechs Hiebe." „Jawohl", erwiderte der Erste Offizier der „Sant Jago". „Wie viele von euch Hundesöhnen treiben sich noch hier herum?" fragte de Campos die vier Gefangenen kalt. „Keine mehr", erwiderte Luiz. „Wir sind zu viert." „Wenn das nicht stimmt, erhältst du zwölf Hiebe!" Luiz' Stimme bebte. „Es ist die Wahrheit! Ich schwöre es! Und wir sind unschuldig! Wir haben nichts getan! Wir sind ehrliche Seeleute!" „Durchsuchen!" ordnete Don Diego de Campos an. Rodrigero und Soares mußten den Schwarzbart abtasten. Sie griffen ihm auch in die Hosentaschen und förderten die Münzen zutage, die er gefunden hatte. „Eine feine Bande, die wir da aufgegriffen haben", urteilte der Generalkapitän. „Wißt ihr, wem diese Münzen, die Perlen und die Edelsteine rechtmäßig gehören?" „Ja, Señor", antwortete Marco. „Dem König von Spanien." „Wir haben sie für ihn eingesammelt", behauptete Pablo. „Sechs Hiebe mit der Neunschwänzigen", ordnete de Campos an. „Erster, auch diesen Kerl notieren." „Jawohl, Señor." „Gnade!" jammerte Luiz. „Erbarmen!" Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre auf die Knie gefallen.
De Campos stemmte die Fäuste in die Seiten und betrachtete Luiz wie einen häßlichen, ekelhaften Wurm. „Sechs Hiebe!" sagte er barsch. „Nein!" stöhnte Luiz. „Wo sind die anderen?" brüllte de Campos. „Es gibt keine anderen!" heulte Luiz. „Wir sind zu viert!" rief nun auch Marco. „Wir sind von der „Trinidad"!" beteuerte Luiz. „Es scheint zu stimmen", sagte Don Gaspar de Mello. „Ich habe diese Kerle an Bord der „Trinidad" gesehen." „Was stimmt und was nicht, das bestimme ich", sagte der Generalkapitän. Er nahm sich Luiz vor, der der Labilste aus dem Quartett zu sein schien. „Was ist dir lieber? Die Neunschwänzige oder Aufhängen an der Großrah?" „Die Neunschwänzige!" keuchte Luiz. „Dann sage die Wahrheit." „Was soll ich sagen?" fragte Luiz hastig. „Alles", forderte de Campos. Die Worte sprudelten nur so aus Luiz' Mund. Er berichtete, was ihm einfiel. Wie sie die „Trinidad" hatten entern wollen und versucht hatten, in die Höhlen einzudringen, wie die Engländer sie gefangengenommen hatten und sie unter der Fuchtel des „gräßlichen Faßteufels" hatten schuften müssen. Dann schilderte Luiz, wie man sie in die Vorpiek der „Trinidad" gepfercht hatte und sie sich schließlich befreit hatten. „Was ist das für ein Faßteufel?" fragte de Campos. „Der Profos dieser Bastarde", entgegnete Luiz. „Ist der so schlimm?" „Das scheußlichste Monstrum, das ich je gesehen habe", erwiderte Luiz. „Dem möchte ich nie wieder begegnen." „Ich auch nicht", sagte Pablo. Ehe auch Marco und Felipe zu diesem Punkt etwas äußern konnten, hob der Generalkapitän die Hand. „Das genügt. Erster!" „Señor?" „Die Suchtrupps haben keine weiteren Kerle aufgegriffen?" „Nein, Señor", entgegnete der Erste Offizier. „Es scheint sich wirklich nur um die vier zu handeln." „In Ordnung." Don Diego de Campos fixierte wieder Luiz, der unter diesem Blick zusammenzuschrumpfen schien. „Das heißt also, die Engländer sind am 30. Mai davongesegelt?"
„Jawohl." „Mit ihren drei Schiffen und der gesamten Beute?" „Ja, Señor", erwiderte Luiz. „So wahr ich hier stehe. Und wenn auch nur ein Wort gelogen war, will ich auf der Stelle tot umfallen." „In welche Richtung sind sie gesegelt?" fragte der Generalkapitän. „Nach Süden", antwortete Marco. „Moment", sagte Felipe hastig. „Ich habe vorher aber noch aufgeschnappt, daß sie die Absicht hatten, sich dann ostwärts in Richtung Windward-Passage zu wenden." Don Diego de Campos maß den Andalusier mit einem kalten Blick von oben bis unten. „Wenn das nicht stimmt, du Hundesohn, lasse ich dich zu Tode peitschen." „Es stimmt", entgegnete Felipe. „Ich stehe dafür ein." „Ja, ich habe auch so was gehört", pflichtete Marco ihm bei. Ein dünnes Lächeln kerbte sich in de Campos' Mundwinkel. Innerlich frohlockte er. Mehr hatte er nicht erfahren wollen. Diese vier Kerle waren außerordentlich wertvoll für ihn. Ohne sie hätte er die Spur des gefürchteten El Lobo del Mar nicht mehr aufnehmen können. Zu viel Zeit war vergangen. So aber hatte er eine Chance, den Todfeind der spanischen Krone doch noch zu finden. Gerüchte liefen um, der Seewolf habe bei den Caicos-Inseln einen geheimen Schlupfwinkel. Wenn dem so war und de Campos hatte allen Grund zu der Annahme, daß es wirklich stimmte -, dann mußte El Lobo del Mar zwangsläufig durch die Windward-Passage segeln. Also hinterher! „Señores", sagte der Generalkapitän. Seine Stimme hatte nun einen ehernen Klang. „Wir nehmen die Verfolgung dieser Verbrecher auf. Und wir werden sie stellen und zusammenschießen, das schwöre ich!" Soares und Rodrigero wurde sofort wieder mulmig zumute. Sie konnten nur hoffen, daß der sehr ehrenwerte, durchlauchte und mutige Herr Generalkapitän bei seinem Unternehmen Pech hatte. Stieß er wirklich auf den Seewolf und dessen unheimliche Verbündete, dann gab es ein heißes Gefecht und was für eins! „Was geschieht mit uns?" wagte Luiz zu fragen. De Campos sah ihn nicht an, er gab nur seinem Ersten Offizier einen Wink. „Die vier Kerle werden requiriert und an Bord der
,Sant Jago' verfügt. Wenn sie ihre Strafe erhalten haben, müssen sie sofort zum Dienst antreten." „Gnade!" stöhnte Luiz. „Wenn sich die Kerle aufsässig zeigen, verdoppeln Sie die Zahl", ordnete der Generalkapitän an. Luiz, Marco, Pablo und Felipe schwiegen. Mit hängenden Köpfen verließen sie die Schatzhöhlen. Sie mußten nach unten steigen und wurden von den Seesoldaten mit vorgehaltenen Musketen bewacht. An Flucht war da nicht zu denken. Die vier waren ihre Beute los, und Waffen hatten sie auch nicht mehr. Hunger und Durst hatten sie. Richtig elend war ihnen zumute. Die Aussicht, unter der Knute dieses Eisenfressers segeln zu müssen, war auch alles andere als rosig. Eine weitere Schreckensnachricht war die Tatsache, daß de Campos den Seewolf fassen wollte. Dann begegnete man zwangsläufig auch wieder dem Faßteufel Carberry. Luiz, Marco, Pablo und Felipe wagten nicht, sich auszumalen, was für eine Art von Wiedersehen das sein würde. Aber sie hatten sich zu beugen. Man pullte sie an Bord der „Sant Jago". Hier wurden sie erst einmal vom Profos ausgepeitscht aber sechs Hiebe waren noch eine milde Strafe. Don Diego de Campos brauchte eben jeden Mann. Auch auf diese vier konnte er nicht verzichten. Sie wurden entkleidet und in einen Waschzuber gesteckt, dann erhielten sie die Montur der Seeleute. Später empfingen sie etwas zu essen und jeder eine Muck voll Wasser, dann mußten sie zum Dienst antreten. Don Diego de Campos verlor keine Zeit. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Er schloß die Suche am Ufer der Bucht ab und befahl, daß sich die Mannschaften wieder an Bord ihrer Schiffe zu begeben hätten. De Mello und Alvarez zogen ihre Leute ab. Alle pullten zurück zur „Sant Jago", zur „San Sebastian" und zur „Monarca"". Kurze Zeit darauf gingen die drei Kriegsgaleonen ankerauf. Sie verließen die Bucht und segelten ostwärts. De Campos stand wieder auf dem Achterdeck seines Flaggschiffes und verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte es kaum erwarten, den Feind zu stellen und zu zerschmettern. Natürlich waren Rodrigero und Soares nicht die einzigen, die ihre Bedenken wegen eines möglicher weise bevorstehenden Gefechts hatten. Fast alle Seesoldaten und Seeleute der drei Schiffe dachten so wie sie. Aber was nutzte das? Sie hatten sich den Be-
fehlen zu fügen. Sonst wurden sie wegen Meuterei füsiliert oder aufgehängt. „Das kann heiter werden", sagte Soares zu Rodrigo. „Mann, ich hätte Lust, mich wieder zu besaufen wie in Havanna." „Daraus wird nichts", brummte sein Freund. „Schlag dir das aus dem Kopf." Marco, der mit dem Aufschießen eines Falls beschäftigt war, stand nicht weit von ihnen entfernt und hatte ihre Worte gehört. „Es ist besser, wenn wir diesen Lobo del Mar nicht finden, glaubt's mir", sagte er. „Wir glauben es", erwiderte Soares. „Ist dieser Faßteufel wirklich so schlimm?" wollte Rodrigero wissen. „Ja", sagte Marco, der Mann aus Murcia. „Ein schreckliches Ungeheuer. Aber die Hunde haben auch einen Neger dabei und noch ein paar andere Giganten. Die können einem Mann beim lebendigen Leib mit einer Hand die Knochen brechen, sage ich euch. Ja, und ein Weib haben sie auch." „Was, ein Weib?" fragte Soares verblüfft. „Sogar eine Schönheit", entgegnete Marco. „Aber sie hat Haare auf den Zähnen und den Satan im Leib. Jeder Kerl wird bei ihrem Anblick heiß, aber ich rate keinem, sich mit ihr einzulassen." „Na, das sind vielleicht Aussichten", murmelte Rodrigero erschüttert. „Hast du was Besseres erwartet?" fragte Soares. „Natürlich nicht, das weißt du doch." „Na dann", brummte Soares. „Fangt schon mal an zu beten, vielleicht hilft es ja." „Was habt ihr da zu quatschen?" Die Männer schwiegen und versahen ihren Dienst. An Bord der „Sant Jago" herrschte gedrückte, gereizte Stimmung. Die Männer waren schon lange nicht mehr im Gefecht gewesen. Ausgerechnet gegen den Seewolf sollten sie nun vorgehen? Von dem gab es die wildesten Gerüchte. Unbesiegbar sollte er sein. Ausgerechnet sie sollten ihn angreifen? Zur Hölle mit de Campos! Aber er war nun mal der Generalkapitän, Außer de Campos war nur noch ein Mann des Verbandes mit sich zufrieden; Don Gaspar de Mello. Immerhin konnte er für sich verbuchen, daß die vier Kerle Luiz, Marco, Pablo und Felipe im
Grunde seine Darstellung über die Geschehnisse in und an der Bucht bei Batabanó bestätigt hatten. Ein Erfolg für de Mello. Daß sein Verhältnis zu dem Generalkapitän trotzdem auch weiterhin gespannt bleiben würde, stand auf einem anderen Blatt. Don Diego de Campos gehörte zu der selbstherrlichen Sorte, die sich für unfehlbar hielt Wahrscheinlich würde er sich seinen harten Schädel einrennen, doch niemand konnte ihn daran hindern. 4. Der 30. Mai war auch für die Männer und Frauen des Bundes der Korsaren, die den Schlupfwinkel an der Cherokee-Bucht systematisch weiter ausbauten, ein Tag von Bedeutung. Don Antonio de Quintanilla trat an diesem Morgen aus seiner Hütte, breitete die Arme aus und gähnte erst einmal herzhaft. Dann begab er sich mit seinem typischen watschelnden Gang zum Strand und nahm ein Bad. Er planschte ein wenig im Wasser herum, legte sich auf den Rücken und ließ sich treiben. Er schaute den Möwen zu, die am Morgenhimmel kreisten, atmete tief durch und sagte sich, daß sein Schicksal eigentlich doch nicht so schlecht war. Er lebte noch dabei hätte er tot sein können, hingerichtet durch seine Gegner. Er erfreute sich bester Gesundheit und hatte keine Sorgen mehr. Ein Gouverneur hatte seine Pflichten, seine Aufgaben und seinen Ärger. Ein Vizekönig und das hatte er ja werden sollen war noch schlechter dran. Im Grunde war es herrlich, weder Gouverneur noch Vizekönig zu sein. Das war ihm aber erst in den letzten Tagen aufgegangen. Don Antonios Augen verengten sich etwas. Zwischen dem Schwärm Möwen, der sich über der Bucht bewegte, entdeckte er plötzlich einen kleineren Vogel. Mit Tieren kannte der Dicke sich zwar nicht sonderlich gut aus. Aber er glaubte doch zu erkennen, daß es sich um eine Taube handelte. In Havanna hatte Don Antonio gelegentlich die Turteltauben, die unter dem Dach des Gouverneurspalastes an der Plaza nisteten, mit kandierten Früchten gefüttert. Die Vögel waren lammfromm und nahezu handzahm, sie flogen bis auf die Balkone und die Loggia.
Als die Sache mit der Fütterei allerdings überhandnahm, hatte er seinen Lakaien die Anweisung gegeben, die Viecher mit Körnern zu versorgen. Fortan hatte Don Antonio die kandierten Früchte lieber wieder selber verspeist. Eine Taube also, und sie hielt zielstrebig auf die Bucht zu. Don Antonio senkte die Beine und richtete sich im Wasser auf. Er schirmte seine Augen zum Schutz gegen die Wasserreflexe mit der Hand ab und spähte zu dem flatternden, kreisenden Vogel hinauf. Der Schattenriß der Taube vergrößerte sich. Es gab keinen Zweifel mehr: einer von Jussufs gefiederten Lieblingen befand sich im Anflug. Don Antonio staunte nicht schlecht. Zum ersten Male erlebte er, mit welcher Präzision diese Vögel sich zu orientieren vermochten. Eigentlich erschien es völlig unsinnig und absurd, daß ein solches Tier von Havanna bis hierher flog, ohne sich zu verirren. Und doch war es möglich. So hatte Don Antonio de Quintanilla die Bestätigung, wie die Nachrichtenübermittlung zwischen Kuba und dem Schlupfwinkel der Seewölfe der Schlangen-Insel in den vergangenen Zeiten funktioniert hatte. Er wußte jetzt alles, aber es war zu spät, dieses Wissen zu verwenden. War er wütend darüber? Jetzt nicht mehr. Er grinste nur, als er aus dem Wasser watschelte. Sie waren schon Teufelskerle, dieser Hasard, die Arwenacks und die anderen Leute vom Bund der Korsaren. Die Brieftaube schwebte ein und landete in ihrem Schlag bei Amina, der Taubendame. Don Antonio erreichte keuchend die Schläge und beugte sich über sie. Das Taubenpärchen tobte ganz schön herum, aber es gelang dem Dicken dennoch, das Männchen zu packen und ihm die Botschaft abzunehmen. Soviel hatte Don Antonio schon gelernt. Aber wie der Täuberich hieß, wußte er beim besten Willen nicht. Auch mit der Nachricht konnte er wenig anfangen. Sie war in deutscher Sprache abgefaßt. Aber auf seine Rufe hin eilte bald Verstärkung herbei. Gotlinde, Thorfin Njals Frau, erschien und klärte Don Antonio auf. „Das ist Hassan", sagte sie. „Er hat seine Lektion gelernt und sich auf den neuen Kurs von Havanna hierher eingestellt." Don Antonio kicherte und wies auf den Schlag. „Na so was! Ein ganz stürmischer Liebhaber!"
Gotlinde blieb gelassen. „Das ist normal. Amina ist ja überhaupt der Anlaß, warum er bis hierher fliegt." „Aha!" sagte der Dicke. „Aber was steht auf dem Zettelchen?" Ribault, der Wikinger, Oliver O'Brien und einige andere Männer trafen ein, unter ihnen auch Nils Larsen, der die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschte. Nils las die Botschaft und übersetzte sie. Die Freunde atmeten auf, hieben sich auf die Schultern und lachten. Die Schatzexpedition war also geglückt, alles hatte bestens geklappt. Der Schatz von der Batabanó-Bucht gehörte dem Bund der Korsaren! Don Antonio mußte sich erst mal setzen, als er dies vernahm. Aber dann freute er sich auch mit. Den Schatz war er ja sowieso los. Da war ihm schon lieber, daß er nun hierher, zur CherokeeBucht, gebracht wurde. Schlimmer wäre gewesen, wenn all die Reichtümer tatsächlich dem raffgierigen Alonzo de Escobedo der Teufel mochte ihn holen in die Hände gefallen wären. Die Brieftaubenpost gab auch Auskunft darüber, daß Hasard die Absicht hatte, den längeren Seeweg zu wählen, um zur CherokeeBucht zurückzukehren durch die Windward-Passage. „Er hat recht", sagte Jean Ribault. „Das ist in diesem Fall der sicherste Weg. Er vermeidet auf diese Weise die Begegnung mit spanischen Kriegsschiffen." „Die garantiert nach der ,Isabella', der ,Caribian Queen' und der ,Le Griffon' suchen", fügte Oliver O'Brien mit grimmiger Miene hinzu. „Die Dons nehmen das mit dem Schatz doch nicht so einfach hin. Die schicken von Havanna bestimmt einen Verband los." „Wie ich die ,Dons' kenne, tun sie's bestimmt", sagte Don Antonio grinsend. Pater David trat hinzu. „Das ist ganz sicher. Aber sie werden staunen, wenn sie die Schatzbucht leer vorfinden." „Drei volle Schiffe!" rief Thorfin Njal mit Donnerstimme. „Jede Menge Gold, Silber, Perlen und Diamanten! Das muß gefeiert werden!" Sie feierten auch wirklich, schon am frühen Morgen. Der Jubel war groß. Don Antonio de Quintanilla fiel die Aufgabe zu, Wein aus einem Faß in Becher abzufüllen. Er becherte mit der Genehmigung aller auch selbst ein bißchen mit und freute sich des Lebens. Seltsamerweise empfand er tatsächlich überhaupt kein Bedauern, daß nun andere die Nutznießer seines immensen Schat-
zes waren. Es waren jene, bei denen er lebte und bei denen er sich jetzt sogar wohl zu fühlen begann. Die Brieftaubennachricht hatte bei Jean Ribault eine Idee ausgelöst. Er besprach diesen Plan etwas später, als sich die Begeisterungswogen etwas geglättet hatten, mit den Freunden. „Ich finde, wir sollten unseren Freunden eine Art Geleitschutz entgegenschicken", erklärte er. „Man kann ja nie wissen, was passiert. Bei der Größe des Schatzes wäre es bestimmt erforderlich, findet ihr nicht?" „Sehr richtig", pflichtete der Wikinger ihm sofort bei. „Ich bin bereit, sofort mit meinem Schiff auszulaufen." „Nein, das kommt nicht in Frage", widersprach Ribault. „Wir brauchen dich und deine Männer hier." „Hab's ja gewußt", brummte der Nordmann ärgerlich. „Wäre ja auch zu schön gewesen." „Ich finde, Donegal ist der richtige Mann für das Unternehmen", sagte Ribault. „Die „Empress" ist ein schnelles und wendiges Schiff, genau das richtige für diese Aufgabe." „Ja, Potzdonner noch mal, bei Odin und seinen Raben!" polterte der Wikinger los. „Donegal ist doch überhaupt nicht da!" In der Tat: Jean Ribaults Plan mit dem Geleitschutz verzögerte sich etwas, weil die „Empress of Sea" Coanabo und dessen Stamm auf Andros gerade einen Besuch abstattete. Teils geschah dies, um Bedarfsgüter gegen Früchte und Gemüse zu tauschen, teils, um Coanabo zu informieren, daß der Bund der Korsaren Zuwachs erhalten hatte Taina und ihre Gefährtinnen. Don Juan de Alcazar und Taina begleiteten den Alten auf dieser „kleinen Hochzeitsreise", wie die Mannen des Bundes die Fahrt nach Andros getauft hatten. Ein paar Tage, das stand fest, würde die Reise noch dauern, dann aber würde die „Empress" wieder zurück sein, und sie konnte mit Kurs auf die Windward-Passage auslaufen. Die „Empress of Sea II." kehrte am 4. Juni zur Cherokee-Bucht zurück. Mit Pfiffen und Jubel wurde sie empfangen. Sie ging vor Anker, dann pullten Old O'Flynn und die Besatzung an Land Hier vernahmen sie die Neuigkeiten. Sogleich wurde ein Umtrunk vorgenommen, und der Alte verkündete, er habe trotz aller Schwarzmalerei und der üblichen „düsteren Vorboten" von Anfang an gewußt, daß Hasard, SiriTong und Bayeux der Batabanó-Raid gelingen würde.
Noch am selben Tag rüstete die „Empress of Sea" für die neue Reise. Am 5. Juni segelte sie bereits entlang der Bahamas südostwärts. Außer Nils Larsen, Sven Nyberg und Martin Correa befanden sich auch wieder Don Juan de Alcazar und seine Taina mit an Bord. Sie verlängerten auf diese Weise ihre Hochzeitsreise. Auf der „Empress" waren sie von Old Donegal wohlgelitten. Der alte Zausel mochte die beiden nämlich verdammt gern, was er offen aber nicht zugab. Er geizte aber nicht mit dem Wein und prostete seiner kleinen Crew aufgekratzt zu. Dann ließ er seine kauzigen Sprüche vom Stapel, die für Gelächter und Heiterkeit sorgten. Mit anderen Worten: es herrschte eine prächtige Stimmung an Bord. Das sollte auch in den nächsten Tagen noch so bleiben. Vier Tage brauchte der Segler, um das Seegebiet der Caicos-Inseln zu erreichen. * Am Morgen des 9. Juni 1595 stand die „Empress of Sea II." südwestlich der Caicos-Inseln. Old O'Flynn hatte vor, Tortuga anzusteuern. „Hört mal her", sagte er zu seinen Leuten. „Ich bin fest davon überzeugt, daß Hasard auf Tortuga Zwischenstation eingelegt hat." „Klar", sagte Nils Larsen. „Sonst wären wir ihm ja längst begegnet." „Unsere Kerls werden sich doch die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mal wieder bei Diego einzukehren", sagte Sven Nyberg lachend. „Kein Zweifel", sagte auch Don Juan. „Die ,Schildkröte' ist ein zu verlockendes Ziel." Old O'Flynn grinste wie ein Faun. „Und Carberry, dieser Rabauke, wird dort mit seinen Mannen einen draufhauen. Das ist alte Tradition bei uns Arwenacks." „Also", sagte Martin Corres. „Nichts wie auf nach Tortuga." Sie waren im Begriff, Kurs auf Tortuga zu nehmen doch dann, ganz unversehens, kam alles ganz anders als geplant, denn zu dieser Morgenstunde passierten zweierlei Dinge, mit denen sie absolut nicht gerechnet hatten.
Plötzlich horchten die Männer und die junge Frau auf und hoben die Köpfe. „Da laust mich doch was", sagte Old O'Flynn. „Hört ihr, was ich höre, oder habe ich wieder mal ein Gesicht?" „Ich hör's", erwiderte Nils Larsen trocken. „Das ist eine Explosion." Grollender Donner rollte von Nordosten her über die See. Die Männer hielten nach der Ursache Ausschau, konnten aber mit ihren Spektiven nirgendwo etwas erkennen. „Sicher ist eins", sagte Old O'Flynn grimmig. „Der Donner kommt aus der Richtung, wo sich mal die Schlangen-Insel befunden hat." „Was da wohl los ist?" sagte Martin Correa. „Wir können es nur ahnen", entgegnete Don Juan. „Vielleicht ist ein Schiff in die Luft geflogen." „Ich weiß nicht so leicht explodiert kein Schiff", sagte Sven Nyberg. „Nur dann, wenn seine Pulverkammer Feuer fängt", sagte der Alte mit finsterer Miene. „Aber genauso hat es sich angehört." Was die Männer der ,Empress' und Taina nicht ahnen konnten: es war die englische Galeone „Scorpion" gewesen, die soeben in die Luft geflogen war. One-Eye-Doolin, der Piratenkapitän, hatte sich als Schatzsucher betätigt und war an der Untergangsstelle der Schlangen-Insel fündig geworden mit Draggen, die von den Jollen der Galeone aus ins Wasser geworfen und an Leinen nachgeschleppt wurden. Schließlich waren die Kerle sogar in die See gesprungen und hatten getaucht. Der Seewolf hatte sie ertappt und gewarnt, sie sollten die Finger von den Schätzen lassen. Doch One-Eye-Doolin hatte all das in den Wind geschlagen. So hatte er das Gefecht mit der „Isabella IX.", der „Caribian Queen" und der „Le Griffon" praktisch herausgefordert. Er hatte mit seinen Kerlen keine Chance gegen die drei Schiffe gehabt. Nils Larsen stieß plötzlich einen Pfiff aus. Er hatte seinen Kieker nach Süden gerichtet. „Voraus", sagte er, „sehe ich Mastspitzen." „Das wird ja immer schöner", sagte Old O'Flynn. „Ist hier plötzlich der Teufel los? Scheint ja ein ziemlicher Betrieb zu herrschen."
Die kleine Crew der „Empress" betrachtete nun, da das Grollen der Explosion verklungen war, die Mastspitzen im Süden. „Ja", sagte Don Juan nachdenklich. „Das sind Galeonen. Sollten es unsere Freunde sein?" „Oder haben unsere Leute vielleicht etwas mit der Explosion zu tun, die wir eben gehört haben?" fragte Sven Nyberg. „Das könnte doch auch sein." „Ruhig Blut", entgegnete Old Donegal. „Erst mal sehen, zu wem die Mastspitzen gehören. Wir nehmen Kurs auf die Schiffe!" Die „Empress" segelte auf die Mastspitzen zu. Wenig später konnte der Alte mehr erkennen. Flögel und Flaggen der fremden Segler waren deutlich durch den Kieker zu sehen und sie gaben klar Auskunft über die Nationalität. „Hol's der Henker!" stieß Old O'Flynn aus. „Dons! Spanische Kriegsgaleonen!" „Du liebe Güte", sagte Taina. „Und gleich drei", sagte Martin Correa, der ebenfalls zu den Galeonen spähte. „Na, dann wissen wir ja Bescheid", brummte der Alte. „Das müssen die drei Schiffe sein, von denen in unserer Brieftaubenbotschaft die Rede war." Don Juan de Alcazar nahm von Martin Correa das Spektiv entgegen und blickte lange hindurch. Schließlich ließ er das Messingrohr wieder sinken. „Das Flaggschiff ist die ,Sant Jago'", sagte er mit grimmiger Miene. „Ich kenne sie von Spanien her und weiß, daß sie als Kriegsschiff nach Havanna detachiert wurde." Old O'Flynn grinste hart. „Interessant, interessant. Hast du auch eine Ahnung, wer der Kapitän ist?" „Don Diego de Campos." „Ein schöner Name", meinte Martin Correa. „Hoffentlich ist er auch ein netter, umgänglicher Mensch." „Ganz im Gegenteil", erwiderte Don Juan trocken. „Dieser de Campos ist leider ein regelrechter Korinthenkacker." „Ein Leuteschinder?" fragte Nils Larsen. „Nicht nur das", sagte Don Juan. „Er ist ein typischer Eisenfresser. Einer, der um jeden Preis seine Absichten durchsetzt." „Und dabei über Leichen geht", sagte Old O'Flynn. „Richtig?"
„Er ist selbstherrlich und hält sich für unfehlbar", antwortete Don Juan de Alcazar. „Ein mieser Typ. Bestimmt hat er sich in den Kopf gesetzt, El Lobo del Mar zu erwischen." „Wobei noch die Frage ist, wie es möglich war, daß er den richtigen Kurs wählte", sagte Old O'Flynn. „Wer soll ihm einen Hinweis gegeben haben?" „In Havanna kursieren immer noch Gerüchte über die Schlangen Insel", erwiderte Don Juan. „Soviel ist sicher. Daher weiß de Campos, in welcher Richtung er zu suchen hat. Es kann aber auch purer Zufall sein, daß er hier aufkreuzt." „Egal", sagte Old O'Flynn. „Wir wollen diesem beknackten de Campos jetzt mal unser Heck zeigen, damit er nicht denkt, wir wollen ihn rammen." „Er ist übrigens Generalkapitän", sagte Don Juan. „Noch besser", meinte Nils Larsen. „Da haben wir es wenigstens mit einem kompetenten Señor zu tun." „Mit einem was?" fragte Sven Nyberg. „Na, mit einem richtig zuständigen und maßgebenden Offizier." „Drück dich nächstes Mal gleich klar aus", brummte Sven. „Ich könnte mir vorstellen, daß de Campos nur kurz in der Bucht von Batabanó gewesen ist", sagte Don Juan. „Er ist dann gleich weitergesegelt. Da unsere drei Schiffe mit der Schatzladung nicht so schnell wie gewöhnlich sind, ist es wahrscheinlich, daß ihnen der Kriegsschiffverband dicht auf den Fersen ist." „Dann müssen die Freunde irgendwo hier in der Nähe sein", sagte Taina überrascht. Don Juan zog sie zu sich heran und nahm sie in den Arm. „So ist es. Und wir werden sie finden, verlaß dich darauf." Old O'Flynn legte Ruder und luvte an. „Anbrassen und hoch an den Wind!" befahl er. Dann lief die „Empress of Sea II." vor dem Dreierverband der Spanier ab. Der Alte ging mit seinem Schiff so hoch wie möglich an den Wind auf Kreuzkurs Richtung Nordosten. Von dort wehte auch der Wind. Pfeilschnell glitt die „Empress" durch die See und stieß eine schäumende Bugwelle vor sich her. Don Juan de Alcazar blickte nach achtern und konnte durch das Spektiv die Gestalten an Bord des Flaggschiffes erkennen. Er sah auch den Mann, der mit verschränkten Armen an der Querbalustrade des Achterdecks stand: Don Diego de Campos.
Nun, dachte Don Juan, vielleicht hat er mich auch schon entdeckt. Martin Correa, der auch wieder einen Blick durch den Kieker warf, sagte: „He-he! Jetzt rennen die Kerle an die Geschütze!" „Fein", sagte Old O'Flynn. „Sie haben bestimmt vor, uns einen Eisengruß zu entbieten. Taina, geh schon mal in Deckung." „Wir sind weit genug von den Dons entfernt", sagte Nils Larsen. „Klar", erwiderte der Alte lachend. „Aber man kann nicht vorsichtig genug sein." Taina verschwand auf Don Juans Drängen hin in der Pantry. Die Männer gingen mit der „Empress" über Stag und segelten einen neuen Kreuzschlag und genau in diesem Moment puffte an Bord der „Sant Jago" eine erste weiße Pulverqualmwolke hoch. Don Diego de Campos hatte den Befehl gegeben, die beiden Buggeschütze zu zünden. Es handelte sich um 17pfünder. Als erstes donnerte das Backbordgeschütz, dann wurde die Lunte auf die Steuerbord-Kanone gesenkt. In kurzem zeitlichem Abstand dröhnte auch dieses zweite Geschütz, und zwei Kugeln rasten hinter der davonsegelnden „Empress" her. Aber Don Diego de Campos hatte mit beiden Schüssen keinen Erfolg. Wirkungslos klatschten die Culverinen-Kugeln in das Kielwasser der „Jimpress". Vor Wut ließ er auch die vorderen Drehbassen zünden. Der Erfolg blieb wieder aus. Auch diese Geschosse lagen weit hinter dem Schiffchen. Old O'Flynn und die Crew lachten voller Hohn. „Diese Dons!" rief der Alte. „Was bilden die sich wohl ein? Daß wir uns einfach zusammenschießen lassen?" „Das sind Optimisten", sagte Nils Larsen. „Haben die uns eigentlich als Engländer erkannt?" fragte Sven Nyberg. „Wir fahren doch zur Zeit ohne Flagge." „Ich schätze, daß de Campos mich erkannt hat", erwiderte Don Juan. „Und er hält mich sicherlich für einen Deserteur. Deshalb läßt er feuern." „So stur ist der?" fragte Old O'Flynn. „Na, dann scheinst du ja wirklich nicht übertrieben zu haben, Juan." Die „Empress of Sea II." entfernte sich immer weiter von der „Sant Jago", der „San Sebastian" und der „Monarca". Jetzt sah auch der Generalkapitän ein, daß es keinen Sinn mehr hatte, hinter der kleinen Karavelle herzufeuern. Er vergeudete nur kostbare
Munition, die er noch brauchte, wenn er den Seewolf zum Gefecht stellte. Der Dreierverband segelte weiter. De Campos, de Mello, Alvarez und die Besatzungen konnten verfolgen, wie sich die „Empress", gegen den Wind kreuzend, immer weiter entfernte. Ihre Umrisse schrumpften mehr und mehr zusammen, bald war sie nur noch ein grauschwarzer Fleck an der Kimm. 5. Don Diego de Campos' Augenmerk hatte sich sofort auf den merkwürdigen Segler gerichtet, als der Ausguck der „Sant Jago" das Auftauchen von Mastspitzen an der Kimm gemeldet hatte. Der Generalkapitän hatte zunächst angenommen, man habe den gesuchten El Lobo del Mar bereits vor sich. Dann aber hatte er sein vorschnelles Urteil revidieren müssen. Don Gaspar de Mello hatte die „Piratenschiffe", die in der Bucht von Batabanó gewesen waren, präzise beschrieben. Bei dem einen Schiff handelte es sich um eine große Galeone mit auffallend flachen Aufbauten, hohen Masten und überlangen Rahruten. Das zweite war ein düsterer Zweidecker und wurde von einem schwarzhaarigen Weibsbild befehligt. Der dritte Segler war eine schnelle Karavelle mit sehr guter Bestückung nämlich die ehemalige spanische Kriegskaravelle „Chubasco" und jetzige „Le Griffon II.". Keine der Beschreibungen paßte auf den Einzelsegler, den der spanische Kriegsschiffverband zur Zeit vor sich hatte. Was für ein Schiff war das? Sicherlich ein Schnapphahnsegler was denn sonst? Obwohl das Schiffchen keine Flagge zeigte, schien sicher zu sein, daß die Besatzung aus Galgenstricken und Schlagetots bestand, die die Gefilde der nördlichen Karibik verunsicherten. Ein ehrbarer, harmloser Handelsfahrer war das bestimmt nicht. Auch kein Kriegsschiff. Also gab es nur die eine Möglichkeit: es mußte ein Kaperfahrer sein, dessen Crew auf einer Insel hauste und vorbeiziehende Gold- und Silbergaleonen aufbrachte. Dieses Drecksgesindel gehörte natürlich an die Rah geknüpft. Don Diego de Campos konstatierte grimmig, daß der Kahn auf die „Sant Jago", die „San Sebastian" und die „Monarca" zuhielt. War
der Kapitän wirklich so verwegen, einen Angriff zu wagen? Das war Selbstmord! „Die müssen verrückt sein", sagte denn auch der Erste Offizier der „Sant Jago". De Campos gab ihm ausnahmsweise einmal recht. „Das sieht mir auch so aus. Aber wir werden ihnen einen heißen Empfang bereiten." „Señor", sagte der Erste. „Glauben Sie wirklich, daß die Kerle uns entern wollen?" „Ich glaube nur, was ich sehe!" schnarrte de Campos. „Im Augenblick hält der Hundesohn auf uns zu. Deshalb werden wir ihm einen eisernen Gruß entbieten. Er soll Flagge zeigen und kapitulieren. Etwas anderes bleibt ihm gar nicht übrig. Schiff klar zum Gefecht!" „Klarschiff zum Gefecht!" brüllte der Profos der „Sant Jago". Der Befehl wurde sogleich auch an die „San Sebastian" und die „Monarca" weitergegeben, die in Kiellinie hinter dem Flaggschiff segelten. Auf den drei Schiffen wurden die Stückpforten geöffnet und die Kanonen ausgerannt. Don Diego de Campos beorderte sogleich seine besten Schützen an die Bug-Culverinen. Sie sollten auf das „seltsame Schiff" zielen und feuern. De Mello und Alvarez verfolgten dies von den Achterdecks ihrer Galeonen aus. Ihre Kommentare waren unterschiedlich, aber ihr Urteil war im Prinzip gleich. De Campos griff sogleich hart durch und zeigte dem Fremden, wer er war. Aber er hätte auch etwas diplomatischer vorgehen können. Ob die Absichten der Crew des kleinen Seglers nämlich wirklich feindlich waren, ließ sich bislang nicht erkennen. „Aha", sagte Don Gaspar de Mello. „Unser Generalkapitän setzt dem fremden Kapitän eine Kugel vor den Bug. Aber so dumm ist der Fremde nicht. Er legt Ruder und luvt an. Gleich segelt er uns wieder davon." „Der Alte geht mal wieder ganz schön ran", brummte Alvarez. „Erst versenkt er das Schiffchen, dann stellt er Fragen. Aber die Kerle da drüben wären ja dumm, wenn sie sich einfach zusammenschießen lassen würden." „Kerle ist gut", sagte sein Bootsmann. „Da ist auch ein weibliches Wesen an Bord, Señor."
Alvarez warf einen Blick durch den Kieker. Tatsächlich an Bord des kleinen Dreimasters bewegte sich ein braunhäutiges, halbnacktes Mädchen. Eben verschwand es in der Pantry. „Hochinteressant", sagte der Kapitän der „Monarca". „Was sind das für Leute? Weiße, gewiß, aber warum haben sie eine Eingeborene dabei?" „Vielleicht ist sie ihre Sklavin", erwiderte der Bootsmann. Alvarez hatte nicht den Eindruck, daß die Eingeborene wie eine Sklavin behandelt wurde. Einer der Männer benahm sich ihr gegenüber eher zärtlich, soweit er, Alvarez, das verfolgen konnte. De Campos, der mit seiner „Sant Jago" voraussegelte, konnte noch einiges mehr feststellen. Er war jetzt wie vom Donner gerührt. „Heilige Mutter Gottes", sagte er nach einem neuerlichen Blick durch sein Spektiv. Alle blickten zu ihm, die Geschützführer warteten auf den Feuerbefehl. Aber Don Diego de Campos mußte erst einmal genau den großen, schlanken Mann betrachten, den er da drüben an Bord des kleinen Seglers entdeckt hatte. Allmächtiger den kannte er doch! „Was hat denn der Alte?" zischte Soares seinem Freund Rodrigero auf der Kühl des Flaggschiffes zu. „Keine Ahnung", erwiderte Rodrigero leise. „Frag mich was anderes." „Was meinst du? Ob das Engländer sind?" „Karibikhaie bestimmt." „Aber sie können nichts gegen uns ausrichten", sagte Soares. „Vielleicht sind sie nur die Vorhut", meinte Rodrigero. Marco hatte sich unauffällig an sie herangeschoben. „Die Vorhut von wem?" fragte er gedämpft. „Von El Lobo del Mar? Aber das Schiff da kenne ich nicht. Das war nicht in der Bucht bei Batabanó." „Egal", brummte Rodrigero. „Dieser Seewolf soll eine ganze Menge Schiffe haben. Eine ganze Flotte. Wenn die alle aufmarschieren, sind wir geliefert." Marco mußte unwillkürlich grinsen. „Richtige Kämpfernaturen scheint ihr nicht zu sein." Soares sah ihn herausfordernd an. „Bist du es denn?"
„Ich lege auch keinen Wert darauf, El Lobo del Mars Männern noch einmal zu begegnen", erwiderte der Mann aus Murcia. „Das wißt ihr. Ich habe es schon oft genug gesagt." „Ruhe da!" schrie der Profos sie an. „Noch ein Wort, und ich gebe euch die Neunschwänzige zu kosten, ihr Ratten!" Don Diego de Campos hörte gar nicht hin. Im Moment nahm er um sich herum überhaupt nichts wahr. Wie im Bann starrte er zu dem schlanken Mann auf dem Hauptdeck des kleinen Dreimasters hinüber. War denn das zu fassen? Er, der Generalkapitän, war wie vor den Kopf gestoßen. „Verräter", murmelte de Campos. „Señor?" fragte der Erste Offizier. „Wie bitte?" „Habe ich Sie was gefragt?" fuhr de Campos ihn an. „Halten Sie doch Ihren Mund, Mann!" Nicht nur der Erste, auch die anderen Offiziere einschließlich des Rudergängers zogen es vor, zu schweigen. Überhaupt wurde es ganz Still auf der „Sant Jago". Wolken schienen sich auf ihre Decks zu senken. Was war los? Wen hatte der Generalkapitän gesehen? Den Teufel in Person? „Er ist es", sagte de Campos. Der kleine Segler zeigte jetzt das Heck, kreuzte gegen den Wind auf und war im Begriff, sich wieder zu entfernen. Doch de Campos konnte den schlanken Mann noch deutlich genug erkennen. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Nein, er täuschte sich wirklich nicht. „Don Juan de Alcázar", sagte de Campos. „Zur Hölle mit ihm!" Er ließ das Spektiv wieder sinken und schaute sich um. „Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wer das ist, dieser de Alcázar?" schrie er seinen Ersten Offizier an. „Ein Verräter, nicht wahr?" entgegnete der Mann klugerweise. „Sehr richtig!" schnarrte Don Diego de Campos. „In gewissen Kreisen Spaniens sind die wildesten Gerüchte über ihn im Umlauf! Eine Sauerei ist das! Ein Skandal!" „Jawohl, ein Skandal", wiederholte der Erste. Er kam sich unsagbar töricht vor und blickte sich nach den anderen Offizieren und dem Bootsmann um, aber die zuckten nur mit den Schultern. Von einem Don Juan de Alcázar hatten sie noch nichts gehört. „Gerüchte!" rief de Campos. "Keins davon steht allerdings als Tatsache fest: seinen Sonderauftrag, El Lobo del Mar zur Strecke zu bringen, hat dieser Bastard nicht ausgeführt!".
„Das ist ja unerhört!" stieß der Zweite Offizier der „Sant Jago" hervor. „Ungeheuerlich", sagte der Erste Offizier. „Aus Spanien ist der Kerl spurlos verschwunden", sagte Don Diego de Campos zähneknirschend. „Er ist der größte Verräter, den das Land je gesehen hat." „Señor", meldete sich der Dritte Offizier zu Wort, dem jetzt doch etwas über den „berüchtigten" Don Juan de Alcázar eingefallen war. „Da wurde doch mal etwas gemunkelt, nicht wahr?" „Was denn?" fragte der Generalkapitän unwirsch. „Es hieß, de Alcazar habe einen neuen Geheimauftrag des Königs, der die Person des ehemaligen Gouverneurs von Kuba betreffen sollte", erwiderte der Offizier. „Also Don Antonio de Quintanilla?" „Jawohl, Señor." De Campos schüttelte den Kopf. „Davon ist mir nichts bekannt. Für mich ist dieser Hundesohn ein verdammter Deserteur." „Ja, das ist er", bestätigte der Erste Offizier. Es war nur richtig, dem Alten beizupflichten. Man mußte ihn bei Laune halten. Widerworte duldete er nicht, und wenn seine üble Laune in offene Wut umschlug, war keiner vor ihm sicher. „Feuer!" brüllte de Campos. Die Buggeschütze der „Sant Jago" spuckten ihre Ladungen aus, doch die Kugeln schlugen hinter dem Heck der „Empress" wirkungslos ins Wasser. Fluchend gab der Generalkapitän den Befehl, auch die Drehbassen auf der Back abzufeuern. Aber die „Empress" war zu weit entfernt, kein Geschütz konnte sie auf diese Distanz treffen. Auch die Drehbassenkugeln klatschten in ihr Kielwasser. De Campos begriff, daß er einen Fehler begangen hatte. Es hatte von vornherein keinen Sinn gehabt, auf den „Piratensegler" zu feuern. Aber die Anwesenheit dieses Don Juan de Alcazar irritierte und erzürnte ihn. Was, in aller Welt, hatte dieser Spanier ausgerechnet hier, in einem Bereich der Karibik, in dem es von Schnapphähnen nur so wimmelte, zu suchen? Noch war das rätselhaft. Doch Don Diego de Campos hatte sich in den Kopf gesetzt, es herauszufinden. Er würde von diesem verdammten Elendskahn, der frech vor ihm davonsegelte, nicht mehr ablassen.
* Luiz und Felipe hatten Dienst auf der Back der „Sant Jago". Als die Kugeln hinter der „Empress" ins Wasser klatschten und nur imposante Fontänen aufsteigen ließen, grinste der Andalusier schadenfroh. „Fehlanzeige", sagte er. „Mann, auf was für einem Prachtschiff sind wir bloß gelandet? Die scheinen alle zuviel Zielwasser getrunken zu haben." „Auf die Entfernung würdest du auch nicht treffen", sagte Luiz. „Aber ich wäre so klug gewesen, gar nicht erst zu feuern", erwiderte der Andalusier. „Ja, da hast du recht." „Dieser Generalkapitän ist ein krummer Hund", flüsterte Felipe. Seine Augen funkelten vor Haß. Wenn er doch nur ein Messer gehabt hätte! Er hätte de Campos erstochen! So schnell, wie er das Achterdeck geentert hätte, hätte ihn keiner zurückhalten können. Luiz schaute sich nach allen Seiten um, aber glücklicherweise hatte sie keiner der anderen Seeleute oder Seesoldaten belauscht. „Sei vorsichtig", warnte er. „Ich habe keinen Schiß." „Ich auch nicht." Felipe grinste schon wieder. „Den Eindruck habe ich nicht." „Du kennst mich eben nicht richtig", sagte der Schwarzbart. „Vieles ist bei mir nur vorgetäuscht. Ich verwirre meine Gegner, und sie fallen auf mich herein. Sie denken, ich hätte Angst vor ihnen, aber in Wirklichkeit warte ich nur auf meine Chance." „Aha", sagte der Andalusier, aber richtig überzeugt schien er nicht zu sein. „Hast du nicht auch Lust, abzuhauen?" flüsterte Luiz. „Natürlich." „Warum versuchen wir es nicht?" „Wie denn?" fragte Felipe. „Sobald wir in der Nähe einer Insel sind, springen wir über Bord und schwimmen an Land", entgegnete der Schwarzbart. „Du vergißt die Haie."
„Wenn wir nur wenig zu schwimmen haben, packen uns auch die Haie nicht", erklärte Luiz. „Es kommt darauf an, daß wir so nah wie möglich mit dem Schiff am Ufer sind. Vielleicht ankern wir ja auch in irgendeiner Bucht." „Meinetwegen", sagte Felipe. „Aber dir trau' ich nicht. Ich traue keinem mehr. Ihr wollt mich ja alle nur reinlegen." „Wer denn?" zischte Luiz. „Ich vielleicht? Du spinnst ja. Ich hätte niemals was gegen dich ausgeheckt. Das waren Marco und Pablo. Ich bin für ehrliche Sachen. Und an Vereinbarungen halte ich mich." Felipe ließ sich das kurz durch den Kopf gehen, Eigentlich stimmte es. Luiz hatte ihn nicht übers Ohr hauen wollen. Luiz hatte nach weiteren Münzen im Dickicht gesucht, als Marco und Pablo ihn, Felipe, hatten abmurksen wollen. „Eigentlich hast du recht", brummte der Andalusier. „Wir sprechen später noch mal darüber. In Ordnung?" „In Ordnung", entgegnete Luiz leise. Sie zogen es vor, nicht mehr miteinander zu reden, denn der Profos ging auf der Kühl seine Runde und geriet dabei in bedrohliche Nähe der Back. Dort wurden die schmauchenden Geschütze nachgeladen. Der Profos blickte hoch und brüllte: „Geht das nicht schneller? Ihr beiden Hurensöhne, was haltet ihr Maulaffen feil? Packt mit an!" Mit den Hurensöhnen waren Luiz und Felipe gemeint. Die beiden beeilten sich, zu den Stückmeistern zu eilen und beim Nachladen und Richten der Kanonen zu helfen. Wenig später waren sowohl die Culverinen als auch die Drehbassen wieder feuerbereit. Don Diego de Campos zog keinen Augenblick lang in Erwägung, etwa von einer Verfolgung des fremden Schiffes abzusehen. Er hatte sich in die Sache verbissen, und Don Juan de Alcazar war die zentrale Person, um die es in diesem Spiel ging. Ein Verräter er mußte gepackt und abgeurteilt werden wie El Lobo del Mar. Ferner: daß dieser Don Juan ausgerechnet hier in diesem Bereich der Karibik auftauchte, wo der berüchtigte Seewolf seinen Schlupfwinkel haben sollte, war ebenfalls höchst verdächtig. Was, zur Hölle, hatte denn ein Spanier auf einer obskuren kleinen Karavelle und in Begleitung einer halbnackten Wilden zu suchen? Don Diego de Campos, seines Zeichens Generalkapitän und wegen Mangels eines Gouverneurs derzeit auch Oberbefehlshaber
über Kuba, vermutete Ungeheuerliches. Er witterte Verrat Hochverrat. Eine Verschwörung gegen Spanien. El Lobo del Mar hatte einen Riesenschatz von Kuba entführt. Don Juan de Alcazar war ein Deserteur, Verräter und Spion, ein Agent des Feindes. Anders konnte es nicht sein. De Campos war entschlossener denn je, diese Feinde Spaniens mit Stumpf und Stiel auszurotten. So ließ er nicht locker und folgte der kleinen Karavelle. Die allerdings zeigte ihm mit Leichtigkeit das Heck und zog davon. Sie lief, das mußte de Campos einsehen, mehr Höhe und war als hervorragender Am-Wind Segler schneller als die drei Kriegsgaleonen. Dafür aber so dachte Campos wütend haben wir mehr Kanonen und werden dieses Lumpenpack ausrotten, sobald wir es erwischen. Er zweifelte nicht daran, daß sich diese Gelegenheit noch ergeben würde. Der Wind konnte drehen oder einschlafen. Irgendein Umstand, der sich zugunsten des Kriegsschiffverbandes auswirkte, würde schon noch eintreten. Die „Scorpion", das Schiff von One-Eye-Doolin aus West Looe, Cornwall, existierte nicht mehr. Es war in die Luft geflogen. Die Trümmerteile Planken, Grätings und Balkenreste trieben jetzt in der See. Das Grollen der Explosion war verebbt. Auch die Todesschreie der Kerle waren verstummt. Nirgends schien es auch nur einen einzigen Überlebenden zu geben. „Wir können weitersegeln", sagte Ferris Tucker, der auf dem Achterdeck der „Isabella IX." bei Hasard, Shane und Ben Brighton stand. „Die sind alle draufgegangen. Keiner hat das überlebt. Und wer nicht gleich tot war, den haben die Haie weggeputzt." Ja, die Haie sie waren wieder da und hielten Mahlzeit. Ihre Dreiecksflossen ragten aus dem Wasser, durchschnitten die Fluten. Die grauen Räuber zogen im Bereich der Untergangsstelle ihre Kreise zwischen der „Isabella", der „Caribian Queen" und der „Le Griff on", die die „Scorpion" zuletzt eingekreist und befeuert hatten. „Wir warten trotzdem noch", sagte der Seewolf. Es war wieder einmal das Gebot der Menschlichkeit, das ihn zurückhielt. Wenn es doch Überlebende gab, dann war es seine Pflicht, sie vor den Haien zu schützen und sie an Land zu setzen. Die nächste Insel war Middle Caicos, nach dorthin konnte man etwaige Schiffbrüchige verfrachten.
Ebenso wie Hasard und die Männer der „Isabella" hielten auch die Besatzungen der „Caribian Queen" und der „Le Griffon" nach Überlebenden Ausschau. Aber nichts war zu sehen kein Schwimmer im Wasser, kein Verletzter, der sich an eine Planke klammerte. „Da ist nichts mehr, Madam", brummte Barba, der Gigant, an Bord des Zweideckers. „Die Explosion war ja auch stark genug. Sie hat alles zerfetzt." Und doch gab es plötzlich eine Überraschung. Ein Schrei wehte über das Wasser. Siri-Tong und ihre Männer fuhren herum und blickten in die Richtung, aus der der Laut ertönte. An Bord der „Isabella IX." und der „Le Griffon" wandten die Männer ebenfalls ruckartig die Köpfe. Wieder gellte ein Schrei in Todesangst. Seadog, ein Kerl der „Scorpion", hatte ihn ausgestoßen. Wie durch ein Wunder hatte er sich retten können. Er war ein ausgezeichneter Schwimmer und Taucher und hatte vor der Vernichtung der „Scorpion" einige Goldmünzen vom Grund der See heraufgeholt. Doch jetzt packte ihn die Panik. Er hatte sich an einer treibenden Gräting festgeklammert, aber ein Hai steuerte genau auf ihn zu. Auf der Gräting kauerten bereits Fate Marable und Bristol, zwei andere Kerle der gesunkenen, zerfetzten „Scorpion". Sie fluchten und streckten die Hände nach ihrem Kumpan aus. Mit vereinten Kräften hievten sie ihn hoch. Der Hai schoß heran und schnappte zu, erwischte Seadogs Beine aber doch nicht mehr. „O Gott, o Gott", stöhnte Seadog. „Das war knapp." Es war wirklich um Haaresbreite gegangen. Seadog war noch einmal mit heiler Haut davongekommen. Außer ein paar Schrammen und einer Beule hatte er keine Verletzungen. Und auch Bristol und Marable hatten keine Blessuren erlitten. Sie hatten sagenhaftes Glück gehabt, daß sie dem Massaker entronnen waren. Das hatte sich so abgespielt: Noch während des Gefechts hatte Seadog beschlossen, sich abzusetzen. Das Ende der „Scorpion" war bereits abzusehen gewesen. Er hatte daraus seine Konsequenzen gezogen. Was One-Eye-Doolin dachte oder befahl, war ihm zu jenem Zeitpunkt bereits völlig gleichgültig gewesen. Es hatte alles keinen Zweck mehr gehabt. Die „Scorpion" war dem Untergang geweiht. Aus der Traum vom schnellen Reichtum, von der Idylle der „goldenen Gefilde" in der Karibik. Sie waren
von Cornwall ausgezogen, ihr Glück zu suchen, hatten aber die Hölle vorgefunden. Das alles war natürlich Doolins Schuld, denn Doolin hätte sich ja nicht in der „Bloody Mary" bequatschen lassen brauchen. Der Teufel sollte Doolin holen und das hatte er ja auch getan. Fata Marable und Bristol hatten im dicksten Feuerhagel der Gegner gerade noch eine der Kanonen der „Scorpion" zünden können. Dann hatten sie sich auf die Planken geworfen. Seadog war zu ihnen gekrochen und hatte ihnen im Donnern der Kanonen zugeschrien: „Warum hauen wir nicht ab?" „Ja, nichts wie weg!" hatte Bristol erwidert. „Es gibt nichts mehr zu retten!" So hatten sie die Gräting von der Kühl gehievt, zur Steuerbordseite ihres brennenden Schiffes geschleppt und ins Wasser geworfen. Sie sprangen hinterher, tauchten neben der Gräting unter, kamen wieder hoch und krochen auf den Gitterrost. Sie paddelten mit den Händen und entfernten sich aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich. Natürlich hatten Seadog, Marable und Bristol damit rechnen müssen, daß die Gegner das Musketenfeuer auf sie eröffneten. Doch die Rote Korsarin, die die Kerle leicht hätte töten lassen können, ließ Gnade vor Recht ergehen. Seadog, Marable und Bristol waren unbewaffnet bis auf ihre Messer. Es war nicht fair, sie zu töten. So entkamen die drei und sie sollten die einzigen Überlebenden! der „Scorpion" sein. Siri-Tong aber und die Männer der „Caribian Queen" verloren das Trio aus den Augen, als die Piratengaleone mit Donnergetöse auseinanderflog. Der Druck, der bei der Explosion entstand, fegte die drei Kerle von der Gräting. Sie landeten in den Fluten und gingen unter. Prustend und fluchend schossen sie wieder hoch und kehrten schwimmend zu der Gräting zurück. Da Seadog jedoch leichter als die beiden anderen war, hatte der Druck ihn am weitesten auf die See hinaus katapultiert. So ergab sich, daß Marable und Bristol am schnellsten wieder bei der Gräting waren und sich hinaufschwangen, ehe die Haie heran waren. Seadog traf nach ihnen ein, klammerte sich verzweifelt fest und hatte sich dank der Hilf e seiner Kumpane nun doch retten können. Doch die Panik war so groß gewesen, daß er zweimal aufgeschrien hatte.
„Verdammter Mist", sagte Marable jetzt. „Da, sieh doch. Sie schauen zu uns rüber, die Bastarde." Er deutete auf die Besatzungen der drei Schiffe, die durch die Schreie auf sie aufmerksam geworden waren. „Achtung!" brüllte Bristol. „Da!" Der Hai, der Seadog hatte schnappen wollen, war unter der Gräting hindurchgetaucht. Die drei Kerle hatten ihn praktisch aus den Augen verloren. Blitzschnell hatte sich das Tier im Wasser umgedreht und huschte jetzt wieder auf das behelfsmäßige Floß zu. Der spitze Kopf hob sich aus dem Wasser, das furchterregende Maul klaffte auf. Bristol hatte den Mörder als erster gesehen, aber jetzt blickten auch Fate Marable und Seadog auf das Monstrum. Sie schrien ebenfalls. Der Hai wollte die Gräting mit seinen Zähnen packen. Entsetzt wichen die drei Kerle zurück. Die Gräting schwankte. Bristol kippte um ein Haar ins Wasser. Seadog griff jedoch nach seinem Arm und riß ihn zurück. Mit dem Mut der Verzweiflung zückte Marable sein Messer und hackte damit nach dem Hai. Er hatte Glück und traf die Nase des Tieres. Der Hai schnellte zur Seite und ließ von der Gräting ab. Er zog eine feine Blutspur hinter sich her. Noch einmal war die Gefahr gebannt Seadog, Marable und Bristol schoben sich keuchend und mit verstörten Gesichtern zur Mitte der Gräting zurück. „Du hast Nerven", sagte Seadog zu Marable. Auch Bristol klopfte dem Kumpan auf die Schulter. „Mann, ich dachte schon, das Biest verschluckt uns", sagte er. Der Hai entfernte sich von der Gräting und schwamm etwa einen halben Yard unter der Wasseroberfläche. Die Blutspur, die er hinterließ, lockte einige seiner Artgenossen an. Das Trio auf der Gräting konnte beobachten, wie sich ein ganzes Rudel um den verletzten Hai versammelte. Offenbar mußte er sich sogar wehren, damit die anderen nicht über ihn herfielen. „Recht so", sagte Bristol. „Sollen die sich gegenseitig zerfleischen. Wir sind sie erst mal los." „Erst mal", betonte Seadog. „Aber sie kommen wieder, verlaß dich drauf." „Wir müssen die Insel erreichen", sagte Marable und wies zum Ufer von Middle Caicos. Der südwestliche Strand der Insel war nicht sehr weit entfernt. Doch die Kerle hatten keine Riemen,
nicht einmal Planken, um sich mit ihrem primitiven Floß schneller bewegen zu können. „Los", sagte Seadog. „Wir fischen ein paar Planken aus dem Wasser. Damit schaffen wir es schneller." Seine beiden Genossen waren von der Idee sofort angetan. Mit den Händen paddelten sie im Wasser herum. Dabei achteten sie aber ständig auf die Haie. Noch galt das Interesse der grauen Fische dem blutenden Artgenossen, aber schon bald konnten sie wieder von ihm ablassen und einen neuerlichen Angriff auf die Gräting unternehmen. Was das betraf, gaben sich die drei Kerle keinen Illusionen hin. Bristol gelang es, eine halbe, verkohlte Planke aus dem Wasser zu ziehen. Kurz darauf konnte auch Seadog eine Planke auffischen, in deren einem Ende noch ein Nagel steckte. Mit diesen beiden Notriemen brachten sie die Gräting etwas zügiger voran. „Hol's der Henker", sagte Marable aber plötzlich. Er hatte wieder einen Blick zu den drei Schiffen der Gegner geworfen. „Jetzt holen sie uns doch noch, die Mistkerle. Ich hab's ja geahnt." Tatsächlich wurde von der „Isabella" in diesem Augenblick eine Jolle abgefiert. Seadog, Bristol und Marable fluchten und wetterten. Bisher hatte man sie verschont, aber man wollte sie natürlich nicht entwischen lassen. „Der Killigrew", den Doolin in einem glorreichen Beutezug hatte besiegen wollen, holte zu einem endgültigen Schlag aus. Er wollte die drei letzten Kerle der „Scorpion" töten, wie er auch den Rest der Bande ausgelöscht hatte. So dachten Seadog, Bristol und Marable und sie waren sicher, daß ihr letztes Stündchen geschlagen hatte. Trotzdem begannen sie, wie verrückt mit den Planken zu paddeln. 6. Siri-Tong war ehrlich überrascht, als sie die drei Kerle auf der Gräting entdeckte. „Donnerwetter", sagte sie. „Auf die hatte ich ja gar nicht mehr geachtet. Ich dachte, die Explosion hätte auch sie ins Wasser befördert."
„So war's auch, Madam", entgegnete Barba. „Aber ehe die Haie sie schnappen konnten, sind sie zu der Gräting zurückgeschwommen. Glück muß der Mensch haben." „Die Haie holen sie noch", sagte der Boston-Mann. „Ich glaube nicht, daß die drei es bis nach Middle Caicos schaffen." „Man sollte sie doch abbergen", sagte die Rote Korsarin. Aber der Seewolf handelte bereits. Sicher, die Kerle waren Galgenvögel wie alle anderen, die in der See soeben ihr nasses Grab gefunden hatten. Aber der Kampf war beendet. Und wenn die drei dort auf der Gräting schon überlebt hatten, dann sollten sie nicht doch noch ein Opfer der Haie werden! Hasard ließ die kleinere Jolle der „Isabella" aussetzen. „Dan", sagte er. „Du übernimmst die Jolle als Bootsführer. Deine Bootsgasten sind Sam Roskill, Blacky, Jack Finnegan und Paddy Rogers." „Aye, Sir", erwiderte Dan O'Flynn. Er sprang auf die Kühl hinunter, ließ die kleine Jolle aussetzen und enterte mit den vier Mannen ab. Ihre Aufgabe war es, die drei Kerle von der Gräting zu fischen und an Land zu bringen nach Middle Caicos also. Das Gefecht hatte sich in die Nähe der Südwestküste verlagert. Es bot sich also an, die drei „Scorpion"Kerle dort abzusetzen. Dan saß auf der achteren Ducht der Jolle und griff nach der Pinne. Sie legten ab. Sam, Blacky, Jack und Paddy legten sich kräftig ins Zeug und rucksten. Die Jolle nahm direkten Kurs auf die drei Schiffbrüchigen. Nur kurze Zeit verging, dann hatte die Bootscrew sie erreicht. „He!" rief Dan. „Ihr braucht keine Angst vor uns zu haben!" Seadog und Marable paddelten wie die Irren. Bristol wandte sich zu der Jolle um und schrie: „Für wie blöd haltet ihr uns eigentlich?" „Für so blöd, daß ihr euch glatt von den Haien zerreißen laßt!" rief Dan und wies auf die grauen Schatten, die sich jetzt wieder unter Wasser näherten. Bristol stieß einen heiseren Laut aus. Seadog sah einen Hai dicht neben sich vorbeigleiten und stöhnte auf. Marable keuchte und hustete, weil er sich vor lauter Aufregung verschluckte. „Hilfe!" brüllte Marable, dann hieb er mit der Planke nach einem Hai, der gerade neben ihm auftauchte. Der Hai ließ sich kaum
beirren. Er riß sein Maul auf und drohte, den Mann von der Gräting zu reißen. Plötzlich krachte ein Schuß. Der Hai sackte ins Wasser zurück und trieb blutend zwei, drei Yards in die Tiefe ab. Dan ließ die rauchende Muskete sinken. Er hatte gedankenschnell gehandelt und an Marables rechter Körperseite vorbei auf den Hai gefeuert. „Gut gezielt und auch getroffen", sagte Blacky grinsend. „Na, vielleicht sind diese Narren jetzt endlich überzeugt, daß wir ihnen nicht ans Leder wollen." „Kapiert ihr jetzt, was los ist?" schrie Dan zu der Gräting hinüber. Die Haie umzingelten die Gräting. Einige ließen zwar ab und folgten dem tödlich verletzten Artgenossen, doch die anderen waren dieses Mal nicht zu irritieren. Das Gros blieb bei der Gräting. Wieder bahnte sich ein gefährlicher Haiangriff an. „Wir sind verloren!" keuchte Seadog. „Helft uns!" brüllte Bristol. Dan dirigierte die Jolle dicht an die Gräting heran. Das Boot glitt längsseits, und die drei Kerle atmeten schon jetzt erleichtert auf. „Verdammt und zugenäht", sagte Paddy Rogers nach einem Blick ins Wasser. „Hier tummeln sich die Haie nur so!" „Du merkst aber auch alles", entgegnete Sam Roskill. „Und die Gräting ist gefährlich überladen", fügte Paddy noch hinzu. „Das kann schlecht ausgehen." Er war heute richtig redselig. Vielleicht lag es daran, daß Doolin endlich empfangen hatte, was er verdiente. Paddy hatte diesen Einäugigen auf den Tod nicht ausstehen können. „Los, steigt über!" forderte Dan die drei Piraten auf. „Beeilt euch! Wir dürfen keine Zeit verlieren!" Seadog, Bristol und Marable folgten der Aufforderung. Kaum waren sie auf die Jolle übergeentert, schnappte schon wieder ein Hai nach der Gräting. Knackend bohrten sich seine Zähne in das Holz. Dan zog seine Pistole, spannte den Hahn und drückte ab. Krachend brach der Schuß, die Kugel flog genau in den Rachen des Hais. Die Wirkung zeigte sich sofort: der Hai rutschte weg und verschwand in den Fluten.
„So, auch das wäre erledigt", sagte Dan O'Flynn. „Wir können zur Insel pullen." Seadog, Fate Marable und Bristol nahmen auf den Duchten der Jolle Platz. Voll Grauen blickten sie zum Schauplatz des Geschehens zurück. Dort wimmelte es im Wasser von grauen, zuckenden Leibern. Die Haie verbissen sich in die Gräting. Andere stellten dem blutenden Tier nach. Das Wasser färbte sich dunkel und schien zu brodeln. Es war ein Bild des Schreckens. „D-danke", sagte Bristol zu den Rettern. „Und ihr wollt uns wirklich nicht aufhängen?" „Unsinn", erwiderte Dan. „Wir vergreifen uns nicht an Wehrlosen." Er deutete auf die Messer, die die drei in ihren Gurten stecken hatten. „Aber es wäre doch besser, wenn ihr eure Messer abgeben würdet." „Wir sind also eure Gefangenen?" fragte Seadog. „Hört mal zu", erwiderte Dan mit Engelsgeduld. „Aus der Tatsache, daß wir nicht zu unserem Schiff zurückkehren, könnt ihr ja wohl das eine schließen: Wir wollen euch nicht zu uns an Bord holen. Klar? Also, welche Möglichkeit gibt es noch?" „Daß ihr uns aussetzt", antwortete Marable. „Auf der Insel da", sagte Bristol. „Middle Caicos", bestätigte Dan. „Sehr richtig. Wir haben in unserer grenzenlosen Güte beschlossen, euch dort zurückzulassen. Zufrieden?" „Ja, sehr", antwortete Seadog. Die drei lieferten bereitwillig ihre Messer ab. Dan steckte sie weg. Die Jolle hatte sich inzwischen dem Strand der Insel etwas mehr genähert und war höchstens noch fünfhundert Yards von ihm entfernt. Sam, Blacky, Jack und Paddy legten sich wieder mächtig ins Zeug. Die Jolle lief gute Fahrt, die Distanz zwischen Boot und Land schrumpfte zusehends zusammen. „Erzählt mal", sagte Dan zu den drei Schiffbrüchigen, „wie seid ihr auf die Wahnsinnsidee verfallen, ausgerechnet hier aufzukreuzen?" „Es war Doolins Schuld", erwiderte Seadog. „Er hat uns überredet, in die Karibik zu segeln. Plymson von der ,Bloody Mary' hatte ihm ja auch noch gut zugeredet." „Plymson!" stieß Blacky aufgebracht hervor. „Na warte, wenn ich den erwische!" „Ihr kennt den?" fragte Bristol unbedarft.
Dan grinste hart. „Allerdings. Aber sprecht weiter, Ihr hattet also vor, hier ein bißchen abzusahnen, wie?" „Doolin suchte Philip Hasard Killigrew", erklärte Fate Marable. „Angeblich soll dieser Killigrew steinreich sein." „Unser Kapitän?" sagte Dan. „Na, das ist aber reichlich übertrieben. Man muß heutzutage ziemlich schuften, um sich über Wasser zu halten." „Wie bitte?" fragte Seadog verdutzt. Dan zuckte mit den Schultern. „Na ja, so einträglich wie früher ist der Korsarenberuf nicht mehr. Die Spanier werden immer ärmer. Sie haben ihr Gold verpulvert." „Mist!" stieß Bristol aus. „Und was auf dem Grund liegt?" fragte Marable und deutete nach unten. „Auch nicht der Rede wert", erwiderte Dan. „Nach so was suchen wir gar nicht erst. Die paar Münzen und das bißchen Plunder was sollen wir damit?" Seadog, Marable und Bristol waren völlig konsterniert. Hatten sie in ihrer grenzenlosen Gier den Wert der „Fundsachen" überschätzt? Oder wollte dieser Mann sie zum Narren halten? Offenbar nicht. Er schaute ganz ernst drein. Dan wollte es den drei Kerlen natürlich nicht auf die Nase binden, daß an dieser Stelle die Schlangen Insel untergegangen war. Überhaupt, von dem früheren Stützpunkt des Bundes der Korsaren brauchten die Piraten nichts zu wissen. Für Hasard und seine Kameraden war der Platz, an dem die Schlangen-Insel und Coral Island versunken waren, so etwas wie eine Grabstätte. Die Toten sollten in Ruhe und Würde schlafen, keiner durfte sie stören. Middle Caicos rückte näher. Dan schätzte die Entfernung nur noch knapp dreihundert Yards. Zu den drei Kerlen gewandt, sagte er: „Ihr habt einen lausigen Fehler begangen. Ihr habt gedacht, Amerika sei das Land, wo man Gold scheffeln könne. Also auf in die neue Welt! Es ist schon vielen Glücksrittern und Halunken so ergangen wie euch." „Wir sind keine Halunken!" beteuerte Bristol. „Ja, schon gut", erwiderte Blacky. „Aber ehrbare Handelsfahrer seid ihr auch nicht." „Alles Doolins Schuld", brummte Marable.
„Es ist leicht, alles auf ihn abzuschieben", meinte Jack Finnegan. „Aber ihr hättet ja nicht bei ihm anzuheuern brauchen, wenn euch was nicht gepaßt hätte." „Das stimmt auch wieder", sagte Seadog seufzend. „Wir haben uns eben überreden und verleiten lassen. Als wir dann begriffen, woher der Wind wirklich wehte, war's zu spät." „Und Harper Murdock ist nun auch tot", sagte Bristol. „Wer war das?" fragte Dan. „Unser Bootsmann", erklärte Marable. „Er hatte sich zuletzt ganz schön mit Doolin angelegt." „Aus und vorbei", sagte Bristol. „Wir können jetzt sehen, wie wir weiterkommen." „Ich würde mir erst mal ein bißchen Urlaub auf Middle Caicos gönnen, wenn ich an eurer Stelle wäre", sagte Dan heiter. „Zeit genug habt ihr ja. Und was zu futtern und Trinkwasser gibt's da bestimmt auch. Ihr braucht euch gar keine Sorgen zu bereiten." „Wir werden dort verrotten", sagte Bristol. „Lieber dort langsam eingehen, als mit der ,Scorpion' in die Luft geflogen zu sein", sagte Fate Marable. „Genau das meine auch ich", sagte Dan. „Ihr habt keinen Grund, euch zu beklagen." „Oh, das tun wir auch nicht, entgegnete Seadog eilfertig. „Ganz und gar nicht. Irgendwann wird schon mal ein Schiff vorbeikommen, das uns mitnimmt." Die letzten Yards zum Südufer der Insel waren überbrückt, die Jolle wurde von der Brandung hochgehoben und senkte sich dann mit dem Bug auf den weißen, feinen Sand. Seadog, Marable und Bristol durften aussteigen. Sam Roskill und Blacky sprangen ebenfalls an Land. Sie wollten die Jolle ins Wasser zurückschieben, aber plötzlich ertönte von den Schiffen ein greller Pfiff. Bill, der Ausguck im Großmars der „Isabella", hatte ihn ausgestoßen. Er hatte als erster die „Empress of Sea II." entdeckt, die sich jetzt an der Kimm zeigte. Hasard ließ Old O'Flynn ein paar Signale geben und der Alte signalisierte zurück. Gefahr! Spanische Kriegssegler hingen als Verfolger hinter der kleinen Karavelle! Das Unheil ließ sich nicht mehr aufhalten und wieder einmal überstürzten sich die Ereignisse. *
Old Donegal Daniel O'Flynn konnte den Seewolf, Siri-Tong und Edmond Bayeux gerade noch rechtzeitig genug warnen. Jetzt schoben sich bereits auch die Mastspitzen der drei spanischen Kriegsgaleonen über die Kimm. Hasard konnte die Schiffe durch sein Spektiv erkennen. „Dicke Brocken", urteilte er. „Und sie sind garantiert auch gut armiert. Wenn ich mich nicht täusche, ist die ,San Sebastian' mit von der Partie." „Wie haben die uns finden können?" fragte Ben. „Vielleicht haben die vier Halunken Luiz, Pablo, Marco und Felipe ihnen bei der Kursbestimmung geholfen", erwiderte der Seewolf. „Aber das ist jetzt unwichtig." Er richtete seinen Blick auf das Südufer von Middle Caicos, wo die Jolle und die Männer mit dem bloßen Auge zu erkennen waren. „Dan schafft es nicht mehr, rechtzeitig zurückzukehren", sagte Ferris Tucker. „Nein", pflichtete der Seewolf ihm bei. „Unmöglich." Er legte den Kopf in den Nacken und rief: „Bill! Gib Dan Zeichen! Er soll sich mit seinen Leuten verstecken! Alles andere hat keinen Sinn!" „Aye, Sir", erwiderte Bill. Dann begann er, zu signalisieren. Dan beobachtete Bill durch seinen Kieker und verstand die Winkzeichen auf Anhieb. „Na denn", sagte er zu seinen Begleitern. „Jetzt haben wir die Dons am Hals. Sie rücken mit drei Kriegsgaleonen an." Seadog, Marable und Bristol standen etwas unschlüssig am Ufer. „Dons? Was ist das?" fragte Bristol. „Spanier", antwortete Dan. „Sie besuchen uns. Aber sie wollen uns gewiß keinen guten Tag wünschen. Ich schätze, sie kommen aus Havanna." „Und was tun wir?" fragte Seadog. „Ganz einfach", entgegnete Dan grimmig. „Wir ziehen uns etwas zurück." „Wir?" wiederholte Marable, der nicht recht zu begreifen schien. „Nichts wie weg", sagte Dan zu seinen vier Bootsgasten. „Die Dons dürfen uns gar nicht erst sehen." Dan, Jack und Paddy stiegen aus und halfen Sam und Blacky, die Jolle höher auf den Strand zu ziehen. Dann gesellten sie sich
zu den drei Galgenvögeln und suchten mit ihnen das Innere der Insel auf. „Hasard wird uns später abholen", erklärte Dan unterwegs. „Klarer Fall", erwiderte Blacky. „In dem Punkt brauchen wir uns nicht zu sorgen. Er vergißt uns schon nicht." „Was wollen diese Spanier eigentlich von euch?" fragte Seadog. „Das ist so", entgegnete Dan. „Wir sind Engländer und obendrein noch Korsaren. Sie jagen uns, wann immer sie können. Es paßt ihnen nicht, daß wir in der Karibik Flagge zeigen. Wir sind Feinde. Demnach seid ihr als Engländer ebenfalls Feinde." „Also, wir haben von diesen Dons nichts Gutes zu erwarten?" fragte Bristol vorsichtshalber noch einmal. „Stimmt genau", erwiderte Jack Finnegan. „Aber wenn du bei ihnen anheuern willst, um von Middle Caicos wegzukommen, kannst du es ja versuchen." „Den Teufel werde ich tun", sagte Bristol. Die acht Männer liefen hinter die nächste Düne und schlugen sich in das Dickicht eines nahen Mangroven- und Zypressenwaldes. Nach wenigen Minuten hatten sie eine Anhöhe erreicht, von deren Kuppe aus sie einen guten Ausblick auf die See hatten. Sie brauchten nur auf zwei alte, hohe Mangroven zu klettern und hatten die Schiffe im Süden vor sich. Dan stieg noch höher, richtete sein Spektiv auf die Schiffe und peilte die Lage. „In Ordnung", verkündete er grinsend. „Mein Alter ist mit seiner „Empress" zur Stelle. Richtig, da sind ja auch Don Juan und Taina an Bord! Na, für die ist die Fahrt sicherlich so was wie eine Hochzeitsreise." „Schön, aber halte dich nicht mit Einzelheiten auf", sagte Blacky, der unten am Baum stand. „Was siehst du noch?" „Unsere vier Schiffe sind soeben dabei, sich zu verholen", erklärte Dan. „Sie segeln südostwärts und steuern die Passage an." „Was für eine Passage?" erkundigte sich Seadog. „Windward Going Through", erwiderte Dan geduldig. „So heißt sie. Sie trennt Middle Caicos und East Caicos. Zufrieden?" „Und wie", erwiderte Seadog. „Aber da sind doch sicher auch Strömungen." „Du hast es erfaßt", entgegnete Sam Roskill. „Die Passage ist ein gefährliches Fahrwasser."
„Sie führt in den Atlantik", sagte Dan. „Mal sehen, wie es weitergeht. Wir können vorerst nur zuschauen und Däumchen drehen." „Ist das dein Ernst?" fragte Bristol. „Hast du einen besseren Vorschlag?" entgegnete Blacky. Bristol schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich habe den Eindruck, daß ihr uns irgendwie verschaukeln wollt." „Spinnst du?" Dan zeigte sich überrascht und verblüfft. „Das würde uns niemals einfallen. Ihr seid Schiffbrüchige, und wir haben euch abgeborgen und an Land gesetzt." „Und wenn ihr zu frech werdet, kriegt ihr was auf die Nase", sagte Paddy Rogers zu den drei Kerlen der „Scorpion". Seadog hob abwehrend die Hände. „Um Himmels willen, darauf sind wir nicht erpicht! Ich dachte aber auch..." „Na, was denn?" fragte Blacky lauernd, als Seadog zögerte, weiterzusprechen. „Raus mit der Sprache." „Daß wir uns über euch lustig machen?" fragte Sam Roskill. „Na, das wäre ja wohl der Gipfel." „Vergiß es", sagte Seadog. „Es war nicht so gemeint. Wir sind noch ein bißchen äh, verstört. Wegen der Haie und so." „Das kann ich verstehen", meinte Dan. „Das wäre ich auch. Schlimme Biester, diese Haie." Er hielt wieder nach den spanischen Kriegsgaleonen Ausschau und nahm sie jetzt genau in Augenschein. Das vorderste der in Knielinie segelnden Schiffe war ein richtiger Klotz wohl das Flaggschiff. Den Namen konnte Dan nicht lesen. Das zweite Schiff war die „San Sebastian" bekannt aus der Bucht bei Batabanó. Dan konnte den Capitán auf dem Achterdeck zwar nicht erkennen, aber er war sicher, daß es nach wie vor Don Gaspar de Mello war. Das dritte Schiff ähnelte der „San Sebastian" von der Größe und der Armierung her. „So, das ist also der Verband, mit dem sie aus Havanna ausgelaufen sind, um uns das Fürchten zu lehren", sagte Dan. „Nur zu, ich bin mal gespannt, wie sie sich das in der praktischen Ausführung vorstellen, die Señores." „Ja, das bin ich auch", sagte Jack Pinnegan. „Wieso?" fragte Paddy Rogers verdutzt. „Die werden natürlich versuchen, uns zusammenzuschießen, oder?"
„Dazu müssen sie uns aber erst mal haben", entgegnete Sam Roskill. „Hasard, Siri-Tong und Edmond Bayeux werden es ihnen nicht leicht machen." „Aha", sagte Bristol. „Ihr wußtet also bereits, daß diese Spanierhunde hinter euch her waren?" „Wann hört ihr endlich mit eurer Fragerei auf?" stieß Blacky aus. „Hölle, wie mir das auf den Geist geht." „Halten wir lieber den Mund", sagte Seadog zu seinen beiden Kumpanen. „Die Dons sind Tag und Nacht hinter uns her, merkt euch das", belehrte Dan die drei Piraten. „Ich habe ja vorhin schon erklärt, daß es heutzutage nicht mehr so leicht und einfach ist, den Dons was abzunehmen. Erstens haben sie nicht mehr so viel Gold, und zweitens zeigen sie die Zähne. Ein hartes Brot, diese Seefahrt." „Hör endlich auf", sagte Blacky, der sich ein Lachen kaum verkneifen konnte. Sie schwiegen nun alle und verfolgten, was weiter geschah. Drohend näherte sich der Verband der spanischen Kriegsgaleonen. Es mutete imposant und unheilvoll zugleich an, wie sich die drei Segler mit Vollzeug und klar zum Gefecht auf Middle Caicos zuschoben. Wer ihnen vor die Kanonenrohre geriet, der war geliefert. Diesen Anschein hatte es. Aber was wirklich geschah, wenn der Bund der Korsaren einer offenen Auseinandersetzung nicht auswich, das stand auf einem anderen Blatt. Hasard entzog sich der Konfrontation doch das bedeutete nicht, daß er vor dem Verband aus Havanna kapitulierte. Vielmehr wendete er eine Kriegslist an. Doch das sollten Don Diego de Campos und seine wackeren Mannen erst einige Zeit später begreifen. De Mello und Alvarez ahnten schon etwas. Doch sie hüteten sich, ihre Bedenken an den Señor Generalkapitän weiterzugeben. Schließlich wollten sie nicht als Querulanten oder gar Meuterer hingestellt werden. De Campos hatte sich viel zu sehr in seine selbstgesetzte Aufgabe verbissen, um jetzt noch einsichtig zu sein. Er hatte nur eins vor Augen: seinen Erfolg. Er mußte Philip Hasard Killigrew stellen und besiegen. Lebend wollte er ihn und dann würde er ihn im Triumphzug nach Spanien überführen und beim König persönlich abliefern.
Doch de Campos wollte auch den Schatz, der sich in den Frachträumen der drei „Piratenschiffe" befand. Dieser Schatz war das rechtmäßige Eigentum der Krone. Philipp II. würde die Augen aufreißen, wenn der Generalkapitän ihm auch diese immensen Reichtümer ablieferte. So schlug er, de Campos, sozusagen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Aber vor den Erfolg hatte der liebe Gott bekanntlich den Fleiß gesetzt. So einfach, wie sich de Campos das vorstellte, war es nun auch wieder nicht. Als die drei Galeonen „Sant Jago", „San Sebastian" und „Monarca" den Schauplatz erreichten, befanden sich die „Isabella IX.", die „Caribian Queen", die „Le Griffon" und die „Empress of Sea II." bereits in der Passage zwischen Middle Caicos und East Caicos. Verärgert verzog de Campos das Gesicht. „Die Hunde fliehen", sagte er verächtlich. „Aber wir erwischen sie noch, keine Angst." Angst hatte man an Bord der „Sant Jago" aber doch nicht etwa wegen der Aussicht, daß der Feind einem möglicherweise doch durch die Lappen gehen könnte, sondern vielmehr, weil man den gefürchteten El Lobo del Mar nun offenbar unmittelbar vor sich hatte. „Das ist er", sagte Rodrigero, der Seesoldat, mit düsterer Miene zu seinem Freund Soares. „Hast du die Schiffe gesehen?" „Ja. Schiffe des Teufels." „Himmel, am liebsten würde ich mir einen ansaufen." „Bloß nicht. Der Alte bringt dich um." „Wir sind sowieso zum Sterben verdammt", sagte Rodrigero. Dan O'Flynn hatte die drei Kriegsgaleonen unterdessen nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen. Er verfolgte durch das Spektiv, wie sie sich der Insel näherten. Unwillkürlich biß er sich auf die Unterlippe. Blacky, Sam, Paddy, Jack und er hatten es nicht mehr geschafft, die Jolle zu verstecken beziehungsweise über den breiten Strand zum Buschgürtel zu ziehen. Dazu war keine Zeit mehr gewesen. So war unvermeidlich, daß die Spanier das Boot entdeckten. 7.
Don Diego de Campos mochte ein Eisenfresser und Dickschädel sein, aber auf den Kopf gefallen war er auch nicht. Es war ihm nicht entgangen, daß einige Männer im Inneren der Insel verschwunden waren. Jetzt spähte er durch den Kieker zu der Jolle, die einsam und verlassen am Strand von Middle Caicos lag. Was hatte es mit diesem Boot auf sich? „Beidrehen!" befahl er. Die „Sant Jago" und ihre beiden Begleitschiffe drehten bei und geiten die Segel auf. Kurz darauf wurde auf de Campos' Geheiß hin ein Boot von der „Sant Jago" ausgesetzt. An Deck ließ der Generalkapitän einen Teniente der Seesoldaten antreten und gab diesem seine Befehle. „Teniente, Sie führen ein Landekommando von acht Seesoldaten an, das unverzüglich in das Boot abentert und übersetzt!" „Ja, Señor." „Die Kerle, die da vom Strand weggerannt sind, sind zweifellos Piraten." „Jawohl, Señor", sagte der Teniente. „Es ist Ihre Aufgabe, sie einzufangen!" ordnete de Campos mit schnarrender Stimme an. „Zu Befehl, Señor!" „Es sind englische Piraten, auch das ist sicher." „Ganz sicher, Señor," „Sie haben die Beute aus den Höhlen bei Batabanó", fuhr der Generalkapitän fort. „Wir werden ihnen diesen Schatz wieder entreißen, Teniente. Nehmen Sie zunächst die Kerle auf der Insel fest, dann sehen wir weiter." De Mello hatte selbstverständlich die drei Schiffe längst erkannt, die jetzt mit der kleineren Karavelle in der Passage verschwunden waren. Entsprechendes hatte er seinem Verbandsführer signalisieren lassen. So war ein Irrtum ausgeschlossen. Jawohl, man hatte El Lobo del Mar samt seiner Piratenbrut direkt vor sich! Eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen durfte! „Teniente, Sie bleiben also an Land", sagte de Campos. „Wir segeln nachher wieder heran und nehmen Sie mit Ihrem Kommando an Bord. Und mit den Gefangenen natürlich." „Jawohl, Señor."
De Campos entließ den Teniente. Der ging ihm allmählich auf die Nerven. Der Teniente stellte sein Kommando rasch zusammen Rodrigero und Soares waren mit dabei. „Heilige Mutter Maria, steh mir bei", flüsterte Rodrigero. „Sei doch still!" zischte Soares ihm zu. „Vielleicht ist es gut so für uns!" „Das denkst auch nur du." „Wenn es jetzt zum Gefecht kommt, sind wir nicht mit dabei", gab Soares zu bedenken. „Und wenn uns die Piraten auf der Insel was überbraten?" fragte Rodrigero. „Ist das nicht genauso schlimm?" „Nicht unbedingt." „Die stellen uns einen Hinterhalt." „Und wir tappen in die Falle?" „Blöd genug sind wir." „Mann, hast du eine Meinung von uns", sagte Soares. „Nicht von uns!" raunte Rodrigero. „Sondern von dem Teniente. Der bestimmt schließlich, was wir zu tun haben!" Der Teniente war ein junger, forscher Kerl, der nur an das eine dachte: seine Beförderung. Er eiferte de Campos nach und wollte mal so werden wie der Generalkapitän. Alles, was de Campos sagte, war für ihn Gesetz und Gebot. Die Piratenbastarde auf der Insel mußten eingefangen werden. Also würde er, der Teniente, sie so schnell wie möglich einfangen. Die Seesoldaten enterten in die bereitliegende Jolle ab. Der Teniente nahm achtern Platz und gab barsch seine Anweisungen. „Ablegen! Anpullen!" Das Boot löste sich von dem Flaggschiff und glitt davon. De Campos blickte ihm nur noch kurz nach, dann gab er den Befehl zum Weitersegeln. Die „Sant Jago", die „San Sebastian" und die „Monarca" setzten als geschlossener Verband El Lobo del Mar und dessen Spießgesellen nach sie segelten in die Passage. De Mello sah zu der Jolle der „Sant Jago", die zum Südufer von Middle Caicos glitt. Ihr armen Teufel, dachte er, ich kann euch nur bedauern. So leicht, wie der Generalkapitän denkt, lassen sich die Engländer nicht fangen. Mit denen werdet ihr eure Schwierigkeiten haben, dachte auch Alvarez an Bord der „Monarca", als er dem Boot nachblickte. An denen beißt ihr euch die Zähne aus. Das sind keine Eidechsen oder Kaninchen, die man einfach einfängt.
Der Teniente, der das Landekommando führte, war indessen von dem Erfolg seiner Aktion und von der Bedeutung seiner Aufgabe voll überzeugt. Er saß aufrecht und starr da wie eine Statue. Sein Blick war auf das Ufer gerichtet. Wenn sich die Piraten jetzt irgendwo zeigten, würde er gleich wissen, wohin er mit seinem Trupp zu marschieren hatte. Doch die Piraten ließen sich nicht blicken. Die hockten vorläufig noch in den Ästen der Mangroven und wohnten dem Landemanöver der Spanier mit ihren aufmerksamen Blicken bei. Sie grinsten sich eins, aber sie dachten natürlich auch darüber nach, wie sie dem bevorstehenden Aufmarsch am besten begegnen konnten. Der Teniente sprang auf, kaum, daß die Jolle am Strand von Middle Caicos gelandet war. Er stelzte an Land und schaute sich um. Wieder war von den Gesuchten nichts zu sehen. Aber ihre Jolle war da. Und im Sand waren ihre Abdrücke. Die Fährten englischer Galgenstricke! Mit angewiderter Miene beugte sich der Teniente darüber und inspizierte sie. Was es da so genau zu untersuchen gab, wußte er selbst nicht. Aber er zeigte seinen Leuten eben, was für ein kompetenter Mann er war. Rodrigero und Soares stießen sich heimlich mit den Ellenbogen an. Der Teniente war ein Narr, aber leider einer von der verbohrten Sorte. Der ließ wie de Campos nicht eher locker, bis er sich seinen sturen Holzkopf gründlich eingerannt hatte. Eins konnte der Teniente den Spuren aber klar entnehmen: Sie führten von der Jolle ins Innere der Insel. Somit bestätigte sich das, was der Generalkapitän beobachtet hatte: die Kerle waren vom Strand weggelaufen und versuchten wohl, sich irgendwo zu verstecken. Nun, die würde man schon schnappen. Und dann gnade ihnen Gott, dachte der Teniente. Wie viele es waren? Nun, das konnte ein Mann wie der Teniente aus den Abdrücken nicht einwandfrei erkennen. Er rechnete aber fest damit, daß es sich mindestens um vier, fünf Kerle handelte. Auch die Jolle sah er sich genau an. Eine englische Schnapphahnjolle! Am liebsten hätte er sie gleich zertrümmern lassen. Aber damit mußte er wohl noch warten. Erstens hatte er keinen entsprechenden Befehl, und zweitens konnte sein, daß de Campos das Boot als Beweismittel oder „Tatobjekt" requirieren wollte. Eigentlich war es ein ganz normales Boot. Nur ein paar Taurollen und eine halbvolle Flasche Rum entdeckte der Teniente in ihrem Inneren, sonst nichts. Säufer waren diese Kerle also auch!
Was denn sonst? Was wollte man von einem englischen Piraten anderes erwarten? Er war mehr Tier als Mensch, total verroht und unglaublich brutal. Diese und andere Erwägungen konnten den Teniente nicht vorsichtiger stimmen. Er dachte nur an eins: die Kerle zu schnappen und bei seinem Generalkapitän Punkte zu sammeln. Allein das war wichtig. Der Teniente schritt nunmehr zur Tat. Er bestimmte einen seiner Soldaten als Posten für die Jollen. „Du paßt hier auf unser Boot und auf den Kahn der Engländer auf!" befahl er. „Jawohl", sagte der Soldat. „Wenn jemand erscheint, feuerst du in die Luft." „Jawohl." „Dann wissen wir Bescheid und kehren zurück", erklärte der Teniente. „Ich schätze zwar, daß wir die Hunde im Inneren der Insel fangen, aber man kann nie wissen." Rodrigero und Soares waren wieder einmal mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Der Teniente beging einen schweren Fehler. Er rechnete nicht damit, daß die Engländer sie beobachteten. Daß sie es taten, stand für Rodrigero und Soares fest. Aber sollten sie den Teniente darauf hinweisen? Lieber nicht. Der konnte sehr wütend reagieren, wenn sich außer ihm jemand erlaubte, Gedanken zu äußern. Schließlich war er der Teniente und die anderen gemeine Soldaten. Also hatten sie gefälligst ihren Mund zu halten und nur das zu tun, was er ihnen befahl. * Der Teniente entschloß sich, eine beispielhafte militärische Aktion durchzuführen, um es diesen englischen Bastarden mal so richtig zu zeigen. Was wußten die schon von Strategie und Taktik! Keine Ahnung hatten sie. Den ganz großen Durchblick hatte nur der Teniente. Er schwärmte also mit seinen sieben Leuten aus und kämmte die Insel vom Strand bis zu den Büschen ab. Dann trampelten sie die Büsche nieder und drangen in den Urwald ein. Sie marschierten und marschierten, fluchten und schwitzten. Aber ein Engländer war nirgends zu entdecken. Wo, zur Hölle, hatte sich das Gesindel versteckt?
Schließlich mußte der Teniente seine Soldaten doch wieder zusammenziehen. Es blieb ihm nichts anderes übrig. Sie waren jetzt zwischen Felsen gelangt, wo man nur hintereinander aufsteigen konnte. Aber Spuren hatten die Spanier wieder entdeckt deutliche Fährten. Also waren sie auf dem richtigen Weg! Der Teniente frohlockte schon jetzt. Sie brauchten nur den Fußspuren zu folgen, dann kriegten sie diese Schurken zu fassen. Die Insel war schließlich nicht sehr groß. Irgendwann wurde sie den Engländern zur Falle. In breiter Formation konnte man die Suche nicht fortsetzen, also kletterte man hintereinander die Felsen hoch. Das war eigentlich kein großes Problem. Nur Mühe bereitete es. Rodrigero, Soares und die anderen Soldaten fluchten immer lauter. „Ruhe da!" zischte der Teniente. „Seid ihr wahnsinnig? Ihr verratet uns noch!" Rodrigero wollte ihm an den Kopf beziehungsweise an den Helm schleudern, daß die Engländer das Kommando sicherlich längst entdeckt hätten und es belauerten. Aber er verkniff es sich. Es brachte ihm ja doch nur Ärger ein. In der Tat: Dan, Blacky, Sam Roskill, Jack Finnegan und Paddy Rogers hatten ihrerseits beschlossen, daß es wenig Sinn hatte, wenn man nur herumhockte und Däumchen drehte. Deshalb hatten sie mit den drei Kerlen der „Scorpion" eine Art Pakt geschlossen. „Hört mal her", hatte Dan zu den dreien gesagt. „Ihr habt sicher keine große Lust, euch mit den Dons herumzuschlagen." „Ganz und gar nicht", entgegnete Seadog. „Wir haben noch von dem Gefecht gegen euch die Schnauze voll", gab Bristol zu. „Wir würden lieber abhauen", sagte Fate Marable. „Dürfen wir das? Ihr wolltet uns ja sowieso aussetzen." „Schon gut, schon gut", erwiderte Ben. „Ich wollte euch nur etwas vorschlagen." „Und das wäre?" fragte Seadog. „Könnt ihr nicht mal mit dem Fragen aufhören und abwarten?" sagte Blacky. „Also, paßt auf", sagte Dan zu Seadog, Marable und Bristol. „Ihr geht schon mal vor. So weit, wie ihr wollt. Ihr müßt nur tüchtig trampeln." „Warum denn das?" fragte Bristol.
„O Jesus, das kapier' ich ja sogar", entgegnete Paddy Rogers. „Damit es feine Spuren gibt, hinter denen die Dons herlatschen können." „Sehr richtig", sagte Dan. „Und wir stellen ihnen eine Falle, in die sie brav hineintappen." „Kapiert", sagte Marable beeindruckt. „Wir brauchen uns also mit den Dons nicht herumzuschlagen?" fragte Seadog. „Nein, ihr Nervensägen", erwiderte Blacky. „Und nun haut schon ab. Wird's bald?" Seadog und seine beiden Kumpane ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie verschwanden und trampelten durch das Dickicht höher. Oh, wie froh sie waren! Endlich hatten sie alles hinter sich das Gefecht, Doolin, die Feinde und die Haie. Jetzt waren sie auch außerhalb der Reichweite dieser Verrückten vom Boot. Damit waren alle Probleme gelöst. Mochten sich die Killigrew-Kerle mit den Spaniern herumprügeln. Seadog, Marable und Bristol wollten davon absolut nichts wissen. Sie hatten wirklich die Nase voll. „Mann, was für Helden", sagte Sam Roskill. „Die sind wirklich heilfroh, daß sie nicht zu kämpfen brauchen." „Es ist ganz gut, daß wir sie los sind", erwiderte Dan. „Na, hoffentlich hauen sie uns nicht noch in die Pfanne", sagte Blakky. „Indem sie uns an die Spanier verraten, meine ich." „Die stehen noch unter Schock", sagte Dan. „Das tun die nicht", meinte auch Sam. „Na gut", sagte Jack Finnegan. „Und was unternehmen wir jetzt?" „Wir suchen uns einen guten Platz", erwiderte Dan. Dann marschierte er an der Spitze seines kleinen, aber wehrhaften Trupps los. Wenig später lauerten die fünf Männer beidseits des Aufstiegs hinter Felsen. Sie brauchten nur noch zu warten. Lange wurde ihre Geduld nicht auf die Probe gestellt. Die Spanier näherten sich keuchend, schnaufend und fluchend. * Von nun an entwickelten sich die Dinge ziemlich schnell. Rodrigero und Soares hatten es so eingerichtet, daß sie die letzten in der Reihe der Soldaten waren. Sie legten keinen Wert darauf, den
Engländern, die sich gewiß irgendwo versteckt hatten, direkt vor die Musketen zu laufen. Wenn es sich irgend vermeiden ließ, wollten Rodrigero und Soares das unter diesen Voraussetzungen geringste Risiko eingehen. Es sollte sich anders ergeben. Der Trupp Seesoldaten erreichte eine Art Plateau und marschierte zu ebener Erde weiter. Der Teniente sah sich nach allen Seiten um und stieß wieder auf Spuren. Mit grimmiger Miene folgte er ihnen. Seine Mannen schritten forsch hinter ihm her. Soares und Rodrigero nicht ganz so forsch und sie waren es auch, die als erste aus dem Gefecht gezogen wurden. Sie achteten nicht auf die Felsen, die links und rechts hochwuchsen. Ein Fehler. Dan O'Flynn und Blacky waren plötzlich hinter ihnen. Sie packten die beiden Soldaten von hinten und preßten ihnen jeder eine Hand auf den Mund. Soares und Rodrigero waren völlig überrumpelt. Sie wollten schreien und ihre Landsleute warnen. Es war nicht möglich. Sie setzten sich zur Wehr und versuchten, sich loszureißen, aber Dan und Blacky hieben jetzt bretthart und knochentrocken zu. Soares und Rodrigero sanken, von den Fäusten ihrer Gegner im Nacken getroffen, zu Boden. Sie gaben keinen Laut mehr von sich und waren bewußtlos. Sam Roskill, Jack Finnegan und Paddy Rogers waren zur Stelle, packten mit an und schleppten gemeinsam mit Dan und Blacky die ohnmächtigen Seesoldaten hinter die Felsen, ehe deren Vordermann registrierte, was los war. Rodrigero und Soares wurden gefesselt und geknebelt und sofort im Buschwerk jenseits der Felsen versteckt. Dann huschten Dan und Blacky dem Vordermann der beiden nach. Auch dieser Mann wurde schnell und lautlos überwältigt. Dan und seine Kerls zerrten ihn ins Gestrüpp. Sie fesselten und knebelten ihn und packten ihn zu Rodrigero und Soares. Der Teniente war unterdessen stehengeblieben und schaute sich nach seinen Soldaten um. „He", sagte er. „Wo sind denn die anderen? Rodrigero, Soares und Benitez. Ich sehe sie nicht mehr." „Eben waren sie noch da", erklärte der Soldat, der jetzt am Schluß stand.
„Was ist denn das für eine blöde Antwort?" herrschte der Teniente den Mann an. „Die Kerle sind weg. Sind die etwa desertiert? Die können was erleben!" „Vielleicht sind sie auch nur erschöpft", sagte ein anderer Soldat. „Von was, möchte ich wissen." Der Teniente hatte sich auf dem Stiefelabsatz umgedreht und marschierte an seinen Männern vorbei auf dem Weg zurück. Er wollte selbst nach dem Rechten sehen. Plötzlich sah er sich fünf Kerlen gegenüber, die er nicht kannte. Mit einem Schlag war ihm klar, was geschehen war. Rodrigero, Soares und Benitez waren überwältigt worden! Und die Kerle da, die ihn so dreist und herausfordernd angrinsten, waren die Gesuchten. „Die englischen Bastarde!" brüllte der Teniente. „Hier sind sie!" „Was den Bastard betrifft, geben wir das Kompliment gern zurück, Señor", erwiderte Dan in perfektem Spanisch. Der Teniente war irritiert. Aber er fing sich sofort wieder. Hinter ihm rückten seine Soldaten an. Der Teniente zückte den Degen und schrie die „Piraten" an: „Ergebt euch, ihr Strolche!" „Fünf gegen fünf", stellte Blacky nüchtern fest. „Das Verhältnis steht jetzt also gleich." „Drauf", sagte Dan, mehr nicht. Plötzlich unternahm er einen Ausfall. Der Teniente sah einen Degen vor sich aufblitzen, dann wirbelte die Klinge seines Gegners nur so und hieb ihm die eigene Waffe aus der Faust. Verblüfft starrte der Teniente auf den Degen. Er flog zu Boden, viel zu weit entfernt er konnte ihn nicht mehr erreichen. Dan ließ seinen Degen ebenfalls fallen und sprang auf den Teniente zu. „Señor, verteidigen Sie sich!" rief er. Aber der Teniente war viel zu verdutzt. Irgendwie hatte er sich alles ganz anders vorgestellt. Dans Faust traf sein Kinn. Der Teniente kippte um und verlor das Bewußtsein. Nicht anders erging es seinen Soldaten. Sie waren diesen harten Kämpfern nicht gewachsen. Nur fünf Minuten verstrichen, dann war das Klirren der Blankwaffen wieder verstummt. Die Spanier waren besinnungslos. Dan, Blacky, Sam, Jack und Paddy schleppten sie zu den drei anderen und fesselten und knebelten sie.
„Sie haben ein paar Blessuren", stellte Dan fest. „Es scheint aber nicht weiter schlimm zu sein." „Sie werden es überstehen", erwiderte Sam Roskill grimmig. „Aber da wäre noch der Kerl, der am Strand bei den Booten Wache hält. Den übernehme ich, wenn ihr nichts dagegen habt." „Wir haben nichts dagegen", erwiderte Dan grinsend. Sam eilte hinunter zum Strand, um auch den Bootswächter auszuschalten. Der Soldat war nervös geworden. Er hatte den Kampf lärm weiter oben gehört fund dachte darüber nach, wie die Sache wohl ausgegangen war. So siegesgewiß wie der Teniente war er nämlich auch nicht. Seine Skepsis wuchs. Was war geschehen? Warum ließ der Teniente ihm keine Nachricht zukommen? plötzlich fuhr der Spanier herum. Er hatte ein Geräusch vernommen. Es kam aus der Richtung des Dickichts an der westlichen Seite des Ufers. Ein Mann sprang aus den Büschen ein Schwarzbärtiger mit einem weißen Hemd, einer blauen Hose und Langschäftern. Er eilte auf den Soldaten zu. Der Soldat zückte seinen Säbel. Als Sam Roskill dicht vor ihm war, begann er zu fechten. Die Klinge des Säbels knallte gegen Sams Degen. Fast schien es, als müsse Sams Degen unter der Wucht des Hiebes zerbrechen. Aber Sam reagierte mit einer glänzenden Parade und griff seinerseits den Soldaten an. Wütend droschen sie mit ihren Waffen aufeinander los. Dann unternahm der Spanier einen blitzschnellen Ausfall. Sam wich aus, rutschte aber im Sand aus und stürzte mit dem Rücken gegen einen Hügel. Der Spanier lachte triumphierend auf. Er stand breitbeinig vor Sam und wollte mit dem Säbel zustoßen. Doch da griff Sam zu einem Trick. Er stieß sein rechtes Bein hoch. Sein Fuß traf die Brust des Spaniers. Der Soldat taumelte und ruderte mit den Armen. Sam sprang auf, setzte ihm nach und trat noch einmal zu. Diesmal war es der Spanier, der auf den Rücken fiel. Sams Degen huschte auf ihn zu, die Spitze richtete sich drohend auf die Kehle des Soldaten. „Gibst du auf?" „Ja", antwortete der Soldat keuchend. „Ich ergebe mich." Sam ließ ihn aufstehen, dann trieb er ihn nach oben, zu den Felsen zu den anderen. Der Soldat stöhnte auf, als er seinen Teniente und seine Kameraden bewußtlos und mit Stricken verschnürt vor sich auf dem Boden liegen sah. Aber auch er hatte
keine andere Wahl mehr. Er mußte sich fesseln und knebeln lassen. Dan O'Flynn ließ die beiden Boote zwischen die Büsche ziehen und die Spuren verwischen. Mit seinen vier Begleitern blieb er oben zwischen den Felsen. „Wir wollen abwarten, wie sich die Situation zwischen den Dons une unseren Freunden entwickelt", sagte er. Es war der Vormittag des 9. Jun: 1595... Ende Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 503 Auf den Bänken der Caicos-Inseln von Burt Frederick Als es auf die Dämmerung zuging, steuerte Old O'Flynn mit seiner „Empress of Sea" auf eine Steile der Korallenbarriere, die einen Durchlaß bot jedenfalls für die kleine flachgehende Karavelle, aber nicht für die schwere Kriegsgaleone „Sant Jago", das Flaggschiff des Dreier-Verbandes, der ausgezogen war, um den Seewolf zur Strecke zu bringen. Mit einer Affenfahrt rauschten Old Donegal und seine Mannen über jene Stelle, die auch in der Dämmerung noch deutlich zu erkennen war. Dann starrten sie alle nach achteraus. Bemerkte der Generalkapitän auf der „Sant Jago" die Falle, oder blieb er auf Kurs? Ja, er blieb auf Kurs, er war viel zu vernagelt. Die Mannen begannen zu grinsen... Diesen Roman mit einem neuen spannenden Abenteuer des Seewolfs und seiner Crew erhalten Sie bereits nächste Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler sowie in allen Bahnhofsbuchhandlungen. Wenn nicht, dann wenden Sie sich bitte an die Vertriebsabteilung des Erich Pabel Verlags GmbH, Postfach 1780, 7550 Rastatt.