Everett Jones
Im heißen Staub von Mexiko Ronco Band Nr. 385/58
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im...
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Everett Jones
Im heißen Staub von Mexiko Ronco Band Nr. 385/58
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine eigene Geschichte.
Er schildert den Weg, den er gehen mußte – bis zu dem schrecklichen Tag, an dem er das Massaker im Halcon Canyon als einziger überlebte und als Verräter, Mörder und Feigling gebrandmarkt wurde. Bis zu diesem Tag war sein Leben wie das vieler anderer verlaufen, die die Wirren des Bürgerkrieges überstehen mußten und sich nach Ende des großen Blutvergießens in den Westen aufmachten, um einen neuen Anfang zu finden. Erst der große Schicksalsschlag vom Halcon Canyon warf RONCO aus der Bahn, und für lange Jahre mußte er als Geächteter um sein Leben kämpfen …
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Gerät an flüchtende Leibgardisten des Kaisers und teilt ihr Schicksal fast bis zur Neige. Luke Paine – Der Anführer der Leibgardisten erfährt, was Roncos Kopf wert ist und meint, die Prämie sei ein gutes Startkapital. Jenny – Ein Tingel-Tangel-Mädchen, dem als einzigen die Flucht vor den Häschern gelingt. Mahon Tabor – Kann seinen Intimfeind Ronco mit Hilfe der Juaristas besiegen, hat aber nicht viel davon.
Im heißen Staub von Mexiko 5. Juli 1882 Es ist unerhört heiß heute. Ich raste an einem Tümpel, an dem mein Pferd ein wenig Wasser findet, lehmbraunes, warmes Wasser, das in dem Loch hochquillt. Keine Erholung für das Tier, aber immerhin Wasser, das vor innerlicher Auszehrung bewahrt. Der Schweiß läuft über mein Gesicht und tropft auf mein Tagebuch, wo er graue Flecke hinterläßt. Gestern war Nationalfeiertag. Und sie haben wieder gefeiert, hier in Texas. Wie losgelassen waren die Menschen. Der Bürgermeister von Austin hielt eine Rede, fast schon einen flammenden Appell, der auf mich ganz so wirkte, als habe er selbst bei der Abfassung der Unabhängigkeitserklärung mitgewirkt. Danach haben sie getanzt und gesoffen. Während der Nacht brannten sie ein Feuerwerk ab und ballerten aus ihren Colts wild in der Gegend herum. Mit Manuela und Jellico verbrachte ich den Tag zu Hause. Wir schauten aus dem Fenster wie in eine andere, uns fremde Welt. Vielleicht wäre ich doch ganz gern einmal wenigstens für eine kurze Zeit mit dabei gewesen und hätte ein paar Whiskys in einem Saloon getrunken. Aber ich dachte mir, daß es einige Ranger in Austin gab, die mich dabei nicht sehr gern sahen. Und so hatte ich mir das verkniffen. Der Stern erscheint mir oft wie eine Last am Hemd, obwohl ich genau weiß, daß dies nicht stimmen kann. Sie haben ihn mir zu einer Last werden lassen. Der Grund dafür ist denkbar einfach: Sie wissen, daß auch ich einmal ein Geächteter war. Daß sich meine Unschuld dann doch noch beweisen ließ und gerichtlich abgesegnet wurde, bleibt dabei weitgehend unerheblich für die Menschen, wenigstens für viele von ihnen. Schon haben einige der Ranger versucht, mir einfach etwas anzuhängen. Sie wollen mich weghaben aus ihren Reihen. Zwar haben sich solche Versuche bisher als untauglich erwiesen, ich bin jedoch daraufgefaßt, daß sie sich wiederholen und man es
abermals versuchen wird. Die Frage ist, ob ich diesen Kampf lange führen werde. Eine innere Stimme sagt mir immer wieder, daß ich noch lange nicht am Ende eines steinigen und dornigen Lebensweges angelangt sei. Hinzu kommt für mich die bittere Erkenntnis, daß ich auch hier in Austin nicht heimisch wurde. Kehre ich nach Hause zurück, lebe ich wie ein Fremder unter den Menschen. So ist es auch in der Rangertruppe. Gewiß, ich habe ein paar Freunde gewonnen – einige wenige. Aber insgesamt gesehen blieb ich ein Fremdkörper. Das kann auf die Dauer nicht gutgehen. So geschieht es immer häufiger, daß ich mich trotz des Sterns des Gesetzesvertreters an meinem Hemd manchmal noch wie ein Geächteter fühle. Doch in den Zeiten, da man mich wirklich jagte, war alles viel schlimmer als heute. Damals mußte ich mehr ertragen als nur die schiefen Blicke der Menschen. Damals wollte man eine beachtliche Prämie kassieren, die auf meinen Kopf ausgesetzt war, wollten mich andere vernichten, wo immer sie auf mich stießen. Deutlich, als wäre das alles erst gestern gewesen, stehen die Bilder der Vergangenheit vor meinem geistigen Auge. Am entsetzlichsten waren dabei die ersten Wochen und Monate jener gnadenlosen Verfolgung, der ich mich ausgeliefert sah. Der Kampf ums Überleben beherrschte zu jener Zeit oft mein ganzes Denken. Das ganz besonders in jenem Mai 1867 in Mexiko …
1. Ich stand inmitten der auf der Hügelflanke wuchernden Wildnis aus Yuccasträuchern, Rotdorn, Biberschwanzkakteen und Cottonwoods und beobachtete den Reiterpulk unter den Staubschwaden im Osten. Ich wußte, daß es Mahon Tabor mit seinen Juaristas war, der da die menschlichen Behausungen in der Prärie Mexikos absuchte und nach einem Mann fragte, den er töten wollte – nach mir. Ein paar Europäer waren durch meine Hilfe nach Vera Cruz gelangt. Ich hatte sie noch mit ihrem französischen Schiff auslaufen sehen. Sie, ins Umfeld des gestürzten Kaisers gehörig, befanden sich in Sicherheit. Nur daß ich dies nicht war, das wußte Mahon Tabor,
der da unten mit seinen Schergen ritt und mich um jeden Preis haben wollte. Mahon Tabor schien zu wissen, daß ich nach Norden unterwegs war, um die amerikanische Grenze zu erreichen. Schlimm genug für mich, dies erkennen zu müssen. Blieb mir nur der Trost, daß sie offensichtlich meine Spuren verloren hatten. Denn wäre dem nicht so, hätten sie direkt auf mich zureiten müssen. Sicher durfte ich mich deswegen keineswegs wähnen, auch wenn sie jetzt eine Meile von mir entfernt ritten. Überall würden sie nach mir fragen, und von überall konnte mich jemand beobachtet haben und auf den einzelnen Reiter hinweisen. In dem kargen Land war es kaum möglich, unbemerkt zu bleiben, wie immer ich auch versuchte, ungesehen zu bleiben. Immer seltener wurden die Reiter in den Dunstschwaden für mich sichtbar, bis sie völlig untertauchten. Ich führte mein Pferd durch das Gestrüpp, schwang mich auf der Westseite des Hügels in den Sattel und ritt die sanfte Flanke hinunter und nach Norden hinauf. Doch kaum verließ mein Pferd das Gestrüpp, sah ich unvermittelt einen anderen Reiter vor mir. Der in schäbiger Leinenkleidung steckende Mexikaner, der gekreuzte Patronengurte über Brust, Schultern und Rücken trug, schlug sofort das Gewehr auf mich an und feuerte. Ich warf mich aus dem Sattel und schrammte auf den Boden. Das Tier wieherte und stob zur Seite. Die Hufe schleuderten mir Sand ins Gesicht. Der Mexikaner schlug das Gewehr abermals an und drückte ab. Ich schnellte mich herum, rollte um meine Achse und hörte, wie das Geschoß hinter mir den Sandboden streifte. Dann lag ich auf dem Leib und sah den in Pulverrauch gehüllten Gegner wieder vor mir. Er hob das Gewehr noch einmal, als ich abdrückte. Getroffen zuckte der Mexikaner zusammen. Sein Pferd wieherte und stieg auf die Hinterhand. Der Mann wurde abgeworfen und blieb, das Gesicht dem Sand zugewandt, liegen. Noch ein paar Sekunden wartete ich in angespannter Wachsamkeit und beobachtete die in Pulverrauch und Staub gehüllte, reglose
Gestalt im heißen Sand. Schließlich stand ich auf. Der Mexikaner rührte sich noch immer nicht. Ich ging zu ihm. Die Mündung meiner noch rauchenden Spencer berührte den Mann im Sand. Doch er gab kein Lebenszeichen mehr von sich. So trat ich noch dichter heran und stieß ihm den Stiefel gegen die Schulter. Er bewegte sich erst schwerfällig und fiel dann steif auf den Rücken. Die Kugel hatte das Herz des Mexikaners getroffen und ihn offenbar von einer Sekunde zur anderen getötet. Ich schaute nach Osten, wo ich die Reiter beobachtet hatte, und fragte mich, ob der Klang der Schüsse bis zu ihnen gedrungen war. Sicher erschien mir dies keineswegs. Doch mußte ich damit rechnen und schleunigst verschwinden. Ich warf noch einen Blick auf den Toten, dann lief ich rasch zu meinem Falben, schob den SpencerKarabiner in den Scabbard und saß auf. Zweifelsfrei war der Mexikaner einer von Mahon Tabors Spähern gewesen. Sie suchten überall nach mir. Auch wenn sie die Schüsse nicht gehört haben sollten, würden sie den Mann bald vermissen. Schnaubend setzte sich das Pferd mit der löwengelben Mähne in Bewegung. Es trug mich nach Westen. Ich mußte zusehen, Raum zwischen mich und Tabor mit seinen Juaristas zu bringen. Nach einer Viertelstunde erreichte mein Falbe eine ausgewaschene Rinne, in der sicher im Winter ein Creek floß. Ich lenkte ihn hinunter und folgte dem Graben, auf dessen hartem Boden die Hufe sich nicht eindrückten. Ich frohlockte. Wenn sie mir wirklich folgten, mußten sie die Spuren wieder verlieren. Dennoch würden sie dann annehmen, mir wenigstens wieder dicht auf den Fersen zu sein. Denn Tabor ging bestimmt davon aus, daß sein Späher auf mich gestoßen war. Erst eine Meile westlich der Stelle, an der ich in den Graben geritten war, vermochte ich ihn für Verfolger unsichtbar an einer steinigen Stelle wieder zu verlassen. Eine vom Wind freigewehte Lavaplatte schob sich nach Norden. Ich folgte dieser Richtung, die mich wieder näher an mein Ziel, den Rio Grande, heranbrachte.
2.
Das klagende Geheul eines Kojoten schallte durch die Nacht. Es ängstigte meinen Falben so sehr, daß er immer wieder versuchte auszubrechen. Ich mußte ihm den Kopf fest gegen die Brust ziehen, um das zu verhindern. Mein Blick war nach Norden gerichtet. Im fahlen Mondschein erkannte ich ein paar niedrige Adobelehmhütten, die einen verwahrlosten und verlassenen Eindruck erweckten. Eine Brunnenmauer stand vor den Hütten. Ich hoffte, daß dort auch noch Wasser für das Pferd und mich zu finden wäre. Drum herum wucherte die Wildnis, welche die Maisfelder aufgefressen hatte und die Zäune der teilweise verfallenen Korrals als Wachstumshilfen benutzte. Ich schnalzte mit der Zunge und lenkte den Falben auf die Gemäuer zu. Dabei beobachtete ich die Gebäude vor mir. Auch dort, wo einst der Hof des Ranchos gewesen sein mußte, wuchsen Büsche und Gras wüst durcheinander. Nichts rührte sich. Doch hörte ich lauter als vorher in mir eine warnende Stimme. Ich saß ab und führte das Pferd weiter. Über dem Brunnen entdeckte ich ein Holzgestell mit Trommel und Seilablauf in der Mitte und einer Kurbel an der Seite. Das Seil hing in den finsteren Schacht hinunter, aus dem Kühle emporstieg. Meine Hand griff nach der Kurbel. Es war die linke Hand, weil ich mich nicht zu entschließen vermochte, den Colt loszulassen. Ich drehte. Die Trommel gab knarrende Geräusche von sich. Das Seil wickelte sich auf, und aus dem Schacht drang lautes Scheppern, wenn der Eimer von einer Wandseite gegen die andere prallte. Er war voll mit Wasser, als ich ihn auf die bemooste Brunnenmauer zog und aus der hohlen Hand trank. Schnaubend drängte der Falbe neben mich. Ich füllte mir noch den Hut mit Wasser und trank daraus. Dabei trat ich zur Seite, damit das Pferd an den Eimer konnte. Es mußte aus ihm saufen, da keine Tränke oder etwas Ähnliches zu entdecken waren. Naß stülpte ich den Hut auf den Kopf. Meine Blick wanderten weiter herum, und ich beschloß bereits, auf diesem verlassenen Rancho für ein paar Stunden zu bleiben und den fehlenden Schlaf
nachzuholen. Als der Falbe gesoffen hatte, führte ich ihn zu einer Scheune mit breitem, torlosem Eingang. Drinnen raschelte Stroh unter meinen Stiefeln und den Hufen des Pferdes. Ich sattelte das Tier ab, zog das Gewehr aus dem Scabbard und legte den Sattel neben den Mauerausschnitt. Ich verließ die offene Scheune und umging den Brunnen. Auch dem Wohnhaus fehlte die Tür. Zwei zersplitterte Fensterrahmen lagen im Gras. Ich schob mich in den finsteren Flur und hörte erneut die warnende Stimme in mir. Gespannt lauschte ich in das Dunkel. Da schlug ein leises Stöhnen an meine Ohren. Heiße Schauer jagten mir über den Rücken. Sekundenlang wußte ich nicht, ob ich vorspringen oder zurückgehen sollte. Da war wieder das leise, kaum zu vernehmende Stöhnen eines offenbar verletzten Mannes. In diesem Augenblick geschah noch etwas. Vor mir kratzte etwas über die alten, schmutzstarrenden Dielen. Ich sah einen hellen Fleck, glimmende Augen und undeutlich einen Hut darüber. Eine Gestalt flog auf mich zu. Meine Spencer schwang herum und traf den Mann mit dem Kolben mitten im Angriff. Er flog nach links und schrammte gegen eine Bretterwand. Das alte Gemäuer schien zu schwanken. Der Mann stieß sich federnd von der Wand ab. Mein nächster Schlag ging daneben. Ich empfing eine plötzlich aus dem Dunkel auftauchende Faust, verlor das Gewehr und taumelte. Der Kerl setzte nach. Doch ich konnte mich fangen, duckte mich und rammte ihn mit der Schulter. Er fluchte lästerlich, schwankte und war sekundenlang unfähig, einen neuen Angriff zu unternehmen. Das genügte mir. Ich ging an ihn heran und setzte ihn matt. Sein Stöhnen tönte durch das Haus. Dann sah ich einen weiteren hellen Fleck und wollte schon angreifen. »Schlagen Sie sich auch mit einer Frau?« fragte da eine weibliche Stimme, die zu dem hellen Fleck an der Tür des Zimmers gehörte. Sie sprach auch texanischen Slang. Ich mußte meine Überraschung erst verdauen. »Hier, Ihr Gewehr. Sie haben es im Flur verloren!« Sie trat auf
mich zu, so daß ich das ovale Gesicht mit den rotblonden Haaren wie eine Mähne darum deutlich erkannte, auch ihre großen, grün schillernden Augen, die an ein Raubtier erinnerten. Ich griff nach der Spencer. »Gibt es hier kein Licht?« »Doch.« »Ist noch jemand da?« »Nur der Verletzte.« Ich trat dicht an sie heran, sah ein Flackern in ihren grünen Augen und spürte ihren Atem, der mein Gesicht traf. »Sonst niemand?« »Sehen Sie jemanden?« »Wie heißen Sie?« »Jenny.« Ich schaute sie mir genau an. Nach meiner Schätzung war sie knapp dreißig Jahre alt, aber deutlich vermochte ich das nicht zu erkennen. Dafür war das Mondlicht zu schwach, das durch die Fensterausschnitte hereinfiel. »Holen Sie die Lampe, Jenny«, sagte ich. »Ist gut.« Sie trat erst zwei Schritte zurück, dann wandte sie sich um und eilte hinaus. Ihre Schuhe trafen laut die Dielen im Flur und entfernten sich. Dann knirschte Sand. Noch ein paar Herzschläge lang stand ich reglos und lauschte, weil ich erst nicht begriff, wieso sie aus dem Haus lief. Dann wieherte ein Pferd. Hufschlag schallte herein. »Jenny!« schrie ich und stürmte los. Im Hof traf mich aufgewirbelter Staub. Nur noch schemenhaft sah ich die Reiterin. Ihr Pferd mußte fluchtbereit irgendwo gestanden haben, wo ich es nicht gesehen hatte. So lief ich bis zur Ecke und sah zwei weitere, ebenfalls gesattelte braune Pferde im schwarzen Schlagschatten des Wohnhauses. »Verdammt«, murmelte ich leise. Der Hufschlag war noch zu hören, wurde aber schnell zu einem davoneilenden Raunen, das im lauen Nachtwind unterging. Ich wandte mich um, ging hinein, durchsuchte das Haus und fand eine Lampe, die ich anzündete. Im Licht der Sturmlaterne konnte ich auch Stricke finden. Mein Gegner lag bewußtlos in dem großen Raum, der
beträchtliche Mengen zertrümmerter Möbel wie eine Rumpelkammer enthielt. Ich fesselte den Mann, ohne daß er dabei erwachte. Auch die Fußgelenke schnürte ich ihm zusammen. Als ich mich danach aufrichtete und zurücktrat, um ihn nochmals genau zu betrachten, fiel mir die kurze Jacke auf, die er trug. Sie hatte einen Teil der Knöpfe verloren und war auch sonst deformiert und ausgeblichen. Aber noch war die grüne Grundfarbe des Stoffes zu erkennen – eine Uniformjacke. Solche Uniformjacken hatten die Leibgardisten des fremden Kaisers in Mexiko getragen. Diese Leibgarde hatte sich zu einem beträchtlichen Teil aus amerikanischen Revolvermännern rekrutiert, aus vorwiegend Südstaatler-Soldaten, die nach dem verlorenen Krieg die Staaten verlassen hatten, weil dort für sie kein Job mehr zu holen war. Sie hatten nur das Handwerk des Tötens in ihrer Jugend erlernt und waren später unfähig gewesen, sich in ein anderes Leben einzufügen. Der Kaiser in Mexiko war ihre Chance. Ich war ganz sicher, einen solchen Leibgardisten Maximilians vor mir zu haben. Einen Mann auf der Flucht vor den Juaristas, die ihn kurzerhand aufknüpfen würden, konnten sie ihn vor dem Rio Grande noch erwischen. Ich blickte auf die Tür, durch welche die Frau geflohen war, die sich Jenny nannte. Vielleicht meinte sie, in mir einen solchen Verfolger erkannt zu haben. Denn auch auf der Seite der Juaristas gab es mehr als genug amerikanische Revolvermänner, ganz gleiche wie dieser hier, nur von einer Fügung ihres Schicksals auf die andere Seite verschlagen. Sie schien mich für einen solchen Amerikaner von der anderen Seite gehalten zu haben. Auch sie glaubte ich nun, richtig einordnen zu können. Sie war mit dem Mann vor mir auf der Flucht gewesen, und sie hatten hier für eine Weile Zuflucht gesucht. Solche Mädchen, ehemalige Bardamen aus Texas und Arizona, hatte der Kaiser von Mexiko für seine amerikanischen Leibwächter angeheuert. Das Stöhnen aus dem anderen Raum erinnerte mich wieder an den Verletzten. So nahm ich die Sturmlaterne auf und verließ den verwahrlosten Raum.
* Der Mann lag in einer schmalen Kammer auf einer breiten Holzpritsche. Es gab nicht einmal einen Strohsack darauf. Ein Schrank, der schief war und dem die Tür fehlte, stand links in der Ecke neben dem Fensterloch, in dem ein zerschlagener Rahmen mit ein paar Scherbenresten hing. Ich nahm die Lampe hoch und trat an das primitive Lager. Die Schatten wanderten in die Höhe. Grelles Licht traf ein hohlwangiges, stoppelbärtiges Gesicht, auf dem Schmutz und Schweiß einen grauschwarzen Belag bildeten. Er trug eine grüne Jacke wie der andere. Die großen Messingknöpfe daran schimmerten im Lampenlicht wie pures Gold. Diese Jacke stand offen und war von dem grauen Hemd des Revolvermannes gerutscht. Rechts auf der Brust befand sich ein großer Blutfleck mit einem winzigen Loch mitten drin. Das Stöhnen des Mannes verriet mir noch deutlicher als sein schmerzverzerrtes Gesicht, daß er der Hölle bereits näher zu sein schien als der Erde. Ich trat dicht an seine Seite. Die Lider des Mannes zuckten, doch vermochte er die Augen nicht zu öffnen. Ich schaute mich noch einmal um und suchte nach irgend etwas, womit ich ihm vielleicht die letzten Stunden oder Minuten erleichtern konnte, doch ich sah auch jetzt nichts. Der andere Mann schien gar nicht erst versucht zu haben, dem Kameraden behilflich zu sein, oder er hatte auch nichts gefunden. Wieder zuckten die Lider des Mannes, den das Licht zu stören schien. Jetzt öffnete er die Augen und schaute mich an. »Was – Wasser!« stieß er hervor. »Ja.« Ich verließ die Kammer und suchte nach der Küche, die ich ganz vorn neben der Haustür fand, konnte aber keine Wasserpumpe entdecken. Es gab auch hier nur ein paar kaum noch zu erkennende, zertrümmerte Möbelstücke, die in der hintersten Ecke einen wüsten Haufen bildeten. Ich ging in den Hof, stellte die brennende Lampe auf den Brunnenrand und ließ den Eimer in den schwarzen Schacht hinunter. Dabei schaute ich mich in der fahlen Dunkelheit um und hoffte, die
junge Frau wiederzusehen, die so jählings die Flucht ergriffen hatte. Ich konnte zwar verstehen, daß sie geflohen war, nachdem sie meinte, in mir einen Verfolger zu sehen. Aber es wunderte mich, daß sie nicht anderen Sinnes wurde und umkehrte, nachdem sie sich doch sagen mußte, daß ich mich nicht wie ein Verfolger aufführte. Sie war nirgendwo zu sehen. Ich bewegte die Trommel, auf die sich das Seil spulte. Der Eimer prallte im Brunnenschacht gegen die Wände. Dann konnte ich ihn ergreifen und auf den Rand stellen. Ich ging noch einmal in die Küche und suchte in den Trümmern nach einer Flasche. Tatsächlich fand ich eine, spülte sie im Eimer aus und füllte sie. Der Verletzte hatte die Augen noch offen, als ich an seine Seite trat, die Lampe auf die Pritsche stellte und ihm zu trinken gab. Das Wasser lief aus seinen Mundwinkeln und grub helle Rinnen in das Grauschwarz auf der Haut. Er atmete regelmäßiger. »Wer bist du?« Ich beugte mich tiefer zu ihm hinunter. Die Lippen des Verletzten zuckten. Er schien ernsthaft bemüht zu antworten, doch es gelang ihm nicht. Die Lider schlossen sich. Ich stellte die Flasche neben den Mann, nahm die Lampe und verließ den Raum. Der Gefesselte war bei Besinnung. Als er mich hinter der Lampe auftauchen sah, stellte er die Versuche ein, sich der Handfesseln zu entledigen. Ich meinte, die nackte Angst in den Augen des Stoppelbärtigen zu erkennen, stellte die Lampe ab und ging dabei vor ihm in die Hocke. »Wer bist du?« »Der Teufel soll dich holen«, erwiderte der Kerl. »Du hast Angst.« Ich lächelte. »Vor mir? Oder vor den Juaristas?« Einen Moment stutzte der Gefesselte, dann fluchte er lästerlich. Dabei irrten seine Blicke durch den Raum und in den Flur hinaus. »Jenny ist abgehauen«, sagte ich. »Hat sich auf ihr Pferd geschwungen und ist fort. Hast du einen Namen?« Ich lächelte den Mann auf dem Boden an. Er dachte gar nicht daran, mir zu antworten. Weil das Stöhnen in der Kammer lauter wurde, richtete ich mich auf, nahm die Lampe mit und ging hinaus.
Der Mann auf der Holzpritsche bäumte sich von Schmerzen gepeinigt auf und fiel kraftlos auf die Bretter zurück. Feucht schimmerte der Blutfleck auf seinem Hemd. Ich versuchte, ihn zu beruhigen, stellte die Laterne ab, gab ihm zu trinken und öffnete vorsichtig das Hemd. Blut sickerte aus dem Einschußkanal. Die Kugel schien tief in seiner Brust zu stecken. Ihm zu helfen, erschien mir unmöglich. Deutlicher als zuvor meinte ich sein nahes Ende vor allem im ausgemergelten Gesicht und den hohlen Augen zu sehen. Ich gab ihm noch einmal aus der Flasche zu trinken, aber sein Zustand besserte sich nicht. Ein jäher Fieberschauer schüttelte ihn. Er wollte aufstehen, fiel aber kraftlos zurück, noch bevor er die sitzende Stellung erreichte. Der Schweiß rann ihm in Strömen über das hohlwangige Gesicht. Noch ein paar Herzschläge lang blieb ich bei ihm stehen, dann nahm ich die Lampe auf und ging zu dem Gefesselten zurück. Ich stellte die Lampe an die Wand und setzte mich daneben auf den Boden. Die Müdigkeit packte mich. Der Gefesselte starrte mich wütend an. »Ihm ist nicht zu helfen«, erklärte ich, um irgend etwas zu sagen. »Die Wunde ist stark entzündet. Wie lange schleppt er die Kugel schon mit sich herum? Zwei Tage? Drei?« »Geh zum Teufel!« »Du solltest dir mal was anderes einfallen lassen.« Ich mußte gähnen. Es wurde Zeit, daß ich endlich ein paar Stunden schlief. Deswegen hatte ich diesen Rancho ja aufgesucht. Danach mußte ich mir überlegen, ob ich die beiden ihrem Schicksal überließ oder was sonst geschehen sollte. Weil ich dabei wieder an den Verletzten dachte, setzte ich hinzu: »Er wird sterben.« Der Gefesselte stützte die zusammengebundene Hände auf und setzte sich. Er rutschte zurück, bis er mir genau gegenüber an der Wand lehnte. Aber er sagte hoch immer nichts. »Ihr seid Leibgardisten des gestürzten Kaisers gewesen«, fuhr ich fort. Die Augen meines Gegenübers schlossen sich fast völlig. »Ihr seid geflohen und wurdet von Juaristas gestellt. Irgendwann
in den letzten Tagen. Dabei hat es deinen Freund erwischt. Konntet ihr sie abschütteln oder töten?« »Das geht dich einen Dreck an!« »Stimmt«, gab ich zu. »Aber da wir sozusagen im selben Wagen sitzen, könnte es wichtig für mich werden. Ich bin nämlich kein Juaristafreund, wie du vielleicht denkst.« Der Mann öffnete die Augen weiter. »Und warum bin ich dann gefesselt, he?« »Du bist auf mich losgegangen.« Ich stand auf, trat in den Flur und holte mein Gewehr, das dort noch an der Wand lag. Ich legte es neben mich, während ich mich an die Wand setzte. »Wenn du nicht zu denen gehörst, dann binde mich los!« stieß der Mann hervor. »Langsam, langsam«, wehrte ich ab. »Ich habe Schlaf nötig und will nicht mit durchgeschnittener Kehle im Himmel aufwachen.« »Du bist also kein Juarista, weißt, daß ich Leibgardist von Maximilian war und traust mir doch nicht, was?« »So ist es. Laß uns weiter darüber reden, wenn es Tag wird.« Ich gähnte wieder, schob das Gewehr ganz an die Wand und legte mich davor nieder. Noch bevor ich einschlief, hörte ich ein Scharren auf dem Boden. Das war mein Glück. Die Müdigkeit schien meinen Verstand bereits soweit gelähmt zu haben, daß ich übersah, vor dem Mann nicht sicher zu sein. Daß er gefesselt war, nutzte gar nichts. Ich sah, wie er auf mich zukroch. Wenn es ihm gelang, meinen Colt an sich zu bringen, war ich erledigt. So zwang ich mich, die Müdigkeit abzuschütteln und stand auf. Unübersehbar zeichnete Enttäuschung das Gesicht des anderen. »Zu früh gefreut«, sagte ich. »Und zu hastig gewesen.« Ich ging zu ihm, ergriff seinen Arm und schleifte ihn zum Fenster. Mit dem noch auf dem Boden liegenden Strick band ich eine Schleife um die Fesseln an seinen Beinen, wälzte ihn zur Seite, richtete mich auf und warf den Strick über einen Dachbalken. Ich zog ihn kraftvoll straff und die Beine des Mannes dabei einen Fuß hoch vom Boden weg. Dann verknotete ich den Strick wieder an den Fesseln, wofür er gerade ausreichend lang war.
Um einigermaßen bequem liegen zu können, mußte mein Gefangener sich jetzt auf den Bauch rollen. Ich ging zurück und legte mich nieder. »Tut mir leid. Aber das hast du dir selbst eingebrockt.« Überzeugt, daß er nun nicht mehr versuchen konnte, zu mir zu kriechen, meine Waffen an sich zu bringen und mich ins Jenseits zu schicken, schlief ich gleich darauf ein.
3. Von einer Sekunde zur anderen war ich hellwach. Ich fuhr in die Höhe und griff nach dem Gewehr. Es war draußen noch immer dunkel. Neben mir stand die brennende Lampe. An der Lage des Gefangenen hatte sich nichts geändert. Er schaute auf dem Bauch liegend zu mir. Nichts war verändert. Und doch mußte mich etwas geweckt haben. Langsam richtete ich mich ganz auf und lauschte weiter. Ein leises Stöhnen verriet, daß der Verletzte noch am Leben war. Ich fragte mich, ob er vielleicht geschrien und mich dadurch aufgeweckt hatte. Das Gewehr an der Hüfte verließ ich die Helligkeit und trat in den dunklen Flur. In der Kammer konnte ich in dem diffus einfallenden Licht den Mann auf der Bretterpritsche nur ungenau sehen. Draußen wieherte ein Pferd, was meine Aufmerksamkeit augenblicklich in diese neue Richtung lenkte. Jedoch konnte ich im Hof niemanden sehen. Vielleicht war es mein Falbe in der Scheune oder eins der beiden anderen Tiere. Ich ging hinaus. Bläulich schimmerte der Lauf meiner Spencer im Mondschein. An der Scheune bewegte sich etwas. Ich repetierte das Gewehr, erkannte aber in diesem Moment, daß es Jenny war. »Nanu«, sagte ich erstaunt. Das Gewehr in meinen Händen sank mit der Mündung herab. Jenny ging bis an die andere Brunnenseite. »Wo haben Sie denn Ihr Pferd?« »Geht dich das etwas an?« erwiderte sie schnippisch. »Nein, vermutlich nicht.« Ich zuckte mit den Schultern und war
nun überzeugt, daß mich ihre Rückkehr geweckt haben mußte. »Angst gehabt, so allein?« »Vielleicht.« Sie trat um den Brunnen herum und schob mein Gewehr zur Seite. Ihre grünschimmernden Augen schienen meinen Blick bannen zu wollen. »Oder was anderes?« »Was?« »Du gefällst mir.« Sie beugte sich näher heran und küßte mich, noch bevor ich begriff, was nun wieder geschah. Das erschien mir so unwahrscheinlich und verdächtig, daß ich sie zurückschob und herumwirbelte. Es war schon zu spät. Fünf schwerbewaffnete Männer hatten die Deckungen verlassen, in denen ich sie nicht bemerkt hatte, als ich aus dem Wohnhaus trat. Jenny warf sich am Brunnen nieder, um nicht von Kugeln getroffen zu werden. Aber es schoß niemand. Ich war ihnen auch so sicher. Sie liefen alle gleichzeitig die letzten paar Yards auf mich zu und schwangen die Gewehrkolben wie Keulen. Jenny war nur der Lockvogel gewesen. Prächtig hatte sie mich aus dem Haus gelotst und abgelenkt, so daß die anderen mich in aller Ruhe in die Mitte nehmen konnten. Eine Chance hatte ich gegen sie nicht. Die Kolben prasselten auf mich nieder und knallten gegeneinander, weil nicht genügend Platz für sie alle war. Ich flog getroffen zurück und schrammte gegen den Brunnen. »Bringt ihn nicht gleich um!« rief die barsche Stimme eines finsteren schwarzbärtigen Kerls, der zwischen den anderen wie ein bulliger Riese wirkte. Sie setzten nach, ergriffen mich und schlugen wieder zu. Mir war es, als gingen Nadelstiche durch meinen Körper. Bis in die Zehen und die Finger spürte ich die Schmerzen. Der Boden schien zu beben und wollte scheinbar aufbrechen. Ich landete mit dem Gesicht im Sand. »Schafft ihn hinein!« befahl der Schwarzbärtige. *
Sie hatten mich gefesselt in eine Ecke geworfen und den anderen befreit. Er hieß Cass Revere, wie ich vernahm. Und Luke Paine nannten sie den Schwarzbärtigen, der die Kommandos gab. Die Namen sagten mir nichts. Im Moment waren sie alle draußen in der Kammer des Verletzten. Doch es dauerte nicht lange, dann kehrten sie zurück. Ich schloß die Augen und erweckte so den Eindruck, mindestens nicht richtig bei Bewußtsein zu sein und ihren eventuellen Gesprächen nicht folgen zu können. Das schienen sie mir auch abzunehmen, denn sie redeten hemmungslos von dem, was sie bewegte. So erfuhr ich, daß meine Annahme zutreffend war. Sie hatten dem gestürzten Kaiser von Mexiko als Leibgarde gedient und waren samt und sonders ehemalige Konföderierte, einer offensichtlich sogar Offizier. Er hieß Ed Thompson und war ein dunkelblonder, drahtiger Mann, ungefähr dreißig Jahre alt. Luke Paine konnte höchstens zwei Jahre älter, also schätzungsweise zweiunddreißig sein. Ich hielt ihn für den ältesten von allen. Es waren junge, durch den verlorenen Krieg verdorbene Männer, die im Augenblick in der Klemme steckten und nur noch hofften, über den Rio Grande zu gelangen, bevor sie noch einmal von Juaristas gestellt wurden. Einmal waren sie entwischt. Dabei war Duff Kerr verletzt worden, der Mann, der mit dem Tode rang. Sie waren auf der Suche nach einer Stadt gewesen, hatten auch eine gefunden und ein paar alte Zivilkleider, Lebensmittel und auch Salbe zur Wundbehandlung und Laudanum für den Verletzten mitgebracht. Ich war überzeugt, daß ihm dies auch nicht mehr helfen würde. Unter fast geschlossenen Lidern beobachtete ich die Kerle, die sich der grünen Uniformjacken des Kaisers entledigten und die schäbigen Leinenkleider überzogen. Ihre Finanzlage schien auch nicht mehr die beste zu sein, daß sie mit diesen alten Klamotten vorlieb nehmen mußten. »Wir sind viel zu lange in der Hauptstadt geblieben«, sagte der ehemalige Offizier der Südstaaten, der wohl nach dem Kriege auch
keinen besseren Job mehr gefunden hatte. »Habe ich nicht immer betont, wir sollten uns absetzen? Seit Monaten stand fest, daß die Juaristas gewinnen würden. Die Zeit des Kaisers war längst abgelaufen!« »Wir sind nicht abgehauen und müssen uns jetzt damit abfinden«, erwiderte der Schwarzbart frostig. »Überall suchen Juaristas nach versprengten Resten der Kaiserarmee«, fuhr der ehemalige Offizier Ed Thompson fort. »Wen sie schnappen, den hängen sie auf!« Das Mädchen hatte sich an der Wand neben der immer noch brennenden Lampe auf den Boden gesetzt und gähnte verstohlen. Es war nicht einfach abgehauen, wie ich gemeint hatte. Es war diesen Männern entgegengeritten und hatte ihnen erzählt, was hier passiert war. Daraufhin war es für sie leicht gewesen, sich unbemerkt zu nähern und mich auszuschalten. Aber letzten Endes teilte sie das Schicksal der anderen und auch deren Angst. Ich dachte daran, daß diese Flüchtlinge und ich eigentlich ein gemeinsames Schicksal teilten. Jeder von uns wollte dieses Land verlassen, so schnell wie möglich. Wenn ich ihnen das zu erklären vermochte und sie mir Glauben schenkten, konnte es für sie keinen Grund geben, mich umzubringen. Jedes Gewehr konnte auf dem Weg nach Norden wichtig sein. So öffnete ich die Augen ganz und kroch etwas aus der Ecke. Ich stützte die Hände auf und setzte mich. Sie blickten mich alle an, auch Jenny, die Gespielin der Leibgardisten, die möglicherweise auch Schlimmes zu befürchten hatte, wenn sie den gnadenlosen Juaristas in die Hände fiel. Luke Paine, der Schwarzbart, trat vor die anderen. Er war in der Tat ein riesenhafter Mann. »Da sind wir ja wieder.« Er grinste und ging in die Hocke. »Wir sollten ihn umlegen«, stieß Cass Revere hervor. »Mal langsam!« wehrte der Schwarzbart ab. »Hast du nicht selbst gesagt, er hätte sich um Duff gekümmert?« »Ja, er holte ihm Wasser.« »Na also. Dann gehört er zwar trotzdem nicht zu uns, muß aber auch nicht gegen uns sein. Wer bist du, mein Junge?«
»Ronco.« »Ronco?« Der Schwarzbärtige schaute die anderen an. Sie schüttelten einer nach dem anderen die Köpfe. Ich nahm das aufatmend zur Kenntnis. Denn wenn diese rauhen Revolvermänner – etwas anderes waren sie nicht – erfuhren, daß in den Staaten die faszinierende Summe von fünftausend Dollar auf mich ausgesetzt war, dann konnten ihnen noch völlig andere Gedanken als jetzt in den Köpfen zu spuken beginnen. »Haben wir nie gehört.« Luke Paine schaute mich wieder an. »Und was treibst du hier?« »Ich will so schnell wie möglich über die Grenze«, erwiderte ich der Wahrheit gemäß. Paines Blick wurde freundlicher. »Gibt es dafür einen Grund?« »Und ob es den gibt. Ich hatte Freunde unter den Kaiseranhängern in Queretaro.« »Freunde?« »Franzosen und Engländer. Ein Engländer.« »Kannst du einen Namen nennen?« »Doc James Boulder, Arzt in der kaiserlichen Armee.« »Zum Teufel, dem bin ich begegnet!« rief einer der Kerle. »Ich auch«, sagte der Schwarzbart. »Weiter, mein Junge. Was war los mit diesen Leuten?« »Ich habe ihnen geholfen, Vera Cruz zu erreichen und auf ein Schiff zu gelangen. Diese Menschen hatten bis zuletzt im kaiserlichen Palast ausgehalten.« »Und du warst auch dabei?« »Ich war auch in der Stadt und konnte sie im letzten Moment aus dem Palast bringen«, sagte ich. »Wir waren lange unterwegs bis Vera Cruz. Man hat nach uns gesucht. Deshalb muß ich auch möglichst rasch verschwinden.« »Das leuchtet ein.« Der Schwarzbart richtete sich auf. Ich sah den Männern und auch Jenny an, daß ihr Mißtrauen zu schwinden begann. Nur Cass Revere blickte mich weiter finster an. »Wenn ihr mich fragt, ich würde ihn aus dem Wege räumen!« »Wir fragen dich aber nicht«, sagte der Anführer der Flüchtlinge.
»Er ist einer wie wir«, setzte der ehemalige Offizier hinzu. »Und er sieht auch genauso aus, abgerissen, stoppelbärtig und den Verhältnissen entsprechend recht gut bewaffnet.« Der Schwarzbart musterte mich noch forschend. »Warum hast du nach dem Verletzten gesehen?« »Er hat gestöhnt.« »Wolltest du ihm helfen? Ich meine, nicht nur Wasser geben?« »Ich habe früher bei Indianern gelebt und Wundbehandlung von ihnen erlernt. Ja, ich hätte ihm auch geholfen. Aber das hat nichts Besonderes zu sagen.« »Was soll das heißen?« »Ich helfe jedem Verletzten, wenn ich es kann«, erwiderte ich. »Auch deinem Gegner?« »Auch dem.« Die Kerle grinsten rüde und zeigten damit, daß sie über diesen Punkt anders dachten als ich. Sie waren keine wirklich schlechten Menschen. Aber der Krieg und die Jahre in Mexiko hatten sie rauh, hart, kaltblütig und weitgehend gefühlskalt werden lassen. Das war nicht einmal ihre Schuld, es waren die Umstände ihres Daseins und der Zeit, in der sie lebten. »Bindet ihn los!« befahl der Bärtige. »Ich würde ihn …« »Halt's Maul!« unterbrach Paine seinen Kumpan Cass Revere grob. »Du bist doch nur gegen ihn, weil er dich zusammenschlagen und binden konnte.« Der ehemalige Offizier zog ein Kampfmesser hinter dem Gürtel hervor, trat auf mich zu und schnitt die Fesseln an meinen Händen durch. Von den Stricken an den Beinen konnte ich mich danach selbst befreien. »Du kümmerst dich um Duff«, sagte der Schwarzbart an mich gewandt. »Mal sehen, was deine Kenntnisse in der Wundbehandlung wert sind.« »Er wird wohl sterben.« Ich stand auf und massierte meine Handgelenke. »Die Kugel steckt tief drin«, fuhr ich fort. »Mit den Messern, Gabeln und Löffeln, die man hier vielleicht noch findet, ist sie nicht herauszuholen. Außerdem hat er bereits Wundbrand.
Vielleicht sogar Blutvergiftung. Ihr habt ihn zu lange herumgeschleppt.« »Mann, wir mußten zusehen, daß wir die Juaristas abschütteln!« fuhr der Schwarzbärtige mich an. »Die waren sechsmal so viele wie wir! Kommt mir jetzt noch wie ein Wunder vor, daß es gelang.« »Wie lange ist das her?« »Zwei Tage.« »Eine verdammt lange Zeit mit einer Kugel und Pulverresten daran in der Brust.« Ich folgte dem Schwarzbärtigen, der sich abgewandt hatte und den Raum verließ. »Ich würde dem nicht trauen«, sagte Cass Revere hinter mir. »Auch wenn er zehnmal behauptet, er hätte denselben Weg wie wir.« Im Flur gab mir Paine Tubensalbe und eine Büchse. In der Kammer des Verletzten brannte inzwischen eine zweite Lampe. Der Mann auf der Bretterpritsche erweckte den Eindruck, weiter abgemagert zu sein. Ich ging zu ihm, gab ihm Wasser zu trinken und rieb vorsichtig die Oberfläche der Wunde ein, und ich wußte noch sicherer als vor Stunden, wie sinnlos das war. »Los, ein bißchen Stimmung«, sagte einer der Männer im anderen Raum. »Hier, ich habe eine Flasche Tequila auftreiben können. Jenny, los, tanze für uns!« * Das Grau eines neuen Tages kroch durch die Fensterlöcher in das ehemalige Wohnhaus und zeigte die Verwüstungen noch deutlicher, als es das Lampenlicht in der Nacht vermochte. Ich saß auf einem wackligen, aber sonst noch soweit intakten Stuhl neben dem harten Lager des verletzten Leibgardisten und wunderte mich, daß er immer noch atmete. Seine Haut sah wie Pergament aus und schien jeden Augenblick dort aufzureißen, wo die Knochen spitze Grate bildeten. An seiner Schläfe pochte eine angeschwollene Ader. Ich hatte ihn verbunden, aber das Blut war bereits wieder durch den Stoff gesickert. Sicher lag es nur daran, daß er bisher keine Blutvergiftung davongetragen hatte. Um so sicherer würde er verbluten.
Durch die Wand drang Jennys trällernder Gesang herein. Manchmal lachte das Mädchen, das nach wie vor nur der Belustigung und dem Vergnügen der Männer zu dienen hatte. Paine trat ein und blickte erst Duff Kerr, dann mich an. Ich schüttelte den Kopf. Er setzte sich auf den Rand der Pritsche und schaute auf seinen Kameraden. »Wir müssen weiter. Wir können uns hier nicht verewigen!« »Ihn bringst du in keinen Sattel mehr.« »Wie lange wird er noch leben?« Ich hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Eine Stunde, zwei?« »Keine Ahnung, Luke. Er scheint einen unglaublich zähen Lebenswillen zu haben.« »Bei Gott, das ist wahr.« Seufzend erhob sich der Anführer der Männer und strich über seinen schwarzen Bart. »Früher in Texas gaben wir einem Partner in dieser Lage seinen Colt in die Hand. Er wußte dann, daß wir weiter mußten und er sich zu beeilen hatte. Und er wußte dann auch, daß ihm keiner von uns und kein Gott mehr helfen konnte.« »Er würde nicht wissen, was du willst, wenn du ihm den Colt in die Hand drückst«, erwiderte ich. »Und wer weiß, ob er ihn noch festhalten könnte.« »Komm mit zu den anderen.« Der Schwarzbärtige ergriff meinen Arm. »Nein, ich will nicht.« Er zog mich fast schon mit Gewalt in die Höhe. »Du mußt auch mal auf andere Gedanken gebracht werden. Los!« So ging ich mit ihm aus der Kammer, durch den Flur und in den größten Raum des Hauses, in dem die Trümmer des Mobiliars einen Teil wie ein kleiner Berg ausfüllten. Die Revolvermänner saßen auf den schmutziggrauen Dielen. Leergetrunken lag die Tequilaflasche an der Wand bei den Gewehren der Männer. Jenny bewegte sich mit wiegenden Hüften vor den Männern auf der Stelle und begann gerade, sich auszuziehen. Es war eine
einstudierte, von ihrer Müdigkeit überlagerte Darbietung, die sie infolge ständiger Wiederholung sicherlich auch im Schlaf beherrschte. Aber sie begeisterte die Männer wie bei ihrem ersten Auftritt. Unter dem groben Kattunkleid trug sie einen Unterrock aus grünem Taft, der mit Spitzen besetzt war und noch nicht einmal ihre Knie erreichte. So unverhüllt von dem groben Arbeitskleid einer Farmersfrau kam ihre Gestalt voll zur Geltung. »Los, schneller, Jenny!« rief einer der Männer. Sie lachten, klatschten und rückten näher zu Jenny hin. Doch sie tänzelte zurück und stellte dabei den alten Abstand erneut her. Jetzt begann sie sich die perlenbesetzten Träger des Taftunterrocks von den Schultern zu streifen und bewegte sich so, daß das Kleidungsstück langsam nach unten rutschte. Ich lehnte mich an die Wand in dem Raum und schaute nach draußen. Nebelschwaden lagen über dem Land. Es konnte nur noch ein paar Minuten dauern, dann stachen Sonnenstrahlen in das Grau, und schlagartig würde die Hitze Besitz von dieser wüstenähnlichen Prärie ergreifen. »Weiter, Jenny, weiter!« rief einer und klatschte. Der Schwarzbart stand zwischen den anderen und klatschte mit. Jenny lachte, begann sich zu drehen, verlor das Gleichgewicht und flog den Männern entgegen. Viele Arme streckten sich dem schweißglänzenden Körper entgegen. Sie wurde an den Armen, den Beinen, den Hüften und den Brüsten ergriffen. »Sie gehört mir!« brüllte Cass Revere. Sein Haß auf mich war mindestens für den Augenblick vergessen. »Nein, mir!« schrie ein anderer. Jenny lachte. Der Schwarzbart trat etwas zurück, und ich begriff, daß er seinen genervten Männern diese Abwechslung mit Absicht verschaffte. Vielleicht hatte er Jenny auch nur deswegen auf der Flucht mitgenommen. Ich verließ das Zimmer, während die Männer um das nackte Mädchen rauften und Jenny dabei juchzende Schreie ausstieß. Sie schien daran gewöhnt zu sein und sich köstlich dabei zu amüsieren.
Ein einziger Blick auf Duff Kerr ließ mich erkennen, daß er tot war. Starr lag er auf der Bretterpritsche und gebrochen blickten seine Augen zur Decke. Ich ging über die knarrenden Bretter hinein, hörte das Lärmen und Raufen aus dem Nebenraum und Jennys spitz werdende, gekünstelten Schreie. Meine Hand zitterte ein wenig, als sie sich dem Toten näherte und seine Augen zudrückte. Ich hatte viele Tote sehen müssen in meinem jungen Leben. Aber das hier und der Lärm nebenan irritierten mich doch mehr, als ich wahrhaben wollte. Ich ging zurück, blieb auf der Türschwelle des großen Raumes stehen und sah Jenny gerade mit schlangengleichen Bewegungen den Griffen der Männer entrinnen. »Ich will sie haben!« brüllte Cass Revere. Jenny blieb auf einmal stehen, blickte mich an und verlor das Lächeln aus dem Gesicht und das Strahlen aus den grünen Raubtieraugen. Der Schwarzbart wandte sich um. Wie einem Zwang folgend blickten auch die anderen in meine Richtung. »Duff ist tot.« Jähe Stille erfaßte das Wohnhaus des verfallenden Ranchos. Die Männer starrten mich an. Jenny bückte sich mit automatisch wirkenden Bewegungen und hob ihre Kleider vom Boden auf. »Verdammt«, sagte der ehemalige Lieutenant Thompson leise. Cass Revere ging an mir vorbei, tauchte aber gleich darauf wieder auf. »Tatsächlich. Er hat sich einfach so davongestohlen.« Ich wurde zur Seite gestoßen. Die Männer hasteten in die Kammer nebenan, um die Leiche zu betrachten. Jenny sah unschlüssig aus. Mit der entstandenen Situation wußte sie nichts anzufangen. »Wirklich?« fragte sie. »Ich bin kein Witzbold.« Ich drehte mich um und verließ das Haus. Mein Blick fiel auf die Scheune gegenüber, in der ich noch immer meinen Falben vermutete. Doch bevor ich darüber nachdenken konnte, ob es möglich wäre, jetzt unbemerkt zu verschwinden, stand schon der Schwarzbärtige neben mir. »An was denkst du, Ronco?« »Daran, daß ich aus diesem Lande weg will. Und zwar so schnell
wie möglich.« »Das wollen wir auch. Jetzt steht dem nichts mehr im Wege. Wir werden ihn nachher beerdigen, bleiben aber bis zum Abend hier. Das ist sicherer. Tagsüber kann man einen Reiter meilenweit sehen. Unsere Gegner lauern überall.« Ich war selbst der Meinung, daß es besser wäre, nachts das Weite zu suchen, und so nickte ich zustimmend. Jeff Miller, ein hagerer, mittelgroßer Texaner, siebenundzwanzig Jahre alt, trat aus dem Haus. »Am besten wir bringen es gleich hinter uns, Luke. Noch ist die Hitze auszuhalten.« »Dann würde ich an deiner Stelle keine Reden halten, sondern damit anfangen«, entgegnete Luke Paine. Er war gereizt. Die anderen, die jetzt aus dem Haus traten, sahen ebenfalls böse aus. Zwei Dinge schienen ihnen zu mißfallen. Zum einen hatte der Tod ihre Orgie in dem Augenblick gestört, als sie gerade richtig spannend zu werden versprach. Zum anderen war Duff ausgerechnet am Morgen gestorben. Jetzt, zu einer Stunde, da sie den Rancho noch nicht zu verlassen wagten. Sie folgten Jeff Miller zu einem Schuppen mit durchhängendem Dach, in dem sie das nötige Werkzeug fanden. Jenny war undeutlich im Flur des Wohnhauses zu erkennen. Sie zog noch ihre Kleider an, während sie auf den Toten in der engen Kammer schaute. Paine blieb in meiner Nähe und enthob mich damit der Versuchung, doch noch zu verschwinden. Ich wußte, daß es sicherer sein konnte, mit anderen Männern zusammen zu reiten, vor allem mit solchen, die fest entschlossen waren, um ihr Leben zu kämpfen. Andererseits konnte aber gerade das auch sehr nachteilig werden. Viele Reiter wurden schneller entdeckt als einer. Ich schob die Gedanken von mir und schaute wieder auf Jenny, die auf der Türschwelle auftauchte. Die Nebelschwaden wurden von der aufgehenden Sonne aufgelöst. Hitze traf das Land. Indessen hatten die anderen die Werkzeuge herausgebracht und hoben neben dem verfallenen Korral ein Grab für den toten Partner aus.
Jenny lächelte mich an. »Laß die Finger von ihr, wenn du mit meinen Leuten keinen Kummer willst«, raunte der Schwarzbart mir zu. »Kapiert?« »Ich habe nicht vor, sie euch wegzunehmen«, erwiderte ich genauso leise. »Dann sind wir uns ja einig.« Paine stieß sich vom Zaun ab und ging zu den anderen. Er nahm Miller die Spitzhacke ab und trieb sie mit kraftvollen Schlägen in den Boden. Jenny bewegte sich tänzelnd und eine Melodie summend auf mich zu und lehnte sich neben mir an den Zaun. »Hat er dir verboten, mit mir ins Bett zu gehen?« »Du sagst es.« Sie lachte perlend. »Wie hat er nur wissen können, daß ich das vorhabe?« »Er kennt dich anscheinend.« Sie lachte wieder. »Muß so sein. Schade.« »Noch vor einigen Stunden hast du sie gegen mich zu Hilfe geholt.« Ich schüttelte den Kopf. »Da wußte ich noch nicht, daß du kein Juarista bist. Außerdem habe ich die anderen nicht geholt, sondern nur gewarnt. Damit sie sich leise nähern.« Ich schaute zu den grabenden Männern hinüber und bemerkte, daß mindestens einer mich und Jenny stets beobachtete. »Für die bin ich so etwas wie ihr Eigentum«, sagte das Barmädchen in einem Ton, der abfällig klang. Ich zog eine Braue in die Höhe, als ich es anschaute. »Ich hatte vorhin den Eindruck, du würdest dich wohlfühlen in diesem Kreis.« »So? Ich habe allein keine Chance, Texas zu erreichen, und würde vielleicht nicht mal den Weg von Wasserloch zu Wasserloch finden. Darum geht es. Aber mein Vertrag mit Maximilians Leibgardisten ist abgelaufen. Es gibt ihn nicht mehr.« »Willst du mich jetzt dazu überreden zu fliehen?« fragte ich gespannt. Sie lächelte, begann wieder zu summen und zuckte mit den Schultern. »Die passen auf wie scharfe Hunde«, sagte ich. »Da läuft gar
nichts, Jenny.« Sie ging zum Wohnhaus zurück und trat hinein. Noch bevor ich entscheiden konnte, ob ich ihr folgen sollte oder nicht, verließ Cass Revere die anderen bei dem langsam entstehenden Grab und schlenderte über den völlig verwilderten Hof, in dem sie einen beträchtlichen Teil von Gras und Buschwerk niedergetrampelt hatten. Revere blieb ein paar Yards von mir entfernt stehen. Seine rechte Hand lag auf dem Revolvergriff. Erst in diesem Moment fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, meine Waffen an mich zu bringen. »Wenn du ihr folgst, knalle ich dich ab.« Revere grinste gemein. »Du kannst darauf wetten, daß die anderen damit einverstanden sind, mein Junge!« »Eure Schlampe interessiert mich nicht«, erwiderte ich kalt. Insgeheim nahm ich mir vor, mir so schnell wie möglich den NavyColt und meine Spencer zu schnappen. Revere lehnte sich sechs Yards von mir entfernt an den Zaun und verharrte so wie ein Wächter. Nicht viel später waren die anderen mit dem Grab fertig und kamen herüber. Sie trugen den Toten aus dem Haus und senkten ihn in das Grab am verfallenen Korral, dort, wo es schon in wenigen Monaten unter der Wildnis für immer verschwunden sein würde. Sie legten ihn hinein, nahmen die vom Schweiß dunkel gefärbten Hüte von den Köpfen und blickten in die Grube. Paine sagte: »Du hast es hinter dir, Duff, alte Haut. Wer weiß, wie weit wir es noch schaffen und wann uns der Teufel holt. Amen. Schaufelt das Grab zu.« Paine stülpte seinen Hut auf, drehte sich um und trat zu mir herüber. Die anderen schlossen das Grab.
4. Wir ritten mit den Gewehren in den Händen wachsam nach Norden. Das Silberlicht des Mondes ließ uns rechtzeitig Kakteengruppen und Buschwerk erkennen, zeigte uns den Weg über die Bodenwellen und ließ noch die langsam näherrückenden Hänge der Sierra Madre im
Westen erkennen. »Reiter!« rief ich plötzlich und sprang sofort aus dem Sattel des spontan gezügelten Falben. Der Lauf des Colts schlug gegen meinen Oberschenkel. Ich griff nach der Spencer, die ich ebenfalls wieder an mich gebracht hatte. Rasch zog ich sie aus dem Scabbard und repetierte sie. Die anderen waren meinem Beispiel gefolgt. Wir alle blickten nach Nordosten, wo die Reiter sich schemenhaft sichtbar über eine flache Höhe bewegten. Es war ein Trupp, ungefähr so stark wie der von Mahon Tabor, an den ich sofort denken mußte. »Juaristas«, sagte Miller überzeugt. »Seht ihr das Schimmern? Es sind ihre Waffen und die Patronen, die sie von den Füßen bis zu den Zähnen bei sich haben.« »Zurück!« befahl Paine. Wir hatten ein dichtes Gestrüpp gerade passiert und zogen uns nun dahin zurück. Laut raschelten die Äste, was aber die Reiter im Nordosten bestimmt nicht hörten. In Deckung hielten wir die Pferde kurz, und Paine ermahnte uns, ihnen die Nüstern zuzuhalten, damit sie uns nicht verrieten. »Verstehe ich nicht«, murmelte Revere. »Unsere Verfolger können doch nicht auf einmal so weit vor uns gewesen sein und nun auch noch von Osten auftauchen, Luke?« »Ich begreife es auch nicht«, erwiderte Paine. »Es sind auch weniger geworden.« »So wenige, daß man sie angreifen könnte«, stimmte Ed Thompson, der ehemalige Lieutenant der Konföderierten, zu. »Mir juckt es auch in den Fingern«, sagte Paine. »Aber wenn die nach uns suchen, dann hat sich das Kommando geteilt. Dann suchen die übrigen anderswo und könnten die Schüsse hören.« Ich schaute durch das Geäst wie durch ein Gitter und sah die Reiter vom Hügel verschwinden. Ich war heilfroh, daß keiner der Revolvermänner auf die Idee verfiel, auch hinter mir könnten suchende Juaristas her sein wie der Teufel hinter den Seelen der Armen. Denn das hätte sie, was meine Begleitung betraf, sicherlich anderen Sinnes werden lassen. Still und scheinbar friedlich und verlassen lag das Land wieder vor
uns in der fahlen Mondnacht. »Am besten, wir bleiben hier«, sagte Paine. Die anderen schauten ihn an. »Was denn, die ganze Nacht?« fragte das Mädchen. »Ja.« »Wann wollen wir dann in Texas ankommen, Luke?« fragte Jenny spitz. »In einem Jahr oder in zwei?« »Besser in zwei Jahren in Texas als morgen in der Hölle«, erklärte der ehemalige Lieutenant schroff. »Luke hat recht. Wenn wir jetzt weiterreiten, könnten sie uns sehen. Sie haben sich geteilt. Es gibt keine andere Erklärung dafür. Sie können überall herumstreifen.« Er schaute mich an. »Stimmt das nicht?« »Doch«, erwiderte ich sofort. »Hätten wir uns nur früher aus der Hauptstadt abgesetzt«, maulte Miller. »Es stand doch schon lange fest, daß der fremde Kaiser ausgespielt hatte!« »Dummes Zeug!« rief Thompson, der ehemalige Offizier aus dem Süden. Er ließ sein Pferd los und trat hinter die Tiere. »Cass, du hältst die Augen nach Norden offen!« befahl der Schwarzbart, während alle anderen, – auch ich, hinter die Tiere traten und Thompson anschauten. Nur Jenny blieb zwischen den Tieren. »Jetzt geht das wieder los!« Sie seufzte vernehmlich. »Immer und immer die gleiche Leier.« »Leeres Stroh, das sie dreschen«, stimmte Cass Revere ihr zu. »Ed, hör auf«, sagte Luke Paine, noch bevor Thompson ein weiteres Wort sprechen konnte. »Immer ich! Warum ausgerechnet immer ich?« »Weil du immer wieder davon anfängst. Wir wissen doch, daß du ein Fanatiker bist und meinst, die alten Ordnungen würden sich nie überholen. Aber das stimmt nicht. Die Zeit fremder Kaiser in wenig entwickelten Ländern läuft mit der gleichen Sicherheit ab, mit der sich im Süden der Staaten Plantagenbesitzer daran gewöhnen mußten, in Arbeitskräften Menschen zu sehen, die man nicht kaufen, verkaufen, prügeln und töten kann, sondern die man ordentlich behandeln und bezahlen muß. Eben wie Menschen.« »Ihr verliert immer das Ideal aus den Augen!« Thompsons Augen
flammten in der Nacht, als könnten sie Blitze verschießen. Ich zog mich zurück, um nicht in die Debatte einbezogen zu werden, die auch mir wie das Dreschen von leerem Stroh erschien. Von der Ostseite des Dickichts schaute ich auf das wellige Land hinaus, das in der hellen Nacht unnatürlich weit überschaubar war. Hinter mir redeten die anderen weiter. Die meisten waren der Ansicht, man habe den Untergang des Kaisers früher erkennen und Konsequenzen daraus ziehen müssen. Nach einer Weile tauchte Paine, der Schwarzbart, bei mir auf. Er hatte das Gewehr unter den Arm geklemmt und die Hände in den Hosentaschen. »Wir bleiben hier«, sagte er noch einmal. »Den Rest der Nacht und den ganzen Tag über.« Ich dachte daran, daß wir uns nicht weiter als zehn Meilen von dem verfallenen Rancho entfernt haben konnten, und ich dachte auch noch an die Reiter und an Mahon Tabor, der bestimmt noch immer fieberhaft nach mir suchte. »An was denkst du?« fragte der Anführer der Männer. Ich schaute ihn an, lächelte und erwiderte: »An die grünen Täler im südlichen Texas. Weißt du, wie weit die noch von uns entfernt sind?« »Weiter als zweihundert Meilen.« »Ja, Luke. Das ist noch verdammt weit. Das sind Monate, wenn wir uns weiterhin wie Schnecken über das Land bewegen.« »Du sagst es. Aber besser langsam als gar nicht. Wenn geschossen wird, können sie von überall auftauchen. Aber wieso sie vor uns sind …« Luke Paine brach ab und schüttelte den Kopf. »Das begreife, wer will.« »Wer weiß«, sagte ich scheinbar tiefsinnig. »Möglicherweise ritten sie im Osten vorbei, während ihr wegen Duff anhalten und sogar zu einer Stadt mußtet.« »Offenbar.« Luke Paine drehte sich um und ging zu den anderen zurück, die immer noch über Verflossenes stritten. Ich schaute ihm nach. Sie hatten sich alle der gefährlichen grünen Uniformjacken entledigt und trugen die schäbige Leinenkleidung, die sie in der Stadt aufgetrieben hatten. Aber sie fühlten sich deswegen
nicht sicherer. Am liebsten wollten sie weiter nach Norden.
5. Ein neuer Tag war angebrochen. Mahon Tabor, der schlanke, mittelgroße Amerikaner ritt vor seinem Juarista-Kommando auf den verfallenen Rancho zu. Sie kamen von Westen und waren in einem riesigen Bogen die ganze Nacht lang um die Flüchtlinge herumgeritten, ohne diese zu bemerken. Müde und ausgebrannt saßen die Mexikaner in den Sätteln und folgten lustlos dem mittelgroßen Mann im knöchellangen Staubmantel. Sie trugen Uniformen und Patronengurte, die sich vor der Brust kreuzten. Mahon Tabor ritt durch die Wildnis im ehemaligen Hof des Ranchos und zügelte sein Pferd vor dem Wohnhaus. Er duckte sich im Sattel, um in den Flur schauen zu können. »Ist hier jemand?« Keine Antwort. Teniente Pablo Pele zügelte sein Pferd neben dem Amerikaner, dem krauses Schwarzhaar unter dem breitrandigen Hut hervorquoll. Der junge Offizier winkte hinter sich. »Alles absuchen!« Die Mexikaner saßen lustlos ab und gingen schleppenden Schrittes in verschiedene Richtungen auseinander, um die verfallenen Gebäude zu durchsuchen. Mahon Tabor schaute sich noch um. »Sieht aus, als wären hier viele Reiter gewesen, Senor«, sagte der junge Offizier. Er zwirbelte seinen Oberlippenbart. »Ich suche nur nach einem Mann«, gab Mahon Tabor schroff zurück. Sein schmales, braungebranntes Gesicht war dem Teniente zugewandt und seine Lippen standen wie ein Strich unter der scharfgeschnittenen Nase. »Entschuldigen Sie, Senor.« »Was ist los mit Ihren Leuten, Teniente?« fragte Tabor im gleichen, schroffen Tonfall. »Was soll mit ihnen sein, Senor?« »Sie sind lustlos.« »Meine Männer reiten seit Queretaro mit Ihnen und suchen nach
Ronco, Senor. Nach einem Mann, der ihnen nicht sehr viel bedeuten kann.« »Sie meinen, der ihnen gar nichts bedeutet«, verbesserte Tabor. »Ja, Senor«, gab der Teniente zu. »Wie sollte er auch? Er hat ihnen nichts getan. Mancher kennt ihn nicht.« »Aber ihr habt den Befehl, mir zu helfen, diesen Kerl zu finden.« »Ja, Senor. Aber Sie fragten, warum meine Soldaten lustlos sind. Und ich sagte es Ihnen. Sie wollen nach Queretaro zurück. Dort wird der Sieg der Revolution gefeiert. Dort sind Mädchen, Tequila und Pulque. Dort wird dem fremden Kaiser ein Prozess gemacht, an dessen Ende man ihn vermutlich erschießen wird.« »Ich verstehe nicht, was das soll!« stieß Tabor grollend hervor. »Ich will es Ihnen ja erklären, Senor. Meine Soldaten haben als Rebellen dafür gekämpft, diesen Kaiser und seine Macht zu zerstören. Und sie möchten jetzt sehen, wie er klein und erbärmlich vor den Richtern der Revolution steht. Wie man ihn töten wird! Sie haben niemals gesehen, daß ein Kaiser getötet wird. Viele von ihnen können sich das auch bis heute nicht vorstellen. Deshalb sind meine Männer lustlos, Senor. Deshalb wollen sie zurück nach Queretaro!« »Ihre Leute werden rechtzeitig nach Queretaro zurückkehren«, versprach Tabor, der seinen Ton gewechselt hatte und sich um ein freundliches Lächeln bemühte. »Aber erst müssen wir diesen Ronco haben.« Tabor blickte von einem Gebäude zum anderen. Nach und nach tauchten die mexikanischen Soldaten wieder auf. »Und?« fragte der Teniente. »Im Wohnhaus waren Männer«, erklärte der Mann, der darin suchte. »Mehrere Männer.« »Unsinn, wir suchen nur einen«, sagte Mahon Tabor. »Sucht weiter!« Sie gingen in die Gebäude zurück, suchten im verwilderten Hof und bei den Korrals. Tabor saß ab und betrat das verfallene Wohnhaus. »Da lag einer!« Der Soldat im Flur zeigte auf die Bretterpritsche in der Kammer. Tabor ging hinein und betrachtete die dunklen Stellen auf den
aufgerissenen, ausgetrockneten Fichtenbrettern. »Ronco ist nicht verletzt. Er war völlig in Ordnung, als er Vera Cruz verließ.« »Dann sind hier andere Männer gewesen.« »Teniente, ein Grab!« brüllte im Hof eine sich überschlagende Stimme. »Hier ist ein frisches Grab!« Mahon Tabor lief zur Tür. Aus allen Gebäuden strömten die Soldaten und hasteten zur Westseite des Korralzauns. Der Teniente ritt in der gleichen Richtung, zügelte scharf sein Pferd und sprang ab. Werkzeuge wurden geholt. Als Mahon Tabor die Soldaten erreichte, wurde das Grab bereits geöffnet. Es dauerte nicht lange, bis sie das Gesicht des toten Duff Kerr freigelegt hatten und innehielten. Mahon Tabor zwängte sich zwischen sie, sah das wachsstarre Gesicht und einen Teil der grünen Uniformjacke. Die Flüchtlinge hatten sich nicht die Mühe bereitet, Kerr die Jacke auszuziehen, denn es hatte keiner damit gerechnet, daß irgend jemand das Grab noch einmal öffnen würde. »Den kenne ich«, verkündete plötzlich ein Soldat. Er beugte sich hinunter, um das starre Gesicht genauer zu betrachten. »Aber ja! Es ist ein Gringo aus der Leibgarde des Kaisers!« Mahon Tabor schaute sich um. Verschwunden war der Unwille von den Gesichtern, weg die Müdigkeit und der Drang, ihn im Stich zu lassen und nach Queretaro zu reiten. Sie liefen auseinander und suchten mit Feuereifer den ganzen Rancho ab. »Kein Zweifel, Senor, wir sind auf die Spuren von Flüchtlingen der Kaisergarde gestoßen«, erklärte der Teniente. »Glauben Sie, das hätte ich nicht auch erkannt?« fragte Tabor ironisch. Der Fund der Leiche gefiel ihm gar nicht, denn er wußte, daß er sie jetzt nicht mehr davon abzuhalten vermochte, den neuen Spuren zu folgen. Ronco war endgültig für sie erledigt. Er, Mahon Tabor, konnte zusehen, wie er seinen Widersacher erwischte. Das interessierte sie nicht mehr. Die fieberhafte Suche auf dem Rancho förderte eine zweite Grabstelle zutage, die jedoch wesentlich kleiner als die andere war
und keine weitere Leiche enthalten konnte. Dennoch wurde sie geöffnet. In ihr fanden sich die verscharrten grünen Uniformjacken der Geflohenen. Die Soldaten lachten, warfen die Funde in die Luft und schwärmten aus, um Spuren zu suchen und die Verfolgung aufnehmen zu können. Mahon Tabor lehnte am Sattel seines Pferdes und zermarterte sich den Kopf darüber, wie es doch möglich wäre, sie bei der Stange zu halten. Er erwog, sie mit Geld zu locken oder mit Mädchen an der Grenze, die er nicht hatte. Aber alles erschien ihm ungeeignet. »Sie sind nach Norden!« rief da jemand. »Hier ist die Spur! Eine ganze Horde!« Bald darauf wurden weitere Spuren im Osten gefunden, deren genauere Untersuchung jedoch ergab, daß sie bereits älter als die im Norden sein mußten. Dann kam die Nachricht, die Mahon Tabor aufhorchen ließ. Auch von Süden sollte ein einzelner Reiter den Rancho erreicht haben. Er stieg in den Sattel und folgte mit Teniente Pele dem Soldaten, der die letzte Nachricht brachte. In der Tat fanden sie die Spuren hinter dem Rancho. Sie folgten ihnen ein Stück und hielten an einer weichen Stelle im Sand, an der die Eindrücke deutlicher zu Tage traten, »Kein Zweifel, hier hat sich jemand dem Rancho allein genähert«, versicherte Pele, der wieder seinen Schnurrbart zwirbelte. Mahon Tabor blickte zum Rancho zurück. »Es könnte Ronco gewesen sein, der hier vielleicht auf die Kerle aus der Kaisergarde traf.« »Gringos wie er«, erwiderte der Offizier. Mahon Tabors Gesicht spannte sich. Böse funkelten seine Augen. »Entschuldigen Sie«, sagte der Teniente. »Ich dachte im Moment nicht daran, daß Sie auch Amerikaner sind, Senor.« »Also los, verlieren wir keine Zeit!« Der Teniente sprengte zum Rancho zurück. Mahon Tabor folgte ihm langsam. Inständig hoffte er, daß wirklich Ronco hier geritten war und er sich mit der ehemaligen Leibwache weiter nach Norden unterwegs befand. Zurück blieb ein offenes Grab. Über den Hügeln im Westen näherten sich bereits Geier von der Sierra Madre, angelockt von den Menschen, die meistens etwas für ihren gierigen Hunger
zurückließen.
6. Entgegen Luke Paines Plan waren wir nach zwei Stunden des Wartens im Dickicht doch wieder aufgebrochen. Die fünf anderen Flüchtlinge und Jenny hatten den Schwarzbärtigen einfach solange bedrängt, bis er nachgab. Wir hatten das Glück auf unserer Seite. Im Norden befanden sich keine Suchtrupps der Juaristas mehr. Was hinter uns los war, daß Tabor auf unseren Spuren ritt, davon hatten wir keine Ahnung. Auch den Tag über befanden wir uns unterwegs. Immer wieder wurde versucht, unsere Spuren zu verwischen. Während der Mittagshitze lagerten wir in einem Kakteenfeld, das uns etwas Schatten spendete. Es gab auch einen Tümpel zwischen den Saguaros, der aber so wenig Wasser spendete, daß immer nur ein Pferd an ihm saufen konnte. Bis er sich wieder füllte, verging regelmäßig eine Viertelstunde. So war es Nachmittag, als wir die Flaschen gefüllt und nebst den Pferden einigermaßen vom Durst befreit den Weg nach Norden fortsetzten. Wir sahen kein menschliches Anwesen und keine Reiter. Auch in der folgenden Nacht nicht. Am nächsten Morgen ließ Paine die Pferde für eine längere Rast absatteln. Das wurde auch Zeit, da die Tiere dem Umfallen nahe schienen. Wir lagerten in einer Senke zwischen recht hohen Hügeln, aber noch immer weit von der Sierra Madre entfernt, deren Ausläufern wir nach Norden folgten. Leider bestand für uns keine Möglichkeit, etwas zu jagen. Weder eine Antilope noch ein verwildertes Rind kreuzte unseren Weg. Lediglich ein paar Präriehunde sahen wir einmal vor ihrem Bau auf einer Hügelflanke. Sie ergriffen die Flucht, lange bevor wir bei ihnen anlangten. Eine Mahlzeit hätten sie für uns auch nicht ergeben. So begannen unsere Vorräte an Lebensmitteln rasch zur Neige zu gehen, so sehr Paine sie auch einteilte und Jenny über den Hunger schimpfte, der sie plagte. Zudem wurde das Gelände wieder etwas offener, was uns zu größerer Vorsicht zwang und Paine veranlaßt, den Ritt abzubrechen und die Nacht abzuwarten.
Nach drei Tagen sahen wir im Morgengrauen am Saum eines Waldes eine verfallene spanische Mission, die wir schon bei der Annäherung als verlassen erkannten. Das große, ehemalige Tor lag zerschlagen auf dem sandigen Platz vor dem Gemäuer aus Adobelehm. Es handelte sich um ein recht großes, quadratisches Gebäude mit Flachdach und einem kleinen Glockenturm darauf. Hohe Fensterausschnitte befanden sich in den Wänden. Der Anbau war zusammengefallen. Gestrüpp wucherte an den Wänden und bildete einen dichten Gürtel bis an den Saum des Waldes. Ich ritt mit Paine hinten um das Gemäuer herum und sah dort einen zweiten Eingang, schmaler als vorn, aber ebenfalls ohne Tür. Wir mußten uns auf die Hälse der Pferde ducken, um ins Innere zu gelangen. Von einem großen, leeren Saal führten Aussparungen in den Wänden in Nebenräume. Dicker Staub bedeckte den Boden. In einer Ecke lagen ein paar Reste der Treppe, die ehemals zum Glockenturm geführt hatte. Einige Bohlen hingen noch in Wandvertiefungen. Wir stiegen ab und sahen uns um. Aber wir fanden nichts Eßbares und auch nichts für die Pferde, noch nicht einmal Stroh. Lediglich der Brunnen neben dem Eingang war intakt. Es gab dazu auch einen Eimer mit einer langen Leine daran, was bewies, daß sich hier verschiedentlich Reisende bedient hatten. Das Wasser war kalt und klar und erfrischte unsere Lebensgeister. Miller sagte, daß wir in den letzten drei Tagen noch keine fünfzig Meilen zurückgelegt hätten. Niemand widersprach, da wir alle das gleiche dachten, ohne es jedoch genau zu wissen. Thompson schaute sich noch draußen um. Als er eintrat sagte er: »Es gibt noch so was wie den Rest einer Straße nach Osten. Hinter den Hügeln hängt eine Staubwolke. Ich wette, dort ist eine Stadt.« Sie liefen alle hinaus. Nur Jenny und ich blieben. Für das Barmädchen war der Ritt die Hölle. Tiefe Rinnen hatten sich in ihr Gesicht gegraben und ließen sie stark gealtert aussehen. Von uns allen bezweifelte sie wohl am stärksten, Texas jemals wiederzusehen. Sie wusch sich mit Wasser aus dem Eimer und goß ihn dann aus. Aber sie sah danach kaum besser aus.
»Wir werden es schon schaffen.« Ich lächelte ihr zu, weil ich das Gefühl hatte, sie könne Trost gebrauchen …. Sie versuchte auch, zurückzulächeln, doch es mißlang ihr kläglich. »Cass und Jeff, ihr reitet zu der Stadt im Osten«, erklärte der Schwarzbärtige, als er eintrat. Er gab Revere ein paar Goldpesos. »Und kauft nur haltbare Lebensmittel, keinen leichtverderblichen Kram.« Die beiden führten ihre getränkten Pferde wieder hinaus und ritten davon. Jenny hatte sich bereits auf den Boden gelegt und schlief. Thompson kaute auf einem Stück Holz herum, als könne er damit Herr über seinen Hunger werden. Die anderen zogen immer wieder Wasser herauf, tranken und wuschen sich. »Merkwürdig«, sagte Ty Gates, ein blutjunger, braunhaariger Bursche nach einer Weile. »Auch wenn du den ganzen Bauch voll Wasser gepumpt hast, bist du nicht satt.« Sie setzten sich im Kreis beim Brunnen zusammen. Ich ging zu ihnen, setzte mich ebenfalls und lehnte den Rücken an die kühle Mauer des runden Schachtes. Wir waren fünf ohne das schlafende Mädchen. Hin und wieder stand einer auf, ging hinaus und marschierte eine Runde um das alte Gemäuer, was uns vor Überraschungen sichern sollte. Wir legten uns auch nieder und versuchten zu schlafen, aber es gelang uns kaum. Zu angespannt waren die Nerven, zu ungewiß unser Schicksal und zu weit die Rettung. Aber sie dachten auch an das endgültig verflossene Leben bei dem Kaiser von Mexiko, der sie, seine Leibgardisten, mit allem nur denkbaren Luxus umgeben hatte. Jenny war nur eines von Dutzenden schöner Mädchen gewesen, die ihnen als Gespielinnen gedient hatten. Sie hatten in weichen Betten geruht, sich mit Daunendecken gegen die Kälte der Nächte schützen können, sie hatten Whisky aus Kentucky, Wein aus Frankreich und Bier von der Ostküste getrunken, so viel sie nur haben wollten. Auch Geld hatten sie im Überfluß, und natürlich die nötige Zeit, es wieder auszugeben. Dem trauerten sie jetzt nach. Wenn einer verstohlen lächelte, dann
wußte ich, er schwelgte wieder von diesen verflossenen Zeiten. Aber dann wurden die Gesichter nachdenklich. Die Gedanken eilten voraus in die Zukunft, in das Land, dem sie entgegenritten und das zu erreichen jetzt ihr einziger Wunsch war. Sie dachten an Texas, so wie es heute sein sollte, besetzt von Unionstruppen, verarmt durch den Verfall des Geldes, durch das Weglaufen der unbeaufsichtigten Rinder von den großen Ranches, ein Land ohne Hoffnungen. Sie würden keinen Job finden, wenn es gelang, die Grenze hinter sich zu bringen. Denn es gab keine Arbeit, weil niemand Geld hatte, andere zu bezahlen, Mannschaften für den Rinderfang auszurüsten. Straßenräuber sollten die Fahrwege verunsichern. Vielleicht war es auch ihr ferneres Schicksal, irgendwie zu versuchen zu überleben, wenn es denn sein mußte, durch Raub und Mord. Bill Weber, ein noch vor Wochen beachtlich dicker, nun aber abmagernder junger Mann, seufzte vernehmlich, als seine Gedanken soweit gediehen waren und jetzt in die Realität zurückkehrten. Sie waren alle noch junge Männer, und sie hatten außer diesen trüben Zukunftsaussichten in Texas nur eins gelernt: zu töten. Ich stand auf, verließ sie und legte mich bei den Pferden im hinteren Teil des Gemäuers auf den Boden, um zu schlafen.
7. Tamuin, die kleine Stadt hinter den Hügeln, lag wie ein weißleuchtender Fleck in der Sonne. Cass Revere und Jeff Miller zügelten die Pferde im Schutze hoher Sagebüsche am Rande der Straße und schauten auf das Treiben in dem Nest. Soldaten vermochten sie nicht zu entdecken. Sie blickten sich an. Ihre Gesichter sahen gespannt und grau aus. Obwohl sie beide Angst empfanden, vielleicht in eine Falle zu laufen, sagte es keiner von ihnen. »Weiter.« Revere schnalzte mit der Zunge, ritt durch das Dickicht und den geduckten Hütten aus gebranntem Lehm entgegen. Im Schritt trabten ihre Pferde über die breite Straße. Die Menschen der Stadt schienen keine Notiz von ihnen zu nehmen, was sie erleichtert quittierten.
»Wir steigen ab«, sagte Revere, zügelte sein Pferd und saß steifbeinig ab. »Warum?« »Weil wir dann weniger auffallen.« Da saß auch Miller ab. Nebeneinander führten sie die Pferde tief er in den Ort. Sie erreichten die Plaza und sahen ringsum Haus an Haus, eine Bodega, die Bank von Mexiko, zwei Gemischtwarenläden und das Office der Miliz, vor dem mit einem weißbärtigen Alkalden Soldaten standen. Wohnhäuser schlossen sich um das Rund herum an. Die beiden ehemaligen Leibgardisten blieben im Schutze einer Menschenansammlung stehen. »Halte du die Pferde!« befahl Revere. »Ich gehe da drüben in den Laden.« Miller nickte zustimmend und nahm seinem Partner den Zügel des Pferdes ab. »Und warte hier.« »Schon in Ordnung.« Revere wandte sich ab und schlenderte hinter den Menschen um die halbe Plaza herum. Der große, hagere Texaner war ein dunkler, schwarzhaariger Typ, leicht mit einem Mexikaner zu verwechseln und daher eine unauffällige Erscheinung. Man nahm auch keine Notiz von ihm, wie er frohlockend feststellte. Er betrat den Laden, in dem gut zwanzig Frauen und Männer Einkäufe tätigen wollten. Hinter ihm folgten weitere Leute, so daß er mitten in die Schlange geriet. Eine Frau schaute ihn an, und er grinste freundlich. Plötzlich ertönte Stimmengewirr. Revere schaute über die Schulter und sah drei Soldaten. Er griff mit einer automatischen Bewegung zur Hüfte, fand aber dort den Colt nicht. Natürlich hatten sie die Waffen mit den Patronengurten vor der Stadt in die Satteltaschen geschoben, um nicht sofort aufzufallen. Jetzt vermißte er die Waffe, ärgerte sich darüber und sagte sich zugleich, daß sie ihm doch nichts genutzt hätte. Er schob sich aus der Reihe und erreichte die Wand. Die Juaristas blieben draußen stehen. Einer kam herein.
Revere duckte sich etwas und wollte hinter der Menge verschwinden. Man redete durcheinander. Deutliche Angst vor den Soldaten beherrschte die Menschen. Der Uniformierte schaute über die Menge, schob sie auseinander und ging auf Revere zu. Heiß und kalt rann es dem Abenteurer über den Rücken. Er stand auf dem Sprung und überlegte, ob er den Juarista anspringen und niederschlagen oder versuchen sollte, hinten aus dem Geschäft zu entwischen. Da standen sie sich gegenüber. Der Soldat schaute ihn scharf an, schüttelte den Kopf und ging zurück. Revere begriff nicht, was geschah. Eben noch war er felsenfest davon überzeugt gewesen, daß der Soldat wußte, wer er war und gezielt nach ihm suchte. Jetzt blickte der Mann schon weiter durch den Laden. »Was suchen Sie denn?« fragte der Besitzer des Ladens hinter der Theke. Er war ein kleiner, dicker Mann mit einem runden, schwitzenden Gesicht und kleinen, schwarzfunkelnden Augen unter einer von Schweißperlen bedeckten Stirn. »Einen blonden Gringo«, sagte der Soldat. »Langes Haar, junger Mann, heißt Ronco.« Revere zuckte zusammen. »Ronco?« Der Ladenbesitzer schüttelte den Kopf. »Nie gehört.« »Ein Spion des Kaisers war er«, erklärte der Soldat. »Aber in Amerika wird er auch gesucht. Fünftausend Dollar haben sie auf seinen Kopf ausgesetzt.« »Er soll blond und jung sein?« »Ja, blond und jung. Langes Haar«, erklärte der Soldat, der immer noch zu hoffen schien, dem Gesuchten wäre jemand begegnet. »Nein, tut mir leid«, sagte der Ladenbesitzer. »So ein Mann war bestimmt nicht hier. Wie ist er denn angezogen?« »Er trägt einen Poncho und reitet ein falbes Pferd mit gelber Mähne.« »Nein, tut mir leid.« Energisch schüttelte der Ladenbesitzer den Kopf. »War nicht hier.« Der Soldat warf noch einen Blick in die Runde, dann verließ er den Laden.
Revere war ganz wirr im Kopf. Auch hatte er das Gefühl, alle Menschen würden ihn anstarren. So drängte er sich hastig durch die Menge und verließ fluchtartig den Laden. Er hastete hinter die Häuser, um die halbe Plaza zurück, blieb keuchend an einer Ecke stehen und schaute hinter sich. Niemand folgte ihm. Nirgendwo spähte jemand um eine Ecke. Er beruhigte sich, ging weiter und fand Miller dort, wo er ihn mit den Pferden zurückgelassen hatte. »Was ist denn?« fragte Jeff entsetzt. »Du siehst weiß aus wie eine neue Wand.« »Mir ist ganz übel. Hast du die Soldaten vor dem Geschäft gesehen?« »Soldaten?« Miller schüttelte den Kopf. Wie haltsuchend griff Cass Revere nach dem Sattelhorn und berichtete von seinem Erlebnis. »Ronco?« Revere nickte. »Hast du dich nicht verhört?« »Bestimmt nicht.« »Vielleicht meinen sie einen anderen«, sagte Miller noch immer zweifelnd. »Ausgeschlossen. Sie meinen einen jungen Mann mit langen, blonden Haaren. Er trägt einen Poncho und reitet ein falbes Pferd mit gelber Mähne.« »Alle Teufel«, murmelte Miller entsetzt. »Und der soll ein Spion des Kaisers gewesen sein?« »Hat der Soldat gesagt. Und in den Staaten ist er fünftausend Dollar wert. Stell dir das vor! Fünftausend Dollar!« »Wird der staunen.« Miller begann teuflisch zu grinsen. Revere gab ihm das Geld. »Da, hole du Lebensmittel. In dem Laden gibt es alles. Du mußt nur etwas warten. Ich gehe mit den Pferden nach Westen zurück und warte dort auf dich.« Miller nahm das Geld und verschwand in der Menge, als würde er von ihr aufgesogen. Cass Revere schaute ihm nach, war aber mit seinen Gedanken schon wieder in der verlassenen spanischen Mission. »Na warte,
Freundchen! Das wirst du mir büßen.« Er nahm die beiden Pferde mit und verließ die Plaza. In der nach Westen führenden Straße stand »Tamuin« auf einem Schild über einem flachen Stallgebäude. Argwöhnisch musterte er jeden Menschen, der in seine Nähe kam. Immer wieder wähnte er sich beobachtet, obwohl man keine Notiz von ihm nahm. Endlich kehrte Miller zurück. »Hast du denn solange warten müssen?« fragte Revere und blickte auf das Paket, das der Kamerad unter dem Arm trug. Miller nahm ihm den Zügel seines Pferdes ab. Sie gingen in eine Gasse und hinter den weißgrauen, geduckten Häusern der kleinen Stadt weiter. Revere blickte sich häufiger um, doch es folgte ihnen niemand. »Ich war hinter den Soldaten her«, erklärte Jeff Miller. »Die suchen überall nach Ronco. Einer sagte, es wäre auch ein Kommando im Westen auf der Suche nach ihm. Schon seit Queretaro sind sie hinter ihm her.« Revere blieb stehen. »Solange schon?« »Hat der eine gesagt.« Miller verstaute das Lebensmittelpaket in der Satteltasche, brach aber ein Stück vom Maisbrot und teilte es mit dem anderen. »Dann waren die Reiter, die wir zuletzt sahen, also vermutlich hinter ihm her.« »Eben.« Jeff Miller biß ins Brot. »Das müßte Ronco eigentlich gewußt haben.« »So ein verdammter Halunke.« Revere schob sich ebenfalls Brot in den Mund. »Der hat getan, als könne er kein Wässerchen trüben, Cass. Und wir haben ihm das auch noch abgenommen.« »Dem werden wir's zeigen!« Revere schwang sich in den Sattel. »Los, beeilen wir uns!«
8. Es war bereits Nachmittag. Unvermindert lag die Hitze auf dem kargen Land, und das Flimmern in der Luft erweckte den Eindruck,
als würde die alte Mission in einem riesigen See schwimmen, umgeben von den Hügeln wie von Inseln. Die beiden Reiter galoppierten über den letzten Hügel im Osten und näherten sich rasch. Ein paar dünne Staubpolster schwebten über dem Sand. Ed Thompson, der ehemalige Südstaaten-Offizier, hatte die Rückkehr der Reiter gemeldet. Ich ging mit den anderen nichtsahnend hinaus und freute mich darauf, daß es vermutlich etwas zu essen geben würde. Nicht die leiseste Stimme aus meinem Inneren warnte mich. Auch Jenny trat aus der Mission. Sie sah besser und vor allem wieder zuversichtlicher aus. Als die beiden uns erreichten und ihre Pferde zügelten, grinste Cass Revere mich scharf an. Doch nicht einmal das warnte mich. Der Kerl war gegen mich, seit ich ihn auf dem Rancho zusammengeschlagen und gefesselt hatte. Also erschien mir sein Grinsen völlig normal. »Wir haben alles gekriegt!« rief Miller, zog das Paket aus der Satteltasche und warf es Luke Paine zu. Der Schwarzbart verteilte Brot und Dörrfleisch und gab jedem ein Stück Schafskäse. Weil uns der Hunger mehr als alles andere beschäftigte, sah keiner, auch ich nicht, wie Revere und Miller sich zunickten und abstiegen. Noch immer unbeachtet von mir gingen die beiden rechts und links um unseren Kreis herum und waren auf einmal hinter mir. Das metallische Schnappen der Revolverhähne traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Noch bevor ich darauf reagieren konnte, hatte Revere mir den Colt aus der Halfter gezogen. Die Mündungen preßten sich in meinen Rücken. Mir blieb der Bissen im Munde stecken. Auch die anderen staunten und starrten die Kameraden an. »Was soll das denn?« fragte der Schwarzbärtige. Revere erklärte schnell, was sie in dem kleinen Nest erfahren hatten, und ich sagte mir, während er noch berichtete, daß dies ja früher oder später so hatte kommen müssen. Verrückt war ich gewesen, solange mit ihnen zu reiten.
»Ein Spion des Kaisers?« fragte Paine an mich gewandt. »Unsinn, frei erfunden«, erwiderte ich. »Wenn du wirklich einer wärst, könnte uns das nicht weiter stören.« Paine lächelte ein wenig, was sogar freundlich aussah. »Wir sind, was das betrifft, ja auch keine Engel. Das interessiert uns auch nicht. Aber fünftausend Dollar sollst du in den Staaten wert sein? Gutes, hartes Unionsgeld.« Der Druck der Mündungen in meinem Rücken verstärkte sich noch. Ich blickte von einem zum anderen und erkannte jäh erwachende Gier in ihren Augen. »Fünftausend Bucks«, murmelte Ty Gates, der junge Bursche. »Mein Gott, das wäre das Ende aller Sorgen. Selbst wenn wir es gerecht unter uns aufteilen, könnte man bei ein bißchen Sparsamkeit jahrelang davon leben!« »Hast du dich auch nicht verhört, Cass?« fragte Bill Weber zweifelnd. »Ich hatte ganz lange Ohren, als der Soldat das sagte, das kannst du mir glauben. Und ich habe jedes einzelne Wort haargenau richtig verstanden!« Der Schwarzbärtige schaute mich an und zuckte mit den Schultern. »Das schafft eine neue Lage, Amigo.« Ich wollte zurück. Doch die Revolver in meinem Rücken stießen mich vorwärts, hinein in den Kreis der anderen. Sie zogen ihre Colts und schlugen auf mich ein, bis ich zusammenbrach und die Besinnung verlor. * Ein Sonnenstrahl fiel durch eins der hohen Fenster und traf mich. Noch blinzelnd schaute ich in die grelle, goldene Helligkeit. Groß, riesig fast, sah ich den Feuerball über der Sierra Madre im Westen. Der Abend war nahe. Die Kerle standen in einem Halbkreis vor mir. Ich wollte auf dem Boden zurückrutschen, um mehr Raum zwischen mich und sie zu bringen. Doch in meinem Rücken befand sich die Wand. Jenny stand etwas abseits, als gehöre sie nicht zu dem Haufen. Mir
gelang es nicht mehr, die Hände auf dem Rücken zu bewegen. Sie hatten mich wieder einmal gefesselt. Ich ahnte, daß ich ihnen diesmal erzählen konnte, was immer mir einfiel, losbinden würden diese Männer mich nicht mehr. »Ihr verdammten Schweine!« stieß ich in meiner Wut hervor. Sie grinsten mich an. »Du mußt das verstehen«, sagte Paine und strich über seinen wüsten, schwarzen Bart. »Was hast du denn ausgefressen, daß du denen da drüben so viel Zaster wert bist?« »Das geht dich einen Dreck an!« sagte ich wütend und zerrte an meinen Fesseln. »Denkst du, wir haben dich nicht ordentlich verschnürt?« Bill Weber lachte lauthals. »Vielleicht hast du recht«, sagte Paine gedehnt. »Kann sein, es geht uns wirklich nichts an, was du auf dem Kerbholz hast.« »Vielleicht ist er ein Mörder«, sagte Gates. »Hat vielleicht hinterrücks jemanden abgeknallt?« »Hört auf!« befahl der Schwarzbart. »Also damit das ganz klar ist: Wir haben absolut nichts gegen dich. Es ist nur zuviel Geld, als daß wir es wie auf einer Straße liegenlassen könnten. Es ist nicht persönlich, verstehst du?« »Es ist wegen der schlechten Zeiten«, erklärte Revere, den sadistische Freude über seinen Sieg erfüllte. »Wir werden in Texas kaum einen Job finden und brauchen daher die Dollars dringend.« »Wir haben deswegen beschlossen, dich zu einem Sheriff in einem weit entfernt von größeren Städten liegenden Nest zu bringen. Er müßte dich dann nach Del Rio, nach San Antonio oder Pecos transportieren. Wir wünschen dir, daß du ihm entwischen kannst.« »Wir haben dann unsere Bucks bereits und sind längst über alle Berge«, setzte Miller hinzu. Der Schwarzbart richtete sich auf. »Damit wäre zwischen uns alles klar. Sobald es dunkel ist, brechen wir auf.« Auch die anderen wuchsen vor mir in die Höhe. Jenny stand noch immer wie unbeteiligt am Rande des Geschehens. Sie hatte nicht einmal danach gefragt, welchen Anteil sie den anderen wert war.
Revere rieb sich zufrieden die Hände und grinste mich an. »Ich habe geahnt, daß mit dir was nicht stimmt, Freundchen. Und bei mir darfst du es auch ruhig persönlich nehmen.« »Danke«, erwiderte ich sarkastisch. Revere verlor das höhnische Grinsen und sah aus, als wolle er sich auf mich stürzen. »Laß ihn!« kommandierte Paine schroff. »Es gibt keinen Haß zwischen ihm und uns. Er wird auch nicht gequält.« Die Männer wandten sich ab und gingen gemeinsam hinaus. Ich war für sie zu einer Handelsware geworden. Mit dem Kopfgeld hofften sie, die erste Zeit in der alten Heimat gut hinter sich zu bringen, und das anzunehmen bestand in der Tat guter Grund. Jenny setzte sich auf den Brunnenrand und schaute zu mir herüber. Niemand außer ihr und mir befand sich noch in dem großen, wüsten Saal. »Wie gefällt dir das neue Spiel?« fragte ich. Sie zuckte mit den Schultern. »Du hast die Verfolger offenbar angezogen wie Licht die Motten in der Nacht, Ronco.« »Ich habe nicht mehr Verfolger angelockt als ihr«, erwiderte ich. Sie rutschte von der Mauer und trat auf mich zu. »Was ist es denn, was sie in den Staaten gegen dich haben, daß du eine so umwerfende Summe wert bist?« »Das geht dich nichts an.« Sie zuckte wieder mit den Schultern. Ich schaute sie scharf an, hatte die Frage auf der Zunge, ob sie mir nicht helfen wollte und verkniff sie mir doch. Es war Unsinn. Jenny dachte nicht daran, etwas gegen die anderen zu tun. Statt dessen sagte ich: »Du hast doch gar nicht die Probleme wie die Männer.« »Welche Probleme?« »Ich meine, du findest doch in Texas einen Job.« »Ja, ich werde schon einen finden. Ich bin zwar nicht mehr die Jüngste, habe aber viel Erfahrung. Das zählt auch eine ganze Menge. Ich werde mich auch von den anderen absetzen, sobald wir über die Grenze sind. Wenn es mal wieder brenzlig wird, vielleicht sogar noch früher.«
»Auf einmal?« staunte ich. »Zuerst dachte ich, das könne eine Frau allein nicht schaffen. Aber das ist eine Weile her. Wir sind weit geritten. Ich habe erfahren, was Entbehrung ist und wie man damit fertig wird. Auch mit den Strapazen. Ja, ich denke jetzt, ich könnte es auch allein schaffen.« Sie schaute über die Schulter. Die anderen waren noch draußen. Sie schienen keineswegs zu befürchten, daß Jenny mir helfen könnte. Sie blickte mich wieder an. »Mich interessieren die fünftausend Bucks nicht, Ronco. Das sollst du wissen. Ich werde davon auch keinen einzigen Dollar nehmen. Tut mir leid um dich. Ich glaube, du bist ein guter Kerl. Nur, ich kann mich natürlich nicht gegen die anderen stellen. Das mußt du verstehen.« »Sicher, Jenny.« »Das ist gut.« Sie drehte sich um und ging ebenfalls hinaus. Ihre Schuhe wirbelten winzige Wölkchen von dem dicken Bodenstaub in die Höhe. Ich schaute ihr nach, blickte dann aber auf die hinter der Sierra versinkende Sonne. Meine Hände tasteten über die Wand hinter mir, die sich sehr rauh anfühlte. Ich scheuerte die Fesseln darüber, merkte, wie sie hängenblieben, und hörte sie zerfasern. Obwohl ich keine Vorstellung darüber hatte, wie ich diesen Männern entwischen sollte, arbeitete ich schnell weiter. Doch da traten sie bereits wieder ein. Ich mußte innehalten und hoffte, daß sie noch etwas bleiben, die Dunkelheit abwarten würden und sich dadurch noch eine Gelegenheit ergab, die Fesseln weiter zu zerfasern. Vielleicht erst einmal so weit, daß sie an meinen Gelenken blieben und ich sie später zu sprengen vermochte. »Sattelt inzwischen die Pferde«, befahl der Schwarzbart. »Ty, du hältst draußen die Augen offen!« Der junge Gates ging wieder hinaus. Paine blickte mich an, und mir wurde es heiß in der Haut. Denn ich wußte, wenn sie meine Fesseln kontrollierten, mußte ihnen schon jetzt auffallen, daß ich dabei war, mich zu befreien. Die Pferde wurden aus den Nebenräumen geführt und gesattelt. Die Kerle überprüften ihre Gewehre, obwohl sie wußten, daß sie
geladen sein mußten. »Denkt ihr, ich habe die Patronen herausgenommen?« fragte ich spöttisch. »Witzbold«, sagte Revere verächtlich. Im Westen versank der letzte Zipfel der Sonne hinter den schroffen Sierrafelsen. Bleigrau schob sich die Dämmerung von Osten über die Hügel. Paine lief zum Tor und kehrte kurz darauf zurück. »Noch eine halbe Stunde, dann dunkelt es, und wir können los.« »Ich habe noch Hunger«, meldete sich Bill Weber. »Was wir noch haben, wird bis morgen aufgehoben«, entgegnete der Anführer. Draußen pfiff Gates durch die Zähne. Sie fuhren alle herum. »Reiter!« brüllte der junge Bursche. »Verdammter Mist!« Luke Paine hastete hinaus. Gates tauchte vor dem Tor auf und rief: »Ein Reitertrupp nähert sich von Süden. Woher wir kamen!« Sie stürzten alle hinter Paine her um die Mission herum. Zwei zerrten mich auf die Füße und schleppten mich zu dem rechteckigen Ausschnitt. Im Süden vermochte ich die Reiter zwischen Büschen und Kakteen im scheidenden Tageslicht zu erkennen. Ich meinte sogar, Mahon Tabor wäre der Anführer. »Ist der erste nicht ein Amerikaner?« fragte Gates, der aus zusammengezogenen Augen nach Süden schaute. »Ich fresse meinen Hut, wenn er keiner ist!« »Behalte deinen Hut auf dem Kopf, es ist einer«, gab Weber zurück. »Die sind wegen dir hinter uns her!« Paine stieß mich an. Da ich nicht die Füße bewegen und zurücktreten konnte, fiel ich um. »Zum Teufel, uns würde vielleicht schon keiner mehr suchen!« schimpfte Revere. Ich hörte, wie die sich nähernden Reiter ihre Pferde in Galopp versetzten und der trommelnde Hufschlag das alte Gemäuer hallend auszufüllen begann.
Die Pferde wurden unruhig, scharrten mit den Hufen und schnaubten. Jennys Gesicht leuchtete weiß durch das Dämmerlicht, das die Ruine auszufüllen begann. Die Männer zogen die Gewehre aus den Scabbards und besetzten die Fenster und die hintere Tür. Mahon Tabor und seine Juaristas waren schon nahe an das Gemäuer herangelangt. Auf einmal wurde auch geschossen. Kugeln wimmerten durch die großen Fensterlöcher und pfiffen durch den Raum. Klatschend trafen Geschosse die Mauern. »Zur Hölle, die greifen einfach an!« rief Miller. »Kein Wunder, die sehen uns doch«, erwiderte Paine. »Schießt, Leute, wenn ihr leben wollt.« Dann dröhnten die Gewehre der Flüchtlinge. Wiehernd stoben die Pferde durch den hallenartigen Raum. »Jenny, halte die Gäule fest!« rief Paine. Das Mädchen stand zitternd und mit wachsbleichem Gesicht in meiner Nähe. Ich kroch zurück und schaffte es, mich an der Wand zu setzen. »Jenny, stehst du auf den Ohren?« brüllte der Anführer, der sein Gewehr repetierte und wieder an der Hintertür nach draußen schoß. Die Angreifer hatten indessen die Pferde gezügelt und waren abgesprungen. Sie ließen die Pferde laufen, nutzten Löcher, Büsche und herumliegende Steine als Deckung und erwiderten das heftige Feuer der Verteidiger, während sie mit raschen Sprüngen von einer Deckung zur anderen näher rückten. »Wenn es finster wird, sehen wir sie nicht mehr«, sagte Weber. »Dann gnade uns Gott!« Die Pferde irrten noch durch den Raum, prallten gegen die Wände, stiegen in die Höhe und wirbelten mit den Hufen. »Jenny, zum Teufel!« Da bewegte sich das Mädchen, lief zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel und galoppierte durch das Tor hinaus und nach Norden. Ich, Paine und ein paar andere blickten ihr nach. »Was heißt denn das?« rief Gates. »Sie dreht durch!« Paine schob Patronen in den Füllschlitz seines Gewehres. »Reine Nervensache.« Ich wußte es besser. Jenny wollte allein versuchen, die Grenze zu
erreichen und der Hölle von Mexiko zu entfliehen. Die Männer konnten sich nicht länger damit aufhalten, dem Barmädchen nachzuschauen. Die näher rückenden Juaristas hielten sie in Atem. Ich scheuerte die Fesseln über die rauhe Wand hinter mir. Pulverrauch erfüllte die Ruine. Hinter Staub und Dämmerlicht verschwand Jenny im Norden. Ich sah sie wenig später noch einmal auf einer Hügelkuppe. Sie hatte sich von der Szene abgesetzt, und ich hoffte in diesen Minuten, daß sie es auch schaffen würde, Texas zu erreichen. Niemand verfolgte sie. Tabor und seine Männer befanden sich noch auf der anderen Seite der verlassenen Mission. Sie hatten sich bis zum Saum des Gehölzes im Westen weitergearbeitet und schossen von den winterharten Nadelbäumen geschützt auf das Gemäuer. Ich hörte an dem lauter gewordenen Krachen, wie nahe sie bereits sein mußten. Als Paine zurücktrat und abermals sein Gewehr lud, hielt ich in dem Bemühen inne, meine Hände zu befreien. Die Pferde standen zusammengedrängt an der vorderen Wand. »Binde mich los, damit ich euch helfen kann«, sagte ich zu dem finster dreinblickenden Schwarzbart. »Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank, was? Hinter Jenny her das Weite suchen willst du, weiter nichts.« »Nein!« Paine grinste verächtlich, spuckte auf den Boden und schob weitere Patronen in das Röhrenmagazin der Waffe. Eine Kugel pfiff mißtönig an Paine vorbei. Er hatte den Kopf eingezogen, richtete sich aber sofort wieder auf und hastete zum hinteren Eingang zurück. »Die machen uns fertig, Luke!« rief Revere. »Die sind zu viele für uns!« »Wir haben schon gegen mehr als die gekämpft!« Verbissen legte Paine das Gewehr an und schoß. Ich rieb die Fesseln weiter über die rauhe Mauer. Wenn es für mich überhaupt noch eine Chance gab, dann war es die, ebenfalls zu fliehen – wie Jenny.
9. Plötzlich platzte der Strick unter meinen angespannten Handgelenken auseinander. Er fiel über meine Hand und lag zwischen der Wand und mir unsichtbar für die anderen auf dem Boden. Ich behielt die Hände noch auf dem Rücken und blickte mich um. Dunkelheit erfüllte die alte Mission. Nur die Mündungsflammen warfen bizarres Licht in den großen Raum. Die Pferde waren in ein Nebengelaß geflohen. Denn inzwischen hatten Mahon Tabors Juaristas uns umzingelt, und das kleine Häuflein der Verteidiger stand rundum an Toren und Fensterlöchern und feuerte nach draußen, was die Rohre nur hergaben. Ich nahm die Hände nach vorn, da ich mich unbeobachtet fühlte. Meine Finger tasteten an den Beinen hinunter, fanden den Knoten der Fußfesseln und lösten ihn. Sie hatten nichts gemerkt. Ich war frei und schaute auf meinen Navy-Colt und das Spencergewehr, die nicht weit von mir entfernt auf dem Boden lagen. Paine blickte sich um, als er sein Gewehr laden mußte. Ich blieb reglos sitzen und war überzeugt, daß er von der Veränderung in der Finsternis nichts sah. Es dauerte auch nicht lange, da richtete er die Mündung wieder nach draußen und schoß. Ich kroch auf die Waffen zu und brachte sie an mich. Daran, zu meinem Pferd zu gelangen und es mitzunehmen, durfte ich nicht denken, da die Nebengelasse keine Ausgänge hatten. Die Texaner. würden mich eher abknallen, als entkommen lassen, zumal sie davon ausgingen, auch für meine Leiche die begehrten Dollars in Texas kassieren zu können. Mir blieb nur eine Flucht zu Fuß, die von allen Möglichkeiten noch am besten zu realisieren war. Langsam richtete ich mich auf, stand an der Wand und suchte nach der Lücke. Links von mir lag das Gehölz. An dem großen Fensterloch, das den Bäumen am nächsten sein mußte, stand keiner. Das erschien mir wie ein Wink des Schicksals. Ich schob mich an der Wand entlang, konnte so aber nicht schnell genug zu dem Fenster gelangen. So beschloß ich, alles
auf eine Karte zu setzen, stieß mich ab und stürmte mit dem Gewehr in der Hand und dem Colt in der Halfter los. Das Wummern zwischen den Mauern verschluckte meine Schritte. Sie sahen mich auch nicht. Ich sprang am Fenster in die Höhe, stützte die Hände auf den Sims und flog hinaus, gleichgültig, was dort auf mich wartete. Federnd prallte ich im Sand auf, verlor nicht einmal das Gewehr und lief auf einen Mann zu, der ziemlich verlassen die Stellung vor dem Wald hielt. Zufall und Glück zugleich, und das gleich zweimal. Denn der Kerl feuerte ohne Anruf aus seinem Gewehr. Die Kugel streifte an meiner Wange vorbei und versengte nur die Bartstoppeln. Ich fiel ihn an und schlug mit dem Lauf der Spencer zu. Der Kerl kippte zur Seite. Ich setzte über ihn weg und lief in den Wald. Buschwerk zwischen den Fichten schlug mir peitschend ins Gesicht. Ich trat auf herumliegende Äste, die berstend platzten, verhedderte mich im Unterholz und stürzte. Doch sofort sprang ich wieder auf und stürmte weiter. Ich hoffte, daß ich nach Westen unterwegs war, wohin sich der Wald am längsten zog. Das war mir bei unserer Annäherung zu der alten Mission aufgefallen, ohne daß ich damals schon Bedeutung darin erkannt hätte. In dieser Richtung jedenfalls mußten sie am längsten suchen, falls sie das vorhatten, falls ein anderer noch etwas bemerkte oder der Niedergeschlagene es früh genug sagen konnte. Mitten im Wald lief ich in das Geäst eines Baumes und prallte gegen den Stamm, was mich umwarf und das Gewehr meinen Händen entgleiten ließ. Benommen lag ich auf Ästen, Moos und Gras und hörte weit entfernt das anhaltende Schießen bei der Mission. Das beruhigte mich insofern, als es anzeigte, daß sie noch nicht hinter mir her waren. Mahon Tabor wußte nicht, daß ich entwischt war. Anderenfalls wäre ich ihm wichtiger gewesen als alle anderen, die sich dort verteidigten. Ich rappelte mich wieder auf, suchte nach dem Gewehr und lief weiter. Bald vermochte ich die Schüsse hinter mir nur noch zu hören,
wenn ich stehenblieb und völlige Stille in meiner Nähe war. Sie kämpften noch. Ich setzte meine Flucht fort. Allmählich wurde mir wieder besser, und ich konnte mit größeren, raumgreifenden Schritten marschieren. Ich mußte eine Stadt finden, wenigstens einen Rancho, wo ich ein Pferd kaufen konnte. Geld dafür hatte ich noch genügend, versteckt im linken Stiefel, wo ich es unter den Zehen spürte. Vielleicht wäre es mir von den Flüchtlingen abgenommen worden, hätten sie bei mir noch etwas vermutet. Wieder blieb ich stehen und lauschte. Sobald es still genug war, hörte ich es auch. Es klang unendlich weit entfernt, unwirklich schon und doch vorhanden. Ich dachte, daß noch viel Zeit vergehen konnte, bis es Tabor gelang, mit seinen mexikanischen Soldaten die alte Mission zu stürmen. Sie kämpften wie Löwen, da es ihr sicherer Tod sein mußte, wenn sie den Juaristas in die Hände fielen. Darüber konnte die ganze Nacht vergehen, vielleicht noch der nächste Tag dazu. Falls sie nicht wußten, wer geflohen war, folgte mir vielleicht niemand. Es war durchaus möglich, daß der Soldat nicht wußte, wer ihn niedergeschlagen hatte. Vielleicht hielt er mich für einen der Texaner. Zu kurz war der Moment gewesen, den wir uns gegenüberstanden. Ich trabte wieder, sah auf einmal Mondlicht und das Ende des Waldes. Als ich ihn verließ, die Büsche, Hügel und undeutlich auch die Kante der Felsen in der Ferne erkannte, wußte ich, daß mein Weg durch den Wald ziemlich gerade gewesen sein mußte. Auch die einmal eingeschlagene Richtung hatte ich halten können. Erleichtert blieb ich ein paar Herzschläge lang stehen und war bemüht, zu Atem zu gelangen. Mein Blick wanderte nach Norden. Dorthin mußte ich. Dort, irgendwo noch weit entfernt, lag der Rio Grande, die Grenze, die ich überschreiten mußte. Sicher würde ich auch eine menschliche Behausung oder eine Stadt finden und ein Pferd kaufen können. Neue Hoffnung beseelte mich. Meine Lage ohne Pferd war alles andere als rosig. Aber sie erschien mir nicht mehr so ganz aussichtslos. Wieder setzte ich mich in Bewegung. Nach Norden zu blieb der
Waldsaum bald rechts von mir zurück. So gut es ging, nutzte ich weiterhin die Deckung der Büsche, obwohl die direkte Sicht hier am Boden nicht weit reichte. Es erschien mir sicherer.
10. Mit unverminderter Härte hielt der Kampf um die alte spanische Mission an. »He, Luke!« rief Gates auf einmal. Der Schwarzbart schaute über die Schulter, drehte sich an der Wand neben dem Eingang um, nahm Patronen aus der Tasche und schob sie in das Gewehr. Er vermochte in der Dunkelheit vor sich nichts zu erkennen, noch nicht einmal den Brunnen unmittelbar neben sich. »Er ist weg!« rief Gates. Von draußen rasten die Geschosse durch Fenster und Türlöcher. Querschläger irrten durch den hallenartigen Raum. »Was ist los?« fragte Paine. »Er ist weg! Hier liegen noch die Stricke, mit denen er gefesselt war! Hat sich befreit. Abgehauen!« Auch die anderen waren aufmerksam geworden und blickten hinter sich. »Ronco ist abgehauen«, sagte Gates. »Und wir haben es nicht mal gemerkt!« Weil er es nicht glaubte, hastete Paine durch die Mission zu der Stelle, an der Ronco zuletzt gewesen war. Da stieß er mit Gates zusammen, der ihm einen Strick in die Hand drückte. »Durchgescheuert. Sicher an der Wand.« »Verdammt.« Paine ließ den Strick fallen, lief zurück und brüllte nach draußen: »He, ihr da! Der Kerl, den ihr sucht, ist nicht mehr da! Abgehauen!« Das Feuer flackerte etwas ab, jedoch entluden sich weiterhin vereinzelt Gewehre. Weber sah in diesem Moment eine Gestalt dicht vor seinem Fenster, legte an und schoß. Der Mexikaner schrie, taumelte und brach zusammen. Es war
derjenige, der in Roncos Gewehrhieb geraten war. Eine Ironie des Schicksals, daß er auf der Stelle starb und Weber damit den Zeugen beseitigt hatte, der vielleicht Manon Tabor bestätigt hätte, daß einer geflohen war. Einer, der Ronco heißen konnte. »Der Kerl ist abgehauen!« schrie Paine aus Leibeskräften hinaus. »Hat jemand gesehen, daß einer weg ist?« fragte Mahon Tabor. »Dummes Zeug, hier entwischt uns keiner mehr!« meldete sich der Teniente. Dann entluden sich wieder die Gewehre. Ein paar Sekunden lang schien es, als wollten die mexikanischen Soldaten das alte Gemäuer mit den Kugeln zersägen. Nach einer Weile gab Tabor ein Kommando. Das Feuer brach ab. »Gebt ihn heraus!« befahl Mahon Tabor. »Wir wollen sie alle«, sagte der Offizier kalt und barsch. »Kommt alle mit erhobenen Händen heraus und laßt die Waffen drin liegen!« »Der Kerl ist fort, verdammt!« schimpfte Paine. Draußen wurde wieder geschossen. »Die hängen uns auf, wenn wir hinausgehen«, sagte Weber, obwohl ihn bei dem Lärm keiner verstehen konnte. Minuten später flackerte der Kampflärm wieder ab. Hier und da entlud sich noch eine Waffe. Die Texaner blieben wachsam in Deckung. »Wir halten das noch lange durch, Leute!« rief Paine hinaus. »Wir haben die Taschen voll Munition. Und wir schicken noch mehr als einen von euch in die Hölle, wenn ihr nicht endlich aufhört und mit euch reden laßt.« »Über was willst du reden?« fragte Revere auf der anderen Seite des Tores. »Wir haben nichts anzubieten. Die lassen uns nicht weiter, das weißt du doch. Entweder bringen wir sie um oder umgekehrt. Also spar dir die langen Reden!« Paine fluchte vor sich hin. Die Übermacht und der zähe Kampfeswille der Juaristas hatten ihn unsicher werden lassen. Er ahnte, daß sie vielleicht nicht mehr siegen konnten, nicht zu fliehen und die Spuren zu verwischen vermochten. Daß hier das Ende nahte und sie Texas niemals wiedersahen. Da schossen die Soldaten schon wieder.
»Verkauft euer Leben so teuer wie möglich!« rief Paine den anderen zu. »Jeff, gib den Rest der Lebensmittel aus. Jedem einen gerechten Anteil!« Miller verließ den Platz an der hinteren Tür und ging zu den Pferden, die dichtgedrängt in einer engen, leeren Kammer standen. Er holte den Rest des Pakets und verteilte es. Als er zu Paine kam und der seinen Teil nahm, sagte er: »Ist das nicht verrückt? Uns erwischt es hier, und der, den sie haben wollen, ist gar nicht da!« »Ja, das ist wahr, Jeff. Ganz verrückt daran ist, daß ausgerechnet er auch ihnen entwischen konnte. Sonst hätten wir etwas hören müssen.« »Jenny hatte offenbar auch die Eingebung ihres Lebens, als sie im letzten Moment abhaute. Na ja, irgendwann holt jeden der Teufel.« Miller ging weiter. Während sie den Rest vom Brot, vom Schafskäse und einer für sie weitgehend undefinierbaren Pastete aßen, schossen sie weiter hinaus in die Nacht. Insgeheim hoffte doch noch jeder auf eine weitere Chance zur Flucht.
11. Noch bevor am Morgen die Sonne aufging, lag der Gluthauch der Hitze bereits wieder über dem kargen Land. Ich schleppte mich müde nach Norden, taumelte über Bodenwellen und durch langgestreckte Senken, in denen es nichts weiter als Kakteen, struppiges Buschwerk und niedriges, gelbspitziges Gras gab. Hin und wieder ragten vulkanische Felsengebilde aus dem Sandboden, und abgewaschene, verwitterte Steine lagen weit verstreut wie Findlinge herum. Zeitweise schleppte ich lange Äste hinter mir her, um meine Spuren zu verwischen. Auch wenn Mahon Tabor nicht erfahren haben sollte, daß mir die Flucht aus der alten Mission gelungen war, würde er das früher oder später bemerken. Wie ich ihn inzwischen einschätzte, konnte ihn auf die Dauer nichts davon abhalten, nach mir zu suchen. Dann stieg im Osten die Sonne auf, als würde sie aus dem
unwirtlichen Boden wachsen. Sengende Strahlen stachen blendend über das wüstenähnliche Land. Ich blieb schwankend stehen, schob den Hut in den Nacken und wischte mir den Schweiß vom Gesicht. Ich schaute nach Norden, wo sich auch weiterhin Bodenwellen schier endlos fortsetzten. Hundertfünfzig Meilen hatte ich bis zum Rio Grande sicherlich noch zurückzulegen. Mein Blick wanderte auf dem Wege zurück, den ich die Nacht über gegangen war. Vielleicht hatte ich zehn Meilen geschafft, vielleicht auch zwölf oder dreizehn. Mehr nicht. Mich im Kreise drehend, hoffte ich irgendwo aufsteigenden Staub zu sehen, der auf Bewegung und damit auf Menschen, vielleicht auf eine kleine Stadt hinwies. Doch ich sah nichts dergleichen. Es gab nur diese Wildnis, die sich nach allen Seiten ausdehnte und nur im Westen von der Sierra in der Ferne begrenzt wurde. Vielleicht hatte ich während der Nacht eine nahegelegene Behausung passiert, ohne sie zu bemerken. So lenkte ich meine Schritte nicht länger um die Bodenwellen herum, sondern erstieg die nächste und konnte so ein ganzes Stück mehr von dem öden Land übersehen. In der Tat gewahrte ich ein Glitzern auf einem Hausdach und vermochte darunter noch ein Stück einer weißen Mauer zu erkennen. Auf das Gewehr gestützt blickte ich eine volle Minute zu dem Dach im Nordosten hinüber. Es stand kein Staub darüber. Vielleicht war es ein verlassenes Haus, wo ich keine Nahrung und kein Pferd finden würde. Doch wenigstens Wasser wie in der alten Mission würde es hoffentlich noch geben. Ich lief die Hügelflanke hinunter, war plötzlich schneller und auch froh darüber, das Gewehr nicht weggeworfen zu haben, wie es während der Nacht mehr als einmal mein Wunsch gewesen war, weil ich glaubte, es dann leichter zu haben. Büsche und hohe Kakteen flogen an mir vorbei. Zehn Minuten später sah ich das Anwesen vor mir wie auf einem Teller liegen. Es war kein verlassenes Haus, sondern ein bewirtschafteter Rancho, der neben dem Wohnhaus einen festen Holzschuppen und eine Remise hatte. Ein relativ großer Korral stand südlich der
Gebäude. Im Osten wurde der Rancho von einer langen Reihe Yuccasträucher begrenzt, die sicher auch Schutz vor den wandernden Sandmassen boten. Ich bewegte mich langsamer vorwärts, um nicht von Hunger, Durst und Müdigkeit in eine Falle getrieben zu werden. Denn ich wußte ja nicht, ob Mahon Tabors Juaristas nicht doch wieder Jagd auf mich machten und eventuell bereits vorbeigeritten waren und vor mir suchten. Im Korral standen ein paar magere Longhorns, ein halbes Dutzend Pferde und abgeteilt durch ein paar Bretter schwarze Schweine und Ziegen. In einem großen Käfig gackerten Hühner, die wild mit den Flügeln schlugen und meine Annäherung meldeten. Ein älterer, grauhaariger und krummer Mann trat mit einer Sharps 52 in der Hand aus dem Haus. Er trug graues, verschlissenes Leinenzeug, wie es hier üblich war, Sandalen an den nackten Füßen und einen schäbigen, durchlöcherten Sombrero aus Stroh auf dem Kopf. Ich schätzte ihn auf sechzig Jahre, wußte jedoch, daß er jünger sein konnte. Hier draußen zählten die Jahre doppelt. Ich war stehengeblieben und stützte mich auf das Gewehr, um anzuzeigen, daß ich die Waffe nicht zu gebrauchen gedachte. Eine Frau mit strähnigen, ebenfalls grauen Haaren blickte aus einem kleinen Fenster. Sie mochte eine Kleinigkeit jünger als der Mann sein oder hatte sich nur besser gehalten. »Hallo«, sagte ich, lächelte so freundlich wie möglich und zog mir den Hut tiefer ins Gesicht. Sie sollten mich vor allen Dingen für einen Mexikaner halten, was oft genug gelungen war. »Was wollen Sie?« fragte der Mann. »Ich habe mein Pferd verloren.« »Wo?« »Im Westen, in der Sierra«, log ich. Irgendwie mußte ich den beiden einen gewaltigen Bären aufbinden, ihr deutlich erkennbares Mißtrauen zerstreuen und sie mit Geld locken. »Sie haben Ihr Pferd verloren?« Der Mann ließ das Gewehr sinken. »Ja«, erwiderte ich auf spanisch. »Es wurde von einer Schlange gebissen.«
»Sind Sie ein Gringo?« mischte die Frau sich ein. »Nein, Senora«, erwiderte ich mit einem Bemühen, Empörung zu zeigen. Ich wußte ja besser als die meisten anderen, wie sehr man vor allem Amerikaner jagte, die Kaiseranhänger gewesen waren und das verhaßte Fremdregime vielleicht länger an der Macht gehalten hatten, als es ohne sie hätte leben können. Dabei schaute ich mich möglichst unauffällig in der Runde um und gelangte zu dem Ergebnis, daß diese beiden älteren Menschen allein hier hausen mußten. »Ich habe Geld«, fuhr ich fort. »Ich kann für alles bezahlen, auch für ein Pferd und einen Sattel.« Der Ranchero stellte sein Gewehr demonstrativ an die weiße Hauswand. Ich ging weiter. Der Mann lächelte mich an, aber das überzeugte mich nicht von der Freundlichkeit, die es ausdrücken sollte. »Treten Sie doch ein«, sagte die Frau. »Sie sehen schlecht aus. Sind lange gelaufen, was?« »Die ganze Nacht, Senora.« Ich legte das Gewehr auf die einfache Holzbank vor dem Haus, ging an dem Mann vorbei und betrat einen einfachen Wohnraum, in dem in der Mitte ein rechteckiger Tisch und vier Stühle darum standen. Sie waren aus ungehobelten Brettern einfach zusammengenagelt worden. Eine graue Leinendecke lag auf dem Tisch. Die Tür zur Küche stand offen. An den weißen, rauhen Wänden hingen ein paar alte Reiterpistolen, ein Degen und zwei indianische Skalps, offenbar Trophäen aus der Militärzeit des Mannes. Ein ebenfalls einfach zusammengefügtes Sidebord nahm die hintere Wandseite ein. Gegenüber befanden sich rechts und links der Tür je ein kleines Fenster. Neben dem einen stand ein Schaukelstuhl, das vermutlich schönste Möbel, kunstvoll gedrechselt, das es im Hause gab. Die hagere Frau trat aus der Küche und rückte mir einen Stuhl etwas vom Tisch zurück. »Setzen Sie sich, Senor. Ich bringe Ihnen gleich ein großes Glas kalten Tee und werde Ihnen ein Steak braten.« »Danke, Senora.« Der Mann stand in der Tür und machte auf mich einen unentschlossenen Eindruck, als wüßte er nicht, was er nun tun solle.
Als die beiden in der Küche verschwanden, zog ich rasch einen Stiefel aus und nahm etwas von meinem Geld heraus. Ich mußte es ihnen zeigen. Der Mann brachte den Tee und blickte gierig auf das Geld in meiner Hand. Ich legte einen Peso auf den ungeraden Tisch und schob ihn zur Mitte. »Für den Tee, Essen und was Sie mir für unterwegs mitgeben können.« Der Mexikaner nickte und nahm das Geld. Es war eine sündhaft große Summe für eine geringe Leistung. Aber ich hoffte damit einen Vertrauensvorschuß zu gewinnen und weiteren, bohrenden Fragen zu entgehen. Nur so konnte ich ihn auch veranlassen, mir ein gesatteltes Pferd zu verkaufen. Mit schlurfenden Schritten ging er in die Küche zurück. Meine Hand zitterte etwas, als sie sich dem Glas entgegenstreckte. Ich nahm es und trank es in zwei Zügen aus. Die lächelnde Frau hatte sich lautlos genähert. Ich zuckte zusammen, als sie plötzlich neben mir stand und nach dem Glas griff. »Noch einmal?« »Ja, Senora, gern.« * Der Mann lehnte am Türpfosten zum Hof und schaute mir zu, wie ich das Steak verdrückte. Irgendwie wirkte er unsicher und betreten. Ich lehnte mich zurück und streckte die schmerzenden Füße aus. Unsere Blicke kreuzten sich. »Was ist nun mit dem Pferd?« fragte ich. Der Mann verzog das Gesicht und druckste auf eine Art herum, die mir schleierhaft erschien. »Nun sag es ihm schon!« erklärte die Frau, die aus der Küche trat. Mein Gesicht wandte sich ihr zu. »Was soll er mir sagen, Senora?« »Die Pferde gehören uns nicht, Senor.« »Gehören Ihnen nicht?« Diese Nachricht traf mich wie eiskaltes Wasser und zerstörten meine Vorstellung, schon in fünf oder sechs Tagen über die Grenze zu sein, schlagartig.
»Nein, sie gehören uns nicht, und deshalb können wir auch keins davon verkaufen.« Der Mann zuckte mit den Schultern, als, mein Blick ihn traf. »Hidalgo Perez hat sie hier nur eingestellt. Für seine Gauchos, die hinter verirrtem Vieh her sind. Als Wechselpferde.« »Hidalgo Perez? Wer ist das?« »Er besitzt im Osten eine große Hazienda«, erklärte die Frau. »Gut fünfzehn Meilen entfernt. Seine Gauchos werden morgen oder übermorgen sicher wieder hier auftauchen und die Pferde wechseln. Auch die Rinder im Korral gehören Perez. Wir sind ganz arme Leute, Senor.« »Ach so«, sagte ich, noch immer tief enttäuscht. Die Frau drehte sich um, füllte mir eine Flasche mit Wasser, brachte sie in den Wohnraum und stellte sie auf den Tisch. »Für unterwegs. Ich packe Ihnen auch noch Brot ein, Senor. Tut mir wirklich leid.« »Finde ich denn irgendwo eine Stadt?« fragte ich. »Nach San Luce sind es fünfundzwanzig Meilen, Senor. Wir hätten Ihnen wirklich gern geholfen.« »Ja.« Ich lächelte schief. Der Mann ging hinaus. Noch bevor ich um den Tisch herumgehen konnte, stand der Mexikaner wieder im Türrahmen. Jetzt aber hielt er seine Sharps 52 in den Händen. Der Hammer war gespannt und die Waffe auf mich gerichtet. Finstere Entschlossenheit zeichnete das faltige, lederhäutige Gesicht. »Felipe, bist du verrückt?« stieß die Frau hervor. Flammende Röte schoß ihr ins Gesicht. »Sei still!« Die Frau wich in die Küche zurück. Ich stand bewegungslos hinter dem Tisch und blickte auf den nervös zuckenden Zeigefinger des Mexikaners. »Was soll das bedeuten?« fragte die Frau. »Er ist ein Gringo«, sagte der Mann. »Ein Kaisertreuer. Oder weißt du nicht, daß sie überall im Lande auf der Flucht sind?« »Woher wollen Sie denn das wissen?« fragte ich. »Sie haben gesagt, eine Schlange hätte Ihr Pferd gebissen!« »Na und?«
»Ein Mann, der auf solche Art sein Pferd verliert, nimmt auf jeden Fall den Sattel mit.« Ich biß mir in die Unterlippe. Das Argument des Mannes war stichhaltig. Er hatte nicht nur zugehört, sondern auch nachgedacht. Und er hatte kombiniert und ging nun davon aus, daß man hinter mir her war und mein Kopf Geld wert sein könnte. Viel Geld vielleicht. Die Frau dachte nun auch nach, wie mir ein Blick auf sie verriet. »Außerdem hat er Geld«, fuhr der Mann fort. Er trat auf die Schwelle. Die Mündung seiner Sharps 52 richtete sich auf mein Gesicht. »Du drehst dich um, hebst die Hände und trittst an die Wand!« Noch einmal schaute ich auf die Frau. Der Gedanke an Geld, mit dem sich ihre bittere Armut bekämpfen ließ, schien alle ihre Skrupel beseitigt zu haben. »Wird's bald!« fuhr der Mexikaner mich an. Ich gehorchte, hob die Hände, drehte mich um und ging zur Wand. Ich wußte, daß er mich nicht durchsuchen wollte, weil das mit dem langen Gewehr zwischen uns kaum zu bewerkstelligen war. Also gab es nur eins, er hatte vor, mich niederzuschlagen. Hinter mir knarrten die Bretter auf dem Boden. Ich blickte über die Schulter und sah, wie er sich näherte und das Gewehr hochschwang. Die Frau schrie leise auf. Ich bückte mich und warf mich zurück. Der Gewehrlauf knallte gegen die Wand. Ich prallte mit dem Mann zusammen, der gegen den Tisch gestoßen wurde. Mir gelang es, mich zu fangen und herumzuwirbeln. Meine Faust stach vorwärts, und schleuderte den Mann gegen den Tisch, daß dieser samt eines Stuhles umkippte und lautes Gepolter den Raum erfüllte. Gellend schrie die Frau. Der Mann verlor das Gewehr, taumelte, stolperte über den liegenden Stuhl und fiel auf den umgekippten Tisch. Kreidebleich, den Mund offenstehend, starrte die Frau mich an. Ich hob die in Leder gefaßte Flasche vom Boden auf, die ich ja mit meinem Peso teuer bezahlt hatte. Noch einen Blick warf ich auf die Frau. Dann eilte ich hinaus, raffte die Spencer von der Bank und lief
nach Norden. Weit war ich nicht gelangt, als der Mann hinter dem Wohnhaus sichtbar wurde, das Gewehr anschlug und schoß. Das Krachen verlor sich hinter den Bodenwellen. Die Kugel fetzte einen Busch auseinander. Ich war bereits so weit entfernt, daß er mich kaum zu treffen vermochte. Durch den Korral stoben die aufgeschreckten Pferde. Ich fragte mich, ob ich nicht einfach eins davon hätte nehmen und eine entsprechende Summe hinterlegen sollen. Aber sicher hätte zu allem Überfluß dann auch noch ein gewisser Haziendero Hidalgo Perez an der Jagd auf mein Leben teilgenommen, weil der sicher nicht diktiert haben wollte, an wen er Pferde verkaufte und an wen nicht. Und wer weiß, was dieser arme Rancher ihm noch zusätzlich alles erzählt haben würde. Ich lief weiter. Hinter mir entlud sich die Sharps 52 noch einmal. Die Kugel traf hundert Yards links meines Weges die Hügelflanke und schleuderte eine winzige Staubfontäne in die Höhe. Ehe der Mexikaner nachladen konnte, war ich über die Kuppe der Bodenwelle hinweg und selbst vor Zufallstreffern sicher. Vom ersten größeren Busch brach ich ein paar Äste ab und verwischte hinter mir meine Spuren, während ich die Richtung etwas nach Osten änderte. Doch schnell fiel mir auf, daß die wischenden Zweige selbst deutliche Spuren hinterließen. Der Sand war hier recht locker. So stellte ich diese Bemühungen ein, warf die Äste weg und lief, so schnell ich konnte, weiter.
12. Um die alte Mission tobte noch immer ein erbitterter Kampf. Eine Nacht lang hatten Paine und seine Kameraden das alte Gemäuer verteidigt. Dabei mußte Ed Thompson, der ehemalige SüdstaatenLieutenant, allerdings sein Leben lassen. Er lag noch dort, wo er vor Stunden zusammengebrochen war, umgeben wie die anderen von einem Haufen schwarzer Patronenhülsen. Sie hatten die Munition in Massen in den Patronengurten, Hosentaschen und Satteltaschen mit sich herumgetragen und sie nun doch fast vollständig verschossen.
Und sie sahen das Ende vor sich. Die Juaristas rückten von allen Seiten schießend heran. Bill Weber stieß plötzlich einen Schrei aus. Das Gewehr entfiel ihm und landete klirrend auf dem harten Boden. Er taumelte gegen die Wand und stürzte. »Es ist das Ende«, sagte Gates und wandte Paine das geschwärzte Gesicht zu. »Schießt, bis ihr keine Patronen mehr habt«, sagte der Anführer der ehemaligen Leibgardisten. »Und denkt nicht über das nach, was danach sein wird!« Gates feuerte. Revere und Miller feuerten zu dem kleinen Eingang ohne Tür hinaus, und wieder dröhnte das klotzige Haus, in dem das Wummern an den Wänden rüttelte, ohne den Mörtel lockern zu können. Sie hatten die Gewehre gleichzeitig leergeschossen und schauten sich an. Draußen ertönte ein barscher Befehl. »Sie stürmen!« brüllte Paine. »Schießt, Jungens!« Heftiges Gewehrfeuer begleitete den Sturm, der mit Gebrüll gegen die Mission vorgetragen wurde. Ein paar Pferde verließen den Nebenraum. Miller und Revere verständigten sich nur durch Blicke, als zwei Pferde in ihre Nähe gerieten. Die Gewehre erst halb geladen, schwangen sie sich in die Sättel. Revere war der erste, als sie hinten aus der Mission hinaussprengten, während vorn heftig gekämpft wurde. Nur wenige Soldaten versuchten von hinten in das Gemäuer zu gelangen. Daß aus ihm noch jemand fliehen könnte, hatten sie nicht einkalkuliert. Revere schoß sofort. Der eine angreifende Mexikaner wurde getroffen und stürzte. Den nächsten ritt Revere nieder. Der dritte wurde von Miller getroffen. Dann donnerten sie wie von Furien gehetzt in den Wald. Ein paar Mexikaner schauten ihnen nach. Sie hatten jedoch die Pferde nicht bei der Hand und wollten außerdem jetzt die Mission stürmen. So ließen sie die beiden Texaner entwischen, stürzten in das Gebäude und feuerten.
Paines Gewehr war leergeschossen, als er herumwirbelte. »Hände hoch!« befahl der Teniente, der vor seinen Leuten von vorn eindrang. Paine hatte keine Wahl und gehorchte. Sie drängten ihn gegen die Wand und schlugen ihn zusammen. Ty Gates, alleingelassen, ergab sich ebenfalls, wurde von der Wand weg in den Raum geprügelt, zusammengeschlagen und an den Händen gefesselt. Auch Paine banden sie die Handgelenke zusammen. Mahon Tabor lief von einem Raum in den anderen, schaute sich die Toten an und fragte die Soldaten nach Ronco. »Zwei sind geflohen«, sagte ein Soldat. »Aber Ronco war nicht dabei.« »Weißt du das genau?« fragte Mahon Tabor. »Überhaupt, wieso konnten denn noch welche fliehen?« »Sie ritten auf einmal hinaus.« Der Soldat trat zurück. »Wir haben damit nicht gerechnet, Senor. Aber Ronco war nicht dabei.« Mahon Tabor wandte sich den Gefesselten zu. »Wo ist Ronco? Er war doch bei euch!« Paine lächelte schief. »Ich habe es euch schon vor langer Zeit zugerufen. Er ist fort. Zu einem Fenster hinaus, und weg war er. Aber Sie scheint das ja nicht interessiert zu haben.« Mahon Tabors Gesicht verwandelte sich in eine wütende Fratze. Nur mit Mühe schien er seine Faust zu bremsen und der bitteren Enttäuschung Herr zu werden. Die mexikanischen Soldaten interessierte die Flucht Roncos gar nicht. Sie hatten Leibgardisten des abgesetzten Kaisers erwischt und sogar zwei, die noch am Leben waren. Das versprach für sie ein Freudenfest zu werden. Paine und Gates wurden hinaus und an den Saum des Waldes geschleppt. »Wartet noch!« Mahon Tabor eilte den Soldaten nach. »Wartet noch!« Sie hatten Gates und Paine schon unter zwei Bäumen mit kräftigen Ästen stehen und warfen gerade Lassos über die Äste. Die Schlingen pendelten über den Köpfen der todgeweihten Texaner. Obwohl sie
harte Burschen waren und dem Tod viele Male hatten ins Auge sehen müssen, konnten sie beide das Zittern der Angst nicht verbergen. Schweiß stand auf ihren pulvergeschwärzten Gesichtern, die Knie bebten ihnen, und in den Augen flackerte es verräterisch. Gates bewegte die Hände, als wolle er noch einmal versuchen, sich zu befreien. »Auf was sollen wir noch warten?« Teniente Pablo Pele trat mit Mahon Tabor zur Seite. »Meine Leute wollen das jetzt erledigen, Senor.« »Ich verstehe doch, daß sie eine Abwechslung nötig haben«, erwiderte Tabor. »Es ist nicht das. Es ist der Sieg. Es ist ein Stück von dem, wofür wir jahrelang kämpften, Senor.« »Ihre Leute haben keine Lust mehr, an der Verfolgung Roncos teilzunehmen.« »Es ist zu lange her, seit wir Queretaro verließen. Die Jagd auf einen einzigen Mann dauert einfach zu lange.« »Aber wir hatten ihn fast schon in der Hand«, erklärte Tabor. »Hätten Ihre Leute besser aufgepaßt, wäre er nicht entwischt. Wieso konnte überhaupt einer der Eingeschlossenen fliehen, ohne daß wir es erfuhren?« »Das weiß ich auch nicht. Vielleicht hat ihn niemand gesehen. Oder der ihn sah, wurde erschossen. Wir haben große Verluste. Sehen Sie sich doch um! Überall liegen meine Leute.« Pele wollte sich abwenden. Mahon Tabor ergriff seinen Arm und hielt ihn fest. »Wir wollen nach Queretaro zurück«, sagte der Offizier. Sein Ton hatte etwas Endgültiges. »Ich setze eine Prämie aus, Teniente. Halten Sie Ihre Leute bei der Stange, und es soll nicht Ihr Schaden sein. Auch jeder Soldat erhält einen Zusatzsold von mir!« Der junge Offizier zögerte. »Zweihundert Pesos für Sie!« sagte Mahon Tabor schnell. Er sah keine andere Möglichkeit, wollte er die schon davonschwimmenden Felle noch retten. Denn er mußte fürchten, daß er Roncos Spur für immer verlor, wenn sie jetzt aufgegeben wurde.
»Zweihundert Goldpesos?« fragte der junge Teniente mißtrauisch. Mahon Tabor hielt ihm die Hand hin. »Mein Wort darauf!« Pele schlug ein. »Also gut. Ich werde meinen Männern ausreden, daß es schon vorbei wäre.« Mahon Tabor nickte zufrieden, ließ die sehnige Hand des anderen los und sagte: »Teilen Sie möglichst gleich nach der Exekution zwei Späher ein, die nach Spuren suchen und dann vorausreiten und Zeichen hinterlassen, damit wir schneller vorankommen.« »In Ordnung.« Pele ging zu seinen Leuten zurück, die mit angeschlagenen Gewehren die beiden Texaner umstanden. »He, ihr habt überhaupt keinen Beweis dafür, daß wir Leibgardisten des Kaisers waren«, sagte Gates. »Hör auf, Ty«, murmelte Paine, der sich bereits in sein unabänderliches Schicksal fügte. »Ist doch wahr!« »Ihr habt Widerstand geleistet«, erklärte der Offizier, »und Soldaten der mexikanischen Armee getötet. Wußtet ihr nicht, was darauf steht? Allein darauf?« »Kannst du es ein bißchen abkürzen?« fragte Paine schroff. »Ich habe es satt, ewig hier herumzustehen und von euch angeglotzt zu werden!« Der forsche Ton des Texaners ließ den jungen Offizier stutzig werden. Er schaute sich nach Mahon Tabor um, der sich bewußt zurückhielt, weil das eine Sache war, die ihn nichts anging, aber auch nicht interessierte. Er hatte die Nacht über mitgekämpft, weil er Ronco in der Ruine vermutete. Aus diesem und keinem anderen Grunde. »Holt zwei Pferde!« befahl der Offizier. Zwei Mexikaner gingen in das alte Gemäuer, in dem sich die Pferde der Texaner und Roncos Falbe beruhigt hatten. Sie sattelten zwei Tiere ab und führten sie nach draußen. Teniente Pele formulierte eine unbeholfene Anklage gegen die Gringos und verkündete gleich anschließend das Urteil, das auf Erhängen lautete. Paine nahm es ohne Wimperzucken hin, da doch nichts anderes mehr zu erwarten war. Dem jungen Ty Gates aber kamen die Tränen,
sein Zittern wurde heftiger, und seine Zähne schlugen hörbar aufeinander. Ihn schnappten sie zuerst und setzten ihn auf das Pferd. Ein Mann kletterte auf den Baum, schlang das Lasso mehrmals um den dicken Ast und band es am Stamm fest. Gates wurde die Lassoschlinge über den Kopf gestreift und festgezogen. Dann geschah das gleiche mit Paine. Teniente Pele nickte den beiden Soldaten hinter den Pferden zu. Alle anderen traten zur Seite. Die beiden Mexikaner feuerten in die Luft. Scharf wieherten die Pferde und stoben vorwärts. Die Lassos spannten sich und rissen die Texaner von den Rücken der Tiere. Die beiden ledigen Pferde verschwanden jenseits der verfallenen Mission. Teniente Peles Soldaten führten um die Gehenkten herum einen Freudentanz auf. Der junge Offizier wandte sich Mahon Tabor zu, der die Sache aus einiger Entfernung wie teilnahmslos betrachtete. »Es wird eine Weile dauern, bis ich mit den Männern darüber reden kann, weiter nach Norden zu reiten, Senor.« »Sie sollten sich beeilen«, sagte der Amerikaner. »Ronco ist zu Fuß unterwegs. Es muß leicht sein, seiner habhaft zu werden. Aber wir dürfen keine Zeit verlieren.« »Ich tue, was ich kann.« Der Teniente wandte sich um und ging zu den Soldaten unter den Bäumen zurück. Mahon Tabor verließ die makabre Szene und suchte noch einmal das alte Gemäuer auf. Es war angenehm kühl in der Ruine, aber es stank penetrant nach verbranntem Schwarzpulver. Er durchsuchte noch einmal alle Räume, verließ die Mission wieder und setzte sich auf einen Stein an der von niedrigem Gestrüpp überwucherten Mauer. Nach einer Viertelstunde erschien Pele endlich. Er sah erleichtert aus und meldete, daß seine Leute nach Spuren suchten und nicht mehr darauf bestanden, unverzüglich umzukehren. Tabor erhob sich. »Na endlich, Teniente. Ich dachte schon, Sie würden den ganzen Tag brauchen, um Ihre Soldaten umzustimmen.« »Ich habe ihnen den dreifachen Sold versprechen müssen, Senor.«
»Gleich den dreifachen?« Eine steile Falte bildete sich zwischen Tabors Nasenwurzel und der Stirn. Teniente Pele hob die Schultern. »Ich nehme an, es ist Ihnen so wichtig, Senor. Die Späher sind bereits unterwegs.« Mahon Tabors Augen zogen sich zusammen. »Ihr fangt an, meine Lage auszunutzen, was?« stieß er grimmig hervor. »Wenn Sie nicht mehr wollen, sage ich es meinen Leuten«, erwiderte der Offizier gleichmütig. Tabor fluchte lästerlich, was sonst gar nicht seiner Art entsprach. »Und sie wollen das Geld gleich«, fuhr der Offizier fort. »Was?« Scharf fuhr der Amerikaner herum. »Ich war auch einmal Offizier, Senor Pele. Zweifeln Sie vielleicht an meinem Wort?« »Nein, Senor, keineswegs. Meine Leute sind so. Die meisten Mexikaner sind so. Wir haben gelernt, daß Kontrolle besser ist als Vertrauen. Auch der fremde Kaiser hat meinen Landsleuten viel Gutes versprochen und nichts weiter im Sinn gehabt, als sie auszubeuten und die Ergebnisse ihrer schweren, mühsamen Arbeit nach Europa verschiffen zu lassen. Das hat uns so werden lassen.« »Also gut«, lenkte Mahon Tabor ein. »Gehen wir zu meinem Pferd.« * Mahon Tabor ritt neben Teniente Pele durch den Wald. Als sie sein nördlichstes Ende erreichten, hielten sie an. Pele schickte die Späher voraus, um sie wieder nach Spuren suchen zu lassen. Bisher war ihre Mühe ergebnislos gewesen, da es im Wald nichts zu finden gab. Aber auch jetzt ritten sie vergebens kreuz und quer vor der am Waldsaum haltenden Reitertruppe hin und her. »Er könnte weiter westlich aus dem Wald gelaufen sein«, sagte Mahon Tabor. Pele ritt den Spähern nach und schickte sie weiter nach Westen. Als er zurückkehrte, winkte Tabor ihn wieder an seine Seite. »Lassen Sie uns mit der Hauptmacht weiterreiten, und schicken Sie noch zwei Späher nach Westen. Wir können hier nicht warten, bis die Leute fündig werden. Ronco ist zu Fuß. Wir müssen ihn
haben, bevor er sich ein Pferd beschafft.« Pele gab noch zwei Reitern den Befehl zur Spurensuche. »Dann los!« Mahon Tabor ritt aus dem Schutz der Bäume und in das von der Sonne ausgedörrte, wüstenähnliche Prärieland. Er war überzeugt, daß die Späher Roncos Spuren finden würden und er ihn diesmal ergreifen konnte. Sie hatten die Spuren immer wieder gefunden, also müßte es auch diesmal gelingen.
13. Cass Revere und Jeff Miller, die in letzter Minute aus der alten Mission fliehen konnten, waren ebenfalls nach Norden geritten. Hatten sie in der ersten Stunde nach der geglückten Flucht an nichts anderes gedacht, als möglichst rasch über den Rio Grande zu gelangen, so änderte sich dies, je mehr Raum zwischen ihnen und der Ruine lag und je mehr Zeit verstrich, ohne daß eine Staubwolke hinter ihnen Verfolger angekündigt hätte. Auch sie dachten wieder an Ronco. Genauer gesagt an die fünftausend Dollar, die er den amerikanischen Behörden wert sein sollte. Das waren zweieinhalbtausend Bucks für jeden von ihnen, eine unvorstellbar große Summe, für die sie auch versuchen würden, den Teufel aus der Hölle zu holen. Es war bereits Nachmittag, als sie auf leicht schwankenden Pferden eine flache Höhe erreichten und genau nördlich von sich einen kleinen Rancho sahen. Eine dicke, braune Staubwolke stand über dem ärmlichen Anwesen. Eine Handvoll Reiter war gerade dabei, eine kleine Rinderherde in Bewegung nach Osten zu setzen. Die beiden Texaner hatten keine Ahnung, daß es sich um die Mannschaft einer Hazienda handelte, die das wieder eingefangene Vieh zu seinen angestammten Weiden zurückführte. Aber ihnen genügte es auch, daß die Männer mit den Rindern und einer Reihe überzähliger Pferde im Osten verschwanden und nur ein offenbar recht betagter Mann mit seiner Frau zurückblieb. Der Staub zog nach Westen ab und löste sich auf. Die beiden gingen ins Haus. »Die einzige Hütte, die wir bisher sahen.« Revere spuckte auf den
Boden. »Und die Ronco auch gesehen haben könnte«, setzte Miller hinzu. »Wo er sicher versuchte, zu Wasser zu gelangen. Und zu was zum Beißen. Vielleicht sogar zu einem Pferd.« Sie blickten sich an und nickten einander zu, weil sie genau das gleiche dachten. Danach warteten sie, bis die Reiter mit ihrem Vieh eine halbe Meile nach Osten gezogen waren, verließen die Bodenwelle und ritten auf den Rancho zu. Der Mann trat mit der Sharps 52 in den Hof und richtete die Waffe auf die beiden Reiter. Sie hielten neben dem nun leeren Korral an. Revere blickte kurz auf die Frau, die aus dem Küchenfenster schaute, jedoch sofort zurücktrat, als sich ihre Blicke trafen. »Was wollt ihr?« fragte der Mann abweisend. »Hier gibt es nichts zu holen.« »Es war doch ein Mann hier«, sagte Revere in einem Ton, als wüßte er es. Denn er ging davon aus, daß er nur so die Wahrheit erfahren konnte. Der Mexikaner trat zurück, hielt die Sharps 52 jedoch auch weiterhin auf die Reiter gerichtet. »Gib es schon zu«, sagte Miller und stieg langsam ab. Das Gewehr schwenkte herum und zeigte mit der Mündung auf den Leib des abgesessenen Texaners. »Wir suchen den Kerl«, fuhr Miller fort. »Und wir wollen wissen, wohin er ist.« Auch Revere saß ab und trat vor sein Pferd. Der Mexikaner ging zurück. »Verschwindet. Ich habe damit nichts zu tun.« »Und wir brauchen dringend etwas zu essen und Wasser«, erklärte Miller. »Wir bezahlen dafür. Mit einem Peso aus Gold, der immer seinen Wert behalten wird, wer auch immer in diesem Land noch an die Macht kommen sollte.« Die Frau erschien in der Tür. »Einen Goldpeso können wir gut gebrauchen. Ihr kriegt, was ihr haben wollt. Und der junge Gringo ist nach Norden. Hinter dem Hühnerstall findet ihr seine Spuren. Er will nach San Luce.«
Die beiden Texaner schauten sich wieder an und grinsten zufrieden. Vergessen war bereits, was hinter ihnen lag. Jagdfieber hatte sie gepackt, und sie waren wieder ganz die eiskalten Revolvermänner, als die sie der Kaiser einkaufen ließ. »Wann ist er weg?« Revere trat weiter auf den Mann zu. »Nun sag es schon!« Miller folgte dem Kameraden. Der Mexikaner wich weiter zurück und stieß neben der Tür an die Wand. Im Rahmen tauchte die Frau auf. »Er ist nach San Luce«, sagte sie. »Es gibt keine andere Stadt. Und er ist schon am Morgen weiter. Er wollte von uns ein Pferd kaufen, aber die Tiere, die hier waren, gehörten uns nicht. Was wollt ihr noch wissen?« »Wie weit ist die Stadt entfernt?« fragte Miller. »Weiter als zwanzig Meilen«, entgegnete der Mann und stellte das Gewehr an die Wand, weil es sinnlos geworden war, die Texaner damit bedrohen zu wollen und weil sie ihm auch zu nahe standen. »Also los, dann beeile dich!« fuhr Revere die Frau an. »Das Beste, was du hast.« »Erst das Geld!« verlangte die mißtrauische Frau resolut. Revere grinste sie an, brachte eine Münze zum Vorschein, polierte sie am Ärmel und warf sie der Frau zu. Die gierigen Blicke des Rancheros folgten dem blitzenden Flug des Pesos. Die Frau biß ins Goldstück, betrachtete es und steckte es in die aufgesetzte Tasche auf dem groben Leinenkleid. »Ihr werdet alles bekommen. Und dann verschwindet ihr.« Sie drehte sich um und ging mit harten Schritten zur Küche. »Warum sucht ihr ihn?« fragte der Mann. Die beiden grinsten ihn an. Und Miller sagte: »Er ist einen Haufen Geld wert. Nicht hier. Aber dort, wohin wir ihn bringen werden, sobald wir seiner habhaft geworden sind.« * »Dem sind die Augen fast aus den Höhlen gefallen.« Revere lachte
und schüttelte den Kopf. Sie ritten nebeneinander nach Nordosten und entfernten sich allmählich von dem Anwesen. Als Miller noch einmal zurückschaute, stutzte er und zügelte sein Pferd. »Was ist los?« Auch Revere hielt an und schaute über die Schulter. »Siehst du den Hügel hinter dem Rancho? Dort, wo die Kakteen so dicht stehen?« »Natürlich, ich bin doch nicht plötzlich blind geworden. Was ist los mit ihm?« »Schau genau hin. Da hat was geblitzt.« »Geblitzt?« »Habe ich genau gesehen.« Miller repetierte sein Gewehr und hob es langsam an. »Die sind schon hinter uns her.« »Wer denn?« »Diese Kerle, die nach Ronco suchen. Das hat der uns alles eingebrockt!« »Ja!« stieß Revere plötzlich hervor, als ein helles Spiegeln in der Sonne bei den Kakteen sichtbar wurde. Obwohl sie sich eine halbe Meile von der Höhe entfernt befanden, schlug Miller jäh das Gewehr an und drückte ab. Das Krachen hallte über das Land. Pulverrauch hüllte die beiden Reiter und ihre scheuenden Pferde ein. »Blödsinn, auf die Entfernung triffst du doch keinen!« schimpfte Revere. »Die können doch nicht schon hier sein.« »Ich habe was gesehen!« beharrte Miller. »Und du doch auch. Es sind Späher. Vorausgeschickte Späher.« »Kann ich mir wirklich nicht denken. Aber wenn das stimmt, dann sollten wir schnell verschwinden.« Jeff Miller beobachtete noch den Hügel in der Ferne, konnte das verdächtige Blitzen aber nicht wieder sehen. »Los, hauen wir ab und versuchen wir, unsere Spuren zu verwischen.« Revere trieb sein Pferd an. Miller folgte seinem Beispiel. Sie ritten einem starken Buschfeld entgegen. Yuccasträucher schlugen hinter ihnen zusammen. Sie erreichten noch mitten im Dickicht harten Sandboden und
trennten sich darauf, um eventuellen Verfolgern die Suche zu erschweren. Miller ritt westlich, Revere östlich um ein paar Felsen. Bei einem Graben, dreihundert Yards weiter nördlich, stießen sie wieder zusammen, ritten in das steinige, ausgebleichte Bett hinunter und hofften, spätestens hier direkte Verfolger abhängen zu können.
14. Die Nacht über war ich gut vorangekommen. Man gewöhnt sich irgendwann daran, zu Fuß gehen zu müssen, hat dann kaum noch Schmerzen und bleibt auch von Blasen an den Füßen verschont. Bei mir war offenbar die Zeit der Gewöhnung bereits vorbei. Am Morgen hatte ich die Stadt vor mir. Der mitgenommene Proviant und Tee waren aufgebraucht, die Flasche hatte ich weggeworfen. So konnte ich den Spencer-Karabiner ständig zwischen rechts und links wechseln, was sein Gewicht erträglicher sein ließ. Vor der Stadt befand sich ein schmaler Bach, der hinter den Häusern entlang nach Norden führte und dann einen Bogen nach Osten beschrieb. Er kam aus dem Hügelgebiet im Westen vor der Sierra. Ich nahm an, daß er in der Mittagshitze austrocknete und sich später erst während der Nacht wieder füllte. Jetzt führte er noch genügend Wasser, daß ich mich ans Ufer setzen, die Stiefel und die durchlöcherten Socken ausziehen und meine Beine bis über die Knöchel ins kühle Naß stellen konnte. Obwohl ich wirklich kaum noch Schmerzen verspürte, erschien mir die Kühlung als eine unsägliche Labsal, die ich nicht mehr beenden wollte, so sehr es mich auch drängte, weiterzumarschieren. Nach einer Viertelstunde gab ich mir innerlich einen Ruck, zog die Füße aus dem Wasser, die durchlöcherten Strümpfe und die verstaubten Stiefel an und stand auf. Sengende Sonnenglut lag über San Luce, der kleinen Stadt mit ihren weißen Lehmhäusern, in deren Fenstern es zum Teil keine Scheiben gab und deren Eingänge mehrheitlich keine Türen, sondern nur sackartige Vorhänge hatten. Zur Plaza hin wurden die Häuser größer und bodenständiger, die
Scheiben in den Fensterrahmen mehrten sich und gewannen beträchtlich an Größe. Ich sah einen Mietstall links von mir. Die Tür des länglichen Gebäudes war offen, ein fleischiger, seehundbärtiger, finsterer Mexikaner stand in der Tür. Er hatte die Beine der Leinenhose kurz über den Knien abgeschnitten, die Ärmel des Hemds aufgekrempelt und den Sombrero aus Stroh tief in die Stirn gedrückt. Am Bach hatte ich mein Geld aus dem Stiefel genommen und in die Hosentasche gesteckt. Mein Herz schlug schneller, als ich an dem Mann vorbei im Halbdunkel eine ganze Reihe von Pferden sah. Denn in dem Korral neben dem Gebäude befanden sich nur Maultiere und Maulesel, auf die ich keinen Wert legte. »Ich möchte ein Pferd kaufen, Senor.« Mit dem Gewehr in der linken Hand und die Mündung zum Boden gerichtet, blieb ich vor dem wuchtigen Stallmann stehen. Meine Hand glitt in die Hosentasche und ließ die Münzen klimpern. Er hörte es, das war ihm anzusehen. Aber sein abtastender Blick schien, noch etwas an mir zu suchen. Vielleicht das, was ihm bestätigte, daß ich ein Amerikaner war. »Wollen Sie mir ein Pferd verkaufen?« fragte ich sanft. »Pferde sind jetzt sehr teuer«, erwiderte der Stallmann ausweichend. »Ich denke, wir könnten uns über den Preis einigen.« »Es sind sehr unsichere Zeiten, da brauchen viele Leute Pferde, die früher keine hatten.« »Ich habe mein Pferd unterwegs verloren. Meinen Sattel auch. Ich gebe Ihnen zehn Peso für ein gutes Pferd. Und noch drei für einen Sattel. Goldpesos!« Der seehundbärtige Mexikaner kriegte große Augen, weil es eine phantastische Summe war, die ich nannte. Ich wollte, daß er nicht lange feilschte, weil mir der Aufenthalt in der Stadt sehr gefährlich erschien. Jeder, der hinter mir her war, konnte mich längst eingeholt haben. Man konnte mich auch mit genügend Seitenabstand überholt haben, so daß meine Gegner, insofern ich noch welche hatte, auch bereits auf der Lauer liegen konnten. Deshalb wollte ich schnell weg. Das Geld war nichts im Verhältnis zu meiner Sicherheit, zumal ich
die Grenze noch immer mindestens hundert Meilen entfernt wähnte. So zog ich das Geld auch ohne zu zögern aus der Tasche und zeigte dem Mann, was ich besaß. Seine Augen wurden groß und kugelrund. Er leckte sich über die Lippen und wollte zugreifen. Doch rasch schloß ich die Hand und zog sie zurück. »Erst das Pferd!« »Gut.« Er wandte sich um und ging hinein. Ich folgte ihm. Als er mich wieder anschaute, zeigte ich mit der Spencer auf einen Fuchshengst mit breiter Brust und schlanken Fesseln, der mir schnell und ausdauernd erschien, wobei ich vor allem an Ausdauer dachte. Draußen bewegte sich etwas. Ich fuhr herum und klemmte den Gewehrkolben mit dem linken Ellenbogen gegen die Hüfte, da ich das Geld in der Rechten nicht einfach fallen lassen wollte. Doch es war ein junger Padre in knöchellanger Soutane, der den Hof betreten hatte, ohne daß ich es bemerkte. Mein Herzschlag normalisierte sich wieder. Zwar versuchte ich noch, das Gesicht im Schatten des flachen, breitkrempigen, schwarzen Hutes deutlicher zu erkennen. Es mißlang aber. »Warten Sie einen Moment, Padre Valentio«, bat der Stallmann. »Ich muß mit Ihnen noch etwas besprechen, ehe Sie die Maultiere erhalten. Nur eine Sekunde!« »Mir würde der Fuchshengst gefallen«, sagte ich. Der Mexikaner verzog das Gesicht. »Es ist mein bestes Pferd, Senor, das ich eigentlich …« »Oder den Grauen dort für die Hälfte«, unterbrach ich den unverschämten Mexikaner, der mir für zehn Goldpesos noch das Tier aussuchen wollte. »Für die Hälfte?« »Mehr sind die Pferde doch nicht wert«, erklärte ich hart. »Oder dachten Sie, ich kenne den Wert von Pferden nicht? Für den Fuchshengst gebe ich zehn.« »Also gut, und wenn ich dabei drauflege.« Der Mexikaner seufzte, schnitt eine Grimasse und ging in die Box. Er befreite den
Fuchshengst von der Kette am Kopfgeschirr, schob ihn in den Gang und warf einen Sattel auf seinen Rücken. »Ich hoffe, den Rest können Sie selbst erledigen.« Die Hand des Mannes streckte sich mir entgegen. »Zügel noch und eine Satteldecke«, verlangte ich und zeigte die funkelnden Münzen wieder in der offenen Hand. Fluchend ging der Mann in eine Ecke und brachte das Gewünschte, das er auf den Sattel warf. Ich gab ihm den vereinbarten Preis und steckte den Rest des Geldes in die Hosentasche. Der Stallmann verkniff es sich, in die Münzen zu beißen, um ihre Echtheit zu prüfen. Er steckte sie ein und verließ den Stall. »Beeilen Sie sich!« rief er mir noch zu. Während ich das Pferd sattelte, konnte ich durch den Zugang den Stallmann und den jungen Padre sehen. »Sie wollen die Mulis abholen?« fragte der Mexikaner schroff. »Wie vereinbart.« Der junge Geistliche nickte und erweckte dabei einen fast unterwürfigen Eindruck. »Ja, ich muß Ihnen aber leider sagen, daß der Preis für Maultiere inzwischen gestiegen ist, Padre. Beträchtlich gestiegen.« »Sie sind teurer geworden?« »Tut mir leid.« Mit knittrigem Gesicht zuckte der Stallmann die Schultern. »Aber wir hatten einen Festpreis doch bereits vereinbart. Und ich habe auch schon bezahlt.« »Ich sagte doch, es tut mir leid«, erklärte der Stallmann und funkelte den Geistlichen mit zornigen Blicken an. Mir kam sein Benehmen nach dem soeben Gehörten geradezu unverschämt vor. Der junge Padre trat zurück. »Ich muß von Ihnen eine Nachzahlung verlangen«, fuhr der Stallmann im gleichen, barschen Ton fort. »Tut mir wirklich leid. Aber ich denke, mit noch mal zwanzig Pesos läßt es sich deichseln.« Er streckte dem Padre die Hand entgegen und winkte mit den Fingern. »Woher soll ich soviel Geld nehmen?« fragte der offensichtlich stark verwirrte Geistliche, der mit einem solchen Vorgehen nicht im
geringsten gerechnet zu haben schien. »Es wollen jetzt viele Leute Reittiere kaufen«, erklärte der Stallmann. »Viele wollen möglichst weit fort, Padre. Auch viele Kuttenträger. Jeder im Lande weiß, daß ihr treue Anhänger des Kaisers gewesen seid.« Ich begriff, daß dieser Stallmann ein hundertfünfzigprozentiger Anhänger der Juaristas war. Aber ich dachte mir dabei, daß er sicher noch vor kurzer Zeit genausosehr an dem alten Regime gehangen hatte. Er war einer von denen, die ihre Fahne nach dem Wind drehen und immer gerade das reden, was opportun ist und die an der Macht befindlichen Leute hören wollen. Schnell sattelte ich das Pferd, schnallte die Zügel ans Kopfgeschirr, beobachtete dabei aber weiterhin die beiden Männer im Hof. Der junge Geistliche sagte nur sehr wenig, versuchte aber immer wieder, den Stallmann anderen Sinnes werden zu lassen. Ohne Erfolg. Schon grinste der seehundbärtige Kerl sein Gegenüber höhnisch an und sagte, daß die Mulis mit jeder verstreichenden Stunde noch teurer würden. Da war ich mit dem Pferd fertig und trat aus dem Stall. Den Zügel hatte ich in der linken Hand, das Gewehr angeschlagen in der rechten. Tief an meiner Hüfte hing der Revolver, der zusammen mit meinem rauhen Äußeren einen furchterweckenden Eindruck ergeben mußte. Der Stallmann wandte mir das Gesicht zu. Mein Gewehr zielte auf ihn, obwohl ich keine Sekunde vorhatte, auch zu schießen. Das war mir zu gefährlich, würde zuviel Aufsehen erregen und war obendrein für die Sache völlig unangemessen. Aber mindestens die Wirkung wollte ich erzielen. »Geben Sie ihm die Maultiere«, sagte ich mit leiser, nichtsdestoweniger eindringlicher Stimme. Das Grinsen fror dem Mexikaner auf dem Gesicht ein. »Haben Sie nicht verstanden?« fragte ich im gleichen Ton. »Geben Sie ihm die Tiere, für die Sie bereits kassierten.« »Unverschämtheit!« stieß der Stallmann hervor. Er war deutlich unsicher geworden. »Sie haben doch Ihr Geld. Also, nutzen Sie die Chance, die Ihnen
noch bleibt!« Er begriff die unverhohlene Drohung und schien mir auch zuzutrauen, daß ich den wenigen Worten rasch eine Tat folgen lassen könnte. Fluchend lief er zu dem Korral auf der anderen Hofseite und holte die Maultiere heraus. »Danke, Senor.« Der Padre lüftete seinen Hut. »Verbindlichsten Dank. Gott möge Sie schützen, mein Bruder.« Ich ließ das Gewehr sinken. Der Padre nahm die Maultiere, schwang sich auf das erste und ritt aus dem Hof. Staub wehte zwischen mir und dem dicken Mann mit dem Seehundbart. Ich schob das Gewehr in den Scabbard und saß auf. »Schenken Sie sich, was Sie sagen wollen«, schlug ich vor, bevor der Kerl mich anranzen konnte. »Ich wette, Sie haben an dem Padre ohnehin gut verdient.« »Ich habe für einen Spottpreis verkauft. Und Sie sind daran schuld, Senor!« »Ach was, Sie gehören nicht zu denen, die unter Wert verkaufen«, erwiderte ich und winkte ab. »Aber Sie wissen natürlich, daß jetzt die Zeit angebrochen ist, in der jeder auf die Soutane der Padres spucken darf. Weil man sie alle in einen Topf wirft, auch die mit, die schon immer nur an die Armen dachten. Das wollten Sie ausnutzen. Mehr steckt nicht dahinter.« Ich zog den Fuchshengst herum und ritt zum Tor. »Der Teufel soll dich holen!« rief der Stallmann hinter mir her. Er war so wütend, daß ihm der Schweiß ausbrach und sein Seehundbart zitterte. Als ich auf die Straße ritt, konnte ich den Padre noch einmal sehen. Er war ein schlanker, mittelgroßer Mann, der aufrecht auf dem Maultier saß und gerade in eine Nebengasse einbog, in der er mit seinen Tieren rasch verschwand. Ich zügelte den Fuchshengst noch einmal und schaute zur Plaza hinauf. Es gab ein paar Bodegas und neben der Milizstation ein Hotel, in dem sicher ein Frühstück zu kriegen war, dazu wohl auch ein Zimmer. Sehnsucht nach einem richtigen Bett packte mich mit solcher Gewalt, daß ich mich nur mit Mühe zurückhielt, der
Verlockung zu erliegen. Ich mußte verschwinden, solange dazu noch Zeit war. Zweifel ließen mich schärfer durch die Stadt blicken. Aber noch konnte ich keinen Menschen entdecken, der Interesse an mir gezeigt hätte. Ich warf einen Blick zu dem Hof zurück, jedoch war der Stallmann schon verschwunden. So lenkte ich das Pferd nach Norden, blieb im Schatten der Ostseite der Häuserfront und rundete die Plaza. Noch immer sah ich keinen Menschen, der wegen mir den Kopf bewegte. Die Plaza blieb zurück. Ich frohlockte. Zu einem Pferd gelangt zu sein, erschien mir als das Wesentlichste überhaupt. Jetzt konnte ich die Grenze nach Texas in drei oder vier Tagen erreichen, wenn keine weiteren Zwischenfälle passierten. * Meine Hoffnung beruhte auf einem Irrtum, auf einem Trugschluß, wie er schlimmer kaum noch vorstellbar erschien. Und nur meine stetige Wachsamkeit bewahrte mich davor, daß die Falle zuschnappte, bevor ich sie bemerkte. In einer Gasse, gar nicht mehr weit vom Nordende der kleinen Stadt entfernt, bewegte sich plötzlich etwas. Instinktiv warf ich mich auf den Hals des Pferdes, während ich noch sah, daß hinter den Häusern gerade der Padre mit seinen Mulis auftauchte, anhielt und herüberblickte. Aber es war nicht das, was mich das Pferd hatte zügeln lassen. Ich hatte einen Mann gesehen, der in einen Torbogen sprang. Und in dieser Sekunde tauchte er wieder auf. Ich erkannte Cass Revere. Der Texaner hatte den Colt in der Hand und schoß ohne Warnung. Doch in dieser Sekunde warf ich mich bereits aus dem Sattel, schrammte in den Sand und rollte zur Ecke. Jeff Miller tauchte aus demselben Torbogen auf, und beide feuerten sie gleichzeitig. Das Krachen hallte wummernd durch die Stadt. Neben mir zogen die Kugeln Furchen in den Sand. Aber inzwischen hatte ich selbst die Waffe gezogen, und als die beiden angriffen, schoß ich zurück.
Miller blieb getroffen stehen, stieß einen Schrei aus und taumelte gegen die linke Hausseite. Er wollte sich an ihr festhalten, war jedoch so verletzt, daß er stürzte. Revere stand bereits auf der anderen Straßenseite und schoß wieder auf mich. Ich wälzte meinen Körper schnell um die eigene Achse und entging auch diesem Geschoß, das so knapp hinter mir vorbeizog, daß ich sein mißtönendes Pfeifen hörte. Ein paar Männer schimpften an ihren Hauseingängen, blieben aber unter den langen Vordächern. Nur einer lief zur Plaza hinunter und schrie: »Überfall! Überfall!« Darum konnte ich mich nicht kümmern, weil Revere eben wieder schoß. Ich sprang auf, setzte nach rechts und prallte mit der Schulter gegen eine Wand. »Ich mache dich fertig!« brüllte Revere, dem der ungeheuerlich gestiegene Haß aus den Augen quoll. Die nächste Kugel traf vor mir die hartgebrannte Lehmwand und streifte meinen Arm. Mein Navy-Colt entlud sich noch in das Donnern des letzten Schusses hinein. Revere zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, taumelte von der Wand weg, schlug die Waffe an und schoß. Doch sein Revolver war mit der Mündung so weit nach oben gerichtet, daß für seine Kugel keine Aussicht bestand, mich zu treffen. Sie kratzte weit über meinem Kopf an der Wand entlang und donnerte ins Dach. Gesteinsstaub trieb durch die Gasse. Cass Revere schwankte bis zur Mitte. Noch immer brannte der Haß in seinen Augen. Aber inzwischen mischten sich Schmerzen mit hinein, die sein Gesicht auf eine andere Art verzerrten. »Ich – ich mache dich – fertig!« stieß er noch einmal gequält hervor. Dann verlor er die Waffe aus der Hand. Klirrend landete der schwere Colt auf der Straße. Revere setzte unsicher den Fuß vor, trat auf die Waffe, rutschte aus und brach zusammen. Er rollte auf den Rücken und blieb so liegen. Geschrei, Stiefelgepolter und Sporenrasseln ließen mich in Richtung Plaza blicken. Daß auch Hufschlag die Straße erfüllte, fiel mir erst auf, als ich die Reiter im Süden sah, die sich vor einer
großen Staubwolke San Luce näherten. »Mahon Tabor«, murmelte ich. »Ein Unglück kommt selten allein.« Ein paar Soldaten liefen zwischen den Zivilisten auf mich zu. Der sie anführte, schien ein Capitan zu sein. Er schrie etwas und wollte mich wohl auffordern, die Hände zu heben. Aber ich dachte nicht daran, schob den Colt in die Halfter, wirbelte herum und hetzte dem Fuchshengst nach, der sich ein Stück entfernt hatte. »Halt!« brüllte es hinter mir. Ein Gewehr entlud sich. In den Fenstern verschwanden die Gesichter. Wieder wurde geschossen, und sie schrien mehrstimmig, daß ich stehenbleiben solle. Da hatte ich den Fuchshengst erreicht und schwang mich in den Sattel. Zurückschauend sah ich die Reiterschar im Galopp in die kleine Stadt sprengen. Davor schossen die Soldaten, die sich in der Gendarmerie aufgehalten haben mußten. Die Angst vor den knatternden Schüssen ließ mein neues Pferd von selbst anspringen. Sein gewaltiger Satz hätte mich um ein Haar aus dem Sattel katapultiert. Doch im letzten Moment konnte ich das Sattelhorn ergreifen und mich festhalten. Sie schossen gezielter auf mich, so daß ich die pfeifenden Kugeln jede einzeln hörte. Die weißen Lehmhäuser flogen vorbei. Vor mir sprang ein Mann aus dem letzten Haus. Er hatte ein Gewehr in den Händen, blieb stehen, schlug die Waffe an und schoß. Eine orangenfarbene Flamme zuckte als Feuerstoß aus der Waffe. Ich dachte schon, das wäre das frühe Ende meines Fluchtversuchs, doch auch diese Kugel verfehlte mich und das Tier unter meinem Sattel. »Weg da!« schrie ich aus Leibeskräften. Der Mann hebelte den Repetierverschluß durch. Doch in dieser Sekunde erreichte ich ihn, zog den Stiefel aus dem Steigbügel und trat dem Mann gegen die Schulter. Er flog zurück und wurde von der Wucht herumgerissen. Als er dennoch abdrückte, pfiff seine Kugel über ein Hausdach. Ich warf mich auf den Hals des Pferdes und gab ihm die Sporen.
Der Mann hinter mir würde wieder schießen, das war klar. Doch bis er soweit war, hatte ich Raum gewonnen, und ihn hüllte eine Staubwand aus Sand und Pulverdampf ein, was ihm das Zielen erschwerte. Da er es ohnehin nicht gelernt zu haben schien, schoß er weit vorbei. Die Stadt lag hinter mir. Ich frohlockte. Kaum hatte ich jedoch weitere zweihundert Yards zurückgelegt, da sah ich, wie Reiter durch die gelblichen Staubschwaden sprengten. Irgendwoher hatten die Soldaten aus der Stadt sich schnell Pferde beschaffen können. Gute, ausgeruhte Pferde wie mein eigenes.
15. Der Fuchshengst war nicht schneller als andere Pferde. Vielleicht fehlte ihm aber auch nur die Gewohnheit an mich, an den Sattel, den er trug, oder es mangelte noch an der Harmonie zwischen uns, die vielleicht mehr Kraft in ihm entfaltete. Jedenfalls sah ich, wie mein Vorsprung mehr und mehr zusammenschmolz und sie mir dichter auf den Pelz rückten. Schon schossen sie nicht mehr und schienen sicher zu sein, daß sie mich auch lebend fangen und dann mit größerem Genuß ins Jenseits befördern könnten. Ich hatte den Colt gezogen und schoß hinter mich, weil ich noch immer die Hoffnung hatte, sie mir irgendwie vom Halse halten und den eigenen Vorsprung ausbauen zu können. Doch sie ließen sich von den Schüssen nicht beeindrucken. Auch als ich ein Pferd traf, das in einer dichten Staubwolke zusammenbrach, sprengten die anderen unverzüglich weiter. Der Fuchshengst trug mich in ein struppiges Dickicht. Äste und welke Blätter flogen in die Luft. Die Staubwolke verdichtete sich so sehr, daß ich die Verfolger zeitweise nicht mehr zu sehen vermochte. Aber immer wieder tauchten sie wie Schemen auf, und jedesmal schienen sie näher herangerückt zu sein. Den Fuchshengst weiter nach Westen lenkend, änderte ich sanft meinen Weg. Wald befand sich vor mir. Eine letzte, beinahe schon trügerische Hoffnung beseelte mich. Vielleicht konnte ich sie dort
abhängen, sie in die Irre lenken und vorbeireiten lassen. Sie schossen wieder. Das Pfeifen der Kugeln verstärkte die Angst meines neuen, sich immer unkontrollierter bewegenden Pferdes. Auf einmal mußte ich an Paine, Gates, Weber und Thompson denken, an die ehemaligen Leibgardisten des Kaisers von Mexiko. Sicher hatten sie alle den Tod gefunden. Das Gewehrfeuer brach wieder ab, weil mich das Pferd in ein Yuccafeld trug, in dem ich unsichtbar für die Soldaten nach Westen galoppierte. Zum Greifen nahe erschien mir der Waldsaum. Das Yuccagestrüpp führte bis zu ihm hin. In dem ständigen Wechsel zwischen Hoffnung und Verzweiflung siegte in mir wieder der Glaube, doch noch zu entrinnen. Entgegen meiner Gewohnheit schlug ich verzweifelt auf das Pferd ein und vermochte seine Gangart in der Tat noch etwas zu beschleunigen. Das Buschwerk flog vorüber. Näher und näher rückte der Saum des dunklen Kiefernwaldes vor der Sierra im Westen. Die Mexikaner schossen wieder. Ich hörte ein Kommando, verstand es aber nicht. Da war der Wald erreicht. Das Pferd flog in das fahle Dunkel. Berstend brach Holz. Buschwerk wurde auseinandergefetzt. Stämme und Dickicht bildeten eine Mauer. Ich lenkte das Pferd nach links, schlug mehrere Haken, zügelte den Fuchshengst und schaute zurück. Von überall ertönten die Geräusche, die Stimmen, das Krachen von Holz und das Wiehern der Pferde, die Angst vor dem Dunkel und den vielen Hindernissen hatten. »Dort ist er!« schrie einer, der jäh in meinem Blickfeld auftauchte. Der Glaube, sie in die Irre geschickt zu haben, zerstob. Ich trieb das Pferd wieder an, lenkte es nach rechts und wurde beschossen. Laut hallte das Wummern durch den Wald, kam von rechts und links, von vorn und hinten. Der Fuchshengst, daran nicht gewohnt, stieg mit einem scharfen Wiehern auf die Hinterhand und ließ die Hufe wirbeln. Die Soldaten sprengten auf mich zu und ließen ihre Tiere mit meinem Pferd zusammenprallen. Ich wurde abgeworfen, landete im Unterholz, sprang auf und
wurde niedergeritten. Bevor ich eine weitere Reaktion starten konnte, hatten sie mich umzingelt und richteten die Gewehre auf mich. Rufe schallten durch den Wald. Weitere Reiter näherten sich. Das konnte nur Mahon Tabor mit seinen Juaristas sein. Die Männer um den Offizier, der ein Capitan zu sein schien, schauten zurück. Das schien mir noch einmal ein Wink des Schicksals zu sein. So oft war ich dem schon sicheren Tode entronnen, und ich wollte nicht glauben, daß es diesmal nichts damit sein sollte. Ich sprang auf und stürmte zwischen ihnen hindurch. Zweige schlugen mir gegen die Arme und ins Gesicht. Ihr Geschrei verfolgte mich. Die herumgerissenen Pferde wieherten. Da sah ich den Fuchshengst, der unbeachtet von ihnen den Kreis verlassen hatte, während ich gestürzt war. Mit einem Satz war ich wieder im Sattel und spornte das Tier an. »Nicht schießen!« befahl der Offizier. Rechts von mir sah ich Mahon Tabor vor seinen Juaristas auftauchen. Ich lenkte das Tier nach links. »Nicht schießen!« befahl der Offizier aus San Luce noch einmal. »Haltet ihn auf!« brüllte Tabor. Er schoß aus dem Colt in die Luft und trieb sein Pferd an. Sie schnitten mir den Weg ab. Nein, es gab kein Entrinnen vor ihnen. Ein Lasso flog, die Schlinge senkte sich über meinen Kopf, ohne daß ich sie abzuwehren vermochte. Sie zog sich um meinem Oberkörper mit einem solchen Ruck zusammen, daß ich aus dem Sattel gerissen wurde. Für einen Moment hing das Lasso durch. Doch schon spannte sich die Schnur unter dem anfeuernden Geschrei der Reiter. Ich wurde über den Moosteppich des Waldes geschleift. Gelächter traf meine Ohren. Dicht neben mir schlugen Hufe eines vorbeigaloppierenden Pferdes auf den Boden. Sie zerrten mich an Büschen und Bäumen vorbei. Mein Poncho riß auf. Sonnenlicht traf mich. »Halt!« befahl die barsche Stimme des Offiziers aus San Luce. Der Reiter hielt an, und ich blieb keuchend auf einer kleinen
Lichtung liegen. Stöhnend wälzte ich mich herum und sah die hohen Wipfel der dunkelgrünen Kiefern, die sich über der Lichtung gegeneinander neigten. »Er ist ein Spion des Kaisers«, sagte Mahon Tabor. »In San Luce hat er sich mit zwei Gringos geschossen«, erwiderte der Offizier aus der Stadt. »Er ist selbst ein Gringo«, meldete sich Teniente Pele. »Wir sind schon seit Queretaro hinter ihm her.« »So ist es«, stimmte Mahon Tabor zu. »Werft ein Lasso über einen kräftigen Ast! Wir werden ihn aufhängen.« Mir pulsierte das Blut in den Schläfen. Mein Lebenswille bäumte sich gegen das auf, was ich seit mindestens einer halben Stunde dicht vor Augen gesehen hatte und was nun düstere Wahrheit werden sollte. Ein Pferd tauchte neben mir auf. Mahon Tabor beugte sich im Sattel etwas zur Seite und grinste auf mich nieder. »Habe ich dich nun endlich erwischt«, sagte er mit satter, zufrieden klingender Stimme. Sattelleder knarrte. Schwerbewaffnete Soldaten tauchten rechts und links auf. Mahon Tabors Pferd wurde zur Seite gedrängt. Sie bückten sich, griffen nach mir und zerrten mich auf die Füße. Noch einmal siegte mein Wille, ihnen zu entrinnen. Ich riß mich los und versetzte dem Soldaten rechts von mir einen Kinnhaken. In ihm steckte so viel Wucht, daß der Mexikaner umgeworfen wurde. Doch hinter mir schwang einer den Gewehrkolben in die Höhe und gab es mir mit doppelter Kraft zurück. Ich taumelte ein paar Schritte mit weichen Knien vorwärts und brach zusammen. »Schafft ihn zu dem Baum!« befahl Mahon Tabor. Sie griffen mir unter die Arme, hoben meinen Oberkörper und schleiften mich über die Lichtung. Neben einem Pferd wurde ich fallen gelassen. Leiser Hufschlag verriet, daß die Reiter folgten. Ein Stiefel klemmte sich unter meinen Leib, und ich wurde auf den Rücken geworfen. Über mir pendelte eine Schlinge vom Baum, und wieder
sah ich Mahon Tabors Gesicht. Satt und zufrieden sah er aus, der ehemalige Zahlmeister aus Fort Calhoun. Er war am Ziel seiner Wünsche, hatte mich sicher in der Hand und konnte vollenden, was ihm schon so lange vorgeschwebt hatte. »Nun helft ihm schon«, befahl Tabor. Soldaten umringten mich. Wieder wurde ich ergriffen und auf die Füße gestellt. »Sattelt den Gaul ab!« fuhr Mahon Tabor fort. Ich sah den Offizier aus San Luce. Der große, schwarzhaarige Mann hatte Falten auf der Stirn stehen und schien scharf über irgend etwas nachzudenken. Mein neuerworbener Fuchshengst wurde abgesattelt. Mir rissen sie die Arme auf den Rücken und schnürten die Gelenke zusammen. Nichts konnte ich dagegen tun, absolut nichts. Dann wurde ich hochgehoben und auf den blanken Rücken meines Pferdes gesetzt, für das ich so sündhaft viel Geld ausgegeben hatte. Reiter näherten sich von rechts und links. Sie streiften mir die Schlinge über den Kopf und zogen sie an meinem Hals zusammen. Das Lasso wurde gespannt und am Stamm der Kiefer festgebunden. »Haben wir noch einen Wunsch?« Tabors grinsendes Gesicht sprach Bände. Auch die Soldaten aus Queretaro schienen zufrieden mit dem großartigen Sieg, den sie errungen hatten. Selbst Teniente Pele strahlte. Nur der Offizier aus San Luce dachte immer noch über irgend etwas nach. Ich sagte nichts. Worte waren sinnlos geworden wie Schall und Rauch. Sie würden meine Lage nicht ändern. Und ich wollte Mahon Tabor nicht noch den Triumph gönnen, mich klein und erbärmlich gezeigt zu haben. Es mißfiel ihm. Das auf seinem Gesicht geradezu versteinernde Grinsen verriet deutlich, was er dachte. Die Reiter schwenkten nach rechts und links, damit vor mir Platz für den Fuchshengst wurde, wenn sie ihn davontrieben. Das Pulsieren des Blutes in den Schläfen begann mir Schmerzen zu verursachen. Ein immer stärker werdendes Rauschen erfüllte meine Ohren. Ich meinte zu schweben und mich in einem Traum zu
befinden, aus dem ich jede Sekunde zu erwachen hoffte. Dann jedoch sagte ich mir, daß alles bittere Realität sei. Schweiß klebte das Hemd auf meinem Rücken zwischen den Schulterblättern fest. Mahon Tabor grinste wieder. Er erkannte, daß ich wie jeder andere normale Mensch Angst vor dem nahen Ende hatte. Um das noch ein wenig auszukosten, ließ er Sekunden verstreichen, bevor er einem schon wie auf der Lauer liegenden Soldaten winkte, der sein Gewehr durchlud. Der Mexikaner ging hinter mich und mein Pferd. Wenn er sein Gewehr dicht hinter dem Fuchshengst abfeuern würde, war meine letzte Minute angebrochen. Das Pferd würde erschrocken die Flucht ergreifen, mich aber hielt die Schlinge um den Hals fest. »Los!« sagte Tabor schroff. »Warten Sie noch!« rief in diesem Augenblick der Offizier aus der Stadt. Er hatte die rechte Hand erhoben. Tabors Stirn umwölkte sich. Böse blickte er den Störenfried seiner makabren Zeremonie an. »Was wollen Sie noch? Er ist ein Spion des Kaisers und erhält seine gerechte Strafe.« »Warten Sie«, sagte der hochgewachsene Offizier noch einmal. »Auf was?« »Wenn er ein Spion des Kaisers ist oder gewesen ist, dann kann er sicher manche wichtige Auskunft geben.« »Auskunft? Was denn für eine Auskunft?« »Das weiß ich nicht. Aber er wird Dinge wissen, die uns vielleicht unbekannt und dennoch sehr wichtig sind. Dinge, die unsere Generäle vielleicht interessieren.« »Das könnte sein, Senor«, stimmte Teniente Pele zu. »Daran dachte ich noch gar nicht.« »Seid ihr verrückt geworden?« schrie Tabor, der seine Felle davonschwimmen sah. Der Offizier räusperte sich scharf und schaute Mahon Tabor verweisend an. »Wir werden ihn nach San Luce bringen und zunächst einmal einsperren. Dann fragen wir bei einem Generalstab an, ob er in die Distriktshauptstadt gebracht werden soll. Und ich erkläre Ihnen, daß es hier üblich ist, Spione des Kaisers zu verhören
– bis sie alles ausgepackt haben, Senor.« Jäh erfüllte mich neue Hoffnung. Das wilde Hämmern in den Schläfen ließ nach, das Blut rauschte leiser an meinen Ohren, und die Schlinge um den Hals schien auf einmal nicht mehr so straff zu sitzen. Mahon Tabor blickte auf Pele. »Wer gibt hier eigentlich die Kommandos, Teniente?« »Ich fürchte, er, Senor.« »Ich bin Capitan und Standortkommandant«, erklärte der Offizier aus San Luce. »Nehmt ihm die Schlinge ab.« Mahon Tabors gereckter Hals sank zwischen die Schultern. Er resignierte vor der Macht der mexikanischen Offiziere. Jetzt, da er mich endlich unter einem Baum hatte, rächte sich seine Lüge, daß ich ein Spion der Fremdherrschaft über Mexiko wäre. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben«, sagte er an mich gewandt. »Wir haben ein stabiles, sicheres Gefängnis in der Stadt«, erklärte der Offizier. »Sobald er alles gesagt hat, was er weiß, wird er seine gerechte Strafe erhalten, Senor. Das verspreche ich Ihnen feierlich!« Die Reiter tauchten wieder neben mir auf und befreiten mich von der Schlinge. Dafür banden sie meine Beine an die Steigbügelriemen und schnürten mir zusätzlich ein Lasso um die Brust und die angepreßten Arme, damit ich ihnen nicht noch einmal zu entspringen versuchte. In meiner neuen Lage war das auch ganz unmöglich, da ich nicht einmal das Pferd zu führen vermochte. Mahon Tabor sah wütend aus, und das war er vermutlich am meisten auf sich selbst. Vielleicht ahnte er, daß sich die Sache jetzt länger hinziehen würde, als der Offizier aus San Luce vorgab. Er kannte die hiesigen Behörden ebensogut wie ich. Was für mich mindestens eine vage Hoffnung bedeutete, mußte für ihn zwangsläufig das genaue Gegenteil sein. * Padre Valentio stand mit seinen Maultieren im Schlagschatten eines langen Schuppendaches am Stadtrand, kaum zu erkennen in seiner dunklen Kleidung und unbeachtet von den Menschen, die mit lautem
Jubel die Soldaten begrüßten und mich mit Schmährufen bedachten. Wer konnte, drängte sich in die Reiterkolonne und versetzte mir einen Fausthieb gegen die Stiefel, was mich nicht störte, da es nicht schmerzhaft war. Wir hielten vor dem Gefängnis. Mit zwei Messern schnitten sie die Seile an meinen Beinen durch und rissen mich vom Pferd so brutal herunter, daß ich in den Staub stürzte. Sie schnitten auch die anderen Fesseln durch, stellten mich auf die Beine und beförderten mich in das Gefängnis. Eisengitter teilten die Zellen. Ich flog in eine hinein und landete auf der kargen Holzpritsche. Klirrend schlug die Gittertür zu. Ratschend drehte sich ein Schlüssel um und wurde abgezogen. Die Soldaten verließen den Trakt. Noch eine Tür knallte mit lautem Gepolter zu. Ich legte mich auf die Pritsche, blickte über die Wände, das vergitterte Fenster und die massiven Stäbe der Trennwand. Natürlich hatten sie mir längst auch die Waffen und den Patronengurt abgenommen. Was sollte ich tun? Es schien nur eine Galgenfrist zu sein, die sie mir gaben, und bestimmt verband sie sich mit Qualen während der mit Sicherheit folgenden Verhöre. Ich war hilflos und sah keine Möglichkeit, mich selbst zu befreien. Draußen setzte immer lauter werdender Jubel ein. Die Juaristas begannen den Sieg zu feiern. Sie waren nicht wie Mahon Tabor darauf versessen, mich möglichst schnell zu beseitigen. Ihnen war der Triumph viel wichtiger, vielleicht die Verleihung eines Ordens für ihre Tat, die sie kühn fanden. Ich schloß die Augen und wollte nichts mehr sehen und hören, und doch dachte ich an nichts anderes als an meine ausweglose Lage in der fremden, feindlichen Stadt in Mexiko …
ENDE
Vorschau Ronco riß Fox herum. Der Braune stieg auf die Hinterhand. »Zurück, das ist eine Falle!« schrie er. Er nahm ein mattes Blinken hinter dem Fliegengitter des Küchenfensters wahr. Dort lauerten sie. Noch ehe die Vorderhufe des Braunen wieder den Boden berührt hatten, war der Peacemaker in Roncos Hand geflogen. Die Waffe krachte. Das Mündungsfeuer war in dem grellen Sonnenlicht kaum zu sehen. Rauch puffte aus dem Lauf der Waffe. Das Fliegengitter zerplatzte unter dem Aufschlag der Kugel. Ein Schrei ertönte. Die Ranger drängten ihre Pferde rückwärts, einige brachen zur Seite aus. Ronco und Big Dean Davis jagten auf die Steineinfassung des Brunnens zu, sprangen aus den Sätteln und warfen sich in Deckung … Das ist Ronco, der Texas Ranger. Lesen Sie nächste Woche Band 386 dieser großen deutschen Western-Serie:
General Lees Erben