FRANCO SOLO
Heiße Spur zum Golf von Mexiko
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FRANCO SOLO
Heiße Spur zum Golf von Mexiko
scanned by anybody corrected by JaBay In Houston, Texas, ist der sieben Jahre alte Andy Quinichette entführt worden. Es ist der sechste Fall von Kidnapping seit Beginn des Jahres in den Südstaaten. 500 000 Dollar Lösegeld fordern die Entführer. Schaltet der Vater jedoch Polizei ein, geht es dem kleinen Andy schlecht. Franco Solo übernimmt den Fall. Er hat vage Informationen, daß es sich bei den Entführern um Angehörige einer neuen Unterorganisation der Mafia handelt. COUNTER MOB schleust ihn nach Texas ein, mit dem Auftrag, die Kidnapperbande zu zerschlagen. Eine bildhübsche junge Frau führt Franco auf die entscheidende Spur - und dann hetzt der Mafiajäger die Mobster bis zum Golf von Mexiko... (Backcover) ERICH PABEL VERLAG KG-RASTATT/BADEN FRANCO-SOLO-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt Copyright © 1980 by Erich Pabel Verlag KG, Rastatt Deutsche Erstveröffentlichung Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck
Wo verbirgt man einen Revolver, Kaliber.44 Special, Modell Bulldog, fünf Schuß in der Trommel, dreiundzwanzig Unzen* Gewicht, wenn man nur eine leichte Leinenhose und ein kurzärmeliges, halboffenes Hemd trägt? Nun, man kann sich beispielsweise eine blaue Stofftasche über die Schulter hängen, wie sie von Turnern benutzt wird, und fällt dadurch garantiert nicht auf. In dieser Tasche könnten sich wie bei diesem Wetter zu vermuten nahelag - eine Badehose, eine Badekappe, ein Handtuch, und noch ein paar andere Kleinigkeiten befinden, mit denen man zur nächsten Badeanstalt oder zum nächsten See unterwegs ist - oder zur Galveston Bay, die auch nicht mehr als fünfzehn, sechzehn Meilen von dieser Stadt entfernt liegt. Es war heiß. So heiß, daß man an diesem späten Augustvormittag in Houston, Texas, kaum zu atmen vermochte. Die stickige, staubdurchsetzte Luft, die sich auf direktem Weg aus der Wüste herüberzuwälzen schien, mußte systematisch jede Luftröhre verstopfen. Jedenfalls hatte Franco Solo genau diesen Eindruck, als er die Crosstimbers Road überquerte und auf das Haus zuschritt, das er auf einen äußerst vagen Verdacht hin aufzusuchen beschlossen hatte. Sein gemieteter Wagen, ein 77er Dodge, stand am Jensen Drive, rund fünfhundert Yards von dem Haus entfernt. Er hatte es vorgezogen, sich unter die Fußgänger zu mischen und wie zufällig auf das Haus zuzusteuern, statt einfach vorzufahren. Das Haus stand etwas schmalbrüstig zwischen anderen, ähnlichen Bauten eingekeilt. Es war nichts Besonderes, irgendwie Auffälliges an seiner blaßroten Steinfassade. Ein Mann, vielleicht etwas mehr als vierzig Jahre alt, betrat vor Franco Solo das Haus. Er benutzte einen Schlüssel, aber als er die Tür achtlos hinter sich zugleiten ließ, fiel sie nicht wieder ins Schloß, sondern blieb einen winzigen Spalt offenstehen.
* 1 ounce = 28,35g ; 23 ounces = 652g -2 -
Franco ging an der Eingangstür vorbei, drehte sich drei Häuser weiter wieder um und marschierte zurück. Er hatte alle Details über das Haus im Kopf, wußte, daß hier acht Mietsparteien lebten, kannte ihre Namen, wußte außerdem, daß es einen rückwärtigen Ausgang gab, der in einen vierhundert Quadratyards * großen Garten hinausführte. Hinten hatte der dreistöckige Bau auch eine Feuerleiter. Franco wollte es um jeden Preis vermeiden, das Haus auf dem Weg durch den Garten zu betreten. So war er dem Mann, der eben im Flur verschwunden war, dankbar, denn es hätte ihm einige Mühe bereitet, das Sicherheitsschloß des vorderen Eingangs aufzubekommen. Franco öffnete die nur angelehnte Tür, trat in das Halbdunkel des Flurs und drückte die Tür hinter sich ins Schloß. Die heiße Luft im Erdgeschoss schlug ihm wie eine Barriere entgegen und ließ ihn nach Atem ringen. Er erreichte die Treppe, stieg in den ersten Stock hinauf, in dem es auch nicht kühler zu sein schien. Sandra Falchi, erster Stock. Er schwitzte in seinem Hemd und der leichten Leinenhose. Einen Hausmeister schien es hier nicht zu geben! Auch keine neugierigen Mieter, die ihre Köpfe zu den Türen herausstreckten, wie zufällig auf den Flur traten, um nachzusehen, wenn Schritte da auf den Steinstufen der Treppe knirschten. Das Haus, das vor neunzehn Jahren gebaut worden war, strahlte etwas wie Unpersönlichkeit, Anonymität aus. Hielten in der Wohnung eines solchen Hauses Kidnapper einen sieben Jahre alten Jungen versteckt? Warum nicht, dachte Franco, es wäre gar nicht mal eine so abwegige Idee. Das FBI könnte, unterstützt durch die City Police Houston, mindestens zwei Wochen lang die ganze Stadt abkämmen, ohne auch nur eine Spur zu finden.
* 1 yard = 0,9144 m -3 -
Dazu war die Stadt groß genug. Innerhalb von zwei Wochen, dachte er weiter, hätten die Gangster das Lösegeld längst kassiert. 500000 Dollar. Er hatte die Wohnungstür erreicht. S. Falchi, der Name stand in schwarzen Lettern auf einem mattgelben Messingschild. Er hatte den Reißverschluß seiner blauen Segeltuchtasche geöffnet, griff einmal probeweise hinein und fühlte den kühlen Stahl des Bulldog unter seinen Fingern. Er trat neben die Tür, und streckte den Arm aus, um mit dem Zeigefinger auf den Klingelknopf zu drücken. Das Schlimmste, was nun passieren konnte, war die Explosion einer Bombe im Inneren des Apartments. Franco schloß die Augen sekundenlang, öffnete sie wieder, drückte den Knopf. Aber es blieb alles ruhig. Weder sprang ihm die Tür unter ohrenbetäubendem Donnern entgegen noch lief mit verhaltenem Schnurren ein Zündmechanismus ab, der die Detonation ankündigte. Nichts rührte sich. Das hieß: Auch die Klingel oder der Summer ließ keinen Laut vernehmen. Sie haben die Klingel abgestellt, dachte Franco. Sollte er Unterstützung holen? Er arbeitete seit zwei Tagen intensiv mit dem FBI und der City Police Houston zusammen und brauchte nur einen simplen Telefonanruf zu tätigen, um ein kleines Heer von Special Agents und Cops herzubeordern. Aber es war zu früh, sie auf den Plan zu rufen. Noch wußte er nicht, ob sich der kleine Andy Quinichette tatsächlich in dem Apartment der Falchi befand. Er mußte sich zunächst Gewißheit verschaffen, ob sich hier überhaupt jemand aufhielt. Er ging fort, ohne sich Mühe zu geben, das Geräusch seiner Schritte zu dämpfen. Fünf erdrückende Minuten lang hielt er sich im Erdgeschoß auf und schwitzte erbärmlich, dann kehrte er lautlos nach oben zurück. Er hätte das Apartment beobachten lassen können, um Genaueres herauszufinden, aber das hätte einen enormen -4 -
Zeitverlust bedeutet. Die Zeit war Francos härtester Gegner, und darum hatte er sich entschieden, mit unkonventionellen Methoden zu arbeiten. Am Abend dieses Tages lief die Frist ab, die die Kidnapper gesetzt hatten. Um 22.00 Uhr sollte Clark Quinichette, Andys Vater, eine halbe Million Dollar an einem präzise bezeichneten Platz bei Rosenberg, fünfunddreißig Meilen von Houston entfernt, hinterlegen. Dies war die sechste Kindesentführung zwischen New Orleans und der mexikanischen Grenze, die seit Beginn dieses Jahres stattgefunden hatte. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß der Mob der Südstaaten dahintersteckte. Eine neue Unterorganisation schien gegründet worden zu sein, eine Gang von Spezialisten, ähnlich der »Anonima Sequestri« in Italien, soviel hatte COUNTER MOB, Francos Dienststelle, herausbekommen. Sie kidnappten die Kinder von Industriemagnaten und Politikern und verlangten hohe Lösegelder. In vier Fällen waren die Summen anstandslos gezahlt worden. Die Kinder waren zu ihren Familien zurückgekehrt; unversehrt, nur unter Schock stehend. In einem Fall - in San Antonio -, hatten die Eltern eines entführten Jungen die Polizei eingeschaltet, und genau fünfzehn Tage nach seinem Verschwinden hatte man das Kind im Kofferraum eines Autos gefunden. Tot. Im sechsten Fall hatte COUNTER MOB seinen besten Mann nach Houston geschickt und mit der Lösung des Falles beauftragt. Das hieß: Er sollte Andy Quinichette befreien und gesund zurück zu seinen Eltern bringen. Er sollte im übrigen die Gang der Entführer fassen und verhaften und Material zusammentragen, das die Hintermänner entlarvte. Er war von New York aus, wo er gerade mit einer Routinesache beschäftigt gewesen war, direkt in den Süden geflogen. Vierzig Stunden lang hatte er ununterbrochen nichts anderes getan, als sich hoffnungslos im Kreis zu bewegen. Er hatte hart gearbeitet und nicht geschlafen, aber erst vor zwei Stunden war er auf den Namen gestoßen, der ihn stutzig gemacht hatte und in den er sich förmlich verbissen hatte... -5 -
Maurizio Della Giovanna. Und jetzt stand er, Franco Solo, vor dieser verdammten Tür, und fragte sich immer noch, ob er überhaupt der richtigen Spur nachging. Alles hing an einem hauchdünnen Faden. Die Möglichkeit, gründlich zu versagen, stand trotz aller Sondervollmachten und Unterstützungen die er hatte, im Verhältnis neunundneunzig zu eins der Chance gegenüber, etwas für den kleinen Andy zu tun. Franco holte einen Dietrich mit regulierbaren Barten aus seiner Segeltuchtasche. Die Tür hatte nur ein Schloß; dies war nicht New York, wo sich die Menschen zwei, drei oder manchmal sogar ein halbes Dutzend Schlösser und Riegel an die Wohnungstüren montieren ließen. Franco brauchte nicht länger als eine Minute, um sich Zugang zu dem Apartment zu verschaffen. Die Tür knarrte ein wenig, als er sie aufschob, eintrat und sie wieder vorsichtig hinter sich schloß. Entweder hatte die Wohnung keine Klimaanlage, oder das Gerät funktionierte genausogut wie die Türklingel. Es war drückend heiß, und aus diesem Grund trug die Frau, die plötzlich vor Franco stand, nur einen zweiteiligen Badeanzug. Sie war schätzungsweise fünfeinhalb Fuß groß, schlank, brünett und leidlich hübsch. Das Entsetzen, mit dem sie auf den Bulldog blickte, den Franco in seiner rechten Faust hielt, entstellte ihr Gesicht. Sie öffnete den Mund, stieß aber keinen Schrei aus. Plötzlich drehte sie sich um, duckte sich ein wenig und lief durch die Wohnung vor Franco davon. Er holte sie in der Küche ein. Sie hätte nur noch die Tür aufzureißen brauchen, die auf die Feuerleiter führte, um hinauszustürzen. Franco hielt sie am Arm fest und riß sie zu sich heran. »Hören Sie, ich will Ihnen nichts tun, sondern mich nur mit Ihnen unterhalten«, sagte er. »Ich schreie!« -6 -
»Nein, ich glaube nicht, daß Sie schreien werden.« »Ich... wer sind Sie?« »Mein Name tut im Moment nichts zur Sache.« »Sie sind... hier unrechtmäßig eingedrungen«, keuchte sie. »Was wollen Sie?« »Das habe ich Ihnen gesagt«, antwortete er. »Passen Sie auf, ich stecke jetzt meinen Revolver weg, und Sie setzen sich hübsch artig auf den Stuhl dort.« Während er sie mit der linken Hand festhielt, praktizierte er mit der rechten die Tasche auf einen Tisch mit rechteckiger Fläche und Metallbeinen. Er beförderte die Frau mit sanftem Druck auf einen Stuhl, der neben dem Kühlschrank an der Wand stand, ließ sie los und blickte sie an. Sein Blick glitt auch über ihre festen, gut proportionierten Rundungen, und sie schob langsam ihre Hände über das Oberteil ihres Bikinis. Ihre Augen weiteten sich noch etwas mehr. Es waren dunkle, eigentlich sehr schöne Augen. »Ich weiß genau, was Sie wirklich wollen«, sagte sie. »Ach, seien Sie doch nicht albern«, erwiderte Franco. »Und verlieren wir keine Zeit durch sinnloses Gerede. Verraten Sie mir Ihren Namen, ja?« »Dazu bin ich nicht verpflichtet.« »Aber Sie werden ihn mir verraten.« »Weil Sie mich schlagen?« »Mylady«, sagte Franco fast sanft. »Ich versichere Ihnen hoch und heilig, daß ich keinerlei Art von Gewalt anwenden werde. Aber wir werden sehr lange in dieser heißen Küche sitzen und uns gegenseitig anöden, wenn Sie sich nicht bequemen, ein paar Auskünfte zu geben.« »Wenn ich schreie, laufen sämtliche Hausbewohner zusammen und holen mich hier raus«, behauptete sie. »Dann schreien Sie.« Sie schwieg.
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»Wir wollen einen kleinen Versuch starten«, sagte Franco. »Ich sehe mir kurz das Apartment an, und Sie überlegen sich in dieser Zeit, ob Sie einen neuen Fluchtversuch unternehmen oder um Hilfe rufen. Überlegen Sie sich's gut. Wenn Ihnen keine dieser Möglichkeiten gefällt, können Sie sich aber auch in aller Ruhe mit mir unterhalten.« »Ich weiß, was Sie sind«, flüsterte sie. »Ein Verbrecher.« Er entgegnete nichts, schloß nur die Tür zur Feuerleiter ab, ließ die Jalousie herunter, knipste das Licht in der Küche an und unternahm dann seinen Rundgang durch die Wohnung - nicht ohne den Revolver in der Hand. Außer ihr hielt sich hier niemand auf, weder der kleine Andy noch ein Komplice noch sonst jemand. Franco vergewisserte sich, daß es nirgends Abhörmikrofone, Höllenmaschinen oder andere Kleinigkeiten gab, verriegelte dann die Wohnungstür mit der nötigen Akribie und kehrte zu der Frau in die Küche zurück. Sie saß noch auf dem Stuhl und hatte die Hände auf ihre Oberschenkel gelegt. Ohne ihn anzusehen sagte sie: »Also gut. Ich bin Sandra Falchi, wie Sie wohl schon vermutet haben.« »Die erste Antwort - und gleich die erste Lüge«, gab Franco zurück. Er versenkte den Bulldog wieder in seiner blauen Segeltuchtasche, wandte sich dann ihr zu und lehnte sich gegen die Tischkante, während er sie fixierte. Sie schaute auf. »Soll das heißen... Sie zweifeln daran, daß ich...« Er nickte. »Ja. Vielleicht sollte ich Ihnen einiges klarmachen. Es war nicht schwer, Fotos von der echten Sandra zu bekommen. Ich brauchte mich nur an den Inhaber des Nachtklubs zu wenden, in dem sie als Tänzerin auftritt. Es sind sehr nette Aufnahmen. Und noch etwas. Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Ihnen beiden besteht. Ich würde sagen, Sie sind Sandras Schwester. Demnach müßten Sie... Gabriella heißen.« Sie war nicht nur überrascht, sondern richtig bestürzt. »Woher wissen Sie das?« »Geben Sie zu, daß Sie's sind?« -8 -
»Ja.« »Dann lassen Sie uns jetzt Klartext sprechen. Ich stelle mir folgendes vor: Sie hüten hier die Wohnung, während Sandra mit Maurizio Della Giovanna unterwegs ist. Sie gehen kaum aus dem Haus, lassen keinen Menschen herein, haben auch die Klingel abgestellt, damit ja keiner herauskriegt, daß Sandra gar nicht hier ist. Wahrscheinlich besuchen Sie sie hier öfter. So bot es sich an, Sie dafür zu verwenden, um Ihrer Schwester ein einwandfreies Alibi für zwei, drei Tage zu verschaffen. Was hat Sandra Ihnen vorgelogen, um diese Notwendigkeit zu rechtfertigen?« Sie begegnete seinem Blick, hielt ihm aber nicht lange stand. »Sie müssen total verrückt sein«, murmelte sie. »Ich will präzise werden«, sagte Franco. »Alles andere hat ja doch keinen Zweck. Della Giovanna ist vor einem Monat spurlos aus Italien verschwunden. Aus gutem Grund. Er wird von der Staatsanwaltschaft gesucht. Wenn man ihn schnappt, so gibt es mittlerweile Beweise genug, um ihn für den Rest seiner Tage hinter Gitter zu bringen. Wissen Sie, was die 'Anonima Sequestri' ist?« »Nein«, hauchte sie entsetzt. »Eine italienische Gangsterbande, die im Auftrag der Mafia und der Andrangheta, deren kalabrischem Ableger, seit Jahren Entführungen plant und unternimmt. In jüngster Zeit konnte die ,Anonima Sequestri' dank einiger gezielter Polizeieinsätze nahezu zerschlagen werden, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß sie immer wieder neu aufgebaut wird.« Er verschwieg, daß er wesentlich mit dazu beigetragen hatte, die 'As' zu vernichten. Er fuhr fort: »Della Giovanna ist einer der Hauptakteure der 'As' gewesen, auch einer ihrer Killer. Er soll kurz auf Puerto Rico, vielleicht auch in New Orleans aufgetaucht sein. Seitdem er geflohen ist. Und eines Abends sitzt er also in einem gutgehenden, bekannten Nightclub von Houston, sieht Sandra Falchi bei ihrem Auftritt zu und beschließt, sie anzusprechen. Er ist ein echter Weiberheld und Sandra fällt prompt auf ihn herein. Vielleicht hat Sandras -9 -
große Schwester Gabriella ja auch gleich einen Narren an dem Burschen gefressen, als sie ihn zum ersten Mal sieht, wer weiß...« »Nein!« »Vielleicht ist sein Erfolg bei den Schwestern auch darauf zurückzuführen, daß er aus dem Land kommt, welches die Heimat von Enzo Falchi, Sandras und Gabriellas Vater, war«, sagte Franco. »Hören Sie auf, Sie sind gemein«, fuhr sie ihn an. »Ich habe Zeugenaussagen, die bestätigen, daß der gepflegte Gigolo, der sich an Sandra herangemacht hat, wirklich Maurizio Della Giovanna ist«, erklärte er ihr. »Und was ich Ihnen eben über den Mann gesagt habe, kann ich jederzeit durch simple Zeitungsartikel untermauern. Glauben Sie mir jetzt?« »Nein!« »Heute ist Donnerstag«, sagte Franco. »Am Dienstag um kurz vor acht Uhr ist der kleine Andy Quinichette entführt worden. Er wird von einem Leibwächter, den sein Vater aus Angst vor Kidnapping eingestellt hat, bis vor das Tor seiner Schule begleitet. Plötzlich rollt ein Wagen über den Bürgersteig, ein Schuß aus einer Schalldämpferpistole fällt. Der Leibwächter wird getroffen, ist unfähig, noch etwas zu tun - Andy wird in den Wagen gezerrt. Der Wagen verschwindet spurlos. Seit dieser Stunde ist auch Della Giovanna von der Bildfläche verschwunden. Wußten Sie das?« »Mein Gott, ich... nein...« »Die Polizei hat ja auch eine Nachrichtensperre verhängt. Und dann konnte nicht einmal mehr sie agieren, weil die Kidnapper gedroht haben, sie würden Andy schwer verletzen, falls sein Vater sich an die Behörden wenden würde. Clark Quinichette, Mitinhaber eines Pharma-Konzerns, ist bereit, die halbe Million Dollar Lösegeld, die die Gang verlangt, anstandslos zu zahlen. Genügt Ihnen das?« »Hören Sie auf.«
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»In San Antonio wurde ein kleiner Junge umgebracht, Miß Falchi, und ich habe allen Grund zu der Annahme, daß Della Giovanna auch daran beteiligt war. Die Entführungen, die hier in den Südstaaten geschehen, Miß Falchi, tragen den Stempel der 'Anonima Sequestri', und es werden immer mehr Mafiosi aus Italien herüberkommen, um sich an dem neuen Geschäft zu beteiligen. Der Boden drüben ist ihnen zu heiß unter den Füßen geworden. Hier aber können sie untertauchen, und zwar dank der Hilfe ihrer Freunde vom Mob.« »Mob?« wiederholte sie verwundert. »So nennt man hierzulande die Mafia. Wußten Sie auch das nicht? Es ist nicht so wichtig. O, eines vergaß ich zu sagen: Selbstverständlich tritt unser gemeinsamer Freund Maurizio unter falschen Namen auf, mal als Mauro Rena, mal als Mauro Salicetti, mal als Mauro Stokel. Nur in einer Reinigung von Houston, in die er einen seiner piekfeinen Anzüge gab, nannte er dummerweise seinen richtigen Namen - und der wurde auf einer der üblichen Quittungen vermerkt. Dort, in der Reinigung, stießen wir bei einer Routinebefragung auf eben diese Quittung. Von dort aus rollten wir die ganze Angelegenheit auf, folgten seiner Spur, die uns in Hotels, Clubs, Mietwagenfirmen führte. Überall wurde mir auf die Personenbeschreibung hin, die ich liefern konnte, bestätigt, daß wir es bei Rena, Salicetti und Stokel mit keinem anderen als mit Della Giovanna zu tun hatten.« »Wir... wer ist das, wir?« »Die Polizei.« »Sie hätten das... auch eher sagen können«, stotterte sie. Immer noch war es möglich, daß Della Giovanna mit Sandra Falchi nur ein kurzes Verhältnis gehabt hatte, daß er sie danach fallengelassen hatte. Daß es Zufall war, nur Gabriella in diesem Apartment anzutreffen, daß Sandra sehr gut jeden Augenblick zurückkehren konnte.... »Sagen Sie bloß, Sie zweifeln noch an meinen Worten«, redete Franco weiter auf sie ein. »Soll ich Ihnen noch ein wenig mehr über das lukrative Entführungsgeschäft erzählen? Mit welchen Methoden die Dreckskerle arbeiten, die so was machen - die -1 1 -
Kinder verschleppen und durch tausend psychische Höllen gehen lassen? Sind Sie wirklich so versessen auf Details?« Sie preßte sich plötzlich die Hände gegen die Ohren und schrie: »Nein, um Gottes willen, nein! Hören Sie endlich auf, ich halte das nicht mehr aus! Ich sage Ihnen ja alles, was ich weiß. Alles...« *** Um 14.00 Uhr war es heißer als je zuvor, und die Luft über dem weichen Asphalt der Straßen waberte. Franco war froh, den Supermarkt am Navigation Boulevard betreten zu können, denn dieser große, mehrstöckige Konsumtempel verfügte über eine ausgezeichnete Klimaanlage. Schlechter waren die G-men und die Cops dran, die sich in den verschiedensten Kostümierungen rund um den Supermarkt verteilt hatten. Sie fungierten als Zeitungsverkäufer und Taxifahrer, als Candyman und Eisverkäufer, als Schuhputzer, Fensterputzer und Mann des Wasserwerks, der einen Schaden an einem Hydranten behob. Ein schwarzer Agent behielt als Portier eines Hotels den Markt im Auge, ein anderer als Garagenwächter in einem gegenüberliegenden Mietwohnungskomplex. Eine weibliche Beamtin hatte den Job der Blumenfrau übernommen, die vor einer der Eingangstüren des Großgeschäftes ihren ambulanten Stand unterhielt. Um 14.30 Uhr wollte sich Gabriella Falchi verabredungsgemäß mit ihrer Schwester Sandra in der Lebensmittelabteilung im Kellergeschoß treffen. Sie hatten diese Vereinbarung bereits am Montag getroffen - bevor Sandra die Wohnung in der Crosstimbers Road »für einige Tage« verlassen hatte. Jetzt kam sie, um ihre Schwester nach Neuigkeiten auszufragen und sie darüber zu unterrichten, wie die Dinge weiter verlaufen würden. Ja, Gabriella hatte unter Tränen alles gesagt. Wie Sandra diesen gutaussehenden Italiener mit nach Hause gebracht -1 2 -
hatte, welchen Eindruck er auch auf sie, Gabriella, gemacht hatte. Mauro Rena hatte er sich genannt, aber die Beschreibung, die Gabriella von ihm geliefert hatte, reichte aus, um es zu bestätigen: Er war Maurizio Della Giovanna. Sandra hatte sich restlos in ihn verliebt, und wahrscheinlich war es ihm gelungen, sie als seine Komplizin zu gewinnen. Nach dem, was Gabriella berichtet hatte, hieß Sandra alles, was er tat und wollte, für gut und richtig. Auch ein Verbrechen. Franco fuhr mit der Rolltreppe in die Lebensmittelabteilung hinunter, passierte die Sperre, nahm sich einen der Korbwagen und schob damit los. Er kaufte Gemüse, Wurst, Käse, Brot, Wein und Spirituosen, packte den Wagen ziemlich voll, um seiner Rolle als Kunde so gerecht wie möglich zu werden, und steuerte zwischen den vollgepackten Regalen auf und ab, als suche er noch einige Kleinigkeiten, die in seinem Junggesellenhaushalt fehlten. Die blaue Segeltuchtasche mit dem Revolver hatte er auf die untere Ablage des Wagens geschoben. Der Reißverschluß war offen, so daß er sich nur zu bücken und hineinzugreifen brauchte, falls das erforderlich wurde. Die G-men und die Cops hatten die Order, sich erst in Bewegung zu setzen und einzugreifen, wenn Franco Solo das Zeichen dazu gab. Weinend hatte Gabriella gestanden, daß sie eingewilligt hatte, während der Abwesenheit von Sandra das Apartment in der Crosstimbers Road zu hüten. Sandra und Della Giovanna hatten ihr auseinandergesetzt, daß er als Ausländer einige Schwierigkeiten auf sich zukommen sähe, weil er unerlaubt zu viele Devisen in die USA mitgebracht hätte. Mit anderen Worten: Er hatte sie eingeschmuggelt. Deswegen müßte er sich für einige Tage aus Houston absetzen und Sandra wollte ihn dabei begleiten. Wer immer auch in die Wohnung zu gelangen trachtete, Gabriella sollte ihn ignorieren. Überhaupt, am besten war es, die Klingel abzuschalten... Diese hübsche Story hatte Gabriella anstandslos geschluckt; aber später waren ihr doch einige Zweifel gekommen. Sie hatte -1 3 -
mit einemmal auch um Sandra gebangt - was nun, wenn der Italiener irgend etwas Unerlaubtes mit ihr vorhatte? In dem Nachtklub, in dem Sandra arbeitete, verkehrte nicht nur die Halbwelt, sondern auch schwereres Kaliber; da konnte gerade ein Mädchen wie sie leicht die falschen Kontakte haben. In diese Überlegungen Gabriellas hinein war Franco geplatzt. Andernfalls hätte sie es einem für sie wildfremden Mann letztenendes doch nicht abgenommen, daß Sandra und der Mann, der sich Mauro Rena nannte, in ein Kidnapping verwickelt waren. So aber hatte sie alles preisgegeben, was sie wußte. Und, merkwürdig, Franco glaubte ihr. Er hatte sie davon überzeugen können, daß es gut war, die Verabredung mit Sandra einzuhalten. Sie hatte eingewilligt. Sie wollte mitspielen. Sandra sollte sich in völliger Sicherheit wähnen. Gleichzeitig stellte Franco Gabriella auf die Probe. Plante sie, ihn zu überlisten, so bot sich jetzt die beste Gelegenheit dazu. Sie brauchte ihre Schwester nur mit ein, zwei Sätzen zu warnen... Das Risiko war groß. Aber Franco sagte sich auch, daß hier seine einzige Chance lag, den Anknüpfungspunkt zu den Kidnappern zu finden. Gabriella wußte nicht, wohin Sandra und der Italiener verschwunden waren. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, über den Aufenthaltsort der beiden. Franco hatte ihr auch dies abgenommen. Weil du ihr glauben willst, dachte er, aber es kann gewaltig ins Auge gehen. Er hielt seinen schlimmsten Befürchtungen entgegen, daß Gabriella Falchi alles andere als ein gefühlloser Mensch war. Nachdem sie wußte, daß Della Giovanna einen siebenjährigen Jungen entführt hatte, konnte sie dem Mann nicht mehr wohlgesonnen sein. Gab es denn überhaupt noch etwas, das gemeiner, niederträchtiger als diese Tat war? Sie hatte Franco versichert, daß sie auch ihre Schwester nicht mehr schützen
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werde, daß sie mithelfen wolle, den kleinen Andy wohlbehalten zu seinen Eltern zurückzubringen. Franco stoppte bei den ausländischen Spezialitäten und wählte eine Dose mit »Olio Extra Vergine«, eine Dose Garnelen und eine Dose Sojabohnenkeime aus. Als er bei den Mangofrüchten angelangt war, sah er Sandra die Rolltreppe heruntergefahren kommen. In natura hielt ihr Äußeres wirklich, was die Fotos versprachen. Sie war eine echte Schönheit mit langen, geraden Gazellenbeinen, einem großen, unter dem weißen T-Shirt offenbar ungestützten Busen, einem ebenmäßig, unverkennbar südländisch geschnittenen Gesicht und fließenden dunklen Haaren, die ihr Gesichtsoval sanft umspielten. Die Jeans, die sie trug, wurden durch ihre Beine ungemein aufgewertet. Als sie von der Rolltreppe aus mit rhythmischem Hüftschwung auf die Absperrung zuschritt, drehten sich die Männer, die sich in ihrer Nähe befanden, natürlich zu ihr um. Sandra steuerte mit einem Wagen quer durch die Lebensmittelabteilung und traf kurz darauf bei ihrer Schwester ein, die ihre ganze Aufmerksamkeit gerade den Süßwaren zu widmen schien. Sie taten so, als kannten sie sich nicht, tauschten nur ein paar offenbar belanglose Worte aus. Franco gelang es, seinen Korbwagen auf die andere Seite des doppelten Regals zu dirigieren. Er verhielt, als er sich auf gleicher Höhe mit ihnen befand. Sie konnten ihn von drüben aus nicht sehen, es war unmöglich. Sandra Falchi hätte seiner Ansicht nach besser daran getan, sich vor einem der Wandregale mit ihrer Schwester zu treffen, denn dort hätte sich ihnen kein Mensch ungesehen nähern können. Aber erstens war sie, was solche Dinge betraf, eben eine reine Dilettantin, und zweitens schien sie das, was sie sich zu sagen hatten, für nicht derart verräterisch zu halten, daß man ihr daraus einen Strick knüpfen konnte. »... in der Wohnung soweit alles in Ordnung«, hörte er Gabriella sagen. »Gestern war der Postbote da, aber er hat nur ein paar Rechnungen gebracht, weiter nichts. Ich bin kaum -1 5 -
rausgegangen, nur mal auf einen Sprung in den Lebensmittelladen - und eben heute hierher.« »Es war sonst keiner da?« »Nein, ich sage es dir doch.« »Mit Mauro und mir ist soweit auch alles okay«, sagte Sandra. »Ich meine, die Geschichte ist so gut wie durchgestanden. Ein paar Tage noch, und wir haben es hinter uns, ohne daß Mauro noch irgendwelche... irgendwelche Nachteile zu befürchten hat.« »Wo versteckt ihr euch denn?« »Schscht, doch nicht so laut...« »Also schön«, meinte Gabriella etwas leiser. »Wo haltet ihr euch auf?« »Das kann ich dir nicht verraten.« »Hör mal, das finde ich aber reichlich komisch...« »Ich erzähle es dir noch, verlaß dich drauf. Wenn alles vorbei ist, weihe ich dich in jede Einzelheit ein.« Gabriella sagte: »Ich bin deine Schwester, und ich decke euch beide. Zu mir kannst du Vertrauen haben. Wahrscheinlich nur zu mir.« »Wie soll ich das verstehen?« Franco biß sich unwillkürlich auf die Unterlippe. Hölle, sie machte noch alles kaputt! Diese Andeutung - wenn sie jetzt auch noch preisgab, daß sie Maurizio Della Giovanna nicht mehr für den smarten Jungen hielt, als den sie ihn ursprünglich eingestuft hatte, war alles aus. Dann witterte Sandra nicht nur Verdruß, dann begriff sie sofort, daß sie verraten worden war. »Ich meine nur... du sollst wissen, daß du es nicht bereuen wirst, mich um Mithilfe gebeten zu haben«, flüsterte Gabriella. »Mauros illegale Geschäfte interessieren mich nicht, für mich ist nur wichtig, daß ihr zusammen glücklich seid. Für das, was ich tue, verlange ich nichts. Nur Aufrichtigkeit.« Sandra lachte leise. »Ist ja schon gut, Schwesterchen. Ich wollte dich nicht beleidigen - nur, es ist taktisch klüger, wenn ich im Moment nichts über unseren Aufenthaltsort verlauten lasse und auch gleich wieder verschwinde. Einverstanden?« -1 6 -
»Meinetwegen. Brauchst du Geld?« »Nein. Davon haben wir genug.« »Na dann... bis demnächst.« »Ich rufe dich an«, raunte Sandra ihr zu. »Vielleicht morgen schon. Ich schätze, wir werden schon in Kürze wieder ein paar vergnügte Tage miteinander verleben.« Sie trennten sich. Franco folgte Sandra, reihte sich in die Menschenschlange vor einer anderen Kasse ein als vor der, die sie wählte, packte schließlich seinen Korbwagen leer, ließ sich weiterschleusen und verstaute die Vorräte, mit denen er sich schätzungsweise zwei Wochen gut am Leben halten konnte, in großen Tragetüten. Er blickte sich nicht mehr nach Gabriella Falchi um. Er schleppte, nachdem er bezahlt hatte, seine vier vollgestopften Tüten auf einen der Ausgänge zu, war ziemlich dicht hinter der jeanstragenden, hüftenschwingenden Sandra und verfolgte, wie sie den Supermarkt verließ und mit einer kleinen Tragetasche voll Lebensmitteln in der rechten Hand den Navigation Boulevard überquerte. Er trat ebenfalls in die Hitze hinaus. Sandra schritt an der Frontpartie seines 1977er Dodge vorbei, dann wandte sie sich nach links und ging auf die Einmündung einer der Seitenstraßen zu, die vom sechsspurigen Boulevard abzweigten. Franco bugsierte die vollen Tüten zu seinem Wagen hinüber, öffnete den Kofferraum und hievte sie hinein. Er klappte den Deckel wieder zu, richtete sich auf und winkte dem Zeitungsverkäufer zu, der sich in seiner Nähe befand. Franco kaufte eine Ausgabe der »Washington Post«, und dabei raunte der Mann ihm zu: »Sie fährt einen dunkelroten Ford Shelby und hat ihn so geparkt, daß sie damit von der Nebenstraße aus auf den Boulevard zurückkehren muß.« Er teilte ihm auch das Kennzeichne mit, nahm das Geld für die Zeitung entgegen und verschwand wieder. Franco setzte sich hinter das Steuer seines Dodge und fächelte sich mit der zusammengefalteten Zeitung Kühlung zu. Er wartete etwa eine Minute, dann erschien der dunkelrote Ford -1 7 -
Shelby. Er bog auf den Boulevard ein und zeigte Franco sein Heck. Franco konnte Sandra Falchis langes Haar im Fahrtwind flattern sehen. Sie hatte alle Seitenfenster heruntergekurbelt, um im heißen Wageninneren nicht ersticken zu müssen. Zügig fädelte sie sich in den Nachmittagsverkehr ein. Franco wartete, bis der Wagen kaum noch zu sehen war. Erst dann ließ auch er den Motor an und fuhr dem Mädchen nach. Die verkleideten G-men und Cops ließ er hinter sich zurück. Er gab ihnen kein Zeichen, denn nur er wollte Sandra folgen. Ihr Einsatz wurde erst erforderlich, wenn etwas schieflief, wenn die Lage sich bis ins Unerträgliche zuspitzte... *** Sandra fuhr zum University Place, lenkte den Ford Shelby auf den Highway 59 und verließ in westlicher Richtung die Stadt. Bei abnehmender Verkehrsdichte wurde es von nun an immer schwerer, ihr auf den Fersen zu bleiben, ohne daß sie davon etwas bemerkte. Trotzdem schaffte er es, Fühlung mit dem dunkelroten Ford Shelby zu halten. Sie fuhr vierundzwanzig Meilen weit nach Westen, ohne die Straße zu wechseln, ohne eine Pause einzulegen und auch nur auf die Bremse zu treten, und folglich konnte Franco auf die Distanz von achthundert, neunhundert Yards mit fast gleichbleibender Geschwindigkeit hinter ihr bleiben. Erst in Rosenberg, einer kleinen Stadt, die rund zwanzig Meilen südlich des National Interstate Highways Nummer zehn lag, mußte er wieder abstoppen, da auch Sandra Falchi das Fahrttempo stark gedrosselt hatte. Dann ging plötzlich alles verhältnismäßig leicht. Vielleicht zu einfach... Sandra bog im Ortskern von Rosenberg von der Hauptstraße ab, wandte sich nach Norden und begab sich in die Peripherie der Stadt. Die Stichstraße, auf die sie schließlich in einem -1 8 -
reinen Wohnbezirk den Ford Shelby rollen ließ, hieß sehr einfallsreich Liberty Road. Sie parkte vor einem Reihenendhaus an der rechten Straßenseite, kurbelte die Seitenfenster des Wagens nicht hoch, stieg aus und ging mit der Einkaufstüte in der Hand durch den kleinen Vorgarten auf das Haus zu, ohne die Wagentüren abzuschließen. Franco stellte seinen Dodge fünf Häuser vorher gleichfalls auf der rechten Seite zwischen einem metallicgrünen Chevrolet und einem alten VW -Käfer ab. Er blieb eine Weile hinter dem Steuer sitzen und beobachtete das hochbeinige, dunkelhaarige Mädchen dabei, wie sie die Tür des Hauses aufschloß und dann in dem Gebäude verschwand. Franco begann zu schwitzen. Im Stand verwandelte sich der Wagen unter der immer noch heißen Nachmittagssonne allmählich in einen richtigen Backofen. Es war 15.10 Uhr, und von langsam einsetzender Kühle war nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Keine sieben Stunden mehr, dann brach Clark Quinichette mit der halben Million Dollar auf und hinterlegte sie in einem Wäldchen, dessen Position ihm von den Kidnappern minuziös beschrieben worden war. Dieser Platz lag keine zehn Meilen von hier entfernt... War es nicht eine bodenlose Frechheit, daß die Entführer den Jungen ausgerechnet hier versteckten, hier in der Liberty Road von Rosenberg? Fühlten sie sich so sicher, daß sie ihren Schlupfwinkel und den Übergabeort des Geldes derart dicht beieinander gewählt hatten? Oder war auch dies Taktik? Franco blickte nach rechts. An dem Gitterzaun des Vorgartens gleich neben dem Dodge war ein Schildchen mit der Nummer 12 angebracht. Weiter vorn kam die Nummer 14, dann ging es weiter, immer mit geraden Zahlen. Franco zählte geduldig und kam zu dem Schluß, daß das Endhaus die Nummer 22 trug. Liberty Road 22. Er brauchte jetzt nur noch ein Telefon, dann konnte er die Verstärkung anrollen lassen. Länger als zehn Minuten würde es nicht dauern, dann war das Reihenendhaus umstellt. -1 9 -
Die Frage war nur - befand der kleine Andy Quinichette sich tatsächlich in diesem Haus? Genausogut möglich war es, daß Maurizio Della Giovanna durch die schöne Sandra nur eine falsche Spur hatte legen wollen. War das der Fall, so erreichte Franco Solo nur das Gegenteil von dem, was er eigentlich vorhatte: nämlich, daß sein Unternehmen ein Schlag ins Wasser wurde und daß die Gangster durch diese Aktion gewarnt wurden. Er mußte sich erst die Gewißheit verschaffen, daß der Junge tatsächlich hier war. Wer sagte ihm denn, daß er mit seinem Verdacht richtiglag? Was nun, wenn das Reihenendhaus nur ein unbedeutendes Ausweichquartier war, in dem Sandra Falchi nur auf den Rest der Gang zu warten hatte? Diese quälenden Zweifel... »Geld - davon haben wir genug«, hatte sie zu ihrer Schwester gesagt. Spielte sie damit auf die 500 000 Dollar an, oder hatte Franco dies nur in ihre Worte hineininterpretieren wollen? Befand er, Franco, sich letztlich doch auf der falschen Spur? Della Giovanna mochte mit Sandra zusammenleben, damit war noch lange nicht bewiesen, daß er sich immer noch mit Kidnapping befaßte. Vielleicht hatte er von der »Anonima Sequestri« und allen ähnlichen Organisationen gründlich die Nase voll. Es gab nur einen Beweis, der alle Wenn und Aber mit einem Schlag ausräumen mußte. Dieser Beweis hieß Andy Quinichette. Rechts, hinter dem Gitterzaun mit der Nummer 12 darauf, war die Gestalt eines hageren Mannes erschienen. Ein Mann in Jeans und Unterhemd, der einen Rasenmäher vor sich herschob. Ein modernes Gerät mit einem Motor, der sehr leise lief. Franco stieg aus dem heißen Wagen aus, hängte sich die blaue Segeltuchtasche über die Schulter und trat auf den Mann zu. Er blickte ihn über den niedrigen Zaun hinweg an, lächelte und nickte ihm zu. -2 0 -
Der Mann stellte den Rasenmähermotor ab und kam herüber. »Ja, was gibt es denn?« fragte er. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« »Ich habe gehört, in dieser Gegend hier werden Häuser vermietet«, sagte Franco. »Meines ganz bestimmt nicht. Ich habe einen Vertrag, der noch drei Jahre läuft.« Der Hagere schien über Francos Interesse an mietbaren Reihenhäusern alles andere als begeistert zu sein. Franco lächelte immer noch. »Das meine ich auch nicht. Ich habe nur eine Information gekriegt und wollte mich mal kurz vergewissern, ob sie auch wirklich Hand und Fuß hat.« »Also, da sprechen Sie am besten mit dem Eigentümer. Oder mit dem Verwalter. Der wohnt hier in Rosenberg.« »Ehe ich einen solchen Vorstoß unternehme, sehe ich mir lieber die Häuser an, um die es sich dreht«, sagte Franco. »Ja, die sehen Sie ja nun hier.« »Sind Sie sicher, daß das eine oder andere frei wird?« »Mister«, sagte der Hagere ungeduldig. »Ich bin kein Auskunftsbüro, und ich weiß es auch wirklich nicht. Fragen Sie doch den aus, der Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt hat.« »Das war ein Maklerbüro.« »Ich schlage vor, Sie gehen morgen wieder hin.« »Das habe ich auch vor«, erwiderte Franco. »Aber wissen Sie, ich habe heute nachmittag frei und sehe mich ganz gern noch ein wenig hier um, bevor ich nach Houston zurückfahre. Na ja, ich habe mir ganz einfach gedacht, sieh doch mal zu, ob du nicht doch etwas Konkreteres rauskriegst. Ich werde in Kürze von meiner Firma hierher nach Rosenberg versetzt, verstehen Sie?« »Von welcher Firma?« »Quinichette Inc., schon mal davon gehört?« »Ja, habe ich.« »Die haben hier einen Zweigbetrieb.«
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»Verstehe«, sagte der Hagere eine Spur freundlicher. »Also, ich kann mich in Ihre Lage schon hineinversetzen, Mister, aber weiterhelfen kann ich Ihnen trotzdem nicht. Die meisten Leute, die ich kenne, leben schon seit einigen Jahren in diesen Häusern, und keiner von ihnen hat vor, kurzfristig auszuziehen, soweit mir bekannt ist.« »Die meisten, sagen Sie - aber eben doch nicht alle.« »Über die anderen weiß ich wenig.« »Wie ist es mit den Leuten aus dem Reihenendhaus - Nummer 22, nicht wahr? Mir fiel eben die hübsche Dunkelhaarige auf, die in dem Haus verschwunden ist...« »Ein toller Käfer«, murmelte der Hagere. »Aber uns völlig fremd. Scheint sehr zurückgezogen mit ihrer Familie zu leben.« »Familie?« »Na, mit ihrem Mann und dem Jungen, meine ich.« Der Junge! Franco spürte, wie sein Herz vor Erregung stärker zu klopfen begann. Er mußte sich beherrschen, um den Mann jetzt nicht mit einem ganzen Schwall von Fragen zu bedrängen. Kein Aufsehen, kein Mißtrauen erregen, schärfte er sich immer wieder ein, hübsch ruhig bleiben. Der Hagere grinste plötzlich. »Bilden Sie sich aber bloß nicht ein, daß die so schnell wieder ausziehen, wie Sie es gern hätten. Die sind doch erst vor einer Woche gekommen.« »Ach so«, sagte Franco mit gespielter Enttäuschung. »Das ist natürlich was anderes. Sagen Sie mal, ist denen das ganze Haus nicht zu groß? Ich meine, sie sind doch nur zu dritt, oder?« »Moment mal. Erst zog der Mann ein... so ein großer, schwarzhaariger Typ mit südländischem Einschlag, wissen Sie? Vorgestern kam dann die Frau mit dem Jungen - und dann war noch ein anderer Mann dabei, der wohl der Bruder von ihr oder von ihm ist. Vielleicht trifft in den nächsten Tagen ja noch ein ganzer Schwarm Verwandtschaft ein, wie man das bei den Südländern oft hat, was? Was denken Sie?« »Könnte ich mir durchaus vorstellen.« -2 2 -
»Eigentlich wundert es mich, daß sie nicht mal den Kleinen zum Spielen in den Garten rausschicken«, sagte der Hagere, der jetzt richtig redselig geworden war. »Vielleicht ist er noch zu klein dazu«, entgegnete Franco. »Der? Der ist mindestens sieben Jahre alt, sag' ich Ihnen.« »Dann geht er also zur Schule.« »Schule? Stimmt - na, dann ist er wohl den ganzen Tag über in der Schule. Aber irgendwie komisch ist das doch. Himmel, was soll's, das ist ja nicht mein Bier.« Er lachte. »Also, das liegt doch auf der Hand, der Kleine könnte ja auch krank sein und trotzdem hat keiner von uns beiden gleich daran gedacht! He, Mister, ich habe den Jungen heute morgen ganz kurz von weitem gesehen, wie er sich die Nase an einer Fensterscheibe plattgedrückt hat, aber dann muß ihn die Mutter oder der Vater oder der Onkel sehr schnell zurück ins Bett befördert haben.« Franco fühlte eine heiße Welle, die von irgendwoher durch seinen Körper lief. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war Andy Quinichette wirklich hier... Der Hagere konnte nicht wissen, welche Bedeutung, welche Tragweite seine Äußerungen hatten. Er konnte nicht einmal ahnen, welchem Verbrechen er auf die Spur gekommen war, denn es hatte ja keine Pressenotiz über Andys Verschwinden gegeben, kein Foto in den TV-Nachrichten, nach dem man den Jungen jederzeit überall wiedererkennen konnte. »Ich danke Ihnen jedenfalls für Ihre Auskunft, Mister«, sagte Franco zu seinem Gegenüber. »Also, wenn der Ehemann der Dunkelhaarigen zu Hause ist, gehe ich doch mal kurz zu ihnen 'rüber. Fragen kostet ja nichts.« »Tun Sie's ruhig. Er müßte da sein. Sie haben zwei Wagen den Ford Shelby, mit dem sie eben gekommen ist, und einen grauen Pontiac Le Mans, den er fährt, soviel ich weiß. Die Autos stehen beide vor der Tür.« »Gut, dann versuche ich mein Glück«, erwiderte Franco. »Nochmals, herzlichen Dank.« -2 3 -
Er wandte sich ab und schritt mit mühsam gezügelter Hast auf das Haus mit der Nummer 22 zu. Hinter seinem Rücken sprang wieder der Motor des Rasenmähers an. Er öffnete den Reißverschluß seiner Segeltuchtasche, heftete seinen Blick auf das Endhaus und versuchte zu erkennen, ob er bereits beobachtet wurde. Die Hitze lag schwer und drückend wie ein Panzer auf ihm. Im Inneren des Hauses konnte er keine menschliche Gestalt entdecken. Dennoch war es nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, daß einer der Männer die Straße im Auge behielt. Zwei Männer und eine Frau. Mit ihnen mußte er fertigwerden. Franco überlegte sich, ob er es wagen sollte, die Luft aus den Reifen des Ford Shelby und des Pontiac Le Mans zu lassen. Eine sinnvolle Idee - aber doch war es viel zu heikel, sie in die Tat umzusetzen. Nein, er mußte sofort ins Haus. Jedes Zögern, jede weitere Vorkehrung machte ihn verdächtig für die Augen derer, die ihn garantiert aus einem Versteck im Haus musterten - jetzt, als er den Vorgarten durchquerte und auf den Eingang zusteuerte. Der Eingang des Hauses besaß den großen Vorteil, daß er durch einen kleinen Vorbau nach links und nach rechts abgeschirmt wurde. Franco befand sich also für jeden Beobachter aus dem Haus im toten Blickwinkel, als er jetzt dicht vor die Tür hintrat und den Finger auf den Klingelknopf drückte. Es war wie vor Sandras Wohnung in der Crosstimbers Road von Houston - nichts rührte sich. Überhaupt nichts. Franco versuchte es noch einmal. Das Ergebnis war dasselbe. Kein Klingeln ertönte. Hatte Gabriella ihre Schwester doch gewarnt? Er schob den Gedanken weit von sich. Es durfte einfach nicht so sein, denn sonst schwebte der kleine Andy Quinichette jetzt bereits in allerhöchster Gefahr...
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Franco fischte den Dietrich mit den regulierbaren Barten aus der Sportlertasche. Er durfte es sich zutrauen, das nicht sonderlich komplizierte Schloß der Eingangstür aufzuriegeln. Mehr noch - er brachte es fertig, ohne dabei mehr als das unvermeidliche Geräusch des Schnäppers zu verursachen. Er drückte die Tür auf und schob sich in den dunklen Eingangsflur. Eine Weile stand er mit verhaltenem Atem da. Er hörte Stimmen. Sandra schien sich mit einem, nein, mit zwei Männern zu unterhalten... Franco ließ die Tür spaltbreit offenstehen. Er legte die rechte Hand an den einen Gurt seiner Tasche, bereit, sie sofort auf den Bulldog von Charter Arms fallen zu lassen, wenn es erforderlich wurde. Dann sagte er vernehmlich: »Hallo? Hallo, niemand da? Hören Sie, ich wollte nur kurz was fragen und...« Die Gestalt des Mädchens schwebte ihm aus einem etwas helleren Türrechteck an der gegenüberliegenden Seite des Flures entgegen. Franco konnte ihr hübsches Gesicht nicht deutlich erkennen, aber er las in ihrem ganzen Auftritt doch das Entsetzen, das sie in diesen Augenblicken durchfuhr. »Jesus«, rief sie. »Wie kommen denn Sie hier rein?« »Die Tür war nur angelehnt«, behauptete Franco. »Aber das ist unmöglich...« »Wirklich, und deshalb bin ich so frei gewesen, einfach mal meinen Kopf hereinzustecken«, sagte er lächelnd. Sie trat näher, musterte ihn mißtrauisch. Wenn Gabriella sie gewarnt hatte, wenn Sandra also wußte, daß sie verfolgt wurde, dann mußte sie spätestens jetzt handeln, ihre Freunde auf den Plan rufen, gegen den Eindringling vorgehen... Franco war sich dessen, was er tat, völlig sicher. Er konnte nicht durchs Haus schleichen und hoffen, den Junge zu finden, bevor die anderen auf ihn aufmerksam wurden. Genausogut konnte Andy auch bei ihnen sein, unter der direkten Aufsicht von Maurizio Della Giovanna und dem anderen Gangster. Franco mußte zuerst wissen, wo Sandra und die beiden Kerle, sich aufhielten. Nur so konnte er sie festnageln und verhindern, -2 5 -
daß sie den Jungen womöglich an sich rissen und als lebenden Schutzschild benutzten. »Ich bin sicher, die Tür fest zugemacht zu haben«, murmelte sie, als sie nur noch zwei Schritte von ihm entfernt war. »Wer sind Sie denn überhaupt und was wollen Sie?« »Ach, das kann ich schnell erklären: Ich suche eine Wohnung, und man hat mich hierhergeschickt...« »Hierher?« »Ja. Ich habe übrigens eben geklingelt, aber die Klingel scheint kaputt zu sein.« Hinter ihr in dem Rechteck der Innentür zeigte sich die Gestalt eines Mannes. Maurizio Della Giovanna! Franco wußte sofort, daß er es war, obwohl er auch sein Gesicht nicht hundertprozentig erkennen konnte. Er kannte Della Giovannas Gestalt, seine Größe, seine Schädelkontur, seine Gangart; er wußte alles über ihn. Della Giovanna hingegen hatte den Mafiajäger nie zu Gesicht bekommen. »Was will er, Sandra?« fragte der Italiener mit unverkennbarem kalabrischem Akzent in der Stimme. »Wie ist er überhaupt reingekommen?« wollte Della Giovanna wissen. »Er sagt, die Tür war nur angelehnt.« »Ich hab' dir doch gesagt, du sollst sie fest zumachen.« Sie wurde unsicher. »Tut mir leid, daß mir das passiert ist, Mauro.« »Hören Sie, ich wollte mich nur erkundigen, ob diese Wohnung vielleicht in nächster Zeit frei wird«, sagte Franco seinen Spruch wieder auf. »Wissen Sie, ich war nämlich in einem Maklerbüro, und dort wurde mir diese Adresse genannt.« »Liberty Road 22?« fragte Della Giovanna. »Ja.« »Wie heißt das Maklerbüro?« »Hopkins, Smith and Brewington.« »Welche Straße?« »Main Street von Rosenberg«, antwortete Franco. Es gab diese Immobilienagentur wirklich, er hatte den Namen im Vorbeifahren gelesen. -2 6 -
»Kenne ich nicht, aber es gibt ja viele von diesen Läden«, sagte Della Giovanna in seinem harten, fehlerhaften Englisch. »Wir haben das Haus jedenfalls durch einen anderen Makler vermittelt bekommen. Kommen Sie schon, Mister, wir wollen uns in Ruhe bei einer Flasche Bier unterhalten. Heiß heute, finden Sie nicht auch? Da ist eine kühle Flasche Bier genau das richtige.« »Danke, das Angebot nehme ich an«, erwiderte Franco. Della Giovanna drehte sich um und ging vor. Sandra unternahm eine einladende Geste zu Franco hin, die aber alles andere als überzeugend wirkte. »Bitte, treten Sie näher«, sagte sie leise. »Nach Ihnen«, gab er höflich zurück. Es blieb ihr nichts anderes übrig, sie mußte vor ihm hergehen. Sie schritten beide hinter dem Kalabresen her und durchquerten mit ihm einen halbdunklen Raum, um dann auf ein helleres, offenbar auch größeres Zimmer zuzusteuern, das man durch einen Durchgang erreichte, dessen Vorhang durch eine Kordel zusammengerafft war. Franco hatte keinen Zweifel, daß der andere Raum der Living-room des Hauses war. »Mauro?« fragte eine Männerstimme aus dem Zimmer heraus. »Alles in Ordnung, Brian«, antwortete der Mafioso. Er war jetzt genau unter dem Pfosten des Durchgangs. »Wir haben hier einen Gast, der ganz auf die Schnelle mal erfahren wollte, ob das Haus demnächst wieder frei wird.« »Das ist vielleicht eine Frage«, sagte Brian. »Es tut mir leid, daß ich Sie belästige«, meinte Franco laut genug, damit auch der andere es verstehen konnte. »Aber Sie werden meine Neugierde wohl entschuldigen. Ich gehe ja auch gleich wieder.« Della Giovanna war im Living-room, er gab zurück: »Aber ich bitte Sie, Sie stören wirklich nicht. Ich selbst habe Sie doch schließlich zu einem Bier eingeladen, oder?« Franco murmelte eine Floskel und blickte dabei an Sandra Falchis linker Schulter vorbei. Er konnte den Mann erkennen, der sich in dem helleren Living-room von einem Sessel erhob Brian Jordan, einer der Mobster, der immer wieder im -2 7 -
Zusammenhang mit den Namen der stärksten Familien der Südstaaten-Mafia erwähnt wurde, den man bisher aber nur wegen eines Delikts hatte belangen können: wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Mehr hatte ihm auch der fähigste Staatsanwalt nicht nachweisen können, obwohl aus den Polizeiakten klar genug hervorging, an welchen Mafia-Aktionen Jordan im Lauf der vergangenen Jahre beteiligt gewesen war. Die Daten, die Franco im Hauptquartier von COUNTER SYNDICATED CRIME SERVICE, seiner geheimen Dienststelle, über Jordan gelesen und sich eingeprägt hatte, beschrieben ausführlich dessen »Karriere« vom Punk und Runner des Mobs zum Hitman und House Captain eines Capos, später zum Luogotenente einer Familie in Louisiana. Anfang dieses Jahres war Jordan »für besondere Aufgaben« eingeteilt worden. Ein Verdacht Francos, um welche Art von Aufgaben es sich hier handeln konnte, wurde nun zur Gewißheit... Jordan war etwas kleiner als Maurizio Della Giovanna, dabei aber breiter in der Statur, athletisch gebaut. Er besaß eine ziemlich ausgeprägte Physiognomie mit großen hellen Augen, einer kräftigen Nase und breiten Lippen, um die jetzt ein spöttischer Zug spielte. Er hatte allein in dem Raum auf sie gewartet. Andy war nicht da. Franco trat hinter Sandra Falchi in den Living-room und stellte mit einem Blick fest, daß dieses große, in seiner Mitte durch zwei Stufen unterbrochene Zimmer bis zur Front des Hauses reichte. Von dort hatte man durch drei Fenster fast die ganze Liberty Road vor sich, und es bestand gar kein Zweifel daran, daß Sandra, Maurizio oder Brian den Mafiajäger die ganze Zeit über beobachtet hatten. Sie hatten damit gerechnet, daß er wieder gehen würde, wenn kein Klingelzeichen ertönte und sich niemand aus dem Inneren meldete - aber jetzt, da er so weit vorgedrungen war, konnten sie ihn nicht mehr abwimmeln. Sie mußten auf die Farce, die er aufgezogen hatte, eingehen. Jordan empfing ihn mit dem Satz: »Wir wohnen erst seit einer Woche hier, da ist es ja wohl höchst unwahrscheinlich, daß wir gleich wieder ausziehen, Mister...« -2 8 -
»Richtig, Sie haben uns Ihren Namen noch gar nicht verraten«, sagte Della Giovanna. »Myerson. Ken Myerson.« »Fein, Mister Myerson«, sagte Jordan. Della Giovanna meinte: »Also, ich verstehe nicht, wie dieses Maklerbüro...« »Hopkins, Smith and Brewington«, wiederholte Franco. »...ja, richtig, wie also diese Hopkins-Agentur ausgerechnet unsere Adresse nennen konnte.« »Ist mir auch ein Rätsel«, sagte Jordan schleppend und mit diesem Anflug eines Grinsens im Gesicht. »Und ich kapier' auch nicht, wie er reingekommen ist.« »Die Tür war nur angelehnt«, erklärte Sandra, die es inzwischen vielleicht wirklich schon glaubte. »Wer sagt das?« wollte Jordan wissen. Sandra wies auf Franco. »Er.« »Ich habe dir hundertmal gesagt, du sollst die Tür ordentlich zumachen, Sandra«, fuhr Maurizio Della Giovanna sie plötzlich an, aber es war völlig klar, daß er kein Wort von dem, was Franco sagte, glaubte. Er spielte die Farce nur mit. Es wurde unerträglich. »Geh' jetzt und hol uns drei Flaschen Bier«, ordnete er an. »Dabei werden wir uns eingehend mit Mister Myerson unterhalten. Was, Brian?« »Ja. Wir werden ein intensives Gespräch führen.« »Ich gehe«, sagte Sandra. Es war klar, sie sollte sich um den Jungen kümmern, während die beiden Männer sich mit Franco befaßten. Sie brauchte nur noch den Living-room zu verlassen, darin hatten der Kalabrese und Jordan freie Hand, und selbstverständlich war es schon jetzt abzusehen, wie ihre »Unterhaltung« mit Franco ausfallen würde... Die Zeit zum Handeln war gekommen.
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Franco packte Sandra Falchi, als sie an ihm vorbeischlüpfen und sich dem Durchgang zuwenden wollte. Er stieß sie zur Raummitte hin von sich fort, und sie geriet ins Taumeln, ruderte mit den Armen, gab einen kleinen, überraschten Laut von sich. Sie war wirklich eine große Dilettantin, eine blutige Anfängerin, der es wahrscheinlich erst in diesem Moment richtig dämmerte, was gespielt wurde. Della Giovanna trug einen hellen, sehr leichten Sommeranzug made in Italy, vermutlich aus reiner Seide. Unter dem Jackett versteckt saß etwas hinter seinem rechten Hüftknochen das Gürtelholster mit einer automatischen Pistole. Er schob jetzt seine Hand unter das Jackett und fingerte die Waffe aus dem Holster hervor. Jordan drehte sich, bückte sich ein wenig und brauchte nur eine aufgeschlagene Illustrierte von einem niedrigen Tisch neben seinem Sessel zu wischen, um an den Revolver zu gelangen, der darunter verborgen gelegen hatte. Franco griff in die blaue Segeltuchtasche und brachte sich mit einem Sprung nach rechts in Sicherheit. Er hatte den kurznäsigen, etwas gedrungen wirkenden Bulldog in der Hand, als er sich hinter einen Sekretär aus dunkel gebeiztem Holz duckte. Im selben Augenblick hatte auch Della Giovanna seine Waffe, eine 7,65er Bernardelli, in der Hand. Jordan war um den Bruchteil einer Sekunde später dran. Seine Hand schwebte noch über dem Revolver, als Franco bereits rief: »Keine weitere Bewegung! Della Giovanna, ich kann dich über den Haufen schießen, ehe du zum Zug kommst. Jordan, mit der zweiten Kugel schicke ich dich ins Jenseits!« Sandra Falchi stand auf dem treppenartigen Absatz, der den Raum in zwei Teile trennte. Fast wäre sie über die Stufen gestolpert. Sie stand leicht wankend da und preßte sich die eine Faust in grenzenlosem Entsetzen gegen den Mund.
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Maurizio Della Giovanna sah die Mündung des Bulldog mit der großen .44er-Special-Bohrung direkt auf seine Brust gerichtet. Er verharrte mitten in der Bewegung. Brian Jordan war versucht, seine Hand doch noch auf den Revolver, einen Colt Cobra, fallen zu lassen. Dann aber überlegte er es sich doch anders. Er richtete sich auf, wandte den Kopf und grinste Franco zu. »Hey, Myerson, wie haben Sie denn meinen Namen erraten? Alle Achtung, das ist ja eine tolle Leistung!« sagte er. »Bloß bei mir hat er sich getäuscht«, murmelte Della Giovanna. »Stimmt, ja, richtig«, sagte Jordan. »Hey, Ken, ein Pluspunkt für uns. Mein Partner hier heißt nicht Della Giovanna, sondern Rena. Mauro Rena. Was sagst du dazu, Ken? So heißt du doch, Ken, nicht wahr? Ken Myerson, oder?« »Das Ganze ist kein Witz«, entgegnete Franco. »Jordan, wir haben aufgehört, uns gegenseitig eine Komödie vorzuspielen, falls du das noch nicht gemerkt haben solltest.« »Hör mal, es war nicht richtig von dir, Sandra so grob zu behandeln«, fuhr Jordan fort. »Sie ist nämlich Mauros Freundin, und Mauro reagiert gewöhnlich sehr sauer auf so was. Habe ich recht, Mauro?« »Verdammt sauer«, sagte Della Giovanna. »Laß die Pistole fallen«, forderte Franco ihn auf. »Los, laß sie einfach auf den Fußboden fallen. Bevor du sie entsichern und damit auf mich feuern kannst, hast du ein Loch in der Brust.« »Ich weiß gar nicht, was du von uns willst«, sagte Della Giovanna, aber es klang lahm. »Hör mir genau zu«, erwiderte Franco leise. »Ich will nicht wiederholen, was ich eben gesagt habe. Und weil ich es nicht wiederholen will, werde ich abdrücken, kapiert?« Della Giovanna ließ die Bernardelli los. Sie polterte zu Boden. Brian Jordan stöhnte dabei auf und sagte: »O Mann, so ein verfluchter Mist. O Mann.« »Dreh' dich ganz um und tritt zwei Schritte vor, Jordan«, befahl Franco ihm. Jordan kam der Aufforderung nach, er hatte keine andere Wahl. Er entfernte sich von dem Colt Cobra, und die Aussicht, ihn -3 1 -
doch noch zwischen die Finger zu kriegen, rückte in endlose Ferne. »Wo ist der Junge?« fragte Franco. »Welcher Junge?« gab Della Giovanna zurück. »Mir ist nicht zum Spaßen zumute«, sagte Franco. »Ich kriege es aus euch heraus, verlaßt euch drauf. Das Beste und Schnellste wird es wohl sein, wenn wir gemeinsam einen Rundgang durch das Haus unternehmen.« »Fein«, meinte Jordan. »Brian, sei still«, sagte Della Giovanna. »Ich? Hör zu, du gibst mir am besten keine Anweisungen, ja? Du hattest die verdammte Idee, Sandra mit 'reinzuziehen, aber du hast jetzt ja gesehen, daß es ein Fehler war. Wie die Stümper haben wir uns verhalten. Er muß ihr von Houston aus gefolgt sein.« »Sandra«, sagte Della Giovanna. »Warum, zum Teufel, hast du ihn nicht bemerkt?« »Ich weiß es nicht...« »Santo Ciele«, schrie er. »Aber man merkt es doch, wenn man einen Wagen dauernd im Rücken hat! Ich habe dir tausendmal erzählt, wie du es machen mußt! Du kannst doch nicht blind sein, zur Hölle!« Sie schlug beide Hände vors Gesicht und schluchzte trocken. »Legt euch auf den Boden«, befahl Franco den beiden Gangstern. »Nein, nicht hier bei der Bernardelli, etwas weiter links - dort drüben. Ich will euch nach weiteren Waffen durchsuchen. Streckt die Arme und Beine von euch und liegt ganz ruhig, verstanden?« »Bulle«, stieß Jordan hervor. »Mit uns wirst du es nicht leicht haben, das schwöre ich dir.« Maurizio Della Giovanna versuchte, ein Lächeln auf seine Lippen zu zaubern, aber so richtig wollte es ihm nicht gelingen. »Himmel, warum streiten wir denn herum wie die Kinder? Ken oder wie du heißt - bist du nicht auch der Meinung, daß wir ein prächtiges Geschäft abschließen könnten? Wir vier?« »Du weißt gar nicht, wie du mich ankotzt«, sagte Franco. »Los, hinlegen, und zwar ein bißchen flott, wenn ich bitten darf.« -3 2 -
Sie gehorchten. Als sie bäuchlings vor ihm auf dem Boden lagen, wollte er auch Sandra Falchi zuwinken, damit sie das gleiche tat - aber das Mädchen löste sich urplötzlich aus ihrer starren Haltung. Sie stürzte auf ihn zu, hob beide Fäuste und stieß eine Verwünschung aus, die mit das Gemeinste und Sie war drauf und dran, ihn anzuspringen und ihm ihre langen Fingernägel durchs Gesicht zu ziehen. Franco trat einen Schritt vor, holte mit der linken Hand aus und verpaßte ihr eine schallende Ohrfeige, die sie bremste und zurückwarf. Wimmernd hielt sie sich die Wange, stolperte, drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Della Giovanna rappelte sich sehr, sehr schnell auf, und genauso flink war auch Jordan auf den Beinen. Della Giovanna warf sich auf seine Bernardelli, ließ sich wieder fallen, überrollte sich auf dem Teppichboden und brachte es fertig, mitten in dieser Bewegung die Automatik zu entsichern. Brian Jordan hastete auf den Sessel und auf den flachen Tisch zu, auf dem der Colt Cobra lag. Franco Solo vollführte einen Sprung nach links. Im selben Augenblick hatte Della Giovanna sich auf den Bauch gedreht, verharrte und feuerte. Sandra stolperte genau in diesen Schuß hinein, schrie auf und brach zusammen. Della Giovanna fluchte mörderisch. Franco drückte zweimal ab: Einmal feuerte er haarscharf über Della Giovannas Kopf hinweg, einmal hielt er auf den flachen Tisch und traf den Colt Cobra. Der Revolver wirbelte von der Tischplatte und tanzte quer durch den Livingroom. Maurizio Della Giovanna hatte sich unter dem Krachen von Francos erstem Schuß entsetzt geduckt. Er blickte noch völlig entgeistert und schockiert auf das stöhnende, jammernde Mädchen, das sich vor seinen Augen auf dem Teppichboden wand. Aber da war der Mafiajäger bereits wieder auf den Beinen, sprang ein Stück zurück und zielte von hinten auf den Kalabresen, ohne Brian Jordan dabei aus den Augen zu lassen. »Weg mit der Pistole«, herrschte er Della Giovanna an.
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Der Kalabrese gehorchte. Er ließ die Bernardelli vor sich auf den Boden fallen. »Jordan, leg dich neben ihn«, fuhr Franco den anderen an. Jordan tat es, und Franco las zuerst die Bernardelli auf und tastete dann die beiden Gangster nach weiteren Waffen ab. Er hob plötzlich den Kopf. Im Haus hatte ein Kind zu weinen begonnen. Andy Quinichette. Natürlich hatte er alles deutlich gehört; die drei Schüsse, das Schreien und Stöhnen des Mädchens. Seine Reaktion darauf war das ganz natürliche, instinktive Verhalten eines siebenjährigen Jungen. Franco brauchte ihn jetzt nicht mehr zu suchen. Die Stimme drang aus dem Obergeschoß des Hauses, er brauchte nur ihrem Klang nachzugehen. »Maledetto Sbirro«, flüsterte Maurizio Della Giovanna. »Verfluchter Bulle, siehst du denn nicht, daß sie verblutet? Wir brauchen einen Arzt, wir...« »Die Schüsse sind in der Nachbarschaft gehört worden«, sagte Franco ruhig. »Jemand wird die Polizei benachrichtigen, und die bringt zweifellos eine Ambulanz mit, wenn sie anrückt. Okay?« »Du willst sie sterben lassen«, zischte der Kalabrese. »Ich weiß, daß du sie verrecken lassen willst.« »Drüben in der Wand steckt deine Kugel«, klärte Franco ihn auf. »Nicht in Sandras Bein. Sie hat einen Streifer abgekriegt. Eine relativ harmlose Fleischwunde, die zwar mächtig blutet und weh tut, an der sie aber nicht sterben wird. Sandra, hörst du mich?« »Du... gemeiner Hund«, preßte sie hervor. »Bedank' dich bei deinem Maurizio - oder Mauro, wie er sich nennt. Er hat dir die Wunde verschafft, nicht ich. Sandra, versuch, dich auf die Couch dort drüben zu legen?« »Das schaffe ich nicht...« »Du schaffst es.« -3 4 -
»Mir wird schlecht...« »Wenn du dich bis jetzt nicht übergeben hast und wenn du bis jetzt nicht ohnmächtig geworden bist, dann hältst du auch weiter durch«, sagte Franco hart. Er konnte mit einem Mädchen, das an der Entführung eines siebenjährigen Jungen teilgenommen hatte, kein Mitleid haben. Nicht die Spur davon. Sie kroch zu der Couch und kletterte darauf. »Wenn sie zu fliehen versucht, kommt sie nicht weit«, sagte Franco. Er wandte sich an die beiden Mafiosi. »Los, ihr zwei, wir gehen jetzt nach oben. Zu Andy. Paßt gut auf, wie ihr euch bewegt. Ich schieße bei der geringsten Dummheit. Ich habe keine Skrupel.« Er würde ihnen allenfalls in die Beine schießen, das wußte er. Trotz der Wut, die er empfand, war er nicht dazu fähig, zwei praktisch Wehrlose einfach zusammenzuschießen. Sie trugen keine weiteren Waffen bei sich. Er hatte sie jetzt völlig in der Hand, aber als beruflich legalisierter Killer empfand er sich deswegen noch lange nicht. Wenn er gewollt hätte, hätte er sie bereits beide töten können - aber es widersprach seinen Prinzipien. Nur im Fall äußerster Notwehr feuerte er mannstoppend, todbringend. Die Tasche hatte er sich wieder über die Schulter gehängt, weil darin unter anderem auch die Speedloader mit der Reservemunition für den Bulldog lagen. Jetzt war jedoch keine Zeit zum Nachladen. Drei Patronen noch in der Trommel; sie mußten im Bedarfsfall reichen. Er dirigierte Della Giovanna und Jordan vor sich her die Treppe hinauf. Andy weinte immer noch. Der Schock, den er eben erlitten hatte, schien ihm tief in den Knochen zu stecken. Nach mehr als achtundvierzig Stunden Gefangenschaft und einem dramatischen Schußwechsel, von dem er jedes Detail hatte mithören können, war er an der Grenze des psychischen Durchhaltevermögens eines Siebenjährigen angelangt. Er würde Wochen benötigen, um sich allein davon erholen zu können...
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Franco trieb die Gangster in der Richtung vor sich her, aus der das Heulen des Jungen zu ihnen herüberdrang. Dann, endlich, ließ Franco Jordan die Tür öffnen, hinter der Andy Quinichette versteckt sein mußte. Zweimal drehte Jordan den Schlüssel um, der im Schloß steckte. Er zog langsam die Tür auf, und Franco scheuchte die beiden Kerle wieder vor sich her und in den Raum hinein. Dann sah er den Jungen, der auf dem Rand eines Betts mit Messinggestell hockte und sich die Nase rieb. Sein Körper zuckte unter den schluchzenden Lauten, die er ausstieß. Er blickte nicht auf. Franco fühlte sich von unendlichem Mitleid für den Jungen gepackt; es war ein übermächtiges Empfinden, das er nicht zu bezwingen vermochte. Plötzlich saß ihm ein Kloß im Hals. »Andy«, sagte er rauh. »Beruhige dich jetzt. Ich bin gekommen, um dich hier rauszuholen. Ich bin von der Polizei. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.« Jetzt blickte der Junge doch auf, und vor lauter Erstaunen vergaß er das Weinen. Er war ein hübsches blondes Kind mit großen, dunklen, verwirrt blickenden Augen und leicht angeschmutzter Kleidung auf dem Leib - aber Gott sei Dank war er wohlauf. »Was... ach, deswegen die Knallerei«, stammelte er. »O, Mister, jetzt weiß ich... das... das war wegen mir... und...« »Schon gut, Andy«, sagte Franco. »Darüber unterhalten wir uns noch ausführlich. Ich erzähle dir nachher alles ganz genau, okay?« Andy stand auf. In diesem Moment hörte Franco einen Automotor, der vor dem Haus verhielt und abgestellt wurde. Er wandte den Kopf, blickte aus dem Fenster des Zimmers. Tatsächlich war der Wagen, der das sonore Brummen verursacht hatte, jenseits dieses Gartens zum Stehen gekommen. Nein, es war kein Polizeiwagen, der ja im übrigen auch mit Sirenengeheul und Rotlicht angerollt gekommen wäre. Nein, es war vielmehr ein Privatwagen, ein -3 6 -
dunkler Buick, dessen Schläge sich jetzt öffneten und die Gestalten von zwei Männern ins Freie entließen. »Andy«, sagte Franco. »Komm mal her. Kennst du die Männer?« Er warf den Kidnappern einen Seitenblick zu. »Della Giovanna und Jordan, hübsch ruhig bleiben, ja?« Andy trat dicht vors Fenster, sah durch die angegraute Gardine und verschluckte sich vor Aufregung. Er hustete und stieß hervor: »Das sind sie... zwei von ihnen. Sie wollen mich abholen... ja, abholen. O Gott.« »Nur keine Angst, Andy, ich bin ja bei dir«, sagte Franco. Er kam sich selbst reichlich lächerlich vor, während er diese Worte sprach; erstens, weil der Satz aus einer drittklassigen Romanschnulze hätte stammen können, zweitens, weil es gar nicht so sicher war, ob er gegen die Verstärkung von Della Giovanna und Jordan tatsächlich die Stellung halten konnte. »Bulle, du bist ein bißchen blaß um die Nasenspitze herum geworden«, sagte Brian Jordan voll triefendem Hohn. »Ich hab' dir ja gesagt, mit uns hast du es nicht leicht.« Franco verfolgte, wie unten die beiden Gangster durch den Garten schritten. Nicht die Schüsse schienen sie auf die Bildfläche gerufen zu haben, sie mußten ohnehin vorgehabt haben, um diese Stunde das Haus aufzusuchen - ausgerechnet jetzt. Herrgott, wo bleibt denn bloß die Polizei? fragte sich Franco. Wenn die zwei dort unten die Schüsse nicht gehört hatten, wußten sie jetzt also noch nicht, was lief... Sie wollten Andy Quinichette abholen, um ihn in ein anderes Versteck zu bringen, bevor das Lösegeld an dem vereinbarten Platz in Empfang genommen wurde. Sie schalteten jede erdenkliche Sicherheitsmaßnahme ein, um gegen eine mögliche heimliche Polizeiaktion gewappnet zu sein. Franco wurde erst jetzt richtig bewußt, daß er in letzter Minute hier eingetroffen war - daß nur eine halbe Stunde zeitlicher Aufschub genügt hätte, um sein ganzes Unternehmen scheitern zu lassen. -3 7 -
Er hatte nicht nur den Bulldog, er hatte auch die Bernardelli, die er Della Giovanna abgenommen hatte. Okay, dachte er grimmig, in Ordnung, lassen wir es mal darauf ankommen. »Andy«, sagte er. »Sir?« »Hör mal, du bist kein Kind mehr, wie ich sehe, sondern ein richtig cleverer Junge. Warum soll ich dir was vormachen? Mit den beiden Gentlemen, die da angerückt kommen, könnte es gleich einen Schußwechsel geben.« »Sie werden mit denen schon fertig, Sir.« »Nenn mich Franco.« »Mauro«, sagte Jordan. »Hast du das gehört? Er heißt Franco, nicht Ken. Wie findest du das? Ich schätze, auch sein Nachname Myerson ist falsch, er hat ihn sich bloß ausgedacht. Wie könnte er wohl in Wirklichkeit heißen?« »Ich denke darüber nach, aber ich komme nicht drauf«, erwiderte Della Giovanna leise. Er war ein schlanker Bursche mit keinem Quentchen Fett zuviel auf den Knochen. Ein schwarzhhariger, dunkeläugiger, auf den ersten Blick wirklich smarter Junge, der mit seinem Aussehen und seinen Manieren garantiert neunzig von hundert Frauen das Herz höher schlagen ließ. Aber man unterschätzte ihn eben, wenn man ihn nur für einen professionellen Don Giovanni hielt. »Irgendwie kommt der Hund mir plötzlich bekannt vor«, sagte er. »Andy, wenn es kracht, dann wirfst du dich hier, in diesem Zimmer, einfach auf den Fußboden und kriechst unter das Bett«, wandte sich Franco an den Jungen. »Du versprichst mir doch, daß du es tust - und daß du das Zimmer nicht verläßt, solange ich dich nicht rufe, ja?« »Ja, Franco.« Franco warf noch einen Blick aus dem Fenster. Die beiden Männer aus dem dunklen Buick hatten die rückwärtige Hausmauer jetzt erreicht. Selbstverständlich hatte das Haus eine Hintertür, und genauso selbstverständlich war es, daß die Kerle einen Schlüssel zu dieser Tür besaßen. -3 8 -
Franco erkannte mit einemmal einen der beiden. Fast hätte er einen Pfiff des Erstaunens ausgestoßen. Der Mann dort; breitschultrig, gedrungen, salopp gekleidet und mit einer jener Brillen im derben Gesicht, deren Tönung je nach Stärke der Sonnenstrahlung variierte - der Mann war Hank De Priest. Von ihm hieß es, er habe jahrelang den Mafia-Familien des nordamerikanischen Südens als »Consigliere« mit Rat und Tat zur Seite gestanden, besonders aber Don Clemente Piromallo, dem Capo des Mobs von Dallas. Vor zwölf Monaten war De Priest plötzlich in der Versenkung verschwunden. Aber nicht, weil er in Ungnade gefallen war, wie Colonel Warner, Francos Vorgesetzter, anfangs vermutet hatte. Nein, vielmehr hatte bei COUNTER MOB etwas später die Vorstellung Gestalt angenommen, daß De Priest im Auftrag der Dons etwas Neues aufbaute, eine Unter-Organisation »mit besonderen Aufgaben«. Eine US-amerikanische »Anonima Sequestri«... Franco blickte zu Maurizio Della Giovanna und Brian Jordan. »De Priest, nicht wahr? Laßt mich raten - er ist der eigentliche Boß eurer Gang. Richtig?« »Du bist ja ganz schön beschränkt, Bulle«, sagte Jordan. »De Priest, den Namen hab' ich noch nie in meinem Leben gehört«, meinte Della Giovanna. »Man sieht es euren Gesichtern an, wie begeistert ihr über sein Auftauchen seid«, sagte Franco mit kaltem Lächeln. »Also, paßt auf, wir machen folgendes. Wir gehen jetzt 'runter und nehmen die zwei Burschen in Empfang. Ihr marschiert wieder hübsch brav vor mir her. Und laßt euch ja nicht einfallen, De Priest und den anderen Kerl zu warnen.« »Wir sind doch nicht lebensmüde«, erwiderte Jordan. Unten wurde die Hintertür aufgeschlossen, man konnte es bis herauf hören. Franco winkte den beiden Mafiosi zu, bedeutete ihnen, zur Tür zu gehen. Jordan nickte scheinbar resigniert, genau wie der Kalabrese, aber dann ergriff er die Initiative. Jordan steppte völlig -3 9 -
unerwartet vor und packte den Jungen. Andy stieß ein entsetztes Keuchen aus, mehr nicht. Er wand sich unter dem Griff des Gangsters, hatte aber nicht die geringste Chance, ihm noch zu entschlüpfen. »Franco, die Kanonen weg«, zischte Jordan. »Los, schmeiß die beiden Schießeisen hin, du Bullenschwein, wird's bald, verdammt, oder soll ich dem Bengel die Kehle zudrücken?« Jordan wollte sich ducken, um sich auf Andys Größe zu bringen und so den Jungen als Schutzschild zu benutzen. Franco war schneller. Er hätte jetzt eine der drei .44er-Special-Patronen, die er noch in der Trommel des Bulldogs stecken hatte, auf Jordans Kopf abfeuern können. Aber Franco befürchtete, Andy zu gefährden - und außerdem lag es ihm auch jetzt nicht, ein Todesurteil auszusprechen und zu vollstrecken. Er warf den Bulldog, ehe auch der Kalabrese eingreifen und ihm die Waffe abnehmen konnte. Jordan bekam den Kopf nicht mehr schnell genug herunter. Der Kolben des Revolvers traf seine Stirn, so daß er aufstöhnte und vor Schmerz die Augen schloß. Sein Griff um Andys Arme lockerte sich unwillkürlich - und der Junge, der wirklich cleverer war, als Franco angenommen hatte, riß sich los, warf sich auf den Boden und kroch unter das Messinggestell des Bettes. Jordan krümmte sich, taumelte, faßte mit der Hand nach seiner Stirn. Neben ihm polterte der Bulldog zu Boden. Della Giovanna stieß einen Laut aus, in dem sich alles mischte: der Haß, die Verzweiflung, die Wut über die erlittene Schlappe. Er wollte sich auf den Mafiajäger stürzen, aber Franco handelte gedankenschnell. Er sprang ein Stück zurück, war neben dem Fenster, von dem aus sie die anderen beiden Mafiosi hatten anrücken sehen, hatte die Bernardelli, die er sich vorher in den Hosenbund gestopft hatte, bereits in der Hand. Mit einer raschen Bewegung hatte er sie entsichert; der Schlitten glitt metallisch schnappend wieder vor, die Kugel saß im Lauf. Er richtete die Automatik auf Maurizio Della Giovanna.
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Im selben Augenblick ließ Jordan sich fallen. Er klaubte den Bulldog auf, wälzte sich herum, hielt den Fünfschüsser mit beiden Händen - und drückte auf Franco ab. Es wummerte heftig durch den Raum; Andy schrie unter dem Bett auf. Eine kurze Feuerlanze sprang Franco Solo an und schien sich in seinen Kopf bohren zu wollen. Aber der Schuß lag etwas zu hoch. Franco sackte in den Knien zusammen, ließ sich vornüberkippen, entging dem tödlichen Geschoß um einen, höchstens zwei Zoll. Hart landete er auf Brust und Bauch und streckte die Bernardelli vor. Sein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug, und er hatte keine Zeit, mehrere Zielmöglichkeiten abzuwägen, zumal Jordan sich auf dem Fußboden überrollte. Jordans Kopf schien im Aufbrüllen der Automatik zu schrumpfen, zu schmelzen, wegzufließen. Franco sah, wie seine Bewegungen erschlafften, wie er den Bulldog aus den Fingern verlor. Ein weiterer Schuß war nicht nötig, um diesen Mann außer Gefecht zu setzen. Franco hob die Bernardelli ein Stück höher, um über Jordans Körper hinweg auf Della Giovannas Beine zu feuern. Der Kalabrese hatte die Tür erreicht, riß sie jetzt auf, stürmte aus dem Zimmer. »Stehenbleiben!« schrie Franco. Della Giovanna dachte nicht daran, diesem Befehl Folge zu leisten. Er hetzte weiter, schlug Haken, rannte auf die Treppe zu. Franco schoß durch die offene Tür. Die Kugel lag tief, sirrte haarscharf an den Knöcheln des Flüchtigen vorbei. Della Giovanna hatte jetzt die Treppe erreicht, und seine Schritte polterten die Stufen rasend schnell hinab. »In Deckung!« schrie er. »Ein Bulle! Er ist bei dem Jungen! Er hat Jordan erschossen!« Franco war zu Jordan gekrochen und nahm ihm in diesem Augenblick den Bulldog ab, der noch halb in seiner geöffneten,
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verkrampften Hand lag. Blicklos waren seine Augen zur Zimmerwand gerichtet. Franco robbte mit dem .44er-Special zu der blauen Segeltuchtasche, die er im Moment von Jordans Ausfall einfach hatte fallen lassen. Er entnahm ihr jetzt einen Speedloader mit fünf frischen Patronen. Er schwenkte die Trommel des Revolvers aus, stieß die drei leeren Hülsen aus, entnahm ihr auch die beiden noch vollen, setzte den Speedloader ein, führte die Trommel in Schußposition zurück. »Franco«, sagte Andy von seinem Versteck unter dem Bett heraus. »In Ordnung, Andy«, erwiderte Franco so ruhig wie möglich. »Ich bin ja noch hier.« »Ich habe keine Angst, Franco.« »Sehr gut. Wie du dich eben losgerissen hast - das war große Klasse. Mein Kompliment, Junge.« »Sind sie... weg?« »Noch nicht ganz.« »Ich wünsche mir, daß sie endlich abhauen«, stotterte der Junge. »Ich... ich... w-will sie nicht mehr sehen.« »Warte, das haben wir gleich«, flüsterte Franco ihm zu. »Laß mich nur bis zur Treppe kriechen, dann mache ich ihnen die Hölle ganz schön heiß für den Fall, daß sie noch irgend etwas gegen uns unternehmen.« Er kniff ein Auge zu, grinste Andy Quinichette aufmunternd zu, wandte sich dann der Tür zu und robbte nach draußen auf den Korridor hinaus, der dem Treppenabsatz vorgelagert war. *** Als der erste Schuß oben in dem Zimmer gefallen war, hatte Sandra Falchi sich mit zusammengebissenen Zähnen und verkniffener Miene von der Couch im Living-room erhoben. »Mauro«, sagte sie immer wieder. »Mauro, um Himmels willen, nein, was macht dieser Hund mit dir?« Sie versuchte zu -4 2 -
humpeln, fiel aber sofort hin. Sie stöhnte auf und kroch quer durch das große Zimmer. Ihr rechtes Bein blutete, und ihr war schwindlig geworden, als sie es sich auf der Couch angesehen hatte. Sie hatte die Wunde berühren, den Stoff der Jeans zerreißen wollen, aber das geringste Tasten mit den Fingerkuppen hatte ihr neue rasende Schmerzen bereitet, so daß sie ihre Hand sofort wieder zurückgezogen hatte. Wimmernd kroch sie jetzt auf den Durchgang zum Nebenraum zu. Unterwegs stieg Übelkeit in ihr auf, drohte sie zu übermannen, aber sie verharrte nur einen Augenblick, preßte dann die Lippen fest zusammen und arbeitete sich weiter voran. Endlich war sie im Flur und sah Hank De Priest und den anderen Mann, die beide durch die Hintertür eingetreten waren. Cab hieß der zweite, soweit Sandra sich entsinnen konnte. Sie blickte sie beide entgeistert an, und De Priest sagte gedämpft: »Verflucht, was ist denn hier passiert? Mädchen, was für eine verdammte Schweinerei läuft hier?« Wieder Schüsse - und dann kam Maurizio Della Giovanna die Treppe heruntergestürmt und schrie. De Priest trat auf ihn zu, packte ihn mit beiden Händen an den Aufschlägen seines hellen Seidenanzuges und drängte ihn gegen die Wand neben dem Treppenaufgang. »Ein Bulle?« wiederholte er zischend. »Mann, wie konnte der hier 'rein? Wie blöd seid ihr gewesen, daß das passieren konnte? Und was ist mit Sandra, zum Teufel?« »Ihr rechtes Bein...« »War er das, der Bulle?« »Nein, ich.« Hank De Priest schlug zweimal zu; mit der Faust in Della Giovannas Gesicht. Sandra Falchi stöhnte auf, wollte sich an De Priest Beinen festklammern, wurde aber von Cab zurückgehalten. Cab Duffners schmales Gesicht wirkte wie gemeißelt und wachsbleich in dem Halbdunkel des Hausflures. -4 3 -
»Versager«, raunte De Priest dem Kalabresen in ohnmächtiger Wut zu. »Dafür wirst du mir bezahlen. Aber jetzt holen wir uns erst den Jungen wieder. Der Bulle ist allein dort oben, hast du gesagt?« »Allein mit dem Jungen«, flüsterte Della Giovanna undeutlich. Er fühlte, wie sich Blut in seinem Mund sammelte, und um seine Wangen und deren Knochen herum schien sich allmählich eine Zange zu schließen. Es tat fürchterlich weh. »Cab«, wisperte De Priest. Duffner ließ das Mädchen los, öffnete einen handlichen Lederkoffer, den er aus dem Auto mitgebracht hatte, und entnahm ihm zwei Maschinenpistolen mit großem Magazin. De Priest, der inzwischen eine Automatik aus dem Gürtelholster unter seiner Jacke hervorgezogen hatte, steckte die Pistole wieder weg und nahm die Mpi aus Cabs Hand in Empfang. »Wir holen den Bengel«, raunte De Priest. »Wir müssen ihn wiederkriegen, oder wir haben für immer verspielt.« Sie entsicherten die Waffen, ließen den schwer atmenden Della Giovanna stehen und schlichen auf die Treppe zu. Cab Duffner klomm die Stufen als erster hoch, hielt die Maschinenpistole vor sich hin und beobachtete aus schmalen Augen, was sich oben ereignete. Oben war Totenstille eingetreten. Cab bewegte sich auf lautlosen Sohlen. Gleich hinter ihm hielt sich Hank De Priest. Die Treppe verlief in gerader Richtung bis nach oben, und der Korridor, der im Obergeschoß parallel zu ihr gebaut worden war, hatte eine schmale Balustrade mit nostalgisch gedrechselten Geländerstäben. Cab Duffner widmete dieser Balustrade seine ganze Aufmerksamkeit, und doch entging ihm die Gestalt, die dahinterlag. So kam die Bewegung überraschend für ihn: Ein Arm schoß zwischen zwei Holzstäben hervor, eine Faust gehörte zu dem Arm und hielt einen stämmigen, kurznäsigen, mattmetallenen Revolver. »Hoch die Finger und weg mit der Waffe«, sagte eine Stimme. -4 4 -
Duffner ließ sich fallen, De Priest feuerte im selben Augenblick los. Das Rattern der Mpi erfüllte sämtliche Räume des Hauses. Es drang ins Freie, wo die Neugierigen, die mittlerweile zusammengelaufen waren, sich entsetzt durch die Vorgärten ihrer Häuser hinter die schützenden Mauern zurückzogen. Cab Duffner war zwei Stufen tiefer gerollt, rappelte sich jetzt wieder auf und hob seine Beretta M 12, um De Priest zu unterstützen. Franco Solo hatte hinter der Balustrade seinen bisherigen Platz geräumt. Er war bis zum oberen Treppenabsatz gerobbt, erreichte jetzt das Ende des Geländers, schob die Hand mit dem Revolver um den Pfosten herum - und erwiderte das Feuer. Die erste .44er-Kugel raste im Hacken der Mpis über De Priests Kopf hinweg. Der Mafioso zog sich zurück, duckte sich, verschanzte sich unten am Beginn der Treppe, während auch Cab Duffner zurückwich und mit knapper Not der zweiten .44erKugel entging, die sich dicht vor ihm in die Wand links der Treppe grub. Wütend zielten beide Gangster auf den Punkt, an dem der Gegner sich befinden mußte. Die Mpis hämmerten ihr häßliches Lied; Andy Quinichette weinte wieder, Sandra Falchi schrie und klammerte sich an ihrem Geliebten Maurizio Della Giovanna fest. Franco hielt den Bulldog in der rechten Faust und umklammerte mit der linken Hand das rechte Gelenk. Er schob den Revolver ein Stück vor, wagte es aber nicht, den Kopf zu heben. Er wollte gerade den dritten Schuß aufs Geratewohl nach unten abfeuern, da hörte das Rattern der Mpis auf. Della Giovanna hatte sich von Sandra losgerissen. Er hatte De Priest bei der Schulter gepackt und ihm ins Ohr gerufen: »He, Hank. Mann, hörst du das nicht? Hölle, so hör' doch wenigstens für eine Sekunde mit dem Schießen auf...« De Priest hatte den Abzug der Beretta M 12 losgelassen und auch Cab Duffner einen Wink gegeben. In der eintretenden Stille konnten sie deutlich das an- und abschwellende -4 5 -
Geräusch von Polizeisirenen vernehmen, die sich der Liberty Road näherten. »Aus«, flüsterte Hank De Priest. »Wir müssen hier abbrechen, wenn wir wenigstens unsere Haut retten wollen. Wir türmen mit dem Buick. Du fährst mit uns, Maurizio. Aber bevor du ebenfalls nach hinten rausläufst, erledigst du es.« »Erledige ich was?« De Priest musterte ihn mit grenzenloser Kälte und Verachtung. »Du weißt genau, was ich meine. Hier.« Er drückte ihm seine Automatik in die Hand. »Besorg' es ihr damit. Wir können sie nicht mitschleppen, sie wäre auf jeden Fall ein Ballast für uns. Damit sie nicht reden kann, gibst du ihr den Rest.« Er wandte sich ab, ging zur Tür, trat mit nicht allzu großer Hast ins Freie. Er hielt die Mpi in beiden Händen, blickte sich um, gab dann Duffner durch eine Kopfbewegung zu verstehen, daß er sich ihm anschließen könne. Sie liefen zum Buick, stiegen ein; Cab Duffner vorn hinters Steuer, De Priest in den Fond. Es gab niemand, der sie daran hinderte. Die schmale Stichstraße an der Rückseite der Reihenhäuser war wie leergefegt. Alle Anlieger hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen und die Türen fest verrammelt. Cab Duffner ließ den Motor des dunklen Buick an. »Soll ich ihn niederschießen, wenn er aus dem Haus kommt?« fragte er. »Nein, wir nehmen ihn mit«, entgegnete De Priest. »So einfach will ich es ihm nicht machen.« Sandra Falchi sah Della Giovanna mit der entsicherten Automatik De Priests in der Hand auf sich zutreten. »Mauro, du wirst es doch nicht wirklich tun, oder?« flüsterte sie. »Dazu wärest du doch nie imstande...« »Ich heiße Maurizio, nicht Mauro.« »Maurizio Della Giovanna?« »Wie der Bulle gesagt hat...« »Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt? Über deinen Namen - über dich? Hast du mir noch mehr vorenthalten?« Sie sprach nicht weiter, weil das Bein ihr wieder zu schaffen -4 6 -
machte. Der Schmerz war eine glühende Nadel, die sich in ihr Fleisch bohrte. »Porco cane, warum wirst du nicht ohnmächtig?« sagte er leise. »Mauro... Maurizio«, wisperte sie. »Laß uns gemeinsam fliehen. Hilf mir auf und stütze mich. Ich kann dann laufen, du wirst es schon sehen...« Sie unterbrach sich wieder, denn er hatte jetzt die Pistole gehoben und zielte damit auf ihre linke Schläfe. »Mauro... Maurizio«, stammelte sie. »Mach die Augen zu«, zischte er. Sie kroch rückwärts, bis sie die Wand erreichte; die Schmerzen im Bein spürte sie plötzlich nicht mehr, es schien ein lebloser Gegenstand geworden zu sein, den sie einfach nur hinter sich herschleifte. Sie stemmte sich an der Wand hoch und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Weit riß sie die Augen auf. Er stand immer noch vor ihr. Sein Gesicht verzerrte sich. Sie schrie gellend. *** Franco Solo hatte sich nach Verstummen des Maschinenpistolenfeuers halb aufgerichtet. Er wollte versuchen, die Treppe hinunterzupirschen und De Priest, Della Giovanna und den dritten Mann in einem Überraschungsangriff zu überwältigen. Er hörte das Sirenengeräusch und wußte, daß die entscheidende Phase des höllischen Spiels gekommen war. Der Schweiß lief ihm von der Stirn, befeuchtete seine Wangen, troff bis in den Ausschnitt seines Hemdes. Es war heiß, unerträglich heiß. Er wischte sich mit der linken Hand über die Stirn und über die Augen. Unten war das Gemurmel der Gangster zu vernehmen, dann nichts mehr - dann klappten zwei Wagenschläge und ein Motor wurde angelassen. Hinter dem Haus! -4 7 -
Er kehrte in das Zimmer mit dem Messingbett zurück. Andy Quinichette lag immer noch unter dem Gestell, hatte sich die Hände vors Gesicht geschlagen und weinte leise vor sich hin. »Okay, Andy«, sagte Franco gedämpft. »Sie türmen. Ist das nicht wunderbar?« Diesmal antwortete der Junge nicht. Verdammt, dachte Franco, verdammt, hoffentlich hält er durch, nur die paar Minuten noch... Er sah aus dem Fenster; vorsichtig, ohne sich eine Blöße zu geben. Immerhin war es denkbar, daß sie nur darauf warteten, ihn von dem Fenster wegschießen zu können. Aber sie saßen bereits in dem dunklen Buick. Soweit Franco es erkennen konnte, hatte Hank De Priest im Fond Platz genommen, sein Begleiter saß hinter dem Steuer. Das Sirenengeräusch glitt näher. De Priest war gekommen, um höchstpersönlich den Jungen abzuholen; 500 000 Dollar waren es ihm wert gewesen, sich selbst aktiv um den kleinen Andy zu »bemühen«. Aber jetzt trat er seinen Rückzug an - wenn er es überhaupt noch schaffte. Sie warteten... Franco öffnete langsam das Fenster, kniete sich hinter die Bank und legte den Bulldog darauf. Er zielte auf die Reifen des Buick. Auf diese Entfernung war es nicht einfach zu treffen aber Franco nahm sich vor, notfalls die drei Kugeln, die er noch zur Verfügung hatte, auf einen einzigen Reifen abzufeuern. Danach hatte er immer noch die Bernardelli, mit der er weiterschießen konnte. Unten im Flur schrie Sandra Falchi. Sie schrie auf eine Art, aus der sich sofort schließen ließ, warum De Priest und der andere noch warteten, offensichtlich auf Maurizio Della Giovanna warteten; weshalb der Kalabrese noch unten im Haus verweilte, statt ebenfalls zu flüchten. Franco fuhr herum, rannte quer durch das Gefängnis des Jungen, hetzte auf den Korridor hinaus, raste die Treppe hinab.
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Er konnte weder Della Giovanna noch das Mädchen sehen, feuerte aber im Laufen. Er zielte hoch, fast gegen die Decke. Das Krachen des Revolvers übertönte das Schreien des Mädchens für einen Augenblick. Die Kugel schlug in die Flurwand, riß ein beachtliches Stück Putz und Tapete heraus. Della Giovanna fluchte. Sandra schrie immer noch. Sie hatte sich fallenlassen und kroch verzweifelt über den Flurboden auf eines der angrenzenden Zimmer zu, während Franco Solo die letzten Stufen mit einem Satz nahm, und fast gegen die Wand prallte, in die das .44er-Projektil das Loch gebohrt hatte. Della Giovanna schoß, zuerst auf Sandra, dann auf den Mafiajäger. In der Hast verfehlte er das Mädchen. Sie schrie wie von Sinnen, als sie das heiße Blei neben ihrer Hüfte in den Boden schlagen fühlte. Franco wäre getroffen worden, wenn er sich nicht reaktionsschnell hingeworfen hätte. Er schlug hin und hatte keine Möglichkeit, den Aufprall zu mindern. Ein Dröhnen fuhr durch seinen ganzen Körper, aber er ignorierte den Schmerz und erwiderte das Feuer des Mafiosos mit der vierten Kugel des Bulldogs. Della Giovanna vollführte einen wahren Tanz durch den Flur zur Hintertür. Im ersten Moment dachte Franco, er hätte ihn getroffen, aber dann stellte er fest, daß der Kalabrese nur wie ein Derwisch umherwirbelte, um dem tödlichen Blei zu entgehen. Er erreichte die halb offenstehende Hintertür, rannte hinaus. Franco warf einen Blick auf das Mädchen, das jetzt reglos dalag, dann war er auf den Beinen und hetzte ebenfalls zur Tür. »Sie ist tot«, schrie er. »Du hast sie umgebracht!« Er war an der Tür, ging in die Hocke und zielte in CombatStellung auf den davonlaufenden Kalabresen. Er kam jedoch nicht zum Schuß, weil es jetzt im Fond des dunklen Buicks aufblitzte. Das Hämmern einer Maschinenpistole wehte auf den Mafiajäger zu. De Priest hatte das hintere Seitenfenster heruntergekurbelt und das Feuer eröffnet, um den Komplizen zu decken. -4 9 -
Franco legte sich wieder flach auf den Bauch. Er schoß aus dieser Position heraus auf Della Giovannas Beine - traf aber nicht. Die fünfte Kugel aus der Trommel des Bulldogs fegte links an den Waden des Gangsters vorbei und hieb mit einem trockenen Laut in die Karosserie des Buick; nicht hoch genug, nicht weit genug nach links versetzt, um durch das Wagenblech hindurch Hank De Priest zu erwischen. Franco überrollte sich nach links, ließ den Bulldog los, klaubte die Bernardelli, die er sich inzwischen wieder hinter den Gürtel geschoben hatte, hervor und erhob sich hinter einem Flurfenster, um weiter auf das Fahrzeug der Kidnapper zu schießen. Der rechte vordere Schlag der Limousine stand jetzt offen, war von dem Gangster am Steuer aufgestoßen worden. Maurizio Della Giovanna warf sich auf das Polster des Beifahrersitzes, riß die Tür zu, und der Wagen rollte ruckend an. Fast radierten seine Antriebsräder auf dem weichen Asphalt. Rasch beschleunigend entfernte er sich in Richtung auf das nördliche Ende der Stichstraße, die etwa zweihundert Yards weiter in die nächste größere Straße der Siedlung mündete. Franco feuerte dreimal durch das Fenster, das er jetzt geöffnet hatte. Eine Kugel ging fehl, die zweite schlug in den Kofferraumdeckel des Buicks, die dritte saß etwas zu tief, um den rechten Hinterreifen des Fluchtfahrzeugs zu treffen. Er drehte sich um, las den Bulldog vom Boden auf und lief nach vorn. Er wollte sich einen der beiden vor der Hausfront parkenden Wagen nehmen. Er würde wenden und viel kostbare Zeit verlieren, würde es aber vielleicht gerade noch schaffen, auf der nächstgrößeren Straße die Verfolgung der drei Mafiosi aufzunehmen. Er hielt neben Sandra an. Sie hatte sich bewegt. Sie drehte den Kopf ein wenig herum und blickte ihn aus unnatürlich geweiteten Augen an. »Hilf mir... bitte«, flüsterte sie. »Wo hat er dich getroffen?« fragte Franco sie, indem er sich neben sie hinkniete. -5 0 -
»Er hat mich... nicht getroffen... die Kugel ging daneben. Ich war nur... bewußtlos. Wie... wie lange?« »Keine halbe Minute.« »Mein Bein... o Himmel...« Das Sirenengeräusch war jetzt nahe, füllte die Liberty Road und die Stichstraße hinter den Häusern aus, bohrte sich aufreizend in die Gehörgänge, während das zuckende Rotlicht der Streifenwagen gespenstisch durch die Räume des Hauses glitt. »Wo ist der Schlüssel für den Ford Shelby?« fragte Franco. »Er steckt«, antwortete sie ihm. »Es kommt Hilfe«, sagte er. »Ja... aber es wäre besser... wenn ich sterben würde.« »Sag' nicht solchen Unsinn.« »Gabriella...« »Deine Schwester wartet auf dich.« »Sie hat mich... verraten?« »Sie hat nur dein Bestes gewollt.« »Im Endeffekt... hat sie recht«, murmelte das Mädchen. »Und ich habe mich wie eine Närrin benommen. Nein, schlimmer. Der Junge... mein Gott, das kann ich nie wieder gutmachen.« »Wir werden sehen«, sagte Franco. »Ich war nicht schlecht zu ihm... sie hatten mich geholt, damit ich ihn ein wenig bemutterte, damit er sich beruhigte...« »So war das also.« »Mauro... nein, Maurizio - er wollte mich töten«, stammelte sie. »Begreifst du jetzt, wie sehr er dich geliebt habt?« fragte Franco. Sie schluchzte trocken auf. »Ballast... das war ich für ihn geworden.« Die Sirenen kesselten das Haus ein. Durch die offene Hintertür konnte Franco einen der Streifenwagen sehen, aus dem soeben vier bewaffnete Cops sprangen. Ihre Schritte trappelten heran. -5 1 -
»Er weiß nicht, daß du lebst«, sagte Franco. »Ich selbst dachte im ersten Moment, du wärest tot, Sandra. Della Giovanna konnte im Halbdunkel dieses Flures nicht sehen, daß sein Schuß danebenging. Und das ist gut für dich, so paradox es klingt. Wir werden vorläufig geheimhalten, daß du noch lebst. Ich erkläre dir später, warum das ein Vorteil für dich ist.« Sie nickte. »Ich verstehe es auch so.« Franco stand auf. »Wohin werden Sie fliehen?« »Ich weiß es nicht. Wirklich nicht.« »Wir erwischen sie auch so.« Er wollte die Cops, die von allen Seiten herangestürmt kamen, empfangen, aber in diesem Augenblick ertönte von oben ein klagender, langgezogener Laut. Andy! Franco stürmte die Treppe mit vier Sätzen hoch, umrundete den Pfosten der Balustrade und lief in den Raum. Er blieb stehen, sah Andy Quinichette vor dem Fenster stehen und leise, schluchzende Laute ausstoßen. Sein Körper zuckte. Er hatte Brian Jordan in aller Deutlichkeit vor sich gesehen, als er unter dem Messingbett hervorgekrochen war. Der Anblick des toten Gangsters hatte ihm einen neuen Schock versetzt. Franco trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der Junge drehte sich langsam um, hob den Blick - und klammerte sich plötzlich an Franco fest und preßte ihm sein Gesicht gegen das Hemd. Franco strich ihm beruhigend mit der Hand über den Hinterkopf. Das hier - das war jetzt wichtiger als die Verfolgung der drei flüchtigen Gangster. »Andy« sagte er, als unten die Cops ins Haus stürmten. »Wir haben es geschafft. Wir beide, wir haben prächtig zusammengearbeitet, findest du nicht auch? Du kannst jetzt nach Hause, zu Mom und Daddy. Ist das nicht herrlich?« »Ich freu mich so...« »Komm, wir gehen ' runter und rufen Mom erst mal an. Die wird staunen.« -5 2 -
Er dirigierte den Kleinen vorsichtig zur Tür - so, daß er nicht noch einmal auf Brian Jordans Gestalt zu sehen brauchte. Sie gingen langsam zur Treppe und sahen von oben aus einem ganzen Trupp Cops entgegen, die mit den Waffen in der Hand auf den Stufen standen. Sie hatten Shotguns, Kaliber 12, Thompos Sub-machine Guns und .38er-Special-Revolver von Smith & Wesson. Fast beschämt ließen sie sie sinken, als sie Andy Quinichette sahen. »Herzlich willkommen«, sagte Franco. »Das Mädchen unten im Flur ist am Bein verletzt und braucht einen Arzt, wie ihr wohl schon gemerkt habt.« »Die Ambulanz rollt an«, erwiderte ein Lieutenant, der, wie Franco vermutete, der Leiter des Einsatzkommandos von Rosenberg war. »Und wer sind Sie, wenn man fragen darf? Solo?« »Ja, Solo.« »Houston hat uns über Ihren Sondereinsatz unterrichtet.« »Gut. Hier oben liegt einer der Gangster, er heißt Brian Jordan. Della Giovanna, Hank De Priest und ein weiterer Kerl sind mit einem dunklen Buick getürmt. Dunkelblau ist die Farbe, soweit ich erkennen konnte«, erklärte Franco. »Zeugen haben uns dies bereits mitgeteilt«, entgegnete der Lieutenant ein wenig steif. »Und einer unserer Wagen ist den Kerlen auf den Fersen.« *** Hank De Priest hatte das leergeschossene Magazin seiner Beretta M 12 durch ein neues ersetzt. Maurizio Della Giovanna hatte die Mpi, die vorher Cab Duffner benutzt hatte, in den Fäusten. Er und De Priest lehnten sich aus den Seitenfenstern, um auf den heranrollenden Streifenwagen der City Police zu feuern, während Duffner den Buick in halsbrecherischer Weise durch das Wohnviertel von Rosenberg steuerte. »Laß ihn herankommen«, schrie De Priest. -5 3 -
»Aber nicht zu nah!« rief der Kalabrese zurück. Sie warteten, bis der blau-weiße Streifenwagen auf Schußweite heran war - dann eröffneten sie das Feuer, ehe einer der drei Cops, der sich wie sie aus einem Seitenfenster des Wagens beugte, auf die Reifen des Buicks schießen konnte. Die Projektile zerhacktem dem Patrol Car als erstes die Windschutzscheibe, dann sirrten sie durch den Innenraum, prasselten auf die Motorhaube und in den Kühlergrill des Fahrzeugs, bohrten sich in die Vorderreifen. Es war das Glück der drei Cops, daß sie sich geistesgegenwärtig duckten und hinter dem Armaturenbrett und den Sitzpolstern Deckung suchten. Sie wurden nicht getroffen, aber der Wagen geriet mit zerschossenen Vorderreifen ins Schleudern, kam von der Fahrbahn ab, rutschte über ein Stück unbefestigten Seitenstreifen hinweg und holperte auf ein Baugrundstück, auf dem mit den Arbeiten an einem Wohnhaus, begonnen worden war. Die Arbeiter blickten entsetzt herüber, zögerten zunächst, setzten sich dann aber in Bewegung und rannten auf den Streifenwagen zu. Im Buick zog Della Giovanna den Kopf ins Innere zurück, ließ sich auf den Beifahrerplatz sinken und lachte triumphierend auf. »Wir haben es geschafft«, rief er. »Wir sind diesen Drecksäcken entwischt. Santo Cielo, ich dachte schon, wir bringen es nicht mehr.« Hank De Priest saß mit gespreizten Beinen auf der Fondbank und atmete ein paarmal tief durch. Er war versucht, Della Giovanna in den Rücken zu schießen, unterließ es aber. Er brauchte ihn noch. Als Sündenbock. »Hör auf«, sagte er. »Du glaubst doch wohl nicht, daß es schon vorbei ist.« »Ich habe schon ganz andere Verfolgungen erlebt«, prahlte der Kalabrese. »Drüben, in Italien...« »Wir sind hier nicht in Italien«, sagte Cab Duffner. »Ach, was du nicht sagst...«
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»Ich an deiner Stelle würde jetzt nicht so eine große Klappe haben, Mann.« »Hör auf«, fuhr De Priest sie an. »Keine Diskussionen, verstanden? Cab, drück drauf und sieh' zu, daß du diese verfluchte Kiste, die in wenigen Minuten von jedem idiotischen Cop in jedem winzigen Nest wiedererkannt wird, von der Straße wegkriegst, ja?« »Okay, Hank.« »He, du«, sagte De Priest zu dem Kalabresen. »Sag mir lieber, was mit ihr ist.« »Mit wem?« »Mit dem Mädchen, zum Teufel.« »Sie ist tot. Der Bulle hat es mir auch noch nachgeschrien, daß ich sie umgebracht habe.« »Was ist mit Jordan?« »Tot. Schädel zerschossen. Habe ich euch doch schon...« »Ja, ja, in Ordnung. Wer ist dieser verfluchte Scheißbulle, dieser ausgekochte Hurensohn mit dem Revolver?« »Er nannte sich Ken Myerson, heißt aber Franco.« »Franco - und weiter?« »Seinen Nachnamen hat er uns nicht verraten.« »Den möchte ich irgendwie noch mal zu Gesicht kriegen«, sagte Hank De Priest mit starrer Miene. »Irgendwann. Irgendwo. Dann gebe ich ihm das, was ich ihm diesmal leider nicht verpassen konnte.« »Ich frage mich die ganze Zeit über, wer er ist«, erwiderte der Kalabrese. »Ein FBI-Mann? Ein Spezialagent? Mann, ich finde das noch raus.« »Hank«, meldete sich Duffner. »Wir sind gleich da.« »Fahr gleich in die Garage, ja?« »Das versteht sich doch von selbst«, sagte Cab Duffner. Das Gebäude war ein schlichtes Einfamilienhaus außerhalb des Ortsrandes von Rosenberg, keine Villa. Sie hatten es -5 5 -
zusammen mit dem Reihenendhaus in der Liberty Road gemietet und bislang als Schlupfwinkel benutzt. Sie hatten Andy Quinichette gut sechs Stunden vor der Übergabe des Lösegeldes hierher umquartieren wollen, um jedes Risiko, zu vermeiden. Fast hätte es geklappt. Eine halbe Stunde eher, dachte Hank De Priest, und alles wäre glattgelaufen. Er schloß in ohnmächtiger Wut die Augen. Als er sie wieder öffnete, tauchte der Buick in die Kellergarage des Einfamilienhauses hinunter. Arthur Redding stand schon im dunklen Schacht hinter dem geöffneten Tor bereit, um das Tor sofort zu schließen. Der Buick glitt an ihm vorbei, und er sah mit einem raschen Blick ins Innere des Wagens, daß der Junge nicht mit dabei war. Er biß sich auf die Unterlippe. Sandro Castelli und er hatten im Haus darauf gewartet, daß De Priest, Duffner, Della Giovanna und Jordan mit dem kleinen Andy Quinichette hierher zurückkehrten. Das Mädchen Sandra sollte drüben in der Liberty Road bleiben und noch für zwei, drei Tage in dem Haus wohnen, damit ihr Ausziehen nicht mit der Rückkehr des Jungen zu seinen Eltern zusammenfiel, was aus purem Zufall irgend jemand hätte auffallen können. Andy hätte ohnehin erst vierundzwanzig Stunden nach der Übergabe des Lösegeldes befreit werden sollen, so war es geplant - aber es gab eben diese dummen Zufälle. Für ihre Geduld, noch einige Zeit in dem Haus in der Liberty Road auszuharren, wäre Sandra Falchi auch mehr als reichlich entlohnt worden; mit 20000 Dollar für ihr Mitwirken und ihr Schweigen. Redding registrierte, daß auch Brian Jordan nicht mit in dem Buick saß - ganz entgegen De Priests Planung. De Priest war nicht der Mann, der in letzter Minute irgend etwas umstieß, es sei denn, er wurde dazu gezwungen... Schwach hatten Redding und sein Komplize Castelli das Tönen von Sirenen hören können, als sie oben gewartet hatten, Alarmzeichen genug für sie. Redding brauchte jetzt keine Erklärungen, er konnte sich genug zusammenreimen. Sobald der Buick in der Garage -5 6 -
verschwunden war und seine Stopplichter aufglühten, schloß der Gangster das Tor, steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen Pfiff aus, der Castelli verständigte. Redding lief zu dem zweiten Personenwagen, der in der Kellergarage stand; ein weißer AM Javelin SST, Baujahr 1976. Wortlos öffnete er den Schlag der Fahrerseite, setzte sich hinters Steuer und ließ den Motor an. De Priest, Duffner und Della Giovanna stiegen aus, warfen die Schläge des Buicks zu. Duffner ging zum zweiten Garagentor, hievte es auf, drehte sich um und sah, daß inzwischen auch Sandro Castelli die Treppe heruntergekommen war. De Priest und Della Giovanna waren gerade im Begriff, sich in den Fond des Javelin zu setzen. De Priest sagte im gleichmäßigen Tuckern der Maschine etwas zu Castelli, was diesen erblassen ließ. Duffner brauchte die Worte nicht zu verstehen, um zu wissen, was der Boß ihm mitgeteilt hatte. Castelli kletterte nach De Priest in den Fond, wo die drei Männer ein wenig zusammenrückten, um genug Platz zu haben. Redding ließ den Wagen anrollen, lenkte ihn ins Freie, trat auf die Bremse. Duffner schloß das zweite Garagentor, schaute sich um, und stieg ein. »Art«, sagte De Priest. »Wir müssen hier weg, ehe sie überall Straßensperren errichten und die Stadt hermetisch abriegeln. Versuchen wir, auf den Interstate Highway 10 zu kommen.« Redding fuhr los und steuerte die nächste Ausfallstraße an, die in nördlicher Richtung durch die Peripherie von Rosenberg verlief und nach Wallis führte. Unterwegs begegneten ihnen zwei Streifenwagen mit Rotlicht und Sirenen. Die Gangster hatten ihre Waffen auf den Knien liegen; Mpis und automatische Pistolen, bis auf Redding natürlich, der sich vollkommen auf seine Fahrertätigkeit konzentrierte. Redding verfolgte im Rückspiegel, wie die Patrol Cars sich mit hoher Geschwindigkeit Richtung Rosenberg entfernten. »Nicht schneller werden, Art«, sagte De Priest. »Das vorgeschriebene Tempolimit nicht überschreiten. Wir dürfen um -5 7 -
keinen Preis auffallen. Sie brauchen einige Zeit, um herauszufinden, daß wir den Wagen gewechselt haben. Bis dahin haben wir uns verdünnisiert, falls wir nicht von einem verdammten Sperrposten gestoppt werden.« »Wir schaffen es«, erwiderte Redding. »Wenn nicht, haben die Bullen noch eine böse Überraschung vor sich«, sagte Della Giovanna und klopfte mit einer Hand auf den Schaft seiner Beretta M 12. »Boß«, meinte Sandro Castelli. »Wir können bei allem, was heute in die Hose gegangen ist, noch froh sein, daß wir überhaupt das Haus mit der Doppelgarage gemietet hatten. Wenn wir nicht die Möglichkeit gehabt hätten, so blitzschnell in einen anderen Wagen umzusteigen... na, dann gute Nacht.« »Das mit dem Einfamilienhaus war meine Idee«, sagte Della Giovanna. »Vergeßt das nicht.« »Ich habe deine Fähigkeiten nie unterschätzt«, erwiderte Duffner von vorn. »Ich hab' gewußt, daß früher oder später was schieflaufen würde - deinetwegen, Della Giovanna.« Della Giovanna wollte aufbegehren, sich vorbeugen, aber De Priest hielt ihn am Arm zurück. »AI diavolo«, stieß der Kalabrese hervor. »Fünfmal ist alles gutgegangen. Warum konnte es nicht auch diesmal klappen? Hölle, ihr müßt doch einsehen, daß alles ein vertrackter Zufall und ungeheures Pech war...« »Wie?« fragte De Priest. Della Giovanna wandte ihm das Gesicht zu. »Wie dieser Hund von einem Bullen in das Haus gelangt ist, willst du wissen?« »Ja, genau das würde ich gern von dir hören.« »Er hatte einen Dietrich, nehme ich an. Er behauptete, die Tür sei nur angelehnt gewesen, als er zu klingeln versuchte. Aber das war eine Lüge. Sandra hatte garantiert die Tür geschlossen, als sie reingekommen war. Also, wir versuchten, diesen Schweinehund festzunageln und ihn uns vorzuknöpfen, aber er kam uns zuvor.« Della Giovanna sah De Priest fest an, aber er vermochte die getönten, leicht reflektierenden -5 8 -
Brillengläser nicht mit seinem Blick zu durchdringen. »Man könnte den Eindruck gewinnen, wir hätten uns wie die Stümper benommen«, fuhr er fort, wobei er jedes Wort sorgsam auswählte, um sich richtig auszudrücken. »Aber ich schwöre dir, er ist ein mit allen Wassern gewaschener Satan. Einer von der ganz harten Sorte.« »Ein Ledernacken vielleicht?« erkundigte sich Duffner. Della Giovanna antwortete darauf nicht. De Priest sagte: »Eins steht fest. Er konnte nur nach Rosenberg in die Liberty Road finden, weil die Schwester von dieser Sandra ihm einen heißen Tip zukommen ließ. Der Bulle heftete sich Sandra an die Fersen, folgte ihr. Jesus, warum mußte sie auch nach Houston fahren, um die Lage auszukundschaften...« »Wir haben es immer so gehalten, daß wir ein oder zwei Nichtprofessionelle mit hereingenommen haben«, verteidigte sich Della Giovanna. »Auch, um notfalls die Schuld auf sie abwälzen zu können. Aber ich sehe ja ein, daß es ein Fehler war, dieses Flittchen zu engagieren. Ich bin froh, sie aus dem Weg geräumt zu haben. Ich würde das gleiche ganz gern auch mit ihrer Schwester machen, aber dazu habe ich jetzt wohl weder Zeit noch Gelegenheit.« »Kaum«, entgegnete De Priest. »Übrigens muß ich dich ein wenig berichtigen. Es war dein Fehler, dieses Flittchen mit hineinzuziehen, wolltest du wohl sagen.« Der Kalabrese entblößte leicht seine untadelig gewachsenen Zähne. »Und weiter, Hank?« »Nichts weiter.« »Hey«, ließ sich jetzt Redding vernehmen. »Wir haben Wallis vor uns. Wenn wir ungehindert bis zum Turnpike des Highways Nummer zehn kommen, haben wir das Schlimmste hinter uns, würde ich sagen.« Ohne Kontrolle passierten sie zehn Minuten später die Toll Station am Turnpike des Highways. Der weiße Javelin rollte weiter, nach Westen. -5 9 -
*** Andy Quinichette hatte mit seinen Eltern, mit Miriam und Clark Quinichette, telefoniert. Franco fühlte sich auf unbeschreibliche Art unendlich erleichtert, als er den Jungen zum ersten Mal lachen sah. Im Geist verfolgte er eine imaginäre und doch sehr, sehr realistische Szene, in der Miriam und Clark Quinichette sich jetzt in ihren Wagen setzten, lachend, weinend, überglücklich, wie sie von Houston nach Rosenberg starteten, um ihren Sohn abzuholen. Die Ambulanz war eingetroffen. Bevor Sandra Falchi auf einer Trage ins Innere des Kombiwagens gehievt wurde, beugte sich Franco im Flur des Hauses noch einmal über sie und sagte: »Noch ein paar Fragen, Sandra...« »Wie geht es Andy?« fragte sie ihn. »Jetzt sehr gut.« »Ich möchte mich bei ihm... und bei seinen Eltern entschuldigen.« »Dazu hast du später noch Gelegenheit.« »Sie sollen wissen, daß ich ihn nicht schlecht behandelt habe, daß ich ihm niemals etwas Schlimmes hätte antun können...« »Ich glaube es dir«, sagte er. »Danke.« »Hast du wirklich keine Ahnung, wohin die Mobster geflüchtet sein können?« »Mobster?« wiederholte sie heiser. »So nennt man hierzulande die Mafiosi. Ja, auch Della Giovanna ist ein Mafioso. Er wird in Italien von der Staatsanwaltschaft gesucht. Er hätte nicht gezögert, im Bedarfsfall Andy gegenüber Gewalt anzuwenden - so, wie er auch nicht gezögert hat, auf dich zu schießen«, sagte Franco. »Hör zu«, flüsterte sie. »Er hat nur mal andeutungsweise etwas von Dallas gesagt. Dallas, diese Stadt erwähnte auch De
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Priest, als ich ihn das erste Mal sah. Dort scheint die Spitze zu sitzen... ihr oberster Vorgesetzter oder wie man das nennt.« »Der Capo.« »Oder der Don«, murmelte sie nachdenklich. »Gibt es das, einen Don?« »Ja. Wie heißt er? Piromallo? Clemente Piromallo?« »Ich weiß es nicht.« »Wie groß ist die Gang?« »Ich kannte außer Maurizio nur Jordan, De Priest und Cab Duffner, der vorhin De Priest begleitet hat. Ja, und dann war noch die Rede von einem gewissen Arthur Redding und einem Mann namens Sandro Castelli. Irgendwo sollten sie warten und Andy in Empfang nehmen, wenn er umquartiert wurde...« »Umquartiert?« »Ja, aus Gründen der Sicherheit. Ich habe aber keine Ahnung, wo dieses andere Versteck liegt.« »Hier vielleicht, in Rosenberg?« »Ich weiß es nicht.« »Es könnte also sein, daß die Kerle nach Dallas unterwegs sind?« erkundigte sich eine Stimme hinter Francos Rücken. Franco drehte sich um und erkannte einen der FBI-Agenten wieder, die in Houston an der heimlichen Suchaktion teilgenommen hatten. Er war ein Special Agent, der extra aus Washington, D.C., herübergeflogen war, und hieß Cates mit Nachnamen. »Hören Sie, Cates, ich halte das für sehr unwahrscheinlich«, erwiderte Franco. »Ich habe das Mädchen gefragt, nicht Sie, Solo.« »Wer ist das, Franco?« wollte Sandra Falchi wissen. »Mister Cates vom FBI«, teilte Franco ihr trocken mit. »Beantworte ruhig seine Frage.« »Ich weiß nicht, ob sie nach Dallas fliehen, aber ich könnte es mir denken.« -6 1 -
»Gut, in Ordnung, danke«, entgegnete der G-man. Er wandte sich um und schritt in den Living-room hinüber, um mit seinen Kollegen vom FBI und den Einsatzleitern der City Police Houston und Rosenberg zu sprechen. »Wie ist es, Mister?« fragte einer der Weißbekittelten des Ambulanzwagens. »Können wir jetzt mit dem Mädchen abschieben? Hören Sie, wir halten hier doch nur die Ermittlungen auf, finden sie nicht auch? Und vielleicht werden wir anderswo gebraucht.« »Gents«, rief jetzt von hinten auch der Polizeiarzt. »Wie lange dauert es noch mit dem Abtransport? Ich habe doch gesagt, das Mädchen muß sofort ins Krankenhaus...« »Da hören Sie's, Mister«, sagte der Weißkittel. »Sie könnten der Präsident der USA höchstpersönlich sein, ich würde trotzdem darauf drängen, daß wir jetzt in die Gänge kommen.« »Sandra«, sagte Franco. »Hat Della Giovanna dir nie gesagt, wohin er mit dir gehen würde, wenn dies alles vorbei wäre?« »Doch...« »Wohin?« »Nach Mexiko. Yucatan. Mit seinem Geld und meinem Geld hätten wir lange Zeit gut auskommen können. Siebzigtausend Dollar - fünfzigtausend er, zwanzigtausend ich. Aus der Traum.« »Es wäre immer nur ein Traum geblieben.« »Ja, das weiß ich jetzt. Aber warum hast du mich das eben gefragt?« »Ach, nur so...« »Glaubst du... daß sie mir im Krankenhaus das Bein amputieren?« »Nein, das glaube ich absolut nicht. Kein Arzt dieser Welt würde sich einfallen lassen, ein so hübsches Bein zu opfern.« »Du machst dich über mich lustig...« »Nein, ich meine es ernst«, erwiderte er und legte ihr eine Hand auf den Arm. »Aber, hör zu, ich muß dich jetzt dazu auffordern, an einem wirklich makabren Scherz teilzunehmen. Draußen drängen sich die Fotoreporter und Journalisten. Es ist immer wieder ein kleines Wunder, wie schnell so viele von ihnen auf der Bildfläche erscheinen, wenn Schüsse fallen. Sandra wir wollen -6 2 -
doch nicht, daß alle Welt erfährt, daß Della Giovanna dich nicht wirklich erschossen hat, oder?« »Nein. Wegen meiner... persönlichen Sicherheit, nicht wahr?« »Ja. Ich werde dir deswegen dieses Tuch über den Kopf ziehen, und du wirst ganz still liegen, okay?« Er wies auf das weiße Leinentuch, das auf der Trage ihren Körper bedeckte. Sie nickte. »Gut, ich mache mit. Wenn ich unterwegs nicht ersticke, werde ich's wohl überstehen.« »Und wer totgesagt wird, der lebt sehr lange, vergiß das nicht.« Sie lächelte ein wenig, und er zog ihr das Kopfende des Leinentuchs bis über das lange, dunkle Haar. Er richtete sich auf und gab den zwei verblüfft dreinblickenden Weißkitteln einen Wink. Daraufhin hoben sie die Trage an und marschierten zur Tür. Franco öffnete sie für sie. Sie traten ins Freie, in die Hitze, die nicht nachlassen wollte, steuerten auf den weißen Ambulanzwagen zu, der mit geöffnetem Heck halb auf dem Bürgersteig stand. Franco begleitete sie. Die Cops hatten eine Absperrung vor dem Vorgarten des Reihenendhauses gebildet und hielten vor allem die Fotoreporter und Textjournalisten zurück, die dichtgedrängt vor ihnen standen, hin und wieder die Spiegelreflexkameras hoben und die Cops mit Fragen bestürmten, die diese nicht beantworten konnten und wollten. Jetzt flogen die Kameras förmlich hoch, und das Geräusch der Auslöser und hochklappenden Spiegel verband sich zu einer Art metallischem Rascheln. Brian Jordans sterbliche Reste waren von einem Leichenwagen abgeholt worden - und jetzt hatten die Pressemenschen ihre zweite Sensation. Während die Weißkittel Sandra Falchi im Wagen verfrachteten und die Hecktür zurammten, trat Franco Solo vor die aufgeregte, hektisch betriebsame Gruppe hin und nickte ihr zu. Er hob ein wenig die Schultern an, ließ sie wieder sinken und sagte: »Da war nichts mehr zu machen.«
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»Wer war das?« rief einer der Fotografen. »Das war doch ein Mädchen, oder? Den Körperkonturen nach...« »Nennen Sie uns den Namen«, forderte ein anderer ihn auf. »Wir verlangen Auskunft«, schrie eine blonde Frau. »Wir haben ein Anrecht darauf. Geben Sie zu, daß es sich um einen Fall von Kidnapping handelt!« Franco erwiderte nur: »Tut mir leid, aber vorläufig kann ich keine genaueren Informationen geben. Gedulden Sie sich noch ein wenig.« Er kehrte ihnen den Rücken zu. Die Ambulanz fuhr mit anschwellendem Sirenengeheul ab. Einige Reporter liefen zu ihren Wagen, um ihr zu folgen, aber die meisten verharrten vor dem Haus. In wenigen Minuten, wenn die Quinichettes hier eintreffen, habt ihr alles, was ihr braucht, dachte Franco, dann könnt ihr eure Fotos von der glücklich wiedervereinten Familie schießen. Er drehte sich unter der Tür noch einmal zu ihnen um und murmelte: »Einer von euch wird auch den entsprechenden Draht zu Dallas haben. In spätestens einer Stunde weiß auch die Piromallo-Familie, was geschehen ist; Don Clemente und wer sonst noch mit drinhängt in dem großen Entführungsgeschäft.« Es wäre geradezu lächerlich gewesen, zu Don Clemente zu fahren und ihn für verhaftet zu erklären. Was wollte man ihm denn nachweisen? Daß er einmal mit De Priest zu tun gehabt hatte? Abgesehen davon, daß er auch dies abstreiten würde - es reichte niemals aus, um auch nur den Verdacht zu erwecken, Don Clemente wäre der oberste Boß der Kidnapper-Gang. Wann gab es endlich genügend Beweismaterial, um Don Clemente daraus einen Strick zu drehen? Vielleicht brachte die Ergreifung der flüchtigen Gangster ihn ein Stück weiter. Vielleicht bekam er aus De Priest, Duffner oder Della Giovanna etwas heraus, konnte sie in Widersprüche verstricken. Möglich auch, daß Redding und Castelli gefaßt -6 4 -
wurden und daß einer von ihnen sich bereit zeigte, als Kronzeuge gegen den Mob von Dallas aufzutreten. Das war riskant, höllisch riskant - aber bei den Strafen, die in Texas auf Kidnapping standen, war es immerhin vorstellbar, daß einer von ihnen umfiel... Vielleicht sogar Maurizio Della Giovanna. Franco nahm sich vor, sich ganz besonders mit ihm zu befassen... Die Fahndung lief. Franco war überzeugt davon, daß die City Police den dunkelblauen Buick jagen und mit mehreren Streifenwagen zum Stoppen bringen würde; und es war eine reine Frage der Zeit, wann De Priest und seinen zwei Begleitern die Munition ausging. Vermutlich hatten die Cops sie bereits, vielleicht traf die Nachricht über den erfolgreichen Abschluß der Aktion in diesem Moment ein... Franco trat ins Haus. Nein, es konnte kein Fehler, kein Manko gewesen sein, daß er nicht aktiv an der Verfolgung des Gangsterfahrzeugs teilgenommen hatte. Im Haus herrschte nervöse, überreizte Spannung, Franco merkte es sofort, als er im Flur stand. Cates kam ihm entgegen und fuhr ihn sofort an: »Sagen Sie mal, was fällt Ihnen eigentlich ein, das Mädchen als tot zu bezeichnen und der Presse gegenüber Erklärungen abzugeben?« »Ich habe keine Auskünfte gegeben,« »Aber die Falchi haben Sie für tot erklärt, verdammt, ich hab's deutlich genug gehört.« »Cates«, sagte Franco geduldig. »Das ist vorläufig besser für sie. Zweifeln Sie etwa daran?« »Zum Teufel, man kann da sehr unterschiedlicher Auffassung sein.« »Wir werden auch Gabriella Falchi vor dem Zugriff der Gangster schützen müssen, denn De Priests Hintermänner können sich an fünf Fingern abzählen, auf welchem Weg wir auf das Haus hier überhaupt aufmerksam geworden sind.« -6 5 -
»Solo, ich mache diese Arbeit seit fünfzehn Jahren. Wollen Sie mir sagen, wie ich den Job anzupacken habe?« »Wollen Sie es mir vorschreiben?« »Solo, ich will Ihnen verraten, wie ich über Sie denke.« »Gut.« »Ich denke, daß Sie von Anfang an viel zu eigenmächtig gehandelt haben. Ihr Alleingang hierher war allerdings der Gipfel von allem.« »Anders hätten wir Andy nie befreit.« »Wer sagt Ihnen das?« »Cates, was wollen Sie eigentlich erreichen?« Die Frage hing in der Luft; der G-man antwortete nicht darauf. Franco vernahm wieder das erregte Debattieren, das aus dem Living-room herüberdrang, und er erkundigte sich: »Sagen Sie mal, was ist denn eigentlich noch passiert?« Cates wischte sich den Schweiß mit einem Papiertaschentuch von der Stirn. »Der Streifenwagen, der die Kidnapper gejagt hat, ist mit zerschossenen Reifen und kaputter Scheibe auf ein Baugrundstück geprescht und dort stehengeblieben. Die drei Cops, die darin saßen, können von Glück sagen, daß es sie nicht erwischt hat. Aus allen Richtungen rückte Verstärkung an, die den dunkelblauen Buick in die Enge treiben sollte - aber der war plötzlich verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Hölle, Solo, diese Dreckskerle sind uns durch die Lappen gegangen.« »Mist«, erwiderte Franco. »Aber deswegen brauchen Sie Ihre Wut noch lange nicht an mir auszulassen.« *** Sealy, Columbus, Glidden, Weimar und Schulenberg hießen die Orte, an denen die fünf Gangster auf dem Interstate Highway Nummer zehn vorbeifuhren. Hinter Schulenberg lag Flatonia; hier gab es eine Service Station mit Tankstelle, -6 6 -
Autoreparaturwerkstatt, Autogrill und Snackbar, AndenkenKiosk und drei Telefonzellen. Redding drosselte auf De Priests Order hin das Tempo, lenkte nach rechts und ließ den weißen AM Javelin SST auf den Parkplatz der Station rollen. »Bleibt sitzen«, sagte Hank De Priest zu seinen Komplizen. »Ich brauche höchstens fünf Minuten, dann bin ich wieder hier und wir fahren weiter.« »Ich gehe mit«, ließ sich Della Giovanna vernehmen. »Nein. Auf gar keinen Fall.« »Hör zu, Hank...« »Ich hau' dich schon nicht in die Pfanne«, erklärte De Priest ihm. »Ich bin nicht der Typ, der so was macht, verstanden?« »Hank, warum fahren wir nicht gleich nach Dallas?« erkundigte sich Duffner. »Es weiß doch keiner, daß wir nach dorthin unterwegs sein könnten. Der Vorsicht halber könnten wir aber unterwegs noch mal den Wagen wechseln und...« »Ich weiß nicht, ob er das so haben will«, erwiderte De Priest. »Dann vereinbarst du also einen Treffpunkt?« fragte Castelli. »Ja. Wir müssen mit ihm sprechen.« »Viel Glück, Hank«, sagte Castelli. »Danke. Laß mich jetzt «raus.« »Wir schießen auf jeden, der versucht, sich uns zu nähern?« fragte Redding. »Ja.« Sandro Castelli stieg aus, um De Priest, der im Fond in der Mitte zwischen ihm und dem Kalabresen gesessen hatte, herauszulassen. De Priest hatte die Maschinenpistole an Duffner abgegeben, den Sitz seiner Automatik im Gürtelholster geprüft, und kletterte jetzt ins Freie. Er blickte sich aufmerksam nach allen Seiten um und schritt dann auf eine der Telefonzellen zu. Obwohl es in der Zelle unerträglich heiß war, schloß er die Tür hinter sich. In der Nachbarkabine stand ein junger Mann in Tshirt und Jeans; er hatte ein Bein angewinkelt und den Fuß -6 7 -
gegen die Wand gestemmt, fächelte sich unter der offenen Tür mit einer zusammengefalteten Illustrierten Luft zu. De Priest befürchtete, er könnte etwas von seinen Worten mitbekommen. Der Junge schien mit einem Mädchen zu sprechen; aber das schloß nicht aus, daß sein Geist auch das erfaßte, was nebenan geredet wurde. De Priest nahm den Hörer ab, warf ein paar Münzen ein und wählte die Nummer in Dallas, die er auswendig kannte. Er wartete schwitzend mit dem Hörer am Ohr, vernahm dreimal das Rufzeichen, ehe an der anderen Seite abgehoben wurde. Er glaubte, irgendwann innerhalb der nächsten Sekunden unter der brütenden Hitze zusammenbrechen zu müssen. »Hier bei Piromallo«, erklang eine Männerstimme. »Casa Piromallo - bitte, wer spricht?« »Ich möchte ihn sprechen«, sagte De Priest. »Verzeihung, wer sind Sie überhaupt?« De Priest schloß die Augen und öffnete sie wieder. Hölle und Teufel, dieser gottverdammte Hund von einem Butler, dachte er, dieser idiotische, bornierte, extra aus Turin herübergekommene Maggiordomo! »Mein Name spielt keine Rolle«, sagte er wütend. »Teilen Sie Mister Piromallo mit, ich rufe aus Houston an, dann weiß er schon Bescheid.« »Ich habe die Anweisung...« »Ihre Anweisungen scheren mich einen Dreck.« »Verzeihung, aber ich muß mir verbitten, daß Sie so mit mir reden.« »Mann, strapazieren Sie meine Nerven nicht unnötig. Stellen Sie jetzt zu Ihrem Brötchengeber durch, oder Sie kriegen Ärger, dicken Ärger, verstanden?« Die Antwort war ein Klicken in der Leitung. Der Maggiordomo aus Turin hatte tatsächlich aufgelegt. De Priest stieß einen Fluch aus, drückte die Kabinentür auf, schnappte etwas Luft, ließ sie wieder zugleiten, wählte die Nummer erneut. Clemente Piromallo, dessen Vater kalabrischer oder sizilianischer Abstammung gewesen war (genau konnte De Priest sich nicht erinnern), besaß drei fleischverarbeitende Betriebe in Dallas und unterhielt ein ausgezeichnet funktionierendes Im - und Exportbüro. Er zahlte seine Steuern -6 8 -
pünktlich, gehörte dem Wohltätigkeitsverein und dem Lions Club an und zählte zu den bedeutenden, einflußreichen Bürgern der Stadt. Seinen Anschein von Ehrbarkeit und Integrität schmückte er mit einem gewissen Luxus aus. Niemand fand es außergewöhnlich, daß er neben dem üblichen Hauspersonal einen richtigen Butler in seine Dienste gestellt hatte. Das Dilemma war, daß dieser Mann Piromallos Angestellter geworden war, nachdem Hank De Priest aufgehört hatte, Piromallos »Consigliere« zu sein. De Priest hatte seitdem keinen persönlichen Kontakt mehr zu Piromallo gehabt - wie es vereinbart gewesen war -, und so kannten sie sich nicht; er und der Maggiordomo aus Turin. De Priest lief der Schweiß in kleinen Bächen über das Gesicht und über den ganzen Körper. Er war entschlossen, dem Kerl am anderen Ende der Leitung eine gehörige Lektion zu verpassen, ihn fernmündlich zusammenzustauchen. Es kam aber doch anders, denn als jetzt drüben der Hörer abgenommen wurde, war sofort Don Clemente Piromallo am Apparat. »Ja?« De Priest erkannte seine Stimme. »Hören Sie zu«, sagte er. »Machen Sie Ihrem arroganten Untertanen bitte klar, was er bei Anrufen wie diesem gefälligst zu tun hat.« »Unmöglich. Er wird jeden Menschen, der seinen Namen nicht nennt oder unerwünscht ist, kalt abfahren lassen.« »Bin ich... unerwünscht?« »Das habe ich nicht gesagt, mein Freund. Aber Sie sollten ohnehin nicht hier anrufen.« »Es ist ein Sonderfall eingetreten, 'uno stato di emergenza'.« »Das weiß ich bereits.« »Woher können Sie das...« »Ich weiß es«, unterbrach der andere ihn. »Und zwar habe ich direkt von dort eine entsprechende Nachricht erhalten. Vor wenigen Minuten. Das sollte Ihnen genügen, mein Freund.« -6 9 -
»Ja. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie erschüttert ich über den Verlauf der Dinge bin«, sagte Hank De Priest. »Nicht nötig. Ich bin selbst zutiefst bestürzt.« »Es war nicht meine Schuld...« »Aber wer spricht denn von Schuld?« »Ich will Ihnen nur gleich von Anfang an auseinandersetzen, wie das alles passieren konnte.« »Aber doch nicht hier am Telefon, mein Bester«, gab Piromallo zurück. »Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?« »Das alles hat uns der Kalabrese eingebrockt.« »Ja, schon gut.« »Sonst hätte es nicht schiefgehen können.« »Himmel, Sie reden wie ein Kind.« »Was soll ich mit dem Kalabresen machen?« »Lieber Himmel, gar nichts«, erwiderte Don Clemente Piromallo. »Ich sehe schon, eine persönliche Unterredung zwischen uns, ist dringend vonnöten. Warten Sie. Sagen wir - in Victoria?« »Victoria, Texas?« »Ja, natürlich.« »Wo dort?« »In einem Motel, das Sie ohne Abwicklung von besonderen Formalitäten beherbergt. Sie wissen doch, welches ich meine?« »Ja, ich weiß Bescheid«, sagte De Priest. »Ich komme mit dem Flugzeug herüber und wir können uns... Augenblick, ja, noch heute am späten Abend treffen. Wir setzen uns gemütlich zusammen und verhandeln in aller Ruhe. Mein Freund, ich wünschte wirklich, daß Sie sich bis dahin beruhigt haben.« »Ich werde mir Mühe geben.« »Fein. Leben Sie wohl. Bis heute abend also.« »Ja, bis heute abend.«
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Hank De Priest hängte ein und fühlte gleichzeitig Übelkeit in sich aufsteigen. Er stieß die Telefonzellentür auf, trat hinaus und holte ein paarmal tief Luft. Das scheußliche Gefühl schwand, aber seelisch war ihm immer noch nicht besser zumute. Dieses aalglatte Verhalten, diese gespielte Freundlichkeit von Don Clemente Piromallo - er kannte ihn lange genug, um es richtig werten zu können. Piromallo kochte vor Wut und würde seinen Zorn an ihm auslassen. Das Schlimmste stand ihm noch bevor. Er wankte fast, als er zu dem wartenden Wagen zurückkehrte. *** Die Cops hatten ihre liebe Mühe, die Schaulustigen und die Sensationsreporter zurückzudrängen, als die Quinichettes das Haus in der Liberty Road verließen. Während die überglücklichen Eltern sich mit ihrem Jungen fotografieren ließen und etwas unsicher auf Fragen antworteten, beugten sich im Inneren des Gebäudes die Männer der City Police und des FBI über eine Karte, die Cates sich hatte besorgen lassen. »Wir haben bereits die Unterstützung der Highway Police«, erklärte er den Umstehenden. »Wir jagen die Kerle nicht nur mit Wagen und Motorrädern, wir setzen auch Hubschrauber ein.« Sein Zeigefinger wanderte den Interstate Highway 45 und dessen Nebenstraßen nach Norden hinauf. »Wir schneiden ihnen systematisch den Weg nach Dallas ab. Sperren werden errichtet, jeder Wagen wird kontrolliert. Wir wissen nicht, mit welchem Fahrzeug sie jetzt unterwegs sind, aber wir können sicher sein, daß sie den Buick irgendwo versteckt und gegen eine andere Limousine vertauscht haben. Ein Flugzeug haben sie auf die Schnelle sicher nicht beschaffen können, auch keinen Helikopter. Außerdem wäre kein Flugzeug der Luftraumkontrolle entgangen.«
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»Da bin ich mit Ihnen einer Meinung«, mischte Franco sich ein. »Aber ich glaube trotzdem nicht, daß De Priest und seine Begleiter auf direktem Weg nach Dallas fahren.« »Wir behalten auch die möglichen Umwege im Auge, die sie wählen könnten.« »Und wenn sie überhaupt nicht nach Dallas unterwegs sind?« »Das Mädchen meinte, dort sitzt ihr Boß.« »Schön, aber das heißt noch lange nicht...« »Solo, Sie haben doch selbst behauptet, De Priest sei jahrelang der Berater von Piromallo gewesen, oder?« »Das ist eine Tatsache.« »Und Sie haben De Priest auch einwandfrei identifiziert?« »Hundertprozentig. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.« Cates lächelte breit. »Na, sehen Sie. Da liegt es doch nahe, daß sie sich jetzt, wo sie völlig neu konzipieren und für mindestens ein paar Wochen von der Bildfläche verschwinden müssen, an ihren Capo wenden. Der wird die Sache schon bereinigen.« »Da täuschen Sie sich aber, Cates.« »Inwiefern?« Alle hatten die Köpfe gehoben und blickten sie jetzt an. Draußen klappten Wagentüren. Clark Quinichettes schwere Limousine rollte davon. Andy kehrte unter Polizeischutz nach Hause zurück. »Piromallo ist nicht der Typ, der diese Niederlage einfach so hinnimmt«, versuchte Franco seinem Gegenüber auseinanderzusetzen. »Erstens einmal nimmt er seinen Gefolgsleuten den Mißerfolg persönlich übel.« »Ach, Unsinn«, sagte Cates. »Sie müssen sich in die Mentalität eines solchen Mannes versetzen«, fuhr Franco ruhig fort. »Mafiosi nehmen vieles persönlich, denken in anderen Kategorien, haben andere Ehrbegriffe und einen verworrenen Kodex, nach dem sie urteilen und handeln. Vielleicht liegt es an meiner Abstammung, daß ich gerade diese Dinge geistig nachvollziehen - und voraussehen kann. Zweitens: Die Sache wird für Piromallo -7 2 -
äußerst gefährlich. De Priest, Duffner, Della Giovanna, Castelli und Redding könnten gefaßt werden. Einer von ihnen könnte die Nerven verlieren und reden. Das ist sogar höchst gefährlich, so brisant, daß Piromallo um alles bangen muß, was er aufgebaut hat. Gewiß, da ist das ungeschriebene Gesetz der 'Omerta' - aber beispielsweise könnte Della Giovanna derart in die Enge gedrängt werden, daß er beschließt, die Schweigepflicht zu brechen.« »Und weiter?« fragte Cates ungeduldig. »Don Clemente Piromallo ist nicht bereit, die Gang zu halten.« »Das heißt konkret?« »Er schafft sie sich vom Hals. Für alle Zeiten.« Cates grinste. »Er lädt sie zu sich ein und schießt sie dann nieder? Eine Szene wie aus dem schönsten Al-Capone-Film der vierziger Jahre.« »Er hat andere Möglichkeiten. Denken Sie mal darüber nach, Cates, dann kommen Sie auch darauf. Meine Theorie lautet jedenfalls, daß Hank De Priest rechtzeitig genug erkennt, daß er bei Piromallo in Ungnade gefallen ist - und daß er darum beschließt, den Staaten ganz den Rücken zu kehren. Genug Geld hat er, um im Ausland einige Zeit geruhsam und unerkannt zu leben. Er wird sich nach Süden wenden, ich versichere es Ihnen.« »Mexiko?« »Vielleicht auch Honduras, Guatemala, Panama. Irgendein mittelamerikanischer Staat jedenfalls.« »Utopie«, urteilte der Special Agent. »Wenn De Priest und seine Gang für alle sechs Kindesentführungen in den Südstaaten, die seit Beginn dieses Jahres durchgeführt worden sind, verantwortlich zeichnen, kann ich mir kaum vorstellen, daß Piromallo sie jetzt wegen einer einzigen Schlappe so mir nichts, dir nichts fallenläßt.« »Andy Quinichette kann seine Entführer beschreiben, vergessen Sie das nicht, Cates.«
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»Das hätte er auch getan, wenn die 500 000 Dollar Lösegeld gezahlt worden wären. Er hat die Falchi, Della Giovanna, Jordan, De Priest und wohl auch Duffner oft genug ohne Masken vor sich gehabt.« Franco fixierte den Mann. »Sagen Sie mal, Cates, ist Ihnen nie in den Sinn gekommen, daß Andy auch nach der Aushändigung der halben Million möglicherweise nie nach Hause zurückgekehrt wäre? Oder daß man ihm bewußtseinsstörende Spritzen gegeben hätte, damit er niemand verraten kann?« Cates schüttelte den Kopf. »Das wäre eine Abweichung von den bisherigen Praktiken dieser Kerle.« »Von welchen Praktiken?« »Na, von denen eben, die sie bei den fünf anderen Entführungen angewandt haben.« »Sie haben in jedem Fall nach einem anderen Schema gearbeitet. Die ersten vier Kinder, die alle jünger waren als Andy, haben nur beispielhaftes Glück gehabt, daß sie nicht getötet oder mit Drogen behandelt wurden«, sagte Franco. »Und noch etwas: Weil sie kleiner waren als Andy, hatten sie auch weniger Auffassungsvermögen. Der Beweis dafür ist, daß alle vier nur Allerweltsbeschreibungen der Kidnapper liefern konnten. Höchstens eine davon hätte auf Della Giovanna passen können. Andy Quinichette hingegen ist mit seinen sieben Jahren bereits ein sehr aufgeweckter Junge. Es hätte sehr gut möglich sein können, daß De Priest zuletzt doch noch seine Zweifel bekommen hätte, was die Beobachtungsgabe und das Erinnerungsvermögen des Kleinen betrifft.« »Meinetwegen, aber lassen wir das jetzt.« »Piromallo muß befürchten, daß aufgrund von Andys Aussagen demnächst die Fotos von De Priest, Della Giovanna und Duffner in sämtlichen Zeitungen und im Fernsehen der Vereinigten Staaten veröffentlicht werden - ja, und auch die von Brian Jordan und Sandra Falchi. Viele Leute könnten sich daran erinnern, daß De Priest als sein angeblicher
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'Unternehmensberater' lange Zeit freiberuflich für ihn gearbeitet hat, und so etwas kann sich ein Piromallo nicht leisten.« Cates wurde ungehalten. »Ja, aber dann würde es doch genügen, daß er ihnen hilft, sich ins Ausland abzusetzen.« »Kidnapping verjährt nicht. Wie lange sollte er denn wohl für den Unterhalt dieser Männer sorgen? Und auf die Gefahr hin, daß plötzlich einer von ihnen doch etwas ausplaudert oder in die Staaten zurückkehrt und ihn womöglich zu erpressen versucht? Nein, tut mir leid, Cates.« Der Lieutenant von der City Police Rosenberg ergriff jetzt das Wort. »Also, hören Sie mal, Solo, was Sie da sagen, erscheint mir nicht nur aus der Luft gegriffen, sondern richtig haarsträubend. Sie wollen doch wohl nicht allen Ernstes behaupten, dieser Piromallo - wenn er überhaupt der Auftraggeber der Kidnapper ist, was erst noch bewiesen werden muß -, dieser Piromallo also würde dafür sorgen, daß De Priest und seine Begleitung aus dem Weg geräumt werden?« »Doch, will ich.« »Da befinden Sie sich bestimmt auf dem Holzweg.« Franco hatte auf die Armbanduhr an seinem linken Handgelenk gesehen und festgestellt, daß es 17.15 Uhr geworden war. »Gents«, sagte er. »Das genügt mir. Tun Sie Ihre Arbeit, ich leiste die meine.« Cates wollte aufbrausen. »Mann, Sie können hier doch keine Extratouren reiten wie... wie ein hergelaufener Privatdetektiv.« »Ich kann«, erwiderte Franco hart. »Setzen Sie sich unverzüglich mit Ihrer Dienststelle in Washington, D.C., in Verbindung, Cates. Die wird es Ihnen bestätigen.« COUNTER MOB durfte er nicht direkt erwähnen, nicht dieser Versammlung von Cops und G-men gegenüber. Der einzige, der hier außer ihm von der Existenz der geheimen Außenstelle des Justice Departments wußte, war Cates. Cates biß sich auf die Unterlippe. Obwohl er es nicht zugab: Sein ganzes Bestreben war darauf ausgerichtet, seine eigene Dienststelle -7 5 -
bei der Weiterverfolgung dieses Falles besser abschneiden zu lassen als COUNTER MOB. Es wurmte ihn mächtig, daß er Franco keine Vorschriften machen konnte... Franco hätte trotz alledem bereitwillig und gern mit Cates zusammengearbeitet - wenn sie, was die Flucht der Gangster betraf, wenigstens gleicher Meinung gewesen wären. Da das nicht der Fall war, mußte er eben wieder als Einzelgänger recherchieren. Solo - das hieß in der Übersetzung aus dem Italienischen »allein«. Offenbar war er regelrecht verdammt dazu, immer wieder diesen Weg zu gehen. Andererseits konnte er diesen G-men und Cops auch nicht stundenlang auseinandersetzen, warum er so und nicht anders zu handeln gedachte, warum er zu wissen glaubte, wie die Mobster sich verhalten würden. Er kannte die Mafia besser als jeder Berufskollege, aber zu sehr darauf hinzuweisen, wurde ja doch nur als Überheblichkeit gewertet. Er wollte sich kurzerhand verabschieden, da klingelte das Telefon. Einer der G-men hob ab und meldete sich. Er sagte ein paarmal »Ja« und »Okay« und »In Ordnung, gut«, dann legte er wieder auf und wandte sich zu den anderen im Raum um. »Rückfragen bei sämtlichen Wohnungsvermittlern von Rosenberg haben folgendes Ergebnis gebracht«, sagte er. »Die Agentur, die der Falchi und Maurizio Della Giovanna dieses Haus hier vor einer Woche vermietet hatte, hat zwei Tage eher ein Einfamilienhaus an der nördlichen Peripherie von Rosenberg an einen Mann weitervermittelt, der der Beschreibung nach nur Cab Duffner gewesen sein kann, wie mir die Zentrale der City Police soeben mitteilt. Die Kollegen sind unterwegs, um das Haus zu umstellen.« »Wir fahren auch hin«, sagte Cates. Wenige Minuten später traf Franco Solo zusammen mit den G-men vor dem Haus ein. Er überließ es Cates, den Einsatz zu leiten. Das Gebäude stand leer. Daß der Mann, der es unter dem Namen »Jason Guthrey« gemietet hatte, doch mit Cab Duffner identisch war, erwies sich mit hundertprozentiger Sicherheit, als die Cops und Special Agents -7 6 -
bis in die Kellergarage vordrangen. Hier stand der dunkelblaue Buick... Wenig später wußten sie mehr. Reifenspuren auf dem Boden der Doppelgarage verrieten einwandfrei, daß hier ein zweites Fahrzeug gestartet worden war - und nach einigem Herumfragen in der Nachbarschaft hatte Cates heraus, daß die Bewohner des Einfamilienhauses vier, fünf oder sechs Männer gewesen waren, und daß sie sich außer des Buicks eines weißen AM Javelin SST bedient hatten, Baujahr vermutlich 1976. Diese Daten ließ Cates sofort an sämtliche Polizeidienststellen des Bundesstaates Texas weitergeben. Mit dem FBI Dallas setzte er sich persönlich per Telefon vom Schlupfwinkel der Kidnapper-Gang aus in Verbindung. Er hielt an seiner These fest, De Priest und die anderen vier Mobster würden sich dorthin wenden. Franco setzte sich in seinen 77er Dodge und befand sich um Punkt 18.00 Uhr auf dem Highway Nummer 90, der Rosenberg im Osten mit Houston verband und im Westen über Orte wie Eagle Lake und Hallettsville nach San Antonio führte. San Antonio - war De Priest nach dort unterwegs? Wenn ja, hatte er dann den Highway 90 oder den Interstate Highway 10 genommen, der weiter nördlich verlief? Oder lag sein Ziel noch weiter südlich, jenseits von Corpus Christi? Franco hatte die Karte von Texas genau im Kopf. Er ging während der Fahrt sämtliche Möglichkeiten durch. Die Mafiosi hatten gut zwei Stunden Vorsprung. In diesen hundertzwanzig Minuten konnten sie mit Aufenthalten schätzungsweise hundert, ohne Stop bis zu hundertfünfzig Meilen weit gefahren sein. Bis jetzt hatte die Fahndung nicht die geringste Meldung über den Verbleib der Flüchtigen gebracht. Jetzt, da man wußte, daß man einen weißen Javelin SST zu suchen hatte, würde sich vielleicht ein gewisser Erfolg einstellen - nämlich der, daß man den verlassenen Wagen irgendwo aufstöberte.
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In dem Dodge war ein transportables Funkgerät installiert worden. Franco schaltete die FM-Frequenz ein, auf der er bis auf eine Distanz von fünfzig Meilen mit der City Police Houston Kontakt halten konnte. Er verfolgte den Funkverkehr der Radio Cars und der Zentrale. Um 18.30 Uhr, als Franco Eagle Lake hinter sich zurückließ, war der weiße Javelin immer noch nicht gefunden worden. In Rock Island, dem nächsten Ort, hörte er sich an Tankstellen und in Gaststätten wie Snackbars und Inns um, fragte aber nicht nach dem weißen Javelin, sondern beschrieb die fünf Gangster. Niemand konnte ihm Auskunft geben. Er fuhr weiter und betrieb seine Ermittlungen in Sheridan und Sublime - mit dem gleichen Mißerfolg. Erst in Hallettsville, wo sich der Highway 90 mit dem Highway 77 kreuzte, erhielt er an einer Raststätte den ersten brauchbaren Hinweis. Es war 20.00 Uhr geworden. Vor einer kleinen, ziemlich schäbig wirkenden Trinkhalle, in der auch Hot Dogs, Hamburger und Cheeseburger verkauft wurden, unterhielten sich ein paar Jugendliche, und zwar von Motorrad zu Motorrad. Man kann auch sagen: Sie u l ngerten herum. Es waren gut ein Dutzend Jungen im Alter von sechzehn bis höchstens zwanzig Jahren und fünf Mädchen. Sie alle musterten Franco in einer Mischung aus Spott, Mißtrauen und Aggressivität, als er stoppte, ausstieg und herantrat. Sie trugen fast alle knallenge Jeans, halboffene Hemden, und wegen der Hitze - natürlich keine Jacken. Die Schutzhelme baumelten an den Lenkern ihrer Maschinen. Zu der Feststellung, daß die Mädchen ausnahmslos keine BH's trugen, bedurfte es weder besonders guter Augen noch großen Scharfsinns. Franco warf einen Blick ins Innere der Halle. Der Keeper war dabei, einem verwahrlost aussehenden Mann und einer Lady, der man das Metier vom geschminkten Gesicht ablas, Hot Dogs und Bier in Dosen zu servieren. Der Keeper zog ein mürrisches Gesicht. Die Stimmung im Inneren des Ladens war
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deprimierend. Franco war überzeugt, hier draußen mehr zu erreichen. »Hallo«, sagte er. »Wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich ganz gern eine Runde spendieren.« »Warum?« erkundigte sich ein bärtiger Stiefelträger, der eine muntere, kichernde Blondine auf dem Sozius seiner Yamaha sitzen hatte. »He, warum, Mister?« »Weil ich euch über jemand ausfragen will.« »Es lebe die Ehrlichkeit!« »Spielen wir mit offenen Karten«, sagte Franco. »Es ist niemand, der zu eurem Freundeskreis gehören könnte.« »Ganz sicher nicht?« fragte der Bärtige zurück. Zweifellos war er der Wortführer der Gruppe. Ihn als Rocker zu bezeichnen, wäre falsch gewesen; ihn jemand zu nennen, der ganz einfach enge Jeans, Stiefel, große, schnelle Motorräder und junge, hübsche Blondinen und eine gewisse Art der Selbstdarstellung liebte, traf eher zu. »Ich schwör's«, sagte der Mafiajäger. »He, bist du vielleicht ein Bulle?« »Ja. Ich bin von Houston aus hinter ein paar Leuten her, die sich ihren Lebensunterhalt damit verdienen, anderer Leute Kinder zu entführen...« »Kidnapper? Hey, kam da vorhin nicht was im Radio, Jungs?« rief der Bärtige seinen Kumpanen zu. »Kann schon sein«, entgegnete einer von ihnen. »Ein Junge ist wiedergefunden worden oder so. Ich hab' aber nur mit halbem Ohr hingehört, Jerry.« »Schon gut«, sagte Jerry und drehte sich wieder Franco Solo zu. »Also, du bist hinter den Schweinen her, die das gemacht haben - die den Jungen festgehalten haben, um ein Lösegeld zu erpressen. Stimmt's, Mister?« »Stimmt.« »Willst du uns nicht deinen Namen verraten?« »Nein, will ich nicht.« -7 9 -
»Es lebe die Ehrlichkeit, oder?« »So ist es, Jerry. Ich bin auf der Suche nach fünf Männern, von denen zwei ein unverkennbar südländisches Aussehen haben und einer eine von diesen Brillen trägt, die sich je nach Sonneneinstrahlung in der Tönung verändert.« »Als Beschreibung ist das reichlich dürftig«, gab Jerry zurück. Argwöhnisch schaute er an Francos Schulter vorbei zu dem Dodge. »So ganz ohne Lichtorgel und Musik unterwegs? Bist du ein Privater oder was?« »Nehmen wir's mal an.« »Also«, sagte Jerry, und seine Augen verengten sich dabei zu Schlitzen. »Entweder spielen wir mit offenen Karten und reden Klartext, Freund, oder wir lassen es bleiben...« »Wenn ihr mir weiterhelfen könnt, dann lasse ich mehr springen als nur eine Runde Bier«, sagte Franco. Er zückte demonstrativ die Brieftasche, die er in der blauen Segeltuchtasche mit sich herumkutschiert und ihr entnommen hatte, bevor er ausgestiegen war. »Jerry«, sagte die Blondine. Sie stieß den Bärtigen von hinten mit dem Zeigefinger an. »Hey, Jerry, Mensch.« »Laß mich«, brummte er. »Jerry, was überlegst du denn noch«, sagte ein anderer Junge. Franco lächelte. »Ich glaube, wir kommen noch ins Geschäft. Ihr habt jemand gesehen, auf den die Beschreibung passen könnte, oder? Ich sehe es doch deiner Nasenspitze an, Jerry.« »Frag den Keeper. Warum gehst du nicht rein und löcherst ihn mit deinen dämlichen Fragen?« »Weil ich überzeugt bin, daß du viel kompetenter in dieser Sache bist«, antwortete Franco. »Da würde ich an deiner Stelle noch nicht so sicher sein...« »Es ist eine Frage des Preises, Jerry, nicht wahr?« »Warte. Diese fünf Leute - wie sehen die genau aus?«
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»Drei von ihnen kann ich präzise beschreiben«, sagte Franco. Er schilderte die Physiognomien von Hank De Priest, Maurizio Della Giovanna und Cab Duffner. Jerry nickte. »Du hast recht, Partner, es ist eine Frage des Preises. Tut mir leid, aber du siehst ja, wir haben hier ein paar anspruchsvolle Freundinnen und... na ja, du kannst dir schon vorstellen, wie's um unsere Finanzen bestellt ist.« Die Blondine auf dem Sozius seiner Yamaha begann wieder zu kichern. »Hundert Dollar«, schlug Franco vor. Jerry überlegte, richtete den Blick zum Abendhimmel, der sich dunkelrot gefärbt hatte und mehr und mehr an Licht verlor. »Sagen wir... zweihundert«, meinte er schließlich. Franco hatte keine Lust, groß herumzufeilschen. »Einverstanden. Zweihundert bar auf die Hand. Und nun heraus mit der Sprache, Jerry - habt ihr sie gesehen?« »Augenblick. Sagen wir dreihundert.« »So haben wir nicht gewettet. Hör mal, ich bin doch nicht von der Arbeitslosenunterstützung.« »Mister«, sagte Jerry schleppend. »Fang nicht an, beleidigend zu werden, ja?« »Nein«, erwiderte Franco ruhig. Er steckte die Brieftasche wieder weg. Rechts in seinen Hosenbund, weil er sonst nirgendwo Platz dafür hatte. »Aber mir stinkt die Sache. Ich setze mich jetzt in meinen Schlitten und rausche ab. Ich komme auch ohne euch in der Sache weiter.« Er drehte sich um und schritt auf den Dodge zu. Hinter seinem Rücken wurde eine der Maschinen angelassen, dann noch eine, danach die dritte; schließlich alle. Franco ging nicht schneller, spannte aber alle Muskeln in seinem Körper an und war darauf gefaßt, in wenigen Sätzen die Distanz zu dem Dodge zu überbrücken, sich hineinzuwerfen und den Bulldog aus der Segeltuchtasche zu ziehen. Wenn er richtig sprintete, mußte er es schaffen können. Jerry war als erster mit der Yamaha und der Blonden auf dem Rücksitz neben ihm. Er wurde aber nicht gewalttätig, sondern rief nur: »He, so war das doch nicht gemeint. Mann, ich bin ja -8 1 -
mit den zweihundert Mäusen einverstanden. Wirklich, ich verrate dir, was ich weiß, wenn du die Flöhe wirklich springen läßt.« Franco blieb stehen. Er entnahm die zweihundert Dollar seiner Brieftasche, während Jerry mit der Maschine neben ihm stoppte und einen Fuß auf die Erde setzte. »Ich komme mit Verstärkung zurück«, drohte er ihm. »Ich rolle hier mit großem Geschütz an und lasse euch die Maschinen, an denen sich bestimmt der eine oder andere Mangel finden läßt, abnehmen, Jerry, wenn das, was du mir jetzt erzählst, nicht stimmt.« »Es stimmt.« »Dann los...« »Sie waren hier. Fünf Mann. Deine Beschreibung paßt haarscharf auf drei von ihnen. Soll ich dir sagen, wie die anderen beiden aussahen?« »Ja.« Er schildert ziemlich präzise die Gesichter, die Gestalten und die Kleidung von Arthur Redding und Sandro Castelli. Nach allem, was Franco bislang über diese beiden Gangster gehört hatte, mußte es sich wirklich um sie handeln. »Sie waren hier und kauften einen Menge Hot Dogs und Hamburger und Bier und Coke in Dosen, die sie mit in ihren Wagen nahmen«, berichtete Jerry. »Dann fuhren sie weiter. Ja, sie schienen es verdammt eilig zu haben.« »Stiegen sie alle aus?« »Nur einer. Der Schwarzhaarige.« »Er kaufte die Eß- und Trinkwaren ein?« »Richtig. Die anderen blieben solange im Wagen sitzen.« »Was für ein Wagen? Ein weißer Javelin?« »Nein. Ein sandfarbener Oldsmobile, Baujahr 1978, würd' ich sagen.« »Kennzeichen?« »Tut mir leid, Partner, aber das habe ich mir nicht gemerkt.« -8 2 -
»Weiß sonst jemand, welche Nummer der Wagen hatte?« fragte Franco die anderen, die sich inzwischen mit ihren Maschinen nah herangedrängt hatten. Alle bis auf ein kurzhaariges, sommersprossiges Mädchen mit langen künstlichen Wimpern schüttelten den Kopf. Sie kletterte von der Maschine, auf dessen Sozius sie gehockt hatte, trat dicht vor Franco hin und erklärte: »Das war eine Nummer aus Colorado.« »Bundesstaat Colorado?« »Nein, nein, Distrikt Colorado natürlich. Colorado, Texas.« Hallettsville lag im Distrikt Lavaca, Colorado schloß im Nordosten daran an. Zu Colorado gehörten die Orte Columbus und Weimar und Schulenberg, auch noch Flatonia, soweit Franco bekannt war - Orte, die am Interstate Highway 10 lagen. Auch Eagle Lake, Altair, Sheridan und Rock Island am Highway 90 zählten zu diesem Bezirk... »Wohin fuhr der Oldsmobile weiter?« wollte Franco wissen. »Richtung Süden, immer auf dem Highway 77 lang«, antwortete Jerry. »Frag uns aber nicht, welches ihr Ziel ist. Das haben sie uns nämlich nicht verraten. Ich hoffe aber, wir haben dir auch so eine einigermaßen... ahä, erschöpfende Auskunft gegeben.« »Doch, das habt ihr.« Franco händigte ihm jetzt die zwei Hundert-Dollar-Noten aus. »Wann ist der Wagen mit den fünfen hier vorgefahren?« Jerry blickte auf seine Armbanduhr. »Also, mehr als eine Stunde dürfte das nicht hergewesen sein.« »Danke.« Jerry grinste und stopfte sich die Scheine in die Brusttasche seines Hemdes. »Wir haben zu danken, ehrlich. Sag' mal, brauchst du eine Eskorte?« »Nein, nicht nötig.« »Hätte ja sein können. Also dann - viel Glück.«
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Franco nickte ihnen zu, setzte sich hinter das Steuer des Dodge und startete. Er spürte, daß ihn ihre Blicke verfolgten, als er den Parkplatz der Raststätte verließ und in Richtung Süden weiterfuhr. Das letzte Dämmerlicht verblaßte im Westen; ein letzter rötlicher Schimmer auf der rechten Flanke des Dodge erstarb. Die Hitze blieb wie ein unsichtbarer brütender Schleier über dem Land hängen. Nur ein Gewitter konnte Abkühlung schaffen, aber das Gewitter kam nicht. Franco hatte versucht, Verbindung mit Houston oder mit Rosenberg aufzunehmen, hatte es aber aufgeben müssen. Er befand sich bereits zu weit von Houston entfernt. Nur eine schwer verständliche Meldung, die von der Highway Police ausging, konnte er noch aufschnappen: Sie hatten den weißen Javelin gefunden. Bei Flatonia. In einem Gebüsch. Von De Priest und den anderen vier Mobstern fehlte jede Spur... Deshalb also haben sie Zeit verloren, überlegte Franco. Sie sind zunächst auf dem Highway 10 nach Westen gefahren, haben sich dann des Javelins entledigt und sich den Oldsmobile geholt. Nein, gemietet haben sie ihn nicht, das wäre viel zu auffällig gewesen. Sie haben ihn gestohlen. Franco versuchte, auf der Frequenz der Highway Police zu senden, brachte es aber nicht fertig. Immer mehr Störungen waren in dem Gerät; bald gingen sie in ein ununterbrochenes Rauschen über. Franco fluchte leise vor sich hin. Er hoffte, irgendwo auf eine Streife zu stoßen, der er seine Mitteilungen machen konnte. Er lenkte den Dodge im Achtzig-Meilen-Tempo nach Süden. Der Verkehr war dünnflüssig, er konnte zügig fahren, brauchte den Fuß kaum vom Gaspedal zu nehmen. De Priests Vorsprung war auf eine Stunde zusammengeschrumpft, und vielleicht schrumpfte er weiter, wenn die Gangster - was anzunehmen war -, noch einmal das Fahrzeug wechselten.
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Flatonia - das lag am National Interstate Highway Nummer 10, und von dort aus waren sie also auf den Highway 77 abgebogen. Warum? Hatten sie es von Anfang an vorgehabt? Der Highway 77 führte über Victoria nach Corpus Christi, und um beispielsweise nach Corpus Christi zu gelangen, hätten die Mafiosi von Houston und Rosenberg aus auch gleich den Highway 59 benutzen können, der die Direktverbindung darstellte. Warum hatten sie diesen Umweg über den Highway 10 eingeschlagen? Sie hatten selbst nicht gewußt, wohin sie sich wenden sollten, das war es. Zwei Wege gab es - nach Dallas oder nach Süden, zur mexikanischen Grenze. Mexiko, Yucatan, Della Giovanna hatte davon zu Sandra Falchi gesprochen; aber hatte er es aus konkretem Anlaß getan oder einfach nur so... um ihr einen Floh ins Ohr zu setzen? Franco wußte, daß er nicht weiterkam, wenn er in diesen Bahnen dachte. Vorerst schienen die Tatsachen seine Ahnungen zu bestätigen. Die Gang war wirklich nach Süden unterwegs. In Flatonia, so vermutete der Mafiajäger, hatten die fünf nicht nur ihren Wagen mit einem anderen vertauscht, sie hatten auch Verbindung mit dem Capo in Dallas aufgenommen. Piromallo hatte ihnen gesagt, was sie zu tun hatten. Was? Sollten sie zur Grenze fliehen? Franco glaubte die Zusammenhänge zu begreifen. Er ließ sich von seinem Spürsinn leiten, verließ sich größtenteils auf jene Portion »feeling«, die zu den unabdingbaren Fähigkeiten dieses Berufes zählte. Die einzige Ortschaft, die auf dem Weg nach Victoria am Highway 77 lag, war Fordtran. Er nahm sich eine halbe Stunde Zeit, um sich umzuhören, fand aber nicht den geringsten Anhaltspunkt, der darauf hindeutete, daß die Gangster hier gehalten hatten. Er fuhr weiter. Victoria, dachte er, dort werden sie Zwischenstation einlegen, dort werden sie sich vielleicht auch einen anderen Wagen beschaffen und den Oldsmobile verschwinden lassen. -8 5 -
Es war 21.00 Uhr geworden. Victoria... Auf der neunzehn Meilen Strecke von Fordtran nach Victoria begegnete Franco Solo keine Polizeistreife. Er versuchte noch einmal, den Funkkontakt herzustellen, wenigstens zu einem der kleineren Polizeiposten in der Umgebung, aber das Gerät streikte. Vielleicht war einer seiner Transistoren defekt, vielleicht auch gleich mehrere. Franco wetterte vor sich hin und beschloß, bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, telefonisch Verbindung mit Cates und den anderen in Rosenberg und Houston aufzunehmen. Er sah ein, daß es besser gewesen wäre, wenn er es bereits von Hallettsville oder von Fordtran aus getan hätte. Aber in zehn Minuten bin ich in Victoria, dachte er. *** »Cates?« sagte er. »Ja, am Apparat.« »Sie sitzen also noch in dem Einfamilienhaus von Rosenberg. Gut, daß ich mir die Telefonnummer gemerkt habe.« »Von wo aus rufen Sie an. Solo?« »Von Victoria. 12. Revier der City Police.« »Was, zum Teufel, hat Sie denn nach dort verschlagen?« Franco berichtete ihm von seiner Begegnung mit den jungen Leuten auf dem Rastplatz von Hallettsville. »Die haben Ihnen einen Bären aufgebunden, Solo«, entgegnete der FBI-Mann am Ende. »Hören Sie, die Pressefritzen haben ganze Arbeit geleistet und durch beharrliches Herumfragen bei den Augenzeugen herausgekriegt, wie die fünf flüchtigen Kerle in etwa aussehen. Die Suchmeldungen wurden schon zweimal in den Abendnachrichten durchgegeben - und die haben auch Ihre Freunde, die Rocker, gehört, so daß sie sich ihre hübsche -8 6 -
kleine Geschichte ausdenken und natürlich auch mit einigen Fakten aufwarten konnten.« »Cates, wir beide werden uns nie verstehen.« »Die Befürchtung habe ich auch. Wir haben den weißen Javelin in Flatonia am Highway 10 gefunden. Wir sind auch der Meinung, daß die fünf Mafiosi sich einen anderen Wagen besorgt haben - aber wir nehmen an, daß sie nach San Antonio unterwegs sind.« »Hier irren Sie...« »Solo, geben Sie's auf«, sagte Cates. »Ich respektiere Ihren Mut, aber mit Ihren Einzelgängermethoden kommen Sie jetzt nicht weiter.« »Lassen Sie nach einem sandfarbenen Oldsmobile, Baujahr vermutlich 1978, fahnden.« »Typ?« »Ist mir nicht bekannt.« »Kennzeichen?« »Distrikt Colorado, Texas, mehr ist mir nicht bekannt. Hölle, Cates, der Wagen wurde in Flatonia entwendet, das ist doch klar. Warum fahren Sie nicht selbst 'raus und überzeugen sich an Ort und Stelle davon?« »Ich habe hier in Rosenberg mein vorläufiges Hauptquartier aufgeschlagen«, erklärte der Special Agent. »Und von hier rühre ich mich nicht fort, ehe nicht konkrete Fahndungsergebnisse aus San Antonio oder Dallas vorliegen.« »Lassen Sie nach dem Oldsmobile nun fahnden oder nicht?« »Okay, ich gebe das weiter. Aber die Beschreibung ist verdammt dürftig...« »Leben Sie wohl, Cates«, sagte Franco wütend. »Und ruhen Sie sanft.« Er legte auf und blickte den Desk Sergeant in dem kahlen, trostlosen Revierbüro über die Platte des Schreibtischs hinweg an. Der Mann hatte sich inzwischen per Funk bei der City Police Houston vergewissert, daß Franco Solo tatsächlich die -8 7 -
Berechtigung hatte, sein Telefon zu benutzen. Er drehte sich auf seinem Stuhl herum und nickte Franco zu, »Sergeant«, sagte Franco. »Wie viele öffentliche Parkplätze, wie viele Hochgaragen und öffentliche Kellergaragen, wie viele Rastplätze und Motels gibt es in dieser Stadt?« »Wollen Sie eine Liste?« »Ja, ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür, denn ich werde sämtliche Adressen, die Sie mir angeben, der Reihe nach abklappern. Ich nehme an, daß sie sich an einem Platz, an dem sie sich weitgehend unbeobachtet fühlen und an dem es eine große Auswahl von Personenwagen gibt, einen anderen fahrbaren Untersatz beschaffen werden.« Der Desk Sergeant hob die Augenbrauen um vielleicht einen halben Zoll. »Mister Solo, es tut mir leid, aber ohne offiziellen Dienstbefehl kann ich Sie dabei nicht unterstützten. Ich müßte schon warten, bis von Revier l eine entsprechende Anweisung kommt.« Franco lächelte ihn an. »Schon gut, Sergeant, und besten Dank. Sehen wir jetzt zu, daß wir unsere Liste fertigkriegen. Ich habe schon viel zuviel Zeit verloren.« *** Um 22.30 Uhr hatte Franco drei Parkhochhäuser, fünf öffentliche Parkplatze, eine große Kellergarage im Zentrum von Victoria und zwei Motels an der Peripherie durchforscht - ohne Erfolg. Er hatte an einer Tankstelle mit Selbstbedienungsbetrieb Superbenzin nachgefüllt und befand sich nun auf dem Weg zu einer der letzten drei Adressen, die der Desk Sergeant ihm gegeben hatte. Das Motel »La Pryor« - es lag etwas außerhalb des südwestlichen Stadtrandes. Das weiße Hauptgebäude mit dem Arkadenvorbau erweckte einen sauberen, gepflegten Eindruck. Im Inneren befanden sich die Rezeption, ein Restaurant, das um diese Stunde bereits geschlossen hatte, und eine Bar, wie Franco einem -8 8 -
Hinweisschild kurz hinter der Toreinfahrt zum großen Parkplatz entnahm. Franco ließ den Dodge langsam auf den Parkplatz rollen. Er blendete einmal kurz auf und sah im Licht der Scheinwerfer zwei Pavillons im Stil der weißgetünchten Adobelehmbauten der Mexikaner seitlich versetzt neben dem Haupthaus stehen. »La Pryor« - ein Motel im nachempfundenen mexikanischen Stil also, mit mehreren Pavillons, die weit verstreut über ein großes Grundstück lagen und die eigentlichen Zimmer enthielten. Franco stellte seinen Dodge in einer freien Parkbucht ab, stieg aus und hängte sich die blaue Segeltuchtasche über die Schulter. Er entdeckte den Parkplatzwächter, trat auf ihn zu und ließ sich von ihm einen Schein aushändigen. »Sie suchen ein Zimmer für die Nacht, Sir?« »Ja. Eigentlich wollte ich mich mit einem Freund hier treffen, aber ich sehe seinen Wagen nirgends.« »Ein Freund, Sir?« »Mister Hank De Priest.« »Tut mir leid, aber den kenne ich nicht.« Täuschte Franco sich, oder hatte der Mann wirklich kaum merklich gezögert, ehe er diese Antwort gab? »Vielleicht kennen Sie seinen Wagen«, fuhr er fort. »Einen sandfarbenen Oldsmobile.« »Typ?« »Das weiß ich nun beim besten Willen nicht...« »Wir haben zwei Oldsmobiles, aber keinen sandfarbenen. Nur einen grünen und einen metallicblauen.« »Okay, trotzdem schönen Dank«, erwiderte Franco. »Na, dann gehe ich mal zur Rezeption und erkundige mich dort nach einer Unterbringungsmöglichkeit. De Priest wird schon noch eintreffen.« »Ich hoffe es, Sir.« Franco gab ihm ein Trinkgeld und strebte auf das Hauptgebäude zu. Blickte der Platzwächter ihm jetzt mißbilligend nach - oder drohend? Oder blieb er völlig -8 9 -
teilnahmslos? Franco wurde den Verdacht nicht los, daß der Mann ihm etwas verbarg. Deshalb verfuhr er jetzt nach folgender Taktik: Er nahm sich ein Zimmer in einem der Pavillons, fragte nicht mehr nach Hank De Priest, sondern überließ das weitere dem Zufall. Wenn es wieder ein Schlag ins Wasser wurde, konnte er das Motel unter einem Vorwand wieder verlassen. In diesem Punkt mangelte es ihm nicht an Phantasie... »Sie können mit dem Wagen zu Ihrem Pavillon hinüberfahren und ihn gleich daneben parken, Sir«, sagte der Nachtportier, nachdem er ihn ein kleines Formular hatte ausfüllen lassen. Lee Silverstein, hatte Franco als Namen eingetragen, wohnhaft Shreveport, LA, von Beruf Handelsvertreter, auf der Durchreise nach Brownsville, Südtexas. »Zu Fuß wäre es zu weit«, klärte der Portier ihn auf. »Sie haben die Nummer 15. Soll ich Sie einweisen lassen?« »Danke, nicht nötig, ich finde es auch so.« »Haben Sie gegessen? Ich kann Ihnen sonst in der Bar eine Kleinigkeit zubereiten lassen.« »Danke, ich habe gegessen.« »Wenn Sie in der Bar noch etwas trinken wollen....« »Nein, ich bin hundemüde.« »Fein, Sir. Angenehme Nachtruhe wünsche ich dann.« Franco kehrte zu dem Wächter auf dem Parkplatz zurück, gab seinen Schein ab, erkundigte sich nach dem Pavillon Nummer 15 und ließ sich den Weg dorthin noch einmal beschreiben. Dann fuhr er los, fuhr zwischen den weißen Pavillons auf einer schmalen, gut asphaltierten Straße, blickte in den Rückspiegel, ob ihm jemand folgte und hielt Ausschau nach einem sandfarbenen Oldsmobile. Weder der Wächter noch sonst jemand hatte sich an seine Fersen geheftet. Vielleicht betrat der Mann vom Parkplatz aber in diesem Augenblick das Hauptgebäude, um den Nachtportier darauf aufmerksam zu machen, daß dieser »Mr. Silverstein« nach einem gewissen Mr. De Priest gefragt hatte...
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Franco entdeckte den Oldsmobile in der unmittelbaren Nachbarschaft des Pavillons Nummer 12. Nur kurz glitt der Geisterfinger der Scheinwerfer über die Karosserie, aber dieser Augenblick genügte, um Franco deutlich genug zu zeigen, in welcher Farbe der Wagen gespritzt war. Sandfarben... Der Mann vom Parkplatz hatte also gelogen. Niemand wußte besser als er über sämtliche Fahrzeuge Bescheid, die im »La Pryor« ein- und ausführen. Der Oldsmobile konnte seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, zumal es keines der Modelle der unteren Preisklasse war, sondern ein Toronado. Baujahr 1978. Zugelassen in Colorado, Texas. Franco fuhr weiter bis zum Haus mit der Nummer 15. Er parkte seinen Dodge neben drei anderen Wagen, stieg aus, ging zur Eingangstür und schloß sie auf. Durch einen kleinen Flur betrat er - wieder mit einem der Schlüssel, die der Portier ihm ausgehändigt hatte -, sein Zimmer. In jedem dieser Pavillons oder Bungalows gab es drei bis vier Zimmer, die entweder einzeln oder zusammen als Suite an ganze Familien vermietet wurden. Franco durchquerte das Zimmer im Dunkeln und vergewisserte sich, daß die Rolläden vor den beiden Fenstern auch wirklich heruntergelassen waren. Erst dann schaltete er die Beleuchtung ein, öffnete die Tür des Badezimmers und inspizierte auch dieses auf das genaueste. Vorsicht war geboten. Der Mann vom Parkplatz konnte ein von De Priest bestochener, gekaufter Helfer sein... es konnte aber noch weitaus übler aussehen. Der Besitz des Piromallo-Clans war groß; Don Clemente hatte stille Beteiligungen an Unternehmen verschiedenster Art in ganz Texas. Warum nicht auch an diesem Motel bei Victoria? Wenn das der Fall war, dann bedeutete es, daß alle hier, vom Direktor bis zum Nachtwächter auf dem Parkplatz vorm Hauptgebäude, auf Don Clementes Lohnlisten standen. Aber war es nicht ein Widersinn, daß De Priest und die anderen vier ausgerechnet jetzt, wo nach ihnen gefahndet wurde, hierher -9 1 -
kamen? Hatte Don Clemente sie gar herbestellt? Welches Ziel verfolgte er damit? Franco dachte an das, was er Cates zu erklären versucht hatte, als sie sich in dem Haus in der Liberty Road von Rosenberg gegenübergestanden hatten. Cates, die übrigen G-men, die Cops, keiner hatte es glauben wollen - doch jetzt nahm Francos Verdacht konkrete Gestalt an. Er steckte sich den Bulldog zu und versenkte sämtliche Reservemunition in seinen Hosentaschen. Sein Geld und seine Ausweise und alle übrigen Utensilien aus der Segeltuchtasche wie beispielsweise den Dietrich mit den regulierbaren Barten nahm er ebenfalls an sich. Seine Gestalt wirkte mit den vollgestopften Hosentaschen und dem Revolver im Bund unförmig, grotesk; aber er hoffte, im Dunkeln nicht aufzufallen. Er ließ die offene Segeltuchtasche auf dem Bett des Zimmers stehen. Dann schlug er noch die Bettdecke zurück, verließ den Pavillon 15 und tauchte in der Nacht unter. *** Ein hochrädriger Jeep Cherokee Chief rollte auf das Hauptgebäude des Motels zu. Der Parkplatzwächter hob die Hand zum Gruß, lächelte, schritt auf den Wagen zu und enterte sein linkes Trittbrett, als die Scheinwerfer erloschen und das Fahrzeug nicht weit vom Eingang des Arkadenhauses entfernt zum Stillstand kam. Die Seitenscheiben waren beide heruntergelassen. Der Nachtwächter blickte durch das linke und konnte deutlich die Gestalten des Fahrers und seiner beiden Begleiter erkennen, die auf der Vorderbank saßen. Die Ladefläche des Wagens war leer. Dort hätten weitere sechs Mann auf Querbänken bequem Platz gehabt... »In Ordnung«, sagte der Parkplatzmann. »De Priest und die anderen vier sitzen im Bungalow Nummer 12. Sie haben sich in sämtlichen Zimmern breitgemacht und warten.« -9 2 -
»Dann laß sie jetzt anrufen«, entgegnete der Fahrer. »Sie sollen wissen, daß es soweit ist. So war es doch ausgemacht, oder?« »Ja. Aber da ist noch was...« »Wir sollen keinen Lärm verursachen.« »Nein, das ist es nicht.« »Wir erledigen es völlig lautlos und nehmen die Burschen dann mit«, sagte der Mann am Steuer des dickreifigen Off-RoadWagens. »Saubere Arbeit, nicht wahr, keine Spuren, dafür werden wir schließlich bezahlt.« »Obacht«, sagte der Mann vom Autoparkplatz. »Da ist jemand eingetroffen, der nach De Priest gefragt hat. Er hat sich ein Zimmer im Bungalow 15 geben lassen. Wir vermuten, daß er ein Bulle ist. Er nennt sich Lee Silverstein und kommt angeblich aus Shreveport, aber das ist natürlich frei erfunden. Vielleicht ist er sogar mit dem Kerl identisch, der heute nachmittag in Rosenberg den Jungen befreit hat. Seinem Aussehen nach...« »Das genügt«, erwiderte der Fahrer. »Wir nehmen auch ihn mit.« »Aber seht euch vor...« »Partner«, sagte der Mann am Steuer. »Für wen hältst du uns eigentlich, hm?« »Nichts für ungut. Ihr werdet das schon schaukeln.« »Ja, das glaube ich auch.« Der Wächter sprang vom Trittbrett. Der Cherokee Chief rollte langsam wieder an, fuhr eine Halbkreiskurve und näherte sich fast im Schrittempo den Bungalows. Die beiden Beifahrer des Sprechers zogen schwere, klobige Pistolen, Marke Colt Government, aus den Gurten und setzten ihren Mündungen Schalldämpfer auf. Sie entsicherten und luden durch. »Einer von euch steigt gleich aus und pirscht sich an das Haus Nummer 15 heran«, sagte der Fahrer. »Ihr könnt von mir aus knobeln, wer von euch diesen dreckigen Schnüffler erledigt; soviel Zeit haben wir noch.« ***
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Hank De Priest konnte seine Nervosität und Ungeduld kaum noch bezwingen. Duffner, Redding, Della Giovanna und Castelli ging es nicht besser. Daran änderte auch die Flasche Bourbon nichts, die sie zu einem Drittel geleert und zwischen sich auf einen Tisch im größten Raum des Hauses Nummer 12 gestellt hatten. »Also, ich nehme noch einen Schluck«, sagte Castelli. De Priest drehte sich zu ihm um. »Nein. Du kannst noch eine Dose Bier haben, wenn du willst. Aber keinen Bourbon.« »Bier beruhigt mich nicht.« »Hör zu, wir müssen alle einen klaren Kopf behalten. Alle fünf, kapiert?« »Ja, schon gut.« »Aber meinst du, daß er heute nacht noch kommt?« fragte jetzt Redding. Er fuhr sich mit der Hand durch sein schütteres blondes Haar. Es war heiß in dem Raum, und seine wenigen Haare waren feucht und verfilzt. »Es ist jetzt fünf vor elf, Hank«, fügte er hinzu. »Er kommt«, sagte De Priest. »Er hat sich bisher immer noch an Abmachungen gehalten.« »Hank«, begann Maurizio Della Giovanna nun in seinem akzentgeladenen Englisch. »Ich will dir schon die ganze Zeit lang etwas beibringen, aber ich weiß nicht, wie ich es anpacken soll...« »Dann laß es.« »Du denkst von mir, ich sei ein Versager, weil es mit meine Schuld ist, daß dieser Coup danebengegangen ist. Aber ich werde dir beweisen, daß ich trotzdem weiter denken kann als du.« »Wie?« sagte De Priest gereizt. Seine Augen schienen hinter den jetzt ganz aufgehellten Brillengläsern zu funkeln. »Wie willst du das anstellen? Na los, verrat' es mir.« Della Giovanna wollte etwas erwidern, aber in diesem Augenblick summte das Zimmertelefon. De Priest trat sofort zu dem Apparat, und meldete sich mit einem undeutlichen: »Ja, hallo?« »Hier ist die Rezeption«, sagte der Nachtportier vorn in dem Arkadenhaus. »Ich wollte Ihnen nur Bescheid geben: Er ist jetzt da.« -9 4 -
»Wer?« »Na, der Mann, den Sie erwarten.« »Aus Dallas?« »Ja, natürlich.« »Gut, das wollte ich nur bestätigt haben«, sagte De Priest. »Ich komme also rüber und setze mich zu ihm in die Bar. Ich bringe noch zwei, nein, drei meiner Freunde mit, richten Sie ihm das aus.« »Augenblick. Er ist selbst zu Ihnen unterwegs.« »Wie, er ist schon...« »Ein Jeep Cherokee Chief nähert sich Ihrem Bungalow«, erklärte der Nachtportier gelassen. »Sie brauchen jetzt nur noch rauszugehen und ihn zu empfangen. Das war's. Angenehmen Abend noch.« De Priest ließ verwundert den Hörer sinken. »Er kommt selbst«, sagte er langsam. »Hierher. Das ist so ganz gegen seine Art.« Della Giovanna stand plötzlich vor ihm und blickte ihm in die Augen. De Priest ließ den Hörer auf der Gabel des Apparates nieder. Schweigend standen sie sich gegenüber. »Piromallo ist da?« erkundigte sich der Kalabrese. »Hank... er ist nicht allein erschienen, das schwöre ich dir. Und noch was. Überlege doch mal ganz genau. Mensch, fällt dir denn nicht auf, wie die Angelegenheit stinkt?« »Nach Verrat?« »Ja. Hank, ich will verrecken, wenn das nicht die Wahrheit ist. Du weißt, was ich meine. Ich bin froh, daß es jetzt 'raus ist...« »Wahnsinn«, murmelte De Priest. »Ich höre einen Wagenmotor«, sagte Cab Duffner. »Er nähert sich unserer Bude. Also, ich will nicht behaupten, daß es eine JeepMaschine ist, aber etwas Schweres, Achtzylindriges könnte das schon sein...« »Er ist es«, flüsterte Redding. »Sie«, verbesserte Castelli. »Sie sind es, wolltest du doch wohl sagen, oder?« Hank De Priest fuhr zu ihnen herum. »Los, löscht das Licht. Verdammt, raus aus diesem elenden Scheißbau, und zwar -9 5 -
schnell! Schnappt euch die Waffen, wir steigen hinten zu den Fenstern raus... ehe es zu spät dazu ist.« *** Der Mann mit der.45er Colt Government in der Faust hatte den Jeep Cherokee Chief verlassen und rannte geduckt zwischen Oleander-, Rhododendron- und anderen Ziersträuchern auf den Bungalow 15 zu. Er wußte, an welcher Seite des weißen Gebäudes das Zimmer lag, das »Mr. Silverstein aus Shreveport« für die Nacht genommen hatte. Er wußte es, ohne mit dem Parkplatzwächter oder dem Nachtportier darüber gesprochen zu haben. Es war nicht das erste Mal, daß sie aus genau diesem Zimmer jemand herausholten. Wer in diesen Raum einzog, war fast immer prädestiniert, spurlos aus dem Motel »La Pryor« zu verschwinden... Dies hing mit der besonderen Lage des Zimmers zusammen. Es hieß 15/D und wies - von den anderen drei Räumen A, B und C ziemlich abgekapselt -, zur Rückseite des Baus hinaus. Dort konnte man einen Mann leicht zum Fenster hinausbefördern, ohne daß die anderen Pavillonbewohner es mitbekamen. Der Pistolenmann öffnete die Eingangstür mit einem Nachschlüssel, den er ständig bei sich trug. Er glitt durch den dunklen Flur, fand die Tür des Raumes D mit schlafwandlerischer Sicherheit, legte die Hand auf die Klinke und drückte sie vorsichtig herunter. Die Tür war unverschlossen. Er schob sie auf, schlüpfte durch den Spalt in das finstere Innere des Raumes, blieb lauschend stehen, schob die Tür langsam, ganz langsam wieder zu und bewegte sich allmählich nach rechts. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und hielt den Atem an. Sobald sich seine Augen einigermaßen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er zumindest die Umrisse des Bettes -9 6 -
ausmachen. Er hob die entsicherte Schalldämpferpistole mit beiden Händen, zielte auf die Bettfläche und drückte zweimal rasch hintereinander ab. Hohl blafften die Schüsse in den Raum. Dumpf klatschend gruben sich die .45er-Projektile in das Bett. Der Killer wechselte die Position. Er huschte zu den Fenstern hinüber, und als sich seine Augen noch besser auf das Dunkel eingestellt hatten, erkannte er plötzlich, daß er wirklich nur das Bett, nichts anderes als das Bett getroffen hatte. Mit einem unterdrückten Fluch begann er, den Raum und das angrenzende Badezimmer zu durchsuchen. Er entdeckte nur die leere blaue Segeltuchtasche, in der ein .45er-Loch klaffte. Sonst keine Spur von dem Mann, den sie richtigerweise einen Bullen genannt hatten. *** Der Fahrer des Jeep Cherokee Chief besaß auch eine Schalldämpferautomatik des gleichen Typs wie seine beiden Mitstreiter. Er hatte die Waffe inzwischen ebenfalls zum Vorschein gebracht, sie entsichert, während er das Lenkrad kurz mit dem Knie festgehalten hatte. Kurz vor dem Bungalow 12 schaltete er die Scheinwerfer des Wagens abrupt aus. »Da stimmt was nicht«, sagte er. »Keiner von ihnen ist rausgekommen, um Don Clemente zu empfangen. Adrian, da stimmt was nicht.« »Halt an, ich gehe rein und bitte sie «raus«, entgegnete der mit Adrian Angesprochene. »Nein, warte.« »Du meinst... sie haben Lunte gerochen?« »Genau das meine ich. Ich fahre jetzt um den Bungalow herum, und du feuerst sofort, wenn du auch nur einen von ihnen siehst, verstanden?« »In Ordnung, Glauco.« -9 7 -
Glauco riß das Steuer nach links, verließ den asphaltierten Vorplatz des Bungalows, auf dem der Oldsmobile Toronado geparkt war, schaltete den Vierradantrieb ein und manövrierte den schweren Wagen durch die niedrige Zierhecke und über die etwas unebene Rasenfläche, die das Gebäude umgab. Er zog ihn um zwei weißgetünchte Hausecken herum, dann hatten sie sie plötzlich vor sich - Della Giovanna, Duffner, Redding, Castelli und De Priest, der sich auf dem Boden mit einem sechsten Mann wälzte. »Fang an«, stieß Glauco aus. »Ich fahre De Priest und diesen anderen Narren über den Haufen. Schieß' du auf die anderen vier!« Adrian hatte die Colt Government zum rechten Seitenfenster hinausgestreckt. Er zielte, drückte ab, feuerte auf die Mobster, die sich verzweifelt in Deckung zu bringen versuchten. Das Patschen der Schalldämpferpistole ging im Dröhnen des Wagenmotors unter. Hank De Priest hatte den Bungalow Nummer 12 als letzter durch eines der hinteren Fenster verlassen, aber er war der erste der fünf Gangster, der seine eigene Unzulänglichkeit am deutlichsten zu spüren bekam. Jemand drückte ihm etwas gegen den Rücken, als er sich gerade seinen Komplizen zuwandte. Dieses Etwas fühlte sich verteufelt echt wie die Mündung einer größeren Schußwaffe an... »De Priest«, raunte eine Stimme hinter seinem Rücken. »Sag deinen Freunden, sie sollen stehenbleiben und sich langsam umdrehen. Sie sollen die Finger gen Himmel heben und sich ja nicht einfallen lassen, zu den Waffen zu greifen. Mann, so rede schon, wenn dir dein Leben lieb ist.« »Maurizio«, sagte De Priest mit leicht belegter Stimme. »Cab, Arthur, Sandro.« Sie verharrten und drehten sich um. Sie mußten jetzt den Fremden sehen, der sich hinter De Priests Rücken geduckt hielt. Teufel, dieser Mann mußte sich wie ein -9 8 -
Indianer angeschlichen haben, und dann war er urplötzlich aus dem Dickicht nahe der Hausrückwand hochgewachsen... »O Mann«, sagte Maurizio Della Giovanna. »Ich werd' nicht wieder...« »Hebt die Hände«, befahl De Priest. »Hank«, sagte der Kalabrese. »Das ist er doch... der Hund, der uns dies alles eingebrockt hat. Franco...« »Ja«, entgegnete Franco Solo. »Ich bin es wirklich. Leistet keinen Widerstand. Wir verlassen dieses saubere Motel gemeinsam, und dabei schneidet ihr immer noch besser ab... als wenn ihr auf eure Partner wartet, die euch zweifellos aus dem Weg räumen wollen.« »Er weiß auch das«, flüsterte der Kalabrese. »Man, kann der denn hellsehen?« »Legt ihn um«, sagte De Priest unvermittelt. »Los, schießt ihn zusammen. Es ist mir egal, ob ich dabei auch ein Ding verpaßt kriege. Ich will ihn verrecken sehen.« »Stop«, fuhr Franco scharf dazwischen. »Hört mir jetzt gut zu, ich...« Weiter kam er nicht. Der Jeep Cherokee Chief schoß ohne Licht hinter der Hausecke hervor, vollführte einen Schlenker zu ihnen herüber und rollte dann beschleunigend genau auf sie zu. De Priest nutzte die entstehende Verwirrung aus, bückte sich etwas, trat Franco gegen das Schienbein, packte seinen Waffenarm und riß Franco mit sich zu Boden. Der Bulldog entglitt Francos Hand. De Priest hieb mit der rechten Faust zu, während er die Arme des Mafiajägers mit links festhielt. Franco krümmte sich. Der Off-Road-Kreuzer hatte sie fast erreicht. Seine breiten, schweren Reifen schienen alles niederwalzen zu wollen. In dem rechten Seitenfenster erschien plötzlich eine klobige Pistole mit aufgesetzten Schalldämpfer... »De Priest«, stieß Franco keuchend aus. »Himmel, sie töten uns alle beide, wenn wir... uns hier nicht wegrollen...«
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Der Boß der Kidnappergang ließ plötzlich von ihm ab und wälzte sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit zur Seite fort, um den Vorderrädern des Cherokee Chief zu entgehen. Franco spürte, daß er es nicht mehr schaffen würde. Er überrollte sich nur einmal in der entgegengesetzten Richtung, blieb dann auf dem Bauch liegen und preßte das Gesicht ins Gras. Seine Hände krallten sich im Untergrund fest... und der Jeep donnerte über ihn hinweg. Er hatte das Gefühl, die Reifen würden seine Hände und Füße zerquetschen, das vordere und das hintere Differential des großen Wagens würden seinen Kopf und seinen Rücken der Länge nach aufschrammen, aufreißen, aber es war nur eine grauenvolle Vision. Das wummernde Geräusch des Motors war über ihn hinweg, er lebte noch, war unversehrt, erlag nicht der Einbildung eines paralysierten Hirns - nein, er konnte sich wirklich hinter dem Heck des weiterrollenden Wagens aufrappeln. Plötzlich sah er den Bulldog liegen. Er kroch darauf zu, brauchte ihn nur aufzuheben. Die linken Reifen des Cherokee Chief waren über den Revolver hinweggeholpert, aber er war deswegen natürlich nicht unbrauchbar geworden. Franco riß ihn an sich. De Priest hatte sich ebenfalls erhoben und feuerte mit seiner Automatik auf den Jeep. Maurizio Della Giovanna hatte eine der beiden Beretta M 12 der Gang in den Fäusten, zog durch und deckte die Fahrerkabine des Wagens mit Schüssen ein. Er lief dabei rückwärts, war nun an der Hauswand, tänzelte weiter zurück, bis zur Ecke. Die Windschutzscheibe des Cherokee Chief zerbrach. Glauco, der Fahrer, streckte nun ebenfalls seine Schalldämpferautomatik vor und drückte ab. Er schoß und duckte sich, schoß und suchte hinter dem Armaturenbrett vor den Projektilen des Gegners Deckung. Cab Duffner setzte die zweite Maschinenpistole ein; Redding und Castelli hingegen bedienten sich ihrer automatischen Pistolen. -1 0 0 -
Sandro Castelli spürte plötzlich, wie ihn etwas von vorn ansprang. Er krümmte sich, wollte die Waffe wieder heben und weiterfeuern, auf den verdammten Jeep. Aber dann stellte er plötzlich fest, daß er nicht mehr dazu in der Lage war, den Arm mit der Automatik zu heben, daß sämtliche Kraft auf erschreckende, unheimliche Weise seinen Körper verließ. Sie haben dich getroffen, dachte er verzweifelt, sie haben dir in den Bauch geschossen, o Jesus, es ist aus... Er stürzte dem Wagen entgegen und versuchte, in seinen Kühlergrill zu greifen, und dann hatte er den Eindruck, daß der Jeep Cherokee Chief vom Erdboden abhob und wie ein gigantischer Paradiesvogel über ihn hinwegflog. Der Tag löste die Nacht ab, und mächtige, in bizarres Licht getauchte Eispickel hagelten auf ihn, Sandro Castelli, herab und drückten ihn in das weiche Erdreich hinab, immer tiefer. Maurizio Della Giovanna hatte die Hausecke hinter sich gebracht, war in Deckung. Er hörte auf zu feuern, weil das Magazin der Mpi leer war. Er löste das Magazin mit fliegenden Fingern, zerrte ein frisch geladenes aus seiner leichten Anzugjacke hervor, setzte es ein. Hank De Priest schoß seine Automatik auf den Jeep leer, traf aber die beiden Killer nicht, weil sie sich jetzt völlig im Fußraum zwischen vorderer Sitzbank und Armaturenbrett verschanzt hatten. Glauco fuhr blind, immer geradeaus ins Gelände zwischen den Bungalows hinein. Cab Duffner hatte sich hinter ein Gebüsch geworfen und entging so der Aufmerksamkeit der Killer. Arthur Redding rannte wie von Sinnen ein Stück vor dem Jeep her, der in diesem Augenblick gerade über Castelli hinwegrollte, schlug dann einen Haken nach rechts, erreichte ebenfalls das Dickicht und hechtete hinein. Glauco und Adrian fuhren auf zwei Yards Distanz an ihm vorbei. Franco Solo war der einzige, der sich in dieser Sekunde sichernd nach hinten umblickte. Er, nur er sah den Mann, der mit einer Schalldämpferpistole in der Hand auf sie zugestürmt kam. Nach der Richtung zu urteilen, aus der er sich näherte, -1 0 1 -
hatte er kurz zuvor dem Bungalow 15 einen Besuch abgestattet... Franco dachte zuerst, der Kerl würde auf Hank De Priest feuern. Dann aber ließ er sich geistesgegenwärtig vornüber kippen und preßte sich flach auf den Boden. Der Killer schoß auf ihn. Zweimal blitzte es an der Mündung seiner 45er-Automatik auf, und gefährlich dicht zischte das Blei über Francos Rücken hinweg. *** Überall in der Bungalow-Siedlung wurden jetzt Fenster und Türen aufgerissen, flammten Lichter auf, schrien Menschen. Ein paar Männer liefen zusammen und beratschlagten atemlos, was zu tun sei. Irgendwer kam auf die wunderbare Idee, die Polizei zu rufen, hetzte in seinen Bungalow zurück, nahm telefonisch Verbindung mit der Rezeption auf und bekam vom Nachtportier zu hören, daß ein Notruf an das Überfallkommando von Victoria bereits hinausgeschickt worden sei. Der Portier unterbrach die Verbindung. Er blickte ins Freie, auf den Parkplatz hinaus und nagte auf der Unterlippe herum. Auf dem Parkplatz stand der Nachtwächter zwischen den Autoreihen, ballte die Hände und sagte immer wieder gepreßt: »Hölle, was ist da bloß schiefgelaufen? Hölle, ich hatte sie doch gewarnt. Wie konnte das passieren?« Das Krachen und Hämmern der Waffen erfüllte das Grundstück des Motels. Franco Solo visierte den heranstürmenden Killer mit der Schalldämpferpistole über Kimme und Korn seines Bulldogs hinweg an, versuchte, die Waffe nicht wackeln zu lassen, biß die Zähne zusammen, drückte ab. Der Killer unterbrach seinen Sprint abrupt, warf die Arme hoch und vollführte eine groteske Drehung, die in ein schlaffes Zusammensinken überging. Er verlor seine Waffe. Sie landete
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irgendwo in seiner Nähe, während er reglos auf der Körperseite liegenblieb. Franco wollte sich De Priest zuwenden, aber der war plötzlich verschwunden... Der Jeep Cherokee Chief blieb in schätzungsweise dreißig Yards Entfernung stehen. Franco konnte nicht sehen, was die Killer taten, aber er konnte es sich ausmalen: Vorsichtig schoben sie ihre Köpfe ein wenig hervor, hielten nach hinten Ausschau und versuchten festzustellen, wo De Priest und die anderen sich befanden. Der Motor heulte auf; der Jeep wendete. Franco kroch zu dem toten Killer, der wenige Yards vor ihm lag. Er las die Schalldämpferautomatik vom Boden auf. Es war gut, jetzt zwei Waffen zur Verfügung zu haben. Wenn er den Bulldog in einer tödlichen Situation wie dieser auch nur einmal nachladen mußte, konnte es sein Verhängnis werden. Franco durchsuchte den Toten rasch nach Reservemunition, fand zwei Ersatzmagazine für die Colt Government und steckte sie sich ebenfalls zu. Bei dieser Gelegenheit stellte er fest, um wen es sich bei seinem verhinderten Mörder handelte. Clyde Henderson. Ein Exekutor der Mafia der Südstaaten. Er war in Miami, Atlanta, Birmingham, Mobile, New Orleans, Baton Rouge, Oklahoma City und den großen Städten von Texas in Aktion getreten, aber keiner hatte ihm je definitiv etwas nachweisen können. Bis heute nacht. Henderson hatte aufgehört, Menschen gegen Honorar zu töten. Der Jeep kehrte zurück. Plötzlich flammten seine Scheinwerfer auf. Grelle Lichtkegel vor dem dunklen Hintergrund. Der linke flackerte ein wenig, weil er wahrscheinlich von einer Kugel getroffen worden war... Franco wäre gern um die Ecke des Bungalows Nummer 12 herumgelaufen, um De Priest, Della Giovanna, Duffner und Redding, die sich zweifellos dort befanden, zu stoppen, aber im Schein der Halogenlampen hätte er eine hervorragende Zielscheibe abgegeben. -1 0 3 -
Er hörte neben dem Haus einen Motor aufbrummen; konnte nicht sehen, welcher Wagen es war, nahm aber stark an, daß es sich um den 1978er Oldsmobile Toronado handelte. Della Giovanna, der als erster um die Gebäudeecke verschwunden war hatte sich zweifellos hinter das Steuer gesetzt, dann auf De Priest, Duffner und Redding gewartet; und jetzt traten sie die Flucht an, um der Todesfalle zu entgehen. Franco robbte ein Stück auf dem grasbewachsenen Boden entlang - so lange, bis er dem Randbereich der Lichtkegel des Jeeps entronnen war. Danach erhob er sich, hetzte zu seinem Bungalow hinüber und suchte mit dem Blick den Dodge, von dem er inständig hoffte, daß er noch intakt war. Die Reifen war nicht zerstochen worden. Henderson, der kurz vorher seinem Zimmer zweifellos einen Besuch abgestattet hatte, hatte dies in der Eile unterlassen. Franco riß den unverschlossenen Schlag auf und schob sich hinter das Lenkrad. Hinter sich hörte er wieder das Rattern der Maschinenpistolen. De Priest und der Rest seiner Gang traten den Rückzug an und verteidigten sich wieder erbittert gegen die, die Don Clemente geschickt hatte, um sich die unbequem gewordenen, in Ungnade gefallenen Mobster vom Hals zu schaffen. Unter einem Vorwand hatte Don Clemente die fünf hierher gelockt. Dann war der Jeep mit den drei Killern erschienen. Die Killer hatten die fünf lautlos mit ihren Schalldämpferpistolen töten und dann in dem Cherokee Chief abtransportieren sollen, um sie irgendwo spurlos verschwinden zu lassen. Vor dem Bungalow Nummer 15 hatten sich die Bewohner der übrigen Zimmer versammelt; einige von ihnen blickten verschlafen, verstört drein und hatten Schlafanzüge und Morgenmäntel an, die anderen trugen saloppe Tageskleidung und schienen soeben aus der Bar herübergekommen zu sein. Alle bis auf einen wichen zurück, als sie feststellten, daß Franco schwer bewaffnet war. Dieser eine, ein wuchtig gebauter, stiernackiger Mann mit Schnauzbart und großer,
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fleischiger Nase, schritt entschlossen auf den Dodge zu und hob eine Hand. »He!« rief er. »He, Mister, zum Teufel, was hat das zu bedeuten? Steigen Sie sofort wieder aus! Wir verlangen eine Erklärung!« »Gehen Sie ins Haus zurück«, befahl Franco. »Einen Dreck werde ich tun. Sie...« Franco ließ den Motor an, drückte den Hebel der Automatik nach vorn und fuhr an. Er rollte dem Mann vor seiner großen Nase davon und sah mit einem flüchtigen Blick in den Außenspiegel, daß der andere noch gestikulierend ein Stück hinter ihm herlief, dann aber stehenblieb. Franco hatte den Bulldog in der Hand und lenkte nur mit links, als er sich dem Bungalow Nummer 12 näherte. Er fuhr ohne Licht - und auch der Oldsmobile, den er vorn auf der Asphaltstraße nur noch wie einen Schemen davonrasen sah, bewegte sich ohne Beleuchtung dahin. Der Jeep rollte schwer und drohend, mit bullernder Maschine und aufgeblendeten Scheinwerfern, hinter dem weißen Pavillon hervor. Franco riß den Dodge herum, trat auf die Bremse. Der Wagen stoppte mit quietschenden, über den Asphalt radierenden Pneus. Nur aus dem Stand heraus konnte der Mafiajäger so präzise zielen, wie es jetzt vonnöten war. Der Bulldog zuckte in seiner Faust. Nur zwei Schüsse gab er auf den Jeep ab - und beide trafen. Die Luft entwich aus dem rechten vorderen und dem rechten hinteren Reifen des Geländewagens, deutlich war zu sehen, wie die Karosserie an der rechten Seite ein Stück tiefer sackte. Keiner, weder De Priest noch einer seiner Komplizen, war im rasenden Ablauf der Ereignisse vorher darauf gekommen, auf die dicken Reifer des Killerfahrzeugs zu feuern. Der Jeep rollte holpernd weiter, schwenkte auf die Straße ein. Franco gab wieder Gas; der Dodge schoß aus dem Stand auf eine kleine Parkfläche rechts der Straße, dann darüber hinweg und vom Seitenstreifen wieder auf die Straße. Knapp raste er -1 0 5 -
an dem Cherokee Chief vorbei; und Franco duckte sich tief hinter das Lenkrad und steuerte aufs Geratewohl weiter. Die Killer schossen. Zwei Projektile trafen mit plackendem Geräusch die hintere Scheibe des Dodge, verwandelten sie in eine Scherbenwüste. Das Verbundglas hielt sich jedoch in seiner Fassung, und die Kugeln blieben irgendwo in den Sitzpolstern stecken. Franco blickte wieder auf, korrigierte die Fahrtrichtung, weil er nach links von der Straße zu geraten drohte, drückte das Gaspedal weiter durch, blickte in den Außenspiegel und registrierte, daß der Jeep ihm zwar folgte, auf der Asphaltbahn jedoch einen aberwitzigen Tanz aufführte. Franco glaubte wieder das Hacken der Mpis zu vernehmen, und er war auch ziemlich sicher, warum es jetzt erklang: Noch einmal, bevor der Oldsmobile Toronado das gastliche »La Pryor« verließ... Franco erreichte den Parkplatz vor dem Hauptgebäude, wie auch De Priest, Della Giovanna, Redding und Duffner vor wenigen Sekunden hier angelangt sein mußten. Und da war er, der rührige Nachtwächter! Er duckte sich hinter einen dunkelblauen Fünfsitzer, hielt beide Hände vorgestreckt und traf Anstalten, Franco mit einer Waffe zu stoppen, die er fest mit seinen beiden Händen umklammerte. Franco nahm den Dodge etwas nach links, riß den Bulldog hoch und feuerte durch das rechte Seitenfenster, das er klugerweise seit seiner Ankunft offengelassen hatte. Der Parkplatzmann ließ sich ganz hinter seine Deckung sinken, kam nicht zum Schuß, denn die .44er-Special-Kugel raste bedrohlich dicht über seinen Kopf und die Kofferraumhaube des Wagens hinweg. Franco war an ihm vorbei, drehte das Lenkrad, bewegte sich mit dem leicht schleudernden Dodge auf das Tor zu. Er rechnete damit, daß weitere »Ordnungskräfte« des Motels auftauchten und ihn bedrohten, aber wider Erwarten passierte er ungehindert das Tor und konnte auf die Straße hinausfahren, die Victoria mit dem Motel verband. -1 0 6 -
Aus Richtung der Stadt näherten sich zuckende Rotlichter. Mindestens zwei Streifenwagen rollten an. Franco blickte zur anderen Seite und sah für einen Augenblick die Stopplichter eines Wagens aufleuchten. Dann hatte die Nacht das Auto wieder verschlungen. Es fuhr ohne Beleuchtung. De Priest kehrte Victoria den Rücken. Die Straße, die am Motel »La Pryor« vorbeiführte, mündete jenseits der Peripherie auf einen Zubringer des Highways 77... Franco folgte dem Oldsmobile. Er hatte keine Zeit, den Cops des Überfallkommandos lange Erklärungen darüber zu liefern, wie die Dinge sich abgespielt hatten. Mit Sicherheit hätte er den Kontakt zu dem Oldsmobile verloren... und De Priest, Della Giovanna, Duffner und Redding auf den Fersen zu bleiben, war im Moment das Allerwichtigste. Bis zum Highway wagte er es, ohne Licht zu fahren. Dann, als er auf die vierspurige Fahrbahn einbog und sich nach Süden wandte, schaltete er die Abblendlichter ein. Keine halbe Meile hatte er den Oldsmobile Toronado jetzt vor sich, dessen Lichter ebenfalls aufgeflammt waren. Es befanden sich um diese Stunde noch genug Fahrzeuge auf dem Highway, die in beiden Richtungen unterwegs waren; Franco konnte sich mit dem Dodge zwischen sie schieben. Er verlangsamte seine Geschwindigkeit etwas, wahrte die Distanz zu dem Wagen der Gangster und hoffte darauf, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Er versuchte wieder, das Funkgerät in Betrieb zu setzen und damit den Kontakt zur City Police Victoria oder zur Highway Police herzustellen. Wieder klappte es nicht. Er fluchte leise vor sich hin. Er war wieder einmal auf sich allein gestellt und mußte zusehen, wie er zurechtkam. Wenn die Gangster irgendwo anhielten, mußte er alles tun, um sie zu entwaffnen und festzunehmen. Das Kräfteverhältnis war dann eins zu vier, und er brauchte sich keine Illusionen zu machen. Trotz seiner zwei Schußwaffen waren sie ihm haushoch überlegen. Sie hatten -1 0 7 -
zwei Maschinenpistolen und zwei automatische Pistolen und sicherlich auch noch genügend Munition. Hinzu kam, daß sie brutaler denn je gegen jeden vorgehen würden, der sich ihnen in den Weg stellte. Sie waren wie vier in die Enge getriebene, halb zu Tode gehetzte Wölfe. *** Hank De Priest saß vorn neben Maurizio Della Giovanna; der Kalabrese hatte das Steuer des Oldsmobiles übernommen. De Priest nahm die Brille ab und fuhr sich mit der rechten Hand über die geschlossenen Augen. »Okay«, sagte Cab Duffner von hinten. »Okay, ich revidiere meine Meinung über dich, Maurizio. Du hattest recht mit dem, was du sagtest. Sandro, dieses arme Schwein, hat ins Gras gebissen. Uns anderen hast du das Leben gerettet. Hättest du uns nicht gewarnt, wären wir alle Mann hopsgegangen. Die dreckigen Hunde hätten uns vor dem Bungalow niedergeknallt wie die Hasen. Ja, wie die Hasen.« »Glauco Bassano saß hinter dem Steuer des Jeeps«, ließ sich Arthur Redding vernehmen. »Ich hab' ihn deutlich erkannt. O Mann, wie konnten wir so dämlich sein, in diese Falle zu stolpern?« »Hört auf«, sagte De Priest. »Hört auf, dieses ganze Gerede hat ja doch keinen Sinn.« »Boß.« Duffner beugte sich etwas vor. »Warum fahren wir nicht nach Dallas rauf und geben Piromallo, diesem gemeinen, hinterhältigen Bastard, für den wir jahrelang unseren Kopf hingehalten haben, das, was ihm gebührt? Ich meine, er sitzt doch noch in Dallas, ist in Wirklichkeit gar nicht nach Victoria runtergekommen...« »...sondern hat nur seine Killer geschickt«, vervollständigte Della Giovanna. »Das ist doch sonnenklar.« »Bis Dallas schaffen wir es nie«, erwiderte De Priest. -1 0 8 -
»Piromallos Spitzel sitzen überall«, pflichtete Redding ihm bei. »Und dann wäre da die Fahndung, die nach uns läuft. Nein, in Dallas kommen wir nie an.« »Was tun wir dann?« fragte Duffner. »Mexiko«, sagte Della Giovanna. »Yucatan - oder eine andere Region. Ist das nicht die einzige Möglichkeit?« »Piromallos Alarmruf eilt uns voraus«, gab De Priest zurück. »Er läßt uns an der Grenze niederschießen. Spätestens dort. Und die Bullen? Die warten dort auch auf uns.« »Wir fahren nicht mit dem Wagen über die Grenze.« »Sondern?« »Wir fliegen.« »Alle Flugplätze werden um diese Stunde überwacht, auch die kleinsten«, sagte De Priest. »Und wenn wir uns illegal eine Maschine zu beschaffen versuchen, laufen wir die gleiche Gefahr - irgend jemand könnte uns verpfeifen, uns eine Falle stellen. Nein, ein Flugzeug oder einen Hubschrauber kriegen wir nie im Leben.« »Wie wäre es mit einem Schiff?« fragte der Kalabrese. »Mann, denk doch an die Küstenwacht und die Radarstationen der Marine«, sagte Redding von hinten. »Wie wäre es mit einem Boot der Küstenwacht?« Sekundenlang herrschte Schweigen in dem dahinrollenden Fahrzeug. Hank De Priest brach es. »Du meinst einen Kutter oder etwas Derartiges?« »Ja. Ich kann so etwas steuern. Mit Navigation und Nautik und all diesem Kram habe ich mich während meines Wehrdienstes befaßt«, erklärte Della Giovanna. »Ich war bei der 'Marina Militare', drüben, in Italien, weißt du? In Neapel...« De Priest hatte sich aufgesetzt und starrte den Komplizen von der Seite an. »Hör zu, Maurizio, du solltest hier keine schlechten Witze reißen. Das ist jetzt nicht angebracht.« »Ich meine es völlig ernst.«
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»Teufel, wie würdest du einen solchen Kahn denn beschaffen?« »Ich würde ihn kapern.« »Aber wo? Wie? In Corpus Christi bei der Station der Coast Guard etwa? Himmel, da wären wir doch wohl von allen guten Geistern verlassen, wenn wir das wagen würden...« »Wir müssen so schnell wie möglich von diesem verdammten Highway runter«, sagte Della Giovanna in seinem harten, akzentreichen Englisch. »Wir - der Wagen und wir vier -, müssen von der Bildfläche verschwinden, dann können wir weitersehen. Wir brauchen ein Funkgerät, einen Plan, einen Vorwand, unter dem wir so einen Kutter oder ein Rettungsboot der Coast Guard anlocken.« »Man könnte einen Notruf loslassen«, erwiderte De Priest langsam. »Aber das ist zu absurd, zu...« »Ein Bootsverleih«, sagte der Kalabrese plötzlich. »Wir brauchen einen kleinen, einsam liegenden Bootsverleih. Möglichst nicht weit von hier entfernt. Accidenti al diavolo, kennt sich denn keiner von euch hundertprozentig in dieser Gegend aus?« »Doch, ich«, entgegnete Cab Duffner. »Wenn wir noch vor Refugio, dem nächsten größeren Ort am Highway 77, abbiegen, gelangen wir über ein Nest namens Tivoli direkt zur St. Charles Bay, nach Goose Island und St. Joseph Island. Es führt eine Brücke nach St. Joseph Island hinüber, und am südöstlichen Ufer der Insel gibt's eine winzige Feriensiedlung namens Puerto Arista, nicht mehr als drei, vier Häuser. In dem einen ist eine Bootsvermietung untergebracht, die jetzt, zur Ferienzeit, bestimmt in Betrieb ist. Ich habe dort, in Puerto Arista, mal einen Monat mit einem Mädchen verbracht. Ich kenne mich dort aus, und ich glaube nicht, daß sich was verändert hat. Der Bootsvermieter heißt Henry Fontaine - falls es noch derselbe ist.« »Wieviel Zeit brauchen wir bis dorthin?« fragte De Priest hastig. »Höchstens noch eine Stunde«, erwiderte Duffner. -1 1 0 -
»Dieser Fontaine... hat er auch ein Funkgerät?« »Ja, soviel ist sicher.« »Worauf warten wir noch?« sagte Della Giovanna. De Priest drehte sich nach hinten um und blickte durch das Heckfenster. Redding schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, wir werden nicht verfolgt, jedenfalls von keinem Streifenwagen. Und wenn wir abbiegen,sehen wir ja, ob sich einer der Wagen, die hinter uns sind, an unsere Fersen hängt.« »Dann los«, sagte De Priest. »Versuchen wir's. Wir müssen es heute nacht über die Bühne bringen, müssen bis zum Morgengrauen die Staaten verlassen haben. Piromallos Verbindungsleute sitzen überall in Texas. Sie haben ein besseres Nachrichtennetz als die Polizei - aber das wißt ihr ja selbst.« »Wir müssen tanken, ehe wir den Highway verlassen«, sagte Della Giovanna, der einen Blick auf die Armaturen des Oldsmobiles geworfen hatte. »Reicht das Benzin nicht bis Tivoli?« fragte De Priest ihn. »Wie weit ist das?« »Nicht mehr als zehn, zwölf Meilen«, entgegnete Duffner. »Sicher, das schaffen wir noch.« »Auch in den Servicestationen der Highways können die Spitzel von Don Clemente sitzen«, sagte De Priest. »Wir riskieren weniger, wenn wir erst in dem Nest Tivoli tanken.« *** Franco stoppte ab, als er feststellte, daß die Gangster rechts blinkten und sich anschickten, den Highway zu verlassen. Es war eine kleine, kaum benutzte Abfahrt, das sah er sofort. Natürlich mußte es auffallen, wenn er allzu dicht hinter ihnen ebenfalls abbog. Fast eine Meile Abstand lag daher zwischen den beiden Wagen, als der gestohlene Oldsmobile die NeunzigGrad-Kurve der Abfahrt bereits hinter sich hatte und auf eine -1 1 1 -
Provinzstraße rollte. Franco befand sich zu diesem Zeitpunkt mit seinem Dodge immer noch auf dem Highway. Er setzte den Blinker erst im allerletzten Augenblick, damit die Gangster nicht darauf aufmerksam wurden, zog dann nach rechts, folgte dem Verlauf der Abzweigung - und der Oldsmobile fuhr soeben unter dem Highway, der auf einer Brücke über die kleine Landstraße hinwegstrebte, hindurch. Franco lenkte im 15-Meilen-Tempo auf die Landstraße zu. Er blickte kurz zum Highway zurück - und sah erst jetzt eine Motorrad-Doppelstreife der Highway Patrol, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite in Richtung Victoria vorbeiraste. Auf der Suche nach einem Oldsmobile Toronado und vielleicht auch einem Dodge, die vom Personal und von den Gästen des »La Pryor« gewiß minuziös beschrieben worden waren. Sicher hatte man den im Motel eintreffenden Cops aus Victoria auch etwas über den Jeep Cherokee Chief erzählt - aber wo der abgeblieben war, war für alle vorläufig ein Rätsel, wie Franco vermutete. Vorerst hatten die Cops überdies genug mit den zwei Leichen zu schaffen, die sie auf dem Gelände des Motels gefunden hatten. Die Erklärungen, die sie für den blutigen Vorfall bekamen, mußten vom Amoklauf eines oder mehrerer Verrückten bis zum Bandenkrieg reichen. Don Clementes Moteldirektor würde sich aber sicherlich elegant aus der Affäre zu ziehen wissen, denn er war ja letztlich nicht für Kämpfe verantwortlich, die seine Gäste untereinander austrugen... De Priest, Della Giovanna, Duffner und Redding waren mit ihrem Toronado gerade noch rechtzeitig vom Highway abgebogen. Es war eher Zufall als Berechnung gewesen, soviel stand fest. Und weiter? Wohin wandten sie sich jetzt? Franco verlor sie nach vier, fünf Meilen Fahrt aus den Augen. Er verfluchte jetzt die Vorsicht, die er hatte walten lassen, den großen Zwischenraum, den er zwischen sich und sie gelegt hatte. Sie waren fort, hatten sich aufgelöst, die Nacht hatte sie geschluckt. -1 1 2 -
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf der Provinzstraße bis nach Tivoli weiterzufahren. Hier hatte er die Wahl: Entweder bog er nach Nordosten ab und steuerte Port Lavaca an oder er wandte sich nach Süden. In Tivoli gab es eine Tankstelle mit Selbstbedienungsbetrieb. Franco hatte zwar erst in Victoria getankt, steuerte sie aber trotzdem an, weil er ein flaches, langgestrecktes Gebäude aus roten Steinen und Holz entdeckt hatte, in dem Licht brannte. Er ließ noch einmal für fünf Dollar Super in den Tank plätschern, und schritt dann zu dem flachen Gebäude hinüber. »Snackbar« stand in kleinen Leuchtbuchstaben über dem Eingang. Er trat ein, bestellte eine Pastete und eine Tasse Kaffee und schaute sich um. Außer dem Mann hinter dem Tresen und ihm befanden sich sechs Personen in dem langen Raum; fünf Männer, eine Frau. Die Frau scherzte mit zwei Truck-Drivern. Sie war, wie Franco aus dem Gespräch heraushörte, eine Taxifahrerin. Zwei der übrigen Gäste trugen blaue Overalls, einer war mit hellem Zeug und einem breitkrempigen Hut bekleidet. Franco verzehrte seine Pastete. Dann, als der Keeper die Tasse heißen Kaffee vor ihm hinstellte, fragte er: »Haben Sie einen sandfarbenen Oldsmobile Toronade, Baujahr 1978, gesehen?« »Warum? Suchen Sie ihn?« »Er gehört einem Freund von mir.« »Ich habe ihn nicht gesehen.« Franco lächelte. »Mein Freund und ich, wir haben eine Wette abgeschlossen. Er behauptet, ich würde es nicht schaffen, ihn bis Corpus Christi wieder einzuholen, nicht mit meinem lahmen Dodge. Wollen wir ihn diese verflixte Wette gewinnen lassen? Hören Sie, ich biete Ihnen zwanzig Dollar, wenn Sie mir weiterhelfen.« Der Keeper war ein großer, grobknochiger Mann mit hagerem Gesicht und langem, kantigem Kinn. Er verzog keine Miene, -1 1 3 -
wiederholte nur: »Ich hab' so einen Wagen nicht gesehen. Weder heute noch gestern noch vorgestern. Tut mir leid.« »Okay, danke.« Franco trank seinen Kaffee, blickte den Hageren dabei über den Tassenrand hinweg an und war überzeugt, daß der Mann log. Er setzte die Tasse ab, zahlte, grüßte und ging. Keine Minute später verließen auch die beiden Truck-Fahrer und die Frau das Lokal. Die Frau stieß einen überraschten Laut aus, als eine Bö in ihre Haare fuhr und sie zerzauste. Die Männer lachten. Es war die erste Bö, die seit Tagen die Schwüle aufrührte, sie brachte kühle und Erfrischung vom Golf. Franco hatte am Wagen gewartet. Jetzt trat er an die drei heran und stellte ihnen die gleiche Frage, die er vorher an den Inhaber der Snackbar gerichtet hatte. »Ja, so ein Wagen hat hier zum Tanken angehalten«, antwortete die Taxifahrerin ihm bereitwillig. »Es saßen vier Leute drin, glaube ich. Alles Männer.« »Du siehst überall nur Männer, Ginny«, sagte der eine TruckDriver. Sein Kollege lachte. Er schien es für einen großartigen Witz zu halten. »Der Wagen ist nach Süden weitergefahren«, sagte die Frau. »Richtung St. Charles Bay.« Franco bedankte sich, setzte sich wieder hinters Steuer und fuhr los. St. Charles Bay, dachte er, der Golf... Mexiko. Yucatan. Mit einem Boot übers Wasser, über die Grenze hinweg. Wasser hinterließ keine Spuren... In der Snackbar suchte der Keeper ein kleines, mit Holzmöbeln eingerichtetes Hinterzimmer auf, hob den Hörer des Telefons ab und wählte eine Nummer, die er vor ein paar Minuten schon einmal angerufen hatte, um eine wichtige Mitteilung über einen sandfarbenen Toronado weiterzugeben, von dessen Bedeutung man ihn kurz vorher fernmündlich ins Bild gesetzt hatte. ***
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Henry Fontaine stand auf der Pier von Puerto Arista und blickte zu den Booten, die jetzt heftiger an den beiden Anlegern dümpelten. Der auflandige Wind blies ihm stärker ins Gesicht. Die Dünung der See nahm zu, das Wasser wurde kabbelig. Von Südosten zogen schwarze Wolken herüber, in wenigen Minuten würden sie, wenn der Wind bis dahin nicht aus einer anderen Richtung blies, die blasse Mondsichel zudecken. Fontaine hatte die Boote fester an den Anlegern vertäut, aber er dachte: Wenn es Sturm gibt, mußt du sie hereinholen. Er drehte sich um und wollte zum Haus zurückkehren, um mit Marie-Louise darüber zu reden. Er hatte die Pier noch nicht verlassen, da sah er die beiden Autoscheinwerfer, die sich über die Straße, die durchs Innere der Insel führte, dem Ort näherten. Das wird Diane sein, sagte er sich. Im verhaltenen Heulen des Windes schritt er am Haus und am Bootsschuppen vorbei und hielt auf die Straße zu. Er blieb stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte dem herangleitenden Wagen lächelnd entgegen. Es war kurz nach Mitternacht. Diane war also pünktlich, so pünktlich, wie sie es ihnen versprochen hatte. Der Wagen stoppte dich neben Henry Fontaine, und erst, als seine Scheinwerfer erloschen, erkannte Henry, daß es sich doch nicht um Dianes alten Chevrolet handelte, den er ihr zu ihrem 18. Geburtstag geschenkt hatte, sondern um einen sehr schnittigen, sehr teuren Oldsmobile Toronado - sandfarben. Henry Fontaine überlegte angestrengt. Er versuchte, sich an einen seiner Kunden zu erinnern, der einen Toronado fuhr; vielleicht war dieser Kunde gekommen, um nach seinem Boot zu sehen... Jetzt? Um diese Zeit? Ein Mann hatte den rechten vorderen Schlag des Wagens geöffnet. Als er ausstieg, konnte Henry sehen, daß noch drei Männer im Inneren saßen.
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Der fremde Mann trug eine Brille. Sein Lächeln war ein wenig verkniffen, und als er jetzt dicht vor Fontaine hintrat, hatte dieser zum ersten Mal das dumpfe, untrügliche Gefühl, daß etwas nicht stimmte. »Guten Abend, Mister Fontaine«, sagte der Mann mit der Brille. »Oder sollte ich lieber einen guten Morgen wünschen?« »Egal. Welcome, Sir. Was kann ich für Sie tun?« »Zu Ihrem Haus gehören eine Werkstatt für die Instandsetzung von Booten und Bootsmotoren und ein Schuppen, nicht wahr?« »Ich staune, wie gut Sie informiert sind, Mister...« »Ich denke, unser Wagen wird in der Werkstatt genug Platz haben.« »Sie wollen...« »Ich will ihn hineinfahren, Mister Fontaine.« »Augenblick mal«, sagte Fontaine, und seine Züge verhärteten sich. »Damit bin ich aber nicht unbedingt einverstanden.« De Priest zog seine Automatik aus der Gürtelholster, das sich unter seiner Jacke verbarg. Er entsicherte sie, hielt sie so vor Fontaine hin, daß die Mündung auf dessen Bauch zeigte, und erwiderte sanft: »Ich glaube, Sie sind doch damit einverstanden, Henry.« *** Der Nachtwind blies gegen die vier massiv konstruierten Häuser von Puerto Arista an, rüttelte an den Fensterläden, zerrte an den Jalousien. Andrew Middleton drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus, goß Tom Leary und sich die letzte halbe Flasche Bier ein und wandte den Kopf, um zum Fenster zu blicken. »Gibt es Sturm?« fragte er. »Vielleicht sollten wir Henry interviewen«, meinte Tom Leary, ohne den Blick vom TV-Schirm zu nehmen. »Bei der Gelegenheit könnten wir auch noch gleich ein paar Flaschen Bier mitbringen, was meinst du? Der Film dauert noch gut eine Stunde und verspricht richtig spannend zu werden.« -1 1 6 -
Andrew grinste. »Fein. Wie ist es, gehen wir zusammen rüber?« »Na, hör mal, einer genügt doch...« »Na schön. Dann beweg' dich, Tom.« Leary stieß einen langgezogenen Seufzer aus. Andrew Middleton lachte auf. »Schon gut, ich melde mich freiwillig. Zufällig ist dies hier mein Haus, und ich bin also der Gastgeber, da gehört es sich wohl so.« »Schön, daß du das einsiehst. Grüß den alten Henry von mir.« Middleton verließ grinsend den Living-room, ging ins Schlafzimmer hinüber und schaute nach Cathy, seiner Frau, und dem kleinen Joey, der friedlich in seinem Bettchen lag. Dann erst trat er aus dem Haus, das nur hundert Yards von der Brandung des Golfs entfernt stand. Er schritt gegen den pfeifenden Wind am Haus der Learys vorbei, schaute auf und stellte fest, daß Sarah, die auch schon ins Bett gegangen war, das Licht gelöscht hatte. Mit einemmal war er versucht, in das Haus zu gehen und Sarah seine unverhoffte Aufwartung zu machen; Sarah mit dem goldblonden Haar, Sarah mit den lockenden, vollen Lippen und den großen, herausfordernden Brüsten. Keiner würde sie stören. Tom war viel zu sehr in den Film vertieft, um... Andy Middleton stapfte an dem Haus vorbei. Er verdrängte seine bizarren, tolldreisten Phantasien und schimpfte sich selbst einen verdammten Sittenstrolch. Er lächelte ein bißchen, als er drüben bei den Fontaines anlangte und vorsichtig gegen die Tür klopfte. Sein Lächeln erstarb, als die Tür prompt von innen geöffnet wurde und ein Mann, den er das erste Mal in seinem Leben sah, ihm eine kleine Maschinenpistole entgegenstreckte. »Ruhig nähertreten«, sagte der Kerl. »Wird's bald, Freundchen?« Er sprach Englisch mit rollendem R und völlig falschem Akzent. Sein Haar war dunkel, dicht und gutgeschnitten. Sein heller Anzug mußte eine Stange Geld gekostet haben, wie Andrew sich unwillkürlich sagte. -1 1 7 -
Andrew betrat die große Wohnküche des Fontainschen Hauses. Er spürte, wie ihm etwas Kaltes den Rücken heraufkroch, aber er war von Anfang an bestrebt, die Fassung zu bewahren. Er war von Beruf Anwalt, zwar für Zivilsachen, aber doch in mehr als zwölf Jahren Praxis mit jenem dicken Fell und jener Portion Abgebrühtheit versehen, die man brauchte, wenn man es mit Leuten zu tun hatte, die sich stritten und manchmal auch gewalttätig wurden. Ein Überfall, dachte er. Außer dem Schwarzhaarigen befanden sich ein schlanker Mann mit schmalem Gesicht und ungesundem Teint, einer, der eine Brille trug und ein Mann mit lichtem Haupthaar bei dem Ehepaar Fontaine. Der Schlanke hielt ebenfalls eine Mpi, die anderen beiden Kerle hatten automatische Pistolen in den Fäusten. Henry Fontaine stand hinter seiner Frau Marie-Louise, die am Küchentisch saß und die Hände gefaltet hatte, um nicht zu zeigen, wie sehr sie zitterten. Marie-Louises Augen waren gerötet, ihr Mund halb geöffnet. »Hallo«, sagte der Brillenträger. »Middleton, nicht wahr?« »Woher kennen wir uns?« »Fontaine hat uns alles über die Siedlung gesagt. Drei Häuser sind bewohnt, eines steht leer. Stimmt das?« »Ja.« »Sehen Sie, Mister Middleton, unser Freund Henry hätte sicherlich mitgespielt und so getan, als wären wir ein paar Freunde von ihm, so daß wir gar nicht groß mit unseren Schießeisen hätten herumzuhantieren brauchen. Aber die Lady - nun, ihr hätten Sie doch gleich angesehen, daß etwas nicht stimmt, oder?« »Gewiß«, antwortete Andrew. »Aber jetzt hören Sie mir mal gut zu. Wenn Sie Geld wollen, dann können Sie alles kriegen, was wir drei Familien hier bei uns haben. Ich schätze, einiges würde dabei schon zusammenkommen und...« -1 1 8 -
»Maul halten«, schnitt Cab Duffner ihm das Wort ab. »Wir wollen euer Geld nicht, Junge.« »Wir wollen was anderes«, erklärte nun auch Hank De Priest. »Andy, wo sind Ihre Frau und Ihr kleiner Junge?« »Drüben... sie schlafen.« »Gut. Wir wollen sie auch schlafen lassen. Und Leary?« »Bei mir im Living-room. Er... wir haben uns zusammen den Spätfilm angesehen. Ich meine... er läuft noch. Ich kam rüber, um Bier zu holen und mich nach Sturmwarnungen zu erkundigen.« »Sehr gut«, erwiderte De Priest. »Fehlt uns also nur noch Sarah in der Versammlung. Sarah Leary.« »Sie schläft auch. Bei sich zu Hause.« »Ganz allein?« fragte Della Giovanna. »Ja. Ganz allein«, entgegnete Middleton. Der Kalabrese lachte. »Hank, wenn sie hübsch ist, wäre sie ein Fall für mich. Was hältst du davon?« De Priests Züge verfinsterten sich. »Wenn du auch nur einen Versuch in dieser Richtung unternimmst, vergesse ich, daß du uns das Leben gerettet hast. Dann erinnere ich mich wieder daran, daß wir es eigentlich nur dir zu verdanken haben, daß man uns diese Suppe eingebrockt hat.« »Schon gut. War nur ein Scherz, Hank«, beteuerte Della Giovanna. Der Boß wandte sich wieder Middleton zu. »Eine letzte Frage, mein Freund. Befindet sich außer euch noch jemand hier in der Ortschaft?« Andrew hatte den fast flehenden Blick bemerkt, den Henry Fontaine ihm zugeworfen hatte. Er dachte: Mein Gott, vielleicht bringen sie uns alle um, und wenn wir noch eine Hoffnung haben, dann liegt sie bei Diane... »Niemand«, gab er zurück - was ja im Grunde auch der Wahrheit entsprach. Diane fuhr dreimal die Woche nach Rockport hinüber, zum Tanzen oder um Freunde zu besuchen. -1 1 9 -
Heute nacht war sie wieder unterwegs, und daß sie diesmal nicht wie sonst pünktlich um Mitternacht heimkehrte, erschien Andy in diesem Augenblick wie eine glückliche Fügung. Aber wenn sie kam - woran sollte sie dann rechtzeitig bemerken, daß etwas nicht stimmte? Einen Wagen schienen diese Gangster nicht zu haben... oder sie hatten ihn irgendwo versteckt... Man mußte Diane ein Zeichen geben... aber wie... »Maurizio und Cab«, sagte De Priest. »Ihr geht mit unserem Freund Andrew zum Middletonschen Haus hinüber. Einer paßt auf die Frau und das Kind auf, der andere auf die beiden Männer. Arthur, du weckst Sarah Leary.« »Was habt ihr mit ihr vor?« fragte Middleton entsetzt. »Nichts, gar nichts«, antwortete De Priest. »Reg dich nicht auf, Andyboy, solange ihr nach unseren Anweisungen handelt, passiert euch überhaupt nichts. Keinem von euch. Okay? Ich glaube auch, du wirst am wenigsten Schwierigkeiten von allen machen, denn du mußt nicht nur um deine Frau bangen sondern auch um den Jungen? Habe ich recht?« »Sie haben Recht. Es wird keine Schwierigkeiten geben.« »Geht jetzt«, sagte Hank De Priest. »Mit den beiden alten Leuten hier werde ich auch allein fertig.« Er drehte sich zu Henry und Marie-Lousie Fontaine um. »Henry, du zeigst mir jetzt, wo das Funkgerät steht. Deine Frau begleitet uns natürlich dabei. Dann gehen wir auf den Anleger hinaus - alle drei, das ist doch wohl klar -, und suchen ein Boot aus. Das größte und schönste, das in diesem gottverlassenen Nest liegt, Henry.« »Keines davon ist groß genug, daß Sie sich damit bei dieser See hinauswagen könnten«, sagte Fontaine. »Das wollen Sie doch, oder?« De Priest lachte kurz auf, dann wurde er wieder ernst. »Nein, das will ich nicht, Henry. Aber du hast mir unbewußt doch etwas sehr, sehr Wichtiges gesagt. Jedes deiner Boote müßte bei diesem Seegang unweigerlich in Not geraten, oder?« »Ja.« -1 2 0 -
»Das kommt meinen Plänen sehr entgegen«, sagte der Mafioso. *** Wieder stand Franco Solo vor der Wahl. Er konnte nach Rockport weiterfahren, immer an der Küste der St. Charles Bay und später der Aransas Bay entlang. Er konnte aber auch abbiegen, über die Brücke hinweg zur St.-Joseph-Insel vorstoßen und sich dort nach den vier Mobstern umsehen. Eines stand fest: Wenn sie wirklich den Seeweg wählten, um nach Mexiko hinüberzugelangen - was er vermutete -, dann hatten sie vom jenseitigen Ufer der Insel aus die bessere Ausgangsbasis. Von jedem anderen Ort in der Umgebung aus mußten sie erst den zeitraubenden Kurs durch die Buchten und Lagunen nehmen, die zwischen den langgestreckten Inseln und der Festlandsküste lagen... Er fuhr über die Brücke. Sie war über eine Meile lang und überhaupt nicht befahren. St. Joseph Island schien ausgestorben dazuliegen. Auf drei Meilen Strecke, die er nach dem Verlassen der Brücke auf der gut asphaltierten Straße zurücklegte, begegnete ihm kein Wagen, fuhr ihm auch kein einziger nach. Gab es hier überhaupt Ortschaften? Wenn es keine Ortschaften gab, wo wollten die vier Gangster dann ein Boot, ein Schiff oder ein Flugzeug finden, mit dem sie ihre Flucht fortsetzen konnten? Er fuhr noch zwei Meilen weiter, dann wollte er es aufgeben. In genau diesem Moment jedoch sah er einen Wagen rechts der Fahrbahn stehen. Sofort drosselte er die Geschwindigkeit des Dodges, griff zum Bulldog, den er inzwischen nachgeladen hatte, und machte sich auf die entscheidende Auseinandersetzung mit den Kidnappern gefaßt. Die Konturen des Wagens erschienen jetzt in aller Deutlichkeit im Abblendlicht des Dodge. Francos innere Anspannung ließ -1 2 1 -
nach, als er konstatierte, daß es sich um einen ziemlich altersschwachen Chevrolet handelte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß De Priest den Toronado in der Zwischenzeit mit einem Wagen wie diesem vertauscht hatte. Die Gestalt eines Mädchens erschien rechts neben dem Chevrolet, und jetzt war Franco völlig sicher, daß es sich um keine Falle der Gangster handelte. Er brachte den Dodge hinter dem Heck des Chevys zum Stehen, stellte den Motor ab und stieg aus. Er trat auf das Mädchen zu und mußte lächeln, als er ihre schmutzigen Finger und ihr leicht verschmiertes, hübsches Gesicht sah. Seiner Schätzung nach war sie keine Zwanzig... »Hallo«, sagte er. »Haben Sie schon mal einen Reifen gewechselt, Miß?« »Wissen Sie was?« gab sie zurück. »Es ist verdammt komisch, aber ausgerechnet heute abend bin ich zu Witzen nicht aufgelegt. Wie finden Sie das?« Er blieb neben dem rechten, platten Hinterreifen ihres Wagens stehen. »Sie haben Glück, daß Ihnen das nicht auf der Brücke passiert ist. Wenn Sie da von der Fahrbahn abgekommen wären, so wie hier...« »Ich bewundere Ihren Humor, Mister, aber Sie halten mich hier von der Arbeit ab. Merken Sie das?« »Verzeihen Sie, aber ich suche einen Wagen«, sagte er. »Einen sandfarbenen Oldsmobile Toronado, Baujahr 1978. Haben Sie so ein Vehikel vielleicht gesehen, zufällig, meine ich?« Sie sah ihn an und strich sich mit dem Handrücken eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. »Hinter Rockport, an der Abzweigung nach St. Joseph Island, kam mir so ein Wagen entgegengeschossen. Er fuhr über die Brücke, und ich folgte ihm eine Weile, aber ich schwöre Ihnen, er war mindestens doppelt so schnell wie ich. Also, Sie sehen, mit Automarken kenne ich mich aus - und auch mit dem technischen Kram. Würden Sie die Freundlichkeit besitzen, meine Kreise jetzt nicht länger zu stören?« -1 2 2 -
»Wohin führt die Straße?« fragte er sie. »Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe.« »Miß«, sagte Franco. »Ich flehe Sie an... verraten Sie's mir.« Überrascht zog sie die Augenbrauen hoch. »Hey, das hört sich ja richtig dramatisch an. Was ist denn...« Der Wind strich heulend durch die Baumwipfel über ihren Köpfen. Franco hob die Stimme. »Es ist kein Witz. Keine Komödie. Es ist bitterer Ernst.« »Die Straße... sie führt über die Insel hinweg nach Puerto Arista. Und sonst nirgendwohin.« »Puerto Arista - wohnt dort jemand?« »Na, erlauben Sie mal«, entgegnete sie empört. »Ich zum Beispiel. Und meine Eltern. Und die Middletons und die Learys. Und das war's auch schon. Aber was geht Sie das alles an, Mister...« »Solo. Franco Solo.« »Und ich bin Diane Fontaine, die Tochter des Bootsvermieters Henry Fontaine. Helfen Sie mir jetzt mit dem Reifen? Ich habe so und so schon Verspätung und kriege zu Hause wahrscheinlich eines aufs Haupt, aber...« Er nahm ihre Hand und zog sie zum Dodge. »Das können wir später erledigen. Kommen Sie jetzt. Himmel, stellen Sie sich nicht so an, ich will Sie weder entführen noch vergewaltigen. Es geht um die Sicherheit der Leute im Ort, um ihre Eltern und die anderen beiden Familien!« *** Er saß neben ihr auf der Bettkante und rührte sich nicht. Sarah Leary schlug, von deprimierenden Träumen geplagt, die Augen auf, sah ihn und erschrak unwillkürlich. »Tom?« fragte sie zaghaft. »Du kannst Art zu mir sagen«, entgegnete er.
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Sie fuhr hoch, wollte schreien, aber er legte ihr die Hand auf den Mund. Sie begann zu zittern, fühlte sich von Panik gepackt, verspürte ein würgendes Gefühl in der Kehle und glaubte plötzlich, ersticken zu müssen. »Ganz ruhig«, sagte Arthur Redding. »Ich schlage dich, wenn du dir nicht Mühe gibst, verstanden? Möchtest du das? Geschlagen werden? Antworte! Hey, antworte!« Sie schüttelte den Kopf. Er grinste. »Also, es war nett von dir, die Tür unten gleich aufzulassen. Für den lieben Tom, nicht wahr? Na, mach' dir keine Sorgen, ihm geht es gut. Und dir wird auch nichts passieren, solange du keine Dummheiten machst. Ich erkläre dir jetzt, was wir tun. Wir beide - nein, es ist nicht das, was du denkst. Ich will nur, daß du aufstehst, dir was überziehst und mit mir rüber zu den Fontaines gehst. Zum Anleger. Okay?« Sie nickte. *** Franco hatte Diane Fontaine festhalten müssen, denn unterwegs hatte sie versucht, sich aus dem Dodge zu werfen, weil sie allen Ernstes glaubte, er wolle ihr etwas antun. Jetzt lagen sie am Rand des Pinienwäldchens westlich von Puerto Arista, in dem er den Wagen versteckt hatte, und blickten auf die vier Häuser. Sie waren nahe genug heran, um Einzelheiten erkennen zu können. Die Tür von Learys Haus öffnete sich, dann traten ein Mann und eine Frau heraus. »Sarah«, flüsterte das Mädchen. »Aber der Mann... das ist nicht Tom Leary...« »Ganz sicher?« »Ich bin doch nicht blind, oder? Das ist ein Fremder, sage ich Ihnen.« Der Wind trieb die Wolken zusammen und ballte sie, aber er ließ sie auch wieder auseinanderklaffen. Für eine Weile fiel -1 2 4 -
wieder schales Mondlicht auf die Küstenregion der Insel St. Joseph, und sie beide verfolgten jetzt mit stockendem Atem, wie Sarah und der Mann zu dem Haus der Middletons hinübergingen. »Es ist Arthur Redding«, raunte Franco. »Na, glauben Sie mir jetzt?« »Er hat eine Pistole.« »Ja. Alle vier sind bewaffnet.« »Mein Gott. Meine Eltern...« Aus dem Haus der Middletons trat ein anderer Mann; er hielt eine Maschinenpistole, und in den schwachen Streifen Mondlicht konnte Franco nun anhand seiner schlanken Gestalt und seines schmalen Gesichtes feststellen, wer er war: Cab Duffner. Redding sagte etwas, Duffner zeigte eine Geste des Einverständnisses. Duffner kehrte in das Middletonsche Haus zurück. Redding marschierte mit Sarah Leary zur Pier hinüber. Auf der Pier waren nun weitere drei Gestalten sichtbar geworden... »Pa«, hauchte Diane entsetzt. »Und Mom... o Gott, wir müssen was tun. Sehen Sie nicht? Sie werden von einem dieser Kerle bedroht, mit der Pistole...« »Der Kerl ist De Priest«, murmelte Franco. »Fehlt uns nur noch Della Giovanna. Das vierte Haus ist unbewohnt, sagen Sie?« »Ja, doch, ja.« »Dann steckt der Kalabrese entweder in dem Haus Ihrer Eltern, bei den Learys oder bei den Middletons.« »Jesus«, stammelte sie. »So tun Sie doch was. Warum rufen wir nicht die Polizei? Lassen Sie mich den Wagen nehmen, Mister Solo, ich fahre nach Rockport zurück, zur Polizei...« »Die nützt uns wenig«, erwiderte Franco. »Diane, die vier Kerle dort sind zu allem fähig. Begreifen Sie das denn nicht? Sie würden ihre Geiseln skrupellos als Faustpfand benutzen, wenn hier auch nur ein Streifenwagen erscheinen würde.« »Aber was können wir dann unternehmen?« »Ich pirsche mich jetzt zuerst -1 2 5 -
an das Haus der Middletons heran«, raunte er ihr zu. »Sie warten hier. Nein, keine Widerrede. Sie warten hier auf ein Zeichen von mir, und wenn ich mich in zwanzig Minuten nicht zeige, dann setzen Sie sich wirklich in mein Auto und brausen ab nach Rockport. Versprechen Sie mir, daß Sie sich an meine Anweisungen halten?« »Ja, Franco. Sie können sich auf mich verlassen«, flüsterte sie. *** »Wir wollen ein Boot der Küstenwacht, das ist alles«, erklärte Cab Duffner in aller Seelenruhe, während Tom Leary und Andrew Middleton ihn völlig entgeistert anstarrten. »Kein richtiges Schiff, nein, das wäre viel zu groß für uns. Einen Kutter vielleicht.« »Wie wollt ihr das anstellen?« fragte Middleton. »Wir lassen einen Notruf los.« »Per Funk?« »Ja, mit Fontaines Funkgerät. Die Coast Guard Station Corpus Christi wird schon einen Kutter schicken. Der aufziehende Sturm kommt uns gelegen. Er macht alles glaubwürdiger.« Der Fernsehapparat lief noch. Nur den Ton hatten die beiden Gangster weggedreht. Tom Leary sah überhaupt nicht mehr hin, obwohl er vor Minuten noch von dem Film gefesselt gewesen war. Er sah jetzt nur noch Cab Duffner an und fragte ihn: »Was soll denn hier in Puerto Arista schon groß passieren, daß die Küstenwacht einen Kutter schickt?« »Na, ein Unglück vielleicht.« »An Land? Hier? In dem Fall würde doch wohl eher die Polizei von Rockport anrücken.« »Nein, draußen auf See.« »Cab«, sagte Della Giovanna von der Schlafzimmertür her. »Schluß jetzt. Hör auf mit dem Mist.« »Willst du mir was verbieten, Maurizio?« -1 2 6 -
»Die beiden brauchen nicht alles zu wissen. Nur das will ich dir klarmachen.« »Mann«, sagte Duffner. »Ich weiß schon, was ich rede. Ich brauche keinen Vormund, dich schon gar nicht. Ich hatte meine Meinung über dich zwar schon revidiert, aber ich schätze, das war ein bißchen voreilig von mir.« »Cab, wir sind alle nervös...« »Sei still«, fuhr Duffner ihn an. »Was soll draußen auf See passieren?« fragte Andy Middleton. »Ein Boot gerät in Seenot«, setzte Duffner ihm grinsend auseinander. »Eines von Fontaines verdammten Booten. Ein Motorboot mit jemand drin.« Tom Leary fuhr aus seinem Sessel hoch. Duffner richtete sofort die Beretta M 12 auf ihn und zischte: »Sitzenbleiben. Mach' das nicht noch mal, ja?« »Wer soll in dem Boot sitzen?« fragte Leary schrill. »Ein Boot, das abzusaufen droht«, fuhr Duffner gelassen fort scheinbar gelassen. »Wenn das kein Grund für einen Kutter der Küstenwacht ist, sofort auszulaufen und es aus dem Teich zu fischen - na, also, ich weiß nicht. Der Jemand in dem Boot wird natürlich gerettet und nach Puerto Arista zurückgebracht. Hierher. Dann greifen wir ein und kapern den Kahn...« »Cab!« rief der Kalabrese wütend. »...und schippern mit unserem schönen, hochseetüchtigen Kahn nach Mittelamerika rüber. Auch bei schwerer See, denn das alles macht ihm nichts aus«, beendete Duffner seinen Vortrag. »He, habe ich auch nichts vergessen? Maurizio, du hast dir die Sache doch ausgedacht. Stimmt alles oder habe ich was Falsches gesagt?« »Meine Frau«, stieß Tom Leary plötzlich hervor. »Allmächtiger, was ist mit meiner Frau? Was machen Sie mit ihr? Wohin...« »Wir passen bloß auf sie auf, das ist alles«, sagte Duffner.
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»Du Idiot«, schrie Della Giovanna von der Schlafzimmertür her. »Bist du nicht mehr ganz dicht? Du vermasselst uns noch alles mit deinem dämlichen Gerede!« »Das mußt du auch gerade sagen, Makkaroni«, gab Duffner höhnisch zurück. »Wem haben wir dies alles denn zu verdanken?« Della Giovanna trat auf ihn zu. »Wie hast du mich genannt?« »Makkaroni...« Della Giovanna hob die Maschinenpistole. »Wir können uns gegenseitig über den Haufen knallen«, sagte er rauh. »Hier, auf der Stelle. Du kannst dich aber auch für das, was du eben gesagt hast, entschuldigen. Dann vergesse ich's.« »Ihr Südländer mit eurem Stolz«, entgegnete Cab Duffner. »Bildet ihr euch denn ein, ihr könnt alles kommandieren? Jeden? Leute euren Schlages sind der letzte Dreck... das haben wir ja auch bei Piromallo, diesem Schwein, gemerkt.« Della Giovanna war drauf und dran, wirklich abzudrücken. In diesem Augenblick ertönte hinter seinem Rücken eine Männerstimme. »Schluß der Vorstellung, Gentlemen. Laßt die Waffen fallen. Della Giovanna, wir haben das heute doch schon mal exerziert. Es dürfte dir nicht so schwerfallen - und dir auch nicht, Duffner.« Duffner hatte die Gestalt unter dem Rahmen der Schlafzimmertür auch erst in dem Moment erkannt, als die ihnen wohlbekannte Stimme ertönt war. »Franco«, flüsterte er. »Nein. Nicht schon wieder. Nicht du...« Tom Leary schoß mit einemmal neben ihm vom Sessel hoch, packte die Mpi und entriß sie ihm. Es geschah wirklich so völlig überraschend, daß Duffner erst zu einer Reaktion kam, als die Waffe bereits zu Boden polterte. Leary riß ihn mit sich zu Boden, schlug zu und stieß aus: »Ihr wollt meine Frau umbringen! Ihr wollt sie mit einem Boot kentern und ertrinken lassen, gib es zu!« Duffner hieb zurück, fluchte, versuchte, sich aus dem Griff des Mannes zu lösen. Middleton wollte sich in diesem Moment auf -1 2 8 -
die beiden werfen, um seinem Freund beizustehen - da richtete Della Giovanna die Beretta M 12 auf ihn. Franco schoß. Das gab nur ein flaches, blaffendes Geräusch, denn er hatte zu seinem Vorstoß in das Haus der Middletons den Bulldog mit der erbeuteten Colt Government vertauscht. Die Tatsache, daß sie einen Schalldämpfer trug, entschied jeden weiteren Einsatz, denn der Schuß wurde drüben, bei den Fontaines, nicht gehört... Della Giovanna drehte sich um die Körperlängsachse, seine rechte Schulter war getroffen. Sein ganzer rechter Arm war paralysiert. Die Waffe entglitt seinen Fingern. Er stürzte, stöhnte, wälzte sich auf dem Boden. Tom Leary hatte Cab Duffner die Faust unters Kinn rammen können. Duffner brach bewußtlos zusammen. Leary rappelte sich auf, riß Duffners Maschinenpistole an sich. Andrew Middleton las die M12 von Della Giovanna auf. »Fesseln und knebeln Sie sie«, sagte Franco. »Und halten Sie sie um Gottes willen in Schach. Verteidigen Sie das Haus gegen jeden, der hier eindringen will.« Nebenan fing das Baby an zu weinen. Franco wandte sich an Middleton. »Andy, kümmern Sie sich um Ihren Sproß. Wechseln Sie ihm die Windeln oder was immer ihm zu seiner Glückseligkeit fehlt, wiegen Sie ihn in den Schlaf, tun Sie alles Menschenmögliche. Sehen Sie zu, daß er wieder einschläft.« Leary musterte den Mafiajäger aus großen, flackernden Augen. »Und Sie? Was haben Sie vor?« »Ich gehe zum Bootsanleger. Ich schleiche mich irgendwie an das Haus der Fontaines an.« »Ich will mit.« »Sie bleiben hier, Leary.« »Meine Frau...« »Ihrer Frau passiert vermutlich nichts, wenn Sie ganz ruhig bleiben und hier mit Andy zusammen den Posten halten. Nur so können wir alle Geiseln befreien. Verstanden?« -1 2 9 -
Leary zögerte ein wenig, dann antwortete er: »Ja, verstanden.« *** Schwärzer, wuchtiger denn je türmten sich die Wolken über Puerto Arista und der Insel St. Joseph auf. Der auflandige Wind hatte zugenommen, er jaulte und orgelte über die Pier hinweg, auf der Hank De Priest, Arthur Redding, das Ehepaar Fontaine und Sarah Leary standen. Im Südosten zuckten Blitze auf; unterschwellig rollte Donnergrollen heran. Franco Solo kroch im Schutz der Pier von Boot zu Boot. Er mußte höllisch aufpassen, nicht von einem der schwankenden Gefährte abzurutschen und ins Wasser zu stürzen. Als der Regen einsetzte, wurden die Bootsrümpfe nass und glitschig. Henry Fontaine hatte ein Acht-Meter-Boot mit HundertzwanzigPS-Motor abgedeckt, hatte die Persenning verstaut und machte sich jetzt an der Zündung des Motors zu schaffen. Das Boot, schwarz und gelb getüncht, war ein echter Renner, der es schaffen würde, sich gegen die anrollenden Wogen zu stemmen. Er konnte gut eine Meile, vielleicht auch noch weiter in den Golf hinausrasen, bevor er umschlug... Fontaine blickte aus dem schlingernden Boot zu De Priest auf. »Das können Sie nicht tun«, rief er gegen das Sturmtosen an. »Das ist Mord!« »Wir tun alles, um Misses Leary zu retten«, gab De Priest zurück. »Los, beeilen Sie sich, Henryboy, lassen Sie die Maschine an, oder ich vergesse mich und schicke auch Ihre Frau mit raus. Möchten Sie das?« Henry Fontaine startete die Maschine. Sie lief mit gleichmäßigem, vehementem Brummen an. Arthur Redding hatte Sarah Leary, der schönen, zitternden Sarah, die Hände auf den Rücken gebunden, damit sie sich unterwegs nicht an der Steuerung des Bootes zu schaffen machen konnte. Er wollte sie jetzt hinunter ins Boot befördern, dann die Festmacher lösen; aber als er hart am Rand der Pier -1 3 0 -
stand packte etwas Klammerartiges seine Fußknöchel und riß daran. Die Beine wurden ihm buchstäblich unter dem Leib weggerissen. Er ruderte mit den Armen, erlangte das Gleichgewicht aber nicht wieder, sondern kippte vornüber, den Booten der linken Anlegerseite entgegen. Er hielt Sarah Leary dabei am Arm fest, und sie folgte ihm... De Priest fuhr herum. Franco ließ Reddings Knöchel los, fing Sarah Leary auf, damit sie sich nicht auf dem Bootsdeck die Knochen brach, ließ sie wieder los und klaubte den Gangster von der Frau los. Redding war hart auf dem Dollbord des Bootes gelandet, in dem Franco stand, wollte die Pistole heben, aber in diesem Augenblick schlug Franco zu. Redding kam nicht mehr zum Zug. Er brach zusammen und fiel fast ins Wasser, blieb dann aber doch auf den Duchten des Bootes liegen. Fontaine hatte blitzschnell einen Rettungsring des Motorbootes an sich gerissen, schleuderte diesen jetzt und traf De Priest am Hals. De Priest taumelte. »Misses Fontaine!« schrie Franco. »Zu Ihrem Mann!« Die Frau begriff, wankte zum Rand der Pier, warf sich ihrem Mann entgegen, der ihr aus dem schwankenden Boot heraus die Hände entgegenreckte, um sie aufzufangen. De Priest wollte mit einem Fluch seine Automatik auf sie abfeuern, aber jetzt hatte Franco sich hoch aufgerichtet und schoß. De Priest, am Arm getroffen, kam nicht mehr zum Schuß. Er verlor die Pistole, sie fiel auf die Pier. Er sah Franco Solo zu sich heraufklettern, starrte ihn ungläubig an, taumelte. Bevor Franco ihn packen konnte, hatte er sich dem Land zugewendet und begann zu laufen. »De Priest!« schrie Franco. »Stehenbleiben!« De Priest gehorchte nicht. Franco feuerte auf seine Beine, verfehlte ihn jedoch. Er sandte eine Kugel über seinen Kopf hinweg, doch auch das genügte nicht als Warnung. Hank De Priest rannte an Fontaines Haus vorbei auf das Wäldchen zu, in dem sich Diane Fontaine versteckt hielt. -1 3 1 -
Franco las die Automatik auf und warf sie Henry Fontaine zu. »Hier, nehmen Sie«, rief er ihm zu. »Bewachen Sie den Kerl neben Misses Leary und rühren Sie sich nicht von hier fort!« »In Ordnung«, schrie Fontaine gegen den Wind an. Franco lief hinter Hank De Priest her. Er sah in diesem Moment die beiden Scheinwerfer, die sich von der Straße näherten, in raschem Tempo auf Puerto Arista zuhielten und dann mit ihrem Licht die Gestalt von De Priest einfingen. Er sah die Konturen des Wagens - es war ein Toyota Land Cruiser, kein Jeep Cherokee Chief diesmal... Unnötig, darüber nachzudenken, wie die Killer die Spur gefunden hatten. Ihren Hinweis hatten sie aus der Snackbar von Tivoli erhalten, alles andere war nicht sehr schwierig gewesen. Sie kamen, um ihren Auftrag zu Ende zu führen, um nicht auch bei Piromallo in Ungnade zu fallen wie die Kidnapper. Sie rasten auf De Priest zu. De Priest stoppte ab, wandte sich nach rechts und hetzte nun genau an Learys Haus vorbei auf das Gebäude der Middletons zu. Franco rief gegen den Sturm an, De Priest solle sich hinter dem Haus der Learys in Deckung werfen, aber der Wind trug alle Worte fort, zu Diane in den Pinienhain hinauf. Keine Schüsse krachten; wieder setzten die Killer Schalldämpferpistolen ein. De Priest stolperte, blutete, der Land Cruiser hielt unverändert schnell, unverändert todbringend auf ihn zu - und dann hämmerten in Middletons Haus die beiden Maschinenpistolen los. Leary und Middleton hatten zu schießen begonnen, weil sie fürchteten, dies wäre ein neuer Überfall auf sie. De Priest fiel und blieb liegen, der Toyota rollte dicht an ihm vorbei und kam dann mit abebbendem Maschinengeräusch zum Stehen. Franco pirschte sich von rechts an den einen Schlag heran, riß ihn auf, hob die Automatik und den Bulldog, den er mit der linken Hand gezückt hatte, gleichzeitig. Aber sein Einsatz war nicht mehr vonnöten. Die Killer waren tot. Er erkannte ihre Gesichter wieder. Sie hatten ihn schon öfter aus -1 3 2 -
den einschlägigen Karteien heraus angeblickt: Glauco Bassano und Adrian Rollini. Killer der Mafia. Auch Hank De Priest war tot, wie Franco nach einer kurzen Untersuchung feststellte. Er stand wieder auf, naß vom Regen, abgekämpft. Mit etwas unsicherem Schritt hielt er auf das Haus der Middletons zu. Andy Middleton, Tom Leary, Della Giovanna und Cab Duffner sie warteten alle vier im Wohnzimmer auf ihn. Nebenan schlief das Baby wieder, aber Mrs. Middleton war aufgewacht und erschien unter der Verbindungstür. »Alles in Ordnung«, sagte Middleton. »Der Schwarzhaarige hier hat eben geschworen, er würde aussagen. Gegen einen gewissen Don Clemente Piromallo aus Dallas. Alles würde er auspacken. Sagen Sie mal, wer ist dieser Piromallo eigentlich? Und wer sind Sie?« Franco sah Della Giovanna an. »Ich werde reden«, bestätigte der Kalabrese. »Es ist deine Rettung vor der Höchststrafe«, sagte Franco. Er drehte sich um, um Diane Fontaine zu holen. Die Frist, die er ihr gesetzt hatte, war um, und die Polizei im nahen Rockport wollte lieber er selbst verständigen. Bald würden sie alle hier sein - die Cops, die FBI-Leute, Cates allen voran... Diane kam ihm aus dem Hain entgegengelaufen. Sie erinnerte Franco mit einemmal daran, daß Frauen in diesem Fall eine wichtige Rolle gespielt hatten. Ohne Gabriella Falchi hätte er, Franco, die Spur der Kidnapper niemals aufnehmen können; Andy Quinichette wäre nicht befreit worden... Er beschloß, Gabriella in Houston einen Besuch abzustatten. Später - wenn der Sturm, der über Südtexas hinwegtoste, vorbei war. ENDE
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