Seewölfe Kosaren der Weltmeere Nr.42
JohnCurtis
Im Hagel der Breitseiten Seeabenteuer-Roman
1. Thomas Moone knurrte...
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Seewölfe Kosaren der Weltmeere Nr.42
JohnCurtis
Im Hagel der Breitseiten Seeabenteuer-Roman
1. Thomas Moone knurrte eine Verwünschung und warf gleichzeitig einen Blick auf die schlaff an den Rahen hängenden Segel. Diese verdammte Flaute hielt schon viel zu lange an! Träge dümpelte die ›Golden Hind‹ auf der tiefblauen See des Stillen Ozeans. Sie befand sich nur wenige Seemeilen südöstlich von Puntarenas, einer Hafenstadt am Golf von Nicoya. Nahezu senkrecht stand die Sonne über dem Schiff, denn noch immer segelte die ›Golden Hind‹ in äquatorialen Breiten. Über den Decks, zwischen den Masten flimmerte die Hitze, trieb den Männern den Schweiß aus den Poren. Und Wasser – Trinkwasser – war knapp. Nur noch wenige Meilen bis Puntarenas – aber wie, zum Teufel, sollten sie bei dieser Flaute dorthin gelangen? Thomas Moone bemerkte plötzlich einen Mann, der mit mißmutigem Gesicht zum Großmast hinüberschlurfte, dort stehenblieb und sich dann mißtrauisch umblickte, so, als wolle er sich vergewissern, daß ihm niemand zusah. Dann trat er dicht an den Mast, hob die Rechte, und begann mit den Fingernägeln am Großmast zu kratzen. Thomas Moone konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er kannte diesen alten Aberglauben der Seeleute.
Wenn man am Großmast kratzte, dann rief man damit den Wind herbei. Als der Mann zufällig nach achtern blickte, wandte sich Thomas Moone blitzschnell ab. Auf keinen Fall durfte er zugesehen haben, auf keinen Fall durfte er den Mann am Mast jetzt ansehen oder ansprechen, sonst half das ganze Kratzen nichts. Und als er das dachte, grinste Thomas Moone nicht mehr. Ein lauter Ruf aus dem Großmars scheuchte ihn aus seinen Gedanken auf. »Wahrschau – Masten achteraus. Zwei Galeonen – laufen direkt auf uns zu…« Der laute Ruf des Toppgasten durchdrang die hitzeflimmernde Stille der ›Golden Hind‹ und scheuchte die herumliegenden Männer blitzartig hoch. Auch Thomas Moone drehte sich herum, starrte über die Achterreling. Dann sah er es – langsam, aber stetig schoben sich Mastspitzen über den Horizont. Wieder fluchte Thomas Moone – jetzt Bootsmann auf der ›Golden Hind‹ – lautlos in sich hinein. Erstens bedeutete das, die sich nähernden Galeonen hatten Wind. Zweitens konnte es sich nur um spanische Schiffe handeln, möglicherweise größer und stärker als die ›Golden Hind‹. Barry Burraby, der alte Stückmeister Francis Drakes, warf vom Hauptdeck einen Blick zum Achterdeck hinauf. Dann verlor er keine Zeit, sondern enterte kurzerhand in den Großmars auf. Thomas Moone, der die gleiche Absicht gehabt hatte, wartete, bis Burnaby den Mastkorb erreicht hatte.
Schon als der Alte sich einen Augenblick später aus dem Korb beugte, wußte Moone, daß er eine Hiobsbotschaft zu verkünden hatte. Burnaby besaß trotz seines Alters Augen, die fast mit denen Dan O'Flyrins konkurrieren konnten. »Zwei Galeonen, Spanier!« rief er und seine Baßstimme schallte über das ganze Schiff. »Ein paar hübsche Brocken. Wenn die uns in die Zange nehmen, dann können die uns ganz schön Feuer unter den Ärschen anheizen! Und diese verdammten Hunde haben Wind, ihre Segel stehen voll. Der Teufel soll diese ganzen Dons holen, ich werde mich um meine Geschütze kümmern. Wenn die denken, daß sie die gute alte ›Golden Hind‹ so mir nichts dir nichts zu den Fischen schicken können, dann haben die Kerle sich verrechnet!« Damit schwang sich der alte Burnaby aus dem Großmars, sauste die Wanten zum Hauptdeck hinunter und tauchte gleich darauf bei seinen Leuten an den Geschützen auf. Drake war das Geschrei, das aufgeregte Durcheinanderschnattern der Männer an Deck, in seiner Kammer nicht entgangen. Zufällig trat er an eins der achterlichen Fenster über der Galerie – und auch er erstarrte mitten in der Bewegung. Deutlich sah er die Mastspitzen, die sich bedrohlich schnell über den Horizont schoben, die Marssegel, die weithin in der Sonne leuchteten. Sofort eilte er in seine Kammer zurück, griff nach seinem Degen und schob ihn mit einem Ruck in das
Gehänge. Dann eilte er an Deck. Als er die Stufen zum Achterkastell emporjagte, lief er fast Thomas Moone in die Arme, der ihm gerade die Hiobsbotschaft überbringen wollte. Thomas Moone wich zur Seite, als Drake an ihm vorbeistürmte. Schon an der Eile Drakes erkannte Moone, für wie gefährlich der Kapitän ihre Lage einschätzte. Drake eilte mit großen Schritten über das Achterkastell bis zur Reling. Dann starrte er die beiden spanischen Galeonen an, deren Rümpfe bereits aus dem Wasser zu wachsen begannen. Und immer noch standen ihre Segel voll, während sich auf der ›Golden Hind‹ nichts, auch nicht der leiseste Windhauch, regte. Nach ein paar Minuten drehte Drake sich langsam um. Über seiner Nasenwurzel standen zwei scharfe, tiefe Falten. Sein Spitzbart zuckte. »Mr. Moone, lassen Sie gefechtsklar machen!« befahl er mit leiser Stimme. »Wir haben eine Chance. Entweder laufen die Spanier in wenigen Minuten in dieselbe Flaute, die uns hier festnagelt, oder sie rechnen gar nicht damit, in diesen Gewässern ein anderes Schiff als ein spanisches anzutreffen. Dann ist die Überraschung auf unserer Seite. Stellen Sie jeden entbehrlichen Mann an die Brassen, Mr. Moone. Wir müssen auch den leisesten Windhauch sofort ausnutzen, wir dürfen keine Minute verschenken.« »Aye, Sir. Werde das sofort veranlassen!« Thomas Moone verschwand vom Achterkastell. Gleich darauf schallte seine kräftige Stimme über die Decks, scheuchte
die Männer auf Stationen. Drake hatte sich wieder umgewandt und blickte den von achtern heranlaufenden Galeonen entgegen. Es gab noch eine dritte Möglichkeit – und das war die, auf die er am stärksten hoffte. Die Spanier konnten wie die ›Golden Hind‹ bis vor kurzem ebenfalls in einer Flaute gelegen haben, und es war plötzlich Wind aufgekommen. Wenn das so war, dann mußte die Brise sie ebenfalls erreichen, und zwar lange, bevor die Galeonen heran waren. Dennoch – die Lage war kritisch. Die Spanier hatten in diesem Teil der Neuen Welt fast ausschließlich große und stark bewaffnete Schiffe stationiert. * Thomas Moone schickte ein Stoßgebet zum Himmel – im Gegensatz zu Fletcher, dem Bordgeistlichen der ›Golden Hind‹, der den beiden heranrauschenden Galeonen aus angstgeweiteten Augen entgegenstarrte und die Hosen wie üblich gestrichen voll hatte. Wieder und wieder glitt Moones Blick zu den Segeln empor. Zum Henker, das gab es doch gar nicht, daß die Spanier unter Vollzeug heranpreschten und daß gleichzeitig auf der ›Golden Hind‹ nicht das geringste Lüftchen wehte! Und dabei waren die beiden Schiffe höchstens noch ein paar Meilen von der ›Golden Hind‹ entfernt! Wenn die Kerle geschickt waren, dann nahmen sie sie in
die Zange und feuerten mit ihren dicken Geschützen gleichzeitig – über die entsetzliche Wirkung von zwei solchen Breitseiten war sich Thomas Moone wie jeder andere Mann an Bord völlig im klaren. Der alte Burnaby wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Verdammter Mist!« stieß er hervor. »Das gibt es doch gar nicht, die müssen mit dem Teufel im Bunde sein!« Er versuchte die Stückpforten der Gegner zu zählen. Das Ergebnis war geradezu niederschmetternd. Zwölf bei der einen Galeone auf jeder Seite, zehn bei der anderen. Außerdem bemerkte er bei der an Backbord segelnden Galeone einen schweren Mörser auf der Back – jedenfalls konnte es einer sein, die Entfernung war auch für seine scharfen Augen noch zu groß. Wieder schickte er einen Blick zu den Segeln empor – und dann traute er seinen Augen nicht. Die helleuchtenden Flächen der Marssegel gerieten plötzlich in Bewegung. Gleich darauf bauschten sich auch die Großsegel. »Wind – wir haben Wind!« brüllte einer der Männer, die an den Brassen standen. Wie der Blitz war Thomas Moone zur Stelle. Seine Kommandos hallten über Deck. Die ›Golden Hind‹ legte sich leicht nach Backbord über, dann nahm sie Fahrt auf. Gehetzt warfen Thomas Moone und Burnaby einen Blick nach achtern – die beiden Galeonen wuchsen hinter der ›Golden Hind‹ zu bedrohlicher Größe an, ihre Bugwellen gischteten unter der prall stehenden Blinden hoch am Rumpf empor.
Doch nun zeigte sich der Vorteil, den die kleinere und damit viel beweglichere ›Golden Hind‹ hatte: Sie nahm schnell Fahrt auf, schneller als die Spanier heranzusegeln vermochten. Moone und der alte Burnaby sahen sich an. Die Männer an den Brassen und den Geschützen brüllten vor Begeisterung. Selbst der griesgrämige Mac Pellew, der Schiffskoch der ›Golden Hind‹, verzog sein Gesicht in diesem Moment zu einem schadenfrohen Grinsen. »Mr. Moone!« Die Stimme Drakes übertönte das Geschrei der Männer. »Aye, Sir?« Moone eilte zum Achterkastell hinauf. »Wir segeln auf den Golf von Nicoya zu und nehmen Kurs auf den Hafen von Puntarenas, Wir werden den Harmlosen spielen und die Spanier glauben lassen, daß wir ein spanisches Schiff sind.« »Aye, Sir, aber…« Drake sah seinen Bootsmann an, und seine Brauen zogen sich drohend zusammen. »Aber was, Mr. Moone?« fragte er. »Die Spanier werden sehr schnell herausfinden, daß wir nicht zu ihnen gehören, Sir, dann sitzen wir in der Falle. Der Wind steht achterlich – sie können uns mühelos den Weg verlegen…« Brakes Züge verhärteten sich. »Mr. Moone«, sagte er leise, und seine Stimme hatte dabei einen scharfen Klang, »sehen Sie sich die beiden Galeonen an. Es handelt sich um große Schiffe, dreihundert Tonnen und mehr. Sie werden sich auf Reede legen,
ankern. Sie werden Bug und Heckanker werfen und völlig manövrierunfähig sein, wenn wir drehen und wieder auf sie zusegeln. Man wird an Bord dieser beiden Schiffe nicht einmal vermuten, daß wir kein spanisches Schiff sein könnten. Und deshalb wird man auf den beiden Galeonen auch nicht feuerbereit sein, wenn wir feuern.« Drake wandte sich ab, und Thomas Moone starrte ihn an. Das war wieder einmal typisch Drake. Das war jener gefürchtete Mann, den die Spanier so respektvoll El Draque – den Drachen – nannten, den sie haßten und fürchteten wie die Pest. Und doch hatte sich, El Draque diesmal verrechnet. * Capitan Calixto Ramos Navarro blickte zu der kleinen Galeone, die soeben Kurs auf die Reede von Puntarenas genommen hatte, hinüber. Im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute war er ein Hüne von Gestalt, ein schwerer Mann mit eisenharten Muskeln. Er hatte schon, so manche Seeschlacht hinter sich, außerdem einen hellwachen Verstand und sehr scharfe Augen. Die Männer fürchteten Navarro, denn ihm entging nichts, was an Bord seines Schiffes geschah. Unnachgiebig hielt er auf Disziplin und bestrafte selbst kleine Verstöße schon sehr hart. »Leutnant Garcia!« Capitan Navarro rief seinen Ersten
Offizier zu sich, ohne die ›Golden Hind‹ aus den Augen zu lassen. »Geben Sie mir das Spektiv, Leutnant, ich werde mir diese Galeone dort einmal genauer ansehen. Mit den Kerlen stimmt etwas nicht, ich kann keine Flagge entdecken, die Aufschluß über die Nationalität des Schiff es gibt.« Der Leutnant reichte dem Capitan das Spektiv, ein teures und sehr sorgfältig gefertigtes Instrument niederländischer Bauart. Der Capitan hob es an die Augen und blickte hindurch, und zwar in dem Moment, in dem die ›Golden Hind‹ anluvte und für einen Moment auch die Steuerbordseite zeigte. Capitan Navarro beobachtete das fremde Schiff angespannt. Mit den geschulten Augen des Seemanns erkannte er sofort, daß es sich seit vielen Monaten auf See befinden und es von weit her herangesegelt sein mußte. Wind und Wetter hatten alle Farbe längst von den Flanken des Rumpfes gewaschen und die Verzierungen am Heck zum Teil zerschlagen. Auch die Takelage wies unübersehbare Sturmschäden auf, die mit Bordmitteln behoben worden wären. Gerade, als die ›Golden Hind‹ abdrehte, erwischte Navarro noch einen Blick auf die einst goldene und inzwischen in Wind und Wetter völlig verblichene Hirschkuh am Steven. Ruckartig setzte er das Spektiv ab. Seine Züge hatten sich verfinstert, und dem Leutnant, der neben ihm stand, war das nicht entgangen. Aber Garcia kam nicht dazu, etwas zutragen, denn der Capitan hielt ihm das Spektiv
hin. »Sehen Sie sich das Schiff an, Leutnant«, sagte der Capitan. »Und dann will ich Ihre Meinung darüber hören!« Garcia starrte den Capitan fassungslos an. Es war noch nie vorgekommen, daß der Capitan ihn um seine Meinung gefragt hatte. Aber ihm blieb keine Zeit, darüber weiter nachzudenken, denn der drohende Blick, den ihm Navarro zuwarf, ließ ihn schleunigst das Spektiv ans Auge setzen. Die ›Golden Hind‹ kehrte der spanischen Galeone inzwischen wieder das Heck zu, aber gerade dieser Umstand war es, der dem Leutnant eine Entdeckung bereitete, die ihm glatt für Sekunden den Atem verschlug. Im Blickfeld des Spektivs befand sich Drake, der von der Heckreling des Achterkastells aus die beiden spanischen Galeonen beobachtete. Und Garcia erkannte Drake sofort. Noch einmal vergewisserte er sich, aber es war kein Zweifel mehr möglich. Seine Züge verzerrten sich, als er das Spektiv schließlich absetzte, alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen. »El Draque«, stieß er mit heiserer Stimme hervor. Dann deutete er mit vor Erregung zitternder Hand zur ›Golden Hind‹ hinüber. »Senor Capitan, das ist El Draque« stieß er abermals hervor. Capitan Navarro fuhr herum. »Was sagen Sie da, Leutnant?« fauchte er den immer noch fassungslosen Ersten Offizier der ›Sevilla‹ an. »El Draque? Leutnant – Sie reden irre!« Gleichzeitig riß er das Spektiv ans Auge und fixierte den
untersetzten Mann, der auf der fremden Galeone stand und ihn ebenfalls zu beobachten schien. Er erkannte sein braunes Haar, seinen Spitzbart, seinen teuren Dogen, der an der rechten Seite seiner Pumphose in einem kostbaren Gehänge steckte. Er sah die scharfen Augen, die ihn zu fixieren schienen, und er meinte das spöttische Lächeln zu sehen, das die Lippen dieses verhaßten und gefürchteten Gegners umspielte. Er nahm das Spektiv vom Auge. Drohend richtete sich der Blick des Capitans auf seinen Untergebenen. »Leutnant – Sie behaupten, dieser Mann dort drüben wäre El Draque? Jener Teufel, den die Engländer Francis Drake nennen und der Spanien beim Blackwater so übel mitgespielt hat? Und nicht nur dort! Leutnant, ich verlange augenblicklich eine stichhaltige Erklärung von Ihnen, was Sie zu einer solch kühnen Behauptung veranlaßt hat!« Unwillkürlich nahm Leutnant Garcia Haltung an. »Senor Capitan – ich war beim Blackwater dabei. Ich war Decksoffizier auf der Galeone ›Cortez‹, die von den Engländern schließlich in die Luft gesprengt wurde. Aber bevor das geschah, hatten wir jenen El Draque bei uns an Bord. Er war unser Gefangener, bis so ein schwarzhaariger Teufel mit seinen Männern über uns herfiel und den ›Drachen‹ befreite. Den weiteren Verlauf kennen Sie sicher selber, Senor Capitan. Blackwater ist für alle Spanier immer noch eine Schmach, die getilgt werden muß. Ich schäme mich heute noch, damals am Blackwater dabei gewesen zu sein!«
Leutnant Garcia knirschte vor Wut mit den Zähnen, als er daran dachte, wie der Seewolf und Drake sie damals auf jener Landzunge, auf die sie sich unter dem Trümmerregen ihres in die Luft gesprengten Schiffes mit Mühe gerettet hatten, wiederum zu Paaren getrieben hatten. Und wie Drake und dieser Killigrew schließlich trotz der enormen Übermacht der Spanier und Iren dennoch entwischt waren. Capitan Navarro spürte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg. Ja, er kannte die damalige Niederlage am Blackwater und alle jene schmachvollen Begleitumstände, die zu ihr geführt hatten, nur zu gut. Sein Bruder war damals der Kommandant jener Galeone ›Cortez‹ gewesen, man hatte ihn später tot am Ufer des Blackwater gefunden, unweit der Barriere, die die Iren und Spanier unter seiner Leitung errichtet hatten, um die Engländer auf diese Weise in eine tödliche Falle zu locken. Capitan Navarro zögerte nicht länger. »Leutnant, geben Sie den Befehl ›Klar Schiff zum Gefecht‹!« Lassen Sie auch der ›Don Fernando‹ signalisieren, teilen Sie dem Capitan mit, mit wem wir es zu tun haben. Wir nehmen diesen verfluchten El Draque jetzt in die Zange, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Unsere Geschütze werden seine Nußschale zu Kleinholz verarbeiten. Diesmal entkommt dieser Kerl uns nicht, das schwöre ich beim Tode meines Bruders!« Der Capitan warf einen Blick in die Takelage empor – und dann stieß er eine ellenlange Verwünschung aus. Denn genau in diesem Moment erschlafften die bis dahin
prall stehenden Segel. Die ›Sevilla‹ verlor an Fahrt, die eben noch gischtende Bugwelle brach in sich zusammen. Die beiden Spanier waren in eine Flaute gelaufen. * Drake hatte natürlich von den Ereignissen an Bord der ›Sevilla‹ nicht die geringste Ahnung. Er beobachtete lediglich, wie plötzlich die Männer der einen Galeone über die Decks zu hasten begannen, wie sich kurz, darauf die Stückpforten des schwerbewaffneten Schiffes öffneten. Dann sah er, wie diese Galeone eine Botschaft an die andere, etwas weiter zurückliegende, absetzte. Unwillkürlich griff Drake eben falls nach dem Spektiv, das er seit kurzem bei sich führte. Er zog das Instrument auseinander und blickte zu der kleineren der beiden Kriegsgaleonen hinüber. Auf den ersten Blick erkannte er, daß auch die zweite Galeone gefechtsklar machte. Außerdem beabsichtigten die beiden Spanier offensichtlich, die ›Golden Hind‹ in die Zange zu nehmen – dazu durfte es Drake bei der schweren Armierung dieser beiden Gegner auf keinen Fall kommen lassen. Gerade wollte er sich dem neben ihm stehenden Thomas Moone zuwenden, um die notwendigen Befehle zu geben, als er sah, wie erst auf der einen und dann auch auf der anderen spanischen Galeone plötzlich die Segel erschlafften. Sofort warf Drake einen Blick in die eigene Takelage.
Und dann, knapp zwei Minuten später, hatte die Flaute auch die ›Golden Hind‹ erfaßt. Thomas Moone stieß eine Verwünschung aus. Das war eine höllische Situation, denn die beiden Spanier waren ihnen schon verdammt nahe, und nun gab es keine Chance mehr, ihnen zu entwischen – von dem herrlichen Plan, den Drake gehabt hatte, ganz zu schweigen. »Die Kerle haben gemerkt, daß wir keine Dons sind!« stieß Thomas Moone überflüssigerweise hervor und machte damit seinem Ärger Luft. »Aber wieso haben sie es gemerkt, woran?« Drake zuckte mit den Schultern. »Es ist auch gleichgültig, Mr. Moone. Sofort alle verfügbaren Männer an die Brassen. Beim ersten Windhauch müssen wir sofort bereit sein, es kann um Minuten gehen. Die beiden Spanier – besonders die größere Galeone – sind ziemlich rank gebaut, entsprechend schnelle Segler werden sie sein. Uns bleibt nur unsere bessere Manövrierfähigkeit, und die werden wir auch bei dem bevorstehenden Gefecht ausspielen!« Wieder warf Drake einen Blick nach achtern, aber dann entfuhr selbst ihm ein ellenlanger Fluch. Denn die Spanier setzten Boote aus und bemannten sie mit Ruderern. »Verflucht noch mal, die Dons wollen ihre Galeonen schleppen, die scheinen ja richtig scharf darauf zu sein, uns den Garaus zu machen!« Thomas Moone warf dem Mörser auf der Back der größeren Galeone einen besorgten Blick zu – und seine Ahnung trog ihn nicht, soeben wurde das schwere Geschütz bemannt.
Die Boote formierten sich, übernahmen Schleppleinen, und die Bootsgasten begannen sofort wie die Irren zu pullen. Aus zusammengekniffenen Augen beobachteten Drake und Moone, ob die Männer in den Booten Erfolg hatten. Und immer wieder wanderten ihre Blicke zu den hin und her schlappenden Segeln an den Masten. Nicht die Spur von Wind, nicht der geringste Lufthauch regte sich. Die größere der beiden Galeonen hatte unter dem Zug der Boote wie der Fahrt aufgenommen. Langsam zwar, aber unaufhaltsam glitt sie heran, direkt auf die ›Golden Hind‹ zu. Drake, sonst die Ruhe selbst, spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Er wußte, daß es keinen Sinn haben würde, das eine Boot, über das die ›Golden Hind‹ verfügte, ebenfalls zu bemannen und auf diese Weise zu versuchen, den Spaniern zu entwischen. In dem Boot der ›Golden Hind‹ fanden höchstens sechs Ruderer Platz, in den großen Booten der Spanier hingegen zwanzig, die darüber hinaus auch noch ständig ausgewechselt werden konnten. Hinzu kam, daß die Spanier nicht nur ein solches Boot zur Verfügung hatten, sondern drei. Die größere der beiden spanischen Galeonen war ein Schiff allerneuester Bauart, ein Schiff, bei dem alle bisherigen Erfahrungen – sowohl die vergangener Schlachten als auch die weiter Reisen – ihren Niederschlag gefunden hatten. Zu dieser bitteren Erkenntnis gelangte Drake mehr und mehr, je länger er das spanische Kriegsschiff beobachtete und je näher es ihm rückte.
Er hatte tatsächlich nur noch eine Chance, das erkannte Drake glasklar. »Mr. Moone, lassen Sie das Boot aussetzen. Bemannen Sie es mit den kräftigsten Männern. Wir müssen die ›Golden Hind‹ drehen, bis sie quer zum Kurs der beiden Spanier liegt. Wenn es uns nicht gelingt, die Schiffe mit ein paar Breitseiten manövrierunfähig zu schießen, dann sind wir verloren. Beeilen Sie sich, Mr. Moone, viel Zeit bleibt uns nicht mehr!« Und wie, um die Worte Drakes zu unterstreichen, flammte auf der Back der ›Sevilla‹ in diesem Augenblick das Mündungsf euer des schweren Mörsers auf. Eine gelbrote Stichflamme schoß aus dem dicken, kurzen Rohr, schwarzer Qualm wölkte hoch. Nur knapp hundert Yards hinter der ›Golden Hind‹ klatschte die schwere Eisenkugel des Mörsers in die auf spritzende See. Sekundenlang rollte der Donner des Abschusses über die blaue See, auf der die drei Schiffe mit hin und her schlagenden Segeln dümpelten. Vom Spanier drang wildes Triumphgeschrei zu Drake und seinen Männern hinüber, und die Bootsgasten legten sich noch mehr ins Zeug als bisher. Und während ihre schweren Riemen in schnellem Rhythmus ins Wasser tauchten, wurde der Mörser bereits erneut geladen. Aus schmalen Augen beobachtete Drake, wie die Mündung seines kurzen, dicken Rohres weiter nach oben schwenkte. Als die Spanier sahen, daß auch die ›Golden Hind‹ ein Boot zu Wasser fierte, brachen sie in Hohngeschrei aus.
Donnernd entlud sich der Mörserabermals. Der Schuß verfehlte die ›Golden Hind‹ nur noch um knapp zwanzig Yards, Teile der emporschießenden Wasserfontäne prasselten dicht hinter dem Spiegel von Drakes Schiff in die See zurück. Drake biß die Zähne zusammen. Es war Wahnsinn, auf dem Achterkastell zu bleiben, denn schon der nächste Schuß konnte ein Treffer sein. Aber was sollten seine Männer von ihm denken, wenn er sich jetzt zurückzog? Nein, das kam nicht in Frage. In diesem Moment begann die ›Golden Hind‹ unter dem wilden Pullen der sechs Männer im Beiboot langsam nach Backbord herumzuschwenken. »Mr. Moone, Mr. Burnaby, es wird erst auf mein Kommando gefeuert. Richten Sie die Backbordgeschütze persönlich aus, unsere erste Breitseite muß im Ziel liegen. Lassen Sie Stangenkugeln laden. Danach gehacktes Blei für die Hälfte der Backbordbatterie, Kugeln für die restlichen Geschütze. Drehbassen bemannen.« Bei den Geschützen entstand eine hektische Tätigkeit. Burnaby und Thomas Moone überwachten das Laden der Kanonen persönlich. Sie gingen mit der Pulverladung so hoch, wie es die Rohre eben noch vertrugen, während die ›Golden Hind‹ weiter herumschwang. Da löste sich der dritte Schuß aus dem Mörser. Und diesmal lag der Schuß im Ziel. Die schwere Kugel fuhr durch die Reling der Galerie und zischte durch eins der Fenster in die Kammer Drakes. Holz splitterte, Trümmer wirbelten durch die Luft und fetzten die Karten vom
großen Tisch in der Mitte des Raumes, die kostbare Wandtäfelung aus Mahagoni zerplatzte. Das Triumphgeschrei der Spanier wurde übertönt vom Donnern der Breitseite, die sich in diesem Moment auf Befehl Drakes löste. Die Stangenkugeln fauchten zur ›Sevilla‹ hinüber – und trafen verheerend. Bugspriet und Blinde würden von ihnen sofort zerschmettert. Andere trafen den Mörser und zerfetzten seine Bemannung, das schwere Geschütz wurde aus seiner Bettung gerissen, eine bereitgelegte Pulverladung entzündete sich und ging als riesige Stichflamme hoch. Die Männer auf dem Geschützdeck brüllten vor Begeisterung, dann fuhren auch schon die nassen Wischer in die heißen Rohre, Dampf wallte auf, Segeltuchkartuschen verschwanden in den Mündungen der Geschütze und wurden verdämmt. Gehacktes Blei wurde hineingestoßen, wieder verdämmt, dann schwere Eisenkugeln bei den anderen Geschützen. Und wieder ertönte Drakes Kommando: ›Feuer‹. Donnernd löste sich die zweite Breitseite der ›Golden Hind‹, das gehackte Blei zerfetzte eins der Boote, die die ›Selvilla‹ schleppten. Männer schrien, andere sprangen einfach über Bord und versuchten die ›Sevilla‹ schwimmend zu erreichen. Doch auch die Kugeln hatten inzwischen ihr Ziel gefunden. Zwei von ihnen trafen den Fockmast der ›Sevilla‹ und zerschmetterten ihn zwei Yards über Deck. Der Fockmast neigte sieh, Rahen und Spieren krachten herab, dann begruben Fock und Marssegel die Back und
die Toten, die dort bereits lagen,unter sich. Laufendes und stehendes Gut fiel außenbords, der schwere Mast durchschlug das Schanzkleid an der Steuerbordseite der ›Sevilla‹. Bei der ›Golden Hind‹ pullten die Männer wie verrückt, um die Drehung des Schiffes, das weiter und weiter nach Backbord herumschwang und damit gleichzeitig auch außer Schußposition geriet, zu stoppen. Das gewaltige Donnern einer weiteren Breitseite ließ sie zusammenzucken. Erschrocken rissen sie dann jedoch die Köpfe hoch, während sich um sie herum das Meer in eine Hölle riesiger, emporschnellender Wasserfontänen verwandelte, deren Wassermassen sie fast unter sich begruben. Undeutlich erkannten sie die Silhouette der anderen Galeone, die inzwischen, im Eifer des Gefechtes von ihnen unbemerkt, auf Schußposition herangeschleppt worden war. Die erste Breitseite hatte noch etwas zu kurz gelegen, aber die zweite? Zu allem Überfluß schwang in diesem kritischen Augenblick auch die ›Selvilla‹ herum, jeden Moment mußte sich die ›Golden Hind‹ vor den Mündungen ihrer tödlichen zwölf schweren Geschütze, über die sie an jeder Rumpfseite verfügte, befinden. Drake sah das alles vom Achterkastell aus, als er ein weiteres Mal Feuer kommandierte, und sich die Backbordgeschütze der ›Golden Hind‹ abermals entluden. Die Kugeln, mit denen die neun Neunpfünder an der Back-
bordseite geladen worden waren, trafen wieder voll. Sie durchschlugen das Schanzkleid der ›Sevilla‹ an Steuerbord, rissen einige der feuerbereiten Zwanzigpfünder aus ihren Brooktauen und katapultierten sie quer über das Geschützdeck nach Backbord hinüber. Die schweren Geschütze erfaßten mit ihren Lafetten einige der Männer, zermalmten alles, was ihnen in den Weg geriet. Eins von ihnen zerquetschte ein Pulverfaß, dessen Inhalt sich an einer brennenden Lunte entzündete. Eine berstende Explosion erschütterte die ›Sevilla‹ – eine riesige Stichflamme schoß zu den Segeln des Großmastes empor, verwandelte sie in Sekundenschnelle in lodernde, züngelnde Brände, die sich im nu auch auf andere Teile der Takelage ausdehnten. Die Männer flohen aus dem Geschützdeck, Durch die Hitze, die die inzwischen ebenfalls brennenden Decksplanken verbreiteten, lösten sich die Ladungen der übrigen Geschütze. Es war, als sei auf der ›Sevilla‹ von einer Sekunde zur anderen die Hölle ausgebrochen. Genau in diesem Moment, in dem das Feuer bereits gierig weiter und weiter um sich griff, in dem die Flammen auch schon zum Besan hinüberleckten, kam plötzlich Wind auf. Drake sah, wie sich die Segel der ›Golden Hind‹ blähten, er spürte, wie sich sein Schiff plötzlich unter, dem Druck der Segel nach Steuerbord überlegte. »Steuerbord brassen!« überschrie er den allgemeinen Lärm und warf gleichzeitig einen Blick auf die bereits bedrohlich nach herangeglittene, inzwischen lichterloh
brennende Galeone. Er hörte das Prasseln der Flammen, die lauten Kommandos, und sah, wie die Entermannschaften in die Wanten kletterten und die Musketenschützen sich hinter den Schanzkleidern der ›Sevilla‹ verteilten. Er könnte sich jetzt nicht um die Männer im Boot kümmern, aber er hoffte, daß sie die Situation rasch erfassen und an Bord entern würden. Das Boot konnten sie in diesem Moment nicht – auffieren, es mußte irgendwo an der Bordwand belegt und mitgeschleppt werden, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Wieder warf Drake einen gehetzten Blick zur ›Sevilla‹ hinüber, während die ›Golden Hind‹ bereits Fahrt aufnahm. Es war wirklich allerhöchste Zeit gewesen, und dann sah er, wie sich von der anderen Galeone, deren Segel sich soeben auch mit Wind füllten, eine weitere Breitseite löste. Deutlich registrierte er die Mündungsblitze, die Wolken aus Pulverdampf, die vor den Stückpforten wie riesige Bälle standen und immer weiter wuchsen. Und dann geschah es – die Breitseite traf. Einige der zwanzigpfündigen Kugeln zischten knapp drei Yards hoch über das Achterkastell, auf dem er stand. Andere schlugen mit einem infernalischen Knall, der die ganze ›Golden Hind‹ bis in ihre letzten Verbände erschütterte, in die Bordwand ein. Irgendwo schrien Männer auf, ein Teil des Steuerbordschanzkleides zerplatzte förmlich, eine der Stückpforten wirbelte davon und schlug klatschend in die See. Die ›Golden Hind‹ luvte an und gehorchte dem Ruder. Drake gab dem Mann am Kolderstock präzise Anwei-
sung. Sorgfältig achtete er darauf, daß sein Schiff nicht vor die Geschütze der brennenden spanischen Galeone geriet, denn das wäre aus dieser kurzen Entfernung von nur noch knapp hundert Yards ihr Ende gewesen. Thomas Moone hastete zum Achterkastell empor. Noch im Laufen wischte er sich Schweiß und Pulverdampf aus dem Gesicht, »Da, Sir!« brüllte er aufgeregt und deutete nach achtern. Drake fuhr sofort herum, er kannte Moone schon lange. Wenn dieser sonst so bedächtige Mann derart aus dem Häuschen geriet, dann mußte das eine ernste Angelegenheit sein. Er sah es Sekunden später: ein verhältnismäßig kleines Schiff, rahgetakelt – nur das trapezförmige Großsegel an einer Gaffelrute. Drake kannte diesen Schiffstyp, er wußte, wie schnell und wie ungeheuer manövrierfähig diese Segler wären. Da half einem weit größeren Schiff nicht einmal mehr die stärkere Bewaffung. Wieder stieß er eine Verwünschung aus. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Ganz abgesehen davon, daß ihm nun auch die andere Galeone auf den Pelz zu rücken begann. Sie war ein verdammt rankes und schnelles Schiff, mit dem ebenfalls nicht zu spaßen sein würde. Schon diesem Gegner zu entkommen, hätte ihm und seinen Männern und der ›Golden Hind‹ alles abverlangt. Und jetzt auch noch dieser verfluchte Schnellsegler, gegen den die ›Golden Hind‹ bestenfalls eine lahme Ente war! Nein, gegen diesen Don hatten sie keine Chance, wenn die Kerle zu kämpfen verstanden, wenn sie ihr Schiff beherrschten
und von ihren Geschützen etwas verstanden! Drake dachte an die Treffer, die die ›Golden Hind‹ vor einigen Minuten kassiert hatte. Er sah Thomas Moone nur an, aber der schüttelte den Kopf.
»Verwüstungen im Schiffsinnern, Sir«, sagte er, »aber alles über der Wasserlinie, behindert uns im Augenblick nicht weiter. Zwei Tote, vier Verwundete, Sir, das ist weit schlimmer. Ein Geschütz zerstört.« Drake nickte. Gehetzt blickte er zwischen der Galeone und dem anderen Segler hin und her, der unglaublich schnell von achtern auf segelte. »Back- und Steuerbordgeschütze klar zum Gefecht, Mr. Moone«, befahl er dann. »Pfeilschützen mit Brandpfeilen in die Marse. Brassen bemannen. Wenn es schon sein soll, dann nehmen wir einen dieser verdammten Dons mit auf die große Reise, Sie bleiben bei den Geschützen, Mr. Moone. God save the Queen – alles Gute, Mr. Moone«, fügte er dann noch hinzu, und Thomas Moone wußte, daß es Drakes Abschied war. »Alles Gute, Sir«, erwiderte er und verließ dann das Achterkastell. Voller Grimm ballte er die Hände. Jawohl, die Dons würden sich wundern, noch waren sie nicht bei den Fischen! Drake beobachtete den kleinen, schnell von achtern aufkommenden Segler. Dann warf er einen Blick zu der unter vollen Segeln heranrauschenden Galeone hinüber und fixierte fast gleichzeitig die schwarze Qualmwolke, die immer noch über der brennenden ›Sevilla‹ im blaß-
blauen Himmel stand. Die war erledigt, keine Gefahr mehr für die ›Golden Hind‹. Aber die anderen beiden – und verdammt noch mal, die ›Golden Hind‹ erwies sich nicht einmal als schnell genug, um der Galeone an Steuerbord zu entkommen. Der Spanier hatte aufgeholt, die gischtende Bugwelle leuchtete weiß herüber, er konnte schon die über Deck hastenden Seesoldaten erkennen. Diesmal schien es ihnen wahrhaftig an den Kragen zu gehen. Drake war nicht der Mann, der sich in diesem Punkt irgendwelchen Illusionen hingab. Aber er war El Draque, der bis zum letzten Atemzug kämpfen würde! »God save the Queen – Gott schütze die Königin«, murmelte er noch einmal, und dann hatte er seinen Entschluß gefaßt. »Ruder hart Steuerbord, an die Brassen, Männer!« schrie er, und seine Stimme dröhnte über die Decks der ›Golden Hind‹. Das Schiff schwang herum und lief wenige Augenblicke später direkt auf die Galeone zu, auf der die Geschützmannschaften bereits mit ihren Lunten hinter den Zwanzigpfündern kauerten. Der Stückmeister der ›Don Fernando‹ stieß einen Fluch aus – der Gegner bot ihnen nur noch die Schmalseite, so konnte er keinen vernünftigen Schuß anbringen. Die ›Don Fernando‹ ging auf Kollisionskurs. Ihr Kommandant war nicht so dumm, einen Gegner wie El Draque zu unterschätzen, wie man das offensichtlich auf der ›Sevilla‹ getan hatte. Aber was, zum Teufel, war eigentlich mit diesem klei-
nen Sehnellsegler, der in diesem Augenblick ebenfalls den Kurs änderte und direkt auf sie zuhielt? Gehörte er zu El Draque? Handelte es sich um ein spanisches Schiff? Der Kommandant der ›Don Fernando‹ wandte sich an seinen Ersten Offizier. »Signalisieren Sie dem Schnellsegler, er soll die Flagge zeigen, oder wir feuern!« Der Leutnant nickte. Der Capitan hatte recht, sie konnten keinerlei Risiko eingehen, solange sie es mit El Draque zu tun hatten.
2. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte mit seiner ›Isabella III.‹ in einer versteckten Bucht etwa drei Meilen südlich von Puntarenas vor Anker gelegen. Einige seiner Männer waren damit beschäftigt gewesen, von einer Quelle Frischwasser an Bord zu holen. Die Arbeit war gerade beendet gewesen, da rollte plötzlich Kanonendonner über die See. Ben Brighton war sofort aufs Achterdeck gestürmt. »He, Hasard – was ist das? Wer hat sich denn da in der Wolle?« Doch der Seewolf schwieg. Dann wummerte schon wieder der Abschuß eines schweren Geschützes zu ihnen herüber. Hasard kniff die Augen zusammen. »Ben, das ist ein Mörser! Ich kenne dieses dumpfe trockene Wummern, ich…« Das Dröhnen einer Breitseite hatte ihn jäh unterbrochen. Augenblicke später dröhnte eine weitere Breitseite über die Bucht. Der Seewolf sah Ben Brighton, seinen Bootsmann und Freund, der viele Gefahren mit ihm geteilt und bestanden hatte, nur an. »Los, Anker auf. Laß Segel setzen. Ich glaube, das soll-
ten wir uns aus der Nähe ansehen. Ich fresse meine eigenen Ohren wenn das eben nicht die Neunpfünder der ›Golden Hind‹ gewesen sind – den Klang dieser Geschütze kenne ich!« Alles andere war dann blitzschnell gegangen. Die Männer sausten in die Rahen, ein paar Mann waren zum Großfall gerannt, hißten das Großsegel, und schon wenige Augenblicke später nahm die ›Isabella III.‹ Fahrt auf und glitt aus der Bucht. Der Seewolf enterte in den Hauptmars auf, wo Dan O'Flynn bereits stand und sich seine Adleraugen fast aus dem Kopf guckte. »Hasard – da!« schrie das Bürschchen aufgeregt, als sich der Seewolf zu ihm in den Korb schwang. »Das ist die ›Golden Hind‹ – sie kämpft gegen zwei Galeonen der Dons. Du meine Güte, das sind vielleicht Brocken – da, oh, verdammt!« Sie hörten das Wummern, als sich von der ›Sevilla‹ die erste Breitseite löste, sahen die grellen Mündungsfeuer, die fetten Wolken aus Pulverqualm, die für Augenblicke den Rumpf der ›Sevilla‹ vollständig einzuhüllen schienen. »Verflixt, Dan, du hast recht! Der Happen ist auch für den guten Drake zu groß. Nichts wie hin, mal sehen, ob wir ihn da heraushauen können!« Hasard zog sein Spektiv aus einer der Taschen seiner blauen Segeltuchjacke, setzte es an und blickte eine Weile hindurch. Dann setzte er es plötzlich ab, schob es ruckartig zusammen und steckte es wieder ein. Aus seinen Zügen war jedes Lachen verschwunden.
»Sie liegen in einer Flaute, Dan, und die Dons pullen wie die Verrückten, um sich an Drake heranzumanövrieren. Wenn ihnen das schnell genug gelingt, dann ist ihm nicht mehr zu helfen. Er könnte nur eins tun, er müßte jetzt…« Der Seewolf sprach nicht weiter. Auch ohne das Spektiv erkannte er, was Drake unternahm, wie er dem übermächtigen Gegner seine Breitseite entgegendrehte. Er hatte schon abentern wollen, aber jetzt blieb er neben Dan im Mastkorb, er wollte sehen, was sich da vor ihnen tat. Ben Brighton war Manns genug, die ›Isabella III.‹ zu führen. Sie beobachteten, wie Drake um sein Leben zu kämpfen begann, wie er die ›Sevilla‹ in Brand schoß, wie sich die andere der beiden Galeonen fast unbemerkt an ihn heranschob, wie auch sie ihre Breitseite abfeuerte und traf. Und wie darin buchstäblich in allerletzter Sekunde Wind aufkam, Drake Gelegenheit gab, sich von der näher und näher gleitenden ›Sevilla‹ gerade noch rechtzeitig abzusetzen. Hasard warf einen letzten Blick auf die drei Schiffe. Dann stand sein Plan auch schon fest. »Dan, du hältst die Augen auf. Wenn sich irgend etwas tut – sofort Meldung an mich…« Noch ehe Dan O'Flyhn ihm zu antworten vermochte, sauste der Seewolf bereits die Wanten hinunter. Das war der Moment gewesen, in dem Thomas Moone den neuen vermeintlichen Gegner entdeckt hatte, denn auf der ›Golden Hind‹ ahnte man nicht, daß es der Seewolf
mit der ›Isabella III.‹ war, der da über die tiefblaue See heranpreschte, zumal er ihnen nur den Bug zukehrte. Und dann hatten sich die Ereignisse förmlich überstürzt Den Männern an Bord der ›Isabella III.‹ blieb nur wenig Zeit, Entschlüsse oder gar Pläne zu fassen. Denn die ›Golden Hind‹ drehte plötzlich hart nach Steuerbord und rauschte der spanischen Galeone unter Vollzeug entgegen. Ben Brighton wischte Sich über die Augen, weil er nicht glaubte, was er sah. »Verfluchte Scheiße, Hasard – Drake muß total übergeschnappt sein. Er muß uns doch gesehen haben, Hasard! Warum macht er so einen Blödsinn? Die Dons brauchen nur rechtzeitig Hartruder zu legen und mit ihren dicken Kanonen zu feuern, dann ist die ›Golden Hind‹ ein Sieb und säuft ab wie ein alter Eimer!« Hasard schwieg. Auch ihm paßte das plötzliche Manöver Drakes ganz und gar nicht in den Kram. Was er auch unternahm, er würde nicht rechtzeitig genug bei der ›Golden Hind‹ sein können. Auch nicht, wenn seine ›Isabella‹ nur so über die Wellen flog. »Er hat uns nicht erkannt, Ben, noch nicht. Er hält uns für Dons. Er… Mist – jetzt ist auch der Don auf Gegenkurs gegangen – und da, er Signalisiert uns!« Ben Brighton und Hasard lasen die Botschaft mit, denn seit ihrem Spanienabenteuer, bei dem sie einen Großteil der Männer ihrer Stammbesatzung von der Galeere ›Tortuga‹ befreit hatten, auf die sie als Galeerensträflinge verschleppt worden waren, sprachen sie perfekt spanisch.
Sie kannten auch die meisten Signalzeichen der Spanier, und so fiel ihnen die Entzifferung der Zeichen nicht sonderlich schwer. Ben Brighton grinste. »Wir sollen uns zu erkennen geben, oder die Dons wollen auf uns feuern. Ein vorsichtiger Bursche, dieser Capitan dort drüben. Aber wahrscheinlich ist ihm das Schicksal seines Amigos auf der anderen Galeone an die Nieren gegangen. Zugegeben – Drake hat dem Spanier ganz hübsch eingeheizt. Ein neues Stückchen in der Sammlung des verhaßten El Draque!« Auch der Seewolf grinste. Unterdessen legte sich die ›Isabella III.‹ weiter nach Steuerbord über, und Hasard warf einen Blick in die Takelage. »Ho, Ben, es brist auf! Was vorhin zu wenig war, das kommt jetzt mit Macht! Na, dann wollen wir den Dons mal Feuer unter dem Arsch anzünden. Aber vorher müssen wir uns Drake zu erkennen geben, damit er nicht jetzt noch durch irgendwelchen Blödsinn in Schwierigkeiten gerät!« Hasard erteilte ein paar knappe Befehle. Smoky, der die Steuerbordwache befehligte, trieb die Männer an den Brassen an. Die ›Isabella‹ schwang herum. Mit fast achterlichem Wind schoß sie auf einen Punkt zu, den die ›Golden Hind‹ fast gleichzeitig mit ihr erreichen mußte, sofern sie auf ihrem Kursblieb. Die ›Isabella‹ näherte sich der ›Golden Hind‹ rasch. Hasard erkannte, daß er sie noch gerade rechtzeitig errei-
chen würde, bevor der Spanier auf Schußweite heran war. Dabei ließ er den Spanier jedoch nicht aus den Augen, denn nur durch blitzschnelles Manövrieren hatte er gegen diesen Gegner eine Chance. Der Seewolf hatte sein Spektiv längst wieder aus der Tasche gezogen. Aufmerksam beobachtete er die beiden Schiffe, und dann sah er plötzlich, wie die Männer der ›Golden Hind‹ ans Schanzkleid stürmten und ihm wie besessen zuwinkten. Auch Drake auf dem Achterkastell blickte zusammen mit Thomas Moone zu ihm hinüber. Der Seewolf glaubte, das Geschrei der Männer von der ›Golden Hind‹ zu hören. Aber ob das nun eine Täuschung war oder nicht, sie hatten ihn erkannt, endlich! Und damit waren die Würfel für den bevorstehenden Kampf gegen den Spanier gefallen. »Ben, laß Drake signalisieren, daß er sofort nach Backbord abdrehen und dem Don eine Breitseite von vorn in die Takelage jagen soll. Wir selbst laufen von Backbord auf ihn zu und bieten ihm nur unsere Schmalseite. Dann gehen wir dicht unter seinem Heck vorbei und feuern. Mit allem, was wir haben. Hinter seinem Heck fahren wir eine Halse und feuern mit den anderen Geschützen die zweite Breitseite. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir dabei nicht sein Ruder erwischen. Glückt uns das, ist der Bursche geliefert, trotz seiner dicken Kanonen!« Der Seewolf hatte diese Anweisungen sehr schnell gegeben, und Ben Brighton hatte ebenfalls keine Zeit verloren. Al Conroy, der schon oft als Signalgast fungiert hatte,
schnappte sich einen zweiten Mann und sauste nach unten, wo sich unter Deck die Signalstander befanden, die sie während der großen Reise mit Drake schon oft benutzt hatten. Er brauchte nicht lange zu suchen, wenig später flatterten sie schon im Wind. Es war zwar knapp, aber Drake reagierte sofort. Er nahm sich nicht einmal mehr die Zeit, sein ›Verstanden‹ zu signalisieren, sondern drehte sofort hart Backbord, zur größten Verblüffung des fast auf Schußweite herangesegelten Spaniers. Der Don begriff nicht schnell genug – als er ahnte, was Drake vorhatte, war es bereits zu spät. Als sein Schiff herumschwang, lief es genau in die donnernde Breitseite der ›Golden Hind‹. Die Stangenkugeln, die Drake hatte laden lassen, zerfetzten die Segel des Fockmastes, zerrissen Wanten und Pardunen und beraubten den schweren Mast seines Halts. Er neigte sich nach Steuerbord, wohin der Spanier gedreht hatte und brach knirschend und stürzte außenbords. Das stehende Gut des Großmastes wurde miterfaßt, die Marsrah samt Marssegel kam von oben und stürzte in die Kuhl. Im nu herrschte auf dem Spanier ein heilloses Durcheinander, Lebende zogen sich unter den Trümmern hervor, Verwundete schrien, Erschlagene lagen mit gebrochenen Gliedern unter dem Segel, das wie ein Leichentuch alles zudeckte. Keiner achtete auf den kleinen, schnellen Segler, der in
diesem Moment unter dem Heck der mächtigen Galeone durchlief. Der Seewolf wartete, dann kommandierte er Feuer, während die ›Isabella‹ bereits herumsehwang. Brüllend entluden sich die vier Neunpfünder der Backbordseite und schlugen in, den breiten Spiegel der Galeone, eine der Kugeln zerfetzte die obere Halterung des Ruders. Die ›Isabella‹ halste, dann brüllten die Steuerbordgeschütze auf. Mit vernichtender Gewalt trafen die Kugeln das Ruder der Galeone, Ferris Tucker hatte genau gezielt Es zersplitterte unter den Einschlägen, die Trümmer wirbelten davon und verschwanden in der aufspritzenden See. Gleichzeitig zischten aus den Marsen der ›Isabella‹ Brandpfeile zum Spanier hinüber, verfingen sich im Besan, und Sekunden später leckten die Flammen an dem Segel empor. »Wenden!« Die Stimme des Seewolfes durch brach das wilde Geschrei seiner Männer. Carberry – der frühere Profos der ›Golden Hind‹ – scheuchte die Männer an die Brassen. »Ich werde euch Beine machen, ihr Klabautermänner, und dir, O'Driscoll, ziehe ich die Haut in Streifen von deinem Affenarsch, wenn du dich nicht ein bißchen schneller bewegst!« grölte er seinen Lieblingsspruch. Patrick O'Driscoll, ein hünenhafter Ire und erst seit kurzem in Hasards Crew, grinste, während er seine Pranken in die Brassen hakte. Er kannte Carberrys Lieblingsspruch mittlerweile und wußte, wie er gemeint war.
Die ›Isabella‹ wendete, und sie tat es noch innerhalb der Schußweite der Kanonen des Dons, aber so, daß sie sich mit Ausnahme einiger Drehbassen im toten Winkel befand. »Ferris, stanz dem Don jetzt ein paar hübsche Löcher in die Wasserlinie, damit er zu den Fischen geht!« »Werds ihm schon besorgen, kümmer du dich man darum, daß wir in Schußposition bleiben!« brüllte der riesige Schiffszimmermann und Stückmeister der ›Isabella‹ zurück und begann, Geschütz um Geschütz schnell, aber sorgfältig zu richten. »Feuer!« dröhnte seine gewaltige Stimme dann, und die Kanonen spien abermals Tod und Verderben. Alle Kugeln lagen im Ziel. Ein Yard unter der Wasserlinie rissen sie ihre Löcher und ließen das Wasser gurgelnd in die ›Don Fernando‹ schießen, während die ›Isabella‹ sich schleunigst vor den schweren Geschützen des tödlich verwundeten, aber immer noch gefährlichen Gegners in Sicherheit brachte. An Bord des Spaniers brach Panik aus, als Drake mit der ›Golden Hind‹ eine weitere Breitseite in das Schiff feuerte, die voll in das Geschützdeck an Backbord schlug. Der Seewolf nutzte die allgemeine Verwirrung. Wieder brüllten seine Kanonen auf und zerfetzten den Spiegel des Spaniers unter der Wasserlinie. Als sich der Pulverrauch verzogen hatte, sahen Hasard und seine Männer, wie die ersten Spanier über Bord sprangen. Andere versuchten, zwei der großen Boote zu Wasser zu bringen, aber eins davon riß sich von der Talje
los und zerschellte, als es mit dem Bug auf dem bauchigen Rumpf der Galeone auf schlug. Danach ging alles schnell. Die ›Don Fernando‹, die an mehreren Stellen lichterloh brannte wie schon vor ihr die ›Sevilla‹, nahm durch die Lecks viel Wasser. Aus sicherer Entfernung beobachteten Hasard und Drake mit ihren Besatzungen, wie sie tief er und tiefer sackte, wie ihre Bewegungen immer schwerfälliger wurden. Dann hob sich ihr Bug langsam aus der See, stieg höher und höher. Trotz der Entfernung vernahmen die Männer auf der ›Golden Hind‹ und der ›Isabella‹ das dumpfe Poltern, mit dem sich die schweren Geschütze aus ihren Brooktauen rissen und alles, was sich ihnen entgegenstellte, bei ihrem Stürz quer durch das Schiff zermalmten. Danach rutschte die ›Don Fernando‹ ganz plötzlich über das Heck weg. Innerhalb weniger Sekunden war sie verschwunden. Luftblasen stiegen empor, Trümmer schossen an die Oberfläche und fielen klatschend aufs Wasser zurück. Dann herrschte Stille. Der Seewolf beobachtete das aus zusammengekniffenen Augen. »Los, Ben«, sagte er dann. »Retten wir von den armen Teufeln dort, was noch am Leben ist. Wir bringen sie zur nahen Küste, dann mögen sie sich selber weiter kümmern!« Ben sah den Seewolf an. »Es sind Dons, Hasard, aber ich wußte, daß du sie nicht einfach absaufen lassen würdest. Also los!«
* Die ›Isabella‹ fischte über hundert völlig erschöpfte und demoralisierte Spanier auf. Sie setzte sie an der Küste von Costarica aus und lief dann in die offene See zurück, wo die ›Golden Hind‹ bereits mit aufgegeiten Segeln auf sie wartete. Ben Brighton sprach das aus, was alle Männer, die am Schanzkleid der ›Isabella‹ lehnten und zu Drakes Schiff hinüberstarrten, dachten: »Warum hat sich Drake mit seinen Männern nicht an der Rettungsaktion beteiligt, Hasard? Ist er sich zu gut dafür, oder wollte er uns vielleicht den Rücken decken, falls noch einer der hier stationierten Dons aufgetaucht wäre?« Unverkennbarer Hohn schwang in Ben Brightons Stimme mit. Der Seewolf sah die verkniffenen, harten Gesichter seiner Männer, sah, daß sie eine Antwort von ihm erwarteten. »Ich weiß es nicht, Ben«, sagte er dann. »Aber vielleicht hat Drake auch gedacht, daß ein Schiff für diesen Zweck genügt, daß unser Schiff viel wendiger und schneller ist als seine ›Golden Hind‹, und vielleicht hat sein Schiff auch einiges abbekommen beim Gefecht mit der anderen Galeone. Er wird die Zeit genutzt haben, um mit der Ausbesserung der notwendigen Schäden zu beginnen.« »Gut, aber ich werde Drake danach fragen, darauf kannst du Gift nehmen. Ob du wirklich glaubst, was du sagst, weiß ich nicht. Vielleicht willst du ihn decken, vielleicht willst du es auch nicht glauben, daß er so sein
könnte. Aber ich will es wissen von ihm persönlich. Denn mir ist es nicht egal, für wen ich vielleicht künftig meinen Hals riskiere!« Damit wandte sich Ben Brighton ab und stieg zur Kuhl hinunter. Und zum erstenmal spürte der Seewolf, welche tiefgreifenden folgen der offene Bruch zwischen Drake und ihm sogar bei Männern wie Ben Brighton hinterlassen hatte. Etwas später machte die ›Isabella III.‹ neben der größeren ›Golden Hind‹ fest. Zusanimen mit Ben Brighton ging der Seewolf an Bord, und dort erwartete die beiden Männer eine unangenehme Überraschung.
3. Der Seewolf blieb ruckartig stehen, als er das Deck der ›Golden Hind‹ betrat. So schlimm hatte er es sich nicht vorgestellt. Schlagartig wurde ihm klar, warum Drake nicht die geringste Anstrengung unternommen hatte, sich an der Rettungsaktion zu beteiligen. Hasard warf Ben Brighton einen Blick zu. »Ich wußte gleich, daß du Drake Unrecht getan hast, Ben. Er ist nicht der Mann, der einen besiegten Feind einfach kaltblütig absaufen läßt. Aber die Breitseiten der Dons haben auf unserer alten ›Golden Hind‹ ganz schön gehaust. Und wo, zum Teufel, steckt Drake eigentlich?«
Der Seewolf ließ seine Blicke über Deck schweifen, er sah das fast völlig zerstörte Schanzkleid an Steuerbord, die herabgekommenen Spieren, das von einer zwanzigpfündigen Kugel quer über Deck katapultierte Geschütz, die Toten und die Verwundeten. Und dann erblickte er die kleine Gruppe, die in der Kuhl um einen untersetzten Mann mit Spitzbart kniete. Er erkannte Mac Pellew, den Koch und Feldscher der ›Golden Hind‹. Mit einem Ruck setzte er sich in Bewegung. Der Mann, der da auf den Decksplanken lag, die Augen geschlossen hatte, das Gesicht bleich wie der Tod – dieser Mann war kein anderer als Francis Drake! Ben Brighton folgte dem Seewolf, auch er hatte begriffen, daß an Bord der ›Golden Hind‹ etwas Unerwartetes geschehen sein mußte, er wußte aber nicht, was. Denn soviel stand fest: Noch zur Zeit ihres Angriffs auf die ›Don Fernando‹ hatten sie Drake deutlich auf dem Achterkastell gesehen. Ben Brighton blieb abrupt stehen. »Kutscher – schickt den Kutscher rauf!« brüllte er dann. »Es hat Kapitän Drake erwischt – der Kutscher soll sich beeilen!« An Bord der ›Isabella‹ hörten die Männer seinen Ruf. Carberry und Ferris Tucker, die sich auf dem Ächterkastell befanden, starrten sich an. »Drake?« fragte Tucker nur. »Wann, zum Teufel, soll denn das passiert sein?« Aus den Augenwinkeln sah er, wie Batuti, Smoky, Dan
O'Flynn und etliche andere der alten ›Isabella‹-Crew zum Backbordschanzkleid sprangen, um zur ›Golden Hind‹ auf zuentern. Aber er fand gar keine Zeit mehr, sich einzuschalten, denn genau wie Carberry erkannte Ferris Tucker die riesige Gefahr, in die sie sich begaben, wenn fast die ganze alte Mannschaft die ›Isabella‹ verließ und nur die neuen Leute auf dem Schiff zurückblieben. Denn ob sie diesen Männern wirklich so bedingungslos trauen konnten, wie es bisher den Anschein gehabt hatte, mußte sich erst noch erweisen. Einige hielt der hünenhafte Schiffszimmermann für absolut vertrauenswürdig, bei anderen wiederum hatte er – und nicht nur er allein – erhebliche Zweifel. Carberry war wie der Blitz zur Five-Rail gejagt. »Halt, ihr karierten Decksaffen!« dröhnte seine Stimme zur Reling hinüber. »Keiner verläßt das Schiff. Wen ich dabei erwische, dem ziehe ich die Haut von seinem verdammten Affenarsch. Runter mit euch, raus aus den Wanten, oder ich mache euch Feuer unter dem Hintern, so wahr ich Carberry heiße!« Damit war der einstige Profos der ›Golden Hind‹ auch schon in der Kuhl und griff sich Dan O'Flynn, der nicht schnell genug gewesen war. Mit einem Tauende, das er blitzartig vom Deck aufgehoben hatte, zog er dem Jüngsten der Besatzung eins über den, Achtersteven, daß Dan wie ein geölter Blitz über die Kuhl und aufs Hauptdeck hinab sauste. »Ich werde euch helfen, hier einfach wie eine Herde wildgewordener Affen loszurasen.« Er drehte sich um.
»Ferris, ich werde mal sehen, was da drüben eigentlich los ist, paß du auf diese Hammelherde auf, klar?« Er blickte sich um, sah den Kutscher, der mit seinem Utensiliensack gerade an Deck auftauchte, registrierte mit einem zweiten Blick das Grinsen, das das Gesicht des rothaarigen Hünen überzog und die gewaltige Axt, die er wie spielerisch in seinen Pranken wog. »Haut man ruhig ab, ihr beiden. Wenn ihr uns braucht, dann sind wir da.« Carberry und der Kutscher turnten die Wanten empor, dann sprangen sie auf das höhergelegene Deck der ›Golden Hind‹. Den Männern an Bord der ›Golden Hind‹, die bedrückt und schweigsam einen weiten Kreis um den wie tot daliegenden Drake gebildet hatten, war Carberrys Geschrei nicht entgangen. Besonders einem unter ihnen nicht – John Doughty, dem Bruder des von Drake zum Tode verurteilten und von Carberry enthaupteten Sir Thomas Doughty. Bei dem Gebrüll Carberrys war er zusammengezuckt, und seine Auge begannen vor Haß zu funkeln. Gehetzt blickte er sich im Kreis der Männer um, sah den Seewolf und Ben Brighton, die eben bei Drake niederknieten. Und dann erblickte er Carberry, der soeben mit dem Kutscher, dem Koch und Feldscher der ›Isabella‹, an Bord enterte. Auch Carberry sah ihn, und seine Miene verfinsterte sich. Denn immerhin war er von Doughty hinterrücks über Bord gestoßen worden, nur daß man diesem verfluchten Kerl bisher seinen heimtückischen Mordanschlag
nicht hatte nachweisen können. Carberry krallte seine Hände um die Pardune, an der er sich eben an Deck ziehen wollte. Er spürte, wie ihn der Zorn übermannte, er fühlte, wie seine Narben, die ihm die spanischen Folterknechte auf der Folterbank zugefügt hatten, wieder zu brennen begannen. Und er wagte nicht daran zu denken, was aus ihm geworden wäre, wenn der Seewolf ihn nicht in buchstäblich letzter Sekunde aus den Händen dieser Bestien befreit hätte. Blitzartig durchzuckte Carberry die Erinnerung daran, wie er in der nachtdunklen See getrieben war, wie ihn die Dons schließlich geschnappt und sofort in Ketten gelegt hatten, wie sie ihn den Folterknechten übergaben, als er nicht redete. Eine Woge von Haß überschwemmte Carberry. John Doughty, der nur wenige Yards von ihm entfernt an Deck der ›Golden Hind‹ stand und ihn ebenfalls voller Haß anstarrte, verschwand für Carberry sekundenlang hinter einem roten Nebel. Der einstige Profos stieß sich ab. Mit einem gewaltigen Satz warf er sich dem Meuchelmörder entgegen, seine Fäuste Öffneten sich, um Doughty zu packen, ihn hochzuheben und über Bord zu schleudern, aber da spürte er den brennenden Schmerz in seinem rechten Arm. Carberry zuckte zurück, er sah die blitzende Klinge des Degens, den Doughty in der Hand hielt, mit dem er zugestochen hatte. Unwillkürlich wich Carberry ein paar Schritte zurück, und seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
»Du Schwein, du hinterhältiger Bastard, einen unbewaffneten Mann mit einem Degen anzugreifen, das sieht dir ähnlich. Aber warte, du Ratte, jetzt sollst du den alten Carberry kennenlernen!« Der Profos rammte sein Eisenkinn vor. Doughty stieß einen Wutschrei aus, sein Degen zuckte vor, aber Carberry war auf der Hut. Er wich zur Seite aus, schlug die blitzende Klinge mit dem Unterarm zur Seite und hatte Doughty im nächsten Moment gepackt. Seine Rechte schoß vor und traf Doughty mit voller 'Wucht in den Leib. Doughty stieß einen wilden Schmerzensschrei aus und krümmte sich zusammen. Carberry holte erneut aus, aber die Verzweiflung, der angestaute Haß, sie gaben Doughty Kraft und Mut. Er rammte Carberry den Schädel in den Magen, riß mit einem, lauten Schrei ein Knie hoch und schlug dann aus einer blitzschnellen Drehung herhaus zu.. Carberry spürte den irrsinnigen Schmerz, der durch seinen Leib raste, er spürte die krachende Explosion des Schlages, der ihn seitlich am Schädel traf, und er sah für einen winzigen Moment nur noch Sterne. Aber der Profos war ein zäher Mann, ein erfahrener Kämpfer, der in seinem Leben schon ganz andere Dinge eingesteckt hatte. Er warf sich abermals herum, und das rettete ihm das Leben. Denn die Klinge von Doughtys Degen zischte haarscharf an seiner Hüfte vorbei. Der Stoß war mit einer solchen Wucht geführt worden, daß Doughty nach vorn taumelte, völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.
Im Nu war Carberry heran. Er packte seinen Gegner, nagelte ihn mit ein paar Hieben am Großmast fest – und dann prasselten die Schläge nur so auf Doughty herab. Der Degen klirrte an Deck, Carberry packte erneut zu, riß den schon halb Bewußtlosen hochschleifte ihn kurzerhand hinter sich her über das Hauptdeck und schleuderte ihn dann mit einem gewaltigen Schwung über Bord. John Doughty klatschte in die See und verschwand im tiefblauen Wasser.' Das war der Moment, in dem der Seewolf auf dem Hauptdeck erschien. »Carberry!« dröhnte seine Stimme, und sie ließ den Profos herumfahren. Er starrte den Seewolf an, in seinem Narbengesicht zuckte es, während sich seine Pranken schon wieder zu Fäusten schlossen. »Er hat gekriegt, was er braucht, Hasard. Dieses Schwein hat mich nachts heimtückisch über Bord gestoßen, ich habe es ihm bei Tag nach einem Kampf besorgt, in dem dieser Dreckskerl zu feige war, sich mit den bloßen Fäusten zu verteidigen, sondern mich mit seinem Degen um ein Haar auf gespießt hätte.« Er wischte sich das Blut vom Arm, wo ihn der Stich Doughtys getroffen hatte. »Das war schon lange fällig, Hasard«, sagte Carberry. »Wenn du anderer Meinung bist, dann brauchst du es bloß zu sagen ich bin gerade in Stimmung…« Eine Bewegung an der Reling ließ die beiden Männer herumfahren. John Doughty zog sich eben ächzend über das Schanzkleid. Aus seinen kostbaren Kleidern rann das
Wasser, er hustete und spuckte. Ein haßerfüllter Blick streifte Carberry und den Seewolt »Das werdet ihr mir büßen, ihr Bastarde!« gurgelte er, »ich….« Mit einem Satz war der Seewolf bei ihm. »Nenn mich nicht noch einmal einen Bastard, du Mistkerl! Oder du wirst den Tag verwünschen, an dem deine Mutter dich geboren hat, du…« »Was geht hier vor?« Die leise aber scharfe Stimme Drakes, der sich von Thomas Moone gestützt zur Reling des Achterkastells geschleppt hatte, stoppte den Seewolf. Hasard fuhr herum und starrte Drake an. In seinen Augen lag ungläubiges Erstaunen, das aber gleich darauf einem erleichterten Grinsen wich. Er hätte nie geglaubt, daß Drake so rasch sein Bewußtsein wiedererlangen würde. Die Spiere, die noch nachträglich – lange nach dem Kampf und dem Untergang der ›Don Fernando‹ – aus der Takelage in die Kuhl gekracht war und Drake fast erschlagen hätte, hatte ihn übel zugerichtet. Aber der Kutscher mußte wieder einmal so eine Art Wunder vollbracht haben. Im selben Moment dröhnte das freudige Gebrüll von Hasards Männern, die in den Wanten der ›Isabella‹ hingen, zur ›Golden Hind‹ hinüber. Der Seewolf trat ein paar Schritte vor, dann deutete er auf den immer noch hustenden und Wasser spuckenden John Doughty. »Eine kleine Auseinandersetzung, Sir, nichts von Bedeutung. Dieser Meuchelmörder hat endlich von seinem
Opfer das gekriegt, was schon lange fällig war…« »Mr. Killigrew, ich verbitte mir an Bord meines Schiffes ein für allemal, daß Mr. Doughty ›Meuchelmörder‹ genannt wird. Ich werde jedem Mann, der das noch ein einziges Mal wagt, an eine Gräting binden und auspeitschen lassen. Auch Sie, Mr. Killigrew. Sie haben mir und meinen Männern vielleicht durch Ihr Eingreifen das Leben gerettet, aber das bedeutet nicht, daß ich Ihnen und Ihren Männern alles durchgehen lasse. Ich mache Sie darauf aufmerksam, Mr. Killigrew, daß allein Ihre Weigerung, sofort an Bord der ›Golden Hind‹ zurückzukehren, von mir als Meuterei ausgelegt werden könnte. Ich hatte Ihnen den strikten Befehl erteilt, an Bord meines Schiffes zurückzukehren, Sie haben ihn nicht befolgt!« Der Seewolf war weiß geworden im Gesicht. Seine Wangenmuskeln spannten sich. Unwillkürlich ballte er die Hände. Ben Brighton, der eben noch neben Drake und Thomas Moone gestanden hatte, flankte über die Reling und stand gleich darauf neben dem Seewölf und Carberry. Die Männer, die in den Wanten der ›Isabella‹ hingen, starrten zur ›Golden Hind‹ hinüber. Nur Dan O'FIynn, das vorlaute Bürschchen, konnte seinen Grimm über das, was er eben gehört hatte, nicht mehr meistern. Mit einem Satz, noch ehe ihn Batuti, der herkulische Gambia-Neger, packen konnte, flog er wie von der Sehne geschnellt an Deck der ›Golden Hind‹. »Was?« schrie er, und dabei bebte er vor Zorn. »Sie wollen den Seewolf auspeitschen lassen? Den Mann, der auf
Sie immer wieder wie eine Amme aufpassen muß, damit die Dons Sie nicht abmurksen? Sie wollen verbieten, daß…« Hasard packte blitzschnell zu, aber Dan, sinnlos fast vor Wut, biß ihn in die Hand, so daß er ihn loslassen mußte. »Nein, Mann, ich höre jetzt nicht auf, ich werde jetzt sagen, was wir alle auf der ›Isabella‹ denken.« Er sprang einfach ein paar Jards vor, und dann stand er mit blitzenden Augen genau unter dem Achterkastell. »John Doughty hat versucht, Carberry umzubringen. Er hat ihn heimtückisch bei Nacht von Bord gestoßen, und deshalb ist er ein Meuchelmörder. Und jetzt können Sie mal versuchen, auch nur einen aus der ›Isabella‹-Crew auspeitschen zu lassen, dann werden wir sehr schnell sehen, was passiert. Ich habe dieses ganze Getue endgültig satt. Doughty ist ein Meuchelmörder, und er gehört vor ein Bordgericht. Im Namen der ›Isabella‹-Besatzung verlange ich von Ihnen, daß Sie diesen Lumpen festnehmen und aburteilen.« Drake war kreidebleich geworden. Seine Hände krampften sich um die Reling des Achterkastells. Er blickte den vor Wut zitternden Dan O'Flynn an, dann den Seewolf. Aber auch Hasard dachte gar nicht daran, jetzt auch nur um einen Yard zurückzuweichen. Er trat neben Dan, mit ihm Ben Brighton und Carberry. »Auch ich wiederhole, was ich gesagt habe. Doughty hat sich wie ein Meuchelmörder benommen, und deshalb verlange ich von Ihnen, daß Sie ihm den Prozeß machen. Denn daß Carberry diesen Anschlag überlebt hat, war
purer Zufall. Ich…« »Mr.Moone!« Schneidend scharf übertönte die Stimme prakes den Seewolf und schnitt ihm das Wort ab. »Nehmen Sie Mr. Killigrew, Mr. Carberry, Mr. Brighton und Mr. O'Flynn fest.« An Bord der ›Golden Hind‹ herrschte plötzlich atemlose Stille, ebenso auf der ›Isabella‹. Thomas Moone zögerte. Er kam auch gar nicht mehr dazu, irgendeine Entscheidung zu treffen, denn die Männer auf der ›Isabella‹ nahmen ihm diese Entscheidung aus der Hand. Unter der Führung von Ferris Tucker enterten sie an Deck der ›Golden Hind‹. Der rothaarige Hüne hielt unmißverständlich seine riesige, überlange Axt zwischen den Fäusten. Mit einer Handbewegung stoppte er die Männer. Batuti schwang drohend seinen schweren Morgenstern, den er vom Kampf am Blackwater her noch besaß. Matt Davies polierte angelegentlich seinen scharf geschliffenen stählernen Haken, der seinen rechten Unterarm und seine rechte Hand ersetzte, Pete Ballie, der einstige Rudergänger der ›Golden Hind‹ und jetzt auch der ›Isabella‹, hob seine Fäuste, von denen jedermann wußte, wie sie zuschlagen konnten. Batuti schob sich hinter Dan O'Flynn, den Seewolf, Ben Brighton und Carberry. Seine Miene ließ nicht den geringsten Zweifel daran, daß man diese Männer nur über seine Leiche festnehmen würde. Außerdem hatten Blacky, Smoky, Gary Andrews und Al
Conroy ebenfalls ihre Entermesser gezogen. Ferris Tucker trat einen Schritt vor. Er stand in diesem Moment hinter dem Seewolf, Ben Brighton, Carberry, Dan O'Flynn und Batuti. »Damit das klar ist, Kapitän Drake, hier wird nichts und niemand festgenommen. Ich weiß nicht, warum Sie diesen Doughty decken, es ist mir persönlich auch gleichgültig. Aber wenn Sie wegen dieses Halunken auch nur einem Mann unserer Crew ein Haar krümmen sollten, dann kämpfen wir es aus. Und ich bin sicher, am Ende baumelt dieses Stinktier von Doughty an einer Rahnock. Ich bin Ihnen gegenüber immer loyal gewesen, Sir, aber Ungerechtigkeiten, ganz gleich von wem begangen, macht Ferris Tucker nicht mit. Und wenn Sie mich jetzt als einen Meuterer betrachten, dann tun Sie das.« Drake starrte die Männer an. Er sah die eisblauen Augen, die langen, schwarzen Haare, des Seewolfs, die im Wind flatterten. Und er begriff, daß es diesen Männern tödlicher Ernst war. Dieser Crew kam man so nicht bei. Er wollte etwas sagen, aber John Doughty und Francis Fletcher, der Bordgeistliche, hinderten ihn daran. »Meuterei!« schrie John Doughty mit sich überschlagender Stimme, stürzte mit gezogenem Degen davon und wollte aufs Achterkastell. Aber Dan O'Flynn war schneller. Er entriß ihm den Degen und stellte Doughty ein Bein. Schwer krachte Doughty zu Boden. In diesem Moment riß Francis Fletcher, der Bordgeistliche, seine Bibel hoch. Er kreischte einen Bibelspruch, den die Männer unten auf der Kuhl jedoch nicht verstanden,
Thomas Moone gab ihm einen derben Stoß in den Rücken, der Fletcher über das Achterkastell katapultierte. »Mr. Flynn, nehmen Sie die Degenspitze vom Hals Mr. Doughtys!« befahl er dann. »Oder wollen Sie tatsächlich, daß es zwischen den beiden Besatzungen unserer Schiffe zum Blutvergießen kommt? Ich teile die Meinung meines Kapitäns, Mr. Drake, nicht. Ich verstehe nicht einmal seinen Standpunkt, dazu haben wir alle viel zu lange miteinander gekämpft und viel zu oft dem Tod ins Auge gesehen. Wir sind Engländer, was wir tun, tun wir für unser Land. Aber«, und er betonte dieses Wort nachdenklich, »ich lasse keinen Zweifel daran: Wenn gekämpft werden muß, dann werde ich mit meinen Männern für unseren Kapitän und für die ›Golden Hind‹ kämpfen.« Wieder schwieg er einen Moment. »Ich kann Ihre Verbitterung verstehen. Wenn es stimmt, was Sie Mr. Doughty vorwerfen, dann gehört er vor ein Gericht, dann muß er abgeurteilt werden. Die gegen Doughty erhobenen Anschuldigungen konnten jedoch nicht bewiesen werden, und deshalb wäre seine Verurteilung ebenfalls ein Unrecht. Ich rate Ihnen, kehren Sie jetzt alle an Bord Ihres Schiffes zurück, ehe es hier ein sinn loses Blutvergießen zwischen uns gibt.« Das war die längste Rede, die Thomas Moone überhaupt je einem Menschen in seinem Leben gehalten hatte. Der Seewolf und selbst Francis Drake sahen ihn überrascht an. Aber beide spürten in diesem Moment, daß sie entschieden zu weit gegangen waren, daß sie sich in
etwas verrannt hatten, was letztlich nur noch zum Bösen eskalieren konnte. Dan O'Flynn nahm die Degenspitze vom Hals Doughtys. Aber der wagte nicht, aufzustehen, bis ihm schließlich Dan wutschäumend einen Tritt in den Hintern versetzte. »Hau endlich ab, häßlicher Pickel am Arsch des Volkes!« fauchte er ihn an und holte zum zweiten Tritt aus. Doch da war Doughty längst auf und davon. »Zurück – an Bord der ›Isabella‹!« befahl der Seewolf nach einem Moment des Zögerns. Seine eisblauen Augen funkelten, als er sich Drake zuwandte. »Sie sollten mich kennen, Sir«, sagte er dann. »Ich gebe nie auf. Und deshalb werde ich nicht ruhen, bis dieser Doughty für seinen Mordversuch an Carberry abgeurteilt worden ist. Aber drohen Sie mir nie wie der mit der Peitsche, Sir, solange ich ein berechtigtes Anliegen an Sie habe! Ein zweites Mal werde ich nicht stillhalten, ein zweites Mal werde ich das vor versammelter Mannschaft bestimmt nicht mehr hinnehmen!« Der Seewolf gab seinen Männern ein Zeichen. Dann wandte er sich abrupt um und verließ die ›Golden Hind‹. Seine Männer folgten ihm sofort. Karl von Hutten und Jean Ribault, der Franzose, der so gut mit dem Degen umzugehen verstand, daß nicht einmal Hasard sicher war, ob er diesen Mann würde schlagen können, sahen ihm entgegen. Der Franzose verneigte sich leicht, als er dem Seewolf den Weg vertrat.
»Du hast mutige Männer, Hasard! Das war eine harte und deutliche Sprache, aber du hast recht! Ich und viele dieser Männer hätten genauso gehandelt.« Der Seewolf kam nicht mehr dazu, Ribault zu antworten, denn in diesem Augenblick fauchte ein Bö über das Schiff. Ihr folgte Sekunden später eine zweite, und gleichzeitig verdunkelte sich der Himmel, Mit einem Satz, aber nicht ohne den Franzosen und Karl von Hutten noch ein Grinsen zugeworfen zu haben, schwang er sich in die Wanten und blickte in den Himmel. Er hatte eine gelbliche Färbung angenommen, und vom Horizont her breitete sich rasendschnell eine schwarzgelbe Wolke aus, von der sich ein trichterförmiges Gebilde bis zur Wasseroberfläche hinabzog. »Verdammt, Ben, Ferris, Blacky, Smoky – alle Mann an die Brassen. Leinen los, beeilt euch Männer, oder wir sind erledigt!« brüllte der Seewolf und raste zum Achterdeck. Die ›Isabella‹ warf die Leinen los. Eine weitere Bö fauchte durch ihre Takelage, blähte die Segel so ruckartig, daß sie sich mit lautem Knall weit vorwölbten. Die ›Isabella‹ legte sich weit nach Backbord über. Einer der Männer verlor das Gleichgewicht und krachte gegen das Backbordschanzkleid vom Hauptdeck. Befehle schallten über Deck, und auch die Männer der an Steuerbord liegenden ›Golden Hind‹ gerieten in Bewegung. Denn ebenso wie der Seewolf hatte auch Drake sofort die tödliche Bedrohung erkannt, die die auf sie
zuwirbelnde Wasserhose für die beiden Schiffe bildete. Doch nicht allein das, Drake und Hasard kannten diese gefährlichen Unwetter in den äquatorialen Breiten, die sich häufig innerhalb weniger Minuten bildeten und dann mit verheerender Wucht losbrachen, nur zu gut. Manchmal nur eine winzige schwarzgraue oder gelbliche Wolke – Zeichen, die man nur allzuleicht übersah. Aber Drake war im Nachteil gegenüber der ›Isabella‹. Seine Leute mußten erst Segel setzen, ehe die ›Golden Hind‹ wieder Fahrt aufnehmen konnte. Dann war sein Schiff durch den Kampf mit den beiden Spaniern schwer beschädigt. Die Löcher, die die Zwanzigpfünder in den Rumpf der ›Golden Hind‹ gerissen hatten, erwiesen sich doch als weitaus gefährlicher, als Thomas Moone nach einer ersten, flüchtigen Prüfung während des Gefechtes zunächst angenommen hatte. Die Sonne verdunkelte sich. Gelbliche Dämmerung, ein unheimlich fahles Licht, legte sich über das Schiff. Und dort, wo die Wasserhose über die See tobte, riß sie das Meer zu sich hoch. Ein gischtender, dichter und dichter werdender Wasserschleier raste genau auf Kapitän Drake und seine Männer zu. Aus den Augenwinkeln beobachtete Drake, wie der Seewolf sich verzweifelt bemühte, der Wasserhose davonzulaufen und sie mit seinem wendigen Schnellsegler so gut wie möglich auszumanövrieren. Das Knallen der Segel ließ Drake einen Blick in die Takelage werfen. Als er den Kopf in den Nacken legte, durchzuckte sein Genick ein ungeheurer Schmerz, der für
einen Moment alles vor seinen Augen verschwimmen ließ. Flüchtig zog die ganze makabre Szene noch einmal an seinem geistigen Auge vorbei, die sich eben auf dem Deck seines Schiffes abgespielt hatte, die er nur verschwommen hatte verfolgen können – von einigen wenigen klaren Momenten, in denen ihn die wahnsinnigen Schmerzen nicht nahezu paralysierten, abgesehen. Eisern zwang sich Drake, die Augen zu öffnen. Seine Männer arbeiteten in der Takelage und an den Brassen wie die Wilden, Jeder von ihnen wußte, daß es auf Tod und Leben ging. Die ›Golden Hind‹ nahm Fahrt auf. Zu langsam, dachte Drake verzweifelt, viel zu langsam! Er gab mit heiserer Stimme Anweisungen an den Mann am Kolderstock, das Schiff schwang herum, nahm Kurs auf die offene See. Sie mußten weg von der gefährlichen Küste in Lee! Nur weg! Und doch ahnte keiner der Männer, während die Wasserhose auf die ›Golden Hind‹ mit vernichtender Gewalt zulief, welch ein Drama sich vor wenigen Minuten nur wenige Meilen von ihnen entfernt abgespielt hatte. Ihre Köpfe fuhren erst herum, als sie die donnernde Explosion vernahmen, die die immer noch lichterloh brennende spanische Galeone ›Sevilla‹ endgültig zerriß. Die riesige Stichflamme, die zum Himmel emporschoß, verwandelte die heran-brausende Wasserhose sekundenlang in ein glühendes gespenstisches Wesen, das in geisterhaften Lichtreflexen über das schäumende, tobende Meer heranwirbelte.
Einige der Männer standen da wie gelähmt, andere bekreuzigten sich. Sie sahen, wie einer der Masten als riesige, brennende Fackel in den gelbschwarzen Himmel schoß, aus dem eben die ersten Blitze herniederzuckten. Dann trieb sie die Stimme Thomas Moones wieder erbarmungslos an. Die ›Golden Hind‹ luvte an, durch die Löcher in ihrer Bordwand schoß gurgelnd Wasser ins Schiff. Thomas Moone entging das nicht. Rasch stellte er einen Lecksicherungstrupp zusammen, der die Lecks von innen her verdammen sollte, denn eine andere Möglichkeit blieb ihnen vorerst nicht. Aber auch das geschah nicht schnell genug, die Wasserhose holte sie genau in dem Moment ein, als ein anderer Mann, wenige Seemeilen von ihnen entfernt, den Kampf gegen den nassen Tod eben gewonnen hatte. * Capftan Navarro war nicht der Mann, der so leicht aufgab. Navarro gehörte im Gegenteil zu den Männern, die eine Niederlage niemals hinnehmen. Leutnant Carcia stürzte mit rußverschmiertem Gesicht aufs Achterkastell. Unmittelbar vor dem Capitan blieb er stehen. Sein Atem kam nur noch stoßweise, zwischendurch hustete er immer wieder quälend, er hatte zuviel Rauch geschluckt. Navarro, der eben voller Sorge jene kleine Wolke beob-
achtet hatte, die sich an Steuerbord seines Schiffes sehr rasch ausbreitete, fuhr herum. Am Gesicht seines Ersten Offiziers las er bereits ab, was Garcia ihm zu melden hatte. »Was gibt es, Leutnant?« fragte er dennoch. »Wir schaffen es nicht, Capitan. Das Feuer frißt sich zur Pulverkammer durch. Wir müssen das Schiff aufgeben, Senor Capitan, oder wir fliegen alle in die Luft!« Schweiß rann über das rauchgeschwärzte Gesicht Leutnant Garcias, und wieder krümmte er sich in einem quälenden Hustenanfall, Capitan Navarro ballte die Hände. Zorn, ohnmächtiger Zorn schüttelte ihn, wenn er daran dachte, daß dieser El Draque ihm, Capitan Navarro, der über ein viel stärkeres Schiff verfügte als der verfluchte Engländer, eine solche Niederlage bereitet hatte. Und das auch nur, weil er sich ei nen Moment lang zu sicher gefühlt, weil er im Siegestaumel alle Vorsicht, die einem solchen Gegner gegenüber am Platze gewesen wäre, völlig außer acht gelassen hatte. Er blickte sich um. Er hörte das Fauchen und Prasseln der Flammen, die durch den ständig mehr aufbrisenden Wind immer mehr angefacht wurden. »Leutnant!« Er gab sich einen Ruck. »Lassen Sie die Pulverkammer räumen. Alles Pulver über Bord – wir haben keine andere Wahl. Nehmen Sie…« Der Leutnant wankte, kämpfte erneut mit einem Hustenanfall. »Unmöglich, Senor Capitan!« stieß er dann hervor. »Wir
können an die Pulverkammer nicht mehr heran, die Flammen haben uns den Weg dorthin verlegt. Wir müssen das Schiff verlassen, oder wir werden alle in die Luft fliegen!« Seine Stimme klang beschwörend. Der Capitan starrte ihn ungläubig an, aber dann drehte er sich abrupt um, stürzte den Niedergang zum Hauptdeck hinunter. Das wollte er selber sehen, das durfte nicht geschehen, niemals. Er konnte die ›Sevilla‹ nicht aufgeben, niemals! Er rannte mehr, als er ging. Und Leutnant Garcia folgte ihm, so rasch er konnte. Er wußte genau, was in diesem Moment in Capitan Navarro vorging. Aber er wußte auch, daß nichts mehr zu ändern war. Die erste Windbö traf die ›Sevilla‹, als er die letzte Stufe zum Hauptdeck hinuntersprang. Sie fegte über das peek, fuhr in die prasselnden Flammen, fachte sie an und verwandelte den Großmast in eine einzige lodernde Fackel. Der Leutnant klammerte sich an den Handlauf des Niedergangs – vor seinen Augen drehte sich alles. Er sah verschwommen, wie die Männer der Brandbekämpfungstrupps erschrocken vor dieser plötzlichen Lohe zurückwichen, mit weit auf gerissenen Augen in die zischenden, brausenden Flammen starrten. Und erst in diesem Moment bemerkte der Leutnant den schwefelgelben Fleck, der das Blau des Himmels rasendschnell verdrängte, der jetzt eine trichterförmige Ausbuchtung bekam, die sich im nu bis auf die Wasseroberfläche niedersenkte und das Meer zum Kochen brachte, wo sie es
berührte. »Madre de Dios!« Leutnant Garcia bekreuzigte sich. Denn er sah, wie die Wasserhose direkt auf die ›Sevilla‹ zuraste. Es wurde dunkler. Garcia, der immer noch wie gelähmt auf den wirbelnden Trichter, auf den durch die Meeresoberfläche rasenden Schlauch der Wasserhose starrte, registrierte aus den Augenwinkeln, wie der Capitan mit einigen Männern aus dem Achterkastell an Deck stürzte, wie auch seine Augen sich an dem wirbelnden Trichter festsogen, der auf die ›Sevilla‹ zuraste. Er ballte die Hände. »Rette sich wer kann!« brüllte er dann mit seiner gewaltigen Stimme. »Alle Mann über Bord, Gott schütze uns alle!« Die Männer erstarrten, aber dann begriffen sie. Ein Schrei brandete über die Decks der ›Sevilla‹. Die ersten schwangen sich auf das Schanzkleid und sprangen. Andere zögerten, sahen sich mit verzerrten, zuckenden Gesichtern um und erkannten, daß sie verloren waren. Die zweite Bö erreichte die ›Sevilla‹. Sie fauchte über das Schiff, brachte das zerfetzte Segel des Besan zum Knattern, riß einige der Männer, die sich auf das Achterkastell geflüchtet hatten, von den Füßen und fegte sie über das glatte Deck. Eine Titanenfaust schien die ›Sevilla‹ zu packen. Das Schiff krängte stark nach Backbord. Mit voller Orkanstärke raste eine Bö über das Schiff, ließ die Brände hoch auflodern, bahnte sich den Weg ins Schiff und fuhr in die
Flammen, die bereits dicht vor der riesigen, bis unter die Decke vollgestapelten Pulverkammerrasten. Dann – plötzlich und ohne jeden Übergang – war der wirbelnde Trichter der Wasserhose heran. In Sekundenschnelle fetzte sie alles, was nicht niet und nagelfest war, aus seinen Laschungen. Menschen wurden wie Spielzeuge emporgewirbelt, die Schreie der Ärmsten verhallten ungehört. Auch Capitan Navarro und Leutnant Garcia spürten, wie sie den Boden unter den Füßen verloren, wie eine unvorstellbare Gewalt sie plötzlich davonwirbelte, irgendwo hoch in den Himmel hinein. Sie begriffen nichts mehr, der Atem versagte ihnen, sie verloren das Bewußtsein und spürten auch nichts mehr davon, wie die Bö sie auf die Wasseroberfläche schmetterte. Und dann kam das Wasser. Gischt, Schaum, vom Himmel herabstürzende Fluten begruben die ›Sevilla‹ unter sich. Die Wassermassen schossen über Deck, brachen ins Innere des sterbenden Schiffes, spülten Menschen durch die Decks und Gänge, dann erreichte das Wasser die Flammen vor der Pulverkammer. Aber es war zu spät, der ungeheure Luftdruck, der dem Wasser voranlief, drückte die dicke, schützende Bohlentür einfach nach innen, und mit ihr die Flammen. Im nächsten Moment stand ein grell-glühender Ball zwischen den Fässern, wuchs immer weiter, sprengte in einer berstenden Explosion die Bordwände, das über der Pulverkammer liegende Deck und zerriß in Sekundenschnelle das gesamte Achterschiff der ›Sevilla‹. Die spanische Galeone verging in einem Inferno aus
Feuer, pechschwarzem Qualm und Wasser. Das Vorschiff schwamm noch einige Augenblicke, dann sackte es ebenfalls weg wie ein Stein. Das alles hatte von der ersten Bö bis zum Ende nur knapp anderthalb Minuten gedauert. Die Wasserhose raste bereits weiter – auf die ›Golden Hind‹ zu. Hinter sich ließ sie eine gischtende, durcheinanderlaufende wilde See, aus der die Trümmer an die Oberfläche schossen. Capitan Navarro erwachte aus sei ner Bewußtlosigkeit. Sein Körper hatte sich in den zerfetzten Leinen des Besanmastes verfangen. Er wußte auch später nicht, wie das zugegangen war, aber irgendwie mußte die heilige Mutter Gottes ihn aus diesem Inferno von Tod und Vernichtung gerettet haben. Sein Körper schmerzte, beim Luft holen stach es in seinen Lungen. Er hustete, spuckte Wasser, aber er lebte. Er blickte sich um. Und dann stutzte er. War da nicht eine Bewegung? Schrie da nicht jemand seinen Namen? Es dauerte nur Minuten, dann hat te sich Leutnant Garcia, den die Wasserhose unweit von seinem Capitan in die See gestürzt hatte, an den auf den Wogen tanzenden Besanmast herangearbeitet. Capitan Navarro zog ihn mit der Rechten heran. »Garcia!« stieß er hervor, und erst jetzt spürte er, daß seine Lippen zitterten und sein Körper vibrierte. Der Leutnant murmelte etwas, dann verlor er das Bewußtsein. Capitan Navarro hielt ihn fest Dann angelte er nach einem der Taue, die vom Besanmast ins Wasser
hingen,und band den Leutnant fest. Zwei Stunden später fand sie ein heimkehrender Frachtsegler, der nach Puntarenas wollte und von den katastrophalen Geschehnissen, die sich hier vor Stunden abgespielt hatten, nicht die geringste Ahnung hatte. Man versorgte Capitan Navarro und seinen Ersten Offizier mit warmen Kleidern und flößte ihnen heißen Rum ein. Noch zu diesem Zeitpunkt ahnte keiner von ihnen, daß diese beiden Männer die einzigen von der Besatzung der ›Sevilla‹ waren, die ihren Untergang überlebt hatten. * Drake und der Seewolf hatten mehr Glück als die ›Sevilla‹. Hasard gelang es, der Wasserhose mit seinem schnellen Schiff zu entkommen. Die ›Golden Hind‹ wurde von ihr eingeholt, aber nur gestreift. Dennoch waren die Verwüstungen, die sie auf dem angeschlagenen Schiff hinterließ, geradezu verheerend. Fast alle Segel hatte sie zerfetzt, die Stenge des Fockmastes geknickt und davongewirbelt. Außerdem hatten die Wassermassen und die orkanartigen Böen, die sie begleiteten, zwei weitere Stückpforten zerschmettert und aus ihren Befestigungen gerissen. Eine hochlaufende See war über die Galerie in die bereits durch die Mörserkugel der ›Sevilla‹ verwüsteten Kabine Drakes geschlagen, hatte nahezu die gesamte Einrichtung zu Kleinholz verarbeitet. Drei Mann der Besatzung waren über Bord gespült wor-
den, sechs weitere erheblich verletzt. Drake blickte auf das Chaos an Deck seines Schiffes, das die Wasserhose dort hinterlassen hatte. Die ›Golden Hind‹ hatte aber außerdem viel Wasser genommen, und die erschöpften Männer an den Pumpen arbeiteten wie besessen, obwohl sie sich bereits kaum noch auf den Füßen zu halten vermochten. Drake straffte sich. Er mußte et was unternehmen. Denn falls dieser Wasserhose noch weiteres Schlechtwetter folgen sollte, bestand allerhöchste Gefahr für sein Schiff. »Mr. Moone, lassen Sie die Notsegel anschlagen. Wir laufen nach Puntarenas. Dort haben wir am ehesten Gelegenheit, die Schäden zu beseitigen«, befahl er. »Aye, Sir!« Thomas Moone eilte zum Hauptdeck hinunter, gleich darauf erschallten seine Kommandos. Eine Viertelstunde später standen die ersten Segel, die ›Golden Hind‹ nahm Fahrt auf. Aus der Ferne beobachtete der Seewolf, wie sie anluvte und dann über Stag ging. Er hob das Spektiv ans Auge und verfolgte die Manöver der ›Golden Hind‹ eine Weile. »Drake läuft Puntarenas an«, sagte er dann. Ben Brighton und Ferris Tucker, die neben ihm auf dem. Achterdeck standen, nickten. »Muß er wohl«, ließ Ferris Tucker sich schließlich vernehmen. »Ich glaube, die ›Golden Hind‹ wird einiges abbekommen haben. Willst du hinterher, Hasard?« Der Seewolf setzte das Spektiv ab. Sein Gesicht wirkte verschlossen. »Nein«, sagte er dann. »Wir segeln der ›Golden Hind‹
nicht hinterher. Mag sein, Drake und ich sind vorhin beide zu weit gegangen, aber die Sache ist noch nicht ausgestanden. Niemand droht einem Philip Hasard Killigrew mit Auspeitschung, besonders dann nicht, wenn ich mich im Recht befinde. Der Teufel mag wissen, was mit Drake in der letzten Zeit los ist!« Damit wandte er sich ab. Doch Ben Brighton hielt ihn zurück. »Wohin also, Hasard?« fragte er. »Wieder in unsere Bucht. Ich lasse Drake und die anderen nicht im Stich, aber ich dränge mich ihnen auch nicht auf.« Der Bootsmann der ›Isabella‹ nickte. Das war typisch Hasard. Drake konnte sich wirklich gratulieren, einen solchen Mann zu haben. Auch die ›Isabella‹ luvte an und ging auf Nordnordwestkurs.
4. Erst als die Abenddämmerung sich über den Golf von Nicoya senkte, lief die ›Golden Hind‹ in die Bucht ein. Wie immer in tropischen Gewässern, wurde es schnell dunkel. Der Himmel war wieder klar, die Sterne flimmerten über den Segeln der ›Golden Hind‹. Fast senkrecht über ihnen stand das Kreuz des Südens. Aber es stand nicht gut um die ›Golden Hind‹. Das Schiff
segelte durch das viele Wasser das trotz ständigen Pumpens in ihrem Rumpf umherschwappte, nur schwerfällig. Die Schäden, inzwischen von Thomas Moone und einem Trupp von Männern genau festgestellt, waren beträchtlich. Eine der zwanzigpfündigen Kugeln, die die ›Don Fernando‹ auf die ›Golden Hind‹ abgefeuert hatte, war durch die Bordwand gedrungen, hatte den Großmast getroffen, dicht über dem Zwischendeck. Daß er nicht gebrochen war, sondern allen noch folgenden Strapazen standgehalten hatte, grenzte allein schon fast an ein Wunder. Drake war sich im klaren draüber, daß sie eine Weile benötigen würden, um ihr Schiff wirklich wieder seetüchtig zu kriegen. Dazu genügte es aber keineswegs, daß sie sich auf Reede legten, sie mußten an Land. Möglichst an eine abgelegene Pier. Francis Drake musterte voller innerer Unruhe die Bucht. In Puntarenas, das vor ihnen lag und in dem bereits die Lichter brannten, konnten immerhin spanische Truppen stationiert sein. Das aber wäre höchst gefährlich für die ›Golden Hind‹ und ihre Männer gewesen. Drake schalt sich im stillen einen Narren, daß er diesen unsinnigen Streit mit dem Seewolf vom Zaun gebrochen hatte. Wie sehr hätte der ihm jetzt mit seiner Besatzung helfen können. Drake blieb ruckartig stehen. Was brachte ihn denn eigentlich immer wieder dazu, diesen John Doughty zu schützen ? Obwohl er auch davon überzeugt war, daß die Anschuldigungen gegen ihn der Wahrheit entsprachen.
Drake mußte sich eingestehen, daß es außer der Tatsache, daß keine absoluten Beweise gegen Doughty vorlagen, die ihn wirklich überführen konnten und damit seine Verurteilung rechtfertigten, auch noch einen anderen Grund gab. Drake war sich darüber völlig im klaren, daß die Hinrichtung Sir Thomas Doughtys nach seiner Rückkehr nach England noch ein Nachspiel haben würde. Er wußte, daß Fletcher und Doughty eifrig Material gegen ihn sammelten. Ließ er aber jetzt auch noch den Bruder des Abgeurteilten Sir Thomas Doughty hinrichten, und zweifellos würde ein Urteil darauf hinauslaufen, dann konnte man ihm unter Umständen später vorwerfen, Zeugen beseitigt zu haben. Das aber käme einem Eingeständnis seiner Schuld, einer zu Unrecht befohlenen Hinrichtung Sir Thomas Doughtys gleich und würde ihm mit Sicherheit den Hals brechen. Drake seufzte in Gedanken auf. Er kannte den Seewolf gut genug. Diesen Mann konnte er nicht mit den üblichen Mitteln zur Raison bringen, er konnte es wahrscheinlich überhaupt nicht. Denn der Seewolf, wie ihn seine Männer nannten, war nun einmal der geborene Rebell. Ein Mann, draufgängerisch bis zur Selbstaufgabe, treu, zuverlässig, ergeben. Aber überaus empfindlich gegen jeden Zwang, besonders dann, wenn er eine Anordnung oder einen Befehl nicht auch innerlich akzeptierte. Drake hatte das nun schon oft genug erlebt. Dieser Killigrew war der geborene Kämpfer, der seinen Mut mit Umsicht zu paaren wußte und dem auch die schwierigsten Unternehmen gelangen. Er war ebenfalls
ein hervorragender Seemann, dem nicht einmal er, Drake, das Wasser zu reichen vermochte. Und dann diese Teufelsbande, seine Crew! Sie würden sich eher einzeln in Stücke hauen lassen, als zu dulden, daß nach ihrem Seewolf einer auch nur die Hand ausstreckte! Das einzige Risiko, der einzige Unsicherheitsfaktor an Bord der ›Isabella‹ waren allenfalls die neuen Besatzungsmitglieder, aber es schien verdammt so, als hätte auch mit ihnen der Seewolf wiedermal Glück gehabt. Drake seufzte abermals. Es half nichts, er mußte bei der nächsten Gelegenheit einlenken, ohne dabei aber Doughty preiszugeben. Am besten würde es sein, wenn er in einer ruhigen Stunde einmal mit dem Seewolf ein Gespräch unter vier Augen führte.. Dies alles war Drake nur so ganz nebenbei durch den Kopf gegangen, während er die Bucht beobachtete. Dann hatte er seinen Entschluß gefaßt. »Mr. Moone!« rief er in die Dunkelheit, und der Gerufene meldete sich sofort. »Aye.Sir?« »Lassen Sie ein Boot aussetzen, wir ankern vorerst. Nehmen Sie sich die besten Männer, die wir haben, erkunden Sie die Bucht und vor allem Puntarenas. Ich muß wissen, ob das eine spanische Garnison ist. Aber seien Sie auf der Hut, Mr. Moone, wenn Spanier hier stationiert sind, dann haben sie auch den Kanonendonner von See her gehört.« »Aye, Sir!« Thomas Moone grinste. »Sie brauchen keine Sorge zu haben, Kapitän, der alte Moone kennt sich mit derlei Unternehmungen aus!«
Thomas, Moone verschwand vom Acherdeck. Gedämpfte Kommandos klangen gleich darauf über das Hauptdeck, dann rasselte der Buganker in das Wasser der Bucht Wenig später fierten Moone und seine Männer ihr Boot zu Wasser. Als es ablegte, sah Drake nur den Schatten des Bootes. Ganz leise hörte er das Geräusch eintauchender Riemen, die Moone zuvor an den Schäften hatte umwickeln lassen. Das Boot verschwand, die ›Golden Hind‹ schwoite langsam um den Anker. Alle Lichter auf dem Schiff waren gelöscht. Eine knappe Stunde später gab es dann Alarm. Drake eilte aufs Achterkastell. Nuna da Silva, der portugiesische Lotse, deutete auf einen Schatten, der sich in die Bucht schob. »Eine Galeone, Sir!« flüsterte er, so, als befürchte er, die anderen könnten ihn hören. Drake hielt unwillkürlich den Atem an. Es war zu dunkel, um etwas Genaues auszumachen, aber dennoch ließen sich die Formen des Schiffes im Sternschimmer deutlich erkennen. Es war eine dickbauchige, schwerfällig dahinsegelnde Galeone. Nuna da Silva und der alte Burnaby, der ebenfalls zum Achterkastell auf geentert war, beobachteten die Galeone, wie sie in die Bucht hineinglitt. »Keine Kriegsgaleone, Sir«, sagte Burnaby schließlich, »Dieser Typ von Galeonen wird nur noch als Frachtsegler verwendet. Sind für Kriegszwecke viel zu langsam und
viel zu schwerfällig. Und sehen Sie mal, wie tief die im Wasser liegt, die ist vollgeladen bis unters Hauptdeck!« Auch der alte Stückmeister Drakes hatte nur leise gesprochen. Aber Drake erkannte, daß Burnaby recht hatte. »Man wird uns von Bord des Frachtenseglers aus kaum ausmachen, Sir«, fügte Nuna da Silva hinzu. »Wir liegen vor dem dunklen Hintergrund der Küste, der Berge, und wir führen keine Segel. Außerdem gehen auf diesen Frachtseglern keine Wachen wie auf den Kriegsgaleonen!« Weder Drake noch der Lotse noch Burnaby konnten ahnen, daß sie sich wenigstens in diesem einen Punkt grundlegendsten. * Es war das Schiff, das Capitan Navarro und Leutnant Garcia auf gefischt hatte. Der Capitan lehnte an der Steuerbordreling, als sie in die Bucht von Puntarenas einliefen. Leutnant Garcia befand sich unter Deck, er erholte sich nur langsam, denn er hatte bei der Brandbekämpfung auf der ›Sevilla‹ zuviel Rauch in die Lungen bekommen. Der Capitan kämpfte immer noch gegen die Schmach seiner Niederlage. Ohnmächtiger Zorn beherrschte ihn. Zumal er annehmen mußte, daß El Draque längst über alle Berge war.
Zufällig blickte er nach Steuerbord, musterte die Küste, die hohen Berge, die sich gegen den sternklaren Nachthimmel deutlich abhoben. Und ebenso zufällig blieb sein Blick auf einer kaum wahrnehmbaren Silhouette hängen, die sich aus dem Wasser der Bucht erhob. Der Capitan zuckte zusammen. Seine Blicke bohrten sich durch die Dunkelheit. Das war ein Schiff! Aber welches Schiff konnte das sein? Auf der Reede von Puntarenas lag nichts, zumindest kein spanisches Schiff. Puntarenas zählte zu den unbedeutenden Orten an dieser Küste. Ein kleiner Umschlagplatz für Handelsgüter vielleicht, mehr nicht. Capitan Navarro kannte den Alcalden, kannte auch den örtlichen Befehlshaber der winzigen Streitmacht, über die Puntarenas verfügte. Unwillkürlich reckte er den Kopf über die Reling. Er hatte sich die Silhouette der ›Golden Hind‹ gut eingeprägt, als er sie vor dem Gefecht durch sein Spektiv betrachtete. Aber noch immer vermochte er nichts Genaues zu erkennen. Capitan Navarro entschloß sich schnell. In langen Sätzen rannte er zum Achterkastell – er hatte sich auf dem Hauptdeck befunden. Dort traf er auf den Rudergänger und auf den Kapitän der ›Cadiz‹, der beim Einlaufen in die Bucht seine Kammer verlassen hatte und aufs Achterkastell gestiegen war. Navarro verlor keine Zeit. Er zog den verdutzten Kapitän kurzerhand am Arm mit sich zur Steuerbordreling hinüber.
»Dort, sehen Sie, Senor, dort liegt ein Schiff in der Bucht! Schauen Sie genau hin, es ist nur schwer zu erkennen, aber ich habe es vom Hauptdeck aus deutlich liegen sehen!« Der Kapitän strengte seine Augen an – und dann sah er es auch. »Sie haben recht, Capitan!« sagte er dann. »Um was für ein Schiff kann es sich wohl handeln? Meine ›Cadiz‹ ist in diesem Gebiet der einzige Frachtsegler, der zwischen Panama und Puntarenas verkehrt, ich verstehe das nicht, Senor Capitan!« Navarro nickte, dann sah er den Kapitän an. »Der Wind steht günstig, Senor. Lassen Sie unauffällig unseren Kurs ändern, wir sollten uns dieses fremde Schiff näher ansehen. Aber wir müssen es so tun, daß die Fremden keinen Verdacht schöpfen. Es könnte sich um El Draque und seine Männer handeln, um diesen verfluchten Engländer, der mein Schiff versenkt und unserem Land bereits unermeßlichen Schaden zugefügt hat. Wenn er es aber ist, dann gnade ihm Gott! Vielleicht hat er Puntarenas anlaufen müssen, weil er von unseren Kanonen und vielleicht auch von der Wasserhose Schäden erlitten hat, die er auf offener See nicht reparieren kann! Rasch, ändern Sie den Kurs, Senor. Wir segeln einfach dicht an diesem Fremden vorbei. Und selbst wenn es sich um El Draque handelt, dann wird er sich hüten, auf uns zu feuern, weil er das Risiko einer Entdeckung nicht eingehen kann!« Der Capitan schwieg und kaute nachdenklich auf seiner
Unterlippe herum. »Außerdem wird man dort drüben sofort erkennen, daß es sich bei Ihrem Schiff um keine Kriegsgaleone handelt!« Vor allem das letzte Argument leuchtete dem Kapitän der ›Cadiz‹ ein. Zudem wußte er nur zu gut, daß er sich, ohne Kopf und Kragen zu riskieren, den Wünschen eines Kriegsschiffkommandanten ohnehin nicht widersetzen durfte. Er hätte sich erhebliche Schwierigkeiten mit dem Alcalden von Puntarenas eingehandelt. Er gab leise Anweisungen an den Rudergänger und scheuchte seine Männer an die Brassen. Die ›Cadiz‹ ging auf Steuerbordbug – selbst für einen heimlichen Beobachter ein durchaus verständliches Manöver, weil sie ohnehin, um nach Puntarenas zu segeln, um die Einfahrt zum Hafen zu passieren, ihren Kurs ändern mußte. Ja, sie konnte sogar, ohne daß es auffallen würde, in der Nähe des Fremden eine Wende fahren. Der Kapitän der ›Cadiz‹ war ein seeerfahrener Mann, der sein Schiff gut kannte. Und als er die ›Cadiz‹ schließlich in eine Wende zwang, sah das auch für Drake und seine Männer völlig harmlos und natürlich aus. Wie hätten sie auch wissen sollen, daß sich an Bord dieses Schiffes, das noch eine ganze Zeitlang die See nach Überlebenden abgesucht hatte, zwei Todfeinde von ihnen befanden – Capitan Navarro und Leutnant Garcia, der in diesem Moment ebenfalls das Achterkastell betrat, weil Navarro ihn hatte ruf en lassen. Zusammen mit seinem Capitan starrte er zu dem fremden Segler hinüber, der sich auch jetzt nur sehr schwer
ausmachen ließ. »Diablo! – Teufel!« stieß er dann aber plötzlich hervor. »Das ist El Draque, Capitan! In unseren Gewässern befindet sich keine Galeone dieser Art! Dieser Hundesohn hat den Schutz der Bucht aufgesucht, weil er seine Schäden ausbessern will. Vielleicht braucht er auch Wasser. Aber diesmal, Capitan, diesmal entkommt er uns nicht mehr!« Leutnant Garcia knirschte vor Zorn mit den Zähnen, und auch Capitan Navarro ballte die Hände zu Fäusten. »Segeln Sie so rasch wie möglich nach Puntarenas, Senor!« wandte er sich dann an den Capitan. »Dieser Kerl, dieser El Draque soll sich wundern! Noch ehe der Morgen anbricht, ist er in unserer Gewalt. Er und sein Schiff, das er mir bis auf weiteres abtreten wird!« * Thomas Moone kehrte zwei Stun den vor Mitternacht von seiner Erkundungsfahrt wohlbehalten mit seinen Männern zurück. Während das Boot wieder an Bord gefiert wurde, erstattete er Meldung bei Drake auf dem Achterkastell. »Südlich von Puntarenas sind Wir an Land gegangen. Zwei Männer blieben beim Boot zurück. Ich selbst bin mit einem der Männer bis in den Ort vorgedrungen. Es gibt in Puntarenas ein paar spanische Wachen, wahrscheinlich sind sie die persönliche Schutztruppe des Alcalden. Viel mehr ist in dem Kaff aber mit Sicherheit nicht los. Ich bin
dann noch in eine Kneipe gegangen. Auch dort keine Soldaten, aber große Aufregung, weil auf See ein Kampf stattgefunden haben müsse. Man weiß nur nicht, wer gegen wen gekämpft hat.« Thomas Moone konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Wenn die wüßten, daß El Draque in ihrem Hafen liegt! Dachte er. Dabei sah er Drake an. »Ich erfuhr lediglich, daß es irgendwo außerhalb von Puntarenas eine Kompanie spanischer Soldaten geben soll. Männer, die noch in der Ausbildung stehen. Dann wollte ich schon gehen, als es plötzlich Unruhe in der Kneipe gab. Ich verstand nur den Namen ›Cadiz‹, viel mehr nicht, denn alles rannte plötzlich zum Hafen. Ich natürlich auch, und ich kriegte einen Mordsschreck. Eine Galeone lief ein. Im ersten Moment dachte ich, daß es ein Kriegsschiff wäre, doch dann, als sie längsseits der kurzen Pier ging und festmachte, erkannte ich, daß es sich um einen Frachtsegler der Spanier handelte, der auch nicht eine einzige Kanone an Bord führt.« Thomas Moone schwieg einen Moment, und Drake atmete hörbar auf. »Wir haben dieses Schiffe ebenfalls beobachtet, Mr. Moone. Es ist uns so gar mächtig auf den Pelz gerückt, wir dachten auch erst, die Dons hätten uns entdeckt. Aber die ›Cacliz‹ ist dann doch nur auf Einlaufkurs gegangen. Aber berichten Sie weiter, ich sehe Ihnen doch an, daß Sie noch etwas entdeckt haben. Also raus damit!« Thomas Moone nickte. »Stimmt genau, Sir. Als wir zurückpullten, trafen wir
auf eine verlassene Pier. Sie wirkte ziemlich verfallen, und ich hatte den Eindruck, daß sie schon lange nicht mehr benutzt wird. Außerdem ist sie vom Ort aus nicht mehr einzusehen, es wäre sicherlich am besten, wenn wir dorthin verholten. Dort können wir, wenn wir die ›Golden Hind‹ zur Landseite hin entsprechend absichern, das Schiff sogar krängen und die Lecks abdichten. Ich schlage vor, daß diese Arbeit noch im Laufe der Nacht erledigt wird. Mit dem ersten Tageslicht könnten wir sodann mit den Arbeiten in der Takelage und auf Deck beginnen, Sir!« Drake nickte. »Gut, Mr. Moone. Wir gehen anker auf. An Bord wird kein Licht benutzt, absolutes Redeverbot für alle Minner. Wir müssen so lautlos verholen, wie das irgend möglich ist. Bereiten Sie bereits die Lecksicherung vor, damit unverzüglich mit allen Arbeiten begonnen werden kann!« »Aye, Sir!« Thomas Moone verschwand vom Aehterkastell und gab den Männern an Deck mit leiser Stimme die nötigen Befehle. * Unterdessen entfalteten Capitan Navarro und Leutnant Garcia jedoch schon eine geradezu fieberhafte Aktivität in Puntarenas. Der Capitan scheuchte zuerst den Alcalden aus dem Schlaf. Und als dieser hörte, wer sich in seiner
unmittelbaren Nähe befand, schlug er unwillkürlich ein Kreuz und erblaßte. Außerdem jagte der Capitan einen Reiter in die Berge, zu jenem Lager, in dem die Kompanie von Seesoldaten stationiert war, die unter dem Kommando eines spanischen Obristen, eines Coronels, dort den letzten Schliff erhielten. Auch der Coronel sprang wie elektrisiert auf, als der Name El Draque fiel. Aber als er verstanden hatte, was geschehen war und was nun geschehen sollte, gab er sofort Alarm. Seine Offiziere und Unterführer jagten die mürrischen und verschlafenen Seesoldaten aus den Betten, und schon kurze Zeit später wurde Munition ausgegeben und die Kompanie abmarschbereit gemeldet. Als der Coronel zu seinem Pferd ging, das sein Bursche bereits vorgeführt hatte, blieb er noch einmal stehen und winkte die Ordonnanz zu sich heran. »Sagte der Melder, die ›Cadiz‹ sei eingetroffen, Leutnant?« »Jawohl, Senor Coronel. Mit diesem Schiff kamen auch jener Capitan Navarro und sein Erster Offizier Garcia nach Puntarenas. Sie wurden…« »Weiß ich!« schnitt der Coronel dem Leutnant das Wort ab. »Was viel wichtiger ist, die ›Cadiz‹ hat Pulver und Waffen geladen, für uns. Das Schiff muß sofort besetzt und gegen Zugriff gesichert werden. Ich habe schon viel von jenem El Draque gehört, bei diesem Kerl muß man mit allem rechnen. Außerdem gibt es da noch so einen Satan mit pechschwarzen langen Haaren. Er ist fast
immer in unmittelbarer Nähe dieses Drake. Sie nennen ihn den Seewolf. Ganz sicher befindet er sich auch diesmal irgendwo in der Nähe. Wir werden höllisch vorsichtig sein müssen, vor allem aber blitzschnell über El Draque herfallen und ihn schon beim ersten Anlauf überrumpeln. Los jetzt!« Er richtete sich hoch im Sattel auf. »Kompanie, marsch!« befahl er dann mit gellender Stimme und ritt an. Fluchend und immer noch halb schlaftrunken folgten ihm seine Soldaten. »Also, wenn du mich fragst, das ist sowieso alles Quatsch. Wenn es irgendwie geht, dann verpisse ich mich zu Donna Elvira, die hält wenigstens ihr Bett für mich warm!« knurrte einer der Unterführer seinem Nachbarn zu. Aber er sollte sich irren, es war nämlich tatsächlich so, wie der Coronel geargwöhnt hatte. Der Seewolf und seine Männer befanden sich in der Nähe, und sie schliefen nicht.
5. Dem Seewolf ließen die vergangenen Ereignisse keine Ruhe. Ruhelos tigerte er auf dem Achterdeck seines Schiffes herum. Ben Brighton leistete ihm Gesellschaft. Auch die ›Isabella‹ hatte alle Lichter gelöscht. Sie ankerte in einer versteckten Bucht. Dem Ufer kehrte sie ihren Bug zu, Masten und Takelage verschmolzen mit der Dunkelheit, die in diesem Teil der Bucht noch dichter war als auf
dem freien Wasser der Reede. Auf dem Hauptdeck gingen die Wachen. Hasard hatte für diese Nacht nur absolut zuverlässige Männer eingeteilt. Unter ihnen der Franzose Jean Ribault, Karl von Hutten, Jeff Bowie und Piet Straaten, der niederländische Spanierhasser. Außerdem befanden sich noch Smoky, Blacky und Matt Davies an Deck. Im Großmars hockte – trotz der Dunkelheit – Dan O'Flynn. Schon dieser enorme Aufwand an Wachen zeigte den Männern, daß der Seewolf der Ruhe, die über der Bucht lag, nicht traute. Ihnen allen war klar, daß der Kanonendonner der Seeschlacht gegen die beiden spanischen Galeonen bis weit ins Land hinein zu hören gewesen sein mußte. Und wenn es hier spanische Soldaten gab, dann waren sie alarmiert. Besondere Sorge bereitete Hasard der Umstand, daß Drake in die offene Bucht vor Puntarenas eingelaufen war. Das Wasser gluckste leise, wenn eine Welle gegen den Rumpf der ›Isabella‹ schlug. Ben Brightoh und der Seewolf hatten in den vergangenen Stunden kaum ein Wort miteinander gesprochen. Beide Männer warteten darauf, daß etwas geschah – und darauf konzentrierten sie alle ihre Sinne. Ein leises Klirren das von Land her zu ihnen herüberdrang, ließ sie zusammenfahren, und sofort starrten beide in die Nacht. »Ben«, flüsterte der Seewolf, »da war doch eben was!« Er lauschte – und richtig, wieder klirrte es vom Ufer zu
ihnen herüber, dann ein paar spanische Laute, denen sofort die wütende, zurechtweisende Stimme eines anderen folgte. Der Seewolf verharrte bewegungslos. Aus den Augenwinkeln gewahrte er, wie auch Jean Ribault, der gerade seine Runde über die Kuhl zog, abrupt stehenblieb. »Soldaten, Ben! Das sind spanische Soldaten!« flüsterte Hasard Ben Brighton zu. »Sie wollen nach Puntarenas, Ben, verdammt noch mal. Das gilt Drake!« Wieder lauschten die beiden Männer. Lautlos enterte in diesem Moment der Franzose zum Achterdeck auf. »Spanier!« sagte er nur. »Mindestens eine Kompanie von Soldaten! Wir müssen Drake warnen, sonst…« Hasard gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen. Ein Mann lachte auf. »El Draque – wer ist das schon! Diesen Scheißer zerdrücke ich doch zwischen meinen Fingern, ha-ha!« Wieder eine wütende Stimme. »Wenn du verdammter Idiot nicht endlich dein Maul hältst, dann schlage ich dir sämtliche Zähne ein! El Draque – paß nur auf, mein Freund daß du diesem englischen Bastard nicht in die Finger fällst. Ich habe diesen Hundesohn am Blackwater kennengelernt, und hier sind noch mehr von denen, die damals am Blackwater dabei waren. Wenn der Coronel recht hat, und dieser dreimal verfluchte Kerl liegt im Hafen unten, dann wirst du noch dein blaues Wunder erleben in dieser Nacht, darauf kannst du Gift nehmen. Und jetzt Schnauze, Freundchen,
ich sag das nicht noch mal, verstanden! Und das gilt für alle!« Hasard und die Männer auf der ›Isabella‹ hatten voll atemloser Spannung zugehört. Die Soldaten mußten sich auf denn Weg dicht oberhalb des Ufers befinden. Es fehlte nur noch, daß sie die ›Isabella‹ entdeckten, dann begann der Tanz schon hier. Aber nichts dergleichen geschah – die Soldaten zogen an ihnen vorbei, niemand bemerkte das ranke Schiff, das in der Dunkelheit der Bucht lauerte. »Wir müssen Drake warnen, Ben. Der Landweg ist uns versperrt, außerdem wissen wir nicht, wo die ›Golden Hind‹ liegt. Bring unsere Segelpinasse zu Wasser, schnapp dir ein paar Männer. Beeil dich Ben, hoffentlich schaffst du es noch, o verflucht, was ist das bloß wieder für eine beschissene Sache!« Ben Brighton war schon weg. »Ribault, Dan, Blacky, Smoky, Straaten. Holt Stenmark und scheucht die anderen auf. Matt, du organisierst noch vier Mann, und dann nichts wie ab. Vielleicht schaffen wir es noch, vor den Dons bei Drake zu sein!« Mit zwölf Mann an Bord legte die geräumige Segelpinasse der ›Isabella‹ Minuten später ab. Alle waren bewaffnet bis an die Zähne. Auch der riesige Gambia-Neger, Batuti, zählte zur Crew der Pinasse. »Batuti alle Dons auf Schädel klopfen und dann in Bucht werfen – so! Ha, wird Heidenspaß, werden staunen, Dons, wenn Batuti…« Ben unterbrach ihn.
»Halt jetzt keine langen Reden, Batuti, zieh das Segel hoch, verdammt. Und noch etwas: Keiner unternimmt irgend etwas ohne meinen ausdrücklichen Befehl: Ist das klar, Dan?« Dan O'Flynn warf Ben Brighton einen giftigen Blick zu. »Ich bin ja schließlich nicht blöd, außerdem, warum sagst du das gerade mir?« Carberry, der auf der ›Isabella‹ für die Dauer seiner Abwesenheit Ben Brightons Funktion übernommen hatte und vom Schanzkleid her, über das er sich gerade beugte und der Pinasse nachblickte, den Wortwechsel hörte, grinste. »Weil du verdammte kleine Kröte das nötig hast. Wenn ich Ben wäre, ich hätte dir längst die Haut auf deinem Affenarsch gegerbt, mein Junge!« brummte er dann und fuhr erschrocken zur Seite, als ihn Arwenack, der Schimpansenjunge, plötzlich ansprang und ihn wütend ankefferte. »He, du Teujelsbiest, weg mit dir, oder ich ziehe dir die Haut von deinem Affenarsch…« Verdutzt hielt er inne, und als um ihn herum ein paar Männer in leises Gelächter ausbrachen, stieß er eine Verwünschung aus, grinste jedoch gleich darauf Arwenack an. »Also los, schleich dich, Freundchen, ich habe jetzt keine Zeit für dich, husch, ab!« Er versetzte dem Schimpansen einen leichten Klapps auf die Kehrseite. Arwenack kefferte empört und flüchtete in wilden Sprüngen über das Hauptdeck auf die Back, von
wo aus er heftig weiterschimpfte. So erheiternd diese Szene auch war, dem Seewolf jagte sie einen eisigen Schrecken ein. Was wäre gewesen, wenn Arwenack sich vorhin, als die Spanier vorbeizogen, durch sein lautes Gekeffer bemerkbar gemacht hätte? Er beschloß, über dieses Problem noch einmal gründlicher nachzudenken, wenn er Zeit dazu fand. Jetzt gab es eine Menge anderer Dinge zu tun. * Der Wind wehte günstig – die Segelpinasse lief gute Fahrt. Trotzdem ging den Männern alles viel zu langsam. Der Streit mit Drake, der am Nachmittag an Bord seines Schiffes ausgebrochen war, zählte nicht mehr. Jetzt war nur eines wichtig – die Dons durften Drake auf gar keinen Fall überrumpeln! Sie umrundeten gerade eine Landzunge und hofften, daß der Wind im offenen Fahrwasser stärker wehen würde – da blieb er plötzlich weg, schlief einfach ein! Das Segel erschlaffte, die Pinasse verlor sofort an Fahrt.' »Verfluchter Mist!« tobte Matt Davies. »Los, Jungs, spuckt in die Hände, wir müssen pullen. Die verfluchten Dons marschieren auch ohne Wind weiter! Pullt, Jungs, pullt, als ob es um euer Leben ginge!« Matt Davies griff mit seiner gesunden Linken nach dem Riemen, dann hakte er seine Hakenprothese in eine dafür extra angebrachte Lederschlaufe. Die anderen hatten sich
das nicht zweimal sagen lassen, sondern legten sich ebenfalls ins Zeug, während Ben Brighton das nun nur noch hinderliche Segel kurzerhand einholte. Die Pinasse schoß durch das Wasser, die Riemen bogen sich unter den wuchtigen Schlägen, mit denen die Männer sie durch das Wasser zogen. Aber Ben Brighton wußte, daß auch die stärksten Ruderer niemals die Geschwindigkeit erreichen konnten, die das Segel und ein guter Wind der Pinasse verliehen hätten; Lautlos fluchte er in sich hinein, gleichzeitig klang seine gedämpfte Stimme durchs Boot: Zuuu-gleich! Zuuu-gleich. Sie erreichten die Bucht, pullten weiter und weiter wie die Verrückten. Der Schweiß rann über ihre Körper, aber immer noch schwangen ihre Körper im gleichen Rhythmus vor und zurück unter den gedämpften Kommandos ihres Bootmanns. Abermals umrundeten sie eine Landzunge, glitten hinter einer kleinen Felseninsel hervor, die dicht unter Land aus dem Wasser ragte, und dann fielen ihnen vor Schreck fast die Ruder aus der Hand. Sie brauchten den Liegeplatz der ›Golden Hind‹ nicht mehr zu suchen. Er lag vor ihnen, durch Fackeln hell erleuchtet. Auf der ›Golden Hind‹ sahen sie spanische Soldaten wie Ameisen herumkrabbeln. Deutlich erkannten sie sie an ihren Helmen. Keiner der Männer fluchte in diesem Moment. Das Bewußtsein, die grausame Erkenntnis, trotz aller Anstrengungen zu spät gekommen zu sein, das verschlug ihnen glatt die Sprache.
Dan O'Flynns scharfe Augen durchdrangen die Dunkelheit, die über dem Wasser lag, mühelos. Er sah und begriff am schnellsten auch das, was außerhalb des Lichtscheins lag und nicht zu sehen war. Die ›Golden Hind‹ lag an einem alten, offenbar seit langem nicht mehr benutzten Pier. Drake hatte sie mittels einer Talje, deren Tau an einem Polier belegt war, nach Backbard krängen lassen, die Steuerbordseite lag auf diese Weise frei. Er war also dabei gewesen, Einschüsse und Lecks abzudichten! Dan erkannte auch ebenso blitzartig, daß der Pier zwar von Puntarenas nicht einzusehen gewesen war, daß aber die Soldaten, die sich auf dem Weg nach dort befanden, geradezu auf die ›Golden Hind‹ gestoßen sein mußten Er war der erste, der nun doch einen ellenlangen Fluch ausstieß. Anschließend streifte er seine Kleidung ab. »He, Dan, was soll das?« fuhr ihn Ben Brighton an, der das, was er da mit eigenen Augen sah, auch noch nicht verkraftet hatte. Dan stand inzwischen splitternackt in der Pinasse. »Das bedeutet, daß ich hinüber schwimmen werde, um aus der Nähe zu erkunden, was dort drüben passiert. Nur wenn wir das exakt wissen, dann können wir auch etwas unternehmen. Das leuchtet doch wohl ein, oder nicht?« Ben Brighton mußte Dan recht geben. »Warte, ich schwimme mit. Ich kann spanisch, du nicht. Vielleicht können wir etwas von den Dons aufschnappen, was uns weiterhilft!« Dan warf ihm einen schiefen Blick zu, aber diesem
Argument hatte er nichts entgegenzusetzen. Und Ben Brighton ließ ihm auch gar keine Zeit zum Nachdenken, er war blitzschnell aus seinen Kleidern, und die beiden verschwanden im Wasser. »Ihr wartet hier auf uns«, sagte Ben noch, dann mußte er sich beeilen, um Dan nicht aus den Augen zu verlieren, denn das Bürschchen schwamm wie ein Fisch, wenn es drauf ankam. Mit keinem Wort oder keiner Miene verriet Ben Brighton, daß er den impulsiven und bei allem Mut manchmal unbedacht handelnden Dan auf gar keinen Fall allein zu den Spaniern lassen wollte. Sie brauchten nicht lange. Vorsichtig, ohne das geringste Geräusch zu verursachen, näherten sie sich dem Pier. Aber dann blieb ihnen vor Schreck fast die Luft weg. Spanische Soldaten zerrten den in Ketten geigten Drake über das Deck. Ihm folgten, ebenfalls mit schweren Ketten gefesselt, Thomas Moone, John Doughty und der Kaplan Francis Fletcher. Die spanischen Soldaten verpaßten ihren Gefangenen etliche ziemlich unsanfte Kolbenstoße in die Kehrseiten. Fletcher flog der Länge nach an Deck und heulte vor Schreck und Schmerz, was ihm neue Kolbenhiebe eintrug. »O verflixt!« stöhnte Dan, der neben Ben Brighton mit langsamen Bewegungen Wasser trat und den Kopf nur gerade bis zur Nase aus dem Wasser streckte. »Wo werden die Kerle Drake und Moone hinschaffen?« fragte er leise. Bezeichnenderweise erwähnte er die anderen beiden mit keinem Wort.
Ben Brighton hob die Schultern, wollte etwas sagen, aber da brüllte eine spanische Stimme: »Schafft diesen El Draque und seine Spießgesellen in die Zitadelle. In den Turm! Noch heute Nacht werden sie verhört, und diese Kerle werden singen. Ruft die besten Folterknechte, die Puntarenas aufzuweisen hat, diese Hunde werden ausgequetscht wie Zitronen. Ja, El Draque, dein Spiel ist aus – wenn ich mit dir fertig bin, dann wirst du wünschen, daß du nie geboren wurdest!« Drake antwortete nicht, aber Ben Brighton, der seinen Kopf etwas weiter aus dem Wasser hob, sah, wie er vor seinem Peiniger, einem wahren Herkules von Kerl, ausspuckte. Seine schweren Fesseln erlaubten ihm keine andere Reaktion. »Das klingt schlecht, Ben!« wisperte Dan O'Flynn. »Los, zurück, hier können wir nichts tun!« Sie sahen noch, wie die Besatzung der ›Golden Hind‹ zum Vorschiff getrieben wurde und wie man die Männer unter der Back einsperrte. Dann zogen Wachen auf, die schußbereiten Flinten in den Händen. Ben und Dan schwammen zur Segelpinasse zurück. Ben Brighton informierte die Männer in wenigen Sätzen. Das allgemeine Gemurmel, unterbrach er abrupt. »Ribault und Stenmark, ihr bezieht da vorne auf der Landzunge Beobachtungsposten, Alle anderen kehren mit mir zur ›Isabella‹ zurück. Wir müssen Hasard verständigen und dann schnellstens Drake und die anderen befreien. Andernfalls werden wir nur noch das von ihnen vorfinden, was die Folterknechte von ihnen übriglassen.
Ich bin überzeugt, daß dieser Spanier vorhin keine leere Drohung ausgestoßen hat. Drake ist genau der Mann, der ihnen so etliches verraten könnte. Und das wissen die Dons nur zu gut!« Batuti stampfte vor Wut mit dem Fuß auf, daß die ganze Pinasse erbebte. »Batuti alle schlagen tot, schneiden Hälse ab! Dons nix foltern Drake, schießen kaput, alle, so!« Er riß seine Flinte hoch, setzte sie dann aber wieder ab, als er die entsetzten Blicke der anderen sah, die schon geglaubt hatten, der Schwarze werde vor lauter Wut auch abdrücken und damit ihre Anwesenheit verraten. »Keine Angst!« grinste Batuti sie an, als er die Flinte wieder runternahm. »Batuti nix dumm, Batuti schlau. Dons werden merken, wenn er ihnen klopfen auf Schädel!« Wieder legten sich die Männer in die Riemen. Nach wie vor ließ sie der Wind im Stich. Ribault und Stenmark hatten sie vorher noch auf der Landzunge abgesetzt. Sie schafften den Rückweg zur ›Isabella‹ in Rekordzeit. Der Seewolf und die anderen erwarteten sie schon sehnsüchtig, aber als er die finsteren Gesichter der Männer sah, wußte er sofort, daß einiges schiefgelaufen sein muß te. Ohne Zwischenfrage hörte er sich den Bericht Ben Brightons an. »Scheiße«, sagte er dann. Und da mit war für die nächsten Minuten eigentlich alles gesagt. »Ben, Ferris, Carberry – in meine Kabine!« ordnete er
dann an und überließ die wild durcheinander diskutierenden Männer auf dem Hauptdeck und in der Kuhl ihrem Schicksal. Jetzt galt es, schnellstens Kriegsrat zu halten. * »Wir müssen unbedingt verhindern, daß die Dons erst damit anfangen, die ›Golden Hind‹ zu entladen«, stellte Carberry fest. Er dachte dabei an die Schätze, an all das Gold und Silber, das sie in ihren Laderäumen barg. Verstohlen warf er einen Blick auf den goldenen Armreif, den Hasard immer noch trug und der aus zwei züngelnden Schlangen bestand, die sich um sein Handgelenk wanden. Carberry hatte von dieser Geschichte mit jener Schlangenpriesterin gehört, die der Seewolf damals auf der MachoInsel kennengelernt hatte. Er wußte, daß ein Teil der wertvollsten Schätze auf der ›Golden Hind‹ von Arkana, der Schlangenpriesterin, stammten. Hasard, der den Blick bemerkte, grinste Carberry an. Doch dann wurde er sofort wieder ernst. »Ich möchte bloß wissen, wie die Dons so schnell entdeckt haben, daß Drake sich in der Bucht befand. Irgend jemand muß das Schiff beobachtet haben, vielleicht einer, der auch den Kampf auf See mit einem guten Spektiv verfolgt hat.« Hasard wischte sich über die Stirn. »Na, egal, das alles hilft uns jetzt nicht mehr weiter. Wir
müssen Drake heraushauen. Dazu wird es notwendig sein, daß wir zunächst einmal die ›Golden Hind‹ wieder besetzen. Wenn uns ihre Geschütze zur Verfügung stehen, sieht schon vieles ganz anders aus!« Ben Brighton nickte, während Ferris Tuckers Rechte wie spielerisch über die scharfe Schneide seiner riesigen Axt glitt. »Die Zitadelle oder die Festung oder meinetwegen auch der Turm, in den sie Drake, Moone, diesen verfluchten Dougnty und Fletcher geschleppt halben – das muß sich schließlich finden lassen. Und wenn ich einem der Einwohner von Puntarenas persönlich die großen Ohren langziehen muß. Die Leute dort wissen Bescheid. Das wäre also kein Problem.« Er schwieg einen Moment, und wieder glitten die Finger seiner Rechten über die Schneide der Axt. »Aber wie gelangen wir in diese verdammte Zitadelle? Ich kann mir nicht vorstellen, daß uns die Dons einfach so reinlassen werden!« Alle lachten, aber es war ein unfrohes Lachen. Hasard gab sich einen Ruck. »Das alles wird sich an Ort und Stelle ergeben. Unsere ›Isabella‹ haben die Dons jedenfalls noch nicht entdeckt. Smoky bleibt mit vier zuverlässigen und guten Männern auf dem Schilf zurück. Alle anderen segeln mit nach Puntarenas…« »Segeln?« Ben Brighton stellte die Frage. »Wenn nicht segeln, dann eben pullen, das bleibt sich gleich. Wir müssen nach Puntarenas, und zwar sofort!
Los, laßt jetzt Pulver in die Pinasse schaffen. Handfeuerwaffen – kurz, alles, was wir brauchen, um den Dons einzuheizen. Die sollen sich wundern!« Die eisblauen Augen des Seewolfes blitzten, nachdem er seinen Entschluß gefaßt hatte. Eine knappe halbe Stunde später legte die Segelpinasse abermals ab. An Bord einundzwanzig zu allem entschlossene Männer, die weder Tod noch Teufel fürchteten.
6. Es war fast drei Uhr nachts, als der Kiel der Segelpinasse sich knirschend auf den schmalen Strand der Landzunge schob, auf der Ben Brighton Jean Ribault und Stenmark als Beobachter zurückgelassen hatte. »He, Ribault, Stenmark!« rief der Seewolf leise in die Dunkelheit. Er wußte von Ben Brighton, wie nahe sie an dieser Stelle dem Liegeplatz der ›Golden Hind‹ bereits waren, es verbot sich von selbst, herumzubrüllen. Eine Gestalt löste sich aus den Sträuchern der Landzunge. Die Männer starrten ihm entgegen. »Stenmark!« entfuhr es Ben Brighton sodann. »Verdammt noch mal, wo steckt Ribault?« Stenmark blieb am Bug der Segelpinasse stehen. »Er ist zur ›Golden Hind‹ hinüber, er…« »Mensch, seid ihr beide denn total verrückt geworden?« fuhr der Seewolf ihn wütend an. »Wenn die Dons Ribault
erwischen, dann ist damit doch für die Spanier klar, daß sich außer Drake und seinen Männern auch noch andere Feinde hier in dieser Bucht befinden – ein zweites Schiff. Jean – ich hätte ihn wirklich für intelligenter und vorsichtiger gehalten!« Stenmark, der große Schwede, schüttelte den Kopf. »Ribault hatte recht, Hasard. Und ich traue diesem Franzmann zu, daß er den Dons eine gewaltige Nase dreht. Da drüben auf der ›Golden Hind‹«, er deutete in die Richtung, in der sie Drakes Schiff wußten, »haben die Dons einen Wachtörn eingerichtet. Die Wachen werden regelmäßig abgelöst. Wir wissen nur nicht, wie viele es sind, und wir wissen auch nicht, in welchen Zeitabständen die Ablösung stattfindet. Jean war der Meinung, daß wir beides wissen müßten, andernfalls könne jede Aktion gegen die Dons verflucht ins Auge gehen!« Carberry mischte sich ein. »Ribault hat recht, Hasard. Wenn unsere Aktion in einen Wachwechsel fallen sollte, dann gibt's bestimmt Lärm und auch Tote. Ich traue diesem Franzosen ebenfalls zu, daß er heil zurückkommt, er…« Ein Rascheln im Gebüsch, keuchende Atemzüge ließen sie herumfahren. Unwillkürlich griffen die Männer zu ihren Waffen. Der Franzose stürzte auf den Strand vor den Büschen, die das Ufer säumten. »Na, ich bin ja wohl gerade zur rechten Zeit zurück. Mon Dieu – so gerannt bin ich mein Lebtag noch nicht! Aber es hat sich gelohnt!«
Er taumelte gegen das Boot und pumpte erstmal Luft in seine Lungen. Dann schwang er sich an Bord. »Also hört zu, die Dons haben acht Mann auf der ›Golden Hind‹. Alle Stunde werden die Kerle abgelöst. Die scheinen mächtig Angst vor den Männern von El Draque zu haben. Die trauen sich selber nicht mehr über den Weg!« Ribault grinste. »Die nächste Ablösung wird um vier stattfinden. Dann sollten wir die anderen schon einkassiert und die neuen mit den Krachtüten und Brustpanzern der anderen in Empfang nehmen. Ehe die kapieren, daß wir keine Dons sind, hats schon gescheppert. Und dann nichts wie hin zu diesem Turm, in den sie Drake und Moone eingesperrt haben…« »Und die anderen beiden, Jean?« fragte der Seewolf dazwischen. Der Franzose gab durch eine wegwerfende Handbewegung zu verstehen, wie wenig ihn Doughty und Fletcher interessierten. »Sind auch mit drin, aber scheißen sich bestimmt vor Angst in die Hosen! Nur um Drake und Moone habe ich Angst, die Dons wollen sie foltern. Ich glaube, jeder von uns weiß, was das bedeutet.« »Und ob ich das weiß«, brummte Carberry und spürte schlagartig wieder die Narben von den Brandeisen und Zangen an seinem Körper. Der Seewolf gebot Schweigen. »Acht Mann also«, überlegte er, »Ben, ablegen. Wir pir-
schen uns mit dem Boot soweit wie möglich an die ›Golden Hind‹ heran. Dann schwimmen ein paar Mann von uns hinüber, entern auf, überwältigen die Wachen. Die andern mit der Pinasse folgen uns, sobald wir mit einer der Schiffslaternen ein Zeichen geben, dreimal auf und ab. Ihr legt die Pinasse zum Wasser hin unter das Heck, dort wird man es am wenigsten sehen. Sorgt aber dafür, daß es keinen Lärm verursachen kann, umwickelt die der ›Golden Hind‹ zugewandte Bordwand mit euren Jacken oder Hemden!« Er sah die Männer an. »Ben, Stenmark, Ribault, Dan, Car berry, Blacky, Hutten, Pete, Batuti! Ihr schwimmt mit mir zur ›Golden Hind‹. Ferris«, wandte er sich dann an den hünenhaften Schiffszimmermann der ›Isabella‹, »du übernimmst das Kommando über die Pinasse.« Ferris Tucker wäre zwar lieber mit zur ›Golden Hind‹ hinübergeschwommen, aber er wußte genau, warum der Seewolf ausgerechnet ihm das Kommando über die Pinasse gegeben hatte. Unter den Neuen der ›Isabella‹Crew befanden sich mindestens noch zwei unsichere Kantonisten. O'Driscoll und Gordon Watts, beiden traute Hasard nicht so recht. Der ditte Mann, auf den die Stammbesetzung der ›Isabella‹ ein, wachsames Auge hatte, war Buck Buchanan. Er war schwerfällig in seinen ganzen Reaktionen, wirkte schon fast leicht bescheuert, aber immerhin hatte er sich als ein mutiger und guter Kämpfer erwiesen. Hinzu kam noch, daß die Pinasse alle ihre Waffen und beträchtliche Pulvervorräte barg, ein
wenig Vorsicht konnte nicht schaden! Mit einer Handbewegung stoppte Hasard die Männer an den Riemen, das Segel hatten sie wegen der immer noch herrschenden Flaute gar nicht erst gesetzt. »Los, fertig!« Er warf alle überflüssigen Kleidungsstücke ab und ließ sich ins Wasser gleiten. Die von ihm benannten Männer seiner Crew folgten ihm augenblicklich. Leise, mit nur schwachen Schwimmbewegungen, näherten sie sich der ›Golden Hind‹, deren Silhouette sich deutlich gegen die auf der Pier brennenden Feuer abhob. Außerdem hatten die Spanier die Talje, von der aus ein Tau bis zum Topp des Fockmastes lief und auf der anderen Seite an einem der Poller belegt gewesen war, längst wieder gelöst. Die ›Golden Hind‹ lag wieder auf ebenem Kiel, krängte nicht mehr nach Backbord. Etwa fünfzig Yards vom Schiff entfernt verharrte der Seewolf bewegungslos auf der Stelle. Sein Entermesser hatte er zwischen den Zähnen. Eine Weile beobachtete er die ›Golden Hind‹. Das Lachen und Schwatzen der Wachen drang zu den Männern der ›Isabella‹ hinüber. Sie schienen sehr sorglos zu sein. Aber wie vertrug sich das damit, daß sie alle Stunde abgelöst wurden? Hasard kannte die ›Golden Hind‹ bis in den letzten Winkel. Ein deutlicher Vorteil, den er und seine Männer diesmal auf ihrer Seite hatten. »Jean!« rief er den Franzosen leise zu sich heran. Ribault glitt neben ihn.
»Hast du eine Ahnung, wie die Wachen verteilt sind?« fragte er ihn leise. Ribault nickte. »Vier auf der Back, zwei achtern, zwei vor dem. versiegelten Zugang zum Laderaum.« Der Seewolf nickte, so ähnlich hatte er sich das gedacht. Rasch gab er seinen Männern die notwendigen Anweisungen, teilte sie in Gruppen ein. »Ben und ich übernehmen die bei den Kerle auf der Back. Carberry und Pete, ihr kümmert euch um die Figuren auf dem Achterschiff. Dan, Batuti und Blacky, ihr räumt die Burschen am Laderaum ab. Die anderen verteilen sich über das Schiff und überzeugen sich, daß wir keinen übersehen haben…« Ribault hielt den Seewolf zurück, als er gerade das Zeichen zum Weitersehwimmen geben wollte. »Es sind vier auf der Back, Hasard, Stenmark und ich entern mittschiffs auf, da hängt ein Tampen über Bord. Wenn Ben und du die Burschen von der anderen Seite her in die Zange…« »In Ordnung, danke, Jean! «Verflucht, da hätte ich beinahe einen ganz schönen Bolzen gedreht«, sagte der Seewolf. Dann richtete er sich etwas im Wasser auf. »Hutten, du schließt dich Ribault und Stenmark an. Los, weiter!« Vorsichtig glitten sie näher an die ›Golden Hind‹ heran. Dann, auf ein Zeichen von Hasard, teilten sie sich. Ben und er schwammen bis an die Bordwand der Galeone heran. Dann tasteten sie sich am Schiffsrumpf entlang, umrundeten den Bug. Und richtig, da sahen sie schön, wonach sie gesucht hatten. Die Vorleine lief von
der Back der ›Golden Hind‹ zu einem Poller, an dem sie belegt war. Hasard und Ben Brighton verständigten sich blitzschnell. Dann stießen sie sich vom Schiff ab, und gleich darauf schlossen sich ihre Hände um das Tau. Hasard zog sich hoch, schob sich als erster zur Back empor. Er schaffte das ohne jedes Geräusch. Ben Brighton folgte ihm genauso lautlos. Der Seewolf zog ihn an Deck, dann richtete er sich für einen Moment lang auf der Back hoch auf. Ribault und seine Männer mußten ihn sehen – sie hatten bestimmt schon auf dieses Zeichen gelauert, auch ohne daß es verabredet worden war. Hasard kannte den Franzosen inzwischen gut genug, um seine ständig wache Intelligenz richtig einzuschätzen. Dann duckte er sich wieder. Zusammen mit Ben Brighton huschte er über die Back. Wenn sie Glück hatten, dann erwischten sie die Dons vom Vorkastell aus im Sprung, während sich Ribault und seine Gruppe die anderen beiden vornahmen. Vorsichtig peilten Ben Brighton und der Seewolf vom Vorderkastell aus nach unten. Die vier Spanier saßen an Deck. Zwischen ihnen standen eine blakende Ölfunzel und ein dickbauchiger Weinkrug. Ihre Musketen hatten sie gegen die Back gelehnt. »Da wird in den nächsten Tagett so einiges los sein!« sagte der eine gerade und griff nach dem Krug. »Die haben einen Boten zur Garnison geschickt, daß sie diesen El Draque gefangengenommen haben. Was glaubst du, was die hier für einen Affenzirkus veranstalten werden?
Die schicken doch bestimmt eine Galeone, um diesen Kerl und seine Besatzung abzuholen,« »Bestimmt! Der Coronel und dieser Capitan Navarro von der ›Sevilla‹ sind stocksauer«, erwiderte ein zweiter. »Der Alcalde hat ihnen gedroht, daß sie alle der Teufel holen würde, wenn sie El Draque zu Tode foltern oder auch nur ernstlich verletzen würden. Er hat das praktisch auf alle Gefangenen ausgedehnt. El Draque so hat er gesagt, wäre ein so wichtiger Gefangener, daß man ihn bestimmt nach Spanien verschiffen würde, um ihn dort zu verhören!« Der Seewolf und Ben hatten genug gehört. Das ließ sich ja noch viel besser an, als sie jemals hatten hoffen können. Und das mit dem Capitan Navarro – Hasard und Ben war es wie Schuppen von den Augen gefallen. Der Kommaridant der ›Sevilla‹ hatte also überlebt, aber wie war der Kerl bis Puntarenas gelangt? Hasard wußte in diesem Moment noch nichts von der ›Cadiz‹, die unsichtbar für ihn und seine Männer im Hafen lag und durch die Ereignisse der Nacht zwar streng bewacht wurde, aber noch nicht entladen war. Er gab Ben ein Zeichen – dann sprang er. Wie ein Schatten sauste er vom Vorkastell aufs Hauptdeck hinunter, auf dem die vier Wachen im Windschutz der Back saßen. Er packte einen der völlig überraschten Männer, warf ihn zu Boden und hieb ihm im gleichen Moment die Klinge seines Entermessers mit voller Wucht über den Schädel. Neben ihm rannte Ben Brighton seinem Gegner die Klinge seiner Waffe in die Brust. Polternd kippte der
Weinkrug um, der Wein ergoß sich über das Deck und mischte sich mit dem Blut des Spaniers. Eine der Wachen sprang auf, öffnete den Mund schon zum Schrei, da durchbohrte die Klinge von Jean Ribaults Degen seinen Hals. Der Mann riß die Arme hoch, brach dann gurgelnd zusammen, während Stenmark den vierten mit einem fürchterlichen Hieb von den Füßen holte. Der Mann brach zusammen, als habe ihn der Blitz gefällt. Der Seewolf richtete sich auf. »Fesseln!« befahl er dann und deutete auf den Mann, den er niedergeschlagen hatte. Jean Ribault führte seinen Befehl blitzschnell aus, er hatte sich wohlweislich mit Stricken und Riemen versorgt. Das gleiche geschah mit dem, den Stenmark erledigt hatte. Die beiden anderen waren tot. Von achtern preschte Karl von Hutten heran. »Alles klar, Hasard!« meldete er atemlos. »Carberry und Pete Ballie sind klar, auch Batuti, Dan und Blacky. Das Schiff ist in unserer Hand, kein Don mehr an Bord!« Karl von Hutten grinste, und in diesem Moment sah man ihm das indianische Blut seiner Mutter an. »Gut, sammeln, mittschiffs. Zieht den Dons ihre Uniformen aus, nehmt die Helme und die Brustpanzer. Beeilt euch!« Karl von Hutten sah den Seewolf einen Moment lang fragend an, aber dann hatte er begriffen. Jean Ribault lachte leise in sich hinein. »Du willst…«
»Na klar, was denn sonst?« ertönte eine Stimme aus dem Hintergrund, und Dan O'Flynn spazierte heran. Auf seinem blonden Schopf saß der Helm des Spaniers, den er sich vorgenommen hatte. Sein schlanker Körper steckte in spanischen Kleidern und der Brustpanzer verlieh ihm ein fast martialisches Aussehen. Der Seewolf konnte nicht anders, er mußte grinsen. Dieses Bürschchen hatte natürlich wieder mal von Anfang an gewußt, wie der Hase laufen würde. Und er hatte sich auch gleich einen Platz bei der bevorstehenden Aktion gesichert, indem er sich in einen Don verwandelte. Aber dann wurde Hasard wieder ernst. »Tempo, Männer. Holt die anderen raus. Und dann beeilt euch mal ein bißchen, wenn ihr Kostümfest spielt. Ich muß erstmal sehen, ob ich für mich überhaupt etwas finde, was auch nur halbwegs paßt!« Der Seewolf verschwand, Dan, Batuti und Stenmark entriegelten die schwere Bohlentür, die ins Vorschiff führte. Sofort wollten die Männer der ›Golden Hind‹ hinaus, aber Dan stoppte sie. »Keinen Laut, ihr Dummköpfe!« ranzte er sie an. Und dann erklärte er ihnen in ein paar Sätzen die Situation. Die Männer verstanden. Einer von ihnen hielt Dan jedoch fest, als er wieder aufs Deck hinaus wollte. »Weiß der Seewolf von dem Frachtsegler, der hinten im Hafen liegt?« fragte er. »Frachtsegler? Mann, spinnst du?« fragte Dan und runzelte die Stirn. Doch dann, als er erfuhr, was sich alles zugetragen hatte, ließ er den Mann einfach stehen und
rannte zu Hasard, der eben damit beschäftigt war, sich fluchend in die Uniform eines der spanischen Soldaten zu zwängen. Er hörte sich den Bericht Dans an, und er sah, wie die Augen des Bürschchens vor Unternehmungslust funkelten. »Später, Dan, erst müssen wir uns um Drake kümmern«, und er ahnte in diesem Moment noch nicht, welch eine böse und fast tödliche Überraschung dieser Frachtsegler noch für sie werden sollte. Ben Brighton hatte inzwischen die Grew der ›Golden Hind‹ auf dem Schiff verteilt. Hasard und weitere sieben Männer nahmen die Positionen der spanischen Wachen ein. Deutlich sichtbar für alle, auch für die Spanier an Land, gingen sie ihre Runden. Sehr zum Mißvergnügen Batutis, dessen herkulischer Körper in keine der Uniformen gepaßt hätte, der zudem durch seine dunkle Hautfarbe für das, was der Seewolf jetzt plante, viel zu auffällig gewesen wäre. Es war kurz vor vier. Die Männer der ›Golden Hind‹ kauerten hinter ihren Deckungen. In ihren Fäusten blitzten manchmal die Waffen auf, wenn sich der Schein der auf der Pierflackernden Feuer in ihnen brach. Längst befanden sich auch Ferris Tucker und seine Leute an Bord der ›Golden Hind‹ , die Pinasse selbst war am Schiff vertäut Genauso, wie der Seewolf es angeordnet hatte. An Land entstand Bewegung. Ein Trupp Spanier marschierte heran. Genau acht Mann, wie Hasard sofort zählte.
»Achtung!« sagte er leise. »Der Tanz beginnt. Wenn ich das Zeichen gebe, fallt über sie her. Aber keiner von ihnen darf auch nur einen Laut ausstoßen. Wenn ihr sie habt, dann schlüpfen wieder acht von euch in die Uniformen der Dons. Es muß alles blitzschnell gehen, den Dons darf nichts auffallen, die dürfen nicht mißtrauisch werden, oder unser ganze Plan ist keinen Pfifferling mehr wert. Wir können nur siegen, wenn wir die Überraschung ganz auf unserer Seite haben. Still jetzt, sie sind gleich da.« * Sie vernahmen die schnarrende Stimme des Wachführers. Dann die schweren Schritte der Soldaten. Hasard trat an die Reling. Der Führer des Trupps bemerkte ihn sofort. »He, du da!« rief er, und allein schon beim Klang dieser unangenehmen Stimme packte den Seewolf fast die Wut. Aber er beherrschte sich. Statt dessen beugte er sich über die Reling des Achterkastells, »Ihr seid spät dran! Beeilt euch gefälligst, oder glaubt ihr, es ist ein Vergnügen, auf diesem Eimer Wache zu schieben? Unsere Zeit ist um, los, an Bord mit euch!? schnauzte er in bestem Spanisch. Sein dunkles Haar, das er zwar hochgebunden hatte, das aber trotzdem unter dem Helm hervorlugte, sein sonnenverbranntes Gesicht taten im Verein mit dem Schein der flackernden Feuer ein
übriges. Der Wachführer mußte ihn in diesem Augenblick mit einem Vorgesetzten, den er kannte, verwechseln. »Leutnant Alvarez…«, stotterte er, »wie-wieso sind Sie denn hier an Bord des…« »Ihr sollt endlich raufkommen, verdammt noch mal!« Hasard nutzte sofort seine Chance, indem er den völlig überraschten Spanier anranzte. »Ich habe keine Lust, mir hier länger die Beine in den Bauch zu stehen! Also, wirds nun bald, oder soll ich nachhelfen?« Er drehte sich um. »Wache angetreten. Rechts um, ohne Tritt marsch!« kommandierte er, und die anderen sieben Männer der ›Isabella‹-Grew, die ebenfalls in den spanischen Uniformen steckten, setzten sich in Bewegung. Vielleicht kam dem Anführer der neuen Wache irgend etwas nicht geheuer vor, denn er zögerte abermals, aber seine Furcht vor dem angeblichen Leutnant Alvarez siegte. Er scheuchte seine Männer die Gangway empor – und dann blieb ihm überhaupt keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, was für einen Fehler er wohl begangen haben mochte. Der Seewolf hieb ihm blitzschnell einen Belegnagel über den Schädel. Der Schlag war mit einer solchen Kraft geführt, daß er den Eisenhelm des Spaniers zusammenstauchte. Der Spanier brach ohne einen Laut zusammen. An Deck der ›Golden Hind‹ gab es ein kurzes Handgemenge, einer der Spanier schrie auf, aber sofort war Car-
berry zur Stelle, und seine Klinge durchbohrte den Spanier, ließ ihn auf der Stelle verstummen. Der Seewolf verlor keine Zeit. »Ferris!« wandte er sich an den rothaarigen Schiffszimmermann, »du weißt Beseheid. Sobald wir ein paar Musketen abfeuern, Leinen los. Halte die Dons mit deinen Kanonen in Schach, wenn sich da drüben etwas muckst, gleich eine volle Breitseite rein, klar?« Ferris Tucker grinste. »Ho, die Dons sollen Ihren Spaß am alten Tucker haben. Haben seit Sevilla sowieso noch einiges gut bei mir. Du sollst mal sehen, die ›Golden Hind‹ wird sich in einen feuerspeienden Drachen verwandeln, für jede Narbe eine Breitseite. Ha, das wird ein Fest!« Der Seewolf grinste, während er bereits mit seinen Männern die Gangway hinablief. Er wußte auch, worauf Ferris Tucker eben wieder angespielt hatte – auf die Zeit, die er mit einem großen Teil von Hasards Männern als Rudersklave auf der spanischen Galeere ›Toriuga‹ verbracht hatte. Eine Zeit, die keiner der Männer den Spaniern je vergessen würde! Doch dann mußte der Seewolf sich voll auf das konzentrieren, was vor ihm lag. »Leutnant Alvarez«, murmelte er. »Gut, daß dieser Tölpel mich für diesen Leutnant gehalten hat, vielleicht läßt sich mit dem Namen etwas anfangen. Ich muß dem Kerl ja wohl ähnlich sehen!« Sie marschierten über den Pier. Der Seewolf, Ben Brignton, Dan O'Flynn, Carberry, Blacky, Jean Ribault,
Karl von Hutten, Al Conroy. Alles Männer, die Hasard sorgfältig vom Typ her ausgesucht hatte, damit sie in ihrer Rolle als spanische Soldaten keinen Anlaß zum Argwohn boten. Dan O'Flynn war der schwächste Punkt in dieser Hinsicht, denn er hatte blondes Haar. Aber da der Helm ihm ohnehin ein wenig zu groß war, verdeckte er die Tolle des Bürschchens vollständig. Außerdem hatte Hasard es einfach nicht übers Herz gebracht, das Bürschchen derartig zu enttäuschen. Wußte er doch, wie Dan immer darauf brannte, dabeizusein, wenn es solche Aktionen durchzuführen galt. Und Mut hatte das Kerlchen glatt für drei, seine kämpferischen Qualitäten hielten mit seinem Mut ebenfalls Schritt. Sie näherten sich dem Ende der Pier und marschierten auf die gepflasterte, aber inzwischen verfallene Straße, die offenbar damals beim Bau dieses Piers eigens zum Beund Entladen der Schiffe angelegt worden war. Und dann blickten sie nach links. Von dort funkelten die Lichter Puntarenas zu ihnen herüber, dort sahen sie auch jene plump gebaute Frachtgaleone liegen – kein kleines Schiff, wie Hasard sofort feststellte. Aber ungeheuer dickbauchig, bestimmt schwerfällig in ihren Manövern und ganz sicher voll beladen, das sagte ihm ihr Tiefgang. Hasard wandte abermals den Kopf, und dann erblickte er jenes Gebäude, das sie hier die ›Zitadelle‹ nannten. Hasard spürte ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut, als er den großen Wehrturm mit, seinen Schießscharten sah, die dicken Mauern, die patrouillierenden spanischen Wachen. Dann bemerkte er noch das dicke
Tor, das den Eingang zum Turm sicherte – der ganz bestimmt gleichzeitig als Pulvermagazindiente. »Verdammt, Ben«, sagte er leise. »Wenn das nur gutgeht! Sieht übel aus. Wenn die Kerle dahinten ein bißchen Grips haben, dann rennen wir uns die Schädel an diesen Mauern und an diesem Tor ein!« Auch Ben Brighton zog ein bedenkliches Gesicht. Aber dann gab er sich einen Ruck. » Ach Scheiß, Hasard, wir haben schon ganz andere Dinger gedreht. Es muß klappen, also klappt es auch!« Der Seewolf grinste. Nun, wir werden ja sehen! dachte er. Einer der Spanier am Tor des Wehrturmes blickte ihnen entgegen, aber dann wandte er sich uninteressiert wieder ab. Erst als der kleine Trupp geradewegs auf den Turm zumarschierte, unterbrach er das Geplauder mit seinem Kameraden, der wie er nachlässig am Tor lehnte und wahrscheinlich alle Drakes und Engländer zum Teufel wünschte, weil er nicht zu seinem Mädchen konnte. Oder zu seinem Krug Wein und zu seinen Karten im ›Rodriguez‹, jener kleinen verschwiegenen Kneipe in den engen Gassen des Hafens. Hasard beschloß, den Stier bei den Hörnern zu packen. Er marschierte mit seinen Leuten geradewegs auf die beiden Wachen zu. »Abteilung halt!« schnarrte er, und Dan fiel es schwer, sich ein Grinsen zu verkneifen, so echt klang das. Der Seewolf trat auf eine der bei den Wachen zu. »Order vom Alcalden«, schnarrte er wieder in bestem
Spanisch, »der Gefangene Moone wird zur Erfassung der Ladung auf dem Schiff benötigt. Er ist mir zu übergeben und wird nach Registrierung der Ladung wieder von mir eingeliefert. Aufschließen!« Absichtlich erwähnte er nur Moone und nicht Drake. Der Wachtposten trat einen Schritt zurück. Unter seiner niedrigen Stirn arbeitete es, das konnte der Seewölf deutlich sehen, denn der Kerl hatte den schweren Helm allen Vorschriften zum Hohn einfach an einen Haken neben dem Tor gehängt. Das aber war genau der Punkt, an dem er einzuhaken gedachte. Er starrte den Wachsoldaten an, trat einen Schritt näher an ihn heran. »Wieso haben Sie Ihren Helm nicht auf?« brüllte er plötzlich los. »Kennen Sie die Dienstvorschriften nicht? Name? Garnison? Einheit?« Die Fragen prasselten nur so auf den Verdutzten hernieder. »Senor – ich… bitte…« »Beantworten Sie meine Frage, oder ich lasse Sie festnehmen, Mann!« Ben Brighton und Carberry hatten das Spiel sofort begriffen. Sie traten mit grimmigen Mienen vor und bauten sich drohend neben dem nunmehr total verstörten Soldaten auf. »Mi – Miguel Jose Sanchez, Senor Capitan…«, stotterte der Mann, und der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn. »Bitte? Senor, ich – wir…« Wieder konnte sich Dan ein Grinsen kaum verkneifen.
Jetzt ist er sogar schon Capitan! dachte er. »Schweigen Sie!« brüllte Hasard erneut. »Sie haben nicht nur gegen die Bekleidungsvorschriften verstoßen, Sie haben nicht nur auf diese Weise das Ansehen der Streitkräfte Ihrer Allerkatholischsten Majestät geschädigt, Sie haben auch gegen die Wachvorschriften verstoßen. Sie haben beide faul am Turm gelehnt, wie die letzten Strolche, sie haben auf Wache miteinander gesprochen. Wenn ich Sie beide melde, fliegen Sie in den Bau. Auspeitschen sollte man solche Subjekte wie Sie!« Er trat noch näher an den Soldaten heran, der immer mehr zusammenschrumpfte vor Angst. »Und wo, zum Teufel, ist Ihre Muskete? Da, da an der Mauer lehnt sie! Wissen Sie eigentlich, Soldat, wer dieser Gefangene im Turm ist? Es ist El Draque, der gefährlichste Feind Spaniens!« Die beiden Soldaten starrten den Seewolf aus weit aufgerissenen Augen an, und jetzt schlotterten sie wirklich vor Angst, sie wußten nicht,, wer dieser scharfe Hund da vor ihnen war, aber sie kannten die grausamen Strafen, die der Coronel schon beim kleinsten Vergehen verhängte. »Senor, bitte, melden Sie uns nicht, wir. »Ich werde es mir überlegen. Sie melden sich morgen bei mir – und Sie auch!« ranzte er den anderen Soldaten an, der ihn mit offenem Munde anstarrte. »Aufschließen, Sie beide begleiten uns in den Turm. Sie übergeben mir den Gefangenen Moone. Zwei meiner Männer übernehmen die Wache unterdessen hier. Alles
übrige vorwärts marsch!« Der Seewolf marschierte einfach auf den Turm zu. Ben Brighton und Carberry blieben als Wachen zurück. Der Soldat rannte vor Hasard her. Er beeilte sich aufzuschließen, dann schwang das schwere Tor, das selbst einer massiven Sprengung standgehalten hätte, wie der Seewolf in diesem Moment erkannte, zurück. Hasard hielt sich gar nicht auf. Als sei es das Selbstverständlichste der Welt, stieg er die Stufen ins Innere des Turms hinab. Das war ja weit besser gegangen, als er dachte! Sie gelangten vor eine Gittertür. Hasard sagte nichts, aber sein Blick scheuchte den Soldaten mit dem schweren Schlüsselbund sofort zum Schloß. Mit zitternden Fingern schloß er auf, das erste und auch das zweite Gitter. Und voller Schrecken erkannte der Seewolf, daß es ganz Unmöglich gewesen wäre, Drake und die anderen hier herauszuholen, ohne die Schlüssel zu besitzen. »Warten!« ranzte er die beiden Soldaten an, und gleichzeitig winkte er den andern, auf die beiden aufzupassen. »Die Schlüssel für die Fesseln!« Er streckte die Rechte aus, und gehorsam übergab ihm der Soldat den Schlüssel. Hasard konnte kaum noch ernst bleiben. »Helme ab!« brüllte er die beiden Verdutzten dann plötzlich an, denn auch der Soldat, den der Seewolf ohne seinen Helm angetroffen hatte, hatte ihn sieh noch im Vorbeilaufen vom Haken gerissen und wieder auf den Schädel gestülpt.
»Was – wieso, Senor?« »Weil ihr beiden Narren jetzt eins über die Rübe kriegt!« erwiderte Hasard und grinste plötzlich. Dann langte er auch schon zu, riß dem einen seinen Helm vom Kopf, und Blacky besorgte es dem andern. Dann schlugen die beiden Männer zu. Einmal, zweimal – die Spanier verdrehten die Augen und gingen zu Boden. »So, schnell jetzt! Blacky, Al, schafft diese beiden Witzfiguren nach oben. Haut schon ab. Ich sprenge diesen Turm hier in die Luft, dort hinten liegt das Pulver. Ihr andern befördert Drake, Moone und die beiden Scheißer ebenfalls nach oben. Rennt zur ›Golden Hind‹, gleich, was passiert, klar?« »Klar!« Hasard sauste los, winkte aber Dan noch zu sich heran. »Hier, Dan. Schließ die Gefangenen los. Aber vergiß nicht etwa aus Versehen die beiden Dreckskerle, verstanden? Ihr beide, Jean und Karl«, er sah von Hutten an, »helft Dan dabei!« Die drei flitzten los. Drake, Moone, der Bordgeistliche und John Doughty starrten sie aus großen Augen an. Aber die Männer hielten sich nicht bei der Vorrede auf, innerhalb von Minuten waren Drake und die anderen frei. »Weg, Sir, schnell weg«, sagte Dan zu Drake. »Der ganze Turm fliegt gleich in die Luft, ho, werden die Dons dumm aus der Wäsche gucken!« Die Männer verschwanden, aber schon nach den ersten Stufen blieb Dan stehen, drehte um Und rannte zum See-
wolf zurück. Ohne ein Wort schnappte auch er sich ein Pulverfaß, wuchtete es empor und ließ es dann einfach fallen; Das wiederholte er keuchend so lange, bis es endlich zerplatzte und das Pulver sich auf den Steinböden der Pulverkammer ergoß, Hasard hatte ihm atemlos zugesehen. Auf diese naheliegende Idee war nicht einmal er gekommen. »Du bist ein schlaues Kerlchen, Dan«, sagte er anerkennend. Dann wuchtete er ebenfalls ein Faß empor, aus dem er den Verschlußstopfen entfernt hatte. Rückwärts ging er auf die Treppe zu, eine breite Pulverspur hinter sich herziehend. Dabei blickte er grinsend auf das Verlies, in dem sich die Pulverfässer bis zur Decke stapelten. »Wir werden ganz hübsch rennen müssen, Dan«, stellte er schließlich fest, als er das leere Pulverfaß die Treppe hinabwarf. »Los, raus mit dir, lauf, was du kannst. Oder noch besser, spring ins Wasser, wenn du weit genug auf dem Pier bist. Halt dich im Schutz der Mauer. Los, sieh rasch nach, wie weit die andern sind!« Dan flitzte los. Gleich darauf war er zurück. »Biegen eben um die Ecke, sind in ein paar Minuten auf der ›Golden Hind‹. Aber weiter hinten habe ich einen Trupp Soldaten gesehen, er marschiert hierher so, als ob er zum Turm will, Ein riesiger Kerl stolziert voraus, Hasard.« Hasards Züge spannten sich. Dann ging er in die Hocke, schlug Feuer. Gleich darauf zischte das Pulver auf. Blitzschnell fraß sich die weißblaue Flamme über den Steinbo-
den auf die Pulverkammer zu. »Weg!« Der Seewolf packte Dan und riß ihn die Stufen mit empor, Dann hatten sie das dicke Tor erreicht, stürzten ins Freie. Ohne sich umzusehen rannten sie weiter, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her. Irgendwo hinter ihnen brüllte jemand etwas auf Spanisch, dann entlud sich donnernd eine Muskete, aber das alles registrierten Hasard und Dan nur noch im Unterbewußtsein. Sie hatten den Pier erreicht, rannten noch ein paar Schritte weiter und warfen sich dann blitzschnell ins Wasser. Der Seewolf griff noch im Sprung nach Dan, beide überschlugen sich in der Luft. Aber sie tauchten unmittelbar neben der Mauer der Pier wieder auf – und in diesem Moment, schien die Welt um sie herum zu bersten.
7. Capitan Calixto Ramos Navarro sah den Seewolf und Dan O'Flynn aus dem Turm stürzen. Er war gerade mit seinem Trupp Seesoldaten aus einer der Hafengassen in die Straße eingebogen, die zur Zitadelle führte. Sein Ziel war jedoch nicht die Zitadelle, sondern jener Wehrturm, der Puntarenas als Pulvermagazin diente, seit der Coronel in den Bergen sein Ausbildungslager unterhielt. Der Capitan hatte erfahren, daß Drake und die anderen
in den Pulverturm eingesperrt worden waren – in ein äußerst sicheres Verlies, wie man ihn informierte. Aber dem Capitan schien die Bewachung für einen Gegner wie El Draque völlig unzureichend, und er Hatte beim Coronel durchgesetzt, einen regelrechten Wachtrupp sowohl außen als auch im Innern des Turms zu stationieren. El Draque sollte ihm diesmal auf gar keinen Fall wieder entkommen, das hatte er sich geschworen. Schon aus diesem Grunde hatte er selbst das Kommando über den Wachtrupp übernommen. Zu seinem Stellvertreter war Leutnant Garcia, sein einstiger Erster Offizier, ernannt worden. Der Capitan war bei diesem Mann absolut sicher davor, daß er irgendeine verhängnisvolle Nachlässigkeit begehen würde, die El Draque vielleicht eine Flucht ermöglichen könnte. Denn Garcia haßte die Engländer fast mehr als er selbst. Trotzdem war der Capitan zu spät gekommen. Er hatte nicht mehr gesehen, wie die Männer des Seewolfs Drake und die anderen drei Gefangenen in Sicherheit brachten. Aber den Seewolf selbst, und Dan O'Flynn, die sah er. Er witterte sofort Unrat. »Stehenbleiben!« brüllte er. »Stehenbleiben, oder ich schieße!« Er erkannte den Seewolf so wenig wie Dan. Aber er spürte, daß da vor ihm eine Ungeheuerlichkeit geschehen sein mußte. Mit einem Ruck entriß er einem der Soldaten die Muskete, legte an und drückte ab. Als er nicht traf, schleu-
derte er sie mit einem wüsten Fluch zur Seite, zog seine Pistole, die er sich aus dem Waffenlager genauso hatte geben lassen wie eine neue Uniform, rannte hinter den beiden Fliehenden her. Leutnant Garcia folgte ihm. Mitten im Lauf packte die beiden Männer eine Titanenfaust, wirbelte sie hoch, warf sie ins Hafenbecken. Eine gigantische Stichflamme schoß in den nachtdunklen Himmel empor, an dem sich gerade im Osten ein erster, heller Streifen zeigte, der den herannahenden Morgen ankündigte. Der Boden wankte, dann platzte der Turm auseinander. Nur Sekunden später sackte die Zitadelle, die sich in seiner unmittelbaren Nähe befand, ebenfalls zusammen. Schreiend rannten Soldaten ins Freie, die herabregnenden Trümmer erschlugen die meisten. Die Straße riß auf, in Puntarenas zersplitterten die Fenster, die Häuser schwankten wie bei einem Erdbeben. Das Hafenbecken kochte, als die schweren Mauerbrocken des Turms ins Wasser schlugen. Auch die ›Cadiz‹ wurde mehrfach von ihnen getroffen, ein Mann auf der Back völlig zermalmt. Dann herrschte plötzlich Stille, aber über der Bucht breitete sich eine pechschwarze, alles bedeckende Qualmwolke aus. Auch die Männer auf der ›Golden Hind‹ wagten immer noch nicht, sich zu rühren. Sie preßten sich an die Planken der Decks, kauerten atemlos hinter den Schanzkleidern und den schweren Geschützen.
Der Seewolf und Dan O'Flynn hin gen halb tot im Wasser des Hafenbeckens. Die Mauer der Pier hatte Sie davor geschützt, von den Trümmern erschlagen zu werden. Aber sie hatten die Einschläge um sich herum gespürt, waren durchgebeutelt worden, daß ihnen Sehen und Hören verging. Erst Minuten nach der Explosion, nach dem Donner, der wie ein Orkan über die Bucht und Puntarenas hinweggebraust war, wagten sie sich zu rühren. »Zum Schiff, Dan!« krächzte der Seewolf, und er half Dan auf die Pier, bevor er sich auf den gepflasterten Fahrweg zog, der jetzt von Trümmern übersät war. Und zum erstenmal sah er, daß Dan O'Flynn an allen Gliedern flog. Er packte ihn und zog ihn mit sich fort. Er erreichte die ›Golden Hind‹, als Ben Brighton gerade mit ein paar anderen Männern die Leinen loswarf. Genau wie Hasard steckte er noch immer in der spanischen Uniform. Die Männer sausten in die Wanten, setzten Segel – und sie hatten Glück, der nahende Morgen hätte ihnen Wind gebracht. Aber sie waren noch nicht weg, sie hatten das offene Meer noch nicht erreicht, sie ahnten nicht einmal, daß es noch schlimmer werden sollte, daß der explodierende Turm nur der Anfang dessen gewesen war, was diese Nacht noch für sie bereithielt. *
Auch Capitan Navarro und Leut nant Garcia hatten überlebt. Halb bewußtlos waren sie ans nahe Uer geschwommen, begriffen erst nach und nach, was eigentlich geschehen war. Erst als der Capitan sich keuchend an Land zog, erst als er das gewaltige Loch in der Erde an der Stelle sah, an der sich einst der Pulverturm befunden hatte, und die Trümmer, die noch die Stelle markierten, an der einmal die Zitadelle stand, begriff er schlagartig. Er sah nur im Unterbewußtsein die toten, von den Trümmern erschlagenen Soldaten auf der Straße liegen, aber er erblickte den Schatten, der sich in diesem Moment von der Pier löste, an dessen Masten sich die Segel blähten, der sich ins offene Wasser hinausschieben wollte. »El Draque«, stieß er halb wahnsinnig vor Wut hervor, dieser englische Hund ist uns wieder entkommen, er…« Sein Blick irrte umher. Er erfaßte die ›Cadiz‹, die an der Pier lag, auf der die Besatzung voller Panik herumrannte. Das war die Lösung – und wenn die ganze Welt untergehen sollte, aber El Draque würde nicht entkommen, niemals! »Leutnant, folgen Sie mir!« schrie er und fegte los. Er warf den Helm fort, der ihn behinderte. Noch im Laufen blickte er sich um, und aus den Augenwinkeln beobachtete er, Wie die ›Golden Hind‹ langsam in die Bucht hinausglitt. Ruckartig blieb er noch einmal stehen. Wie soll ich sie einholen? fragte er sich, und wieder kochte die Wut in ihm hoch. Dazu war die dickbäuchige Galeone nicht imstande, niemals…
Der Capitan stutzte plötzlich, wie im Fieber reckte er den Kopf weit vor, starrte die ›Golden Hind‹ an, und seine Augen quollen ihm fast vor Anspannung aus dem Kopf. Kannten diese verfluchten Engländer denn die Untiefe nicht, auf die sie direkt zuliefen? Wußten sie nicht, daß sie nicht mehr weiter nach Backbord hinüber durften? Natürlich nicht, woher sollten sie das wissen, und sie würden sich garantiert jetzt nicht die Zeit nehmen, die Fahrwassertiefe auszuloten! Wilder Triumph zuckte über sein Gesicht, als er den Ruck sah, mit dem die ›Golden Hind‹ auf Grund lief. Er hörte aufgeregtes Gebrüll, sah Männer hin und her hasten, und dann stieß er ein schrilles, irres Gelächteraus. Sie saßen in der Falle, jetzt hatte er sie endgültig! Capitan Navarro jagte weiter. Zu sammen mit seinem Ersten Offizier, der schon ahnte, was Navarro vorhatte, erreichte er wehig später die ›Cadiz‹. Er turnte an Deck, stampfte auf den Capitän zu, der mit seinen Männern gerade dabei war, die Schäden, die die Trümmer auf dem Schiff angerichtet hatten, zu beseitigen. Andere, grün im Gesicht, bargen das, was von ihren total zermalmten Kameraden auf dem Vorschiff noch übrig war. »Lassen Sie Segel setzten, Capitän!« brüllte Navarro den völlig Entnervten an. »Senor Capitan, ich…« Navarro trat drohend auf den Capitän des Frachtenseglers zu. »Segel setzen! Das ist ein Befehl. Die Kriegsartikel
ermächtigen mich, in dieser Ausnahmesituation Ihr Schiff zu beschlagnahmen, Sie und Ihre Mannschaft meinem Befehl zu unterstellen! Leutnant, besorgen Sie sich ein paar Soldaten, die meinen Befehlen den notwendigen Nachdruck verleihen, wenn nötig auch mit Waffengewalt!« Der Leutnant salutierte, dann zischte er ab. Er hatte Glück. Er faßte einen aufgestörten Haufen von zwanzig Seesoldaten, die aus dem Ort zur Zitadelle rannten. Mit ihnen – schwerbewaffneten Männern – kehrte er, an Bord der ›Cadiz‹ zurück. »Segel setzen, Capitän, Leinen los!« wiederholte Navarro mit leiser Stimme. Der Kapitän begriff, daß er gegen diesen Mann nichts auszurichten vermochte, zumal sich schon jetzt drohend die Läufe der Musketen auf ihn richteten. Laute Kommandos erschallten an Bord, die Seeleute des Frachtenseglers enterten auf, ein Segel nach dem andern blähte sich im Wind, schwerfällig schwang die dickbäuchige,, bis zum Rand mit Pulver und Waffen beladene Galeone herum. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich von der Pier freisegelte, aber dann nahm sie Kurs auf die immer noch festsitzende ›Golden Hind‹, die ihr zu allem Übel auch noch das Heck zukehrte, sich mit ihren Geschützen also nicht einmal ihrer Haut wehren konnte. Capitan Navarro stieß ein böses, kurzes Lachen aus. Er dachte gar nicht daran, das Schiff dieser englischen Teufel zu entern, nein, er würde El Draque diesmal nicht die
geringste Chance lassen. Er kannte da eine viel bessere, wirksamere und todsichere Methode! Der Seewolf und die Männer auf der ›Golden Hind‹ beobachteten, wie die ›Cadiz‹ ablegte. »Verflucht, Ben, was kann dieser verrückte Kerl von uns wollen? Will er türmen, oder hat er es auf uns abgesehen?« »Ich fürchte, er will es wissen. Und wenn mich nicht alles täuscht, Hasard, denn befindet sich der Kommandant der ›Sevilla‹ an Bord dieses Schiffes. Himmel und Hölle, wir können uns nicht einmal wehren, wir sitzen hoffnungslos fest!« Den Brighton fluchte wie ein Kümmeltürke. Er nahm dabei nicht die geringste Rücksicht auf Drake, der unmittelbar neben ihm und Hasard auf dem Achterkastell der ›Golden Hind‹ stand. Ben Brighton fluchte wie ein Er hatte Navarro kennengelernt, er hatte den tödlichen Haß in den Augen dieses Mannes gesehen, der nicht nur seine Niederlage nicht verwinden konnte, sondern der ihn ganz persönlich haßte, weil sein Bruder, der Kommandant der spanischen Kriegsgaleone ›Cortez‹, am Blackwater eine schmähliche Niederlage erlitten hatte und zum Schluß sogar noch im Kampf gefallen war. Was hat dieser Mann jetzt vor? fragte sich Drake verzweifelt und blickte dabei den Seewolf an, denn der hatte noch immer einen Ausweg gefunden. Doch diesmal war sogar der Seewolf ratlos.
* Schon kurze Zeit, nachdem Hasard und seine Männer in der Segelpinasse die versteckte Bucht verlassen hatten, in der die ›Isabella‹ lag, hatte Smoky eine ihm selbst unerklärliche Unruhe ergriffen. Es machte ihm nichts aus, die Verantwortung für das Schiff zu tragen – das war noch das allerwenigste. Aber Smoky besaß einen untrüglichen Instinkt für Gefahr, das hatte sich schon oft erwiesen. Hier aber lauerte irgendwo eine tödliche Gefahr auf den Seewolf und seine Männer. Mit jeder Minute, die verstrich, spürte Smoky das mehr. Gary Andrews, von allem Anfang an bei der Besatzung des Seewolfs, hatte ihn seit geraumer Zeit beobachtet. Smoky und Andrews verstanden sich sehr gut, die beiden Männer kannten einander genau. Andrews arbeitete mit nacktem Oberkörper an einer der Nagelbänke auf dem Hauptdeck. Er klarierte einige der Fallen. Es war eine Nacht, in der ihm seine Narbe, die quer über seine Brust verlief, wieder arg zu schaffen machte. Er wußte, daß das stets ein sicheres Anzeichen für einen bevorstehenden Wetterumschwung bedeutete. Abermals warf er Smoky, der voller Unruhe auf dem Achterkastell herumtigerte, einen Blick zu. Dann legte er entschlossen das Tau, das er gerade klariert hatte, aus der Hand und belegte es mit einem der Docceynägel. Anschließend ging er zum Achterkastell hinüber. Er war ein großer, dürrer Mann, knochig und kantig am ganzen Körper. Aber Andrews besaß ungeheure Kräfte und eine
Zähigkeit, die kaum zu überbieten war. Jedermann auf der ›Isabella‹ respektierte ihn, jeder von ihnen hatte bereits erlebt, wie hart und kompromißlos Andrews zu kämpfen verstand, wenn es darauf ankam. Und jeder schätzte ihn wegen seines ruhigen, besonnenen Wesens. »He, Smoky, was ist los mit dir?« fragte er und blieb vor seinem Gefährten stehen. Smoky kaute nervös auf seiner Unterlippe herum. »Weiß auch nicht, Gary. Aber irgend etwas an der ganzen Geschichte ist faul. Ich spüre es, ich hab es einfach im Urin: Es gibt Ärger, Schwierigkeiten. Und, verdammt, ich kann hier nicht einfach rumliegen und warten bis etwas passiert!« Gary Andrews wiegte den Kopf. »Hasard ist jetzt fast eine Stunde weg. Er muß die ›Golden Hind‹ längst erreicht haben. Wenn es Schwierigkeiten gibt, dann innerhalb der nächsten Stunde, beim Versuch, Drake herauszuhauen.« Wieder überlegte er. »Wenn wir jetzt lossegeln würden, dann wären wir innerhalb der nächsten halben Stunde bei der ›Golden Hind‹. Bis dahin haben die Dons sowieso gemerkt, daß es außer der ›Golden Hind‹ noch ein anderes Schiff in der Bucht geben muß, es ist also völlig gleichgültig, ob sie uns nun vor Puntarenas sehen oder nicht. Nur – wir können dem Seewolf zu Hilfe eilen, wenn das erforderlich wird.« Gary Andrews hatte laut gedacht. »Smoky, wir sollten lossegeln«, sagte er dann, und seine Stimme klang fest und sicher.
Das war für Smoky, der längst ähnliche Überlegungen angestellt hatte und zu den gleichen Schlüssen gelangt war, der letzte Anstoß. »Gary, scheuch die anderen hoch, wir setzen Segel, Die ›Isabella‹ läßt sich auch von uns paar Figuren segeln. Nachher übernehme ich das Ruder, du lädst mit den anderen alle Geschütze, auch die Drehbassen, auf. Ich möchte, daß wir sofort feuerbereit sind!« Gary Andrews nickte nur kurz, dann sauste er zum Hauptdeck hinab. Es dauerte zwar mit dieser Notbesatzung von insgesamt fünf Mann etwas länger, aber dann standen die Segel, und die ›Isabella‹ verließ ihren Liegeplatz. * Hasard stand immer noch wie gelähmt neben Drake. Vergeblich zermarterte er sich sein Hirn, wie er die drohende Katastrophe von der ›Golden Hind‹ noch in allerletzter Minute abwenden konnte. Aber es war einfach zu spät. Die Pinasse half ihnen nicht mehr, sie hatten auch keine Zeit, wenigstens einen erfolgversprechenden Versuch zu unternehmen, das Schiff wieder freizusegeln. Sie saßen so unglücklich fest, daß ihnen außer den Drehbassen auf dem Achterkastell nichts blieb, womit sie die langsam und schwerfällig auf sie zusegelnde Frachtgaleone hätten unter Feuer nehmen können. »Der Kerl will uns rammen, Ben. Dann werden die Bur-
schen entern – los, alle Mann bis an die Zähne bewaffnen! Wir werden es den Dons zeigen!« Der Seewolf hatte sich entschlossen, mit blitzenden Augen stand er auf dem Achterdeck, und Drake redete ihm nicht dazwischen. Wenn einer das Wunder fertigbrachte, sie auch aus dieser Klemme wieder herauszuhauen, dann dieser schwarze Satan. Er war der einzige Mann an Bord der ›Golden Hind‹, dem es gelingen konnte, auch seine Besatzung mitzureißen, in ihnen das letzte an, Mut und Kampfesgeist zu mobilisieren. Ein lauter Schrei, der die ›Golden Hind‹ erzittern ließ, brandete plötzlich über Deck. Waffen blitzten und klirrten. »Ar-we-nack!« schrien die Männer der ›Isabella‹, und die Besatzung der ›Golden Hind‹ fiel ein in diesen Kampfruf, der schon so oft den Untergang des Gegners besiegelt hatte. Auch Capitan Navarro hörte den Schrei, ebenso Leutnant Garcia. Das Gesicht des letzteren verzerrte sich. »Schreit nur, ihr Hunde!« rief er aufgebracht, denn er hatte dieses dreimal verfluchte ›Arwenack‹ schon am Blackwater gehört. »Es wird euch nichts nützen, gar nichts! Diesmal ist es aus mit euch!« Doch dann stutzte er plötzlich. Ein schnellsegelndes Schiff, das auch den letzten Windhauch der Brise, die der junge Morgen mitgebracht hatte, auszunutzen verstand, glitt in die Bucht. »Capitan! Da! Da ist der andere! Es waren zwei, ich habe gesehen,. Wie diese beiden Schiffe die ›Don Fernando‹
angegriffen haben. Das da – das ist das Schiff dieses schwarzen Satans, den sie den Seewolf nennen!« Seine Hände krampften sich um die Reling. In diesem Moment erscholl an Bord der ›Golden Hind‹ ein neues, infernalisches Geschrei, das sowohl dem Capitan als auch seinem Ersten Offizier durch Mark und Bein ging. Navarro stand wie angewurzelt auf dem Achterkastell der ›Cadiz‹. Seine Kiefer mahlten, die Haut über seinen Wangenknochen spannte sich. »Wir halten Kurs, Leutnant!« stieß er dann hervor. »Sie kennen meine Befehle. Veranlassen Sie sofort alles Nötige, aber so, daß es die Crew der ›Cadiz‹ nicht vorzeitig merkt.« Die Augen des Leutnants flackerten. Er wußte, was dieser Befehl bedeutete, aber wieder ballte er die Hände. »Aye, Sir!« sagte er nur und salutierte. Nein, El Draque würde nicht entkommen, auch nicht, wenn das seinen eigenen Tod bedeutete. Doch dann, noch bevor er zum Hauptdeck hinabeilte, blieb er nochmals ruckartig stehen. Von der ›Golden Hind‹ sprangen eine Anzahl von Männern ins Wässer der Bucht. Sie schwammen wie die Wilden dem rasch herangleitenden Segler entgegen, zwischen den Zähnen ihre Entermesser. Leutnant Garcia stieß einen Fluch aus. Dann sprang er die wenigen Stufen zum Hauptdeck hinab. Er winkte einer Gruppe von Leuten, die er bereits vorner für die bevorstehende Aufgabe eingeteilt hatte. Mit diesen Männern verschwand er unter Deck der Galeone.
* Die ›Isabella‹ war schneller, als Capitan Navarro geschätzt hatte. Noch immer trennten ihn ein paar hundert Yards vom Schiff des verhaßten Feindes, da verlegte ihm die ›Isabella‹ bereits den Weg, während die ersten Schwimmer das Schiff erreichten und an Bord enterten. Navarros Pulse flogen – einmal er faßte ihn ein leichter Schwindel, dann schwang die ›Isabella‹ bereits herum, wandte ihm ihre Backbordbreitseite zu. Navarro sah noch die Mündungsblitze der vier Neunpünder, sah den Pulverqualm aufwölken, dann schlug die Breitseite in die ›Cadiz‹ ein. Stangenkugeln zerfetzten die Takelage; der Großmast zersplitterte ein paar Yards hoch über dem Deck – aber er blieb stehen. Die ›Isabella‹ schwang abermals herum, nahm sofort Fahrt auf und glitt der ›Cadiz‹ entgegen. Wieder blitzte es an Deck der ›Isabella‹ auf. Die sechs Drehbassen überschütteten die Decks des Frachtseglers mit Eisen und gehacktem Blei. Männer schrien, wälzten sich in ihrem Blut. Navarro wurde ebenfalls getroffen. Der Splitter zerschlug ihm die linke Schulter, warf ihn an Deck. Der Capitan schrie, doch er zog sich mit übermenschlicher Kraft an der Steuerbordreling wieder hoch, starrte die ›Isabella‹ aus blutunterlaufenen Augen an, vor denen schon die ersten blutigen Schleier wogten. Die Steuerbordgeschütze der ›Isabella‹ entluden sich donnernd. Diesmal hatte Ferris Tucker, der neben dem
Seewolf an den Geschützen stand, Eisenkugeln laden lassen. Eine von ihnen durchschlug die Bordwand der ›Cadiz‹ genau in Höhe des Laderaums und zerschmetterte eines der großen Pulverfässer. Die rotglühende Kugel entzündete das Pulver augenblicklich. Leutnant Garcia, der mit seinen Männern gerade die Sprengung der ›Cadiz‹ vorbereitete, hob in einer Art Abwehrreaktion die Arme vors Gesicht, geblendet durch den gewaltigen Feuerblitz, mit dem das Pulver sich entflammte. Es war das Letzte, was er in seinem Leben sah. Er spürte auch nicht mehr den donnernden, berstenden' Schlag, mit dem die ›Cadiz‹ Sekunden später zerplatzte – ein feuriger Ball, der plötzlich über dem Wasser der Bucht stand, aus dem nach allen Seiten feurige Trümmer raketengleich in den Morgenhimmel stoben. Die Männer auf der ›Isabella‹ und auf der ›Golden Hind‹ riß die gewaltige Druckwelle von den Beinen. Von Urgewalten gepackt, krachten sie gegen Masten, Geschütze, gegen die Boote, stürzten Niedergänge hinunter, brachen sich Arme und Beine in etlichen Fällen. Jean Ribault, der Franzose, der sich ebenfalls auf dem Geschützdeck der ›Isabella‹ befand, rappelte sich als erster nach diesem höllischen Inferno wieder auf. Blut lief ihm über das Gesicht, über ihm brannte das Marssegel des Großmastes, das trapezförmige Großsegel hing in Fetzen. »Mon Dieu!« stöhnte, er in seiner Muttersprache. Dann schlug er ein Kreuz, denn dort, wo sich eben noch die
›Cadiz‹ befunden hatte, war nichts mehr, buchstäblich nichts. Nach und nach rappelten sich auch die anderen wieder auf. Ein paar blieben auch liegen, krümmten sich vor Schmerzen. Der Seewolf jagte heran. Zusammen mit Ribault und einigen anderen organisierte er die erste Hilfe, jagte ein Löschkommando von noch wie benommen umhertaumelnden Männern in die Wanten. Dann fiel sein Blick auf die ›Golden Hind‹, und er stieß eine ellenlange Verwünschung aus. Groß- und Fockmast existierten bis auf unbrauchbare Stümpfe nicht mehr. Auf dem Schiff selbst flackerten an mehreren Stellen Brände. Einmal glaubte er Drake auf dem Achterkastell zu sehen und Thomas Moone. Ben Brighton tauchte ebenfalls auf dem Achterkastell auf, hinter ihm Dan O'Flynn, der den wild schreienden und zu Tode erschrockenen, völlig verängstigten Schimpansen Arwenack nur noch mit allergrößter Anstrengung zu bändigen vermochte. Ben war recht blaß um die Nase, als auch er sich das Blut vom Gesicht wischte, das aus einer klaffenden Wunde auf seiner rechten Wange, lief. »O Mann!« stöhnte er. »Diese Schweine wollten uns mit der ›Golden Hind‹ eiskalt in die Luft jagen, Hasard! Wir hätten diesmal keine Chance gehabt, wenn Smoky und seine Männer nicht rechtzeitig dagewesen wären. O verdammt, das werde ich Smoky und den anderen nie vergessen!«
Der Seewolf nickte, dann suchten seine Augen Smoky und Gary Andrews. Aber die waren längst mit den Männern des Löschtrupps in den Großmast geentert.
8. Diese zweite Explosion hatte weitreichende Folgen. Fluchtartig verließen die völlig entnervten Einwohner Puntarenas ihre Häuser. Nur mit der allernotwendigsten Habe flohen sie in die Berge. Viele der Soldaten des Coronels schlossen sich ihnen an – Puntarenas begann, sich aufzulösen. Für Hasard und Drake war das ein Glück. Sie brauchten eine ganze Weile, ehe besonders die ›Golden Hind‹ wieder soweit hergestellt war, daß sie schließlich eines Abends bei hereinbrechender Dunkelheit die Bucht verließ. Drake stand auf dem Achterkastell seines Schiffes und blickte zur ›Isabella‹ hinüber, die immer noch um ihren Anker schwoite und offenbar keinerlei Anstalten traf, ihm zu folgen. Zwischen ihm und dem Seewolf hatte es noch eine heftige Auseinandersetzung gegeben, als Ferris Tucker und ein Kommando aus der ›Isabella‹-Crew erst den neuen Fock- und dann den Großmast einsetzten. Der Seewolf hatte anfangs versucht, eine Aussöhnung mit Drake zu erreichen. Aber als die Rede auf den Vorfall an Bord der ›Golden Hind‹ kam und Drake ebenfalls in scharfer Form Kritik an seinem und dem Verhalten seiner
Männer übte, war der Seewolf explodiert. Die Versöhnung, die beide Männer eigentlich gewollt hatten, fand nicht mehr statt. Im Gegenteil, Hasards Männer beendeten ihre Arbeiten an Bord der ›Golden Hind‹ so schnell wie möglich und waren dann plötzlich, verschwunden. Für einen kurzen Moment sah Drake noch die scharfe, schlanke Silhouette der ›Isabella‹ in der Bucht. Die ›Isabella‹ lief zwölf Stunden später aus. Der Himmel war bedeckt. Es würde Schlechtwetter geben – der stetig aufbrisende Wind zerrte an Hasards schwarzen Haaren. Die ›Isabella‹ hob und senkte sich unter seinen Füßen auf den Rücken langer, graugrüner Wogen, die bereits ihren weißen Gischt über die Decks des Schiff es fliegen ließen. Der Seewolf ahnte nicht, daß bereits rund einhundertfünfzig Meilen nordwestlich, im Golf von Gulebra, das nächste Abenteuer für ihn und seine Crew beginnen würde. Ein Abenteuer, das einer seiner Männer nicht überleben sollte…
ENDE
In 14 Tagen erscheint SEEWÖLFE Band 43
Hafenhyänen von John Curtis Die Männer des Seewolfs meutern. Sie wollen endlich an Land. Geld haben sie wie Heu. Jetzt haben sie Lust, auch mal was zu erleben. Aber in der kleinen Hafenstadt warten die Hafenhyänen auf solche ausgehungerten Typen, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, um sie zu betrügen – und wenn die Beute groß genug ist, auch mal einen umzulegen. Vielleicht hat Gordon Watts einmal zu oft geprahlt, denn er verschwindet spurlos. Und Hasard, der Seewolf, muß feststellen, daß er seine Leute doch nicht so gut kennt, wie er geglaubt hat. Voll Zorn stellt er fest, daß jemand im Laderaum der ›Isabella III.‹ die Perlentruhe aufgebrochen und ausgeräubert hat…