Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 733 Der Erleuchtete
Im Auftrag des Erleuchteten von Hubert Haensel Auf der Such...
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 733 Der Erleuchtete
Im Auftrag des Erleuchteten von Hubert Haensel Auf der Suche nach Mutanten Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide eine plötzliche Ortsversetzung erlebt. Atlans neue Umgebung ist die Galaxis Manam-Turu. Das Fahrzeug, das den Arkoniden die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und der neue Begleiter des Arkoniden ist Chipol, der junge Daila. In den sieben Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen können. So sind zum Beispiel die Weichen für eine Zusammenarbeit der verbannte Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gestellt worden – was sich auf den Freiheitskampf der Daila gegen das Neue Konzil positiv auswirken dürfte. Doch Atlan ist längst nicht zufrieden mit dem bisher Erreichten. Das gilt auch für Mrothyr, und so nehmen die beiden mit der »Mission Zyrph« einen neuen Anlauf. Zur gleichen Zeit ist auch Dharys, Chipois Vater, aktiv. Er ist auf der Suche nach Mutanten, und er handelt IM AUFTRAG DES ERLEUCHTETEN …
Die Hauptpersonen des Romans: Dharys - Er handelt im Auftrag des Erleuchteten. Diener - Ein »dummer« Roboter. Thorm und Manjo - Daila der Familie Dalmud. Rubim - Der Besitzer eines »Glückssteins«.
1. Der Wind hatte gedreht und blies nun von Norden her, wo die tief stehende Sonne hinter sich drohend auftürmenden Wolkenbänken verschwand. Nur vereinzelt huschten noch gleißende Strahlenfinger über die bewegte See. Gischt tanzte auf den Wellenkämmen; der aufkommende Sturm wirbelte sie wie Nebelschwaden vor sich her. In Sekundenschnelle brach dann das Unwetter über die beiden Daila herein. Ihr kleines Boot wurde zum Spielball der Wellen, die es zu verschlingen suchte, sie hatten nicht einmal mehr Zeit gefunden, die dreiecksförmigen Segel zu raffen. Das Geräusch des zerfetzten Tuchs verhallte im Tosen der Elemente. Weit holte das Boot nach Lee über, drohte für einen bangen Moment zu kentern, denn der Mast hing nahezu waagrecht in der Luft, in der nächsten Sekunde schnellte es mit atemberaubender Geschwindigkeit empor, taumelte inmitten schäumender Gischt dahin, nur um erneut in die Tiefe gerissen zu werden … Um Stunden zu früh brach die Nacht herein. Aber keine Sterne erhellten das Firmament, sondern der gleißende, blendende Widerschein verästelter Blitze. Der Donner übertönte selbst das Toben des Sturmes. Voll Inbrunst verfluchten die Daila das Schicksal, das ihnen dicht vor dem Ziel jede Aussicht auf Erfolg nahm. Und der Sturm schien nicht auf ein relativ kleines Gebiet begrenzt zu sein – also würden auch die anderen Gruppen keine Chance mehr haben. Zum erstenmal seit fünfzig Jahren …
Was das für die Verhältnisse auf Carli bedeutete, lag auf der Hand. »Und wenn sich alle Götter und Dämonen dieser Welt gegen uns stellen«, schrie Thorm aus Leibeskräften, »wir müssen es schaffen.« Die salzige Flut schlug über ihm zusammen, drang ihm in Mund und Nase ein und ließ ihn krampfhaft würgen. Vorübergehend hatte er das beklemmende Gefühl, ersticken zu müssen, dann gab die Welle das Boot wieder frei. Ohne die luftgefüllten Kammern zwischen den Rumpfschalen wäre es längst gesunken, so aber kehrte es wie ein Gummiball stets an die Oberfläche zurück. Thorm und Manjo, beide Angehörige der Familie Dalmud, hatten sich an den Sitzbänken festgebunden. Wie die Besessenen schöpften sie, um ihr Schiff möglichst weit über Wasser zu halten. Irgendwann gaben sie jedoch ihren verzweifelten Kampf auf, weil die körperliche Erschöpfung mit einer stärker werdenden Hoffnungslosigkeit einherging. Wie weit hatte der Sturm sie inzwischen vom Kurs abgetrieben? Sie besaßen keine Orientierung mehr. Die nächsten fünf Umläufe des Planeten Carli um seine Sonne würden die Carlissen herrschen, die Eingeborenen, die sich bislang allen Verlockungen der Zivilisation hartnäckig widersetzt hatten. Thorm wußte genug über die schuppenhäutigen Kiemenatmer, um zu ahnen, was den mittlerweile fast 5000 Daila bevorstand, die auf Carli lebten, und für die diese Welt eine zweite, wenn auch ungeliebte Heimat geworden war. Der splitternde Mast verfing sich so unglücklich im Tauwerk, daß ein Kentern des als unsinkbar gepriesenen Bootes nicht mehr ausgeschlossen erschien. Manjo schrie gellend auf. Thorm sah das verzerrte Gesicht, die Angst in den weitaufgerissenen Augen, und packte zu, seine telekinetischen Kräfte tasteten nach dem Mast, lösten ihn aus den Tauen. Thorms Atem ging heftiger; er wuchs über sich selbst hinaus. Gemessen an anderen war er zwar nur ein mittelmäßiger Telekinet,
allerdings gab es auf Carli nicht viele mit dieser Fähigkeit. Deshalb war er ausgewählt worden, den Wettstreit mit den Carlissen aufzunehmen. Telekineten besaßen von allen die größten Chancen. … aber nur dann, wenn das Wetter mitspielt, dachte er bitter. Manjo und er hatten versagt. Vielleicht war es besser, sich vollends dem Schicksal zu überlassen, als weiterhin einen sinnlos gewordenen Kampf auszufechten, der nichts anderes mehr sein konnte als ein ohnmächtiges Aufbäumen. Der kurze Augenblick der Unaufmerksamkeit genügte, den Mast seiner Kontrolle entgleiten zu lassen. Das Geräusch der zerbrechenden Ruderbank traf in einen Moment der Stille, in dem die aufgepeitschte Natur neuen Atem holte. Tatsächlich schlugen gleich darauf riesige Brecher über dem Boot zusammen. Mehr und mehr empfand Thorm das alles wie einen bösen Traum, an den man sich später nur mehr vage erinnert. Er vermochte nicht einmal zu sagen, wie er es schließlich doch geschafft hatte, den Mast über Bord zu stoßen – sein bewußtes Denken setzte erst wieder ein, als die See tiefschwarz und glatt wie ein Spiegel vor ihm lag. Unnatürlich groß hingen die drei Monde von Carli im Zenit, von einem Meer funkelnder Sterne umgeben. Diese Konstellation, in der die Trabanten miteinander zu verschmelzen schienen, wiederholte sich nur alle fünf Jahre. Für die auf Carli gestrandeten Daila war es ein offenes Geheimnis, daß das Auftauchen der verborgenen Insel unmittelbar damit zusammenhing, ohne die erforderlichen technischen Gerätschaften mußten sie den Beweis jedoch schuldig bleiben. Das Raumschiff, mit dem die Ausgestoßenen vor nunmehr über 50 Jahren nach Carli gekommen waren, lag unerreichbar auf dem Grund des Ozeans, und die Carlissen weigerten sich heute wie damals hartnäckig, zu seiner Bergung beizutragen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund scheuten die Eingeborenen jede Art von Technik, dabei bewiesen verschiedene Ruinenstädte an den Küsten, daß es einmal eine andere Zeit gegeben hatte. Das Boot dümpelte sanft vor sich hin. Es hatte seine
Bewährungsprobe bestanden und war doch nicht viel mehr als ein Wrack. Von den Rudern stak nur noch eines in der Halterung, zerschlissene Segelfetzen hingen schlaff von den Tauen herab, und der Maststumpf ragte wie ein Fremdkörper auf. »Wir haben unseren Proviant verloren«, klagte Manjo bitter. Er mußte es zweimal wiederholen, ehe Thorm reagierte. »Was spielt das für eine Rolle?« erwiderte der Telekinet. Manjo wollte abwinken, verhielt aber mitten in der Bewegung. Den Kopf schräg haltend, lauschte er in die Nacht hinaus. »Hörst du?« Irgendwo vor ihnen plätscherte das Wasser, während die Monde sich auf ihren exzentrischen Umlaufbahnen weiter einander näherten. Der Zeitpunkt war abzusehen, da sie miteinander eins wurden. Ein Schwarm silberner Schemen durchbrach die Dunkelheit – vor Nässe glitzernde Leiber, die, aus der Tiefe des Meeres kommend, einem gemeinsamen Ziel zustrebten. Es mochten Tausende von Fischen sein, von denen die größten mehr als drei Meter maßen. Vor dem Boot teilte sich der Schwarm, behielt jedoch unbeirrbar seine Richtung bei. Thorm handelte, ohne zu überlegen. Seine Psi-Sinne griffen nach den Tieren, zugleich setzte sich das Boot ruckartig in Bewegung. Wenig später glitt es mit gleichmäßiger Geschwindigkeit dahin – kaum weniger schnell als unter vollen Segeln. »Sie folgen den Monden«, stellte Manjo unvermittelt fest. Thorm nickte zögernd. Jetzt, da sein Vetter es sagte, wurde er ebenfalls darauf aufmerksam. Ein seltsam schriller Ton hallte über das Meer – von allen Seiten erscholl ein vielstimmiges Echo. Eine Melodie, die eigenartig berührte. »Die Fische singen«, behauptete Manjo. Er mußte es wissen, seine empathischen Fähigkeiten hatten sich oft gerade bei Tieren als untrüglich erwiesen.
Zwei der Monde glitten scheinbar ineinander. Es sah so aus, als verschlinge der größere von beiden den anderen. Der Gesang der Tiere veränderte sich, wurde schriller, hektischer. Thorm fühlte, daß die seltsame Melodie ihn zunehmend in ihren Bann zog. Zum erstenmal in seinem Leben glaubte er zu spüren, was es bedeutete, frei und ungebunden zu sein. Sicher, die Daila waren frei, niemand machte ihnen Vorschriften, aber diese Freiheit beschränkte sich auf das Leben auf Carli, auf wenige Landstriche, die überhaupt Ackerbau und Viehzucht ermöglichten. Und ungebunden? Die Sehnsucht nach dem Ursprung ihres Volkes, nach Aklard, ließ sich selbst nach zwei Generationen nicht leugnen. Keiner der Verbannten und ihrer Nachkommen, der nicht gehofft hätte, eines Tages den zweiten Planeten der Sonne Suuma zu sehen. Die schrillen, abgehackten, aber dennoch melodischen Klänge wurden leiser. Thorm schreckte aus seinen Betrachtungen hoch. Immer mehr Fische tauchten. Ihm blieb keine andere Wahl, als die Tiere von der telekinetischen Fessel freizugeben. Fragend blickte er Manjo an, der mit den Schultern zuckte. »Möglich, daß sie am Ziel ihrer Reise angelangt sind. Ich kann so gut wie keine Regungen mehr wahrnehmen.« Die Monde standen fast im Zenit. »Irgendwo da draußen«, Thorm vollführte eine umfassende Handbewegung, »erhebt sich jetzt die verborgene Insel. Aber keiner von uns wird das Leuchten in seinen Besitz bringen.« Viele Boote waren aufgebrochen, um im Wettstreit mit den Carlissen zu konkurrieren, nur hatte der Sturm den Eingeborenen einen nicht mehr aufzuholenden Vorsprung verschafft. In den kommenden fünf Jahren würden sie die Geschicke von Carli lenken – kein verlockender Gedanke.
*
Das Boot begann auf den erneut heftiger werdenden Wellen zu schaukeln. Ein grünes, irisierendes Leuchten breitete sich im Wasser aus, während etliche Kilometer entfernt völlige Schwärze herrschte. Mit erschreckender Lautlosigkeit wuchs etwas aus dem Meer auf. Thorm kniete im Boot und starrte entgeistert in die Ferne. Er konnte nicht glauben, was er sah; trotzdem war es Wirklichkeit. Wo sich noch vor wenigen Augenblicken eine schier endlose Wasserwüste erstreckt hatte, erhob sich nun ein schroffes Eiland. Das Mondlicht tanzte über kahle Klippen und zeichnete unruhige Schatten. Keine Spur von Leben, kein Hinweis darauf, daß die Carlissen als erste hier angelangt waren. »Mana steht uns bei«, stieß Thorm ungläubig hervor. Auch auf Carli verehrten die Daila ihre ordnende, den gesamten Kosmos umfassende Kraft Mana. Sie war mehr als nur eine Gottheit, sie war – die Schöpfung an sich. Alle Schwäche und Resignation fielen von ihnen ab. Der Anblick der aufsteigenden Insel erfüllte sie mit neuer Kraft. Nicht lange, dann lief das Boot, von Telekinese gezogen, knirschend auf den Felsen auf. Das Eiland maß kaum 800 Schritt im Quadrat. Pflanzenwuchs besaß es nicht, sah man von dem abgelagerten Tang, dem Seegras und Korallenbänken ab. Aber vor allem Muscheln hatten sich im Gestein festgesetzt. »Wir müssen den Weg ins Innere finden.« Blind vor Eifer hastete Thorm einen Hang hinauf. Sekunden später schnellten zwei dünne, biegsame Tentakel auf ihn zu, wickelten sich um seine Beine und brachten ihn zu Fall. Er reagierte viel zu langsam, um den harten Aufprall abzufangen. Halb benommen starrte er dem krakenähnlichen Geschöpf entgegen, das ihn offenbar als sichere Beute wähnte. Das Tier hinterließ eine schleimige Kriechspur. Mit einem wütenden Aufschrei besann Thorm sich seiner Psi-Kräfte und schleuderte das Monstrum ins Meer hinaus. Dann hastete er weiter, tastete die Felsen in seiner Nähe telekinetisch ab. Er fand zwar
kleinere Hohlräume, ansonsten aber nichts, was von Bedeutung gewesen wäre. Die Monde lösten sich bereits wieder voneinander, als er enttäuscht die Suche aufgab. Wie die langsam ansteigende Wasserlinie verriet, begann die Insel zu sinken. Welcher Mechanismus mochte dafür verantwortlich sein? Wäre er natürlichen Ursprungs, hätte er wohl mit vulkanischen Erscheinungen und Seebeben einhergehen müssen. »Der Krake«, erinnerte Manjo plötzlich. »Er war in einer Höhle verborgen.« Thorm warf sich förmlich herum. Er schalt sich einen Idioten, daß er daran nicht gedacht hatte. Tatsächlich entdeckte er einen schmalen Felsspalt, der sich zu einer tiefer in den Fels hinabreichenden Kaverne weitete. Leuchtmoose sorgten dafür, daß es nicht ganz dunkel wurde. Noch hatte man keine Carlissen zu Gesicht bekommen. Konnte es sein, daß der Sturm den Kiemenatmern ebenfalls zum Verhängnis geworden war? Obwohl sie ihm neue Zuversicht verlieh, erschien Thorm seine eigene Vermutung zu phantastisch. Schneller lief er durch die unterirdischen Stollen, von denen er nicht wußte, wo sie endeten. Manjo folgte ihm dichtauf. Sie trugen keine Waffen. Das gehörte zu den Regeln des Wettlaufs um die Herrschaft über Carli – die Daila waren bei ihrer Ankunft auf dieser Welt vor die Wahl gestellt worden, sich anzupassen oder zu verzichten. Also hatten sie sich angepaßt, denn nach der Havarie ihres Raumschiffs gab es kein Zurück mehr. Das bedeutete auch, daß niemand zweimal nach der verborgenen Insel suchen durfte, geschweige denn das Eiland betreten. So etwas würde großes Unheil heraufbeschwören, hatten die Carlissen mit Nachdruck zu verstehen gegeben. Brauchbare Berichte über die Insel gab es nicht. Jene, die sie erreicht hatten, erinnerten sich nicht mehr daran. Selbst das Unterbewußtsein der Betreffenden besaß nur äußerst vage,
verschwommene Bilder, mit denen niemand etwas anzufangen wußte. Wahrscheinlich mußte es so sein. Die Mächte der verborgenen Insel sicherten sich ab. Thorm empfand es allerdings als Qual, mit einem solchen Geheimnis konfrontiert zu sein und nichts zu dessen Klärung beitragen zu können. Der Weg teilte sich. Während der rechte Gang in die Dunkelheit führte, wurde die andere Abzweigung vom Funkeln unzähliger Kristalle erhellt. Bei genauerem Hinsehen erkannte Thorm, daß es sich um winzige Facetten handelte, die in gleichbleibendem Abstand in den nackten Fels eingelassen waren. Aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet, bildeten sie ein geometrisches Muster, das keinesfalls zufällig entstanden sein konnte. »Das Abbild unseres Sonnensystems«, sagte Manjo schnell. »Da ist Carli«, er deutete auf eine besonders helle leuchtende Fläche, »daneben der Schwesterplanet. Auch die Monde sind eingezeichnet und …«, er fuhr mit den Fingerspitzen über die Wand, »ihre Umlaufbahnen.« Thorm ertastete ebenfalls die feinen Vertiefungen. »Wer mag das geschaffen haben? Die Carlissen besitzen keine entsprechende Technik – sie leben, wenn du so willst, von der Hand in den Mund.« »Ihre Vorfahren vielleicht«, gab Manjo zu bedenken. »Vergiß nicht die Ruinenstädte, die den Kontinent säumen.« Je weiter sie kamen, desto mehr veränderte sich ihre Umgebung. Schließlich wichen die letzten Felsen glattem, fugenlosen Kunststoff. Eine gleichmäßige Helligkeit erfüllte den Gang – ihren Ursprung zu erkennen, war unmöglich. Thorm stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Fühlst du etwas?« wollte er von seinem Begleiter wissen. Manjo schüttelte stumm den Kopf. »Dann sind wir allein.« Der Daila schlug sich vor Freude die Hände vors Gesicht. Er lachte. »Weißt du, was das heißt? Wir haben es geschafft, wir werden das Leuchten für uns in Besitz nehmen.«
Unvermittelt endete der Gang vor einem einfachen Schott. Ein Carlisse mußte Mühe haben, dieses Hindernis zu überwinden, auch Thorm entdeckte erst nach einer Weile den Öffnungsmechanismus – ein Bündel einfacher Wärmerezeptoren. Seine Zuversicht erhielt indes einen schweren Dämpfer, als Manjo sich bückte und ihm eine Handvoll Seegras entgegenstreckte. Die Pflanzen trieften vor Nässe. »Wenn ein Carlisse hier war, hätten wir ihn sehen müssen«, wehrte Thorm entschieden ab. »Nicht, wenn er durch das Schott auf die andere Seite gegangen ist.« Er verzichtete auf eine Erwiderung, hatte es plötzlich eilig. Der Raum, den sie betraten, erinnerte auf den ersten Blick an die Zentrale eines kleinen Raumschiffs. Bei genauerem Hinsehen waren allerdings genügend Unterschiede festzustellen. So gab es nur eine Vielzahl kleiner, matter Bildschirme, keineswegs jedoch die Möglichkeit einer Rundumbeobachtung. Auch Pneumositze fehlten, ebenso wie die übergeordnete Kontroll- und Schalteinheit. Das Geräusch eines aufgleitenden Schottes ließ Thorm herumfahren. Keine zehn Schritte entfernt betrat ein Carlisse den Raum. Beim Anblick des hellen Scheins, der den Kiemenatmer umfloß, zuckten beide Daila unwillkürlich zusammen. »Verdammt!« stieß Thorm hervor. Die Betonung verriet mehr über seine Erregung, als Worte je vermocht hätten. Das schuppige Gesicht des Carlissen ließ Hochmut erkennen. Obwohl nur einen Meter dreißig groß, baute er sich herausfordernd auf und stemmte seine breiten Flossenarme in die Seite. »Endlich haben die Götter unsere Gebete erhört und uns den Sieg gegeben«, dröhnte er in seiner dumpfen, abgehackt klingenden Sprache. »Die kommenden Jahre werden für unsere Welt von großer Bedeutung sein.« Genau das befürchtete Thorm. Die Daila waren auf Carli noch immer Fremde. Daß sie es bisher nicht geschafft hatten, die Carlissen in ihrem Sinn zu beeinflussen, würde böse Folgen zeitigen,
nun, da der helle Schein des Herrschers wieder den Eingeborenen gehörte. »Euer Volk muß sich von den Ufern des Meeres zurückziehen«, bestimmte der Kiemenatmer. »Jeglicher Fischfang wird verboten. Wenn ihr Fische wollt, werdet ihr sie für entsprechende Gegenleistungen bekommen.« »Das Land ist nicht fruchtbar genug, um alle zu ernähren«, wandte Manjo ein. Der Carlisse winkte herrisch ab. »Eure Probleme bekümmern mich nicht. Wenn ihr unzufrieden seid, verlaßt Carli.« »Du weißt, daß wir dazu keine Möglichkeit haben.« »Dann akzeptiert meine Vorschläge. Ihr habt zehn Tage Zeit, bis der erste Mond hinter dem Horizont versinkt.« Damit wandte der Kiemenatmer sich um und watschelte auf seinen kurzen, krummen Beinen dem Ausgang zu. Flüchtig spielte Thorm mit dem Gedanken, ihn telekinetisch zurückzuhalten. Niemand würde je erfahren, was geschehen war. Doch er zögerte. Zuviele Fragen türmten sich auf. Besaß er überhaupt eine Chance? Solange er nicht wußte, wodurch diese leuchtende Aura erzeugt und wie sie auf ihren jeweiligen Träger fixiert wurde, stellte schon der Versuch ein Spiel mit dem Feuer dar. Thorms Finger verkrampften sich um seine Schläfen. Blicklos starrte er dem Kiemenatmer hinterher. Wenn er gewinnen wollte, mußte er jetzt zuschlagen. Aber er konnte es nicht, brachte es nicht fertig, den Gedanken in die Tat umzusetzen. Dann‹ glitt das Schott zu.
* Minutenlang standen sie wie versteinert. Keiner wagte, die entstandene Stille zu durchbrechen. Erst als ein verhaltenes, fernes
Plätschern hörbar wurde, schreckten sie auf. »Wir müssen nach oben«, stieß Manjo hervor. »Unser Boot ist nur mehr ein Wrack«, erinnerte Thorm. »Bildest du dir ein, damit weit zu kommen?« »Aber … hier können wir nicht bleiben.« »Die Station, in der wir uns befinden, wird nicht überflutet, andernfalls müßten deutliche Spuren vorhanden sein. Wir können also getrost abwarten, was geschieht.« »Du bist verrückt«, fuhr Manjo auf. »Wir besitzen keinerlei Vorräte.« Ohne darauf einzugehen, tippte Thorm sich bedeutungsvoll an die Stirn. »Jede Technik läßt sich beherrschen, mag sie noch so exotisch sein. Alles ist nur eine Frage der Logik.« »Glaubst du, die Daila vor uns hätten nicht ebenfalls versucht, das Geheimnis der Insel zu lüften?« »Sie waren Träger des hellen Scheins, vergiß das nicht. Als solche war ihre Entscheidungsfreiheit womöglich eingeschränkt.« Langsam und mit Bedacht begann Thorm zu schalten. Immer wieder hielt er inne und studierte die mit fremdartigen Symbolen bezeichneten Anzeigen und Instrumente. Seine Zuversicht wurde auf eine harte Probe gestellt. Alles, was er zuwege brachte, war die Aktivierung eines kleinen Monitors. Der Schirm zeigte die bereits halb im Meer versunkene Insel. Manjo deutete auf das Schott, durch das der' Carlisse gekommen war. Womöglich barg der Raum dahinter größere Geheimnisse. Aber sämtliche Versuche, den Zugang zu öffnen, scheiterten. Selbst Thorms telekinetische Kräfte versagten. »In fünf Jahren ist es wieder soweit«, behauptete Manjo. »Und keinen Tag eher. Wenn du vernünftig bist, gehst du mit mir, solange wir die Insel verlassen können. Ich bin überzeugt davon, daß die Carlissen uns in dem Boot nicht umkommen lassen. Sie werden uns helfen.« Thorms hartnäckiges Kopfschütteln sagte genug. »Eine solche
Gelegenheit bietet sich nie wieder«, ließ er seinen Vetter wissen. »Ich wäre ein Narr, ließe ich sie ungenutzt verstreichen.« »Du bist ein Narr!« stellte Manjo unumwunden fest. Er ging … … und kehrte keine zehn Minuten später zurück. Thorm bedachte ihn mit einem überraschten Augenaufschlag. »Hast du es dir überlegt?« »Der Gang ist verschlossen. Es gibt, keinen Weg mehr, der nach draußen führt.« »Dann sind wir inzwischen so tief gesunken, daß das Wasser eindringt«, seufzte Thorm ergeben und deutete auf den Monitor, der nur noch einen Teil der Insel zeigte. In Kürze würde auch die Höhle mit dem Zugang vom Meer überspült werden.
* In quälender Einsamkeit vergingen zwei Tage. Es gab Stunden, in denen Thorm und Manjo sich gerne aus dem Weg gingen, dann wieder machten sie sich mit geradezu unnatürlichem Eifer an die Erforschung der Station. Sie fanden einige spärlich ausgestattete Unterkünfte mit gemeinschaftlichen Naßzellen. Allerdings floß aus den Leitungen kein klares Wasser, sondern eine stinkende, abgestandene Brühe dunkelbrauner Färbung. Um davon zu trinken, mußte man dem Verdursten nahe sein. Noch zwei weitere Tage, dachte Thorm mit einem scheuen Seitenblick auf das ekelerregende Naß, dann werden wir selbst das gierig hinunterschlingen. Nie hätte er geglaubt, daß er irgendwann hilflos auf das eigene Ende warten würde. »Kommst du mit?« hörte er sich schwerfällig sagen. Er erschrak über den rauhen Klang seiner Stimme. Manjo schüttelte den Kopf. »Ich gebe die Hoffnung auf, daß wir jemals etwas finden könnten.« »Wir waren noch nicht in den äußeren Höhlen.«
Thorm blieb keine andere Wahl, als allein aufzubrechen. Dabei hätte er am liebsten ebenfalls resigniert. Aber etwas in ihm trieb ihn vorwärts. Vielleicht war es gekränkter Stolz, denn er hatte gehofft, als neuer Träger der leuchtenden Aura zu den anderen zurückzukehren. Erstmals interessierte er sich für den Gang, der in die Dunkelheit führte, und der sicher noch zur Station gehörte. Andernfalls wäre er längst überschwemmt gewesen. Thorm konnte sich eines gewissen Schauders nicht erwehren, als er sich durch die Finsternis tastete. Das einfallende Streulicht wurde zunehmend schwächer. Er verschwendete keinen Gedanken daran, daß die Insel mittlerweile wieder im Meer versunken war. Nur die höchsten Gipfel ragten bei ruhiger See noch aus dem Wasser. Gänzlich unerwartet stieß der Daila auf ein Hindernis. Es war weich und nachgiebig, ein energetisches Prallfeld. Er verstand genug von dieser Art Technik, um den unsichtbaren Widerstand richtig einzustufen. Zugleich erwachte sein Interesse. Was lag hinter der Sperre? Ein Hangar? Nach wie vor hoffte er, irgendwo im Innern der Insel ein brauchbares Fortbewegungsmittel zu finden. Unter Zuhilfenahme seiner telekinetischen Kräfte begann er, die Wände abzutasten. Tatsächlich fand er schon nach kurzer Zeit eine verborgene Schalteinheit. Ein heilloses Durcheinander aus Sensoren, Mikrochips und leitenden Steckverbindungen lag vor ihm, als er den aus einer dünnen Felsplatte bestehenden Verschluß abhob. Nur eine abrupte Entladung in den Speicherzellen konnte diese Schäden verursacht haben. Die Projektoren für den Aufbau des Prallfelds waren dadurch aber nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Thorm bediente sich der Telekinese, um vermutlich noch stromführende Kabel zur Seite zu biegen. Innerhalb weniger Minuten gewann er einen ersten Überblick. Die Schaltungen waren relativ einfach aufgebaut und ließen sich ebenso leicht überbrücken. Trotzdem benötigte er fast eine halbe Stunde, um alles zu seiner Zufriedenheit zu verbinden.
Dann war der Weg frei. Weit vor Thorm erhellte sich der Gang. Zwar brachte er das Geschehen sofort mit seinen Manipulationen in Verbindung, doch war es zu spät, sich zurückzuziehen. Etwas Fremdes drang in Thorms Gedanken ein, drängte seine eigenen Überlegungen in den Hintergrund. Verzweifelt versuchte er, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Aber sogar seine Psi-Kräfte versagten. Er hatte das Gefühl, in einen endlos tiefen Schacht zu stürzen …
* Laufend trafen neue Schreckensmeldungen ein. Die Kämpfe hatten längst auf den Norden des Kontinents übergegriffen, während die südlich gelegenen Stützpunkte sich nicht mehr meldeten. Niemand fragte nach den Gründen dafür – die Gesichter der versammelten Befehlshaber waren bleich geworden, ihre Schuppen hatten jeden Glanz verloren. Sie wußten, daß nur ein Wunder ihre Welt noch vor dem Untergang retten konnte. Aber dieses Wunder ließ auf sich warten. Vor wenigen Stunden war im Süden des Landes der Einsatz der biochemischen Kampfstoffe befohlen worden. Kurz darauf waren die Nachrichtenverbindungen zusammengebrochen. Cahnec erschauderte bei dem Gedanken daran, wie sich das Land mittlerweile verändert haben mochte. Insgeheim fragte er sich, ob der Preis, den sein Volk für die Freiheit zu zahlen hatte, nicht zu hoch war. Der Wind würde die Kampfstoffe aufs offene Meer hinaustragen. Die Folgen war unabsehbar. Sicher, es gab Gutachten namhafter Wissenschaftler, die auf den schnellen Zerfall der Giftstoffe setzten. Aber schon einfache Simulationen bewiesen das Gegenteil. »Simulationen lassen klimatische Bedingungen unberücksichtigt«, hieß es. »Viele der Chemikalien oxydieren unter dem Einfluß der
Sonneneinstrahlung. Die Sauerstoffverbindung trägt zu ihrer Zersetzung bei.« Wie alle Militärs hatte Cahnec daran geglaubt, hatte schon deshalb daran glauben wollen, weil es so am bequemsten war. Weder für die Entwicklung noch die Folgen der Kampfstoffe war er verantwortlich, sondern lediglich für deren Einsatz. Und das eine hatte mit dem anderen herzlich wenig zu tun. Spätestens seit dem Abbruch der Funkverbindung dachte er anders, denn sein Sohn hatte sich im Süden aufgehalten. Satellitenfotos zeigten brennende Wälder und halb zerstörte Städte, deren Bewohner sich in ihrer Verzweiflung ins Meer stürzten. Dabei waren sie noch vor kurzem stolz darauf gewesen, in ihrer Evolution endlich das Festland erobert zu haben. Die Fähigkeit ihrer Vorfahren, unbegrenzte Zeit im Wasser zu leben, hatten sie verloren. Das war der Preis, den man für den Fortschritt zahlte. »Ich empfange eine Bildsendung«, rief jemand. »Die Qualität ist nicht besonders, aber …« Immer wieder von Störungen unterbrochen, stabilisierte sich die Aufnahme. Dichte, gelbe Nebelschwaden wälzten sich über eine zwischen hoch aufragenden Klippen erbaute Küstenstadt hinweg. Die Sonne war zur matten Scheibe geworden, deren Licht kaum noch bis zum Boden vordrang. Der aufkommende Wind vermochte den Nebel nicht zu zerstreuen, sondern trug ihn aufs Meer hinaus. Jetzt wurde erkennbar, daß der Kameramann von einer weit entfernten Klippe aus filmte. Ein Schwank übers Meer entlockte Cahnec einen entsetzten Aufschrei. Was man auf den ersten Blick für Schaumkronen halten konnte, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als ein riesiger Schwarm von Fischen. Alle trieben mit den Bäuchen nach oben in der Strömung. Der aufheulende Alarm schreckte Cahnec hoch. Ein Raumschiff der Angreifer befand sich im Anflug auf die Befehlszentrale, deren Inneres im Nu einem wimmelnden Ameisenhaufen glich.
»Schirmfelder aktivieren!« »Zielerfassung auf Abfangraketen!« »Schwimmkörper fluten!« Die Befehle überstürzten sich, während der Angreifer eindeutig auf Kollisionskurs blieb. Das bedeutete nichts anderes, als daß die Fremden die Tarnung durchschaut hatten. Sie würden versuchen, das mehr als 100 Kilometer vom Festland entfernt liegende kahle Eiland zu vernichten. Eine mechanische Stimme plärrte Distanzangaben. Das Raumschiff verzögerte. In diesem Moment vergaß Cahnec alles andere um sich herum. Jegliche Emotion war ausgeschaltet – er funktionierte, wie ein Befehlshaber in solchen Situationen zu funktionieren hat. Hundertmal war alles geübt worden. Aber die Wirklichkeit war dennoch anders. »Abfangraketen?« »Startbereit.« Cahnec nickte kurz. »Jagt sie los!« befahl er. Seine Finger huschten über die unförmige Tastatur, verharrten jeweils kurz, wenn die abgefragten Daten nicht sofort über den Sichtschirm flimmerten. Ein Radarbild leuchtete auf. Die abgefeuerten Projektile näherten sich in einem Irrsinnskurs dem Angreifer. Trotzdem wurden etliche von den Lasergeschützen des Raumschiffs vernichtet. Dann schlugen die ersten Energiebahnen in die Insel ein. Die See ringsum begann zu brodeln. Aufsteigende Dampfwolken verwehrten schlagartig jede Direktsicht. Die Schadensmeldungen häuften sich. In mehreren Sektoren erfolgten Wassereinbrüche, die aber durch die automatisch schließenden Schotte rasch eingedämmt wurden. Die Insel sank schneller. Inmitten der überlauten Geräuschkulisse, die von allen Seiten her über der Zentrale zusammenschlug, warteten die Männer und Frauen auf das jeden Moment einsetzende Bombardement. Die Schirmfelder waren größtenteils ausgefallen.
Aber noch zögerte Cahnec, den Befehl zur Evakuierung zu geben. Das Dröhnen der Energieerzeuger, das dumpfe Stampfen der Pumpen, dazu das Plätschern der verdrängten Wassermassen und das Warten auf die ersten Explosionen, all das wurde zur Qual. Von irgendwo rollte dumpfer Donnerhall heran. In Sekundenschnelle stärker werdende Vibrationen erschütterten die Station bis in die Grundfesten. Zerplatzende Bildschirme zählten noch zu den geringen Schäden, die entstanden. »Wir haben sie abgeschossen!« hallte ein Freudenschrei durch die Zentrale. Das angreifende Raumschiff war aus dem Erfassungsbereich der Ortungen verschwunden.
* Für Thorm war es ein Alptraum, aus dem er aufschreckte. Verwirrt blickte er um sich. Hatte er das alles wirklich erlebt …? Die bohrenden Kopfschmerzen, die sich bis weit in den Nacken hinzogen, deuteten eher auf eine parapsychische Beeinflussung hin. »Wer immer du bist, zeige dich!« rief der Daila erregt. Aber niemand antwortete ihm. Er ging wieder auf die Helligkeit zu. Weshalb hätte er umkehren sollen? Zu verlieren hatte er ohnehin nichts mehr. Eine kuppelförmige Maschinenhalle öffnete sich vor ihm. Mehr als fingerdick lastete der Staub überall – er verstärkte den Eindruck von Zeitlosigkeit, der den Aggregaten anhaftete. Thorm umrundete die großen Konverter. Auch die Filter und Umwälzanlagen für Luft und Wasser waren hier untergebracht. Im Anschluß daran stieß er auf die Wiederaufbereitungsanlage für das Trinkwasser. Sie war ausgefallen. Im Hintergrund der Halle ragten große Schalttafeln auf. Thorm zuckte unwillkürlich zusammen, als er eines der Geräte erkannte:
eine Funkanlage. Anders allerdings als die, deren sich die Daila auf Carli bedienten, und mit denen nur lächerlich geringe Entfernungen auf dem Kontinent überbrückt werden konnten. »Hyperfunk«, flüsterte er beinahe ehrfürchtig. Die Anlage sah in der Tat so aus, wie die Alten es immer wieder erzählten. Ein Bild nahm vor Thorms innerem Auge Gestalt an: Aklard, die Heimat aller Daila, die Welt, nach der er sich so sehr sehnte. Schlagartig schien sie in greifbare Nähe gerückt. Thorm fragte nicht danach, ob er als Nachkomme verbannter Mutanten jemals eine Chance haben würde, Aklard zu betreten. Das alles war nebensächlich geworden. Ein auf Führungsschienen befestigter Sessel stand wenige Meter entfernt. Telekinetisch ließ der Daila ihn herumschwingen – und erstarrte. Er stand vor einem Skelett, das nur noch durch die Fetzen einer einstmals farbenprächtigen Uniform zusammengehalten wurde. Im selben Moment, in dem er in die leeren Augenhöhlen blickte, dröhnte eine Stimme durch seinen Schädel. Es war eine künstlich erzeugte, telepathische Stimme. Ich weiß nicht, wieviel Zeit vergehen wird, bis eines fernen Tages jemand meine sterblichen Überreste findet. Aber wenn überhaupt, so werden dann wahrscheinlich Hunderte von Planetenumläufen verstrichen sein. Ich bin Cahnec und war Oberbefehlshaber der vereinten Streitkräfte von Carli. Was gäbe ich dafür, heute das Rad der Zeit anhalten oder gar zurückdrehen zu können. Wir alle waren Narren, die wir die vielfältigen Warnungen in den Wind geschlagen haben. Inzwischen weiß ich, daß der Tod keine Unterschiede macht, er kennt weder Freund noch Feind. Ich kann nur hoffen, daß irgendwo auf unserer Welt Männer und Frauen überlebt haben, und daß die Generationen, die nach ihnen kommen werden, aus unseren Fehlern lernen. Die jüngste Geschichte unseres Volkes ist schnell erzählt. Bis vor
wenigen hundert Jahren lebten wir ausschließlich im Meer, bis unsere Vorfahren das Land als neuen Lebensraum für sich eroberten. Damit endete allerdings die zwischen uns herrschende Eintracht. Streitigkeiten um den fruchtbaren Boden, um Rohstofflager und Energiequellen waren an der Tagesordnung. Einige von uns begannen, den Weltraum zu erschließen. Sie argumentierten, daß wir dann wieder Frieden bekommen würden. Unsere Funksignale riefen die Fremden auf den Plan. Sie sind größer als wir, vierbeinig und unersättlich. Anhänglicher als Wasserflöhe, nisteten sie sich auf Carli ein. Ihr Treiben nannten sie Handel – die einzige Umschreibung, die mir dafür einfällt, ist Ausbeutung. Wir baten sie, Carli zu verlassen, wir forderten sie auf, drohten ihnen schließlich, aber sie lachten nur. Und dann fielen die ersten Schüsse … Die Folge ist eine zerstörte, unfruchtbar gewordene Welt. Ich weiß es, denn ich habe meine letzten Gefährten vor wenigen Tagen verloren. Unter Qualen starben sie an den Auswirkungen der chemischen Kampfstoffe. Dabei wollten sie nur die Insel verlassen, um die nach dem Ausfall der Funkverbindungen so dringend benötigten Informationen zu beschaffen. Ich werde umdenken müssen, und zwar schnell. Alle Werte, die für mich bislang Gültigkeit besaßen, haben sich ins Gegenteil verkehrt. Vielleicht täte ich gut daran, die Flutventile zu öffnen. Es wäre nicht schade um die Station, diese grandiose Entwicklung kriegstechnischer Forschung. Vor Jahren schon hätte ich das tun sollen, aber da sah ich die Dinge noch mit anderen Augen, hätte nie gedacht, daß eine solche Katastrophe jemals möglich sein könnte, wie sie nun über Carli hereingebrochen ist. Die Zeit vergeht. Allmählich verliere ich jedes Gefühl dafür, ob draußen Tag ist oder Nacht. Ich frage mich oft, ob ich nicht auch hinausgehen soll, um ein schnelles Ende zu finden. Es ist weniger die quälende Einsamkeit, die mich bald verzweifeln läßt, als vielmehr die Ungewißheit. Die Station liegt auf Grund. Mehr als hundert Meter Wassersäule trennen mich damit von der Oberfläche.
Ob das Meer noch so schön grün ist, wie ich es in Erinnerung habe? Oder hat es sich durch die ausfallenden Chemikalien inzwischen in eine trübe, stinkende Brühe verwandelt, in der die Fische langsam verwesen? Ich glaube, ich fürchte mich vor der Wahrheit. Zugleich versuche ich, mir einzureden, daß ich noch immer Verantwortung trage. Ich darf mein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, ohne wenigstens den Grundstein für eine bessere Zukunft gelegt zu haben. Die Wochen vergehen, Monate werden daraus. Ich müßte den elektronischen Kalender neu aufladen, tue es aber nicht. Was spielt die Zeit für mich noch für eine Rolle, außer daß sie mich quält? Zeit! Als hätte ich mir damit selbst ein Stichwort gegeben, beginne ich zu arbeiten. Ich schlafe kaum mehr, bin wie besessen von dem Gedanken, etwas Großes schaffen zu müssen. Einige Räume verändern ihr Aussehen; fugenlos ausgespritzte Korridore wirken nun wieder, als wären sie mit primitiven Methoden in den Fels gehauen worden. Ich weiß genau, was ich tue. Wenn jemand eines Tages mein Erbe findet, dann soll er geistig reifer sein, als wir es waren. Nur wenn er sich auch für das Unscheinbare interessiert, wird er fündig werden. Soll ich die Entdeckung der Station dem Zufall überlassen? Ein verwegener Plan reift in meinen Gedanken. Die Aufgabe, die ich zu bewältigen habe, ist größer als alle, die mir bisher gestellt wurden. Doch wenn ich damit Erfolg habe, wird es in Zukunft keine Kriege auf Carli mehr geben. Mythen hat unser Volk viele geboren, und selbst im Zeitalter der Technik haben sie ihre Daseinsberechtigung nicht verloren. So heißt es zum Beispiel, daß Geschenke der Götter im Meer treiben, sobald die drei Monde unserer Welt sich vereinen. Die seltsame Konstellation der Trabanten hat schon immer die Gemüter erregt. Es fällt mir nicht schwer, die Tauchautomatik der Station so zu verändern, daß sie genau zu diesen Terminen aus dem Meer emporsteigt.
Die winzigen Symbionten, die unser Forscher erst vor wenigen Monaten in einem abgelegenen Korallenriff aufgespürt haben, kommen mir dabei wie gerufen. Sobald sie einen Wirtskörper gefunden haben, sondern sie ein helles Leuchten ab, das sich zwar bald abschwächt, aber doch für längere Zeit wahrnehmbar bleibt. Sie in Nährlösungen zu vermehren, ist einfach. Ich bin sicher, daß überlebende Carlissen in die Insel eindringen werden, sobald sie auftaucht. Wenn nur ein einziger mit den Symbionten in Kontakt kommt und das Leuchten ihn einhüllt, werden die anderen ihn bedingungslos als Anführer anerkennen. So ist nun einmal unsere Mentalität. Später werden die Carlissen sich im Wettstreit messen, und nur die Besten werden es schaffen, Anführer zu sein. Und wenn sich eines Tages jemand nicht nur für die vermeintliche Macht, sondern auch für das zu interessieren beginnt, was der unscheinbare Gang zu bieten hat, ist die Zeit reif …
* Die Gedankenbilder endeten so abrupt, wie sie begonnen hatten. Thorm brauchte eine Weile, um die erdrückende Fülle aller neu gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten. Für vieles besaß er nun eine Erklärung und wußte, wie die künstliche Insel zu steuern war. Nur eines hatte Cahnec nicht bedacht: daß eines Tages ein Fremder von den Sternen das Geheimnis lösen würde. Damit besaß er, der Daila, die Macht über Carli. Aber diese Macht war ihm zugefallen, ohne daß er danach strebte. Er wollte nur heim, nach Aklard, der Heimat seiner Vorfahren, die er lediglich vom Hörensagen kannte. Obwohl er auf Carli geboren worden war, hielt ihn nichts auf dieser Welt. Thorm ließ sich in den Sessel vor dem Hyperfunksender sinken und begann, sich mit der fremdartigen Anlage vertraut zu machen. Immer sicherer wurden seine Handgriffe, je weiter er sich in den
Funktionen vorantastete. Als Manjo ihn Stunden später fand, war er soeben im Begriff, einen ersten Funkspruch abzusetzen.
2. Lange Zeit hatte ich darauf gewartet, die Gedankenstimme des Erleuchteten wieder zu vernehmen, aber als er sich endlich meldete, zuckte ich regelrecht zusammen. »Du hast viele Erfolge zu verzeichnen.« Die Stimme besaß einen warmen, einschmeichelnden Ton, dem ich nur zu gerne nachgab. »Also war mein Handeln richtig, als ich dich zu meinem einzigen Diener machte und dir Macht und Unsterblichkeit als Lohn versprach.« »Hast du je daran gezweifelt?« fragte ich. Die ausbleibende Antwort sagte mir genug. Sicher, es hatte eine Zeit gegeben, da war ich nahe daran gewesen, verrückt zu werden, da hatte ich Dinge gesehen, die nicht Wirklichkeit waren, und diese Zeit lag noch gar nicht lange zurück. Aber ich hatte die Krise überwunden, nicht zuletzt, weil der Erleuchtete sich meiner in fürsorglicher Weise angenommen hatte. Ich mußte ihm dankbar sein. Für alles, was er mir und meiner Familie Gutes getan hatte. Die Welt der ausgedehnten Graswälder, auf der alle eine neue Heimat gefunden hatten, lag längst hinter mir. Wenn ich wollte, konnte ich sie jederzeit besuchen, doch es gab weit Wichtigeres für mich zu tun. Die RUYKOR, was in der Sprache der Daila soviel bedeutete wie »Weg zum Ruhm«, sprang regelrecht von Stern zu Stern. Der Erleuchtete hatte mir das schwerbewaffnete, hervorragend ausgerüstete Raumschiff für meinen Auftrag zur Verfügung gestellt. Zusammen mit einer Mannschaft, die jedem Wink gehorchte. Myriaden von Sternen funkelten vor uns – nur durchbrochen vom
schwach blauen Leuchten der gewaltigen Wolken aus ionisiertem Wasserstoff. Mein nächstes Ziel lag an der Peripherie einer dieser Wolken, ich würde es in einigen Tagen erreichen. Ein seltsames Geräusch störte mich in meinen Betrachtungen. Es kam näher, vermischte sich dabei mit dem Knarren rostiger Federn. Ich ignorierte es einfach, weil das Gefühl von Ungemach damit verbunden war. Platsch … Täuschte ich mich, oder verloren die Sterne tatsächlich ihre Leuchtkraft? Platsch … platsch … Was war nur mit mir los? Es fiel plötzlich schwer, mich zu konzentrieren. Meine Gedanken wirbelten durcheinander, ohne daß ich auch nur einen einzigen festhalten konnte. Platsch … Ich fühlte förmlich, wie die Quelle des Geräuschs unmittelbar vor mir verharrte und mich anstarrte. Ein schrecklich schrilles Quietschen riß mich aus meinen Träumen unsanft in die Wirklichkeit zurück. »Es ist an der Zeit, die Kurskontrolle vorzunehmen, Herr«, schnarrte ein blechernes Organ. Ich hatte allen Grund, wütend zu reagieren. Ohne die Augen zu öffnen, packte ich mit meinen telekinetischen Kräften zu. »Diener« kreischte entsetzt, als er den Boden unter den Füßen verlor. Im nächsten Moment hallte ein dumpfer Aufprall durch meinen Schlafraum. Der Roboter war gegen die Wand geprallt und – hoffentlich mit verbogenen Gliedmaßen abgestürzt. Seufzend richtete ich mich auf. Diener hatte meine gute Laune gründlich verdorben. Immerhin war die Wirklichkeit anders als in meinem Traum, aus dem ich derart unsanft geweckt worden war: zwei Welten, von denen ich wußte, daß dort verbannte Daila lebten, hatte ich in den letzten Tagen angeflogen. Beide Planeten hatte ich verlassen vorgefunden, als wären die Daila Hals über Kopf
aufgebrochen. Nicht ein Hinweis darauf, wohin sie sich gewandt haben konnten. Insgeheim fürchtete ich mich vor dem Augenblick, in dem der Erleuchtete sich melden würde, und mied die Nähe der Kontaktzelle. Diener bemühte sich, wieder auf die Beine zu kommen. Wie eine Schildkröte, die jemand auf den Rücken gedreht hat, strampelte er hilflos mit seinen Watschelfüßen. Er war nicht groß, reichte mir nur bis zum Knie, aber sein kastenförmiger Körper war ebenso breit wie hoch. Eine Vielzahl von Sinneszellen verunstaltete die ohnehin matte, an den Kanten zerknittert wirkende Hülle. Aufflackernde Lämpchen verrieten mir, daß Diener es aus eigener Kraft nicht schaffen würde, auf die kurzen Beine zu kommen. »Ich sollte dich in den Konverter werfen«, schimpfte ich. »Du machst mich sonst noch verrückt.« »Nein!« kreischte er, von einem rasch wechselnden Lichterspiel begleitet. »Ich bin programmiert, dir zu dienen.« Alle Wucht legte ich in den Tritt, der den blechernen Kasten etliche Meter weiter beförderte. Sich mehrmals überschlagend, kam er endlich wieder auf die Beine und hastete mit seinem watschelnden Gang auf mich zu. Die Beine verschwanden dabei jeweils bis zur Hälfte im Rumpf, der sich abwechselnd rechts und links hob und senkte. »Die Kurskontrolle, Herr …«, krächzte er. »Du gehörst verschrottet!« schrie ich außer mir. »Du bist das lästigste Werkzeug, das ich kenne.« »Ja, Herr«, bestätigte er devot. Er gab mir immer recht, egal, was ich sagte. Seine beiden dürren Ärmchen mit den Greifkrallen fuchtelten unkontrolliert in der Luft herum. »Laß mich endlich in Ruhe, Schrotthaufen!« befahl ich. Als ich das Schiff übernahm, hatte ich Diener, wie ich ihn nannte, in meinem Wohnbereich vorgefunden. Er war zu nichts Vernünftigem zu gebrauchen. Seine hauptsächliche Funktion, die eines Weckers, erfüllte er allerdings mit der Akribie und Sturheit einer Maschine.
Ich weiß nicht, weshalb ich es nicht fertigbrachte, ihn einfach zu zerquetschen. Weil ich unbewußt an Scan dachte, meinen Lehrer, der mich von einem unbedarften, hilflosen Daila zum einzigen Diener des Erleuchteten gemacht hatte? Aber Scan war tot, durch meine Hand gestorben. Ein Werkzeug mehr oder weniger, was bedeutete das schon? Mit den Fingerspitzen berührte ich das verschlungene Muster in der eintönig grauen Wand, das auf das Vorhandensein einer Tür hindeutete. Im nächsten Moment stand ich auf dem Hauptkorridor und wandte mich in Richtung der Kommandozentrale, die ebenfalls in einer kugelförmigen Sektion nahe dem Bug des Schiffes lag. Diener watschelte hastig hinter mir her; bei jedem Wippen seines Körpers quietschte die Federung seiner Beinaufhängung. Das Innere der RUYKOR glich einem Labyrinth – es gab keine klare Abgrenzung von Sektoren, die bestimmten Zwecken zuzuordnen gewesen wären. Lediglich die Triebwerke im Heck, die Waffen entlang der Außenhülle und die Sektion im Bug waren unveränderlich. Alles andere erweckte den Anschein, als würde es sich stetig verändern. Wie überall im Schiff, herrschte auch in der Zentrale jenes trübe Dämmerlicht, das aus keiner erkennbaren Quelle kam. Ich beachtete die Werkzeuge des Erleuchteten nicht, die hier ihrer stumpfsinnigen Tätigkeit nachgingen, sondern wandte mich sofort dem großen Bildschirm zu. »Zielstern vergrößern!« befahl ich. Ein Ausschnitt des Sternenpanoramas veränderte sich schlagartig. Obwohl wir noch etliche Dutzend Lichtjahre entfernt waren, konnte ich sogar die Protuberanzen der um einen gemeinsamen Schwerpunkt kreisenden beiden Sonnen ausmachen. Einem leuchtenden Schweif gleich, zog die kleinere von beiden riesige Partikelströme hinter sich her. Drei Planeten wurden angemessen. Ich nickte zufrieden.
»Ortungen?« »Nur eine außergewöhnliche Radiostrahlung«, erwiderte eines der eindeutig organischen Werkzeuge. Die »Besatzung« in der Zentrale wechselte ständig und bestand vorwiegend aus Robotern und Wesen, die Wartungsarbeiten vornahmen, oder deren Aufgabe es war, das Schiff sauberzuhalten. Bisher hatte ich noch keines dieser willenlosen Werkzeuge wirklich gebraucht. In gewissem Sinn war sogar die Zentrale nur Staffage und lediglich ein Zugeständnis an mich, der ich an solche Äußerlichkeiten gewöhnt war. Längst hatte ich mich nämlich davon überzeugen können, daß meine Befehle immer befolgt wurden, gleichgültig, wo innerhalb der RUYKOR ich sie aussprach. Das System der Doppelsonne grenzte unmittelbar an den von Aklard beherrschten Raumsektor an. Die Möglichkeit, daß sich hier Verbannte angesiedelt hatten, war entsprechend hoch. Unsere Mentalität ließ nicht zu, daß wir uns weiter als unbedingt erforderlich von unserer Heimatwelt entfernten. Ich freute mich auf die erste Begegnung mit anderen Daila. Sobald sie erfuhren, weswegen ich kam, würden sie mich wie einen Heilsbringer behandeln. Schließlich brachte ich die Erfüllung ihrer Sehnsüchte. Der Erleuchtete würde sie von der Last ihrer Psi-Potentiale befreien, wie er es bei allen Angehörigen der Familie Sayum getan hatte. Bei allen außer mir. Aber ich konnte recht gut mit meinen Fähigkeiten leben. Ich brauchte sie sogar, um meine Aufgabe zu bewältigen. Aklard war nur für die verboten, die Psi-Kräfte besaßen. Die Mutanten würden sich demnach darum reißen, daß der Erleuchtete ihnen half. »Die letzte Etappe bringen wir in einem einzigen Linearflug hinter uns«, sagte ich. »Bestätigt«, meldete das Schiff und fügte hinzu: »Ich empfange einen unchiffrierten Funkspruch im besonders überwachten Frequenzbereich.«
Bis heute hatte ich nicht herausgefunden, ob ich mit einem Schiffscomputer sprach oder mit der RUYKOR selbst. Sogar meine schwachen telepathischen Kräfte versagten in der Beziehung. Ich lauschte der leisen, von Störungen unterbrochenen Stimme, die plötzlich von überallher erklang: »… Thorm aus der Familie Dalmud ruft … Daila, die mich hören können … seit Generationen auf der einsamen Wasserwelt … wir wollen nach Aklard zurück …« Der Funkspruch wiederholte sich mehrmals mit leicht verändertem Text, bis er schließlich abrupt abbrach. Aber ich hatte genug gehört. »Haben wir die Peilung?« wollte ich wissen. »Die Richtung steht fest«, antwortete die RUYKOR. »Die Entfernung läßt sich noch nicht mit Sicherheit angeben. Wir haben es mit einem vergleichsweise leistungsschwachen Sender zu tun.« »Das ist mir egal«, brauste ich auf. »Du mußt in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit die gewünschten Daten vorzulegen. Ich verlange, daß jene Welt sofort angeflogen wird.« »Aber die Doppelsonne …«, wandte das Schiff ein. »Wenn ich etwas verlange, erwarte ich, daß man mir nicht widerspricht«, brüllte ich los. »Obwohl ich auf dich angewiesen bin, bist du doch nur ein einfaches Werkzeug. Du hast zu gehorchen, das ist alles.« Befriedigt stellte ich fest, daß die RUYKOR den Kurs wechselte. Das Abbild der Doppelsonne wanderte seitlich aus der Bildfassung heraus. Ich war gespannt. Endlich hatte ich die ersten Daila aufgespürt, die nichts sehnlicher wollten, als nach Aklard zurückzukehren. Sie würden mit Freuden auf ihre Parakräfte verzichten. Silbrig glänzend durchbrach das Raumschiff die dichte, tief hängende Wolkendecke über dem Ozean. Eine Weile verharrte es, nur von seinen Antigravtriebwerken gehalten, in der Schwebe, um dann mit steigender Geschwindigkeit in nördliche Richtung abzudrehen.
Schemenhaft tauchten am fernen Horizont die Umrisse eines kleinen Eilands auf. Kurz darauf stand das Raumschiff über den schroffen Felszacken. Heftig schimpfend flatterte ein Schwarm von Seevögeln um den vermeintlichen Feind herum – unermüdlich versuchten einzelne Tiere, das Schiff anzugreifen. Endlich zeichnete sich auf der Insel eine Bewegung ab. Zwei Männer taumelten unter überhängenden Felszacken hervor. Sie wirkten erschöpft und ausgezehrt, aber sie begannen wie besessen zu winken, kaum daß sie des Raumers ansichtig wurden. Das Säuseln des Windes war das einzige Geräusch, das die Einsamkeit erfüllte.
* »Das Schiff kommt von Aklard?« Das war weit mehr, als Thorm zu hoffen gewagt hatte. Aus großen Augen sahen Manjo und er sich in der Kommandozentrale um. »Du scheinst mich falsch verstanden zu haben«, erwiderte die Kommandantin. »Nur ich komme von Aklard. Alle anderen sind Verbannte oder deren Nachkommen, die auf verschiedenen Welten leben.« »Wie auch immer«, winkte Thorm ab. »Die Heimat erkennt unsere Parakräfte also endlich an.« »Du irrst schon wieder. Jene, die eine Versöhnung zwischen Aklard und den weit verstreuten Siedlungswelten der Verbannten wollen, sind noch eine verschwindende Minderheit. Allerdings ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Gewichtung nach der anderen Seite ausschlagen wird. Den Planeten des Suuma-Systems droht Gefahr.« »Ihr seid also nicht hier, um uns heimzuholen?« machte Manjo betreten. Die Zuversicht in seinem Gesicht wich deutlicher Besorgnis. »Noch nicht«, schränkte die Kommandantin ein. »Wir haben euren
Funkspruch empfangen und kamen, um euch für den Kampf um Aklards Freiheit und vermutlich die Freiheit aller Daila zu gewinnen.« »Fünfzig Jahre können selbst in kosmischen Spannen gerechnet eine lange Zeit sein«, sinnierte Thorm. »Es fällt schwer, Entscheidungen zu treffen, solange wir nicht wissen, was sich in Manam-Turu verändert hat.« »Die Familie Dalmud wird Einzelheiten erfahren«, versprach die Kommandantin. Das Raumschiff nahm Kurs auf den Kontinent und landete nur zehn Minuten später unweit der einzigen großen Absiedlung auf Carli. Von überall strömten Daila herbei, für die es kaum faßbar war, daß man sie nach 50 Jahren endlich gefunden hatte. Noch größer wurde die Überraschung, als Thorm und Manjo die Schleuse verließen, und als sich herausstellte, was geschehen war, wurden beide wie Helden gefeiert. An Arbeit dachte niemand mehr. Plötzlich war allen egal, was aus dem mühsam bestellten Feldern wurde. Die Tage der Daila auf Carli waren gezählt; sie würden die ungastliche Welt lieber heute als morgen verlassen, egal, was sie dafür eintauschten. Gelegentlich wurden Carlissen gesichtet, die aus der Ferne zu dem Raumschiff herüberstarrten. Offenbar wußten sie nicht, was sie von dem silbrigen Ding halten sollten, das vom Himmel gefallen war. Der Krieg, der ihre Welt verwüstet hatte, mußte wirklich schon lange der Vergangenheit angehören. Als der Abend hereinbrach, wurden Feuer entfacht, über denen geschlachtete Tiere brieten. Nichts und niemand hätte die Verbannten noch dazu bewegen können, die für den kommenden Winter gedachten Vorräte zu schonen. Schweigend lauschten die Daila den Berichten der Raumschiffsbesatzung, die zum Teil mit Filmaufnahmen dokumentiert wurden. Sie erfuhren vom Auftreten der Hyptons und Ligriden, vom verzweifelten Befreiungskampf einzelner
Welten, denen letztendlich doch nur die Kapitulation blieb. Zwischen den Verbannten auf anderen Planeten bestanden ständige Kontakte, mittlerweile sogar mit einzelnen Regierungsmitgliedern auf der Heimatwelt. Unter diesen Umständen wurde es fast unverständlich, weshalb bis auf den heutigen Tag niemand Carli entdeckt hatte. Die Verbannten nannten sich selbst »Freunde der Sonne«. Sie besaßen einen geheimen Treffpunkt im Zentrum einer kleinen Sternengruppe – dort, wo der »Rauch vom erlöschenden Feuer«, das in der Mythologie der Daila eine bedeutende Rolle spielte, seinen Ursprung hatte. Unter dem Druck der Ereignisse auf Aklard hatten sich erst vor wenig mehr als zwei Monaten viele Verbannte getroffen, unter ihnen Aksuum, Mitglied des Obersten Rates und zugleich ein einflußreicher Mann. Seine gewichtigen Worte hatten einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Wie schwer mochte es ihm gefallen sein, einzugestehen, daß Aklard auf Hilfe angewiesen war, und daß man diese Hilfe ausgerechnet von jenen erhoffte, die ihrer Parakräfte wegen verbannt worden waren. Daß die Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor eine ablehnende Haltung einnahm, ließ sich nicht leugnen, aber sie würden ihren Fehler wohl irgendwann einsehen. »Ein erster großer Schlag gegen Hyptons und Ligriden steht bevor«, erklärte die Kommandantin. »Nur wenn wir alle vorhandenen Kräfte mobilisieren, können wir als Sieger daraus hervorgehen.« Sie hatte noch mehr sagen wollen, unterbrach sich aber, als das Funkgerät ansprach, das sie ständig bei sich trug. Ein Mann ihrer Schiffsbesatzung meldete sich erregt. »Ortungskontakt«, erklang es aus dem Lautsprecher. »Ein Raumer ist soeben im Randbereich des Systems erschienen.« »Identifikation?« »Leider nicht möglich. Die Energieortung weist jedoch auf einen ziemlichen Brocken hin.« »Kurs?« »Führt etwa zehn Lichtminuten an Carli vorbei.«
»Gib vorsorglich Alarm.« Die Frau wandte sich zu Thorm und den anderen Verbannten um. »Ihr habt es gehört«, sagte sie. »Wir müssen mit dem Auftauchen von Hyptons oder Ligriden rechnen.«
* Hatte ich mir bis vor kurzem noch eingeredet, ich sei gegen jede Art von Gefühlsregung immun, so mußte ich nun doch feststellen, daß mich die bevorstehende Konfrontation mit den Verbannten erregte. Nichts hielt mich mehr in meinem Wohntrakt, als die RUYKOR meldete, daß wir unser Ziel erreicht hatten. Das dumme Werkzeug, das meine Räume säuberte und mir ungeschickt im Weg herumstand, stieß ich telekinetisch zur Seite. Die sechs Arme des Roboters krachten dumpf gegen die Wand, wo sie deutlich sichtbare Dellen hinterließen. Ich kümmerte mich nicht darum, sondern hastete weiter. »Warte bitte, Herr«, quietschte es hinter mir. »Ich kann nicht Schritt halten.« »Bleib, wo du bist, du Nichtsnutz!« rief ich Diener zu, ohne mich umzuwenden. Bald würde ich den Erfolg haben, auf den ich lange hatte warten müssen. Ich sehnte die erste Begegnung mit den Verbannten herbei. Noch bevor ich die Zentrale erreichte, ging die RUYKOR erneut in den Linearraum und hing Sekunden später dicht über einer wolkenverhangenen Wasserwelt. Das Auffallendste an diesem Planeten war, daß seine Pole auf der Ebene der Ekliptik lagen. Die Ortungen zeichneten ein deutliches Bild der Oberfläche. Wasser, nichts als Wasser, nur vereinzelt von Archipelen und Korallenriffen durchbrochen. Einen weniger angenehmen Ort hätten sich die Verbannten kaum aussuchen können. Endlich kam ein langgestreckter Kontinent in Sicht. Die Küsten
waren von Fjorden durchzogen, nur vereinzelt gab es sanft auslaufende Strände. Überhaupt schien das Land wenig fruchtbar zu sein. Felsige Regionen und Wüsten wechselten mit eintönigem niedrigen Pflanzenwuchs ab. »Energieortung!« meldete die RUYKOR. Augenblicke später wurde sie angefunkt: »… erbitten Identifikation. Andernfalls eröffnen die Bodenforts das Feuer.« »Sie bluffen«, sagte das Schiff. »Ich kann keine Forts anmessen.« »Bist du sicher?« »Völlig.« Nur wenige Kilometer vor uns schien eine neue Sonne aufzuflammen, die sich rasend schnell ausweitete. Aber mindestens ebenso rasch fiel der Glutball wieder in sich zusammen. »Bei Mana«, stieß ich ungehalten hervor, »welche Idioten schießen auf einen harmlosen Reisenden?« Ich war überzeugt davon, daß die RUYKOR mein Schimpfen auf der empfangenen Frequenz abstrahlte. Gerade deshalb überraschte mich das darauffolgende Schweigen. »Was ist? Hat es euch die Sprache verschlagen, oder ist das neuerdings die übliche Begrüßung zwischen Daila?« »Du sollst stoppen!« Ein zweiter Energieblitz, wesentlich näher am Schiff diesmal, zuckte auf. Die Unbekannten waren tatsächlich verrückt. Glaubten sie, mit solch lächerlichen Methoden die RUYKOR aufhalten zu können? »Wer bist du?« wurde ich gefragt. Auf dem Bildschirm zeichnete sich ein gelandetes Raumschiff ab. Die Ansiedlung in dessen Nähe machte auf den ersten Blick einen ärmlichen, rückständigen Eindruck. »Mein Name ist Dharys, aus der Familie Sayum«, seufzte ich. Der überhebliche Tonfall war beabsichtigt, doch niemand reagierte darauf. »Du fliegst ein seltsames Schiff. Es paßt in keine bekannte
Kategorie.« »Es ist ein gutes Schiff«, erwiderte ich ausweichend. Zunächst wollte ich die Verbannten ein wenig hinhalten. Meine Feststellung, daß ich in der Lage war, ihnen zu helfen, würde dann um so überraschender kommen. »Hast du es von den Hyptons? Oder von den Ligriden?« erklang es eilig. »Von einer Macht, die unser Problem kennt und uns beistehen will?« Eine Frauenstimme mischte sich ein: »Falls du wirklich zur Familie Sayum gehörst, sage mir, wer vor gar nicht langer Zeit auf Gyd weilte.« Gyd, das bedeutete soviel wie »Mittelpunkt der Glut«. Ich hatte keine Ahnung. »Wann?« wollte ich wissen. Die Frau nannte einen auf Aklard gebräuchlichen Zeitbegriff. Das war ungefähr zu jener Zeit gewesen, als Scan, das Werkzeug des Erleuchteten, mich in der Goldenen Kugel für meine Mission ausgebildet hatte. Damals aber hatten sich bereits alle Sayum in meiner Nähe befunden. Alle? Siedendheiß durchfuhr es mich. Der Erleuchtete hatte uns auf einer einsamen Welt aufgelesen. Nur einen nicht: Chipol, meinen mißratenen zweiten Sohn, der schon von Geburt an ein Außenseiter gewesen war. Er hatte nie Parakräfte entwickelt. Der Gedanke an den Bengel ließ mich die Fäuste ballen. Obwohl plötzlich viele Fragen auf meiner Zunge lagen, beherrschte ich mich. Ich hatte Chipol längst aus meinen Gedanken gestrichen, und es war wohl besser, ich würde ihm nie wieder begegnen. Was hatte er mit den Verbannten zu schaffen? Schließlich entwickelte er seit jeher eine deutliche Abneigung gegen uns Mutanten. Ich nannte seinen Namen und tilgte hinzu, daß ich sein Vater sei. »Dann bist du uns willkommen, Dharys«, erklärte die Frau. »Für
die große Aufgabe, die vor uns liegt, brauchen wir jeden, der zu kämpfen versteht.«
* Die RUYKOR landete neben dem anderen Raumer. Ohne Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, verließ ich das Schiff, denn ich durfte sicher sein, daß die Werkzeuge jeden Fremden von Bord weisen würden. Die Daila, es waren mehrere tausend, die sich vor den Toren ihrer Siedlung versammelt hatten, nahmen mich freudig auf. Ich erfuhr, daß ein Unfall die Verbannten vor gut 50 Jahren auf diese Welt verschlagen hatte. Sie feierten, weil sie endlich die Gelegenheit erhalten hatten, zu ihresgleichen zurückzukehren. »Nicht nur das«, eröffnete ich. »Ihr werdet endlich auch nach Aklard fliegen können.« »Nach Aklard?« wiederholte Thorm. Ich wußte, daß die Überraschung umwerfend sein würde, doch seine Reaktion war nicht gerade das, was ich erwartet hatte. Er klang keineswegs überwältigt; auch die Gesichter ringsum blieben mehr oder weniger unbewegt. Aber vielleicht mußten sie die Nachricht erst verdauen. Wie hätte ich reagiert, würde man mir nach 50 Jahren der Hoffnungslosigkeit eröffnen, daß plötzlich alle Wünsche in Erfüllung gingen? Wahrscheinlich keinen Deut anders. Ich fand aufmerksame Zuhörer, als ich vom erfreulichen Wirken des Erleuchteten zu erzählen begann. Er allein war fähig, uns Mutanten von unseren besonderen Fähigkeiten zu befreien. In bunten Bildern schilderte ich, daß die Mitglieder der Familie Sayum ohne ihre Psi-Potentiale glücklicher waren als je zuvor. Wohlweislich verzichtete ich aber darauf, zu erwähnen, daß sie nicht nach Aklard zurückgekehrt waren, sondern auf einer namenlosen Welt ihre neue Heimat gefunden hatten.
»Schön«, sagte Thorm. »Eines Tages auf Aklard, der Heimat unserer Väter, zu leben, haben wir uns lange gewünscht.« Das war alles, abgesehen von den bedeutungsvollen Blicken, die er und einige andere sich zuwarfen. Ich hasse es, wenn man mir Dinge verschweigt oder mir bewußt nur die halbe Wahrheit sagt. Am liebsten hätte ich die Betreffenden gepackt und so lange gebeutelt, bis sie mit der vollen Wahrheit herausrückten. Gerade noch rechtzeitig beherrschte ich mich und verzichtete darauf, meine telekinetischen Kräfte einzusetzen. Damit hätte ich mir kaum Freunde verschafft. Vielmehr besann ich mich endlich auf meine schwache telepathische Gabe. Thorm blockte sich ab. Er grinste. Hatte er meinen Versuch bemerkt, in seine Gedanken einzudringen? Verdammt, was war bloß los? Wenn es nicht anders ging, würde ich die Verbannten zu ihrem Glück zwingen müssen. Es genügte, daß ich wußte, was gut für sie war. Irgendwann würden sie es ebenfalls einsehen und mir dafür dankbar sein. Mehr zufällig konzentrierte ich mich auf die Kommandantin des anderen Raumschiffs. Sie war keine Verbannte. Erinnerungsfetzen huschten an mir vorbei: ich »sah« fremde Raumschiffe über Aklard, erlebte Zusammenstöße zwischen Ligriden und Daila mit … Abrupt endete das alles. Der vielstimmige Ruf »Die Carlissen kommen«, brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Im Mondlicht und dem Widerschein der halb abgebrannten Feuer wirkten die schuppigen Gestalten, die am Uferstreifen aus dem Wasser schoben, wie urweltliche Geschöpfe. Stumm, eine drohende Phalanx, kamen sie auf uns zu. Ein Schwall von Aggressionen eilte ihnen voraus. Sie waren hier, um ihre Welt zu erobern, um uns, die Fremden, in die Todeswüsten im Landesinnern zu treiben. »Sie haben nichts dazugelernt«, sagte Thorm an meiner Seite. »Sie glauben, daß sie nun die Macht besitzen.« Ich verstand nicht, was die Carlissen riefen, konnte aber ihren
verworrenen Gedanken entnehmen, daß sie sich als die Überlegenen betrachteten. Die Götter der verborgenen Insel hatten ihnen endlich den Mut wiedergegeben. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich sie davongejagt. Sie waren zwar in der Überzahl, aber wir besaßen die eindeutig bessere Ausrüstung. Ihre Waffen, von denen die meisten an Harpunen erinnerten, wirkten primitiv. Thorm zerrte aus einem der erlöschenden Feuer ein erst halb abgebranntes Holzstück hervor und ging, es langsam über dem Kopf schwenkend, den Carlissen entgegen. Der flackernde Feuerschein umfloß seinen Oberkörper, und offenbar machte genau das Eindruck auf die Angreifer, denn ihr Vormarsch geriet ins Stocken. Ein entsetzter Aufschrei hallte durch die Nacht, als mehrere Harpunen auf Thorm abgeschossen wurden. Obwohl die Geschosse ihn töten konnten, zuckte er nicht einmal. Höchstens zwei Meter vor ihm schienen die Pfeile gegen eine unsichtbare Mauer zu prallen und fielen zersplittert zu Boden. Ich begriff, daß Thorm ebenfalls Telekinet war. Mit seinen Parakräften riß er den Schützen die Harpunen aus den mit Schwimmhäuten versehenen Händen. Und andere Verbannte halfen ihm dabei, denn um das allein zu bewerkstelligen, hätten seine Kräfte den meinen kaum nachstehen dürfen. »Geht zurück ins Meer!« rief Thorm laut. »Bald verlassen wir eure Welt, dann gehört Carli wieder euch allein.« Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Als zudem weitere Harpunen in den Händen ihrer Besitzer zerbrachen, warfen die Carlissen sich herum und verschwanden so lautlos im Meer, wie sie aufgetaucht waren. Zufrieden schickte ich mich an, den Rest der Nacht an Bord der RUYKOR zu verbringen. Als Thorm eben seine Entscheidung traf, hatte er offenbar im Namen aller Verbannten gesprochen. Was wollte ich mehr? Der Erleuchtete würde endlich weitere PsiPotentiale erhalten. Ob die Familie Dalmud dann wirklich nach
Aklard zurückkehrte, interessierte mich im Grunde genommen herzlich wenig. Vielleicht genügte ihnen schon die Gewißheit, die Heimatwelt jederzeit unbehelligt betreten zu können.
* Vor dem Einschlafen hatte ich Diener den strikten Befehl gegeben, mich auf keinen Fall zu wecken, und sollte auf Carli ein Atombrand ausbrechen. Zum erstenmal seit etlichen Wochen war ich wieder mit mir selbst zufrieden. Träume, wie sie mich in der Vergangenheit oft quälten und verunsicherten, blieben endlich aus. Als ich ausgeruht erwachte, stand die Sonne schon im Zenit. Das Meer lag ruhig wie ein bleierner Spiegel vor mir, aber in der Siedlung herrschte ein hektisches Treiben. Allem Anschein nach lebten die Verbannten bereits in Aufbruchstimmung. Von einem biologischen Werkzeug ließ ich ein opulentes Morgenmahl auftragen. Während ich aß, begann ich, Pläne für die nächste Zukunft zu schmieden. Mit ihren 400 Metern Länge und der elliptischen Form besaß die RUYKOR eine beträchtliche Aufnahmekapazität. Falls ich zudem noch über das andere Raumschiff, die ILLARD, verfügen konnte, würde es möglich sein, alle 5000 Verbannten gleichzeitig zu evakuieren. Zwei Tage veranschlagte ich für die Einschiffung, weitere drei bis vier Tage, um den Erleuchteten zu erreichen. Danach begann dann für mich die Monotonie der Suche von neuem. Aber vermutlich kannte die Kommandantin der ILLARD die Koordinaten weiterer Welten, auf denen Verbannte lebten. »Ortung!« meldete die RUYKOR. »Drei Raumschiffe sind soeben in das Sonnensystem eingeflogen. Sie unterhalten Funkkontakt zur ILLARD.« »Klartext!« verlangte ich. »Ohne Bedeutung. Es geht um belanglose Dinge.«
Ich mußte wissen, was das zu bedeuten hatte. Während ich die RUYKOR verließ, senkten sich die drei Schiffe schon aus dem nahezu wolkenlosen Himmel herab. Spärliche Gedankenfetzen verrieten mir, daß sie kamen, um die Verbannten von Carli zu holen. Thorm, die Kommandantin und einige Daila, die ich namentlich nicht kannte, schienen auf mich gewartet zu haben. »Vor wenigen Tagen hätte ich nicht gedacht, daß ich Carli so schnell verlassen würde«, begann Thorm. »Aber ich kann gewiß nicht sagen, daß ich unglücklich wäre.« Ich nickte. »Du wirst dich noch weitaus besser fühlen, sobald deine Parakräfte verschwunden sind.« Er blickte mich aus großen Augen an. »Später, vielleicht – falls es dann noch von Bedeutung ist. Auf jeden Fall danke ich dir.« »Wie meinst du das?« Die Geräuschkulisse der landenden Raumer machte vorübergehend eine Verständigung unmöglich. Ich versuchte, die Gedanken der Kommandantin zu sondieren, stieß aber nur auf Unwichtiges, was oberflächlich ihr Bewußtsein erfüllte. Endlich ebbte das Dröhnen der auslaufenden Triebwerke ab. »Alles, was Mana in der Schöpfung hervorgebracht hat, nimmt seinen festen Platz ein«, zitierte Thorm bedeutungsvoll. »Nichts ist umsonst, selbst wenn es uns als Fehlentwicklung erscheint. Wir Mutanten wurden lange Zeit von denen, die sich als .normal' bezeichnen, verachtet und ausgestoßen. Aber endlich ist unsere große Stunde gekommen. Man braucht uns, Dharys, verstehst du? Die Bevölkerung von Aklard ist auf unsere besonderen Kräfte angewiesen. Der Erleuchtete sollte mit uns gegen die Hyptons und ihre Hilfsvölker kämpfen.« Das also war die Erklärung für alles, was mir auf Carli eigenartig erschien: die Verbannten würden trotz ihrer Parakräfte nach Aklard heimkehren, weil man sie gerufen hatte. Nach endlos langen Jahren
bloßen Hoffens mußte ihnen ein solches Angebot wie die Verheißung an sich erschienen sein. Wenn ich ehrlich sein soll, früher hätte ich mich vermutlich ebenso spontan dafür entschieden und für die Rehabilitation meiner Familie sogar mein Leben eingesetzt. Trotzdem blieben Fragen, die nicht leicht zu beantworten waren. »Welche Garantien bestehen, daß die .Normalen' euch nach einem Sieg über die Hyptons nicht noch mehr fürchten als zuvor?« Thorm zuckte nur mit den Schultern. Es schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. »Jeden von uns, der dann noch am Leben ist, werden sie erbarmungslos jagen«, fuhr ich schroff fort. »Weshalb überlaßt ihr die Befreiung unserer Mutterwelt nicht allein dem Erleuchteten?« »Weil wir Daila sind«, stieß Thorm hervor. »Sollen wir uns eines Tages vorwerfen lassen, nur unseren Vorteil gesucht zu haben?« Nach Luft ringend, weil ich telekinetisch zupackte, sank er in die Knie. Ich verlor alle mühsam bewahrte Beherrschung. Wie durch einen dichten Schleier hindurch nahm ich wahr, was geschah. Thorms Gesicht wurde für mich zu verzerrten Fratze, die mich drohend anstarrte. »Aufhören, Dharys! Du bringst ihn um.« Ich dachte nicht daran, nachzugeben. Wenn es sein mußte, würde ich die Verbannten zu ihrem Glück zwingen. Das Schicksal des einzelnen war dabei völlig unbedeutend. Vergeblich setzte Thorm sich zur Wehr. Er war schwächer als ich. Das einzige, was er damit erreichte, war ein kleiner Aufschub. Ich tastete nach seinem Herzen. Sobald ich wollte, würde es zu schlagen aufhören. Jemand griff nach meinen Schultern, zwang mich herum. Blindlings setzte ich mich zur Wehr. Meine Fäuste trafen auf Widerstand, dann trieb mir ein harter Schlag die Luft aus den Lungen. Nach Atem ringend, ließ ich mich fallen und entging so einem weiteren Hieb. Nicht einen Moment lang lockerte ich dabei
jedoch Thorms telekinetische Fesseln. Früher hätte ich das nicht geschafft und wäre hoffnungslos unterlegen gewesen. Scans unnachgiebiges Training zahlte sich aus. Dann fielen alle über mich her. Heftig um mich schlagend, wurde ich trotzdem zu Boden gedrückt. Mir blieb keine andere Wahl, als Thorm vorübergehend freizugeben. Telekinetisch schleuderte ich einen Angreifer nach dem anderen von mir. Ich ging dabei nicht gerade rücksichtsvoll vor. Aber meine Gegner hatten es so gewollt. Im nächsten Moment vernahm ich ein leises Zischen unmittelbar an meinem Ohr. Ehe ich erkennen konnte, was geschah, schwanden mir die Sinne. Ich hatte das Gefühl, schwerelos dahinzugleiten – zu einem Ziel, das niemand kannte. Wie lange ich ohne Besinnung war, vermochte ich nicht zu sagen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich jedenfalls unter den sterilen Decken eines Krankenlagers. Meine erste Reaktion war, aufzuspringen und der RUYKOR den Angriff zu befehlen. – Ich konnte weder Arme noch Beine bewegen; sie waren wie taub. »Du stehst unter dem Einfluß eines Beruhigungsmittels«, erklärte eine Roboterstimme. Die Maschine mußte irgendwo hinter mir stehen. Entschlossen, sie in sämtliche Einzelteile zu zerlegen, setzte ich meine Parakräfte ein. Aber nichts geschah. Die Hilflosigkeit steigerte meine Wut, ich fühlte mich innerlich wie ausgelaugt. Nicht einmal den Kopf vermochte ich zu heben. Es war zum Verzweifeln. Was hatte ich falsch gemacht? So sehr ich mich um eine Antwort bemühte, ich blieb sie mir schuldig. Flüchtig dachte ich daran, daß es eigentlich gleichgültig war, auf welche Weise die Verbannten ihre Rückkehr nach Aklard erreichten, Hauptsache, sie wurden auf unserer Heimatwelt wieder anerkannt. Daß ich dennoch nicht zufrieden war, lag daran, daß der Erleuchtete ihre Psi-Potentiale benötigte, und daß ich mich nicht mehr als Daila, sondern einzig und allein als sein Diener fühlte.
Nach einer Weile vernahm ich Schritte. Thorm und die Kommandantin traten in meinen Sichtkreis. Wie lange hatten sie mich schon beobachtet? Ich verfluchte meine Hilflosigkeit. »Was ist mit dir los, Dharys?« fragte Thorm stockend. »Es sah so aus, als würdest du völlig durchdrehen.« Ich brachte nur ein heiseres Krächzen hervor. »Die Lähmung weicht bald«, erklärte die Kommandantin. »Aber auf deine Psi-Kräfte mußt du eine Zeitlang verzichten. Die injizierte Droge wird in den Gehirnzentren unterschiedlich rasch abgebaut.« Wie sehr ich sie haßte. Mein Blick ließ die Frau verwirrt zurückweichen. Offenbar spürte sie die Feindseligkeit, die ihr entgegenschlug. Mir war es egal. Dann wußte sie, daß ich nicht mit mir spaßen ließ. »Du kommst von Cirgro?« fragte sie unvermittelt. Der Name war mir fremd. Ich entsann mich nicht, jemals von einer Welt mit diesem Namen gehört zu haben. »Nein«, brachte ich hervor. »Du lügst«, sagte sie mir auf den Kopf zu. »Auf Cirgro leben ein paar Millionen Mutanten, die alle miteinander das Interesse für unsere Heimatwelt verloren haben. Zumindest sind sie nicht gewillt, für Aklard auch nur einen Finger zu rühren.« Lauernd beobachtete sie mich. Ihrer Haltung nach zu schließen, mußte sie auf Cirgro schlechte Erfahrungen gesammelt haben. Schwerfällig winkte ich ab, während das Gefühl der Taubheit langsam wich. »Ich kenne diese Welt nicht.« Die Frau nannte eine Reihe von Daten, aus denen ich mir ein ziemlich genaues Bild machen konnte. Ich schüttelte den Kopf. »Deine Psi-Kräfte sind außergewöhnlich stark ausgeprägt«, stellte Thorm fest. »Wer bist du wirklich? Du hättest mich beinahe getötet.« »Ich will nichts anderes, als daß alle Verbannten künftig in Ruhe auf Aklard leben können.«
»Dann kämpfe mit uns gegen die Hyptons.« »Und dann?« brauste ich auf. »Vorurteile lassen sich nicht von heute auf morgen verleugnen. Solange wir anders sind als die, die sich anmaßen, normal zu sein, wird Aklard für uns stets ein fremder Stern bleiben.« »Geh!« stieß die Kommandantin schroff hervor. »Verlasse Carli noch in dieser Stunde. Für mich bist du ein Verräter. Einzig die Tatsache, daß Chipol dein Sohn ist, hindert mich daran, Konsequenzen zu ziehen.« Thorm half mir beim Aufstehen. »Ich weiß, du meinst es gut«, raunte er mir zu. »Aber du hast dir den falschen Ort und vor allem die falsche Zeit ausgesucht.« Ich schwieg. Man muß erkennen können, wann Überredungskünste vergeblich sind. Den richtigen Ort kannte ich nun. Mit dem neuen Ziel vor Augen fiel es mir bedeutend leichter, Carli zu verlassen. Dennoch würde ich die Niederlage nicht vergessen, die ich erlitten hatte. Die Kommandantin sollte sich davor hüten, mir jemals wieder zu begegnen. Sie konnte von Glück reden, daß meine Parakräfte blockiert waren. Flüchtig spielte ich mit dem Gedanken, die Waffen der RUYKOR einzusetzen. Ich verwarf ihn rasch wieder. Durch allzu rigoroses Vorgehen hätte ich meine Mission nur gefährdet. Als die Schleuse sich hinter mir schloß, ballte ich wütend die Fäuste, daß die Nägel schmerzhaft ins Fleisch einschnitten. »Starten!« befahl ich. Ohne spürbare Beschleunigung hob die RUYKOR ab. Noch zweifelte ich nicht daran, daß sie wirklich der WEG ZUM RUHM war.
3. »… Herr!«
Die krächzende Stimme blieb hartnäckig; ich schaffte es nicht, sie zu ignorieren. Brummend wälzte ich mich auf die andere Seite und bedachte Diener mit einem vernichtenden Blick. Der kleine Roboter verlagerte sein Gewicht unablässig von einem Bein auf das andere, was ein monotones Quietschen hervorrief. Gewiß war es noch nicht an der Zeit, mich zu wecken. Ich hatte schlafen wollen, bis Cirgro in Sicht kam. »Herr …« Das klang erneut eine Spur drängender. »Wir werden angegriffen.« Ich fuhr hoch und trat nach Diener, der, sich überschlagend, zur Seite gewirbelt wurde. Mit dem stoischen Gleichmut einer dummen Maschine richtete er sich wieder auf. »Wer ist der Angreifer?« wollte ich wissen. »Nicht identifiziert. Das Schiff …« »Nur eines?« Ich wurde wütend. »Schieß es ab, RUYKOR!« Mein Aufschrei, als ich quer durch den Raum wirbelte, und unsanft mit einem Möbelstück Bekanntschaft schloß, ging im aufbrandenden Lärm unter. Die RUYKOR erbebte im Salventakt. Sekunden später machte sich lähmende Stille breit. »Es waren Ligriden«, meldete Diener. »Woher weißt du …?« wollte ich fragen, doch setzte er schon zu einer weiteren Erklärung an: »Sie konnten im letzten Moment einen Notruf senden. Die Antwort aus einem nahen Sektor trifft soeben ein.« Wenngleich mir der Sinn nach Abwechslung stand, mit einer Flotte der Ligriden wollte ich mich keinesfalls auf ein Gefecht einlassen. Obwohl mein nach dem Start von Carli gefaßter Vorsatz, möglichst kein Aufsehen zu erregen, ohnehin schon gebrochen war. »Höchste Beschleunigung!« befahl ich. »Wir müssen im Linearraum sein, bevor weitere Schiffe hier aufkreuzen.« Von Diener gefolgt, der plump hinter mir her watschelte, begab ich mich in die Zentrale. Auf den Bildschirmen glomm ein Sternenmeer. Die langsam verwehenden farbigen Gasschleier, die
einen Teil der optischen Wiedergabe beeinträchtigten, stammten von dem vernichteten Objekt. »Lineareintritt in zehn Sekunden.« Eine lächerlich geringe Zeitspanne. Trotzdem erschienen noch vor unserem Linearmanöver die ersten Ligriden. Weit genug entfernt, um nicht mehr gefährlich zu werden. Ich erfaßte nur, daß es sich um mindestens zehn große Kampfschiffe handelte, dann glitten wir in die Librationszone hinüber. Bange Augenblicke folgten. Aber die Ortungsschirme blieben leer. Mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit rasten wir dem neuen Ziel entgegen, das wir rund sieben Stunden später erreichten. Diesmal ließ ich die RUYKOR zunächst einen Orbit im Ortungsschutz der Sonne einschlagen. Daß die Daila auf Cirgro anders reagierten als anderswo, was die Heimkehr nach Aklard betraf, gab zu denken. Ich wäre ein Narr gewesen, hätte ich mich blindlings in Schwierigkeiten gestürzt. Einmal mußte ich Erfolg haben. Cirgro besaß mehrere Kontinente, und auf jedem gab es kleinere Raumhäfen. Der Schiffsverkehr innerhalb des Systems war zwar nicht gerade überwältigend, aber immerhin konnte man sagen, daß Handel betrieben wurde. Nach einem Tag im Orbit in der äußeren Korona des Zentralgestirns, beschloß ich, den Planeten anzufliegen. Sämtliche Siedlungen der Daila waren nach dem selben Schema angelegt. Im Zentrum der Raumhafen, zugleich Symbol dafür, daß die Verbannten als Fremde aus dem Raum gekommen waren und keinen brennenderen Wunsch verspürten, als irgendwann wieder zu ihrem Ursprung zurückzukehren. Um das jeweilige Hafengelände herum erstreckten sich die Städte, an die sich intensiv genutzte Agrarflächen anschlossen. Straßen verbanden die weiter entfernt gelegenen kleineren Ansiedlungen und Einzelgehöfte mit dem Zentrum. Wenn es mir irgendwie möglich war, wollte ich heimlich landen.
Die von der RUYKOR eingeschlagene Flugbahn ähnelte der eines Asteroiden. Trotzdem gehörte eine ziemliche Portion Glück dazu, daß wir unbemerkt die äußeren Schichten der Atmosphäre erreichten. Das Bodenpersonal schien zu schlafen. Ich ließ eine Kurve berechnen, die uns sicher in der Nachthälfte zu Boden bringen sollte. Im freien Fall taumelte die RUYKOR in die Tiefe, einen gewaltigen Schweif ionisierter Gase hinter sich her ziehend. Wer uns sah, würde an einen Meteoriten glauben. Erst in wenigen Kilometern Höhe zündeten die Bremsdüsen. Der Aufprall war von solcher Heftigkeit, daß die RUYKOR sich metertief in den Boden hineinwühlte. Ein kleines Wäldchen wurde wie von der Wucht eines Orkans niedergewalzt, bis wir endlich, nach Hunderten von Metern, inmitten eines Walles aus Erde, Geröll und zersplittertem Holz zum Stillstand kamen. Hier und da auflodernde Feuer wurden von den Werkzeugen in Windeseile gelöscht. Bis auf die Versorgungs- und Nachrichtensysteme ließ ich sämtliche Energieverbraucher abschalten. Trotzdem konnte die RUYKOR sich im Notfall in Sekundenschnelle in eine feuerspeiende Festung verwandeln. Ich wartete darauf, daß Flugzeuge kamen, um die Absturzstelle zu untersuchen. Als auch nach Stunden nichts geschah, war ich endgültig davon überzeugt, daß wir unbemerkt geblieben waren. Eigentlich unverständlich bei einer Welt wie Cirgro, die über eigene Raumfahrt verfügte. Ob der Grund für diese Nachlässigkeit derselbe war, weshalb die Verbannten von Aklard nichts mehr wissen wollten? Ich würde es herausfinden.
* Lediglich Diener begleitete mich, als ich wenig später mit einem kleinen Gleiter das Schiff verließ. Dicht über dem Boden bleibend,
flog ich nach Osten, wo die nächste Stadt in mehr als 500 Kilometer Entfernung lag. Auf den Aufnahmen, die die RUYKOR während des »Absturzes« gemacht hatte, konnte ich erkennen, daß das vor mir liegende Gelände naturbelassen war. Ausgedehnte Wälder wechselten ab mit Seenflächen und Savannengebieten; dazwischen ragten die überwiegend kahlen Gipfel zweier sichelförmiger Mittelgebirge auf. Der Flug verlief eintönig. Einem gewundenen Flußlauf folgend, entdeckte ich eine große Herde sechsbeiniger Tiere, die am Ufer ästen. Als sie das Summen des Gleiters hörten, flohen sie in panischer Hast in den angrenzenden Wald. Ihr furchtsames Blöken drang bis zu mir herauf. Nirgendwo ein Anzeichen von Zivilisation. Die auf Cirgro lebenden Daila schienen sich lediglich auf die Umgebung ihrer Städte zu konzentrieren. Ich vermißte die Logik in dieser Feststellung. Zweifellos existierten große Vorkommen an Bodenschätzen, die nur darauf warteten, ausgebeutet zu werden. Was hinderte die Mutanten daran, ihnen mit Desintegratorfräsen und robotischen Förderanlagen nachzuspüren? Vogelschwärme stoben auf, als ich die Seenplatte überflog. Exemplare mit Spannweiten bis zu drei Metern waren keine Seltenheit. »Herr, sieh!« Diener machte mich auf ein Geschöpf aufmerksam, das keine Furcht zeigte. Im hohen Schilfgras hätte ich es wahrscheinlich übersehen. Das Wesen war größer als ich und vor allem kräftiger. Auf zwei Beinen stand es aufrecht da, die beiden Arme angewinkelt. Es wandte seinen Blick nicht vom Gleiter ab. Unwillkürlich zog ich die Maschine herum. Das Geschöpf interessierte mich – immerhin konnte ich wahrnehmen, daß es über eine beachtliche Intelligenz verfügte. Was ich zuerst für Kleidung gehalten hatte, entpuppte sich bei weiterer Annäherung als dichter, schwarzer Pelz. Witternd hob sich
eine stumpfe Schnauze. Auf der optischen Vergrößerung blickte ich in ein Paar große dunkle Knopfaugen. Drohend entblößte das Wesen sein kräftiges Gebiß – und war im nächsten Moment spurlos verschwunden. Ich hatte keine Ahnung, wohin. Selbst als ich suchend über dem Ufergebiet kreiste, entdeckte ich nicht die geringste Spur. Die Dämmerung der frühen Morgenstunden verblaßte rasch. Durch die Brechung der Atmosphäre riesengroß erscheinend, stieg die Sonne über den Horizont herauf. Ihre Strahlen vertrieben die letzten Nebelschwaden. Das Gelände wurde hügeliger. Bereits in Sichtweite ragten die Gipfel des ersten Mittelgebirges auf, als der Antrieb des Gleiters schlagartig ausfiel. Zum Glück flog ich nicht höher als zwanzig Meter und konnte die Maschine sanft zu Boden bringen. Da sämtliche Kontrollen Grünwerte zeigten, mußte es sich um einen Fehler in der Elektronik handeln. »Totalausfall«, schnarrte Diener. »Wir müssen die RUYKOR anrufen.« »Halt's Maul!« fuhr ich ihn an. Nachdem bisher alles in meinem Sinn abgelaufen war, wollte ich nicht, daß jetzt jemand auf uns aufmerksam wurde. Die Stadt lag höchstens noch 200 Kilometer entfernt. »Notfalls müssen wir eben zu Fuß weitergehen«, stellte Diener fest. »Das ist dein Problem, du wackelnder Schrotthaufen«, sagte ich spöttisch. Diener war wie ein rotes Tuch für mich. Obwohl ich mir einzureden versuchte, daß er nur ein einfaches Werkzeug sei und in erster Linie für mein Wohlergehen zuständig, reagierte ich zunehmend allergisch auf seine Nähe. Der Gleiter ließ sich nicht starten, obwohl die Batterien vor Energie strotzten. Aus unerfindlichen Gründen verschwand sie auf dem Weg zu den Umwandlern. Ich stand vor einem Rätsel. Mir blieb nichts anderes, als sämtliche Stromkreise nachzumessen.
»Herr«, unterbrach Diener meine Tätigkeit, »wir werden beobachtet.« Drei der pelzigen Geschöpfe standen keine hundert Meter entfernt und blickten aufmerksam herüber. Sie redeten miteinander. Ja, ich war überzeugt davon, daß sie sich unterhielten. Ihre Gedanken ließen sich nur schwer erfassen, da sie in gänzlich anderen Bahnen dachten. Ich konzentrierte mich lediglich auf einen von ihnen. Er ist anders, vernahm ich, und er scheint erst vor kurzem nach Cirgro gekommen zu sein. Wir müssen seine Ankunft … »Herr, das Triebwerk funktioniert wieder«, schreckte Diener mich auf. Der kurze Moment, den ich abgelenkt war, genügte den Pelzigen, um spurlos zu verschwinden. »Sieh, was du angerichtet hast«, brüllte ich den Roboter an. »Was war mit dem Triebwerk?« »Ich weiß nicht.« »Nichtsnutz.« Ich bestieg den Gleiter und startete. Falls Diener nicht schnell genug reagierte, blieb von ihm nicht sehr viel übrig. Aber dann vernahm ich das rhythmische Quietschen hinter mir. Trotz seiner Plumpheit hatte er es also geschafft. Eine Weile kreiste ich über dem Gelände, ohne eine Spur von den Pelzigen zu finden. Der Antrieb arbeitete einwandfrei. Schließlich folgte ich dem ursprünglichen Kurs.
* Jenseits des Höhenzugs klaffte eine riesige Wunde in Cirgros Oberfläche. Bis auf einzelne grüne Inseln war der Wald gerodet worden. Wo sich noch vor kurzen Baumriesen der Sonne entgegengestreckt hatten, würden bald die stählernen Skelette von Hochhäusern aus dem sandigen Boden aufwachsen. Unermüdlich lärmten Bagger, Kräne und Tieflader. Als ich versuchte, das Gelände
zu überblicken, wurde mir klar, daß hier eine Millionenstadt aus der
Erde gestampft werden sollte – mit all ihrer Infrastruktur, Vergnügungsparks und Erholungszentren, wie das moderne Leben sie erfordert. Und noch eines wurde mir bewußt: niemand, der solche Anstrengungen unternimmt, trägt sich mit dem Gedanken, seine Welt zu verlassen. Womöglich bot sich hier die Gelegenheit, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Um mir ein umfassenderes Bild machen zu können, flog ich die Baustelle ab. An den Grenzen wurde unermüdlich gerodet, fraßen mächtige Maschinen sich zunehmend tiefer in den dichten Wald hinein. Ich landete auf einem der freien Plätze, neben denen sich funktionelle Gebäude aus Fertigteilen erhoben. Sie beherbergten die Unterkünfte der Arbeiter und vermutlich auch die Verwaltung. Bisher hatte ich die Luft auf Cirgro als angenehm würzig empfunden, hier roch es nach Abgasen und Fäulnis. Wahrscheinlich waren vor Beginn der Arbeiten Chemikalien versprüht worden. Niemand beachtete mich oder Diener, der nur wenige Schritte hinter mir her schwankte. Nicht weit entfernt fraßen sich zwei Desintegratorbohrer durch gewachsenen Fels. Ein Daila überwachte den Vorgang. Enttäuscht mußte ich feststellen, daß ich seine Gedanken so gut wie gar nicht erfassen konnte. Er nickte mir kurz zu, als ich neben ihn hintrat, und deutete auf die mehr als drei Meter durchmessenden Löcher. »Komm in einem Jahr wieder, Freund. Das sind erst die Fundamente.« Er zuckte mit den Schultern. »Alle wollen plötzlich in die Wildnis ziehen, seit die Krelquotten uns nicht mehr daran hindern, ihre Gebiete zu betreten. Dabei sind die wenigsten in der Lage, sich eine solche Wohnung zu leisten.« »Wozu der Aufwand?« stellte ich mich dumm. »Ich dachte, wir würden ohnehin bald nach Aklard zurückkehren?« »Aklard …« Er sah mich an wie einen Geist. »Woher kommst du? Gehörst du zu den paar Spinnern, die noch immer fort wollen, oder
hast du einfach kein Geld?« Ich verstand nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hatte. In der Gewißheit, von ihm nichts zu erfahren, was mich weiterbringen konnte, beschloß ich, die Verwaltung aufzusuchen. Diener jammerte. Mit seinen kurzen Beinen tat er sich schwer, auf dem aufgewühlten Boden das Gleichgewicht zu halten. Telekinetisch hob ich ihn hoch und ließ ihn vor den Eingang des Gebäudes fallen, das ich für die Verwaltung hielt. Anstatt auf mich zu warten, verschwand er schwankend in der Türöffnung. Ich beeilte mich, ihm zu folgen. Bis ich ihn einholte, redete Diener allerdings schon eifrig auf den Mann ein, den er vorgefunden hatte. Der Bedauernswerte hatte keine Ahnung, was ihm widerfuhr. »Ist das dein Roboter?« wandte er sich hilfesuchend an mich. »Seine Positronik bedarf einer gründlichen Überholung«, nickte ich. »Was hat er dir alles erzählt?« »Ehrlich gesagt, ich werde daraus nicht schlau.« »Dann vergiß es am besten. – Diener«, rief ich ungehalten, »geh zur Seite.« Da er dem Befehl nicht sofort nachkam, half ich telekinetisch nach; kreischend suchte der Roboter nach einem festen Halt. Mein Gegenüber sperrte Mund und Augen auf. »Du brauchst Geld und suchst Arbeit?« fragte er spontan. Weshalb eigentlich nicht. Ich nickte zustimmend. »Was kannst du?« »So gut wie alles.« »Ich werde dich für die Verladearbeiten einteilen. Einverstanden?« »Und wenn ich es nicht wäre?« Er grinste spöttisch und, wie mir schien, herablassend. »Viele haben sich mit dem Kauf der Glückssteine übernommen. Wenn du nicht willst, finde ich fünf andere.« Er begann mit einem kugelförmigen, in allen Farben des Regenbogens schillernden Kristall zu spielen, den er an einer Kette um den Hals trug. Unter meiner Schädeldecke breitete sich ein eigenartiges Ziehen aus.
»Ich nehme nicht an, daß du um den Lohn feilschen willst.« Das hatte ich in der Tat nicht vor. Der Mann zeigte mir meine Unterkunft, einen engen, muffigen Raum ohne jede sanitäre Einrichtung. Ich ließ seine Erklärungen teilnahmslos über mich ergehen.
* Zwei Stunden später stand ich am Rand der sich stetig ausdehnenden Lichtung und wußte nicht, ob ich darüber glücklich sein sollte oder verbittert. In Händen hielt ich das Steuergerät eines Antigravkrans, mit dessen Hilfe ich die gefällten Baumriesen zu verladen hatte. Neben mir taten noch zwei andere Daila Dienst. Den einen schätzte ich auf Anfang zwanzig, der andere mochte etwa mein Alter haben. Unser erster Kontakt beschränkte sich auf eine flüchtige, kühle Begrüßung. Mehr Zeit blieb uns nicht, denn die Sägen fraßen sich gierig durch die Bäume. Bis zum Abend war noch lange hin. Allerdings beabsichtigte ich nicht, so lange auszuharren. Dieher hatte ich den strikten Befehl gegeben, unseren Gleiter im Auge zu behalten. Nur damit er keine Dummheiten anstellte. »He«, rief ich dem älteren Daila zu, »ich bin Dharys.« »Rubim«, erwiderte er kurz. »Du bist schon länger hier. Was kann man nach der Arbeit anfangen?« »Einiges. Wir haben sogar Frauen hier. Aber merke dir: bis spät arbeiten und früh raus – nur so kommst du zu genügend Geld.« Das Splittern eines Baumes ließ mich herumfahren. Der riesige Stamm fiel in die falsche Richtung, es war zu spät, ihn mit dem Kran aufzuhalten. Instinktiv benutzte ich meine Telekinese, und die Baumkrone verharrte höchstens fünf Meter über uns. Das Blut
pochte durch meine Schläfen – den Baum aufzuhalten, kostete ungemein viel Kraft. Als er endlich in einigem Abstand zu Boden krachte, zitterte ich am ganzen Leib. Die beiden Daila musterten mich, als sei ich ein Aussätziger. Dankbarkeit zu zeigen, davon waren sie weit entfernt. »Du besitzt keinen Kristall?« brachte Rubim endlich tonlos hervor. »Warum auch?« Ich schüttelte den Kopf. Der Jüngere machte eine unmißverständliche Geste. Er hielt mich offenkundig für verrückt. »Weil der Stein glücklich macht, weil er dich vom Heimweh befreit und von den lästigen Fähigkeiten, die dich von jedem normalen Daila unterscheiden.« »Du meinst, ich bin kein Mutant mehr, sobald ich einen solchen Kristall trage.« »So ist es.« Rubim nestelte einen funkelnden Stein, der kaum einen Zentimeter durchmaß, unter seiner Kombination hervor und hielt ihn mir hin. »Kann ich ihn haben?« »Niemals!« brauste er auf. »Der Glücksstein hat mich mein ganzes Vermögen gekostet.« Am liebsten hätte ich laut geschrien, hätte um mich geschlagen und ihnen die Kristalle weggenommen. Die beiden hätte ich leicht überwältigen können, aber nicht die Millionen Daila, die auf Cirgro lebten. Meine Mission erwies sich immer mehr als Fehlschlag auf der ganzen Linie. Die Frage war nur, hatten die Mutanten ihre PsiPotentiale unwiederbringlich verloren, oder wurden die Paraenergien von den Glückssteinen lediglich absorbiert? Genügte es also, die Kristalle unschädlich zu machen, um den alten Zustand wiederherzustellen? Es fiel mir verdammt schwer, die restliche Arbeitszeit durchzuhalten. Aber keinesfalls durfte ich mich verdächtig machen. Und dann dachte ich an den Erleuchteten, der Resultate erwartete. Er hätte es sicherlich nicht verstanden, würde ich vorschnell
aufgeben. Dazu hatte er mich nicht ausbilden lassen und zu seinem einzigen Diener gemacht. Als ich endlich in meine bescheidene Unterkunft zurückkehrte, war ich schweißgebadet. Die ungewohnte Arbeit, obwohl körperlich nicht schwer, hatte mir doch zu schaffen gemacht. Die Dämmerung in diesen Breiten war nur kurz. Innerhalb von Minuten überzog ein Sternenmeer das bis eben blaue Firmament. Vom Fenster aus sah ich die Positionslichter schwerer Baumaschinen, die weiterhin wie urweltliche Monstren über das aufgewühlte Areal krochen. »Was hast du herausgefunden, Herr?« Diener tippelte durch das Zimmer. Das gleichmäßige Quietschen seiner Beinfederungen machte mich verrückt. »Nichts«, erwiderte ich schroff. Der Roboter blieb ruckartig stehen, neigte seinen kastenförmigen Körper weit nach vorne. »Der Erleuchtete wird mit einem solchen Ergebnis unzufrieden sein.« Den nächstbesten Gegenstand, den ich zwischen die Finger bekam, schleuderte ich nach ihm. Aber Diener reagierte blitzschnell und fing das Geschoß ab. »Mache unseren Gleiter startklar«, bestimmte ich. »Aber paß auf, daß dich niemand sieht.« »Und du, Herr?« »Kann sein, daß ich ziemlich bald komme – mit einem Gefangenen.« Diener stellte keine weiteren Fragen. Einige Minuten nachdem er den Raum verlassen hatte, ging ich ebenfalls. Ich verzichtete darauf, das Schloß elektronisch zu verriegeln, denn hierher würde ich nicht wieder kommen.
*
Was großspurig als Aufenthaltsraum bezeichnet wurde, war im Grunde genommen nichts anderes als eine billige Kneipe, in der die Arbeiter herumlungerten oder sich mit den Spielautomaten beschäftigten, bis ihnen vor Müdigkeit die Augen zufielen. Einige Frauen gehörten offenbar genauso hierher wie der schwere süße Dunst von Alkohol und Rauch, der von brennenden Räucherkerzen aufstieg und von den leise brummenden Ventilatoren verwirbelt wurde. Unter der Tür blieb ich stehen und sah mich um. Kaum ein Gedanke war wahrzunehmen. Die Frauen taxierten mich eingehend; ich gab mir Mühe, sie zu übersehen. Endlich entdeckte ich Rubim. Mit der Hartnäckigkeit des Verlierers bearbeitete er einen Spielautomaten. Ein halbvolles Glas in der Linken, begann er mit der anderen Hand auf das eigensinnige Gerät einzuschlagen. Er fluchte leise vor sich hin. Ich ignorierte die fragenden Blicke des Personals, als ich mich an der Theke vorbeizwängte. Nicht nur Daila waren hier. Zu meiner Überraschung entdeckte ich zwei grünhäutige Arthroser, von denen es hieß, sie seien die gerissensten Händler von Manam-Turu. Wenn das den Tatsachen entsprach, hielten sie sich nicht ohne Grund auf Cirgro auf, noch dazu in diesem einsamen Arbeitscamp. Sie witterten irgendein hervorragendes Geschäft. Vergeblich versuchte ich, in ihren Gedanken zu spionieren – wie auf ein geheimes Kommando hin wandten beide sich zu mir um. Sie grinsten spöttisch, falls ich ihre Mimik richtig deutete. An ihren Schläfen glitzerten die hauchdünnen Fäden eines engmaschigen Netzes, das sie vor Telepathen schützte. Schulterzuckend ging ich weiter. Auch ohne mich umzuwenden wußte ich, daß sie mir hinterher blickten. Es berührte mich herzlich wenig. Die beiden bedeuteten keine Gefahr. »Rubim!« Der Daila fuhr erschreckt herum, als ich ihn ansprach. Seine Haltung wirkte verkrampft. Allem Anschein nach hatte er schon mehr als seinen Tageslohn verspielt und hoffte noch immer,
alles zurückzugewinnen.. »Dein Stein scheint dir kein Glück zu bringen«, grinste ich. »Spotte nicht«, fuhr er mich an. »Weshalb machst du ihn nicht einfach zu Geld?« »Hör auf damit!« Das klang endgültig. Verständnislos schüttelte Rubim den Kopf, dann wandte er sich wieder dem Automaten zu. Ich zählte 64 Spielfelder, von denen jeweils eines scheinbar willkürlich aufleuchtete. Dabei steckte durchaus ein System dahinter. Es herauszufinden, erforderte höchste Konzentration, zu der Rubim nicht mehr fähig war. Ich beobachtete eine Weile, dann glaubte ich, die Regelmäßigkeit gefunden zu haben. Als Rubim erneut seine Steuerimpulse eingeben wollte, stieß ich ihn zur Seite und bewegte die Tastatur telekinetisch. Ein leises Klingelzeichen ertönte, eine Leuchtanzeige flackerte auf: ich hatte fünf Felder herausgefunden, die als nächste aufleuchten würden. Das war zwar keine Meisterleistung, aber immerhin ganz brauchbar, und es bedeutete den fünffachen Einsatz als Gewinn. Während das Geld in den Ausgabeschlitz klapperte, änderte der Automat selbsttätig sein Programm. »Nimm!« forderte ich Rubim auf. »Es gehört dir.« Er blickte mich ungläubig an, raffte dann aber die Münzen hastig zusammen. »Du hast heute kein Glück«, sagte ich. »Versuch's lieber nicht mehr. Trinken wir einen zusammen?« Er nickte. Als er auf einen freien Tisch zusteuerte, hielt ich ihn jedoch zurück. »Wenn du etwas anderes willst als diesen Fusel, komm mit in meine Unterkunft.« Die Nacht war angenehm mild, als wir zusammen die Kneipe verließen. Es hatte leicht zu regnen begonnen. »He, das ist die falsche Richtung«, begehrte Rubim auf, als ich den Weg einschlug, der zu den Gleiterparkplätzen führte. »Das glaubst du.« Meine Fäuste schnellten vor. Einen Ausdruck der Verwunderung in seinem Gesicht, brach der Daila lautlos zusammen.
Niemand hatte uns gesehen. Da meine Telekinese bei ihm versagte, lud ich mir Rubim auf die Schultern und trug ihn zum Gleiter.
4. Er kam rasch wieder zu sich, starrte mich und Diener an, und dann schien ihm wohl zu dämmern, daß ich mehr war als ein einfacher Arbeiter. Aus Furcht wagte er nicht, Fragen zu stellen. Und ich dachte nicht daran, eine Unterhaltung anzufangen. Was ich wissen wollte, würde ich ohnehin an Bord der RUYKOR erfahren. Endlich kam das Schiff in Sicht. Alles war unverändert. Lediglich mehrere der pelzigen Krelquotten hatten sich nahe herangewagt, sie verschwanden aber im Dickicht des Waldes, als sie den Gleiter bemerkten. Ein kleiner Hangar nahm die Maschine auf. Ich zwang Rubim, auszusteigen. Diener trottete vor uns her. »Wohin bringst du mich?« wollte der Daila endlich wissen. »Du wirst es rechtzeitig erfahren.« »Wer bist du, für wen arbeitest du? Wollt ihr Cirgro ausplündern?« Er hatte mehr Angst um seinen Glücksstein als um sich selbst. Zum erstenmal erhaschte ich einen flüchtigen Gedankenfetzen, ohne gleich das Gefühl zu haben, meine Kräfte würden sich im Nichts verlieren. Rubim dachte an einen Mann namens Moxey, der die Kristalle als erster in einem unwirtlichen Gebirge entdeckt hatte. Da war es wieder, dieses gräßliche Pochen unter der Schädeldecke, das meine Parakräfte lahmlegte. Es mußte mit dem Stein zu tun haben. Ich stieß Rubim vor mir her. Ihm mußte das Innere der RUYKOR wie ein Irrgarten erscheinen, in dem er sich niemals zurechtfinden würde. Die zum Teil verwirrenden Muster der Wände waren auch
für mich nicht immer leicht zu deuten. Ich brachte meinen Gefangenen in die kugelförmige Sektion im Bug des Schiffes, wo sich auch die Kontakt- oder Augenzelle befand. Beide Begriffe drücken indes nur unvollständig aus, was der quadratische Raum mit seiner Kantenlänge von zehn Metern tatsächlich war. Kontaktzelle nannte ich ihn, wenn es zu einem direkten und unmittelbaren Informationsaustausch mit dem Erleuchteten kam, Augenzelle, wenn er nur die Struktur von Gegenständen erfaßte, oder auch von Lebewesen, ohne mit diesen zu sprechen. Der Raum barg keinerlei Einrichtungsgegenstände oder Apparaturen. Seine Wände wirkten wie glasiert und begannen aus sich heraus zu leuchten, sobald jemand eintrat. Offenbar existierte auch nur eine einzige Tür, die sich jeweils so weit öffnete, wie es gerade erforderlich war. Anfangs hatte ich mir noch die Mühe gemacht, einen zweiten Zugang zu suchen, war aber nicht fündig geworden. Rubim zuckte merklich zusammen, als ich ihn vor mir in die Kontaktzelle schob. Instinktiv warf er sich herum und wollte fliehen, aber ich ließ ihm keine Chance. Das plötzliche Flakkern in seinen Augen ließ ihn wie ein gehetztes, in die Enge getriebenes Tier erscheinen. Er spürte den unangenehmen geistigen Druck, der den Raum auch dann erfüllte, wenn der Erleuchtete schwieg, und bei dem es sich wohl um eine Nebenwirkung dessen ständiger Präsenz handelte. Ich war dagegen weitgehend immun, wußte aber, daß dieser Druck mit individuell unterschiedlichen körperlichen Empfindungen einherging. Kopfschmerzen, Störungen des Gleichgewichtssinns, Frösteln und Schweißausbrüche zählten dabei noch zu den harmloseren Begleiterscheinungen. Ähnliche Auswirkungen rief einer der Schutzschirme der RUYKOR hervor, der ausschließlich die Psyche etwaiger Angreifer beeinflußte. Wer in seinen Bereich geriet, fühlte sich
niedergeschlagen, bedrückt und mutlos – sein Selbstvertrauen ging verloren. Das konnte, sofern der Schirm seine volle Wirkung entfaltete und der Gegner sensibel genug war, bis zu Selbstmordversuchen führen. Ich hatte keine Ahnung, wie oder wodurch dieser mentale Schutzschirm erzeugt und aufrechterhalten wurde. Auf jeden Fall schien sein Ursprung in der Kontaktzelle zu liegen – anders konnte ich mir die ähnlichen Auswirkungen nicht erklären. Rubims Atem ging kurz und hastig, er zitterte am ganzen Körper. Aber nicht, weil mein Griff zu fest gewesen wäre, sondern weil er die Nähe des Erleuchteten spürte. Auch ohne Telepathie erkannte ich, daß er Angst hatte. »Dharys, warum bringst du einen Daila zu mir, der kein PsiPotential besitzt?« vernahm ich die sanft tadelnde Stimme des Erleuchteten. Rubim schien sie nicht zu hören; er stöhnte verhalten. »Sieh ihn dir genau an, Herr«, sagte ich. Rubim bedachte mich mit einem unsteten Blick aus seinen weit aufgerissenen Augen; offenbar begriff er nicht, mit wem ich redete. Die Antwort des Erleuchteten ließ eine Weile auf sich warten: »Der Mann besitzt keine Parakräfte. Aber da ist etwas, was ich noch nicht erfassen kann.« »Er nennt es einen Glücksstein«, nickte ich, mir meiner Sache endgültig sicher und plötzlich überzeugt davon, daß ich hier auf Cirgro auf eine Sache von größerer Tragweite gestoßen war. Rubim brach jammernd in die Knie. Aber als ich mich über ihn beugte, schnellten seine Hände blitzschnell vor und umschlossen meinen Hals. Für einen Moment war ich zu überrascht, um zu reagieren. Seine Finger verkrampften sich. Ich bekam keine Luft mehr. Wo blieb Diener? Immer trottete er hinter mir her. Doch nun, da ich ihn brauchte, war er verschwunden. Rubims grinsendes Gesicht verschwamm vor mir zu einem konturenlosen hellen Fleck. Ich fiel – und noch im Fallen warf ich
mich nach vorne. Ein stechender Schmerz durchzuckte meine Schädeldecke. Aber Rubims Griff lockerte sich. Instinktiv setzte ich nach, riß die Arme hoch und ließ sie von oben herabsausen. Erst allmählich wurde mir bewußt, daß der Daila sich am Boden wälzte. Seine Lippen waren aufgeplatzt, und aus der Nase sickerte Blut, eine Folge meines Stoßes mit dem Kopf. »Gib Dharys den Glücksstein!« forderte der Erleuchtete ungeduldig. Als Rubim trotzdem zögerte, packte ich einfach zu und riß ihm den Kristall mitsamt der Kette vom Hals. Ich vermag nicht zu sagen, welche Auswirkungen ich erwartet hatte, sobald ich den Glücksstein in Händen hielt. Daß ich lediglich ein leichtes Ziehen unter der Kopfhaut feststellte, enttäuschte mich. »Dharys«, die Stimme des Erleuchteten war leiser geworden, kam jetzt aus einer anderen Richtung, »dein Psi-Potential wird schwächer. Wirf den Stein weg!« »Er ist ungefährlich«, wollte ich entgegenhalten, »ich spüre keine Gefahr. Nur ein Gefühl der Zufriedenheit …« »Wirf ihn weg!« Einschneidend scharf kam der Befehl. So hatte der Erleuchtete noch nie zu mir gesprochen. »Du bist mein Diener, Dharys, vergiß das nicht!« Einen Augenblick lang wollte ich aufbegehren, ihm klarmachen, daß ich mein eigener Herr sei … Ich verstand mich selbst nicht mehr. Wie konnte ich den Erleuchteten derart enttäuschen? Der verdammte Kristall mußte daran schuld sein. Wütend schleuderte ich ihn von mir. Rubim heulte auf, als der Glücksstein gegen die Wand prallte und mitsamt der Kette darin verschwand, als bilde sie nicht den geringsten Widerstand. Die Tür öffnete sich, zwei biologische Werkzeuge betraten die Kontaktzelle. Sie waren gut einen Kopf kleiner als ich und von hagerem Körperbau, doch mir war klar, daß es sich um hervorragende Kämpfer handelte. Ohne ihm Gelegenheit zum
Widerstand zu lassen, faßten sie Rubim unter den Armen und schleiften ihn davon. »Was geschieht mit ihm?« wollte ich wissen. »Er wird irgendwo in der Wildnis wieder zu sich kommen, ohne sich erinnern zu können, was geschehen ist«, sagte der Erleuchtete. »Und der Kristall?« »Ich bin dabei, ihn zu untersuchen. Seine Struktur ist kompliziert aufgebaut. Störe mich nicht mehr.« Er hatte nicht gesagt, daß ich gehen sollte. Also blieb ich und wartete.
* Viel Schlaf fand ich in der vergangenen Nacht nicht mehr. Doch das war mir egal. Weitaus wichtiger war für mich, daß der Erleuchtete den Glücksstein schließlich als bedeutende Entdeckung einstufte. Seine Anweisung fiel unmißverständlich aus: Ich sollte schnellstens herausfinden, woher die seltsamen Kristalle stammten und so viele wie möglich davon an mich bringen. Kein Zweifel, in den Glückssteinen sah er irgendeine Chance, seine Pläne voranzutreiben. Welche Priorität der Erleuchtete den Nachforschungen beimaß, bewies schon die Tatsache, daß er mir zwei Werkzeuge mitgab, obwohl die Gefahr einer ungewollten Entdeckung dadurch größer wurde. Nichts sollte auf die Anwesenheit der RUYKOR hinweisen. Deshalb wählte ich einen Kurs, der im weiten Bogen vom Schiff wegführt. Der nächsten Stadt näherte ich mich aus einer anderen Richtung. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als ich mich in das Verkehrsleitsystem einfädelte und innerhalb kürzester Zeit die peripheren Wohngebiete überflog. Unwillkürlich fühlte ich mich an Aklard erinnert. Der Baustil, die Einteilung von Grünanlagen und Gebäuden … die Verbannten hatten wirklich alles getan, um ihre
Sehnsucht nach der Heimatwelt zu stillen. Der Raumhafen kam in Sicht. Abgesehen von mehreren Privatjachten standen nur drei größere Schiffe hier. Zwei davon waren Frachter dailanischer Bauart, die Herkunft des dritten konnte ich nicht bestimmen. Ich landete auf dem Dach eines großen Kaufhauses. »Eins«, bestimmte ich, »du steigst aus.« Der Einfachheit halber nannte ich die beiden Werkzeuge Eins und Zwei. Obwohl sie einem Daila zum Verwechseln ähnlich sahen, waren sie keine Lebewesen im eigentlichen Sinn. Ich betrachtete sie ausschließlich als Kunstgeschöpfe, die ohne Rücksicht auf die eigene Existenz zu gehorchen hatten. Noch bevor Eins im Liftschacht verschwand, der den Zugang von den Gleiterparkplätzen aus ermöglichte, startete ich wieder. Ich wußte selbst nicht, wohin, ein Ort war für unsere Nachforschungen so gut oder so schlecht wie der andere. Also ließ ich mich einfach treiben und landete in der Nähe ausgedehnter Parkanlagen. Hier trennte ich mich von Zwei. Die Funkgeräte, die wir bei uns trugen, ermöglichten eine jederzeitige Kontaktaufnahme. Ich schlenderte in Richtung der Wohngebiete. Die Stadt machte zwar einen sauberen Eindruck, trotzdem konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, daß sie nicht für die Ewigkeit gebaut worden war. Manches wirkte unfertig oder provisorisch, als hätten die Bewohner nie die Absicht besessen, länger als einige Jahre zu bleiben. Das Heimweh nach Aklard hatte überall seine Spuren hinterlassen. Aus einem kleinen Lokal wehten Musikfetzen über die Straße. Unwillkürlich lenkte ich meine Schritte in diese Richtung. Ich besaß einige der auf Cirgro gebräuchlichen Münzen, die ich Rubim abgenommen hatte, würde also keinen Argwohn erregen. Schale, abgestandene Luft schlug mir entgegen, als der Eingang automatisch aufglitt. Auf Anhieb erkannte ich die Diskrepanz zwischen der gediegenen Ausstattung und den herumlungernden
Besuchern, zumeist heruntergekommene, ausgezehrte Gestalten, denen man besser nicht den Rücken zuwandte. Telepathisch waren sie nicht auszuspähen. Als ich es versuchte, geriet ich für einen Augenblick in einen mentalen Sog, aus dem ich mich nur mit Mühe befreien konnte. Hier wirkte offenbar eine Vielzahl von Glückssteinen zusammen. Niemand beachtete mich, als ich langsam zur Theke ging. Nur zögernd gewöhnte ich mich an die starke Ausstrahlung der Kristalle. »Was soll's sein?« Ich deutete auf das halb geleerte Glas meines Nebenmanns. Der Servorobot begann, aus verschiedenfarbigen Flüssigkeiten ein Getränk zusammenzumischen. Mein Nachbar stierte mich aus glasigen, dunkel geränderten Augen an. Er sah ganz so aus, als wäre er seit Tagen nicht ins Bett gekommen. An seinem Hals baumelte ein rötlich funkelnder Glücksstein. »Da staunst du, was?« lallte er mit schwerer Zunge. »So einen Stein hast du sicher nie zuvor gesehen.« »Woher hast du ihn?« »Gefunden.« Er kicherte schrill, wie über einen besonders gelungenen Witz. Der Roboter setzte mir das bestellte Getränk vor. Ich nippte zögernd. Es schmeckte abscheulich. »Ich habe bisher noch keinen Stein«, erwiderte ich in verschwörerischem Tonfall. »Dann hast du entweder kein Geld oder gehörst zu den wenigen Verrückten, die alles mögliche Unheil prophezeien.« »Ich habe Geld.« »Viel?« »Das kommt darauf an, was du unter viel verstehst.« Er nannte eine Summe, die mir ungewöhnlich hoch erschien. »Ich will kein Haus kaufen, sondern lediglich einen dieser leuchtenden Steine«, brauste ich auf.
»Und?« machte er verständnislos. »Viele haben ihren ganzen Besitz hergegeben, um endlich das verdammte Heimweh nach Aklard vergessen zu können.« Ich tat, als müsse ich überlegen. Vorsichtig nippte ich wieder an meinem Getränk. »Kannst du mir einen Glücksstein besorgen?« »Das kommt darauf an, was für mich drin ist.« »Hundert.« »Ein Almosen.« Er begann zu lachen. »Dafür bekommst du nicht einmal mehr eine gebrauchte Schutzrüstung.« »Also gut«, seufzte ich. »Sag, was du verlangst.« »Tausend. Sofort und bar auf die Hand. Dafür führe ich dich zu einem, der die Kristalle unter der Hand verkauft.« »Wer garantiert mir, daß du ehrlich bist?« Sein Schulterzucken war Antwort genug. Als ich den Kopf schüttelte, erhob er sich und ging. Ich wartete einen Moment, ehe ich ihm folgte. Natürlich hatte ich nicht die Absicht, Glückssteine zu kaufen. Unauffällig tastete ich nach der Waffe, die ich unter der Achselhöhle verborgen trug. Jemand hielt mich am Ärmel zurück, als ich auf die Straße hinaus wollte. »Klivio ist fein alter Gauner«, raunte eine Frauenstimme. »Wenn du ihm vertraust, wirf dein Geld lieber gleich zum Fenster hinaus. Wie viele Steine willst du? Zehn, zwanzig, oder noch mehr?« Ich verfluchte die Tatsache, daß ich ihre Gedanken nicht lesen konnte, denn auch sie trug einen Kristall. Sie war höchstens fünfundzwanzig Jahre alt. »Und?« »Wir brauchen noch einen, der unsere Ausrüstung finanziert. Eine todsichere Sache, wenn du das große Geld machen willst. Stell dir vor, was geschieht, wenn wir die Glückssteine zu anderen Welten bringen. Meine Freunde und ich, wir kennen eine große Lagerstelle.«
Inzwischen konnte ich mir zusammenreimen, daß die Kristalle als Bodenschätze auf Cirgro gefunden wurden. Die Frau ließ es widerstandslos geschehen, daß ich sie mit mir auf die Straße hinauszog. Ich vergewisserte mich, daß niemand auf uns achtete. Ein Lächeln huschte über ihre Züge; offenbar wertete sie meine Vorsicht bereits als Zustimmung. »Wenn ihr das Glück hattet, eine Lagerstätte zu finden, weshalb ist sie nicht längst ausgebeutet?« wollte ich wissen. »Wir besitzen nur eine Karte.« Ihr Lächeln endete schlagartig. »Und das hier als Beweis.« Aus einer Tasche ihrer weit fallenden Kleidung zauberte sie ein wahres Prachtexemplar von einem Kristall hervor. Nicht nur, daß er gut drei Zentimeter durchmaß, er schien überdies seine Farbe ständig zu verändern. Ich mußte mich beherrschen, um nicht blitzschnell zuzupacken. Aber damit hätte ich mich um die Chance gebracht, weitere dieser Steine zu erbeuten. Die Frau deutete meinen forschenden Blick richtig. »Wenn ich sage, daß ich die Karte geerbt habe, genügt dir das?« »Die Vorgeschichte ist mir egal«, grinste ich. »Hauptsache, es gibt genügend zu holen.«
* Die Frau, sie nannte sich Binara, führte mich zu einer nur zwei Straßenzüge entfernt liegenden Wohnung. Die Gegend machte durchaus einen vornehmen Eindruck. Wenig später stand ich zwei jungen Männern gegenüber, die mich mit deutlichem Mißtrauen musterten. »Ich kam dazu, wie er mit Klivio verhandelte«, sagte Binara, als bedürfe es keiner weiteren Erklärung. »Dharys ist bereit, unsere gesamte Ausrüstung zu finanzieren.« »Nicht ohne vorher zu wissen, was ich dabei verdienen kann«, warf ich ein.
»Ein Viertel, wie für jeden von uns«, stellte der ältere der Männer fest. »Das Vorkommen dürfte aus einigen tausend Steinen bestehen.« »Ich habe ein besseres Geschäft vorzuschlagen.« Der entsicherte Strahler, den ich plötzlich in der Hand hielt, redete eine deutliche Sprache. »Die Karte gegen euer Leben. Das ist mein Angebot.« Ihre Hilflosigkeit amüsierte mich. Ich hatte sie in einem Moment überrascht, in dem sie am wenigsten damit rechneten. »Du kommst damit nicht weit«, fauchte Binara. »Das laß meine Sorge sein. Gebt mir die Karte.« »Wir haben sie nicht hier.« »Dann holen wir sie. Das ist kein Problem.« »Nein!« Ich durfte mich nicht hinhalten lassen. »Zwei von euch sind überflüssig«, stellte ich spöttisch fest. »Es wird sich schnell herausstellen, wer.« Sie schwiegen verbissen. »Wie ihr wollt.« Mein Finger näherte sich dem Auslöser. »Warte, du kannst die Karte haben.« Der Ältere ging zu einer Schrankwand, öffnete den untersten Schub und begann darin herumzuwühlen. Den metallischen Reflex bemerken und schießen, war eins. Der Mann kam nicht mehr dazu, seine Waffe auf mich zu richten. Lautlos brach er zusammen. »Er ist nicht tot«, sagte ich. »Noch nicht. Je eher ich die Karte habe, desto eher dürft ihr ihn in ärztliche Obhut bringen.« »Bestie!« zischte Binara. »Ich glaube kaum, daß ihr es anders gemacht habt«, wies ich sie zurecht. »Also …« Minuten später hielt ich eine einfache Schreibfolie in Händen, auf der verschiedene Geländepunkte besonders markiert waren. Sie zeigten ein Gebiet, das noch jenseits des Landesplatzes der RUYKOR lag. Die Gegend war gebirgig und vermutlich an manchen
Stellen nur schwer zugänglich. »Wagt es ja nicht, mir zu folgen«, warnte ich, bevor ich die Wohnung verließ. »Ich würde nicht zögern, zu schießen.« Der Lift brachte mich ins Parterre. Während ich die Straße entlanghastete, gab ich das vereinbarte Signal für Zwei, sich sofort beim Gleiter einzufinden.
* Eins hatte sich die erstbeste Etage des Kaufhauses ausgesucht, um seinen Auftrag zu erfüllen. Ein wenig hilflos lief er zwischen den endlos anmutenden Regalreihen mit Haushaltsgeräten aller Art herum, blieb oft neben Kundinnen stehen und beobachtete sie. Eins registrierte Fakten. Schon bald war er überzeugt davon, daß nahezu jeder Daila einen der runden Kristalle trug, von denen kaum einer dem anderen glich. Sie waren in Größe und Färbung unterschiedlich. Eins begann dann, sich für Einzelheiten zu interessieren. In der Sportabteilung sprach er die ersten Männer und Frauen an: »Du trägst einen herrlichen Stein. Woher hast du ihn?« »Verkaufst du mir deinen Glücksstein?« »Ich suche einen Kristall, der zu mir paßt, weil ich gegen die meisten allergisch bin. Darf ich den deinen kurz berühren?« Die Reaktionen fielen vielschichtig aus. Von Unverständnis über Mitleid und Erschrecken bis hin zu fast schon handgreiflich geäußerten Beschimpfungen mußte Eins alles über sich ergehen lassen. Er sammelte Daten, die sich hoffentlich bald zu einem nahtlosen Bild zusammenfügen würden, damit Dharys über den exakten Stellenwert der Glückssteine in der Gesellschaftsordnung von Cirgro informiert wurde. Immer wieder stellte Eins die Frage nach dem Ursprung der Kristalle.
»In der Schmuckabteilung wurde vor Wochen eine eigene Verkaufsvitrine aufgebaut«, sagte eine Frau. »Die Preise sind zwar unverschämt, aber du kannst sicher sein, keine billige und vor allem wirkungslose Kopie zu erwerben, wie sie vereinzelt an gutgläubige Käufer verschachert wurden.« Eins hatte daraufhin nichts Eiligeres zu tun, als die Schmuckabteilung aufzusuchen. Eine imposante Auswahl an Glückssteinen erwartete ihn. Da lagen Dutzende verschieden großer und gefärbter Kristalle auf schwarzem Samt und unter dicken Glasscheiben, die jedoch keinerlei störende Lichtbrechung verursachten. Die Preise waren in der Tat horrend. »Woher stammen die Steine?« wandte Eins sich an eine der Verkäuferinnen. »Ungefähr die Hälfte davon aus dem Morgengebirge, die restlichen von den anderen Kontinenten«, erklärte sie. »Die größten wurden in jenen Regionen gefunden, die die Krelquotten noch immer ausschließlich für sich beanspruchen.« Hastige Schritte wurden laut, die Augen der Frau weiteten sich in ungläubigem Erstaunen. Als Eins sich irritiert umwandte, blickte er in die Mündung zweier auf ihn gerichteter Strahler. »Bleib ruhig!« wurde er aufgefordert. »Wir beobachten dich schon eine geraume Weile. Dein Interesse an den Glückssteinen ist offenkundig. Was hast du vor?« »Nichts«, sagte Eins. »Es muß sich um ein Mißverständnis handeln.« »Du wärst nicht der erste, der versucht, sie an sich zu bringen.« Einer der Bewaffneten tastete Eins ab. Erst brachte er dessen Funkgerät zum Vorschein, das von der Bauweise her auf Cirgro sicher keine Entsprechung fand, dann den handlichen Thermostrahler. »Sieh an. Genau das habe ich befürchtet. Du kommst mit uns, Freundchen.« »Und wenn ich mich weigere?«
»Das wird dir wenig nützen. Du erzählst am besten gleich, was mit dir los ist, bevor es unangenehm wird.« Als Eins schwieg, führten sie ihn zum Ausgang. Ihren Worten entnahm er, daß Polizei unterwegs war, um ihn in sicheren Gewahrsam zu bringen.
* Vergeblich rief ich nach Eins. Die Antwort, daß er mein Signal empfing, blieb aus. Mit geringer Geschwindigkeit tauchte der Gleiter in die Häuserschluchten des Geschäftsviertels ein. Ich begann, die Unzuverlässigkeit der Werkzeuge zu verfluchen. Ausgerechnet jetzt mußte ich daran denken, daß ich mich an Bord der RUYKOR hin und wieder beobachtet fühlte. War es lediglich Einbildung, die aus meiner Abneigung heraus entstand, oder spionierte tatsächlich einer meiner zum Teil seltsamen Untergebenen hinter mir her? In wessen Auftrag – und wer? Der Erleuchtete hatte es bestimmt nicht nötig, mich zu überwachen. Oder doch? Schwer, sich vorzustellen, daß eines der Werkzeuge zugleich einer dritten Macht diente. »Herr, sieh! Was ist da los?« Wir hatten das Kaufhaus fast erreicht, auf dessen Dach ich Eins abgesetzt hatte. Eine große Menschenmenge drängte sich auf der Straße davor. Ich sah die blinkenden Signale mehrerer Polizeifahrzeuge. Die Leitstelle reduzierte die Geschwindigkeit meines Gleiters und ließ ihn zugleich auf eine höhere Flugbahn steigen. »Kannst du etwas erkennen, Zwei?« wollte ich wissen. Das Werkzeug besaß eindeutig die besseren Augen. Unwillkürlich brachte ich den Menschenauflauf mit der Anwesenheit von Eins in Verbindung. Ohne länger zu zögern, koppelte ich die Steuerung des Gleiters von der Leitstelle ab. In dem Augenblick war mir egal, ob
ich deswegen von Ordnungskräften aufgehalten wurde. Falls sie Eins erwischten und einer näheren Untersuchung unterzogen, konnte das weit unangenehmer werden. Ich näherte mich dem Haupteingang des Kaufhauses. Die Polizisten drängten inzwischen die Schaulustigen zurück. Ein Mann lag am Boden. »Es ist Eins«, bestätigte das Werkzeug neben mir. »Er ist tot.« Unwillkürlich atmete ich auf. »Wurde er erschossen?« »Er hat seiner Existenz selbst ein Ende bereitet«, sagte Zwei. »Ich verfüge ebenfalls über eine solche Sicherheitsvorrichtung, die es mir erlaubt, mich dem Zugriff eines Gegners zu entziehen.« Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber der Vorfall bewies mir erneut, daß der Erleuchtete keine Eventualität außer acht ließ. Ich konnte mich glücklich schätzen, diesem Herrn zu dienen. Jemand versuchte, über Funk Verbindung aufzunehmen; ich ignorierte das drängende Blinken der Kontrollen und riß den Gleiter mit hoher Beschleunigung in die Höhe. Eine der Polizeimaschinen folgte mir. »Abschießen?« fragte Zwei. »Damit wir in wenigen Minuten die ganze Meute am Hals haben? Es muß wie ein Unfall aussehen.« Ich forderte das Werkzeug auf, die Steuerung zu übernehmen, und konzentrierte mich ausschließlich auf den Gleiter, der rasch aufschloß. Zweifellos besaßen auch die Polizisten Glückssteine, die sie vor parapsychischen Kräften schützten. Deshalb tastete ich nur nach dem Triebwerk der Maschine. Die Auswirkung der Kristalle, die einen Teil meiner Kräfte absorbierten, war dennoch zu spüren: mit jedem Herzschlag pulsierte eine zunehmende Schwäche durch meinen Körper. Aber dann schoß eine Stichflamme in den Himmel. Der Polizeigleiter wurde schlagartig vom Feuerschein eingehüllt. Schwer wie ein Stein sackte er durch und verschwand irgendwo im Häusermeer.
Zwei beschleunigte weiter. In waghalsigem Flug jagte er dicht über Gebäude und Parks hinweg, bis die Stadt endlich hinter uns lag und im Dunst des Tages verschwand. Die dichten Wälder boten den besten Ortungsschutz, den wir uns wünschen konnten. Mehreren Flußläufen folgend, näherten wir uns nach Stunden wieder der RUYKOR. Nur hin und wieder war der Gleiter über die Baumwipfel emporgestiegen, damit eine Orientierung möglich wurde.
5. Der Erleuchtete zeigte sich mit meinem Erfolg zufrieden. Die Landkarte erwies sich als durchaus brauchbar. Mit den von der RUYKOR gemachten Aufnahmen verglichen, stellte sich heraus, daß die betreffende Gebirgsregion nicht einmal 400 Kilometer entfernt lag. »Du wirst das Vorkommen ausbeuten und selbst den kleinsten Kristall zu mir bringen«, sagte der Erleuchtete. »Nimm Zwei mit und einige robotische Werkzeuge, die dir beim Abbau helfen können. Aber geh kein Risiko ein. Ich lege Wert darauf, dich wohlbehalten zurückzusehen.« Ein größeres Kompliment hätte er mir gar nicht machen können. Er, der Mächtige, brauchte Dharys. Vielleicht konnte ich eines Tages sogar sein Freund werden. Dabei besaß ich schon jetzt allen Grund, ihm dankbar zu sein. Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten, als ich die RURYKOR wieder verließ. So weit das Auge reichte, erstreckte sich unberührte Wildnis, die wohl erst wenige Daila betreten hatten. Hier ohne kostspielige Ausrüstung nach Bodenschätzen zu suchen, mußte selbst in unserer hochtechnisierten Zeit einem Abenteuer gleichkommen, dessen Ausgang mehr als nur ungewiß war. Der Wasserfall war der erste markante Punkt auf der Karte. Schäumend verschwand ein immerhin beachtlicher Fluß in der
unergründlichen Tiefe einer Erdspalte. Der stete Wasserdampf über diesem Gebiet ließ die Pflanzen üppig und in ungeahnter Vielfalt wuchern. Zu Fuß mußte ein Durchkommen so gut wie unmöglich sein. Ich flog nach Westen, der sinkenden Sonne hinterher. Allmählich wurde das Gelände hügeliger, vereinzelt konkurrierten von Erosion zerfressene Steinsäulen mit den höchsten Bäumen. Vor Urzeiten mochte sich hier eine steile Felswand erhoben haben, doch einzelne Gesteinsschichten waren schneller verwittert. Auch die heutigen Überreste würden wohl in einigen tausend Jahren gänzlich verschwunden sein. Weit voraus ballte sich eine dräuende Schwärze zusammen. Minuten vergingen, bis ich erkannte, daß es sich nicht um ein heraufziehendes Unwetter handelte, sondern daß der Wind dort Asche aufwirbelte. Verkohlten Skeletten gleich, ragten auf einer Fläche von mehreren Hektar einzelne Baumstümpfe auf. Ein verheerender Waldbrand hatte jedes Grün vernichtet. Vereinzelt flackerte noch Glut unter der Asche. Wichtiger als die Frage nach der Ursache des Feuers war für mich, wieso es scheinbar von selbst wieder erloschen war. Dabei konnte ein einziger Windstoß genügen, es von neuem anzufachen und die ausgedehnten Wälder ringsum in einem flammenden Inferno zu vernichten. Am Rand der verkohlten Fläche zeigte sich ein metallisches Blinken. Um zu erkennen, was dort das Sonnenlicht reflektierte, ging ich tiefer, landete den Gleiter schließlich inmitten einer, aufstiebenden Aschewolke. »Du bleibst an den Ortungen!« befahl ich Zwei und wandte mich an die beiden zylinderförmigen Roboter, die wie ein Daila auf zwei Beinen aufrecht gingen, die aber ihre Extremitäten jederzeit einziehen konnten und dann mittels eines Antigravfelds flugfähig waren: »Ihr begleitet mich.« Eine drückende, schwüle Hitze umfing mich. Zusammen mit der
ständig aufwirbelnden Asche machte sie das Atmen zur Qual. Nirgendwo zeigte sich eine Spur von Leben – das Feuer mußte selbst das kleinste Getier vernichtet oder vertrieben haben. Aber wie ich inzwischen wußte, durfte ich mich auf meine telepathischen Fähigkeiten nicht mehr verlassen. Deshalb hielt ich den Strahler entsichert in der Rechten. Die Roboter fanden einen metallenen Kasten von ungefähr einem halben Meter Kantenlänge. Sensortasten und verschiedene Skaleneinteilungen unterbrachen die ansonsten glatte Oberfläche; die Beschriftung war in dailanischen Schriftzeichen ausgeführt. Ich erkannte, daß es sich um ein elektronisches Gerät zur Sondierung unterschiedlicher Bodenformationen handelte. In dieser Größe war es gewiß ein kleines Vermögen wert. Angenommen, die Besitzer hatten vor dem Feuer fliehen müssen, weshalb kehrten sie nicht zurück? Mein Mißtrauen erwachte von neuem. »Schafft den Kasten an Bord!« befahl ich den Robotern. Ob die Daila, denen er gehörte, den Brand verursacht hatten? Das ungute Gefühl ignorierend, das mich allmählich beschlich, ließ ich meinen Blick über den Waldrand schweifen. Das Echo einer heftigen Detonation riß mich herum. Ich sah gerade noch den ersten meiner Roboter als aufglühenden Metallklumpen zu Boden sinken. Spontan gab ich der elektronischen Sonde die Schuld daran, aber das Gerät war völlig intakt. »Was ist geschehen?« »Ich weiß nicht, Herr«, antwortete das andere Werkzeug. »Eine Fremdeinwirkung ist nicht festzustellen.« »Achte auf den Wald!« rief ich. »Sobald sich etwas bewegt, schieße und frage erst danach.« Ich aktivierte das kleine Funkgerät, das ich am Handgelenk trug, und rief nach Zwei. Möglicherweise hatten die Ortungen des Gleiters etwas Ungewöhnliches aufgezeichnet. Aber er meldete sich nicht. Das war unverständlich. Der Gleiter stand nur wenig mehr als hundert Meter entfernt. Wie ich Zwei
hinter der Frontscheibe sehen konnte, mußte er uns ebenfalls beobachten können. Ich schaltete auf Empfang, doch nicht einmal das Rauschen von Störungen drang aus dem Lautsprecher. Endlich blickte Zwei in unsere Richtung. Ich winkte heftig. Zwei stutzte, verschwand dann, um gleich darauf im Ausstieg des Gleiters zu erscheinen. Er trug einen langläufigen Strahlenkarabiner im Anschlag. Ich bedeutete ihm, vorsichtig zu sein – Zwei nickte verstehend. Im Laufschritt kam er näher. Der Roboter neben mir begann plötzlich zu feuern. Er hatte seine Waffe umgeschaltet. Die Desintegratorstrahlen fraßen sich fauchend durch das Unterholz. »Krelquotten«, stellte er emotionslos fest. »Ich habe sie verfehlt.« Gleichzeitig erklang vom Gleiter her ein schrilles, rasch in den Ultraschallbereich abgleitendes Geräusch. Was ich sah, mußte ein Alptraum sein. Ein helles Flimmern umfloß die Maschine, deren Konturen nur noch für Sekunden stabil blieben und dann zu verschwimmen begannen. Der Gleiter löste sich auf, verschwand einfach, als habe es ihn nie gegeben. Fassungslos starrte ich auf das Phänomen, das nicht die geringste energetische Entladung freisetzte. Der Glutstrahl aus meiner Waffe zuckte ins Leere und fraß sich lediglich durch einige dahinterstehende verkohlte Baumstümpfe. »Kommt schon!« begann ich zu brüllen. »Zeigt euch, ihr verdammtes Gesindel. Wenn ihr den Mut dazu habt, greift offen an.« Ich hatte keine Ahnung, wer meine Gegner waren. Aber rein gefühlsmäßig glaubte ich nicht, es mit Daila zu tun zu haben. Die beiden Arthroser aus dem Camp fielen mir ein. Weshalb sollten die Händler nicht mit allen Mitteln versuchen, sich eine Monopolstellung in bezug auf die wertvollen Glückssteine zu sichern? Das Gebirge lag höchstens noch 50 Kilometer entfernt. »Wir gehen weiter«, bestimmte ich. Es hatte keinen Sinn, hier auf Hilfe zu
warten. Die Untätigkeit behagte mir nicht. Wenn ich mich nicht in zwei Tagen meldete, würde Diener eine Suchaktion einleiten. Da wir vereinbart hatten, nur in Notfällen miteinander Verbindung aufzunehmen, konnte er vorher keinen Verdacht schöpfen. Die Waffen in Anschlag, marschierten wir nach Westen, ließen das elektronische Suchgerät aber zurück. Ich brauchte es nicht. Hin und wieder nahm ich Gedankenfetzen von Krelquotten wahr. Die pelzigen Geschöpfe schienen uns in einigem Abstand zu begleiten, sie kamen indes nie nahe genug heran, daß ich ihre Absichten hätte erkennen können. Allmählich färbte der Himmel sich rot. Vor der untergehenden Sonne wurde in der Ferne die Silhouette des Gebirges sichtbar. Ich schätzte, daß wir bereits an die 15 Kilometer hinter uns gebracht hatten; wir kamen schneller voran als erwartet. Es wurde Zeit, einen Lagerplatz für die Nacht zu suchen. Eine kleine Lichtung, von dichtem Buschwerk gesäumt, kam mir wie gerufen. Ich befahl dem Roboter, Augen und Ohren offenzuhalten und mich zu wecken, sobald er Ungewöhnliches bemerkte. Trotzdem lag ich noch lange wach. Die Arme unter dem Kopf verschränkt, starrte ich zu den wenigen Sternen hinauf, deren matter Schimmer durch das Laubdach fiel. Meine Sinne hatte ich weit geöffnet, nahm aber nicht mehr wahr als einige umherstreifende Raubtiere auf der Suche nach Beute. Sie mieden unsere Nähe.
* Ich erwachte vom Fauchen eines Desintegratorschusses. Vor meinen Füßen ringelte sich ein Bündel abgetrennter Lianen. Ich blickte in die Höhe. Ein nur armdicker Stamm endete in drei Meter Höhe, wo vermutlich noch kurz zuvor seine Krone begonnen hatte. Zähflüssiges Harz tropfte aus der Wunde herab. Eine fleischfressende Pflanze? Telekinetisch beförderte ich die
Lianenstränge ins Gebüsch. »Es geht weiter!« befahl ich. Schon bald wurde der Wald lichter, der Boden felsiger. Nach wie vor kamen wir gut voran. Bis zum Mittag hatten wir die ersten Berge schon fast zum Greifen nahe vor uns. Ein Raumschiff zog über den wolkenlos blauen Himmel dahin. Nachdenklich blickte ich dem Silberstreif hinterher, bis er in der Ferne verschwand. Der Karte nach war es nicht mehr weit bis zur Fundstelle der Kristalle. Ich mußte dem kleinen Gebirgsbach bis zu dessen Ursprung folgen, von da aus ging es auf einem schmalen Saumpfad weiter. Meinen Durst löschte ich mit dem kristallklaren Wasser des Baches. Den Hunger, der sich zunehmend quälender bemerkbar machte, verdrängte ich, so gut es ging. Das Risiko, aus Unwissenheit ungenießbare Früchte zu mir zu nehmen, erschien mir unverantwortlich groß. Mehrmals hatte ich inzwischen schon versucht, mein Funkgerät zu aktivieren – leider ebenso vergeblich wie zuvor. Der Aufstieg wurde beschwerlicher. Aber endlich erreichten wir die Quelle. Bis jetzt stimmte jedes Detail auf dem Plan. So dicht vor dem Ziel begann ich mich zu fragen, wie die Glückssteine auf mich wirken würden. Unbewußt hatte ich diesen Gedanken bisher verdrängt, aber meine Zweifel wuchsen. Ich empfand Furcht davor, die PsiKräfte zu verlieren – mein Traum war es, mein Potential später dem Erleuchteten zur Verfügung zu stellen. Aus Dankbarkeit für alles, was er meiner Familie getan hatte. Schmerzen oder andere Auswirkungen, die ein körperlicher Kontakt mit den Kristallen mit sich bringen mochte, waren mir gleichgültig. Immerhin hatten Millionen Daila vor mir bewiesen, daß keine Gefahr bestand. Heulend strich ein kalter Wind um die schroffen Felsen, zwischen
denen nur karges Moos gedieh. Ich fröstelte. Aber vielleicht war dieses Gefühl der Kälte auch Ausdruck der Nähe vieler Glückssteine. Der Karte nach mußte ich noch weiter aufsteigen. Schon jetzt bot sich mir ein faszinierender Rundblick über die unberührte Wildnis. Der Pfad war an manchen Stellen weniger als dreißig Zentimeter breit und von verwittertem Gestein übersät. Zu beiden Seiten fiel die Steilwand nahezu senkrecht Dutzende von Metern ab. Ein einziger Fehltritt konnte den Tod bedeuten. Ich befahl Zwei, Hindernisse beiseite zuräumen. Er war fast drüben angelangt, als ich ihm folgte. Früher wäre ich um nichts in der Welt zu bewegen gewesen, diesen Weg zu gehen. Erst der Erleuchtete hatte mir das nötige Selbstvertrauen gegeben. Unvermittelt riß Zwei seine Waffe hoch und begann zu feuern. Auf etwas, was ich von meinem Standort aus nicht erkennen konnte, weil Felsblöcke die Sicht versperrten. »Herr«, rief er. »Es sind Stahlmänn …« Glutstrahlen hüllten ihn ein, ließen ihn stürzen. Auch der Roboter hinter mir wurde getroffen. Schwankend versuchte er, Höhe zu gewinnen – Sekunden später lag er zerschmettert in der Tiefe, und Entladungsblitze zuckten über seinen Torso. Noch blieben die Gegner verborgen. Aber das überraschende Ende der beiden Werkzeuge war mir Warnung genug. Mit meinem Strahler hatte ich wahrscheinlich keine Chance. »Was wollt ihr?« rief ich laut. »Dich«, hallte die Antwort herüber. Mehrere große metallene Gestalten lösten sich von den Felsen: Roboter. »Stahlmänner«, hatte Zwei rufen wollen. Das bedeutete, daß er die Herkunft dieser Maschinen kannte, die keinesfalls Produkte dailanischer Technik waren. Ich verfluchte meine Unwissenheit. Mit wem hatte ich es zu tun? »Wirf deine Waffe weg!«
Mir blieb keine andere Wahl. Aber immerhin war ich auch ohne Strahler nicht wehrlos. »Und nun komm!« Ich ging langsam, um Zeit zu gewinnen. Fünf Roboter gegen einen Daila – ein schlechtes Verhältnis. Doch zuerst mußte ich wieder sicheren Boden unter den Füßen haben. Maschinen wie diese reagierten mit unglaublicher Schnelligkeit. Nur wenn es mir gelang, sie zu überraschen, besaß ich eine Chance, sie auch zu besiegen. In gespielter Erschöpfung lehnte ich mich an einen Felsen. Erst als stählerne Greifklauen mich weiterschoben, schlug ich mit geballter telekinetischer Kraft zu. Zwei der Stahlmänner sollten in den Abgrund stürzen, die anderen versuchte ich zu entwaffnen … Aber nichts geschah. Die stählernen Kolosse schienen nicht einmal zu bemerken, daß ich sie angriff. Noch einmal konzentrierte ich mich. Mit demselben Mißerfolg wie zuvor. Sie tragen Glückssteine, durchzuckte es mich. Gewiß war es kein Zufall, daß sie ausgerechnet hier warteten. War ich, ohne es zu ahnen, blindlings in eine Falle getappt? Der Schock eines Lähmschusses raste durch meinen Körper. Ich stürzte. Nie hätte ich geglaubt, daß es derart schrecklich sein konnte, zur völligen Bewegungslosigkeit verdammt zu sein. Hilflos mußte ich es geschehen lassen, daß einer der Stahlmänner seine Arme unter mich schob und mich aufhob. Viel konnte ich nicht erkennen. Nur, daß ich in einen Gleiter geschafft wurde. Irgendwann – ich besaß keine Möglichkeit festzustellen, wieviel Zeit verstrich – senkte sich Dunkelheit herab. Offenbar war der Gleiter in einen Hangar eingeflogen.
6.
Die Stahlmänner trugen mich durch eine verwirrende Vielzahl von Räumen und über endlos lang anmutende Gänge. Ich verfluchte meine Hilflosigkeit. Dann lag ich bäuchlings auf einer gepolsterten Liege und vermochte kaum noch etwas zu erkennen. Nachdem die Schritte der Stahlmänner verklungen waren, trat Stille ein. Ich war allein mit mir und meiner Wut auf mich selbst. Ein erstes Prickeln im Nacken und an den Schläfen verriet, daß die Lähmung bald weichen würde. War ich wirklich allein? Das Gefühl, beobachtet zu werden, wurde zunehmend intensiver. Ich glaubte zu spüren, daß eine Vielzahl großer, runder Augen auf mich gerichtet war. Eine unangenehme Empfindung, die mich einengte und meinen eigenen Gedanken nur wenig Spielraum ließ. Ich begann, mich dagegen zur Wehr zu setzen. Es wurde ein ungleicher Kampf, von dem ich nicht einmal zu sagen vermochte, ob ich ihn mir vielleicht nur einbildete. Die Folgen der Lähmung des zentralen Nervensystems mochte daran schuld sein. Vergeblich versuchte ich, mich zu entspannen. Das Fremde wurde zunehmend deutlicher. Es befand sich in unmittelbarer Nähe. Wer bist du? sandte ich einen intensiven Gedanken aus. Niemand antwortete mir. Wieso versteifte ich mich darauf, es mit Telepathen zu tun zu haben? Diese Folgerung war rein emotional. Die Muskeln meiner Oberarme begannen unkontrolliert zu zucken, gleich darauf lief es abwechselnd heiß und kalt meinen Brustkorb hinab. Krampfhaft bemühte ich mich, jede freudige Regung zu unterdrücken. Die Fremden sollten nicht merken, daß ich kurz davor stand, die Lähmung zu überwinden. Je mehr Zeit verstrich, desto deutlicher spürte ich ihre Gegenwart. Und dann warf ich mich mit einem Aufschrei herum, rollte von der Liege und ging zum Angriff über. Die plötzliche Bewegung ließ meine Muskeln sich erneut verkrampfen. Dumpf hallte mein gellender Aufschrei von den Wänden wider.
Über mir hing eine Traube aus mindestens fünfzehn der seltsamsten Geschöpfe, die ich je gesehen hatte, von der Decke herab. Sie waren Gnomen, ungefähr ein Drittel so groß wie ich, und von den Händen über die Arme sowie entlang der Beine bis zu den Füßen hinab spannten sich kräftige Flughäute. Die stumpfen Schnauzen und die kugelförmig hervorquellenden schwarzen Augen waren starr auf mich gerichtet. An beiden Schädelseiten wölbte sich ein filigranartiges Gewirr von zartrosa Färbung trichterförmig auf. Ansonsten waren diese Geschöpfe nahezu farblos. Hyptons! Ohne mein Zutun stieg dieser Name aus dem Unterbewußtsein empor. Und mit ihm vieles, was ich über das im Entstehen begriffene Neue Konzil wissen mußte. Da ich nie mit diesen Geschöpfen zusammengetroffen war, konnten sämtliche Daten nur vom Erleuchteten stammen, der damit offenbar für einen solchen Zwischenfall vorgesorgt hatte. Ein unwägbarer Vorteil, den anderen von Anfang an besser einschätzen zu können. Alle diese Feststellungen mußte ich in Sekundenbruchteilen getroffen haben, während ich mich sprungbereit zusammenkauerte. Aber niemand schoß auf mich; ich war mit den Hyptons allein, die sich, wie das leichte Flimmern der Luft erkennen ließ, hinter einem Schutzschirm verbargen. Die Tatsache, daß sie sich auf diese Weise abkapselten, steigerte meine Wut. Ohne es eigentlich zu wollen, konzentrierte ich mich ausschließlich auf die Liege, die zugleich das einzige Mobiliar in dem Raum darstellte. Splitternd löste sie sich aus ihrer Verankerung, wirbelte zu der lebenden Traube aus Hyptons hinauf. Der Schutzschirm begann grell zu flackern, zugleich breitete sich der schwere Gestank von brennendem Kunststoff aus. Als ich die Liege erschöpft freigab, hatte sie sich bereits zur Hälfte aufgelöst. »Bildest du dir ein, die künftigen Herren von Manam-Turu besiegen zu können?« ertönte eine hohe, piepsende Stimme. Der
arrogante Unterton war nicht zu überhören. »Wenn ihr die Auseinandersetzung wollt, sorgt dafür, daß gleiche Bedingungen herrschen«, schrie ich sie an. »Nur Feiglinge verkriechen sich hinter Schutzschirmen.« »Du verkennst deine Lage, Daila.« »Werft mich nicht mit anderen in einen Topf.« Ich zwang mich dazu, ruhiger zu werden. »Ich bin Dharys.« »Namen sind vergänglich wie das Leben, das sich mit ihnen schmückt. Was suchst du auf Cirgro, Fremder?« Sie hatten eine Art an sich, die sie unausstehlich machte. Nicht einen Moment lang zweifelte ich daran, daß es ihnen eines Tages tatsächlich gelingen würde, ganz Manam-Turu zu beherrschen – vorausgesetzt, der Erleuchtete ließ sie gewähren. Ungeduldig wiederholten sie ihre Frage. »Das ist ganz allein meine Angelegenheit«, höhnte ich, mit dem Erfolg, daß Bewegung in die Traube aus aneinandergeklammerten Hyptons kam. »Hüte dich, Kreatur«, schrien einige von ihnen schrill. »Wir sind Angehörige des Quellenvolkes, also Nachkommen der echten, ursprünglichen Hyptons. Niemand hat uns je etwas verwehren können.« »Alles geschieht irgendwann zum erstenmal«, behauptete ich. Erneut versuchten sie, mir ihren Willen aufzuzwingen. Nun, da ich wußte, wie ihre Fähigkeiten wirkten, hatte ich für ihre Bemühungen nur ein geringschätziges Lächeln übrig. Die Hyptons beeinflußten andere Wesen nicht direkt, ihre Gabe wirkte eher wie eine schwache Narkose, die erst nach einem bestimmten Zeitraum zum Durchbruch kommt. Ihre Opfer waren zumeist nicht in der Lage, die tatsächlich von den Para-Impulsen ausgehende Gefahr zu erkennen. Ich konzentrierte mich ausschließlich darauf, die Hyptons abzuwehren. Hinter ihrem Schutzschirm waren sie zumindest im Augenblick unangreifbar. Ein stummes, verbissenes Kräftemessen
begann. Daß sie auf Aklard und etlichen anderen Welten ihr Unwesen trieben, zum Teil von Ligriden unterstützt, war mir bekannt. Ihre Anwesenheit auf Cirgro mußte ich allerdings unter anderen Vorzeichen sehen. Hatten sie es ebenfalls auf die Glückssteine abgesehen? »Wartet!« rief ich. »Wir stehen uns zwar wie Gegner gegenüber, aber sind wir das wirklich?« »Wovon sprichst du, Fremder?« Hatte ich tatsächlich so schnell ihre Neugierde wecken können? Der lästige Druck fiel fast schlagartig von mir ab. Oder witterten sie lediglich eine Möglichkeit, mich zu überrumpeln? Ich mußte vorsichtig bleiben. »Jeder von uns ist an den Glückssteinen der Daila interessiert …« »Das wissen wir.« »Warum tun wir uns dann nicht zusammen? Gemeinsam wären wir stark genug, den Planeten auszubeuten.« »Was hast du uns zu bieten?« »Ein Bündnis, einen Handel, ganz wie ihr es nennen wollt.« »Kein Hypton verbündet sich mit einem Schwächling, der sein Raumschiff verbergen muß.« Das wußten sie also. Ich hätte mir denken können, daß sie ihre Augen überall hatten. Wie anders war es zu erklären, daß ich jetzt ihr Gefangener war, obwohl ich keineswegs beabsichtigte, es lange zu bleiben. Die Verbannten konnten sie kaum in ihrer Gewalt haben, da die Glückssteine diese wohl auch vor ihren besonderen Fähigkeiten schützten. Aber die Krelquotten waren oft genug in meiner Nähe aufgetaucht. Das mochte die Erklärung für manches sein, was mir bis eben noch ungereimt erschien. Die Krelquotten und die technischen Möglichkeiten der Hyptons … Sie hätte mich schon überwältigen können, als sie den Gleiter zerstörten. Offenbar hatten sie es nur deshalb nicht getan, um meine Absichten herauszufinden.
Die Geräusche, die die Hyptons von sich gaben, klangen wie hysterisches Gelächter. Es dauerte eine Weile, bis sie sich beruhigten. »Der Erleuchtete wird eure Reaktion entsprechend würdigen«, sagte ich schulterzuckend. Sollten sie es ruhig als Drohung auffassen, denn genauso hatte ich es gemeint. »Der Erleuchtete?« Natürlich hatten sie schon von ihm gehört. Wer Manam-Turu erobern wollte, mußte mit den gegebenen Machtverhältnissen bestens vertraut sein. »Ich bin sein Diener«, nickte ich stolz.
* Eine ungewöhnliche Aufregung bemächtigte sich der Hyptons. Ich gewann den Eindruck, daß sie nur auf eine solche Gelegenheit gewartet hatten. Umsonst bedrängten sie mich nicht, die RUYKOR herbeizuholen und ihnen eine Unterredung mit dem Erleuchteten zu vermitteln. »Wer sagt mir, daß ihr kein falsches Spiel treibt?« wehrte ich ab. »Wie soll ich euch vertrauen können? Ich weiß nichts über euch und eure Stärke auf Cirgro.« Stahlmänner brachten uns zu essen und zu trinken. Ich ließ mir bewußt Zeit damit. Während ich aß, berichteten die Hyptons. Demnach hatten sie fünf ihrer Schiffe in den noch immer verbotenen Regionen des Planeten stationiert. Die Krelquotten waren ihre besten und willfährigsten Helfer und hielten ihnen Fremde auf weite Distanz fern. In jedem der Schiffe gab es eine »Traube« – die wichtigste Zusammenballung von Hyptons, mit der ich es zu tun hatte, trug den Namen Weisheit der Quellen und betrachtete es als ihre Aufgabe, die ursprüngliche Größe ihres Volkes wiederherzustellen. Die Scharten der jüngeren Vergangenheit, von der sie allerdings nur in Andeutungen
sprachen, sollten ausgewetzt werden. Auch galt es, die Abhängigkeit von Hilfsvölkern wie den Ligriden zu verringern, wenn nicht gar zu beseitigen. Zwischen den Worten erkannte ich, daß sie sich insgeheim vor ihren eigenen Vasallen fürchteten. All diese Einzelheiten erfuhr ich natürlich nur, weil ich nach und nach auch einige meiner Geheimnisse preisgab. Dabei sprach ich vom Erleuchteten mehr und mehr als von meinem Freund, vermied es aber, zu erwähnen, daß er versprochen hatte, meinem Volk zu helfen. Immerhin war das gleichbedeutend mit einer Vertreibung der Hyptons von Aklard und den unzähligen Welten, auf denen Verbannte lebten. Lediglich meine Jagd nach Psi-Potentialen schilderte ich, um der Logik Genüge zu tun. Die Hyptons, mit denen ich es anfangs zu tun hatte, bildeten offenbar nur einen Teil der Weisheit der Quellen, denn mit der Zeit gesellten sich weitere ihres Volkes hinzu, und schließlich waren es mindestens 50 Exemplare, die kopfüber von der Decke herabhingen. Jetzt noch ihre Forderung zu ignorieren, fiel schwer. Überraschenderweise funktionierte mein Funkgerät wieder, so daß ich keine Schwierigkeiten hatte, mit der RUYKOR in Verbindung zu treten. Diener hatte tatsächlich schon einen Suchtrupp zusammengestellt und wartete nur noch darauf, daß die gesetzte Frist ereignislos verstrich. Zum erstenmal empfand ich so etwas wie Sympathie für den kleinen Roboter. Ich hätte nie gedacht, daß er derart um mein Wohlergehen besorgt war. Aber andererseits waren die Werkzeuge in erster Linie für meinen Schutz zuständig. »Könnt ihr meinen Standort anpeilen?« wollte ich wissen. »Einigermaßen. Deine Sendeleistung ist so gering, daß wir dich gerade noch empfangen.« Das mußte ich den Hyptons zugestehen – sie wußten, wie sie eine Entdeckung durch die Daila verhindern konnten. Immerhin hätte mein Funkspruch auch Neugierige anlocken können. »Die RUYKOR soll ihr Versteck verlassen und hier landen.« »Nach unseren Messungen befindest du dich im Innern eines
ausgedehnten Gebirgsmassivs.« Täuschte ich mich, oder klang Dieners mechanische Stimme ungläubig? »Das ist in Ordnung«, ließen die Hyptons mich wissen. »Ein Peilstrahl wird dein Schiff einweisen.« Obwohl mir keineswegs wohl dabei war, gab ich die Bestätigung weiter. Falls die Hyptons einen unterirdischen Hangar angelegt hatten, würde die RUYKOR ihnen in Kürze auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein. Andererseits konnte ich kaum noch zurück, ohne mein Gesicht zu verlieren.
* Endlich bekam ich mehr von der Umgebung zu sehen, in die ich verschleppt worden war. Ich befand mich tatsächlich im Innern eines Raumschiffs, dessen Größe ich allerdings nur schwer abzuschätzen vermochte. Stahlmänner führten mich nach draußen, in eine Welt der Düsternis, hoch aufgewölbt, mit gläsern wirkenden Wänden über nacktem Gestein. Noch während ich mich von der Schleusenkammer aus umsah, fiel Licht aus der Höhe herab. Hoch über mir, im Mittelpunkt der kuppelförmigen Höhle, war eine Öffnung entstanden, die sich rasch weitete. Sie vermittelte mir ein beeindruckendes Bild der Größenverhältnisse. Wenig später senkte die RUYKOR sich ohne eigenen Antrieb herab. Traktorstrahlen ließen sie sicher und ohne Erschütterung aufsetzen. Mein Armbandgerät meldete sich mit leisem Summen. Wahrscheinlich versuchte Diener, mit mir in Kontakt zu treten. Zögernd nahm ich den Anruf entgegen. »Befehle deinen Leuten, daß sie an Bord bleiben sollen«, wurde ich von einem der Roboter aufgefordert. »Wir gehen hinüber, um einen
ersten Kontakt mit dem Erleuchteten herzustellen.« »Wäre das nicht Sache der Hyptons?« fragte ich verwundert. »Wir handeln in ihrem Auftrag.« »Dir vertraut mir nicht?« Fast hätte ich hellauf gelacht. »Wir sind angewiesen, Vorsicht walten zu lassen.« Fürchten die Hyptons den Erleuchteten? Zur Decke hinaufblickend, mußte ich feststellen, daß die Öffnung sich bereits wieder schloß. Silbrighell ragte die RUYKOR vor mir auf. Wir wurden erwartet. Diener und einige Dutzend Werkzeuge nahmen Aufstellung, als ich im Gefolge der Stahlmänner das Schiff betrat. »Zufrieden?« konnte ich mir die spöttische Frage nicht verkneifen. »Erst wenn wir den Erleuchteten gesprochen haben.« »Er hält sich nicht persönlich an Bord auf.« »Wo befindet er sich dann?« Ich winkte lässig ab. »Keine Sorge, ihr werdet mit ihm reden können, als stünde er euch gegenüber.« Sie folgten mir zur Kontaktzelle. Ihre Enttäuschung, als sie den kahlen Raum betraten, war offensichtlich. Ähnlich war es mir beim erstenmal ergangen. Ihre Waffen zuckten hoch. »Beruhigt euch, Freunde«, grinste ich. »Mein Herr sieht und hört euch. Also bringt euer Anliegen vor.« »Wie sollen wir wissen, ob du uns nicht mit technischen Spielereien betrügst, solange wir dem Erleuchteten nicht unmittelbar gegenüberstehen?« »Glaubt mir, oder laßt es«, sagte ich. »Weshalb beleidigen die Hyptons mich, indem sie nur ihre Stahlmänner schicken?« erklang eine Stimme, deren Ursprung nur schwer zu lokalisieren war. »Ich bin gewohnt, Verhandlungen mit gleichwertigen Partnern zu führen.« »Wir sind gekommen, dich der Bereitschaft des Konzils zu versichern.«
»Ist das alles?« »Nicht ganz.« Blitzschnell riß einer der Roboter seine Waffe hoch und feuerte in die Richtung, aus der die Stimme erklungen war. Der Energiestrahl wurde von der Wund absorbiert, ohne Schaden anzurichten. Zugleich begann der Strahler aufzuglühen, in Sekundenbruchteilen schmolz er zu einem unbrauchbaren Stück Metall zusammen. Jedoch kam es zu keiner spontanen Reaktion des Energiemagazins. »Geht!« rief der Erleuchtete schrill. »Sagt den Vertretern des Neuen Konzils, daß ich ungehalten bin, wenn man mich zu hintergehen versucht. Beim nächstenmal werde ich nicht nur eure Waffen zerstören.«
* Daß ich an Bord der RUYKOR bleiben durfte, während die Stahlmänner das Schiff verließen, empfand ich keineswegs als besonderes Entgegenkommen seitens der Hyptons. Sie wußten, daß wir den unterirdischen Hangar ohne ihre Zustimmung nicht verlassen konnten. Ein Feuergefecht hätte vermutlich die gesamte Anlage zerstört. Ich kannte die Pläne des Erleuchteten zwar nicht, aber jede Seite schien sich vorerst darauf zu verlegen, die Stärken und Schwächen des anderen auszukundschaften. Werkzeuge, die ich im Auftrag des Erleuchteten aussandte, kehrten jeweils schon nach kurzer Zeit unverrichteter Dinge zurück. Weder gelang es ihnen, in das Schiff der Hyptons einzudringen noch in die tiefergelegenen Bereiche des Hangars, in denen wir umfangreiche energetische Tätigkeiten anmaßen. »Die Hyptons bauen dort Glückssteine ab«, behauptete Diener. »Weshalb sonst sollten sie sich ins Innere des Gebirges zurückgezogen haben?«
Stunden vergingen ereignislos, bis sich endlich ein Fahrzeug der RUYKOR näherte. Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen, als vier Daila ausstiegen. Ein einzelner Hypton folgte ihnen. Er war größer als die anderen, maß gut 75 Zentimeter, und seine Haut glänzte in einem milchigen Weiß. Obwohl er die Flughäute angelegt hatte, schien er über dem Boden zu schweben. Ich mußte die Schiffssensoren bemühen, um zu erkennen, daß er ein Antigravgerät benutzte. Unmittelbar vor dem unsichtbaren Schirmfeld, das auf ihre Psyche eingewirkt hätte, blieben sie stehen. Ich glaubte an keinen Zufall. Offenbar wollten die Hyptons mit solchen Kleinigkeiten ihre Überlegenheit demonstrieren. Das Verhalten paßte zu ihrer Überheblichkeit. »Wir verlangen, den Erleuchteten zu sehen«, sagte der Hypton. Ich ließ ihn eine Weile warten, ehe ich über die Außenlautsprecher antwortete. »Das ist unmöglich. Aber wenn du gekommen bist, ihn um eine Unterredung zu bitten …« »Du selbst hast einen Handel vorgeschlagen«, erklang es scharf und ungeduldig. »Wie die Dinge jetzt liegen, kann jedoch nur eine Seite davon profitieren.« »Und du meinst, dies wären nicht die Hyptons?« erwiderte ich spöttisch. Ich gab den Befehl, die Schleuse zu öffnen und die Wartenden in die Kontaktzelle zu führen, wo ich wenig später mit ihnen zusammentraf. Meine Bemühungen, die Gedanken der Daila auszuspionieren, blieben vergeblich. Sie trugen Glückssteine. Trotzdem unterlagen sie dem Bann der Hyptons und waren ihre willfährigen Helfer. Ich begann mich zu fragen, wie viele meines Volkes inzwischen auf diese Weise versklavt waren. Fünf Raumschiffe befanden sich auf Cirgro im Gebiet der Krelquotten. Falls von jedem aus Vorkommen von Glückssteinen ausgebeutet wurden, mochten die Hyptons schon eine ansehnliche Menge zusammengetragen haben.
»Das Neue Konzil kennt meine Macht?« begann der Erleuchtete übergangslos, kaum daß wir die Zelle betreten hatten. Mir fiel auf, daß die Daila sich wie zufällig über den Raum verteilten. Sofort war mein Mißtrauen wieder geweckt. »Wir haben verschiedene Gerüchte vernommen«, nickte der Hypton vorsichtig. »Du sollst große Pläne hegen.« »Weshalb versucht ihr dann, mich zu hintergehen?« »Ich verstehe nicht.« »Du wirst sicher gleich wissen, wovon ich rede.« Schreiend krümmten die Daila sich zusammen, versuchten, sich die Kleider vom Leib zu reißen. Das schallende Gelächter des Erleuchteten spornte sie in ihren Bemühungen noch weiter an. Ich stand dem Geschehen hilflos gegenüber – bis ich die handtellergroßen Brandflecke bemerkte, die sich auf den Kombinationen der Daila gebildet hatten. »Ich sehe und höre alles«, dröhnte der Erleuchtete. »Weshalb versuchen die Hyptons, Spiongeräte einzuschleusen? Wenn ihr die Auseinandersetzung wollt, sollt ihr sie haben. Schneller als euch lieb ist.« Sie hatten wohl versucht, etwas über die Art der Verständigung herauszufinden. Ich konnte sie sogar verstehen. Der Erleuchtete war offensichtlich imstande, nicht nur Lebewesen, sondern auch tote Gegenstände, die in die Kontaktzelle gelangten, genauestens zu erfassen und zu beurteilen. Darüber hinaus vermochte er alles Unerwünschte auf der Stelle zu zerstören. Ein Vorgang, der durchaus selektiv erfolgen konnte, wie die Vernichtung der von den Daila eingeschleusten Geräte bewies. Zugleich war ich überzeugt davon, daß er ebensogut den Hypton und seine Begleiter hätte töten können. Daß er sich mit einer einfacheren Demonstration begnügt hatte, zeigte seinen Verhandlungswillen. Die Reaktion des Hyptons bewies mir, daß er ähnliche Gedanken wälzte wie ich. Am Ende hatte er womöglich genau das erreichen wollen, was geschehen war. Verständlich, daß die Hyptons darauf
bedacht waren, vorher zu erfahren, worauf sie sich einließen. Andererseits hatten sie nicht die Absicht, es sich mit dem Erleuchteten zu verderben. Ein gefährlicher Zwiespalt. »Wir wissen nun, woran wir miteinander sind«, sagte der Hypton. »Ich habe Vollmacht, in konkrete Verhandlungen einzutreten. Gemeinsam können wir unsere Ziele sicher schneller erreichen und verhindern, daß wir uns eines Tages als Gegner gegenüberstehen.« »Keine Macht in Manam-Turu wäre stark genug, uns zu widerstehen«, bestätigte der Erleuchtete. »Noch dazu, da Cirgro uns die Mittel in die Hand gibt, selbst den Widerstand von Mutanten zu brechen.« »Du sprichst von den Glückssteinen …« »Ich werden den Hyptons zu der Größe und dem Ansehen verhelfen, die ihnen zustehen«, erklärte der Erleuchtete. »Als Gegenleistung fordere ich sämtliche Glückssteine, die auf Cirgro gefunden werden. Je mehr, desto besser.« »Das ist unmöglich«, protestierte der Hypton. »Damit können wir uns nicht einverstanden erklären, denn wir benötigen die Kristalle selbst, um uns vor ligridischen und anderen Mutanten zu schützen.« »Eine eingebildete Gefahr. Mit mir als Verbündetem habt ihr niemanden zu fürchten.« »Es gibt vielleicht genügend Glückssteine«, schränkte der Hypton ein. »Wir könnten einen Kompromiß schließen und …« »Ich will alle«, hallte es durch die Kontaktzelle, daß die Daila sich verängstigt an die Wände zurückzogen. »Du willst EVOLO damit schützen«, konterte der Hypton völlig überraschend und gab damit ein Wissen preis, das ich ihm nicht zugetraut hätte. Der Erleuchtete schwieg sich aus. »Wir haben von EVOLO gehört«, fuhr der Hypton fort. »Seine Existenz ist kein Geheimnis.« Das Schweigen wirkte bedrückend. Ich glaubte, den Unwillen des Erleuchteten deutlich zu spüren. Ob die Vermutung richtig war,
oder ob mein Herr die Glückssteine für einen anderen Zweck benötigte, blieb dabei offen. Wußten die Hyptons, wer oder was EVOLO war? Nicht einmal ich hatte eine Ahnung, was sich hinter dem Namen verbarg. »Warum bringst du EVOLO nicht nach Cirgro«, schlug der Hypton vor. »Jeder von uns kann dann den Schutz der Kristalle genießen.« Die einzige Antwort bestand darin, daß sich die Kontaktzelle öffnete. Trotz seines fremdartigen Aussehens erkannte ich die Enttäuschung im Gesicht des Hyptons. Für ihn konnte es nichts Schlimmeres geben, als daß sein Stolz derart verletzt wurde.
* Die Hyptons waren sich zu sicher gewesen; an der Sturheit ihres unsichtbaren Verhandlungspartners begannen sie langsam zu verzweifeln. Ich wurde Zeuge, wie sie an diesem Tag noch zweimal versuchten, den Erleuchteten umzustimmen. Offenbar waren sie nicht gewillt, auf das Bündnis zu verzichten, von dem sie sich große Vorteile versprachen. Dies ging so weit, daß mein Herr schließlich drohte, Cirgro in Atome zu zerstäuben. »Laßt es nicht auf ein Kräftemessen ankommen«, drohte er. »Es könnte sehr schnell zu einer Katastrophe für das Neue Konzil werden.«
* Der nächste Tag begann mit einer Überraschung. Ein Dutzend Hyptons erschienen, um die festgefahrenen Verhandlungen, wie sie sich ausdrückten, in neue Bahnen zu lenken. »Wenn dir Cirgro für EVOLO zu unsicher erscheint, bieten wir dir einen inzwischen für das Konzil eroberten Planeten an, auf dem du
schalten und walten kannst, wie es dir beliebt. Auch wirst du dort eine nicht unbeträchtliche Menge an Psi-Potentialen vorfinden.« Daß der Erleuchtete auf der Suche nach Potentialen war, wußten sie von mir. Allem Anschein nach setzten sie die den Glückssteinen innewohnende Kraft mit Psi-Anteilen gleich. »Welche Welt?« wollte mein Herr wissen. »Cairon.« Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Das war der Nachbarplanet jener Welt, auf der der Erleuchtete meine Familie und mich gefunden hatte. Ich war bereits auf Cairon gewesen, hatte den dort lebenden Bathrern und ihren Priestern sowie den unzivilisierten Nomaden aber nichts abgewinnen können. Jetzt war es anders. Ich dachte an die Psi-Potentiale, die es dort gab … »Ihr bietet mir Cairon an, weil diese Welt für euch mehr und mehr zu einem Problem wird«, sagte der Erleuchtete bestimmt. »Ein Fremder namens Atlan hat dort einen Prozeß ins Rollen gebracht, der den Einfluß der Hyptons entscheidend schwächt. Bathrer und Nomaden sind zwar nicht in der Lage, in den Weltraum vorzustoßen, aber derselbe Fremde hat inzwischen auch auf Zyrph und Aklard für Unruhe gesorgt. Erwartet also nicht von mir, daß ich eure Probleme löse, bevor ich zumindest über einen Großteil aller Glückssteine verfügen kann.« Unruhe bemächtigte sich der Hyptons, einige von ihnen flatterten wirr durcheinander. Als sie sich endlich wieder beruhigt hatten, spielten sie den ihrer Meinung nach wohl größten Trumpf aus, den sie besaßen: »Seit den Geschehnissen auf BASTION-V wissen wir von einem Daila namens Chipol, daß Atlan dein Gegner ist – er hat dich schon in Alkordoom gejagt, und er befindet sich nur aus demselben Grund in Manam-Turu.« Ich zuckte regelrecht zusammen. Von meinem mißratenen Sohn ausgerechnet im Zusammenhang mit diesem Atlan zu hören, hätte ich nicht erwartet. Er war also nicht nur mein Gegner, sondern auch
der meines Herrn. »… Atlan stammt aus der Milchstraße, in der wir eine unserer schlimmsten Niederlagen erlitten«, hörte ich die Hyptons weiter sagen. »Wäre die Jagd auf ihn nicht ein Grund für uns, zusammenzuarbeiten.« »Sie wäre es möglicherweise, hätte ich Atlan nicht inzwischen zur Strecke gebracht«, stellte der Erleuchtete ernüchternd fest. »Und ein noch weit mächtigerer Gegner wird mir in Kürze ins Netz gehen. Ich bedarf eurer Hilfe also nicht.« Mein Herz pochte bis zum Hals. Wenn Atlan tot war, was war mit Chipol geschehen? Ich wagte allerdings nicht, diese Frage zu stellen, weil ich mir nicht den Unwillen des Erleuchteten zuziehen wollte. Die bisher zur Schau gestellte Freundlichkeit der Hyptons wich schlagartig. »Du scheinst die Tatsachen zu verkennen«, warnten sie. »Dein Schiff, deine Diener und vielleicht sogar ein Teil von dir selbst befinden sich in unserer Gewalt.« »Wollt ihr die RUYKOR am Start hindern?« »Versuche es. Niemand kann sich der Weisheit der Quellen lange widersetzen.« Ehrlich gesagt, verstand ich nicht, weshalb die Stimme des Erleuchteten plötzlich überaus belustigt klang. »Verlaßt die RUYKOR«, forderte er die Hyptons auf. »Wir reden zu gegebener Zeit weiter.« Ich hätte sie zwar als Geiseln zurückgehalten, aber es war nicht meine Aufgabe, Kritik zu üben. Kaum hatten die Hyptons in Begleitung mehrerer Werkzeuge die Kontaktzelle verlassen, flammte ein bis dahin verborgener Bildschirm auf. Ich glaubte, nicht richtig zu sehen. Die RUYKOR schwebte nur wenige Meter über einer Buschsteppe, die sich kilometerweit bis hin zu den nahen Bergen erstreckte. »Wir konnten den Hangar ungehindert verlassen«, erklärte der Erleuchtete. »Die Hyptons haben es nicht gewagt, Angehörige ihrer
wichtigsten Traube zu gefährden.« »Sie werden vor Wut kochen«, stellte ich fest. Auf dem Bildschirm konnte ich mitverfolgen, wie die Hyptons in einem Antigravfeld das Schiff verließen. »Die kleine Niederlage macht sie gefügiger. Ich habe nicht vor, den Kontakt zu ihnen abzubrechen, zumindest vorerst nicht.« Eine silberne Scheibe fiel vom Himmel herab – eine wesentlich verkleinerte Ausgabe der RUYKOR. Spontan vermutete ich, daß dieses Schiff nur eine Kontaktzelle enthielt. Ein deutlicheres Zeichen, daß der Erleuchtete trotz allem mit den Hyptons in Verbindung bleiben wollte, konnte er ihnen nicht geben.
* Die RUYKOR verließ Cirgro und ging rasch in den Linearflug über. Meine Bitte, Cairon aufsuchen zu dürfen, lehnte der Erleuchtete rigoros ab. Dabei versprach ich mir gerade dort einen Erfolg bei der Beschaffung der benötigten Psi-Potentiale. Von den Daila und ihrem Heimweh nach Aklard wollte ich vorerst nichts mehr wissen. Ich hatte schon jetzt allen Grund, an mir selbst zu zweifeln. »Vergiß Cairon«, forderte der Erleuchtete. »Der Planet kann eine Falle sein. Inzwischen habe ich das Pre-Lo kontaktiert und erfahren, daß Atlans Tod gar nicht so sicher ist, wie wir bisher angenommen haben. Die RUYKOR ist auf das neue Ziel programmiert. Du wirst dich von den nächsten Auseinandersetzungen fernhalten und in einem H-Plus-Gebiet auf Warteposition gehen.«
ENDE
Im Atlan-Band der nächsten Woche blenden wir wieder um zu Anima, Goman-Largo und Neithadl-Off, den drei so ungleichen Persönlichkeiten, die ein seltsames Schicksal zusammengeführt hat. Die drei Raum-Zeit-Reisenden sind gegenwärtig bei den Piraten der KOKAHU. Was sie bei einer Kreuzfahrt durch Manam-Turu erleben, das schildert H. G. Ewers im nächsten Atlan-Band. Der Roman trägt den Titel: ASCHE DER ZEIT