Identitätskonstruktionen türkischer Jugendlicher Ein Leben mit oder zwischen zwei Kulturen
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Heike Deckert-Peaceman
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Dorothee Koch | Dr. Tatjana Rollnik-Manke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17216-3
Geleitwort Die vorliegende Forschungsarbeit greift ein Thema auf, das seit längerem eine hohe mediale Aufmerksamkeit hervorruft, die von Stereotypen und Defizitzuschreibungen beeinflusst ist. Es geht um die Frage, wie Identitätsbildungsprozesse bei Jugendlichen türkischer Herkunft in Deutschland verlaufen. Wenngleich die Thematik immer wieder Gegenstand empirischer Forschung ist, zeigt sich auch dort erst in den letzten Jahren eine Abkehr von einem Defizit- und Risikoblick, so zum Beispiel in Bezug auf das Theorem der Transkulturalität (Welsch). Darin schließt Frau Aicher-Jakob an. So ist sowohl ihr Kultur - als auch ihr Identitätsbegriff relational, basierend auf kulturtheoretischen Traditionen der Geschichtswissenschaft, der Cultural Studies und der Identitätsforschung. Dennoch fragt sie danach, ob es sich bei den von ihr interviewten Hauptschülern primär um ein Leben mit oder zwischen den Kulturen handelt. Die Gegenüberstellung „mit oder zwischen den Kulturen“ impliziert eine eindeutige Unterscheidung von deutscher und türkischer Kultur als homogene Entitäten, die die Autorin stichhaltig auf der Grundlage einer vielschichtigen gesellschaftlichen und kulturellen Analyse hinterfragt. Wohlwissend um die Komplexität der verschiedenen Kulturräume und den vielen transkulturellen Entwicklungen postmoderner Gesellschaften operiert Frau Aicher-Jakob dennoch mit kulturellen Unterschieden, die sie als Arbeitskategorien für ihre empirische Studie einführt. Sie macht plausibel deutlich, dass transkulturelle Identitäten erst durch die Auseinandersetzung mit Konstrukten von türkischer und deutscher Identität in ihrer Vielschichtigkeit herausgearbeitet werden können. Ferner verweist die Autorin richtigerweise auf ein grundsätzliches Problem: „Denn eines darf aus Vorsicht vor Verallgemeinerungen nicht übersehen werden: Unterschiede sind vorhanden, sonst hätten Jugendliche mit Mehrfachzugehörigkeit dieselbe Ausgangslage wie Jugendliche mit deutschen Eltern.“ (S. 17) Ziel ist es, die Alltagspraktiken von türkischen Jugendlichen in Deutschland und deren Sichtweise zu erfassen und darauf aufbauend Identitätskonstruktionen zu ermitteln. Grundsätzlich rückt die Arbeit von den immer noch in der Forschung und vor allem im öffentlichen Diskurs dominanten defizitären Ansätzen ab, die bei Mehrfachzugehörigkeit von Entwurzelung, Orientierungslosigkeit und Identitätsdiffusion sprechen. Die Autorin stellt zurecht die Frage, ob unter solchen Voraussetzungen nicht doch ein positiver Selbstentwurf gelingen kann und ob die Jugendlichen trotz offensichtlicher Diskriminierung, z.B. hinsichtlich ihrer Bildungsbiographie, nicht doch einen Platz in der deutschen Gesellschaft finden, in dem sie sich wohl und heimisch fühlen. 5
Um eine solche Sichtweise zu erfassen, bedarf es allerdings einer strukturierten Untersuchung der Perspektive der Betroffenen in ihrer alltäglichen Auseinandersetzung mit kulturellen Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Von Bedeutung sind ferner neuere theoretische Ansätze, die transkulturelle Identitäten als möglich und erfolgreich sehen. Frau Aicher-Jakob versteht Identität in Anlehnung an Krappmann als einen sich ständig verändernden Prozess, der immer wieder in Interaktionen herzustellen ist. Weiterhin lehnt sie sich an Keupp an, der Identitätsarbeit als lebenslangen Prozess verortet, der neben konkreten Handlungsaufgaben auch imaginäre Anteile hat. Sie schreibt dazu: „Identität wird also nicht als etwas Statisches betrachtet, sondern als eine Art kontinuierliche Verknüpfungsarbeit, die dem Subjekt hilft, sich selbst als Subjekt zu begreifen.“ (S. 33) Von besonderem Interesse für die Arbeit ist der Begriff der kulturellen Identität. Hierbei fließen Kultur und Identität als relationale Begriffe zusammen. Die Autorin bezieht sich hierbei u.a. auf Hall, der kulturelle Identität als „verinnerlichte Kultur“ bezeichnet. Sie basiert ihre Untersuchung auf seinem Ansatz, dass Kultur alltäglich vollzogene Praxis sei. Relevant ist in diesem Zusammenhang das Konzept der Hybridizität, das Kultur als einen sozialen Prozess sieht, in welchem sich neue kulturelle Praktiken vermischen. Dieser Ansatz eignet sich besonders um transkulturelle Identitätsprozesse von Jugendlichen mit Mehrfachzugehörigkeit zu untersuchen. Weiterhin nähert sich die Autorin den Identitätskonstruktionen über die Begriffe historische Identität, nationale Identität und Transkulturalität. Sie arbeitet stichhaltig vor dem Hintergrund einer historischen Analyse das komplexe Verhältnis von Kultur und Nation, bezogen auf die beiden Konstrukte „türkische und deutsche Identität“ heraus. Die Konstrukte beanspruchen keine Allgemeingültigkeit, sondern fungieren wiederum als Arbeitsbegriffe der empirischen Untersuchung. Die Auseinandersetzung mit der Transkulturalität schließt u.a. an Hall an, weil von einer Vernetzung von Kulturen und von der Hybridisierung ausgegangen wird. Die Dichotomie von „Eigen- und Fremdkultur“ verschwindet. Identität wird als Konstruktion in Abhängigkeit von sozialen Kontexten verstanden. Obwohl die Autorin diesem Ansatz weitgehend folgt, vermerkt sie kritisch, dass das Theorem der Transkulturalität Differenzen als Teil von Identitätsarbeit ausblendet. Sie vertritt die Ansicht, dass erst durch die Auseinandersetzung mit der Differenz, transkulturelle Identitätsprozesse untersucht werden können.
6
Frau Aicher-Jakob hat sich auf der Grundlage eines differenzierten methodischen Verständnisses für eine qualitative Untersuchung entschieden, um den komplexen, ambivalenten und zum Teil latenten Identitätsprozessen von Migrantenjugendlichen auf die Spur zu kommen. Interviewt wurden sieben türkische Jugendliche, vier Jungen und drei Mädchen, die die 9. Klasse der Hauptschule besuchen und aus dem direkten beruflichen Umfeld der Autorin stammen. Es handelt sich um Leitfadeninterviews, die inhaltsanalytisch ausgewertet wurden. Der Leitfaden gliedert sich in fünf Bereiche: 1.
2. 3.
4.
5.
Heimatgefühle oder regionale Zugehörigkeitsgefühle: Welchem Kulturkreis fühlen sich die Jugendlichen mehr zugehörig? In welchen Dimensionen wird das manifest? Kulturdifferenz: Werden kulturelle Unterschiede wahrgenommen? Gibt es Zuordnungen „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“? Alltagspraktiken im Bereich von Festen, Religion, Essen, Musik, Sprache, Freundschaften, Familie und Erziehung: Gibt es kulturelle Zuordnungen bestimmter Praktiken oder herrschen Mischformen vor? Fremdwahrnehmung: Wie erleben diese türkischen Jugendlichen ihren Status in der sie umgebenden Umwelt? Ist die Zuschreibung „Ausländer“ für sie negativ konnotiert? Selbsteinschätzung: Wie sehen sich die Jugendlichen selbst? Positionieren sie sich in einer Kultur, zwischen oder mit zwei Kulturen?
Insgesamt zeigt die Auswertung ein differenziertes Bild. Die Jugendlichen sehen sich aufgrund ihrer Mehrfachzugehörigkeit weder als Opfer noch als zerrissen oder wurzellos. Trotz negativer gesellschaftlicher Erfahrungen fühlen sie sich in der deutschen Gesellschaft akzeptiert. Sie haben einen Platz in Deutschland gefunden, der es ihnen erlaubt, „mit den Kulturen“ zu leben. Allerdings merkt die Autorin kritisch an, dass dieser Befund die Gesellschaft nicht von ihrer demokratischen Verantwortung für ein gleichberechtigtes Dasein verschiedener transkultureller Lebensentwürfe entlastet. Sie fordert, den Begriff der Integration durch den der Inklusion zu ersetzen. Vor allem betont Frau Aicher-Jakob den Stellenwert der Bildung für diesen Prozess. Die aktive Diskriminierung von Jugendlichen mit Mehrfachzugehörigkeit durch das deutsche Bildungssystem, die vielfach nachgewiesen ist, muss ihrer Ansicht nach abgebaut werden, um die positiven Selbstentwürfe der Betroffenen nachhaltig zu verankern und eine Segregation der Gesellschaft zu vermeiden. Hierin liegt für sie ein zentrales Moment von Chancengleichheit und Demokratieverständnis. Die Autorin macht in ihrem
7
abschließenden Ausblick zahlreiche konkrete Vorschläge für eine bessere Bildungsbeteiligung von Jugendlichen mit Mehrfachzugehörigkeit. Frau Aicher-Jakob leistet mit ihrer Untersuchung einen wichtigen empirischen Beitrag zur Frage, wie Identitätsbildungsprozesse von Jugendlichen mit Mehrfachzugehörigkeit in Deutschland verlaufen. Sie trägt somit zum Abbau von stereotypen Zuschreibungen in Öffentlichkeit und Forschung bei, ohne die Diskriminierungserfahrungen dieser Jugendlichen aus dem Blick zu verlieren. Prof. Dr. Heike Deckert-Peaceman
8
Für Janis
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde als Diplomarbeit von der Fakultät für Erziehungsund Gesellschaftswissenschaften der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg angenommen. Zentrales Anliegen der Arbeit ist es, den Dialog zwischen Mitgliedern unserer Gesellschaft zu unterstützen, indem auf der Basis empirisch gewonnener Erkenntnisse Benachteiligungen kritisch reflektiert und Anschlussfähigkeiten aufgezeigt werden. Dieser Dialog wird als grundlegende Voraussetzung für ein soziales Miteinander verstanden, in welchem Heterogenität als Chance wertgeschätzt wird. Mein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Heike Deckert-Peaceman, die meine Arbeit von Anfang an konstruktiv und ermutigend begleitete. Ihre kompetente Beratung und Unterstützung konnte ich zu jeder Zeit in Anspruch nehmen. Mit ihrer Sensibilität für ein ausgewogenes Verhältnis von wissenschaftlicher Begleitung und zuversichtlicher Zurückhaltung, ermöglichte sie mir, aus einer Forschungsfrage meine Forschungsarbeit zu konstruieren. Dadurch konnte mein Interesse die Arbeit handlungsleitend formen. Auch meiner Familie gilt mein herzlicher Dank, insbesondere meinem Mann, der mir mit großer Geduld und Gelassenheit über die Korrekturetappen bis zur Drucklegung half und dabei nie die humoristische Seite aus den Augen verlor. Für gewinnbringende inhaltspolitische Auseinandersetzungen danke ich Martin Mogler, der sich zudem der sprachlichen Qualität des Manuskripts verpflichtet sah. Schließlich bedanke ich mich bei allen Schülerinnen und Schülern, die sich an den Interviews beteiligten und mir Einblicke in ihre „Innenansichten“ und ihr Selbstverständnis gewährten. Aber nicht nur an die unmittelbar beteiligten Schülerinnen und Schüler geht mein Dank, vielmehr an alle Kinder und Jugendlichen, die mir im Laufe meiner Praxis den Blick für kulturelle Fragen schärften und meine vorläufig gewonnenen Einsichten durch Unvorbereitetes immer weiter transformierten, bis ich letztendlich verstand, dass Fragen, die die Kultur betreffen, nie endlich beantwortet werden können. Marion Aicher-Jakob
9
Inhaltsverzeichnis 1
EINFÜHRUNG ....................................................................................... 13
1.1 Hintergrund und Fragestellung.................................................................. 13 1.2 Erkenntnisinteresse ................................................................................... 19 1.3 Relevanz der Frage.................................................................................... 20 1.3.1 Status quo an baden-württembergischen Schulen ................................. 20 1.3.2 Ausländer und Personen mit Migrationshintergrund ............................ 22 1.4 Forschungsentwicklung und Forschungsstand .......................................... 23 2
IDENTITÄT – INTERPRETATIONSBREITE ................................... 29
2.1 Die klassische Begriffserklärung .............................................................. 29 2.2 Der Begriff der Identität in psychologischer Sicht .................................... 30 2.3 Identität als unabschließbarer dynamischer Prozess ................................. 31 2.4 Teilbereiche der Identitäten ....................................................................... 33 2.5 Kulturelle Identität .................................................................................... 34 2.5.1 Definition des Begriffs „Kultur“........................................................... 34 2.5.2 Kulturverständnis der Cultural Studies ................................................. 36 2.6 Historische Identität .................................................................................. 38 2.7 Nationale Identität ..................................................................................... 40 2.8 Transkulturalität ........................................................................................ 42 3
KONSTRUKT „TÜRKISCHE IDENTITÄT“ ..................................... 45
3.1 „Türkisch“ - eine Perspektivenfrage ......................................................... 45 3.2 Problem der Ausgangslage ........................................................................ 46 3.3 Diskurs: Religion ...................................................................................... 46 3.4 Diskurs: Familie ........................................................................................ 48 3.5 Diskurs: Ehre............................................................................................. 49 3.6 Diskurs: Die Rolle des Mannes ................................................................. 50 3.6.1 Historischer Abriss ............................................................................... 50 3.6.2 Der türkische Mann in der aktuellen Forschung ................................... 52 3.7 Diskurs: Die Rolle der Frau ...................................................................... 53 3.7.1 Die Situation türkischer Frauen ............................................................ 53 3.7.2 Frauen in Abhängigkeit ihrer Männer................................................... 56 3.8 Diskurs: Türkische Kulturstandards .......................................................... 57 3.8.1 Respekt und Achtung............................................................................ 58 3.8.2 Patriotismus .......................................................................................... 58 3.8.3 Zeitverständnis...................................................................................... 58 4
KONSTRUKT „DEUTSCHE IDENTITÄT“ ....................................... 61
4.1 Vom nationalen Mosaik zum Gedanken der Deutschen Einheit ............... 61 4.2 Der zwiespältige Umgang mit der deutschen Identität .............................. 63 11
4.3 Ein Paradoxon: Deutsche ohne deutsche Staatsbürgerschaft .................... 65 4.4 Diskurs: Deutsche Kulturstandards ........................................................... 67 4.4.1 Sachorientierung ................................................................................... 67 4.4.2 Wertschätzung von Strukturen und Regeln .......................................... 68 4.4.3 Regelorientierte, internalisierte Kontrolle ............................................ 69 4.4.4 Zeitplanung ........................................................................................... 70 4.4.5 Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen .......................... 70 4.4.6 „Schwacher Kontext“ als Kommunikationsstil .................................... 71 4.4.7 Individualismus .................................................................................... 72 5
FORSCHUNGSDESIGN ........................................................................ 73
5.1 Forschungsleitende Überlegungen ............................................................ 73 5.2 Stichprobenauswahl .................................................................................. 74 5.3 Methodische Überlegungen....................................................................... 76 5.3.1 Grenzen alternativer Methoden zur Datenerhebung ............................. 76 5.3.2 Vorzüge des Leitfadeninterviews ......................................................... 77 5.3.3 Erstellung des Leitfadens ...................................................................... 79 5.3.4 Grundprinzipien .................................................................................... 83 5.3.5 Leitfaden zum Thema ........................................................................... 85 5.3.6 Kurzfragebogen .................................................................................... 87 5.3.7 Durchführung........................................................................................ 88 5.3.8 Transkription ........................................................................................ 88 6
AUSWERTUNG...................................................................................... 91
6.1 Die qualitative Inhaltsanalyse ................................................................... 91 6.1.1 Die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse........................................ 92 6.1.2 Legende zur Analysetabelle .................................................................. 93 6.1.3 Konstruktion einer geeigneten Strukturierungsdimension .................... 94 6.2 Resümee .................................................................................................. 104 6.2.1 Heimat ................................................................................................ 104 6.2.2 Kulturdifferenz ................................................................................... 108 6.2.3 Kulturnähe .......................................................................................... 110 6.2.4 Fremdwahrnehmung ........................................................................... 122 6.2.5 Selbstwahrnehmung............................................................................ 124 6.2.6 Lebenskonzept .................................................................................... 126 6.3 Ausblick .................................................................................................. 127 7
ANHANG ............................................................................................... 135
7.1 Kurzfragebogen ....................................................................................... 135 7.2 Analysetabelle: Bearbeitung und Extraktion der Fundstellen ................. 136 8
12
LITERATURVERZEICHNIS ............................................................. 205
1 Einführung 1.1 Hintergrund und Fragestellung Wir leben heute in einer Gemeinschaft kultureller Vielfalt. Schätzen wir die kulturellen Begebenheiten im Urlaub als Bereicherung, wird das plurale Miteinander im hiesigen alltäglichen Leben oft als ungelöstes Problem empfunden. Die Existenz der ausländischen Bevölkerung wird fast ausschließlich unter problemzentrierten Fragestellungen diskutiert. Sorgen und Ängste, ethnisch heterogene Gruppen könnten unseren Wohlstand schmälern, beherrschen vielschichtig geführte Diskussionen. Gesprochen wird von „mangelnder Integration“, gemeint ist jedoch häufig eine präferierte Assimilation. Verhaltensweisen und Reaktionen, die diese gewünschte Angleichung an die eigene Kultur manifestieren, begünstigen wiederum eine Gettoisierung, da sie der ausländischen Bevölkerung das Ausleben kultureller Eigenarten weitgehend ermöglicht, ohne einer – häufig von Vorurteilen geprägten – Beobachtung ausgesetzt zu sein. Gleichwohl wird aber ein Austausch und eine Vermischung der Kulturen durch Separierung verhindert. Hier entstehen Probleme, die immer schwieriger zu lösen sein werden. An vielen Orten wurde städtebaulich eine Gettoisierung begünstigt, unter deren fatalen Folgen heute alle Beteiligten leiden. Wird das Ausleben der eigenen Kultur behindert, können sich kulturelle Wertvorstellungen eines Individuums radikalisieren. Solche radikalen Ausprägungen bedrohen das gesellschaftliche Zusammenleben. Die Personengruppen werden aufgrund von vielerlei Ängsten von der Mehrheitsgesellschaft gemieden und diskriminiert. Es entsteht ein Teufelskreis. Ein gegenseitiges Kennenlernen der Kulturen ist Grundvoraussetzung für die gegenseitige Akzeptanz, ohne die ein dauerhaftes Zusammenleben in einer pluralistischen Gemeinschaft nicht vorstellbar ist. Genau darin unterscheiden sich aber die Lebensvorstellungen und somit auch die Ausgangsvoraussetzungen der heutigen ausländischen Bevölkerung, im Gegensatz zur ersten Migrationsbewegung, die nicht auf ein dauerhaftes Leben in Deutschland eingestellt war. Die ersten türkischen „Gastarbeiter“ kamen nach Deutschland, da ihre Arbeitskraft von Deutschland dringend benötigt wurde. Deutschland schloss mit der
13
Türkei ein Anwerbeabkommen.1 Eine hohe Zahl an türkischen Arbeitern kam und holte später Familienangehörige nach. Diese erste Generation ging von einer baldigen Rückkehr in die Heimat aus, der Aufenthalt in Deutschland wurde als Übergangszeit betrachtet. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Wertmaßstäben und Lebensbedingungen der vorübergehenden Wahlheimat Deutschland war dadurch nur bedingt nötig. Die Folgegenerationen sehen sich heute völlig neuen Begebenheiten und Perspektiven gegenübergestellt, die ein Umdenken von beiden Seiten erfordert. Dieses beidseitige Umdenken ist unser Ei des Kolumbus, unsere Chance oder einfach unsere Ausgangslage. Heute leben in Deutschland knapp sieben Millionen Ausländerinnen und Ausländer, davon ungefähr 1,7 Millionen Türken.2 Im Gegensatz zu ihrer Vorgängergeneration sehen sich die türkischen Jugendlichen der zweiten oder der dritten Generation mit ganz anderen Problemen konfrontiert. Oft sehen sie sich zweierlei widersprüchlichen Sozialisationen ausgesetzt. Auf der einen Seite steht die Familie für die Tradition, für die Verankerung in einem Land, das ursprünglich die Heimat der Eltern bzw. Großeltern war, aus Sicht der Jugendlichen aber nur noch durch regelmäßige Urlaubsaufenthalte und Erzählungen erlebt und verstanden wird. Auf der anderen Seite steht das individuell Erlebte und alltäglich Gelebte der Jugendlichen, die Sozialisation durch Schule, Freunde, Vereine, kurz – die Sozialisation durch das soziale Umfeld außerhalb der Familie. Es entsteht eine Diskrepanz in den Erwartungen an die Jugendlichen, ein Balanceakt, den die Jugendlichen zu meistern haben. Überwiegend wird die zweite Generation unter einem defizitären Ansatz betrachtet.3 Man verweist auf den Unterschied zur ersten Generation, die ihre Wurzeln noch im Heimatland wusste, während die zweite Generation „entwurzelt“ sei, da sie in der „Fremde“ geboren und auf keine Heimatvorstellungen zurückgreifen kann.4 Es wird ihnen eine Orientierungslosigkeit nachgesagt, die in einer Identi1 Das „Abkommen zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt“ zwischen der Türkei und Deutschland wurde am 31. Oktober 1961 geschlossen. In diesem Jahr standen den 500 000 gemeldeten offenen Arbeitsstellen ungefähr 180 000 arbeitslose Deutsche gegenüber. 2 Vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland, Ausländische Bevölkerung am 31.12.2008 nach Geburtsort und ausgewählten Staatsangehörigkeiten, Ausländerzentralregister, http://www.destatis.de (31.10.09). 3 Vgl. Kapitel 1.4 Forschungsentwicklung und Forschungsstand 23-27. 4 Diese Auffassung wird von einem Großteil der Autoren zur Migrationsforschung vertreten. Vgl. hierzu Lajios, K., Familiäre Sozialisation 52; vgl. auch Auernheimer, G., Jugendliche türkischer Herkunft 232.
14
tätsdiffusion mündet.5 Ihr Leben wird als ein „Leben zwischen zwei Kulturen“ verstanden. „Zwischen zwei Kulturen“ verweist auf die Metapher „zwischen zwei Stühlen“ und signalisiert deutlich den Interpretationsstandpunkt. Es wird vorausgesetzt, dass die Betroffenen an keiner Kultur in ausreichendem Maße partizipieren können und dadurch eine Benachteiligung gegenüber anderen Jugendlichen zu vermerken sei. Ein positiver und geglückter Selbstentwurf ist mit dieser Vorstellung nur schwer zu vereinbaren. Wird die Situation der Jugendlichen zumeist hinsichtlich ihrer „Opferrolle“ diskutiert, zeichnet sich neben diesem Paradigma eine gesellschaftliche Veränderung ab, die größtenteils von dem betroffenen Personenkreis selbst ausgeht. Türkische Jugendliche fangen an, ihr Leben und ihr Bestreben, beiden Kulturen gerecht zu werden, zu karikieren. Diese neue Entwicklung durchzieht mehrere Lebensbereiche auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Niveaus. Rafik Shami erzählt in amüsanter Weise von Kulturdifferenzen, die ihm auch heute noch den Alltag erschweren.6 Im Kleinkunstgenre und Comedybereich karikieren inzwischen eine beachtliche Zahl an Kabarettisten und Schauspielern deutschtürkische Annäherungen. Eine ganze Bandbreite an unterhaltsamer Literatur widmet sich genau diesen Kulturunterschieden und erzählt persiflierend von scheinbar unüberwindbaren Klüften. Betroffene Jugendliche nehmen mit verschiedenen Äußerungen, die ihre Situation deutlich überzeichnen, ihre vermeintliche Außenseiterrolle selbst auf den Arm. Sie kokettieren zum Teil mit ihrer angeblichen Benachteiligung. Ist es denkbar, dass sich eine Generation, die sich in reflektierter Weise selbst überzeichnet und kritisch hinterfragen kann, weiterhin ausschließlich oder überwiegend als Opfer bzw. als benachteiligte Personengruppe betrachtet? Eine Überzeichnung setzt immer eine gewisse Distanz, einen Blick von außen voraus. Hinter der Vorstellung zweier miteinander nicht zu vereinbarender Kulturen steht das Bild von zwei streng getrennten Kulturen: die türkische Kultur, die von der Familie transportiert wird, und die deutsche Kultur, die die türkische umgibt. Diese Annahme impliziert eine Kulturvorstellung, die von etwas Statischem, von etwas Feststehendem ausgeht, das dem Individuum gegenübersteht. Die Untersuchung dieses Phänomens stellt den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit dar: Ist das Leben türkischer Jugendlicher in Deutschland ein „Leben zwischen zwei Kulturen“, das die Jugendlichen als belastend empfinden? Sehen sie sich durch die Konfrontation mit zwei Kulturen tatsächlich gehandicapt und 5 6
Vgl. Weber, C., Selbstkonzept, Identität und Integration 47. Shami, R., Gesammelte Olivenkerne, München 1997.
15
benachteiligt? Werden sie an der Auslebung gewünschter Kulturelemente gehindert oder wissen sie gar nicht mehr, welcher Strömung sie folgen sollen, so dass eine kulturelle Entwurzelung und eine daraus resultierende Orientierungslosigkeit zu verzeichnen ist? Oder ist es türkischen Jugendlichen in Deutschland heute möglich, ein positives Selbstkonzept zu entwerfen? Verstehen sie ihr Leben nicht eher als ein „Leben mit zwei Kulturen“? Diese Vorstellung würde der „Entwurzelungs-“ und der „Orientierungslosigkeits-Theorie“ widersprechen und den Entwurf eines positiven Selbstkonzeptes zulassen. Die Vorstellung setzt voraus, dass die Jugendlichen keinen Heimatverlust erleiden und sie ihre Situation nicht nachteilig bewerten. Sie müssten einen Platz in der Gesellschaft gefunden haben, mit welchem sie zufrieden sind. Die Frage nach ihrer gelebten Kultur wird dabei bedeutend. Leben die Jugendlichen in bestimmten Bereichen die türkische Kultur, übernehmen sie größtenteils die deutsche Kultur oder leben sie eine Mischform? Können die Jugendlichen überhaupt zwischen zwei differenten Kulturen unterscheiden? Existieren in ihren Gedanken und Vorstellungen Kategorien von sich widersprechenden Kulturen? Und schließlich, wie wirkt sich der Umgang mit den unterschiedlichen Kulturen auf ihre Identitätsbildung aus? Aus diesen Fragestellungen leitete ich die Hauptkategorien meines Interviewleitfadens ab und konzipierte den Aufbau der Arbeit. Bevor ich mit dem empirischen Teil der Arbeit beginnen konnte, die Identitätskonzepte der Jugendlichen zu untersuchen, musste vorab geklärt werden, was unter Identität überhaupt verstanden wird. In Kapitel 2 werden deshalb unterschiedliche Identitätsvorstellungen beleuchtet und die Voraussetzungen für ein geglücktes Identitätsprojekt näher untersucht. Bei einer Fragestellung, die sich mit unterschiedlichen Kulturen beschäftigt, muss der „kulturellen Identität“ ein eigenständiger Exkurs zuteil werden. Von zentraler Bedeutung sind ja die Reaktionen der Jugendlichen auf die verschiedenen Kultureinflüsse und die Konsequenzen, die sich daraus für ihr Lebenskonzept ergeben. Entsteht eine Vermischung, eine Hybridizität, die Auswirkungen auf die Jugendlichen hat? Hieraus leiten sich die Themenbereiche für Kapitel 3 und Kapitel 4 ab. Wenn im weiteren Verlauf von verschiedenen Kulturen gesprochen wird und ich die Kulturnähe der Jugendlichen untersuchen möchte, ist es bei aller Fragwürdigkeit und der Gefahr der Stereotypisierung unvermeidbar, Arbeitskategorien aufzustellen, die verdeutlichen sollen, was unter „deutsch“ und was unter „türkisch“ zu verstehen sein soll.
16
Natürlich ist es nicht möglich, „den Türken“ oder „den Deutschen“ per se zu definieren. Vorstellungen von der kulturellen Identität als Prozess sind nicht mit diesem statischen Bild zu vereinbaren, auch gibt es sicherlich mehr Unterschiede innerhalb einer Kultur als Gemeinsamkeiten, und trotzdem muss der Versuch unternommen werden, das Gemeinsame herauszuarbeiten. Wie sollte man später in den Interviews kategorisieren können, welche Verhaltensweisen eher der türkischen Kultur oder der deutschen Kultur folgen, wenn nicht vorab in einem Konstrukt die „türkische Identität“ und die „deutsche Identität“ festgelegt werden. Denn eines darf aus Vorsicht vor Verallgemeinerungen nicht übersehen werden: Unterschiede sind vorhanden, sonst hätten die Jugendlichen mit Mehrfachzugehörigkeit dieselbe Ausgangslage wie Jugendliche mit deutschen Eltern.7 Bei den Arbeitskategorien wurden wenige Aspekte gewählt, die different zur anderen Kultur sind, mit deren Hilfe sich die Verankerung in die jeweilige Kultur bestimmen lässt. Diese wurden diskursartig beleuchtet. Interkulturelle Trainings bedienen sich immer öfters des Terminus „Kulturstandard“. Gemeint sind Arten der Wahrnehmung, des Denkens und Handelns, die für eine größere Anzahl der Bevölkerung als selbstverständlich bezeichnet wurde.8 Kulturstandards sind perspektivenabhängig, die Aussagen beziehen sich nicht auf ein Individuum, sondern geben eine Tendenz einer Gruppe wieder. Diese Tendenzen können für die vorliegende Arbeit hilfreich sein und wurden deshalb in das Konstrukt der „deutschen Identität“ und in das Konstrukt der „türkischen Identität“ aufgenommen. Die Arbeitskategorie „türkisch“ geht im Vergleich zur Arbeitskategorie „deutsch“ leichter von der Hand. Warum es den Deutschen so schwer fällt, sich mit der „deutschen Identität“ zu beschäftigen, wird in einem gesonderten Unterkapitel Rechnung getragen. Aus diesen theoretischen Auseinandersetzungen leitete ich den Leitfaden für die Interviews ab. Im ersten Bereich geht es um Heimatgefühle oder auch, schlichter ausgedrückt, um regionale Zugehörigkeitsgefühle. Diese mussten analysiert werden, um festzustellen, ob bei den Jugendlichen von Orientierungslosigkeit und Entwurzelung gesprochen werden kann. Das Schwierige dabei war, dass die Hauptkategorien nicht nur abgefragt und ausgewertet werden konnten. Interessante Aspekte mussten umschrieben werden oder durch kleinere Teilfragen zu Tage gefördert werden, da ansonsten unbewusst von den Eltern gewünschte Antworten oder von den Eltern unhinterfragt übernommene Vorstellungen als 7
Der Begriff „Mehrfachzugehörigkeit“ geht auf Paul Mecheril zurück und versucht die mehrfache nationale, ethnische oder kulturelle Zugehörigkeit bestimmter Personengruppen zu benennen. Vgl. hierzu Mecheril, P., Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-) Zugehörigkeit 23. 8 Vgl. Schroll-Machl, S., Die Deutschen – Wir Deutsche 31.
17
die eigene Meinung geäußert werden könnten. Schlussendlich soll ja genau eine Veränderung oder eine Übereinstimmung im Empfinden der Jugendlichen mit der vorhergehenden Generation untersucht werden. Im zweiten Bereich geht es um die Kulturdifferenz. Bestehen überhaupt Vorstellungen, die den Arbeitskategorien „deutsch“ und „türkisch“ entsprechen? Manifestiert sich ein Unterschied für die Jugendlichen? Gefragt wurde nach dem „Typischen“ einer Kultur. Der dritte Teil fokussiert die gelebte Kultur im Alltag. Auch hier wäre eine Einzelfrage völlig unzureichend und würde dadurch nur eine Pauschalantwort zulassen. Die Kategorie untergliedert sich deshalb in neun Unterkategorien, die, falls möglich, auf deutsche und türkische Kulturnähe untersucht werden. Gewählt wurden Bereiche, die für die Jugendlichen relevant sind. Hierbei werden Feste, Religion, Essen, Musik, Sprache, Freundschaft, Familie und Erziehung angesprochen. Es geht also um Aussagen, die das alltägliche Leben der Jugendlichen betreffen, und nicht um eine Selbsteinschätzung. Letztere sollte bewusst erst am Schluss stehen, um eine Verzerrung der Aussagen zu vermeiden. In diesem Teil steht der gelebte Alltag der Jugendlichen im Mittelpunkt, die Verortung wird also durch die gelebte Praxis vollzogen. Die Fremdwahrnehmung steht im vierten Bereich im Vordergrund. Werden die Jugendlichen von einer, von beiden Seiten oder vielleicht von keiner Seite als Ausländer betrachtet – und wie wird diese Tatsache bewertet? Entscheidend hierbei ist die Frage nach der individuellen Wertung und dem daraus resultierenden Modell. Meist wird der Gegebenheit, dass sich hier aufgewachsene Jugendliche türkischer Abstammung als ausländische Jugendliche betrachtet fühlen, eine negative Wertung zugeschrieben. Daraus leitet sich ein defizitärer Ansatz ab. Der Kategorie „Ausländer“ wird häufig der Zusatz „benachteiligt“ attribuiert. Werten die Jugendlichen diesen Begriff ähnlich? Im fünften Teil wird schließlich die Selbsteinschätzung der Jugendlichen untersucht. Die Trennung von gelebtem Alltag im dritten Teil und der Selbsteinschätzung war mir wichtig, um zu einem differenzierteren Ergebnis zu gelangen. Es kann also durchaus möglich sein, dass sich die dritte Kategorie, die gelebte Kulturnähe, und die fünfte Kategorie, die Selbsteinschätzung der Kulturnähe, widersprechen. In diesem Bereich interessiert jetzt die Frage, wie sich die Jugendlichen selbst sehen. Wo verorten sie sich? Positionieren sie sich in einer Kultur oder in zwei Kulturen?
18
Das Lebensmodell steht resümeeartig am Schluss und bezieht sich auf alle Teilbereiche. Die Möglichkeit, Heimatgefühle zu entwickeln, eine stimmige Lebensform mit beiden Kulturen gefunden zu haben, eine Selbstwahrnehmung, die beide Kulturen in der Person sichtbar macht bzw. eine Fremdwahrnehmung, die als nicht diskriminierend empfunden wird, mündet in das Lebenskonzept, „mit zwei Kulturen“ leben zu können. Ein Dasein mit Zügen von Entwurzelungs- und Orientierungslosigkeitstendenzen, den Mangel, Zugehörigkeitsgefühle zu entwickeln, die Unvereinbarkeit der unterschiedlichen Kulturelemente, ein unstimmiges Selbstkonzept bzw. eine diskriminierend gewertete Fremdwahrnehmung mündet in das Lebenskonzept „zwischen zwei Kulturen“, das die Benachteiligung der Jugendlichen in den Vordergrund stellt. Dieses Konzept geht von einem Kulturbegriff aus, der zwei homogene, sich voneinander abgrenzende Kulturen voraussetzt. 1.2 Erkenntnisinteresse In meiner langjährigen Tätigkeit als Lehrerin wurde ich regelmäßig mit unterschiedlichen Kulturen konfrontiert. Zu Festlichkeiten wurde ich mit internationalen Köstlichkeiten verwöhnt, Urlaubseindrücke und Mitbringsel bereicherten nach den Ferien unseren Schulalltag. Aber auch individuelle Lebenslagen machten eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Kulturen notwendig. Sowohl durch den Umgang mit Schülerinnen und Schülern als auch durch die Zusammenarbeit mit den Eltern kam ich mit unterschiedlichen Kulturen in Kontakt. Dabei stellte ich fest, dass die Jugendlichen mir gegenüber häufig ein ganz anderes Verhalten als ihren Eltern gegenüber an den Tag legten. Manchmal kam mir die Lebenswelt der Eltern unvereinbar mit der Lebenswelt der Jugendlichen im Unterrichtsalltag vor. In beiden Wirkungskreisen vertreten, agierten sie auf unterschiedlichste Weise. Die Jugendlichen übernahmen häufig Dolmetscherfunktionen, erklärten mir Kulturunterschiede, erzählten aber auch von Kulturbarrieren im Ausland. Am häufigsten begegneten mir in der Praxis Personen türkischer Nationalität bzw. Herkunft, deshalb setzte ich mich in der vorliegenden Arbeit schwerpunktmäßig mit dem türkischen Kulturkreis auseinander. Ich vertiefte mein Wissen über die türkische Kultur, das türkische Familien- und das religiöse Leben. Diesem Zusammentreffen verschiedener Kulturen galt mein Interesse. Ursprünglich wollte ich in meiner Forschungsarbeit Integrationsprobleme türkischer Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer kulturellen Mehrfachzugehörigkeit untersuchen, stellte dann aber fest, dass dieser Untersuchungsansatz bereits
19
eine negative Wertung beinhaltet. Eine Fokussierung auf die Problemhaftigkeit der kulturellen Identität geht von einem defizitären Ansatz aus, der meinem Erkenntnisinteresse nicht gerecht geworden wäre. Mein Forschungsinteresse gründete sich ursprünglich vielmehr auf Neugier am Fremden, das ich genauer studieren wollte, um meine Schülerinnen und Schüler besser zu verstehen, als auf einem beobachteten Problem. Deshalb stellte ich nicht länger die Verhaltensauffälligkeiten türkischer Schülerinnen und Schüler in den Vordergrund, sondern das Phänomen der Mehrfachzugehörigkeit, das mich ursprünglich beeindruckte. Ich überlegte mir, wie der Umgang mit den unterschiedlichen Kulturen, die Jugendlichen in ihrer Identitätskonstruktion beeinflussen könnte. Diese Betrachtungsweise folgte nun nicht länger einem defizitären Ansatz, sondern ließ die Fragestellung nach zwei Seiten offen, denn ein Leben mit Mehrfachzugehörigkeit kann positiv oder negativ gewertet werden. Um Identitätskonstruktionen Jugendlicher mit zwei Kulturen zu untersuchen, sind viele Personengruppen denkbar. Je nach Nähe des eigenen Kulturkreises und der zu untersuchenden Personengruppe können sicherlich divergierende Ergebnisse erzielt werden. Wie dringlich eine nähere Betrachtung der jugendlichen Lebenswelten mit bikulturellem Hintergrund ist, wird deutlich, wenn man die prozentuale Verteilung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund und somit mit unterschiedlichen Kultureinflüssen an unseren Schulen prüft. Hierbei wird schnell klar, dass die Jugendlichen mit Mehrfachzugehörigkeit keine Randerscheinung mehr sind, sondern dass diese Personengruppe weit größer ist als vermutet. Die Akkumulation von Jugendlichen mit bikulturellem Hintergrund an bestimmten Schularten unterstreicht die Bedeutsamkeit der Fragestellung. 1.3 Relevanz der Frage 1.3.1 Status quo an baden-württembergischen Schulen Bei der Bildungsintegration bezieht sich die Statistik auf staatsbürgerliche Kategorien, das heißt, betrachtet werden Jugendliche, die unter die Gruppierung „Ausländer“ fallen. Die Unvollständigkeit der Gruppe werde ich anschließend im Kapitel “Personen mit Migrationshintergrund“ aufzeigen. Im weiteren Verlauf kann jedoch nur von „ausländischen“ Schülerinnen und Schülern gesprochen werden, da eine detailliertere Statistik nicht vorliegt. Für das Schuljahr 2007/2008 geht man von einem Ausländeranteil von 11,4 Prozent an allgemein bildenden Schulen in Baden-Württemberg aus. Die Verteilung an den verschiedenen Schularten ist sehr unterschiedlich.
20
Ausländische Schülerinnen und Schüler sind an Sonderschulen deutlich überrepräsentiert. Jeder fünfte Schüler an Sonderschulen besitzt eine ausländische Staatsangehörigkeit. Auch an den Hauptschulen liegt der Anteil ausländischer Schülerinnen und Schüler mit 25,7 Prozent deutlich höher. Demgegenüber besitzen an Realschulen nur 8,2 Prozent der Schülerinnen und Schüler nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, an Gymnasien sogar nur noch 4,4 Prozent.9 Noch deutlicher werden die Ergebnisse, wenn man den Sekundarbereich gesondert betrachtet. Am häufigsten besuchen ausländische Schülerinnen und Schüler die Hauptschule. 60 Prozent aller ausländischen Schülerinnen und Schüler versuchen hier ihren Bildungsabschluss zu erlangen. Von deutschen Schülerinnen und Schülern finden sich hier nur 22 Prozent. An baden-württembergischen Realschulen befinden sich 25,2 Prozent der ausländischen Schülerinnen und Schüler, während 36,5 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schüler den mittleren Bildungsabschluss anstreben. Am deutlichsten zeigt sich die Diskrepanz bei der Verteilung am Gymnasium. Gelang 38,8 Prozent der deutschen Schülerinnen und Schülern der Sprung auf das Gymnasium, sind es bei den ausländischen Schülerinnen und Schülern nur 13,5 Prozent.10 Erich Stutzer untersucht einzelne Staatsangehörigkeitsgruppen bei ausländischen Schülerinnen und Schülern in Bezug auf die Verteilung an weiterführenden Schulen.11 Er stellt fest, dass die einzelnen Staatsangehörigkeitsgruppen deutliche Unterschiede in der Bildungsintegration zeigen. Schülerinnen und Schüler mit türkischer, italienischer, serbischer und montenegrischer sowie portugiesischer Staatsangehörigkeit weisen die schlechtesten Schulerfolge auf. Sie sind mit 70 Prozent deutlich häufiger an Hauptschulen zu finden, verglichen mit dem Anteil der Gesamtheit aller ausländischen Hauptschülern, hier sind es „nur“ 61 Prozent. Deutlich bessere Ergebnisse zeigt die zweite Gruppe der griechischen, spanischen, kroatischen und slowenischen Kinder. Die Gruppe zeigt zwar noch eine markante Bildungsbenachteiligung gegenüber deutschen Schülerinnen und Schülern, allerdings sind die Differenzen zur ersten Gruppe weitaus geringer. Besonders deutlich zeigen sich die Unterschiede in der Bildungsbeteiligung, wenn man den Besuch an den Realschulen und an Gymnasien betrachtet.
9 Schulstatistik 2007/2008, in Ministerium für Arbeit und Soziales Baden Württemberg (Hrsg.): Familien in Baden-Württemberg. Bildung: Integration von Kindern und Familien, Report 3/2008 10. 10 Schulstatistik 2007/2008, in Ministerium für Arbeit und Soziales Baden Württemberg (Hrsg.): Familien in Baden-Württemberg. Bildung: Integration von Kindern und Familien, Report 3/2008 10. 11 Vgl. Stutzer, E., Bildungsintegration 4-7.
21
Hier findet sich nur knapp ein Drittel der ersten Gruppe wieder, bei der zweiten Gruppe besuchen bereits über 5o Prozent die Schulformen, 78 Prozent der deutschen Kinder besuchen in der Sekundarstufe eine Realschule oder ein Gymnasium. Es ist also eine deutliche Überrepräsentation ausländischer Schülerinnen und Schüler an baden-württembergischen Hauptschulen zu verzeichnen. Die angegebenen Zahlen verzerren aber den Status quo an unseren Schulen, denn in der Kategorie „ausländische Schülerinnen und Schüler“ fehlen alle „deutschen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund“. 1.3.2 Ausländer und Personen mit Migrationshintergrund Fragen zu Identitätskonstruktionen Jugendlicher mit Mehrfachzugehörigkeit sind jedoch nicht nur für ausländische Jugendliche relevant. Der ausgewählte Personenkreis unterteilt sich in zwei Kategorien, in die Gruppe der Ausländer und in die Gruppe der Deutschen mit Migrationshintergrund.12 Ausländer der ersten Generation, also zugewanderte Ausländer, gehören ebenso wie die zweite und dritte Generation, das sind in Deutschland geborene Ausländer oder nachgezogene Familienangehörige, zu der ersten Kategorie der Ausländer. Zugewanderte Deutsche und nicht zugewanderte Deutsche bilden die Kategorie der Deutschen mit Migrationshintergrund. Spätaussiedler sind zum Beispiel zugewanderte Deutsche. Eingebürgerte, nicht zugewanderte Ausländer, Kinder zugewanderter Spätaussiedler, Kinder zugewanderter oder in Deutschland geborener eingebürgerter ausländischer Eltern, aber auch Kinder, die bei der Geburt zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten haben und Kinder mit einseitigem Migrationshintergrund13 subsumieren sich in die Gruppe der nicht zugewanderten Deutschen. Durch diese Differenzierung wird deutlich, wie die Zahlen bei statistischen Erhebungen zu bewerten sind. Statistiken, die in ihren Erhebungen Personen mit Migrationshintergrund berücksichtigen, können ein sehr viel exakteres Datenmaterial ausweisen als Auswertungen, die sich nur dem Begriff Ausländer bedienen. Ebenso werden sie zahlenmäßig weit höher liegen. Betrachten wir im Folgenden nur die ausländischen Kinder an unseren Schulen, wird jetzt klar, dass hier alle Schülerinnen und Schüler, die in die zweite Kategorie der Deutschen mit Migrationshintergrund fallen, fehlen. 12 13
Vgl. Statistisches Bundesamt, Leben in Deutschland 73+74. Das sind zum Beispiel Kinder, bei denen nur ein Elternteil Migrant ist.
22
Nach Ergebnissen des jüngsten Mikrozensus entspricht der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Baden-Württemberg etwa 12 Prozent. Der gesamte Anteil der Personen mit Migrationshintergrund beläuft sich jedoch auf 25 Prozent.14 Die Personengruppe, die von Migration und Integration betroffen ist, liegt demnach weitaus höher als die mit dem Status „Ausländer“ benannte Personengruppe. Kinder von türkischen eingebürgerten Eltern fallen in der Statistik folglich nicht in die Kategorie ausländischer Jugendliche, dennoch ist die Fragestellung der vorliegenden Arbeit für sie relevant, denn trotz der deutschen Staatsbürgerschaft leben sie mit oder zwischen zwei Kulturen. Der eigentliche Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund an den Schulen ist jedoch noch höher, da die Gruppe der Migranten deutlich jünger ist als die der Baden-Württemberger ohne Migrationshintergrund. Zur Verdeutlichung stelle ich die Personengruppe der unter 18-jährigen Jugendlichen mit Migrationshintergrund den Jugendlichen ohne Migrationshintergrund gegenüber. Jugendliche mit Migrationshintergrund weisen mit einem Anteil von 25 Prozent gegenüber den 16 Prozent der baden-württembergischen Jugendlichen eine wesentlich jüngere Altersstruktur auf. Der Anteil unter den Jugendlichen liegt dadurch noch höher. Jeder dritte Minderjährige verfügt über einen Migrationshintergrund.15 Die Ausführungen zeigen, wie relevant die Fragestellung ist. Wir sprechen nicht von der Minorität von „ausländischen“ Jugendlichen, die sich den hiesigen Gegebenheiten anpassen muss. Wir sprechen von einer Bevölkerungsgruppe, die in etwa ein Drittel aller Jugendlichen darstellt. Ein gesellschaftliches Umdenken wird in vielen Bereichen nötig. Als Grundvoraussetzung dient zuvörderst ein näheres Verstehen des Personenkreises. Die vorliegende Studie soll hierzu einen Beitrag leisten. 1.4 Forschungsentwicklung und Forschungsstand Im Folgenden soll die Entwicklung der Forschung aufgezeigt werden, die in der Darstellung des aktuellen Forschungsstandes mündet. Der Abriss zeigt wichtige 14
Der Mikrozensus ist eine amtliche Repräsentativstatistik über Bevölkerung und Arbeitsmarkt. Die Organisation und technische Vorbereitung erfolgt im Statistischen Bundesamt. Die Durchführung, Befragung und die Aufbereitung der Daten erfolgen bei den Statistischen Landesämtern. Vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Ausländeranteil an der Bevölkerung Deutschland und Bundesländer 2007. 15 Vgl. Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 3/2009: Lebenssituationen von Migranten in Baden-Württemberg 13.
23
Entwicklungslinien anhand exemplarischer Studien, kann aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Eine detaillierte Darstellung der Forschung, die sich schwerpunktmäßig mit der zweiten Generation beschäftigt, liefert zum Beispiel Auernheimer16 oder Lajios17. Die Forschung beschäftigte sich lange Zeit mit dem Thema Einwanderer und „Gastarbeiter“. Deren Anwerbung in den 50er und 60er Jahren brachte das Interesse an Eingliederungsfragen von Arbeitsmigranten auf.18 Den umfangreichen Einwanderungsgruppen der Türken, Italiener und Griechen wurde großes Interesse zuteil. Sie wurden zum Untersuchungsgegenstand zahlreicher sozialwissenschaftlicher Untersuchungen. In anderen Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz, in welcher die Arbeitsmigration aus der Türkei viel später einsetzte, finden sich bis heute nur wenige Untersuchungen zu türkischen Vertretern der zweiten Generation, da diese noch im Heranwachsen ist.19 Der Begriff der zweiten Generation wird in der Literatur völlig uneinheitlich gebraucht. Konsens besteht lediglich darüber, dass das Verwandtschaftsverhältnis von Eltern und Kindern aufgezeigt wird.20 Im Falle der Bevölkerung ausländischer Herkunft bzw. bei Personen mit Migrationshintergrund werden Eltern, die nach Deutschland kamen, als erste Generation bezeichnet. Kinder, die im Rahmen des Familiennachzuges folgten oder hier geboren wurden, nennt man zweite Generation. Die Enkelgeneration ist folglich die dritte Generation. In den achtziger Jahren beherrschten Fragen nach Integrationsproblemen ausländischer Familien die Forschung. Zentral waren Belastungsmomente, die sich aus der Situation der Migration ergaben, auch aktuellere Forschungen widmeten sich diesem Sachverhalt. Firat beschäftigte sich in diesem Zusammenhang mit den Auswirkungen der Migration auf die soziale Identität.21 Mit stärkerer Gewichtung der Jugendforschung rückte auch der Jugendliche ins Zentrum weiterer Forschungsansätze. Fokussiert wurde die Jugend in verschiedenen Kulturen. Silbereisen, Schönpflug und Otremba beschäftigten sich 1989 mit Entwicklungsübergängen und dem Problemverhalten bei deutschen und türkischen Jugendli-
16
Vgl. Auernheimer, G., Einführung in die kulturelle Pädagogik 34-57. Vgl. Lajios, K., Die zweite und dritte Ausländergeneration, Opladen 1991. 18 Vgl. Han, P., Soziologie der Migration, Stuttgart 2000. 19 Vgl. Hämming, O., Zwischen zwei Kulturen 23. 20 Vgl. Endruweit, G. u. Trommsdorff, G., Wörterbuch der Soziologie 185. 21 Vgl. Firat, D., Die Migration als Belastungsfaktor türkischer Familien. Auswirkungen auf die soziale Identität und das Familiensystem, Hamburg 1996. 17
24
chen.22 Bründel und Hurrelmann untersuchten 1995 die psychosoziale Situation von ausländischen Jugendlichen.23 In einer Pilotstudie erforschte Reinders 2002 interethnische Freundschaften bei Jugendlichen an Hauptschulen.24 Im Mittelpunkt des Interesses standen hier also die Folgegenerationen. Vertreter der zweiten Generation rücken überwiegend als soziales Problem ins Zentrum aktueller Forschung. Neben der familialen Sozialisation finden sich schwerpunktmäßig Untersuchungen zu Bildungschancen türkischer Jugendlicher, bei welchen überwiegend von einer Differenz zwischen familialer Kultur und schulischer Kultur ausgegangen wird, aus welcher sich Bildungsbenachteiligungen ableiten lassen.25 Aus dieser Kulturkonfliktthese leitet sich die Differenzhypothese ab, die seither kontrovers diskutiert wird.26 Diese Diskussionen brachten die Benachteiligungshypothese mit sich, die eine Reihe von Forschungen zum Übergang der türkischen Jugendlichen von der Schule in das Berufsfeld nach sich zog.27 Schon früh wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Jugendlichen ausschließlich dann für die Forschung von Interesse waren, wenn die Eingliederung in die Gesellschaft durch Integrationsprobleme gekennzeichnet war.28 Auch aktuell besteht der Vorwurf, dass Jugendliche nur dann von Interesse sind, wenn soziale Probleme in den Vordergrund rücken.29 Kritisch angemerkt wurde ebenso, dass die Jugendlichen nicht als aktive Gestalter ihrer eigenen Entwicklung berücksichtigt wurden, wie dies in der Jugendforschung vollzogen wurde. Die Studie von 22 Vgl. Silbereisen, R.K., Schönpflug, U. und Otremba, H., „Entwicklungsübergänge und Problemverhalten bei deutschen und türkischen Jugendlichen“, in Trommsdorff, G. (Hrsg.): Sozialisation im Kulturvergleich, Stuttgart 1989, 122-155. 23 Bründel, H. und Hurrelmann, K., „Akkulturation und Minoritäten. Die psychosoziale Situation ausländischer Jugendlichen unter dem Gesichtspunkt des Belastungs-Bewältigungs-Paradigmas“, in Trommsdorff, G. (Hrsg.): Kindheit und Jugend in verschiedenen Kulturen, Weinheim 1995, 293-313. 24 Reinders, H., Interethnische Freundschaften bei Jugendlichen, Hamburg 2003. 25 Vgl. Boos-Nünning, U., „Einwanderung ohne Einwanderungsentscheidung: Ausländische Familien in der Bundesrepublik Deutschland“, in Aus Politik und Zeitgeschichte, Bonn 1990, 23+24. 26 Vgl. Bühler-Otten, S., Neumann, U. und Reuter, L., „Interkulturelle Bildung in den Lehrplänen“, in Gogolin, I. und Nauck, B. (Hrsg.): Migration, gesellschaftliche Differenzierung und Bildung. Resultate des Forschungsschwerpunktprogramms Faber, Opladen 2000, 279-320. 27 Vgl. Bendit, R., „Zweite Generations-Forschung: Lebenslage und Sozialisation ausländischer Jugendlicher“, in Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): Ausländerarbeit und Integrationsforschung. Bilanz und Perspektiven, Weinheim 1987, 123-136. 28 Vgl. Esser, H., Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, Neuwied 1980. 29 Vgl. Griese, H.M., „Gefangen im ideologischen Netz der Terminologie. Auf dem Weg zur begrifflichen Rekonstruktion der Jugend-Migrations-Forschung“, in Mansel, J., Schweins, W. und UlbrichHerrmann, M. (Hrsg.): Zukunftsperspektiven Jugendlicher, Weinheim 2001, 277-288.
25
Nauck sei an dieser Stelle erwähnt, welche die Akkulturation türkischer Jugendlicher näher untersucht. Akkulturation meint das Hineinwachsen einer Person in die ihn umgebende Umwelt. Bemerkenswert ist diese Studie, da sie türkische Jugendliche nicht nur als Personen wahrnimmt, die auf äußere Anforderungen lediglich reagieren, sondern sie auch als aktiv Handelnde berücksichtigt, die in ihrem eigenen Lebenskontext Entwicklungsoptionen aufbauen. In diesem Zusammenhang stellt Nauck ihr Rational-Choice-Modell auf.30 Aber auch dieser Ansatz stützt sich auf die Annahme, die Jugendlichen, die sich im Spannungsverhältnis befinden, müssten sich zwischen zwei Kulturen entscheiden. Weber untersuchte u.a. türkische Jugendliche im Hinblick auf ihr Selbstkonzept, ihre Identität und Integration.31 Sie geht in ihrer Studie allerdings kulturvergleichend vor und bezieht in ihre Analyse griechische und deutsche Jugendliche mit ein. Oerter, Metzing und Dreher untersuchten 1987 die Persönlichkeitsentwicklung und kognitive Kapazität von in Deutschland lebenden und aufgewachsenen jugoslawischen Jugendlichen. Die Autoren stellten eine Doppelorientierung, einhergehend mit einer Desorientierung und einer Verunsicherung aufgrund ihrer kulturellen Zwischenstellung, bei den ausländischen Jugendlichen fest.32 Mit der Identitätsentwicklung türkischer Migrantenjugendlicher in Deutschland beschäftigte sich auch Atabay.33 Seit den 90er Jahren wurde der Akkulturationsprozess als Entscheidung des Jugendlichen beschrieben, der zwischen kultureller Inklusion oder Exklusion wählt. Im Sinne Foucaults werden die Termini als Einschluss und Ausgrenzung von Abweichung und Anormalität verstanden. In Anlehnung an Berry wurde ein Vier-Felder-Schema konzipiert.34 Nach diesem haben die Jugendlichen Möglichkeiten, sich auf das Herkunftsland zurückzuziehen (Segregation), sich der Mehrheitskultur anzupassen (Assimilation), beide Kulturen bzw. Elemente davon zu
30 Vgl. Nauck, B., „Migration, ethnische Differenzierung und Modernisierung der Lebensführung“, in Zapf, W. (Hrsg.): Die Modernisierung moderner Gesellschaften, Frankfurt am Main, 1991, 707-723. 31 Weber, C., Selbstkonzept, Identität und Integration. Eine empirische Untersuchung türkischer, griechischer und deutscher Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1989. 32 Vgl. Oerter, R., Metzing, A. und Dreher, M., „Ausländische Jugendliche zwischen zwei Kulturen. Eine Untersuchung zur kognitiven Entwicklung von jugoslawischen und deutschen Jugendlichen“, in Unterrichtswissenschaft, 15 (1) Weinheim 1987, 7-27. 33 Vgl. Atabay, I., „Die Identitätsentwicklung türkischer Migrantenjugendlicher in Deutschland“, in Koch, E., Oezek, M. und Pfeiffer, W. M. (Hrsg.): Psychologie und Pathologie der Migration. Deutsch-türkische Perspektiven, Freiburg im Breisgau 1995. 34 Vgl. Nauck, B. und Kohlmann A., „Familiäre Netzwerke, intergenerative Transmission und Assimilationsprozesse bei türkischen Migrantenfamilien“, in Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 49, Köln 1997, 477-499.
26
vereinen (Integration) oder aber zu keiner Seite Anschluss zu finden (Marginalisierung).35 Dieses Konzept ist jedoch nicht auf alle Lebensbereiche der Jugendlichen anzuwenden. Es zeigten sich Vermischungen oder Kombinationen in verschiedenen Lebensbereichen. Reinders spricht deshalb von kontextsensitiver Akkulturation.36 Auch aktuelle Debatten bedienen sich der beschriebenen Termini, erweitern ihre Ansätze aber um das Prinzip der Transkulturalität.37 Hämming untersuchte 2000 in seiner Studie die spezifische Problematik der zweiten Generation. Er gibt mit seiner Untersuchung einen Einblick über den aktuellen Diskussions- und Forschungsstand. Sein Untersuchungsfokus lag auf den Belastungen und Benachteiligungen der zweiten Generation, die sich durch deren Zwischenstellung ergeben.38 Die aktuellen Veröffentlichungen, die sich unter speziellen Fragestellungen näher mit dem Thema der Folgegeneration beschäftigen, sind so zahlreich, dass es schwer fällt, den Überblick nicht zu verlieren. Eine Übersicht über themenrelevante aktuelle Monographien, Zeitschriften und Reporte liefert zum Beispiel die Datenbank des Europäischen Forums für Migrationsstudien.39 Dagegen sind Untersuchungen, die von dem defizitären Ansatz abweichen und die Identitätskonstruktionen Jugendlicher mit Migrationshintergrund aufgrund ihres zugrunde gelegten Lebensmodells untersuchen, bislang nicht bekannt. Auch wurde seither nicht in Frage gestellt, dass in den Vorstellungen der Jugendlichen zwischen zwei abgrenzbaren Kulturen unterschieden wird. Die nähere Betrachtung der dritten Generation, also der Enkelgeneration, kann darüber Aufschluss geben, ob die Jugendlichen sich in einer Weiterentwicklung von den Einstellungen der Eltern lösen oder ob sie diese weiterhin befürworten. Die Auseinandersetzung mit den Jugendlichen kann also die beschriebene Betrachtungsweise bestätigen oder zu einer Abkehr von der Differenzhypothese führen.
35 Vgl. Merkens, H. u.a., Individuation und soziale Identität bei türkischen Jugendlichen in Berlin. Abschlussbericht an die VW-Stiftung, Arbeitsbereich Empirische Erziehungswissenschaft, Berlin 2001. 36 Vgl. Reinders, H. u.a., Individuation und soziale Identität - Kontextsensitive Akkulturation türkischer Jugendlicher in Berlin. Zwischenbericht an die VW-Stiftung, Arbeitsbereich Empirische Erziehungswissenschaft, Berlin 2000. 37 Vgl. Assit, D., Transkulturalität, Frankfurt am Main 2005. 38 Vgl. Hämming, O., Zwischen zwei Kulturen, Opladen 2000. 39 Leiter und Mitbegründer des Forums ist Friedrich Heckmann. http://www.efms.unibamberg.de/mithecpd.htm
27
2 Identität – Interpretationsbreite 2.1 Die klassische Begriffserklärung Die Beschäftigung mit dem Individuum lässt sich bereits bis ins klassische Griechenland zurückverfolgen. Adorno und Horkheimer zeigen, dass sich in Homers Gestalt des Odysseus, ein Mensch in reflexiver Distanz zur Natur zeigt.40 Er emanzipiert sich durch seine inneren Kontrollinstanzen und lässt sich folglich nicht weiter als feststehendes Teilchen im kosmischen Ablauf verstehen. Er misst sich mit der Natur, die er mit jedem Abenteuer bezwingen will. Allerdings ist die Vorstellung von Identität noch sehr schwach, sein Handeln und Tun wird noch gravierend von der Natur bestimmt, wenn er auch gegen sie rebelliert, indem er List und Geschick einsetzt. „So sehr ist auf der homerischen Stufe die Identität des Selbst Funktion des Unidentischen, der dissoziierten unartikulierten Mythen, daß sie diesen sich entlehnen muß … Noch ist die innere Organisationsform von Individualität, Zeit, so schwach, daß die Einheit der Abenteuer äußerlich, ihre Folge der räumliche Wechsel von Schauplätzen, den Orten von Lokalgottheiten bleibt, nach welchen der Sturm verschlägt.“ (Horkheimer, M. und Adorno, T., 1973, S. 42).
Eine systematische Beschäftigung mit dem Individuum beginnt mit der Umbruchphase vom Mittelalter zur Neuzeit. Der Mensch löst sich aus den feudalen Verhältnissen und bestimmt seine Existenz über die gesellschaftliche Hierarchie hinaus. Die Aufklärung mahnt das Individuum, sich von seiner, im Kantschen Sinne, „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu befreien und seinen eigenen Lebenssinn zu finden. Identität steht im Mittelpunkt der neuzeitlichen Psychologie. Der Wunsch des Individuums, sich nicht als fremdbestimmtes Wesen zu definieren, sondern sich selbst zu finden und sich als autonomes Wesen zu begreifen, verstärkt das Interesse an der Identität.41 Im Laufe der Zeit veränderte sich die Vorstellung von Identität grundlegend. In der klassischen Vorstellung verbindet man den Begriff mit einer Person, die über die zeitliche Abfolge hinweg in verschiedenen Situationen in den Grundzügen dieselbe Person bleibt. Das Bild eines gelungenen Selbst war in dieser Zeit ein unwandelbares Ich, das Veränderungen trotzt und sich auf seine eigene Authentizität verlässt. Das Ich wurde als etwas fest Eingeschlossenes, in sich selbst Ruhendes und Unverrückbares betrachtet. 40 41
Vgl. Horkheimer, M. und Adorno, T., Dialektik der Aufklärung 46. Vgl. Keupp, H., Das Subjekt als Konstrukteur seiner selbst 42.
29
Keupp zeigt als metaphorisches Leitmotiv für ein geglücktes Selbst in klassischer Sicht, Schillers Formulierung aus der Glocke, die „festgemauert in der Erde“ einzementiert ist.42 2.2 Der Begriff der Identität in psychologischer Sicht Der Begriff der Identität geht im Wesentlichen auf Erik H. Erikson zurück. Das Identitätskonzept Eriksons argumentiert auf der Grundlage des psychoanalytischen Ich-Begriffs. Die Grenze zwischen Bewusstem und Unbewusstem ist nicht klar zu ziehen. Der Mensch muss nach Erikson, immer wieder innere und äußere Konflikte durchstehen, aus denen er mit einem gestärkten Gefühl innerer Einheit hervorgeht. Der Heranwachsende erkennt, dass er sich selbst in Richtung kollektiver Zukunft bewegen muss, wobei sich sein definiertes Ich in der sozialen Welt entwickeln muss. Diese Erkenntnis oder dieses Gefühl nennt Erikson „IchIdentität“. Die Herausbildung der Ich-Identität versteht er als subjektive Erfahrung. Nach ihm beruht das „bewußte Gefühl, eine persönliche Identität zu besitzen … auf zwei gleichzeitigen Beobachtungen: der unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen Gleichheit und Kontinuität in der Zeit, und der damit verbundenen Wahrnehmung, daß auch andere diese Gleichheit und Kontinuität erkennen.“ (Erikson, Erik H., 2000, S. 18).
Für Erikson ist also die Fähigkeit des Individuums, in allen Lebenslagen und trotz schicksalhafter Veränderungen Kontinuität zu beweisen, von größter Wichtigkeit. Er entwirft ein Konstrukt, mit dem das subjektive Vertrauen in die Fähigkeit der eigenen Wahrnehmung der Kontinuität formuliert wird. Er geht also von einem „Identitätsgefühl“ aus, das die Grundlage für die Frage nach dem eigenen Selbst ist. Erikson entwirft ein Stufenmodell, das dem Individuum nach kontinuierlichem Durchlaufen eine Identitätsgrundlage für das weitere Leben liefert. Der Heranwachsende integriert die Vielzahl seiner Kindheitsidentifikationen zu seiner Ich-Identität, wobei dieser Prozess mehr als die Vereinigung aller Bilder zu einem einheitlichen Selbst darstellt. Darüber hinaus konstruiert die Summe der Identifikationen auch den inneren Kern des Individuums. Erikson geht davon aus, dass das Individuum so den stabilen Kern ausbilden kann, der als sein „inneres Kapital“ angesehen wird, das sein weiteres Leben vereinfacht.
42
Vgl. Keupp, H., Das Subjekt als Konstrukteur seiner selbst 22.
30
Relevant ist also die Vorstellung von einem einheitlichen und kontinuierlichen Selbst: „Das Gefühl der Ich-Identität ist also das angesammelte Vertrauen darauf, dass der Einheitlichkeit und Kontinuität, die man in den Augen anderer hat, eine Fähigkeit entspricht, eine innere Einheitlichkeit und Kontinuität (also im Sinne der Psychologie) aufrechtzuerhalten.“ (Erikson, Erik H., 2000, S. 107).
Erikson hat damit ein Konzept entworfen, das den Eingliederungsprozess des Individuums in die soziale Welt zeigt. Die Kritik an Erikson greift genau an diesem Punkt an. Die Kritiker machen darauf aufmerksam, dass sich die individuelle Selbstfindung nicht in eine kontinuierliche und berechenbare gesellschaftliche Entwicklung einbinden lässt. Keupp hinterfragt das Selbstverständnis der klassischen Moderne, durch Begriffe wie Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung grundlegend.43 Die Vorstellung von einer stabilen und gesicherten Identität, die sich nicht weiter verändert, ist ein weiterer zentraler Kritikpunkt. Diese kritischen Ansatzpunkte führen zur aktuellen Begriffsdefinition. 2.3 Identität als unabschließbarer dynamischer Prozess „Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ‚Sie haben sich gar nicht verändert.’ ‚Oh!’ sagte Herr K. und erbleichte.“ (Brecht, B., 1967, S. 383).
Brecht zeigt durch seine Keunergeschichte „Wiedersehen“, dass sich das metaphorische Leitbild des „geglückten Selbst“ nicht länger in Kontinuität und Konstanz zeigt. Das unveränderte Selbst wird hier, im Gegensatz zum klassischen Definitionsbegriff von Identität, mit Stillstand gleichgesetzt und damit negativ interpretiert. Identität wurde in drei Theorietraditionen grundlegend weiterentwickelt und diskutiert: in der Psychoanalyse, in der kognitivistischen Entwicklungspsychologie und im symbolischen Interaktionsmus.44 Krappmann brachte die Vorstellungen von Identität entscheidend voran. Er bezieht sich auf den von George Mead begründeten symbolischen Interaktionismus. Dieser Theorie zufolge sind Individuen auf soziale Beziehungen angewiesen, um eine Identität aufzubauen. Das Selbst muss zu seiner Erhaltung Kommunikation und gemeinsame Aktionen 43 44
Vgl. Keupp, H., Identitätskonstruktionen 30. Vgl. Wilpert, J., Identität und Lebenszyklus 18.
31
mit anderen Individuen aufrechterhalten und pflegen. Er entwirft damit ein Konzept intersubjektiven Handelns, in dem das Individuum zwischen Vereinzelung und Vergesellschaftung balanciert. Mead ordnet dem Selbst die Kategorien „I“ und „me“ zu. Das „me“ beinhaltet Einstellungen und Verhaltensweisen anderer, das „I“ verkörpert das spontane kreative Subjekt, es ist also der subjekthafte Teil des Organismus. Er verdeutlicht die Elemente des Selbst am Beispiel eines Baseball-Spielers, der so spielt, wie es seine Mitspieler von ihm erwarten. Der Spieler wird durch das „me“ Mitglied einer gesellschaftlichen Gruppe, wobei ihm die Gruppe gleichzeitig verschiedene Möglichkeiten bietet, seine eigene Identität, sein „I“, auszudrücken. Das „I“ kann sich also durch die Gruppe ausdrücken, wird aber gleichzeitig durch die Erwartungen und Einstellungen des „me“ kontrolliert. Identität ist für Mead der Prozess, in welchem das „I“ das „me“ hervorruft und darauf reagiert. Die Vermittlung der beiden Elemente des Selbst, bezeichnet er als Selbstreflexion. Nach Krappmann muss das Individuum seine Identität immer wieder neu herstellen.45 Hierin zeigt sich auch die Überwindung der klassischen Vorstellung. Identität wird als ein sich ständig verändernder Prozess verstanden. Die Vorstellung, dass Identität ein irgendwann erreichtes Stadium sei und die Identitätsbildung somit abgeschlossen werden kann, ist damit obsolet. Identität besitzt man nicht irgendwann ausschließlich, sondern man besitzt sie immer nur in bestimmten Situationen und unter anderen Personen, die sie anerkennen müssen.46 Identität wird als Leistung beschrieben, die ein Individuum als nötige Voraussetzung für Kommunikations- und Interaktionsprozesse erbringen muss. Aus der Perspektive der interaktionistischen Handlungstheorie betrachtet, erlangt ein Individuum „Ich-Identität“, wenn ihm die Balance zwischen persönlicher Identität und der jeweiligen sich verändernden „Gruppen-Identität“ gelingt. Von einem Individuum wird also gefordert, auf der einen Seite so zu sein, wie alle sind, gleichzeitig aber auch, wie keiner ist.47 Diese Ich-Identität wird nicht als fester Besitz verstanden, sondern ist ein Bestandteil des Interaktionsprozesses und muss somit ständig, im Wandel der Anforderungen und Erwartungen neu hergestellt und formuliert werden.48
45
Vgl. Krappmann, L., Soziologische Dimension der Identität 68. Vgl. Krappmann, L., Soziologische Dimension der Identität 35. 47 Vgl. Krappmann, L., Soziologische Dimension der Identität 78. 48 Vgl. Krappmann, L., Soziologische Dimension der Identität 208. 46
32
2.4 Teilbereiche der Identitäten Keupp versteht Identität als lebenslangen Prozess, in welchem das Individuum verschiedene Handlungsaufgaben bewältigen muss. Die Frage nach der Identität ist nicht nur eine Frage nach dem, was ein Individuum ist, sondern ebenso nach dem, was es werden möchte. „Sich entwerfen und leben fallen in eins. Das Identitätsprojekt wird zu einem imaginären Fixpunkt, der beständig geändert werden kann.“ (Keupp, H. und Weber, K., 2001, S. 83).
Er beschreibt Identität als die „innere Selbstbestimmung“ des Subjekts vor dem jeweiligen aktuellen gesellschaftlichen Hintergrund. Bei der Frage nach der Selbstverortung des Subjekts entwirft er das Bild von Identität, das einem Scharnier „zwischen der inneren und der äußeren Welt“ gleicht. 49 Keupp geht der Frage nach, wie sich ein Subjekt in einer zersplitterten Erfahrungswelt als Ganzheit empfinden kann. Er geht von der These aus, dass das Subjekt in vormodernen Gesellschaften keinen inneren Zusammenhang bilden musste, da der innere Zusammenhalt von der Gesellschaft produziert wurde. Die Aufsplitterung des Subjekts wird also erst dann zum Problem, wenn die kohärente Gesellschaft dissoziiert. Ausgehend von den aktuellen gesellschaftlichen Umbrüchen stellt Keupp weitreichende Folgen für die Bildungsprozesse der Individuen fest. Kernbestände der Identitätskonstruktionen, wie zum Beispiel nationale und ethnische Identitäten, Geschlechts- und Körperidentitäten, verlieren im gesellschaftlichen Umbruch ihre Identitätsgaranten. Sein Begriff „Patchworkidentität" steht dabei für den Versuch, die durch Erwerbstätigkeit entstandenen Teilidentitäten, sinnvoll zu verbinden. So entsteht eine aus verschiedenen Teilbereichen bestehende, aber trotzdem verbundene konstruierte Identität. Identität wird also nicht als etwas Statisches betrachtet, sondern als eine Art kontinuierliche Verknüpfungsarbeit, die dem Subjekt hilft, sich selbst als Subjekt zu begreifen.50 Hierbei muss das Individuum die Erfahrungen aus der Vergangenheit mit den aktuellen Erfahrungen verknüpfen, auch teils widersprüchliche Erfahrungen müssen in den Verknüpfungsprozess eingearbeitet werden. Soll dies gelingen, ist eine innere Pluralität, innere Heterogenität und Beweglichkeit notwendig.51 Die Verknüpfungsarbeit findet im Subjekt auf der Basis der Umwelt statt. Somit könnte man auch sagen, Identität ist die Passungsarbeit: In ihrer Selbstkonstruk49 50 51
Vgl. Keupp, H., Identitätskonstruktionen 85. Vgl. Keupp, H., Identitätskonstruktionen 190. Vgl. Nick, P., Ohne Angst verschieden sein 166.
33
tion nimmt sie permanent Bezug auf die Außenwelt, die gesellschaftliche Situation. Passung bedeutet im Keuppschen Sinne nie lediglich Anpassung an Außen, sondern beinhaltet einen subjektiven Aushandlungsakt zwischen divergierenden Anforderungen. Identität ist eine narrative Konstruktion, das heißt, die Selbsterzählung ist Grundlage für die Identitätsarbeit. Die Selbsterzählung ordnet die subjektiven Erfahrungen und Ereignisse an und entwirft dadurch ein Selbstkonzept, das auf der Grundlage gesellschaftlicher Anforderungen und Auseinandersetzungen konstruiert wird, es vereint Teilidentitäten und die jeweiligen Erfahrungen zu einem Identitätsgefühl. 2.5 Kulturelle Identität 2.5.1 Definition des Begriffs „Kultur“ Bevor der Terminus „Kultur“ durch Johann Gottfried von Herder durch seine „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“52 einen feststehenden Begriff erhielt, bezeichnete der Naturrechtslehrer Samuel von Pufendorf Kultur als die Gesamtheit von Tätigkeiten, die den Menschen in seinem Tun vom Tier unterscheidet. Einen feststehenden Begriff gab es zu dieser Zeit allerdings noch nicht, sondern er bezog sich auf einzelne Bereiche oder Tätigkeiten. Der deutsche Begriff „Kultur“ ist sehr stark historisch geprägt. Ursprünglich war er als Konzept des Bürgertums des 18. Jahrhunderts zu verstehen, das sich bemühte, sich gegen das höfische Modell des Adels abzugrenzen. Kultur war demnach Abgrenzungsmerkmal und Erkennungszeichen und diente der Verdeutlichung einer Gruppenzugehörigkeit.53 Seit Aufkommen des Kulturbegriffs wird der Begriff immer wieder neu definiert, modifiziert oder erweitert. Bis 1950 gab es bereits mehr als 150 verschiedene Begriffsdefinitionen. Bis heute wird sich die Zahl um ein Vielfaches vermehrt haben. In der vorliegenden Arbeit kann also nur ein sehr kleiner Ausschnitt der wissenschaftstheoretischen Bemühungen um den Begriff aufgezeigt werden. Mario Erdheim, der schweizer Ethnologe und Psychoanalytiker, versteht Kultur als das Produkt, das in der Auseinandersetzung mit dem Fremden entsteht. 52 53
Dieses Werk erschien 1784-1791. Kultur wird als Insel oder Kugel verstanden. Vgl. Nick, P., Ohne Angst verschieden sein 119.
34
Die Veränderungen des Eigenen durch das Fremde bringen Kultur hervor.54 Der Kultur- und Sozialanthropologe Werner Schiffauer sieht Kultur als Arena an, in welcher die Beteiligten, Normen und Werte vielmehr immer wieder neu aushandeln und über den Konsens streiten, als diese zu teilen. Er sieht zwar Gemeinsamkeiten einer Kultur, verweist aber auf deren temporären Charakter. Gemeinsamkeiten müssen immer wieder neu hergestellt werden. Folglich sei Kultur ein aktiver Aushandlungsprozess, bei welchem alle Gruppen der Gesellschaft beteiligt werden sollten. Partizipationsrechte dürfen keiner Gruppe verweigert werden.55 Der Kulturbegriff der Moderne ist durch Dezentrierung und Reflexivität gekennzeichnet. Jürgen Habermas verdeutlicht, dass Kulturen nicht länger geschlossen und unhinterfragt sind, dieses Phänomen bezeichnet er als Dezentralisierung. Kulturen werden sich ihrer selbst bewusst und bilden sich einen Begriff von sich selbst, diesen Prozess nennt Habermas Reflexivität.56 Dezentrierung und Reflexivität ermöglichen kulturellen Pluralismus. Große Aufmerksamkeit erzielte Samuel P. Huntington mit seinem Werk „Kampf der Kulturen“.57 Er bezeichnet Kulturkreise als das umfassende „Wir“, das sich gegen alle anderen „da draußen“ abgrenzt. Er setzt die Kulturen mit den Religionen gleich und geht bei seiner Vorstellung von einem in sich geschlossenen System aus, bei welchem der Einzelne nicht ohne seinen Kulturkreis verstanden werden kann. Kulturen können aber nicht als feste, nicht wandlungsfähige Anordnungen verstanden werden. In seinem Ansatz zeigt sich deutlich, wie über den Kulturbegriff und die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis, Zugehörigkeit und Abgrenzung konstruiert wird. Jörn Rüsen wirft Huntingtons Ansatz Ethnozentrismus vor. Ethnozentrismus ist für ihn „die verbreitete kulturelle Strategie, kollektive Identität durch Unterscheidung der eigenen Gruppe von anderen so zu gewinnen, daß der soziale Raum des eigenen Lebens als gemeinsamer und vertrauter vom Raum des Lebens der Anderen substantiell unterschieden wird. Dieser Unterschied wird mit Werten aufgeladen, die das Selbstverhältnis positiv und das Anderssein der Anderen negativ bestimmen. Ethnozentrismus teilt die Welt ins Vertraute und ins Fremde, ins ‚Menschliche’ und ins ‚Unmenschlich-Barbarische’ ins ‚Zivilisierte’ und ‚Wilde’, in ‚hell’ und ‚dunkel’ oder wie immer solche Dichotomien lauten mögen.“ (Rüsen, J. und Gottlob, M., 1998, S. 14f). 54
Vgl. Erdheim, M., Das Eigene und das Fremde 734. Vgl. Schiffauer, W., Verhandelbare Diskursfelder 18. 56 Vgl. Habermas, J., Der philosophische Diskurs der Moderne 9. 57 Vgl. Huntington, S., Kampf der Kulturen, Hamburg 2006 . 55
35
Die Vorstellung von Kultur als abgeschlossenes System ist heute überholt. Paul Mecheril sieht in dem Kulturbegriff nichts Statisches, sondern vielmehr einen dynamischen Prozess, der sich in allmählichen, aber auch in abrupten Bewegungen über die Zeit wandelt. Er geht von einer wechselseitigen Beeinflussung zwischen Mensch und Kultur aus. Für Stewart Hall ist Kultur nicht die Summe von Sitten und Volksweisheiten, sie ist vielmehr alltägliche vollzogene soziale Praxis. In einer Kultur sind sowohl Bedeutung und Werte einer spezifischen sozialen Gruppe enthalten, die aufgrund ihrer historischen Bedingung und Beziehung entstehen, als auch ihre gelebten Traditionen und Praktiken, durch welche diese „Deutungen“ von Kultur ausgedrückt und verkörpert werden.58 Beziehungen werden unter den Aspekten, wie sie gelebt und erfahren werden, verstanden. In einer Gesellschaft, die von sozialen Ungleichheiten geprägt ist, ist Kultur aber auch das Feld, in welchem um Macht gerungen wird. Hall benutzt Kultur als Bezeichnung für den Bereich, in welchem Bedeutung entsteht und verändert wird. Durch diesen Bereich werden Handlungen und Praxis bestimmt. Vor diesem Hintergrund beschäftigen sich die Cultural Studies mit Fragen der kulturellen Identität und Migration. Auch Hörning und Reuter sehen Kultur in ihrem praktischen Vollzug. Der Mensch als Kulturwesen geht handelnd mit Kultur um. Auch sie betonen den dynamischen Prozess und versuchen mit dem von ihnen geprägten Begriff „Doing Culture“ das Kulturelle mit dem Sozialen zu verbinden.59 In meiner Arbeit verstehe und definiere ich Kultur, wie Paul Mecheril und Stewart Hall ihn beschreiben. Wichtig ist mir dabei der Prozesscharakter. Kultur wird nicht als feststehende Instanz verstanden, sondern als eine fließende, wandelbare Größe, die sich durch die Umwelt wandelt, aber auch die Umwelt selbst transformiert. 2.5.2 Kulturverständnis der Cultural Studies Eine generelle stringente Begriffserklärung von Identität ist nach Hall nicht länger möglich: „Wenn wir meinen, eine einheitliche Identität von der Geburt bis zum Tod zu haben, dann bloß, weil wir eine tröstliche Geschichte oder ‚Erzählung unseres Ich’ über uns konstruieren.“ (Hall, S., 1999, S. 396). 58 59
Vgl. Hall, S., Die zwei Paradigmen der Cultural Studies 24. Vgl. Hörning, K.H. und Reuter, J., Doing Culture 9-11.
36
Er weist darauf hin, dass der Begriff Identität nur mit weiteren Begriffen, die ein Begriffsumfeld bilden, verwendet werden kann. Nationale Kulturen, in die das Individuum hineingeboren wird, gehören zu den Hauptquellen der kulturellen Identität. Bei der Selbstdefinition eines Individuums, bindet das Subjekt seine Zugehörigkeit an die Nationalität. Man sei „Deutsche“ bzw. „Deutscher“ oder „Engländerin“ bzw. „Engländer“. Diese Aussage sei jedoch nur metaphorisch zu verstehen, denn die Identität sei nicht buchstäblich in den Genen festgelegt. Trotzdem geht das Individuum davon aus, dass es ein fester Teil des Selbst sei.60 Menschen werden aber nicht mit nationalen Identitäten geboren. Nationale Identitäten werden durch Repräsentanten gebildet und verändern sich im Umgang mit ihnen. Was es bedeutet „englisch zu sein“, wissen wir nur durch die Bedeutungskette, die durch die englische nationale Kultur repräsentiert wird. Eine Nation ist somit über die politische Größe hinaus, auch ein System kultureller Repräsentanten, das eine kulturelle Norm beinhaltet.61 Nach Hall entwirft der Begriff „kulturelle Identität“ ein Konzept, bei welchem die Abweichung von der kulturellen Norm zur Grundlage von Identität erklärt wird. Was einen mit wenigen anderen verbindet, aber auch von vielen anderen trennt, ist das „Nicht-Identische“, was Identität ausmacht.62 Es ist dann „die türkische Herkunft“ oder „das Ostdeutsche“, das Identität begründet, wobei sich jede Gruppierung wieder in sich selbst unterscheidet. Problematisch an dem Begriff ist, dass Kulturen regional sehr unterschiedlich sein können, auch historisch unterschiedlich bedingt sind. Hall beschreibt die kulturelle Identität als „verinnerlichte Kultur“. Er zeigt die kulturelle Vielschichtigkeit unserer Gesellschaft, in der Identitäten als einheitliche Gebilde verschwinden. Kultur löst sich als fest gefügte Ordnung auf, sie wird zum sozialen Prozess, in welchem sich neue kulturelle Praktiken vermischen. Diesen Prozess nennt Hall Hybridizität.63 Einfache Beispiele für Hybridizität sind zum Beispiel der deutsche Hip-Hop oder Kleidungsstile, die von fremden Kulturen entliehen sind. Dieser Tatbestand macht die Relevanz der kulturellen Identität für die vorliegende Arbeit deutlich. Interessant ist hierbei die Frage, inwiefern Jugendliche mit Migrationshintergrund ihre Kultur leben, umarbeiten oder diese mit der konfrontierten Kultur vermischen. Strittig bleibt der Begriff „ihre Kultur“, denn es geht letztendlich auch um die Frage, was unter „ihrer Kultur“ zu verstehen ist? Folglich müsste korrekterweise von „der Kultur der Eltern“ oder „der Kultur der 60
Vgl. Hall, S., Kulturelle Identitäten und Globalisierung 414. Vgl. Kapitel 2.7 Nationale Identität 40-42. 62 Vgl. Hall, S., Die Frage der kulturellen Identität 180-222. 63 Hall greift den Begriff Hybridizität von der Theorie des Postkolonialismus auf und übernimmt ihn von Homi Bhabhas Konzept der Hybridität. 61
37
Türken“ die Rede sein, denn das Leben mit oder zwischen zwei Kulturen begünstigt die von Hall beschriebene Hybridizität. 2.6 Historische Identität Jugendliche mit Migrationshintergrund werden im Laufe ihrer Sozialisation mit der sie umgebenden historischen Geschichte konfrontiert. Geschichte dient Individuen als Orientierungshilfe. An welcher Stelle können sich nun Jugendliche mit fremder Geschichte in der sie umgebenden Geschichte verorten? Im Mittelpunkt steht die Frage, inwiefern die Geschichte die Identitätsbildung beeinflusst? Es ist also unverzichtbar, die historische Identität in Kürze zu beleuchten. Der Historiker Emil Angehrn sieht in der Entwicklung historischer Identität eine zunehmende Rückbindung der Individuen an Geschichte. Gleichzeitig bewirkt aber die Entwicklung der historischen Identität, bedingt durch die Verschiedenheit der Kulturen und Individuen, eine Auslöschung des Geschichtsbewusstseins. Dieses Phänomen, das er als gleichzeitige Aktualität und Inaktualität des historischen Bewusstseins bezeichnet, deckt sich mit den aktuellen Ergebnissen aus der Globalisierungsdebatte. Hier fließen Globalisierungs- und Lokalisierungsprozesse zusammen. Die Globalisierung zieht Homogenisierungstendenzen nach sich, während die Pluralisierung zur Begünstigung lokaler und regionaler Identitäten führt.64 Die Herausbildung einer historischen Identität bildet sich im lokalen, gleichermaßen wie im globalen Rahmen. Die grenzüberschreitende Kommunikation der Medienwelt ermöglicht eine Geschichtsbewusstseinsbildung, die unabhängig von der Geschichte, der umgebenden Akteure und Ereignisorte ist. Die Darstellung von Kultur und Geschichte führt nach Ansicht von Levy und Sznaider zu einer Globalisierung von Erinnerungen, es bilden sich kosmopolitische Gedächtnisse.65 In Einwanderungsländern leben folglich Individuen mit unterschiedlichen kollektiven Vergangenheiten und historischen Identifikationen zusammen und ringen in der Gesellschaft um die Repräsentation ihrer Geschichten und Erinnerungen. Levy und Sznaider werfen die Frage auf, ob es in pluralen Gesellschaften notwendig sei, Zugehörigkeit auf der Grundlage von gemeinsam geteilten Erinnerungen einzufordern? Sie überlegen, ob für die Herausbildung einer historischen Identität überhaupt die Konstruktion eines Kollektivgedächtnisses nötig sei. Georgi geht davon aus, dass gelebte Erinnerungspraxis ethnischer Gruppen das historische Bewusstsein prägt. 64 65
Vgl. Georgi, V., Entliehene Erinnerungen 23. Vgl. Levy, D. und Sznaider, N., Erinnerungen im globalen Zeitalter 22.
38
Geschichte spielt bei der Bildung von kulturellen Identitäten eine entscheidende Rolle, da sich der Prozess der Selbstverortung über Erzählungen in der Vergangenheit vollzieht.66 Hall spricht von „positioning“ und meint damit sowohl die Selbst-, als auch die Fremdpositionierung des Individuums. Diese Verortung ist eine Konstruktion, die sich der Erinnerung, Mythen, Phantasien und Narrationen bedient. Geschichte und Lebensgeschichte wirken sich auf die Identität aus. Individuelle Lebensgeschichte und „große Geschichten“ greifen ineinander. Herman Buschmeyer beschäftigte sich in der Erwachsenenbildung mit Identität und Lebensgeschichte. Für ihn wird Identität erlangt, wenn sich ein Individuum sowohl seiner individuellen, als auch seiner kollektiven Geschichte der historischen Bezugsgruppe bedient. Identität sei demnach nur im Zusammenhang mit historischer Reflexion vorstellbar.67 Die Reflexion wird als fortlaufender Akt und nicht als einmaliges Unterfangen verstanden. Menschen erleben im Laufe der Zeit bestimmte historische Ereignisse. Erfahrungen aus der Familiengeschichte, Lokalgeschichte oder Zeitgeschichte werden für das Individuum wichtig und prägen dadurch die eigene Identität. Lebensgeschichte und Kollektivgeschichte müssen also miteinander verflochten werden. In die persönliche Identität fließt aber auch die soziale Identität mit ein, denn an das Individuum werden Rollenerwartungen von der Gesellschaft gestellt, die Werte, Traditionen und Erfahrungen der jeweiligen Bezugsgruppe enthalten. Die Zugehörigkeit zu Gruppen macht also einen entscheidenden Teil der Ich-Identität aus. „Wir-Gruppen“ sind bemüht, sich trotz ständiger Veränderungen in Vergangenheit und Zukunft als dieselben wiederzuerkennen. Von Borries spricht von einem Austarierungsprozess zwischen einer Selbstvergewisserung über Geschichte und Tradition einerseits und Zukunftsentwürfen auf der anderen Seite.68 Identifikation gehört zu den zentralen Analysekategorien des Geschichtsbewusstseins. Sie ist das Verbindungsstück zwischen inhaltlichen Orientierungen des Geschichtsbewusstseins und den individuellen Deutungen. Die Ich-Identität wird durch die historische Identität der sozialen Gruppe geprägt, zu welcher sich das Individuum zugehörig fühlt. Die Identität eines Individuums enthält die Vorstellung über Geschichte. Die Vergangenheit wird aber individuell, also auch verschieden verarbeitet. Die soziale Zugehörigkeit, also Konfession, Geschlecht, Schichtzugehörigkeit, beeinflusst die Verarbeitung von Vergangenheit ebenso wie die individuelle Lebensgeschichte oder der Einfluss von Sozialisationsinstanzen. Individuelle Lebensgeschichte wird also von großen historischen Ereignissen ebenso gebildet wie von den kleinen persönlichen Geschichten in 66 67 68
Vgl. Hall, S., Rassismus und kulturelle Identität 9. Vgl. Buschmeyer, H. u.a., Erwachsenenbildung im lebensgeschichtlichen Zusammenhang 21. Vgl. Georgi, V., Entliehene Erinnerungen 29.
39
unserem Umfeld. Der Mensch ist dabei nicht nur passiver Rezipient von Ereignissen, sondern auch ein aktiv gestaltender Akteur. Historische Identität ist somit durch die Selbstverortung von sozialen Gruppen im geschichtlichen Prozess gekennzeichnet. Die Selbstverortungsprozesse sind immer ein Wechselspiel zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen. In eben diesem Spannungsfeld der Zuschreibungsprozesse befinden sich Jugendliche mit Migrationshintergrund. Werner Weidenfeld beschreibt das Verhältnis von historischen Identitäten in Einwanderungsgesellschaften zu historischen Identitäten von Einwanderungsgesellschaften als reziprok: „Identität einer Person kann sich nur herausbilden, wenn der eigene historische Lebensentwurf in die übergeordnete Gesamtgesellschaft dauerhaft integriert werden kann. Historische Identität als Form der Selbstdefinition, als Ergebnis eines Prozesses der Selbstzuschreibung vergangener Handlungen, ermöglicht damit auch einer Gesellschaft die notwendigen Standortbestimmungen durch die Anerkennung gemeinsamer Vorstellungen.“ (Weidenfeld, W., 1987, S. 15).
Weidenfeld entwirft damit ein Konzept, bei welchem eine übergeordnete historische Identität Grundvoraussetzung für die Gesellschaft ist. Die Durchsetzung einer dominanten Geschichtserzählung ist nach demokratischem Verständnis fragwürdig. Kritisch zu sehen ist auch, dass Weidenfeld historische Identität davon abhängig macht, ob sich Individuen in die übergeordnete Gesellschaft dauerhaft integrieren lassen. Hierbei stellt sich die Frage, ob Migranten überhaupt eine Chance sehen, ihre historischen Lebensentwürfe in die Gesellschaft einzubringen. Ist ihnen eine Positionierung mit ihrer eigenständigen historischen Identität in der deutschen Gesellschaft erlaubt? Nehmen sie ihre „Wurzeln“ mit, wie Hall es formuliert? Werden sie zu Trägern kosmopolitischer Erinnerungen, im Sinne Levys und Sznaider? Oder verblassen die historischen Bezüge im Migrationskontext, weil die Geschichte des Aufnahmelandes dominiert? Bei Vertretern der zweiten und dritten Generation ist die Frage berechtigt, ob die Geschichte, die die Jugendlichen in der Schule lernen, eine fremde Geschichte oder ihre eigene Geschichte repräsentiert? 2.7 Nationale Identität Auf den Begriff der nationalen Identität kann im Folgenden nicht verzichtet werden, da das Leben mit oder zwischen zwei Kulturen immer wieder an Nationen festgemacht wird. Betrachtet wird das Leben der türkischen Jugendlichen in 40
Deutschland und nicht der arabischen Jugendlichen im westlichen Europa, auch wenn die Grenzen manchmal fließend sind. Kritische Aspekte wurden bereits bei den Ausführungen über kulturelle Identität und historische Identität aufgezeigt und müssen hier nicht noch einmal wiederholt werden. Betont werden muss allerdings, dass die politische Dimension bei der nationalen Identität im Vordergrund steht. Voraussetzung für die nationale Identität ist das Bewusstsein, dass andere dieselbe Identität besitzen, man spricht von der kollektiven Identität. Die nationale Identität bildet einen größeren Rahmen im Identitätsgefüge, das über das WirBewusstsein mit der Familie oder zum Beispiel mit dem Berufstand hinausreicht.69 Über der nationalen Identität kann die europäische oder die kosmopolitische Identität einen größeren Aktionsradius bieten. Nationale Identifizierung findet nicht nur in der kognitiven Dimension statt. Sie weist auch eine normative und affektive Dimension auf. Normativ ist die nationale Identität immer dann, wenn sie Handlungsweisen impliziert. Äußerungen wie „Deutsche zuerst“ oder „man muss aus der deutschen Vergangenheit lernen“ zeigen deutlich den normativen Charakter. Die affektive Dimension umfasst positive und negative Affekte. Positive Affekte sind zum Beispiel Stolz, Vertrauen und Liebe; zu den negativen Affekten zählen beispielsweise Minderwertigkeitsgefühle, Scham und Schuld. Die Zuschreibungen variieren zwischen den einzelnen Individuen und sind somit nicht homogen innerhalb einer Nation festzustellen. Für das Zusammenleben mit anderen ist der affektive Charakter der nationalen Identität besonders wichtig, da Fremdwahrnehmungen, wie auch Eigenwahrnehmungen immer Bewertungen enthalten können. Wird die eigene Nationalität als höher oder minderwertiger bewertet? Zentraler Gedanke der nationalen Identität ist es, Merkmale einer Nation auszumachen, die den Angehörigen zugeordnet werden können. Sehr schnell können hierbei aber stereotype Bilder transportiert werden. Anderson vermerkt, dass Individuen durch diese Merkmale oder Merkmalsbündel ihre „imagined community“ konkretisieren. Nation wird verstanden als eine vorgestellte, begrenzte und souveräne Gemeinschaft. Vorgestellt deshalb, da sich selbst in der kleinsten Nation nie alle Individuen kennen, sie aber trotzdem eine Gemeinschaft annehmen.70 Diese können im Einzelfall ganz unterschiedlich ausfallen. 69 70
Vgl. Honolka, H. und Götz, I., Deutsche Identität und das Zusammenleben mit Fremden 30. Vgl. Anderson, B., Die Erfindung der Nation 15.
41
Nationale Identität kann also zum Beispiel über die gemeinsame Sprache, Literatur und das kulturelle Erbe konstituiert werden, aber auch über wirtschaftliche Leistungskraft, gemeinsame Geschichte und den Versuch, diese zu verarbeiten, oder über gemeinsame Vorstellungen über Religion. Die Vorstellung von nationaler Identität stößt in vielerlei Bereichen an Grenzen, die im Ansatz der Transkulturalität überwunden werden sollen. 2.8 Transkulturalität Der Begriff wurde von dem Philosophen Wolfgang Welsch entwickelt.71 Er richtet sich mit seinem Konzept gegen das traditionelle Kulturverständnis und zeigt auch die Grenzen der Begriffe „Multikulturalität“ und „Interkulturalität“ auf. Das Kulturverständnis, das auf dem Begriff Multikulturalität basiert, bricht nicht mit dem traditionellen Kulturverständnis, es beschreibt lediglich eine Vervielfachung des Terminus. Bei dieser Vorstellung gehen die Vertreter des Begriffes anstatt von einer homogenen Monokultur in einer Gesellschaft von vielen homogenen gleichberechtigten Kulturen in einer Gesellschaft aus. Ähnlich verhält es sich mit dem Terminus „Interkulturalität“. Auch wenn der Begriff auf einen Dialog zwischen den Kulturen deutet, geht er doch von auf Einheit beharrenden Kulturen aus und separiert dadurch andere Kulturen. Welsch bemerkt, dass Konflikte, die früher zwischen den Gesellschaften herrschten, dadurch auch zu Konflikten innerhalb einer Gesellschaft werden. Um dieser begrifflichen Unzulänglichkeit entgegenzuwirken schlägt er den Terminus „Transkulturalität“ vor. Die Vorsilbe „Trans“ deutet auf die Vorstellung „transversaler“, also durch Kulturen hindurchgehende Kulturgrenzen hin. Mit dieser Auffassung wird Kultur nicht länger als Insel oder Kugel im Hegelschen Sinne beschrieben, sondern verweist auf eine moderne Form von Kultur, die durch traditionelle Kulturgrenzen hindurchgeht. Sie wendet sich bewusst von der monokulturalen Vorstellung von Kultur ab. Kultur als ein Volk katalogisierendes Instrument wird dadurch undenkbar. Als Kennzeichen von Transkulturalität werden die Vernetzung der Kulturen und die Hybridisierung, also die Vermischung der Kulturen, genannt.72 Die Vielfalt 71
Vgl. Welsch, W., Transkulturalität 39-44. Hybridisierung finden wir auch in der Gender-Debatte. Hierbei geht es um das Aufbrechen von gesetzten Dichotomien und anstatt ihrer Analyse werden die Vermischungen und Vernetzungen bzw. die Hybridisierung der Prozesse näher betrachtet. Vgl. hierzu Schneider, I.: Von der Vielsprachigkeit zur ‚Kunst der Hybridation’. Diskurse des Hybriden 16. 72
42
der Kulturen wird in der Vorstellung der Transkulturalität nicht länger als die gleichzeitige Existenz von einzelnen kulturell homogenen Gruppen innerhalb der Gesellschaft verstanden, sondern als die Möglichkeit eines Individuums an mehreren Kulturen zu partizipieren. Welsch knüpft mit seinem Kulturverständnis an Arbeiten der „Cultural Studies“ an. Er siedelt den kulturellen Austausch in der zwischenmenschlichen Ebene an, somit versteht er die Lage der kulturellen Grenzen auf der Ebene einzelner Individuen. Das Bild von einer „wesenhaften“ Identität weicht dem Bild von differenzierten Identitätspositionen, die in Abhängigkeit von sozialen Kontexten konstruiert werden. Die Vorstellung von Homogenität in der Gesellschaft wird dadurch überwunden. Welsch bemerkt, dass die Lebensform eines Journalisten heute nicht mehr deutsch oder französisch sei, denn Lebensformen enden nicht länger an nationalen Grenzen. Vielmehr finden sich die Lebensformen in anderen Kulturen wieder, demnach seien sie vielmehr europäisch oder global geprägt. Menschen werden heute durch Kulturen unterschiedlich beeinflusst. Kulturelle Differenzen bestehen nicht mehr nur zwischen den Gesellschaften, sondern zunehmend auch innerhalb einer Gesellschaft. Gesellschaften sind heute nicht mehr kulturell einheitlich. Welsch spricht von einer „vertikalen Differenzierung“ und führt für die Verdeutlichung der Differenzen die Gegensätze in der Bevölkerung einer Stadt mit Arbeitermilieu, einer Villengegend und der Alternativszene an. Ein gemeinsamer kultureller Nenner sei kaum mehr festzustellen.73 Ein weiteres Kennzeichen der Transkulturalität ist die Auflösung der Kategorien des „Eigenen“ und des „Fremden“. In nahezu jeder Kultur lebt auch eine große Anzahl von Angehörigen aus vielen weiteren Kulturen. Diese kulturelle Vermischung betrifft Menschen, Waren und Informationen. Was früher als exotisch und außergewöhnlich galt, ist heute meist problemlos verfügbar. Der Informationsaustausch über das Internet setzt sich grenzenlos fort und überwindet Räume, die früher unüberbrückbar gewesen wären. „Eigenes“ und „Fremdes“ stehen sich also nicht mehr inselartig zwischen den Kulturen gegenüber, sondern zielen auf kulturelle Aneignungen, die fern von den Kategorien „fremd“ oder „eigen“ liegen. Diese Differenz zwischen „Eigenkultur“ und „Fremdkultur“ verwischt in Zeiten der Mobilität und Globalisierung immer mehr. Anstatt von kulturellen Identitäten spricht man besser von hybriden Identitäten. Welsch betont, dass künftig Kulturen nicht länger in der Dichotomie „Eigenkultur“ und „Fremdkultur“ gedacht werden sollten, da Identitäten durch interne Lokalisie73
Vgl. Welsch, W., Zwischen Globalisierung und Partikularisierung 330.
43
rung ebenso wie durch externe grenzüberschreitende Konturen gekennzeichnet sind. Menschen sollen vielmehr zur „transversalen Vernunft“ gebracht werden.74 Transkulturelle Identitäten besitzen also eine kosmopolitische und eine lokale Zugehörigkeit. Wenn ein Individuum von unterschiedlichen kulturellen Einflüssen geprägt ist, wird es die Aufgabe der Identitätsbildung sein, diese Teile sinnvoll zu verbinden.75 Diese Vorstellung von einer geglückten oder missglückten Identitätsfindung, die sich an der Verknüpfungsarbeit kultureller Elemente festmacht, findet sich in meiner Arbeit in der Definition der Lebensmodelle wieder. Ist den Individuen ein Leben mit zwei Kulturen geglückt oder sehen sich die Personen eher einem Leben „zwischen zwei Kulturen“ ausgesetzt. Das Prinzip der Transkulturalität beruht auf einem inklusiven Kulturverständnis, dem es weniger wichtig ist, Polaritäten und Divergenzen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern vielmehr Anschlussmöglichkeiten und den Blick auf Gemeinsames und Verbindendes in den Vordergrund stellt. Eine Problematik des Modells liegt allerdings in der Negierung der kulturellen Differenzen. Welsch betont, dass Transkulturalität nicht Uniformierung bedeutet. Er vermerkt, dass sich der Modus der Vielzahl verändert, Vielzahl im traditionellen Verständnis, im Sinne von Einzelkulturen, schwindet in transkultureller Vorstellung.76 Kultur ist immer im Werden. Auch in Kulturen mit sehr langen Traditionen können rasch Veränderungen eintreten. Meyer meint hierzu: „Die Kultur der Moderne ist im Kern eine Kultur des Umgangs mit Differenzen.“ (Meyer, T., 2002, S. 25).
74 75 76
Vgl. zum Terminus „transversale Vernunft“ Welsch, W., Vernunft 771-773. Vgl. Welsch, W., Transkulturalität 43. Vgl. Welsch, W., Transkulturalität 43+44.
44
3 Konstrukt „türkische Identität“ 3.1 „Türkisch“ - eine Perspektivenfrage Die ethnische Identität umschreibt in ethno-psychoanalytischer Sicht die Zugehörigkeit zu einer „Abstammungs-Tradition“, die die eigene von der fremden Kultur abgrenzt, sie aber nicht trennt.77 Wie bereits in den vorangestellten Kapiteln dargestellt, wird die kulturelle Identität als lebenslanger Prozess der Definierung und Neudefinierung verstanden. Diese Art von Definition ist das Ergebnis fortlaufender Interaktion. Dadurch wird schnell klar, dass alle Versuche, „den Türken“ allgemeingültig zu beschreiben, zum Scheitern verurteilt sind. Jeder Mensch nimmt seine Umwelt unterschiedlich wahr, agiert und verarbeitet Reaktionen seiner Umwelt individuell. Sicherlich gibt es mehr Unterschiede innerhalb einer Kultur als Gemeinsamkeiten. Trotzdem kommt die vorliegende Arbeit nicht ohne einen Versuch der Kategorisierung aus. Wie sollte man in den Interviews unterscheiden, welche Verhaltensweisen eher „türkisch“ als „deutsch“ geprägt sind, wenn die Attribute nicht vorab dargelegt werden? Außerdem sprechen wir von zwei Kulturen, genauer gesagt von einem Leben mit oder zwischen zwei Kulturen. Es müssen also Unterschiede vorhanden sein, die man festmachen kann, sonst hätten die türkischen Jugendlichen in Deutschland die gleichen Voraussetzungen, wie die deutschen Jugendlichen. Die Diskussionen darüber würden sich erübrigen. Es müssen also bestimmte Punkte, in einem Konstrukt als „türkische Identität“ herausgearbeitet werden, die sich von einem Konstrukt „deutscher Identität“ unterscheiden lassen. In diesem Sinne entwirft die Vorstellung von der „türkischen Identität“ bzw. der „deutschen Identität“ ein Konzept, bei welchem die Abweichung von der kulturellen Norm die Grundlage der „kulturellen Identität“ erklärt. Oder wie Hall es nennt, was einen mit wenigen verbindet, ist das, was einen von vielen anderen trennt.78 Aber auch die „türkische Identität“, die aufgrund der Differenzen zur „deutschen Identität“ beschrieben werden soll, ist so vielfältig wie die darin lebenden Repräsentanten. Sprechen wir zum Beispiel von einer Türkin oder einem Türken? Sprechen wir von einem Türken, Kurden oder Armenier? Die sozialen Zugehörigkeiten prägen die individuellen Lebensgeschichten. Sind die Angehörigen aus dem westlichen oder dem östlichen Teil der Türkei zugewandert? Stammt die 77 78
Vgl. Erdheim, M., Fremdeln 19-32. Vgl. Hall, S., Die Frage der kulturellen Identität 180-222.
45
Familie aus der Stadt oder aus einer ländlichen Region? Welcher Religion gehört der Repräsentant oder die Repräsentantin an? Diese Fragen stellen nur einen kleinen Anteil der Bedingungen dar, die Heterogenität bewirken. Im Folgenden sollen wenige ausgewählte Aspekte, die für die Verankerung in die jeweilige Kultur wichtig sind, diskursartig beleuchtet werden. Wichtig war mir hierbei, Aspekte auszuwählen, die different zur anderen Kultur sind.
3.2 Problem der Ausgangslage Betrachten wir im weiteren Verlauf die Rolle des Mannes, der Frau oder auch das Bild der Familie, ergibt sich folgendes Problem: Ziehen wir für die kulturdifferenten Merkmale „den Türken“ in der Türkei heran oder bereits den in Deutschland lebenden „Türken“? Wissenschaftliches Material liegt über in Deutschland lebende Türkinnen und Türken vor. Häufig ergibt sich die nötige Fragestellung ja erst vor Ort durch die Konfrontation mit dem Neuen. Wollen wir aber das Leben mit oder zwischen den Kulturen betrachten, müsste man streng genommen, die „türkische Kultur“ in der Türkei als Vergleich heranziehen, denn die „türkische Kultur“ in Deutschland ist bereits von der hiesigen Kultur beeinflusst. Allerdings sind für die türkischen Jugendlichen nicht die Werte und Normen der Türkei ausschlaggebend, sondern die ihrer Eltern, und diese leben ja auch schon seit mehreren Jahren in Deutschland und verstehen ihre Kultur als die „türkische Kultur“. Die türkischen Jugendlichen leben somit zwischen der „deutschen Kultur“, die sie umgibt, und der „deutsch-türkischen Kultur“ der Eltern. Insofern weisen die Untersuchungen, die türkische Jugendliche in Deutschland betreffen, eine Sonderstellung auf. Es wird schnell deutlich, dass eine strikte Trennung nicht möglich ist. Bei den Bildern, die in den Diskursen aufgezeigt werden, handelt es sich demnach um Mischformen.
3.3 Diskurs: Religion Der in der Türkei praktizierte Laizismus schreibt eine Trennung zwischen Religion und Staat vor. Der Islam bildet in Deutschland mit den beiden christlichen Konfessionen die drittgrößte Religionsgemeinschaft.79 Im Unterschied zum christlichen Glauben wird Muhammed nicht wie Jesus als Gottes Sohn betrachtet, sondern als Prophet Gottes. Er wird als Gesandter Gottes und nicht als direk79
Vgl. Goldberg, A., Halm, D. u. Sen, F., Die deutschen Türken 71.
46
ter Nachfahre Gottes verstanden. Muhammed war im Gegensatz zu Jesus sowohl religiöser als auch staatlicher Führer.80 In der Türkei leben ungefähr 70 Millionen Einwohner.81 Den prozentualen Anteil der Muslime daraus festzustellen, fällt trotz Statistiken schwer, denn jeder Einwohner, der nicht ausdrücklich einer anderen Religionsgemeinschaft angehört, wird unweigerlich zu den Muslimen addiert. Austritte aus der Kirche gibt es nicht, so werden alle Atheisten und Agnostiker automatisch zu den Muslimen gezählt. Von den 70 Millionen Einwohnern bekennen sich ungefähr 55 Millionen zur sunnitischen und ungefähr 12 bis 15 Millionen zur alevitischen Glaubensrichtung.82 Der Koran ist die Quelle des Glaubens und die Norm des Handelns, die das Leben des Einzelnen, aber auch das Zusammenleben der Menschen im islamischen Gemeinwesen regelt. Die religiösen Pflichten sind in den fünf Säulen zusammengefasst, auf denen der Islam ruht. Das Glaubensbekenntnis „Shahada“ besagt, dass es keinen anderen Gott neben Allah gibt und dass Mohammed der einzige Gesandte Allahs ist. Die Anbetung „Salat“ wird auch mit Gebet übersetzt. Der Gläubige soll fünfmal am Tag beten. Er muss das Fasten, „Saum“, einhalten und den Bedürftigen „Zakat“, Almosen, entrichten. Falls es die finanziellen Mittel und die Gesundheit zulassen, soll eine Wallfahrt nach Mekka, „Hajj“, vorgenommen werden.83 Zu den Hauptströmungen des Islams gehören die Sunniten und die Schiiten. „Sunna“ bedeutet „gewohnte Handlungsweise“, auch „Brauch“, gemeint ist die Gesamtheit von Muhammeds überlieferter Lehre. Die Sunniten sind Anhänger der Sunna, sie grenzen sich gegenüber den „Schia“ und anderen religiösen Sondergemeinschaften ab. Die Sunniten vertreten die Ansicht, dass der Kalif, der Stellvertreter des Propheten, nicht unbedingt über eine göttlich legitimierte Autorität verfügen muss. In ihren Augen ist der Kalif von der Mehrheit der Muslime wählbar.84 Die Schiiten bilden eine zweite islamische Richtung. Sie vertraten nach dem Tod Muhammeds die Auffassung, nur ein Mitglied der Familie Muhammeds sei berechtigt, das Kalifat zu übernehmen, das die Schiiten als „Imamat“ bezeichnen. Nach ihrer Ansicht konnte nur Ali, der Vetter und Schwiegersohn Muhammeds, das Imamat übernehmen. Ein wichtiger Glaubensgrundsatz 80
Vgl. Goldberg, A., Halm, D. u. Sen, F., Die deutschen Türken 73. Vgl. Karakas, C., Türkei und Laizismus. Zwischen Staats-, Politik- und Gesellschaftsinteressen 41. 82 Vgl. Karakas, C., Türkei und Laizismus. Zwischen Staats-, Politik- und Gesellschaftsinteressen 41. 83 Vgl. Ruthven, M., Der Islam 193. 84 Vgl. Goldberg, A., Halm, D. u. Sen, F., Die deutschen Türken 83. 81
47
bei den Schiiten ist die uneingeschränkte Autorität des Imam, des geistlichen Führers der Gemeinde. Eine weitere wichtige religiöse Gruppe in der Türkei sind die Aleviten. Es ist nicht eindeutig geklärt, ob das Alevitentum aus dem Islam hervorging. Der Glauben der Aleviten weicht in vielerlei Hinsicht vom Glauben der Sunniten ab. Ihre religiösen Grundpflichten und Verhaltensweisen unterscheiden sich von den fünf Säulen des Islams. Sie besuchen keine Moscheen, sondern beten in Privathäusern. Männer und Frauen beten gemeinsam und zwar auf türkisch, nicht auf arabisch. Judentum, Christentum und Islam werden als gleichberechtigte Überlieferungen angesehen, um nur wenige Unterschiede aufzuzeigen. Die sunnitisch-islamischen Einrichtungen werden vom staatlichen Diyanet Isleri Bakanligi und dem Präsidium für Religionsangelegenheiten verwaltet. Es regelt die Ausbildung der Imame und Muezzine. Es bezahlt die Moscheen, sorgt für ihre Erhaltung und gibt den Inhalt der Predigten vor. Neben den oben beschriebenen Hauptvertretern, gibt es zahlreiche religiöse Minderheiten. Zu den Yeziden gehören die Kurden. Sie sind eine ethnische Gruppe in der Türkei, die eine kulturelle und territoriale Eigenständigkeit anstreben. Die Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken reichen bis 1920 zurück und nahmen seither an Schärfe zu.85
3.4 Diskurs: Familie „Die“ türkische Familie gibt es nicht. Es gibt die unterschiedlichsten Familienkonstellationen in der Türkei und in Deutschland lebender türkischer Familien. Trotzdem treffen nachfolgende Aussagen für einen großen Teil der türkischen Bevölkerung zu und werden im Selbstverständnis vieler türkischer Menschen benannt. Die Familienverbundenheit ist einer der wichtigsten Faktoren innerhalb der traditionellen türkischen Kultur.86 Die Familie besitzt oberste Priorität. Eltern und Kinder sind eng miteinander verbunden, der Gemeinschaftssinn steht über dem Ziel der Unabhängigkeit und der Individualisierung.87 Das Abhängigkeitsver85 Eine detaillierte Übersicht über die ethnische und religiöse Vielfalt liefert das Zentrum für Türkeiwissenschaften (Hrsg.) in der wissenschaftlichen Schriftenreihe Band 1. 86 Vgl. Aydin, H. u. a., Zur türkischen Gesellschaft, Kultur und Identität 102. 87 Den hohen Stellenwert der Familie zeigen auch Ergebnisse von Alesina, A. und Giuliano, P., The Power of the Family 45.
48
hältnis zwischen Kindern und Eltern wandelt sich im Laufe der Lebensphase. Sind zuerst die Kinder von ihren Eltern abhängig, dienen sie später als deren Altersabsicherung. Trotz Modernisierung, Urbanisierung und sozialer Mobilität besteht in der Türkei diese enge emotionale Bindung zwischen den Generationen bei Weitem deutlicher als in der „deutschen Kultur“. Auch bei Familien, die vom Land in die Stadt gezogen sind, selbst bei Familien, deren Mitglieder in Führungspositionen aufgestiegen sind, zeigt sich eine dauerhafte enge Verbindung zur Familie.88 Kinder sind in traditionellen türkischen Familien von zentraler Wichtigkeit. Die Frau gewinnt durch die Geburt von Kindern an Ansehen. Söhnen kommt hierbei eine besondere Rolle zu, sie gewähren Schutz und Versorgung im Alter. Im Vergleich rangiert die Familie in Deutschland im internationalen Vergleich auf den letzten Plätzen, wie eine aktuelle Studie vom Institut zur Zukunft und Arbeit (IZA) in Bonn veröffentlichte.89 Der Studie zufolge sind die familiären Bindungen in Deutschland neben Litauen am schwächsten ausgeprägt. In der Literatur finden sich mehrere Untersuchungen, die einen migrationsbedingten Wandel der Familienstruktur näher untersuchen. In seiner Dissertation weist Düzgün Firat eine Abnahme der Gefühlsbindung türkischer Migrationsfamilien nach.90 In den Untersuchungen wird zum großen Teil die Veränderung des oben beschriebenen Familienbildes aufgezeigt. Diese Veränderung ist für die vorliegende Arbeit nicht als kulturdifferentes Merkmal zu werten, sie könnte vielmehr als Form einer Verschmelzung der Kulturen näher untersucht werden.
3.5 Diskurs: Ehre In der Literatur zur Türkei und zu den Familienstrukturen trifft man immer wieder auf den Begriff der „Ehre“. Ähnlich wie in den zehn Geboten, ist auch das Gebot, Vater und Mutter zu ehren, zentraler Bestandteil in der Kindererziehung. Das Wort „Ehre“ ist im Unterschied zur deutschen Vorstellung vielschichtiger. Das Wort im Türkischen beinhaltet drei verschiedene Bereiche: „Saygi“ wird übersetzt mit Respekt und Ehrerbietung. Gemeint ist hiermit das respektvolle Verhalten gegenüber Autoritäten. Der Mann vertritt seine Familie gegenüber anderen Familien im Gemeinwesen, er vertritt aber andererseits auch 88 89 90
Vgl. Kagitcibasi, C., Türkische Migranten aus der Sicht des Herkunftslandes 42. Vgl. Ergebnisse von Alesina, A. und Giuliano, P., The Power of the Family 41. Vgl. Firgat, D., Die Migration als Belastungsfaktor türkischer Familien, Hamburg 1996.
49
das Gemeinwesen in der Familie. In dieser Funktion achtet er darauf, dass Normen der Gesellschaft in der Familie eingehalten werden. Diese Aufgabe erfordert Autorität und Achtung. Aber nicht nur der Mann als Familienoberhaupt ist eine Autorität. Auch die Mutter, ältere Geschwister, die Schwiegereltern, aber auch Führungskräfte im Beruf stellen Autoritäten dar, denen gegenüber Respekt, Höflichkeit und Gehorsam eingefordert wird.91 „Seref“ bedeutet auch Anerkennung, womit die Anerkennung in der Gesellschaft gemeint ist. Die „Seref“ eines Mannes drückt seine politische Stellung bzw. sein politisches Gewicht in der Gesellschaft aus. Durch ein offenes und ehrliches Leben, also durch sein ehrenhaftes Verhalten, besitzt ein Mensch „Seref“. Diese Ehre kann bereits durch ein falsches Wort verletzt werden. Sie ähnelt unserem Ehrverständnis aus dem 19. Jahrhundert. „Seref“ erwirbt man auch durch Großzügigkeit, die sich beispielsweise in der Hilfe bei der Arbeit, als Nachbarschaftshilfe oder im Gewähren eines Kredites äußern kann. Durch Hilfe oder Gaben entstehen Verpflichtungen, denn das Erhalten einer Gabe verpflichtet häufig zur Gegengabe.92 „Namus“, steht im Zusammenhang mit der Ehre der Frau und damit all ihrer männlichen Verwandten, denn ein Angriff auf den „Namus“ der Frau bedeutet einen Angriff auf die Ehre „Seref“ der sie umgebenden männlichen Verwandten. Der Begriff ist sexuell geprägt, er kann nur bewahrt werden, wenn man als Frau auf vorehelichen Geschlechtsverkehr verzichtet und in der Ehe monogam lebt. „Namus“ kann im Vergleich zu „Seref“ nicht erworben, sondern nur verloren werden.93
3.6 Diskurs: Die Rolle des Mannes 3.6.1 Historischer Abriss In der osmanischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts war der Mann der Patriarch. Er war der Versorger der Familie und dadurch deren uneingeschränkter Herrscher. Durch seine ökonomische Versorgung durfte er absoluten Respekt und Gehorsam erwarten. Neben diesem Männerbild gab es den „Levend“, den zügellosen und unabhängigen Mann, den Frauen, Mädchen und Jungen fürchten 91
Vgl. Spohn, M., türkische Männer in Deutschland 111. Vgl. Schiffauer, W., Kulturelle Charakteristika als Bedingungen interkultureller Kommunikation 2-4. 93 Vgl. Schiffauer, W., Die Gewalt der Ehre 70. 92
50
mussten. Männer, die nicht der traditionellen Rolle des Mannes entsprachen, wurden als Gefahr angesehen.94 Atatürk prägte in der jung gegründeten Türkei das Männerbild entscheidend. Atatürk ließ sich sowohl „männlich“ in Militäruniform darstellen, als auch in Situationen, die als „unmännlich“ galten, zum Beispiel als Tänzer in westlicher Kleidung. Das war völlig neu für das herkömmliche Männerbild. Atatürk versuchte das traditionelle Männerbild durch unkonventionelles Auftreten zu verändern. Es existierten unterschiedliche Vorstellungen von Männlichkeit. Im westlichen Teil der Türkei, aber auch in städtischen Oberschichten, lehnte man sich eher an europäische Männerbilder an, während man in östlichen Teilen der Türkei und in ländlichen Regionen herkömmliche Männerbilder tradierte. Zeichen für das traditionelle Männerbild war zum Beispiel der Schnurrbart. Mit der Binnenmigration in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts trafen unterschiedlich vorherrschende Männerbilder aufeinander und bereiteten zunehmend Probleme in den Städten. Die häufig aus den ländlichen Regionen im Osten der Türkei stammenden Migranten provozierten die Stadtbevölkerung. Sie wurden als „barbarisch“, „dunkel“ und „rückständig“ bezeichnet.95 Spohn weist darauf hin, dass es genau diese stereotypen Bilder von rückständigen, Schnurrbart tragenden und fremd anmutenden Türken sind, die in europäischen Karikaturen verwendet wurden, wenn es um die Darstellung des türkischen Arbeitsemigranten ging.96 Yumul bezeichnet die „White Turks“ als die westlich orientierten Türken, der städtischen Mittel- und Oberschicht, während die „Black Turks“ die traditionelle, orientalisch geprägte Bevölkerung verkörpern. Als Gegenreaktion auf die von den „White Turks“ hervorgebrachten negativen Zuschreibungen, hat sich bei den „Black Turks“ eine positive Annahme dieser Bilder entwickelt. Dieser Prozess wird auch als „Re-machoisation of Masculinity“ bezeichnet.97 Die alten traditionellen Männerbilder erlangten wieder einen höheren Stellenwert und wurden nicht weiter negativ konnotiert. Stattdessen schmückte man sich eher mit den traditionellen Bildern.
94
Vgl. Spohn, M, Türkische Männer in Deutschland 90+91. Vgl. Yumul, A., Scenes of Masculinity from Turkey 107-117. 96 Vgl. Spohn, M., Türkische Männer in Deutschland 93. 97 Vgl. Yumul, A., Scenes of Masculinity from Turkey 114. 95
51
3.6.2 Der türkische Mann in der aktuellen Forschung Bei der Beschreibung des türkischen Mannes geht man sehr häufig von stereotypen Vorstellungen aus, die aus dem Alltag gewonnen und durch Medien transportiert werden. Leicht könnte man den Satz, der türkische Mann sei ein Patriarch, dem die türkische Frau und seine Kinder unterstehen, unterzeichnen. Spohn stellt aber in ihrer umfassenden Forschungsarbeit fest, dass es den „typisch türkischen Mann“ genauso wenig gibt wie den „typisch deutschen Mann“.98 Zentrale Formen des Männerbildes waren zwar der „Familienpatriarch der Oberschicht“ bzw. der „Kabadayi“, der in den Wohnvierteln die Ehre des Wohnviertels verteidigte. Es existiert jedoch kein einheitliches Männerbild. Forschungen über türkische Männer sind sehr selten, häufig finden sich Studien über türkische Männer der ersten Generation in Deutschland unter der Fragestellung der ökonomischen Situation. Forschungsgegenstand war dann zum Beispiel die Lage auf dem Arbeitsmarkt oder die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Eine qualitative Studie von Werner Schiffauer bezieht sich auf die „Vätergeneration“. Schiffauer untersuchte 1991 in seiner Studie „Die Migranten aus Subay“ das Verhältnis der Männer der ersten Generation hier in Deutschland zu ihren Vätern, die nie in Deutschland waren.99 Im Mittelpunkt standen veränderte Erziehungswerte bei den eigenen Kindern im Vergleich zu den selbsterlebten Erziehungsmustern. Schiffauer kam zu dem Ergebnis, dass die Erziehung der eigenen Kinder in Westeuropa zur Vorbereitung auf die Gesellschaft dient. Hierfür ist ein bewusster Erziehungsstil vonnöten, bei welchem die Väter der Bildung einen zentralen Stellenwert einräumen. Manuela Westphal untersuchte in einer Studie die Rolle des Vaters und kam zu dem Ergebnis, dass die ökonomische Absicherung der Familie und die Möglichkeit, den Kindern eine solide Ausbildung zu ermöglichen, die wichtigste Rolle des Vaters darstellte.100 Relevant war auch, die Familienmitglieder vor der gefährlichen und „sittlich bedenklichen“ Außenwelt, wie zum Beispiel vor Diskothekenbesuchen oder der „Straße“ zu schützen.101 Als Erziehungsstil wählten sie eher den auf Erklärung und Einsicht basierenden Stil, als den, der sich strikt auf
98
Vgl. Spohn, M., Türkische Männer in Deutschland 112. Vgl. Schiffauer, W., Die Migranten aus Subay. Türken in Deutschland. Eine Ethnographie, Stuttgart 1991. 100 Vgl. Westphal, M., Vaterschaft und Erziehung 147. 101 Vgl. Westphal, M., Vaterschaft und Erziehung 165. 99
52
Verbote begründete. Die Männer legten gleichwohl Wert auf Tradition und Respekt, den die Kinder ihnen gegenüber erbringen sollten.102 In der türkischen Frauenforschung wird der Mann hauptsächlich als Familienpatriarch wahrgenommen. Zu den zentralen Themen gehören die Auflösung des Patriarchen und damit eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse. In der Literatur offenbart sich fast ausschließlich das Wissen über den türkischen Mann, das anhand von Aussagen der Ehefrauen oder der Kindern gewonnen wurde. Das Männerbild in der Gesellschaft ist nicht fest definiert und wandelt sich ständig. Spohn zeigt in ihrer Forschung, dass sich die eigene Männlichkeit türkischer Männer in Anlehnung oder in der Ablehnung des hegemonialen Männlichkeitsmodells ihrer Jugend, also in Anlehnung an den eigenen autoritären Vater, bildet. Die Auseinandersetzung mit dem Vater oder einer autoritären Männerperson dient sozusagen als Matrize, vor deren Hintergrund ein ähnliches oder ein entgegengesetztes Bild konstruiert wird. Spohn fügt der Dichotomie zwischen dem modernen, industrialisierten, in Deutschland lebenden Türken und dem agrarisch geprägten, traditionellen Türken, eine dritte Unterscheidungskategorie, die der „emotionalen Interdependence“ hinzu. Sie übernimmt die Kategorie von der Familienforscherin Kagitcibasi und weist auf die zentrale Rolle der Frau in dem „emotionalen Interdependence“ Modell hin. Der Status der Frau lässt sich nicht in einen schlechten oder guten Status eingliedern – er lässt sich charakterisieren, in dem man eine Verbesserung des Status konstatiert. Vielfach konnten sich die Männer nur mithilfe der Frau aus dem Umfeld patriarchaler Strukturen lösen. Häufig arbeiten in diesem Modell beide Ehepartner, um das Wohl der Kinder zu sichern. Auch nach außen repräsentiert sich das Ehepaar als gemeinsam handelnd. Die häuslichen Pflichten verbleiben jedoch meist bei der Frau.
3.7 Diskurs: Die Rolle der Frau 3.7.1 Die Situation türkischer Frauen Dem Bild vom türkischen Mann entsprechend hat man bei der Vorstellung von der türkischen Frau ebenfalls sehr häufig stereotype Bilder abrufbereit. Die türkische Frau in der ländlichen Türkei lebt nicht unter denselben Bedingungen wie die türkische Frau in der Großstadt. Die türkische Frau, die vor kurzer Zeit nach 102
Vgl. Westphal, M., Vaterschaft und Erziehung 202.
.
53
Deutschland kam und große Sprachschwierigkeiten aufweist, sieht sich mit anderen Problemen konfrontiert als die türkische Frau, die in Deutschland erwerbstätig ist oder studiert. Es wird schnell klar, dass Verallgemeinerungen keinem Frauenbild gerecht werden. Die Stellung der Frau in der Türkei hat sich seit den kemalistischen Reformen von 1924 verbessert. Die Veränderungen Atatürks trieben die Gleichstellung der Frau bezüglich der Erziehung, des Rechtsstatus und der Berufschancen voran.103 Am 17. Februar 1926 wurde eine leicht abgewandelte Form des Schweizer Zivilrechts angenommen. Prinzipien wie Monogamie und Scheidungsrecht beinhaltete das neue Recht ebenso wie gleiches Erbrecht für die Frauen. Die Ferntrauung wurde abgeschafft, eine Ehe war nur noch dann rechtmäßig, wenn die Braut tatsächlich anwesend war. Obwohl inzwischen in weiten Teilen der Türkei die Modernität Einzug gehalten hat, variieren die Verhältnisse der Frau in der Gesellschaft in starkem Maße. Ihr Leben siedelt sich einerseits zwischen scheinbarer Gleichberechtigung und Emanzipation und andererseits aus dem Islam tradierten Vorstellungen, die Frau als Mutter und Hausfrau betreffend an. Die Situation der Frau in ländlichen Regionen in der Türkei ist durch das traditionelle Familienbild, das die Familie als gemeinsam produzierende und konsumierende Einheit ansieht, geprägt. Das Leben ist durch Mehrfachbelastung gekennzeichnet.104 Neben der Haushaltsführung erziehen die Frauen die Kinder und arbeiten trotzdem bei der Landwirtschaft mit. Geschlechtertrennung kennzeichnet das öffentliche Leben. Die Ehre der Frau hat einen sehr hohen Stellenwert, und das Leben in der Öffentlichkeit könnte die Ehre der Frau in Gefahr bringen. Die Heirat und Familiengründung sind häufig die einzige Möglichkeit, die soziale Stellung der Frau zu verändern. Mit der Geburt der Kinder steigt auch das Ansehen der Frauen. Im Leben in der Stadt spiegeln sich die Ansprüche einer Industriegesellschaft wider. Der patriarchale Charakter wird zwar noch bewahrt, trotzdem weisen die Frauen hier einen höheren Status auf als Frauen auf dem Lande. Frauen können durch die Berufstätigkeit des Mannes ihr soziales Umfeld erweitern. Durch Arbeitskollegen der Männer kommen auch die Frauen in Kontakt mit anderen Personen. Auch im Freizeitbereich haben sie mehr Freiheiten als die Frauen in ländlichen Gegenden. Frauen können zum Beispiel gemeinsam ins Kino oder einkaufen gehen. Wenn das Einkommen der Männer sehr niedrig ist, arbeiten die Frauen mit, um die Familie zu ernähren. Am größten sind die Freiheiten für Frauen in der Großstadt. Die Partnerwahl ist weitgehend eine persönliche Angelegenheit, 103 104
Vgl. Steinbach, U., Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne 31. Vgl. Steinbach, U., Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne 32.
54
die Autorität des Mannes ist nicht mehr so eindeutig, da die Frauen aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit unabhängiger sind. Auch eine größere Anonymität in der Großstadt führt zu mehr Freiheiten im Gegensatz zum Leben in ländlichen Bereichen, in welchen die wachenden Augen der Familie und des Umfelds Kontrolle ausüben. Allerdings finden Frauen aus der Unterschicht wieder schlechtere Bedingungen vor als Frauen, die sich in den oberen Schichten etablieren konnten. Vier namhafte Studien haben sich ausführlich mit der Lebenssituation der türkischen Frau beschäftigt. Die frühestete Studie „Die verkauften Bräute“ von Andrea Baumgartner-Karabak und Gisela Landesberger erschien 1978 und war lange Zeit wegweisend für die Vorstellung der türkischen Frau.105 Das Buch geht sowohl auf die türkische Frau in der Türkei als auch auf die Gastarbeiterin in Deutschland ein. Das Bild, das hierbei vermittelt wird, nämlich die unterdrückte Frau, die in jeder Hinsicht abhängig von ihrem Mann ist, ist sehr einseitig und wenig differenziert. Es wurde in vielfacher Weise von Nachfolgearbeiten wegen der einseitigen Einschätzung kritisiert. Die zweite Studie von Sigrid Meske, „Situationsanalyse türkischer Frauen in der BRD“, ist von 1983 und ähnelt der vorigen Studie im Aufbau.106 Im Gegensatz zu den Vorgängeruntersuchungen wird das Bild der in der Türkei lebenden Frau sowohl im Hinblick auf ihre Herkunft als auch auf unterschiedliche Familienstrukturen differenziert. Meske stellt fest, dass der Wandel in der Gesellschaft die absolute Machtposition des Mannes schwächt. Sie realisiert eine allmähliche Wandlung im Bewusstsein einzelner Männer. Frauen werden sich ihrer Rechte zwar bewusst, ihre Ausübung wird aber nach Meskes Auffassung durch deren Männer in weiten Bereichen verhindert. Martina Spitzl und Sahika Yüksel schrieben 1992 eine Arbeit über den Missbrauch türkischer Frauen.107 Beide zeichnen ein Männerbild, das pathologisch ist. Spitzl ist Sozialarbeiterin in Berlin und berichtet aus der Praxis. Häufig wird die Arbeit mit Schilderungen aus anderen islamischen Kulturen bereichert und vermischt. So finden sich zwischen den Schilderungen von türkischen Frauen, Situationen aus ägyptischen oder marokkanischen Frauen. Beide beschreiben ein sehr einseitiges Bild: Die Isolation der Familie und das bestehende Machtund Bildungsgefälle zuungunsten der Mutter begünstige den Missbrauch türkischer Mädchen.
105
Vgl. Baumgartner-Karabak, A. u. Landesberger, G., Die verkauften Bräute. Türkische Frauen zwischen Kreuzberg und Anatolien, Rowohlt 1978. 106 Vgl. Meske, S., Situationsanalysen türkischer Frauen in der BRD, Berlin 1983. 107 Vgl. Spitzl, M. u. Yüksel, S., Mädchen aus der Türkei? Schriftenreihe „sexueller Missbrauch“, Berlin 1992.
55
Berrin Özlem Otyakmaz erstellt mit der 1995 veröffentlichten Diplomarbeit „Zwischen allen Stühlen“ eine der wenigen Studien, die türkische Migrantinnen der zweiten Generation zum Gegenstand haben.108 Otyakmaz zeigt anhand verschiedener Interviews, dass türkische Mädchen mit den Normen ihrer Eltern nicht konform gehen. Die Arbeit zeigt zwar weiterhin die Unterdrückung der Frau durch patriarchale Strukturen auf, allerdings verweist sie auch auf mögliche Wege der jungen türkischen Frauen, sich von ihrer tradierten Rolle zu emanzipieren. Die Wege reichen vom Verheimlichen und Verschleiern bestimmter Sachverhalte bis hin zur offenen Konfrontation. Töchter werden nicht länger als hilflose Opfer beschrieben, sondern als Menschen, die Strategien entwickeln, um elterliche Erwartungen und persönliche Wünsche zu vereinbaren. 3.7.2 Frauen in Abhängigkeit ihrer Männer Die Form des Zusammenlebens von Mann und Frau wird unterschiedlich diskutiert. Vertreterinnen, die ein Bild unterdrückter Frauen zeichnen, verweisen auf die Sure 4 des Korans, die besagt, der Mann stehe über der Frau und dürfe diese im Falle des Nichtgehorsams ermahnen und züchtigen.109 Die Frau habe hierbei die Aufgabe, eine gute Hausfrau und Mutter zu sein. Sie solle dem Mann Gehorsam entgegenbringen. Vertreterinnen des liberaleren Frauenbildes verweisen auf die Sure 30 des Korans, die verlangt, dass die Ehe durch Liebe und Güte gekennzeichnet sein soll.110 Allgemeingültig lässt sich aussagen, dass sich die Stellung der Frau seit Atatürks Reformen in vielen Lebensbereichen gebessert hat. Seit 1922 können sich Frauen an Universitäten immatrikulieren, ab 1930 bekamen sie das Wahlrecht auf Kommunalebene und ab 1934 auch für die Nationalversammlung. 1975 wurde der größte Frauenverband IKD (Fortschrittlicher Frauenverband) gegründet, der sich seitdem für die Frauenrechte einsetzt. Frauenrechte wurden zuletzt durch umfassende Gesetzesreformen 2001 gestärkt. Das Scheidungsrecht wurde zugunsten der Frau verändert und der Passus gestrichen, der den Mann als Familienoberhaupt legitimiert, um nur zwei wichtige Aspekte zu nennen. Trotzdem ist das Leben der Frau noch weit von dem gleichberechtigten Leben in westlichen Gesellschaften entfernt.111
108
Vgl. Otyakmaz, B. O., Das Selbstverständnis junger türkischer Migrantinnen in Deutschland, Köln 1995. 109 Vgl. Koran, Sure 4, 34. 110 Vgl. Koran, Sure 30, 21. 111 Vgl. Gün, T., Business mit der Türkei 187-191.
56
Eine besondere Bürde lastet auf den Frauen, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kommen. Sie sind aufenthalts- und arbeitsrechtlich von ihren Männern abhängig. Frauen haben erst nach drei Jahren Aufenthalt einen Anspruch auf eine allgemeine Arbeitsgenehmigung. Kommt es in dieser Zeit zur Trennung, erlischt die Aufenthaltsgenehmigung. Besonders schwer haben es türkische Frauen, die den Männern nach Deutschland gefolgt sind, die Sprache aber noch nicht verstehen und dadurch keinerlei Möglichkeiten haben, an einem Leben außerhalb des Hauses teilzunehmen. Während der Mann oft über die Arbeit Sozialkontakte pflegen kann, ist die Frau auf das Haus begrenzt und nicht selten auf die Dolmetscherfunktion der Kinder angewiesen.
3.8 Diskurs: Türkische Kulturstandards Als Kulturstandards werden alle Arten des Wahrnehmens, Wertens, Denkens und Handelns bezeichnet, die für eine Mehrzahl der Bevölkerung als normal bzw. selbstverständlich, typisch oder verbindlich bezeichnet werden.112 Kulturstandards steuern das Verhalten und dienen als Erwartungs- und Bewertungsmaßstab für das eigene und das fremde Verhalten. Kulturstandards sind perspektivenabhängig, das heißt Deutsche und Araber schreiben den Türken jeweils andere Kulturstandards zu. Im Kontakt zwischen zwei Kulturen werden von jeder Seite das Gewohnte und das dem Gewohnten stark Widersprechende am ehesten wahrgenommen. Kulturstandards werden also am leichtesten in der Differenz zu anderen Kulturen beschreibbar und durch Überschneidungen sichtbar. Kulturstandards versuchen auf einem abstrakten und generalisierten Niveau, kulturelle Elemente einer Nation bzw. Kultur zu beschreiben. Dadurch reduzieren sie sie auf das Typische oder auf das Durchschnittliche. Kulturstandards unterliegen deshalb häufig der Kritik, Stereotypisierungen zu begünstigen. Es ist daher besonders wichtig zu betonen, dass hierbei nicht Aussagen für einzelne Individuen ausgesprochen werden, sondern dass die Aussagen Tendenzen einer nationalen Gruppe beschreiben.113
112 113
Vgl. Thomas, A., Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns 382. Vgl. Schroll-Machl, S., Die Deutschen – Wir Deutsche 31.
57
3.8.1 Respekt und Achtung Respekt und Achtung sind in der türkischen Gesellschaft fest verankert. Respekt zeigt sich auf der Ebene des Geschlechts, des Alters und auf der sozialen Ebene.114 Auch Höflichkeit spielt in der türkischen Kultur eine wichtige Rolle. Höflichkeit „Nezaket“ wird erwartet und wird dem Gegenüber selbstverständlich entgegengebracht. Hierfür steht eine Vielzahl von Redewendungen bereit. Wenn jemand zum Beispiel ein neues Kleidungsstück hat, sagt man zum Beispiel „saglikla giy“, es bedeutet „trage es in Gesundheit“.115 Wenn man jemand bei der Arbeit antrifft, sagt man „kolay gelsin“, was soviel wie „möge es leicht gehen“ bedeutet. Im Gegensatz zu deutschen Umgangsformen, wird das Naseputzen in der Öffentlichkeit als anstößig und unhöflich betrachtet. Auch die Arme vor der Brust zu verschränken, könnte während eines Gespräches als unhöflich gewertet werden, ebenso das Zurücklehnen an die Lehne eines Stuhles. Komplimente sind Bestandteil des Gesprächs. Auf den Ehrbegriff ist bereits verwiesen worden. Gleichheit unter Gesprächspartnern oder in Beziehungsgeflechten gibt es überwiegend in gleichgeschlechtlichen, gleichgestellten und gleichaltrigen Beziehungen. Einer höhergestellten Persönlichkeit wird Respekt entgegengebracht, es wird aber gleichfalls Wohlwollen „hosgörü“ erwartet. 3.8.2 Patriotismus „Vatanperverlik“ meint Patriotismus und wird in der Türkei groß geschrieben. Sein Stellenwert ist ein anderer als in Deutschland, er ist positiv konnotiert. Ein Großteil der türkischen Bevölkerung ist stolz auf die Entwicklung des eigenen Landes. Dieser Stolz wird nach außen getragen und kann auch laut geäußert werden. Atatürks Reformen haben zu dieser Entwicklung beigetragen. In vielen Grundschulen wird nach wie vor der türkische Schuleid aufgesagt und am Ende mit dem Satz „Welch ein Glück sagen zu können, ich bin Türke“ beschlossen.116 3.8.3 Zeitverständnis Die Türkei wird zu den polychronen Kulturen gezählt. Polychroner Umgang mit Zeit bedeutet, dass mehrere Aktivitäten gleichzeitig erledigt werden können, Pläne werden demnach offener gestaltet.117 Polychrone Kulturen legen viel Wert auf menschliche Interaktionen und man räumt ihnen den gewünschten Stellen114
Vgl. Kapitel 3.5 Diskurs: Ehre 49+50. Vgl. Gün, T., Business mit der Türkei 161. 116 Vgl. Gün, T., Business mit der Türkei 162. 117 Im Gegensatz hierzu stehen monochrone Kulturen, die eher linearen Vorgehensweisen folgen. 115
58
wert ein. Für die zu erledigenden Arbeiten benötigt man Zeit, die man sich dafür auch nimmt. Gün verweist darauf, dass sich dieser kulturspezifische Umgang mit der Zeit in der Türkei auch in der fehlenden Infrastruktur zeigt, die das pünktliche Einhalten von Terminen möglich macht. Er führt an, dass es keine festen Abfahrtszeiten für einen Großteil des innenstädtischen Busverkehrs gibt. Oft steht man am Straßenrand und winkt dem Bus, um den Wunsch mitzufahren zu signalisieren.118 Verspätungen sind wesentlich häufiger an der Tagesordnung, als es in Deutschland der Fall ist. Eine Person wird nicht aufgrund ihrer Verspätung als unhöflich, chaotisch oder unseriös eingeschätzt, viel eher schätzen Menschen aus polychronen Kulturen Vertreter monochroner Kulturen als unflexibel und wenig spontan ein. Das türkische Zeitempfinden lässt sich eindrücklich an folgender Geschichte des Nasreddin Hodscha illustrieren: „Eines Tages ging der Hodscha mit etwas Stoff zu einem Schneider, bat ihn, Maß zu nehmen und ihm daraus ein Hemd zu schneidern, ‚so schnell als möglich’. Der Schneider nahm Maß und sagte: ‚Ich habe zwar viel zu tun, aber komm am Freitag wieder, dein Hemd wird bereitliegen, Inschallah (so Gott will).’ Am Freitag kam also der Hodscha, aber der Schneider entschuldigte sich, dass das Hemd noch nicht fertig sei, und sagte: ‚Komm am Montag, das Hemd wird bereit sein, Inschallah.’ Am Montag kam der Hodscha wieder, aber das Hemd war wieder nicht bereit. ‚Versuch’s am Donnerstag wieder, Inschallah, und ich verspreche dir, das Hemd wird bereit sein.’ Diesmal gab der Hodscha weise zur Antwort: ‚Wie lange wird es denn brauchen, wenn wir Inschallah beiseite lassen?’ (Zitiert nach Gün, 2006, S.165).
118
Vgl. Gün, T., Business mit der Türkei 163.
59
4 Konstrukt „Deutsche Identität“ 4.1 Vom nationalen Mosaik zum Gedanken der Deutschen Einheit In Kapitel 2.6. wurde der Zusammenhang zwischen Geschichte und Identität aufgezeigt. Identitätskonstruktionen werden von der geschichtlichen Entwicklung beeinflusst, aber auch von der individuellen Geschichte.119 Nachfolgend werden Etappen bei der Entstehung Deutschlands aufgezeichnet, die das Fehlen der nationalen Einheit verdeutlichen. Schroll-Machl zeigt den engen Zusammenhang zwischen der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands und dem Entstehen der deutschen Kulturstandards auf. Aus diesem Grund möchte ich den historischen Abriss gekürzt wiedergeben.120 Das Adjektiv „deutsch“ leitet sich nicht von einem Volks- oder Stammesnamen ab, wie man eigentlich assoziieren würde. Es leitet sich von einem alten Substantiv ab, das Volk oder Stamm bedeutet. Das Wort „deutsch“ verwies ursprünglich auf die Sprache, die im Ostteil des Reichs Karl des Großen gesprochen wurde, wobei die Sprache starke dialektale Varianten aufzeigte. Im westlichen Reich herrschten romanische Sprachen vor. Mit dem Tod Karl des Großen fiel das Reich auseinander und die politische Grenze stimmte mit den Sprachgrenzen der Vorläufer von „Frankreich“ und „Deutschland“ weitgehend überein. Sukzessive wurde das Wort „deutsch“ auf die Menschen, die den Dialekt sprachen, übertragen und schließlich wurde das Territorium so benannt. Mit dem Aussterben der Karolinger und mit der Wahl Konrad I. wird 911 der Beginn des Deutschen Reiches angesetzt. Der König reiste durch das Land und regierte ohne Hauptstadt. Die größte Macht erlangte Otto I. Der Gedanke, über das ganze Abendland zu herrschen, war immer nur Idee und nie politische Wirklichkeit gewesen. Die Vormachtstellung gegenüber der Kirche zerfiel und um 1300 entstanden weltliche und kirchliche Landesfürstentümer, die um ihre Machtposition rangen. Eine territoriale Zersplitterung setzte im Deutschen Reich ein und verhinderte auf lange Zeit die Bildung eines modernen Nationalstaats. Trotz Reformation und Bauernkrieg konnten die Fürsten einen großen Teil der Macht auf sich vereinen. Im Protestantismus kam es zur Verdrängung von Emo119 120
Vgl. Kapitel 2.6 Historische Identität 38-40. Vgl. Schroll-Machl, S., Die Deutschen - Wir Deutsche 40-63.
61
tionalem und Irrationalem aus sakralen Handlungen. Das Verhältnis zur Religion wurde weniger leidenschaftlich, vielmehr war es auf das Verstehen, das Rationale gerichtet. Speziell die Anhänger Luthers forcierten die Trennung der Lebenswelten. Diese Hinwendung zur Rationalität und die Trennung von Öffentlichem und Privatem spiegeln sich bis heute wider. Als typisch deutsche Eigenschaft wird den Deutschen oft die Überbetonung der Sachebene attribuiert, ebenso die Trennung der Lebensbereiche.121 Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren die größten Teile Deutschlands zerstört. Die Schweiz und die Niederlande schieden nach dem Westfälischen Frieden 1648 aus dem Reichsverband aus. Übrig blieben ungefähr 360 Territorien auf deutschem Gebiet, die ihre Hoheitsrechte behielten und nach dem französischen Vorbild des Absolutismus organisiert waren. Die Kleinstaaten bedingten eine relative Nähe der Bewohner zum Herrscher. Das führte zu einem höheren Grad an Internalisierung der Befehle der Herrschenden als in einem größeren Staatsgebilde, in welchem man die Befehle aufgrund der räumlichen Distanz noch eher umgehen konnte. Mit dem Absolutismus herrschte der Militär- und Beamtenadel. Militärische Modelle wie Pflichtbewusstsein, Regeltreue und Gehorsam flossen in die Gesellschaft ein. Noch heute wird dieses Pflichtbewusstsein als Kulturstandard ausgewiesen.122 Die kleinen selbständigen Einheiten besaßen jeweils eigene Rechtssysteme, weshalb sich Gewerbe- und Niederlassungsrecht, Eheschließungen und Schulwesen lokal unterschiedlich ausbildeten. Die Trennung vom Innenraum und Außenraum vollzog sich, man richtete sich in der kleinen Einheit unter Vertrauten ein. Österreich stieg unter der Herrschaft der Habsburger zur Großmacht auf, Preußen wurde unter Friedrich dem Großen 1740 bis 1786 zur Großmacht. Das Deutsche Reich bestand nur noch als Idee. Auch an dieser Stelle der geschichtlichen Entwicklung glich das Deutsche Reich mehr einem uneinheitlichen Flickenteppich als einem Nationalstaat. 1806 legte Kaiser Franz II. die Krone des „Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nationen“ nieder. Die Französische Revolution griff nicht auf Deutschland über, löste aber einige Reformen aus. Der Wiener Kongress 1814/1815 regelte nach dem Sieg über Napoleon zwar die Neuordnung Europas, ein einheitlicher Nationalstaat Deutschland entstand dabei aber nicht. Der Deutsche Bund war ein Zusammenschluss souveräner Einzelstaaten. 121 122
Vgl. Kapitel 4.4 Diskurs: Deutsche Kulturstandards 67-72. Vgl. Kapitel 4.4 Diskurs: Deutsche Kulturstandards 67-72.
62
Bismarck arbeitete auf eine deutsche Einheit hin, besiegte 1871 Frankreich und gründete das Deutsche Reich. Wilhelm der I. wurde zum deutschen Kaiser ausgerufen. Der Erste Weltkrieg brachte das schnelle Ende des Deutschen Reiches mit sich, es zerfiel politisch und militärisch. Nach dem Ersten Weltkrieg konnten sich kurzfristig demokratische Bemühungen in der Weimarer Republik manifestieren. Die Weimarer Republik scheiterte aus unterschiedlichen Gründen, unter anderem wegen der fehlenden demokratischen Tradition und wegen der Lasten des Versailler Vertrages, die die wirtschaftliche Not verstärkten. Mit der Weltwirtschaftskrise begann das Ende der Republik. Bei den Reichstagswahlen 1932 wurde die NSDAP stärkste Partei und 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler gewählt. Seine menschenverachtende Diktatur mündete im Zweiten Weltkrieg. Nach der Kapitulation wurde Deutschland in eine britische, französische, sowjetische und in eine amerikanische Besatzungszone aufgeteilt. 1949 wurde in den drei westlichen Zonen die Bundesrepublik Deutschland gegründet, in der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik. 1990 kam es zur Wiedervereinigung, die zu einem gemeinsamen Deutschland führte. Am Verlauf der aufgezeigten Geschichte wird deutlich, dass Deutschland politisch und territorial gesehen nie einheitlich in Erscheinung getreten ist. Das Deutsche Reich glich mehr einem nationalen Mosaik als metaphorisch gesprochen, einer nationalen Fahne. Diese Einigung wurde dann aber in Verbindung und im Namen des Deutschen Volkes unter Adolf Hitler vollzogen. Nationalsymbole traten in nie da gewesenem Umfang auf. Eine nationale Einheit kann daher nie ausschließlich positiv gedacht werden, einem Wunsch nach Einigung oder Gemeinschaftsstreben steht immer die Angst der Vergangenheit gegenüber. 4.2 Der zwiespältige Umgang mit der deutschen Identität Wie der historische Abriss zeigte, dauerte die Entstehung des deutschen Nationalstaates mehrere Jahrhunderte. Im 19. Jahrhundert entwickelten deutsche Dichter und Denker ein ausgeprägtes Nationalgefühl. Goethe schrieb 1776 in einem Brief an Charlotte von Stein sein „Wanderers Nachtlied“. Diese erste Version seines berühmten Gedichtes schrieb er am Hang des Ettersbergs. An diesem Ort errichteten 160 Jahre später die Nationalsozialisten das Männerkonzentrationslager, das sie „Buchenwald“ nannten. Diese Tatsache zeigt beispielhaft die historische Last des Nationalsozialismus und seiner
63
Eroberungs- und Vernichtungspolitik, die eine ungebrochene Identifikation der Deutschen mit ihrer Geschichte und den in ihrem Verlauf erbrachten kulturellen Leistungen erschwert. Durch die deutsche Vergangenheit herrscht eine ambivalente bzw. widersprüchliche Selbstwahrnehmung vor. Honolka untersuchte Zusammenhänge zwischen deutscher Identität und dem Zusammenleben mit Fremden. Er zeigte in seiner Untersuchung, dass kein anderer Befund so charakteristisch im Vordergrund des Fallmaterials stand, wie die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz deutscher Identität.123 Eine Selbstverortung muss, wie Goethes Gedicht zeigt, zwischen deutscher Hochkultur und nationalsozialistischen Verbrechen vorgenommen werden. Man kann nicht stolz über seine Nationalität sprechen, ohne an die Vergangenheit zu denken. Es ist, mit den Worten Thomas Manns gesprochen, „für einen deutsch geborenen Geist auch so unmöglich, das böse, schuldbeladene Deutschland ganz zu verleugnen und zu erklären: ‚Ich bin das gute, das edle, das gerechte Deutschland im weißen Kleid, das böse überlasse ich euch zur Ausrottung’." (Mann, T., 1992, S. 37).
Nationale Identitäten werden durch offizielle nationale Symbole produziert. Hierzu zählen zum Beispiel Flaggen, Hymnen oder bestimmte Feiertage. Flagge zeigen oder das Anstimmen der deutschen Nationalhymne wurde jahrelang zur Etablierung der NSDAP missbraucht. Eine positive kollektive Zuwendung zu nationalen Symbolen ruft unweigerlich auch Bilder des Nationalsozialismus hervor. Der Wunsch, nationale Zugehörigkeit zu zeigen und sich gemeinsam als eine Nation zu repräsentieren, ist vorhanden, das zeigen weltweite Sportveranstaltungen, Europameisterschaften und Weltmeisterschaften. Das größtenteils friedvolle internationale Miteinander während der Fußballweltmeisterschaft 2006 machte den Wunsch nach Gemeinschaftssinn deutlich sichtbar. Hunderte zogen mit Deutschlandflaggen zu Public-Viewing-Plätzen, um Gemeinschaftssinn zu demonstrieren. Vortragsreihen, die das Thema „Die Welt zu Gast bei Freunden“ zum Inhalt hatten, griffen die Ansatzpunkte auf und versuchten, daraus Rückschlüsse und Lösungen für das kulturelle Miteinander zu ziehen. Ausschreitungen mit nationalem Hintergrund, Hooligans und Zusammenschlüsse rechtsradikaler Gruppierungen verdeutlichen aber, wie grenzgängig diese Bestrebungen sein können. Auch heute ist es nicht möglich, unvoreingenommen seine nationale Zugehörigkeit in der Gemeinschaft zu zeigen, ohne von der Vergangenheit 123
Vgl. Honolka, H., Deutsche Identität und das Zusammenleben mit Fremden 57.
64
eingeholt zu werden. So wird der Wunsch nach nationaler Zugehörigkeit von eben der Bevölkerungsgruppe abgestraft, die die deutsche Nationalität über andere stellt. „Deutsch“ ist in vielerlei Hinsicht positiv konnotiert. Deutschland steht für „Made in Germany“ und vermittelt dadurch eine Vorstellung von hoher Qualität. Mit „deutscher Gründlichkeit“ werden Produkte gefertigt, zuverlässige Kontrollen gewähren Sicherheit, man vertraut in die deutsche Technik. Deutschland steht für Demokratie und für wirtschaftlichen Wohlstand. Deutsche Kultur blickt auf Dichter, Denker und Komponisten, die für eine Hochkultur stehen. Trotz der Gründe, stolz auf die deutsche Nationalität zu sein, machen es die im Namen der Deutschen begangenen Verbrechen so schwierig, zur eigenen Nationalität zu stehen. Die Zeit des Nationalsozialismus, der Überbewertung des Deutschen, erschwert einen ungetrübten oder einen positiven Blick auf die eigene Nationalität nachkommender Generationen.124 Schon vor den dramatischen Ereignissen der deutschen Vereinigung 1989/1990 hatten die Deutschen erhebliche Probleme mit ihrer nationalen Identität. Wie sollten die Deutschen nun nach der „Wiedervereinigung“ Deutschlands zu einer gesunden nationalen Identität finden? Das vormals getrennte Leben in Ost- und Westdeutschland erschwert die Beantwortung der Frage nach der Identität.125 Die deutsche Einheit ist vollzogen, doch besteht sie auch in unseren Köpfen? Zweifelsohne haben das unterschiedliche Geschichtsbewusstsein und die Periode der Teilung das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen beeinflusst. 4.3 Ein Paradoxon: Deutsche ohne deutsche Staatsbürgerschaft Nach völkerrechtlichem Verständnis hat jeder Staat das Recht, den Erwerb bzw. den Verlust der Staatsangehörigkeit selbst zu bestimmen. Der Erwerb der Staatsbürgerschaft kann entweder durch Einbürgerung oder durch Geburt erfolgen. Beim Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt stehen zwei verschiedene Prinzipien zur Verfügung. Erlangt das Kind die Staatsangehörigkeit aus der Staatsangehörigkeit seiner Eltern, so spricht man vom „ius-sanguinis-Prinzip“.126 124
Vgl. Honolka, H., Deutsche Identität und das Zusammenleben mit Fremden 57-66. Einen Ausblick auf eine Identität nach der Wiedervereinigung gibt Norbert Himmler in seiner Identitätsstudie. Vgl. hierzu Himmler, N., Wie sehen sich die Deutschen? Eine Identitätsstudie 42+43. 126 Vgl. Schubert, Klaus und Klein, Martina: Politiklexikon, 4. Auflage, Bonn 2006. http://bpb.de Staatsangehörigkeit/ Staatsbürgerschaft – Lexikon. 125
65
Dieses Prinzip wird auch Abstammungsprinzip genannt. Erlangt das Kind die Staatsangehörigkeit durch das Land, in welchem es geboren wird, spricht man vom „ius-soli-Prinzip“ oder auch Geburtsortprinzip. Traditionelle Einwanderungsländer, wie zum Beispiel Kanada oder die Vereinten Staaten, aber auch manche europäische Staaten mit kolonialem Hintergrund richten sich vermehrt nach dem „ius-soli-Prinzip“.127 In Deutschland ist das Abstammungsprinzip vorherrschend, das heißt Kinder erlangen nach der Geburt die Staatsangehörigkeit der Eltern. Eine Besonderheit ist in Deutschland insofern gegeben, da das Grundgesetz nicht nur Deutsche mit deutscher Staatsbürgerschaft kennt, sondern auch Deutsche ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Aufgrund der Definition des Artikels 116 des Grundgesetzes gilt: „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“
Nach dem Bundesvertriebenengesetz vom 29.05.1953 haben weiter alle Personen deutscher Abstammung aus den Ländern Osteuropas sowie der ehemaligen Sowjetunion, also Aussiedler, einen Rechtsanspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Weiterhin fraglich ist die Staatsangehörigkeit der über sieben Millionen Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland leben.128 1991 trat ein neues Ausländergesetz in Kraft. Es beinhaltet Ansätze, den Ausländern die Einbürgerung zu erleichtern. Seit 1.1.2000 ist der Grundsatz, wer keine deutsche Staatsangehörigkeit hat, kann auch keine deutschen Kinder bekommen, obsolet. Unter gewissen Voraussetzungen erhalten Kinder ausländischer Eltern mit der Geburt automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Wenn sie nach dem Abstammungsprinzip von den Eltern oder anderweitig noch eine andere Staatsangehörigkeit haben, wachsen sie mit einer doppelten Staatsangehörigkeit auf. Nach ihrer Volljährigkeit müssen sie sich dann für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch das „ius-soli-Prinzip“ ist, dass ein Elternteil seit acht Jahren seinen rechtmäßigen Aufenthalt im Inland oder eine Niederlassungserlaubnis nach dem Aufenthaltsgesetz hat.129 127
Vgl. Schubert, Klaus und Klein, Martina: Politiklexikon, 4. Auflage, Bonn 2006. http://bpb.de Staatsangehörigkeit/ Staatsbürgerschaft – Lexikon. 128 Vgl. zur Präzisierung des Begriffes ‚Ausländer’ Kapitel 1.3.2 Ausländer und Personen mit Migrationshintergrund 22-23. 129 Vgl. § 4 Absatz 3 StAG.
66
4.4 Diskurs: Deutsche Kulturstandards Was also ist „deutsch“? Philosophen von Johann Gottlieb Fichte bis Arnold Gehlen haben sich darüber den Kopf zerbrochen. Eine allgemeingültige befriedigende Antwort ist nur schwer zu finden. Beschränken wir uns deshalb auf die „typisch deutschen“ Elemente, die für einen großen Teil der Bevölkerung gelten. Die im Folgenden beschriebenen Kulturstandards entstammen aus der Praxis des Interkulturellen Trainings, das sich die Vermittlung interkultureller Handlungskompetenz zum Ziel gemacht hat.130 Kulturunterschiede spielen im beruflichen Alltag eine entscheidende Rolle. Interessant sind die erarbeiteten Kulturstandards für beide Seiten. Für diejenigen, die geschäftlich mit Deutschen in ihrem Heimatland verkehren, aber auch für die Deutschen, die mit Partnern im Ausland in Geschäftskontakt treten. Nicht alle beschriebenen Kulturstandards treffen im gleichen Maße auch für die Lebenswelt von Jugendlichen zu. Zur Vollständigkeit werden sie im weiteren Verlauf dieser Untersuchung erläutert, so dass sie als Hintergrundinformation für die Durchführung und Auswertung der Interviews präsent sind. 4.4.1 Sachorientierung Treffen zwei Menschen aufeinander, begegnen sie sich mindestens auf zwei Ebenen: auf der inhaltlichen Ebene, das ist die Sachebene, und auf der zwischenmenschlichen Ebene, der Beziehungsebene. Die zwischenmenschliche Ebene ist durch die Atmosphäre gekennzeichnet, die zwischen den Beteiligten vorherrscht. „Deutsche“ agieren im beruflichen Kontakt in erster Linie auf der Sachebene. In beruflichen Besprechungen „kommt man zur Sache“ oder „bleibt bei der Sache“. Ein sachliches Verhalten schätzen „die Deutschen“ als professionell ein. Man ist schriftlich vorbereitet, am besten sehr detailliert, denn dann liegt es schwarz auf weiß vor. Der damit verbundene Kommunikationsstil ist objektiv. Es sollen Fakten und Zusammenhänge dargelegt werden. Über die Sachebene kann eine Beziehungsebene hergestellt werden. Bei Schwierigkeiten zeigt sich eine Person als überlegt und analysierend, das signalisiert eine gewisse Wertschätzung, denn dadurch wird Zeit und Energie aufgebracht, um das Problem zu lösen. Auch die Bereitstellung von Wissen, Fakten und Daten, meist in schriftlicher Form, bekundet Kooperationsbereitschaft. Das Zusammentreffen von Kulturen, die eher sachorientiert sind, mit Kulturen, die eher beziehungsorientiert sind, kann zu Missverständnissen führen. Eine interessante Tatsache ist, dass es zu einem Negativkreislauf kommen kann. 130
Vgl. Schroll-Machl, S., Die Deutschen – Wir Deutsche 45-208.
67
Je weniger Erfolg die beziehungsorientierten „Nicht-Deutschen“ in ihrem Werben um eine gute Beziehungsebene erzielen, desto mehr bemühen sie sich um die Beziehungsebene. „Die Deutschen“ fühlen sich dadurch umso mehr angehalten, zum Punkt zu kommen, und beginnen, sachlich ungeduldig zu drängeln. Das wiederum verstärkt die beziehungsorientierten Individuen in ihren Bemühungen auf der Beziehungsebene. Schroll-Machl macht darauf aufmerksam, dass die Deutschen natürlich auch Emotionen besitzen, diese aber in anderen Kulturen ebenfalls vorhanden sind und deshalb nicht weiter hervortreten. Auffallend hingegen sind die differenten Elemente und zu diesen gehören das Ausblenden der Emotionen und die Konzentration auf die Sachebene in vielen Bereichen. 4.4.2 Wertschätzung von Strukturen und Regeln Auch andere Kulturen werden mithilfe von Regeln und Gesetzen organisiert. Deutschland steht aber für die rigide Einhaltung von Regeln und Vorschriften, hierzu gehört auch die starre Auslegung und die peniblen Zurechtweisungen und Bestrafungen von Verstößen. Das Einhalten von Regeln wird als selbstverständlich betrachtet, Regeln werden nicht zwingend hinterfragt und Verletzungen werden geahndet. Viele Aufgaben werden mithilfe von Bürokratie gelöst, die für Beteiligte anderer Kulturen als undurchsichtig erscheinen kann. Anordnungen, sei es die Mittagsruhe, die Hausordnung, der Kehrwoche, Fahrverbote oder Parkverbote liefern häufig Konflikte mit Individuen anderer Kulturkreise, denen diese Vorschriften völlig fremd sind. Hierin zeigt sich das Bedürfnis nach klarer zuverlässiger Planung, das ein Minimum an Risiko impliziert. Der „Vertrag“ ist eine typische Ausdrucksform, die das Miteinander zuverlässig regeln soll. Die Inhalte gelten für beide Seiten als rechtsgültig. Regelungen werden oft als Problemlösungen angesehen. Organisation wird in Deutschland groß geschrieben. Als intelligent gilt es, eine Sache so organisiert zu haben, dass sie systematisch angegangen werden kann. Fundiertes Planen und Vorbereiten schließen möglichst sämtliche Eventualitäten aus. Die Wichtigkeit der Detailplanung wird durch den Ausspruch „der Teufel steckt im Detail“ klar. Genauigkeit, Exaktheit und hundertprozentige Fehlervermeidung sind von zentraler Bedeutung. Der Vorteil dieses Kulturstandards liegt auf der Hand, ein guter Plan liefert die Basis für gute Ergebnisse. Nachteile liegen in mangelnder Flexibilität bei Veränderungen des Plans oder im Festhalten an Systemen, die vielleicht bereits nicht mehr optimal oder überholt sind.
68
4.4.3 Regelorientierte, internalisierte Kontrolle Dürfen abstrakte und generelle Regeln zugunsten persönlicher Interessen verletzt werden? Ist das Pflichtgefühl eher an die Regeln gebunden oder an Personen, die die Regeln je nach Kontext auslegen? Regeln sind im deutschen Kulturkreis bindend. Regeln werden ohne Rücksicht auf Beziehungen eingehalten. Nach der Planung einer Sache wird also erwartet, sich auf jeden Beteiligten verlassen zu können. Strukturen und Regeln beinhalten eine moralische Instanz, die eingehalten werden sollen. Es gibt zwar eine Kontrolle, die den Sachverhalt überprüft, aber Verlässlichkeit wird auch dadurch erreicht, dass jeder genau das tut, was von ihm erwartet wird. Internalisierte Kontrolle zeigt sich zum Beispiel in der Tatsache, dass viele Benutzer der öffentlichen Verkehrsmittel einen Fahrschein besitzen, oder dass Geschäfte unbewachte Ständer oder Ware stehen lassen können. Die Pflicht geht beruflich vor das Vergnügen. Ob jemand gerade Probleme hat, die einen belasten, ob jemand Lust oder Interesse an der Arbeit hat, interessiert nur zweitrangig. Selbstdisziplin und Pflichtbewusstsein, das Beste zu geben, wird von der Person erwartet. Ostentatives Vorleben von für wichtig erachteten Prinzipien ist ein weiteres Kennzeichen. Das Warten an roten Ampeln, auch wenn kein Fahrzeug kommt, ist ein beliebtes Beispiel hierfür. In manchen Fällen kann dieses Vorleben einem „Exhibitionismus“ der Internalisierung gleichen. Auch das Zurechtweisen bei Fehlverhalten wird als typisch deutsch angesehen. Man lernt aus Fehlern, indem man auf sie hingewiesen wird. Möglicherweise verletzte Gefühle des Gegenübers werden in Kauf genommen, um einen Lerneffekt zu erzielen. Unterschiede zeigen sich zum Beispiel in asiatischen Kulturen, in welchen man andere Personen durch dieses Verhalten bloßstellen würde. Damit Vertreter dieser Kulturen nicht das Gesicht verlieren, muss auf Kritik und Zurechtweisungen verzichtet werden. Die vielen Normen sollen in Deutschland auch gleichermaßen eingehalten werden, wir empfinden es als gerecht, wenn die Normen von allen befolgt werden. Abweichungen, Sonderbehandlungen und Ausnahmen bevorzugen denjenigen, dem sie zugestanden werden. Deutsche lernen von klein auf, sich gewissenhaft an Normen zu halten. Einsicht, Überzeugen, Vernunft und Erklärungen, die Verbote für die Kinder nachvollziehbar machen, spielen in der Erziehung eine entscheidende Rolle. Auch Eltern
69
halten sich in der Regel an die Vereinbarungen. In der Schule werden die Kinder erfolgreich sein, die sich gewissenhaft an die Anforderungen halten. Die Deutschen gelten wegen der starken Ausprägung dieses Kulturstandards auch als autoritätshörig. 4.4.4 Zeitplanung Zeit ist in deutschem Verständnis ein kostbares Gut, es darf nicht verschwendet werden. Effektive Zeitplanung und die Einhaltung von Zeit ist unumgänglich. Vorgehensweisen müssen genau geplant werden, sonst muss man zum Schluss „schlampen“. Andere Kulturen nehmen deswegen die Deutschen entweder als langsam wahr oder als Menschen, die sich über völlig unnötige Dinge Sorgen machen, nämlich über Angelegenheiten, die noch in weiter Zukunft liegen. Termine sind wichtig, ohne Zeitabsprachen erreicht man wenig. Termine prägen aber nicht nur das Geschäftsleben, sie strukturieren auch die Freizeit. Personen aus anderen Kulturkreisen empfinden diesen Zug häufig als unflexibel und unhöflich, wenn Deutsche anderen signalisieren, keine Zeit zu haben. In deutschem Verständnis handelt man nur pflichtbewusst und verlässlich, wenn der Zeitplan eingehalten wird. Pünktlichkeit und Termintreue wird nicht nur auf der Sachebene gelebt und erwartet, auch auf der Beziehungsebene wird dadurch Respekt und Zuverlässigkeit ausgedrückt. Zuverlässigkeit ist wiederum Voraussetzung für die Vertrauensbildung, deshalb darf diese Eigenschaft nicht unterschätzt werden. Auch Unterbrechungen und Störungen können als Geringschätzung der Person verstanden werden. Zeit hat einen hohen Symbolwert und steht für die Wichtigkeit einer Sache oder einer Person.131 4.4.5 Trennung von Persönlichkeits- und Lebensbereichen Die Trennung verschiedener Lebensbereiche ist ein weiterer deutscher Kulturstandard. Die Trennung erfolgt in erster Linie in beruflich und privat. Gearbeitet wird in der Arbeit, gelebt in der Freizeit. Im Beruf ist man zielstrebig, im Privaten entspannt man sich eher. Freundschaften unter Kollegen sind keine Selbstverständlichkeit. Freundschaften entstehen eher bei Freizeitaktivitäten, im Sportverein oder bei Initiativen. Die Freizeit soll ausgeschöpft werden, um sich wieder zu regenerieren für das Geschäftsleben. Oft ist jemand in beiden Feldern besonders aktiv, das erklärt auch die Tatsache, warum ein engagiertes aktives Privatleben für Personalentscheide herangezogen wird. 131
Vgl. Kapitel 3.8.3 Zeitverständnis 58+59.
70
Eine weitere Trennung findet sich im rationalen und emotionalen Bereich. Rationalität ist überwiegend am Arbeitsplatz gefragt. Hier gilt es als professionell, sich sachlich zu zeigen. Man verhält sich höflich distanziert. Emotionalität findet man überwiegend im Privaten. Getrennt wird persönliche Freundlichkeit, die dem Menschen hinter der Rolle entgegengebracht wird, von objektiver Leistungsbeurteilung oder fachlicher Kritik. So können auch freundliche Menschen hart im Urteil sein. Eine Person hat mehrere Rollen, die es einzuhalten gilt. Die Person, die hinter der Rolle steht, ist in vielerlei Hinsicht komplexer. In beruflicher Hinsicht wird für ein korrektes Verhalten gefordert, gewisse Charaktereigenschaften auszublenden. Am besten zeigt man die Seiten, die für das Geschäft förderlich sind, ein „Aus der Rolle fallen“ gilt es zu vermeiden. 4.4.6 „Schwacher Kontext“ als Kommunikationsstil Im Gespräch werden nie alle Informationen in Worten ausgesprochen, ein bestimmter Anteil bleibt unausgesprochen. Bei einem hohen Anteil der nichtsprachlichen Botschaft spricht man von einem „starken Kontext“ oder „HochKontext“. Ist dagegen der verbale Anteil der Informationsvermittlung hoch, muss er also nicht weiter interpretiert werden, so spricht man von einem „schwachen Kontext“ oder „Niedrig-Kontext“. Der deutsche Kommunikationsstil ist geprägt von hoher Sachlichkeit und Direktheit. Die „Was-Komponente“ steht im Vordergrund, das „Wie“ ist zweitrangig. Was gesagt wird, lässt in der Regel wenig Interpretationsspielraum. In der Dekodierung wird überwiegend das Gesagte aufgenommen, weitere Signale werden oft nur unzureichend erkannt. Kommuniziert wird „ohne doppelten Boden“. Diese klare, sachliche Kommunikation wird von vielen Deutschen als professionell, ehrlich und authentisch eingeschätzt. Ein weiteres Kriterium in der Kommunikation ist der Umgang mit Kritik. Kritik wird häufig klar und deutlich geäußert, sie betrifft ja nur die Sachebene. Kritik wird als „konstruktiv“ betrachtet, Rücksichtnahme auf persönliche Empfindsamkeiten erscheint als zweitrangig. Eine betont positive Einleitung zur Kritik kommt ihnen auf der anderen Seite als „heuchlerisch“ und unehrlich vor. Gleichzeitig fällt Lob eher spärlich aus, denn es gilt häufig der Satz „Nichts gesagt, ist genug gelobt“, man geht also davon aus, dass jeder automatisch sein Bestes tut, wie bereits bei der regelorientierten und internalisierten Kontrolle erläutert wurde. In vielen Managerseminaren wird die positive Anerkennung jetzt ausdrücklich gelernt. Von vielen wird es jedoch
71
sowohl als Adressat als auch als Sender als „Lobhudelei“ empfunden. In manchen Bereichen wird sogar mangelnde Kritik als Inkompetenz verstanden. Natürlich sprechen die Deutschen auch vieles nicht aus, auch sie setzen häufig ein Mindestmaß an Wissen voraus. Für Menschen aus anderen Kulturkreisen wirkt dieser Kommunikationsstil wenig höflich, fordernd, verletzend und arrogant. Wünsche und Anliegen müssen in Worte gefasst werden, damit keine Enttäuschungen entstehen. Widersprüche und das Nachfragen sind erlaubt, manchmal sogar ein Zeichen der Wertschätzung und des Respekts, diese Auffassung ist in anderen Kulturkreisen eher ungewöhnlich. 4.4.7 Individualismus Der Individualismus umfasst in der Regel alle westlichen Länder, in vielen anderen Ländern ist er vielleicht sogar stärker ausgeprägt als in Deutschland. Er ist ein basaler Kulturstandard des Westens. Die Betonung des einzelnen Menschen, im Gegensatz zur Gruppe ist kennzeichnend. Die Person zeigt eine relative Unabhängigkeit gegenüber der Gruppe, ein Mindestmaß an Abgrenzung und Eigenständigkeit wird als Voraussetzung für die „psychische Gesundheit“ betrachtet. Die Grenze zwischen Individualismus und Egoismus verläuft dort, wo der Einzelne den anderen durch sein Verhalten schädigt. Jeder Einzelne hat seine Interessen und Rechte im Auge zu behalten, wie auch die Interessen und Rechte des anderen. Individualismus heißt auch, pädagogisch so zu handeln, dass das Individuum so früh als möglich und möglichst lang in die Lage versetzt wird, eigene Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Auf die Erziehung zur Eigenständigkeit wird großen Wert gelegt. Ein Kind muss lernen, eine Meinung zu haben und diese auch zu äußern. Selbstständigkeit in Form von Wahlfächern und Selbstdisziplin kennzeichnen die weitere schulische Laufbahn. Respekt vor der Privatsphäre und frühe Unabhängigkeit vom Elternhaus kennzeichnen den Individualismus. Jugendliche entscheiden selbst über ihr Studium, über den Beruf, Wohnort und Partnerwahl.132 Eigenständiges, eigenverantwortliches Handeln ist ein angestrebtes Ideal. Bei der Gastfreundschaft versteht der deutsche Gastgeber ein Rundumprogramm als unangemessen, er überlässt dem Gast Freiräume, die er eigenständig planen kann, dieses Verhalten wird in anderen Kulturkreisen als unfreundlich und wenig gastfreundlich empfunden.
132
Vgl. im Gegensatz dazu Kapitel 3.4 Diskurs: Familie 48+49.
72
5 Forschungsdesign 5.1 Forschungsleitende Überlegungen Aus den Beschreibungen der beiden Kulturen in Kapitel 3 und Kapitel 4 wird deutlich, dass die zu untersuchenden Jugendlichen mit unterschiedlichen Wertund Normsystemen aufwachsen. Die türkisch geprägte Kultur der Eltern wird zu Hause, aber auch durch Peergroups, türkische Freunde und eventuell auch über die häuslichen Medien transportiert. Die Jugendlichen sehen sich in Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Sozialisationsinstanzen ebenso der deutschen Kultur und Gesellschaft gegenübergestellt. Die schulische Laufbahn setzt die Kenntnis der deutschen Sprache voraus, die Sprache ermöglicht das Kennenlernen von deutschen Kulturelementen, Fremdes oder Missverständliches kann hinterfragt werden. Durch die Sprache nimmt der Jugendliche am gesellschaftlichen Leben teil. Auch die Medien und das Freizeitverhalten beeinflussen die Jugendlichen. Die Jugendlichen wachsen in einer Welt auf, die sie mit anderen Augen sehen, die ihnen andere Handlungen abverlangt und die sie anders bewerten als ihre Eltern. Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Tatsache für die Jugendlichen? Mein zugrunde gelegtes Kulturverständnis macht deutlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Fremden, Kultur hervorbringt. Was aber ist nun als das Fremde zu betrachten? Das türkische oder das deutsche Umfeld? Wo fühlen sich die Jugendlichen zu Hause? Bei ihren Eltern, in der sie umgebenden Gesellschaft oder innerhalb des Freundeskreises? Können sie überhaupt Gefühle entwickeln, mit denen Heimat umschrieben werden kann? Was also ist dann die Fremde? Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Normen und Werten ist aber kein Phänomen, das nur die zu untersuchenden Jugendlichen betrifft, es beschreibt das Miteinanderleben im Allgemeinen. Die Bewertungen des beschriebenen Sachverhalts beeinflussen die Identitätskonstruktionen der Jugendlichen und wirken sich auf ihr Selbstkonzept aus. Als Leitfrage wird zwischen zwei dichotomen Lebensmodellen unterschieden: Verstehen sie ihr Leben als ein Leben zwischen zwei Kulturen? Verstanden im Sinne von zwischen zwei Stühlen? Metaphorisch gesprochen bedeutet es, keinen Anspruch auf einen Sitzplatz zu erheben, sich nicht als Repräsentant einer Kultur zu verstehen und diese Tatsache negativ, im Sinne von „nicht anerkannt“ zu inter-
73
pretieren. Wird ihnen ein ständiger Wechsel zwischen beiden Kulturen abverlangt, den sie als belastend empfinden? Oder empfinden sie ihr Leben als ein Leben mit zwei Kulturen? Verstehen sie das kulturelle Angebot als ein sich ergänzendes Miteinander. Ist es ihnen möglich, ein durch das Leben mit zwei Kulturen angeeignetes Repertoire an Verhaltensmöglichkeiten zu nutzen? Empfinden sie sich durch die Konfrontation mit zwei Kulturen besser auf ein Leben in einer Gesellschaft vorbereitet, die durch Globalisierung und gleichzeitiger Individualisierung gekennzeichnet ist? Nutzen sie die Zweisprachigkeit als Chance und interpretieren ihre, durch das Leben mit zwei Kulturen erlangte Empathie, als gewinnbringend, die in verschiedenen Lebenslagen nützlich werden kann? Kultur wird von mir als aktiver Aushandlungsprozess verstanden, an welchem alle Individuen der Gesellschaft beteiligt werden müssen. Identität verstehe ich als einen dynamischen Prozess. Identität ist nichts Statisches, sondern bildet sich immer wieder aufs Neue in der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft oder mit Gruppen. Wo verorten sich die Jugendlichen im Leben zwischen bzw. mit zwei Kulturen? Im Keuppschen Sinne lässt sich fragen: „Wie entwerfen sich die Jugendlichen?“ Ist es für die Jugendlichen schwierig, sich als Ganzheit zu erfahren? Alle Individuen müssen zur Identitätsbildung Verknüpfungsarbeit leisten, welche auf der Basis der Umwelt stattfindet. Identität wird in meinem Verständnis als Passungsarbeit verstanden. In ihrer Selbstkonstruktion nimmt sie Bezug auf die gesellschaftliche Situation, wobei nicht lediglich Anpassung an Außen gemeint ist. Identität wird vielmehr als ein subjektiver Aushandlungsakt zwischen divergierenden Anforderungen verstanden. 5.2 Stichprobenauswahl Da nicht die Grundgesamtheit der zu untersuchenden Gruppe interviewt werden kann, wird eine Stichprobe gebildet. Die Stichprobenbildung in der qualitativen Forschung bezieht sich auf die Relevanz der zu untersuchenden Subjekte, während in der quantitativen Forschung die Generalisierung, also die statistische Repräsentativität im Vordergrund steht. Eine Übertragung der Stichprobenergebnisse auf die Grundgesamtheit benötigt in der qualitativen Forschung immer Argumente, warum die Ergebnisse auch auf andere Personen übertragen werden
74
können.133 Verallgemeinerung muss im Gegensatz zur quantitativen Forschung immer im spezifischen Fall begründet werden. Die Stichproben dienen also dazu, eine möglichst große Bandbreite an Personen abzubilden.134 Vor der Durchführung der Interviews habe ich die forschungsleitenden Fragen zugrunde gelegt, somit kann auch die Stichprobe vor der Untersuchung bestimmt werden.135 Bei dieser Art der Vorab-Festlegung der Samplestruktur wird die Stichprobe anhand bestimmter Kriterien gebildet, die für die Untersuchung relevant sind. Bei der Stichprobenauswahl der vorliegenden Arbeit kam meine Funktion der eines Gatekeepers nahe, denn ich konnte durch meine Tätigkeit als Klassenlehrerin mehrere Schülerinnen und Schüler für mein Forschungsvorhaben gewinnen.136 Mit diesen Informationen konnte ich im Rahmen eines deduktiven Samplings typische Fälle identifizieren.137 Diese Vorgehensweise ergab für mich viele Vorteile. Da ich seit drei Jahren mit meinen Schülerinnen und Schülern arbeite, haben die Jugendlichen das nötige Vertrauen, sich frei zu äußern, sie haben die Gewissheit, dass ihre Informationen nicht zu ihrem Nachteil verwendet werden. Eine offene Atmosphäre muss nicht umständlich erzeugt werden, sie hat sich im Laufe der Jahre entwickelt. Durch mein Vorwissen konnte ich die Schülerinnen und Schüler auswählen, die über die nötigen Erfahrungen verfügen, diese reflektieren können und auch bereit sind, die nötige Zeit zu investieren. Ein wichtiges Kriterium war die freiwillige Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler. Es musste vorab klar gestellt werden, dass die Schülerinnen und Schüler weder Vorteile durch die Teilnahme erlangen konnten, noch Nachteile durch die Ablehnung einer Mitarbeit befürchten mussten. Um Verzerrungen durch soziale Erwünschtheit zu verhindern, musste ich im Vorfeld klären, dass die Antworten der Jugendlichen nur ihrer eigenen Richtigkeit und Logik verpflichtet sind, somit keine bestimmten Antworten erwartet werden, außer denen, die der Wahrheit entsprechen. Die Transkriptionen der Interviews belegen meines Erachtens durchgängig, dass die Interviewten spontan sprachen und keine Reflexion darüber anstellten, ob ihre Interviewerin diese oder jene Antwort bevorzugen würde. Die Anzahl der teilnehmenden Personen richtet sich nach den zur Verfügung stehenden Forschungsressourcen. Sicherlich steigt mit zunehmenden Teilnehmern die Informationsdichte, jedoch muss für die Auswertung der zusammenge133
Vgl. Mayring, P., Einführung in die qualitative Sozialforschung 23. Vgl. Reinders, H., Qualitative Interviews 148+149. 135 Vgl. Kapitel 5.1 Forschungsleitende Überlegungen 73+74. 136 Gemeint sind Personen, die im sozialen Feld tätig sind. Übersetzt wird es mit dem Begriff „Türöffner“ oder „Türsteher“. 137 Bei der deduktiven Stichprobenziehung liegen bereits Kenntnisse vor, welche Personen Informationen zur Fragestellung liefern können. 134
75
tragenen Informationen auch ausreichend Zeit eingeplant werden. Mayring weist darauf hin, dass bei problemzentrierten Interviews deutlich größere Stichproben gebildet werden können als bei narrativen Interviews.138 Durch die Zugrundelegung eines Leitfadens bleibt die auszuwertende Informationsbreite auf das fokussierte Thema begrenzt. Ich habe mich daher für sieben Interviews entschieden, da somit eine ausreichend große Informationsfülle zu erwarten war, die sich zugleich auch mit der gebotenen Sorgfalt auswerten ließ.139 5.3 Methodische Überlegungen Ziel der Studie ist es, Identitätskonstruktionen vor dem Hintergrund der Mehrfachzugehörigkeit offenzulegen. Es geht also um subjektive Empfindungen zu dem Sachverhalt Leben mit oder zwischen zwei Kulturen. Es sollen also nicht in erster Linie aus der Theorie deduktiv abgeleitete Hypothesen verifiziert oder falsifiziert werden, sondern neue Erkenntnisse über individuelle Erfahrungen gewonnen werden. Im Sinne der qualitativen Sozialforschung wollte ich die Lebenswelten aus Sicht der Handelnden untersuchen, um die sozialen Wirklichkeiten besser zu verstehen.140 In der qualitativen Sozialforschung arbeitet man mit unterschiedlichen Erhebungsmethoden. Bevor ein Erhebungsinstrument für die jeweilige Grundfrage entwickelt werden kann, muss eine Vorauswahl der Datenerhebung getroffen werden. 5.3.1 Grenzen alternativer Methoden zur Datenerhebung Mein Interesse an der Fragestellung wurde aus der Beobachtung im Umgang mit türkischen Jugendlichen heraus geweckt. Subjektive Empfindungen können jedoch per se nicht beobachtet werden, höchstens deren Auswirkungen oder auch die daraus resultierenden Verhaltensdifferenzen der Handelnden. Die Beobachtung war also auf äußere Verhaltensweisen begrenzt und setzte einer vertieften Auseinandersetzung mit der Fragestellung Grenzen. Inhaltsanalytische Verfahren in Form von selbst erstellten Texten schloss ich aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten von vorn herein aus. Eine Befragung wurde nötig, um das Empfinden der Jugendlichen transparent zu machen und um die individuellen Erfahrungen zusammenzutragen und zu deu138
Vgl. Mayring, P., Qualitative Sozialforschung 67-72. Interviewt wurden vier Jungen und drei Mädchen. Alle Interviews sind unter http://vs-verlag.de veröffentlicht. 140 Vgl. Flick, U. u. a., Design und Prozess 14. 139
76
ten. Die Befragung kann in schriftlicher und mündlicher Form erfolgen. Die direkte Kommunikation erschien mir in meinem Vorhaben aus verschiedenen Gründen sinnvoller als die schriftliche Befragung. Bei der mündlichen Befragung ist eine spontane Reaktion seitens des Interviewers auf relevante Äußerungen möglich. Nachfragen und Vertiefen bestimmter Themen sind unabdingbar, da die geäußerten subjektiven Empfindungen vermutlich sehr vielschichtig beschrieben werden können, wenn die Jugendlichen in der Lage sind, die Fragestellungen zu verstehen. Individuelle Erklärungen, Beispiele oder Ermutigungen sind im schriftlichen Fragebogen nur begrenzt möglich. Sprachliche Barrieren erschweren den Sachverhalt und erfordern manchmal einen Transfer oder eine Begriffserklärung. Die Ausgangsfragen sowie die Themenkategorien sind trotz aller Veranschaulichung abstrakt, da es sich dabei nicht um reflektierte, abrufbare oder chronologisch aufzeigbare Ereignisse handelt, vielmehr wird ein hypothetisches Konstrukt untersucht, das mithilfe von Fragen konkretisiert werden soll. Da die Individuen ihre erlebte Realität vermutlich unterschiedlich bewerten und auch an anderen Gegebenheiten festmachen, liefert eine pauschale vorformulierte Nachfrage unzureichende Erkenntnisse. Die Sprachkompetenz und die Kommunikationsfähigkeit divergieren zum Teil stark zwischen den einzelnen Jugendlichen, so dass ein einheitlicher schriftlicher Fragebogen zwar denkbar ist, aber nicht die geeignetste Methode darstellt. Um zu aussagekräftigen Erkenntnissen zu gelangen, bedarf es hier an kommunikativem Geschick, da zum Teil situativ zu entwickelnde Fragen erforderlich sind. Die beschriebenen Voraussetzungen lassen sich daher am geeignetsten im Interview bewältigen. 5.3.2 Vorzüge des Leitfadeninterviews Erhoben werden verbale Daten, die in einer späteren Phase ausgewertet werden sollen. In der qualitativen Forschung stehen zur Erhebung verbaler Daten die Erzählung und das Leitfadeninterview zur Verfügung. Beide Methoden wären für mein Forschungsvorhaben im Prinzip denkbar gewesen. Das Leitfadeninterview erachtete ich aus unterschiedlichen Gründen als die erfolgversprechendere Erhebungsmethode. Das narrative Interview überlässt dem Befragten weitgehende Freiheit, sich zu einer Frage spontan und umfassend zu äußern. Erzählt wird aus dem Stegreif und es wird frei assoziiert. Der Gesprächsverlauf und die behandelten Themen werden nahezu allein vom Befragten bestimmt. Auch der Detaillierungsgrad wird dabei dem Interviewten überlassen. Dabei werden in der Regel aber sehr viel mehr Daten produziert als für die Untersuchung relevant sind. Die Transkription
77
und die Auswertung benötigen sehr viel mehr Zeit als bei einem teilstrukturierten Interview. Die Bearbeitungszeit erhöht sich folglich deutlich beim narrativen Interview. Die Komplexität und der abstrakte Charakter des Sachverhalts sprechen für eine zeitweise enger geführte Vorgehensweise, die ein Abschweifen der Gedanken des Interviewten verhindert. Identitätskonstruktionen können nicht mittels einer einzigen Frage entworfen und beantwortet werden. Subjektive Empfindungen der Bikulturalität sind oft gar nicht bewusst abrufbar, sondern müssen erst erkannt und reflektiert werden. Erst die Zergliederung in mehrere Teilfragen, die die unterschiedlichen Lebensbereiche in Augenschein nehmen und berücksichtigen, kann ein umfassendes Bild liefern. Ferner können auch stereotype Einstellungen von Schülerinnen und Schülern besser hinterfragt oder erkannt werden, wenn der Interviewer das Gespräch unterbrechen oder in eine andere Richtung lenken kann. Die Erarbeitung der Identitätskonstruktion muss auf unterschiedlichen Ebenen durch unterschiedliche Kategorien erfolgen, um zu vermeiden, dass die Befragten die Meinungen der Eltern oder landläufig diskutierte Meinungen wiedergeben. Die Fragestellungen sind eng mit Emotionen verbunden, einige Antworten könnten vorschnell aufgrund von elterlicher oder sozialer Erwünschtheit undurchdacht wiedergegeben werden. Die hohe Strukturierbarkeit des Inhalts legt die Datenerhebung mithilfe des Leitfadeninterviews nahe.141 Bei dieser Art des Interviews wird ein Leitfaden erarbeitet, der offene Fragen enthält, auf die der Interviewte frei antworten kann. Es überlässt dem Interviewer ein hohes Maß an Freiheit, da er spontan entscheiden kann, in welcher Reihenfolge er die Fragen stellt und es ihm jederzeit die Möglichkeit gibt, detaillierter nachzufragen oder bei Abschweifungen zum Leitfaden zurückzukehren. Der Leitfaden stellt gewissermaßen ein Orientierungsgerüst dar, das die Aussagen der unterschiedlichen Interviewten vergleichbar macht und gleichzeitig sicherstellt, dass keine wichtigen Sachverhalte unbeleuchtet bleiben. Das problemzentrierte Interview nach Witzel stellt eine besondere Form des Leitfadeninterviews dar.142 Auch eine Gruppendiskussion wäre zur Datenerhebung meiner Studie denkbar gewesen. Vorteilhaft bei dieser Methode wäre das ähnliche Kommunikationsniveau der unterschiedlichen Teilnehmer gewesen. Unklarheiten lassen sich auf gleichem oder ähnlichem Niveau besser klären. Gedanken können sich direkt aus dem Gespräch oder aus den Impulsen der Jugendlichen heraus fortführen bzw. weiterentwickeln. In meinem Fall birgt die Gruppendiskussion allerdings auch 141 142
Vgl. Mayer, H.O., Interview 36. Vgl. Witzel, A., Das problemzentrierte Interview 227-256.
78
Gefahren. Nicht alle Jugendlichen setzen sich in der Kommunikation gleich stark durch, selbstbewusste Jugendliche mit rascher Auffassungsgabe können sich in Vordergrund drängen und stillere Jugendliche mit weniger Mut zur Selbstdarstellung behindern. Eine gegenseitige Beeinflussung ist nicht auszuschließen, da die Thematik die Gefahr der Stereotypisierung mit sich bringt. Die Sorge, anschließend Vorwürfe und Beleidigungen hinnehmen zu müssen, in den Augen anderer als „schlechte Türken“ dazustehen, ist berechtigt und könnte zu Falschaussagen verleiten. Die nationale Zugehörigkeit ist häufig mit Emotionen verknüpft, das Ablehnen mancher Kulturelemente könnte von anderen Jugendlichen als Provokation verstanden werden und sie in Gegenpositionen drängen, die sie vielleicht ohne die Konfrontation mit Aussagen anderer nicht bezogen hätten. Einstellungen und Äußerungen eines anderen Jugendlichen können leicht übernommen werden, da dessen Aussagen im Moment schlüssig erscheinen, obwohl sie das individuelle Lebenskonzept vielleicht nicht treffen. Ein Gespräch ohne „nationale Kontrolle“, in offener Atmosphäre mit individuellem Zeitkontingent, erschien mir für mein Forschungsprojekt daher geeigneter. 5.3.3 Erstellung des Leitfadens Beim Entwurf des Leitfadens müssen die für die Untersuchung relevanten Aspekte berücksichtigt werden. Er stellt eine Vorstrukturierung des Vorhabens dar: „Der Leitfaden schneidet die interessierenden Themen aus dem Horizont möglicher Gesprächsthemen heraus und dient dazu, das Interview auf diese Themen zu fokussieren.“ (Meuser u. Nagel, 1997, S.488)
Sinnvoll ist es, den Leitfaden möglichst kurz zu halten. Es ist nicht zweckmäßig, Datenmengen anzuhäufen, die über zentrale Themen hinausgehen und schließlich unnötigerweise ausgewertet werden müssen. Bei der Erstellung ist darauf zu achten, dass die Fragen nicht von der zugrunde gelegten Problematik wegführen, sondern sie vielmehr gliedern und veranschaulichen. Ein reines Abhaken der Leitfragen ist zu vermeiden, ein entwickelter Leitfaden ist also nicht als fertiges Instrument zu betrachten. Er kann nach einem ersten Probedurchlauf modifiziert werden. Auch eine Veränderung nach einzelnen Interviews ist denkbar, so können sich manche Themen als weniger ergiebig erweisen und andere, die zuvor nicht eingeplant wurden, als durchaus relevant. Der Leitfaden soll eine Phase des Aufwärmens oder der Initialisierung enthalten, um das Gespräch in Gang zu bringen. Dieses „Warm-up“ will den Interviewten mit dem Gespräch vertraut machen. Fragen, die zur Narration einladen, bieten 79
sich hierfür an, so kann sich der Befragte auf die ungewohnte Situation einstellen. Offene Fragen generieren einen Erzählstil, der ein leichtes Einfinden in die Situation ermöglicht. In meinem Leitfaden habe ich als Warm-up eine Frage nach dem letzten Aufenthalt in der Türkei gewählt. Die Jugendlichen sollten erzählen, was sie dort in ihrer Freizeit machen. Es erlaubt den Befragten eine offene Erzählung und bereitet auf das Thema vor. Im Hauptteil werden Fragen entworfen, die verschiedene Themenbereiche betreffen. Diesen Kategorien habe ich unterschiedliche Teilfragen untergeordnet. Hierbei unterscheidet man die deduktive von der induktiven Vorgehensweise. Während bei der deduktiven Vorgehensweise die Fragen aus dem Vorwissen entstammen, leiten sich die Fragen bei der induktiven Vorgehensweise aus ersten Interviews ab. In meinem Fall spricht man von einer kombinierten Vorgehensweise, da die Fragen in einer ersten Form aus dem Vorwissen abgeleitet wurden, diese allerdings nach ersten Probeinterviews modifiziert wurden. Der Leitfaden umfasst fünf Kategorien: 1.
80
In der ersten Kategorie geht es um die Wahrnehmung der beiden Kulturen. Gefragt wird nach Freizeitaktivitäten und Lebensgewohnheiten in der Türkei und nach dort lebenden Familienangehörigen. Anschließend wird noch nicht nach der gelebten Kultur und den damit verbundenen Lebensgewohnheiten in Deutschland gefragt, sondern nach Dingen, die der Jugendliche hier in Deutschland im Vergleich zur Türkei vermisst oder die er besonders schätzt. Es geht mir in diesem Teil noch nicht um die Kulturnähe im Alltag, sondern um das Aufzeigen von Differenzen. Damit versuche ich ein Problembewusstsein zu schaffen. Die Jugendlichen sollen durch diese Differenzierung besser beurteilen können, ob sie sich in einem Land fremd fühlen oder ob sie für ein bzw. beide Länder Heimatgefühle entwickeln können. Fragen nach Heimatgefühlen oder Verbundenheiten sind für die Jugendlichen abstrakt, die Antworten lassen sich nicht als gespeichertes Wissen abfragen. Die Gefahr, dass ansonsten nur von Eltern übertragene Einstellungen oder Stereotype abgefragt werden, ist groß. Da es mir aber hierbei um die Verortung der Jugendlichen geht und nicht um die der Elterngeneration, ist diese Vorgehensweise günstiger. Im zweiten Bereich wird die Existenz oder das Fehlen von stereotypen Bildern in den Vorstellungen der Jugendlichen selbst zur Untersuchungskategorie. Im ersten Teil sollen die Interviewten nur auf die Thematik vorbereitet und eingestimmt werden. Die Selbsteinschätzung steht bewusst an vorletzter Stelle, denn der dritte Themen-
komplex, die gelebte Alltagskultur, soll unvoreingenommen beantwortet werden können. 2.
Interessant für die folgenden Themen ist die Frage nach kulturdifferenten Merkmalen in den Vorstellungen der Jugendlichen. Existieren die Kategorien „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ in ihren Gedanken? Gibt es stereotype Bilder und, wenn ja, wie werden diese gewertet? Um dies festzustellen, sollen die Jugendlichen benennen, was für sie typisch deutsch oder typisch türkisch ist. Diese Aussagen sind eng mit dem Kulturbegriff verbunden, sie geben Aufschluss darüber, wie die Jugendlichen Kultur verstehen.143 Wird Kultur von ihnen als etwas Statisches betrachtet? Fallen ihnen die Zuordnungen leicht? Verändert sich Kultur in ihrer Vorstellung und verändern sie Kultur selbst? Können sie überhaupt noch etwas „typisch Deutsches“ oder „typisch Türkisches“ benennen?
3.
Im dritten Bereich geht es mir um die gelebte Kultur im Alltag, also um die Kulturnähe. Auch diese Frage wird vielleicht von den Jugendlichen ganz anders eingeschätzt als es der Wirklichkeit entspricht. Denkbar ist, dass die Jugendlichen ihr Leben als der deutschen Kultur sehr nahe beschreiben und trotzdem zeigt sich eine Kulturnähe, die der türkischen Kultur verbunden ist. Auf der anderen Seite könnten sich Jugendliche zentral in der türkischen Kultur verorten, da es dem eigenen Wunschdenken oder dem der Eltern entspricht, und ein Nachfragen könnte viele Elemente der deutschen Kultur aufzeigen. Genaues Hinsehen und Hinterfragen ist ein zentrales Anliegen dieser Kategorie, eine explizite Selbsteinschätzung wird an dieser Stelle bewusst vermieden. Die Selbsteinschätzung wird im fünften Teil thematisiert. Die Frage nach der gelebten Kultur soll anhand von neun Unterkategorien konstruiert werden, ohne dass Äußerungen zur Selbsteinschätzung evoziert werden. Fragen nach Festen, Religion, Musik, Speisen, Sprache und Erziehungsstilen sollen die gelebte Kultur aufzeigen. Auch typische Begriffe wie „Ehre“ oder „Regelbewusstsein“ und der Stellenwert von „Pünktlichkeit“ werden hinterfragt.
4.
Im vierten Teil geht es um die Fremdwahrnehmung. Welche Kultur wird den Jugendlichen von außen zugeschrieben? Werden sie von ihrer Umwelt auf eine Nationalität begrenzt, als „Hybrid“ betrachtet oder werden sie in der Fremdwahrnehmung bei keiner Nationalität beheimatet. Gemeint ist hierbei nicht ihre eigene Selbsteinschätzung, sondern die von außen zuge-
143
Vgl. Kapitel 2.5.1 Definition des Begriffs „Kultur“ 34-36.
81
schriebene Verortung. Wichtig bei dieser Kategorie ist auch die Wertung, die die Jugendlichen den Fremdeinschätzungen zuschreiben, denn diese beeinflussen ihr Lebensmodell entscheidend. Allein die Aussage, dass sie in Deutschland als Ausländer betrachtet werden, muss nicht automatisch negativ konnotiert werden. Diese Aussage wird meines Erachtens in den meisten Diskussionen über Personen mit Migrationshintergrund unhinterfragt nachteilig bewertet. Nur die Nachfrage nach subjektiven Empfindungen und Wertungen bezüglich der Zuschreibungen kann hier interpretierbare Ergebnisse liefern. 5.
In der fünften Kategorie geht es um die Selbsteinschätzung der Befragten. Hierbei kann das Ergebnis durchaus mit den Aussagen aus dem dritten Themenkomplex divergieren. Nur die Trennung in diese zwei Bereiche kann ein detailliertes Ergebnis liefern. Die Jugendlichen sollen sich jetzt selbst einer Kultur zuordnen, sich dazwischen verorten oder als Vertreter keiner der Kulturen einstufen. An dieser Stelle meint „dazwischen“ nur die Verortung der Jugendlichen zwischen beiden Kulturen. Die Leitfrage nach dem Leben „mit“ oder „zwischen“ zwei Kulturen ist damit nicht beantwortet. Diese übergeordnete Frage ist durch die mögliche Teilnahme an beiden Kulturen und durch die individuelle Bewertung der Situation zu beantworten. Die Antworten erfordern, dass sich die Jugendlichen in reflektierender Weise mit dem Problem beschäftigt haben.
6.
Der letzte Themenbereich wertet die vorangestellten Aussagen. Gefragt wird nun nach den subjektiven Empfindungen ihrer Verortung, denn die Selbsteinschätzung kann sowohl positiv als auch negativ ausfallen. Herausgearbeitet werden soll, ob der Befragte sich durch die Verortung benachteiligt fühlt und ob er in der Möglichkeit, seiner Kultur bzw. Kulturen auszuleben, eingeschränkt wird. Gemeint sind hier Einschätzungen, die eine Zerrissenheit, eine Orientierungslosigkeit oder einfach eine subjektiv empfundene Belastung deutlich machen. Eine negative Selbsteinschätzung mündet im Lebensmodell „Leben zwischen zwei Kulturen“. Wird die Verortung der Jugendlichen nicht negativ gewertet, können dann vielleicht Vorteile durch die Bikulturalität angeführt werden? Entwerfen die Jugendlichen ein positives Selbstkonzept, so mündet dieses Konzept im Lebensmodell „Leben mit zwei Kulturen“.
Nach den Fragen muss der Befragte in geeigneter Form aus dem Gespräch entlassen werden. Ich werde den Jugendlichen im Ausklang die Möglichkeit geben, eigene Anliegen zu ergänzen oder einen ihnen wichtigen Sachverhalt zu vertie82
fen. Meistens wird diese Form des Nachhakens von den Jugendlichen genutzt, um ihnen wichtige Aspekte noch einmal hervorzuheben. Die Frage, ob in nachfolgenden Interviews etwas ergänzt werden sollte, oder ob sie selbstständig etwas ergänzen oder vertiefen wollen, soll den Jugendlichen genügend Spielraum zur freien Äußerung ermöglichen. 5.3.4 Grundprinzipien Der Leitfaden sollte den Prinzipen der Offenheit, Prozesshaftigkeit und der Kommunikativität verpflichtet sein. In der vorliegenden Studie geht es mir nicht darum, im Vorfeld entwickelte Theorien oder Hypothesen zu überprüfen. Primär geht es um subjektive Bedeutungen und individuelles Erfahren des Lebens mit oder zwischen zwei Kulturen. Daraus kann die Erkenntnis gewonnen werden, wie die Jugendlichen die Welt sehen. Offenheit muss in meiner Studie als ein vorherrschendes Kriterium verstanden werden. Der Leitfaden wurde so offen gestaltet, dass er wandelbar und offen für weitere Themen war. Die Befragten hatten während des Gesprächs kontinuierlich die Möglichkeit, für sie Relevantes zum Ausdruck zu bringen. Personen befinden sich in ständiger sozialer Interaktion. Sie verändern sich dadurch selbst, auch ihre Einstellungen verändern sich dadurch. Der Kultur- und der Identitätsbegriff werden als in ständigem Austausch stehend verstanden, deshalb ist das Prinzip der Prozesshaftigkeit von großer Wichtigkeit. Längsschnittstudien wären hierbei am besten geeignet, da diese aber in meinem Fall nicht möglich sind, behelfe ich mir mit retrospektiven bzw. zukunftsorientierten Fragen. Ursprünglich plante ich, dem Prinzip der Prozesshaftigkeit durch drei zeitlich unterschiedliche Kategorien gerecht zu werden. In einem ersten Schritt sollte der Status quo der Jugendzeit beleuchtet werden, da er den Jugendlichen am wenigsten Erinnerungsvermögen oder Abstraktionsfähigkeit abverlangt. Dem sollten sich Fragen zur frühen Kindheit, also zur Vergangenheit anschließen und als Ausblick sollte das Erwachsenenleben als Zukunftsvision entworfen werden. Der Zukunftsentwurf könnte Rückschlüsse über angestrebte zukünftige Kulturnähe zulassen. Um dem Prozesscharakter gerecht zu werden, berücksichtigt die vorliegende Arbeit die zeitlichen Kategorien weiterhin, jedoch nicht mehr als übergeordnete Instanz. Ein Aufbau, der die Verortung mit oder zwischen zwei Kulturen sukzessive vorbereitet, erschien mir schlüssiger als ein in Lebensphasen gegliederter Aufbau. Die Fragestellung durchzieht somit die aufgelisteten Themenkomplexe wie ein roter Faden.
83
Neben dem „Vergangenheits-Gegenwartsprozess“ ist der „Ich-Andere-Prozess“ relevant. Bedeutungen werden in Auseinandersetzung mit anderen Menschen und Kulturen ausgehandelt. Dieser Aushandlungsprozess ist für die Fragestellung relevant, da die Herkunft der Einstellungen der Jugendlichen interessant ist. Überlegungen, wie Freunde, Eltern oder weitere Sozialisationsinstanzen die Einstellungen der Jugendlichen beeinflussen sind hierbei von zentraler Bedeutung. Das dritte Prinzip ist die Kommunikativität. Ich war bemüht, Fragen im Interview nicht zu kompliziert zu formulieren. Sie sollten dem Alltagssprachgebrauch der Jugendlichen entspringen. Alltägliche Kommunikation ist oft von fließenden Übergängen, Überschneidungen und Einwürfen gekennzeichnet. Es erschien mir wichtig, Sprünge, Überschneidungen oder plötzliche Themenwechsel zuzulassen, auch wenn sie im ersten Eindruck chaotisch erschienen. Oft folgen die Jugendlichen einem eigenen, ihnen logischen Prinzip. Themen und Ideen generieren sich oft im Gespräch von selbst. Manche Antworten werden im Redefluss durchdacht und enden in einer ganz anderen Aussage als ursprünglich begonnen. So kann ein deutliches, anfänglich gedachtes „Nein“ im durchdachten ausgeführten „Ja“ enden. Jeder hat die Möglichkeit den Gesprächen eine völlig neue Richtung zu geben, daraus können interessante Erkenntnisse gewonnen werden.
84
5.3.5 Leitfaden zum Thema Warm up
Im Kurzfragebogen schreibst du, dass du X (z.B. 2006) das letzte Mal in der Türkei warst. Erzähle mal, was hast du da so gemacht?
Themenbereich 1: Wahrnehmung der zwei Kulturen – Heimatgefühle Türkei
Deutschland
Wie oft fährst du in die Türkei? Hast du noch Familienmitglieder in der Türkei? Verhalten sich deine Eltern in der Türkei dir gegenüber anders? Strenger – weniger streng?
Was machst du dort in deiner Freizeit? Hast du dort Freunde?
Î Freizeit wird im Bereich 2 betrachtet.
Was gefällt dir da besonders? Vermisst du etwas aus Deutschland, wenn du in der Türkei bist? Wie fühlst du dich dort? Fühlst du dich dort zu Hause? Fühlst du dich fremd?
Auf was freust du dich am meisten, wenn du von der Türkei nach Deutschland kommst? Fühlst du dich in Deutschland zu Hause? Was gefällt dir an Deutschland im Vergleich zur Türkei?
85
Themenbereich 2: Kulturdifferenz Was ist für dich typisch deutsch? Was ist für dich typisch türkisch? Themenbereich 3: Kulturnähe - gelebte Kultur im Alltag Unterkategorie: Feste Welche Feste feiert ihr? Unterkategorie: Essen Was ist dein Lieblingsessen? Unterkategorie: Religion Welcher Religion gehörst du an? Unterkategorie: Musik Welche Musik hörst du gerne? Welche Fernsehsender siehst du? (türkische oder deutsche Programme) Unterkategorie: Ehre Was bedeutet „Ehre“ für dich? Wie wichtig ist sie dir? Unterkategorie: Regeln – Vorschriften Wie gehst du mit Regeln, Vorschriften um? Unterkategorie: Pünktlichkeit Wie wichtig ist dir Pünktlichkeit? Unterkategorie: Familie – Erziehung Wie erziehen dich deine Eltern. Was ist ihnen wichtig? Was schätzt du am meisten an deiner Mutter – an deinem Vater? Wie würde für dich die beste Mutter, der beste Vater aussehen? Wie würden deine Eltern reagieren, wenn du mit einem deutschen Partner/mit einer deutschen Partnerin nach Hause kommst? Unterkategorie: Sprache Welche Sprache sprichst du mit deinen Eltern? Geschwistern? Welche Sprache sprichst du mit Freunden? Welche Freunde hattest du vor der Schulzeit? Welche Sprache hast du da gesprochen? 86
Themenbereich 4: Fremdwahrnehmung Wie sehen dich die Deutschen? Wie sehen dich die Türkinnen/Türken? Gibt es einen Unterschied, wie dich die Türkinnen/Türken hier und in der Türkei sehen? Themenbereich 5: Selbstwahrnehmung Wie siehst du die Deutschen? Wie siehst du die Türken in der Türkei? Was bist du? Bist du eher deutsch, türkisch, beides oder keines von beidem? Themenbereich 5: Bewertung - Lebensmodell Bist du zufrieden mit der Situation? Wirst du manchmal benachteiligt? Bringt dir deine andere Kultur auch manchmal Vorteile? Unterkategorie: Zukunftsvision – Vertiefung der Bewertung Was sind deine Pläne für die Zukunft? Wo möchtest du leben? Würdest du bei der Kindererziehung deiner eigenen Kinder etwas anders machen? 5.3.6 Kurzfragebogen Name: Vorname: Anschrift:
Geburtsdatum: Geburtsort: Nationalität:
Seit wann bist du in Deutschland? Name des Vaters: Beruf des Vaters: Nationalität des Vaters:
Name der Mutter: Beruf der Mutter: Nationalität der Mutter:
Seit wann sind deine Eltern in Deutschland? Wie häufig fahrt ihr in die Türkei? Wann wart ihr das letzte Mal in der Türkei?
87
5.3.7 Durchführung Aus den theoretischen Überlegungen konzipierte ich meine vorläufigen Arbeitskategorien und Themenschwerpunkte. In einem ersten Durchgang interviewte ich mehrere Jugendliche im Alter zwischen 14 und 16 Jahren. Auf der Grundlage dieser „Vorab-Gespräche“ entwarf ich meinen Leitfaden. Anhand von mehreren Probeinterviews testete ich, inwiefern der Leitfaden von den Jugendlichen verstanden wird oder ob der Abstraktionscharakter des Leitfadens eine weitere Veranschaulichung notwendig machte. Der Leitfaden wurde vor der Durchführung der vorliegenden Interviews noch ein weiteres Mal transformiert. Von allen sieben Jugendlichen wurde die Schule als Durchführungsort der Untersuchung gewählt. Die Gespräche fanden in der unterrichtsfreien Zeit ohne Teilnahme weiterer Jugendlicher statt. Alle Interviews wurden mithilfe des Notebooks aufgezeichnet. Die Schule, die die Jugendlichen besuchen, befindet sich in einer ländlichen Region, allerdings in Nachbarschaft eines Autowerkes und anderen größeren Industriebetrieben. Die Gemeinde weist knapp 3000 Einwohner auf. Die Grundund Hauptschule wird von ca. 400 Schülerinnen und Schülern besucht. Während die Grundschule in allen Klassenstufen zweizügig ist, bestehen in der Hauptschule nur noch in den Klassenstufen 5, 6, und 9 Parallelklassen. Die Klassenstärke ist mit 18 Schülerinnen und Schülern überschaubar. Der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund an der Schule beträgt im Hauptschulbereich ungefähr 50 Prozent, wobei die türkischen Schülerinnen und Schülern die größte Gruppe darstellt. 5.3.8
Transkription
Ziel der Transkription ist es, Worte mit Hilfe von Schrift dauerhaft festzuhalten. In fixierter und dadurch unvergänglicher Form soll dargestellt werden, was wer wie unter welchen Umständen gesagt hat.144 Unter der Kodierung versteht man semantische, syntaktische und pragmatische Kategorien, die bei der Transkription berücksichtigt werden müssen. Spezifizierungen, die zur Formatierung des Textes wichtig sind, sogenannte Markups, können bei der Auswertung dienlich sein. Das Design eines Notationssystems hat eine beträchtliche Auswirkung für die Beschreibung und Erklärung sprachlich-kommunikativer Erscheinungen. Die authentische Abbildung in verschrift144
Vgl. Dittmar, N., Transkription 78.
88
lichter Form würde ihre Ziele verfehlen, wenn die Transkriptionskategorien schlecht gewählt wären. Dittmars Lehrbuch gibt einen Überblick über verschiedene Transkriptionssysteme. Er formuliert grundlegende Leitfragen für die Auswahl eines Transkriptionssystems.145 Ich habe mich für ein einfaches Transkriptionssystem von Christa Hoffmann-Riem entschieden, da es Auffälligkeiten der Sprache und paraverbale Äußerungen deutlich macht sowie Pausen und Zögern sichtbar werden lässt. Dialektfärbungen werden in meiner Transkription in gebräuchlicher Sprache wiedergegeben, um das Lesen zu vereinfachen. Der Dialekt ist nicht selbst Untersuchungsgegenstand. Sprachliche Auffälligkeiten werden nicht korrigiert, um die Authentizität des Gespräches zu wahren. Pausenfüller, Wortfragmente und Ellipsen werden in der Niederschrift verzeichnet, da sie Hinweise auf Verzögerungen und Unsicherheiten geben. Zeichen .. ... .... ...... /eh/, /ehm/ ((Ereignis)) ((lachend)) ((erregt)) ((verärgert)) sicher sicher () (so schrecklich?)
Bedeutung kurze Pause mittlere Pause lange Pause Auslassung Planungspausen nicht-sprachliche Handlungen, z.B. ((Schweigen)) ((zeigt auf ein Bild)) Begleiterscheinungen des Sprechens (die Charakterisierung steht vor den entsprechenden Stellen) auffällige Betonung, auch Lautstärke gedehntes Sprechen unverständlich nicht mehr genau verständlich, vermuteter Wortlaut
Transkriptionsregeln nach Hoffmann-Riem
Bei den erhobenen Interviewtexten soll das Überindividuell-Gemeinsame ausgearbeitet werden. Grundlage hierfür sind die transkribierten digitalen Aufnahmen. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt, dass es keine eindeutige Interpretation von Texten gibt. Jedes Interview kann um weitere Interpretationen ergänzt werden. Bei qualitativen Studien besteht immer die Gefahr, dem Leser eine Repräsentativität der Ergebnisse zu suggerieren. Wenn ich die Ähnlichkeiten der Ergebnisse aufzeige, geschieht das nicht, um eine Repräsentativität vorzutäu145
Vgl. Dittmar, N., Transkription 80-82.
89
schen und um Rückschlüsse auf die gesamtgesellschaftliche Verteilung zu ziehen. Das Gewicht des Befundes innerhalb des Samples kann allerdings zu repräsentativ angelegten Studien anregen.
90
6 Auswertung 6.1 Die qualitative Inhaltsanalyse Ziel der Inhaltsanalyse ist es, Kommunikationsinhalte wissenschaftlich zu untersuchen. Mit dieser Methode wurden Anfang des 20. Jahrhunderts überwiegend Inhalte aus Massenmedien ausgewertet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rückte die Analyse der Aufzeichnungen von Interviews, die mit Intention geführt wurden, in den Mittelpunkt. Die Inhaltsanalyse kann also zur Untersuchung von Texten eingesetzt werden. Dabei wird ein Transformationsprozess des Ausgangsmaterials durchgeführt. Das Material soll kodiert, strukturiert und interpretiert werden. Durch diesen Transformationsprozess soll die Komplexität und die Breite des Ausgangsmaterials auf das Wesentliche reduziert werden, wobei die Qualität darunter nicht leiden darf. Im Folgenden sollen in aller Kürze die methodischen Gütekriterien aufgezeigt werden. Die Inhaltsanalyse ist systematisch, das heißt, sie ist analytisch und daher jeder subjektiven Interpretationsbeliebigkeit entzogen. Die Schritte der Auswertungsmethode müssen nachvollziehbar sein. Alle Aussagen werden in meiner Arbeit durch Ankerbeispiele belegt und sind durch die gekennzeichneten Fundstellen rasch aufzuspüren. Zur Vertiefung des Verständnisses werden manche Aussagen durch zusätzliche Explikationen ergänzt, die wiederum anhand der Fundstellen gekennzeichnet sind. Der wichtigste Validitätsnachweis ist der Theoriebezug. Die Inhaltsanalyse erfolgt theoriegeleitet, sie steht in einem theoretischen Bezugsrahmen. In meiner Arbeit leiten sich die Kategorien aus dem Theorieteil, den Kapiteln 2 und 4, ab. Die Inhaltsanalyse ist regelgeleitet, denn aufgestellte Regeln schreiben vor, wie die Transformation des Ausgangsmaterials erfolgen soll. In dieser Arbeit ist der Auswertungstabelle eine Arbeitstabelle, die Strukturierungsdimension, vorangestellt, die die Ausprägungen definiert und Auskunft über die Kodierung gibt.146 Nach Mayring ist die Inhaltsanalyse dreistufig: In der ersten qualitativen Phase stehen die Entwicklung von Fragestellungen, Begriffen, Kategorien und Analyseinstrumenten im Vordergrund. Die zweite Phase ist eine qualitative oder quantitative Phase, in welcher der Forscher das Instrumentarium je nach Gegenstand und Ziel der Analyse anwendet. Meine Auswertungstabelle entspricht der qualitativen Anwendung. In der dritten Phase erfolgt die qualitative Analyse in einem Rückbezug der Ergebnisse auf die Fragestellung. 146
Die Analysetabelle mit Bearbeitung und Extraktion der Fundstellen befindet sich im Anhang.
91
6.1.1 Die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse Im Umgang mit Daten, die zur Interpretation zur Verfügung stehen, kann man auf drei grundlegende Interpretationsarten zurückgreifen. Mayring betont, dass sich die bekanntesten Analyseverfahren der drei Grundformen Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung bedienen. Auf eine vertiefende Ausführung möchte ich verzichten und verweise auf Mayrings Übersicht.147 Die Grundformen verfolgen zwar alle das Ziel, nähere Informationen über das Ausgangsmaterial zutage zu fördern, jedoch mit unterschiedlichem Schwerpunkt. Während die Zusammenfassung primär das Reduzieren auf den wesentlichen Inhalt des Materials in den Vordergrund stellt, versucht die Explikation weiteres Material zu bestimmten Textteilen beizutragen. Das Verständnis soll so erweitert und erklärt werden. Für mein Vorhaben erschien mir die Strukturierung am sinnvollsten. Bei dieser Form des Interpretierens wird das Material auf der Basis bestimmter zuvor festgelegter Kriterien untersucht. Eine bestimmte Struktur soll aus dem Material herausgearbeitet werden. Diese Grundform bedient sich dabei eines Kategoriensystems, das zuvor an den Text herangetragen wird. Es leitet sich aus der Fragestellung ab. Textstellen, die durch dieses Kategoriensystem angesprochen werden, werden extrahiert. Diese „Ankerbeispiele“ erscheinen dann als Beispiele für die Kategorien. Kodierregeln werden formuliert, wenn keine eindeutigen Zuordnungen möglich sind. Der eigentliche Durchgang durch das Material unterteilt sich in das Bezeichnen, Bearbeiten und Extrahieren von Fundstellen. Anschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und aufgearbeitet. Je nach Ausdifferenzierung der Strukturierungsdimension und der Ergebnisaufbereitung untergliedert sich die Strukturierung in vier weitere Teilbereiche. Die formale Strukturierung untersucht die innere Dimension des Materials zum Beispiel nach Satzkonstruktionen, semantischen Netzwerken oder Argumentationsstrukturen. Die skalierende Strukturierung versucht das vorhandene Material auf einer Ordinalskala abzubilden. Die Strukturierungsdimensionen sind Variablen mit verschiedenen Ausprägungen zum Beispiel viel – mittel – wenig. Die Ergebnisse werden dann nach Häufigkeiten und Kontingenzen quantitativ untersucht. Diese Vorgehensweise eignet sich sehr gut bei Fragestellungen, die einen Sachverhalt mit ausschließenden Kategorien betreffen. Die Ausprägungen meiner Untersuchung stehen aber nicht ausschließlich in ordinalem Verhältnis, somit kann der Text kein ausreichendes Material zu den Ausprägungen liefern. 147
Vgl. Mayring, P., Qualitative Inhaltsanalyse 53.
92
Die typisierende Strukturierung versucht das Material mithilfe von markanten Bedeutungsgegenständen zu bearbeiten. Es werden „Prototypen“ ausgewählt, die genau analysiert werden. 148 Die Gefahr, das Material zu verallgemeinern und zu verzerren, besteht hier in besonderem Maße, daher erschien mir die inhaltliche Strukturierung für mein Vorhaben geeigneter. Die inhaltliche Strukturierung erarbeitet bestimmte Themen, Inhalte und Aspekte aus dem Datenmaterial. Die Inhalte, die extrahiert werden sollen, leiten sich aus der Fragestellung ab und werden durch Kriterien strukturiert. Das Material wird durch Paraphrasen in Kategorien zusammengefasst. 6.1.2
Legende zur Analysetabelle
< Text > Anmerkung der Autorin zur Verdeutlichung der Aussage, die kontextlos missverstanden oder nicht verstanden werden könnte. […]
Auslassung, Interviewstelle wurde gekürzt.
(( ))
Paraverbale Äußerungen wie zum Beispiel Lachen, Seufzen etc.
()
undeutlich gesprochen
..
kurze Pause
…
lange Pause
(!!!)
Achtung hier wird besonders darauf hingewiesen.
Text
deutliche Betonung
Auf der Grundlage von Hoffmann-Riem erweiterte Transkriptionsregeln
148
Vgl. Mayring, P., Qualitative Inhaltsanalyse 84.
93
6.1.3 Konstruktion einer geeigneten Strukturierungsdimension
Heimat
Variable
94
Ausprägung
Definition
Meine Heimat ist Deutschland
Die Person fühlt sich in Deutschland nicht fremd. Sie empfindet ein Gefühl von Dazugehörigkeit und Verbundenheit. Die Person ist integriert und findet verschiedene Anknüpfungspunkte in Deutschland für das eigene Leben. Sie nimmt am Leben in Deutschland teil und gestaltet das Leben mit. Sie lebt gerne in Deutschland. Sie spricht und versteht die deutsche Sprache.
Meine Heimat ist die Türkei
Die Person fühlt sich in der Türkei zu Hause. Sie fühlt sich in Deutschland fremd. Sie empfindet kein Gefühl des Fremdseins in der Türkei. Sie fühlt sich mit der Türkei verbunden. Die Person vermisst die Türkei, wenn sie in Deutschland ist. Sie möchte gerne dauerhaft in der Türkei leben. Die Person spricht und versteht die türkische Sprache.
Meine Heimat ist Deutschland und die Türkei
Die Person nimmt am Leben in Deutschland und am Leben in der Türkei teil. Die Gewichtung ist bewusst nicht mit „gleichermaßen“ beschrieben, da die zeitliche Aufenthaltsdauer stark variiert. Die Person fühlt sich da wohl, wo sie sich gerade aufhält, und kann nicht entscheiden, wo sie lieber leben möchte. Sie fühlt sich in keinem Land fremd und findet in beiden Ländern Anknüpfungspunkte für das eigene Leben. Sie spricht beide Sprachen und kann sie gut verstehen.
Heimatgefühle besitze ich nicht
Die Person fühlt sich in Deutschland und in der Türkei fremd oder empfindet keine Heimatgefühle. Sie empfindet in keinem Land ein Gefühl der Dazugehörigkeit. Die Person findet in keinem Land Anknüpfungspunkte für die Gestaltung des eigenen Lebens.
Ankerbeispiele
Kodierregeln
„Eher in Deutschland, weil ich bin ja hier geboren und ... hier kann ich irgendwie mit .. mit der Umwelt, kann ich besser umgehen, als in der Türkei.“
Es müssen nicht alle Aspekte der Definition angesprochen werden, aber ein Aspekt muss deutlich in Richtung „Deutschland“ im Gegensatz zur Türkei verweisen. Wird kein Aspekt explizit ausgesprochen trifft Kodierung „Heimat Türkei“, oder „keine Heimatgefühle“ zu.
„In Türkei /eh/, weil da alle meine Verwandten sind, hier habe ich drei Tanten, einen Onkel und dort ist mein Opa, alle meine komplette Familie.“
Es müssen nicht alle Aspekte der Definition angesprochen werden, aber die Person muss deutlich Dinge benennen, die für das Leben in der Türkei, im Gegensatz zu Deutschland, sprechen. Der Aspekt „fühlt sich nicht fremd in der Türkei“ muss näher untersucht werden. Fühlt sich die Person in Deutschland auch nicht fremd, verweist der Aspekt auf die Kategorie „Heimatgefühle für Deutschland und die Türkei.“ Fühlt sie sich in Deutschland fremd, aber in der Türkei nicht, verweist der Aspekt auf diese Kategorie. Wird kein eindeutiger Aspekt angesprochen, trifft Kodierung „Heimat Deutschland“ oder „keine Heimatgefühle“ zu.
„Ich fühl mich beides halt zu Hause, weil ich bin hier geboren, aber meine Wurzeln liegen ja halt in der Türkei, weil meine Eltern in der Türkei geboren sind und .. ich fühl mich .. genauso hier in Deutschland da zu Hause, wie auch in der Türkei, also bei mir gibt’s keine Unterschiede.“
Es werden Aspekte angesprochen, die in Richtung „Deutschland“ und in Richtung „Türkei“ zielen. Die Person muss die Frage nach dem Wunschort mit beiden möglichen Ländern beantworten oder sie muss deutlich machen, dass sie kein Land deutlich bevorzugen würde. Die Aussagen müssen nicht in einem Redebeitrag erfolgen, also nicht explizit bei einer Frage ausgesprochen werden. Die Aspekte, die sich auf eine Frage beziehen und auf zwei Länder verweisen, werden dann in der Tabelle in der Spalte „Ankerbeispiele“ untereinander, jedoch in derselben Zeile aufgelistet. Die Person darf sich in keinem der Länder fremd fühlen. Alle Fragen zu Heimatgefühlen werden negiert. Die Person kann mit dem Begriff Heimat nichts anfangen.
95
Kulturnähe
Kulturdifferenz
Variable
96
Ausprägung
Definition
Kategorien „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ sind vorhanden
Die Person unterscheidet deutlich zwischen „typisch für die Deutschen“ und „typisch für die Türken“. Die Person kann zu den Kategorien Zuordnungen vornehmen und Beispiele nennen.
Kategorien „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ sind nicht vorhanden
Die Person unterscheidet nicht deutlich zwischen „typisch für die Deutschen“ und „typisch für die Türken“.
Person steht im Alltag der deutschen Kultur näher
Die Person unterscheidet in den Unterkategorien zwischen der deutschen und der türkischen Kultur. Unterkategorien sind: Feste, Sprache, Musik, Religion, Traditionen, Ehre, Pünktlichkeit, Regeln, Essen, Erziehung, Rolle des Vaters, Rolle der Mutter. Die Person bezieht bei einzelnen Unterkategorien deutlich Stellung zugunsten der deutschen Kultur.
Ankerbeispiele
Kodierregeln
„Also so typisch türkisch zum Beispiel, wenn eine Schlägerei ist, dann ist der gleich hilfsbereit und kommt, hilft jemand. So in der Art. Und bei den Deutschen ist, dass er sich eher raus hält und also .. , dass er sich nicht direkt einsetzt.“
Voraussetzung für das Unterscheiden der beiden Kulturen ist die Kulturdifferenz: Können bestimmte Merkmale als typisch deutsch oder typisch türkisch kategorisiert werden? Die Person muss deutlich mehrere Unterschiede benennen können. Sie muss eindeutige Zuordnungen vornehmen. Die Zuordnungen können in äußeren und inneren (Charaktereigenschaften) Merkmalen bestehen. Die Kategorie kann auch einzeln aufgelistet werden, falls nur „typisch deutsch“ oder nur „typisch türkisch“ genannt wird und nur Eigenschaften für eine Kategorie gefunden werden.
„Nein, so was gibt es bei mir eigentlich nicht typisch deutsch oder so, weil, .. weiß nicht jeder, .. jeder Mensch macht irgendwas, da kann man nicht sagen, .. jeder Mensch macht ja irgendwas, da kann man ja nicht sagen typisch deutsch oder so.“
Die Person findet keine Unterschiede und kann auch keine typischen Zuordnungen vornehmen.
„Eine sehr große Rolle /ehm/ zum Beispiel, bei uns, ich will jetzt die Türkei jetzt nicht schlecht machen oder so, aber da gibt es wirklich gar keine, wenn man einen Termin ausmacht, kommen sie entweder eine, fast eine Stunde zu spät und irgendwie, ja.“
Die Stellungnahme muss nicht bewusst ausgesprochen werden, sie kann auch durch das Gesagte passiv auswertend vorgenommen werden. Eine positive Konnotation der Begriffe Pünktlichkeit und Regeln wird in dieser Kategorie deutlich. Zuordnungen werden nur vorgenommen, wenn sie eindeutig sind. Kann keine eindeutige Zuordnung vorgenommen werden, wird entweder AN (andere Nationalität, zum Beispiel beim Essen oder bei der Musik), KW (keine Wertung, zum Beispiel bei keiner klaren Bewertung des Begriffes der Pünktlichkeit) oder XX (allgemeingültiger Erziehungsstil, zum Beispiel, wenn das Beste für das Kind gewünscht wird) vermerkt.
97
Fremdwahrnehmung
Variable
98
Ausprägung
Definition
Person steht im Alltag der türkischen Kultur näher
Die Person unterscheidet in den Unterkategorien zwischen der deutschen und der türkischen Kultur. Unterkategorien sind: Feste, Sprache, Musik, Religion, Traditionen, Ehre, Pünktlichkeit, Regeln, Essen, Erziehung, Rolle des Vaters, Rolle der Mutter Die Person positioniert sich bei einzelnen Unterkategorien in der türkischen Kultur.
Person wird in Deutschland als Ausländer wahrgenommen
Die Person hat das subjektive Empfinden, als Ausländer/Ausländerin wahrgenommen zu werden oder kann auf Erfahrungen zurückgreifen, in denen er/sie als Ausländer/Ausländerin bezeichnet wurde.
Person wird in Deutschland nicht als Ausländer wahrgenommen
Die Person hat nicht das subjektive Empfinden, als Ausländer/Ausländerin wahrgenommen genommen zu werden oder kann auf keine Erfahrungen zurückgreifen, in denen er/sie als Ausländer/Ausländerin bezeichnet wurde.
Ankerbeispiele
Kodierregeln
„Also von den Türken die zwei Bayrams, einmal Seker-Bayram und einmal Kurban-Bayram. Und von den Deutschen .. Sylvester, das machen aber auch Türken, aber auch die deutsche Art so, so mit Raketen und so, das macht man in der Türkei nicht.“
Die Stellungnahme muss nicht bewusst ausgesprochen werden, sie kann auch durch das Gesagte passiv auswertend vorgenommen werden. Wird dem Begriff der Ehre eine zentrale Wichtigkeit eingeräumt wird der Beitrag dieser Kategorie zugewiesen. Zuordnungen werden nur vorgenommen, wenn sie eindeutig sind. Kann keine eindeutige Zuordnung vorgenommen werden, wird entweder AN (andere Nationalität, zum Beispiel beim Essen oder bei der Musik), KW (keine Wertung, zum Beispiel bei keiner klaren Bewertung von Begriffen) oder XX (allgemeingültiger Erziehungsstil) vermerkt.
„[…] Meine Nachbarn sehen mich auch als ein sehr netter Mensch .. halt ein Türke. ... Ja.“
Die Aussagen können sich auf das Verhalten, Aussehen oder auf den Sprachgebrauch beziehen, es kann aber auch nur ein subjektives Gefühl sein, als Ausländer bzw. Ausländerin wahrgenommen zu werden. Die Aussage kann wertneutral (KW = keine Wertung) oder gewertet vorgenommen werden. Die Wertungen werden für das Lebenskonzept wichtig. Sie werden getrennt in der Spalte Explikation aufgelistet.
„[…] die sehen eigentlich, die denken eigentlich immer, ich bin, also vom Reden her bin ich Deutsche, die würden es mir nie anerkennen, dass ich Türke, Türkin gewesen wär, wenn sie nur meine Stimme hören.“
Die Aussagen können sich auf das Verhalten, Aussehen oder auf den Sprachgebrauch beziehen. Es kann aber auch nur ein subjektives Gefühl sein, nicht als Ausländer bzw. Ausländerin wahrgenommen zu werden.
99
Selbstwahrnehmung
Variable
100
Ausprägung
Definition
Person wird in der Türkei als Ausländer wahrgenommen
Die Person hat das subjektive Empfinden, als Ausländer/Ausländerin wahrgenommen zu werden oder kann auf Erfahrungen zurückgreifen, in denen er/sie als Ausländer/Ausländerin bezeichnet wurde.
Person wird in der Türkei nicht als Ausländer wahrgenommen
Die Person hat nicht das subjektive Empfinden, als Ausländer/Ausländerin wahrgenommen zu werden oder kann auf keine Erfahrungen zurückgreifen, in denen er/sie als Ausländer/Ausländerin bezeichnet wurde.
Ich sehe mich selbst als Deutsche/ als Deutscher
Die Person unterscheidet zwischen der deutschen und der türkischen Kultur. Die Person siedelt sich eher bei der gelebten deutschen Kultur an und kann diese Verortung auch begründen.
Ich sehe mich selbst als Türkin/ als Türken
Die Person unterscheidet zwischen der deutschen und der türkischen Kultur. Die Person siedelt sich eher bei der gelebten türkischen Kultur an und kann diese Verortung auch begründen.
Ich sehe mich teils als Deutsche/ als Deutscher und teils als Türkin/ als Türke.
Die Person unterscheidet zwischen der deutschen und der türkischen Kultur und siedelt sich in der Mitte an. Die Person findet Ansatzpunkte in der deutschen und in der türkischen Kultur.
Ich sehe mich weder als Deutsche/ Deutschen noch als Türkin/ Türken
Die Person unterscheidet zwischen der deutschen und der türkischen Kultur, siedelt sich aber bewusst bei keiner Seite an. Oder die Person unterscheidet nicht zwischen deutscher und türkischer Kultur.
Ankerbeispiele
Kodierregeln
„Ja, das auf jeden Fall, .. die denken, dass wenn man in Deutschland lebt, dass man sehr viel Geld hat, dass man reich ist und wenn ich dort bin, kennt mich jeder als Reicher, obwohl ich auch hier selber gerade unser Geld verdienen zum Überleben.“
Die Aussagen können sich auf das Verhalten, Aussehen oder auf den Sprachgebrauch beziehen. Es kann aber auch nur ein subjektives Gefühl sein, als Ausländer bzw. Ausländerin wahrgenommen zu werden. Die Aussage kann wertneutral (KW = keine Wertung), oder gewertet geäußert werden. Die Wertungen werden für das Lebenskonzept wichtig. Sie werden getrennt aufgelistet.
Die Aussagen können sich auf das Verhalten, Aussehen oder auf den Sprachgebrauch beziehen, es kann aber auch nur ein subjektives Gefühl sein, nicht als Ausländer bzw. Ausländerin wahrgenommen zu werden. „Ich glaub, ich bin eher deutsch.“
In diese Kategorie fallen nur Beiträge, wenn die Person sich nur in der deutschen Kultur verortet sieht.
In diese Kategorie fallen nur Beiträge, wenn die Person sich nur in der türkischen Kultur verortet sieht.
„J a , sagen wir 80% schon türkisch. .. So .. und die 20% schon eher deutsch.“
In diese Kategorie fallen alle Beiträge, bei denen sich die Person bei beiden Kulturen verortet sieht. Die Gewichtung ist irrelevant, aber beide Seiten müssen explizit genannt werden.
In diese Kategorie fallen Beiträge, bei denen die Person bewusst beide Zuschreibungen negiert. Dies könnte der Fall sein, wenn die Person die Verortung an keiner Nationalität festmacht oder aber sich bei keiner der beiden Nationalitäten verorten kann.
101
Lebensmodell
Variable
102
Ausprägung
Definition
Leben mit zwei Kulturen
Die Person lebt mit zwei Kulturen und empfindet sich dadurch nicht benachteiligt. Die Person empfindet sich in der Auslebung der Kulturen nicht eingeschränkt. Sie ist nicht orientierungslos oder wurzellos. Die Person ist mit der Lebenssituation zufrieden. Sie sieht durch das Leben mit zwei Kulturen keine persönlichen Nachteile, eher Vorteile.
Leben zwischen zwei Kulturen
Die Person lebt zwischen zwei Kulturen und empfindet sich dadurch in einer benachteiligten Position. Die Person empfindet sich in der Auslebung der Kulturen eingeschränkt. Sie ist orientierungslos oder wurzellos. Sie ist mit der Lebenssituation unzufrieden und sieht sich durch diesen Sachverhalt mit Problemen konfrontiert.
Ankerbeispiele
Kodierregeln
„Es ist eher ein Vorteil, also es wurde bis jetzt immer, eigentlich war es immer sehr gut, also Nachteile hatte ich bis jetzt nicht so viele.“
Es müssen nicht alle Aspekte der Definition angesprochen werden, aber ein Aspekt muss deutlich in Richtung „mit zwei Kulturen“ im Gegensatz zu „zwischen zwei Kulturen“ weisen.
Es müssen nicht alle Aspekte der Definition angesprochen werden, aber ein Aspekt muss deutlich in Richtung „zwischen zwei Kulturen“ im Gegensatz zu „mit zwei Kulturen“ weisen.
103
6.2 Resümee Im Folgenden werden einzelne Interviewpassagen aus der Analysetabelle mit der Auswertung verwoben. Die vollständige Auswertungstabelle mit den bearbeiteten und extrahierten Fundstellen befindet sich im Anhang. Ausgangsfrage der qualitativen Untersuchung war die Verortung türkischer Jugendlicher in Deutschland. Durch die Darstellung der Selbstwahrnehmung und der Einschätzung der Fremdwahrnehmung sollte eine Identitätskonstruktion entworfen werden, die zwischen zwei Lebensmodellen unterscheidet. Der Unterschied in den Modellen besteht in dem individuell subjektiv entworfenen Gesamtkonzept im Hinblick auf den Umgang mit den unterschiedlichen Kulturelementen. Die Frage nach dem Lebensmodell impliziert eine Reihe von Teilfragen, die sich auf das Zusammenwirken der unterschiedlichen Kulturelemente beziehen. Existieren überhaupt noch Kategorien in den Vorstellungen der Jugendlichen, die sich auf die verschiedenen Kulturen beziehen? Die Existenz oder das Fehlen von kulturdifferenten Merkmalen sollte zur Klärung des Kulturbegriffes der Jugendlichen führen. Interessant hierbei war die Frage, ob die Jugendlichen beide Kulturen klar trennen, indem sie Eigenschaften und Verhaltensweisen als „typisch deutsch“ oder „typisch türkisch“ bezeichnen. Werden Bilder von Dingen und Eigenschaften, die „typisch türkisch“ oder „typisch deutsch“ sind, transportiert? Findet daraus resultierend eine Akkumulation verschiedener Kulturteile statt? Stehen sich isolierte Elemente unvereinbar gegenüber? Vermischen sich die Kulturen transkulturell zu neuen Kulturformen? Im Zentrum der Untersuchung standen Bereiche, die den Alltag der Jugendlichen betreffen. Die gelebte Kulturnähe wurde anhand der Unterkategorien Feste, Religionsvorstellungen, Musik, Essen, Sprache und Erziehung untersucht. Wichtig waren auch Vorstellungen und Assoziationen zu den Begriffen Ehre, Regeln und Pünktlichkeit. 6.2.1 Heimat Heimat wurde aufgrund von Zuschreibungen, die ein Zuhause kennzeichnen, festgemacht. Heimisch fühlt man sich dort, wo man gerne lebt, wo man am Leben der Gesellschaft teilnehmen kann. Die Verbundenheit gegenüber Leuten oder dem Land kann zu Heimatgefühlen führen. Gefragt wurde, wo sich die Personen „daheim“ fühlen, welches Land sie als ihr „Zuhause“ beschreiben würden. Auch die Frage, ob sie sich in einem der beiden Länder, in beiden oder in keinem der Bezugsländer fremd oder vertraut fühlen, sollte zu einer Vorstellung von Heimat führen. In den wenigsten Fällen wurde explizit nach dem Begriff „Heimat“ gefragt, um zu verhindern, dass ein durch Bezugspersonen emotional
104
gefärbtes oder erwünschtes Bild abgerufen wird. Schließlich kann die Frage, ob die Personen beim Aufenthalt im anderen Land etwas vermissen, die Vorstellung von Heimat schärfen. Hierbei zeigten sich Heimatgefühle bei allen Interviewpartnern. Keine Person fühlte sich in keinem Land beheimatet. Vier Personen sehen Deutschland als Heimat an. Diese Heimatgefühle begründen sich auf die in Deutschland bestehenden Freundschaften, den Geburtsort und das Aufwachsen in Deutschland, auf die Familie und auf die Sprache. Die folgenden Textpassagen beziehen sich auf das Leben in Deutschland im Vergleich zur Türkei. „Hier habe ich mehr Freunde und hier habe ich einfach mehr Möglichkeiten in der Freizeit irgendetwas zu machen. Außer eben ans Meer zu gehen oder zu Verwandten. Dadurch .. mehr Chancen einfach.“ (A1/3:53) „Es ist ( ), Deutschland ist eigentlich meine Heimat, weil ich bin hier aufgewachsen und irgendwie fehlt da was.“ (A2/1:50) „Ich bin hier aufgewachsen und dadurch hab ich hier auch viel mehr Freunde und ( ) hier in Deutschland sind wir mit der Familie viel enger zusammen, wir sehen uns fast Tag täglich und ich hab zwar auch eine Familie in der Türkei, aber das sind eben nur die Cousins, zum Beispiel von meinen Eltern und ja, ich weiß nicht, da fehlt halt irgendwie der Zusammenhalt und alles.“ (A2/2:13) „Also hier gefällt es mir, ich will auch nicht weg hier, weil .. Deutschland ist einfach irgendwo, ich bin halt hier geboren, die Sprache kann ich besser sprechen.“ (A1/15:11)
Ein Jugendlicher fühlt sich in der Türkei fremd. Ursachen für dieses Gefühl sieht er in den fehlenden Freundschaften sowie in seinem Äußeren, das ihn dort als „Ausländer“ erscheinen lässt. „Ja, eher fremd. Mein Aussehen ist mehr so deutsch. Als ich dort war, haben die gedacht, dass ich Deutscher bin.“ (A1/2:37) „Freunde in der Türkei habe ich, sage ich mal nicht.“ (A1/00:44)
Alle anderen Jugendlichen, die Deutschland als Heimat angaben, fühlen sich nicht fremd in der Türkei. Die Türkei wird dann als Urlaubsort gesehen. „Ja, für in der Türkei macht es für Ferien Spaß, aber wenn wir dort lange sind, ist es auch manchmal langweilig.“ (N1/13:41)
105
„Natürlich würde ich auch, .. also Urlaub zu Türkei fahren. Das ist kein Problem.“ (A1/15:11)
Zwei Personen gaben Heimatgefühle für beide Länder an. Davon kann eine Person für beide Länder Vorlieben benennen. In Deutschland schätzt man die vorhandenen Rechte und Gesetze, aber auch die Sprache und die vorhandenen Freunde. In der Türkei präferiert man das Klima und die Kultur, wobei die Kultur als Lebensstil beschrieben wurde. „Da fehlt mir halt /eh/ die Wärme, weil es hier in Deutschland nicht so warm ist, wie in der Türkei, dann fehlt mir einfach die Kultur, /eh/ meine Verwandten, die dort leben, die vermisse ich also, wenn ich hier her komme und wenn man halt ne gewisse Zeit dort sich eingelebt hat, in ein paar Wochen, deshalb gerade der Anfang, wenn man sich dort gerade so richtig wohl fühlt, dann kommt man ja gerade wieder nach Deutschland zurück und das fällt einem sehr schwer, weil man sich dort dann gerade eingelebt hat, und das fällt dann halt schwer, dass man zurückreist.“ (K1/3:13)
Die Vorstellung vom Lebensstil in der Türkei wird in diesem Fall idealisiert. Er wird als freier, spannender und lustvoller verstanden, da dort die Personen nicht unbedingt arbeiten müssten. „Das ist halt so spannender, nicht so, wie soll ich sagen, in Türkei ( ) lebt man halt nach dem freien Stil, lebt man nicht so in Deutschland, da muss man halt nicht so zur Arbeit, wie die meisten hier zur Arbeit gehen, dort lebt man einfach so nach Lust, wie man dort halt Lust hat.“ (K1/4:39)
Interessant war hierbei, dass sich die Kulturnähe der Person je nach Aufenthaltsort verändert. Die Person unterscheidet zwischen dem „Zuhause“, das über den Geburtsort definiert wird und den „Wurzeln“, die über den Geburtsort der Eltern und die eigene Staatsangehörigkeit definiert werden. „Ich fühl mich beides halt zu Hause, weil ich bin hier geboren, aber meine Wurzeln liegen ja halt in der Türkei, weil meine Eltern in der Türkei geboren sind und .. ich fühl mich .. genauso hier in Deutschland da zu Hause, wie auch in der Türkei, also bei mir gibt’s keine Unterschiede.“ (K1/3:57) „Ich mach das also nur an meinen, /eh/ an meiner Staatsangehörigkeit, ich bin türkischer Staatsangehöriger und meine Eltern, die sind ja auch in der Türkei geboren und deswegen find ich, dass meine Wurzeln aus der Türkei kommen.“ (K1/4:18)
Eine Person betrachtete die Türkei als die eigene Heimat. Dieses Gefühl wurde aber beim Nachfragen nicht am Land selbst, sondern an den dort verweilenden
106
Verwandten festgemacht. Heimat sei dort, wo die Familie und die Verwandten leben. Trotzdem fühlt sich diese Person nicht fremd oder unwohl in Deutschland. „Meine Heimat ist in der Türkei.“ (M2/14:01) „Wegen meiner Familie. Da ist einfach all meine Verwandten. .. Wären die in Russland, da wäre auch meine Heimat Russland, zum Beispiel.“ (M2/14:09) „Nein, weil ich hier geboren bin, fühle ich mich hier nicht so fremd. Ich passe mich auch hier an.“ (M2/1:56)
Auffallend war, dass alle Personen, auch die Person, die in der Türkei die Heimat sah, dauerhaft in Deutschland leben wollen. Keine Person möchte ständig in der Türkei leben. Dreimal wurde ein Konzept entworfen, das von den Großeltern praktiziert wird, nämlich ein halbes Jahr in der Türkei und ein halbes Jahr in Deutschland zu leben. Der Winter wird in Deutschland verbracht, da hier der Wohnstandard den Luxus eines sicheren Heizsystems bietet. „So wie es meine Oma macht. Sechs Monate rüber und dann wieder herkommen. Sommer in der Türkei verbringen. Und dann Winter in Deutsch.. hier in Deutschland verbringen.“ (M1/16:14) „Ich möchte wie mein Opa, mein Opa ist hier Rentner, mein Opa, wie soll ich sagen, der kann in Türkei nicht so leben, der lebt sechs Monate des Jahres in Türkei, die warmen Monate, also den Sommer und den Winter lebt er halt in Deutschland, also sechs Monate, die kälteren Jahreszeiten. Und das kommt halt daher, da er, da die Technologie in der Türkei noch nicht so verbreitet ist, wie in Deutschland, dort heizt man halt noch nicht so in allen Lagen mit Heizung, noch mit Ofen oder so und deswegen, wie soll ich sagen, ich würd auch so wie mein Opa leben, sechs Monate in der Türkei, sechs Monate in Deutschland halt so, für immer würde ich nicht nach der Türkei gehen.“ (K1/20:51)
Deutschland wird ansonsten aufgrund des technischen Fortschrittes, der besseren Bildung und besseren Arbeitsmöglichkeiten geschätzt und bevorzugt. „Ja, das schon, weil hier sind einfach die Bildung wird hier besser unterstützt. Dann schulische, berufliche Bildung .. und hier ist es einfach viel besser, denke ich mal.“ (A1/15:24) „Zum Beispiel das Wasser. Wenn es nicht regnet. Dann haben wir nicht genug Wasser .. für den Alltag. Deswegen gibt es auch mal paar Tage, wo wir kein Wasser haben. Trotz dass wir, .. /eh/, dass wir in der Nähe Großstadt wohnen. /ehm/ Und dann wär doch der Strom noch mal ein Problem. Ist halt nicht so wie in Deutschland. .. ( ) Wenn der Strom mal weg ist, dann gehen halt die, .. dann gehen mal die, .. /ehm/ .. die, die, die mit dem Benzin laufen, die .. Gen .. Generator oder so.“ (M1/2:27)
107
Ein Heimatverlust ist folglich bei keiner der befragten Personen zu verzeichnen, alle Personen fühlen sich hier wohl. Eine wichtige Voraussetzung für ein Leben mit zwei Kulturen ist dadurch gegeben. 6.2.2 Kulturdifferenz Das Wesentliche einer Kultur zeigt sich oft im Unterschied zu anderen Kulturen. Im Theorieteil wurde bereits ausgeführt, dass das, was einen mit wenigen verbindet, das ist, was einen von vielen anderen trennt.149 Was aber trennt diese Jugendliche von den anderen? In dieser Kategorie ging es um die Manifestation des Unterschieds. Werden die Kategorien „türkisch“ und „deutsch“ gebildet? Bestehen Stereotypen in den Vorstellungen der Jugendlichen? Werden die Kulturen als zwei strikt voneinander getrennte Kulturen wahrgenommen? Gefragt wurde, was für die Interviewpartner „typisch deutsch“ oder „typisch türkisch“ sei. Hierbei zeigte sich, dass nicht bei allen befragten Personen diese Kategorien bestehen. Nur vier Personen nahmen Zuordnungen vor. Interessant war auch, dass die Kategorie „typisch türkisch“ leichter definiert wurde als die Kategorie „typisch deutsch“. Als „typisch türkische“ Verhaltensweisen wurden die Aggressivität, die „Hilfsbereitschaft“, sich bei Schlägereien einzumischen, das „Macho-Gehabe“ und die Unpünktlichkeit angegeben. Fettiges Essen, breite Hosen und Vollbärte wurden ebenfalls als „typisch türkisch“ gedeutet. Bezeichnend war, dass alle Befragten, die die Kategorie „typisch türkisch“ verwendeten, unterschiedliche Dinge benannten. Es gab keine Eigenschaft oder Verhaltensweise, die von allen als „typisch türkisch“ bezeichnet wurde. Das stereotype Bild vom aggressiven Südländer mit Macho-Gehabe kann durch die Äußerungen zweier Befragten konstruiert werden. Auffallend ist auch, dass alle Eigenschaften negativ konnotiert wurden. Nur die Neigung, sich in Schlägereien einzumischen, wurde positiv gewertet. „Also so typisch türkisch zum Beispiel, wenn eine Schlägerei ist, dann ist der gleich hilfsbereit und kommt, hilft jemanden. So in der Art. Und bei den Deutschen ist, dass er sich eher raus hält und also, .. dass er sich nicht direkt einsetzt. Natürlich gibt es einige, die sagen ‚Ja, du bist mein Freund, ich schütze dich, egal was passiert.’ Aber so, .. mehr so /ehm/ (Näherung) liegt bei den Türkischen, glaube ich mal, ein bisschen mehr. Und ich weiß es nicht, .. /eh/ weil die Türkischen werden, die werden wahrscheinlich auch von der Familie so erzogen, dass sie ihnen helfen sollen. Aber
149
Vgl. Kapitel 2.5.2 Kulturverständnis der Cultural Studies 36-38.
108
natürlich, wenn ich jetzt auch in Schwierigkeiten stecken würde, würden die Deutschen auch helfen.“ (A1/16:55)
Die Zuschreibungen beziehen sich auf den türkischen Mann, Adäquates für die türkische Frau findet sich nicht in dieser Kategorie. Die äußerlich sichtbaren Attribuierungen erinnern an die europäischen Karikaturen der türkischen Arbeitsemigranten während der Binnenmigration in der Türkei in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts.150 „Ok, typisch türkisch, da gibt’s viel. /ehm/ Fettiges Essen, […] da gibt es auch so richtig Klamotten, /ehm/ die bei den Männern zum Beispiel, die haben eine richtig breite Hose an, die dann auch so richtig tief, bis zu den Knien geht und das ist, find ich typisch türkisch, dann typisch türkisch ist Unpünktlichkeit. […] oder diese Vollbärte bei den Männern, ja.“ (A2/12:26)
Wesentlich schwieriger war die Zuordnung „typisch deutsch“. Hier wurden die stereotypen Vorstellungen noch einseitiger. Genannt wurden hier „Lederhosen“ und „bayrisches Gejodel“, deutsches Essen und die Eigenschaft, sich eher aus Schlägereien raus zu halten. „Für mich ist so typisch deutsch, so Lederhosen, so bayrisches Gejodel türkisches ((!!!)) deutsch, ((lacht)) typisches deutsch.“ (K1/16:44)
Die Kategorien traten nicht paarweise auf. Zweimal wurden „typisch türkische“ Verhaltensweisen genannt, „typisch deutsche“ konnten nicht näher bestimmt werden. „Also typisch türkisch, die .. Aggression finde ich. Weil das steckt irgendwie in den Türken drin. Die werden gleich, .. die denken, die sind es. Die werden gleich aggressiv, glaube ich mal. Und die Deutschen, typisch deutsch? Das wäre eigentlich ... Da wüsste ich eigentlich keines.“ (M1/16:56)
Drei Personen verneinten die Kategorien ganz, indem sie sich auf den Mensch an sich beriefen. Es gäbe nichts Typisches, da die Menschen einfach unterschiedlich seien. „Nein, so was gibt es bei mir eigentlich nicht - typisch deutsch oder so, weil, .. weiß nicht jeder, .. jeder Mensch macht irgendwas, da kann man nicht sagen, .. jeder Mensch macht ja irgendwas, da kann man ja nicht sagen, typisch deutsch oder so.“ (M2/10:39)
150
Vgl. Kapitel 3.6 Diskurs: Die Rolle des Mannes 50-53.
109
Interessant war auch die Meinung einer Person, die aussagte, dass ihr durch die Eingewöhnung nichts mehr „typisch deutsch“ vorkomme. „/mm/ Was gibt’s, eigentlich, eigentlich gar nichts, weil ich hab mich auch in das deutsche Leben mit eingelebt, von daher finde ich nichts typisch Deutsches.“ (A2/11:58)
„Typisch deutsch“ oder „typisch türkisch“, so eine andere Aussage, bringt ein Missfallen einer bestimmten Verhaltensweise zum Ausdruck und grenzt Personen aus. „Typisch türkisch .. /mh/, ... typisch türkisch, .. eigentlich auch nicht so viel, aber .. /ehm/ die meisten Türken sagen auch manchmal, wenn es denen, wenn es denen nicht gefällt ‚typisch deutsch’ und die Deutschen sagen ja auch manchmal ‚ja, typisch Türken’. Das gibt es, wenn irgend, jemandem was nicht gefällt.“ (E2/9:15)
Bei der Betrachtung dieses Aspektes zeigte sich die wechselseitige Beeinflussung von Umwelt und Kultur.151 Es bestehen nicht zwei klar getrennte abrufbare Kulturvorstellungen in den Vorstellungen der Jugendlichen. Während „typisch türkisch“ leichter definiert wurde, da differente Seiten eher sichtbar werden, kann die Kategorie „typisch deutsch“ durch den eigenen Transformationsprozess kaum ausgemacht werden. Bei beiden Kategorien behelfen sich die Jugendlichen durch das Aufzeigen stereotyper Bilder. Trotzdem besteht im Umgang mit anderen Personen die Gefahr, dass dann individuelle Fehler an der Nationalität festgemacht werden. 6.2.3 Kulturnähe Kultur wurde verstanden als gelebte vollzogene soziale Praxis, als Bedeutung und Werte einer Gruppe, aber auch als Traditionen und Praktiken, durch welche Kultur verkörpert und ausgedrückt wird. In dieser Kategorie wurden nun unterschiedliche Bereiche, die dem Alltag der Jugendlichen entstammen, hinsichtlich der unterschiedlichen Kulturen untersucht. Durch mögliche Zuordnungen in die Arbeitskategorien „deutsch“ oder „türkisch“ sollte eine gelebte Kulturnähe in Erfahrung gebracht werden. Die Kategorie „Kulturnähe“ unterteilt sich in neun verschiedene Unterkategorien. Die Unterkategorien werden dann einzeln auf türkische oder deutsche Kulturnähe untersucht.
151
Vgl. Kapitel 2.5.1 Definition des Begriffs „Kultur“ 34-36.
110
1.
Feste Die Unterkategorie „Feste“ lässt sich ganz eindeutig der türkischen Kulturnähe zuordnen, denn es werden fast ausschließlich Feste gefeiert, die mit der Religion in Verbindung stehen. Genannt wurden einstimmig das Zuckerfest, Ramadan, das Schlachtfest und einmal das Beschneidungsfest. „Wir feiern hier den Ramadan, dann feiern wir den Zuckerfest, dann feiern wir, angesprochen Hochzeiten, dann gibt’s bei uns /eh/ so, wenn sich einer beschnitten hat, im Islam müssen sich Jungs beschneiden, dann feiert man auch Feste, weil man sagt im Islam, ist der erste Schritt zum Mann werden.“ (K1/6:42)
Zwei der Befragten versicherten, dass hier in Deutschland dieselben Feste gefeiert werden dürfen, die auch in der Türkei bedeutsam sind. „Also welche Feste? Wir dürfen, also ich sage jetzt mal dürfen, alle Feste feiern, die Türken in der Türkei auch feiern dürfen. Die Möglichkeit haben wir hier und ja ...“ (A1/4:28) „Hier? .. Feiern wir Opferfest, .. Ramadan, .. also Ramasan .. und Zuckerfest .. und eigentlich, eigentlich die gleichen Feiern, wie auch in der Türkei feiern wir hier eigentlich auch.“ (E2/2:58)
Die Feiern in der Türkei seien allerdings wesentlich intensiver. „Hier feiern wir zum Beispiel, den /ehm/ Ramadanfest und den Zuckerfest, /ehm/ in Türkei wird das auch alles gefeiert, aber in Türkei ist das viel intensiver wie hier.“ (A2/3:28)
Als Feste, die der deutschen Kultur zugeordnet werden könnten, wurden nur jeweils einmal zusätzlich zu den oben benannten Festen Fasching und Silvester genannt, wobei Silvester dadurch eingeschränkt wurde, dass das Fest nicht auf „deutsche Weise“ gefeiert würde. „Und von den Deutschen .. Silvester, das machen aber auch Türken, aber auch die deutsche Art so, mit Raketen und so, das macht man in der Türkei nicht. Und was feiern wir noch? ... Das wär's dann eigentlich.“ (M1/5:34)
2.
Religion Auch diese Unterkategorie kann eindeutig der türkischen Kulturnähe zugeschrieben werden. Alle Befragten gehören dem Islam an, wobei sich vier der Beteiligten im Vergleich zu den in der Türkei lebenden Moslems als nicht so strenge bzw. gemäßigte Moslems betitelten.
111
3.
Musik Diese Unterkategorie lässt sich keiner der beiden Kulturen zuordnen. Gehört wird das, was gerade angesagt ist. Genannt werden deutsche, englische und türkische Musik, wobei die türkische Musik einen geringeren Stellenwert aufweist. Sie wurde einmal ganz negiert und einmal erst beim Nachfragen bejaht. „Ich hör eher, ich hör eigentlich gar keine türkische Musik, sondern Hip-Hop und R&B, was hier halt läuft.“ (A2/3:38) „Deutsch-R a p.“ (M1/5:57) „Natürlich ((lacht)) /ehm/ auch so, .. nicht so das ganz alte, auch nicht das ganz moderne, halt mehr so, .. wie soll ich das nennen? .. So, so, .... ha, das Türkische halt, wie soll ich das, .. das kann man eigentlich nicht beschreiben. Wie das bei den Deutschen Klassik gibt, gibt es auch bei uns solche Unterschiede. Und das eigentlich.“ (M1/6:30)
Nur bei einer Person wies die türkische Musik einen sehr hohen Stellenwert auf, hier wurde die deutsche Musik über die türkische Musik erweitert, denn auch türkische Sänger könnten deutsch singen. „Türkische Lieder ..“ (N1/4:01) „Deutsche auch, ja.“ (N1/4:08) „Von den türkischen Sängern, die singen, /eh/ die singen auch deutsch und ja.“ (N1/4:10)
Peergroups und die namhaften Musiksender beeinflussen die befragten Jugendlichen in entscheidendem Maße. 4.
Essen Die Unterkategorie kann keiner Kulturnähe eindeutig zugeordnet werden. Die Befragten legten sich nicht auf eine Nationalität fest. Hier vermischten sich türkische, deutsche, aber auch italienische Speisen, die als deutsche Speisen eingestuft wurden. Als bevorzugtes deutsches Essen wurden Schnitzel, Pommes und Spätzle genannt, aber auch Spaghetti und Lasagne wurden als „deutsche“ Leibspeisen favorisiert. „/eh/ Spätzle und Schnitzel,“ (K1/6:51) <deutsche Speisen?> „Ja, Lasagne, Spaghetti ..“ (N1/3:33)
112
Als türkisches Essen wurden Salma, Tachlana und Mante angegeben. Essen geschieht inzwischen auch oft außerhalb des Elternhauses, da beide Elternteile arbeiten, so kommt es zu einer internationalen Küche. 5.
Ehre „Ehre“ wurde von drei Jugendlichen explizit als zur türkischen Kultur dazugehörig und mit dem Islam verbunden benannt. Mehrheitlich wurde der Begriff als wichtig eingestuft. Es herrschte jedoch keine einheitliche Meinung zu diesem Begriff. Die Interpretationsbreite reichte von „ohne Ehre ist man gar nichts“ bis hin zu „Ehre ist nicht wichtig“. „Oh, Ehre. .. Eine schwere Frage. /ehm/ Ehre, .. also das ist ein sehr wichtiges Thema. Ehre für mich ist fast das Wichtigste. Zum Beispiel, jetzt gebe ich ein Beispiel. Wenn meine Frau mich /eh/ betrügen würde oder so was oder, wenn sie fremdgehen würde oder so was, dann wäre es eigentlich gleich aus. Weil, wir wurden so aufgezogen. Ehre ist das Wichtigste und dann muss man die Frau beschützen. Und dann so was halt. Das ist die Ehre davon. Ohne Ehre ist man im Islam fast nichts. Ich meine, .. wie soll ich das sagen? .. Da zählt man als Nichts. Dann geben die Familien auch ihre Kinder nicht halt, wenn man, .. wenn man, .. in der Türkei ist es doch so, wenn man heiraten möchte, geht die Jungenseite halt, geht zu der Mädchenseite und fragt, ob sie das Kind bekommen. Und dann, wenn es rauskommt, dass ich keine Ehre habe, dass ich schon mal ein paar Sachen gemacht habe, dann kriege ich das halt nicht. Dann zählt alles andere nicht, Liebe, (alles andere) nicht. Dann bekommt man .. oder kann ich nicht mit der heiraten.“ (M1/7:48) „Ehre, das ist was ganz Wichtiges, was man nicht vergessen darf, weil, .. also, es ist .. also, wenn ich meine Ehre zum Beispiel jetzt, .. wie soll ich sagen, verletzen würde oder .. /ehm/ schmutzige Wörter oder so, dann würde oder so. Dann würde es ja gar nicht gehen. Dann würde ich für mich selber ja gar nichts mehr bedeuten. Dann hätte ich einfach keine Ehre mehr und ich wäre einfach irgendjemand, .. der keine Ehre hat .. also, einfach billiger Mensch, sag ich mal jetzt.“ (A1/6:07) „Ehre, wie soll ich sagen, das hat irgendwie für mich gar keine Bedeutung. Ich lebe einfach so wie es mir gefällt und nicht nach meiner Ehre.“ (K1/7:30)
Auffällig ist, dass der Ehrbegriff von den Jungen deutlich höher bewertet wurde. Die Mädchen hatten nur vage oder gar keine Vorstellungen über die Bedeutung des Begriffes. „Ehre? ... Weiß gar nicht mehr, ( ) wie ich das sagen soll. Was heißt zum Beispiel Ehre? Wie meinen Sie das jetzt?“ (E2/4:03)
113
Ein Mädchen assoziierte mit dem Wort Ehre eher Negatives. Sie führte die Überbewertung des Begriffes für die Rückständigkeit der ländlichen Gegenden in der Türkei an. Die Abnahme des Einflusses wurde als positiv bewertet. „Ehre, ich find in, es hat sich auch verbessert in der Türkei und zwar gab es ja früher Ehrenmord und so und das gibt es bei uns nicht mehr, Ehre ist für mich /ehm/, man sollte halt aufpassen, wie man sich anzieht und wie, ( ) ich find ein Freund haben zum Beispiel ist gar nicht schlimm, aber in Türkei ist es, /ehm/ ist es also /äh/ sozusagen, hat man die Ehre gebrochen.“ (A2/4:22)
Ehre wurde in den meisten Fällen mit Ruf gleichgesetzt. Die Ehre darf man nicht verlieren, wobei nicht allen Befragten klar war, wie man die Ehre verliert. „Das genau jetzt, .. genau weiß ich nicht, aber wie man Ehre verliert, ... ja, ich versuche immer so zu bleiben, wie ich jetzt bin und versuche, nichts zu verletzen einfach.“ (A1/6:21)
Zur Ehre gehörte auch, den Partner nicht zu betrügen und die Frau zu beschützen. Es darf nicht gegen Regeln verstoßen werden und man solle sich ordentlich anziehen, um die Ehre zu bewahren. Der Ehrbegriff bezieht sich also schwerpunktmäßig auf den Teil der Ehre, der im Türkischen mit „seref“ bezeichnet wird: ein offenes und ehrenhaftes Leben wird erwartet. „Ja, .. Familienehre, wenn aus der Familie jemand was klaut .. oder halt jemand umbringt, da .. halt klaut, eher so. Dann ist die Familienehre, halt eher beschmutzt oder so. Da muss man ins Gefängnis, halt seine Strafe absitzen und dann wieder .. darf man halt wieder .. zu Hause.“ (M2/3:18)
Auffallend war, dass der Ehrbegriff bei manchen Befragten umgedeutet und auf die hiesige Situationen übertragen wurde und eine Veränderung des Ehrbegriffs erkannt und aufgezeigt wurde. So war für ein Mädchen die Tatsache, einen Freund zu haben, ohne Weiteres mit dem Ehrbegriff zu vereinbaren, solange man keinen Geschlechtsverkehr hat. In der Türkei, wie sie ausführte, käme selbst die Existenz eines Freundes einer Verletzung der Ehre gleich. Der Ehrbegriff „Saygi“, im Sinne von Respekt und Ehrerbietung, wurde von den Jugendlichen nicht explizit benannt, aber im Alltag gelebt. Diese Unterkategorie verweist schwach in Richtung türkischer Kulturnähe, wenn auch mit veränderten, auf den Alltag in Deutschland angepassten praktikablen Vorstellungen. Die Tatsache, dass nicht alle Jugendlichen, die den Ehrbegriff für wichtig einschätzen, erklären konnten, wie man seine Eh114
re verliert, macht deutlich, dass der Terminus und dessen Stellenwert Veränderungen ausgesetzt sind. 6.
Regeln Regeln werden definitiv mit Deutschland verbunden und eindeutig positiv bewertet. Das Leben in der Türkei wurde als anstrengend empfunden, da hier die fehlenden Regeln den Alltag erschweren. Im Folgenden wird vom Alltag in der Türkei gesprochen. „Ich würde sagen, der Verkehr eigentlich, weil das stresst einen .. die hupen da die ganze Zeit, das Rechts vor Links wird nicht gehalten. Das war es eigentlich dann und das würde ich, dann ... vermisse ich das hier, weil hier gibt es Regeln. /ehm/ Hier gibt es eine Ordnung und das gibt es in der Türkei noch nicht. Und das vermisse ich da.“ (M1/1:37)
Auffallend hierbei war, dass in vier Fällen nicht nach Regeln gefragt werden musste, sondern das Fehlen der Regeln in der Türkei als störend angesprochen wurde. Regeln wurden verstanden als Rechte und Gesetze, mit denen sich die Befragten in Deutschland identifizieren und sie begrüßen. „Also ich glaube mal, dass die Regeln in Deutschland sehr gut sind und dass sie /ehm/ sehr gut ausgeführt werden. Weil die Rechte, die gelten für alle Menschen hier, egal ob Ausländer oder Einheimische. Deswegen finde ich sie eigentlich super.“ (A1/6:43) „Für mich sind Regeln sehr wichtig, da ich mal /eh/ im Film, in einem Film, vielleicht kennen Sie das, das Experiment, hab ich mal angeguckt und da hab ich gesehen, wie Menschen ohne Regeln richtig zum Tier werden können. Eigentlich ohne Regeln, /eh/ wie soll ich sagen, die Menschengesetze halt verletzen, da wird man egoistisch und denkt man nur an sich.“ (K1/8:48)
Interessant war die Auskunft eines Jugendlichen, der zuerst aussagte, sich in Deutschland an die Regeln zu halten, ein Umkehrschluss für die Türkei wurde andeutungsweise in Frage gestellt. Schließlich stufte er Regeln mit der moralischen Begründung „Regeln sind Regeln und müssen überall eingehalten werden“ für beide Länder als wichtig ein. Diese Unterkategorie lässt sich eindeutig der deutschen Kulturnähe zuordnen und zeigt auch die Veränderung der Jugendlichen durch ihre Umwelt.
115
7.
Pünktlichkeit Pünktlichkeit wird als wichtig gewertet. „Pünktlichkeit ist so wie ich es bis jetzt schon gehört habe, etwas sehr Wichtiges, was die (Ausbilder) zum Beispiel sehr Acht darauf legen. Pünktlichkeit, wenn ich mich zum Beispiel mit meinem Freund verabrede. Er kommt, sagen wir mal, ein halbe Stunde später, dann habe ich ja irgendwas gegen ihn. Dann hat sich irgendwie, sagen wir mal Hass .. also, dass der nicht pünktlich war. Ich habe ein halbe Stunde lang umsonst gewartet. Pünktlichkeit ist einfach das Wichtige, zum Beispiel auch in der Freundschaft oder so.“ (A1/7:58)
Pünktlichkeit wurde nur von einer Person als nicht wichtig eingestuft. Zumindest bei wichtigen Dingen wird Pünktlichkeit eingefordert. Von den Befragten wurde bemängelt, dass Pünktlichkeit in der Türkei keine Rolle spielt. „Eine sehr große Rolle, /ehm/ zum Beispiel, bei uns, ich will jetzt die Türkei jetzt nicht schlecht machen oder so, aber da gibt es wirklich gar keine, wenn man einen Termin ausmacht, kommen sie entweder eine, fast eine Stunde zu spät und irgendwie, ja.“ (A2/5:16)
Sie wurde aber auch von zwei Personen als Tugend verstanden, die je nach Wichtigkeit erbracht wird oder nicht. „Eigentlich schon. Pünktlichkeit ist schon wichtig, .. auch bei wichtigen Sachen ist Pünktlichkeit wichtig, aber wenn es halt nicht so wichtig ist, muss ja auch nicht Pünktlichkeit so wichtig sein.“ (E2/4:44)
Auch diese Unterkategorie lässt sich der deutschen Kulturnähe zuordnen. 8.
Sprache Der Sprache kommt eine zentrale Rolle zu. Abgesehen von einem Jugendlichen gaben alle Befragten an, besser deutsch als türkisch zu sprechen. Auch diejenigen Befragten, die objektiv gesehen massive Probleme mit der deutschen Sprache haben, gaben an, deutsch besser zu sprechen. Dieses Ergebnis war für mich völlig überraschend, da ich, abgesehen von einer Person, geringere Sprachschwierigkeiten in der türkischen Sprache erwartete. Dieses Ergebnis lässt es wünschenswert erscheinen, Sprachkompetenz in einer weiteren Studie quantitativ zu untersuchen, denn die Sprachschwierigkeiten sind nicht nur für das Fach Deutsch relevant, sie beeinflussen alle Fächerverbünde, da Sachinformationen oft nicht in ausreichendem Maße
116
verstanden und wiedergegeben werden können. Auch für den Fremdsprachenerwerb ist eine Muttersprache Grundvoraussetzung. Wie soll eine Fremdsprache erlernt werden, wenn wesentliche Grundlagen im muttersprachlichen Bereich fehlen? Interessant war bei diesem Ergebnis auch der natürliche, alltägliche, situative Wechsel zwischen den Sprachen. Zu Hause wird bei allen Befragten zumindest mit einem Elternteil türkisch kommuniziert, außerhalb des Hauses wird in die deutsche Sprache gewechselt. „Also, meine Eltern können deutsch reden, aber wir reden fast immer türkisch zu Hause. Sie versuchen natürlich deutsch mit uns zu reden, aber .. ich weiß nicht woher das kommt, mein Bruder und ich haben irgendwie Gewohnheit. Wir reden fast nur türkisch zu Hause und draußen, wenn wir mit meinen Eltern spazieren, reden wir nur deutsch eigentlich.“ (A1/8:26)
Auch innerhalb einer Gesprächssituation kann problemlos in die andere Sprache gewechselt werden. Wenn etwa beim Kommunizieren ein Wort fehlt, wird es in der anderen Sprache ergänzt. „Aber ich, .. ich verstehe das Türkische besser und kann das auch besser erklären. Und es ist so, wenn ich im Deutschen kein .. oder im Türkischen das Wort nicht dafür weiß, setzte ich das Deutsch dafür ein. Und mit, mit dem Deutschen ist das genau so.“ (M1/10:18)
Ausgesagt wurde auch, die Sprache als Geheimcode zu nutzen. Ins Türkische wird gewechselt, wenn es von Außenstehenden nicht verstanden werden soll. „Mit meinen Eltern meistens türkisch, mit meinem Bruder .. eher deutsch und mit meinen Freunden auch eher deutsch. Also nur türkisch mit meinen Eltern. Und so in der Schule, so mit Freunden, wenn es Sachen gibt, wo man nicht jemanden anders erzählen kann oder es ist für mich, dann reden wir schon türkisch.“ (M1/9:36)
Ein Jugendlicher sieht, dass Sprache Individuen ausgrenzen kann. „Ja, mit meinen Eltern, wenn wir draußen oder ich alleine, dann sprechen wir nur deutsch, weil ich finde es irgendwie so unverschämt, wenn man einfach rausgeht als Ausländer und seine eigene Sprache jetzt draußen spricht. Natürlich darf man das, aber .. ich weiß nicht, das ist eigentlich nicht in Ordnung, also meiner Meinung nach.“ (A1/8:45)
117
Bei der Sprache zeigte sich deutlich der wechselseitige Einfluss zwischen Umwelt und Kultur. Unter den Jugendlichen wurde eine neue Sprache kreiert, die „aus der Not heraus“ gesprochen und von der Umwelt übernommen wurde. Dieser Sprachgebrauch verzichtet weitgehend auf Präpositionen und auf Konjunktionen, er wird zum Teil auf Ellipsen reduziert. Dieser Sprachstil wird inzwischen von vielen deutschen Jugendlichen übernommen und bereits von Sprachwissenschaftlern untersucht.152 Er trägt den Namen „Ethnolekt“ und ist ein Indikator, für die wechselseitige Beeinflussung zwischen Kultur und Umwelt. 9.
Erziehung Die Erziehungsziele, die genannt wurden, fallen sowohl in die „deutsche“ als auch in die „türkische“ Kulturnähe. Wichtig war den Eltern von Mädchen und Jungen das Wohl des Kindes, wie auch das Bestreben, durch einen guten Schulabschluss bessere Voraussetzungen für eine Lehrstelle zu erlangen. Zur Vorbereitung auf die Gesellschaft spielte Bildung eine wichtige Rolle.153 „Also, die erziehen mich. Die wollen halt, dass ich einen guten Ruf habe und .. dass ich nicht also, also dass ich nicht ( ) einen schlechten Ruf habe, sondern einen guten Ruf. Und die wollen halt, dass ich einen guten Abschluss, einen guten Beruf .. ja, einen guten Beruf eigentlich und so .. und gute Zukunft.“ (E2/5:43)
Auch materieller Wohlstand stand im Vordergrund, der die Jugendlichen in eine bessere finanzielle Lage bringen soll. „Halt ihnen ist es wichtig, dass es mir besser geht. Gut geht ..“ (N1/5:37) „Die waren früher in der Türkei. Einmal sind die nach Österreich gekommen, einmal sind die nach Türkei gekommen. Und die hatten halt, .. bei denen war es nicht so, sie mussten alles teilen. Bei uns ist es nicht so.“ (N1/6:04) „Mit Geschwistern und so, die waren sechs Geschwister. Mit denen mussten die es teilen.“ (N1/6:09)
In zwei Fällen wurde der Islam als die Erziehung bestimmende Instanz angeführt. Der Erziehungsstil der Eltern sei aber freier oder weniger streng als in der Türkei. Eine Jugendliche sagte, die türkische Kultur sei wichtig in der elterlichen Erziehung, konnte aber dafür keine Beispiele anführen. 152
Vgl. Auer, P., Türkenslang 255-264. Dieses Erziehungsziel zeigte sich bereits bei Vätern der ersten Generation, die Schiffauer untersuchte. Vgl. hierzu Schiffauer, W., Die Migranten aus Subay. Türken in Deutschland. Eine Ethnographie, Stuttgart 1991.
153
118
Die Jugendlichen realisieren gewisse Freiheiten im Gegensatz zu den in der Türkei lebenden Türkinnen und Türken und werden dafür auch oft beneidet. „/ehm/ In der Sache, mit einem Freund haben, da sind sie sehr streng, aber, ich bin nicht so, ich bin nicht wie die typischen türkischen Türkinnen, ich darf eigentlich alles anziehen, solange ich aufpasse, wie ich rumlaufe und ich hab mehr Freiheiten, wie die Mädchen in der Türkei.“ (A2/5:46)
Die befragten Mädchen tragen kein Kopftuch. Die Entscheidung soll vom Individuum selbst getroffen und nicht von den Eltern bestimmt werden. „Nein, meine Mutter selber trägt auch kein Kopftuch, weil, /ehm/ wenn man ein Kopftuch tragen will, finde ich, sollte es vom Inneren kommen. Ich zum Beispiel, hab eine, meine Tante hat vorher auch kein Kopftuch getragen und sie wurde nicht gezwungen oder so, und dann hat sie sich einmal entschieden ein Kopftuch zu tragen, weil es von ihrem Inneren kam und danach, seitdem trägt sie ein Kopftuch.“ (A2/6:12)
Der gute Ruf der Jugendlichen, der auf dem oben erwähnten Ehrbegriff zurückzuführen ist, wurde auch hier in dieser Kategorie als sehr wichtig eingestuft. „Die erziehen mich halt streng, wie sie auch früher erzogen von ihren Eltern geworden sind, sie wollen nicht, dass ich halt keine /eh/ schlechten Sachen mach, angesprochen Rauchen, Alkohol trinken, solche Sachen halt so.“ (K1/1:32)
Anpassungsfähigkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Toleranz sind Erziehungsziele, die mit dem zentralen Anliegen, das Wohl des Kindes zu sichern, in beide Arbeitskategorien fallen. „Wie ich erzogen werde? /ehm/ Ja, sie sagen immer, dass ich mich den Deutschen anpassen muss oder soll. Und dass ich immer, egal wem gegenüber, freundlich sein muss, hilfsbereit. Ja.“ (A1/9:28)
Eine Diskrepanz zwischen der Erziehung der Eltern und den eigenen Vorstellungen der Lebensplanung scheint keine Probleme hervorzurufen. Gesichert kann festgehalten werden, dass die Erziehung als unproblematisch empfunden oder sogar positiv bewertet wird. Von einer Identitätsdiffusion ist also nicht einmal im Entferntesten die Rede. In drei Fällen wurde deutlich ausgesprochen, dass sich die Jugendlichen keine bessere Mutter oder keinen besseren Vater vorstellen könnten. Bei keinem der Jugendlichen wurde die Erziehung als negativ oder als mit dem eigenen Leben unverein-
119
bar geschildert. Diese Wertung zeigt sich klar in den Antworten, die die beste Mutter oder den besten Vater explizieren. „((lachend)) Meine Mutter ist zum Beispiel die beste Mutter auf der Welt. Ich weiß nicht, natürlich gibt es Streitigkeiten zwischen Mütter oder so, aber irgendwie anders, eine andere Mutter würde ich mir nicht wünschen.“ (A2/6:32)
Bei der Vorstellung von einer „guten Mutter“ und eines „guten Vaters“ wiederholte sich der Wunsch, die fürsorgliche Erziehung der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. „Bester Vater i s t, der seinen Sohn sehr gut unterstützt und egal in welcher Richtung, schulisch oder beruflich halt. Und ich glaube mal .. bester Vater, ja der einfach das Beste von seinem Sohn will.“ (A1/10:24)
Die männlichen Jugendlichen tendierten bei dem Bild der Mutter mehr zum klassischen Bild der Frau in der Türkei: Kochen, Putzen und zu den Kindern stehen, wurden als sehr wichtig eingestuft. „Was ich finde, eine gute Mutter muss auf jeden Fall für sein Kind immer, wann er Hunger hat ((lacht)) kochen können, nicht faul sein, für seine Kinder /eh/ ... auch zu den Kindern mal stehen, wenn der Vater mal mit den Kindern geschumpfen hat, .... ja, das wär’s dann eigentlich.“ (K1/13:57)
Der Vater darf streng sein, sollte den Kindern aber auch Freiräume gewähren. „Für mich würde ein richtig guter Vater aussehen, der seine Kinder, mit seinen Kindern gut umgeht, sie nicht anbrüllt, mit ihnen wie Freunde, wie ein Freund ist, aber sein muss, auch streng sein kann und ein Vater finde ich ist nicht einer, der wo immer seinen Sohn das Geld in die Hand drückt und sagt 'geh, geh', ein Vater ist für mich, der seine Kinder auch verfolgt, halt ohne, dass die das bemerken, halt beobachtet, weil Kinder, man muss den auch vertrauen können und wenn man ein paar mal die beobachtet hat und sieht, dass die auf dem richtigen Weg ist, dann kann man zu Hause auch, /ehm/ wie soll ich sagen, besser die Zeit verbringen, ohne an die Kinder zu denken.“ (K1/13:23)
Bei der Frage nach der Nationalität des Partners bzw. der Partnerin zeigte sich, dass die Frage nach der Religion weitaus wichtiger bewertet wurde als die Frage nach der Nationalität. Ein Problem durch unterschiedliche Religionszugehörigkeit wurde zwar von mehreren Personen gesehen, dieses aber als lösbar eingestuft.
120
„Die sagen auch nicht ‚du wirst mit keiner Deutschen heiraten’ oder so. Sie machen da nichts. Wenn du liebst halt so. Die Liebe hat ja keinen (in Polin) oder so, was weiß ich.“ (M2/6:35) „Ja, ein bisschen vielleicht schon, vielleicht wegen der Religion und weil wir Türken kein Schweinefleisch und so essen. Da wird's schon vielleicht kleine, .. kleine Konflikte vielleicht geben. Aber die könnte man auch lösen.“ (M2/7:09)
Als mögliche Lösungen wurden das Konvertieren oder das Vertrautmachen mit den anderen Sitten genannt. Die Eltern würden zwar in allen Fällen den Partner bzw. die Partnerin nicht ausgrenzen, die Sorge, ob der Partner mit türkischen Sitten vertraut sei, war dennoch vorhanden. „Ja, sie würden nur also halt sagen, sie soll sich ,/eh/ .. wie soll ich sagen? ... Sie würden sagen, zu der .. zu meiner Freundin halt also, würden sie sagen, ob sie wirklich mich liebt, weil, wenn sie mich liebt, dann muss sie auch, /eh/ da Türken sehr viel Besuch bekommen oder würden sie sie bestimmt fragen, ob sie ... die Besucher auch so wie in der türkischen Kultur entgegennehmen kann und nicht so wie in der deutschen Kultur.“ (K1/11:06)
In einem Fall war es die Mutter, die Vorurteile gegenüber deutschen Frauen äußerte. Deutsche Frauen, so die Aussage, könnten nicht kochen oder ihr Haus putzen. „Sie hat eigentlich ein Vorurteil gegen die deutschen Frauen. Die denkt‚ ja, die sind nicht wie die Türken, die putzen ihr eigenes Haus nicht, die kochen nicht für die Männer.’ Die denkt das eigentlich so, aber ich finde es nicht so. Und wenn sie so was sagt, sage ich ‚das stimmt nicht. Was willst du?’ und so /ehm/ Beende ich das dann gleich.“ (M1/11:38) „Ja, eigentlich schon .. ja, wenn ich in die Türkei gehe, wie soll ich dann zu meinen El.. (Opa - Großeltern), zu meinem Opa hingehen und sagen, ich habe eine deutsche .. Frau. Da würden sie schon .. bisschen .. /eh/ .. mich fragen‚ warum du eine Deutsche geheiratet hast. ‚Hast, hättest du keine Türkische gefunden?’ .. Und alles Vorurteile eigentlich.“ (M1/12:07)
Die eigenen Kinder würden in der Regel adäquat zum selbst erlebten Erziehungsstil erzogen werden. Wichtig war dabei, zur Toleranz zu erziehen, auf den guten Ruf zu achten und die selbst empfundene Freiheit an die eigenen Kinder weiterzugeben. Die Kulturnähe muss in den verschiedenen Bereichen betrachtet werden. Von einer ausschließlichen Kulturnähe kann nicht gesprochen werden. Klare Aussagen können nur im Bereich der Religion und den damit verbundenen Festen 121
verzeichnet werden. Hier ist die Nähe zur türkischen Kultur sichtbar, wobei die Religion und die Feste als gemäßigter empfunden wurden. Ansonsten sieht man deutlich eine Vermischung der Kulturen, wobei diese häufig zwischen tradierten Kulturelementen der Eltern (Essen, Religion, Erziehung, Sprache, Vorstellung vom Ehrbegriff) und „deutschen“ Kulturelementen des sozialen Umfelds, wie Schule, Berufswelt und Peergroups (Musik, Essen, Sprache, Regeln, Vorstellung von Pünktlichkeit) entsteht. Die Vermischung führt sowohl zu einer Akkumulation der Kulturelemente, wie zum Beispiel die Bereiche Essen und Musik zeigen. Die Küche wird um weitere Speisen bereichert, die Musikpalette besteht aus internationalen Interpreten. Die Vermischung führt aber auch zu Transformationen von Verhaltensweisen und Vorstellungen von Begrifflichkeiten. Transformationen zeigten sich auch in den eigenen Interpretationen der Begrifflichkeiten. Die Frage, wie nun diese Vermischung empfunden wird, führt zu der Frage nach dem Lebensmodell. Wird diese Vermischung als unproblematisch und nicht als belastend empfunden, spreche ich vom Leben mit zwei Kulturen. Wird diese aufgezeigte Vermischung als problematisch, als für das Individuum benachteiligend empfunden, spreche ich vom Leben zwischen zwei Kulturen. 6.2.4 Fremdwahrnehmung Alle Befragten sagten aus, sowohl in Deutschland als auch in der Türkei als Ausländerin bzw. Ausländer betrachtet zu werden. „Aber die, die da wohnen, fühlen mich, /eh/ bezeichnen mich als Europäer. Also da bin ich halt, so wie in Deutschland ein Ausländer. Sehen die mich. Die sagen‚ ja du bist ein Deutscher.“ (M1/3:02)
Eine Person sagte über sich aus, aufgrund der Sprache und der Kleidung in Deutschland nicht als Ausländerin wahrgenommen zu werden, wohl aber aufgrund ihrer dunkleren Hautfarbe. Seither nahm man an, Personen mit Migrationshintergrund würden die Gegebenheit, als Ausländer betrachtet zu werden, ausschließlich negativ bewerten. Überraschend war, dass die Jugendlichen diese Tatsache jedoch eher positiv bewerteten. In der Türkei würden sie als reiche Türken angesehen werden. Sie seien besser gestellt, Auto, Geld und Kleidung bringen dies dort deutlich zum Vorschein. Auf der einen Seite genießen sie diese Exotenstellung, denn man interessiert sich für sie, für die Lebensweise in Deutschland und beneidet sie auch um ihren Luxus.
122
„Also ablehnen, so was gibt es da gar nicht, so was hab ich bis jetzt noch gar nicht erlebt, die finden das halt interessanter, sie fragen dann halt mehr so nach, wenn man zum Beispiel in Türkei eine Situation hatte, dann fragen die zum Beispiel nach, ‚wie hättest du das in Deutschland gelöst? Wie ist das bei euch so der Alltag so?’ In der Art.“ (K1/16:25) „Die Kleidung spielt auch eine sehr große Rolle. Also, wenn wir jetzt dort hingehen .. die Kleidung, wenn ich sie vergleichen würde, ist unsere schon viel, viel besser wie in der Türkei. Aber ... Aussehen spielt eine Rolle, Kleidung und Auto natürlich.“ (A1/3:05) „Ja, genau und .. also das Auto spielt eine große Rolle. Audi fährt nicht viel, jeder in Türkei und die Kleidung ist auch anders - Marken und so halt.“ (A1/3:23)
Die Jugendlichen werden in der Türkei nicht nur aufgrund der materiellen Besserstellung beneidet, auch der freizügige Lebensstil weckt Begehrlichkeiten. „Ja, weil ich hab viel, viel mehr Freiheiten, wie die türkischen Mädchen in der Türkei und, ich will das eigentlich gar nicht, dass die mich beneiden, die beneiden mich auch oft, die sagen ‚Ohh, du darfst, das und das anziehen, das darf ich gar nicht’ und dann sag, und deswegen versuche ich mich /ehm/ seit, seit drei, vier Jahren in der Türkei anzupassen, also versuch mehr die Klamotten zu tragen, die die in der Türkei tragen.“ (A2/10:57)
Auf der anderen Seite ärgern sie sich darüber, dass sie mehr bezahlen sollen, da sie ja als die „reichen Türken“ eingestuft werden. „Ja, das auf jeden Fall, .. die denken, dass wenn man in Deutschland lebt, dass man sehr viel Geld hat, dass man reich ist und wenn ich dort bin kennt mich jeder als Reicher, obwohl ich auch hier selber gerade unser Geld verdiene zum Überleben.“ (M2/9:17)
Eine Jugendliche sagte aus, dass die Türken in der Türkei aufgrund ihrer Herkunft meinen, sie könne umgehend zur Frau genommen werden. Ausgrenzende Erfahrung beschrieben zwei Personen, betonten jedoch den Einzelfallcharakter. „Im Schulalltag behandeln sie mich eigentlich so wie, ( ) wenn ich einer von ihnen wäre, aber ich habe mal ‚ne Situation erlebt, da war ich mit einem Freund, beim Eishockeyspiel, und da .. die Türken, wie soll ich sagen, ungewöhnlich im Eishockey sind, da es keine Eishockeymannschaften in Türkei gibt, hat ein Deutscher halt eine Reaktion gehabt, ‚was sucht der Türke denn hier?“ (K1/14:51) „Das war eigentlich für mich ein Einzelfall .. und so was ist mir auch eigentlich egal.“ (K1/15:03)
123
Interessant ist die Verhaltensattribuierung, die eine selbstbewusste Einstellung deutlich macht, denn die Ausgrenzung und schlechte Behandlung wurde mit Neid gegenüber der eigenen Person erklärt. Ein Junge verdeutlichte, dass er als Deutscher mit einer anderen Kultur wahrgenommen wird. „Als Ausländer, finde ich, .. ja die meisten aber, .. nicht die als, ..nicht die meisten, es gibt aber auch Leute, die meinen wir können nichts, wir haben es nicht drauf, .. wir wären Nichtsnutz, aber die anderen, die halten zu uns .. und die behandeln uns halt nicht. Das sind aber, .. die zähl ich gar nicht dazu. Das sind halt, die, .. die neidisch auf uns sind. Glaube ich mal. Und die anderen, .. glaube ich mal, .. die sehen uns nicht als Ausländer - als deutsche (Mitbevölker), als normale Deutsche halt. Wir haben nur halt eine andere Kultur und die finden auch die Kultur interessant. Das wär's.“ (M1/12:59)
Die Jugendlichen werden folglich als Ausländerinnen und Ausländer gesehen, negativ bewertet wurde diese Tatsache aber nicht. 6.2.5 Selbstwahrnehmung Alle Beteiligten sahen beide Kulturen in ihrer Person vereint. Die Gewichtung unterschied sich bezüglich der Aussage, welche kulturelle Seite im Individuum überwiegt. Dreimal wurde eine stärkere Gewichtung der türkischen Kultur vorgenommen, einmal eine deutlich stärkere Gewichtung der deutschen Kultur. Wenn eine Differenzierung vorgenommen wurde, gaben die Jugendlichen „ihr Blut“, „den Glauben“ und die „Hautfarbe“ als ihre türkische Seite an. „Die Abschwächung des Glaubens“, „die Kleidung“, „der Geburtsort“, „die Sprache“ und „der freiere Lebensstil“ wurde als deutsche Seite benannt. Auch in dieser Kategorie zeigte sich der Einfluss der Eltern im Vergleich zum Einfluss anderer Sozialisationsinstanzen. Während „das Blut“ direkt auf die Eltern verweist, wird auch die Religion stark vom Elternhaus geprägt. Die Bereiche „Kleidung“, „Sprache“, „Abschwächung des Glaubens“ oder auch der „Lebensstil“ werden dagegen durch den Kontakt mit Freunden, durch die Schule oder auch von den Medien beeinflusst. Das Zuhause verlangt die türkische Prägung. Ein Jugendlicher bringt das bildhaft zum Ausdruck. „Also daheim bin ich ein Türke. Aber draußen sieht man es gar nicht, dass ich ein Türke bin. Weil, .. weil da gibt es ja keinen Unterschied zwischen Deutschen und Türken. .. Draußen, da macht ja jeder das Gleiche. Wir laufen ja auch .. wir laufen ja auch nicht auf den Händen oder auf dem Kopf. Ha ja! ((lacht)) Ja, .. ja. Das war es eigentlich wieder.“ (M2.2/0:34)
124
In Verbindung mit der Kategorie Erziehung zeigte sich, dass die Jugendlichen mit dem Einfluss anderer Sozialisationsinstanzen und der damit verbundenen Vermischung keine Probleme haben, denn alle sagten aus, sie wollten ihre Kinder in gleicher Weise erziehen. „Ja, so wie ich, .. so wie meine Eltern mich erzogen haben, .. nicht die sagen deutsch und so .. ‚Deutsche machen das und das’, .. halt keine Vorurteile über jemanden. .. Ich glaube, .. ja, ... da ich in Deutschland geboren bin .. muss ich auch die Deutschen respektieren und da ich jetzt hier auch noch wohne. Ich täte die eigentlich auch so aufziehen, wie meine Eltern mich aufgezogen haben.“ (M2/13:47) „Für meine Kinder würd ich es wünschen, dass sie so leben könnten wie ich, wie ich jetzt lebe, und ja genau, so frei wie ich halt leben könnte, wenn ich zum Beispiel einen türkischen Mann heirate, würd ich mir wünschen, dass er sie genau aufwachsen lässt, wie ich aufgewachsen bin.“ (A2/18:11)
Zwei Befragte wollten beide Kulturen gezielt an die eigenen Kinder weitergeben. Eine Person spricht klar aus, dass sie keine der beiden Seiten aufgeben will. Interessant wird diese Frage bei der Folgegeneration sein, wenn die jetzt befragten Jugendlichen für die Werte und Einstellungen, die von zu Hause weitergegebenen werden, Verantwortung übernehmen und sie definieren können. Auffallend bei der Selbsteinschätzung war, dass hier genau das Gegenteil eintrat, als bei der Kategorie „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ beobachtet wurde. Während in der Kategorie der Selbstwahrnehmung die eigene türkische Seite nur an wenigen Punkten festgemacht werden konnte, wurde die deutsche Seite wesentlich leichter und umfangreicher beschrieben. Im Gegensatz dazu die Kategorie Kulturdifferenz: Hier konnten die Jugendlichen nur wenige Merkmale oder Verhaltensweisen als „typisch deutsch“ benennen. Diese Tatsache bestätigt die Annahme, dass durch die Eingewöhnung und durch das Leben in der Kultur, kaum etwas als „typisch deutsch“ empfunden wird. Viele Merkmale und Verhaltensweisen wurden vom Individuum übernommen, von nun an als der Person eigen, als „alltäglich“ oder „normal“ bewertet. So sind diese Verhaltensweisen nicht länger als „typisch deutsch“ diskriminierbar. Alle Individuen sehen also beide kulturellen Seiten in sich vereint und bewerten diese Tatsache nicht negativ. Die Voraussetzungen für ein stimmiges lebensbejahendes Gesamtkonzept ist allen Individuen gegeben. Sowohl durch die Fähigkeit, sich in einem Land beheimatet zu fühlen, die unterschiedlichen Kulturelemente leben zu können und durch eine Selbstwahrnehmung, die beide Kulturen in der Person sichtbar macht, als auch durch die positive oder zumindest neutrale
125
Einschätzung der Fremdwahrnehmung müssten die Voraussetzungen für Leben mit zwei Kulturen gegeben sein. Bleibt abschließend die Frage, ob Jugendlichen zu diesem positiven Lebenskonzept gelangen oder ob sie sich nachteiligt fühlen und sich in einer schlechteren Ausgangssituation sehen deutsche Jugendliche in Deutschland.
ein die beals
6.2.6 Lebenskonzept Die Ausführungen zu den vorangestellten Kategorien lassen ein positives Lebenskonzept vermuten. Tatsächlich sagten alle Befragten aus, mit zwei Kulturen zu leben. Anders ausgedrückt beschrieb keine der befragten Personen, die individuelle Lebenslage als ein Leben zwischen zwei Kulturen, in welchem gelebte Kulturen keinen adäquaten Raum einnehmen können. Das von den befragten Personen entworfene Modell kann als ein für sie stimmiges, positiv konnotiertes Gesamtkonzept betrachtet werden, bei welchem sich die Individuen nicht als benachteiligte Personen, als Opfer oder Ausgegrenzte empfinden, sondern sich als Individuen erleben, die an der Gesellschaft partizipieren können. Drei der Personen benannten zwar an dieser Stelle noch einmal negative Erfahrungen durch ihre Mehrfachzugehörigkeit, beschrieben diese aber als Einzelfall. Zwei Personen negierten eine Benachteiligung aufgrund der Tatsache, dass sie hier auch die türkische Kultur leben können. Deutlich wird, wie wichtig das Ausleben von kulturellen Elementen im Zuge der Integrationsdebatte wird. Ein gegenseitiges Kennenlernen nimmt Vorbehalte gegenüber anderen Kulturen. Eine Einschränkung des kulturellen Lebens wurde von keinem der Befragten vermerkt. Es wurde zwar eine Abschwächung des Islams in Glaubensfragen und in Erziehungsaspekten verzeichnet, diese Abschwächung wurde aber von den Befragten positiv bewertet. In drei Fällen wurde die Tatsache, mit zwei Kulturen zu leben, sogar als Vorteil formuliert. Vorteile wurden im Gebrauch beider Sprachen gesehen, der den Jugendlichen den Eintritt in die Arbeitswelt erleichtern kann. Die Jugendlichen sahen, dass sie sich einen Vorteil durch diese Kenntnisse verschaffen können, indem sie die Zweisprachigkeit beruflich nützen. „/ehm/ Ja, zum Beispiel bei, der Berufsberater hat zu mir einmal gesagt, er hat meine Deutschnote gesehen, da ich ja ein sehr gut habe, hat er gesagt „hey du könntest zum Beispiel Sprachkorrespondentin werden", da ich das gute Türkisch drauf habe und Deutsch und auch eine sehr gut in Englisch bin und irgendwie, die sagen, /ehm/ die bewundern einen immer, da ich so viel, da ich drei Sprachen gut drauf hab.“ (A2/16:05)
126
Die Möglichkeit, sich in zwei Ländern zurechtzufinden und zu Hause zu fühlen, wird als Vorteil klar geäußert, ebenso die Chance, in einem der beiden Länder eine Arbeit zu finden. „Ich finde, ich habe da mehr Vorteile. ... Da kann man zum Beispiel auch in der Türkei, wenn man mal nach Türkei umziehen will, aussiedeln, auswandern will aus Deutschland, kann man zum Beispiel in der Türkei als Touristenführer, als deutscher Touristenführer schnell eine Arbeit finden, oder als Animateur in Hotels für Deutsche.“ (K1/19:19)
Keiner der Befragten bekundete eine Unzufriedenheit über die bestehende Situation. Die von mir befragten Personen fühlen sich mit der Tatsache, mit zwei Kulturen zu leben, wohl und zufrieden. Sie finden einen Platz in der bestehenden Gesellschaft, an welcher sie teilnehmen. Sie fühlen sich nicht ausgegrenzt oder benachteiligt. Es kann für alle Beteiligten von einem für die Individuen stimmigen Gesamtkonzept gesprochen werden. Dieses Leben, das das Leben mit zwei Kulturen ermöglicht, ist für die von mir befragten Jugendlichen nicht mit einer selbstempfundenen defizitären Ausgangslage zu vereinbaren. Die Jugendlichen sind mit ihrer Position zufrieden und sehen sich nicht als eine benachteiligte Gruppierung in der Gesellschaft an. 6.3 Ausblick Die Auswertung der durchgeführten Interviews zeigte, dass sich die Ausgangslage für weiterführende Gesellschaftsdebatten, die sich zentral oder auch nur angrenzend mit Migrationsfragen beschäftigen, veränderte. Ging man seither weitgehend von einer benachteiligten Ausgangssituation der türkischen Jugendlichen in Deutschland aus, die nicht nur von außen attribuiert, sondern auch von den Personen selbst als subjektive Benachteiligung empfunden wurde, so wandelte sich das Empfinden bei den befragten Personen. Die Jugendlichen sehen sich nicht als Opfer oder als Individuen, die aufgrund ihrer Mehrfachzugehörigkeit in einen Rollenkonflikt geraten. Sie vermissen auch keine Akzeptanz von anderen Gesellschaftsmitgliedern. Zwar wurden ein großer Teil der Jugendlichen mit negativen und ausgrenzenden Erfahrungen konfrontiert, diese werden jedoch als Einzelfall bewertet. Darüber hinaus beschreiben die Jugendlichen diese Erfahrungen als ein Phänomen, das nicht nur in Deutschland
127
zu beobachten sei, fremdenfeindliche Einstellungen treten auch in der Türkei zutage. Dieser Wahrnehmungswandel überrascht, denn lang geführte Diskussionen betonten die Orientierungslosigkeit der Jugendlichen, ihre Entwurzelungstendenzen oder ihre Zerrissenheit.154 Es leuchtete ein, dass ein gemeinsames Zusammenleben durch diese Begebenheiten erschwert wird oder sogar zum Scheitern verurteilt sein könnte. Die Voraussetzungen für die Missstände wurden innerhalb der Personengruppe gesucht, eigene Einstellungen oder Verhaltensweisen mussten dadurch nicht zwingend in Frage gestellt werden. Zukünftig muss genauer geprüft werden, welche Umstände das Zusammenleben erschweren. Wenn sich die von mir befragten Individuen nicht länger als Opfer und benachteiligte Individuen sehen und sie ihr Leben beständig hier in Deutschland gestalten wollen, schließen sich hieran zwei Fragen an. Die erste Frage betrifft die Vorstellung unseres Integrationsverständnisses. Wie die Interviews zeigen, wollen alle Befragten auf längere Sicht dauerhaft in Deutschland leben. In einer Integrationspartnerschaft muss beiderseits die Frage geklärt werden, wie eine Gemeinschaft entstehen kann, die Parallelgesellschaften verhindert. Die befragten Jugendlichen fühlen sich hier wohl und kennen ein Gefühl von Heimat. Dieses Gefühl „des Zuhauseseins“ begründet sich auch auf der Tatsache, dass die eigene Kultur gelebt werden kann. Im subjektiven Empfinden der Jugendlichen müssen sie auf nichts Essenzielles verzichten. Kulturen werden von ihnen nicht rigoros abgetrennt und trotzdem sehen die Befragten Kulturdifferenzen, so zum Beispiel in der Religion und in den damit verbundenen Festen. Sie fühlen sich mitunter deshalb anerkannt und nicht benachteiligt, weil sie ein Leben mit zwei Kulturen leben können. Diese Tatsache zeigt, wie bedeutsam die gegenseitige Wertschätzung im Hinblick auf ein gelungenes Zusammenleben wird. Ein gemeinsamer Gedankenaustausch, der mit einem wechselseitigen Kennenlernen einhergeht, nimmt die Vorbehalte vor anderen Kultureinflüssen und macht Kulturen transparent. Die gegenseitige Akzeptanz macht aber auch deutlich, dass der Integrationsbegriff in seiner „bequemen Interpretation“ ausgedient hat, wenn eine Verbesserung angestrebt werden soll. Der Begriff der Integration wurde eingangs kritisiert, da er in vielen Köpfen als Assimilation verstanden wird. Gegenseitige Anerkennung ist aber ein ganz entscheidender Aspekt in der Integrationsdebatte. Unter den beschriebenen Voraus154
Vgl. Kapitel 1.4 Forschungsstand und Forschungsentwicklung 23-27.
128
setzungen muss der Begriff neu durchdacht werden. Ein Integrationsverständnis, das sich auf breiter gesellschaftlicher Ebene wandelt, ist für ein gemeinsames Leben ohne Separierungen unabdingbar: Als grundlegende Voraussetzung für Integration wird dann der Dialog zwischen den Personengruppen verstanden und nicht länger die einseitig gestellte Forderung, uns fremde Kulturelemente aufzugeben. Eine Homogenisierung nach unseren Wertmaßstäben tritt zu Gunsten kultureller Vielfalt in den Hintergrund. Mit der Gründung der Islamkonferenz 2006 wurde dieser Dialog institutionalisiert.155 Es ist bereits als Fortschritt zu werten, dass nun Gespräche mit den Personengruppen stattfinden, anstatt ausschließlich über die Personengruppe zu sprechen. In meiner Arbeit zeigte sich, welche Bedeutung der Akzeptanz gegenüber uns fremd erscheinenden Kulturelementen in Integrationsfragen zukommt. Sie ist Grundvoraussetzung für das Wohlbefinden und die Integration der Jugendlichen. Die Vorstellung, die Jugendlichen sollten unsere Verhaltensweisen und Gepflogenheiten übernehmen, zeigt die Kontraproduktivität dieses Gedankengangs. Eine Verweigerung der Anerkennung kann die Jugendlichen für radikale und fundamentalistische Vorstellungen öffnen. Verstärkt werden fundamentale Orientierungen auch durch soziale Exklusionserfahrungen und geringe Partizipationsmöglichkeiten in der Gesellschaft.156 Soll eine Integration erfolgreich sein, muss ein Inklusionsprozess stattfinden, der die Beteiligten in die Gesellschaft einschließt und sie in das gesellschaftliche Leben einbindet. Der Prozess der Inklusion fordert, dass jeder Mensch in seiner Individualität akzeptiert wird. Unterschiede werden nicht länger als etwas Störendes betrachtet, sie sind das Alltägliche. Aufgabe der Gesellschaft ist es, Strukturen zu schaffen, die es unterschiedlichen Personen ermöglicht, sich in die Gemeinschaft einzubringen. In diesem Sinne darf die Existenz des Unterschieds nicht als etwas Lästiges betrachtet werden, das es zu glätten gilt. Der Umgang mit Differenzen birgt Chancen, die genutzt werden können. Jörg Rüsen zeigt in diesem Zusammenhang, dass der Blick auf das Anderssein der Individuen die Einsicht in die innere Struktur des Eigenen schärfen kann.157 Das Anderssein der anderen muss auf der Basis des demokratischen Grundverständnisses akzeptiert werden und der Wunsch nach Vereinheitlichung durch 155
Die Konferenz wurde von Wolfgang Schäuble initiiert mit dem Ziel, die in Deutschland lebenden Muslime besser zu integrieren. 156 Vgl. Deutsches Innenministerium (Hrsg.): Muslime in Deutschland 494. 157 Vgl. Rüsen, J., Erinnerung, Geschichte, Identität 32.
129
Toleranz ersetzt werden. Hierfür darf Kultur nicht länger als ein feststehendes dominantes Gefüge verstanden werden, in das sich „vereinzelte Individuen“ eingliedern müssen. Ein Kulturverständnis, das als Aushandlungsprozess verstanden wird, kann Toleranz begünstigen. Unter diesen Umständen könnte Heterogenität weiterhin bestehen und als Bereicherung empfunden werden. Der Aushandlungsprozess fügt aber nicht nur neu dazukommende kulturelle Elemente zu bereits Vorhandenen hinzu, er ist auch kreativ, da er Bestehendes transformiert und somit Neues entstehen lässt. Bereicherung durch Differenzen und Transformationen fanden sich auch bei den von mir befragten Jugendlichen wieder. Im Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Orientierungsmustern zeigte sich, dass der gegenseitige Austausch als Bereicherung verstanden werden kann, der sich nicht nur in der Variationsbreite der Speisen und des Musikangebots zeigte. Transkulturalität zeigte sich in den Vorstellungen von Begrifflichkeiten und im Umgang mit Sprache, die zum Teil ganz eigene neue Wege geht. Die Jugendlichen nutzen unterschiedliche kulturelle Orientierungsmuster, sie wechseln zum Teil zwischen deutscher Kulturnähe und türkischer Kulturnähe, leben aber auch Mischformen beider Kulturen. In diesem Zusammenhang zeigt sich die Bedeutung der Identitätsbildung, die als „Passungsarbeit“ verstanden wurde. Passungsarbeit meinte nicht lediglich Anpassung an Außen. Sie wurde vielmehr definiert als subjektiver Aushandlungsakt zwischen divergierenden Anforderungen.158 Identitätsbildung ist demzufolge die Leistung, die das Individuum erbringen muss, um mit anderen Individuen zu kommunizieren und interaktionsfähig zu sein. Hieraus erwachsen verschiedene Aufgaben für die Gesellschaft. Identitätsbildung beinhaltet Konzeptentwicklungen, die die Gesellschaft mit ihrer Vielfalt zu einer Gemeinschaft werden lässt. Diese Konzepte müssen aber nicht ausschließlich neu entwickelt werden. Viele Strukturen sind bereits vorhanden, sie müssen nur aufgezeigt, genutzt bzw. akzeptiert werden. Identitätsbildung bedeutet dann viel schlichter das Verweisen auf bereits vorhandene Konzepte und das Aufzeigen ihrer Relevanz für die Gemeinschaft. Eine Gesellschaft der Vielfalt setzt jedoch die Sensibilität voraus, Verletzungen des Gleichheitsprinzips zu erkennen und sichtbar zu machen, aber auch Separierungen entgegenzuwirken. Nur dann kann von einer Gemeinschaft gesprochen werden. Hierbei wird deutlich, welche tragenden Rollen bei der Identitätsbildung den Kindergärten und Schulen zukommen. Schon früh müssen die Voraussetzungen 158
Vgl. Kapitel 2.4 Teilbereiche der Identitäten 33+34.
130
für eine Gemeinschaft geschaffen werden, in welcher für jedes Individuum ein Platz sichergestellt werden kann, um an der Gemeinschaft teilzunehmen. Identitätsbildung bedeutet in diesem Sinne auch immer wieder Erziehung zur Toleranz, die den demokratischen Dialog, im Sinne von Konsensbildung fördert, aber dem Individuum auch Problemlösungsstrategien und Frustrationstoleranz vermittelt. Empathiefähigkeit darf bei der Identitätsbildung ebenso wenig vernachlässigt werden wie das Erlernen von Kritikfähigkeit und die Fähigkeit zur Reflexion. Innere Heterogenität und Pluralität sind folglich nicht Zeichen einer zerrissenen Identität, sondern die Grundvoraussetzung, um ein positives Lebenskonzept zu konstruieren. Die befragten Jugendlichen leisten diesen Aushandlungsakt gegenüber den Anforderungen der Eltern, der Schule und den Freunden, ohne ihn als belastend zu empfinden. Sie haben eine Lebensform gefunden, bei welcher die Anforderungen an sie in einem für sie stimmigen Lebenskonzept vereinbar sind. Dies führt uns zu der zweiten Frage. Sie leitet sich aus der aktuellen Bildungsintegration ab. Obwohl sich die Jugendlichen als nicht benachteiligt erleben und sie sich durch Mehrfachzugehörigkeit nicht schlechter gestellt fühlen, sind sie in ihrer Bildungsintegration benachteiligt. Der größte Teil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund wechselt nach der Grundschule in die Hauptschule.159 Um den Jugendlichen aber einen adäquaten Platz in der Gesellschaft zu ermöglichen, muss die Frage geklärt werden, wie Jugendliche mit Migrationshintergrund bessere Bildungsvoraussetzungen erhalten können? Die schulischen Leistungen der Personengruppe im Primarbereich sind häufig gekennzeichnet durch Sprachschwierigkeiten. Zu Hause wird immer noch mit mindestens einem Elternteil türkisch gesprochen, überwiegend mit dem präsenten Elternteil. Im Kindergarten- und Grundschulalter sind die Kinder ausschließlich auf Beziehungen angewiesen, die ihnen die Eltern ermöglichen. Haben die Eltern Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache, werden sie sich umso dringlicher um gleichsprachige Kontakte bemühen. Dies verstärkt wiederum die deutschen Sprachdefizite der Kinder, da ihnen sowohl die förderlichen Anstöße zur Sprachentwicklung fehlen als auch die sprachliche Eigenproduktion verhindert wird. Mangelnde Sprachkenntnisse isolieren oder separieren, denn der einfachste Weg, Kommunikation in diesem Fall aufzubauen ist, sich wiederum an Kinder in derselben Situation zu wenden. Die Kinder, die einen Kindergarten besuchen, können den deutschen Wortschatz ausbauen, doch der tägliche Kindergartenbe159
Vgl. Kapitel 1.3.1 Status quo an baden-württembergischen Schulen 20+22.
131
such reichte bislang nicht aus, die Sprachdefizite bis zum Schuleintritt zu kompensieren. Mängel in der deutschen Sprache beeinflussen im weiteren Schulverlauf aber nicht nur das Fach Deutsch. Alle weiteren Fächer bzw. Fächerverbünde setzen Sprachkompetenz voraus. Mit zunehmendem Alter spielen Peergroups und andere außerhäusliche Sozialisationsinstanzen eine wichtige Rolle. Der deutsche Sprachwortschatz erweitert sich durch Gespräche, allerdings sind bis dahin bereits solche Lücken zu verzeichnen, dass ein Übertritt in die Realschule oder in das Gymnasium sehr schwer gelingt. Der Großteil der türkischen Jugendlichen wechselt nach den ersten vier Jahren auf die Hauptschule. Dort treffen sie wiederum türkische Jugendliche, und die deutsche Sprache tritt erneut in den Hintergrund. Die sprachliche Förderung in der Schule, die den Sprachdefiziten entscheidend entgegensteuern könnte, kommt folglich bei Weitem zu spät. Verbindliche gezielte Fördermaßnahmen müssen in unserem Bildungssystem fest verankert werden. Diese Förderung muss sowohl für die Eltern als auch für die Kinder im Kleinkindalter bereitgestellt werden. Welcher Stellenwert der sprachlichen Erziehung in Kindertagesstätten zuteil wird, zeigen aktuelle Diskussionen und Untersuchungen. Zentrale Aufgabe des Kindergartens ist es, die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln und zu unterstützen. Der Kindergarten als erste Bildungsinstitution muss die Chancen, die ihm bei der Sprachentwicklung zukommen, erkennen und wahrnehmen. Die sprachsystematisch orientierten Förderprogramme, wie sie aktuell weitläufig initiiert werden, müssen jedoch dringend durch eine ressourcenorientierte Förderung in natürlichen Situationen ergänzt werden. Gerade durch einen bewussten Kommunikationsstil in informellen und inzidentellen Situationen kann die Sprachkompetenz erweitert und die sprachliche Entwicklung unterstützt werden. Wie der Orientierungsplan für baden-württembergische Einrichtungen zeigt, ist die Sprachentwicklung mit vielen anderen Lebensbereichen verwoben und wird im isolierten Verständnis nicht die Wirkung erzielen, die eine Vernetzung mit anderen Bildungs- und Entwicklungsfeldern erreichen kann. Sprachförderung soll daher in Kindertageseinrichtungen nicht als isoliertes Sprachtraining verstanden werden, sondern als gezielte Erweiterung der Sprachkompetenz durch Angebote, die in den Alltag integriert werden. Einzelne Förderstunden können hier keinen fortwährenden Erfolg zeitigen. Verbindlich bedeutet auch, dass Fördermaßnahmen dauerhaft aufrechterhalten werden, auch wenn die betroffenen Personengruppen nur eine kleine Lobby hinter sich vereinen können.
132
Die Situationen an den Schulen lassen wenig Handlungsspielraum zu. Vorbereitungsklassen sollen Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund das Erlernen der deutschen Sprache in den Grund- und Hauptschulen erleichtern. Die Förderungen sind in der Regel auf ein Jahr begrenzt, in Ausnahmeregelungen können Schülerinnen und Schüler auch zwei Jahre gefördert werden. Mängel zeigen sich in der Handhabung und in der Umsetzung des Fördergedankens. Die Ausbildung der Lehrkräfte ist nicht flächendeckend gewährleistet. Aufgrund der unzureichenden Lehrerversorgung verzichtet man an Schulen, die bereits Fördermaßnahmen anbieten, im Krankheitsfall zuerst auf die Sprachförderungen, um den Regelunterricht zu gewährleisten. Im Krankheitsfall wird zuerst da kaschiert, wo die meisten Einwände zu erwarten sind, und die kommen in aller Regel nicht von den Eltern der türkischen Schülerinnen und Schüler, die häufig vom Sprachförderprogramm nichts wissen oder deren mangelnde Deutschkenntnisse ein Einschreiten verbieten. Somit hängt es von der Lehrerversorgung der jeweiligen Schule ab, ob eine sprachliche Förderung überhaupt in das Bildungsangebot integriert und in welchem Umfang sie durchgeführt werden kann. An manchen Schulen versuchen Eltern in der Funktion als Lesepaten, die Lesefähigkeit Bedürftiger zu verbessern, andere Schulen stellen Hilfskräfte für sprachliche Fördermaßnahmen ein. Das Maß an Förderstunden schwankt ebenso wie die Form der Durchführung. Diese Bemühungen sind sicherlich allesamt hilfreich, aber bei Weitem nicht ausreichend. Was fehlt, ist eine verlässlich geplante, fachgerechte, systematisch durchgeführte und ganzheitliche Sprachförderung, die die Kinder vom Kleinkindalter an begleitet und ihnen in natürlichen Situationen das Erlernen der Sprache ermöglicht und Ausdrucksmöglichkeiten schult. Allerdings kann die Frage nach der schlechten Bildungsvoraussetzung der türkischen Jugendlichen nicht allein an der Tatsache festgemacht werden, dass die türkische Sprache das Deutsche verdrängt. Die Meinung, Schüler mit Migrationshintergrund weisen deshalb schlechtere Schulleistungen auf, da die „Muttersprache“ die deutsche Sprache verdränge, bestimmte viele Jahre unterschiedlich geführte Bildungsdiskussionen. Deshalb ging auch ich ursprünglich von einer einseitigen sprachlichen Reduzierung aus. Die sprachlichen Mängel in der deutschen Sprache, so meine Annahme, würden durch die türkische Sprachfähigkeit kompensiert. Die Entwicklungen sind indes besorgniserregender, denn bei den befragten Jugendlichen mit Sprachproblemen zeigte sich eine sprachliche Reduzierung in beiden Sprachen. Es war folglich eine allgemein zu schwache sprachliche Ausprägung in beiden Sprachen zu verzeichnen. Welche weitreichenden Konsequen-
133
zen dieser Sprachverlust aufweist, wird ersichtlich, wenn man sich die Bedeutung von Sprache vergegenwärtigt. Sprache ist nicht nur Kommunikationsmittel, welches uns den Umgang mit unseren Mitmenschen erleichtert. Sie ist ein wichtiges Instrument, die Welt und die Menschen zu verstehen. Wir vollziehen unsere Wahrnehmung und unser Denken im Rahmen unserer individuellen sprachlichen Möglichkeiten. Sprache bestimmt unser Denken. Mit Sprache lassen sich Emotionen ausdrücken; mit ihr lässt sich Wissen verbreiten und dokumentieren, um nur wenige Bereiche der Sprachrelevanz aufzuzeigen. Einige Bundesländer erkennen die Notwendigkeit, die Herkunftssprache der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu fördern. Gegner dieser Bestrebungen müssen ihre Position im Hinblick auf die allgemeine sprachliche Reduzierung neu überdenken. Es ist zu überlegen, ob die Sorge, die türkische Sprache könne die deutschen Sprachdefizite verstärken, nicht hinter der Besorgnis der sprachlichen Reduzierung verblasst. Bayern, Berlin und Hamburg entwickelten Lehrpläne für Deutsch als Zweitsprache (DaZ), sie stärken somit die sprachliche und kulturelle Vielfalt an den Schulen. Der Prozess der Inklusion fordert also nicht nur ein Umdenken bezüglich des Integrationsverständnisses und einhergehend damit der Bewertung der Kulturen. Als wesentlicher Teil der Entwicklung muss die Verbesserung der Bildungsintegration für Personen mit Migrationshintergrund verstanden werden. Die Chancen, einen höheren Bildungsabschluss zu erzielen, sind für Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland deutlich geringer als in anderen Ländern. Dadurch werden ihre Partizipationsmöglichkeiten drastisch eingeschränkt. Nur durch die Verbesserung ihrer Bildungsmöglichkeiten können sie einen Platz in unserer Gemeinschaft erreichen, der ihnen eine aktive Teilnahme an der Gesellschaft ermöglicht. Auf diese Veränderungen kann zukünftig nicht verzichtet werden, wenn wir von Chancengleichheit und demokratischem Grundverständnis sprechen. Nur so kann unsere plurale Gesellschaft zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen. Dieser Transformationsprozess wird allerdings nicht eines Tages einfach vollzogen sein, wenn er nicht zuerst in unseren Gedanken wachsen kann.
134
7 Anhang 7.1 Kurzfragebogen
135
7.2 Analysetabelle: Bearbeitung und Extraktion der Fundstellen Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
A1
Heimatgefühle für Deutschland
„Eher in Deutschland, weil .. ich bin hier geboren und .. hier kann ich irgendwie mit .. mit der Umwelt kann ich besser umgehen als in der Türkei. Da fällt es mir schwieriger.“
Heimatgefühle für Deutschland
<spricht von der Türkei> „Ja, eher fremd. Mein Aussehen ist mehr so deutsch. Als ich dort war, haben die gedacht, dass ich Deutscher bin.“
Heimatgefühle für Deutschland
„Hier habe ich mehr Freunde und hier habe ich einfach mehr Möglichkeiten in der Freizeit irgendetwas zu machen. Außer eben ans Meer zu gehen oder zu Verwandten. Dadurch .. mehr Chancen einfach.“
Heimatgefühle für Deutschland
„Also hier gefällt es mir, ich will auch nicht weg hier, weil .. Deutschland ist einfach irgendwo, ich bin halt hier geboren, die Sprache kann ich besser sprechen. Ich weiß nicht, hier gefällt es mir einfach und natürlich würde ich auch, .. also Urlaub zu Türkei fahren. Das ist kein Problem. Aber, … also, wenn ich jetzt in der Türkei, also einfach hingehen würde und nie wieder zurückkommen würde, dann, .. dann müsste ich mich schon ein, zwei Jahre lang anpassen bis ich alles kann, was ( ) muss. Was die Türkischen dort auch machen.“
Heimatgefühle für Deutschland
„Ja, das schon, weil hier sind einfach die Bildung wird hier besser unterstützt. Dann schulische, berufliche Bildung .. und hier ist es einfach viel besser, denke ich mal.“
A1
Heimat
Heimat
Fall riable
Heimat
A1
A1
136
Heimat
Heimat
A1
Fund- Verstelle tiefung
Umwelt
A1 1:16
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„Wahrscheinlich an der Sprache, A1 Begründung des Gefühls weil .. ich bin hier viel draußen, rede 1:30 aufgrund des Geburtsortes, viel deutsch und kann besser Umwelt und der Sprache. deutsch formulieren und in der Türkei ist es, also das sind andere Menschen einfach und so leicht anzupassen ist es nicht. Fühlt sich fremd in der Türkei.
A1 3:53
„Freunde in der Türkei habe ich, A1 Begründung des Gefühls sage ich mal nicht.“ 00:44 aufgrund von Freunden <deutsche oder türkische Freunde in und Deutschland?> Teilnahme am Leben „Es sind hauptsächlich mehr türki- A1 sche, weil ich weiß nicht .. woher 12:22 Mehr Freunde in Deutschdas kommt, die .. also, sagen wir land, überwiegend türkimal die deutschen Freunde interessche Freunde. sieren sich nicht so oft oder so viel. Und deswegen sind wir eigentlich auf dem Sportplatz und so immer mit den türkischen Freunden.“
Freunde
A1 2:37
Anpassung
A1 15:11
A1 15:24
„[…] und in der Türkei ist es, also A1 „Anpassung“ wird verdas sind andere Menschen einfach 1:3o standen im Sinne von und so leicht anzupassen ist es „Einleben“. nicht.“ Begründung des Gefühls aufgrund von Sprache und Geburt. Türkei ist Urlaubsland.
Deutschland wird bevorzugt wegen schulischer und beruflicher Bildung.
137
Va-
Ausprägung
A1
Heimatgefühle für die Türkei
„Meine Verwandten und unser eigenes Heim in der Türkei und mein Opa und Oma sind jetzt auch in der Türkei. Die vermisse ich dann auch immer.
Heimatgefühle für Deutschland und für die Türkei
<was vermisst K., wenn er in der Türkei ist?> „Die Rechte vermisse ich hier aus Deutschland, weil wenn man dort in der Türkei zum Arzt gehen muss, muss man Geld zahlen, ... meine Freunde aus Deutschland, dann kann ich nicht mit meinen, /eh/ mit meinen Mitmenschen dort deutsch reden, meine zweite Sprache, das vermiss ich also sehr.“
Heimat
Fall riable
<was vermisst K., wenn er in Deutschland ist?> „Da fehlt mir halt /eh/ die Wärme, weil es hier in Deutschland nicht so warm ist, wie in der Türkei, dann fehlt mir einfach die Kultur, /eh/ meine Verwandten, die dort leben, die vermisse ich also, wenn ich hier her komme und wenn man halt ne gewisse Zeit dort sich eingelebt hat, in ein paar Wochen, deshalb gerade der Anfang, wenn man sich dort gerade so richtig wohl fühlt, dann kommt man ja gerade wieder nach Deutschland zurück und das fällt einem sehr schwer, weil man sich dort dann gerade eingelebt hat, und das fällt dann halt schwer, dass man zurückreist.
K1
138
Heimat
Heimat
K1
Ankerbeispiel
Fremdsein
„Ich fühl mich, angesprochen jetzt mich selbst, jetzt nicht fremd.“
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
Reduktion
A1 4:11
Verwandte, eigenes Heim werden vermisst.
K1 2:29
Ambivalentes Gefühl: a) Vorliebe für Deutschland Begründung des Gefühls aufgrund von Rechten und Vorteilen in Deutschland gg. der Türkei, Freunde und Sprache.
Alltag
K1 3:13
„Halt der Alltag, wie die Türken in K1 der Türkei so leben.“ 4:39 b) Vorliebe für die Türkei „Das ist halt so spannender, nicht Begründung des Gefühls so, wie soll ich sagen, in Türkei ( ) aufgrund des Klimas, lebt man halt nach dem freien Stil, Kultur und Familie. lebt man nicht so in Deutschland, da Kultur wird verstanden als muss man halt nicht so zur Arbeit, gelebter Alltag, der in der wie die meisten hier zur Arbeit gehen, dort lebt man einfach so nach K1 Türkei als lustvoller emp9:28 funden wird. Lust, wie man dort halt Lust hat. „… Ja, da meine Eltern nicht so sehr viel Zeit haben, da sie arbeiten, da ich sehr viele deutsche Freunde habe, da ich auch sehr viel mit deutschen Freunden ausgehe, finde ich halt, dass ich der deutschen Kultur näher bin, als der türkischen Kultur hier in Deutschland, aber das ändert sich halt, wenn ich in der Türkei bin.
K1 3:27
Kulturnähe verändert sich, je nach Aufenthaltsort.
Kein Gefühl des Fremdseins vorhanden.
139
Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
K1
Heimatgefühle für Deutschland und die Türkei
„Ich fühl mich beides halt zu Hause, weil ich bin hier geboren, aber meine Wurzeln liegen ja halt in der Türkei, weil meine Eltern in der Türkei geboren sind und .. ich fühl mich .. genauso hier in Deutschland da zu Hause, wie auch in der Türkei, also bei mir gibt’s keine Unterschiede.“
Heimatgefühle für Deutschland und die Türkei
„Ich möchte wie mein Opa, mein Opa ist hier Rentner, mein Opa, wie soll ich sagen, der kann in Türkei nicht so leben, der lebt sechs Monate des Jahres in Türkei, die warmen Monate, also den Sommer und den Winter lebt er halt in Deutschland, also sechs Monate, die kälteren Jahreszeiten. Und das kommt halt daher, da er, da die Technologie in der Türkei noch nicht so verbreitet ist, wie in Deutschland, dort heizt man halt noch nicht so in allen Lagen mit Heizung, noch mit Ofen oder so und deswegen, wie soll ich sagen, ich würd auch so wie mein Opa leben, sechs Monate in der Türkei, sechs Monate in Deutschland halt so, für immer würde ich nicht nach der Türkei gehen.“
Heimatgefühle für Deutschland
<was vermisst M. aus Deutschland?> „.. Von hier Deutschland? ... Eigentlich kommt es wieder zur Politik. /ehm/ Ich würde sagen, der Verkehr eigentlich, weil das stresst einen, .. die hupen da die ganze Zeit, das Rechts vor Links wird nicht gehalten. Das war es eigentlich dann und das würde ich dann, ... vermisse ich das hier, weil hier gibt es Regeln. /ehm/ Hier gibt es eine Ordnung und das gibt es in der Türkei noch nicht. Und das vermisse ich da.“
Heimat
Fall riable
Heimat
K1
Heimat
M1
140
Fund- Verstelle tiefung
Wurzeln
K1 3:57
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„Ich mach das also nur an meinen, 4:18 Das Zuhause wird über /eh/ an meiner Staatsangehörigkeit, eigenen Geburtsort defiich bin türkischer Staatsangehöriger niert, und meine Eltern, die sind ja auch in Wurzeln werden über den der Türkei geboren und deswegen Geburtsort der Eltern und find ich, dass meine Wurzeln aus über Staatsangehörigkeit der Türkei kommen.“ definiert. Zukunftsvision: Halbjährlicher Wechsel des Aufenthaltsortes.
M1 1:37
„Eigentlich sehr wichtig. Wie ich 8:48 Begründung der Gefühle das vorhin schon gesagt habe. Die aufgrund von Regeln und Regeln vom Verkehr, wie es hier in Ordnung, die in DeutschDeutschland ist. Das ist auch eine land bestehen und mit Regel. Das müsste eigentlich überall denen er sich identifiziert. sein. Ich bin zwei Jahre hier oder eineinhalb Jahre und dann gehe ich rüber und es ist ganz anders. Dann wird man schon aggressiv. Man macht das mal mit .. und dann passieren Sachen, was eigentlich nicht passieren sollten.“
Regeln
K1 20:51
141
Va-
Fall riable
„[…] .. Zum Beispiel das Wasser. Wenn es nicht regnet. Dann haben wir nicht genug Wasser .. für den Alltag. Deswegen gibt es auch mal paar Tage, wo wir kein Wasser haben. Trotz dass wir, .. /eh/ dass wir in der Nähe Großstadt wohnen. /ehm/ Und dann wär doch der Strom noch mal ein Problem. Ist halt nicht so wie in Deutschland. .. ( ) Wenn der Strom mal weg ist, dann gehen halt die, .. dann gehen mal die, .. /ehm/ .. die, die, die mit dem Benzin laufen, die .. Gen .. Generator oder so.“
Fremdsein
„Also ich fühle mich eigentlich normalerweise .. nicht fremd. Aber die, die da wohnen, fühlen mich, /eh/ bezeichnen mich als Europäer. Also da bin ich halt, so wie in Deutschland ein Ausländer. Sehen die mich. Die sagen‚ ja du bist ein Deutscher. Ja .. ihr seid reich’ und solche Dinge halt.“
Heimatgefühle für Deutschland und die Türkei
„[…] Also, also ich habe ein Land, wo drauf ich stolz sein kann […]. Das ist das.“
Heimatgefühle für Deutschland und die Türkei
„Nein, eigentlich nicht. Ja wenn, .. wenn, dann, ja mal Urlaub machen. So wie es meine Oma macht. Sechs Monate rüber und dann wieder herkommen. Sommer in der Türkei verbringen. Und dann Winter in Deutsch.. hier in Deutschland verbringen.“
Heimatgefühle für die Türkei
„In Türkei, /eh/ weil da alle meine Verwandten sind, hier habe ich drei Tanten, einen Onkel und dort ist mein Opa, alle, meine komplette Familie.“
Heimat
M1
Heimat
M1
Ankerbeispiel
Heimatgefühle für Deutschland Heimat
M1
Ausprägung
M2
142
Heimat
Heimat
M1
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
Reduktion Deutschland ist technisch besser ausgerüstet. Das Leben ist in Deutschland komfortabler.
M1 3:02
Fühlt sich in der Türkei nicht fremd, wird aber dort als Fremder gesehen.
M1 13:40
„Das türkische. .. Eigentlich .. wäre M1 Stolz auf beide Länder. ich auch auf Deutschland stolz, .. ja, 14:14 Kausalzusammenhang aber jetzt will das aber nicht so viel zeigt: Identifikation mit vertiefen. Weil wie es an dem der Türkei ist hier größer. Canakale-Krieg war, haben sie auch uns die Deutschen geholfen. Ohne die hätten wir jetzt kein Land. Das wissen manche nicht, deswegen sagen die ‚ja was wollen die Deutschen.’ Es gibt auch Türkische, die rechtsradikal gegen Deutsch sind. Aber .. ich bin eigentlich auch stolz auf Deutschland.“
Stolz
M1 2:27
M1 16:14
Zukunftsvision: Entweder in Deutschland oder halbjährlicher Wechsel des Aufenthaltsortes.
M2 1:45
Gefühle aufgrund der Familie.
143
M2
Heimat
Heimatgefühle für die Türkei
„Da fühl ich mich irgendwie besser, weil, .. weiß nicht, .. das ist (halt) mein eigenes Vaterland da. Da fühle ich mich halt irgendwie besser. ... Ja.“
Heimat
Heimatgefühle für die Türkei
„[…] Dass (ich) .. ( ) die Tür.. die Deutschen nicht beleidigen .. soll, weil wir auch hier in ihrem Land leben in Deutschland.[…]“
Heimatgefühle für die Türkei
„Meine Heimat ist in der Türkei.“
Fremdsein
„Nein, weil ich hier geboren bin, fühle ich mich hier nicht so fremd. Ich passe mich auch hier an.“
Heimatgefühle für Deutschland und die Türkei
„das ist eine schwierige Frage. .. Weiß' nicht. Da sind auch all meine Verwandten. Aber ich täte hier schon gern leben wollen und so, w e i l, .. ich weiß nicht. Ich bin hier geboren. Das ist jetzt ein ganz anderes Gefühl, .. dann wieder in der Türkei zu leben. Ich, .. ich .. täte hier in Deutschland bleiben und immer so .. ein paar Wochen nach Türkei reisen. Aber so ganz nach Türkei, glaube ich, jetzt noch nicht.“
M2
M2
M2
Heimat
Ausprägung
Heimat
Va-
Fall riable
Heimat
M2
Ankerbeispiel
„In der Zukunft? Ganz friedlich wie jetzt .. heutzutage halt, .. weiß nicht, ich möchte auch ( ) hier in Deutschland bleiben. Ich will nicht für immer in Türkei reisen. .. Ich fühle mich hier in Deutschland wohl.“
144
Fund- Verstelle tiefung
M2 14:01
Reduktion Türkei = „Vaterland“
„ihrem Land“
M2 5:42
Fund stelle
„Ja, fremd nicht so, aber es ist schon M2 Grenzt sich von den Deutihr Land. Deutschland. Ihr Deutschen 6:1 schen ab. .. sind halt hier. Das gehört, .. hier 2 sind mehr Deutschen als alles.“
Heimat
M2 4:15
Explikation
„Wegen meiner Familie. Da ist ein- M2 Heimat ist, wo die Verfach all meine Verwandten. .. Wären 14: wandten sind. die in Russland, da wäre auch meine 09 Heimat Russland, zum Beispiel.“
M2 1:56
Fühlt sich in Deutschland nicht fremd, da er hier geboren ist.
M2 10:02
Zukunftsvision: Aufenthalt lieber in Deutschland, aber mehrere Wochen im Jahr in der Türkei.
M2 13:05
145
Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
A2
Heimatgefühle für Deutschland
„[…] es ist ( ) Deutschland ist eigentlich meine Heimat, weil ich bin hier aufgewachsen und irgendwie fehlt da was.“
Heimatgefühle für Deutschland
„Die Deutschen sehe ich wie, wie eigentlich, wie meine Landsmänner, weil ich bin ja, ich bin seitdem ich geboren bin in Deutschland und das ist eigentlich wie meine Landsmänner.“
Heimat
Fall riable
E1
Heimat
Heimat
A2
Heimat
E1
146
„Die Türken, die seh ich, .. die seh ich eigentlich nicht als Landsmänner an, weil ich geh da meistens einmal im Jahr hin, wenn auch überhaupt und .. /ehm/, das sehe ich als einen Urlaubsort an für mich.“ Heimatgefühle für Deutschland
„Jaa, also hier fühle ich mich eigentlich wohler, hier in Deutschland, aber in Türkei nicht so, weil da kenne ich ja auch niemand. Außer meinen Großeltern kenne ich da eigentlich niemand.“
Heimatgefühle für Deutschland
„Mein Zuhause ist eigentlich hier in Deutschland, weil, .. weil ich da ja nicht, .. weil ich da ja nicht öfters bin in der Türkei .. finde ich, .. weil ich da auch niemanden kenne, fühl ich mich eigentlich .. ja, mehr hier ist mein Zuhause.“
Fund- Verstelle tiefung
Heimat
A2 1:50
A2 13:03
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„Ich bin hier aufgewachsen und A2 Heimat ist Deutschland. dadurch hab ich hier auch viel mehr 2:13 Heimat wird an Freunden Freunde und ( ) hier in Deutschland und am Familienzusamsind wir mit der Familie viel enger menhalt festgemacht. zusammen, wir sehen uns fast Tag täglich und ich hab zwar auch eine Familie in der Türkei, aber das sind eben nur die Cousins, zum Beispiel von meinen Eltern und ja, ich weiß nicht, da fehlt halt irgendwie der Zusammenhalt und alles.“ Deutsche sind Landsmänner oder zumindest den Landsmännern gleich Türken sind keine Landsmänner. Türkei ist Urlaubsort.
A2 13:23
Fühlt sich in Deutschland wohler. Gefühle aufgrund mangelnder Kontakte in Türkei.
E1 1:45
„( ) Ich finde meine Heimat ist in E2 Zuhause wird an KontaktDeutschland, weil ich hier geboren 13:01 personen festgemacht. bin und weil ich mich hier richtig Zuhause ist Deutschland. auskenne. Wie in der Türkei, weil in der Türkei kenne ich mich ja gar nicht aus. Deswegen, finde ich, ist hier meine Heimat.“
Zuhause
E1 1:33
147
Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
E1
Heimatgefühle für Deutschland
„Hier. Weil ich jetzt, .. weil wenn ich jetzt zum Beispiel hier Arbeit gefunden habe, dann arbeite ich ja hier und nicht in Türkei und Türkei ist, glaube ich, schwer eine Arbeit zu finden.“
Heimatgefühle für Deutschland und die Türkei
„... Weiß nicht, aber hier haben wir auch Zuhause und in der Türkei auch. ... Irgendwie vermisse ich Deutschland auch, ja.“
Heimatgefühle für Deutschland
<Was ist besser in Deutschland?> „Die Regeln ..“ „Ja vom Gesetz her ..“
Heimatgefühle für Deutschland
„Nein.“ „Ja, für in der Türkei macht es für Ferien Spaß, aber wenn wir dort lange sind, ist es auch manchmal langweilig.“
Heimat
Fall riable
Heimat
N1
N1
148
Heimat
Heimat
N1
Fund- Verstelle tiefung
Arbeit
E1 11:14
N1 13:34 N1 13:41
Gesetze
N1 2:10 N1 2:18
Fundstelle
Reduktion
11:44 Leben in Deutschland, „... Das wäre eigentlich sehr schwer weil es da Arbeit gibt. für mich, .. das ist eigentlich sehr schwer für mich, ja ich bin dort Leben in der Türkei nur nicht zur Schule gegangen, ich schwer denkbar, aber nach kenne mich dort gar nicht aus. DesEingewöhnungszeit mögwegen wäre es da sehr schwer für lich. mich. In den ersten, in den ersten Zeiten wäre es sehr schwer, aber wenn ich mich ja dann dort gewöhnt habe, dann wäre es gar kein Problem.“ <was wird in der Türkei vermisst?> N1 Heimatgefühle „Ja, hier zu Hause, meine Familien, 1:10 für Deutschland und die meine anderen Familien vermisse Türkei. ich auch.“
Familie
N1 1:36
Explikation
N1 Familienbegriff wird im „Ich gehe .. halt, .. wir besuchen 0:56 Plural verwendet. Familie unsere Familien und .. wir, /eh/ wir existiert in Deutschland besuchen unsere Familien und wir und in der Türkei. gehen ans Meer, halt bisschen Stress und so von der Arbeit, von der Schule ein bisschen weg. „Ja, .. /ehm/ die Gesetze sind halt N1 Regeln und Gesetze sind dort anders, nicht so wie hier, .. 2:59 in Deutschland besser als /ehm/ dort passieren auch sehr viele in der Türkei. Fälle. Hier nicht. Hier ist man halt, .. hier hat man eigene Rechte. Dort, dort auch, aber ich weiß es nicht.“ Leben in Deutschland wird bevorzugt. Türkei ist in den Ferien gut, sonst manchmal langweilig.
149
Ankerbeispiel
A1
Kategorien „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ sind vorhanden
„Also so typisch türkisch zum Beispiel, wenn eine Schlägerei ist, dann ist der gleich hilfsbereit und kommt, hilft jemanden. So in der Art. Und bei den Deutschen ist, dass er sich eher raus hält und also, .. dass er sich nicht direkt einsetzt. Natürlich gibt es einige, die sagen ‚Ja, du bist mein Freund, ich schütze dich, egal was passiert.’ Aber so, .. mehr so /ehm/ (Näherung) liegt bei den Türkischen, glaube ich mal, ein bisschen mehr. Und ich weiß es nicht, .. /eh/ weil die Türkischen werden, die werden wahrscheinlich auch von der Familie so erzogen, dass sie ihnen helfen sollen. Aber natürlich, wenn ich jetzt auch in Schwierigkeiten stecken würde, würden die Deutschen auch helfen. […]“
Kategorien „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ sind vorhanden
„... für mich ist so typisch deutsch, so Lederhosen, so bayrisches Gejodel, türkisches ((!!!)) deutsch, ((lacht)) typisches deutsch.“
Kulturdifferenz
Kategorien „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ sind vorhanden
„... Also typisch türkisch, die .. Aggression finde ich. Weil das steckt irgendwie in den Türken drin. Die werden gleich, .. die denken, die sind es. Die werden gleich aggressiv, glaube ich mal. Und die Deutschen, typisch deutsch? Das wäre eigentlich .... Da wüsste ich eigentlich keines.“
Kategorien „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ sind nicht vorhanden
„Nein, so was gibt es bei mir eigentlich nicht - typisch deutsch oder so, weil, .. weiß nicht jeder, .. jeder Mensch macht irgendwas, da kann man nicht sagen .. jeder Mensch macht ja irgendwas, da kann man ja nicht sagen, typisch deutsch oder so.“
Kulturdifferenz
Ausprägung
Kulturdifferenz
Va-
Fall riable
Kulturdifferenz
K1
M1
M2
150
„Typisch türkisch, so mehr so auch Macho so, ( ) auch Möchte-gern-so, wie es so manche machen, halt, das ist nicht ge ( ) allgemeinert, aber das gibt es halt, bei den Südländern allgemein, jetzt mal lieber so ausgedrückt, öfters so wie bei den Ossis, Ausländer.“
„Nein.“
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
Reduktion
A1 16:55
Türken sind bei Schlägereien „hilfsbereit“ und halten zueinander, so werden sie erzogen. Deutsche halten sich eher raus.
K1 16:44
„Typisch deutsch“ sind Lederhosen und bayrisches Gejodel.
K1 17:10
„Typisch türkisch“ ist das „Macho-Gehabe“ der Südländer.
M1 16:56
„Typisch türkisch“ ist die Aggression. „Typisch deutsch“ existiert nicht.
M2 10:39
Menschen sind verschieden. „Typisch türkisch“ oder „typisch deutsch“ gibt es nicht.
M2 10:42
151
Ankerbeispiel
A2
Kategorien „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ sind vorhanden
„typisch deutsch, ist für mich typisch deutsches Essen.“ „Zum Beispiel Schnitzel oder oder Pommes oder Kartoffelbrei und so, aber des schmeckt auch, das mach ich zu.., daheim auch immer. „Ok, typisch türkisch, da gibt’s viel. /ehm/ Fettiges Essen […] da gibt es auch so richtig Klamotten, /ehm/ die bei den Männern zum Beispiel, die haben eine richtig breite Hose an, die dann auch so richtig tief, bis zu den Knien geht und das ist, find ich typisch türkisch, dann typisch türkisch ist Unpünktlichkeit. […] oder diese Vollbärte bei den Männern, ja“.
Kulturdifferenz
Kategorien „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ sind nicht vorhanden
„[…] /mm/ Was gibt’s, eigentlich, eigentlich gar nichts, weil ich hab mich auch in das deutsche Leben mit eingelebt, von daher finde ich nichts typisch deutsches.“
Kategorien „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ sind nicht vorhanden
„Typisch deutsch? .. /mhm/, ... typisch deutsch, .... eigentlich .. nein, eigentlich gibt es nichts.“
Kulturdifferenz
Ausprägung
Kulturdifferenz
Va-
Fall riable
A2
N1
152
Kulturdifferenz
N1
„Typisch türkisch, .. /mh/, ... typisch türkisch, .. eigentlich auch nicht so viel, aber .. /ehm/ die meisten Türken sagen auch manchmal, wenn es denen, wenn es denen nicht gefällt ‚typisch deutsch’ und die Deutschen sagen ja auch manchmal ‚ja, typisch Türken’. Das gibt es, wenn irgend, jemandem was nicht gefällt.“
Kategorie <deutsches Benehmen)> „typisch „Benehmen. ... Eigentlich halt, weiß nicht so ..“ deutsch“ ist nicht vorhanden
Kulturdifferenz
E2
„Nee, da finde ich eigentlich nichts typisch deutsch, weil, ich hab mich so dran gewöhnt, dass ich da nichts mehr typisch finde.“
Kategorie „typisch türkisch“ ist vorhanden
„Typisch türkisch vom .. von meiner Kultur aus, von meiner Kultur ..“
Fund- Verstelle tiefung
A2 11:37 A2 11:47 A2 12:26
Explikation
Fundstelle
Reduktion „Typisch deutsch“ ist typisch deutsches Essen.
„Typisch türkisch“ ist fettiges Essen, breite Hosen, Unpünktlichkeit, Vollbärte.
A2 12:36 A2 11:58
Hat sich an das Leben gewöhnt, so dass nichts mehr als „typisch deutsch“ empfunden wird. Durch Gewöhnung empfindet man nichts mehr als „typisch deutsch.“
A2 11:29
„Typisch deutsch“ gibt es nicht.
E2 9:15
„Typisch türkisch“ gibt es nicht. „Typisch türkisch“ wird gesagt, wenn jemandem etwas nicht gefällt.
N1 11:01
Kann mit „typisch deutschem“ Benehmen nichts verbinden.
N1 11:15
„ ... Wie soll ich das erklären? ... N1 „Typisch türkisch“ ist Türkische haben halt andere Sachen, 11:47 die türkischen Kultur: zum Beispiel vom Essen her und so z.B. Essen. und die Deutschen haben auch andere Essen.“
Kultur
E2 8:50
153
A1
Variable Kulturnähe Statussymbole
Fall
„[…] Also das Auto spielt eine große Rolle. Audi fährt nicht viel, jeder in Türkei und die Kleidung ist auch anders - Marken und so halt.“
T
„Also welche Feste? Wir dürfen, also ich sage jetzt mal dürfen, alle Feste feiern, die Türken in der Türkei auch feiern dürfen. Die Möglichkeit haben wir hier und ja ...“
T
„Wir feiern hier den Ramadan, dann feiern wir den Zuckerfest, dann feiern wir, angesprochen Hochzeiten, dann gibt’s bei uns /eh/ so, wenn sich einer beschnitten hat, im Islam müssen sich Jungs beschneiden, dann feiert man auch Feste, weil man sagt im Islam, ist der erste Schritt zum Mann werden.“
T
Also von den Türken die zwei Bayrams, einmal SekerBayram und einmal Kurban-Bayram. Und von den Deutschen .. Sylvester, das machen aber auch Türken, aber auch die deutsche Art so, mit Raketen und so, das macht man in der Türkei nicht. Und was feiern wir noch? ... Das wär's dann eigentlich.“
T
„Hier feiern wir zum Beispiel, den /ehm/ Ramadanfest und den Zuckerfest, /ehm/ in Türkei wird das auch alles gefeiert, aber in Türkei ist das viel intensiver wie hier.“
T
„Hier? .. Feiern wir Opferfest, .. Ramadan, .. also Ramasan .. und Zuckerfest .. und eigentlich, eigentlich die gleichen Feiern, wie auch in der Türkei feiern wir hier eigentlich auch.“
T
„Wir feiern hier Schlachtfest, Zuckerfest, Ramadan.“
T
„Wir sind .. wir gehören zum Islam.“
Feste
K1
Feste
M1
Feste
A2
A1
154
Religion
N1
Feste
Feste
E2
Ankerbeispiel
D
Feste
A1
Ausprägung
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
Reduktion Audi und Markenkleidung stehen für Deutschland.
A1 4:28
„Weihnachten haben wir gar nicht. A1 Keine Einschränkung Dadurch .. also nein .. eigentlich 4:42 beim Abhalten türkinicht.“ scher Feste in Deutschland. Deutsche Feste werden nicht gefeiert.
deutsche Feste
A1 3:23
K1 6:42
Ramadan, Zuckerfest, Hochzeiten, Beschneidung.
M1 5:34
Seker-Bayram, KurbanBayram und Silvester.
A2 3:28
Ramadan, Zuckerfest. Feste wie in der Türkei, aber nicht so intensiv wie in der Türkei.
E2 2:58
Ramadan, Zuckerfest. Die gleichen Feste wie in der Türkei.
N1 3:14
Schlachtfest, Zuckerfest, Ramadan.
A1 4:47
Religion: Islam.
155
Va-
Ausprägung
M2
T
„Muslim, Islam.“
T
„dem Islam.“
T
„türkisch.“
T
„Islam.“
D/T
„Musik? Ich höre sehr gern /ehm/ Hip-Hop und ja .. türkisch bisschen, aber das ganz selten. Hip-Hop und Techno, so in der Richtung.“
D/T
„Misch, Masch alles zusammen.“
D/T
„Deutsch-R a p.“
D/T
„.. deutsch, türkisch, gemischt.“
D
„Ich hör eher, ich hör eigentlich gar keine türkische Musik, sondern Hip-Hop und R&B, was hier halt läuft.“
N1
Religion Religion
E2
Religion
A2
Religion
Fall riable
K1
Musik
Musik
A1
A2
156
Musik
M2
Musik
Musik
M1
Ankerbeispiel
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
Reduktion Religion: Islam.
A2 3:28
Religion: Islam.
E2 2:59
Religion: Islam.
N1 3:18
Religion: Islam.
A1 5:27
deutsche Musik
M2 2:16
K1 7:14
„Nicht nur englisch, sondern auch A1 Internationale Musik: deutscher Hip-Hop und englischer 5:34 Englisch, türkisch eher auch.“ selten, deutsch.
Gemischt.
türkische Musik
M1 5:57
„Natürlich ((lacht)) /ehm/ auch so, .. M1 Hört Deutsch-Rap und nicht so das ganz alte, auch nicht 6:30 türkische Musik, die das ganz moderne, halt mehr so, .. nicht genau beschrieben wie soll ich das nennen? .. So, so, .... werden kann. ha, das Türkische halt, wie soll ich das, .. das kann man eigentlich nicht beschreiben. Wie das bei den Deutschen Klassik gibt, gibt es auch bei uns solche Unterschiede. Und das eigentlich.“
M2 2:24
Gemischt.
A2 3:38
Keine türkische Musik. Hip-Hop, R&B.
157
Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
N1
T/D
„Türkische Lieder ..“
D/AN
„RTL, Viva, MTV.“
D/T
„... /eh/ Spätzle und Schnitzel,“ „und Döner.“
D/T
„Deutsche Schnitzel und vom Türkischen esse ich da Mante gerne. Das ist /eh/ so was aus Teig und da drin ist dann so Hackfleisch und so was drin.“
AN/T
„Mein Lieblingsessen? … /eh/ ( ) Pizza“
D/T
„/mm/ Also im Deutschen ist es Pommes mit Schnitzel und bei den türkischen, da gibt es das so genannte Salma, das ist /ehm/ das sind Weinblätter, in dem Reis drin gerollt ist.“
AN/T
„Mein Lieblingsessen ... ich habe sehr viele, zum Beispiel ( ) also ich mag Tortellini und .. meinen Sie gerade in der Türkei oder ...?“ „Egal - ja und dann gibt es eine Suppe, also das ist aber eine türkische Suppe, die heißt Tach.. Tachlana und dann .. ja, die eigentlich, die sind mein Lieblingsessen.“
T/AN
„ .. Türkische Pizza und Börek.“ <deutsche Speisen?> „Ja, Lasagne, Spaghetti ..“
A2
Fernsehen
Musik
Fall riable
M2
Essen
M1
Essen
Essen
K1
Essen
A2
Essen
E2
Essen
N1
158
Fund- Verstelle tiefung
A2 3:46
Fundstelle
Reduktion
deutsche Musik?
„Deutsche auch, ja.“
türkisches Fernsehen
N1 4:01
Explikation
N1 Türkische Musik, aber 4:08 türkische Sänger singen „Von den türkischen Sängern, die N1 auch deutsch. singen, /eh/ die singen auch deutsch 4:10 und ja.“ „Nein.“
A2 RTL, Viva, MTV. 3:48 Kein türkisches Fernsehen.
K1 6:51 K1 6:55
Spätzle, Schnitzel, Döner.
M1 5:53
Schnitzel und Mante.
M2 2:33
Pizza.
A2 13:47
Schnitzel, Pommes und Salma.
E2 3:14
Tortellini und Tachlana.
E2 3:27 N1 3:25 N1 3:33
Türkische Pizza, Börek. Als deutsches Essen werden Lasagne und Spaghetti benannt.
159
Va-
Ausprägung
A1
T
Ehre
Fall riable
„Ehre, das ist was ganz Wichtiges, was man nicht vergessen darf, weil, .. also, es ist .. also, wenn ich meine Ehre zum Beispiel jetzt, .. wie soll ich sagen, verletzen würde oder .. /ehm/ schmutzige Wörter oder so, dann würde oder so. Dann würde es ja gar nicht gehen. Dann würde ich für mich selber ja gar nichts mehr bedeuten. Dann hätte ich einfach keine Ehre mehr und ich wäre einfach irgendjemand, .. der keine Ehre hat .. also, einfach billiger Mensch, sag ich mal jetzt.“ „... Ehre, wie soll ich sagen, das hat irgendwie für mich gar keine Bedeutung. Ich lebe einfach so wie es mir gefällt und nicht nach meiner Ehre.“
Ehre
K1
Ankerbeispiel
T
Ehre
M1
160
„Oh, Ehre. .. Eine schwere Frage. /ehm/ Ehre .. also das ist ein sehr wichtiges Thema. Ehre für mich ist fast das Wichtigste. Zum Beispiel, jetzt gebe ich ein Beispiel. Wenn meine Frau mich /eh/ betrügen würde oder so was oder, wenn sie fremdgehen würde oder so was, dann wäre es eigentlich gleich aus. Weil wir wurden so aufgezogen. Ehre ist das Wichtigste und dann muss man die Frau beschützen. Und dann so was halt. Das ist die Ehre davon. Ohne Ehre ist man im Islam fast nichts. Ich meine, .. wie soll ich das sagen? .. Da zählt man als Nichts. Dann geben die Familien auch ihre Kinder nicht halt, wenn man, .. wenn man, .. in der Türkei ist es doch so, wenn man heiraten möchte, geht die Jungenseite halt, geht zu der Mädchenseite und fragt, ob sie das Kind bekommen. Und dann, wenn es rauskommt, dass ich keine Ehre habe, dass ich schon mal ein paar Sachen gemacht habe, dann kriege ich das halt nicht. Dann zählt alles andere nicht, Liebe, (alles andere) nicht. Dann bekommt man .. oder kann ich nicht mit der heiraten.
A1 6:07
Ehre verlieren
Fund- Verstelle tiefung
Ehre
K1 7:30
M1 7:48
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„Das genau jetzt, .. genau weiß ich A1 Ehre ist sehr wichtig. nicht, aber wie man Ehre verliert ... 6:21 Keine genaue Vorstellung, ja, ich versuche immer so zu bleiwie man Ehre verliert. ben, wie ich jetzt bin und versuche, nichts zu verletzen einfach.“
„Das spielt natürlich eine Rolle, K1 Ehre spielt keine Rolle. aber wie soll ich sagen, nicht so, das 8:12 Ehre ist nicht überall in der ist halt, das hat was mit den RegioTürkei wichtig. nen in der Türkei zu tun. Zum Beispiel, die in Istanbul leben, die leben so mehr europäisch. Wie die, die in A.., wie die, die mehr so im Osten leben. Die leben ganz anders, wie die im Westen. Und deswegen kann man es nicht auf die Türkei allgemeinern.“ Ehre ist das Wichtigste. Ohne Ehre ist man im Islam fast nichts. Ohne Ehre kann man nicht heiraten.
161
Va-
Ausprägung
M2
T
„Ja, .. Familienehre, wenn aus der Familie jemand was klaut .. oder halt jemand umbringt, da .. halt klaut, eher so. Dann ist die Familienehre, halt eher beschmutzt oder so. Da muss man ins Gefängnis, halt seine Strafe absitzen und dann wieder .. darf man halt wieder .. zu Hause.“
T
„Ehre, ich find in, es hat sich auch verbessert in der Türkei und zwar gab es ja früher Ehrenmord und so und das gibt es bei uns nicht mehr, Ehre ist für mich, /ehm/ man sollte halt aufpassen, wie man sich anzieht und wie, ( ) ich find ein Freund haben zum Beispiel ist gar nicht schlimm, aber in Türkei ist es, /ehm/ ist es also /äh/ sozusagen, hat man die Ehre gebrochen.“
Ehre
Fall riable
Ehre
A2
Ehre
E2
Ehre
N1
162
Ankerbeispiel
„Ehre? ... Weiß gar nicht mehr, ( ) wie ich das sagen soll. Was heißt zum Beispiel Ehre? Wie meinen Sie das jetzt?“
„Ehre, /hm/ .. wie soll ich das erklären? Ehre. ... Zum Beispiel, wie Ehre, zum Beisp.., Familie oder so?“
M2 3:18
Persönlich bedeutsam
Fund- Verstelle tiefung
N1 4:34
Erklärung
E2 4:03
Ehre einer Person
Freund
A2 4:22
Explikation „Ja, auf jeden Fall. .. Ehre.“
Fundstelle
Reduktion
M2 Familienehre ist wichtig. 3:21
„Ich weiß nicht, so /ehm/ bei mir, A2 In der Türkei hat es sich das ist bei uns ja so, man darf ja 4:40 verbessert. Es gibt keinen keinen Geschlechtsverkehr vor der Ehrenmord mehr. Hochzeit haben, solange man keinen Man sollte aufpassen, wie Geschlechtsverkehr hat, finde ich es man sich anzieht. nicht so schlimm.“ Einen Freund haben ohne Geschlechtsverkehr zu haben ist in Ordnung. ÎVeränderter angepasster Ehrbegriff (Freund). „Ich verstehe das gar nicht ( ).“
E2 Kann mit dem Wort Ehre 4:15 nichts verbinden.
„Familie, .. ja Eltern, Freunde.“
N1 Ehre hängt mit der Fami4:45 lie, Eltern und Freunden zusammen.
163
Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
A1
D
„Also ich glaube mal, dass die Regeln in Deutschland sehr gut sind und dass sie /ehm/ sehr gut ausgeführt werden. Weil die Rechte, die gelten für alle Menschen hier, egal ob Ausländer oder Einheimische. Deswegen finde ich sie eigentlich super.“
D
„Für mich sind Regeln sehr wichtig, da ich mal /eh/ im Film, in einem Film, vielleicht kennen Sie das, das Experiment, hab ich mal angeguckt und da hab ich gesehen, wie Menschen ohne Regeln richtig zum Tier werden können. Eigentlich ohne Regeln, /eh/ wie soll ich sagen, die Menschengesetze halt verletzen, da wird man egoistisch und denkt man nur an sich.“
D
„Ich würde sagen, der Verkehr eigentlich, weil das stresst einen, .. die hupen da die ganze Zeit, das Rechts vor Links wird nicht gehalten. Das war es eigentlich dann und das würde ich, dann ... vermisse ich das hier, weil hier gibt es Regeln. /ehm/ Hier gibt es eine Ordnung und das gibt es in der Türkei noch nicht. Und das vermisse ich da.“
D
„.. Ja, /eh/ wie man das eigentlich machen sollte. Zum Beispiel, man darf keinen, /ehm/ draußen keinen Müll auf den Boden werfen. Ich mach das auch nicht. Ich halte mich an die Regeln in Deutschland.“
D
„Ich versuch sie, so wie ich es kann einzuhalten, denk ich.“
Regeln
Fall riable
Regeln
K1
Regeln
M1
A2
164
Regeln
Regeln
M2
Fundstelle
Vertiefung
Regeln in der Türkei
A1 6:43
Explikation
Fundstelle
„In der Türkei, so feste Rechte gibt A1 es nicht und wenn sie einige ausfüh- 7:0 ren würden, dann tun es die meisten gar nicht. Also feste Rechte gibt es nicht und die können hier, wie Deutschland nicht ausgeführt werden.“ A1 „Ja genau - weil ich weiß es nicht, 7:26 warum die Rechte in der Türkei nicht so (kleinlich) durchgesetzt werden können. Aber so wie ich es schon gesagt habe, da werden - die meisten sind einfach irgendwie entweder dagegen oder sind einfach welche, die .. oder einfach welche, die die Rechte nicht ausführen, die Rechte.“
Reduktion Identifiziert sich mit Regeln in Deutschland. In der Türkei gibt es keine feste Rechte.
K1 8:48
Regeln sind sehr wichtig. Ohne Regeln wird man egoistisch.
M1 1:37
Identifiziert sich mit Regeln hier. In Türkei gibt es keine Regeln.
Türkei
M2 3:38
A2 4:58
< Ist das Verhalten in der Türkei M2 anders?> „N' ja, ein bisschen anders 3:55 vielleicht.“ M2 „Da benehme ich mich auch gleich 4:30 wie in Deutschland. Regeln sind Regeln, die muss man überall halten.“
Hält sich in Deutschland an die Regeln, in der Türkei ist Verhalten vielleicht ein bisschen anders. Regeln müssen eingehalten werden. Regeln werden so gut es geht eingehalten.
165
Va-
Ausprägung
E2
D
„Also ich finde, man sollte eigentlich die Regeln halten, weil, .. /ehm/ wenn man die Regeln nicht haltet, dann kann eigentlich leicht was Schlimmes passieren und ja.“
D
<Was ist an Deutschland besser?> „Die Regeln ..“
Regeln
Fall riable
Regeln
N1
„Ja wenn, /ehm/ es gibt ja verschiedene Regeln aber halt .. mit Regeln, da geh ich gut um.“ D
„Pünktlichkeit ist so wie ich es bis jetzt schon gehört habe, etwas sehr Wichtiges, was die (Ausbilder) zum Beispiel sehr Acht darauf legen. Pünktlichkeit, wenn ich mich zum Beispiel mit meinem Freund verabrede. Er kommt, sagen wir mal, ein halbe Stunde später, dann habe ich ja irgendwas gegen ihn. Dann hat sich irgendwie, sagen wir mal Hass .. also, dass der nicht pünktlich war. Ich habe ein halbe Stunde lang umsonst gewartet. Pünktlichkeit ist einfach das Wichtige, zum Beispiel auch in der Freundschaft oder so.“
KW
„Also Pünktlichkeit, ((lacht)) eigentlich für mich nicht. Derjenige kann schon ein paar Minuten Verspätung haben, aber .. es gibt auch Leute, die das wichtig finden. Also ich bin nicht der Typ. Ich finde es nicht wichtig.“
D
„Eine sehr große Rolle, /ehm/ zum Beispiel, bei uns, ich will jetzt die Türkei jetzt nicht schlecht machen oder so, aber da gibt es wirklich gar keine, wenn man einen Termin ausmacht, kommen sie entweder eine, fast eine Stunde zu spät und irgendwie, ja.“
D/T
„Eigentlich schon. Pünktlichkeit ist schon wichtig, .. auch bei wichtigen Sachen ist Pünktlichkeit wichtig, aber wenn es halt nicht so wichtig ist, muss ja auch nicht Pünktlichkeit so wichtig sein.“
E2
166
Pünktlichkeit
A2
Pünktlichkeit
M1
Pünktlichkeit
Pünktlichkeit
A1
Ankerbeispiel
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
N1 2:10 N1 4:59
Regeln sollen eingehalten werden, sonst kann etwas Schlimmes passieren.
Erklärung
E2 4:31
Reduktion
„Ja vom Gesetz her ..“
„Ja, ich befolge sie.“
N1 2:18 N1 5:03
Regeln werden befolgt. Regeln sind in Deutschland besser als in der Türkei. Pünktlichkeit ist sehr wichtig, auch bei Freundschaften.
M1 9:07
Pünktlichkeit ist nicht so wichtig.
A2 5:16
E2 4:44
Persönlich bedeutsam
A1 7:58
„Ja, sehr wichtig.“
A2 In der Türkei gibt es keine 5:25 Pünktlichkeit. Pünktlichkeit ist persönlich sehr wichtig.
Bei wichtigen Sachen ist Pünktlichkeit wichtig. Î veränderter Begriff.
167
Va-
Ausprägung
A1
D/T
„Also, meine Eltern können deutsch reden, aber wir reden fast immer türkisch zu Hause. Sie versuchen natürlich deutsch mit uns zu reden, aber .. ich weiß nicht woher das kommt, mein Bruder und ich haben irgendwie Gewohnheit. Wir reden fast nur türkisch zu Hause und draußen, wenn wir mit meinen Eltern spazieren, reden wir nur deutsch eigentlich.“
D/T
„Für mich macht das eigentlich keinen Unterschied..“
D/T
„Mit meinen Eltern meistens türkisch, mit meinem Bruder .. eher deutsch und mit meinen Freunden auch eher deutsch. Also nur türkisch mit meinen Eltern. Und so in der Schule, so mit Freunden, wenn es Sachen gibt, wo man nicht jemanden anders erzählen kann oder es ist für mich, dann reden wir schon türkisch“.
D/T
„Also mit meinen Eltern spreche ich, .. oder mit meiner Mutter besser gesagt, spreche ich eher türkisch und meinem, .. mit meinem Vater eher so deutsch, mit meinen Geschwistern /ehm/ deutsch.“
Sprache
Fall riable
Sprache
K1
Ankerbeispiel
Sprache
M1
Sprache
M2
168
A1 8:26
Wechsel der Sprache
Fund- Verstelle tiefung
M2 4:44
Bessere Ausdrucksmöglichkeit?
M1 9:36
Fundstelle
Reduktion
„Ja, mit meinen Eltern, wenn wir A1 Zu Hause wird türkisch draußen oder ich alleine, dann spre- 8:45 gesprochen, außerhalb des chen wir nur deutsch, weil ich finde Hauses deutsch. es irgendwie so unverschämt, wenn man einfach rausgeht als Ausländer und seine eigene Sprache jetzt draußen spricht. Natürlich darf man das, aber .. ich weiß nicht, das ist eigentlich nicht in Ordnung, also meiner Meinung nach.“ Spricht beide gleich gut.
Bessere Ausdrucksmöglichkeit?
K1 12:01
Explikation
Sprachen
„In der türkischen, .. weil .. ich kann M1 Mit den Eltern türkisch. das eigentlich gar nicht beschreiben. 10:18 Mit Freunden und in der Weil wir reden zu Hause mehr Schule deutsch. türkisch und da kenne .. mehr, mehr Türkisch, wenn es nieWörter, aber .. ich denke mal das, .. mand verstehen soll. das ist eigentlich gleich, finde ich. Türkisch wird besser Aber ich, .. ich verstehe das Türkigesprochen. sche besser und kann das auch Wechsel zwischen beiden besser erklären. Und es ist so, wenn Sprachen. ich im Deutschen kein .. oder im Türkischen das Wort nicht dafür weiß, setzte ich das Deutsch dafür ein. Und mit, mit dem Deutschen ist das genau so.“ „deutsch.“ M2 Mit Mutter wird türkisch „Ja, deutsche Rechtschreibung kann 4:49 gesprochen, mit Vater und ich besser als türkische Rechtschrei- M2 Geschwister deutsch. bungen.“ 4:55 Sprechen und Recht„Und sprechen kann ich auch besser M2 schreibung ist im Deutdeutsch sprechen.“ 5:00 schen besser.
169
Va-
Ausprägung
A2
D/T
„Mit meiner Schwester rede ich deutsch, mit meiner Mutter meistens auch, aber mein Vater, der ist erst seit, /ehm/ seit, /ehm/ seit ein paar, also der ist seit er sechzehn war, ist er nach Deutschland gekommen, er kann nicht so perfekt deutsch, mit ihm, er versucht halt, er will halt, dass wir mit ihm deutsch reden, dass er sein Deutsch verbessern kann, aber wenn er halt mal nicht erklären kann, dann sag ich ‚Papa, erklär‘s lieber auf türkisch’, ((lacht)) als auf deutsch, weil ihn versteht man wirklich manchmal sehr schwer.“
D/T
„Also ... türkisch, aber mehr deutsch.“
D/T
„Ich und meine Mutter reden öfters deutsch auch türkisch. Es ist gemischt eigentlich. Aber türkisch und deutsch.“
XX
„Wie ich erzogen werde? /ehm/ Ja, sie sagen immer, dass ich mich den Deutschen anpassen muss oder soll. Und dass ich immer, egal wem gegenüber, freundlich sein muss, hilfsbereit. Ja.“
XX
„.. Die erziehen mich halt streng, wie sie auch früher erzogen von ihren Eltern geworden sind, sie wollen nicht, dass ich halt keine /eh/ schlechten Sachen mach, angesprochen Rauchen, Alkohol trinken, solche Sachen halt so.“
Sprache
Fall riable
Sprache
E2
Ankerbeispiel
K1
170
Erziehung
A1
Erziehung
Sprache
N1
N1 7:42
Bessere Ausdrucksmöglichkeit?
E2 4:48
Geschwister?
A2 7:26
Bessere Ausdrucksmöglichkeit?
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„In Deutsch kann ich mich besser A2 Mit der Schwester und ausdrücken.“ 7:49 Mutter deutsch. Mit dem Vater eher türkisch, weil er es nicht so gut kann. Ausdrucksfähigkeit ist im Deutschen besser.
„Also ich finde das gehört dazu, E2 Türkisch und deutsch. Im wenn man deutsch spricht, dann 5:16 Deutschen fällt die Auskann man sich irgendwie, dann halt drucksfähigkeit leichter. mehr, .. dann also, .. da kann man sich irgendwie, .. ich kann mich zum Beispiel in auf türkisch nicht so gut ausdrücken, wie .. zum Beispiel, wie in deutsch, […].“ „Mit meinen Geschwistern, mit N1 Deutsch und türkisch, meinem Bruder reden wir öfters 7:52 deutsch überwiegt bei den deutsch, .. nur manchmal, wenn ich Geschwistern. es nicht halt übersetzen kann oder so, dann rede ich mit ihm türkisch.“
A1 9:28
Anpassung, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft sind sehr wichtig.
K1 1:32
Erziehung ist streng. Rauchen und Trinken sind verboten.
171
Va-
Ausprägung
M1
T
„Also meine Eltern sind unter dem Is.., Muslim eigentlich die Lockeren, .. ja ich muss schon zum Gebet,.. aber wie soll ich das sagen? .. So übertrieben sind sie auch nicht, dass sie das sagen ‚Ja du musst das und das machen, du darfst das mit, mit Mädchen nicht rumlaufen.’ Also das erlauben sie mir schon mal.“
XX/T
„Dass ich keine,.. sag, das ist typisch Deutsche oder so, typisch das und das. Dass (ist).. ( ) die Tür.. die Deutschen nicht beleidigen.. soll, weil wir auch hier in ihrem Land leben in Deutschland. Und dass (sie) es halt s o.. nicht machen soll,.. so irgendwas ‚Deutsche sind so, Deutsche sind so’.“
T
„/ehm/ In der Sache, mit einem Freund haben, da sind sie sehr streng, aber, ich bin nicht so, ich bin nicht wie die typischen türkischen Türkinnen, ich darf eigentlich alles anziehen, solange ich aufpasse, wie ich rumlaufe und ich hab mehr Freiheiten, wie die Mädchen in der Türkei.“
XX
„Also, die erziehen mich. Die wollen halt, dass ich einen guten Ruf habe und .. dass ich nicht also, also dass ich nicht ( ) einen schlechten Ruf habe, sondern einen guten Ruf. Und die wollen halt, dass ich einen guten Abschluss, einen guten Beruf .. ja, einen guten Beruf eigentlich und so .. und gute Zukunft.“
XX
„/ehm/ Normal. Eigentlich gut. Halt ihnen ist es wichtig, dass es mir besser geht. Gut geht ..“
Erziehung
Fall riable
Erziehung
M2
Erziehung
A2
Erziehung
E2
Erziehung
N1
172
Ankerbeispiel
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
Reduktion
M1 10:46
Erziehung, die dem Islam folgt, aber sie wird nicht als streng empfunden.
M2 5:42
Deutsche sollen nicht beleidigt werden, man ist in ihrem Land.
A2 5:46
„Nein, meine Mutter selber trägt A2 auch kein Kopftuch, weil, /ehm/ 6:12 wenn man ein Kopftuch tragen will, finde ich, sollte es vom Inneren kommen. Ich zum Beispiel, hab eine, meine Tante hat vorher auch kein Kopftuch getragen und sie wurde nicht gezwungen oder so, und dann hat sie sich einmal entschieden ein Kopftuch zu tragen, weil es von ihrem Inneren kam und danach, seitdem trägt sie ein Kopftuch.“
E2 5:43
Erziehung, die dem Islam folgt, aber gemäßigt. Kopftuch wird nicht verlangt. Der Entschluss es zu tragen, sollte vom Innern kommen, aber auf Kleidung muss geachtet werden.
Guter Ruf, guter Abschluss, guter Beruf und gesicherte Zukunft sind wichtig.
Besser?
N1 5:37
„Die waren früher in der Türkei. N1 Einmal sind die nach Österreich 6:04 gekommen, einmal sind die nach Türkei gekommen. Und die hatten halt, .. bei denen war es nicht so, sie mussten alles teilen. Bei uns ist es N1 nicht so.“ 6:09
Dem Kind soll es besser gehen als den Eltern. Wohlstand ist wichtig.
„Mit Geschwistern und so, die waren sechs Geschwister. Mit denen mussten die es teilen.“
173
Va-
Ausprägung
N1
T
„Ja.“
XX
„Ja /eh/ die beste Mutter, das die ihrem Sohn einfach das Beste beibringt, egal was ist, zum Beispiel Freundlichkeit oder Hilfsbereitschaft. Also immer nur das Beste und dass er auch jedem gegenüber freundlich sein soll und niemanden irgendwie ausgrenzen soll ‚Ah der ist Italiener oder Deutscher, den mag ich nicht. Ich bin Türke’ und so, ... also .. das, .. ja so was stelle ich mir halt vor.“
T
„ ...Was ich finde, eine gute Mutter muss auf jeden Fall für sein Kind immer wann er Hunger hat ((lacht)) kochen können, nicht faul sein für seine Kinder /eh/ ... auch zu den Kindern mal stehen, wenn der Vater mal mit den Kindern geschumpfen hat .... ja, das wär’s dann eigentlich.“
XX
„((lachend)) Meine Mutter ist zum Beispiel die beste Mutter auf der Welt. Ich weiß nicht, natürlich gibt es Streitigkeiten zwischen Mütter oder so, aber irgendwie anders, eine andere Mutter würde ich mir nicht wünschen.“
XX
„Dass sie halt offen ist. Sie sagt, ich soll ihr alles erzählen und dass sie macht, was ich will und ich mach, was sie will.“
XX
„Bester Vater i s t, der seinen Sohn sehr gut unterstützt und egal in welcher Richtung, schulisch oder beruflich halt. Und ich glaube mal .. bester Vater, ja der einfach das Beste von seinem Sohn will.“
Erziehung
Fall riable
Mutter
A1
Mutter
K1
Mutter
A2
Mutter
N1
Vater
A1
174
Ankerbeispiel
N1 6:30
Erklärung
Fund- Verstelle tiefung
Explikation „Das weiß ich nicht.“
Fundstelle
Reduktion
N1 Türkische Kultur ist in der 6:34 Erziehung wichtig. Inwiefern kann aber nicht näher erklärt werden.
A1 10:05
Mutter soll freundlich sein, den Sohn lehren, niemanden ausgrenzen. Sie soll dem Kind das Beste beibringen.
K1 13:57
Mutter muss kochen können, nicht faul sein, muss hinter dem Kind stehen, auch wenn Vater schimpft.
A2 6:32
Kann sich keine bessere Mutter vorstellen.
A1 10:24
„Meine Mutter.“ Beste Mutter
N1 6:53
N1 Mutter muss offen sein, 7:09 man muss ihr alles erzählen können.
Vater soll Kind unterstützen und das Beste für das Kind wollen.
175
Va-
Ausprägung
K1
XX
„Für mich würde ein richtig guter Vater aussehen, der seine Kinder, mit seinen Kindern gut umgeht, sie nicht anbrüllt, mit ihnen wie Freunde, wie ein Freund ist, aber sein muss, auch streng sein kann und ein Vater finde ich ist nicht einer, der wo immer seinen Sohn das Geld in die Hand drückt und sagt 'geh, geh', ein Vater ist für mich, der seine Kinder auch verfolgt, halt ohne, dass die das bemerken, halt beobachtet, weil Kinder, man muss den auch vertrauen können und wenn man ein paar mal die beobachtet hat und sieht, dass die auf dem richtigen Weg ist, dann kann man zu Hause auch, /ehm/ wie soll ich sagen, besser die Zeit verbringen, ohne an die Kinder zu denken.“
XX
„An meinem Vater ist es das Gleiche. Wir reden zusammen öfters. Wir machen auch Gespräche zum Beispiel, wenn was ist. Wir versuchen das Problem zu lösen.“
D/T
„Ein Problem ist es nicht, aber natürlich würden sie sagen halt ‚du bist ja Türke und eine deutsche Freundin’, .. also bei uns in der Familie .. oder ich sage mal jetzt /ehm/ so in der Türkei .. /ehm/ eine fremde .. Freundin zu haben, ist nicht so richtig, .. also das halten die Türken so für Regeln halt. Aber ich denke, wenn ich eine deutsche Freundin habe, wenn sie mich liebt oder ich sie, dann ist es eigentlich kein Problem. Nur weil sie jetzt eine andere Nationalität hat, denke ich, dass man sie nicht einfach so ausgrenzen will.“
D/T
„... Ich denke, ich denk mal, so wie meine Eltern halt mit mir reden, über Beziehungen, wäre es ihnen eigentlich egal, die Hauptsache ist bei uns in der Familie, dass man halt seine Freundin liebt und bei den ... Türken ist es halt auch sehr wichtig, dass man seine Frau nicht betrügt, da würden sie halt mit mir drauf eingehen, wenn, dann würden sie mich fragen, ob ich die wirklich auch lieb, dass ich sie nicht verletzen soll und so, solche Sachen.“
Vater
Fall riable
Vater
N1
Freundin/Freund
A1
Freundin
K1
176
Ankerbeispiel
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
N1 7:02
Reduktion Vater muss ein Freund sein. Er kann streng sein, wenn er aber sieht, dass er dem Kind vertrauen kann, soll er nicht ständig an das Kind denken.
Bester Vater
K1 13:23
Fundstelle
„Auch mein Vater.“
N1 Wichtig sind Gespräche 7:09 und gemeinsam ein Problem lösen zu können. Eltern würden das Problem sehen, aber Freundin nicht ausgrenzen. Deutsche Freundin ist eigentlich nicht richtig.
K1 10:23
„Ja, sie würden nur also halt sagen, K1 Liebe ist das Wichtigste. sie soll sich,/eh/ .. wie soll ich sa- 11:06 Frau darf nicht betrogen gen? ... Sie würden sagen, zu der .. werden. zu meiner Freundin halt also, würFreundin sollte Gäste in den sie sagen, ob sie wirklich mich türkische Weise empfanliebt, weil, wenn sie mich liebt, dann gen können. muss sie auch, /eh/ da Türken sehr viel Besuch bekommen oder würden sie sie bestimmt fragen, ob sie ... die Besucher auch so wie in der türkischen Kultur entgegennehmen kann und nicht so wie in der deutschen Kultur.“
Nationalität
A1 11:03
177
Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
M1
T
„Also mein Vater hätte eigentlich gar nichts gesagt, /eh/ meine Mutter? Meine Mutter hätte schon gesagt ‚ja, pass auf, dass du nicht mit ihr heiratest, dass nichts Schlimmes passiert.’ So was halt. Aber das sind alles eigentlich Vorurteile, finde ich.“
D/T
„Die sagen auch nicht ‚du wirst mit keiner Deutschen heiraten’ oder so. Sie machen da nichts. Wenn du liebst halt so. Die Liebe hat ja keinen (in Polin) oder so, was weiß ich.“
D/T
„/ehm/ Darüber reden wir auch oft, mit meinen Eltern, zum Beispiel sonntags am Frühstück, da, denen würde es nichts ausmachen, weil zum Beispiel kann ja auch ein Deutscher Muslim werden, er kann ja seine Religion auch ändern, aber natürlich würden es meine Eltern nicht verlangen, also.“
D /T
„Nein, also ich würde sagen, wenn du den oder diejenige in Ordnung findest, ist es ok, aber ist ja egal welche Nationalität sie hat oder er hat. Das ist, .. das spielt völlig keine Rolle, aber .. ja das würde ich auf jeden Fall nicht machen.“
Freundin
Fall riable
Freundin
M2
Freundin
A2
Kinder
A1
178
A1 11:30
Mutter
Reduktion
Nationalität
A2 6:53
Fundstelle
„[…] Sie hat eigentlich ein Vorurteil M1 Vater hätte nichts gegen gegen die deutschen Frauen. Die 11:38 eine deutsche Freundin. Mutter hätte Vorurteile denkt ‚ja, die sind nicht wie die gegenüber einer deutschen Türken, die putzen ihr eigenes Haus nicht, die kochen nicht für die MänFreundin. ner.’ Die denkt das eigentlich so, aber ich finde es nicht so. Und wenn sie so was sagt, sage ich ‚das stimmt nicht. Was willst du?’ und so. /ehm/ M1 Beende ich das dann gleich.“ „Ja, eigentlich schon .. ja, wenn ich 12:07 in die Türkei gehe, wie soll ich dann zu meinen El.. (Opa - Großeltern), zu meinem Opa hingehen und sagen, ich habe eine deutsche .. Frau. Da würden sie schon .. bisschen .. /eh/ .. mich fragen‚ warum du eine Deutsche geheiratet hast. ‚Hast, hättest du keine Türkische gefunden?’ .. Und alles Vorurteile eigentlich. ..“ „Ja, ein bisschen vielleicht schon, M2 Liebe ist wichtig. vielleicht wegen der Religion und 7:09 Probleme gibt es vielleicht weil wir Türken kein Schweinewegen der Religion, aber fleisch und so essen. Da wird's die sind lösbar. schon vielleicht kleine, .. kleine Konflikte vielleicht geben. Aber die könnte man auch lösen.“ „Nee, verlangen würden sie es nicht, A2 Auch ein deutscher Mann aber schlecht, wäre es natürlich 7:05 kann seine Religion ännicht.“ dern. Ihre Eltern würden es nicht verlangen, fänden es aber nicht schlecht. Î Nationalität ist zweitrangig, Religion ist wichtig.
M1 11:08
M2 6:35
Explikation
Religionszugehörigkeit
Fund- Verstelle tiefung
Würde Partner mit anderer Nationalität problemlos akzeptieren.
179
M2
D/T
„Ja, so wie ich, .. so wie meine Eltern mich erzogen haben, .. nicht die sagen deutsch und so .. ‚Deutsche machen das und das’ .. halt keine Vorurteile über jemanden. .. Ich glaube, .. ja ... da ich in Deutschland geboren bin .. muss ich auch die Deutschen respektieren und da ich jetzt hier auch noch wohne. Ich täte die eigentlich auch so aufziehen, wie meine Eltern mich aufgezogen haben.“
D/T Kinder
„Für meine Kinder würd ich es wünschen, dass sie so leben könnten wie ich, wie ich jetzt lebe und ja genau, so frei wie ich halt leben könnte, wenn ich zum Beispiel einen türkischen Mann heirate, würd ich mir wünschen, dass er sie genau aufwachsen lässt, wie ich aufgewachsen bin.“ „Für die Kinder, ich hätte gewünscht, dass sie auch so einen guten Ruf, wie ich haben sollen und auch einen guten Beruf, gut in der Schule ... ja, die sollen sich halt auch nicht mehr zu den Deutschen, auch nicht mehr zu den Türken - auch in der Mitte.“
Kinder
Ausprägung
Kinder
Va-
Fall riable
A2
E2
D Kulturnähe
K1
180
Ankerbeispiel
„...ja, da meine Eltern nicht so sehr viel Zeit haben, da sie arbeiten, da ich sehr viele deutsche Freunde habe, da ich auch sehr viel mit deutschen Freunden ausgehe, finde ich halt, dass ich der deutschen Kultur näher bin, als der türkischen Kultur hier in Deutschland, aber das ändert sich halt, wenn ich in der Türkei bin.
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
Reduktion
M2 13:47
Erziehung der Eltern übernehmen. Erziehung zur Toleranz.
A2 18:11
Kinder sollen so frei leben können wie sie selbst. Î Erziehung der Eltern übernehmen.
E2 12:05
Guter Ruf, gute Schule, guter Beruf ist wichtig. Erziehung mit beiden Kulturen.
K1 9:28
Kulturnähe verändert sich, je nach Aufenthaltsort.
181
Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
A1
Person wird „[…] Mein Aussehen ist mehr so deutsch. Als ich dort war, in der Türkei haben die gedacht, dass ich Deutscher bin. Aber ..“ als Ausländer wahrgenommen
Fremdwahrnehmung
Fall riable
Fremdwahrnehmung
A1
182
Person wird in Deutschland als Ausländer wahrgenommen
„Wie sie mich sehen? Also, wenn ich zum Beispiel in der Klasse da bin, dann ist der erste Blick ‚aha, der ist Türke’ und die vertrauen mir dann irgendwie dann nicht, also misstrauisch und einige und natürlich gibt es einige, die sagen ‚Oh, hey du bist super, du bist ein guter Freund’ und so. Es gibt von jeder Nationalität, sage ich mal so, Ausgrenzer oder gute Freunde. Aber ich finde es ganz ok, wenn die Deutschen mich also im ersten Blick sehen. Das ist kein Problem.“
Fundstelle
Reduktion
Wertung
A1 2:37
Explikation
„Die Kleidung spielt auch eine sehr A1 Wird in der Türkei aufgroße Rolle. Also, wenn wir jetzt 3:05 grund seines Aussehens als dort hingehen .. die Kleidung, wenn Deutscher angesehen, ich sie vergleichen würde, ist unsere Kleidung und Auto sind schon viel, viel besser wie in der viel besser als in der TürTürkei. Aber ... Aussehen spielt eine A1 kei Î positiv bewertet. Rolle, Kleidung und Auto natür- 3:23 Wird manchmal komisch lich.“ angeschaut, wenn er sich „Ja, genau und .. also das Auto in der Türkei falsch bespielt eine große Rolle. Audi fährt nimmt Î negativ bewernicht viel, jeder in Türkei und die A1 tet. Kleidung ist auch anders - Marken 14:30 und so halt.“ „[…] Zum Beispiel ist Benehmen ist dort ganz anders. Man muss sich dort viel strenger, als im türkischen, /ehm/ wie soll ich sagen? Türkischen Werten muss man sich da anpassen. Aber hier leben wir einfach frei und hier kann dir eigentlich niemand was sagen. Also, so in der Richtung und wenn ich in der Türkei zum Beispiel etwas mache, das ich nicht kenne, aber das etwas Strenges war, dann gucken die mich halt komisch an oder so in der Richtung.“
Wertung
Fund- Verstelle tiefung
A1 Wird als Ausländer gese„Die sind meistens sauer, weil ich 13:47 hen, hat positive und negamich /eh/ mehr so mit Deutsch(en) tive Erfahrungen mit den unterhalte. Also ich weiß nicht, Deutschen. aber, ja ich versuche halt mit beiden Die Türken in Deutschland eigentlich das Gleichgewicht zu sind meistens sauer, wenn halten - mit Türkischen und Deuter mehr mit Deutschen schen. Aber ... ja, aber ich bin eispricht Î negativ bewergentlich so die Person, die für sie tet. ansprechbar ist. An erster Stelle halt so.“
A1 13:21
183
Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
K1
Person wird in der Türkei als Ausländer wahrgenommen
„Ja, also die Türken in der Türkei, die sagen halt immer, die sehen mich schon ein bisschen anders, die sehen mich so mehr als europäischer Türke, nicht so wie die /äh/ .... die sehen mich nicht so wie ein reinrassiger Türke, da ich hier unter Deutschen, unter Deutschen aufgewachsen bin und /äh/ eher die deutsche Kultur mehr weiß, als die türkischen Kulturen. Deswegen sehen die mich mehr so als Europäer so.“
Keine konkrete Zuordnung
„Im Schulalltag behandeln sie mich eigentlich so wie ( ) wenn ich einer von ihnen wäre, aber ich habe mal ‚ne Situation erlebt, da war ich mit einem Freund, beim Eishockeyspiel, und da .. die Türken wie soll ich sagen, ungewöhnlich im Eishockey sind, da es keine Eishockeymannschaften in Türkei gibt, hat ein Deutscher halt eine Reaktion gehabt, ‚was sucht der Türke denn hier? ..“
Fremdwahrnehmung
Fall riable
Fremdwahrnehmung
K1
Fremdwahrnehmung
M1
184
Person wird „Also da bin ich halt so wie in Deutschland ein Ausländer. in der Türkei Sehen die mich. Die sagen ‚ja du bist ein Deutscher. Ja .. und in ihr seid reich’ und solche Dinge halt.“ Deutschland als Ausländer wahrgenommen
Fund- Verstelle tiefung
K1 14:51
Einzelfall
Wertung
K1 15:57
Wertung
M1 3:02
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„Also ablehnen, so was gibt es da K1 Wird in der Türkei als gar nicht, so was hab ich bis jetzt 16:25 Ausländer wahrgenomnoch gar nicht erlebt, die finden das men. Keine negative Werhalt interessanter, sie fragen dann tung. Türken interessieren halt mehr so nach, wenn man zum sich für ihn Î positiv Beispiel in Türkei eine Situation bewertet. hatte, dann fragen die zum Beispiel nach, ‚wie hättest du das in Deutschland gelöst? Wie ist das bei euch so der Alltag so?’ In der Art.“ „Das war eigentlich für mich ein K1 Wird wie ein Deutscher Einzelfall .. und so was ist mir auch 15:03 behandelt, wurde aber eigentlich egal.“ auch schon ausgegrenzt. Diskriminierung wurde als ein Einzelfall gewertet.
„Ich denke mal eher die sind nei- M1 Wird in der Türkei als disch drauf, .. weil sie nicht hier 3:24 Ausländer wahrgenomwohnen können. Sie würden das men, wird für den Reichauch gerne, aber .. sie haben das tum beneidet, soll aber soziale Leben dafür nicht halt. Soziauch viel zahlen Î positiv ale nicht dafür. .. Das war's.“ M1 und negativ bewertet. „[…] Wenn was passiert, dann war 3:57 ich es. Ja oder wenn die es waren, wenn ich es weiß .. ‚ja, du hast eh Geld dafür .. das kannst du auch zahlen.’ Und das wär's dann. Weil die sagen dann immer ‚ihr seid doch eh Reiche. Ihr könnt das eh.’ Aber sie wissen eigentlich gar nicht, wie mein Vater hier arbeitet. Wie hart das hier in Deutschland ist, acht Stunden zu arbeiten. ...“
185
M1
Person wird in Deutschland als Ausländer wahrgenommen
„Als Ausländer, finde ich, .. ja die meisten aber, .. nicht die als, ..nicht die meisten, es gibt aber auch Leute, die meinen wir können nichts, wir haben es nicht drauf, .. wir wären Nichtsnutz, aber die anderen, die halten zu uns .. und die behandeln uns halt nicht. Das sind aber, .. die zähl ich gar nicht dazu. Das sind halt, die, .. die neidisch auf uns sind. Glaube ich mal. Und die anderen, .. glaube ich mal, .. die sehen uns nicht als Ausländer - als deutsche (Mitbevölker), als normale Deutsche halt. Wir haben nur halt eine andere Kultur und die finden auch die Kultur interessant. Das wär's.
Fremdwahrnehmung
Person wird in Deutschland als Ausländer wahrgenommen
„Ja, .. weiß nicht .. so. Eigentlich auch eher gut. Meine Nachbarn sehen mich auch als ein sehr netter Mensch .. halt ein Türke. ...“
Fremdwahrnehmung
Person wird in der Türkei als Ausländer wahrgenommen
„Ja, das auf jeden Fall, .. die denken, dass wenn man in Deutschland lebt, dass man sehr viel Geld hat, dass man reich ist und wenn ich dort bin kennt mich jeder als Reicher, obwohl ich auch hier selber gerade unser Geld verdienen zum Überleben.“
Person wird in Deutschland nicht als Ausländer wahrgenommen.
„[…] die sehen eigentlich, die denken eigentlich immer ich bin, also vom Reden her bin ich Deutsche, die würden es mir nie anerkennen, dass ich Türke, Türkin gewesen wär, wenn sie nur meine Stimme hören.“
Fremdwahrnehmung
Ausprägung
Fremdwahrnehmung
Va-
Fall riable
M2
M2
A2
186
Ankerbeispiel
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
Reduktion Wird zum Teil als Ausländer wahrgenommen. Personen, die ihn beneiden, haben ein schlechtes Bild von ihm. Zum Teil wird er als Deutscher mit anderer Kultur gesehen.
M2 8:32
„Also mir ist noch nix aufgefallen, M2 Wird in Deutschland als dass die gesagt haben ‚das ist ein 8:47 netter Türke angesehen, Türke, der macht das so und so’ wird aber nicht anders oder irgendwas. Die machen eigentbehandelt (KW). lich gar keinen Unterschied. Glaube ich mal.“
Wertung
M1 12:59
Wird in der Türkei als Türke gesehen, aber als Türke mit viel Geld.
A2 9:15
A2 Wird in Deutschland nicht „Ich kann mich mit dem deu.., mit 9:57 als Ausländerin angesehen. der deutschen Sprache besser ausDie Türken in Deutschland drücken, ich hab mit der türkischen halten sie für eine Türkin. Sprache, hab ich es etwas schwerer, /ehm/ aber die sehen mich, die sehen mich als Türkin als, nicht als Deutsche.“
Türken in Deutschland
M2 9:17
187
Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
A2
Person wird in der Türkei als Ausländer wahrgenommen
„Ja, die merken schon etwas, dass ich ein etwas anderen Dialekt drauf hab, weil die in der Türkei, die reden natürlich fließend perfekt, dafür können sie ja das Deutsche nicht und im Türkischen, da stotter ich oft, aber ich weiß, dass ich’s kann und ich kann’s eigentlich auch wirklich, nur da stotter ich und überleg vorher richtig nach, ob ich etwas falsch gesagt habe oder nicht und die merken das dann auch.“
Keine klare Aussage für Deutschland
„Die Deutschen? /ehm/... Ich glaube mal, ... also die meisten Deutschen, die meisten Deutschen, die wo mich sehen, denken erst, .. die denken erst, dass ich kein, .. dass ich keine Türkin bin und manche denken, ( ) das sagen ich denen dann halt und manche denken, dass ich auch Türken, Türkin bin. Das sieht man bei mir auch, ich weiß nicht, weil ich auch meistens mit - mit keinen türkischen Freundinnen so habe. Und zum Beispiel nur deutsche oder auch andere ...“
Person wird in der Türkei als Ausländer wahrgenommen
„Die Türken ... halt so. /ehm/ Also ich habe jetzt türkisch nicht verlernt, aber ich kann mich ja nicht so gut ausdrücken und das gefällt ihnen halt auch nicht, weil wenn ich zum Beispiel eine türkische Frau sehe und also sprechen kann ich ja türkisch, aber .. so ausdrücken kann ich mich nicht, weil ein paar Wörter kann ich zum Beispiel jetzt nicht. ... Ja und dann denken die halt ja, warum ich jetzt eigentlich mehr deutsch spreche, als türkisch. Weil meine Nationalität ist ja türkisch .. deswegen“
Keine klare Aussage
„Das weiß ich nicht, aber manche sagen ich bin gut - normal. Aber, weiß nicht.“
N1
188
Fremdwahrnehmung
E1
Fremdwahrnehmung
E1
Fremdwahrnehmung
Fremdwahrnehmung
Fall riable
Fund- Verstelle tiefung
Wertung
A2 10:26
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„Ja, weil ich hab viel viel mehr A2 In der Türkei wird beFreiheiten, wie die türkischen Mäd- 10:57 merkt, dass sie manchmal chen in der Türkei und, ich will das nicht fließend spricht. eigentlich gar nicht, dass die mich Die türkischen Mädchen beneiden, die beneiden mich auch beneiden sie um den freieoft, die sagen ‚Ohh, du darfst, das ren Lebensstil Î positiv und das anziehen, das darf ich gar bewertet. nicht’ und dann sag, und deswegen versuche ich mich /ehm/ seit, seit drei, vier Jahren in der Türkei anzupassen, also versuch mehr die Klamotten zu tragen, die die in der Türkei tragen.“
E1 7:20
Keine klare Aussage, wie sie von den Deutschen gesehen wird.
E1 8:15
Den Türken gefällt es nicht, dass sie sich nicht besser ausdrücken kann, obwohl ihre Nationalität türkisch ist Î negativ bewertet.
N1 8:22
Manche sagen, N. sei gut, normal, (KW).
189
Va-
Ausprägung
N1
Person wird in Deutschland als Ausländer wahrgenommen
Fremdwahrnehmung
Fall riable
K1
Selbstwahrnehmung
Fremdwahrnehmung
N1
Selbstwahrnehmung
M1
190
Ankerbeispiel „Die Türken? In Ordnung eigentlich halt, die .. das wir uns und .. ich mache das so, dass ich meinen Islam und so, wenn die über Islam was sagen, dann kann ich halt, ich rege mich da auf. Ich kann halt nicht dafür. Und ja.“
Person wird „Ja /ehm/ die Türken sehen mich in der Türkei anders. in der Türkei Weil die wissen, dass wir von Deutschland kommen“. als Ausländer wahrgenommen
D/T
„Von beides ein bisschen.“
D/T
„Ich glaube mal der türkischen, weil .. wir alle Muslimen zum Freitagsgebet gehen und dann, .. aber ich habe auch schon Seiten, wo ich, da wo manche Türken sagen, du bist ein Deutscher.“
N1 8:45
Wer?
Fund- Verstelle tiefung
„Anders?“
N1 9:22
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„Nicht die Türken, sondern, es ist N1 manchmal auch gemischt. Es sind 9:04 manchmal auch Russen oder so.“
Es gibt Probleme, wenn jemand etwas über den Islam sagt.
„Die denken, dass wir halt, weiß N1 nicht so, halt, .. wie soll ich sagen? ... 9:38 So von Kultur, wenn wir dort hingehen sind wir ein bisschen anders als die und wir reden auch manchmal N1 deutsch .. aus Versehen.“ 10:04
Die Türken sehen, dass sie aus Deutschland kommen. Sie denken, N. kann man gleich heiraten Î negativ bewertet.
„Manche finden es gut und .. manche denken halt, die Jungs oder so, die Mutter von den Jungs, die denken N1 auch, ja die sind von Deutschland. 10:18 Die können wir gleich nehmen und heiraten und so.“ „Weiß nicht. ( ) Die Jungen halt, ( ) die wollen dann vielleicht Deutschland, nach Deutschland kommen oder so. Das weiß ich nicht.“
K1 17:59
Sieht sich als Türke und Deutscher.
Zwei Seiten?
M1 4:45
„Welche Seiten gibt es? .. Zum Bei- M1 spiel /ehm/ ein richtiger Muslime 5:12 muss doch fünfmal am Tag beten. Und das mache ich zum Beispiel nicht. Dann .. die, wie soll ich das sagen, die Abergläubigen oder die, die an das Islam mehr glauben oder nicht glauben halt. Dieses Aufführen, die bezeichnen mich als, .. die bezeichnen mich, aber die sagen das so.“
Sieht die türkische Seite, aber auch die deutsche Seite, da nicht fünfmal gebetet wird.
191
Va-
Ausprägung
M1
D/T
"[…] Ich finde es so in der Mitte. ... Also ich sehe mich, .. wie soll ich das sagen? Das ist ein richtig schwieriges Thema. Ich, /eh/ ich sehe mich halt. Mein Glaube ist an, an .. Gott, aber ich wohne halt hier in Deutschland. Ich halte auch zu Deutschland. Wie dieses Jahr in der WM, /eh/ letztes Jahr in der WM. /ehm/ Da konnte leider die Türkei nicht in die WM. Da habe ich auch zu den Deutschen gehalten, weil wir wohnen hier. Es gibt viele Leute, die von Hartz IV leben. Von den Türken und die Deutschen schmeißen uns einfach nicht weg. Die helfen uns .. und da sehe, ( ) da bin ich irgendwie in der Mitte.“
D/T
„Ja, .. so gesehen bin ich eigentlich beides, weil ich auch etwas für Deutschland bin. Weil ich bin hier geboren, ich lebe hier und ich glaube mal, ich werde hier auch weiter leben. .. Und ..“ „Ja, schon der türkischen, .. aber ich habe auch Respekt vor der deutschen Kultur. Ich sage nicht‚ das ist so’ das und das halt’.“
D/T
„Also daheim bin ich ein Türke. Aber draußen sieht man es gar nicht, dass ich ein Türke bin. Weil, .. weil da gibt es ja keinen Unterschied zwischen Deutschen und Türken. .. Draußen, da macht ja jeder das Gleiche. Wir laufen ja auch .. wir laufen ja auch nicht auf den Händen oder auf dem Kopf. Ha ja! ((lacht)) Ja, .. ja. Das war es eigentlich wieder.“
D
„Ich glaub, ich bin eher deutsch.“
Selbstwahrnehmung
Fall riable
A2
192
Selbstwahrnehmung
M2 .2
Selbstwahrnehmung
Selbstwahrnehmung
M2
Ankerbeispiel
Reduktion
„A l s o, ((lacht))meine Freunde M1 Sieht sich in der Mitte, sehen mich als typisch türkisch .. und 17:08 glaubt an Gott, wohnt ich würde mich sagen, ich würde aber in Deutschland. mich in der Mitte finden. Glaube ich Sieht die deutsche Kultur mal.“ M1 auch als die eigene an „Also ich glaube mal, ich lebe mit, .. 18:02 und respektiert sie, die mit den zwei Kulturen. Weil, .. wenn Deutschen respektieren ich hier zum Beispiel, .. ja zum Freiseine Kultur. tagsgebet gehe, dann muss ich das ja und bei den Deutschen gehe ich auch nicht, wenn die Deutschen /eh/ sonntags zur Kirche gehen. Da gehe ich ja auch nicht hin und sage .. ja oder ( ) radikalier da irgendwas. /eh/ Eigentlich lebe ich mit zwei Kulturen, .. ich sehe die deutsche Kultur auch wie meine eigene. .. Sag, ich respektiere das auch .. und ich glaube auch mal, die Deutschen auch unsere.“ „J a , sagen wir 80% schon türkisch. M2 Deutsch (20%) wegen .. So .. und die 20% schon eher 11:52 Geburt und hiesigem deutsch.“ Leben. <was ist türkisch?> M2 Türkisch (80%) wegen „ .. Mein Blut. ((lacht)) .. nein, dass 12:10 seines Blutes und Glauich auch beten gehe, dass ich kein bens. Schweinefleisch und so esse. ... Und das ist es eigentlich auch mehr so. .. „
M2 11:16 M2 11:35
Fundstelle
Verortung
M1 15:47
Explikation
Verortung
Fund- Verstelle tiefung
M2.2 0:34
Zuhause ist er Türke, außerhalb des Hauses merkt man das nicht, da gibt es keinen Unterschied zwischen Türken und Deutschen.
A2 13:30
Bezieht sich Kulturnähe.
auf
die
193
Va-
Ausprägung
A2
D/T
„Ok, ich seh mich als Halbtürkin und halb deutsch, aber mehr wie die Hälfte bin ich deutsch und zwar deswegen, weil ich habe mehr deutsche Freunde, ich bin hier in Deutschland aufgewachsen und /ehm/ vom Aussehen her, also von der Hautfarbe her zum Beispiel, sehe ich mich eher als Türkin, aber ich pass mich ins deutsche Stil ein, ich zieh mich so an, wie die Leute hier, weil ich will nicht auffallen, zum Beispiel es gibt richtig typische Türken, die sich ja hier richtig wie Türken kleiden, wie zum Beispiel diese Hosen, die ich vorher bei den Männern gesagt hatte. /ehm/ Aber irgendwie will ich auch nicht ganz deutsch werden, da ich ja noch eine, weil ich gehör noch zu den Türken irgendwie, weil mein Blut ist ja türkisch und wenn ich jetzt zu den ganz Deutschen tendieren würde, dann bin ich nämlich in Türkei, bin ich eine Fremde, da bin ich keine Türkin mehr, sondern ne Deutsch für die, für meine Familie und das will ich auch nicht.“
D/T
„Eigentlich eher türkisch, aber ich spreche meistens deutsch. Deswegen weiß ich nicht - in der Mitte eigentlich. Auch nicht deutsch, eigentlich auch nicht türkisch.“
T
„Türkisch eigentlich.“
N1
194
Selbstwahrnehmung
E1
Selbstwahrnehmung
Selbstwahrnehmung
Fall riable
Ankerbeispiel
Fund- Verstelle tiefung
Explikation
Fundstelle
Reduktion Ist sowohl Türkin als auch Deutsche. Das Deutsche überwiegt, da sie mehr deutsche Freunde hat, in Deutschland aufgewachsen ist, einen deutscher Lebensstil pflegt und deutsche Kleidung trägt. Türkisch: Hautfarbe, Blut. Will aber nicht ganz deutsch werden.
E1 9:30
Ist sowohl türkisch als auch deutsch. Fühlt sich eher türkisch, spricht aber meistens deutsch.
N1 12:39
„An mir, an meiner Kultur ((lacht)) N1 Sieht sich als Türkin we.. an meiner Sprache ..“ 12:59 gen der Kultur und Sprache.
Was ist türkisch?
A2 17:51
195
Va-
Ausprägung
K1
Leben mit zwei Kulturen
Lebensmodell
Fall riable
196
Ankerbeispiel „Eigentlich schon, da hat man, ... da hat man, wie soll ich sagen, /eh/ in meiner Art, so zwei Länder, ... man kann sich als Tourist in der Türkei halt gut zurecht finden, da man auch die Umstände in der Türkei weiß und in der Türkei auch /eh/ in Deutschland gut auskommt, da man hier halt aufgewachsen ist.“
Fund- Verstelle tiefung
Vorteil?
K1 18:42
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„Ich finde, ich habe da mehr Vortei- K1 Î Bewertet Situation le. ... Da kann man zum Beispiel 19:19 positiv. Sieht eigenen auch in der Türkei, wenn man mal Vorteil durch die zwei nach Türkei umziehen will, aussieKulturen: Man hat zwei deln, auswandern will aus DeutschLänder, in denen man sich land, kann man zum Beispiel in der zurechtfindet und in denen Türkei als Touristenführer, als deutman Arbeit finden kann. scher Touristenführer schnell eine Hier kann man Türken Arbeit finden, oder als Animateur in K1 helfen, die kein deutsch Hotels für Deutsche.“ 19:53 sprechen. „Hier habe ich auch einen Vorteil, hier kann ich älteren Menschen, die schon früher aus der Türkei als Arbeiter nach Deutschland eingeladen worden sind, auch helfen, weil die zu großer Teil kein Deutsch, kein perfektes Deutsch reden und wenn zum Beispiel die zum Arzt oder so gehen, dann wissen die nicht, was die erzählen sollen, dann können die zum Beispiel mich oder andere in Deutschland aufwachsende Türken mitnehmen, dass die das denen erklären.“
197
Va-
Ausprägung
M1
Leben mit zwei Kulturen
„.. Also für mich in der Türkei ist es eigentlich ein Vorteil. Weil, /eh/ ... wenn da mal ein Deutscher kommt, kann ich dem zum Beispiel helfen. Kann dem sagen, ‚ja das, das’. Wenn er zum Beispiel als, .. als, als, .. zum Beispiel in einem Hotel, da könnte ich dem, .. wenn ich halt so .. könnte ich dem halt die Sachen erklären. Also hätte ich leicht, leicht eine Arbeit gefunden. Aber nur Sommerarbeit, denke ich mal. Und hier in Deutschland .. ( ) sehe ich eigentlich keine Vorteile.“
Leben mit zwei Kulturen
„Ja mir macht es eigentlich nicht so richtig was aus, weil ich schon eher türkische Kultur .. mich daran halte. ... Ja, ... mir macht es eigentlich nichts aus ((lacht)) mit zwei Kulturen.“
Lebensmodell
Fall riable
Lebensmodell
M2
198
Ankerbeispiel
Fund- Verstelle tiefung
Nachteile?
M1 15:03
M2 12:36
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„Nachteile? .. Glaube ich auch nicht. M1 ÎBewertet Situation Ich finde es so in der Mitte. […]“ 15:47 positiv. Hat Vorteile, wenn er in M1 der Türkei ist, da er durch „Ja, eigentlich schon.“ 15:56 seine Sprache leicht eine Sommerarbeit finden „Also ich glaube mal, ich lebe mit, .. M1 würde. mit den zwei Kulturen. Weil, .. 18:02 Hat in Deutschland keine wenn ich hier zum Beispiel, .. ja Vorteile, aber auch keine zum Freitagsgebet gehe, dann muss Nachteile durch seine ich das ja und bei den Deutschen Situation. gehe ich auch nicht, wenn die Deutschen /eh/ sonntags zur Kirche Ist mit der Situation zugehen. Da gehe ich ja auch nicht hin frieden. und sage .. ja oder ( ) radikalier da Sieht die deutsche Kultur irgendwas. /eh/ Eigentlich lebe ich wie die eigene an, respekmit zwei Kulturen, .. ich sehe die tiert sie, wie die Deutschen deutsche Kultur auch wie meine seine Kultur respektieren. eigene. .. Sag, ich respektiere das auch .. und ich glaube auch mal, die Deutschen auch unsere.“ Da er eher nach der türkischen Kultur lebt, macht es ihm nichts aus, mit zwei Kulturen zu leben.
199
Va-
Ausprägung
A2
Leben mit zwei Kulturen
Lebensmodell
Fall riable
200
Ankerbeispiel „/ehm/ Ich hab auch schon oft /ehm/ schlechte /ehm/ Sachen gesammelt und zwar einmal, gibt es eine Geschichte, ich war im Freibad und da wurde ich als, /ehm/ gut deutsch gesagt, ‚Scheiß Türken’ bezeichnet und das hat mich so richtig /ehm/ aufgeregt, hab ich den, diesen Jungen zur Stellung gestellt, ich hab ihn gefragt, wieso er das gesagt hat, weil, normal eigentlich werde ich gar nicht so als /ehm/ gesagt, ((abwertig)) ‚Türkin, du gehörst nicht zu uns’, normal heißt es immer, ((bewundernder Ausruf)), die bewundern einen eigentlich, weil, da ich so gut deutsch sprechen kann, bewundern die das eigentlich eher, als Nachteil, aber eben diese Geschichte da, hab ich ihn zur Rede gestellt gehabt, ich hab ihn gefragt, wieso er das gesagt hat, hat er gesagt gehabt ‚ja, ihr versucht unser Land zu klauen’ und dann hab ich gesagt ‚ja, das stimmt eigentlich gar nicht’ hab ich gesagt ‚wie du, du hast hier eine Arbeit, wir haben hier eine Arbeit, wir leben hier und du lebst hier’ ich hab gesagt, es gibt auch Deutsche, die in der Türkei leben, und ja und eigentlich werde ich eigentlich gar nicht so schlecht behandelt, wie einmal dieser Vorfall.“ „/ehm/ Ja, zum Beispiel bei, der Berufsberater hat zu mir einmal gesagt, er hat meine Deutschnote gesehen, da ich ja ein sehr gut habe, hat er gesagt ‚hey du könntest zum Beispiel Sprachkorrespondentin werden‘, da ich das gute Türkisch drauf habe und Deutsch und auch eine sehr gut in Englisch bin und irgendwie, die sagen, /ehm/ die bewundern einen immer, da ich so viel, da ich drei Sprachen gut drauf hab.“
Fund- Verstelle tiefung
Gewichtung: Vor- oder Nachteil
A2 15:27
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„Es ist eher ein Vorteil, also es A2 Î Positive Wertung wurde bis jetzt immer, eigentlich 16:22 überwiegt. war es immer sehr gut, also NachteiHat eine negative Erfahle hatte ich bis jetzt nicht so viele.“ rung gemacht (Diskriminierung), sieht aber auch Vorteile durch Sprachkenntnis, nämlich Sprachkorrespondentin werden zu können.
A2 16:05
201
Va-
Ausprägung
Ankerbeispiel
E1
Leben mit zwei Kulturen
„Ja, ich finde es eigentlich in Ordnung, weil /eh/ .. ich bin ja hier geboren und gehe ja nicht so oft nach Türkei. .... Deswegen stört es mich eigentlich gar nicht.“
Leben mit zwei Kulturen
„Nein.“
N1
202
Lebensmodell
Lebensmodell
Fall riable
Fund- Verstelle tiefung
N1 13:06
Vorteil?
Nachteile?
E1 9:47
Explikation
Fundstelle
Reduktion
„.. Also Nachteile, .. Nachteile habe E1 Findet es in Ordnung. ich eigentlich gar nicht, weil .. ich 10:23 Nachteile empfindet sie weiß nicht .. wie ich es erklären soll, dadurch, dass sie manche ... Doch eigentlich gibt es Nachteile Wörter nicht weiß, bei den Türken, weil .. die meisten Türken können ja nicht türkisch sprechen und ich will mich ja auch besser ausdrücken können. Aber das geht ja nicht, weil ich kann manche Wörter ja jetzt nicht sprechen. Also sprechen kann ich es, aber die (fallen mir) nicht ein. Und deswegen finde ich einen Nachteil, weil ich jetzt zu oft deutsch spreche, deswegen finde ich, das ist jetzt ( ) ein Nachteil.“ E1 „Eigentlich .. mir macht es eigent- 11:03 lich nichts aus, ob ich zwei Kulturen habe oder nicht. Weil ich bin so, ich bin so wie ich bin und deswegen mache ich, also feiern tue ich auf jeden Fall türkische Feste, feiere ich auf jeden Fall. Aber die deutschen nicht. Und... das liegt, glaube ich daran, weil meine Eltern auch die deutsche Kultur, also die deutschen Feste nicht feiern. Deswegen ( ) liegt es, glaube ich, daran.“ „Auch nicht. Nein. Dass ist eigent- N1 Sieht weder Vorteil noch lich gleich.“ 13:13 Nachteil.
203
8 Literaturverzeichnis Alesina, Alberto und Giuliano, Paola: „The Power of the Family”, in Institut zur Zukunft und Arbeit: Discussion Paper Nr. 2750, Bonn 2007. Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt am Main 1996. Atabay, Ilhami: „Die Identitätsentwicklung türkischer Migrantenjugendlicher in Deutschland“, in Koch, Eckart; Oezek, Metin und Pfeiffer, Wolfgang M. (Hrsg.): Psychologie und Pathologie der Migration. Deutsch-türkische Perspektiven, Freiburg im Breisgau 1995. Auer, Peter: „Türkenslang: Ein jugendlicher Ethnolekt des Deutschen und seine Transformationen“, in Häcki Buhofer, Annelies (Hrsg.): Spracherwerb und Lebensalter, Tübingen 2002, 255-264. Auernheimer, Georg [Jugendliche türkischer Herkunft]: „Jugendliche türkischer Herkunft in der Bundesrepublik Deutschland. Ethnizität, Marginalität und interethnische Beziehungen“, in Büchner, Peter; Krüger, Heinz-Hermann und Chisholm, Lynne (Hrsg.): Kindheit und Jugend im interkulturellen Vergleich. Zum Wandel der Lebenslagen von Kinder und Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien, Opladen 1990, 229-243. Auernheimer, Georg: Einführung in die kulturelle Pädagogik, Darmstadt 2003. Aydin, Hayrettin [u.a.] [zur türkischen Gesellschaft, Kultur und Identität]: Zur türkischen Gesellschaft, Kultur und Identität. Ein Literaturbericht zum Thema „Soziologische Länderkunde: Türkei" des Zentrums für Türkeistudien. Sozialwissenschaftliche Beiträge zur europäischen Integration / AES, Asko Europa-Stiftung , 2, Frankfurt am Main 2000. Baumgartner-Karabak, Andrea und Landesberger, Gisela: Die verkauften Bräute. Türkische Frauen zwischen Kreuzberg und Anatolien, Rowolt 1978. Bendit, René: „Zweite Generations-Forschung: Lebenslage und Sozialisation ausländischer Jugendlicher“, in Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): Ausländerarbeit und Integrationsforschung. Bilanz und Perspektiven, Weinheim 1987, 123-136. Berthold, Brecht: Gesammelte Werke. Prosa I, Frankfurt 1967. Boos-Nünning, Ursula: „Einwanderung ohne Einwanderungsentscheidung: Ausländische Familien in der Bundesrepublik Deutschland“, in Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte, Bonn 1990, 16-25. Bott, Peter; Merkens, Hans; Schmidt Folker (!) (Hrsg.): Türkische Jugendliche und Aussiedlerkinder in Familie und Schule. Theoretische und empirische Beiträge der pädagogischen Forschung, Hohengehren 1991. Bozay, Kemal: „…ich bin stolz, Türke zu sein!“ Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte im Zeichen der Globalisierung, Schwalbach/Ts. 2005. Bründel, Heidrun und Hurrelmann, Klaus: „Akkulturation und Minoritäten. Die psychosoziale Situation ausländischer Jugendlichen unter dem Gesichtspunkt des Belastungs-Bewältigungs-Paradigmas“, in Trommsdorff, Gisela (Hrsg.): Kindheit und Jugend in verschiedenen Kulturen, Weinheim 1995, 293-313.
205
Bühler-Otten, Sabine; Neumann, Ursula und Reuter, Lutz R.: „Interkulturelle Bildung in den Lehrplänen“, in Gogolin, Ingrid und Nauck, Bernhard (Hrsg.): Migration, gesellschaftliche Differenzierung und Bildung. Resultate des Forschungsschwerpunktprogramms Faber, Opladen 2000, 279-320. Buschmeyer, Hermann: „Identität und Lebensgeschichte“, in Pädagogische Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-Verbandes: Erwachsenenbildung im lebensgeschichtlichen Zusammenhang. Berichte-Materialien-Planungshilfen, Frankfurt am Main 1987, 20-23. Datta, Asit [Transkulturalität] (Hrsg.): Transkulturalität und Identität. Bildungsprozesse zwischen Exklusion und Inklusion, Frankfurt am Main, 2005. Deutsches Innenministerium (Hrsg.): Muslime in Deutschland - Integration, Integrationsbarrieren, Religion sowie Einstellungen zu Demokratie, Rechtsstaat und politischreligiös motivierter Gewalt - Ergebnisse von Befragungen im Rahmen einer multizentrischen Studie in städtischen Lebensräumen, Hamburg 2007. Dittmar, Norbert: Transkription - Ein Leitfaden mit Aufgaben für Studenten, Forscher und Laien, Wiesbaden 2004. Endruweit, Günter und Trommsdorff, Gisela: Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 2002. Erdheim, Mario: „Fremdeln. Kulturelle Unverträglichkeiten und Anziehung“, in Kursbuch: Die Unterwanderung Europas, 107, Bonn 1992, 19-32. Erikson, Erich H. [Identität und Lebenszyklus]: Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze, Frankfurt am Main 2000. Esser, Hartmut: Aspekte der Wanderungssoziologie. Assimilation und Integration von Wanderern, Neuwied 1980. Firat, Düzgün: Die Migration als Belastungsfaktor türkischer Familien. Auswirkungen auf die soziale Identität und das Familiensystem, Hamburg 1996. Flick, Uwe [u.a.] [Design und Prozess]: „Design und Prozess qualitativer Forschung“, in Flick, Uwe [u.a.]: Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg 2000, 13-30. Flick, Uwe: „Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendung“, in Psychologie und Sozialwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 1995. Georgi, Viola B.: Entliehene Erinnerungen. Geschichtsbilder junger Migranten in Deutschland, Hamburg 2003. Goldberg, Andreas; Halm, Dirk und Sen, Faruk: Die deutschen Türken, Münster 2004. Griese, Hartmut M.: „Gefangen im ideologischen Netz der Terminologie. Auf dem Weg zur begrifflichen Rekonstruktion der Jugend-Migration-Forschung“, in Mansel, Jürgen; Schweins, Wolfgang und Ulbrich-Herrmann, Matthias (Hrsg.): Zukunftsperspektiven Jugendlicher. Wirtschaftliche und soziale Entwicklungen als Herausforderung und Bedrohung für die Lebensplanung, Weinheim 2001, 277-288. Gün, Tatlican: Business mit der Türkei, ein Ratgeber für Einsteiger, Bern 2006. Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt 1985. Hall, Stewart: „Die zwei Paradigmen der Cultural Studies“, in Hörning, Karl H. und Winter, Rainer (Hrsg.): Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung, Frankfurt am Main 1999.
206
Hall, Stuart: „Kulturelle Identität und Globalisierung“, in Hörning, Karl H. und Winter, Rainer (Hrsg.): Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung, Frankfurt am Main 1999, 393-441. Hall, Stewart: „Die Frage der kulturellen Identität“, in Hall, Stewart (Hrsg.): Rassismus und kulturelle Identität, Hamburg 1994, 180-222. Hämming, Oliver: Zwischen zwei Kulturen. Spannungen, Konflikte und ihre Bewältigung bei der zweiten Ausländergeneration, Opladen 2000. Han, Petrus: Soziologie der Migration, Stuttgart 2000. Himmler, Norbert: „Wie sehen sich die Deutschen? Eine Identitätsstudie“, in Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Was eint und trennt die Deutschen? Stimmungs- und Meinungsbilder nach der Vereinigung, Mainz 1995. Honolka, Harro und Götz, Irene: Deutsche Identität und das Zusammenleben mit Fremden, Opladen/Wiesbaden 1999. Horkheimer, Max und Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1973. Hörning, Karl H. und Reuter, Julie [Doing Culture] (Hrsg.): Doing Culture. Neue Positionen zum Verständnis von Kultur und sozialer Praxis, Bielefeld 2004. Hörning, Karl H. und Winter, Rainer (Hrsg.): Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung, Frankfurt am Main 1999. Huntington, Samuel P.: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, Hamburg 2006. Kagitcibasi, Cigdem: „Türkische Migranten aus der Sicht des Herkunftslandes“, in Bott, Peter; Merkens, Hans und Schmidt Folker (!) (Hrsg.): Türkische Jugendliche und Aussiedlerkinder in Familie und Schule, Hohengehren 1991. Karakas, Cemal: „Türkei und Laizismus. Zwischen Staats-, Politik- und Gesellschaftsinteressen“, in Hessische Stiftung: Friedens- u. Konfliktforschung, 1, Frankfurt am Main 2007. Keupp, Heiner [Das Subjekt als Konstrukteur seiner selbst]: „Das Subjekt als Konstrukteur seiner selbst und seiner Welt“, in Keupp, Heiner und Weber, Klaus (Hrsg.): Psychologie. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg 2001. Keupp, Heinz [u.a.] (Hrsg.): Identitätskonstruktionen, Reinbek bei Hamburg 1999. König, René: Das Interview. Formen. Technik. Auswertung. Praktische Sozialforschung 1, Köln 1969. Krappmann, Lothar: Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen, Stuttgart 1988. Lajios, Konstantin [Familiäre Sozialisation]: „Familiäre Sozialisations-, soziale Integration- und Identitätsprobleme ausländischer Kinder und Jugendlicher in der Bundesrepublik“, in Lajios, Konstantin (Hrsg.): Die zweite und dritte Ausländergeneration. Ihre Situation und Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1991, 4354. Levy, Daniel und Sznaider, Nathan: Erinnerungen im globalen Zeitalter: Der Holocaust, Frankfurt am Main 2001. Mann, Thomas: Deutschland und die Deutschen 1945, EVA-Reden, 1, Hamburg 1992. Mayer, Horst O. [Interview]: Interview und schriftliche Befragung, München 2002.
207
Mayring, Philipp [qualitative Sozialforschung]: „Problemzentriertes Interview“, in Mayring, Philipp (Hrsg.): Einführung in die qualitative Sozialforschung, Weinheim 2002, 67-72. Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung, Weinheim 1999. Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlage und Techniken, Weinheim 1993. Mecheril, Paul und Teo, Thomas [Andere Deutsche] (Hrsg.): Andere Deutsche. Zur Lebenssituation von Menschen multiethnischer und multikultureller Herkunft, Berlin 1994. Mecheril, Paul und Witsch, Monika (Hrsg.): Cultural Studies und Pädagogik. Kritische Artikulationen, Bielefeld 2006. Mecheril, Paul: Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle (Mehrfach)Zugehörigkeit, Münster 2003. Meske, Sigrid: Situationsanalysen türkischer Frauen in der BRD, Berlin 1983. Meuser, M. und Nagel, U.: „Das Experteninterview – Wissenssoziologische Voraussetzungen und methodische Durchführung“, in Friebertshäuser, Barbara und Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim 1997, 481-491. Meyer, Thomas: Identitätspolitik. Vom Missbrauch kultureller Unterschiede, Frankfurt 2002. Muhammad Ibn Ahmad Ibn Rassoul: Der Koran. Die ungefähre Bedeutung des Al-Qur’an Al-Karim in deutscher Sprache, Düsseldorf 2003. Nauck, Bernhart: „Migration, ethnische Differenzierung und Modernisierung der Lebensführung“, in Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Die Modernisierung moderner Gesellschaften, Frankfurt am Main 1991, 707-723. Nauck, Bernhart und Kohlmann Annette: „Familiäre Netzwerke, intergenerative Transmission und Assimilationsprozesse bei türkischen Migrantenfamilien“, in Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 49, Köln 1997, 477-499. Nick, Peter: Ohne Angst verschieden sein. Differenzerfahrungen und Identitätskonstruktionen in der multikulturellen Gesellschaft, Frankfurt am Main 2003. Nieke, Wolfgang: „Begriffsfeld interkulturelles Lernen“, in Landesinstitut für Schule und Weiterbildung Nordrhein – Westfahlen (Hrsg.): Zentrale Begriffe Interkulturellen Lernens, Soest 1994. Nohl, Arnd-Michael [u.a.] (Hrsg.): Interview und dokumentarische Methode. Anleitungen zur Forschungspraxis, Wiesbaden 2006. Oerter, Rolf; Metzing, Andjelka und Dreher, Michael: „Ausländische Jugendliche zwischen zwei Kulturen. Eine Untersuchung zur kognitiven Entwicklung von jugoslawischen und deutschen Jugendlichen“, in Unterrichtswissenschaft, 15 (1), Weinheim 1987, 7-27. Otyakmaz, Berrin Ozlem: Das Selbstverständnis junger türkischer Migrantinnen in Deutschland, Köln 1995. Pellens, Karl (Hrsg.): Migration. Lernchancen für den historisch-politischen Unterricht, Schwalbach/Ts.1998. Reinders, Heinz [Interethnische Freundschaften bei Jugendlichen]: Interethnische Freundschaften bei Jugendlichen 2002. Ergebnisse einer Pilotstudie bei Hauptschülern, Hamburg 2003.
208
Reinders, Heinz [Qualitative Interviews]: Qualitative Interviews mit Jugendlichen führen, München 2005. Rüsen, Jörn: „Für eine interkulturelle Kommunikation in der Geschichte. Die Herausforderung des Ethnozentrismus in der Moderne und die Antwort der Kulturwissenschaften“, in Rüsen, Jörn; Gottlob, Michael und Mittag, Achim (Hrsg.): Die Vielfalt der Kulturen. Erinnerung, Geschichte, Identität, 4, Frankfurt am Main 1998, 14 +15. Ruthven, Malise [Der Islam]: Der Islam. Eine kurze Einführung, Stuttgart 2005. Schiffauer, Wener: Die Migranten aus Subay. Türken in Deutschland. Eine Ethnographie, Stuttgart 1991. Schiffauer, Werner: Die Gewalt der Ehre, Frankfurt am Main 1995. Schiffauer, Werner: Kulturelle Charakteristika als Bedingungen Interkultureller Kommunikation, die türkische Minderheit, Weinheim und Basel 1986. Schiffauer, Werner [Verhandelbare Diskursfelder]: „Verhandelbare Diskursfelder. Beschwörungen eines Phantoms: die Angst vor kultureller Desintegration“, in Frankfurter Rundschau (Forum Humanwissenschaften) vom 27.April 1990. Schroll-Machl, Sylvia: Die Deutschen – Wir Deutsche. Fremdwahrnehmung und Selbstsicht im Berufsleben, Göttingen 2002. Shami, Rafik: Gesammelte Olivenkerne. Aus dem Tagebuch der Fremde, München 1997. Silbereisen, Rainer K.; Schönpflug, Ute und Otrembra, H.: „Entwicklungsübergänge und Problemverhalten bei deutschen und türkischen Jugendlichen“, in Trommsdorff, Gisela (Hrsg.): Sozialisation im Kulturvergleich, Stuttgart 1989, 122-155. Spitzl, Martina und Yüksel, Sahika: Mädchen aus der Türkei? Schriftenreihe „sexueller Missbrauch“, 4, Berlin 1992. Spohn, Margret: Türkische Männer in Deutschland. Familie und Identität. Migranten der ersten Generation erzählen ihre Geschichte, Bielefeld 2002. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Ausländische Bevölkerung. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Ergebnisse des Ausländerzentralregisters, Fachserie 1, Reihe 2, Wiesbaden 2007. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Ergebnisse des Mikrozensus 2005, Fachserie 1, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Reihe 2.2, Bevölkerung mit Migrationshintergrund, Wiesbaden 2007. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Leben in Deutschland Haushalte, Familien und Gesundheit - Ergebnisse des Mikrozensus 2005, Wiesbaden 2006. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg [Pressemitteilung] (Hrsg.): „Jeder Vierte Baden-Württemberger mit Migrationshintergrund“, Pressemitteilung, Nr. 291 (8. September 2006). Stutzer, Erich [Bildungsintegration]: „Bildungsintegration von Migranten“, in Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg, Nr. 9, 2006, 3-8. Thomas, Alexander: „Psychologie interkulturellen Lernens und Handelns“, in Thomas, Alexander (Hrsg.): Kulturvergleichende Psychologie, Göttingen 1993. Weber, Cora [Selbstkonzept, Identität und Integration]: Selbstkonzept, Identität und Integration. Eine empirische Untersuchung türkischer, griechischer und deutscher Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1989.
209
Weidenfeld, Werner: „Geschichte und Politik“, in Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Geschichtsbewußtsein der Deutschen. Materialien zur Spurensuche einer Nation, Köln 1987, 13-29. Welsch, Wolfgang: „Transkulturalität. Zur veränderten Verfasstheit heutiger Kulturen“, in Zeitschrift für Kulturaustausch, 45. Jg., Stuttgart 1995, 39-44. Welsch, Wolfgang: „Transkulturalität. Zwischen Globalisierung und Partikularisierung“, in Cesana, Andreas und Eggers, Dietrich: Thematischer Teil II. Zur Theoriebildung und Philosophie des Interkulturellen, in Wierlacher, Alois (Hrsg.): Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache, 26, München 2000. Welsch, Wolfgang: Vernunft. Eine zeitgenössische Vernunftskritik und das Konzept der transversalen Vernunft, Frankfurt am Main 1995. Westphal, Manuela: „Vaterschaft und Erziehung“, in Herwartz-Emden, Leonnie (Hrsg.): Einwandererfamilien: Geschlechterverhältnisse, Erziehung und Akkulturation, Osnabrück 2000. Wilpert, Jürgen: „Artikel Identität,“ in Enzyklopädie Erziehungswissenschaft, Teil 2, 9, Stuttgart 1983, 304 Witzel, Andreas: „Das problemzentrierte Interview“, in Jüttemann, Gerd (Hrsg.): Qualitative Forschung in der Psychologie. Grundfragen, Verfahrensweisen, Anwendungsfelder, Heidelberg 1989, 227-256. Yumur, Arus: „Scenes of Masculinity from Turkey”, in Zeitschrift für Türkeistudien (ZfTS), 1, Münster 1999, 107 -117. Zentrum für Türkeistudien (Hrsg.): Das ethnische und religiöse Mosaik der Türkei und seine Reflexionen auf Deutschland. Wissenschaftliche Schriftenreihe des Zentrums für Türkeistudien, 1, Münster 1998.
210