Victor Tiberius Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung
VS RESEARCH
Victor Tiberius
Hochschuldidaktik der Zukunfts...
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Victor Tiberius Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung
VS RESEARCH
Victor Tiberius
Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Gerhard de Haan
VS RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Freie Universität Berlin, 2011
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Anita Wilke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18124-0
Geleitwort
Sich mit Zukunftsfragen auseinanderzusetzen ist heute aufgrund des beschleunigten gesellschaftlichen Wandels und einer hoch dynamischen Ökonomie, aufgrund der technisch potenzierten Möglichkeiten und allenthalben wachsenden Unsicherheiten im Wissen wie im Handeln zwingend erforderlich. Die Aufgabe der Zukunftsforschung besteht daher auch darin, das Zukunftsbewusstsein der Gesellschaft zu schärfen und Menschen Orientierungs- sowie Handlungswissen zu vermitteln. Zukunftsforschung kann allerdings nur dann Solidität gewinnen, wenn sie in hohem Maße professionell, und das heißt als Wissenschaft, operiert. Das ist leider nicht immer der Fall. Die Beschäftigung mit den wahrscheinlichen, plausiblen, möglichen, zu vermeidenden und wünschenswerten Zukünften verbleibt oftmals auf der Ebene der Alltagsspekulationen, oberflächlicher Analysen und Meinungsmache. Man kommt also gar nicht umhin, sich professionspolitisch für universitäre Forschung und Lehre in diesem noch recht jungen Metier einzusetzen, um die Zukunftsforschung mit einem soliden wissenschaftstheoretischen und methodologischen Fundament, aber auch mit professionell arbeitenden Experten auszustatten. Im deutschsprachigen Raum ist in dieser Hinsicht der erste Schritt mit der Einrichtung eines weiterbildenden Studiengangs Zukunftsforschung an der Freien Universität Berlin gegangen worden (siehe www.master-zukunftsforschung.de). Die Ausarbeitung einer verallgemeinerbaren didaktischen Konzeption ist für eine weitere Professionalisierung der Zukunftsforschung dennoch ein Desiderat. Bisher wurden selbst im internationalen Raum kaum Versuche unternommen, die Frage zu klären, wie die Lehre im Bereich der Zukunftsforschung an Hochschulen systematisch und generalisierbar ausgestaltet werden kann. Diesen Ausgangspunkt nutzt Victor Tiberius, um sich intensiv mit der jungen Disziplin Zukunftsforschung auseinanderzusetzen. Tiberius beginnt mit der Feststellung, dass es seit den 1960er Jahren international sowohl Studiengänge als auch einzelne Hochschulveranstaltungen zur Zukunftsforschung gibt. Zudem, so stellt er fest, lassen sich Bestrebungen ausmachen, das Wissen der Disziplin in praktisch alle traditionellen Studiengänge zu integrieren. Bis dato mangelt es innerhalb der Disziplin aber an einer durchformulierten Fachdidaktik für das Hochschulstudium der Zukunftsforschung.
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Geleitwort
Die Didaktik der Zukunftsforschung muss sich aufgrund ihrer epistemischen und ontologischen Besonderheiten von anderen Fachdidaktiken unterscheiden. Nur dann ist es gerechtfertigt, die Zukunftsforschung als eigenständige Disziplin in der Forschung und Lehre zu verankern. Überzeugend wird die Besonderheit der Zukunftsforschung als „Potenzialwissenschaft“ präsentiert. Das macht die Einzigartigkeit des Fachs kenntlich. Aufgrund von komplexen Interdependenzbeziehungen quer zu den anderen Wissenschaften liegend muss Zukunftsforschung dabei aber als interdisziplinär ausgerichtetes Fach verstanden werden. Um von diesem Ausgangspunkt her zu gehaltvollen Überlegungen für die Etablierung der Zukunftswissenschaft zu gelangen, ist eine begrifflich-konzeptionelle Systematisierung des Fachs und ihrer Didaktik zwingend erforderlich. Daher findet man zu Beginn dieses Buches eine knappe und doch konsistente, informative und pointierte Grundlegung des Fachs. Für die Leser nicht weniger interessant dürften die Analyse der 14 zukunftswissenschaftlichen Studiengänge und die Ergebnisse von Interviews sein, die mit den wichtigsten Lehrenden aus den verschiedensten Ländern durchgeführt wurden. Professoren und andere Dozenten wurden gebeten, auf Grundlage ihrer eigenen Lehrpraxis Ausführungen zu ihren didaktischen Grundentscheidungen zu machen. Die Aussagen sind von einiger Relevanz, da eine ähnliche Erhebung bisher nicht zu finden ist. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass die berichteten Lehrformen eher als konventionell zu bezeichnen sind und auch die Medien, die in den Veranstaltungen zur Zukunftsforschung genutzt werden, sich von denen anderer Disziplinen kaum unterscheiden. Vor diesem Hintergrund werden schließlich Vorschläge für die Didaktik der Zukunftsforschung offeriert, die sowohl Hinweise auf Lehrziele, Lehrinhalte, Lehrmethoden und Lehrmedien als auch die Möglichkeiten der Lernerfolgskontrolle enthalten. Dieses Buch bietet als eines der wenigen weltweit einen Einblick in die Didaktik der Zukunftsforschung und liefert somit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der noch jungen Wissenschaft. Ein überaus informatives Werk, das in Zukunft bei der Planung von Studiengängen, aber auch von einzelnen Veranstaltungen, die Aspekte der Zukunftsforschung aufgreifen, zur Standardlektüre gehören sollte. Berlin-Dahlem im Februar 2011 Gerhard de Haan Institut Futur Freie Universität Berlin
Vorwort
In einer Welt, die von zunehmender Dynamik, Komplexität und Diskontinuität geprägt ist und in der Menschen immer weiter in die Zukunft reichende Fernund Nebenwirkungen evozieren, wächst der Bedarf nach einer Zukunftsforschung, die das Zukunftsbewusstsein schärft, mögliche und wahrscheinliche Zukünfte vorausdenkt, vor vermeidenswerten Zukünften warnt, die Diskussion über wünschenswerte Zukünfte anregt und nachhaltige Gestaltungsoptionen aufzeigt. Eine Wissenschaft steht und fällt nicht nur mit ihrer Forschungs-, sondern auch mit ihrer Lehrqualität. Obwohl es seit den 1960er-Jahren grundständige Studiengänge in Zukunftsforschung gibt und die Behandlung von Zukunftsfragen in zahlreichen anderen Studiengängen Einzug nimmt, ist die didaktische Auseinandersetzung mit dem Hochschulstudium der Zukunftsforschung noch unausgereift. Aufgrund ihrer ontologischen und epistemologischen Besonderheiten und durch ihre sowohl analytische als auch normative Ausrichtung benötigt die Zukunftsforschung eine eigene Didaktik. Die vorliegende Dissertation möchte eine hochschuldidaktische Konzeption für das Studium der Zukunftsforschung vorlegen, die Lehrziele, Lehrinhalte, Lehrmethoden, Lehrmedien und Möglichkeiten der Lernerfolgskontrolle für das Fach konkretisiert, um auf diese Weise auch das Fach selbst voranzubringen. Nach der ersten Promotion eine zweite Dissertation anzufertigen, ist zwar kein Einzel-, aber doch ein Sonderfall, der gewissermaßen erklärungsbedürftig ist. Nach dem Abitur hatte ich über meine Ausbildung zwar verschiedene Vorstellungen, doch eine hatte mich besonders gefesselt: Zukunftsforschung studieren. Damals war ein solches Unternehmen leider nur im Ausland möglich, und die finanziellen Mittel und Lebensumstände hatten ein solches Vorhaben nicht erlaubt. Heute, gut ein Dutzend Jahre später, hat sich der Wunsch letztlich doch gewissermaßen erfüllt. Denn mit der vorliegenden Arbeit, deren vage Idee im Jahr 2006 entstand und deren ernsthafte Phase 2008 begann, habe ich mich nicht nur in meinem zweiten Studienfach weiterqualifizieren können, sondern war auch „gezwungen“, die Grundzüge der Zukunftsforschung autodidaktisch zu studieren. Besonders freut mich jedoch, dass mein Doktorvater, Prof. Dr. Gerhard de Haan, während der Erstellung der vorliegenden Arbeit an der Freien Universität
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Vorwort
Berlin den ersten Universitätsstudiengang für Zukunftsforschung in Deutschland eingerichtet und damit für nachfolgende Generationen die Möglichkeit geschaffen hat, das Fach auch hierzulande zu studieren. Ich hoffe, die hiesigen Erkenntnisse leisten zum Erfolg, den ich dem Projekt von Herzen wünsche, einen Beitrag. Prof. de Haan betreibt nicht nur Zukunftsforschung, sondern wirbt auch aktiv für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung und die dafür notwendigen Bildungsvoraussetzungen. Daher war er ein bereichernder Gesprächspartner, der zu dieser Arbeit wichtige Impulse beigetragen hat. Hierfür bin ich ihm sehr dankbar. Ebenso dankbar bin ich Prof. Dr. Christoph Rasche, der sich, nur wenige Wochen nach meinem Antritt als Postdoc an seinem Arbeitsbereich an der Universität Potsdam, spontan dazu bereit erklärt hat, die Zweitbegutachtung zu übernehmen. Den Professoren Dr. Christoph Wulf und Dr. Detlev Liepmann sowie Frau Dr. Kathrin Audehm danke ich sehr herzlich für ihre Bereitschaft, in der Promotionskommission mitzuwirken. Dankbar bin ich auch den Zukunftsforschungsdozenten weltweit, die sich meinen Fragen zur Lehrpraxis zur Verfügung gestellt haben. Sie haben nicht nur zur Erkenntnis-, sondern auch zur Motivationslage beigetragen. Schließlich danke ich meinem langjährigen Lektor, Dr. Bernd Knappmann, für das wie stets sorgfältige Lektorat und Layout. Berlin/Potsdam, im Februar 2011 Victor Tiberius
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort ............................................................................................................................................... 5 Vorwort................................................................................................................................................... 7 Abkürzungsverzeichnis / Vorbemerkungen ..................................................................................... 13 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ............................................................................................... 15 1.
Einleitung ........................................................................................................................ 17 1.1
Problemstellung................................................................................................................ 17
1.2
Zielsetzung ....................................................................................................................... 25
1.3
Methodik .......................................................................................................................... 28
1.4
Gang der Untersuchung ................................................................................................... 32
I.
Theoretischer Teil .......................................................................................................... 35
2.
Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung .............................. 37 2.1
Begriffsverständnisse und Abgrenzungen ....................................................................... 37
2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5
Historische Genese der Zukunftsforschung..................................................................... 39 Die Anfänge ..................................................................................................................... 40 1940er-Jahre ..................................................................................................................... 41 1950er- und 1960er-Jahre ................................................................................................ 42 1970er-Jahre ..................................................................................................................... 44 1980er-Jahre bis heute ..................................................................................................... 45
2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5
Institutionalisierung der Zukunftsforschung.................................................................... 46 Fachgesellschaften ........................................................................................................... 47 Fachliteratur ..................................................................................................................... 47 Lehre, Forschung und berufliche Praxis .......................................................................... 49 Aktuelle Situation im deutschsprachigen Raum.............................................................. 51 Wissenschaftliches Ansehen und Professionalität........................................................... 52
2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5
Disziplinäre Verortung der Zukunftsforschung............................................................... 56 Objektwissenschaft .......................................................................................................... 56 Real- bzw. Potenzialwissenschaft.................................................................................... 56 Sozial- bzw. Kulturwissenschaft...................................................................................... 57 Explorative und normative Wissenschaft ........................................................................ 60 Interdisziplinarität der Zukunftsforschung ...................................................................... 61
10
Inhaltsverzeichnis
2.5 2.5.1 2.5.2
Ontologische Basis der Zukunftsforschung..................................................................... 66 Erkenntnisobjekte der Zukunftsforschung....................................................................... 66 Erfahrungsobjekte der Zukunftsforschung ...................................................................... 69
2.6 2.6.1 2.6.1.1 2.6.1.2 2.6.1.3 2.6.1.4 2.6.2 2.6.2.1 2.6.2.2 2.6.2.3 2.6.2.4 2.6.2.5 2.6.2.6
Epistemologische Basis der Zukunftsforschung.............................................................. 72 Erkenntnisziele der Zukunftsforschung ........................................................................... 72 Deskriptives Erkenntnisziel ............................................................................................. 75 Theoretisches Erkenntnisziel ........................................................................................... 79 Pragmatisches Erkenntnisziel .......................................................................................... 82 Wissenschaftstheoretisches Erkenntnisziel ..................................................................... 87 Erkenntnismethoden der Zukunftsforschung................................................................... 87 Trendextrapolation ........................................................................................................... 91 Cross-Impact-Analyse...................................................................................................... 93 Szenariotechnik ................................................................................................................ 95 Modelle bzw. Simulationen ............................................................................................. 97 Delphi-Methode ............................................................................................................... 99 Zukunftswerkstatt........................................................................................................... 101
2.7 2.7.1 2.7.2 2.7.3 2.7.4 2.7.5
Schulen der Zukunftsforschung ..................................................................................... 102 Explorative Zukunftsforschung ..................................................................................... 103 Kritische Zukunftsforschung ......................................................................................... 104 Partizipatorische Zukunftsforschung ............................................................................. 106 Multikulturelle Zukunftsforschung................................................................................ 108 Poststrukturalistische Zukunftsforschung...................................................................... 110
3.1 3.1.1 3.1.1.1 3.1.1.2 3.1.2 3.1.2.1 3.1.2.2 3.1.2.3 3.1.3 3.1.3.1 3.1.3.2 3.1.3.3 3.1.3.4
Didaktikbegriffe ............................................................................................................. 113 Allgemeine Didaktik und Curriculumforschung ........................................................... 113 Allgemeine Didaktik ...................................................................................................... 113 Curriculumforschung ..................................................................................................... 116 Fachdidaktik ................................................................................................................... 120 Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung........................................................................ 120 Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik......................................................................... 123 Fachdidaktik und Fachwissenschaft .............................................................................. 125 Hochschuldidaktik.......................................................................................................... 127 Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung........................................................................ 127 Allgemeine Hochschuldidaktik...................................................................................... 130 Kritik an der allgemeinen Hochschuldidaktik ............................................................... 131 Hochschulfachdidaktik................................................................................................... 135
3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Konstruktivistische Didaktik ......................................................................................... 139 Konstruktivismen im Überblick..................................................................................... 139 Grundhaltungen konstruktivistischer Didaktik.............................................................. 145 Kritische Reflexion ........................................................................................................ 148 Konstruktivismus und Zukunftsforschung .................................................................... 155
3.3 3.3.1 3.3.1.1 3.3.1.2 3.3.1.3
Komponenten didaktischer Konzeptionen..................................................................... 162 Lehrziele......................................................................................................................... 162 Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung........................................................................ 162 Klassifikation von Lehrzielen ........................................................................................ 163 Lehrziele in konstruktivistischer Perspektive................................................................ 167
3.
Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik .............................................. 113
Inhaltsverzeichnis
11
3.3.2 3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.2.3 3.3.2.4 3.3.3 3.3.3.1 3.3.3.2 3.3.3.3 3.3.4 3.3.4.1 3.3.4.2 3.3.4.3 3.3.5 3.3.5.1 3.3.5.2 3.3.5.3 3.3.5.4
Lehrinhalte ..................................................................................................................... 169 Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung........................................................................ 169 Selektion von Lehrinhalten ............................................................................................ 169 Sequenzierung von Lehrinhalten ................................................................................... 170 Lehrinhalte in konstruktivistischer Perspektive............................................................. 171 Lehrmethoden ................................................................................................................ 173 Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung........................................................................ 173 Veranstaltungstypen....................................................................................................... 175 Lehrmethoden in konstruktivistischer Perspektive........................................................ 181 Lehrmedien..................................................................................................................... 186 Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung........................................................................ 186 Lehrmedientypen............................................................................................................ 187 Lehrmedien in konstruktivistischer Perspektive............................................................ 187 Lernerfolgskontrolle....................................................................................................... 188 Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung........................................................................ 188 Aufgabentypen ............................................................................................................... 190 Prüfungsformen.............................................................................................................. 191 Lernerfolgskontrolle aus konstruktivistischer Sicht ...................................................... 193
3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3
Didaktische Reflexionskriterien..................................................................................... 195 Wissenschaftsprinzip ..................................................................................................... 197 Persönlichkeitsprinzip.................................................................................................... 198 Situationsprinzip ............................................................................................................ 199
II.
Empirischer Teil........................................................................................................... 203
4.
Zukunftsforschung in der Lehrpraxis ....................................................................... 205 4.1
Didaktik und empirische Forschung .............................................................................. 205
4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3
Das qualitative Forschungsparadigma ........................................................................... 207 Einordnung und Abgrenzung zur quantitativen Forschung........................................... 207 Theoriebildung in der qualitativen Forschung............................................................... 210 Gütekriterien in der qualitativen Forschung .................................................................. 212
4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5
Teil 1: Inhaltsanalyse von Studiengangsportraits .......................................................... 215 Methodik ........................................................................................................................ 215 Dokumentenselektion..................................................................................................... 216 Datenerhebung ............................................................................................................... 219 Auswertungsmethodik ................................................................................................... 219 Einzelfallauswertungen.................................................................................................. 221
4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5
Teil 2: Dozentenbefragung ............................................................................................ 239 Methodik ........................................................................................................................ 239 Expertenselektion........................................................................................................... 243 Datenerhebung ............................................................................................................... 244 Auswertungsmethodik ................................................................................................... 247 Einzelfallauswertungen.................................................................................................. 250
4.5
Gesamtauswertung ......................................................................................................... 283
12
Inhaltsverzeichnis
III.
Konzeptioneller Teil..................................................................................................... 291
5.
Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung............................................. 293 5.1
Lehrziele......................................................................................................................... 293
5.2
Lehrinhalte ..................................................................................................................... 299
5.3
Lehrmethoden ................................................................................................................ 307
5.4
Lehrmedien..................................................................................................................... 316
5.5
Lernerfolgskontrolle....................................................................................................... 324
6.
Fazit ............................................................................................................................... 329 6.1
Zusammenfassung.......................................................................................................... 329
6.2
Weiterer Forschungsbedarf ............................................................................................ 331
Anhang................................................................................................................................................ 335 Anhang 1: Untersuchte Studiengänge ........................................................................................... 336 Anhang 2: Interviewte Dozenten ................................................................................................... 339 Anhang 3: Kontakt-E-Mail ............................................................................................................ 342 Anhang 4: Eröffnungsfragen ......................................................................................................... 343 Literaturverzeichnis .......................................................................................................................... 345 Kurzfassung in deutscher und englischer Sprache........................................................................ 369
Abkürzungsverzeichnis / Vorbemerkungen
Abkürzungsverzeichnis CNAM DEGEST (Modell) DIW ECTS FAO GG IFO IFW IWH m. w. V. LIPSOR MOIRA OECD OH PFI RAND (Corporation) RWI UNEP UNESCO UNITAR
Conservatoire National des Arts et Métiers Demography, Economics, Government, Environment, Society und Technology Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung European Credit Transfer System Food and Agriculture Organization Grundgesetz ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel Institut für Wirtschaftsforschung Halle mit weiteren Verweisen (in der zitierten Quelle werden weitere Quellen genannt) Laboratoire d’Innovation, de Prospective Stratégique et d’Organisation Model Of International Relations in Agriculture Organization for Economic Cooperation and Development Overhead (z. B. OH-Folie, OH-Projektor) Pakistan Futuristics Foundation and Institute, Islamabad Research ANd Development (Corporation) Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung United Nations Environment Programme United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization United Nations Institute for Training and Research
Vorbemerkungen Zur einfacheren Lesbarkeit werden maskuline Formen verwendet. Gemeint sind jedoch stets beide Geschlechter. Wenn in der Arbeit vom Verfasser gesprochen wird, ist der Urheber des vorliegenden Textes gemeint. Der Terminus Autor(in) wird hingegen verwendet, um den Urheber einer zitierten Quelle zu benennen.
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3:
Grobstruktur zum Gang der Untersuchung im Überblick............................................34 Reflexionskriterien für didaktische Entscheidungen. ................................................196 The MSF Curriculum Pyramid...................................................................................226
Tabellenverzeichnis Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7: Tab. 8: Tab. 9: Tab. 10: Tab. 11: Tab. 12: Tab. 13: Tab. 14: Tab. 15: Tab. 16: Tab. 17:
Wissenschaftliche Zeitschriften zur Zukunftsforschung. ............................................48 Mögliche Tätigkeitsfelder für Zukunftsforscher..........................................................50 Anforderungen an Zukunftsforscher. ...........................................................................55 Vorschlag zur Gliederung der Erfahrungsbereiche der Zukunftsforschung.......................71 Theorien des Wandels als potenzielle Theorien der Zukunftsgenese..........................81 Beispiel einer Cross-Impact-Matrix mit drei Ereignissen. ..........................................94 Pragmatische Medienklassifikation............................................................................187 Nennungen zu Lehrzielen, sortiert nach Themenfeldern und Häufigkeit. ....................285 Nennungen zu Lehrinhalten, sortiert nach Themenfeldern und Häufigkeit. ....................287 Nennungen zu Lehrmethoden, sortiert nach Häufigkeit. ...........................................288 Nennungen zu Lehrmedien, sortiert nach Häufigkeit. ...............................................289 Nennungen zu Lernerfolgskontrollen, sortiert nach Häufigkeit. ...............................290 Vorschläge für fachliche und überfachliche Richtziele für die Hochschullehre des Studienfachs Zukunftsforschung. ........................................................................298 Vorschläge für Lehrinhalte für die Hochschullehre des Studienfachs Zukunftsforschung......................................................................................................307 Eignung methodischer Großformen für die Hochschullehre des Studienfachs Zukunftsforschung......................................................................................................315 Objektivistische und konstruktivistische Lehrmedientypen für die Hochschullehre des Studienfachs Zukunftsforschung. ........................................................................323 Objektivistische und konstruktivistische Bewertungskriterien bei der Lernerfolgskontrolle für die Hochschullehre des Studienfachs Zukunftsforschung.............328
„Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, […] dann muss es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muss geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müsste geschehen; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, dass es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein.“ Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, Bd. 1, 14. Aufl. (2009)1, Reinbek, S. 16.
1.
Einleitung
1.1
Problemstellung
Die Beschäftigung mit der Zukunft ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst,2 denn individuelles, organisationales und gesellschaftliches Wohl und Wehe sind untrennbar mit ihr verbunden.3 Sich aktiv mit Zukunftsfragen auseinanderzusetzen, ist heute jedoch wichtiger denn je, denn zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte waren die technisch potenzierten Möglichkeiten des Menschen die Welt zu verändern so groß wie heute. Mit der Fähigkeit, das Leben künftiger Generationen zu beeinflussen, ist aber auch die Verantwortung, zukunftsorientiert und nachhaltig zu handeln, massiv gewachsen.4 Denn mit den gestiegenen Gestaltungsmöglichkeiten haben die gesellschaftliche Komplexität5 und die Gefahren zugenommen, mit emergenten 1 2 3 4 5
Erstmals erschienen 1930. Vgl. Slaughter (2002a), S. 92; Bell (2003), S. 2, 99; Robinson (2003), S. 839; Schüll (2006), S. 1. Vgl. McHale (1978), S. 5; Slaughter (1993b), S. 312; Masini (2001), S. 644; Marien (2002), S. 273. Vgl. Jonas (1979). Vgl. Glenn (1973), S. 95; Didsbury (1992), S. 23; Tiberius (2008), S. 1, m. w. V. Umweltkompleität bezeichnet das Ausmaß der Heterogenität der Elemente in der Umwelt, vgl. Child (1972), S. 3; ähnlich auch Waldrop (1992), S. 11, der ein System als komplex bezeichnet, wenn zahlreiche, voneinander unabhängige Akteure miteinander auf zahlreiche Weisen miteinander interagieren.
V. Tiberius, Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung, DOI 10.1007/978-3-531-92869-2_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
18
1. Einleitung
Neben- und Fernwirkungen die Welt aus dem Gleichgewicht zu bringen. „[W]e are in a very critical epoch in the history of humanity and the planet. It is a time when we are facing enormous potential and, simultaneously, excruciatingly complex problems that have no less complex solutions.“6 Wie die Anhänger der zweiten bzw. reflexiven Moderne argumentieren, hat dieser Prozess bereits vor Jahrzehnten eingesetzt, und die modernen Ideale wie Bildung, Bürgerrechte, Emanzipation, ökonomischer Fortschritt, National- und Wohlfahrtsstaat sowie Vollbeschäftigung befinden sich seitdem im allmählichen Auflösungsprozess. Gerade durch ihre Institutionalisierung sind Probleme wie Arbeitslosigkeit und Armut, Auflösung traditioneller Bindungen und Verlust der Lebensmittelpunkte, Umweltverschmutzung, Bürokratie, Kollaps der Sozialsysteme und hohe Staatsschulden entstanden, die ihrerseits durch einen neuen Modernisierungsprozess überwunden werden müssen.7 Der Entwicklungsverlauf der Menschheit ist insofern längst kein linearer Trend (hin zum Besseren) mehr, sondern von erheblichen Diskontinuitäten geprägt.8 Wir leben in einer Risikogesellschaft.9 Berücksichtigt die Menschheit mögliche Entwicklungen nicht ausreichend, ist ihr Überleben gefährdet.10 Die Unsicherheit im Hinblick auf das, was die Zukunft bringen mag, ist gewachsen11 und wird voraussichtlich weiter zunehmen.12 Sie besteht gleich dreifach: Wir wissen nicht, was passieren wird, welche Auswirkungen dies auf uns hat und wie wir angemessen darauf reagieren.13 Sich mit Zukunftsfragen zu beschäftigen, ist jedoch nicht nur wichtiger, sondern auch dringender geworden, denn mit der wachsenden Dynamik14 wird die Zeit zur Problemlösung immer knapper.15 Virilios Theorie der Dromologie zufolge wird durch die Überbrückung von Raum und die Verdichtung von Zeit die allgemein zunehmende Geschwindigkeit zum treibenden Faktor der gesell6 7 8
9 10 11 12 13 14 15
Rogers (1992), S. 33. Vgl. Beck (1986); Beck et al. (1994); Lash (1999); Beck (2007). Diskontinuitäten sind unstetige Entwicklungen, die keinem Trendmuster folgen, vgl. Macharzina (1984), S. 1 ff. Sie sind daher kaum prognostizierbar, ähnlich auch Flechtheim (1980), S. 125, der von absolut neuen Phänomenen spricht. Der Managementvordenker Drucker (1968) sprach schon Ende der 1960er-Jahre von einem Zeitalter der Diskontinuität. Vgl. Beck (1986); id. (2007). Vgl. Slaughter (2002a), S. 92. Vgl. Amara (1978), S. 41; Flechtheim (1980), S. 16; Kreibich et al. (2000), S. 7; Steinmüller (2000), S. 37, 50; Slaughter (2002c), S. 349; Tiberius (2008), S. 1. Vgl. Slaughter (1993b), S. 291; Coyle (1997), S. 91. Vgl. Khadwalla (1972), S. 298. Vgl. Didsbury (1992), S. 23; Tiberius (2008), S. 1, m. w. V. Umweltdynamik bezeichnet die Häufigkeit und Intensität von Veränderungen der Elemente in der Umwelt, vgl. Child (1972), S. 1 ff. Vgl. Glenn (1973), S. 95.
1.1 Problemstellung
19
schaftlichen Entwicklung.16 Durch die Gleichzeitigkeit von wachsender Hysterese und Beschleunigung droht die Menschheit immer ohnmächtiger zu werden, ihre Entwicklung selbst zu beherrschen. So kann es zum „rasenden Stillstand“ kommen.17 All dies erzeugt bei vielen Menschen Zukunftsängste.18 In einer solchen Situation ist Orientierung erforderlich, mithin die Bestimmung des aktuellen Standorts, des Soll-Zustandes und des Wegs vom einen zum anderen.19 Hier setzt die Zukunftsforschung an. Sie will unter den genannten Bedingungen eine Kompassfunktion übernehmen und Orientierungs- und Handlungswissen erzeugen.20 Sie schärft das Zukunftsbewusstsein, denkt mögliche sowie wahrscheinliche Zukünfte vor, möchte alternative, proaktive Handlungspfade hin zu wünschenswerten Zukünften aufzeigen21 sowie auf vermeidenswerte Zukünfte aufmerksam machen, damit Fehler präaktiv vermieden werden können, wo reaktives Denken Entgleisungen nur noch nachträglich korrigieren könnte,22 sofern Ereignisse überhaupt reversibel sind. Damit übernimmt sie auch eine Bewertungs- oder Kritikfunktion. Kurz: Über die Zukunft nachzudenken öffnet den Geist für neue, leistungsfähigere und verträglichere Prinzipien und Praktiken, die den heutigen Systemen und Strukturen überlegen sind.23 Durch ihr Denken in Alternativen betont die Zukunftsforschung, dass die Zukunft aus gegenwärtiger Sicht im Rahmen der gegebenen (aber nicht zementierten) Pfadabhängigkeiten24 nicht schicksalhaft vorgezeichnet, sondern noch weitgehend offen für Gestaltung ist:25 „Das Ziel von Zukunftsforschung […] ist es nicht, die Zukunft vorauszusagen oder sie als etwas zu enthüllen, das bereits feststeht; stattdessen zielt die Zukunftsforschung darauf, uns beim Aufbau der Zukunft zu unterstützen. Sie ermutigt uns, die Zukunft als etwas, was gestaltet werden muss, zu betrachten und nicht als etwas, das bereits entschieden ist, oder als Geheimnis, das nur einer Deutung bedarf.“26 16 17 18 19 20 21 22
23 24 25 26
Vgl. Virilio (1980). Vgl. id. (1997). Ähnlich auch de Jouvenel (2000), S. 57. Vgl. Tiberius (2002), S. 16. Vgl. Kreibich (2000), S. 10. Da die Zukunftsforschung nach dem Paradigma der alternativen Zukünfte immer eine Mehrzahl von Möglichkeiten aufzeigt, ist ihre Orientierungsfunktion naturgemäß eingeschränkt, vgl. Tiberius (2002), S. 16. Vgl. Amara (1981a), S. 25; Didsbury (1992), S. 23; Dator (2002), S. 6; Slaughter (2002), S. 92. Vgl. Glenn (1973), S. 95; Flechtheim (1980), S. 16; Coyle (1997), S. 78 f. Denn die Korrektur von Fehlern ist in aller Regel teurer als deren Vermeidung, vgl. Slaughter (1993b), S. 291: „Forward thinking is preferable to crisis management.“ Zu den Erkenntnisobjekten der Zukunftsforschung vgl. im Einzelnen Kap. 2.5.1. Vgl. Slaughter (2002a), S. 92. Zur Pfadabhängigkeitstheorie vgl. Tiberius (2008), S. 83 ff.; id. (2010b), S. 280 ff.; id. (2011). Vgl. Flechtheim (1980), S. 17; Glenn (1997), S. 732. De Jouvenel (2000), S. 55.
20
1. Einleitung
Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung der Zukunft sollte das Bildungssystem insbesondere den jungen Menschen, die – wie es in politischen Sonntagsreden heißt – unsere Zukunft darstellen, eben eine systematische Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen ermöglichen.27 Denn Bildung28 zielt auf die Bewältigung einer prinzipiell unsicheren Zukunft,29 nicht einer bereits abgeschlossenen Vergangenheit: „The past is over and done with. It is a closed book. Although we can change our ideas about the past and can rewrite history, the past itself does not change. The only thing we can influence by our actions is the future.“30 Damit ist zugleich die Frage nach dem Bildungssinn der Zukunftsforschung für junge Menschen31 und für die Gesellschaft insgesamt32 beantwortet. Sich intellektuell mit der Zukunft auseinanderzusetzen ist „a powerful educational tool as [it] enhance[s] the human capacity in the one specific trait, which belongs to human beings only: looking to the future.“33 Auf diese Weise trägt eine pädagogisch geförderte Zukunftsorientierung zur Bewältigung alltäglicher Lebenssituationen bei. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Zukunft erfolgt schwerpunktmäßig an Gegenständen,34 die Klafki als Schlüsselprobleme und damit dezidiert als Themen 27 28
29
30
31 32 33 34
Vgl. Markley (1983), S. 53; Slaughter (1992), S. 42. Der Bildungsbegriff gehört zu den schillerndsten Fachbegriffen der Erziehungswissenschaft. Eine Unzahl von Definitionsversuchen, die äußerst disparate Vorstellungen zutage fördert, erstreckt sich über mehrere Jahrhunderte. Dass der Begriff eine deutsche „Erfindung“ ist und es keine adäquaten Übersetzungen in andere Sprachen gibt, macht seine Erfassung nicht einfacher. Die vorliegende Arbeit soll durch eine ausführliche Diskussion des Bildungsbegriffs nicht unnötig aufgeladen werden. Sie legt sich auf folgendes Verständnis fest: Bildung ist zum einen der Prozess, in dem das Individuum ein tragfähiges Verhältnis zu sich selbst und zur Gesellschaft herausbildet, mit dem es sich in der Welt orientieren und aus seiner Sicht richtige Entscheidungen treffen und richtig handeln kann. Zum anderen ist Bildung das Ergebnis dieses Prozesses, vgl. Hericks (2004), S. 193; de Haan (2008), S. 40. Gebildet ist, wer über ein Orientierungswissen verfügt, mit dem er aus seiner Sicht richtige Entscheidungen für sein Handeln treffen kann, vgl. ibd., S. 42. Vgl. Weniger (1952), S. 65; Hericks (2004), S. 194; de Haan (2008), S. 25 f. Die Offenheit der Zukunft eröffnet zum einen Entscheidungs-, Handlungs- und Gestaltungsfreiheit. Zum anderen kann genau dies zur Belastung werden und dazu führen, dass das Individuum seine Orientierung verliert, vgl. de Haan (2008), S. 26. Ähnlich auch de Jouvenel (1967b), S. 5, wenn er die Zukunft gleichzeitig als Feld der Ungewissheit und der Freiheit kennzeichnet. Bell/Olick (1989), S. 126; ähnlich auch Flechtheim (1980), S. 24 f. Die Diskrepanz zwischen gegenwärtigem Lernen und künftiger Anwendung bringt van Vught (1987), S. 187, sehr gut zum Ausdruck, wenn er sagt: „One of the most crucial problems of human existence is that our knowledge and experience concerns the past, while we have to make our decisions for the future.“ Vgl. Tyler (1973), S. 35; Klafki (1994), S. 57; Timmerhaus (2001), S. 188. Auf der Schulebene (daher hier allerdings weniger relevant) muss eine Fachdidaktik auch Begründungen liefern, weshalb das Schulfach in den Fächerkanon aufgenommen werden soll, vgl. ibd., S. 187, 250. Vgl. Gebelein (1978), S. 746. Masini (2001), S. 644. Zu den Erfahrungsgegenständen der Zukunftsforschung vgl. Kap. 2.5.2.
1.1 Problemstellung
21
eines zukunftsorientierten Konzepts von Allgemeinbildung35 bezeichnet: Frieden, Nationen und Kulturen, Umwelt, Bevölkerungswachstum, soziale Ungleichheit, das Verhältnis zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern, technischer Fortschritt und menschliche Beziehungen.36 Trotz dieser allgemeinen Einsicht ist die schulische Bildung überwiegend auf die Vergangenheit bezogen. Die intensivere Beschäftigung mit der Zukunft auf der Primar- und Sekundarstufe wird seit einiger Zeit gefordert, und ihre Wirkungen werden empirisch analysiert. Erschreckend ist dabei, dass die meisten Kinder negative Zukunftserwartungen und ein geringes Gestaltungsbewusstsein aufweisen, die sich mit dem Heranwachsen zudem sukzessive weiter verschlechtern.37 Zukunftsund nachhaltigkeitsorientierte Bildung kann diese Perspektiven massiv verbessern. In jüngerer Zeit werden ähnliche Fragen auch auf der Tertiärstufe diskutiert. Seit den 1960er-Jahren gibt es Studiengänge und einzelne Hochschulveranstaltungen in Zukunftsforschung,38 deren Anzahl im Laufe der Zeit gewachsen ist39 und einem Survey zufolge stabil bleibt.40 Neben der Entwicklung eigenständiger Studiengänge ist weltweit auch der Einzug der Disziplin in praktisch alle traditionellen Studiengänge zu beobachten.41 Gerade eine Zählung, die nicht nur auf den Wortbestandteil „Zukunft“ im Namen des Studiengangs achtet, könnte eine beträchtliche Zahl von zukunftsgerichteten Studiengängen hervorbringen.42 Unter Zukunftsforschern besteht Einigkeit darüber, dass das Studienangebot weltweit ausgebaut werden sollte.43 35 36 37 38 39
40 41 42 43
Allgemeinbildung kann als Unterbegriff von Bildung betrachtet werden. Dabei werden die Lehrinhalte so ausgewählt, dass sie die Lebenswelt, die für alle (omnes) relevant ist, in der Gänze (omnia) ansprechen, vgl. Hericks (2004), S. 195. Vgl. Klafki (1995), S. 12. Vgl. hierzu die zahlreichen Studien über die negativen Zukunftserwartungen von Jugendlichen, etwa Masini (1982); Johnson (1987); Wilson (1989); Eckersley (1995); Hutchinson (1996); Rubin (1996); Gidley (1997); Rubin (2002); Ono (2005). Vgl. Slaughter (2002c), S. 350. Flechtheim scheiterte noch 1943 mit seinem Vorhaben, in den USA eine akademische Unterrichtsveranstaltung zur Zukunft der Gesellschaft und Kultur anzubieten, vgl. Flechtheim (1980), S. 14. Vgl. Eldredge (1975), S. 27; McHale (1978), S. 11; Bell (2002a), S. 242. Allerdings war die Wachstumsrate in den 1970er-Jahren kleiner als bei Wachstumsfächern wie „Black Studies“, Umweltforschung oder Geschlechterforschung, vgl. Eldredge (1975), S. 27. Fowles (1978), S. x, stellt für das Erscheinungsjahr seines „Handbook of futures research“ fest: „Nearly 400 futures courses are being taught in American higher education, and a half-dozen graduate programs have been instituted.“ Im Anhang (S. 804 f.) werden sechs US-amerikanische Studiengänge und ein Doktorandenprogramm genannt, von denen nur das an der University of Houston at Clear Lake City noch heute besteht. Vgl. Hines (2003), S. 32. Vgl. Eldredge (1975), S. 24 f., der dies „futurising of regular courses“ nennt. Vgl. Marien (2002), S. 278. Vgl. ibd., S. 275.
22
1. Einleitung
Europa übt noch stärkere Zurückhaltung.44 In Deutschland wurde erst jüngst, während des Erstellungsprozesses der vorliegenden Arbeit, unter Leitung ihres Betreuers ein erster weiterbildender Masterstudiengang an der Freien Universität Berlin eingerichtet.45 Auch die Einrichtung einer VDI-Stiftungsprofessur für Zukunftsforschung an der Philosophischen Fakultät der RWTH Aachen ab April 201046 und die einer Professur für Zukunftsforschung und Innovationsmanagement an der Universität Siegen ab April 201147 können als jüngste Pionierleistungen betrachtet werden. Für die meisten Fächer, die an institutionalisierten Lernorten, also insbesondere an Schulen und Hochschulen, unterrichtet werden, existieren Fachdidaktiken, die sich mit dem Lehren und dem Lernen der jeweiligen Disziplin auseinandersetzen. An einer solchen Didaktik mangelt es bislang für das Hochschulstudium der Zukunftsforschung. Dies dürfte auf folgende Gründe zurückzuführen sein: 1. Die Zukunftsforschung ist eine vergleichsweise junge Disziplin.48 Sie befindet sich erst seit den 1960er-Jahren im Aufwind.49 Sie stellt aber noch immer eine eher wenig bekannte Randerscheinung dar, und zwar sowohl in der scientific community als auch in der Praxis. Es gibt kein Fach „Zukunft“ an der Schule, das sich spiegelbildlich zum Fach Geschichte mit Zukunftsfragen und insbesondere mit Szenarien, Utopien und Wünschen beschäftigt.50 2. Unter Laien existieren teilweise Ressentiments hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit der Zukunftsforschung.51 Solche Reaktionen hat die frühere Zukunftsforschung auch selbst verschuldet, als sie im Sinne einer Prognostik noch versuchte, „die“ Zukunft vorherzusagen, statt alternative Zukünfte zu explorieren. Dass ihr dabei viele Fehlprognosen unterlaufen sind, ist genauso nachvollziehbar wie die Enttäuschung derjenigen, die sich auf sie verlassen haben.52 44 45 46 47 48 49 50 51 52
Für Eldredge (1975) ist dies darauf zurückzuführen, dass die europäische Tradition Zukunft als nicht lehrbar betrachtet, weil man sich auf die Vermittlung klassischer Bildungsinhalte konzentriere. Diese pauschale Begründung darf natürlich bezweifelt werden. Bis dahin gab es kein einziges Angebot in Deutschland, vgl. Gehmacher (1968), S. 7; Steinmüller (2000), S. 42, 50; Schüll (2006), S. 2. Vgl. o. V. (2009b). Ursprünglich war die Besetzung zum Oktober 2009 geplant. Vgl. o. V. (2010). Vgl. Kap. 2.2. Vgl. Markley (1983), S. 47; Makridakis/Wheelwright (1998), S. 3; Slaughter (2002a), S. 92. Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 83. Zu Forderungen nach einer stärkeren Zukunftsorientierung im schulischen Unterricht vgl. Hicks/Slaughter (Hrsg.) (1998); Gidley/Hampson (2005). Zu Bemühungen, dies in Finnland umzusetzen, vgl. Rubin (2002), S. 303 f. Vgl. Schüll (2006), S. 27 et pass. Eldredge (1975), S. 27, bewertet das akademische Ansehen der Zukunftsforschung seinerzeit noch als gering. Es ist allerdings einzuräumen, dass der gesamte Artikel recht pessimistisch geschrieben ist. Vgl. van Vught (1987), S. 186, m. w. V.; May (1997), S. 233.
1.1 Problemstellung
23
3. Von den ohnehin wenigen Zukunftsforschern an Hochschulen beschäftigen sich nur eine Handvoll mit pädagogischen Fragen ihres Faches. Umgekehrt gibt es unter Pädagogen noch weniger Vertreter, die sich mit der Zukunftsforschung beschäftigen.53 In der Konsequenz mangelt es der Hochschullehre im Fach Zukunftsforschung an Professionalität. Es ist somit eine eklatante Diskrepanz zwischen der Expansion der Lehre in der Zukunftsforschung und ihrem geringen didaktischen Entwicklungsniveau festzustellen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit didaktischen Fragen zum zukunftsorientierten Unterricht sowie zum Studium der Zukunftsforschung hat zwar vor rund 40 Jahren begonnen, aber bislang vergleichsweise wenig Momentum erlangt und befindet sich – insbesondere auf tertiärer Ebene – noch immer auf einem als explorativ einzustufenden Niveau. Eine frühe Konferenz über „Teaching about the Future“ wurde 1972 an der John Carroll University in Ohio abgehalten.54 Die erste Bicentennial Futures Education Project (BFEP) National Conference wurde 1986 in Melbourne, zwei Jahre später in Adelaide, Australien, durchgeführt.55 Eine weitere, von den UNESCOHeadquartes und der kanadischen UNESCO-Kommission durchgeführte Konferenz über „Teaching about the Future“ fand 1992 in Vancouver, Kanada, statt.56 In der Literatur finden sich nur hie und da vereinzelte Überlegungen zur Hochschullehre57 im Fach Zukunftsforschung.58 Frühe Veröffentlichungen finden sich im von Slaughter herausgegebenen Schwerpunktheft der Futures Research Quarterly zum Thema „Futures Studies and Higher Education“.59 Etwas aktueller ist das von Dator herausgegebene Schwerpunktheft des American Behavioral Scientist mit der Überschrift „The Future Lies Behind! Thirty Years of Teaching Futures Studies“,60 das vier Jahre später als Sammelband erschienen ist.61 Hier 53
54 55 56 57 58
59 60 61
Immerhin entschied sich die damals etwa 13.000 Mitglieder zählende pädagogische Fachgesellschaft „US Association for Supervision and Curriculum Development“ (ASCD) bei ihrer Fachkonferenz im Jahr 1974 für die Schwerpunktthemen „Alternative Futures“, „Education for a pluralistic society“ und „An action agenda for education’s futures“, vgl. Eldredge (1975), S. 20. Vgl. Glenn (1997), S. 732. Vgl. Slaughter (1988), S. 577. Vgl. id. (1992); id. (1992b) (Hrsg.). Gidley (2004) fokussiert auf zukunftsorientierten Unterricht in Primar- und Sekundarschulen. Stärker verbreitet sind Überlegungen zur Zukunft der Pädagogik oder zum Schulwesen im Allgemeinen, vgl. etwa Beare/Slaughter (1993); Inayatullah (1998) (Hrsg.); Oelkers (2001) (Hrsg.); Boyer (2002); Connell (2003); Milojevic (2006); speziell für Primärschulen: Whitaker (1997); speziell für Hochschulen: Encarnação et al. (1999); Gebbeken (2000); Inayatullah/Gidley (2000) (Hrsg.); Lößl (2000); Marr (2000). Vgl. Slaughter (1992a) (Hrsg.). Vgl. Dator (1998) (Hrsg.). Vgl. id. (2002) (Hrsg.).
24
1. Einleitung
stellen 29 Kollegen aus zwölf Ländern dar, „how they teach futures studies“.62 Das Buch besteht aus vier Teilen, wobei sich nur der dritte Abschnitt mit Courses and Methods und somit nur gut 150 der insgesamt rund 400 Seiten mit didaktischen Fragen im engeren Sinne auseinandersetzen. In den essayistischen Darstellungen dominieren Überlegungen zur Zukunftsforschung selbst und die Präsentation der eigenen Positionen. An einer dezidiert didaktischen Reflexion, die auch erziehungswissenschaftlich fundiert ist, mangelt es praktisch allen. Die wenigen Ausführungen, die ausdrücklich zur Lehre gemacht werden, beschränken sich größtenteils auf Fragen der Lehrinhalte. Oftmals wird ein mehr oder weniger hemdsärmeliges Vorgehen in der Lehrpraxis offen eingestanden.63 In jüngster Zeit nehmen die Bestrebungen, sich mit dem zukunftsorientierten Lehren und Lernen zu beschäftigen, zu. So hat sich mit dem Foresight Education and Research Network (FERN)64 2007 eine Initiative gegründet, die dabei unterstützen möchte, zukunftswissenschaftliche Kurse weiterzuentwickeln und das internationale Angebot auszubauen. Die World Future Studies Federation hat im gleichen Jahr zusammen mit der UNESCO das Online Centre for Pedagogical Resources in Futures Studies ins Leben gerufen, wo Ressourcen für die Lehre gesammelt und zur Verfügung gestellt werden sollen.65 Bei der World Futures Society gibt es ebenfalls seit Kurzem eine Futures Learning Section und damit ein Forum zum Austausch zwischen Zukunftsforschungsdozenten.66 Aktuell gab es auf einen Call for Papers des Journal of Futures Studies für ursprünglich ein (nicht allein auf den Tertiärbereich beschränktes) Schwerpunktheft im Jahr 2010 unter der Überschrift „So you want to teach the future“ so viele Einreichungen, dass trotz diverser Ablehnungen aus dem ursprünglich geplanten Heft gleich drei Ausgaben wurden: „Teaching and Learning the Future: An Overview“, „Teaching and Learning the Future: Projects and Programs“ und „Teaching and Learning the Future: Process“.67 Die vorliegende Arbeit reiht sich in diese florierende Forschung ein. 62
63 64 65 66 67
Vgl. Dator (2002) (Hrsg.), S. 14. Das Zitat geht allerdings noch weiter: „and engage in futures consulting“, woran zu erkennen ist, dass es nicht nur um Lehre, sondern auch um Beratung geht. Dies wird z. B. auch bei Inayatullah (2002), S. 111 f., deutlich, wenn er Workshops beschreibt, die er an Universitäten, aber auch bei Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen, lokalen Regierungen, Forschungseinrichtungen, internationalen Organisationen und sonstigen Gruppen durchgeführt hat. So z. B. Bell (2002b), S. 45; Inayatullah (2002), S. 113. Vgl. http://www.fernweb.org, letzter Aufruf: 13.06.2010. Vgl. http://wfsf.merlot.org, letzter Aufruf: 13.06.2010. Die Zusammenstellung beschränkt sich allerdings auf einige veröffentlichte Aufsätze und einzelne Dokumente, die als Ideenskizzen bezeichnet werden können. Vgl. http://www.wfs.org/futureslearning, letzter Aufruf: 13.06.2010. Der Verfasser ist mit einer Zusammenfassung der empirischen Erkenntnisse im erstgenannten Heft vertreten, vgl. Tiberius (2010c).
1.2 Zielsetzung 1.2
25
Zielsetzung
Es ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, eine hochschuldidaktische Konzeption für das Studium der Zukunftsforschung vorzulegen, die Lehrziele, Lehrinhalte, Lehrmethoden, Lehrmedien und Möglichkeiten der Lernerfolgskontrolle für das Fach konkretisiert.68 Unter den von Zillober vorgeschlagenen hochschuldidaktischen Prozessschritten Konstruktion, Evaluation, Revision, Implementation und Dissemination69 konzentriert sich die vorliegende Arbeit damit auf die erste Phase, mithin die Curriculumentwicklung im engeren Sinne.70 Das Erkenntnisziel ist insofern theoretischer und praxisorientierter Natur, als Didaktik als bildungstheoretische Reflexion und begründete Handlungsempfehlung verstanden wird, die die Lehrenden gleichermaßen als „Intellektuelle“ und als „Handwerker“ anspricht.71 Die Forschungsfrage impliziert, dass sich das Lehren und Lernen der Zukunftsforschung von anderen Didaktiken unterscheidet und dadurch eine eigene Didaktik erforderlich macht. Auch wenn Anleihen bei anderen Fach- oder Bereichsdidaktiken möglich und sinnvoll sind, wird hier die Auffassung vertreten, dass sich die Zukunftsforschung so erheblich von anderen Wissenschaften unterscheidet, dass sich dies zwangsläufig auch im Lehren und Lernen dieses Fachs ausdrückt. Dies wird deutlich, wenn man sich den ontologischen und epistemologischen Grundlagen der Zukunftsforschung widmet: Da die Zukunft nicht existiert, können auch keine sicheren Erkenntnisse erzielt werden.72 Überhaupt geht es der Zukunftsforschung anders als anderen Wissenschaften weniger um das Finden von Wahrheit als um das Ausloten von Möglichkeiten und Gefahren. Dies wird auch an den verschwimmenden Grenzen zwischen Zukunftsforschung und Zukunftsgestaltung73 deutlich. Diese Umstände, mit denen kaum ein anderes Fach zu arbeiten hat, haben natürlich Auswirkungen auf seine Lehrund Lernbarkeit. So sind etwa Zukünfte nur bedingt medial zugänglich. Mögliche Zukunftsentwicklungen auswendig zu lernen, ergibt keinen Sinn. Die Richtigkeit von Szenarien kann nicht i. e. S. geprüft und über sie nur bedingt gestritten werden – was Auswirkungen auf ihre Bewertung im Rahmen von Lernerfolgskontrollen hat. Ein vom Lernenden als wünschenswert dargestellter Zukunfts68 69 70 71 72 73
Vgl. zu den fünf Didaktikkomponenten Kap. 3.1.1.1 sowie im Einzelnen Kap. 3.3. Vgl. Zillober (1984), S. 22 ff. Die Konstruktionsphase ist daher auch der in der Literatur am stärksten thematisierte Prozessschritt, vgl. Brand (2006), S. 57. So auch Reusser (2008), S. 219. Vgl. Kapp. 2.5 und 2.6. Vgl. Kap. 2.6.1.3.
26
1. Einleitung
entwurf kann der Lehrende weder als richtig noch als falsch deklarieren – unabhängig davon, ob er ihm zustimmen kann oder nicht. Damit sind einige Probleme angesprochen, auf die im Verlauf der Arbeit detaillierter einzugehen sein wird. Bereits hier zeigt sich, dass es nicht ausreicht, allgemeindidaktisches Gedankengut oder Überlegungen aus anderen Fachdidaktiken eins zu eins auf die Zukunftsforschung zu übertragen. Die Feststellung der grundsätzlichen Andersartigkeit deckt sich mit den Erfahrungen der Studierenden. So hat Rogers in ihrer Dissertation Studierende der Zukunftsforschung danach befragt, ob sich das Studium von anderen Studienfächern unterscheide. Nur einer von 45 und später 56 Respondenten verneinte diese Frage, während die übrigen von gravierenden Unterschieden sprachen. Als Grund wurde neben den ontologischen und epistemologischen Besonderheiten auch ein hohes Maß an persönlicher Betroffenheit und Emotionalität genannt.74 Das Studium beeinflusse bei den Studierenden das Denken, Fühlen und Werte über sich selbst, die Menschheit und den Planeten Erde grundlegend.75 Vor dem Hintergrund dieser Besonderheiten wundert es auch nicht, dass die Lehre in der Zukunftsforschung als besondere Herausforderung gesehen wird.76 Die hier verfolgte Zielsetzung impliziert drei Annahmen, die nachfolgend offengelegt und erläutert werden. Zunächst wird Didaktik als Wissenschaft und Praxis vom Lehren aufgefasst, das wiederum auf die Förderung des Lernens zielt.77 Zwischen Lehren und Lernen besteht insofern ein derivatives bzw. kontingentes Verhältnis („affect“ statt „effect“).78 Der Analysefokus auf die Lehr- anstelle der Lernseite spiegelt sich in logischer Konsequenz auch in der Nomenklatur der fünf genannten Didaktikkomponenten wider, indem eben nicht Lern-, sondern Lehrziele etc. thematisiert werden.79 Dies stellt allerdings mitnichten ein Plädoyer dar, dass dem Lehren in hierarchischer Hinsicht das Primat über das Lernen zukommen müsse. Im Gegenteil ist jeder Lehrende gut beraten ist, einen shift from teaching to learning80 zu vollziehen, also alle Lehrprozesse von den Lernenden ausgehend zu konzipieren. Die direkte Einflussmöglichkeit des Lehrenden beschränkt sich jedoch auf seine Lehre, wohingegen sich der Lernvorgang zwangsläuftig nur mittelbar beeinflussen lässt. Diese konstruktivistische Grundhaltung wird in Kap. 3.2 näher ausgeführt. 74 75 76 77 78 79 80
Vgl. Rogers (1992), S. 33 f. Vgl. ibd., S. 35. Vgl. etwa Wildman/Inayatullah (1996), S. 724; Rubin (2002), S. 303; Serra del Pino (2002), S. 283. Vgl. – auch für andere Auffassungen – Kap. 3.1.1.1. Vgl. Kap. 3.2.2. Bei der Lernerfolgskontrolle taucht der Lehrbegriff zwar nicht auf, der Lehrende spiegelt sich jedoch im Wortbestandteil „-kontrolle“ wieder. Vgl. Kap. 3.1.3.3.
1.2 Zielsetzung
27
Zweitens kann es eine einzige richtige didaktische Konzeption für ein (Hoch-) Schulfach aufgrund ihrer in großen Teilen normativen Natur nicht geben.81 In diesem Sinne kann eine didaktische Konzeption stets nur sinnvolle Möglichkeiten des Lehrens aufzeigen und „Gestaltungsvorschläge (konstruktive Hypothesen) zum Zwecke der Erprobung […] und Bewährung“82 liefern. Diese können und sollen jedoch nicht unverbunden in einem didaktischen Vakuum schweben, sondern sind sorgfältig zu reflektieren und zu begründen.83 Dies ist der vornehmliche Auftrag der vorliegenden Arbeit. Der Begriff der Didaktikkonzeption soll drittens im Hinblick auf ihren Detaillierungsgrad nicht mit einer Studien- oder Prüfungsordnung oder einem Modulhandbuch für das Hochschulstudium der Zukunftsforschung verwechselt werden. Noch weniger kann ein Drehbuch für eine einzelne Lehrveranstaltung geliefert werden, die einzelne Lehr-Lern-Akte aneinanderreiht.84 Beides soll allerdings auf Grundlage der hier präsentierten theoretischen Grundlagen von der Hochschule bzw. vom jeweiligen Dozenten erarbeitet werden können.85 Diese Restriktion hat sowohl forschungspraktische als auch didaktische Gründe: Aus forschungspraktischer Sicht ist zunächst festzuhalten, dass es sich bei dieser Arbeit nach dem Wissen des Verfassers um die erste systematische und somit naturgemäß auch noch explorative Annäherung an hochschuldidaktische Fragen der Zukunftsforschung handelt. Damit wäre der Anspruch, jede Detailfrage auf dem momentanen Erkenntnisstand beantworten zu können, schlicht anmaßend. Entscheidender sind jedoch die didaktischen Gründe selbst, die für einen Verbleib auf der konzeptionellen Ebene sprechen. In der Literatur wird zwischen einer Makro- und einer Mikroebene86 bzw. zwischen der curricularen Ebene und der Ebene der Unterrichtsplanung87 unterschieden. Man könnte auch – in Anlehnung an die Managementlehre – von einer strategischen und einer operativen Ebene sprechen. Die übergeordnete Ebene umfasst die Konzeption eines Studiengangs und seines grundsätzlichen Aufbaus, während die untere Ebene sich mit den konkreten, situationsspezifischen Unterrichtsprozessen auseinandersetzt. Die heutige Auffas81
82 83 84 85 86 87
Vgl. Zwyssig (2001), S. 44. Auf den normativen Charakter pädagogischer Entscheidungen wird im Verlauf der Arbeit immer wieder eingegangen. Für Kösel (1995) kann es eine einzig richtige Didaktik auch deshalb nicht geben, weil es aufgrund der subjektiven Lernvoraussetzungen und des individuellen Lernverhaltens eine allgemeinverbindliche Didaktik ohnehin nicht geben kann. Zillober (1984), S. 11 f. Auch Zwyssig (2001) verwendet bewusst den Begriff „Vorschläge“ im Untertitel seiner Arbeit. Vgl. Zillober (1984), S. 186. Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 83: „Lehr-Lern-Akte sind die kleinsten im Unterricht identifizierbaren Handlungseinheiten. Sie dauern oft nur ein oder zwei Sekunden.“ Ähnlich auch Brand (2006), S. 51; Speth (2007), S. 22. Vgl. Klafki (1970b), S. 94. Vgl. Pfäffli (2005), S. 98.
28
1. Einleitung
sung der Didaktik bzw. des Curriculums verbietet es, auf den konkreten Stufen, die dem praktischen Unterrichtsgeschehen sehr nahestehen, verbindliche Vorgaben zu machen.88 Zillober spricht hier von der Gefahr einer Totalsteuerung des Hochschulunterrichts.89 Der didaktische Entscheidungsspielraum ist vielmehr im Sinne eines halboffenen Curriculums nicht völlig vorzugeben, da alles andere eine Bevormundung des Dozenten darstellen würde.90 Mit dem – sogar grundgesetzlich91 festgeschriebenen – Prinzip der Freiheit der Lehre wäre alles andere nicht vereinbar.92 Umgekehrt kann ein zu offenes Curriculum, das sämtliche didaktischen Fragen unbeantwortet lässt, zu einer Überlastung des Lehrenden führen.93 Unterrichtsnahe Entscheidungen werden vom Lehrenden konsistent zu den übergeordneten Vorgaben, aber in weiten Zügen eigenverantwortlich festgelegt.94 Nicht zuletzt soll der Dozent auch seinen eigenen Stil in die Lehrveranstaltung einbringen (können).95 Mit der Bearbeitung der genannten Fragestellung verbindet der Verfasser über das genannte Ziel hinaus, einen theoretisch fundierten und praxisorientierten Beitrag zur Lehre in der Zukunftsforschung zu leisten, die allgemeine Hoffnung, dass die Zukunftsforschung in Deutschland wissenschafts- und hochschulpolitisch weiter aufgewertet wird.96 1.3
Methodik
Um das dargestellte Erkenntnisziel zu erreichen, wird ein induktiv-reflexives Vorgehen gewählt:97 Bei der induktiven Didaktikbestimmung geht es zunächst darum, im Rahmen einer Standortbestimmung98 diejenigen Impulsgeber zu identifizieren, die für die Zukunftsforschungsdidaktik konkrete Beiträge liefern können, und deren Aussagen zu analysieren und zu verallgemeinern. Anschließend wird das Vorgefundene kritisch reflektiert. Die Reflexion erfolgt aus der Perspektive der Zukunftsforschung, des Studierenden und des Anwendungsfeldes. Die 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98
Vgl. Brand (2006), S. 51. Vgl. Zillober (1984), S. 186, m. w. V. Vgl. Zwyssig (2001), S. 83. Vgl. Art. 5 Abs. 3 GG. Ähnlich auch Zillober (1984), S. 22 f. Vgl. Brand (2006), S. 60. Vgl. Euler/Hahn (2004), S. 120 f. Vgl. Pfäffli (2005), S. 125. Zur aktuellen Situation vgl. Kap. 2.3.4. Zur Abgrenzung induktiver und deduktiver Verfahren der Didaktikbestimmung vgl. Brand (2006), S. 65, m. w. V., und die weiteren Ausführungen hier. Vgl. Zwyssig (2001), S. 130.
1.3 Methodik
29
schließlich präsentierte didaktische Konzeption versteht sich als Ergebnis dieses induktiv-reflexiven Prozesses. Unter dem Strich kann so die Aussage, die Entwicklung einer didaktischen Konzeption sei trotz aller theoretischen Objektivierungs- und empirischen Absicherungsversuche weitgehend als kreativer Prozess einzustufen,99 hier mitgetragen werden. Ein induktives Vorgehen wird in den meisten Fachwissenschaften zu Recht wissenschaftstheoretisch kritisch betrachtet, weil die reine Häufung von Tatsachen noch lange keinen Beweis darstellt. Zwar geht der gesunde Menschenverstand davon aus, dass ein losgelassener Gegenstand, der 1.000 Mal auf den Boden gefallen ist, beim 1.001. Mal nicht an die Decke „fällt“, doch eine Garantie gibt es hierfür nicht. Im hiesigen Zusammenhang besteht die potenzielle Gefahr, dass didaktische Entscheidungen zwar häufig in gleicher Weise getroffen werden, wodurch jedoch noch nichts über ihre Qualität und Angemessenheit ausgesagt ist. Die vorgefundenen Ergebnisse können zudem beliebig, zufällig und unsystematisch sein. Diese Befürchtung – dies sei für die beiden empirischen Teile vorweggenommen – ist nicht unbegründet. Trotz dieser Schwächen stellt eine deduktive Didaktikbestimmung keine Alternative dar. Die Ableitung der einzelnen didaktischen Komponenten aus übergeordneten pädagogischen Leitvorstellungen oder aus hierarchisch höher gestellten Didaktikbereichen ist nicht möglich.100 Die Didaktikkomponenten stehen in einem Implikationszusammenhang101 bzw. zwischen ihnen bestehen Interdependenzen,102 d. h. sie müssen kongruent aufeinander abgestimmt sein. Dies heißt aber nicht, dass Lehrziele aus übergeordneten Prinzipien eindeutig deduzierbar wären.103 Sie werden vielmehr normativ gesetzt.104 Ebensowenig ist es möglich, Lehrinhalte aus Lehrzielen abzuleiten.105 Die drei weiteren Didaktikkomponenten, d. h. die Fragen der Lehrmethoden, der Lehrmedien und der Lernerfolgskontrolle, sind ebenfalls nicht aus Zielen oder Inhalten ableitbar,106 sondern lediglich zielund inhaltsadäquat auszuwählen,107 d. h. sie müssen sich für das jeweilige Lehr99
100 101 102 103 104 105 106 107
Vgl. Zwyssig (2001), S. 124; Jank/Meyer (2003), S. 218; Brand (2006), S. 56, 72. Besonders deutlich wird diese Sichtweise, wenn Didaktik nicht nur als Wissenschaft, sondern auch als Lehrkunst aufgefasst wird, vgl. etwa Berg/Schulze (1993), die sich ausdrücklich auf Comenius (2007, erstmals erschienen 1638) und dessen Lehrkunst beziehen. Vgl. Brand (2006), S. 65, m. w. V. Vgl. Blankertz (1975), S. 94. Vgl. Schulz (1965), S. 45; Jank/Meyer (2003), S. 125, 274. Vgl. Neven (1983), S. 127 f.; Zillober (1984), S. 187. Vgl. Zillober (1984), S. 15; Zwyssig (2001), S. 21 et pass.; Brand (2006), S. 56, 72, zufolge handelt es sich sogar in weiten Zügen um einen kreativen Prozess. Vgl. Neven (1983), S. 127 f.; Jank/Meyer (2003), S. 123 ff.; Rohlfes (2005), S. 121. Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 227. Vgl. Pfäffli (2005), S. 113, 153.
30
1. Einleitung
ziel und den jeweiligen Lehrinhalt eignen. Gesellschaftliche Anforderungen und die Anforderungen von Subgruppen sind zu allgemein und vieldeutig, um hieraus konkrete Entscheidungen abzuleiten. Es ist lediglich umgekehrt möglich, spezifische didaktische Entscheidungen durch übergeordnete Ideen zu begründen. So sind Modelle für Didaktik- bzw. Curriculumentscheidungen, wie sie etwa von Robinsohn, Tyler oder Reetz vorgelegt wurden,108 und die ihnen immanenten Prinzipien bei näherem Hinsehen keine Deduktionsmethoden, mit denen eine Didaktik evoziert werden kann, sondern lediglich dazu geeignet, bereits vorliegende Vorschläge auf ihre Eignung hin zu überprüfen.109 So lässt sich die didaktische Entscheidung, im Mathematikunterricht Bruchrechnung zu behandeln, zuwar eventuell über Umwege durch das Ziel der Mündigkeit legitimieren (, weil ein kompetenter Umgang mit abstrakten Gegenständen den Blick für Elementares und damit die Urteilsfähigkeit fördern mag). Umgekehrt ist aus dem Ziel der Mündigkeit jedoch nicht ohne zusätzliche Entscheidungen eindeutig herleitbar, dass die Schüler sich mit Bruchrechnung zu beschäftigen haben. Die aufgezeigte Induktionsproblematik wird entschärft, wenn der induktive tatsächlich lediglich als erster Schritt auf dem Weg zur Didaktikkonzeption verstanden wird. Der Prozess ist als Sammeln von Möglichkeiten didaktischer Entscheidungen oder sich emergent einstellender Lehrmuster aufzufassen. Diese sind anschließend einer Überprüfung und Klärung zuzuführen. In diesem Sinne sei eine Analogie zur Zukunftsforschung erlaubt, die zunächst an der Maximierung möglicher Zukünfte interessiert ist und sie erst später auf die wahrscheinlichen oder wünschenswerten einengt. Eine Didaktikkonzeption ist insofern kein reines Willkür- oder Zufallsergebnis. Sie mag sich zwar einem strengen Beweis widersetzen, kann sich jedoch nicht einer Pflicht zur guten Begründung entziehen. Für die induktive Standortbestimmung bieten sich vornehmlich x die Fachwissenschaft selbst (Kap. 2), x die Analyse von Studienplänen (Kap. 4.3) und x die Befragung von Dozenten (Kap. 4.4) an.110 Diese drei Quellen werden in der vorliegenden Arbeit herangezogen und die enthaltenen didaktischen Aussagen erfasst und verglichen. Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass die beiden genannten empirischen Quellen keinesfalls erschöpfend sind. Sie fokussieren hauptsächlich auf das Wissenschaftsprinzip. Das Persönlichkeitsprinzip und das Situationsprinzip könnten zudem in weitergehenden empirischen Studien stärker berücksichtigt 108 109 110
Vgl. Kap. 3.1.1.2. Ähnlich auch Witzel (1996), S. 51; Bortz/Döring (2006), S. 300. Vgl. Zillober (1984), S. 21; Zwyssig (2001), S. 21, 96, 103, für die Analyse von Studienplänen vgl. insb. ibd., S. 109 f.; Brand (2006), S. 66; Tiberius (2010c), S. 136.
1.3 Methodik
31
werden.111 Hinsichtlich des Persönlichkeitsprinzips könnten etwa Befragungen von Studierenden durchgeführt werden, um Aussagen zu Vorbildung und Erwartungen zu erhalten.112 Für das Situationsprinzip könnten etwa die Anforderungen der Arbeitgeber erhoben werden.113 Der Verzicht auf diese zusätzlichen Studien ist auf mehrere Gründe zurückzuführen: Zum einen kommt dem Wissenschaftsprinzip für eine Hochschuldidaktik das Primat zu, sodass es beim aktuell vorliegenden (noch explorativen) Erkenntnisstand legitim erscheint, sich auf dieses zu konzentrieren. Zum anderen steht aus forschungsökonomischer Perspektive der recht hohe Erhebungs- und Auswertungsaufwand in einem Missverhältnis zum zu erwartenden zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Die Befragung von Studienanfängern oder Studierenden höherer Fachsemester wurde hier auch deshalb zurückgestellt, weil von einer zukunftswissenschaftlichen Vorbildung aus der Schule etwa grundsätzlich nicht ausgegangen werden kann.114 Die Erwartungshaltung ist fächerübergreifend insbesondere bei Studienanfängern häufig noch sehr diffus. Im weiteren Studienverlauf konzentriert sie sich hauptsächlich auf als sehr grundsätzlich einzustufende Fragen und weniger auf konkrete didaktische Aspekte.115 Die Befragung von potenziellen Arbeitgebern oder die Analyse von Stellenbeschreibungen oder Funktionsdiagrammen116 wäre für die Zukunftsforschung sehr schwierig und durchaus mit der Situation etwa von Philosophen zu vergleichen, weil es den „typischen“ Arbeitsplatz für Zukunftsforscher nicht gibt. Fraglich ist überhaupt, ob diese Respondentengruppe exakte Vorstellungen vom Aufgabenfeld eines Zukunftsforschers hat. Die Befragung potenzieller Arbeitgeber kann jedoch teilweise substituiert werden, weil der Praxisbedarf, also die absehbaren Aufgaben eines Absolventen und dessen berufsfeldbezogenen Aufgaben und Tätigkeiten,117 auch den Dozenten bekannt sind, weshalb hierauf innerhalb der durchgeführten Befragung eingegangen wurde. Diese empirischen Einsichten sind in der Lage, eine Bilanz, mithin eine Zustandsbeschreibung, davon zu liefern, wie die Zukunftsforschung aktuell gelehrt 111 112 113 114 115
116 117
Zur Bedeutung und Abgrenung von Wissenschafts-, Persönlichkeits- und Situationsprinzip vgl. im Einzelnen Kap. 3.4; zum weiteren Forschungsbedarf vgl. Kap. 6.2. Vgl. Zwyssig (2001), S. 96. Vgl. Zillober (1984), S. 21; Zwyssig (2001), S. 91, 148; Pfäffli (2005), S. 53, m. w. V. Vgl. Serra del Pino (2002), S. 285. Vgl. etwa o. V. (2009a). Selbst bei den sogenannten Elitestudiengängen wird die studentische Erwartungshaltung nur durch sehr generelle Kriterien wie „anspruchsvolle Thematik“, „hohes Niveau der Ausbildung“, „hohe Interdisziplinarität“, „internationales Profil“, „umfassende Betreuung“, „Eröffnung von guten Arbeitsmarktchancen mit dem Abschluss“ u. a. operationalisiert, vgl. ibd., S. 2. Vgl. Zwyssig (2001), S. 96. Vgl. Pfäffli (2005), S. 106 f.
32
1. Einleitung
wird. Dieser Status quo muss, wie gesagt, aber nicht zwangsläufig optimal sein. Deshalb ist es wichtig, das Vorgefundene auf der Grundlage des Wissenschafts-, Persönlichkeits- und Situationsprinzips kritisch zu reflektieren. 1.4
Gang der Untersuchung
Die Arbeit gliedert sich (abgesehen von Einleitung und Fazit) mit dem theoretischen (I.), dem empirischen (II.) und dem konzeptionellen Teil (III.) in drei große Abschnitte. In theoretischen Teil werden zunächst die begrifflich-konzeptionellen Grundlagen der Zukunftsforschung einerseits und der Didaktik andererseits gelegt. Die Darstellung des Grundlagenkapitels zur Zukunftsforschung (Kap. 2) wird auf Grundlage einer umfangreichen Sichtung zukunftswissenschaftlicher Primärund Sekundärliteratur mit Schwerpunkt auf der englischsprachigen und unter Berücksichtigung deutschsprachiger Publikationen vergleichsweise breit im Sinne eines wissenschaftstheoretischen Portraits angelegt, da zum einen die Disziplin in Deutschland noch vergleichsweise unbekannt ist und es bislang an einer systematischen Übersicht über die wissenschaftstheoretischen und historisch-institutionellen Grundlagen mangelt. Zum anderen ist die Zukunftsforschung nicht nur ein wichtiger induktiver Impulsgeber für die angestrebte Didaktikkonzeption,118 sondern zudem ihr Ausgangspunkt, indem die normativen und konzeptionellen Vorstellungen analysiert werden.119 So bildet das Wissen einer Disziplin die Basis, aus der später Lehrinhalte selektiert werden.120 Die Spezifika des Fachs haben außerdem (restriktive) Auswirkungen auf die Konzeption des Unterrichts.121 Anschließend werden die theoretischen Grundlagen der Didaktik diskutiert (Kap. 3). Da es bereits zahlreiche und gute Einführungen zu diesem Thema gibt, ist es nicht erforderlich, diese Fragestellung völlig grundständig anzugehen. Zunächst erfolgt hier eine Abgrenzung zwischen und eine Zusammenführung von allgemeiner, Fach- und Hochschuldidaktik. Auch wenn der Begriff unüblich ist, handelt es sich bei der in dieser Arbeit angestrebten Konzeption letztlich zwangsläufig um eine Hochschulfachdidaktik. Im nächsten Schritt wird der Konstruktivismus (treffender: die Konstruktivismen) als mögliche epistemologische und didaktische Referenztheorie für die vorliegende Arbeit vorgestellt und im Hinblick auf seine Eignung und seine Problemfelder diskutiert. Anschließend 118 119 120 121
Vgl. Ghisla (1977), S. 50; Rohlfes (2005), S. 121. Vgl. Zillober (1984), S. 21; Zwyssig (2001), S. 91. Vgl. Kap. 5.2. Vgl. Zwyssig (2001), S. 27.
1.4 Gang der Untersuchung
33
werden die fünf bereits genannten Didaktikkomponenten Lehrziele, Lehrinhalte, Lehrmethoden, Lehrmedien und Lernerfolgskontrolle detaillierter und insbesondere im Hinblick auf ihre konstruktivistische Interpretation allgemein vorgestellt, um sie später im konzeptionellen Teil für das Studium der Zukunftsforschung konkretisieren zu können. Das Grundlagenkapitel zur Didaktik schließt mit den drei didaktischen Reflexionskriterien, die im konzeptionellen Teil wieder aufgegriffen werden, um eine kritische Reflexion der didaktischen Komponenten vornehmen zu können. Im nächsten Schritt werden die beiden durchgeführten empirischen Studien rekonstruiert (Kap. 4). Das Ziel ist hier, ein Bild der aktuellen Lehrpraxis einzufangen. Hier werden zunächst methodologische Grundfragen geklärt, zu denen auch zählt, welche (eher geringe) Bedeutung empirische Forschung überhaupt in der Didaktik einnimmt. Im Rahmen einer Inhaltsanalyse der Portraits bestehender Studiengänge der Zukunftsforschung wird ermittelt, wie die fünf Didaktikbestandteile momentan in der Realität ausgestaltet sind. In einem zweiten empirischen Schritt wird eine Befragung von Professoren und Dozenten des Fachs Zukunftsforschung durchgeführt. Diese stellt eine sinnvolle Ergänzung der vorangegangenen Inhaltsanalyse dar, da zum einen Detailfragen – vornehmlich in methodischer und medialer Hinsicht sowie zur Lernerfolgskontrolle – offengeblieben sind und zum anderen in der direkten Befragung von Lehrverantwortlichen nicht nur die Ist-Situation der Lehre, sondern auch Idealvorstellungen erfasst werden können. Durch die Befragung wird zudem sichergestellt, dass sich die didaktische Konzeption auf einen breiten Konsens innerhalb der scientific community stützen kann.122 Die beiden Unterkapitel gehen im Einzelnen auf methodische Fragen der Teilstudien ein. Das Kapitel findet seinen Kumulationspunkt in einer tabellarischen Gesamtauswertung, die eine Bilanz zur aktuellen didaktischen Situation darstellt. Es folgt der konzeptionelle Teil der Arbeit (Kap. 5), in dem die induktiv vorgefundenen didaktischen Entscheidungen kritisch reflektiert und auf dieser Grundlage schließlich eigene Vorschläge unterbreitet werden. Wie angekündigt werden damit die allgemein diskutierten didaktischen Komponenten Lehrziele, Lehrinhalte, Lehrmethoden, Lehrmedien und Möglichkeiten zur Lernerfolgskontrolle für das Fach konkretisiert. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem Forschungsausblick (Kap. 6). Die Grobstruktur der vorliegenden Arbeit wird in Abb. 1 veranschaulicht.
122
Vgl. Zwyssig (2001), S. 61.
34
1. Einleitung Einleitung
Theoretischer Teil
Empirischer Teil
Zukunftsforschung
Studiengangsportraits
Didaktik
Dozentenbefragung
Konzeptioneller Teil Lehrziele
Lehrinhalte
Lehrmethoden
Lehrmedien
Lernerfolgskontrolle
Fazit
Abb. 1:
Grobstruktur zum Gang der Untersuchung im Überblick. Quelle: eigene Darstellung.
I.
Theoretischer Teil
2.
Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
2.1
Begriffsverständnisse und Abgrenzungen
Der in der deutschsprachigen Literatur dominierende Begriff der Zukunftsforschung bringt die Forschungsseite der Disziplin zum Ausdruck und grenzt die Lehre gewissermaßen aus. Der humboldtschen Einheit beider Seiten derselben Medaille folgend, wäre die Bezeichnung Zukunftswissenschaft zu bevorzugen, die sich allerdings nicht durchgesetzt hat.123 Für die hiesigen Zwecke sollen beide Begriffe als Synonyme betrachtet werden (wobei letztgenannter hier vornehmlich als Adjektiv verwendet wird), die auch die Zukunftslehre als ebenfalls ungebräuchlichen Begriff inkludieren. Eine traditionellere Bezeichnung stellt die Futurologie (futurology) dar, die durch den Politikwissenschaftler Flechtheim zunächst 1942 in den USA und ab 1953 in Deutschland geprägt wurde.124 De Jouvenel lehnte den Begriff ab, weil er nach einer Wissenschaft klinge, er in der Beschäftigung mit der Zukunft jedoch vielmehr eine Kunst sehe.125 Bell vermutet, dass sich der Begriff in den USA nicht durchgesetzt hat, da er von schlecht informierten Gegnern der Disziplin verwendet und damit diskreditiert wurde.126 Für Slaughter impliziert die Bezeichnung zudem eine Suche nach objektivem Wissen, die dem Prinzip der Ungewissheit der Zukunft zufolge nicht einlösbar ist.127 In der englischsprachigen Tradition bringt der Terminus futures studies das Bemühen (lat.: studium) zum Ausdruck, sich systematisch mit Zukunftsfragen auseinanderzusetzen. Er deckt als Oberbegriff sowohl die Lehr- als auch die Forschungsseite der Disziplin ab. Wird die Forschung betont, ist häufig auch von 123 124 125 126 127
Flechtheim (1980), S. 13, kritisiert die Bezeichnung Zukunftswissenschaft als „,Wortungetüm‘ mit zwanzig Buchstaben und nur fünf Vokalen.“ Vgl. McHale (1978), S. 9; Flechtheim (1980), S. 13 f., m. w. V.; Steinmüller (2000), S. 37. Vgl. de Jouvenel (1967b), S. 17. Er plädierte vielmehr für den Begriff conjecture (Vermutung, Spekulation), der sich allerdings auch nicht durchgesetzt hat. Die Auseinandersetzung mit ihr bezeichnet er bereits im Buchtitel als Kunst (art). Vgl. Bell (2003), S. 69. Vgl. Slaughter (1993b), S. 293, der diese Ansicht allerdings nicht näher erläutert.
V. Tiberius, Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung, DOI 10.1007/978-3-531-92869-2_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
38
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
futures research die Rede.128 Wurde in beiden Bezeichnungen anfangs noch von future im Singular gesprochen, ist ihnen inzwischen gemeinsam, dass sie den Plural futures verwenden. Dieser Umstand ist auf zwei Gründe zurückzuführen:129 x Zum einen kann – rein sprachlich gesehen – das Wort „future“ als Adjektiv missinterpretiert werden. Dann wären „future studies“ künftige, also in der Zukunft auszuführende Studien, nicht aber nur Zukunftsstudien. x Zum anderen ist die Verwendung des Plurals durch das Paradigma der alternativen Zukünfte130 zu erklären. Gerade weil die Zukunft noch nicht feststeht, gibt es aus heutiger Sicht mehrere Entwicklungspfade und damit mehrere mögliche Zukunftszustände. Eine ebenfalls häufig anzutreffende Bezeichnung ist (strategic) foresight, was sich als strategische Vorausschau übersetzen lässt. Der Begriff kann weit und eng aufgefasst werden. Im weiten Sinne ist er mit futures studies schlicht gleichzusetzen. Im engen Sinne wird er als Spezialfeld innerhalb des Strategischen Managements in der Managementlehre bzw. in der Betriebswirtschaftslehre betrachtet. Unternehmen betreiben dann eine organisationale Zukunftsforschung, um Annahmen über künftige Entwicklungen treffen sowie ihre strategischen Ziele optimal formulieren und geeignete Strategien und Maßnahmen gestalten zu können. Ansonsten sind prospective (studies) und futuribles in Westeuropa, vor allem in Frankreich, häufig anzutreffende Bezeichnungen für die Wissenschaftsdisziplin.131 Der prospective-Begriff steht für eine langfristige ganzheitliche Orientierung, die Vergangenheit, Gegenwart, Unsicherheit und Diskontinuität berücksichtigt und alternative Zukünfte und Wahlmöglichkeiten aufzeigt.132 Er grenzt sich insofern vom kurzfristig, extrapolativ geprägten Begriff prévision ab.133 Der erstgenannte Begriff bringt für Masini nicht nur ein analytisches Vorgehen zum Ausdruck, sondern betont darüber hinaus den Handlungs- und Wandelaspekt.134 Futuribles lässt sich mit „Möglichkeiten“ übersetzen, weshalb die Bezeichnung das Konzept der alternativen Zukünfte gut zum Ausdruck bringt. 128
129 130 131 132 133 134
Vgl. Bell (2003), S. 70. McHale (1978), S. 9, und Slaughter (1993b), S. 291, sehen die Bezeichnung futures research auch insofern als enger, weil sie eine methodische Tätigkeit beschreibt, denen ausschließlich Wissenschaftler nachgehen, während die futures studies auch von Nichtwissenschaftlern, etwa Lehrern, Schriftstellern oder Politikern, betrieben werden. Vgl. Dror (1971), S. 45; Fowles (1978), S. x. Erstmals soll der Plural auf dem ersten International Future Reseach Congress durch den Referenten Calder vorgeschlagen worden sein, vgl. McHale (1978), S. 9. Vgl. Didsbury (1992), S. 24; Steinmüller (2000), S. 45; Gidley (2004), S. 6; Kaivo-oja et al. (2004), S. 540; Schüll (2006), S. 16 ff.; Schüll (2009), S. 227. Vgl. Didsbury (1992), S. 23; Masini (2001), S. 642; Bell (2003), S. 68 f. Vgl. Steinmüller (2000), S. 41; Masini (2002b), S. 56; Serra del Pino (2002), S. 285. Vgl. Steinmüller (2000), S. 41. Vgl. Masini (2001), S. 642.
2.2 Historische Genese der Zukunftsforschung
39
In Osteuropa fand sich bis in die 1980er-Jahre die Bezeichnung (soziale) Prognostik (prognostics) im Sinne eines der Planung (Planwirtschaft) vorangehenden Prozesses.135 Long-range planning fokussiert auf die Gestaltungsaufgaben der Zukunftsforschung.136 Kaum verwendete Begriffe sind alleotics, futuristics, mellology, mellontology137, stochology und posthistory.138 Teilweise verschwimmen die Grenzen zu den integrative studies, development studies, world order studies und global studies.139 Alle genannten Bezeichnungen werden in der Literatur und in der Praxis nicht immer trennscharf voneinander abgegrenzt.140 2.2
Historische Genese der Zukunftsforschung
Die Idee des genetischen Lernens besteht im Kern darin, den individuellen Erkenntnisverlauf der Lernenden analog zum wissenschaftshistorischen zu gestalten. In der allgemein- und der fachdidaktischen Forschung wird empfohlen, sich mit der historischen Entwicklung der Bezugsdisziplin und ihrer erkenntnistheoretischen Grundlagen auseinanderzusetzen.141 Denn der oft langwierige Erkenntnisverlauf innerhalb der Wissenschaft, zu dem viele Fachvertreter durch ihre Forschung beigetragen haben, kann viel Aufschluss darüber geben, wie sich ein einzelner Lernender nachträglich dieses Fach erschließen kann. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Didaktik diesen Erkenntnispfad in der Lehre vollständig nachbilden muss. Es zeigt jedoch auf, wie sich Denkstrukturen im Laufe der Zeit verändert haben, und kann Rückschlüsse darauf ermöglichen, weshalb bestimmte Erkenntnisse zunächst verschlossen waren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese kognitiven Schranken zugleich Lernhemmnisse sind. Sind diese bekannt, kann versucht werden, diese abzubauen.
135 136 137
138 139 140 141
Vgl. Masini (1978), S. 22 f.; McHale (1978), S. 9; Flechtheim (1980), S. 21 et pass.; Didsbury (1992), S. 23; Steinmüller (2000), S. 43 f.; Bell (2003), S. 69. Vgl. auch die Ausführungen im nächsten Unterkap. Vgl. McHale (1978), S. 10. Der aus dem Grichischen stammende Begriff „Mellontologie“ wurde vom englischen Philosophen Mathias in einem Brief vom 02.03.1967 an Flechtheim vorgeschlagen, da der seinerzeit vorherrschende Begriff der „Futurologie“ eine unglückliche Mischung aus Latein und Griechisch (ähnlich wie Soziologie) sei, vgl. Flechtheim (1980), S. 13. Vgl. Fowles (1978), S. x; Didsbury (1992), S. 23; Bell (2003), S. 69. Vgl. Didsbury (1992), S. 23. Vgl. McHale (1978), S. 10. Vgl. Deutscher Bildungsrat (1971), S. 226; Gebelein (1978), S. 746; Borsum et al. (1982), S. 52. Für das Konzept des genetischen Lernens vgl. Wagenschein (1982).
40
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Für das Studium der Zukunftsforschung ist ein Rückgriff auf diese Grundüberlegung ebenfalls empfehlenswert. Die vergleichsweise junge Wissenschaftsdisziplin hat wie viele andere Fächer zunächst einen Selbstfindungsprozess durchlaufen, der auch heute noch nicht ganz abgeschlossen ist.142 Die Pionierjahre der Disziplin und die Schwerpunktverlagerung weg von den primär militärischen Ursprüngen hin zur sozialen Realität als Erfahrungsgegenstand in seiner vollen Breite dürften von vielen Studierenden als spannend empfunden werden, was sich im Allgemeinen lernförderlich auswirkt. Insbesondere ist es für die Studierenden essenziell wichtig, den Paradigmenwechsel von der Prognose „der“ Zukunft hin zum Konzept der alternativen Zukünfte zu verstehen. Es ist insoweit zu empfehlen, einem historischen Abriss der Entwicklung der Zukunftsforschung in der Hochschullehre einen Platz einzuräumen, weshalb nachfolgend hierauf eingegangen wird. 2.2.1
Die Anfänge
Die informelle, unwissenschaftliche Beschäftigung mit der Zukunft ist so alt wie die menschliche Geschichte.143 Das große Interesse an der Zukunft spiegelt sich in Riten der Wahrsagerei wider, die sich universell in praktisch jeder Kultur finden lassen.144 Über viele Jahrhunderte hat sich die Geschichte vergleichsweise natürlich und gleichmäßig entwickelt, und der Mensch hat erst vergleichsweise spät angefangen, die Geschichte mit Entscheidungen und Handlungen zu formen.145 Das Bewusstsein, dass der Mensch nicht nur Opfer einer deterministischen Geschichte ist, sondern diese auch beeinflussen kann, hat breitere Bevölkerungsschichten in Schüben zu Zeiten der Renaissance, der Reformation und der Aufklärung erreicht.146 Für die junge Wissenschaftsdisziplin Zukunftsforschung ist es grundsätzlich schwierig, ein genaues Geburtsdatum festzumachen.147 Eine frühe Forderung sowohl nach einer Zukunftspolitik als auch nach einer entsprechenden wissenschaftlichen Disziplin an den Universitäten, die sich explizit mit der Vorhersage 142 143 144 145 146 147
Vgl. zur wissenschaftshistorischen Entwicklung der Zukunftsforschung Kap. 2.2. Vgl. Minois (1998); Slaughter (1999), S. 838; Bell (2003), S. 2; Robinson (2003), S. 839; Schüll (2006), S. 1; Jischa (2009), S. 38 ff. Vgl. Bell (2003), S. 2 ff.; Schüll (2006), S. 1. Vgl. Flechtheim (1980), S. 29, 33, m. w. V.; Slaughter (2002c), S. 350. Vgl. McHale (1978), S. 6. Einen ausführlichen Überblick zur historischen Entwicklung der Zukunftsforschung in Europa liefert Steinmüller (2000), S. 37 ff. Bereits vor der Etablierung der Zukunftsforschung haben sich verschiedene Wissenschaften, insb. die Philosophie, intensiv mit Zukunftsfragen beschäftigt. Flechtheim (1980), S. 41 ff., gibt über diese „Vorläufer“ einen Überblick.
2.2 Historische Genese der Zukunftsforschung
41
befasst, stammt von dem bedeutenden Volkswirt List Mitte des 19. Jahrhunderts.148 Wells forderte die Zukunftsforschung und dafür eigens eingerichtete Lehrstühle zu Beginn des 20. Jahrhunderts.149 Ein zentraler Grund für dieses Interesse ist sicherlich in der starken Dynamik seit der industriellen Revolution und im umwälzenden Wandel in dieser Zeit zu finden150 sowie in dem Beitrag, den die Zukunftsforschung zur Entscheidungsfindung leisten kann.151 Bevor die Zukunftsforschung in den Universitäten Fuß fasste, wurde sie an außeruniversitären Instituten oder in Komitees betrieben.152 Ein frühes Beispiel hierfür stellt das President’s Research Committee on Social Trends dar, das im Jahr 1929 von US-Präsident Hoover ins Leben gerufen und mit dem Soziologen Ogburn als Leiter besetzt wurde. Das Institut hat die bis dahin umfassendste Beschreibung sozialer Veränderungen in den USA vorgenommen und 1933 unter dem Titel „Recent social trends in the United States“ veröffentlicht. Im Jahr 1937, dann bereits unter Präsident Roosevelt, hat das Forscherteam im Rahmen des US National Resources Committee einen Report über „Technological trends and national policy, including the social implications of new inventons“ publiziert.153 Ogburn zufolge gibt es einen Entwicklungszyklus, an dessen Beginn technologische Innovationen stehen, die Wirtschaftsstrukturen verändern, was wiederum zu Veränderungen sozialer Institutionen wie der Familie führt. Auf diese Weise werden Wertvorstellungen und Ziele verändert, was erneut technische Innovationen provoziert. 2.2.2
1940er-Jahre
Um die Zeit des Zweiten Weltkriegs setzte dann ein regelrechter Boom der Zukunftsforschung ein.154 Flechtheim generierte den Begriff futurology 1942.155 Schon knapp vor Kriegsende, im Jahr 1944, erstellte von Kármán für General Arnold bei der US Army Air Force Scientific Group ein Geheimdossier, in dem 148 149 150 151 152 153 154 155
Vgl. List (1931), S. 842 ff. (Original von 1846); Jischa (2009), S. 37, 46; Opaschowski (2009), S. 19. Vgl. Wells (1901), id. (1902); id. (1987). Die Forderung wurde auch am 24.01.1902 in einer Rede über „The discovery of the future“ vor dem Royal Institute in London formuliert, vgl. Masini (2001), S. 640 f. Vgl. McHale (1978), S. 7; Slaughter (2002c), S. 349. Vgl. Slaughter (2002b), S. 27. Vgl. Masini (1978), S. 26. Vgl. Masini (2001), S. 641; Bell (2003), S. 7. Vgl. Masini (1978), S. 17; McHale (1978), S. 8; Steinmüller (2000), S. 41; Neuhaus (2006), S. 77 ff.; Schüll (2006), S. 1, 5 ff.; Jischa (2009), S. 47; Schüll (2009), S. 223 f; Opaschowski (2009), S. 19. Vgl. Kap. 2.1.
42
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
die Bedeutung der Zukunftsforschung für die strategische Entscheidungsfindung des Militärs gewürdigt wurde.156 Beim sogenannten wargaming wurden unzählige denkbare Kriegsverläufe zwischen den Großmächten „durchgerechnet“, um ein optimales Verhalten des Militärs zu ermitteln.157 Dieses Vorgehen spielte auch während des Kalten Krieges noch eine Zeit lang – so etwa bei der Kubakrise – eine große Rolle. Im Jahr 1947 erschien von Dewhurst et al. vom Twentieth Century Fund mit „America’s needs and resources“ ein umfangreiches Werk, das den Versuch unternahm, ökonomische und soziale Trends in den USA zu ermitteln, auf deren Basis der Ressourcenbedarf der Jahre 1950 und 1969 und die Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung eingeschätzt wurden.158 1948 wurde die RAND Corporation, eine wichtige US-amerikanische Denkfabrik, gegründet, die sich zunächst vornehmlich mit militärischen, später auch mit anderen Fragen auseinandersetzte und der auch die Entwicklung der Delphi-Methode zu verdanken ist.159 Erstmals beschäftigten sich Akademiker hauptberuflich auf wissenschaftlichem Niveau mit Zukunftsfragen.160 Im Vordergrund stand die Zukuftsplanung, weniger das Philosophieren über mögliche Zukünfte.161 Zunächst dominierten hier Mathematiker und Physiker, später Sozial- und Geisteswissenschaftler.162 2.2.3
1950er- und 1960er-Jahre
Ende der 1950er-Jahre formierte sich in Frankreich die Zukunftsforschung unter der Regie von Berger, der auch als Urheber der Bezeichnung prospective gilt163 und die gleichnamige zukunftswissenschaftliche Fachzeitschrift gründete. Dessen Bemühungen wurden später von Masse und de Jouvenel fortgeführt.164 Einen weiteren Schub bekam die Zukunftsforschung ab den 1960er-Jahren,165 auch in Deutschland.166 Die Konkurrenz der beiden Systeme, Marktwirtschaft in den westlichen Nationen und Zentralverwaltungswirtschaft im sogenannten Ostblock, trieb die politischen Führer an, sich stark mit Zukunftsfragen zu 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165 166
Vgl. von Kármán (1944). Vgl. Slauhter (2002b), S. 27. Zum wargaming vgl. auch Orisiek/Schwarz (2009). Vgl. Dewhurst/Associates (1947). Ein ähnliches Vorhaben findet sich bei Brown et al. (1957). Vgl. Masini (1978), S. 26; McHale (1978), S. 9. Zur Delphi-Methode vgl. Kap. 2.6.2.5. Vgl. McHale (1978), S. 9. Vgl. Flechtheim (1980), S. 14. Vgl. ibd., S. 10. Vgl. Kap. 2.1. Vgl. Masini (1978), S. 18. Vgl. Fowles (1978), S. ix; Markley (1983), S. 47; Makridakis/Wheelwright (1998), S. 3; Marien (2002), S. 262; Slaughter (2002a), S. 92. Vgl. Flechtheim (1980), S. 15 f.
2.2 Historische Genese der Zukunftsforschung
43
beschäftigen, um die Erhabenheit des eigenen Systems unter Beweis zu stellen. Der Sputnik-Schock und der Wettlauf um die erste Mondlandung sind Ausdruck der damaligen Denkhaltung. Man war insgesamt von einem ausgeprägten „Planungsoptimismus“ beseelt, wollte die menschliche Geschichte proaktiv in die Hand nehmen.167 In der Wissenschaft dominierten seinerzeit formale, quantitative Modelle.168 Die Erforschung alternativer Zukünfte wurde zum herrschenden Paradigma. Die ersten Studiengänge in Zukunftsforschung entstanden.169 In Europa entwickelte sich eine Bewegung von Utopisten, die Bilder von wünschenswerten Zukünften zeichneten. 1960 kam es zur Gründung der französischen Vereinigung Association Internationale de Futuribles durch de Jouvenel.170 1964 erschien von diesem mit „L’Art de la Conjecture“ ein Standardwerk der Zukunftsforschung, das auch in andere Sprachen übersetzt wurde und erheblichen Einfluss auf die nachfolgende Fachliteratur hatte.171 Im gleichen Jahr wurden im britischen New Scientist Vorhersagen von rund 100 namhaften Autoren veröffentlicht.172 1966 wurde zum einen die World Future Society, zum anderen die Commission Toward the Year 2000 auf Initiative der American Academy of Arts and Sciences gegründet.173 Sie bestand unter dem Vorsitz von Bell174 aus zahlreichen Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen. Der erste International Future Research Congress fand, organisiert durch das Peace Research Institute und gesponsert durch die Organisation Mankind 2000, 1967 in Oslo mit rund 30 Teilnehmern unter dem Motto „Mankind and Society in 2000“ statt.175 Hier wurde auch der Bedarf nach einer akademischen Gesellschaft für Zukunftsforschung, der späteren World Futures Studies Federation (WFSF), geäußert.176 Ferner wurde 1967 die italienische Zeitschrift Futuribili von Ferraro gegründet, die allerdings bereits 1974 mit dessen Tod wieder eingestellt wurde.177 Auch für Japans Zukunftsforschung war 1967 ein wichtiges Jahr. So entstand nicht nur die dortige Futurology Association, die im gleichen Jahr ein Symposium unter dem Titel „A Start for Futures Research“ abhielt,178 sondern es fand auch eine internationale Konferenz unter der Über167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178
Vgl. Grunwald (2009), S. 25. Vgl. Dator (2002), S. 6. Vgl. Kap. 1.1. Vgl. Masini (1978), S. 18. Zur Entwicklung in anderen europäischen Ländern vgl. auch ibd., S. 18 ff. Vgl. de Jouvenel (1964). Auf Deutsch erschienen als Jouvenel (1967a), auf Englisch als Jouvenel (1967b) Vgl. Masini (1978), S. 19. Vgl. Bell (1967); Masini (1978), S. 26; id. (2001), S. 641. Gemeint ist Daniel Bell (Harvard Univ.), nicht Wendell Bell (Yale Univ.). Vgl. Hayashi (1978), S. 33; Masini (1978), S. 22; McHale (1978), S. 10, 13. Vgl. McHale (1978), S. 13 f. Vgl. Masini (2001), S. 642. Vgl. Hayashi (1978), S. 32.
44
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
schrift „The World in 2000“ unter der Regie des Japan Economic Research Center statt.179 Im Jahr darauf gründete sich die Japan Society of Futurology.180 1968 entstand auf Initiative von Flechtheim, Jungk und Klages das Zentrum Berlin für Zukunftsforschung (ZBZ).181 2.2.4
1970er-Jahre
Ab den 1970er-Jahren nahm die Bedeutung außenpolitischer und militärischer Fragestellungen ab. In der Forschung konzentrierte man sich stärker auf den technologischen, wirtschaftlichen und institutionellen Wandel.182 Man fokussierte verstärkt auf globale Probleme wie übermäßiges Bevölkerungswachstum, Energieund Ernährungsfragen und Umweltverschmutzung.183 Diese Entwicklung lässt sich auch am social indicator movement beobachten. Die Bewegung machte sich zum Ziel, die wirtschaftspolitische Bedeutung des Bruttoinlandsprodukts zugunsten sozialer Maße zurückzudrängen, die die tatsächliche Lebensqualität in einem Land widerspiegeln sollten.184 1970 erschien das populärwissenschaftliche Buch „Future Shock“ von Toffler,185 das die Zukunftsforschung stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte.186 Der zweite Zukunftsforschungskongress wurde in Kyoto im Jahr 1970 durch Unterstützung der Japan Society of Futurology unter dem Leitthema „Challenges from the Future“ mit über 250 Teilnehmern abgehalten.187 Das von Meadows, Meadows und Kollegen als Report an den Club of Rome verfasste und 1972 erschienene Buch „The Limits to Growth“ („Grenzen des Wachstums“)188 sorgte für eine hitzige Debatte und weltweit für eine verstärkte Aufmerksamkeit auch außerhalb der Universitäten.189 Der dritte Kongress für Zukunftsforschung fand 1972 in Bukarest mit mehr als 300 Teilnehmern statt.190 Darüber hinaus wurden Zukunftsthemen in dieser Zeit verstärkt auch auf Fachkongressen anderer Disziplinen, etwa der Soziologie oder Politologie, behan179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190
Vgl. Hayashi (1978), ibd., S. 33 f. Vgl. ibd., S. 34. Vgl. Masini (1978), S. 20. Vgl. id. (2001), S. 641. Vgl. McHale (1978), S. 11. Im Jahr 1974 ist etwa die Fachzeitschrift „Social Indicators Research“ gegründet worden, die den Untertitel „An International and Interdisciplinary journal for quality-of-life measurement“ trägt. Vgl. Toffler (1970). Vgl. McHale (1978), S. 11. Vgl. Hayashi (1978), S. 35; McHale (1978), S. 10. Vgl. Meadows et al. (1972). Vgl. McHale (1978), S. 11. Vgl. ibd., S. 10.
2.2 Historische Genese der Zukunftsforschung
45
delt.191 1973 wurde die World Future Studies Federation unter dem Vorsitz von de Jouvenel gegründet.192 Die breiter aufgestellte World Future Society zählte 1977 bereits 25.000 Mitglieder.193 Internationale Organisationen wie die UNESCO, das UNITAR, das UNEP, die OECD oder die FAO setzten in dieser Zeit zukunftswissenschaftliche Programme auf.194 Ab den 1970ern verbreitet sich die Zukunftsforschung verstärkt auch in Osteuropa, insbesondere in Polen, Ungarn und der damaligen Tschechoslowakei.195 Dort wurde vor allem nach Anschlussmöglichkeiten zur sozialistischen Planung gesucht, die mit der Idee verbunden war, sozialen und ökonomischen Wandel staatlich zu lenken.196 Gesellschaftliche Prozesse hingen in einer marxistisch-leninistischen Vorstellung mit der technischen Entwicklung zusammen und wurden als grundsätzlich vorhersagbar und planbar betrachtet.197 Amara fasst die Entwicklung der Zukunftsforschung in den 1960er- und 1970er-Jahren in vier Errungenschaften zusammen:198 x Sie hat das Bewusstsein für Umweltveränderungen, Veränderungen in der Arbeitswelt und technische Neuentwicklungen geschärft. x Sie hat ihre qualitative Methodenbasis etwa in Form der Delphi-Methode verbessert und damit die Vormachtstellung der Extrapolation von Vergangenheitsdaten überwunden. x Ihr ist klar geworden, dass Prognosen stets unsicher sind. x Sie hat die Beurteilung von neuen Alternativen zur Lösung von Problemen betont. 2.2.5
1980er-Jahre bis heute
In den 1980er-Jahren ist das Interesse an der Zukunftsforschung zunächst zurückgegangen. An die Stelle großer Hoffnung in die Disziplin ist eine gewisse Ernüchterung getreten, da man von der Fehlerhaftigkeit abgegebener Prognosen genauso enttäuscht war wie vom Fehlen einer nützlichen Methode der Politikgestaltung.199 Es mangelte zudem an aufsehenerregenden Veröffentlichungen ver191 192 193 194 195 196 197 198 199
Vgl. McHale (1978), S. 10. Vgl. Masini (1978), S. 22. Vgl. McHale (1978), S. 13. Vgl. ibd., S. 11 f. Vgl. Masini (2001), S. 642. Vgl. Hideg (2002), S. 153. Vgl. McHale (1978), S. 12; Steinmüller (2000), S. 43. Vgl. Amara (1984), S. 402. Vgl. van Vught (1987), S. 186, m. w. V.; ähnlich auch Göpfert (2006), S. 2 f.
46
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
gleichbar mit Tofflers „Future Shock“ sowie an einer guten Öffentlichkeitsarbeit.200 Trotzdem fand 1980 in Toronto die mit ca. 5.500 Teilnehmern bis heute größte Zusammenkunft von Wissenschaftlern und Interessierten zum Thema Zukunftsforschung statt.201 Im gleichen Jahr ging aus dem ehemaligen Zentrum Berlin für Zukunftsforschung das Institut für Zukunftsforschung (IfZ) hervor. 1981 wurden sowohl das International Institute of Forecasters als auch das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) gegründet, das seinen Sitz noch heute in Berlin-Nikolassee hat. Mitte der 1980er-Jahre wurde von einer Weichenstellung für die Zukunftsforschung zwischen Bedeutungsverlust und Bedeutungsgewinn gesprochen.202 Erst seit Ende der 1990er-Jahre ist wieder ein Aufschwung der Disziplin zu verzeichnen.203 Aktuell ist eine zunehmende Aufmerksamkeit auch in Deutschland festzustellen.204 2.3
Institutionalisierung der Zukunftsforschung
Die Zukunftsforschung ist – wie gesehen – eine vergleichsweise junge akademische Disziplin,205 die sich international auf einem dynamischen Wachstumspfad befindet,206 dennoch noch eher als Randerscheinung einzustufen ist.207 Sie ist eine eigenständige Wissenschaft mit eigenen theoretischen Grundlagen und Methoden. Sie arbeitet systematisch und rational, basiert oft auf empirischen Untersuchungen und testet die Plausibilität ihrer Aussagen in offener, wissenschaftlicher Diskussion.208 Gleichzeitig kennt sie auch kreative und intuitive Elemente.209 Sie ist den wissenschaftlichen Qualitätskriterien Relevanz, logische Konsistenz, Einfachheit, Überprüfbarkeit, terminologische Klarheit, definierte Reichweite, Explikation von Prämissen und Randbedingungen, Transparenz, Praktikabilität etc. verpflichtet.210 Wie auch in anderen Wissenschaften streiten sich die Fachvertreter unter200 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210
Vgl. Hines (2003), S. 32, der von „Blockbustern“ spricht. Vgl. Marien (2002), S. 262. Vgl. Markley (1983), S. 58. Ähnlich auch Toffler auf der Konferenz der World Future Society in New York im Jahr 1986, vgl. Bell (2003), S. 165. Vgl. etwa Göpfert (2006), S. 2. Der Bedeutungszuwachs lässt sich auch an den zunehmenden Publikationen ablesen. Vgl. Schüll (2006), S. 1. Vgl. Riner (1998), S. 360; Markley (1983), S. 47; Slaughter (2002a), S. 92; Göpfert (2006), S. 2. Vgl. Slaughter (1996), S. 799; id. (1999), S. 835. Vgl. Dator (2002), S. 1 f.; Slaughter (2002c), S. 350. Vgl. Riner (1998), S. 360; Bell (2003), S. 5. Vgl. Slaughter (2002a), S. 101. Vgl. Kreibich (2000), S. 9.
2.3 Institutionalisierung der Zukunftsforschung
47
einander über die Richtigkeit von Methoden und Erkenntnissen, wodurch sich die Wissenschaft weiterentwickelt.211 Eine feststehende Wissensbasis der Zukunftsforschung gibt es noch nicht.212 Es gibt entsprechend eine zukunftswissenschaftliche scientific community.213 Ihre Institutionalisierung lässt sich an ihrer Präsenz in Lehre und Forschung an Universitäten, an ihren Fachgesellschaften und deren Konferenzen sowie an Fachzeitschriften und Buchveröffentlichungen ablesen.214 Auf diese wird nachfolgend näher eingegangen. 2.3.1
Fachgesellschaften
Als wissenschaftliche Fachgesellschaft ist vor allem die World Futures Studies Federation (WFSF) zu nennen, „which [...] serves as a formal link agency for exchanging information, organizing meetings and specialized workshops, and generally linking many of the disparate components of the futures research area around the world.“215 Ferner existiert die World Future Society (WFS), die auch Berufspraktiker und allgemein an Zukunftsfragen Interessierte als Mitglieder aufnimmt. Beide Organisationen treten auch als Veranstalter wissenschaftlicher Konferenzen auf. Darüber hinaus gibt es zahlreiche andere Organisationen, die sich mit der Erforschung von Zukünften in den unterschiedlichsten Feldern beschäftigen.216 Die Association of Professional Futurists und das International Institute of Forecasters verstehen sich als Berufsverbände. In Deutschland hat sich kürzlich das Netzwerk Zukunftsforschung gegründet. 2.3.2
Fachliteratur
Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Fachzeitschriften, deren Einreichungen nach internationalen Standards (doppelt) verdeckt begutachtet werden. Einen Überblick gibt die folgende Tabelle. 211 212 213 214 215 216
Vgl. Bell (2002a), S. 238. Vgl. u. a. Slaughter (1992), S. 720; id. (1996), S. 802; Wildman/Inayatullah (1996), S. 726. Vgl. Slaughter (1996), S. 806. Anders Marien (2002), S. 268 f., der von der Existenz zahlreicher solcher Gemeinschaften ausgeht, die eher an anderen Disziplinen angegliedert sind. Vgl. Slaughter (1999), S. 841; Dator (2002), S. 21; Slaughter (2002a), S. 91; Bell (2002a), S. 239; Bell (2003), S. 58 ff. McHale (1978), S. 13 f. Ähnlich auch Masini (1978), S. 22. Vgl. Slaughter (1996), S. 804.
48
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung Titel
Untertitel
Gründung
World Futures
The Journal of General Evolution
1945
Technological Forecasting and Social Change
An International Journal
1963
World Future Review
A Journal of Strategic Foresight
1966, 1985, 2009217
Futures
The Journal of Policy, Planning and Futures Studies
1968
Long Range Planning
International Journal of Strategic Management
1968
International Journal of Forecasting /
1985
International Journal of Forecasting / and Innovation Policy
2004
Journal of Forecasting
/
1982
Journal of Futures Studies
Epistemology, Methods, Applied and 1996 Alternative Futures
Foresight
The Journal of Futures Studies, Strategic Thinking and Policy
Tab. 1:
1999
Wissenschaftliche Zeitschriften zur Zukunftsforschung. Quelle: eigene Darstellung.
Eher populärwissenschaftlich ist die Zeitschrift (The) Futurist (1967). Eher Nischenprodukte waren oder sind Futuribles (1961) und Papers de Prospectiva (1994). Auf die nur kurzlebige italienische Zeitschrift Futuribili wurde oben bereits eingegangen. Ein ebenso kurzlebiges Dasein fristete die von Flechtheim 1968 gegründete Futurum, die schon 1971 wieder eingestellt wurde. Schließlich gibt es eine große Zahl von wissenschaftlichen Fachzeitschriften, die in anderen Disziplinen beheimatet sind, aber einen zukunftswissenschaftlichen Bezug aufweisen, wie etwa das Journal of Business Strategy. Das Futures Research Directory der World Future Society von 1993/1994 nannte insgesamt 124 solcher Zeitschriften, das Future Survey Annual aus dem Jahre 1988/1989 sogar 454.218
217
218
Die Verbandszeitschrift der World Future Society hieß zunächst WFS Bulletin (1966) und wurde dann in Futures Research Quarterly (1985) umbenannt. Den aktuellen Titel trägt die Zeitschrift seit der Ausgabe Februar/März 2009, mit der auch die Zählung wieder mit dem 1. Jahrgang, Heft 1 begann. Vgl. Marien (2002), S. 266.
2.3 Institutionalisierung der Zukunftsforschung
49
Die Zukunftsforschung hat auch eine Fülle von Buchveröffentlichungen hervorgebracht.219 Für den ehemaligen Bibliografiedienst Future Survey hat sein Herausgeber Marien von 1979 bis 2002 etwa 17.000 Literaturzusammenfassungen mit Bezug zu Zukunftsfragen veröffentlicht.220 Behandelt wurde dort englischsprachige Fach-, allerdings auch Sachliteratur, die sich mit Zukunftsfragen beschäftigt. Der weit überwiegende Teil dieser Literatur entspricht allerdings nicht dem Paradigma der alternativen Zukünfte: In aller Regel wird vielmehr nur ein Zukunftsszenario ausführlich beschrieben. Noch schlechter ist solche Literatur, die nur behauptet ohne zu erklären, weshalb es zu jenem Szenario kommen sollte. Oftmals sind Sachbücher von Fachexperten geschrieben, denen der interdisziplinäre Blick für Einflüsse außerhalb ihres Fachgebiets fehlt. Der wesentliche Beitrag des Autors wird meist darin gesehen, dass er die Entwicklung seines Untersuchungsobjektes in der Vergangenheit im Gegensatz zum Laien durchschaut. Die meist mit nicht zu bescheidenem Selbstbewusstsein beschriebenen Zukunftsszenarien entstehen darauf aufbauend jedoch oft nur durch Extrapolation der vergangenen Entwicklung (was erklärt, weshalb nur ein Szenario entsteht). Andere Methoden – bis auf gelegentlich die Delphi-Methode – kommen selten zum Einsatz. Sachbücher erheben in der Regel keinen wissenschaftlichen Anspruch und verkürzen und vereinfachen den betrachteten Sachverhalt. 2.3.3
Lehre, Forschung und berufliche Praxis
Zukunftsforschung wird hauptsächlich an Hochschulen betrieben.221 Der Vorzug ist ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit, da die dafür erforderlichen Ressourcen nicht zweckgebunden sind. Sie kann drittinteressenunabhängig empirische Studien durchführen, Modelle entwickeln, epistemologische Probleme lösen, Methoden weiterentwickeln usw.222 Die Auftragsforschung für Unternehmen nimmt insgesamt einen vergleichsweise großen Teil ein.223 Slaughter sieht den 219
220 221 222 223
Inayatullah (2002), S. 109, zufolge verfügt die Zukunftsforschung über keine klassischen Texte, die man als Studierender zwingend gelesen haben muss, was er allerdings nicht als Schwäche, sondern im Gegenteil als Stärke betrachtet („Futures studies does not yet have theses boundaries“). Zuzustimmen ist, dass es zumindest noch kein Lehrbuch gibt, das den Standards in anderen Fächern entspräche. Darüber, ob und welche anderen Bücher und Zeitschriftenaufsätze man gelesen haben sollte, kann man geteilter Meinung sein. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird auf zahlreiche, aus Sicht des Verfassers lesenswerte Publikationen Bezug genommen. Vgl. Marien (2002), S. 262 f. Die Abstracts sind nun Bestandteil der World Future Review. Vgl. hierzu den empirischen Teil in Kap. 4. Vgl. Bell (2002a), S. 242 f. Vgl. Slaughter (2002c), S. 350.
50
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Nachteil solcher Auftragsforschung darin, dass die Erkenntnisse in der Regel nicht der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.224 Zukunftsforschung wird jedoch nicht nur an Hochschulen, sondern auch in autonomen Forschungseinrichtungen, und zwar selbstständig oder als Teil staatlicher Institutionen, beim Militär, aber auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen betrieben.225 Markley sieht bereits seit den 1980er-Jahren vielfältige Möglichkeiten der beruflichen Betätigung von Zukunftsforschern in praktisch allen Sektoren.226 In einem (optimistischen) von insgesamt vier Szenarien über die Zukunft der Zukunftsforschung gehen Hines und Mitglieder der Association of Professional Futurists sogar davon aus, dass einige Großunternehmen ab ca. 2025 in ihrem Vorstand einen „Chief Futures Officer“ (CFO) sitzen haben werden.227 Wo? Unternehmen
Was? Strategisches Management, Planung, Monitoring, Issues Management, Stakeholder Management, Public Relations, Lobbying/Public Affairs Management, Corporate (Social) Responsibility Management, Corporate Citizenship Management, Think Tank, Beratung etc.
Staat / Politik
Planung, Programmentwicklung, Politikberatung etc.
Militär
Strategische Kriegsführung etc.
Verbände
Monitoring, Issues Management, Politikberatung, Lobbying/Public Affairs Management etc.
Medien
Journalismus etc.
Aus- und Weiterbildung
Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit in der Zukunftsforschung oder in anderen Fächern mit Zukunftsbezug, Administration von Bildungsträgern etc.
Privat / ohne Berufsbezug
Förderung des intellektuellen oder ästhetischen Interesses an der Zukunftsforschung, Vorbereitung auf die Promotion in Zukunftsforschung oder einem anderen Fach mit Zukunftsbezug etc.
Tab. 2:
224 225 226 227
Mögliche Tätigkeitsfelder für Zukunftsforscher. Quelle: In Anlehnung an Markley (1983), S. 51 f., 57.
Vgl. Slaughter (2002c), S. 355. Vgl. Slaughter (1999), S. 838; Bell (2002a), S. 242. Vgl. Markley (1983), S. 47. Vgl. Hines (2003), S. 30.
2.3 Institutionalisierung der Zukunftsforschung 2.3.4
51
Aktuelle Situation im deutschsprachigen Raum
In Deutschland war die Zukunftsforschung bislang insgesamt wenig und deutlich schlechter etabliert als im europäischen Ausland.228 Allerdings ist momentan ein starker Aufwind festzustellen. Für die in der Vergangenheit zurückhaltende Auseinandersetzung mit der Zukunftsforschung konstatiert Steinmüller: „Anders als in den Niederlanden, Frankreich oder gar den USA galt in der Bundesrepublik die Beschäftigung mit Zukunftsfragen als unseriös. Futurologie widersprach dem herkömmlichen Wissenschaftsverständnis.“229 Hérault zufolge haben in Deutschland zwar Prognosen eine wichtige Tradition, nicht aber die Zukunftsforschung.230 Ist eine gesellschaftsorientierte Zukunftsforschung rar, kommt dagegen der Wirtschaftsprognose durch staatlich subventionierte, gleichwohl unabhängige Wirtschaftsforschungs-institute eine zentrale Bedeutung zu.231 Die community der ernstzunehmenden Fachvertreter deutscher Sprache ist momentan noch klein, aber wachsend. Das bereits erwähnte Netzwerk Zukunftsforschung ist ein eingetragener Verein, in dem sich deutschsprachige Zukunftsforscher zusammengeschlossen haben, dessen Mitgliederkreis jedoch noch stark aus persönlich bekannten Personen besteht, und dem sich newcomer bislang noch verhalten anschließen. An den Universitäten nimmt das zukunftswissenschaftliche Interesse derzeit stark zu. So wurde während des Erstellungsprozesses der vorliegenden Arbeit an der RWTH Aachen eine Professur für Zukunftsforschung eingerichtet und die Einrichtung einer solchen Professur an der Universität Siegen im Rahmen des Forschungskollegs „Zukunft menschlich gestalten“ angekündigt. Der Erstbetreuer der vorliegenden Arbeit hat an der Freien Universität Berlin einen weiterbildenden Masterstudiengang in Zukunftsforschung eingerichtet. Bundesweit werden Forschungsprojekte mit Zukunftsbezug gestartet, etwa das Center für Zukunftsforschung und Wissensmanagement innerhalb des Supply Chain Management Institute an der European Business School in Wiesbaden, oder die European Corporate Foresight Group an der Technischen Universität Berlin, um nur einige Initiativen zu nennen. In Österreich zeichnet sich das Zentrum für Zukunftsstudien an der Fachhochschule Salzburg durch rege Aktivitäten aus. 228 229 230
231
Vgl. Kreibich et al. (2000), S. 7. Steinmüller (2000), S. 42. Vgl. Hérault (2006), S. 71, der dies auch darauf zurückführt, dass in Deutschland keine Planungstradition besteht und aufgrund seines föderalistischen Aufbaus entsprechend auch keine zentrale Planungsbehörde existiert, wie sie etwa in Frankreich (Commissariat Général du Plan), den Niederlanden (Centraal Plan Bureau) oder Belgien (Bureau Fédéral du Plan) bestehen. Vgl. ibd., S. 73 f., 77. Zu nennen sind hier IFO, IFW, DIW, RWI, IWH, vgl. Abk.verz.
52
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Deutschsprachige Veröffentlichungen oder solche von deutschsprachigen Forschern in englischer Sprache sind noch rar, nehmen aber zu. Die hiesige Literatur hinkt der internationalen Forschung hinterher. Dies dürfte insbesondere darauf zurückzuführen sein, dass deutschsprachige Zukunftsforscher häufig wohl noch eine geringe Neigung zur Rezeption englischsprachiger Publikationen mitbringen. Während Bücher im Allgemeinen noch zitiert werden, zeigt man sich gegenüber internationalen Journal-Beiträgen recht verhalten. Auf diese Weise werden die neuesten Forschungsergebnisse einiger international tatsächlich herausragender Wissenschaftler erst mit zeitlicher Verzögerung wahrgenommen. 2.3.5
Wissenschaftliches Ansehen und Professionalität
Wie jede junge Wissenschaft musste auch die Zukunftsforschung einen Weg der Legitimation gehen.232 Wie die Wissenschaftsgeschichte gezeigt hat, ist mit dem Aufkommen einer neuen Wissenschaftsdisziplin stets die Diskussion über ihre Existenzberechtigung verbunden. So hatten die Ingenieurwissenschaften, die zunächst noch an den Technischen Hochschulen (nicht Universitäten) beheimatet waren, bis Ende des 19. Jahrhunderts erhebliche Legitimationsschwierigkeiten. Auch die Pägagogik musste sich in den 1950er-Jahren erst noch durchsetzen. An der Existenzberechtigung der Soziologie wurde aufgrund ihres unklaren Gegenstandes und aufgrund ihrer hermeneutischen Methoden gezweifelt.233 Die junge Disziplin der Zukunftsforschung bildet bei der Legitimationsfrage keine Ausnahme. Das akademische Ansehen der Zukunftsforschung war lange Zeit durchwachsen und unterlag Schwankungen.234 Noch 1975 bewertete es Eldredge als gering.235 Seit den 1980er- und insbesondere den 1990er-Jahren nimmt die Kritik an der Zukunftsforschung deutlich ab, und das öffentliche Verständnis für und über die Wissenschaft nimmt insgesamt zu.236 Unabhängig von der Frage der Wissenschaftlichkeit sind Zukunftsforscher bisweilen mit einer Antipathie konfrontiert, die darauf beruht, dass sie sich mit unbequemen Fragen auseinandersetzen und unangenehme Zukunftsperspektiven 232 233 234 235 236
Vgl. Slaughter (2002c), S. 350. Vgl. Schischkoff (1969), S. 326. Vgl. Coyle (1997), S. 91. Vgl. Eldredge (1975), S. 27. Allerdings ist der gesamte Artikel recht pessimistisch geschrieben. Vgl. Bell (2002a), S. 235. Anderer Ansicht ist Marien (2002), S. 266. Beide Autoren berufen sich allerdings auf ihre eigene Wahrnehmung und können keine Beweise für ihre Auffassung vorlegen. Wie der Autor a. a. O. korrekt festhält, könnte hierzu eine Studie durchgeführt werden, was bislang jedoch unterlassen wurde (auch vom Autor selbst). Slaughter (1999), S. 835, meint: „Futures studies (FS) has emerged from obscurity [...].“
2.3 Institutionalisierung der Zukunftsforschung
53
aussprechen: „Almost by definition, the main business of futurists is working with ideas that are not yet well accepted – either by opinion leaders or the masses of people. The reception of such ideas can range from simple agreement or disagreement to active support or outrage, depending on the specific audience.“237 Vor dem Hintergrund des eingeschränkten Bekanntheitsgrades der Disziplin und der ihr teilweise entgegengebrachten Skepsis erscheint es angebracht, nachfolgend auch eine Negativdefinition zu liefern, was die Zukunftsforschung gerade nicht ist: Sie ist weder Astrologie noch Scharlatanerie, weder Esoterik noch Mystik, weder Zauberei noch Science-Fiction,238 sie ist auch nicht gleichzusetzen mit Utopien oder Ideologien.239 Sie basiert nicht – wie Wahrsagerei – auf Glauben an das Übernatürliche, Magie, Mystik, Aberglauben oder geheimen Kräften.240 Die Zukunftsforschung sucht ihre Antworten nicht in der Glaskugel, in Tiergedärmen oder Knochenanordnungen. Im Gegenteil: Zukunftsforschung macht es sich zur Aufgabe, die Zukunft zu demystifizieren. Nicht weit entfernt von der Mystik ist jeder Versuch, die Zukunftsprophezeiungen unter dem Deckmantel der Wissenschaft zu verkaufen, ohne wissenschaftliche Methoden anzuwenden oder wissenschaftliche Standards auch nur ansatzweise einzuhalten. In Deutschland treten solche Vorhaben öfter unter dem Begriff der Trendforschung, die Rust berechtigterweise als bourlevardesk bezeichnet,241 auf, leider aber auch unter dem Etikett der Zukunftsforschung selbst, was der Disziplin besonders abträglich ist. Tatsächlich sorgen so „hustling business consultants and New Age gurus“242 sowie „charlatans, self-publicists and amateurs“243 für eine unseriöse Rezeption in der Öffentlichkeit. Teilweise werden sie bewundert und ihnen wird gutes Honorar gezahlt. Teilweise werden sie aber zutreffender als unausgereifte Propheten beschimpft,244 denn viel mehr als Kaffeesatzleserei wird von diesen Personen nicht betrieben. Zu erkennen sind sie daran, dass sie eine spezifische, meist auch sensationelle Zukunftsvorstellung propagieren, statt mehrere alternative Zukünfte aufzuzeigen, und ihren Zukunftsentwurf in der Regel postulieren, ohne zu erklären, mit welcher Methode sie zu ihren „Erkenntnissen“ gelangt sind. Die Kritik ist also durchaus berechtigt. Unberechtigt ist, aus diesen Phänomenen generalisierend die Un- oder Pseudowissenschaftlichkeit der Zukunftsforschung insgesamt zu behaupten. Denn genauso wenig 237 238 239 240 241 242 243 244
Markley (1983), S. 60. Vgl. Fowles (1978), S. ix; Slaughter (1999), S. 836; Dator (2002), S. 1 f. Vgl. Schischkoff (1969), S. 350. Vgl. Bell (2003), S. 5. Vgl. Rust (2008), S. 81 et pass. Marien (2002), S. 265. Vgl. Slaughter (1999), S. 836. Vgl. Bell (2002a), S. 235.
54
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
wie die Psychologie in Gänze unseriös ist, weil es einzelne selbst ernannte Psychogurus gibt, ist jede andere Wissenschaft unredlich, wenn sich Unberechtigte mit ihr schmücken. Insofern ist Kritik an denjenigen Kritikern berechtigt, die sich mit der Disziplin der Zukunftsforschung wenig oder gar nicht befasst haben, was in der Regel mehr über Defizite des Kritikers als über Defizite des Kritisierten aussagt.245 Es ist also erforderlich also, anhand spezifischer Kriterien genau zu unterscheiden, wer als professioneller Zukunftsforscher anzusehen ist und wer nicht.246 Neben den personenspezifischen Kriterien ist auch aufgaben- bzw. tätigkeitsspezifisch zu klären, was qualitativ hochwertige Zukunftsforschung auszeichnet.247 Die scientific community hat diese Standards der interessierten Bevölkerung gegenüber transparent zu machen und zu kommunizieren, da das Renommee der Wissenschaft nicht nur unter Wissenschaftlern ausgehandelt wird, sondern auch davon abhängt, was die Gesellschaft über sie denkt.248 In einem Diskussionspapier, das auf Initiative der World Futures Studies Federation (WFSF) entstanden ist, trägt Slaughter bestehende Ansichten zu diesen Fragen zusammen.249 Die Anforderungen an gute zukunftswissenschaftliche Arbeit lassen sich wie folgt in Tab. 3 zusammenfassen. Eine zweite wichtige Abgrenzung ist ferner zwischen der Zukunftsforschung und Zukunftsbewegungen bzw. sozialen Bewegungen (futures movements bzw. social movements) vorzunehmen. Hierbei handelt es sich um proaktive Haltungen und koordinierte Handlungen Betroffener, die auf die Erreichung oder Vermeidung bestimmter Zukünfte gerichtet ist.250 Vorherrschend handelt es sich etwa um die Friedensbewegung, die Frauenbewegung oder die Umweltbewegung.251 Schließlich ist Zukunftsforschung auch nicht mit Futurismus gleichzusetzen. Hierbei handelt es sich um eine Kultur- bzw. Kunstepoche Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Anhänger dieser Richtung werden als Futuristen bezeichnet. Der englische Begriff futurist wird allerdings sowohl für diese Personengruppe als auch für Zukunftsforscher verwendet. Die Bezeichnung futurologist wird kaum verwendet.252 245 246 247 248 249 250 251 252
Vgl. Bell (2002a), S. 235. Vgl. Slaughter (1999), S. 836. Vgl. ibd., S. 837. Vgl. ibd., S. 836. Vgl. ibd., S. 835. Vgl. Dator (2002), S. 7; Bell (2003), S. 69. Vgl. Slaughter (1993b), S. 292; id. (1996), S. 804. Vgl. Bell (2003), S. 69 f.
2.3 Institutionalisierung der Zukunftsforschung
55
Aufgabenbezogene Kriterien
x x x x x x x
Offenlegung der wissenschaftlichen Grundannahmen Offenlegung der Ziele und Zwecke der Untersuchung253 Offenlegung der eigenen Wertvorstellungen, sofern diese die Ergebnisse beeinflussen Offenlegung der angenommenen Ausgangsbedingungen Offenlegung der Methode(n) und der Durchführung der Studie Klare, genaue und nachvollziehbare Darstellung der angenommenen künftigen Zustände (Ergebnisse) Möglichst nachvollziehbare Darstellung des Wandlungsprozesses vom heutigen zu den angenommenen künftigen Zuständen Persönliche Kriterien
x Breite und tiefe zukunftswissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten, neben den x x x x x
wissenschaftlichen Grundlagen vor allem Sicherheit im kritischen Umgang mit problembezogen eingesetzten zukunftswissenschaftlichen Methoden Breite und tiefe fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten, bezogen auf das Erfahrungsobjekt, dessen Zukunft behandelt wird254 Interesse an gesellschaftlichen Belangen, insbesondere an deren Verbesserung Vorurteilsfreiheit und Aufgeschlossenheit (open-mindedness) Kreativität Fähigkeit zum Umgang mit Ungewissheiten
Tab. 3:
253 254 255
Anforderungen an Zukunftsforscher. Quelle: eigene Darstellung auf der Grundlage von Slaughter (1999), S. 844 f. et pass.; Slaughter (2002c), S. 355, mit Verweisen auf Dror (1973); Amara (1981a); id. (1981b); Dror (1996); vgl. auch Bell (1993).255
Vgl. auch Schüll (2006), S. 58. Slaughter (1999), S. 848, sieht es als erforderlich an, einen Auftrag abzulehnen, wenn er nicht in das eigene Fach fällt, und eine Kollegin bzw. einen Kollegen als Ausweichmöglichkeit benennen zu können. Einzelne Vorschläge der Autoren wurden in der hiesigen Darstellung weggelassen – so etwa die Eignung der Studienergebnisse zur Veränderung der Wahrnehmung der Rezipienten, da dieses Kriterium eher politischen als wissenschaftlichen Charakter hat. Andere Kriterien wurden weggelassen, weil sie zu wenig überzeugen, zu spezifisch oder zu willkürlich sind, z. B. wenigstens zehn Bücher vor einem Kongressbesuch gelesen zu haben.
56 2.4
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung Disziplinäre Verortung der Zukunftsforschung
Da eine allgemein konsensfähige Systematik wissenschaftlicher Disziplinen nicht existiert, ist die dortige Positionierung der Zukunftsforschung schwierig. Sie sucht teilweise noch nach ihrer eigenen Identität als wissenschaftliche Disziplin256 und wird als eine Mischung aus theoretischer und empirischer Forschung, Methodologie, Philosophie und politischem Handeln charakterisiert.257 Es herrscht jedoch (noch) keine Einigkeit darüber, was sie ist und was sie sein sollte.258 Unter dieser Prämisse wird nachfolgend eine eigene Verortung vorgenommen. 2.4.1
Objektwissenschaft
Eine erste Unterscheidung, die häufig getroffen wird, ist diejenige zwischen Objektund Metawissenschaften. Letztgenannte befassen sich mit der Wissenschaft selbst, Erstgenannte widmen sich konkreten Gegenständen, die nicht Bestandteil der Wissenschaften selbst sind, wozu etwa Wissenschaftstheorie, Wissenschaftssoziologie und Wissenschaftsgeschichte zählen. Auch wenn in der Zukunftsforschung eigenständig wissenschaftstheoretisch diskutiert wird, bezieht sich diese Diskussion auf das Objekt „Zukunft“. Die Disziplin ist also als Objektwissenschaft einzustufen. 2.4.2
Real- bzw. Potenzialwissenschaft
Eine nächste Unterscheidung (innerhalb der Objektwissenschaften) wird in Real(bzw. Erfahrungs-), Formal- und Strukturwissenschaften vorgenommen. Bereits hier ist eine Einordnung nicht ganz eindeutig, weil die Grenze zwischen ihnen oft fließend ist. Klassische Formalwissenschaften sind die Mathematik, die Logik und die Linguistik. Sie beschäftigen sich mit abstrakten Objekten und ihren Zusammenhängen. In diesem Abstrahierungsvorgehen unterscheiden sie sich von den Realwissenschaften, die sich mit konkreten Gegenständen befassen, die auch außerhalb wissenschaftlicher Sprachsysteme existieren. Da die Zukunft noch nicht real existiert, ist es schwierig, sie hier unzweifelsfrei einzuordnen. Gleichwohl ist die Zukunftswissenschaft nicht rein abstrakt, sondern befasst sich mit der zukünftigen Entwicklung oder den zukünftigen Zuständen konkreter, irgendwann 256 257 258
Vgl. Niiniluoto (2001), S. 371; Inayatullah (2002), S. 109. Vgl. Niiniluoto (2001), S. 376. Vgl. Marien (1996), S. 364.
2.4 Disziplinäre Verortung der Zukunftsforschung
57
realer Dinge, weshalb eine Einordnung als reine Formalwissenschaft nicht überzeugt, auch dann nicht, wenn die Zukunftsforschung einseitig als Methodenwissenschaft, vergleichbar mit der Statistik, betrachtet wird.259 Die vergleichsweise junge Kategorie der Strukturwissenschaften kann sich sowohl auf reale als auch auf formale Gegenstände beziehen. Sie untersuchen die strukturellen Zusammenhänge zwischen ihnen. Beispiele hierfür sind die Systemtheorie, die Kybernetik und die Synergetik. Das Bestreben dieser Wissenschaften besteht meist darin, ein allgemeines Schema zu entwickeln, das auf unterschiedlichste Gegenstände anwendbar ist. Die Zukunftsforschung kann dies für sich fruchtbar machen. Teilweise wird etwa die Kybernetik als ihre theoretische Grundlage betrachtet.260 Am ehesten überzeugt noch die Einordnung als Realwissenschaft. Da Zukünfte noch nicht real sind, sich die Zukunftsforschung aber nicht nur mit der sich tatsächlich in der Realität manifestierenden Zukunft, sondern auch mit den aus gegenwärtiger Sicht möglichen Zukünften beschäftigt, ist es sinnvoll bei bei ihr nicht nur von einer Real-, sondern auch von einer Potentialwissenschaft zu sprechen. Diese Überlegung kann nicht deutlich genug betont werden, denn in diesem Punkt transzendiert die Zukunftsforschung andere Wissenschaften. Das allgemeine Ziel der Suche nach der Wahrheit, mithin der Wirklichkeit, wird hier zugunsten alternativer Möglichkeiten verschoben. 2.4.3
Sozial- bzw. Kulturwissenschaft
Eine weitere, spezifischere Unterscheidung innerhalb der Realwissenschaften, denen die Zukunftsforschung offensichtlich am nächsten steht, betrifft den Gegenstandsbereich. Über die Einteilung besteht kein Konsens. Grob ist zwischen den Natur-, den Sozial- und den Kulturwissenschaften zu unterscheiden. Sozial- und Kulturwissenschaften werden auch unter dem Begriff der Humanwissenschaften zusammengefasst, zu denen teilweise aber auch Disziplinen hinzugerechnet werden, die eher den Naturwissenschaften zuzuordnen sind, etwa die Humanmedizin oder Humanbiologie. Die Geschichtswissenschaft wird auch als Humanwissenschaft angesehen, da auch für sie der Mensch der Dreh- und Angelpunkt ist.261 Der Begriff der Geisteswissenschaften versteht sich in der Regel als Sammelbecken für alles, was nicht den Naturwissenschaften zuzurechnen ist, und ist in der Tradition des deutschen Idealismus zu sehen, sodass man ihn heute immer weni259 260 261
So etwa Wagenführ (1985), S. 571; Schüll (2006), Fn. 46 u. S. 52. Z. B. Ivakhnenko/Lapa (1967). Vgl. Rohlfes (2005), S. 29.
58
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
ger gebraucht. Dilthey hatte die kategorische Grenze methodisch gezogen, indem er sagte: „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.“262 Die traditionell sehr populäre Einordnung der Geschichtswissenschaft als Geisteswissenschaft wird heute überwiegend kritisch gesehen.263 Die Naturwissenschaften haben die belebte und unbelebte Natur zum Gegenstand. Die klassischen Vertreter sind die Biologie, die Chemie und die Physik, zwischen denen die interdisziplinäre Zusammenarbeit – etwa in Form der Biochemie – immer mehr zunimmt. Es kann recht eindeutig festgehalten werden, dass die Zukunftsforschung in ihrem üblichen Selbstverständnis keine Naturwissenschaft ist. Selbstverständlich gibt es in den Naturwissenschaften zahlreiche Erkenntnisfragen, die sich auf die Zukunft natürlicher Dinge beziehen. So kommt der Erdbebenprognose eine große Bedeutung zu. Die Meteorologie begegnet uns täglich, wenn wir uns eine Wettervorhersage für die kommenden Tage wünschen. Gleichwohl zählen diese Fragen nicht zum typischen Gegenstandsbereich der Zukunftsforschung.264 Typische Vertreter der Sozialwissenschaften sind die Politikwissenschaft, die Soziologie und die Wirtschaftswissenschaften. Sie alle befassen sich mit dem Handeln der Menschen sowie mit den – auch strukturellen – Phänomenen ihres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Da auch die Menschen dem Bereich der Natur zuzurechnen sind, stellt sich die Frage nach einer Abgrenzung zu den Naturwissenschaften. Anders als in den Naturwissenschaften gibt es in den Sozialwissenschaften keine Naturgesetze, sondern bestenfalls lose „Quasi-Gesetze“ bzw. „weiche Gesetze“ des menschlichen Handelns.265 Interessanterweise lässt sich die Grenze auch zukunftswissenschaftlich ziehen: Während die Objekte, mit denen sich die Naturwissenschaften beschäftigen, wissenschaftliche Prognosen nicht zur Kenntnis nehmen und diese Prognosen entsprechend keinen Einfluss auf natürliche Prozesse haben, ist genau dies bei Menschen als handelnden Subjekten der Fall, wie aus dem Konzept der selfaltering prophecy bekannt ist.266 Unter diesem Oberbegriff werden einerseits die self-fulfilling prophecy, andererseits die self-denying oder self-destroying prophecy subsumiert. Es handelt sich also um positive oder negative Rückkopplungseffekte, die aufgrund der Kenntnisnahme einer Prognose entstehen. Solche Phänomene sind den Naturwissenschaften fremd. 262 263 264 265 266
Vgl. Dilthey (1924), S. 144. Vgl. Rohlfes (2005), S. 29. Vgl. hierzu auch Kapp. 2.4, 2.5.1. Vgl. Helmer (1977), S. 18. Vgl. Popper (1961), S. 13; Jones (1977), S. 38 f.; Flechtheim (1980), S. 158 ff.; Wagenführ (1985), S. 580; Bell/Olick (1989), S. 116, 129; Gordon (1992), S. 26; Bell (2003), S. 98; Schüll (2006), S. 53.
2.4 Disziplinäre Verortung der Zukunftsforschung
59
Bell sieht die Zukunftsforschung nicht nur als Sozialwissenschaft, sondern noch genauer als Handlungswissenschaft, die politische, ökonomische und kulturelle Handlungen einbezieht.267 Zukunftsforschung ist in dieser Perspektive als Sozialwissenschaft einzuordnen, weil sie den sozialen Wandel verstehen will.268 Zumindest spricht sich Masini für eine stärkere Zusammenarbeit der beiden Wissenschaftsdisziplinen aus, die wechselseitig aufeinander angewiesen seien.269 Die Kulturwissenschaften setzen sich mit kulturellen, d. h. vom Menschen geschaffenen Produkten auseinander. Einige Vertreter sehen die Kulturwissenschaften als Oberbegriff auch für die Sozialwissenschaften, andere sehen – wie hier – in ihnen eine dritte Säule. Es ist nicht abwegig, die Zukunftsforschung auch als Kulturwissenschaft einzustufen. So wird etwa ihre „Zwillingswissenschaft“, die Geschichtswissenschaft, von großen Teilen ihrer Fachvertreter seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr als Geistes- oder Sozialwissenschaft, sondern als Kulturwissenschaft angesehen,270 die geisteswissenschaftliche, anthropologische, psychologische, soziologische, historische u. a. Perspektiven integriert.271 Hieran anschlussfähig ist auch die Sichtweise von Schischkoff, der die Zukunftsforschung als „die Wissenschaft von der vom Menschen mitbestimmten Zukunft“272 betrachtet. Der Autor unterscheidet den Gegenstand des An-sich-Seins der Zukunft im Sinne einer naturwissenschaftlichen Zukunftsforschung und den Gegenstand des Für-sich-Seins der Zukunft, der sich auf die Zukunft für das vom Menschen mitbestimmte Kulturgeschehen bezieht.273 Den dynamischen An-sichVerlauf von Dingen ohne menschlichen Eingriff sieht Schischkoff nicht als Gegenstand der Zukunftsforschung in Sinne einer Kulturwissenschaft.274 Deshalb „muss jede Futurologie […] als Kulturfuturologie verstanden werden.“275 In ihrem Gegenstandsbereich ist die Zukunftsforschung als Kulturwissenschaft umfassend; sie beinhaltet „die Zukunft aller denkbaren Kulturereignisse“276. Auch wenn die Zukunftsforschung keine Naturwissenschaft ist, ist Letztere für sie nicht bedeutungslos. Natürliche Systeme können nicht völlig ignoriert werden, da sie Einfluss auf die soziale Sphäre haben.277 Wird der Mensch als wesentliche 267 268 269 270 271 272 273 274 275 276 277
Vgl. Bell (2002a), S. 344 f.; Opaschowski (2009), S. 19, der von Handlungsforschung spricht. Vgl. Masini (2001), S. 638. Die Bedeutung der Soziologie wird u. a. betont von Bell/Mau (1971); Azam (2002), S. 199. Vgl. ibd., S. 640. Vgl. Hasberg (2002), S. 60; Rohlfes (2005), S. 29. Vgl. Hasberg (2002), S. 70; Serra del Pino (2002), S. 286. Schischkoff (1969), S. 329. Vgl. ibd., S. 335. Vgl. ibd., S. 332. Ibd., S. 334. Ibd., S. 335. Vgl. ibd., S. 332, 334 f.
60
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
treibende Kraft bei der Gestaltung der Zukunft gesehen, weist Schischkoff darauf hin, dass hierbei zwei Aspekte voneinander unterschieden werden müssen: der planende Mensch, der über seine Erfahrungen reflektiert (und rational handelt), auf der einen Seite (Sozial- oder Kulturwissenschaft) und die „naturbedingten menschlichen Komponenten“ auf der anderen Seite (Naturwissenschaft), die sich durch seine Bedürfnisse, Egoismen und Machtstreben ausdrücken,278 aber auch durch Gewohnheitsdenken und ideologische Starrheit.279 Ähnlich sieht es auch die Geschichtswissenschaft, die sich natürlich auch selbst nicht als Naturwissenschaft ansieht, aber anerkennt, dass sich der Mensch mit der Natur auseinandersetzt.280 2.4.4
Explorative und normative Wissenschaft
Eine letzte hier angesprochene wissenschaftssystematische Unterscheidung betrifft die Einteilung in positive und normative Wissenschaften.281 Einfach ausgedrückt untersuchen Erstgenannte, wie ein Sachverhalt ist, während Letztgenannte diskutieren, wie er sein soll, womit sie eine Wertung vornehmen. Da für die Zukunft noch kein Ist-Zustand bestimmt werden kann, empfiehlt es sich, anstelle von positiver eher von explorativer Zukunftsforschung zu sprechen.282 In der Zukunftsforschung sind beide Ausprägungen ausfindig zu machen: Die Erforschung möglicher und wahrscheinlicher Zukünfte ist der explorativen Sphäre, die Bestimmung wünschenswerter Zukünfte und ihre Gestaltung sind der normativen zuzuordnen.283 Die normative Richtung kommt etwa zum Ausdruck, wenn die Wohlfahrt der Menschheit als Ziel der Zukunftsforschung formuliert wird: „Futures studies […] is not simply about any future. It is about the future of wellbeing of people.“284 Eine scharfe Trennung beider Sphären ist nicht immer möglich.285 Jenseits der üblichen Systematik wissenschaftlicher Disziplinen findet sich in der Literatur noch der Vorschlag, die Zukunftsforschung als gestaltende Wissenschaft (design science) aufzufassen. In dieselbe Richtung zielt die Einstufung als 278 279 280 281
282 283 284 285
Vgl. Schischkoff (1969), S. 336. Vgl. ibd., S. 359. Durch diese Komponenten wird die Prognosefähigkeit kultureller Systeme allerdings dramatisch reduziert, vgl. ibd., S. 348 f. Vgl. Rohlfes (2005), S. 29. Im sogenannten (ersten) Werturteilsstreit wurde von einem Streitlager die Auffassung vertreten, eine Wissenschaft müsse sich normativer Aussagen grundsätzlich enthalten, vgl. Albert (1972), S. 10; Blass (2003), S. 1046. Heute wird die Existenz normativer Wissenschaften, zu denen ja auch die Pädagogik und Didaktik zählen, allgemein anerkannt. Vgl. etwa Glenn (1997), S. 733. Vgl. McHale (1978), S. 9 f. Vgl. Bell (2002a), S. 344; ähnlich auch Slaughter (1999), S. 849. Vgl. McHale (1978), S. 10.
2.4 Disziplinäre Verortung der Zukunftsforschung
61
Teil der management sciences.286 Design bzw. Planung sind Aktivitäten, bei der auf systematische Art und Weise für gegebene Ziele optimale Mittel gesucht werden. Als Ziele kommen etwa materielle Gegenstände (z. B. Landschaften, Gebäude, Maschinen), soziale Organisationen, Problemlösungen oder Entscheidungen in Betracht. Design sciences gehen normativ vor, indem sie nicht analysieren und deskriptiv darstellen, wie etwas ist, sondern indem sie aufzeigen, wie etwas sein soll.287 Das gestaltende Moment wird deutlich, wenn die Zukunft als Artefakt betrachtet wird, das von Menschen geformt werden kann.288 Wie sich aus der Diskussion um die Ziele und Aufgaben der Zukunftsforschung ergibt, wird die Gestaltung der Zukunft von einigen Fachvertretern in der Tat als Bestandteil der Disziplin aufgefasst. Sie ist jedoch keinesfalls ihre einzige Aufgabe. Ihr geht die Prognose in jedem Fall voraus. 2.4.5
Interdisziplinarität der Zukunftsforschung
Neben der Einordnung der Zukunftsforschung in die Systematik der Wissenschaften stellt sich die Frage, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, die Zukunftsforschung als eigenständige Disziplin zu betreiben oder ob es nicht sinnvoller ist, Zukunftsfragen zu spezifischen Gegenständen von den Einzelwissenschaften bearbeiten zu lassen. Gegen die Eigenständigkeit der Zukunftsforschung spricht zunächst, dass sie kein ureigenes Untersuchungsobjekt hat. Es gibt eben nicht „die Zukunft an sich“, sondern immer nur die Zukunft von etwas Spezifischem. Es gibt folglich auch keine Generaltheorie der Zukunft.289 Es ist vielmehr so, dass sich die meisten Wissenschaften auch mit Zukunftsfragen beschäftigen290 und es so zu einer Dopplung käme, wenn sich sowohl Fachwissenschaft als auch Zukunftsforschung mit denselben Fragen beschäftigt. Die Zukunftsforschung fiele dann in keine der tradierten Wissenschaftsdisziplinen, sondern wäre ein Konglomerat, das zahlreiche Disziplinen in sich vereint.291 Auf eine eigenständige Zukunftsforschung könnte verzichtet werden, wenn die in den bestehenden Wissenschaften vorherrschende Gegenwarts- und Vergangenheitsorientierung um eine (stärkere) Zukunftsorientierung ergänzt würde. 286 287 288 289 290 291
Vgl. Göpfert (2006), S. 9. Vgl. Niiniluoto (2001), S. 375. Vgl. ibd., S. 375 f. Vgl. Schüll (2006), S. 27 et pass. Vgl. Niiniluoto (2001), S. 372. Vgl. Blass (2003), S. 1049, der die Disziplin daher als postmodern einstuft.
62
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Es gibt jedoch auch gute Gründe, die für den Betrieb einer eigenständigen Zukunftsforschung sprechen. Zukünftige Entwicklungen verlaufen nicht präzise entlang der Einzelwissenschaften, sondern berühren in aller Regel eine Mehrzahl von Disziplinen.292 Deshalb erscheint es sinnvoll, die Zukunftsforschung als Universalwissenschaft oder Querschnittswissenschaft zu verstehen, die sich mit allen Untersuchungsobjekten der Realität auf integrative Art und Weise auseinandersetzt.293 Die Zukunftsforschung wäre in der Folge allerdings eventuell ein „riesiges Labyrinth“.294 Gerade diese Universalität könnte die Auseinandersetzung auf die Breite – zulasten der gebotenen Tiefe – beschränken. Zur Behebung dieses Dilemmas existieren zwei denkbare Strategien: Entweder die Zukunftsforschung wird fragmentiert, sodass von einem einheitlichen Fach teilweise nicht mehr geredet werden kann.295 Dann wäre es sinnvoller, nicht von der Zukunftswissenschaft, sondern von den Zukunftswissenschaften zu sprechen. Oder die Zukunftsforschung wird als Einheit betrachtet, und es wird für eine stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den einzelnen Fachwissenschaften plädiert. Diese Sichtweise dominiert heute, wie nachfolgend näher begründet wird. Die aufgezeigte Problematik lässt sich mit einem Blick auf die Geschichtswissenschaft entschärfen. Auch sie ist als eigenständige Disziplin akzeptiert. Beide beschäftigen sich mit Zeitlichkeit, die eine mit der der Vergangenheit, die andere mit der Zukunft, jeweils ohne ihre Untersuchungsobjekte einschränken zu wollen. Praktisch alle Sachverhalte, mit denen sich die Geschichtswissenschaft auseinandersetzt, sind auch Untersuchungsobjekte anderer Fächer.296 Es gibt darüber hinaus zahlreiche andere Wissenschaftsdisziplinen, die ein äußerst breit aufgestelltes Forschungsprogramm aufweisen, das Anleihen in anderen Fächern nimmt. Zu nennen sind etwa die Anthropologie und die gender studies. Die älteste aller Wissenschaften, die Philosophie, beschäftigt sich kurz gesagt „mit allem“, nämlich im Rahmen ihrer Teildisziplinen mit genau denselben Untersuchungsobjekten wie die empirischen Wissenschaften (z. B. Naturphilosophie – Naturwissenschaften, Ästhetik – Kunstwissenschaft, Sprachphilosopie – Sprachwissenschaft etc.). Die Beschäftigung mit ein und demselben Untersuchungsobjekt bedeutet insbesondere nicht, dass auch dieselben Erkenntnisinteressen befriedigt werden können und sollen. 292 293 294 295 296
Vgl. de Jouvenel (2000), S. 55; Kreibich (2000), S. 9; Steinmüller (2000), S. 37. Vgl. Kreibich (2000), S. 9; Steinmüller (2000), S. 37; Schüll (2006), S. 42 f., 52. Vgl. Marien (2002), S. 273. Vgl. id. (1987), zit. n. Bell (2003), S. 66. Bell (2002a), S. 237, sieht die Zukunftsforschung als deutlich geringer fragmentiert als die älteren Wissenschaften an. Vgl. Rohlfes (2005), S. 28.
2.4 Disziplinäre Verortung der Zukunftsforschung
63
Weiterhin gibt es auch massive methodische und methodologische Unterschiede im Vorgehen der verschiedenen Disziplinen. Somit gibt es zwischen verschiedenen Fächern Redundanzen, die nicht von Nachteil, sondern aus epistemologischer und pluralistischer Sicht von Vorteil sind. Die Zukunftsforschung hält hier ein umfassendes Repertoire leistungsstarker eigener Methoden bereit. Eine profunde, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen ist zudem nur dann in seriöser Art und Weise möglich, wenn sie nicht nebenher mitbetrieben, sondern hauptsächlich ausgeübt wird.297 Fachwissenschaftler können schließlich aufgrund ihrer Konzentration auf ihr Untersuchungsfeld häufig nicht beachten, welche Wirkungen externe Kräfte, die nicht zu ihrer Forschung zählen, auf ihr Gebiet haben können. Die holistische und integrative Perspektive der Zukunftsforscher kann hier Abhilfe schaffen.298 Bell stellt als besondere Vorzüge der Zukunftsforschung im Gegensatz zu den etablierteren Wissenschaften heraus, sie sei aufgeschlossener (open minded), global orientiert, nicht auf kleine, sondern auf große Probleme fokussiert und sie sei nicht nur analytisch, sondern stelle auch ethische Fragen.299 Die logische Schlussfolgerung muss lauten, dass die Zukunftsforschung zwar eine eigenständige Wissenschaft ist, die sich aber als quer zu anderen Wissenschaften liegend betrachtet und gerade deshalb auf eine intensive Zusammenarbeit mit den Fachwissenschaften angewiesen ist. So kann sie erstens disziplinübergreifend alle Untersuchungsobjekte des jeweiligen Forschungsinteresses angehen und zweitens die von den unterschiedlichen Disziplinen erforschten Untersuchungsobjekte in ihren komplexen Interdependenzbeziehungen betrachten.300 Die Zukunftsforschung bedient sich insofern eines panoramic view, also eines übergreifenden Überblicks über Sachverhalte, der mit Begriffen wie big picture thinking, general systems, holistic thinking, integrative thinking u. Ä. eingefangen werden kann.301 Die Zukunftsforschung wird daher häufig als multidisziplinär, interdisziplinär und/oder transdisziplinär arbeitend bezeichnet.302 So verwundert auch nicht, dass die meisten Zukunfts297 298 299 300 301 302
Ähnlich auch Bell (2003), S. 59. Vgl. ibd., S. 66. Vgl. Bell (2002a), S. 237. Vgl. Slaughter (1993c), S. 228; Göpfert (2006), S. 2, 7. Vgl. Marien (2002), S. 271. Vgl. Slaughter (1992), S. 721; Kreibich (2000), S. 9; Masini (2001), S. 638; Inayatullah (2002), S. 109; Klein (2004), S. 515 ff. Multidisziplinär wird gearbeitet, wenn mindestens zwei Wissenschaften eine Aufgabe separat bearbeiten. Bei Interdisziplinarität hingegen arbeiten zwei Wissenschaften gemeinsam an einer Fragstellung. Transdisziplinarität schließlich bezieht auch Personen in die wissenschaftliche Bearbeitung ein, die von der Problemstellung betroffen sind, ohne das es darauf ankommt, ob diese Wissenschaftler oder Laien sind. Letztgenannte kommt besonders bei der partizipatorischen Zukunftsforschung und den partizipativen Zukunftsforschungsmethoden wie etwa der Zukunftswerkstatt zum Ausdruck.
64
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
forscher auf eine wissenschaftliche Ausbildung in einem anderen Fach zurückblicken.303 Masini sieht insgesamt dringenden Bedarf darin, die Trennungen zwischen den Wissenschaftsdisziplinen zu überwinden und zu einer stärkeren Zusammenarbeit zu gelangen.304 Betont wird besonders, aber wohl nur exemplarisch, die Zusammenarbeit mit Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Sozialpsychologie, Politologie, Geschichte, Anthropologie, Kulturwissenschaft und Evolutionstheorie.305 Auch Marien plädiert dafür, die Zukunftsforschung künftig stärker als „horizontalen“, d. h. als interdisziplinären Ansatz zu verstehen, der die Erkenntnisse anderer Wissenschaften integriert.306 Die Zukunftsforschung bedient sich dann zahlreicher Theorien derjenigen Disziplinen, in deren Zuständigkeit das jeweilige Untersuchungsobjekt fällt.307 Leider sind die Einzelwissenschaften häufig nicht offen für eine solche fachübergreifende Zusammenarbeit.308 Hierin besteht eine besondere Herausforderung für die Zukunftsforschung. Der horizontale Ansatz kann so weit getrieben werden, dass sich die Zukunftsforschung mit den großen, globalen Problemen und Idealen der Menschheit auseinandersetzt, wobei es letztlich weniger auf das Zeitliche und Zukünftige ankommt, insbesondere nicht auf die Frage, wann etwas geschehen mag. Grunwald spricht in diesem Zusammenhang von einer „Umwegargumentation“, bei der auf dem Umweg der Zukunftsdebatten Orientierungen für heute gesucht werden.309 Zukunftsforschung ist für ihn daher eigentlich Gegenwartsforschung.310 In ähnlicher Weise hatte schon Flechtheim festgehalten: „Der Futurologe, der in der Gegenwart die Zukunft prognostiziert, plant und philosophisch reflektiert, bereitet nicht nur die Zukunft vor, sondern erhellt auch die Gegenwart.“311 Noch einen Schritt weiter gedacht, steht die zeitliche und räumliche Unabhängigkeit, d. h. die Loslösung vom Hier und Jetzt, von den aktuell gültigen Strukturen und Restriktionen, im Vordergrund. „[I]t […] conveys a greater power 303
304 305 306 307 308 309 310 311
Dies zeigt sich zum einen an den Lebensläufen der Respondenten, vgl. Kapp. 4.4.2 f. und Anh. 2. Die innere Zerrissenheit, welches Selbstverständnis überwiegt, macht Rubin (2002), S. 295, wie folgt deutlich: „I still have not made up my mind wheather I should see myself as a sociologist with futures orientation or as a futurist with a sociological emphasis.“ Vgl. Masini (2001), S. 637 f. et pass.; id. (2002b), S. 59. Dies gilt insbesondere für die Zusammenarbeit mit der Soziologie. Vgl. Zapf (1969), S. 9,19; Dator (2002), S. 9; Slaughter (2002a), S. 97, 102. Vgl. Marien (2002), S. 275 f. Schüll (2006), S. 44, dagegen meint, die Zukunftsforschung selbst solle für ihren jeweiligen Untersuchungsgegenstand eine Teiltheorie der Zukunft entwickeln. Vgl. Markley (1983), S. 61. Vgl. Grunwald (2009), S. 28 f. Vgl. ibd., S. 33 f. Flechtheim (1980), S. 26.
2.4 Disziplinäre Verortung der Zukunftsforschung
65
to think freshly about the constitution and re-constitution of the social order. This, really, is what FS [futures studies] is all about. It is an attempt to re-think, re-feel, and re-vision the foundations of social life so that they may be reconstituted on a more secure, more sustainable and more highly developed basis.“312 Die Politikwissenschaft und die politische Praxis sind stark in der Gegenwart und der nahen Zukunft verhaftet. Die Zukunftsforschung dagegen öffnet den Geist für das Potenzielle, das sein könnte und machbar wäre, wenn die heutigen Pfadabhängigkeiten und dadurch entstandenen (ungünstigen) Voraussetzungen nicht existierten. So schrieb auch Flechtheim, „dass die Erweiterung des Zeithorizontes der Befreiung des Menschen von den überlieferten Mächten und Gewalten […] dienen“313 würde. Die Projektion in die Zukunft dient in diesem Fall also „nur“ der stärkeren Loslösung von der Gegenwart. Kreibich sieht in diesem Sinne einen wesentlichen Vorzug darin, dass die Zukunftsforschung alte Leitbilder, Theorien und Daten unbekümmerter relativiert oder aufgibt, als dies bei anderen Disziplinen der Fall ist.314 In der Geschichtswissenschaft und insbesondere in der alteuropäischen Geschichtsdidaktik ist ein ähnliches Vorgehen zu identifizieren: Hier diente die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, speziell mit der Antike, dazu, das Klassische herauszuarbeiten, das als bewundernswert und wünschenswert galt.315 Dass „früher alles besser war“, egal ob es 2000 oder 50 Jahre zurückliegt, dürfte eine Generalisierung sein, die wenig zutreffend ist, wenn man an die vielen Fortschritte denkt, die für mehr Sicherheit und Bequemlichkeit gesorgt haben. Die beliebte Aussage zeigt aber, dass Probleme, die einem (zeitlich) nah sind, drückender zu sein scheinen als solche, die weiter entfernt sind. Der Blick auf die „ideale Gesellschaft“ scheint uns stärker verstellt zu sein, solange wir uns im Hier und Jetzt befinden. Die gedankliche Reise in die (ferne) Vergangenheit316 oder Zukunft oder an einen anderen Ort317 erweitert so gesehen den Horizont. 312 313 314 315 316
317
Slaughter (2002c), S. 358. Flechtheim (1980), S. 17. Vgl. Kreibich (2000), S. 10. Vgl. Rohlfes (2005), S. 35. Hier ist auch an die sogenannte kontrafaktische Geschichtsschreibung zu denken. Ausgehend von den historischen, quellenbesicherten Fakten wird hier spekuliert, was geschehen wäre, wenn bestimmte historische Umstände anders eingetreten wären (irrealer Konjunktiv). Beispiele sind u. a. Demandt (1984); Ferguson (1999); Simon (1999); Squire (1999); Cowley (2000); Brack/Dale (2003) (Hrsg.). Ähnlich auch die Alternativweltgeschichte (Literaturwissenschaft), die allerdings eher unterhaltenden Charakter hat. Beispiele: Was wäre passiert, wenn die Nazis im Zweiten Weltkrieg Russland eingenommen hätten (vgl. Sheers (2008)) oder wenn Japan nicht kapituliert hätte (vgl. Conroy (2007))? Vgl. hierzu die Mars-Spiele, die in Kapp. 4.4.5 und 5.3 beschrieben werden.
66
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
2.5
Ontologische Basis der Zukunftsforschung
2.5.1
Erkenntnisobjekte der Zukunftsforschung
Die Ontologie ist die Wissenschaft vom Sein. Sie befasst sich mit der Frage, was Existenz ist, welche Arten von Entitäten – wie etwa Gegenstände, Eigenschaften oder Prozesse – es gibt und wie diese miteinander in Beziehung stehen.318 Wie schon mehrfach vorweggenommen, lässt sich die ontologische Frage für die Zukunftsforschung so beantworten, dass die Zukunft (noch319) nicht existiert.320 Aus der gegenwärtigen Nonexistenz der Zukunft folgt deren Offenheit. Die Zukunft ist offen, „weil die vorgestellte, herbeigewünschte und schließlich auch noch so exakt geplante Zukunft keine festgewordenen Tatsachen zur objektiven Betrachtung bietet, sondern diese erst mitgestaltet.“321 In diesem Zusammenhang ist nicht nur das Wesen der Zukunft ontologisch zu analysieren, sondern es sind auch ontologische Grundentscheidungen zu treffen. Zum einen sind Erkenntnisobjekte zu bestimmen, mit denen sich die Zukunftsforschung auseinandersetzt, zum anderen die Erfahrungsobjekte, also jene Ausschnitte aus der Wirklichkeit, anhand derer sich die Erkenntnisobjekte konkretisieren. Als Erkenntnisobjekte der Zukunftsforschung können allgemein alternative Zukünfte322 bzw. alternative Zukunftsvorstellungen323 festgehalten werden. Der Plural Zukünfte ist in der Sprache selten anzutreffen und wirkt dementsprechend zunächst gewöhnungsbedürftig.324 Er ist jedoch die notwendige Konsequenz aus der Tatsache, dass die Zukunft nicht vorhergesagt werden kann, sondern aus heutiger Sicht verschiedene Entwicklungspfade möglich sind. Das Erkenntnisobjekt der Zukunftsforschung sind demnach die Luhmannschen „gegenwärtigen Zukünfte“, nicht die „zukünftige Gegenwart“.325 Im Einzelnen lassen sich 318 319 320 321 322 323
324 325
Vgl. Tiberius (2002), S. 17. Es kann auch gesagt werden, dass die Zukunft nie existiert, da sie, sobald sie eintritt, zur Gegenwart wird, so auch Serra del Pino (2002), S. 284. Vgl. Prior (1967), S. 28 f.; Fowles (1978), S. ix; Rescher (1998), S. 70 f.; Grunwald (2009), S. 26. Schischkoff (1969), S. 329. Vgl. für viele Kahn/Wiener (1967), S. 3; Coates (1985), S. 21; Masini (1988), S. 17; Slaughter (1993b), S. 290, 295; Dator (2002), S. 6; Bell (2003), S. 106; van der Heijden (2004), S. 153; Göpfert (2006), S. 4, 6, m. w. V.; Schüll (2006), S. 2, 27. Vgl. für viele Inayatullah (1990), S. 123, m. w. V.; Masini (2001), S. 643; Dator (2002), S. 10 et pass.; Bell (2003), S. 81 ff. Im Englischen: „images of the future“ (nicht „pictures“). Die bisweilen vorfindbare Übersetzung „Zukunftsbilder“ ist nicht falsch, bringt aber weniger deutlich zum Ausdruck, dass es sich um mentale Repräsentationen handelt. Vgl. May (1997), S. 232; Gidley (2004), S. 6. Vgl. Luhmann (2000), S. 95.
2.5 Ontologische Basis der Zukunftsforschung
67
x x x x
wahrscheinliche (probable futures), mögliche (possible futures), wünschenswerte Zukünfte (preferable futures)326 und vermeidenswerte Zukünfte (preventable futures) unterscheiden. In der Regel werden nur die ersten drei genannt. Die vierte Kategorie erscheint jedoch sinnvoll, um der Frühwarnfunktion von Zukunftsforschung nachzukommen. Die Überlegung wird im empirischen Teil vom Respondenten Shostak ebenfalls vorgebracht. Bei den vermeidenswerten Zukünften spielen sogenannte Wildcards (auch: wild cards), also Zukunftsentwicklungen, die zwar als unwahrscheinlich gelten und somit unerwartet sind, deren Eintritt jedoch schwerwiegende Folgen hätte, eine Rolle.327 Als Beispiele können die Ölkrise 1973328 oder die Anschläge vom 11.09.2001 mit all ihren politischen Folgen genannt werden. Will die Zukunftsforschung ihrer Aufgabe als Frühwarnsystem329 nachkommen, hat sie sich auch mit diesen auseinanderzusetzen. Von Bjerstedt wurde eine weitere, vierte bzw. fünfte Kategorie vorgeschlagen, namentlich die prospektiven Zukünfte (prospective futures).330 Der Vorschlag vermag jedoch nicht zu überzeugen. Der vom Autor vorgetragenen Definition zufolge handelt es sich um das auf Eigenständigkeit und Solidarität basierende Vorbereitetsein auf die Zukunft und den Willen zur Zukunftsgestaltung. Damit handelt es sich jedoch nicht um eine spezifische Form von Zukunftsvorstellungen, sondern eher um eine psychische Disposition, die darauf zielt, im Hinblick auf wünschenswerte Zukünfte tatsächlich gestaltend tätig zu werden. Nachvollziehbar wird Bjerstedts Idee nur, wenn die verschiedenen Zukunftskategorien nicht inhaltlich, sondern prozessual betrachtet werden. In diesem Fall wird zunächst die wahrscheinliche Zukunft erhoben, um anschließend den Schirm möglicher Zukünfte weiter aufzuspannen. Aus dieser wird dann die bevorzugte ausgewählt. Schließlich wird der Schritt von der Kognition zur Aktion vollzogen, d. h. die ausgewählte Zukunft tatsächlich angestrebt. Aufbauend auf dem Begriff der wahrscheinlichen Zukünfte, werden in der französischen Zukunftsforschung an den Begriff futuribles noch zusätzlich die 326 327 328 329 330
Vgl. Amara (1978), S. 42; Masini (1978), S. 17; Flechtheim (1980), S. 22; Amara (1981a), S. 25 ff.; Kreibich (2000), S. 9. Vgl. Rockfellow (1994), S. 14; Mendonça et al. (2004); Steinmüller/Steinmüller (2004). Wildcards können nicht nur als Zukunftskategorie, sondern auch als Zukunftsforschungsmethode betrachtet werden. Vgl. Boshoff (1989), S. 69. Vgl. Didsbury (1992), S. 23; Kreibich (2000), S. 16. Vgl. Bjerstedt (1982), zit. n. Gidley (2004), S. 7.
68
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Anforderungen gestellt, das Zukunftsbild müsse plausibel, vorstellbar und an die gegenwärtigen Zustände anschlussfähig sein.331 Alternative Zukünfte sind ein rein gedankliches Konstrukt. Es ist insofern wichtig festzuhalten, dass nicht der Sachverhalt der Zukunft selbst das Arbeitsfeld der Zukunftsforschung darstellt. Stattdessen arbeitet sie mit Aussagen über diese gedanklich vorweggenommnen, möglichen Sachverhalte.332 Die Überlegung der Zukunftsvorstellungen geht auf Polak und Boulding zurück, die sich mit der Frage auseinandergesetzt haben, wie gedankliche Vorstellungen von der Zukunft einer Zivilisation (insbesondere der westlichen) die Handlungen einzelner Menschen beeinflussen können.333 Hier zeigt sich die logische Spiegelung zur Geschichtswissenschaft, für die dasselbe gilt: Ihr Geschäft besteht nicht in der res gestae, also in der geschehenen Sache selbst, sondern in den narrationes rerum gestarum, also in den Aussagen (eigentlich Erzählungen) über geschehene Sachen.334 In dieser Analogie befasst sich die Zukunftsforschung nicht mit der res futurae, sondern mit den (prae)dicta rerum futurarum, also mit den Aussagen (bzw. Vorhersagen) zukünftiger Dinge. Eine weitere interessante Perspektive auf mögliche Erkenntnisgegenstände der Zukunftsforschung kann aus der Geschichtswissenschaft entlehnt werden. Dort hat sich das sogenannte Geschichtsbewusstsein als Erkenntnisgegenstand etabliert.335 Es lässt sich definieren als Summe der unterschiedlichen Vorstellungen von und der Einstellungen zur Vergangenheit.336 Darüber hinaus, aber eng damit zusammenhängend, wird von Protagonisten, die die Geschichtswissenschaft als Kulturwissenschaft betrachten, teilweise gefordert, die Geschichtskultur als Erkenntnisobjekt anzunehmen.337 Darunter ist die praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewusstsein im Leben der Gesellschaft zu verstehen.338 Auch wenn teilweise über diese Frage ein heftiger (hier nicht im Einzelnen nachzuzeichnender) Streit ausgebrochen ist, dürfte es legitim sein, sie als innere und äußere Analyse ein und derselben Sache zu betrachten.339 Ob es sinnvoll ist, analoge Konstrukte als originäre Erkenntnisgegenstände der Disziplin festzulegen, ist fraglich. Es scheint angebracht, weiterhin von den Erzählungen über geschichtliche Dinge als 331 332 333 334 335 336 337 338 339
Vgl. de Jouvenel (1967b), S. 18. Der Autor ergänzt, dass futuribles mit einem Formulierungsund einem Ablaufdatum versehen werden sollten, vgl. ibd., S. 19. Ähnlich auch Grunwald (2009), S. 26. Vgl. Polak (1961); Boulding (1971); id. (1995). Vgl. Hasberg (2002), S. 64. Vgl. ibd., S. 59, 61. Vgl. Jeismann (1977), S. 13 Vgl. Hasberg (2002), S. 64. Vgl. Rüsen (1994), S. 213. Vgl. Hasberg (2002), S. 64 f.
2.5 Ontologische Basis der Zukunftsforschung
69
Startpunkt auszugehen. Wie sich diese zu einem gesellschaftlichen Bewusstsein über die Vergangenheit aggregieren, ist eine derivative Fragestellung, denn das Bewusstsein basiert als kognitiver Zustand auf dem (ggf. durch „Erzählung“) Wahrgenommenen: In einer kausalen Abfolge geschehen also zunächst Dinge (res gestae), dann wird über sie gesprochen (narrare), und erst dann kann sich darüber ein Bewusstsein bilden, das wiederum handlungsbeeinflussend wirkt (Artefakte). Ähnlich muss auch für die Zukunftsforschung argumentiert werden: Ausgangspunkt ihrer Arbeit sind zunächst Aussagen über alternative Zukünfte. Diese können – auch im Rahmen der Massenmedien – gesellschaftlich diskutiert werden und führen womöglich zu einem aggregierten, gesellschaftlichen Zukunftsbewusstein, das dann als Summe der unterschiedlichen Vorstellungen von und der Einstellungen zur Zukunft aufgefasst werden kann. Für Slaughter bedeutet futures awareness, dass „[e]very action, every decision, every strategy that is adopted is done so in the light of a carefully constructred forward view. It is a culture in which the present is consciously mediated from a clear understanding both of the past and a range of possible futures.“340 Ist ein solches Zukunftsbewusstsein tatsächlich in einer Gesellschaft (oder Teilen davon) vorhanden, kann dieses handlungsleitend wirken, sich also in Artefakten ausdrücken, insbesondere indem allgemeine Zukunftsfragen einen festen Bestandteil der gesellschaftlichen Diskussion darstellen. Nach Auffassung des Verfassers ist eine solche Zukunftskultur zumindest im deutschsprachigen Raum noch nicht fest etabliert. 2.5.2
Erfahrungsobjekte der Zukunftsforschung
Die Erfahrungsobjekte einer Wissenschaft sind jene Gegenstände, an denen sich die Erkenntnisobjekte konkretisieren. Auch in dieser Fragestellung hält es die Zukunftswissenschaft wie ihre Spiegelbilddisziplin, die Geschichtswissenschaft: Sie befasst sich grundsätzlich mit allen sozialen bzw. kulturellen Phänomenen: „After all, everything in the world might have a future, thus we might explore the future of everything […].“341 Wie schon bei der disziplinären Einordnung diskutiert, liegt ein Schwerpunkt auf der menschlichen und insbesondere der sozialen und kulturellen Realität.342 Die „zentralen Bewegungsmomente der 340 341 342
Slaughter (2002), S. 355. Bell (2003), S. 66. Vgl. Schischkoff (1969), S. 325; Flechtheim (1980), S. 147; Bardis (1986), S. 117; Kreibich (2000), S. 11; Göpfert (2006), S. 6. Für die Geschichtswissenschaft vgl. etwa Rohlfes (2005), S. 23.
70
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Gesellschaft“343 sind auf internationaler Ebene „eng mit den globalen Herausforderungen und Risikopotentialen gekoppelt […].“344 Konkret benennt Schischkoff als Untersuchungsfelder die allgemeine Natur, geschlossene Natursysteme, geschlossene technische Systeme, Kultur, relativ geschlossene wirtschaftssoziale Systeme, Politik, relativ geschlossene politische Systeme, Wissenschaftsplanung, Bildung und geistesanthropologische Werdung.345 Die ersten drei Bereiche klammert Schischkoff – analog zu dem bereits oben vorgenommenen Ausschluss der Naturwissenschaften – eher aus, weil sie den „an sich“ verlaufenden Pfad ohne menschlichen Eingriff behandeln,346 der Autor in der Mitbestimmung des Menschen jedoch einen konstituierenden Teil der Zukunftsforschung sieht.347 Natürliche Phänomene sind nur insofern Bestandteil zukunftswissenschaftlicher Analysen, soweit sie Einfluss auf die soziale und kulturelle Zukunft des Menschen haben.348 Einen interessanten, in Tab. 4 zusammengefassten.Ansatz wählt Marien, der Themenfelder der Zukunftsforschung einerseits den verschiedenen Ministerien eines Landes, andererseits verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zuordnet. Insgesamt kann festgehalten werden, dass sich die Zukunftsforschung vornehmlich mit großen sozialen bzw. gesellschaftlichen Problemen beschäftigt. Häufig wird nicht nur ein einzelnes Feld, etwa Technik oder Ökologie, für sich betrachtet, sondern es werden Themengebiete miteinander verbunden und deren Interdependenzen betrachtet.349 Themenfeld
Verwandtes Ministerium
„World Futures“350
Kanzleramt351
Weltwirtschaft
Finanzen, Handel, Wirtschaft
343 344 345 346 347 348 349 350 351
Verwandte akademische Disziplin Internationale Beziehungen (Teilgebiet der Politikwissenschaft) Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre, Rechtswissenschaft
Kreibich (2000), S. 11. Ibd. Vgl. Schischkoff (1969), S. 331. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vgl. ibd., S. 331. Vgl. ibd., S. 332. Vgl. Flechtheim (1980), S. 147, m. w. V. Vgl. Gerhold (2009), S. 235. Hierin sieht Marien (2002), S. 272, den Tätigkeitsschwerpunkt der Zukunftsforschung in der öffentlichen Wahrnehmung. In den USA wäre das „State Department“ zuständig.
2.5 Ontologische Basis der Zukunftsforschung
Themenfeld Regionen und Nationen
71
Verwandte akademische Disziplin Kanzleramt, wirtschaftliche Geografie, Anthropologie Zusammenarbeit und Entwicklung Verwandtes Ministerium
Sicherheit
Verteidigung
Friedensstudien, Physik
Umwelt und natürliche Ressourcen
Inneres, Energie, Umwelt(schutz)
Umweltstudien
Ernährung und Landwirtschaft
Landwirtschaft, Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit
Landwirtschaft
Gesellschaft und Religion
Kultur352
Soziologie, Theologie
Steuerung (Governance)
Finanzen (Haushalt)
Politikwissenschaft (politics)
Wirtschaft und Unternehmen
Wirtschaft, Handel
Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre
Arbeit
Arbeit
Soziologie
Städte
Verkehr, Bau, Stadtentwicklung
Planung (Teil der BWL), Architektur, „urban studies“
Kriminalität und Gerechtigkeit
Justiz
Rechtswissenschaft, Kriminologie
Gesundheit
Gesundheit
Medizin, Zahnmedizin, „public health“
Erziehung und Bildung
Erziehung, Bildung, Wissenschaft
Erziehungswissenschaft
Kommunikation
Kultur, Medien, Telekommunikationsregulierung
Journalistik, Künste, Informatik
Wissenschaft und Technologien
Wissenschaft, Forschung, Technologien
Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften
(Methoden der Zukunftsgestaltung)353
alle Vorgenannten
Zukunftsforschung, Politikwissenschaft (policy)
Tab. 4:
352 353
Vorschlag zur Gliederung der Erfahrungsbereiche der Zukunftsforschung. Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Marien (2002), S. 272 f.
In den USA gibt es ein „Bureau of Census“ (Volkszählungsamt) als Teil des Handelsministeriums. Die letztgenannte Kategorie fällt offensichtlich aus dem Rahmen. Es handelt sich hierbei um eine Metabetrachtung bzw. eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung der Zukunftsforschung mit sich selbst.
72
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Neben der sektoralen Gliederung der Erfahrungsobjekte kann das Arbeitsfeld auch nach zeitlichen und räumlichen Gesichtspunkten geordnet werden.354 Bei erstgenanntem Aspekt sind verschiedene Zeithorizonte, etwa die kommenden zehn, 20, 50 oder 100 Jahre, denkbar. Üblich ist etwa – so auch in der Geschichte – die nicht ganz trennscharfe Einteilung in:355 x „kurzfristig“, also fünf bis zehn Jahre (in der Geschichte wird dies „Ereignisgeschichte“ genannt; x eine Generationenbetrachtung, also 25 bis 30 Jahre; x einen „konjunkturellen“ Zeitraum, der das einzelne Menschenleben übersteigt und oft wellenförmige Bewegungen beschreibt; x die „lange Dauer“, die die Entwicklungsgeschichte des Menschen betrifft, die im Rückblick als in sich geschlossenes System, als Epoche, erscheint, die durch eine neue ersetzt wird. Bei der räumlichen Gliederung ist es möglich, sich an Ländern oder Kulturkreisen zu orientieren. Die kulturorientierte Zukunftsforschung legt hierauf ihren Schwerpunkt.356 2.6
Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
2.6.1
Erkenntnisziele der Zukunftsforschung
Die Epistemologie oder Erkenntnistheorie beschäftigt sich mit der Frage, wie wir von der Realität wissen können. Insbesondere fragt sie nach der Wahrheit, Gewissheit oder Verlässlichkeit des Wissens.357 Jede Wissenschaft kennzeichnet sich dadurch, dass sie neues Wissen generieren möchte. Dies gilt auch für die Zukunftsforschung. Die Beschäftigung mit epistemologischen Fragen ist auch deshalb wichtig, weil ihre Beantwortung eine zentrale Grundlage darstellt, auf der in der Folge ihre Methoden aufbauen.358
354 355 356 357 358
So auch in der Geschichtswissenschaft, vgl. Rohlfes (2005), S. 23. Vgl. Rohlfes (2005), S. 47 f. Fowles (1978), S. ix, geht für die Zukunftsforschung von einem Zeithorizont von mindestens fünf Jahren, oft mehr als 25 Jahren aus; McHale (1978), S. 10, spricht von mindestens 20 Jahren. Vgl. Kap. 2.7.4. Vgl. Tiberius (2002), S. 18. Vgl. Aligica (2003), S. 1037.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
73
Prognosen von Ereignissen359 vor deren Eintreten sind ein wesentlicher Bestandteil von Wissenschaftszielen.360 Sie nehmen innerhalb der Erkenntnisziele Deskription, Erklärung und Gestaltung eine Längsschnittfunktion wahr. Sie unterscheiden sich von der herkömmlichen, d. h. historisch angelegten Forschung in ihrer zeitlichen Perspektive. Aussagen über die Zukunft haben eine deskriptive (Wie sieht die Zukunft aus?), eine erklärende (Warum sieht die Zukunft so aus?) und eine gestaltende (Was muss heute getan bzw. unterlassen werden, um zu einer bestimmten Zukunft zu gelangen bzw. um diese zu vermeiden?) Komponente.361 Theorien gelten dann als besonders glaubwürdig, wenn sie nicht nur erklären, sondern auch prognostizieren können.362 Reichenbach sieht Wissen insofern nur dann als wertvoll an, wenn es zukunftsbezogen ist.363 Auch außerhalb der Wissenschaft spielen Vorhersagen im Alltagsleben eine entscheidende Rolle: Wenn Menschen (rational) handeln, legen sie ihrem Denken Annahmen über die Zukunft zugrunde. Dieser Wichtigkeit von Vorhersagen steht ihre grundsätzliche Ungewissheit bzw. Unkenntnis der Zukunft gegenüber. Geht man von der oben getroffenen ontologischen Feststellung aus, dass die Zukunft noch nicht existiert, so ergibt sich daraus die logische Schlussfolgerung, dass sie auch noch nicht Gegenstand der gegenwärtigen Erfahrung sein kann. Die Richtigkeit einer zukunftsgerichteten Aussage kann nicht überprüft werden.364 Deshalb können auch keine sicheren Erkenntnisse erzielt, kann kein sicheres Wissen über die Zukunft erlangt werden.365 Oder auf den Punkt gebracht: Es ist nicht möglich,366 die Zukunft exakt vorherzusagen.367 De Jouvenel schrieb dazu: „It seems, then, that the expression ‚knowledge of the future‘ is a contradiction in terms. Strictly speaking, only facta can be known […]. In the other hand, the only ‚useful knowledge‘ we have relates to 359
360 361 362 363 364 365
366 367
Die Wissenschaftstheorie widmet sich auch der Prognose von bisher nicht entdeckten Gesetzen aufgrund übergeordneter Theorien (z. B. Gesetz der Lichtablenkung im Gravitationsfeld aufgrund der Allgemeinen Relativitätstheorie). Diese gelten aber nicht für einen bestimmten Zeitpunkt, sondern sind zeitlos gültig. Vgl. Schuessler (1971), S. 302; Lenk (1972), S. 13; Bell/Olick (1989), S. 118; Bell (2003), S. 99. Vgl. Tiberius (2002), S. 15. Vgl. Weimer (1979), S. 52. Vgl. Reichenbach (1951), S. 89. Vgl. de Jouvenel (1967b), S. 4; Steinmüller (1997), S. 6. Vgl. Amara (1978), S. 41; Michael (1985), S. 95; Bell/Olick (1989), S. 121, 125; Inayatullah (1990), S. 134; May (1997), S. 229; Slaughter (1993b), S. 304; de Jouvenel (2000), S. 57; Kreibich (2000), S. 9; Dator (2002), S. 7; Slaughter (2002b), S. 27; Bell (2003), S. 148; Hideg (2007), S. 39. Slaughter (2002b), S. 27, ergänzt, dass eine Zukunftsprognose zudem nicht wünschenswert wäre, da sie aus den Menschen passive Beobachter statt aktive Gestalter machen würde. Vgl. für viele Amara (1981a), S. 25; Slaughter (1993b), S. 291; Coyle (1997), S. 77; Göpfert (2006), S. 4, m. w. V. Boshoff (1989), S. 70, konstatiert, dass Unternehmen erst Ende der 1980er-Jahre allmählich diese Einsicht gewinnen.
74
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
the future.“368 Die Zukunftsforschung hat damit ein besonderes erkenntnistheoretisches Problem zu lösen:369 „A paradox of the futures field is that futurists strive to know what cannot be known […].“370 In Zentrum des zukunftswissenschaftlichen Erkenntnisinteresses steht daher nicht das Vorherwissen (engl.: foreknowledge oder precognition, franz.: prévision), sondern die Vorhersage (engl.: foresight, franz.: prévoyance).371 Bei der Vorhersage handelt es sich nicht um Wissen, sondern um eine Tätigkeit, nach deren Abschluss wir wissen, was passieren kann (ce qui peut arriver), nicht, was passieren wird (ce qui adviendra).372 Wagenführ bezeichnet die Zukunftsforschung daher als Hypothesenwissenschaft,373 die also mit Aussagen operiert, deren annahmenabhängige Gültigkeit zwar begründet, aber nicht bewiesen werden kann. In der Literatur lässt sich eine Reihe von Erkenntniszielen identifizieren. Flechtheim sprach von der Zukunftsvoraussage, -gestaltung und -kritik bzw. von Prognose, Planung und (kritischer) Philosophie der Zukunft.374 Die Ziele von Zukunftsforschung lassen sich heute wohl am ehesten wie folgt zusammenfassen: Die Zukunftsforschung will mögliche, wahrscheinliche, wünschenswerte und vermeidenswerte Zukünfte erkunden, bewerten und gestalten und ihr Zustandekommen erklären.375 Um diese Generalaussage im Detail zu analysieren, bietet es sich an, zwischen x dem deskriptiven (Beschreibung), x dem theoretischen (Erklärung), x dem pragmatischen (Bewertung und Gestaltung) und x dem wissenschaftstheoretischen Erkenntnisziel (Selbstreflexion) zu unterscheiden.376 Auf diese wird nachfolgend näher eingegangen. 368 369 370 371 372 373 374
375 376
De Jouvenel (1967b), S. 5. Hervorh. i. Orig. Vgl. Michael (1985), S. 95. Sichere Erkenntnis ist allerdings in keiner Wissenschaft möglich, vgl. Slaughter (1993b), S. 312. Bell/Olick (1989), S. 135. Vgl. de Jouvenel (1967b), S. 15, m. w. V.; Rescher (1998), S. 53 f. Vgl. de Jouvenel (1967b), S. 15. Vgl. Wagenführ (1969), S. 10. Vgl. Flechtheim (1980), S. 13. Der Autor selbst konzentrierte sich auf den letztgenannten Aspekt. Die Zukunftsforschung sah er als philosophische Denkhaltung. Er sprach insofern von einem „dritten Weg“ neben dem positivistschen Szientifismus des Westens und dem dogmatischen Materialismus des Ostens, vgl. ibd., S. 21. Die Dreiteilung der Zukunftsforschung wird in ähnlicher Weise auch von Jungk (Voraussagen, Voraussicht und Entwurf), Rieger (Planen, Handeln und Reflexion), Picht (Prognose, Utopie und Planung) u. a. gestützt, vgl. ibd., S. 23, m. w. V. Bei der Prognosefunktion unterscheiden die Autoren aber in der Regel nicht zwischen Deskription und theoretischer Erklärung. Vgl. Toffler (1978), S. ix ff.; Amara (1981a), S. 25 ff.; Markley (1983), S. 47; Bell/Olick (1989), S. 119; Masini (2001), S. 644; Bell (2003), S. 73. Ähnlich auch McHale (1978), S. 9, der deskriptive, explorative und präskriptive Ansätze der Zukunftsforschung unterscheidet.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung 2.6.1.1
75
Deskriptives Erkenntnisziel
Als deskriptives Ziel der Zukunftsforschung kann die Beschreibung möglicher und wahrscheinlicher Zukunftsalternativen festgehalten werden. Flechtheim spricht hier von von der Aufgabe der Zukunftsvoraussage, von Prognosen bzw. von Projektionen.377 Es soll dargestellt werden, wie verschiedene Zukünfte aussehen könnten. Es handelt sich damit zunächst um eine rein analytische Aufgabe. Darüber hinaus können auch wünschenswerte Zukünfte beschrieben werden.378 Sie stellen allerdings bereits eine normative Bewertung dar, auf deren Grundlage die Zukunft positiv gestaltet werden soll, und fallen insofern nach hiesiger Auffassung eher in das unten näher ausgeführte pragmatische Erkenntnisziel. Für Aussagen über mögliche oder wahrscheinliche Zukünfte gibt es in der deutschen Sprache eine Reihe von Bezeichnungen, etwa: Ausblick, Aussicht, Hochrechnung, Prädiktion, Prognose, Prophezeihung, Vorausberechnung, Voraussage, Vorausschau, Vorausschätzung, Vorausschau und Vorhersage. Zwischen ihnen wird häufig nicht trennscharf unterschieden. Auch in der englischsprachigen Literatur gibt es verschiedene Begrifflichkeiten, über deren Definition jedoch keineswegs Konsens besteht:379 Am häufigsten dürfte das Wort prediction380 verwendet werden, dessen deutsches Pendant Prädiktion kaum in Gebrauch ist und daher keinen Aufschluss über die genaue Bedeutung geben kann. Die allgemeinste und wohl am ehesten zutreffende Definition versteht den Begriff als (in der Regel singuläre) Aussage über das erwartete Auftreten eines künftigen Ereignisses, Ergebnisses, Zustands oder Vorgangs.381 Der Begriff entspricht damit weitgehend dem deutschen Wort Prognose. Coyle grenzt weiter ein, indem er fordert, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit der Aussage sehr groß sein sollte.382 Im Idealfall handelt es sich um exakte Vorhersagen, die sich durch absolute, vollkommen abgesicherte und fehlerfreie Gewissheit auszeichnen.383 Heute ist der Zukunftsforschung klar, dass es sowohl unrealistisch als auch unangemessen ist, solche Garantien zu verlangen.384 377 378 379 380 381 382 383 384
Vgl. Flechtheim (1980), S. 21 f. et pass. Vgl. McHale (1978), S. 9. Vgl. Henshel (1982), S. 59, der daraus die Schlussfolgerung zieht, die Definition der verschiedenen Begriffsausdifferenzierungen sei eine fruchtlose Aufgabe; Bell/Olick (1989), S. 116 (und En. 6); Bell (2003), S. 98. Das Gegenteil einer prediction ist eine retrodiction: Hier wird ein vergangenes Ereignis aus Umständen abgeleitet, die auf das Ereignis folgen. Vgl. Bell/Olick (1989), S. 116; Slaughter (1993b), S. 293; Coyle (1997), S. 78; Bell (2003), S. 97. Vgl. Coyle (1997), S. 78. Vgl. Rescher (1998), S. 74. Vgl. Rescher (1998), S. 74.
76
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Einen Spezialfall stellen projections dar, unter denen Prognosen verstanden werden, die auf der Extrapolation von Zeitreihen385 und auf einer Konstellation von Annahmen basieren.386 Die Grundannahme ist dabei, dass die Zukunft weitgehend eine Verlängerung der Vergangenheit darstellt. Nachdem sich die Zukunftsforschung von der exakten Prognose der einen – tatsächlich eintretenden – Zukunft verabschiedet hat, besteht ihre Aufgabe im ersten Schritt im Aufspannen eines Schirmes alternativer Zukünfte.387 Im Englischen hat sich für ein mögliches Zukunftsbild der Begriff forecast etabliert. Hierbei handelt es sich um erklärbare Aussagen über grundlegende Trends oder Ereignisabfolgen388 oder sogar nur um generelle Meinungsäußerungen über die Zukunft.389 Geeignete Übersetzungen wären in diesem Sinne Ausblick oder Vorausschau. Andere Autoren fordern einen expliziten Datumsbezug.390 Ferner findet sich die Kennzeichnung, forecasts basierten auf der Analyse der Vergangenheit und abgeleiteten Wenn-dann-Aussagen.391 Es handelt sich um Zukunftsvorstellungen, die auf einer konkreten Konstellation von mit größerer Wahrscheinlichkeit zutreffenden Annahmen basiert.392 In diesem Sinne unterscheidet de Jouvenel drei Typen von forecasts:393 x Primary forecasts sind Vorhersagen, die eintreten, wenn alle Bedingungen konstant bleiben und korrektive Handlungen ausbleiben. x Secondary forecasts sind Vorhersagen, die eintreten, wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt ist, also bestimmte Handlungen vollzogen werden. x Schließlich sind tertiary forecasts Vorhersagen über konkretes künftiges Handeln und die daraus folgenden Konsequenzen. Handelt es sich bei einem forecast um ein umfassendes, in sich abgeschlossenes Bild, wird auch vom Szenario bzw. scenario gesprochen. Als foresight, also Vorausschau, wird schließlich weniger eine zukunftsgerichtete Aussage verstanden als vielmehr die allgemeine (nicht wissenschaftliche) Fähigkeit bzw. Kompetenz des Menschen, mit der Zukunft aktiv umgehen zu können.394 385 386 387 388 389 390 391 392 393 394
Vgl. Bell (2003), S. 98. Für die Zeitreihenextrapolation als Zukunftsforschungsmethode vgl. auch Kap. 2.6.2.1. Vgl. Long/McMillen (1987), S. 142. Vgl. Amara (1978), S. 42; Dator (2002), S. 5; Schüll (2006), S. 2, 27. Vgl. Coyle (1997), S. 78. Vgl. Masini (1993), S. 54 f. Vgl. Schuessler (1968), S. 418; Bell/Olick (1989), S. 116; Bell (2003), S. 98. Vgl. Slaughter (1993b), S. 293. Vgl. Long/McMillen (1987), S. 142. Vgl. de Jouvenel (1967b), S. 54 f. Vgl. Slaughter (1993b), S. 293.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
77
Gewissermaßen als Tabuwort gelten prophecies bzw. Prophezeiungen, die ebenfalls sehr grundsätzliche Aussagen über die Zukunft darstellen.395 Der Allgemeinheitsgrad ist jedoch so stark ausgeprägt, dass Prophezeiungen einen orakelhaften Charme haben, also praktisch immer eintreten. Für Rescher ist eine „prophecy […] little more than inspired guesswork.“396 Für Bell besteht im Studium möglicher Zukünfte („The study of possible futures“) eine wichtige Aufgabe der Zukunftsforschung.397 Hierbei handelt es sich gleichermaßen um einen Erkundungs- (exploring)398 als auch insofern um einen Konstruktionsprozess (constructing), als dass mögliche alternative Verlaufspfade und ihre Ergebnisse gedanklich erschaffen werden.399 In diesem Sinne kann man Zukunftsentwürfe als Idealtypen auffassen. Diese haben nicht den Anspruch, die vorfindbare Wirklichkeit wahrheitsgetreu abzubilden, sondern dienen der besseren Erklärung.400 Blass sieht die Zukunftsforschung damit in einer qualitativ-interpretativen Forschungstradition, zumal sich der Forscher bei der Erforschung alternativer Zukünfte nicht vollends von seinem Untersuchungsobjekt distanzieren kann, sondern sich selbst in den Interpretationsprozess einbringen muss.401 Im zweiten Schritt402 kann die Menge möglicher Zukünfte auf diejenigen verkleinert werden, die aus heutiger Sicht als wahrscheinlich gelten. Die einzelnen möglichen Entwicklungen sind somit auf ihre jeweilige Eintrittswahrscheinlichkeit hin zu bewerten.403 Auch Bell betrachtet dies als Aufgabe der Zukunftsforschung.404 Marien geht davon aus, dass in der Öffentlichkeit nur die Beschäftigung mit diesen wahrscheinlichen Zukünften wahrgenommen wird, die vorangegangene Selektionsaufgabe also weitgehend unbekannt ist.405 In der Vergangenheit wurden immer wieder Prognosen formuliert, die sich im Nachhinein als falsch erwiesen haben.406 So hat man praktisch durchweg 395
396 397 398 399 400 401 402 403 404 405 406
Vgl. Bell/Olick (1989), S. 116; Bell (2003), S. 98. Dies kann z. B. durch Aussagen erreicht werden, die irgendwann mit Sicherheit eintreten, wenn der Zeitraum lang genug gewählt oder ganz verschwiegen wird: „Eines Tages wird der Dollar wieder teurer“, ist eine solche Aussage. Orakelhaft sind auch Oder-Aussagen, die zwei Gegensätze miteinander verbinden: „Der nächste Präsident wird ein großer oder ein kleiner Mann sein.“ Vgl. Rescher (1998), S. 55. Vgl. Bell (2003), S. 75 ff. Vgl. McHale (1978), S. 9. Vgl. Niiniluoto (2001), S. 373, 376. Für die Geschichtswissenschaft vgl. analog Rohlfes (2005), S. 74 f. Vgl. Blass (2003), S. 1048. Die Reihenfolge, in denen die verschiedenen Zukunftskategorien abgearbeitet werden, hängt vom Erkenntnisziel ab, vgl. Kap. 3.2.4. Vgl. Amara (1978), S. 42; Niiniluoto (2001), S. 373. Vgl. Bell (2003), S. 80 f. Vgl. Marien (2002), S. 271. Vgl. van Vught (1987), S. 186, m. w. V.; Bell/Olick (1989), S. 121; Bell (2003), S. 105.
78
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
gedacht, der technologische Fortschritt wäre schneller gewesen, als er es jeweils war.407 Da Prognosen stets auf Annahmen beruhen, die sich (ggf. gerade auch durch die Prognose selbst (self-altering prophecies)) ändern können,408 wird es auch weiterhin fehlerhafte Prognosen geben. Aufgrund dieser immanenten potenziellen Fehlerhaftigkeit von Prognosen gibt es einzelne Zukunftsforscher, die behaupten, ihre Disziplin habe mit Voraussagen überhaupt nichts zu tun.409 Sie berufen sich dann auf ihre vornehmliche Gestaltungsaufgabe, also allein das unten näher zu beleuchtende pragmatische Erkenntnisziel. Diese Einschätzung muss jedoch verworfen werden, da die Gestaltung der Zukunft stets ihre Beschreibung (zumindest Beschreibbarkeit) voraussetzt:410 „To control the future – to shape future happenings according to a plan – presupposes predictive knowledge of what will happen if certain conditions are realized.“411 Eine zentrale Aufgabe der Zukunftsforschung wird auch darin gesehen, die in der Gegenwart in der Bevölkerung bestehenden Zukunftsvorstellungen zu erforschen. Die oft impliziten Gedanken über die Zukunft sollen auf wissenschaftliche Art und Weise explizit und bewusst gemacht werden.412 Während die Zukunft ontologisch betrachtet noch nicht existiert und daher epistemologisch gesehen unbekannt ist und nur eine Fiktion darstellt, haben die bestehenden Zukunftsbilder als kognitive Konstrukte den Status von Fakten. Generalisierend kann etwa gesagt werden, dass Zukunftsbilder zum Ende des 20. Jahrhunderts eher technophil oder dystopisch waren.413 Erfassbar sind Vorstellungen möglicher Zukünfte in den Köpfen der Menschen, Vorstellungen wahrscheinlicher Zukünfte, insbesondere die zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeitswerte, Vorstellungen bevorzugter Zukünfte, insbesondere die Ziele, Werte und Einstellungen der Menschen, Handlungsintentionen, gegenseitige soziale Verpflichtungen und daraus ableitbarere, überdauernde Verhaltensroutinen, das Wissen über die Vergangenheit, das hilfreich für die Formulierung von Zukunftsalternativen ist (nämlich Traditionen, die aufrecht erhalten werden und das Handeln beeinflussen, Trendanalysen, Ableitung von Prognosen aus vergangenen Kausalaussagen, Analogien und Bilder über die Zukunft aus der Vergangenheit), Wissen über die Gegenwart und Extrapolationen aufgrund aktueller Zeitreihen.414 Die Erforschung von Zukunftsvor407 408 409 410 411 412 413 414
Vgl. Opaschowski (2009), S. 17 f. Vgl. Bell/Olick (1989), S. 120, 127 f.; Schüll (2006), S. 38. Vgl. Bell/Olick (1989), S. 119. Vgl. Bell (2003), S. 105. Reichenbach (1951), S. 246. Vgl. Cornish (1977), S. 94; Bell/Olick (1989), S. 117; Masini (2001), S. 642; Bell (2003), S. 801 ff.; Göpfert (2006), S. 5; Cuhls (2009), S. 207. Vgl. Slaughter (1996), S. 803. Vgl. Bell (1987), S. 27 ff.; Bell/Olick (1989), S. 122; Bell (2003), S. 174 ff.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
79
stellungen gilt insgesamt noch als unterentwickelt.415 Eine interessante Quelle zur Erforschung von Zukunftsvorstellungen kann auch die Utopie- und ScienceFiction-Literatur liefern.416 Dort generierte Zukunftsbilder haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen genommen.417 2.6.1.2
Theoretisches Erkenntnisziel
Das theoretische Erkenntnisziel der Zukunftsforschung besteht in der Erklärung des Zustandekommens möglicher und insbesondere wahrscheinlicher Zukünfte. Zukünftige Zustände entstehen nicht aus dem Nichts, sondern sind das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses. Diesen nachzuzeichnen (richtiger wäre: vorzuzeichnen) bedeutet, einen zukünftigen Zustand zu erklären. De Jouvenel (jun.) konstatiert entsprechend: „Die Formulierung der Zukunftsbilder ist nicht wichtiger als die Konstruktion der Pfade, die zu ihnen führen.“418 Während die Beschreibung sich auf den statischen Zustand zu einem zukünftigen Zeitpunkt bezieht, zielt die Erklärung auf den dynamischen Prozess, der zu diesem führt, betrachtet also den vorangehenden Zeitraum. Diese Erklärung der Zukunftsgenese bzw. des Wandels des jeweiligen Untersuchungsobjektes gilt für viele als die zentrale Aufgabe der Zukunftsforschung.419 Um dieses komplexe Ziel zu erreichen, ist man auf Theorien der Zukunftsgenese bzw. Theorien des Wandels angewiesen. Für die Zukunftsforschung bieten sich hauptsächlich Theorien mittlerer Reichweite an, die weder so global angelegt sind, dass sie nur Allerweltswahrheiten liefern können, noch so einzelfallbezogen sind, dass sich eine Verallgemeinerung verbietet.420 Erstaunlicherweise setzt sich die Zukunftsforschung kaum dezidiert mit solchen Theorien auseinander. Aus Sicht des Verfassers sind auf der Ebene des sozialen bzw. organisationalen Wandels u. a. die in nachfolgender Tab. 5. zusammengesellten Theorien einsetzbar. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.421 415 416 417 418 419
420 421
Vgl. Slaughter (1996), S. 803. Vgl. Kap. 5.4 für konkrete Beispiele. Vgl. Slaughter (1996), S. 803. De Jouvenel (2000), S. 63. Vgl. Amara (1978), S. 42; Steinmüller (1995), S. 22; Huston (1998), S. 436; Masini (2001), S. 638; Marien (2002), S. 269 et pass. Marien (2002), S. 269 ff., formuliert „five P’s and a Q“ 419 der Zukunftsforschung, womit er meint, die neun Aufgaben der Zukunftsforschung nach Bell (2003), S. 75 ff., zusammenfassen zu können (vgl. ibd., S. 271). Die ersten drei sind die bereits genannten probable, possible und preferable futures. Present changes, das vierte „P“ beschreibt das hier genannte theoretische Erkenntnisziel der Disziplin, vgl. ibd. S. 269 ff. So auch Rohlfes (2005), S. 75, für die Geschichtswissenschaft. Serra del Pino (2002), S. 287, spricht von „a vast range of theories“.
80
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Im Allgemeinen sind zunächst die gegenwärtigen Ausgangsbedingungen zu erfassen. Weiterhin sind die zentralen Faktoren zu identifizieren, die den Wandel beeinflussen.422 Schließlich ist diese (wahrscheinliche) Beeinflussung zu prognostizieren. All diese Aspekte liegen nicht offen zutage und sind daher problembehaftet. Der Zukunftsforscher versucht nun, zwischen Voraussetzungen bzw. Bedingungen und Konsequenzen Zusammenhänge zu erkennen, letztlich also Gesetzmäßigkeiten. In ihrer einfachsten Form handelt es sich dabei um Wenn-Dann-Aussagen.423 Aufbauend auf dem deskriptiven Erkenntnisziel, die in den Köpfen der Menschen vorherrschenden Zukunftsvorstellungen zu erfassen, kann die ZukunftsforAutor(en)424
Theorien des sozialen Wandels Elitenkreislauftheorie
Pareto
Interpenetrationstheorie
Münch
Modernisierungstheorie
Elias
Pfadabhängigkeitstheorie
David, North, Arthur
praxeologische Theorie der Praxis (generativer Strukturalismus)
Bourdieu
Soziologie der flüssigen Moderne
Bauman
Strukturationstheorie
Giddens
Strukturfunktionalismus
Bales, Radcliffe-Brown, Münch
Symbolischer Interaktionismus
Mead, Blumer
Systemfunktionalismus
Parsons
Systemtheorie
Luhmann
Technologisch-sozialer Kreislauf
Ogburn
Theorie der Gesellschaft
Habermas
Theorie der gesellschaftlichen Steuerung
Etzioni
Theorie der reflexiven Modernisierung
Beck, Giddens, Lash
Theorie der soziologischen Erklärung
Esser
Theorie kollektiver Akteure
Coleman
422 423 424
Vgl. Tiberius (2008), S. 6 et pass. Vgl. Amara (1978), S. 42. Auf eine Aufnahme der Standardwerke in das Quellenverzeichnis wurde verzichtet.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung Theorien des organisationalen Wandels
81 Autor(en)
Dynamic Capabilities-Ansatz
Teece et al.
IMP-Netzwerksansatz
Håkansson
Koevolutionärer Ansatz
McKelvey, Lewin et al.
Kybernetische Regelkreise
div.
Lebenszyklusmodelle
Lievegoed et al.
Mikropolitik
Burns, Bosetzky, Crozier/Friedberg et al.
Organisationales Lernen, interorganisationales Lernen, Netzwerklernen
Argyris/Schön, Senge et al.
Organisationsentwicklung/Organization Lewin, Cummings et al. Development, Transorganizational Development Pfadabhängigkeitstheorie
David, North, Arthur
Population-Ecology-Ansatz
Hannan/Freeman, McKelvey
Resource-Dependence-Ansatz
Pfeffer/Salancik
Strukturationstheorie
Giddens
Struktureller Netzwerkansatz
Barnes, Mitchell, Lincoln, Pappi et al.
Tab. 5:
Theorien des Wandels als potenzielle Theorien der Zukunftsgenese. Quelle: eigene Darstellung.
schung auch nach Erklärungen für deren Entstehung suchen.425 Von Interesse ist insbesondere, warum bestimmte Zukunftsvorstellungen entstehen, wie die psychologischen Einstellungen (Freude, Angst, Motivation, Depression) ihnen gegenüber sind und warum sich Zukunftsbilder von Mensch zu Mensch (bezogen auf Geschlechter, Altersgruppen, soziale Schichten, Kulturen o. Ä.) voneinander unterscheiden, ob und wie sich diese Bilder in Handlung umsetzen.426 Auf die überwiegend negativen Zukunftserwartungen wurde bereits in Kap. 1.1 eingegangen. Interessant ist auf dem Weg von der Kognition zum Handeln vor allem, wie sich individuelle Zukunftsbilder zu kollektiven aggregieren. Slaughter dürfte richtig liegen, wenn er meint, Zukunftsbilder würden gesellschaftlich ausgehandelt.427 425
426 427
Vgl. Masini (2001), S. 643; Dator (2002), S. 10. Für Dator sind Bilder über die Zukunft das zentrale Erkenntnisobjekt der Futurologie. Es ist einschränkend darauf hinzuweisen, dass nicht jeder Mensch ein Bild von der Zukunft hat. Es ist anzunehmen, dass sich tendenziell wenige Menschen aktiv mit der Zukunft auseinandersetzen. Noch weniger Menschen setzen ihre Zukunftsvorstellungen in Handlung um. Vgl. Dator (2002), S. 7. Vgl. Slaughter (1996), S. 803.
82
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
2.6.1.3
Pragmatisches Erkenntnisziel
Das pragmatische Erkenntnisziel der Zukunftswissenschaft besteht in der Bewertung und Gestaltung wünschenswerter Zukünfte. Es handelt sich dabei um den normativen bzw. präskriptiven Zweig der Zukunftsforschung.428 In der Literatur wird in der Regel auch hier von wünschenswerten Zukünften im Plural gesprochen. Die Mehrzahl kann sich hier entweder auf unterschiedliche Sphären (die Zukunft der Arbeit, die Zukunft der Kommunikation etc.) oder aber auf unterschiedliche konkrete Zukunftszustände beziehen. Ein nicht zu unterschätzendes Problem dabei ist, dass viele Menschen und Gruppen ihre Ziele nicht kennen oder ggf. keine Ziele haben.429 Sind Ziele vorhanden, so können diese auf individueller und kollektiver Ebene in konfliktärer Beziehung stehen,430 wobei sich Zielkonflikte auf individueller Ebene naturgemäß einfacher lösen lassen als auf kollektiver.431 Bezogen auf einen Gegenstand, etwa die zukünftige Einkommensverteilung in der Bevölkerung, können nicht gleichzeitig die Ziele „Einkommen nach Leistung“, „Einkommen nach Bedarf“ und „gleiches Einkommen für alle“ verfolgt werden. Die bisher besprochenen, rein wissenschaftlichen Ziele der Zukunftsforschung können als reiner Selbstzweck betrachtet werden, um das Streben nach Erkenntnis zu befriedigen. Diese Erkenntnisse können jedoch auch als Input für die tatsächliche Beeinflussung der Zukunft eingesetzt werden.432 Denn es ist „important to foresee not only in order to know where one was going and how but also to choose where one wanted to go.“433 Man darf dabei nicht vergessen, dass die Zukunftsforschung aus der Praxis heraus entstanden ist.434 Planung und Gestaltung setzen Prognosen voraus435 – oder umgekehrt: „Zukunftsforschung gewinnt ihren Sinn erst durch die Realisierung von Planung.“436 So kann zwischen dem rein wissenschaftlich tätigen Zukunftsforscher und dem politisch-gestalterisch tätigen Praktiker unterschieden werden.437 Den Zukunftsforscher, der selbst auch gestaltend tätig wird, nennt Popp partizipativ orientiert. 428 429 430 431 432 433 434 435 436 437
Vgl. McHale (1978), S. 9. Amara (1978), S. 43, sieht daher ein wichtiges Ziel der Zukunftsforschung darin, Präferenzen zu schärfen. Vgl. Masini (1978), S. 17. Dies gilt entsprechend für vornehmlich individualistisch geprägte Gesellschaften, vgl. Hideg (2007), S. 41. Vgl. May (1997), S. 233; Göpfert (2006), S. 5; Gerhold (2009), S. 235; Popp (2009), S. 133. Masini (1978), S. 17. Vgl. Schüll (2006), S. 26 f. Vgl. Flechtheim (1980), S. 167. Schischkoff (1969), S. 352. Vgl. Popp (2009), S. 134 et pass. Ähnlich unterscheidet auch Cole (2002), S. 244, zwischen practical forecasters und visionaries.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
83
Er ist kein reiner Faktensammler438 oder Zuschauer,439 sondern „[a] man of action.“440 Er ist somit eine Art „Grenzgänger“ zwischen Wissenschaft und Praxis.441 Viele Zukunftsforscher sind weniger an der Beschreibung von Problemen als an der Suche nach Lösungen interessiert,442 sodass für diese der praktische Aspekt im Vordergrund steht.443 Für viele Zukunftsforscher geht es daher gerade nicht nur um die analytisch-passive Vorhersage, sondern auch um den politischen Dialog und die soziale Transformation.444 Manche wollen nicht weniger als die Welt verändern.445 „At heart, FS [futures studies] is a creation of history.“446 Die deskriptiven und theoretischen Erkenntnisziele auf der einen Seite und das pragmatische Ziel auf der anderen Seite sind letztlich eng miteinander verwoben: „Jede beabsichtigte Planung auf die Zukunft hin verlangt die nähere Erforschung der Möglichkeiten und Wege, die ein optimales Erreichen des gesteckten Ziels gewährleisten, und umgekehrt: jede rein theoretische Erforschung solcher Möglichkeiten und Wege fordert zur konkreten Planung heraus.“447 Da wünschenswerte Zukünfte nicht wissenschaftlich ableitbar sind, sondern über sie nur entschieden werden kann, handelt es sich hier nicht um eine rein analytische Aufgabe, sondern um eine normative. Demzufolge ist die Bezeichnung Zukunftsforschung für diese Aufgabenstellung wenig geeignet. Sinnvoller wären etwa die Vokabeln Zukunftsbewertung sowie Zukunftsgestaltung oder Zukunftspolitik. Für die Befürworter eines engen Wissenschaftsverständnisses innerhalb des Werturteilstreits hat sich die Wissenschaft aus politischen Aktivitäten herauszuhalten.448 Es ist allerdings anzumerken, dass Vorhersagen ggf. auch eine offene oder verdeckte Handlungsanweisung darstellen, weil Menschen Präferenzen haben.449 Ganz ungefährlich ist dies nicht, da Prognosen insoweit auch normativ instrumentalisiert werden können.450 Manche fragen daher provokant: „Will futures studies lead to fascism?”451 In der Geschichtswissenschaft betrachtet Rohlfes die Parteinahme, also eine „ad-hoc-Entscheidung für oder gegen eine be438 439 440 441 442 443 444 445 446 447 448 449 450 451
Vgl. de Jouvenel (1967b), S. 6. Vgl ibd., S. 40. Ibd., S. 6. Vgl. Popp (2009), S. 135; Schüll (2009), S. 228. Vgl. Slaughter (1996), S. 807. Vgl. Steinmüller (2000), S. 50. Vgl. Niiniluoto (2001), S. 374. Vgl. Cornish (1996), S. 367. Slaughter (2002c), S. 363. Schischkoff (1969), S. 358. Ähnlich auch Niiniluoto (2001), S. 373; Blass (2003), S. 1046. Vgl. Schüll (2006), S. 55. Vgl. Steinmüller (1997), S. 18. Bell (2003), S. 107 ff.
84
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
stimmte Handlungsweise, Einstellung, Zielsetzung“452 für unausweichlich. Sie mag der Objektivität der Wissenschaft zwar im Wege stehen, kann die Erkenntnis jedoch auch gehaltvoller und lebensnäher machen.453 Eine analoge Sichtweise bietet sich auch für die Zukunftsforschung an. Bei der pragmatischen Richtung der Zukunftswissenschaft können zwei Aspekte unterschieden werden: die Zukunftsbewertung bzw. -kritik und die Zukunftsgestaltung. Bei der Zukunftsbewertung geht es darum, die Vorzugswürdigkeit von alternativen Zukünften zu diskutieren. Hierin sieht Flechtheim die wichtigste Aufgabe der Zukunftsforschung überhaupt.454 Denn die reine Prognose des wahrscheinlichsten Zukunftspfads betrachtet die Zukunft fälschlicherweise als etwas deterministisch Gegebenes, während die Zukunftsgestaltung (Planung) von einem Idealzustand ausgeht, der ebenfalls bereits extern vorgegeben ist, und nach dessen Realisierung fragt. Beiden Ansätzen fehlt es an der Klärung, was überhaupt angestrebt werden soll. Das Ziel dieses Zweigs der Zukunftsforschung besteht also darin, „[to] evaluate the preferability or desirability of alternative futures.“455 Die Menge der wahrscheinlichen Zukunftsalternativen wird also letztlich nochmals gekürzt: Aus den möglichen wurden zunächst die wahrscheinlichen herausgefiltert. Nun werden aus den wahrscheinlichen die präferierten ausgewählt.456 Bei der Zukunftsgestaltung geht es nicht mehr um die Perspektive des unbeteiligten Zuschauens („I see this coming, whether I like it or not.“457), sondern um beeinflussendes Handeln („I want this to happen, and will make it happen.“458). Die intellektuelle Aufgabe besteht dabei in der Planung.459 Planung ist ein methodisches Vorgehen, mit dem ein Ziel, eine angestrebte Zukunft, erreicht werden soll. Hier werden Ziele vorgegeben, Strategien des Ressourceneinsatzes formuliert, Strukturen geschaffen und der Ressourceneinsatz koordiniert.460 Die Abfolge von Schritten, die zu einem bestimmten Ziel führen, kann gleichwohl nicht linear sein, sondern hat mit Zufällen und Alternativen zu kalkulieren.461 452
453 454 455 456 457 458 459 460 461
Rohlfes (2005), S. 65. Die „Ad-hoc-Entscheidung“ ist keine Dauerverpflichtung, die nicht korrigier- oder zurücknehmbar ist. Parteinahme ist insofern von Parteilichkeit abzugrenzen, die eine „grunsätzliche, auf Dauer gestellte Identifizierung mit einer bestimmten Position (‚Partei‘)“ (ibd., S. 65) darstellt. Vgl. ibd., S. 65. Vgl. Flechtheim (1980), S. 21 f. et pass. Vgl. Niiniluoto (2001), S. 373. Vgl. Popp (2009), S. 139. De Jouvenel (1967b), S. 40. Ibd. Vgl. Flechtheim (1980), S. 21, 167 ff. De Jouvenel (1967b), S. 25 ff., spricht von Projekten. Vgl. ibd., S. 172, m. w. V. Vgl. ibd., S. 170.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
85
Allerdings wird nicht nur ein Weg zum Erreichen eines Ziels beschrieben, sondern es wird auch forciert, dass dieser tatsächlich beschritten wird. Da umfassende Reformen auf die Mitwirkung einer großen Anzahl von Menschen angewiesen sind, besteht die so verstandene Aufgabe des partizipativen Zukunftsforschers auch darin, soziales Verhalten bzw. Handeln zu studieren, um Sozialtechniken ermitteln zu können, mit deren Hilfe soziales Handeln beeinflussbar ist. In diese Richtung zielt auch Bell, der die Handlungsorientierung und Beratung („integrating knowledge and values for designing social action“) als Aufgabe der Zukunftsforschung ansieht.462 Eine große Rolle spielt dabei die (anziehende oder abschreckende) Wirkung von vorherrschenden oder provozierten Zukunftsvorstellungen, denn diese können (in Form von self-altering prophecies) das Handeln maßgeblich beeinflussen.463 Vor diesem Hintergrund ist es oft lohnenswert, Zukünfte besonders zugespitzt zu formulieren.464 So kann die Thematisierung negativer Zukunftsentwicklungen dazu beitragen, diese zu vermeiden. Beispielsweise erleben wir seit Jahren eine Diskussion, wann unsere Erdölvorräte ausgehen und ob der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist. Es finden sich Experten, die das Versiegen der Ölquellen in die nahe oder in die ferne Zukunft projizieren. Ebenso finden sich Wissenschaftler, die den Menschen für den Treibhauseffekt verantwortlich machen, wie auch solche, die die Erderwärmung als normale, unausweichliche Entwicklung betrachten. Solange jedoch die Chance besteht, dass der Mensch für negative Entwicklungen verantwortlich sein könnte, sollte er sein Handeln so verändern, dass negative Konsequenzen von seiner Seite ausgeschlossen oder zumindest minimiert werden können. Partizipative Zukunftsforscher sehen ihre Aufgabe in diesem Sinne darin, nicht-nachhaltiges Handeln durch Zukunftsappelle zu vermeiden. Umgekehrt kann die Illustration erstrebenswerter Zukunftsbilder motivierend wirken. Ein wichtiges Anliegen der Zukunftsforschung sieht Bell daher in der Popularisierung konkreter Zukunftsbilder („communicating and advocating a particular image of the future“).465 Der normative Charakter von Bewertung und und Gestaltung kann nicht oft genug betont werden. Es stellt sich die Frage, wie die Maßstäbe für die Bevorzugung eines spezifischen Zukunftsszenarios gesetzt bzw. ermittelt werden.466 In der Regel werden „der Mensch“ bzw. „die Menschheit“ und ihr Wohlergehen bzw. die „optimale Wertverwirklichung zum Nutzen der menschlichen Gesell462 463 464 465 466
Vgl. Bell (2003), S. 90 ff. Vgl. Flechtheim (1980), S. 16; Rescher (1998), S. 70. Vgl. Kreibich (2000), S. 10. Vgl. Bell (2003), S. 95 ff. Vgl. Niiniluoto (2001), S. 374.
86
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
schaft“467 als Dreh- und Angelpunkt betrachtet: „The most general purpose of futures studies is to maintain or improve the freedom and welfare of humankind, and some futurists would add the welfare of all living beings, plants, and the Earth’s biosphere for their own sakes even beyond what is required for human well-being.“468 Wie lässt sich aber das „Wohl der Menschheit“ bestimmen? Der Zukunftsforscher kann für sich keinesfalls beanspruchen, hierüber allein zu entscheiden. Die Politik kann über Lösungen für Zukunftsprobleme abstimmen lassen. Und der Zukunftsforscher kann die Ansichten der Menschen erkunden469 und deren Wertvorstellungen evaluieren.470 Von politischen Abstimmungen unterscheiden sich partizipative Zukunftsforschungsmethoden dadurch, dass sie nicht nur das Problem beschreiben und Lösungsalternativen zur Auswahl lassen, sondern sich diese Lösungsansätze im Diskurs erarbeiten. Wie auch immer die vorherrschenden Zukunftsbilder und -wünsche ermittelt werden, man muss sich darüber im Klaren sein, dass es unter Knappheitsbedingungen keine ideale, allenfalls eine optimale Lösung gibt, bei der es sowohl Gewinner als auch Verlierer gibt. Insofern besteht in den seltensten Fällen Einigkeit über den richtigen Lösungsansatz, wie an hitzigen politischen Debatten in den Parlamenten weltweit jeden Tag zu sehen ist. Was gut für das eine Individuum ist, muss nicht für das andere von Vorteil sein. Und wie aus der Auseinandersetzung zwischen Individualismus und Kollektivismus hinlänglich bekannt ist, kann sich, was das Individuum begünstigt, für die Gesamtbevölkerung nachteilig auswirken. Umgekehrt sind soziale Lösungen nicht immer für das Individuum gut. In eine ähnliche Richtung denkt Gerhold, wenn er drei gesellschaftliche Ebenen der Zukunftsgestaltung unterscheidet: Die Makroebene, auf der die Politik agiert, die Mesoebene, auf der Organisationen, etwa Unternehmen oder Bildungsinstitutionen, handeln, und schließlich die Mikroebene, auf der das Individuum etwa über Annahme oder Ablehnung technischer oder sozialer Innovationen entscheidet.471 Wie individueller Nutzen zur sozialen Wohlfahrt aggregiert werden kann, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Bentham etwa will als Utilitarist das größte Glück der größten Zahl von Menschen anstreben. Rawls dagegen orientiert sich am Nutzen des am schlechtesten gestellten Menschen, um nur zwei Gerechtigkeitstheoretiker zu nennen. 467 468 469 470 471
Schischkoff (1969), S. 358. Bell (2003), S. 73. Ähnlich auch Slaughter (1999), S. 849. Vgl. Niiniluoto (2001), S. 376. Vgl. Toffler (1978), S. x; Dator (2002), S. 6. Vgl. Gerhold (2009), S. 236, der dafür plädiert, der Mikroebene eine stärkere Aufmerksamkeit zu widmen, vgl. ibd., S. 242.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung 2.6.1.4
87
Wissenschaftstheoretisches Erkenntnisziel
Über die drei genannten Erkenntnisziele hinausgehend, die sich alle auf ihren Erkenntnisgegenstand, alternative Zukünfte, beziehen, besteht die Aufgabe einer jeden Wissenschaft darin, sich selbst weiterzuentwickeln. Auch die Weiterentwicklung der Methoden nimmt in dieser Kategorie einen zentralen Platz ein. Ein solches Bestreben gilt natürlich auch für die Zukunftsforschung.472 In diesem Sinne bezeichnet Bell das Studium der wissenschaftstheoretischen Erkenntnisgrundlagen der Zukunftsforschung („the study of the knowledge foundations of futures studies“) als vierte Aufgabe der Zukunftsforschung.473 Unter Mariens bereits zitierten „five P’s and a Q“ 474 der Zukunftsforschung fällt diese Fragestellung unter das „Q“, das für questioning und damit für eine metaperspektivische Reflexion der Zukunfsforschung über sich selbst steht. Passende Begriffe zur Beschreibung dieses Anliegens sind etwa critiquing, debating, doubting, value and goal clarification.475 Um herauszufinden, welche Zielgruppen welche Ansprüche an die Zukunftsforschung haben, empfiehlt Eldredge, eine Art „Marktforschung“ zu betreiben.476 In die Kategorie der wissenschaftstheoretischen Erkenntnisziele könnte auch die ethische Weiterentwicklung der Zukunftsforschung bzw. -politik fallen, wie sie von Bell als fünfte Aufgabe der Disziplin betrachtet wird. Mit den oben ausgeführten pragmatischen Zielen, also dem Bewerten und Vorschlagen von Zukunftsalternativen sowie der Gestaltung der präferierten Zukunft, trägt der Zukunftsforscher eine Verantwortung, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Um diesem Anspruch genügen zu können, muss er sein Handeln einigen beruflichen Standards bzw. moralischen Prinzipien unterwerfen.477 2.6.2
Erkenntnismethoden der Zukunftsforschung
Um ihre Erkenntnisziele erreichen zu können, muss sich jede Wissenschaft besonderer Erkenntnisinstrumente bedienen.478 Die Zukunftsforschungsmethoden nehmen insgesamt einen zentralen Platz innerhalb der Disziplin ein. 472 473 474 475 476 477 478
Vgl. Masini (2001), S. 646. Vgl. Bell (2003), S. 86 f. Vgl. Marien (2002), S. 269 ff. Vgl. Marien (2002), S. 271. Vgl. Eldredge (1975), S. 28. Vgl. hierzu die Ausführungen zum beruflichen Ethos in Kap. 2.3.5. Vgl. Tiberius (2002), S. 19.
88
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Dies unterscheidet sie auch strikt von der „bourlevardesken Trendforschung“479, die zu ihren „Erkenntnissen“ gelangt, ohne ihre Methoden offenzulegen oder, schlimmer noch, ohne überhaupt Methoden anzuwenden. Insofern gehört die Offenlegung der Methodik und der getroffenen Annahmen zu den wesentlichen Forderungen gegenüber seriöser Zukunftsforschung.480 Für Fachvertreter, die die Zukunftsforschung als Methodenwissenschaft betrachten,481 ist diese hohe Bedeutung der einschlägigen Methoden unmittelbar einleuchtend. In der vorliegenden Arbeit wird diese Sichtweise als zu stark verengt abgelehnt, da sie sich u. a. nicht mit der Forderung nach stärkerer zukunftswissenschaftlicher Theoriebildung verträgt. Eine übermäßige Methodenfokussierung trägt insgesamt zur Gefahr bei, dass die Erkenntnisziele zugunsten der Erkenntnisinstrumente aus den Augen verloren werden.482 Methoden sind in jeder Wissenschaft schließlich immer nur Mittel zum Zweck. Wird die Zukunftsforschung – wie hier präferiert – als angewandte Wissenschaft betrachtet, so bilden ihre Methoden zumindest den praxisrelevanten Kern.483 Mit dem Ausbau und der Verfeinerung der zukunftswissenschaftlichen Methodik lässt sich eine systematische, grundständige Auseinandersetzung feststellen.484 Es gibt entsprechend eine große Zahl von Methoden, die in der Zukunftsforschung eingesetzt werden.485 Kreibich etwa spricht von mehr als 200 Methoden.486 Die meisten Methoden stammen allerdings aus anderen Wissenschaftsdisziplinen.487 Aufgrund der oben aufgezeigten ontologischen und epistemologischen Besonderheiten der Zukunftsforschung können herkömmliche wissenschaftliche Methoden nur eingeschränkt, in abgewandelter Form oder mit anderer Interpretation angewendet werden.488 Die Zahl der genuin zukunftswissenschaftlichen Methoden, wie etwa die Delphi-Methode oder die Zukunftswerkstatt, ist dagegen gering.489 479 480 481 482 483 484
485 486 487 488 489
Vgl. Rust (2008), S. 81 et pass. Vgl. Markley (1983), S. 60; Slaughter (1999), S. 835; Schüll (2009), S. 223. So etwa Wagenführ (1985), S. 571; Schüll (2006), Fn. 46 u. S. 52. Vgl. Hines (2003), S. 31. Ähnlich auch Slaughter (1996), S. 804. Vgl. van Vught (1987), S. 186 et pass.; Slaughter (1996), S. 799; Coyle (1997), S. 91; Göpfert (2006), S. 34. Helmer (1977), S. 17, beklagte allerdings immerhin noch 1977, dass trotz des Booms der Zukunftsforschung seit den 1960er-Jahren die Weiterentwicklung der angewandten Methoden zu langsam sei. Vgl. Serra del Pino (2002), S. 288; Bell (2003), S. 240. Vgl. Kreibich (2000), S. 10. Vgl. ibd., S. 10; Bell (2003), S. 242. So zählt etwa Göpfert (2006), S. 21 f., Kreativitätstechniken wie das Brainstorming dazu. Ähnlich auch Amara (1978), S. 41. Vgl. Kreibich (2000), S. 10; Bell (2003), S. 242.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
89
Es gibt keine Methode, die für alle Fragestellungen gleichermaßen gut geeignet wäre.490 Vielmehr hat jede Methode ihre spezifischen Vor- und Nachteile, sodass der Forscher sie erkenntniszieladäquat und anhand der Eignung für die vorfindbare Datenlage auswählen muss. Es bietet sich zudem an, mehrere Methoden zu verwenden, um im Sinne einer Methodentriangulation die Ergebnisse stärker abzusichern.491 Da die Zukunft von sich ständig wandelnden Annahmen ausgeht und nicht zuletzt auch durch Aussagen über diese beeinflusst wird (self-altering prophecy), sind Studien regelmäßig zu aktualisieren.492 Der Zukunftsforscher muss sich stets über die grundlegenden Probleme von Zukunftsforschungsmethoden im Klaren sein. So kann nicht oft genug betont werden, dass allen zukunftswissenschaftlichen Methoden gemeinsam ist, dass sie naturgemäß nicht in der Lage sind, die Zukunft exakt und unzweifelhaft vorherzusagen. Keine noch so hohe Präzision in der Methodik, gerade bei quantitativen Verfahren, die exakte Zahlen mit hoher Nachkommagenauigkeit liefern können, darf zu der Fehleinschätzung verleiten, Genauigkeit sei ein Garant dafür, dass das Prognostizierte tatsächlich so eintreten wird.493 Für Helmer ist bereits viel gewonnen, wenn die Reliabilität von Vorhersagen auch nur ein wenig verbessert wird: „Thus, if we keep in mind that it is not perfection we are aiming for but marginal improvements, the task ahead may appear somewhat less forbidding.“494 Die Methoden der Zukunftsforschung leisten schon dann einen Dienst, wenn sie mögliche Entwicklungen aufzeigen, die vermieden werden sollten.495 Um in die Vielzahl der Methoden Ordnung zu bringen, stellt sich die Frage nach ihrer Kategorisierung. So findet sich der Vorschlag, einerseits quantitative und qualitative496 sowie andererseits explorative und normative Methoden497 zu unterscheiden.498 x Zwischen quantitativen und qualitativen Methoden kann aber nicht immer scharf getrennt werden.499 Quantitative Methoden sind mathematisch orientiert, während qualitative Verfahren nicht mathematisch sind, 490 491 492 493 494 495 496 497 498 499
Vgl. Bell (2003), S. 241. Vgl. ibd., S. 241. Vgl. Gordon (1992), S. 26; Bell (2003), S. 245. Vgl. Gordon (1992), S. 26; Steinmüller (1995), S. 28; Bell (2003), S. 245. Helmer (1977), S. 19. Vgl. Coyle (1997), S. 84. Vgl. Göpfert (2006), S. 13. Vgl. Kreibich (1995), Sp. 2824; Schüll (2009), S. 224 et pass. Für beide Gliederungsarten vgl. auch Gordon (1992), S. 25 ff.; Bell (2003), S. 242 f. Die Gliederung nach „harten“ und „weichen“ Methoden findet sich bei Slaughter (1984), während sich Masini (1993) für eine Gliederung nach objektiven, subjektiven und systemischen Methoden auspricht. Vgl. Bell (2003), S. 243; Schüll (2009), S. 224. Vgl. auch die eigenen Ausführungen in Kapp. 4.2.1 und 4.4.1.
90
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
sondern Logik, Diskurs, teilweise auch Intuition einsetzen. Es lässt sich in der Zukunftsforschung seit den 1960er- und 1970er-Jahren der generelle Trend ausmachen, dass quantitative Methoden an Bedeutung verlieren, während sich die qualitativen Verfahren immer mehr im Aufwind befinden.500 Insbesondere quantitativ-prognostische Methoden, also solche, deren Ziel die Vorhersage „der“ Zukunft ist, haben sich als unzulänglich erwiesen.501 x Explorative Forschung will erste Erkenntnisse zu noch (weitgehend) unbekannten Sachverhalten erlangen. Auf die Zukunft trifft genau diese Beschreibung zu. Normative Zukunftsforschung dagegen will nicht nur rein analytisch aufdecken, sondern bewertet auch Soll-Vorstellungen. Dezidiert normativ gehen die partizipativen Zukunftsforschungsmethoden wie die Zukunftswerkstatt502 vor. Zur Unterscheidung zwischen explorativen und normativen Methoden merkt Bell kritisch an, dass es sich dabei weniger um methodenimmanente Eigenschaften handelt, sondern um die Absichten des Forschenden.503 Die meisten Methoden können prinzipiell für beide Zwecke eingesetzt werden. Für Gordon sind zukunftswissenschaftliche Methoden sogar stets wertbeladen.504 Auch die mathematisch ausgefeiltesten Methoden sind nicht immer rein objektiv, sondern können einen normativen Kern aufweisen, der vom Vorzug bestimmter Zukunftsbilder ausgeht.505 Eine weitere, in der Literatur trotz der Offensichtlichkeit nicht näher diskutierte Gliederungsmöglichkeit ergibt sich nach den Erkenntniszielen: x Bei diesem Vorgehen wird schnell deutlich, dass die meisten Methoden dem deskriptiven Lager zuzuordnen sind, da ihr Hauptanliegen darin besteht, mögliche Zukünfte darzustellen und zu beschreiben. Diese Methoden stehen den positivistischen Wissenschaften mit ihrem analytischempirischen Ansatz am nächsten.506 x Theoretische Erkenntnisziele werden hauptsächlich durch Modelle und Simulationen507 befriedigt, die nicht nur bei der Darstellung möglicher Zukünfte verharren, sondern zugleich ein Erklärungsmodell bieten, unter welchen Umständen es zu diesen Zukünften kommen kann. 500 501 502 503 504 505 506 507
Vgl. Wagenführ (1970), S. 28; Boshoff (1989), S. 70 f.; Kreibich (1995), Sp. 2823. Vgl. de Jouvenel (2000), S. 59. S. u. Vgl. Bell (2003), S. 243. Vgl. Gordon (1992), S. 26. Ähnlich auch Bell (2003), S. 239 f. Vgl. Flechtheim (1980), S. 22. S. u.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
91
x In der Kategorie praktische Zukunftsgestaltung sind vornehmlich die normativen, partizipativen Methoden zu finden. Sie wollen nicht bei der Erkundung von Zukünften stehen bleiben, sondern bei den Beteiligten insgesamt das Zukunftsbewusstsein508 schärfen und dazu animieren, die aktive Gestaltung der Zukunft tatsächlich in die Hand zu nehmen. Es bestehen also zwei Teilaspekte: die Zukunftsbewertung und die Zukunftsgestaltung. Die Bewertung von Zukünften steht der integrierend-spekulativen und kritisch-emanzipatorischen Funktion der Philosophie nahe, während die Gestaltung eher den angewandten Wissenschaften sowie der Technik und ihren Methoden der Planung und Programmierung zuzuordnen ist.509 Die Zukunftsforschung stellt hier allerdings kein eigenes Methodenrepertoire zur Verfügung. Sie konzentriert sich auf die Aktivierungsfunktion. Darüberhinaus gibt es jedoch keine Methoden der Zukunftsgestaltung im engen Sinne. Dies wären politische bzw. sozialtechnologische Methoden, mit denen tatsächlich sozialer Wandel herbeigeführt werden könnte. Nachfolgend soll exemplarisch auf sechs zentrale510 Zukunftsforschungsmethoden kurz eingegangen werden: die Trendextrapolation, die Cross-Impact-Analyse, die Szenariotechnik, Modelle bzw. Simulationen, die Delphi-Methode und die Zukunftswerkstatt. Da es sich hier nicht um ein Lehrbuch der Zukunftsforschung handelt, erhebt die Darstellung nicht den Anspruch der Grundständigkeit. Die Darstellung erfolgt vielmehr als Mittel zum dem Zweck, beispielhaft auf die jeweilige didaktische Verwendbarkeit einzugehen. 2.6.2.1
Trendextrapolation
Bei der Zeitreihenanalyse und -extrapolation werden Beobachtungswerte aus der Vergangenheit betrachtet. Von diesen ausgehend wird eine Verlängerung des Trends in die Zukunft projiziert.511 Insbesondere in der Volkswirtschaftslehre werden solche Extrapolationen vielfach eingesetzt. Eine besondere Spielart der Zeitreihenanalyse stellt auch die technische Aktienchartanalyse dar. 508 509 510 511
Zur Definition des Zukunftsbewusstseins vgl. Kap. 2.5.1. Vgl. Flechtheim (1980), S. 22. Die Auswahl orientiert sich an der Bedeutung der Methoden innerhalb der Zukunftsforschung, an den Nennungen im empirischen Teil sowie in der Literatur, vgl. insb. Slaughter (1992), S. 39 und den Sammelband von Dator (2002) (Hrsg.). Vgl. Merritt (1974), S. 56.
92
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Die Statistik kennt Verfahren dieser Art in unterschiedlicher Komplexität. Die einfachsten sind die univariaten Verfahren, bei denen nur eine Variable beobachtet und prognostiziert wird. Bei multivariaten Verfahren fließen entsprechend mehrere Beobachtungsgrößen ein. Die hier ebenfalls einzuordnende Korrelationsanalyse nennt Bell auch „pragmatic prediction of one variable by another“.512 Die Extrapolation von Zeitreihen hat trotz ihrer Popularität konzeptionelle Schwächen. So geht die Methode rein symptomatisch vor, ohne nach den Ursachen der Entwicklung zu fragen. Es wird lediglich die Entwicklung der Variablen mit dem Zeitverlauf gekoppelt und davon ausgegangen, dass sich das Entwicklungsmuster unverändert fortsetzt. Dies setzt die sogenannte Zeitstabilitätshypothese voraus, derzufolge es einen (natur)gesetzlichen Verlauf der untersuchten Variable gibt, der sich im Zeitverlauf nicht ändert. Gerade in sozial(wissenschaftlich)en Zusammenhängen ist dies jedoch nicht der Fall.513 Mit diesem Vorgehen entsteht überdies eine einzige Zukunftsvorstellung, was mit dem Paradigma alternativer Zukünfte nicht vereinbar ist. Bei den multivariaten Verfahren werden lediglich die augenscheinlichen Entwicklungen von zwei oder mehr Größen zueinander ins Verhältnis gesetzt, ohne zu analysieren, weshalb zwischen ihnen ein Zusammenhang besteht. Es könnte jedoch sein, dass sich die Variablen rein zufällig ähnlich entwickeln. Gerade wenn es nicht nur eine, sondern mehrere unabhängige, entwicklungsbeeinflussende Variablen gibt, steht die Prognose zudem auf wackligen Beinen. Ein bekanntes Beispiel für eine unsinnige Korrelation ist der Zusammenhang zwischen Störchen und der Geburtenrate von Menschen in Deutschland. Es ließ sich zeigen, dass in einem Zeitraum t0 bis tx sowohl die Storchenpopulation als auch die Rate neugeborener Kinder zurückgegangen sind. Es lag also ein hoher Korrelationskoeffizient vor. Daraus zu schlussfolgern, dass ein funktionaler Zusammenhang besteht, ist hingegen wenig überzeugend. Ein weiterer Nachteil der Zeitreihenanalyse sowie aller quantitativer Methoden ist, dass diese qualitative Größen nur bedingt einfangen können. Die quantitative Operationalisierung von qualitativen Größen ist jedoch häufig problematisch. Trends lassen sich Wagenführ zufolge grundsätzlich nicht quantifizieren.514 Insbesondere wird das Problem der Diskontinuität überblendet: Entwicklungen verlaufen nicht immer kontinuierlich, sondern können von fundamentalen Richtungswechseln geprägt sein. Das Grundprinzip der Extrapolation kann auf diesen 512 513 514
Vgl. Bell (2003), S. 246 ff. Vgl. Helmer (1977), S. 18. Für Hansmann (1995), Sp. 2172, ist die Zeitstabilitätshypothese in der Praxis so gut wie nie anzutreffen. Wagenführ (1970), S. 50, zufolge sind aber S-förmige Funktionen gerade bei sozialen Phänomenen sehr häufig anzutreffen. Vgl. Wagenführ (1985), S. 579.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
93
Umstand nicht angemessen reagieren, da es von der Fortführung bisheriger Entwicklungen ausgeht.515 Mit der Korrelationsanalyse teilt die Zeitreihen-Extrapolation weiterhin den Nachteil der rein quantitativen Betrachtungsweise. Dadurch können qualitative Größen nur bedingt betrachtet werden. In der Lehre dürften statistische Extrapolationen zu den ersten zu behandelnden Zukunftsforschungsmethoden gehören, zum einen, weil sie auch historisch zu den zuerst angewandten Methoden gehörten, zum anderen, weil sie vergleichsweise einfach sind. Die Kritik, die an der Trendextrapolation formuliert werden kann, bildet eine gute Grundlage für ein Verständnis der fortgeschrittenen Zukunftsforschung. 2.6.2.2
Cross-Impact-Analyse
Häufig hängen mögliche zukünftige Ereignisse jeweils von bestimmten anderen Ereignissen ab. Diese Interdependenzbeziehungen werden im Rahmen der CrossImpact-Analyse ((causal) cross-impact analysis), im Deutschen gelegentlich auch Wechselwirkungsanalyse genannt, in Form einer Matrix zusammengestellt.516 Ein wesentlicher Vorzug besteht darin, dass die Zusammenhänge zwischen sehr unterschiedlichen Sphären, etwa technischen, umweltbezogenen und sozialen Größen, untersucht werden können.517 Die Methode geht dabei folgendermaßen vor: 1. Zunächst sind die zu berücksichtigenden Ereignisse zu bestimmen. Dies kann im Rahmen einer Expertenbefragung stattfinden. Insofern eignet sich die Cross-Impact-Analyse auch als Erweiterung einer Delphi-Studie.518 2. Nun ist für jedes Ereignis unabhängig voneinander eine Eintrittswahrscheinlichkeit anzugeben (zweite Spalte). 3. Ab der dritten Spalte sind die bedingten Eintrittswahrscheinlichkeiten anzugeben. Sie informieren darüber, wie sich die Eintrittswahrscheinlichkeit von Ereignis x ändert, wenn Ereignis y eintritt. Dies stellt die Cross-Impact-Matrix im engeren Sinne dar. Die Wahrscheinlichkeitsangaben können ebenfalls das Ergebnis einer Experteneinschätzung sein. Sie können als Zahlenwerte (z. B. von -3 bis +3)519 oder als Tendenzen (z. B. ++, +, +/-, -, --)520 angegeben werden. Das nachstehende 515 516 517 518 519 520
Vgl. Gordon (1992), S. 245; Bell (2003), S. 255. Vgl. Bell (2003), S. 262 f. Vgl. Helmer (1977), S. 19. Vgl. Bell (2003), S. 265. Vgl. Helmer (1977), S. 21. Vgl. Bell (2003), S. 267.
94
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung Beispiel verwendet Zahlenwerte zwischen 0 (ausgeschlossen) und 1 (sicher). Die Diagonale von oben links nach unten rechts kreuzt die Ereignisse mit sich selbst. Hier sind keine Werte anzugeben. 4. Die Werte können nun reihen- oder spaltenweise aggregiert werden, um übergreifende Zusammenhänge und Wahrscheinlichkeiten zu ermitteln.521 5. Im Rahmen einer Sensitivitätsanalyse können die Felder getestet und die Wahrscheinlichkeiten verfeinert werden.522 Hierbei hat man sich noch einmal vor Augen zu führen, dass die einzelnen Zellen Wahrscheinlichkeiten enthalten. Beim Durchrechnen der Matrix mit dem Computer bietet es sich an, diese Zahlen zufällig zu variieren. Auf diese Weise entstehen zahlreiche Szenarien.523 Werden diese sorgfältig analysiert, kann es zu interessanten Einsichten und Lerneffekten kommen:524 „,[P]laying the model’ is a learning experience […]“.525 6. Die Matrix stellt in der Regel keinen Selbstzweck dar, sondern dient in der Regel Planungszwecken, insbesondere dem Auffinden der optimalen Handlungsalternative. Vor diesem Hintergrund kann die Matrix auch als Entscheidungsmodell verwendet werden. So kann z. B. eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung vorgenommen werden, bei der nach dem Optimum unter gegebenen Restriktionen (z. B. vorgegebenes Budget) gesucht wird.526 generelle Eintrittswahrscheinlichkeit
Eintrittswahrscheinlichkeit, dass Ereignis 1 eintritt
Eintrittswahrscheinlichkeit, dass Ereignis 2 eintritt
Eintrittswahrscheinlichkeit, dass Ereignis 3 eintritt
0,10
X
0,50
0,55
Ereignis 2
0,55
0,20
X
0,30
Ereignis 3
0,70
0,45
0,80
X
Ereignis 1
Tab. 6:
521 522 523 524 525 526
Beispiel einer Cross-Impact-Matrix mit drei Ereignissen. Quelle: eigene Darstellung.
Vgl. ibd., S. 269. Vgl. Helmer (1977), S. 25. Vgl. ibd., S. 26. Vgl. Helmer (1977), S. 27. Ibd., S. 28. Vgl. ibd., S. 28 f.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
95
Die Cross-Impact-Analyse kann mit verschiedenen Problemen verbunden sein. Neben Schwierigkeiten bei der konkreten Durchführung ist als konzeptionelle Schwäche vor allem zu nennen, dass jeweils nur Ereignispaare miteinander ins Verhältnis gesetzt werden.527 Es wird mit anderen Worten z. B. nicht berücksichtigt, dass ein Ereignis von zwei anderen Ereignissen abhängt. Dies führte zu einer dreidimensionalen Matrix, die zwar den realen Gegebenheiten näher kommt, aber erheblich an Anschaulichkeit verlöre, und zwar nicht nur, weil eine dreidimensionale Matrix unübersichtlicher ist, sondern auch weil die Zahl der anzugebenden Wahrscheinlichkeiten erheblich steigt. Bei zehn Ereignissen, von denen jeweils die Zusammenhänge von nur drei Ereignissen auf einmal betrachtet werden, müssen bereits 103 = 1.000 Wahrscheinlichkeiten angegeben werden. Wird die gleichzeitige Interdependenz von mehr als drei Ereignissen betrachtet, entstünden vier- bzw. n-dimensionale Matrizen, die grafisch nicht mehr darstellbar und nur noch mit dem Computer berechenbar wären. Komplizierter wird die Betrachtung weiterhin, wenn auch indirekte Rückbezüge zwischen Variablen berücksichtigt werden. So kann es sein, dass die Variable x die Variable y beeinflusst, y jedoch wieder einen Einfluss auf x hat.528 In ihrer einfachen Ausgestaltung kann die Cross-Impact-Analyse in der Lehre als Vertreterin quantitativer Methoden behandelt werden. Die Studierenden werden so mit der Interdependenzproblematik vertraut gemacht und lernen die Schwierigkeit kennen, Wahrscheinlichkeiten zuzuweisen. Damit wird anschaulich, wie herausfordernd die Formulierung wahrscheinlicher Zukünfte ist. 2.6.2.3
Szenariotechnik
Ein Szenario ist eine mentale Repräsentation, d. h. eine Vorstellung möglicher zukünftiger Situationen, das hauptsächlich dazu dient, in der Gegenwart bessere Entscheidungen treffen zu können.529 Es werden grundlegend explorative und normative Szenarien unterschieden. Erstgenannte erkunden mögliche Zukünfte, während Letztgenannte wünschenswerte Zukünfte definieren, also letztlich Ziele, die angestrebt werden.530 Auch wenn häufig von Szenariomethode gesprochen wird, handelt es sich eher um einen Ansatz bzw. ein Methodenbündel als um eine Einzelmethode. Als Erfinder der Szenariomethode gilt der ehemalige RAND-Mitarbeiter Kahn, der 527 528 529 530
Vgl. ibd., S. 29. Vgl. Helmer (1977), S. 30. Vgl. Major et al. (2001), S. 93; Tiberius (2002), S. 16 f. Vgl. de Jouvenel (2000), S. 64.
96
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
die ersten formalen Szenarien ab den 1960er-Jahren am Hudson Institute formuliert hat.531 Ihr Anwendungsschwerpunkt lag zunächst während des Kalten Krieges beim Militär. Später haben Unternehmen die Methode für ihre strategische Planung und zur organisationalen Entscheidungsfindung eingesetzt.532 Ein Szenario ist ein mögliches Zukunftsbild, das auf einer logisch konsistenten Variablenkonstellation basiert. Es sind demnach zahlreiche alternative Szenarien denkbar, sodass in der Regel ein mehrdimensionaler Möglichkeitsraum aufgespannt wird.533 Im einfachsten Fall werden ein Best-Case- und ein Worst-Case-Szenario sowie oft ein dazwischen liegendes realistisches Szenario entwickelt. Zentrale Eigenschaften der Szenariotechnik sind ihre einfache Anwendung, ihre Eignung als partizipative Methode, ihre direkte Bezugnahme auf konkrete Situationen und ihre intrinsische Flexibilität.534 Szenarien stellen heute wohl den populärsten zukunftswissenschaftlichen Zugang dar. Leider werden Szenarien inzwischen auch sehr stark von zukunftswissenschaftlich nicht ausgebildeten Laien formuliert.535 Die Ergebnisse werden von Hines daher als oftmals nicht nur nutzlos, sondern partiell gefährlich eingestuft.536 Abgesehen von diesen eher in Personen begründeten Problemen gibt es auch methodenimmanente Schwachstellen. So werden symbolische Aspekte (im Sinne des symbolischen Interaktionismus) vernachlässigt und gegenwärtig vorliegende soziale Strukturen unkritisch akzeptiert und als Ausgangsbedingungen berücksichtigt.537 Ferner kann die Dynamik komplexer Systeme nur unzureichend eingefangen werden.538 Aufgrund der großen Bedeutung der Szenariotechnik darf diese Methodenfamilie in der Lehre nicht fehlen. Gerade wegen des häufig unbedarften und laienhaften Umgangs mit dieser Technik muss der Dozent besonders sorgfältig auf Durchführungsfragen eingehen. Aufgrund der einfachen Vorgehensweise können die Studierenden eigene Szenarien in Projekten oder Fallstudien entwerfen und so praktische Erfahrungen mit der Methode sammeln.
531 532 533 534 535 536 537 538
Vgl. Slaughter (2002b), S. 27. Vgl. ibd., S. 27. Vgl. Tiberius (2002), S. 15. Vgl. Slaughter (2002b), S. 28. Vgl. ibd., S. 27; Hines (2003), S. 30. Vgl. ibd., S. 30. Eine Dekronstruktion sozialer Systeme ist das Ziel der poststrukturalistischen Zukunftsforschung, vgl. Kap. 2.7.5. Vgl. Slaughter (2002b), S. 28. Hierfür sind mitunter Simulationsmodelle (siehe nächster Absatz) besser geeignet.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung 2.6.2.4
97
Modelle bzw. Simulationen
Ein Modell ist eine vereinfachte Abbildung eines Systems, Organismus oder zusammenhängender Variablen der Realität bzw. meistens: eines Realitätsausschnitts, sozusagen eine Imitation in Kleinformat. Es besteht aus Elementen, die zueinander in Beziehung gesetzt werden. Ist das Modell realitätsnah, erlaubt es nicht nur, die Zusammenhänge zu verstehen, sondern auch Prognosen abzugeben, was es für die Zukunftsforschung attraktiv macht. Denn Modelle eignen sich zur Simulation, d. h. das Verhalten des betrachteten Realitätsausschnitts kann beobachtet werden, wenn einzelne Annahmen, Voraussetzungen oder Parameter verändert (manipuliert) werden.539 Daher lassen sich mit Modellen nicht nur Beschreibungs-, sondern auch Erklärungsziele verfolgen.540 Ein einfacher Modellansatz kann darin bestehen, die Elemente und ihre Beziehungen grafisch in einem Einflussdiagramm darzustellen.541 Die Elemente können etwa als Wörter und die Beziehungen zwischen ihnen durch Pfeile und die Symbole „+“ für einen positiven Einfluss und „–“ für einen negativen Einfluss dargestellt werden. Der Vorzug dieser Methode ist die Visualisierung komplexer Zusammenhänge. Die grafische Darstellung verdeutlicht qualitative Zusammenhänge, kann jedoch nur Tendenzen in dem Sinne aufzeigen, dass etwa das Bevölkerungswachstum mit einer gesteigerten Nachfrage nach Lebensmitteln einhergeht, wodurch deren Preise steigen. Sie sagt jedoch nichts darüber aus, in welchem Ausmaß diese Größen quantitativ zusammenhängen. Es gibt eine Reihe mathematisch ausgefeilter Modelle, die dies leisten können.542 Um zu einem dynamischen Modell zu gelangen, setzt man Differenzen- bzw. Differenzialgleichungen ein.543 Solche Modelle arbeiten mit Reziprozitäten, d. h. die Veränderung von Variablen hat Einfluss auf diese selbst. Teilweise werden Zeitverzögerungen eingearbeitet, um die einzelnen Schritte der Veränderungen zu verschiedenen Zeitpunkten nachvollziehen zu können. Komplexere Modelle sind manuell kaum noch beherrschbar und können effizient nur auf Computern laufen.544 Nach Bell besteht der Vorzug von Modellsimulationen darin, dass diese kostengünstig sind.545 Ergänzt werden muss, dass im Regelfall soziale Experimente überhaupt nicht durchführbar sind. Ein Krieg etwa kann nicht „getestet“ 539 540 541 542 543 544 545
Vgl. Merrit (1974), S. 57; de Jouvenel (2000), S. 63; Bell (2003), S. 273. Vgl. Merrit (1974), S. 58. Zu den Erkenntniszielen der Zukunftsforschung vgl. Kap. 2.6.1. Vgl. Merritt (1974), S. 56; Coyle (1997), S. 79 ff. Vgl. Merritt (1974), S. 56; Coyle (1997), S. 84. Vgl. Coyle (1997), S. 84; de Jouvenel (2000), S. 63. Ähnlich auch Bell (2003), S. 272. Vgl. ibd., S. 273. Anders Merritt (1974), S. 58, der die Entwicklung als teuer einstuft.
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2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
werden. Es wäre viel zu riskant, weitreichende Veränderungen umzusetzen, wenn nicht abgesehen werden kann, welche Konsequenzen diese nach sich ziehen. Simulationen können diese Folgen darstellen, ohne dass sie sich tatsächlich auswirken. Es gibt eine Reihe von Nachteilen bei Modellansätzen. Häufig wird bei solchen Modellierungen der Fehler gemacht, dass die Elemente und ihre Beziehungen abstrakt funktional aufgefasst, und die Einflussmöglichkeiten des Menschen vernachlässigt werden. Mit anderen Worten zeigt ein Modell oft nur, wie ein System funktioniert, weniger, wie Menschen handeln.546 Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass die Ausgangshypothesen der Modelle evtl. schlecht untermauert und ggf. falsch sind.547 Wenn aber schon die Eingangswerte falsch sind, können die Prognosen nicht viel besser sein. De Jouvenel (jun.) spricht in diesem Zusammenhang vom GIGO-Effekt: „garbage in – garbage out“.548 Merritt empfiehlt daher, Schlussfolgerungen aus Modellen weder zu ignorieren noch ihnen blinden Glauben zu schenken.549 Einen hohen Bekanntheitsgrad erzielten seinerzeit die sogenannten Weltmodelle (world models). Sie wurden in einer Zeit entwickelt, in der große Angst herrschte, dass die soziale und wirtschaftliche Ordnung der Welt kollabieren würde, wenn nicht grundlegende Veränderungen vorgenommen werden.550 Phänomene wie Bevölkerungszahl, Umweltverschmutzung und landwirtschaftlicher Output wurden als Variablen dargestellt und miteinander in mathematische Beziehungen gestellt. Wichtige Modelle waren: x das WORLD3-Modell, das u. a. auch dem Buch „Grenzen des Wachstums“ zugrunde lag;551 x das Modell von Mesarovic und Pestel aus dem Jahre 1974, das unter dem Titel „Mankind at the turning point“ als zweiter Report an den Club of Rome veröffentlicht wurde;552 x das Bariloche-Modell von Herrera et al., das 1976 erschienen ist553 und als Modell für Lateinamerika gedacht war; 546 547 548 549 550 551 552 553
Vgl. Coyle (1997), S. 79 f. Vgl. de Jouvenel (2000), S. 63. Vgl. ibd., S. 57. Vgl. Merritt (1974), S. 57. Vgl. Coyle (1997), S. 84. Vgl. Meadows et al. (1972). Vgl. Mesarovic/Pestel (1974). Vgl. Herrera et al. (1976). In der Landessprache ist das Buch erst ein Jahr später erschienen, vgl. Fundación Bariloche (1977). Auf Deutsch ist es – wohl in Anlehnung an den Bestseller „Grenzen des Wachstums“ (vgl. Meadows et al. (1972)) unter dem Titel „Grenzen des Elends“ erschienen, vgl. Herrera/Scolnik (1977).
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
99
x das UNO-Weltmodell von Nobelpreisträger Leontief sowie Carter und
Petri von 1977;554 x das MOIRA-Modell von Linnemann et al. von 1979, das sich auf den Zusammenhang zwischen Landwirtschaft und Ernährung der Weltbevölkerung konzentrierte.555 Der Vorzug der Weltmodelle – und zugleich eine Angriffsfläche für Kritiker – war, dass die Modelle vergleichsweise einfach strukturiert waren. WORLD1 kam mit 250 Zeilen für Gleichungen, Parameter, Kommentare und Definitionen aus und konnte auf einem einfachen Standard-Computer berechnet werden.556 In der Lehre können einfache Modelle an der Tafel oder mittels des Projektors dargestellt oder im besten Fall entwickelt werden, sodass die Studierenden ihren Aufbau und ihre Funktionsweise verstehen können. Die zumindest oberflächliche Behandlung von Modellen bietet sich an, da diese über das rein deskriptive Erkenntnisziel hinausgehen und auch den Wandel erklären wollen. Komplexere Modelle können am Computer durchgespielt werden. Ein hoher Anspruch wäre mit der eigenen Programmierung solcher Modelle verbunden. Wenn die Studierenden in einem bereits fertigen Modellprogramm Variablen verändern und berechnen lassen können, welche Auswirkungen dies hat, können sie über ein rein abstraktes Modellverständnis hinauskommen und haben die Möglichkeit, komplexe Zusammenhänge zu erfassen. 2.6.2.5
Delphi-Methode
Die Delphi-Methode ist eine Entwicklung aus dem Jahr 1953 von Helmer, Dalkey, Gordon und Rescher, Mitarbeitern der RAND Corporation, die die möglichen Auswirkungen eines Atombombenschlags gegen die USA studieren wollten.557 Sie gehört zu den wenigen Methoden, die somit direkt aus der Zukunftsforschung stammen und nicht aus einer anderen Wissenschaftsdisziplin entlehnt wurden.558 Der Zeithorizont der Studie reicht oft 30 Jahre oder länger in die Zukunft.559 Die Methode ist subjektiv-intuitiv angelegt560 und stellt eine besondere Form der Expertenbefragung dar. Die Befragung von Experten hat ihren Hintergrund in 554 555 556 557 558 559 560
Vgl. Leontief et al. (1977). Vgl. Linnemann et al. (1979). Vgl. Coyle (1997), S. 84. Vgl. Bell (2003), S. 261 f. Flechtheim (1980), S. 129, datiert die Entstehung der Methode auf das Jahr 1963. Vgl. ibd., S. 242. Vgl. ibd., S. 213 f. Vgl. Cuhls (2009), S. 209.
100
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
der Überzeugung, dass es keine „harten Daten“ und keine (natur)gesetzlichen Zusammenhänge für soziale Phänomene gibt, sodass zwangsläufig auf möglichst fundierte Meinungen zurückgegriffen werden muss.561 Die Delphi-Methode stellt dann einen Weg dar, dieses Expertenwissen zu extrahieren und für die Betrachtung der Zukunft eines bestimmten Sachverhalts nutzbar zu machen.562 Durch die höhere Anzahl von Befragten kommt es zu einer weiteren Absicherung. Ist der Kreis der Befragten interdisziplinär zusammengesetzt, kann ein Problem aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven angegangen werden. Ein besonderes Merkmal der Methode ist, dass die Befragung zwei Mal, manchmal auch öfter,563 unter Offenlegung der bisherigen Ergebnisse durchgeführt wird, weshalb auch von einem Pretest-Posttest-Design die Rede ist.564 Die Durchführung der Studie dauert dementsprechend auch häufig drei bis sechs Monate.565 Es lassen sich folgende Schritte unterscheiden:566 1. Zunächst ist das Thema bzw. das Erkenntnisobjekt zu bestimmen, dessen mögliche, wahrscheinliche und/oder wünschenswerte Zukünfte erkundet werden sollen. 2. Es ist dann ein Fragebogen zu entwickeln, der den Gegenstand der Untersuchung operationalisiert. 3. Im nächsten Schritt erfolgt die Stichprobenselektion, d. h. es werden diejenigen Personen ausgewählt, die an der Befragung teilnehmen sollen. 4. Die ausgewählten Respondenten erhalten den Fragebogen und sollen diesen ausfüllen. 5. Die Antworten werden ausgewertet. Es folgt nun eine vorläufige, anonymisierte Zusammenstellung der Studienergebnisse. 6. Die Respondenten werden nun mit diesen Ergebnissen konfrontiert. Die Fragen werden erneut gestellt, sodass die Befragten gezwungen sind, über eine mögliche Revision ihrer ursprünglichen Meinung nachzudenken und diese ggf. zu verfeinern. 7. Es erfolgt erneut die Auswertung der Ergebnisse. Dabei wird auch untersucht, inwiefern es durch die Zwischeninformation der Respondenten zu veränderten Antworten gekommen ist. 8. Die Ergebnisse der Studie werden in einem Bericht zusammengestellt. 561 562 563 564 565 566
Vgl. Helmer (1977), S. 18, wo es weiter heißt: „Reliance on expert opinion is a sine qua non“ (Hervorh. i. Orig.). Vgl. Coyle (1997), S. 87. Vgl. Bell (2003), S. 263. Als optimal bezeichnet der Autor drei Durchläufe. Vgl. Cuhls (2009), S. 209, m. w. V.; Bell (2003), S. 262. Vgl. ibd., S. 213. Vgl. Bell (2003), S. 262 f.; Göpfert (2006), S. 19 f.; Cuhls (2009), S. 215 ff.
2.6 Epistemologische Basis der Zukunftsforschung
101
Inzwischen existieren mehrere Versionen und Abwandlungen der Delphi-Methode. Die Delphi-Methode wurde zum Teil heftig kritisiert. Wie bei jeder Methode können auch bei der Delphi-Methode auf jeder Stufe der Durchführung Fehler gemacht werden. Diese Fehler sind jedoch mehr dem Ausführenden als der Methode selbst zuzuschreiben.567 Trotz zahlreicher Fehlerquellen gilt die DelphiMethode als vergleichsweise valide.568 Der Aussagegehalt kann durch Methodentriangulation erhöht werden.569 Aus der Lehre im Fach Zukunftsforschung ist die Delphi-Methode nicht wegzudenken. Aufgrund des vergleichsweise großen Aufwands kann sie in Gruppenarbeit durchgeführt und als Projektstudium über ein gesamtes Semester angelegt werden. 2.6.2.6
Zukunftswerkstatt
Die Zukunftswerkstatt stammt wie das Delphi-Verfahren originär aus der Zukunftsforschung. Ihre geistigen Väter sind Jungk und Müllert.570 Jungk, seinerzeit ein erfolgreicher Autor zukunftsgerichteter Sachliteratur, gelangte zur Überzeugung, dass es nicht ausreiche, Vorträge zu halten und Bücher zu schreiben, um zukünftige Gefahren zu vermeiden. Stattdessen sei ein praktisches Handeln aus der Mitte der Gesellschaft heraus erforderlich.571 Die Entwicklung der Zukunftswerkstatt fällt in die Zeit der Studentenbewegung Ende der 1960er-Jahre, in der stärkere Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung an politischen Entscheidungen gefordert wurden. Die Zukunftswerkstatt ist weniger dem deskriptiven oder theoretischen, sondern eher dem pragmatischen Erkenntnisziel der Zukunftsforschung, also der Zukunftsgestaltung, zuzuordnen.572 Im Vordergrund steht dabei, möglichst viele Personen aus allen Bevölkerungsschichten einzubeziehen. Es handelt sich insofern um eine partizipative Methode. Müllert nennt sie ein soziales Problemlösungsverfahren.573 Der Ablauf der Zukunftswerkstatt ist in drei Phasen eingeteilt, die Müllert mit dem Verfahren der Dialektik vergleicht und als These, Antithese und Synthese betrachtet:574 567 568 569 570 571 572 573 574
Vgl. Helmer (1977), S. 18; Bell (2003), S. 270. Vgl. Cuhls (2009), S. 211 Ähnlich auch ibd., S: 214. Vgl. Jungk/Müllert (1995). Vgl. Müllert (2009), S. 269. Vgl. Kap. 2.6.1.3. Vgl. Müllert (2009), S. 273 et pass. Vgl. ibd., S. 270, 273.
102
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
1. Beschwerde- und Kritikphase: Hier sollen das Problem kritisch aufgearbeitet und der Ist-Zustand ermittelt werden. Durch Beispiele soll die Problemstellung illustriert werden. 2. Phantasie- und Utopiephase: Die Teilnehmer sollen den aktuellen Status quo kreativ überwinden und wünschenswerte Soll-Zustände formulieren. Auch utopische Entwürfe sind oft willkommen. 3. Verwirklichungs- und Praxisphase: Der aufgezeigten Zukunftswünsche sollen hier durch konkrete Handlungsansätze konkretisiert werden. In der Lehre bietet es sich an, wenigstens einmal im Studienverlauf eine Zukunftswerkstatt zu einem spezifischen Thema durchgeführt zu haben. Interessant ist sie aus didaktischer Sicht besonders auch deshalb, weil sie von Pädagogen nicht nur als Zukunftsforschungs-, sondern auch als Lehr-Lern-Methode betrachtet wird,575 sodass hier beides in idealer Weise zusammenfällt. Da die Zukunftswerkstatt keine zukunftswissenschaftlichen Vorkenntnisse erfordert,576 bietet sich eine frühe Durchführung während der ersten beiden Semester an. Der Dozent hat jedoch den normativ-partizipativen Sondercharakter der Methode besonders herauszustellen, damit bei den Studierenden kein falscher Eindruck von „typischen“ Zukunftsforschungsmethoden entsteht. 2.7
Schulen der Zukunftsforschung
In den meisten Wissenschaftsdisziplinen haben sich kohärente Denkschulen herausgebildet, die postulieren, was die Ziele der Disziplin seien und wie sie zu betreiben sei. Für die Zukunftsforschung können fünf solcher Paradigmen unterschieden werden:577 die x explorative, x kritische, x partizipatorische, x multikulturelle sowie die x poststrukturelle Zukunftsforschung. 575 576 577
Vgl. hierzu den Herausgeberband von Burow/Neumann-Schönwetter (1997), der sich dezidiert mit der Zukunftswerkstatt als Lehrmethode auch in der Schule beschäftigt. Vgl. Serra del Pino (2002), S. 292. Vgl. für die ersten vier Slaughter (1999), S. 840. Die poststrukturelle Schule wird hier vom Verfasser ergänzt. Ähnlich unterscheidet auch Inayatullah (2002), S. 110, einen prediktivempirischen, kulturell-interpretativen und poststrukturellen Ansatz. Allerdings betrachtet er diese nicht als Schulen, sondern als „overlapping research dimensions“, sodass diese sich nicht konkurrierend gegenüberstehen, sondern ergänzen.
2.7 Schulen der Zukunftsforschung
103
Auf diese fünf Paradigmen wird nachfolgend kurz eingegangen. Nach Einschätzung des Verfassers spielen die Schulen innerhalb der Zukunftsforschung nur eine untergeordnete Rolle.578 Die meisten Zukunftsforscher scheinen sich keiner spezifischen Schule zugehörig zu fühlen, was auch mit deren geringem Bekanntheitsgrad zu erklären ist. 2.7.1
Explorative Zukunftsforschung
Die explorative, empirische bzw. analytische Zukunftsforschung ist vornehmlich datenbasiert. Ihr Ziel sind Prognosen bzw. Aussagen über wahrscheinliche Zukünfte.579 Sie grenzt sich insofern von den in den nachfolgenden Unterkapiteln diskutierten normativen Schulen ab. Als wichtige Vertreter gelten Kahn und Simon. Für Inayatullah unterliegt diese Schule der predictive epistemology, d. h. sie hat keinen gestaltenden, sondern nur rein beschreibenden Charakter.580 Die erfassten Zukunftsbilder sollen möglichst genau und korrekt sein und dienen als Input für die Entscheidungsfindung und Planung.581 Kritisch an diesem Paradigma ist anzumerken, dass die Zukunft hier vornehmlich als Verlängerung der Gegenwart betrachtet wird, sodass sich die Zukunft nicht wesentlich von der Vergangenheit unterscheidet. Die Zukunft wird hier insbesondere nicht aktiv gestaltet, sondern passiv akzeptiert, sodass hier ein deterministisches Weltbild vorliegt.582 Dies hat auch zur Folge, dass gesellschaftliche Strukturen nicht aufgebrochen, sondern gefestigt werden.583 Die Schule geht von einer objektiven Wirklichkeit aus, die desto besser erfasst werden kann, je elaborierter die wissenschaftlichen Methoden sind und je mehr Informationen vorliegen. Für Inayatullah ist diese Sichtweise problematisch, da vergangene, gegenwärtige und zukünftige Ereignisse nicht objektiv erfasst werden können, sondern sozial konstruiert werden und somit subjektiv sind.584 Ferner hält er die Annahme, dass mehr Informationen zu besseren Zukunftsbildern führen, für falsch. Statt einer rein quantitativen Anhäufung von Daten sieht er ein Erfordernis darin, die Wahrnehmung und die Interpretation dieser Informationen zu verbessern.585 578 579 580 581 582 583 584 585
Ähnlich auch Wildman/Inayatullah (1996), S. 724; Inayatullah (2002), S. 110. Vgl. ibd. Vgl. id. (1990), S. 115. Vgl. ibd., S. 117. Vgl. id. (2002), S. 110. Vgl. id. (1990), S. 119 f. Vgl. ibd., S. 117. Vgl. ibd., S. 118.
104 2.7.2
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung Kritische Zukunftsforschung
Die kritische bzw. vergleichende Zukunftsforschung, im Englischen auch critical futures studies, versteht sich als gesellschaftskritisches Paradigma. Es geht davon aus, dass es eine Mehrzahl divergierender sozialer Interessen gibt und verschiedene Wege zur Erkenntnisgewinnung. Eine kritische Haltung wird zwar von vielen Zukunftsforschern grundsätzlich als essenziell eingestuft,586 in keinem anderen Programm wird dies jedoch so deutlich wie hier. Als wichtige Vertreter gelten Henderson, Inayatullah und insbesondere Slaughter, der ihre Grundlagen in seiner Dissertation gelegt hat.587 Bei vielen Veränderungen, die der Mensch vorangetrieben hat, hat er Slaughter zufolge die langfristigen Wirkungen ignoriert.588 Eine Hauptaufgabe sieht die Schule insofern darin, Fehlentwicklungen aufzudecken und zu kritisieren sowie den Menschen zu einer umsichtigeren Lebensführung und zur Einflussnahme auf eine positive Entwicklung zu ermahnen.589 Es geht ihr darum, neues Wissen über die Grundbedingungen der Menschheit zu generieren.590 Sie will in jungen Menschen das Verantwortungsgefühl erwecken, sich für eine lebenswerte Zukunft zu engagieren.591 Die kritische Zukunftsforschung kann insofern als Sonderfall des normativen Zweigs der Zukunftsforschung gelten, zum einen deshalb, weil sie sich insbesondere auf die Abwendung negativer Zukünfte konzentriert, zum anderen, weil sie recht konkrete Vorstellungen vom Wünschenswerten benennt und somit selbst politisch Stellung bezieht. Seine theoretischen Wurzeln sieht der Ansatz im Konstruktivismus, in der Wissenschafts- und Techniksoziologie, in der Frankfurter Schule, im speculative writing592 und in der Umweltanalyse des Strategischen Managements.593 Slaughter benennt für seine Schule folgende Erkenntnisziele:594 x Die Erforschung der sozialen Konstruktion von Zeitlichkeit, x die Erforschung der Formierung, Aushandlung und Bedeutung von Zukunftsbildern, x die Erforschung der sozialen Lernprozesse und der Annahme sozialer Neuerungen, 586 587 588 589 590 591 592 593 594
Vgl. etwa Schischkoff (1969), S. 358. Vgl. Slaughter (1982). Vgl. id. (2002c), S. 350. Vgl. ibd., S. 101. Vgl. ibd., S. 102. Vgl. Slaughter (2002), S. 94. „Stories that comment with awareness on past, present, and a wide range of futures“, Slaughter (2002a), S. 97. Ähnlich auch Inayatullah (1990), S. 128. Vgl. Slaughter (2002a), S. 102.
2.7 Schulen der Zukunftsforschung
105
x die Erforschung der Entwicklung postmoderner Perspektiven, x die Reformulierung und Präsentation von Wissen für zukunftsorientierte Zwecke,
x die Entwicklung einer Ethik gegenüber künftigen Generationen sowie x die Erforschung und Umsetzung von Vorhersagen (foresights).
Er geht dabei von folgenden Grundannahmen aus:595 x Diskurse sind nicht neutral, objektiv oder rational, weil sie auf Traditionen basieren. x Es ist eine reflexive Haltung einzunehmen, d. h. ein Beobachter ist nicht nur passiv, sondern gestalte auch durch sein Handeln. x Menschen streben grundsätzlich nach Freiheit und Selbstbestimmung. x Der Begriff „Fortschritt“ ist nicht wertneutral, da er mit wirtschaftlichen und technischen Lebensbedingungen in Zusammenhang gebracht wird. Kritische Zukunftsforschung verlangt nach einem Diskurs über qualitativ unterschiedliche Zukünfte. x Technologien sind nicht neutral, sondern mit ideologischen und sozialen Interessen verbunden. Problematisch darin ist, dass diese oftmals nicht offensichtlich wären. x Geschichten sind eine wirkungsvolle Methode der Erklärung. Sie können helfen, Zukunftsaspekte zu untersuchen, die den „harten“ Analyseinstrumenten verschlossen bleiben. x Besondere Beachtung ist der Aushandlung von Bedeutungen (etwa über Arbeit, Freizeit, Verteidigung, Gesundheit usw.) zu schenken. Sie ist als besonders wirkungsvoller Prozess der Zukunftsformung zu betrachten. Allgemein akzeptierte Ziele wie Gesundheit und Wohlstand für alle, Gleichberechtigung, gleichmäßiges Wirtschaftswachstum und friedliche internationale Beziehungen haben für Slaughter wenig Substanz, wenn sie auf Annahmen beruhen, die der Realität widersprechen. Daher darf die Kritik nicht an der Oberfläche verweilen, sondern muss auch und insbesondere die grundlegenden Annahmen bzw. Ideologien der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung einbeziehen.596 Je tiefer die Analyse der konstruierten sozialen Wirklichkeit geht, desto mehr Handlungsoptionen werden eröffnet, weil so erkennbar wird, dass viele Grundannahmen kontingent sind.597
595 596 597
Vgl. ibd., S. 97. Hideg (2007), S. 37, ergänzt, eine zentrale Grundannahme der kritischen Zukunftsforschung bestehe darin, dass die Zukunft bereits heute in den Köpfen der Menschen existiert. Vgl. Slaughter (2002a), S. 96; id. (2002b), S. 28. Vgl. ibd., S. 29.
106 2.7.3
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung Partizipatorische Zukunftsforschung
Die partizipatorische, teilweise auch partizipative bzw. aktivistische Zukunftsforschung betont das Recht und die Pflicht zur gemeinsamen aktiven Gestaltung der Zukunft. Wurde in Kap. 2.1 noch darauf hingewiesen, dass die Zukunftsforschung nicht mit politischen Zukunftsbewegungen gleichzusetzen ist, so ist hier zumindest eine Relativierung vorzunehmen. Als wichtige Vertreter dieser Schule gelten Jungk, Boulding, Ziglar und Macy. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass wohl nur ein geringer Teil der Menschen sich dezidiert Gedanken über ihre persönliche und die Zukunft der Gesellschaft, in der sie leben, machen. Mit partizipativen Methoden werden sie mit diesem Mangel konfrontiert und aufgefordert, sich bewusst mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Die partizipatorische Schule fordert also, aus Betroffenen Beteiligte zu machen, so dass es sich um einen transdisziplinären Ansatz handelt. Das weitergehende Ziel ist, Zukunftsgestaltung zu koordinieren: Wenn eine Vielzahl von Menschen ihre jeweils eigenen Zukunftsentwürfe in die Tat umzusetzen versucht, ist völlig unklar, welches Ergebnis dabei entsteht. Die einzelnen Handlungen überlagern sich auf emergente Art und Weise und führen schlimmstenfalls zu einer Zukunft, die keiner wollte. Durch Partizipation werden nicht nur die Handlungen koordiniert, sondern bereits die vorgelagerten Intentionen. Die Schule gründet auf der Annahme und der daraus abgeleiteten Kritik, dass die Zukunft nur durch die Mächtigen gestaltet wird.598 Jungk plädierte dagegen für eine menschenorientierte Zukunftsforschung, bei der insbesondere die schwachen gesellschaftlichen Randgruppen gestärkt und die Mächtigen der Gesellschaft herausgefordert werden sollten. Methodisch stehen Workshopformate, etwa die Zukunftswerkstatt, im Vordergrund.599 Der Kern der partizipativen Zukunftsforschungsmethoden ist, dass die gemeinsame Zukunftsgestaltung von der unbewussten auf die bewusste Ebene und von der inkrementellen Handlungs- auf die Planungsebene gebracht wird. Sie sind in der Regel so ausgestaltet, dass die Teilnehmer – und hierin ist ein wesentlicher Vorteil zu sehen – keine zukunftswissenschaftliche Vorbildung mitbringen müssen.600 Am Ansatz der partizipatorischen Zukunftsforschung sind verschiedene Kritikpunkte möglich. So wird das demokratische Selbstverständnis nicht immer eingelöst oder ist zweifelhaft. So verstand sich die Zukunftswerkstatt ursprünglich 598 599 600
Vgl. Inayatullah (1990), S. 127; Slaughter (2002b), S. 28. Vgl. Kap. 2.6.2.6. Ähnlich auch Hideg (2007), S. 38.
2.7 Schulen der Zukunftsforschung
107
als Vehikel des „kleinen Manns von der Straße“ und ist damit politisch kaum neutral, sondern eher links anzusiedeln. Dies kommt etwa zum Ausdruck, wenn „Veränderungen von unten, von selten gehörten BürgerInnen und abhängig Beschäftigten“601 bzw. von den „unmittelbar Betroffenen […]: mit den Bewohnerinnen und Bewohnern von als soziale Brennpunkte bekannten Orten, mit Arbeitslosen, mit benachteiligten Jugendlichen […]“602 angestoßen und realisiert werden sollen. Repräsentativität ist aber nur gegeben, wenn tatsächlich „Menschen jeden Alters, jeden Berufs, jeder Weltanschauung“603 teilnehmen.604 Unbeantwortet ist in diesem Zusammenhang vor allem die Frage, mit der sich Demokratietheoretiker auseinandersetzen, nämlich, ob die von den Protogonisten dieser Schule kritisierte „Expertokratie“, gemeint ist damit die Politik „von oben“,605 tatsächlich kategorisch schlechter ist als eine basisdemokratische politische Mitbestimmung in komplexen Fragestellungen, die nicht jeder Laie beurteilen kann. Gerade weil die politischen Stimmungen breiter Bevölkerungsschichten stark vom tagespolitischen Geschehen abhängen, birgt die stärkere Beteiligung auch erhebliche Unwägbarkeiten. Kurzfristige, medial beeinflusste Stimmungswechsel dürften sich konträr zu einer langfristigen und nachhaltigen Politik verhalten. Auch wenn dieses Grundproblem hier nicht gelöst werden kann, ist zumindest die Kontrastierung von „oben“ und „unten“ in Frage zu stellen. Echtes Expertentum ist sicherlich zur Lösung schwieriger Probleme von Vorteil. Dass die direkt oder indirekt gewählten Politiker tatsächlich immer Experten sind, darf aber genauso bezweifelt werden wie die Absicherung guter politischer Entscheidungen durch einen breiten Konsens von Laien. Doch auch an der breiten Beteiligung mangelt es grundsätzlich. Geringe Wahlbeteiligungen und die Rede von der allgemeinen Politikverdrossenheit machen auf das Problem aufmerksam, dass die politische Gestaltung der Gesellschaft kein Thema ist, das jeden interessiert. In der Schweiz etwa zeigt sich, dass die eingeräumten Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung scheinbar umgekehrt zu deren tatsächlichen Inanspruchnahme verhalten. Dies hat aber zur Konsequenz, dass partizipatorische Ansätze nur den besonders Aktiv(istisch)en die Macht in die Hände spielen, nicht den Experten und nicht der gesamten Bevölkerung. 601 602 603 604
605
Müllert (2009), S. 271. Ibd., S. 275. Jungk (1978), zit. n. Müllert (2009), S. 271. Zur Entschärfung dieser Problematik ist allerdings vorzubringen, dass der ursprüngliche missionarische Anspruch der Zukunftswerkstatt, die Demokratisierung von unten zu fördern, heute keine dominierende Rolle mehr einnimmt. Müllert (2009), S. 274 f., sieht Parallelen zur generellen Entpolitisierung der Gesellschaft und konstatiert, dass die Zukunftswerkstatt inzwischen im „Establishment“ angekommen ist. So etwa Müllert (2009), S. 272.
108
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Auf einen interessanten Sachverhalt macht Hideg aufmerksam: Während im politischen Leben (zumindest in Demokratien) genaue Regeln für die Herstellung von Konsens existieren, mangelt es den partizipativen Zukunftsforschungsmethoden meist genau an solchen Vorgaben.606 Die Autorin sieht darin allerdings keine Schwäche, sondern eine Stärke, da nicht die Konsensfindung für die Zukunftsgestaltung das richtige Konzept sei, sondern der Diskurs im habermasschen Sinne.607 Denn während der Konsens auf Kosten von Minderheiten auf nur eine wünschenswerte Zukunft zielt, korrespondiert der Diskurs eher mit dem Konzept der alternativen Zukünfte. Kritisch ist hierzu allerdings anzumerken, dass die Gegenüberstellung von Konsensbildung und Diskurs gewissermaßen ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen ist. Es handelt sich um zwei Verfahren, die sich in ihrer Art und Weise unterscheiden, wie Argumente ausgetauscht und gewichtet werden. Dass das eine Verfahren auf ein Ergebnis und das andere auf mehrere zielt, ist aber nicht verfahrensimmanent. Anders als in der Politik sollen die Argumente im habermasschen Diskurs machtfrei unter Gleichberechtigten ausgetauscht werden. Der Austausch von Argumenten ergibt aber nur Sinn, wenn sie gegeneinander abgewogen werden und sich ein Endvotum, z. B. eine wünschenswerte Zukunftsvision, herausbildet. 2.7.4
Multikulturelle Zukunftsforschung
Die multikulturelle bzw. globale Zukunftsforschung geht ähnlich wie die partizipatorische Zukunftsforschung von der Annahme aus, dass die Zukunft von den Mächtigen gestaltet wird. Sie nimmt dabei aber insofern eine Metaperspektive ein, als sie nicht die Verhältnisse innerhalb eines Landes und seiner nationalen Eliten betrachtet, sondern auf der globalen Ebene die westlichen Länder als mächtige und die übrige Welt als schwache Nationen betrachtet. Die multikulturelle Schule der Zukunfsforschung möchte als Gegenbewegung zu diesen globalen Herrschaftsverhältnissen die Interessen nicht-westlicher Länder stärker berücksichtigen. Es geht dabei darum, unterschiedliche Sichtweisen als gleichwertig zu betrachten und diese möglichst zu integrieren.608 Als wichtige Vertreter gelten Sardar, Stevenson und Inayatullah. Die westliche Dominanz lasse sich bereits daran ablesen, dass es mehr westliche Zukunftsforscher als nicht-westliche gibt und Erstgenannte besser Gehör finden. Einschränkend ist hierzu anzumerken, dass diese Feststellung in 606 607 608
Vgl. Hideg (2007), S. 40. Vgl. ibd., S. 42. Vgl. Inayatullah (2002), S. 110.
2.7 Schulen der Zukunftsforschung
109
gleicher Weise für die meisten Wissenschaften zu treffen ist, so etwa auch für die Geschichtswissenschaft.609 Der Grund liegt – zumindest für die Zukunftsforschung – auch darin, dass die westlichen Länder eine längere Tradition in der wissenschaftlichen Zukunftsforschung haben.610 Auch die Annahmen der Zukunftsforschung werden hier als einseitig westlich orientiert aufgefasst.611 So wird etwa die Vorstellung als westlich kritisiert, dass die Zeit als kontinuierliche, lineare, unidirektionale und irreversible Größe angesehen wird. Auch dass Vorstellungen über die Zukunft – zumindest teilweise – für das menschliche Handeln essenziell seien, sei eine typisch westliche Vorstellung, die in nicht-westlichen Ländern keine Selbstverständlichkeit ist.612 Mit anderen Worten ist die Wahrnehmung der Welt subjektiv und erfolgt durch eine kulturelle Brille. Damit sind auch Beurteilungen über wünschenswerte Zukünfte kulturbedingt.613 Westliche Wissenschaftler können sich – so die Kritik – nicht vorstellen, was der Blick in die Zukunft für Menschen bedeutet, die keine Meinungs- und Handlungsfreiheit genießen.614 Der Vorzug dieser Schule ist, dass sie stark interpretativ geprägt ist und den Zukunftsdiskurs über kulturelle Grenzen hinweg erweitert.615 Die westlichen Kulturen können durch neue Sichtweisen auf dieselben Dinge bisher nicht gesehene Alternativen in ihre Betrachtungen einfließen lassen. Damit werden die Grenzen des Denkens über die Zukunft erweitert.616 Ein Nachteil besteht darin, dass die Bewertung von Zukunftsentwürfen relativ und damit möglicherweise beliebig wird:617 „[T]his relativization leads to a situation wherin any future is as good as any other future. […] Thus, the relativization of future often leads to a situation in which we are suddenly anchorless in a sea of cultures.”618 Ein weiterer Nachteil ist ihr konfrontatives Vorgehen. Indem sie den Westen kritisiert, verbaut sie sich selbst Chancen einer konstruktiven Kooperation.
609 610 611 612 613 614 615 616 617 618
Vgl. Rohlfes (2005), S. 25. Vgl. Slaughter (1996), S. 805; id. (2002b), S. 28. Vgl. ibd., S. 28. Vgl. Blass (2003), S. 1045. Vgl. Inayatullah (1990), S. 123. Vgl. Masini (2002a), S. 251. Vgl. Inayatullah (1990), S. 122, m. w. V. Vgl. ibd., S. 123. Vgl. Id. (1990), S. 127. Ibd., S. 127.
110 2.7.5
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung Poststrukturalistische Zukunftsforschung
Die von Inayatullah begründete poststrukturelle Schule der Zukunftsforschung wird von ihm selbst als critical epistemology bezeichnet.619 Die Bezeichnung ist nicht ganz glücklich gewählt, da der Begriff der kritischen Zukunftsforschung – wie Inayatullah selbst anmerkt620 – bereits durch den o. g. Ansatz von Slaughter besetzt ist.621 Dieser selbst betrachtet Inayatullahs Weg jedoch als Weiterentwicklung seiner eigenen Überlegungen.622 Wie schon bei der kritischen und multikulturellen Schule wird auch hier davon ausgegangen, dass die Realität sozial konstruiert wird. Für den Poststrukturalismus existieren Wahrheitsregimes, die dafür verantwortlich sind, wie wir die Wirklichkeit sehen, wie wir sprechen und wie wir die Welt gestalten.623 Besonders deutlich wird dies an politischen Ideologien oder religiösen Vorstellungen.624 Es geht Inayatullah darum, die Machtbeziehungen, die die Wirklichkeit auf diese Weise zu beeinflussen, zu destruieren, d. h. zu „entlarven“ und zu analysieren.625 Inayatullah überträgt diese Sichtweise, die sich sonst mit Vergangenheit und Gegenwart beschäftigt, auf die Zukunft. Einen bestimmten Pfad in die Zukunft einzuschlagen, bedeutet dann zunächst, alternative Pfade auszuschließen. Die Wahl eines Pfades ist rein politisch zu erklären und auf die bestehenden Machtstrukturen zurückzuführen. Für die Poststrukturalisten stellt die Sprache ein zentrales Element dar, mit dem solche Machtstrukturen geschaffen und reproduziert werden.626 Mit der Sprache werden Kategorien geschaffen, die heute im Vergleich zu zurückliegenden Zeitabschnitten zum einzigen Weg avancieren, Dinge zu beschreiben, weil „rationality, mind and order were different […]“627. Sprache ist mit anderen Worten nicht unpolitisch, sondern umgekehrt von politischen Bewertungen durchzogen. Die Aufgabe der Zukunftsforschung ist es dann, die sprachlichen Voraussetzungen zu prüfen und sich von den gegebenen Begrifflichkeiten ggf. zu distanzieren, bevor Aussagen über die Zukunft getroffen werden. 619 620 621 622 623 624 625 626 627
Vgl. ibd., S. 115. Vgl. ibd., S. 128. Vgl. Kap. 2.7.2. Vgl. Slaughter (2002b), S. 29 f. Vgl. Inayatullah (1990), S. 128 ff. Für seinen kritischen Ansatz formuliert Slaughter (2002b), S. 29, in ähnlicher Weise: „So the central concern of CFS has little to do with prediction, forecasting or scenarios. It concerns the recognition of meanings.“ Vgl. Wagar (2002), S. 88. Vgl. ibd., S. 110 f. Vgl. Slaughter (2002b), S. 29. Inayatullah (1990), S. 130.
2.7 Schulen der Zukunftsforschung
111
Inayatullah macht diesen Gedankengang an zwei Beispielen deutlich, die hier über seine Ausführungen hinausgehend kurz weitergedacht werden sollen: Wird etwa ein Zukunftsforscher gebeten, eine Prognose über die Bevölkerungsentwicklung abzugeben, soll er zunächst einen Schritt zurücktreten und sich fragen, welche Wertvorstellungen im Begriff Bevölkerung stecken. Der Autor weist darauf hin, dass wir nicht immer eine Bevölkerung waren. Früher waren wir oder alternativ könnten wir heute einfach das Volk, die Gemeinschaft, Leute, Menschen, Individuen o. Ä. sein. Für den Autor handelt es sich bei der Bevölkerung um einen Begriff, der aus der Statistik stammt. Um das politische Moment daran deutlich zu machen, spricht er sogar von „Staat-istik“ („state-istics“),628 da der Staat Bevölkerungsprognosen in Auftrag gibt. Dieser interessiert sich dafür, mit wie vielen Köpfen er künftig rechnen kann, um Entscheidungen über Steuereinnahmen und Staatsausgaben oder die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme treffen zu können. Es geht ihm also um die pure Masse, nicht um Einzelschicksale. Im Englischen hat die Bezeichnung population sogar noch einen bitteren Beigeschmack, weil er mit Populationen aus dem Tierreich korrespondiert. Mit dieser Vorbewertung muss der Zukunftsforscher bewusst umgehen. Sie schließt damit bestimmte Betrachtungsweisen und Zukunftsentwicklungen von vornherein gedanklich aus. Deutlich wird dies daran, dass ja durchaus denkbar ist, dass wir in einhundert Jahren in einem Nozickschen629 Minimalstaat leben, in dem jedes Individuum über dem Kollektiv steht und es keine Sozialversicherungssysteme gibt, weil jeder für sich selbst vorsorgen soll. In diesem Fall wäre es natürlich gar nicht erst nicht sinnvoll, über die Bevölkerungsentwicklung im Hinblick auf die Finanzierung der Sozialversicherungen nachzudenken. Ein anderes Beispiel stammt aus der Jurisprudenz. Inayatullah hat einige Jahre in der Gerichtsverwaltung von Hawaii gearbeitet. Dort hat er zusammen mit seinem akademischen Lehrer Dator und Mitarbeitern verschiedene Probleme rund um die Zukunft des juristischen Systems analysiert.630 In diesem Zusammenhang stellte sich auch die Frage, inwiefern Vorhersagen über die Zahlen von Kriminellen getroffen werden könnten. Die zunächst unverdächtige Fragestellung beinhaltet jedoch erhebliche Vorannahmen, die man poststrukturalistisch aufdecken muss. So setzt die Bewertung, wer als kriminell gilt, eine Definition voraus, was als strafbar gilt. Lebt man etwa in einhundert Jahren im Gegenteil dessen, was sich Nozick vorgestellt hat, insbesondere in einem kommunistischen 628 629 630
Vgl. ibd., S. 129. Vgl. Nozick (1974); id. 2006. Vgl. etwa Dator (1972); id. (1978); id. (1980); id. (1981); Inayatullah (1985a); id. (1985b); Dator (1988); Inayatullah/Monma (1989); Dator (1991); Dator/Rodgers (1991); Inayatullah (1991); id. (1994); Dator et al. (1994).
112
2. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung
Regime, so existieren dort keine individuellen Eigentumsrechte, sondern alles gehört dem Volk. Wie soll aber die Straftat Diebstahl juristisch definiert werden, wenn es kein Individualeigentum gibt? Diebstahl kann entweder gar nicht definiert werden, weil die Kategorie Eigentum weggefallen ist, oder muss völlig anders definiert werden, indem eine neue Kategorie, etwa Besitz, Besitzkonstitut oder treuhänderische Verwaltung für das Volk, geschaffen wird. Darüber hinaus setzt unsere heutige Definition von strafbaren Handlungen i. d. R. ein Verschulden voraus. Nehmen wir aber an, in einem künftigen kollektivistischen Staat wird das Prinzip der Eigenverantwortung negiert. Stattdessen sind für alles das „soziale Millieu“ oder die Gene verantwortlich. Kann man sich denn überhaupt strafbar machen, wenn man für sein Handeln nicht verantwortlich ist? Beide Beispiele zeigen deutlich, dass der Vergangenheit, die ihren Niederschlag (u. a.) in unserer Sprache findet, eine erhebliche Bedeutung bei der Beurteilung der Zukunft zukommt. Will man die möglichen Zukünfte möglichst breit analytisch angehen, ist es hilfreich, sich diese Restriktionen bewusst zu machen, um sie gedanklich einzureißen und die Spannweite möglicher Zukünfte zu erhöhen. Für Inayatullah ist es sinnvoller, die Sprache zu destruieren, um die Zukunft neu zu konstruieren, als nach besseren Vorhersagen auf Basis der bestehenden, diktierten Wahrheiten zu verlangen.631 Man kann also sagen, es geht dem Autor nicht nur um die Entwicklung alternativer, sondern radikal alternativer Zukünfte in Sinne von „entire new configurations that challenge our notions of conventionality.“632
631 632
Vgl. Inayatullah (1990), S. 134. Ibd., S. 135.
3.
Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
3.1
Didaktikbegriffe
3.1.1
Allgemeine Didaktik und Curriculumforschung
3.1.1.1
Allgemeine Didaktik
Die Didaktik ist in den kontinentaleuropäischen Ländern633 eine etablierte Wissenschaft634 und ein historisch gewachsenes Kulturgut, das auch international geachtet wird.635 Der Begriff wird allerdings in der Literatur uneinheitlich verwendet.636 Seine beinahe inflationäre Verwendung provoziert zudem seinen Verschleiß.637 Der etymologische Ursprung des Didaktikbegriffs liegt im Griechischen: „didáskein“ lässt sich einerseits als „lehren“, andererseits als „lernen“ übersetzen.638 Die gängigsten Auffassungen sehen Didaktik als Wissenschaft x vom Lehren und Lernen überhaupt (wichtige Vertreter: Willmann, Hausmann, Dolch), x vom Schulunterricht (Heimann, Roth, Schulz, Klafki),639
633
634 635 636 637 638 639
In den englischsprachigen Ländern gibt es zwar auch den inhaltlich weitgehend deckungsgleichen, aber wenig verwendeten Begriff didactics (Terhart (2003), S. 25, übersetzt Allgemeine Didaktik mit general didactics und Fachdidaktik mit discipline-focused didactics). An seiner Stelle wird je nach Erkenntnisschwerpunkt eher von curriculum (Lehrziele und Lehrinhalte), theory of instruction (Lehrmethoden) oder (empirical) research on teaching (empirische Unterrichtsforschung) gesprochen. Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 14, 28. Zur Geschichte der Didaktik als Wissenschaft vgl. ibd., S. 11 ff.; Bönsch (2006), S. 11 ff. Vgl. Reusser (2008), S. 224. Vgl. Reich (1977), S. 14; Zwyssig (2001), S. 11. Vgl. Blankertz (1975), S. 16. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 22; Jank/Meyer (2003), S. 10; Speth (2007), S. 13, Fn. 2. Die Einengung des allgemeinen Didaktikbegriffs auf den Schulunterricht ist problematisch, da Didaktik ja auch etwa an Berufsschulen und Hochschulen benötigt wird; ähnlich auch Timmerhaus (2001), S. 24.
V. Tiberius, Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung, DOI 10.1007/978-3-531-92869-2_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
114
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
x von den Bildungsinhalten und Bildungskategorien, ihrer Struktur und Auswahl (Weniger, Derbolav, Klafki) oder
x von der Steuerung von Lernprozessen (von Cube, Frank).640 Wie in der Einleitung bereits anklang, zielt die Didaktik in hiesiger Lesart – pointiert gesagt – auf die Optimierung des Lernens durch die Optimierung des Lehrens.641 Es gibt in der deutschsprachigen Forschung eine größere Zahl präskriptiver Didaktikmodelle.642 Dabei handelt es sich um vorgeschlagene Theoriegebäude zur Modellierung und zur Analyse didaktischen Handelns, die sich mit den Voraussetzungen, Möglichkeiten, Grenzen und Konsequenzen von Lehren und Lernen beschäftigen.643 Die in solchen Modellen enthaltenen Aussagen sind teilweise normative Setzungen, teilweise empirisch überprüfbare Annahmen,644 wobei die Überprüfung nicht als Geschäft der Didaktik selbst angesehen wird.645 Es spricht eine Reihe von Gründen dafür, auf eine ausführliche Darstellung der einzelnen Didaktikschulen an dieser Stelle zu verzichten:646 x Zuallererst gibt es inzwischen zahlreiche sehr gute Zusammenfassungen dieser Modelle. An dieser Stelle kann und soll kein darüber hinausgehender Erkenntnisgewinn erzielt werden. Insofern sei der uninformierte Interessent auf die dortigen Darstellungen verwiesen.647 x Keines der Modelle kann für sich Allgemeingültigkeit beanspruchen.648 Sie setzen unterschiedliche Schwerpunkte649 oder betrachten dieselben Fragen aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie sind dabei keineswegs so inkommensurabel, wie die konfliktäre Gegenüberstellung dies manchmal glauben lassen mag. Inzwischen haben sich die Modelle auch aufeinander zubewegt und vermischt.650 Es ist vor diesem Hintergrund äußerst schwierig, die Präferenz für einzelne oder gar für ein einziges 640 641 642 643 644 645 646 647 648 649 650
Vgl. Beckmann (1991), S. 674; Timmerhaus (2001), S. 24. Ähnlich auch Rohlfes (2005), S. 97. Vgl. Brand (2006), S. 65, m. w. V. Vgl. Blankertz (1975), S. 17; Jank/Meyer (2003), S. 35. Vgl. Blömeke et al. (2007), S. 369. Vgl. zur Anschlussfähigkeit empirischer Forschung an die Didaktik Kap. 4.1. Wenn in dieser Arbeit besonders auf die konstruktivistische Didaktik rekurriert wird, so ist bereits hier darauf hinzuweisen, dass es sich – trotz bisweilen andeslautender Darstellung in der Literatur – um kein Didaktikmodell i. S. v. Kap. 3.1.1.1 handelt. Siehe etwa Blankertz (1975); Reich (1977); Gudjons/Winkel (2002); Peterßen (2001); von Martial (2002); Jank/Meyer (2003), S. 203 ff.; Kron (2004). Portraits weniger bekannter Didaktikschulen finden sich bei Bönsch (2006), S. 53 ff. Vgl. Brand (2006), S. 72. So konzentrieren sich die bildungstheoretische bzw. die kritisch-konstruktive Didaktik Klafkis eher auf Ziel- und Inhaltsaspekte, während etwa die lern- und lehrtheoretischen Didaktikschulen eher auf methodische Fragen fokussieren, vgl. Reusser (2008), S. 225 f. Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 141, 303.
3.1 Didaktikbegriffe
115
Modell darzulegen. Eine streng wissenschaftliche Ableitung des „besten“ Modells ist, da diese normativen Charakter haben, unmöglich. x Gewissermaßen haben die didaktischen Modelle zudem, gemessen an der Intensität der Diskussionen in der Literatur, ihre Blütezeit, die auf die 1960er- und 1970er-Jahre datiert wird, inzwischen überschritten.651 An ihre Stelle sind mittlerweile neue Diskussionsstränge getreten, die dieselben Grundfragen bearbeiten, aber anders vorgehen,652 so die Fachdidaktiken, die sich mit ihrer jeweiligen disziplinären Referenz weitgehend von der Allgemeinen Didaktik emanzipiert haben,653 und so auch die empirische Bildungs- und Unterrichts- bzw. Lehr-Lern-Forschung, die vor einem kognitions-, motivations- und entwicklungspsychologischen Hintergrund nicht nur normative Ideen der Didaktikmodelle überprüfen, sondern darüber hinaus auch eigene Erkenntnisse hervorbringen will.654 x In der Hochschuldidaktik spielen solche Modelle schließlich in der aktuellen Diskussion praktisch keinerlei Rolle.655 Da die Didaktik der Zukunftsforschung fachbedingt als Hochschuldidaktik anzusehen ist, spricht nichts dafür, hiervon abzuweichen. Wie in der Einleitung bereits angesprochen, lassen sich fünf didaktische Komponenten bzw. Teilproblemkreise identifizieren: Lehrziele, Lehrinhalte, Lehrmethoden, Lehrmedien und Lernerfolgskontrollen. Diese können bei aller Disparität des Didaktikbegriffs als zentraler Kern einer Didaktikkonzeption betrachtet werden,656 genauer gesagt einer Didaktik im weiten Sinne, die – anders als die Didaktik im engen Sinne – auch lehrmethodische Fragestellungen einschließt.657 Die genannten Didaktikbestandteile sind insbesondere die zentralen Aspekte mehrerer Didaktikmodelle. So verwendet die auch als Berliner Modell bezeichnete lerntheoretische Didaktik um Heimann, Otto und Schulz die Entscheidungsfelder Intentionen (Ziele), Thematik (Inhalte), Methodik und Medien („Entscheidungsfelder“).658 Die lehrtheoretische Didaktik, 651 652 653 654 655 656 657 658
Vgl. Terhart (1999), S. 629; Jank/Meyer (2003), S. 37; Terhart (2003), S. 25; Reusser (2008), S. 220. Vgl. Reusser (2008), S. 220. Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 38; Blömeke et al. (2007), S. 369; Reusser (2008), S. 222. Siehe Kap. 3.1.2 für weitere Ausführungen. Vgl. Terhart (2002), S. 77; Gudjons (2003), S. 251; Blömeke et al. (2007), S. 369; Reusser (2008), S. 220. Vgl. Brand (2006), S. 73. Vgl. Borsum et al. (1982), S. 52; Klafki (1994), S. 44; Timmerhaus (2001), S. 230; von Martial (2002), S. 17 f.; Speth (2007), S. 14 und folgende Hinweise. Ähnlich auch Möller (1973), S. 27. Vgl. Jongebloed/Twardy (1983), S. 174; Gudjons (2003), S. 233. Vgl. Heimann et al. (1975), S. 23. Diese und die beiden Bedingungsfelder (anthropogene Voraussetzungen und sozialkulturelle Voraussetzungen) bilden zusammen die Faktoren, die Gegenstand der „Strukturanalyse“ des Unterrichts sind.
116
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
auch als Hamburger Modell bekannt, nennt als zentrale, unterrichtsbezogene Handlungsmomente didaktischen Planens ebenfalls Unterrichtsziele (Intentionen und Themen), Vermittlungsvariablen (Methoden und Medien) sowie die Erfolgskontrolle.659 Auch die kybernetische Didaktik arbeitet mit den genannten Komponenten: Das exogen vorgegebene Lehrziel soll erreicht werden. Dazu stehen dem Lehrer (Regler) mehrere Stellglieder, insbesondere Methoden und Medien, zur Verfügung. Im Rahmen der Lern(erfolgs)kontrolle wird der Zielerreichungsgrad beim Schüler (Regelgröße) gemessen.660 Schließlich stimmt diese Zusammenstellung auch – über die Didaktikmodelle hinausgehend – weitgehend mit den Komponenten überein, die Bestandteil eines Curriculums sein sollen:661 Bei seiner Untersuchung von 21 gängigen Curriculumdefinitionen hat Reisse Ziele, Inhalte, Organisation, Methoden, Kontrolle, Mittel, Begründungen und einzelne sonstige Teilaspekte identifiziert.662 Der Organisations- und der Methodenbegriff lassen sich teilweise nur schwer auseinanderhalten, weshalb sie hier vereinfacht zusammengeführt werden. Der Mittelbegriff wird hier mit dem heute gängigeren Medienbegriff gleichgesetzt. Begründungen werden vornehmlich auf der Zielund der Inhaltsebene gefordert, nach hiesiger Auffassung sind jedoch auch die übrigen Entscheidungen und Vorschläge zu begründen, weshalb es sich erübrigt, den Begründungszusammenhang als eigenständige Komponente zu betrachten. Er ist vielmehr also Bestandteil jeder der Komponenten, welche zusammen das „äußere Gerüst für fachliche Lehrpläne“663 bzw. Curricula bilden. 3.1.1.2
Curriculumforschung
Die didaktische Diskussion steht in engem Zusammenhang mit dem Begriff des Curriculums. Ende der 1960er-Jahre wurde der Didaktikbegriff in der Literatur deutlich zurückgedrängt und vom Begriff des Curriculums überschattet.664 Dieser stammt vom lateinischen „currere“, das mit „laufen“ übersetzt werden kann, und ist insofern allgemein und wertneutral als Ablauf oder als Anordnung von Lehrinhalten zu verstehen.665 659 660 661 662 663 664 665
Vgl. Schulz (1981), S. 83 et pass. Vgl. von Cube (1999), S. 60 et pass. Zum Curriculumbegriff und zu seiner nicht immer eindeutigen Abgrenzung sowohl zur Didaktik als auch zum Lehrplan vgl. Kap. 3.1.1.2. Vgl. Reisse (1972), S. 10 f. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 230. Vgl. ibd., S. 25, 34. Vgl. ibd., S. 23.
3.1 Didaktikbegriffe
117
Im deutschsprachigen Raum ist der Curriculumbegriff untrennbar mit dem Namen Robinsohn verbunden, der ihn in seinem Buch „Bildungsreform als Revision des Curriculum“ wieder666 populär gemacht hat.667 Er fällt damit in die typische Zeit der Reformpädagogik, die in enger Verbindung zu den Studentenunruhen von 1968 steht. So ist auch nachvollziehbar, weshalb Robinsohn nicht nur von der Entwicklung von Curricula, sondern von deren Revision spricht.668 Robinsohns Vorstoß galt weniger der Entwicklung einzelner Curricula, sondern der Revision des Gesamtcurriculums im Sinne einer vollumfänglichen Reform des gesamten Bildungswesens.669 Für das Curriculum existiert eine Unzahl von Definitionsvorschlägen.670 Am plastischsten wird die Begriffsbestimmung durch die Gegenüberstellung zum Lehrplan.671 Seit Robinsohn wird in der deutschsprachigen Literatur zwischen beiden Begriffen in der Regel streng unterschieden:672 Eine verbreitete Auffassung grenzt die Begriffe dahingehend ab, dass ein Lehrplan sich mit dem Was, also den inhaltlichen Fragen, auseinandersetzt. Das Curriculum thematisiert darüber hinausgehend auch das Warum, d. h. den Begründungszusammenhang für die Auswahl der Ziele und Inhalte.673 Die Begründung erfolgt dabei deduktiv,674 indem ausgehend von einer Analyse der zu bewältigenden Lebenssituationen dazu erforderliche Qualifikationen bestimmt werden, von denen wiederum qualifikationsfördernde Lehrinhalte abgeleitet werden. Darüber hinaus wird ggf. auch das Wie, also die Entwicklung bzw. Revision von Curricula, betrachtet.675 666 667 668 669 670 671
672 673 674 675
Zur Historie des Curriculumbegriffs in der Pädagogik vgl. Brand (2006), S. 23 ff., derzufolge der Begriff erstmals im Jahre 1531 in Johann Ludwig Vives Werk „De Disciplines“ benutzt wurde. Vgl. Robinsohn (1969), erstmals erschienen 1967. Ähnlich auch Brand (2006), S. 40. Vgl. Ghisla (1977), S. 59. Vgl. Neven (1983), S. 117; Zillober (1984), S. 18 f.; Brand (2006), S. 51. Dabei darf durchaus bezweifelt werden, dass diese begriffliche Trennung von Robinsohn (1969) beabsichtigt war. Schon am Titel des Buches lässt sich ja erkennen, dass der Autor gefordert hat, Curricula (nicht Lehrpläne) zu revidieren, was logisch voraussetzt, dass die bisherigen, zu überarbeitenden Lehrpläne auch bereits als Curricula bezeichnet wurden. Für ihn waren die Begriffe also zunächst Synonyme, vgl. auch Robinsohn (1969), S. 1. Erst mit seiner Forderung, eine neue Auffassung von Curriculum einzunehmen, wurde der Begriff neu gefüllt. Ähnlich auch Neven (1983), S. 124 f. Vgl. Brand (2006), S. 31, m. w. V. Auf die Deduktionsproblematik wurde in der Arbeit verschiedentlich hingewiesen. Das Curriculum ist gerade aufgrund der Wie-Frage nicht nur als Ergebnis, sondern auch als vorangehender Prozess zu dessen Erreichung aufzufassen, vgl. auch Hameyer et al. (1983), S. 21, die insofern zwischen einem Curriculumbegriff im engen und im weiten Sinne unterscheiden, ähnlich auch Brand (2006), S. 40. Es empfiehlt sich jedoch, für diese mit der Prozessperspektive verbundenen Tätigkeiten die Begriffe Curriculumentwicklung oder Curriculumrevision zu verwenden, um die Begriffsverwirrung auf ein Minimum zu reduzieren.
118
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Der Lehrplan wählt seine Ziele und Inhalte darüber hinaus traditionalistisch und somit inhaltlich unbegründet aus, während sich das Curriculum an der aktuellen und der zukünftigen Lebenswirklichkeit orientiert und die normative Willkür didaktischer Entscheidungen durch Objektivität bzw. Wissenschaftlichkeit ersetzen will.676 Deshalb ist das Curriculum auch dynamisch aufzufassen: Der Kanon von Lehrzielen, Lehrinhalten, Lehrmethoden und Lehrmedien und Maßnahmen der Lernerfolgskontrolle ist permanent zu überprüfen. Nicht mehr Zeitgemäßes ist zu aktualisieren.677 Der Lehrplan formuliert seine Ziele zudem als Lehrstoff, das Curriculum als Verhaltensweisen bzw. als Qualifikationen. Ersterer gibt vergleichsweise genaue Vorgaben, die der Lehrende nur noch umzusetzen hat, während Letzteres dem Lehrenden mehr Freiheiten, damit aber auch die Verpflichtung zu eigenen didaktischen Entscheidungen gibt.678 In diesem Sinne ist ein Curriculum als halboffen zu bezeichnen.679 Für den Prozess der Curriculumentwicklung liegen so zahlreiche und disparate Vorschläge vor, dass Brand hierzu ernüchternd feststellt: „Die Theorie der Curriculumentwicklung hat längst ein Komplexitätsniveau erreicht, das Laien kaum zu erklären und selbst Fachleuten nur schwer zugänglich ist. […] [D]ie Modelle [sind] aufgrund unterschiedlicher wissenschaftstheoretischer Grundlagen, Annahmen und Voraussetzungen einer vergleichenden Bewertung kaum zugänglich […].“680 In Deutschland wurden die Überlegungen Robinsohns auf politischer Ebene sehr zügig, nämlich bereits ab 1970, aufgegriffen. Allerdings musste sein Idealmodell einerseits aufgrund von politischer Uneinigkeit (insbesondere auf Länderebene), andererseits wegen Umsetzungsschwierigkeiten in der Praxis stark reduziert werden.681 Die bereits Ende der 1970er-Jahre deutlich abgeflachte Curriculumbewegung wird heute als weitgehend gescheitert angesehen.682 In der Folge schwang schon damals das begriffliche Pendel vom Curriculum zur Didaktik zurück.683 In der 676 677 678 679
680 681 682 683
Vgl. Robinsohn (1969), S. 27 f. Vgl. Deutscher Bildungsrat (1971), S. 226. Vgl. Potthoff (1973), S. 6 f. et pass. Umgekehrt wurde gerade auch dem Curriculum der Vorwurf gemacht, zu geschlossen zu sein und somit Lehrer und Schüler in vollständig durchgeplante Lehr-Lern-Prozesse zu zwingen, vgl. Gudjons (2003), S. 249. Offene oder halboffene Arrangements sind insofern als Lösungsansatz zu diesem Problem zu betrachten. Brand (2006), S. 56. Für die hiesigen Zwecke ist eine dezidierte Nachzeichnung der Diskussion nicht erforderlich, zum einen, weil sie inzwischen als überholt gilt, zum anderen weil sie nicht auf die Hochschule bezogen wurde. Zur historischen Entwicklung der „Curriculumpolitik“ in Bund und Ländern vgl. Brand (2006), S. 25 ff. Vgl. Brand (2006), S. 27 f. Vgl. Ziechmann (1979), S. 93.
3.1 Didaktikbegriffe
119
Hochschuldidaktik spielte die Curriculumentwicklung in Deutschland praktisch keinerlei Rolle.684 In den englischsprachigen Ländern wird hingegen auch dort von curriculum development gesprochen.685 Obwohl die Curriculumforschung außerhalb Deutschlands etwa zeitgleich Fahrt aufnahm,686 kennt die internationale Literatur die Abgrenzungsprobleme zwischen Curriculum und Lehrplan nicht. Der Curriculumbegriff ist dort fest etabliert und kennt keine Konkurrenten.687 Für die hiesigen Zwecke soll festgehalten werden, dass der Curriculumbegriff im deutschsprachigen Raum nach wie vor sehr eng mit den spezifischen Überlegungen und Vorschlägen Robinsohns verbunden ist. Da sich diese in der Praxis nicht durchgesetzt haben und auch theoretisch angreifbar sind, gilt der Begriff in der deutschen Pädagogik als weitgehend verpönt. In der internationalen Literatur findet sich bisweilen ebenfalls die Aussage, das Curriculum sei am Ende.688 Überwiegend ist der Begriff jedoch als zeitlos einzustufen. Da die Zukunftsforschung eine Wissenschaft ist, die in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle spielt, wäre es verfehlt, den deutschsprachigen Curriculumbegriff zugrunde zu legen. Die Curriculumforschung ist hinsichtlich der Fragen, mit denen sie sich beschäftigt, weitgehend mit dem identisch, was die Allgemeine Didaktik anstrebt, kann jedoch insgesamt als praxisnäher und weniger „verkopft“ bezeichnet werden.689 Insofern bietet es sich im Sinne der notwendigen Internationalität an, die Begriffe als Synonyme zu verstehen. Die Curriculumtheorie ist insofern „nur als weitere Bedeutungsvariante in der Diskussion um die Tragweite des Didaktik-Begriffes“690 zu sehen. Curriculum ist in diesem neutralen Sinne ein schriftliches Dokument, das normative Aussagen darüber enthält, nach welchen Richtlinien die Lehre eines Faches zu gestalten ist.691 So soll die vorliegende Arbeit verstanden werden.
684
685 686 687 688 689 690 691
Vgl. Brand (2006), S. 29; ähnlich auch Zwyssig (2001), S. 139, für das Hochschulstudium der Betriebswirtschaftslehre. Zillober (1984), S. 18, betrachtet das Curriculummodell als sinnvollen Rahmen für die Strukturierung hochschuldidaktischer Fragestellungen, und zwar auch für den Fall, dass Hochschulunterricht selbst nicht curricular aufgefasst wird. Vgl. Moon (2002), S. 55. So wurde etwa das Journal of Curriculum Studies im Jahre 1968 etabliert. Ähnlich auch Brand (2006), S. 25. Vgl. Reid (1998), S. 499 f. Vgl. Moon (2002), S. 42. Timmerhaus (2001), S. 24. Vgl. Brand (2006), S. 50.
120
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
3.1.2
Fachdidaktik
3.1.2.1
Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung
Für den Begriff der Fachdidaktik liegen zahlreiche Definitionsversuche vor,692 über die keineswegs Einigkeit besteht.693 Wie die Allgemeine Didaktik verstehen sich auch die Fachdidaktiken als eigenständige Wissenschaften.694 Speth liefert eine für die hiesigen Zwecke gut geeignete, nicht unnötig aufgeladene Definition. Fachdidaktik wird darin als jene Didaktik verstanden, deren Aussagefeld durch die Bezugswissenschaft determiniert ist und die darauf ausgerichtet ist, für systematische, zielgerichtete Lehr- und Lernprozesse Handlungsanweisungen695 zu formulieren, die sich – in der Folge – in Lehrplänen bzw. Curricula niederschlagen.696 Die Geburtsstunde der wissenschaftlichen Entwicklung der Fachdidaktik datiert Timmerhaus sehr präzise auf den fünften Pädagogischen Hochschultag vom 1. bis 5. Oktober 1962 in Trier.697 Nach einer Phase der Hochkonjunktur in den 1970er-Jahren ist es Mitte der 1980er-Jahre zu einer Stagnation der Fachdidaktik gekommen.698 In den 1990er-Jahren ist sie zwar wieder aufgewertet worden,699 dennoch ist seitdem eine „schleichende institutionelle und personelle Auszehrung der Fachdidaktiken als eigenständige Wissenschaftsdisziplinen“700 festzustellen. Die Idee der Fachdidaktik wurde sogar als „Hundert-MillionenMark-Missverständnis“701 bezeichnet. Die Aufgaben der Fachdidaktiken lassen sich wie folgt umreißen: x Didaktikbestimmung: Zunächst wählen Fachdidaktiken Lehrziele und Lehrinhalte eines Faches begründet aus, ordnen diese und diskutieren 692 693 694 695 696 697 698 699 700 701
Vgl. Achtenhagen (1981), S. 278. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 22. Für die Ansichten verschiedener Kommissionen, Gremien und Personen vgl. ibd., S. 56 ff. Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 138. Besser wäre sicherlich von Handlungsempfehlungen zu sprechen. Immerhin soll der Lehrende selbst didaktische Entscheidungen treffen. Vgl. dazu die Ausführungen zum halboffenen Curriculum in Kap. 3.1.1.2 et pass. Vgl. Speth (2007), S. 21 f. Hiermit wird für den Anspruch der vorliegenden Arbeit nochmals betont, dass das Ziel in einer Didaktik, nicht in einem konkreten Lehrplan besteht. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 150. Vgl. Reich (2008), S. 67. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 13, 18 f., m. w. V., Die Dissertation des Autors liefert einen ausführlichen Überblick über das Auf und Ab der Fachdidaktik in Deutschland während 40 Jahren, vgl. ibd., S. 29 ff. Timmerhaus (2001), S. 14. Nachtigall (1984), S. 73.
3.1 Didaktikbegriffe
121
deren methodische und mediale Umsetzung.702 Die Fachdidaktik kann sich jedoch nicht auf eine einmalige Normierung zurückziehen. Ihre didaktischen Entscheidungen unterliegen einer permanenten, kritischen Evaluation und damit der beständigen Revisionsmöglichkeit. Lehrpläne bzw. Curricula und Unterrichtskonzepte sind immer wieder auf Vollständigkeit, Aktualität, Widerspruchsfreiheit und Umsetzbarkeit hin zu untersuchen.703 Indem sie solche Entscheidungen trifft, ist die Fachdidaktik wie die Erziehungswissenschaft in weiten Teilen eine normative Wissenschaft.704 x Unterrichtsforschung: Darüber hinaus ist die Fachdidaktik eine empirische Wissenschaft, indem sie Lehr-Lern-Arrangements mit quantitativen und qualitativen Methoden erforscht.705 Sie kann so Qualität und Wirksamkeit ihrer Konzepte und der Lehrrealität messen und daraus Schlussfolgerungen ziehen. x Wissenschaftstheorie: Schließlich soll die Fachdidaktik auch ihre eigenen Grundlagen reflektieren, wozu auch gehört, sich mit ihrer Bezugsdisziplin, deren historische Entwicklung sowie deren Denkstrukturen auseinander- und sich mit anderen Fachdidaktiken ins Verhältnis zu setzen.706 Neben dem Begriff der Fachdidaktik finden sich in der Literatur auch Forderungen nach einer Bereichs- oder Domänendidaktik. Nach hiesiger Auffassung sollte das Präfix „Fach“ in Fachdidaktik grundsätzlich nicht dahingehend missinterpretiert werden, dass es zwingend mit einer Fachwissenschaft oder mit einem Schulfach korrespondiert, auch wenn diese Konnotation im Allgemeinen zu überwiegen scheint. Es wäre also allgemeiner von einem Lernbereich oder Lern- bzw. Aufgabenfeld zu sprechen.707 Da sich Fachdidaktiken auf der einen Seite und Bereichs- oder Domänendidaktiken auf der anderen Seite lediglich hinsichtlich der Definition ihrer Bezugsgröße, dagegen nicht bei ihren Zielen, Aufgaben und Vorgehensweisen nach den Darstellungen in der Literatur zu unterscheiden scheinen, ist die Differenzierung für die hiesigen Zwecke prinzipiell nicht weiter relevant. Will man trotzdem genauer unterscheiden, so sind Bereichsdidaktiken spezielle Didaktiken für Lernbereiche, die sich nicht allein aus einer Fachwissenschaft 702 703 704 705 706 707
Vgl. Deutscher Bildungsrat (1971), S. 225 f.; Borsum et al. (1982), S. 52; Klafki (1994), S. 44; Timmerhaus (2001), S. 230; von Martial (2002), S. 17 f. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 247. Vgl. ibd., S. 228; vgl. auch Zillober (1984), S. 15, für die Hochschuldidaktik von Studienfächern. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 234 f.; Hasberg (2002), S. 61, 68. Vgl. Deutscher Bildungsrat (1971), S. 226; Gebelein (1978), S. 746; Borsum et al. (1982), S. 52. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 25; de Haan (2008a), S. 37.
122
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
speisen, sondern interdisziplinär angelegt ist.708 Beispiele hierfür sind die Didaktiken der Umwelterziehung, der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung, der Friedenserziehung, der Gesundheitserziehung etc.709 Da die Zukunftsforschung eine interdisziplinäre Wissenschaft ist, könnte ihre Didaktik somit auch als Bereichsdidaktik aufgefasst werden. Eine Domänendidaktik bezieht sich auf ein Feld von Wissen und Fähigkeiten, in dem ähnliche Problemlösungsstrategien, Wissensbestände, Erfahrungen und normative Orientierungen genutzt werden, wobei diese Ähnlichkeiten für den Lernenden nachvollziehbar sein müssen.710 Die überwiegenden Domänen sind schlecht definiert, da die meisten Problemstellungen der Lebenswelt unklar sind, keine klaren Erfolgsmaßstäbe existieren, keine eindeutigen Lösungsansätze bestehen und Handlungen nicht immer die angestrebten Ergebnisse hervorbringen.711 Insbesondere Öko-, Wirtschafts- und Sozialsysteme sind solche schlecht definierten Domänen.712 Lebensweltliche Domänen müssen daher fachliche Grenzen überschreiten, inter- bzw. transdisziplinär vorgehen und Theorie und Praxis miteinander verbinden.713 Der Nachteil einer domänenspezifischen Vorgehensweise ist, dass sich Wissen und Fähigkeiten einer Domäne schlecht auf andere transferieren lassen. Eine solche Transferleistung setzt hohe Kognitionsleistungen der Lernenden voraus,714 die nicht immer als gegeben angenommen werden können. Im Übrigen erinnert die Domänendefinition ein wenig an die Diskussion, ob eher materiale oder formale Bildungsinhalte gelehrt werden sollten,715 und hier an die Plädoyers für eher formale, von konkreten Inhalten losgelöste Qualifikationen oder Kompetenzen. Dass Fähigkeiten nicht abstrakt, sondern nur an konkreten Sachverhalten erlernt werden können, gilt heute jedoch als überwiegend anerkannt. Die Zukunftsforschung ist eine Wissenschaftsdisziplin und daher nicht unter den Domänenbegriff subsumierbar. Lediglich einzelne Domänen könnten unter Zukunftsaspekten betrachtet werden.
708 709 710 711 712 713 714 715
Vgl. Beckmann (1991), S. 674; Jank/Meyer (2003), S. 34. Der Begriff „Bereichsdidaktik“ wird teilweise auch für Spezialdidaktiken einzelner Schulstufen und -formen verwendet. Diese sollen jedoch als „Stufendidaktiken“ oder als „Schulartendidaktiken“ bezeichnet werden, vgl. iid. Vgl. Rohlfes (2005), S. 97; de Haan (2008a), S. 37. Der Begriff „Bereichsdidaktik“ wird teilweise auch für Spezialdidaktiken einzelner Schulformen und Schulstufen verwendet. Diese sollen jedoch als Stufendidaktiken bezeichnet werden, vgl. Jank/Meyer (2003), S. 34 befassen. Vgl. de Haan (2008a), S. 36. Vgl. ibd., S. 36 f. Vgl. ibd., S. 37. Ähnlich auch de Haan (2008a), S. 37. Vgl. de Haan (2008a), S. 38 f. Hierzu und zur Auflösung dieser Dualität durch die kategoriale Bildung vgl. Klafki (1970a), S. 27 et pass.
3.1 Didaktikbegriffe
123
Die einzelne Fachdidaktik kann als zwischen ihrer Bezugsdisziplin und der Allgemeinen Didaktik bzw. allgemeiner: der Erziehungswissenschaft positioniert angesehen werden,716 was sie selbst zu einer interdisziplinären Wissenschaft macht.717 Dieses Dreiecksverhältnis soll nachfolgend kurz aufgehellt werden. 3.1.2.2
Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik
Das Verhältnis zwischen Allgemeiner und Fachdidaktik kann dadurch auf den Punkt gebracht werden, dass sich die allgemeine Didaktik nicht auf spezifische Fächer bezieht, sondern sich mit dem fachunabhängigen Lehren und Lernen befasst, während die Fachdidaktiken gerade auf die jeweiligen Spezifika ihrer Bezugswissenschaft eingehen.718 Unter „Fach“ wird dabei ein Lehrgebiet verstanden, und zwar unabhängig davon, in welcher Schulinstitution – etwa allgemeinbildende Schule, Berufsschule oder Hochschule – dieses gelehrt wird.719 In Deutschland existieren nach Schätzung von Jank und Meyer etwa 200 wissenschaftlich eigenständige Fachdidaktiken.720 Gerade an solchen Aussagen erhärtet sich die Kritik, dass es zu einer ausufernden Zahl von Fachdidaktiken kommen könnte.721 Nicht nur jedes Lehrfach könnte seine jeweils eigene Fachdidaktik hervorbringen, sondern auch einzelne Themengebiete könnten sich in didaktischer Hinsicht ausdifferenzieren (z. B. Didaktik der Kostenrechnung innerhalb der Didaktik der Betriebswirtschaftslehre).722 Weiterhin könnten sich Fachdidaktiken matrixartig mit Stufendidaktiken überkreuzen (z. B. Fachdidaktik der Geschichte für die Sekundarstufe II). Schließlich wäre eine Unterscheidung nach Zielgruppen möglich (z. B. Fachdidaktik der Rechtswissenschaft für Wirtschaftswissenschaftler). 716
717 718 719 720 721 722
Vgl. Elbers (1974), S. 9; Borsum et al. (1982), S. 52. Timmerhaus (2001), S. 148 f. sieht die Fachdidaktik sogar im Zentrum des Spannungsfelds von drei Diziplinen, die er als „Berufswissenschaften des Lehrers“ bezeichnet: nämlich Fachwissenschaft, Allgemeine Didaktik und Erziehungswissenschaft. Da die Allgemeine Didaktik als Teil der Erziehungswissenschaft anzusehen ist, überzeugt die Dreiteilung nicht. Der Autor analysiert dann auch nur das Verhältnis zwischen Fach- und Allgemeiner Didaktik (S. 149 ff.) und das Verhältnis zwischen Fachdidaktik und Fachwissenschaft (S. 172 ff.). Das Verhältnis der Fachdidaktik zur Erziehungswissenschaft wird dagegen nicht näher beleuchtet. Klafki (1994), S. 56, fordert, Fachdidaktik nicht nur als Vermittlungswissenschaft zwischen Didaktik und Bezugsdisziplin zu sehen, sondern als eigenständige Wissenschaft; ähnlich auch Timmerhaus (2001), S. 211, 229. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 233 f. Vgl. Borsum et al. (1982), S. 54 f.; Zwyssig (2001), S. 54. Ähnlich auch Elbers (1974), S. 9. Jank/Meyer (2003), S. 31, sprechen daher allgemeiner von „Lernfeld“. Die überwiegende Konnotation von Fachdidaktik mit Schulfach ist daher zu einschränkend. Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 31. Vgl. Flechsig/Haller (1975), S. 150. Vgl. Siebenhüner (2008).
124
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Klafki vertritt die Ansicht, dass zwischen der Allgemeinen und der Fachdidaktik kein hierarchisches Verhältnis besteht, sondern dass es sich um gleichberechtigte Partner handelt.723 Dennoch war das Verhältnis zwischen Allgemeiner und Fachdidaktik größtenteils sehr angespannt. Klafki spricht von „Kontroversen, Missverständnissen, […] Vorwürfen, wechselseitiger Unzufriedenheit.“724 Blankertz charakterisierte die Fachdidaktik zeitweise als Kampfinstrument der Fachwissenschaft gegen die Erziehungswissenschaft.725 Die Unterscheidung zwischen Allgemeiner und Fachdidaktik wird in der Literatur gern durch das Zitat von Dietrich plastisch gemacht: „Allgemeine Didaktik ist wie Stricken ohne Wolle […].“726 Durch diesen kritischen Vergleich wird zum Ausdruck gebracht, dass der Allgemeinen Didaktik praktisch der Stoff, also die Lehrinhalte, fehlen. Allgemeine Didaktik kann aber immer nur im jeweiligen Fach oder Bereich konkretisiert, erprobt und überprüft werden.727 Ähnlich argumentiert auch Klingberg, der das Verhältnis zwischen allgemein und speziell im Bezug auf Allgemeiner und Fachdidaktik gewissermaßen umdreht, indem er ausführt, dass Erstgenannte ja nur auf einen Teilaspekt der gesamten Didaktik fokussiere, indem sie sich auf die allgemeinen (bzw. zu verallgemeinernden) Gesichtspunkte konzentriert, während die Fachdidaktik für den definierten Unterrichtsgegenstand sämtliche Seiten behandelt.728 Durch ihre Abstraktheit liefert die Allgemeine Didaktik nach Ansicht von Achtenhagen auch nur mangelhafte Antworten bei der Lösung von Problemen des Unterrichts.729 Die Allgemeine Didaktik fördert keine Erkenntnisse zutage, die von den Fachdidaktiken lediglich auf ihren Gegenstandsbereich anzuwenden wären.730 Die Unterrichtskonzepte, die die Allgemeine Didaktik entwickelt, sind eher als Angebote an eine Adaption durch die Fachdidaktik zu verstehen.731 Der Strick-Vergleich kann jedoch nicht als Plädoyer gegen die Allgemeine und für die Fachdidaktik verwendet werden, wie dies oftmals in der Literatur suggeriert wird. Denn die Weiterführung des Zitates, die meist unter den Tisch 723 724 725 726 727 728 729 730 731
Vgl. Klafki (1963), S. 27; so auch Zwyssig (2001), S. 54; anders Speth (2007), S. 18, der weder ein Unter-, Über- noch Nebenordnungsverhältnis sieht. Vielmehr schränke das Fach nur das Feld der Inhalte ein, nicht aber die strukturellen Merkmale der Didaktik. Klafki (1994), S. 45. Vgl. Blankertz (1984), S. 278. Timmerhaus (2001), S. 18 et pass., macht an zahlreichen Zitaten deutlich, dass die Fachdidaktik nicht immer rein sachlich beurteilt wurde, sondern auch hohe emotionale Wellen aufschlugen. Dietrich (1994), S. 235. Vgl. Klafki (1963), S. 27, 54; Speth (2007), S. 18. Vgl. Klingberg (1994), S. 77. Vgl. Achtenhagen (1981), S. 283. Vgl. Klafki (1963), S. 27. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 232.
3.1 Didaktikbegriffe
125
fällt, lautet: „Fachdidaktik ist wie Stricken ohne Strickmuster.“732 Wenn der Allgemeinen Didaktik die Lehrinhalte fehlen, an denen sie sich konkretisieren kann, fehlen der Fachdidaktik – zumindest in der Anschauung der Autorin – die Vermittlungstechniken, die den Lehrstoff anschaulich machen. Dieser Auffassung kann jedoch nicht zugestimmt werden, wenn Fachdidaktik nicht mit Fachwissenschaft ohne jeden didaktischen Bezug gleichgesetzt werden soll. 3.1.2.3
Fachdidaktik und Fachwissenschaft
Das „richtige“ Verhältnis zwischen dem fachwissenschaftlichen und dem didaktischen Anteil an der Fachdidaktik ist umstritten.733 Der Widerstreit lässt sich historisch nachvollziehen, wenn man sich die sich wandelnde Ausbildung von Lehrern an Grund-, Haupt- und Realschulen auf der einen Seite und von Lehrern an Gymnasien auf der anderen Seite ansieht. Erstgenannte war zunächst sehr pragmatisch angelegt und gewann erst mit der Etablierung der Fachdidaktik an den damaligen Pädagogischen Hochschulen (PH) und bei deren späteren Verschmelzung mit den Universitäten734 an stärkerer fachwissenschaftlicher Orientierung. Umgekehrt war die Gymnasiallehrerausbildung zunächst rein fachwissenschaftlich angelegt, da der Unterricht am Gymnasium als wissenschaftspropädeutische Vorbereitung auf das Universitätsstudium verstanden wurde. Erst in den 1970er-Jahren wurden didaktische Studienanteile in die Gymnasiallehrerausbildung aufgenommen. Ausgehend von den oppositionellen Extrempunkten wurde der eine Ausbildungsstrang also stärker verwissenschaftlicht, während der andere stärker didaktisiert wurde. Für Timmerhaus treffen sich beide nach den Reformanstrengungen der Lehrerausbildung damit in der sprichwörtlichen Mitte, also bei der Fachdidaktik.735 Wenn über die Gewichtung auch kein Konsens besteht, kann zum einen gesagt werden, dass weder eine rein wissenschaftliche Ausrichtung noch eine Überpädagogisierung von Vorteil ist.736 Letztere kann für den Lernenden zur Belastung werden, indem er sich sprichwörtlich übermäßig mit der Verpackung befassen muss, wobei zu wenig Zeit bleibt, sich mit dem eigentlichen Inhalt 732 733 734 735 736
Dietrich (1994), S. 235. Das zeigt sich u. a. auch am „Wettkampf um Studienanteile und Semesterwochenstunden, die wiederum mit Stellen- und Mittelzuweisungen korrelieren“ (Timmerhaus (2001), S. 219). Außer in Baden-Württemberg, wo es heute noch Pädagogische Hochschulen gibt. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 157 f., 189 f. Vgl. Kopp (1972), S. 192.
126
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
auseinanderzusetzen. Wird eine Fachdidaktik dagegen ohne jeden didaktischen Anspruch angegangen, bleibt nur noch das Fach übrig. Dann liegt eine reine Abbilddidaktik vor, die die fachwissenschaftlichen Inhalte nur noch vermittelt.737 Die Fachwissenschaft selbst kann jedoch keine didaktischen Fragen beantworten.738 Sie kann lediglich Beiträge auf der Ziel- und der Inhaltsebene liefern.739 Diese bestehen darin, dass die Fachdidaktik aus der Systematik der Bezugsdisziplin bildungsrelevante Ziele und Inhalte bestimmt und lernoptimal anordnet.740 Die Fachwissenschaft liefert die Lehrziele und -inhalte demnach nicht aus sich heraus, sondern sichert „nur“ deren Richtigkeit ab. Das unterrichtete Fach soll nicht nur fachwissenschaftsbezogen vorgehen, sondern auch den individuellen Lernvorgang des Lernenden und dessen künftige Lebenssituationen berücksichtigen sowie einen Bezug zu den gesellschaftlichen Herausforderungen herstellen.741 Dies impliziert lern- und kognitionspsychologische Aspekte.742 Letztlich muss in jedem Fall gefordert werden, dass Fachdidaktiker sowohl fachwissenschaftliche als auch didaktische Kompetenzen aufweisen müssen.743 Das Verhältnis zwischen fachwissenschaftlichem und didaktischem Anteil an der Fachdidaktik ist in der Praxis von Bezugswissenschaft zu Bezugswissenschaft unterschiedlich ausgeprägt. So ist die Fachdidaktik in den Naturwissenschaften näher an der Fachwissenschaft als an der Didaktik, was darauf zurückgeführt wird, dass diese Wissenschaften „objektiver“ seien und gesellschaftlich eine vergleichsweise hohe Reputation genießen würden.744 Teilweise wird Didaktik als gänzlich unnötig betrachtet, und es ist eine deutliche Abneigung zu spüren, die bis zum grundsätzlichen Anzweifeln der Wissenschaftlichkeit der Fachdidaktik führt.745 Jung etwa kritisiert die Simplizität didaktischer Modelle im Vergleich zu physika737 738 739 740 741 742 743
744 745
Vgl. Timmerhaus (2001), S. 182 f.; Speth (2007), S. 20. Vgl. von Martial (2002), S. 18. Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 33. Vgl. dazu auch die Ausführungen zum Wissenschaftsprinzip in Kap. 3.4.1. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 232. Vgl. Fritsch/Gies (1996), S. 209; Timmerhaus (2001), S. 184, 206. Dies wird auch im Persönlichkeits- und im Situationsprinzip deutlich, vgl. Kapp. 2.4.2 f. Vgl. de Haan (2008a), S. 36. Vgl. Neunzig (1981), S. 18; Klafki (1994), S. 54; Timmerhaus (2001), S. 195 f., 225. Für die Lehrerbildung fordert Letztgenannter, dass diese nicht aus einem voneinander isolierten fachwissenschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen Studium bestehen dürfe, sondern beide Bereiche miteinander verbunden werden müssten, vgl. ibd., S. 226 f. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 193 f., m. w. V., 199. Vgl. auch die Zustandsbeschreibung der Fachdidaktik als Wissenschaft bei Timmerhaus (2001), S. 211 ff. et pass. Der Autor betont dabei, dass die Fachdidaktik keine ausgeprägte hochschulpolitische Lobbyarbeit betreibt.
3.1 Didaktikbegriffe
127
lischen Modellen.746 Er meint, dass solche Modelle „jedem ziemlich rasch einfallen müssten, der sich hinsetzt und eine Stunde über die Bedingungen von schulischem Unterricht nachdenkt.“747 In den Geisteswissenschaften748 ist die Fachdidaktik dagegen näher an der Didaktik als an der Fachwissenschaft, weil diese sich schon von ihrem methodischen Vorgehen eher ähneln.749 Für die Geschichtswissenschaft galt dies zumindest bis Anfang der 1970er-Jahre. Timmerhaus stellt daher insbesondere für Letztgenannte Ähnlichkeiten heraus, indem er die Vermittlungsfunktion der Didaktik mit der Vermittlung der Geschichte zwischen Vergangenheit und Gegenwart vergleicht.750 Seitdem hat sich das Selbstbild der Geschichtsdidaktik stark gewandelt. Sie wird nicht mehr als Lehre vom Geschichtsunterricht und nicht mehr als spezifische Ausprägung der Allgemeinen Didaktik betrachtet,751 sondern als „Wissenschaft von Zustand, Funktion und Veränderung geschichtlicher Vorstellungen im Selbstverständnis der Gegenwart“752. Damit gilt sie neben der Geschichtstheorie und der Geschichtsforschung als dritte Säule der Geschichtswissenschaft.753 3.1.3
Hochschuldidaktik
3.1.3.1
Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung
Neben den Fachdidaktiken, die sich durch ihren fachlich-inhaltlichen Bezug voneinander unterscheiden, wird auch zwischen sogenannten Stufendidaktiken differenziert. Jeder Typ von Lehrinstitution hat ihre spezifischen didaktischen Probleme und Fragestellungen. Hierbei ist auch die Hochschule nicht ausgenommen.754
746 747 748 749 750 751 752 753 754
Vgl. Jung (1990), S. 319, der dann zu dem Schluss kommt, dass die Physikdidaktik nicht als Wissenschaft angesehen werden kann, vgl. ibd., S. 329. Ibd., S. 320. Der Begriff der Geisteswissenschaft wird heute je nach Schwerpunktsetzung eher durch Begriffe wie Sozial- oder Kulturwissenschaft ersetzt, vgl. Kap. 2.4 (nicht unstrittig). Vgl. Timmerhaus (2001), S. 194, m. w. V. Vgl. ibd., S. 194. Vgl. Hasberg (2002), S. 59. So auch der Untertitel bei Jeismann (1977). Vgl. Hasberg (2002), S. 61. Vgl. Zillober (1984), S. 8, 25.
128
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Hochschuldidaktik lässt sich grundsätzlich als „wissenschaftliche Bemühung um die theoretische Erforschung und praktische Verbesserung der Lehr- und Lernprozesse im gesamten Hochschulbereich“755 definieren. Die Theorie der Hochschuldidaktik strebt nach wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Lehr- und Lernrealität an der Hochschule, anhand derer sie Gestaltungsvorschläge machen will.756 Die praktische hochschuldidaktische Tätigkeit zielt auf die optimale Gestaltung der Lehre.757 Hochschuldidaktik ist seit mehr als 100 Jahren ein Thema.758 Die neuere hochschuldidaktische Diskussion begann Mitte der 1960er-Jahre759 und hatte in den 1970er-Jahren ihre Hochphase.760 Sie steht im engen Zusammenhang mit den Studentenunruhen von 1968 und ist insofern als reformpädagogische Bewegung einzustufen.761 In den 1980er-Jahren verliert die Hochschuldidaktik zunächst an Bedeutung.762 Die Auseinandersetzung in der Literatur nimmt seit den 1990erJahren wieder stark an Fahrt auf.763 Die Disziplin ist heute entsprechend stark in der scientific community verwurzelt. Es gibt viele Einrichtungen an Universitäten und einen regen hochschulübergreifenden Austausch.764 In der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes von 1998 wurde die Einführung von hochschuldidaktischen Fortbildungsprogrammen an den Universitäten explizit genannt.765 Eine wichtige Rolle bei der 755 756 757 758 759 760 761 762 763
764 765
Huber (1979), S. 9; ähnlich auch Zillober (1984), S. 10 f. Vgl. Zillober (1984), S. 11 f. Vgl. ibd., S. 11. Die dort getroffene Schlussfolgerung des Autors, dass damit jeder Lehrende zugleich Hochschuldidaktiker ist, würde voraussetzen, dass jeder Hochschuldozent dieses hehre Ziel verfolgt. Vgl. Brand (2006), S. 129. Vgl. Zillober (1984), S. 145. Vgl. Wildt (2005a), S. 89. Vgl. Kleine (1981), S. 11; Zillober (1984), S. 145; Schmidt/Tippelt (2005), S. 103. Zu den verschiedenen Triebkräften, die zur Entstehung der Hochschuldidaktik geführt haben, vgl. auch ausführlich Zillober (1984), S. 145 ff. Vgl. Schmidt/Tippelt (2005), S. 103. Noch Mitte der 1980er-Jahre bezeichnet Zillober (1984), S. ix et pass., die Hochschuldidaktik als bislang nicht etabliert – und weniger theoretisch, sondern eher praktisch orientiert (vgl. ibd., S. 151). Vgl. ibd., S. 103. Die aktuelle Hochkonjunktur der Hochschuldidaktik dürfte auch durch entsprechende Forderungen der Kulturministerkonferenz und des Wissenschaftsrats ausgelöst sein, die insbesondere im Zusammenhang mit der Professorenberufung stehen, vgl. Wissenschaftsrat (2005), Punkt B. I. 2.; Kultusministerkonferenz (2005), Punkt 2.4. Der Nachweis pädagogischer Eignung ist indes bereits seit Langem neben Promotion und Habilitation bzw. vergleichbaren Leistungsnachweisen eine der Einstellungsvoraussetzungen für Hochschullehrer, vgl. exemplarisch für Berlin § 100 Abs. 1 Nr. 2 BerlHG. Vgl. Zillober (1984), S. 151, m. w. V., S. 207 f.; Schmidt/Tippelt (2005), S. 112; Wildt (2005a), S. 89; id. (2007), S. 17. Vgl. Schmidt/Tippelt (2005), S. 112. Das Hochschulrahmengesetz sollte ursprünglich zum 01.10.2008 abgeschafft werden, vgl. Bundestag (2007). Bislang besteht es jedoch noch.
3.1 Didaktikbegriffe
129
Vernetzung der Wissenschaftler, die sich mit hochschuldidaktischen Fragestellungen auseinandersetzen, spielt die 1971 gegründete Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidaktik, vormals Arbeitsgemeinschaft Hochschuldidaktik,766 die u. a. Kongresse veranstaltet und die Zeitschrift „Hochschulwesen“ sowie die Schriftenreihe „Blickpunkt Hochschuldidaktik“ herausgibt.767 In der hochschuldidaktischen Literatur können zwei eng miteinander verbundene Schwerpunktfragen identifiziert werden: x Zum einen geht es um die Frage, was gute Hochschullehre ausmacht. Diesbezüglich geht sie prinzipiell als Allgemeine Didaktik vor. x Zum anderen will man klären, wie die Lehrenden an der Hochschule weitergebildet werden können und sollen, um die Qualität der Lehre zu steigern. Der Fokus auf die Weiterbildung, der in der Diskussion derzeit deutlich dominieren dürfte, sollte besser als hochschuldidaktische Qualifizierung bezeichnet werden. Die meisten Professoren haben keine systematische Ausbildung zur Didaktikentwicklung durchlaufen, und die Entwicklung von Studien- und Prüfungsordnungen erfolgt in aller Regel im Rahmen der akademischen Selbstverwaltung nur als Nebentätigkeit neben Forschung und Lehre.768 Zur Lösung dieses Professionalitätsdefizits sind zwei Ansätze denkbar: x Die (ggf. nachträgliche) Qualifizierung der Hochschullehrer zu Hochschuldidaktikern oder x die Entlastung bzw. Ergänzung der Hochschullehrer durch Hochschuldidaktiker.769 Aufgrund der erheblichen zeitlichen Kapazitäten, die Professoren in Forschung und Lehre fließen lassen müssen, um international konkurrenzfähig zu sein, ist der zweite Ansatz grundsätzlich zu bevorzugen: Es macht sicherlich einen Unterschied, ob eine didaktische Konzeption nebenher (neben Forschung, aber auch akademischer Selbstverwaltung) unter zeitlichem Druck (wie er insbesondere im Rahmen der Umsetzung der Bologna-Beschlüsse bestand),770 mit eingeschränkten Ressourcen und mit eingeschränktem didaktischen Fachwissen entsteht oder ob sie selbst Gegenstand und Ergebnis wissenschaftlichen Arbeitens ist. 766 767 768 769 770
Vgl. Wildt (2005a), S. 91. Der Gründung dieses eingetragenen Vereins ging bereits 1968 die Einrichtung der Abteilung „Arbeitskreis für Hochschuldidaktik“ im Deutschen Hochschulverband voraus. Vgl. ibd., S. 92 f. Vgl. Brand (2006), S. 63. Ähnlich auch ibd., S. 64 f. Vgl. Schmidt/Tippelt (2005), S. 104. Zur Unterrichtsvorbereitung im Allgemeinen und für den Schulunterricht im Speziellen vgl. etwa Rohlfes (2005), S. 248 ff.
130
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
3.1.3.2
Allgemeine Hochschuldidaktik
Wenn sich die allgemeine Hochschuldidaktik mit dem Lehren und Lernen an der Hochschule beschäftigt, so muss sie die Erkenntnisfragen stellen, die auch die Allgemeine Didaktik beschäftigen – mit dem Unterschied, dass sie zugleich eine Stufendidaktik für die Hochschule ist, sich also allein auf die Hochschullehre konzentriert. Im Vordergrund stehen dann Fragen der Bestimmung von Lehrzielen, der Auswahl von Lehrinhalten sowie unterrichtsmethodische Fragen. Hinzu kommen ggf. mediendidaktische Fragestellungen und der Themenkomplex der Lernerfolgssicherung und der Lernerfolgskontrolle. Bei der Bestimmung didaktischer Fragestellungen ist heute zu berücksichtigen, dass die Hochschulen ihre Curricula inzwischen völlig eigenverantwortlich aufstellen, seit die Rahmenstudien- und -prüfungsordnungen aus den DiplomZeiten abgeschafft wurden.771 Dies unterscheidet die Hochschulen erheblich von den Schulen, die von den Kultusministerien verbindlichere Vorgaben erhalten, die in einem aufwendigen Abstimmungsprozess entstehen. In der Literatur lassen sich mehrere „Schulen“ bzw. Ansätze einer Hochschuldidaktik auffinden:772 x Der unterrichtstechnologische Ansatz ist um eine Optimierung der als ineffektiv bzw. ineffizient empfundenen Unterrichtsmethodik bemüht. Diese soll darauf ausgerichtet werden, wissenschaftliches Arbeiten zu trainieren. Die gängigen Veranstaltungsformen werden als antiquiert und wenig lernförderlich betrachtet. x Der sozialpsychologische Ansatz möchte ebenfalls die Unterrichtsmethodik an den Hochschulen erneuern. Gründe dafür werden jedoch weniger in der mangelnden Wirksamkeit, sondern in sozialpsychologischen Defiziten bei den Studierenden gesehen, weil diese an den Massenuniversitäten etwa wenig zur Kommunikation ermuntert werden und im Vergleich zur Schulzeit weitgehend sozial isoliert sind. Als Sonderform kann der interaktions- bzw. kommunikationstheoretisch orientierte Ansatz betrachtet werden, der auf die Interaktion zwischen Person und Sache und zwischen Personen fokussiert.773 771
772 773
Solche Rahmenordnungen waren nur für weitverbreitete Studiengänge geeignet, die an den meisten Hochschulen studiert werden konnten. Mit der Forderung nach einer Ausdifferenzierung der Studiengangsangebote war deren Aufrechterhaltung demnach nicht mehr zu vereinbaren, ähnlich auch Brand (2006), S. 135. In Anlehnung an Huber (1979), S. 10 ff., und Zillober (1984), S. 170 ff. Die von Letzterem noch betonte „marxistisch orientierte Bildungsökonomie“ (vgl. ibd., S. 179 ff.) soll hier ausgespart werden. Vgl. Zillober (1984), S. 187 ff.
3.1 Didaktikbegriffe
131
x Der berufspraktische Ansatz geht vom übergeordneten Bildungsziel des Hochschulstudiums, der Vorbereitung auf einen Beruf, aus, und attestiert, dass sich das Hochschulstudium zu weit von der Praxis entfernt. Gefordert werden insofern praxisnahe Inhalte und Unterrichtsmethoden wie etwa das Projektstudium. x Der sozialisationstheoretische Ansatz ähnelt dem sozialpsychologischen Ansatz insofern, als er ebenfalls von Defiziten bei den Studierenden ausgeht. Die Hochschuldidaktik soll sich nach dieser Auffassung stärker mit den Veränderungen der Persönlichkeit der Studierenden durch das Studium auseinandersetzen. x Der (pragmatisch-)curriculare Ansatz konzentriert sich auf Fragen der Ziele und Lehrinhalte. Diese sind für ihn nur traditionell entstanden, aber nicht systematisch erarbeitet und nicht ausreichend legitimiert. Die Diskrepanz zwischen Studium und Berufsqualifikationen soll reduziert werden. x Der wissenschaftstheoretische bzw. -didaktische Ansatz konzentriert sich ebenfalls auf die Ziel- und Inhaltsebene, sieht das Problem jedoch nicht nur auf der didaktischen, sondern auch auf der Seite der Wissenschaft selbst. Diese zeichnet sich immer mehr durch negative Tendenzen wie Überspezialisierung und Abkopplung von der Praxis aus. Wie sich an den programmatischen Kurzbeschreibungen der einzelnen Ansätze ablesen lässt, geht es diesen meist um eine mehr oder weniger starke Reform der Hochschullehre insgesamt. Eine solche Metaperspektive steht in dieser Arbeit aber nicht im Vordergrund. Da stattdessen innerhalb des bestehenden Hochschulsystems eine spezielle Didaktik entwickelt werden soll, sind die meisten Ansätze für die hiesigen Zwecke ungeeignet. Die größte Nähe besteht zum curricularen Ansatz, der sich noch am ehesten mit den „üblichen“ didaktischen Fragestellungen – gleichwohl auf einer grundsätzlich-reflektierenden Ebene – befasst. 3.1.3.3
Kritik an der allgemeinen Hochschuldidaktik
Bemühungen um eine eigenständige Hochschuldidaktik werden nicht nur positiv aufgenommen. Ein früher Kritiker ist Paulsen, der zum einen bemängelt, eine allgemeine Hochschuldidaktik stellte die unerreichbare Forderung dar, in allen Universitätsstudiengängen lehren zu können. Die Argumentation ist aus dem oben nachgezeichneten Widerstreit zwischen Allgemeiner und Fachdidaktik bekannt. Der Autor hält es zum anderen für übertrieben, dass Hochschullehrer
132
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
nun selbst von Hochschuldidaktikern ausgebildet werden müssten – er fragt sich daher, wer denn in dieser „Endlosschleife“ wiederum für die Ausbildung der Didaktiker verantwortlich sei.774 Erstaunlich selten wird weiterhin die Tatsache explizit herausgestellt, dass die Adressaten der Hochschullehre Erwachsene sind. Damit könnte sich die Hochschuldidaktik auch Impulsen der Erwachsenenpädagogik öffnen. Dass Erwachsene anders lernen als Heranwachsende, ist eine allgemein anerkannte Tatsache. Ein systematischer Transfer erwachsenenpädagogischer Erkenntnisse in die Hochschullehre wird dagegen bislang nicht vorgenommen. Die Hochschuldidaktik hat – nach Auffassung des Verfassers – bislang keine neuen Erkenntnisse hervorgebracht, die weit über das hinausgehen, was für andere Schultypen und die Erwachsenenbildung bereits als selbstverständlich gilt. In weiten Teilen kann die Hochschuldidaktik daher als (grundsätzlich richtiges) Plädoyer interpretiert werden, mehr pädagogischen Sachverstand in die Hochschullehre einfließen zu lassen. Die aktuelle Hauptforderung der allgemeinen Hochschuldidaktik besteht gemeinhin darin, stärker den Studierenden als Drehund Angelpunkt zu betrachten, den Lehrstoff nicht nur fachwissenschaftlich auszuwählen und aufzubereiten, sondern auch unter Lernaspekten. Insgesamt sollen die Lehre also lernförderlich gestaltet und die Situationsbedingungen des Lernens optimiert werden. Es wird eine Umorientierung vom Lehren zum Lernen gefordert775 und insofern vom shift from teaching to learning gesprochen.776 Dazu zählen etwa eine klare nicht nur fachliche, sondern auch lernbezogene Strukturierung der Veranstaltung, eine stärkere Einbeziehung der Studierenden in den Lehr-Lern-Prozess und eine stärkere Berücksichtigung der Bedürfnislage der Lernenden.777 Betont wird ferner, eine stärkere Motivierung der Studierenden anzustreben. Dies kann insbesondere dadurch erreicht werden, dass die Relevanz der Lerninhalte für die Lebenspraxis,778 etwa für die spätere berufliche Tätigkeit, oder eine Verbindung zur Forschung aufgezeigt werden.779 Dieser Ansatz, so selbstverständlich er für andere Schulstufen und -arten auch sein mag, stellt eine nicht zu unterschätzende mentale Umstellung dar. Das traditionelle Bild des Studiums sieht eigentlich anders aus: 774 775 776 777 778 779
Vgl. Paulsen (1902), S. 279 ff. Vgl. Knoll (1998), S. 27. Vgl. Berendt (2005), S. 35 ff.; Deneke (2005), S. 93 ff.; Welbers (2005), S. 357 ff.; Wildt (2005b), S. 37 ff.; id. (2007), S. 18. Vgl. Schmidt/Tippelt (2005), S. 106. Vgl. Huschke-Rhein (1998), S. 120 ff.; Timmerhaus (2001), S. 251; Pfäffli (2005), S. 114. Blömeke et al. (2007), S. 358, nennen zahlreiche empirische Studien, die dies bestätigen. Vgl. Schmidt/Tippelt (2005), S. 107 f.
3.1 Didaktikbegriffe
133
x Ein Universitätsstudium erfolgreich zu durchlaufen, wurde immer vornehmlich als Verantwortungsbereich der Studierenden selbst gesehen. Das lateinische Wort studium lässt sich nicht ohne Grund mit „Streben“ oder „Mühe“ übersetzen. Der Lehrende hat lediglich die Aufgabe, die wissenschaftlichen Inhalte zu liefern. Insbesondere ergäben sich die Vermittlungsmethoden automatisch aus den fachwissenschaftlichen Methoden.780 Am eindrucksvollsten zeigt dies die Veranstaltungsform der Vorlesung. Diese diente früher nur dazu, Studierenden, die sich Lehrbücher nicht leisten konnten, dennoch den Text zugänglich zu machen: Er wurde ihnen schlicht vorgelesen. Dass die Vorlesung heute in vielen Fächern immer noch die am stärksten vertretene Lehrform ist,781 obwohl Lehrbücher heute erschwinglicher sind als vor zwei- oder dreihundert Jahren, zeigt, wie traditionalistisch die Hochschullehre ist. x Aus Sicht der Lehrenden hatten Lehrveranstaltungen lange Zeit nicht die Aufgabe, Studierenden den Stoff zu vermitteln, sondern eher Forschungsergebnisse einer Öffentlichkeit vorzustellen und sie damit zur Diskussion zu stellen. Diese Praxis ist längst überholt, da sich die Forschung in Form von doppelt verdeckten Begutachtungsverfahren in Facheitschriften oder von Fachkonferenzen neue und professionellere Öffentlichkeiten geschaffen hat.782 x Das Erlernen von Hochschullehre erfolgt im Verfahren des learning by doing. Erst kennt man den Lehrbetrieb als Student von der Lernseite, dann wird man als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent selbst zum Lehrenden, jedoch ohne didaktische Anleitung durch den Lehrstuhlinhaber, sondern durch eigenes Probieren. Die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist in erster Linie eine Forschungs- und keine Lehrausbildung. Preißler stellt dazu schon fast sarkastisch fest, Hochschullehrer seien „aufgrund ihrer Ausbildung bei den meisten Tätigkeiten, die sie ausüben – im Grunde genommen außer der Forschung – Laien.“783 Es ist insofern nicht verwunderlich, wenn der bereits zitierte § 100 Abs. 1 Nr. 2 BerlHG angibt, die pädagogische Eignung als Einstiegsvoraussetzung für Professoren müsse „in der Regel durch Erfahrungen in der Lehre oder Ausbildung nachgewiesen“784 werden. 780 781 782 783 784
Vgl. Brand (2006), S. 129. Vgl. Thomas (1991), S. 194. Schmidt/Tippelt (2005), S. 105, stellen insgesamt fest, dass der Umgang mit Lehrmethoden sehr traditionalistisch ist. Ähnlich auch Wildt (2007), S. 19. Preißler (1994), S. 852. Hervorh. d. Verf.
134
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Für Autoren, denen die Zentrierung des Lernenden noch nicht reformistisch genug ist, gehen die Überlegungen dahingehend weiter, die Studierenden als „Nachfrager“ und die Hochschule als „Anbieter“ der „Dienstleistung“ Studium zu betrachten. Wenn dies auch aus pädagogischer Sicht noch zu begrüßen sein mag, endet die Zustimmungsfähigkeit spätestens, wenn die Marktbetrachtung noch um die derivativen Nachfrager der ausgebildeten Studierenden, die Arbeitgeber, ergänzt wird, die nur noch in Ausnahmefällen in der Wissenschaft selbst zu suchen sind. Denn dann „wird das Studium von den Studierenden wie auch von den Abnehmern im Beschäftigungssystem als Berufsausbildung gesehen und die Hochschule als Institution der beruflichen Bildung betrachtet, in der nicht nur der wissenschaftliche Nachwuchs für seine Aufgaben qualifiziert wird, sondern deren erfolgreicher Abschluss auch für viele berufliche […] Positionen eine notwendige Einstiegsvoraussetzung darstellt.“785 Eine solche Auffassung ist jedoch vor dem Spannungsverhältnis von Bildung und Ausbildung problematisch und aus pädagogischer Sicht abzulehnen: Das Studium ist – auch wenn die Absolventen sich anschließend auf den Arbeitsmarkt begeben – keine bloße Berufsausbildung. Es ist ja gerade das Ziel des Hochschulstudiums, den Studierenden zu selbstständigem Denken zu erziehen und seine rein funktionalistisch-instrumentelle Verwertung als Humanressource zu vermeiden.786 Daran ändert auch nichts, dass MasterStudiengänge heute danach unterschieden werden, ob sie „stärker anwendungsorientiert“ oder „stärker forschungsorientiert“ sind.787 Wie bereits ausgeführt, ist die objektive Erkenntnis neben dem subjektiven Lernerfolg ein definitorisches Kennzeichen von Hochschullehre. Jeder Versuch, diesen Anspruch zurückzudrängen, führt zwangsläufig zu einer Entwertung des Hochschulstudiums. 785
786
787
Brand (2006), S. 13, m. w. V. Hervorhebungen durch den Verfasser (nicht im Orginal). Ausgehend von dieser problematischen Prämisse fasst die Autorin die Curriculumentwicklung an Hochschulen bzw. die Konstruktion von Studiengängen als Problem auf, dessen Lösungsansatz sich prinzipiell an der Curriculumsentwicklung für Ausbildungsberufe orientiert, vgl. ibd., S. 16, 73 et pass. Zur Humboldtschen Universitätsidee (die eigentlich auf Friedrich Schleiermacher zurückzuführen ist, vgl. Zillober (1984), S. 61, m. w. V.) und zum damit verbundenen Bildungsideal vgl. auch ibd., S. 59 ff. Besonders kommt der Unterschied zu Berufsausbildung auch in der heute kaum mehr bekannten Hodegetik zum Ausdruck, die als Teildisziplin der Pädagogik nicht nur auf das Hochschulstudium als solches, sondern auch auf das würdige Leben als Akademiker danach vorbereiten sollte, vgl. Scheidler (1847) sowie Zillober (1984), S. 97 ff. Vgl. Kultusministerkonferenz (2003), These 4, derzufolge der Profiltyp nicht vom Hochschultyp abhängt, ibd., Punkt A 3.2, womit eine automatische Zuordnung der Forschungsorientierung zur Universität und der Anwendungsorientierung zur Fachhochschule entfällt. Diese Kategorisierung zielt auf die Unterscheidung einer Qualifizierung für den Arbeitsmarkt einerseits oder für den wissenschaftlichen Nachwuchs, der an der Hochschule verbleibt, andererseits. Das Ziel selbstständigen Denkens in eigener Verantwortung kann und darf aber nicht auf den zweiten Typ beschränkt bleiben.
3.1 Didaktikbegriffe 3.1.3.4
135
Hochschulfachdidaktik
Hochschuldidaktik ist heute überwiegend fachübergreifend angelegt und damit als allgemeine Hochschuldidaktik zu bezeichnen.788 Als Folge daraus werden daher die Sphären Fach- und Hochschuldidaktik zusammengelegt. Es ist insofern zu fragen, ob Bemühungen um Hochschulfachdidaktiken sinnvoll erscheinen. Zillober bezeichnet die Hochschuldidaktik als „Fach- und/oder StufenDidaktik“789. Der Begriff der „Hochschulfachdidaktik“ wird von ihm ebenfalls verwendet.790 Für Timmerhaus muss eine Fachdidaktik sowohl den schulischen als auch den Hochschulbereich behandeln.791 Für Zwyssig ist es selbstverständlich, dass eine Hochschuldidaktik der Betriebswirtschaftslehre zugleich eine Fachdidaktik ist.792 Gleiches kann auch für die Zukunftsforschung festgehalten werden, zumal es sich bei ihr um ein Fach handelt, das ausschließlich an Hochschulen gelehrt wird. Diese Dopplung legt die Frage nahe, ob sie damit auch als Hochschulfachdidaktik betrachtet und aufgezogen werden sollte. Die oben angeführten Gründe, die gegen eine allgemeine Hochschuldidaktik sprechen, können hier entsprechend zum Fürsprecher für eine fachliche Ausdifferenzierung gewendet werden. Eine Hochschulfachdidaktik ist zu verstehen als eine „fachspezifische Hochschuldidaktik, die hochschuldidaktische Orientierungen mit disziplinärem Denken verbindet“793. Obwohl es sich auf den ersten Blick anbietet, eine solche Schnittmenge aus Fach- und Stufendidaktik zu bilden, bestehen hierüber Kontroversen. Das Für und Wider soll im Folgenden zunächst allgemein diskutiert werden: Sollte es Hochschulfachdidaktiken überhaupt geben? Anschließend soll die Frage auf die Didaktik der Zukunftsforschung bezogen werden. Gegen die Bildung jeweils eigenständiger Hochschulfachdidaktiken spricht vor allem die Gefahr der „Verdopplung der Universität“:794 Bekanntlich existieren für praktisch alle Fachdidaktiken (die sich als Stufendidaktiken für die Primaroder Sekundarstufe verstehen) eigenständige Lehrstühle. Wenn nun für den Lehrbereich Hochschule ebenso verfahren würde, gäbe es für jedes Studienfach zudem einen Lehrstuhl für die jeweilige Hochschulfachdidaktik. Für die Hochschulfachdidaktik müsste es wiederum eine eigenständige Didaktik geben etc. Es 788 789 790 791 792 793 794
Vgl. Wildt (2007), S. 15; die Adressaten hochschuldidaktischer Weiterbildungsangebote sind größtenteils fachübergreifend, vgl. ibd., S. 22. Vgl. Zillober (1984), S. 8. Vgl. ibd., S. 20, 23 et pass. Vgl. Timmerhaus (2001), S. 230, 251. Vgl. Zwyssig (2001), S. 54, m. w. V. Stolle (2007), S. 37. Vgl. Wildt (2007), S. 26.
136
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
besteht demnach – zumindest theoretisch – die Gefahr eines regressus ad infinitum.795 Ein solches Vorgehen müsste – so betrieben – schon aus ökonomischen Gründen im Ansatz scheitern. Es fragt sich jedoch, ob eine solche Gefahr wirklich bestehen muss. Zunächst darf die Befürchtung einer tatsächlichen Verdopplung relativiert werden. Es ist sicher unrealistisch, dass die Zahl zu errichtender hochschulfachdidaktischer Lehrstühle mit der bestehenden Zahl existierender Fachlehrstühle übereinstimmen müsste. Sie machte sicher nur einen Bruchteil aus. Es gibt jedoch auch andere Wege, Hochschulfachdidaktiken hervorzubringen, als für sie eigene Institute zu gründen. Eine Methode hierzu besteht in der Kooperation. Hier sind zwei Ansätze denkbar: eine Verschränkung der Fachwissenschaft mit der allgemeinen Hochschuldidaktik oder mit der Schulfachdidaktik. Für den ersten Ansatz spricht, dass dieser Weg bereits langsam beschritten wird und erste positive Erfahrungen gesammelt werden.796 Für den zweiten Ansatz ist ins Feld zu führen, dass die Festlegung fachdidaktischer Lehrstühle auf den schulischen Bereich – wie mehrfach gesagt – keineswegs zwingend ist, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sich Fachdidaktiker auch den Hochschulbereich erschließen können. Zwar unterscheiden sich die Stufendidaktiken in ihrer inhaltlichen Konkretisierung zweifellos erheblich,797 doch die theoretische und empirische Erforschung von Lehren und Lernen basiert auf denselben wissenschaftlichen Methoden, die lediglich auf ein weiteres Erfahrungsobjekt angewendet werden müssen.798 Die Erweiterung der Fachdidaktiken um die tertiäre Lehre erscheint daher einfacher als die Erweiterung der Hochschuldidaktik um fachliche Inhalte. Insgesamt ähnelt die Frage des Entweder-oder stark der Diskussion, ob eine formale oder eine materiale Bildung anzustreben sei: Die allgemeine Hochschuldidaktik geht jenseits der einzelnen Fachwissenschaften auf das Lehren und Lernen auf dem Hochschullevel ein, was zwangsläufig methodische Fragen in den Vordergrund und inhaltliche in den Hintergrund drängt, während sich die Fachdidaktiken dezidiert mit dem Wissen des jeweiligen Faches und seiner Vermittlung auseinandersetzen. Dass dies vornehmlich für den Schulunterricht 795 796 797
798
Vg. Zillober (1984), S. 23, Fn. 6, der diese Ansicht allerdings selbst nicht vertritt. Vgl. Wildt (2007), S. 26 ff. Vgl. ibd., S. 25. Als weiteres Argument führt der Autor an, dass Fachdidaktiker nicht an der Fortentwicklung des wissenschaftlichen Wissens des jeweiligen Faches mitwirken. Dies ist aber bei Vertretern der allgemeinen Hochschuldidaktik genauso wenig der Fall. Später (S. 28) zeigt der Autor auf, dass gerade die Einführung von Bachelor-Studiengängen zu einer Stärkung von Hochschulfachdidaktiken führen kann. Die Fachdidaktiken zeigen sich heute deutlich stärker anwendungsorientiert als noch vor einigen Jahren, vgl. Stolle (2007), S. 38.
3.1 Didaktikbegriffe
137
geschieht, hat wohl mehr historische als sachliche Gründe und erscheint insofern nachrangig. Ähnlich wie beim Konzept der kategorialen Bildung799 ist auch hier in der Summe ein Sowohl-als-auch zu fordern. Geht man von einer solchen Kooperationsidee aus, könnte man demzufolge von einer rein aufbauorganisatorischen Perspektive abrücken. Eingerichtet zu werden bräuchten nicht permanente organisationale Stellen, sondern lediglich das regelmäßige Verfahren, sich über die Lehre im eigenen Fach auszutauschen, etwa in Form von Fachkonferenzen. Ein löbliches Vorreiterbeispiel hierfür stellte die Tagung „Geschichte lehren an der Hochschule“ im September 2005 an der Universität Paderborn dar. Wünschenswert wäre die Etablierung vergleichbarer Vorhaben auch für andere Fächer. Hochschulfachdidaktik wäre dann „nur als pragmatische Disziplin [zu]800 verstehen, die den Austausch über konkrete und bereits erfolgte Lehre zum Gegenstand hat.“801 Als weiterer wichtiger Punkt, der gegen die Etablierung fachbezogener Hochschuldidaktiken eingewendet werden könnte, ist, dass die Humboldtsche Idee der Einheit von Forschung und Lehre hierdurch bedroht sein könnte.802 Immerhin ist die Kopplung dieser beiden Bereiche ein Garant dafür, dass immer die neuesten Erkenntnisse aus der Forschung auch für die Lehre bereitstehen. Die Hochschulfachdidaktiker könnten bei einer Trennung beider Bereiche immer nur hinterherhinken. Ein solches Vorbringen übersieht jedoch, dass die Hochschulfachdidaktik genauso wenig die Lehre an der Universität verantwortet, wie die (Schul)Fachdidaktik den Unterricht an der Schule gestaltet. Beide Fachdidaktiken nehmen bekanntlich eine Metaposition ein, indem sie Lehre nicht selbst durchführen, sondern wissenschaftlich reflektieren. Fachdidaktiker sind keine Lehrer an Schulen, sondern Professoren an der Universität, wenngleich individuelle Karrieren vielleicht häufiger vom einen zum anderen führen. Neben diesen entkräfteten Contra-Argumenten gibt es auch ein sehr gewichtiges Pro-Argument, das für die Genese einzelner Hochschulfachdidaktiken spricht: Die theoretische Diskussion über das Ob wurde längst von der Wirklichkeit eingeholt. Es existieren bereits zahlreiche Hochschulfachdidaktiken, und ihr Entwicklungsstand schreitet schnell voran. Die Hochschulfachdidaktik Geschichte etwa findet ihren Ursprung bereits Anfang des 20. Jahrhunderts bei Bernheim.803
799 800 801 802 803
Vgl. Klafki (1970a). Erg. d. Verf. Stolle (2007), S. 38. Vgl. Wildt (2007), S. 26. Vgl. Stolle (2007), S. 30 ff. Allerdings steht die Disziplin für den Autor noch (oder wieder) ganz am Anfang, vgl. ibd., S. 35, 46.
138
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Besonders fortschrittlich zeigt sich derzeit die Medizindidaktik.804 Aber auch zahlreiche andere Hochschulfachdidaktiken entwickeln sich. Zu nennen sind etwa die der Betriebs-805 und der Volkswirtschaftslehre806, der Mathematik807 sowie der Theologie808. Festzuhalten bleibt deshalb hier als Zwischenfazit: Hochschulfachdidaktiken sind aus demselben Grund anzustreben, weshalb es auch Schulfachdidaktiken gibt, nämlich: um die Lehre für die jeweiligen Adressaten am jeweiligen Lehrort zu verbessern. Dieses richtige Ziel darf nicht nur wegen falscher Mittel verworfen werden. Neben der allgemeinen Frage nach der Sinnhaftigkeit von Hochschulfachdidaktiken muss die Frage nun für die Didaktik der Zukunftsforschung konkretisiert werden. Auch hier gibt es ein Für und Wider. Zunächst erscheint es schon allein deshalb vermessen, eine Hochschulfachdidaktik für die Zukunftsforschung zu fordern, weil beide Disziplinen jeweils für sich genommen noch in den Kinderschuhen stecken. Abgesehen von der sehr fortgeschrittenen Medizindidaktik sind andere Hochschulfachdidaktiken erst im Entstehen. Die Zukunftsforschung ist zwar theoretisch gut entwickelt, hadert jedoch noch ihrer stärkeren institutionellen Verbreitung in der Form von Studiengängen und Lehrstühlen. Die Schnittmenge aus beidem ist naturgemäß ein noch kleinerer Bereich. Es gibt jedoch auch triftige Gründe, die für eine Hochschulfachdidaktik der Zukunftsforschung sprechen: x Als Desiderat aus den Plädoyers für die Zukunftsforschung und für die Etablierung von Hochschulfachdidaktiken kann zunächst geschlussfolgert werden, dass es sich lohnt, nicht nur beide Bereiche voranzubringen, sondern auch ihre gegenseitige Durchdringung zu fördern. Es darf nicht vergessen werden, dass eine Fachdidaktik zuerst die Professionalisierung der Lehre, damit jedoch in der Folge auch das Fach selbst fördert. Absolventen, die aufgrund herausragender Lehre ihr Fach verstanden haben und in ihm professionell arbeiten können, sind ein Aushängeschild für ihre Disziplin. x Weiterhin wurde bereits ausgeführt, dass Bestrebungen für eine spezifische Hochschulfachdidaktik nicht zwangsläufig institutionell aufgefasst werden müssen, sondern sich auch auf die prozedurale Dimension beschränken können. Im hiesigen Fall handelt es sich um eine singuläre wissen804 805 806 807 808
Vgl. Wildt (2005a), S. 90; id. (2007), S. 23, 27. Vgl. Kleine (1981); Zwyssig (2001). Vgl. Slembeck (1993). Vgl. Schaper (1982); Müller (1985). Vgl. Meireis (1994); Wildt (2005a), S. 90; id. (2007), S. 23.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
139
schaftliche Arbeit, die nicht zwangsläufig die Gründung eines hochschulfachdidaktischen Zentrums für Zukunftsforschung nach sich zieht.809 x Noch zentraler dürfte die Feststellung sein, dass die Fachdidaktik der Zukunftsforschung faktisch auf die Hochschullehre beschränkt ist. Es existiert schlicht kein Fach Zukunft(sforschung) im Sekundar-, und schon gar nicht im Primarbereich. Wenn aber die Zukunftsforschung auf den Bereich Hochschule beschränkt ist, ist logischerweise auch deren Fachdidaktik auf die Hochschule zu beschränken. Eine Fachdidaktik, die sich auf jüngere Adressaten konzentriert, wäre von der Realität völlig abgekoppelt und würde nur theoretisch Mögliches durchdenken, nicht aber empirisch erforschen können. Die Didaktik der Zukunftsforschung ist damit zwangsläufig eine Fachdidaktik, die sich als Stufendidaktik auf die Hochschullehre konzentriert. Der unübliche Begriff der Hochschulfachdidaktik wäre insofern treffend. 3.2
Konstruktivistische Didaktik
3.2.1
Konstruktivismen im Überblick
Der Konstruktivismus810 versteht sich in erster Linie als Erkenntnistheorie, aber auch als interdisziplinärer Diskurs, Paradigma, Ethik, Bewegung oder Weltbild.811 Mehrere Wissenschaftsdisziplinen greifen ihn auf, so die Philosophie, die Soziologie, die Kunst, die Literaturwissenschaft – und eben die Pädagogik im Allgemeinen sowie die Didaktik im Speziellen.812 Als theoretische Vorläufer des Konstruktivismus können der Skeptizismus, die Erkenntniskritik, die Kognitionspsychologie, der symbolische Interaktionismus, der Pragmatismus, die Evolutionstheorie sowie die Kybernetik betrachtet werden.813 809 810
811 812 813
Wenngleich weitergehende Bemühungen um eine Vertiefung der didaktischen Erkenntnisse zur Zukunftsforschung zu begrüßen sind, vgl. Kap. 6.2. Im Englischen findet sich neben der Bezeichnung constructivism seltener auch constructionism. Die Begriffe werden weitgehend synonym verwendet. Teilweise wird der letztgenannte Begriff aber für nicht-radikale Konstruktivismen, die die soziale Konstruktion von Vorstellungen in den Vordergrund stellen, reserviert, vgl. Davis/Sumara (2002), S. 411. Vgl. Jonassen (1991), S. 5; Molenda (1991), S. 47; Dinter (1998), S. 255, 269 ff.; Hoops (1998), S. 230; Siebert (2005), S. 11, 14. Vgl. von Glasersfeld (1995), S. 8; Dinter (1998), S. 255; Rustemeyer (1999), S. 467, m. w. V.; de Haan/Rülcker (2009), S. 7. Vgl. Siebert (2005), S. 12.
140
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Es gibt keine in sich geschlossene, allgemein konsensfähige Vorstellung von Konstruktivismus, sondern nur mehrere Entwürfe, mithin mehrere Konstruktivismen, die unterschiedliche Schwerpunkte setzen.814 Dazu zählen der radikale815 und der soziale Konstruktivismus816 sowie der methodische Konstruktivismus (Erlanger Schule)817 bzw. eher noch dessen Weiterentwicklung, der methodische Kulturalismus.818 Das Ziel dieses Kapitels ist nicht, eine breit angelegte Einführung in den Konstruktivismus und eine vermeintlich819 exakte Differenzierung seiner unterschiedlichen Schulen zu liefern, sondern diejenigen Grundaussagen herauszuarbeiten, die für die hiesigen didaktischen Erkenntnisziele zentral sind. Der Konstruktivismus versteht sich selbst als epistemologische Konzeption, die konträr zum Objektivismus bzw. Realismus steht.820 Teilweise mutet die Diskussion zwischen den Lagern eher ideologisch als wissenschaftlich an, und es werden durch „unnötige und nicht zutreffende Konfrontation[en]“821 Fronten aufgebaut, die durch eine Überzeichnung der gegnerischen Position entstehen,822 wobei die Abwehrhaltung fast ausschließlich von den Konstruktivisten ausgeht.823 Der Objektivismus zieht in dualistischer Weise eine klare Trennlinie zwischen der res cogitans und der res extensa, zwischen Erkenntnis und Ding an sich bzw. „zwischen Sprache und Wirklichkeit, zwischen Beschreibung und Objekt, Aussage und Gegenstand, zwischen dem, was wir reden und dem, 814
815 816 817 818 819 820 821 822
823
Vgl. Knorr-Cetina (1989), 86 ff.; Dinter (1998), S. 269; Hoops (1998), S. 229; Terhart (1999), S. 631; Kwan/Tsang (2001), S. 1164; Davis/Sumara (2002), S. 409; Terhart (2003), S. 27; Reich (2008), S. 85; de Haan/Rülcker (2009), S. 7. Selbst der radikale Konstruktivismus zerfällt in mehrere Einzelpositionen, vgl. Reich (2008), S. 85; de Haan/Rülcker (2009), S. 59; Li et al. (2010), S. 404, m. w. V. Auch „[d]er soziale Konstruktivismus hat viele Gesichter“ (Reich (2008), S. 87). Vgl. von Glasersfeld (1997). Der radikale Konstruktivismus kann auch als individualistischer Konstruktivismus bezeichnet werden, vgl. Davis/Sumara (2002), S. 411. Vgl. Berger/Luckmann (1972); Knorr-Cetina (1984). Vgl. etwa Reich (2005), S. 186; für den methodischen Konstruktivismus vgl. Lorenzen (1974). Vgl. etwa de Haan/Rülcker (2009), S. 59 ff. Für den methodischen Kulturalismus vgl. Hartmann/Janich (1996). Eine klare Trennung ist Davis/Sumara (2002), S. 411, zufolge ohnehin nicht möglich, was durch die nachfolgenden Ausführungen gestützt wird. Vgl. Bednar et al. (1992), S. 21, der zudem den Anspruch erhebt, Konstruktivismus ersetze Objektivismus, vgl. ibd., S. 30; Siebert (2005), S. 11; de Haan/Rülcker (2009), S. 105. Hoops (1998), S. 240. Vgl. ibd., S. 232, 247, m. w. V. Die ebenfalls vorgenommene Unterscheidung zwischen behavioristischer, kognitivistischer und konstruktivistischer Schule weist zur hiesigen Fragestellung zwar Übereinstimmungen auf, hat jedoch eher einen lerntheoretischen und nicht wie hier einen epistemologischen Hintergrund. Vgl. Merrill (1992), S. 232; Hoops (1998), S. 235, m. w. V.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
141
worüber wir reden.“824 In objektivistischer Perspektive sind Vorstellungen mentale Repräsentationen der äußeren Wirklichkeit. Damit sind sowohl das Sein als auch die Erkenntnis realistisch. Die Position des Konstruktivismus kann dagegen als von einer realistischen Ontologie ausgehende relativistische Epistemologie bezeichnet werden.825 Diese beiden Zuschreibungen werden nachfolgend erläutert. Der epistemologische Gegensatz zum Objektivismus besteht darin, dass Konstruktivisten in nichtpositivistischer Weise826 davon ausgehen, dass alle Erkenntnis über die äußere Realität eine eigenständige Konstruktion des Subjekts und gerade kein bloßes Spiegelbild der Realität827 ist. Gegenstand der Erkenntnis sind also nicht die Dinge selbst, sondern mentale Vorstellungen von ihnen828 – oder: „Wirklichkeit ist nicht die Voraussetzung, sondern das Resultat des Erkennens.“829 824
825 826
827 828
829
Mitterer (1999), S. 485. Anders Li et al. (2010), S. 411, deren Ansicht nach auch der Konstruktivismus eine dualistische Auffassung habe. Diese Meinung stützt sich darauf, dass der Konstruktivismus anders als der Enaktivismus nicht von einer gegenseitigen Beeinflussung von Subjekt und Objekt ausgehe, was als Koemergenz (vgl. ibd., S. 410 et pass.) bzw. Koevolution (vgl. ibd., S. 407) bezeichnet wird. Die Autoren verkennen dabei aber, dass im Konstruktivismus mittels Perturbationen und Viabilitätsüberprüfung genau eine solche rekursive Verschränkung angenommen wird. Insbesondere im sozialen Konstruktivismus ist eine Trennung zwischen Individuum und (sozialer) Umwelt obsolet, vgl. Davis/Sumara (2002), S. 414. Damit ist auch der Darstellung von Li et al. (2010) zu widersprechen, der Enaktivismus sei eine dritte, und zwar vermittelnde Position zwischen Objektivismus und Konstruktivismus. Die Autoren begehen u. a. den Fehler, zwar die Existenz verschiedener, teils widersprüchlicher Konstruktivismen anzuerkennen (vgl. ibd., S. 404), in ihrer Abgrenzung aber doch wieder von „dem“ Konstruktivismus auszugehen. Zahlreiche exklusiv dem Enaktivismus zugeschriebene Annahmen (vgl. ibd., S. 408 ff.) sind genauso konstruktivistisch wie die für die Didaktik abgeleiteten Erkenntnisse (vgl. ibd., S. 413 ff.). Auch die als Vertreter des Enaktivismus zitierten Autoren (etwa Maturana/Varela (1982); iid. (1987)) werden andernorts als Konstruktivisten rezipiert (auch wenn sich viele Autoren selbst nicht so bezeichnen, vgl. Davis/Sumara (2002), S. 411). Vgl. Mir/Watson (2000), S. 946. Vgl. ibd., S. 942. Die Autoren weisen in einem späteren Beitrag darauf hin, dass Konstruktivismus nicht mit dem kritischen Realismus verwechselt werden darf. Letztgenannter gehe zwar auch davon aus, dass vollständige Erkenntnis der Realität nicht möglich sei, führt dies jedoch auf forschungsmethodologische Probleme zurück (z. B. die logische Gleichsetzung von Erklärung und Prognose) vgl. iid. (2001), S. 1170. Vgl. Rorty (1979), der der neuzeitlichen Philosophie den Vorwurf macht, sie versuche ein Spiegel der Natur zu sein. Vgl. Maturana/Varela (1987), S. 31; von Glasersfeld (1997), S. 22; Kösel/Scherer (1996), S. 105; Krüssel (1996), S. 92; Diesbergen (1998), S. 282; Dinter (1998), S. 260; von Glasersfeld (1999), S. 500; Mitterer (1999), S. 487; Rustemeyer (1999), S. 467; Terhart (1999), S. 27; Thiel (2002), S. 10 ff., m. w. V.; Terhart (2003), S. 631 f.; Siebert (2005), S. 13; Roth (2006), S. 49; Petit/Huault (2008), S. 75; Reich (2008), S. 74; de Haan/Rülcker (2009), S. 27. Vgl. Maturana/Varela (1987), S. 13.
142
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
In ontologischer Hinsicht dagegen vertritt der Konstruktivismus keine relativistische, sondern ausdrücklich eine realistische Position, die insofern nicht mit dem Solipsismus verwechselt werden darf, der auch hinsichtlich der Existenz einer außerhalb des Objekts liegenden Realität skeptisch ist.830 Der Konstruktivismus erkennt die Existenz der Realität unstreitig an; diese ist nur nicht direkt der Erfahrung zugänglich, sondern muss im Kopf des Beobachters erst modellhaft erschaffen werden. In systemtheoretischer Sprache sind Menschen autopoietische, in sich operativ geschlossene Systeme,831 die allerdings mit ihrer Umwelt in Wechselwirkung stehen.832 Damit der Geist seine Wirklichkeit konstruieren kann, muss er in rekursiver Weise mit der externen Realität verbunden sein.833 Maturana und Varela nennen dies strukturelle Kopplung.834 Dinter bringt es wie folgt auf den Punkt: „Konstruktion ist Organisation und Adaption kognitiver Strukturen im Zuge der Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt.“835 Diese rekursive Verbundenheit von Subjekt und Umwelt bedeutet, dass die Wirklichkeit zum einen auf irgendeine Art und Weise auf das Individuum ausstrahlt und zum anderen das Individuum auf eine ihm mögliche Art und Weise überprüfen können muss, ob sein Bild von der Wirklichkeit angemessen ist, damit es sich in der äußeren Welt erfolgreich bewegen kann. Der erste Problemkomplex wird nachfolgend mit dem Stichwort der Perturbation, der zweite mit dem der Viabilität erklärt. Mit dem Begriff der Perturbation bezeichnen Konstruktivisten einen von außerhalb des Individuums kommenden Stimulus oder Impuls.836 Dieser stellt eine Irritation dar, die das Individuum zu einer Auseinandersetzung mit dem Gegenstand zwingt. Die Konstruktion von Erfahrungswirklichkeit ist ein idiosynkratischer Prozess, in dem das Subjekt das Wahrgenommene mit den bestehenden kognitiven Strukturen vergleicht und in diese einordnet oder die Struktur entsprechend anpasst. Insofern sind kognitive Prozesse strukturdeterminiert, also von den internen Wissensstrukturen abhängig.837 Dieses Erklärungsmuster entspricht dem Äquilibrationsprozess nach Piaget, der analog Adaption und Akkomodation unterscheidet.838 830 831 832 833 834 835 836 837 838
Vgl. Hoops (1998), S. 230; von Glasersfeld (1999), S. 501; Terhart (1999), S. 632; Davis/Sumara (2002), S. 414, m. w. V.; Terhart (2003), S. 27; de Haan/Rülcker (2009), S. 8. Vgl. Maturana/Varela (1987), S. 50; Kösel/Scherer (1996), S. 105; Diesbergen (1998), S. 282; Siebert (2005), S. 13. Vgl. Terhart (1999), S. 633 f.; id. (2003), S. 29 f. Ansonsten wird die Systemtheorie eher auf das Erziehungssystem in institutioneller Hinsicht bezogen, vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 91 ff. Vgl. Balgo/Voss (1996), S. 67; Krüssel (1996), S. 92; Petit/Huault (2008), S. 75. Vgl. Maturana/Varela (1987), S. 85, 105; siehe auch Siebert (2005), S. 78 ff.; id. (2008), S. 36 ff. Dinter (1998), S. 271. Vgl. Maturana/Varela (1987), S. 27, 186 ff.; Davis/Sumara (2002), S. 413 f.; Siebert (2005), S. 34; de Haan/Rülcker (2009), S. 9 f. Vgl. Siebert (2005), S. 64 et pass.; de Haan/Rülcker (2009), S. 10. Vgl. Piaget (1976); von Glasersfeld (1999), S. 501 m. w. V.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
143
Der wesentliche Unterschied zwischen dem radikalen und dem sozialen Konstruktivismus besteht darin, dass Konstruktionen im ersten Fall individuell und im zweiten Fall von Verständigungsgemeinschaften, sogenannten communities, vorgenommen werden.839 Solche sozialen Konstrukte bilden dann den Ausgangspunkt für individuelle Konstruktionen, sind diesen also „vorgeschaltet“.840 Sie werden von Menschen, die Mitglied der jeweiligen community sind, als wahr bzw. viabel eingestuft, können aber keinen objektiven Allgemeingültigkeitsanspruch erheben.841 Diesem Gedankengang setzt der methodische Kulturalismus noch die Einsicht hinzu, dass soziale Konstruktionen nicht nur ad hoc entstehen, sondern auf die Historie zurückgehen und somit kulturell bedingt sind.842 In pfadabhängiger Weise bewegen sich die Individuen damit in einem Rahmen gemeinsamer kultureller Vorinterpretationen, die die kognitiven Strukturen nachhaltig prägen. Insofern entschärfen sozialer Konstruktivismus und Kulturalismus die radikale These der rein individuellen Wirklichkeitskonstruktion, ohne auf das Konzept der operativen Geschlossenheit verzichten zu müssen.843 Der durch Perturbationen angestoßene Konstruktionsprozess führt zu einem zunächst hypothetischen Konstrukt.844 Dieses ist nun im zweiten Schritt auf seine Viabilität hin zu überprüfen. Der Viabilitätsbegriff substituiert dabei den Begriff der objektiven Wahrheit.845 Da die Wahrheit von Wissen im korrespondenztheoretischen Sinne aufgrund des Abgekoppeltseins des Menschen von der äußeren Realität niemals überprüfbar ist, muss sich der Wissens- vom Glaubens- bzw. Spekulations839
840 841
842 843 844 845
Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 47. Die soziale Konstruktion erfolgt allerdings nicht, wie in der Pädagogik bisweilen falsch aufgriffen wird, in einer sozialen Gruppe, also etwa in Gruppenarbeit, sondern in einer community. Eine Face-to-face-Zusammenarbeit ist also weder erforderlich noch gemeint, vgl. ibd., S. 57. Ein Beispiel hierfür ist die scientific community. Die von Kuhn (1962) thematisierten wissenschaftlichen Paradigmen können als innerhalb dieser community sozial konstruierte gemeinsame Annahmen und Wahrnehmungen interpretiert werden. Die soziale Konstruktion zeigt sich an der Tatsache, dass sie neu konstruiert werden können (Paradigmenwechsel). Latour/Woolgar (1989) machen die Bedeutung sozialer Konstruktionen in naturwissenschaftlichen Experimenten zu ihrem Thema. Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 102. Ähnlich auch Vygotsky (1978), S. 57, der die kulturelle Entwicklung von Kindern in zwei Phasen sieht, zunächst auf der sozialen bzw. interpsychologischen, dann auf der individuellen bzw. intrapsychologischen Ebene. Vgl. ibd., S. 45. Sie können daher mittels Dekonstruktion „entlarvt“ werden. Hierin sehen Dekonstruktivisten bzw. Poststrukturalisten ihr Hauptgeschäft. Sie gehen davon aus, dass Sprache totalitär normiert und verzerrt ist und insofern politisch widerspiegelt, was gut und was schlecht sei. Dekonstruktion bedeutet dann, diese Verzerrung aufzuheben. Vgl. Hartmann/Janich (1996), S. 67 f.; Siebert (2008), S. 33 ff. Vgl. Siebert (2005), S. 24. Ähnlich auch Gregory (2002), S. 400. Vgl. Balgo/Voss (1996), S. 67; von Glasersfeld (1997), S. 39; Diesbergen (1998), S. 281; Hoops (1998), S. 231; von Glasersfeld (1999), S. 501; Rustemeyer (1999), S. 468, 475.
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3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
begriff zwangsläufig durch ein alternatives Qualitätskriterium unterscheiden. Der Viabilitätsbegriff wird von den einzelnen Konstruktivismen unterschiedlich inhaltlich gefüllt, etwa durch Erfolgseignung, Nutzen, Befriedigung, Lust oder Ästhetik.846 Der radikale Konstruktivismus argumentiert hierbei, dass Wissen dann als viabel gelten kann, wenn es brauchbar ist, um ein erfolgreiches Überleben in der Welt zu gewährleisten, bzw. zur Lösung realer Probleme geeignet ist: „Handlungen, Begriffe und begriffliche Operationen sind dann viabel, wenn sie zu den Zwecken oder Beschreibungen passen, für die wir sie benutzen.“847 Die Vorstellung etwa, Autos seien weich wie Zuckerwatte, wäre zwar prinzipiell konstruierbar, spätestens der Gang über eine befahrene Straße aber (oder die Beobachtung eines Dritten, der dies tut) würde diese Wirklichkeitsauffassung als nicht viabel herausstellen. Die korrespondenztheoretische Wahrheitsauffassung des Realismus wird insoweit im Konstruktivismus durch einen utilitaristischen Falsifikationismus ersetzt.848 Bei dieser Sichtweise ergibt sich jedoch das Problem radikal unterschiedlicher Wirklichkeitsbeschreibungen, wodurch sich Menschen gegenseitig nicht verstehen könnten bzw. zwangsläufig sprichwörtlich aneinander vorbeireden müssten und keine Chance für einen gesellschaftlichen Zusammenhang bestünde.849 Die Alltagserfahrung zeigt jedoch, dass die Menschen recht hohe Übereinstimmungen in ihren Wirklichkeitskonstruktionen, sogenannte konsensuelle Bereiche, aufweisen.850 Dem sozialen Konstruktivismus zufolge darf der Legitimationsprozess von Wissen daher nicht allein auf intrapersonaler Ebene verbleiben, sondern muss auch interpersonal, mithin in sozialen Kontexten, erfolgen. Das individuell konstruierte Wissen muss ausgehandelt werden bzw. sich sozial bewähren.851 Es wird nicht mit der Realität, sondern mit anderen, konkurrierenden Konstruktionen verglichen und damit verfestigt oder verworfen.852 Der radikale Konstruktivismus erkennt diesen Prozess auch an und bezeichnet ihn als Viabilität zweiter Ordnung.853 Der Prüfprozess für Wissen erfolgt somit nicht zwingend in der Praxis durch eigene, sondern auch durch nicht-empirische Fremderfahrungen. Es ist nicht erforderlich, dass jeder einzeln die Straße überquert, um ggf. „nicht brauchbare“ Erfahrungen zu machen, sondern es genügt, wenn sich alle über die Konsequenzen einig sind. 846 847 848 849 850 851 852 853
Vgl. Reich (2008), S. 122. Vgl. von Glasersfeld (1997), S. 43. Ähnlich bereits id. (1995), S. 7. Vgl. Knorr-Cetina (1989), S. 90. Vgl. Rustemeyer (1999), S. 470, m. w. V.; Siebert (2005), S. 16. Vgl. Hoops (1998), S. 230. Vgl. Balgo/Voss (1996), S. 63; von Glasersfeld (1997), S. 306; Terhart (1999), S. 632; id. (2003), S. 27; Petit/Huault (2008), S. 75; Reich (2008), S. 119. Vgl. Bednar et al. (1992), S. 21; Dinter (1998), S. 261; Mitterer (1999), S. 486. Vgl. von Glasersfeld (1997), S. 197 f.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
145
Der Kulturalismus definiert Viabilität ähnlich wie der radikale Konstruktivismus rein utilitaristisch. Das Brauchbarkeitskriterium ist hier der Handlungserfolg.854 Wenn Handeln den ex ante gesetzten Zweck erzielt, ist es erfolgreich und kann somit als viabel betrachtet werden. 3.2.2
Grundhaltungen konstruktivistischer Didaktik
Der Konstruktivismus wird seit Anfang der 1990er-Jahre im englischsprachigen und seit Ende der 1990er-Jahre im deutschsprachigen Raum verstärkt auch in der Pädagogik diskutiert.855 Seine Attraktivität für pädagogische Fragen ergibt sich zum einen daraus, dass er mit der postmodern856 oder reflexiv-modern857 begründeten Erosion von Wahrheitsansprüchen und den daraus folgenden Konsequenzen, insbesondere Pluralität und Ambivalenz, kompatibel ist. Er nimmt die heute herrschende Unsicherheit als Ausgangsbasis seiner Überlegungen. Diese betrachtet er im Übrigen nicht als günstig oder begrüßenswert, sondern nimmt sie als Faktum (oder treffender: als Konstrukt) wahr.858 Der Konstruktivismus will die Unsicherheit aber gerade nicht nur symptomatisch überwinden, sondern das Individuum dazu auffordern, mit ihr aktiv umzugehen.859 Unter diesen Umständen muss das Individuum „reflexiv auf die Kakophonie der Meinungen, Sachaussagen und Normen reagieren – und sich sein eigenes Urteil bilden.“860 854 855
856
857 858 859 860
Vgl. Hartmann/Janich (1996), S. 19 f., 33. Vgl. Duffy/Jonassen (1992), S. 2 f.; Hoops (1998), S. 231. Wie sich aus den hier zitierten deutsprachigen Quellen ergibt, setzte die Diskussion hier erst gegen Ende der 1990er-Jahre ein. Erste Nennungen im pädagogischen Kontext identifizieren Davis/Sumara (2002), S. 409, bereits in den 1970er-Jahren. Vgl. Siebert (2005), S. 46 ff.; Reich (2008), S. 47 ff.; de Haan/Rülcker (2009), S. 167. Die Postmoderne argumentiert, dass die zurückliegenden Jahrhunderte und auch noch die Moderne durch übergeordnete Erklärungsmuster – etwa Religion, Aufklärung, Idealismus, Historismus, Kapitalismus oder Marxismus – gekennzeichnet waren, denen der Hegelsche Grundgedanke des Fortschritts hin zu einem Idealzustand gemeinsam war und die entsprechend der Legitimation von Handlungen und Institutionen dienten. Inzwischen – so die postmoderne These – verlieren diese Weltbilder durch die Einsicht in deren unüberwindbare Heterogenität und durch neues Wissen an Konsensfähigkeit, weshalb Lyotard (1979) vom „Ende der großen Erzählungen“ spricht. In der Folge kommt es zu einem Pluralismus von inkommensurablen Wahrheiten und Intentionen. Im Gegensatz zur reflexiven Moderne, die lösungsorientiert denkt, bleibt die Postmoderne auf der Ebene der Problemfeststellung stehen. Vgl. de Haan/Rülcker (2005), S. 14 ff.; siehe auch Kap. 1.1. Vgl. Reich (2008), S. 122. Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 14 ff., 166. Ibd., S. 17.
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3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Zum anderen bildet der Konstruktivismus das epistemologische Fundament für die seit Längerem diskutierte zunehmende Subjektorientierung bzw. Individualisierung in der Pädagogik im Allgemeinen und in der Didaktik im Speziellen.861 Pädagogen, die sich dieser Sichtweise verpflichtet fühlen, erhalten durch den Konstruktivismus also eine zusätzliche Begründungsbasis. Der pädagogische Konstruktivismus rekurriert – je nach autorenspezifischer Schwerpunktsetzung – auf die o. g. Konstruktivismen und bezieht wie diese außerdem Erkenntnisse der Neurobiologie,862 der neueren Systemtheorie863 und einer konstruktivistisch informierten Lernpsychologie864 ein.865 Diese Theorien liegen auf unterschiedlichen Ebenen und werden von verschiedenen Autoren uneinheitlich interpretiert und akzentuiert.866 Meist wird eine eindeutige Positionierung zu einem der Konstruktivismen unterlassen. Die konstruktivistische Didaktik ist in ihrem Selbstverständnis weder eine Wissenschaft vom Lehren und Lernen noch ein normatives Didaktikmodell und schließt entsprechend nicht an bildungstheoretische, lerntheoretische oder andere frühere Konzeptionen an. Vielmehr versteht sie sich als revisionistischer Gesamtentwurf, als Reflexion über Lernsituationen, der die überkommenen Vorstellungen von der Bedeutung von Lernzielen, Lerninhalten, Unterricht etc. kritisiert und im Idealfall auch nach Verbesserungspotenzialen sucht.867 Daraus folgt insgesamt eine bewusst unbequeme Haltung: „Die konstruktivistische Didaktik verzichtet von vornherein auf den Anspruch, möglichst leicht, schnell verständlich und rezepthaft sein zu wollen, um gute Marktchancen zu erzielen.“868 Die didaktische Konsequenz aus der konstruktivistischen Epistemologie lautet, dass der Lehrende kein objektives Wissen an die Lernenden vermitteln kann, da diese es nicht unverfälscht aufnehmen. Stattdessen müssen die Lernenden Wissen für sich selbst neu konstruieren.869 861 862 863 864 865 866 867 868 869
Vgl. ibd., S. 18, 167. Vgl. Maturana/Varela (1982); iid. (1987). Die Neurobiologie dient zugleich als empirische Fundierung, vgl. Terhart (1999), S. 633; id. (2003), S. 28. Vgl. Luhmann (1987); id. (2009). Die von Rustemeyer (1999), S. 470 f., ins Feld geführte Kybernetik kann hier vereinfachend als Vorläuferin subsumiert werden. Für eine kurze Darstellung der Grundzüge der Kybernetik vgl. Tiberius (2008), S. 150 ff. Vgl. Piaget (1976); Reinmann/Mandl (2006). Vgl. Terhart (1999), S. 631; Rustemeyer (1999), S. 468 ff.; Terhart (2003), S. 26; de Haan/Rülcker (2009), S. 59. Weitere, auch weniger populäre theoretische Strömungen finden sich bei Reich (2008), S. 85 ff. Vgl. Terhart (1999), S. 631; id. (2003), S. 26 f.; Siebert (2005), S. 14. Vgl. Tietgens (1992), S. 10; Terhart (1999), S. 636; Davis/Sumara (2002), S. 420; Terhart (2003), S. 32; Reich (2005), S. 187 f. Reich (2008), S. 84. Zwyssig (2001), S. 56 f., m. w. V.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
147
Der Hauptkritikpunkt der konstruktivistischen Didaktik an traditionellen Lehr-LernVorstellungen besteht in der angenommenen und über Jahrhunderte gepflegten Heteronomie von Lernprozessen.870 Den Dreh- und Angelpunkt sollen in der Konsequenz nicht mehr die Lehrenden und die Lehrinhalte, die sie vermitteln wollen, sondern die Lernenden und ihre Interessen und Wahrnehmungen bilden.871 Der Lernende wird als autopoietisches System aufgefasst, das sein Wissen und Können im wechselseitigen Austausch mit der Umwelt aufbaut, und Lernen wird als subjektiver Konstruktionsprozess begriffen, in dem der Lernende seine interne, subjektive Repräsentation von Sachverhalten aufbaut.872 Wissen kann also nicht wie eine Ware vom Lehrenden auf eine Gruppe gleichartiger Lernender übertragen werden.873 Dozenten, die die „objektive Wirklichkeit“ vermitteln wollen, unterliegen den Konstruktivisten zufolge der „Illusion des Faktischen“.874 Vielmehr muss der Lernprozess von außen, sprich vom Dozenten, mittels Perturbationen angestoßen (affect) werden, kann aber nicht in objektivistischer Manier bewirkt (effect) werden.875 Solche „Störungen“ lösen beim Lernenden eine innere Krise und in der Folge ein reframing des Gelernten aus.876 Wie dieser Prozess beim Einzelnen abläuft und welches Lernergebnis er evoziert, ist wegen der Subjektbezogenheit ungewiss und nicht prognostizierbar.877 In einer solchen Vorstellung des Lehr-Lern-Prozesses kommt dem Dozenten die Rolle des Moderators, Lern(prozess)begleiters, Lernberaters, Provokateurs oder eben Perturbators zu.878 Eine wichtige, bereits angesprochene Annahme des Konstruktivismus ist die Pfadabhängigkeit von Lernprozessen. Da die Konstruktion neuen Wissens stets auf bereits vorhandenem Wissen basiert,879 muss der Dozent dieses Vorwissen 870 871 872 873 874 875 876 877 878
879
Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 175. Vgl. ibd., S. 7. Vgl. Bednar et al. (1992), S. 21; von Glasersfeld (1999), S. 504; Terhart (1999), S. 635; id. (2003), S. 30 f. Vgl. Rustemeyer (1999), S. 475; Siebert (2005), S. 32; Arnold (2007), S. 19. Arnold/Kempkes (1998), S. 261. Vgl. Maturana/Varela (1987), S. 27, 186 ff.; Siebert (2005), S. 32; zum Unterschied zwischen Beeinflussung (affect) und Bewirkung (effect) in einem inhaltlich anderen, formal ähnlichen Zusammenhang vgl. auch Tiberius (2008), S. 47. Vgl. Arnold/Siebert (1995), S. 115 ff.; Terhart (1999), S. 637; id. (2003), S. 32. Vgl. Winn (1992), S. 177; Hoops (1998), S. 236, m. w. V. Vgl. Wildman/Inayatullah (1996), S. 724; Lindemann (2006), S. 210; Davis/Sumara (2002), S. 420. Ähnliche Zuschreibungen finden sich aber bereits bei nicht dezidiert konstruktivistischen Konzeptionen, die auf kooperative Unterrichtsformen setzen, vgl. etwa Thomas (1991), S. 195; Gerstenmeier/Mandl (1995), S. 874 f.; Kath (2002), S. 72; Speth (2007), S. 192. Unterrichtsverfahren, die den Studierenden zu sehr allein lassen, haben sich allerdings nicht als effektiv erwiesen, vgl. Blömeke et al. (2007), S. 368, m. w. V. Vgl. Bednar et al. (1992), S. 132; Dubs (1995), S. 890; Terhart (1999), S. 635; id. (2003), S. 31.
148
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
zunächst kennenlernen. Er soll dann versuchen, neue Lerninhalte so aufzubereiten, dass diese an das bestehende Wissen anschlussfähig sind.880 Lehre muss aber nicht nur perturbieren, sondern auch die Viabilitätsüberprüfung ermöglichen. Denn das Ziel von Lehre ist der Erwerb möglichst viabler Wissenskonstruktionen.881 Diesbezüglich rekurriert die konstruktivistische Didaktik hauptsächlich auf den sozialen Konstruktivismus, verortet die Legitimierung von Wissen also in die Lerngruppe. Wie bereits ausgeführt, findet die soziale Validierung aus Sicht des sozialen Konstruktivismus auf der unpersönlichen Ebene der community statt. Beim Transfer in die Didaktik wird diese aber in der Regel durch die Lerngruppe (z. B. Vorlesungs- oder Seminarteilnehmer) substituiert. Der Lernprozess, als rekursive Interaktion mit der Umwelt verstanden, spielt in der konstruktivistischen Didaktik die Inszenierung von Lernumgebungen eine wichtige Rolle.882 Da Lernprozesse stark situationsgebunden sind,883 soll so ein möglichst situativer Kontext geschaffen werden, der die Wissenskonstruktion fördert.884 In Kap. 3.3 und Unterkapiteln wird im Einzelnen näher beleuchtet, welche konkreten Auswirkungen konstruktivistische Vorstellungen auf die fünf didaktischen Komponenten haben. 3.2.3
Kritische Reflexion
Die zahlreichen theoretischen Strömungen, die in das konstruktivistische Denken eingeflossen sind, die Spannbreite unterschiedlicher Konstruktivismen und ihre sehr unterschiedliche Rezeption durch die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen machen das mitunter nebulös erscheinende Phänomen „Konstruktivismus“ schwer greifbar885 und bieten im Detail eine recht große Angriffsfläche für Kritiker. Dies 880 881 882
883 884 885
Vgl. Balgo/Voss (1996), S. 67; von Glasersfeld (1999), S. 504. Durch klassenjahrgangsbezogene Lehrpläne in Schulen kann man zumindest von einem gewissen gemeinsamen Vorwissen ausgehen, vgl. Hoops (1998), S. 239. Vgl. Rustemeyer (1999), S. 475. Vgl. Hoops (1998), S. 243, m. w. V.; Rustemeyer (1999), S. 475; Terhart (1999), S. 637; id. (2003), S. 32; Siebert (2005), S. 33, 107 ff.; Reinmann/Mandl (2006), S. 613 ff.; de Haan/Rülcker (2009), S. 157 et pass.; Li et al. (2010), S. 412 f.; ähnlich auch Kösel (1995), der innerhalb seiner subjektiven Didaktik, die als spezielle konstruktivistisch-didaktische Schule aufgefasst werden kann, von Lernwelten spricht. Vgl. Terhart (1999), S. 635; id. (2003), S. 31. Vgl. Reinmann/Mandl (2006), S. 626; Siebert (2005), S. 71 ff.; Reich (2008), S. 207 f.; de Haan/Rülcker (2009), S. 175. Li et al. (2010), S. 404 f., kritisieren, dass sich selbst Wissenschaftler, die sich als Konstruktivisten bezeichnen, oft nicht über die Kernannahmen des Konstruktivismus in Klaren sind und sich auch nicht eindeutig einer der konstruktivistischen Schulen zuordnen können.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
149
gilt in der Folge auch für die Übernahme konstruktivistischen Denkens in die Pädagogik und Didaktik: Eine geschlossene Theorie liegt hier nicht vor.886 Hinzu kommt, dass die Rezeption konstruktivistischer Überlegungen zum einen überwiegend unkritisch887 und zum anderen häufig unpräzise erfolgt.888 In der englischsprachigen Diskussion scheint der pädagogische Konstruktivismus sogar nur als Sammelbezeichnung für beinahe jede Auffassung zu dienen, die nicht behavioristisch ist, wonach auch kognitivistische Konzeptionen eingeschlossen wären.889 So ergibt sich unter dem Strich ein vergleichsweise diffuses Bild. Einige zentrale Problemfelder werden nachfolgend diskutiert. Dort, wo der Konstruktivismus nicht nur als Erkenntnistheorie, sondern als Weltbild oder Bewegung inszeniert wird, drängt sich der Verdacht auf, dass er mehr den Ideologien als der Wissenschaft zuzuordnen ist.890 Bei einer Ideologie handelt es sich um „ein nicht begründetes, aber in sich konsistentes und versteckt werturteilsbeladenes System subjektiver Deutungen, welches in der Regel generelle Gültigkeit beansprucht und sich der Widerlegung zu entziehen versucht.“891 Dieses Problem ist gekennzeichnet durch die Unschärfe zentraler Begriffe und Konzepte, nicht begründete Folgerungen bzw. fehlenden Erklärungsgehalt, generellen Gültigkeitsanspruch, Selbstimmunisierung durch Tautologien und Zirkelschlüsse sowie versteckte Werturteile. In der Summe entsteht dadurch die Gefahr des „Modellplatonismus“892, weil das Modell in sich schlüssig ist, da bestimmte Annahmen getroffen wurden, die sich allerdings in der Realität nicht wiederfinden lassen.893 Diese Eigenschaften können dem Konstruktivismus in mancher Lesart durchaus zugeschrieben werden: Die einerseits ontologisch-realistische, andererseits epistemologisch-relativistische Konzeption, die auf rekursive strukturelle Kopplungen zwischen Individuum und Umwelt setzt, ist in sich schlüssig. Durch die prinzipielle Nichterkennbarkeit von Wirklichkeit entzieht sich der Konstruktivismus aber seiner eigenen wissenschaftlichen Überprüfbarkeit – zumindest im nichtkonstruktivistischen Sinne: Jedem Positivisten, der konstruktivistische Annahmen und Aussagen testen möchte, kann der Konstruktivist entgegnen, seine Weltsicht 886 887 888 889 890 891 892 893
Vgl. Hoops (1998), S. 233, m. w. V.; Dinter (1998), S. 255; Rustemeyer (1999), S. 475, m. w. V.; Reinmann/Mandl (2006), S. 626. Vgl. de Haan/Rücker (2009), S. 159, 163. Vgl. ibd., S. 164 f., die dies auch an mehreren Begriffen und deren großzügiger Interpretation verdeutlichen. Vgl. Dinter (1998), S. 273. Vgl. Hoops (1998), S. 232, 247, m. w. V. Vgl. von der Oelsnitz (2005), S. 336. Vgl. Albert (1967), S. 331 ff. Vgl. Li et al. (2010), S. 405, verweisen darauf, dass sich der Konstruktivismus nach wie vor hauptsächlich auf rein theoretischem Niveau befindet und empirische Forschung nur sehr eingeschränkt stattfindet. So können konstruktivistische Aussagen weder erhärtet noch falsifiziert werden.
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3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
sei schlicht falsch. Der Konstruktivismus ist (wie alle anderen Ismen) selbst auch nur eine Konstruktion und muss daher nicht wahr, sondern nur viabel sein. Und diese Lebenstauglichkeit ist durchaus gegeben: Durch die Brille des Konstruktivismus sieht das Individuum die Welt anders, aber sie ist für ihn plausibel. Für die vorliegende Arbeit ist eine wichtige Frage, welche Konsequenzen konstruktivistische Überlegungen für die Didaktik haben. In dieser Frage steckt allerdings bereits die implizite Annahme, dass es überhaupt einen Zusammenhang zwischen einer Erkenntnistheorie und der Didaktik gibt. Dies ist aber keine Selbstverständlichkeit. Davis und Sumara erinnern daran, dass konstruktivistische Diskurse ursprünglich nicht als pädagogische Diskurse angelegt waren.894 „Further, most theoretical constructivist discourses offer virtually no direct, practical advice to teachers.“895 Der Konstruktivismus ist eine deskriptive, nicht präskriptive Theorie, sodass er selbst keine Handlungsempfehlungen liefert.896 Ob sich diese ableiten lassen, ist fraglich. So identifiziert Hoops als herrschende Vorstellung, dass offensichtlich ein „Quasi-Deduktions-Verhältnis“ bestehe, also pädagogische Aussagen aus der konstruktivistischen Epistemologie ableitbar seien. Diese Sichtweise wird von ihm jedoch kritisiert.897 Dinter stützt diese Kritik prinzipiell (auch wenn er sich zunächst am Begriff der Quasi-Deduzierbarkeit echauffiert, die er sicher nicht ganz unzutreffend mit der Redensart „ein bisschen schwanger“ vergleicht).898 Er lehnt eine Ableitbarkeit grundsätzlich ab.899 Vielmehr müssten didaktische Entscheidungen „nur“ lerntheoretisch fundiert, und die verwendete Lerntheorie wiederum epistemologisch informiert bzw. reflektiert sein.900 In systemtheoretischen Worten besteht Dinter zufolge allenfalls eine „lose Kopplung“, die zudem mit der Lerntheorie einen Intermediär hat, wodurch der Zusammenhang insgesamt sehr indirekt ist. Zudem sind die Verbindungen zwischen den drei Sphären Epistemologie, Lerntheorie und Didaktik bislang theoretisch kaum ausgearbeitet und auch empirisch nicht fundiert.901 In der Folge verwundert es dann nicht, dass Konstruktivismus und Didaktik doch weitgehend voneinander isoliert sind. Insbesondere beim Vergleich radikalkonstruktivistischer Vorüberlegungen und deren Umsetzung in der Didaktik fällt einem daher fast zwangsläufig die Redensart von den Kanonen ein, mit denen man auf Spatzen schießt. Terhart zeigt sich „überrascht, dass eigentlich nichts 894 895 896 897 898 899 900 901
Vgl. Davis/Sumara (2002), S. 410, 427. Ibd., S. 420. Vgl. ibd., S. 417. Vgl. Hoops (1998), S. 234 f. Vgl. Dinter (1998), S. 266. Vgl. ibd., S. 268. Vgl. Dinter (1998), S. 273. Ähnlich auch Li et al. (2010), S. 404, m. w. V.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
151
wirklich überrascht.“902 Die meisten didaktischen Forderungen sind weniger radikal als zuvor angekündigt. Sie erinnern vielmehr an frühere reformpädagogische Bewegungen und sind heute damit durchaus breit konsensfähig – durchaus auch seitens der Objektivisten.903 Insbesondere die zentrale Aussage, Wissen entstehe durch eine lernerseitige Konstruktion, stößt in beiden Lagern auf breite Zustimmung.904 Die konsequente Übertragung radikal-konstruktivistischer Überlegungen auf die pädagogische Praxis würde durch das Postulat der Unmöglichkeit von Lehre im klassischen Sinne letztlich auf die Abschaffung jedes institutionalisierten Unterrichts zielen.905 Diese Konsequenz wird jedoch häufig nicht gezogen.906 Je mehr der Schritt von der erkenntnistheoretischen Reflexion zu den praktischen Folgen für den Lehralltag vollzogen wird, desto mehr entwickelt sich ein radikaler daher zwangsläufig zu einem gemäßigten Konstruktivismus,907 der daher auch hier vertreten wird. Diese Auffassung wird nachfolgend an einigen Kernelementen der konstruktivistischen Didaktik verdeutlicht. Gerade bei radikal-konstruktivistischen Didaktikkonzeptionen muss insofern die Frage gestellt werden, ob die These von der prinzipiellen Nichtlehrbarkeit im objektiven Sinne nicht überproblematisiert wird. Immerhin muss anerkannt werden, dass Lehre weitgehend gelingt. Trotz aller Unterschiede im Lernprozess führt Lehre im Großen und Ganzen zu den gewünschten Ergebnissen,908 insbesondere zu einer Wahrnehmung von alltäglicher Wirklichkeit, die zumindest so konsensfähig ist, dass sie es uns erlaubt durchs Leben zu gehen.909 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Angemessenheit von Perturbationen. Bei mancher Lesart entsteht der Eindruck, dass die Anzahl und Intensität von Störungen zu maximieren seien. Dass externe Schocks das kognitive System des Individuums herausfordern, ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Ob auf diese Weise eine sinnvolle kognitive Neuordnung und damit wünschenswerte Lernergebnisse erzielt werden, darf jedoch bezweifelt werden: Es erscheint fast so, als wolle man ein defektes Radio reparieren, indem man es 902 903 904 905 906 907 908 909
Terhart (1999), S. 637. Vgl. Dinter (1998), S. 256, 263; Hoops (1998), S. 246, m. w. V.; Rustemeyer (1999), S. 476; Jank/Meyer (2003), S. 141; de Haan/Rülcker (2009), S. 12. Vgl. Hoops (1998), S. 238, m. w. V.; Dinter (1998), S. 270; Reich (2008), S. 192. Hoops (1998), S. 233, weist eine konstruktivistische Lernauffassung bereits im Spätmittelalter bei Thomas von Aquin nach. Vgl. Rustemeyer (1999), S. 477; de Haan/Rücker (2009), S. 157. Vgl. Hoops (1998), S. 237. Vgl. Dubs (1995), S. 902; Diesbergen (1998), S. 288; Rustemeyer (1999), S. 476; Terhart (1999), S. 645; id. (2003), S. 41 f. Der Begriff des gemäßigten Konstruktivismus soll als Sammelbegriff für nicht-radikale Konstruktivismen verstanden werden. Vgl. Hoops (1998), S. 236. Vgl. Siebert (2005), S. 7.
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3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
auf den Boden wirft und dagegen tritt.910 Perturbationen sind mithin kein Selbstzweck, sondern immer an dem Zweck zu orientieren, Lernen auf adäquate Art und Weise zu fördern. Eine ebenso angemessene, d. h. gemäßigte Haltung ist gegenüber dem Konzept der Viabilität einzunehmen. Zunächst stellt sich auch hier die Frage nach dem Ausmaß, d. h. danach, ob das permanente Infragestellen sämtlicher Wirklichkeitsausschnitte angemessen ist.911 Ein Ansatz, der die fehlende Allgemeingültigkeit von Aussagen herausstellt und alle vermeintlichen Gewissheiten erschüttert, kann bei den Lernenden die Schlussfolgerung der Beliebigkeit und des anything goes provozieren. Schlimmer noch: „[W]er […] Wirklichkeit permanent in Frage stellt, wird lebensuntüchtig“.912 Durch eine Überhöhung der Problematik von Erkenntnis kann das Viabilitätskonzept somit im Endeffekt konterkariert werden: Eine zu radikale Sichtweise wäre dann gerade nicht mehr „brauchbar“. Mit der Ablehnung der Möglichkeit der Wahrheitsfindung beraubt der Konstruktivismus den Lernenden zudem des zentralen Motivs für Lernen.913 Wenn uns Lernen keinen Blick auf die Welt eröffnet, sondern wir uns ohnehin in unserem eigens erschaffenen Universum bewegen, dann könnten sich die Lernenden auch mit angenehmeren Dingen beschäftigen, als auf der Schulbank zu sitzen. Mit einer solchen externen Orientierungslosigkeit und dem Imperativ, eine interne Orientierung im eigenen Subjekt zu finden, kann sicher nicht jeder umgehen. Eine ohne jede Sicherheit flankierte Freiheit wird zur Belastung.914 De Haan und Rülcker fragen vor diesem Hintergrund zu Recht, ob (radikal-) konstruktivistisches Denken nicht eher nur etwas für Intellektuelle sei und andere überfordere.915 Mit Verweis auf den Philosophen Searle weist Siebert als Lösungsansatz auf die Möglichkeit hin, zwischen institutionalisierten und nicht institutionalisierten („rohen“) Dingen, zwischen subjektiver und objektiver, beobachterabhängiger und immanenter Erkenntnis zu unterscheiden.916 „Es gibt Wirklichkeiten, die uns […] als sehr gewiss erscheinen. Wir benötigen sie in unserem Handeln und Beobachten, um nicht ständig verwirrt zu werden.“917 910 911
912 913 914 915 916 917
In einem inhaltlich anderen, formal aber ähnlichen Zusammenhang findet sich der Vergleich bereits bei Tiberius (2008), S. 167; id. (2010a), S. 210. Diese Frage ließe sich epistemologisch diskutieren, wobei jedes Argument und auch jeder „Beweis“ für die realistische oder die konstruktivistische Perspektive wiederum nur eine Konstruktion ist, womit sich der Konstruktivismus im Zirkelschluss selbst infrage stellt. Deshalb ist – gerade aus konstruktivistischer Sicht – eher eine viabilitätsbezogene Beurteilung erforderlich. Siebert (2005), S. 7. Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 108, 184. Vgl. Reich (2008), S. 57, der insoweit von „Ekstase der Freiheit“ spricht. Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 168. Vgl. Siebert (2005), S. 16, m. w. V. Reich (2008), S. 79.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
153
Als weiteren Lösungsansatz verweisen de Haan und Rülcker auf eine Mittlerposition zwischen konstruktivistischer und objektiver Erkenntnis, die sie im Perspektivismus von Sismondo finden.918 In prinzipiell dieselbe Richtung zielt der perspektivische Realismus von Giere.919 Dieser Auffassung nach sind alle Beschreibungen und Erklärungen von Wirklichkeit partielle Perspektiven auf eine Welt, die insgesamt zu komplex ist, um sie holistisch erfassen zu können. Diese Argumentation erinnert an das Gedicht „The blind men and the elephant“ von John Godfrey Saxe, in dem ein Elefant als Wand (Seite), Speer (Zahn), Schlange (Rüssel), Baum (Knie), Fächer (Ohr) und Seil (Schwanz) beschrieben wird, je nachdem, welchen Teil des Elefanten die blinden Männer berühren. Demnach sind Erkenntnisse nicht nur subjektive, von der Realität abstrahierte Konstruktionen und auch keine exakten Repräsentationen der Wirklichkeit, sondern die Ergebnisse von Prozessen, in denen sich das Individuum und die Welt aneinander annähern. Die Viabilitätsdiskussion wird hier also verschoben von der Frage, ob etwas viabel ist, zu der Frage, welchen Teil der Wirklichkeit eine Konstruktion beschreibt. Neben dem Ausmaß, in dem Viabilität im Unterricht problematisiert wird, stellt sich auch die Frage nach der Operationalisierung von Viabilität. Wie oben ausgeführt, definieren die verschiedenen Konstruktivismen „ihre“ Viabilität unterschiedlich. Die radikal-konstruktivistische Interpretation von Viabilität wirft die Frage auf, ob wirklich alle Kognitionsleistungen unter dem Aspekt der Überlebensfähigkeit oder auch nur der Brauchbarkeit betrachtet werden können.920 Dies kann mit einem praxisorientierten Blick auf die Lerninhalte im Lernalltag durchaus bezweifelt werden, und gerade im akademischen Studium sind die Lerngegenstände in aller Regel abstrakt bzw. von der Lebenspraxis abstrahiert. Insbesondere deshalb, so können nun die radikalen Konstruktivisten argumentieren, müssten Lerninhalte völlig neu formuliert werden. Eine naive, an der unmittelbaren Verwertbarkeit von Wissen orientierte Herangehensweise verbietet sich jedoch in Gesellschaften, die den heutigen hohen Komplexitätsgrad aufweisen, dem in systemtheoretischer Manier nur mit einer hohen kognitiven Gegenkomplexität begegnet werden kann. Ein gewichtiges Problem der sozial-konstruktivistischen Viabilitätsauffassung ist, dass zwar die Viabilitätsfindung als intersubjektiver Prozess konzep918 919 920
Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 106, mit Verweis auf Sismondo (1996). Vgl. Giere (2006). Die Überlegungen des Autors beziehen sich in erster Linie auf die Naturwissenschaften. Brante (2010) zeigt jedoch auf, dass sie sich auch auf die Sozialwissenschaften übertragen lassen. Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 38.
154
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
tualisiert wird, dabei politischen Prozessen insgesamt jedoch zu wenig Beachtung geschenkt wird. Welche Sichtweise sich letztlich durchsetzt, ist nicht zuletzt auch eine Machtfrage.921 Auf der Makroebene hat bereits Foucault darauf hingewiesen, dass Episteme bzw. Wahrheitsregimes – hier könnte man auch von Viabilitätsregimes sprechen – sprachlich manifestiert werden und diese Manifestation durch die „Herrschenden“ erfolgt.922 Ebenso können auf der Mesoebene, mithin in Organisationen, communities und Gruppen, damit auch in Lerngruppen, solche politischen Prozesse auftreten.923 Dabei ist nicht nur daran zu denken, dass sich die Sichtweise eines dominanten Gruppenmitglieds, etwa – aber nicht zwingend – die des Dozenten, durchsetzt, sondern auch Meinungen ohne ausreichende Reflexion mittels groupthink, also allein aufgrund sozialen Drucks bzw. ausgeprägter sozialer Kohäsion, zu einer uniformen Sichtweise konvergieren.924 In der Konsequenz können so auch problematische Auffassungen als viabel gekennzeichnet werden, solange sie nur hinreichende Zustimmung finden.925 Dass eine Vielzahl von Befürwortern kein Garant für „Richtigkeit“ ist, hat die Geschichte aber oft bewiesen. Einen „guten“, jedoch unpopulären Standpunkt gegen die herrschende Meinung durchzusetzen, ist bekanntlich schwierig. Dies in diskursethischer Weise zu ermöglichen und zu fördern, also stets nur das bessere Argument zählen zu lassen, ist insofern eine Herausforderung, der sich der Dozent zu stellen hat. Die Viabilitätsdefinition des Kulturalismus ähnelt, wie ausgeführt, der des radikalen Konstruktivismus. Es ist aber fraglich, ob jede Handlung am Maß des Handlungserfolgs gemessen werden kann. So wird etwa vorgebracht, kommunikatives Handeln diene nicht zwangsläufig der Durchsetzung der eigenen Position, sondern auch der Klärung von Auffassungen; auch expressive Selbst- oder 921 922 923 924
925
Vgl. Tiberius (2008), S. 140 f. Vgl. Foucault (1970). Deshalb setzen sich – Kritikern zufolge – hauptsächlich Sichtweisen durch, die den Interessen der „weißen Mittelklasse“ entsprechen, vgl. Li et al. (2010), S. 404, m. w. V. Vgl. etwa Boland/Tankesi (1995); Blackler/McDonald (2002); Fox (2002); Marshall/Rollinson (2004); Newell et al. (2004). Vgl. Janis (1972). Bereits vor 75 Jahren konnte Sherif (1935) nachweisen, dass Gruppenmitglieder recht schnell zu einer gemeinsamen Situationseinschätzung gelangen, wenn sie einzeln eher unsicher sind, was sie wahrnehmen, und wenn sie interessiert sind, soziale Beziehungen zu den anderen aufzubauen oder zu festigen. Bei dem Versuch wurden die Probanden um eine Einschätzung gebeten, mit welchem Abstand sich ein Lichtpunkt um einen festen Punkt bewegt. Die Einschätzungen streuten bei separater Bewertung durch die Individuen weitaus stärker als bei gemeinsamer Bewertung innerhalb einer Gruppe. Bemerkenswert ist hierbei, dass sich die Lichtquelle in Wirklichkeit überhaupt nicht bewegte, sondern dies nur eine optische Täuschung (sogenannter autokinetischer Effekt) darstellte. Vgl. Mitterer (1999), S. 491 ff.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
155
künstlerische Darstellungen seien nicht unbedingt Ausdruck von Erfolg, sondern von Ästhetik.926 Unabhängig davon, welcher Konzeption von Viabilität der Vorzug gegeben wird, bleibt somit der Pluralismus vertretbarer Wirklichkeitskonstruktionen bestehen. Dies stellt aber eine erhebliche Herausforderung für die Lehr-Lern-Praxis dar. Es gibt keine Garantie, dass nicht wünschenswerte Lernergebnisse ausbleiben:927 „Since an autonomous community of uninitiated students may construct understandings and values at odds with disciplinary standards, and varify those understandings to themselves with utter conviction, there must always be an ineradicable element of authority in the practice of even constructivist pedagogy [...].“928 Der Lehrende als Autoritätsperson passt jedoch gerade nicht in das Bild von konstruktivistischer Didaktik. Als Korrektiv unangemessener Konstruktionen ist er aber nicht entbehrlich. „Constructivist pedagogy thus faces the dilemma that education in self-corrective inquiry is not neccessarily conducive of, and in fact may be antagonistic to, the achievement of educational standards, and vice versa.“929 Neben den hier vorgenommenen eher grundlegenden Reflexionen erfolgt eine kritische Bewertung der konstruktivistischen Überlegungen zu den fünf didaktischen Entscheidungsfeldern in den jeweiligen Unterkapiteln. 3.2.4
Konstruktivismus und Zukunftsforschung
Aus der kritischen Auseinandersetzung mit der konstruktivistischen Didaktik heraus wurde in der vorliegenden Arbeit eine gemäßigte Sichtweise eingenommen, 926
927 928 929
Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 72, m. w. V, 81. Als Antikritik lässt sich jedoch vorbringen, dass auch diese Handlungen mit dem mikroökonomischen Kalkül der Eigennutzmaximierung interpretiert werden können. In diesem Zusammenhang sei an Becker erinnert, dem die Übertragung ökonomischer Nutzenkalküle auf bis dahin nicht ökonomische Sachverhalte – wie etwa Kriminalität (vgl. Becker (1968)), die Auswahl des Ehepartners (vgl. id. (1991)) und das Kinderkriegen (vgl. Becker/Lewis (1973)), Bildung (vgl. Becker (1993)) oder das menschliche Verhalten im Allgemeinen (vgl. id. (1976)) – immerhin den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften eingebracht hat. So kann die Klärung von Positionen fraglos Nutzen stiften, und jede Handlung, die diese Klärung hervorruft, ist erfolgreich. Die Selbstdarstellung kann den Nutzen der sozialen Anerkennung, künstlerische Expression neben dieser sogar ökonomischen Erfolg bringen. Gelingt dies jeweils, sind Handlungen erfolgreich. Damit soll nicht die Haltung des Verfassers, sondern nur zum Ausdruck gebracht werden, dass der Nutzen- und Handlungserfolgsbegriff wiederum nur Konstruktionen sind, über die nicht zwingend Konsens bestehen muss. Vgl. Li et al. (2010), S. 404, m. w. V. Gregory (2002), S. 400. Ibd., S. 401.
156
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
die hier auch für die Hochschullehre in der Zukunftsforschung vertreten wird. Nachfolgend wird die epistemologische und didaktische Eignung näher geprüft. In der vorgenommenen Grundlegung wurde der Konstruktivismus als relativistische Epistemologie gekennzeichnet, die – anders als der Solipsismus – eine realistisch-ontologische Haltung einnimmt. Es ist nunmehr zu klären, ob diese Grundannahmen mit denen der Zukunftsforschung im Einklang stehen. In der Zukunftsforschung wird zwar von der ontologischen Nonexistenz der Zukunft ausgegangen. Dies darf jedoch nicht mit einer nicht-realistischen Ontologievorstellung verwechselt werden. Denn der Zukunftsforscher beschäftigt sich ausdrücklich nicht mit unrealistischen bzw. unmöglichen Zukünften. Vielmehr geht er davon aus, dass sich eine Zukunft zwangsläufig in der Realität manifestieren wird. Damit hat er eine realistische Grundhaltung. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Aussage, der Konstruktivismus vertrete eine realistische Ontologievorstellung, in erster Linie vor dem Hintergrund einer dezidierten Abgrenzung vom Solipsismus zu interpretieren ist, um fehlgeleiteter (weil von falschen Voraussetzungen ausgehender) Kritik entgegenzutreten. Der Konstruktivismus ist ausdrücklich keine ontologische Theorie. Mehr noch, der Konstruktivismus leitet seine epistemologische Haltung nicht einmal ontologisch ab, denn er erklärt die Grenzen menschlicher Erkenntnis gerade nicht ontologisch, sondern ausschließlich auf Grundlage der operativen Geschlossenheit des Menschen.930 Dies bedeutet: Selbst wenn Konstruktivismus und Zukunftsforschung ontologisch inkommensurabel wären – was hier bestritten wird –, ergäben sich hieraus nicht zwingend epistemologische Unterschiede. Der Unverbundenheit von ontologischer und epistemologischer Argumentation beim Konstruktivismus steht ein konsekutives Verhältnis in der Zukunftsforschung gegenüber. Daraus nämlich, dass die Zukunft noch nicht existiert, folgt zwingend, dass sie weder erfahr- noch erkennbar ist. Damit lässt sich festhalten, dass die relativistische Epistemologie der Zukunftsforschung aus der Beschaffenheit der Zukunft (Objekt) und die des Konstruktivismus aus der Beschaffenheit des Menschen (Subjekt) folgt. Auch wenn die Gründe für die erkenntnistheoretische Haltung unterschiedlich sein mögen, sind die Konsequenzen dieselben: Die (gegenwärtige bzw. zukünftige) Realität kann nicht mental abgebildet, sondern muss konstruiert werden. Bei diesem Konstruktionsprozess kann es zu einer Vielzahl von alternativen Wahrheiten und Meinungen kommen. Dieser Pluralismus wird sowohl vom Konstruktivismus als auch von der Zukunftsforschung ausdrücklich anerkannt. Geht der Konstruktivismus aufgrund seines relativen Wahrheitskonzepts davon 930
Vgl. Siebert (2005), S. 15.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
157
aus, dass mehrere Erkenntnisse richtig sein können,931 so deckt sich diese Auffassung mit dem Konzept der alternativen Zukünfte, demzufolge mehrere Zukunftsvorstellungen parallel betrachtet werden müssen. Diese Vielfalt ergibt sich auch aus den unterschiedlichen Vorkonstruktionen, die die Zukunftsforscher bzw. die Studierenden mitbringen. Aus Sicht des radikalen Konstruktivismus sind dies die individuellen Vorstellungen, aus Sicht des sozialen Konstruktivismus (und allen partizipatorischen Zugängen zur Zukunftsforschung) die sozial ausgehandelten und aus Sicht des methodischen Kulturalismus (bzw. der multikulturellen Schule der Zukunftsforschung932) die kulturell-historisch gewachsenen „Wahrheiten“.933 Der Erkenntnis- bzw. Lernprozess bei der Entwicklung alternativer Zukünfte lässt sich über die rekursive Kopplung von Subjekt und Objekt mittels Perturbation und Viabilitätsaushandlung beschreiben. Jede Konfrontation des Studierenden mit Zukunftsfragen kann als Perturbation aufgefasst werden. Unter der Annahme, dass sich die Zukunft von der Gegenwart unterscheidet,934 in die der Studierende sozial und kulturell eingebettet ist, sind Zukünfte dann tatsächlich Störungen, die ein reframing erfordern. Der Dozent reißt den Studierenden mit seiner Aufforderung, sich Zukunftsfragen zuzuwenden, sprichwörtlich aus seiner Gegenwart heraus. Zukunftsvorstellungen, die auf diese Weise konstruiert werden, haben hypothetischen Charakter und müssen einer Überprüfung zugeführt werden. Genauso wenig wie in anderen Wissenschaften aber wird man auch in der Zukunftsforschung zu einer abschließenden Wahrheit gelangen. Hier zeigt sich die besondere Eignung des Konstruktivismus als erkenntnistheoretische Basis für die Zukunftsforschung: Da die Wahrheit von Zukunftsvorstellungen nicht überprüft werden kann, ist sie auf eine andere Art der Qualifizierung, etwa das konstruktivistische Viabilitätskonzept, angewiesen. Die vom radikalen Konstruktivismus vorgeschlagene Bemessung der Viabilität am Kriterium der Brauchbarkeit ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es grundsätzlich nützlich ist, sich mit Zukunftsfragen auseinanderzusetzen, um etwa Wertvorstellungen, Ziele und Zwecke zu klären, alternative Entwicklungspfade zu kennen, Gefahren zu vermeiden oder Pläne für die Zukunftsgestaltung zu entwickeln. Das Kriterium ist aber nur dann aussagekräftig, wenn es brauchbarere und weniger brauchbare Zukunftsvorstellungen gibt. Diese lassen sich wohl am Detaillierungsgrad, nicht aber an der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung des Zukunftsszenarios bemessen. 931 932 933 934
Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 173. Vgl. Kap. 2.7.4. Ähnlich auch Wildman/Inayatullah (1996), S. 733. Diese Annahme ist zwingend, um Zukunftsforschung überhaupt zu legitimieren. Würde sich die Zukunft nicht von der Gegenwart unterscheiden, wäre Zukunftsforschung obsolet.
158
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Die vom sozialen Konstruktivismus vertretene Viabilität zweiter Ordnung, bei der die Angemessenheit sozial ausgehandelt wird, ist in der Zukunftsforschung entscheidend, wenn man an Expertenbefragungen wie die Delphi-Studie denkt.935 Insbesondere die transdisziplinären, partizipativen Zukunftsforschungsmethoden haben durch die Mitwirkung vieler Individuen das Ziel, die Wünschbarkeit und Vermeidenswürdigkeit spezifischer Zukünfte auszuhandeln. Das vom methodischen Kulturalismus vorgeschlagene Viabilitätskriterium, der Handlungserfolg, ist für die Zukunftsforschung hingegen nicht geeignet. Schließlich ist es für das Fach konstituierend, sich mit Fragestellungen auseinanderzusetzen, deren Ergebnisausprägungen sich erst in der Zukunft zeigen. Daher kann auch der Erfolg oder Misserfolg von Handlungen – ob also der ex ante gesetzte Zweck realisiert werden wird – in der Gegenwart nicht geprüft werden. Die Ergebnisse zukunftsbezogener Konstruktionsprozesse sind in der Folge weder aus konstruktivistischer noch aus zukunftswissenschaftlicher Sicht ex ante bekannt. Denn zum einen wird jeder Studierende aufgrund seiner pfadabhängigen, sozial und kulturell geprägten und durch zurückliegende Lernvorgänge gebildeten Wissensbasis zu anderen Ergebnissen kommen, zum anderen ist nicht prognostizierbar, wie der soziale Aushandlungsprozess in der Lerngruppe verläuft und zu welchem Konsens oder Dissens sie gelangt. In einer so definierten Lernsituation sind die vom Konstruktivismus vorgeschlagene, grundsätzliche Zurückhaltung des Dozenten und eine Besinnung auf seine Funktionen als Lernumgebungsgestalter, Perturbator, Konstruktionsbegleiter und Viabilitätsratgeber angemessen.936 In der Zukunftsforschung gibt es auf der einen Seite, wie in anderen Wissenschaften auch, eher feststehendes Fachwissen, etwa ihre begrifflich-konzeptionellen und historisch-institutionellen Grundzüge, die Funktionsweisen der einzelnen Zukunftsforschungsmethoden etc. Hierbei handelt es sich um in der scientific community ausgehandeltes, überwiegend konsensfähiges Wissen. Auch aus Zukunftsstudien gewonnene Szenarien können hierzu gezählt werden. Auf der anderen Seite entstehen durch die Anwendung von Zukunftsforschungsmethoden auf konkrete Erkenntnisfragen hin mögliche, wahrscheinliche, wünschenswerte oder vermeidenswerte Zukünfte oder sie werden auf ihre Wahrscheinlichkeit oder Bevorzugung hin bewertet. Alternative Zukünfte aber stellen kein objektives Wissen dar, sondern sind Annahmen oder Fiktionen, aus denen Schlussfolgerungen, insbesondere Entscheidungen, abgeleitet werden können.
935 936
Vgl. Kap. 2.6.2.5. Vgl. Wildman/Inayatullah (1996), S. 724.
3.2 Konstruktivistische Didaktik
159
Für die Behandlung der erstgenannten Gegenstände bietet sich die methodische Grundhaltung an, die – wie oben angesprochen – Reich als Rekonstruktion bezeichnet. Letztgenannte dagegen können mit den Methoden der Konstruktion und vor allem der Dekonstruktion im Unterricht umgesetzt werden.937 x Die Rekonstruktion als Grundmethode ist paradigmatisch dem didaktischen Objektivismus bzw. Realismus zuzuordnen. Reich versteht diese Haltung aber nicht als Opposition zum Konstruktivismus, sondern akzeptiert – in hier unterstützter – gemäßigter Sichtweise, dass es für den Dozenten bei Fachwissen und Arbeitsmethoden durchaus legitim ist, instruktiv Wissen zu vermitteln – mit dem Bewusstsein, dass die Studierenden das „Vermittelte“ selbstständig konstruieren müssen. Sie müssen dieses Wissen jedoch nicht völlig neu erfinden, sondern nur nachentdecken. x Sich mit alternativen Zukünften zu befassen, ist dagegen ein konstruktivistischer Vorgang.938 Die Studierenden sind hier Erfinder von Zukünften. Bei dieser Auseinandersetzung mit der Welt ist Lernen nicht ihr Abbilden, sondern ihre kreative Schöpfung.939 Im Gegensatz zur Rekonstruktion, die als interpretativ-kreativer Vorgang aufgefasst werden kann, ist die Konstruktion von Zukünften ein innovativ-kreativer Akt.940 „Lernen bedeutet […] nicht nur, das aufzunehmen, womit alle anderen mehr oder minder übereinstimmen, sondern danach zu suchen, wie man anders denken könnte, als allgemein akzeptiert wird. Pointiert formuliert: Pädagogik hat die Aufgabe, Querdenker zu bilden.“941 Diese Ausweitung des Möglichkeitssinns im Vergleich zum sonst im Bildungssystem gepflegten Wirklichkeitssinn wird insofern als notwendige Haltung verstanden, die Wahrnehmungen und Handlungen zukunftsorientiert ausrichtet: „Wer nach v. Foerster das Repertoire seiner Wahrnehmungen erweitert, erweitert damit seine Handlungsspielräume und letztlich seine Freiheit.“942 x Bei der Entwicklung von Zukunftsvorstellungen reicht es aber oft nicht, „nur“ konstruktiv vorzugehen, sondern es ist zunächst ein Vorgang der Dekonstruktion erforderlich. Im Allgemeinen lässt sich die Haltung finden, dass mögliche Zukünfte die Ausgangsbasis bilden, aus der die wahrscheinlichen Zukünfte herausgearbeitet werden. Es handelt sich 937 938 939 940 941 942
Vgl. Kap. 3.2.2. So auch am Rande de Haan/Rülcker (2009), S. 83. Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 105. Ähnlich auch Siebert (2005), S. 85. De Haan/Rülcker (2009), S. 58. Siebert (2003), S. 159. Der Autor bezieht sich hier auf die von von Foerster (1993), S. 49, formulierte ethische Maxime „Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst.“
160
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
mithin um ein Vorgehen der Reduzierung mit dem Ziel, die Wahrheit zu finden. Dieses Vorgehen entspricht aber der überkommenen prognostischen Auffassung von Zukunftsforschung. Wird Zukunftsforschung hingegen als Foresight aufgefasst,943 ist ein umgekehrtes Vorgehen, eine Ausweitung, erforderlich. „Es geht nicht allein darum, […] Wirklichkeiten zu konstruieren, sondern […] Möglichkeiten zu eruieren.“944 Das Individuum hat in der Regel ad hoc eine Vorstellung von einer wahrscheinlichen Zukunft, weil es von seinen eigenen Erfahrungen ausgeht und sozial ausgehandelte Viabilitäten berücksichtigt. Es könnte jedoch auch anders kommen. Um diese alternativen Möglichkeiten aufzudecken, ist es zunächst erforderlich, die bestehenden Interpretationsschablonen abzulegen. In den Zukunftsvorstellungen stecken implizite Annahmen, die zu explizieren und zu hinterfragen sind. Wie Inayatullah in seiner poststrukturalistischen bzw. eben auch dekonstruktivistischen Schule der Zukunftsforschung945 betont, ist dies erforderlich, um den Blick für Alternativen zu weiten. Er schlägt hierfür die Methode der causal layered analysis (CLA) vor, bei der fünf Dekonstruktionsebenen unterschieden werden: die der populären (zur Übertreibung neigenden) Medien, die der Wissenschaft, die der Sprache und Kultur, die der Metapher, bei der die kollektiven Archetypen bzw. unbewussten Dimensionen des untersuchten Problems offengelegt werden sollen.946 Die Konstruktion setzt somit mittels Rekonstruktion erworbenes Wissen und den Weg über die Dekonstruktion voraus. Wie Reich selbst schon feststellt, können seine drei Ansätze als zirkulärer Prozess betrachtet werden.947 Wo der Prozesskreislauf beginnt und ob er überhaupt in der nächsten Phase fortgeführt wird, hängt von den Lehr-Lern- bzw. Zukunftsforschungszielen ab. Der Dozent kann von mehreren möglichen Zukünften ausgehen und danach fragen, welche davon wahrscheinlich ist oder welche aus Sicht der Studierenden wünschenswert erscheint. Es kann auch mit einer Utopie begonnen werden, deren implizite Wertvorstellungen dekonstruiert werden, um zu einer neuen wünschenswerten Zukunft zu gelangen, die der wahrscheinlichen Entwicklung gegenübergestellt wird. Es ist schließlich genauso möglich, von einem wahrscheinlichen Szenario auszugehen, nach Alternativen suchen zu lassen und aus diesen ein wünschenswertes Zu943 944 945 946 947
Zur Unterscheidung vgl. Kap. 2.1. De Haan/Rülcker (2009), S. 84; ähnlich auch Siebert (2005), S. 32. Vgl. Kap. 2.7.5. Vgl. Wildman/Inayatullah (1996), S. 734 f. Vgl. Reich (2008), S. 141. Ein ähnlicher Gedankengang findet sich bereits bei Glenn (1973), S. 95 (Prozess) und S. 100 (Prozessreihenfolge).
3.2 Konstruktivistische Didaktik
161
kunftsbild auszuwählen. Allein, in der dekonstruktiven Phase zu enden, erscheint wenig hilfreich.948 Die zweite oben eingeführte Unterscheidung von Reich hinsichtlich der Ebenen didaktischen Handelns ist auch spezifisch zukunftswissenschaftlich interpretierbar. Es geht hier um die Frage, wie mittelbar oder unmittelbar der Studierende die Zukunft erfährt und ob eine Zukunftsvorstellung oder mehrere Zukünfte thematisiert werden.949 x Aufgrund der Nonexistenz der Zukunft sind Realbegegnungen im Sinne einer unmittelbaren Erfahrbarkeit im Studium der Zukunftsforschung grundsätzlich ausgeschlossen. Allenfalls ein Behelf über Zukunftsartefakte ist möglich, um die Anschaulichkeit zu erhöhen.950 x Die Ebene der Repräsentation korrespondiert in der Zukunftsforschung mit der Suche nach „der“ Zukunft, die eine spezifische Verständigungsgemeinschaft, hilfsweise der Klassenverbund, für wahrscheinlich oder wünschenswert hält. Ein repräsentatives Vorgehen ist allenfalls mit der prognostischen Auffassung von Zukunftsforschung vereinbar. Das Paradigma der alternativen Zukünfte wird auf diese Weise nicht umgesetzt. x Umgesetzt wird es jedoch auf der Ebene der Reflexion. Hier wird anerkannt, dass die als wahrscheinlichste bewertete Zukunft nicht auch eintreten muss und dass über die Bevorzugung von normativen Zukunftsvorstellungen nicht zwingend eine einheitliche Meinung besteht. Dies wird erreicht, indem unterschiedliche Perspektiven eingenommen werden. Die Berücksichtigung verschiedener communities zur Generierung bzw. Bewertung von Zukünften wird besonders von der aktivistischen bzw. partizipatorischen sowie von der multikulturellen bzw. globalen Zukunftsforschung betont.951 Insgesamt ist eine gemäßigt-konstruktivistische Didaktik ein angemessenes Paradigma für das Studium der Zukunftsforschung, das lehrziel- und lehrinhaltsspezifisch zu differenzieren ist. Hierauf wird im Konzeptionsteil näher eingegangen.
948 949 950 951
Ähnlich auch Reich (2008), S. 141, der darauf hinweist, dass die dekonstruktivistischen Lernenden in den Zirkel der Konstruktion oder Rekonstruktion zurückfinden sollten. Vgl. Kap. 3.2.2. Vgl. hierzu ausführlicher Kap. 5.4. Vgl. Kapp. 2.7.3 f.
162
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
3.3
Komponenten didaktischer Konzeptionen
3.3.1
Lehrziele
3.3.1.1
Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung
Lehr- und Lernziele beschreiben das gewünschte Ergebnis eines Lehr-Lern-Prozesses.952 Erstgenannte werden aus der Sicht des Lehrenden, Letztgenannte aus Sicht des Lernenden definiert.953 Sie sind damit praktisch zwei Seiten derselben Medaille. Aufgrund des Erkenntnisziels der vorliegenden Arbeit, die sich auf die Lehrseite konzentriert, wird nachfolgend vornehmlich die Perspektive des Lehrenden eingenommen. Dasselbe gilt für die übrigen didaktischen Entscheidungsfelder. Unter den didaktischen Komponenten sind Lehrziele als Ausgangspunkt zu betrachten, da die dort getroffenen Entscheidungen einen wesentlichen Einfluss auf die nachfolgenden didaktischen Fragestellungen haben.954 Denn inhaltliche, methodische, mediale Aspekte sowie die Ausgestaltung der Lernerfolgskontrolle hängen von den gesetzten Zielen ab bzw. sind zieladäquat zu bestimmen. Es gilt insgesamt das Primat der Didaktik (im engen Sinne) gegenüber der Methodik, d. h. Ziel- und Inhaltsentscheidungen sind den methodischen Fragen übergeordnet.955 Der Begriff des Ausgangspunkts ist auch insofern zutreffend, als Lehrziele nicht aus anderen übergeordneten Bildungsprinzipien abgeleitet werden können, sondern – wie dies bei Zielen auch in jedem anderen Lebensbereich der Fall ist – stets normativer Natur sind.956 Auch für das Hochschulstudium existieren keine allgemeinverbindlichen Ziele, die – etwa staatlich – vorgeschrieben wären oder über die breiter Konsens besteht.957 Unmissverständlich bringt das auch von Cube schultypübergreifend in einer Diskussionsrunde mit anderen führenden Didaktikern auf den Punkt: „[I]ch maße mir nicht an, die Setzung von Zielen als Wissenschaft auszugeben. […] Die Zielsetzung ist […], wie gesagt, keine Frage der Wissenschaften, und damit auch keine Frage der Experten, sondern das sind Wünsche, das sind Forderungen, das sind Bedürfnisse.“958 Es wundert vor diesem 952 953 954 955 956 957 958
Für viele vgl. etwa Meffle (1982), S. 71; Jank/Meyer (2003), S. 51. Vgl. Glöckel (1996), S. 138; ähnlich auch Pfäffli (2005), S. 77 f. Vgl. Mager (1965), S. 1; Zillober (1984), S. 22. Vgl. Klafki (1963), S. 33. Vgl. Zillober (1984), S. 15; Zwyssig (2001), S. 21. Vgl. Brand (2006), S. 108. Vgl. Blankertz (1999), S. 124 f.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
163
Hintergrund nicht, dass sein kybernetisches Didaktikmodell Lehrziele als extern gegebene Größen in den Regelkreislauf einspeist, die Lehrzielfrage mithin nicht als genuin didaktische Fragestellung betrachtet.959 Auch innerhalb der Hochschuldidaktik gibt es kein Modell zur Bestimmung von Lehrzielen, das sich durchgesetzt hätte.960 3.3.1.2
Klassifikation von Lehrzielen
Lehrziele lassen sich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten klassifizieren. Etablierte Systematisierungsmöglichkeiten sind der Abstraktionsgrad, der Fachbezug, der Lernbereich und die Stufung der Lehrziele.961 Diese werden nachfolgend betrachtet. Abstraktionsgrad Zentral sind zunächst die unterschiedlichen Abstraktionsgrade bzw. Lehrzielebenen. Eine gängige Kategorisierung unterscheidet Richt-, Grob- und Feinziele:962 x Richtziele liefern dabei die allgemeine Leitorientierung auf der Ebene des gesamten Studiengangs. Meist ist kein oder nur ein allgemeiner Bezug zu Lehrinhalten gegeben. x Grobziele sind globale Lehrziele für einzelne Module oder Lehrveranstaltungen, die auf komplexe Teilkompetenzen ausgerichtet sind. x Feinziele schließlich sind für einzelne Unterrichtseinheiten und Lehrsequenzen zu formulieren.963 959
960 961 962
963
Gleichwohl betont von Cube, dass der Lehrer nicht nur passiv Ziele empfangen kann: „Ich habe immer ausdrücklich gesagt, dass das Regelkreisschema ein Funktionsschema und kein Personenschema ist. Das heißt, dass der Lehrer, sofern er über Entscheidungsfreiheit verfügt, bei der Funktion der Zielsetzung gefordert ist. […] Also, ich korrigiere Ihre Ausführung dahin, jedenfalls was mein Modell betrifft, dass ich an keiner Stelle behauptet habe, dass der Lehrer auf die Regler-Funktion beschränkt ist“ (Blankertz (1999), S. 120). An dieser Stelle soll allerdings noch einmal betont werden, dass die informationstheoretisch-kybernetische Didaktik bereits seit Anfang der 1980er-Jahre keine nennenswerte Rolle mehr spielt, vgl. Jank/Meyer (2003), S. 140. Vgl. Brand (2006), S. 16, 18, m. w. V. Vgl. Meffle (1982), S. 71 ff. Vgl. Möller (1973), S. 72, 75 ff.; Pfäffli (2005), S. 79 f., 99; Speth (2007), S. 146. Allerdings hat sich noch kein Konsens über eine einheitliche Nomenklatur gebildet. So spricht z. B. Zwyssig (2001) auch von Bildungs- und Lernzielen (S. 72) sowie von Richt- und Informationszielen (S. 76) und kritisiert den Begriff der Studienziele als uneindeutig (S. 90). Der Respondent Gary stellte für das Studienangebot, das er lehrt, noch die Existenz von dreiwöchigen Periodenzielen heraus. Vgl. Klafki (1970b), S. 94; Speth (2007), S. 146.
164
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Lehrziele ab der Grobebene werden (mindestens)964 anhand der Inhaltskomponente und der Verhaltenskomponente bestimmt.965 In diesem Sinne sind Lehrziele kompetenzorientiert:966 Sie geben an, wie der Studierende mit dem Lerngegenstand umgehen können soll. Die Verhaltenskomponente wird mithilfe von Verben konkretisiert. Mager unterscheidet hier allgemeinere (wissen, verstehen, würdigen, erfassen etc.) und konkretere Formulierungen (schreiben, auswendig aufsagen, unterscheiden, lösen, berechnen, aufzählen, vergleichen, gegenüberstellen etc.).967 Da die vorliegende Arbeit den Ansatz des halboffenen Curriculums vertritt, wird hier zunächst allein auf Richtziele fokussiert, die zugleich als Mindeststandards968 verstanden werden können. Grob- und Feinziele werden vom Lehrenden im Rahmen der konkreten Unterrichtsplanung eigenverantwortlich, jedoch konsistent zum übergeordneten Zielsystem festgelegt969 und sind daher nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit: „Auf [der] Stufe Universität ein[en solchen] Studienplan […] anzustreben, wäre illusorisch, da dadurch die Lehrfreiheit der Dozenten zu stark eingeschränkt würde.“970 Dies wäre nicht nur mit der Wissenschaftsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 GG nicht vereinbar, sondern auch hochschulpädagogisch nicht wünschenswert. Grobziele werden hier insofern indirekt mit angesprochen, als sie einen starken Bezug zu den Lehrinhalten aufweisen. Denn Grobziele bestehen im Allgemeinen darin, dass der Studierende insbesondere, aber natürlich nicht abschließend, einen Überblick über das jeweilige Teilsegment des Fachs erhält, einschlägige Grundbegriffe verwenden, Zusammenhänge des Fachs verstehen, vermittelte Modelle erklären und vermittelte Methoden anwenden kann.
964 965 966
967 968
969 970
Es sind weitere Zieldimensionen denkbar, etwa der Zeitbezug (Bis wann soll gelernt werden, innerhalb welcher Zeit soll der Lernende eine Aufgabe lösen können?) und das Ausmaß (Wie viele Hauptstädte soll der Lernende auswendig kennen?). Vgl. Speth (2007), S. 138 f. Die Fachdidaktiken, die ja u. a. die Aufgabe haben, die Lehrwürdigkeit ihrer Bezugsdisziplin zu begründen, wählen häufig fachliche Kompetenzen aus und unterstellen, dass diese zu allgemeinen Kompetenzen beitrügen, vgl. Hericks (2004), S. 196. Sie sind jedoch in jeder Hinsicht nur hinreichend, nicht notwendig, vgl. ibd., S. 196 f. Vgl. Mager (1965), S. 11. Standards geben als kodifizierte Mindestniveaus für Kompetenzen darüber Auskunft, was die Lernenden wenigstens wissen und können sollten, vgl. Kiper/Mischke (2006), S. 48. Vgl. Kultusministerkonferenz (2004), S. 3 f., die von Bildungsstandards (für die mittlere Reife) spricht und damit Kompetenzstandards meint. Vgl. Euler/Hahn (2004), S. 120 f.; Pfäffli (2005), S. 80. Zwyssig (2001), S. 83. Im ungekürzten Zitat werden sowohl Richt- als auch „Informationsziele“ genannt, was allerdings wohl so zu verstehen ist, dass Richtziele in den Studienplan aufzunehmen seien, konkretere Lehrziele hingegen nicht.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
165
Fachbezug Lehrziele werden ferner hinsichtlich ihres Fachbezugs unterschieden: x Fachliche Lehrziele beziehen sich unmittelbar auf das Fach. x Allgemeine Lehrziele betreffen dagegen fachübergreifende Fähigkeiten und Fertigkeiten.971 Die Formulierung von fachbezogenen Lehrzielen ist insofern auch eine zentrale Fragestellung in der Fachdidaktik.972 Bei allgemeinen Lehrzielen sind viele Konkretisierungen, wie etwa die Steigerung der sozialen Kompetenz, denkbar. Allgemeine, eben fachübergreifende Lehrziele können fachliche Ziele sinnvoll ergänzen, niemals jedoch ersetzen. Gemäß dem fachdidaktischen Anspruch der vorliegenden Arbeit wird nachfolgend in erster Linie auf die fachlichen Lehrziele abgestellt. Hinsichtlich fachübergreifender Qualifikationen bzw. Kompetenzen wird auf die einschlägige Literatur verwiesen. Auf allgemeine Kompetenzen wird nur eingegangen, soweit die Zukunftsforschung über ihre fachlichen Aspekte hinaus auch Beiträge hierzu leistet. Lernbereich Gemeinhin werden hinsichtlich des angesprochenen Lernbereichs kognitive, affektive und psychomotorische Lernziele unterschieden: 973 x Typische kognitive Lernziele sind „kennen“ und „Wissen anwenden“.974 x Beispiele für affektive Lernziele sind: „aufmerksam sein“, „reagieren“, „interessiert sein“, „fühlen“, „empfinden“ sowie „Einstellungen und Werte wahrnehmen“, „einordnen“, „bilden“, „verinnerlichen“ (um seine Lebensführung daran auszurichten).975 x Psychomotorische Lernziele betreffen den manuellen Umgang mit Geräten, etwa mit dem PC, mit dem Taschenrechner, mit dem Zirkel oder mit Laborinstrumenten.976 In den Fach- und Hochschuldidaktiken überwiegen im Allgemeinen die kognitiven Lernziele. Dabei sollte der Fokus allerdings nicht auf trägem Wissen, 971 972 973 974 975 976
Vgl. Meffle (1982), S. 72; Zillober (1984), S. 22. Vgl. Deutscher Bildungsrat (1971), S. 225 f.; Klafki (1994), S. 44; Jank/Meyer (2003), S. 33. Vgl. Gonschorek/Schneider (2000), S. 124. Vgl. Krathwohl et al. (1978), S. 6; Gonschorek/Schneider (2000), S. 124. Vgl. Dubs et al. (1977), S. 571 f.; Gonschorek/Schneider (2000), S. 125; vgl. auch allgemein Krathwohl et al. (1978). Vgl. Krathwohl et al. (1978), S. 6 f.; Bönsch (2006), S. 199 ff.
166
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
sondern auf Handlungskompetenz liegen.977 Affektive Lernziele spielen eine Rolle im Hinblick auf die Einstellung zum Fach und auf den moralischen Umgang mit den fachlichen Methoden. Psychomotorische Ziele spielen in der Hochschullehre selten eine Rolle. Selbst bei technischen Studiengängen stehen sie in der Regel nicht im Vordergrund. Lehrzielstufen Die letzte angesprochene Kategorisierung von Lehrzielen betrifft ihre Stufung. Sie gibt an, wie mit dem jeweiligen Lerngegenstand umgegangen werden soll, und deckt sich dabei mit der o. g. Verhaltenskomponente in der Lehrzielformulierung. Die Idee hierbei ist, dass der Anspruch von Stufe zu Stufe wächst. Beherrscht der Lernende eine untere Stufe, kann er zur nächsthöheren aufschließen. Mit der Einübung höherer Stufen ist meist auch eine Festigung der unteren Stufen verbunden. So fördert etwa die Anwendung des Gelernten gleichzeitig dessen Verständnis. Innerhalb der drei genannten Lernbereiche können verschiedene Komplexitätsstufen unterschieden werden. Eine bekannte Taxonomie innerhalb der kognitiven Lernziele nennt Wissen, Verstehen, Anwenden, Analysieren, Synthetisieren und Evaluieren.978 Der Deutsche Bildungsrat unterschied seinerzeit Reproduzieren, Reorganisieren, Transferieren und Problemlösen.979 Dieser Vorschlag orientiert sich am Grad der Selbstständigkeit des Lernenden, mit dem er den Lerngegenstand bearbeitet.980 Die Kultusministerkonferenz formulierte einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung und gab dabei als inhaltsbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten die Wiedergabe des Gelernten, das selbstständige Erklären und Anwenden des Gelernten und Verstandenen, das Urteilen, das Hypothesenbilden und die Entwicklung von Alternativen vor. Als methodenbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten nannte sie das Kennen von Methoden und Arbeitstechniken, das Handhaben und Anwenden von Methoden und Arbeitstechniken sowie die Methodenreflexion.981 Ob eine strikte Trennung in materiale und formale Gegenstände immer möglich ist, darf natürlich bezweifelt werden. Bei der Auflistung von Schmidt etwa, der Wissen, Erkennen, Handeln bzw. Arbeiten und Verhalten unterscheidet,982 977 978 979 980 981 982
Vgl. Pfäffli (2005), S. 77. Vgl. Engelhart et al. (1976) (Hrsg). Vgl. Deutscher Bildungsrat (1971), S. 78 ff. Vgl. auch Rohlfes (2005), S. 120. Vgl. Kultusministerkonferenz (1976), S. 10 ff. Vgl. Schmid (1970), S. 346.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
167
ist der Verhaltensaspekt nicht eindeutig einzuordnen, da der Verhaltensbegriff – abgesehen davon, dass er behavioristisch konnotiert ist – im Zweifel alle anderen Stufen mit einbezieht. Hug, der Wissen, Reflektieren, (methodisches) Können und Wollen nennt,983 spricht mit dem Wollen eine volitionale Komponente an, die entsprechend eher dem affektiven Bereich zuzuordnen ist.984 3.3.1.3
Lehrziele in konstruktivistischer Perspektive
Konkrete Lehrziele wollen die Konstruktivisten in der Regel nicht formulieren, weil die vom Realismus vertretene lineare Kette „Lehrziel – Instruktion – Kontrolle“ den Lernprozess zu sehr einengen würde.985 Teilweise werden Lernziele aufgrund ihrer Normativität sogar grundsätzlich abgelehnt, weil es moralisch nicht vertretbar sei, einem jungen Menschen fremde Ziele zu oktroyieren und ihn auf diese Weise zu manipulieren:986 „[N]ormative Pädagogik ist nicht nur disfunktional, sondern tendiert dazu, politischem Missbrauch Tor und Tür zu öffnen.“987 Das oberste, allerdings inhaltlich abstrahierte und somit nichtfachliche Ziel der konstruktivistischen Didaktik besteht darin, dass der Studierende in die Lage versetzt wird, in seiner Umwelt zu überleben – oder, weniger pathetisch ausgedrückt: dass er Kompetenzen erwirbt, die er für sein Leben gebrauchen kann.988 In diesem Sinne werden in der konstruktivistischen Didaktik nicht allein kognitive, sondern auch affektive Lernziele verfolgt. Denn die Beurteilung von Erkenntnissen geht, da der Wahrheitsbeweis ausscheidet, über reine Rationalität hinaus.989 Damit eng verbunden ist das Lehrziel der Differenzwahrnehmung990 bzw. der Perspektivität.991 Die Lernenden sollen sich also der Pluralität und Ambiguität in der Welt sowie der Tatsache bewusst sein, dass ihre eigene Perspektive nie die einzig mögliche ist, sondern dass es sinnvoll und notwendig ist, auch andere Perspektiven einzunehmen. Das Individuum soll sich die Kompetenz aneignen, mit Ambiguitäten umgehen zu können.992 Die Uneindeutigkeiten in der Welt 983 984 985 986 987 988 989 990 991 992
Vgl. Hug (1985), S. 28 ff. Auch für affektive Lernziele sind Taxonomien entwickelt worden, vgl. etwa Krathwohl (1975). Auf die Taxonomisierung psychomotorischer Ziele hat die Literatur bislang keinen Schwerpunkt gesetzt. Vgl. Jonassen (1992), S. 140; Li et al. (2010), S. 404. Vgl. Lenzen (1999), S. 156 f. Ibd., S. 29. Vgl. Wolf (1994), S. 418. Vgl. Dubs (1995), S. 891. Vgl. Siebert (2005), S. 69 ff. Vgl. ibd., S. 118 ff. Vgl. Siebert (2008), S. 196; de Haan/Rülcker (2009), S. 108.
168
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
machen eine kritische Auseinandersetzung mit ihr unbedingt erforderlich. Das Individuum ist gezwungen, für sich seine Haltung zu finden.993 Mit dem Begriff der Bildung als übergeordnetem Ziel pädagogischen Handelns weiß der Konstruktivismus vergleichsweise wenig anzufangen, denn „Bildung ist widersprüchlich, weil die Bildungsinhalte selbst nicht ohne Widerspruch auftreten.“994 Traditionelle Bildungsvorstellungen werden gerade wegen ihrer Tradiertheit abgelehnt. Es gibt keinen Konsens über einen „Mindestbestand an Bildung“.995 Die konstruktivistische Haltung gegenüber Lehrzielen ist überwiegend kritisch zu beurteilen. Insbesondere eine kategorische Ablehnung von konkreten Lehrzielen ist wenig hilfreich. Jedes über instinktives Verhalten oder den reinen Müßiggang hinausgehende Handeln ist teleologisch.996 Lehren und Lernen kann hier keine Ausnahme bilden: „The enterprise of teaching and learning cannot be designed of evaluated without a relatively fixed understanding of what it means to have learned something.“997 Die radikal-konstruktivistische Perspektive auf Lehrziele ist daher – sowohl im Hinblick auf fachliche als auch auf überfachliche Ziele – zugunsten einer gemäßigten Haltung abzulehnen. Gerade im Hochschulstudium stehen Lehrziele fest, und zwar sowohl auf der Ebene des gesamten Studiums als auch auf der Ebene des Moduls bzw. der einzelnen Lehrveranstaltung. Diese Lehrziele können teilweise unterschiedlich interpretiert und sicher auch kritisiert, verworfen und neu formuliert werden. Diese Evaluation und Revision kann und soll auch die Studierenden einbeziehen.998 Eine vollständige Delegation an sie würde jedoch zum einen zu einer Überforderung führen, zum anderen ist nicht einzusehen, weshalb die Lehrenden hier ausgeschlossen sein sollten. Es ist ferner nicht einzusehen, weshalb der Konstruktivismus nicht mit Bildungsansprüchen kompatibel sein soll, denn das von ihm angenommene rekursive Verhältnis von Individuum und Umwelt ist letztlich eine alte Bildungsidee. Bildung ist nichts anderes, als ein auf Reflexion basierendes, viables Verhältnis zur Welt herzustellen und auf dieser Grundlage ethisch handeln zu können.999 Auf die Grundkategorien der materialen und formalen Bildung und damit auf die Frage nach den Lehrinhalten wird unten näher eingegangen.1000
993 994 995 996
Vgl. Siebert (2005), S. 41; de Haan/Rülcker (2009), S. 14 ff., 166. Siebert (2005), S. 99. Ibd., S. 96. Selbst der unreflektierte Instinkt erfüllt mit der Überlebenssicherung genauso einen Zweck wie der Müßiggang, der im Zweifel auf Erholung oder Unterhaltung zielt. 997 Gregory (2002), S. 401. 998 Vgl. Reich (2008), S. 95; Li et al. (2010), S. 413. 999 Ähnlich auch Siebert (2005), S. 41; id. (2008), S. 195. 1000 Vgl. Kap. 3.3.2.4.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen 3.3.2
Lehrinhalte
3.3.2.1
Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung
169
Lehrinhalte sind jene Gegenstände, die innerhalb des Unterrichts behandelt werden. Die vorangegangene Diskussion hat gezeigt, dass Lehrziele eng mit Lehrinhalten verbunden sind, da Inhalte – zumindest auf den unteren Abstraktionsgraden – eine der genannten Zieldimensionen darstellen.1001 Allgemein wird anerkannt, dass sich weder Inhalte allein aus den gegebenen Lehrzielen heraus in deduktiver Weise ableiten lassen – noch umgekehrt.1002 So verwundert es auch nicht, dass sich innerhalb der Hochschuldidaktik nur sehr wenige Modelle finden lassen, die sich überhaupt mit der Auswahl von Lehrinhalten auseinandersetzen.1003 Wie schon allgemein für didaktische Enscheidungen ist auch speziell für die Inhaltsselektion zu attestieren, dass es sich um einen kreativen Prozess handelt,1004 dessen Ergebnisse nachträglich zu verargumentieren sind. Die Lehrinhaltsproblematik umfasst zwei grundlegende Fragestellungen auf der Grob- und der Feinzielebene: die nach der Selektion und der Sequenzierung. Auf diese wird nachfolgend näher eingegangen. 3.3.2.2
Selektion von Lehrinhalten
Die Selektion von Lehrinhalten befasst sich mit dem Auswahlproblem: Welche Lehrinhalte sollen aus dem meist reichhaltigen Angebot von Fachinhalten 1001 Insofern verwundert es auch nicht, dass in der durchgeführten Befragung der Dozenten nicht immer trennscharf zwischen Zielen und Inhalten unterschieden wurde. Andererseits kann auch versucht werden, durch eine kompetenzorientierte Formulierung von Lehrzielen gänzlich auf die Festlegung von Lehrinhalten zu verzichten. Es läge damit eine Output- und keine Inputbetrachtung vor. Diese könnte – so zunächst die Hoffnung – zu einer größeren Freiheit in der Auswahl der Lerninhalte beitragen, vgl. de Haan (2008a), S. 35. Diese Entlastung tritt jedoch nicht ein, da Kompetenzen konkrete Gegenstände erfordern, an denen sie erlernt werden können. Die Auswahl solcher Gegenstände ist also nach wie vor erforderlich. Das Problem wird damit lediglich von einer bildungstheoretischen Diskussion zu einer kognitionspsychologischen verschoben, weil die Auswahl sich nun nicht mehr an einer eventuell schwer greifbaren Bildsamkeit orientiert, sondern an der Lernfähigkeit des Lernenden und an der Eignung der Lerngegenstände, vgl. ibd. (2008), S. 39 f. 1002 Vgl. Neven (1983), S. 127 f.; Jank/Meyer (2003), S. 123 ff.; Rohlfes (2005), S. 121. 1003 Vgl. Brand (2006), S. 16, 18, m. w. V. 1004 Vgl. Zwyssig (2001), S. 124, der sogar davon spricht, dass es sich „in erster Linie“ um einen kreativen Prozess handelt.
170
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
ausgewählt werden?1005 Sie ist damit eine typische fachdidaktische Fragestellung. Die Aufgabe besteht darin, Kriterien zu finden, die darüber entscheiden, welche Inhalte sprichwörtlich durch das Sieb fallen und welche nicht. Zur dezidiert hochschuldidaktischen Fragestellung wird die Inhaltsselektion durch die immens steigende Menge wissenschaftlicher Erkenntnisse.1006 Da nicht das gesamte Wissen einer Disziplin in einem Studiengang vermittelbar ist, ist eine sinnvolle Selektion zwangsläufig. Dabei ist weniger manchmal mehr, denn die ausgewählten Inhalte können so vertiefter behandelt werden.1007 Die aus den Fachinhalten heraus zu selektierenden Lehrinhalte sollten angesichts des schnell alternden Wissens bzw. seiner immer kürzeren Halbwertszeit den Kriterien der Wichtigkeit und der Beständigkeit genügen,1008 auch wenn über die Operationalisierung dieser beiden Größen kein Konsens besteht. Diese Prinzipien gelten umso mehr für die Zukunftsforschung als Fach, das sich dezidiert mit Veränderungen auseinandersetzt. Auf der Ebene der Feinselektion baut sich durch die Kürze der Semester bei zu umfangreichen curricularen Vorgaben ein Stoff- und Zeitdruck auf.1009 Die Lehrinhalte müssen so ausgewählt werden, dass sie in diesem zeitlichen Rahmen behandelt werden können. 3.3.2.3
Sequenzierung von Lehrinhalten
Der zweite grundsätzliche Problemkomplex besteht in der Sequenzierung der Lehrinhalte, also in der Frage, wie diese aufeinanderfolgend angeordnet werden sollen. Auch hier ist wieder zwischen der Grob- und der Feinebene zu unterscheiden. Bei der Sequenzierung der Grobinhalte wird etwa darüber entschieden, ob ein Lehrinhalt in das Grund- oder Hauptstudium bzw. in das Bachelor- oder Master-Studium aufgenommen werden soll und in welchem Semester bzw. in welchem Modul das Thema behandelt werden soll. Die Sequenzierung der Feininhalte erfolgt dann wieder auf der Ebene der einzelnen Lehrveranstaltung. Hier wird darüber befunden, welche Inhalte in der ersten, zweiten usw. Veranstaltung angesprochen werden. Entsprechend dem Prinzip des halboffenen Curriculums ist die Sequenzierung auf der Mikro- bzw. der Feinebene in den Verantwortungsbereich des Dozenten zu legen.1010 1005 1006 1007 1008 1009 1010
Vgl. Zwyssig (2001), S. 53, 86; von Martial (2002), S. 17 f.; Pfäffli (2005), S. 114. Vgl. Zillober (1984), S. 147. Vgl. Pfäffli (2005), S. 114. Ähnlich auch Zwyssig (2001), S. 53. Vgl. Schmidt/Tippelt (2005), S. 105. Vgl. Zwyssig (2001), S. 78, 93.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
171
Für die Sequenzierung haben sich verschiedene Prinzipien durchgesetzt.1011 So können Lehrinhalte nach ihrer Sachlogik, nach lernpsychologischen Gesichtspunkten oder nach motivationalen Aspekten angeordnet werden. Das Studium der Zukunftsforschung macht in Fragen der Inhaltssequenzierung keine Ausnahme. Die sachlogische Sequenzierung steht dem Wissenschafts-, aber auch dem Situationsprinzip nahe, weil hier die Lehrinhalte danach gereiht werden, wie sie in sachlogischer Hinsicht aufeinander aufbauen.1012 Beispielsweise werden erst Oberbegriffe, dann Unterbegriffe behandelt. Wie schon bei den Lehrzielen festgehalten, gilt auch für die Lehrinhalte für eine Hochschuldidaktik ein wissenschaftsorientiertes Primat. Die beiden übrigen Sequenzierungsmöglichkeiten sind eher dem Persönlichkeitsprinzip zuzuordnen: Beim lernpsychologischen Ansatz werden Lerninhalte, deren Wissen förderlich für andere Lerninhalte ist, vorgezogen. Insgesamt soll Wissen an bestehendes Vorwissen angeknüpft werden.1013 Ferner gelten folgende Reihungsprinzipien: 1014 x erst Überblickswissen, dann Einzelaspekte; x erst einfache, dann komplexe Sachverhalte; x erst konkrete, dann allgemeine Erkenntnisse; x erst Anschauliches, dann Abstraktes; x erst ältere Ereignisse, dann neuere (Chronologie); x erst kleine, dann große Lernschritte; x erst langsames, dann schnelleres Lernen. Die Sequenzierung nach Motivationsaspekten reiht die Lehrinhalte so, dass die Lernmotivation beim Studierenden optimiert wird.1015 So sollten abstrakte Sachverhalte durch konkrete, anschauliche Beispiele aufgelockert werden. 3.3.2.4
Lehrinhalte in konstruktivistischer Perspektive
In radikal-konstruktivistischer Sichtweise werden ex ante festgelegte Lehrinhalte ganz abgelehnt.1016 Diese sollen sich vielmehr im Unterrichtsverlauf ergeben und 1011 Vgl. Klauer (1974), S. 178 ff. 1012 Vgl. Speth (2007), S. 135. 1013 Vgl. Pfäffli (2005), S. 151. Dass zum einen bereits bestehendes Wissen für die Perzeption und die Interpretation neuen Wissens und zum anderen Assoziationen zwischen altem und neuem Wissen für das Lernen von entscheidender Bedeutung sind, hat besonders Wittrock (1977) in seiner Theorie des generativen Lernens betont. 1014 Vgl. Pfäffli (2005), S. 159; Speth (2007), S. 136; Klieme/Rakoczy (2008), S. 224 f. 1015 Vgl. Mathes (1998), S. 44. 1016 Vgl. Hoops (1998), S. 241 f., m. w. V.
172
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
mit den Lernenden ausgehandelt werden.1017 Die gemäßigt-konstruktivistische Didaktik macht Lehrinhalte zumindest nicht zu ihrem Hauptgegenstand.1018 Teilweise wird die Stofffülle überkommener Didaktikmodelle kritisiert, die angesichts exponentieller Wissenszunahme bei gleichzeitig immer kürzer werdenden Halbwertszeiten kaum noch sinnvoll erscheint,1019 sodass als Gegenbewegung eine Entstofflichungstendenz festzustellen ist.1020 Konstruktivistische Didaktiker empfehlen, Lerninhalte nicht wohlportioniert und streng logisch gegliedert zu präsentieren, sondern durchaus auch unstrukturierte und authentische Problemkomplexe zur Verfügung stellen.1021 Denn in der Lebenspraxis orientieren sich Probleme nicht an wohlgeordneten Wissensstrukturen, sondern treten in aller Regel unstrukturiert auf.1022 Perturbationen werden dann besonders gut aufgenommen, wenn sie als neu und wichtig eingestuft werden.1023 Die Lehrinhalte sollen auch deshalb nicht zu stark vorstrukturiert werden, damit die Möglichkeit besteht, auf die spezifischen Bedürfnisse und Interessen der Studierenden sowie auf die sich ergebende Unterrichtssituation flexibel und angemessen eingehen zu können.1024 Ähnlich wie die Abwehrhaltung des Konstruktivismus gegenüber Lehrzielen ist auch die Haltung gegenüber Lehrinhalten kritisch zu beurteilen. Wenn die Gegenstände, die in einer Lehrveranstaltung behandelt werden, nicht zu Beginn feststehen, wird das Konzept von Lehre insgesamt infrage gestellt. Selbst wenn der Dozent mit einem Thema in die Lehrveranstaltung geht, dieses aber von uninteressierten Studierenden abgelehnt werden kann, ist von systematischem Lernen keine Spur. Unterricht in radikal-konstruktivistischer Sichtweise würde so zu einem Stammtischtreffen degradiert werden, bei dem besprochen wird, was den Beteiligten gerade einfällt. Aber auch bei einer gemäßigten Perspektive ist vor einem zu wenig an konkreten Inhalten orientierten Unterricht zu warnen, da ansonsten die Gefahr einer entmaterialisierten, rein formalen Bildung entsteht.1025 Ansonsten wäre die konstruktive Didaktik wohl eher eine reine Methodik.1026 1017 1018 1019 1020 1021 1022 1023 1024 1025 1026
Vgl. Li et al. (2010), S. 413. Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 161. Vgl. Reich (1997), S. 120; id. (2005), S. 182; id. (2008), S. 96. Vgl. Terhart (1999), S. 642; id. (2003), S. 38. Vgl. Dubs (1995), S. 890; Rustemeyer (1999), S. 475; Reinmann/Mandl (2006), S. 629; Li et al. (2010), S. 404. Vgl. de Haan (2008), S. 36 f. Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 146. Vgl. Wolf (1994), S. 417; Dubs (1995), S. 891; Reich (1997), S. 258. Vgl. Terhart (1999), S. 642; id. (2003), S. 38. Vgl. Terhart (1999), S. 645; id. (2003), S. 42.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
173
Gebildetsein setzt viables Wissen über die Welt voraus. Die Notwendigkeit materialer Bildung kann somit nicht abgelehnt werden. Reich spricht hier in minimaler Sicht von negativer Bildung in dem Sinne, dass es ein Verständigungswissen, also eine Art Metawissen, geben muss, das es den Beteiligten aus den unterschiedlichsten Verständigungsgemeinschaften ermöglicht, sich darauf zu einigen, was nicht mehr Gegenstand von gemeinsamen Diskursen sein muss, damit nicht zu Konflikten kommt.1027 Im Vordergrund steht aber eher ein formales Bildungsverständnis, das zum einen auf Methodenkompetenz setzt1028 und zum anderen insbesondere eine Art Reflexionskompetenz verlangt: „Bildung ist heute mehr eine Prozedur, sich gegenständig und vertiefend mit Wissen, mit diskursiven Praktiken, aber auch mit einer Reflexion über den Mangel zu beschäftigen […].“1029 Und: „Bildung ist reflexive Konstruktion, die sich der Konstruktivität bewusst ist.“1030 Die Haltung zu Lehrinhalten ist nicht zwangsläufig auf einen Dualismus mit der Vorstellung eines starren Korsetts auf der einen und der vollständigen Ablehnung auf der anderen Seite beschränkt. Hier sind durchaus Abstufungen denkbar. Insbesondere die von gemäßigten Konstruktivisten vorgeschlagene Verhandelbarkeit von Unterrichtsgegenständen bietet hier einen Ausweg. 3.3.3
Lehrmethoden
3.3.3.1
Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung
Lehrmethoden sind Verfahren, mit denen Lehrende Lehrinhalte vermitteln, damit sich die Lernenden diese erschließen und die Lernziele erreichen können.1031 Es gibt keine für alle Situationen gleichermaßen gut geeignete Lehrmethode. Die eingesetzte Methode ist grundsätzlich ziel- und inhaltsadäquat auszuwählen,1032 aber nicht aus Zielen oder Inhalten deduzierbar.1033 Andererseits hat die Metho1027 1028 1029 1030 1031
Vgl. Reich (2008), S. 97 f. Vgl. ibd., S. 99. Reich (2008), S. 97. Siebert (2005), S. 41. Vgl. Förner (1976), S. 15; Jank/Meyer (2003), S. 54, die allerdings von Unterrichtsmethoden sprechen, worunter sie sowohl Lehr- als auch Lernmethoden verstehen; Bönsch (2006), S. 170. 1032 Vgl. Pfäffli (2005), S. 113, 153; Speth (2007), S. 275; Reich (2008), S. 269, der kritisiert, dass sowohl die bildungs- als auch die lerntheoretische Schule den Eindruck erweckt haben, dass die Lehrmethode weitgehend ziel- und inhaltsneutral sei und es allein in der subjektiven Wahl des Dozenten läge, für welche er sich entscheidet, vgl. ibd., S. 266 f. 1033 Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 227.
174
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
denwahl auch gegenstandskonstituierende Wirkung, d. h., durch die Art der Erarbeitung des Wissens wird ein spezifisches Wissen geschaffen, das durch eine andere Methode anders aussehen würde.1034 Ob Lehrmethodik tatsächlich – wie hier – als Teil der Didaktik oder als separate Unterdisziplin innerhalb der Pädagogik zu betrachten ist, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt.1035 Didaktik im engeren Sinne exkludiert Methodik, im weiteren Sinne schließt sie sie ein.1036 Die vorliegende Arbeit wendet sich der Lehrmethodik allerdings ausdrücklich auch zu, weil die methodische Umsetzung von ausgewählten Lehrzielen und -inhalten naturgemäß eine typische fachdidaktische Fragestellung ist.1037 Was unter Lehrmethoden genau zu verstehen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Eine häufige Unterteilung gliedert in Aktions- bzw. Arbeitsformen auf der einen und Sozial- bzw. Interaktionsformen auf der anderen Seite.1038 Erstgenannte nehmen Bezug auf den Grad der Aktivität von Lehrenden oder Lernenden. Unterschieden werden das Darstellen, das Erarbeiten und das Aufgeben.1039 Es handelt sich bei den Formulierungen um eine Betrachtungsweise aus Sicht des Lehrenden. Das Kontinuum der Arbeitsformen beginnt bei solchen, bei denen der Lehrende rein instruktiv arbeitet, und endet bei solchen, bei denen die Lernenden konstruktiv tätig sind. Letztgenannte betrachten die Wechselbeziehungen zwischen den Lehrenden und den Lernenden.1040 Gemeinhin wird nach Plenumsarbeit (Frontalunterricht), Gruppenarbeit, Partnerarbeit und Einzelarbeit differenziert.1041 Die Sortierung erfolgt nach der Gruppengröße und danach, ob der Lehrende in dieser Gruppe eher aktiv oder eher passiv ist. Methodische Großformen sind konkrete Lehrverfahren, die sich aus den Grundelementen der Aktions- und Sozialformen zusammensetzen.1042 Es handelt sich „[…] um historisch gewachsene, institutionell und auch im Alltagsbewusstsein […] mehr oder weniger fest verankerte typische Lehr-/ Lernwege mit unterschiedlichen Zielsetzungen und erkennbaren methodischen Gestaltungselementen.“1043 Nachfolgend wird auf methodische Großformen der Hochschullehre näher eingegangen. 1034 1035 1036 1037 1038 1039 1040 1041 1042 1043
Vgl. Bönsch (2006), S. 171, m. w. V. Vgl. Sesink (1994), S. 189 f. Vgl. Jongebloed/Twardy (1983), S. 174; Jank/Meyer (2003), S. 30. Vgl. Aschersleben (1993), S. 145 f.; Klafki (1994), S. 44. Vgl. Speth (2007), S. 183, m. w. V. Vgl. Glöckel (1996), S. 68 ff.; Kiper/Mischke (2006), S. 32; Speth (2007), S. 185 ff. Vgl. Aschersleben (1974), S. 124; Heimann et al. (1975), S. 32. Vgl. etwa Rohlfes (2005), S. 232 ff.; Speth (2007), S. 218. Vgl. Speth (2007), S. 379. Meyer (2006), S. 143.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen 3.3.3.2
175
Veranstaltungstypen
Die Didaktik hat sich als kreativ in der Entwicklung von Lehrmethoden erwiesen, und es gilt als pädagogischer Grundsatz, zwischen den Methoden hin- und herzuwechseln. Die Anwendung der immer gleichen Unterrichtsmethode ist für die Lernenden ermüdend, weil sie dem menschlichen Bedürfnis nach Variation und Abwechslung entgegensteht.1044 Der Methodenwechsel fördert daher die Optimierung des Lernerfolgs.1045 Dieser Grundsatz gilt nicht weniger für die Hochschule. Auch Schmidt und Tippelt fordern, Lehrveranstaltungen möglichst wenig schematisch konstant abzuhalten, sondern Methoden (und Medien) abwechseln zu lassen.1046 Hierbei handelt es sich um eine Einsicht, die auch in nichtkonstruktivistischen Kreisen anerkannt ist. Nachfolgend werden die Spezifika verschiedener Veranstaltungstypen aufgezeigt. Vorlesung Die Vorlesung ist eine in erster Linie instruktionsorientierte Lehrmethode, bei der der Dozent den Lernstoff vorträgt. Mit ihr ist die ganzheitliche und systematischstrukturierte Vermittlung von Wissen an eine größere Zahl von Studierenden auf effiziente Art und Weise möglich.1047 Die Studierenden sind auf eine eher rezeptive Haltung verpflichtet,1048 womit die Möglichkeiten für handlungsorientierte1049 1044 1045 1046 1047
Vgl. Speth (2007), S. 429. Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 129; Speth (2007), S. 429. Vgl. Schmidt/Tippelt (2005), S. 105. Vgl. Pfäffli (2005), S. 160; Bönsch (2006), S. 173; Kiper/Mischke (2006), S. 31 f.; Speth (2007), S. 186; de Haan/Rülcker (2009), S. 177. Inzwischen gilt auch als empirisch nachgewiesen, dass darbietender Unterricht für diese Zwecke effektiver ist als erarbeitender, vgl. die Studie von Chall (2002); siehe auch Kiper/Mischke (2006), S. 35. 1048 Vgl. Aschersleben (1974), S. 134; Rohlfes (2005), S. 265; Speth (2007), S. 185. 1049 Das Konzept der Handlungsorientierung wird gegenwärtig stark diskutiert, vgl. Bönsch (2006), S. 94. Es geht vornehmlich auf Aebli (1981) zurück, für andere historische Bezüge vgl. auch Bönsch (2006), S. 94. Begriff und Bedeutung der Handlungsorientierung in der bzw. für die Didaktik werden in der Literatur unterschiedlich akzentuiert, vgl. Ebner (1992), S. 34 f. Das Hauptanliegen besteht darin, die ansonsten eher rezeptiven Lernenden stärker zu aktivieren, vgl. Gonschorek/Schneider (2000), S. 173; Bönsch (2006), S. 95. Die Lernenden planen ihr Handeln und führen es aus, vgl. Wöll (1998), S. 225 f. Dies ist jedoch nicht mit praktischem Lernen zu verwechseln, vgl. Bönsch (2006), S. 95. Handlungsorientierung wirkt sich somit positiv auf die Lernmotivation aus, vgl. Speth (2007), S. 500. Nachteilig ist, dass Handlungsorientierung recht zeitaufwendig in der Umsetzung ist, sich wenig an den Strukturen der Fachwissenschaft orientiert und die Möglichkeiten der Lernerfolgskontrolle sehr eingeschränkt sind, vgl. ibd., S. 500 ff. Auch in der Hochschullehre wird bisweilen mehr Handlungsorientierung eingefordert, vgl. Schmidt/Tippelt (2005), S. 106.
176
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Methoden in Vorlesungen begrenzt sind1050 und höhere kognitive Lehrziele sowie die Förderung von Handlungskompetenzen kaum möglich sind.1051 Die Lernenden bleiben gleichwohl nicht völlig passiv, da sie den Lernstoff aktiv nachvollziehen und selbstständig kritisch durchdenken müssen.1052 Außerdem können aktivierende Momente eingesetzt werden. Als Beispiel wird das Lead-Learner-Konzept genannt, bei dem eine kleine Gruppe Studierender – praktisch stellvertretend für die übrigen Kommilitonen – mit dem Dozenten interagiert.1053 Umgesetzt werden kann dieses Konzept etwa durch Podiumsdiskussionen oder kritisches Nachfragen.1054 Eine Grundvoraussetzung für ein bewusst didaktisches Vorgehen wird darin gesehen, den Studierenden die Grundstruktur der Vorlesung offenzulegen. Pfäffli empfiehlt etwa einen einfachen, dreigliedrigen Aufbau:1055 x Einführung: Hier werden das Thema vorgestellt, eine Übersicht über den Stoff gegeben sowie Lehrziele formuliert und begründet. x Hauptteil: Drei bis vier Teilthemen sollten behandelt werden, die jeweils mit Teilzusammenfassungen abschließen. x Schluss: Der Dozent soll hier die gesamte Vorlesung zusammenfassen, auf Übungen und Literatur hinweisen und eine Vorausschau auf die nächste Veranstaltung geben. Neben dieser Metastrukturierung der einzelnen Lehrveranstaltung durch die Vorschau auf das Kommende soll der Dozent bei Themenwechseln Verbindungen herstellen, wichtige Aspekte wiederholen und Zusammenfassungen geben.1056 Seminar Das Seminar ist die zweite große Veranstaltungsform an der Hochschule. Durch die grundsätzlich geringere Teilnehmerzahl werden eine stärkere Aktivierung der Studierenden und eine Dialogorientierung ermöglicht und angestrebt.1057 Seminare sollen (etwa in einer Vorlesung erworbenes) Wissen vertiefen und anwenden. Es handelt sich um eine erarbeitende Aktionsform, bei der der Lernstoff gemeinsam
1050 1051 1052 1053 1054 1055 1056
Vgl. Pfäffli (2005), S. 160, 189; Schmidt/Tippelt (2005), S. 106. Vgl. Pfäffli (2005), S. 189; Schmidt/Tippelt (2005), S. 105. Vgl. Speth (2007), S. 185 ff.. Vgl. Möhrle (1994). Vgl. Schmidt/Tippelt (2005), S. 107. Vgl. ibd., S. 160. Vgl. Blömeke et al. (2007), S. 358 f., die die Lerneffektivität dieses Vorgehens durch mehrere empirische Studien stützen. 1057 Vgl. Pfäffli (2005), S. 163.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
177
von Lehrendem und Lernendem aufgearbeitet wird.1058 Durch die gemeinsame Erarbeitung wird die längerfristige Erinnerung gefördert.1059 Neben fachlichen Zielen werden auch überfachliche Ziele, insbesondere die Förderung der sprachlichen und sozialen Qualifikationen und die Selbst- und Mitbestimmungsfähigkeit, mitverfolgt.1060 Damit sind Seminarformate pädagogisch und lernpsychologisch anspruchsvoll1061 und zeitaufwendig.1062 Seminare eignen sich für das immer wieder empfohlene Konzept des forschenden Lernens.1063 Hier sind die Studierenden selbst aufgefordert, ein wissenschaftliches Problem zu formulieren und eine zielführende Problemlösungsstrategie auszuarbeiten und umzusetzen.1064 Die Lernenden können sich auf diese Weise weniger Grundlagenwissen aneignen, dafür aber wissenschaftliche Schlüsselkompetenzen erwerben.1065 Dieser Grundgedanke kann auch durch genetisches Lernen, also etwa durch die Simulation von Forschungssituationen, mithin selbsttätiges Nachvollziehen von wissenschaftlichen Erkenntniswegen, umgesetzt werden.1066 Abgesehen von diesen generellen Eigenschaften gibt es eine Reihe von konkreten Ausprägungen, weshalb das Seminar hier als Oberbegriff verstanden wird, das in vielfältigen Formen ausgestaltet werden kann, auf die nachfolgend eingegangen wird. Übung In einer Übungsveranstaltung sollen namensgebenderweise Fähigkeiten oder Methoden eingeübt werden. So werden in der Jura-Vorlesung die Grundzüge eines Rechtsgebiets aufgezeigt, während diese in der Übung konkretisiert, d. h. auf Fälle angewendet werden. Die in der Mathematik-Vorlesung aufgezeigten Rechen- und Lösungsmethoden werden in der Übung anhand konkreter Aufgaben durchgerechnet. Es handelt sich damit um eine handlungsorientierte Lernform, die auf höhere Lernzielstufen, insbesondere das Erklären und Anwenden, abstellt. 1058 1059 1060 1061 1062 1063 1064 1065 1066
Vgl. Thomas (1991), S. 195; Speth (2007), S. 192. Vgl. Pfäffli (2005), S. 165; Speth (2007), S. 241. Vgl. Speth (2007), S. 215. Vgl. ibd., S. 212. Vgl. ibd., S. 214 f. Vgl. etwa Schwarz (1962), S. 198; Zillober (1984), S. 157; Schmidt/Tippelt (2005), S. 106. Vgl. ibd., S. 109. Vgl. Schmidt/Tippelt (2005), S. 111. Vgl. Zillober (1984), S. 128.
178
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Vorlesung, Seminar und Übung sind als Lehrmethoden vornehmlich dazu geeignet, Wissen und Fähigkeiten recht eng an den Strukturen der Fachwissenschaft angelehnt zu vermitteln. Insbesondere das Übungsformat eignet sich allerdings eher für kleinere, überschaubare Aufgabenstellungen, die in kurzer Zeit gelöst werden können. Projektstudium Das Projekt, in der Hochschule auch als Projektstudium bezeichnet,1067 stellt eine komplexe Aufgabe für die Studierenden dar, ein vorher definiertes Produkt innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne zu erzeugen.1068 Das Projekt behandelt dabei inhaltlich eine Problemstellung, die aus der wirtschaftlichen, sozialen oder ökologischen Realität oder einer anderen Sphäre der Gesellschaft stammt1069 und somit berufsfeldbezogen ist.1070 Authenthische und realistische Probleme sind dabei lernförderlich.1071 Die Projektmethode ist nicht als in sich abgeschlossene und fest definierte Unterrichtsmethode aufzufassen. Vielmehr divergieren die Vorstellungen über ihre Ausgestaltung.1072 Es handelt sich insofern eher um ein Konglomerat mehrerer Methoden, die zusammengefügt werden.1073 Gemeinsam ist diesen Vorstellungen, dass sie das pädagogische Prinzip der Handlungsorientierung in besonderem Ausmaß realisieren1074 und nichtfachliche Ziele wie Teamfähigkeit und Selbstorganisation des Lernens angestrebt werden.1075 Projektunterricht wird ausdrücklich auch für die Hochschullehre empfohlen.1076 Die Projektmethode ist in der Regel recht zeitaufwendig und wenig geeignet, genau definiertes, später abprüfbares Wissen zu vermitteln.1077 Die Studierenden sollen den Lösungsansatz und -weg selbst bestimmen. Ein Projekt kann daher unterschiedlich ablaufen. Ein idealtypischer Ablauf könnte wie folgt aussehen:1078 1067 Vgl. Tippelt (1979); Zillober (1984), S. 157 ff. 1068 Vgl. Pfäffli (2005), S. 197; Schmidt/Tippelt (2005), S. 110; Kiper/Mischke (2006), S. 33; Speth (2007), S. 416. Zur Projektmethode im Allgemeinen vgl. auch Frey (2002); Kath (2002). 1069 Vgl. Zillober (1984), S. 159; Speth (2007), S. 415. 1070 Vgl. Pfäffli (2005), S. 197. 1071 Vgl. Blömeke et al. (2007), S. 361, m. w. V. 1072 Vgl. Kaiser/Kaminski (1999), S. 272. 1073 Vgl. Emer/Lenzen (1997), S. 226 ff. 1074 Vgl. Zillober (1984), S. 159; Weber (1995), S. 17 et pass.; Bönsch (2006), S. 97; Speth (2007), S. 415. 1075 Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 309. 1076 Vgl. Pfäffli (2005), S. 197; Schmidt/Tippelt (2005), S. 106. 1077 Vgl. Speth (2007), S. 417 f. 1078 In Anlehnung an Frey (1993), S. 63 et pass.; ähnlich auch Pfäffli (2005), S. 199 ff.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
179
x Definition und Initiierung des Projekts durch den Dozenten; x Auseinandersetzung der Studierenden mit der Aufgabenstellung und deren Interpretation, Entwicklung einer Projektskizze;
x Planung des weiteren Vorgehens durch die Studierenden (Projektplan, ggf. mit „Milestones“);
x Umsetzung der Planung und Gang in das Betätigungsgebiet, Festhalten der erzielten Zwischenergebnisse;
x Erzeugung des Endprodukts, Rückkopplung mit dem Dozenten oder Auslaufenlassen des Projekts. Fallstudie Ausgangspunkt einer Fallstudie ist eine spezifische Fallkonstruktion, die in der Regel schriftlich dokumentiert und ggf. mit Zahlenmaterial, Diagrammen o. Ä. beschrieben ist. Von dieser ausgehend nehmen die Lernenden eine Situationsanalyse vor, sammeln Informationen, decken Handlungsoptionen auf und wägen sie ab und treffen gemeinschaftlich gut begründete Entscheidungen.1079 Der idealtypische Ablauf besteht aus folgenden Schritten:1080 x Präsentation des Falls; x Problemklärung (selbstständig oder mittels anleitender Fragen); x Studium der Dokumentation, ggf. Erschließen fehlender Informationen; x Entwicklung, Bewertung, Auswahl und Begründung wissensbezogener Lösungen; x Präsentation und Diskussion der ausgewählten Lösung; x ggf. Vergleich der ausgewählten Lösung mit der in Wirklichkeit umgesetzten Lösung (sofern der Fall nicht fiktiv ist); x metakognitive Reflexion des Vorgehens und Formulierung des Erkenntnistransfers. Die Problemlösungs- bzw. Entscheidungssituation steht hierbei im Vordergrund.1081 Damit soll nicht nur bereits vorliegendes theoretisches Wissen transferiert, sondern auch die Problemlösungsfähigkeit als höchste Lernzielstufe gefördert werden. Für die Erarbeitung neuen deklarativen Wissens ist die Fallstudie weniger geeignet.1082 Die Lernenden werden damit konfrontiert, dass in der Realität schlecht definierte Probleme vorherrschen, stark ausgeprägte Interdependenzen zwischen 1079 1080 1081 1082
Vgl. Pfäffli (2005), S. 195. Vgl. ibd., S. 195. Vgl. Speth (2007), S. 401. Vgl. ibd., S. 402.
180
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
der gesellschaftlichen, der wirtschaftlichen, der ökologischen, der politischen sowie anderen Sphären bestehen und in aller Regel keine eindeutigen Lösungen existieren. Überfachliche Ziele bestehen darin, die sozialen Kompetenzen zu schärfen, insbesondere in der Gruppe Argumente auszutauschen, zu kooperieren, Kompromisse auszuhandeln und die Kreativität der Lernenden zu fördern.1083 Aufgrund der intuitiven Zugänglichkeit zur Fallstudie ohne spezifisches Vorwissen ist die Methode prinzipiell auch für die Lehre unterhalb der Hochschule geeignet.1084 Rollenspiel Beim Rollenspiel schlüpfen die Studierenden in fremde Rollen und sollen vor dem Hintergrund einer hypothetischen Situation miteinander agieren.1085 Es handelt sich also wie bei der Fallstudie um eine Art Simulation. Es geht darum, sich durch direkte Interaktionen mit den anderen Teilnehmern in eine mögliche Situation einzufühlen. Damit sind Rollenspiele förderlich, um das überfachliche konstruktivistische Lernziel der Perspektivität zu erreichen.1086 Hier ist also sprichwörtlich eher der Weg das Ziel. Bönsch ordnet das Rollenspiel in diesem Sinne auch zutreffend als besondere Form des entdeckenden bzw. forschenden Lernens ein.1087 Neben den fachlichen Zielen, die mit dem Rollenspiel verfolgt werden können, werden auch überfachliche Kompetenzen gefördert:1088 So muss sich der Spieler nicht nur in seine eigene Rolle, sondern auch in die seiner Mitspieler versetzen. Er lernt so, Verhaltensweisen zu begreifen und zu antizipieren. Die sprachlichen und sozialen Kompetenzen werden im Rollenspiel besonders geschärft. Da das Spiel ein Grundpfeiler der menschlichen Kultur ist, ist es für die Teilnehmenden meist vergleichsweise einfach, sich im Rollenspiel zurechtzufinden.1089 Der Motivationsgrad ist überdurchschnittlich hoch, wenngleich nicht vergessen werden darf, dass es nicht jedermanns Sache ist, schauspielerisch aus sich herauszugehen.
1083 1084 1085 1086 1087 1088 1089
Vgl. ibd., S. 407 f. Ähnlich auch Hideg (2002), S. 157. Vgl. Speth (2007), S. 398. Vgl. Siebert (2005), S. 119. Vgl. Bönsch (2006), S. 97. Vgl. ibd., S. 399. Vgl. ibd., S. 398.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen 3.3.3.3
181
Lehrmethoden in konstruktivistischer Perspektive
Nachdem Lehrziele und -inhalte nicht den Fokus des konstruktivistischen Didaktikers bilden, dreht sich sein Denken hauptsächlich um die Frage, auf welche Art und Weise Lernprozesse optimalerweise in Gang gesetzt werden, wie der Lernende sozusagen optimal perturbiert werden kann.1090 Das Hauptproblem überkommener Didaktikkonzeptionen sehen Konstruktivisten in der objektivistischen Annahme, alle Lernenden könnten mit derselben Methode erfolgreich unterrichtet werden.1091 Lern- und damit Leistungsunterschiede sollen stattdessen durch eine Binnendifferenzierung ausgeglichen werden.1092 Im Allgemeinen wird deshalb auf eine möglichst hohe Lehrmethodenvielfalt Wert gelegt.1093 Denn auf diese Weise wird die Lernwahrscheinlichkeit erhöht. Der Schwerpunkt sollte dabei auf Methoden gelegt werden, die die Selbstständigkeit beim Lernen anstelle einer Abhängigkeit vom Dozenten ermöglichen und fördern.1094 Konstruktivistische Methoden zielen auf „engaging students in processes of inquiry in which they construct their understanding of a topic by means of investigation, application, experimentation, and most important, through dialogue with teachers, experts, and other students.“1095 Dabei wird anerkannt, dass es die eine Lehrmethode, die erfolgreiche autopoietische Lernprozesse garantiert, nicht geben kann.1096 Ein großes Potenzial wird jeder Form von Gruppenarbeit und kooperativem bzw. kollektivem Lernen zuerkannt.1097 Denn hier können sowohl gegenseitig Perturbationen erzeugt als auch die „Richtigkeit“ von Erkenntnissen sozial ausgehandelt und damit deren Viabilität überprüft werden. Die Rolle von Instruktionsdesigns wird in dieser Hinsicht unterschiedlich eingeschätzt. Der radikal-konstruktivistische Didaktiker lehnt sie ab, da Wissen für ihn nicht einfach weitergegeben werden kann.1098 Gemäßigte Konstruktivisten dagegen nehmen instruktionsorientierte Lehrmethoden durchaus mit in ihr 1090 Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 162. Daraus schlussfolgert Reich (2008), S. 267, dass Unterrichtsmethoden letztlich Lernmethoden seien. Es ist aber ein Unterschied, ob der Lernende sich Wissen erarbeitet oder der Lehrende ihn dabei unterstützt. Allenfalls können Lehrmethoden daher als Lernförderungsmethoden betrachtet werden. Eine Gleichsetzung erscheint hingegen nicht angebracht. Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur ersten Annahme in Kap. 1.2. 1091 Vgl. Lenzen (1999), S. 155. 1092 Vgl. Reich (2008), S. 234. 1093 Vgl. Rustemeyer (1999), S. 475; Reich (2008), S. 277 ff. 1094 Vgl. Reich (2008), S. 259. 1095 Gregory (2002), S. 400. 1096 Vgl. Rustemeyer (1999), S. 475; Reich (2008), S. 295. 1097 Vgl. Bednar et al. (1992), S. 28; Wolf (1994), S. 421 f.; Dubs (1995), S. 890. 1098 Vgl. Terhart (1999), S. 637; id. (2003), S. 32; de Haan/Rülcker (2009), S. 176.
182
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Methodenrepertoire auf. Sie mögen nicht die für alle Situationen wirksamsten Methoden sein,1099 aber genauso wenig verhindern sie das Lernen.1100 Einig sind sich die Konstruktivisten darin, dass Instruktionsmethoden – werden sie schon zugelassen – doch zumindest zugunsten von Konstruktionsmethoden reduziert werden sollen. Das sind im Allgemeinen Methoden, die den Studierenden das Entdecken oder Erfinden gestatten. Die Lernenden sollen also selbst ausprobieren und experimentieren.1101 Reich unterscheidet in dieser Hinsicht mit der Konstruktion (i. e. S.), der Rekonstruktion und der Dekonstruktion drei didaktische „Perspektiven“, die als methodologische Grundlinien aufgefasst werden können:1102 x Bei der Konstruktion sind die Lernenden getreu den bisherigen Ausführungen die Erfinder ihrer Wirklichkeit. Das Ziel besteht in der kreativen Neuschöpfung, der innovativen Lösung, der Produktion oder Modifikation von Bestehendem, im Ausprobieren, Wagen und – im Zweifel auch – Scheitern.1103 x Realistischerweise muss aber eingeräumt werden, dass die meisten Prozesse der Wissenskonstruktion Rekonstruktionen sind:1104 Die Lernenden fungieren hier als Entdecker ihrer Wirklichkeit. Sie transferieren Bekanntes, wenden übliche Verfahren an, übernehmen erfolgreiche Lösungen, wiederholen Zweckmäßiges, ahmen Vorbilder nach und passen sich an Praktiken und Routinen an.1105 Eine fortgeschrittene und weiterhin fortschrittliche Gesellschaft ist nur möglich, wenn das Individuum auf dem gesellschaftlich bereits vorhandenen Wissen aufbaut. Junge Menschen bei null anfangen, also sprichwörtlich das Rad immer wieder neu erfinden zu lassen, ist weder gesellschaftlich noch individuell effizient. Bevor Wissen hinterfragt und revidiert oder weiterentwickelt werden kann, muss es zunächst erlernt worden sein.1106 Rekonstruktion ist von konstruktivistischen Vorstellungen am weitesten entfernt. Die konstruktivistische Didaktik erkennt die Notwendigkeit von Rekonstruktion an, möchte sie jedoch nicht zum Hauptprinzip von Unterricht machen.1107
1099 1100 1101 1102 1103 1104 1105 1106 1107
Vgl. Arnold (2007), S. 15. Vgl. ibd., S. 73. Vgl. Reich (1997), S. 83 f.; Hoops (1998), S. 242; Terhart (1999), S. 640; id. (2003), S. 37. Vgl. Reich (1997), S. 84 ff.; id. (2005), S. 118 ff.; id. (2008), S. 138 ff. Vgl. id. (2008), S. 183. Vgl. id. (1997), S. 84; id. (2008), S. 139 f. Vgl. id. (2008), S. 183. Ähnlich auch Terhart (1999), S. 641 f.; id. (2003), S. 37 f. Vgl. Reich (2008), S. 183.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
183
x Drittens sieht Reich die Notwendigkeit, auch Dekonstruktion zum Un-
terrichtsprinzip zu machen.1108 Die Lernenden sind die Enttarner ihrer Wirklichkeit und sollen hier Lücken, Fragwürdigkeiten, Fehler aber auch versteckte (fragwürdige) Annahmen in etablierten Erklärungsmustern aufdecken. Vor allem aber sollen sie sich mit alternativen Möglichkeiten beschäftigen, denn: „Es könnte auch noch anders sein!“1109 Eine weitere interessante Unterscheidung von Reich betrifft die drei von ihm so genannten Ebenen didaktischen Handelns. Sie geben darüber Auskunft, ob ein direktes oder indirektes Verhältnis zwischen Lernendem und Lerngegenstand besteht und ob im Fall der vermittelten Erfahrung eine oder mehrere Perspektiven eingenommen werden:1110 x Bei den Realbegegnungen tritt der Lernende unmittelbar sinnlich mit dem Lerngegenstand in Kontakt.1111 Natürlich handelt es sich auch hier bei der Wahrnehmung des Objektes um einen Konstruktionsvorgang, doch dieser entspricht der radikal-konstruktivistischen Auffassung, bei der das Individuum diesen Erkenntnisprozess allein durchläuft. x Dagegen sind Repräsentationen dem sozial-konstruktivistischen bzw. kulturalistischen Ansatz zuzuordnen. Zwischen Objekt und Subjekt schiebt sich die Verständigungsgemeinschaft, die eine Vorkonstruktion vornimmt, die der Lernende in erster Linie rekonstruiert, um die bestehende Konvention zu verstehen.1112 Es handelt sich um das klassische Verständnis von Didaktik, bei welcher der didaktisierte Stoff an die Stelle der unmittelbaren Erfahrung tritt, das direkte Erleben durch die Künstlichkeit von Unterricht substituiert wird, das konkrete Erlebnis durch Abstraktionen ersetzt und die sinnliche Wahrnehmung auf das Sehen und Hören beschränkt wird. x Auf der Ebene der Reflexionen treten in postmoderner Weise an die Stelle der einen Verständigungsgemeinschaft mehrere communities. Der Studierende rekonstruiert, wie das Objekt von unterschiedlichen Gemeinschaften unterschiedlich wahrgenommen wird, und bildet sich allein oder in der Gruppe seine eigene Meinung.1113
1108 Vgl. id. (1997), S. 86; id. (2008), S. 141 f. Zum Dekonstruktivismus bzw. Poststrukturalismus als Ergänzung zum Konstruktivismus vgl. Davis/Sumara (2002), S. 421 f. 1109 Reich (2008), S. 141. 1110 Vgl. ibd., S. 142 ff. 1111 Vgl. ibd., S. 144 ff. 1112 Vgl. ibd., S. 157 ff. 1113 Vgl. ibd., S. 161 ff.
184
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Beim Studium konstruktivistisch-didaktischer Literatur drängt sich der Eindruck auf, Lehrmethoden seien eher eine profane Fragestellung. Im Vordergrund steht daher oft der umfassendere Begriff der Lernumgebung. Der Dozent ist demnach aufgerufen, möglichst eindrucksreiche, multimodale, kommunikationsorientierte und somit stimulierende Voraussetzungen und Kontexte zu inszenieren, um den jeweils idiosynkratischen Lernprozess bei den Studierenden anzustoßen und zu fördern.1114 Unter dem Begriff der Lernumgebung werden Lehrmethoden und -techniken sowie Lehrmedien subsumiert.1115 Aus Sicht des einzelnen Studierenden sind auch die Kommilitonen und deren möglichst hohe Diversität als wichtige „Ressourcen“ Bestandteil der Lernumgebung.1116 Lernumgebungen sollen auch emotional aufgeladen werden, weil aus neurobiologischen Erkenntnissen bekannt ist, dass Emotionen den Lernprozess fördern.1117 Insgesamt sollen Lernumgebungen komplex sein, damit der Umgang mit nicht wohldefinierten Problemen geübt werden kann.1118 Die gemäßigte Haltung zu Lehrmethoden, insbesondere deren Akzeptanz von instruktionellen Designs, ist zustimmungsfähig. Es stellt sich wohl weniger die Frage nach dem kategorischen Entweder-oder, sondern vielmehr nach der Eignung eher konstruktivistischer oder instruktionsorientierter Lehrmethoden für Lehrziel und Lehrinhalt:1119 „Es wächst heute die Einsicht, dass die Kunst der guten Lehre in der Balance zwischen Konstruktion und Instruktion liegt.“1120 Instruktionen stellen letztlich auch eine spezifische Lernumgebung dar, die die Lernenden mit den Informationen versorgt, die sie benötigen, um eigenständig Wissen aufzubauen.1121 So sollte wenigstens das Grundlagenwissen instruktiv „vermittelt“ werden.1122 Dies gilt insbesondere für Arbeitstechniken: Der Studierende kann eine Arbeitsmethode (etwa Recherchieren, Exzerpieren, eine bestimmte Rechenmethode) erst anwenden, nachdem er diese gelernt hat. Dieses Wissen wiederum ist schwerlich konstruktiv erarbeitbar:1123 Insofern gilt: „Der Weg zur 1114 Vgl. Kösel (1995); Hoops (1998), S. 243, m. w. V.; Huschke-Rhein (1998), S. 39; Rustemeyer (1999), S. 475; Terhart (1999), S. 637; id. (2003), S. 32; Siebert (2005), S. 33, 107 ff.; Reinmann/ Mandl (2006), S. 613 ff.; de Haan/Rülcker (2009), S. 157 et pass.; Li et al. (2010), S. 412 f. 1115 Vgl. Reinmann/Mandl (2006), S. 615. 1116 Vgl. Siebert (2005), S. 109. 1117 Vgl. Reich (2005), S. 53 ff.; Reich (2008), S. 104, 210 ff.; de Haan/Rülcker (2009), S. 145, die allerdings aus ethischen Gründen darauf hinweisen, dass Emotionen für das Unterrichtsgeschehen nicht ohne Wissen der Lernenden instrumentalisiert werden dürfen, vgl. ibd., S. 149, 163, dies umso mehr, da der Konstruktivismus nicht beleuchtet, wie Emotionen im Lernprozess entstehen, vgl. Li et al. (2010), S. 404, m. w. V. 1118 Vgl. Zwyssig (2001), S. 50, m. w. V. 1119 Vgl. ibd., S. 58. 1120 Pfäffli (2005), S. 190. Ähnlich auch Blömeke et al. (2007), S. 360. 1121 Vgl. Lindemann (2006), S. 223; de Haan/Rülcker (2009), S. 177. 1122 Vgl. Winn (1992), S. 179. 1123 Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 176.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
185
Autonomie führt über die Anleitung.“1124 Eine andere Unterscheidung macht von Glasersfeld, wenn sich konstruktivistische Arrangements seiner Ansicht nach vornehmlich für Verstehens- und weniger für Auswendiglernprozesse eignen.1125 Am Geburtsdatum von Beethoven gibt es wenig zu „verstehen“, ein einfaches „Kennen“ genügt. Insofern sind traditionelle, d. h. nicht-konstruktivistische Lehrmethoden für die Darbietung systematischen und historischen Wissens geeigneter.1126 Auch das hiermit verwandte Argument der Lehr- und Lerneffizienz ist überzeugend: Konstruktion ist weitaus zeit- und ressourcenaufwendiger als Instruktion,1127 sodass die Frage beantwortet werden muss, ob tatsächlich jeder einfache Sachverhalt eigenständig erarbeitet werden muss.1128 In der Literatur entsteht bisweilen der Eindruck, dass bei der Gestaltung der Lernumgebung die Reizfülle im Vordergrund steht. Denn indem die Anschlussfähigkeit an bestehendes Wissen und die Menge von Perturbationen maximiert werden, soll die Wahrscheinlichkeit zunehmen, in der Lerngruppe möglichst vielen Personen das Lernen zu ermöglichen. Es dürfte aber klar sein, dass nicht die Reizflut, sondern der thematische Bezug der Lernumgebung lernförderlich ist.1129 Im Gegenteil kann eine zu aufgeladene Lernumgebung auch ablenken. Insbesondere eine Überdosierung mit kreativen Perturbationen kann die Lerngruppe überfordern.1130 Nicht jeder Studierende ist dermaßen perturbationsaffin. Vielmehr kann sogar eine Reaktanzhaltung gegenüber als zu experimentell empfundenen Lehr-Lern-Arrangements entstehen.1131 Der Didaktiker sollte also anstelle einer Maximierung eine Optimierung von Perturbationen anstreben. Ebenfalls ist vor einer zu kontextspezifischen Ausgestaltung von Lernumgebungen zu warnen. So wie bei einem zu lehrbuchhaften Unterricht der Transfer von Erkenntnissen ins Praxisfeld erschwert wird, wenn das theoretische Wissen nicht anwendbar und damit träge bleibt, besteht bei einem zu situativ orientierten Unterricht dieselbe Gefahr, wenn Problemlösungen von dem einen konkreten Kontext nicht mittels Generalisierung in einen anderen übertragen werden können.1132 Es ist daher zu empfehlen, konkrete Lernergebnisse anschließend zu verallgemeinern, um sie in der Breite anwendbar zu machen. 1124 1125 1126 1127 1128 1129 1130 1131 1132
Gudjons (2003), S. 252. Vgl. von Glasersfeld (1999), S. 504. Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 177. Vgl. ibd., S. 177. Reich (2008), S. 205, argumentiert, dass Länder, die auf soziales Lernen statt auf Instruktion setzen, in den Pisa-Studien besser abgeschnitten haben. Einen Kausalitätsnachweis liefert er aber nicht. Vgl. Siebert (2005), S. 108. Vgl. ibd., S. 87. Vgl. Tietgens (1983), S. 223. Vgl. Merrill (1992), S. 106; Bereiter (1997), S. 281 et pass.; Terhart (1999), S. 643; id. (2003), S. 39.
186
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
3.3.4
Lehrmedien
3.3.4.1
Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung
Der Medienbegriff wird in zahlreichen Wissenschaftsdisziplinen mit unterschiedlicher Begriffsbestimmung verwendet.1133 Eine einfache und konsensfähige Definition versteht unter einem Medium einen Informationsträger bzw. -vermittler.1134 Unter der Überschrift der Medienpädagogik hat sich mittlerweile eine recht intensive Diskussion entwickelt. Hier nehmen Medien den Charakter des eigentlichen Lerngegenstandes ein, und das Ziel ist die Medienkompetenz des Lernenden.1135 Typische medienpädagogische Fragestellungen sind etwa die Sozialisation durch Medien,1136 das Mediennutzungsverhalten,1137 die Medienwirkungsforschung1138 und die Darstellung von Gewalt in den Medien.1139 In der Mediendidaktik hingegen – und diese steht hier naturgemäß im Fokus – wird den Unterrichtsmedien die Aufgabe zugeschrieben, den Lehr-Lern-Prozess symbolisch bzw. ikonisch im Sinne einer künstlichen bzw. Sekundärerfahrung zu unterstützen.1140 Der Einsatz von Unterrichtsmedien hängt naturgemäß eng mit lehrmethodischen Fragen zusammen.1141 Teilweise werden Lehrmedien sogar als Unterpunkt von Lehrmethoden betrachtet, was sicherlich kein illegitimes Vorgehen ist, da Medien Bestandteil des methodischen Unterrichtsvollzugs sind. In jedem Fall handelt es sich ebenfalls um eine typische fachdidaktische Fragestellung.1142 Lehrmedien müssen entsprechend ziel- und inhaltsadäquat eingesetzt werden.1143
1133 Vgl. Hoffmann (2003), S. 14. 1134 Vgl. Schorb (1998), S. 8. 1135 Vgl. Vollbrecht (2001), S. 59; Kron (2004), S. 239; Moser (2010), S. 59; Süß et al. (2010), S. 106. 1136 Vgl. Süß et al. (2010), S. 29. 1137 Vgl. Vollbrecht (2001), S. 176. 1138 Vgl. ibd., S. 99. 1139 Vgl. ibd., S. 156. 1140 Vgl. Tulodziecki (1989), S. 16; Kron (2004), S. 226; Speth (2007), S. 318; Süß et al (2010), S. 150. 1141 Für Speth (2007), S. 318, sind Medien nur methodisches Hilfsmittel, weshalb er sie als Unterkapitel zu den Lehrmethoden einordnet. Überwiegend wird den Lehrmedien heute eine größere Bedeutung und damit Gleichberechtigung mit den anderen didaktischen Grundentscheidungen zugebilligt, wie sich nicht zuletzt an dem Bedeutungszuwachs der Mediendidaktik in den letzten Jahren ablesen lässt. 1142 Vgl. Klafki (1994), S. 44. 1143 Vgl. Pfäffli (2005), S. 153.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen 3.3.4.2
187
Lehrmedientypen
Das Angebot an Medien, die in der Lehre eingesetzt werden können, ist von Fach zu Fach unterschiedlich groß. Insbesondere für empirische Wissenschaftsdisziplinen steht im Allgemeinen eine Fülle von Medien zur Verfügung.1144 Um die Vielzahl unterschiedlicher Medientypen zu systematisieren, ist eine Klassifikation erforderlich. In der Literatur finden sich hierzu verschiedene Vorschläge, etwa technologisch-formale, inhaltlich-kulturelle oder pragmatische Klassifikationen.1145 Auf diese muss hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Zu Letztgenannten zählt etwa der nachfolgende Vorschlag, der sich am konkreten Umfang oder am jeweiligen mit dem Medium verfolgten Vorhaben orientiert. Mediengattung
Ausprägungen
Selbstinszenierte Medien
Sprache, Spiel, Theater, …
Bewegte Bildmedien
Film, Fernsehen, …
Mechanische Medien
Dias, Mikroskop, Kassette/CD, …
Printmedien
Buch, Comic, Foto, …
Auditive Medien
Hörfunk, Tonband, …
Neue Medien
Video, Computer, Internet, Handy, Palm, …
Tab. 7:
Pragmatische Medienklassifikation. Quelle: in Anlehnung an Kron (2004), S. 230.
Festzuhalten ist, dass es eine große Zahl von Medien gibt. Es ist weder sinnvoll noch möglich, dezidiert auf alle Medientypen einzeln einzugehen. Daher werden erst auf Grundlage der im weiteren Verlauf erworbenen Erkenntnisse im konzeptionellen Teil diejenigen Typen differenziert, die für die Zukunftsforschung von Belang sind. 3.3.4.3
Lehrmedien in konstruktivistischer Perspektive
Lehrmedien werden vom Konstruktivismus nicht prominent als Untersuchungsbzw. Diskussionegegenstand aufgegriffen. So wie in der Didaktik allgemein Medien als Unterbegriff von Methoden betrachtet werden können (nicht müssen), 1144 Vgl. Speth (2007), S. 322. 1145 Vgl. Kron (2004), S. 228 f.
188
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
sind Medien in konstruktivistischer Perspektive ein Bestandteil der bereits thematisierten Lernumgebungen, sodass auf die obigen Ausführungen verwiesen wird. Medien fungieren als Träger von Lerninhalten und sind damit in konstruktivistischer Sicht eine Art Perturbationsmittler. Um dies erfolgreich zu leisten, müssen sie reichhaltig und authentisch sein,1146 was auch außerhalb der konstruktivistischen community auf Konsens stößt. Ein großes Potenzial wird insoweit in den sogenannten (weil inzwischen nicht mehr ganz so) neuen Medien gesehen.1147 Konstruktivistisch wertvolle Lernmedien sollen naturgemäß den Konstruktionsprozess von Wissen ermöglichen und fördern. Dies geschieht etwa dadurch, dass die Lernenden Wissensbausteine selbstständig ausfindig machen und daraus eigene Kognitionsstrukturen aufbauen. Nicht immer werden die hohen Ansprüche jedoch eingelöst. So wurde etwa bereits recht früh der empirische Nachweis erbracht, dass Hypertext-Lehrtexte aufgrund ihrer verzweigten und flexiblen, nichtlinearen Strukturierung die „saubere“ Konstruktion kognitiver Strukturen behindern.1148 Die Lernenden haben nach dem Studium dieser Texte zwar Fachbegriffe und wesentliche Aussagen zum Lerngegenstand gehört, haben anschließend aber nur ein diffuses Bild von ihnen. 3.3.5
Lernerfolgskontrolle
3.3.5.1
Begrifflich-konzeptionelle Bestimmung
Die Lernerfolgskontrolle ist ein fester und unausweichlicher Bestandteil institutionalisierten Unterrichts.1149 Auch sie gehört zu den Gegenständen, mit denen sich eine fachdidaktische Konzeption auseinandersetzen muss.1150 Denn die Art und Weise, wie sich Lernerfolg sichern, kontrollieren und bewerten lässt, kann von Fach zu Fach unterschiedlich ausgeprägt sein. Auch wenn Lernerfolgssicherung, Lernerfolgskontrolle und Lernerfolgsbewertung eng miteinander zusammenhängen, sollte sich der Dozent darüber im Klaren sein, dass es sich um drei unterschiedliche Sachverhalte handelt. Die Sicherung des Lernerfolgs ist hierbei die allgemeine Zielsetzung, d. h., der Lernende soll sich die Lerninhalte nicht nur erarbeiten, sondern er soll sie auch – möglichst 1146 1147 1148 1149 1150
Vgl. Wolf (1994), S. 418. Vgl. Hoops (1998), S. 244. Vgl. die Studie von Tergan (1997). Vgl. Terhart (1999), S. 643; id. (2003), S. 40. Vgl. von Martial (2002), S. 17.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
189
dauerhaft – memorieren und anwenden können.1151 Lernerfolgssicherung kann insofern als Unterrichtsprinzip betrachtet werden.1152 Um über das Ausmaß des Gelingens dieser Aufgabe etwas sagen zu können, werden Lernerfolgskontrollen durchgeführt. In Form von Prüfungen werden die festgestellten Leistungen beurteilt und bewertet, d. h. auf eine Güteskala, genauer: eine Notenskala, bezogen.1153 Dass häufige schriftliche Lernerfolgskontrollen tatsächlich förderlich für den Lernerfolg sind, ist empirisch gestützt.1154 Die Positionierung der Lernerfolgskontrolle als letztes der behandelten didaktischen Entscheidungsfelder sagt im Übrigen nichts über ihren Stellenwert und auch nichts darüber aus, wann diese innerhalb des Prozesses der didaktischen Bestimmung eines Fachs beantwortet werden sollten. So kann es etwa sinnvoll sein, die Maßnahmen der Lernerfolgskontrolle direkt nach der Klärung der Lehrziele und -inhalte zu festzulegen,1155 da die Lernerfolgskontrolle prinzipiell nichts anderes ist als die Überprüfung, in welchem Ausmaß die an den Inhalten konkretisierten Lernziele erreicht wurden.1156 Die Erfassung des Lernerfolgs ist letzten Endes ein Erkenntnisinteresse, das methodisch genau denselben Qualitätskriterien genügen muss wie andere wissenschaftliche Fragestellungen. Dass prinzipiell nur das kontrolliert werden kann, was zuvor unterrichtet wurde, sollte selbstverständlich sein.1157 Die Lernerfolgskontrolle muss objektiv (das Prüfungsergebnis ist prüferunabhängig), valide (geprüft wird, was geprüft werden soll) und reliabel (es gibt keine Zufallsfehler) sein.1158 Darüber hinaus sollen Lernnachweise chancengerecht und effizient sein.1159 Der Beurteilungsprozess schließlich muss transparent und für die Studierenden nachvollziehbar sein.1160 Wie bereits ausgeführt, lassen sich im Allgemeinen kognitive, affektive und psychomotorische Lernziele unterscheiden. Für die Überprüfung, inwiefern Lernziele erreicht wurden, spielt diese Unterscheidung naturgemäß eine wichtige Rolle. Die Überprüfung von Lernerfolgen konzentriert sich in der Praxis spiegelbildlich 1151 1152 1153 1154 1155 1156 1157
Vgl. Speth (2007), S. 432. Vgl. ibd., S. 433. Vgl. Moon (2002), S. 71 ff. et pass.; Pfäffli (2005), S. 256; Rohlfes (2005), S. 354 f. Vgl. Blömeke et al. (2007), S. 359, und die dort angegebene Literatur. Vgl. Moon (2002), S. 16. Vgl. ibd., S. 55. Vgl. Septh (2007), S. 457, 459. Das gilt prinzipiell auch für die Lernniveaus Transfer und Problemlösung. Der Schüler muss also gelernt haben, wie man bestehendes Wissen und Können auf andere Bereiche überträgt und auf welche Arten man Probleme grundsätzlich lösen kann. 1158 Vgl. für viele Pfäffli (2005), S. 244. 1159 Vgl. ibd., S. 245. 1160 Vgl. ibd., S. 243.
190
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
zu den Lehrzielen auf die kognitive Dimension.1161 Der kognitive Lernerfolg bemisst sich daran, wie gut der Studierende die Grundlagen und vor allem die Vorgehensweise des Fachs verstanden hat und anwenden kann. Analog zur Stufung von Lernzielen lassen sich auch bei der Lernerfolgskontrolle Leistungsstufen unterscheiden. Die bereits genannte Stufung des Deutschen Bildungsrats in Reproduzieren, Reorganisieren, Transferieren und Problemlösen ist auch für das Hochschulstudium geeignet. Reproduktion bezieht sich zunächst darauf, das Gelernte wiedergeben zu können. Hier steht die korrekte Wiedergabe von Begriffswissen im Vordergrund. Reorganisation bedeutet, dass das Gelernte auch mit anderen Materialien bearbeitet werden kann als denen, mit dem es in der Lehre erarbeitet wurde. Transfer ist dann erfolgreich geglückt, wenn bestehendes Wissen und Können auf einen neuen Bereich übertragen werden. Problemlösung schließlich fordert vom Prüfling, eine bislang unbekannte Problemstellung zu meistern. Er soll also in der Lage sein, zunächst die Fragestellung konkret zu benennen, dann eine geeignete Lösungsmethode auszuwählen und schließlich sie (zumindest im Ansatz) umzusetzen. Das systematische und methodische Vorgehen ist dabei wichtiger als das Ergebnis, zu dem der Prüfling gelangt. 3.3.5.2
Aufgabentypen
Bei der konkreten Ausgestaltung von Prüfungen lassen sich geschlossene, offene und halboffene Aufgaben unterscheiden.1162 Geschlossene Aufgabenstellungen geben dem Prüfling sehr genau vor, wie er die gestellte Frage zu beantworten hat. Meist werden auf vergleichsweise kurze Fragen auch präzise Antworten erwartet. Dementsprechend einfach sind sie zu bewerten. Für den Prüfling ist diese Aufgabenform eher stupide, da es in erster Linie um Repetition und Reorganisation, selten um höherwertige Lernzielniveaus geht. Häufig wird der Begriff des Tests für diese Aufgabenform verwendet. Erscheinungsformen sind hier Multiple-Choice-Aufgaben, Zuordnungsaufgaben, Lückentexte oder Korrekturaufgaben. Abgeprüft wird in erster Linie Begriffsund Fachwissen. Offene Aufgabenstellungen verlangen vom Prüfling, die Abarbeitung der Frage- bzw. Problemstellung eigenständig zu organisieren. Er hat selbst die Schwerpunktsetzung seiner Antworten festzulegen. Dementsprechend kann er 1161 Vgl. Speth (2007), S. 460. 1162 Vgl. Herbig (1976), S. 44 f.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
191
sich hier besser entfalten. Beispiele sind Aufsätze, Essays oder Interpretationen. Sie sind für den Prüfer vergleichsweise schwierig zu bewerten, da keine genauen Musterantworten vorliegen, sondern allenfalls ein Erwartungshorizont hinsichtlich der Problemerkenntnis und der anzusprechenden Punkte besteht. Da die Prüflinge die Aufgaben sehr unterschiedlich angehen, ist ein intersubjektiver Vergleich zwischen ihnen kaum möglich. Der Prüfer kann in der Regel auch hier nicht trennscharf zwischen „richtig“ und „falsch“ unterscheiden. Vergleichsweise sicher kann der Prüfer beurteilen, ob die Argumentation plausibel ist und Fachbegriffe richtig eingesetzt werden. Halboffene Aufgabenformen sind ebenfalls durch recht große Spielräume des Prüflings gekennzeichnet, allerdings setzen sie einen engeren Rahmen für die Art und Weise der Bearbeitung. Statistik- oder Karteninterpretationen sind hier exemplarisch zu nennen. 3.3.5.3
Prüfungsformen
Nachfolgend wird die Unterscheidung zwischen schriftlichen und mündlichen Lernerfolgskontrollen aufgegriffen. Schriftliche Prüfungen Bei schriftlichen Prüfungen kann danach unterschieden werden, wie umfangreich der Zeithorizont ist, den die Prüfung abdeckt. So ist es international anders als im deutschsprachigen Raum völlig üblich, dass die Studierenden während des Semesters regelmäßig, häufig sogar wöchentlich, assignments aufbekommen, die eingesammelt und bewertet werden. In der Befragung wurden solche Aufgaben von zehn Respondenten angesprochen. Am häufigsten wurden dabei Essays genannt, die die Studierenden auf Grundlage eines Lektüreauftrags verfassen sollen. Der Dozent stellt auf diese Weise nicht nur sicher, dass der aufgegebene Text gelesen wurde, sondern forciert zudem, dass sich der Studierende mit ihm ausführlich und kritisch auseinandersetzt. In welch vielfältigen Formen und Inhalten assignments auftreten können, zeigen die Einzelnennungen: Abgabe einer politischen Erklärung, Arbeitsplan zu einem Forschungsprojekt, Brief an einen Herausgeber, Formulierung einer wünschenswerten Zukunftsvision, Formulierung eines Szenarios, Interviewbericht, operativer Plan, Prozessmodell, Rechercheergebnisse, Replik auf Artikel in einer wissen-
192
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
schaftlichen Fachzeitschrift, Replik zu einem gegebenen Text, Leserbrief auf eine Kolumne in einer Tageszeitung, Strategieplan, Studienbericht, Szenarien in einem Erfahrungsfeld, Vorhersage in einem Erfahrungsfeld. Diese kleineren Prüfungen fließen häufig zumindest teilweise in die Gesamtnote für die Veranstaltung ein. Im Gegensatz zum assignment sind uns im deutschsprachigen Raum Hausoder Seminararbeiten vertrauter. Beide sind längere schriftliche Ausarbeitungen, wobei die Hausarbeit für sich allein bewertet wird, während die Seminararbeit noch mit einem Vortrag und anschließender Plenumsdiskussion verknüpft ist, die ebenfalls in die Bewertung einfließen. Mehr als die Hälfte der befragten Dozenten verwenden diese Art von Prüfung. Größtenteils handelt es sich dabei um Papiere, die nach der Veranstaltungsreihe verfasst und daher end term paper oder final paper genannt werden. Für mid term papers, die bereits während des Semesters geschrieben werden und auf die zudem noch end term papers folgen, gab es nur zwei Nennungen. Bei den Ausarbeitungen muss es sich nicht stets um rein theoretische Papiere handeln. So werden auch mehrfach Projektberichte, Essays und Fallstudien genannt. Ebenfalls den Charakter einer Semesterprüfung haben Klausuren, die insgesamt nur sehr selten von den befragten Dozenten eingesetzt werden. Klausuren werden in einem fest vorgegebenen Zeitfenster direkt in der Hochschule geschrieben. Zwar finden diese nicht zwingend hinter verschlossenen (lat. clausus) Türen statt, die Etymologie zeigt jedoch auf, dass der Dozent sicherstellen will, dass entweder keine oder nur bestimmte, gestattete Hilfsmittel vom Studierenden verwendet werden. Dies scheint aus Sicht der Zukunftsforschungsdozenten jedoch kein wesentlicher Aspekt zu sein, der sichergestellt werden soll. Den umfangreichsten Zeithorizont nehmen Abschlussprüfungen ein, die sich nicht nur auf ein Veranstaltungssemester, sondern auf das gesamte Studium erstrecken. Examensklausuren, die dieses Merkmal erfüllen, haben keine nennenswerte Bedeutung mehr. Im Rahmen der Umstellung auf das Bachelor-MasterSystem werden eher studienbegleitende Modulprüfungen abgenommen. Wichtiger ist in beiden Fällen die Bachelor- bzw. Masterthesis, mit der der Prüfling unter Beweis stellen soll, dass er in der Lage ist, ein Problem seines Fachs mithilfe erlernter wissenschaftlicher Methoden in einem vorgegebenen Zeitraum von meist drei bis sechs Monaten zu lösen. In acht Studiengangsportraits werden diese erwähnt, und es ist davon auszugehen, dass solche theses wohl weit überwiegend das Studium abschließen. Wie auch bei den assignments ist auch hier zu attestieren, dass es sich nicht immer um eine theoretische Abhandlung handeln muss – die Kandidaten können auch oft praktische Studienprojekte durchführen und in einem umfangreichen Bericht darstellen.
3.3 Komponenten didaktischer Konzeptionen
193
Mündliche Prüfungen Die Besonderheit mündlicher Prüfungen besteht darin, dass sie nicht zwangsläufig punktuell in Form einer dezidierten Kontrollsituation stattfinden müssen, sondern auch permanent während des Unterrichts vollzogen werden können. Letztere bezeichnet Speth als indirekte mündliche Erfolgskontrolle.1163 So kann letztlich jede Äußerung eines Lernenden als Gegenstand der Bewertung durch den Lehrenden betrachtet werden.1164 Viele der oben diskutierten methodischen Großformen, insbesondere die projektorientierten, haben konzeptionell den Charakter mündlicher Prüfungen.1165 So kann der Dozent in handlungsorientierter Weise das Zusammenwirken der Lernenden bei der Durchführung der Methode beobachten und bewerten. Insofern kommt mündlichen Prüfungen auch eine Bedeutung zur Bewertung sozialer Kompetenzen zu.1166 Deutlicher als Prüfungssituation ist der häufig anzutreffende Vortrag eines Gruppensprechers zu erkennen, in dem er das Ergebnis etwa einer Fallstudienbearbeitung im Plenum präsentiert.1167 Diese Form der mündlichen Prüfung wird von den Respondenten bevorzugt, wobei die Einzelpräsentation deutlich vor der Gruppenpräsentation rangiert. In jedem Fall muss der Prüfling unmittelbar auf die gestellte Frage antworten und hat so – anders als in der Klausur – auch weniger Reaktionszeit, um über einen Sachverhalt nachzudenken. So wie der sichere, wissenschaftliche Schreibstil in der Klausur ein Bewertungskriterium darstellt, fließt die Eloquenz des Prüflings in der mündlichen Prüfung in die Beurteilung mit ein. Der unmittelbare Dialog ermöglicht es dem Prüfer, flexibel das Prüfungsgespräch zu lenken.1168 Er kann auf Antworten aufbauen und tiefer in den Stoff eindringen. Er kann aber genauso gut das Thema wechseln, etwa wenn der Prüfling auf dem bisherigen Feld unsicher ist. 3.3.5.4
Lernerfolgskontrolle aus konstruktivistischer Sicht
Mit den klassischen Möglichkeiten der Lernerfolgskontrolle stehen die Konstruktivisten in aller Regel auf Kriegsfuß. Eine solche Haltung verwundert nicht, 1163 Vgl. Speth (2007), S. 479. 1164 Die mündliche Mitarbeit wird allerdings meist auf die bloße Beteiligung am Unterrichtsgespräch reduziert, was lediglich Aufschluss über Redefreudigkeit, weniger über fachliche Fähigkeiten gibt. 1165 Vgl. Moon (2002), S. 122; Speth (2007), S. 461. 1166 Vgl. Pfäffli (2005), S. 257. 1167 Vgl. ibd., S. 258. 1168 Vgl. Speth (2007), S. 480.
194
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
denn wenn Lehrziele abgelehnt werden, Wissen individuell aufgebaut wird und theoretische und empirische Aussagen dem Wahrheitsbeweis nicht zugänglich sind, schließt das ein Vorgehen aus, bei dem die Reproduktion vorher vermittelten, sicheren Wissens überprüft und mit richtig oder falsch bewertet wird.1169 Eigene ausgereifte Methoden liegen hierzu jedoch nicht vor.1170 Konstruktivisten empfehlen allgemein, statt des Lernergebnisses den Lernprozess zu evaluieren.1171 Dozent und Studierende können hierfür Zielvereinbarungen treffen, deren Erreichung anschließend überprüft wird.1172 Im Vordergrund stehen die Problemlösungs- und die Argumentationsfähigkeit, aber auch die Originalität, die während des Lernprozesses an den Tag gelegt wird.1173 Besonderes Potenzial wird in der Selbstevaluation durch die Lernenden gesehen.1174 In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung von Konstruktivisten zu sehen, dass die Studierenden ihren eigenen Lernprozess beobachten und auswerten.1175 Diese Metakognition soll gewährleisten, dass sie das Lernen (noch besser) lernen. Eine besondere Bedeutung kommt dabei Fehlern zu – getreu der allgemeinen Weisheit, aus Fehlern ließe sich am besten lernen.1176 Da die Lernerfolgskontrolle unmittelbar an das (Nicht-) Vorhandensein von Lehrzielen anschließt, ist die Kritik hier spiegelbildlich. Ohne zu wissen, was das Ergebnis von Lernen sein soll, können Lernergebnisse auch nicht überprüft werden: „The process of learning aims at some state of knowledge or ability, and must be evaluated [...] with reference to that state.“1177 Zwar ist es grundsätzlich sinnvoll, nicht allein auf eine Ergebniskontrolle, sondern auch auf eine begleitende Prozesskontrolle zu setzen, die nicht nur das Lernziel, sondern auch den Vorgang der Lernzielerreichung, mithin den Lernprozess, im Blick hat. Eine Substitution von letztgenannter durch erstgenannte Kontrolle ist nur unter Inkaufnahme der Gefahr fachlicher Inkompetenz möglich. Da – wie oben argumentiert – die Viabilitätsprüfung fachlichen Wissens und Könnens nicht in selbstkorrektiver Weise allein durch die Studierenden möglich ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass ein „richtiger“ Lernprozess zu „falschen“ Lernergebnissen führt. 1169 Vgl. von Glasersfeld (1987), S. 427; Jonassen (1992), S. 140; Hoops (1998), S. 245; Siebert (2005), S. 134. 1170 Vgl. Reinmann/Mandl (2006), S. 628. 1171 Vgl. Dubs (1995), S. 891; Reinmann/Mandl (2006), S. 628. 1172 Vgl. Reich (2008), S. 234. 1173 Vgl. Jonassen (1992), S. 141. 1174 Vgl. ibd., S. 145; Dubs (1995), S. 891; Siebert (2005), S. 134; Reinmann/Mandl 2006), S. 628. 1175 Vgl. Siebert (2005), S. 34. 1176 Vgl. Dubs (1995), S. 890. 1177 Gregory (2002), S. 401.
3.4 Didaktische Reflexionskriterien 3.4
195
Didaktische Reflexionskriterien
Gerade weil die Pädagogik im Allgemeinen und die (Fach-) Didaktik im Besonderen normative Wissenschaften sind, sind sie auf die Fundierung ihrer Entscheidungen angewiesen.1178 Eine solche Absicherung didaktischer Entscheidungen hat in Deutschland eine längere Tradition.1179 Auch wenn dieses Denken in der Hochschuldidaktik hier bislang kaum Bedeutung erlangt hat,1180 ist eine Reflexion der in Kap. 4 empirisch vorgefundenen Ausgestaltung der Hochschullehre der Zukunftsforschung, mithin eine Konfrontation mit übergeordneten pädagogischen Leitvorstellungen, erforderlich. Denn es ist keineswegs gesichert, dass der aktuelle Status quo bereits ideale Lehre darstellt. Wer ein solches Vorhaben angeht, muss sich darüber im Klaren sein, dass die Absicherungskriterien selbst nur bedingt absicherbar sind, also letztlich axiomatischen Charakter haben. Die Kriterien beruhen nämlich auf Werten,1181 also auf „übereinstimmende[n] Vorstellungen dazu, was anstrebenswert und achtenswert ist“1182, die ihrerseits keinem Richtigkeitsbeweis zugänglich sind. Da das Erziehungs- und Bildungswesen ein Teil der Gesellschaft ist, orientieren sich pädagogische Werte zwangsläufig an gesellschaftlich konsensfähigen Werten.1183 Gerade dies jedoch ist in doppelter Hinsicht problematisch: Denn zum einen wird allseits ein Wertewandel attestiert,1184 sodass Werte immer nur ein Spiegel der Zeit sind. Zum anderen ist in unserer pluralistischen Zeit von einer Wertekonkurrenz auszugehen.1185 Letztlich basieren didaktische Bestimmungskriterien also auf Werten, die vielleicht nicht von jederman aktiv mitgetragen werden, gegen die – in Analogie zu Poppers Falsifikationsthese – jedoch niemand ernsthafte Einwände erheben kann. 1178 1179 1180 1181 1182 1183 1184
Vgl. Brand (2006), S. 73; Scherr (2006), S. 187. Vgl. Kiper/Mischke (2006), S. 30. Vgl. Brand (2006), S. 73, m. w. V. Ähnlich auch König (1991), S. 219 ff.; Schilling (1995), S. 125 ff.; Gudjons (2003), S. 191 f. Scherr (2006), S. 187. Vgl. ibd., S. 189. Vgl. Klages (1992); Inglehart (1998) sowie weitere Publikationen dieser beiden Autoren. In der Literatur wird dabei zwar seit den 1960er-Jahren der Trend weg von Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten wie Emanzipation, Autonomie, Selbstverwirklichung, Selbststeuerung und Kritikfähigkeit festgestellt. Einige Protagonisten interpretieren den Wertewandel als Werteverfall, vgl. etwa Heitmeyer (1997), S. 10; Lay/Posé (2006), S. 49. Andere sehen anstelle eines Wertewandels eher einen Tugendwandel (wobei Tugenden als Mittel gesehen werden, mit denen man sich der Werte versichert), vgl. von Hentig (1993), S. 133 ff. 1185 Vgl. Scherr (2006), S. 189. Der Psychologe Schwartz (1992); id. (2005) et pass. will zwar grundlegende menschliche Werte (Self-Direction, Stimulation, Hedonism, Achievement, Power, Security, Conformity, Tradition, Benevolence, Universalism) identifiziert haben, die universell über Zeitabschnitte und Landesgrenzen hinweg gelten. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um gesellschaftliche, sondern um individuelle Werte.
196
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
In der Literatur finden sich zahlreiche Vorschläge für didaktische Bestimmungskriterien, die sich zusammenfassend in drei Prinzipien gliedern lassen, die die Anforderungen der Wissenschaft, des Studierenden und der (aktuellen und zukünftigen) Situation repräsentieren.1186 Auf diese wird in den nachfolgenden Unterkapiteln näher eingegangen.
Beruf Wissenschaft
Studierender Gesellschaft
Wissenschaftsprinzip
Abb. 2:
Persönlichkeitsprinzip
Situationsprinzip
Reflexionskriterien für didaktische Entscheidungen. Quelle: eigene Darstellung.
Die drei Anforderungsfelder stehen nicht unverbunden nebeneinander:1187 Der Studierende steht zwischen der Wissenschaft als Quelle der Erkenntnisse, die ihn bilden sollen, und der Situation, in die er das Gelernte einbringen können soll. Auch wenn die drei Prinzipien miteinander zusammenhängen, sind sie in didaktischen Konzepten unterschiedlich stark gewichtet.1188 1186 Vgl. – auch für die folgenden Ausführungen – Robinsohn (1967); Tyler (1973); Reetz (1984) et al. Bei Neumann (1983), S. 60 et pass., wird das Situationsfeld noch in berufliche und gesellschaftliche Anforderungen unterteilt. 1187 Vgl. Reetz (1984), S. 106 f. 1188 Vgl. Zwyssig (2001), S. 66, 78.
3.4 Didaktische Reflexionskriterien
197
Der Gedanke vom individualistischen und gesellschaftsfähigen Menschen,1189 der sich im Medium der Wissenschaft bildet,1190 geht auf den Neuhumanismus und hier auf Autoren wie Herder, Humboldt, Schiller und Schleiermacher zurück.1191 Auch die Magna Charta Universitatum versteht die Universität als Treuhänder des europäischen Humanismus.1192 Diese Untrennbarkeit vorausgeschickt, sollen die drei Prinzipien der didaktischen Begründung nachfolgend im Einzelnen näher beleuchtet werden. 3.4.1
Wissenschaftsprinzip
Das Wissenschaftsprinzip soll gewährleisten, dass sich didaktische Entscheidungen an der Fachwissenschaft orientieren. Wissenschaft ist ein Erkenntnisprozess,1193 der nach Wahrheit strebt1194 und damit eine Methode zum Erschließen von Wirklichkeit (Situation) ist.1195 In konstruktivistischer Perspektive wird dieses Wahrheitsstreben freilich durch ein Viabilitätsstreben abgelöst.1196 Es liegt auf der Hand, dass dem Wissenschaftsprinzip an der Hochschule, also jenem Ort, an dem Wissenschaft betrieben wird, eo ipso ein größerer Stellenwert zukommt, als dies für andere Stufendidaktiken der Fall ist. Es ist nämlich nicht nur richtig, dass Schulfächer keine verkleinerten oder simplifizierten Fachwissenschaften sind,1197 sondern es gilt auch umgekehrt, dass das Hochschulstudium kein aufgewertetes Schulfach ist. Dies drückt sich insbesondere in der engen Kopplung von Forschung und Lehre aus,1198 die es unterhalb der Hochschule nicht oder zumindest nicht in diesem Ausmaß gibt. Das Fach, das an der Universität gelehrt wird, ist eben nicht nur Bezugswissenschaft im fachdidaktischen Sinne, sondern es ist die Fachwissenschaft selbst. Mit anderen Worten: Das Hochschulstudium nimmt nicht nur auf die Wissenschaft Bezug, es ist die 1189 Auch § 1 Kinder- und Jugendhilfegesetz deklariert die „eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeit“ zum obersten Bildungsziel, womit zum einen das Persönlichkeits-, zum anderen das Situationsprinzip angesprochen wird. 1190 Vgl. Schmidkunz (1925), S. 500. 1191 Vgl. Zillober (1984), S. 108. 1192 Vgl. Magna Charta Observatory of Fundamental University Values and Rights (1988), Fundamental principles, Nr. 4. 1193 Vgl. Diesterweg (1959), S. 213; Jaspers/Rossmann (1961), S. 1 f. 1194 Vgl. für viele Horkheimer (1953), S. 21; Humboldt (1956), S. 384; Jaspers/Rossmann (1961), S. 1; Schwarz (1962), S. 198. 1195 Vgl. Speth (2007), S. 486. 1196 Vgl. Siebert (1999), S. 49. 1197 Vgl. Timmerhaus (2001), S. 185 f. 1198 Ähnlich auch Schmidt/Tippelt (2005), S. 104.
198
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
Auseinandersetzung mit der Wissenschaft. Das Problem einer Abbilddidaktik ist hier also deutlich geringer ausgeprägt. Die Studierenden sollen dem Wissenschaftsprinzip zufolge mit den Inhalten, mit der Struktur und mit der Denkweise der Wissenschaft vertraut gemacht werden.1199 Deshalb stellt die Wissenschaft den Ausgangspunkt für die Bestimmung der Hochschuldidaktik dar.1200 Es dürfen nur Bildungsinhalte ausgewählt werden, die wissenschaftlich abgesichert sind1201 und dem aktuellen Erkenntnisstand entsprechen.1202 In sozialkonstruktivistischer Perspektive ist damit das von der jeweiligen scientific community ausgehandelte Wissen gemeint, das natürlich jederzeit revidierbar ist. Darüber hinaus soll die Ordnungsstruktur der Wissenschaft als Richtschnur für die Stoffanordnung dienen.1203 Insbesondere können die in der Fachwissenschaft verwendeten Klassifikationen, Modelle und Theorien auch als didaktische Bausteine betrachtet werden, mit deren Hilfe systematisches Denken eingeübt und formale Bildung erlangt werden können.1204 3.4.2
Persönlichkeitsprinzip
Mithilfe des Persönlichkeitsprinzips wird auf den Studierenden fokussiert. Die didaktischen Grundentscheidungen sollen sich im Einzelnen an den individuellen Bedürfnissen der Lernenden, an ihrer Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung sowie am zu erreichenden Bildungsideal orientieren.1205 Die Ausrichtung am Lernenden kann somit – auch wenn dies in der Literatur in dieser Klarheit nicht immer ausgesprochen wird – in einer Ist- und SollDimension erfasst werden: Sie geht von den bei den Lernenden aktuell vorhandenen Lernbedingungen aus und strebt ein vorher definiertes Ausbildungs- und Bildungsziel an. Beim Soll kann zwischen den Zielvorstellungen des Bildungssystems und des Studierenden unterschieden werden. Die Hochschuldidaktik hat somit zunächst die Vorbildung der Studierenden, die im Regelfall durch die Hochschulreife dokumentiert ist, zu berücksichtigen. Klafki fordert insoweit als eine Art Grundvoraussetzung für die darauf aufbauende Lehre die Zugänglichkeit des Lernstoffs, also die gute Erschließbarkeit des 1199 1200 1201 1202 1203
Vgl. Zwyssig (2001), S. 91. Vgl. ibd., S. 59, 83. Vgl. Reetz (1984), S. 79. Vgl. Pfäffli (2005), S. 153. Vgl. Klafki (1964), S. 17; Speth (2007), S. 486. Zur Sequenzierung als Teilaufgabe innerhalb des Entscheidungsfeldes Lehrinhalte vgl. genauer Kap. 3.3.2.3. 1204 Vgl. Speth (2007), S. 485, 487. 1205 Vgl. Reetz (1984), S. 93 ff.; Zillober (1984), S. 21; Zwyssig (2001), S. 91, 96; Speth (2007), S. 488.
3.4 Didaktische Reflexionskriterien
199
Inhalts für den Lernenden.1206 Unter dem Stichwort der Lernökonomie verlangt Speth, dass der Lernstoff sowohl quantitativ als auch qualitativ so angemessen sein muss, dass er in der gegebenen knappen Zeit lehr- und lernbar ist.1207 Um dies zu erreichen, ist ein enzyklopädisches Vorgehen wenig hilfreich. Sinnvoller erscheint das Prinzip der Exemplarität, mit dem die Eignung eines ausgewählten Inhalts bezeichnet wird, einen umfassenderen Sachverhalt zu verdeutlichen.1208 Auf der Sollebene steht aus der Perspektive des Persönlichkeitsprinzips die zweckfreie Persönlichkeitsbildung im Vordergrund. Die Trennung von Allgemeinbildung und Berufsbildung entspricht in diesem Sinne der Trennung von Mensch und Bürger. Das Ziel des guten Bürgers wird im Situationsprinzip verfolgt; hier geht es vielmehr um den guten Menschen an sich. Der Studierende soll sich zu einem mündigen Individuum bilden,1209 also in der Lage sein, seinen Verstand ohne Leitung eines anderen zu gebrauchen.1210 Er soll sich emanzipieren1211 und im Ergebnis geistig autonom sein.1212 Er soll in der Lage sein, selbstständig und kritisch zu denken,1213 was Framheim als „kritisch-autonome Intellektualität“1214 bezeichnet. Diese Mündigkeit ist die Voraussetzung für eigenverantwortliches1215, selbstbestimmtes1216 und kompetentes1217 Handeln innerhalb der Gesellschaft. 3.4.3
Situationsprinzip
Das Situationsprinzip soll sicherstellen, dass sich didaktische Entscheidungen auch an den aktuellen1218 und zukünftigen1219 Anforderungen der realen Welt 1206 1207 1208 1209 1210 1211 1212 1213 1214 1215 1216 1217 1218
1219
Vgl. Klafki (1964), S. 20. Vgl. Speth (2007), S. 132. Vgl. Klafki (1964), S. 15; Speth (2007), S. 129 ff. Vgl. Giesecke (2004), S. 96 ff.; Dörpinghaus et al. (2008), S. 54 ff. Vgl. Kant (1784), S. 481. Vgl. Giesecke (2004), S. 96 ff. Framhein (1975), S. 155, spricht insofern vom „emanzipatorischen Bildungsauftrag“ der Hochschule. Vgl. Horkheimer (1953), S. 21, der neben der inneren Freiheit auch von Mut spricht; Schulz (1981), S. 35 ff., 90 et pass.; Dörpinghaus et al. (2008), S. 54 ff. Vgl. Diesterweg (1959), S. 200; Wissenschaftsrat (1966), S. 14. Vgl. Framhein (1975), S. 164. Vgl. Jaspers/Rossmann (1961), S. 1 f.; von Hentig (2007), S. 94. Vgl. Klafki (1985), S. 52, 199 f.; id. (1986), S. 461. Vgl. Schulz (1981), S. 35 ff., 90 et pass.; Speth (2007), S. 488. Vgl. Klafki (1964), S. 16. Eng verwandt, aber nicht zu verwechseln mit der Gegenwartsorientierung ist in diesem Zusammenhang das Prinzip der Aktualität, vgl. Speth (2007), S. 133. Während sich Erstgenannte auf den Verwendungszusammenhang bezieht, betont die Aktualität, dass das zu Lernende dem derzeitigen Wissens- bzw. Forschungsstand entspricht. Vgl. Klafki (1964), S. 17.
200
3. Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Didaktik
bzw. des praktischen Lebens1220 orientieren. Diese Überlegung kommt insbesondere bei Robinsohn zum Ausdruck, der die Inhaltsauswahl insbesondere von der Funktion des Gegenstandes in spezifischen Verwendungssituationen des privaten und öffentlichen Lebens abhängig machen möchte.1221 Das Ziel, Kompetenzen für die Lebensbewältigung in variierenden Anwendungssituationen zu erlangen, ist auch nach dem Literacy-Ansatz des PISA-Konsortiums das dominierende Ziel.1222 Der umfassende Begriff der realen Welt kann unterschiedlich konkretisiert werden. Im Vordergrund steht dabei in der Regel die Gesellschaft.1223 Das Individuum hat demnach das Recht und die Pflicht zur Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung, was sich in Begriffen wie Mitbestimmung1224 oder Partizipation1225 ausdrückt. Dem sollen jedoch gerade nicht nur individualistische Motive zugrunde liegen, sondern eine vernunftgeleitete Bereitschaft und Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme für das gesellschaftliche Gemeinwohl.1226 Dies wird gewährleistet durch eine Haltung der Humanität1227 bzw. der Solidarität.1228 Eine weitere Zuspitzung findet statt, wenn die Anforderungen des Berufs als didaktische Determinante betrachtet werden. So zeigt sich bei Tyler, dass das Situationsprinzip unter dem Stichwort „Gesellschaft“ hauptsächlich durch die Berufsqualifikation der Lernenden operationalisiert wird.1229 Der Deutsche Bildungsrat betrachtet den Beruf neben der Gesellschaft sogar als separaten Bestimmungsfaktor.1230 Dem liegt der Gedankengang zugrunde, dass das jederzeitige Funktionieren unserer Gesellschaft auf der Arbeitsteilung basiert, aus der heraus sich Berufe differenziert haben. Der künftige Berufsträger muss so qualifiziert werden, dass er die an den Beruf gestellten Anforderungen dauerhaft erfüllen kann.1231 1220 1221 1222 1223 1224 1225 1226 1227
1228 1229 1230 1231
Vgl. Humboldt (1956), S. 384. Vgl. Robinsohn (1969), S. 47. Vgl. Deutsches PISA-Konsortium (2001), S. 16, 19. Vgl. Horkheimer (1953), S. 20 f.; Humboldt (1956), S. 384. Vgl. Klafki (1985), S. 52, 199 f.; id. (1986), S. 461. Vgl. Giesecke (2004), S. 96 ff. Vgl. Siebert (1999), S. 49; von Hentig (2007), S. 94. Vgl. Horkheimer (1953), S. 21; Siebert (1999), S. 49. Von Hentig (2007), S. 74, spricht in doppelter Negation von „Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeit“, da es für ihn keinen sicheren Maßstab für Menschlichkeit – außer in der Verneinung von Unmenschlichkeit – gibt, vgl. ibd., S. 75. Siebert (1999), S. 49, stellt besonders das Gerechtigkeitsempfinden heraus. Auf die Formulierung des § 1 Kinder- und Jugendhilfegesetz wurde bereits oben hingewiesen. Vgl. Schulz (1981), S. 35 ff., 90 et pass.; Klafki (1985), S. 52, 199 f.; id. (1986), S. 461. Vgl. Tyler (1973). Vgl. Deutscher Bildungsrat (1973). Vgl. Schmidkunz (1925), S. 499; Blankertz (1975), S. 9; Zillober (1984), S. 20; Zwyssig (2001), S. 97, 148; Pfäffli (2005), S. 103.
3.4 Didaktische Reflexionskriterien
201
Zunehmende Bedeutung kommt auch der natürlichen Umwelt als Sphäre des Situationsprinzips zu. Denn die Umwelt des Individuums besteht neben der gesellschaftlichen und der von der Gesellschaft erzeugten, künstlichen Umwelt, auch aus ihr. Das florierende Feld der Bildung für nachhaltige Entwicklung,1232 die sich aus der Umwelterziehung heraus entwickelt hat,1233 bringt dies pointiert zum Ausdruck. Insofern verwundert es nicht, dass auch eine Orientierung am Prinzip der Nachhaltigkeit als didaktischem Bestimmungsfaktor gefordert wird.1234
1232 Vgl. etwa de Haan (1999a); de Haan/Harenberg (2001); de Haan (2003); Fischer/Seeber (2007). 1233 Vgl. de Haan (1998); id. (1999b). Es kann im Übrigen auch als Verdienst der Zukunftsforschung bezeichnet werden, dass das gesellschaftliche Bewusstsein für Umweltveränderungen geschärft wurde, vgl. Amara (1984), S. 402. 1234 Vgl. etwa Siebert (1999), S. 49.
II.
Empirischer Teil
4.
Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
4.1
Didaktik und empirische Forschung
Die Allgemeine Didaktik mit ihrer geisteswissenschaftlichen und dezidiert nichtempirischen1235 Prägung und ihrem auf den deutschsprachigen Raum konzentrierten Wirkungskreis auf der einen und die empirische Bildungs- und Unterrichts- bzw. Lehr-Lern-Forschung mit ihrer internationalen Tradition in der pädagogischen Psychologie auf der anderen Seite sind zwei weitgehend voneinander isolierte Zugänge zu denselben praktisch relevanten Fragen.1236 Terhart spricht in diesem Sinne zu Recht von zwei fremden Schwestern.1237 Die Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern dauerten bis in die 1980er-Jahre hinein: Die Empiriker kritisierten an den Geisteswissenschaftlern, sie ignorierten Faktenwissen und ersetzten es durch Meinungen und fromme Wünsche, was wenig mit wissenschaftlicher Arbeit zu tun hätte, während umgekehrt die Geisteswissenschaftler an den Empirikern bemängelten, diese produzierten in kleinen und mitunter belanglosen Detailfragen riesige Datenberge, ohne diese eingehend zu interpretieren und in einen größeren Sinnzusammenhang zu stellen.1238 Auch wenn sich die Didaktik selbst nicht vornehmlich als empirische Wissenschaft versteht, bewegt sie sich natürlich nicht in einem erfahrungswissenschaftlichen Vakuum und ist per se auch nicht empiriefeindlich gesinnt.1239 Vielmehr sind die zahlreichen didaktischen Erkenntnisse, die sich auch heute noch in der Lehrpraxis größter Beliebtheit erfreuen, letztlich als Ergebnis jahrhundertelanger pädagogischer Erfahrung aufzufassen, auch wenn sie nicht auf systematischmethodische Art und Weise, also nicht durch qualitative und schon gar nicht durch quantitative Forschungsmethoden, zustande gekommen sind.
1235 Vgl. Gruschka (2004), S. 27; Blömeke et al. (2007), S. 355 f. et pass.; Reusser (2008), S. 220 et pass. 1236 Vgl. Reusser (2008), S. 220 f. Zur Unterscheidung dieser beiden Lager vgl. auch Terhart (1999), S. 629; id. (2003), S. 25. 1237 Vgl. Terhart (2002), S. 77. 1238 Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 139. 1239 Vgl. Reusser (2008), S. 221, 230, m. w. V.
V. Tiberius, Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung, DOI 10.1007/978-3-531-92869-2_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
206
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Die Forderung, die pädagogische Forschung nicht nur hermeneutisch, man könnte fast sagen: hermetisch, zu betreiben, sondern stärker auch an der Unterrichtsrealität auzurichten, wurde von Roth bereits während der Blütezeit der geisteswissenschaftlichen Didaktik erhoben.1240 Einige Didaktikmodelle, so etwa die lerntheoretische Schule um Heimann, Otto und Schulz, sind von ihrer Programmatik her analytisch angelegt, ihre empirische Unterlegung wurde jedoch nicht eingelöst.1241 Beklagt wird insoweit auf breiter Basis, dass die Didaktik zu wenig empirische Erkenntnisse aufnehme sowie ihre Aussagen zu wenig einer empirischen Überprüfung zuführe.1242 Die Kritik an der Empiriearmut der Didaktik ließe sich aus Sicht der reinen Empiriker auf die Frage hin zuspitzen, ob die Pädagogik nicht auch gänzlich auf die Didaktik verzichten könnte. Also statt „Didaktik ohne Empirie“ lieber „Empirie ohne Didaktik“? Gegen diese Überlegung spricht die derzeitige Zersplitterung der empirischen Forschung, die dazu neigt, vergleichsweise kleine Einzelaspekte des Lehr- und Lerngeschehens isoliert voneinander zu analysieren, jedoch in keinen größeren Zusammenhang zu bringen. Genau einen solchen Referenzrahmen bietet jedoch die Allgemeine Didaktik,1243 und zwar in Form didaktischer Modelle, die vom einfachen didaktischen Dreieck (Lehrer – Schüler – Unterrichtsgegenstand) bis zu kybernetischen Regelkreisläufen1244 reichen können. Die Didaktik kann durch ihre Modelle dazu beitragen, dass empirische Erkenntnisse nicht unverbunden im luftleeren Raum schweben, sondern jeweils dort eingeordnet werden, wo sie hingehören. Für den Lehrer sind solche Gliederungsschemata für die Unterrichtspraxis „lebensnotwendig“, da er ansonsten im Dschungel von Einzelerkenntnissen die Orientierung verlöre. Darüber hinaus hat die empirische Forschung bislang noch nicht den Übergang hin zu fächerspezifischen Analysen vollzogen. Haben die Didaktiker inzwischen akzeptiert, dass es neben generellen Aussagen zum Lehren und Lernen an sich auch fachdidaktische Aspekte gibt, die sich im Mathematikunterricht anders darstellen als in der Englischklasse,1245 verweilt die empirische Unterrichtsforschung noch weitgehend auf der allgemeinen Ebene.1246 Es ist insofern keineswegs zwingend, beide Lager, Didaktik und Empirie, als Opponenten zu betrachten und sich als Wissenschaftler zwingend einer Partei exklusiv verpflichtet zu fühlen. Statt eines Entweder-oders sollte man sich also 1240 1241 1242 1243 1244 1245 1246
Vgl. Roth (1962). Vgl. Jank/Meyer (2003), S. 272. Vgl. Gruschka (2004), S. 27; Kiper/Mischke (2006), S. 30; Reusser (2008), S. 220. Vgl. Reusser (2008), S. 223. Zur kybernetischen Didaktik vgl. etwa von Cube (1982), id. (1999). Zur Fachdidaktik vgl. Kap. 3.1.2. Vgl. Klieme/Rakoczy (2008), S. 222 et pass.; Reusser (2008), S. 223.
4.2 Das qualitative Forschungsparadigma
207
besser mit einem Sowohl-als-auch arrangieren. Ein stärkeres Zusammenwirken zwischen Didaktik und empirischer Bildungs- und Unterrichtsforschung wird immer wieder gefordert1247 und auch festgestellt.1248 Blömeke et al. sprechen sich zusammenfassend für eine stärkere Integration normativer, theoretischer und empirischer Aspekte aus.1249 Wenn die empirische Fundierung der hier angestellten didaktischen Überlegungen zur Zukunftsforschung angestrebt wird, ist allerdings nochmals zu betonen, dass die vorliegende Arbeit sich aufgrund des aktuellen Erkenntnisstandes auf die Makroebene konzentriert, während sich die empirische Unterrichts- bzw. LehrLern-Forschung eher ausschließlich lehrmethodischen und unterrichtsmedialen Aspekten auf der Mikroebene widmet. Diese momentan in der Literatur geforderte Schnittstelle zwischen Didaktik und Empirie kann somit nur teilweise fruchtbar gemacht werden. Allerdings ist damit keineswegs gesagt, dass eine empirische Stützung aufgegeben werden sollte. Anders als die Allgemeine Didaktik, bei der die Diskussion um das Zusammenspiel zwischen normativen Vorstellungen und empirischer Forschung noch nicht abgeschlossen ist, versteht sich die vergleichsweise junge Hochschuldidaktik, die damit weniger historisch gewachsene pädagogische Vorstellungen mitbringt, immerhin heute bereits überwiegend als empirische Realwissenschaft,1250 weshalb die Empirie als zweite wichtige induktive Quelle der Didaktikbestimmung für die hiesigen Zwecke herangezogen wird. 4.2
Das qualitative Forschungsparadigma
4.2.1
Einordnung und Abgrenzung zur quantitativen Forschung
Die qualitative Forschungsmethodik hat in den letzten zwanzig Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen.1251 Während sich quantitative Methoden auf die statistische Analyse numerischen Datenmaterials konzentrieren, setzen sich qualitative Methoden – hauptsächlich, aber nicht ausschließlich – mit der Interpretation nichtnumerischen, vornehmlich verbalen, aber auch grafischen Materials auseinander.1252 1247 Vgl. Blömeke et al. (2007), S. 355 f.; Klieme/Rakoczy (2008), S. 223 et pass.; Reusser (2008), S. 220 et pass. 1248 Vgl. etwa Terhart (1999), S. 629; id. (2003), S. 25 f. 1249 Vgl. Blömeke et al. (2007), S. 356, 363. 1250 Vgl. Zillober (1984), S. 11. 1251 Vgl. Flick (1999), S. 9. 1252 Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 296, 298.
208
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Die qualitative Forschung ist als Reaktion auf die Kritik an quantitativen Forschungsdesigns im Rahmen des sogenannten Methodenstreits populär geworden.1253 Das Hauptargument für eine eigene, eben qualitative Forschung ist, dass eine Sozialwissenschaft nach Weber „eine Wissenschaft [ist], welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“1254 Auch der bereits oben bemühte Dilthey hatte die methodische Grenze gezogen, indem er sagte, die Natur müsse erklärt, das Seelenleben müsse dagegen verstanden werden. Da Sachverhalte in der sozialen Wirklichkeit sinnkonstituierend und selbstreflexiv sind, müssen diese Sinnkonstruktionen auf adäquate Weise methodisch erfasst werden.1255 Zahlreiche Aspekte der sozialen Wirklichkeit werden durch standardisierte Massenbefragung ausgeblendet, was zulasten von Tiefe und Breite der Studien geht.1256 Die positivistisch geforderte Objektivität des Forschers ist in sozialen Situationen in der Regel nicht einzulösen, da er immer in Kontakt mit Gesellschaft und Geschichte steht. Gerade im Hinblick auf ihre Haltung zur Wirklichkeit unterscheiden sich die beiden Methodenzweige erheblich: Während quantitative Methoden von einer weitgehend konstanten, objektiven Wirklichkeit ausgehen, arbeitet die qualitative Forschung mit einer immer wieder aufs Neue sozial-kommunikativ konstruierten und damit subjektiven Wirklichkeit.1257 Vorwürfe gegen das qualitative Forschungsparadigma, Methoden wie die Hermeneutik seien zu subjektiv und damit unwissenschaftlich, können durch neuere, elaborierte Methoden abgewiesen werden, insbesondere dann, wenn sie sich einer ausgeprägten Explikation bedienen, die die intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses erleichtert. Gleichwohl kann es insgesamt nicht darum gehen, qualitative und quantitative Methoden grundsätzlich gegeneinander auszuspielen.1258 Vielmehr sind beide mit Vor- und Nachteilen ausgestattet, die ihre Anwendung je nach Erkenntnisinteresse und Eigenart des Untersuchungsobjekts sinnvoll machen. Die zentralen Merkmale des qualitativen Forschungsparadigmas sind:1259 1. Ziel ist die explorative Erfassung des Untersuchungsobjekts mit dem Finalziel, induktiv realitätsnahe Theorien zu entwickeln. 1253 Vgl. Witzel (1989), S. 227; id. (1996), S. 51; Lamnek (2005), S. 4, 6 ff., m. w. V.; Bortz/Döring (2006), S. 302. 1254 Weber (1984), S. 1. 1255 Vgl. Witzel (1989), S. 227. 1256 Vgl. id. (1996), S. 51. 1257 Vgl. von Saldern (1995), S. 352. 1258 Ähnlich auch Bortz/Döring (2006), S. 296. 1259 Vgl. Witzel (1989), S. 227 ff.; Lamnek (2005), S. 3 f., 20 ff., 242 ff.; Bortz/Döring (2006), S. 297.
4.2 Das qualitative Forschungsparadigma
2.
3.
4.
5.
209
Wie bereits in der Einleitung ausgeführt, befindet sich der Erkenntnisstand zum hier thematisierten Forschungsziel auf einem explorativen Niveau. Weiterhin wurde dargestellt, dass sich für die Didaktikbestimmung grundsätzlich ein induktives Vorgehen eignet, sodass beides für ein qualitatives Forschungsdesign spricht. Es liegt oft (aber nicht zwangsläufig) eine kleine Zahl von Untersuchungsobjekten vor (Stichprobe). Im Extremfall, der Einzelfallstudie, wird etwa nur eine Unternehmung, eine Abteilung oder eine Biografie untersucht. Dafür nimmt die Untersuchung an Breite und Tiefe zu und geht holistisch und historisch vor. Im hiesigen Fall ist sowohl die Zahl von zukunftswissenschaftlichen Studiengängen als auch von an Hochschulen lehrenden Zukunftsforschern sehr überschaubar, sodass eine großzahlige Erhebung von vornherein de facto ausgeschlossen ist. Eine damit einhergehende zunehmende Vertiefungsmöglichkeit ist ein angenehmer Nebeneffekt, der es ermöglicht, auch etwa nebensächlich erwähnte Aspekte der Lehre im Fach Zukunftsforschung zu erfassen. Die Datenerhebung setzt stark auf eine offene, wenig standardisierte Kommunikation, die nah am Menschen ist („Feld statt Labor“). Der Forscher versteht sich selbst als Teil des Forschungsprozesses. Durch eine nicht standardisierte Kommunikation schafft sich der Forscher die Chance, auch Antworten zu erhalten, die er nicht bereits vorausgedacht hat. Die auf diese Weise erlangten Erkenntnisse mögen zwar nebensächlich erwähnt sein, ihr Gehalt kann jedoch bedeutend sein. Es werden weniger quantifizierbare (metrische) Messgrößen und vornehmlich qualitative Sachverhalte erfasst. Wie bereits erwähnt, schließen qualitative Methoden quantitatives Datenmaterial nicht grundsätzlich aus.1260 Im hier vorliegenden Fall liegt auf der Hand, dass Lehrziele, -inhalte, -methoden, -medien und Maßnahmen der Lernerfolgskontrolle qualitative Größen sind, sodass sich eine qualitative Erhebung anbietet. Die Auswertung erfolgt weniger durch statistische Analysen, sondern eher durch Interpretation und Bedeutungszuweisung, durch die Sinn konstruiert wird. Gleichwohl ist es der qualitativen Forschung keineswegs verboten, etwa synonyme verbale Äußerungen zu zählen und diese Häufigkeiten zu interpretieren.1261 Eine statistische Auswertung bietet
1260 Einige qualitative Forschungsmethoden erfassen ausdrücklich auch quantitatives Datenmaterial, vgl. Lamnek (2005), S. 3 f. 1261 Vgl. Lamnek (2005), S. 4.
210
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
sich häufig nicht an, weil die Zahl der Untersuchungsobjekte zu klein ist (s. o.). Insbesondere einfache Verfahren wie Auszählungen, Prozentuierungen oder Typenbildungen sind auch in der qualitativen Forschung üblich. In den hier durchgeführten Studien werden auch Häufigkeiten ausgezählt, um Rückschlüsse über die Wichtigkeit bestimmter didaktischer Sachverhalte zu erhalten. Wenn etwa bestimmte Lehrinhalte besonders häufig genannt werden, spricht dies dafür, dass über sie ein bestimmter Konsens besteht. Viele Aspekte, insbesondere subjektive Einschätzungen einzelner Zukunftsforscher, bieten sich jedoch nicht für eine Quantifizierung an. Der Kanon qualitativer Einzelmethoden umfasst zahlreiche Ausdifferenzierungen von Interviews, (teilnehmenden) Beobachtungen, Inhaltsanalysen, qualitativen Experimenten etc.1262 Die Methoden werden häufig im Sinne einer Methodentriangulation oder mit Fortschreiten der Erkenntnislage miteinander verbunden. Ein besonderer Vorzug von qualitativen Designs ist deren Flexibilität. Während quantitative Verfahren weitgehend genormt sind, können qualitative Methoden situationsadäquat gestaltet oder angepasst werden. Legitim ist dies, weil die Methoden dezidiert nicht als instrumentenorientiert, sondern als gegenstandsorientiert zu betrachten sind.1263 Im Wechselspiel zwischen Erfahrungsobjekt und Methode ist also Ersterem das Primat einzuräumen, und die Methode hat sich an den Gegenstand anzupassen, nicht etwa umgekehrt.1264 In diesem Sinne ist das hier verfolgte Vorgehen zu verstehen, indem es die Freiheit zur Modifikation im Sinne des Erkenntnisziels nutzt. 4.2.2
Theoriebildung in der qualitativen Forschung
Auf qualitative Weise gewonnene Theorien haben vor allem heuristischen Wert. Sie liefern plausible Theorien und damit Hilfsmittel für die Praxis, wenn die Überprüfbarkeit eines umfassenden Modells ad hoc nicht möglich ist. Der qualitativ arbeitende Forscher will durch Abstraktion und durch Trennung des Wesentlichen vom Unwesentlichen im Besonderen das Allgemeine finden. Während die quantitative Sozialforschung deduktiv von einer bereits bestehenden Theorie ausgeht und deren Hypothesen im Rahmen einer empirischen Studie testen will, geht die qualitative Forschung (in der Regel) analytisch1262 Vgl. Lamnek (2005), S. 329 ff.; Bortz/Döring (2006), S. 307, m. w. V., S. 308 ff. 1263 So auch Witzel (1989), S. 232. Zwar speziell für die Methode des problemzentrierten Interviews, die Aussage ist aber generalisierbar. 1264 Vgl. id. (1996), S: 49; Lamnek (2005), S. 153.
4.2 Das qualitative Forschungsparadigma
211
induktiv von der Realität aus und schließt von ihren Beobachtungen auf die inneren Strukturen und Gesetzmäßigkeiten des Untersuchungsobjekts (Mustererkennung), was zur Formulierung allgemeiner Aussagen bzw. zu einer neuen Theorie führt.1265 Gerade wenn das Objekt des Erkenntnisinteresses – wie hier – noch einen geringen theoretischen Reifegrad aufweist, bietet sich die explorative Erforschung mit einem induktiven Vorgehen an. Nach Ansicht des Empirismus ist nur auf diese Weise ein Erkenntnisfortschritt möglich, während im Rahmen der Deduktion lediglich wahrheitsbewahrend bestehende Erkenntnisse oder Vermutungen getestet werden können und somit letzlich redundantes Wissen erzeugt wird.1266 Im qualitativen Vorgehen wird daher auch die strikte Trennung zwischen Entdeckungs- und Begründungszusammenhang aufgegeben.1267 In der qualitativen Forschung wird eine methodisch entwickelte Theorie als grounded theory bezeichnet.1268 Dies soll zum Ausdruck bringen, dass sie auf empirischen Daten basiert und der Wissenschaftler nicht „nur“ durch in erster Linie kreative Akte Hypothesen entwickelt. Nach dem Grundsatz des Kritischen Rationalismus, dass Hypothesen zunächst so lange gelten, bis sie falsifiziert werden, könnte der deduktive Wissenschaftler seine Theorien zunächst als reine „Luftschlösser“ aufbauen. Er führt sie anschließend der empirischen Überprüfung zu. Die induktive Theoriebildung dagegen basiert im ersten Schritt auf empirischen Daten, aus denen Erkenntnisse gewonnen werden. Da auch bei induktiver Vorgehensweise für die erlangten Erkenntnisse die Falsifikationsthese gilt, gilt die gesamte aufgestellte Theorie ebenfalls so lange, bis sie widerlegt wird. Bei der induktiven Methode muss jedoch schon vor der Theoriebildung sichergestellt werden, dass die Schlussfolgerungen den Gesetzen der Logik entsprechen und insbesondere die einzelnen Aussagen untereinander widerspruchsfrei sind. Das grundlegende, wissenschaftstheoretische Problem der Induktion besteht darin, dass aus der Beobachtung von Einzelfällen in strenger analytischer Sicht nicht auf eine Grundregel geschlussfolgert werden kann.1269 Getroffen werden kann eine Aussage nur mit einer kleineren oder größeren Wahrscheinlichkeit. Die Plausibilität einer induktiv gewonnenen Theorie kann durch die Populationsauswahl und die Erfüllung der Gütekriterien gesteigert werden. Das qualitative Forschungsparadigma macht hierzu spezifische Vorschläge, auf die unten näher eingegangen wird. Die Induktionsproblematik wird im hier vorgenommenen 1265 Vgl. Bühler-Niederberger (1985), S. 475 f.; Mayring (2002), S. 84; Lamnek (2005), S. 118, 178 et pass. 1266 Vgl. Witzel (1996), S. 51; Bortz/Döring (2006), S. 300. 1267 Vgl. Lamnek (2005), S. 117. 1268 Vgl. Glaser/Strauss (1998); Charmaz (2000). 1269 Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 300.
212
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Arrangement stark entschärft, da die vorliegende Arbeit ihre Feldarbeit nicht ohne theoretisches Vorwissen aufnimmt, sondern mit den Erkenntnissen des Kap. 2 in die Inhaltsanalyse bzw. Befragung eintritt. Die Deduktion spielt in der qualitativen Forschung im Allgemeinen eine stark untergeordnete Rolle. Gemäß dem Anspruch der empirischen Ableitung von „realistischen“ Theorien sollte sich der Forscher gerade frei machen von theoretischen Vorannahmen, die ihn nur in seiner methodischen, unvoreingenommenen Vorgehensweise behindern könnten.1270 Es kann aber als verbreitetes Missverständnis bezeichnet werden, dass in qualitative Methoden kein theoretisches Vorwissen einfließen dürfe.1271 Die Gleichsetzung von qualitativen Verfahren und induktivem Vorgehen greift insgesamt zu kurz.1272 Für die vorliegende Arbeit wird eine solche Sichtweise daher abgelehnt. 4.2.3
Gütekriterien in der qualitativen Forschung
Da die in der empirischen Forschung üblichen Gütekriterien Validität, Reliabilität und Objektivität prinzipiell auch in der qualitativen Forschung gelten, jedoch abweichende Bedeutungsinhalte haben,1273 wird auf diese nachfolgend kurz eingegangen. Die Validität gibt darüber die Auskunft, in welchem Ausmaß der Forscher das, was er erheben will, auch tatsächlich erhebt. Sie ist insbesondere gegeben, wenn analysierte Inhalte eindeutig sind und wenig interpretationsbedürftig sind – oder der Respondent in einer Befragung ehrlich und authentisch antwortet und diese Antworten unverfälscht und unverzerrt übernommen werden.1274 Zur Erhöhung der Validität bieten sich verschiedene Validierungsmethoden an: Im Rahmen der kommunikativen Validierung (member check) können Interpretationsergeb1270 Dies wird zumindest von zahlreichen Anhängern qualitativer Forschungsdesigns gefordert, vgl. Kleining (1982), S. 231; Witzel (1989), S. 228; Kelle (1996); Flick (1999), S. 57; Lamnek (2005), S. 364; für qualitative Fallstudien vgl. Yin (1994), S. 13. 1271 Vgl. Witzel (1989), S. 231; Flick (1999), S. 10. 1272 Neben den beiden „klassischen“ Vorgehensweisen beim wissenschaftlichen Schließen kann sich die qualitative Forschung (genauso wie die quantitative) im Übrigen auch der Abduktion bedienen. Das bei Aristoteles unter Apagoge firmierende Verfahren wurde von Peirce besonders untersucht und in die Wissenschaftstheorie eingebracht. Hierbei schließt der Forscher von einem beobachteten Phänomen auf eine allgemeine Regel, die die Beobachtung erklären könnte. Es handelt sich also zunächst „nur“ um eine spekulative Erklärung, vgl. Reichertz (2002). 1273 Vgl. Flick (1999), S. 240; Lamnek (2005), S. 148 ff. Dagegen wollen Küchler (1983) und Mayring (2002) die klassischen, aus der quantitativen Methodologie stammenden Gütekriterien durch eigene Kriterien ersetzen, vgl. Lamnek (2005), S. 147 f. 1274 Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 327 f.
4.2 Das qualitative Forschungsparadigma
213
nisse durch mehrfaches Befragen in unterschiedlichen Formulierungen abgesichert werden.1275 Durch die Validierung am Text werden nur empirisch gesättigte Deutungshypothesen aufrechterhalten, bei denen Gegenevidenzen ausgeschlossen werden können.1276 Die Validität kann weiterhin durch Maßnahmen der Triangulation erhöht werden. Dabei werden möglichst komplementäre Verfahren angewandt, um Verzerrungen aufzuheben:1277 Eine Datentriangulation liegt vor, weil die untersuchten Studiengänge und die befragten Dozenten – wie hier – unabhängig voneinander sind, größtenteils sogar aus unterschiedlichsten Ländern stammen. Eine Theorietriangulation kann vorgenommen werden, indem verschiedene theoretische Konzepte herangezogen werden, was hier von untergeordneter Bedeutung ist. Eine Methodentriangulation trägt zur Validierung bei, indem der Interviewstil verschiedene Kommunikationsstrategien einsetzt.1278 Auf diese wird später noch näher eingegangen. Eine Forschertriangulation konnte nicht vorgenommen werden, da es sich bei der vorliegenden Forschungsarbeit um eine Einzelleistung handelt. Die Reliabilität gibt den Grad der Zuverlässigkeit, insbesondere der Stabilität und Genauigkeit der Messung, an. Sie spielt in der qualitativen Forschung eine vergleichsweise geringe Rolle, weil die qualitative Forschung nicht gleiche, sondern unterschiedliche Situationen erheben will.1279 Der Forscher setzt nicht auf Standardisierung, künstliche Distanz zwischen Forscher und Erforschtem und Isolierung einzelner Variablen, sondern bezieht die jeweiligen Spezifika explizit ein. An die Stelle von Reliabilität werden daher die Kriterien der Stimmigkeit (Vereinbarkeit von Ziel und Methode), der Offenheit (Angemessenheit gegenüber der Komplexität der Situation) und des Diskurses (Interpretation und Hinterfragen durch mehrere Personen) gesetzt.1280 Die Zuverlässigkeit im Einzelfall und damit die interne Konsistenz und Zeitstabilität der Antworten kann jedoch erhöht werden, indem inhaltlich ähnliche oder verwandte Fragen in verschiedenen Formulierungen an die zu analysierenden Dokumente oder an die Respondenten gestellt werden. Objektivität ist dann gegeben, wenn verschiedene Forscher mit derselben Methode und unter denselben Kontextbedingungen zu denselben Ergebnissen kommen.1281 Intersubjektivität während des Datenerhebungsprozesses ist häufig 1275 Vgl. Lamnek (2005), S. 155 f. 1276 Vgl. ibd., S. 66. 1277 Zur Triangulation in der qualitativen Forschung vgl. Denzin (1978), hier zitiert nach Lamnek (2005), S. 159. 1278 Vgl. Lamnek (2005), S. 363. 1279 Für die folgenden Ausführungen vgl. Lamnek (2005), S. 167 ff. 1280 Vgl. Lamnek (2005), S. 171, m. w. V. Zum Thema Einzel- vs. Gruppenforschung siehe die o. g. Ausführungen. 1281 Vgl. Lamnek (2005), S. 494. Für die folgenden Ausführungen vgl. auch Lamnek (2005), S. 172 ff.
214
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
nicht gegeben, weil der Forscher Teil dieses Prozesses ist. Im hiesigen Forschungsdesign sind diese Probleme weniger akut, da vergleichsweise objektive Sachverhalte erfasst werden, die keine stark intrapersonalen oder sogar intimen Items darstellen. Die Objektivität in der Interpretationsphase kann erzeugt werden, indem der Forscher auf Nachvollziehbarkeit und Realitätshaltigkeit der Situation setzt und insbesondere die Argumentation expliziert und plausibel macht, wie aus dem Gesagten Interpretationen und Schlussfolgerungen gezogen werden.1282 Aus diesem Grund sollten die Einzelfallauswertungen, auch wenn sie – wie hier – einen nicht unbeachtlichen Raum einnehmen, offengelegt werden. Entscheidend ist ferner, dass die Daten, die Datenerhebungsmethode und die Interpretation der Daten in sich stimmig sind.1283 Eine Grundvoraussetzung für die Verallgemeinerbarkeit von Studienergebnissen ist ihre Repräsentativität. Wenn sich allerdings eine qualitative, idiografisch ausgerichtete Studie auf einen oder wenige Einzelfälle in spezifischen Situationskontexten konzentriert, wird seitens quantitativer Forscher häufig kritisiert, dies habe augenscheinlich zur Folge, dass die Erkenntnisse gerade nicht repräsentativ seien und nicht verallgemeinert werden können. Für die hier unternommene Studie muss die Stellungnahme diesbezüglich zunächst lauten, dass von den wenigen Studiengängen im Fach Zukunftsforschung praktisch alle und von den weltweit vergleichsweise wenigen Dozenten in der Zukunftsforschung ein großer Teil eingeflossen sind. Allerdings kann daraus nur insofern auf eine Allgemeingültigkeit der Erkenntnisse geschlossen werden, als Zukunftsforschung auf eine oder mehrere spezifische Arten gelehrt wird. Dies ist jedoch nicht automatisch mit der Richtigkeit dieser Lehrpraxis gleichzusetzen. Auch aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich nicht allein auf eine empirisch gestützte Didaktikbestimmung zu konzentrieren, sondern diese auch zusätzlich theoretisch abzusichern. Qualitative Studien streben im Normalfall danach, Typen herauszubilden, für die die Erkenntnisse in gleichem Ausmaß gelten wie in unter probabilistischen Gesichtspunkten ausgewählten Zufallsstichproben. Die Typenbildung darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass ausgefallene oder abwegige Sachverhaltskonstellationen eingefangen werden, sodass sich der Forscher dadurch von einem Allgemeingültigkeitsanspruch befreien kann und seine Aussagen eben nur für diesen speziellen Fall gelten. Vielmehr geht es in der qualitativen Forschung um die Generalisierung durch typische Fallkonstellationen, die in der Realität häufig zu finden sind und deren Erkenntnisse somit im Rahmen der induktiven Verallgemeinerung auf viele andere vergleichbare Fälle übertragen 1282 Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 326. 1283 Für die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Stimmigkeit vgl. Wilson (1982), S. 502 ff.
4.3 Teil 1: Inhaltsanalyse von Studiengangsportraits
215
werden können.1284 Die getroffenen Aussagen sind dennoch so zu verstehen, dass sie nicht den nomologischen Anspruch haben, räumlich und zeitlich unbegrenzt gültig zu sein. Speziell Existenzaussagen im Sinne eines „Es gibt …“ lassen sich durch qualitative Erhebungen problemlos generieren. Hat eine qualitative Befragung – wie hier – den Status eines Experteninterviews, kann von einer verstärkten Übertragbarkeit der Erkenntnisse ausgegangen werden, weil der Befragte als fachkundiger Vertreter über den Einzelfall hinaus berichten kann.1285 Die Zukunftsforscher sind nicht nur Fachwissenschaftler, sondern haben sich in ihrer Funktion als Hochschullehrer auch mit dem Lehren und Lernen von Zukunftsforschung auseinandergesetzt. 4.3
Teil 1: Inhaltsanalyse von Studiengangsportraits
4.3.1
Methodik
Marien ruft dazu auf, Studiengänge der Zukunftsforschung stärker unter qualitativen Aspekten zu bewerten.1286 Denn: „It would […] be useful […] to make a judgement as to the outstanding courses and programs that should be used as models, and, conversely, those that don’t meet some minimal standards.“1287 Diese Forderung soll hier eingelöst werden. In der qualitativen Forschung gehört die Inhaltsanalyse zu den zentralen Methoden insbesondere in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Prinzipiell können alle kulturellen Produkte menschlichen Schaffens, insbesondere Texte, akustisches Material, Bilder und Filme1288, einer Inhaltsanalyse unterzogen werden. Hauptsächlich geht es dabei um die Analyse und die Interpretation von Dokumenten in Textform, bei der aus der verwendeten Sprache Schlussfolgerungen auf nonverbale Eigenschaften von Personen oder gesellschaftlichen Aggregaten – hier: didaktischer Prinzipien – gezogen werden sollen.1289 In der Pädagogik liegt der Anwendungsschwerpunkt, aber nicht das alleinige Einsatzgebiet dieser Methode in der Analyse didaktischer Hilfsmittel – etwa 1284 1285 1286 1287 1288
Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 180 ff., 384. Vgl. Flick (1999), S. 109 f. Vgl. Marien (2002), S. 278. Marien (2002), S. 278. Die Kinder-Fernsehserie „Sesamstraße“ wurde etwa einer erziehungswissenschaftlichen Inhaltsanalyse unterzogen, vgl. Berghaus et al. (1978). 1289 Vgl. Mayntz et al. (1974), S. 151.
216
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Lehrbüchern – hinsichtlich ihrer Gestaltung und Wirksamkeit.1290 Im vorliegenden Fall werden die Portraits zukunftswissenschaftlicher Studiengänge gesichtet und ausgewertet. Das Ziel dieses Vorgehens besteht darin, die Lehrpraxis im Fach Zukunftsforschung in ihren didaktischen Dimensionen nachzuvollziehen, um darauf aufbauend die daraus entstehenden Muster bzw. Sinnstrukturen zu systematisieren.1291 4.3.2
Dokumentenselektion
Insgesamt ist die Zahl der zukunftswissenschaftlichen Studiengänge im engeren Sinne als äußerst gering zu bezeichnen. Der Respondent Caldwell sieht im Interview dafür folgenden Grund: „As a general observation, there are only a few institutions (universities or other organizations) that can afford to have a major in futures studies. The student demand is not high and the number of trained or knowledgeable instructors is small, and you need both a critical mass of students and more than one instructor’s viewpoint to be effective. Some institutions can do this because of their institutional focus or location but most don’t have this luxury. However, the need for students exposed to futures training is significant.“ Um eine Inhaltsanalyse bestehender Studiengänge zur Zukunftsforschung vornehmen zu können, war es zunächst erforderlich, diese ausfindig zu machen. Die Selektion erfolgte im Januar und Februar 2009. Marien beklagte noch 2002, dass es keine systematische Erfassung aller Studiengänge der Zukunftsforschung gebe.1292 Inzwischen lieferte die Acceleration Studies Foundation auf einer Webseite zum Thema „Foresight and Futures Studies – Global Academic Programs“1293 jedoch eine gute Übersicht zu weltweiten zukunftswissenschaftlichen Studiengängen. Die Quelle unterscheidet zwischen primären und sekundären Studiengängen, wobei primäre Studiengänge sich dezidiert und hauptsächlich mit Zukunftsforschung auseinandersetzen, während sekundäre Programme „either 1) place a notable emphasis on any of the primary foresight subjects or 2) have on-campus futures research centers which may be used for potential affiliations during graduate study“.1294 Darüber hinaus findet sich dort eine Übersicht von „Program Potentials“1295, an denen Zukunftsforscher 1290 1291 1292 1293 1294 1295
Vgl. Lamnek (2005), S. 491. Vgl. Mayring (2003), S. 75; Lamnek (2005), S. 511 f. Vgl. Marien (2002), S. 275. Vgl. http://www.accelerating.org/gradprograms.html, letzter Aufruf am 05.02.2009. Ibd. Ibd.
4.3 Teil 1: Inhaltsanalyse von Studiengangsportraits
217
arbeiten, die aber kein oder noch kein entsprechendes Lehrangebot aufweisen. Schließlich werden „Undergraduate Centers and Courses“1296 aus den USA aufgelistet, also vornehmlich College-Programme unterhalb des Master-Abschlusses. Aus dieser Liste wurde lediglich die Fo Guang University in Jiaosi, Yilan, Taiwan ausdrücklich nicht berücksichtigt, wo es ein Graduate Institute of Futures Studies/Department of Futures Studies gibt.1297 Da an der angegebenen Stelle bis auf den Hinweis auf die Existenz dieser Institution keine weiteren Informationen auffindbar waren, wurde auf weitergehende Recherchen verzichtet, weil die Hochschule in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Speziellen anscheinend nicht anerkannt ist.1298 Auch die World Futures Studies Federation präsentiert unter der Überschrift „Programs in Futures Studies – Tertiary Futures Education“1299 eine Übersicht von Hochschulstudiengängen in Zukunftsforschung, die allerdings im Vergleich zur vorgenannten Quelle deutlich kürzer ist und deren Links zu großen Teilen schon veraltet waren und entsprechend nachrecherchiert werden mussten. Die oben genannte Liste wurde dadurch um drei Studienangebote erweitert. Einige Programme waren als sekundäre Programme zu klassifizieren, etwa das MasterStudium in Soziologie an der Universitatea Babes-Bolyai in Cluj-Napoca, Rumänien. Insbesondere nicht berücksichtigt wurden folgende Einträge: x Das Pakistan Futuristics Foundation and Institute in Islamabad (PFI) bietet zwar laut Übersicht der World Futures Studies Federation Zertifikats-, Bachelor-, Master- und Promotions-Studiengänge an,1300 scheint aber keine eigene Internetpräsenz zu haben. Über das Institut sind auch sonst im Internet kaum Informationen zu finden, und es scheint keiner der Universitäten zugeordnet zu sein, die in der Anabin-Datenbank für Islamabad verzeichnet sind.1301 Im Sammelband von Dator findet sich allerdings ein Beitrag, in dem auf die 1986 gegründete Stiftung eingegangen wird.1302 Dort ist davon die Rede, dass der erste Studiengang eine Adaption des hier analysierten Studienangebots der University of 1296 Vgl. http://www.accelerating.org/gradprograms.html, letzter Aufruf am 05.02.2009. 1297 Vgl. http://www.fgu.edu.tw/newpage/fgupageen/showfguen/index.php?pd_id=24&pd_diaytype=16, letzter Aufruf am 26.01.2009. 1298 Vgl. http://www.anabin.de/scripts/lstAliasnamen.asp?Page=1&OrderBy=InstitutionsName&Such Land=159&SuchName=&Param=&Data=, letzter Aufruf am 26.01.2009. 1299 Vgl. http://www.wfsf.org/index.php?view=category&id=82%3Ampf&option=com_content& Item id=108, letzter Aufruf am 25.01.2009. 1300 Vgl. http://www.wfsf.org/index.php?view=article&catid=82%3Ampf&id=159%3Apakistanfuturistics-institute&option=com_content&Itemid=108, letzter Aufruf am 26.01.2009. 1301 Vgl. http://www.anabin.de/scripts/lstAliasnamen.ASP?Param=Ort&Data=Islamabad&OrderBy= InstitutionsName&SuchLand=174, letzter Aufruf am 26.01.2009. 1302 Vgl. Azam (2002), S. 195 ff.
218
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Houston1303 gewesen sei und dass die Studiengänge in Kooperation mit der American University in London1304 durchgeführt wurden (wohl weil das PFI selbst keinen Hochschulstatus hatte).1305 Dort finden sich aber auch keine näheren Informationen über eine derartge Zusammenarbeit. Einsichten aus dem Kapitel des Autors werden somit zwar nicht in der hiesigen empirischen Studie berücksichtigt, fließen jedoch in Kap. 5 ein. x Die Pontificia Università Gregoriana in Rom hat über viele Jahre in ihrer sozialwissenschaftlichen Fakultät (Facoltà di Scienze Sociali) ein zukunftswissenschaftliches Studium angeboten, das von der bekannten Zukunftsforscherin Masini geleitet wurde. Nach ihrer Emeritierung werden einschlägige Veranstaltungen zwar von Cinquegani angeboten, einen eigenständigen Studiengang gibt es derzeit hingegen nicht mehr. x Die Fakultät für Soziologie der Staatsuniversität Moskau vergibt nach Aussage der World Futures Studies Federation Bachelor- und MasterGrade in Social Forecasting und hat die Geschichte, die Methodologie und die Methoden der Vorausschau in Bereichen wie Arbeit, Staat, Recht, Familie, Bildung etc. zum Gegenstand.1306 Auf der Universitätsseite konnte aber nur ein allgemeines Soziologiestudium ausfindig gemacht werden, bei dem auch keine zukunftswissenschaftliche Spezialisierung gefunden wurde.1307 Der zuständige Professor, Bestuzhev-Lada, ist bereits seit längerer Zeit emeritiert. x Die University of Sunshine Coast in Australien bietet keinen vollständigen Studiengang, sondern lediglich ein einmonatiges Weiterbildungsprogramm für Führungskräfte und im Rahmen des forschungsintensiven Master-1308 oder Ph.D.-Studiums die Möglichkeit an, sich inhaltlich auf Zukunftsforschung zu konzentrieren. Von dem Angebot hat bislang offensichtlich erst der inzwischen promovierte Doktorand Bussey Gebrauch gemacht.1309 Über die beiden Listen hinausgehend wurde überprüft, ob noch weitere Studienprogramme ausfindig gemacht werden konnten. Die Suche erfolgte insbesondere über Personen, die sich als Dozenten in der Zukunftsforschung 1303 1304 1305 1306
Hier hatte der Autor auch seinen Master-Abschluss erhalten. Hier hatte er auch seinen Ph.D.-Abschluss erhalten. Vgl. Azam (2002), S. 196. Vgl. http://www.wfsf.org/index.php?view=article&catid=82%3Ampf&id=156%3Amoscowstate- university&option=com_content&Itemid=108, letzter Aufruf am 26.01.2009. 1307 Vgl. http://www.socio.msu.ru, letzter Aufruf am 26.01.2009. 1308 An der Universität werden „higher degrees by research“ angeboten, wozu auch Masterprogramme zählen, die kein explizit vorgegebenes Studienprogramm umfassen. 1309 Vgl. http://www.usc.edu.au/University/AcademicFaculties/ArtsSocialSciences/Research/Higher degrees.htm, letzter Aufruf am 26.01.2009.
4.3 Teil 1: Inhaltsanalyse von Studiengangsportraits
219
betätigen. Insofern sei auf die Expertenselektion in Kap. 4.4.2 verwiesen. Dabei wurden zwar eine Reihe von Wissenschaftlern identifiziert, die den sekundären Studiengängen oder den „Program Potentials“ zugewiesen werden könnten, im hier interessierenden Feld der primären Studiengänge jedoch wurden keine Lücken gefunden. Die Auflistung der bestehenden Studiengänge, die schließlich einer inhaltlichen Analyse unterzogen wurden, ergibt sich aus Anh. 1. In der Übersicht werden die Universitäten, Institute bzw. Fachbereiche, die zu erlangenden akademischen Grade und die Internetadresse genannt, unter der der jeweilige Studiengang portraitiert wird. 4.3.3
Datenerhebung
Nach der Dokumentenselektion konnte die eigentliche Erhebung durchgeführt werden. Aus anderer Perspektive wird auch die vorgenannte Dokumentenselektion bisweilen als Teil oder gar als Ausdruck der Datenerhebung betrachtet.1310 Rein handwerklich gesehen besteht die Datenerhebung im Lesen der entsprechenden Dokumente. Von der Auswertung ist die Erhebung höchstens analytisch zu trennen, denn etwa das Anstreichen von bestimmten Wörtern hat bereits Auswertungscharakter. In der Praxis laufen beide Prozesse gemeinsam ab: Indem das Dokument gelesen wird, wird es zugleich ausgewertet. Ein Teil der Datenerhebung ist die formale Charakterisierung des Materials.1311 Im hiesigen Fall handelte es sich um einzelne oder verzweigte Internetseiten, teilweise auch um PDF-Dokumente. Die Texte lagen größtenteils in englischer Sprache vor, teilweise aber auch in der jeweiligen Landessprache der Universität. In diesem Fall mussten die Texte zunächst ganz oder in den relevanten Teilen übersetzt werden. 4.3.4
Auswertungsmethodik
Es gibt keine einheitliche Auswertungsmethode für qualitatives Studienmaterial.1312 Bei der Inhaltsanalyse kann grundsätzlich das Ziel darin bestehen, die explizit vorliegenden, manifesten Kommunikationsinhalte oder aber auch die 1310 Vgl. Lamnek (2005), S. 499. 1311 Vgl. ibd., S. 518 f. 1312 Vgl. Witzel (1996), S. 49; Lamnek (2005), S. 199.
220
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
impliziten, latenten oder verdeckten Botschaften „zwischen den Zeilen“ zu ermitteln. Bisweilen wird der erstgenannte Teil dem quantitativen, der letztgenannte dem qualitativen Forschungsparadigma zugewiesen.1313 Da die vorliegende Arbeit Dokumente sichtet, die didaktische Grundentscheidungen zum Studium der Zukunftsforschung zum Ausdruck bringen, bei denen die interessierenden Inhalte durchaus explizit vorliegen, könnte man das hiesige Vorgehen eher als quantitative Arbeitsweise betrachten. Gegen die Einordnung als quantitative Studie spricht aber, dass bei einer solchen eine statistische Auswertung der aufbereiteten Daten zu erfolgen hat,1314 die hier – soweit sie über die Ermittlung von Häufigkeiten hinausginge – nicht sinnstiftend wäre. Die Häufigkeit gleicher und synonymer Nennungen wurde zwar mittels Strichliste erfasst. Es kommt jedoch neben der Häufigkeit auch auf die Reihenfolge und auf Unter- oder Überordnungsverhältnisse an. Viele Sachverhalte werden mit unterschiedlichen Begriffen belegt, teilweise werden Begriffe auch unterschiedlich verwendet, sodass eine eindeutige Zuordnung in eine exakt eingegrenzte Klasse nicht immer möglich ist. Die für quantitative Studien zwingend erforderliche große Menge von Untersuchungsobjekten liegt hier – wie wiederholt vorgetragen – angesichts der geringen Zahl zukunftswissenschaftlicher Studiengänge nicht vor. Unter ihnen bestehen mitunter auch erhebliche Unterschiede, sodass insgesamt mehr für eine qualitative Herangehensweise spricht. Es wird empfohlen, für die Dokumentenanalyse einzelne Analyseeinheiten zu bilden.1315 Im hiesigen Fall bot es sich an, diese nach inhaltlichen Gesichtspunkten, genauer: nach den fünf Grundkategorien didaktischer Entscheidungen, festzulegen. Die einzelnen Studiengangsportraits wurden also nach den Kriterien Ziele, Inhalte, Methoden, Medien und Lernerfolgskontrolle untersucht. Die jeweilige dimensionale Analysefrage lautete entsprechend, welche Festlegungen bzw. Entscheidungen im jeweiligen Studienprogramm getroffen wurden. Neben dem Kategorienpaar „vorhanden – nicht vorhanden“ stand bei Vorliegen entsprechender Aussagen deren konkreter Inhalt im Vordergrund. Die Auswertung erfolgte dabei in zwei Schritten: Zunächst wurden die Inhalte in Einzelfallauswertungen, die im nächsten Unterkapitel präsentiert werden, studiengangsbezogen zusammengefasst. Dann wurde eine Kodierung vorgenommen, also die Zuordnung von Inhaltselementen zu Kategorien. Die Voraussetzung dafür, nämlich das Vorliegen der Daten in nominalskalierter Form,1316 war durch die verbale, nicht quantifizierbare Abfassung der Studiengangsportraits erfüllt. 1313 1314 1315 1316
Vgl. Lamnek (2005), S. 484, m. w. V. Vgl. ibd., S. 499. Vgl. ibd., S. 495, 519, m. w. V. Vgl. Mayring (2003), S. 15.
4.3 Teil 1: Inhaltsanalyse von Studiengangsportraits
221
So ist etwa denkbar, dass Lerninhalte wie „quantitative Methoden der Zukunftsforschung“, „statistische Zukunftsforschungsmethoden“ oder „Cohort Component Analyse, Zeitreihenanalyse und Extrapolation“ genannt werden. Diese könnten beispielsweise einer Kategorie „quantitative Zukunftsforschungsmethoden“ zugeordnet werden. Dieses Vorgehen dient insbesondere der Komplexitätsreduktion mit dem Ziel, die Kernaussagen zu den jeweiligen Grundentscheidungen explizit vorliegen zu haben. Um Redundanzen zu vermeiden, wurde diese Kategorisierung im Konzeptionsteil (Kap. 5) vorgenommen. 4.3.5
Einzelfallauswertungen
Budapesti Corvinus Egyetem Die Budapesti Corvinus Egyetem (Corvinus Universität Budapest) ist eine Universität in Ungarn. Sie bietet mit unterschiedlicher zukunftswissenschaftlicher Schwerpunktsetzung Einzelkurse an, die in verschiedenen Studiengängen eingebracht werden können. Einen eigenständigen Studiengang in Zukunftsforschung gibt es hingegen nicht. Da es sich nicht um einen integrierten Studiengang handelt, werden auch keine Richtziele formuliert. Die Einzelkurse geben Auskunft über Inhalte, die allerdings nicht zielorientiert formuliert sind. Angeboten werden folgende Kurse: x Zukunftsforschung (Undergraduate): Zukunft als Thema wissenschaftlichen Diskurses; Zukunftsorientierung der Menschen; Wandel in der Welt und in den Wissenschaften; Methodologie und Methoden der Zukunftsforschung (mathematisch-statistische Methoden, Expertenmethoden, Modelle, Szenarien) und deren Erneuerung; Reliabilität und Verifikation von Vorhersagen. x Zukunftsorientierte Wirtschaftswissenschaften (Undergraduate/Graduate): Zukunftsorientierung und wirtschaftliche Mechanismen, grundlegende wirtschaftliche Probleme (Knappheit, Rationalität, Wirtschaftsfaktoren) im Informationszeitalter; Markt, strategische Planung und Zukunft; politische Ökonomie als kulturell-soziale Visionen aus der Wirtschaft; wirtschaftswisssenschaftliche Methodologie und Vorhersagen; strategischer Konsum und strategische Produktion; öffentliche Güter und das Informationszeitalter; zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik; Denkschulen und Visionen der Zeit; makroökonomische Probleme im sozialen Kon-
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
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text; ausländische Wirtschaftsvisionen und internationale Wirtschaft; Weltwirtschaft im und jenseits des Informationszeitalters. Sozioökonomische Vorhersagen (Graduate): Interpretation sozialer und ökonomischer Vorhersagen; soziale und ökonomische Zukunftsmodelle; Vorhersagen zu Demografie, Rentenreform und Berufsausbildung; Zukunftsorientierung ungarischer Unternehmen und Unternehmer; makroökonomische Vorhersagen in Ungarn; Modelle und Systeme zum Zusammenhang zwischen Ökonomie und Ökologie; Ungarn – jenseits von morgen. Bildung und Zukunft (Graduate): Zukunft von Bildung und Ausbildung; Bildungsstrategien verschiedener Länder; Wechselwirkungen zwischen Zukunftsorientierung und der Zukunft von Bildung und Ausbildung; alternative Zukünfte für Bildung und Ausbildung in Ungarn; die Bedeutung von Bildung und Ausbildung in technologieorientierten Zukunftsbildern; die sozioökonomische Zukunft Ungarns und die Zukunft der Bildung. Soziale Vorhersagen (Graduate/Postgraduate): Bedeutungen sozialer Vorhersagen und deren Geschichte; neue Trends in der Zukunftsforschung: evolutionäre und kritische Zukunftsforschung; Zukunftsmodelle einer postindustriellen Gesellschaft; mögliche Zukünfte des Wohlfahrtsstaats und Vorhersagen für die ungarischen Sozialsysteme: demographischer Wandel, Rentenreform, Erneuerung der Berufsausbildung, Instabilität sozialer Indikatoren und ihre mögliche Bedeutung für die Zukunft; Zukunftsorientierung ungarischer Bürger: Wechselwirkungen zwischen persönlicher Zukunftsorientierung und der Zukunft der ungarischen Gesellschaft. Weltwirtschaft – der Mythos der künftigen Informationsgesellschaft (Graduate): Zukünfte der kulturellen Weltwirtschaft und der Regionen; Interpretationen ökonomischer Strategien; Verhalten und die Zukunftsorientierung von Individuen; Unternehmer und ihr Einfluss; wirtschaftspolitische Strategien für das 21. Jahrhundert; Eckpunkte der Weltwirtschaft (Veränderungen und Einflüsse in der EU); regionale und subregionale Visionen für die Zukunft; Einflüsse unterschiedlicher Modelle der Informationsgesellschaft auf zentralosteuropäische Staaten und insbesondere Ungarn; Vorhersagen und Feedback. Wirtschaftliche Vorhersagen (Postgraduate): Bedeutung wirtschaftlicher Vorhersagen in den Wirtschaftswissenschaften und für die Entscheidungsfindung; Zukunftsorientierung ungarischer Unternehmen und Unternehmer; Vorhersagen von Trends, Wendepunkten, Wirtschaftskreisläufen, Wechselwirkungen und Zuständen; Chaostheorie und Zukunfts-
4.3 Teil 1: Inhaltsanalyse von Studiengangsportraits
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forschung; Ungarn 2000 bis 2005; Ungarn – jenseits von morgen; Zukunftsorientierung und Szenariotechnik. Somit gibt der Einführungskurs für Undergraduates einen Ein- und Überblick über die Zukunftsforschung als Wissenschaft. Im Kurs zu sozialen Vorhersagen werden zwei Denkschulen der Zukunftsforschung näher beleuchtet. Die übrigen Kursangebote haben ihren Schwerpunkt in spezifischen Erfahrungsfeldern, insbesondere Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik. Über Methoden, Medien und Lernerfolgskontrollen werden keine Angaben gemacht. Conservatoire National des Arts et Métiers Das Conservatoire National des Arts et Métiers, kurz CNAM, ist eine Hochschule in Paris, die 1794 gegründet wurde. Nach der Klassifikation des französischen Bildungsgesetzes (Code de l’éducation) wird sie den „grands établissements“ und damit der Oberkategorie „établissements publics à caractère scientifique, culturel et professionnel (EPSCP)“, also den öffentlichen Einrichtungen mit wissenschaftlichem, kulturellem und berufsbildendem Charakter zugeordnet. Das CNAM versteht sich vor allem als Weiterbildungshochschule für Berufstätige. Innerhalb der CNAM ist das Laboratoire d’Innovation, de Prospective Stratégique et d’Organisation (LIPSOR) als Institut angesiedelt. Wie der Institutsname zum Ausdruck bringt, beschäftigt man sich mit Innovation(smanagement), strategischer Vorausschau (strategic foresight) und Organisation. Entsprechend existiert eine Untergliederung in die drei Bereiche Innovation, Strategie und Organisation. Für erfolgreich absolvierte Veranstaltungen am Institut werden Kreditpunkte vergeben, die in ein Zertifikats- (diplôme), Master- oder Promotionsstudium eingebracht werden können. Beim Master werden ein Master in Management Science, ein Master in Economics und ein Master of Business Administration für Ingenieure unterschieden. Die größte konzeptionelle Nähe zur Zukunftsforschung existiert im Programm „Master Sciences de gestion, mention management (spécialité: prospective, stratégie et organisation)“. In diesen Programmen übernimmt LIPSOR einzelne Bestandteile. Die Zertifikatsprogramme unterscheiden sich lediglich durch einen geringeren Umfang, was bedeutet, dass zuerst das Zertifikatsprogramm durchlaufen werden kann und dieses anschließend für einen der Masterstudiengänge anrechenbar ist. Das Ph.D.-Programm enthält neben der Dissertation als Kernleistung auch Seminarveranstaltungen in Forschungsmethoden mit Schwerpunkten in strategischem Management und strategischer Vorausschau
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
einschließlich epistemologischer Grundlagen. Enthalten sind ferner quantitative und qualitative Methoden der Managementforschung. Darüber hinaus sollen Seminare besucht werden, die dem jeweiligen Forschungsschwerpunkt entsprechen. Die Ausführungen zeigen, dass LIPSOR einen vergleichsweise breiten Fokus hat, der eher der Managementlehre zuzuordnen ist als einem dedizierten Studium der Zukunftsforschung. Dies spiegelt sich zwangsläufig auch in den didaktischen Ausführungen des Instituts wieder. Auf der Zielebene wird eine Reihe von Zielen formuliert, die für betriebswirtschaftliche und Managementstudiengänge typisch sind und auf die hier entsprechend nicht näher eingegangen wird. In Bezug auf die Zukunftsorientierung wird angestrebt, die Studierenden zu befähigen, als künftige Führungskräfte Methoden und Techniken der Zukunftsforschung (aber auch des Managements und des Marketings) in den Bereichen Personal, Organisation, Technologie, Nachhaltigkeit und Regionen anzuwenden. Sie sollen eine Vorstellung von der strategischen Umwelt von Unternehmen und deren Veränderung durch soziale, wirtschaftliche und technologische Brüche erhalten. Die Inhalte werden Kurs für Kurs vorgestellt. Zu den Angeboten, die ausdrücklich zukunftswissenschaftlich orientiert sind, zählen „Méthodes de prospective et d'analyse stratégique“ (I und II) und „Prospective stratégique: recherches et applications“ (I und II). Daneben werden Veranstaltungen mit Innovationsoder Strategiebezug, außerdem zur Systemtheorie angeboten. Die einzelnen Kurse weisen eigene Grobzielformulierungen auf. Ausführungen zu Methoden, Medien und zur Lernerfolgskontrolle fehlen. Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey Das Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey ist eine Technische Universität in Mexiko. Im dortigen Cátedra de Investigación en Inteligencia Estratégica wird ein Maestría en Prospectiva Estratégica (MPE) angeboten, der als Master in Prospective and Strategic Studies übersetzt wird. Richtziele für den Studiengang waren nicht aufzufinden. Dafür wurde für jedes zu belegende Modul ein Grobziel auf der Inhaltsebene formuliert. Das Studium umfasst Module zu den Themen Statistik, Führung und Ethik sowie Zivilgesellschaft und Regierung. Einen starken zukunftswissenschaftlichen Bezug weisen Module zu den Themen Einführung in die Zukunftsforschung, Zukunftsforschungsmethoden und Szenarioanalyse und -modellierung auf. Darüber hinaus werden diese Grundlagenkurse in angewandten Kursen weiter-
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geführt. Hierzu zählt eine regionsspezifische Pflichtveranstaltung unter dem Titel „Mexico Facing World Mega-Tendencies“. Die Studierenden haben drei Wahlpflichtmodule auszuwählen. Der dazu zur Verfügung stehenden Katalog umfasst die Themen: „Development Policy Analysis“, „Globalization and Policy Strategy for Development“, „Development and Administration of Strategic Intelligence Systems“, „NAFTA and Other Regional Agreements“, „International Trade“, „Political System and Public Administration in Mexico“, „Strategic Management of Politics“ und „Financial Prospective“. Die meisten Module können auch in anderen Studiengängen angerechnet werden. Zu den Methoden finden sich keine Ausführungen. Bei den Medien werden Literaturgrundlagen der jeweiligen Veranstaltungen genannt. Zur Lernerfolgskontrolle werden keine Aussagen gemacht. Regent University Die Regent University ist eine US-amerikanische Universität mit evangelikaler Ausrichtung in Viginia. Das recht breite Studienangebot wird vollständig sowohl im Präsenz- als auch im Fernstudium angeboten. Die einzige Ausnahme bildet der Abschluss J.D. (juris doctor), der nur im Präsenzstudium zu erlangen ist. An der dortigen School of Global Leadership & Entrepreneurship werden ein Certificate of Graduate Studies und ein Master of Arts jeweils in der Spezialisierungsrichtung Strategic Foresight angeboten. Das Studium versteht sich selbst als Programm in organisational-strategischem Denken. Es befasst sich entsprechend nicht allein mit Zukunftsforschung, sondern impliziert auch Technologievorausschau, Organisationswandel und strategisches Management. Die konzeptionelle Nähe zur Zukunftsforschung ist jedoch sehr deutlich und noch stärker ausgeprägt als etwa am LIPSOR. Veranstaltungen in Strategic Foresight werden auch in einem MBA- und einem Ph.D.-Studiengang angeboten. Trotz des gut durchdachten und präsentierten Curriculums werden Richtziele des Studiums nicht explizit formuliert. In einer Liste häufig gestellter Fragen (FAQ) lassen sich aus der Antwort auf die Frage „What is a Master of Arts in Strategic Foresight?“ nur indirekt Ziele ableiten. Die Studierenden sollen ein Rahmenkonzept erhalten, das es ihnen ermöglicht, künftige Entwicklungen und deren Implikationen für heutige Organisationen zu verstehen. Die Absolventen sollen die Organisationen, in denen sie arbeiten, dazu bringen, neue Zukunftschancen zu kreieren. Sie sollen dort dadurch Wettbewerbsvorteile erzeugen.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Das didaktische Konzept wird in Pyramidenform visualisiert. Die Basis bildet ein Überblick zu den Feldern Führung und Zukunftsforschung. Es schließt sich ein Theorieteil an, der sich mit sozialem Wandel und systemischem Denken auseinandersetzt. Der dritte Teil fokussiert auf Zukunftsforschungsmethoden, die in die Bereiche Forecasting, Strategie und Szenarien aufgeteilt werden. Die von allen Studierenden zu belegenden Kurse umfassen: Information Research & Resources; Foundations of Leadership: History, Theory, Application, and Development; Survey of Futures Studies; Social Change; Systems Thinking; Forecasting Techniques; Scenario Development and Visioning; Strategic Planning and Change Management. Der vierte Teil wird als Kontext bezeichnet, bezieht sich also auf spezifische Erfahrungsfelder, in denen die Zukunftsforschung angewendet werden kann, und umfasst drei Wahlpflichtfächer. Zur Auswahl stehen dabei: World Futures, Human Futures, Organizational Futures, Images of the Future, Religionists and Futurists, Defense Futures, Professional Futures, Special Topics in Strategic Foresight.
Abb. 3:
The MSF Curriculum Pyramid. Quelle: http://www.regent.edu/acad/global/academics/msf/ msfpyramid.shtml, letzter Aufruf am 29.01.2009.
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Es kann auch eine „independent study in strategic foresight“ durchgeführt werden. Unter der Überschrift Capstone wird das Studium mit einer Projektarbeit abgeschlossen. Auf der Ebene der einzelnen Module werden die Inhalte in wenigen Sätzen zusammengefasst. Neben dieser Auswahl können die Studierenden nach Rücksprache mit der Studiengangsleitung auch andere Kurse aus dem Gesamtangebot an der Regent University belegen. Explizite Grob- oder Feinziele werden nicht formuliert. Ebenso finden sich keine Aussagen zu den Lernerfolgskontrollen. Beim Themenkomplex Methoden und Medien ist zu berücksichtigen, dass das Studium als Onlinestudium angeboten wird. Eingesetzt werden Onlinediskussionen und Audio- sowie Videopräsentationen. In einer virtuellen Lernumgebung können die Studierenden ihr Studium organisieren und sich mit Kommilitonen vernetzen. Präsenzseminare vor Ort sind nicht vorgesehen. Stellenbosch University Die Stellenbosch University ist eine der größten Universitäten in Südafrika. Die dort angesiedelte Business School bzw. deren Unterabteilung, das Institute for Futures Research, bietet einen Studiengang M.Phil. in Futures Studies an. In der Selbstpräsentation formuliert das Institut als Ziel, dass die Studierenden das Wesen und die Komplexität des rapiden globalen Wandels und die Triebkräfte und Trends verstehen, die für die Gestaltung der Zukunft verantwortlich sind. Außerdem sollen die Studierenden mit einem systemischen und multidisziplinären Ansatz vertraut gemacht werden, der es ihnen ermöglicht, organisationale Strategien so einzusetzen, dass sie eine wünschenswerte Zukunft kreieren können. Der Studiengang besteht inhaltlich aus sieben Modulen. Diese umfassen: Einführung in die Zukunftsforschung, Umweltanalyse („scanning the environment“), qualitative und quantitative Zukunftsforschungsmethoden, die Verwendung des Systemansatzes in der Zukunftsforschung, Demografie, Zukunftstechnologien und das Modul „Advanced Futures Studies“. In methodisch-medialer Hinsicht ähnelt das Programm demjenigen an der Regent University. Es handelt sich ebenfalls um einen Fernstudiengang. Die gelieferten Studieninhalte sollen die Studierenden zunächst selbst durcharbeiten. Anschließend werden sie in fünfstündigen contact sessions gemeinsam analysiert und diskutiert. Technologisch wird dies über ein satellitengestütztes Videokonferenzsystem (interactive television) realisiert.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Das Institut setzt bei der Lernerfolgskontrolle auf schriftliche Tests (written examinations) und Hausaufgaben (home assignments), die möglichst im Zusammenhang mit der eigenen Arbeit oder mit eigenen Erfahrungen stehen sollen. Jedes Modul wird benotet und fließt mit zehnprozentiger Gewichtung in die Gesamtnote ein. Das Studium wird mit einer mini-thesis mit ca. 25.000 Worten bzw. 80 Seiten Umfang abgeschlossen, das zu 30 % in die Gesamtnote einfließt. Es handelt sich dabei um ein Studienprojekt, in dem die Kandidaten ihre erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten auf ein spezifisches Erfahrungsobjekt anwenden sollen. Swinburne University of Technology Die Swinburne University of Technology ist eine Technische Universität im Süden Australiens unweit von Melbourne. Die dort beheimatete Australian Graduate School of Entrepreneurship bietet ein Graduate Certificate of Management, ein Graduate Diploma of Management sowie einen Master of Management, jeweils in der Vertiefungsrichtung Strategic Foresight an. In didaktisch-konzeptioneller Hinsicht ist die Präsentation dieses Studiengangs unter den untersuchten Programmen am detailliertesten. Das Studium ist modularisiert. Zu jedem Modul werden eigene Grobziele, eine kurze inhaltliche Zusammenfassung, Angaben zu den Lehrmethoden, Leseempfehlungen und genaue Angaben zu den zu erbringenden Leistungen formuliert. Als Richtziel des Studiums wird formuliert, dass die Studierenden x als spätere Praktiker Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln und erlangen, die es ihnen ermöglichen, die Foresight-Kompetenz in bzw. von Organisationen zu verbessern, indem sie kohärente Zukunftsperspektiven (forward views) verstehen, entwickeln und erfolgreich anwenden; x ein Lernen höherer Ordnung (higher order thinking or meta-learning) entwickeln, das es ihnen und ihren Organisationen ermöglicht, produktive Zukunftsforschung zu betreiben; x ihre Fähigkeit stärken, die komplexen Beziehungen zwischen strategischer Vorausschau und organisationalen Strategien zu konzeptualisieren; x ihr Selbstverständnis als angewandte Zukunftsforscher festigen, damit sie später als professionelle Führungskräfte, Berater oder Wissenschaftler arbeiten können; x Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit anderen sammeln, um persönliche und organisationale Reaktionen auf die Komplexität, die Unsicher-
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heit und die Dynamik der Umwelt im 21. Jahrhundert zu verstehen und hierzu Beiträge zu liefern; x lernen, die zahlreichen Chancen zu betrachten, die durch Globalisierung, sozialen Wandel und technologische Innovationen entstehen. Die Inhalte des Studiengangs mit Abschluss Zertifikat bzw. Diploma umfassen: Knowledge Base of Future Studies, Foresight Methods 1, Foresight in Organisations, Dimensions of Global Change, Foresight Methods 2, Worldviews and Strategy for the 21st Century, Integral Perspectives, Systems Thinking and Design. Beim Master-Studium kann zwischen einem praxis- und einem forschungsorientierten Pfad gewählt werden. Der praxisorientierte Master umfasst über die vorgenannten Module hinausgehend ein zweistufiges enterprise project. Der forschungslastige Master beinhaltet stattdessen ein Seminar zur Vertiefung der Kenntnisse der Forschungsmethoden, die benötigt werden, um anschließend eine minor thesis zu verfassen. In methodischer Hinsicht werden Vorlesungen, Präsentationen (des Dozenten oder der Studierenden) und Gruppenarbeiten (small group activities) eingesetzt. Teilweise werden praktische Aktivitäten vollzogen. Beim praxisorientierten Master werden zudem Workshops und Einzelarbeiten (individual exercises) eingesetzt. Man setzt hier auch auf erfahrungsbasiertes Lernen. Der forschungslastige Master umfasst Präsenzseminare, kann aber auch per Fernunterricht vollzogen werden. Die Thesis ist eine einzelne Forschungsleistung. Zu den eingesetzten Medien äußert sich das Curriculum bis auf Literaturangaben nicht ausdrücklich. Die Bibliografie wird in Leseempfehlungen für die Studierenden und Quellenangaben unterschieden. Am häufigsten tauchen dabei das zweibändige Werk „Foundations of Futures Studies“ von Bell und die Dokumentensammlung auf CD-ROM von Slaughter und Inayatullah unter dem Titel „The Knowledge Base of Futures Studies“ auf, die als Lehrbücher verstanden werden. Der Lernerfolg wird modulweise gesichert, indem zu jedem Modul angegeben wird, welche Leistungen von den Studierenden zu erbringen sind. In seiner Vielseitigkeit beweist das Curriculum dabei ausgeprägte Kreativität. In der Regel sind mehrere Teilleistungen zu erbringen, die mit unterschiedlichen, in Prozent angegebenen Gewichten in die Modulnote einfließen. Beispiele für zu erbringende Leistungen sind: Abgabe einer politischen Erklärung, Arbeitsplan zu einem Forschungsprojekt, Brief an einen Herausgeber, Essays in unterschiedlichen Längen, Gruppenpräsentation, mündliche Beteiligung im Unterricht, Projektbericht, schriftliche Fallstudie, schriftliche Formulierung eines Szenarios, schriftliche Replik zu Artikeln in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift, schriftliche
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Replik zu einem gegebenen Text, schriftliche Replik zu einer Kolumne in einer Tageszeitung, schriftliches Forschungspapier, Verteidigung des Projektberichts, Verteidigung von Forschungsergebnissen. Tamkang University Die Tamkang University ist eine private Universität in Taiwan. Ihre Besonderheit besteht darin, dass neben Globalisierung und Informationsorientierung die Zukunftsorientierung die dritte grundlegende Zielsetzung darstellt, die das Wertefundament der gesamten Universität ausmachen.1317 Die Zukunftorientierung wird in drei Teilziele aufgespalten: x Erstens sollen originäre Lehrangebote im Fach Zukunftsforschung geschaffen werden. x Zweitens sollen auch grundlegende Kurse in anderen Fächern stärker zukunftsorientiert aufgestellt werden. x Drittens strebt man an, zukunftsorientierte Innovationen in der Lehre, der Forschung und der Verwaltung zu implementieren. So wundert es nicht, dass die Hochschule ein eigenständiges Graduate Institute of Futures Studies unterhält, das die erste Säule in besonderem Maße repräsentiert und eine Vielzahl von zukunftswissenschaftlichen Kursen anbietet, die in den unterschiedlichsten Studiengängen angerechnet werden können. Für zahlreiche Studiengänge werden spezielle zukunftswissenschaftliche Veranstaltungen angeboten. Da die Zukunftsorientierung als grundlegendes Prinzip betrachtet wird, das in jedem Bereich relevant ist, ist Zukunftsforschung für alle Studierenden in allen Fächern im Studienplan vorgesehen.1318 Im Umkehrschluss gibt es keinen eigenständigen Bachelor- oder Master-Studiengang für Zukunftsforschung. Es kann allerdings ein eigenständiges Hochschulzertifikat erworben werden. Das Institut gibt eine eigene zukunftswissenschaftliche Zeitschrift, das Journal of Futures Studies, heraus. Am Untertitel „Epistemology, Methods, Applied and Alternative Futures“ wird die Spannweite veröffentlichter Themen deutlich. Übergreifend für alle angebotenen Kurse formuliert das Institut folgende Richtziele: x Die Studierenden sollen sich vor dem Hintergrund der Bedeutung des sozialen Wandels Fähigkeiten bei der Umweltanalyse (environmental 1317 Vgl. auch Chen (2002), S. 209, wo es weiter heißt: „Tamkang University is thus the only university in the world I know of whose mission if to ‚futurize‘ its students, its society, and itself.“ 1318 Vgl. ibd., S. 210.
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scanning), bei der Szenarioentwicklung (scenario building) und bei der Formulierung wünschenswerter Zukünfte (visioning) aneignen. x Sie sollen sich selbst als künftige globale Elite betrachten, die kritisch und innovativ in ihrem Denken in Bildung und Sozialwissenschaften ist. x Schließlich sollen sie Fähigkeiten als Politik- und Planungsexperten erlangen, die sich für lokale und globale Angelegenheiten einsetzen. Die angebotenen Inhalte werden nach Belegbarkeit sortiert. Als „undergraduate core courses“ werden angeboten: Classic Readings of Futures Studies, Conflict Society and Peace Visions, Future Studies in Economics, Futures Studies and the Trends of Sport Culture, Futures Studies in Environment, Futures Studies in Politics, Futures Studies in Sociology, Futures Studies in Technology, Global Futures, Globalization and Human Resource Development, Health, Leisure, and the Future, Introduction to the Study of Futures Theories, Leadership and Vision, Multiculturalism and Global Society, Popular Science and Technology, Prediction and Trend Analysis, Technological Society and Sustaining Development, The Futures of the Coming Cybernated World, The Knowledge-Based Economy and Society, Vision and Creative Thinking. Für die verschiedenen, an der Universität angebotenen Master-Studiengänge und das eigenständige Future Certificate Program werden folgende Graduiertenkurse angeboten, an deren Überschriften bereits abzulesen ist, dass sie auf dem Vorwissen aus den Nichtgruadiertenkursen aufbauen und diese vertiefen. Einen Akzent bilden Zukunftsforschungsmethoden. Darüber hinaus werden Zukünfte in verschiedenen konkreten Erfahrungsdomänen thematisiert: Applied Ethics, Applied Statistics, Biotechnology and Risk Society, Change and Development, China's Economic and Political Change, Designing the Future, Eco-Economy and Sustainable Development, Futures Thinkers and Futures Thinking, Global Trend Watch, Globalization and Transnational Migration, Health Futures, Issues in Futures Studies, Leisure and Working Society, Macrohistory and Macrohistorians, Methods in Futures Studies, Multicultural Studies & Organizational Change, Multiculturalism and Population Change, Network and Information Society, Organizations and Movements in Futures Studies, Philosophical Elements of Futures Studies, Philosophy of Futures Studies, Postcolonial Futures Society, Practical Uses of Futures Knowledge, Regional Development and Globalization, Religion and Civilization Conflict, Science, Technology and Future Society, Social Science Research Methods, Technology, Innovation and Learning, The Trend of Human Resource Management, Theoretical Approaches to the Future, Trend Analysis, Exploring the Long Term Future, Vision and Alternative Futures of Public Policy.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Alle Kurse werden mithilfe einer kurzen Zusammenfassung beschrieben. Zu Methoden, Medien oder zu den Formen der Lernerfolgskontrolle werden allerdings keine Aussagen gemacht. Turku School of Economics Die Turku School of Economics gehört zu den größten Universitäten in Finnland. Wie ihr Name zum Ausdruck bringt, legt sie ihren Schwerpunkt auf die Wirtschaftswissenschaften. Das Finland Futures Research Center ist dort als eigenständige Forschungseinheit beheimatet, die zugleich einen eigenen zukunftswissenschaftlichen Studiengang anbietet, der mit dem Grad eines Master of Science in Economics and Business Administration mit der Vertiefungsrichtung Futures Studies abschließt. Als Zielstellung des Studiums wird formuliert, dass die Studierenden sich als Experten für unternehmensbezogene Zukunftskompetenzen (futures business competence) qualifizieren sollen, die spezielles Wissen in folgenden Feldern aufweisen: x künftige Geschäftsfelder und Geschäftsfelder der Zukunft; x Managementunterstützung, strategisches Denken und Visionsmanagement (visionary management); x region-, organisations- und umweltbezogene Vorausschau; x Zukunftsforschungsmethoden, Theorie und Praxis der Zukunftsforschung, insbesondere der Umgang mit Szenarien und Umweltanalyse (environmental scanning); x ein einsichtiges, vielseitiges und interdisziplinäres Verständnis der Welt und des Zusammenspiels von Ereignissen und Prozessen; x Entwicklung und Aufrechterhaltug in wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und ökologischer Hinsicht nachhaltiger Zukünfte; x Aufdecken künftiger Herausforderungen, Bedrohungen und Erwartungen von Organisationen und anderer komplexer Systeme; x Führung von heterogenen und bereichsübergreifenden Expertengruppen; x ggf. Eignung für weitergehende Studien und Forschung im Fach Zukunftsforschung. Dass es sich beim Masterprogramm eher um ein wirtschaftswissenschaftliches Studium handelt, bei dem lediglich eine zukunftswissenschaftliche Vertiefung angestrebt wird, macht sich auch an der ECTS-Struktur bemerkbar. Die insgesamt 120 credit points teilen sich mit 60 Punkten auf das Hauptfach Economic Sociology und 25 Punkten auf eines der beiden Nebenfächer (Management and
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Organisation oder International Business) auf. Hinzu kommen sprach- und kommunikationsbezogene sowie methodenorientierte Module. Die zukunftswissenschaftlichen Inhalte sind Bestandteil des Hauptfaches. Sie haben einen Umfang von 18 ECTS. Genannt werden hier: Changing Working Life; Connections between Culture, Creativity, and Economy; Consumption and Life Style; Environmental Issues and Sustainable Dvelopment; Methods of Social Sciences; Problems in Power and Interests; Structural Change in Society; Value Change. Seit 2008 werden vom Institut zudem vier speziell zukunftswissenschaftliche Module angeboten: Futures 1: How Can We Explore the Future?; Futures 2: Futures Research Methods; Futures 3: Futures Research in Practise; Futures 4: Changing Futures Theme. Zu Methoden, Medien und zu Wegen der Lernerfolgskontrolle werden keine Ausführungen gemacht. Universidad Externado de Colombia Die Universidad Externado de Colombia ist eine private Universität in Bogotá, zugleich eine der angesehensten Hochschulen in Kolumbien. Das dortige Centro de Pensamiento Estratégico y Prospectiva bietet eine Spezialisierung in strategischer Vorausschau an. Der eigenständige Studiengang führt zu dem Abschluss Especialista en Pensamiento Estratégico y Prospectiva, was als Spezialist in strategischem Denken und strategischer Vorausschau übersetzt werden kann. Als Richtziel für das Studium wird angestrebt, dass die Studierenden sich intensiv mit Fragen der Strategieformulierung und der Zukunftsforschung jeweils mit starkem Bezug zur Wirtschaft Lateinamerikas im Allgemeinen und Kolumbiens im Besonderen auseinandersetzen. Die Studierenden sollen in der Lage sein, Modelle zu entwickeln, die dazu geeignet sind, vorausschauende und strategische Analysen vorzunehmen. Sie sollen verstehen, welche Bedeutung Entwicklungsbrüche haben und wie Innovationsprozesse dazu beitragen können, das Leben zu verbessern. In inhaltlicher Hinsicht unterscheidet das Programm einen theoretischen Zweig, der sich mit der aktuellen Diskussion in der Zukunftsforschung, hier vor allem mit Fragen von Struktur, Determinismus, Vorhersagen, freiem Willen und Handeln, befasst, sowie den Zweig strategische Modelle, der sich mit der Analyse globaler wirtschaftlicher und geopolitischer Trends auseinandersetzt. Im Studiengang ist ein Praxisprojekt integriert, innerhalb dessen die Studierenden das Gelernte innerhalb einer Organisation umsetzen sollen.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Das Kursangebot umfasst: Conceptual Base of Foresight; Strategic Models; Trends and Global Scenarios; Technological Forecasting; Epistemology of Futures Studies; Currents in Futures Studies; Models and Methods of Social Change Agency; Computer Application of Models. Methodisch-medial werden Vorlesungen und Seminare eingesetzt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf Fallstudien. Mit Computern werden Modelle durchgerechnet und visualisiert. Über Lernerfolgskontrollen gibt es keine Angaben. Universidad Nacional de La Plata Die Universidad Nacional de La Plata (National University of La Plata) ist eine Universität in der Hauptstadt der Provinz Buenos Aires in Argentinien. Die 1897 gegründete Hochschule gehört mit über 90.000 Studenten zu den größten Universitäten des Landes. Die dortige rechts- und sozialwissenschaftliche Fakultät bietet den recht außergewöhnlichen Mastergrad Maestría en Inteligencia Estratégica Nacional an, der nachrichtendienstliche und zukunftswissenschaftliche Aspekte miteinander verbindet. Der Studiengang hat das Ziel, die Studierenden zu befähigen, Werte, Hoffnungen und wünschenswerte Zukünfte der Bürger zu erfassen und zu kommunizieren. Außerdem sollen sich die Teilnehmer praktische Werkzeuge aneignen, mit denen sie den Wandel der Gesellschaft untersuchen können. Inhalte des Studiengangs bestehen aus Kursen zur Einführung in die Strategielehre und zur Planung. Das Studium enthält einen starken analytischen Teil, der sich in Kursen zu Analysemethoden, im Besonderen Inhaltsanalyse, zur formalen Logik und ihrer Anwendung sowie zu Forschungsmethoden und zur Informatik ausdrückt. Geheimdienstliche Inhalte konkretisieren sich in Kryptologie, nationale Geheimdienstarbeit, Geheimdienstarbeit und Konfliktbekämpfung sowie nationale Verteidigung. Politische Kurse beziehen sich auf aktuelle politische Konzepte, ihre Ursprünge und Entwicklungsperspektiven, globale strategische Visionen und die Rolle Argentinien im globalen politischen Kontext. Über Medien, Methoden und Lernerfolgskontrollen gibt es keine Angaben. Universidade Técnica de Lisboa Die Universidade Técnica de Lisboa, also die Technische Universität in Lissabon, gehört zu den größten Universitäten in Portugal. Am dortigen wirtschafts-
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wissenschaftlichen Institut (Instituto Superior de Economia e Gestão) wird ein postgradualer Studiengang mit den Schwerpunkten Vorausschau, Strategie und Innovation und mit dem Abschluss Diploma de Pós-Graduação em Prospectiva, Estratégia e Inovação angeboten. Für den Studiengang insgesamt wird eine Reihe von Zielen definiert. So sollen die Studierenden eine multidisziplinäre Perspektive zu den Feldern Vorausschau, Strategie und Innovation erlangen. Sie sollen Methoden und Instrumente in diesen Bereichen kennenlernen, mit denen sie Strategie- und Innovationsprozesse auf eine Art und Weise analysieren und implementieren können, die über die traditionellen Möglichkeiten hinausgeht. Insbesondere sollen diese Werkzeuge dazu dienen, neue geschäftliche Chancen zur Wertsteigerung zu identifizieren. Die Studierenden sollen also Zukunftsforschungsmethoden wie Szenarioformulierung, Tendenzanalyse oder Delphimethode sowie Strategiewerkzeuge wie balanced scorecard, strategy maps, Wertkettenanalyse etc. anwenden können. Sie sollen mit Konzepten wie war gaming, schwachen Signalen und Wild Cards umgehen können. Die Studierenden sollen in der Lage sein, zukunftsorientierte Erklärungen, insbesondere Missionen, Visionen und Werte, zu formulieren. Die Inhalte des Studiums umfassen Veranstaltungen mit folgenden Titeln, deren Themen jeweils stichwortartig umrissen werden: Strategic Foresight – Principles, Concepts, and Applications; Strategy, Leadership, and DecisionMaking; Designing and Managing the Innovation Process; Global and European Trends and Challenges; Modelling, Intelligence, and Knowledge Management (mehrere Veranstaltungen); Mastering a Foresight, Strategy and Innovation Toolbox (mehrere Veranstaltungen); Foresight Lab/Scenario Thinking Project – From Anticipation to Action; Strategy Lab – Designing and Leading a Strategic Renewal/Business Plan; Innovation Lab – Designing and Managing an Innovation Process/Project. In methodischer Hinsicht werden vor allem die in den ersten Zeilen genannten Grundlagenveranstaltungen in Vorlesungsform angeboten und um jeweils ein oder zwei Seminare ergänzt. Besonders interessant ist der Laboransatz, der sich jeweils auf die drei Teilbereiche des Studiums, Vorausschau, Strategie und Innovation, erstreckt. Hierbei handelt es sich um ein Projektstudium. Dieses erfolgt in enger Zusammenarbeit mit größeren Unternehmen. Die Lernerfolgskontrolle wird vornehmlich durch Semesterarbeiten und Projektvorträge bzw. -berichte vorgenommen.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Università Telematica Leonardo da Vinci Die Università Telematica Leonardo da Vinci ist eine Fernuniversität für Berufstätige, die als Onlinecampus an der L’Università degli Studi G. d’Annunzio angesiedelt ist. An der dortigen Fakultät für Managementwissenschaft (Facoltà di Scienze Manageriali) wird ein postgradualer Master in Szenariomanagement (Master di Secondo Livello in Management per Scenari Partecipati) angeboten. Auf der Zielebene strebt der Studiengang die Befähigung der Studierenden an, Bedürfnisse und Wünsche von Gruppen und Organisationen zu ermitteln, die kurz- und langfristigen Zukünfte zu erkunden, explorative und normative Szenarien zu formulieren und diese innerhalb eines Projekts zu implementieren. Auf der Inhaltsebene besteht das Masterstudium aus Kursen zu folgenden Themen: Ermittlung von Bedürfnissen und Wünschen, Zeitreihenanalyse und Prognose, Vorausschauen in Zeit und Raum, Szenarien und Zukunftsforschung in der sozialwissenschaftlichen Forschung, Gruppenkommunikation und Meinungskonvergenz, Methoden der Folgenanalyse, Spezielle Vorausschauen (z. B. Stadtentwicklung), Software für Vorausschauen, Labor: Szenarien und Zukunftsforschung, Labor: Meinungskonvergenz, Labor: Szenarien zur Technikinnovation. In methodisch-medialer Hinsicht handelt es sich um ein Onlinestudium, bei dem vornehmlich der Versuch unternommen wird, Vorlesungen durch kommentierte Tafelbilder zu substituieren. Darüber hinaus betreuen die Dozenten die Studierenden auf zeitlich synchronen und asynchronen Kanälen bei offengebliebenen Fragen. Eine virtuelle Zusammenkunft der Studierenden und Dozenten findet in Seminaren statt, die Labors genannt werden und der praktischen Einübung des Gelernten anhand konkreter Projekte dienen. Zur Lernerfolgskontrolle sollen die Kandidaten für jeden Kurs schriftliche Texte verfassen und Fragebögen ausfüllen. Nach Beendingung aller Kurse wird eine Abschlussprüfung abgenommen. University of Hawai’i at Manoa Das University of Hawai’i-System ist ein Verbund staatlicher Universitäten, Community Colleges und Forschungsanstalten im US-Bundesstaat Hawai’i. Innerhalb dieses Netzwerks ist die University of Hawai’i at Manoa der größte Standort. Das dortige Department of Political Science bzw. dessen 1972 gegründetes Hawai’i Research Center for Futures Studies bietet seit 1977 undergraduate und graduate courses in Zukunftsforschung mit politikwissenschaftlichem Schwer-
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punkt an. Diese Kurse können in verschiedenen Studiengängen, hauptsächlich im politikwissenschaftlichen Master of Arts, eingebracht werden. Wird innerhalb dieses Studiengangs die Option des Alternative Futures M.A. gewählt, müssen die Studierenden die angebotenen zukunftswissenschaftlichen Kurse belegen. Richtziele werden nicht formuliert. Dafür finden sich für jeden einzelnen Kurs Grobziele in Form von Inhaltsformulierungen. Inhaltlich werden folgende Kurse angeboten: Introduction to Political Futures (undergraduate), Futuristics and Political Design (undergraduate), Politics of the Future (graduate), Future of Political Systems (graduate). Die Kursbeschreibungen sind sehr ausführlich und haben teilweise Drehbuchcharakter für die einzelnen Veranstaltungen. So steht jeder Termin unter einer vorher festgelegten Überschrift, die Kursbeschreibung geht auf die dort behandelten Themen ein und benennen die Literatur, die die Studierenden vorab zu lesen haben. In methodischer Hinsicht wird auf einen häufigen Methodenwechsel Wert gelegt. Eine Veranstaltungsreihe läuft folglich nicht gleichförmig ab. Eröffnet wird ein Kurs etwa mit einem zusammenfassenden Vortrag des Dozenten. Dann wird zu studierendenzentrierten Formen übergegangen. Eine wichtige Rolle spielen Diskussionen im Plenum. Auch Gruppenarbeiten werden – vor allem bei den undergraduate courses – eingesetzt. Jede Phase des Unterrichts basiert auf den angegebenen Literaturgrundlagen. Die kritische Stellungnahme zu diesen steht stets im Vordergrund. Um sich den wünschenswerten Zukünften zu widmen, geht man auch gern ungewöhnliche Wege. So sollen die undergraduates ein optimales politisches System gestalten, indem sie es nicht für die Erde, sondern innerhalb eines Gedankenexperiments für den erst noch zu bevölkernden Mars entwickeln sollen, bei dem quasi bei null angefangen werden kann. Die Lernerfolgskontrolle erfolgt über verschiedene schriftliche Arbeiten. Auf Grundlage der angegebenen Literatur sollen die Studierenden etwa einen sieben- bis zehnseitigen Essay verfassen, der das Gelesene zusammenfasst und kritisch würdigt. Es werden auch kleine Aufträge erteilt, wie beispielsweise die Recherche nach empirischen Beweisen für gelesene Thesen. Bei der Abschlussarbeit zum Kurs „Politics of the Future“ etwa haben die Studierenden drei Wahlmöglichkeiten. Sie sollen 1. die Werke zweier frei wählbarer Zukunftsforscher im Hinblick auf deren Zukunftsbilder, Theorien des Wandels oder Methoden miteinander vergleichen, 2. einen kritischen Vergleich zwei frei wählbarer Methoden anstellen und ihr Verbesserungspotenzial herausstellen oder 3. zwei Theorien des sozialen Wandels hinsichtlich ihrer Herkunft, wissenschaftshistorischen Entwicklung und Anwendbarkeit diskutieren.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Dieses final paper soll nach Möglichkeit im Plenum vorgetragen und diskutiert werden. Die Noten setzen sich aus mehreren Bestandteilen zusammen. Im Kurs „Future of the Political Systems“ beispielsweise wird der written report mit 50 %, die Präsentation vor dem Plenum mit 20 %, die regelmäßige Anwesenheit mit 25 % und die Teilnahme an der Mailinglist1319 mit 5 % gewichtet. Insgesamt wird besonderer Wert auf den Anwendungsbezug des Gelernten gelegt. So wird in dem dreijährigen Programm ein volles Jahr darauf verwendet, ein bezahltes Praktikum zu absolvieren. Die meisten Studierenden kommen dabei im Institute for Alternative Futures in Alexandria, Virginia unter. Wer sich gegen diese Option entscheidet, kann stattdessen eine zukunftsorientierte MasterThesis verfassen. University of Houston Die University of Houston ist eine Universität im US-Bundesstaat Texas. An der dortigen ingenieurwissenschaftlichen Fakultät (College of Technology) wird ein interdisziplinärer, technikbasierter Studiengang mit dem Abschlussziel Master of Technology in Futures Studies in Commerce angeboten. Mit dem Studium wird das Richtziel verfolgt, die Studierenden in die Lage zu versetzen, Arbeit- und Auftraggeber dabei zu unterstützen, signifikante Veränderungen in der Zukunft frühzeitig zu erkennen und ihre langfristigen Ziele erfolgreich zu verfolgen. Der Studiengang fokussiert zu diesem Zweck auf die Vorausschau und die Planung diskontinuierlichen und transformationalen Wandels, indem schnelle Veränderungen in der Unternehmensumwelt analysiert werden, das Denken in Systemen eingesetzt und nach Möglichkeiten gesucht wird, wünschenswerte Zukünfte tatsächlich zu erreichen. Gerade darin, dass nicht der kontinuierliche, extrapolierbare, sondern der nicht mit Gewissheit prognostizierbare Wandel im Vordergrund steht, sieht der Studiengang seinen Schwerpunkt. Ausgebildet werden sollen in diesem Sinne keine Prognostiker oder Planer, sondern futurists, die sich nicht nur mit der erwarteten, sondern mit alternativen Zukünften beschäftigen. Inhaltlich werden Kurse mit folgenden Titeln angeboten: Quantitative and Statistical Methods for Human Resources Development, Advanced Strategies for Futures Planning in Consumer Sciences and Retailing, Consumer Issues and Futures Applications, Introduction to Future Studies, Proseminar in Futures Studies, Futures Research, Scenarios and Visions, World Futures. 1319 Hier sollen die Studierenden auch außerhalb der Veranstaltungstermine den Stoff online diskutieren.
4.4 Teil 2: Dozentenbefragung
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Darüber hinaus sind drei Kurse aus folgendem Angebot zu wählen: Systems Applications, E-tailing Systems, Marketing Administration, Integrated Marketing Communications, New Product Development, Practical Marketing Analysis. Je nachdem, ob eher ein anwendungsorientiertes oder forschungslastiges Studium angestrebt wird, sollen die Studierenden zwischen einem Praktikum oder einer projektbasierten Master-Thesis wählen. Zu den Lehrmethoden, Medien und Lernerfolgskontrollen (bis auf die Abschlussprüfung) werden keine Angaben gemacht. 4.4
Teil 2: Dozentenbefragung
4.4.1
Methodik
Die Dokumentenanalyse hat gezeigt, dass die untersuchten Programme überwiegend Richtziele formulieren und recht ausführliche Angaben zu Inhalten machen. Zu den drei weiteren didaktischen Grundentscheidungen, also den methodischen und medialen Aspekten sowie zur Lernerfolgskontrolle, finden sich dagegen wenige Aussagen. Aufbauend auf der Analyse bestehender Studiengänge der Zukunftsforschung wurde daher eine halbstandardisierte, schriftliche Expertenbefragung durchgeführt, um einerseits die ersten beiden Aspekte breiter zu stützen und andererseits die Erkenntnislage bei den drei letzten Fragen zu verbessern. Bei Experteninterviews werden – wie der Name bereits sagt – Personen befragt, die als besonders fachkundig gelten. Im hiesigen Fall handelte es sich um Professoren und sonstige Dozenten der Zukunftsforschung, die das Fach also aktiv an Hochschulen lehren oder gelehrt haben und somit kompetente Ansprechpartner für Fragen zur Lehre der Zukunftsforschung sind.1320 Befragungen in Schriftform sind ein gängiges Erhebungsverfahren. Auch wenn sie eher bei vollstandardisierten Interviews mit überwiegend geschlossenen Fragen dominieren, sind sie auch – wie hier – bei halbstandardisierten, halboffenen oder gar bei nicht standardisierten, offenen Befragungen zulässig.1321 Die schriftliche Form bot sich im hiesigen Fall schon aufgrund der überwiegend großen räumlichen Entfernungen zu den Befragten und der damit verbundenen Zeitverschiebungen an. Schriftliche Antworten haben darüber hinaus den Vorzug, 1320 Auf das Vorgehen der Expertenselektion geht Kap. 4.4.2 näher ein. 1321 Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 308.
240
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
dass sie in der Regel besser durchdacht und erschöpfender sind.1322 Der sonst übliche Nachteil, dass emotionale Eindrücke und Deutungen auf diese Weise kaum eingefangen werden können, spielte aufgrund der nicht personenbezogenen, sachlichen Thematik keine Rolle. Nicht ganz einfach zu beantworten ist die Frage, ob es sich bei der durchgeführten Befragung eher um ein quantitatives oder ein qualitatives Vorgehen handelte. Für eine Einstufung als qualitatives Interview sprechen folgende Argumente:1323 x Qualitative Interviews dienen der Exploration von Sachverhalten.1324 Sie eignen sich hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes besonders gut, um ein holistisches Bild vom Untersuchungsgegenstand zu erhalten, während quantitative Befragungen tendenziell eher Teilausschnitte fokussieren.1325 Da es sich bei der hier angestrebten Didaktik um ein ganzheitliches Konzept handelt, bietet sich ein qualitatives Vorgehen an. x Die untersuchten Items liegen insbesondere nicht in metrischer Form vor und sind schwerlich quantifizierbar. x Nicht bei allen qualitativen Forschungsdesigns begibt sich der Forscher als theoretische Tabula rasa in die Befragung. Insbesondere das problemzentrierte Interview1326 und das fokussierte Interview1327/1328 sind nicht nur einseitig induktiv, sondern zudem deduktiv orientiert, indem sie theoretisches Vorwissen ausdrücklich einbeziehen.1329 Dieses Vorgehen wurde auch hier gewählt. x Obwohl der überwiegende Teil der lehrenden Zukunftsforscher weltweit an der Befragung teilgenommen hat, ist die Zahl der Untersuchungssubjekte vergleichsweise gering, was für eine qualitative Einstufung spricht. x Auch wenn die Gestaltung und Steuerung des Interviews bei qualitativen Interviews meistens durch den Respondenten erfolgt, ist dies nicht 1322 1323 1324 1325 1326 1327 1328 1329
Vgl. ibd. Vgl. ibd., S. 308 f. Vgl. ibd., S. 341 f. Vgl. ibd., S. 340. Für einen Überblick vgl. Tiberius (2008), S. 218 ff.. Für einen Überblick vgl. Merton/Kendall (1945); iidem (1979). Auf beide Methoden wird nachfolgend vereinzelt eingegangen, soweit sich Anleihen anbieten. Vgl. Witzel (2000), Abs. 3. Die Einbeziehung der Deduktion begründet Witzel (1996), S. 52, mit seiner Kritik am naiven Induktivismus des soziologischen Naturalismus. Die problematische, für die qualitative Forschung sonst typische Annahme, dass der Forscher wie eine Tabula rasa frei von konzeptionellem Vorwissen – und seien es implizite Alltagstheorien – sein könnte bzw. sollte, wird hier dementsprechend fallen gelassen: „Das unvermeidbare Vorwissen muss offengelegt werden und dient […] als heuristisch-analytischer Rahmen für Frageideen im Erhebungs- und Auswertungsprozess.“
4.4 Teil 2: Dozentenbefragung
241
bei allen qualitativen Interviewvarianten der Fall. Das problemzentrierte Interview und das fokussierte Interview sind zwei Spezialformen, die der qualitativen Forschung zugerechnet werden, bei denen das Gespräch überwiegend durch den Befragenden gelenkt wird. x Die Frage der Distanzierung des Forschers hängt sehr stark von der Fragestellung ab. Sollen – wie hier – eher sachliche als personenbezogene Sachverhalte erhoben werden, spielt die emotionale Nähe zum Respondenten keine wichtige Rolle. x Eine klare Strukturierung ist ebenfalls kein Ausschlusskriterium für qualitative Interviews. So arbeitet etwa das fokussierte Interview mit einem Leitfaden,1330 also einem Fragenkatalog, der nicht erst während des Gesprächs, sondern bereits im Vorfeld aufgestellt wird. x Auch für den Standardisierungsgrad gibt es keine eindeutigen Vorgaben. Der erwähnte Leitfaden, den verschiedene Verfahren einsetzen, trägt zweifelsohne zur Standardisierung auch im qualitativen Bereich bei. Der halbstandardisierte Charakter zeigt sich darin, dass ein empathischer Kommunikationsstil angestrebt wurde, bei dem der Forscher auf das vom Befragten Gesagte eingeht und auf dieser Grundlage weitere Fragen entwickelt.1331 x Weiterhin lassen sich auch bei der Offenheit der Fragestellungen unterschiedliche Abstufungen finden. Das fokussierte Interview ist nur bedingt offen. Auch das problemzentrierte Interview arbeitet mit halboffenen und ggf. auch mit geschlossenen Fragen. Die Darstellung zeigt zunächst, dass es nicht nur ein Kriterium gibt, anhand dessen die Einordnung als quantitative oder qualitative Befragung erfolgt. Es ist ferner nicht festgelegt, wie viele Kriterien erfüllt sein müssen oder wie schwer einzelne Kriterien gewichtet werden sollen, um eine Entscheidung zu treffen. Das schwerwiegendste Problem jedoch ist, dass bei allen genannten Kriterien ein 1330 Bei Leitfadeninterviews handelt es sich um einen von der Themenstellung und vom Erkenntnisinteresse unabhängigen Sammelbegriff für Interviewtechniken, die einen Fragen- oder Themenkatalog zur Grundlage haben, der alle zu erhebenden Aspekte auflistet, wodurch eine gewisse Standardisierung vorgenommen wird, vgl. Witzel (1989), S. 235; Flick (1999), S. 112 ff.; Lamnek (2005), S. 350, 352; Bortz/Döring (2006), S. 314. Er ist als lockere Vorstrukturierung, nicht aber als starres Gerüst für ein Frage-Antwort-Schema zu verstehen. Er soll ausreichend Spielraum bieten, um auf Grundlage der Antworten des Respondenten neue Fragen zu entwickeln und ggf. anderweitig beantwortete oder im Einzelfall irrelevante Fragen wegzulassen. Bei qualitativen Interviews, die wie das problemzentrierte Interview auch deduktiv vorgehen, dient das theoretische Vorwissen als Quelle für den Leitfaden, vgl. Witzel (1989), S. 235; id. (1996), S. 52; id. (2000), Abs. 3. Insofern ist der Leitfaden ein „theoriegeleitetes Suchraster“ bzw. ein „heuristisch-analytisches Rahmenkonzept“, vgl. Witzel (1996), S. 64. 1331 Vgl. Lamnek (2005), S. 335.
242
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
nicht-diskretes Kontinuum von eher quantitativen oder eher qualitativen Ausgestaltungsmöglichkeiten besteht. Die Schlussfolgerung kann daher nur lauten, dass es sich bei der Befragung um eine Mischform handelt, bei der die qualitativen Züge überwiegen. Eine besondere konzeptionelle Nähe der hier durchgeführten Befragung besteht zum problemzentrierten und zum fokussierten Interview, weshalb es sich anbietet, an der Durchführungs- und Auswertungsmethodik dieser beiden Spezialformen zu orientieren. Das problemzentrierte Interview wurde von Witzel in die qualitative Forschung eingeführt. Die Methode zielt darauf ab, die Wahrnehmungen und die kognitive Verarbeitung eines spezifischen Problems aus der gesellschaftlichen Realität sowie der Handlungen des Interviewten möglichst unvoreingenommen zu erfassen.1332 Die Problemzentrierung dient der präzisen und ausschließlichen Erhebung der Gegenstände des Erkenntnisinteresses und reagiert damit auf die berechtigte Kritik gegenüber anderen qualitativen Interviewformen, möglichst viel narratives Material anzuhäufen und dabei thematisch in die verschiedensten Richtungen abzudriften, die sich allein aus der Erzählstruktur des Befragten ergeben.1333 In den teilweise sehr konkreten Verfahrensanweisungen hinsichtlich Durchführung und Auswertung des Interviews finden sich spezifische Überlegungen, die für die hier durchgeführte Befragung nicht sinnvoll waren. Beim fokussierten Interview handelt es sich um eine besondere Form des Leitfadeninterviews. Wenn auch die Fragetechnik sehr der hier verwandten ähnelt, so fußt das Gespräch definitionsgemäß auf einem Artefakt als Grundlage, das im Laufe des Gesprächs betrachtet, also fokussiert, wird. Dabei kann es sich beispielsweise um einen zuvor gelesenen Text oder einen vorab gesehenen Film handeln. Der Interviewer formuliert seinen Fragenkatalog aufgrund dieses Objekts, das dem Respondenten als Reizvorlage dient. Da es ein solches Objekt bei der hiesigen Befragung nicht gegeben hat und der Einsatz eines solchen auch nicht sinnvoll gewesen wäre, schied auch das fokussierte Interview als Fragemethode aus, konnte jedoch methodologisch und methodisch bei Durchführung und Auswertung als Inspiration dienen. Als besonders geeignet erscheint es, sich an dem Vorschlag beider Methoden zu orientieren, nicht nur induktiv, sondern auch deduktiv vorzugehen. Das Interview darf folglich das Hintergrundwissen aus Kap. 2 verwerten, indem die dabei als relevant eingestuften Problemaspekte vor dem Interview herausgearbeitet wurden. Dieses Vorwissen wird mit der Realität konfrontiert und, je nach Ergebnis 1332 Vgl. Witzel (2000), Abs. 1. 1333 Ähnlich auch id. (1989), S. 243.
4.4 Teil 2: Dozentenbefragung
243
der empirischen Studie, entweder plausibilisiert oder modifiziert. Das deduktive Vorgehen besteht dabei darin, die bestehenden Thesen zu prüfen, indem der Interviewer sein theoretisches Vorwissen verwendet, um einzelne Aspekte aus dem Interview theoretisch einzuordnen. Das induktive Element zeigt sich darin, dass der Forscher aber auch offen ist für völlig neue Einsichten, die die bestehenden Annahmen entweder ersetzen oder ergänzen. Unter dem Strich hat der Forscher zwar eine genaue Vorstellung über seine Fragestellung und erste Ideen über die Antworten, bleibt aber offen für neue, unerwartete Erkenntnisse.1334 4.4.2
Expertenselektion
Im Gegensatz zu quantitativen Studien, die eine (repräsentative) Zufallsauswahl (statistical sampling) der zu untersuchenden Stichprobe aus der Grundgesamtheit vornehmen, gilt für die qualitative Forschung das Prinzip des theoretical sampling.1335 Damit erfolgt die Selektion der Untersuchungspopulation gezielt unter für die Theoriebildung wesentlichen Aspekten. Durch dieses Verfahren werden die Respondenten zu Experten und das Interview zum Experteninterview.1336 Für die durchgeführten Befragungen konnten als Ansprechpartner Professoren, Dozenten und Studiengangsleiter für das Fach Zukunftsforschung an Hochschulen befragt werden. Die Selektion stützte sich dabei auf mehrere Quellen: x Zunächst lag es auf der Hand, das Lehrpersonal anzusprechen, das in den oben analysierten Studiengängen tätig ist. x Darüber hinaus wurde möglichst lückenlos nach sonstigen Professoren und Dozenten recherchiert, die Lehraufgaben mit zukunftswissenschaftlichem Bezug übernehmen. Dazu diente zunächst die Mitgliederliste der World Futures Studies Society. x Eine hilfreiche Liste mit dem Titel „Foresight Educators & Researchers Global List“ fand sich bei Global Foresight, einer „community working to advance global foresight culture“1337. Die Liste enthält „educators 1334 Vgl. Flick (1999), S. 63. 1335 Vgl. ibd., S. 57, 83; Lamnek (2005), S. 187 ff. et pass. Es muss als Widerspruch gewertet werden, dass die qualitative Forschung einerseits ohne theoretisches Vorwissen in die Erhebung einsteigen will, vorher jedoch eine theoriebasierte Auswahl verlangt; ähnlich auch Lamnek (2005), S. 385. Die gewählte Methode des problemzentrierten Interviews ist von diesem Problem – wie oben ausgeführt – ausgenommen. 1336 Auch Witzel (2000), Abs. 13, sieht den Respondenten in einem problemzentrierten Interview als Experten an. Eine Einführung in die Technik des Experteninterviews findet sich bei Bogner (2002). 1337 http://www.globalforesight.org/page/Foresight+Educators+%26+Researchers+-+Global+List, letzter Aufruf am 11.04.2009.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
who teach courses in foresight at the secondary (high school) and tertiary (university) level, or who publish foresight research in academic journals. Those who teach courses on the long-term (10+ year) future of any topic (Energy, Environment, etc.) or courses that use any of roughly twenty-five different primary foresight specialties all qualify for this list. A few distinguished supporters and advocates of foresight education are also included on this list.“1338 x Außerdem wurden die Autorenprofile von Zukunftsforschern in Aufsätzen in den einschlägigen Zeitschriften1339 der Jahre 2000 bis 2009 (bis einschließlich Mai) gesichtet. x Schließlich flossen die Referenten der „WorldFuture – The Annual Conference of the World Future Society“ der Jahre 2005 bis 20091340 in die Recherchen ein. Insgesamt steht dabei der vergleichsweise großen Zahl von Forschern (mit den unterschiedlichsten Ausbildungshintergründen) eine vergleichsweise geringe Zahl von wissenschaftlichem Lehrpersonal gegenüber, die Lehrveranstaltungen dezidiert in Zukunftsforschung anbieten. Die endgültige Liste der angesprochenen Lehrkräfte enthielt 114 Personen. Durch die Lehrtätigkeit der entsprechenden Zukunftsforscher kann unterstellt werden, dass die Ansprechpartner über entsprechende Lehrerfahrungen verfügen. Durch das entsprechende Aufgabenfeld verfügen die Ansprechpartner somit über die erforderliche Kompetenz für ein Experteninterview. 4.4.3
Datenerhebung
Die im vorherigen Schritt ausgewählten Experten wurden zunächst per E-Mail kontaktiert. In dieser wurden Zweck und Inhalt der Studie kurz beschrieben.1341 Es wird empfohlen, dem jeweiligen Respondenten explizit seinen Expertenstatus und das Angewiesensein des Forschers auf dessen Expertenwissen zu verdeutlichen, um die Rollenverteilung zwischen dem Wissenden (Forscher) und Nichtwissenden (Befragter) quasi zu vertauschen und durch die gegenseitige (soziale) Anerkennung die Beantwortung zu erleichtern.1342 Dieser Empfehlung wurde 1338 1339 1340 1341 1342
http://www.globalforesight.org/page/Foresight+Educators+%26+Researchers+-+Global+List, letzter Aufruf am 11.04.2009. Vgl. Kap 3.3. Für den Kongress vom 17. bis 19.07.2009 in Chicago wurde die Kongressankündigung mit Stand vom 27.02.2009 zugrunde gelegt. Der Inhalt der Kontakt-E-Mail ist in Anh. 3 wiedergegeben. Vgl. Lamnek (2005), S. 388.
4.4 Teil 2: Dozentenbefragung
245
Folge geleistet, indem die Angeschriebenen direkt als Dozenten angesprochen und nach Lehrerfahrungen befragt wurden. Der E-Mail wurde als Anhang ein Fragebogen beigefügt, der fünf halboffene Fragen enthielt, mit denen die Befragten aufgefordert wurden, auf Grundlage ihrer eigenen Lehrpraxis Ausführungen zu den fünf didaktischen Grundentscheidungen zu machen.1343 Diese Fragen hatten den Charakter von Einleitungsfragen, die die Aufmerksamkeit des Befragten unmittelbar auf das zentrale Problem des Interviews lenkten.1344 Einleitungsfragen sind so offen zu formulieren, dass sie wie eine „leere Seite“ wirken, die der Respondent selbst ausfüllen muss. Hierin drückt sich demnach das narrative Element der Interviewtechnik aus, die gleich zu Gesprächsbeginn sicherstellt, dass kein klassisches Frage-Antwort-Schema rein quantitativer Interviews begonnen wird. Bei qualitativen Interviews wird häufig Wert auf Vertraulichkeit der gewährten Informationen und Anonymität der Befragten gelegt. Bei der Publikation der Forschungsergebnisse sollen Namen, Orte und andere konkrete Angaben aus diesem Grund meist nicht genannt werden.1345 Für das hiesige Erkenntnisinteresse war mit geheimen oder intimen Informationen nicht zu rechnen. Dennoch wurde jeder Teilnehmer auf das Thema Anonymität in der E-Mail angesprochen und im Fragebogen wurde die Frage gestellt, ob er oder sie lieber anonym bleiben möchte oder nicht. Keiner der Respondenten hat auf Anonymität Wert gelegt. Vielmehr waren alle damit einverstanden, dass sie namentlich zitiert werden. Die E-Mails wurden im Zeitraum zwischen dem 21.01.2009 und 05.02.2009 sowie zwischen dem 08.04.2009 und 28.04.2009 versandt Die Angeschriebenen wurden gebeten, bis zum 31.03.2009 bzw. bis zum 31.05.2009 zu antworten. Die meisten antworteten bereits nach wenigen Tagen. In Einzelfällen wurden Antworten angekündigt, blieben dann aber aus, woraufhin nochmals – meist mit Erfolg – nachgehakt wurde. Von den angeschriebenen Personen haben 23 Personen geantwortet.1346 Einige wenige der angesprochenen Dozenten erwiesen sich nicht als genuine Zukunftsforscher. Das galt insbesondere für einen Teil derjenigen Personen, die in der Futures Studies Network Academy in Finnland genannt wurden. Hierbei handelt es sich um ein Netzwerk von Hochschulen, die sich für Zukunftsforschung engagieren. Die dort genannten Personen fungieren dann häufig als Repräsentanten der jeweiligen Hochschule innerhalb dieses Netzwerks, übernehmen selbst aber keine entsprechenden Lehraufgaben. Zum anderen gab es einige Professoren, 1343 1344 1345 1346
Siehe Anh. 4. Vgl. Witzel (1989), S. 245 f.; id. (2000), Abs. 14. Vgl. id. (1996), S. 56; id. (2000), Abs. 12; Lamnek (2005), S. 385; Bortz/Döring (2006), S. 313. Eine Liste der Dozenten, die an der Befragung teilgenommen haben, findet sich in Anhang 2.
246
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
die zwar an einer Hochschule oder an einem hochschulnahen Institut Zukunftsforschung (mit der Betonung auf Forschung) betreiben, jedoch nicht in der Lehre, zumindest nicht mit zukunftswissenschaftlichem Bezug, tätig sind. Als Beispiele für solche Forschungsinstitute kann das Institute for Futures Studies (Institutet för Framtidsstudier) in Stockholm genannt werden. Dies betrifft mindestens 26 der angesprochenen Personen. Darüber hinaus führte der Kontakt zu fünf Personen zu einer E-Mail-Fehlermeldung. Auch bei weiteren Recherchen konnten keine anderen E-Mail-Adressen ausfindig gemacht werden oder auch diese führten zu Fehlermeldungen. Geht man vor diesem Hintergrund von einer Grundgesamtheit von 114 minus (mindestens) 31, also (höchstens) 83 Personen aus, beträgt die Rücklaufquote 27,7 %, was als zufriedenstellend bezeichnet und als repräsentativ betrachtet werden kann. Aufbauend auf den Antworten im Fragebogen wurden in den meisten Fällen weitergehende Fragen gestellt, die sich an den vorgeschlagenen Kommunikationsstrategien des problemzentrierten Interviews orientierten:1347 1. Im Rahmen der Allgemeinen Sondierung greift der Interviewer im Laufe des weiteren Kommunikationsprozesses einzelne, für die Forschungsfrage relevante Aspekte aus dem Erzählten heraus und stellt vertiefende, „materialgenerierende“ Fragen.1348 Indem konkrete Aspekte aus dem bisher Gesagten herausgegriffen werden, soll der Respondent in den Zugzwang detaillierterer Ausführungen gebracht werden. Beispiele für solche Fragen sind: Wie äußert sich das konkret? Können Sie dafür ein Beispiel nennen? 2. Der Forscher hat ferner die Möglichkeit, Ad-hoc-Fragen zu Themen oder Aspekten zu stellen, die in den Narrationen zu kurz gekommen sind oder die der Respondent von seiner Seite nicht angesprochen hat.1349 Die beiden Fragetypen haben induktiven Charakter, weil sie weitgehend theorielos den Einzelfall erheben. 3. Die spezifische Sondierung hat dagegen deduktiven Charakter, weil der Forscher von seinem theoretischen Vorwissen ausgehend Fragen stellt.1350 Durch Zurückspiegelung kann der Interviewer seine Interpretation der Erzählung nennen, zu der der Befragte ggf. korrigierend Stellung nehmen soll, wodurch eine kommunikative Validierung vorgenommen wird. In Form von Verständnisfragen können offengelassene oder unklar geblie1347 1348 1349 1350
Vgl. Witzel (1989), S. 244 ff. Vgl. ibd., S. 246 f.; id. (2000), Abs. 15. Vgl. id. (1989), S. 250 ff.; id. (2000), Abs. 16. Vgl. id. (1989), S. 247 f.; id. (2000), Abs. 17 ff.
4.4 Teil 2: Dozentenbefragung
247
bene Aspekte in den Erzählungen ergänzt und Widersprüche thematisiert werden. Schließlich kann der Forscher eine Konfrontation des Befragten mit widersprüchlichen Aussagen vornehmen, um Unvereinbarkeiten zu vermeiden. Um die Befragungsatmosphäre nicht zu belasten, ist mit dieser Methode sehr vorsichtig umzugehen. 4.4.4
Auswertungsmethodik
Auch für qualitative Interviews existiert keine einheitliche Auswertungsmethode.1351 Die meisten Verfahren der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik zielen darauf ab, unterhalb der Oberfläche des Offensichtlichen liegende Sinnebenen zu erfassen. Dabei muss der Forscher häufig jeden Satz und jede Mimik intensiv „nachfühlen“, um die verdeckten Informationen zu verstehen. Teilweise orientieren sich diese Methoden daher an der Psychoanalyse oder am genetischen Strukturalismus. Besonders deutlich wird dies an der Variante des Tiefen- bzw. Intensivinterviews. Da dem hiesigen Erkenntnisinteresse zufolge keine intrapersonalen Aspekte aufzudecken sind, ist ein solches Vorgehen hier prinzipiell nicht zielführend. Eine Interpretation sollte hier nicht als „Auslegekunst“1352 aufgefasst werden, sondern ein wissenschaftliches Entdeckungsverfahren darstellen.1353 Aufgrund der gewählten Thematik hat die Auswertung daher einen eher sachlichen Charakter. Die Auswertungsmethode muss sich am gesamten Forschungskontext orientieren. Da sich die Methode des problemzentrierten Interviews gerade in den methodologischen Grundannahmen von den meisten anderen qualitativen Methoden unterscheidet, ist dieser Aspekt besonders elementar. Mit dem teilweise deduktiven Vorgehen ist die Gefahr verbunden, sich bereits in der Erhebungsphase auf eine Vorinterpretation festzulegen.1354 Dass bereits während des Interviews zwangsläufig Vorinterpretationen geleistet werden, zeigt sich an der konkreten Ausgestaltung des Interviewverlaufs vor dem Hintergrund des allgemeinen Gesprächsleitfadens, und hier insbesondere bei den Fragen der spezifischen Sondierung.1355 Dem Problem der einengenden Vorinterpretation muss der Forscher entgegentreten, indem er während des Interviews ausdrücklich offen bleibt für die Widerlegung bestehender Thesen und für gänzlich neue Erkenntnisse. 1351 1352 1353 1354 1355
Vgl. Lamnek (2005), S. 402. Übersetzung von „Hermeneutik“ (griech.). Vgl. Kleining (1982), S. 228. Vgl. Witzel (1989), S. 242. Vgl. id. (1996), S. 53, 58.
248
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Bei der Auswertung von Interviewtexten können mehrere Phasen unterschieden werden. Auch hier erscheint eine Anlehnung an die Auswertungsmethodik des problemzentrierten Interviews sinnvoll. Da sich die Darstellungen innerhalb der Veröffentlichungen Witzels teilweise bei Bezeichnungen, in der Reihenfolge, im Detaillierungsgrad und in der Schwerpunktsetzung unterscheiden, ist die nachfolgende Zusammenstellung als eigene Interpretation zu betrachten, die sich am hiesigen Erkenntnisinteresse orientiert. Die Überlegungen werden weiterhin mit den Vorschlägen von Mühlfeld et al. angereichert, die eine sehr reduktive1356 und pragmatische, sechsschrittige Anleitung für qualitative Interviews vorschlagen, die darauf abzielt, die zentralen Aussagen des Interviews ohne aufwendiges Beiwerk herauszustellen.1357 Ein ähnlich prägnantes Vorgehen ist auch bei Meuser und Nagel zu finden, deren Überlegungen ebenfalls einbezogen werden.1358 1. Transkription: Die Grundlage jeder Auswertung qualitativer Interviews stellt die Transkription, d. h. die Verschriftlichung des Textes, dar.1359 Da die hiesige Befragung in schriftlicher Form erfolgte, war eine Transkription nicht mehr erforderlich. Soweit Interviews sich über mehrere E-Mails erstreckten, wurden diese zwecks besserer Übersicht in der korrekten Sequenz in ein Dokument kopiert. Die im Rahmen der qualitativen Forschung häufig als wichtig betonten nonverbalen Signale und parasprachlichen Besonderheiten, wie Dialekte, Stimmlagen, Pausen, Betonungen, Räuspern u. Ä., die durch ausgefeilte Notationssysteme festgehalten werden können, haben bei der hiesigen Erhebung keine Rolle gespielt, da diese – formal gesehen – in einer schriftlichen Befragung nicht vorkommen und – inhaltlich gesehen – gemäß der Natur des Erkenntnisinteresses keine intrapersonalen Sinngehalte erfasst werden mussten. Auch für Witzel „ist ein umfangreicher linguistischer und paralinguistischer Zeichenkatalog unnötig.“1360 2. Analyse: Der erste Interpretationsschritt besteht in der Satz-für-SatzUntersuchung.1361 Durch diese genaue Vorgehensweise soll vermieden werden, dass der Forscher den Text lediglich daraufhin betrachtet, Belege für seine vorgefertigte Meinung zu finden, sondern auch offen bleibt für Revisionen und neue Erkenntnisse. 1356 Für die Unterscheidung zwischen reduktiver und explikativer Lamnek (2005), S. 269 f. 1357 Für die folgenden Ausführungen vgl. Mühlfeld et al. (1981). 1358 Für die folgenden Ausführungen vgl. Meuser/Nagel (1997), S. 457 ff. 1359 Vgl. Witzel (1996), S. 56; id. (2000), Abs. 20; Lamnek (2005), S. 403. 1360 Witzel (1996), S. 56. 1361 Vgl. id. (1989), S. 243; id. (1996), S. 58.
Datenanalyse
vgl.
4.4 Teil 2: Dozentenbefragung
249
Mühlfeld et al. schlagen als ersten Schritt vor, den Text zunächst daraufhin durchzulesen, konkrete Antworten auf die gestellten Fragen zu markieren. Im Vordergrund stehen dabei objektive Fakten und die Verarbeitung durch den Respondenten. Die Autoren wollen beim zweiten Durchlauf des Textes die gefundenen Antworten in ein Kategorienschema einordnen sowie anschließend zwischen den identifizierten Einzelinformationen eine innere Logik herausarbeiten. Für Meuser und Nagel besteht der erste Auswertungsschritt darin, den Text zunächst zu paraphrasieren, also mit eigenen Worten umzuformulieren. Als zweiten Schritt in ihrer Anleitung empfehlen die Autoren, die eigenen Paraphrasierungen Themenfeldern zuzuordnen. 3. Einzelfalldokumentation a. Im nächsten Schritt wird eine Falldarstellung angefertigt.1362 Diese Beschreibung fasst den Fall pointiert zusammen, um die Einordnung von zitierten Einzelaussagen in den Gesamtzusammenhang zu erleichtern. b. Im Rahmen des Dossiers bzw. der methodologischen Kommentierung ist kurz auf die Beschaffenheit des Interviewmaterials einzugehen.1363 Dazu zählen die Erhebungssituation, die Art und Weise der Kommunikation, das Ausmaß der Sondierungen, problematische Intervieweingriffe, unsichere Interpretationen, methodische Fehler, Widersprüche und offengebliebene Fragen. Diese Text- bzw. Quellenkritik dient somit der Überprüfung der Güte des qualitativen Materials,1364 auf die bereits oben näher eingegangen wurde. c. Bei der Fallinterpretation werden möglichst prägnante Aussagen formuliert.1365 Die Ergebnisse der o. g. Analysen werden hier schriftlich festgehalten, was auch Mühlfeld et al. als vierten Schritt vorsehen. Witzel sieht die Möglichkeit, in der Fallinterpretation den Originalton mit Paraphrasierungen und analytischen Aussagen zu verbinden oder eine Heuristik formulieren, die die Logik des Einzelfalls nachvollziehbar macht. Dies sehen auch Mühlfeld et al. als fünften Schritt ihres Vorgehens vor. 4. Der letzte Schritt besteht in der fallübergreifenden Dokumentation. Hierbei handelt es sich um eine vergleichende, generalisierende Systematisierung der Einzelfallauswertungen, die die Gemeinsamkeiten und 1362 1363 1364 1365
Vgl. Witzel (1996), S. 60 f.; id. (2000), Abs. 23. Vgl. id. (1989), S. 243; id. (1996), S. 64; id. (2000), Abs. 24. Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 329. Vgl. Witzel (1996), S. 65 f.; id. (2000), Abs. 25; Bortz/Döring (2006), S. 329.
250
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Unterschiede aller Interviews herausarbeitet.1366 Meuser und Nagel empfehlen, zu diesem Zweck als dritten Schritt ihres Vorgehens die Zuordnung von Paraphrasen zu Themengebieten, wie sie bereits bei den Einzelinterviews vorgenommen wurde, nun für alle Interviews durchzuführen und anschließend als vierten Schritt übergeordnete Zusammenhänge herauszuarbeiten. Schließlich sollen die Erkenntnisse aus den Interviews in bestehende Theorien eingeordnet und damit generalisiert werden. Dieses rein deduktive Vorgehen ist entsprechend induktiv zu ergänzen. Wichtig erscheint Witzel außerdem eine kontrollierte Form der Interpretation1367 bzw. eine diskursive Validierung.1368 Darunter ist generell eine Gruppendiskussion1369 der Einzelinterpretationen durch mehrere Forscher zu verstehen. Es ist allerdings unklar, an welcher Stelle bzw. an welchen Stellen der vorgenannten Schritte diese sinnvollerweise eingearbeitet werden soll, insbesondere, ob dies nach der Einzelanalyse eines Interviews oder nach der generalisierenden Analyse aller Interviews geschehen soll. Sie kann in der vorliegenden Arbeit grundsätzlich nicht vorgenommen werden, da es sich um eine einzelne Forschungsleistung handelt. Sie erscheint allerdings auch nicht zwingend, da sie auch lediglich den Versuch einer interpersonalen Prüfung darstellt, die nicht garantiert, dass eine endgültig gefundene Gruppeninterpretation korrekter ist als eine Einzelinterpretation. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund von Groupthink-Effekten fraglich. 4.4.5
Einzelfallauswertungen
Wendell Bell Bell ist emeritierter Professor für Soziologie an der Yale University, wo es zwar keinen eigenständigen Studiengang für Zukunftsforschung, aber ein faculty colloquium gab, innerhalb dessen eine zukunftswissenschaftliche Vertiefung in Soziologie möglich war. Bell hat mehr als 40 Jahre lang zukunftswissenschaftliche Lehrveranstaltungen wie „The Sociology of the Future“ oder „Social Change and the Future“ sowohl für undergraduates als auch für graduates in Soziologie durchgeführt. 1366 1367 1368 1369
Vgl. Witzel (1989), S. 244; id. (1996), S. 68 ff.; id. (2000), Abs. 26. Vgl. id. (1989), S. 243. Vgl. id. (1996), S. 67. Die nachträgliche Gruppendiskussion der Interpretationsergebnisse unter Forschern ist nicht mit der Gruppendiskussion als Erhebungsmethode nach Witzel (1989), S. 240 ff., zu verwechseln.
4.4 Teil 2: Dozentenbefragung
251
Bell legt hinsichtlich der Lehrziele Wert darauf, dass seine Studierenden, die sich für die zukunftswissenschaftliche Vertiefung entschieden haben, sowohl gut ausgebildete Sozialwissenschaftler als auch hinsichtlich der Zukunftsforschungsliteratur belesen sind. Wichtig ist ihm die wissenschaftstheoretische Grundlegung der Zukunftsforschung. Hier zeigt er die Grenzen des Positivismus und Postpositivismus auf und wirbt für die Sichtweise des kritischen Realismus. Seine Studierenden sollen ferner Erfahrungen in einer Reihe von Zukunftsforschungsmethoden sammeln. Seine Auswahl deckt sich dabei mit der Darstellung in den „Foundations of Futures Studies“: Zeitreihenextrapolation, Cohort-ComponentMethode, Umfragen, Delphi-Methode, Simulation und Computermodellierung, gaming, monitoring, Inhaltsanalyse, participatory futures praxis, soziale Experimente und ethnografische Zukunftsforschung. Ein wichtiger Schwerpunkt schließlich liegt auf der moralisch vertretbaren Beurteilung von Zukünften, da diese die Grundlage für Entscheidungen und Handlungen ist.1370 Neben seinen Ausführungen verweist er zudem auf seine „Foundations of Futures Studies“, in denen sich seine Vorstellungen ebenfalls niedergeschlagen haben. Mit dem ersten Band dieses Werkes legt er eine geschlossene Darstellung der Zukunftsforschung vor.1371 In seiner Lehrveranstaltung „The Sociology of Good and Evil“ hat er sich mit wünschenswerten und vermeidenswerten Zukünften und insbesondere mit ihrer objektiven Beurteilung beschäftigt, was auch den Schwerpunkt des zweiten Bandes von „Foundations of Futures Studies“ bildet.1372 Die Unterscheidung zwischen Lehrzielen und Lehrinhalten ist bei Bell nicht ganz trennscharf. Für ihn sollte sich ein Zukunftsforscher in einem sozialwissenschaftlichen Feld spezialisieren, etwa Anthropologie, Wirtschaftswissenschaften, Politikwissenschaft, Psychologie oder Soziologie. Neben diesen Mainstream-Fächern nennt er auch als weitere Beispiele Umweltwissenschaften, African American Studies und Gender Studies (bei ihm eigentlich: Women’s Studies). Wichtig ist ihm ferner, dass die Studierenden Erfahrungen bei der Durchführung empirischer Studien (quantitativ und/oder qualitativ) sammeln. Dabei betont er die Wichtigkeit, dem Studiendesign besondere Aufmerksamkeit zu widmen, damit es nicht automatisch zu einer Bestätigung der (eventuell falschen) Hypothesen kommt. 1370 Hierbei greift er auf das epistemic implication model der Philosophin Lee (1985) zurück, das wiederum den Grundgedanken der Falsifikationsthese von Popper auf moralische Entscheidungen überträgt, d. h. eine solche Entscheidung kann anhand verschiedener Kriterien überprüft werden. Übersteht sie diese Prüfungen, kann sie als objektiv betrachtet werden, vgl. Bell (2004), S. 87 ff. 1371 Vgl. Bell (2003). 1372 Vgl. Bell (2004).
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Im Hinblick auf Lehrmethoden setzt Bell Vorlesungen ein, in die er fokussierte Studierendendiskussionen integriert. In Veranstaltungen mit wenigen Teilnehmern, insbesondere Seminaren, werden die Studierenden aufgefordert, geschlossene mündliche Beiträge vorzutragen („oral reports on specific topics“). Außerdem sollen die Teilnehmer gelegentlich schriftliche Kommentare zu ausgewählten Aufsätzen abgeben. Fast stets wird ein Seminar mit einem term paper abgeschlossen, in dem die Studierenden über ein Zukunftsthema, eine Zukunftsforschungsmethode, eine Theorie oder mögliche, wahrscheinliche oder wünschenswerte Zukünfte und ihre Begründung schreiben sollen. Im Sommersemester werden im Rahmen des Yale Comparative Sociology Training Program durch finanzielle Unterstützung des National Institute of Mental Health – vor allem mit graduates – empirische Studien durchgeführt, die dann im Folgesemester analysiert, interpretiert und in Berichten zusammengefasst werden, die zum Teil anschließend veröffentlicht werden. Hierzu nennt Bell zwei Beispiele: Im ersten Fall wurden jamaikanische Politiker aufgefordert, ihre vor zwölf Jahren formulierten Zukunftsbilder für ein von Großbritannien unabhängiges Jamaika mit der gegenwärtigen Situation zu vergleichen und ihre aktuellen Zukunftsvisionen für das Land zu erläutern. Ein anderes Beispiel war eine Befragung von Bürgern in New Haven (Connecticut) und in London, in der diese sich über verschiedene Arten von Ungleichheit in ihrem Land äußern und beurteilen sollten, wie viel Ungleichkeit gerecht sei. Die Studie zielte auf wünschenswerte Zukünfte über Gleichheit und Ungleichheit bezogen auf soziale Klasse, Rasse und andere Charakteristika. Auf die Frage nach Lehrmedien antwortet Bell, er bevorzuge helle Räume, in denen er direkt mit den Studierenden ins Gespräch kommt. Nach eigener Beurteilung setzte er Bilder, Videos usw. eher wenig ein. Gelegentlich nutzte er Tabellen und Graphen, die er an die Wand projizierte oder als Ausdruck austeilte. Grundsätzlich sieht Bell in visuellen Medien eher eine Behindung der Lehrveranstaltung, weil diese dem direkten Augenkontakt zwischen Dozent und Studierenden in Wege stehen und Letztgenannte eher auf eine passive Zuhörerrolle anstelle einer aktiven Diskussionsbeteiligung einschränken. PowerpointPräsentationen empfand Bell nicht nur als sehr aufwendig in der Erstellung, sondern zudem als oberflächlich und ungeeignet, wenn er selbst Zuhörer einer Veranstaltung war. Bei Bells Veranstaltungen wurden meist zwei Lernerfolgskontrollen, ein midterm exam und ein final exam, durchgeführt. Bei überschaubaren Teilnehmerzahlen formulierte er Fragen, die die Studierenden in Form eines Essays beantworten sollten. Die Note für die Veranstaltung wurde aber teilweise auch aus mehreren kleineren Prüfungen zusammengesetzt. Bell nannte dabei die
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bereits oben erwähnten „term papers“ und schriftlichen Kommentare zu gelesenen Aufsätzen, mündliche Präsentationen und die generelle Teilnahme am Unterricht. Wenn sich Prüfungen auf zuvor vermitteltes Wissen, etwa Theorien oder Methoden, beziehen, hält Bell eine Bewertung für weitgehend unproblematisch. Bei der Beurteilung von möglichen und wahrscheinlichen Zukünften verweist er auf die Möglichkeiten der Objektivierung nach dem epistemic implication model von Lee.1373 Bei der Beurteilung wünschenswerter Zukünfte beruft sich Bell einerseits auf die Selektion menschlicher Werte im Rahmen der sozialen Evolution, andererseits versucht er auch hier eine Objektivierung nach Lees Modell vorzunehmen. Die Studierenden müssen ihre wünschenswerten Zukunftsbilder demnach gut begründen. Die Bewertung der Prüfung orientiert sich dann weniger am Inhalt des Bildes als an dessen Begründung. Martin Butler Butler ist Ingenieur und Betriebswirt (akademische Grade: BEng, MBA) und als „Senior Lecturer of Information Systems Management“ an der University of Stellenbosch Business School tätig. Hinsichtlich der Lehrziele verweist Butler auf das Studiengangsportrait, auf das bereits oben eingegangen wurde. Für ihn gibt es allerdings keine formal erzielbare Qualifikation, die es einem Absolventen erlaubt, sich als professioneller Zukunftsforscher zu bezeichnen. Dies setze vielmehr voraus, dass sich die betreffende Person durch entsprechende Forschung hervorgetan habe. Auch bezüglich der Lehrinhalte verweist Butler auf das Studiengangsportrait. Wie bereits bei der Studiengangsanalyse beschrieben, handelt es sich bei dem Programm in Stellenbosch um ein Fernstudium. Er führt hierzu näher aus, dass Veranstaltungen im Rahmen von Videokonferenzen abgehalten werden, an denen die Studierenden von verschiedenen Zentren (telematic centres) in Südafrika aus teilnehmen können. Auf Nachfrage hin handelt es sich dabei allerdings eher um unidirektionale Ausstrahlungen, die nur an den genannten Zentren empfangen werden können. Die Studierenden können allenfalls per SMS Fragen stellen. Wer die Ausstrahlung nicht „live“ ansehen konnte, kann eine Aufzeichnung auf DVD erhalten. Es gibt daher auch nur wenige Studierende außerhalb Südafrikas. Im lehrmethodischen Zentrum des Studiengangs steht allerdings das Selbststudium vorher festgelegter Literatur. 1373 Siehe vorherige Fn.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Butler geht beim Thema Lehrmedien speziell auf das Modul „Technology Futures“ ein, das von ihm als Lehrbeauftragtem verantwortet wird. Er nennt hier Texte, die im Rahmen eines textbooks geliefert werden, Bilder („graphics in the slides“), Videos, an die Wand projizierte Folien („to explain concepts, summarise content“) und die Online-Lernplattform „Blackboard“, die gleichzeitig die vorgenannten Medien bündelt und Hyperlinks sowie Diskussionsforen enthält. Die visuellen Medien versuchen, künftige Entwicklungen zu veranschaulichen. In Form der genannten Videos werden auch aufgenommene Diskussionen von Zukunftsforschern gezeigt. Im Rahmen von regelmäßigen assignments sollen die Studierenden unter Beweis stellen, dass sie in der Lage sind, das theoretische Wissen anzuwenden. Das Studium wird mit einem einzeln durchzuführenden zukunftswissenschaftlichen Forschungsprojekt (mini-thesis) abgeschlossen. Roger L. Caldwell Caldwell ist emeritierter Professor für Soil, Water and Environmental Science an der University of Arizona sowie ehemaliger Direktor der Abteilung Educational Communications and Technologies. Caldwell hat bis 2003 einen einsemestrigen Kurs in Zukunftsforschung für fortgeschrittene Studierende angeboten („a one semester overview course taught at a higher level – where students need some maturity and experience“). Der von Caldwell angebotene Kurs wendete sich an Studierende verschiedener Studienrichtungen und hatte das Ziel, deren Zukunftsbewusstsein (futures awareness) zu schärfen. Das Ziel bestand also nicht darin, professionelle Zukunftsforscher zu generieren. In Grundkenntnissen der Zukunftsforschung sieht Caldwell gleichwohl einen deutlichen Vorteil gegenüber anderen Absolventen: „This is all good preparation for future jobs1374 regardless of the major.“ Im Einzelnen nennt er folgende Ziele: x Die Studierenden sollen die Grundlagen der Zukunftsforschung, d. h. Gründe für Zukunftsforschung, deren Methoden und deren jeweilige Eignung unter bestimmten Bedingungen, kennen. x Sie sollen wichtige Zukunftsforscher und ihr Werk kennen. x Sie sollen sich kritisch mit der zukunftsrelevanten Literatur auseinandersetzen und diese thematisch und methodisch einordnen können. 1374 Hiermit sind keine „Zukunftsberufe“, sondern lediglich die künftigen beruflichen Tätigkeiten gemeint, denen die Absolventen – egal welchen Fachs – nach den Studium nachgehen werden.
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Caldwell sieht diesen anspruchsvollen Katalog auch in einem Semester als realisierbar an, solange sichergestellt wird, dass nur sehr motivierte Studierende am Kurs teilnehmen, „[who] are mature enough to handle the uncertainties, new ways of thinking, and challenges to some of their long-held assumptions.“ Caldwell geht es insgesamt weniger um das Auswendiglernen, sondern mehr um das Verstehen seitens der Studierenden. Die Studierenden sollen den Zweck der Zukunftsforschung nicht in der Vorhersage, sondern in der Unterstützung sehen, bessere Entscheidungen treffen zu können. Caldwell nennt zur Frage nach den Lehrinhalten fünf zentrale Themenfelder: x Trends und wichtige Triebkräfte des Wandels, demonstriert z. B. anhand von Globalisierung, Ressourcenknappheit, demografischem, technologischem, wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Wandel, politischer Steuerung (governance) und Infrastruktur; x Wandel, insbesondere: Paradigmenwechsel, Unsicherheit, Komplexität, Ignoranz und (starke oder schwache) Signale für den Wandel; x Entwicklung und Verständnis von Zukunftsszenarien; x Umgang mit Wandel und die Entwicklung von Zukunftsforschungsmethoden; x Zukunftsforschungsliteratur und die Darstellung der Zukunft in den Tagesmedien. Auf Nachfrage betont der Respondent, dass sich ein Dozent nicht allein auf mögliche, wahrscheinliche und wünschenswerte, sondern zudem auf unwahrscheinliche Zukünfte konzentrieren solle, da die Wahrscheinlichkeitsbewertung spezifischer Zukünfte häufig mit einer einfachen Extrapolationsannahme einhergeht. Erst durch die Abkopplung hiervon könne ein breiteres Spektrum von Zukünften, bei ihm vorzugsweise vier, geschaffen werden. Bei Wildcards ergänzt Caldwell, dass der Dozent nicht deren geringe Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern betonen sollte, dass das Ereignis tatsächlich eintreffen könnte. So werde das Problem reduziert, dass die meisten Studierenden das Denken in Wahrscheinlichkeiten nicht gelernt haben, und die Aufgeschlossenheit gesteigert, sich auch mit wildcards auseinanderzusetzen. Caldwell setzt eine Reihe von Lehrmethoden ein. Eine Stunde pro Woche finden Vor-Ort-Veranstaltungen (face-to-face) mit in der Regel zehn bis 15 Studierenden statt, teilweise in Form einer Vorlesung, jedoch größtenteils in Form von Plenumsdiskussionen. Die vergleichsweise seltenen Vorlesungen werden vornehmlich für Überblicke, für Einführungen oder für Gastvorträge eingesetzt. Im Laufe der Jahre ist der Vorlesungsteil zurückgegangen. Diskussionen eignen sich für Fragen, die Behandlung spezifischer Situationen oder zur Lösung von
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Problemen, die bei der Lektüre entstanden sind. Außerhalb der Veranstaltungen wird Gruppenarbeit mit durchschnittlich drei Studierenden pro Gruppe eingesetzt. Die Gruppen bearbeiten unterschiedliche Themen und präsentieren anschließend ihre Ergebnisse im Plenum, wobei die Form der Präsentation (Video oder mündliche Präsentation) von der Gruppe frei gewählt werden kann. Schließlich gibt es auch elektronische Diskussionen, die Caldwell als Kern des Kurses bezeichnet und für die im Laufe der Jahre unterschiedliche Softwarelösungen, zuletzt Caucus1375, eingesetzt wurden. Der Kurs hat darüber hinaus eine eigene Internetpräsenz, auf der assignments, tutorials zu Zukunftsforschungsmethoden und andere Ressourcen veröffentlicht werden. Caldwell erklärt, er setze selten Lehrmedien ein. So wird beispielsweise am Computer ein Modell implementiert, und in Videos demonstriert er etwa das Bevölkerungswachstum. Außerdem verwendet er projizierte Bilder und handouts bzw. downloads. Auf Nachfrage hält er den Einsatz von „Zukunftsartefakten“ für sinnvoll, „[which are] artificially estimating what might exist in the future and showing how it would work or look today“. Darüber hinaus befürwortet er Simulationen, Modelle und Geschichten. Diese Medien hätten sich auch in der Geschichtswissenschaft bewährt und würden sich insbesondere für die Zukunftsforschung eignen, weil sie dabei helfen, die eigene enge Sichtweise aufzugeben. Die Lernerfolgskontrolle des Kurses basiert auf Prüfungen und auf der Teilnahme an den elektronischen Diskussionen und den Gruppenarbeiten. Bei den Prüfungen handelte es sich um Hausarbeiten („home exams, where they take it on their own, can use any resource except another person, and submit electronically“). Als Bestandteil der elektronischen Diskussionen sendet Caldwell den Studierenden einmal wöchentlich eine Aufgabe (assignment). Bruce Cordell Cordell ist Dekan der naturwissenschaftlichen Division und Leiter des Center for the Future am Fullerton College in Kalifornien. Dort gibt es keinen eigenständigen Studiengang für Zukunftsforschung, jedoch eine fakultätsübergreifende Veranstaltungsreihe, zu der auch Gastredner, darunter auch die hier interviewten Dozenten Dewar und Caldwell, eingeladen werden. Während der Befragung 1375 Vgl. http://www.caucuscare.com, wo es heißt: „Caucus is an open source, web-based eLearning and discussion platform. It is used in universities, non-profits, and companies wherever learning, conversation, and coordination must happen together.“ Letzter Aufruf am 03.06.2009.
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stellte sich heraus, dass Cordell selbst im Rahmen der Veranstaltungsreihe einzelne Vorträge mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt und zur Zukunft der Raumfahrt, nicht jedoch Lehrveranstaltungen genuin zur Zukunftsforschung hält. Aus diesem Grund wurde das Interview nicht weiter vertieft. Cordell zufolge sollen sich Zukunftsforscher auf der Lehrzielebene möglichst breite Allgemeinbildung über die Disziplingrenzen hinweg aneignen, sie sollen im analytischen und quantitativen Denken geschult sein, die Zukunftsforschungsmethoden verstehen und mit Zukunftsfallstudien vertraut sein. Bei den Lehrinhalten nennt der Respondent andere Wissenschaften, die seiner Meinung nach als fachliche Fundierung neben der Zukunftsforschung geeignet sind. Dies sind Statistik, die Naturwissenschaften, Psychologie, Geschichte, Wirtschaftswissenschaften und Informatik. Cordell zufolge bieten sich unter den verschiedenen Lehrmethoden Vorlesungen und Fallstudien für Einführungen und weiterführende Themen an. Studienprojekte ermöglichen es, Zukunftsforschungsmethoden einzuüben. In Seminaren können die Erfahrungen der Studierenden mit denen von Zukunftsforschern aus der Praxis verbunden werden. Unter den Lehrmedien setzt Cordell hauptsächlich das Internet ein, in das verschiedene Medientypen, etwa Simulationen oder Bilder, integriert werden können. Texte sind für ihn sekundär. Zur Lernerfolgskontrolle finden ein bis zwei midterm exams und ein final exam statt. Bei Einführungskursen können weitere Zwischenprüfungen hinzukommen. James A. Dator1376 Dator ist Professor für Politikwissenschaft und Direktor des Hawai’i Research Center for Futures Studies an der University of Hawai’i at Manoa. Auf der Lehrzielebene formuliert der Respondent, dass die Studierenden die Grundlagen der Zukunftsforschung verstehen sollen, d. h. insbesondere deren Ontologie und Epistemologie, ihre Geschichte und ihre Methoden, zu deren Anwendung in der Praxis sie in der Lage sein sollen. Das Master-Studium an der University of Hawai’i at Manoa konzentriert sich auf der inhaltlichen Ebene auf politische Themen in einem breiten Sinne. Im Undergraduate-Studium erhalten die Studierenden eine Einführung in politische Zukünfte und studieren die Zusammenhänge zwischen Zukunftsforschung und
1376 Auch: Jim Dator.
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politischer Gestaltung. Die gruaduates arbeiten an den Themenbereichen Politik der Zukunft und Zukunft politischer Systeme. Dator bevorzugt unter den Lehrmethoden eine Kombination aus Vorlesung und Seminar, d. h., er trägt zunächst die Inhalte vor, die er sich für die Unterrichtseinheit vorgenommen hat, und diskutiert diese anschließend im Plenum. Die Studierenden sollen vor den Veranstaltungen bestimmte Texte lesen, die dann ebenfalls diskutiert werden. Die Seminare enthalten auch einen hohen Praxisanteil. Die Studierenden bilden Gruppen und lesen gemeinsam Texte, die sie kritisch diskutieren und deren Ergebnisse sie im Plenum präsentieren. Dator ist der führende Protagonist beim Einsatz von Zukunftsartefakten im Unterricht. In seinen Veranstaltungen gibt es während des Semesters meistens mehrere kleinere Prüfungen. Die Studierenden sollen etwa Essays über gelesene Literatur schreiben oder Präsentationen halten. Zum Semesterende soll eine Hausarbeit geschrieben werden. James A. Dewar Dewar ist Frederick-S.-Pardee-Professor für Long-Term Policy Analysis und Director des Frederick-S.-Pardee-Center for Longer Range Global Policy and the Future Human Condition an der RAND Graduate School. Aufgrund seines Lehr- und Forschungsschwerpunkts in langfristiger Politikanalyse (long-range policy analysis) schränkt er seine Antworten auf dieses Gebiet ein. Als Voraussetzung für eine gute Ausbildung in der langfristigen Politikanalyse sieht Dewar einen ausgeprägten mathematischen und wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund. Sein zentrales Lehrziel besteht darin, dass die Studierenden ein klares Verständnis davon haben, was Unsicherheit ist, wie mit ihr umzugehen ist und welche Probleme entstehen, wenn sie ignoriert oder vernachlässigt wird. Entsprechend der inhaltlichen Ausrichtung legt die RAND Graduate School Wert auf eine mathematische und ggf. wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung. Auf Nachfrage führte Dewar aus, was genau Gegenstand seiner Lehrveranstaltung ist. Hauptsächlich setzt er auf den Ansatz des robust decision making. Dabei werden Projektionen entwickelt, die sich von Vorhersagen („forecasts or predictions“) dadurch unterscheiden, dass sie keine Aussagen über ihre Eintrittswahrscheinlichkeit enthalten. Projektionen werden auf Grundlage von mentalen Modellen („how the world works“) oder Heuristiken entwickelt, wobei mithilfe des Computers Hunderte oder Tausende solcher Projektionen entstehen. Mithilfe
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statistischer Auswertungen werden dann Korrelationen und potenzielle Kausalzusammenhänge aufgedeckt.1377 Da Wahrscheinlichkeiten ausgeblendet werden, spielt das Konzept der wahrscheinlichen Zukünfte keine zentrale Rolle. Im Ansatz des robust decision making geht es allein um mögliche Zukünfte. Die Wahrscheinlichkeit wird hier durch die politische Entscheidung ersetzt. Wünschenswerte Zukünfte können – so Dewar auf Nachfrage – formuliert werden, um an ihnen die Güte der Politik zu messen, was jedoch kein zentrales Erkenntnisinteresse des Ansatzes ist. Bei den Lehrmethoden führt Dewar hauptsächlich Vorlesungen mit Diskussionen sowie Fallstudien ein. In seinen Veranstaltungen erhalten die Studierenden viele Lektüreaufträge zu Fallstudien. In den Vorlesungen und Diskussionen wird angestrebt, gemeinsame Muster und allgemeine Heuristiken in diesen Fallstudien zu finden. Dewar nutzt unter den Lehrmedien grundsätzlich die Tafel und setzt gelegentlich visuelle Präsentationen ein. Der Medieneinsatz orientiert sich für ihn an dem Ziel, innerhalb der Fallstudien den Umgang mit Unsicherheit und entsprechende Verbesserungsmöglichkeiten aufzudecken. Seine Studierenden sollen zum Semesterende eine Hausarbeit verfassen, in dem jeder einen ausgewählten Ansatz der Politikanalyse auf ein spezifisches Problem anwenden und erläutern soll, weshalb der gewählte Ansatz geeignet ist. Patrick van der Duin Van der Duin ist Assistenzprofessor an der Fakultät für Technologie, Politik und Management der Technischen Universität Delft in den Niederlanden, wo er einen Kurs in Zukunftsforschung in Verbindung mit Innovationsmanagement anbietet. Hinsichtlich der Lehrziele führt van der Duin aus, die Studierenden sollten wissen, was Zukunftsforschung ist, weshalb sie wichtig ist, welche Zukunftsforschungsmethoden es gibt, für welche Fragestellung welche Methode geeignet ist und wie Ergebnisse der Zukunftsforschung für die Entscheidungsfindung oder andere Ziele eingesetzt werden können. Darüber hinaus sollen sie grundlegende Methoden wie Interviewtechnik und desk research beherrschen. Van der Duin nennt bei den Lehrinhalten die Zukunftsforschungsmethoden und -werkzeuge und deren Anwendung in spezifischen Feldern und die daraus abgeleitete Entscheidungsfindung, etwa im Rahmen von Strategischem Management oder Innovationsmanagement. 1377 Die Methode wird eingehend beschrieben bei Lempert et al. (2003), S. 39 ff.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Van der Duin nennt unter den Lehrmethoden Vorlesungen, darunter auch Gastvorträge. Bei den Lehrmedien setzt van der Duin Powerpoint-Präsentationen und Videos ein. Bei den Videos können Filme gezeigt werden, die die Zukunft zum Gegenstand machen. Van der Duin setzt beispielsweise eine Fernsehsendung ein, in der vier alternative Zukunftsszenarien gezeigt werden. Gezeigt werden kann auch eine Videoaufnahme, in der Personen zu sehen sind, die die Vor- und Nachteile bestimmter Zukunftsentwürfe diskutieren. Die Studierenden haben zur Lernerfolgskontrolle ein group assignment zu erarbeiten. Dabei handelt es sich um eine gemeinsame Projektarbeit, in der die Gruppe die künftige Entwicklung eines beliebigen Gegenstandes erläutern soll. Daneben gibt es auch individuelle Hausarbeiten (writing papers), in der die Studierenden über ihre eigene mögliche Zukunft schreiben sollen. In den Hausarbeiten bewertet van der Duin nicht die spezifischen möglichen oder von den Studierenden als wünschenswert empfundenen Zukunftsentwürfe, sondern deren Erläuterung, wie sie zu diesen gelangen. Er konzentriert sich bei der Bewertung auf die angewandten Methoden und die Begründung, weshalb diese gewählt wurden und wie sie mit der Entscheidungsfindung verbunden wurden. Jay E. Gary Gary ist Assistenzprofessor und Programmdirektor des Master-Studiums in Strategic Foresight an der Regent University in Virginia. Außerdem lehrt er auch im dortigen MBA- und Ph.D.-Studiengang im Bereich Strategic Foresight. Die Ausführungen Garys haben insbesondere auf der Richt- und Grobzielebene die bestehenden Lücken des Studiengangsportraits der Regent University geschlossen: x Die Studierenden sollen in der Lage sein, ein System zur Umweltbeobachtung (environmental scanning system) zu gestalten und Muster systemischen Wandels über Trends, Ereignisse und StakeholderAnliegen (issues) zu identifizieren. x Sie sollen für die nächsten zehn Jahre grundlegende Vorausschauen für eine Organisation formulieren können, die aus alternativen Zukünften, Unsicherheiten und wildcards bestehen. x Die Studierenden sollen ein Abteilungsteam dahingehend führen können, dass dieses strategische Pläne entwickeln kann, die mit Blick auf Wettbewerber, Kunden und Unternehmensumwelt eine Mission, Vision und Ziele enthalten.
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x Sie sollen in der Lage sein, einen zukunftsgerichteten Lernprozess (scenario learning process) zu etablieren, in dem die Führungskräfte einer Organisation ihre Strategien auf ihre Eignung für verschiedene Zukunftsverläufe hin überprüfen können. x Schließlich sollen die Studierenden in der Lage sein, ihren Beruf als Zukunftsforscher, Zukunftsforschung und damit verbundene Werte in der Öffentlichkeit und insbesondere in den Medien zu repräsentieren. Gary geht darüber hinaus auch auf das Ph.D.-Programm „Doctor of Strategic Leadership“ ein, in dem im dritten Studienjahr das Hauptfach Foresight gewählt werden kann. Die hierbei angestrebten Kompetenzen benennt er wie folgt: x Die Studierenden können einen zukunftsgerichteten Lernprozess bei einer Gruppe von Führungskräften installieren, bei dem emergente Trends analysiert werden und die gesamte Unternehmensstrategie vor dem Hintergrund möglicher Zukünfte getestet wird. x Sie sind in der Lage, die langfristigen Folgen politischer Interventionen im Rahmen einer nationalen oder regionalen Vorausschau der Triebkräfte im 21. Jahrhundert zu bewerten. x Schließlich können sie eine Organisation dahingehend auditieren und beraten, dass diese ihr antizipatives Management verbessern kann. Auch wenn sich diese nicht aus dem Studiengangsportrait ergeben, weist Gary darauf hin, dass nicht nur Richtziele bestehen, sondern auch Grobziele für jeden einzelnen Kurs. Innerhalb jedes Kurses werden darüber hinaus noch „Periodenziele“ („period objectives (3 weeks periods)“) festgehalten. Auf allen Zielebenen wird auf professionelle Qualifikationen Bezug genommen. Momentan sind knapp 25 Studierende im Masterprogramm eingeschrieben. Das Durchschnittsalter liegt bei 42 Jahren. Entsprechend wird das Programm als „mid-career professional development“ betrachtet. Gary hat mehrfach die spezifische thematische und Zielgruppen-Fokussierung sowie die Praxisorientierung des vergleichsweise kleinen Studiengangs betont, um zu unterstreichen, dass es sich nicht um ein theoretisches Studium der Zukunftsforschung handelt, sondern deren Anwendung im Unternehmenskontext angestrebt wird. Hinsichtlich der Lehrinhalte verweist Gary auf die Kursübersicht des oben dargestellten Studiengangsportraits, in dem sieben Kernkurse, drei Wahlpflichtkurse und ein Studienprojekt vorgesehen sind. Das Studium ist methodisch als Onlinestudium konzipiert, in dem das Selbststudium eine zentrale Rolle einnimmt (siehe Lehrmedien). In jedem Kurs haben die Studierenden ein größeres und drei kleinere Projekte mit Bezug auf ihren
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Arbeitgeber oder Klienten durchzuführen. Dabei handelt es sich um Beratungsprojekte, bei denen die Studierenden die Rolle eines Juniorberaters einnehmen. Pro Kurs werden online bis zu acht Diskussionsläufe („dialogues or forums“) durchgeführt. Alle drei Wochen findet ein Treffen im live classroom statt, in dem der kommende Studienverlauf für die Dauer von etwa einer Stunde besprochen wird. Studierende, die (etwa aufgrund unterschiedlicher Zeitzonen) nicht teilnehmen können, können auf einen archivierten Mittschnitt zurückgreifen. Die Studierenden haben optional die Möglichkeit, drei Tage pro Jahr die Fakultät zu besuchen. Hierbei steht jedoch ein gegenseitiges persönliches Kennenlernen der Studierenden untereinander und der Dozenten im Vordergrund. Lehrverstaltungen werden nicht angeboten. Das Online-Studium wird über die Lernplattform Blackboard abgewickelt. Vorlesungen finden nicht statt. In jedem der elf Kurse werden drei oder vier Studienbriefe eingesetzt. Anstelle dieser textbooks werden auch teilweise DVDs verwendet. Innerhalb der Lernplattform haben die Studierenden die Möglichkeit, auf eine Reihe von archivierten visuellen und auditiven Medien zuzugreifen. Darüber hinaus wird der Zugang zu Hunderten von Fachzeitschriften gewährt, innerhalb dessen die Studierenden Beiträge als PDF-Datei herunterladen können. Auf Nachfrage erklärt Gary, dass die Nichtexistenz von Zukunftsartefakten für den Unterricht ein Problem darstellt, das im Masterstudium nicht gelöst wurde. Innerhalb der regelmäßigen Online-Kontakte stellen die Dozenten zur Lernerfolgskontrolle fest, ob alle Studierenden auf dem richtigen Weg sind. Prüfungen im engeren Sinne stellen die oben genannten Projektarbeiten dar. Die Ergebnisse müssen (nach der Benotung) auch den anderen Kommilitonen präsentiert werden. William E. Halal Halal ist emeritierter Professor für Science, Technology, and Innovation an der George Washington University in Washington, D. C. Da der Respondent Wahlpflichtkurse in Zukunftsforschung für Master-Studierende in Management anbietet und sich entsprechend nicht primär auf die Ausbildung von Zukunftsforschern konzentriert, äußert er sich zu den einzelnen didaktischen Entscheidungsfeldern nur sehr verhalten. Insbesondere zu Lehrzielen und Lehrinhalten sagt er nichts. Halal setzt unter den Lehrmethoden Vorlesungen, Fallstudien und Rollenspiele ein.
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Bei den Lehrmedien betont er den Einsatz seines Buches „Technology’s Promise“. Das Buch fasst die Ergebnisse einer Befragung von 100 Vorständen, Wissenschaftlern und anderen als Experten bezeichneten Personen im Rahmen des an der George Washington University durchgeführten TechCast-Project zusammen, in dem die Auswirkungen wissenschaftlicher und vor allem informationstechnologischer Innovationen auf die Wirtschafts thematisiert werden.1378 Halal stellt seinen Studierenden zum Zwecke der Lernerfolgskontrolle Fragen, die diese in einem schriftlichen Essay zu beantworten haben. Seiner Ansicht nach ist dieses Vorgehen am besten dafür geeignet, komplexe Sachverhalte abzuprüfen. Peter Hayward Hayward ist Lehrbeauftragter (lecturer) für Strategic Foresight und Programmdirektor des gleichnamigen Studienprogramms an der Swinburne University of Technology in Hawthorn, Australien. Bei den Lehrzielen verweist Hayward auf den oben portraitierten Studiengang an der Swinburne University of Technology. Auch hinsichtlich der Lehrinhalte weist er wieder auf das Studiengangsportrait hin. Er fasst zusammen, dass es sich bei acht der insgesamt zwölf Module um Inhalte mit engem Bezug zur Zukunftsforschung handelt. Darunter befinden sich ein Kurs zur Wissenschaftstheorie, zu konzeptionellen Fragestellungen und zum Zukunftsdenken, zwei Methodenkurse, drei spezifische Erfahrungsfelder, auf die die Zukunftsforschung angewendet wird, sowie vier allgemeine Kurse mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund. Bei den Lehrmethoden werden Vorlesungen, darunter auch Gastvorträge, Diskussionsforen, Fallstudien und Rollenspiele sowie sechs ganztägige workshops eingesetzt. Hayward setzt auf visuelle Lehrmedien. Er zeigt Videos und Text- sowie Bildpräsentationen. Auf Nachfrage handelt es sich dabei um Zukunftsbilder. Diese Visualisierungen möglicher Zukünfte sind seiner Meinung nach geeignet, um Diskussionen anzuregen. Zu den eingesetzten Texten zählt auch ScienceFiction-Literatur. Im Master-Programm sollen die Studierenden zur Lernerfolgskontrolle theoretische Diskussionspapiere im Umfang von 500 bis 5.000 Worten verfassen. Ferner sollen sie gelesene Zeitschriftenaufsätze reflektieren, Berichte zu Praxisprojekten abfassen und Präsentationen vortragen. 1378 Vgl. Halal (2008).
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Andy Hines Hines ist außerplanmäßiger Professor (adjunct professor) an der University of Houston, wo er Lehrveranstaltungen im Master of Science-Studienprogramm in Zukunftsforschung anbietet. Es werden drei Arten von Lehrzielen angestrebt: Wissen im Sinne von Fakten über verschiedene Themen, generische Fähigkeiten, die von einem Akademiker erwartet werden, sowie Zukunftsfähigkeiten, die von einem Zukunftsforscher erwartet werden. Bei der Lehrzielkategorie Wissen werden die wissenschaftstheoretische Verortung der Zukunftsforschung, ihre Ursprünge, Geschichte und aktuelle Entwicklungen, ihre Theorien und Methoden, wichtige Zukunftsforscher und Organisationen sowie Projekte genannt. Außerdem sollen die Studierenden Ausprägungen des globalen Wandels kennenlernen. Dieses Wissen soll in zwei Erfahrungsfeldern konkretisiert werden. Bei den generischen Lehrzielen handelt es sich um überfachliche Kompetenzen, die Studierende unabhängig vom gewählten Studienfach beherrschen sollten und die hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt, später jedoch nicht weiter ausgewertet werden. Genannt werden hier Forschungskompetenzen (Informationen finden, lesen, verstehen, zitieren, analysieren, synthetisieren, interpretieren, Schlussfolgerungen ziehen), Denken (kritisches Denken, systemisches Denken, kreatives Denken), Entscheidungsfindung (Analyse von Werten, Entscheidungsanalyse), Kommunikation (sprechen, schreiben, visualisieren), Rechnen und Gruppenarbeit. Die Zukunftsfähigkeiten umfassen Situationsanalyse im Sinne von situation awareness1379 (Forschungserkenntnisse, historische, gegenwärtige und künftige Bedingungen, aktuelle Entwicklungen), Zukunftsforschung (Modelle, Bewertung von Zukunftsbildern, Werten und Intentionen, Zeitreihenanalyse, qualitative Szenarien), Planung (Formulierung von Mission, Vision und Werten, Zielen und Strategien, operative Planung) und Entwicklung (Change-Management und Projektmanagement). Hines nennt folgende acht lehrinhaltsbezogenen Themenschwerpunkte: x Einführung in die Zukunftsforschung: Zunächst ist eine Einführung in die Methoden und Themen der Zukunftsforschung zu geben. x Sozialer Wandel: Die Studierenden sollen klassische und aktuell diskutierte Theorien des sozialen Wandels kritisch beleuchten, wobei sie sich auf die in den Theorien enthaltenen Vorannahmen konzentrieren sollen. 1379 Situation awareness bezeichnet das kognitive Modell von Akteuren über den Zustand ihrer Umwelt. Zum Ansatz vgl. ausführlich Tiberius (2008), S. 193 ff., m. w. V.
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x Zukunftsforschungsmethoden: Die Studierenden sollen einen Überblick vor allem über die quantitativen, aber auch über die qualitativen Methoden der Zukuftsforschung erhalten. Als Beispiele nennt Hines: Trendextrapolation, Umweltbeobachtung (environmental scanning), Delphi-Methode. Darüber hinaus sollen die Studierenden aber auch Einblick in allgemeine Forschungsmethoden erhalten und Interviews und die Konstruktion von Fragebögen sowie Grundlagen der deskriptiven Statistik erlernen. x Strategische Planung und Change Management: Die Studierenden sollen die Prozesse der Umweltanalyse, der Strategiebestimmung und der strategiebezogenen Mitarbeiterführung kennenlernen. x Systemisches Denken: Die Studierenden sollen sich mit der Systemtheorie vertraut machen, um organisationale Komplexität zu verstehen und Syteme modellieren, Systemverhalten prognostizieren und Probleme lösen zu können. x Szenarien und Visionen: Die Studierenden sollen die qualitativen Methoden der Visions- und der Szenarioformulierung erlernen. x World Futures: Die Studierenden sollen globale Trends bezogen auf den demografischen, ökologischen, technologischen, ökonomischen, politischen und kulturellen Wandel kennenlernen. x Seminar in Zukunftsforschung: In einem Seminar sollen sich die Studierenden mit der Zukunftsforschung als Wissenschaftsdisziplin und als berufliche Tätigkeit auseinandersetzen und dabei auch ethische Aspekte berücksichtigen. Die Darstellung der Lehrinhalte deckt sich zwar nicht direkt mit derjenigen in der Studiengangsanalyse, kann aber als anders gegliederte Zusammenfassung und eigene Vorstellung des Respondenten betrachtet werden. Auch beim Houstoner Master-Studiengang handelt es sich um ein Onlinestudium. In jedem Semester wird auch eine fakultative Präsenzwoche angeboten, an der aber auch mittels Videokonferenz teilgenommen werden kann, sodass das gesamte Master-Programm auch ohne Präsenz an der Universität absolviert werden kann. Wer an den Videokonferenzen nicht partizipieren konnte, kann im Nachhinein eine Aufnahme davon ansehen. In den meisten Modulen ist eine Onlinediskussion integriert, in der sich die Studierenden über das Gelesene oder Arbeitsaufträge austauschen. Die Dozenten ermuntern die Studierenden, Lerngruppen zu bilden. Das Onlinestudium wird medial über die Lernplattform WebCT organisiert, wobei Hines davon ausgeht, dass zum System Blackboard gewechselt werden wird. Das Studienmaterial wird in wöchentlichen Schritten zur Verfügung gestellt.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Die Lernplattform wird u. a. genutzt, um Internetlinks zu tauschen, PowerpointPräsentationen zu zeigen, gemeinsame Notizen anzufertigen und Softwareprogramme – etwa beim Thema systemisches Denken – zu nutzen. Es werden auch Videos gezeigt. Auf Nachfrage ist der Einsatz von Videos allerdings stark eingeschränkt, da diese nicht in der Lage sind, eine bereits ex ante existierende Zukunft zu zeigen. Im Wochentakt finden zur Lernerfolgskontrolle assignments statt. Die schriftlichen Ausarbeitungen sind dabei online in einer private drop box abzulegen. Die meisten Kursnoten setzen sich aus diesen wöchentlichen assignments zusammen. Im Laufe des Studiums sind darunter auch mehrere größere Projektarbeiten zu absolvieren, an deren Ende u. a. folgende Produkte entstanden sein sollen: x Ein scanning journal, in dem die wichtigsten Trends, Ereignisse und Ansprüche in den beiden ausgewählten Erfahrungsfeldern analysiert werden; x ein Bericht, der auf die Zukunftsentwürfe und -bilder von interviewten oder schriftlich befragten Personen eingeht; x ein Prozessmodell für einen selbst ausgewählten Gegenstand, ggf. in Form einer Computersimulation; x eine Vorhersage auf der Basis bestehender Trends in einem der ausgewählten Erfahrungsfelder, in dem auch auf die Implikationen auf andere Bereiche eingegangen wird; x mindestens drei vollständige Szenarien in verschiedenen Formen in einem der ausgewählten Erfahrungsfelder, in dem auch auf die Implikationen auf andere Bereiche eingegangen wird; x eine schriftlich formulierte Zukunftsvision (einer wünschenswerten Zukunft); x ein strategischer Plan, mit dem eine Mission erfüllt und eine Vision anvisiert oder Ziele erreicht werden sollen; x ein operativer Plan, mit dem der Wandel aufgezeigt wird, der erforderlich ist, um den strategischen Plan zu implementieren. Sohail Inayatullah Inayatullah ist Professor für Zukunftsforschung am Graduate Institute of Futures Studies der Tamkang University in Taiwan, außerplanmäßiger Professor an der University of the Sunshine Coast, Gastdozent (visiting academic) an der Queensland University of Technology, beide in Australien, und Lehrbeauftragter an verschiedenen weiteren Einrichtungen. Er war Inhaber des einjährigen UNESCO-Lehrstuhls an der Universität Trier in Deutschland.
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Um sich als professionellen Zukunftsforscher bezeichnen zu können, sieht Inayatullah den Abschluss eines Master- (nicht eines Bachelor-)Studiengangs in Zukunftsforschung als gute Voraussetzung. Er bezieht sich dabei auf die Studiengänge, in denen er lehrt. Daneben weist er auf Ph.D.-Programme in Zukunftsforschung hin. Seine Doktoranden müssen in den drei zukunftswissenschaftlichen Fachzeitschriften Foresight, Futures oder Journal of Futures Studies veröffentlicht haben, bevor sie das Promotionsverfahren einleiten können. Sie müssen darüber hinaus auch lernen, partizipative Zukunftsforschungsmethoden zu moderieren. Näher geht er auf Lehrziele nicht ein. Inayatullah vermittelt bezüglich der Lehrinhalte den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit („it does not really matter“). Für den Respondenten steht neben dem zukunftswissenschaftlichen Kern zunächst ein Fachstudium im Vordergrund, wobei er verschiedene Zugänge für geeignet hält. Er nennt etwa Soziologie, Politologie, Geschichtswissenschaft, aber auch gender studies (bei ihm eigentlich: feminist studies) oder allgemeine Studien in kritischem Denken. Die Ingenieurwissenschaften sind aufgrund ihres engen Erfahrungsfeldes nur eingeschränkt geeignet. Beim zukunftswissenschaftlichen Teil setzt Inayatullah in der Lehre auf ein eigenes inhaltliches Konzept, das er als six pillars der Zukunftsforschung bezeichnet.1380 Genauer genommen sieht er hier sechs zukunftswissenschaftliche Grundlagenkonzepte („the used future; the disowned future; alternative futures; alignment; models of social change; and uses of the future“1381), sechs Grundfragen („will; fear; hidden assumptions; alternative futures; preferred future; and next steps“1382) und sechs Säulen („mapping, anticipation, timing, deepening, creating alternatives and transforming“1383) vor. Die six pillars können als phänomenologischer Zugang zur Zukunftsforschung betrachtet werden, der sich eher am „Wesen“ der Zukunft als an wissenschaftssystematischen Aspekten orientiert. Für Inayatullah ist bei den Lehrmethoden entscheidend, dass sich die Auswahl des Veranstaltungsformats daran orientiert, dass ein lernförderlicher Kontext entsteht. Dies lässt sich als konstruktivistischer Ansatz interpretieren.1384 Insofern sind für ihn Vorlesungen, workshops oder Fallstudien prinzipiell geeignet. Der Respondent konzentriert sich auf den Ansatz des action learning. Die Studierenden sollen hier selbstständig die Lernziele und -inhalte herausarbeiten, was sich ebenfalls als konstruktivistisches Vorgehen betrachten lässt. Inayatullah 1380 1381 1382 1383 1384
Die Überlegungen sind auch bei Inayatullah (2008) veröffentlicht worden. Ibd., S. 5. Ibd., S. 7. Ibd., S. 7. Vgl. Kap. 3.2.2.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
geht also mit seinen six pillars in den Unterricht, passt den konkreten Unterrichtsverlauf jedoch an die sich ergebende Situation an. Inayatullahs Bilanz zum Onlinestudium der Zukunftsforschung fällt eher zurückhaltend aus. Er findet die Lehre hier grundsätzlich schwieriger. In wöchentlichen Abständen sollen die Studierenden über das Erarbeitete reflektieren. Dabei geht es weniger um Zusammenfassungen, sondern mehr darum, die Bedeutung und Anwendungsmöglichkeiten des Gelernten im eigenen Kontext zu überdenken. Inayatullah bemüht sich, seine Lehrveranstaltungen so weit wie möglich medial anzureichern. Er setzt dazu DVDs, Internetseiten, Powerpoint-Präsentationen, Bilder usw. ein. Auch hier gilt, dass die Medienauswahl vor allem lernförderlich sein soll. Klassische Examina hält Inayatullah innerhalb seines Ansatzes der transformative pedagogy nicht für zielführend. Er erteilt den Studierenden zwischendurch Arbeitsaufträge, etwa die Entwicklung von vier Szenarien für den Mobilfunkmarkt, die die Studierenden ad hoc lösen sollen. Eleonora Barbieri Masini Masini ist emeritierte Professorin für Zukunftsforschung und Humanökologie an der Gregorianischen Universität in Rom. Sie blickt auf mehr als 30 Jahre Lehrerfahrung in Zukunftsforschung zurück, etwa am International University Centre in Dubrovnic, an der Universität Triest in Italien sowie an der St. Cloud State University in Minnesota, USA.1385 Sie war als Generalsekretärin, später als Vorsitzende der World Futures Studies Federation tätig. Die Studierenden sollen auf der Lehrzielebene das Denken der Basisdimensionen der Zukunftsforschung, also Zeit und Raum, beherrschen, unabhängig davon, auf welchen Erfahrungsgegenstand sie sich konzentrieren. Sie sollen mit multidisziplinären oder – besser noch – interdisziplinären Ansätzen umgehen können, um die Schnelligkeit von Veränderungen, deren reziproke Einflüsse sowie deren globale Bedeutung zu verstehen. Das konzeptionelle Zukunftswissen bzw. die damit verbundenen Kompetenzen müssen sich in einem bestimmten Erfahrungsbereich, den der Student selbst wählt, manifestieren. Weiterhin sollen die Studierenden sich der Verantwortung der Zukunftsforscher sowie der Entscheidungsträger, die sich ihrer Erkenntnisse bedienen, bewusst sein, wozu es erforderlich ist, die Epistemologie und Ethik der Zukunftsforschung zu verstehen. Schließlich sollen die Studierenden in der Lage sein, die grundlegenden Methoden der Zukunftsforschung zu verstehen und situationsadäquat anzuwenden. 1385 Vgl. Masini (2002b), S. 57.
4.4 Teil 2: Dozentenbefragung
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Neben den in den genannten Zielen enthaltenen inhaltlichen Aussagen und vor allem vor dem Hintergrund ihrer multi- bzw. interdisziplinären Ausrichtung legt Masini auf eine Fundierung in einem bestimmten Erfahrungsfeld wert. Diese kann durch ein Studium der Sozialwissenschaften, insbesondere der Soziologie, der Sozialpsychologie oder der Wirtschaftswissenschaften sichergestellt werden. Darüber hinaus nennt sie Grundkenntnisse in der historischen Analyse und gesellschaftsbezogene Ethik. Masini setzt unter den Lehrmethoden teilweise Vorlesungen ein. Wichtig ist ihr jedoch in jedem Fall, viel Zeit für Diskussionen und Fragen zu reservieren, wofür sich primär Seminarformate eignen. Diese können auch in einer Vorlesungsreihe integriert sein. Teilweise verwendet sie Fallstudien. In fortgeschrittenen Semestern werden auch Übungen angeboten, in denen die Zukunftsforschungsmethoden auf seitens der Studierenden ausgewählte Erfahrungsgegenstände angewendet werden. Hierbei spielt Gruppenarbeit eine zentrale Rolle, bei der zunächst innerhalb der Gruppen Aspekte des Untersuchungsobjekte diskutiert und diese dann im Plenum zusammengeführt werden. Gruppenarbeit ist auch wegen ihrer Eingnung wichtig, zwischen unterschiedlichen Wertvorstellungen, die aufgrund der Normativität konkreter Zukunftsentwürfe relevant werden, zu vermitteln. Neben der Gruppenarbeit geht Masini auf jeden Studierenden und seine individuelle Lernsituation einzeln ein. Die Respondentin betont den zeitlichen Aufwand solcher Lehrarrangements, weist aber darauf hin, dass sich die Mühe lohnt, da ein solches Vorgehen das Verständnis, die soziale Interaktion und Führungsqualitäten fördert. Masini setzt in lehrmedialer Hinsicht hauptsächlich Texte ein, darunter solche, die von der Autorin selbst verfasst wurden, aber auch solche von anderen Zukunftsforschern. Darüber hinaus nutzt sie Tabellen und Videos. Die Visualisierung betrachtet sie als sehr wichtig. Sie hat allerdings vornehmlich das Ziel, den Unterricht medial anzureichern, um den Lernerfolg zu steigern. Die Visualisierung möglicher Zukünfte steht dabei weniger im Vordergrund. In diesem Zusammenhang betont sie jedoch die Arbeit von Dator (s. o.). Masini orientiert sich bei der Form der Lernerfolgskontrolle an den Vorgaben der Fakultät. Meist handelt es sich um schriftliche, seltener um mündliche Prüfungen. Bei den Prüfungen stehen vermittelte zukunftswissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten im Vordergrund, um zu bewerten, ob der Student sein Fach verstanden hat. Wenn alternative Zukünfte zum Prüfungsgegenstand werden, wurden diese in der Regel zuvor im Unterricht behandelt.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Die Bewertung konkreter Zukunftsbilder ist aus Masinis Sicht nicht nur schwierig, weil sie ungewiss sind, sondern auch, weil die aus allen Teilen der Welt stammenden Studierenden naturgemäß sehr unterschiedliche Wertvorstellungen haben, die seitens des Dozenten respektiert werden müssen. Ryota Ono Ono ist Assistenzprofessor für Information and Communications Policy and Planning sowie für Zukunftsforschung an der Aichi University in Japan. Seine Studierenden sind ausschließlich undergraduates. Vor dem Hintergrund, dass sich seine Lehre nur an undergraduates wendet, weist Ono darauf hin, dass das Ziel nicht in der Herausbildung professioneller Zukunftsforscher besteht. Die Studierenden sollen sich der Möglichkeiten in der Zukunft bewusst sind, die aus heutiger Sicht bestehen; ihre eigenen und die Werte anderer Personen erkennen können; Erfahrungen sammeln mit der Kraft der Visionen und der Hoffnung; die Probleme in den gegenwärtigen wirtschaftlichen, sozialen, politischen, erziehungsbezogenen, medizinischen und technologischen Systemen verstehen; verstehen, weshalb Menschen nicht handeln; fähig sein, Annahmen und Weltverständnisse (worldviews) zu verstehen; einzelne Zukunftsforschungsmethoden verstehen; sich für ihre eigene wünschenswerte Zukunft einsetzen. Ono nennt folgende Lehrinhalte, mit deren Hilfe die vorgenannten Ziele erreicht werden können: Charakteristika der Zukunft gegenüber der Vergangenheit und Gegenwart, Geschichte der Zukunftsforschung (Bell), Annahmen der Zukunftsforschung (Bell), Methoden der Zukunftsforschung (Bell und Inayatullah), Bilder der Zukunft (Polak) und Makrogeschichte (Inayatullah). Onos Lehrveranstaltungen mit einer Dauer von jeweils 90 Minuten sind eine Kombination aus Vorlesung und Übung. Vor der Veranstaltung haben die Studierenden einen Lektüreauftrag (Teil eines Buches) erhalten. Die Veranstaltung beginnt dementsprechend mit Fragen, die Ono zum Gelesenen stellt. Den Antworten der Studierenden entnimmt Ono wichtige oder interessante Ideen, Perspektiven oder Fragestellungen und sammelt sie an der Tafel. Dieser Teil dauert rund zehn bis 15 Minuten. Anschließend werden die Studierenden aufgefordert, Verbindungen zwischen den notierten Begriffen oder Kategorisierungsmöglichkeiten aufzuzeigen oder erhalten ähnliche Arbeitsaufträge. Auf diese Weise soll das Gelesene gefestigt und vertieft werden. Ono versucht dann, die Grundgedanken in einem Tafelbild zusammenzufassen, um – wie er meint – nicht nur die linke, sondern auch die rechte
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Gehirnhälfte in den Lernprozess einzubeziehen. Dieser gesamte Prozess wird während der Veranstaltung ggf. mehrfach mit neuen Fragestellungen wiederholt. Neben der Tafel setzt der Respondent unter den Lehrmedien vor allem Texte ein, die – wie oben beschrieben – zwischen den Lehrveranstaltungen gelesen werden sollen. Die Grundlagenlektüre besteht aus: x „Foundations of Futures Studies“, Band 1 von Bell, x „Crucial Questions About the Future“ von Tough und x „Macrohistory and Macrohistorians: Perspectives on Individual, Social, and Civilizational Change“ von Galtung und Inayatullah. Ono zeigt darüber hinaus ein Video mit dem Titel „The Power of Vision“ (Discovering the Future Series) von Barker. Onos Studierende sollen zur Lernerfolgskontrolle in einer Hausarbeit unter Beweis stellen, dass sie in der Lage sind, das im Kurs Gelernte mit Gegenständen der realen Welt in Beziehung zu setzen. Teilweise werden die Studierenden aufgefordert, eine Rede zu verfassen, die sich mit der Zukunft oder mit dem Zukunftsdenken beschäftigt und die vor Teenagern gehalten werden soll. Eine klassische Examensarbeit gibt es bei Ono nicht. Antonio Pacinelli Pacinelli ist ordentlicher Professor für Social Statistics an der Università degli Studi G. D’Annunzio Chieti Pescara in Centralino, Italien. Pacinellis Lehrzielen zufolge sollen die Studierenden alle Zukunftsforschungsmethoden beherrschen. Darüber hinaus sollen sie in die Fähigkeit erwerben, zwischen den Begriffen vision, prediction, forecast und scenario, zwischen objektiver und subjektiver Zukunftsforschung sowie zwischen normativen und explorativen Szenarien zu unterscheiden und ein Zukunftsforschungsprojekt zu planen. Entsprechend diesem methodenorientierten Schwerpunkt nennt der Respondent folgende Lehrinhalte: Zeitreihenanalyse und -prognose, räumliche Datenanalyse und -prognose, explorative Szenarien, partizipative Methoden, meinungsbezogene Methoden (Delphi, Shang, Syncon, Charrette) Impact-Methoden (futures wheel, futures polygon, trend impact analysis und cross impact analysis), normative Szenarien, Projektszenarien. Auf Nachfrage, ob er auch andere Inhalte als vornehmlich methodische und insbesondere statistische für wichtig erachte, nannte er exemplarisch: „Statistical inference for finish population, Markov chain, panel analysis“, mithin erneut Antworten aus demselben Themenfeld.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Pacinelli unterscheidet unter den Lehrmethoden Präsenzveranstaltungen und Online-Studium. Bei den Präsenzveranstaltungen werden die genannten Methoden vorgestellt und – anhand von Fragen – das Verständnis der Studierenden fortwährend überprüft. Mithilfe von Fallstudien werden die Methoden geübt. Diese Fallstudien werden entweder in Gänze vom Dozenten vorgetragen oder in Gruppen bearbeitet und anschließend präsentiert. Für das Online-Studium wird den Studierenden eine E-Learning-Plattform zur Verfügung gestellt, die synchrone und asynchrone Veranstaltungen ermöglicht. Ferner können die Studierenden hier Lerngruppen bilden und über das Gelernte in Foren diskutieren, die nach Kursen und einzelnen Veranstaltungsterminen gegliedert sind. Die Plattform kann darüber hinaus auch für Selbstkontrollaufgaben eingesetzt werden. Bei den eingesetzten Texten handelt es sich auf Nachfrage hin nicht um zukunftswissenschaftliche Literatur, sondern eigens um entwickelte Beispiele und Fallstudien. Bei den Präsenzveranstaltungen stehen textbasierte Medien im Vordergrund. Dazu zählen auch Powerpoint-Präsentationen oder handouts. Die Onlineplattform bündelt verschiedene Medien. Hier können auch Texte oder PowerpointDateien heruntergeladen werden. Pacinelli konzentriert sich bezüglich der Lernerfolgskontrolle auf mündliche Prüfungen, die er als am geeignetsten betrachtet, zumal das Gespräch auch die Interaktionsmethode ist, die die Studierenden im Unterricht geübt haben. Bei den Prüfungen sollen die Studierenden entweder eine Methode erläutern oder auf einen speziellen Fall anwenden. Am Ende des Studiengangs ist eine Abschlussarbeit (dissertation) vorgesehen. Die Studierenden haben hierfür bereits am Ende des Studiums ein Zukunftsforschungsdesign entwickelt, bei dem mehrere Zukunftsforschungsmethoden eingesetzt und auf eine selbst gewählte spezifische Fragestellung angewendet werden. Bei allen Prüfungen steht die Bewertung des methodisch korrekten Vorgehens im Vordergrund. Dies gilt auch für wünschenswerte Zukünfte. David Passig Passig ist Professor an der Graduate School of Education an der Bar-Illan University in Israel, wo er in den Feldern Systemtheorie, Zukunftsforschungsmethoden und technologische, soziale und bildungsbezogene Zukünfte lehrt.
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Für Passig besteht das wichtigste Lehrziel darin, dass die Studierenden möglichst viele Zukunftsforschungsmethoden kennen und situationsadäquat anwenden können. Ein Master-Studium sollte in inhaltlicher Hinsicht grundlegendes und vielversprechendes Wissen zum neuesten Erkenntnisstand der Wissenschaft vermitteln. Auf Nachfrage, was er darunter verstehe, erklärt er, dass vielen Zukunftsforschern zufolge das 21. Jahrhundert das „century of the GNR (Genetics, Nanotechnology and Robotics)“ sein werde. Vor diesem Hintergrund müssten sich die Studierenden mit diesen Feldern vertraut machen. Wie schon bei den Lehrzielen zum Ausdruck kommt, sieht er den spezifisch zukunftswissenschaftlichen Schwerpunkt bei den Methoden der Zukunftsforschung. Eine gesonderte Behandlung der ontologischen oder epistemologischen Grundlagen der Zukunftsforschung betrachtet er auf Nachfrage nicht als notwendig, da diese zum einen nicht zuträglich sind, um die Studierenden auf die Arbeit als Zukunftsforscher vorzubereiten, und da zum anderen bereits in der Anwendung der Methoden diese wissenschaftheoretischen Aspekte enthalten sind bzw. zum Ausdruck kommen. Auf die Frage nach den Lehrmethoden antwortet Passig zunächst mit Zukunftsforschungsmethoden, die er lehrt. Die „korrekte“ Antwort liefert er nach einem entsprechenden Hinweis des Verfassers: Er setzt hauptsächlich Diskussionen und Fallstudien ein. Passig beschreibt sich hinsichtlich der Frage nach den Lehrmedien selbst als audiovisuellen Menschen. Er setzt u. a. Videos ein, die zeigen, wie sich die Filmmacher die Zukunft vorgestellt haben. Diese bilden die Grundlage für eine sich anschließende Diskussion, in der die zugrunde liegenden Annahmen aufgedeckt werden sollen. Die Studierenden müssen bei Passig zur Lernerfolgskontrolle hauptsächlich Forschungsberichte (research papers) verfassen. Als Beispiel nennt der Respondent, dass die Kandidaten eine Branche auswählen und innerhalb dieser eine Führungskraft kontaktieren. In ihrem Papier sollen sie aufzeigen, welche Vorstellungen über die Zukunft in der betreffenden Industrie vorherrschen, über die Methoden reflektieren, mit denen sie zu diesen gelangt sind, und Vorschläge zur Modifikation machen. Reed D. Riner Riner ist Professor für Anthropologie an der Northern Arizona University, wo er zukunftswissenschaftliche Lehrveranstaltungen mit kulturellem Schwerpunkt anbietet. Ein Großteil seiner Ausführungen bezieht sich auf die Anthropologie, die
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
er als holistische Querschnittswissenschaft innerhalb der Sozialwissenschaften versteht, was zu einer konzeptionellen Verwandtschaft zur Zukunftsforschung führt. Entsprechend formuliert er die didaktischen Entscheidungen vornehmlich bezogen auf sein Fach, die hier entsprechend weggelassen werden. Die hiesige Darstellung konzentriert sich auf die zukunftswissenschaftlichen Aspekte seiner Antworten. Riner weist zunächst darauf hin, dass er nicht Zukunftsforscher, sondern Anthropologen ausbildet. Diese sollen das Konzept der alternativen Zukünfte (und zwar insbesondere kollektiv geteilte Zukunftsbilder) verinnerlichen und systemisches Denken üben. Sie sollen sich mit dem historischen Wandel und der aktuellen gesellschaftlichen Dynamik auseinandersetzen. Entsprechend haben Riners Veranstaltungen einen inhaltlichen Schwerpunkt in der Anthropologie. In seinem freshman course befassen sich die Studierenden mit alternativen Zukünften, sollen eine Zeitlinie (timeline) des kapitalistischen Weltsystems von 1450 bis 2050 nach- und weiterzeichnen und gegenseitig ihre eigenen Zukunftsbilder systematisch reflektieren, indem sie die ethnografische Zukunftsforschungsmethode nach Textor, eine spezifische Form qualitativer Interviews, anwenden.1386 In den Kursen konzentriert sich Riner in lehrmethodischer Hinsicht auf Diskussionen im Plenum. In undergraduate-Kursen basieren diese auf eigenen Erfahrungen der Studierenden, bei graduate-Kursen wird zudem Literatur als Grundlage herangezogen. Ausführlich geht er auf seinen sogenannten Mars-Kurs ein.1387 Hierbei handelt es sich um ein Rollenspiel, das sowohl im Klassenraum als auch in virtuellen Umgebungen (Second Life oder World of Warlords) gespielt wird. Die rund 35 Studierenden entwickeln ihre Rollen und verteilen unter sich Aufgaben und Mars zu ermöglichen. Hierbei stehen weniger technologische Aspekte, sondern die Simulation möglicher menschlicher Gemeinschaften im Vordergrund. Das Rollenspiel wird in vier Abschnitte (quartals) unterteilt. Die Studierenden entwickeln für das Projekt eigene Internetpräsenzen, auf denen neben einer Beschreibung der Rolle auch vier schriftliche Ausarbeitungen (eine je Quartal) und andere Texte veröffentlicht werden. Im Verlauf des Rollenspiels sollen die Studierenden planen, ihre Pläne umsetzen, die erzielten Ergebnisse analysieren und bewerten und bei Fehlentwicklungen gegensteuern. Sie sollen auch regelmäßig die bisherige Marsgeschichte reflektieren. Alle Schritte werden schriftlich dokumentiert. 1386 Zu qualitativen Interviews vgl. Kap. 4.4.1. 1387 Früher auch „Solar System Simulation (SolSys)“, vgl. Collins (2005), S. 186. Ähnlich sind auch die „Cultures of the Imagination (COTI)“ von Funaro, vgl. ibd.
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In das Rollenspiel sind auch kurze (condensed) Vorlesungen über das Wesen von Kultur integriert, in dem es um die theoretischen Grundlagen soziokultureller Systeme geht. Riner erklärt zunächst, dass er weniger verschiedene Medien einsetzt, als er gern würde, was er auch auf die veraltete Ausstattung an der Universität zurückführt. Riner verwendet daher hauptsächlich die Tafel. Wie bereits ausgeführt, setzt der Respondent hauptsächlich bei graduate-Kursen verstärkt Literatur ein. Auf die virtuellen Umgebungen wurde bereits oben eingegangen. Riners Studierende liefern zur Lernerfolgskontrolle hauptsächlich – wie etwa im Mars-Kurs – schriftliche Ausarbeitungen ab. Wahrscheinliche und wünschenswerte Zukünfte macht er nicht konkret zum Prüfungsgegenstand, betrachtet deren Bewertung jedoch als heikles Problem (dicey problem). Seine Bewertung konzentriert sich auf die Fähigkeit, die Zukunft gedanklich zu erkunden, die Reichhaltigkeit, Detailtreue und (In-)Plausibilität der Antworten. Anita Rubin Rubin ist außerplanmäßige Professorin (adjunct professor) und Senior Researcher am Finland Futures Research Centre der Turku School of Economics. Rubins Lehrzielen zufolge sollen sich die Studierenden ein solides Wissen über die theoretischen Grundlagen des Zukunftsdenkens und der Zukunftsforschung sowie ein multidisziplinäres Verständnis aneignen. Weiterhin sollen sie Wissen über Zukunftsforschungsmethoden erlernen und diese in der Praxis anwenden können, wobei sie als Mindeststandards Szenariotechniken, die Delphi-Methode, Umweltbeobachtung („environmental scanning, esp. weak signals“), soft systems methodology, Modelle, Trendanalyse, kritische Zukunftsforschung1388 und causal layered analysis nennt. Außerdem sollen sie sich mit Werten und ihrer kritischen Würdigung auseinandersetzen. Die Respondentin nennt ferner grundlegendes Verständnis systemischen Denkens bezüglich sozialer Phänomene als Lehrziel. Die Studierenden sollen auch einen Überblick über die Geschichte der Zukunftsforschung erhalten und mit der einschlägigen Fachliteratur vertraut sein. Sie sollen gewillt sein, zur Gemeinschaft der wissenschaftlichen oder praxisorientierten Zukunftsforscher zu gehören und sich professionell weiterzuentwickeln. Auf die Frage, welche Bedeutung wünschenswerte Zukünfte im Unterricht der Respondentin haben, führt sie aus, dass ihr Ausgangspunkt zunächst die 1388 Die Nennung der kritischen Zukunftsforschung (nach Slaughter) als Beispiel für eine Zukunftsforschungsmethode irritiert, da es sich eher um eine Denkschule innerhalb der Disziplin handelt.
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Mehrzahl der aus gegenwärtiger Sicht möglichen Zukünfte ist. Die Studierenden sollen diese kennen und möglichst viel über sie wissen. Sie sollen außerdem die grundlegenden Charakteristika und Gesetzmäßigkeiten sozialer Systeme sowie ihre eigenen Werte oder diejenigen ihrer Auftraggeber kennen. Werte wirken als Selektionsfilter für die Auswahl wünschenswerter Zukünfte. Auf diesen Grundlagen können sie ein Ziel, eine Mission, eine Vision und eine Strategie formulieren, um zur wünschenswerten Zukunft zu gelangen. Aus Sicht der Zukunftsforschung hält Rubin es somit nicht für sinnvoll, mit wünschenswerten Zukünften zu beginnen, bevor die Studierenden nicht mit möglichen und wahrscheinlichen Zukünften vertraut sind. Rubin betont in diesem Zusammenhang, dass auch die Einstellung der Studierenden zur Zukunft relevant sei. Sie nennt hier als Ausprägungen eine passive, reaktive, präaktive und proaktive Haltung. Die Einstellung hat Einfluss auf die Entscheidungsfindung. Zur Änderung der Haltung müssen sich die Studierenden diese zunächst bewusst machen. Bei den Lehrinhalten verweist Rubin auf die oben genannten Antworten. In einem Master-Studium sollten die Methoden noch fundierter angegangen werden als in einem Bachelor-Studium. Die Respondentin nennt bei der Frage nach den Lehrmethoden traditionelle Vorlesungen, darunter auch Gastvorträge, und verweist auf Möglichkeiten des Onlinestudiums. Im Master-Programm an der Turku School of Economics werden in Seminaren auch – hauptsächlich partizipative – Zukunftsforschungsmethoden als Lehrmethoden eingesetzt, etwa die Zukunftswerkstatt, das futures wheel oder futures tables. Die Studierenden sollen auch mit IT-Unterstützung die DelphiMethode an einem Beispiel durchführen. Rubin hebt bei den Lehrmedien den Einsatz von Videos hervor, mit denen bestimmte Studieninhalte aufgehellt werden können. Diese Filme wurden speziell für den Einsatz im zukunftsbezogenen Unterricht produziert. Verwendet werden insbesondere Videos, die das Millenium Project hergestellt hat. Darüber hinaus gibt es einige finnische Fernsehprogramme und -serien mit zukunftsbezogenen Themen. Rubin möchte diese künftig intensiver in den Unterricht einbringen. Als Beispiel nennt sie eine Fernsehproduktion, die teils dokumentarischen Charakter hat, teils als Science-Fiction zu betrachten ist und im finnischen Fernsehsender YLE 2 ausgestrahlt wurde. An der Produktion haben auch Forscher des Finland Futures Reseach Center als Experten mitgewirkt. Die Studierenden sollen in einigen Veranstaltungen, insbesondere bei solchen mit Onlineunterstützung, zur Lernerfolgskontrolle wöchentlich eine kleinere Hausarbeit erstellen. Rubin unterscheidet Literaturprüfungen (book exams), bei
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denen eine Auswahl an Fachliteratur gelesen worden sein muss, und reguläre Prüfungen (exams), denen ein bis zwei Fachbücher und das Vorlesungsmaterial zugrunde liegen. Einige Prüfungen können über das Internet abgelegt werden. In ihrer Master-Arbeit sollen sie Zukunftsdenken betreiben bzw. Zukunftsforschungsmethoden anwenden. Zur Bewertung wünschenswerter Zukünfte in Prüfungsarbeiten merkt Rubin an, dass diese selbstverständlich subjektiv seien. Sie nennt aber eine Reihe von Kriterien, anhand derer eine Bewertung möglich ist: x Sie müssen möglich, logisch und realistischerweise an die Gegenwart anschlussfähig sein. Bewertbar ist insofern auch, ob sie auf heute vorliegenden Informationen aufbauen. x Zukunftsbilder müssen als Entscheidungsunterstützung nützlich und relevant sein. x Sie müssen sozial glaubwürdig sein, d. h., die Menschen müssen in der Lage sein, tatsächlich an der Verwirklichung der aufgezeigten Zukunft zu arbeiten und entsprechende Entscheidungen zu treffen. x Schließlich sollen Zukünfte interessant sein, also Aspekte enthalten, die bislang nicht thematisiert wurden. John Sagi Sagi ist Professor für Betriebswirtschaftslehre am Anne Arundel Community College in Maryland, Lehrbeauftragter (associate professorial lecturer) für Information Systems and Technology Management an der George Washington University in Washington, D. C., sowie Lehrbeauftragter (lecturer) an der Kazan State University in Russland. Sagi strebt als Lehrziel an, dass seine Studierenden ein zukunftswissenschaftliches „Arbeitswissen“ erlangen, d. h. sie sollen verstehen, was Zukunftsdenken und Zukunftsforschung ist und was es nicht ist. Sie sollen mit den Methoden der Disziplin umgehen können und verstehen, wie das von Sagi entworfene universal futuring model1389 angewandt werden kann. Die Studierenden sollen sich in inhaltlicher Hinsicht mit dem Hintergrund und der Geschichte der Zukunftsforschung, mit der Entwicklung ihrer Methoden, mit dem DEGEST-Modell1390 und alternativen Zukünften beschäftigen. Die sollen 1389 Vgl. Sagi (2007). 1390 Vgl. Abk.verz. Hierbei handelt es sich nach Ansicht des Marketingprofessors Kotler um die sechs Sphären, aus denen die wichtigsten Trends stammen: Demografie, Wirtschaft, Regierung, Umwelt, Gesellschaft und Technologie.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
sich mit den wichtigsten und nützlichsten Zukunftsforschungsmethoden auseinandersetzen, wozu er Trendanalyse, qualitative Forschungsmethoden, webbing, Szenariotechnik, Geschichten und sein o. g. universal futuring model zählt. Sagi betrachtet Vorlesungen als nützliche Veranstaltungsform, um Geschichte und Methoden der Zukunftsforschung zu erklären. Dazu werden auch Gastdozenten eingeladen. Fallstudien werden eingesetzt, um den Bedarf nach Zukunftsforschung aufzuzeigen und Methoden anzuwenden. Für Letzteres sind auch praktische Übungen (exercises) und Rollenspiele (game playing) geeignet. Der Respondent veranstaltet auch empirische Feldarbeit (field trips). In Bezug auf Lehrmedien vertritt Sagi die Ansicht, dass die Reichhaltigkeit des medialen Einsatzes positiv mit dem Verständnis der Studierenden korreliert. Er nennt hier Videos und den Einsatz der Tafel in Verbindung mit dem Unterrichtsgespräch (chalk-and-talk). Die Videos haben geschichtliche oder ScienceFiction-Themen zum Inhalt. Die Studierenden sollen das Gezeigte mit der aktuellen Situation vergleichen und Trends aufzeigen. In Hausarbeiten (homework exercises) sollen die Studierenden beispielsweise ältere oder jüngere Menschen befragen, um unterschiedliche Sichtweisen auf die Zukunft zu erfahren. Im Abstand von einigen Wochen werden schriftliche Prüfungen auf der Grundlage von vorher besprochener Literatur durchgeführt. Beispielsweise sollen die Studierenden das DEGEST-Modell beschreiben. Zur Lernerfolgskontrolle zählt er auch die wöchentliche Diskussion, die in die Bewertung einfließt. Arthur B. Shostak Shostak ist emeritierter Professor für Soziologie an der Drexel University in Philadelphia. Er nennt fünf Lehrziele: x Humility: Die Studierenden sollen sich über die Grenzen der Zukunftsforschung bewusst sein. x Bravado: Sie sollen enthusiastisch sein und sich dafür begeistern, neue Ansätze auszuprobieren und eklektisch vorzugehen. x Collegiality: Sie sollen an einer Zusammenarbeit mit anderen Zukunftsforschern interessiert sein. x Aplomb: Die Studierenden sollen ein einnehmendes und angenehmes Wesen haben, selbstbewusst sein und mit Optimismus zu begeistern wissen. x Energetic: Sie sollen hart arbeiten und an ihrer Arbeit Freude haben.
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Die Lehrziele 3, 4 und 5 sind sehr eng verwandt, sodass die Ziele im Wesentlichen auf Bescheidenheit, Enthusiasmus und Kollegialität reduzieren lassen. Nachdem es sich hierbei um nichtfachliche Lehrziele handelt, hat der Verfasser nach fachlichen Lehrzielen nachgefragt. Daraufhin nannte Shostak: Fähigkeiten zur Programmierung von Modellen am Computer, mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen, Vertrautheit mit der zukunftswissenschaftlichen Fachliteratur, Neigung und Fähigkeit zur Visionsbildung, Vertrautheit mit Science-Fiction- und utopischer Literatur. Auch in dieser Auflistung sind wenigstens die ersten beiden nichtfachlich. Shostak nennt bei der Frage nach den Lehrinhalten acht Wissensgebiete, mit denen sich ein Zukunftsforscher auseinandergesetzt haben muss: Geschichte, um Entwicklungsmuster im Zeitverlauf ausfindig zu machen; Kunst – zur Steigerung der Kreativität; Zukunftsforschung1391 mit ihrer Geschichte, ihren Denkschulen, ihren wichtigen Fachvertretern und ihren Methoden; Wirtschaftswissenschaften, da die Wirtschaft der Haupttreiber des Wandels sei; Politikwissenschaften, die er als „Dienstmädchen“ der Wirtschaftswissenschaften bezeichnet, da deren Verständnis erforderlich sei, um die Zukunft zu gestalten; Sozialwissenschaften (einschließlich Anthropologie, Kommunikationswissenschaft, Linguistik, Psychologie und Soziologie), da das Studium der Menschheit das Kernstück der Voraussage sei; Informatik, um Daten auswerten und Modelle berechnen zu können; die Übergange zwischen den Wissenschaften (z. B. Biotechnologie, Umweltwissenschaft, Gerontologie (Alternsforschung), Nanotechnologie), da diese Schnittmengen von besonderer Zukunftsrelevanz seien. Auf den Einwand des Verfassers, dies sei eine sehr umfassende Auflistung, die vermutlich über ein Bachelor- oder Master-Studium hinausgehe, erwidert Shostak, das Studium solle auf die Interessen des Studierenden maßgeschneidert werden. Die vom Verfasser exemplarisch genannten Methoden (Vorlesung, Fallstudie, Rollenspiel) werden von Shostak bestätigt. Auch er setzt Gastdozenten ein. Darüber hinaus nennt er Debatten und Projektunterricht (z. B. die Konstruktion dreidimensionaler Modelle, etwa von wünschenswerten Gebäuden in 50 Jahren). Der Respondent betont, dass er auf eine möglichst starke Variation der Lehrmethoden achtet, um selbst energiereich und enthusiastisch zu bleiben. Seine Vorlesungsnotizen verwendet er aus diesem Grund nur einmalig. Interessant hieran ist, dass er den Methodenwechsel nicht mit der Motivationssteigerung seiner Studierenden, sondern seiner eigenen begründet. Shostak nutzt in medialer Hinsicht Powerpoint-Präsentationen, wobei er auch hier betont, dass er sie nie ein zweites Mal einsetzt. Ausdrucke dieser Folien 1391 Auffällig ist, dass Shostak durchweg den heute wenig gebräuchlichen Begriff futuristics verwendet.
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4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
werden am Anfang der Veranstaltung ausgeteilt und sollen für Notizen verwendet werden. Er zeigt außerdem Ausschnitte von Filmen. Als Beispiele nannte er Science-Fiction-Filme wie „AI – Artificial Intelligence“, „Gattaca“ oder „2001 – Odyssee im Weltraum“. Die Studierenden sollen die Annahmen und versteckten Voraussagen in den entsprechenden Passagen aufzeigen und kritisieren. Der Respondent bringt tagesaktuelle Nachrichtenmeldungen in den Unterricht, mit denen er eine Verbindung zum Unterrichtsthema herstellen will. Shostak versetzt seine Studierenden gern in verschiedene (simulierte) Testsituationen, in denen sie verschiedene Fähigkeiten, etwa Kommunikations- und Diskussionsfähigkeit oder Computerfähigkeiten unter Beweis stellen sollen. In zukunftswissenschaftlicher Hinsicht bewertet er die Originalität, Kühnheit (boldness), die Eindeutigkeit der Wertannahmen und die explizite Kenntnis der Annahmen wichtiger Zukunftsforscher, auf die Bezug genommen werden soll. Philip H. Spies Spies ist Professor für Zukunftsforschung an der University of Stellenbosch in Südafrika. Spies zufolge reicht ein Bachelor-Studiengang für das Studium der Zukunftsforschung nicht aus, da es hier überwiegend um die Aneignung von Wissen ginge. Im Master-Studium dagegen soll der Studierende zudem seine Fähigkeit zur unabhängigen Forschung im Rahmen seiner Master-Thesis unter Beweis stellen. Zu Lehrzielen führt er ansonsten nichts weiter aus. Spies betrachtet zur Frage nach den Lehrinhalten eine breite Wissensbasis, die Ethik, Wissenschaftstheorie, Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaften umfasst, als wichtige Voraussetzung für das Studium der Zukunftsforschung. Das eigentliche Studium soll systemisches Denken, die Lektüre der zukunftswissenschaftlichen Fachliteratur, Methoden der Zukunftsforschung, Planungsmethoden, weiterführende Studien in Ethik sowie Entscheidungstheorie umfassen. Auffällig ist die breite Wissensbasis, die er für das Studium der Zukunftsforschung voraussetzt. Insbesondere hieran lässt sich auch erkennen, dass sich die Ausführungen zu Zielen und Inhalten nicht an dem Studiengangsdesign der Universität, sondern an eigenen Vorstellungen orientieren. In seinen Vorlesungen setzt Spies einen sokratischen Lehrstil ein. Entscheidend ist das Selbststudium, innerhalb dessen auch Berichte zu schreiben sind. In praktischen Übungen sollen Systemsimulationen, Szenarioformulierung und
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Kreativitätsmethoden geschult werden. In Seminaren können auch partizipative Zukunftsforschungsmethoden eingesetzt werden. Spies verwendet im Hinblick auf Lehrmedien in seinen Veranstaltungen stets Powerpoint-Präsentationen, die neben Text auch Videos enthalten können. In jedem Fach innerhalb des Studiums ist eine schriftliche Prüfung abzulegen, wobei die Form von Fach zu Fach unterschiedlich ist. In seiner Einführungsveranstaltung in die Zukunftsforschung sollen die Studierenden zudem einen Studienbericht verfassen. Mündliche Prüfungen nimmt Spies nicht ab. Er wünscht sich ein praktisches Jahr (mentorship year), wie es in Studiengängen wie Medizin oder Rechtswissenschaften üblich ist. Joseph Voros Voros ist senior lecturer für Strategy & Strategic Foresight an der Faculty of Business & Enterprise der Swinburn University of Technology in Hawthorn, Australien. Bei der Beantwortung der Frage nach den Lehrzielen konzentriert sich Voros darauf, ob ein Studium der Zukunftsforschung bereits auf der Stufe des Bachelors oder erst auf dem Niveau des Masters sinnvoll möglich ist. Er votiert für letztere Option, da Zukunftsforschung auf bereits vorhandenem Fachwissen einer anderen – weitgehend beliebigen – Disziplin aufbaut: „I think that foresight is itself a process of thinking and developing futures-relevant knowledge. That process needs to have content to operate upon, whether it is within a particular sector or discipline, or combines several in a multi-disciplinary way.“ Für ihn ist das Studium der Zukunftsforschung also stets ein postgraduales, nicht-konsekutives Aufbaustudium. Insgesamt sieht er das Ziel darin, den Studierenden die Fähigkeit zu geben, sich souverän in der Zukunftsforschung zu bewegen („proficiency in navigating it“). Als wichtigste Fähigkeit erachtet er die Fähigkeit der angehenden Zukunftsforscher, Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachen. Er betont, dass es wichtig ist, darauf zu achten, dass sich die Studierenden nicht in den Weiten der Zukunftsforschung verlieren. Dieser Fehler sei in den Anfangsjahrgängen gemacht worden. Dem Respondenten zufolge sollen sich die Studierenden auf der Inhaltsebene mit den wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Zukunftsforschung und insbesondere mit der Nichtanwendbarkeit positivistischer Ansätze auseinandersetzen. Ein weiterer Schwerpunkt soll eine Auswahl zentraler Zukunftsforschungsmethoden sein. Hierbei betont er, dass eine blinde Anwendung der Methoden vermieden werden sollte. Die Studierenden sollten vielmehr ihre theoretischen
282
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
Grundlagen und ihre Eignung für spezifische Fragestellungen verstehen und Methoden zur Darstellung zukunftswissenschaftlicher Erkenntnisse erlernen. Weitere Schlagworte sind systemisches Denken, integrierte Wissensmodelle, sozialer Wandel und Makrogeschichte sowie kontrafaktisches Denken. Voros zufolge evolvieren die Lehrmethoden mit dem Studienfortschritt. Sie beginnen sehr zielgerichtet, strukturiert und mit einer dezidiert didaktischen Haltung (didactic stance). Diese enge Führung hält er für erforderlich, damit die Studierenden von den fehlenden (inhaltlichen) Grenzen der Zukunftsforschung nicht überwältigt werden (s. o.). Nach Legung der Grundlagen werden eher explorative Lehrstile angewendet. Schließlich wird ein erfahrungsbasierter Lernstil forciert, bei dem die Dozenten den aktiven Lehrstil zurückfahren und die Studierenden ihre Lernprozesse selbst organisieren lassen. Zu Beginn des Studiengangs dominieren Vorlesungen, um den Studierenden die Grundlagen des Fachs beizubringen, mit denen sie den weiteren Verlauf des Studiums bestreiten können. Es schließen sich praktische Unterweisungen in die Zukunftsforschungsmethoden an. Gelegentlich werden zur Verdeutlichung zentraler Aussagen Rollenspiele eingesetzt. Anhand einzelner Fallstudien können u. a. Fehleinschätzungen von Zukunftsforschern aufgezeigt werden. Voros setzt auf der lehrmedialen Ebene Bilder ein, die mögliche Zukünfte darstellen, um Diskussionen anzustoßen. Ferner zeigt er Videos oder Filmausschnitte, darunter auch gern solche, die bereits viele der Studierenden wahrscheinlich gesehen haben, z. B. aus dem Film „Minority Report“, damit sie diese aus einer neuen Perspektive betrachten können. Texte werden ebenfalls als Grundlage und Stimulans für Diskussionen verwendet. Voros betrachtet klassische Examensprüfungen in der Zukunftsforschung als wenig geeignet, da die Disziplin anwendungsorientiert ist. Seine Studierenden sollen Essays verfassen, deren Themen in der Regel selbstständig festgelegt werden. Einige Veranstaltungen geben diesbezüglich engere Vorgaben, etwa die Gestaltung und Durchführung eines Vorausschauprozesses in einer Organisation. Zidane Zeraoui Zeraoui ist Professor für Internationale Beziehungen und Koordinator des gleichnamigen Masterprogramms an der Technological University of Monterrey in Mexiko. Zeraouis Vorstellungen zu Lehrzielen zufolge sollen die Studierenden in der Lage sein, Zukunftsszenarien auf wissenschaftlich-methodische Art und Weise zu formulieren, damit diese zur politischen oder unternehmerischen Entschei-
4.5 Gesamtauswertung
283
dungsfindung eingesetzt werden können. Auf Nachfrage bestätigte der Respondent, dass wahrscheinliche Zukünfte und wildcards, nicht wünschenswerte Zukünfte, im Vordergrund stünden, da die Ausbildung auf die Entscheidungsvorbereitung für Dritte ausgerichtet sei. Auffällig sind somit die explorative Ausrichtung unter weitestgehender Ausblendung normativer Elemente der Zukunftsforschung und die überwiegend quantitative Fundierung. In inhaltlicher Hinsicht sollen sich die Studierenden mit den verschiedenen Zukunftsforschungsmethoden und Megatrends beschäftigen. Das Studium an der Universität von Monterrey enthält nach Aussage des Respondenten einen recht umfangreichen statistischen Ausbildungsteil. Im Hinblick auf Lehrmethoden werden im Studiengang Vorlesungen, Fallstudien und Rollenspiele eingesetzt, abhängig von der Art des Kurses und vom Dozenten. Während des Semesters werden von den Studierenden Forschungsaufgaben durchgeführt, die präsentiert werden müssen. Der Repondent wurde gebeten, ein Beispiel für ein Rollenspiel zu geben. Er erklärte, dass beispielsweise die Studierenden in drei Gruppen und eine Einzelperson eingeteilt werden. Letztgenannte ist ein Unternehmer in einem sehr kleinen Land wie beispielsweise Vanuatu. Die drei Gruppen fungieren als Expertenteams und sollen eine optimistische, eine pessimistische und eine vermittelnde Perspektive einnehmen und den Unternehmer beraten, der auf Grundlage dieser Expertisen eine Entscheidung treffen soll. Bei der Frage nach den Lehrmedien ist die moderne Ausstattung der Vorlesungs- und Seminarräume an der Universität positiv hervorzuheben. Die Lehrkräfte setzen Videoprojektoren und elektronische Tafeln in Verbindung mit Computern ein. Die Dozenten bringen ihre Präsentationsunterlagen in der Regel auf einem USB-Stick mit in die Veranstaltung. Die meisten Kurse enthalten eine Abschlussarbeit oder eine Fallstudie. Während des Semesters gibt es kleinere Kontrollaufgaben (multiple choice). Die o. g. Präsentationen zählen ebenfalls zur Lernerfolgskontrolle. 4.5
Gesamtauswertung
Nachfolgend werden die in den beiden empirischen Studien vorgefundenen Aussagen zu den fünf didaktischen Entscheidungsfeldern überblicksartig dargestellt. Dabei wurde aufgrund der Vielfältigkeit der Angaben der Versuch unternommen, die Aussagen nach Themenfeldern zu clustern. Zur besseren Übersichtlichkeit erfolgt die Darstellung tabellarisch.
284
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
1. Lehrziele Lehrziel
N1
Begrifflich-konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung Wandel verstehen 7
N2
N1+2
3
10
Begriffe/Konzepte richtig verwenden, mit Zukunftskonzepten richtig umgehen
1
4
5
Geschichte der Zukunftsforschung kennen
0
4
4
Mit der Fachliteratur vertraut sein
0
4
4
Epistemologie der Zukunftsforschung verstehen
0
3
3
Wichtige Fachvertreter und ihr Werk kennen
0
2
2
Gründe für Zukunftsforschung erläutern können
0
1
1
Disziplinäre Verortung der Zukunftsforschung kennen
0
1
1
Zukunftsforschungstheorien kennen
0
1
1
Summe
8
23
31
Zukunfts- bzw. zukunftsforschungsbezogene Kompetenzen Zukunftsforschungsmethoden anwenden können
8
14
22
Planen können (insb. Visionen, Missionen, Ziele, Strategien, operative Pläne, Entscheidungen)
7
6
13
Analysen durchführen können (insb. Umwelt, Bedürfnisse, Wünsche, Werte, Erwartungen, Veränderungen, Vorausschau, Chancen, Risiken)
9
3
12
Zukunft gestalten können
9
1
10
Wünschenswerte Zukünfte (moralisch) bewerten können
0
4
4
Summe
33
28
61
Denkschulung Interdisziplinäres Denken
3
3
6
Systemisches Denken
2
2
4
Analytisches Denken
0
1
1
Kritisches Denken
0
1
1
Quantitatives Denken
0
1
1
4.5 Gesamtauswertung
285 Lehrziel
N1
N2
N1+2
Langfristiges Denken
0
1
1
Nachhaltigkeitsorientiertes Denken
0
1
1
Denken in Alternativen
0
1
1
Kreativ-innovatives Denken
0
1
1
Zukunftsbewusstsein
0
1
1
Summe
5
13
18
Tab. 8:
Nennungen zu Lehrzielen, sortiert nach Themenfeldern und Häufigkeit. N1: Anzahl der Studiengangsportraits, N2: Anzahl der befragten Dozenten. Quelle: eigene Darstellung.
286
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
2. Lehrinhalte Lehrinhalt
N1
N2
N1+2
Begrifflich-konzeptionelle und historisch-institutionelle Grundlagen Mögliche und wahrscheinliche Zukünfte 0
3
3
Wandel
0
3
3
Relevanz der Zukunft
2
0
2
Wissenschaftstheorie
2
0
2
Epistemologie
2
0
2
Geschichte der Zukunftsforschung
0
2
2
Fachliteratur
0
2
2
Wichtige Fachvertreter
0
2
2
Unwahrscheinliche Zukünfte, wildcards
0
1
1
Wünschenswerte Zukünfte
0
1
1
Annahmen
0
1
1
Schulen der Zukunftsforschung
0
1
1
Begriffe wie Zeit, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
0
1
1
Organisationen im Bereich Zukunftsforschung
0
1
1
Summe
6
18
24
Theorien Systemtheorie
5
3
8
Entscheidungstheorien
0
1
1
Theorien des sozialen Wandels
0
1
1
Machttheorien
1
0
1
Theorien der Zukunftsforschung
1
0
1
Summe
7
5
12
4.5 Gesamtauswertung
287 Lehrinhalt
Zukunftsforschungsmethoden Qualitative Methoden der Zukunftsforschung (davon Szenariotechnik)
N1
N2
N1+2
8 (7)
6 (4)
14 (11)
Quantitative Methoden der Zukunftsforschung
7
5
12
Modelle
4
2
6
Allgemeine Forschungsmethoden
3
3
6
Methoden der Zukunftsgestaltung
1
0
1
Kreativitätstechniken
1
0
1
Planungsmethoden
0
1
1
Summe
24
17
41
Anwendungsfelder / Erfahrungsobjekte Management
8
3
11
Weltzukünfte
6
2
8
Wissenschaft/Technologie
5
2
7
Politische Steuerung / governance
4
3
7
Gesellschaft/Kultur/Religion
4
3
7
Volkswirtschaft
4
2
6
Regionen/Nationen
6
0
6
Umwelt
3
1
4
Sicherheit/Verteidigung/Frieden
4
0
4
Kommunikation (im Sinne von Gesellschaft/Kultur)
2
0
2
Erziehung/Bildung/Ausbildung
1
0
1
Gesundheit
1
0
1
Städte
1
0
1
Summe
49
16
65
Tab. 9:
Nennungen zu Lehrinhalten, sortiert nach Themenfeldern und Häufigkeit. N1: Anzahl der Studiengangsportraits, N2: Anzahl der befragten Dozenten. Quelle: eigene Darstellung.
288
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
3. Lehrmethoden Lehrmethoden
N1
N2
N1+2
Vorlesung - davon mit Diskussion - davon als Gastvortrag
3 1 0
19 9 6
22 10 6
Seminarformen - davon Fallstudie - davon Übung - davon Projektstudium - davon Rollenspiel - davon Gruppenreferat/-präsentation - davon Einzelreferat/-präsentation - davon zur Durchführung partizipativer Zukunftsforschung
3 1 1 1 0 0 1 0
17 12 7 6 7 4 2 2
20 13 8 7 7 4 3 2
Selbststudium/Lektüre
0
10
10
Fern-/Onlinestudium - davon mit Einsatz von Online-Lernplattformen - davon mit Einsatz von Online-Diskussionen - davon mit Einsatz von Audio-/Videokonferenzen (bidirektional) - davon mit Einsatz von Audio-/Videopräsentation (unidirektional) - davon reines Fern- oder Onlinestudium ohne Präsenz
3 1 2 1 1 3
7 6 4 3 1 0
10 7 6 4 2 3
Summe
9
53
62
Tab. 10: Nennungen zu Lehrmethoden, sortiert nach Häufigkeit. N1: Anzahl der Studiengangsportraits, N2: Anzahl der befragten Dozenten. Quelle: eigene Darstellung.
4.5 Gesamtauswertung
289
4. Lehrmedien Lehrmedien
N1
N2
N1+2
Filme
0
15
15
Folien/(interaktive) Präsentationen
0
12
12
Fachliteratur
4
5
9
Tafel
0
6
6
Bilder
0
6
6
Online-Lernplattformen
0
5
5
Handouts
0
4
4
Computer
1
3
4
0
3
3
(sonstige) Zukunftsartefakte
0
2
2
Rein auditive Medien
0
1
1
Virtuelle Umgebungen (z. B. Lord of Warcraft)
0
1
1
Summe
5
63
68
Studienbriefe (Fernstudium) 1392
Tab. 11: Nennungen zu Lehrmedien, sortiert nach Häufigkeit. N1: Anzahl der Studiengangsportraits, N2: Anzahl der befragten Dozenten. Quelle: eigene Darstellung.
1392 Spezifisch so benannt.
290
4. Zukunftsforschung in der Lehrpraxis
5. Lernerfolgskontrolle Lernerfolgskontrolle
N1
N2
N1+2
Hausarbeit (eine oder zwei größere schriftliche Ausarbeitungen, insb. end term paper)
3
12
15
Assignments (mehrere kleinere schriftliche Ausarbeitungen)
2
10
12
Abschlussarbeit (Master-Thesis oder Projektarbeit)
8
3
11
Einzelreferat/-präsentation
2
5
7
Klausur
2
2
4
Gruppenreferat/-präsentation
1
2
3
Mündliche Beteiligung im Unterricht
1
2
3
Praktikum
2
1
3
Beteiligung an Onlinediskussionen
1
1
2
Mündliche Prüfung
0
2
2
Bloße Anwesenheit des Studierenden
0
1
1
Summe
22
41
63
Tab. 12: Nennungen zu Lernerfolgskontrollen, sortiert nach Häufigkeit. N1: Anzahl der Studiengangsportraits, N2: Anzahl der befragten Dozenten. Quelle: eigene Darstellung.
296
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
Diese ursprünglich für die Sekundarstufe gedachten Teilkompetenzen können für die hier thematisierte tertiäre Stufe zukunftswissenschaftlich interpretiert, komprimiert und ergänzt werden. Demnach sollen die Studierenden in der Lage sein, x kenntnisreich1401 mögliche Zukünfte unter der Prämisse der prinzipiellen Nichtvorhersagbarkeit der Zukunft zu explorieren,1402 x eine eigene Haltung zu einer wünschenswerten Zukunft zu finden und die Wünsche und Werte anderer1403 und die Bedingungen der Umwelt zur Kenntnis zu nehmen und zu reflektieren1404 sowie x selbstständig1405 und gemeinsam1406 mit anderen motiviert1407 zu planen1408 und zukunftsorientiert zu handeln.1409 In dieser Auflistung drücken sich zunächst vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten aus, aus denen die zu selektieren sind, die nicht ökonomisch, ökologisch oder sozial nachhaltig sind und die gemeinsam geplant und umgesetzt werden können sollen. Dabei sind sowohl unterschiedliche mögliche Zukünfte als auch unterschiedliche Wunschvorstellungen zu berücksichtigen. Dass Zukünfte aufgrund ihrer heutigen Ungewissheit stets im Plural zu behandeln sind, mahnt Wagar an: „[N]o teacher should attempt to predict the future in the classroom or encourage students to predict the future.“1410 Je nachdem, wie umfassend der Gegenstandsbereich ist, der gestaltet werden soll – soll etwa nichts weniger als die Welt verändert werden, oder beschränkt sich der Anspruch darauf, eine Organisation vorteilhaft zu arrangieren? –, ist die Zukunftsgestaltung ein überzogenes oder ein angemessenes Studienziel. Folgt man Gerholds Drei-Ebenen-Modell der Zukunftsgestaltung1411, so ist hier zuvorderst an die Mikroebene, also die Ebene des Individuums, und an die Mesoebene, mithin die organisationale Ebene, zu denken. Die Makroebene, d. h. die Ebene der Gesellschaft, kann der Student theoretisch und moralisch durchdringen. Der Ansatz der Gestaltungskompetenz verlangt aber auch, dass der Studierende an der gesellschaftlichen Entwicklung aktiv partizipiert.
1401 1402 1403 1404 1405 1406 1407 1408 1409 1410 1411
Vgl. Teilkompetenzen 1 und 3. Vgl. Teilkompetenz 2. Vgl. Teilkompetenz 7. Dies setzt auch Empathie und Solidarität voraus, vgl. Teilkompetenz 9. Vgl. Teilkompetenz 2. Vgl. Teilkompetenz 8. Vgl. Teilkompetenz 4. Vgl. Teilkompetenzen 6 und 10. Planen inkludiert auch Entscheiden, vgl. Teilkompetenz 5. Vgl. Teilkompetenzen 2 und 3. Wagar (2002), S. 88. Vgl. hierzu Gerhold (2009), S. 236.
III.
Konzeptioneller Teil
5.
Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
Im konzeptionellen Teil werden nun die empirisch gewonnenen Einsichten zur Hochschullehre im Fach Zukunftsforschung aufgegriffen und einer kritischen Reflexion unterzogen. Diese erfolgt zum einen in fachlicher und, soweit der Zukunftsbezug gegeben ist, auch in überfachlicher Hinsicht, zum anderen in didaktischer Hinsicht, wobei hier gemäßigt-konstruktivistische Leitvorstellungen berücksichtigt werden. Im Ergebnis werden für die fünf didaktischen Komponenten konkrete Vorschläge unterbreitet. Hierbei sei, den oben gemachten allgemeinen Ausführungen folgend, noch einmal daran erinnert, dass Lehrziele und Lehrinhalte nicht deduktiv ableitbar sind, sondern normativen Charakter haben. Die nachfolgenden didaktischen Entscheidungen, mithin Methoden, Medien und die Lernerfolgskontrolle, lassen sich auch nicht aus den vorangegangenen ableiten, müssen aber ziel- und inhaltsadäquat ausgewählt werden. 5.1
Lehrziele
Die im Rahmen der empirischen Studien vorgefundenen Aussagen zu Lehrzielen der Zukunftsforschung vermitteln insgesamt ein fragmentarisches und verzerrtes Bild. Drei Studiengangsportraits machten hierzu gar keine Angaben. Bei der Dozentenbefragung fiel auf, dass kaum ein Respondent für sich genommen annähernd vollständig auf alle sinnvollen Lehrziele eingegangen ist. Vielmehr ergibt sich das endgültige Bild nur als Summe aller zusammengetragenen Aussagen, die für sich genommen überwiegend nur geringe Häufigkeiten aufweisen. Aus der Zahl der Nennungen kann somit nicht auf das Maß der Wichtigkeit der angegebenen Ziele geschlossen werden. In fachlicher Hinsicht kommen die Aneignung und die Beherrschung zukunftswissenschaftlichen Wissens und Könnens zu kurz.1393 Dies betrifft zunächst die begrifflich-konzeptionellen Grundlagen der Zukunftsforschung. Die Studierenden müssen das Wesen der Wissenschaftsdisziplin verstanden haben und Fachtermini korrekt verwenden können, bevor sie sich der 1393 Vgl. zu den konkreten Lehrinhalten das nächste Kap.
V. Tiberius, Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung, DOI 10.1007/978-3-531-92869-2_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
294
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
eigentlichen Forschung zuwenden können. Denn die Kenntnis um das wissenschaftstheoretische, ontologische und epistemologische Selbstverständnis ist die Grundlage, auf der solide wissenschaftliche Tätigkeit fußen muss.1394 Neben dieser metatheoretischen Befassung mit Zukunftsforschung ist es hilfreich, auch die historische und institutionelle Seite der Disziplin kennenzulernen. Wie hat sie sich also entwickelt, welche wichtigen Organisationen gibt es, welche Wissenschaftler (und die von ihnen vertretenen Schulen) sollte man kennen, welche zentralen Bücher und Zeitschriften sollte man kennen, welche Aufsätze sollte man gelesen haben? Die Anwendung bzw. Durchführung von Zukunftsforschungsmethoden wird in beiden empirischen Teilen betont, wenngleich verwundert, dass die Nennungen keine 100 % erreichen und sich ein quantitativer Methodenschwerpunkt abzeichnet, obwohl die qualitativen Methoden auf dem Vormarsch sind.1395 Die eigentlichen Erkenntnisziele von Zukunftsforschung, mögliche und wahrscheinliche sowie wünschenswerte und vermeidenswerte Zukünfte zu ermitteln, zu formulieren und zu bewerten sowie ihr Zustandekommen zu erklären, werden nur punktuell erwähnt. Das Studium muss sich diesem Anspruch stellen, sodass es unausweichlich ist, hierauf in den Lehrzielen einzugehen. Die Zukunftsforschungsmethoden zielen im Allgemeinen darauf ab, Zukunftsentwürfe zu generieren. Der Zukunftsforscher kann sich aber auch mit von Dritten, etwa Fachkollegen, vorgegebenen Zukunftsvorstellungen konfrontiert sehen. Die dann erforderliche Beurteilungskompetenz erstreckt sich zum einen auf deren Eintrittswahrscheinlichkeit. Zum anderen sollen die Studierenden auch in der Lage sein, als wünschenswert oder vermeidenswert bezeichnete Entwürfe insbesondere unter ethischen Gesichtspunkten zu bewerten.1396 Aus dem empirischen Teil ergibt sich das Bild, dass das Studium in überfachlicher Hinsicht auch eine Denkschulung sein soll, die die Studierenden in die Lage versetzt, Sachverhalte der Wirklichkeit in einem bestimmten Licht zu betrachten und Probleme auf eine zukunftsorientierte und nachhaltige Weise anzugehen und zu lösen. Dieser Überlegung ist grundsätzlich zuzustimmen. Jede Wissenschaft hat „ihre“ Art zu denken, und so liegt es auf der Hand, dass die Zukunftsforschung zukunftsbezogene Denkfähigkeiten einüben soll. 1394 Dem Respondenten Passig zufolge ist die dezidierte Behandlung dieser Fragen jedoch nicht erforderlich, da sie bereits in den Zukunftsforschungsmethoden manifestiert seien. Anders Serra del Pino (2002), S. 285, der die Behandlung von Methoden ohne theoretisches Fundament – zu Recht – als Fehler ansieht. 1395 Vgl. Wagenführ (1970), S. 28; Amara (1984), S. 402; Kreibich (1995), Sp. 2823; Blass (2003), S. 1048. 1396 Zur Lehrbarkeit des Ethos vgl. auch Bönsch (2006), S. 207 ff.
5.1 Lehrziele
295
Das spezifisch zukunftsorientierte Denken äußert sich in seiner Konstruktivität, Pro- bzw. Präaktivität, Langfristigkeit und Nachhaltigkeitsorientierung, Kreativität und Innovationsfreude und in seiner Verortung in großen, systemischen Zusammenhängen.1397 Darüber hinaus wurde auf das Erfordernis der Zukunftsforschung, mit anderen Wissenschaften zusammenzuarbeiten, genauso hingewiesen wie auf den partizipativen Charakter zumindest der normativen Ausprägung von Zukunftsforschung. Deshalb soll ein Zukunftsforscher auch zu inter- und transdisziplinärer Zusammenarbeit in der Lage sein. Wegen der prinzipiellen Offenheit der Zukunft betont die Zukunftsforschung wie keine andere Sozialwissenschaft sowohl die Gestaltbarkeit als auch die gemeinsame Pflicht zur sinnvollen Gestaltung der künftigen Gesellschaft.1398 Diese Gestaltungskompetenz sollte in den Richtzielen des Zukunftsforschungsstudiums deutlich betont werden. Sie ist Ausdruck des zukunftsorientierten Situationsprinzips.1399 Der Begriff der Gestaltungskompetenz wurde von de Haan et al. im Rahmen des Programms Transfer-21 formuliert. Damit „[…] wird die Fähigkeit bezeichnet, Wissen über nachhaltige Entwicklung anwenden und Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung erkennen zu können. Das heißt, aus Gegenwartsanalysen und Zukunftsstudien Schlussfolgerungen über ökologische, ökonomische und soziale Entwicklungen in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit ziehen und darauf basierende Entscheidungen treffen, verstehen und individuell, gemeinschaftlich und politisch umsetzen zu können, mit denen sich nachhaltige Entwicklungsprozesse verwirklichen lassen. Gestaltungskompetenz lässt sich in zehn Teilkompetenzen ausdifferenzieren: 1. Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen, 2. Vorausschauend denken und handeln, 3. Interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln, 4. Gemeinsam mit anderen planen und handeln können, 5. An Entscheidungsprozessen partizipieren können, 6. Andere motivieren können, aktiv zu werden, 7. Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können, 8. Selbstständig planen und handeln können, 9. Empathie und Solidarität für Benachteiligte zeigen können, 10. Sich motivieren können, aktiv zu werden.“1400 1397 Vgl. Nanus (1977), S. 195; Slaughter (1992), S. 41 f.; Chen (2002), S. 209 f., der von einer „global orientation“ und „tolerance for complexity“ spricht. Als einziger nennt der Respondent Caldwell als Lehrziel, das Zukunftsbewusstsein der Studierenden zu fördern. Das Konzept des Zukunftsbewusstseins scheint noch nicht so etabliert zu sein wie sein Spiegelbild in der Geschichtswissenschaft, das Geschichtsbewusstsein, das die Summe der unterschiedlichen Vorstellungen von der Vergangenheit und der Einstellungen zur Vergangenheit bezeichnet, vgl. zur Vertiefung auch die Ausführungen in Kap. 2.5.1. 1398 Vgl. auch Slaughter (1992), S. 41, der dies als Lehrziele formuliert. 1399 Vgl. Kap. 3.4.3. 1400 Vgl. Programm Transfer-21 (2007), S. 12. Vgl. auch de Haan (2008b), S. 23 ff.
5.1 Lehrziele
297
Auch in didaktischer Hinsicht fällt die Würdigung der empirischen Erkenntnisse kritisch aus. Oft wurde zwischen Lehrzielen und Lehrinhalten nicht unterschieden. Einigen Studiengangsdesignern und Dozenten war der Unterschied offenbar nicht klar. Auch wenn es sich um Lehrziele handelte, fehlte oft die Verhaltenskomponente (z. B. wissen, anwenden können etc.) und damit die Lehrzielstufe. Nachdem sich aus der fachlichen Kritik bereits Defizite aus Sicht des Wissenschaftsprinzips ergeben haben, werden auch die Ansprüche des Persönlichkeits- und Situationsprinzips zu wenig angesprochen. Auch wenn die mit diesen Prinzipien verbundenen Zielstellungen von Mündigkeit, Gesellschaftsfähigkeit und Nachhaltigkeit für jedes akademische Studium gelten, sollte diese bei den Richtzielen impliziert werden. Aus der Sicht des Persönlichkeitsprinzips soll das Studium der Zukunftsforschung den persönlichen Umgang mit der prinzipiell unsicheren Zukunft in den Vordergrund stellen. Auf das Situationsprinzip wird unten näher eingegangen. Wie in der Hochschuldidaktik typisch beschränkten sich die Darstellungen auf kognitive Ziele. Die Berücksichtigung affektiver Aspekte ist gerade für die Zukunftsforschung notwendig, da die Beurteilung alternativer Zukünfte neben objektiven Kriterien auf einen affektiven Zugang angewiesen ist und wissenschaftlich weder ableit- noch begründbare Werte berücksichtigt werden müssen.1412 In diesem Sinne ist Zukunftsforschung für Masini nicht nur eine Wissenschaft, sondern auch eine Haltung bzw. eine Verpflichtung.1413 Die vorstehenden Ausführungen sind an die konstruktivistische Didaktik anschlussfähig, soweit diese die Formulierung von Lehrzielen überhaupt gestattet. In der hier vertretenen gemäßigten Sichtweise ist dies nicht nur zulässig, sondern schon aus systematischen Gründen erforderlich. Die Formulierung von Richtzielen für das gesamte Studium (sowie von Grobzielen auf Modul- oder Veranstaltungsebene) ist im Bachelor-Master-System nicht zuletzt auch verpflichtend. Die Brauchbarkeit erworbenen Wissens und erworbener Kompetenzen als zentrales konstruktivistisches Gütekriterium ist naturgemäß dem Situationsprinzip zuzuordnen und hat hier entsprechend eine starke Affinität zu dessen Unterprinzip, der Zukunftsorientierung. Dieses fokussiert – wie dargestellt – darauf, dass die Studierenden in die Lage versetzt werden, künftige Situationen zu meistern. Im Studium der Zukunftsforschung erlernen sie das Denk- und Handwerkszeug, um alternative Zukünfte zu formulieren, auch um damit die aktive Gestaltbarkeit der Zukunft zu erhöhen. Mit anderen Worten: Das Prinzip der Zukunftsorientierung wird von keinem Fach so eindringlich verfolgt wie von der Zukunftsforschung. 1412 Vgl. Rogers (1992), S. 34. 1413 Vgl. Masini (2001), S. 645. Es sei noch einmal daran erinnert, dass sich affektive Lehrziele nicht auf Emotionen beschränken, sondern auch Werthaltungen ansprechen, vgl. Kap. 3.3.1.2.
298
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
Die unter den Voraussetzungen von Pluralität und Ambiguität geforderte Perspektivität1414 findet ihren Ausdruck im Prinzip der alternativen Zukünfte, und zwar sowohl auf explorativer als auch auf normativer Ebene. Die Studierenden sollen zum einen die aus der Nichtvorhersagbarkeit der Zukunft folgende Pluralität möglicher Zukünfte und zum anderen die aus den unterschiedlichen Wertvorstellungen der Menschen resultierende Vielzahl wünschens- und vermeidenswerter Zukünfte berücksichtigen. Fachliche Richtziele Die Studierenden sollen Zukunftsforschungskompetenz in mindestens einem Anwendungsgebiet (z. B. Wirtschaft, Bildung) entwickeln, insbesondere begriffliche und konzeptionelle Grundlagen der Zukunftsforschung als Wissenschaftsdisziplin beherrschen, historische und institutionelle Grundlagen der Zukunftsforschung kennen, Methoden der Zukunftsforschung anwenden können und im Ergebnis: mögliche und wahrscheinliche sowie wünschenswerte und vermeidenswerte Zukünfte ermitteln, formulieren und bewerten sowie ihr Zustandekommen erklären können. Überfachliche Richtziele, insb. mit Zukunfts(forschungs)bezug Die Studierenden sollen sich zu einer mündigen Persönlichkeit bilden, die eigenverantwortlich und selbstbestimmt die aktuellen und künftigen Herausforderungen des privaten und öffentlichen Lebens zum Wohle von Gesellschaft und Umwelt bewältigen kann. Sie sollen eine zukunftsbezogene Denkfähigkeit entwickeln, insbesondere langfristig und nachhaltigkeitsorientiert, kreativ, innovativ und in Alternativen sowie systemisch und in größeren Zusammenhängen denken können und inter- und transdisziplinär arbeiten können. Sie sollen eine Gestaltungskompetenz entwickeln, insbesondere: kenntnisreich mögliche Zukünfte unter der Prämisse der prinzipellen Nichtvorhersagbarkeit der Zukunft explorieren, eine eigene Haltung zu einer wünschenswerten Zukunft finden und die Wünsche und Werte anderer und Bedingungen der Nachhaltigkeit zur Kenntnis nehmen und reflektieren sowie selbstständig und gemeinsam mit anderen motiviert planen und zukunftsorientiert handeln können.
Tab. 13: Vorschläge für fachliche und überfachliche Richtziele für die Hochschullehre des Studienfachs Zukunftsforschung. Quelle: eigene Darstellung. 1414 Vgl. Siebert (2005), S. 118 ff.
5.2 Lehrinhalte
299
Mit dem Letztgenannten ist noch einmal betont, dass es weder dem Didaktiker, der den Studienplan erstellt, noch dem Dozenten, der einzelne Lehrveranstaltungen abhält, gestattet ist, nur eine spezifische mögliche und schon gar nicht eine bestimmte wünschenswerte Zukunft als Lehrziel zu positionieren. Die angesprochenen Personengruppen sollten sich darüber im Klaren sein, dass zwischen der Formulierung von Lehrzielen und konkreten explorativen oder normativen Ergebnissen ein Unterschied besteht. Solange sie sich auf das Erstgenannte beschränken, ist die Gefahr von Manipulation1415 minimiert. Die vorstehenden Überlegungen sind in obiger Tabelle zusammengefasst. 5.2
Lehrinhalte
Auch die im empirischen Teil vorgefundenen Aussagen zu Lehrinhalten haben punktuellen, häufig unsystematischen Charakter und weisen keine nennenswerten Häufungen auf. In der Literatur finden sich nur wenige Vorschläge.1416 Aufgrund der engen Verbundenheit von Lehrzielen und -inhalten ähnelt die fachliche Kritik den obigen Ausführungen. Allerdings fanden sich hier insgesamt diversifiziertere Aussagen, sodass eine Vielzahl sinnvoller Lehrinhalte genannt wurde. Die in Kap. 4.5 gezeigte Auswertung beruht allerdings bereits auf einer systematischen Gliederung, auf die nachfolgend näher eingegangen wird. Zunächst sollten die Studierenden mit den Grundlagen der Zukunftsforschung vertraut gemacht werden. Hierzu zählen die bereits auf der Zielebene angesprochenen begrifflich-konzeptionellen und historisch-institutionellen Lehrinhalte.1417 Wie bei anderen Wissenschaftspropädeutiken bietet es sich auch hier an, wissenschaftstheoretische Grundlagen zu erörtern, die Erkenntnis- und Erfahrungsobjekte sowie die Erkenntnisziele der Zukunftsforschung zu spezifizieren und einen historischen Überblick über die Entwicklung der Disziplin zu geben. Vorschläge hierzu finden sich in der Übersicht am Ende dieses Kapitels. Ein weiteres Inhaltsfeld, das Grundlagencharakter aufweist, sind Theorien, mit denen sich die Studierenden auseinandersetzen sollen, um dem Erkenntnisziel der Erklärung von Zukunftsentwicklungen nachkommen zu können. Besonders ins Auge sticht die häufige Nennung der Systemtheorie, von der man sich ver1415 Vgl. Lenzen (1999), S. 156 f. 1416 Im Sammelband von Dator (2002) (Hrsg.) finden sich einzelne Auflistungen, etwa bei Azam (2002), S. 196 f.; Mannermaa (2002), S. 171; Masini (2002b), S. 56 f. Ansonsten auch etwa Markley (1983), S. 52. 1417 Vgl. hierzu auch die „Knowledge base of futures studies“ nach Slaughter/Inayatullah (2000), siehe genauer in Kap. 5.4.
300
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
spricht, größere Zusammenhänge abbilden zu können.1418 Sie ist aber keinesfalls die einzige hierfür geeignete Theorie. Je nachdem, ob im Studium eher die gesellschaftliche Makro- und/oder die organisationale Mesoebene im Vordergrund steht, bieten sich hier verschiedene Theorien an, weshalb insoweit auf die Vorschläge in Kap. 2.6.1.2 verwiesen wird. Der im empirischen Teil aufgetauchte Begriff der Machttheorie ist als Oberbegriff zu verstehen, da mehrere Theorien des sozialen Wandels mit Machtprozessen als Explanans oder Explanandum arbeiten. Dem ebenfalls aufgetauchten Begriff der Zukunftsforschungstheorie steht momentan keine tatsächlich unter dieser Überschrift stehende Theorie gegenüber. Es ist auch fraglich, ob ein solches Vorhaben überhaupt sinnvoll erscheint oder ob nicht vielmehr durch Theorien des Wandels bereits das Gemeinte ausreichend diskutiert wird. Die Theorien, die vom Studiengangscurriculum oder vom Dozenten ausgewählt werden, sollten miteinander verglichen werden. Insbesondere sollten die Studierenden sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Erklärung durch die jeweiligen Theorien beschäftigen. Insofern ist es wichtig, sich mit deren Grundannahmen auseinanderzusetzen, also etwa der Frage nach dem Menschenbild (z. B. inaktiv, interaktiv, reaktiv oder proaktiv)1419 und der Frage, ob der Wandel eher deterministisch, voluntaristisch oder mittels Zufall erklärt wird – oder alle drei Erklärungsweisen eine Rolle spielen.1420 Die Methoden der Zukunftsforschung stehen den empirischen Erkenntnissen zufolge als Lehrinhalte klar im Mittelpunkt.1421 Lediglich zwei Studiengangsportraits nannten diese nicht explizit.1422 Dass sie von etwas mehr als einem Drittel der Respondenten nicht thematisiert wurden, verwundert, kann aber auch auf eine Selbstverständlichkeit hindeuten. Auch hier ist wieder ein systematisches Vorgehen anzumahnen. Zunächst ist also nach Klassifikationsmöglichkeiten von Zukunftsforschungsmethoden zu fragen, um auf dieser Grundlage im weiteren Verlauf eine Verortung der jeweils exemplarisch behandelten Methode vornehmen zu können. Qualitative und quantitative Methoden werden in etwa gleich häufig genannt. Bei Erstgenannten wurde die Szenariotechnik besonders häufig angeführt, die allerdings eher als Metamethode zu betrachten ist, weil sie nur bereits 1418 1419 1420 1421
Siehe auch Mannermaa (2002), S. 171. Vgl. Astley/Van de Ven (1983), S. 247; Tiberius (2008), S. 49 f. Vgl. Tiberius (2008), S. 41 ff., 179 ff. Auch mehrere Autoren im Sammelband von Dator (2002) (Hrsg.) gehen auf Methoden ausführlicher ein oder listen zumindest solche auf. Neben dezidierten Zukunftsforschungsmethoden wird vereinzelt auch eine Auseinandersetzung mit allgemeinen Forschungsmethoden wie Informationsbeschaffung, Durchführung empirischer Studien und Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse gefordert. Einzelnennungen betreffen auch Methoden der Zukunftsgestaltung, Kreativitätstechniken und Planungsmethoden. 1422 Im Beitrag über das PFI werden sie ebenfalls genannt, vgl. Azam (2002), S. 197.
5.2 Lehrinhalte
301
vorliegende Szenarien zueinander ins Verhältnis setzt und somit ihrerseits auf Methoden angewiesen ist, die Szenarien erzeugen. Gesondert genannt, weil nicht immer eindeutig als quantitativ oder qualitativ einzuordnen, sind Modelle. Ähnlich wie bei den Theorien des Wandels ist auch hier wichtig, nicht nur die Funktionsweise, sondern auch die Grenzen der Methoden zu diskutieren. Die allen explorativen Methoden eigene Tatsache, dass die Zukunft nicht vorhergesagt werden kann, kann nicht deutlich genug betont werden. In Kap. 3.1.2.2 wurde die bekannte Aussage, allgemeine Didaktik sei wie Stricken ohne Wolle, zitiert. In analoger Weise ist für die Zukunftsforschung als angewandte Wissenschaft zu attestieren, dass auch sie sich in mindestens einem spezifischen Anwendungsfeld konkretisieren muss. Schon bei der Analyse der Studiengänge hat sich gezeigt, dass einige bereits ein Erfahrungsfeld, am häufigsten einen betriebwirtschaftlichen oder managementbezogenen Kontext, vorgeben.1423 Zwei der befragten Dozenten fordern, dass jeder Student sich seinen eigenen Themenschwerpunkt setzen sollte, während sich jeweils ein Respondent für zwei bzw. drei Schwerpunkte ausspricht.1424 Die konkrete Anzahl solcher Schwerpunkte, soweit sie über eins hinausgeht, ist sicherlich willkürlich und nicht weiter diskussionswürdig. Festzuhalten bleibt, dass mindestens eine thematische Spezialisierung erforderlich ist. Im Studium der Zukunftsforschung sollen sich die Studierenden also mit alternativen Zukünften des Bildungssystems, des Verkehrswesens, der Sozialversicherungen o. Ä. auseinandersetzen. Dort, wo Fragen der Zukunftsgestaltung aufgegriffen werden, sollten die Studierenden „identify the areas where [they] can make a difference and focus on those areas […]“.1425 Zur Ordnung der möglichen Erfahrungsfelder wird auf den oben vorgestellten Gliederungsvorschlag von Marien zurückgegriffen.1426 Außer den beiden Feldern Landwirtschaft/Ernährung und Kriminalität/Gerechtigkeit wurden im empirischen Teil alle wenigstens einmal genannt. 1423 Diese thematische Dominanz betriebswirtschaftlicher Themen verwundert einerseits, ist andererseits aber nachvollziehbar. Sie verwundert, weil die Zukunftsforschung sich ja – wie im Grundlagenkapitel dargestellt – eher mit großen Zusammenhängen befasst – mit wirtschaftlichem Bezug wäre dies also eher die Volkswirtschaftslehre –, während sich die Betriebwirtschaftslehre vornehmlich mit Einzelunternehmungen und seit den 1990er-Jahren verstärkt auch mit Unternehmensnetzwerken beschäftigt, vgl. Tiberius (2008), S. 2, m. w. V. Die betriebswirtschaftliche Dominanz ist andererseits nachvollziehbar, da sie die stärker anwendungsbezogene wirtschaftswissenschaftliche Disziplin ist, sodass die Nähe zur ebenfalls angewandten Wissenschaft Zukunftsforschung deutlicher ist. Kommt man von der Nachfrageseite, überlegt also, wer Bedarf an Zukunftsforschern hat, dürften auch größere Einzelunternehmungen als Arbeitgeber infrage kommen. Damit wird der betriebswirtschaftliche Fokus klar. 1424 Chen (2002), S. 209, spricht von „multidisciplinary interests“. 1425 Rogers (1992), S. 36. 1426 Vgl. Marien (2002), S. 272 f. Siehe auch Kap. 2.5.2. Die Erfahrungsfelder finden sich teilweise auch bei Azam (2002), S. 197, wieder.
302
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
Es gibt darüber hinaus eine Reihe – teilweise im empirischen Teil schon genannter – weiterer Lerninhalte, etwa Kreativitätstechniken, Planungsmethoden oder Entscheidungsmodelle, die das Studium der Zukunftsforschung nicht zwingend, aber sinnvoll ergänzen können. In didaktischer Hinsicht ist das Wissenschaftsprinzip damit eingelöst. Aus der Perspektive des Persönlichkeitsprinzips – und hier der Ist-Dimension – muss der Dozent davon ausgehen, dass die Studierenden aufgrund ihrer bisherigen Schulbildung kein zukunftswissenschaftliches Vorwissen mitbringen.1427 Dieser Sachverhalt kann kaum deutlich genug betont werden, da Hochschuldozenten selten unter so schlechten inhaltlichen Voraussetzungen zu arbeiten haben. Eine systematische Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen ist an der Schule – wie eingangs beschrieben – unüblich. Die Studierenden bringen allenfalls ihre intuitive Vorstellung von Zukunft mit. Hinsichtlich der Soll-Dimension fokussiert das Studium der Zukunftsforschung, wie von der konstruktivistischen Didaktik favorisiert, eher auf formale als auf materiale Bildungsinhalte. Im Vordergrund stehen in materialer Hinsicht lediglich die o. g. begrifflich-konzeptionellen und historischinstitutionellen Grundlagen des Fachs. Die methodische Auseinandersetzung mit alternativen Zukünften ist dem formalen Bildungsbegriff zuzuordnen. Das Situationsprinzip wird durch die Anwendung der Zukunftsforschung auf ein oder mehrere Erkenntnisfelder erfüllt. Die Abfolge von Grundlagen, Theorien und Methoden bietet sich auch für die Sequenzierung der Lehrinhalte an.1428 Insgesamt ist dabei ein systematisches Vorgehen zu empfehlen. Die vereinzelten Begriffe aus dem empirischen Teil lassen dies vermissen. Dass Grundbegriffe wie mögliche und wahrscheinliche Zukünfte zu diskutieren sind, wurde lediglich von drei der Befragten erwähnt, unwahrscheinliche und wünschenswerte Zukünfte sogar nur jeweils einmal. Der Dozent sollte sich bei der Sequenzierung nicht dazu hinreißen lassen, die Methoden an den Anfang zu stellen, auch wenn die Studierenden erfahrungsgemäß auf diese „sehnsüchtig“ warten. Denn die beiden vorangehenden Blöcke stellen das Fundament dar, auf dem erst die Methoden aufbauen können.1429 Das ausgewählte Anwendungsfeld bzw. die Felder sollten sich als roter Faden durch das gesamte Studium ziehen. Sonstige Lehrinhalte können nach der Behandlung der Grundlagen jederzeit eingebaut werden. Aus konstruktivistisch-didaktischer Perspektive wird also auch hier eine gemäßigte Haltung eingenommen, die die Ex-ante-Festlegung von Lehrinhalten als notwendig erachtet, damit das Hochschulstudium nicht zum Zufallsprodukt 1427 Vgl. Serra del Pino (2002), S. 285. 1428 So auch Serra del Pino (2002), S. 285. 1429 Vgl. ibd., S. 288.
5.2 Lehrinhalte
303
verkommt. Die Festlegung von Lerngegenständen darf insbesondere in der Zukunftsforschung nicht mit der Vorwegnahme von Ergebnissen von Forschung oder Lehre verwechselt werden. Gerade wenn die Generierung alternativer Zukünfte im Vordergrund steht, wäre es unsinnig, nur bestimmte Szenarien als Lehrinhalte zu formulieren. Aber auch in keinem anderen Fachstudium würde ein Didaktiker oder Dozent auf die Idee kommen, offene Ergebnisse von Experimenten oder Umfragen den Status von Lehrinhalten zuzuweisen. Als Unterrichtsgegenstand könnte demnach ex ante festgelegt werden, dass Szenarien über die Bevölkerungsentwicklung erzeugt werden sollen. Welche Methode hierzu angewendet wird, ist dagegen genauso offen wie die konkrete Formulierung der Szenarien. Die geforderte Eindämmung der Gefahr inhaltlicher Überfrachtung des Studiums ist zu befürworten. Es bietet sich an, das Prinzip der Exemplarität zu berücksichtigen, das für die Zukunftsforschung in doppelter Hinsicht eine entscheidende Rolle spielt: So ist das Fach – wie gesehen – nicht nur inhaltlich sehr umfassend angelegt, da es sich mit allen nicht-naturwissenschaftlichen, für den Menschen relevanten Sachverhalten aus künftiger Perspektive beschäftigt.1430 Darüber hinaus sind eben für jede Teilfrage multiple Entwicklungspfade und somit Szenarien relevant, und zwar jeweils aus explorativer und normativer Sicht. Aus diesen beiden Gründen ist ein enzyklopädisches Vorgehen kategorisch ausgeschlossen, und der Dozent muss sich auf spezifische, eng abgegrenzte Ausschnitte aus der Realität, also etwa auf die Zukünfte des Transportwesens statt auf die Zukünfte „der Welt“, konzentrieren und auch innerhalb dieses Teilsegments den Studierenden immer klar machen, dass die gefundenen möglichen Zukünfte keinesfalls abschließend sind. Wenn der Konstruktivismus neue und wichtige Lehrinhalte als besonders geeignete Perturbationen herausstellt,1431 so ist die erstgenannte Qualität in der Zukunftsforschung immanent gegeben. Überspitzt formuliert kann keine Fachwissenschaft neuere Lehrinhalte liefern als solche, die noch nicht einmal eingetreten sind. Die letztgenannte Qualität hängt von den Interessen der Studierenden ab. Breites Interesse dürfte bei Themen gegeben sein, die praktisch jeden „etwas angehen“, also insbesondere gesellschaftliche und umweltbezogene Fragestellungen. Je spezifischer Anwendungsfelder werden, desto eher kann das Interesse angesprochen werden, bei gleichzeitiger Gefahr, die Aufmerksamkeit thematisch nicht involvierter Studierender zu verlieren. Die Forderung nach nicht zu wohlstrukturierten, authentischen Lerninhalten kann durch einen intelligenten Einsatz von Szenarien, also komplexen Gesamtentwürfen künftiger realistischer Situationen, umgesetzt werden. Die Studie1430 Zu den Erfahrungsobjekten der Zukunftsforschung vgl. Kap. 3.5.2. 1431 Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 146.
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5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
renden können gegebene Szenarien zur weiteren Bearbeitung, insbesondere zur Bewertung, vorgelegt bekommen oder diese eigenständig erzeugen. In beiden Fällen handelt es sich eben nicht um einfache, lehrbuchhafte Modelle, sondern im Idealfall um Konstellationen, die der Komplexität des Alltagslebens entsprechen. Auf Grundlage dieser Überlegungen werden nachfolgende Lehrinhalte vorgeschlagen. Groblehrinhalt Grundlagen der Zukunftsforschung
Konkretisierung
x Geschichte und Institutionalisierung des Fachs: historischer Überblick, Organisationen, Protagonisten, Fachliteratur
x Wissenschaftstheoretische Grundlagen: Einordnung in der
x x x
Theorien der Zukunftsgenese/des Wandels
Systematik der Wissenschaften (Objektwissenschaft, Real-/ Potenzialwissenschaft, Sozial-/Kulturwissenschaft; Werturteilsproblematik: Zukunftsforschung als explorative und normative Wissenschaft; interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaften Erkenntnisobjekte: alternative Zukunftsvorstellungen, i. E.: mögliche, wahrscheinliche, wünschenswerte und vermeidenswerte Zukünfte; Zukunftsbewusstsein; Zukunftskultur Erfahrungsobjekte: sämtliche sozialen bzw. kulturellen Phänomene Erkenntnisziele: Beschreibung alternativer Zukünfte, Erklärung der Zukunftsgenese/des Wandels, Bewertung normativer Zukunftsentwürfe, ggf. Zukunftsgestaltung; wissenschaftstheoretische Selbstreflexion und Weiterentwicklung
Theorien des sozialen Wandels, z. B.: Elitenkreislauftheorie Interpenetrationstheorie Modernisierungstheorie Pfadabhängigkeitstheorie Praxeologische Theorie der Praxis (generativer Strukturalismus) Soziologie der flüssigen Moderne Strukturationstheorie Strukturfunktionalismus Symbolischer Interaktionismus Systemfunktionalismus Systemtheorie Technologisch-sozialer Kreislauf
x x x x x x x x x x x x
5.2 Lehrinhalte
305
Groblehrinhalt Theorien der Zukunftsgenese/des Wandels
Konkretisierung
x x x x x x
Theorie der Gesellschaft Theorie der gesellschaftlichen Steuerung Theorie der reflexiven Modernisierung Theorie der soziologischen Erklärung Theorie kollektiver Akteure …
ggf. Theorien des organisationalen Wandels, z. B.: x Dynamic-Capabilities-Ansatz x IMP-Netzwerksansatz x Koevolutionärer Ansatz x Kybernetische Regelkreise x Lebenszyklusmodelle x Mikropolitik x Organisationales Lernen, interorganisationales Lernen, Netzwerklernen x Organisationsentwicklung/Organizational Development, Transorganizational Development x Pfadabhängigkeitstheorie x Population-Ecology-Ansatz x Resource-Dependence-Ansatz x Strukturationstheorie x Struktureller Netzwerkansatz x … x jeweils: Annahmen, Erklärungsgehalt, Grenzen etc. Methoden der Zukunftsforschung
Klassifikation von Zukunftsforschungsmethoden: qualitative und quantitative, analytische und normative Methoden, z. B.: x Causal Layered Analysis x Cross-Impact-Analyse x Delphi-Methode x Entscheidungsmodellierung x Field Anomaly Relaxation x Modelle/Simulationen x Prediction Markets x Relevanzbäume
306
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
Groblehrinhalt Methoden der Zukunftsforschung
Konkretisierung
x x x x x x x x x x x x x x x
Spezifische Erfahrungsfelder der Zukunftsforschung: Alternative Zukünfte von …
x x x x x x x x x x x x x x x x
Robust Decisionmaking Spiele/Wargaming Strukturanalyse Szenarioplanung Szenariotechnik Textanalyse Trendextrapolation Trend-Impact-Analyse Umweltbeobachtung (environmental scanning) Wildcards Zukunftsrad/Zukunftspolygon Zukunftswerkstatt … jeweils: Funktions-/Durchführungsweise, Anwendungsmöglichkeiten und -grenzen, Vorteile/Nachteile etc. Anwendung/Durchführung ausgewählter Methoden in Seminaren, insbesondere in Übungen Ernährung/Landwirtschaft Erziehung/Bildung/Ausbildung Gesellschaft/Kultur/Religion Gesundheit Kommunikation (im Sinne von Gesellschaft/Kultur) Kriminalität/Gerechtigkeit Management (insbesondere Strategie, Innovation, Organisation, Personal, Planung/Strategisches Management) Politische Steuerung/governance Regionen/Nationen Sicherheit/Verteidigung/Frieden Städte Umwelt Volkswirtschaft Weltzukünfte Wissenschaft/Technologie …
5.3 Lehrmethoden
307
Groblehrinhalt Sonstiges (z. B.)
Konkretisierung
x x x x
Kreativitätstechniken Entscheidungstheorien/Entscheidungsmodelle Planungsmethoden …
Tab. 14: Vorschläge für Lehrinhalte für die Hochschullehre des Studienfachs Zukunftsforschung. Quelle: eigene Darstellung. 5.3
Lehrmethoden
Wie schon bei den Lehrzielen und -inhalten zeigt sich auch hier im empirischen Teil wieder das Bild, dass die Nennungen punktuell und selektiv sind und weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Systematik erheben können. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass über Lehrmethoden im Allgemeinen wenig reflektiert wird.1432 Auffällig ist, dass knapp jedes zweite Studiengangsportrait keine Angaben zu Lehrmethoden gemacht hat. Bei der Dozentenbefragung sticht ins Auge, dass besonders häufig diejenigen Methoden genannt wurden, die in der Fragestellung als Beispiel genannt wurden. Wie bereits erwähnt, können Lehrmethoden nicht aus Lehrzielen und -inhalten abgeleitet werden, müssen aber für diese adäquat ausgewählt werden; auch entfalten Lehrmethoden ggf. eine gegenstandskonstituierende Wirkung. Insofern ist eine strikte Trennung von fachlicher und didaktischer Reflexion nicht möglich. Bei der Diskussion der konstruktivistischen Didaktik hat sich das Bild ergeben, dass Lehrziele und -inhalte nicht im Vordergrund stehen, wohingegen der Großteil der Argumentationslinie methodische Implikationen hat und als Suche nach der optimalen Perturbationsmethode betrachtet werden kann. Wie in der Didaktik im Allgemeinen wird auch von der konstruktivistischen Didaktik die Forderung nach einer Lehrmethodenvielfalt erhoben, da mit der Anzahl der eingesetzten Methoden bei einer Mehrzahl von Lernenden die Wahrscheinlichkeit steigt, die individuell geeignete zu finden.1433 Aufgrund der im empirischen Teil vorgefundenen Breite der genannten Methoden ist zumindest das Potenzial für diesen Methodenwechsel gegeben. 1432 Wenig schmeichelhaft ist es, wenn Eldredge (1975), S. 22, seinerzeit viele Lehrmethoden, die in der Zukunftsforschung angewandt wurden, als „soft“, „left pole“ bzw. „gimmicks“ bezeichnet. 1433 Vgl. Rustemeyer (1999), S. 475; Reich (2008), S. 277 ff.
308
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
Wie oben ausgeführt bevorzugen die Konstruktivisten anstelle von instruktionseher konstruktionsorientierte Methoden, die nach dem Grundsatz „Lernen ist Handeln“ auf eine selbstständige Betätigung der Studierenden setzen. Im Vordergrund stehen dabei gruppenbasierte Methoden, die soziale Perturbationen und Viabilitätsüberprüfungen ermöglichen. Weiterhin sollen reichhaltige Lernumgebungen geschaffen werden, um das situative Lernen zu fördern. Die bereits angesprochene emotionale Aufladung von Lernumgebungen ist gerade bei Zukunftsfragen behutsam vorzunehmen, denn der Dozent ist in der Lage, die Einstellung der Studierenden über die Zukunft positiv wie negativ zu beeinflussen,1434 sodass „learning about the future can be emotionally disturbing and stimulate considerable personal change“.1435 Rogers Beobachtungen zufolge kommt es bei der Beschäftigung mit globalen Zukünften zu vergleichsweise starken emotionalen Paradoxien, etwa den ambivalenten Gefühlen und Haltungen von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit, Kontrolle und Kontrolllosigkeit, Furcht und Furchtlosigkeit, Optimismus und Pessimismus, Konfusion und Klarheit u. a.1436 Es ist zu empfehlen, nicht einseitig auf künftige Gefahren oder Chancen, sondern auf positive wie negative Zukünfte einzugehen.1437 Als konstruktivistisch können bereits die Überlegungen von Nanus aus dem Jahr 1977 betrachtet werden, wenn er für zukunftsbezogene Managementseminare ein methodisches Vorgehen empfiehlt, das er als angeleitete Selbstentdeckung (guided self-discovery) bezeichnet:1438 Im Einzelnen soll das Seminar so gestaltet werden, dass die Relevanz des diskutierten Themas und die zugrunde liegenden Prinzipien deutlich werden, dass es emotional und motivational anspricht, dass es ein Umfeld schafft, in dem verschiedene Ansätze erprobt werden können und schließlich, dass es adressatenbezogen ist. Dies vorausgeschickt werden die oben allgemein diskutierten Veranstaltungstypen nachfolgend aufgegriffen und für die Zukunftsforschung spezifiziert.1439 1434 1435 1436 1437 1438 1439
Vgl. Glenn (1997), S. 731. Rogers (1992), S. 35. Vgl. ibd., S. 34. Vgl. Glenn (1997), S. 733 et pass. Vgl. Nanus (1977), S. 195. Das in der empirischen Gesamtauswertung genannte Selbststudium wird nicht näher behandelt, weil hier der Lehr-, nicht der Lernaspekt im Vordergrund steht. Dies gilt prinzipiell auch für das häufiger genannte Fern- oder Onlinestudium (vgl. zu einer Fernstudiendidaktik bereits Haagmann (1979)). Drei der untersuchten Programme wenden diese postgraduale, berufsbegleitende Studienform an. Wildman (1998); id. (2002) geht näher auf seine Erfahrungen mit Onlinestudien in der Zukunftsforschung ein. Die Erkenntnisse sind allerdings eher allgemeiner Natur und weniger für das Studium der Zukunftsforschung spezifisch, wobei sich Aussagen zum Fach Zukunftsforschung nicht wesentlich vom Präsenzstudium abheben. Aufgrund der untergeordneten Bedeutung – und zur Fokussierung auf das eingangs formulierte Erkenntnisziel – geht die Arbeit auf evtl. Spezifika nicht näher ein.
5.3 Lehrmethoden
309
Vorlesung Die Vorlesung als Archetypus instruktionsbasierter Lehrmethoden wird von radikalen Konstruktivisten abgelehnt, während sie für gemäßigte Konstruktivisten zumindest nicht die bevorzugte Wahl darstellt. Diese erkennen jedoch an, dass sich instruktionelle Designs immer dann eignen, wenn die Studierenden Grundlagenwissen und Methoden erlernen sollen. Eine konstruktivistische Selbstentdeckung ist für solche Lerngegenstände in der Regel zu aufwendig und dennoch nicht lernförderlich. In diesem Sinne dienen Vorlesungen anschließend an Reich als Methode zur Rekonstruktion.1440 Die Studierenden entdecken bereits vorhandenes Wissen wieder, ohne dies vollständig selbstständig neu zu „erfinden“. Diese Sichtweise wird offensichtlich durch die empirischen Erkenntnisse gestützt, denn aus einzelnen Studiengangsportraits und Respondentenaussagen ergibt sich das Bild einer breiten Verwendungsmöglichkeit für zukunftswissenschaftliche Vorlesungen. Für die Vermittlung der Grundlagen der Zukunftsforschung und von Theorien der Zukunftsgenese bzw. des Wandels können Vorlesungen gut eingesetzt werden. In Vorlesungen kann außerdem die theoretische Basis von Zukunftsforschungs- und anderen Methoden (z. B. Kreativitätstechniken etc.) und deren grundlegenden Funktionsweisen gelegt werden, die in anderen Veranstaltungsformen unter Mitwirkung der Studierenden später tatsächlich durchgeführt werden können. Schließlich können aus den einzelnen Erfahrungsfeldern der Zukunftsforschung vorliegende Ergebnisse bereits durchgeführter Zukunftsstudien präsentiert werden. Seminar Die Vertiefung und Anwendung von in Vorlesungen erworbenem Wissen ist selbstredend auch für die Zukunftsforschung relevant. Aus dem empirischen Teil ergibt sich ein Bild, wie es auch für andere sozialwissenschaftliche Studiengänge gezeichnet werden könnte. Meist sind Seminare fachliteraturbasiert und bestehen in erster Linie aus Einzel- oder Gruppenreferaten der Studierenden. Im Vergleich zu den nachfolgend behandelten Veranstaltungsformen gibt es jedoch wenige Nennungen. Seminare bieten sich für das Zukunftsforschungsstudium an, um die begrifflichkonzeptionellen und historisch-institutionellen sowie methodischen Grundlagen zu vertiefen. Auf Grundlage des in der Vorlesung vermittelten Überblickswissens kann den Studierenden aufgetragen werden, sich jeweils auf Grundlage empfohlener oder selbst recherchierter Buchpublikationen und Fachaufsätze stärker in ein 1440 Vgl. Reich (1997), S. 84; id. (2008), S. 139 f.
310
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
abgegrenztes Themenfeld einzuarbeiten und ihr erworbenes Wissen ihren Kommilitonen zu präsentieren und anschließend im Plenum zu diskutieren. Da die Studierenden hier nicht mehr in einer passiv-rezeptiven Rolle sind, sondern eine stärkere Interaktion stattfindet, kann der Schritt vom Wissen zum Können vollzogen werden. Auch die überfachlichen Ziele, die Förderung der zukunftsbezogenen Denkfähigkeit und Gestaltungskompetenz, können hier verfolgt werden. Das literaturbasierte Vorgehen kann als zweistufige Perturbation interpretiert werden: Zunächst perturbiert das Gelesene den Studierenden, dann perturbiert dieser die Lerngruppe. Auch die Viabilitätsüberprüfung erfolgt in diesen beiden Phasen: Zunächst muss der Studierende für sich überprüfen, ob er den Ausführungen in der Literatur zustimmen kann, dann erfolgt eine soziale Viabilitätsaushandlung in der Gruppendiskussion. Übung Aus dem empirischen Teil lässt sich erkennen, dass Übungen eine vergleichsweise wichtige Rolle einnehmen. Hier wird – natürlich nur im Kleinen und zu Übungszwecken – Zukunftsforschung betrieben, d. h., alternative Zukünfte werden exploriert, mögliche Zukunftsszenarien werden erklärt und normative Zukunftsentwürfe werden bewertet. Um diese Erkenntnisziele zu erreichen, müssen in der Vorlesung kennengelernte Zukunftsforschungsmethoden eingesetzt werden, wodurch diese besser verstanden und eingeübt werden können. Erwähnenswert ist, dass Rubin und Spies partizipative Zukunftsforschungsmethoden – wie etwa die Zukunftswerkstatt, das Zukunftsrad (futures wheel) oder den Zukunftskreis (futures circle) – gezielt als Lehrformate einsetzen,1441 womit eine Identität zwischen Forschungs- und Lehrmethode hergestellt und die Idee des forschenden Lernens in besonderer Weise vorangetrieben wird.1442 Da sich Zukünfte nicht abstrakt behandelt lassen, ist es erforderlich, einen Erfahrungsgegenstand auszuwählen, womit der Anwendungsbezug von Zukunftsforschung und damit das Situationsprinzip eingelöst werden. Indem die Studierenden mögliche Zukünfte konstruieren, sind sie deren Erfinder.1443 Bei der Bewertung selbst konstruierter oder dozentenseitig vorgelegter Zukünfte in Hinblick auf ihre Wünschbarkeit ist zudem das anspruchsvolle Prinzip 1441 Zukunftsforschungsmethoden als Lehrmethoden einzusetzen, schlägt bereits Glenn (1973), S. 95 ff. Dort werden auch u. a. futures wheel (S. 95) und futures circle (S. 97 f.) erläutert. 1442 Siehe die Ausführungen zur Zukunftswerkstatt in Kap. 2.6.2.6. 1443 Vgl. Reich (2008), S. 183.
5.3 Lehrmethoden
311
der Dekonstruktion nach Reich erforderlich.1444 Denn in der bloßen Darstellung von Zukünften sind stets Wertannahmen, mitunter auch bewusste oder unbewusste Fehler enthalten, die erst aufgedeckt werden müssen. Der Konstruktivismus macht darauf aufmerksam, dass Moral nicht nur eine Frage ethischen Wissens, sondern auch Könnens ist. Lehre muss also ethische Werte offenlegen und Situationen schaffen, in denen die Lernenden moralisches Verhalten praktizieren können.1445 Dies ist im Rahmen der Bewertung wünschenswerter Zukunftsentwürfe möglich. Projektstudium Das Projektstudium gehört zu den im empirischen Teil meistgenannten Lehrmethoden. Seine Eignung für die Zukunftsforschung ergibt sich daraus, dass das Projekt eine beliebige, meist komplexe Problemstellung aus der gesellschaftlichen Realität zu ihrem Gegenstand macht, womit zugleich die konstruktivistischen Forderungen nach authentischen Lernsituationen und nach nicht zu stark vorstrukturierten Problemstellungen eingelöst werden. Zudem werden in Projekten gemeinhin die traditionellen Grenzen der Wissenschaftsdisziplinen überschritten.1446 Dies kommt gerade der interdisziplinär ausgerichteten Zukunftsforschung sehr entgegen. Ein idealtypisches zukunftswissenschaftliches Projekt könnte darin bestehen, dass sich die Studierenden mit einem bestimmten Problem, etwa dem weltweiten Bevölkerungswachstum, mit der Wasserversorgung in Afrika, mit dem Verkehrsaufkommen in den Megastädten etc., intensiv vertraut machen, Zukunftsszenarien formulieren und in diesem Zusammenhang Lösungsansätze erarbeiten. Durch die damit verbundene ausdrückliche Handlungsorientierung wird der Lernerfolg aus konstruktivistischer Perspektive gefördert. Eine interessante Einzelnennung im empirischen Teil stellte die dreidimensionale Konstruktion von Zukunftsgebäuden im Unterricht dar. Da die Projektmethode mehr ein genereller Ansatz als eine spezifische Unterrichtsmethode ist, ist sie für vielerlei konkrete Ausgestaltungen offen. Insbesondere können die unterschiedlichsten Zukunftsforschungsmethoden eingesetzt werden, um zum ausgewählten Problemgegenstand den Zukunftsbezug herzustellen. Zwei Respondenten sehen in diesem Sinne das Projektstudium als geeignet an, um Methoden einzuüben. Da der Dozent beim Projektstudium in der Regel nur das Problemfeld und die Form (aber nicht den Inhalt) des Ergebnisses definiert, 1444 Vgl. id. (1997), S. 86; id. (2008), S. 141 f. 1445 Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 126. 1446 Vgl. Zillober (1984), S. 159 f.
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5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
haben die Studierenden bei der Wahl der ihrer Meinung nach geeigneten Methode freie Hand. Da bei „großen Themen“ die Gefahr eines laienhaften Vorgehens „auf Stammtischniveau“ besteht, indem die Teilnehmer ihre auf wenigen Informationen beruhenden Meinungen zusammentragen, sollte der Dozent vorbeugen, indem er explizit eine ausführliche Faktensammlung und die Anwendung einer der gelernten Zukunftsforschungsmethoden fordert. Fallstudie Die Fallstudie ist nach der Vorlesung die am zweithäufigsten genannte Veranstaltungsform. Ein Fall ist letztlich nichts anderes als eine komplexe Variablenkonstellation, mithin ein Szenario, und stellt damit aus konstruktivistischer Sicht eine besonders reichhaltige Lernumgebung dar. Aufgrund dieser Kontextualität der Fallstudienmethode empfiehlt sich eine abschließende Generalisierung der gemachten Erkenntnisse im Plenum. Die Tatsache, dass im Unterricht sowohl zurückliegende reale Situationen eingesetzt werden können als auch fiktive, konstruierte, zeigt die Nähe zum Konzept der alternativen Zukünfte. Für die Fallstudie ist es konzeptionell kein Unterschied, ob die fiktive Situation in der Gegenwart verortet ist oder eine künftige Situation ins Heute geholt wird. Die Lernenden müssen sich bei der Fallstudie so oder so in eine völlig neue Situation hineindenken. Eine Fallstudie kann somit problemlos auch in der Zukunft angesiedelt werden und von Voraussetzungen ausgehen, die zwar heute noch nicht gelten, jedoch als gegeben definiert werden können. Auf diese Weise werden die Studierenden auch mit den Problemen konfrontiert, die mit dem Studium möglicher Zukünfte und der Ausarbeitung von Szenarien einhergehen.1447 Auch dass die Fallstudie auf Entscheidungssituationen fokussiert, korrespondiert sehr gut mit dem Studium der Zukunftsforschung. Dass die Bewertung von wünschenswerten Zukünften und die Analyse optimaler Handlungsstränge zur Gestaltung einer positiven Zukunft eine zentrale Rolle spielen, wurde betont. Die Studierenden können dies im Rahmen einer Fallstudie möglichst praxisnah einüben. Es ist ein Unterschied, ob die Lerngruppe lediglich theoretisch über ein Zukunftsszenario diskutiert und Möglichkeiten abwägt oder in die Situation gedrängt wird, als Entscheider Verantwortung zu übernehmen. Indem die Studierenden auch bewertend zur Fallstudie Stellung nehmen müssen, wird ihnen klar,
1447 Vgl. Zillober (1984), S. 157.
5.3 Lehrmethoden
313
dass ihre Einstellung zur und ihre Vorstellung von der Zukunft Gegenstand intellektueller Beschäftigung sind.1448 Handelt es sich bei der Fallstudie nicht um eine didaktisch aufbereitete Fiktion, sondern um einen realen Fall aus der Vergangenheit, so kann nach der Präsentation der Gruppenlösung durch den Dozenten ein Vergleich der erarbeiteten Lösung mit der seinerzeit in der Realität tatsächlich getroffenen Entscheidung angestellt werden. Kaiser verwendet für diesen Prozessschritt die Bezeichnung Kollation.1449 Ein solches Vorgehen ist dem Studium der Zukunftsforschung natürlich verwehrt. Es erscheint aber nicht nur nicht zwingend, sondern in vielerlei Hinsicht sogar kontraproduktiv. Abgesehen davon, dass die Kollation bei fiktiven Fallstudien ohnehin obsolet ist, sind nach hiesiger Sicht der pädagogische und der fachliche Nutzen auch bei einer realen Fallstudie äußerst eingeschränkt. So stellt die Fallstudie zum Zwecke der unterrichtlichen Fasslichkeit ja stets eine Simplifizierung der realen Situation dar, bei der nicht alle Fakten einfließen, die seinerzeit in der Realität vorlagen. Die Fallbearbeitung in der Realität und die im Unterricht müssen also zwangsläufig auseinanderklaffen. Weiterhin ist keineswegs gesichert, dass die tatsächlich getroffene Entscheidung optimal war. Es lässt sich zwar beurteilen, ob eine getroffene Entscheidung mit einem günstigen Ausgang des Problems einherging. Verschlossen bleibt jedoch, ob es nicht eine bessere Lösung gegeben hätte und inwiefern die Entscheidung tatsächlich für das Ergebnis maßgeblich war bzw. welche Rolle Zufall und Emergenzfaktoren spielten. Insbesondere könnte eine Kollation beim Studierenden zu dem falschen Eindruck führen, es gäbe doch eine eindeutige, aber von ihm nicht erkannte Lösung, was ihn desillusionieren könnte. Rollenspiel Das Rollenspiel wurde ebenfalls vergleichsweise häufig erwähnt. Nicht zuletzt stellt auch das gaming nicht nur eine Unterrichts-, sondern auch eine Zukunftsforschungsmethode dar,1450 sodass es nicht verwundert, dass Spielformate auch im Unterricht eingesetzt werden. Da Rollenspiele in einer hypothetischen Situation stattfinden, ist die Anschlussfähigkeit an eine mögliche oder wünschenswerte Zukunft gegeben. Indem die Studierenden sich in diese simulierte Wirklichkeit1451 begeben und sich mit 1448 1449 1450 1451
Vgl. Zillober (1984), S. 157. Vgl. Kaiser (1976), S. 44. Zum wargaming vgl. Oriesek/Schwarz (2009). Vgl. Bönsch (2006), S. 97, der dies eigentlich für das Planspiel festhält. Gleiches gilt jedoch auch für das Rollenspiel.
314
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
ihren Rollen identifizieren, machen sie eine Zukunft gewissermaßen primär erfahrbar, wodurch ein situatives, kontextspezifisches Lernen ermöglicht wird. Noch stärker als bei der Fallstudie stellt das Rollenspiel damit eine sehr reichhaltige Lernumgebung dar, die auch emotional angereichert ist. Durch das Agieren im Rahmen der jeweiligen Rolle und das Reagieren auf die Handlungen der anderen Teilnehmer entsteht im Rollenspiel eine Eigendynamik, die interessante Erkenntnisse zutage fördern kann, die in einer rein theoretischen Betrachtung „am grünen Tisch“ vielleicht nicht herausgekommen wären. Die Architektur des Spiels macht deutlich, dass der Einzelne voluntaristisch handeln, sich allerdings nur innerhalb der gegebenen, oft schwer überwindbaren Restriktionen (gewissermaßen: den Spielregeln) bewegen kann und durch die Interaktion emergente Handlungskonsequenzen entstehen, also Ergebnisse, die niemand intendiert hat, die aber aus dem komplexen Zusammenspiel der Einzelhandlungen heraus produziert werden. Durch das Zusammenspiel mehrerer Studierender fördern diese die bei den Lehrzielen geforderte Empathie, insbesondere die Fähigkeit Wünsche Dritter zu berücksichtigen. Die Studierenden lernen hautnah die Bedeutung von Entscheidungssituationen kennen, erfahren gleichzeitig jedoch, dass die Zukunft kontingent ist, es also so wie geplant oder anders als erwartet kommen kann. Nach dem Abschluss des eigentlichen Rollenspiels sollte daher im Plenum über den Verlauf und dessen Bewertung diskutiert und die Erkenntnisse sollten dekontextualisiert werden.1452 Riner erklärte als einziger Respondent, Rollenspiele in virtuellen Umgebungen, namentlich Second Life und Lord of Warcraft, durchzuführen. Das Vorgehen hat zunächst den Nachteil, dass die Interaktion zwischen den Spielern nicht mehr direkter Natur ist, sondern medial vermittelt wird. Hierin liegt aber auch zugleich als wesentlicher Vorzug, dass die virtuelle Umgebung es in visueller Hinsicht ermöglicht, sich vom Hier und Jetzt abzukoppeln und ganz in die neu geschaffene Situation hineinzuversetzen. Die Mitspieler werden nicht mehr als Kommilitonen, sondern als Personen wahrgenommen, die innerhalb des Spiels spezifische Aufgaben übernehmen und Handlungen vollziehen. Auf die Überlegung, dass es der Zukunftsforschung oftmals weniger um zukünftige als um zeitunabhängige, nicht-reale und wünschenswerte Situationen geht, wurde bereits eingegangen. Um dieses von heutigen Restriktionen abstrahierte Denken zu ermöglichen, sind Rollenspiele gut geeignet. Anschaulich wird dies in den Mars-Spielen, die von den beiden Respondenten Dator und Riner eingesetzt werden. Hier sollen die Studierenden eine neue Zivilisation planen und aufbauen. Im Vordergrund steht hierbei weniger der bestimmte Planet Mars, 1452 Vgl. Speth (2007), S. 400, m. w. V.
5.3 Lehrmethoden
315
sondern ein beliebiger Ort zu einer beliebigen Zeit, an dem und zu der es noch keine menschlich geschaffenen Institutionen gibt, die sich restriktiv auf die Handlungs- und somit Gestaltungsfreiheit auswirken würden. Die Studierenden können auf diese Weise gedanklich sprichwörtlich die Welt schaffen, die sie für optimal halten, ohne sich an gesellschaftliche Konstellationen halten zu müssen, die sie auf der Erde, also im Hier und Jetzt, vorfinden. Die Überlegungen zu den Lehrmethoden werden in nachfolgender Tabelle zusammengefasst. Methodische Ziel- und inhaltsspezifische Eignung Großformen Vorlesung Systematische Vermittlung von Grundwissen, insbesondere Grundlagen der Zukunftsforschung, und von Theorien der Zukunftsgenese bzw. des Wandels, theoretische Basis und Funktionsweise von Zukunftsforschungs- und anderen Methoden (z. B. Kreativitätstechniken), Präsentation der Ergebnisse bereits durchgeführter Zukunftsstudien. Seminar
Vertiefung und ggf. Anwendung von begrifflich-konzeptionellem, historisch-institutionellem und methodischem Grundwissen, meist auf der Basis von Fachliteratur, Einzel- oder Gruppenreferate und anschließende Diskussion im Plenum.
Übung
Einsatz von Zukunftsforschungsmethoden durch die Studierenden, dadurch Exploration alternativer Zukünfte, Erklärung möglicher und Bewertung normativer Zukünfte.
Projektstudium Definition einer spezifischen gesellschaftlichen Problemstellung durch den Dozenten, Erarbeitung zukunftsorientierter Lösungen/Lösungsansätze unter Einsatz einer oder mehrerer Zukunftsforschungsmethoden durch die Studierenden, Präsentation und Plenumsdiskussion. Fallstudie
Präsentation eines Zukunftsszenarios durch den Dozenten, Klärung der enthaltenen Problemstellung, Problemlösung inkl. Alternativensuche und Entscheidungsfindung durch die Studierenden, Präsentation und Plenumsdiskussion.
Rollenspiel
Einsatz eines vom Dozenten definierten Zukunftsszenarios als hypothetische Situation bzw. simulierte Wirklichkeit (ggf. in einer virtuellen Umgebung), Rolleneinnahme und Rollenspiel durch die Studierenden, Diskussion über den Spielverlauf, seine Ergebnisse und alternative Entwicklungsverläufe.
Tab. 15: Eignung methodischer Großformen für die Hochschullehre des Studienfachs Zukunftsforschung. Quelle: eigene Darstellung.
316 5.4
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung Lehrmedien
Aus dem empirischen Teil ergibt sich ein breiter Medieneinsatz im Studium der Zukunftsforschung. Die Studiengangsportraits waren ganz überwiegend zurückhaltend mit diesbezüglichen Äußerungen. Von den Respondenten wurden mit Abstand am häufigsten die OH-Folien- oder die interaktive Präsentation auf der einen Seite sowie Filme auf der anderen Seite genannt. Auf die übrigen Medien entfielen vergleichsweise wenige Nennungen. Dass Lernplattformen, die bereits bei den Lehrmethoden angesprochen wurden, hier nochmals thematisiert werden, macht noch einmal deutlich, dass eine scharfe Trennung zwischen diesen beiden didaktischen Entscheidungsfeldern nicht immer möglich ist. Beim Fern- bzw. Onlinestudium liegt dies auf der Hand, da hier der Lehrende – zumindest zu großen Teilen – durch ein Medium substituiert wird. Der Verwendungszusammenhang der einzelnen Lehrmedien ergab sich überwiegend erst auf Nachfrage. Über die tabellierten Erkenntnisse hinausgehend ist interessant, dass sich drei Respondenten dahingehend äußern, dass Medien grundsätzlich lernförderlich sind. Inayatullah formuliert dagegen, dass Lernmedien danach ausgewählt werden müssen, dass sie lernförderlich sind. Bell sieht als Einziger in Lernmedien eher eine Behinderung des Unterrichts, da sie vom Gespräch ablenken, zur Passivität der Studierenden beitragen und zudem recht aufwendig in der Erstellung sind. „Soviel Medien wie möglich“, erscheint für ihn somit nicht als sinnvolle Devise. In sowohl fachlicher als auch didaktischer Hinsicht empfiehlt sich hier eine erneute Zweiteilung, um zum einen vergleichsweise feststehende Lehrinhalte, zum anderen mögliche Zukünfte darzustellen. Idealtypisch1453 zu unterscheiden sind demnach einerseits Präsentationsmedien sowie andererseits Medien, die als Zukunftsartefakte bezeichnet werden sollen. In konstruktivistischer Nomenklatur könnten sie im Anschluss an Reich (s. o.) als Rekonstruktions- und Konstruktionsmedien bezeichnet werden. Auf beide wird die nachfolgend näher eingegangen. Unter den Begriff der Präsentationsmedien sind neben den beiden vorgenannten, der OH-Präsentation und der interaktiven Präsentation etwa mittels Powerpoint, auch die Tafel und Handouts zu subsumieren. Neben diesen Medien, die während des Unterrichts eingesetzt werden, hat Fachliteratur eine vergleichbare Lehr-Lern-Funktion vor und nach dem Unterricht. Wie in anderen Unterrichtsfächern und Studiengängen eignen sich die unterrichtsbezogenen Präsentationsmedien zur Darstellung von fachwissenschaftlichem Grundwissen, hier also der begrifflich-konzeptionellen und historisch1453 Mischformen sind denkbar, sodass die beiden Medientypen nicht als diskrete Bipolarität aufzufassen sind.
5.4 Lehrmedien
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institutionellen Grundlagen, der Grundzüge der zukunftsgenetischen Theorien, der Funktionsweise der Zukunftsforschungsmethoden und ähnlicher Inhalte, die in der scientific community weitgehend akzeptiert sind. In der Hochschuldidaktik nimmt der Gedanke der Visualisierung einen großen Stellenwert ein. Visuelle Medien, zu denen auch etwa Diagramme oder nicht bewegte Bilder zählen, sind nicht nur sprichwörtlich anschaulich, wodurch sie einen hohen Motivierungswert aufweisen, sondern sprechen auch das eidetische, also das Anschauungsgedächtnis an, sodass abgebildete Lerninhalte gut erinnert werden können.1454 Ihr Zweck besteht darin, einerseits neues Wissen darzustellen (heuristische Aufgabe), andererseits bereits erworbenes Wissen zu illustrieren und anzureichern (illustrative Aufgabe).1455 In der Hochschullehre ist insgesamt eine Entwicklung vom Tafelbild über die OH-Folie hin zur interaktiven Präsentationssoftware festzustellen. Mittels Computerpräsentationen können Seiten mit Schrift, Bildern und anderen Abbildungen zVerlauf des Dozentenvortrags per Knopfdruck sukzessive aufbauen. Auch wenn interaktive Präsentationen immer stärker in die Vorlesungssäle drängen und die damit verbundenen Animationsmöglichkeiten als große Vorzüge betrachtet werden, haben sie den entscheidenden Nachteil, dass sie nicht während des Unterrichts erstellt oder verändert werden können. Sie müssen vielmehr vor dem Unterricht produziert und können dann nur abgespielt werden. Aus konstruktivistischer Perspektive ist das teilweise als altmodisch verschriene chalk-and-talk, also die im Unterrichtsgespräch entstehende Abbildung, deren endgültiges Aussehen stark von dessen Verlauf abhängt, zu bevorzugen, da die Konstruktion im Unterricht und nicht davor erfolgt. Dies ist mit vorgedruckten OH-Folien oder Computerpräsentationen, die sich eher für Vorlesungen als für Seminare eignen, nicht möglich. Im Unterricht geschriebene OH-Folien oder der damit vergleichbare Einsatz elektronischer Tafeln (wie von Zeraoui erwähnt) dagegen eignen sich eher für Unterrichtsgespräche als für Vorträge. Auch die Fachliteratur hat den Charakter eines Rekonstruktionsmediums, das überwiegend nicht im Unterricht, sondern zur Vor- oder Nachbereitung eingesetzt wird. Auf die zentralen Fachzeitschriften und andere Quellen wurde bereits in Kap. 2.3.2 eingegangen. Hier stellt sich nun zudem die Frage, inwiefern im Studium der Zukunftsforschung auf Lehrbücher zurückgegriffen werden kann. Nach hiesiger Auffassung fehlt es bislang an einem solchen Standardwerk.1456 Am ehesten kommen dafür zwei Werke infrage, die noch am ehesten 1454 Vgl. Rohlfes (2005), S. 331. 1455 Vgl. ibd., S. 333. 1456 Wildman/Inayatullah (1996), S. 726, attestieren überhaupt das Fehlen von etablierter Standardliteratur („doxa“) in der Zukunftsforschung.
318
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
den Charakter einer geschlossenen Darstellung haben, jedoch jeweils viele thematische Lücken aufweisen und insgesamt noch zu stark durch Diskussion und Meinung geprägt sind, mithin zu wenig gefestigtes Wissen aufweisen. Hinzu kommt ein Werk, das auf Zukunftsforschungsmethoden fokussiert.1457 So hat der erste Band der „Foundations of Futures Studies“ von Bell den Charakter einer Einführung in das Fach.1458 Er hat den Untertitel „History, Purposes, and Knowledge“ und gliedert sich in sechs große Abschnitte: x Zukunftsforschung: Ein neues Erkenntnisfeld x Zwecke der Zukunftsforschung x Annahmen der Zukunftsforschung x Ist Zukunftsforschung eine Kunst oder eine Wissenschaft? x Epistemologie der Zukunftsforschung: Vom Positivismus zum kritischen Realismus x Methoden der Zukunftsforschung Der zweite Band trägt den Untertitel „Values, Objectivity, and the Good Society“ und setzt sich insofern stark mit normativen Fragen auseinander. Noch fundierter ist die auf CD-ROM erschienene „Knowledge Base of Futures Studies“ 1459 von Slaughter und Inayatullah. Das Werk gliedert sich wie folgt: Band 1: Grundlagen 1. Teil: Ursprünge 2. Teil: Konzepte und Metaphern 3. Teil: Literatur 4. Teil: Grundlagen Band 2: Organisationen, Praxis, Produkte 1. Teil: Organisationen 2. Teil: Methoden und Instrumente 3. Teil: Bilder und Erzeugung von Bildern 4. Teil: Soziale Innovationen Band 3: Richtungen und Ausblicke 1. Teil: Neue Richtungen in der Zukunftsforschung 2. Teil: Ausblick ins nächste Jahrtausend 3. Teil: Die lange Sicht
1457 Vgl. Tiberius (2010c), S. 136. 1458 Vgl. Bell (2003). 1459 Ausgangspunkt hierfür war eine Sonderausgabe der Zeitschrift „Futures“, vgl. Slaughter (1993a), die anschließend zu einem umfassenden Buch in drei Bänden geführt hat, vgl. Slaughter (1996), siehe auch in Kurzfassung bei Slaughter (1992). Ursprünglich in Alleinherausgeberschaft erschienen, wurde bei der CD-ROM-Veröffentlichung das letzte Kapitel von Inayatullah ergänzt, vgl. Slaughter/Inayatullah (2000).
5.4 Lehrmedien
319
Während die ersten beiden Bände die Kernelemente der Zukunfsforschung nach Slaughter zusammenfassen, präsentiert der dritte Band examplarisch konkrete Zukunftsvorstellungen. Der später von Inayatullah ergänzte vierte Band lässt zahlreiche Autoren mit ihren eigenen Meinungen zu Worte kommen. Um Missverständnissen vorzubeugen, betont Slaughter, dass er die Wissensbasis nicht monolithisch als absolut Gesetztes verstanden wissen will. Sie entwickelt sich vielmehr permanent weiter und verändert sich.1460 Dieser Selbsterneuerungsprozess entsteht durch Kritik, Innovation, das Aufkommen junger Nachwuchswissenschaftler und Versuche zur Synthese bestehenden Wissens.1461 Ein breit angelegtes Kompendium über Zukunftsforschungsmethoden haben Glenn und Gordon vorgelegt.1462 Neben einer Einführung und einer vergleichenden Zusammenfassung werden Methoden einzeln in 37 Kapiteln vorstellt: environmental scanning; text mining for technological foresight; the Delphi method; real-time delphi; the futures wheel; the futures polygon; trend impact analysis; cross-impact analysis; wild cards;1463 structural analysis; the systems perspectives; decision modeling; substitution analysis; statistical modeling; technology sequence analysis; morphological analysis; relevance trees; scenarios; a toolbox for scenario planning; interactive scenarios; robust decisionmaking; participatory methods; simulation and games; genius forecasting, intuition, and vision; prediction markets; using visions in futures; normative forecasting; S&T road mapping; field anomaly relaxation; agent modelling; chaos and non-linear dynamics; multiple perspective concept; heuristics modeling; causal layered analysis; personal futures; state of the future index; SOFI software system. Wie die Aufzählung deutlich macht, werden Ober- und Unterbegriffe nicht überschneidungsfrei behandelt, etwa wenn normative Methoden einzeln behandelt und später in einem allgemeinen Kapitel diskutiert werden. In einigen Kapiteln, so etwa bei den systemischen Perspektiven, werden auch keine Methoden, sondern Konzepte behandelt. Insgesamt mag die gewählte Kapitelreihenfolge nicht überzeugen. Eine didaktische Aufarbeitung ist bei allen drei Werken nicht zu erkennen. Das erstgenannte Werk wird im empirischen Teil lediglich einmal innerhalb eines Studiengangsportraits und zweimal von den befragten Dozenten erwähnt, zu denen allerdings auch der Autor selbst zählt. Die CD-ROM wird auch nur innerhalb des genannten Studiengangsportraits genannt. 1460 1461 1462 1463
Vgl. Slaughter (1996), S. 802. Vgl. ibd., S. 806 ff. Vgl. Glenn/Gordon (2009). Wie bereits angesprochen, können wildcards sowohl als Zukunftsforschungskonzept als auch als -methode betrachtet werden.
320
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
Im Gegensatz zu diesen Präsentationsmedien, die Fachwissen vermitteln wollen, eignen sich Zukunftsartefakte, um mögliche Zukünfte darzustellen und einer kritischen Bewertung zugänglich zu machen. Sie zeigen auf, wie man sich in der Vergangenheit die Zukunft vorgestellt hat oder gegenwärtig vorstellt. Diese Produkte stammen selbstverständlich nicht aus der Zukunft, sondern wurden in der Vergangenheit hergestellt. In konstruktivistischer Sprechweise sind Realbegegnungen in der Zukunftsforschung unmöglich.1464 Doch Zukunftsartefakte zeigen, welche Vorstellungen (images) die Hersteller vom Aussehen künftiger Produkte hatten oder haben. Dies ist besonders interessant, wenn es sich um vergleichsweise alte Artefakte handelt, die eine Zukunft widerspiegeln, die unserer Gegenwart entspricht – oder eben gerade nicht entspricht. Zukunftsartefakte können dazu beitragen, den Unterricht lebendig zu machen. Durch diese Anschaulichkeit und teilweise haptische Erfahrbarkeit können Zukunftsartefakte in konstruktivistischer Perspektive als reichhaltige Perturbationsmittler interpretiert werden. Wie schon in der Einzelfallauswertung näher ausgeführt, hat sich insbesondere der Zukunftsforscher Dator besonders darum verdient gemacht, an der Universität Hawai’i/Manoa die weltweit wohl umfangreichste Sammlung von Zukunftsartefakten zusammenzustellen. In der Dozentenbefragung wird er argumentativ unterstützt von Shostak, der seine Studierenden auch einmal Modelle künftiger Gebäude bauen lässt, sowie Masini, die diesen Ansatz ebenfalls grundsätzlich für sinnvoll erachtet. Dem emprischen Teil zufolge wird das Potenzial solcher Anschauungsgegenstände insgesamt noch kaum erkannt. Zukunftsartefakte können die Form konkreter, haptisch erfahrbarer Gegenstände annehmen. Aber auch Bilder und Filme, die mögliche Zukünfte zeigen, können als Zukunftsartefakte aufgefasst werden. Auch Zukunftsnachrichten1465 oder Websites von fiktiven Unternehmen aus der Zukunft1466 können als Zukunftsartefakte im Unterricht eingesetzt werden. Einige Beispiele aus dem Wired magazine seien erwähnt. Dieses veröffentlicht seit mehr als sechs Jahren monatlich Fotos und Bildmontagen von Zukunftsartefakten.1467 Hier finden sich etwa x ein einfacher Ball „[that] brings you the next thrilling step in virtual reality: reality!“ (März 2010); x die Website einer Online-Partnervermittlung, die passend zur eigenen DNA potenzielle Partner vorschlägt; angegeben werden genetische 1464 Vgl. Reich (2008), S. 144 ff. 1465 Vgl. etwa http://www.newsoffuture.com/. 1466 Vgl. für eine Auswahl http://future.wikia.com/wiki/Websites_from_the_future. Es handelt sich überwiegend um medizinische Unternehmen (Genmanipulation, ewiges Leben etc.). 1467 Siehe http://www.wired.com/wired/issue/found.
5.4 Lehrmedien
321
Vorzüge, der IQ-Wert, die Lebenserwartung unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Krankheiten, das kalkulierte Profil gemeinsamer Abkömmlinge etc. (Juli 2009); x die Verpackung eines Kaugummis, der den Intelligenzquotienten für die Dauer von acht Stunden um 60 bis 80 Punkte erhöht (Mai 2009); x die Verpackung eines Medikaments, das Lungenkrebs innerhalb von 20 Tagen heilt (März 2007); x eine Cola-Dose („Coke Burn“), auf der versprochen wird, dass das Getränk nicht nur wenige Kalorien hat, sondern sogar 500 kcal verbrennt (August 2006); x ein Gerät, mit dem man Träume auswählen kann (Juli 2005). Eine weitere, populärere Art von Zukunftsartefakten stellen die Science-FictionLiteratur und -Filme dar. Selbstverständlich dominiert hier jeweils das Interesse an Unterhaltung und Spannung. Wissenschaftlich gesehen sind sie Dillettantismus.1468 Die Science-Fiction- und utopische Literatur ist reichhaltig, und sie werden in der zukunftswissenschaftlichen Hochschullehre intensiv eingesetzt.1469 Von Interesse sind für die Zukunftsforschung solche Werke, die weniger auf technische Raffinessen abzielen als das gesellschaftliche Miteinander, ggf. natürlich unter fiktional gegebenem Technikstatus, im Fokus haben. Unterschieden werden kann insoweit zwischen „harter“ und „weicher“ Science-Fiction. Erstgenannte ist naturwissenschaftlich-technologisch orientiert, Letztgenannte soziologisch, politisch oder philosophisch. Besonders zu betonen sind dabei Utopien und Dystopien, die mit wünschenswerten oder ablehnungswürdigen Zukunftsentwürfen arbeiten. Der Rezipient soll von ihnen angezogen oder abgestoßen werden. Die Zukunft dient dabei eher als Mittel denn als Zweck, d. h. im Vordergrund stehen eigentlich „überzeitliche Daseinsprobleme“, und die Zukunft dient hier nur als Spiegel der Gegenwart.1470 Einige Werke, die zu diesem Zweck herangezogen werden können, sind:1471 x Thomas Morus (1516): Utopia, x Tommaso Campanella (1602): Der Sonnenstaat (Civitas solis), x Francis Bacon (1627): Das neue Atlantis (Nova Atlantis), x Johann Valentin Andreae (1619): Christianopolis, x Louis-Sébastien Mercier (1770): Das Jahr 2440 (L’an 2440), 1468 Vgl. Rohlfes (2005), S. 348. Da der Begriff überwiegend negativ konnotiert ist, sei hier darauf hingewiesen, dass ein Dilletant eine Privatperson ist, die sich mit einer Sache aus reiner Freude (lat. delectare: sich erfreuen) auseinandersetzt. Wenn kein beruflicher Zwang dahinter steckt, könnte diese Freiwilligkeit als höchste Anerkennung der Sache betrachtet werden. 1469 Vgl. Collins (2005), S. 183 ff. 1470 So ibd., S. 348 f. analog für die Geschichtswissenschaft. 1471 Vgl. Wagar (2002), S. 89, sowie eigene Ergänzungen. Sortierung nach Erscheinungsdatum.
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5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
x x x x
Jewgenij Samjatin (1920): Wir (ɦɵ), Aldous Huxley (1932): Schöne neue Welt (Brave new world), George Orwell (1948): 1984, Walter M. Miller (1959): Lobgesang auf Leibowitz (A Canticle for Leibowitz), x John Brunner (1968): Morgenwelt (Stand on Zanzibar), x Stanislaw Lem (1974): Der futurologische Kongress/Der Zukunftskongress1472 (The Futurological Congress), x Ernest Callenbach (1990): Ökotopia (Ecotopia). Der Einsatz von (negativ-) utopischer und Science-Fiction-Literatur im Hochschulstudium der Zukunftsforschung erfolgt der Befragung der Dozenten zufolge seltener als der entsprechender Filme, die insgesamt „zu einem Informations-, Suggestions- und Verständigungsmedium ersten Ranges geworden“1473 sind. Der weit überwiegende Teil der Respondenten setzt Filme im Unterricht ein. Fiktionale Filme1474 liefern – wenn sie nicht reinen Unterhaltungszwecken dienen – Ideen oder Interpretationen möglicher Situationen.1475 Sie vereinigen Bild, Wort und Ton und erreichen so „eine Hautnähe und Eindringlichkeit […], die dem Zuschauer den Eindruck vermittelt, er sei als Augenzeuge selbst dabei.“1476 In dieser aus konstruktivisch-didaktischer Sicht ja zunächst wünschenswerten, weil lernförderlichen Authentizität besteht aber zugleich auch eine Gefahr. Denn die lineare, in sich geschlossene und als Einwegkommunikation angelegte Darstellung versetzt den Rezipienten in eine emotionalisierte, passiv-rezeptive Haltung, die seine kognitive Kontrolle und Kritikfähigkeit einschränkt.1477 Ein Innehalten ist während des schnellen Ablaufs der Bilder nicht möglich. Ladenthin spricht in diesem Zusammenhang von einer „negativen Hermeneutik“.1478 Zudem wird aus didaktischer Sicht bisweilen die Oberflächlichkeit des Films beklagt.1479 1472 Je nach Ausgabe. 1473 Speth (2007), S. 370. 1474 Grundsätzlich kann zwischen dokumentarischen und fiktionalen Filmen unterschieden werden, vgl. Rohlfes (2005), S. 339. Erstgenannte sollen in inhaltlicher Hinsicht ein Abbild der Realität in den Unterricht bringen, vgl. Speth (2007), S. 371. 1475 Zur Interpretationsfunktion des Films vgl. auch Speth (2007), S. 371. 1476 Rohlfes (2005), S. 338. 1477 Vgl. Rohlfes (2005), S. 339, 342. 1478 Vgl. Ladenthin (1997). Am Beispiel des Trailers zeigt der Autor auf, wie durch die schnelle Bildfolge der Verstehensprozess beim Zuschauer permanent unterbrochen wird. Der Rezipient ist zwar aufmerksam, versteht aber nicht und kritisiert schon gar nicht. Mit dem Ausdruck der negativen Hermeneutik bringt Ladenthin den Sachverhalt zum Ausdruck, dass eine Wirkung vor dem Verstehen einsetzt, und zwar auch dann, wenn das Gezeigte keinen Sinn-, sondern nur einen Reizgehalt hat. 1479 Vgl. Speth (2007), S. 370.
5.4 Lehrmedien
323
So, wie in historischen Gemälden häufig mit „prägnanten, oft provozierenden oder schockierenden“1480 Darstellungen gearbeitet wird, sind die Produzenten von Zukunftsartefakten darum bemüht, das zu betonen, was ihnen wichtig erscheint. Insofern ist bei allen Medien, die mögliche Zukunftsbilder aufzuzeigen versuchen, mit der Wertbeladenheit und somit mit der potenziellen Gefahr der normativen Beeinflussung zu kalkulieren. Wenn gesellschaftliche Entwicklungen zur Diskussion stehen, kann das Bild eine bestimmte politische Position widerspiegeln, und zwar offenkundig oder – was noch gefährlicher ist – unterschwellig.1481 Ein Zukunftsszenario kann verlockend dargestellt werden oder so abschreckend, dass es Sympathie oder Antipathie auslöst, um gezielt eine self-fulfilling prophecy oder eine self-denying prophecy zu provozieren. Aus diesem Grund ist im Reichschen Sinne eine Dekonstruktion von Zukunftsartefakten erforderlich, bei der die impliziten Wertannahmen expliziert werden. Insbesondere eingesetzte Zukunftsartefakte mit gesellschaftlichen Aussagen sollten im Plenum sorgfältig auf politische Stimmungen hin analysiert werden. Shostak erklärt in diesem Zusammenhang, dass seine Studierenden die Annahmen und versteckten Voraussagen in gezeigten Filmen identifizieren und diskutieren sollen. Der Dozent ist – dem Paradigma der alternativen Zukünfte folgend – gut beraten, mehrere, möglichst konträre Szenarien aufzuzeigen, die die Lernenden für sich bewerten können. Eine freie Bewertung setzt jedoch voraus, dass die Alternativen nicht so ausgestaltet sind, dass die Wahl für das Wünschenswerte von vornherein feststeht. Die obigen Ausführungen können wie folgt zusammengefasst werden. Lehrmedientyp Objektivistisch: Präsentationsmedien (Tafel, Flipchart, OHProjektion, interaktive Präsentation etc.)
Ziel- und inhaltsspezifische Eignung Vermittlung von Grundwissen, insbesondere Grundlagen der Zukunftsforschung und von Theorien der Zukunftsgenese bzw. des Wandels, theoretische Basis und Funktionsweise von Zukunftsforschungs- und anderen Methoden (z. B. Kreativitätstechniken), Präsentation der Ergebnisse bereits durchgeführter Zukunftsstudien.
Konstruktivistisch: Darstellung einer spezifischen Zukunftsvorstellung, Zukunftsartefakte (Gegen- insbesondere als Anstoß zur Diskussion der implizierten stände, Bilder, Filme etc.) Annahmen und Wertvorstellungen sowie zu deren Bewertung.
Tab. 16: Objektivistische und konstruktivistische Lehrmedientypen für die Hochschullehre des Studienfachs Zukunftsforschung. Quelle: eigene Darstellung. 1480 Ibd., S. 335. 1481 Für die Geschichtswissenschaft ähnlich auch ibd., S. 318.
324 5.5
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung Lernerfolgskontrolle
Für den empirischen Teil ist zunächst positiv zu attestieren, dass die Studiengangsportraits auskunftsfreudiger waren als bei Lehrmethoden und Lehrmedien. Es ergibt sich das Bild, dass schriftliche Prüfungsverfahren über mündliche dominieren. Die wichtigste Rolle spielen sogenannte assignments, die in englischsprachigen Gebieten eine lange Tradition haben und in Festland-Europa durch die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen und den damit zusammenhängenden Modulprüfungen langsam auch an Bedeutung gewinnen (wenn auch bislang nicht unter dieser Bezeichnung). Interessanterweise – und für den deutschsprachigen Raum unüblich – können die Studierenden in mindestens zwei Fällen anstelle einer schriftlichen Abschlussarbeit auch für ein Praktikum optieren, je nachdem, ob eher ein theoretischer oder ein praktischer Abschluss angestrebt wird. Der Respondent Spies äußert sich in diesem Punkt dahingehend, dass er ein einjähriges Pflichtpraktikum für wünschenswert hielte. Er vergleicht diesen Gedanken mit dem Referendariat bei Juristen oder der Famulatur bei Medizinern. Dort wird die praktische Übung unter realen Bedingungen als wichtiges Erfordernis betrachtet, bevor der Prüfling tatsächlich in das verantwortungsvolle Berufsleben entlassen wird. Kompatibel mit dieser Überlegung ist ferner das sich meist über ein Semester erstreckende Pflichtpraktikum, das Fachhochschul-Studenten zu absolvieren haben. In sowohl fachlicher als auch didaktischer Hinsicht bietet es sich auch bei der Lernerfolgskontrolle an, die bewährte Unterscheidung zwischen objektivistischem und konstruktivistischem Vorgehen bzw. zwischen Rekonstruktion und (De-) Konstruktion nach Reich aufzugreifen. Ein rekonstruktionsorientiertes Vorgehen bietet sich wieder bei tendenziell feststehendem Wissen an, das die Studierenden nicht selbst erfunden, sondern lediglich wieder entdeckt haben. Faktenwissen, das in vielen Fächern eine nicht unerhebliche, in der Geschichtswissenschaft etwa eine zentrale Rolle spielt, kann es im Studium der Zukunftsforschung aus den Gründen der Nonexistenz und Ungewissheit der Zukunft nicht geben. Ohne Weiteres überprüfbar sind dagegen Begriffs- und Methodenwissen. Hierbei handelt es sich um Inhalte, die oben als instruktiv lehrbar dargestellt wurden, also die Grundlagen der Zukunftsforschung und die Theorien der Zukunftsgenese, genauso wie die Vorgehensweise bei den Zukunftsforschungs- und sonstigen wissenschaftlichen Methoden. Ein konstruktions- und dekonstruktionsorientiertes Vorgehen ist dagegen geeignet, sobald Zukunftsforschung in Aktion tritt, also alternative Zukünfte exploriert und bewertet werden. Indem die Prüflinge Zukünfte explorieren und bewerten
5.5 Lernerfolgskontrolle
325
sollen, wird zugleich die Forderung eingelöst, die aktuelle Dominanz rein deklarativen Wissens bei der Lernerfolgskontrolle zurückzufahren und stärker handlungs- und prozessorientiert zu prüfen.1482 Aus der mehrfach angesprochenen ontologischen Nonexistenz und epistemologischen Ungewissheit der Zukunft resultiert die logische Konsequenz, dass noch nicht eingetretene Zukünfte hinsichtlich ihres Eintritts nicht überprüfbar sind. Auch für als wünschens- oder vermeidenswert eingestufte Zukünfte gibt es keine objektiven Bewertungskriterien. Insofern überrascht, dass nur Masini und Riner in den Interviews explizit von einer schwierigen Situation des Prüfers sprechen. Zur Entschärfung des Problems geht Masini in Prüfungen nur auf Zukünfte ein, die zuvor im Unterricht behandelt wurden, was allerdings wenig überzeugt, da es hier gar nicht erst der Versuch unternommen wird, (de-) konstruktivistisch vorzugehen, sondern rein rekonstruktiv gearbeitet wird. Die meisten Respondenten schweigen sich zur Bewertungsproblematik aus, einige nennen nachfolgend aufgegriffene Substitutionskriterien, anhand derer Zukunftsszenarien überprüft werden sollen. Wenn von den Prüflingen hergeleitete Zukunftsvorstellungen nicht im Hinblick auf ihre Wahrheit überprüft werden können, stellt sich die Frage nach ihrer Bewertbarkeit. Hier kann zwischen der explorativen und der normativen Zukunftsforschung unterschieden werden. Bei der Bewertung von explorativ (nicht normativ) aufgestellten Zukunftsbildern erscheint es als das Sinnvollste, zwischen einer inhaltlichen und einer formalen Sphäre zu unterscheiden: Die inhaltliche Aussage, die Menschheit fahre ab dem Jahr 2050 nur noch mit Elektroautomobilen, kann vom Prüfer definitiv nicht als richtig oder falsch beurteilt werden. Beurteilen kann er jedoch den formalen Weg, auf dem der Prüfling zu seiner Aussage gelangt ist. Bewertet wird somit nicht die Aussage, sondern ihre Begründung. Van der Duin, Pacinelli, Riner und Shostak liefern hierzu konkrete Kriterien: Ist der Prüfling in der Lage, die Zukunft gedanklich zu erkunden? Wie begründet er seine Methodenauswahl? Wendet er die Methode korrekt an? Wie reichhaltig, detailliert, plausibel und/oder originell ist sein Szenario? Kann er sein Szenario durch Veröffentlichungen anderer Zukunftsforscher stützen? Wie verbindet er das gefundene Ergebnis mit der Entscheidungsfindung? Wünschenswerte Zukünfte teilen mit den vorgenannten Szenarien die Eigenschaft, dass sie möglich sein müssen,1483 wobei ihre (hohe) Eintrittswahrscheinlichkeit nicht im Vordergrund steht. Stattdessen geht es hier um die Bewertung der Zukunftsvision aus Sicht des Prüflings. Der Prüfer muss hier sozusagen die Bewer1482 Vgl. ibd., S. 457. 1483 Zumindest ist es nicht effektiv, sich mit wünschenswerten, aber unmöglichen Zukünften zu beschäftigen. Wie utopisch ein Zukunftsentwurf aus heutiger Sicht auch immer sein mag, grundsätzlich möglich muss er sein, allein schon um das Interesse der Rezipienten zu erreichen.
326
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
tung bewerten. Dem Konstruktivismus selbst sind universelle Sollensaussagen verwehrt.1484 Er kann auch keine Antwort darauf geben, wie Überzeugungen entstehen und auf welcher Grundlage sie vertreten werden können.1485 Insofern nimmt er eine nonkognitivistische Haltung ein, die davon ausgeht, dass Werturteile nicht mit den Wahrheitskriterien der Logik und Überprüfbarkeit gemessen werden können. Um dennoch einem moralischen Relativismus oder gar der Amoralität zu entgehen, ist ein Rückgriff auf Postulate außerhalb des Konstruktivismus erforderlich, etwa das menschenrechtliche Gleichheitspostulat.1486 Normative Aussagen sind jedoch auch aus konstruktivistischer Sicht weder unmöglich noch beliebig, sondern können als konsensuelle Bereiche bzw. als kulturelle Übereinkünfte betrachtet werden.1487 Es handelt sich um Ansichten, ja um Einsichten, denen keiner ernsthaft widersprechen kann. Insofern kommt es auf die gute Argumentation an. Dass wir im Jahr 2050 – hoffentlich – in einem kommunistischen oder kapitalistischen System leben werden, mag ein vom Prüfling aufgestellter, subjektiver Wunsch sein, den der Prüfer teilen kann, aber nicht muss. Damit ist der Wunsch selbst aber weder richtig noch falsch. In diesem Sinne fordert Wagar von Prüfern, „to keep their minds open and their ideological preferences suspended.“1488 Masini weist darauf hin, dass wünschenswerte Zukünfte global schon deshalb stark voneinander abweichen können, weil Wertmaßstäbe häufig kulturell bedingt sind. Aber auch innerhalb eines Kulturkreises unterscheiden sich Hoffnungen und Wünsche ganz erheblich, wie nicht zuletzt an politischen Gesinnungen abzulesen ist. Auch zur Lösung dieses Bewertungsproblems finden sich bei den Respondenten einige Vorschläge: Rubin fordert, dass zunächst die Möglichkeit des aufgezeigten Szenarios überprüft werden muss, ferner, ob es logisch, an die Gegenwart anschlussfähig, nützlich zur Entscheidungsfindung, sozial glaubwürdig und interessant ist. Shostak setzt als Mindestmaß, dass die Wertannahmen, die der Zukunftsvision zugrunde liegen, eindeutig sein müssen. Bell geht davon aus, dass die Beurteilung sozialer Fragestellungen nicht nur eine rein subjektive, sondern eine ethische ist, und ethische Fragen durch das epistemic implication model von Lee1489 auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden können. Hierbei findet gewissermaßen eine Objektivierung subjektiver Werte statt, in die u. a. einfließt, ob die aufgezeigte künftige Entwicklung mit der bisherigen Menschheitsgeschichte im Einklang steht. Aus der oben aufgezeigten 1484 Vgl. de Haan/Rülcker (2009), S. 111. Die bei den Konstruktivisten auffindbare Aussage, das Individuum wisse – gefühlsbasiert – in der jeweiligen Situation, wie es sich richtig zu verhalten habe, mag nicht überzeugen, insbesondere bei emotionaler Instabilität, vgl. ibd., S. 116 ff., 123. 1485 Vgl. ibd., S. 105. 1486 Vgl. ibd., S. 116, m. w. V. 1487 Ähnlich auch ibd., S. 121 f. 1488 Wagar (2002), S. 89. 1489 Vgl. Lee (1985).
5.5 Lernerfolgskontrolle
327
nonkognitiven Haltung des Konstruktivismus heraus müsste dieses Modell jedoch abgelehnt werden, da Werturteile weder dem Kriterium der Logik noch dem der Wahrheit unterworfen werden können. Die von den Respondenten vorgeschlagenen Bewertungskriterien müssen als lückenhaft betrachtet werden. Vor dem Hintergrund der wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Zukunftsforschung und insbesondere der aufgabenbezogenen Gütekriterien aus Kap. 2.3.5 werden die Bewertungskriterien, um eigene Vorschläge ergänzt, aufgelistet. Paradigma der Lernerfolgskontrolle Objektivistisch
Ziel- und inhaltsspezifische Eignung
Bewertungskriterien
wie in anderen objektivistischen LehrFachliches Grundwissen, insbesondere Grundlagen Lern-Settings: der Zukunftsforschung und x Richtig/falsch; von Theorien der Zukunftsx Güte der Argumentation; genese bzw. des Wandels, theoretische Basis und Funk- x … tionsweise von Zukunftsforschungs- und anderen Methoden (z. B. Kreativitätstechniken), Ergebnisse bereits durchgeführter Zukunftsstudien
Konstruktivistisch Mögliche und wahrscheinliche Zukünfte (explorative Zukunftsforschung)
x Grundlegende Fähigkeit zur
x x x x x x x
Exploration von Zukünften (Kreativität, Visionsfähigkeit, „Möglichkeitssinn“ etc.); Berücksichtigung des Paradigmas der alternativen (multiplen) Zukünfte; Fähigkeit zur Einschätzung der (eher hohen/niedrigen) Eintrittswahrscheinlichkeit; Güte der Methodenwahl; Korrekte Methodenanwendung und Validität, Reliabilität, Objektivität; Explikation von Prämissen; Güte der Darstellung des Szenarios; Relevanz, logische Konsistenz, Klarheit des Szenarios;
328 Paradigma der Lernerfolgskontrolle
5. Vorschläge zu einer Didaktik der Zukunftsforschung
Ziel- und inhaltsspezifische Eignung
Bewertungskriterien
x Ggf. Güte der Erklärung des x x x Wünschens- und vermeidenswerte Zukünfte (normative Zukunftsforschung)
Zustandekommens des/der Zukunftsentwicklung(en); Ggf. Einbeziehung und Zitation bereits bestehender Szenarien; Ggf. Fähigkeit zur Schlussfolgerung aus Szenarien (insb. Entscheidungsfindung); Insgesamt Güte der Argumentation und Nachvollziehbarkeit; …
x x Grundlegende Fähigkeit zur
x x x x x x x x
Exploration von Zukünften (Kreativität, Visionsfähigkeit, „Möglichkeitssinn“ etc.); Berücksichtigung des Paradigmas der alternativen (multiplen) Zukünfte; Möglichkeit und ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit des vorgeschlagenen Szenarios; Klarheit und ggf. Explikation der zugrunde gelegten Prämissen und Wertannahmen; Berücksichtigung der Werte und Wünsche anderer Anspruchsgruppen sowie von Nachhaltigkeit; Fähigkeit zur Schlussfolgerung aus Szenarien (insb. Entscheidungsfindung); Ggf. Güte der Darstellung der Umsetzbarkeit der Vision; Insgesamt Güte der Argumentation und Nachvollziehbarkeit; ...
Tab. 17: Objektivistische und konstruktivistische Bewertungskriterien bei der Lernerfolgskontrolle für die Hochschullehre des Studienfachs Zukunftsforschung. Quelle: eigene Darstellung.
6.
Fazit
6.1
Zusammenfassung
Das Ziel der vorliegenden Arbeit war, eine hochschuldidaktische Konzeption für das Studium der Zukunftsforschung vorzulegen. Insbesondere sollten die fünf didaktischen Bestimmungsfelder, mithin Lehrziele, Lehrinhalte, Lehrmethoden, Lehrmedien und Möglichkeiten der Lernerfolgskontrolle, hierfür konkretisiert werden. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Begriff der Hochschulfachdidaktik nicht üblich, für das hier angestrebte Ziel jedoch präziser ist, da er zum Ausdruck bringt, dass es sich um eine Fachdidaktik handelt, die zugleich eine Stufendidaktik für die Hochschule ist. Denn der Begriff der Fachdidaktik wird überwiegend auf die Primar- und Sekundarstufe bezogen, und der Begriff der Hochschuldidaktik versteht sich entweder als Allgemeine Didaktik für die Hochschule oder als Überschrift für die Qualifizierung wissenschaftlichen Lehrpersonals. Beide Sichtweisen sind für die hiesigen Zwecke für sich genommen nicht sinnstiftend, sondern nur in ihrer Schnittmenge zutreffend. Zur Erreichung des Erkenntnisziels wurde ein induktiv-reflexives Vorgehen gewählt, bei dem zunächst eine Bestandsaufnahme didaktischer Realität durchgeführt wurde. Hierin ist die Fachwissenschaft selbst mit ihren spezifischen wissenschaftstheoretischen Ausprägungen eingeflossen; zudem wurden eine Inhaltsanalyse bestehender Studiengänge vorgenommen sowie eine Befragung von Dozenten durchgeführt. Die erhobenen und komprimierten Daten wurden sodann einer kritischen Reflexion unter Berücksichtigung von Wissenschafts-, Persönlichkeitssowie Situationsprinzip und deren Operationalisierungskriterien unterzogen. Die Zukunftsforschung als fachlicher Impulsgeber für die angestrebte Didaktikkonzeption weist im Vergleich zu anderen Disziplinen einige Besonderheiten auf, die zwangsläufig in der Lehre zu berücksichtigen sind. Anders als jede andere Wissenschaft befasst sich die Zukunftsforschung mit einem Objekt, das in ontologischer Perspektive nicht existiert. Somit ist in der Folge auch in epistemologischer Hinsicht jede eindeutige Erkenntnis unmöglich. Die Zukunftsforschung kann insofern als Potenzialwissenschaft interpretiert werden, der es nicht nur darum geht, „die Wahrheit“ zu identifizieren, sondern vor allem alternative MögV. Tiberius, Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung, DOI 10.1007/978-3-531-92869-2_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
330
6. Fazit
lichkeiten aufzudecken. Weiterhin kann zwischen einer analytischen und einer normativen Ausprägung der Zukunftsforschung unterschieden werden, wobei Erstgenannte mögliche und wahrscheinliche Zukünfte exploriert, während Letztgenannte nach wünschens- und vermeidenswerten Zukünften fragt und somit Wertvorstellungen einfließen lässt, die gegebenenfalls dazu führen, dass der Schritt von der Zukunftsforschung zur Zukunftsgestaltung vollzogen wird. Dies bringt zugleich den anwendungsorientierten Charakter der Zukunftsforschung zum Ausdruck. Als Sozial- bzw. Kulturwissenschaft setzt sie sich mit jeder für den Menschen relevanten zukunftsspezifischen Fragestellung auseinander. Die beiden weiteren genannten Induktionsquellen wurden empirisch ausgewertet. Zunächst wurden die Studiengangsportraits und Modulhandbücher von 14 bestehenden zukunftswissenschaftlichen Studiengängen weltweit inhaltlich analysiert. Dabei fiel eine recht ausführliche Auseinandersetzung mit Lehrzielen und mit Lehrinhalten auf, während die übrigen didaktischen Entscheidungsfelder kaum thematisiert wurden. Die zweite empirische Studie bestand in der Befragung von 23 Professoren, Dozenten und Studiengangsleitern der Zukunftsforschung. Insgesamt zeigte sich das Bild, dass die eigene Lehre nur mäßig reflektiert wird. Einige Dozenten hatten zwischen den Entscheidungsfeldern Abgrenzungsschwierigkeiten. Während die fachliche Kompetenz weit überwiegend als hoch eingestuft werden dürfte, stehen pädagogische Fähigkeiten deutlich weniger im Fokus. Das sich in der Summe ergebende Bild muss als fragmentarisch und verzerrt bezeichnet werden. Insofern war eine kritische Reflexion der vorgefundenen Situationsaufnahme erforderlich. Die Pluralität alternativer Zukünfte (statt der einen Wahrheit) und die gleichzeitige Aufforderung, eine wünschenswerte Alternative auszuwählen und anzustreben (statt nur Vorgefundenes zu akzeptieren), machen die Zukunftsforschung in der Lehre an das konstruktivistische Paradigma, das sich ebenfalls durch einen epistemologischen Relativismus auszeichnet, anschlussfähig. Im Hinblick auf eine konstruktivistische Didaktik wurde festgehalten, dass es sich nicht um ein in sich geschlossenes Didaktikmodell handelt, sondern eher um eine spezifische Reflexionsperspektive auf Lehren und Lernen, die die unterschiedlichen Konstruktivismen berücksichtigt, deren konkrete didaktische Auswirkungen jedoch oft nicht aus den epistemologischen Grundvorstellungen deduziert werden können. Die Vorschläge konzentrieren sich auf lehrmethodische Fragestellungen, wohingegen sie bei den vier übrigen Didaktikbausteinen eher punktueller Natur sind. Ein konstruktivistisch-didaktisches Vorgehen eignet sich als Grundlage, sobald in der Lehre ein konkreter Anwendungsbezug hergestellt wird, also alternative Zukünfte erarbeitet oder bewertet werden. Dagegen bietet sich ein objektivisti-
6.2 Weiterer Forschungsbedarf
331
sches Lehr-Lern-Verständnis dort an, wo eher feststehendes Fachwissen, also insbesondere die begrifflich-konzeptionellen einschließlich der methodischen sowie die historisch-institutionellen Grundzüge des Fachs, gelernt werden soll. Aus gemäßigt-konstruktivistischer Sichtweise sind solche Instruktionen legitim. Ausgehend von den vorgeschlagenen fachlichen und überfachlichen (jedoch zukunftsbezogenen) Richtzielen sowie den Grobinhalten wurden die methodischen, medialen und prüfungsbezogenen Aspekte ziel- und inhaltsadäquat bestimmt. Einzelne methodische Großformen wurden spezifischen Lehrzielen und -inhalten zugeordnet. Bei den Lehrmedien kann analog zwischen den üblichen Medien und sogenannten Zukunftsartefakten unterschieden werden. Bei der Lernerfolgskontrolle kann das in der scientific community feststehende Fachwissen objektivistisch abgeprüft werden, während sich alternative Zukünfte naturgemäß der Wahrheitsüberprüfung entziehen. Es wurden daher Bewertungskriterien sowohl für analytische als auch für normative Zukunftsszenarien vorgestellt. Zur Vermeidung von Redundanzen sei ansonsten auf die Tabb. 13 ff. verwiesen, die die Vorschläge zu den fünf Didaktikomponenten zusammenfassen. 6.2
Weiterer Forschungsbedarf
Ausgehend vom noch als explorativ zu bezeichnenden Erkenntnisstand zu hochschuldidaktischen Fragen zum Studium der Zukunftsforschung war es das Anliegen der vorliegenden Arbeit, eine Bestandsaufnahme zum aktuellen Status quo vorzunehmen und eine eigenständige systematische Didaktikonzeption auszuarbeiten. Im Rahmen der Zielsetzung wurden in diesem Zusammenhang drei Annahmen getroffen, die zugleich naturgemäß eingrenzenden Charakter im Hinblick auf die Breite und Tiefe der zu gewinnenden Erkenntnisse haben. Aus ihrer Aufhebung bzw. Modifikation ergeben sich Weiterentwicklungsmöglichkeiten. So wurde zunächst auf die Lehrseite von Didaktik fokussiert, während die Lernseite überwiegend ausgeblendet wurde. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem derivativen Zusammenhang zwischen Lehren und Lernen, bei dem das Erstgenannte das Letztgenannte fördern soll, aber keinen direkten kausalen Einfluss hierauf hat („affect“ statt „effect“). Daher war es zunächst erforderlich, aus Sicht des Lehrenden dessen Handlungsbereich auszuloten. Weitere Forschungsbemühungen, die auf die Perspektive der Studierenden fokussieren und ihre Lernvoraussetzungen, -prozesse und -ergebnisse analysieren, wären begrüßenswert. Zweitens wurde auf den normativen Charakter einer jeden Didaktikkonzeption hingewiesen. Hieraus folgt, dass stets auch andere Entscheidungen getroffen
332
6. Fazit
werden können, auch wenn auf eine gute Begründung der hier präsentierten Vorschläge Wert gelegt wurde. Weiterer Forschungsbedarf besteht zum einen darin, die Eignung der vorgelegten Konzeption empirisch zu prüfen, und zum anderen, durch mögliche Falsifikationen zu besseren Ergebnissen zu gelangen. Drittens wurde mit Verweis einerseits auf den Forschungsstand und andererseits auf die Prinzipien des halboffenen Curriculums sowie der Freiheit von Wissenschaft eine Makroperspektive auf die fünf didaktischen Fragestellungen eingenommen. So ist klar, dass die Erkenntnisse im Detail ausbaufähig sind, wenn zu einer Mikroperspektive gewechselt wird. So wäre von Interesse, Richtziele in Grob- und Feinziele herunterzubrechen und Feininhalte zu bestimmen. In methodischer Hinsicht wäre der Schritt von den Großformaten bis hin zu einzelnen Lehrakten möglich. Bei den Lehrmedien könnten konkrete Erscheinungsformen von Zukunftsartefakten ausdifferenziert und einzeln untersucht werden. Auch bei der Lernerfolgskontrolle wäre es möglich, auf konkrete Frageformen, -taktiken etc. einzugehen. Bei den drei letztgenannten Didaktikkomponenten könnten die empirische Bildungs- und Unterrichts- bzw. die Lehr-Lern-Forschung tiefer gehende Erkenntnisse zutage fördern. Nachdem sich die Arbeit auf die Konstruktionsphase im Curriculumprozess beschränkt hat, besteht in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, auch die Phasen der Revision, der Implementation und der Dissemination näher zu beleuchten. Nach den bisherigen Eindrücken ist insbesondere bei der Revision momentan eher von einem sporadischen und hemdsärmeligen Vorgehen auszugehen. Die Implementation und die Entscheidungen zur Dissemination dürften stärker formalisiert und in ihrer prozessualen Umsetzung unproblematischer sein. Eine Nahsicht hierauf wäre von Interesse. Überhaupt ist eine regelmäßige Überprüfung didaktischer Entscheidungen schon vor dem Hintergrund erforderlich, dass sich die ja noch junge Zukunftsforschung auf einem Pfad beschleunigter Weiterentwicklung befindet, sodass auch die fachlichen Grundlagen einem Wandel unterliegen. Eine weitere Einengung wurde in methodischer Hinsicht vorgenommen, indem sich die Arbeit im Wesentlichen auf drei Quellen zur induktiven Didaktikbestimmung konzentriert hat. Es wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass weitere Quellen ausgewertet werden können. Dass hierdurch völlig neue Erkenntnisse zutage treten, ist zwar – wie oben ausgeführt – eher unwahrscheinlich, dennoch wäre es von Interesse, insbesondere die Arbeit- und Auftraggebersicht im Hinblick auf bestehende Erwartungshaltungen (Situationsprinzip) zu erheben. Eine solche Erhebung wäre nicht nur aus didaktischer Sicht, sondern für die Zukunftsforschung insgesamt von Interesse, da weder über den Verbleib von Zukunftsforschungsmethoden noch über den Bedarf der Praxis Erkenntnisse vorliegen.
6.2 Weiterer Forschungsbedarf
333
Weiterhin wurde in konzeptioneller Hinsicht eine konstruktivistische Sicht auf Didaktik eingenommen. Auch wenn die konstruktivistische Didaktik sich selbst nicht als Didaktikmodell versteht, wäre es denkbar, durch die „Brille“ anderer didaktischer Schulen auf die Hochschullehre im Fach Zukunftsforschung zu blicken. Schließlich kann der auf tertiärem Lehren und Lernen liegende Fokus erweitert und auf Sekundar- und sogar Primarunterricht ausgedehnt werden. Damit wird zwar zwangsläufig die Zukunftsforschung im engen Sinne verlassen und die weniger formal-wissenschaftliche Behandlung von Zukunftsfragen im Allgemeinen in den Blick genommen. Dass dies aber nottut, wurde mit Hinweis auf die negativen Zukunftserwartungen Jugendlicher und das von ihnen als gering wahrgenommene Gestaltungspotenzial bereits eingangs betont. Die pädagogische Forschung sollte sich aber nicht vornehmlich auf diese Bestandsaufnahmen beschränken, sondern danach fragen, wie Schulen und Lehrer dazu beitragen können, dass Kinder und Heranwachsende überhaupt eine positive(re) Haltung zur Zukunft erlangen und diese auch aktiv mitgestalten wollen.
Anhang 1: Untersuchte Studiengänge
335
Anhang
Anhang 1: Anhang 2: Anhang 3: Anhang 4:
Untersuchte Studiengänge.............................................................. 336 Interviewte Dozenten ..................................................................... 339 Kontakt-E-Mail .............................................................................. 342 Eröffnungsfragen............................................................................ 343
V. Tiberius, Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung, DOI 10.1007/978-3-531-92869-2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
336
Anhang
Anhang 1: Untersuchte Studiengänge lfd. Nr. 11490 Universität Ort Fachbereich/Institut Studienabschlüsse Quelle1491
Budapesti Corvinus Egyetem / Corvinus Universität Budapest Budapest, Ungarn Mehrere undergraduate / graduate / postgraduate courses http://www.bkae.hu
lfd. Nr. 2 Universität
Conservatoire National des Arts et Métiers (CNAM) / Nationalkonservatorium der Künste und des Handwerks Ort Paris, Frankreich Fachbereich/Institut Laboratoire d’Innovation, de Prospective Stratégique et d’Organisation (LIPSOR) / Laboratorium für Innovation, strategische Vorausschau und Organisation Studienabschlüsse Zertifikat, Master (of Management Science or Economics), Ph.D. Quelle http://www.cnam.fr/lipsor/actualites.php
lfd. Nr. 3 Universität
Instituto Tecnológico y de Estudios Superiores de Monterrey / Technisches Institut und Hochschule Monterrey Ort Monterrey, Nuevo León, Mexiko Fachbereich/Institut Cátedra de Investigación en Inteligencia Estratégica / Zentrum für Investigation und Strategische Intelligenz Studienabschlüsse Maestría en Prospectiva Estratégica (MPE) / Master in strategischer Vorausschau Quelle https://serviciosva.itesm.mx/PlanesEstudio/Consultas/ Planes/ConsultaPlanEstudio.aspx?form=PLANESTUDIO&contenid o=caratula&modovista=area&Idioma=ING& claveprograma=MPE04&UnaCol=SI&VerReq=&VerEqui
lfd. Nr. 4 Universität Ort Fachbereich/Institut Studienabschlüsse Quelle
Regent University Virginia Beach, Virginia, USA School of Global Leadership & Entrepreneurship Certificate of Graduate Studies in Strategic Foresight / M.A. in Strategic Foresight http://www.regent.edu/acad/global/academics/msf/home.shtml
1490 Nach der Universität in alphabetischer Reihenfolge. 1491 Alle Internetadressen zzgl. der jeweiligen Unterseiten.
Anhang 1: Untersuchte Studiengänge
337
lfd. Nr. 5 Universität Ort Fachbereich/Institut Studienabschlüsse Quelle
Stellenbosch University Bellville, Südafrika Institute for Futures Research M.Phil. in Futures Studies / Ph.D. in Futures Studies http://www.ifr.sun.ac.za/MPhil/default.htm und http://academic.sun.ac.za/ite/progfuture.asp
lfd. Nr. 6 Universität Ort Fachbereich/Institut Studienabschlüsse Quelle
Swinburne University of Technology Hawthorn, Victoria, Australien Australian Graduate School of Entrepreneurship Graduate Certificate of Management (Strategic Foresight) / Graduate Diploma of Management (Strategic Foresight) / Master of Management (Strategic Foresight) http://www.swinburne.edu.au/business/agse/strategic-foresightcourse.htm
lfd. Nr. 7 Universität Ort Fachbereich/Institut Studienabschlüsse Quelle
Tamkang University Taipeh, Taiwan Graduate Institute of Futures Studies Futures Certificate Program with undergraduate and graduate courses http://future.tku.edu.tw/en/1-4.htm
lfd. Nr. 8 Universität Ort Fachbereich/Institut Studienabschlüsse Quelle
Turku School of Economics Turku, Finnland Finland Futures Research Center Master in Futures Studies http://www.tse.fi/EN/units/mastersprogrammes/fs/Pages/ default.aspx, und http://www.tse.fi/EN/units/specialunits/ffrc/Pages/default.aspx
lfd. Nr. 9 Universität
Universidad Externado de Colombia / Externado Universität Kolumbien Ort Bogotá, Kolumbien Fachbereich/Institut Centro de Pensamiento Estratégico y Prospectiva Zentrum für Strategie und Vorausschau Studienabschlüsse Especialista en Pensamiento Estratégico y Prospectiva / Spezialist in Strategie und Vorausschau Quelle http://administracion.uexternado.edu.co/es/centros/pEstrat/
338
Anhang
lfd. Nr. 10 Universität
Universidad Nacional de La Plata / Nationaluniversität La Plata Ort La Plata, Buenos Aires, Argentinien Fachbereich/Institut Facultad de Cienias Jurídicas y Sociales / Juristische und sozialwissenschaftliche Fakultät Studienabschlüsse Maestría en Inteligencia Estratégica Nacional / Master in Nationaler Verteidigung Quelle http://der.jursoc.unlp.edu.ar/contenido.php?tipo=3&contenido= contenidos/Postgrado/catedras/get/maestrias/maesigloxxi.php3
lfd. Nr. 11 Universität
Universidade Técnica de Lisboa / Technische Universität Lissabon Ort Lissabon, Portugal Fachbereich/Institut Instituto Superior de Economia e Gestão / Wirtschaftswissenschaftliches Institut Studienabschlüsse Diploma de Pós-Graduação em Prospectiva, Estratégia e Inovação / postgraduales Diplom in Vorausschau, Strategie und Innovation Quelle http://www.idefe.pt/Cursos/pei.asp
lfd. Nr. 12 Universität
Universita’ Telematica Leonardo da Vinci / Fernuniversität Leonardo da Vinci Ort Torrevecchia Teatina, Chieti, Italien Fachbereich/Institut Facoltà di Scienze Manageriali / Fakultät für Managementwissenschaft Studienabschlüsse Master di Secondo Livello in Management per Scenari Partecipati / postgradualer Master in Szenariomanagement Quelle http://www.unidav.it/_portal_repository/informativa/offerta_formati v/corsi_post_laurea/management.pdf
lfd. Nr. 13 Universität Ort Fachbereich/Institut Studienabschlüsse Quelle
University of Hawai’i at Manoa Honoloulu, Hawaii, USA Dept of Political Science, Hawaii Research Center for Futures Studies Master of Arts in Alternative Futures http://www.futures.hawaii.edu/index.php
lfd. Nr. 14 Universität Ort Fachbereich/Institut Studienabschlüsse Quelle
University of Houston Houston, Texas, USA College of Technology Master of Technology in Futures Studies in Commerce http://www.tech.uh.edu/Programs/Futures_Studies
Anhang 2: Interviewte Dozenten
339
Anhang 2: Interviewte Dozenten lfd. Name Nr.1492
Tätigkeit
1
Bell, Wendell
2
Butler, Martin
3
Caldwell, Roger L.
4
Cordell, Bruce
5
Dator, James A.
6
Dewar, James A.
7
Duin, Patrick van der
8
Gary, Jay
9
Halal, William E.
10
Hayward, Peter
Emeritierter Professor für Soziologie an der Yale University in New Haven, Connecticut, USA. senior lecturer für Information Systems Management an der University of Stellenbosch Business School in Stellenbosch, Südafrika. emeritierter Professor für Soil, Water and Environmental Science an der University of Arizona in Tucson, Arizona, USA, sowie ehemaliger Direktor der dortigen Abteilung Educational Communications and Technologies Dekan der naturwissenschaftlichen Division und Leiter des Center for the Future am Fullerton College in Fullerton, Kalifornien, USA Professor für Politikwissenschaft und Direktor des Hawai’i Research Center for Futures Studies an der University of Hawai’i at Manoa, USA. Frederick-S.-Pardee-Professor für Long-Term Policy Analysis und Director des Frederick-S.-Pardee-Center for Longer Range Global Policy and the Future Human Condition an der RAND Graduate School in Santa Monika, Kalifornien, USA. Assistenzprofessor an der Fakultät für Technologie, Politik und Management der Technischen Universität Delft in den Niederlanden. Assistenzprofessor und Programmdirektor des Master of Arts-Studiums in Strategic Foresight an der Regent University in Virginia Beach, Virginia, USA Emeritierter Professor für Science, Technology, and Innovation an der George Washington University in Washington, D. C., USA Lehrbeauftragter für Strategic Foresight und Programmdirector des gleichnamigen Studienprogramms an der Swinburne University of Technology in Hawthorn, Victoria, Australien
1492 Nach dem Nachnamen in alphabetischer Reihenfolge.
340
Anhang
lfd. Nr.
Name
11
Hines, Andy
12
13
14
15
16
17 18
19
20
Tätigkeit
Außerplanmäßiger Professor an der University of Houston, Texas, USA, wo er Lehrveranstaltungen im Master of Science-Studienprogramm in Zukunftsforschung anbietet Inayatullah, Sohail Professor für Zukunftsforschung am Graduate Institute of Futures Studies der Tamkang University in Taiwan, außerplanmäßiger Professor an der University of the Sunshine Coast in Sippy Downs, Queensland, Australien, Gastdozent (visiting academic) an der Queensland University of Technology in Brisbane, Queensland, Australien und Lehrbeauftragter an verschiedenen weiteren Einrichtungen, ehemaliger Inhaber des einjährigen UNESCOLehrstuhls an der Universität Trier in Deutschland. Barbieri Masini, Eleonora Emeritierte Professorin für Zukunftsforschung und Humanökologie an der Gregorianischen Universität in Rom, Italien Ono, Ryota Assistenzprofessor für Information and Communications Policy and Planning sowie für Zukunftsforschung an der Aichi University in Aichi, Japan Pacinelli, Antonio Ordentlicher Professor für Social Statistics an der Università degli Studi G. D’Annunzio Chieti Pescara in Centralino, Italien Passig, David Vorsitzender der Faculty of Advanced Degrees in Communication Technologies an der Bar-Ilan University in Ramat Gan, Israel Riner, Reed D. Professor für Anthropologie an der Northern Arizona University in Flagstaff, Arizona, USA Rubin, Anita Außerplanmäßige Professorin und senior researcher am Finland Futures Research Centre der Turku School of Economics in Turku, Finnland Sagi, John Professor für Betriebswirtschaftslehre am Anne Arundel Community College in Arnold, Maryland, USA, Lehrbeauftragter (associate professorial lecturer) für Information Systems and Technology Management an der George Washington University in Washington, D. C., USA, sowie Lehrbeauftragter an der Kazan State University in Kazan, Tatarstan, Russland Shostak, Arthur B. Emeritierter Professor für Soziologie an der Drexel University in Philadelphia, Pennsylvania, USA
Anhang 2: Interviewte Dozenten
341
lfd. Nr.
Name
Tätigkeit
21
Spies, Philip H.
22
Voros, Joseph
23
Zeraoui, Zidane
Professor für Zukunftsforschung an der University of Stellenbosch in Stellenbosch, Südafrika Senior lecturer für Strategy & Strategic Foresight an der Swinburne University of Technology in Hawthorn, Victoria, Australien Professor für Internationale Beziehungen und Koordinator des gleichnamigen Masterprogramms an der University of Monterrey in Monterrey, Mexiko
342
Anhang
Anhang 3: Kontakt-E-Mail Subject: Didactics of Futures Studies Dear [Titel] [Name], my name is Dr. Victor Tiberius and I am conducting a research project on the "didactics of futures studies" under supervision of Prof. Dr. Gerhard de Haan, Institut Futur at Free University Berlin. The results of this study will be written up for publication and distribution to the futures community. As you are a teacher in the futures field, I hereby would like to ask you for your participation in this study until March 31st, 2009.1493 The study involves answering five questions about your practical experiences in teaching futures studies. It may take several minutes up to two hours to complete the questionnaire, depending on how much you wish to say about your experiences. Study description: We want to study the didactics of futures studies at university level as we believe this will provide us with unique insights to how futures studies can be taught best. Furtheron we believe this can help promote futures studies in Germany, where we don’t have any such university courses yet. We will explore the didactics of futures studies in a deductive and an inductive way. The deductive method derives insights by applying general pedagogic ideas to futures studies. The inductive method – which is focussed here – studies the practice of teaching and tries to come to general insights. The book by Jim Dator,1494 "Advancing Futures. Future Studies in Higher Education", is a very good contribution to the research we conduct. In our study we would like to go a little deeper. Participation and confidentiality: When you return the questionnaire to us, your responses will be deidentified and you will remain anonymous, if you wish (please note on the paper). Results: If you would like to be informed of the aggregate research finding, please indicate this at the end of the questionnaire, and the findings will be distributed via email when the study is completed during 2009. Thank you very much for your support in advance! Sincerely yours, Victor Tiberius
1493 Bei der zweiten Befragungstranche wurde als Frist der 31.05.2009 angegeben. 1494 Bei der Ansprache von Dator wurde entsprechend „Your book“ eingesetzt.
Anhang 4: Eröffnungsfragen
343
Anhang 4: Eröffnungsfragen 1. Objectives: Which professional qualifications do you want your students to acquire so he or she can be called a professional futurist after graduation? 2. Subject material: Which are the topics your students of futures studies should have studied? 3. Teaching methods: Which teaching methods (e. g. lecture, case study, role play etc.) do you use? In which situation and why are they adaequate? 4. Media: Which media (e. g. texts, pictures, videos etc.) do you bring in in your lectures or seminars? What is their contribution to the lesson? 5. Exams: What kinds of exams do your students have to take? Why do you choose them?
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Kurzfassung in deutscher und englischer Sprache Kurzfassung Wir leben in einer Zeit, die von steigender Dynamik, Komplexität und von zunehmenden Diskontinuitäten geprägt ist. Gleichzeitig evoziert der Mensch technisch potenzierte Handlungskonsequenzen, die immer weiter in die Zukunft reichen. Vor diesem Hintergrund ist eine systematische Auseinandersetzung mit Zukunftsfragen heute wichtiger denn je. Die Zukunftsforschung, die sich als Antwort auf diese Herausforderung versteht, exploriert mögliche und wahrscheinliche und bewertet wünschens- und vermeidenswerte Zukünfte. Seit den 1960er-Jahren existieren weltweit entsprechende Studiengänge. Die didaktische Auseinandersetzung mit der Hochschullehre im Fach Zukunftsforschung steckt hingegen in den Kinderschuhen. Aufgrund ihres spezifischen wissenschaftlichen Profils, das sich bereits in ontologischer und epistemologischer Hinsicht und durch ihre sowohl analytische als auch normative Ausrichtung von anderen Disziplinen unterscheidet, ist eine eigene Fachdidaktik erforderlich, die diesen Besonderheiten Rechnung trägt und Lernprozesse zu optimieren hilft. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, eine Didaktikkonzeption für das Hochschulfach Zukunftsforschung zu entwickeln. Im Besonderen sollen die didaktischen Komponenten Lehrziele, Lehrinhalte, Lehrmethoden, Lehrmedien und Lernerfolgskontrolle fachspezifisch konkretisiert werden. Zu diesem Zweck wird nach einer ausführlichen begrifflich-konzeptionellen zukunftswissenschaftlichen sowie didaktischen Grundlegung ein induktiv-reflexives Vorgehen gewählt. Für eine induktive Didaktikbestimmung wird zum einen mithilfe eines ausführlichen Literaturstudiums die Fachdisziplin selbst herangezogen und werden zum anderen zwei empirische Studien, mithin eine Inhaltsanalyse von Studiengangsportraits sowie eine Dozentenbefragung, durchgeführt. Die vorgefundenen empirischen Ergebnisse werden anhand des Wissenschafts-, Persönlichkeits- sowie Situationsprinzips und seiner Operationalisierungskriterien kritisch reflektiert, um zu eigenständigen Vorschlägen zur Ausgestaltung der fünf Didaktikkomponenten zu gelangen. Dabei werden, ausgehend von den vorgeschlagenen fachlichen und überfachlichen, zukunftsbezogenen Richtzielen sowie dem Grobinhalten, die methodischen, medialen und prüfungsbezogenen Aspekte ziel- und inhaltsadäquat bestimmt. Hierbei kommt es grob zu einer Zweiteilung in Lerngegenstände, die einerseits objektivistisch und andererseits V. Tiberius, Hochschuldidaktik der Zukunftsforschung, DOI 10.1007/978-3-531-92869-2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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konstruktivistisch lehrbar sind. Erstgenanntem Bereich sind die begrifflich-konzeptionellen sowie historisch-institutionellen zuzurechnen, während sich konstruktivistische Methodenarrangements immer dann anbieten, wenn in der Zukunftsforschung der Anwendungsbezug hergestellt wird, sich die Studierenden also mit konkreten alternativen Zukünften auseinandersetzen. Bei den Lehrmedien kann analog zwischen den üblichen Medien und sogenannten Zukunftsartefakten unterschieden werden. Bei der Lernerfolgskontrolle kann das in der scientific community feststehende Fachwissen objektivistisch abgeprüft werden, während sich alternative Zukünfte naturgemäß der Wahrheitsüberprüfung entziehen. Es werden daher Bewertungskriterien sowohl für analytische als auch für normative Zukunftsszenarien vorgestellt. Die konkreten Vorschläge zu den fünf Didaktikkomponenten sind in den Tabellen 13 ff. in Kap. 5 zusammengefasst. Summary We live in dynamic, complex, and erratic times. Simulaneously, human mankind evokes technically increased outcomes which reach further and further into the future. Against this background, a systematic examination of future questions is more important than ever. Futures studies (or: futures research) which considers itself as an answer to this challenge explores possible and probable futures and assesses preferable and preventable futures. Since the 1960s, there are academic programms at universities worldwide. However, their didactics are still at the beginning. Due to the specific philosophy of futures studies, according to its ontology, epistemology, and both analytical and normative profile, the discipline needs its own didactics which meets these characteristics and helps to optimize learning. The objective of this thesis is to develop a didactical concept for futures studies. Especially, the didactical components – teaching objectives, teaching content, teaching methods, classroom media, and learning assessment/ examination – will be substantiated. For these purposes, the philosophical foundation of both futures studies and didactics are set and an inductivedeliberate method is chosen. To inductively determine how futures studies is taught an analysis of academic literature from the futures field and two empirical studies, an analysis of university study programme curricula as well as interviews with professors and lecturers, are conducted. The empirical findings are critically analysed using the science, personality, and situation priciple and their operational criteria. On this base, own propositions for the five didactical
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components are presented. Starting with discipline-specific and comprehensive, future-relevant teaching objectives and teaching contents the methodological, medial, and assesment-specific issues are disposed. Here, it comes to a dichotomy in teaching in an objectivist or constructivist way. For the philosophical, historical and scientific issues the former way is appropriate, while the latter way is usefull when futures studies comes into action and students have to deal with concrete alternative futures. When it comes to teaching media the usual media can be distiguished from so-called future artefacts. Assessing learning effords can be conducted in an objectivist way when dealing with technical knowledge that can be seen as validated by the scientific community. However, the truth of alternative futures cannot be discovered. Thus, assessment criteria for both analytical and normative scenarios are presented. The concrete proposals for the five didactical components are summarized in tables 13 et seqq.