Isabel Platthaus
Höllenfahrten Die epische katdbasis und die Unterwelten der Moderne
Wilhelm Fink Verlag
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Isabel Platthaus
Höllenfahrten Die epische katdbasis und die Unterwelten der Moderne
Wilhelm Fink Verlag
Gedruckt mit Unterstützung der Johanna und Fritz Buch-Gcdächtnisstiftung
Umschlagabbildung: Dante Alighicri. LA tÜui". comfMtÜ4 Dank con l'npositüm~ Ji M BmlarJi"o Da"MJo tI4 LucCil. Venczia: Picuo da Fino. 1568. fol. VI verso - Kunstbibliothek Bcrlin
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek velUichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografle: detaillicne bibliografische Daten sind im Internet über hnPilldnb.ddb.de abrufbar.
Alle Rechte. auch die des au.szugswciscn Nachdrucks. der fotomechanischen Wiedergabe und der Obcrsctzung. vorbehalten. Dies betrifft auch die VcrvicIrutigung und Übertragung einzdner Textabschnitte. Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier. Transparente. Filme. Bänder. Platten und andere Medien. soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. ISBN 3-n05-3991-5 2004 Wllhclm Fink Verlag. München Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH. Paderborn
Facilis descensus Averno ... Vngil
DANK
Daß dieser Text nun der Schattenwelt von Sicherheitsdisketten. Copyshops und akademischen Kommissionen entstiegen ist und die Form eines Buches angenommen hat. freut mich ungemein. Ich möchte all denen. die mich darin unterstützt haben herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt Karin Krauthausen. Mirjam Wentzcl. Christiane Löhr. Mona Rinck. Prof. Winfried Menninghaus. Prof. Inka Mülder-Bach und Manin von Koppenfels. Sie haben durch ihre Anregungen und konstruktive Kritik diesen Text stimuliert. begleitet und geprägt. Der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung sei gedankt für ihren finanziellen Beitrag zur Drucklegung.
INHALT
EINLEITUNG ••.•.••.•...••••.•••••••••..•..•.•..•........••••.•.••..••••••••••••.••••••••.••••••••••.•..••••
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I SUBTERRA INCOGNITA: DIE UNTERWELT IM UNTERGRUND ........
19
DIE METAPHORISCHE WENDE •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••.••.•••••.•••••••••.
20
Das Schisma: Topos und Lokalität (20) Bergwerke des Wissens I: Die Mine der Narurerkenntnis und das Bergwerk der Seele - Empirismus und Romantik (24). UNTERWELTEN DER INDUSTRIAliSiERUNG............................................
29
Pantl4nnonium: Industrie und Hölle (29). Infernalische Ästhetik (33). WISSENSCHAFrEN DER TIEFE.................................................................
40
Bergwerke des Wissens 11: Höhlengänge und die Lektüre der Steine Romantik und Geologie (40). Zeitreisen in die Unterwdt: Von der Zukunft zur Vergangenheit - Scimc~ Fiction und Archäologie (46).
11
MYfHOLOGIE DER TRIEBE: FREUD IN DER UNTERWELT ............
55
SCHICHTEN UND GESCHICHTEN .•••••••••••••••••••••••••••••••••••••••..•.•••••••••••••••
58
Die Ausgrabung der Unbewussten: Archäologie und Psychoanalyse (58) Das plotting der Psyche: therapeutischer Historismus versus metapsychologische Mythologie (62). DIE UNTERWELT DER PSYCHE ...............................................................
67
Erster Abstieg: Sigmund Freud am Acheron - Di~ Traumtkutung (67). Der Kampf um die Unterwdt: Freud versus Jung (73). DIE UNTERWELT DER THEORIE .............................................................
77
Zweiter Abstieg: Die Reise ins Jenseits des Lustprinzips (77). Der epische Umweg: Jmsnts Jn Lustprinzips als Metaerzählung (85).
111 FÜHRER DURCH DIE UNTERWELT:
HOMER, VERGIL, DANTE ..................................................................................
91
HADES: DIE NEKYlA DES ODYSSEUS .••..•....•........•....... •..•....•••••.••••.. .........
94
ORKUS: AENEAS' DESCENSUS AD INFEROS ............................................... 106 INFERNO: DANTES HOLLENGANG ......................................................... 125
8
INHALT
IV HADES REVISITED: DIE UNTERWELTREISE IM ULYSSES................. 139 HADES - DER SCHÖNE ALTE BRAUCH ..................................................... 142 Odysseus - Aeneas - Bloom (142).Totengespräche (147). Oth" wor{I)J (150). CIRCE - DIE HÖLLE SELBST ..................................................................... 156 Die Szene (158). Die Initiation (163). Die Erscheinung der Toten (172). Traumtechnik und Höllenmechanik (177).
DIE INFERNALISCHE MAsCHINE: STRUKTUREN UND MODI CIRCES ...... 182 Circes Netz (182). Purgatorium (187). Wiederholen und Wiederholung (191).
V INFERNO AD INFINITUM: WEITERE ExKuRSIONEN IN DIE UNTERWELT ........................................................................................ 201 THE RETURN OF THE UVlNG DEAD: T. S. EUOTS NEKROMANTIE......... 203 GRUNDMUSTER DER TIEFE: THOMAS MANNS HÖLLENFAHRT .............. 212 DIE UNTERWELT DER ZEICHEN: JORGE LUIS BORGES' MIKROKOSMEN 219 DIE PHANTASIE IM UNTERGRUND: THOMAS PYNCHONS GEGENWELTEN ...................................................................................... 226
BIBUOGRAPHIE............................................................................................ 235
EINLEITUNG
nPerhaps we are in limbo," he said. nOr like the place we met: some still point bctween hell and pucgatory. Strange there's no via de1 Paradiso in Florence." Thomas Pynchon, V nPerhaps nowhere in the world. ..
Wie überall auf der Welt scheint es auch in der modernen Literatur keine "Paradiesstraße" zu geben; Wege, die in die entgegengesetzte Richtung fuhren, finden sich hingegen mehr als genug - Hölle und Unterwelt liegen dem 20. Jahrhundert deutlich näher als das Paradies. Nachdem die erste Hälfte des Jahrhunderts vergangen war, konnte Nonhrop Frye feststellen: "In the twentieth cenwry, on the whole, images of the descent are [... ] in the ascendant": Diese Aussage hat auch in den darauffolgenden Jahrzehnten ihre Gültigkeit behalten. Allein die letzten Jahre boten zahlreiche literarische Veröffentlichungen, in denen das Motiv des Abstiegs in die Unterwelt auftaucht - Derek Walcons Homnos (1990), Don DeLillos Undnworld (1997), Thomas Pynchons Mason c!r Dixon (1997), Mark Danielewskis Hous~ of uav~ (2000) - um sich auf Beispiele aus der englischsprachigen Literatur zu beschränken. 2 In dieser Arbeit soll es vor allem um die epische Tradition der Unterweltreise gehen, die in Gestalt von Texten wie der Odyss~~, der Amm und der Div;'Ul Comm~dia den nachhaltigsten Einfluß auf den Topos in der Moderne hat. Mein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der strukturellen Funktion und der narrativen Bestimmung des Motivkomplexes "Unterwelt", weniger hingegen auf prototypischen Figuren oder der Motivik. Das ist auch der Grund, warum der wohl bekannteste Unterweltreisende der Literatur - Orpheus - hier nur am Rande begegnen wird. Seine Figur dominiert vor allem die lyrische und dramatische Gestaltung des uscmsus-Motivs, während die epische Tradition keine vergleichbar prominente Einzelfigur kennt. Es ist vielmehr der uscmsus als ein generatives Modell, der in dieser Gattung im Vordergrund steht. Das ist nicht zuletzt dem narrativen Moment geschuldet, das sowohl der Reise wie auch dem Mythos als "Erzählung" innewohnt. Die Reise in die Unterwelt, die sogenannte Itatdbasis, ist fester Bestandteil des epischen Erzählens und unerläßliche Etappe auf dem Weg zu jeder heroischen Apotheose - "ein 1 Nonhrop Frye, Fllbln of [Mntity: Struiin in Ponic Mytholog,. Ncw York: Harcoun. Bracc and World 1%3. S. 62 2 Allerdings ist das Motiv in der Literatur des englischen Sprachraums auffallend häufig verueten und dies nicht nur in den aktudlen Veröffendichungen. Dies schlägt sich auch in der vorliegenden Arbeit nieder. die vide ihrer Referenucxte in der anglo-amerikanischen Literatur finden wird.
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EINLEITUNG
Obligatorium des epischen Helden", wie es Hans Blumenberg formuliert.} Und obgleich die Spezies des epischen Helden im 20. Jahrhundert vom Aussterben bedroht ist, scheint die Reiselust in die Unterwelt ungebrochen: Ob als Sujet oder als Tropus, als suggestives Detail oder als grundlegendes ModeU des literarischen Unternehmens ist der Topos in der erzählenden Literatur präsent. Was aber macht ihn so anschIußf'ähig für die moderne Literatur? Wofür steht die Unterwelt im 20. Jahrhundert? Und wo liegt sie? Als Ort besitzt die Unterwelt vor allem eine ideelle Topographie. Bereits in ihrem Namen verweist sie auf ihr Gegenstück, die Oberwelt. Die Unterwelt, als Konzept wie als Lokalität, organisiert sich anhand einer Kette von Oppositionen: Vergangenheit und Gegenwan, Innen- und Außenraum, Jenseits und Diesseits. Sie ist, im Gegensatz zur Welt der Lebenden, die Welt der Toten - ein Ort, an dem sich die Vergangenheit sammelt, sowohl in Gestalt beschädigter Überreste, denen das wichtigste fehlt - das Leben -, als auch in Gestalt einer intakten Kette der Tradition, die die Gegenwan als Nachfolge legitimiert. Hier zeichnet sich eine Ambivalenz ab, die die Unterwelt in verschiedener Hinsicht charakterisiert: Als Jenseits ist sie nicht nur der Ort der Vergangenheit, sondern auch der einer Zukunft - der Ort, der jeden Einzelnen am Ende seiner Lebenszeit erwanet. Als unterirdische Welt ist sie nicht nur das düstere, lichtund freudlose Reich des Todes, sondern auch lebensspendender und schätzebergender Untergrund - wie die Beerdigungsbräuche einen Anlaß geben, das Totenreich in einer Gleichsetzung von Grab und Hades unter der Erde zu lokalisieren, so geben die Fruchtbarkeit der Erde und die unterirdischen Edelsteine und -metalle einen Anlaß, der unteren Welt generative Kraft zuzuschreiben. Darüber hinaus besitzt die vertikale Achse des Kosmos, die der Trennung von Unter- und Oberwelt zugrundeliegt, neben ihrer vertrauten moralischen Konnotation eine weit weniger eindeutige gnoseologische Implikation. Noch die "höchste Wahrheit" hat"Tiefe" - das ist ihr dunkler, esoterischer Kern im Gegensatz zu ihrem exoterischen Licht, und der Ort dieser geheimen Wahrheit ist eine Welt unter der Oberfläche, innen wie auch unten gelegen. In a11 diesen Aspekten ist die Unterwelt zugleich eine konkrete Lokalität und ein symbolischer Topos. In ihr verbinden sich die Stofflichkeit und Greifbarkeit der Erde mit deren Unzugänglichkeit und Undurchdringlichkeit. Das Ergebnis ist ein Imaginationsraum, der nah und gegenständlich ist und zugleich völlig entzogen bleibt - th~ oth"'WOrld, die andere Welt schlechthin. Es ist offenkundig. daß das reale wie symbolische Weltbild, das diesen VorsteUungsraum hervorgebracht hat, in der Moderne seine Verbindlichkeit verloren hat. Die Unterwelt als Totenreich, als Untergrund für die Wurzeln der Welt, als Tiefendimension der Erde oder als Rückzugsort der ältesten Göttergeschlechter das sind alles Bedeutungsaspekte des Motivs, die nur mehr historisch relevant 3 Hans Blwnenberg. WiritlichltritslNgriff uNi Wirltu1lUpotmti4l tJn Mythos. in: Tn70r uNi Sp"1 Problnnt Jn Mythmrtaptio1l (Pottilt uNi HtrmtrInltilt 4). hg. v. Manfrcd Fuhrmann. München: Fink. 1971. S. 11-66. S. 21
sind. Mit der Säkularisierung scheint auch die klare vertikale Trennung der Welt in eine obere und eine untere hinfällig geworden. Dessen ungeachtet aber hat das Vorstellungsfeld "Unterwelt" eine erstaunliche Anziehungskraft und Suggestionsmacht bewahn, nicht nur in der Literatur. Diesem Phänomen werde ich im ersten Kapitel meiner Arbeit nachgehen, in welchem ich ausgehend von den folgenschweren kosmologischen Umwälzungen der Neuzeit die Entwicklung des Motivkomplexes bis zur Schwelle des 20. Jahrhunderts skizziere. In dieser kulturgeschichtlich orientienen Einführung werde ich nicht nur literarische Texte heranziehen, sondern auch andere Diskursfelder berücksichtigen, allen voran die Wissenschaften, soweit sie sich mit dem ursprünglichen On der Unterwelt, dem Erdinnern, befassen. Hiermit soll das verändene Terrain umrissen werden, auf dem sich die epischen Unterwelueisen des 20. JahrhundertS situieren. Am Beginn dieser Veränderungen steht die "kopernikanische Wende", mit der sich nicht nur die Vorstellung und Repräsentation des Himmels sondern auch die seines Gegenteils, des Erdinnern, grundlegend wandelte. Nach den ersten spekulativen Erkundungen der Tiefe dringen in den folgenden Jahrhundenen Wissenschaft und Technik in den bislang verborgenen Untergrund vor. Im 19. Jahrhunden, in der Hochphase der Industrialisierung und des wissenschaftlichen Rationalismus, scheint die Unterwelt endgültig von ihrem angestammten Platz vertrieben. Die indusuielle Erschließung des Untergrunds setzt an die Stelle eines heroischen descmsus die effiziente Ausbeutung unterirdischer Ressourcen, und die Vermessungsleistungen der exakten Wissenschaft entlarven die Vorstellung einer Welt in der Welt, ob jenseitig oder diesseitig, als Verstoß gegen wissenschaftliche Logik und Empirie. Zugleich jedoch, so meine These, unterhält die säkulare und rationalistische Modeme neben und in dem empirisch erschließbaren und industriell nutzbaren Untergrund einen imaginären On, der ebenso auf figurativer Ebene angesiedelt ist, wie er immer wieder an die real-existierende räumliche lokalität des Untergrundes angeschlossen wird: den Topos der Unterwelt. Er begegnet zum einen im Reich der sprachlichen Imagination, der Literarur. Hier wird dem materiellen Untergrund eines utilitaristischen Weltbildes am nachdrücklichsten eine neue, mythische Aufladung der unterirdischen Welt entgegensetzt: in den Bergwerken der Romantik, die One einer schöpferischen Vergangenheit wie auch eines tiefen, bedrohlichen Wissens sind, in den Untergrundreisen der phantastischen Literatur oder den Expeditionen in künstlich geschaffene Unterwdten, die sich im 19. Jahrhunden in dem neuen Genre der Science Fiction großer Beliebtheit erfreuen. Doch verbleibt die Unterwelt keineswegs nur in der Domäne der literarischen Fiktion. Gerade indem sie zur "bloßen" Metapher geworden ist, infiluien sie umso erfolgreicher neue Diskurse und Vorstellungsbereiche. War die vormoderne Unterwelt buchstäblich ein On im Erdinnern, so ist die Unterwelt der Moderne in jeder Tiefendimension gegenwärtig. Die Industrialisierung, die ihren Ursprung im Untergrund nimmt, sucht sich ihr metaphorisches Pendant in der Unterwelt. "Wissenschaften der Tiefe" wie Archäologie und Geologie, die sich im 18. und
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EINLEITUNG
19. Jahrhundert etablieren. können ihre Verwandtschaft zur Mythologie kaum verhehlen: Auf der Suche nach dem Ursprung - ob der Kultur oder der Naturdringen sie in den Untergrund. um hier eine tote Vergangenheit zu erwecken und in Gestalt von Geschichte wiederherzustellen. Die Unterwelt verheißt die Einheit und Sinnhaltigkeit eines geschlossenen Kosmos - des Kosmos. als dessen unveräußerlicher Teil sie begriffen wird und dessen Geschlossenheit sie selbst in ihrem Raum mikrokosmisch wiederholt. Es ist ein Kosmos. dessen räumliche Ordnung zugleich eine symbolische ist. eine Welt. der die mythische Qualität der Bedeutsamkeit zukommt. Ihre Erschließungsform aber ist wesendich Narration - der Rückgriff auf die Erzählung des mythos im Unterschied zur Definitionskraft des
logos. Die neuzeitlichen Abstiege unter die Oberfläche. seien es die buchstäblichen in Bergwerke und Höhlen oder die metaphorischen in die "Tiefen der Wahrheit". werden mit den suggestiven Insignien der Unterwelt ausgestattet und mit den Versatzstücken des Mythos erzählerisch überformt. In ihrer Ambivalenz erweist sich die Unterwelt dabei als geeignete Projektionsfläche für eine Moderne. deren Selbstverständnis von Widersprüchen und Brüchen geprägt ist. Dies gilt ebenfalls für die Suche nach der Wahrheit in einer Disziplin. die sich zu Beginn des vorigen Jahrhunderts etabliert: die Psychoanalyse. Auch sie bedient sich der Bilder des Mythos. um die Wahrheit des Individuums zu finden und in eine Geschichte zu fassen - eine Geschichte. deren Sinnhaltigkeit und Kohärenz sogar als Voraussetzung einer Heilung gilt. Der Abstieg in die Unterwelt der Psyche. den Sigmund Freud mit der Psychoanalyse unternimmt. ist Gegenstand des zweiten Kapitels dieser Arbeit. Doch soll es dabei weniger um die Psychoanalyse als neue Wissenschaft der Tiefe gehen als um die Psychoanalyse als narratives Unternehmen: als epische Itatdbasis. Die Gleichsetzung des Unbewußten mit der Unterwelt ist aufgrund der psychischen Topik und der Tiefendimension. die Freud dieser zuschreibt. naheliegend. Anders jedoch als in Archäologie oder Geologie ist in der Psychoanalyse nicht nur die Unterwelt sondern die Tiefe selbst im übertragenen Sinne zu verstehen - der reale locus ist damit zu einem metaphorischen geworden. und Freud gebraucht die Wissenschaften. die sich mit dieser Lokalität beschäftigen. selbst wiederum als Bild für sein eigenes wissenschaftliches Projekt: Die Psychoanalyse wird zu einer Archäologie der Seele. Wenn sich die neue Tiefenpsychologie damit ihrer Wissenschaftlichkeit versichern will. so teilt sie zugleich auch die Affinität. welche die Archäologie zum Mythos unterhält: Sie geriert sich ebenfalls als Unterwelueise. auf welcher aus der Begegnung mit den Schatten der Vergangenheit eine Erzählung gewonnen wird. Dem liegt die Bestrebung zugrunde. Kohärenz und Sinnhaftigkeit über einen narrativen Zusammenhang herzustellen. Wobei sich der narrative Impuls in der Psychoanalyse noch unverhüllter als in ihren Referenzwissenschaften zeigt: Hier mündet die Rekonstruktion der Vergangenheit notwendigerweise in einer Erzählung. in welcher die körperlichen Symptome Sinn machen. indem sie in den plot eines Mythos eingebunden werden - als Ödipus-Komplex. als Narzismus. als Kampf von Eros und Thanatos.
EINLEITUNG
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Das manifestien sich nicht nur auf der Ebene der individuellen Krankengeschichten, sondern in dem psychischen Geschehen insgesamt, das Freud immer als ein ereignishaftes, dynamisches begreift. Die Konzeption der Triebe bildet dies in der psychischen Struktur ab, die mythologischen Metaphern und narrativen Strukturen, welcher sich Freud bedient, schreiben es darüber hinaus seinen eigenen Texten ein: Der Dynamik des psychischen Systems entspricht die narrative Dynamik seiner Texte, gerade auch der metapsychologischen, welche das grundlegende plotting der Psyche skizzieren. Freud schreibt an einem großen Epos der Psyche. Wenn die Unterwelt eine treffende Metapher für das Unbewußte abgibt, so ist die U nterwdtreise Metapher für das Vorgehen der Pychoanalyse als eines therapeutischen wie theoretischen Prozesses. Das läßt sich an zwei Werken Freuds deudich ablesen, deren Entstehung mehrere Jahrzehnte auseinander liegt. Das erste von ihnen ist Di~ TrauTfltkutung, welcher das Motto voransteht: "Flectere si nequeo Superos Acheronta movebo". Sie ist die Erzählung von der Unterweltreise, die Freud in sein eigenes Unbewußtes unternommen hat: der Abstieg ins Unbewußte, der künftig den Kern jeder analytischen Kur bilden wird und damit die Grundlage aUer Fallgeschichten, die Freud verfaßt. Der Abstieg in die Unterwelt der Psyche prozessien hier die Genese der Krankengeschichte - als Erzählung des Patienten wie als Text des Analytikers, er bedingt beider Erzählungen. Wir werden sehen, daß diese KonsteUation - die Unterweltreise als Bedingung der Möglichkeit des Erzählens - auch grundlegend für den späteren tkscmsus Freuds ist: die Reise in die Unterwelt der eigenen Theorie, die in dem Text Jmsrits tks Lustprinzips Gestalt annimmt. In einer genauen Lektüre des Textes soll diese These verdeutlicht werden. Durch die Einführung des Todestriebs und des Wiederholungszwangs markien Jmuits tks Lustprinzips einen zentralen Wendepunkt in Freuds Auffassung der psychischen Triebdynamik. Er ist eine Unterweltreise, insofern Freud hier in den Untergrund seiner Metapsychologie hinabsteigt: in ihre Grundlagen wie auch ihre Dunkelzonen, in welchen die Schatten seiner Triebtheorie umgehend. h. ihre unausgewiesenen, spekulativen Konzepte, bei denen es sich weniger um Theoreme als um Mythologeme handelt. 4 Das narrative Moment ist in Jmuits tks Lustprinzips bestimmend, sowohl was die Struktur des Textes als auch die zentralen Argumente betrifft. Zugleich hat Freud mit der Konstruktion von Todestrieb und Wiederholungszwang ein Modell entworfen, mit dem das Leben nach den Gesetzen der Erzählung begriffen werden kann. Jms~its tks Lustprinzips ist eine der Metaerzählungen der Psychoanalyse, indem dieser Text die ReSektion auf narrative Grundlagen und die Bedingungen von Erzählbarkeit eröffnet. Damit erfüllt er für die Psychoanalyse als erzählerisches Projekt genau 4 Mythos auch hier vor allem verstanden als das erzählende WO" im Gegensatz zum Iogos. wie cs seit Platon gebräuchlich ist. aber dcs Weiteren auch als die .. Handlung" einer Erzählung. der im Sinne des mythos in Aristotdcs' PfNtilt.
,"'t.
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EINLEITUNG
die Funktion. die die Unterweltreise in der tatuellen Ökonomie des klassischen Epos' einnimmt. Hier zeigt sich deudich die strukturelle Entsprechung des epischen Erzählens und des Erzählens. das die Psychoanalyse inszenien. Dies fühn zum dritten Kapitel meiner Arbeit. das sich ausführlicher mit der Rolle der Unterweltreise im epischen Erzählen befaßt. Hier werde ich den Blick zunächst zurückwenden auf die Texte der klassischen Epik. die hinsichdich des Topos der Unterwelueise die größte Wirkungsmacht entfaltet haben: Homers Oayss~~. Vergils Amns und Dantes Divina Commeaia. Sie sind die kanonischen Vorgänger für die literarischen Unterweltreisen des 19. und 20. Jahrhundens. Ausgehend von dem narratologischen Modell. das in der narrativen Organisation wie auch in der behandelten Triebdynarnik von Jmsnts des Lustprinzips hervoruitt. möchte ich die Funktion näher bestimmen. die die ltatdbasis in dem und für das jeweilige literarische Unternehmen besitzt. Aus der Sicht einer strukturalistisch geprägten Erzähltheorie läßt sich Narration als ein Wechselspiel zweier Kräfte begreifen. deren eine auf die umfassende Sinnerfüllung des Endes zielt die Teleologie des epischen Erzählens wie auch des freudschen T odesuiebs -. während die andere. in Analogie zu Lebenstrieb wie auch Wiederholungszwang. durch Wiederholungen und retardierende Verwicklungen eine unendliche Fonsetzung des Prozesses anstrebt. Die Unterweltreise kann als exemplarische Manifestation dieser antagonistischen Strategien gelesen werden. welche das Erzählen und seine Organisation bestimmen. Im Totenreich ist das Ende schlechthin erreicht und wird zugleich verfehlt: die Reise fühn zurück aus der Unterwelt in eine Bewegung der Wiederholung, das Leben. Diese Doppelstrategie ist dabei immer auch auf die Vorgehensweise des literarischen Textes zu übenragen. Sowohl bei Homer als auch bei Vergil und Dante wird durch die Reise in die Unterwelt eine Finalität und Intention der Narration herausgearbeitet: Der Held erflihn in der Unterwelt das Ende und Ziel seiner Abenteuer. von denen das Epos erzählt. Eben dieses Ende. das sich itkaliln' mit dem Ende der epischen Erzählung decken soll. wird im Kontext der Itatdbasis jedoch zugleich vermieden und hinausgezögen: Die Unterweltreise. innerhalb derer die erzählerische Teleologie aufgedeckt wird. erscheint in allen der untersuchten Epen als der Umweg par ac~lJmc~. und während sie zum einen den Endpunkt des zu Erzählenden markien - das Ende wie auch den Tod -. ist sie zum anderen der Ausgangspunkt für neue Verwicklungen und einen Aufschub dieses angekündigten Endes. Somit läßt sich an ihrem Szenario eine grundlegende Bewegung des Erzählens nachvollziehen: Wie die Unterwelt und ihre Ordnung zugleich Teil und Repräsentant einer kosmischen Gesamtordnung sind. ist die erzählte Unterweltreise eine mikrokosmische Ausführung des "Makrokosmos". den die narrative Struktur und Organisation des Gesamttextes darstellt. Hervorgehoben ist sie zum einen durch die Extremsituation. die in ihr geschilden wird - die Reise in die Unterwelt als Inbegriff der Grenzüberschreitung -. zum anderen durch die Autorität der epischen Tradition - der descmsus als wesentlicher Bestandteil des Heldenepos. Insofern kommt dem Topos im Falle der von mir untersuchten Epen nicht nur ein exemplarischer. sondern ein programmati-
EINLEITUNG
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scher Charakter zu: Hier wird das narrative Programm der Texte formulien und in nuct vorgefuhn. Wie im Falle Freuds ist die Unterweltreise auch bei den Klassikern des epi~ " "Urszene des Erzählens" - ein Topos. der Erzählung generien. schen uedles eine Trotzdem OtlYSStt. Amtis und Divina Commttlia in ihren narrativen Strategien verschiedene Schwerpunkte setzen. gewinnen sie in der Inszenierung der Unterweltreise eine Ausrichtung und Abschließbarkeit ihrer Narration - und damit den Sinn eines geschlossenen Ganzen: Odysseus. der heimkehn. Aeneas. der Troja gründet. Dante. der die Offenbarung Gottes erfahrt. Daß diese Narrationen andererseits immer auch einen Aufschub implizieren. einen Umweg. der in letzter Konsequenz unabgeschlossen bleibt. ist ein Merkmal. das in den epischen Texten des 20. Jahrhundens in den Vordergrund treten wird. Bei Freud wird dieser Tendenz im Interesse des therapeutischen Ziels massiv entgegengesteuen: Die Krankengeschichten gerieren sich als Erzählungen. die in ihrem Abschluß zugleich ihren Sinn finden. Dagegen zeigt sich allerdings in den metapsychologischen Texten. daß die narrativen Konstruktionen. welche die Geschlossenheit und Sinnhaltigkeit der Theorie garantieren sollen. vielmehr eine unabschließbare Wiederholungsbewegung produzieren. Sie wird sich in den erzählerischen Experimenten der literarischen Avantgarde mit aller Macht manifestieren - allen voran bei James Joyce. der einem landläufigen Vorwurf zufolge den Roman aus dem Paradies des Erzählens venrieben habe. um ihn und den Leser den Höllenqualen stilistischer Exzesse und sinnentfremdeter Sprachspiele auszusetzen. S Daß diese Einschätzung einen wesentlichen Aspekt des literarischen Projekts Joyce·. zumindest im Falle des UIySSts. übergeht. läßt sich anhand des hier zur Debatte stehenden Topos deutlich machen. Die Unterweltreise im UIySSts ist somit das Thema des vienen Kapitels. in dem die Thesen meiner Arbeit in der Auseinandersetzung mit einem der zentralen Texte der Literatur des 20. Jahrhundens weiter ausgefühn werden sollen. Nicht nur die vielstrapazienen Parallelen zur OtlYSStt verheißen im Ulyssts eine Hadesfahn. Es gibt neben UIySStS VI. das unter seinem Arbeitstitel Hatks bekannt ist. noch ein zweites Kapitel. das sich als Unterwelrreise lesen läßt: UIySStS XV. Ciret. Dies ist in der Rezeptionsgeschichte des Romans mehrfach angemerkt worden. ohne daß dabei die Bedeutung der Unterwelrreise und ihrer ..Verdopplung" für die narrative Organisation des Romans deutlich geworden wäre. Gerade in der Gegenüberstellung der beiden Kapitel. deren Struktur und StatuS kaum unterschiedlicher sein könnten. läßt sich jedoch eine grundlegende Vorgehensweise des UIySStS exemplifizieren: Circt. eines der komplexesten und gewagtesten Kapitel des Buches. sprengt in seiner Inszenierung die Strukturen des Erzählens. die durch die konventionelle Form des Hades-Kapitels noch einmal vorgegeben
5 Ein solches von Nostalgie gespeistes Ressentiment klingt selbst bei Walter Benjamin an. der in den Notizen zu seinem Erz4hkr-Aufsaa Joycr der .. unerbittlichen ZerstÖrungM der sinnvollen Ordnung des Enählens bezichtigt. Vgl. Walter Benjamin. GtSllmfMlu Schri/tm. hg. von Rolf TicdemannlHermann Schwcppenhäuscr. Frankfun a. M.: Suhrkamp. 1991. Bd. 113. S. 1284
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EINLEITUNG
wurden. Und nicht zuflillig greift Joyce hierbei auf ein Konzept zurück, mit dessen Hilfe im traditionellen epischen Erzählen die konstitutiven Kräfte der Narration formulien und explizien werden: Beispielhaft wird im Ulyssn anhand der Unterweltreise durchgespielt, wie nicht mehr erzählt werden kann, und wie stattdessen erzählt werden könnte. Letzteres demonstrien Circt durch eine netzartige Struktur, die nicht nur unzählige Stränge der Erzählung, sondern auch deren ausgeschlossene Alternativversionen verknüpft. Sie ist gewissermaßen selbst die Unterwelt des Textes, dessen Teil sie ist - eine Vorstellung, die an die Unterwelt als Mikrokosmos des Makrokosmos gemahnt, in ihren narrativen Implikationen jedoch eine völlig neue Ordnung hervorbringt. Denn Circt folgt den Gesetzen einer Unterwelt des 20. Jahrhundens: Als Text operien sie radikal nach der Logik, wie sie Freud in der Traumarbeit und den Primärvorgängen des Unbewußten auffindet. Das bewirkt eine signifikante Verschiebung innerhalb der Dialektik der narrativen Kräfte: Statt der "epischen Gerichtetheit" (Mukarovsky), die in der narrativen Organisation des klassischen Epos wie Odysstt, Amris oder Divina Commtdia bestimmend bleibt und eben im Kontext der Itatdbasis offengelegt wird, erscheint in der Unterweltreise Circn die Wiederholung als das beherrschende Prinzip. Bereits in Jmstils des Lustprinzips zeigt sich der Wiederholungszwang, entgegen der Intention Freuds, als generatives Prinzip der Narration. In Circe wird die Wiederholung in verschiedener Gestalt als movms des Erzählens erkennbar, nicht zuletzt durch die Wiederholung der Unterweltreise, die das Kapitel selbst darstellt. Als eine solche Unterweltreise erscheint Circt nicht zuletzt durch die zahlreichen Grenzüberschreitungen, die es inszenien - darunter am auffälligsten die Überschreitung der epischen Form selbst, insofern das Kapitel sich in Gestalt eines Pseudo-Dramas präsentien. Dabei eröffnet der fingiene Gattungswechsel, der mit dem circensischen tkscmsus einhergeht, eine andere Traditionslinie des Topos als die erzählerische: die Itatdbasis als zentraler Bestandteil von Initiations- und Purgationsriten. Das unterstreicht das transformative Potential, das Circe nicht nur auf inhaldicher Ebene eigen ist: Die unablässigen Metamorphosen sind auch Ausdruck einer textuellen Transformation, die hier stattfindet. Dabei geht es nicht, wie die Form Circes zunächst zu suggerieren scheint, um eine endgültige Verabschiedung der Narration, etwa zugunsten einer dramatisch-rituellen Unmittelbarkeit. Es geht vielmehr um die Initiation eines neuen Erzählens und um die Betonung eines performativen Moments, das im Text und in der Sprache selbst angesiedelt ist. Wenn jede Erzählung auf Erinnerung beruht und zugleich Erinnerung herstellt, so praktizien Circt eine Mnemotechnik, die weniger wiederherstellt, als neu herstellt. Auch bei Joyce ist der Topos der Unterweltreise mit der narrativen Genese des Textes, dessen Bestandteil er ist, verbunden - als Abstieg in die Vergangenheit und Vorgriff in die Zukunft. Allerdings generien sich in Circt nicht eine abgeschlossene Erzählung sondern eine narrative Kombinatorik, deren schöpferisches Potential das Kapitel selbst vorfühn.
EINLEITUNG
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Während der Fluchtpunkt meiner Perspektive auf den UlySSts durch die narratologische Funktion der Unterweltreise bestimmt ist, soll in dem abschliessenden Kapitel meiner Arbeit der Blickwinkel der Betrachtung wieder erweitert werden: Hier werden Aspekte des Topos in den Vordergrund treten, welche durch das Eröffnungskapitel eingeführt sind. Durch die kursorische Lektüre wichtiger Referenztexte von T. S. Eliot bis zu Thomas Pynchon möchte ich nochmals die Bedeutung der Unterweltreise für epische Texte des 20. Jahrhunderts verdeudichen. Dabei werden thematische Linien sichtbar, die weit in die Geschichte des Motivs zurückreichen. So ist es in T. S. Eliots epischem Gedicht Tht Waslt Land vor allem die Auseinandersetzung mit den literarischen Vorgängern, die anhand des Motivs der Unterwelt verhandelt wird - eine Konstellation, die bereits im klassischen Epos ein zentrales Moment innerhalb der Unterweltreise darstellt. Das Waslt Land praktiziert eine literarische Nekromantie, durch welche die Stimmen der Vorgängertexte in seinem Text vernehmbar werden. Es ist die Beschwörung einer Tradition, die es selbst nur noch als verlorene vergegenwärtigen kann - als die gebrochenen und entstellten Stimmen einer toten Vergangenheit in Gestalt eines fragmentarischen Textes. Zugleich jedoch ringt der Text mit den großen Vorgängern: Erst in dem Kontext der Unterweltreise, die das Waslt Land darstellt, erscheinen sie als kraftlose Schatten, gegenüber denen sich der neue Dichter profilieren kann, wie dies bereits die neuen Helden Odysseus, Aeneas und Dante taten. Doch Eliots Verhältnis zur Tradition ist von derselben grundlegenden Ambivalenz geprägt, die laut Freud die Vorstellung von der Wiederkehr der Toten erzeugt: Als gespenstische Revenants bedrohen die Vorgängertexte das Leben des neuen Werks. Die Frage nach der Wiederbelebung der Vergangenheit wird aus einer völlig anderen Perspektive von Thomas Mann gestellt - und auch völlig anders beantwortet: in Gestalt eines monumentalen epischen Romans, in dem ein Stoff der Vergangenheit, die biblische Josephslegende, "zum Leben erweckt" wird. Ein Vorgehen, das der Roman Jostph und stint Brütkr selbst im Bild der Unterweltreise faßt und zwar in deren moderner Interpretation als Vegetationsmythos. Damit wird in den Josephs-Romanen die Unterweltreise wieder zu einer Reßexionsfigur des Erzählens: als Abstieg in die Tiefe der Vergangenheit und der U rformen des Mythos sowie als Wiederauferstehung dieser Formen in der Gestalt einer selbstreflexiven Narration, in welcher sich das Alte und das Neue, das Erzählen des Mythos und der geschichdiche Roman ironisch gebrochen verbinden. Besonders das Vorspiel des ersten Bandes, die sogenannte "Höllenfahrt", variiert diese Grundfigur. Am Grund seiner Fahrt in die Tiefe steht immer eine Erzählung - denn das Leben selbst erscheint in diesen Romanen als das Nachleben eines Mythos, d. h. als die Wiederholung eines Überlieferten, das immer schon narrative Fom besitzt. Das Verhältnis von Leben und (fiktionaler) Erzählung, von Welt und Wort ist ein typisches Thema der Texte von Jorge Luis Borges. In seiner Erzählung EI Altph rekurriert er hierzu auf die Divinll Commrdia, um in einer parodistischen
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Unterweltreise das allegorische Weltbild, das Dantes Text zugrunde liegt, einer infernalischen Inversion zu unterziehen. Anders als in dem mittelalterlichen Kosmos mit seinem klar hierarchisch gegliederten Verweisungszusammenhang, der in dem ultimativen Signifikat Gott gipfelt, stürzt bei Borges die referentielle Bewegung der Zeichen in die Bodenlosigkeit. Die vertikale Ebenentrennung von Himmel und Hölle kollabiert in einem Raum der reinen Immanenz ohne jede Ausdehnung: dem Aleph, das als pelVertierter kabbalistischer Buchstabe zugleich für die Priorität des Textes gegenüber der Welt und für die reine Selbstbezüglichkeit der literarischen Fiktionen steht. Die letzte Station auf unserem Gang durch die literarische Unterwelt des 20. Jahrhunderts wird in der Postmoderne liegen: Thomas Pynchon, in dessen Romanen chthonische Motive allgegenwärtig sind. Besonders prominent ist das Motiv der Unterwelt in Pynchons berühmtestem Roman, Gravitys Rtzinbow, der sich aus einem beständigen Wechsel zwischen dem Aufbau und der Demontage von Oppositionen (de-)konstruiert. Die Ambiguität, die in Pynchons literarischem Universum das beherrschende Prinzip ist, findet in der ambivalenten und polymorphen Vorstellung der Unterwelt einen geeigneten Imaginationsraum: Pynchon aktiviert nicht nur ein höllisches sondern auch ein utopisches Potential des Iocus. Die Unterwelt ist der Ort, von dem die Subversion der vertikalen Hierarchie von Herrschaftstrukturen und Kontrollinstanzen ausgeht. Sie ist damit auch der imaginäre Ort des literarischen Textes, die "andere Welt" der phantaStischen Fiktionen Thomas Pynchons, welche gegen die Diktatur einer linearen Geschichte und einer einsinnigen Realität eine Vielfalt narrativer Digressionen und fiktionaler Disseminationen setzen. Am Ende des 20. Jahrhunderts führt die Unterweltreise in die Geschichte zurück, um dort neue Geschichten zu konstruieren.
KAPITEL I SUBTERRA INCOGNITA: DIE UNTERWELT IM UNTERGRUND Die "Entzauberung der Welt" - Max Webers prägnanter Ausdruck wird gern verwandt, um die Auswirkungen des neuzeidichen Rationalismw zu charakterisieren. Dabei ist das Schlagwon ebenso zutreffend, wie es in seiner unbedenklichen Verwendung noch die IUwion einer rein rationalen, aufklärerischen Vernunft bestätigt. Daß die Aufklärung nur zu leicht in den Mythos umschlägt, ist der ebenso mythos- wie rationalismwkritische Gegenspruch zu Max Webers Entzauberungsformel. Doch noch in der Horkheimer-Adornoschen Utopie der sich selbst aufklärenden Aufklärung steckt das "entweder - oder" der Weberschen Negation: Ist die Magie im einen Fall verloren, so im anderen zu vermeiden. Das Ziel der Wissenschaft und ihres Zeitalters ist unvereinbar mit dem als magisch qualifizienen Mythos. Es bleibt fraglich, ob eine solche Trennung tatsächlich praktikabel oder auch nur erstrebenswen ist. Fakt ist, daß sich die Moderne nie ganz jener Topoi und Modelle endedigt hat, die aw einer prärationalistischen Tradition stammen. Während eine mechanistische Wissenschaft und ein utilitaristisches Denken eifrig mit der vermeindichen Entzauberung der Welt befaßt waren, kleidete der Rationalismw dieses Projekt zugleich in Mythologeme und befestigte seine Wahrheiten mit dem Kitt einer narrativen Tradition, die sich weit eher auf das erzählende Won des mythos als das bestimmende und argumentativ begründende des logos berufen kann. I Ob es sich bei diesen mythologischen Formeln um weiße, wie Weber suggerien, oder doch eher um schwarze Magie handelt, wie es die DÜlklttilt tkr Auj/t/iirung nahelegt, wäre von Fall zu Fall zu entscheiden. Der Zauber, den sie transportieren, liegt jedoch nicht zuletzt in dem Versprechen, die Welt erzählbar zu machen - ein unwiderstehliches Versprechen, ob vor oder nach der Aufklärung. Ein Indiz für diesen Rekurs auf mythologische Elemente und narrative Strategien ist die erstaunliche Insistenz des Motivs "Unterwelt" in der Imagination der Moderne - obwohl man meinen sollte, daß diese kosmologisch wie mythologisch anachronistische Vorstellung längst im Untergrund des Vergessens verschwunden sei. Wenn die Unterwelt auch ihren konkreten On verloren hat, so doch nicht ihre Anziehungskraft. Erfolgreich hat sie die Übersiedelung in die Metaphorik vollzogen - so erfolgreich, daß sie von don aw die One wieder heimsucht, von denen sie einst awgctrieben wurde. I Seit Platons Prol4gortlS ist diese Unterscheidung in die Rede eingetragen. während zuvor. etwa bei Hcsiod. noch beidc Bezeichnungen. Iogos wie mythos. ohne klare Scheidung gebraucht wurden. Vgl. Karl Kcr~nyi. Was ist Mythologie? in: Im EriJffo""1 Ja Ztlfll"f} DmI Mythos. hg. v. Karl Kcr~nyi, Darrnstadt: WlSSCnschaftliche BuchgcscUschaft. 1989. S. 212-233. hier: S. 214 f.
DIE METAPHORISCHE WENDE
Das Schisma: Topos und Lokalität Die Austreibung der Unterwelt aus dem realen Raum beginnt mit dessen Expansion: als die geschlossenen Himmelssphären aufgebrochen und der Aussenraum ins Unendliche erweitert wird. Mit den astronomischen Erkenntnissen des 16. und 17. Jahrhunderts verliert das mythologisch-religiöse Weltbild, das die Weltanschauung seit der Antike bestimmt hatte, seine Verbindlichkeit. Nicht nur ein RaummodeU wird revolutioniert, wenn sich die Vorstellung eines unendlichen Raums und eines heliozentrischen Universums durchsetzt, sondern eine gesamte Kosmologie im Sinne von kosmos (griech. Ordnung) wird hiermit aus den Fugen gehoben. Das betrifft auch die Konzeption der Unterwelt, obwohl deren klassischer Ort, der Untergrund, zunächst empirisch ebenso unzugänglich bzw. zugänglich bleibt wie vor der kopernikanischen Wende - anders als die Himmelssphären, die dank der Entdeckung des Teleskops nun zumindest optisch erschließbar sind. Doch wenn sich der Erdinnenraum zunächst objektiv nicht verändert, erfährt der VorsteUungsraum, der mit ihm verbunden ist, eine entscheidende Verwandlung: Die Ablösung des ptolemäischen Kosmos läßt die Einheit von räumlichem und mythologisch-religiösem Konzept auseinanderbrechen in die konkrete Örtlichkeit ..Untergrund" und den metaphorischen Topos .. Unterwelt". Was bisher im Begriff der Unterwelt ebenso realer wie symbolischer Raum gewesen war, zerfallt nun in zwei getrennte Konzeptionen, von denen die ehemals übergreifende nur noch als topischer Tropus zu existieren scheint. 2 Ein bis dato symbolisch hochaufgeladener Ort, das Erdinnere, bleibt damit unbesetzt - die Vorstellung eines .. leeren" Untergrunds steigert sich bis zu dem Phantasma. daß die Erdkugel tatsächlich hohl sei. Vor allem aber ist es der Bedeutungsraum, der leer bleibt und dessen horror vacui es nun mit Projektionen und Spekulationen zu füllen gilt. Das Unterirdische avanciert in den folgenden Jahrhunderten zum Gegenstand einer wachsenden Faszination. scheinbar im gleichen Maße. in dem die Verbindlichkeit der Assoziation von Untergrund und Unterwelt schwindet. Dabei wird immer wieder versucht. die beiden Aspekte der ursprünglichen Konzeption. den Topos Unterwelt und die Lokalität Untergrund, wieder zur Deckung zu bringen. Dies gilt sowohl in der realen wie in der imaginären Topographie. in der Wissenschaft wie in der Literatur. Es war die vertikale Achse des Kosmos. die das ganze Mittelalter beherrschte: Mit dem symbolischen Raum einer weltlichen und himmlischen Hierarchie wur2 Dahcr auch dic Notwcndigkeit. in diesem Kapitel heidc Aspektc zu verfolgen. nicht nur das imaginärc Motiv dcr Untcrwdt sondcrn auch dcn konkrctcn On des Untcrgrundes zu thcmatisicren.
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de auch der reale gegliedert - durch die Kirch- und Geschlechtertürme der mittelalterlichen Städte, durch die Himmelssphären und Höllenkreise des chrisdichen Kosmos. 3 Diese vertikale Orientierung erfährt im Zeitalter der großen horizontalen Entdeckungen eine deudiche Modifizierung: 4 Die Aufmerksamkeit richtet sich mehr und mehr auf die unbekannten Reiche die s e r Welt, und in den epischen Unterweltreisen seit der Renaissance zeigt sich merklich der Einfluß von Abenteuergeschichten phantastischer Reisens - einem Typus von Erzählung. der mit den kontinentalen Entdeckungsfahrten einen Aufschwung erlebt. Die Säkularisierung. als deren Ausdruck sich diese horizontale Orientierung lesen läßt, greift mit der wissenschaftlichen Erforschung des Himmels auch auf die Vertikale über. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit keineswegs nur auf den einen Pol dieser Achse, die Himmelshöhe; auch die Tiefe wird zum Gegenstand wissenschaftlicher Spekulation. Das demonstriert einer der Protagonisten der kopernikanischen Wende, Galileo Galilei, anhand von außergewöhnlichem Grundlagenmaterial: 1587/88 hält der aufstrebende Gelehrte vor der Akademie in Florenz einen Vortrag über die "Vermessung der Hölle Dantes".6 Der Naturwissenschaftler Galilei will hier endlich fesdegen, wie die Hölle beschaffen ist: Mithilfe mathematischer Berechnungen und den Gesetzen der Geometrie entwirft er aufgrund der Angaben in Dantes Text die genaue Topographie des Inferno. Ein Produkt literarischer Kreation, ein Iocus infnnalis, wird damit zum Gegenstand der exakten Wissenschaft genommen:7 Erstens werden wir die Gestalt und Gesamtgröße der Hölle sowohl für sich genommen als auch im Vergleich zur ganzen Erde betrachten. Zweitens werden wir sehen, wo sie gelegen ist, nämlich unter der Erdoberfläche. Drittens werden wir sehen, in wieviel Ränge sie unteneilt ist, die sich untereinander • durch größere oder geringere Entfernung vom Erdmittelpunkt unterscheiden, welche 3 Siehe Aaron J. Gurjcwitsch, Das Wtubi/J dts mitttl4lurlichm MmscMn, München: C. H. Bcck 1989, S. 72 f. 4 Yi-Fu Tuan, Topophili4: A Stwiy o[ Environmml4l Ptretption, Attitruks, and ValutS, Englcwood aiRS (N. J.): Prenticc-Hall, 1974, S. 129 und 247 5 Etwa der anonym verfaßte Traktat Rt/ation d'u" voyagt du pok arctiqut au pok a,.,arctiqut pa' k cmlTt du monJt (1721), de Mouhys LarMlris, ou ks IIOJiIgtI txtr"ao,.a;1I4im d'un Egyptim daru /a tnTt intIM" (1735), Ludvig Holbcrgs Nico!ai Klims untni,discM Rtist (lateinisch 1741) oder Casanovas 1c000001ron, ou Histoirt d'E40ua,d tt d'Eliubtth '1u; PIISSIrm, '1uatrt-vingt-un ans chn
In MlgamiCrts IMbil4nts ttborigmn du Prot«tJSrM Uns l'i"tlMrt tie nolTt gIobt (1788). 6 Galilco Galilei, Vtrmtssu"g der Hölk Da"tn, in: ders., Sidtrtus Nu"ciw -Nachricht Stnnm, hg. v. Hans 8lumenbcrg. Frankfun a. M.: Insel, 1965, S. 231-250
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7 Dieses Unternehmen ist allerdings nicht ohne Vorläufer. Erönerungen dieser An waren in den
Dante-Kommentaren des 16. Jahrhundens durchaus verbreitet, und Galilei soU vor der Akademie einen Streit entscheiden, der sich über den unterschiedlichen Ergebnissen solch infcmalischer Vermessungen entzündet hatte. In seinen AusNhrungen folgt Galilei, vcrmudich zum Wohlgefallen seiner Aorenunischen Auftraggeber, ganz der Meinung und den Ergebnissen des Aorenunisehen Mathematikers und Architdtten Antonio Manctti. Zu den Vermessungen der Hölle Dantes siehe Henrik Engel, Dtr On der HanJ/ung: Das Inftmo i" l'aphischm Schtmlll4, in: [)antn GönlicM KomödU. [),wirt und Il1ustrationm llIIS stehs jahrhauuJmm, hg. v. Lutz S. Malice, 8crIin: Kunstbibliothek Staadiche Museen zu 8crlin, 2000, S. 243-272, v. a. S. 248 ff.
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SUBTERRA INCOGNffA: DIE UNTERWELT IM UNTERGRUND
dieser Ränge einfach. welche hingegen aus mehreren Kreisen oder Streifen zusammengesetzt sind und aus wie viden. Viertens werden wir die Abstände zwischen den einzelnen Rängen messen. Fünftens werden wir die Breite der einzelnen Ränge. Kreise und Streifen bestimmen. Sechstens schließlich werden wir. nachdem die vorgenannten wesendichen Dinge betrachtet wurden. in aller Kürze den Weg Dantes durch die Hölle beschreiben und dabei auf einige Einzelheiten hinweisen. die zum vollständigen Verständnis dieses Ortes von Nutzen sind. I
Aus der Perspektive der neuzeidichen Trennung von Wissenschaft und Kunst mutet dieses Unternehmen abstrus an: Zwei in der Modeme klar geschiedene Systeme werden hier in eins gesetzt. Galilei beschwön damit ein letztes Mal die mittelalterliche Nachbarschaft der mathematischen und der sprachlichen .. Künste" unter dem gemeinsamen Dach der ArkS lib"aks. Doch dieser Zusammenschluß geschieht im Namen einer Wissenschaft mit einem völlig neuen Selbstverständnis. In dem Vonrag wird die Unangemessenheit von Methode und Gegenstand offenbar: Er markien den Anfangspunkt für die Dissoziation des Ästhetischen und des Theoretischen. die in dem darauffolgenden Jahrhunden zur Neuformation des Diskursfeldes ..Wissenschaft" führen wird. 9 Es war damit eine Wendung vollzogen. so ungeheuer. daß man. wie im Drama. von einer Perifarie sprechen kann. Von nun an laufen die Wege der Naturwissenschaften und Künste beschleunigt auseinander. [... ] Neben der Welt des Unanschaulichen entsteht eine Parallelwelt des rein Ästhetischen. in die die Poesie sich mit all ihren Formen zurückzieht. himer den Spiegeln eint' 7.Weite. unwirkliche Realität. [... ] Der Blick hat sich verengt auf den Bereich des Quantiflzierbaren. er kehrt zurück in die Grenzen des faktischen WISSens. [... ] Galilei vermißt Dantes Hölle und bleibt an den Maßen hängen. Das Goldene Zeitalter der Reduktionen beginnt. 10
In eine Parallelwelt hinter den Spiegeln wird auch das vertrieben. was Galilei mit seinem .. bewaffneten Auge"1I noch zu erfassen vorgibt. Wenn er hier das mittelalterlich-ptolemäische Weltbild Dantes zu bestätigen scheint. so entpuppt sich dies. ebenso wie die Verbindung von Literatur und Wissenschaft. als Pyrrhus-Sieg. Tatsächlich markien der Vonrag den ersten Schritt in der Reversion eines ganzen Weltbildes. 1610 wird Galilei die klare Begrenztheit und anthropozentrische Verfassung des ptolemäisch-mittelalterlichen Universums dem Heliozentrismus und mathematisch unendlichen Raum des kopernikani-
8 Galilei, VtrmmlUJtMr Hölk Da"tn, S. 234 f. 9 Zur Neudefmition des öfTendichen Feldes der Wassenschaft und der damit verbundenen Definition der Literatur als das andere des wissenschaftlichen Diskurses siehe Natrlrt Tra1lSfiKUr~d: Seim« muJ Liln'tltrlrt. 1700 - 1900, cd. by John ChristiclSaily Shutdewonh, Manchester: Manchester U. P., 1989. Zum obigen Kontext siehe v.a. die Einleitung. S. 1-12 10 Durs Grünbein, Ga/iIn """'ißt Da"tn Hölk ruuJ b~;bt.n tim M.ßm hibtp, in: ders., Gali~i """'ißt Da"tn Hölk - AufoJtu 1989-1995, Frankfun a. M.: Suhrkamp, 1996, S.89-104. S.91 fT. 11 Ebd., S. 98
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schen Modells opfern. Wenn in diesem Weltbild kein Platz mehr vorgesehen sein wird für die letzte Sphäre des Empireums, den Sitz der Seligen und Manifestationsort Gottes, zeigten die Ausführungen vor der florentinischen Akademie bereits, wie die Gegenwelt des Paradieses, die Hölle, in einer Definition zum Verschwinden gebracht werden kann. Denn in dem Versuch, eine jenseitige Unterwelt mithilfe ganz und gar diesseitiger rationalistischer Kategorien zu vermessen, gewinnt Galilei nicht die Maße der Hölle Dantes; er gewinnt die eines Hohlkörpers, der von aller Signifikanz, allen Inhalten und Konnotationen entleert ist. Am tiefsten Punkt der Hölle wird ihm Satan selbst zur bloßen Maßeinheit: »Wenn wir also wissen, wie groß Luzifer ist, dann haben wir auch die Entfernung vom Nabel zur Mitte der Brust und folglich den Halbmesser des kleineren Kreises."12 Es wird sich herausstellen, daß er 500 Ellen beträgt _u einer mehrstufigen Berechnung folgend, die unter anderem die Größe eines Riesen im Verhältnis zum steinernen Pinienzapfen des Petersdoms bestimmt. Galilei nimmt Dante beim Wort, und nur indem er jeden übertragenen Sinn ausschaltet, kann er selbst die Worte in Zahlen übertragen - indem er Dantes Vergleich des Gesichts Nimrods mit dem Pinienzapfen von Sankt Peter als objektiven Größenvergleich annimmt. Die Dimension der figurativen Bedeutung, der vielschichtige smsus spiritualis, wie ihn das Mittelalter kultivierte, ist nicht mehr von Belang - ebensowenig wie der genuine /ocus der Bedeutung selbst, das göttliche Jenseits. 14 Damit wird die Unterwelt unvermeidlich der imaginären und transzendenten Qualitäten eines Jenseits entkleidet und all ihrer höllischen Inhalte entleert, ihrer Monster, Teufel und Seelen. Mit Galileis Vortrag wird ein Ort mit allegorischen Dimensionen zu einem Hohlraum mit mathematisch präzise bestimmten Ausmaßen. Von dieser Vermessung eines literarischen /ocus ist es nur noch ein Schritt zu der Feststellung, daß dort unten gar keine Hölle ist, die sich vermessen ließe und eine andere, dem geometrischen Maßstab entzogene, erst recht nicht. Zumal diese sub~a incognita auf Dauer nicht unzugänglich und unentdeckt bleiben sollte - das Innere der Erde wird in den nächsten Jahrhunderten von einem Gegenstand der Spekulation zu einem der Empirie werden.
12 Galilei. Vmnmung Jn Hölk [)anus. S. 244 13 Ebd .• S. 246 14 Im allegorischen Kosmos har die Bedeurung als uanszcndenle Karegorie ihren wahren "On- im Jenseits. Denn in lettter Konsequenz isr jede Bedeurung idenrisch mir Gou. dem absoluren Signifalcar ...Omnis nauU2 Deum loquirur (Die ganze Narur sprichr von Gou). sagr Hugo von Sr. Viluor. Wenn die Wone Zeichen sind für die Dinge. dann sind diese Dinge wiederum nichts anderes als Zeichen Goues. signum Dn. Vgl. Friedrich Ohly. Vom g~istigm Sinn Wortes im Mitul4JJn. in: den.• Schriftm zu, mitul4Un1ichm &tInm4ngsfonclnmg. Dannstadr: WISSenschaftliche Buchgesellschaft. 19n. S. 1-31 M
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Bergwerke des Wissens I: Die Mine der Naturerkenntnis und das Bergwerk der Seele Empirismus und Romantik Noch vor seiner tatsächlichen wissenschaftlichen Erschließung rückt das Erdinnere zu einem zentralen locus in der metaphorischen Topographie auf. Wie Rosalind Williams in ihrer material reichen Studie Nota on th~ Undnground bemerkt, kommt der Metaphorik der Tiefe in der neuzeitlichen Wahrheitssuche ein entscheidender Stellenwen zu: "Excavation was seen as a modern version of me mythological quest to find trum in me hidden regions of me underworld. As a result, excavation became me central metaphor for intellectual inquiry in me modern age. "IS Die kopernikanische Revolution und die neuen empirischen Wissenschaften haben nicht zuletzt kosmische Kräfte in tcllurische - die der Masse und ihrer Gravitation - verwandelt. 16 Wenn die Erde auch nicht mehr der Mittelpunkt des Universums ist, so ist sie zugleich der elementare Gegenstand einer immanentistischen Anschauung und der Inbegriff empirischer Solidität. Als Objekt scheint sie wissenschaftlicher Empirie und winschaftlichem Utilitarismus unmittelbar verfügbar. Und doch ist auch hier noch schemenhaft der mythologische locus in der rationalistisch bereinigten Tiefendimension sichtbar. Das belegt nicht zuletzt einer der "Väter" der neuzeidichen Wissenschaft, Francis Bacon, der als Vordenker des utilitaristischen Natur- und Weltbildes gilt, das die mentale und kulturelle Voraussetzung der Industrialisierung bildet. Im Werk Bacons ist das Graben im Untergrund eine zentrale Metapher für die intellektuelle Wahrheitssuche und die Erforschung der Natur. Blumenberg bezeichnet sie als Bacons "Lcbensformel", welche dieser bereits 1591 in einem Brief an den Lord T rcasurer Burghlcy formulierte: "a true pioneer in mat mine of trum, which lay so deep":7 Der Forscher muß laut Bacon "funher and funher into me mine of natural knowledgc" um in diesen metaphorischen Tiefen die entsprechende "depm of speculation" zu gewinnen: 8 Bacons Empirismus nimmt hier eine radikale Verkehrung der Weneskala vor: Der Untergrund ist nicht mehr der On der täuschenden Schatten wie im platonischen Hählengleichnis, sondern der On, an dem eine Wahrheit gesucht wird, die eine verstockte Natur verbirgt:9 15 Rosalind Williams. NOkS on th~ Uruk'f"OU"" - An Ess4y on T~(hnoloo. s«üty. anti t~ ImAgination. Cambridge (Mass.)/London: MIT Press. 1990. S. 23. Das vorliegende Kapitel verdankt Walliams Studie wcrtVoUe Belegstdien und Argumentationsgrundlagen. 16 Victoria Nelson. Symmn' Hok. Or w South Pol4r RomA1ICt. in: Rllritan 17:2 (1997). S. 136-166. hier: S. 138 17 Siehe Hans Blumenbcrg. HöhlnwlUgiingr. Frankfun a. M.: Suhrkamp. 1989. S. 293 18 Francis Bacon. Works. ed. by James Spcdding. Roben Lcslie Ellis. Douglas Denon Hcarn. vol. 3. Stuttgan: Frommann/Holzboog. 1963. S. 219 und vol. 4. 1%2. S. 287 19 ..Die Erkenntnis bietet sich nicht von selbst an. wenn man nur den Platz der günstigsten 8clcuchrung aufsucht und don Geduld hat. alles auf sich zukommen zu lassen; die Mehrheit der Metaphern stellt den Ertrag der Erkenntnis als in der Tiefe der Erde. in Schächten und Höhlen
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Damit beruft sich die neue Wissenschaft der mos geomnricus auf eine andere als die idealistisch-platonische Traditionslinie: "It was well said bt Democritus. "That me truth of nature lies hid in certain deep mines and caves." 0 Es ist auch die Tiefendimension. durch die sich die spekulative Naturphilosphie von der operativen unterscheidet: "Why therefore should we not divide Natural Philosphy into two parts. the mine and the furnace. and make two professions or occupations of natural philosophers. some to be miners and some to be smiths?"21 In der allegorischen Figur des Vulcanus verbinden sich beide Aspekte der Baconschen Epistemologie in einem Repräsentanten der Tiefe - im Interesse sowohl der Spekulation wie der angewandten Wissenschaften lautet der Ra~ "foresaking Minerva and the Muses as barren virgins. to rdy upon Vulcan". Nicht zufällig ist der mythologische Garant Bacons ein tatkräftiger Handwerker: Seine Wahrheitssuche in der Tiefe ist kein ehrfürchtiger Abstieg zu einer sakralen Stätte. wie sie sich noch in der alchemistischen Tradition der Neuzeit findet. sondern der Prototyp des utilitaristischen Weltverständnisses - der Dienstbarmachung und Ausbeutung der Natur. In den künstlich vorangetriebenen Stollen der neuzeitlichen Metaphorik werden der Natur ihre Schätze. die Erkenntnisse. gewaltsam entrissen.2j Mit einer ähnlichen Gewaltsamkeit läuft jedoch auch die Bildung der Erkenntnisobjekte in der Natur selbst ab. und auch diese imaginiert Bacon als ein Geschehen. das in der Unterwelt vonstatten geht: Die Entführung und Vergewaltigung der Proserpina durch Hades dient ihm als mythologische Parabel für die Verbindung von Geist und Materie. 24 Diesmal ist es nicht der Geist (des Forschers). der den Dingen Gewalt antut. damit sie ihre "Natur" verraten. sondern die Materie. die sich den Geist naturgemäß nicht anders als gewaltsam aneignen kann. Der Untergrund aber ist der Schauplatz sowohl des epistemologischen wie auch des allegorisch-ontologischen Szenarios. Hier wird deutlich. daß Bacon. obgleich er mit seinem Utilitarismus ganz im Zeichen der neuen Zeit steht. mit seiner aggressiven Metaphorik der Tiefe durchaus an vorneuzeitliche überlieferung anknüpfen kann. Auch wenn seine gewalttätigen Phantasmen von Naturbeherrschung als die radikalen Vorboten des
verborgenes Material dar: Blumenbcrg. HöhlnuzllSliJ"gr. S. 293. Siehe auch Williams. Norn tIN UruJnrroUNi. S. 26 20 Francis Bacon. Wo,.ios. vol. 4. S. 343
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21 Ebd.• S. 294 22 Ebd.. S.287. Die Mcta1Iurgcn (Schmiede wie Bergleute) haben traditionell eine enge Verbindung zum chthonischen Untergrund. Vgl. Mircca E1iadc, &hmitM UNi Alrhi",istm. Stungan: Klctt-Cotta. 1980. bcs. S. 62 f. u. 111 f. 23 Ein wiederkehrendes Bild in Bacons epistemologischer Metaphorik ist das der Entblößung und Vergewaltigung einer (weiblichen) Natur - nicht nur die .bowels-. sondern .the womb of nature ist zu erkunden: .Neither ought a man to makc scruple of entering and pcnctrating into thesc holes and corners. when the inquisition of uuth is his whole object Francis Bacon. WoP'h. vol. 4. S. 296 24 Siehe Paolo Rossi. FWIMis &CO" - F""" MIIF 10 Scinra. Chicago (IU.): Univcrsity of
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aufklärerischen Rationalismus und des rücksichtsloscn Effizienzprimats der Industrialisierung gelten dürfen, sind doch scine Bilder einer unterirdischen Usurpation der Natur noch der Nachschein der religiös-mythologischen Tradition, welche er zu überwinden antritt. Die gewaltsamc Eroberung dcr UntclWelt, dic Schändung ihres (weiblichen) Souvcräns und Aneignung ihrer Macht - das ist ein bekanntes Modell des tkscmsus. Denn die Erdc war bis zw wissenschaftlichen Wendc dcr Ncuzeit keineswegs nur "a kindly benmcent female who provided for the needs of mankind in an ordered, planned universc", wic Rosalind Williams mit Carolync Merchant zu glauben scheint. 2s Zu diesem, im übrigen selbst äußerst ambivalenten Bild der g~ kam das einer chthonischen Welt hinzu, die weit eher mit einer feindlichcn, totcn Tiefc assoziien wurde, als mit einer mütterlich-fruchtbaren Erde. 26 Bacon greifr in sciner Metaphorik auf beide Aspekte zurück, um sie dann in ein empiristisch-anthropozentrisches Weltbild einzu.fiigen. Dabei kchn er die metaphorischcn Koordinaten des bisherigen philosophischen Diskurses radikal um: Er läßt nicht mehr dcn Denker nach den Sternen greifen, sondern schickt ihn als Forscher in das Bergwerk, in dem bisher nur Arbeiter und Sklaven schufteten. Dic Erkenntnisarbeit als Bergbau in dcn Minen der Wahrheitstiefe - dieses Bild findet sich 200 Jahre nach Bacon bei eincm Autor, der sich keineswegs einem rationalistisch unterfüttenen Empirismus verschrieben hat: 1810, zur Inauguration der Berliner Humboldt-Universität, verfaßt Clemens Brcntano die Kantate Univn-sitati Litt"aTÜu, in welchcr der Chor der Studenten die neugegründete Wissenschaftsinstitution mit den Wonen besingt: Glück auf, Glück auf! Viktoria! Es ist im Vaterlande Ein Musenberg voll Gloria Mit Gottes Gunst entstanden. [ ... ] Glück auf, Glück auf! Die Hoffnung lacht, Seid rüstig ihr Gesellen, Geöffnet ist ein neuer Schacht, Wir wollen ihn bestellen. [ ... ] Glück auf, Glück auf! Wir fahren ein Nach edelem Gesteine, Ein jeder soll gewärtig sein, Daß er es redlich meine. 27
In den Minenschacht der Erkenntnis fahren also auch die neuen Generationen von Gelehnen ein - jedoch statt "in thc mine of natural knowlcdgc" in den glor25 Merchant.lH4th ofNilnur. S. 2 zilien in Williams. NOIn 0" tIN UrrJnr:rourrJ. S. 24 26 Zu der Unterscheidung gr und chtho" siehe James Hillmann, Am Anfo"g Wtlr JAS Bi/tl: U1IStrt TriJllrM - Brikl« Jn S«k UI Jn. Mythm. München: Kösd. 1983. S. 38 fT. 27 Oemens Brcntano. Wn-k,.. hg. v. Wolfgang Frühwald u. a.. Bd. I, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesdl.schaft. 1968. S. 218-229. hier: S. 223 f.
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reichen Musenberg. Hier versucht die Romantik ein Wissenschaftsideal wiederzuerrichten, bei dem Natur und Geist auch in den wissenschaftlichen Disziplinen nicht mehr zu trennen sind - und sie tut dies im Namen der Kunst: im Berg der Musen - derselben Musen, die Bacon als unfruchtbare Jungfern erscheinen. Brentano, selbst ein Semester lang Student des Bergbauwesens in Bonn, teilt mit der gesamten deutschen Romantik die Faszination und Begeisterung für das Bergwerk. 28 Aber es ist dies ein anderes als die Mine des methodologischen Empirismus a la Bacon, und auch ein anderes als die meisten Bergwerke der Zeit außerhalb Deutschlands. Die obsessive Insistenz des Bergwerk-Motivs ist eine Eigenheit der Romantik deutscher Provenienz29 und läßt sich nicht zuletzt aus der verspäteten Industrialisierung Deutschlands erklären - die Minen der Romantiker sind die Erz- und Mineralminen, die den deutschen Bergbau seit dem Mittelalter prägten und in ihren gesellschaftlichen wie ökonomischen Strukturen noch der vorindustriellen Phase angehören. 30 Noch 1848/49 wird den deutschen Bergarbeitern nachgesagt, daß sie, anders als das neue Industrie-Proletariat, das nur mit einem Fluch an die Arbeit ginge, mit einem Gebet auf den Lippen in den Schacht einführen'· - in den deutschen Bergwerken hat sich noch nicht das utilitaristische Weltbild durchgesetzt, welches Industrialisierung als optimale Nutzung der Ressourcen - des Untergrundes wie der Arbeitskraft - sanktioniert. Die harmonische Verbindung von Dichter und Bergbauingenieur in derselben Person, wie sie sich in der Biographie zahlreicher romantischer Autoren findet, ist unter der Bedingung möglich, daß Technik nicht allein unter ökonomischem Gesichtspunkt, sondern auch noch als uchne, Kunst, wahrgenommen wird. Der Besuch eines Bergwerks gehört zu dieser Zeit zu den einschlägigen Stationen der Bildungsreise eines deutschen Studenten,'2 und er wird mit einem Abstieg gleichgesetzt, wie er aus einer anderen "Bildungsreise" bekannt ist: der katdbasis, dem Abstieg in die Unterwelt, der einen festen Bestandteil in der "Formation" des epischen Helden bildet." Der Rationalismus der Aufklärung scheint in die Bergwerke der deutschen Romantik nie Einzug gehalten zu habent sie sind eine (Unter-)Welt, die der Weberschen Entzauberung (noch) ent28 Zu dem Motiv und der Institution des Bergwerks in der Epoche der Romantik siehe Thcodore Ziolkowski. Gn'mIln Romanticism anti lts Institutions. Princcton (N. J.): Princcton U. P.• 1990. Kap. 2. S. 18-63 29 Ebd.• S. 23 fT. 30 Laut Klaus Tenfdde hidten erst in der Mine des 19. Jahrhundens marktkapitalistische Produktions- und Beschäftigungsverhältnisse in den deutschen und österreichischen Bergbau Einzug. der bis dahin von staatlichen Bergbehörden kontrollien und mit besonderen Privilegien ausgestanet war. Siehe Klaus Tenfdde. Das JJnrwn*. in: ~ Jn Alltafl. MinialJ4rm aus Jn n4ropäischm Kuüurgnchichu. hg. v. Hcinz-Gerhardt Haupt. München: C. H. 8eck. 1994. S. 21-34. hier: S. 24 f. 31 Ebd .• S. 25 32 Ziolkowski. Gn'mIln Romanticism. S. 21 33 Der Bergwerksbesuch als Unterwdtreise findet sich z. B. in einer Tagebuch-Aufzeichnung EichendorfTs (13. 9. 1805) oder in Novalis' Hnnrich von Ofordingrn. 34 Ziolkowski weist jedoch darauf hin. daß das Bergwerk nach seiner anfanglichen Spiritualisierung im Verlauf der romantischen Epoche zunehmend dämonisim wird. worin sich bereits die Indu-
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gangen ist, wie die Wone eines anderen, im Bergwerkswcscn bcwandenen Romantikers belegen: "ungestön enönt der Berge uralt Zauberwon: "Glück aufl." ..3S Es ist eine Wendung in die Innerlichkeit, die die Romantik in ihrem Bergwerkstopos vollzieht. "Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt - in eine tiefe Gruft versenkt wüst und einsam ist ihre Stelle. ,,36 So der radikalste Vertreter der romantischen Introversion, Novalis, späterer Berwerksinspektor des Königreichs Sachsen. Die Kritik der Romantiker richtet sich auf Verhältnisse, die dem Inneren von Seele und Bergwerk äußerlich sind. Daß das Innen, des Ich wie des Bergwerks, selbst Schauplatz oder sogar Ursprung dicscr Verhältnisse sein könnte, schlägt sich, wie wir später sehen werden, auch in der romantischen Bildlichkeit nieder, jedoch entgegen der erklänen Intention. Demgegenüber läßt die aggressive Tiefenmetaphorik Bacons, die von Unterwerfung, Nötigung und Ausbeutung spricht, die Umwälzungen, die zu seiner Zeit und in den darauffolgenden Jahrhundenen im realen Raum wie in der symbolischen Topographie vor sich gehen, in hellerem Licht hervortreten. Die Wahrheit, die nicht aus der Höhe empfangen. sondern eigenmächtig und notfalls gewaltsam in der Tiefe gesucht wird - der epistemologischen Metapher folgt die industrielle Erschließung des Untergrunds auf dem Fuß.
strialisierung des deutschen Bergbaus ankündigt. dessen Bild sich ab 1825 nachhaltig verändert. Ziolkowski. G""",n Rom4nticism. S. 57 35 Thcodor Körner. &rgmannskbm (1810). in: Kiimn'l Wtrkt'. hg. v. Hans Zimmer. Bd. 1. LcipziglWien: Bibliographisches Institut. o. J•• S. 7-9 36 Novalis, Hymnm .n tÜI NMht (l). in: den.. Schri{tm. hg. v. Paul K1uckhohnlRichard Sarnucl. Bd. 1. Stungan: Kohlhammer. 1960. S. 130-157. hier: S. 131
UNTERWELTEN DER INDUSTRIALISIERUNG
Pandaemonium: Industrie und Hölle Der Ursprung der Industrialisierung liegt im Untergrund - im faktischen, aber auch im imaginären. Aufgrund dieser realen wie symbolischen Verorrung kann die Industrie von dem metaphorischen Potential der Unterwdt zehren. Dies soU in den beiden folgenden Unterkapiteln näher erläutert werden, zunächst mit Blick auf die Kritik an der Industrialisierung, die sich der moralischen Implikation der HöUenvorsteUung bedient, des Weiteren im Hinblick auf die Kategorie des Erhabenen, durch wdche die Industrialisierung wie auch die Unterwdt dem ästhetischen Diskurs erst zugänglich werden. Der Bergbau hat eine ;ahrtausendealte Geschichte, doch gewinnt er entscheidende Bedeutung in und für die industrielle Revolution, vor allem in deren erster Phase. "Ohne Bergbau keine industriellen Rohstoffe, keine Massenproduktion und, in einer bestimmten Phase der Industrialisierung, keine Energie."'7 Erz und Kohle waren die grundlegenden Materialien und EnergiequeUen der frühen Industrialisierung, und die Dampfmaschine wurde erfunden, um das Grundwasser aus den Gruben zu pumpen und die Loren zu ziehen." Für den Kulturhistoriker Lcwis Mumford ist das Bergwerk das Sinnbild der künstlichen Welt des Maschinenzeitalters. Das düstere Reich anorganischer Materie und abstrakter Formen, in das die Mine führt, ist in seiner Sicht Paradigma für das Welt- und Naturverständnis seit dem 17. Jahrhundert: Es ist eine leblose. asymbolische Natur, die ausschließlich unter dem Gesichtspunkt eines absuakten materiellen Nuaens betrachtet wird. Der Begriff der ..Ausbeutung" einer Mine benennt das Grundmuster des indUstriellen Kapitalismus." Trotz der fragwürdigen Opposition von Natur und Kultur, die Mumford aufmacht, arbeitet seine kulturkonservative Reduktion einen zentralen Punkt heraus. Tatsächlich scheint die Unterwelt als sakraler Bereich im 18.119. Jahrhundert endgültig aus dem Untergrund vertrieben. Wenn in der vorindustriellen Auffassung das Eindringen in die Erde ein Sakrileg dameUte, das noch im Mittelalter mit dementsprechenden rituellen Vorkehrungen aufgef.mgen werden mußte,40 sind die Vorstöße ins
37 Tenfelde. v.s /JnpIm. S. 21
38 Walliams, Nom 0" tIN U1fIinrroIlNi. S. 55 Ci";!islltio". Ncw York: Harcoun. Brac:c and Comp .• 1934. S. 70 Er. 40 Hanmut und Gernot Böhme. v.s ANinr Mr Vmrllllft -Z",. E"twicltlM", fJ01I RAtioNllitillSsln4/tlr4rm 11m Bnspül KA"a. Frankfun a. M.: Suhrlwnp. 1983. S. 32 f. 39 Lcwis Mwnford. T«h"ia
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Innere der Erde in der Neuzeit ein profanes Unternehmen um des Profits willen oder - und dies erst deudich später - eine wissenschaftliche Expedition. Dennoch, dies zeigte bereits Bacon, schließen sie an die mythologische Tradition der Unterweltreise an, indem sie sich der unterweldichen Metaphorik bedienen. Die Indifferenz und symbolische Leere, die dem Untergrund als Gegenstand wissenschaftlicher Empirie und winschaftlicher Ausbeutung eignen, sind selbst keineswegs "gleichgültig"; sie erzeugen eine Spielan des horror vacui, wie er Pascal vor der unendlichen, gähnenden Leere des Weltraums erfaßt41 - in diesem Fall der Horror eines Bcdeurungsvakuums, das sich an einem Ort auftut, dessen räumliche Grenzen inzwischen exakt bestimmbar geworden sind. Es gilt, diese Leere zu besetzen und die Kluft, die sich zwischen dem realen Ort und der imaginären Topographie aufgetan hat, wieder zu schließen. Indem sich die Vorstöße in den Untergrund mit den Requisiten der Itatdbasis dekorieren, panizipieren sie an der Bedeutsarnkeit und Prägnanz, die Hans Blumenberg als genuine Qualitäten des Mythos bestimmt. 42 Die säkuläre und rationalistische Moderne selbst schafft sich in ihrem Rekurs auf das Mythologem der Unterwelt einen symbolischen Ort, der nicht nur auf der metaphorischen Ebene angesiedelt ist, sondern teilweise mit dem empirisch erschlossenen und industriell nutzbaren Untergrund zusammenfällt. Dabei kleidet sich ebenso die Kritik an der Industrialisierung in unterirdische Metaphern wie ihre Propaganda. Der Vergleich von Industrie und Hölle ist in Beschreibungen des 18. Jahrhunderts weit verbreitet, und er hat seinen Ursprung nicht nur in den oft höllischen Arbeitsbedingungen, sondern auch in der faktischen "Unterwelt" -Industrie des Bergwerks. Bereits 1660 koppelt Milton in ParlUÜs~ Lost die ersten "unteriIdischen" Anzeichen der Industrialisierung mit der Hölle. Wenn bei Bacon der Naturphilosoph nach dem Ideal des Bergmanns und des Schmieds entworfen wird, so werden bei Milton genau diese Arbeiten verdammt: "Men [... ] I Ransack'd the Center, and with impious bands I Rifl'd the bowels of their mother Earth I For T rcasures better hid. "~3 Milton verwendet ein Argument und eine Metaphorik, die seit der Antike gegen den Bergbau angefühn werden,44 wobei die chrisdiche Höllenvorstellung eine neue Stoßrichtung vorgibt. Die Arhciten im Innern der Erde sind nicht nur eine pietätslose Handlung. die altehrwürdige Gesetze bricht und damit das natürliche Gleich-
41 Vgl. Jorge Luis Borges. La Esfnw dr PlIKtll, in: OtrtlS l"'l"isicUJnes. Buenos Aires: Emcce Ed .• 1960. S. 13-17. hier: S. 17 42 Vgl. Hans Blumenbcrg. ArMt tim Mythos, Frankfun a. M.: Suhrlwnp. 1979. S. 77 Er. 43 John Milton. PtI~ Lost. I. Buch. 685 Er. TIN Works o/lolm MiUo". vol. H. Ncw York: Columbia University Press, 1931 44 So in den Mnllmorphosm Ovids: ,.scd itwn est in viscera terrac: quasquc rccondiderat Stygiisque admoverat umbris. dTodiuntur opes. inriwnenta malorum." [Man drang in der Erde Gcweidc. Schäac, die tief sie versteckt und den stygischen Schatten genähert, grub man hervor - dem Schlechten zum Anreiz] O. 137 Er.). Weitere BclcgstcUen siehe Carolyn Merchant, Mi"i", tht &nhi Womb. in: MIlChi"" Ex lka - Fmri"ist PnJfI«tivn 0" T«Imo"'o, cd. by Joan Rothschild. Ncw York u. a.: Pergamon Press. 1983. S. 99-117
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gewicht getahrdet. es sind die ureigensten Tätigkeiten des Teufels. 4s Es ist die "indWitrious crew" der gefallenen Engel. die als erste m der Tiefe der Hölle nach Metallen gräbt. schmilzt und schmiedet und eine höllische Stadt für Satan erbaut: Pandaemonium. Miltons ParaJis~ Lost entwirft dabei eine Szenerie, die zumindest in England die Matrix abgeben wird für alle weiteren Verknüpfungen von Industrie und Hölle. "Pandaemonium" ist das Stichwon, mit dem zahlreiche Schilderungen des 18. und 19. Jahrhundens die neue industrielle Szenerie zu fassen suchen.46 So beschreibt ein Reisender 1813 Englands "Black Country" um Birmingham als "a son of pandemonium on eanh [... ]. The eye could not descry . h uman or di· [] ... anyth mg vme. ,,47 Die konkreten Erscheinungen der frühen Industrialisierung trUgen das ihre zu diesem Vergleich bei: Die schwarzen Schächte der Gruben, die züngelnden Flammen unter einem rauchverdunkelten Himmel, die verhecne Landschaft im Umkreis einer Mine. In William Blakes epischem Gedicht Milton (1804-08) sind die "Starry Mills of Satan [...] [,] built beneam me Eanh & Waters of me Mundane Shdl"'" nicht nur das Werkzeug einer allegorischen Ernte des Lebens, sondern auch die Öfen und Hüttenwerke der Industrie (engl. "mills"), die Tag und Nacht nicht stillstehen: ,,0 Satan, my youngest horn. an mou not Prince of me Starry Hosts and of me Wheels ofHeaven. to turn me mills day & night? [...] To Monals my Mills seem every thing".49 Selbst bei den deutschen Romantikern finden sich, aller Bergwerkseuphorie zum Trotz, solche Beobachtungen: ,,[D]ie kahlen Halden, zwischen welchen, einsam und still. ermüdete Bergleute in ihrer schmutzigen, abgetragenen, schwarzen Tracht herumschlichen, ließen mich den Eingang zum T anarus erblicken", heißt es in einer Novelle Henrich Steffens' über die berühmten Bergwerke Freibergs in Böhmen. so "Die Glum in den Schmelzhöfen [... ] brannte mir wie aus der Hölle", erzählt der Protagonist von seiner Besichtigung einer der önlichen Hütten, und 45 Mit dem umgekehnen. aus der antiken Tradition gespeisten Argument klagt cin anonymes Traktat aus dem 15. Jahrhunden den Bergbau an: Judicium Jovis in valle amitatis habirum ad quom mortalis homo a terra tractus propter montifodinas in monte Nivco aliisque multis pcrfectas ac demum parricidii accusarus." Hier produzien der Bergbau einen Konflikt mit den Mächten der Unterwelt: Nicht nur Bacchus und führen die Klage des Parrizids - der Mutter Erde - gegen den Bergmann. auch Pluto fühn an. daß er ob des donnernden Lärms der Hammerschläge kaum mehr in seinem eigenen Reich weilen könnte. und Ow-on klagt. daß durch das Abpumpen des Grundwassers der Acberon nicht mehr schiflbar sei und die Seelen nicht mehr in die Unterwelt übcrgcsctzt werden könnten. Siehe die Darstellung in Frank Dawson Adams. TIN Birth IInJ Dnelopmmt 0/ tIN GnllDgiu/ Seim«. London: Bailli~re. Tindall & Cox. 1938. S. 171 ff. 46 Siehe auch Humphrcy Jcnnings. PII"J.tn"'I1Iium 1660 - 1886. TIN (Ami"l oftIN M«hiM IIS 5«n by (A"tnnporllry Ob«rum. London: Andr~ Deutsch. 1985. S. 171.311 47 John Britton zitien in Francis D. Klingender. Art IInJ tIN InJlIStri4J RnolMtion. rcv. and cd. by Anhur Elton. Ncw York: August M. Kdlcy. 1968 (1947). S. 104 48 William Blake. Mi!ton. in: dcrs. Complm Writi"fS. cd. by Gcoffrcy Kcynes. Oxford u. a.: Oxford U. P.• 1972. S. 480-535. S. 483. Book I. 4. 3/4 49 Ebd.. Book 1.4.9-12 50 Henrich Stcffens. ~ uin- NOrr«g". in: ders .• NflWlIm - GtsllmrMlu AlISlak. Bd. VIII. Brcslau: JosefMar und Komp. 1837. S. 26
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SUBTERRA INCOGNITA: DIE UNTERWELT IM UNTERGRUND
in die Stollen selbst gefühn, vermag er "kaum zu begreifen, wie Du [der befreundete Bergwerksingenieur] , aus dieser Hölle Dich losreißend, mich in den Himmel der Kunst begleiten könntest" .SI Kunst und Technik, Natur und Maschine - über den Gegensatz Himmel und Hölle werden diese Begriffe als Antipoden organisien und, als kosmologische Positionen, in ein Weltbild mit moralischen Dimensionen integrierbar. Wenn es in einer anderen englischen Reisebeschreibung aus dem 19. Jahrhunden heißt, die Kohlewaggons würden unter unirdischen Seufzern und Klagen wie von Geistern vorangetrieben, so sind dies eindeutig keine guten Geister, sondern verdammte Seelen und aufsässige Dämonen: Der Beobachter fühlt sich in dieser Maschinenwelt wie im infernalischen Reich der gefallenen Engel - wäre da nicht der Ruf einer Natur, die sich noch im Stand der Unschuld zu befinden scheint: Amid all thesc uncouth sounds and sights, the voice of the cuckoo and the corncrake came at intervals to assure me that I was still on the actual eacth, and in the hean of spring, and not conjurcd into some land of insane wheels and machinery possessed by riotous spirits. s2
Die Industrialisierung verschlingt eine ländliche Idylle, die erst in dieser Konfrontation als solche empfunden wird. 53 Im Zeitalter der Empfindsamkeit wird so der Verlust des irdischen Paradieses in einer säkularen Version nacherlebt - und spinnt sich gleich seinen neuen, eklektischen Mythos: ,,0, violated Colebrook! [... ] The Genius of my shades, by Plutus brib'd [... ] slumbers! - while tribes fuliginous invade me soft romantic consecrated scenes".S4 Das malerische Colebrook wurde zu einer der frühesten Industrielandschaften -- ein englisches Arkadien (,the destined rival of Tempean vales'), das durch die gewaltsame und listiRe Usurpation des industriellen Höllenfürsten in ,a gloomy Erebus' verwandelt ist. Nicht nur der industrielle Untergrund, sondern die gesamte Industrialisierung und ihre Folgen, werden vor der mythologischen Folie rezipien: Die erste Großstadt der Industrialisierung, London, wird von Karl Rosenkranz als Hades, von Richard Wagner als Inferno gekennzeichent;S6 Marx schreibt bezüglich der Arbeitsverhältnisse in einer Zündholzmanufaktur: "Dante würde in dieser Manufaktur seine grausamsten Höllenphantasien übenroffen finden. "S7 51 Ebd.• S. 27 52 Zitien in Klingender. Art and tht Industri41 Rtvolution. S. 127 53 Als Kronzeugen dieses Prozesses in seiner ganzen kulnugeschichdichen Tragweite z.irieren Hartmut und Gernot Böhme Schiller: "Sie (die alten Griechen) empfanden natürlich. wir empfinden das Natürliche." Schiller formulien damit. daß die Natur gerade erst auf dem Hintergrunde ihres Verlustes entdeckt wurde. (... ) Die moderne Beziehung zur Natur ist durch die Trennung von der Natur konstiruien. Diese Trennung. die Auflösung des unmittelbaren Zusammenhanges mit der Natur. macht die Herrschaft über die Natur möglich und ist zugleich der Ursprung ihrer empfindsamen Entdeckung." DIJS Antinr t1n Vmumft. S. 30 54 Anna Seward z.itien in Klingender. Art and tJx IndustrUtl Rtvolution. S. 91 55 Ebd. 56 Vgl. Werner Hofmann. IRr Tod t1n Gönn. in: lDhn Flaxm4nn - MytholDtP und Industrie. Hg.: Werner Hofmann. München: Prestd. 1979. S. 20-30. hier: S. 24 57 KarI Manc. Das !Vzpitlll, I. Bd. Berlin: Diea.. 1987. S. 261
UNTERWELTIN DER INDUSTRlAUSIERUNG
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Aber die Verbindung von U ntelWelt und industriellem Untergrund wird nicht raur in dei Kritik der Industrialisierung benutzt. Sie fiihn auch zur suggestiven Affirmation des unaufhaltsamen technischen Fonschritts - mithilfe der Kategorie des Erhabenen. S8
Infernalische Ästhetik Bereits in der kritischen Darstellung der Industrie als Hölle wird dem Phänomen mit der moralischen auch eine kosmologische Dimension zugesprochen. In dieser Perspektive erscheinen Industrie und Technik als übermächtige Gewalt und als naturhaft Gegebenes. Die suggestive Macht dieser mythischen Projektion liegt durchaus auch im Interesse der Propaganda der Industrialisierung: Es gilt nur, die kosmologische "Vergrößerung" über ein anderes Medium als das der Moral zu erreichen, qua derer die Industrie durch ihre Kritiker diffamien wird. Als dieses Medium bietet sich die Ästhetik an, deren Diskurs im 18. Jahrhunden florien. Das Zeitalter findet einen ästhetischen Begriff, der die Mimerfunktion zwischen dem zeitgenössischen Phänomen der Industrialisierung und der mythischen Vorstellung der UntelWelt erfüllt: Es ist das Erhabene. Daß die Ästhetik der UntelWelt sich in der Kategorie des Erhabenen fassen läßt, legt ihre Ambivalenz von unüberwindbarer Gewalt und düsterer Schönheit, ihre Wechselwirkung von Faszination und Schrecken nahe. Dies entspricht der Auffassung des Erhabenen, wie sie sich ab dem 18. Jahrhunden durchsetzt. 59 Nach antiken Maßstäben hingegen ist die UntelWelt nicht erhaben, sondern abscheulich; Homers Beschreibung der UntelWelt wird im Pseudo-Longinos als Beispiel eines pathetischen, aber nicht erhabenen Ausdrucks angefiihn. 60
58 Diese Verbindung wird in Williams' Notn 0" tht UNkrgrouruJ vor allem in Kap. 4 (5.82-120) herausgearbeitet. dessen Argument meinen Ausführungen zu der Verbindung von Erhabenem und UntCIWclt zugrunde liegt. 59 Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf Edmund Burke. da dieser das Erhabene objcktbczogen und inhaldich weit konkreter bestimmt als dies der andere große Theoretiker des Erhabenen im 18. Jahrhunden. Immanucl Kant. tut. In den Charakteristika des Burkcschen Erhabenen sind die klassischen Epithctha der Unterwelt deutlich wiederzuerkennen. Hingegen ist die rhetorische Konzeption. die das Erhabene in der Tradition des Pseudo-l.onginos in Antike und Mittelalter besitzt. für die Beschreibung einer solchen Vorstellung eher ungeeignet. Obwohl selbst im Pscudo-l.onginos viele der Beispiele für den erhabenen Stil über den Tod und die Todesgefahr mit der UntCIWelt verbunden sind. etwa der Todcsschwur beim "blutgierigen GOtt des Schrekkens" aus Aischylos' Subm tttm Thtbm (15. 5). die Erscheinung der aus der UntCIWelt stammenden Erinyien bei Eurypides 05. 2). oder der Auftritt Aju' in Homers MItyi4. den der Text mit den Wonen kommenden: "Das Schweigen des Aias in der .Totenbcschwörung' ist in seiner Größe erhabener als alles, was Rede wird" (9. 2). Vom Erhabnrm. gricch.ldcutsch. übers. von Reinhard Brandt. Darmstadt: WlSSCnschaftliche BuchgcsclJschaft. 1966 60 "Tief unten erschrak der Herrscher der Schatten. Aidonew. (... ) Sein Reich würde sichtbar den Göttern und Menschen. voll Schrecken und modrig. selbst Göttern ein Abscheu.· Homer zitien ebd .• 9. 6
SUBTERRA INCOGNffA: DIE UNTERWELT IM UNTERGRUND
Doch die antike Unterwelt enthält alle Ingredienzen, die sie im aufklärerischen und romantischen Verständnis zu einem Bcgegnungson mit dem Erhabenen werden lassen. In der Odysstt ist im Hades das Antlitz der Gorgo angesiedelt (11, 634 f.), und die apotropäische Funktion des Medusenhaupts entspricht dem Erhabenen noch in seiner Wirkung: "Das Erhabene wirkt versteinernd" ,61 heißt es bei Novalis, und Shelley charakterisien Caravaggios Bild Das Mtdusmschi/J mit der Standardformel des Erhabenen seit Burke: "Tis the loveliness of terror. ,,62 Auch bei Vergil ist das Pathos der Unterwelt mit ihrem düsteren Eingang in der wilden Gegend am Avernersee durchaus der neuen Vorstellung des Erhabenen konform. Dem sechsten Buch der Amtis wird eine der antiken Auffassung verpflichtete "erhabenene Rhetorik"63 ebenso zugeschrieben, wie sich auf die Szenen und das Setting eine romantische Auffassung des Erhabenen anwenden läßt. Bereits Edmund Burke verweist in seiner Philosophica/ Enquiry into tht Origins of our Itkas oftht Sublimt anti tht Btautifol (1757) auf die Unterweltszene Vergils, um das Konzept des Erhabenen zu illustrieren: Die Umstände, die etwas Erhabenes besitzen, wie Leere, Finsternis, Einsamkeit, Schweigen, habe der Dichter da gehäuft, "where he knows that all the images of a tremendous dignity ought to be united, at the moum of heU!,,64 Später werden dieser Liste auch noch die giftigen Dünste des Acheron hinzugefügt, und in dem entsprechenden Zitat hebt Burke nochmals die Prädikate des Erhabenen hervor: "alta", "vastoque immanis", "lacu . . ., "tenebns . " .65 mgro Die Unterwelt scheint für Burke eine derartig vorbildliche Verbindung von Attributen des Erhabenen zu sein, daß sie im Verlauf einer anderen Argumentation geradezu an dessen Stelle gesetzt wird: Die seines Erachtens mißlungenen Darstellungen, die die Maler von der Hölle geben, dienen als schlagender Beweis für die grundsätzliche Unzulänglichkeit der bildenden Künste, das Erhabene darzustellen - als sei mit diesem Motiv über das Scheitern oder Gelingen jeglicher Repräsentation dieser Idee entschieden." 61 Novalis. Dü Lrhrüngt zu StUs. in: ders.• Schriftm. Bd. 1. S. 69-112. hier: S. 101 . Obwohl die Mcdusa in ihrer Entwicklung vom Monster zur Verführerin weit häufiger mit Schönheit als mit Erhabenheit verknüpft wird. im Sinne der Figur Rilkcs: "Denn das Schöne ist nichts als der Anfang des Schrecklichen. den wir noch gerade ertragen. und wir bewundern es so. weil es gelassen verschmäht. uns zu zerstören.· [Duinnn- Ekgim. in: Rainer Maria Rilkc. SiJmtÜ~1N Wtrkt'. besorgt durch Ernst Zinn. Bd. I. Frankfurt a. M.: Insel. 1975. S.683-726. hier: S.6851 Diese Formulierung entspringt allerdings dem erweiterten Schönheitsbcgriff der romantischen Äsdtetik. der sich das Erhabene weitgehend einverleibt hat. 62 Shellcy zitiert in Zaubt'r Jtr MNJUSiL EuropiJis~1N Milnimsmm (Katalog der Ausstellung der Wiener Festwochen). hg. v. Werner HofmannlWiencr Festwochen. Wien: Löckcr. 1987. S. 462 63 Die Götteranrufung zu Beginn des Abstiegs überträgt laU[ Norden ..auf den Hörer die erhabene Stimmung. von der ergriffen der Dichter selbst diese Verse aus der Tiefe seines Innern suömen läßt: Eduard Norden. Amt'is Bwh VI. Leipzig: Teubner. 1934. S. 354 64 Edmund Burkc. PhilllsqphicaJ ENfUiry into the Origin oftlNr IMas oftht' S""ümr IlnJ &Ilutifol, cd. by J. T. 8oulton. London: Univcrsity ofNotre Dame Prcss.I968. S. 71 65 Ebd .• S. 85 66 •When painters have attemptcd to give us dar rcpresentations of dtcsc vcry fanciful and terrible idcas. dtcy have I dtink aImost always failcd; insomuch dtat I have hccn at a 1055. in all dte pieturcs I have seen of hdl. whcdter dte painter did not intend somedting ludierous.· Ebd .• S. 63
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Auch von anderen Autoren wird die Hölle mit dem Epitheton "erhaben« beschrieben. so etwa Schelling in einem Aufsatz über das Inferno in Dantes Divina Comm~dia. Und diese ästhetische Charakterisierung verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache. daß .Dante bis an die äußerste Grenze des Schrecklichen geht'.61 Eben die düstere Plastizität des Schreckens macht das InJmzo zum .poetischeren Theil' verglichen mit dem Paradiso. 68 Die nach klassisch-mittelalterlicher Norm "niedere" Darstellung der Greuel wird zu einem "nothwendigen Element der GemischtheitU69 - einer stilistischen Entsprechung des Erhabenen als gemischtem
Gefühl. Der Autor aber. der zu dem Dichter des Erhabenen erkoren wurde. ist derselbe. der auch das höllische Bild der Industrie nachhaltig prägte: John Milton. dessen Paradis~ Lost neben Boileaus Longinus-Übersetzung den Diskurs des Erhabenen entscheidend bestimmte.10 Wegbereiter einer Ästhetik des Erhabenen im 18. Jahrhundert wie John Dennis und Joseph Addison berufen sich auf Milton/' und Byron bringt die stereotype Koppelung von Miltons Dichtung an das Erhabene auf die Formel: "Time [... ] makes the word .Miltonic' mcan Sub/i~".12 Im Werke dieses Meisters des Erhabenen ist es jedoch wiederum die Gestalt des Satans. die den Inbegriff des Erhabenen darstellt: "We do not any where meet a more sublime description than this jusdy celebrated one of Milton. wherein he gives the portrait of Satan with a dignity so suitable to the subjcct. u7) Neben diesem idealen erhabenen Gegenstand finden sich in Miltons Hölle aber auch die charakteristischen erhabenen Naturbeschreibungen: [... ] Through manya dark and drearic Vailc Thcy pass'd. and manya Region dolorous; O'rc many a Frozcn, manya fierie Alpe; Rocks, Cavcs, Lakcs, Dens, Bogs, Fcns and shadcs of dcath, A Universe of dcath [...
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Denn das Erhabene. wie es in den ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts entworfen wird, betrifft vorzüglich Erscheinungen der Natur. Charakteristische Züge sind abgründige Tiefe und Dunkelheit - "the great ought to be dark and 67 Fricdrich Wilhclm Schdling, 0,," Dmllr in philosophis(/,n /Jaülnmg. in: SdNUinfl Wmt'. hg. v. Manfrcd Schröter. Bd. 111. München: Bcck. 1%5. S. 572-583. hier: S. 580 68 Ebd .• S. 582 69 Ebd. 70 Thomas Weiskd. Tht' Romllntic Sublimr: Snu/in in W StrlUtJlrt muJ PS](hology ofT,tm.s«Nim(t'. Bahimore (MD)/london: Johns Hopkins U. P.• 1986. S. 8 71 Vgl. John Dcnnis. TIN GrrnuuIs ofCriticism in Pomy; in: TIN Criti(4/ Worh offohn Dmnis. cd. by Edward Nilcs Hooker. 2 vol.. Baltimorc (MD): John Hopkins Press. 1939 und 1943, vol. I. S. 325-373. S. 342 ff. und Joscph Addisons Anikcl zu Miltons PII'tUiist' Lost im Sp«t4to,. cd. by Donald F. Bond. vol. 11 und 111. Oxford: Oarcndon Press. 1965. Nr. 267. 273. 279. 285. 297. 303.309.315.333.339.345,351.357.363.369(1712) 72 Thr Wo,ks of Lo,d Byron - POt'try. cd. by Erncst Hanlcy Coleridge, vol. VI. londonINcw York: John MurraylCharlcs Scribner's Sons. 1903. S. 6 73 Burke. Origin of~' [/k1lJ ofw Sublimt' lind w &lIutifiJ, S. 61 74 Milton. PII,aJist' Lnt. 2. Buch. 618-623
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gloomy", schreibt Burke,7S und die Tiefe stellt für ihn die eindrucksvollste Grössendimension dar. 76 "The dark unbottom'd infinite Abyss",n "the void profound of unessential night [... ] wide gaping, [... ] that abortive gulfe" ,71 die Miltons Hölle darstellen, entsprechen deshalb bis in die Vokabeln den burkeschen Anforderungen an eine erhabene Szenerie. Diese Phänomene und Charakteristika gehören ebenso zur kanonischen Ausstattung der Unterwelt wie sie sich unmittelbar auf die ..unterweltlichen" Aspekte der frühen Industrialisierung überuagen lassen. Auch wenn die Theoretiker des 18. Jahrhundem durchweg betonen, das Erhabene beziehe sich auf Erscheinungen der Natur, so beruht doch die ästhetische Erfahrung des Erhabenen auf einer Mechanik, die nicht nur metaphorisch sondern auch buchstäblich "technischer Natur" ist. Die ..rohe Natur" etwa, die Kant als den idealtypischen Auslöser der Erfahrung des Erhabenen in Anschlag bringt,79 ist nur unter der Voraussetzung künstlich geschaffener Rahmenbedin~gen ästhetisch zu genießen - nur als ..scheinbare [ ] Allgewalt der Natur". I Ein bevorzugter Begegnungsraum mit dem Erhabenen ist die gezähmte Natur der Gartenkunst des 18. Jahrhundem. Hier werden künstliche Grotten, Felsschluchten und Vulkane geschaffen, um den "delightful horror" des Sublimen technisch zu erzeugenl. - eine ideale Anordnung für den ungefährdeten ästhetischen Genuß. Der englische Ganenarchitekt Chambers empfiehlt gar Hochöfen als "Vulkansimulatoren"12 - womit die erhabene Natur sich vollends als Travestie der Industrie erweist. Und so wie die Technik der Industrialisierung die ideale Erfahrung des Erhabenen möglich macht, wird sie selbst als erhaben erfahren. "Mines are frequent in rocky places" , schreibt 1770 ein Ratgeber für ..Modern Gardening", ..and they are full of ideas suited to such occasions. T 0 these may sometimes be added the operations of engines; for machinery [... ] is an effon of an, which may be accomodated to the extravagances of nature. "13 Die Szenerie der Natur - .. uuly great and awful" (und es handelt sich hier bezeichnenderweise wieder um einen "chasm") wird durch ihre industrielle Nutzung in ihrer Wirkung keineswegs gestön, sondern nur noch gesteigen.
75 Burke. Origin o[our IMas o[tht Subli~ anJ tht BtaUlifoJ, S. 124 76 Ebd .• S. 72 77 Mitton. Paruist Lost. 2. Buch. 405 78 Ebd .• 438-441 79 Ebd. § 26. S. 97 80 Ebd. § 28. S. 107. Jene Naturformen. die Kant als ahmen anspricht. sind. wie Harunut Böhme aufzeigt. genau die Bereiche...in denen die wisscnschahliche und technische Naturbeherrschung an vorderster Front arbeitet". Hanmut Böhme, Das Stn~ - Anmn4tungm ßr Thtom Jn Erhabenen aus Jnn Blick .Mmschen~n·. in: Das Erhabent. hg. v. Christine Pries. Weinheim: VCH. 1989. S. 119-141. S. 124 81 Klaus Bands. Obtrdas Ttchnisch-Erhabmt. in: Das Erhabmt. S. 295-316. S. 299 82 Ebd .• S. 306 83 Jennings. Pandamaon;um. S. 64
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Das Erhabene, das zeitgleich mit der industriellen Revolution eine Schlüsselposition in der Ästhetik eroben, wird zu ihrer ästhetischen Kategorie und als ursprün~ich rhetorisches Mittel läßt es sich nur zu gut ideologisch in Dienst nehmen: Technik, die Beherrscherin der Natur, erscheint in der Kategorie des Erhabenen zugleich wieder als Natur. Im 19. Jahrhunden ist das Attribut "erhaben" explizit von den Erscheinungen der Natur auf die der Technik übergewanden: "Es sind Produkte menschlicher Kraft und Geschicklichkeit, die, wenn sie vollendet sind, als selbständige Werke existieren und so den Naturerscheinungen gleichen, aber, indem sie zugleich ihren Ursprung. den Geist, verraten, eine höhere Achtung als erhabene Narurgegenstände uns ablocken", schreibt Friedrich Theodor Vischer 1837 in seiner Abhandlung Ob" Jas Erhab~ n~ und Komisch~.·s Das Moment von Macht und Gewalt, das dem Erhabenen eigen ist, kann so in zweierlei Richtung genutzt werden: Zum einen erweist sich der menschliche Genius in Gestalt der erhabenen Technik als der Natur ebenbürtig. wenn nicht sogar überlegen, zum anderen wird die Technik im Verhältnis zum Menschen zu einer naturhaften Macht, deren Zerstörungspotential jenseits menschlicher Verantwortung liegt. Die "oxymoronale Affektform "86, die das Erhabene auslöst, ist ein geeignetes Modell, um die ambivalenten Erfahrungen der Industrialisierung zu fassen und mithilfe des Begriffs an bekannte Strukturen rückzubinden. Obwohl das 18. Jahrhunden die traditionellen Formen des Erhabenen weitgehend verabschiedet zugunsten einer neuentdeckten Erhabenheit von Natur und Technik, lebt in dem Herrschaftsverhältnis, das sich in der Konzeption des Erhabenen ausdrückt, ein mythisch-sakraler Kern fon. In der mit dem Erhabenen verbundenen Affektion überlebt die Furcht vor übernatürlichen Erscheinungen, vor Geistern und Dämonen, die eben erst aus der aufgeklänen Vorstellungswen verbannt wurden. s7 Das Heilige, "das in seiner Doppelgestalt als Tremendum und Fascinosum genetisch vielleicht den Ursprung des Erhabenen ausmacht"," zumindest jedoch als sein vormodernes Paradigma gelten darf, übersteht den Himmelssrurz in die Diesseitigkeit der modernen Welt in der Gestalt des gefallenen Engels: Die Natur wie die erhabene Technik locken weniger zu himmlischen als zu infernalischen Vergleichen. Die schottischen Bergwerke und die nordenglischen Industrielandschaften werden von Künsdern und Reiseschriftstellern in der exaltienen Sprache des Erhabenen beschrieben - und zugleich als Hölle entworfen. Die Er84 Nachdrücklich verweist darauf Eagleton: "It is now almost a commonplacc. of dcconstructive thought to sec me sublime as a point of fractun: and fading. an abyssal undermining of mctaphysical ccnitudcs. but while mere is much of value and intcrcst in this vicw. i[ has scrvcd in dfcct to supprcss thosc modcs in which me sublime also opcratcs as an thoroughly idcological catcgory.· T erry Eaglcton. TIN ItkolotJ 0/tIN Amhaic. Oxford: Basil Blackwdl. 1990. S. 90 85 Fricdrich Thcodor Vischer. Ob" J4s Erhtzbnu unJ KDmisclN UM Ilruinr Tau IUIr Ästhnilt. Eint. v. Willi Odmülcr. Frankfun a. M.: Suhrkamp. 1967. S. 92 86 Böhme. Dm Stnnnn~. S. 120 87 Weiskel. Tk&mIlnticSublim~. S. 13 88 Böhme. Dm Stnnnn~. S. 121
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habenheit der Technik steigert nicht nur die wilde Romantik der Natur, sie löscht auch Natur aus - zunächst die "schöne Natur", bald auch die erhabene. "The horizon was a glowing belt of Sec, making cven the stars look pale and fecble"," schildert ein Reisender 1830 - der gestirnte Himmel, eines der Paradebeispiele für das Erhabene in der Natur, verblaßt vor den Erscheinungen der Industrie, so wie der Himmel als Symbol göttlicher Allmacht vor der menschlichen Allmacht verblaßt, die die Erde in eine Unterwelt verwandelt hat: "Tbe workmen within sccmcd to be running about amidst the flames as in a pandemonium", heißt es unmittelbar zuvor. Auf ein ganz ähnliches Bild greift auch der belgische Dichter Theodoec Weustenraad zurück, wenn er 1844 in einem Enkomion auf die Industrie den Hochofen als Palast der Unterwelt beschreibt: Au pied toujours fumant de ces colonnes sombres, Gigantesque ßambeaux d'un infemal palais Regardez se presser er s'agiter ces ombres Dont l'eclat des fourneaux plisse et rougit les traits[.]90
Die Industrie bringt also zunächst kein Paradies, sondern unzählige Höllenschlünde hervor. Paradiesisch mag die Welt der Konsumgüter sein, die diese Industrie produziert - allein "erhaben" ist dieses Paradies keineswegs. Es trägt eher die Züge einer Ästhetik des Schönen, die mit lieblicher Wohlgdhlligkeit aber auch mit weiblicher Verweichlichung assoziiert wird. "We submit to what we admire, but we love what submits to US,,91 - in diesen Worten faßt Burke den Gegensatz des Erhabenen und des Schönen, den er unmißverständlich an die Geschlechterdifferenz koppelt. 92 Das Paradies der Warenwelt ist der ewige Frühling eines überirdischen Iocus amomus, süß und heiter, aber ohne den stimulierenden Reiz der negativen Lust, die das Erhabene auszeichnet. ,,1 think it is better for me", schreibt 1827 bezeichnenderweise eine weibliche Zeitzeugin nach dem Besuch der unterirdischen Baustelle des Themse-Tunnels, "to look at the trees, and the sun, moon, and stars, than at tunnels and docks; thcy make me too humanity proud. ,,93 Die oberirdische, weibliche Schönheit wird einer erhabenen, männlichen ArbeitsWelt gegenübergestellt. Und diese beschreibt die junge Frau in ihrem Brief ausdrücklich als Unterwelt: On turning round at the foot of the last flight of steps through an immense dark arch, as far as sight couJd reach stretched an vauJted passage [... ]. It was more like one of the avenues of light that lead to the abodes of the genii in fairy wes. than anything I had ever beheld. 94
89 Jennings. PanMmul1I;um. S. 171 90 Throdorc Wcuslcnraad. U Haut-Ftnll'7Ullu (1844). unc" in Elliou Mansfidd Granl. Frmch Pomy """ MoJnn InJustry lB30 - 1870. Cambridgc (Mass.): Harvard U. P.• 1927. S. 61 91 Burkc. Oriti" 0/tlUr ItkllS 0/tIN Subliwu anJ &autifiJ. S. 113 92 Vgl. cbd .• S. 110 f. 93 Jcnnings. Pa"tl4mul1I;um. S. 169 94 Ebd .• S. 168
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Wenn sich auch im Eingangsbereich die Erscheinungen noch in einem Vokabular der Äsdletik des Schönen fassen lassen - "me bcauciful road (0 Hades" -, so führt diese Unterweltreise doch in ein Reich des Erhabenen. Es ist nur der hellerleuchtete Weg zum Hades, der schön ist. Bezeichnend ist hierbei allerdings, daß das viktorianische Ideal einer lieblichen Weiblichkeit kein Vokabular für diese Äsmecik der Unterwelt zur Verfügung zu stellen scheint: Obwohl die beschriebenen Phänomene und Effekte geradezu exemplarisch für die Erfahrung des Erhabenen sind - "me profound scillness of me place, [... ] me indescribable feeling of subterranean vastness, me amazcment and delight I experienced, quite overcame me"9S - kann die Briefschreiberin sie nicht anders als mit der Charakteristik des Unbescimmten und Fremden bdegen. 96 Die (unterirdische) Arbeitswelt der Industrialisierung ist mit der furchterregenden aber auch faszinierenden Autonomie und Machtfülle der Unterwelt ausgestattet - changierend zwischen bewundernder Unterwerfung unter die Allgewalt der industriellen Prozesse - "some wonderful mechanical process"97 - und der virilen Selbstennächcigung des Menschen qua Technik - "humanity proud" .
95 Ebd. 96 Von dem Moment an, wo die Gcsdlschaft den breiten, hcUerlcuchtcten Gang verlißt und in die Dunkelheit der Arbeitsstollen gelangt, ist alles nur noch als "vcry strange", .wonderful and curious bcyond mcasure" zu bcz.cichnen ...Tbe most striking picture you an conccive" geben aber zuletzt die Arbeiter ab, deren Beschreibung unverkennbar infernalische Züge trägt: "aII bcgrimed, with their brawny arms and Icgs bare, some standing in black water up to thcir knces, others Jaboriously shovdling me black canh in their agcs (... 1, with me red, murky light of links and lanterns Rashing IOd Rickcring about thcm". Ebd.
'97 Ebd.
WISSENSCHAFfEN DER TIEFE
Bergwerke des Wissens 11: Höhlengänge und die Lektüre der Steine - Romantik und Geologie Die Faszination für das Unterirdische kennzeichnet das gesamte 19. Jahrhunden. Wendy Lesser setzt in ihrer Studie Th~ Lift B~low th~ Ground die Periode vom letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhundens bis zum ersten bemannten Spumikflug 1958 als "subterranean era" an. 98 Diese scharfen zeitlichen Schnitte, so eingängig sie auf den ersten Blick sein mögen, lassen sich allerdings kaum aufrechterhalten; vor allem Lessers Behauptung über das Verhältnis zum Untergrund vor dieser Ära ist ebensowenig selbstverständlich wie sie von ihr durch Belege gestützt wird: "Before that time, ehe two senses of ehe underground, ehe hole in the ground and ehe hidden aspect of existence, bad not yet converged".99 Meine Argumentation gründet vielmehr auf der Diagnose, daß die beiden Aspekte des Untergrundes, realer On und symbolischer Topos, erst nach der kopernikanischen Wende überhaupt auseinandenreten, und daß die Faszination für das Unterirdische seither aus dem vergeblichen Bemühen entspringt, sie wieder zur Deckung zu bringen. Daß diese Bemühung um die Wende des 19. Jahrhundens geradezu obsessive Züge annimmt, ist allerdings kaum zu bestreiten - doch weniger aufgrund erreichter Konvergenz, denn aus einem verschärften Bewußtsein für Divergenz. Die Insistenz des Unterirdischen imaginärer wie realer Dimension anikulien sich in dieser Zeit in den verschiedensten Diskursen. 'oo Dies sind neben der Literatur vor allem die neuentstehenden "Wissenschaften der Tiefe" - die Geologie und die Archäologie. Seide Disziplinen verbindet die Bestrebung, über die Tiefe des Raums auch eine Tiefe der Zeit zu erschliessen und in den Relikten der Vergangenheit, ob der Natur oder der Kultur, die Geschichte vor der Geschichte, die Prähistorie, zu entziffern. Auf diesem Gang in den Untergrund der Zeit suchen auch die Wissenschaften einen Anschluß an die Reise in die Unterwelt herzustellen - nur zu naheliegend, insofern diese immer ein Abstieg in eine Welt der Vergangenheit gewesen ist, in die Welt der Toten. Doch der mythologische Topos 98 WeDdy Lcsscr. TIN Lift &1Dw IM GrowuJ. A Stwly o[IM SubtnTlllUlln in Lit6lllUrr Boston (Mass.)/London: Faber and Faber. 1987. S. 3 ff.
11"" Hisw".
99 Ebd.• S. 3 100 Auch Nonhrop Fryc bemerkt einen auffallenden Anstieg positiv konnotiener Tiefcn'metaphern im 19. Jahrhunden. und er bringt diesen ebenfa1ls mit der Veränderung des"Topokosmos". einer späten Nachwirkung der kopernikanischen Wende. in Verbindung. Vgl. Fryc. Fllblrs o[ [timtity. S. 64 f.
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verheißt mehr als das: Neben dem Bedeurungsraum eröffnet die Unterwelt im Untergrund audl eint: Zdtdimension, welche die Irreversibilität der linearen Zeitachse sprengt. Die mythologischen Ursprungskonstruktionen, die die Unterwelt implizien - die Wurzeln der Welt liegen bekanndich im Tartaros -, ergänzen sich mit einer mythischen Zeidosigkeit, welche eben don herrscht. Inwiefern die Wissenschaften der Tiefe auch diese Aspekte der Unterwelt im Untergrund zu rekonstruieren suchen, wird sich im Folgenden zeigen. Im 18. Jahrhunden erwacht im Verhältnis zur Tiefe ein Forscherbewußtsein, daß sich nicht mehr wie bei Bacon auf die Metapher beschränkt: Berühmte Wissenschaftler ihrer Zeit steigen in Höhlen und Grotten hinunter. Berkeleys Höhlengang in den irischen Cave of Dunrnore Anfang des 18. Jahrhundens ist einer der ersten, noch ganz von abenteuerlustiger Neugier inspirienen Abstiege in eine Unterwelt, deren Beschreibung weniger eine wissenschaftliche ist als eine Mischung aus aufklärerischer Moral, Empfindsamkeit und "archaischem" Grauen. IOI Eine Tendenz, die auch noch die Berichte am Ende des Jahrhunderts prägt, wie etwa die Tagebucheintragungen Georg Forsters, der auf seiner Reise mit dem jungen Alexander Humboldt verschiedene Höhlenbesichtigungen unternahm: "Auch ich [... ] spreche von der unterirdischen Weihe und schweige von den unaussprechlichen Dingen. Ich war im Reiche der Schatten und durchwandelte die Nacht des Erebus. [... ] Die Erde öffnete ihren Schoß und umfing mich."lo2 Hier entpuppt sich der Reisende im Namen der wissenschaftlichen Aufklärung als Myste einer orphischen Weihehandlung. Das aus der mythologisch-fabulösen Tradition bekannte unterirdische Wachstum von Edelmetallen und -steinen findet überraschende Bestätigung in den wachsenden Tropfsteinen, "die das "Wesen" alles Natürlichen seit der griechischen physis in die Unterwelt verbracht zu haben scheinen".'ol Ein Ton, der auch in der deutschen Romantik angeschlagen wird: In Novalis' Hnnrich von Ojin-ding"' (1800) spricht der Einsiedler in der Höhle von der "fruchtbaren Natur" der Vorzeit, die Metalle und Edelsteine hervorbringen konnte, und er vergleicht die anorganische unterirdische Landschaft mit einem Ganen: "In den zierlichen Locken und Ästen des Silbers hingen glänzende, rubinrote, durchsichtige Früchte, und die schweren Bäumchen standen auf kristallenem Grunde".'04 Diese Unterwelt trägt nicht die düsteren, infernalischen Züge einer HöUe, sondern die von Paradiesgänen und Schatzkammern des Orients. Und doch ist sie offenkundig unbelebt, denn der "wildgebärende[ ] Fels·doS der Urwelt ist längst nur noch ein "Erdenpalast", in dem fern von Himmel und Leben die Schätze und Gebeine dieser Vergangenheit bewahn werden.'06 Die Unterwelt der deutschen Romantik ist 101 Zu diesen und anderen Höhlengängen des 18. und 19. Jahrhunderts siehe Hans 8lumenbcrg.
HöhlnuzusgiJ"U. S. 557-569 102 103 104 105 106
Gcorg Forstcr zitien ebd.• S. 563
Ebd .• S. 557 Novalis. Hn"rich /10" Oftndi"U". in: Schriftnr. Bd. 1. S. 181-369. hier: S. 262
Ebd. Ebd.• S. 253
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ein Archiv lO7 der Natur, in dem sich deren Vergangenheit lesen läßt: "Die mächtigen Geschichten 1 Der längst verflossnen Zeit 1 Ist sie ihm zu berichten 1 Mit Freundlichkeit bereit", singt bei Novalis der alte Bergmann von der Erde, die den in sie eindringenden Bergmann empfangt und "entzündet, als wär sie seine Braut" .101 In der sexuellen Metaphorik läßt sich nochmals ablesen, wie entschieden das romantische Bergwerk eine Institution der vorindustriellen Phase ist: quasi "prä-baconianisch" ist sie geprägt von PhantaSmen einer alchemistischmystischen unio: 09 Und es ist der alchemistische I4pis, der magische Stein der Weisen, der in den I4püks Jitn'ati, den steinernen Schriftzeichen, in denen sich die Geschichte der Erde und des Lebens lesen läßt, wiederkehn. llo Ein solch rückwärtsgewandtes, kulturkritisches Ideal drückt sich auch aus in der Opposition von unterirdisch-tiefsinnigem Dienst des Bergmanns im Innern der Natur und oberflächlich-verderblichem Materialismus, den die Schätze der Tiefe produzieren, wenn sie sich am Tageslicht in Eigentum verwandeln - eine Konstellation, die in zahlreichen romantischen Bergwerks-Dichtungen begegnet:" Der Kapitalismus ist der wahre Pakt mit dem Dämon der Unterwelt - nun werden die Edelsteine der Tiefe zum steinernen Herz. 1I2 Die Ambivalenz der Unterwelt bleibt auch in ihrer romantischen Version einer "schöpferischen Produktionsstätte" immer gegenwärtig. Doch dies nicht nur, weil sie ihr untrennbares Pendant in der Konsumgesellschaft über Tage hat: Die geheimnisvolle, mystische Welt der Tiefe selbst ist eine Gefahr, gerade für ihre Adepten, durch die Nähe zum inspirierten Wahnsinn, in dem sich diese Leser der Steine selbst in tote, steinerne Zeichen verwandeln. Elis Fröbohm in E.TA Hoffmanns Dit BtrgWtrlu zu FaJun (1818/9)'" ist von dem Gedanken besessen, in dem Gestein die geheimen Zeichen zu lesen, die verkünden, "wie unser Inneres verwachsen ist mit dem wunderbaren Gezwei~e, das aus dem Herzen der Königin im Mittelpunkt der Erde emporkeimt" .1 Eine 107 "Der Bergmann ist der Antiquar". heißt es bezeichnenderweise in Ticcks Bericht über die Fonscttung des unvollendet gebliebenen H~inrich von Oftn'dingm. Siehe Novalis. H~inrich von Of In'fiingm. S. 368 f. 108 Ebd.• S. 247 109 Allerdings flilIt diese Bildlichkeit bei anderen Venretern der Romantik ambivalenter aus: In Thcodor Körners ..Der Kampf der Geister mit den Bergknappen" etwa ist das Eindringen der Bergknappen in den Schoß der Erde von zahlreichen Vokabeln der Überwältigung und Ancignung begleitet - mit ..eh·renen Gewalten" ..gebieten" sie der Erde und machen sich die Schätze eines "unermeßlichen Reiches" zu eigen. In: KiJmns Wm~. Bd. 1. S. 19-31. hier S. 30 110 Zu dieser Schrift der Steine vgI. Ziolkowski. GtmIIln Romllnticism. S. 33 111 Siehe etwa Novalis. Hrinrich von Oftn'dingm. S. 245; Thcodor Körner. BngIUJ. in: Kömns Wm~. Bd. 1. S. 39-41; Ludwig Ticck. lkr Alk vom Bnr~. in: LwJwig Ti~dt sSchriftnr. Bd. 24. Berlin: Gcorg Reimer. 1853. S. 141-262; Achim von Arnim. lRs mini Bnpw"ns nuiU ' ..gnul. in: Ludwig Achim von Arnim. LwJwig Achim j von Amim I4n1Imt/ick Wm~. hg. v. Wdhdm Grimm (teilw.). Gedichte 11. Weimar: T. F. A. Kühn. 1856. S. 13+140 112 Hierzu Manfrcd Frank. Stnnhnz """ G~lJs«k. Ein Symbol im Kmrtca. in: Dill /t4/g H~ hg. v. Manfrcd Frank, Frankfurt a. M.: Insel. 1987. S. 253-387 113 In: E.T.A. Hoffmann. Die Snapillns-BriJIJn. Bd. 1. Darrrutadt: Wissenschaftliche Buchgcscllschaft. 1963. S. 171-197 114 Ebd.• S. 194
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Wahnidee, die ihm das Verderben in der Tiefe bringt: Elis erliegt den Reizen der Tiefe in Gestalt der Königin der Erde und ihrer geheimnisvollen Botschaften in den Gesteinen. Nicht eine innere Stimme sondern eine innere Schrift treibt ihn in einen Zustand der Schizophrenie: ,,[E] r fühlte sich wie in zwei Hälften geteilt, es war ihm, als stiege sein besseres, sein eigentliches Ich hinab in den Mittelpunkt der Erdkugel und ruhe aus in den Armen der Könifn, während er in Falun sein düsteres Lager suche".1IS Das "glanzvolle Paradies" 11 der Kristalle läßt das T ageslicht verblassen, und das "dunkel sprühende[ ] Feuer"l17 des Wahnsinns verdüstert die Vernunft. An seinem Hochzeitstag fahrt Elis hinab in den Berg, um seiner Braut den "kirschrot funklende[n] Almandin, auf den unsere Lebenstafel eingegraben", zu brechenli! und wird von einem Erdrutsch verschüttet. Erst 50 Jahre später wird sein Leichnam geborgen, "der versteinert schien, als sie ihn zu Tage fördenen" . 119 Nur um den Preis des Lebens ist die Vereinigung von Organischem und Anorganischem zu vollziehen, die Identität von Herz und Erdinnerm herzustellen: in einem Körper, der sich in die gleiche Materie verwandelt hat wie die lapides liurati, die Elis zu entziffern hoffte. Doch die Bedeutung des steinernen Körperzeichens bleibt unentziffert: Niemand erinnert sich mehr der tragischen Geschichte des Elis Fröbohm. Bis schließlich ein "steinaltes [... ] Mütterchen",llo Elis ehemalige Braut, den Toten erkennt - hier scheint die Anverwandlung zu gelingen: Indem sie selbst wie Stein ist, kann sie den versteinerten Körper übersetzen in ihre Herzensliebe. Die Lektüre der Steine offenban die Sprache der Herzen. Doch im Gegensatz zu ihrer Liebe ist die "steinerne" Schrift, Emblem der Ewigkeit, ein Trug: Der fälschlich für versteinert gehaltene Körper zerfällt zu Staub, und das steinalte Mütterchen stirbt. Die von Elis behauptete Verwandtschaft des menschlichen Innern mit dem Herzen der Erde ist ein Phantasma, und seine Verschriftlichung ergibt Widersinn - der zu Staub zerfallende Stein - oder Wahnsinn, wie er Elis in den Tod trieb. Doch konstituiert sich in dem wiederholten Scheitern dieser Lektüren eine andere Lektüre: die der B"KW"lu zu Falun - einer Erzählung, die vor Hoffmann bereits zahlreiche Ausführungen erfahren hat und sich nach ihm in weiteren Versionen fonsetzen 5011. 121 Hier wird die Schrift des Steins durch die Buchstaben des Textes ersetzt, und die Wahrheit der Tiefe durch die Erzählung ihrer (vergeblichen) Suche.
115 116 117 118 119 120 121
Ebd.• S. 193 Ebd. Ebd .• S. 194 Ebd. Ebd.• S. 195 Ebd .• S. 196 So crwa bei Achim von Arnim (1810), Johann Pctcr Hebel (1810), Friedrich Rücken (1829), IUchard W~cr (1842) oder Hugo von HofmannsthaI (1899).
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Die Wahrheit aus der Tiefe - sie ist vor allem eine der Vergangenheit und des Ursprungs. Im Hnnrich von Oftndingm preist der Einsiedler die Venreter der Bergmannszunft mit den Wonen: Ihr seid beinah verkehne Astrologen [... ]. Wenn diese den Himmel unverwandt betrachten und seine unermeßlichen Räume durchirren: so wendet Ihr Euren Blick auf den Erdboden und erforscht seinen Bau. [... ] Jenen ist der Himmel das Buch der Zukunft, während Euch die Erde Denkmale der Urwelt zcigt.l22
Doch nicht nur Literaten und Bergmänner der Romantik lesen in den Eingeweiden der Erde die Geschichte. Wenn sich in Novalis' Höhlen ungeheure Knochen und Zähne finden,123 die auf "vorsimßudiche" (im buchstäblichen Sinne des Wones), fremdanige Tiere verweisen, dann zeigt das, was auch die Wissenschaft des 18. Jahrhundens in der Tiefe suchte und fand: Aus diesem Jahrhunden stammt die Erkenntnis, daß sich die Vergangenheit des Erdballs und seiner Natur anhand der unterirdischen Gesteinsschichten und Funde erzählen läßt. Die Analyse der geologischen Strata als einer räumlichen Struktur, in der eine zeitliche Abfolge ihren Niederschlag findet, etablien sich durch solch verschiedenanige Wissenschaftler wie John Strachey, Emanuel Swedenburg, Carl von Linne und Abraham Gonlob Werner. 124 Die Geologie wird geboren und mit ihr die Idee einer "Tiefenzeit", die im 19. Jahrhunden ihren Siegeszug antreten wird. 12S Charles Darwin, der sich selbst auf einer Reise in die Vergangenheit der Anen befindet, schreibt von Bord der "Beagle": "Geology carries the day. I find in geology a never failing interest, it creates the same great ideas respecting this world which astronom}" does for the universe."126 So wie die neuzeitliche Astronomie die Vorstellungen vom Himmelsraum revolutioruene, tat dies die Geologie für die Vorstellung des irdischen Raums - und mit dieser für die der Vergangenheit, deren On traditionellerweise ein unterweltliches Erdinneres gewesen ist: Die Vorstellung einer kosmischen Vergangenheit von bis dato ungeahnten, geradezu unendlichen Ausmaßen ist eine der beunruhigenden "Erkenntnisse der Tiefe", die noch der empirisch erforschbare Untergrund bereithält. Daß die Erde nicht in einer Woche von Gon geschaffen wurde, sondern das Produkt einer langen Entwicklungsgeschichte ist, gipfelt in dem Schlagwon James Huttons: "no trace of a beginning and no prospect of an end".127 In dieser Verabsolutierung gewinnen die Erdgeschichte und ihr Gegenstand selbst einen geradezu mythischen Charakter: Novali.s, Hnnrich von OftmJintm. S. 260 Ebd .• S. 253 Siehe Adams. Bi"h anti Inwlopmml o[Gtologicai Sam~t. S. 217 Siehe hierzu Stephen Jay Gould. Ti11Ui Amlw. Ti11Ui Cyd~: Myth anti Mttaphor in tht Dis~owry o[ GtOlogi~aJ 7111U. Cambridge (Mass.): Harvard U. P.• 1987 126 Zitien in Adams. Birth anti Inwlopmml o[tht GtOlogicai Scimct. S. 226 Daß die Popularität von Geologie und Paläontologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts die der Astronomie noch weit übertraf. bemerkt Geof Bowker in Ln originn M l'unifomrit4~ M Lytll: pour UM nouvtlk glo/ogit. in: ElnnrnlS d'hislOi" M samm. hg. v. Michel Serres. Paris: Bonus. 1989. S. 387-406. hier: S. 397 127 Zitien in Adams. Birth anti D~lopmml o[GtOlogi~a/ Scim~t. S. 247
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Ihre Spwen verlieren sich im Dunkel einer Vorzeit, die in Zeidosigkeit und ewige Dauer umschlägt; hier wird die liturgische Formel aufgerufen: "Bis in alle Ewigkeit". Unversehens erhalten auch die tellurischen Gewalten wieder ein göttergleiches Gesicht: Die rivalisierenden Erdentstchungstheorien zu Beginn des 19. Jahrhunderts endehnen ihre Namen aus der griechischen Götterwelt. Der "Neptunismus" behauptet, der innerste, älteste Kern des Globus bestehe aus Wasser, wogegen der "Plutonismus" die eruptive, diskontinuierliche Entstehung der Erde aus einem glühenden Feuerkern venritt. l2I "Die Namen, die das erste gewesen waren, stehen als das Letzte noch bereit, wenn die Geschichten schon fast wieder vergessen sind" .I~ Doch die Namen generieren ihre Geschichten: "Die Affinität zum Mythos besteht immer darin, das Subjekt zu finden und zu benennen, von dem die letzte der richtigen Geschichten erzählt werden kann". 150 Denn ,,[e]ine Welt voll von Namen hat die Qualität der Welt voll lyon Göttern bewahn: Sie hat Subjekte für ihre Aussagen behalten". 131 Daß dem Gegenstand der geologischen Wissenschaft die mythische Dimension einer Unterwelt untergeschoben wird, verrät noch im 20. Jahrhunden eine Gedenkmünze zum einhundertsten Todestag des Begründers der modemen Geologie, Abraham Gottlob Wemer: "Hunden Jahre nach seinem Tode ist sein Geist noch im Reich der Steine lebcndig"Ul - das geologisch-mineralogische Reich erscheint als unterweldiches Refugium der Geister. Ob in dem unterirdischen Reich nun der hitzige Pluto oder, wie auch Werners unsterblicher Geist glaubte, der naßkalte Neptun herrschen, dieser Streit wird nOCh in Jules Vernes' Voyage- au emire- tU IA tnTt' (1864) ausgetragen. Der Roman handelt von einer Reise in den Untergrund, bei der im Innern der Erde tatsächlich eine We I t der Vergangenheit entdeckt wird: Durch den Krater eines Vulkans gelangen der Mineraloge Lidenbrock, sein Neffe Axcl und ihr isländischer Führer in eine Hohlwelt, in der sich die Flora und Fauna einer geologischen Vorzeit erhalten hat. Hier kündigt sich in der Literatur bereits die Erkenntnis der Abstammungslehre an, die von Darwin erst sieben Jahre später 128 Zum Sueit zwischen Neptunisten und Plutonisten vgl. ebd .• Kap. VII. S. 210-250 Der wissenschaftliche Zwist schlägt sich auch in FIlIISI 11 nieder (Akt IV. 10075-10112): Faust venrin die These eines in organischer Harmonie und Kontinuität .sich rundenden Erdballs'. ein typisches Argument des Neptunismus. Dagegen sem Mephistopheles. der es ja besser wissen müßte. das schlagende Gegenargument der Plutonisten. die vulkanische Tätigkeit: .Ich war dabei. als noch da drunten siedend. I Der Abgrund schwoU und strömend Flammen trug. I Als Molochs Hammer. Fels an Felsen schmiedend. I Gebirges-Trümmer in die Ferne schlug. I Noch starn das Land von fremden Zenmermassen; I Wer gibt Erklärung solcher Schleudermacht?" (10107-10112) Gtwthn Wm,. (Hamburger Ausgabe). hg. v. Erlch Trunz. Bel. 111. München: C. H. Beck. 1981. S. 306 129 So Blumenberg angesichu der mythologischen Namen in der hochtechnisienen Asuonomie des ausgehenden 20. Jahrhundens (Anmlilm Mythos. S. 51). Ein weiteres Mal zeigt sich hierin die Verwandtschaft zwischen dem Studium des Himmels und dem des Erdinnern. welche Novalis ebenso wie Darwin konstatiene. 130 Ebd.• S. 60 131 Ebd.• S. 53 132 Adams. Binh IInJ lNwlopnnmt tJlGu/ogiazJ Seim«. S. 247
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öffendich formulien werden soUte:1.U In der sagenhaften Welt im Untergrund findet sich quasi der missing link in Gestalt eines riesenhaften Urmenschen, bei dem der Erzähler zögen, ob es sich um einen Menschen oder einen Affen handelt. ' }4 Doch nicht nur neueste wissenschaftliche Hypothesen tragen das phantastischszientistische Gebäude von Vernes Abenteuerroman. Ein weiterer unverzichtbarer Bestandteil ist die literarische Tradition: Wiederholt finden sich Anspielungen oder Zitate aus Vergils Ameis. 13S Der Unterweltsabstieg des Aeneas gibt ein besseres Modell für das Unternehmen ab als alle Forschungsreisen - die Hypothese einer hohlen Erdkugel, wie sie Voyagt" au cmtTt" tk iIl tnTt" entwirft, ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich nurmehr ein Phantasma. l36 Die Zeit der großen geologischen Dispute ist beendet, der Untergrund zwar keinesfalls abschließend erforscht, wohl aber spekulativ nach allen Regeln der exakten Wissenschaft erschlossen. Was jedoch in den folgenden Jahrzehnten zunehmend an Faszination gewinnen wird, ist der Untergrund nicht als Ort der Natur, sondern als einer der Kultur.
Zeitreisen in die Unterwelt: Von der Zukunft zur Vergangenheit - Sciencefiction und Archäologie Im Laufe des 19. Jahrhunderts trin ein neues unterirdisches Phantasma in den Vordergrund: nicht mehr die im Untergrund zu entdeckende, sondern die don zu erschaffende Welt, nicht mehr Natur, sondern Technik. "As scientific knowledge advanced, the idea of discovering a hidden inner worM became less and less credible. As technology advanced, on the other hand, the idea of b u i I d i n g an inner world became more and more credible." U7 Das bedeutet jedoch auch eine signifikante Verschiebung auf der Zeitachse: Die neuen Unterwelten sind
133 Darwins On tht Origin oftINSptrin ersclteint 1859, ThtlRscmt ofMan 1871. 134 Den Skandal einer .,zweiten" Menscltenrasse im Untergrund beschwichtigt der Erzähler mit den Wonen: ..}'aime mieux admenre I'cxistence de quelque anima! dont Ia struaure sc rappro· che de la structure humaine, de quelque singe des premieres c!poques geologiques [... ). Mais celui-ci dc!passait par sa taille toutes les mesures donnc!es par Ia paleontologie moderne! N'impone! Un singe, oui, un singe, si invraiscmblable qu'jJ soit!" Jules Verne, Voyagt au cmtrt tk Ia ttrrr (1867), Paris: Librairie Hachette, 1966, S. 338 f. 135 Vgl. ebd., S. 103 und 166 sowie allgemeine Anspielungen auf die Unterwelt, S. ISO, 166 und 209 136 Zum Thema der Hohlwelt verweise ich auf meinen Aufsatz OulSitk TUrMJ Insitk - Conaptions of tht HolJDw E4nh from Dan~ to Ta1T4n, in: TIN HolJDw E4nh. HohlnJmltonuptionm in Jn NaturwUsmschafi, Li,"atu, und Kunst, hg. von Hanjo BerresscmlUwe Schwagmeier, AmsterdamlAdanta (Mich.): Rodopi, voraussichdich 2004 137 Williarns. Notts on tht Untlnground. S. 11
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weniger Schauplatz und Aufbewahrungsort des Vergangenen als One der Zukunft. Diese Tendenz zeigt sich besonders deudich im literarischen Genre der Scimc~ fiction. Generell ist der Untergrund für die Scimc~ fiction des 19. Jahrhundens. was der Weltraum für die des 20. sein wird: l38 Ursprung ungeahnter Gefahren. Heimat unbekannter Welten oder Gesellschaften und in den späteren Jahrzehnten in zunehmenden Maße Ort für Zukunftsprojektionen. Während die klassischen Unterweltreisenden den Figuren der Vergangenheit ~eten. sind diese neuen Helden in der Unterwelt Zeitreisende in die Zukunft:' Auf dieser Zeitebene treffen sich Wissenschaft und Mythos wieder: Die utopische oder auch anti-utopische Gesellschaft. die durch Technologie und Wissenschaft im Untergrund realisierbar zu werden verspricht. trägt die mythische Ursprungserzählung in Form eines teleologischen Mythos in die Zukunft. Ein Aspekt. der jedoch auch den epischen Unterweltreisen der Antike nicht ganz &emd war: Ein proleptischer Aspekt ist der Unterweltreise ebenso wie ein analeptischer immer eigen gewesenin der Odyss~~ fährt Odysseus zum Hades. damit ihm der Schatten des T eiresias die Heimkehr prophezeit. und in der Amm sucht Aencas den Vater in der Unterwelt auf. um von diesem über die ruhmreiche Zukunft des Imperiums. das er gründen soll. zu erfahren. In der Science-Fiction des 19. Jahrhundens wird die Zeitdimension der Zukunft allerdings beträchdich erweitert: Motive und Bilder der leattJba;is dienen als Vehikel für imaginäre Reisen in eine unterirdische Gesellschaft der Zukunft. Das wohl bekannteste Beispiel für eine solche Zeitreisc in eine in diesem Fall höllische .. Unterwelt" ist H. G. Wells' Ti~ Machin~ (1895). Der Protagonist reist mit der von ihm konstruierten Zeitmaschine in das Jahr 802 701. um dort eine rigorose Zwei-Klassen-Gesellschaft vorzufinden: Die bis zu debiler Kindlichkeit degenerienen Eloi. die überirdisch ein Leben der Muße ohne jede Herausforderung führen. haben ihr unterirdisches Gegenstück in den Morlocks. ursprünglich eine Sklaven kaste. deren Angehörige in der höllischen Maschinenund Arbeitswelt unter Tage qua survival o[ th~ fitt~st zu einer verrohten aber leistungsfähigen Gattung heranwuchsen. Hier klingt ein verzerrtes Echo des Burkeschen Gegensatzes von verweichlichendem Schönem und stimulierendem Erha138 In diesem KonteXt wäre noch einmal Wendy Lcsscrs Datierung der Rsubterrancan era- zu hinterfragen: Ihrer Argumentation zufolge geht sie mit dem ersten Wdtrawnflug 1958 zu Ende, indem von nun an der äußere Rawn Vehikel der Vorstellungskraft und Feld des technischen Fortschritts ist (Lcsscr, Lift &Iow tht Grrnma, S. 7). Tatsächlich findet diese Verlagerung bereits zuvor staR, worüber die Scimct jktions des 20. Jahrhunderts Auskunft geben: Lovccrafts At tht MOllnt4;ns o[ MaJnm (1931) oder Richard Shavers Geschichten in dem Pulp-Magazine AlnllDng 510nes aus den 40ern liegen zwischen diesen beiden Orienticrungcn der Imagination; hier werden sowohl das Erdinnere wie der Wdtrawn als phanwtische Projektionsräwne eröffnet. Darüber hinaus ist die von Lcsscr markieRe Wende vom inneren zwn äußeren Rawn, so zutreffend sie für die Dimension der Zukunft sein mag. keineswegs so eindeutig für die der Vergangenheit. Als deren On behält der Untergrund eine privilegiene Position. 139 So erwa in Edward Bulwer-Lyuons TIN Com;ng &ct (1871), Mary E. Bradley Lanes Mizllra: A Propin'] (1880/81) oder Gabricl de T ardo Fragmmt J'hislOirt fotrIrt (1884)
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benem nach. Es sind die Morlocks, die nach dieser zutiefst pessimistischen Variante des Klassenkampfes die Welt der Zukunft mit Gewalt und Technologie beherrschen. Der Paradiesgarten der Eloi liegt in Ruinen, die Hölle der Morlocks aber ist voll funktionstüchtig. Wells' Roman ist in dieser Hinsicht symptomatisch für den Verlust an Wirkungsmacht und metaphorischer Verbindlichkeit, den das Paradies seit der Entthronung einer religiösen Kosmologie erlitten hat. Das verhält sich anders mit der Unterwelt - nicht zuletzt, weil sie weit mehr als bloßer höllischer Antipode ist. Wenn auch die Hölle als Ort ewiger Verdammnis im chrisdichen Glauben noch vor dem Paradies aus der Mode kam,140 behält doch die zwielichtige Unterwelt ein weiueichendes Terrain in der symbolischen Welt inne. In der Scimct fiction kann sie deshalb nicht nur abschreckende Dystopien sondern durchaus auch paradiesisch anmutende Utopien beherbergen - allein, ganz ungetrübt sind diese Utopien in den seltensten Fällen. Es ist vor allem ihre Ambivalenz, durch die sich die Unterwelt noch einer säkularisierten Moderne empfiehlt: Sie ist ein geeigneter Siedlungsort für die gebrochenen und skeptischen Weltentwürfe des 19. und 20. Jahrhunderts. Aber der wahre Zeit-Raum der Unterwelt bleibt die Vergangenheit: Im späten 19. Jahrhundert entwickelt sich im Verhälrnis zur Antike ein verstärktes Interesse an den realen und mythologischen Implikationen des "Unterirdischen". Vor allem das Bild der griechischen Antike wandelt sich an der Wende des 20. Jahrhunderts signifikant, wie Hans Blumenberg bemerkt: Der Boden, auf dem Tempel und Statuen, Stadtmauern und Theater gestanden hatten, war nichr mehr die Begrenzung des Blicks. Auf diesen Boden fielen die Schatten, den Säulen und Standbilder warfen, und unter ihm war das Dunkelreich von Erd- und Todesgottheiten, die der Glanz der Olympier vergessen gemacht hatte. 141 Die chthonischen Götter, seit Georg Friedrich Creuzer als ebenbürtige Antithese der olympischen begriffen, werden dem späten 19. Jahrhundert zur ursprünglichen, vorgängigen Macht gegenüber den "heiteren Göttern Griechenlands", wie sie das Antikenbild des Klassizismus beherrschten. 142 Der Blick in den Untergrund fallt jedoch nicht nur auf unterirdische Gottheiten - auch der materielle Untergrund der griechische Hochkultur wird zum Gegenstand der Aufmerksamkeit: Jacob Burkhardt sieht in den Details des platonischen Höhlengleichnisses die realen Zustände der griechischen Bergwerkssklaven wiedergegeben - das Sklavenwesen als Grund der griechischen Kulturmuße, das Bergwerkswesen als Fundament des Wohlstands der Polis. 14 ' Seiner Argumentation zufolge wird die lichte Oberwelt von ihrem eigenen Untergrund aus erschüt140 Siehe Christian Bcgemann. Furcht uNi Angst im Prouß tkr Aufoliirung. Zu Lit",'tur uNi &wußtsnnsgnchichY tks 18. jahrlnuuJmJ. Frankfun a. M.: Athenäum. 1987. S. 80 141 Blumenbcrg. Höhlnwusgiing~. S. 637 142 Zu dem Gegensatz chtonisch - olympisch. wie ihn das 19. Jahrhunden aufbaut. siehe Renate Schlesier. KuJu. Mythm uNi G~khm. Anthropo/ogU tkr Anti/tt snt 1800. München: Fischer. 1984. S. 21-32 143 Blumenbcrg. Höhlnwusgiing~. S. 644
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tert werden: Die Minen der Sklaven sind die Katakomben der neuen Religion. In der Tiefe liegt der Ursprung der Zukunft. und in die Tiefe wird die Gegenwan als Vergangenheit hinabsinken. Die unterirdischen Aktivitäten - und das heißt zugleich repressiven Mechanismen - der "Hochkulturen" untergraben die Autorität und Sicherheit. die sie bestärken sollen. Mit dem der Zeit eigenen Gefühl für die Instabilität und Gefährdung der Gegenwart werden die Sklavenarbeiten unter Tage zum Sinnbild für den Gang der Geschichte...Indem die Kultur aus der Tiefe der Erde ihre Substrate holt. unterhöhlt sie den Boden. auf den sie das Ihri,,144 ge steUt. Nach der Logik dieser Topographie ist der Untergrund auch der Ort. an dem man die in ihren eigenen Fallgruben versunkenen Kulturen suchen muß. Hier sind die Zeugnisse vergangener Zivilisationen und die Zeichen vergangener Katastrophen aufbewahrt. Deshalb bildet sich als Pendant zu der prähistorischgeologischen Suche im Untergrund eine neue Wissenschaft heraus. die den Ursprung der Zivilisationen und Kulturen erforscht und dafür ebenfalls in die Tiefe geht: die Archäologie. die in ihrer modemen Form Ende des 18. Jahrhunderts ihren Anfang nimmt. Im Gegensatz zur prähistorischen Anthropologie und Paläontologie. deren Entwicklungen eng mit der Evolutionstheorie verbunden sind. schmeicheln die archäologischen Ausgrabungen der Zivilisationsgeschichte dem bildungsbürgerlichen Selbstverständnis. Die Archäologen des 19. Jahrhunderts sind gefeierte Helden. die die heroische Vergangenheit des klassischen Bildungsideals zu Tage fördern. Daß es sich bei dieser Wissenschaft nach Wunsch um ein sem i-mythologisches Unternehmen handelt. zeigt sich vielleicht nirgendwo deutlicher als in der berühmten Ausgrabung Trojas durch Heinrich Schliemann. 14s Der Autodidakt Schliemann sucht an seinen Ausgrabungsstätten "das Vaterland der Helden. deren Abenteuer meine Kindheit entzückt und getröstet hatten". 146 Immer wieder betont er. seit der ersten Begegnung mit den homerischen Epen fest an die Existenz Trojas geglaubt zu haben. dass die ganze Arbeit meines späteren Lebens durch die Eindrücke meiner frühesten Kindheit bestimmt worden. ja dass sie die nothwendige Folge derselben gewesen ist; wurden doch, sozusagen, Hacke und Schaufel für die Ausgrabung Trojas und der Königsgräber von Mykcnae schon in dem kleinen deutschen Dorfe geschmiedet und geschärft, in dem ich acht Jahre meiner ersten Jugend verbrachte. 147
Schliemanns Ausgrabungen sind von dem unbeirrbaren Willen beherrscht. eine Identität von literarischem Mythos und historischem Fakt herzustellen - allerdings eine, in der der Mythos in den Fakten der Wissenschaft aufgehoben ist:
144 Ebd. 145 Vgl. hierzu auch Christiane Zinu.cn, Von PomMi ""ch Troja. ArchiUJ~. Lit«atur uNi OjJmtlichluit im 19.jahrhunJm, Wien: WlN-UniversilälSVerlag. 1998, Kap. VII, S. 257-314 146 Heinrich Schliemann, &lIntbiograplM. bis zu seinem Tode vervollständigt von Alfred Brückner. hg. v. Sophie SchIiemann. Leipzig: Mecklenburgische GexUschaft. 1930/31. Bd. I. S. 59 147 Ebd .• S. 9
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Möge diese Forschung mit Spitzhacke und Spaten mehr und mehr beweisen, daß die in den göttlichen homerischen Gedichten gcschildenen Ereignisse keine mythischen Erzählungen sind, sondern auf wirklichen Tatsachen beruhen, und möge sie dadurch, daß sie dies beweist, die Liebe aller zu dem edlen Studium der herrlichen griechischen Klassiker und besonders Homers, der strahlenden Sonne aller literatur, vermehren und kräftigen.''''
In seinem panegyrischen Stil kehn sich das wissenschaftliche Anliegen jedoch unversehens in eine fromme Lobpreisung des "göttlichen Homers". Das "heilige, erhabene Denkmal von Griechenlands Heldenruhm", das Schliemann in der Tiefe sucht und findet, soll die sagenhafte Vergangenheit bestätigen und "fonan auf ewige Zeit" gegenwärtig halten'''' - hier wird geradezu ein neuer Bund für die humanistische Bildungsreligion gestiftet. Daß sich die von Schliemann beigebrachten Fakten Jahrzehnte später auch als fiktionale Konstruktionen erweisen werden, ist nicht nur dem Übereifer des autodidaktischen Enthusiasten geschuldet - es ist auch eine Konsequenz aus der Verbindung von Wissenschaft und Mythos. die die Archäologie darstellt. Schliemanns Troja ist selbst ein Mythos der Archäologie geworden. dieses wissenschaftlichen logos. der sich nach dem mythischen Ursprung. der archt. zurücksehnt. Die Welt der Vergangenheit. die die Archäologie im Untergrund sucht. bewahn eine Aura des Sakralen und Mythischen. Nicht nur sind die One. die sie ausgräbt. oft sakrale Stätten. Tempel und Grabmäler. auch die Haltung der Archäologen gegenüber ihrem Gegenstand trägt häufig andere Merkmale als sie einem wissenschaftlichen Ideal interessiener Nüchternheit entsprechen. Schliemann bestätigt in der Realität seinen Kinderglauben an die Li(eratur. und eine ganze westliche Zivilisation erliegt der Faszination des Archaischen - auch wenn sie sich zugleich über diese "primitiven Vorstufen" erhaben wähnt. Selbst die frühen archäologischen Plünderu.,en. die von einer imperialistischen SchatzgräberMentalität getrieben werden,' zeigen bereits Züge, die sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer Archäologie-Romantik herausbilden werden. Die Geschichte dieser Wissenschaft ist nach dem autoritativen Modell der Heldenmythologie gearbeitet, das sie aus der Tiefe der Vergangenheit ausgräbt: Archäologen sprechen vom 19. Jahrhunden als dem "heroischen Zeitalter der Archäologie",1SI und die Protagonisten dieser Disziplin träumen von ihren Unternehmungen als Reise des Helden in die Unterwelt. So etwa Austen Henry Layard am Vorabend seiner Ausgrabungen in Niniveh: Visions of palaces underground, of gigantic monsters, of sculpturcd figures, and endless inscriptions ßoatcd before me. [... ] I fancicd mysdf wandering in a mau of
148 Ebd.• Bd. 2. S. 47 f. 149 Ebd .• Bd. 1. S. 101 f. 150 Siehe Franz Gcorg Maier. VDn Winelttlm4nn a Schlimumn - Archilo. tJs Erobtrrmgnvissms~1Mft tIn 19. JIIhrInmJms. Opladen: Wcstdcurscher Verlag. 1992. S. 17 fT. 151 Ebd .• S. 16
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chambers from which I could find no ouclet. Tben again. all was re-buricd. and I _.J IS2 was standi ng on th e grass-covercu mount.
gantischen Monstern wird Layard bei seinen Grabungen im Untergrund tathlich begegnen: Als er die Kolossalstatue eines geflügelten Löwen in den Ruin Ninives entdeckt. vergleicht er diesen Anblick mit dem Aufstieg eines Fabelrs aus der Unterwelt. 1S3 Die versunkenen Kulturen werden nicht nur aus dem freich ausgegraben. sie werden auferweckt aus einem mythischen Reich der idosigkeit. dessen On der Untergrund ist. In den Wonen des Archäologen ~ffrey Bibby: "Jeder Archäologe weiß in seinem Herzen. warum er gräbt. Er ibt, [... ] damit die Toten wieder leben mögen. damit das Vergangene nicht für mer verloren sei[.]"IS4 An die Stelle der geschichdichen Rekonstruktion des :enurns. wie sie in den Generationen zuvor die Philologie betrieben hat. tritt n in der Imagination der archäologischen Epoche eine Praxis der Verlebending. Offenkundig steht diese Vorstellung in Widerspruch zu dem Fonschrittsnken des 19. Jahrhunderts. das Geschichte als irreversiblen. linearen Prozeß ~eifr. In der Archäologie anikulien sich damit auch ein unbewältigter Verlust r Gegenwart und die Weigerung, diesen Verlust an lebendiger Überlieferung d Bedeutungszusarnmenhang anzuerkennen. ISS Die Archäologie ist in dieser nsicht nicht nur ein semi-mythologisches. sondern auch ein melancholisches lternehmen: Sie will die Vergangenheit nicht im Modus der Erinnerung ver1gen sein lassen. Die wiederbelebte Mumie. die am Ende des 19. Jahrhundens zahlreichen viktorianischen Romanen auftaucht. ist der unheimliche Wider1ger dieses aus archäologischer Rhetorik nur zu heimisch-venrauten Wunsches. reits vor der literarischen Mumien-Obsession des Spätviktorianismus befürch1848 die Schriftstellerin Harriet Manineau auf ihrer Ägyptenreise: "If we .ud once blow away the sand. to discover the temples and palaces, we should IC[ want to rend the rockst to lay open the tombs: and heaven knows what this luld set us wishing further."IS6 Welcher Wunsch auf die Öffnung der Gräber gr. zeigt nicht nur die Popularisierung der Ägyptologie in der UnterhaltungsFo""""tions i" tlN Dust. A Story 0/ Mnopo"mÜl" Exploration. london u. a.: Oxford Universiry Press. 1947. S. 112 I ..This gigantic had. blanched with age. thus rising from the bowds of the Earth. might wdl ~ Austen Henry Layard utien in Seton Uoyd.
have bdongcd to one of those fcarful bcings which are pictured in the tradition of the country. as appcaring to monals. slowly asccnding from the regions bdow." Austen Henry Layard. NiMWh aNi /n &mains. london: John Murray. 1849. Bd. I. S. 66 I Zitien in Walter Schönau. Sigm"Ni Frrwis Prosa. LilertlrisclN Elnnmu InfUS Stils. Stuttgart: Mca.ler. 1968. S. 186 i Genau diese Figur liegt auch der Initialsz.cne zugrunde. die Heinrich SchIiemann in seinen autobiographischen Aufzeichnungen immer wieder bcschwön: die ..Betrübnis" ob der Zerstörung Trojas. dem Sinnbild der Hdden und Ereignisse...die meine Kindheit enaückt und getröstet haben". und darauf die Weigerung. eine resdosc Zerstörung anzuerkennen: .. -Vater-. sagte ich darauf. -wenn solche Mauern einmal dagcwesen sind. so können sie nicht ganz vernichtet sein-" • - eine Weigerung. die. zumindest in der Rückschau. als die bestimmende Kraft des gesamten l.cbcns erscheint. Vgl. Heinrich SchIicrnann. &/lntbiograplM. Bel I. S. 59 und 16 i Zitien in Bubara Kone... Tht Rrasmri"f Scimct-! A"hiJofotit als S"jn "Ni MtlllplNr i" tkr Liuratur Bri"",,,inu. in: Poniul 31: 1-2 (2000). S. 125-150. hier: S. 133
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literatur. Die Figur des wiedererweckten Toten verkörpen das "U1timum des archäologischen Strebens, nämlich eine untergegangene Vergangcnheit wieder gegenwänig zu machen".ls7 Die vielgcrühmte "Wissenschaft des Spatens" ist deshalb nicht nw eine in die Realität projiziene Mnemotechnik, sie trägt auch die Züge eines Bcschwörungsrituals - sie ist, wiederwn in den Wonen eines &chäologen, "Magie des Spatens" .158 Der Fluch der Pharaonen, ein anderes Phantasma der Archäologie-Rezeption der Jahrhundenwende, ist nw die gcfürchtetersehnte Antwon auf die "Magie" der Archäologie - er überwindet die zcidiche Distanz, wenn er sich, reaktivien nach Jahnausenden, an denen vollzieht, die die Vergangenheit zw lebendigen Gegenwan machen woUen. Die Grabungen in immer tiefer gelegenen Schichten der Vergangenheit stellen den Versuch dar, aus einer irreversiblen Linearität der Zeit auszubrechen in eine "Prähistorie", die, mehr noch als vor der Geschichte, jenseits ihrer Zeitlichkeit liegt: "There before us lay the scaled door, and with its opening we were to blot out the ccnturies and stand in the presence of a king who reigned three thousand ycars ago." So erinnen der britische Ägyptologe Howard Caner den Moment, als er vor der versiegelten Tür der Grabkammer Tut-Ench-knuns stand. 159 Und wie der Archäologe in die Unterwelt jenseits der Zeit hinabsteigt, steigt wiederwn mit seiner Hilfe die Vergangenheit aus der Unterwelt hinauf in die Gegenwan: "Tutankhamen, a 3000-year-old Pharao, "coming fOM into the day"", untertitelt die IOustrakd LonJon Nm/s ein Bild von der Bergung des PharaonenSakrophagsl60 - die Archäologie als verspätetes orphisches Unternehmen. Und als orphisches Unternehmen endet sie auch: Die Erweckung der Toten zum Leben scheiten. Am Ende hat der Archäologe doch nw "totes" Material Bruchstücke, Hieroglyphen, einbalsamiene Körper -, das er allein mithilfe eines Diskurses kontcxtualisieren und "beleben" kann. "Denn es reicht nicht, daß [die Archäologie] stumm auf ihre Funde verweist. Diese selbst drängen zur Sprache, denn nur die Sprache kann ein Supplement jenes Lebens sein, das von ihnen abgefallen ist. Archäologie, die ihrer tiefsten Tendenz inne ist, will Diskurs werden. "161 Orpheus bleibt der Klagegesang über Eurydike, der Archäologie der Bericht von ihren Funden - in hundenen von Seiten Forschungsbcrichten und Materialkommentaren, vor allem aber in unzähligen populären Publikationen, die von den Grabungen erzählen: Wit' ich Troja fand; Nint'Vt'h and les Rmzains; Tht' Tomb ofTut.Anleh.Amm; Göttt'r, Gräbt'T' und Gt'uhru. Und in Form der fiktionalen Narration: Die Archäologie wird im 19. Jahrhunden zum beliebten Iite157 Ebd .• S. 135f. 158 So der Titd eines 1906 gehaltenen Vonrags von Arthur Evans. dem Entdccla:r der prähdlenisehen Zivilisation von Knossos. Siehe Ann Brown. A"ln4r EINIIIS "Ni IM Pllillc~ of Minos. Oxford: Ashmolcan Museum. 1983. S. 35 159 Howard Caner/A C. Macc. TIN Tomb of TUI.Ankh.Amm. Ncw York: Coopcr Square Publ.. 1%3. Bd. I. S. 179 160 TIN Grr"t ArdNuolofists. cd. by Edward Bacon. London: Sccla:r & Warburg, 1976. S. 176 161 Karlhcinz Stierle. &Juc""" JU ArdJilDIDgU. Z_ UrsPrunllltJ1I FtnICIlults ArchäolDgUlHgriff. in: DIll W"gnis tkr M~. Fnts~hrift for M"rülmu KmiIlI. hg. v. Paul Gerhard Klussmann u. a.. Frankfurt a. M.lBcrlin: Lang. 1993. S. 167-178. hier: S. 173
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rarischen Sujet. Nur in der zeidichen Verschiebung und erinnernden Distanz, die dem Erzählen eignet, kann der archäologische Gegenstand, die Vergangenheit, als lebende Gegenwart entfessdt imaginiert werden - die zum Leben erweckten Mumien, Flüche und Wiedergänger suchen Unterhaltun~romane, Schauergeschichten und Scimc~ fiction der Jahrhundertwende heim. Hier erfüllt sich in der Fiktion der (Alb-)Traum der Archäologie: die Reise in eine Unterwelt der Vergangenheit, die in ewiger Gegenwänigkeit existiert, die Rekonstruktion eines ursprünglichen Kontextes, die nicht mehr narrative Repräsentation sondern unmittelbare Präsenz generieren würde. Die Archäologie, wie sie im 20. Jahrhundert aus poststrukturalistischer Perspektive konzipiert wird, impliziert die Verweigerung einer linearen, sinnstiftenden Narration durch die irreduzible Materialität und Fragmentarität ihrer Funde: 63 Doch die Formierung der archäologischen Wissenschaft im 19. Jahrhundert ist die genaue Gegenbewegung zu dieser ihr selbst innewohnenden Tendenz - sie will Zusammenhang, Sinn und Erzählbarkeit stiften, und ihre Funde soUen dieser Erzählung Evidenz und lebendige Präsenz verleihen. IM Dies speist sich aus dem Mythologem der Unterweltreise, einem imaginären, fiktionalen Nukleus innerhalb dieser, nach eigenem SelbstVerständnis "historischen" Wissenschaft des 19. Jahrhunderts. Zum einen arbeitet die Archäologie dabei mit einer Wiederholungsfigur - anders als die teleologische GeschichtsWissenschaft dieser Zeit -, einem Phantasma des ,.Wieder-holens" als Wiederbelebung, wie es die Unterweltreise in Aussicht stellt. Zum anderen ermöglicht der Rückgriff auf das mythologische Motiv und seine narrative Verarbeitung, die Bruchstückhaftigkeit, Zufälligkeit und Unvollständigkeit des archäologischen Materials in den Zusammenhang einer Erzählung zu binden. Die Opposition zwischen"Wissenschaft des Spatens" und dessen " Magie" , zwischen Fortschritts-bedingter Entzauberung und zauberhafter Erweckung der Vergangenheit generiert damit eine Archäologie, die, dem logos in ihrem Namen zum Trotz, einer Mythopo;~sis verpflichtet ist.
162 Etwa in Henry Rider Haggard, SIN (1887), Anhur Conan Doyle, 1M Ri"K o[ Toth (1890), Bram Stoker, TIN jnJHI o[tIN &um Sl4rs (1903). Weitere Angaben und bibliographische Verweise in Kone, • TIN &4SSU""K Scinrc~·?, Anm. 4, 20, 21 und 37. Später werden H.P. Lovecrafts Erzählungen eine ähnliche, allerdings nicht mehr ägyptologische .Heimsuchung" in Szene setzen: z. B. At tht Mtnml4iru o[MIUbuss (1931) oder 1M Colo"r Out o[Sptza (1927). 163 Zu einem solchen, auf Foucault zurückgehenden Archäologie-8egriff vgI. Gianni Cdati, 11 ""ur ll~hMologico, in: ders., Finzion; occiJmlllÜ. FIlInJuiOM, comidt4 ~ smtturll, Torino: EinauCÜ, 1975, S. 185-215 164 .Traditional ,humanist' archacology wants a living narrative history: key events and aspects of the past aniculated into human narrative [... ). Key facts arc sdccted and given meaning by the archaeologist." Michad Shanks/Christopher Tilley, &-Constru.ai"K A~hMoloo, Cambridge u. a.: Cambridge U. P., 1987, S. 13
KAPITEL 11 MYTHOLOGIE DER TRIEBE: FREUD IN DER UNTERWELT "Außerdem lese ich griechische Archäologie und schwelge in Reisen, die ich nie machen, in Schätzen, die ich nie besitzen kann."1 Der dies schreibt hat zu diesem Zeitpunkt bereits eine ganz andere Reise unternommen - nicht in die kulturhistorische Vergangenheit, sondern in die individualhistorische, nicht in den U ntergrund der historischen Stätten, sondern in die Tiefen der Psyche: Sigmund Freud hat im vorhergehenden Jahr seine Trau71Ukutung veröffentlicht, die Schrift, die als das Fanal der Psychoanalyse gelten darf. An der Schwelle zum 20. Jahrhunden gesellt sich so den "Wissenschaften der Tiefe" eine neue Disziplin hinzu: Freud selbst nennt die Psychoanalyse auch "Tiefenpsychologie".2 Denn die psychische Topik, die sie (neben dem dynamischen und dem ökonomischen Aspekt) postulien, ist die einer TiefendimcmiQ.n. j "Soll das "Unbnuußtl' als Element der Wachgedanken im Traume Darstellung finden, so ersetzt es sich ganz zweckrnäßigerweise durch "untmrdisch~" lokalitäten".4 Damit muß sich die Psychoanalyse erst von einer weitgehend flächigen Bewußtseinsphilosophie absetzen. Entgegen der Ansicht, die Tiefe sei seit Heraklit die verbindliche Dimension und Richtung der Psyche gewesen,s läßt sich zumindest in der horizontal orientienen Neuzeit der Einfluß eines dezidien zweidimensionalen Repräsentationsmodells nachweisen: Die geographische Karte,6 eine extensive Topographie der Seele, deren durchgehend sichtbare Oberflächenstruktur auch eine grundsätzliche Bewußtseinsfähigkeit psychischer Elemente und ihrer Verhältnisse voraussetzt.7 Die Vorstellung eines genuin Unbewußten hingegen taucht nicht zuF.illig in einer Epoche auf, welche statt des hellen 1 Brief vom 14. 10. 1900 in: Sigmund Freud. BrUfo an Wi,,"1m FINß 1887-1904. hg. v. Jeffrcy MoussaidT Massan. deutsche Fassung v. Michael Schröter. Frankfurt a. M.: S. Fischcr. 1986. S.469 2 Eine Bezeichnung. die ursprünglich von Eugcn Blculcr stammt. Siehc Hcnri F. E1lcnbcrger. Dü Enllkcln4ng Jn Unkwußtm. Sern u. a.: Hans Huber. 1970. Bd. n. S. 675 3 Sigmund Freud. Das Unbnuuß~. (1915). in: den .• StuJinuzlUga~ (fonhin: SlA) 111. Frankfurt a. M.: Fischcr. 2000. S. 119-174. hier: S. 132 4 Ders .• D~ Trau~tIlng. StA n. S. 399 5 Vgl. James HiUmann. Am Anfang war tim Bi/J. S. 28 6 Vgl. etWa die .cane dc tendrc" der Socicte des prccicux. Abbildung in Dorothy Me DougaU. MaJekinr ek ScwIny. H" RDmIlntic Lift anJ Death. London: Mcthucn l!c Co. 1938. S. 166. Noch Jcan Pauls Rede vom Unbcwußtcn als dcm .wahrcn inncren Afrilca" liegt diese Vorstdlung zugrunde - dcm aw &lina stammenden. titdgcbcndcn Zitat der T asammlung .Diner lIIIIim in~ AfriltA: Tn:u pr Entekcln4ng Jn Unkwußtm vor FrrwJ. hg. v. Ludgcr Lütkehaw. Frankfurt a. M.: Fischcr. 1989. 7 Auch Freud benutzt noch das geographische Moddl. 50 in einem Brief an Aicß: .Dcr Traumvorgang spielt auf einem andercn psychischen Terrain. Die emc rohe Karte dieses Terrains werde ich mitteilen." Brief vom 9. 2. 1898 in: BNfo an FINß. S. 325 f.
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Tageslichts der aufklärerischen Vernunft das verborgene Geheimnis in der Nacht der Tiefe sucht: die Romantik. in der. wie wir bereits gesehen haben. die Seele zum Bergwerk wird! Ein Bild. das auch bei Freud wiederkehn. allerdings ins Düstere gewendet: In der Beschäftigung mit seinen "unterirdischen Di~e[n]"9 des Unbewußten fühlt er sich wie "in einem dunkeln Schacht vergraben".' Mag die Verbindung von Psyche und Tiefe auch schon lange vor Freud bestanden haben - erst durch das Konzept des U nbewußten wird diese Dreidimensionalität operativ genutzt. Die räumliche Metaphorik ist mehr als ein bloßes Modell; eine solche Hypostasierung ist ein wesentlicher Schritt zu der Behauptung des Unbewußten als eines real-existierenden. eigenständigen Systems." Diese Topologie hat vielfältige Implikationen: Offenkundig schreibt sie die uadiene Opposition von "oberflächlichem" Schein und "tiefer" Wahrheit fon das hermeneutische Modell eines "innewohnenden Sinns". den es zu enthüllen gilt. wie auch das romantische Erbe einer Offenbarung im Dunkel der Tiefe. die das Tageslicht überstrahlt. 12 Zugleich jedoch enthält die Tiefendimension auch die beunruhigende Vorstellung eines Abgrunds. 13 einer Tiefe. welche die Ordnung und den Alleinanspruch eines oberirdischen Bewußtseins unterhöhlt - der subversive Aspekt Freuds. der der psychoanalytischen Theorie in ihren Anfangen vornehmlich Ablehnung einbrachte. Erschlossen und strukturien wird diese dreidimensionale Topologie mithilfe zweier metaphorischer Felder - dem der archäologischen Ausgrabung und dem der Unterwelt. Anband dieser beiden Metaphernfelder manifestien sich bei Freud eine zweifache Differenz: Zum einen die Differenz zwischen logos und mythos. zwischen Freuds eigenem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und seinem beständigen Rekurs auf das. was seit dem 18. Jahrhunden konsequent als das andere des wissenschaftlichen Diskurses aufgebaut worden ist: der Diskurs der Kunst. in diesem Fall die Literatur. Zum anderen eine Differenz. die die Struktur der psychischen Topik betrifft. insofern mit der archäologischen Metapher eine andere 8 Zum .. Ursprung" des Unbewußten in der Romantik vgI. die in Ludger Lütkchaus Anthologie .J)itsts wahrt innnr Afriluz· versammdten T ate. 9 Brief vom 26. 11. 1899. in: Briifr an FIi~ß. S. 428 10 Briefvom 15. 3. 1898. cbd.• S. 331 11 Vgl. A1asdair C. MacIntyre. Das Unb~ßk. Ein~ lkgriffiaNl/yu. Frankfun a. M.: Suhrlwnp. 1968. S. 62 f. 12 Vgl. Blumenberg. Höhlnuzusgiing~. S. 303 f.• wo die Bezeichnung .. Romantik" jenseits der üblichen Epochenbcstimmungen unter diesem Gesichtspunkt cxplizien wird: .Die >Romantik<. die wir meinen. wenn wir den Namen gebrauchen. war nicht die erste in der Geschichte. Wo etWaS von dieser An auftaucht. etWa in der Spätantikc mit ihren archaisierenden Rückgriffen und ihrem Mißtrauen gegen >Aufklärungen<. fehlt das Bildwerk des Eintretens und Hinabsteigens in Höhlen und Unterwdten nicht. [... ) Romantik heißt. daß es aufs Geheimnis anIcommt und alles frei Zugängliche dagegen das Unwcscndiche. Unbildende. Lchrunwene ist." Das aufklärcrische Erbe Freuds soll demgegenüber keineswegs geleugnet werden. Vidmchr finden sich diese heiden Traditionslinien in der im Folgenden durchgefllhnen Differenzierung zweier Tiefenvomcllungen und deren Bildbereichen wieder: Die archäologische Metapher artikulien Frcuds aufklärerische Intention. wogegen die Affinität zur Romantik in der unterwddichen Metaphorik ihren Ausdruck findet. 13 Ein Bild. das Freud selbst in Das Unbtwussk benutzt. Vg1. cbd.. StA 111. S. 149
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Auffassung des Unbewußten als Tiefendimension kodiert ist als die. welche der Metapher der Unterwelt zugrunde liegt. Dies ist Ausdruck einer fundamentalen Ambivalenz, die Freuds Darstellung des psychischen Apparates und der in ihm ablaufenden Geschehen bestimmt - eine Ambivalenz, die in den zahlreichen Modifikationen und Kehren, die er in der Entwicklung seiner psychoanalytischen Theorie vollzieht. doch nie eindeutig aufgelöst werden wird. Was beide Topoi. den archäologischen wie den unterweltlichen, in gleichem Maße auszeichnet, ist die Verbindung der räumlichen und der zeitlichen Dimension. Sie sind "Chronotopoi", um einen Begriff Michail Bachtins aufzugreifen: Räume. die von der Zeit dimensioniert und sinnhalrig determiniert werden. 14 Diese Überblendung von Zeit und Raum mag der Grund sein, warum Freud keines dieser beiden topographischen Modelle ganz aufgeben wird. obwohl er die Vorstellung einer psychischen Topik wiederholt als irreführend und dem dynamischen oder ökonomischen Modell unterlegen charakterisiert. In den beiden Metaphernfeldern lassen sich zugleich die zwei Aspekte wiedererkennen, in die die Unterwelt in der Neuzeit zerfallen ist - Untergrund und Unterwelt. In der Psychoanalyse jedoch sind. anders als in den übrigen Wissenschaften der Tiefe. beide Vorstellungen nur als übertragene, uneigentliche Rede zu verstehen - auch die konkrete Lokalität des Untergrunds ist in der "Seelentiefe" zu einer Metapher geworden. Das Unbewußte ist in seiner Unwissbarkeit auch undefinierbar. wovon die terminologischen Modifikationen und Unschärfen innerhalb Freuds Werk beredtes Zeugnis ablegen. ls Es treibt eine Vielzahl von Bezeichnungen hervor. die doch nichts anderes als Übertragungen sind - die rhetorische Figur einer Ktztachrtst. 16 Damit ist in diesem Feld der Übertragungen die Trennung. die seit Galilei in die Topographie der Tiefe eingetragen ist. gegenstandslos geworden - die zwischen einem Untergrund wissenschaftlicher Buchstäblichkeit und einer Unterwelt als metaphorischem Topos. Angesichts des kognitiven Dunkels des U nbewußten wird auch die wissenschafdiche Rede zur "Bildersprache" .17 Aus einem klar begrenzten und lokalisierbaren Ort im Raum ist die Unterwelt zu einem entgrenzten. flottierenden Bereich in der Innerlichkeit des Subjekts geworden - entsprechend der metaphorischen Diffusion, die diese kosmologische Kategorie in der Moderne erfahren hat. Unter dem Pseudonym des "Unbewußten" wird die Unterwelt ihre wirkungsmächtigste Renaissance erleben. 14 Vgl. Michail M. Bachtin. Formm tin znt im RI",,,zn. Unlnß«/nmgm DIr historiKhm P«tilt. hg. v. Edward KowalskilMichad Wcgner. übers. v. Michad Dewey. Frankfurt a. M.: Fischer. 1989. v. a. S. 8 15 Die terminologisch-diskursiven Ausformungen. die dieses erkenntnistheoretische Dilemma in der 8egriffsgeschichte des Unbewußten vor Freud gefunden hat. demonstrieren die Texte der Anthologie nDinn UNlhrt innnr Afriu-. Vgl. zu diesem Problem auch die Einleitung Ludger Lütkehaus'. S. 7-45. hier: S. 14 ff. 16 In den Wonen Roland Barthes die rhetorische Figur. n[quel restitue ce blanc du compare. dont l'existence est enticrement remise lla parole du comparant Ders.• S/Z. Paris: Seuil. 1970. S. 41 17 Freuds eigener Ausdruck inJmsril1 des Lustprinzips (J 920). in: StA III. S. 211-272. hier: S. 268 K
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Die Ausgrabung des Unbewussten: Archäologie und Psychoanalyse Wenden wir uns zunächst dem metaphorischen Modell zu. das Freud selbst mit Vorliebe heranzieht: 11 Das Unbewußte als verschüttete und vergessene Stätte der Vergangenheit. die sich ganz in außdärerischer Tradition iJUIl Technik erschliessen läßt - der Technik der Psychoanalyse. von der allein es abhängt. "ob es gelingen wird. das Verborgene vollständig zum Vorschein zu bringen". 19 Hier ist offensichtlich. inwiefern die Wissenschaft. die in die Tiefen der Psyche führt. mit der Archäologie verwandt ist. sowohl was die Vorgehensweise als auch die Intention der beiden Wissenschaften betrifft. Die Vorstdlung einer schichtweisen Ablagerung des psychischen Materials im U nbewußten prägt entscheidend das Modell des psychischen Mechanismus: Das Bild einer stratifizienen Tiefenstruktur findet sich bereits in den frühesten Arbeiten zur Hysterie. hier noch dominien durch Metaphern aus dem geologischen Bereich. 20 Doch wird die archäologische Metapher sich an dem Punkt durchsetzen. an dem Freud von der reinen Beschreibung der psychischen Struktur zu der Entwicklung seiner analytischen Methode übergeht: So gelangte ich bei dieser ersten vollständigen Analyse einer Hysterie. die ich unternahm. zu einem Verfahren. das ich später zu einer Methode erhob und zidbewußt einleitete, zu einem Verfahren der schichtweisen Awräumung des pathogenen psychischen Materials, welches wir gerne mit der Technik der Awgrabung einer verschütteten Stadt zu vergleichen pßegten. 21
Der Psychoanalytiker versteht sich somit als .,gewissenhafter Archäologe". wie es in "Bruchstück einer Hysterieanalyse" heißt. 22 Wie die Archäologie die Tiefe der 18 Zur archäologischen Metapher bei Freud vgI. Donald Kuspit. A Mithty Mn.phor. TIN ANZIoo 0/
ArchlUOlDgy IInti PrychoaruJysis. in: Sigmunti FmMlllnJ Art. His pnJlJNll Collmilln 0/ Antiquitin. cd. Lynn Garnwdl/Richard WdIs. Ncw York: Stale Univcrsity of Ncw YorkIFreud Museum (London)lHarry N. Abrams, 1989, S. 133-151; Erncsl S. Wolf/Sue Ncbd. PsychoaNllytie &11".tio1lS: The S~" 0/ FmMI's Cosmt1f'lIphy. in: Amnialn Imago 35 (1978). S. 178-202 (zu Frcuds frühen Schriften bis zur TrllrmuJeulllnr); Waller Schönau. SigmruuJ FmuJs ProSil. S. 176188; Suzanne Cassirer Bcrnfdd. FmMlllnti ArchuolDgy. in: Amnic"" I"",p 8:2 (1951). S. 107128; sowie aus der Perspckrivc der psychoanalytischen Praxis Wolfgang Mcncns/Rolf Haubl, lkr
Psyd»tuuJytilter als ArchiJolDgt. Stungan u. a.: Kohlhammer. 1996 19 Frcud. KD1IStrvlttionm in tkr AruJys~ (1937). in: StA Ergänzungsband. S. 393-406. hier: S. 398 20 Vgl. Ernest S. Wolf/Sue Ncbd. PrychoaNllytie ExcaVlltio1lS. S. 187 ff. 21 JoscfBreucr/Sigmund Frcud. StwJU iJINr H~. Frankfurt a. M.: Fischer, 1997, S. 157 22 Frcud. Brwhstiiclt rinn' HJStnVlllllllysdl905 (1901)). in: StA VI. S. 83-186.ruer: S. 92
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l.cit über die Dimension der räumlichen Tiefe zu erschließen sucht, spürt auch lie Psychoanalyse in den verborgenen Tiefen der Psyche nach den Relikten der Vergangenheit - infantile Schlüsselerlebnisse und Traumata zunächst, später auch lberindividuelle Ereignisse der menschlichen Frühgeschichte. Aber die Gemeinkllllkeiten gehen noch weiter: Angesichts der Unvollständigkeit meiner analytischen Ergebnisse blieb mir nichts anderes übrig, als dem Beispiel jener Forscher zu folgen, welche so glücklich sind, die unschätzbaren wenn auch verstümmelten Reste des Altenwns aus langer Begrabenheit an den Tag zu bringen. Ich habe das Unvollständige nach den besten mir von anderen Analysen her bekannten Mustern ergänzt[.]23
Es geht um die Wiederherstellung eines intakten Ganzen, und zwar nicht nur des :inzelnen archäologischen Objekts, sondern der sinnhaltigen Totalität einer narrativen Repräsentation: "Gegen Ende der Behandlung erst kann man eine in sich konsequente, verständliche und lückenlose Krankengeschichte überblicken ...24 Wenn die Archäologie einen geschichtlichen Prozeß aus den schichtweisen Ablagerungen seiner Phasen rekonstruiert, so die Psychoanalyse aus ihren Fundstükken den fall-geschichtlichen Prozeß, an dessen Ende das aktuelle, "oberirdische" Symptom des Patienten steht. Beide Disziplinen vereint die Vorstellung von Schichten, aus denen sich Geschichte gewinnen läßt2S - im einen Fall Menschheits- und Kulturgeschichte, im anderen Lebensgeschichte. Aber die Gleichsetzung von Archäologie und. PsychoanalfSe ist noch durch einen anderen Aspekt motiviert als durch die Verknüpfung von Topik und Prozessualität, von Vergangenheit und Tiefendimension in der Figur der Geschichte: Es ist die glückliche Verbindung von Wissenschaft und Mythos, die der Archäologie des 19. Jahrhunderts so erfolgreich gelungen ist. Sie ist eine Geschichte mit Happy End, in der sich das "Realitätsprinzip" der Rationalität und eine von Mythen gespeiste Wunschvorstellung versöhnen - eine selten glückliche Konstellation in den Augen des Psychoanalytikers. Nicht ohne Neid kommentiert dieser die Erfolge Heinrich Schliemanns: "Der Mann war glücklich als er den Schatz des Priamos fand, denn Glück gibt es nur als Erfüllung eines Kinderwunsches ... 26 Daß es hier, wie Donald Kuspit treffend bemerkt, nicht nur um einen Kindheitswunsch, sondern auch um die Befriedigung eines ausgewachsenen Ehrgeizes geht,z7 wird einige Monate später deutlich, wenn sich anläßlich Freuds Selbstanalyse die neiderfüllte Bewunderung in jubilatorischen Triumph auflöst:
23 Ehd. 24 Ehd., S. 97 25 Dies in Umkehrung des Saacs Huben Fichtes: .Schichten statt Geschichten", der die Archäologie eben für das entgegengesetzte Unternehmen in Anspruch nimmt - die postmoderne Ddeonstruktion von Geschichten und Geschichte. Vgl. Christiane Zina.en, Vor. Pom/l9; NKh Tr0j4,
S.16 26 Brief vom 28.5.1899, in: Freud, Bri~ar. Fü~ß, S. 387 '1.7 Donald Kuspit, A Migbty MnIlJlhor, S. 133
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"Ich getraue mir noch kaum, daran orden dich zu glauben. Es ist, als hätte Schliemann wieder einmal das für sagenhaft gehaltene Troja aufgegraben." 21 Noch steht Freud hier unter einem Wiederholungszwang, in dem die Psychoanalyse nur als ein Nachfolgeunternehmen der Archäologie erscheint. Doch wird das keineswegs so bleiben. Der berühmte Aufsatz Das Unbthagm in t.kr Kultur (1930) illustrien die Bewegung, mit der sich die Psychoanalyse von ihrem metaphorischen Modell befreit hat, in einer für F reud charakteristischen Vorgehensweise. Wieder wird auf die archäologische Vorstellung einer stratifizienen Ablagerung der Vergangenheit zurückgegriffen: Die Psyche wird mit der ewigen Stadt Rom verglichen, um zu demonstrieren, daß alles Vergangene im Sedenleben erhalten bleibe, so wie sich die Renaissance-Paläste und Barockkirchen der Stadt auf und aus den antiken Gebäuden erheben - ein Bild, das sich bereits in der Trau11Ukutung findet, um das Verhältnis der Tagträume zu den Kindheitserinnerungen zu illustrieren. 29 Aber Freud geht hier noch weiter in seiner "phantastischen Annahme", Rom sei eine psychische Struktur: Wenn nämlich, wie er zuvor ausfühn "im Seelenleben nichts, was einmal gebildet wurde, untergeht",3O sondern vielmehr unzerstörbar neben allem Späteren fonbesteht, so würde das für Rom bedeuten, daß auf dem Palatin die Kaiserpaläste und das Septizonium des Septimus Scverus sich noch zur alten Höhe erheben, daß die Engelsburg auf ihren Zinnen noch die schönen Statuen trägt, mit denen sie bis zur Gotenbelagerung geschmückt war, usw. Aber noch mehr: an der Stelle des Palazzo Caffarelli stünde wieder, ohne daß man diese Gebäude abzutragen brauchte, der Tempel des Kapitolinischen Jupiter, und zwar dieser nicht nur in seiner ietzten Gestalt, wie ihn die Römer der Kaiseru:it sahen, sondern auch in seiner frühesten, als er noch etruskische Formen zeigte und mit tönernen AntifIXen geziert war."
Die Ausführung des Vergleichs ist damit noch nicht becndet - und doch scheint Freud ihn, Umfang und Detailreichtum zum Trotz, nur anzustellen, um ihn zuletzt mit aller Entschiedenheit von der Hand zu weisen: Es hat offenbar keinen Sinn, diese Phantasie weiter auszuspinnen, sie fUhrt zu Unvorstellbarem, ja zu Absurdem. [... ]Unser Versuch scheint eine müßige Spielerei zu sein, er hat nur eine Rechtfertigung: er zeigt uns, wie weit wir davon entfernt sind, die Eigentümlichkeiten des seelischen Lebens durch anschauliche Darstellung zu bewältigen ..12
Dieser Schluß kommt doch unerwanet, nachdem der Verfasser bereits eineinhalb Seiten auf diese "müßige Spielerei" verwandt hat. Und ungeachtet der erklänen Absurdität hält er es auch noch im folgenden Absatz für notwendig, den Vergleich von Stadt und Psyche mit einem weiteren Einwand zu entkräften. Ein 28 29 30 31 32
Brief vom 21. 12. 1899. in: Frcud. Brirfi IIn WiIMIm FlUß, S. 430 Ders.• T'II~mtkulUng. S. 473 Ders.• Dm Un/nhagm in tk, Kuh,. in: StA IX. S. 191-270. hier: S. 201 Ebd.• S. 202 Ebd.• S. 203
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Scheingefecht, zweifellos, da er doch mit den Worten schließt, die Stadt sei .,v 0 n vor n ehe r ein für einen solchen Vergleich mit einem seelischen Organismus ungeeignet".}} Unbeantwortet bleibt da die aufgeworfene Frage nach der ..Rechtfertigung" eines solchen Aufwandes. Die .,eindrucksvolle Kontrastwirkung" ist für den Leser bald erschöpft, nicht jedoch für Freud: .,Wir weichen diesem Einwand, wenden uns unter Verzicht auf eine eindrucksvolle Kontrastwirkung zu einem immerhin verwandteren Vergleichsobjekt"34 - nur mit Bedauern läßt er von weiterer Ausführung ab, .,unter Verzicht" auf eine Genugtuung, die sich aus dem Text selbst nicht erklären läßt, vielleicht jedoch aus einem Satz, der bei der Abfassung von Das Unbthagm in dn Kultur mehr als 30 Jahre zurückliegt: ..Dabei fallt mir ein, daß ich heuer nicht nach Italien reisen werde. "}5 Der wehmütige Satz flillt in einem Brief an den Freund Fließ, und er folgt unmittelbar auf die Bemerkung über Heinrich Schliemann und das Glück des erfüllten Kindheitswunsches. In diesem Kontext erscheinen Italien und Rom als Chiffre einer versagten Wunscherfüllung: des unzerstörbaren Kinderwunsches, wie ihn sich die Archäologie in einer anderen Stadt (Troja) erfüllte, und des unstillbaren Ehrgeizes, der Freud treibt, es ihr gleichzutun. Zum damaligen Zeitpunkt vergeblich. Noch im Jahr nach Fertigstellung der Traumdeutung schreibt er resigniert an Fließ: "Im Ganzen bin ich weiter weg von Rom als je, seitdem wir uns kennen, und die Jugendfrische läßt sehr merklich nach. Die Reise ist lang, die Stationen auf denen man hinausgeworfen wird, sehr zahlreich".36 Die Gleichsetzung der Reise nach Rom mit dem Aufstieg zum Erfolg ist hier unübersehbar. Doch über die Chiffre "Rom" kann Freud sich 30 Jahre später schadlos halten für die Wunschversagung und die Kränkung, die ihm die Rivalin Archäologie zugefügt hat: Die Psyche ist unvergleichbar mit einer stratifizierten Stadt, wie es Rom und wie es Troja sind. Der ausufernde Vergleich in Das Unbthagm in dn Kultur mag damit nicht gerechtfertigt sein, wohl aber motiviert: Er demonstriert die Überlegenheit der von Freud begründeten Psychoanalyse gegenüber der Archäologie mit einem triumphalen Gestus, der drei Jahrzehnten der Belagerung Genugtuung verschaffen muß. Nach diesem ostentativen Triumph läßt sich die Gleichung von psychoanalytischer Arbeit und archäologischer Ausgrabung nun immer wieder zugunsten der Psychoanalyse auflösen - wie etwa in Konstruktionm in dn Analyst (1937): Sie [die Psychoanalyse] ist eigendich damit [mit der Arbeit des Archäologen] identisch, nur daß der Analytiker unter besseren Bedingungen arbeitet, über mehr Hilfsmaterial verfügt, weil er sich um etwas noch Lebendes bemüht, nicht um ein zemönes Objekt [... ]. Alles Wesendiche ist erhalten; selbst was vollkommen verges-
33 Ebd. Hervorhebung I. P. 34 Ebd. 35 Briefvom 28.5.1899. in: Frcud. BrUfo411 FlUß. S. 387 36 Ebd., Brief vom 12. 2. 1900. S. 439. Zu Freuds Romsehnsucht und der Obcrdctcrrninierung die~ VontdJung vgI. auch Schönau. SigmunJ FmuJs Prouz. S. 192-207
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sen scheint. ist noch irgendwie und irgendwo vorhanden. nur verschüttet. der Verfügung des Individuums unzugänglich gemacht.'7
Dabei schmälern die "besseren Bedingungen" die Leistungen der Psychoanalyse keineswegs. denn ihr Objekt ist doch "unvergleichlich kompliziener [... ] als das materieUe des Ausgräbers". zumal seine "intime Struktur noch so viel GeheimnisvoUes birgt" .38 An der Schwierigkeit des Materials erweist sich der wahre Meister unterirdischer Grabe- und Rekonstruktionsarbeiten - dem Uneil Kuspits: .,In Freud's eyes, psychoanalysis, like archaeology, was an heroic investigation of legendary reality" /9 könnte man "even more man archaeology" hinzufügen. Mit dem Unbewußten wurde nicht nur eine alte Kultur, sondern auch eine neue Welt entdeckt.40
Das plotting der Psyche: therapeutischer Historismus versus metapsychologische Mythologie Wenn Freud die Archäologie trotz ihrer Überwindung durch die Psychoanalyse als Metapher nie aufgeben wird, so weil sie ein "archäologischer Mythos"·' ist zunächst ein Mythos des Erfolges, wie ihn Schliemann beispielhaft verkörpen. Doch darin erschöpft sich die mythische Qualität der Archäologie keineswegs. Ein anderer Aspekt mag für Freud noch vorbildlicher sein: Der Mythos liefen der Archäologie eine kohärente, sinnvolle Erzählstruktur, ihren plot. Sei es in der Rekonstruktion der "Mythen des göttlichen Homers" wie bei Schliemann oder derer der Bibel wie im FaDe der vorderorienwischen Altenumswissenschaften - die Archäologie des 19. Jahrhunderts erzeugt "Geschichte", indem sie den Sinnzusammenhang von (mythischen) Narrationen auf die Wirklichkeit übenrägt.41 In ähnlicher Weise muß auch Freud in seinen Konstruktionen vorgehen, um aus den Einzelelementen des Materials und seinen Deutungen die Kohärenz einer Geschichte herzustellen. Denn: "Der Weg, der von der Konstruktion des Analytikers ausgeht, soUte in der Erinnerung des Analysienen enden; er fühn nicht immer so weit. Oft genug gelingt es nicht, den Patienten zur Erinnerung des
37 38 39 40
Frcud. KJ",stnJttwnm in Jn A1I41yse. in: StA Ergänzungsband. S. 397 Ebd.• S. 398 Kwpit. A Mighty MaApho,. S. 134
Ebenso wie Frcud sich an Schlicmann mißt. so auch an Kolumbw. Als .Conquistadorentempcrament" beschreibt er sich in einem Brief an Fließ vom I. 2. 1900 (Bri~ "n FlUß, S. 43n. Später wird er mit leichter Resignation fcststdlen: "ID)er Erfolg gellt ohnehin nicht mit dem Verdienst. Amerika heißt nicht nach Kolumbw." (Vorlmmgm 04' Einfohrunl in Jü Psychoa1l4/ys~. in: StA I. S. 34-445. hier: S. 258) - cbcnsowenig wie das Unbcwußte. die "Provinz im Seelenleben", der Frcud so gerne seinen Namen verliehen hätte (B,.;qr"" FIUß(7. 5.1900), S. 453). 41 Kuspit. A Mighty MaAphor, S. 135 42 Vgl. hierzu S. 49 ff. dieser Arbeit
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Verdrängten zu bringen. ".3 Der lückenlose Zusammenhang der Lebensgeschichte isc deshalb nur durch eine andere Narration gewährleistet: Es sind narrative Modelle. die Freud seinen Konstruktionen in der Analyse zugrundelegen muß. um aus dem psychischen Leben seiner Patienten sinnvolle Erzählungen zu generieren. Sie lesen sich wie folgt: "Bis zu ihrem nten Jahr haben Sie sich als alleinigen und unbeschränkten Besirzer der Mutter betrachtet, dann kam ein zweites Kind und mit ihm eine schwere Enttäuschung. Die Mutter hat Sie Air eine Weile verlassen, sich auch später Ihnen nicht mehr ausschließlich gewidmet. Ihre Empfindungen Air die Mutter wurden ambivalent. der Vater gewann eine neue Bedeutung Air Sie" und so weiter....
Das ist die Skizzierung eines plots. und sein Titel lautet "Der Ödipuskomplex". Die Namen Ödipus. Narziß, Eros bezeichnen nicht nur den Regress in die "primitive" Vorzeit des Mythos und des Unbewußten. sondern vor aUem den Rückbezug auf das narrative System einer Mythologie: die narrativen Komplexe. aus denen der Analytiker sinnvolle Kranken- bzw. Lebensgeschichten konsuuien. Die Psychoanalyse ist auf der Suche nach den Ursprungserzählungen der Psyche. die sie in der "vergessenen Vorgeschichte"·' des Einzelnen wiederfindet. so wie Schliemann das Troja der homerischen Mythen in einem Erdhiigel in Hisarlik. Doch wird Freud in seinem Untergrund noch etwas anderes finden als die Mythen einer inf.mtilen Epoche. Der Mythos wird für ihn. anders als für die Archäologie. nicht nur einen sehnsuchtsVoll enräumten Hintergrund abgeben. vor dem die Fakten der Geschichte als Akteure hervonreten. Freud wird eine neue Mythologie begründen - eine "Mythologie der Triebe". Später wird er dies ausdrücklich formulieren: "Die Trieblehre ist sozusagen unsere Mythologie. Die Triebe sind mythische Wesen, großartig in ihrer Unbestimmtheit."4€> Als mythische Wesen gehören die Triebe nicht der prähistorischen Vergangenheit einer "mythischen Epoche" an - das wäre die Perspektive der Archjologie, die ihren Gegenstand, aUen Wiederbelebungsphantasien zum Trotz, als abgeschlossene Vergangenheit betrachtet. Anders als die versunkenen Altenümer oder die versteinenen Körper Pompeijis, die der Ausgräber im Untergrund findet, sind die Gegenstände der Psychoanalyse jedoch "etWas Lebendes" .•7 Lebend, insofern sie ewig und unzerstörbar in einem Reich jenseits der Zeidichkeit existieren - sie sind "vinuell unsterblich", wie Freud es ausdrückt. 41 Die Vorstellung der wesentlichen Zeidosigkeit des Unbewußten taucht in der Trau1'fllkutung erstmals auf: Alle "dem System Ubw aUein angehörigen seelischen Akte[ Je<, heißt es hier. besässen den "Charakter der Unzerstörbarkeit".·' Das ruft ein entschieden anderes 43 Freud, Kmrstrwktiotrnl in Jn ANlIyn, in: StA Erginzungsband, S. 403 44 Ebd., S. 298 f. 45 Ebd., S. 298 46 Den., Nnie Folfr Jn Vorlnungm DI,. EinfiJ/mlng in JU PsydHNz1lll/yn (1933), in: S~ I, S. 448608. hier: S. 529 47 Den., Kmutrwhiotrnl in Jn ANlIyn. in: S~ Erginzungsband. S. 397 48 Den., Nnie Folfr Jn Vorlmurgm. in: StA I. S. 511 49 Den.• rrtlllm4n.lllng. S. 527
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Vorstellungsbild auf als das eines zeidich geschichteten Untergrunds der Psyche, wie es die archäologische Metapher implizien. In der Traumtkutung geht es nicht um zerbrochene Tontafeln und versunkene Städte, sondern um "die Schanen der odysseeischen Unterwelt, die zum neuen Leben erwachen, sobald sie Blut getrunken haben".so Hier nimmt der Motivkomplex Gestalt an, der bereits den Diskurs der Archäologie selbst infiltriene, und der sich, wenn auch wider Freuds wissenschaftlicher Intention, in seinem eigenen theoretischen Modell festsetzen wird: das Motiv der Unterwelt. Eine unterweltliche Metaphorik behauptet sich durch Freuds gesamtes Schaffen, ähnlich dem archäologischen Topos, wenn auch weit verstohlener. Denn um den Anspruch der Psychoanalyse auf Wissenschaftlichkeit zu untermauern, scheint das mythologische Motiv denkbar ungeeignet. Erst spät wird Freud explizit von einer "Unterwelt der Psyche" sprechen; implizit jedoch ist diese Vorstellung in Gestalt zahlreicher Verweise und Motive seit den frühen Briefen an Fließ präsent. Das ist nicht nur der Suggestionsmacht des Topos geschuldet. Von allen mythologischen Motiven Freuds trägt dieses die weitreichendsten Implikationen in sich. Denn mehr als bloßes Motiv ist es ein kosmologisches Modell: nicht nur ein psychischer Komplex, sondern die Dimension des U nbewußten selbst wird in diesem Bild verhandelt. Das Unbewußte als Unterwelt vorzustellen hat entscheidende Konsequenzen für Struktur und Funktion der gesamten Psyche, für das Verhältnis Bw - Ubw, die Beziehung von Triebdynarnik und Individualgeschichte, die psychischen Mechanismen der Verdrängung wie der Erinnerung. Beide Metaphernfelder, das der Archäologie und das der Unterwelt, stellen Chronotopoi dar. Jedoch unterscheiden sich diese Chronotopoi gerade im Hinblick auf das Raum-Zeit-Modell, das in ihnen Gestalt gewinnt. Die archäologische Metapher gründet in der Vorstellung von raum-zeidichen Schichten, die nacheinander abgetragen werden können, um am Ende die älteste Schicht aufzudecken, auf der alles Spätere aufgebaut ist - in der frühen Ätiologie der Hysterie das Erlebnis der frühkindlichen Verführung, das sich nachträglich als Trauma etablien, in der späteren Theorie die Urszene des Mordes am Urvater, aus dem das kollektive Ober-Ich der monotheistischen Religionen entsteht. Diese Struktur implizien eine strikt lineare Zeitauffassung - eine Vorstellung von Entwicklung, die eng mit historischen und evolutionären Theorien, wie sie im 19. Jahrhunden entworfen wurden, zusammenhängt. Die Rede von den Inhalten des Unbewußten als einer "psychischen Urbevölkerung"S' oder Ereignissen einer infantilen "Prähistorie"S2 verweisen auf diese Diskurse. Unter dieser Perspektive kann das Unbewußte nicht anders denn als Verdrängtes gedacht werden - etwas ehemals Gegenwäniges und Aktuelles, das im Laufe der weiteren Entwicklung des Systems unter dessen höheren Organisationsformen
50 Ebd.• S. 528 51 Ders .• Dm Unbt'WUSS~. in: Stil IlI. S. 154 52 Vgl. etWa Brief vom 30. I. 1899 in: dcrs .• B,ufun Fü~ß, S. 374
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SCHICHTEN UND GESCHICHTEN
verschüttet wurde. SJ Ein Verdrängungsprozeß, der in der Analyse rückgängig gemacht werden kann. indem die unbewußten Inhalte (wieder) bewußt gemacht werden. Das ist die Annahme. die die therapeutische Arbeit Freuds seit der Frühzeit bestimmt: "Die Heilung der Zwangsneurose erfolgt, indem man alle vorgefundenen Substitutionen und Affektverwandlungen rückgängig macht, bis der Primärvorwurf und dessen Erlebnis f r e i gel e g t und dem bewußten Ich zur neuerlichen Beurteilung vorgelegt werden können."s. Wesentlich für dieses ModeU ist die Annahme eines quasi "historischen" Ereignisses - sei es in der infantilen Ontogenese oder in der menschlichen Frühgeschichte. Schon früh melden sich jedoch Zweifel an der Allgemeingültigkeit dieser Annahme. 1897 kommt Freud zu der Erkenntnis, daß ein solches Ereignis real keineswegs gegeben sein muß und daß selbst "in der tiefgehendsten Psychose [... ] das Unbewußte niemals den Widerstand des Bewußten überwindet".55 Damit aber "sinkt auch die Erwartung, daß es in der Kur umgekehrt Jehen müßte bis zur völligen Bändigung des Unbewußten durch das Bewußte". Das steUt nicht nur den Erfolg der psychoanalytischen Ausgrabungen in Frage sondern das gesamte archäologische ModeU. Es bedarf einer anderen Konzeption des Unbewußten - nicht mehr nur Verdrängtes, sondern ein Bereich, der dem Bewußtsein entzogen ist und bleiben wird, und dessen Inhalte aller Analyse zum Trotz fortbestehen. Bereits in der Traumtkutung nimmt Freud "das Vorhandensein eines infantilen, dem Vbw von Anfan~ an entzogenen Erinnerungsschatzes" als "Vorbedingung der Verdrängung" an. 7 Wird diese Qualität hier noch in Bezug zu einer infantilen Vergangenheit gedacht, so trägt sie doch bereits das Merkmal eines konstitutiv Unbewußten, das vom Bewußtsein grundsätzlich zu trennen und nicht in dieses zu verwandeln ist. 58 Donhin führt der "Nabel" eines jeden Traums, der Punkt, "durch den er mit dem Unerkannten zusarnmenhängt"s9 - in der Antike galt der omphalon, der Weltnabel, als Eingang zur Unterwelt. Hier ist die Metapher angelegt, die sich, weit "unterirdischer" als die archäologische, in der Psychoanalyse entfalten wird: Das Unbewußte als eine andere Welt mit ihren eigenen Gesetzen/>O die parallel zur Oberwelt des Bewußtseins existiert. Die Annahme einer solchen Realität wird Freud von einem 53 In einem Brief an Fließ von 18% beschreibt er den gesamten psychischen Apparat als "durch Aufeinanderschichtung entstanden". Ebd .• Brief vom 6. 12. 1896. S. 217 54 Ebd.• Manwkript K. S. 174. Hervorhcbung I. P. 55 Ebd.• Briefvom 21. 9.1897. S. 284 56 Ebd. 57 Den .• Trllllf1llkutung. S. 573. Im Verlauf seiner metapsydtologUchen Awcinandersetzungen wird Freud nachdrücklich betonen. "daß das Ubw nicht miit dem Verdrängten zusammenfliJlt; es bleibt richtig. daß alles Verdrängte IIbw ist. aber nicht alles Ubrv ist auch verdrängt". Den .• Das kh IInJ Ja.s Es (1923). in: StA 111. S. 273-330. hier: S. 287 58 Diese Konzeption des Unbcwußten wird in der Lacansc:hen Ausprägung der Psychoanalyse die entscheidende sein. Vgl. etWa die AwlUhrungcn in: Jacquaes Laan. SnninairY XI- Ln '11141rtS (tInuplS fonJamml4l1X Je Ia p~~. texte etabli par JJacquo Alain Miller. Paris: Editions du Scuil. 1973. S. 21 ff. 59 Freud. TrllllmJnmmg. S. 130 und S. 503 60 Den.• DM Unkwrm~. in: StA 111. S. 153
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strikt historischen. individualpsychologischen Gesichtspunkt abbringen und zu der Entwicklung seiner "Mythologie" in Form der Trieblehre61 führen. Das genuin Unbewußte. das er später das "Es" nennen wird. besteht nicht nur aus infantilem Material sondern zu einem großen Teil aus Triebrepräsentanten jenen universalen Kräften. die unzerstörbar in einer Zeitlosigkcit existieren. wdche die Geschichte nicht. wohl aber der Mythos kennt. Die Unterwdt hebt die Zeitdimension der Vergangenheit in einer Paralldwdt auf. in der die Zeitlosigkcit einer ewigen Gegenwart gilt - Jebende Tote" wie die Schatten der Odyssee sind die verdrängten infantilen Wunschvorstellungen. ahistorische. mythische Wesen die unbewußten Triebrepräsentanten. Wenn die archäologische Grabung vor allem eine Metapher der therapeutischen Praxis darstellt. so gibt die chthonische Metaphorik einen Topos an die Hand. der das epistemologische Unternehmen der Metapsychologie umschreibt: die ltatdbasis. Sie liefen den mythos für die Psychoanalyse als theoretisches Unternehmen - und damit ist sowohl das Mythologem gemeint wie auch der plot. im Sinne der aristotdischen Poetik. Als Erzählung setzt er sich an die Stelle einer wissenschaftlichen Argumentation. Das heißt aber. daß auch die Metapsychologie Freuds. wie die von ihm wiederhergestellten Lebensgeschichten. auf einer narrativen Konstruktion ruht. 62
61 Ders.• Nn# Foltm Jn Vorlmmgm. in: StA I. S. 529 62 Graham Frankland betont. daß narrative Strukturen den Kern der wichtigsten Theorien Frcuds bilden. Ders.• FmuJ's Lilmlry CuUurr. Cambridge: Cambridge U. P.• 2000. hier v. a. S. 192-204. Für weitere Ausführungen zu du narrativen Verfassung von Frcuds metapsychologischcrn Tat jmgilS MS Lustprinzips siehe S. n-90 dieser Arbeit.
DIE UNTERWELT DER PSYCHE
Erster Abstieg: Sigmund F reud am Acheron - Die Traumdeutung This book, wim me new contribution to psychology which surprised me world when it was published (1900), remains essentially unaltered. It contains, even according to my prcsent day ;udgement, me most valuable of all me discoveries it has been my good fortune to malte. Insight such as this falls to one's lot but once in a lifetime. 6J
So Freud im VOlWOrt einer englischen Ausgabe der Traum4.nJtung, 1931. Dem Pathos, mit dem er rückblickend sein Unternehmen ausstattet, entspricht der heroische Gestus, mit dem Dü Traum4.nJtung 30 Jahre zuvor aufgetreten ist. Um die neue Wissenschaft und ihren Begründer vor der Welt zu beweisen, greift sie auf ein Szenario zurück, das ein fester Bestandteil des heroischen Curriculum und seiner literarischen Gestaltung ist: Die UntelWeitreise als zentrale Episode des Epos, in dem sich der Held als solcher beweist64 - once in a lifetime and to surprise the world: Sigmund Freud in der UntelWelt. Mit dem expliziten VelWeis auf ein solches Epos hebt die Traum4.nJtung an vorangestellt ist ihr das Motto: "Flectere si nequco superos, Acheronta movebo" "Kann ich den Himmel nicht beugen, so hetz ich die Hölle in Aufruhr" .6S Das Zitat stammt aus Buch VII der Amns, und es ist Juno, die mit diesem empörten Ausruf die gewalttätigen und unerbittlichen Mächte der UntelWelt entfcssclt, um ihre Interessen durchzusetzen, denen die himmlischen Mächte, verkörpert durch Jupiter, nicht nachgeben wollen. 66 Das hat Anlaß zu reger Kommentierung geboten, und die Rezeption der Traum4.nJtung ist sich einig: Das Motto ist Programm, nicht nur für den Traum, nicht nur für das Buch, sondern für das wissenschaftliche Vorhaben der Psychoanalyse.67 In den Worten Jean Starobinskis:
63 Frcud. TrllumJn"tung. S. 28
64 VgI. Hans Blumenbcrg. Wirltlichltntsbtgriff und Wir!nmgspotmtUJ Jn Mythos. in: TnTOr ruuJ SpM -ProbInM Jn Mythmrruption (PtNtilt und Hn'mmnltilt 4). hg. v. Manfred Fuhrmann. München: Fink. 1971. S. 11-66. S. 21 65 Vergilt Amns, VII. 312 f. 66 Für die englischsprachige Ausgabe der Trll~tunt erwog Freud offenbar ein ähnliches Szenario aus dem englischen Literarurkanon: Die Höllenschilderung und trotzige Kampfansage aus dem Mund Satans in Pllrlllim Lost. Vgl. Harold Bloom. Apn. TOfINIrds 11 TlNory 0/ Rrvisionism. Ncw YorkiOxford: Oxford U. P.• 1982. S. 112 67 VgI. Peter Hdler. Zur Biogrllphü Fmuls. in: M"*rlr X (1956). S. 1233-1239; Didier Anzicu. L iluto-ll~ tk FrrwJ n '" tkt'Ou~ tk '" PSJ'hoIl~. Paris: PUF. 1975. Bd. II. S. 590 f.. Schönau. Sigmund FmuJs ProJll. S. 61 -73; Jtlln Stilrobinslti. AdJny,ntll mowbo. in: TIN Trill/(s) 0/
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"The line from Vergil's epic was available, predestined - perhaps predestined to serve as the model upon which Freud was to construct or fonify his theory of the repressed, and of the return of the repressed. ,,61 Ähnlich wie im Falle der Archäologie ist es wieder ein Bild, diesmal eines literarischer Provenienz, aus dem Freud seine theoretische Konstruktion gewinnt. In seiner Position zu Beginn des Buches wird Junos Absichtserklärung zum Epigramm. Kaum ein Leser wird umhinkommen, den Ausspruch dem Verfasser der Traumtkutung selbst in den Mund zu legen. Scheint doch die Unterwelt, die es aufzurühren gilt, unmißverständlich das von Freud etabliene Unbewußte: Da ihm das Bewußtsein in der analytischen Arbeit die Unterstützung verweigen, muß der Analytiker auf die archaischen Kräfte des Ubw zurückgreifen, wie sie sich im Traum und in den neurotischen Symptomen anikulieren. Er entfesselt sie, indem er sie dechiffrien, und solcheran losgelassen ist ihre Macht und ihre Überzeugungskraft unbezwingbar. Genau das ist es, was in dem Buch geschehen soU, dem dieses Motto vorangesteUt ist: Indem er das U nbewußte in der Überzeugungsmacht seiner Argumentation entfesselt, will Freud nicht nur in der analytischen Kur, sondern auch auf dem Schlachtfeld der Wissenschaft den Sieg davontragen, den ihm eine olympische Bewußtseinspsychologie versagt. Man soUte nicht vergessen: Junos Ausspruch ist eine Kriegserklärung. 69 Doch eine solch programmatische Bedeutung des Mottos hat der Verfasser der Traumtkutung selbst immer weit von sich gewiesen. Für ihn charakterisien das Zitat aus Vergils Amm ausschließlich die Vorgehensweise der verdrängten Triebregungen und Wünsche70 - ein Gedanke, der der Entstehung der Traumtkutung um einige Jahre vorhergeht: Bereits 1896 erwähnt Freud gegenüber Fließ das Vergil-Zitat als Motto eines Kapitels zur Symptombildung, offenbar im Rahmen einer geplanten Schrift über Hysterie.71 Dieses Projekt ist nicht verwirklicht worden; das suggestive Zitat hingegen hat seinen Platz gefunden, an weit prominenterer Stelle als ursprünglich vorgesehen: D;~ Traumtkutung ist Freuds erste große Publikation, und die Ambitionen dieser Schrift manifestieren sich noch in dem stolzen, symbolisch geladenen" 1900", das sie (falschlicherweise) als Veröffentlichungsjahr trägt. Wie könnte man den vorangestellten Wahlspruch in
Fran~ise Meltzer. Chicago (IlI.)fLondon: Universiry of Chicago Press, 1988. S. 273-286 Starobinski. A,hmmtll motJtbo. S.275. In diesem bestechenden Aufsatz liest Starobinski die TratlmtinJtrmt im Licht des vergilschen Epos. um Psychoanalyse und episches Erzählen engzuführen. eine Lektüre. die meiner eigenen Lcsan sehr entgegenkommt. Freud hat das Motto der TrallmtinJtu"t offenbar nicht direkt aw Vergil entnommen. sondern aw einer Schrift Ferdinand Lasalles. wie er in einem Brief an Werner Achclis angibt (Brief vom 30. 1. 1927 in: Frcud. Brieft 1873-1939. S. 372). Daß er mit der Amns vemaut war. steht jedoch außer Frage - will man einer Szene aw der Ptychopathologi~ Jn AJil4flkbms glauben. so konnte er aw ihr sogar aw dem Gedächtnis zitieren (GnilmmrUe W"k~. hg. v. Anna Freud u. a.• Bd. IV. Frankfun a. M.: Fischer. 1964. S. 14). Vgl. Frcuds Brief an Werner Achdis vom 30. 1. 1927 in: Sigmund Freud. Bri4t 1873-1939. Frankfwt a. M.: Fischer. 1960. S. 372 Ders .• Brieft a" Flüß, Brief vom 4. 12. 1896. S. 217
Psych04l'11l/ysis. cd. by
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diesem Zusammenhang nicht als Programm lesen? Zumal Freud selbst dieses Motto für das eigentliche lbema des Buches, den Traum, gar nicht besonders geeignet erscheint - kurz vor FenigsteUlung des Manuskripts meldet er an Fließ: "Motto für den Traum hat sich nicht ergeben, seitdem Du das Goethesche sentimentale umgebracht. 72 Es wird beim Hinweis auf die Verdrängung bleiben. Flectere si nequeo Superos, Acheronta movebo."73 Auch hier jedoch kein Won über eine weiterführende, möglicheIWeise gar biographische Bedeutung - das Zitat bleibt ein "Hinweis auf die Verdrängung", und dies auch im buchstäblichen Sinne: auf die Verdrängungen Freuds, mit denen er den Subtext des Mottos ausschließt. Sorgfaltig wird diese offizielle Version auch in der Traumtkutung selbst festgeschrieben, indem das unverbundene, monolithische Motto des Anfangs im Text wieder aufgegriffen und in einen eindeutigen Zusammenhang gestellt wird. Hier erscheint es unmißverständlich als die Aussage der ins Unbewußte verdrängten Vorstellungen, welche eine nächtliche "UntelWelt" zu Hilfe rufen, um sich ihr Recht zu verschaffen: Das seelisch Unterdrückte, welches im Wachleben durch dit gtgmsiitzlicht Erledigung tkr Wieknprücht am Ausdruck gehindert und von der inneren Wahrnehmung abgeschnitten wurde, findet im Nachdeben und unter der Hemchaft der Kompromißbildungen Mittel und Wege, sich dem Bewußtsein aufzudrängen.
Flectnt si ntqutO Supnos, AchtrOnta movtbo. 74
Das Verdrängte übernimmt bei Freud folglich die Rolle der Juno Vergils: Abgewiesen von einem "olympischen" Bewußtsein, rekurien es auf die nächtlichuntelWeltlichen Tiefen des Traums, um mit Hilfe der monströsen Kreaturen, die dieser in der Kompromißbildung hervorbringt, seine Interessen durchzusetzen. Und der Traum erreicht dieses Ziel, denn er ist nach Freuds Auffassung immer eine Wunscherfüllung: Er behauptet gegenüber dem durch das feindliche Realitätsprinzip geprägten Bewußtsein die Allmacht der libidinösen Triebkräfte. Doch was versteht Freud eigentlich unter dem "Nachtleben", in dem die Mittel und Wege liegen, mit dem sich das seelisch Unterdrückte ins Bewußtsein drängt? Wo fließt der infernalische Strom, den das Verdrängte aus seinem Bett zu bewegen droht - ..Acheronta movebo"? In der zitienen Passage werden Traum und Unbewußtes ineinandergeblendet - als Nachtleben gegenüber dem Wachzustand des Bewußtseins. Tatsächlich ist es jedoch unübersehbar, daß die wahren acherontischen Tiefen der Psyche nicht in einem unbestimmten nächtlichen T raumbewu.ßtsein, sondern im weit gründlicher verborgenen Unbewußten selbst liegen - schon längst ist dieses in der Traumtkutung als ..Ausgangspunkt der Traumbildung"7s identifizien worden. Hier verbindet sich auch die Topik, die in dem Zitat Vergils einbeschlossen ist, mit dem topischen Aspekt, der neben dem 72 73 74 75
Vermutlich aus der Zueignung des Fawt. Vgl. Anm. 5 zu Briefvom 17.7. 1899. ebd.• S. 3% Ebd .• Brief vom 17.7. 1899 Freud. Traumtinmlng. S. 576 f. Ebd .• S. 518
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dynamischen und ökonomischen Freuds Modellbildungen des Ubw bestimmt. Das Ubw ist der Ort. in dem ein Fluß von unbewußten Vorstellungen, Triebrepräsentanten und verdrängten Wünschen strömt.76 Wenn Juno in der Amns "den Acheron bewegt". impliziert die Räumlichkeit des Ausdrucks die Veränderungen, die sie in der Topographie der symbolischen Weltordnung vornehmen will: Sie kehrt das Unterste zuoberst. Etwas Analoges geschieht im Traum. indem die unbewußte Vorstellung sich in Umkehrung des üblichen Vorgangs über das Wahrnehmungssystem. also als halluzinatorisches Phänomen. in das Bewußtsein drängt.n Nun Bießt dort der Acheron: Die freie Beweglichkeit der Besetzungen. die die Primärvorgänge im Ubw prägt. bestimmt auch das Vorbcwußte des Traums.78 Die Verbindung des Traums mit der Unterwelt ist bereits in der Ameis angelegt. in der der Traum seinen Ursprungsort in der Unterwelt hat: Am Eingang hausen die nichtigen Träume in den Zweigen einer mächtigen Ulme. und das elfenbeinerne Tor. durch das Aeneas und die S~ilIe wieder in die Oberwelt gelangen. ist das Ausfillstor der falschen Träume.7 Damit erfüllt der Traum die Rolle eines Vermittlers zwischen unterer und oberer Welt: Aencas' toter Vater Anchises erscheint seinem Sohn im Traum. um ihn zu sich in die Unterwelt zu rufen. und auch die Furie Alleao. die von Juno aus dem Orkus heraufgerufen wird. um die fürchterlichen Schlachten der zweiten Hälfte des vergilschen Epos zu entfesseln. erfüllt diese Aufgabe durch den Traum bzw. sein Pendant, das Wahngebilde. 1O Im Traum kommunizieren auf diese Weise zwei Systeme. die streng voneinander getrennt sind - das der Toten und das der Lebenden. das Reich Plutos und das Jupiters. In Freudscher Terminologie heißt das: Der Traum ist das Kompromißprodukt zwischen den Triebregungen des Unbcwußten und den Zensurbcstrebungen des Bewußtseins.1I Deshalb führt er auch nicht nur aus der Unterwelt herauf. sondern. wie bereits im Falle des Anchises-Traums in der Ameis ersichtlich, ebenfalls in diese hinab. In der Ausgabe der Traumt:kutung von 1909 ist dem Vergil-Zitat der Satz angefügt: "Die Traumt:kutung aber ist die Via regia zur Kmntnis des Unb~ßtm im See/mkbm. "12 Die Deutung des Traums verfolgt diesen dorthin zurück, von wo
76 Die Metaphorik des Flidkns und Strömens beherrscht Freuds Beschreibungen des Primärvorgangs in der Trllllmtkutu"g - in Swobinskis Augen einer der wichtigsten Gründe für die Verwendung des Vergil-Zitats. Vgl. Stllrobinslti, AclNro"tII mowbo. S. 284 n Freud. Trllllmtinuu"g. S. 518 78 Vgl. hierzu auch die konzisen Erläuterungen in Kapitel V von Jmsnts tks LwtprilUips. StA 111. S.244 79 Vgl. VergiI. Amm. VI. 282-85 sowie 893-898 80 Im Traum erscheint sie Turnus. dem Gegenspieler Aeneas·. und entfacht ungc:zügdte Rachegclüste in ihm. Bei Amata. der Mutter der Lavinia. löst sie hingegen einen Wahnzustand aus. dessen dionysische Raserei im 19. Jahrhunden als Symptom der Großen Hysterie gelesen wurde (Swobinski. khmmtll Mowbo. S. 281) - man bedenke. daß das Vergil-Zitat zunächst einem Kapitel zur Symptom bildung voranstehen soUte. 81 Freud. Trllllmtkutu"K. S. 451 82 Ebd .• S. 5n
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er entstammt - sie ist ein Abstieg in die Unterwelt des U nbewußten. Ein Abstieg auf dem Königsweg der Psychoanalyse. Der Verfasser der TraumMutung hat ihn selbst unternommen, den Abstieg in die Unterwelt seiner Patienten, vor allem aber in die seines eigenen Unbewußten. Daraus ist die TraumMutung hervorgegangen, das Heldenepos der Unterweltreise des Sigmund Freud. Keine andere Schrift Freuds verwendet soviel persönliches Material des Verfassers, keine andere ist aus einem vergleichbar autobiographischen Impetus entstanden: Der Tod seines Vaters ist nach Freuds eigenen Aussagen Anstoß zu der Selbstanalyse gewesen, die in die TraumMutung mündet13 auch dies eine Verbindung zu Vergil und der Unterweltreise des Aeneas, der auf Geheiß des toten Vaters diesen in der Unterwelt aufsucht. 84 Die Psychoanalyse als Itatdbasis - das ist nicht nur eine Allegorie der Therapie, es ist auch die epische Überformung des metapsychologischen Unternehmens. Das wird in einem Brief an Fließ deutlich, in dem eben das Motiv des Weges mit genau diesen Implikationen wiederkehn: Nun ist das Ganze [Dit' Traumdt'utung] so auf eine Spaziergangsphanwie angelegt. Anfangs der dunkle Wald der Autoren (die die Bäume nicht sehen). aussichtslos. irrwcgereich. Dann ein verdeckter Hohlweg. durch [den] ich den I...eser führe mein Traummuster mit seinen Sonderbarkeiten. Details. Indiskretionen. schlechten Wirzen -. und dann plötzlich die Höhe und die Aussicht und die Anfrage: Bitte. wohin wünschen Sie jetzt zu gehen?'~
Auch wenn der einleitende Ausdruck der ..Spaziergangsphantasie" zunächst an Lustwandel und Müßiggang denken läßt. fühn das Folgende doch in die Richtung der erhabenen Via r~. die Freud in der TraumMutung mit der epischen Referenz einschlägt. Der dunkle Wald. aussichtslos und voller Irrwege, gemahnt an den ..selva oscura". mit dem die Divina Com~Jia anhebt: ..Nel mezzo del cammin di nostra vita mi ritrovai per una selva oscura. che la diritta via era smarrita".86 Das wird noch bestätigt durch die Idee des Führens: Freud fühn den leser. wie Vergil Dante fühne - und Vergil hat auch Freud gefühn. in Gestalt des Zitats aus der A~is. von dem zu diesem Zeitpunkt bereits feststeht. daß es die TraumMutung anführen und den Leser in dieses Buch einführen wird. Auf diesem Weg geht es in die Tiefe und in die Höhe zugleich: Der Traum und seine von Freud aufgedeckten Verfahrensweisen - .. meine Traummuster" - gleichen einem runnelartigen Hohlweg. dessen Durchmessen jedoch auch den Wiederaufstieg bedeutet. Auf der Höhe der gewonnenen Erkenntnis stellt sich dann die Entscheidungsfrage: der freudschen Lehre folgen oder nicht? Eine ähnliche Si-
83 84 85 86
Vgl. ebd .• Vorwon zur zweiten Auflage. S. 24 Vgl. Anzieu. L 'auto-a1llliyst' tk FrrwJ, Bd. I. S. 590 f. Freud. BrUft a" FlUß, Brief vom 6. 8. 1899. S. 400 ..Grad in der Mitte unsrer Lc:bc:nsreisc: befand ich mich in einem dunklen Walde. weil ich den rcduen Weg verloren hatte.· Dame A1ighieri. ~ Göttlidn KD11IiJt&. italienisch und deutsch. übers. u. kommentien v. Hermann Gmdin. München: DlV. 1988. Bd. I: Inferno I. 1-3. S. 10111
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tuation. wie die. in der sich Dante nach Durchquerun~ der Hölle und des Purgatoriums auf dem Gipfel des Läuterungsbergs befindet. 7 Die Vorstellung. daß auf den Spuren des Tral!l!l.S der Weg in eine Unterwelt fühn. findet sich--auctrin der Traumtkutung selbst aplizit wieder - hier im Zusammenhang mit einer weiteren kanonischen Unterweltreise der Epik, Homers Odyss~r. Wie bereits erwähnt. werden die seelischen Akte des Unbewußten verglichen mit den "Schatten der odysseeischen Unterwelt. die zum neuen Leben erwachen. sobald sie Blut getrunken haben,,88 - eine Szene aus Odysseus' neltyia. die bei Homer in festen Formeln mehrfach evozien wird. 89 Ein ähnliches Bild begegnet bereits in einem der ersten Texte Freuds, Ein Fall von hypnotischer Hnlung (1892), wo es im Hinblick auf die "gehemmten Vorsätze" heißt, daß sie "in einer An von Schattenreich eine ungeahnte Existenz fristen, bis sie als Spuk hervortreten und sich des Körpers bemächtigen, der sonst dem herrschenden Ichbewußtsein gedient hat". 90 Beide Male ist Ziel des Vergleichs, zu veranschaulichen, daß die ins Unbewußte verdrängten Triebregungen nicht zerstön, sondern nur geschwächt (die "kraftlosen Häupter" der Schatten in der Odyss~~) und in Schach gehalten werden. In derselben Absicht greift Freud in der Traumdeutung auch noch auf einen anderen mythologischen Vergleich aus der Unterwelt zurück: Die "immer regen, sozusagen unsterblichen Wünsche unseres Unbewußten" erinnern an die von den Olympiern auf den Grund des Tartaros gestürzten Titanen, "auf denen seit Urzeiten die schweren Gebirgsmassen lasten, die einst von den siegreichen Göttern auf sie gewälzt wurden und die unter den Zuckungen ihrer Glieder noch jetzt von Zeit zu Zeit erbeben".9\ Es ließe sich kaum ein eindringlicheres Bild finden für die bedrohliche Macht und unheimliche Lebendigkeit des Verdrängten. Freud selbst muß nach dieser Ausführung im unvollendeten Satz innehalten, um neu anzusetzen und sich mit der Logik seiner Argumentation auch seiner selbst zu versichern: " - diese in der Verdrängung befindlichen Wünsche, sage ich, [... ]". Der Vergleich, der sich zu verselbständigen und die Syntax wie 87 T ercsa de Lauretis verweist in ihrem Aufsatz Rrading a.fkr FmuJ ebenfalls auf die Dante-Analogie. um dann die Differenz zu dem Konvcrsionsmoddl. das der Divi"" Comm~tÜ4 zugrunddicgt. zu betonen: ..That epic poem of modernity [... ) has reinscribcd me trope of the ;ourncy wimin an a1together different dark wood. replacing the tdcological/thcological narrative with onc in which the dark wood will ncver be Icft behind for the high ground." Dies .• RraJing afor FmuJ: RrjIecNons on a Pomr 0/AJrimn~ Rich. in: FiguraNoNn - GmJn. Litnahlr. Kultur 0 (1999). S. 6-19. hier: S. 8 88 Freud. Trau~hlng. S. 528 89 Erstmals durch die Ankündigung IGrkcs im zehnten Gesang (X. 529-537). in der Szene selbst zu Beginn der NItyia (XI. 34-50) und ein weiteres Mal durch Teiresias Erläuterung (XI. 147-153). die Wiederholung bestärkt durch Formeln wie YE!CIioJy Ka'tU'lE8vtlc:rtCIJY (die gestorbenen Toten) oder a4ux KV.mVE~~ (dunkel dampfendes Blut). 90 Frcud. Ein Falloon hypnotisc,," Hri'ung. in: Sigmund Frcud. Gt'Stlm~lu W"k~. Bel. I. Frankfun a. M.: Fischer. 1952. S. 1-17. hier: S. 15 91 Ders .• Trau~hlng. S. 528. Bei Vergil heißt es auf der Unterwclueisc in Buch VI: ..hic genus antiquom Tcrrae. Titania pubcs. fulmine deiccti fundo volvontur in imo." (Uralte Brut der Erde ist hier. das Volk der Titanen. wälzt sich. niedergeschmettert vom Blitz. in den Tiefen des Abgrunds.) - k VI. 580 f.
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den argumentativen Aufbau zu sprengen droht, zeugt von der Faszination, die das Unbc:wußle auf Freud ausübt - ein Unbewußtes, das, gerade in der Trau11ll.kutung, auch immer sein eigenes ist. Wenn ihn das "Traumbuch" "noch tiefer in die Psychologie [führt] als ich gemeint" ,92 so weil ihn die Selbstanalyse, deren erzählerischer Vollzug es ist, in "die tiefsten Tiefen der eignen Neurose" geführt hatte." Der Weg hinab, den Freud mit der Trau11ll.kutung beschreitet, setzt sich über sie hinaus fort. Im Jahr nach der Fertigstellung des Buches hat sich der dunkle Schacht, in den er sich während der Arbeit vergraben fühlte,94 vollends in ein danteskes Inferno gewandelt. In dessen Zentrum jedoch ist eine ganz und gar freudsche Dualität zu erahnen: "Von den großen Problemen ist noch nichts entschieden. Alles wogt und dämmert, eine intellektuelle Hölle, eine Schicht hinter der anderen; im dunkelsten Kern die Umrisse von Luzifer-Amor sichtbar."9S Das Gespann Luzifer-Amor wird 20 Jahre später, nach der metapsychologischen Wendung von Jms~;ts tUs Lustprinzips, in den mythologisch verwandten Figuren Thanatos und Eros, T odes- und Lebenstrieb, wiederkehren.
Der Kampf um die Unterwelt: Freud versus Jung Die Psychoanalyse als Unterweltreise - auch wenn die Trau11ll.kutung eindringlich dieses Bild entwirft, zögert ihr Verfasser noch, es bei seinem Namen zu nennen. "Psycho-Mythologie" ist das Schlagwort, unter dem er die Vorstellungen "Unsterblichkeit, Vergeltung, das ganze Jenseits" faßt. 96 "Die unklare innere Wahrnehmung des eigenen psychischen Apparates regt zu Denkillusionen an, die natürlich nach außen projiziert werden und charakteristischerweise in die Zukunft und in ein Jenseits", schreibt er während der Entstehungszeit des Buches an Fließ. 97 Eine Umkehrung dieser Figur, um damit sein eigenes, analytisches Verfahren zu veranschaulichen, würde die Hierarchie von Realität und Projektion gefahrden - statt die Unterweltreise als Psycho-Mythologie könnte sich die Psychoanalyse unversehens als Mytho-Psychologie dechiffrieren. Eben dies ist ein zentraler Punkt in der Kontroverse, die Freud ediche Jahre später mit C. G. Jung austragen wird. Jungs Beschäftigung mit der Psychoanalyse ist von Beginn an eng mit seinem Interesse an der Mythologie verbunden, und seine Entwicklung einer analytischen Psychologie gründet auf der wechselseitigen Erläuterung von Psyche und Mythos. Deudich früher als Freud und vor allem mit ungleich größerem Nachdruck betont sein Schweizer Schüler die Idee eines überpersönlichen U nbewußten, das seinen unmittelbaren Ausdruck in Gestalten
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Brief an Fließ vom 23. 2. 1898 in: Frcud. Britft an FIirß. S. 327 Ebd .• Brief vom 7. 7. 1897. S. 272 Ebd .• Brief vom 15. 3. 1898. S. 331 Ebd .• Brief vom 10.7.1900. S. 463 Ebd .• Brief vom 12. 12. 1897. S. 311 Ebd.
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und Motiven der Mythologie findet. Wie die Produkte des Unbewußten verkörpern auch die Mythen allgemeinmenschliche, zeidose Grundvorstellungen und Bilder, die sogenannten Archetypen. Jung differenzien dabei die Tiefenstruktur des Freudschen SeelenmodeUs weiter aus: Dem Bewußtsein liegt nicht nur ein persönliches Ubw aus vergessenem, verdrängtem und nicht bewußt gewordenem Material zugrunde - die Entsprechung des Vor- wie auch Unbewußten Freuds -, sondern noch tiefer und dem unmittelbaren Zugang entzogen ein "kollektives Unbewußtes", das das gesamte menschliche Erbgut an Vorstellungsmöglichkeiten und Verhaltensmodi enthält.98 Dabei umfaßt die Psyche strenggenommen nur das Bewußtsein und das persönliche Unbewußte; das kollektive Unbewußte ist ihr transzendent - es ist ein sogenannter "psychoider" Faktor." Deshalb sind die Archetypen an sich unanschauliche Grundformen, die ihre Gestalt aber unmittelbar in arche!fl!ischen Vorstellungen haben. Erst als solche sind sie psychische Phänomene. I In dieser Eigenschaft erscheinen die Archetypen als Regulatoren und Bedingungen aller schöpferischen Phantasietätigkeit; Jung selbst beruft sich in einer Erklärung seines Modells auf die platonischen Ideen. Zugleich jedoch beansprucht er Air seine Archetypen die Identität von Sinn und Bild. lol Insofern der Gehalt all ihrer Explikationen und Obenragungen in einem bildlichen Konzentrat zusammenschießt, sind sie die Idealform der Metapher: In ihnen sind in nuct ihre gesamten Erscheinungsformen enthalten, und alles verweist auf diese Urbilder - ist "wie" sie. Die Seelenwelt J ungs ist eine der Korrespondenzen, denen eine ursprüngliche, ideale Identität zugrunde liegt und deren Erscheinungen sich durch eine spontane Evidenz auszeichnen. Entsprechend dieses emanatistischen Modells ist auch das kollektive Unbewußte selbst in eine archetypische Vorstellung gefaßt - in das Bild der Unterwelt. "Denn das Unbewußte entspricht dem mythischen Totenland, dem Lande der Ahnen."IOl So wie sich an diesem On die Toten der Vergangenheit als Schatten versammeln, ist im kollektiven Unbewußten die Vergangenheit der Menschheit in unsterblichen Archetypen aufbewahn. Noch das Selbst (im Gegensatz zum Ich), der inferiore Persönlichkeitsteil, der sich aus diesen jenseitigen Tiefen speist,
98 Vgl. Cul Gwtav Jung. Dü Strulttur Jn Suk. in: Gts4mwulu W~. hg. v. Marianne NiehwJung u. a.. Bd. VIII. Olten/Freiburg i. Br.: Walter. 1971. S. 161-182. hier S. 166 f[ und TINorrtU'M O~ngm DUn Wnm Jn Psychischm. cbd.• S. 183-261. S. 253 99 Ebd.• S. 240 100 Ebd. Im Grunde ist die frcudsche Tricblehre eine vergleichbare Konzeption. wenn auch nicht bezogen auf eine Transzendenz. sondern auf den Inbegriff der Immanenz. den Körper. Die Triebe selbst. nicht minder überindividucll als die Archetypcll. sind weniger psychische denn somatische Faktoren. Als solche aber sind sie nur in Gcstalt psychischer Reprisentationen gegeben. den ..Tricbrcpräscntanten-. die insofern den archetypischen Vomdlungen als psychischen Erscheinungsformen eines "trans-psychischen" Prinzips enuprcchen. 101 Ebd.• S. 230 f. 102 Ders .• Erinnn"Ungm. TriJuwu. Getl4nltm. aufgcz. u. hg. v. Anida Jaff~ Zürich/Srungan: Rascher. 1962. S. 195
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ist nichts anderes als ein solcher unterweidich-unbewußter Schatten. 103 Die psychoanalytische Kur wird so ccprmis vn-bis zu einer Unterweltreise - "we do not go up to the unconscious, we go down; it is a katabasis. "104 In Jungs Psycho-Mythologie ist der Abstieg in die Unterwelt des Unbewußten die unerläßliche Bedingung für den erfolgreichen Wicderaufstieg zu einer erweitenen Bewußtheit. Das Modell dieses analytischen Prozesses ist die Unterweltreise initiatorischen bzw. epistemologischen Typs, wie sie in den Mythologien und Mysterien zahlreicher Kulturen vorkommt: ,,[Das] Motiv der Nekyia findet sich überall in der Antike und praktisch in der ganzen Welt. Es drückt den psychologischen Vorgang der Introversion des Bewußtseins in die tiefen Schichten der unbewußten Psyche aus. "105 Jungs intensive Auseinandersetzung mit Mythologie ist Freud bereits früh ein Dorn im Auge. Bevor er sich selbst auf diesen Gegenstand einläßt, argwöhnt er das Eindringen "artfremder" Gesichtspunkte, welche die Autarkie der Psychoanalyse beeinträchtigen könnten; später wird er seine persönliche Autorität auf diesem Gebiet bedrängt sehen. Auch Jung befürchtet bald ein Zerwürfnis über diese Fragen, und selbst die Wone, mit denen Freud diese Sorge zerstreuen will, lesen sich weit eher als Mahnung: "Ich weiß nicht, warum Sie meine Kritik in Mythologicis so sehr fürchten. Ich werde mich sehr freuen, wenn Sie don die Fahne der Libido und der Verdrängung aufpflanzen und dann als siegreicher Eroberer in unser medizinisches Mutterland zurückkehren."I06 Freud forden von seinem Schüler vor allem eins - bedingungslose Fahnentreue. Nicht nur sieht er durch die Erklärungsmodelle aus der Mythologie die Wissenschafdichkeit der Psychoanalyse bedroht - die "Rückkehr in das medizinische Mutterland", zu der er Jung ermahnt -; mit Recht fürchtet er auch um seine individualpsychologische, infantile Ätiologie der Neurosen - die "Fahne der Verdrängung", deren alleinigen Herrschaftsanspruch er, wider besseren Wissens, zu diesem Zeitpunkt noch immer durchsetzen will. Doch am Ende des Jahres, an dessen Anfang dieser Brief steht, hat Freud sich selbst aus dem medizinischen Mutterland in das Territorium der Mythologie gewagt, um seine Oberhoheit auch don zu behaupten. Kein leichtes Unternehmen, zumal er hier um das wesendiche Vorrecht des Entdeckers fürchten muß - das Vorrecht, zuerst dagewesen zu sein: 107 "Warum zum Teufel mußte ich mich anre103 Vgl. etWa Jung. 0,," dit Archttypm dn Itolklttivm Unbtwusstnl. in: Gw. Bei. IX 1. S. 11-52. S.31 104 Ders .• PJychological Gnnmmtary on Kurul4lini-Yoga. in: Spring 1975. hier: S. 12 105 Ders .• 0,," Grun414gm dn analytiKhm Psychologit (1935). in: Gw. Bei. XVIII 1; S. 21-200. S.54 106 Brief Frcuds vom 22. 1. 1911. in: Sigmund FrcudlC.G. Jung. BrUfwtchstl. hg. v. Walliarn Me GuircIWolfgang Sauerländer. Frankfurt a. M.: Fischer. 1974. S. 428 107 Auch wenn er mit paternalistischer Geste auf dieses Vorrecht zu verzichten vorgibt: "eine Quälerei [... ) zu denken. wenn ich jetzt den einen oder den anderen Einfall habe. daß ich Ihnen damit leicht etwas wegnehme oder auch mir etwas aneigne. was bequem Ihr Erwerb hätte werden können. Ich weiß oft nicht. was ich da tun soll. habe einige Briefe angefangen. in denen ich Ihnen einzelne Ideen und Beobachtungen zur Verfügung stdle. und vollende sie doch nicht.
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gen lassen, Ihnen auf dieses Gebiet zu folgen?" schreibt er am 12. 11. 1911, während der Arbeit an seiner ersten kulturanthropologischen Schrift Totem una Tabu, an Jung. l08 Im Kontext dieses Briefes zeigt sich ein weiteres Mal, daß die psychoanalytischen Expeditionen weniger horizontal denn vertikal verlaufen, als Bewegung in die Tiefe: "Wahrscheinlich werden wir aber so aneinander vorbeikommen, daß ich meine Gänge viel unterirdischer grabe als Sie Ihre Schachte ziehen, so daß ich Sie jedesmal begrüßen kann, wenn ich wieder ans Licht komme."I09 Die nachgeschobene Höflichkeit verdeckt nur notdürftig die anfängliche Beleidigung. ist doch in Freuds Topologie die Tiefendimension der Unternehmung die eigentlich entscheidende. Bei seiner Erschließung des Untergrunds der Kultur, einer KoUektivpsyche von bis dahin unbekanntem Ausmaß, kämpft der Begründer der Psychoanalyse um die "Iatente, ursprüngliche Form"llo der mythologischen Motive - die authentische Version des Mythos wie auch der Psychoanalyse. Als Beispiel einer solchen Urfassung, in der das mythologische Material mit dem psychischen übereinstimmt, führt er ein Detail aus der Hadesentführung der Proserpina an 111 - ein weiteres Mal wird ein Abstieg in die Unterwelt zur Referenzfigur für die Psychoanalyse. Freud kann sich offenbar ebensowenig wie Jung dieses Mythologems entschlagen - selbst wenn ihm daran liegt, die Autonomie des psychoanalytischen Gesichtspunktes gegenüber dem mythologisch-religiösen zu verteidigen 112 und seine wissenschaftliche Definitionsmacht gegen die Neuformulierungen seines Schülers zu behaupten. Erst in den späten Schriften, als die Abgrenzung gegen den Abweichler Jung ihre Dringlichkeit verloren hat, wird Freud das mythologische Motiv der Unterwelt direkt und ausdrücklich als Metapher des U nbewußten verwenden: In der programmatischen 31. Vorlesung innerhalb der Neum Folgm Jn Vorksungm von 1933 bezeichnet er seine Psychologie der Newosen als "Einführung in die psychische Unterwelt",113 und eine ähnliche Formulierung benutzt er in dem Aufsatz Die mJ/iche una die unmJ/iche Analyse, wo er von "unsere[n] Bemühungen um die Erforschung der psychischen Unterwelt" spricht: l•
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weil ich das für noch indiskreter und unerwünschter halte als das andere Vorgehen" - nicht indiskret genug offenbar. um nicht doch auf diese seine ..Sdbstlosigkeit" hinzuweisen. Ebd.• S. S07 f. Ebd .• S. S08 Ebd .• S. S08 Brief an Jung vom 17. 12. 1911. ebd .• S. S24 Ebd .• S. S24 Siehe Brief an Jung vom 30. 11. 1911. ebd .• S. S19 Freud. NnIr Folgt dn Vorksungrn. in: StA I. S. 497 Ders .• D~ nuJJi~ht """ ti~ "nnuIIi~ht AlllliyJt (J 937). in: StA Ergänzungsband. S. 3S 1-392. hier: S. 371
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Zweiter Abstieg: Die Reise ins Jenseits des Lustprinzips Das mächtigste und rätselhafteste der mythischen Wesen, die in der Freudschen Seelen kosmologie die Unterwelt der Psyche bevölkern, ist der Todestrieb, später auch als "Thanatos" bezeichnet. 1IS Er ist das Produkt einer der gewagtesten Spekulationen Freuds, ein reines Konstrukt, wie er selbst betont: "Was nun folgt ist Spekulation, oft weitausholende Spekulation",116 mit diesen Wonen leitet er in Jmsrits rks Lustprinzips den Gedankengang ein, der ihn tatsächlich in ein Jenseits seiner eigenen Theorie fUhren wird, einer Theorie, deren Dynamik bis dato vom Lustprinzip beherrscht wurde. Wenn Freud mit der Traumt:kutung und der Selbstanalyse, aus der dieses Buch entstanden ist, in sein eigenes Unbewußtes hinabgestiegen ist, so unternimmt er in Jmstits tks Lustprinzips eine Unterweltreise in das, was der Psychoanalyse "zugrunde" liegt - in ihren Untergrund in Gestalt des Biologischen und in ihre Unterwelt in Gestalt einer Mythologie der Triebe. Das bedeutet jedoch keineswegs nur Grundlagenforschung; es ist auch eine Verabgründung, in der der Autor ein jahrzehntelang veneidigtes Thesengebäude selbst unterhöhlt - durch die Leere eines nicht-faßbaren, stummen Triebes, wie ihm oft vorgeworfen wurde. Bereits der Titel des Textes kündigt an, daß die Grenzen des bisherigen ModeUs und der in ihm gültigen Gesetze des Lustprinzips überschritten werden - in ein "Jenseits", das eine radikal andere Welt aufscheinen läßt. In Jmstits tks Lustprinzips wird nicht nur die bisherige Theorie der Triebe überschritten, es wird die Dynamik der Psyche in kosmologische Dimensionen projizien. Harold Bloom bemerkt treffend: "Beyond the pleasure principle lies [... ] what Milton has ca1led the universe of death." Dieser Verweis zielt darauf, Jmstits rks Lustprinzips als hoch- bzw. postromantisches Krisengedicht zu lesen. Ebenso beiläufig wie unvermeidlich bestätigt Bloom damit jedoch auch die Verbindung des "Jenseits" des Lustprinzips mit der Unterwelt epischer Tradition. I I? Von dieser Jenseitsreise wird Freud durchaus in das "Diesseits" des Lustprinzips zurückkehren - auch in Zukunft behält dieses Prinzip seine zentrale RoUe in der Ökonomie des seelischen Apparats inne. In Jmstits tks Lustprinzips 115 Auch wenn Freud in seinen Schriften den Todcstricb nicht mit dem Namen aus der Mythologie belehnt, so muß er diese Bezeichnung, die sich später dwchscaen wird, im mündlichen Gespräch doch verwandt haben. Vgl. J. Laplanchel J.-8. Pontalis, Dtu VolutlnJAr Jn Psychwl"",,", Frankfun a. M.: Suhrkamp, 1973 (l96n, S. 494 116 Frcud,jmuitsJn LlUtpritUips, in: StA III, S. 242 117 Harold 8loom, Agon. TOUNIrJSII TlNoryofRrvisionism, Ncw YorklOxford: Oxford U. P., 1982, S.130
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selbst wird die Rückkehr vollzogen, indem sich das letzte Kapitel des T ates wieder dem Lwtprinzip in seiner grundlegenden Wirksamkeit wie auch in seinem Verhältnis zum Todestrieb zuwendet. Aber die Herrschaft des Lwtprinzips hat nun ihre klar bestimmten Grenzen; seinem ökonomischen Kreislauf ist ein anderer vorgeschaltet. Was Freud jenseits seiner gefunden hat, ist "eine Funktion des seelischen Apparates, welche, ohne dem Lwtprinzip zu widersprechen, doch unabhängig von ihm ist und ursprünWicher scheint als die Absicht des Lwtgewinns und der Unlwtvermeidung".' 8 Es ist der Wiederholungszwang, und bei weiterem Vordringen in das Jenseits der bisherigen Trieblehre wird hinter dieser Funktion schemenhaft die Gestalt einer neuen, großartigen Triebkraft auftauchen, deren Entwurf, wie Freud selbst einräumt, "den Anschein des "Tiefsinnigen" erwecken oder an Mystisches anklingen" mag:1I9 Aw dem unbedingten Konservatismw der Triebe, den er aw dem Wiederholungszwang ableitet, sowie aus der Erkenntnis, daß am Ende allen Lebens der Tod steht, konstruiert Freud die Figur eines "ersten Triebes", der danach strebt, "zum Leblosen zurückzukehren".'20 Wenn er diese Konstruktionsleistung später rekapiruliert, wird er das wissenschaftliche Fundament seiner Spekulation hervorheben: "Auf Grund theoretischer, durch die Biologie gestützter Überlegungen supponierten wir einen TotkstTÜb".'21 Was genau an dem Punkt vor sich geht, an dem er diese Supposition formuliert, ist jedoch einer näheren Betrachtung wert. Freud erkennt in imsnts tks Lustprinzips in dem Wiederholungszwang eine Kreisfigur, fiir die ihm in seinem bisherigen ökonomischen Modell jede Erklärung fehlt. Er versucht dementsprechend, sie dem dynamischem Gesichtspunkt der Trieblehre unterzuordnen: "Auf welche Art hängt aber das Triebhafte mit dem Zwang zur Wiederholung zwarnmen?"122 Hier stellt er die erste Hypothese auf. die vom Konservatismw der Triebe, welchen er zugleich zu einer Charakteristik des organischen Lebens überhaupt verallgemeinert. Aufgrund dieser Verallgemeinerung kann er dann selbst einen Zirkdschluß herstellen: Wenn das Leben, wie die Triebe, einer Zirkularität unterliegt, muß der Endpunkt des Lebens mit seinem Anfang identisch sein, und in diesen umfassenden Kreis muß sich dann auch alle triebhafte Strebung - als "Ausdruck" des Lebens - einfiigen. Kurz: das gesamte Triebleben dient der Herbeifiihrung des Todes. An der entscheidenden Stelle, an der dieser Zirkel geschlossen werden soll, steht jedoch nicht mehr ein Argument, sondern vielmehr eine Erzählung. Es ist die kosmologische Erzählung von der Entstehung des Lebens aw der Ruhe und 118 119 120 121 122
Freud. Jnunts dn Lustprinzips. in: StA III. S. 242 Ebd .• S. 247 Ebd.• S. 248 Ders.• Dill kh und tiAs Es. in: StA III. S. 307 Die Forderung nach einem solchen .Zusammenhang" des ökonomischen und dynamischen Gesichtspunkts muß auch die Theorie vor Jmsnts Jn Lustprinzips erfüllen: Die Ökonomie des seelischen Apparates. die nach dem Lust-Unlust-Parameter organisien ist. entspricht einer Tricbdynamik. die auf dem Konflikt von Sexual trieben und Ich-Trieben beruhend als Verschiebung zu denken ist. .
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Stabilität des Anorganischen, und sie hebt mit einer Formulierung an, wie sie die Anfangsfloskel unzähliger Geschichten darslellt: "Irgend einmal ... ".123 Aus dieser Erzählung geht die perfekte Figur eines triebhaften Zirkels hervor, die im darauffolgenden Kapitel die Bezeichnung der"Todestriebe" erhalten wird. Hier zeigt sich, wie zutreffend die Charakterisierung der Trieblehre als Mythologie ist - nicht nur, weil es sich bei ihr um eine spekulative Konstruktion, eine Fiktion, handelt, sondern auch, weil sie untrennbar mit dem Mythos als einer Erzählung verbunden ist: Die Genese der Triebe kann nicht anders als narrativ vorgestellt werden. Angesichts eines Unbewußten, dessen konstitutive Eigenschaft darin besteht, sich dem Zugriff des Wissens zu entziehen, bedarf es einer anderen Erschließungsform als der wissenschaftlichen. Denn Freud nähen sich hier dem "dunkelste[n] Element der psychologischen Forschung",124 der Trieblehre als dem Kern eines U nbewußten, das nicht als Verdrängtes gedacht wird. Die Dunkelheit ist ein festes Epitheton der Triebe und des Es, welches in Jmsrits des Lustprinzips mit epischer Formelhaftigkeit flillt. 12s Es umschreibt das Jenseits, das Freud nicht anders denn erzählerisch durchmessen kann. Die Wissenschaft hingegen versagt vor diesem Dunkel, wie an einem anderen entscheidenden Punkt in Jmsrits des Lustprinzips deutlich wird: Wenn es um den Nachweis der Zirkularität der Triebe geht, welcher für die Lebens- oder Sexualtriebe erst noch erbracht werden muß, bemerkt Freud: "Was wir sonst in der Wissenschaft über die Entstehung der Geschlechtlichkeit finden, ist so wenig, daß man dies Problem einem Dunkel vergleichen kann, in welches auch nicht der Lichtstrahl einer Hypothese gedrungen ist... 126 Auch Jmsrits des Lustprinzips wird nicht das Licht eines wissenschaftlichen Arguments bringen, sondern hier, wie bereits zuvor, die zentrale Hypothese umschreiben in einen Mythos - und umschreiben mit einem mythos, einem erzählerischen plot: An ganz anderer Stelle begegnen wir allerdings einer solchen Hypothese. die aber von so phantastischer An ist - gewiß eher ein Mythus als eine wissenschaftliche Erklärung -, daß ich nicht wagen würde sie hier anzuführen, wenn sie nicht gerade eine Bedingung erfüllen würde, nach deren Erfüllung wir sueben. Sie leitete n~ich einen Trieb ab von timt B~düifnis nach Wudnholung rinn früh"ffl Zustan4s. 12 ,
Freud wagt ihn, den Wechsel von der wissenschaftlichen Erklärung zur Ursprungserzählung. Er folgt einer Strategie der Narration, den Abschweifungen 123 Dcrs .• Jms~it1 Jn Lustprinzips. in: StA 111. S. 248 124 Ebd.• S. 244 125 ..Aber aufkcincm Gebiete der Psychologic tapp tc man so sehr im dunkeln: (cbd .• S. 260) Das gilt nicht nur für die Vergangenheit - auch .. [blei dem gegenwärtigen Dunkel dcr Trieblchrc tun wir wohl nicht gut. irgcnd eincn Einfall. der uns Aufklärung verspricht zurückzuweisen." (cbd.• S. 262) Dieses Epitheton findet sich auch in anderen Schriften Frcuds in bczug auf die Triebe und das Es: ..Es ist der dunkle. unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit". (Nnle Folft "" VorltJungm. S. 511). das Dunkel einer Tiefe. in der sich das Ich zu verlieren droht: ..Ohne die Leuchtc der Bcwußucinsqualität wären wir im Dunkel der Tiefenpsychologie verlorcn(cbd., S. 508). 126 Ders.,fmstit1 Jn Lustprinzips. in: StA III. S. 266 127 Ebd.
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und Verwicklungen einer "Geschichte". Die "phantastische Hypothese", mit der er die Herkunft der geschlechtlichen Begierde umschreibt, ist die Erzählung vom Kugelmenschen aus Platons Symposium. Erst in ihr wird auch dem Lebenstrieb die Kreisfigur eingeschrieben, die allen Trieben zugrundelicgen muß, wenn es denn einen"Todestrieb" geben soll. Diese Zirkularität ist laut Hans Blumenberg an sich eine mythische Struktur. Es ist "die Schließung des Kreises, die den Ordnungstenor der Welt und des Lebens gegen jeden Anschein von Zufall und Willkür verbürgt" .121 Damit sei jene Qualität erzeugt, die dem Mythos wesentlich eigne - Bedeutsamkeit. Blumenberg kommentiert Freuds Einführung des Dualismus von Lebens- und Todestrieben dementsprechend: "Freud ist aus der Sackgasse des Einheitsprinzips entschlossen ausgebrochen, um sich die Möglichkeit einer Geschichte offen zu halten - letztlich die Möglichkeit des Großen Mythos."129 In dieser Mythologie der Triebe wird jedoch ein Essentialismus ahistorischer Universalien, wie sie z. B. die Jungschen Archetypen repräsentieren, in eine Dynamik der Kräfte aufgelöst: Freud schließt an das narrative Moment des Mythos an - die von Blumenberg erwähnte "Möglichkeit einer Geschichte". Die Figur des Kreisschlusses ist die mythische Struktur, aus der sich der mythos als plot entwickeln wird - und eben in dieser Umsetzung wird Freuds "Geschichte" zu einer anderen als einer mythischen werden. Die ideale Version des Kreisschlusses ist der Todestrieb als "Lebensgesctz" die Rückkehr des Lebens in den Zustand des Anorganischen, aus dem es entstammt. Die zahlreichen Konstruktionen, die Freud im Laufe seiner Theoriebildung hervorbringt - Ödipus, die Urhorde, der Mann Moses, Eros und Thanatos - zeugen von dem unaufhörlichen Versuch. die ursprüngliche und abschließende Erzählung zu finden, die einen mythischen Kreisschluß herstellt - einen Kreisschluß, den die therapeutischen Fallgeschichten nicht herstellen können. wie Freud sehr bald merken muß}30 Sie sind immer unabgcschlossen und würden, der Logik des T odestriebs-Theorems folgend, erst beendet sein, wenn auch das Leben, das diese Geschichte schreibt. zu Ende gegangen ist. 13I Um dem zu entkommen muß ihnen eine latente Geschlossenheit unterstellt werden - mithilfe der Kreisschlüssigkeit der Triebe und des Lcbens. 132 Diese garantiert Erzählbarkeit, denn die Geschichte des Lebens selbst ist erzählbar geworden, und zwar als eine Geschichte, deren Ende nicht Zufälligkeit sondern Bedeutsamkeit besitzt:
128 129 130 131
Ebd.
Hans Blumenbcrg, Arbrit am Mythos. Frankfun a. M.: Suhrkamp. 1979. S. 109 Siehe hierzu Freuds eigene Aussagen in DiL mJlidN rmJ die UnnulücM AruJys~ In diesem Sinne bemerkt auch C. G. Jung über die Erzählung des Lebensweges in der Psychoanalyse:... nicht der Erzähler. sondern der Tod spricht das -consummatum est." . Freuds Lösung dieses narrativen Dilemmas hat Jung allerdings nie erwogen - wohl nicht zulc:t:zt deshalb. weil sein Interesse weniger einem erzählerischen Prozcß als einer bildhaften Epiphanie gilt. Jung. Zur Empirie tin InJivitJUiltionsproussn (1950). in: GWIX. S. 309-372. hier: S. 367 132 Vgl. auch Graham. FrnuI's Liurary CuJtu~. S. 195
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"Es ist nicht ein Mythos der ewigen Wiederkunft des Gleichen, sondern der Heimlrehr ins U csprüngliche" , 133 wie Blumenberg bemerkt. Daß dieses Ursprüngliche nicht der Kategorie der Rekonstruktion, sondern der des natürlich Gegebenen, Realen angehöre, sucht Freud durch die zahlreichen Rückgriffe auf biologische "Fakten" zu suggerieren. Gilt ihm doch das Biologische als der "gewachsene Fels", der allen gsychischen Konstruktionen zugrundeliegt, wie es in einem späten Text heißt: Entgegen dieser Intention jedoch demonstrien Jms~its tks Lustprinzips deutlich, wie sich der vermeintlich massive Untergrund der Natur und ihrer Wissenschaft öffnet zu einem Topos, der nicht mehr der Ordnung der Biologie angehön - eine Unterwelt der Triebe, die an die epische und mythologische Tradition anschließt. Diese Unterwelt steht allerdings keineswegs nur unter der Herrschaft des Thanatos, wie sowohl die Logik des Motivs als auch die Theorie des Todestriebes zunächst vermuten lassen. Jmsnts des Lustprinzips ist nicht nur zutiefst dualistisch, es entfaltet sich auch selbst nach einem agonistischen Prinzip. Das scheint Blumenberg in seiner Lektüre Freuds geflissentlich zu übersehen - deshalb kann er zu der Einschätzung kommen, die Einführung des Todestriebs schließe Freuds System zu einem "Totalmythos". m Freud drücke die Selbsterhaltungs-, Machtund Geltungstriebe zu panieller Bedeutung herab, um sie der Figur des Umwegs zum Tode zu inkorporieren 136 - eine Formulierung, die allerdings fast wörtlich in Jmsrits tks Lustprinzips fallt. In diesem Zusammenhang werden sogar die vermeintlichen "Lebenswächter" unter den Trieben zu ursprünglichen "Trabanten des Todes" erklän. 137 Doch erfähn diese Auffassung im weiteren Verlauf des Textes entscheidende Korrekturen,l38 und im Rückblick aufJms~its tks Lustprinzips wird Freud deutlich hervorheben: Wir könnten es so darstellen, als ob das Es unter der Herrschaft der stummen, aber mächtigen Todestriebe stünde. die Ruhe haben und den Störenfried Eros nach den Winken des Lustprinzips zur Ruhe bringen wollen, aber wir besorgen, doch dabei die Rolle des Eros zu unterschätzen. 1\9
133 Blumenbcrg, Arbrit 11m Mythos. S. 104 134 ..Man hat oft den Eindruck. mit dem Peniswunsch und dem männlichen Protest sei man durch alle psychologische Schichtung hindurch zum ..gewachsenen Fels" durchgedrungen und so am Ende seiner Tätigkeit. Das muß wohl so sein. denn Air das Psychologische spieh das Biologische wirklich die RoUe des unterliegenden gewachsenen Felsens." Frcud. D~ nuJJiclH t& uMruJ/iclH A""'ys~. in: StA Ergänzungsband. S. 392 135 Blumenbcrg, Arbrit 11m Mythos. S. 103 136 Ebd .. S. 86 137 Frcud. Jmsrits tIn Lmtprinzips. in: StA 111. S. 249 138 Sowohl die Ausgaben vor 1925 als auch die darauf folgenden enmidten jeweils eine Fußnote. in welchen nachdrücklich auf die "Einschränkung und Berichtigung" dieser "extremen Auffassung" in der anschließenden Argumentation des Textes hingewiesen wird. Vgl. cbd., S.247 Fußnote 2 bzw. S. 249 Fußnote 1 139 Ders.• Dm Ich u"" tiIlS Es. in: StA 111. S. 325
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Offenbar muß sich der Verfasser selbst gegen die Suggestion dieses absolutistischen Szenarios erwehren - wir werden sehen, daß sich dies in Jmsnts tks Lustprinzips noch dramatischer gestaltet. Zweifelsohne ist Freud von der sinnstiftenden Totalität eines im Tode geschlossenen Lebenskreises fasziniert, garantiert dies doch einen universalen, kosmologischen Zusammenhang - einen Zusammenhang, den das "rätselhafte [... ] Bestreben des Organismus, sich aller Welt zum Trotz zu behaupten" bisher immer in Frage stdlte. l40 Aber "Zusammenhang" ist ein Zauberwort, das in Jmsnts tks Lustprinzips umso verzweifelter beschworen wird, als der Text selbst sich in ihn nicht fügen will. Bereits der unmittelbar darauffolgende Absatz bricht den Bann des geschlossenen Argumentationskreises, indem er mit dem Ausruf anhebt: "Aber besinnen wir uns, dem kann nicht so sein!,,141 An dieser Stelle des Textes wird erstmals die Gegenkraft zu den Todestrieben ins Spiel gebracht, die Lebenstriebe oder auch Sexualtriebe, die bereits aus der Triebtheorie vor Jmsnts tks Lustprinzips bekannt sind. 142 Dies erst ergibt die vollständige Bewegung: den "Zauderrhythmus im Leben der Organismen"143 - ein Rhythmus, der auch der von Jmsnts tks Lustprinzips sdbst ist, einem Text, der sich in einer Vielzahl von Rückwendungen, Exkursen, Perspektivwechseln, Brüchen und Neuansätzen zu einem Gebilde organisiert, das an sein Ende drängt, um es nie zu erreichen. l '" Die "Umwegigkeit" dieses Textes ist eine andere als die des Kreises, der sich schließt. Jedes Kapitel von Jmsnts tks Lustprinzips ist eine variierende Wiederholung des vorhergehenden und zugleich eine Antizipation dessen, was in Kapitel III als Wiederholungszwang benannt und in Kapitel V als Wiederholung der grundlegenden Kreisgesetzlichkeit des Lebens und der Triebe entwickelt wird - eine Zirkularität, die wiederum als Wiederholung eines "irgend einmal" vorgefallenen Geschehens konstruiert werden muß. Mit dieser beständigen Repetition realisien der Text sein eigenes theoretisches Konzept des Wiederholungszwangs"~s und in 140 Dcrs.,jmsnlS des Lustprinzips, in: StA II1, S. 249 141 Ebd. 142 Im Interesse seines Arguments verschiebt Blumenberg die Opposition von Todes- und Lebenstrieben zu der von Todestrieb und Lustprinzip. VöUig korrekt kann er dann sagen: "Der Todestrieb ist nicht symmetrisch und gleichrangig zum Lustprinzip, denn er macht dessen Herrschaft zw Episode: (cbd.) Damit ist uber die Symmetrie des grundlegenden Dualismus allerdings nichts ausgesagt. 143 Ebd.• S. 250 144 Eben dieses Zaudern wird uns. auf inhaldicher wie struktureller Ebene, in den epischen Taten wiederbegegnen, die ich im Anschluß an Freud behandeln werde. Vgl. etWa das Zaudern Odys5eU$' bei den Phäaken, das den Fortgang seiner Erzählung sichen. um damit zugleich den Aufschub der Handlung des Epos zu bedeuten (S. 99 ff.). oder kneas' Zaudern auf dem Weg zum vorbestimmten Ziel, der neuen Heimat Italien, welches einen Großteil der Handlung der enten Hälfte von Vergils Epos ausmacht (vgl. S. 106 ff.). Auf das Thema des Umwegs und des Aufschubs werde ich weiter unten näher eingehen. 145 Vgl. hierzu auch: Jacques Dcrrida. Ufs de FrrwJ, in: Etwin Fmllün",n 13/14 (1975), S. 87125, S. 98: .La valeur de rq,etition ..en abyme- de I'ecritwe de Freud a un rappon de mimesis structureUe avec le rappon entre le PP et ..sa- pulsion de mon.· Die Figw inhaldicher wie for-
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dieser formalen Realisation zeigt sich eine Komplikation, die sich innerhalb der Triebtheorie selbst wiederfindet: Auch hier ist die Figur des Wiederholungszwangs eine weitaus komplexere als es zunächst scheinen mag. Der Wiederholungszwang ist Freuds einziger Anhaltspunkt für die Existenz eines Triebes, der den libidinösen entgegengesetzt ist. Die Zirkularität der Wiederholungsfigur liest er als Ausdruck der Rückkehrfigur des Todestriebes - eine Gleichsetzung, die bei genauerer Betrachtung unhaltbar wird, denn anders als der Lebenskreislauf mündet der Wiederholungszwang nicht in der Bewegungslosigkeit eines Endes, das zugleich der Anfang war. Vielmehr steUt er bereits eine entscheidende Abweichung des Triebes dar, als dessen Repräsentant er eingeführt wurde: In ihm tritt die konservative Natur der Triebe zu Tage und zugleich dem Todestrieb entgegen. Ähnlich wie das Lustprinzip durch das Realitätsprinzip modifiziert wird, muß sich auch der Todestrieb eine Modifikation gefallen lassen: Aufgrund äußerer Hindernisse kann nicht der direkteste Weg gewählt werden, um die vitale Energie auf den Nullpunkt zu bringen. Die Umwege, die daraus resultieren, werden aber von den konservativen Trieben getreulich festgehalten. Die Funktion der Triebe besteht dann darin, "den eigenen Todesweg des Organismus zu sichern,,'46 und, statt das Lebensziel, d. h. den Tod, auf kürzestem Weg zu erreichen, penibel die aufgezwungenen Umwege nachzuvollziehen. Es ist die Bewegung der Wiederholung, in der versucht wird, zu einer aktiven Beherrschung dessen zu gelangen, was zunächst passiv erlitten wurde. Insofern die Verzögerung des Endes selbst inszenien wird, werden die äußeren, unkontrollienen Einflüsse gebunden und unter KontroUe gebracht - und damit funktionalisierbar für einen Prozeß, der unter der Herrschaft des Lustprinzips auf die endgültige Abfuhr der vitalen Spannung, auf den Tod, zielt. In diesem Modell geht die Wiederholung der Wirkung des Lustprinzips voraus. Ungeachtet der Wene Lust-Unlust bindet sie die freie Energie, die erst in dieser Form dem Lustprinzip verfügbar wird. Damit das "eigene" Ende des Lebens erreicht wird, muß alles Vorhergehende rückwirkend in der Wiederholung angeeignet und damit einer Ökonomie des Todes untergeordnet werden. 147 In einer ähnlichen Weise arbeitet der sogenannte Lebenstrieb. Doch sucht er nicht eine indifferente Null-Stabilität zu erreichen, sondern die Stabilität einer übergreifenden Einheit. Während der Todestrieb auf Auflösung zielt, zu dessen Zweck er das Mittel der Bindung wählen muß, zielt der Lebenstrieb eben auf die Bindung in immer größeren Einheiten. Deren gesteigene Komplexität beinhaltet maler Wiederholungen in Freuds Text fühn Patrick J. Mahony weiter aus. Vgl. derselbe, IRr SchriftskIln Sip"mJ FrruJ. Frankfun a. M.: Suhrkamp, 1989 (engl. 0rigina11982), S. 48-70 146 Freud, Jmsnts Jn Lustprinzips, in: StA 111, S. 248 f. 147 Der ökonomische Gesichtspunkt bestimmt in Freuds merapsychologischer Theorie entscheidend das Konzept des Todestriebes und mit diesem die Triebregungen allgemein als Rüc:kkehr in eine inene Stabilität. Vgl. hierzu auch das SUchwon "konomic· in der EncyclDpIiW Phi!osophitJw U,,;wnelk - Il· Ln notüms philDsophüpus, tome I, publ. sous Andre Jacob, Paris: PUF, 1990,S. 737
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zugleich eine gesteigene Spannung - in der Vereinigung erhalten sich "Vitaldifferenzen ", die wiederum "abgelebt" werden müssen. "Lebenstrieb" ist dieser Trieb damit genau betrachtet nw, insofern die Verschmdzung zu einer Einheit nie voUständig erreicht wird: Nur als beständiger Prozeß ist Leben zu denken, als unabschließbare Bewegung des Begehrens. So perpetuien die bindende Tendenz des Lebenstriebs die Bewegung und verschiebt das Zid immer wieder in einen neuen Kreislauf - eine neue Wiederholung. Deshalb steht die Wiederholung in ihrer bindenden Funktion nicht nur im Dienst des Todestriebs, sondern diesem auch entgegen. 148 Als Wiederholungszwang kehrt sie an einem bestimmten Punkt immer wieder zurück, um den Weg von neuem zu beginnen, den der Todestrieb zu seinem Ende führen will. Eben diese Bewegung des Abbruchs und der Rückwendung scheint der Text nicht nur wiederzugeben, sondern wiederholen zu müssen. Auffallend sind die Brüche und Neuansätze in der Argumentation,149 zahlreich die Formulierungen, die Rückwendungen einleiten, ISO um mit ihrer Hilfe das spannungsreiche Material in Argumente zu binden, die in einer Schlußfolgerung abgeglichen werden können. Genau an den entscheidenden Punkten jedoch, an denen der Gedankengang mithilfe einer Narration geschlossen werden soU, sieht der Verfasser sich expr~ssis v"bis zum Abbruch genötigt. Bereits erwähnt wurde der Ausruf, mit dem Freud seine narrative Spekulation über die Entstehung des Lebens und damit des Triebs zum Tode abbricht: "Aber besinnen wir uns, dem kann nicht so sein!";lsl in vergleichbarer Weise wird der Gedankengang unterbrochen, der in die Erzählung aus Platons Symposium mündete: "Ich glaube, es ist hier die SteUe, abzubrechen. ,,1;2 Doch selbst dieser gewaltsame Kwzschluß setzt den Wiederholungsbewegungen des Textes kein Ende. Es folgen" Worte kritischer Besinnung", die eine weitere Rückwendung auf die argumentativen und terminologischen Grundlagen vollziehen, ohne den Zauderrhythmus von Einwand und Widerlegung zu einem Abschluß zu führen, m es folgt eine halbseitige Fußnote, die die Entwicklung der
148 Diese Erkenntnis deutet sich bei Parrick Mahony in einer Anmerkung an. wird aber nicht weiter verfolgt mit der Begründung: .. Das würde den Wicderholungszwang auf die Spur bringen. auf der Eros fahn. während Freud sonst den Wicderholungszwang als übermächtigen Schergen des T odesuiebcs begreift. der seine Bahn schweigend und unwiderstehlich verfolgt." Einen Agonismus von Wicderholungszwang und Todestricb scheint Mahony unter Berufung auf die Autorität Frcuds nicht denken zu woUen. Mahony. D" Schrifts~"" Sigmuntl FrnNi, S. 235 149 Vgl. etWa den Wechsel vom Thema der Unfallneurose zu dem des Kinderspiels in Kap. 11. den Kapitclwcchscl von 11 zu III. oder den eingeschobenen Exkurs zur Zcidosigkcit des Unbcwuß.. ten. Vgl. Freud. JnunlS tIn LustprinDps. in: SlAlII. S. 224. 227 f. und 238 150 Vgl. cbd .• S. 250: ..Greifen wir nun selbst ein erstes Mal zurück" (thematisch keineswegs der erste Rückgriff). S. 253: .. Kehren wir darum zu einer von uns eingeflochtenen Annahme zurück". S. 259 f.: ..An dieser SteUe finden wir den Anlaß. [... ) zu überschauen" (rückblickend). S. 264: ..Aber kehren wir [... ) zurück". 151 Ebd.• S. 249 152 Ebd.• S. 267 153 Ebd.• S. 267 ff.
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Triebtheorie rekapitulien:S. und schließlich ein letztes Kapitel, das zum Lustprinzip nur zurückkehn, um hier "ungezählte andere Fragen" offen zu lasseniss statt die gegenläufigen Argumente in einer SchlußfolgerunI "abzuführen" wird im letzten Absatz eine neue, "eigentümliche[ 1 Spannung" I eingefühn, die von der Lust-Unlust-Komponente unabhängig ist. Der T riebdynamik in Jmsnts tks Lustprinzips fehlt letztlich die Geschlossenheit, die der Blumenbergsche Begriff des "Totalmythos" implizien - eben weil der Konflikt, den der mythos im Sinne eines plots in den Text einfühn, nicht restlos aufgelöst werden kann. Blumenbergs Aussage: "Der Todestrieb vollendet diese Geschichte von der Geschichte",1S7 trifft auf den Text, in welchem dieses Konzept eingefühn wird, offenkundig nicht zu. Was Jmsnts des Lustprinzips damit an mythischer Bedeutsamkeit verlien, gewinnt es aber an erzählerischer Dynamik. Die entscheidende Variation, die die Kreisschlüssigkeit des Mythos in der Wiederholung erfahren kann, ist ihr erzählerisches Entwicklungspotential: nicht nur ewige Wiederkehr des Gleichen zu sein.
Der epische Umweg: Jenseits des Lustprinzips als Metaenählung Wenn so aus der Freudschen Triebdynamik eine textueUe Dynamik entspringt, die das zugrundeliegende Modell entscheidend variien, dann trifft sich Jmsdts des Lustprinzips in genau dieser Eigenschaft mit epischen Verarbeitungen des Mythos. Es sind die literarischen Jenseitsreisen, die mit Freuds Jenseitsreise der Theorie korrespondieren. Da ich im folgenden Kapitel ausführlicher auf die drei klassischen Venreter in der Epik eingehen werde, sei hier nur kurz auf das wohl prägnanteste Beispiel verwiesen, auf Homers Odyssee. Sie gilt gemeinhin als Paradebeispiel des gelungenen Kreisschlusses: Odysseus kehre heim nach Ithaka, an den Ort, an dem seine Reise in der I/im ihren Ausgang nahm, und auf den das Streben des Helden und die Handlung der Odyssee ausgerichtet sind. ls8 Blumenberg spricht von der mythischen Qualität des Odysseus, insofern "seine Rückkehr in die Heimat eine Figur der Sinnrestitution ist, vorgestellt im Muster der Schliessung des Kreises, die den Ordnungstenor der Welt und des Lebens gegen jeden Anschein von Zufall und Willkür verbirgt" .159
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Ebd .• S. 269 Ebd .• S. 271 f. Ebd .• S. 271 Blumenberg, Arbnt 11m Mythos. S. 104 Laut Jan Mukarovsky ist diese tdeologische Orientierung. die ..epische Gerichtetheit". ein zentrales Wesensmerkmal der Gattung. Vgl. Jan Mukarovsky. Das Wnm Jn Epilt. in: Prlll" Schuk: &"ti""itiJt "Ni WIINkL Arbntnl DIr Litnllturibthnilt "Ni Ponilt Jn NllrrlltilJ1f. hg. v. Wolfgang F. Schwan, Frankfurt a. M.: Vervucn. 1997. S. 56-82. hier: S. 57 ff. 159 Blumenberg. Arbnlilm Mythos. S. 86
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Genau betrachtet ist die Odyss~~ jedoch keineswegs ein solch geschlossener Kreis: Zwar kehrt Odysseus unbesueitbar heim, doch eine letzte Reise liegt noch vor ihm, wenn er in Ithaka angelangt ist. Ein weiteres Mal wird er einen Umweg auf sich nehmen müssen, um an dessen Ende heimkehren zu können. Denn der Grundkonflikt, aus dem die gesamte Irr&hrt mit ihrem "Zauderrhythmus" resultiert, ist am Ende der Odyss~~ keineswegs aufgelöst: der Zorn Poseidons, der den Helden zehn Jahre an der schnellsunöglichen Heimkehr hinderte. Daß die Versöhnung dieses mächtigen Widersachers noch aussteht, weiß der Leser aus dem elften Gesang des Epos, in dem Odysseus diese letzte Reise angekündigt wird durch den toten Seher T eiresias, den der Protagonist eigens zu diesem Zweck im Hades aufsucht. l60 Im Kontext der Unterwelueise wird der Odyss~~ die geschlossene Kreisfigur eingeschrieben, die sie an ihrem Ende n ich t einlösen wird. Der mythische Zirkelschluß liegt dem Epos zugrunde und ist doch nicht identisch mit ihm 161 - es ist die selbe Konstellation, die auch Jmsnts dn Lustprinzips prägt: Freuds Trieblehre gründet auf der Kreisgesetzlichkeit des Lebens, und doch realisiert weder der psychische plot der Triebkonflikte noch das plotting des Textes, der von ihm handelt, diese geschlossene Kreisfigur. Erst in dieser Differenz generiert sich das Erzählen: in der Spannung zwischen seiner teleologischen Gerichtetheit und seinen Vermeidungssuategien, die von retardierenden Momenten bis zur tatsächlichen Verweigerung des antizipierten Endes reichen. l6l Das Erzählen fungiert als ein Umweg - so wie die Odyss~~ die Erzählung einer Irr&hrt ist, so wie Dantes Göttlich~ Komödi~ damit anhebt, daß der direkte Weg versperrt ist, und so wie das Leben in Freuds "umwegigem", stellenweise gar abwegigem Text Jms~its tks Lustprinzips als Umweg zum Tode entworfen wird. Alle diese narrativen Wege führen aber durch die Unterwelt den Hades, die Hölle, das Jenseits des Lustprinzips -, und an diesem Ort wird ihre narrative Dynamik expliziert und ihr plot skizziert. 163 In Freuds Fall der plot der Entwicklungsgeschichte der Psyche, die er in verschiedensten Variationen immer wieder erzählt - in seinen Fallstudien, die sich wie Novellen lesen,l64 in seinen kulturgeschichdichen Spekulationen, deren eine er als "historischen Roman" untertitelt: 6S in den Strategien der Narrativisierung, die er in seinen metapsychologischen Texten verfolgt. Jms~its tks Lustprinzips ist selbst Teil dieser 160 Homer. oJysse~. Elfter Gesang. 119-137. zitiert nach der Übersetzung von Anton Weiher otlyss«. gricch. u. deutsch. München: Ernst Heirncran. 1955 161 Die mythische Figur des Kreisschlusscs wäre die narrative Grundstruktur. die reine story: die 0Jyss« als die Geschichte einer Heimkehr. Doch der mythos des Epos - sein im Sinne Aristotdes - variiert diese Geschichte entscheidend: soweit. daß die Heimkehr des Endes nicht mehr den Kreis schließt. 162 Vgl. auch Mukarovsky. Das WtSm Jn Epi/t. S. 63 f. 163 Siehe das Kapitd "Führer durch die Unterwdt - Homer. VcrgiI. Dantc" dieser Arbeit. S.91-137 164 Sigmund FrcudJJoscf Breucr. Stru/im ü,," Hystnir. in: Freud. GtSIlWI~1k W"~. 8d. I. S. 75312. hier: S. 227 165 So der Untcrtitd des ersten Entwurfs von Dtr Mann MostS "Ni Ji~ MonothnstiscM &ügion. Siehe die editorische Vorbemerkung zu der Schrift in S&A IX, S. 457
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vidteiligen Saga der Psyche: Es markien nicht nur einen Wendepunkt in Freuds Theorie, es führt auch eben diese Wendung in seinen unzähligen Kehren vor; es rekapitulien das Vergangene und schürzt den Knoten, dessen weitere Verwicklung und dessen dbwunnmt künftig das Zid von Freuds Texten sein wird. Und es ist eine der Metaerzählungen der Psychoanalyse, welche eine Reflektion auf narrative Grundlagen und die Bedingungen von Erzählbarkeit eröffnet. "Of Freud's various intentions in chis tex:t, the boldest - and most mysteriousmay be to provide a thcory of comprehension of the dynamic of the life-span, its necessary duration and its nccessary end, hence, implicicly, a theory of the very narratibility of life. ,,166 So Peter Brooks in seinem Aufsatz FrnuJ's Mastnplot, in dem er die Übcrnagbarkeit der Freudschen Triebkonzcptionen auf den Prozeß und die Dynamik des Erzählens aufzeigt. ..Aufzeigen" kann er sie, insofern eben eine solche überuagung der Psychoanalyse selbst zugrunde liegt: Die übersetzung von Leben in Erzählung ist das zentrale Projekt der tallting cur~ und die Repräsentation psychischer Prozesse als Narration ein Grundzug der freudschen Theoriebildung. FrnuJ's Mastnplot zieht den Umkehrschluß: Aus Jmsnts tks Lustprinzips gewinnt Brooks eine Theorie der Narration. Analog zu Freuds Dualität von T odes- und Lebenstrieben sieht er das Erzählen von zwei Kräften bestimmt - dem Sueben nach dem Ende, das die Auflösung der Spannung und die Erkenntnis der ihm zugrunddicgenden Gesamtstruktur verheißt, und den Strategien der Verzögerung, der Wiederholung und Verwicklung, die den eigentlichen plot ausmachen und, ebenso wie sie nach Strukturierung und Auflösung drängen, diese zugleich vermeiden, indem sie die Komplexität steigern. Das Erzählen gehorcht damit den gleichen Gesetzen wie das Leben - das funktionien im Sinne einer Analogie ebenso wie im buchstäblichen Sinne: Der Text besitzt ein "Eigenleben" wie er auch die (Nach-)Erzählung des Lebens ist, seine Wiederholung. Das gipfdt bei Brooks in dem Satz: ,.All narration is obituary in mat life acquires dcfinable mcaning only at, and through, dcath." 167 Der Tod fungiert als bedeutungsstiftende Instanz: Er macht das Leben erst zu einem abgeschlossenen Ganzen, an dem sich Bedeutung ablesen läßt. Und tatsächlich flillt der "Tod" der Erzählung, ihr Ende, im klassischen Typus des Genres nicht sclten mit einem buchstäblichen Tod zusammen. So sagt Walter Benjamin über den Roman, sein Leser müsse "so oder so, im voraus gewiß scin, daß er ihren [der Roman6guren] Tod miterlebt. Zur Not den übenragenen: das Ende des Romans. Doch besser den eigentlichen."I6I Denn im Tod der Figur eröffne sich der Sinn ihres Lebens - das heißt, die Antwon auf eine Frage, die der Leser in seinem eigenen Leben nie gewinnen wird. Hier zeigt sich aber auch die entscheidende Differenz in der erzählerischen "Wied(rholung" - und das heißt, der Punkt, an dem sie nicht nur Wiederholung 166 Petcr Srooks, FrrwJ's MI/.S~IDI. in: Y.k Frmch StuJin 55/56 (1977). S. 280-300. hier: S. 285 167 Ebc..S.284 168 Watcr Benjamin. D" ErziJhln. in: ders .• GeSllm~1u Schrifim. 8d. 11 2. S.438-465. hier:
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ist. Denn in der Erzählung wird ein Sinn generien, den das Leben an sich nicht besia.t - seine sinnhaltige Geschlossenheit ist nur in der erzählerischen Wiederholung erkennbar: "Ein Mann, der mit fünfunddreißig stirbt. hat Moritz Heimann einmal gesagt. ist auf jedem Punkt seines Lebens ein Mann. der mit fünfunddreißig stirbt." Nichts ist zweifelhafter als dieser Satz. Aber dies einzig und allein. weil er sich im Tempus vergreift. Ein Mann. so heißt die Wahrheit. die hier gemeint war. der mit fünfunddreißig Jahren gestorben ist. wird dnn E;ng~eJmltm an jedem Punkt seines Lebens als ein Mann erscheinen. der mit fünfunddreißig Jahren stirbt. Mit anderen Worten: der Satz, der für das wirkliche Leben keinen Sinn gibt. wird für das erinnene unanfechtbar. 169
Das erinnene Leben - eben das ist das Ziel der Psychoanalyse. wenn sie die zwanghaften Wiederholungsfiguren des Patienten in eine Erzählung seiner wiedergewonnenen Erinnerungen auflösen will. Deshalb vermag sie auch nichts in akut krisenhaften Zuständen. sondern geht "am besten vor sich. wenn die pathogenen Erlebnisse der Vergangenheit angehören. so daß das Ich Distanz zu ihnen gewinnen konnte"l70 - ce post nur läßt sich der Sinn des Geschehens in Form einer Geschichte konstruieren. Um die Sinnhaftigkeit eines abgeschlossenen Ganzen bereits "vor der Zeit" zu antizipieren. um die historischen Geschehnisse zu tradierbarer Geschichte zu machen und die Kulrurentwickung als Analogie der individualpsychologischen Genese verstehen zu können. muß eine Finalität als strukturierendes Prinzip in alle Phänomene eingetragen werden. 1919. ein Jahr vor der Veröffendichung von}msnts MS Lustprinzips. diagnostizien Max Weber in seinem Vonrag Wwmschaft als Bn-uf. die Sinnlosigkeit des Todes in der "ena.aubenen" Moderne. Angesichts der irreversiblen. linearen Zeit des Fortschritts. wie sie ein positivistischer Rationalismus denkt. werde die Endlichkeit des Einzelnen zu einer bedrückenden Sinnwidrigkeit. "weil ja das zivilisiene. in den "Fonschrin". in das Unendliche hineingestellte einzelne Leben seinem eigenen immanenten Sinn nach kein Ende haben dürfte. Denn es liegt ja immer noch ein weiterer Fonschrin vor dem. der darin stehd.]"171 Aus dieser Perspektive könne das begrenzte Leben nicht mehr als ein Ganzes oder eine Erfüllung gesehen werden. sondern nur als vorläufig. Deshalb könne der "Kulturmensch". wie Weber ihn nennt. wohl "lebensmüde". nicht aber "lebensgesättigt" • 172 seID. 169 170 171 172
Ebd. Freud. Dir mdJicM uNi di~ unmJ/ü1N ANdyse. in: StA Ergänzungband. S. 372 Malt Weber. Wusnuchllftills &ruf. Berlin: Duncker & Humblot, 1992, S. 17 Vgl. cbd., S. 18. Mit der Unterscheidung von lebensmüde und lebensgc:säuigt ließe: sich auch die Differenz beschreiben zwischen dem Ic:benssauen Tod, wie er in der OJyssa in Aussicht ge. stc:lb wird, und der lebensmüden Sehnsucht zum Tode, wie sie die Gestalt des kneas bei VergiI prägt. Im folgenden Kapitd wird sich zeigen, daß eben dies auch mit der unterschiedlichen Strukrur der Geschichte zu tun hat, wie sie in beiden Epen enrworfen wird - wobei der Begriff "Geschichte" nur im Falle der Amns auch eine dezidien historische Dimension implizicn, im Falle der OJyss« hingegen ausschließlich den narrativen mythos, die Geschichte im Sinne der story. meint.
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Demgegenüber schreibt Freud mit der Konstruktion des Todestriebes dem Leben wieder einen Tod zu, der ihm in emphatischer Wei~ "eigen" ist. Das bedeutet mehr, als nur die Konstruktion einer individuellen Lebensgeschichte zu sichern: Es geht um die Bedingung der Erzählbarkeit des Lebens schlechthin. Freud setzt der irreversiblen Linearität der Weberschen Fonschrittsfigur mit seiner Triebmythologie die Figur des Kreisschlusses entgegen, um das Leben in einer rückblickenden und vorgreifenden Erzählung runden zu können. Der Tod ist nicht nur das Ende, er ist auch der Anfang. So geht Jmsrits tUs Lustprinzips in die Vergangenheit zurück - zu den Ursprüngen des Lebens aus der anorganischen Materie und zu den ätiologischen Mythen der Entstehung des Menschen -, um Aussagen über das Ziel dieses Lebensprozesses machen zu können. Ein solcher Gang in die Vergangenheit, um Aufschluß über die Zukunfr zu gewinnen, ist auch die charakteristische Bewegung der Unterwelueise im klassischen Epos. Das, was Freud auf der Reise in seine eigene psychische Unterwelt, wie er sie in der Traumtkutung unternimmt, nicht gewinnen konnte, war die Prolepsis - die Verheißung, die die rückblickende Analepsis ergänzt: Wie endet die Geschichte?173 Genau dies holt er in seinem theoretischen tUscmsus in Jmsrits tUs Lustprinzips nach, indem er den Todestrieb als eine grundlegende Dynamik des Lebens allem psychischen Geschehen, aller Kulturerscheinung und Gesellschaftsentwicklung einschreibt. Doch zugleich ist, wie im Vorhergehenden gezeigt wurde, der vermeindiche große Mythos des Todestriebes bereits in Jms~its tUs Lustprinzips zu einer Geschichte geronnen, die in erster Linie ein narratives Verfahren reflektiert. Es ist nicht mehr das Erzählen, das den Gesetzen des Lebens gehorcht, sondern das leben, das nach den Regeln des Erzählens konstruiert wird. Deshalb kann Jmsrits tUs Lustprinzips auch nicht den Zirkelschluß herstellen, den es zu behaupten vorgibt: Denn in der Narration ist nicht nur ein Faktor bestimmend - nicht nur die Finalität, wie sie in Freuds Modell der Todestrieb verkörpert - sondern auch die entgegengesetzte Kraft der Verwicklung und des Umwegs: das, wofür ebenso der Wiederholungszwang wie die Lebenstriebe stehen. Eine dem Tod analoge Abgeschlossenheit der Erzählung bleibt immer Konstruktion - ihre "Endgültigkeit" ist nicht vergleichbar mit der des Lebens, an dessen Ende unausweichlich ein Tod steht. Das gilt nicht nur für die Literatur der Moderne, die in ihren textuellen Strategien eine grundsätzliche "Endlosigkeit" zelebriert,174 es ist, aller teleologischen Gerichtetheit zum Trotz, Kennzeichen des Erzählens schlechthin. 17s Es ist
173 Vgl. auch das folgende Kapitd über die epische IuzllJbasis bei Homer, Vcrgil und Dame, S. 91137 174 Vgl. hierzu Dü Kunst r.u ~ruIm, hg. v. JiligCß Söring. Frankfun a. M. u. a.: Lang. 1990 175 Benjamin bemerkt in dieser Hinsicht: .. In der Tat gibt es keine Erzählung. an der die Frage: Wie ging es weiter? ihr Recht verlöre." Dabei bezieht er sich allerdings auf die Ganung der Erzählung im Gegensatz zum Roman, dessen Finalität in seinen Augen unübersteigbar ist. Ders., Dn- Errithkr. in: Gn4mmr/u St-hriJtm, Bd. 11 2. S. 455
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die "Perversität" der Literatur, wie Peter Bmoks es auch nennt: 176 Sie vcrweigen sich der "Heilung", die eben in einer Auflösung der Verwicklungen ihres plots bestünde - einer Auflösung ohne Rest, welche den narrativen Prozeß der Ersetzungen und Verschiebungen rückwirkend für obsolet erklären würde. AJJ is w~ll that mJs w~ll- das mag der Titel, keineswegs jedoch das Programm eines literarischen T cxtes sein.
176 Pcter Brooks. ReIUii"1 for the PIDL Dmp """ l"rmtUm (Mass.)/London: Harvard U. P .• 1984. S. 142
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NtlmltiW. Cambridgc
KAPITEL 111 FÜHRER DURCH DIE UNTERWELT: HOMER, VERGIL, DANTE Er sei der erste Sterbliche, der die neue Welt des Unbewußten betreten habe, verkündet Freud im Entdeckerrausch des Jahres 1900. 1 Ob dies im Hinblick auf seine wissenschaftliche Entdeckungsreise zutrifft, soll hier nicht erönen werden. Was die Literatur anbetrifft, sind offenkundig schon Zahlreiche vor ihm in der Unterwelt gewesen. Die Unterweltreisen des 20. Jahrhundens führen keineswegs in ein Territorium, das nie eines Reisenden Fuß betrat. Vielmehr finden sich hier unverrückbare Meilensteine einer langen Tradition: Neben dem Mythos des bekanntesten Unterwelueisenden, Orpheus, wird die Geschichte der Itatdbasis vor allem von drei Texten geprägt, die zugleich Paradebeispiele der Gattung Epos darstellen: Homers Odyss~~, Vergils Am~is und Dantes Divina Comm~dia. Sie sind eine unhintergehbare Referenz für alle weiteren Abstiege in die Unterwelt spätestens in deren Rezeption. Bereits in dem vorhergehenden Kapitel zur freudschen Unterwelt zeichnete sich die Perspektive ab, unter der die Lektüre dieser Epen im folgenden Kapitel stehen soll: Es geht um die Funktion, die die Itatdbasis innerhalb des jeweiligen Textes für dessen narrative Organisation und Dynamik übernimmt. Anhand ihrer, so meine These, läßt sich eine grundlegende Bewegung des epischen Erzählens nachvollziehen, die dieses als Spannungsfeld zwischen finaler Gerichtetheit und retardierenden bzw. iterierenden Kräften konstiruien. Übenrägt man, wie dies Peter Brooks tut,2 die Terminologie und Modelle Freuds auf den Erzählprozcß, konstituien sich das Erzählen, wie das Leben, als Wechselspiel zwischen den "Todestrieben ", die auf das Ende des Textes als eines geschlossenen, sinnhaften Ganzen drängen, und den "Lebenstrieben", die in ihrer "bindenden" Funktion die Komplexität der Handlung steigern und infolgedessen immer neue Verwicklungen und unendliche Wiederholungen hervorbringen: den Umweg, der den plot als solchen konstiruien. Der Wiederholungszwang läßt sich als die negative Spannung, das bedrohliche Moment dieser Komplikationen und Repetitionen lesen, welches auf den (Kurz-)Schluß zielt und ihm als Zwang zu wiederholen doch selbst im Wege steht. In den folgenden Lektüren epischer Texte wird immer wieder auf diese Dynamik Bezug genommen werden. Dabei geht mein theoretisches Interesse nicht auf eine psychoanalytische Literaturinterpretation im strengen Sinne. In erster Linie liefen mir die Terminologie Freuds ein begriffliches Instrumentarium, um narrative Phänomene und Prozesse zu beschreiben - und daß die psychoanalytische Begriffiichkeit hierfür geeignet ist,
1 Freud. Britft an Fwß, Brief vom 7. 5. 1900. S. 453 2 Vgl. die vorhergehenden Ausführungen zu Peter Brooks Ansatz, S. 87 fT. dic:scr Arbeir
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erklän sich daraus, daß Freuds Triebdynamik selbst erzählerische Modelle zugrunde liegen. Die wechselseitige Beleuchtung - die der Texte Frcuds durch das epische Erzählen, wie es im vorigen Kapitel geschah, und die von Erzählprozcssen durch Freuds Triebterminologie, wie hier angedeutet, - läßt die grundlegende narrative Dynamik deudicher hervonreten. In diesem Licht erscheint die Unterweltreise als eigentümliche Figur einer Wiederholung: zweifelsohne eine kreisförmige Rückkehrbewcgung - als Hinund Rückreise, als Vorlauf zum Ende und "Rückkehr" in das Zentrum der Handlung, als Rückkehr des Verdrängten in Gestalt der Toten,' als Rückkehr vom Tod ins Leben. Die Unterweltreise ist nicht nur ein Extremereignis innerhalb der Handlung, sie markiert auch einen Extrempunkt der narrativen Disposition und des gesamten literarischen Unternehmens - den Punkt, an dem die Erzählung kurzzuschließen und der Text über sich hinauszugehen droht. So deutlich wie kein anderes Element, welches dem plot als Verwicklung zugehört, führt sie die narrative Teleologie vor Augen - berücksichtigt man die im vorhergehenden Kapitel hergestellte Verbindung von Ende und Tod, so führt sie als Reise in das Totenreich qua Motiv unmittelbar an dieses Ende heran. Dies ist der Kurzschluß der droht: daß die Erzählung implodiert, indem sie sich unmittelbar zu Ende erzählt. Doch wird das Ende, das im Kontext der Unterweltreise in den Text eingeschrieben wird, dank ihrer zugleich aufgeschoben. Sie führt ebensowenig zum Ende wie zum Tod, obwohl sie jenes ankündigt und diesen vorwegnimmt; vielmehr wird die Unterwelt selbst zu einem neuen Ausgangspunkt, der zusätzliche Spannung und Verwicklungen generiert. Und sie fUhrt über die Grenzen des Textes hinaus, indem sie einen perspektivischen Fluchtpunkt in Aussicht stellt, der - wie bereits im Falle der Ot1yss~~ angedeutet - außcrhalb des Textes liegt. Dementsprechend kommt der Unterweltreise in den in Frage stehenden Texten - der OJyss~~, der Ameis und der DiviTUl CommeJia - eine Schlüsselposition zu. In den drei Texten hat sie jedoch keineswegs die gleiche Vemssung: In der OJyss~~ und der Amm ist der Abstieg in die Unterwelt eine Etappe im Rahmen einer Suche oder Reise - dem nostos, der Heimkehr, bei Odysseus und dem Aufbruch zu einer neuen Heimat im Falle des Aencas. Dabei besetzt diese Etappe eine strategisch wichtige Position und erfüllt eine wescndiche Funktion innerhalb des Textes. Die Itatdbasis in der DiviTUl Comm~dia dagegen ist Teil der Grundkonstellation des Textes - sie bildet das Thema und zugleich den Rahmen des gesamten Textes. Spezifischer als Unterweltreise gefaßt, ist sie Gegenstand und Grundlage des Inftrno, des ersten der drei cantich~, aus denen die DiviTUl Comm~Jia besteht.
3 In der OJysse~ die Figur des unversöhnlichen Ajax. durch die sich eine fatale Episode der IÜIlS fortschreibt. in der kNis u. a. der Schatten Didos. der die Tragödie aus Buch IV aufruft und sie dem Protagonisten erstmals zu Bewußtsein bringt. in der DiviNl Commedüt nodt grundlegender all die Sünder. die in der HöUe Objekte der Verdrängung schlechthin. nämlich der Gonvcrgcsscnheit. sind.
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Trotz dieser konstitutiven Unterschiede läßt sich die Funktion, die die U nterweltreise sowohl als Motiv wie: als Handlungselement in den drei 'Werken übernimmt, durchaus vergleichen, wenn man sie hinsichtlich ihrer narrativen Funktion betrachtet.
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Besinnen wir uns zunächst auf die von Benjamin beschriebene und von Freud triebhaft verkleidete Figur, daß es der Tod sei, der die Erzählung des Lebens zu einer epischen Ganzheit abschließe. Allen der drei zu behandelnden Epen scheint diese Figur fernzuliegen - Odysseus kehrt heim nach Ithaka und zu Penelope, Aeneas trägt den Sieg davon, der Rom begründen wird, Dante erreicht das Empyreum und die Gottesschau. Dennoch wird die Verbindung von Ende und Tod hergestellt, und dies in ausdrücklichster Weise in der OJyss~~.4 Daß das Ziel der Irrfahn des Odysseus der Tod sei, wird in Homers Epos bereits im ersten Gesang aus berufenem Mund geäußert: "Odysseus will aber fort, um den Rauch nur der Heimat steigen zu sehen; Sehnsucht hat er zum Tode" {O 1,57 tfi - das sagt Pallas Athene, als sie Zeus veranlassen will, Odysseus aus dem Liebesgeflingnis der Kalypso zu befreien. Mit dieser Zielperspektive wird nicht nur die unterbrochene Heimfahrt fortgesetzt (auf Athenes Drängen interveniert Zeus schließlich bei Kalypso), sondern die Erzählung dieser Abenteuer überhaupt erst begonnen. Wenn Odysseus sich - ohne sein Wissen - zu dem Zeitpunkt bereits auf einer der letzten Etappen seines nostos befindet, hebt Homers Epos doch an diesem Punkt erst an. Die Erzählung antizipiert mit ihrem Beginn unmittelbar ihr intendiertes Ende: den Tod des Helden. Dabei ist bemerkenswert, daß direkte Schritte, um dieses Ziel zu erreichen, zunächst nicht unternommen werden. Vielmehr wird in den ersten vier Gesängen eine ganz andere Reise beschrieben, die des Telemach, die nicht zurückfuhrt sondern fort von der Heimat, nicht die Suche eines reifen Mannes nach dem Tod ist, sondern der Aufbruch eines jungen ins Leben. Die T elemachie ist der erste große Umweg der Odyss~~ als Erzählung, kaum daß ihr Ziel in der Formel "Heimkehr und Tod" genannt worden ist. Die Verbindung von Heimkehr und Tod wird auch durch ein anderes Motiv unterstrichen: das Leichentuch des Laertes. Es ist das berühmte Tuch, das Penelope tagsüber webt und nachts wieder auftrennt, denn an seine Fertigstellung ist das Versprechen geknüpft, endlich ihre Wahl unter den Freiern zu treffen. Als Grabtuch kündigt es einen nahenden Tod an - und zwar den von Odysseus' Vater -, als Signal zur Neuvermählung Penelopes verkündet es einen "stattgefundenen" Tod - Odysseus wird damit für tot erklärt, denn nur unter dieser Bedingung kann Penelope sich wieder verheiraten. Für wen dieses Tuch dann 4 Sofern nicht anders angegeben. beruhen die deutschen Zitate auf der Übertragung von Anton Weiher: Homer, 0Jyss«, gricch.ldeutsch. übertragen von Anton Weiher, München: Heimcran Verlag. 1974, fonhin: 0 (mit ZeiJenangabcn) 5 Voss übersetzt diese SteUe weniger "todcssehnsüchtig", aber inhaltlich vergleichbar: "Aber Odysseus sehnt sich, auch nur den Rauch von Ithakas heimischen Hügeln steigen zu sehen und dann zu stemcn!" Homer, OJyss«, übers. v. Johann Heinrich Voss, Weimar: Volksverlag. 1959
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atsächlich eine tödliche Bedeutung hat, sind die Freier: Mit seiner Fertigstellung rreicht Odyssew Ithaka, um schließlich in seinem Haus die ungebetenen Gäste u massakrieren. Diese Verbindung wird explizit hergestellt: ,.Aber als sie das ~änz.cnde Tuch uns [den Freiern] dann zeigte, das groß sie gewoben, schön ;ewaschen und glänzend wie Funkeln des Monds und der Sonne, da grad führte in Unhold, wer weiß es woher. den Odysseus weit hinaus auf das Feld. wo sein .auhirt wohnte" - so berichtet der Schatten des toten Amphimedon im Hades 'on der signifikanten Koinzidenz. (0 XXIV, 147 ff.) Das Leichentuch wird zu inem Zeichen, das jedoch nicht nur auf den Tod verweist, sondern ihn. gleich iner magischen Verknüpfung von Zeichen und Bezeichnetem, herbeiruft. Es cheint aus dem Lebensfaden selbst gewoben, weshalb die Fertigstellung des ;ewebes mit dem Ende dieses Fadens zusammenfällt.6 Ein solches Gewebe ist .uch der Text, ein Gewebe, dessen Abschluß in letzter Konsequenz im Tod ICSteht, und sei es "zur Not", wie Benjamin sagt, dem übertragenen. In der JJyssu flillt das Ende des Textes mit einer ganzen Reihe buchstäblicher Tode .usammen. Doch sind diese "übertragen" in einem anderen Sinn, als Benjamin Im hier im Auge hatte. Der "eigentliche" Tod wird durch sie nur ersetzt oder .ufgeschoben, der Tod des Odysseus, der dem Leser7 als das Ende der Reise ngekündigt und insofern als das Ende der Erzählung erwartet wurde. Tatsächlich mögen die angeführten Aspekte nicht ausreichen, um eine solche ~rwartungshaltung, geschweige denn die daraus abgeleitete Grundkonstellation les Textes. zu begründen. Es gibt aber eine Episode in der Odyssee, in der sich liese Konstellation so klar wie an keiner anderen Stelle artikuliert, und das ist die ogenannte neltyia, der Hadesbesuch des Odysseus im elften Gesang. Nach der Abfahrt von Kalypsos Insel ist die nächste und letzte Station auf Odyseus' Heimreise der Hof der Phaiaken. Hier wird er in einer sem i-paradiesischen lVdt gastlich aufgenommen, und hier berichtet er von seinen überstandenen Abeneuern. Abgesehen von der Kalypso-Episode er&hrt der Leser also einen Großteil ler Irrfahrt retrospektiv aus dem Mund des Protagonisten. Innerhalb dieser ErzähLlIlg in der Erzählung liegt auch die Hadesfahrt, eine Episode unter vielen in der lerie von Odysseus aufregend-abenteuerlichen Erlebnissen, so scheint es zunächst. 8 Jnd doch genießt die M/tyia in vielerlei Hinsicht einen Sonderstatus unter den llienteuern. Zunächst einmal stellt sie tatsächlich die Mine dar unter den Statio6 Daß hhaka der Ort ist. wo der Lebensfaden Odysseus' aufgenommen und zu dem verwoben wird. was ihm sein Schicksal verheißt. liegt auch in den Worten des Phaiakenherrschers Alkinoos: ..Dort freilich wird er erleben was ihm beschieden. wie ihm arn Anfang die schwierigen Frauen. als ihn die Murter gebar. den Lebensfaden gesponnen: (0 VII. 196 f[) 7 Ich lasse hier außer Acht. inwiefern es sich bei der 0Jyss« um ursprünglich mündlich überlieferte Dichtung handelt. da dies für mein Argument keine wesentliche RoUe spielt. Der Einfachheit halber und weil der Text als schriftlicher in den literarischen Kanon eingegangen ist. werde ich ihn wie einen solchen behandeln. 8 In dieser rein episodischen Bedeutung wird sie - nicht ganz zu Unrecht - von einer ganzen Reihe von Interpreten gesehen. etwa M. van der Valk, BntriJtt DIr N~/tyi4. Kampen: Kok. 1935. S. 90 und Ronald R MacDonald. TIH B"ri4J-PIAas 0/MmuJry - Ep~ Untlnwor/Js in Vnxil. D""te "Ni Millon, Amherst (Mass.): University ofM.usachusctts Press. 1987. S. 30.
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nen, die Odysscus auf seiner Heimfahn passien. Vor dem Hadesbesuch liegen sechs Begegnungen: die Kikonen, die Lotophagen, Polyphemus, Aiolos, die Laistrygonen und schließlich Kirke. Demgegenüber fühn die Fahn nach der Totenbefragung zurück nach Aiaia, danach zu den Sirenen, zu SkyUa und Charibdis, der Insel der Heliosrinder, Kalypso und zuletzt zu den Phaiaken - wiederum sechs Stationen. Nicht ganz ausgeglichen ist diese Symmetrie, denn im Gegensatz zu der ersten Episode aufKirkes Insel, die durch den Verlauf eines Jahres von der Unterweltreise getrennt ist, ist der zweite Aufenthalt nurmehr ein kurzes Intermezzo und gewissermaßen eine Nachbereitung der Hadesfahn. Die Rückkehr nach Aiaia wird Odysscus in der Unterwelt aufgetragen durch den toten Gefahnen Elpenor (0 XI, 69 f.). Dieser ist eine Schwellenfigur, die von einer Welt in die andere überleitet, hin wie zurück: Durch seinen Tod unmittelbar vor der Abfahn (0 X, 56O) geht Elpenor dem Odysseus auf der Unterweltreise buchstäblich voran - "SchneUer kamst du zu Fuß als ich mit dem schwanen Fahrzeug", bemerkt Odysscus, als er ihm als erstem am Eingang zum Hades begegnet (OXI, 68). Umgekehn ermöglicht diese Figur auch die Rückführung aus dem Totenreich in die Oberwelt: Nicht nur, indem Elpenor die Rückkehr zu Kirke ankündigt, sondern auch, insofern sein Begräbnisritual die ~kyia entgültig abschließt (0 XII, 8-17). Nach dieser Zäsur setzt eindeutig ein neuer Abschnitt der Irrfahn ein, und er beginnt mit Kirke: "Dies alles ist so nun glücklich zu Ende; doch höre, so wie ich jetzt es dir künde" (0 XII, 37 f.) - mit diesen Wonen leitet sie ihre Instruktionen ein (0 XII, 39-14O), die, anders als die Prophezeiungen im Hades, den konkreten Verlauf der weiteren Reise präzisieren und vor allem orientieren.9 Deudicher noch als die numerische Mitte besetzt die Hadesepisode für die Verlaufsstruktur der Reise die Position der Mitte: Die Unterwelt ist die einzige Station, die nicht auf dem Weg liegt und dennoch bewußt angesteuen wird. Hier ist eine Hin- und Rückfahn nötig, im Gegensatz zu allen anderen Stationen. Insofern ist sie ganz buchstäblich ein "Wendepunkt" innerhalb der Reise. Auch unterscheidet sich die Irrfahn vor diesem Ereignis von jener danach, denn nach der Totenbefragung im Hades besitzt Odysseus eine grobe, wenn auch unzureichende Kenntnis des weiteren Verlaufs der Heimfahn. Vor allem aber weiß er, daß er heimkehren wird, wenn auch gegebenenfalls ,spät und elend, ohne alle Gefähnen', wie ihm Teiresias vorhersagt (0 XI, 114). Und er weiß noch etwas: Mit der Ankunft in Ithaka ist seine Fahn noch nicht zu Ende. Noch eine Reise muß er unternehmen, um mithilfe der Anweisungen des Sehers seinen götdichen Widersacher Poseidon zu versöhnen. Dann erst wird die Irrfahn zu Ende sein: Hast du die Freier indessen erschlagen im eignen Palaste, Sei es mit List, seis im offenen Kampf mit dem spitzigen Eisen. Dann brich auf und nimm in die Hände ein handliches Ruder. Bis du zu jenen gelangst. die nichts mehr wissen vom Meere. [ ... ] 9 Nicht zuletzt dwch die Vermeidung einer Station. der Planktai. statt derer Odysscus den Weg vorbei an Skylla und Charibdis wählen wird.
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Dann verstaue du fest im Boden das handliche Ruder! Schöne Opfer mußt du dem Herrscher Poseidon dann bringen, Schaf und Stier und ein männliches Zuchtschwein. Ist es geschehen, Dann gehe heim und opfere heilige Hekatomben Allen unsterblichen Göttern, den Herren im breiten Himmel, Ganz nach der richtigen Reihe. Der Tod aber wird zu dir kommen, Sanft und nicht aus dem Meer. Zermürbt von behäbigem Alter Wird er dich töten; dein Volk aber wird dich umringen und glücklich Werden sie alle sein. Das ist für dich mein Wahrspruch. (0 XI, 119 ff.)
Das wäre der endgültige, ersehnte Abschluß von Odysseus' Reisen und ihrer Erzählung. Der Wahrspruch des T eiresias, wegen dem erklärtermaßen die Mkyia unternommen werden muß, ist folglich die Stelle, an der der Text sein Ziel formulien: das Happy End, das im glücklichen Tod besteht. Die agonistische Macht, die dem Ende als Heimkehr entgegensteht, wird gebannt in einem Tod, der keine Agonie kennt: "sanft und nicht aus dem Meer" (d. h. nicht durch Poseidon).·o Das ist die zentrale Information, die die Odyss~~ dem Protagonisten wie dem leser im Rahmen der Unterweltreise gibt; alle anderen Auskünfte Teiresias' sind nicht nur unpräzise, sondern unter streng ökonomischen Gesichtspunkten überflüssig. Sie sind Minel zum (End-)Zweck und werden im Anschluß an die n~kyia weit ausführlicher und präziser von Kirke gegeben. Der Tod markien das unwiderrufliche Ende der Irrfahn, die endgültige Heimkehr ,umringt von seinem glücklichen Volk' (0 XI, 136 f.) - und das Ende der Erzählung. auf das diese von Anfang an hinstrebt, um aus ihm Geschlossenheit zu beziehen. Die Explikation der narrativen Teleologie geschieht in einem Kontext, der eigens zu diesem Zweck konstruien wurde. Es ist oft bemängelt worden, daß der n~kyia innerhalb der unminelbaren Handlung des nostos die Motivation fehlt:· Ihre programmatische Funktion für den Text wird dadurch aber nur umso deutlicher. Die Unterwelt bezeichnet das stille Zentrum der Reise, sie ist ebenso ihr räumlicher Wendepunkt, wie ein Extrempunkt jenseits der bereisten Welt. Sie versetzt den Helden in das Totenreich, um ihm von diesem Fixpunkt, an dem jedes Leben und alles Erzählen zuletzt geendet haben wird, das eigene Ende und das Ende der Erzählung zu erz ä h I e n . Deshalb ist die Unterweltreise in der Odysu~ nicht nur eine Grenzüberschreitung des Odysseus, sondern auch des Textes: Er macht hier explizit, was implizit jede Narration tut - sich von ihrem Ende her zu erzählen, indem sie auf es zuläuft. Und er versucht, den "toten" 10 Obwohl der Kontext die Wichersche Übersetzung mehr als nahclcgt. ist grundsätzlich das griechische ~~ cki..öc; doppddeutig: Es kann ebenso .. nicht aus dem Meer" als auch ..aus dem Meer" bedeuten. was seit der Antike Anlaß zu rcgcr Kommentierung und zu den verschiedenen Typen der Fortsetzung der Odysg~ gegeben hat. Siehe Piero Boitani. T," 5haJoUl 0/ V/pm. Fipm 0/a Myth. Oxford: Clarendon Press, 1994. S. 18 11 Weshalb sie im Zuge der ..Authentifazierung" Homers nicht selten als nach-homerischer Einschub verworfen wurde. etwa bei Erwin Rohde. Psyc," - &~lmcuU uNi VlUtn'blichltnlJg/4ub~ "" Gri~chm. Tübingcn/Leipzig: J.C.8. Mohr (Paul Sicbcck). 1905. 8el. I. S. 51 oder Ulrich von Wilamowitz-Modlendorff. Homnisc," Vntnsuchflngm (Philolofisc," Vntnsuchuntm Hft. 7). hg. v. A KicsslinglU. v. Wilamowitz-MocUcndorff. Bcrlin: Weidemann. 1884. S. 144.
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Endpunkt, mit dem er schließt, zu einer räumlich und zeitlichen Ausdehnung zu entfalten: Das Jenseits der Erzählbarkeit, dessen Grenze der abschließende Tod markien, wird zu einer Totenwelt, die zu Lebzeiten bereist und damit erzählt werden kann. Der Umweg, den das Leben auf dem Weg zum Tod und die Narration auf dem Weg zu ihrem Schluß nehmen, fühn geradewegs durch das Ziel hindurch und nimmt es unmittelbar als Ausgangspunkt für eine neue, aufschiebende Verwicklung des plots. "La limite de la mon ouvre devant le langage, ou plutat en lui, un espace infini", schreibt Michel Foucault in seinem Aufsatz u i4ngag~ a /'infini,12 dessen Ausgangspunkt bezeichnenderweise die Odyssu ist. Der Tod ist die Leere, auf die alles Sprechen zuläuft und von der es ausgeht, das Erzählen aber gewinnt aus dieser Leere den ihm eigenen Raum: "Les dieux envoient les malheurs aux monels pour qu'i1s les racontent; mais les monels les racontent pour que ces malheurs jamais n'arrivent a leur fin", ergänzt Foucault das Zitat Homers." Diese Figur läßt sich deudich in der n~1eyia ablesen, in der das Ende selbst thematisien wird - das Ende der "maIheurs" des Odysseus, das zugleich das Ende seines Lebens und das Ende der Odyssu als deren Erzählung bedeuten würde. Einer Erzählung, die sich noch in der Explikation dieses Endes fonspinnt. Wenn so das Endziel der Handlung explizit zum Ausgangspunkt gemacht wird, mag das eine perfekte zyklische Geschlossenheit suggerieren. Am Schluß der Odyss~~ steht von den Voraussagen des T eiresias nur noch die des Todes in der Erfüllung aus, und sie enthält, mehr als alle anderen, klare und durchführbare Handlungsanweisungen, um diese Erfüllung zu garantieren. Deshalb ist der sanfte Tod nicht nur eine unter den vielen Möglichkeiten der Erzählung. ihr Ende zu finden; er ist, wenn auch nicht ihr "wahres Ende", so doch ihr wahrscheinlichstes. 14 Dennoch ist er genau der Schluß, den die Odyss~~ mit ihrer "Kettenre-
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12 Michd Foucault. /4"gllgt ii /'i"ji,,; (1963). in: ders .• Dits a krits 1954-1988. ~ablie sous la dirccnon dc Danid Defert et Fran9)is Ewald. tome 1. Paris: Gallimard. 1954. S. 250-261. hier: S. 262 13 Ebd. Diese Konstdlation mündet in einer Figur der Sdbsueflcxivität. die mit dem entsprechenden Pathos zu einem ontologischen Sprachereignis. der Gcbun der .anderen Sprache". gesteigert wird: nPour arr~er cene mort qui va I·arr~er. il n'a qu'un pouvoir: celui de faire naitre en luim~me sa propre image dans un jeu de glaces qui. lui. n'a pas de limites. Au fond du miroir Oll iI rccommence. pour arriver a nouvcau au point Oll il est parvenu (celui de Ia mort). mais pour I'«aner autant, un autre Iangagc s'apcr9)it" (cbd.). 14 Peradono weist zu Recht daraufhin. daß die Prophezeiung des Teiresias keine uneingeschränkte und eindeutige Aussage über die Zukunft ist. sondern eine konditionale Struktur besitzt. innerhalb derer verschiedene Optionen möglich sind. Es werden dabei diverse mögliche Verlaufsformen der zukünftigen Erzählung durchgespidt. so daß der prophezeite Tod des Odysscus keineswegs als sicheres Ende gelten darf {siche: John Peradono. ProplNcy Dtgrrt Zrro: T;~ÜIs IInJ tht EnJ of tIN OJyss~. in: 0rtJit4 - nJlurll, Imnllturll, discOTJD (Ani iMi Co"vtf'U' ;"'~""UÜ"'lIk), a cura di Bruno Gentili e Giuscppc Paioni. Roma: Edizione ddl' Atenco, 1985, S. 429-459, hier: S. 438 f.). Dem kann man entgcgcnhalten. daß die IctUe Reise und der ..sanfte Tod" sich an alle der genannten Möglichkeiten anschließen ließe. und daß zudem die Kette möglicher Ereignisse. die der T cxt in seinem weiteren Verlauf realisiert. tatsächlich in der letzten Reise mündet, deren vorschriftsmäßige Erfüllung die Voraussetzung des glücklichen Todes ist. Zur nWahrscheinlichkeit" nicht als mimetischer Kategorie sondern als Effekt der narrativen Ökonomie vgI. Tzvetan Todorov. l"trrNiuction 11 .. vrllisnnb/4bk. in: den.• PoItiqw iM /4 pl'OK, Paris: Editions du Seuil, 1971. S. 92-99
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aktion von Höhepunkten"15 im letzten Kapitel nicht findet. Als perspektivischer Fluchtpunkt des Erzähleras bleibt er außel'halb des Textes: Die ietzte Heimkehr aus der langen Reihe von Heimkehrformeln in Teiresias Rede l6 ist am Ende der Odyss~~ (noch) nicht realisiert. Der Zyklus der Erzählung bildet zuletzt keinen geschlossenen Kreis, sondern eine Spirale. die sich in einem neuen Zyklus von Reise und Heimkehr fortzusetzen verspricht. Das unwiderrufliche Ende des Erzählens läßt sich nicht erzählen. es läßt sich nur ankündigen. "In der Tat gibt es keine Erzählung". schreibt Walter Benjamin. "an der die Frage: Wie ging es weiter? ihr Recht verlöre."17 Die Epik, als deren Archetyp die Odyss~~ nicht umsonst !i!lt, ist laut Herrmann Fränkel die Kunst, die immer auf Fortsetzung bedacht sei. I T atsächlich hat die Odyss~~ nach Homer zahlreiche Fortsetzungen in der Literatur gefunden: Von der Antike bis in das 20. Jahrhundert ist das Schicksal des Odysseus auf seiner letzten Reise fortgesponnen worden. 19 In der nrleyia werden der Odyss~~ ihre letzte Reise und ihr endgültiger Abschluß eingeschrieben und als treibende Kraft der Erzählung benannt. Doch wenn sie an keiner anderen Stelle des T cxres, geschweige denn am Ende. so klar und ausdrücklich vor Augen steht wie hier, ist die Form, in der dies formuliert wird, keineswegs von einer gradlinigen Direktheit. Hier wird nicht nur in zweiter. sondern in dritter "Potenz" erzählt: Innerhalb des Epos berichtet Odysseus rückblickend. was ihm T eiresias vorausblickend auch nur erzählen konnte. Dadurch wird eine Zusammenschau der verschiedenen Zeitebenen ermöglicht. insofern Vergangenheit (Erzählung des Odysseus) und Gegenwart (Hof der Phaiaken) um die Ebene der Zukunft ergänzt werden - in Form der Prophezeiungen T eiresias·. welche auch in Bezug auf die Gegenwart des Erzählens Zukunft sind. da sie sich noch nicht vollständig erfüllt haben. Aber die Narration umspannt im XI. Gesang neben dem zeidichen einen nicht minder großen emotionalen Radius. An keiner anderen Stelle des Epos ist der Kontrast in der Szenerie und der mit ihr verbundenen Stimmung so groß wie in der Gegenüberstellung des tristen. schreckenerregenden Totenreichs und der paradiesischen Welt der Phaiaken. Und die Erzählung präsentiert diesen Kontrast in aller Härte. indem sie mit einem scharfen Schnitt vom Totenreich in den Palast des Alkinoos wechselt: Odysseus' Bericht seiner Abenteuer, der sich bereits über 2 1/2 Gesänge erstreckt. findet im XI. Gesang unvermittelt eine Unterbrechung. Betrachten wir diesen Bruch und das folgende Intermezzo genauer: Nachdem Odysseus seine Begegnung mit zahlreichen Frauengestalten der mythologischen 15 Peradotto. Prop,"" /Ngrtt ZnrI. S. 435 16 Mir der Vokabc1 v~ (Heimkehr) eröffncr er seine Rede. (0 XI. 100) und neben ihr (ein weireres Mal 110) rauchen in der Prophezeiung zahlreiche Ahcrnarivformdn der Heimkehr auf. .mi ICEV k' E~ 18cilCl'Jv [KOU.· (dann könnr hhab ihr doch noch erreichen - 0 XI. 11 1) ••vr:iaa· (kommst du heim - 0 XI. 114) ••o[ma' UIWO'IECXElv· (nach hause gehen - 0 XI. 132). 17 Benjamin. Ihr Eniihlrr. in: GnmnlMIu Schriftm 11 3. S. 455 18 Hermann Fränkel. DichtfIng """ Ph;/osoph~ Jn frühm Gritchnrtflms. München: C. H. Bcck. 1962. S. 14 19 Zu den Fonschreibungcn der Otiyss« und dem Thema der Ic:ttren Reise: vgI. BoiWli. Tht SINuJow 0/ UIySst1. S. 18 /T.• sowie Kap. 6. S. 124-148
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Überlieferung geschilden hat (dem sogenannten "Heroinenkatalog". 0 XI. 235329). hält er im Erzählen inne - als hätte ihn der Bericht von der Unterweltreise. in dem sein Ziel. Heimkehr und Tod. so klar benannt wurde. daran erinnen. daß alles Erzählen nur Aufschub bedeuten kann. Will er dieses Ziel so bald als möglich erreichen. muß er handeln20 statt zu erzählen. Hier reflektien das Epos als erzählender Text auf seinen eigenen Status: Es ist ein Umweg. der das Ende vermeidet. noch indem er es beschwön. Das zeigt sich auch in der Struktur. Bezeichnenderweise bricht gerade die Passage. in der Ziel und Ende der Odyssee und ihres Helden unmittelbar ausgesprochen werden. diese Unmittelbarkeit zugleich mehrfach: Es ist die Erzählung einer Erzählung in der Erzählung. Das Intermezzo im XI. Gesang fühn diese Struktur vor Augen, indem es wieder auf die Grundebene eines "einfachen" Erzählens zurückgeht. Odysseus versucht. sich den Verzögerungsstrategien des Erzählens zu entziehen. um wieder zum handelnden Protagonisten der epischen Erzählung zu werden: "Aber ich kann nicht von allen berichten. die Namen nicht nennen aller der Frauen und Töchter von Helden, die don ich gesehen. Denn die ambrosische Nacht verginge; doch Zeit ists zu schlafen" (0 XI. 328-330). Die zirkuläre Grundfigur. die Geschichte der Heimkehr. soll zu ihrem Ende gebracht werden. Ein Versuch des erzählerischen Kurzschlusses, dem der Wiederholungszwang der Narration entgegensteht: Er läßt keine Auslassung zu. und die Unbedingtheit dieser Forderung stellt sich als geradezu übernatürliche. magische Macht dar21 "Zauberstimmung hielt sie gebannt im schattigen Saale" (0 XI. 334). Bevor Odysseus sich entschlossen hatte. seine Geschichte zu berichten. entsprach der Phaiakenherrscher Alkinoos ganz seinem Wunsch nach schnellstmöglicher Heimkehr und setzte einen festen Termin für die Abfahn (0 VII. 317 und VIII, 31 Er.). Nun aber unterliegt er der aufschiebenden Macht der Erzählung: "Dringend mag es den Gast nach der Heimkehr verlangen: Er trag es trotzdem hier noch bis morgen zu bleiben." (0 XI. 350 f.) Statt in der Abkürzung der Erzählung und der Beschleunigung der Abfahn besteht das Ergebnis der Zwischenszcne in der Verschiebung der Abreise: Odysseus' Erzählung kostet ihn einen Tag. Er erhält dafür aber auch einen Gegenwen. denn Alkinoos fahn fon: "Bis dahin besorg ich resdos. was wir ihm schenken." (0 XI. 351 f.) Damit folgt er einer Aufforderung seiner Frau Arete. die Geschenke, die die Phaiaken Odysseus bereits gemacht haben (0 VIII. 389 fr.). aufzustocken. und ihn zum Bleiben zu nötigen. Einer Handlungsökonomie, die unter dem Primat des Todes steht, arbeitet eine Ökonomie entgegen, die dem Prinzip der Ersetzung folgt: Durch weitere Gaben ersetzen die Phaiakenfürsten dem Odysseus seinen (TOOes-)Triebverzicht - den Verzicht auf die unmittelbare Erfüllung seines Heimkehrwunsches - wie sie wiederum den bei ihnen entstehenden materiellen Mangel durch einen 20 Was zunächst einen anderen Aufschub voraussetzen würde: ,.Zeit im zu schlafenM (0 1.330). 21 Das ist eine positive Wendung der scheinbar übernatürlichen Macht. als die der Wiederholungszwang den Eindruck des Unheimlichen erweckt. Vgl. Freud. Das U","imliclN. in: StA IV. S. 241-274. hier: S. 261
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Ersatz befriedigen: "Wir sammeln Ersatz uns im Volke. Bitter wäre es doch, wenn einer umsonst ihn beschenkte." (0 XIII, 14 f.) Tatsächlich geht die Rechnung auf. Odysseus ersetzt die unmittelbare Befriedigung seiner Sehnsucht nach Heimat und Tod durch ein Äquivalent aus der Sphäre des Tauschs - ein Äquivalent, von dem er sich den Gewinn eines Mehrwerts verspricht. Denn: "Es wäre ja schließlich von Vorteil, käm ich mit volleren Händen zurück in die liebe Heimat. Höhere Ehrfurcht, höhere Liebe zu mir wohl empfände jeder Mann, der mein Kommen in Ithaka sähe." (XI, 358 ff.)22 Ein wohlkalkulierter Aufschub und Gesinnungswandel, der dem Mann "der vielen Wendungen", OJyss~ polytropos, alle Ehre macht. Und eine Strategie, die der Odyss~~ - selbst die Erzählung der vielen Wendungen2J - so ganz entspricht. Der Abbruch von Odysseus' Erzählung im XI. Gesang gerät so unversehens zu einer weiteren Finte, die nur die Fonführung dieser Erzählung sichert. Indem hier ein materieller Ersatz für das aufgeschobene Ziel geschaffen wird, kann der Prouß der Verschiebung, die Erzählung, reibungslos weiterlaufen. Nachdem der Held aber seinen Bericht beendet und am nächsten Tag die reichen Geschenke der Phaiaken erhalten hat, stellt sich wieder das anfängliche Begehren ein: "Er wollte ja wirklich nur eines: die Heimkehr." (0 XIII, 30) Doch kehren wir von diesen Umwegen auf der Ebene des Erzählprozesses zum Thema des XI. Gesangs zurück, zur Unterweltreise. Odysseus' Bericht von der ~ltyia demonstriert eindringlich, wie die Erzählung, die von ihrem eigenen Ende spricht und es als Ziel antizipiert, im Akt des Erzählens selbst einen Umweg nimmt, mit dem sie eben dieses Ende hinauszögert. Genau diese Funktion erfüllt die Unterweltreise selbst jedoch nicht erst im Zustand der Narration, sondern schon als reine Aktion: Sie mag zwar das Ende benennen - insofern sie T otenreich ist, sogar verkörpern - aber seine unmittelbare Realisierung befördert sie keineswegs. Stattdessen wird der Protagonist zurückgeschickt auf neue Umwege und in neue Verwicklungen, die dadurch keineswegs kürzer und vermeidbarer werden, daß sie ihm ebenfalls angekündigt wurden. Noch die Handlungen des Helden stehen im Zeichen dieser Verzögerungstaktik: Statt schnurstracks an die 22 Gegenüber der Triebökonomie tritt hier eine ökonomische Kosten-Nuu.cn-Kalkulation als 11U)"ms des Erzählens in den Vordergrund. In dieser ist nicht nur eine symbolische Tauschbarkcit des Todes im Spid. wie sie laut BaudriUard die vormodcrne GeseUschaft und ihre rituellen Anikulationen des T odcs bestimmt. Vidmehr übernimmt der Tod an dieser Stelle in der OJym~ bereits eine Funktion innerhalb einer ökonomischen Ordnung. die in seinem Aufschub und seiner Abwesenheit gründet - das, was BaudriUard zum Gegenstand der Kritik an der Modeme und ihrer politischen Ökonomie wird. (vgl. Jcan Baudrillard, Dn' symboliseIN T4usch u,.J dn Tod, München: Matthes & Sein, 1982. S. 206 fT. u. 243) Damit aber unterläuft der literarische Diskurs der 0Jyts« die polemischen Oppositionen von "primitiver" und "moderner" Kultur, von symbolischem Tausch und politischer Ökonomie. Die narrativen Strategien erlauben. den Tod als finales Äquivalent zu setz.cn, als unersetzbares Prinzip der Ersetzungen, und ihn zugleich in eine (Lcbcns-)Gcschichte beständiger aufschiebender Ersetzungen einzuschreiben. 23 Pieuo Pucci leistet auf dieser Grundlage eine anregende Interpretation von OJyss« und /lills in seinem Buch Oayssn4S Polutropos - /ntntcmull &tuJinp in tht .Ot/ymytht ./Ii4J-' Ithaca (N. Y.)/London: Cornell U. P.• 1987. Die "Wendungen" vemeht auch Pucci als Strategien der Vermeidung und der Aufschicbung des Todes.
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Umsetzung des Vorausgesagten zu gehen, wie es auch die Repräsentantin von Heimat und Tod, die tote Mutter, anempfiehlt: "Strebe denn schnellstens empor zum Licht" (0 XI, 223), läßt Odysseus sich noch in der Unterwelt auf verschiedenste Abschweifungen ein. die innerhalb des XI. Gesangs einen mehrfachen Raum von dem einnehmen. den das erkläne Ziel der Reise. die Voraussage des T eiresias. in Anspruch nahm. Und Odysseus hätte noch länger gesäumt. seine eigendiche Bestimmung zu erfüllen, hätte ihn nicht gerade die Furcht vor dem frühzeitigen Ende aus dem Hades getrieben: "Ich wollte andere Helden noch sehen [... ]. Indessen kamen schon vorher in zahllosen Scharen Völker von Toten, lärmten, als sprächen Verzückte - mich packte das bleiche Entsetzen. Bangen mußt ich. es schicke die edle Persephoneia Gorgos' , der grausigen Riesin, Haupt zu mir aus dem Hades." (0 XI, 628 ff.) Die n~Iry;a, die das zu erreichende Ende antizipien, erweist sich zugleich als der Umweg par txC~lJmc~. Auf diesem Umweg aber gelingt es ihr. die Ereignisse. die das Epos umfaßt, zu schürzen: die Vergangenheit kurz zu rekapitulieren, die gegenwänige Situation auf Ithaka zu umreißen, die zukünftigen Geschehnisse. die sich teilweise im weiteren Verlauf des Textes ereignen werden, vorwegzunehmen. Es wird ein Erzählraum aufgescannt, in dem sich die Handlung in ihrem Gesamtzusammenhang entfalten kann. Dabei ist dieser Raum kein geschlossener, der sich auf die Immanenz des Textes beschränkt. Vielmehr werden auch Verbindungen hergestellt zu dem geschichdich-fiktiven Kontext, in dem sich die Ereignisse der OdySH~ befinden - vor allem natürlich die Geschehnisse der llias und die Schicksale ihrer Helden, wie sie in den "Heldengesprächen" (0 XI, 385-566) erwähnt werden. Aber auch die große Perspektive auf den mythologischen Kontext wird eröffnet, einen Kontext, in dem sich die Odyss~~ als episches Werk siruien und positioniert: Sie formt den Mythos von der Heimkehr des Odysseus und setzt ihn nicht nur in Bezug zur mythologischen und epischen Tradition, sondern in eine Reihe mit ihren größten Vertretern. 2S Diesem Zweck dient bereits der Heroinenkatalog. der in der textimmanenten Entwicklung tatsächlich keine Funktion besitzt und deshalb häufig als nachträgliche Interpolation aus der Odyss~~ verbannt wurde. Sinn macht er jedoch. insofern er auf eine existierende Überlieferun& katalogischer Dichtung verweist oder diese sogar als Zitat dem Epos einverleibt. In der Unterwelt steht nicht nur der Held der gesamten griechischen Heroenwelt Auge in Auge gegenüber, auch der 24 "Dient nicht die Zusammenfassung in einem großen Bild am ersten der Ökonomie seiner Handlung?" fragt äußerst ueffend Ludwig Radermacher hinsichtlich der Hddenbegenungen in der M/tyi4 der Odym~. Radermacher. Dm Jmsnts im Mythos Jn H~/Jmm. Unln'SWhungm üIxr antiltmJmsntstfAubtn. Bonn: A. Marcus/E. Weber's Verlag. 1903. S. 34 25 Deshalb hält Rohde die Totengespräche für weit wichtiger als die Prophezeiung des Teiresias. Die M/tyi4 dient in seinen Augen vorrangig dazu. die OJyss« mit anderen Legenden zu verknüpfen und aus den verschiedenen Hddenschicksalen ein episches Gesamtbild zu entwerfen. Vgl. Rohde. PsycIN. Bd. I. S. 50 f. 26 In jedem Fall gab es eine solche vor-homerische. mündliche T adition. auf die sich die Passage. ob ein Stück der ursprünglichen Konzeption oder eine späte Hinzufügung. offensichtlich bezieht. Vgl. Alfred HeubeckiArie Hoeksua. A Commmlllry on HOrMri OdJss9. Oxford: aarendon Press. 1989. vol. 11. S. 91
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Text sucht in diesem Zusammenhang die Konfrontation mit seinen Vorgängern. Besonders deudich wird dieses Velhältnis in der BegegnWlg mit dem Schanen Herakles' (0 XI, 601-626). Hier ruft die Odyss~~vermudich ebenso einen epischen Vorgänger(text) auf,17 wie sie Air ihren Helden auf seiner Unterweltreisc einen mythologischen Vorgänger in Anspruch nimmt. In der Begegnung mit Herakles wird Odysscus gleichberechtigt in eine Reihe mit einem Gönersohn Wld einem der größten griechischen Heroen gestellt: ,.Auch du trägst wahrlich ein bineres Schicksal, so, wie ich es schleppte droben im Lichte der Sonne." (0 XI, 618 f.) Dabei teilen Herakles und Odysscus nicht nur allgemein ein binercs Schicksal, sondern ganz spezifisch die Erfahrung der katdbasis - bei Herakles die letzte seiner Arbeiten Air Ewysteus. Doch damit nicht genug, läuft die Begegnung in der Odyss~~ auf eine Gegenüberstellung hinaus, in der Herakles dem Odysscus geradezu Referenz erweist: Im Gegensatz zu dem unsterblichen Helden, der den Abstieg unter der Führung von Athene und Hennes Wlternahm (0 XI, 626), ist Odysscus das ohne Beistand und Führer gelungen. Der Vorgänger Herakles' wird zum einen in Anspruch genommen, um die Aktion zu legitimieren Wld nobilitieren, zum anderen, um vor diesem Hintergrund die Tat des Odysscus und damit den Mythos, den die Ody~~ erzählt, in ihrer Einzigartigkeit hervorzuheben. Eine Strategie, die dem Text denkbar gut gelungen ist: Die Odyss~~, noch mehr als die fÜlls, wird zu einem Grundstein der ErL.ähltradition des Okzidents werden, Wld Odysscus wird Air spätere Unterwelrreiscnde der Literatur zum Pionier - in gewissem Sinne selbst Air Dante, der Homers Text nicht kannte, "seinen" Odysscus aber aufgrund dessen anmaßender Entdeckerlust zur Hölle fahren läßt. In der Mltyia der Odyss~~ erweist sich das erkläne Ziel des Odysseus, die Heimkehr nach Ithaka, als identisch mit dem Schicksal, das ihm vorgeschrieben ist, und d. h. identisch mit dem Ende des Epos, das von diesem Schicksal berichtet. Und wenn auch die Gleichung Heimkehr - Tod sich innerhalb dieses Textes für den Protagonisten nicht erfüllt, wird diese Erfüllung doch im Text vorweggenommen. Obwohl der Protagonist den Umweg in die Unterwelt nur unfreiwillig unternimmt (für die Heimreise im streng räumlichen Sinne ist es offenkundig nichts anderes als ein Umweg), ist die katJbasis für die Erzählung der direkteste Weg, um die finale Übereinstimmung der Intentionen des Helden und seiner Geschichte zu zeigen - und in dieser Übereinstimmung die Heimkehr als die Schließung eines Lebenszyklus', als den Tod "im Kreise der Lieben", zu gestalten (0 XI, 132-137). Zugleich demonstrien der XI. Gesang, sowohl was Inhalt, Struktur und Funktion betrifft, die ständige Verschiebung des angekündigten Endes. Die Unterweltreise steht auch für verschiedene Strategien, die die Erzählung anwendet, um ihre Geschichte offen zu halten und den Nullpunkt der unerzählbaren Indifferenz zu vermeiden. Deshalb kann die Odyssu das Ende nicht erreichen, auf das die Sehnsucht ihres Protagonisten wie die Erwartung ihres Lesers, die Logik der Handlung wie die Forderung nach Bedeutung hinauslaufen. Dies wird gegen 27 Ebd .• S. 114
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Ende des Epos nochmals ausdrücklich hervorgehoben, wenn Odysseus gegenüber Penelope äußen: Liebes Weib, wir stehn ja noch gar nicht am Ende der Plagen; Unermeßliche Mühe wird es noch kosten; ich muß sie Alle zu Ende noch bringen, so viel und so schwer sie auch seien: Denn meine Zukunft hat mir Teiresias' Seele geweissagt. (0 XXIII, 248-251)
Was auf Penelopes Drängen folgt, ist die nahezu wönliche Wiederholung der Vorhersage, die Odysseus im Hades erhielt (0 XXIII, 264-284); und sie endet mit den Wonen: "Und so soll alles bei mir sich vollenden." Eben diese Vollendung, die Teleologie der Geschichte - 'tEA.E\o9m ist das letzte Won seiner Rede -, wird in der Odyss~~ nicht erreicht werden. Allerdings wird in der ausführlichen, fast identischen Wiederholung der Prophezeiung die Vollendung ein weiteres Mal beschworen und bekräftigt. Sehnsucht des Helden wie Lesererwanung, Handlungslogik wie Sinnpostulat vereinen sich auf diesem klar benannten Ziel. Die epische Gerichtetheit der Odyss~~ ist so stark wie in kaum einem anderen Epos - so stark, daß sie nur zu oft als perfekt geschlossener Zirkel, als geglückte und endgültige Heimkehr wahrgenommen wird. Und obwohl der Weg zum ersehnten Tod mit dem letzten Gesang nicht zu seinem Ende gekommen ist, schließt das Epos zweifelsohne mit einer Versöhnung, die auch diese letzte Versöhnung mit Poseidon in Aussicht stellt. Dafür bürgt die n~kyia, in der die Vollendung des Lebens und seiner Erzählung ausdrücklich formuliert wurden. Versöhnlich i~t das Ende der Odyss~~ aber auch gerade we i I die Erzählung nicht bis zum Tod fühn. Denn was für ein Ende der Tod auch ist, davon spricht einer, der nicht heimgekehn ist, dem der Tod in Odysseus' Augen aber eine Heimkehr sein müßte: "Wiederum bist du ein kraftvoller Herrscher hier bei den Toten. Drum klage nicht, daß du gestorben, Achilleus!", so Odysseus zu dem Schatten des Achill in der Unterwelt (0 XI, 485 f.). Worauf dieser voll Bitterkeit erwidert: Sag mir ja kein verschönendes Wort für den Tod, mein Odyssc:us! Strahlender! Lieber wäre ich Knecht auf den Feldern und fronte Dort einem anderen Mann ohne Land und mit wenig Vermögen; Lieber tät' ichs als herrschen bei allen verstorbenen Toten. (0 XI, 488-491)
Auch wenn der Tod dem Leben in der Erzählung den abschließenden Sinn stiftet,28 so tut er dies nicht für die Schatten in der Unterwelt. "Sinn" macht er nur in der Erzählung - und das heißt, nur für die, die überleben, um die Geschichten erzählen oder hören zu können. Die Toten aber befinden sich in einer Welt jenseits des Erzählens - eines Erzählens, dessen Stoff allein das Leben ist29 und dessen Geschichten allein den Lebenden gehören: "Aber erzähle mir jetzt meines edlen 28 ..Glücklich wie du, mein Achilleus - keiner war es vordem und künftig wird keiner es werden". kann Odysscus erst zu dem totem AchilI sagen (0 XI. 482 f.). 29 Vgl. Benjamin. D" Erühkr. in: G~SIlmmrlu Schriftm 11 3. S. 449
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Sohnes Geschichte!" muß der tote AchilI den lebenden Odysseus auffordern. Die Unterwelt selbst kennt kein Erzählen. Stumm sind die Schatten, wenn sie nicht das Blut der Opfeniere getrunken haben. Es bedarf des Lebens und des heißen Blutes als seiner stofflichen Entsprechung, um die eigene Geschichte erzählen zu können. Der Tod bedeutet damit nicht nur die Heimkehr und das Ziel der Erzählung, er ist auch das schmerzliche Ende des Lebens wie des Erzählens. Indem die Odyss~~ die Ankündigung des Endes, welche sie selbst ausspricht, zuletzt nicht einlöst, gelingt es ihr, zwischen dem Anspruch auf maximale Sinngarantie und einer prinzipiellen Fonsetzbarkeit zu vermineln. In der Unterweltreise aber werden diese Strategien des Gesamnextes exemplarisch vorgefühn. Hier wird die narrative Teleologie offengelegt und zugleich eine Strategie des Aufschubs, der Verwicklung und Verzögerung prakcizien. Auch wenn die mkyia im Handlungsverlauf nicht als Höhepunkt aufgebaut wird und ihre inhaltliche Einbindung sogar denkbar locker ist, so erfüllt sie eine programmatische Funktion, kraft welcher ihr eine zentrale Rolle in der Ökonomie des Textes zukommt.
ORKUS: AENEAS' DESCENSUSADINFEROS
In der At"Mis ist bereits die Ausgangssituation eine andere als in der OJyss~r. Wenn diese eine Heimreise schildert, handelt jene von einer Reise ins Unbekannte, auf der Suche nach einer Heimat, die erst noch zu gründen ist.30 Und wenn Vergils Werk bereits in seinem ersten Vers ankündigt, die beiden großen Themen der homerischen Epen zu behandeln, die Waffen und den Mann, dann tut es dies genau in Umkehrung der Reihenfolge, welche die fiktive Chronologie von llias und OJyss~~ vorgibt: Bei Homer wird erst von den Schlachten, dann vom Schicksal des einzelnen Helden Odysscus berichtet. In der Struktur der At"Mis aber steht "der Mann" am Anfang, und die ersten sechs Bücher erzählen von seiner Irrfahrt, analog zum Thema der OJyss~~, während die letzten sechs Bücher von den Kämpfen für das "neue Troja" berichten. 31 Die At"Mis muß ihren Helden zunächst einmal schaffen. Einen Helden, der aus einer Niederlage hervorgeht: der fromme und pflichtbewußte Aeneas, der, statt wie er es wünscht, im Kampf für seine Heimat zu fallen, von den Göttern zur Flucht rnötigt wird, um sein Leben für neue Kämpfe um eine neue Heimat zu schonen. 3 Auch hier fällt also die Heimat, Troja, mit dem Tod zusammen - "per hostis vadimus haud dubiam in mortem mediaeque tenemus urbis iter"" -, allerdings nicht mit dem ,sanften Tod zermürbt vom Alter' wie in der OJyss~~, sondern mit einem gewaltsamen, vorschnellen Ende, das droht, kaum daß die Ereignisse, von denen das Epos erzählt, begonnen haben. Die Heimat hätte Aeneas nie verloren, wenn er den Tod so schnell gefunden hätte, wie es sein Wunsch war. Aber die Götter und Vergils Dichtung haben anderes mit ihm im Sinn. Deshalb ist Aeneas' Reise ebenso eine Verbannung wie die Irrfahrt des Odysseus - "exsul in altum" (A~ IH, 11); und deshalb ist die erste Hälfte der At"Mis, obwohl Aufbruch zu neuen Ufern, ganz rückwärts gewandt und von einem grundlegenden Gefühl des Verlusts und einer unstillbaren Sehnsucht nach Rückkehr geprägt. In eine
30 Zitiert nach Vergil, Am~is, latein.ldeuuch, hg. u. übers. v. Johannes Göne, Zürich: Artemis und Winkler, 1994, forthin: Ar (mit Zeilenangabcn) 31 Siehe hierzu Adam Parry, TIN Two Voicn 0/ Vnxiu ..AmnJ-, in: Ario" 2:4 (1963), S.66-80 (1963), S. 43 und Gian Biagio Conte, Th~ Rhnoric 0/Im;IIItion. Gmr~.ruJ Ponic MtmDry in Virgi/."" 0tNr utin PiNts, ed. Charles Segal, Ithaca (N. Y.)/London: Corbdl U. P., 1986, S. 34 32 Noch nachdem der Protagonist von Venus Handlungsanweisungen erhalten hat - .eripe, nate, fugam finemque inpone Iabori: [Fliehe denn Sohn, Rieh sehneU und setze ein Ende der Mühsal.] (k 11,619), folgt er seinem eigenen Begehren nach einem sehneUen Ende: "arma, viri, fene arma; vocat lux ultima victos: [Waffen, Männer, nur Waffen! Nun ruft der Tod die Besiegten.] (kIl,668) 33 .. [Z]iehn wir durch Feinde zum sicheren Tod und nehmen durchs Herz der Stadt unsern Weg." (k 11,359 [)
ORKUS: AENEAS' DESCENSUS AD INFERNOS
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Perspektive der Zukunft tritt der Protagonist Aeneas eigen dich erst mit dem ~iebten Buch, dem "iHadischen" Teil des Epos. Dazwischen aber liegt eine Episode, die diesen Einschnitt markiert und zugleich vermittelt: der Abstieg Aeneas' in die Unterwelt im sechsten Buch. In der Itatdbasis verbinden sich die entgegengesetzten Bewegungen der zwei Teile des Epos. Die Unterwelt ist der Fluchtpunkt, in dem die regressiven Tendenzen des ersten Teils zusammenlaufen, und zugleich ein Ort, an dem die progressiven Kräfte des zweiten Teils sichtbar werden. Obwohl die für so schwierig erachtete Rückkehr (At' VI, 128 f.) zuletzt in einem Vers abgetan wird (At' VI, 898), läßt sich im Verlauf der Unterweltreise so etwas wie Abstieg und Aufstieg unterscheiden. Zunächst geht Aeneas immer tiefer zurück in die Vergangenheit, bis zum Ausgangspunkt seiner Reise, der Nacht von Trojas Niederlage. Dann jedoch steigt er, geführt von seiner persönlichen Vergangenheit in Gestalt seines Vaters, Schritt für Schritt in eine Zukunft auf, die weit über ihn hinaus weist. Wenn er bis zu diesem Punkt in einer ewigen Wiederholung des vergangenen Verlusts befangen war, wird er in den letzten sechs Büchern ganz darauf fixiert sein, die ihm verheißene Zukunft einzuholen. Und das heißt, zu wiederholen, was ihm in den Worten der Sybille und des Anchises vorgegeben wurde. Da es sich hier jedoch nicht um seine persönliche Zukunft handelt, sondern die Zukunft in ihrer geschichtlichen Perspektive, wird Aeneas auch weiterhin zu einer unabschließbaren Wiederholung gezwungen sein, in der er das Ziel nie erreicht. Nicht zufällig erf3.hrt der Leser im 6. Buch so wenig über die unmittelbare Zukunft des Protagonisten und so viel über die große Zukunft des Reiches, das er gründen wird. Das ist eine andere Struktur als etwa in der Odysst't', wo sich Vergangenheit und Zukunft itkalitn- decken. Denn wenn Odysseus als Ende der Verbannung die glückliche Heimkehr verheißen wird, wird Aeneas nur die mühselige Vorbereitung einer zukünftigen Verheißung aufgetragen. Er muß mit seinen Kämpfen im Latium die Grundlage schaffen für einen Frieden und eine Heimat, die er nie erreichen wird: das augusteische Rom zu Vergils Zeiten. Im Unterschied zu Odysseus, diesem "naiven" Helden mit nichts als einer persönlichen Geschichte, hat Aeneas eine geschichdiche Aufgabe, und das Ziel, das ihm die Götter gesetzt haben, sein Schicksal, stimmt nicht mit seinen persönlichen Zielen überein. So spricht Adam Parry von den "zwei Stimmen" der A~is: "a public voice of triumph, and a private voice of regret. Tbe private voice, the personal emotions of a man, is never allowed to motivate action. But it is nonethelcss everywhere present.,,}01 Und weil das vorbestimmte Schicksal Aeneas', seine Geschichte, die zur großen Geschichte Roms werden wird, weit über seine persönlichen Bestrebungen hinausgeht, versucht er immer wieder, sie aufzuhalten, um zu einem eigenen, persönlichen Ende zu kommen. Mit einer unheilbaren Nostalgie sehnt er sich zurück nach Heimat und Tod und gehorcht dabei nur einem unerfüllbaren Wie-
34 Parry. TIN Two l'oicn ofVny;iI's ..Ammr. S. 51
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derholungszwang..~s Mehrfach auf dem Weg nach Italien will er die verheißene Stadt, das neue Troja, an einem anderen On gründen, um endlich das Ziel seiner Irrfahn und das Ende seiner Geschichte zu erreichen. Diese Versuche, den vorgeschriebenen Umweg abzukürzen, scheitern aber gerade insofern sie mit dem Tod verbunden sind - denn es ist der "falsche" Tod eines anderen, ein gewaltsamer Tod zumal, der keineswegs das sinnstiftende, abschließende Ziel der (Lebens-) Reise und der Erzählung markien. Vielmehr stehen diese Tode in unmittelbarem Zusammenhang mit der Weiterführung der Irrfahn und des Epos. So die vergangene Ermordung des Polydoros, die die Trojaner von der Niederlassung in Thrakien abhält (At' III, 41 ff.), oder die tödliche Seuche, die sie aus Kreta vertreibt (At' III, 135 ff.). Der tragische Selbstmord Didos ist umgekehn die direkte Folge von Aeneas' Abreise und dem Treuebruch, den diese bedeutet. Nicht zufällig ist es Merkur, der Aeneas den göttlichen Befehl überbringt, Kanhago zu verlassen, und zwar Merkur in seiner ausdrücklichen Eigenschaft als Begleiter der Toten (At' IV, 241 ff.). Bezeichnenderweise enden die Bücher 3, 4 und 5, die den Großteil der Irrfahn des Aeneas behandeln, alle mit einem Tod: dem Tod des Anchises, dem Selbstmord Didos und dem Unglück des Steuermann Palinurus, der rur die Unterweltreise des Aeneas die Funktion des Elpenor aus der Odysstt übernimmt. Der Held selbst dagegen findet das ersehnte Ende seiner Reise weder in Thrakien bei den Aeneaden, noch auf Kreta in der neugegrundeten Pergamusstadt. Auch nicht in dem seltsamen Lilliput-Troja, das Helenus und Andromache in Buthrotum erbaut haben (At III, 349 ff.). In letztgenannter Episode ist die "voice of regret" umso deutlicher hörbar, als Aeneas dem Verlorenen, das er betrauen, noch nicht einmal in Form dieses nostalgischen Ersatzes habhaft werden kann, dem das Ungenügen des Substituts bereits in seiner absurden Verkleinerung anhaftet. Dem melancholischen Protagonisten erscheint das künstliche Abbild (effigium) als Bild der Ruhe und des vollendeten Schicksals (fonuna peracta) im Gegensatz zu seiner endlosen Reise von einem Geschick (fatum) zum anderen, dieser ewigen Folge von Wiederholungen und Umwegen, in der das Ziel bei jeder Annäherung nur weiter zurückweicht. 36 Doch seine eigenen Wone sind doppeldeutig: Das Won "effigium" verrät das Trugbild und die Mangelhaftigkeit eines bloßen Abbildes; unmöglich kann es die "fonuna peracta" sein, die Vollendung des Schicksalslaufs (At' III, 493), welche die (römische) Geschichte und der Text anvisieren. Diese wäre durch eine andere Stadt verkörpen, deren zukünftige Größe aufs schärfste mit der Kleinheit des künstlichen Trojas kontrastien: Rom, das neue Troja.
35 Vgl. Macdonald. Tht BUM-Pl4as ofMmrory. S. 54 36 "quibus est fonuna peract2 iam sua. nos a1ia Cl: a1iis in fallt vocamur. vobis parta quies. nuUurn maris acquor arandurn. arva ncque Ausoniae scmpcr ccdentia retro quacrenda. cffigiem Xanthi Troiarnque videtis [Euch ist nun alles vollendet. Wir aber werden von einem Geschick ins andre gerufen. Euch ist Ruhe gewiß. Ihr braucht kein Meer zu durch pflügen. braucht nicht zu suchen Ausoniens Flur. die weiter und weiter weicht; ihr seht das Bild des Xanthus. sehct ein Troja) (k 111. 493-497). M
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Weil Aeneas nicht nur den Weg. sondern auch das Ziel seiner Reise nicht nach eigenem \Vissen und persönlichen Wünschen bestimmt. ise c:r das ..Opfer" eines Wiederholungszwanges. der eine treibende Kraft des Texts darstellt. Und zugleich ist der Protagonist der A~is in weit stärkerem Maße als der der Odyss~~ instrumentalisiert für Zwecke. die auch der Text nur vertritt - für die Zwecke einer Geschichte, die nicht mehr Narration sondern Historie ist. Deshalb erscheint Aeneas' Schicksal nicht nur bitter wie das des Odysseus. sondern ihm inkommensurabel: Größer als er selbst. treibt es ihn immer wieder über die Objekte seines Begehrens hinaus. Das ist an keiner anderen Stelle so offensichtlich wie in der Episode mit Dido. dem einzigen Objekt eines explizit erotischen B~hrens des Protagonisten. "me si fata meis paterentur ducere vitam auspiciis" .37 beginnt er seine Rede an die Königin und charakterisiert sich damit nicht als aktiv Handelnden. sondern als zwanghaft Getriebenen. Indem er seinen Konflikt in der weiteren Rede über den Gegensatz Heimat - Liebe formuliert (347). versucht er zwar. sich auf zwei ihm kommensurable Werte zu beziehen. die conclusio seiner Argumentation ist aber nur das schmerzliche Eingeständnis: "Italiam non sponte sequor".38 Dennoch folgt er seinem Schicksal - und läßt den Tod hinter sich zurück, den Tod Didos. Es ist die Bewegung der Geschichte (Historie). die ungeachtet der Bestrebungen ihres Helden abläuft. Die Erzählung der Geschichte, die Narration. hält jedoch an diesem Widerspruch fest: Vergils Epos kann keine mythische Rückkehr zum Selben inszenieren, wie sie die Odyss~~ zumindest suggeriert. Noch die Opposition Heimat - Liebe bleibt letztlich eine Illusion des Protagonisten: Die Amm ist nicht die Geschichte einer Heimkehr. Deshalb verschiebt sich in der variierenden Wiederholung auch das Ziel beständig: So war Apollos Orakelspruch. der die Identität von Ziel und Ursprung verhieß (A~ HI. 94-98), zunächst auf Kreta bezogen worden. einer Überlieferung zufolge Herkunftsland der Trojaner (A~ III, 102-113). Ein Trugschluß im wahrsten Sinne des Wortes, ein falsches Ende. Das richtige Ende aber schreibt die Geschichte: die des römischen Imperiums, d. h. der historische Prozeß. nicht der literarische Text, nicht der Mythos als Erzählung. Das postuliert zumindest die Amm, umso mehr, als sie sich nicht zur Einheit abschließt, sondern auf dem Höhepunkt der Aktion und Dramatik abbricht. Daß der geschichtliche Prozeß jedoch kein abschließendes Ende hat und keine zielgerichtete, kontinuierliche Entwicklung darstellt, das formuliert die Am~is ebenso. Insofern es das "richtige" Ende in der Geschichte nicht gibt, ist ihr abrupter, "unvollständiger" Schluß ganz folgerichtig. da er den Text nicht abschließt, sondern (für) die Geschichte offen läßt. Damit ist das Ende der Am~is aber auch umso unversöhnlicher: Es stiftet dem Text nicht den abschließenden Sinn, und jeder andere der vermeintlich "tatschen" Schlüsse auf den vielen Umwegen zum Textende wäre deshalb ebenso möglich, weil vorläufig. gewesen. Das zwanghafte Begehren des Textes. das
37 .. ließe das Schicksal mich nach meinem Willen mein Leben führen (Ar IV, 340 f.). 38 .. Nicht von mir aus sucht ich Italien (At' IV, 361). M
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Aeneas in Form seines Schicksals treibt, bleibt sinnlos und unerfüllt - die Amm findet nicht das Ende, das den Text zu einer geschlossenen Sinnstrukrur runden würde. Die öffentliche Stimme des Triumphs, wie Parry sie nennt, bleibt ein leeres Versprechen und lea.tlich unbegründet gegenüber der persönlichen Stimme, die mit soviel mehr Recht einen Verlust betrauert, der die Voraussetzung des Begehrens ist. Sie bildet den melancholischen Grundtenor, der das Epos durchzieht; die Stimme der Melancholie verweigert den gelungenen Ersatz des Verlusts in Gestalt eines zweiten Troja (Rom) und der mythischen Erzählung seiner Gründung. Der vorgängige Verlust und die aus ihm resultierende Bewegung sind nicht vollständig zu übersetzen: 39 Rom ist nicht Troja, und die Amm erschöpft sich nicht in einer ideologischen Ursprungserzählung, die den Ruhm des römischen Reichs begründen soll. Denn das sinnstiftende Ende, an dem das literarische Werk zu einer bloßen Stilfigur in der augusteischen Propagandarhetorik gerinnen würde, tritt in der Amm nicht ein. Wie schlägt sich dies aber in der Unterweltreise des sechsten Buches nieder, die doch als ein Wendepunkt innerhalb der Bewegung des Epos angesetzt wurde? In diesem Buch hat Aeneas endlich die kampanische Küste Italiens erreicht, das ihm als neue Heimat versprochen wurde. Am Avernus bei Cumae sucht er wie verordnet (k 111, 441-459) die Sibylle auf, die Priesterin eines apollinischen Orakels, damit sie ihn über seine bevorstehenden Aufgaben unterrichtet. Aber ähnlich wie in der Odyss~~ steht auch hier der handlungsinterne "Nutzen" in eklatantem Mißverhältnis zu den Erwartungen: weder enthalten die Weissagungen der Sibylle präzise Informationen noch konkrete Handlungsanweisungen. Vielmehr konterkarieren sie die Vorsteliung von göttlichem Beistand: Inhalt und Form der Prophezeiung sind dazu angetan, Schrecken zu erregen, und Ton und Duktus der Antwort kontrastieren aufs Schärfste die ehrfurchtsVolle Referenz von Aeneas' Frage (At VI, 56-76):° Doch kommt der Sibylle noch eine zweite Rolle zu, in der sie den Erwartungen weit eher entspricht: die einer Führerin durch die Unterwelt, deren Eingang im Hain des Orakels liegt. Diese Unterweltreise war Aeneas im fünften Buch aufgetragen worden (A~ V, 721-739), denn nur aus dem Mund des verstorbenen Vaters im Totenreich wird er die Gewißheit über seine geschichtliche Bestimmung erhalten: die ruhmreiche Zukunft seiner Nachkommen und der von ihm zu gründenden Stadt. Während die Sibylle in ihrer Rolle als Prophetin fur die Vorhersage der näheren und personalen Zukunft steht, verspricht die Unterwelt das Wissen um die ferne, überpersönliche Zukunft:· Daß die individuelle Zu39 Das Scheitern einer solchen Ersetzung bzw. Übc:rsetzung - der Ersetzung des verlorenen Objdcu in Sprache als Metapher - ist der Grundzug der Mdancholie. wie sie Nicolas Abraham und Maria T orok zeichnen. Dic:ss.. Crypttmymit - Ln vn1IUn fit l'HomrM aux ","ps. Paris: Aubiers Flammarion. 1976 40 Vgl. Robe" A. Brooks • • Discolor Allra-: Rrj1«ti01U on Iht Go/Jm BoIIgh. in: Amnican JOll11l41 on PhilolotJ 54 (1953). S. 260-280. S. 264 41 Ein ähnliches Verhältnis von naher und ferner Zukunft (allerdings nicht einer überpersönlichen) findet sich in den beiden Vorhersagen. die in der 0Jyssn im Zusammenhang mit der M/tyia ge-
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kunft des Aeneas in Richtung der großen Zukunft der Geschichte überstiegen werden soll. ist noch in der Doppelrolle der Sibylle enthalten: Dank ihrer Führung in die Unterwelt wird das eine ins andere überführt. In der Figur des toten Vaters vereinen sich die beiden Stimmen der Amm: Als Vater verkörpert er ebenso die persönliche Vergangenheit und private Gcfühlswelt des Protagonisten wie auch die öffendiche Autorität. der Aencas zu gehorchen hat. Er repräsentiert das Gesetz des Vaters - des Göttervaters (wie auch seines unterweldichen Pendants) und der römischen Gesellschaft der Patriarchen. welche durch die Taten des Sohnes dieses Vaters erst begründet werden wird. So ist es durchaus gerechtfertigt. den dringenden Auftrag des Vaters (At' V. 116) mit einem göttlichen Befehl gleichzusetzen (At' V. 462). Deshalb ist Aeneas' dncmsus auch ausdrücklich zweifach motiviert: Ihn treibt die Liebe zum Vater (nicht nur pit'tas. sondern amor und cupido - At' VI. 133) wie auch die Sendung der Götter. Doch trotz augenscheinlicher Bemühungen des Protagonisten. die Vorherrschaft seines persönlichen Motivs zu behaupten.42 gibt für das Gelingen zuletzt doch die götdiche Berufung den Ausschlag - in Gestalt des goldenen Zweigs. Die Kraft. die die Handlung antreibt. tritt Aeneas in diesem unabdingbaren Requisit wieder als völlig äußerlich entgegen: Ist sie ihm doch nur gegeben worden. weil .ihn das Schicksal ruft' (At' VI. 147) und um sofort wieder an andere überantwortet zu werden - zunächst an die Sibylle. die den goldenen Zweig auf der gesamten UntelWelueise trägt. dann an die UntelWcltherrscherin. Auch in der entscheidenden Situation der Überfahrt über den Unterweltfluß Acheron öffnet ihm nicht die Liebe des Sohnes den Weg. sondern das Zeichen des Schicksals (At' VI. 403-410). Denn Aencas täuscht sich in den Instanzen. wenn er glaubt. den Vater außerhalb des (väterlichen) Gesetzes finden zu können - nicht sein eigenes Begehren (amor und cupido) führt ihn zuletzt zum Vater. sondern das unverbrüchliche Gesetz des Gottvaters. das historische Schicksal.43 das dem Sohn selbst noch durch das Zeichen. das die Mutter verliehen hat. den goldenen Zweig. auferlegt wird. So begegnet Aencas in der götdichen Mutter ebenso dem väterlichen Gesetz. wie er ihm. entgegen seinen Wunschvorstellungen. in der Gestalt des geliebten Vaters begegnen wird: "cxpediam diais et te tua fata doccbo" - das Schicksal. ein göttliches Gesetz. wird er ihm
macht werden: Während die Prophezeiungen Teiresias' in der Unterwdt die ferne Zukunft und
das Endzid des Odysseus. Heimkehr und Tod. betreffen. so gibt ihm Circe: Auskunft über die nahe Zukunft: die unmirtdbar bevorstehenden Gefahren auf der Reise und die Vorkehrungen. die dagegen zu ueffen wären. 42 Wie es ihm Anchiscs aru Hen legte ("te supplcx peterem [... ). idem oraru mandala dabat" [dich flehend zu birten [... ). trug er dringend mir auf) - k VI. 115 f.). appelliert Aeneas' Rede zunächst ganz an das MitgdühJ der Sibylle: "gnatique patrisque. a1ma. prccor. miserere" [Erbarme dich also. du Hehre. birt' ich. des Sohnes und Vaters!) (At VI. 116 f.). 43 "tua me. genitor. tua tristis imago [... ) haec Iimina tendere adegit" [Dein uauernd Bild. mein Vater. [... ) trieb mich zu dicsc:r Schwdle). sagt Aeneas bezeichnenderweise (At VI. 695 f.). Denn übe r diese: SchweUe und jenseilS ihrer hat ihn nicht mehr die persönliche liebe sondern nur noch das Gebot des Schicksals treiben können.
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künden .... Zuvor hat der Protagonist vor diesem Primat kapitulien: Er zieht sich gegenüber Dido ganz auf die göttliche Berufung wider Willen zurück45 - in deren Namen mußte er die Geliebte verlassen, und in deren Namen unternimmt er nun seinen Jescmsus. Keine Rede ist mehr von der persönlichen Liebe als möglicher Motivation. Auch dieser Umweg durch die UntelWeit steht für den Protagonisten allein im Zeichen des Wiederholungszwangs. Das sechste Buch ist voll solcher Ambivalenzen, die in seinem Verlauf zu einer Auflösung streben. Wenn auch keineswegs eine emphatische Eindeutigkeit erreicht wird, flillt eine Schlichtung der Widersprüche doch regelmäßig zugunsten der übergeordneten Interessen der Geschichte aus - der Geschichte im Sinne der Historie wie auch der story, die auf ihr Ende zustrebt. So verleiht Aeneas seiner Bitte gegenüber der Sibylle weiteren Nachdruck, indem er verschiedene Vorgänger aufruft: Orpheus, Pollux, Theseus und Herkules (At' VI, 119-123). Das sind allerdings zweideutige Gewährsmänner - zum einen, da sie in ihren U ntelWeitreisen keinesfalls durchweg erfolgreich waren, wie im Fall von Orpheus und Theseus, zum anderen, als es sich bei Theseus um verbrecherischen Frevel, bei Herkules um einen gewalttätigen Tabubruch handelte. Daß ausgerechnet pius Amt'as solche unpassenden Beispiele anfühn, ist bemerkenswen. Es paßt aber zu der Ambivalenz, die seine Figur vor allem in den ersten sechs Büchern prägt. Denn jeder Erfolg ist hier untrennbar mit einem persönlichen Scheitern verbunden, jeder Fonschritt wird mit einem Verlust bezahlt. Aber Aeneas fügt sich diesem Gesetz, und eben deshalb wird er im Verlauf seines Jescmsus die beiden antiken Draufgänger, die gegen es verstoßen, übenrumpfen und die beiden Helden, die es durch Liebe überwinden, hinter sich lassen. Wenn Orpheus und Pollux für das stehen, was Aeneas selbst in die UntelWeit treibt amor und pit'tas -, so ist es eben diese Motivation, die im Verlauf der katdbasis einer anderen Form der pit'tas weichen muß: der Verpflichtung gegenüber dem göttlichen und geschichtlichen Auftrag. Und so wie Aeneas' persönliches Begehren auf der Strecke bleibt, werden auch Orpheus und Pollux nach dieser ersten Referenz nicht wieder elWähnt werden. Wer hingegen im sechsten Buch noch zweimal genannt wird, sind Herkules und Theseus. Denn gerade vor dem Hintergrund dieser Beispiele tritt Aeneas als positives Gegenbild zu den Helden griechischer Tradition auf: Nicht mit Gewalt, sondern legitimien durch höhere Mächte kommt er in die UnrelWeit. Diese Differenz wird in der Begegnung mit Charon explizit gemacht: Wenn der Totenfährmann auf die Gesetzlosigkeit von Aeneas' Vorgängern velWeist, so hebt die Sibylle die göttliche Sendung des römi-
44 .. Künden will ich's im Won und deine Sendung dich lehren (At VI, 759). 45 ..me iussa deum, quae nune has ire per umbras, per loca $Cnla situ cogunt noaemque profundamM [der Görter Befehle, die jetzt mich zwingen zu wandern hier durch Scharten, durch Modergemd und nächtige Tiefen) (At VI, 461 f.). M
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schen Helden hervor (At' VI. 388-410).46 Noch eindeutiger fällt die Wenung an anderer Stelle aus. vor allem im Falle des Theseus: Dieser sint noch zur Zeit von Aeneas' Abstieg auf dem Steinscssel, auf den ihn Hades bannte. und zwar unter den Verdammten in den Tiefen des Tartarus (At' VI, 617 f.). Herkules' Macht scheint doch nicht so groß gewesen zu scin, daß er ihn hätte befreien können. wie es eine Fassung der Sage will. Und Herkules' Macht kann sich auch nicht mit der eines Nachkommens des Aeneas messen: Augustus Caesar. Denn das Reich. über das dieser in einem wiedererlangten goldenen Zeitalter herrschen wird. das Reich, dessen Grundlagen Aeneas zu stiften hat. wird größer scin als all die Länder. die Herkules im Rahmen seiner Abenteuer auch nur gesehen hat - so heißt es explizit in der Amt'is (At' VI, 801-803). Aeneas' Berufung auf autoritative Vorgänger entpuppt sich folglich innerhalb des Textes als Strategie. um vor dieser Folie der Tradition die eigentliche Leistung des neuen Helden mit römischen Tugenden hervorzuheben.·' Eine Strategie. die sich ähnlich bereits in der Odysst't' abzeichnete, in der Amt'is mit ihrem dezidien geschichtlichen Ansan und ihrem ausgeprägten Konzept der imitatio48 hingegen weit entwickelter ist und eine grundlegende Vorgehensweise des Textes ausmacht. Die Unterwelt ist der geeignete Ort für eine explizite Auseinanderscnung mit der Tradition. sei es in Form einer bestätigenden imitatio oder in der einer rivalisierenden annultztio. die das Original zu überbieten trachtet.·9 Und wenn die OdysSt't' als wichtigster Intertext der Amt'is in diesem Zusammenhang nicht explizit genannt wird, so weil Vergil stillschweigend eine Revision der Tradition vornimmt: Aeneas kommt Odysscus, seinem ewigen Widersacher und literarischen Vorläufer, in der katdbasis zuvor. Hierin postulien der Text, wenn er sich schon nicht selbst als vorgängig gegenüber der Tradition setzen kann. die Vorgängigkeit zumindest seines Protagonisten. so Er stellt die ultimative Version der Geschichte in Frage. auf die die überlieferung Anspruch erhebt. SI Zugleich greift Vergil beständig auf die unerschütterliche Autorität Homers zurück. In Anspielungen ist die Reise des Odysseus sehr wohl im sechsten Buch der Amt'is präsent. Die Schatten der gricchischen Krieger, die vor dem bewaffneten Aeneas
46 Und bezeugt sie wirkungsvoU durch den goldenen Zweig - "venerabile donu[s) faralis virgae" (A~ VI, 408 f.), da doch das Bild inniger Liebe ("wuae pietatis imago"), das Aencas abgibt, als Legitimation nicht ausreicht (Ar VI, 405). 47 Zu dieser allgemeinen Suategie vgI. MacDonald, Th~ BUrÜI/-P14cn 0/Mnnory, S. 38 f[ 48 VgI. hierzu die aufschlußreiche Swdie von CoOle, 17n RMUJrU o/lmit4tion, op. eit. 49 EbJ., S. 36 50 Es handelt sich gewissermaßen um eine vonnoderne "anxiel)' of influencc", die sich statt zwischen den Autoren zwischen ihren Figuren abspielt - es geht nicht nur um die kulrurdle Kategorie der Autorität, in der sich römische pUllIS dem griechischen Heroismus überlegen zeigt. sondern auch um die natürliche Kategorie zcidicher Priorität. durch deren Umkehrung der übermächtige Vorgänger zum Nachfolger gemacht werden kann. Vgl. Harold Bloom. Tk Anxiny 0/ Infomra. A Th«Jry o/Ponry, New York: Oxford U. P.• 1973. S. 9 51 Zur Revision der Geschichte als Funktion der Unterwdueisc vgI. MacDonaI. BUrÜI/-PIMn 0/ Mnnory. S. 4 ff.
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fliehen (At' VI, 489-93), sind eine Reminiszenz an Odysseus, der die Seelen mit dem Schwert abwehrt, S2 und auch die Präsentation der römischen Helden verweist auf die Kataloge der Oaysst't'. Aber in der Amt'is wird kein vergangener Ruhm präsentiert, sondern zukünftiger. Conte verweist darauf, daß Anchises seinen Sohn mit Worten begrüßt, die an die Eröffnungsverse der OJysst't' gemahnen: ..quas ego te terras et quanta per aequora vectum accipio, quanris iactatum, nate, peridis!"s3 Mit dieser Anerkennung des Aeneas als eines anderen Odysseus wird der odysseische Teil der Amt'is aber nicht eröffnet, sondern beschlossen. Die Irrfahrt hat nun ihr Ziel erreicht, die Küste Italiens. Und in seinem tkscmsus ist Aeneas in die Vergangenheit abgestiegen bis zu dem traumatischen Erlebnis, von dem seine Irrfahn und alles Erzählen über sie ihren Ausgang nahm: dem Verlust der Heimat, dem Schnittpunkt der Amris wie der Oaysst't'. Im Totenreich allein deutet sich so etWaS wie die Deckungsgleichheit von Ausgangs- und Endpunkt an - aber nur, damit der vermeintliche Endpunkt unmittelbar wieder zum Ausgangspunkt neuer Kämpfe wird. Hierin liegt eine zyklische Zeitauffassung, die sich aller linearen Teleologie zum Trotz in die Amris einschreibt. 54 Doch haftet dieser Wiederkehr bei Vergil keine tröstliche Sicherheit an wie in der Oaysst't', sie ist vielmehr ein Zwang zur Wiederholung. Doch kommen wir zurück auf den Rückgang in die Vergangenheit und zum verlorenen Ursprung. Er verläuft wohlstrukrurien in mehreren Etappen: Bevor Aeneas überhaupt seine katdbasis in Angriff nehmen kann, muß er seinen jüngsten Verlust überwinden, indem er den eben verstorbenen Misenus beerdigt (At' VI, 212-235). Dies ist bereits der erste Schritt in das Reich des Vergangenen, das ihn in der Unterweit erwanet. Die erste ausgestaltete Begegnung im Orkus ist darauf die mit dem Steuermann Palinurus an den Ufern des Acheron. In einer Aufsplittung der Elpenor-Figur der Oaysst't' bildet Palinurus neben Misenus die zweite Schwellenfigur, welche Aeneas jedoch bereits einen Schritt weiter auf der Zeitachse zurückfühn. Der Steuermann war auf der Fahrt nach Cumae, unmittelbar am Ende des fünften Buches, von Merkur über Bord gerissen worden. Mit der Erscheinung Didos im Kreis der Selbstmörder jenseits des Acheron (450-476) schreitet der Abstieg in die Tiefen von Zeit und Unterwelt weiter fon, um dann in der Begegnung mit den trojanischen und griechischen Helden (At' VI, 477-493) den Punkt zu erreichen, von dem Irrfahrt und Geschichte des Aeneas ihren Ausgang nahmen, dem Fall Trojas. In der Gestalt des Delphobus werden Aeneas die Geschehnisse der letzten Nacht Trojas noch einmal unmittelbar vor Augen gestellt, wobei der verstümmelte Körper mit
52 Umso auffiilliger. als zuvor die Wirkungs10sigkeit der Waffen in der Unterwelt betont wurde (k VI. 290-94). 53 .. Welche Lande und was für Meere dwchfuhrcst du. daß ich dich nun habe. wie trafen. mein Sohn. dich große Gefahren!- (At' VI. 692 f.) 54 Vgl. auch Michael C. J. Putnam. Virri/s I"frmo. in: TIN Pomy ofAllusio". Virgilll"" 0viJ i" DIl,,~s .CommeJüt-. cd. by Rachel Jaooff and Jeffrcy T. Schnapp. Stanford (CA): Stanford U. P.• 1991. S. 94-112. hier: S. %
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seinen klaffenden Wunden und abgeschlagenen Gliedern den traumatischen und die unheilbare Bresche, die er schlug, inkorporieren muß. statt sie repräsentieren zu können (At VI, 494-499). Erst indem Aeneas dem zitternden und seine Wunden schamvoU bedeckenden De"iphobus die Erzählung der Geschehnisse endockt, können sie in die Vergangenheit gesetzt werden (At VI, 509-530). Die Frage hingegen, mit der De"iphobus seine Erzählung schließt, wendet den Blick von der Vergangenheit, die er selbst verkörpen, in die Gegenwan, für die Aeneas einsteht: "sed te qui vivom casus, age fare vicissim, attulerint. Pelagine venis erroribus actus an monitu divom, an quae te Fortuna fatigat. ut tristis sine sole domos, loca rurbida, adires?"ss Die Antwon kennt der Leser weitgehend, das folgende Gespräch zwischen den trojanischen Helden ist mit einem Nebensatz abgetan. S6 Die Funktion dieser Begegnung ist erfüllt, die Frage nach Fortuna hat bereits auf das wesendiche Motiv für Aeneas Itatdbasis weiterverwiesen, denn deren Ziel besteht ja in der Enthüllung des von Fortuna Vorherbesrimmten. Aber dieses Ziel steht noch aus. Nach einer kurzen Überleitung {At VI, 535 f.} werden die Fäden der Handlung gestrafft: Der Aufschub des Erzählens, den der Protagonist praktizien, wird denunzien als melancholische Fixierun§ auf einen vergangenen Verlust - "nox ruit, Aeneas; nos flendo ducimus horas" 7 mahnt die SibyUe. Stattdessen gilt es, die epische Erzählung weiterzutreiben, die auf einen Wendepunkt zusteuen. Für den vergangenheitsfixienen Protagonisten wird sich an diesem Punkt die Perspektive der Zukunft öffnen - De"iphobus verabschiedet den Held mit den Wonen: "i decus i nostrum; melioribus utere fatiS".SII Doch zunächst befindet sich Aeneas noch an dem Umschlagpunkt einer zeidos-mythisehen Gegenwan: an der Schwelle des T anarus und an der Schwelle des Palasts der Proserpina. Bcide wird der Protagonist nicht übenreten, und doch haben sie eine Schwellenfunktion innerhalb seiner Unterweltreise. Denn nach dem diskursiven und dem ritueUen Intermezzo, dem Bericht der SibyUe über den Tanarus {At VI, 548-627} und der Niederlegung des goldenen Zweigs (At' VI, 628-636), hat die Reise die Richtung und das Epos das Vorzeichen gewechselt: Nun kann der Aufstieg beginnen und der Kampf um das neue Troja. Und entgegen der Erwanung ist dieser Aufstieg keineswegs so schmerzhaft und schwierig wie der Abstieg. Die Unterweltreise des Aeneas ist eine Umkehrung dessen, was die SibyUe in Aussicht steUte: "facilis descensus Averno - noctes atque dies patet atri ianua Ditis - sed revocare gradum superasque evadere ad auVt:r1~t
55 "Du aber sag nun mir, welch Schicksallcbend hierher dich brachte. Kommst du von Mccrcsftut und lrrfahn verschlagen oder auf Göttergehciß. oder wdche Fonuna hcm dich, Hausungen, dumpf. ohne Sonne, chaotisches Land zu besuchen?- (k VI, 531 Ir.) 56 .hac via scrmonum- [So gab Won das WonJ (k VI, 535). 57 .Nacht schon naht, AenCllS, und wir durchjammern die Stunden: (k VI. 539) 58 "Du. unser Ruhm. zieh hin! Dir werde ein besseres Sdticksal!- (At' VI, 546)
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ras. hoc OpUS. hic labor est."59 Denn was diese Worte mit einem gewissen Zynismus beschreiben. ist der Tod. und den erreicht Aeneas gerade nicht - darf er nicht erreichen. auch wenn er dies ersehnen mag. Der Tod, der die Heimkehr bedeuten würde, ist auch in der Ameis der "süße" Tod: "dulcis et alta quies placidaeque simillima morti",6(j nennt De'iphobus seinen Schlaf neben Helena - der Tod erscheint hier als Urbild des befriedigten Begehrens. Es sei hier an Jmsnts tks Lustprinzips erinnert, wo der Todestrieb die Funktion ist, welche das Lustprinzip als bloße Tendenz in ihre Dienste stellt. Eben dieser Tod wird aber verweigert: Der süße und tiefe Schlaf des De'iphobus ist trügerisch und endet in einem Tod, der das genaue Gegenteil des Idealbildes ist. Nicht nur Aeneas wird in diesem Epos die ,honigsüße Heimkehr' (Odyss~~ XI, 100) und der glückliche Tod verweigert. Auch Latinus klagt verzweifelt beim Ausbruch der Kämpfe im siebten Buch: "nam mihi pana quies, omnisque in limine portus funere felici spolior".61 Der Tod ist der heimatliche Hafen, zu dem es ihn zieht; der glücklichen Einkehr in diesen Hafen stehen aber die folgenden Ereignisse entgegen, die die zweite Hälfte des Epos ausmachen. Die süße Ruhe des Todes wird Aeneas auf seiner Unterweltreise jedoch unmittelbar vor Augen gestellt, als er nach dem Opfer an Proserpinas Schwelle in das Elysium eintritt, erklärtermaßen ein Iocus amomus (vgl. A~ VI, 638) mit allen einschlägigen Eigenschaften. So kann es nicht erstaunen, daß der Protagonist, der vergeblich nach der Rückkehr in eine selige Indifferenz strebt, die Enthüllungen über die Widergeburt nur mit ungläubigem Entsetzen aufnimmt: ,,0 pater, anne aliquas ad caelum hinc ire putandum est sublimis animas iterumque ad tarda reverti corpora? quae lucis miseris tarn dira cupido?"61 Muß er sich doch hier wiederum um die Aussicht auf eine endgültige Heimkehr in die friedlichen elysischen Gefilde betrogen sehen. Daß diese Rückkehr ins Leben bei Vergil im Gegensatz zu Homer nur als fatale Wiederholung wahrgenommen wird, davon zeugt der bekannte Lethetrank des Vergessens, den die Seelen verabreicht bekommen, damit sie willig in den "finsteren Kerker" (carcere caeco - A~ VI, 734) des Körpers zurückkehren.6.1 Ein Privileg, das die Ameis für ihren Protagonisten offenbar nicht vorsieht: Die Schwierigkeit des Aufstiegs, von der die Sibylle spricht, muß in übertragenem Sinn verstanden werden als die Schwierigkeit und
59 "Leicht ist zum Avernus der Abstieg. Nacht und Tag steht offen das Tor des düsteren Pluto. Aber zuriickzulenken den Schritt zu den Lüften des Himmels. Leistung ist es und Last." (At VI. 126129) 60 "Süßer tiefer Schlaf. ein Abbild friedlichen Todes" (At VI. 522). 61 "Denn mein harn schon Ruhe. nur dicht an der Schwelle des Hafens werde ich glücklichen T 0des beraubt" (At VII. 598 f.). 62 "Vater. so muß man denn glauben. es steigen die Seelen von hier nach droben zum Himmd und kehren zum zweiten Male zu trägen Körpern? Welch heillos Verlangen zum Licht pacla also die Armen?" (At VI. 719 ff.) 63 ..scilicct inmemores supera ut convexa revisant rursus et incipiant in corpora velle reven:i" [denn sie sollen erinnerungslos die obere Wölbung wiedersehen. gewillt zurückzukehren in Körper) (At VI. 750 f.).
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die Last des Auftrags, den Aeneas aus der Unterwelt mitbringt.64 Schwer ist von nun an nicht nur sein g~gcnwärtiges Sc.hicksal, auch sein zukünftiges wird es sein. Daran lassen die Vorhersagen, die er im Rahmen der Unterweltreise empfängt, kaum Zweifel, und auch die Aussicht auf den zukünftigen Ruhm seiner Nachkommen dürften den rückwänsgewandten Protagonisten darüber kaum hinwegtrösten - so sollte man meinen, nach den vorhergegangenen sechs Büchern, die die Inkommensurabilität der historischen Dimension des Schicksals mit dem persönlichen Begehren so nachdrücklich anikulienen. Doch ganz im Gegenteil entbrennt der Held nun in Liebe (amor) zu der glorreichen Zukunft seines Geschlechts (At" VI, 889). Die zu erwanenden persönlichen Nöte scheinen ganz unwichtig geworden zu sein: Die Erzählung streift sie summarisch in drei Versen (At" VI, 890-892). Diese abrupte Wendung mangelt auf Inhaltsebene weitgehend einer Motivation. Aber sie ist funktional durchaus motivien und bezieht ihre Plausibilität aus dem wohlkalkulienen dramatischen Aufbau des Kapitels: Der sorgsam vorbereitete Höhepunkt, die Vorhersage der Geschichte Roms, wird als fulminantes Finale inszenien. Danach kann und darf nichts mehr folgen - vor allem nichts, was den Triumph der Geschichte in Frage stellen könnte. Die formale Struktur und die Dramaturgie bedingen inhaldiche Entscheidungen. Der Auftrag des Aeneas und damit das Ziel seiner Irrfahn und seiner Kämpfe, wie sie in der Amm erzählt werden, stehen am Ende des sechsten Buches unzweifelhaft und eindeutig da. Diese Eindeutigkeit sichen wiederum die Fortführung der Narration: Hier wird das Ziel der folgenden Erzählung benannt. Denn an dieser Stelle wird der Anfang für einen neuen Zyklus des Epos gelegt, und wenn die Überzeugung des bisher so zaudernden Aeneas eigentümlich knapp und reibungslos vonstatten geht, ist das schon Teil des neuen Paradigmas: Von nun an müssen der Protagonist und seine Entscheidungen in den Hintergrund rücken, um der Entfaltung der geschichdichen Ereignisse Platz zu machen. Die geschichdiche Teleologie, die hier formulien wird, ist damit zugleich eine narrative. In der Unterweltreise, diesem letzten Umweg von den vielen der Irrfahn, findet nicht nur der Protagonist eine klare Vorgabe für seinen weiteren Weg, sondern auch der Leser eine Leseanweisung für den anschließenden zweiten Teil. Sie lautet: Alles folgende geschieht, um das hier antizipiene Ende zu erreichen, alle Verwicklungen und Umwege des Textes sind notwendige Wege, deren Bedeutung sich erst von diesem Ende aus erschließt. Alles muß auf die zukünftige Existenz Roms hin gelesen werden. Und doch erreicht die Amm dieses Ende gerade nicht. Das was in der Unterweltreise als Endziel angekündigt wird, liegt so außerhalb des Textes, wie es ausserhalb des Begehrens seines Protagonisten liegt: Die Erzählhandlung der Amt"is endet in einer Situation, die denkbar weit entfernt ist von einem goldenen augu-
64 David L. Pike. PlISS4gr "'rough H~/J. MoJnnisl lNcmtt. London: Corndl U. P.• 1997. S. 12
M~JinNJ
UNinwor/Js. Idlaca (N. Y.)I
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steischen Zeitalter. Der Leser erhält im sechsten Buch die Anweisung, das Epos von einem Punkt zu erschließen, der ihm äußerlich ist, doch das Verhältnis zwischen dem Text und seinem extratextuellen Fluchtpunkt gestaltet sich in der Ameis als ein gewaltsamer Bruch und wird als ein schmerzhafter Verlust von Sinnzusammenhang und Einheit anikulien. Der Text verweigen wiederholt die Erfüllung der Erwartungen, die er selbst aufbaut - sowohl was die Erwartungen und Wünsche seines Protagonisten anbetrifft, wie auch die, die das Epos beim Leser hervorruft.65 Orakel sprechen den Hoffnungen Hohn oder führen in die Irre, Bündnisse werden gebrochen, und in den letzten Zeilen des Epos wird keine Stadt gegründet, wie es der Beginn verspricht - ,condere urbem' (I, 5) -, sondern das Schwen voll Zorn in der Brust des Feindes versenkt - ,ferrum sub pectore condere' (A~ XII, 950).66 Wenn in Homers Odyss~~ am Schluß das angekündigte Ende noch aussteht, so weist doch don alles auf dieses Ende hin, ein Ende, das in greifbarer Nähe zu stehen scheint. Nicht so bei Vergil. Die Diskrepanz zwischen dem verkündeten Ziel des Epos und seinem tatsächlichen Ende ist vermudich die größte "Enttäuschung" der Am~is und zugleich ein konsequentes Resultat ihres Vorgehens, gerade indem es sich so wenig als zusammenfassendes Ergebnis lesen läßt. Aber selbst im Kontext der Itatdbasis des sechsten Buchs, die doch so ganz im Dienste der geschichdichen Teleologie zu stehen scheint, findet sich ein befremdlicher "Nachtrag", so etwas wie ein Zögern, noch während die Unterweltreise schnellstmöglich mit einem leichten Aufstieg zu Ende gebracht wird. Zwei Tore sind in der Unterwelt, aus denen die Träume zu den Schlafenden gelangen, eines aus Horn für die wahren Träume und ein anderes, elfenbeinernes, für die falschen. Warum Aeneas und die Sibylle zuletzt durch das elfenbeinerne Tor der falschen Träume endassen werden, gab seit Vergils Zeiten Anlaß zu den verschie. 67 densten InterpretatlOnen. In jedem Fall aber bietet diese Unklarheit in den letzten Versen des sechsten Buchs einen Widerstand gegen die resdose Abfuhr der Spannungen und einen reibungslosen Schluß des ersten Teils. Der Aufstieg durch das Tor der falschen Träume entzieht sich nicht nur selbst einer unzweideutigen Lesan, wie die vielen Auslegungen zeigen, dieses Detail zieht auch die bislang so fraglos erschienene Bedeutung der gesamten Unterweltreise in Mideidenschaft. Es ist ein bemerkenswenes Detail, das darauf hindeutet, daß die Auflösung des Widerspruchs von persönlichem Begehren und vorgegebenem Schicksal nicht so eindeutig sein könnte, wie dies dispositio und Ausgestaltung des sechsten Buches glauben machen. Vielleicht muß dieser Widerspruch wegen seiner Persistenz verschleiert
65 Brooks. Discolor Aflra, S. 263 66 Diese Gegenüberstellung der beiden Verwendungen von ..condere u bei MacDonaid. TIN BflrialPwn 0/Mmrory. S. 55 f. 67 Siehe Brooks Otis. Thr« Problmu 0/AmnJ 6, in: Trll1UllCtiims an4 ProcmJings 0/ tht Amnic4n PhilologicalAss«i4tion 90 (1959). S. 165-179. hier: S. 173 ff.
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werden, indem die Offenbarungen der Unterwelt dem Aeneas nach dem Aufstieg nicht mehr in unerbittlicher Un~weifelbarkeit erscheinen, sondern im gnädig~n Zwielicht eines falschen Traums, Es ist auffallend, daß der Protagonist in den folgenden sechs Büchern nie direkten Bezug nimmt auf das, was ihm in der Unterwelt doch mit großer Eindeutigkeit verkündet worden ist. Ganz im Gegenteil bedarf es immer neuer Prophezeiungen und Beteuerungen, um ihn rückzuversichern, daß er überha~t am Ziel seiner Reise, wenn auch nicht am Ende der Kämpfe, angelangt ist. Auch bringt Aeneas im achten Buch die Geschehen, die auf seinem sagenhaften Schild dargestellt sind, in keinen Zusammenhang mit den Prophezeiungen Ancruses - "rerum[... ] ignarus imagine gaudet" (At' VIII, 730), in völliger Unkenntnis trägt er den zukünftigen Ruhm Roms auf den Schultern und freut sich an den Bildern, statt sie als Zeichen zu lesen. Wenn die leatdbasis für den Verlauf der Abenteuer einen signifikanten Einschnitt bedeutet, so ist der Protagonist unfahig, diese Signifikanz zu erkennen und die Ereignisse wie einen Text von dem antizipierten Ende her zu lesen. "He never fully ~ssesses that divine order of which he is the literal and symbolic carrier.,,6 Paradoxerweise scheint die Unterweltreise, die zum Zweck der Aufklärung unternommen wurde, Aeneas selbst keinen Erkenntnisgewinn zu bringen. Hier tritt die Psychologie der Figur zurück zugunsten ihrer Funktion im Text - denn das Verhalten des Protagonisten ändert sich nach dem sechsten Buch sehr wohl. Er ist zwar auch im zweiten Teil kein kriegsfreudiger und angriffslustiger Held nach iliadischem Muster, sondern bleibt ein Mann der Pflicht. Aber er setzt seiner großen Bestimmung fortan nicht mehr seine persönlichen Ziele entgegen. Er ist zu einem willigen VoUstrecker des Schicksals geworden, und deshalb werden die Spannungen, die die Handlung vorantreiben oder retardieren, fortan auf einem anderen Schlachtfeld ausgetragen als dem, auf welchem bisher das Begehren des Subjekts mit den Forderungen der Geschichte kämpfte. Die Funktion der Unterweltreise liegt auch in der Amm deshalb nicht auf einer inhaltlichen Ebene, obwohl diese Episode ungleich stärker in die Handlung eingebunden ist als in der Odysst't'. Ihre eigentliche Rolle erfüllt sie aber als strukturierendes Element: Sie schließt einen Handlungsbogen ab und eröffnet einen neuen. Zu Beginn des siebten Buchs wird der obligatorische Abschluß der leatdbasis geliefert: eine Beerdigung, knapp aber pflichtgemäß nach dem Vorbild der Odysst't', obwohl dieser Vorfall in der Handlung der Amm nicht vorbereitet oder motiviert ist. Wohl aber in ihrer Struktur. Sinnreicherweise ist es die Beerdigung der Amme des Aeneas - bei Homer ist es die Amme, die Odysseus bei seiner Heimkehr als erste erkennt. Insofern wird in der Amm mit dem Ende der Irrfahn gezielt die Assoziation der Heimkehr hervorgerufen, wobei in dem Tod der Amme zugleich die Absage an ein Wiedererkennen und die glückliche Rückkehr zum 68 So bcschwön ihn der Flußgon Tibcrinus rcgdrccht: "hic tibi ecru domus. ecni - ne absiste penates; neu bdli teerere minis" [hier ist ein Heim dir sicher. sind sicher - drum ziehe nicht Fon! - die Penaten; laß dich nicht schrecken von Krieges Dräun] (Ar VIII. 39 f.). 69 Rmoks. Discolor Aura. S. 280
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selben beschlossen liegt. Durch diesen Tod wird der Bericht von Aeneas' lebensreise für abgeschlossen erklän; auch wenn er selbst nicht stirbt, so tut es stellvertretend diejenige, die von Beginn an aufs Engste mit seinem Leben verbunden 70 war. Zugleich ermöglicht die Figur einen Übergang zu den folgenden Ereignissen, und nicht nur aufgrund der Analogie zur Bestattung des Elpenor in der Odysstt. Die Amme selbst ist in dem Epos zuvor nicht erwähnt worden, allein ihr Name "Cajeta" ist das Vehikel, mit dessen Hilfe sowohl der räumliche wie thematische Wechsel zwischen sechstern und siebtem Buch vollzogen wird: "Cajeta" heißt eine Region an der Grenze Latiums, dem Schauplatz des zweiten Teils des Epos, das mit dieser Grenzüberschreitung beginnt. Von nun an regieren die Götter und die Geschichte - was nicht heißen soll, daß sich daraus eine widerspruchslose und einheitliche Bewegung des Textes ergeben würde. Aber die zwei Stimmen der Ameis geben in den letzten sechs Büchern weniger den Konflikt des Protagonisten mit seinem Schicksal, als den Konflikt zweier antagonistischer, wechselnd personalisiener Kräfte wieder. Nicht umsonst erzählt das Epos in seinem iliadischen Teil von Waffenglück und dem Geschick vieler Helden, es steht nicht mehr der eine Mann im Mittelpunkt. Aeneas ist als Figur potentiell austauschbar geworden, und nur deshalb könnte Venus in ihrer Gunst Askanius an seine Stelle setzen.71 Doch noch gibt es keinen adäquaten Ersatz für den kriegerischen Helden Aeneas - das Tauschangebot ist nicht ernst gemeint, denn es würde einer Kapitulation der Venus im Streit mit Juno gleichkommen. An dieser Stelle des plots ist Aeneas in seiner Position noch nicht endgültig zu ersetzen, wenn nicht die Geschichte, als historischer Prozeß wie als Narration, frühzeitig abgebrochen werden soll. Deshalb erinnen Venus in ihrer Rede mehrfach an das unglückliche Schicksal Trojas: In der Ökonomie der Handlung besteht noch eine unausgeglichene Differenz, und die Begleichung dieser Interessen hatte J uppiter in Aussicht gestellt. "hoc equidem occasum Troiae tristisque ruioas solabar fatis contraria fata rependens"n, klagt Venus ihr Recht bereits im ersten Buch ein. Die Geschichte begann mit einer Sublimie-
70 Und an der Gestalt dieser "Ersatz-Mutter" wiederholt sich noch einmal der traumatische Verlust der Heimat. dem immer schon. uneinholbar. der Verlust der Mutter eingeschrieben war. Denn die Position der Mutter ist in der Amm mit ihren zahlreichen Vaterfiguren (Anchiscs. Acncas selbst. l..atinus. Euander) leer - Venus ist als götdiche Mutter dem Sohn Aencas immer schon entzogen. und als Tochter des Göttcrvaters Juppiter ist sie bei Vergil explizit dem Schicksal als einem väterlichen Gesetz verpflichtet: ~ic placitum" - "So [lautet] der Bcschluß" (A~ I. 283). ist das allmächtige Won Juppiters gegenüber Venus; ein Beschluß. den er später mit dem Fatum gleichsetzen wird: "fata viarn invenient" - "Schicksale finden den Wcgu (A~ X. 113). 71 ..Aencas sane ignotis iactetur in undis et quarncumque viarn dederit Fonuna. scquatur: hunc tcgere Cl dirae valcam subduccre pugnae" [Mag immerhin Acncas. auf fremden Wogen getrieben. folgen jeglichem Weg. den ihm Fonuna gestattet. den hier laß mich schützen und renen aus grausigem Kampfe.] (k X. 48-50). 72 "Hierin fand ich Trost über Trojas Sturz und Ruinen: günstig Schicksal wog mir auf das feindlich Schicksal." (A~ I. 238 f.)
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rungsleistung, und die ..Aufwandsentschädigung" für Venus Vemchdeisrung steht noch aus. Die Handlung kann deshalb noch nicht an ihr Ende gelangen: "fata viam invenient",n mit diesen Wonen überanrwonet Juppiter die Geschichte ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit. Diese unterliegt in der zweiten Hälfte des Epos ebenso wie in den ersten sechs Büchern einem Spiel der Verschiebungen in einer Ökonomie des Todes. Dabei ist der Tod in seinen konkreten Formen ab dem siebten Buch geradezu omnipräsent, und er fungien hier noch deudicher als in den vorhergehenden Büchern statt als Zielpunkt und Ende der Erzählung als ihr Antrieb und als Aufschub ihres angestrebten und angekündigten Endes. Denn die vielen Tode, die auf den Schlachtfeldern der Amns gestorben werden, bedeuten nie ein Ende der Kämpfe oder eine Auflösung der Verwicklungen, und noch der Tod von Aeneas' Widersacher Turnus ist ein gewalttätiges Ende im doppelten Sinne: Er beinhaltet keinerlei Versöhnung, weder formal noch inhaldich. Der Text bricht abrupt mit diesem buchstäblichen Ende ab, mitten in der Gegenwart und Gegenständlichkeit der dramatischen Situation. Und auch wenn dieser finale Zweikampf von Aeneas und Turnus von langer Hand vorbereitet wurde, wird sein Ausgang nicht als der intendiene, glückliche Abschluß des Krieges dargestellt. Bereits sein Motiv gehorcht einer Logik der Unabschließbarkeit: Aus Rache ermordet Aeneas den Turnus, in einem Anfall schrecklicher Wut, und dieser stirbt ebenso zornig: "cum gemitu [... ] indignata" .7. Hier kann nicht die Rede sein von einem positiv sinnstiftenden Ende, wie es die "public voice" der Amns und die Ausführungen im sechsten Buch nahelegen. Vielmehr schreibt sich in dem Tod des Turnus nur der vergangene Verlust (des Pallas) fon: Aeneas gehorcht noch in der letzten Szene des Epos nur einem Wiederholungszwang. Er macht sich zu einem zweiten Achill, einem der unerbittlichen Rächer, die den Untergang Trojas mit herbeifühnen. Zuletzt spricht die Amns nicht von der großen Zukunft und von der Heimat, die zu gründen ist, sondern von der schmerzlichen Vergangenheit und dem, was verloren wurde. Und noch die Unterwelt, der On der Toten, ist im zweiten Teil des Epos keineswegs ein ruhiger Hafen, sondern Ausgangspunkt der Spannungen und Verwicklungen, die einen gradlinigen Verlauf zum gücklichen Ende verhindern. Im siebten Buch sind die Trojaner im Latium angelangt, und ihre göttliche Widersacherin Juno ist außer sich, sie so nahe am Ziel zu sehen. Auch sie findet die Ruhe nicht, die in diesem Epos ständig begehn wird; mit verächtlicher Ironie bemerkt sie angesichts ihrer bisher vergeblichen Anstrengungen: "at, credo, [... ] odiis [...1exsaturata quievi".7s Aber von einer satten Befriedigung. und sei es von Junos Destruktionsgelüsten, ist die Geschichte an diesem Punkt denkbar weit entfernt. Obwohl die Ankunft im Latium den Aeneas zunächst gradlinig ans Ziel
73 "Schicksale finden den Weg.M (At' X. 113) 74 "AufS[öhnend, voll Unmut" (k XII. 952) 75 "Ja, ich glaube. [... ) Hasses satt, fand Ruhe ich. (At' VII, 297 M
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seiner Mission zu führen scheint - Latinus bietet ihm reiche Geschenke, Land und die Hand seiner Tochter Lavinia (A~ VII, 259-273) -, entfaltet sich diese kurze Idylle doch vor einem düsteren Hintergrund unmißverständlicher Ankündigungen: "dicam horrida bella, dicam acies actosque animis in funera reges" ,76 beschwört der Erzähler mit Nachdruck die kommenden Ereignisse. In Figuren der Wiederholung (Anapher, Alliteration) spricht er von der Verzögerung der Zukunft. Aber er spricht auch von den hohen Zielen, die er mit dem zweiten Teil ins Werk setzen will (A~ VII, 43 f.). Diese Ziele sind dem Leser noch in der Unterwelueise des vorhergehenden Buches deutlich genannt worden, nun folgt die ungleich ausführlichere und mühselige Umsetzung - mühselig für den Protagonisten in der Tat wie für den Dichter in der Schilderung der Taten, weshalb die göttliche Inspiration der Musen herbeizitiert wird. Wurde das Ende im sechsten Buch auch unabänderlich festgeschrieben, ist doch der Gang der Ereignisse und ihrer Erzählung damit keineswegs vollständig determiniert. Die Umwege der folgenden sechs Bücher zögern das formulierte Ziel hinaus, um es noch an ihrem Ende nicht erreicht zu haben. Genau das ist die Taktik, die Juno im siebten Buch wählt: "non dabitur regnis - esto - prohibere Latinis, atque inmota manet fatis Lavinia coniunx: at trahere atque moras tantis licet addere rebus".77 Während die Göttin im ersten Teil noch auf eine erfolgreiche Zerstörung des Aeneas und damit einen Abbruch der Geschichte gehofft hat,78 müssen auch die Götter im zweiten Teil des Epos im Aufschub ihre einzige Macht erkennen.7~ Insofern schlägt sich auf Figurenebene eine grundlegende Textoperation nieder, die durch die Itatdbasis im sechsten Buch explizit gemacht wurde. An diesem Punkt, der den Abschluß der Irrfahrt und den Wendepunkt zum iliadischen Teil darstellt, setzt eine Selbstverständigung des Textes über seine eigenen Bedingungen ein. Die antagonistischen Kräfte, die die Narration konstituieren, werden benannt: das mit dem Anfang der Erzählung einsetzende Streben zu ihrem festgeschriebenen Ende und der auf dessen beständige Verschiebung gegründete plot. Die Geschichte, die die Amm erzählt, entrollt sich ab dem siebten Buch in einer Äußerlichkeit, die ihre textuellen Mechanismen
76 .Ich künde furchtbare Kriege. künde von Kampf und von Fümen. die Zorn zum Tode getrieben" (k VII. 41 f.). 77 .Nicht ist's vergönnt - also gut! -. das latinische Reich ihm zu wehren. schicksalsverbürgt harn seiner Lavinia auch als Gemahlin. Aber verschleppen darf ich und hemmen so große Entfaltung." (At' VII. 313-315) 78 .mene inccpto desistere victarn ncc posse Italia Teucrorum avenere regern?" [Ich sollte den Plan aufgeben. besiegt. ich könnte dem Teukrerkönig Italien nicht wehren?] (k I. 37 f.) 79 Dies mahnt Juppiter im zehnten Buch gegenüber Juno nochmals an: .si mora preaescntis leti tempusque caduco orarur iuveni mcque hoc ita ponere sentis. tolle fuga Tumum atque instantibus eripe fatis: hactenus indulsissc vacat. Sin altior istis sub precibus venia ulla latet totumque moveri mutarive putaS bcllum. spcs pascis inanis." [Wird nur Aufschub jetzt des Todes und Zeit dem verfallnen Jüngling erbeten und meinst du. ich könne also verfugen. gut. so flüchte den Turnus. entreiß ihn dem drohenden Schicksal: bis hierher ist Nachsicht erlaubt. Doch lauen am Grund der Bitten die Hoffnung auf Gunst und wähnst du. es werde der Krieg im Ganzen wirklich gewandelt. so nährst du nichtige Hoffnung.] (k X. 622-627)
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darer hervortreten läßt. Weder werden sie in einen subjektiven Konflikt des Protagonisten gekleidet. noch in Göttergestalt personifiziert: Aeneas verschwindet 11s Person in seinem Schicksal, und selbst die Götter sind explizit den :;esetzlichkeiten der Narration - dem Gang des Schicksals und der Geschichteferpflichtet: .. fata viam invenient" (A~ X, 113). Wenn aber der eine Imperativ des Erzählens, seine Teleologie, in der Unterwelt genannt und mit konkretem Inhalt gefüllt wurde. so nimmt auch die ge~enläufige Bewegung der Narration an diesem Ort ihren Ausgang. Kam der ~at4basis im sechsten Buch die Funktion zu, die weitere Handlung in Gang zu lerzen und auf ein Ziel auszurichten, so stammen die Kräfte, mit deren Hilfe im liebten Buch dieselbe Handlung gehemmt und in Umwege verfangen wird, ebeniO aus der Unterwelt. Juno, selbst machdos, setzt auf das .. usquam" (A~ VII. 311), :las "Irgendwo". nur um das Erreichen des einen, klar lokalisierten Zielpunktes zu t>ehindern. Und da sie alle oberirdischen Mittel ausgeschöpft hat, greift sie auf die LUlterirdischen Mächte zurück: "flecrere si nequeo superos, Acheronta movebo. ,,80 Sie ruft die Furie Allecro aus den Tiefen herauf. die Verkörperung der Zwietracht (A~ VII, 323-339). In der Unterwelt nimmt die Handlung des iliadischen Teils in ieder Hinsicht ihren Ausgang: Hier empfangt Aeneas endgültig seinen Auftrag lInd der Leser ausdrücklich den Bezugspunkt des Epos. und hier werden die VerMcklungen ausgelöst, die den plot der folgenden sechs Bücher bestreiten. An dielen Ort kehrt das Epos auch mit seinem letzten Vers zurück. wobei sich dieser I\bstieg in die Unterwelt kaum als eine abschließende "Rückkehr" und eine Abfuhr der konfliktgenerierenden Spannung bezeichnen läßt: "vita[ ... ] cum gemitu fugit indignata sub umbras" .81 Dieser durch das letzte Wort buchstäblich überschattete Schluß hat keinerlei i\hnlichkeit mit dem Friedensschluß am Ende der Odyss~~. Zuletzt verweigert die r4mm kompromißlos die Erwartungen, die sie selbst immer wieder stimuliert. /\her sie verweist auf eine externe, historische Realität, zu der sie in Bezug gesetzt werden will - sowohl als propagandistische Zukunftsverheißung wie als melancholische Wiederholung einer uneinholbaren Verlusterfahrung. Beides wird in der Unterwelueise artikuliert. Der unvermittelte Abbruch des Endes aber optiert für letzteres. Anders als die potentielle Offenheit der Odyss~~ kündigt die Unabge,mjossenheit der Am~is nicht die Variation der Fortsetzung an, sondern vielmehr die fatale Rückkehr des verdrängten Verlusts: .. monument[um] doloris" (A~ XII. :>45) ist dem Aeneas in der finalen Szene der WafFenschmuck, den Turnus trägt LUld der dem toten Pallas gehörte, und dieses Mahnmal des Schmerzes und des Todes bedeutet zugleich den gewaltsamen Tod des Turnus. Die zukünftige, neue Stadt hat bereits in ihrem Gründungsakt und dessen Bezeichnung den Mord der Vergangenheit wiederholt. 82 In der zweiten Bedeutung der Vokabel condn-~ wird ~o
.Kann ich den Himmd nicht beugen. so hetz ich die Hölle in Aufruhr.· (k VII, 312 f.) Das Zitat, das uns bereits aw Freuds Traurnt.kutung bekannt ist. ~ 1 .Sein Leben fahn, aufstöhnend, voll Unmut hinab zu den Scharten." (Ae XII, 951 f.) U ZU (On4nr vgI. S. 118 dieser Arbeit.
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buchstäblich ,.verborgen": Das Won wird zur Krypta. zum monummtum mortis. in dem der fatale Verlust ebenso eingeschrieben wie verborgen ist, um als Zwang zur Wiederholung wiederzukehren. Die Sinngarantie, die die Odyssu durch den angekündigten friedvollen Tod ihres Protagonisten gibt. wird in der Ameis gerade dementien durch den Tod. der nicht der "richtige" Tod ist und es nie war.
INFERNO: DANTES HÖLLENG~NG
Der dritte kanonische Text für das Thema "Unterweltreise& weist einen folgenreichen Unterschied zu den beiden bisher behandelten auf: Ist in der Odyssu wie in der Am~is der Abstieg des Helden in den Hades eine Episode im Rahmen der Reise, so bildet die Jenseitsreise in Dantes Divina Commedia den Rahmen, in dem sich alle Episoden ereignen. Der Gang durch Himmd, Hölle und Fegefeuer ist das Grundthema der Comm~dill, und die Unterweltreise im strengen Sinne macht einen der drei großen cllntich~, das Inftrno aus. 83 In den Unterweltreisen in Odyss~~ und Ameis wird die Finalität des Erzählens offengelegt und das angestrebte Ende der jeweiligen Erzählung benannt. Im Falle der Göttlichm Komödü ist der gesamte Text eine Offenbarungserklärung, in der das Ziel des menschlichen Lebens formuliert wird. Das Jenseits ist innerhalb des religiösen Weltbilds Dantes ein Topos erster Ordnung, und sein Besuch hat seinen Zweck in sich selbst. Wenn hier eine "Heimat" gesucht oder begründet werden soll wie bei Homer und Vergil, dann ist es eine spirituelle, und sie liegt nicht in dieser Welt, sondern eben in der transzendenten, ewigen Welt Gottes. In dem großen allegorischen Unternehmen des Mittelalters, das die Welt als Text Gottes liest, will Dantes Epos die Funktion erfüllen, die das sechste Buch der Ameis und der XI. Gesang der Odyss~~ für das jeweilige literarische Unternehmen Vergils und Homers einnehmen: Es ist der Umweg, in dem das ufos benannt wird und das Ende vorweggenommen, um zugleich in die Verschiebungen der Erzählung bzw. des Lebens zurückzuschicken. Diese Finalität läuft im christlichen Diskurs aber nicht mehr auf den Tod an sich hinaus, sondern auf die Bedeutung des T 0des, wie sie sich im Jenseits unzweifelhaft zeigt: als Heil oder Verdammnis, "me definite ending of any story".84 Der Tod ist hier nicht der Endpunkt, sondern vielmehr die Voraussetzung des Endes, gegebenenfalls eine bedeutungsvolle Ankündigung dessen, was hinter ihm steht, bzw. nach ihm kommt. Das wird besonders deutlich in Inferno XIII, im Wald der Selbstmörder. Im Unterschied zu den Verdammten, die wegen ihres Lebenswandels zu ewigen Höllenstrafen verurteilt sind, erleiden die Selbstmörder ihr jenseitiges Schicksal wegen ihres Todes. Sie glaubten, ihre (Lebens-)Geschichte selbst zu Ende bringen zu können - im christlichen Sündensystem eine Anmaßung der Position Gottes, des großen 4Utor~s, der allein alle Lebensgeschichten zu dem ihnen vorbestimmten und ihnen eigenen Abschluß führt. Zugrunde liegt dem Suizid darüberhinaus eine völlige 83 Sofern nichr anders angegeben zilien nach der Ausgabe: Danre A1ighieri. D~ GönJielx Komötk. iralien./deulSCh. übers. u. komm. v. Hermann Gmdin. München: DTV. 1988 (1949). fonhin: DC (mir ZeiJenangabc:n) 84 John Frecccro. Danu's Ulyssts: From Epic 10 Nowl. in: ders .• T," POdia ofConwrsion, cd. Rachd Jacoff. Cambridge (Mass.): Harvard U. P., 1986. S. 1~151. hier: S. 138
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Verkennung der "wahren" Verfassung einer christlichen Welt: der Irrglaube, der Tod setze ein Ende. Auch wenn die eschatologische Zeit- und Geschichtsauffassung des Christentums linear und irreversibel ist, kehren sich innerhalb ihrer doch die Vorzeichen um: Auf die Lebensspanne von Geburt zum Tod und auf die Geschichtsspanne von Gottes Menschwerdung bis zum Jüngsten Tag folgt das ewige Leben nach dem Tod und dem Ende der Geschichte. So betrachtet erzählt sich die Divina Comm~dia radikal vom Ende her. Alle geschichtlichen Ereignisse, von denen sie spricht, erscheinen unter der Perspektive der Erfüllung, die im Jenseits regiert. "Das Ziel der Heilsgeschichte, die weiße Rose im Empyreum, [... ] ist nicht nur eine sichere Hoffnung für die Zukunft, sondern sie ist von jeher schon in Gott vollendet und für die Menschen vomguriert".85 Der Lauf der Geschichte und der Geschichten steht fest, aber in der Geschichte, die Dantes Text erzählt, wird der Ort aufgesucht, wo alles festgeschrieben steht - das "Buch Gottes" ist eine Metapher, die mehrfach in der Comm~dia auftaucht. In dem Paradigmenwechsel vom Wahrsagen (in Odyssu und Anuis) zw Gottesschrift der Divina Com~dia artikuliert sich auch ein Wechsel der Perspektiven und eine veränderte Zeitauffassung: Aus der Prophezeiung, der Ankündigung der Zukunft, wird eine Festschreibung, in der alle Zeit in ein unveränderliches Futurum txaetum, eine vollendete Zukunft, gesetzt ist: "es wird gewesen . ". sem Das Diesseits ist nur ein Abbild des Jenseits und das Leben eine Wiederholung des Weges, der in Gott vorgezeichnet ist und den der Protagonist der Comm~dia tatsächlich geht: Die Jenseitsreise wird zum Modell der Lebensreise. "Ganz anders als bei den antiken Dichtern der Unterweltreise, die das irdische Leben als wirkliches, das unterirdische als schattenhaftes gaben, ist bei ihm [Dante] das Jenseits die echte Wirklichkeit, das Diesseits nur umbra foturorum"86 - Schatten des Zukünftigen. Denn in der Perspektive der christlichen Erlösungsreligion ist alles auf das Leben nach dem Tode ausgerichtet, und in der allegorischen Tradition, in der Dante steht, lesen sich alle Ereignisse und Dinge der diesseitigen Welt als Zeichen einer jenseitigen, göttlichen Bedeutung. 87 Der aikgoria in v"bis entspricht eine aikgoria in facto. Das Jenseits ist der Ort der Wahrheit und des Sinns, und hieraus ergibt sich der ungewöhnliche Wahrheitsanspruch, den die Divina Com~dia erhebt. Weniger will sie eine wahre Geschichte erzählen, wie es die im Namen behauptete Identität von Autor und Protagonist nahezulegen scheint, als vidmehr eine Geschichte, die die Wahrheit zeigt - oder um es mit der entsprechenden religiösen Emphase zu sagen: die Wahrheit offenbart. Kein geringer und auch kein selbstverständlicher Anspruch für einen literarischen Text, zumal in einer Kultur, die den modus podicus als "falsche Rede" brand85 Erich Auerbach, Mimesis. Da'KtsI~1Ju Wirltlichlt~it in tkr abmJ/iirulischm Litnatur, 8ernlStutt~:F~, 1988 (1946),S. 186 86 Den .• Figura. in: den., Gnammelk AufiiJlu zur romanischm PhilolDgi~, 8em: Francke. 1967, S. 55-92, hier: S. 89 87 Dies ist die vettikale Dimension der Figura, welche die horizontale zwischen historischer Figur und ihrer ebenfalls historischen Erfüllung notwendig vervollständigen muß. Vgl. ebd., S. 80 f.
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markt. 88 Indem Dante die Jenseitsreise zum Thema seiner Comm~dja macht. gelingt ihm der geniale Schachzug (und der Skandal). die Fiktion in das göttliche Königreich der Wahrheit zu verlegen. Die Geschichte. die hier erzählt wird• ..spielt" bereits in dem jenseitigen Bedeutungsraum. in dem das Signifikat selbst. Gott. präsent ist. und auf den die Wone wie die Ereignisse des Diesseits nur verweisen. Die Allegorie. in der eine Ontologie des Endlichen ihre rhetorische Figur gefunden hat.S9 wechselt in die Ewigkeit und strebt don ihrer Selbstaufhebung in einer bruchlosen Identität von Zeichen und Bezeichnetem zu. d. h. der Offenbarung Gottes. Aber die Comm~dia erzählt sich noch in einer anderen Hinsicht von ihrem Ende her: durch die Identität von Erzähler und Protagonist. Es ist die Stimme des Ich-Erzählers. die vom ersten Satz des Textes an für den glücklichen Ausgang der Reise einsteht90 - um zum Erzähler zu werden. muß der Protagonist zurückgekehn sein. Die Com~dia erzählt ihre eigene Entstehungsgeschichte in Form der Transformation von Dante dem Pilger zu Dante dem Erzähler. Der Text bezieht seine Geschlossenheit aus der Identität dieser beiden Figuren. die zu Beginn vorausgesetzt und am Ende realisien ist. Seine Spannung bezieht er aus der Differenz. die zugleich dem Text und der Tautologie "Dante = Dante" eingeschrieben ist. Die Kluft zwischen einem selbstbewußten Erzähler. der mit dem Leser die Gewißheit um das Ende teilt. und einem ängstlichen Protagonisten, der über den Ausgang des Abenteuers im Ungewissen ist, wird immer wieder ins Bewußtsein gerufen - in den Leseranreden wie in den poetologischen Reflexionen, in denen die Schwierigkeiten der Reise durch die Schwierigkeiten ihrer Erzählung ergänzt werden. Im Verlauf des Textes vollzieht sich die Anverwandlung der einen Figur an die andere, die Läuterung und Bekehrung des Pilgers zum christlichen Dichter. Diese Konversion ist das Ziel und die Bedingung des Textes, der von ihr erzählt. Als christliche Allegorie ist sein Ziel eine Erhebung zu dem Ziel allen Begehrens, zu Gott. Die Reise Dantes durch Hölle, Purgatorium und Himmel stellt den notwendigen Umweg dar, insofern "la diritta via era smarrita" (DC Inf. I, 3), der direkte Weg des gottesfürchtigen, guten Lebens verspern ist. Am Ende beider Wege steht die Seligkeit des Paradieses. Aber der Umweg der Jenseitsreise entläßt den Protagonisten nach der Gottesschau wieder in den Umweg der Erzählung und des Lebens. Um nur von dem Guten, das er am Ende der Reise fand, zu erzählen, muß er zuvor den gesamten Weg donhin wiederholen: .. ma per trattar del
88 Zur mittelalterlichen LitCfatwauff"assung vgI. Umbctto Eco, Am t btlJn:rA MO'tsttticll metikvllk, Milano: Gruppo Ed. Fabbri u. a., 1987, S. 90 Er. 89 Vgl. Werner Hamacher in seiner Einlcirung zu Paul DeMans AIkgo~" dts Ltsnu, Frankfun a. M.: Suhrkamp, 1988, S. 11 90 ImercssantClWeisc ist auch die M/tyiIl in der Odysstt eine Ich-Erz.ähJung des Odysscus, und selbst in der Amns finden sich Spuren eines solchen ErlcbnisbcrichlS in der ersten Person: Die Sibylle schilden die Schrecken des Tanarus', den sie im Gegensatz zu Aencas bermen durfte (At VI,
562-(27).
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ben ch'io vi trovai, dirb dell'altre cose ch'io v'ho scone.,,91 Deshalb wird nicht nw die katdbasis mehrfach als "altro viaggio", eine andere Reise (DCInf. I, 91), in Gegensatz zwn "cono andar", dem kurzen Gang (DC Inf. 11, 120), gesetzt. Auch der Text selbst wird als Umweg charakterisien: In den dichtungs theoretischen Erklärungen zur D;v;na Comm~dia, die Dante in der Epistola an Cangrande della Scala formulien, nennt er sie eine Umschreibung des Paradieses - "circwnloquor Paradiswn" (Dante, Epistola XIII, § 66, S. 24) -, und er bezeichnet ihre Form, den "modus tractandi", nicht nur als "poeticus" und "fictivus", sondern auch als "disgressivus" und "transwnptivus" (Dante, Epistola XIII, § 27, S. 10/12). Die katdbasis ist auch partkbasis. und diese Tendenz zum abschweifenden Exkurs gef'ährdet das ZieUEnde ebenso, wie sie den Text als solchen, den notwendigen Umweg, erst konstiruien. Die Parabasen im engeren Sinne, die Leseradressen, geben deshalb ebenso die Intention des Textes zu erkennen, wie sie zugleich die Schwierigkeiten ihrer Realisierung aufZeigen. Die Diskrepanz von Erlebnis und Erzählung, von Bedeutung und Erscheinung, von göttlicher Wahrheit und menschlicher Auffassungsgabe sind ihre beständigen Themen. Wenden wir uns der eigentlichen Unterweltreise zu, Dantes Gang dwch die Hölle. Keine der anderen beiden cantich~ ist so sehr Umweg und Hindernisparcours wie das Inf~. Die Distanz zu dem angestrebten Ziel der Reise, der göttlichen Offenbarung im Empyreum, scheint in der ersten cantica nur vergrößen zu werden. Hier ist die Differenz zwischen dem geläutenen Erzähler und dem unbedarften Wanderer offensichtlich. der Widerspruch zwischen der göttlichen Liebe als letzter Bedeutung und ihrer zynischen Manifestation in der Hölle eklatant. Allein die räumliche Tiefe. die mit dem Abstieg in den Höllentrichter ausgelotet wird, symbolisien die Gottesferne dieses Ones. Die Hölle ist die radikale Inversion der Wene. und noch ihre Landschaft mit den Feuerregen. den kochenden Sümpfen und gefrorenen Tränenseen ist eine oxymorale.92 Die lebendige Einheit von Körper und Seele, von Materie und Geist, von Zeichen und Bezeichnetem, die im christlichen Diskurs behauptet wird, ist aufgehoben, und es regieren allein die Schwere der Materie, die Qual der Körper und das tote, sinnentleene Zeichen. Hier werden die Seelen zu Körpern und die allegorischen Zeichen der Welt zu bedeutungslosen Dingen. Denn wenn die menschlichen Körper, ihre Gebrechen und Qualen, im Mittelalter als rhetorische Figwen in einem göttlichgesellschaftlichen Zeichensystem fungienen,93 sind sie im Inferno zur schieren Materialität und brutalen Konkretizität verdammt. Der Mensch ist reduzien auf den körperlichen Schmerz, ohne die Fähigkeit, ihn als Zeichen zu verstehen - "Ie
91 .. Doch um des GUlen. daß ich don gefunden. sag ich die andern Dinge. die ich schaulc." (DC Inf. I. 8 f.) 92 Vgl. John Frecccro. Th~ Etnnallmllgr oftlN Fa",". in: TIN Poary ofAllusion. S. 62-76. S. 67 93 .. Le corps exprime la sanction de Dieu el de la societe." Michd Sol. Mlpris du monde a ,Isistllnc~ dn rorps au XI ~I XII si/ein. in: Mldilvaln 8 (1985). S. 6-17. hier S. 9. Zur Zeichenfunktion des Körpers vgl. auch Jacques LcGoff. Dn- Mmsch im Mitul4ltn. in: D" Mmsch im Mitul4ltn. hg. v. Jacques LcGoff. Frankfun a. M./Ncw York: Campus. 1989. S. 7-46. hier besondcrs S. 1S
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genti dolorose c'hanno perduto il ben dell'intelletto".'H In der Hölle wird nicht "gelesen", die Sünder werden mehr als einmal als "cechi", blind, bezeichnet, und noch das Sinnbild der Referenzialität, die Schrift, ist nicht das lebendige Zeichen, rur das die heilige Schrift steht, sondern der tote Buchstabe,9S undurchdringlich und dunkel - "di colore oscuro" (DC Inf. In, 10) -, dessen Sinn ebenso materiell als "harr" beschrieben wird (DCInf. In, 12). In seiner Analyse der höllischen Ironie zeigt Freccero ausgehend von der Inschrift über dem Höllentor, wie die Darstellung und die Zeichen im Inferno auf sich selbst zurückgewandt sind. 96 Durch die Selbstbezüglichkeit der Darstellung wird die Sprache in einer steinernen Buchstäblichkeit immobilisiert. Die Zeichen der Welt werden wieder zu blossen Dingen, die gequälten Sünder zu zynisch-kunstvollen Emblemen, die ihre Nicht-Bedeutsamkeit bedeuten. Gerade die Hölle mit ihren exzessiven Gewaltdarstellungen gehorcht damit einem "ästhetischen" Diktum. Der literarische Text jedoch, der diese radikale Immanenz schildert, nimmt für sich außerästhetische, moralische Maßstäbe in Anspruch. Deshalb gelingt es ihm, die Körper zu lesen und die Strafen zu deuten - wenn auch nicht vollständig. Denn auch die dichterische Sprache bleibt hinter den Ereignissen zurück, und der Erzähler kann nur konjunktivisch bedauern: "S'io avessi le rime aspre e chiocce, / come si converebbe [... ], / io premerei di mio concetto il suco / piu pienamente".97 Das Wunder der vollkommenen Mimesis, die zugleich die Essenz der Bedeutung destillierte, ist nicht mit den heidnischen Musen zu leisten, die Dante an dieser Stelle (De XXXII, 12-15) wie mehrfach in der Commedia anruft. Das wahre infernalische Wort ,asp ra e chioccia' wäre Gottes Wort, so wie die Hölle selbst das Werk ,der höchsten Weisheit und der ersten Liebe' ist, wie die Überschrift auf dem Höllentor verkündet (Inf. In, 5 f.). Die Ironie der Hölle meint ihr Gegenteil. Doch wie jede Ironie läßt sie sich nur aus ihrem Kontext verstehen. Die Leseanweisung ist ihr außen am Tor angeschrieben und verweist auf ein ihr völlig Äußeres - Gott, Weisheit und Liebe. In diesem Kontext betrachtet wird die Hölle zu einer Allegorie, die "genau das Nichtsein dessen, was es vorstellt" /8 bedeutet. Für ihre Insassen aber bleibt der "göttliche" Kontext unzugänglich und das Inferno in der ewigen Zweideutigkeit der Ironie befangen: Im Namen der Liebe wird sarkastisch die Vergeblichkeit jeder Hoffnung erklärt - "Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate".99 Nicht umsonst ist dem Pilger Dante der Sinn 94 .. Die schmerz.cnsvoUen Leute [... ]. die der Erkenntnis Gut verloren haben" (DC Im. lll. 17 (). 95 Es ist der bloße Buchstabe des reinen smsus ÜWIlÜS. der in der Perspektive des MindaJters nicht eigendich ein ..Sinn" genannt werden kann. insofern ihm allein jede transzendente Dimension und das ist. als die göttliche. die allein sinnhafte - abgeht. So heißt es bereits bei Paulw: .. Denn der Buchstabe tötet. aber der Geist macht lebendig." (2. Korinther. 3. 6) 96 John Frccccro. InfmralIrony. in: dcrs .• TIN Ponics ofConwnion. S. 93-109. hier: S. 98 fT. 97 n Wenn ich die hanen. rauben Verse hätte. wie sie [... ] ziemen würden. [... ] so könnte ich den Saft aw meinem Stoffe vid besser pressen" (DC Im.. XXXII. 1-5). 98 Walter Benjamin. Ursprung Jn tkulSchm Trllun'1pMs. in: ders .• Gnammelu Schri/tm I 1. S. 203430. hier S. 406 99 .. laßt jede Hoffnung fahren. die ihr eintretet." (DC Inf. lll. 12 - meine Übersetzung)
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der Inschrift han - han zu verstehen und zugleich von beängstigender Häne. Denn im Gegensatz zum Leser ist der Protagonist über den Ausgang der Reise noch im Ungewissen, er mag wie die Verdammten zu der ewigen Partkbast der infernalischen Ironie veruneilt sein, die nie zum sinnstiftenden Ende gelangen wird - "00 io eterna duro" - ich werde ewig dauern, verkündet die Inschrift (DC III, 11). Erst die Narration und der Ich-Erzähler als Garant ihrer Finalität lösen diesen ewigen Kreis zugunsten einer teleologischen Linearität auf, die Ironie zugunsten einer Allegorik, welche im letzten Teil der Commtdia endgültig triumphien. Dante bleibt nicht im Reich des Unerzählbaren, das die Hölle in ihrer Maß- und Zeidosigkeit ist und das zu beschreiben die endlichen Wone nicht ausreichen: "nol domandar, lettor, ch'io non 10 scrivo. I pero che ogni parlar sarebbe poco". 100 Das Erzählen signalisien den Ausweg aus der Hölle, und deshalb heißt es im ersten Gesang des Purgatorio: "qui la mona poesfa risurga" (DC Purg. I, 7). Die tote Dichtung kann auferstehen, weil sich der Wanderer nun erstmals als potentiell identisch mit dem zukünftigen Dichter weiß. Im Purgatorium angekommen kann es an der Rettung des Protagonisten und damit an der für die Erzählung notwendigen Finalität keine ernsthaften Zweifel mehr geben. Der Zirkelschluß, der dieser Finalität zugrundeliegt, wird durch das Bild der Auferstehung deudich: Die Teleologie der Erzählung macht das Ende zur Bedingung für ihren Anfang. Die Dichtung. zu der der Protagonist nach dem Abschluß der Reise imstande sein wird, ist bereits mit ihm durch die Hölle gegangen und ersteht nun mit ihm wieder auf. Am Ende des Purgatorio wird dieser Zirkelschluß noch einmal unter einem anderen Gesichtspunkt durchexerzien: In der Berufung des Dichters Dante. Auf dem Gipfel des Läuterungsbergs findet mit der Ablösung Vergils als Führer durch Beatrice zugleich die Ablösung Vergils als Dichter durch Dante statt. Die Ankunft Beatrices wird mit dem einzigen wönlichen Vergilzitat in der Commtdia kommentien: "Manibus 0 date lilia plenis." (DC Purg. XXX, 21) \0\ Dieses Zitat stammt aus dem sechsten Buch der Amtis. der Unterweltreise. und es sind die Worte. mit denen Anchises das unglückliche Schicksal von Augustus' Neffen Marcellus beklagt: Sie beschreiben eine Geste innerhalb des Bestattungszeremoniells. das Streuen der Blumen am Grab, und sie werden in einer Situation gesprochen. die das Scheitern des Einzelnen in der Geschichte vor Augen fühn. Das Pathos der Klage wird aber bei Dante in eines des Triumphs gewandelt: Aus dem Sieg von Tod und individueller Trauer über die Hoffnung der Zukunft wird hier ein Sieg der Liebe und des christlichen Erlösungsgedankens über den Tod. In dem Moment. in dem Vergil wönlich evozien und in Form des lateinischen Zitats in aller Eigenständigkeit innerhalb Dantes Text kenntlich gemacht wird. hat er zugleich seine Funktion als Modell und Projektionsfolie erfüllt. Das fremdsprachige Zitat wird von dem neuen Kontext aufgesogen. indem es in einer Reihe 100 .. Darfst du nicht fragen. Leser. und ich schreibe es nicht. weil jedes WO" vergeblich wäre." (DC Inf. XXXIV. 23 f.) 101 ..0. laßt mich aw vollen Händen Lilien [... ) streun." (k VI. 83 f.)
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mit lateinischen Zitaten aus der Liturgie erscheint, und aus dem ursprünglichen Abschied wird eine Begrüßung all dessen, was Vergil nicht mehr ist: Führer durch das Paradies und christlicher Dichter. Die neue Führerin Beatrice verkündet zum ersten Mal in der Divina Comm~dia den Namen des neuen Dichters: "Dante" (DC Purg. XXX, 65). Bevor der Name aber genannt wird, löst sich der Text Schritt für Schritt von seinem antiken Vorbild, und die Worte desjenigen, der bisher als ,,10 mio maestro e il mio autore" (DC Inf. I, 85) galt, werden zu den Worten eines anderen Autors: Auf das wörtliche Vergil-Zitat folgt eine Vergil-Periphrase - beim Anblick Beatrices werden Worte Didos aufgegriffen. 102 Doch auch diese wenden sich im Kontext des neuen Textes in ihr Gegenteil: Beatrice ist bereits in der Dialogkonstellation der Gegenpart Didos nicht sie spricht die Worte, sondern wird mit ihnen angesprochen -, und sie übernimmt in der Handlungsökonomie der Comm~dia genau die entgegengesetzte Funktion wie die Königin der Karthager in der Am~is. Sie ist keine Verkörperung der hemmenden Kräfte und der Aufschiebung, sondern Führerin auf dem direkten Weg vom irdischen Paradies zum Sitz Gottes. Als Dante sich, noch ganz in der Rolle des treuen Nachfolgers, mit seiner Periphrase an Vergil wenden will, ist dieser bereits verschwunden (DC Purg. XXX, 49). In einer letzten Vergilreminiszenz wird er dreimal klagend beim Namen gerufen (DCPurg. XXX, 49-51), so wie Orpheus in Vergils G~orgica dreimal die verlorene Geliebte ruft l03 - wieder eine signifikante Verkehrung der Konstellation bei Dante, da hier ja, anders als bei Vergils Orpheus, die göttliche Geliebte gewonnen wird. Deshalb kann Beatrice an die Stelle der Mutter treten, die Vergil zuvor eingenommen hatte. 104 Darüberhinaus ersetzt sie in einem Gegenzug den "dolcissimo patre" Vergil (DC Purg. XXX, 50) durch seinen literarischen Nachkommen, den Namen des Vaters durch den des Sohns, indem sie unmittelbar nach dem Imperativ, mit dem die Anwesenheit des Angerufenen signalisiert wird, die Abwesenheit seines Vorrngers konstatiert: " Dante, perche Virgilio se ne vada, I non pianger anco.... Der Verlust Vergils ist kein Grund zu weinen, denn der Verlorene ist ersetzbar geworden. Deshalb sagt der T cxt an dieser Stelle zweierlei: Zum einen verabschiedet er den Dichter als Leitgestalt und überschreibt sich der religiösen Führung der Lie102 Dantes Kommentar beim Anblick Bcatriccs - "Conosco i segni dell'antica fiamma" [Ich fühl, es sind der alten Flamme Zeichen] (DC Purg. XXX. 48) - entspricht den Wonen Didos. als sie zum ersten Mal Aencas sicht: "adgnosco veteris vestigia flammae." [Nah spür ich die Glut meiner früheren Liebe.) (Al' IV, 23l. 103 VergiI. Gl'orgica. IV. 525-527 104 Heißt es kun zuvor noch: "Volsimi aIIa sinistra. col rispino I col quale iI fantolin corre aIIa mamma I quando ha paura 0 quando cg1i e affiitto. I per diccre a Virgilio" [Wandt ich zur linken mich mit dem Vemauen, mit dem das Kindlein hineilt zu der Mutter, wenn es sich fUrchtet oder sonst betrübt ist, und sagte zu Virgil] (DCPurg. XXX. 43-45), so erscheint in 79 f. die andere. autoritative Muttergestalt 8catriccs: "Cos} la madre aI figlio par superba. com'eUa parve a me" [So wird dem Sohn die Mutter stolz erscheinen. wie sie mir don erschienen ist]. 105 "Dante. wenn auch Vergil nun von dir scheidet. sollst du doch nicht weinen" (DCPurg. 55 f.).
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besallegorie Beatrice. Das Paradiso ist die gelehneste und christlichste der drei cantich~, die Handlung weicht zunehmend langen theologischen Lehrgesprächen und die Schilderung konkreter Phänomene und Schauplätze wird von psychedelischen Beschreibungen der verschiedenen Zustände der Seligkeit abgelöst. Zum anderen aber entspricht der Auferstehung der Poesie zu Beginn des Purgatorio die Gebun eines neuen Poeten an seinem Ende. ,,10 ritornai dalla santissima onda , rifatto si come piante novelle , rinovellate di novella fronda, , puro e disposto a salire alle stelle."'06 Was sich zunächst wie eine Taufe und eine Wiedererweckung im reinen Glauben liest, spricht auch von der Aspiration des neuen Dichters. In den unmittelbar vorhergehenden Versen wird sein Selbstbewußtsein in einer expliziten Reflexion auf die ästhetische Verfassung seines Textes deutlich: Das Ende des Purgatorio wird nicht begründet durch außerliterarische Maßstäbe, etwa durch die erzählten Ereignisse oder das Eingreifen Gottes, sondern ist durch formale, ästhetische Kategorien motivien. Trotzdem er eine Bescheidenheitsfloskel vorwegschickt, die das prinzipielle Ungenügen des Textes und folglich die Beliebigkeit seiner Form nahelegt - "s'io avessi, lenor, piu lungo spazio , da scrivere, io pur canterei in pane 'la dolce ber che mai non avria sazio",o7 -, wird im folgenden Satz der gebieterische Imperativ eben dieser Form und die Eigengesetzlichkeit der Kunst behauptet: "ma perche piene son tutte le cane , ordite a questa cantica seconda' non mi lascia piu ir 10 fren dell'ane."'08 Durch diesen Einschub werden die abschließenden vier Verse, die von Erweckung und Erneuerung handeln, isolien und aus dem Text herausgehoben: Da der "Zaum der Kunst" erklänermaßen keine weiteren Ausführungen mehr zuläßt, muß ihnen die Funktion zukommen, unumwunden die Essenz der Bedeutung auszusprechen. Sie tun dies paradoxerweise mit einer weiteren Umschreibung, dem Bild der neuen Pflanze mit frühlingsgrunem Laub. "La fronda", das Laub, bezeichnet im übertragenen Sinne auch das Ornament und spezifisch das überflüssige Ornament einer Rede'O'l - folglich genau die Weitschweifigkeit, die im Satz zuvor im Namen der Kunst verboten wurde. Das zunächst so eindeutig scheinende Bild widerspricht der ihm zugewiesenen Funktion, die eben auf Eindeutigkeit und Klarheit abzielt. In dieser spannungsreichen Ambivalenz wird es zu einer Allegorie des literarischen Unternehmens, das die Comm~dia darstellt - "circumloquor Paradisum", die absolute Linearität der christlichen Teleologie in den Umwegen und Verschiebungen der Erzählung und der falschen Rede der literarischen Metaphorik und Fiktionalität fassen zu wollen.
106 "Ich kehne wieder aus den heiligen Wogen. war neugeboren wie die neuen Pflanzen. wenn sie ihr grünes Laub erneuen haben. rein und bereit zum Aufstieg auf die [auch: zu den) Sternc[n)." (DCPurg. XXXIII. 142-145) 107 "Hätt ich. 0 Leser. noch mehr Raum zu schreiben. so könnt ich doch zum kleinsten Teil nur singen vom süßen Trank. nach dem mich immer dürstet." (DC Purg. XXXIII. 136-138) 108 "Doch da nun voUgeschricbcn alle Blätter. die ich bestimmt zu diesem zweiten Liede. läßt mich der Zaum der Kunst nicht weiter schreiben." (DC Purg.• XXXIII. 139-141) 109 Vgl. GrllNk DimmArio tkilll Lingua II4Ü4na. hg. v. Salvatore Battaglia. Bd. VI. Turin: Unione Tipografico - Editricc T orinese. 1970. S. 379
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Wenn das Ende des XXXIII. Gesangs des Purgatorio die Mehrdeutigkeit und Ambivalenz des Bildes aber nurmehr durchscheinen läßt, so wird dessen Subtext im darauffolgenden ersten Gesang des Paradiso an eben dem besagten Won "fronda" entzifferbar: Es begegnet hier wieder als "Ia fronda peneia" (DCPar. I, 32 f.), der Lorbeer des Apollo (DC Par. I, 15), des Herrschers der Musen und Gones der Dichtkunst. Es ist also das Laub des poaa laurea, mit dem sich der neugeborene Dante am Ende des Purgatorio schmückt, und aufgrund dieser Krone der Cäsaren und Poeten (DC Par. I, 29) sind es nicht nur die Sterne des Astralhimmels, sondern auch die der Dichtkunst, zu denen er nun aufZusteigen bereit ist. Die Verbindung der Sterne mit dem Ruhm der Kunst wird bereits in einer Verheißun~ im Inferno hergestellt: "Se tu segui tua stella, non puoi falire glorioso pono"; 0 sagt dem zukünftigen Dichter sein in die Hölle verdammter Lehrer voraus. "Disposto a salire alle stelle" - bereit, zu den Sternen aufZusteigen, so lautet der letzte Satz der zweiten cantica, des Purgatorio, in dem zum ersten und einzigen Mal in der Göttlichen Komödie der neue Dichter beim Namen genannt wird: Dante. Hier schreibt sich der Autor mit Emphase in seinen Text ein, ist er doch im Begriff, in dem folgenden Teil, dem Paradiso, das Meisterstück seiner Kunst abzulegen - die erste genuin christliche Dichtung, die keine literarischen Vorgänger mehr kennt. "L'aqua ch'io prendo giammai non si corse" 11 I verkündet der Text unzweideutig zu Anfang des Paradiso, und auffiilligerweise gibt es im Paradies nur einen einzigen Dichter, Folquet von Marseille, welcher zudem im Lauf seines lebens vom Troubadour zum Bischof und eifrigen Glaubenskämpfer mutiene. Die Divina Commedia wahn sorgsam ihr Privileg der Einziganigkeit. Auch ihr Verhälmis zur literarischen Tradition ist ganz von dem teleologischen Geschichtsbild des Christentums geprägt: In Hölle und Purgatorium wird mit den Vorgängern abgerechnet, die nicht über diese Reiche hinauskommen. Mit dem moralischen Maßstab, der in der Dreiteilung Hölle - Läuterungsberg - Himmel zum Ausdruck kommt, wird auch ein Uneil über die Kunst gesprochen. So wie die Ereignisse vor Christi Gebun die Erlösungsgeschichte nach dieser Zeitenwende präfigurieren, so präparieren die Autoren vor Dante das literarische Terrain für dessen Werk. Vor allem natürlich VergiI, der Dante buchstäblich vorausgeht - aber eben nur bis an die Schwelle des Paradieses. Der Durchgang durch die Tradition ist die Bedingung für den Aufstieg in nie erklommene Höhen der Poesie, so wie der Umweg durch die Hölle Bedingung ist, um zuletzt in den Himmel erhoben zu werden. Wenn sich die Commedia im drinen Teil selbstbewußt den Titel "poema sacro" (Par. XXV, 1) verleiht, ist dies eine Referenz an Vergils Aeneis, die Macrobius als sacrum poema bezeichnete. 1I2 Aber diese Titulierung fallt in einem Kontext, in dem die neue "heilige Dichtung" ihren literarischen Vorgänger mitsamt 110 "Folgst du nur deinem Sterne. so wirst du einen stolzen [bc:sscr: ruhmvollenl Hafen finden" (DC Inf. XV. 55 f.). 11) "Das Wasser. das mich rrägt. ward nie befahren" (DCPar. 11.7). 112 So Gmclin im Kommentarband zum Pa,aJiso- DiviNl CommrtÜ4. Bd.VI. S. 413
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seines Autors cprtssis vtrbis hinter sich gelassen hat. An dem Vergleichskriterium wird vielmehr die Diskrepanz der beiden Texte Divina CommtJia - Amns sichtbar und die Nähe der CommtJia zu einem anderen heiligen Text, der in demselben Gesang XXV in der Gestalt des Evangelisten Johannes begegnet: die Heilige Schrift. Inwieweit sich hier in die mittelalterliche Frömmigkeit ein frühhumanistischer Geniekult mischt, macht der Zusammenhang, in dem die Zuschreibung "poema sacro" fhllt, nur zu deutlich. Denn die Göttlicht KomöJit hat durchaus auch ein weltlich-diesseitiges Ziel, und dessen Zeichen ist der Dichterlorbeer, der im gleichen Gesang als "capello" begegnet (DC Par. XXV, 9) und wieder in dem signifikanten Kontext von Rückkehr und Taufe steht, wie bereits am Ende des Purgatorio. 1I3 Damit ist er nicht nur das Symbol des unsterblichen literarischen Ruhms, sondern auch mit einer subjektiven Bedeutung konnotien, die im XXV. Gesang des ParaJiso offengdegr wird: der Hoffnung auf Heimkehr. Mithilfe seines Werks hofft der Ich-Erzähler aus dem Exil in die Heimatstadt zurückkehren zu können. ll • Die Dichterkrönung am Taufbecken (DCPar. XXV, 7-9) - das ist das Ziel seiner Wünsche. So gibt es doch eine verlorene Heimat, die in diesem Epos gesucht wird. Aber die Divina CommtJia ist nicht die Erzählung einer Heimkehr, sondern die Erzählung, die die Heimkehr ermöglichen soll. In einem Umkehrschluß soll das Leben das wiederholen, was die Narration vorgibt: das glückliche Ende. Um dies zu leisten, bedarf die CommtJia aber einer außerliterarischen Referenz, eines allgemeingültigen Signifikats, das die Gleichwertigkeit von Text und Welt, von Leben und Literatur garantien und damit eine wechselweise Übenragung möglich macht. Dieses Signifikat ist Gott, der sich jenseits der allegorischen Zeichenebene von rts und vtrba in einem Jenseits befindet, in das die Fiktion in Gestalt der Erzählung einer Jenseitsreise vorzudringen behauptet. Es ist das unstillbare Begehren dieses literarischen Projekts, über die Zeichen hinter die Zeichen zu gelangen, und dies nur, um in eine andere Welt der Zeichen zurückzukehren - die diesseitige Welt der Dinge für den Erzähler, der don literarischen Erfolg und die Heimat sucht, die diesseitige Welt des Wones für den Protagonisten, der am Ende seiner Reise zum Erzähler dieser Reise werden muß. Damit dementien die Divina CommtJia aber zugleich die Endgültigkeit ihres göttlichen Sinngaranten - denn sie benutzt ihn auch als Mittel, um eine erneute Wiederholung zu rechtfenigen. Es ist die Strategie der Literatur, die in dem Moment, in dem sie ihre Strenge und Finalität einforden, mit der Lorbeergirlande, die sie um
113 Wenn dort der Pilger aus dem heiligen Wasser in das neue Leben (des Dichters) "zurückkehrt" - ..10 ritornai dalla santissima onda I [... ] I rinoveUate di novella fronda" (DC Pwg. XXXIII. 142/144) -. hofft hier der Erzähler auf die Rückkehr als Dichter an den Brunnen der Taufe ..ritornero pocta. ed in sul fonte I del mio battesmo prenderO il capdlo" (DCPar. XXV. 8 f.). 114 "Sc Mai continga che iI pocma sacro I [... ]1 vinca la crudelti che fuor mi scrra" [Wenn es dem heiligen Lied gdänge. [... ) die Grausamkeit zu überwinden. welche mich [... ) ausgetrieben] (DCPar. XXV. 1-4).
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das Haupt des Dichters windet, eine weitere Girlande der Rede in den Text einfügt. Ganz ähnlich geht der Text auch an seinem End- und Höhepunkt vor, der Wesensscbau Gottes im letzten Gesang der Commedia. Er greift auf ein Bild aus der Ameis (Ae VI, 74 f.) zurück, um das Ungenügen des menschlichen Verstands und seiner Erinnerung auszudrücken: die vom Wind zerstreuten Blätter der Weissagung der Sibylle (DC Par. XXXIII, 65 f.). Eben solche losen Blätter binden sich sieben Terzinen später in der Gottesschau zu einem Buch: "Nel suo profondo vidi che s'interna, I legato con amore in un volume, I cio che per l'universo si squaderna".115 Die Buchmetapher ist die eindeutige Selbstreferenz eines literarischen Unternehmens, das gerade versucht, "all das, was im Universum sich entfaltet" in einem Buch namens Divina Commedia zu binden. Die Metapher ist zugleich der Verweis auf eine neue Qualität, die dem Text in seiner Totalität zukommt. Das Buch steht für die Einheit, die mehr ist, als die bloße Summe seiner Blätter. Die göttliche Transzendenz ist in dem Bild des Buches repräsentiert - genau dort, wo das Gedicht sich anschickt, über sich hinaus zu gehen bzw. zu Ende zu gehen, weist es wieder auf sich zurück. Aber auf sich als abgeschlossenen Einheit, als fertiges Buch. Der Prozeß der Lektüre, den der Leser sich nun zu beenden anschickt, die einzelnen Blätter, die er sukzessive umgewendet hat, münden in die Metapher des Buches, in welcher der Sinn dieses Prozesses zusammenschießt. Insofern ist die Gottesschau weder Teil der Divina Commedia noch liegt sie jenseits des Textes - sie ist die gesamte Divina Commedia. Das Signifikat, auf das der Text abzielt, indem er die Grenze überschreitet, die es von den Signifikanten trennt, die Grenze par exce/Jmce, die das Jenseits vom Diesseits trennt - das Signifikat wird dadurch wiederum zum Signifikanten und seinem System der beständigen Substituierung und Verschiebung, wie es in Sprache und Schrift realisiert ist. Gott wird zur Metapher des Buches, das der Leser in den Händen hält und das später nicht zu Unrecht Die Göttliche Komödie genannt werden wird. 116 Aus eben diesem Grunde aber erschöpft sich der Text auch nicht in einer sinnstiftenden, finalen Offenbarung, in einem Bild, das ihn aufheben würde. Er wendet sich auf sich selbst zurück: auf den Text, der jedes Buch konstituiert und der in jeder Lektüre notwendig Prozeß ist. So gelingt ihm auf diesem Umweg das, was er sich explizit abspricht, die Repräsentation des Göttlichen. Wobei sich der Sinn dabei unversehens in eine Selbstbezüglichkeit der Zeichen gekehrt hat, wie sie die Literatur einfordert, die religiöse Doktrin aber verwirft. Noch in dem Moment, in dem der Text vorgeblich von seiner unfaßbaren Bedeutung überwältigt wird, bringt er einen letzten Vergleich an, mit dem er seinen Gegenstand zu umschreiben sucht, indem er ihn buchstäblich umkreist: "sl come rota ch'egualmente e mossa". 117 An seinem Ende 115 "In seiner Tiefe sah ich. daß zusammen in einem Band mit Liebe eingebunden alJ das. was sonst im Weltall sich entfaltet. (DC Par. XXXIII. 85-87) 116 Der Titel stammt nicht von Dante. sondern wurde der ursprünglichen Com1Mdüt etWa eine Generation später angehangen. 117 "So wie ein Rad in gleichender BcwcgungM (DC Par. XXXIII. 144). M
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wird es evident, daß das Gedicht sich nicht von sich selbst trennen kann, um zu einer reinen Bedeutung zu gerinnen. So wie, nebenbei bemerkt, das Leben die Erzählung nicht wiederholen wird, der literarische Ruhm dem historisch verbürgten Dante nicht die Heimkehr beschert hat. Aber das ist für die Wirksamkeit und den Erfolg der narrativen Strategien der Comm~dia nicht von Belang. Denn diese Strategien sind selbstgenerierend. Und sie sind es in diesem Text im radikalsten Sinne, insofern er nicht nur seine eigene Genese beschreibt, sondern die Genese der Fähigkeiten zu dieser Beschreibung. Der Protagonist unternimmt die Reise ins Jenseits, um darin zum Erzähler zu werden, d. h. um befähigt zu werden, die Reise zu schildern, die er allein um ihrer Schilderung willen unternimmt. Die Unterwelt- bzw. die Jenseitsreise ist in der Divina Comm~dia nicht nur Gegenstand, sie ist der Generator und das konstitutive Prinzip des Erzählens. So zeichnen sich in den drei Texten von Homer, Vergil und Dante trotz ihrer strukturellen und thematischen Ähnlichkeit unterschiedliche narrative Figuren ab. Sie sind das Ergebnis von Schwerpunktverlagerungen innerhalb des Kräftefeldes, das sich durch das Wechselspiel von aufschiebendem Wiederholungszwang und zielstrebiger Endorientierung konstituiert. Die grundlegende Idealfigur, als deren Variation sich die verschiedenen Formen von Odyss~~. Am~is und Divina Comm~dia begreifen lassen, ist der Zirkelschluß. Eine Bewegung, in der das Ende der Erzählung mit ihrem Ursprung, der Zeit vor ihrem Anfang. zusammenfällt. Diese Figur kennzeichnet auch das Grundmotiv • das allen drei Texten eigen ist: das Motiv der Reise als Heimkehr. lI ' Die Heimkehr ist offenkundig das organisierende Motiv in Odyssu und Am~is sowie. in einer spezifischen Ausprägung. wesentlicher Bestandteil der Divina Comm~dia. Doch die geschlossene Zirkularität dieser Idealfigur bedroht zugleich die narrative Dynamik, und jeder der drei Texte variiert auf eine andere Weise diese Figur: Die Odyss~~ organisiert ihren plot in einer spiralformigen Bewegung. die eine Fortsetzung der Erzählung bei gleichzeitig maximaler Geschlossenheit garantiert - Odysseus ist arn Ende heimgekehrt, aber seine letzte Reise. die Reise. an dessen Ende schließlich Heimat und Tod in eins fallen, bleibt unerzählt. Die A~is bricht dieses zyklische Kontinuum zugunsten zweier gegenläufiger Bewegungen. die, miteinander kurzgeschlossen, einen unendlichen Kreislauf produzieren: Aeneas' Begehren nach einer Rückkehr, die unmöglich ist. und die Forderung der Geschichte nach einem Fortschreiten. dessen Ziel jenseits des Begehrens und der Erzählung liegt. Die Divina Comm~dia wiederum kann den Zirkel schließen (in der Gottesschau). weil ihre Erzählung bereits unter dieser Voraussetzung anhebt. Zugleich aber ist sie als Erzählung immer nur die Wiederholung der Kreisbewegung, und sie ist gezwungen. zu wiederholen, denn ihr Autor will mit ihrer Hilfe 118 Wenn Brooks dies als den idealen plot bezeichnet (Brooks. JaaJ;ngfor th~ plot. S. 113). dann ist diese Idealform bereits weit mehr S"j~t denn ncit bzw. plot. Die Heimkehr ist die mythische Kreisfigur. als die sie auch Blurnenberg in diesem Zusammenhang sieht (vgl. hierzu S. 85 dieser Arbeit).
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einen anderen Zirkel schließen, der noch offen ist (und bleiben wird): den der Heimkehr im Leben. Auf diese Weise bringt in allen drei Texten die Spannung zwischen sinnstiftender Geschlossenheit und (potentieller) Unabsch1ießbarkeit eine erzählerische Bewegung hervor, welche sich nicht in der Erkenntnis der Struktur, nicht in einer geschlossenen Bedeutung erschöpft. Und alle drei Texte bedienen sich dabei eines spezifischen Szenarios und eines eigentümlichen Schauplatzes. um dieses Wechselspiel der Kräfte zu demonstrieren: der Reise in die Unterwelt. Hier wird explizit eine Finalität und Intention der Narration herausgearbeitet, um jedoch zugleich wieder vermieden und hinausgezögert zu werden. Im Kontext der katdhasis formulieren Odyssee, Ameis und Divina Commedia ihr narratives Programm. Die Unterwelt und die Reise in das Reich der Toten ist die "Explikation" des Punktes. von dem her sich das Erzählen als ein Begehren entfaltet, ein Begehren, das seiner herrischen Intentionalität zum Trotz nur als Explikation. in Form umschreibender Ausführungen und wiederholender Umwege. existiert.
HADES
KAPITEL IV REVISITED: DIE UNTERWELTREISE IM ULYSSES
Am 10. November 1922, neun Monate nach dem Erscheinen des Ulyssn,l schreibt Joyce an seine wichtigste Dubliner Informantin: Dear Aunt ]osephine: [... ] I gamer mat you have not finished it [den U(ysm]. [... ] Vou say mere is a lot of it you don't understand. I told you to read me Odyss~ Sm. ~ you have not done so I asked my publisher to send you an anicle which will throw a linie light on it. Tben buy at oncc me A.dvmturn o[ U/yssn (which is Homer's story told in simple English much abbreviated) by Charles Lamb. Vou can read it in a night and can buy it at Gill's or Browne and Nolan's for a couple of shillings. Then have a try at Ulysm again. 2
Wir wissen nicht, ob Joycc' Tante Josephine diese Leseanweisungen befolgt hat/ und noch viel weniger, ob sie den U/ysstS danach besser verstanden hat. Letzteres ist allerdings zu bezweifeln, und dies nicht etWa wegen der Leserin, sondern weil der Erklärungsgehalt der Odysst't-Parallelen doch deutlich geringer anzusetzen ist, als Joyce offenbar glaubte. Dennoch zeigt dieser Brief überdeutlich, wieviel Joyce daran lag, seinen Roman nicht nur als Nachfahren des großen Epos Odysstt in der Öffentlichkeit zu etablieren, sondern den Ulysst's auch direkt vor dieser Folie gelesen zu wissen. In diesem Zusammenhang kann es kaum überraschen, daß der U/ysstS auch den T 0pos aufgreift, der das Thema der vorliegenden Untersuchung darstellt, die U nterweltreise. Als "Obligatorium des epischen Helden" (Blumenberg) darf sie nicht fehlen in einem Text, der sich darin gefällt, möglichst viele offenbare wie sorgsam versteckte Anspielungen auf seinen großen literarischen Vorgänger unterzubringen. Noch viel weniger aber darf sie fehlen aufgrund ihrer zentralen Funktion für das p/otting der Odysstt, wie ich sie im vorhergehenden Kapitel dieser Arbeit aufgezeigt habe. Ein Blick in die berühmt-berüchtigten Schemata, die Joyce Gönnern und Freunden zur Auslegung des UlySSts an die Hand gab,· bestätigt auch sofort die Annahme: Das sechste Kapitel des UlySStS trägt im Linati-Schema den Titel Hatks und postuliert diverse Parallelen zur Odysstt auf Figurenebene. Der Fall scheint klar, und eine detaillerte Lektüre von UlySStS VI wird noch weit mehr Verweise 1 Ziticn mit Episodcn- und Zcilcnangabc nach der kritischcn Ausgabe: James Joyce, Ulyssn. cd. by Hans Waltcr Gablcr with Wolfhard Steppe and Claus Mdchior. Ncw YorklLondon: Garland. 1984 - forthin: U 2 Lmns O[Jllmel Joyc~. cditcd by Stuan Gilbcn, London: Fabcr & Fabcr, 1957, S. 193 3 Tatsächlich sicht es nicht so aw: Noch in seincm Wcihnachtsbricf insisticn Joyce auf seincr Empfcblung: .. but you ought to gct thc othcr book I suggestcd Lamb's AtJvnuum o[ Ulysmu. Ebd.• S. 198 4 Wicdcrgcgcbcn in Richard E11mann, Ulyssn 0" tIN Liff~. London: Fabcr & Fabcr, 1972
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auf das epische Motiv der Unterweltreise zu Tage fördern. Und dennoch ist die Analogie von homerscher ntkyia und joyceschem Hatks, die sich so entschieden und unmißverständlich präsentiert, bei genauer Betrachtung keineswegs mehr so unzweifelhaft und eindeutig. In der Zeit, bevor die Interpretations-Schemata Joyce' ofensichtlich kursierten, die Existenz der odysseeischen Parallelen aber sehr wohl schon bekannt war, hatte auch ein anderes Kapitel in dem Verdacht gestanden, die Entsprechung des Unterweltabenteuers des Odysseus abzugeben: das fünfzehnte Kapitel, das gemeinhin als das Circe-Kapitel firmiert. s Daß dieser "Imum« durchaus seine Berechtigung hat und vielleicht mehr zum Verständnis des UlySStS beiträgt als die von Joyce autorisierten Odysstt-Bezüge es tun - diese Annahme ist eine der Ausgangsthesen des vorliegenden Kapitels. Denn der spontane Eindruck beim Lesen von Circt sollte keineswegs vernachlässigt werden: Die Episode hat starke Affinität zu einem Abstieg in die Unterwelt, und diese Affinität mag enger sein als die des Kapitels, das sich Hatks nennt. Die Verbindung von Circt und Hadesfahrt hat sogar eine gewisse Grundlage in der Odysstt, wo die Circe-Episode chronologisch wie auch inhaltlich in unmittelbarem Zusammenhang mit der Unterweltreise steht: Es ist Circe, die Odysseus in die Unterwelt schickt und die bei seiner Rückkehr die Prophezeiungen des T eiresias überhaupt erst zu praktikablen Handlungsanweisungen erweitert (0 XII, 33-141).6 Bei Joyce allerdings ist weder Nachbarschaft und Reihenfolge der beiden Episoden noch ihr enger inhaltlicher Zusammenhang erhalten geblieben - wenn man davon absieht, daß Ulysm XV mit allem und jedem in diesem Buch zusammenhängt. Ciru ist von Hatks durch acht Kapitel getrennt, und nichts scheint dem fünfzehnten Kapitel ferner zu liegen als eine hilfreiche Deutung oder Leseanweisung. Zwischen den beiden Episoden liegen nicht nur 12 Stunden und der Großteil von Blooms und Stephens "Irrfahrt" durch Dublin, sondern vor allem Welten, was die Konventionen und Konzeptionen des Erzählens anbetrifft. Gerade aus diesem Grund aber scheint es vielversprechend, Circt wie auch Hatks als Versionen einer Unterweltreise zu lesen: Denn dadurch läßt sich der UlySStS, wenn nicht unbedingt inhaltlich, so doch strukturell zur Odysstt in Beziehung setzen - d. h. zu dem Erzählen und der Erzählstruktur, für die die Odysstt steht, dem epischen Erzählen. 7
5 Vgl. Smart Gilbc".JamrsJoyc~'s .U/yssn~ Ncw York: Random House. 1930. S. 320 6 Vgl. S. 96 dieser Arbeit. Michad Seidel erwähnt darüber hinaus. daß Victor Berard. der joycc' Homer-Rczcption nachdrücklich geprägt hat. die Figur der Circe mit den unterwdtlichen Gestalten Feronia und Proscrpina in Verbindung brachte. Michael Seidel. Epic G~ography -Jamrs Joyc~'s UIysm. Princeton (N. j.): Princeton U. P.• 1976. S. 216 7 Die Bemerkung Frcdric jamcsons: "it is not the mcaning of the Odyssry. which is cxploitcd here. but rather its spatial propcrties. The Odyssscy scrves as a mapu. gilt in dieser Hinsicht auch für die Topographie des Erzählens. die der U/yssn entwirft. Frcdric jamcson. MoJnnism anti Jmp~lism. in: NatWNlÜsm. CoIonÜlIism. anti Litn"atu". Terry Eagleton. Frcdric jamcson. Edward Said. introduction by Scamus Dcane. Minncapolis (Minn.): Univ. of Minncsota Press. 1990. S. 43-68. hier: S. 64
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Es war das Argument des vorhergehenden Kapitels, daß sowohl in der Odyssee als auch in der Ameis oder der Divina Commedia die Unterweltreise einen Schlüssel bietet, um den Erzählprozeß und dessen Organisation zu verstehen. Die Hadesfahrt erfüllt eine wichtige narrative Funktion: Mithilfe dieses Topos wird die Dynamik des Erzählens durchgespielt, hier werden die Kräfte. die die Narration konstituieren, benannt und auch auf inhaltlicher Ebene lokalisiert. Die U nterwelt, wie sie in HlUks und Circe begegnet, ist deshalb der geeignete Ort. um Aufschluß über die narrativen Konstruktionen des Ulysses zu suchen. Auch Joyce, so meine These, greift bei seiner bricol4ge mit epischen Versatzstücken gezielt auf den literarischen Topos zurück, an dem epische Texte seit der Odyssee ihr narratives Programm explizieren. Indem er ihn "verdoppelt", wendet der Ulysses das Prinzip einer produktiven Entstellung, das bereits sein Titel verheißt,8 nicht nur auf die erzählerische Tradition sondern auch auf sich selbst an. In der Gegenüberstellung der beiden Episoden wird sein erzählerisches Programm Gestalt annehmen - aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet und beide Male nur als Negativ sichtbar: Zum einen wird in Form einer Erzählung ausgeführt, wie nicht mehr erzählt werden kann, zum anderen in Gestalt einer "Nicht-Erzählung" die Bedingungen der Möglichkeit des Erzählens offengelegt. Betrachten wir zunächst die erste Variation des Themas im Ulysses, welche sich. getreu dem Romantitel, als Travestie der Tradition geriert: Kapitel VI, Hades.
Auch Michael Seidel geht es in seiner Untersuchung der epischen Geographie von Odyss« und Uly,m vor allem um eine Topographie der Narration: ein episches Muster, das in der Projektion des UIySSts auf die Topographie der Odyss« - bzw. des Odysstt nach Victor Berards Ln Phmic~ns tt l'Odysslt- sichtbar wird. Vgl. Seidel, Ep;c Gtography 8 Ulyssn als die Anglisierung der lateinischen Form des griechischen Heldennamens
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"That's a fine old custom [... ]. I am glad to see it has not died out", bemerkt Simon Dedalus zu Beginn des Kapitels (U 6.36). Er meint damit die Gepflogenheit, einen Leichenzug quer durch das Zentrum Dublins zu leiten. Doch läßt sich diese Äußerung ebenso auf das übertragene Thema des Hades-Kapitels beziehen: Die Unterweltreise als "fine old custom" des epischen Erzählens kommt auch im modernen Epos des Ulyss~s zu ihrem Recht.
Odysseus - Aeneas - Bloom Hams befleißigt sich dabei ganz der Standardformeln und -figuren, wie sie aus der epischen Tradition bekannt sind. Wie bereits erwähnt, beruht der gebräuchliche Titel dieses wie auch der anderen Kapitel des Ulyss~s auf den Angaben des Linati-Schemas bzw. Gormann-Gilbert-Plans. Die Beerdigung Paddy Dignams, von der die sechste Episode handelt, wird also ausdrücklich als eine n~kyia in Entsprechung zu derjenigen der Odyss~t charakterisiert. Die homerische Analogie wird durch den Figurenkatalog noch bestärkt: Die Rollen, die die Dubliner Protagonisten in dieser Episode übernehmen, sind die der Gestalten, denen Odysseus in der Unterwelt begegnet. Das Linati-Schema listet einen Guneil des Personals der homerischen ~kyÜl auf, u. a. Elpenor, T eiresias, Ajax sowie einschlägige mythologische Unterweltsgestalten wie Cerberus, Hades und Persephone. Im Gorman-Gilbert-Plan sind einige dieser Analogien ausgeführt - so wird der Priester Father Coffey mit Cerberus gleichgesetzt, der Friedhofswäner John O'Connell mit Hades, der zu Grabe getragene Paddy Dignam mit Elpenor, Manin Cunninham in seinem ewigen Ehe-Unglück ist Sisyphos, John Henry Menton mit seinem eifersüchtigen Haß auf Bloom Ajax. Auf dem Weg des Leichenzugs durch Dublin werden vier Wasserläufe überquert, die den vier Flüssen der Unterwelt (Styx, Acheron, Cocytus, Pyriphlegeton) entsprechen, wie der GilbertPlan ebenfalls verrät. Das beschränkt sich nicht nur auf Anleihen aus der Odyssu sondern gilt auch für andere einschlägige Unterweltreisen, vor allem die der Am~is. Ist man einmal auf die Fährte dieser intertexruellen Parallelen gesetzt, so finden sich unzählige Verweise in der Episode. Das beginnt mit der Numerierung des Kapitels als Ulyss~s VI - kaum ein Zufall, daß bei Vergil der Held eben in Buch VI in den Orkus absteigt. Korrespondenzen mit A~is VI setzen sich innerhalb der Episode fort: J ust als sich der erste Blick in die Tiefe des Untergrunds eröffnet - "passing me open drains and mounds of rippedup roadway" (U 6.45 f.) - wird eine Gestalt aus der Amm beschworen: "Was mat Mulligan cad with him? His fidus
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Achat~s!"
(U 6.49) fragt Dedalus senior, selbst wiederum mit seinem Namen, Dädalus, eine Figur herbeizitierend, die zu Beginn von Amm VI ausführliche Erwähnung findet. 9 Im Unterschied zur A~is allerdings besitzt der in Frage stehende fidus Achat~s Mulligan keineswegs die sprichwörtliche Treue seines Rollenvorbilds - im Rahmen eines anderen Unterweltabstiegs im Ulyss~s wird sich dies endgültig beweisen,lo bereits in HtUks glänzt der vermeintliche Gefähne Stephens durch Abwesenheit: "No, Mr Bloom said. He was alone." (U 6.50) Nichtsdestotrotz ist laut Vater Dedalus Mulligan in der Figur des fUlus Achaus an einem Abstieg wesentlich beteiligt: dem moralischen und sozialen "Abstieg" seines Sohns zu "mat lowdown crowd" (U 6.63). In Hatks jedoch reist ein ganz anderer Held in der Rolle von Aeneas und Odysseus in die Unterwelt: Leopold Bloom. "The omer world", durch einen lapsus im vorhergehenden Kapitel (U 6.245) angekündigt, rückt ihm in Ulyss~s VI unangenehm nahe. Bloom als Teilnehmer der TrauergeseIlschaft gibt dem verstorbenen Paddy Dignam das letzte Geleit bis zu dem Eingang in die Unterwelt, durch den früher oder später alle absteigen: "Then they follow: dropping into a hole, one after the other." (U6.855 f.) Doch beschränkt sich die Rolle des Protagonisten nicht auf die bloße Begleitung. Auch ihm bleibt offenbar bei diesem Anlaß ein Abstecher in die "andere Welt" nicht erspan. Der Prospect Cemetery selbst ist in den Augen Blooms bereits das jenseitige Gefilde, das es schleunigst zu verlassen gilt, scheint hier doch jeder Besucher auf seine Tauglichkeit für's Jenseits abgeschätzt zu werden: "Weighing them up perhaps to see which will go next." (U 6.842 f.) Am Ende des Kapitels, als er dem Ausgang zustrebt, sinnien er deshalb voller Erleichterung: "Back to the world again. Enough of this place. Brings you a bit nearer every time." (U 6.996) Doch nicht erst Prospect Cementery ist mit den Charakteristika des Totenreichs ausgestanet. Schon auf dem Weg des Leichenzugs zum Friedhof begegnen Bloom und dem Leser mehr Tote als Lebende. Nicht nur in der Erinnerung an "linIe Rudy", "poor Papa", "old Mrs Riordan" , "poor Athos", Thornas Childs, Mary Dedalus und "poor Mamma" werden die Toten heraufbeschworen. Auch die sieben Denkmäler, die der Trauerzug passien, lassen die Figuren der Vergangenheit in Stein und Bronze auferstehen: Bloom begegnet hier den Helden der irisch-englischen Geschichte, so wie Odysseus und Aenas den antiken Helden in der Unterwelt begegnen. Auf die entsprechenden Heldenkataloge dieser Epen spielt auch eine weitere Reihung der Toten in Hatks an: die Liste der Verstorbenen, deren Beerdigungsanzeigen Bloom in der Zeitung studien - "scanning the 9 Dädalus wird hier als der Erbauer nicht nur des kretischen Labyrinths sondern auch des labyrinthischen Tempels des ApoUo gcschilden. auf dessen Toren er den Mythos des Minotaurw und das tragische Schicksal seines Sohns darstdlt. At' VI. 14-33 10 MuUigan wird Stephen beim nächtlichen Heimweg an der Wescland Row Station abhängen. um mit Haines alleine den letzten Zug nach Sandycove zu nehmen. woraufhin Stephen mit seinem ebenfalls unueuen Begleiter Lynch und dem besorgten 8100m auf den Fersen seinen "AbstiegM in die Unterwdt des Rocllichtbczirks anuin. 8100m jedoch wird sich nach diesem Jncmnu als der wahrefoJus AchilkS erweisen (U 16.55).
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deaths: Callan, Coleman, Dignam, Fawcett, Lowry, Naumann, Peake, what Peake is mat? is it me chap was in Crosbie and Alleyne's? no, Sexton, U rbright. Inked characters fast fading on me frayed breaking paper." (U 6.157-160) - "characters fadin~" wie die bleichen, leblosen Schatten in der Unterwelt von Amm und Odyss~~. Selbst die Lebenden werden in diesem Kapitel zu den Gespenstern der Toten: Ein Landstreicher, der am Straßenrand sitzt, erhält den Kommentar: "After life's journey" (U 6.464), obwohl der arme Kerl seine Lebensreise noch gar nicht hinter sich hat, und der Flößer auf dem Royal Canal verwandelt sich unter der Hand in den verstorbenen Vorsitzenden der Grand Canal Company:12 "James M'Cann's hobby to row me o'er the ferry."(U6.447 f.) Daß es sich bei letzterer Gestalt um eine wahre Charon-Figur handelt, die weniger ans andere Ufer als ins Jenseits übersetzt, enmüllt die folgende Assoziationskette, die mit "Cheaper transit" beginnt und mit"To heaven by water" endet (U 6.448-9). Bloom aber reist nicht per Schiff in den Himmel sondern mit der Kutsche in den Hades. Und wie dem schwarzen Schiff des Odysseus reist auch dem schwarzen Beerdigungszug der Tote voran. Wenn Odysseus im Hades angekommen voll Erstaunen zu dem Schatten Elpenors bemerkt: "Schneller kamst du zu Fuß als ich mit dem schwarzen Fahrzeug" (0 XI, 68), so geht Bloom, während er dem Sarg folgt, der Gedanke durch den Kopf: "Got here before us, dead as he is." (U6.510) Bereits sein Tod weist Dignam als Nachfolger des unglücklichen Elpenor aus: Wenn Elpenor betrunken in den Tod gestürzt ist, so ist Paddy Dignam am Suff gestorben, um dann - wenn auch nur in Blooms Vorstellung vom offenen Leichenwagen gestürzt zu werden. Dignams Fall gestaltet sich als groteske Ausschmückung des makabren Todessturzes, den Homer in der Odyss~~ skizziert: Il "Born! Upset. A coffin bumped out on me road. Burst open. Paddy Dignam shot out and rolling over stiff in me dust in a brown habit too large for hirn. Red Face: grey now. Moum fallen open. Asking what's up now." (U 6.421423) Den drastischen Todesfall der Odyss~~ hat dagegen die Am~is durch eine pametische Version ersetzt: Ihre Schwellenfigur Palinurus findet den Tod nicht unrühmlich im Wein, sondern heldenhaft im Meer. Auch das hinterläßt in HtUks seine Spuren. Keineswegs wird hier nur im Alkohol ertränkt - obwohl das in Joyce' Dublin ein wichtiger Bestandteil von Todesfällen ist, ob als seine Ursache
1 I Sogar in dem Schlachtvieh. das den Trauerzug kreuzt (6.385-389). vervielfältigen sich die Opfertiere. die Odyssew den Chthonischen darbringt: "canIe" und "sheep". 12 Don GiffordlRoben J. Seidman. Ulyssn AnnoIllUa. Notn for Jamn Joyu's .UIyss~·. 2nd edition rcvised and enlarged. Bcrkeley (CA) u. a.: University ofCalifornia Press. 1988. S. 114 13 .Der nun trank zuviel Wein und legte im heiligen Hawe Kirkcs hin sich zum Schlaf [... ). Beim Getöse und Lärm der Geflihnen stürmte er plötzlich auf und sein Denken ließ ihn vergessen, erst noch lang auf die Stiege zu gehen um herunterzwteigen. Ihr gegenüber fiel er vom Dach. die Wirbel im Nacken brachen entzWei; seine Seele doch ging hinunter zum Hades." - 0 X. 554561
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oder seine Folge. 14 UIySS~S VI kommt jedoch mehrfach auf den Tod des Enrinkens zurück. Wie der Steuermann Palinurus in Am~is V im Meer versinkt, um in der Unterwelt in Buch VI zu erscheinen, taucht in Formulierungen und verschiedenen Figuren von Ulyss~s VI die Gestalt des enrunkenen Seemanns aus Kapitel III wieder auf: Der Sohn Reuben J.'s enränkt sich beinahe in der Liffey (U 6.278-284) und macht damit seinem Familiennamen "Dodd" (Tod) alle Ehre,ls die enrunkene Ophelia wird herbeizitien - "Found in the riverbed, clutching rushes" (U 6.348) -, und Blooms Erwägung "Drowning they say is the pleasantest" (U 6.988) ist ein Echo von Stephens "Seadeath, mildest of all death known to men" (U3.482) in Protms. Je näher die Trauergesellschaft dem Prospect Cemetery kommt, desto düsterer und verlassener wird die Szenerie: Auf dem Gelände des Steinmetzes erscheinen die Grabstelen als stumme weiße Gestalten, in Trauer versunken (U 6.459-461) - ganz wie die substanzlosen, stillen Schatten, die in Odyss~~ und Amm die Unterwelt bevölkern. Die Gänen reihen sich als düstere Gefilde am Wegesrand (U 6.467), und das "Mörderhaus" der Brüder Childs dient nur höllischen Assoziationen: "Whole place gone to hell." (U 6.477) Der Friedhof selbst - "holy fields" (U 6.765) des Elysiums ebenso wie "dismal fields" (U 6.877) des Tanarus - wird als klassische Hadeslandschaft entworfen: "Dark poplars, rare white forms. Forms more frequent, white shapes thronged amid the trees, white forms and fragments streaming by mutely, sustaining vain gestures on the air." (U6.486489) Noch die Gerstenkuchen, die vor dem Tor verkauft werden, sind ein Motiv aus dem Kontext der Unterweltsfahn: ebenso Opfergaben an die Unterirdischen - "cakes for the dead" -, wie Wegzoll für Cerberus - "dogbiscuits" (U 6.501). Jenseits des Tores werden dann die antiken Helden, die Odysseus in der Unterwelt begegnen, in Gestalt der irischen Nationalhelden heraufbeschworen: Daniel O'Conneli als potenter Hercules ("big giant in the dark" - U 6.752), Charles Sruan Parnell, "the chief" (U 6.919), als Agamemnon. 16 Die Totengräber hingegen haben die Statistenrolle: Sie sind das Heer der Waffenhelden in der Unterwelt, wie die Amm sie beschreibt - "videre virum fulgentiaque arma per umbras":17 "One leaving his mates, walked slowly on with shouldered weapon, its blade blueglancing." (U 6.912) Prospect Cemetery ist aber nicht nur von Toten sondern auch von den Geschöpfen der Unterwelt bevölken: Als "leanjawed harpy" (U6.517) kommt
14 "Dunphy's corner. Mourning coaches drawn up, drowning meir grief. [... ] Tiptop position for a pub. (U 6.428 f.) 15 Daß der Familienname "Dodd in dem Kapitel selbst nicht fallt, unterstreidu nur die Verwandtschaft zum Tod: Bereits die Griechen vermieden es. den Herrscher der Unterwelt und der Toten bei seinem eigentlichen Namen zu nennen. 16 Wie Agamemnon wurde ihm eine untreue Frau zum Verhängnis. wie an anderer Stelle des Ulyssts nahcgdcgt wird (U2.390 und 12.1163). 17 k VI 490. Die blitzenden Waffen begegnen mehrfach in Buch VI der Anuis. 50 in 826, 855 und 861. K
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Bloom gleich beim Eintritt eine trauernde Frau entgegen,18 und Father Coffcy mit dem Namen wie ein Sarg, dem Bauch und den Augen einer Kröte, der krächzenden Stimme einer Krähe, bulliger Schnauze, dem Wanst eines Schafs oder eines vergifteten Köters (U 6.595-605) ist ein wahrhaftes Höllentier - Cerberus eben, der Wächter am Tor der Unterwelt "waiting for ehe nen please" (U 6.605). Wen wunden es noch, daß unter diesen höllischen Umständen"an infernallot of bad gas round ehe place" sein muß (U6.607) - eine weitere Reminiszenz an Vergil, der dem Averner See giftige Dämpfe andichtet (At' VI, 213-15). Der Friedhofswäner John O'Connell gibt dazu den Hades - "Quiedy, sure of his ground, he traversed ehe dis mal fields" (U 6.876) -, einen mächtigen Herrscher im Reich der Toten: "All want to be on good terms wieh him. [... ] Keys: [... ] no fear of anyone gening out. No passout checks." (U6.739-74I) Pass-out cht'cks muß zu seiner Erleichterung auch der Held nicht erdulden, als er zuletzt durch das "glänzende Tor" (vgl. At' VI, 895) aus der Unterwelt endassen wird: "The gates glimmered in front: still open. Back to ehe world again." (U 6.995) Doch trotz dieser zahlreichen Analogien und Anspielungen im Detail weicht Htuks im entscheidenden Punkt von den epischen katdbasris, die ihm Modell stehen, ab: Für den Protagonisten Bloom ist die Stippvisite in die andere Welt ebenso unergiebig, wie sie für den Roman letzdich unerheblich ist. Ganz anders bei den klassischen Vorgängern: Sowohl in der Odysst'e wie der Amris und der Divina Commedia erhalten die Protagonisten in der Unterwelt wesendiche Informationen und folgenreiche Erkenntnisse, die für ihr Handeln und den weiteren Verlauf de.4i Textes zentral sind: Im Rahmen der nekyia wird das Ziel formulien, das das Ende der Reise und des Tates, der von ihr erzählt, bedeutet. Und in diesem Ziel sollen Tod und Erfüllung des Begehrens, Ende und abschliessende Sinnstiftung in eins fallen. Genau diese Funktion der epischen Unterweltepisode zitien Joyce herbei, wenn er im Linati-Schema als Bedeutung des Kapitels Hades "discesa nel nulla", Abstieg ins Nichts, angibt. Aber diese bedeutungsschwangere Kurzformel wird aufgerufen, um zu dementieren. Die metaphysische Floskel verbrämt nur in wahrhaft bloomschen Stil das banale Ergebnis dieses descmsus: Er fühn schlichtweg zu nichts. Wenn Odysseus im Totenreich seine Heimkehr vorhergesagt wird, Aeneis seinen geschichdichen Auftrag erhält und Dante die Offenbarung Gottes erfähn, so kehn Leopold Bloom mit nichts als trüben Gedanken vom Prospect Cemetery zurück. Was der ;oycesche Protagonist auf seiner Unterweltreise von den Toten erfahn, beschränkt sich auf Gemeinplätze auf den Grabsteinen: "Faithful departed. As you are now so once were we." (U6.960) Noch die "frohe Botschaft", die er in diesem Rahmen empfangen soll, entpuppt sich statt als Offenbarung als Floskel:
18 Wie auch in der Amns im Vorhof der Unterwdt die Schrcckgestalten der Mythologie hausen: Harpyien. Furien. Gorgonen. Drachen. At VI. 273-289
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- In paraJisum. Said he was going to paradise or is in paradise. Says mat over everybody. Tiresome kind of a job. But he has to say someming. (U 6.628-630)
Was für Dante das Ziel aller Ziele war, das Paradies, klingt für Bloom nur wie eine professionelle Werbestrategie - "the other firm" (U 6.984) sind die Protestanten im Gegensatz zu den Katholiken, und die Reise der Seele ins Jenseits wird zu einem "nice change of air" (U 6.858) - sozusagen ein Tapetenwechsel.
Totengespräche Vergebens versucht der Held, es seinen Vorgängern in der Unterwelt gleichzutun und die Toten zum Sprechen zu erwecken. Doch bereits die Frage "Who lives there?" ist an diesem Ort definitiv die falsche Eröffnungsformel für ein Gespräch. Die enttäuschende Antwort in HtUks lautet: "Are laid the remains of Robert Emery" (U6.977). Denn was von den Toten in dieser "anderen Welt" des Friedhofs bleibt, das sind buchstäblich die "remains", die materiellen Überreste: Als "saltwhite crumbling mush of corpse" (U 6.994), "meat gone bad" (6.982), "corpsemanure, bones, flesh, nails" (6.776) suchen sie den Helden auf seinem Hadesgang heim, "turning green and pink decomposing [... ), black treacle oozing out of them" (6.777-779). Die Toten erscheinen vor Blooms innerem Auge nur als Leichname, die aus ihren Särgen kollern, "asking what's up now" (6.423), oder aus der Erde wachsen (6.765). Noch im besten aller Fälle, der Auferstehung am J üngsten Tag, ist nach der Doktrin des Katholiszismus und der Logik des joyceschen Protagonisten nicht viel anderes zu erwarten als "every fellow mousing around for bis liver and bis lights and the rest ofhis traps" (U 6.679). Selbst die Erinnerung beschwört die Verstorbenen nur in Gestalt unverbundener Einzeleindrücke herauf, als "eyes, walk, voice" (U6.962). Hatks ist nicht von geisterhaften Schatten bevölkert, sondern von isolierten Leichenteilen. Wenn aber in diesem Kapitel die Toten nur zerlegt in Partialobjekte erscheinen, dann sind die angemessenen Formen ihrer Beschwörung die neuen Medien, die die Sinneseindrücke und die ihnen zugehörigen Einzelaspekte des Körpers isolieren. Dank ihnen sind den klassischen Partialobjekten Brust, Mund und Kot laut Lacan zwei weitere hinzuzufügen: die Stimme und der Blick. 19 Und gerade die sucht Bloom in Hades heraufzubeschwören ("eyes, walk, voice"), mithilfe technischer Medien: "Gramophone. [... ) Remind you of the voice like the photograph reminds you of the face. Otherwise you couldn't remember the face after fifteen years, say." (U 6.963-968)20 19 Jacques Lacan. u SlmiNlirt Xl - Ln ifU'ltrn C01JCqJts flruJammtllux tk '" psychll1Uliyst. tcne etabli par Jacques Alain MiUer. Paris: Editions du Sem). 1973. 177 f. 20 Michael Bell verweist darauf. daß das Grammophon des frühen 20. Jahrhundens in seinem gravitätischen und reich verzierten Design einem Sakrophag gleicht. Vgl. dcrs .• Limaturt, MotkmUm. aM Myth. &litfaM Rnponsibility in tht Twmtinh Cmtury. Cambridge: Cambridge U. P.• 1997.5.75
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Das Ergebnis solch medialer Totenbeschwörung ist allerdings wiederum keine Erweckung der Geister, sondern kippt in nackte Materialität: Well, the voice, yes: gramophone. Have a gramophone in every grave or keep it in the howe. After dinner on Sunday. Put on poor old greatgrandfather. Kraahraark! HeUohelloheUo amawfullyglad kraark awfullygladaseeagain helloheUo amawf krpthsth. (U 6.962-966)
Statt "poor old greatgrandfather" erscheint vielmehr purer Klang: eine isolierte Stimme, mit der akustischen Materialität von Plattenknacken und verzerrtem Gejaule angereichen. Das technisch Reale, das unanikuliene Laut- und Geräuschmaterial, tritt an die Stelle des Symbolischen (der "Stimme" der Schrift), und statt in einer symbolischen Ordnung die Identität des Imaginären (der Vater des Vaters des Vaters - greatgrandfather) zu bezeichnen, wird auf der Schallplatte das "weiße Rauschen des Realen", wie Kimer es nennt, aufgezeichnet. Weniger spricht hier Urgroßvaters Geist, als daß ein akustisches Ereignis stattfindet, in dem der Apparat wie der Kehlkopf eines alten Mannes klingt - wenn er denn nicht nur technisches Rauschen und Knacken von sich gibt. Die Intention des Sprechers aber wird von der Übermacht des Materiellen neutralisien: "Das Grammophon entleen die Wöner, indem es ihr Imaginäres (Signifikate) auf ihr Reales (Stimmphysiologie) hin unterläuft.""21 Festgehalten wird eine sterbliche Stimme statt eines ewigen Gedankens. Tieferen Sinn oder Bedeutung kann man Urgroßvaters Grammophonbeitrag in HtUks wahrhaftig nicht zusprechen: Die "Botschaft aus dem Jenseits", die diese Stimme aus dem Grab zu übermitteln hat, ist nicht nur denkbar trivial, sondern zudem noch hochgradig absurd - völlig gleichgültig gegenüber seiner eigenen medialen Beschaffenheit verkündet das Grammophon: "Schön, Euch zu sehen". Gerade aufgrund dieser Sinnentleenheit und der rein materiellen Präsenz scheinen die technischen Medien jedoch am ehesten geeignet, um mit der U nterwelt zu verbinden, wie sie Bloom in diesem Kapitel besucht: eine Unterwelt, in der die gebrochenen Herzen nur noch rostige Pumpen sind (U 6.677) und ein beleibter Epikuräer sich in hochwenigen Dünger für den botanischen Gatten verwandelt (U6.770-773). Es handelt sich nicht um eine Kommunikation "über das Grab hinaus", sondern um eine mit dem Grab als einem On der Körper und ihres Verfalls. So wie Urgroßvater auf der Grammophonaufnahme akustisch zerf'ällt, tut er dies körperlich unter der Erde. Die brutal profane Materialität dieses "Jenseits" zeigt sich aber auch ohne technische Vermittlung - und zunächst wiederum akustisch: "Rtststr! A rattle of pebbles. Wait. Stop!" (U 6.970) Blooms Reflexionen über technische Formen des Angedenkens werden so unterbrochen von der leiblichen Präsenz eines Bewohners des Untergrunds: "He looked down intendly into a stonecrypt. Some animal. Wait. There he goes. An obese grey rat toddled along the side of the crypt,
21 Friedrich Kittler. Aufichmbnysttm~ 1800 /1900. München: Wilhdm Fink. 1985. S. 252
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moving the pebbles. An old stager: greatgrandfather: he knows the ropes." (U6.971-974) Urgroßvater Ratte kennt die Schleichwege zu einem anderen Urgroßvater, den Bloom eben noch grammophonverstärkt verlebendigen wollte. Eine Verlebendigung, die zum Scheitern veruneilt ist, ebenso wegen der subversiven Effekte des technischen Mediums wie auch wegen der technisch unverstärkten "underground communication" der Ratten,22 deren Effekt gleichermaßen "Zersetzung" ist: "Pick the bones clean no matter who it was. [... ] Wonder does the news go about whenever a fresh one is let down. Underground communications. We leamed that from them." (U6.980-991) Die Untergrund-Kommunikation, die Bloom interessien, ist aber nicht die subversive nach dem Vorbild der Ratten. Er selbst hat bereits vor dieser Begegnung eine andere Kommunikationsform in und mit dem Untergrund erwogen: "They ought to have [... ] a telephone in the coffin" (U 6.866-868) - eine weitere mediale Erschließung der Unterwelt, die allerdings weniger der Verständigung mit dem Jenseits als einer buchstäblichen Verlebendigung des Totenreichs dienen soll: And if he was alive all ehe time? Whew! Sy jingo, ehat would be awful! No, no: he is dead, of course. Of course he is dead. Monday he died. They ought to have some law (0 pierce ehe hean and make sure or an electric dock or a telephone in ehe cofEin and some kind of canvas airhole. (U6.865-869)
Das Telefon, um zur Sicherheit im Sarg anzurufen oder um ein Lebenszeichen aus dem Grab zu geben. Fraglich bleibt nur, ob am anderen Ende der Leitung, entweder im Sarg oder in den "dismal fields" des Prospect Cemetery, jemand den Hörer abnimmt. So könnte sich die "Live" -Schaltung des Telefons zuletzt doch in eine "tote" Verbindung wandeln - wobei in diesem Fall nicht die Leitung tot wäre, sondern der Teilnehmer an ihrem Ende. Das Telefon würde hiermit die Verbindung mit dem Toten, die für seine Erfindung und frühe Entwicklung bestimmend war, wiederherstellen: Kittler verweist darauf. daß bei dem ersten Telefonmodell von Bell & Clark die technischen Teile mit Leichenteilen verbunden wurden - einem menschlichen Mittelohr als Hörer und Empf'anger. "Wo immer Telefone klingeln, haust seitdem ein Gespenst in der Muschel."23 Aber in Hatks verbindet sich nicht nur im Telefon die Technik mit dem toten Körper, das Telefon stellt vielmehr qua Technik die Verbindung mit dem Toten her. Nur hat dieser Tote nichts zu sagen - er ist eben nur toter Körper und gerade nicht Gespenst oder "Geist". Deshalb kann auch die telefonische Verbindung in die Unterwelt nicht mehr übermitteln als der Abstieg selbst laut Joyce verheißt: "nothing".
22 Die Verbindung von Tier und Technik in der Unterwelt wird sich nochmals in Cirrt zeigen (siehe S. 160 f.). 23 Fricdrich Kitder. Grllmmophon. Film. Typtwritn. Berlin: Brinkmann und Bohsc. 1986. S. 117. Abbildung S. 130
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Daß das Telefon einen direkten Draht zum Orkus aufrecht erhält, zeigt sich aber auch an anderer Stelle im Ulysses. Denn per Telefon soll Bloom zur Hölle geschickt werden: - Hello? Evm;ng Ttkgraph here. Hello? ... Who's mere? ... Yes ... Yes ... Yes. [... ] The professor came to me inner door. - Bloorn is at me telephone, he said. - Tell hirn to go to hell, me editor said prompdy. (U7.665-672)
Das ist aber genau der On, von dem Bloom vor kurzem erst zurückgekehrt ist Hades geht dem Aeolus-Kapitel, in dem der Chefredakteur seinen Anzeigenakquisiteur wieder zur Hölle schicken will, unmittelbar voraus. Und Bloom, der in diesem Kapitel selbst bereits eifrig das Telefon benutzt hat, um mit unhörbaren "distant voices" am anderen Ende der Leitung zu kommunizieren, ist nun selbst unhörbar dort an ihrem anderen Ende, von wo er offensichtlich erst wieder zurückkommen muß, um zur Hölle gehen zu können: "Hello? Are you mere? Yes, he's here still. Come across yourself" (U7.692) wird ihm anstelle des Wegweisers Richtung Hölle mitgeteilt. Erst viel später wird Bloom die telefonische Botschaft, die ihn in ihrem wahren Wortlaut nie erreicht hat. befolgen: In Circe steigt er tatsächlich in die Hölle. und nicht zufällig wird er sich hier eben dieses Telefongesprächs entsinnen - wenn auch wiederum in einem anderem Wortlaut: (Myks Crawford [... ] holds w;th tht oth" hatui a ttkphont rtet;v" nozzlt to his tar.) MYLES CRAWFORD
(his coclt's wattks wagging) Hello. seventyseven eightfour. Hello. Frmnan's Urinal and Wttltly Arstw;pt here. Paralyse Europe. You which? Bluebags? Who writes? Is it Bloom? (U 15.81 0-813)
Nie hört man die Stimme am anderen Ende der Leitung. Das tote Ohr, mit dem das Telefon überträgt. scheint die lebendigen Stimmen der telefonischen LiveÜbenragung zu schlucken. Auf "Lebenszeichen" aus dem Telefon. wie sie Blooms Überlegungen in Hades in Aussicht stellen. wartet der Leser vergeblich. Und bezeichnenderweise kann in Aeolus ebensowenig wie in Hatks eine direkte Verbindung zu dem gesuchten Gesprächspartner hergestellt werden: Weder mit dem Chefredakteur noch mit Alexander Keyes spricht Bloom am Telefon persönlich. Auch dieses Medium scheint. wie das Grammophon. entgegen den Intentionen seines Benutzers zu funktionieren: Es bringt immer eine andere Stimme zu Gehör als die erwartete.
Other wor(l)d Neben den neuen Medien ist jedoch in Hades auch das alte Medium präsent: Die Schrift begegnet Bloom bei seinem Gang über den Friedhof auf Schritt und Tritt in Form der Grabinschriften. Allerdings ist, trotz aller Entzifferungsbemühungen. auch dieses Medium nicht dazu angetan. die Toten zum Sprechen zu bringen.
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5tattdessen legt es ihnen Wone unter, die eine grundlegende Differenz verschweigen: "Near death's door. Who passed away. Who depaned this life. As if they did it of their own accord. Got the shove, alI of them. Who kicked the bucket." (U 6.935-937) Aber was, ob in Bild, Ton oder Schrift, soll auch aus einer Welt kommen, in der statt Geistern nur leblose Körper, unverwüsdiche Biomasse und "a devil of a lot of maggots" (U6.783) wesen? Auf die Frage "Who lives there?" kann die Antwon eben nur in der Vergangenheitsform gegeben werden: "More interesting if they told you what they were. 50 and so, wheelwright. I travelled for cork lino. I paid five shillings in the pound. Or a woman with her saucepan. I cooked good Irish stew." (U 6.937-940) Interessant sind nur die Geschichten vom Leben - ,to teil you what they were' - die Toten haben keine Geschichten. Auch in der Odyss~~ ist der Stoff des Erzählens allein das Leben, und die Geschichten gehören allein den Lebenden.24 Noch die Grabinschriften müßten vom Leben handeln im Ulyss~s ist es vor allem die Schrift, die den Lebenden und ihrer Geschichte vorbehalten ist, und dies nicht nur als ein Medium, das über den Tod hinaus verewigt, sondern auch als ein "lebendiges" Medium. Lebendig dank der unkontrollierbaren, potentiellen Polysemie, die sich aus dem Grundprinzip dieses Zeichensystems ergibt, der Ersetzung. Die phonetische Schrift im besonderen ersetzt einen arbiträren Signifikanten durch einen anderen, den Laut durch den Buchstaben. Und aufgrund einer winzigen Buchstaben-Einsetzung ersetzt sie ein Won durch ein anderes: Durch einen Flüchtigkeitsfehler wird in Manhas Brief aus dem "anderen Won" ("that other word") tatsächlich ein anderes Won - "that other w 0 r I d " - was darüberhinaus nicht einfach nur ein anderes Won ist, sondern "buchstäblich" eine Welt, die aus dem Won hervorgeht. Damit vervielfältigen und unterminieren die materiellen Bestandteile der Schrift, die Buchstaben, das geordnete Ersetzungsprinzip des schriftlichen Codes durch eine Kette von Ersetzungen, die aus dem bloßen Kombinationspotential des Materials entspringt - das, was Lacan, abgeleitet von "phonetisch" das "Fauneske" nennt: "Le faunesque de Ia chose repose tout entier sur la lettre, a savoir a quelque chose qui n'est pas essentiel a la langue, qui est quelque chose de tresse par les accidents de I'histoire. ,,25 Eben der "letter", Buchstabe, wird zum Grundprinzip und Enblem der Briefe, "Ietter", die Manha und Bloom austauschen, und bei denen es um die verschiedensten Formen der Ersetzung - Ersatzbefriedigung, Ersetzung Mollys, Ersetzung des Namens - geht: die Letter, die aus "Won" "Welt" macht. Daß die Welt, die das Won als anderes (mit Letter "I") generien, ebenfalls "eine andere" ist, macht sie allerdings problematisch - "I do not like that other world." Im Kontext von wird das natürlich auf die andere Welt des Jenseits bezogen. Kraft des Buchstabens gerät der ohnehin doppeldeutige Brief mit sexu-
Haan
24 Vgl. S. 104 f. dieser Arbeit 25 Jacqucs Lacan. Joyc( k SJ"'pIßmt I. in: Joyc( IlWC Uzclln. sow la dircction de Jacqucs Aubcn. Paris: Navarin. 1987. S. 21-29. hier: S. 26
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ellern Subtext damit unter der Hand zu einer Stellungnahme für das Leben - im Gegensatz zu der "anderen Welt" des Todes. Wie eng die Ersetzung, die der Buchstaben und die ihrer Referenzob;ekte, mit dem Leben und seinem treibenden Prinzip verbunden ist, wird sich noch zeigen. In der Szene aus Hades ist es bereits Marthas Brief und seine "falsche" Schrift, die Bloom aus der anderen Welt des Friedhofs zu einem anderen Won und einer anderen Welt zurückführen: "life". The gates glimmered in front: still open. Back to me world again. [... ] There is anomer world after deam named hell. I do not like mat omer world she wrote. No more do I. Plenty to see and hear and feel yet. Feel live warm beings near you. Let mem sleep in meir maggoty beds. They are not going to get me mis innings. Warm beds: warm fullblooded life. (U6.995-1005)
Damit benennt Hades ganz nebenher dann doch das Ziel, auf das sich Leopold Bloom und der Text hinbewegen: Denn das warme Bett mit blut- {und glut-)vollem Leben, die Antipode zu dem "maggoty bed", ist der On, von dem die Irrfahn des Helden ihren Ausgang nahm, und zu dem sie auch am Ende des Ithaca-Kapitels zurückkehren wird. Aber obwohl in dieser Heimkehr die zyklische Struktur der Odysstt suggerien wird, erweist sich gerade an - oder in - diesem Bett die Differenz zu dem homerischen Modell. In der Odysstt fallen Liebesbett und Totenbett in Ithaka zusammen: Es ist das Ehebett, das Odysseus als Krönung seiner Heimkehr mit Penelope besteigt, und es ist der sanfte Tod in der Heimat, eben der Tod im Bett, der ihm als wahrer Abschluß seiner Reise vorhergesagt wird (0 XI, 134-136). Im U{,SStS aber fallen diese beiden Bedeutungen auseinander: die "warm beds" der Lebenden und die "maggoty beds" der Toten. "Alone, under the ground: and lie no more in her warm bed." (U6.554) Undenkbar hier eine Ineinssetzung von Erfüllung und Tod, wie sie, noch weit radikaler als in der Odysstt, von der Amtis entworfen wird, wo der Schlaf nach erfüllter sexueller Begierde "ein Abbild friedlichen Todes« ist (At VI, 522). Das Bett des "warm fullblooded life", zu dem Bloom in Ithaca zurückkehn, ist aber auch nicht das Ehebett, zu dem Odysseus zurückkehn. Bei Homer vollzieht sich anband dieses Bettes die Erkennungsszene zwischen Penelope und Odysseus (0 XXIII 173-230): Odysseus weiß, daß sein Ehebett unverrückbar ist, und Penelope weiß, daß dies nur Odysseus wissen kann. Leopold Bloom dagegen findet bei seiner Rückkehr in Eccles Street buchstäblich die Möbel an andere Plätze gerückt (U 17.1281-1310), und wenn das Bett auch noch an seinem Platz steht, so ist das Ehebett in seiner symbolischen Bedeutung sehr wohl verrückt worden, wie der Protagonist nur zu genau weiß. Bei Homer bürgt das Bett für die Identität des Helden: Anhand des Bettes wird er als Odysseus erkannt, und im Bett besiegelt er wiederum seine Identität als Ehemann Penelopes, indem er sein "Bettrecht" wahrnimmt und "in innigster Liebe" mit ihr schwelgt (0 XXIII. 295300). In Bloorns Fall aber ist das Bett nicht der Gegenstand der Selbstbestätigung und On der Rückkehr in seine Identität als Ehemann Mollys. Denn ein anderer als der Heimkehrer Bloom hat in diesem warmen Bett geschwelgt. und wenn auch ein Erkennen und eine Prüfung stattfindet - "Somnolent invocation.
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lcss somnolent recognition, incipient excitation, catechetical interrogation. " (U 17.2248) - folgt dem doch keineswegs wie in der Odyssee der Vollzug der ehemännlichen Identität. Vielmehr ist der Wiedererkennungs- und Prüfungsszene eine etwas verschämte Ersatzbefriedigung des Heimkehrers vorausgegangen. So trügt der süße Schlaf der be&iedigten Begierde, den Bloom zuletzt findet, genauso wie der kreisrunde, fettgedruckte Punkt am Ende Ithacas, der den Abschluß der Geschichte zu markieren scheint - nicht umsonst folgt diesem Punkt noch ein ganzes Kapitel. Blooms Schlaf ist kein Abbild des friedlichen Todes, er scheint vielmehr der Inbegriff von "recreation" - Erholung und Wiedergebun zu sein: "the childman weary, the manchild in the womb" (U 17.2317). Aber auch dieses Bild eines bruchlosen Zyklus' ist trügerisch: Denn "childe Leopold" (U 14.160) hat ja keineswegs in den Schoß seiner Dame Molly zurückgefunden, er hat sich vielmehr in stiller Betrachtung ihrer rückwärtigen Rundungen auf einsame Bett&euden beschränken müssen. Deshalb sind dem Bett, in das der Held am Ende seiner Irrfahrt zurückkehn, der Ersatz und der mit ihm verbundene Verzicht mehr noch eingeschrieben als die Erfüllung: Es ist das Bett der stimulienen und frustrienen Begierde, der Masturbation, des Ehebruchs und des coitus interruptus. Im besten Falle ist es das Bett des "Yes" zu wem auch immer -"as weIl hirn as another" (U 18.1604). Ebensowenig wie das Bett unverrückbar ist, ist dies die Identität, die es bezeugen soll - weshalb es auch schier unbegrenzte Ketten der Verschiebung und Ersetzung freisetzen kann: In diesem Bett werden Buchstaben verschoben und ausgewechselt, um Namen zu tauschen und Identitäten zu ersetzen. Nicht nur wird in ihm "Ioom" gegen "oylan", Bloom gegen Boylan, getauscht, ein ganzes Alphabet der Identitäten kann in diesem Bett lustvoll durchexerzien werden: Sinbad the Sailor and Tinbad the Tailor and Jinbad the Jailer and Whinbad the Whaler and Ninbad the Nailer and Finbad the Failer and Binbad the Bailer and Pinbad the Pailer and Minbad the Mailer and Hinbad the Hailer and Rinbad the Railer and Dinbad the Kailer and Vinbad the Quailer and Linbad Yailer and Xinbad the Phthailer. (U 17.2322-2326)
Oder vielleicht doch lieber "Darkinbad the Brightdayler"? Bereits der Briefwechsel, der in Hams dieses Bett voll warmen, blutvollen lebens heraufbeschwön, funktionien nach dem Prinzip der Ersetzung. Die erotische Korrespondenz Leopold Blooms mit Martha Clifford opcrien in mehrerer Hinsicht mit diesem Prinzip: Bloom fühn den Briefwechsel unter Pseudonym, ja sogar "unter Synonym", indem er seinen Namen auch sinngemäß ersetzt: aus "Bloom" wird "Flower". Darüberhinaus ersetzt er sein Objekt der Begierde nach dem gleichen Schema, mit dem er bei Molly durch Boylan ersetzt wurde: der Anfangsbuchstabe des Namens bleibt gleich, nur daß nun "artha" statt "olly", Martha statt Molly, auf das Initial "M" folgt, das zur Chiffre seines Begehrens geworden ist. Metonymische Verschiebung und metaphorische Ersetzung greifen bei dieser Operation ineinander.
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Daß Blooms Libido-Ökonomie von einer Logik des Ersatzes bestimmt wird, zeigt sich unmißverständlich anläßlich einer anderen Unterweltreise: Das Kapitel Ciru, welches selbst nach dieser Logik verfährt, endarvt Bloom als prototypischen Fetischisten.26 Wenn aber die Bloomsche Libido unter dem Primat des Ersatzes steht, wird die Ökonomie des Todes in letzter Konsequenz von dem Primat der Ersaalosigkeit beherrscht: It's the moment you feet. Must be damned unpleasant. Can't believe it at first. Mistake must be: someone eise. Try the house opposite. Wait, Iwanted to. I haven't yet. [... ] Bam! He expires. Gone at last. People talk about you a bit: forget you. (U6.843-854)
So wie der Tod keinen Aufschub und keinen Ersatz duldet, ist auch das T otenbett, anders als das warme Bett der Liebe, jeweils nur für den einen reserviert, der in ihm stirbt. Selbst noch im "maggoty bed" des Grabes setzt sich diese Logik fort: Poor Dignam! His last lie on the earth in his box. When you think of them all it does seem a waste of wood. All gnawed through. They could invent a handsome bier with a kind of panel sliding, let it down that way. Ay but they might object to be buried out of another fellow's. They're so panicular. [... ] The Irishman's house is his coffin. (U 6.815-822)
Auch wenn Bloom darunter leidet, in Mollys Bett ersetzt worden zu sein - als Liebhaber der "warm beds" sträubt er sich gegen die Eindeutigkeit des Todes. mit der jede weitere Übertragung. jede Verschiebung des Begehrens und jeder Wechsel des Bettes beendet sind. So zeichnen sich in den Kurzformeln der "warm beds" und der "maggoty heds" zwei Prinzipien ab, die für die Organisation des Erzählens von eminenter Bedeutung sind: die stimulierende Begierde, die sich in einer Bewegung der Verschiebung und Ersetzung fortpflanzt, und die Stillstellung und Auflösung dieser Bewegung in einem Endpunkt, der sie zu einer festen Form abschließt. Unschwer erkennt man hier die heiden Kräfte wieder, die nach dem Modell des Todes- und des Lebenstriebs konzipiert bereits aus den vorhergehenden Kapiteln bekannt sind. Aber die Positionen und Funktionen, die diese antagonistischen Kräfte im Ulyss~s besetzen, unterscheiden sich wesendich von denen, die sie im klassischen epischen Erzählen einnehmen. Denn aus dem "maggoty bed" des Ulysses läßt sich gerade keine Teleologie des Erzählens ableiten, wie dies sowohl in der OdJss~t, wie in der Amds und der Divina Comm~d;a möglich ist, indem dort der Tod als die Funktion angesetzt wird, die der Erzählung des Lehens abschließende Bedeutung stiftet. Der Anspruch, nach der epischen Formel "Tod und Erfüllung" eine Finalität und Bedeutung für die narrative Struktur des Ulysses zu gewinnen, 26 Beispielhaft in der Konversation mit Bdlas Fächer. in der die sexuelle Objektbesctzung schließlich überspringt auf den Schuh. den Stereotyp eines fetischistischen Objekts schlechthin (U 15.2751-2831).
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wird in der Unterweltreise in Hws dementien statt legitimien. Am Ende des Ulysses steht vielmehr mit dem "warm bed" die Kraft, die zwar auf ErfuUung gerichtet ist, sich aber immer nur als Fortsetzung und Aufschub konstituieren kann: das Begehren, das aus dem ehelichen Bett, in das der Protagonist zurückkehn, den On der Verschiebung und Ersetzung par exce//mce macht. Wenn sich diese Positions- und Funktionswechsel in Hades auch bereits ankündigen, so sind ihre weitreichenden Auswirkungen auf die narrative Verfassung und das plotting des Ulysses in diesem Kapitel jedoch keineswegs absehbar. Die Episode besitzt nicht die Kraft, um wirklich programmatische Züge herauszuarbeiten, wie dies die descmsus-Episoden bei Homer, Vergil und Dante leisten. Insofern bleibt Joyce' Hades, verglichen mit seinen literarischen Vorgängern auf der Unterweltreise, ein recht blasses und folgenloses Unternehmen, sowohl was seine Bedeutung für den Protagonisten anbelangt, wie auch den Eindruck, den es beim Leser hinterläßt. Vor allem aber kommt dem Kapitel innerhalb des Texts und seines plots kein besonderer Status zu, angefangen von seinem Gegenstand, der Beerdigung Dignams, einer an sich unbedeutenden Nebenfigur des Ulysses, bis zu seiner Technik, die zwar im Gorman-Gilben Plan suggestiv als "incubism" bezeichnet wird, nüchterner und charakteristischer jedoch im Linati Schema mit "Narrazione/Dialoghi" beschrieben wird. Hws ist in vollendeter Manier beiläufig. Mag sein, daß der schöne alte Brauch der Unterweltreise noch nicht ausgestorben ist, aber er scheint nurmehr eine Angelegenheit der Pietät zu sein - eine Bestattung eben -, die pflichtgemäße Handlung des großen Nachkommens UIysses am großen Vorfahren Odyssee. Nun ist Hws aber nicht das einzige Kapitel des Ulysses, in dem in die Unterwelt gereist wird. Und Blooms "zweite Reise" in die Tiefe aktualisien den "fine old custom" der katdbasis zu einem Spektakel, bei dem den Protagonisten wie auch dem Leser wenn nicht die Sinne so der Durchblick schwinden. In Circe werden nicht nur Menschen in Schweine verwandelt, sondern auch alle Höllenhunde entfesselt, die die Unterwelt in ihren verschiedenen Mutationen beherbergt.
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Kaum ein Interpret, der Ulysm XV erwähnt, ohne es früher oder später als infernalisches Kapitel zu adressieren . ..A new Inferno in fuH sail", nennt es bereits Ezra Pound, und diesem Vergleich mit Dante folgt bei Sruan Gilbert die Reminiszenz an Milton: ..a pandemoniac welter of apparitions".27 Auch neuere Kommentatoren bedenken es wahlweise als Joyce' oder Dublins Hölle,28 als "nethermost abyss" .. 29 oder ..self-perpetuating mental inferno".30 Leopold Bloom selbst geht dieser Lesan voran mit dem Ausruf: ..0, it' s hell itselfl" (U 15.2908) Zunächst jedoch würde man nicht vermuten, daß sich in diesem Kapitel die Hölle auftut: Bloom folgt dem betrunkenen Stephen in Dublins Rodichtbezirk und dort wiederum in das Bordell Bella Cohens, in dem er nicht nur den verlorenen Dedalus-Sohn, sondern auch seine verborgensten sexuellen Wünsche entdeckt. Hier erlebt er eine phantasmatische Orgie der Verwandlungen, wie es sich für ein Kapitel namens Circ~ gehört - vom Schwein zur Frau zum Lust-Sklaven. Daß jedoch das Vergnügungsviertel, nighttown, nicht nur ein Paradies, sondern auch eine Höllenstadt abgeben kann, ist im chrisdichen Bilderkanon tief verankert und im katholischen Dublin bereits in die T oponymie eingegangen: "hellsgates" wurde die Kreuzung von Tyrone Street und Mabbot Street genannt, die in den finstersten und verrufensten Teil nighttowns führte.'· Bloom betritt mit dem Sperrbezirk einen Ort der Unterwelt, und dies nicht nur in der umgangssprachlichen Bedeutung, in der die .. Unterwelt" ein Synonym für Illegalität, organisiertes Verbrechen und soziale Verwahrlosung ist.'2 Circ~ ist eine Unterweltreise, die durchaus auch dem klassischen mythologischen Repertoire gerecht wird. Beschränkte sich Ulysm VI noch auf die Erinnerung an die Toten, so treten sie in Ulyss~s XV leibhaftig in Erscheinung. Die Szenerie, in der sich dieses Schauspiel - denn als solches erscheint das Kapitel - abspielt, ist mit charakteristischen Requisiten der Unterwelt ausgestattet. Wobei hierzu der gesamte mythologische, esoterische und literarische Fundus geplündert wird - Circ~ ist weit hybrider als HtUks, der die epischen Vorgänger der ltattJbasis vergleichsweise systematisch durchdekliniert. Dagegen sind es im Circe-Kapitel vereinzelte 27 Gilbcn.Jal'MsJoyct'.UIyssn-, S. 319 28 Patrick McGcc, Papmpau - Styk as Itkolgogy in Joyct's .UIyssn-, Lincoln (Ncbr.)/London: Univcrsicy of Ncbraska Press. 1988, S. 116 bzw. Michael Seidel, Epi( Gtography, S. 215 29 Richard K. Cross. FlAubm antiJoyct, Princcton (N. J.): Princcton U. P., 1971. S. 125 30 Fritz Scnn, nCiru- as Harking Back in &trosptctivt Arrangtmtnt. in: &aJing Joyct's .Ciret(Europcan Joycc Studics 3). cd. by Andrcw Gibson. Amstcrdam/Atlanta (Mich.): Rodopi, 1994, S. 63 -92, S. 85 31 Vgl. UlysstS Annolll~J. S. 460 32 ..Also fig., a lowcr or thc lowcst suatum of sociccy" gibt Tht Oxford English DictiONl'Y (Oxford: Clarcndon Press, 1933, S. 154) zu dcm Stichwon nundcrworld" an.
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Merkmale mit großer Suggestivkraft. die die höllische Atmosphäre evozieren und das Szenario eines tkscmsus heraufbeschwören. Das ist symptomatisch für die grundsätzliche Vorgehensweise dieses Kapitels. in dem einzelne Worte. Figuren und Details den gesamten Kontext herbeizitieren. aus dem sie stammen. Dabei arbeitet Circt mit den Techniken und Organisationsprinzipien des Traums." Dieser ist. in der berühmten Formulierung Freuds. die .. via rtgia ins Unbewußte". in die Unterwelt der Seele. Nicht nur die sexuellen Phantasmen und verdrängten Wünsche. denen Bloom in nighttown begegnet. zeugen also von einem Abstieg ins Unbewußte. Circt erschließt mit seiner traumhaften Technik weit mehr als das personale Ubw seiner Protagonisten. es manifestiert die Kräfte. die den UIySSts und sein Erzählen bestimmen - das ..Unbewußte des Textes".34 Indem Circt so verschiedene Konzeptionen von Unterwelt überblendet und traditionelle Vorstellungen sprengt. trägt sie den metaphorischen Übertragungen Rechnung. mit denen dieser Topos in der Moderne operiert. Tatsächlich ist die Unterwelt. gerade weil mit der Austreibung aus ihrem realen Ort eine Entgrenzung und Expansion ins Figurative einhergeht. der geeignete Schauplatz für die circensischen Transferaktionen. Denn wer könnte in diesem Kapitel noch die Grenzen ziehen zwischen Topos und Lokalität. zwischen Übertragenem und Buchstäblichem. da doch hier die "buchstäbliche Übertragung". die Überschreitung der Grenzen von Wort und Ding zum Prinzip erhoben ist? Das Schlagwort der Überschreitung charakterisiert Circt vielleicht am treffendsten. Hier wird die Klimax der Handlung überschritten. hier werden die einzelnen Figuren demontiert und ein zunehmend zweifelhafter Realismus in den Irrsinn überführt. hier werden die Grenzen der Gattung ostentativ mißachtet und jedes Maß im Verhältnis zum Gesamttext. nicht zuletzt durch den übermäßigen Umfang des Kapitels. überschritten. Und hier setzt der UIySSts an. sich selbst zu überschreiten. indem auf der Ebene des Dargestellten die Grenzüberschreitung von Ding und Sprache inszeniert wird. die Joyce erst in einem anderen Buch in aller Konsequenz auf der Ebene der Darstellung vollziehen wird . .. Überschreitung" ist aber auch ein Schlagwort. das die Unterweltreise charakterisiert: als Grenzüberschreitung von dieser Welt in eine andere - othtrWOrlJ. tautrt momk. Dieses transgressive Moment ist. noch eindeutiger als im Epos. die wesentliche Bestimmung der Unterweltreise im Ritual. vornehmlich in Initiations- und Läuterungsriten. Die rituelle Dimension des tUscmsus kommt allen Überschreitungen inhaltlicher wie formaler Art in Circt zu. und wir werden noch sehen. welche Auswirkungen das auf die narrative Programmatik des UIySstS hat. Nehmen wir also den Topos des Abstiegs als Einstieg in das .. infernalische" Kapitel namens Circt.
33 Siehe"T raumtcchnik und Höllenmcchanik". S. 117-181
34 Zu diesem Ausdruck vgl. Jcan Bdlemin-Nod. Vm l'inconsamt du tnae. Paris: PUF. 1979. bcs. S. 191-202
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Die Szene (The Mabbot street mtrance o[ nighttown, before which stretches an uncobb/uJ tramsUling set with skeleton tracks, mJ anti grem wiU-o '-the-wisps anti dang" s;gruJs. &ws o[ grimy houses with gap;ng doon. Rare /amps w;th foint rainbow fans. RlJuntl Rabaioni s ha/ted ice gondo/a stunted mm anti womm squabbk. They grab wafm betwem which are wedged /umps o[cora/ anti COpP" snow.) (U 15.1-7)
Schon diese Szenenanweisung, mit der das Kapitel eröffnet, entwirft eine Szenerie der Unterwelt: Die "skeleton tracks" und die "danger signals" mögen zwar die der Straßenbahn sein, aber die "will-o'-the-wisps" zeigen an, wohin die Reise gehtim Märchen leiten Irrlichter geradewegs in die Hölle, und daß eine Trambahn in den Hades führen könnte, ist dem Leser bereits aus Ulysses VI bekannt.3S Mabbot Street erscheint deshalb als tote Stadt - "grimy houses with gaping doors" -, bevölkert allein von Geschöpfen, wie man sie aus den Unterwelten der Märchen kennt: zwergenhafte Gestalten und verwachsene Wesen,36 die sich von den Schätzen des Untergrunds "coal 37 and copper snow" (U 15.7) nähren. In den Notizen für Circe begegnen dazu noch Hexen und Teufel. 38 Wenn Bloom im weiteren Verlauf des Kapitels auftritt, wird dieses unterweltliche Setting vervollständigt: "Snakes of riverfog creep slowly. From drains, clefts, cesspools, middens arise on all side stagnant fumes. A glow leaps in the south beyond the seaward reaches of the river." (U 15.138-140) Eine Szene, die dem achten canto des Inf""o nachgebildet ist, in der Dante durch den "fumo del pantan", den Dampf des Sumpfes, übersetzt zur Höllenstadt Dis, die er schon von weitem rot glühen sieht (DeInf. VIII, 12 und 70-73). Auf der Schwelle zu dieser Höllenlandschaft erscheint der Protagonist: "under the railway bridge Bloom appears" (U 15.142). Daß das Höllentor bei Joyce eine Eisenbahnbrücke ist, bringt den "public transport" ein weiteres Mal mit der Unterwelt in Verbindung. Wenn man in Hades mit James M'Cann und seiner Kanalschiffahrt in den Himmel gelangen kann (U 6.449), so scheint der Schienenverkehr eher die Strecke zur Hölle zu betreiben: Als Bloom kurz darauf die Straße und die Schienen überqueren will - eine weitere der vielen "Schwellenüberschreitungen" auf dieser Unterweltreise - wird er beinahe schneller als ihm lieb ist 35 Ses, Mr Bloom said, and anotha thing I often thoUgtH, is [0 have municipal funeraI uams like they have in Milan, you know. Run the line out [0 the ccrnetery gates and have special uams, hearse and carriage and all. Don't you see what I mean?" (U 6.405-408) 36 ..Stunted men and women", ..a pigmy woman" (U 15.5), ..a gnome" (U 15.28), ..a handy child" (U 15.33),..a dcafmute idiot with goggIed cycs" (U 15.14). 37 Im Unterschied zu den späteren Fassungen heißt es in den Typoskripten und den frühen Druckfahnen ..coaI" statt ..coral". Vgl. TS V.B. 13 e und TS V.B. 13 h in T~ fllmn foyc~ ArcbiVt1: U/ysm. Ci~~ & EIImIlnIS. A FlICSimile ofMII,,,umplS 11M TypnmplS for EpisoJes 15 (Pllrt IJ) & 16, ed. by Michael Groden, New YorkiLondon: Garland Publishing Inc., 19n, S. 3 bzw. 155, sowie Placard 47 in dem Band Ci~~ & EUmMUS. A FlICSimile ofPillmrtls for EpisoJn 15 & 16 der fllmn foyc~ A~hiVt1 von 1978, S. 3. 38 Phillip Herring. foyu's .UIyssn- Notnhms in tht British Mrmum, Charlotteville (VA): U. P. of Virginia, 1972, S. 280
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von dieser Welt ins Jenseits beförden, und zwar "per Tram". Allerdings diesmal nicht mit einer "municipal funeral tram", sondern mithilfe eines "dragon sandstrcwers", der den Protagonisten fast überfähn (U 15.184-197).3'1 Der Drache, ein typischer Unterweltwächter aus dem Märchen,40 paan sich hier mit "der Elektrischen" - ein weiteres Mal zeigt sich, daß auch die Unterwelt auf der Höhe der Zeit bleibt.4• Der Jragon sanJstrroJn" ist jedoch nicht der einzige Wächter der Unterwelt, der sich als fabelhaftes Mischwesen von Tier und Technik zeigt: Als technisch animienes Tier entpuppt sich auch der Höllenhund, der Bloom in stetig wandelnder Gestalt begegnet - zunächst als "retriever" (U 15.247), dann als "terrier" (15.356), "wolfdog" (15.663), "setter" (15.667), "mastiff' (15.673), "spaniel" (15.690), "bulldog" (15.693), um zuletzt nicht des Pudels wohl aber des Beagles Kern zu enthüllen: Paddy Dignam (15.1204-1208):2 "By metempsychosis" (U 15.1226) wurde Dignam aber nicht in irgendeinen Hund verwandelt, sondern in das tierische Markenzeichen der Victrola bzw. Berliner Grammophone. Dignam lauscht auf ,,[his] master's voice" (U 15.1247), genauso wie der berühmte Hund vor dem Grammophon. Wiederum haust die Stimme der Unterwelt in der Technik. Aber diesmal ist es nicht die des toten Herrn, sondern des Herrn der Toten: John O'Connell, der Friedhofswäner aus Ulysses VI, taucht hier in seiner Rolle als Hades wieder auf, um seinen Untertan schallverstärkt ins Reich zurückzurufen: ,,(foghorns stormily through his megaphon~) Dignam, Patrick T., deceased." (U 15.1244). Wenn auch der Grammophontrichter in diesem Fall durch einen anderen Trichter ersetzt ist, verhält sich Dignam doch wie der phonographische Hund: "Paddy Dignam listms with visibk 4Jort. thinking. his tail stiffPoin~J. his ~ars cock~J." (UI5.1251) Und mit einer hündischen Hörigkeit folgt er dieser Stimme aus dem Untergrund durch das nächstbeste Einstiegsloch in die Tiefe: He worms down through a coa/hok, his brown habit trai/ing its tah" ov" rart/ing pebbln. Aftn him totbJIn an obtse granJfoth" rat on fongus turtk paws unJn. a grty carapace. Dignam's voice, mu.flkd, is heard baying unJn. groUn4: Dignam's dead and
gone below. (U 15.1255-1259)
39 Als ..Symplcgaden Durchgang in eine andere Welt, entpuppen sich die Trambahnschwcllen auch durch das charakteristische Motiv der Ferscnverlctzung: .. Hcd casily catch in track or bootIace in a cog. Day the whcd of the black Maria pcdcd off my shoc at Lconard's corner: (Ul'j.202) Zu dem Symplcgadcnmotiv vgl. Wolf Dietrich MOStbröck. D~ Reist in tiM andnr Wtlt -Itkologit, Ttchnik und Funktion Jn Jmsntsfahrt, Wien (Diss.), 1972, S. 1S 40 Vgl. Vladimir Propp, D~ historischm Wurztln Jn Zaubtrmiirchms, München: Hanscr, 1987, S. 333 ff. 41 Einer Zeit, die don, wie es HIIIin nahclcgt, von dektrischen Weckern abgelcscn wird. (U 6.868) 42 Der Hund als Jenscitsbcgleitcr und Wächter der Untcrwdt ist ein wcitverbrcitctes Motiv - neben dem griechischen Kcrbcrw etwa in der germanischen Mythologie der heulende Untcrwdtshund Garm, in der gälischen Legende die Hadesmeutc. bei den Ägyptern der schakalköpfige Gon Anubis als Mwnifizierer. Vgl. auch James Campbcll, Tht HmJ with" ThousanJ FIl«S, Princcton (N. J.): Princcron U. P., 1973, S. 368 M
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Daß die Grammophonstimme des Herrn in die selbe Unterwelt ruft, die die technischen Medien in HtUks erschließen, zeigen nicht nur die Echos aus Kapitel VI in dieser Passage - der braune Anzug, die ratternden Kiesel, die GroßvaterRatte -, sondern auch Dignams Zustand: "Half o[ ont tar, a/l tht nou anti both thumbs art ghoukatm." (U 15.1208) Die Stimme des Jenseits zu Gehör zu bringen - diese Aufgabe kommt dem Grammophon auch in anderem Zusammenhang in U!ysJts XV zu: Anläßlich der zweiten Ankunft des Elias. Aber hier geht es nicht um den Hades sondern um das Paradies und nie versiegende Freuden - immerhin wird ein recht eindeutigzweideutiges "second coming" in Aussicht gestellt. Zunächst scheint sich das Himmelreich auch besonders lautstark per Grammophon anzukündigen: (Through th~ driftingfog without th~ gramophon~ bkzr~s OV" coughs and[mshujJling.)
THE GRAMOPHONE Jerusalem! Open your gates and sing Hosanna ... (A roclt~t rusha up th~ slty and bursts. A whiu star falls /rom it. prockziming th~ consummation o[alJ things and th~ s~cond coming o[Elijah.) (U 15.2168-2176)
Doch der alles übertönende Apparat übertönt bald die Stimme des angekommenen Elias: ELIJAH All join heartily in the singing. Encore! (h~ sings) Jeru ....
THE GRAMOPHONE (drowning his voic~) Whorusalaminyourhighhohhhh ... against th~ n~~dk) THE THREE WH 0 RES (cov~ri"g thnr ~ars. sqUllwlt) Ahhkkk!
(th~
disc rasps grantingly
(U 15.2208-2214)
In einer subversiven Verkehrung der (frohen) Botschaft verkündet das technische Medium statt der "consummation of all things", wie es in der ersten Passage heißt, vielmehr tht consumption o[aU smu: Es läßt die sinn übertragende Stimme in bedeutungsloser Materialität vergehen, wie es dies auch in HtUks tut. Verheissen wird hier höchstens eine profane "Hölle" disfunktionaler Technik, die die Ohren quält. Die Unterwelt Circts ist jedoch keineswegs nur technisch animiert und propagiert, sie ist auch im ganz klassischen Sinne animalisiert. Die Herrschaft der T riebe sind das Stigmata der chrisdichen Hölle ebenso wie das Kennzeichen der psychoanalytischen Unterwelt des Unbewußten. Von einem unersättlichen Hunger ist das (metem-)psychotische Bestiarium nighttowns beherrscht, und die Befriedigung dieser Gelüste ruft erst recht tierische Metamorphosen hervor. Circts Hölle ist deshalb nicht durch List und Ersatzbefriedir!ng zu besänftigen, wie das in der Amtis oder der Divina CommtdiA möglich ist. Die Fütterung des aufdringlichen 43 Siehe Am~is. VI. 417-425 und DiviNl Commeditt. Inf. VII. 1-15
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Höllenhundes verschafft dem Helden alles andere als Voneile, und auch sein zweiter Versuch, mit Speisen die Unterwelt zu zähmen, bekommt ihm schlecht: Blooms Schokolade, über deren toxische Wirkungen er ohnehin im Zweifel ist,'" wirkt sich alles andere als beruhigend aus. Stattdessen entfesselt der Genuß dieser Cerberusspeise die animalischen Instinkte und verwandelt die Konsumenten erst in Höllenhunde und anderes Getier: Lynchs zur Schau getragener Zynismus wendet sich bei ihrem Anblick in das Gebaren eines gierigen Köters (U 15.27112715), und Blooms Schokoladenverzehr zieht unmittelbar den Auftritt Bella Cohens nach sich, die den Protagonisten in ein Geschöpf verwandelt, das nicht schwärzliche Schokolade (U 15.2738 f.), sondern eine andere schwärzliche Substanz verzehn, die traditionell eng mit der Unterwelt verbunden ist4S - "Dungdevourer!" (U 15.2843). Hier bewahrheitet sich die Warnung von Mythos und Märchen, daß man mit einer Speise in der Unterwelt die Zugehörigkeit zu dieser besiegle:46 Das Schwein, in das Bloom mutien, hat Tradition nicht nur als circensisches Tier, sondern auch als Opfenier und Attribut der Unterweltgöttin. 47 Darüberhinaus ist es eine typische Gestalt des jenseitsreisenden Helden im Märchen. 48 Des Protagonisten masochistische Erniedrigungsphantasien befördern ihn folglich weit tiefer hinab als nur bis zu Bellas Füßen: "Oh it's hell itselfl" Aus lIighttowns Sündenhölle (U 15.395) ist unversehens die wahre Hölle geworden. Entsprechend wandelt sich die "Empress" Bella (U 15.2837) von einer Unterweltskönigin in das männliche Gegenstück, das mit dem "plumped buskined hoor' (U 15.2810) und den obszönen Gebärden4? weit eher teuflische Züge trägt.
44 .,Aphrodisiac? [... 1 VaniUa calms or? Mnemo." (U 15.2736) Die klassische Ccrbcrusspeise soU natürlich betäuben und keinesfalls stimulieren. 45 Mcsopotamische Tontafdn schildern die Unterwdt als "Palast der Eingeweide" (siehe Karl Kertnyi. lAbyrinth Stu4im. lAbyrinthos als Linim".ftcc ~i,," mythologisehm lJe~. Amsterdam/Leipzig: Akademische Verlagsanstalt Pantheon. 1941, S. 13). und in dem chrisdichen Gospel des Nikodemus ist die Hölle der Bauch Hades (vgl. Michael von Engelhardt. DtT plutoniseh~ Faust. Ein~ mJJlivgnehiehtliek Stw& zur Arbnl am Mythos in dtT Faust- TraJililln. Basd/Frankfurt a. M.: StrocmfeldlRoter Stern. 1998. S. 106). Auch Freud zieht die Hölle heran. um die Verbindung von Kot und Geld im Triebleben zu erläutern (Freud. Charalttn Un4 AnalmJlilt. in: Stil VII. S. 23-30. hier: S. 28 f.). 46 Vgl. Propp. D~ historisehm Wurzt'ln dts ZaubtTmilrrhms. S. 78 f. wie auch John Arnott MacCulloch. Tk Harrowing 0/ H~U - A Comparaliw Stwiy 0/ Early Christian Doarin~. Edinburgh: Clatk. 1930. S. 5 und 42 47 James Frazcr. Tk Go/Jm Bough - A Stwiy in Magie an4 R~ligion. 3rd ed.• 12 vol.. Ncw York: Macmillan Company. 1951. vol. VIII - Spirits o/th~ Com an4 o/th~ WiIJ 11. S. 16 ff.. sowie Roben von Ranke-Graves. D~ ~ifo Göttin. Spr«k dts Mythos. Reinbek: Rowohlt. 1995. S. 62 und 78 48 Vgl. Mostbröck. D~ Rris~ in ~in~ an4nr W~u. S. 69 49 Hier lassen sich die Gesten der Sünder und Teufel aus Dantes Divina Commeai4 wiedererkennen: "H~ thrusts out a ftgg~a fot" (U 15.2942) echot Inf. XXV. 2: "Le mani abo con ambcdue le fiche" ([Er hob I die Hände hoch mit beiden Feigenzcichen). und BcllaIos grimassierendes FUJ'7.Cn (U 15.2958) ist eine Reminiszenz an den teuflischen Dialog aus Inf. XXI. 137-39: "Ma prima avca ciascun la lingua sUctta / coi denti verso lor duca per cenno; / ed cgli avca del cul fatto trombetta." (Zuerst jedoch gab jeder seinem Führer ein Zeichen mit der Zunge und den Zähnen; cr hat darauf uompctet mit dem Hintern.)
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In seinem erotischen Strafszenario ist der Held am tiefsten Punkt der Hölle angelangt. Cirus Schauplatz wird so zunehmend durch einen anderen "Ort" ersetzt, der, obwohl er Lokalisierbarkeit suggeriert, nurmehr topos ist. Diese Überschneidung von Orten und metaphorischen Iodi wird von Beginn des Kapitels an forcien. "Better cross here. (H~ darts to cross th~ rod)" (U 15.174) - an diesen harmlosen Vorsatz schließt sich eine Szenenfolge an, die das Thema der Grenzüberschreitung in vielf'ältigen Varianten durchspielt. Die aufFällige Explikation dieses Motivs deutet bereits darauf hin, daß nighttown nicht nur auf der anderen Seite der Straße liegt, sondern auf der "anderen Seite" schlechthin. Mehrfach und mit Nachdruck wird das Tabu der (Trarn-)Schwellenüberschreitung dem Protagonisten signalisiert. 5O "No thoroughfare" (U 15.199) - das wird selbst Bloom klar, keineswegs jedoch, um was Air einen Durchgang es sich hier handeln könnte: "Budias noch~s, sdioritll Blanca. Qr« ca/la ~s ~stllr fragt er neckisch die Figur, die Merkur venritt, den Totenbegleiter und Boten zwischen Ober- und Unterwelt ( U 15.216). Als "sefiorita Blanca" verrät dieser Quecksilber-Merkur seine Verwandtschaft mit dem "dominus Blicero", dem bleichen Tod. 51 Bloom hingegen scheint sich um all diese düsteren Vorboten der Hölle nicht zu kümmern. Als würdiger Nachfolger der törichten Helden des Märchens antwortet er auf die Frage nach dem Paßwort leichthin: "Haha. M"d. Esperanto. Slan kath. ce (U 15.220) - Kauderwelsch statt Namensmagie oder Zauberformeln, um das Tor zur Unterwelt aufzutun. 52 Später wird sich, wenn nicht die Frage, so Blooms Suche nach dem Paßwort wiederholen: ,,(h~ murmurs vagu~ly th~ pass o[Ephraim) Shitbroleeth" (U 15.770). Allerdings wird hier die "richtige" Antwort wieder verfehlt zugunsten eines Esperanto-Kauderwelsch: Dieses Shibbokth ist eindeutig falsch ausgesprochen und noch dazu zu einem unflätigen "Shit" entstellt. Ein verhängnisvoller Fehler, wie man aus der Bibel weiß, wo die falsche Aussprache die Ephraimiten das Leben kostete (Buch der Richter, 12.5 -6). Und wenn Bloom auch nicht das gleiche Schicksal erleidet wie die Unkundigen im Alten Testament, so brandmarkt ihn doch das entstellte Paßwort ein weiteres Mal als "Ephrairnit unter den Feinden", d. h. Jude unter den Antisemiten Dublins. Vor allem aber verrät das Shibbokth, um welche Grenze es sich hier handelt: Der Jordan war die geographische Gren-
50 "Halryaltyaltyall" (U 15.181) schreien die Fahrtadklingdn. und auch der drllgon SIlnJstrtwn' gibt ein drohendes Warnsignal von sich. das eindeutig an Bloo(m) adrcssien ist: "Bang Bang Bla Bak Bludd Bok Bloo" (U 15.189). 51 Siehe Grimm. Dn41Sc1N Mythologi~. Bd. H. S. 809 52 Nicht nur zum Öffnen von Schatzhöhlen bedarf es der Magie des Wones - man denke an "Sesam öffne dich" - • vor allem im alten Ägypten war das Wissen um die Namen der Unterwdt unerläßlich. um sicher in das Reich der Toten einzugehen. Vgl. ÄtJptisclN UntnuNlIsbüclNr. eingd .• übers. u. erläutert v. Erik Hornung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgcsdlschaft. 1984. S. 11 und 18. sowie Karlis Strausbcrgs. Zur JmsnlStOpogrllph~. in: An! - JOUT'1UlI 0/ Sazndi""vWn FoUtlor~ 13 (1954). S. 56-110. hier: S. 96
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ze, über die die Ephraimiten im Buch der Richter fliehen wollten, und der Jordan ist die metaphorische Grenze, die in C;ru unbefugt ohne Paßwon überschritten wird: Als Reisender in der Unterwelt ist Bloom jenseits des Jordan, ohne "über den Jordan" gegangen zu sein. Neben seinen jenseitigen Qualitäten behält nighttown aber auch stets die Züge einer moralisch-sozialen Unterwelt. Die tritt Bloom während seines Abstiegs etwa in der Gestalt eines "Lumpensack-Sacklumpen-Mann" in den Weg: (H~
stqJs forwllrJ. A
sllCkshouldn~d
rllgman bllTS his pllth.
H~
stqJs f4t, rllgsllClmuzn
14i.) BLOOM I beg. (H~ kaps
ript, saclcrllgman right.) BLOOM
I beg.
(U 15.222-228)
"La dirina via era smarrira", könnte man hinzufügen, womit nicht nur das vielsprachige Esperanto Bloooms ergänzt wäre, sondern auch eine andere Eröffnungsszene eines Unterwelrabstiegs heraufbeschworen (DC Inf. I, 3).H Im Gegensatz aber zu Dante, der den Umweg in die Hölle nehmen muß, glaubt Bloom sich trotz des nötigen Ausweichmanövers - "H~ swmJeS, sidks, stqJasUk, slips past and on." - immer noch auf dem rechten Ww- Schließlich hält er sich nicht links wie Dante bei seinem Abstieg in die Hölle, sondern rechts: "Keep to the right, right, right. [... ] Keep, keep, keep to the right." (U 15.229-234) Doch trotz dieser demonstrativen "Rechtschaffenheit" begibt er sich auf einen Irrweg, nicht zuletzt moralischer Natur. Sein stqJasitk wird sich als ein Fehltritt erweisen, der den Protagonisten diesmal nicht in ein kleines Dorf namens "Stepaside" fuhn - "I who lost my way and contributed to the columns of the lrish Cyclist the letter headed I" ti4r1tm StqJasiek." - , sondern geradewegs i" Jark~st h~U.
Die Initiation Wie aus den einschlägigen Quellen bekannt, ist die Unterweltreise ein Unternehmen, das ausfuhrlicher Vorkehrungen, unerläßlicher Requisiten und fachkundigen Beistands bedarf. Man denke an die Bestanungsriten, die in der Odyssu und der Amds in diesem Kontext zu vollziehen sind, an das Opfer, sei es ein buchstäbliches Blutopfer oder ein symbolisches Zeichen, das zu entrichten ist, an
53 Zu den zahlreichen Referenzen an Dante vgI. Peter Kuon. 11 mio
mAntTo ~ '/
mio autort - Di~
proJulttiw Reuption Jn .Di";ru1 ComwuJiA· in "" ErziihUiln'atur "" MoJmu (Analectica Romania 52). Frankfun a. M.: Klostcrmann. 1993. S. 66-82. sowie Mary T. Reynolds. 10J(( anti Dtur~- TINSlMping Imtlgirultion. Princeton (N. J.): Princeton U. P .• 1981, S. 284-291 54 Links ist. nicht nur bei Dante. die Richtung des Todes. Vgl. hierzu Kerenyi. LAbyrinth StwJim.
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die Führergestalten, die unabdingbar zu sein scheinen, um den Weg in und aus der Unterwelt zu finden - selbst Herakles wurde von Hermes und Athene geführt, wie die Odyssee behauptet (0 XI, 626). Typische Bestandteile dieses Beiwerks finden sich auch in Circe, von mehr oder minder kundigen Führern bis zu magischen Hilfsmitteln und Instruktionen. Die Wegzehrung für Cerberus, mit der sich Bloom noch kurz vor dem Eintritt in den Sperrbezirk ausstattet, wurde bereits erwähnt. 55 Ein anderes wichtiges Requisit, das an verschiedenen Stationen seines Wegs eine Rolle spielen wird und, wie häufig bei diesen Hilfsmitteln, von den geliebten Toten stammt, ist "poor mamma's panacea" (U 15.200). Das Zauberkraut des joyceschen Protagonisten, die purgative Kartoffel,56 ist offenbar nicht nur das Hermes-Moly des Odysseus, sondern auch das Zeichen, das den Einuitt in die Unterwelt ermöglicht: Blooms schwarze Knolle ist das parodistische Pendant des goldenen Zweiges, den Aeneas mit der Hilfe seiner Mutter Venus gewonnen hat, um die Tore der Unterwelt zu öffnen - so wie auch Blooms Glücksbringer von seiner Mutter stammt und ihn ebenso vor dem dragon sandstrewer rettet, wie es ihm Einlaß zu einem Ort gewähren wird, bei dem unentscheidbar bleibt, ob es sich um Tartarus oder Purgatorium handelt: das Bordell Bella Cohens. Die Prostituierte Zoe erweist sich dabei als Blooms Sibylle: Umstandslos händigt er ihr beim Eintritt seinen Talisman aus, wie auch Aeneas der Sibylle am Eingang in den Orkus den goldenen Zweig übergibt. Aber im Unterschied zur Sibylle ist Zoe weniger Führerin als Ver führerin: Obwohl sie die Eigenschaften einer (käuflichen) Venus und den Namen von Blooms Mutter auf sich vereint (Higgins), geleitet sie den Protagonisten keineswegs sicher durch die gesellschaftlich-moralische Unterwelt nighttowns, wie es im Anschluß an die Ameis von der Heldenmutter Venus zu erwarten wäre. Vor allem händigt sie Bloom sein magisches Zeichen im entscheidenden Moment nicht wieder aus: Während Aeneas seinen goldenen Zweig zurückerhält, um ihn an der Schwelle der U nterweltskönigin zu opfern, steht Bloom in dieser prekären Situation mit leeren Händen da: "I should not have parted wich my talisman", denkt er reuevoll als die Herrin dieser Sündenhölle, die Puffmutter Bella Cohen, ihren Machtanspruch gegenüber dem Neuankömmling behauptet - "Be mine. Now." (U 15.2791-2794) Ohne sein Lösungspfand verfallt der Held also der Macht dieser infernalischen Herrscherin und wird von ihr tatsächlich "zur Hölle geschickt" - "I can give you a rare old wine that'll send you skipping to hell and back. [... ] Byby Poldy! Byby Papli!" (U 15.3205-3212)
55 Bloom erscheint auf der Szene "cramming brcad and chocolate into a side packet (U 15.143). N
Damit nicht genug. muß er in der Metzgerei Ohlhausen's noch "a lukcwarm pig's crubcen" und "a cold shccp's trouer. sprinklcd with wholepeppcr" besorgen (U 15.158). 56 Zu der reinigendenWirkung. die der Kanoffd zugeschrieben wird. siehe Marsanne Brammer. Joyc~'s .ha/Jucinilm via -: Mystnin, Gnukr, anti th~ Staging 0/ "Circ~". in: Joyc~ Studin Annual7 (1996). S. 86-124, S. 95
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So erlebt Bloom schließlich nicht die Höllenfahrt des epischen Helden Aeneas, sondern eine nach rituellem Muster am eigenen Leib: In einem wilden Potpourri religiöser Bräuche mischen sich Feueropfer, Feuerbestattung und Feuertaufe, wenn er am Ende der sadomasochistischen Bordell-Szene als seine eigene Witwe auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird (U 15.3230-3236). Das ist bemerkenswenerweise bereits das zweite Autodafe des Protagonisten innerhalb dieses Kapitels. Schon an der Türschwelle von Bella Cohens Bordell ist Bloom nicht nur metaphorisch sondern buchstäblich "entbrannt" und "amid phoenix Aames" als falscher Messias und Sündenbock auf einem Scheiterhaufen "carbonisiert" worden (U 15.1935-37). Die Insistenz der Motive des Opfers und der Verbrennung wie auch die unverkennbar rituelle Inszenierung weisen auf eine grundlegende Tendenz Cirus hin: Das Kapitel greift immer wieder auf Konzeptionen und Praktiken des Rituals zurück. Dieser Anschluß an den Ritus hat nachhaltige Auswirkungen auf die Gestaltung des tUscmsus-Motivs und birgt, wie sich später noch zeigen wird, entscheidende narrative Implikationen in sich. Obwohl das Kapitel sich auch der Elemente bedient, die aus der epischen Tradition bekannt sind, entwirft es doch ein anderes Modell der kattJbasis: Mit seinen Metamorphosen und Mutationen inszeniert es weniger eine Reise im strengen Sinne als vielmehr eine Wandlung. Genau diese Charakteristik zeichnet aber die Unterweltreise aus, wie sie in der rituellen Tradition bei den sogenannten rius tU passag/7 eine wichtige Rolle spidt. Innerhalb dieser Initiations- und Übergangsriten stellt der Aufenthalt in der Unterwelt einen ebenso klassischen Topos dar, wie im Falle des epischen Erzählens.~ Die Reise in das Reich der Toten liefert das Modell für jede Grenzüberschreitung und veranschaulicht den radikalen Wandel, der den qua Ritus zu Initiierenden nicht nur von einer sozialen Ordnung in eine andere befördert, sondern von einem Seinszustand und einer Identität in eine andere. Der Gang in die Unterwelt ist hier nach den Vorstellungen von Tod und Wiedergeburt modelliert, und das Bild der Reise verräumlicht nur eine Veränderung, die vidmehr die Identität und den Status des "Reisenden", d. h. des Initianden, beuifft. s9 Das Ritual als grundlegende Kategorie kultureller Praxis ist im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert Gegenstand allgemeinen Interesses. Eine rege Auseinandersetzung über die Wesens merkmale, Formen und Bedeutungen von Riten bestimmen den ethnologischen Diskurs, der den Höhepunkt der
57 Die Bezeichnung stammt von dem Anthropologen Arnold von Gennep und seinem gleichnamigen Buch Ln nus tk JNlSSllgt. Paris: ~mile Nouny. 1909. 58 Vgl. hierzu Mircea Eliade. Dill Mysurium dn W~dngtburl. Vmuch übtr tinigt InitilltWnstypm. Frankfun a. M.: Insd. 1988. S. 14; Victor Turner. VllrilltWns on 11 Thmrr ofLiminllÜty. in: Stcu14r Rituill. cd. by Sally F. Moore/Barbara G. Myerhoff. Amsterdam/Assen: Van Gorcurn. 1977. S. 36-52. hier: S. 37; und Propp. D~ historisehm Wuruln dn ZIIubtrmiirchms. S. 451 f. 59 Propp kennzeichnet auch das statische. etappenhafte Moment des Märchens als ein Erbe des Ritus, das erst nachrräglich zu den Stationen einer Reise verräumlicht wurde'. Propp. !At hislOnsehm Wuruln dn ZIIubtrmiJrchnu. S. 55
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Kolonialisierungsbestrebungen Europas begleitet. Galt die Aufmerksamkeit zunächst vor allem der sprachlichen Überlieferung fremder Kulturen in Gestalt ihrer Mythologie, so gerät auf der Suche nach den Ursprüngen der Kultur, wie sie auch die Archäologie in dieser Zeit betreibt, die rituelle Praxis in den Blick. Als der wohl einflußreichste Text aus dem Umfeld der Cambridger Schule von "Ritualisten" kann James Frazers Buch Tht Go/Jm Bough gelten.60 Wie bereits der Titel verrät, werden hier nicht nur Mythen, sondern auch die literarischen Unterweltreisen der Epen eng an eine rituelle Tradition zurückgebunden: Es ist eben der goldene Zweig des Aeneas, der dem Buch seinen Titel gibt. Suggestiv und synkretistisch Literatur und Ethnologie, historisches Material und Spekulation verquickend konstruien Frazer ein kulturübergreifendes Gefüge von Riten und Mythen. Eines der formierenden Motive dieses rituell-mythischen Komplexes ist der "sterbende Gon", wie er in den Mythen bzw. Kulten von Anis, Adonis, Osiris oder dem skandinavischen Baldur begegnet. Das gemeinsame Schicksal dieser mythischen Figuren, die Frazer als Vegetationsgottheiten auffaßt, besteht in einem Abstieg und vorübergehenden Aufenthalt in der Unterwelt. Aus diesem Modell entwickelt der Go/Jm Bough eine universale Zivilisationsgeschichte, in welcher der Kult des sterbenden Gones und der ihm inhärente Zyklus von Tod und Wiedergebun entscheidend die menschliche Kultur- und Gesellschafrsentwicklung bestimmen. Tht Go/Jm Bough hat nicht nur in der Ethnologie der Jahrhundenwende Schule gemacht. Freuds 1912 erschienenes Werk Totnn und Tabu beruht in weiten Teilen auf Frazer, und vor allem die Literatur der klassischen Moderne hat sich von Tht Go/Jm Bough in den Bann schlagen lassen: T. S. Eliot betont in seinen Anmerkungen zu Tht Wastt Land den bestimmenden Einfluß Fruers, vor allem der Bände Attis, Adonis, Osiris,61 und D. H. Lawrence hat sich in seinem Werk wiederholt auf Motive und Grundstrukturen Frazcrs bezogen. Die Faszination von Fruchtbarkeitskulten und Auferstehungsmysterien, Purgationsriten und Sühneopfern ist Teil der Sehnsucht nach dem Ursprung, die Frazer nicht minder erfolgreich als Freud oder Jung in eine eingängige Formel zu fassen verstand. Dabei ist der Go/Jm Bough keineswegs singulär. Frazers Werk steht im Kontext einer ganzen anthropologischen Schule, die entgegen den vorherrschenden Tendenzen des 19. Jahrhunden das Ritual gegenüber der erzählerischen Überlieferung wieder in sein Recht setzen wil1. 62 In dieser Bemühung wird nicht selten die Hierarchie umgekehrt und das Ritual zum imaginären Ursprung des Mythos 60 Dic stark crwcitcnc und überarbeitctc zwölfbändigc Ausgabe des Go/Jrn Bough wwdc 1907-1915 publizicn. 61 Siehc T. S. Eliot, Tht Waste umJ. A Faaimik and TraNenpt o[tk Original Drafo Inc!uJi"t tlN A"notatioN o[ wa PowuJ. cd. by Valcric Eliot, London: Fabcr and Fabcr, 1971, Anmcrkung S. 147 62 Zum Entstehungsumfdd und Einfluß von Frazcrs GolJm &"fI1 vgl. john B. Vickcry, TIN Littrary Impact 0[_ TIN Go/Jrn Bough-, Princcton (N. j.): Princcton U. P., 1973, v. a. S. 3-37 und 68-105
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erhoben. einer Erzählung. die selbst nie ihre Nachträglichkeit aufheben kann. 6J Der Bezug auf den Ritus des tUscmsus spiegelt diese Ursprungssehnsucht auch in seinem Motiv - als Rückgang in die Vergangenheit und Abstieg zum tiefsten Grund. Aber die innige Verflechtung von Mythos und Ritus läßt sich nicht - und dies gilt bereits für Frazer - in eine klare Opposition oder hierarchische Genese auflösen. "In ritual. ehen. we may fmd ehe origin of ehe narrative. a ritual being a temporal sequence of acts in which ehe conscious meaning or significance is latent". faßt es Northrop Frye64 und trägt damit in das Verhältnis von Ritus und Erzählung eine Gegenüberstellung ein. die die erstgenannte Dualität durchkreuzt: Der Ritus wird mit der Erzählung zusammengeschlossen und dem Komplex Epiphanie/Bedeutung gegenübergestellt. The pull of ritual is toward pure narrative. which. if mere could be such a ming, would be automatie and uneonscious repetition. [... ] On me omer hand [... ] fragmenu of significance [... ] derive from me epiphanie moment. me flash of insWlWleous comprehension [... ]. And ;ust as pure narrative would be unconscious aa. so pure significance would be an ineommunicable state of consciousness[.]65
Die Opposition von Handlung und Erzählung wird unterlaufen zugunsten eines dualen Konstrukts. in dem die einzelnen Pole nicht isolien bestehen können und der Grenzverlauf zwischen ihnen nicht eindeutig zu bestimmen ist. Eine solche Akzentverschiebung innerhalb des Begriffes "Erzählung" • wie sie Frye hier vornimmt. entspricht weitgehend dem. was erzählerisch in Circe geschieht - eben unter Rückgriff auf den Ritus. "the origin of ehe narrative". Dabei lese ich die Genese. die in dieser Formulierung suggerien wird. nicht als eine entwicklungsgeschichtliche ..Abstammung". sondern als eine funktionale Beschreibung: Aus der obsessiv repetitiven Aktivität. die das Rirual auszeichnet. kann der Erzählakt als eine Variation in der Wiederholung hervorgehen. Damit wird auch deutlich. worauf die rituelle Inszenierung der Unterweltreise in Circe eigentlich zielt: Wenn die epische Unterweltreise in ihren Grundzügen ein epistemologisches Unternehmen darstellt - Odysseus. Aeneas und Dante suchen alle eine Information. ein verborgenes Wissen in der Unterwelt -. setzt die rituelle Unterweltreise stärker auf die Aktion und auf die Veränderung. die diese Handlung unmittelbar bewirkt. Genau das passien in Ciru. und dies signalisien das Kapitel durch die Verwendung ritueller Elemente. Dabei geht es aber nichtoder kaum - um die Initiation einer Figur (Bloom oder Stephen). ebensowenig, wie es in Odyssee. Ameis und Divintl Commedia nur um ein inhaltliches Wissen geht, das die Protagonisten gewinnen. Die Initiation. die in Ciru stattfindet. ist
63 Vgl. hierzu ayde K1uckhohn, Myths IlNi RilUllls: A Gmnal ThtDry, in: Myth IlNi Liln'llturt, Gmtnrrporllry ThnJry IlNi PrtUtict. cd. by John 8. Vickery, Lincoln (Ncbr.): Univcrsiry of Ncbraska Press, 1%6, S. 33-44, hier: S. 35 64 Northrop Frye. TIN Arrhnypts DfLiln'llturt, in: Myth IlNi Liln'llturt. S. 87-98, hier: S. 93 65 Ebd.
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vielmehr die eines neuen Erzählens. Dieses Kapitel befördert den Text unwiderruflich in eine neue narrative"Verfassung" - und zwar eine Verfassung, die noch über den Ulyss~s hinausweist: Hier wird auch der Leser in ein Erzählen initiiert, das in seinen radikalen Konsequenzen erst Finn~ans Wak~ realisieren wird. Daß Circ~ auf motivischer Ebene an Topoi und Konzeptionen anschließt, wie sie Frazers Goldm Bough entwickelt, ist kaum von der Hand zu weisen.66 In dem Kapitel finden sich zahlreiche rituelle Versatzstücke aus verschiedenen Mysterienreligionen und Geheimbündent Neben den Zeichen der Freimaurerei, die explizit ausgewiesen sind, begegnen Anspielungen auf die eleusischen Mysterien und den verwandten Ceres-Kult wie auf den Orphismus - alle engstens mit der Unterwelt und entsprechenden Riten des Abstiegs verbunden. "It may be an old hymn to Demeter" (U 15.2088), verkündet Stephen kurz nachdem Bloom das Bordell Bella Cohens betreten hat - die homerische Hymn~ an Dnn~ter, die den Mythos der Persephone schildert, ist laut Frazer eines der Belegstücke rur die deusischen Mysterien." Und ganz im Stil Frazers geht auch Stephen alles in eins: "priests hailhooping round David's that is Circe's or what am I saying Ceres' altar" (U 15.2091). Eine der rituellen Handlungen, die mit der Verehrung dieser tellurisch-chtonischen Fruchtbarkeitsgöttinnen zusammenhängen. wird in Ciru später in die Tat umgesetzt: die Kastration, die die ekstatischen Riten der "hailhooping priests" vor allem im kleinasiatischen Kult der "Großen Mutter" häufig begleitet haben sol1.69 In der Gestalt der mannweiblichen Göttermutter, der MaUr Magna, erscheint die mannweibliche Puffmutter Bella. die ,,Magmagnificence" (U 15.2845), um ihrem ergebenen Diener seine Männlichkeit zu rauben und ihn als "eunuch" (U 15.1341) zu denunzieren: "Where's your curly teapot gone to or who cocked it on you, cockyolly?" (U 15.3130) Das sadomasochistische Ritual Blooms vor der großen Herrin wiederholt auch andere Züge, die als typisch rur einen riu Je passag~ gelten: neben der Androgynie
66 Zu Frazcrs Einfluß auf Joyce siehe Richard D. Lehan, Citits o{tIN LivinglCitin o{tht Dta"': Joyct. EÜOI, anti tht Origins o{Myth in Motinnism, in: Tht Motinnists: StutJits in a Litnary Phmommon, cd. by lawrence 8. Garnachcllan S. MacNiven. Rutherford (N. J.): Fairleigh Dickinson U. P.• 1987. S. 61-74. hier S. 62; sowie John 8. Vickery. Tht Liltrary Impact o{. TIN Goltinr Bough-, v. a. Kapitd VI-VIII. Mircea Eliade ruhn gerade den UIySSts als modernes Werk an, in dem sich Initiationsthcmen entziffern lassen. Vgl. Eliade. Das Mystnium dtr Wittkrgtburt. S. 241 67 Marsanne 8rammer rekonstruien in ihrem ArtikdJoyctS .haJJurinian via-: Mystnits, Gmdtr. anti tht Staging o{.Circl" das Kapitd als einen kompletten, sicbenstufigen Initiationsritus. Auch wenn die Ausschließlichkeit ihrer Lektüre und vor allem deren c:soterische Schlußfolgerung ("Joyce's mysteries anempt to rcvcal the ways in which universal laws continue to shapc: the activitic:s of cveryday life" - S. 122) nicht mehr in Circt ~u verankern sind. liefen 8rarnmer doch uhlreiche Belege für Joycc' Rückgriff auf Mysterienkulte. 68 Frucr. Tht Goltinr Bough, pan V (Spirits of the Corn and of the Wild), vol I. S. 35 69 Vgl. cbd., pan IV (Adonis. Anis, Osiris), vol. I, S. 268 f. Kybde und die sie umlagernden Mythen bilden das k1einasiatische Pendant rum Demeter-Persephone- bzw. Ceres-Komplcx. Zu dem Kult der Matn Magna siehe auch Dtr ItInM Pauly - Lcalton dtr Antiltt in fonf lJiintJm. München: DTV. 1979, Bd. 3, Sp. 387 ff.
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bzw. dem Geschlechterwandel die körperliche Züchtigung, die Venwandlung in ein Tier, der (drohende) Kannibalismus und nicht zuletzt die Verbrenmung.i'O Neben solchen katabatischen Initiationsriten in ,hf.PCrphrygian mode' sind aber auch die in "mixolydian" (U 15.2090) vertreten, I so der Orphismus, der sich in der Gestalt seiner Gründerfigur Orpheus in Ulyss~ XV inkarniert: Ganz als der mythische Poet romantischer Tradition tritt Blooms Pseudonym und Doppelgänger Henry Flower mit "silverstringed inlaid dulcimer" (U 15.2480), "guitar" (15.2489), "lute" (15.2621) und "wild harp" (15.2629) auf. Die nur literarisch verbürgte Gründerfigur dieses Mysteriums wird in Circl! treffend von einem ..Mann der Schrift" repräsentiert - und dies im radikalsten Sinne, insofern "Henry Flower" nichts als ein schriftliches Pseudonym ist, ein reines Buchstabenkonstrukt zu Zwecken einer erotischen Verbindung, die ihre Schriftlichkeit keineswegs zugunsten einer ehebrecherischen Tätlichkeit aufgeben will. Statt mit Eurydice in pmo714 beschäftigt sich Circ~ Orpheus lieber mit sich selbst im Spiegel der Buchstaben: "There is a flower that bloometh", (U 15.2489) stimmt Henry Flower alias Bloom an. Während Orpheus bei Vergil noch über den Tod hinaus nur von ihr singt,72 kann Orpheus in Ciru nur von sich selbst singen, und seine Zerstückelung, sein sparagmos. besteht allein in der Verschriftlichung: die Zerstückelung seiner Identität Bloom in die Buchstaben ~eines alter ~o "Flower", wie er seine Briefe an Manha Clifford zeichnet. 73 In diesem Spiel mit Identitäten und Rollen bleibt der Autor/Sänger körperlich unversehrt, im
70 Vr). Propp. DU historischm Wuruln Jn Z4ubnmiJrchms. S. 91. 118 fT.• 131 ff. 71 Antike Tonanen. die sowohl in AristoteIes' wie in Platons Poütna im Konte:xt einer Ethoslehre stehen.•Hyperphrygisch" meint hier wohl ..hypophrygisch ". da dies die antikte Tonart ist. die als enthusiastische und kathartische Musik. wie sie in kultisch-orgiastischen Feics:rn eingesetzt wird. der .mixolydischen" gegenübergestellt wird. die in ihrer ruhigen Tonfolge dien Klagen und gedämpfteren Gemütsbewegungen zugedacht ist. Beide Tonarten werden von Pllaton als "verweichlichend" aus seinem idealen Staat verbannt. Vr). Platon. poütna. 398 e und 3'99 a (Poü~i4 - D" SIII4I. griech.ldeutsch. übers. v. Friedrich Schleiermacher. Darmstadt: WlSSCruschaft1iche BuchgeseIlschaft. 1971) 72 .. turn quoque marmorca caput a cervice revu1sum gurgite cum medio ponanlS Oeagrius Hcbrus volverer. Eurydiccn vox ipsa er frigida lingua a! miserarn Eurydicen anima futgiente vocabat. Eurydiccn toto referebant flumine ripae." [Aber noch jetzt. da das Haupt vom nnarmornen Nacken gerissen, mitten in strudelnder Flut fortwälzt der befreundete Suomgott. kIag;t doch die Stimme ..Eurydikc!- noch. lallt stockend die Zunge: ..Weh. meine arme Eurydikc!" nad! ersterbenden Hauches. hallten "Eurydikc!" bang entlang am Scrom die Ufer.) VergiI. G~UJrgi(1l IV. 523-527. zitiert nach: Vergil. LanJkbm: u,t4!epto". BUCOÜC4. G~orgi(4. hg. u. übers. v. Johannes und Maria Götte. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgcsdlschaft. 1987 73 Die Schrift als Fragmentierung wird im Ulyms selbst vorgeführt. und dies ehern an einem Namen: H.E.L Y.S. Name und Körper sind in Gestalt der Sandwichmänner verbund.cn - doch funktioniert diese Verbindung nur. um den Preis der Entstc11ung - Entstc11ung dies I<örpers. der zu einem bloßen Signifikanten (und Werbeträger) reduziert wird. oder EntsteUwng des Namens. indern der Sinn der Schrift stets durch die ..Autonomie" und unbegrenzte J(o)mbinierbarkcit der einzelnen Buchstaben/Körpers geflihrdet ist: .. He rcad the scarlet lettcrs on tthcir five calI whice hats: H.E.LY.S. WJSdom Hely·s. Y lagging bchind drew a chunk of brcad frrom under his foreboard." (U8.125-127) Circa eine Seite später erst kommt der letzte Buchstalbc dtS Wortes: .. He crossed Westmoreland street when apostophe S had plodded by." (U 8.155)
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Gegensatz zu seinem imaginären Liebesobjekt: Am Ende ist es in Cirtt die Eurydike-Figur innerhalb dieser Konstellation, die zerstückelt wird - statt mit Orpheus' abgetrenntem, singenden Haupt in den Wogen endet Henry Flowers orphisches Abenteuer mit einem abgetrennten Frauenhaupt, daß er mit den Wonen besingen kann: "When first I saw ... " (U 15.2621). Noch in dem Text dieser Liedzeile liegt eine parodistische Verkehrung: Hier kehn der berühmte Blick des Orpheus wieder, doch ist in dieser ironischen Spiegelung der tragische letzte Blick auf die geliebte Frau zu einer trivialen "Liebe auf den ersten Blick" geworden: "When first I saw... " "The rite is ehe pocc's rest" verkündet Stephen (U 15.2088) - das kann fUr den Dichter, der Circt schrieb, kaum gegolten haben. Denn wie zu erwanen bedient sich das Kapitel weniger der vorgegebenen Riten der Mutation, als daß es eine Mutation vorgegebener Riten betriebe. Grundsätzlich verfähn es mit den Versatzstücken der Mysterien wie mit allem Material eklektisch und akkumulativ. Im Falle dieses Themas persiflien es damit zugleich die synkretistischen Tendenzen einer Esoterik, wie sie zu Joyce' Zeiten groß in Mode war. Ein prototypischer Venreter dieser Zunft, Helena Blavatskys [si! Unvtikd, ist eine wichtige Quelle Joyce': "That Blavatsky woman staned it. She was a niee old bag of tricks." (U7.784 f.).7~ Blavatskys [si! Unvtikd handelt Mysterienkulte jeglicher Provenienz und Entstehungszeit ab, um tn passant zu der Schlußfolgerung zu gelangen: "Initiation into ehe Mysteries, as every intelligent person knows, was a dramatic representation of scenes in ehe underworld. "75 Als Konsequenz solcher Universalehesen kann dann in Ciru die "Isis unveiled" als "veiled Sibyl" begegnen, welche dem Protagonisten buchstäblich in die Unterwelt vorausgeht: "THE VEILED SIBYL: {stabs hn-st/f} My hero god! (sht dits)" (U 15.1744). Der Initiand Bloom wird seiner Sibylle erst mit einiger Verspätung nachfolgen: wenn er als Wiedergänger Jesus Christus' von der Dublin Fire Brigade öffentlich verbrannt wird (das erste Autodafe), unter dem Gesang der "Töchter Erins", welcher die Stationen seiner bisherigen Tagesreise in eine Litanei der Auferstehung faßt: .. Kidney of Bloom, pray for us" etc. (U 15.19411952f6 Hiermit scheint, dem prototypischen Verlauf einer Mysterien-Initiation folgend, nach den unterweltlichen Purgationsriten die Himmelfahn des Helden bevorzustehen. Doch der Protagonist hat die Unterwelt an diesem Punkt noch lange nicht durchmessen, weshalb die Szene nicht in Blooms Apotheose mündet, sondern nur in der Überschreitung der nächsten Schwelle, diesmal angefühn von der eher unverhülllten Sibylle Zoe: "Zoe and Bloom reach ehe doorway [... ] hc
74 In Sty/J4 anJ CharibJis rallt auch der Titd von Blavatskys Buch (U9.279). Zu Joyce Kennmis von [sis Unwiled siehe darüberhinaus Brammer,foycti .ha/JuciniAn tIÜl-, S. 89 f. 75 Hdena P. Blavatsky, [sis Unwiled (l8n), vol. 11. Whcaten (1U.)/Madras/London: The Theosophical Publishing Housc. 1972. S. 494 76 Laut GiffordlSeidrnann eine Parodie der .. Litany of the sacrcd hcan" an die Mutter Gottes. Siehe
Ulyms Annotll~d, S. 485
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stands aside at the treshold [... ]. She crosses the treshold. He hesitates. She turns and, holding out her hand, draws him over. He hops."(U 15.2021-2032) Hier wird Bloom statt in den Himmel in den nächsten "Höllenkreis" gefühn - wenn er an dieser Stelle auch einen Schritt aufwäns tut, steigt er symbolisch doch tiefer hinab: "Hoopsa! Don't fall upstairs." (U 15.2025) Die Verkehrung ist ein dominater Mechanismus in Circt. Das betrifft sowohl, wie in diesem Fall, die Umkehrung von oben und unten als auch die von rechts und links oder die der Zeitstruktur: In einer Reversion der Erlösungsgeschichte bringt Stephen zu Beginn der Szene das Licht in die Welt, um es am Ende auszulöschen (U 15.99/4243). Solche Umkehrungen sind ein charakteristisches Merkmal der Unterwelt - die "höllische Verkehrung" ist keineswegs nur moralisch zu verstehen. n Einer ihrer klassischen Topoi wird in Circt auch als Merkmal der Unterwelt ein~fühn - die Sprache der Hölle, die eine Verkehrung der göttlichen Sprache ist.7 Bloom muß in dieser verkehnen Welt erst eine ganze Serie initiatorischer Konversionen, Reversionen, Inversionen und deren parodistischer Perversion durchlaufen, bevor die entscheidende (reversierende) Inversion stattfinden kann, mit der der Rückweg in die Welt beginnt: Nach seiner zweiten Verbrennung - wir erinnern uns an den Scheiterhaufen für Bloom als seine eigene Witwe - findet der Protagonist sich in einer deutlich anderen Verfassung wieder. Nicht nur in einem buchstäblich "anderen Aggregatzustand" entsteigt der eben noch weiblich-weinerliche Bloom den Rauchschwaden - gallenartig, "jellily" -, sondern auch unerwarteterweise "with dignity" (U 15.3242). Mit der restituierten Würde wird er aber seine Männlichkeit und folglich seinen Talisman wiedergewinnen (U 15.3524), der nicht von ungeflihr zu Beginn der Episode mit seinem Geschlecht verwechselt wurde (U 15.1298-1313). Doch wenn Bloom sein potentes Zauberkraut zurückerhält, muß der Unterwelt anderweitig Ersatz ge..~ffen werden: Der überfällige WegzoU an PersephoneBella wird nun durch eine finanzielle Transaktion geregelt (U 15.3526 -3584). Ein weiteres Mal setzt die Rückkehr ins Leben eine Kette der Ersetzungen frei. Aber indem Bloom sich (und Stephen) durch den Ersatzwen schlechthin, das Geld, von den Ansprüchen der Unterwelt freikauft, folgt er keinem rituellen oder mythischen Modell initiatorisch-heroischer Grenzüberschreitung, sondern einem kommerziellen Ideal grenzüberschreitender Finanzoperationen: Heros und Initiand
77 Die altägyptische Mythologie begreift den Tod als Umkehrung des Aherproza.ses und die Unterwdt als verkehne Wdt. in der die Schrift Spiegelschrift ist. die Himmelsrichtungen aufgehoben sind. die Barke des Sonnengottes rückwärts flihrt und die Wesen teilweise kopfunter laufen. Im Gegensatz zum Christentum ist gerade diese Verkehrung - eben als zcidiche Verkehrung die Hoffnung der Unterwdt. Vgl. ADPtis~ Untnwtltsbüchn-, S. 9 und 31. Auch im mindcuroplischen Volksgut wird mit der Unterwdt das Antipodenland, das verkehne Land auf der Unterseite der Wdt. in Verbindung gebracht. Siehe Strausbcrg. Zur Jmstitstopot;rllphit. S. 79 78 Die Gebetsformd ..Alleluia. for me Lord God omnipotent reigncth" wird von "allen Verdammten" rückwärts gesprochen: .. Htengier Tnctopinmo Dog Orol eht rof, Aiuldla!" worauf die Stimme des Herrn aus dem Himmel in ebensolcher Verkehrung anrwonct: ..Dooooooooooog!" (U 15.4707-4713)
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als Reisende in der Unterwelt werden durch den "commercial uaveUer" ersetzt eine Nachfolge. die sich in einer Bemerkung Stephens bereits ankündigte: "What went fOM [0 me ends of me world to traverse not itself. God. me sun. Shakespeare. a commercial traveUer [... ]" (U 15.2117). Merkur. der Bloom seinem Amt als Psychopomp gemäß in die Unterwelt einführte. scheint ihm offenbar auch wieder den Weg hinaus zu weisen - diesmal allerdings in seiner Eigenschaft als Gott der Händler und Betrüger.
Die Erscheinung der Toten In nighttowns inkonsistenten Dimensionen steigen nicht nur die Handlungsreisenden in die Unterwelt. sondern auch die Toten an den allegorischen Iocus kapitalistischer Geldwinschaft. das Bordell. Sie erscheinen. kaum daß Bloom die Grenze überschritten hat: Als erstes begegnet dem Protagonisten sein Vater Rudolph. unmittelbar darauf seine Mutter (U 15.248 ff.). Später wird er noch auf seinen Großvater Lipoti Virag treffen. womit der Unterweltreisende nicht nur immer tiefer in die Vergangenheit zurückgegangen wäre. sondern auch alle genealogischen Referenzfiguren aufgesucht hätte. die bei seinen drei großen Vorgängern nur je einzeln auftauchen: die Mutter in der Odyssee. der Vater in der Ameis. und wenn auch nicht der Großvater so der Ururgroßvater in der Divina Commedia (Par. 111). Allerdings werden dies beileibe nicht die einzigen Toten bleiben. die in Circe erscheinen. so wie Bloom auch nicht der einzige Reisende in dieser Unterwelt ist. Auch Stephen hat in diesem Kapitel seine Begegnungen mit den Geistern: etwa mit Shakespeare (U 15.3821-3829). Kevin Egan (U i 5.4500) und seinen ehemaligen Lehrern Famer Dolan und Don John Conmee. die wie Farinata und Cavalcanti aus dem "coffin" des Pianola auftauchen (U 15.36673676).79 Vor allem aber erscheint ihm der mahnende Geist seiner Mutter: S~phm j mother, muuia~d. rim starlt through the floor. in kper grry with a wrtath 0/ /atkd orangebIDssoms and a 10m brUl4l vnl her face wom and noseIns. grem with gravemould Her hair is stnn and lanlt. She fixa her bluecircled hollDw eyaocltets on S~phm and opms her toothln mouth uttning a siknt word (U 15.4157-4161)
Die schaurige Geistererscheinung, die dem "ghouleaten" Paddy Dignam bei weitem die Schau stiehlt. läßt in der obsessiven und phantasmatischen Angst Stephens vor der Höllenstrafe ein traumatisches Reales aufbrechen: "Raw head and bloody banes." (U 15.4214) Es ist der Körper als das andere des Subjekts. als sterblicher Körper und tote Materie.1O wie sie auch die Unterwelt von Haeks ausmachen: das Reale. das nicht in Sprache zu übersetzen ist. "Teil me the word, momer. if you know now. The word known to all men". (U 15.4192) forden 79 Vgl. Dante. Di";NI CommnIiA. Inf. X. 28-36 und 52-55 80 "Rawhcad and bloody bones" ist ein Zitat aus Lntrygonütns. wo es sich auf Schlachtvieh und die Verwandlung eines lebenden Tieres in lOtes Fleisch bezieht. (U 8.726)
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Stephen vergeblich seine tote Mutter auf. Bereits bei ihrem Erscheinen ist das Won unhörbar, "silent", und es bleibt allein der tote Körper, der zahnlose Mund, der es formt. Aber was ist das für ein Won? Und wenn alle Menschen es kennen, wieso muß es Stephen gesagt werden? Spätestens seit der kritischen Ausgabe Hans Walter Gablers wird davon ausgegangen, daß es sich bei diesem Won um das Won Liebe handelt. Denn für eine andere Stelle im Ulyss~s ist dieser Bezug nun eindeutig belegt: Im Kontext der Shakespeare-Debatte in Scylltz anti Charibtiis heißt es: "Do you know what you are talking about? Love, yes. Word known to all men. Amor VmJ a/iquitJ a/icui bonum vuit untk n ~a quu concupiscimus." (U9.429-431) Obwohl die Frage nach dem Won, das alle Menschen kennen, hier von Stephen selbst eindeutig beantwonet wird - "Love, yes" -, scheint sie dies in Circ~ keineswegs zu sein: Begierig, ,,~ag"Iy", stellt er seine Frage, wie es in der Regieanweisung heißt. "Tell me the word, mother, if you know now" - die Mutter könnte es jetzt kennen, der Sohn kennt es offenbar nicht, UIyss~s IX zum Trotz. Die besagte Passage in Scylltz anti Charibtiis ist tatsächlich erst 1984 in der Kritischen Ausgabe eingefügt worden; doch selbst wenn ihre Auslassung in den vorhergehenden, von Joyce mehrfach revidienen Ausgaben ein Versehen gewesen sein mag, so ist die Antwon, die sie vermeintlich auf die Frage in Circ~ liefen, mit Vorsicht zu genießen. Zweifelsohne: Das Won Liebe liegt nahe, auch ohne die von Gabler rekonstruiene Textfassung. Befremdlich aber mutet die Gewißheit an, mit der etwa Richard Ellmann das "verlorene" Won begrüßt: "Now that the word known to all men is established as 10ve".81 Der Kontext, in dem das fragliche Won in Circ~ nie h t genannt wird, gibt wenig Anlaß für solch emphatische Eindeutigkeit. Bevor der rekonstruiene Text veröffentlicht wurde, kam noch ein anderes Won "in Frage" - ein Won, das allen Menschen ebenso bekannt ist wie seine Bedeutung allen unbekannt ist und das weit eher ein unaussprechliches und verschwiegenes ist ("a silent word") als das Won Liebe: das Won Tod. 82 Betrachtet man neben der von Gabler rekonstruienen Passage die beiden T extstellen im Ulyss~, in denen "das Won" auftaucht ohne als solches genannt zu werden, so zeigt sich, daß Stephens Antwon durchaus nicht das alleinige Won liefen. l '
81 Richard EJlmanns Vorwon zu der Penguin-Ausgabc des Ulyssts. cd. by Hans Waller Gabler wilh Wolfhard Sleppe and Claus Mclchior. London. 1986. S. IX-XIV. hier: S. XII 82 Diese Bedeulung legle vor allem Hugh Kenner nahe. bcreiu in Dubün i Joy« (Bloominglon (Ind.): Universiry of Indiana Press. 1956). S. 250 und 262. und späler in seinem Buch Ulyssts. S.129. 83 Zu diesem Schluß komml auch Joan Kimball: MThis kcy. likc so many omer kcys lO mcaning in Ulysm. appcars lO unlock a door mal in [Urn leads lO omer doors. ramer man lO some ucasure house of guaranlccd mcaning". und er sueichl heraus. daß mil der wicderhcrgcsleUlen Passage ein Grundmusler nur urnso deudicher würde. das bcstiindig liebe und Tod zusammenschließl. Dcrs .• Low 4n4 lR41h in .UIyssn": • Wo,J hwwn 16 4// mm·. in: J4mn Joyct QJuzrtnly 24:2 (1987). S. 143-160. hier: S. 147 und 144.
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"Tell me ehe word, mother, if you know now" - jetzt, wo sie ihm als Geist erscheint, dürfte Stephens Mutter tatsächlich nicht nur das Wort Tod sondern auch seine Bedeutung kennen. Noch bevor er seine Frage stellen kann, antwortet sie ihm, ohne das Wort selbst zu nennen: ,,(com~s nrar". brtathing "pon hirn softly h" br~ath o[ wnud ash~) All must go through it, Stephen. More women man men in the world. You too. Time will come." (U 15.4182-4184) Das trifft sowohl auf die Liebe wie auf den Tod zu. Stephen, der die Liebe noch nicht kennt, sucht nach ihrem Wort, nicht nach dem des Todes - "Love, yes" ist die Antwort, die er sich selbst gegeben hat. Daß er dennoch ahnt, wovon seine Mutter in Ciru auch spricht, zeigt seine Erwiderung, die deudicher als das Wort Liebe das Wort Tod buchstabiert: ,,(cholting with fright. r~orst and horror) Tbey said I killed you mother. He offended your memory. Cancer did it, not I. Destiny." (U 15.4186 f.) "Tbe word known to all men" - weil alle es kennen und niemand es ausspricht, kann das Wort eine Schaltfunktion einnehmen zwischen den zwei Polen, die im Ulyss~ einander entgegengesetzt und aneinander gekoppelt sind. Wenn sich in HtUks der Tod und die Liebe an einem Ort und einem Wort treffen ("bed"), um sich als zwei Pole zu konstituieren - in den "maggoty beds" und in den "warm beds" -, treffen sich in Circt die beiden Pole und die beiden Worte i n einem Wort, das nicht genannt wird. Aber indem es ungenannt bleibt, produziert dieses Wort nicht nur eine Frage, sondern auch seine Umschreibung und damit seine Um-schreibung in andere Wöner. Das kann man bereits in UIy.Uts III beobachten, wo das ..word known to alI men" erstmals begegnet. Die Frage nach ihm wird zunächst in dem Kontext von Liebe und Begierde gestellt: "Touch me. Soft eyl!S. Soft. soft hand. I am lonely here. 0, touch me soon, now. What is ehat word known to alI men? I am quiet here alone. Sad too. Touch, touch me." (U 3.434-436) Wenig später aber taucht eine Formulierung auf, die eine aufFallige und irritierende Ähnlichkeit besitzt, jedoch ohne Umschweife ihr Hauptwon preisgibt: "Seadeam, mildest of all deams known to men." (U3.482) Durch eine Umstellung der Worte wird aus dem mit Sanftheit verbundenen Wort, das allen Menschen bekannt ist, der Tod, der von allen den Menschen bekannten Toden der sanfteste ist - die Frage nach der Liebe wandelt ihre Wone in eine Aussage über den Tod. Allerdings ist dieser Tod nicht der Tod, der Stephen in Circt in Gestalt seiner Mutter entgegentritt. ,,[Tbe] mildest of alI deam" ist mit "Old Father Ocean" verbunden - Proteus, dessen Wesen beständiger Wandel ist und nicht Stillstand und Verfall, wie sie das "maggoty bed" in Hatks und auch das Totenbett von Stephens Mutter kennzeichnen. Nur deshalb kann er auch beim Namen genannt werden. Vater Ozean, das väterliche Meer, ist ein anderes als das Meer, das in Ttlnnachus und in Circt mit der Mutter und dem unnennbaren Wort gleichgesetzt wird. Als "Our great sweet mother! Epi oinopa ponton", (U 15.4180) preist Mulligan die See, aber selbst in dieser mythologischen Verklärung trägt sich durch das Odysstt-Zitat ("auf dem weinroten Meer") eine andere Konnotation ein: Das Meer ist bei Homer gerade nicht der Ort des sanften Todes, sondern die
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Drohung eines gewaltsamen. schrecklichen Endes. 84 Deshalb fühn bereits in Telnnachus Mulligans euphemistische Zitation der Odyssee über Stephens Ass0ziationen zu einer Mutter, wie sie in Ulysses'XV begegnen wird - als ein Körper im Zerfall: Across the threadbare cuffedge he saw the sea hailed as a great sweet momer by ehe the weUfed voice behind him. The ring of bay and skyline held a duU green mass of liquid. A bowl of white china had stood beside her deathbed holding the green sluggish bile which she had torn up from her rotting liver by fits of loud groaning vomiting. (U 1.106-110)
Noch wenn sie ihm in den Halluzinationen Circes gegenübertritt. trägt diese Mutter etWas von dem unaussprechlichen Realen. der brutalen Profanität des Todes. das sie weder zur "great sweet morner" verklärbar macht. noch ihre Erscheinung in den phantasmatischen "dance of dearn" (U 15.4139) einreihen läßt. Sie ist das. was außerhalb des Kreislaufs von Einverleibung, Verwertung und Bedeutung steht: Exkrement. "STEPHEN {strangkd with rage. his ftatures drawn grey anJ oU}. Shite!" (U 15.4222 f.) Das ist aber nicht der Kot als Symbol des Phallus oder als Geld der Hölle, dem Zeichen par exce/Jmce. Die tote Mutter wird vielmehr zu nutz- und sprachloser Materie: Scheiße - das heißt Dreck. Verworfe·· 8S nes, V erdrangtes. Doch in Circes Hölle hat sich das amorphe. exkrementale "Ding" bereits in ein Wort verwandelt: "Shite". und dieses WOrt fungiert. wie schon zuvor. als Paßwort in die Unterwelt des Imaginären. die dieses Kapitel zur Darstellung bringt. Bereits das erste Paßwort zum Eintritt in die Hölle hatte die Scheiße zum zentralen Element: "Shitbroleeth" verballhornt Bloom das alttestamentarische Shibbolern. Ihr symbolisches Potential liegt in der Blasphemie - das gilt auch für Stephens "kleine Höllenfahrt". die aus der Szene mit der Mutter hervorgeht. Die religiöse Überlieferung erlaubt den Übertritt vom Unaussprechlichen in die Darstellbarkeit. wenn auch in Gestalt einer zwanghaften Wiederholung: Stephens Abstieg in die Unterwelt wiederholt den ursprünglichsten aller Abstiege laut jüdisch-christlicher überlieferung. Luzifers Höllensturz. Die Mutter beschwört das Höllenfeuer und die göttliche Ordnung von Strafe und Sühne - ,,(with moubkring eyes) Repent! O. the fire of hell!" (U 15.4212) Das erlöst Stephen zuletzt ebenso aus der Entsetzensstarre wie von der verzweifelten Suche nach dem benennenden Wort. Der Rückgriff auf die Ordnung des Imaginären. die der Katholizismus verkörpert. liefert die Struktur. in die sich die Begegnung fassen läßt.
84 Teiresias verheißt dem Odysscus explizit einen Tod "sanfr und nicht aus dem Meer" (0 XI, 135). Der schreckliche Tod aus dem Meer aber steht im UIyms unrer dem Zeichen der Muner: ..A drowning man. his human cycs scrcam ro me out of horror of his dcam. I ... Wilh hirn togcrher down ... I could not save her. Waters: bitter dcam: lost: (U3.328-330). Siehe zu dieser Szene auch die Lektüre von Gcorges Didi-Huberman in Was wir srhm, bücltlllllS /In. Zm Mnllpsycholo,utUs Bi/dn, München: Fink, 1999, S. 11-18 85 .Abjekt in der Terminologie Kristcvas, die die Mutter ebenfalls als paradigmatische Position des Abjckten anscm. Vgl. Julia Kristcva, Ptnlvoirs tU l'horrrur - l!ss4i sur lizbj«tion, Paria: ScuiI, 1980 M
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Indem Stephen sich standhaft gegen die Ansprüche der Religion wehrt - .,Ah non, par amzpkt - erfüllt er die Rolle, die von ihr vorgegeben ist: "Non smJiam!' ruft der jugendliche Held wie Luzifer vor dem Fall, und sorgt dann eigenhändig für die Götterdämmerung. Mit dem Schrei "Nothung" sowohl ein magisches Schwert (Nothung), den tragischen Helden einer heidnischen Mythologie (Siegfried), das künstlerische Genie (Wagner) und das Nichts (Nothing) gegen den Gott des Katholizismus aufbietend, zerschlägt er den Lampenschirm. An die Stelle des nackten, unerz.ählbaren Todes und der bedeutungslosen Materialität des sterblichen Körpers tritt damit eine ganze imaginäre (Unter-)Welt und ihre erzählerische Überlieferung. Die folgenden Szenen ziteren ausgiebig das Repertoire der apokalyptischen Tradition: "Tim~'s livid final jlam~ kaps anti, in th~ folspac~, shaturtd glAss and toppling masonry. " /owing darlm~ss, ruins 0/ (U 15.4244 f.) Aus dieser Weltuntergangs-Szenerie a la Blake stürzt Stephen zunächst hinaus auf die Straße und zuletzt hinunter - zu Boden und in eine tiefe Ohnmacht. Bevor er aber diesen Tiefpunkt seines Bewußtseins erreicht hat, verwandelt sich auch noch die Staße in ein "Pandemonium" (U 15.4662), wo Father O'Flynn und Reverend Mr. Haines Love mit dem Chor der Verdammten eine schwarze Messe feiern (U 15.4688-4718). Wenn aus Reverend Hugh C. Love (" You see love") hier Hugh C. Haines Love geworden ist, wird nicht nur, inhaltlich naheliegend, der anglikanische Priester mit dem verhaßten Britisher Haines ineinsgesetzt,86 sondern auch, phonetisch unwiderstehlich, eine franzäsichenglische Entmtt cordiak von Haß und Liebe gebildet: haine[s] - love. Damit scheint die Formel, die Bloom in G.,vc/ops gibt - "Love, says Bloom. I mean the opposite ofhatred." (U 12.1485) - im Laufe von Cirus Höllenfahrt ihre Verbindlichkeit verloren zu haben: Haß und Li~be werden in der Nennung eines Namens gekoppelt. "Dreams goes by contraries" sagt Florry (U 15.3928), und der Zusammenschluß von Gegensätzen wird in diesem Kapitel mit einer Konsequenz umgesetzt, die sonst dem Traum vorbehalten bleibt. Wenn Circt, wie Stuart Gilbert bemerkt, auf der binären Logik des Katholizismus mit ihrer scharfen Trennung von Tugend und Laster beruht,87 dann jedoch nur, insofern sie sich von dieser Gegensatzlogik abstößt, um einen apokalyptischen oder ekstatischen Kurzschluß zu produzieren.
an
86 Die Kombination von love und Haines taucht zudem im Kontext der allerersten Wone auf, die Stephen im Ulyssn äußen: ,,- TeU me, Mulligan, Stephen said quietly. - Yes, my love? - How long is Haines going to stay in this tower?" (U 1.47-49) 87 So GiJbcn,jllmnjoya's _Ulyssn-, S. 316
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Traumtechnik und Höllenmechanik "Must to visit heaven and hell show with morruary candles and they tears silver which occur every night" (U 15.3889 f.). verkündet Stephen in seinem "parleyvoo" als pseudofranwsischer Conferencier. Genau das ist Ciret - eine "heaven and hell show". die mit Lust und Angst arbeitet wie die verdrängten Wünsche im Unbewußten und die das auf die Bühne bringt. was jede Nacht im Traum stattfindet. "Within UIySStS and perhaps even within the whole canon. Ciru may be the most dreamlike text of all."" "Hallucination" heißt im Gorman-Gilben-Plan die Technik dieser Episode. und es sind die halluzinatorischen Wunscherfüllungen und Wiederholungsphantasmen des Traums. die nighttown beherrschen. Und ähnlich dem Traum fühn Ciret in die Unterwelt der Psyche. Doch ebensowenig. wie es hier einen Träumer gibt - es sei denn. es ist der U/ysses selber -. gibt es ein Subjekt. in dessen Unbewußtes abgestiegen würde. Vielmehr verfährt das Kapitel in seiner Methode analog zu einer psychischen !eatdbasis. und um diese möglichst wirkungsvoll zu inszenieren. arbeitet es mit den Techniken des Traums. Dabei ist verblüffend. wie genau sich die Vorgehensweisen in Ciret mit denen dekken. die Freud in seiner Traumtkutung als die grundlegenden des Traums beschreibt: Verdichtung. Verschiebung. absolutes Primat der Darstellbarkeit. Ineinssetzung der Gegensätze. Obwohl Joyce bekanntermaßen nicht viel für die freudsche Psychoanalyse übrig hatte. wirkt gerade UIySStl XV wie eine literarische Verarbeitung freudscher Theoreme über die Funktionsweise des Unbewußten. Das Prinzip der Verdichtung etwa ist grundlegend für das Kapitel. das verschiedene Ereignisse und Bedeutungsstränge in ihrem gemeinsamen "Nenner" wie in einer Kurzfonnel aufzurufen sucht. So beispielsweise Blooms "moving kidney" (U 15.334). die zunächst zu Blooms Nieren-Frühstück in Calypso zurückfühn und damit wiederum zu den Sätzen. mit denen der Held des UIySStl dem Leser vorgestellt wird. und die in den Wonen gipfeln: "Kidneys were in his mind as he moved about the kitchen softly" (U 4.6). Die Verbindung der Niere mit der Bewegung des Helden ist bereits in diesem Satz angelegt. Die Niere wird zum Enblem des Protagonisten und seiner "Irrfahn" - in Gestalt der" Wanderniere". die im Kontext des antisemitischen Dublins ebenso die Assoziation des "ewig wandernden Juden" nahelegt89 wie die des irrenden Odysseus. "See the wide world". sagt Molly in Ciru nicht zuflillig zu ihrem Poldy unmittelbar bevor er über die "moving kidney" stöhnt (U 15.330). Zum anderen aber verweist diese Wanderniere. die ungc:wöhnlicherweise durch Blooms Taschen zu wandern scheint - ,,(ht pats divn'S poe!etts) This moving kidney. Ab!" (U 15.333 f.) -. auf die Seife. die im Laufe des Tages von der Ge88 Fritt Senn, .. Ci,u· llS Harlting Btult in Rrtros~ctiw Arrangnnmt, in: Rratiing Joyu's .C;rc~·, S. 63-92, hier: S. 71 89 Zwnal diese Verbindung vor dem Circe-Kapitel mehrmals explizit hergestellt wurde, beispielsweise in Cydops: "Ahasucrw I call hirn. Curscd by God" (U 12.1667), und in Scylla and Charibdis: ..The wandering jcw, Buck Mulligan whispcrcd" (U 9.1209).
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93 (Ht [BIDom] points 10 tht south. Ihm 10 tht tllSl. A CIlItt 0/ MW clelln Imlt", SOilp llrim. Jiffiui", Üt,hl
11""pnforM.)
THESOAP
We're a capital couple are Bloom and I. He brightens me earth, I polish me sky. (U 15.335-339) 94 Wobei der Eimer nach freudscher Traumlogik für diese Übertragung denkbar geeignet ist. 6iIIt er doch eindeutig unter die Gegenstände. die die Trllumtinuun, als Symbol der Vagina decodiert (vgl. Freud. IN Trtlumtinuun, (STA 10. S. 348 u. 353). Bloom selbst bestärkt diesen Verdacht nur, indem er. umgeben von weiblichen Prostituierten. in klassischer Verdringungsmanier kommentien: .. Lucky no woman."
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tionen, darunter vor allem die des Widerspruchs. In Grus oxymoraler "hcaven and hell show" ist der Zusammenschluß der Gegensätze ein fundamentales Prinzip, weshalb Bloom, "bisexually abnormal" (U 15.1775) und "a finished example ofme newwomanly man" (U 15.1798), auch unversehens vom Messias und Befreier Irlands zum geschmähten Libertin und Ketzer mutieren kann. "Extremes meet", zitiert Lynchs Mütze, die bezeichnenderweise verkehrt herum auf seinem Kopf sitzt, "Dcath is me highest form of life. Ba!" (U 15.2098) Die a-Iogische Verfassung des Kapitels, in dem Kausalzusammenhänge und Subsumptionsstrukturen wiederholt außer Kraft gesetzt werden, erklärt sich auch aus dem vierten Funkcionsmerkmal des Traums, dem absoluten Primat der Darstellbarkeit. In Ulyssa XV muß alles Abstrakte konkret werden und seinen Auftritt haben. "Metempsychosis" übersetzt sich in Paddy Dignams Hundwerdung (U 15.12041226), Stephens Zustand - "parcially drunk" - materialisiert sich in den siamesischen Zwillingen Philip Drunk and Philip Sober (U 15.2512) und der Tumor, an dem Stephens Mutter gestorben ist, inkarniert sich in Gestalt eines grünen Krebses (U 15.4220). So finden sich alle wesentlichen Methoden der Traumarbeit, wie sie Freud entwirft, in Organisationsstruktur \md DarsteUungsmodi Circa wieder. Die Unterwelt dieses Kapitels ist kein sakrales Refugium erhabener Archetypen, sondern dwchseat mit Trivialem und Alltäglichem, wie auch der Traum mit Tagesresten und Abfallen der Erinnerung operiert. 9s Die Prof.utisierung der erhabenen Unterwelt wurde bereits in der antiken Komödie vollzogen, aber seit sich die Unterwelt im Unbewußten wiederfindet, besitzt das Profane eine ungeahnte Tiefendimension. "From the sublime to me ridiculous is but a step", verkündet Blooms anti-sublimer Großvater Virag (U 15.2401), und bei Joyce ist das, wie bei Freud, immer"a step further down": weiter hinab ins Unbewußte, zu dem der Witz bekanntlich eine privilegierte Beziehung unterhält. Aber wenn Freud und Joyce auch offenkundig einen ganz ähnlichen Blick für psychische Phänomene haben, ist doch der Fluchtpunkt dieses Blicks bei beiden denkbar verschieden: Circ~ arbeitet eben nicht wie ein Psychoanalytiker, sondern wie ein Traum. Es geht in diesem Kapitel nicht um Entschlüsselung und Explikation, sondern um Entstellung und Komprimierung. Was hier komprimiert wird, sind aber weniger Inhalte des personalen Unbewußten der einzelnen Figuren, auch wenn die Scharade sexueller Dominanz und Unterwerfung zweifelsohne dem bloomschen Triebleben entsprungen ist, ebenso wie der gehörnte Shakespeare, der Fuchs, der seine Großmutter begräbt, oder seine Eminenz Kardinal Simon Dedalus aus dem Repertoire des Stephenschen Ubw stammen. Vielmehr durchdringen sich in Circt Gestalten und Formen verschiedenster Provenienz, um ein "uanspersonales" Unbewußtes zu bilden. durch das die versammelten Figwen des Ulyssts samt der Inkorporationen ihrer verdrängten Wünsche 95 Vgl. auch John S. Rickard. The früh UrukrgrrnuuJs ofJOJC~ "Ni H~IUUJ' in: Joyct in tht Hibnnüzn Mmopolis. Ess4ys. cd. by Morm BejalDavid Norm. Columbus (Oh): Ohio State U. P.• \996. S. 250-259. S. 258
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und traumatischen Erlebnisse geistern. Neben solchen Vorstellungen und Affekten gewinnt aber noch etWas anderes in diesem Kapitel Gestalt: unbekannte Verwicklungen der Erzählung. ungenannte Details der Schilderungen. ungenutzte Kombinationen des Wort materials und der Sprachbilder des Textes. Man könnte es ein Unbewußtes des Textes auf stofflicher Ebene nennen. was in diesem Kapitel zur Sprache kommt. Circ~ ist laut Lco Bersani der Ulyss~s. der sich selbst träumt. noch bevor er zu Ende ist. 96 Wenn z. B. BeUalo in einer ihrer Schmähreden Blooms Ersetzung in MoUys Bett mit dem höhnischen Satz kommentiert: ..The tables are turned. my gay young feUow!". wird in diesem Satz eine Wahrheit ausgesprochen. die. obwohl sie unverdeckt an der sprachlichen Oberfläche liegt. weder den Personen noch dem Leser an diesem Punkt bewußt ist: Erst in Ithaca wird klar. daß im Wohnzimmer der Blooms ein .. majolicatopped table" buchstäblich (und bedeutsamerweise) gedreht bzw. verschoben worden ist (U 17.1284). Oder wenn die Bettfedern in Circ~ ..Jigjag. Jigajiga. Jigjag." sagen (U 15.1138). so ist das - neben einem arabisch-mediterranen Slangausdruck für sexuellen Verkehr. wie uns Don Gifford verrät97 - vor allem die FortSetzung der Orchestrierung in Sirms. die nur bis zu Boylans Klopfen an die Tür in Eccles Street kam (..T apo T apo T apo T apo T ap." - U 11.1223). nicht jedoch bis zum Geklingel der Bettfedern während des Beischlafs. Darüber hinaus ist Circ~ voller .. FehUeistungen". was die Logik der Handlung und die Identität der Figuren anbetrifft (siehe unten) - Ungereimtheiten. die unter der offiziellen Version der übrigen Kapitel die beunruhigende Möglichkeit einer ganz anderen Geschichte aufscheinen lassen - sozusagen der "Nachtseite" des Ulyss~s. wie sie nighttown. den Träumen und dem Unbewußten entspricht. So entpuppt sich das Kapitel in mehrfacher Hinsicht als ein Absti~ ins Unbewußte - in eine Unterwelt, in welcher eine Dynamik widerstrebender Kräfte das Bewußtsein und seine vermeindich einzige Geschichte erst stimuliert. Auf diesem Abstieg in ein Unbewußtes des Textes verläßt der Ulyss~s damit zwangsläufig den ausgewiesenen Pfad einer narrativen T elcologie zugunsten einer mehrdimensionalen Tiefenstruktur, die verschiedene Perspektiven und Fluchtpunkte eröffnet. Es sind die verwirrenden Mehrdeutigkeiten und Alternativversionen Circtl - inhaltlich wie auch sprachlich - die das geordnete Erzählen eines taghellen Bewußtseins unterhöhlen. Damit deuten sich in Ulyss~s XV ein Thema und ein Verfahren an, denen Joyce schließlich ein anderes Buch widmen wird: FinMgans Wak~. das er selbst als das nächdiche Pendant zu der Tagesgeschichte des Ulyss~s bczeichnet,98 und das nicht zufällig ein wichtiges Bezugsmodell in der Unterweltreise der ägyptischen Totenbücher hat. Im Wak~ wird Joyce versuchen, 96 Lco Bcrsani. TIN CuItu" of Rrtlnnption. Carnbridge (Mass.)/London: Harvard U. P.• 1990. S.165 97 Siehe UIysm Annol4w. S. 467 98 .. Ulyssn is rdatcd to this book [FinNtans Wakt') as the day is to the night." Joycc zitien nach Oie Vinding. ]amts ]t1JCt' in Copmhagm. in: Portraits of tht Artist in Exik: Rrco/l.tctions of]amts ]tIJCt' by Europt'IIns. cd. by Willard POtts. Seattle (Wash.): University of Washington Press. 1979. S. 139-152. hier: S. 149
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nicht nur das Unbewußte eines Textes zu erschließen. indem er die WechselwirkuJg der Kräfte vorfühn. die das Erzählen motivieren und unterhalten. sondern er wird auf das Unbewußte der Sprache selbst gehen - das Unbewußte nicht als Ort oder Substanz verstanden. sondern als Funktion. dessen Effekt die Sprache ist.
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Ulyssn XV als Unterweltreise zu lesen, ist nur ein möglicher Pfad durch diesen vemackten Text. Aber in dieser Lesan treten charakteristische Züge des Kapitels deudicher hervor: Circ~ wird als eine Episode erkennbar, die, ähnlich der ne/tyia in Oayss~~, Amris und Divina Comrneaia. grundlegende Vorgehensweisen des Textes exemplarisch durchspielt und organisierende Strukturen bzw. Prozesse des Enählens skizzien. Es ist keineswegs ein Zufall, daß das Motiv der Unterweltreise gerade in dem komplexesten Kapitel des Ulyss~s aufgegriffen wird, einem Kapitel, das allein durch seinen Umfang die Proponionen des Buches sprengt. Wenn bei der schier undurchdringlichen Dichte und verwirrenden Heterogenität die Rede von einem Enählprogramm auch abwegig klingen mag - tatsächlich formulien Circ~ in einer spezifischen Weise programmatische Thesen Air die Revolution des Narrativen. die im Ulyss~s stattfindet. Das wird konkret greifbar, wenn man dieses Kapitel in Bezug setzt zu Hatks und der "ersten" Unterweltreise des Ulyss~s.
Circes Netz Die Unterweltreise, selbst eine eigentümliche Figur der vorwegnehmenden Wiederholung - "zweimal erfuhn ihr das Sterben, denn andere sterbc:n nur dllmal,,99 -, ist zugleich spätestens seit Orpheus mit der Vorstellung der Unwiederholbarkeit verbunden. Diese Singularität und das entsprechende Pathos, mit dem sie dank dieser aufgeladen ist, werden im Ulyss~s zu einer fröhlichen Wiederholung profanien: "Many happy returns" scheint das Motto zu sein, unter dem nicht nur die Todestage irischer Nationalhelden in Hatks abgefeien werden (77), sondern auch Blooms eigene Hadesfahn. Nicht genug damit, daß der Protagonist ein ganz und gar durchschnitdicher, biederer Anzeigenacquisiteur ohne jedes heroische Format ist, eine Figur, die Odysseus' Polytropie in einer "Hypenropie" der Stilblüten und gedrechselten Redewendungen verunglimpft. In einer parodistischen Oberbietung aller Helden der Antike gelingt diesem "commercial traveUer" auch noch die Hadesfahn in doppelter Ausgabe - vormittags in den Hades, nachts in die Hölle. Darüberhinaus ist Blooms Abstieg ein Konglomerat, in dem sich nahezu alle Varianten der Unterweltreise finden: Er geleitet die Toten ins Jenseits (Dignam) und rettet den verlorenen Ersatz-Sohn aus der SündenhöUe (Stephen), er sucht nach verbotenen Begierden und findet verborgenes Wissen (Lipoti Virags Warzentinkturen und andere Rezepturen), er erf'ähn gleich mehr99 0 XII. 23. und in der Amns heißt es: ..bis Stygios innare lacw. bis nigra videre Tartara" [zweimal den stygischen See zu befahren. zweimal zu sehen des Tartarus Nacht). At' VI. 134 f.
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fach Läuterung und Initiation. konversiert mit den Toten und beweist sich als unsterblicher Held. der wie Phoenix aus der Asche aufersteht. Circt ist ein Spiegelkabinett. in dem der epische Topos unzählige Male aus allen Perspektiven reflektiert wird: "Enter. gendeman. to see in mirror every positions" (U 15.3907) - die Aufforderung könnte auch an den Leser des Kapitels adressiert sein. Allerdings sind die Reflexionen Circts die von Zempiegeln. Bereits in der Vervielfaltigung und Akkumulation steckt die Persiflage des Motivs und der Funktionen. die es im epischen Erzählen übernommen hat. Die moc!tItatdbasis. die der UIySSts inszeniert, führt die Unterweltreise als einmaliges, bedeutungsvolles Ereignis aJ absurdum - wenn HaJn ein "Abstieg ins Nichts" ist, dann ist Circt ein "Abstieg ins Allerlei". Das muß nicht nur parodistische Effekte produzieren: Die Wiederholung und ihre bindende Kraft sind uns inzwischen als zenuale Funktion der Narration und als Pendant des Wiederholungszwangs hinlänglich bekannt. Doch in der absurden Vervielfältigung des Einzigartigen, die Circt betreibt, verschiebt sich der Fokus. Indem die Unterweltreise nicht mehr wie bei Homer, Vergil und Dante das singuläre Ereignis ist, das in die Wiederholung schickt. sondern vielmehr selbst zu einer Figur der Wiederholung wird, kreist sie in sich selbst und entzieht sich erfolgreich einer sinnvollen Zurichtung und narrativen Ausrichtung. Worauf läuft der Text hinaus? Die Frage. die im klassischen Epos exemplarisch im Kontext der Unterweltreise beantwortet wird. verliert sich in den steten Wiederholungen CirCts. "Many happy returns" - wie und auf welchen Ebenen diese Kraft im UIySStS operiert. wird an keiner anderen Stelle so ostentativ vorgeführt wie in diesem Kapitel. in dem alles wiederkehrt. Was das Verhältnis von HaJn und Circt anbetrifft. so ist offensichtlich. daß die heiden Kapitel keineswegs die fröhliche Wiederkehr des Immergleichen zum immergleichen Punkt darstellen. UIySSts VI und XV haben nicht viel mehr gemeinsam als ihr Motiv. und der Eindruck von Divergenz ist weit stärker als der von Repetition. Sie als einander erzende Gegenstücke zu lesen. als T ages- und Nachtversion desselben Themas. I suggeriert eine Symmetrie. die das eklatante Mißverhältnis der beiden unterschlägt und ihre grundlegende Verschiedenheit verdeckt. Betrachtet man den Status und die Funktion. die sowohl Hams als Circt im Text einnehmen, ist das Ungleichgewicht zwischen beiden Kapiteln augenfällig: UIySStS XV ist ein Kapitel von eminenter Bedeutung für die Strategie des UIySSts. das sechste Kapitel hingegen ist eines der relativ unscheinbaren Kapitel. die sich durchaus in einen klassischen Erzählkanon integrieren lassen. Bis zur HadesEpisode, der dritten der Bloomschen "Odyssee" durch Dublin {nach der ebenfalls dreiteiligen Stephenschen Telemachie}, ist das Buch noch mit weitgehend traditionellen Erzählkonventionen zu fassen. Bis hierhin ist der UIysStS ein Roman. der Erzähltechniken der klassischen Moderne anwendet - inneren Monolog, Per100 Vgl. John PauJ Riquclme. TtlJn."" T4Ie in }t1J«'s Fidion, OsciJJ.tinl Pmptctiws. Baltimore (MD): John Hopkins Univcrsity Press, 1983. S, 142
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spektivwechsel, stik inJir~c~ libr~, stilistische Camouflage -, die allerdings stellenweise ins Extrem getrieben werden. Auch sind die Brüche in den Anfangskapiteln nicht so radikal, als daß sie den Zusammenhang der Erzählung gefährdeten. Wenn man bis Kapitel VI auch keine einheidiche Stimme des Ulyss~s festmachen kann, so doch noch ein komplexes aber überschaubares Erzählverfahren, das in den verschiedenen Kapiteln variien wird. Dies ist mit HtUks zu Ende, und kaum zuflillig hat Joyce die Unterweltreise, ein zentrales Motiv des traditionellen Epos, als Abschluß dieses initial styk gewählt: Sie markien noch einmal deutlich den Abschied von einem Erzählen, das in Joyce' Augen nicht mehr in der Lage ist, wiederzugeben, woran ihm gelegen ist. In einem Brief an Harriet Shaw Weaver vom 6. 8. 1919 (kurz nach der Entstehung der elften Episode Sirms) schreibt er: I understand mat you may begin to regard me various styles of me episodes wim dismay and prefer me initial style much as me wanderer did who longed for me rock of Imaca. But in me compass of one day to compress all mese wanderings and elome mem in me form of mis day is for me only possible by such variation which, I beg you to believe, is not capricious. lol
"Descent to nothing" ist laut dem Linati-Schema die Bedeutung der HadesEpisode, und als "descent to nothing" entpuppt sich damit das traditionelle Erzählen - es fühn zu nichts mehr, nicht zum Geist oder den Geistern der T raditi on und auch nicht zurück in die Heimat der epischen Dichtung, zum "rock of Ithaca": Joyce wird den Ulyss~s am Ende nicht zu einem Stil zurückkehren lassen, der dem Leser heimisch venraut ist. Nach dem Hadeskapitel beginnt mit A~olus und seinen eingeschalteten Schlagzeilen eine zunehmende Zersetzung der T extsU uktur und ein Exzcß der Stile. der im weiteren Verlauf des Buches ungeahnte Ausmaße annehmen wird. Diese Entfesselung der Stimmen und Prä5entationstechniken sprengt letztlich jede übergreifende Erzähleinheit - und das ist in keinem anderen Kapitel so offensichtlich wie in Circ~. deren "Technik" im Linati-Schema nicht von ungefahr angegeben wird als "visione animata fino allo scoppio" - Vision. belebt bis zum Platzen. So wie Ulysus 'XV als infernalisches Kapitel tief hinabfühn. so geht es in ihm auch hoch hinaus: Von vielen Interpreten als Höhepunkt des Buches gekennzeichnet. 102 wird es seiner Selbstpropagierung als "heaven and hell show" auch im übenragenen Sinne gerecht. Doch nicht nur in der Höhen- und Tiefendimension. auch in der vienen Dimension erstreckt sich diese Episode in verschiedene Richtungen. Sie ist ein Netz von Verweisen, das bei jeder erneuten Lektüre neue Verweise in seinen Maschen einfangt. Es fungien als "tamelle Erinnerung" des Ulyssts, in der sich die vorhergegegangenen. aber auch die noch folgenden Kapitel spiegeln. Mit einer scheinbar unbegrenzten Fülle von Verweisen zitien Circ~ win101 Lmnsof}lImn}oyc~. S. 129 102 Riqudmc. T~/Jn IlNi Tllk. S. 136. 149 und Frcdric Jamcson. ftUlyms· i" HUlDry. in: }amn }OJC~. Modnrr Criticill Vit'WS. cd. by Harold Bloom. Ncw York u. a.: Chdsca Housc. 1986. S. 173-188. S. 184
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zigste Details an, die über die Mechanismen von metonymischer Verschiebung und metaphorischer Verdichtung, die das Kapitel beherrschen, ihren gesamten Kontext und die Ketten der Ereignisse und der Zeichen, in denen sie stehen, nach sich ziehen. "Her web is so vast and of such intricate zoological design that I suppose it must be hard to folllow" .103 Insofern Circ~ als eine Art Gedächtnisspeicher des T cxtes konstruiert ist, impliziert sie bereits ihren Leser und orientiert dessen Lektüre: Sie liefert gleich ein Trainingsprogramm in Mnemotechnik mit, wie sie der Autor in seinen eigenen Aufzeichnungen und Entwürfen des Ulyss~s praktizierte. 104 Womit die Episode nicht nur das Material, sondern auch eine konstitutive Vorgehensweise des Gesamttcxes in nuu vorführt: "I've put in so many enigmas and puzzles that it will keep professors busy for centuries", 105 bemerkte Joyce süffisant in Erwartung seiner professionellen Leser. So ist die ungeheure Recycling-Maschine namens Ciru noch immer in vollem Gange, und ihr Output schlägt sich in der beständig wachsenden Forschungsliteratur zu diesem Kapitel nieder. Circ~ stellt tatsächlich eine Art Mikrokosmos des Ulyss~s dar. ,.As Ulyss~s is the Odyssry transposed and rearranged, so Circ~ is Ulyss~s transposed and rearranged."I06 Die Episode ist aber zugleich mehr als das, so wie auch der Ulyss~s mehr als nur eine Umschreibung der Odyss~~ ist. Wenn Ciru zum Ulyss~s im Verhältnis einer Synekdoche steht,l07 dann in der Weise, wie Blooms "höllische Zeitbombe" (U 15.1199) eine Synekdoche des gesamten Circe-Kapitels ist - denn wenn sich in diesem Kapitel der Text kontrahiert, so explodiert er im gleichen Moment. Ciru ist die Zeitbombe, die schon abgelaufen ist - äußerst treffend macht Fritz Senn aus der "infernal machine with a time fuse" im Falle von Circ~ eine "infernal machine that fuses time"!08 Und selbst das ist keineswegs alles, was Circ~ fusioniert, um es dann "hochgehen" zu lassen. In dieser Eigenschaft des Kapitels findet sich ein Zug wieder, der auch die Episoden in der Unterwelt auszeichnete, wie sie sich bei Homer, Vergil und Dante finden. Die Unterweltreise fungiert als ein Focus, in dem die Ereignisse des Textes gebündelt werden. Sie ist Erinnerung und Ankündigung, greift sowohl vor wie zurück, um den gesamten Text zu umspannen. Doch wenn in den klassischen epischen Texten dadurch das Gefüge des Erzählens geordnet und seine Stränge verknüpft werden, wenn die Erzählung an diesem Punkt ihre Finalität betont und gerade auf dem Höhepunkt der Verwicklung das zu erreichende Ziel vor Augen stellt, so bewirkt Ciru genau das Gegenteil. Statt zu orientieren desorientiert sie, statt einer Ausrichtung eröffnet sie unzählige Möglichkeiten. Auf 103 "In such a rypescript" beendct Joycc den Satz (L.mn-s 0//amn /oyet, S. 164), jcdoch ist es auch ohne cin fehlerhaftes Typoskript schwer genug. sich nicht in Cirus Netz zu verstricken. 104 Vgl. hierzu R. G. Hampson, "Toft's CumbnsofM Whirügig-; Ha/JIKiNltions, Thtatricality anti Mnmwtechnic in V.A. 19 anti tht First EJition Tat 0/ .Circt·, in: &aJing /t1JCt's • Circt-, S. 143-178 105 Zitien in Richard Ellmann, /amn /oyet, london u. a.: Oxford U. P., 1966, S. 535 106 Hugh Kenner, Ciret, in: /amn /oyct's .Ulyssts·. Criti",/ Essays, cd. by Qive HanlDavid Hayman, Bcrkdcy (CA) u. a.: Univcrsity ofCalifomia Press, 1974, S. 341-362, hier: S. 356 107 Riquclme, Ttl1n anti Talt, S. 151 108 Fritz Senn, "Circt- IIS Harlting Bark in Rnrosptaivt A"angmrnrt, S. 85
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die Kontraktion folgt die Explosion - in dem Kapitel wuchert der gesamte Text und mit ihm aII die Texte, die im Ulysm anzitiert, angespielt, umgeschrieben werden. Circt ist wie ein Hypertext mit unzähligen links, die sich je nach Bedarf aktivieren lassen - allerdings erfordert es im Falle der infernalisch-literarischen Maschine ungleich mehr Mühe, diesen links nachzugehen, als bei der elektronisch-digitalen Maschine. Derridas pathetische Exaltation Joyce' als Computer der 1000. Generation, auf dem bereits alles programmiert zu sein scheint, was noch gesagt werden wird, liefert zumindest für UIySstS 'XV eine treffende Charakterisierung. 109 Denn das " Programm", das Circt zugrundeliegt, ist nicht darauf beschränkt, zu wiederholen oder zu a1ludieren, was sich in den anderen Kapiteln findet, es schreibt seine Referenzen auch um. Der Traum des Ulyssts, der Circt ist, produziert Alternativ-Versionen der Ereignisse des Buches. Was in den vorherigen Kapiteln eine Möglichkeit blieb, die nicht verwirklicht wurde, das kann in diesem Kapitel als Wirklichkeit auftreten: Bloom wird zum gefeierten Repräsentanten einer Nationalbewegung (U 15.1354-1713), als deren Berater er - f'älsch1icherweise - in Cyclops galt (U 12.1574-77], er wohnt Mollys Stelldichein mit Boylan bei (U 15.3766-3816), was er in Sirms gerade peinlichst vermieden hat, und Bob Doran fällt von dem Barhocker, von dem er in Cyclops gerade nicht gefallen ist (U 15.691-695 und 12.491-494). Hier wird der Unterschied zu der Funktion der Unterweltreise in den klassischen Epen deudich: Sie skizzieren oder verdeutlichen die Organisation des T extes und führen die Linie fort, an der sich seine Erzählung und die Reise seines Protagonisten orientieren. Zum einen, indem die nt/eyi4 die Reise und ihre Erzählung auf eine Zielvorstellung ausrichtet, die über das, was erzählt wird, hinausgeht - ein Ende der Geschichte, das die Ruhe des Todes und des abschließenden Sinns impliziert, wodurch sich jede weitere Erzählung erübrigt. Zum anderen, indem in dieser Unterweltreise und ihrer Erzählung eben das Ende vermieden wird, da die nt/eyi4, selbst Umweg, neue Verwicklungen und Umwege generiert. Anders dagegen Circt und ihre inhärente Unterweltreise: Sie schreibt den Text nicht weiter, sie schreibt ihn vielmehr um. "Circt s~ests the possibiliry of rewriting the history of the novel in which it appears".1 Damit unterläuft sie konventionelle Erzählstrategien und vor allem die Vorstellung von Einheitlichkeit und Kontinuität, die ohnehin nur noch mit großer Mühe aufrechterhalten werden konnte - eine Bemühung, die weniger vom Text ausgeht als von seinem Leser.
109 Jacqucs Derrida, Ulys~t grammophont - tIna mots pour Joyct, Paris, 1987, S. 22 110 Andrcw Gibson in seiner Einleitung zu Ru4ingJoyct's _C;"t-, S. 3-32, hier: S. 25
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Purgatorium Ulyss~s 'XV bedeutet den endgültigen Zusammenbruch einer Figurenpsychologie
zugunsten eines Spiels enrpersonalisiener, allenfalls triebhaft zu nennender Kräfte. Die Halluzinationen in Cire~ lassen sich nicht eindeutig den beteiligten Figuren zuordnen, ebensowenig wie sich Realität und wahnhafte Fiktion trennen lassen: Der halluzinatorische Irrwitz des Kapitels steht in einem eklatanten Mißverhältnis zu "realistischen" Klärungen der Frage, wer was wann wie lange und vor allem weshalb halluziniere. Versuche, das Geschehen des Kapitels inhaldich oder psychologisch zu motivieren, münden nur zu häufig in detail reiche Erönerungen etwa über die Auswirkungen des Absinthgenusses und eine zu vermutende Epilepsie Blooms,111 ohne daß damit eine schlüssige Erklärung der Geschehnisse geliefen, geschweige denn etwas über die Eigenanen Cire(S ausgesagt wäre. Ansätze, die solcheran auf Referentialität bestehen, greifen notwendigerweise zu kurz in diesem Text. Mit Recht bemerkt Daniel Ferrer, die Halluzination sei nicht der Inhalt des Kapitels, das Dargestellte, sondern die Weise, in der es sich selbst darstelle, eben die "Technik" der Episode, wie sie Joyce in dem Gorman-GilbenPlan angibt. 112 Für die Lektüre dieses wilden Kapitels ist das eine zentrale Grundannahrne. Denn nicht nur die psychologische Lesart sondern auch das gesamte Instrumentarium eines mimetischen Realismus laufen hier ins Leere: Cirel ist nicht mehr auf ein zugrundeliegendes nachvollziehbares Geschehen reduzierbar, wie das, allerdings mit äußerst magerem Ergebnis, in der vorhergehenden stilistischen Hyperventilation von Oxm o[ th~ Sun (XIV) zumindest noch möglich war. "We all have sinned [durch diese Extraktion des Inhalts], reading Oxm; and our hell [... ] is in this life reading Cire~", formulien es Hugh Kenner, wiederum in einer infernalischen Metaphorik. 113 Diese Hölle, die laut einem anderen Joyce-Scholar nicht ein On der Vergeltung (retribution), sondern einer der Distribution ist, der freien Zirkulation der Zeichen,114 inszenien sich jedoch sehr bewußt als ein On mit purgatorischen Funktionen - also nicht Hölle, sondern Fegefeuer. Daß in dem Kapitel zahlreiche Elemente ritueller Handlungen verarbeitet werden, unterstreicht diesen Eindruck: Wenn HaJn das rituelle Moment, das der Unterweltreise immer zukommt, zum Gegenstand seiner Darstellung macht, indem es von einem Bestattungsritus handelt, dann setzt Cire~ das rituelle Moment um und fiihn den Ritus der Unterweltreise vor bzw. auf. Der Ritus wird vom Thema zum Modus der Darstellung: Cire~ purgien. Hugh Kenner behauptet diese purgatorische Wirkung vor allem für den Protagonisten: "When ,Circe' is over he seems a new Bloom, courageous and com-
111 112 113 114
John Gordon, RLlllity in .Ciret-, in:JUJCt SIfUÜn Annwz/5 (1994), S. 3-21, hier: S. 6-9 Danid Ferrer, "Ciret·, RrgrttllnJ Rq;rtssion, in:JllmnJoyct, 1986, S. 227·244, hier: S. 233 Kenner, UIyssn, S. 123 McGee, Pllf'"1PllCt - Stylt llS Itkology in Joy« i • UIyssn -, S. 116
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posed"1I5 - eine Einschätzung, die meines Erachtens weder auf inhaltlicher Ebene besonders überzeugt noch in ihrem Ansatz als psychologische Lesan. Nichts desto trotz weist Kenners U neil auf einen Eindruck hin, der nicht ganz leicht zu fassen, aber ebensowenig von der Hand zu weisen ist: Circ~ bedeutet eine Konversion, einen Umsch1agpunkt innerhalb des Textes. Was nach diesem explosionsanigen Kapitel kommt, macht den Eindruck von Ruhe und Gefaßtheit: Die beiden Protagonisten haben sich endlich gefunden (der eine von ihnen eher unfreiwillig), Bloom kann seinem Auftrag als Retter genügen - "in orthodox Samaritan fashion", wie es in einer absurden, "bloomigen" Wendung heißt (U 16.3) - und bei Stephen beginnt die Phase der Ausnüchterung. Nach Circ~ wird tatsächlich der Heimweg angetreten - in dieser Konstellation ist durchaus die traditionelle Struktur erkennbar, in der die Unterweltreise einen Wendepunkt darstellt, einen Wendepunkt für die Heimreise in der Odyssu, eine Bekehrung in der Divina Comm~dia. Der verschlungene aber gemächliche Heimweg des Protagonisten Bloom nach Eccles Street korrespondien mit der erzählerischen Umständlichkeit und Behäbigkeit der zwei Kapitel EumtUUS und Ithaca, die Ereignislosigkeit und Banalität überzeugend - und deshalb ausgesprochen ermüdend - in Sprache setzen. Circ~ ist die Peripetie, nach deren Entladung auf einem deutlich gesunkenen Spannungsniveau die absteigende Handlung (katdbasis im dramatologischen Sinne) und damit die Auflösung beginnt. Wobei die Auflösung hier nicht als Erledigung oder gar als happy mJ verstanden werden darf, sondern eher als eine Lösung verschiedener Verwicklungen, die in dem Perspektivwechsel zu Molly, bis dahin ein unerreichbares Gravitationszentrum des Textes, und in der fließenden, entbundenen Sprache des letzten Kapitels ihren Ausdruck findet. Wenn Cira also eine purgatorische Funktion erfüllt; so g~ht es dabei weniger um den Seelenhaushalt der Figuren als um die Ökonomie des Textes - und vielleicht noch den Seelenhaushalt des Lesers. 116 Sie ist die katharsis des Ulyss~s selbst, mit deren Hilfe er sich von gewissen textuellen "Erregungszuständen" reinigt. Alle diese Begriffe aus dem Bereich des Dramatischen drängen sich nicht von ungefahr auf. Denn indem das Kapitel sich als Peripetie und Purgatorium inszenien, setzt es sich im wahrsten Sinne des Wones "in Szene" - Cira gibt sich die Form eines Theaterstücks. Daß diese Tatsache unübersehbar ist, macht sie nicht weniger erstaunlich in einem Tat, der, so unpassend diese Bezeichnung auch sein mag, immer wieder als "Roman" titulien wird. Wenn die formale Gestaltung Circ~s den Lesegewohnheiten auch eher entgegenkommt als dies der Durchlauf der Stile im vorhergehenden Oxm getan hat, ist sie nichts desto weniger ein noch gröberer Verstoß gegen die Erzählkonventionen. Denn das Kapitel begnügt sich 115 Kenner. UIyssn. S. 120 116 Kristcva spricht von der kathanischen Funktion des Ulysst1 auf den Leser. insofern es dem Text gelingt. die Hölle der Leidenschaften in einem Repräscmationssystem - in diesem Fall der Sprache und ihres Stils - w absorbieren. Vgl. Julia Kristcva. joy« .tlN Graahopp"- or th~ RfflIm of OrpINus. in: jllmn joyc~. TIN AugmmkJ Ninth. PromJinp of,lN Ninth Intn'nllti01lllI }tlmn joyc~ Symposium. cd. by Bcrnard Bcnstock. Syracusc (N. Y.): Syracusc U. P .• 1988. S. 167·180. S.171
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nicht mit einem fliegenden Wechsel der Register, es muß gleich einer der Gatrungen sein. Was aber bringt dieser Schwenk von einer narrativen zur dramatischen Darstellungsform? Mit dem Begriff der katharsis ist bereits die Referenzfigur der abendländischen Gattungstheorie herbeizitien worden: Aristoteles, der in anderen Zusammenhängen im Ulyss~s mehrfach begegnet. Laut Aristoteles' Podik erreicht das Drama die katharsis, die beabsichtigte Wirkung aller künstlerischen Mimesis, besser als das Epos, denn die dramatische Form hat "das Merkmal der Eindringlichkeit, und zwar sowohl bei der Lektüre als bei der Aufführung".·17 Das begründet Aristoteles mit dem absoluten Primat der Handlungen und ihrer Organisationsstruktur, des mythos. Denn wenn sich die Epik durch eine berichtende Nachahmung auszeichne, so lasse das Drama die Figuren als Handelnde und in ihrer Tätigkeit begriffen auftreten - weshalb auch manche die Etymologie des Wones "drama" von ~~vt(X<; (sich Betätigende) bzw. ~civ (Handeln) behaupteten"·· Diese Charakterisierung wirft ein bezeichnendes Licht auf Circ~, in der nahezu alles in Tätigkeit tritt und die Wone unmittelbar praktische Folgen zeitigen, ganz wie Handlungen. Der Akt des Sprechens gerät den Figuren zu einem performativen Sprechakt im radikalsten Sinn. Hier wird die Formel des Märchens beim Won genommen: Gesagt - getan. "But the first thing in the morning", bringt Bloom entschuldigend vor, und sofon wird es Morgen, indem die bereits erwähnte Zitronenseife als gelbe Sonnenscheibe am östlichen Himmel aufgeht (U 15.335 f.). Ähnlich unmittelbare Wirkung zeitigt der Vorschlag "If you ring up ... ". Noch bevor der Satz beendet ist, erscheint Myles Crawford mit dem Telefonhörer am Ohr: "Hello seventyseven eightfour. Hello, Fruman s Urinal and W~~kly ArsroJip~ here." (U 15.805-812) Ebenso ergeht es Bloom wenn er als "weUknown cuckold" diffamien wird, um im nächsten Moment per Abendzeirung "containing the new addresses of all cuckolds in Dublin" tatsächlich stadtbekannt gemacht zu werden (U 15.1126). Es ließen sich unzählige weitere Beispiele anführen: Zoes Wone "Make a srump speech of it", die bei Bloom sofon eine Wahlrede auslösen (U 15.1353), Blooms ,,0, I so want to be a mother", woraufhin unmittelbar die Geburt seiner acht Kinder einsetzt (U 15.1816-1822), der Ausruf "the false Messiah!", auf den hin prompt der "falsche" Messias mit einem "s", nämlich Blooms Schneider namens George R. Mesias, erscheint (U 15.1906-1909).
Die Sprache, wie sie in Circn halluzinatorischem Theater funktionien, gibt weniger eine ihr vorausgehende Aktion und Wirklichkeit wieder, sie zieht diese nach sich oder produzien sie sogar. Das sind nicht nur Handlungen, die in Sprache ihren Ausdruck finden, sondern ist Sprache als Handlung - Drama. Damit hat das aristotelische Handlungsprimat eine unerwanete Wendung erfahren, die es völlig auf den Kopf stellt. Denn alles weitere, was Aristoteles in sei117 Aristotdcs. PtNtilt. griech.ldtseh. übers. u. hg. v. Manfrcd Fuhrmann. Stuttgan: Rcclam. 1982. Kap. 26. S.97 118 Ebd .• Kap. 3. S. 8 ff.
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ner Ponik zu der Unterscheidung der "verschiedenen Nachahmungsweisen", der dramatischen und der episch-erzählenden, bemerkt, wird in Circt konterkariert. Hier kann keine Rede sein von einer einheitlichen, geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, wie sie dem Wesen des Dramas, im Gegensatz zu der Handlungsvielfalt und dem unbeschränkten Zeitraum der Epik, laut Ponik entsprechen soll. Die Einprägsamkeit und Überschaubarkeit des Geschehens, die bei Aristoteles ihren Maßstab in der Erinnerbarkeit haben - 'toü'to·~·EuJ.1vJ.16vEU'tOV dvm,1I9 weichen im Circe-Kapitel der bereits erwähnten unüberschaubaren Interaktivität eines Textes, der sich selbst erinnert, einer wahren hybris der Mnemotechnik. Den in der Ponik viel beschworenen mythos entgrenzt das Kapitel hemmungslos - seinen plot zu liefern ist angesichts der flottierenden, sich unablässig transformierenden Episoden ein sinnloses Unterfangen. Das circensische Schauspiel tut den berühmten dramatischen Einheiten von Zeit, Raum und Handlung weniger Gewalt an, als daß es sie vollkommen zu ignorieren scheint. Auch die Entäußerung des Erzählens in die Handlung und die Szenendialoge von dramatis pmonIU führt statt zu einer "Objektivität des Dramatischen" zu einer wahrlich dramatischen Entpersonalisierung - und damit ist weit mehr gemeint, als die Aufgabe der Erzählerinstanz. In einer irrwitzigen Radikalisierung des Dramas als Aktion l20 verschwinden in Circt auch die Charaktere: Sie gehen nicht in ihrer Rede und den Aktionen auf sondern unter. 1.1. O'Mollcy verwandelt sich in seiner Verteidigungs rede für den angeklagten Bloom/Flower/Dr. Bloom (U 15.733/721) über den Redner lohn F. Taylor zum Starverteidiger Scymour Bushe (U 15.992-996), Paddy Dignams Geist erscheint als Beagle, Dachshund und Wiedergänger (U 15.1204-1208), Bloom spricht wechselweise in Stil und Au.fmachung des stagt Irishman (U 15.1960-1963), des Retters des Vaterlandes (U 15.1476-1545), des unterwürfigen Schmierenkomödianten (U 15.935-937) oder des Debilen (U 5.956-965), und Lipoti Virag, vermutlich der unwürdigste Greis in der Literatur, ist eine in ständiger Verwandlung begriffene Gestalt, die alles mögliche zu sein scheint, nur nicht Blooms Großvater. Statt dem Leser Figuren und eine Handlung (vermeintlich) objektiv vorzustellen, rollt in Circt ein Defile der Kostüme ohne Charaktere, eine aktionsreiche Revue ohne Handlung ab. Mit Hampson läßt sich hier von einer "self-conscious theatricality" sprechen, in der nicht die Figuren, sondern das Theater, die dramatische Form selbst, "objektiviert" bzw. parodiert würden. 121 Diese ihrer selbst bewußte Theatralität geht allerdings über eine bloße Parodie hinaus. Nicht nur das Theater rückt durch sie in den Brennpunkt der Reflexion. Circt wirft ganz grundlegend die Frage des Genres auf und mit ihr die der Darstellungsform, und das heißt: der Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Erzählens. 119 Ebd., Kap. 7, S. 26 120 Im Drama ,.handdn die Personen nicht, um die Charaktere nachzuahmen, sondern um der Handlung willen beziehen sie Charaktere ein". Aristotdes, PtHtilt, Kap. 6, S. 21 121 Hampson, HIIIJMaNltWns. TlxlltriCillityllruJMnmuJ~dmic, in: RrMlint]oyct's.Circt·, S. 155 f.
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Wiederholen und Wiederholung Es ist bemerkenswert. daß bei den epischen Vorgängern des Ulyss~s in der luztdbasis immer ein Element enthalten ist. in dem das Erzählen als ein solches ausgewiesen wird: Einen Großteil von Odysseus' Abenteuern erfährt man aus dem Mund ihres Helden - ein Umstand. der in Vergessenheit geraten könnte. wenn der Erzähler sich nicht gerade bei dem Bericht der Unterwelueise unterbrechen würde; in der Amm wird ein Teil des tkscmsus nicht von Aeneas selbst unternommen sondern ihm vielmehr erzählt - von der Sibylle. die von ihrem eigenen Abstieg in die tiefsten Abgründe des Tartarus berichtet; und die gesamte Itatabdsis der Divina Comm~dia ist eine Erzählung in erster Person. in der wiederholt die Schwierigkeiten und Grenzen des Erzählens thematisiert werden. In allen drei Fällen wird dwch diese auffiilligen Markierungen des narrativen Status das Auseinandertreten von Erlebnis und Erzählung hervorgehoben. In der Erzählung erhalten die Ereignisse die Gestalt und die Zeitform. die sie der Erinnerung verfügbar machen. Eben dieses Differenz scheint Ulyss~s 'XV mit seiner Form zu unterlaufen: Wenn hier ostentativ nicht mehr erzählt sondern agiert. inkorporiert. inszeniert wird. dann ist das Reich Circ~s nicht das der Erinnerung sondern der leibhaftigen Gegenwan und der unendlichen Wiederholung. Nicht nw die Vermittlung der Ereignisse durch eine Erzählhaltung entflillt in der dramatischen Darstellung. auch die zeitliche Distanz und Vermitteltheit der Erzählung werden im Theater durch die unmittelbare Gegenwart im Vollzug der Aufführung ersetzt. "Das Drama [... ] ist nicht die (sekundäre) Darstellung von etwas (Primärem). sondern stellt sich selber dar. ist es selbst. [... ] Indem das Drama je primär ist. ist seine Zeit auch je die Gegenwan."lll So entspricht in gewisser Weise die halluzinatorische Gegenwärtigkeit aller Erscheinungen in Circ~ dem striktem Gegenwarts-Diktum des (klassischen) Schauspiels. das auf der Bühne keine andere Zeit kennt. "Past was is today." (U 15.2409) Zugleich ist es aber auch die Zeitlosigkeit des Unbewußten. des Feldes der Primärvorgänge schlechthin. IU Im Unterschied zu allen anderen Kapiteln des Ulyss~. die im Präteritum. der klassischen Zeitform des Erzählens. gehalten sind. ist Cirus grammatischer Tempus die Gegenwan. Und während in HflIks die Gegenwan der lebenden in die Vergangenheit der Toten übersetzt wurde - "As you are now. so once were we" (U6.960) -. herrscht in nighttown eine ungeschiedene Einheit der Zeitlosigkeit: "What now is will then morrow as now was be past yester." (U 15.2409). Die Vergangenheit ist hier im seltensten Fall vergangen: Bloom 122 Peter Szondi. 1'1NorinJn MotIn7Im DrllmllS (1880-1950). Frankfurt: Suhrlump. 1965. S. 16 f. 123 Wobei mit dieser FcststeUung noch nicht vid erklärt ist. Ulyssn XV als Regression oder Manifestation des Unbcwußten zu lesen. scheint mir ebenso ergiebig. wie die Parallden des U/ysm zur OJyss« als Erklärung anzuführen. Jamcson bemerkt dazu: •The Odysscy paralld an then be secn as one of the organisational framcworks of the narrative tat: but it is not iuclf the interpretation of that narrative (... ). Rather it is itsdf - qua organisational framcwork - what reS. 175 mains to be interpretcd." .U/yssn- in
His_".
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wird zum Schuljungen, als der Geist seines Vaters auftritt (U 15.269-272), Stephens Erzieher Father Dolan und Don John Conmee kommen wie Springteufel aus dem Klavierkasten geschossen (U 15.3667-3676), Zoes vergangene Freier entsteigen dem Geruch ihres Unterkleides (U 15.2017), und Apotheker Sweny erscheint in einer wahren Apotheose im Sonnenrund der aufgehenden Zitronenseife (U 15.340). "On "Circe's" stage the memory-narrative becomes a concrete presence", bemerkt dazu Daniel Ferrer. 12• Doch welche Bühne? An diesem Punkt wird offensichtlich, daß sich "narrative memory" und "concrete presence" auf verschiedenen Ebenen befinden: Konkrete Präsenz sind die Erscheinungen nur auf Inhaltsebene für Bloom und Stephen, narrative Erinnerung sind sie auch für den Leser. Circt wird nicht aufgeführt, sondern bleibt Text - "narrative memory" in all ihrer verwirrenden Infra- und Intertextualität. Nur in einem übertragenen Sinn kann dem Leser die Rolle des Zuschauers zugesprochen werden - er ist es jedoch ebensowenig wie die erinnernde Erzählung auf der Text-Bühne Circts sich in konkrete Gegenwart verwandelt. Nichts desto trotz suggeriert diese dramatisierte Episode natürlich genau das - und wuchert mit dem Kapital einer unmittelbaren Anwesenheit, das sie selbst nur geliehen hat: Sie ist die Repräsentation einer Präsentation, die als solche nie stattgefunden hat. l2S Die Präsenz, die hier vorgespielt wird, impliziert nicht nur Gegenwärtigkeit sondern auch Leibhafigkeit. "So that gesture, not music not odour, would be a universallanguage, the gift of tongues rendering visible not the lay sense but the first entelechy, the structural rhythm" (U 15.105-107) - so Stephens "pornosophical philotheology" (U 15.109) zu Beginn eines Kapitels, das sei ne n strukturellen Rhythmus tatsächlich sichtbar machen wHi - in dem Gestus und mit den Gesten einer Dramatisierung. Denn das Theatralische ist der eigentliche Ort des "sprechenden Körpers", des Körpers als Zeichen. Statt eines Schriftzeichens wird der Körper eingesetzt, und mit ihm tritt die Materialität, die Körperlichkeit des Zeichens in den Vordergrund. "Cough it up, man. Get it out in bits." (U 15.928) wird Bloom aufgefordert, und genau darauf scheint das Kapitel zu zielen: Die Worte wie Dinge zu behandeln und die Dinge zugleich zu Zeichen zu machen. Auf referentieller Ebene ist diese Bemühung in Circt offenkundig: Hier gilt das Gesetz, daß sich alles inkarnieren muß - eine blasphemische Fleischwerdung des Wortes. Dem Körper und der Körperlichkeit gilt in UIySSfi XV verstärkte Aufmerksamkeit. Der Schauplatz des Geschehens ist nicht zufällig Dublins Rotlichtbezirk, der Ort der körperlichen Lüste und Begierden, welche in Circt allerdings aII ihre phantasmatischen, imaginären Qualitäten entfalten. Auch in dieser Hinsicht ist das Kapitel eine p".formanc~ - to p".form hat im Englischen eine starke sexuelle Konnotation. Und bezeichnenderweise ist der körperliche Akt nicht als solcher 124 Danid Ferrer, .Cirrt-, Regmanti Rlgmsio", S. 233 125 Und nie stattfinden wird - die Unauffiihrbarkeit Cirus dürfte übcrdeudich geworden sein. Das Kapitel ist kein Theaterstück.
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von Interesse, sondern seine Inszenierung. Alles was in diesem Kapitel annähernd einem Geschlechtsakt gleichkommt, ist eine Zurschaustellung: Bellalo, der vor den Augen der potentiellen Kunden seinen Arm ellbogentief in Blooms Vagina verschwinden läßt (U 15.3089), oder Blaze Boylan und Marion Bloom, die sich in einem Duett absurder Liebeslaute ergehen, während Bloom sie durch das Schlüsselloch beobachtet und mit den bezeichnenden Worten anfeuert: "Show! Hide! Show!" (U 15.3808-3813) Indem Ciru sich ostentativ der Erzählung verweigert und stattdessen dem Ausagieren und seiner Gegenwänigkeit "verschreibt", inszeniert sie, was nicht in die Form der Erzählung finden kann: das Verdrängte, das in unendlichen Wiederholungen wiederkehrt. Wenn durch Szene und Genrewahl die Körper und ihre Akte in das Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt werden, bedeutet das bereits auf inhaldicher Ebene eine Akzentuierung des "Symptoms", das Lacan als das Fundament und die Grundbestimmung von Joyce' Sprache ansetzt l26 - so unzensiert-Iustbetont sich die Szene gibt, besitzen die unablässigen, zwanghaften Metamorphosen, denen alles Material in Circ~ unterliegt, etwas beklemmendes und verstörendes. So zeigt sich ein weiteres Mal, daß sich in nighttown das Jenseits auftut - ein Jenseits des Lustprinzips, des Prinzips, das im Vergnügungsviertel vermeindich unumschränkt herrscht. Tatsächlich aber wird die Lust in Circ~ von einem Zwang zu wiederholen dominiert. Die Wiedergänger aus der Vergangenheit der Figuren werden durch die obsessive Wiederkehr textuellen Materials ergänzt, und die Entstellungen, denen dieses Material unterliegt, produzieren nicht nur bei den Protagonisten, sondern auch beim Leser einen Effekt, der typischerweise mit dem Wiederholungszwang verbunden ist: den des Unheimlichen. l27 Allerdings ist 126 "C'est que, le symptÖme, le symbole, i1I'abolit" - dies gilt noch weit mehr als für den Ulyssn für Fi"MfIl1U WUt', in dem es allein ein Genießen, die "jouissancc", ist, was der Leser statt einer Bedeutung in der Lektüre gewinnen kann. Vgl. Jacques Lacan,JOJCt' k synpt4mt' I und 1/, in: JOJCt' IlfltC lAut", S. 21-36, hier: S. 24 127 Ein persönliches Erlebnis Freuds, das er in seinem einschlägigen Aufsatz als Beispiel des Unheimlichen anfühn, hat seinen Schauplatz bezeichnenderweise ebenfalls im Rodichtbczi.rk. Ein Umstand, der noch betont wird, indem Frcud sein Erlebnis mit den Wonen einfühn: .. Das Moment der Wiederholung des Glcichanigen wird als QueUe des unheimlichen Gefühls vielleicht nicht bei jedermann Anerkennung finden. Nach meinen Beobachtungen ruft es u n ter gewissen Bedingungen und in Kombination mit ge w iss e n Ums t ä n den unzweifelhaft ein solches Gefühl hervor". "Unzweifelhaft" scheint Freud in dieser Passage das, was er kaum eine Seite später mit der abschließenden Bemerkung. daß es ,n u r das Moment der unbeabsichtigten Wiederholung sei, welches das sonst Harmlose unheimlich macht', wieder dementien. (Freud, Dill U"hrimlicht', in: StA IV, S. 241-274, hier: S.259 und 260, in beiden Zitaten Hervorhebung I. P.) Der Selbsrwidcrspruch macht deudich, was in dem angefühnen Beispiel auf dem Spiel stcht: durchaus nicht nur die "Form" der unbeabsichtigten Wiederholung. sondern ein ..Inhalt", der den Kern des Unheimlichen bildet und mit der patriarchalischen bürgerlichen Gesellschaftsordnung auch den" Vater der Psychoanalysc" unmittelbar betrifft: die Prostiuiene. Sie verkörpcn die ökonomische Ordnung dieser Gesellschaft (und der Psychoanalysc), während sie zugleich als Objekt und Zcichen des verdrängten Begehrens die (männlichen) Subjekte dieser Ordnungen geOOtrdct. "Her body alrcady the site of decay, she cvokes dcath; and she is doubly rcpresscd, as so-
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das Unheimliche Circn ein anderes als das, was man aus den Texten der Romantik oder der gothic nov~1 kennt, und es wird - zumindest für den Leser - deutlich überwogen durch die starken komischen Effekte des Kapitels. Sie sind das klassische Gegenstück zu der zwanghaften Wiederkehr des Verdrängten: die Abfuhr im Witz. Doch gelingt diese Abfuhr in Circt nie vollständig, insofern die Prozesse, die der Erzeugung des Unheimlichen zugrundeliegen, unbeirrn weiterlaufen. 128 Dann hat der Wiederholungszwang, der Circt regien, entscheidenden Anteil. In diese Bewegung der Wiederholung fügt sich auch ein anderes Element ein, das Circt auszeichnet und das mit der Unterweltreise, wie bereits erläuten wurde, in engem Zusammenhang steht: das Ritual. Auf die rituellen und liturgischen Fragmente, die sich in diesem Kapitel finden, wurde schon hingewiesen. Aber auch die theatralische Inszenierung. deren Anschein sich Circt gibt, greift die wesentliche Qualität des Ritus auf: Vollzug und Aufführung zu sein. In diesem Modus kann umgesetzt werden, was sich in der erzählerischen Distanz der Erinnerung nicht fassen läßt: "Seul un rite, un acte toujours repete, peut commemorer cette rencontre immemorable" .129 Im Ritus wird nicht erinnen, sondern begangen - in diesem FaU ein Gang in die Unterwelt, die bereits aus Hatks als der On des Realen, dem Gegenstand des lacanschen rmcontrt immhnorabk, bekannt ist. Aber anders als der Wiederholungszwang, der eine unablässige Wiederholung des Gleichen ist, ohne dieses jemals zu dem ursprünglich Selben machen zu können, ist der Ritus eine Wiederholung. die wieder-holt, d. h. zurückholt, und in deren Zyklik das Geschehen je (wieder) stattfindet. l30 Er ist ein Akt, der eine lineare Zeitvorstellung aufhebt und nicht eine Nachstellung sondern ein Ereignis ist. Dagegen befindet sir.h df'r Wicdet'holungszwang gegenüber dem, was er zwanghaft zu wiederholen trachtet, in einer uneinholbaren Nachträglichkeit und Verschiebung. ebenso zeitlich wie phänomenal: Er ist eine Entstellung. Diese konstitutive Differenz läßt sich weder auflösen in die Präsenz eines U rsprungsgeschehens, welches gegenwärtig und unverstellt eben nie erlebt wurde, noch läßt sich das Geschehen in eine Vergangenheitsform setzen und damit der Erinnerung und ihrer Erzählung verfügbar machen.
cially undesirable and as iUicidy desired. Sarah Webstcr Goodwin. Rtmuzntirism anJ IM GhoSI ofProstitutWn: FmuJ. .Maria" anJ .A1iCt Ftlf. in: Dtath anJ Rtprrsnrkltion. cd. by Sarah Webster Goodwin/Elisabcth Bronfen. Baltimore (MD)/London: John Hopkins U. P.• 1993. S. 152173. hier: S. 159 128 ..While the affcctive force of the apparitions themsdves can bc kcpt at bay through laughter. the rather disturbing natwe of the JJNlmic whercby their intirnate sccrets are rcvcalcd hits rather dose to home. McDonald bildet diese Dynamik allerdings ganz auf eine von Man: inspirierte GcsdIschaftskritik ab. nach der das Unheimliche symptomatisch die ncwotischen Verdrängungen anzeigt. die die Grundlagcn des Kapitalismus bilden. Michad Bruce McDonald• .. Circt" anJ tIN UnCIIlfny. or foya from FrtWl llJ Ma",. in: fames foyct Quannly 33: I (1996). S. 49-68. hier S. 53 129 Lacan. Slmilfllirt XI. S. 58 130 Siehe hierzu E1iade. DIIS Mystni"m Jn W~Jnrt""n. S. 231 W
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Das gilt nun offenkundig nicht nur für die Protagonisten und ihr Verhältnis zu zentralen Ereignissen ihres Lebens. es betrifft grundsätzlich die Frage. wie das reale Ereignis in einer symbolischen Form eingeholt werden kann. Es betrifft in letzter Konsequenz das Verhälmis von Sprache und Realität. Rabat~ spricht diesbezüglich von Circt als einer mock-psychosis: Sie zeigt Realität als aus linguistischen Wiederholungen zusammengezimmen. BI Als mock-ritual, um Rabates Begriff zu variieren. läßt sie umgekehn Realität in linguistischen Wiederholungen erscheinen. Circt spielt mit heiden Formen der Wiederholung. Zwang und Ritus. Doch insofern das Kapitel sich noch als Theaterstück camouflien. ist es der repetitiven Vergeblichkeit des Wiederholungszwangs näher. als daß es erfolgreich wiedereinholte: Es ist offenkundig nichts anderes als das Zitat eines Genres. die entstellende"Wiederholung" einer Form, deren körperliche Unmittelbarkeit in dieser Perspektive selbst fragwürdig wird. 132 Und in dieser Eigenschaft ist Circt auch eine Selbstparodie: die ironisch gebrochene Referenz auf eine literarische "Urszene" des Autors James Joyce. Der junge Joyce. leidenschaftlicher Bewunderer des Dramatikers Ibsen. betont in seinen frühen poetologischen Reflexionen immer wieder die Wahrheit und Unmittelbarkeit des Dramas im Gegensatz zu der Vermittdmeit der erzählenden Literatur. In emphatischen Formulierungen setzt er das Theater mit dem Leben selbst gleich. Bereits der Titel eines frühen Essay aus seiner College-Zeit ist Programm: Drama anti Lift. In seinem ersten publizienen Text lbsm's Nnu Drama wird diese Kopplung bestärkt: "When me an of a dramatist is perfect me critic is superfluous. Life is not to be criticized, but to be faced and lived."133 Genau dies wird mit dem absurden Pseudo-Drama Cirus auf den Kopf gestellt. und bezeichnenderweise wird der Autor Joyce nach dem Scheitern seines Theaterstücks Exiks (1915, publizien 1918) nie wieder versuchen. an diesen Ort seiner jugendlichen Begeisterung zurückzukehren. Er wird vielmehr in einer anderen. tendenziell narrativen Form auf die Verschmelzung von Sein und Sprache gehen: Sprache als Epiphanie. als Realitätserzeugung. wie es in radikalster Weise Finntgans Wakt betreibt. "Since 1922 my book has become more real to me man reality", bemerkt Joyce über sein Work in ProgrtSS. I34 Hier geht es - mit und ohne das Vorzeichen mock - um eine Wiederholung. der tatsächlich die (Wieder)HersteUung gelingt. Es geht. um Northrop Fryes Unterscheidung wieder aufzugreifen. sowohl um Ritus und Narration in ihrer Tendenz zu automatischer und unbewußter Wiederholung wie auch um die punktuellen epiphanischen Momente unmittelbarer Bedeutsamkeit. FinMgans Wakt zeugt 131 Vg1. Jcan-Michel Rabat~. Jllmn Joyet. AUIhoriuJ &aJn. Baltimore (MD)/London: John Hopkins U. P.• 1991. S. 86 132 Theater ist. lda.ssischcs Tanbcater zumal. wcscndich Repetition - die Wiederholung eines T ates in seiner Aufführung. die Wiederholung einer ersten Aufführung. die selbst bereits die Wiederholung von vorhergehenden Proben war. 133 James Joycc. Ibsm's Nnu DrIlm4. in: ders.. Th~ Critica/ WritinfS. ed. by ElIswonh MasonlRichard E1lmann.lthaca (N. Y.): Corndl U. P.• 1989. S. 47-67. hier: S. 67 134 zitien nach Vinding.JllmnJoyet in Copmhagm. S. 149
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sehr konkret von Joyce' Überzeugung, daß die Welt, wor/J, im word und der unendlichen Kombinatorik der in ihm enthaltenen/fehlenden Buchstaben, kttn' 1, zu erwecken ist - sozusagen the wake o{that other wor(/)d. 135 Doch zurück zu Circe und ihren Wiederholungen. Wenn in diesem Zusammenhang von einem Zwang zur Wiederholung gesprochen wird, so bezieht sich das nicht nur auf die zwanghaft wiederkehrenden verdrängten Erlebnisse der Protagonisten, sondern auch auf die Wiederkehr von sprachlichem und motivischem Material des Textes und auf eine entstellte Wiederholung der Geschichte, die der Roman erzählt. Es geht aber auch, in Circe wie im gesamten Ulysses, um die repetitive Bewegung der Geschichte (history), d. h. um die psychotische Insistenz ihrer Ereignisse, die im Falle von Joyce' Dublin weit eher fatale als happy returns sind. Daß sich die Geschichte, wie sie der Ulysses entwirft, durch einen Zwang zur Wiederholung auszeichnet, wird in dem vielzitienen Satz "history repeating itself with a difference" (U 16.1525) offen ausgesprochen. Und daß diese Geschichte der Wiederholungen etWaS traumatisches besitzt, formulien der ebenso bekannte Ausspruch Stephens: "History, Stephen said, is a nightmare from which I am trying to awake." (U 2.377) Geschichte im Ulysses ist nicht das, was in einer erzählerischen Distanz verfügbar ist, sondern ein Albtraum, in dem alle ihre Akteure befangen sind. Dem Roman selbst aber liegt genau das Bestreben zugrunde, aus der Geschichte zu erwachen '36 - das heißt, von ihren traumatischen Ereignissen und deren Wiederholungen zur Sprache zu gelangen, um die Geschichte (history) zur Geschichte (story) zu machen. Daß er dies nicht mehr durch den Rückgriff auf ein teleologisches Modell der Erzählung leisten kann, ist offensichtlich. Genau da'5 wäre das Modell des Katholizismus, der im Ulysses in Gestalt zweifelhafter Vaterfiguren herrscht,137 es wäre das Modell der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, die in ihrer Faktenherrlichkeit'" nur immer die gleiche Geschichte erzählt ohne es zu merken: "For them too history was a tale like any other too often heard" (U 2.46).139 Es wäre 135 Insofern ist Fi"tUfllns Wilkt durchaweine ritudl-magische Unternehmung - ein kabbalistisches Projekt, wie Reichen sagt. Vgl. Klaw ~ichen, Dit Strulttur Htbräischm rmJ dit Spracht vo" .Fi"tUfllns Wilkt-, in: ders., Vw/f«hn Schriftsi"", Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1989, S. 135-154 136 Auch das ein WIlkt. 137 ..All history movcs towards one grcat goaI, the manifestation of god", verkündet der k1eingeistigc Mr Dcasy (U 2.380. 138 Zu dieser Auffassung in der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderu und ihrer Abwenung der Fiktion gegenüber dem Fakt siehe Hayden White, Tht Fictions 0/FIl&tuIlI &pmmtlltio", in: Tropics o/Discollnt: EsSllJs i" CrJlurai Criticism, Baltimore (MD)/London: John Hopkins U. P. 1978, S. 121-134, besonders: S. 123 ff. Diese hierarchisch geordnete Opposition wird auch in U/yssn 11 explizit angesprochen: mit den aristotdischen Begriffen von Aktualität und Potentialität. 139 Es ist eben dieses tdeologische Moddl, das in der chrisdichen Dichtung Dantes uiurnphien und in VcrgiIs Epos einen staatstragcndcn Gründungsmythos installicn - wenn auch in bcidcn Texten keineswegs ungebrochen, wie ich in dem vorhergehenden Kapitd gezeigt habe. Daß die Odyss«, obwohl auch sie eine Tdeologie entwirft - die der Heimkehr und des Todes -, dennoch
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aber auch, weniger ideologisch als narratologisch ~trac:htet, die Teleologie eines Erzählens, wie es trotz aller "Fonsetzbarkeit" des epischen Genres die epischen Vorgänger des Ulyss~s dominien. Ein Erzählen, das sich von seinem Ende her erzählen kann - vom Tod her, "von dem er [der Erzähler] seine Autorität geliehen [hat]",'40 das sich mit diesem Tod aber nur versöhnen kann, indem es ihn in die narrative Form der Erinnerung faßt: "N ur dank eines umfassenden Gedächtnisses kann die Epik einerseits den Lauf der Dinge sich zu eigen, andererseits mit deren Hinschwinden, mit der Gewalt des Todes ihren Frieden machen", sagt Walter Benjamin" 41 Denn sie konstituiere "eine Leiter, die bis ins Erdinnere reicht und sich in den Wolken verlien",'42 eine Kollektiverfahrung. die über die genuine Einzelerfahrung. den Tod, hinausreicht. Es ist die Leiter der Überlieferung, auf der die epischen Erzähler sich auf- und abbcwegen. '43 Genau diese Legitimationslinie der Überlieferung aber ist es, die Joyce aufZuheben trachtet. Der Ulyss~ will sich nicht in die Überlieferung einschreiben, er will sie vidmehr in sein ungeheures Netz der Bezüge inkorporieren und umschreiben - ebenso wie die mnemotechnische Maschine C;rc~ den Text umschreibt, dessen Teil sie ist. Und wenn dies im Kontext einer Unterweltreise geschieht, wie das in Circ~ der Fall ist, so hat dies durchaus Tradition. Die M/eyia ist eine Begegnung mit der Vergangenheit und den Toten und insofern immer auch eine Auseinandersetzung mit den literarischen Vorläufern und Quellen. Dabei liegt noch in der ehrfürchtigsten Referenz der unverkennbare Wille zur Aneignung derer, die vorhergingen: Wenn nicht die Chronologie umgekehrt werden kann, wie dies das Stillschweigen der Amris über ihren ultimativen Referenztext OJyss~~ im Rahmen des tkscmsus impliziert, so doch die Hierarchie der Generationsfolge, indem der Name des Sohns/Nachfolgers an die Stelle des Vaters/literarischen Vorläufers gesetzt wird. Man denke an die D;v;1I4 Comm~Jia, in der auf die Einschreibung des Vorgängers Ver~ls in Dantes Epos die Überschreibung seines Namens und seines Textes folgt. 44 Der Ulyss~ führt eine ähnliche Operation in Theorie und Praxis vor: In Stephens Shakespeare-Theorie in Scylla anJ CharibJis wird Shakespeare zu seinem eigenen Vater erklärt - zu einem toten Vater wohlgemerkt, in der Fiktion wie in der biographischen Realität, welcher, selbst einen toten Sohn hervorbringend, nurmehr in seinen fiktiven Nachkommen - Hamkt als Sohn wie als literarisches Produkt - überlebt. Hier wird Shakespeares Biographie zum Effekt seines Werkes. Damit hätte der literarische Nachfolger Joyce den Übervater Shakespeare elegant durch Selbsrabschaffimg liquidiert, ohne daß die Frage der Legitimität oder Illegimitität dieser Nachkommenschaft noch zu klären wäre: "Who is me famer of any son mat any son should
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des ideologischen Balasts der Di"iNl Com1NJüt und der Amns entbchn. mag ihre Privilcgierung vor allen anderen RcfcrelWcxten des UIysm begründen. Benjamin. IRr Erriihln, in: GNlm1N1u Schriftm. Bd. 11 2. S. 450 Ebd.• S. 453 Ebd .• S. 457 Ebd. Vgl. S. 131 ff. dieser Arbeit
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love hirn or he any son?" (U9.844 f.) Shakespeare, ein Produkt seiner eigenen Fiktion, ist in Circe zu einer Spiegelung des Ulysses geworden (U 15.3821-3824): Erstam zum Spiegelbild der neuen Vater-Sohn-Figur BloomlStephen, die selbst nur eine Wunschprojelaion darstellt. Das ruft die Anxiety o[Influmce auf - das Modell für die Beziehung zu den literarischen Vorgängern, das laut Harold Bloom seit Milton an die Stelle des Verhältnisses literarischer Filiation getreten ist. 14s Es ist das Trauma der modemen Dichtung, das ihrer Urverdrängung unterliege: ,,[H]is Poetic Father's coitus with the Muse. There he was begotten? No - there they failed to heget him. He mUS[ be self-begotten, he must engender himself upon the Muse his mother."I4€. Eine ödipale Struktur als Grundlage literarischer Kreativität, eine gewaltsame Ane~ nung der Position, die der Vorgänger gegenüber seinem Nachfolger einnimmt. I Das ist es auch, was Leo Bersani, nicht zu Unrecht, dem Ulysses vorwirft: Daß er mit seiner vielgerühmten Intenexrualität doch nur eine Literatur der Erlösung propagiere, in dem die zitienen Texte allein in Gestalt und durch die Autorität des einen Textes namens Ulysses gerettet würden. I" Das ist aber nicht alles. Das komplexe Verhältnis, das der Ulysses zur Überlieferung unterhält, erschöpft sich nicht in der modernistischen Anxiety o[ Influmce verbunden mit einem literarischen Messianismus. Es ist auch bestimmt von Joyce' Anstrengung, eine narrative Form zu finden, die Geschichte anders tradien. Eine Form der Erzählung zu finden, die anders erinnert. Aus den unablässigen Wiederholungen, Umwegen und Verschiebungen, die Circe auszeichnen, ergibt sich nicht eine geschlossene, sinnvolle Erzählung der Erinnerung, sondern ein generativer Kombinationsprozeß, dessen Sinnproduktion eher ein Abf.illproJukr ist. Ar.d~rs als in Hws, wo das Erinnern an das subjektive Bewußtsein gebunden bleibt - in diesem Fall Bloom, der an dieser Aufgabe scheitert - wird in Circe das mnemotechnische Potential der Sprache selbst eingesetzt. Es ist eben ihr generatives Moment: ihre kombinatorischen Möglichkeiten, wie sie der Buchstabe bereits in Hadn verkörpert - der Buchstabe ,,1", der den Unterschied zwischen Welt und Wort einführt - und ihre Polysemie, wie sie ebendon der weitgehende Gleichklang von worlJ und worJ vorführt - ihre materielle, in diesem Fall akustische Qualität, die wiederum eine Einheit zwischen Welt und Wort herstellt. Indem Circe auf ein Erinnerungsmodell setzt, das das einzelne Bewußtsein überschreitet, erzählt sie nicht eine Geschichte, sondern 145 T,"Anx~lJo/lnflwnct. Nc:wYorklOxford: Oxford U. P.• 1973 146 Ebd .• S. 37 147 Doch Joycc' Dekonstruktion der literarischen Vater-Sohn-8cziehung rcduzicn nicht nur die Väter zu syphilitischen Spiegelungen vaterloscr Söhne. sie parodien vielmehr die eigenen Söhne - in diesem Fall den literarischen Kritiker - als lächerliche. impotente Väter. Wenn Harold Bloom die Anxiny o/Inflwnct mit den bedeutungsschweren Wonen umschreibt: "The suong poet peers in me mirror of his fallen prccursor and bcholds neimer me prccursor nor himself but a Gnostic double. me dark othcmcss or antimesis mat bom he and me prccursor longcd to bc" (cbd .• S. 14n. dann scheint die Szene in CifTt bereits auf diese Darstellung zu antwonen: Sie liest sich als bissige. absurde Persiflage einer 50 Jahre später entstandenen Formulierung. 148 Vgl. Bcrsani. Litn'lItf1rto/RttJmrption. Kap. 7. S. 155-178. hier: S. 170 u. In f.
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unzählige in den verschiedensten Versionen. Was dabei vor allem wiederhergestellt wird, ist die überwältigende Präsenz des Materials - worlJ und word. 149 Über das Stichwon "Materialität" läßt sich Circt auch in einer anderen Perspektive an die Unterwelueisen der epischen Vorgänger und an den dncmsus in UIySStS VI zurückbinden: In HaJn erscheint dem Protagonisten der Tod als schiere Materialität - und damit zugleich als Nichts. Das Problem für Bloom ist, daß er eben keine oth" worlJ findet, von der er zum word kommen könnte. Im Kontext von Odysstt, Amtis und Divina Commtdia wurde bereits darauf verwiesen, daß in der nekyia versucht wird, den inexplikablen Punkt des Endes und des T 0des erzählbar zu machen, indem er zu einer Totenwelt explizien wird, diesfaradoxerweise e r 1 e b t - und damit erinnen und erzählt - werden kann. I Der UIySSts hingegen fühn vor, wie die klassische Erzählung der Erinnerung an dem scheiten, was in der Unterwelt seinen imaginären und symbolischen On hat, dem Realen. Es bleibt ein toter, inexplikabler Punkt, ein Tod, der nicht als Heimkehr begriffen werden kann und nicht als das sinnstiftende Ende einer Erzählung firmien - hier wird die Autorität des Erzählens (und seines Subjekts) untergraben statt verliehen. Die erzählende Erinnerung findet keine (U nter-) Welt, sondern läuft ins Leere. Das Gegenmodell dazu liefen Circt mit ihrer plakativen Verweigerung der epischen Erinnerung und ihrem obsessiven Beharren auf der Materialität der Dinge - und der Wone als Dinge. Kein anderes Kapitel des UIySStS optien eindeutiger für ein Modell, in welchem das, was die Grenze und den Anuieb des Erzählens darstellt - das Ende/der Tod als Nichts/Ding - nicht durchgearbeitet und mit einer Erzählung abgeschlossen wird, sondern in der Sprache wiederholt - einer Sprache, in der die Wone und Zeichen Dingcharakter gewinnen. Deshalb wird Circt auch heimgesucht von den Dingen - den Requisiten, den Toten, dem Erzählstoff, dem Sprachmaterial. Aber sie sind "Untote", bloße Wiedergänger in der Sprache - das ist das Unheimliche in Circt. Die Welt der Dinge (worlJ) und das Won (wort/) bleiben doch durch den Buchstaben (,,1", die Chiffre des Im") getrennt. Auch Circt kann die Auferstehung des Fleisches nicht vollbringen, die Dinge nicht im Won zum Leben erwecken. Wohl aber zum Sprechen bringen. Genau wie es in der Unterweltreise immer auch darum ging, dem Ende eine Geschichte zu endocken und die Toten zum Sprechen zu bringen. Deshalb hön der UIySSts auch nicht auf, zu erzählen - so, wie er die Vorstellung einer mimetischen Darstellung hinter sich läßt, ohne auf-
149 Dabei kommt bei Joycc zweifelsohne da Mataialität des Wones (word) da gleiche StcUenwcn zu. wie der der Dinge (world). Deshalb auch einerseits die Akribie. mit der er durch seine Verwandtschaft in Dublin die kleinsten Details seines .Gegenstands- - Dublin Anfang des Jahrhunderts - rccherchiaen läßt. und andererseits die Sorglosigkeit. mit da er schließlich bei den Übersetzungen von Fi"NtllnJ Wal' Wonbedeutungcn auhugcbcn betcit ist. wenn ihm die fremdsprachige Lösung nur akustisch befriedigend scheint. Vgl. Klaus Reichen. MlCht SPrtlCht': Zur Ei"fohrrmg. in: James Joycc. Fi"NtllnJ WIlkt' - Dnmch: Gt'SIImmeilt' A"NJhmmgm. hg. v. Klaus ReichmlFritz Senn. Frankfun a. M.: Suhrkamp. 1989. S. 7-20. hier: S. 14 f. 150 siehe S. 97 f. dieser Arbeit
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zuhören, realistisch zu sein, so wie er Psychologie transzendien, ohne aufzuhören. Figuren zu entwerfen. Er ist das Erzählprograrnrn und dessen Ausführung zugleich. eirct ist dabei das Programm und die Ausführung der Mnemotechnik, die in der Sprache als dem Agens allen Erzählens beschlossen liegt.
KAPITEL V INFERNO AD INFINITUM: WEITERE ExKURSIONEN IN DIE UNTERWELT 50 wie der Ulyss~s nicht aufhön zu en.ählen, hön auch das Motiv, an dem er dies verhandelt, nicht auf, sich selbst zu en.ählen. Joyce wird keineswegs der letzte in der Unterwelt gewesen sein. Im Laufe des 20. Jahrhunderts unternehmen zahlreiche Autoren literarische Abstiege in die Unterwelt, von T. 5. Eliots Th~ Waste lAnd zu Derek Walcotts OmmJs, von Thomas Manns JosqJh und S~iM BriiIin zu Don DeLillos UndnworlJ, von Jorge Luis Borges zu Thomas Pynchon - um nur einige der Texte und Autoren zu nennen, die an die epische Tradition der katdbasis anschließen. Und immer wieder erweisen sich diese Abstiege als U nternehmungen, die zu programmatischen Punkten des jeweiligen literarischen Textes führen. Im Falle des Ulyss~ war es die Reflektion auf die Bedingungen der Möglichkeit des Erzählens - eine Reflektion, die auch nach Joyce weiterhin mithilfe des Topos der Unterweltreise anikulien wird. \ In dem folgenden, abschließenden Kapitel meiner Arbeit soll diese dezidien narratologische Perspektive um andere Blickwinkel erweiten werden. Hier möchte ich noch einmal die Vielfalt an Aspekten auffiichern, die der Topos der Unterweltreise umfaßt. Aspekte, die bereits in den vorangegangenen Kapiteln zur Sprache kamen - darunter die Auseinandersetzung mit der Tradition, für welche die Toten der Unterwelt stehen, oder die Verbindung von Geschichte und Mythos kraft der zyklischen Grundfigur von Abstieg und Aufstieg. Auch die allegorische Qualität des Topos und seiner kosmischen Dimensionen greift die Literatur des 20. Jahrhunden... wieder auf, und aus einer ausdrücklich "nach-modernen" Perspektive wird die Trennung von Imaginationsraum und dem Raum wissenschaftlicher Empirie, welche sich mit der Neuzeit in der UnterweltsVorstellung vollzogen hat, neuerlich thematisien. In diesem Kapitel werde ich die genannten Aspekte an Texten aufzeigen, die einerseits exemplarischen Charakter für den Topos der Unterweltreise im 20. Jahrhunden besitzen und andererseits geeignet sind, um literarische Positionen von der Moderne bis zur Postmoderne zu markieren: T. S. Eliots Waste lAnd verdeutlicht nochmals die zentrale Rolle des tUscmsus-Motivs für die Literatur des Modernismus; Thomas Manns JosqJh und S(in~ BriiIin vermittelt ironisch die mythischen Archetypen des 20. Jahrhundens mit einer historisch-realistischen Erzähltradition; Jorge Luis Borges' fiktive Mythologie "dekonstruien" avant Ia Intr~ literarische Tradition wie außerliterarische Realität; Thomas Pynchons phantastische Historiographie praktizien eine postmoderne Inversion der Moderne. 1 Unter den Texten. die ich im Folgenden näher betrachten werde. gilt dies vor allem Air die groß. angelegten Romanuntemehmungen Thomas Manns und Thomas Pynchons.
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Die folgenden Überlegungen zu den genannten Autoren und Texten werden Skizzen bleiben, die den Anspruch auf VoUständigkeit weder erheben können noch wollen. Doch können und soUen sie noch einmal die vielfältigen Anschlußmöglichkeiten des Motivs der Unterwelt vor Augen führen, sowie die Persistenz dieses Topos im 20. Jahrhundert verdeudichen. Jenseits der Metamorphosen und Umbrüche in der Motivgeschichte werden thematische Linien erkennbar, die sich von Borges zu Dante, von Pynchon zu Galilei ziehen lassen.
THE RETURN OF THE LIVING DEAD: T. S. EUOTS NEKROMANTIE
Das starke Interesse an mythischen Motiven und Strukturen, das die Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts kennzeichnet, umfaßt auch das Mythologem der Unterwelt und der katdbasis. 2 Doch ist dieses Mythologem mehr als nur exemplarisch - es ist paradigmatisch, denn es reflektien auf inhaltlicher Ebene ein zentrales Moment der modernistischen Faszination für den Mythos: die Unterweltreise als Auseinandersetzung mit der Autorität der Vergangenheit und mit den Repräsentanten der Tradition.' In der Literatur dieser Epoche bedeutet diese Auseinandersetzung wesentlich einen Bruch mit der Vergangenheit - sei es als traumatischer Verlust oder als programmatisches Ziel. Die Begegnung mit den Toten als Konfrontation mit den Vorgängern - dieses Moment ist auch im Ulysm in den Topos der Unterweltreise eingetragen. Doch bleibt es ein Nebenschauplatz innerhalb dieses Textes, dessen monomanischer Formwille und unbedingter Glaube an das schöpferische Potential der Sprache in letzter Konsequenz alles andere neutralisien. Umso deutlicher anikulien sich dieses Szenario hingegen in einem Text, der im gleichen Jahr wie der Ulyss~ erscheint und auch in seiner Vorgehensweise Verwandtschaft zu diesem aufweist: T. S. Eliots episches Gedicht Tht Was~ Land, das zum Zeitpunkt seines Erscheinens in der englischsprachigen Lyrik eine Erschütterung auslöst, die mit der Wirkung des Ulyss~ vergleichbar ist. Die Nähe zur Vorgehensweise Joyce' liegt auf der Hand: Ähnlich der stilistischen Camouflage und der materiaiischC'n Heterogenität des Ulyss~ ist auch Tht Was~ Land ein Konglomerat von Material verschiedenster Herkunft und eine Polyphonie von Stimmen verschiedenster Tonlagen, vom Pathetisch-Getragenen bis zum Zotig-Vulgären. Die Sprache bedient sich ebenso eines elaborienen literarischen Stils wie Wendungen der alltäglichen Rede, im Umgang mit dem Material verbindet sich ein Realismus m miniaturt mit einer hochanifiziellen Gestaltung. Und ähnlich wie Joyce eine scheinbar unüberschaubare Fülle an Texten jeglicher An in seinem Roman anzitien und inkorporien, besteht auch FJiots Gedicht wesentlich aus Zitaten anderer Texte, buchstäblichen wie entstellten. 2 Neben den hier behandelten Autoren wären in diesem Zusammenhang die Romane D. H. Lawrence' - z. B. TIN Lost Girl -, Eua Pounds Umtos, Hermann Brochs Dtr ToJ tin Vnri10der die Nachkricgsromane Ferdinande aIines, wie D'fUI ch4~4"..t lautrt, zu nennen. 3 Zu anderen Auslegungen des Motivs in der Lireranu des Modernismw siehe David L. Pike, Pm14ft Through Htl/: Motinnisl DtscmlJ, MtJinNtl Uruinwor/Js, Irhaca (N. Y.)/London: Cornell U. P., 1997, in welchem das tincmnu-Moriv als Allegorie der Konversion gelesen wird, sowie Evans Lansing Smirh, R4~ 4nJ &wllltüm - Tht Dtscml to Uruinwor/J i" Motinnism, Lanham (MD)/London: Univ. Pr. of America, 1990. das eine Applikation der junp:hen Archetypcnlehre auf Lireratur damdh - wobei in le(Zrerem unter Modcrnismw sowohl die klassische Moderne wie auch die Postmoderne subsumien werden.
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Dabei ist im Falle des Waste' Land der Charakter einer textuellen Collage noch stärker ausgeprägt - Literatur aus Literatur -, und noch weniger als in Joyce' Roman läßt sich in Eliots epischem Gedicht eine durchgehende Handlung oder eine einheidiche lyrische Subjektivität konstruieren. Eliot selbst hat im Ulyss~s eine Methode am Werke gesehen, die seinen eigenen Zielsetzungen entspricht: In seiner Rezension Ulyssn. Ortkr. anti Myth vom November 1923 spricht er von der "mythical method", die Joyce anwende. Sie habe den Stellenwen einer wissenschaftlichen Entdeckung, mit welcher die Kunst auf der Höhe der zeitgenössischen Realität stehe - um dieser flüchtigen, anarchischen, formlosen Realität wieder Ordnung und Form verleihen zu können! Es ist der Zusammenschluß von Vergangenheit und Gegenwart durch die Parallele zur Odyss~t, die Eliot im Blick hat; sie sei der Ersatz für die "narrative Methode", die der Roman, in seinen Augen eine überholte Form, verkörpen. Das heißt jedoch, daß die Parallelen zur Odyss~~, von denen Eliot spricht, sich nicht - oder nicht vorrangig - auf eine narrative Struktur beziehen. Hier zeichnet sich bereits ab, inwiefern Eliot in Ulyss~s. Ortkr. anti Myth mehr über sein eigenes Vorgehen spricht als über dasjenige Joyce'. Denn letzterer geht, wie im vorhergehenden Kapitel gezeigt wurde, durchaus noch auf eine narrative Ordnung und ein narratologisches Programm aus, und er tut das eben im Vergleich und Kontrast zu dem Referenztext Odyss~t. Anders Eliot, der in seinem Gedicht zwar die epische Tradition aufruft, einen erzählerischen Zusammenhang jedoch verweigert. Worin aber besteht dann in Eliots Verständnis die Parallelisierung, die die mythische Methode herstellt, und inwiefern besitzt sie eine strukturiende Kraft? Das, was an dem Zusammenschluß von zeitgenössischem, "lebendem" Material mit dem literarischen T o.."t der Vergangenheit formg:bend wirkt, y.rird in UlySItS. Ortkr. anti Myth durch den Begriff des "classicism" bezcichnet. s Was Eliot darunter versteht, wird deudicher, wenn man es zusammenbringt mit dem Schlüsselbegriff seines bekannten Essays von 1919, TraJition anti th~ Individual Talmt. 6 Die literarische Tradition ist für Eliot der Garant einer organischen Ganzheit, ein "corpus" im buchstäblichen Sinne. Jedes literarische Werk, das sich der Tradition hinzufügt, verändert die Gesamtheit dieses Körpers, indem es die Verhältnisse der Teile untereinander veränden - jedoch ohne seine einheidiche Form zu geflihrden: Das neue Werk soll sich nicht anpassen, aber es muß passen. "la fitting in is a test of its value"7 - das ist der "Klassizismus" jeder guten Literatur. Es handelt sich bei der "mythical method" also weniger um ein textinternes Ordnungsvertahren, wie es die narrative Organisation darstellt, als vielmehr um eine Ordnung, die zwischen den Texten besteht und in dem neuen nur zur DarsteUlung gebracht wird - eine Methode, die innere Ordnung schafft. indem sie "einordnet". Dieses Verfahren sucht Eliot in seinem Gedicht Tht Waste' lAnd zu 4 T. S. Eliot. UIyssn. Orm. IlNi Myth. in: TIN Dia/75 (nov. 1923). S. 480-483 5 Ebd.• S. 481 f. 6 T. S. Eliot. TraJititm IlNi tIN IruJiviJwJ Tiliml. in: TIN SacrwJ Wood Emtys on Pomy lind Critirum (1920). l..ondon: Mcmucn & Co. 1960. S. 47-59 7 Ebd.• S. 50
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realisieren, indem er die Texte seiner Vorgänger im eigenen Text ein- und umschreibt, indem er die Gestaltungsmacht der Tradition in Gestalt ihrer Texte heraufbeschwört und mit dem zeitgenössischen Material in Verbindung bringt durch eine An metonymischer Infektion des Nebeneinanderbestehenden werden Form und Ordnung aus einem größeren, umfassenden Kontext übertragen. In dieser innigen Beziehung zur Vergangenheit liegt ein Moment beschlossen, das über das Verhältnis, das Joyce zur Tradition unterhält, weit hinausgeht. Dies zeigt sich deudich in dem Gebrauch, den beide Autoren von dem Topos der Unterweltreise machen, einem Topos, der immer schon eine Auseinandersetzung mit der Tradition in Gestalt der Toten formuliert. Wir haben gesehen, daß Joyce in erster Linie der textinterne Aspekt des Motivs interessiert, sein Einsatz in und für die narrative Organisation des Einzeltextes - und das heißt vor allen Dingen seinen eigenen Text. Deshalb kann der Ulyss~ auch sich sdbst mit dem gleichen Gestus zitieren wie seine Vorgänger - er ist ebenso ahistorisch und formalistisch wie egozentrisch. Bei Eliot hingegen liegt der Schwerpunkt auf dem übergeordneten Zusammenhang, den die Gesamtheit der Tradition garantiert und durch welchen sie wiederum ordnungsstiftend im Einzelwerk wirkt. In dieser Hinsicht wird die Unterwelt in ihrer kosmischen Dimension zu einer Allegorie der Tradition als Ordnung und umgreifender Ganzheit. Das wird explizit, wenn Eliot die Tradition in den Toten verkörpert sieht: "you must set hirn [the poet], for contrast and comparison, among the dead"8 - der Dichter muß in die Unterwelt hinab, unter die Toten, um seine wahre Bedeutung zu erkennen und in ihr erkannt zu werden. Daß dies auch das Moment einer "Monifizierung" seiner Person beinhaltet, wird hierbei ausdrücklich betont: Gefordert ist ein "self-sacrifice" des Dichters.9 Im Kontext des Wastt' Land wird dieser Zusammenhang von Selbstopfer, Totenverehrung und Unterweltsfahrt in der auf Frazer zurückgehenden Vorstellung des "dying god" expliziert: Es ist das Gottesopfer, der sterbende Gott, der in die Unterwelt hinab muß, um in den vegetativen Kreislauf von Tod und Auferstehung einzugehen. 1o Der Dichter als gottgleicher Schöpfer wird bei Eliot zum Dichter als götdichem Opfer. Die Bedingung künstlerischer Fruchtbarkeit, für die der ordnungsstiftende Zusammenhang der Tradition bürgt, ist somit ein Sdbstverlust, "a continual extinction of personality", wie Eliot es in seinem Essay eindringlich formuliert. 11 Ein Verlust ist Eliots Theorie ebenso wie seiner Verwendung des Topos "Unterwelt" auch in anderer Hinsicht eigen: Es ist der Zusammenhang selbst, der verloren ist. die Tradition als eine tote Vergangenheit. Was der theoretische Text 8 Ebd .• S. 49 9 Ebd.• S. 53 10 Siehe Eliots Anmerkung zu TIN
W4S~ LmuJ in: T. S. Eliot. TIN W4S~ lAnd. A FlICJimilr anti Drafo InclwJing tIN Annotations 0/ Ezra PtNnti, cd. by Valerie Eliot. London: Fabcr and Fabcr. 1971. S. 147. forthin zitiert nach dem Text der ersten Ausgabe als
Transmpt
0/ tIN Oriti"'"
WL mit Zcilenangabc 11 Ders.• TraJition anti th~ IruJividwd TalmI. in: S4crrJ Wooa', S. 53
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verleugnen mag, spricht der literarische in aller Deudichkeit aus: Das Wask Land reflektiert in Formulierungen wie "a heap of broken images"(WL 22) oder "these fragments [... ] shored against my ruins" (WL 430) explizit die eigene Verfassung - die Unverbundenheit seiner Bilder, die stilistischen Brüche, der Zerfall des lyrischen Ichs in eine Kakophonie der Stimmen, die Auflösung des T extkorpus und der Syntax. Dies wird umso schmerzhafter fühlbar, als der Text der lyrischen Gattung zugehört und somit die Erinnerung an die ursprüngliche Gebundenheit der epischen Dichtung ungleich stärker betont als dies ihr "prosaischer" Nachfolger, der Roman, tut. Doch ist es im Wasu LarvJvor allem die Erinnerung an Verlorenes - die ersten Verse des Gedichts mögen mit ihrer klaren Rhythmisierung und der strikten syntaktischen Geometrie des Enjambement noch klassische lyrische Formelemente beschwören, im Folgenden löst sich diese Form zusehends auf. Das Gedicht wird gespeist von einer unstillbaren Nostalgie, der Sehnsucht nach einer Einheit, die nur noch als zerstörte zu vergegenwänigen ist: Es ist eine Totenfeier für die Texte der Tradition, die ihm eingeschrieben sind und deren Verbindlichkeit nur noch unter dem zwiespältigen Begriff des Klassizismus nachgetrauert werden kann. Es selbst unternimmt, was der Leser mit jeder guten Literatur vornehmen soll, um sie wertschätzen zu können - es steigt in eine Welt der Toten, "among the dead". Dies signalisieren nicht nur die konkreten Verweise auf die Unterwelt, wie etwa in Gestalt der Zitate aus der DivilUZ ComrMdia oder der Figur des T eiresias, "who [... ] walked among the lowest of the dead" (WL 245), und es erschöpft sich nicht nur in einem infernalischen Szenario, welches die zeitgenössische Welt als Hölle erscheinen läßt. Der U nterweltsabstieg ist vielmehr der Topos, in dem sich das Vorgehen des Gedichts fassen läßt: Es selbst ist der Ort der Unterwelt, in der die Toten zum Sprechen gebracht werden und in der eine Ordnung gesucht wird, die aus der Vergangenheit stammt und zugleich Gegenwart und Zukunft bestimmt - ganz so, wie die Unterweltreise Analepsis und Prolepsis beinhaltet. Die "mythical method" wird im Wasu LarvJ an einem Gegenstand durchgeführt, der selbst ein Beispiel für die Struktur dieser mythischen Methode ist: Der klassische epische Topos der n~ltyia wird somit zu einer vergleichbaren Folie, wie sie in den Augen Eliots der Einzeltext Odysu~ für den Ulyss~s darstellt. Als eine solche Folie kann sie Eliot dienen, weil im Kontext der Unterweltreise immer schon eine Auseinandersetzung mit der Tradition in Gestalt der Vorgänger geführt worden ist - der Vorgänger in der Unterwelt, wie auch der literarischen Vorgänger. "For contrast and comparison", um die Worte Eliots zu benutzen, werden die epischen Helden "among the dead" geschickt - um sich in die Linie der klassischen Helden einzureihen, wie auch ihre Dichter sich unter die großen toten Vorgänger reihen wollen: Odysseus, der im Hades in die Fußstapfen Herkules tritt, Aeneas, der den griechischen Heroen und Halbgöttern nacheifert, wie die Amris als Epos den griechischen Vorgängern [lias und Odyss~~ nacheifert, Dante, der Vergil in pmolUZ und Paulus im Geiste folgt.12 Dieses Ver12 Siehe S. 102 f.• 112 fT. und 131 f. dieser Arbeit
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hältnis bestimmt auch den ..Totenkult" Eliots. Es zielt darauf, mit den klassischen Helden und den klassischen Dichtern vergleichbar zu werden, um sich so zu legitimieren - nach dem Prinzip der imit4tio, wie es Antike und Mittelalter bestimmte, und wie Eliot es in seinem Essay Tradition and the Individual Talmt polemisch gegen das Innovationsdiktum und Originalitätsprimat der Moderne setzen will. Und doch nennt er im selben Atemzug. ja sogar noch bevor er von dem Vergleich mit den Vorgängern spricht, den Kontrast zu ihnen - "for contrast and comparison, to be placcd among the dcad". Solch eine gegenläufige Bewegung prägt bereits die Höllenfahnen der Antike und des Mittelaters: Weniger um ihre Vorgänger zu wiederholen als um sie zu übertreffen bedienen sich Helden und Dichter des Mittels der U nterweltreise. 13 Denn in der zcidosen Unterwelt, in der Altes und Neues nebeneinander stehen, in der Gestalten der Mythologie wie der Geschichte die gleiche Wirklichkeit besitzen, wird die historische Chronologie potentiell zur Gleichzeitigkeit und damit die implizite Hierarchie von Vorgängern und Nachfolgern zur Gleichwertigkeit. Die Unterwelt ist der On, an dem die Geschichte und die Geschichten umgeschrieben werden. Die Ameis, die vor dem Hintergrund ihrer großen epischen Vorgänger Odyssee und I/im entsteht, kann in der Unterweltsfahn doch die Chronologie umkehren und Aeneas Odysscus vorausschicken. Shakespcares Antony and Ckopatra kann in einer imaginienen Unterweltsszcne ein Bild entwerfen, das ebenso prä- wie postvergilianisch, ebenso Referenz an Vergil wie dessen Oberbietung ist. Dante, der neue Autor einer .. heiligen Dichtung", läßt seinen Vorgänger VergiI nicht nur auf der Lebensreise sondern auch auf seinem literarischen Höhenflug am Eingang ins Paradies zurück. Die Unterwelt ist der On, an dem die Vorgänger herbcizitien und zugleich abgetan werden können - als tote Vergangenheit, als Schatten ihrer selbst und Schatten gegenüber der lebendigen Gegenwart des neuen Helden und des neuen Textes. IS Die Unterwelt ist damit der ideale Topos - Bild wie On - des .. misrcading" im Sinne Harold Blooms: 16 Sie ist Schauplatz der gerielten Fehllektüre der Vorgängenexte, die in ihr aufgerufen werden. Damit aber auch der Topos, an dem die "anxiety of influence" verhandelt werden muß, insofern hier die Macht der Toten offenbar wird. In Eliots Gedicht äußcn sich das nicht zuletzt in der starken blasphemischen Tendenz. mit der, allem Totenkult zum Trotz, hier die Texte ei-
I.
13 Dies ist die grundlegende These von MaeDonalds Bft"", Pltun 0/Mmwry - Epic UnJnworlJs in
Vnxil Dlln~ """ Mi/ton.
14 Das liebespaar Mare AntonillS und Klcopatra sollen künftig im Hades noch das Paar Dido Aeneas übcmrahlen - eine paradoxe Vergil-Rcminiszcnz. zum einen, da der Verweis Antonius' im Jahre 30 vor Christus sich kaum auf ein literarisches Werk beziehen kann, das erst im darauffolgenden Jahn.chnt entsteht, zum anderen, insofern dieses Bild in der Amns gar nicht auftaucht: Die Begegnung Aencas' und Didos ist keineswegs die eines liebespaars, vielmehr demonstricn sie die unübcrwindbare Trennung der Einzdpositionen - der Positionen von Dido und Aencas, von liebe und Auftrag. von privater und öffendichcr Stimme, von Obcr- und Unterwelt. Vgl. hierzu auch MaeDonald, Bft"", Pltun 0/Mmlory, S. 4 ff. 15 "Every dcsccnt aumorizcs itsdfby monifying its prcdcccssors". Pike, PIlSSIlU Throup Ht/J, S. 55 16 Siehe Harold Bloom,.A Mllp o/MisrtaJjnl' Ncw YorkiOxford: Oxford U. P., 1975
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ner ..heiligen" Tradition profaniert werden. Dabei fehlt dem Waste Land voUständig die Komik und Leichtigkeit, mit der etwa Circ~ der Blasphemie huldigt. Die Profanierung und Deklassierung wird bei Eliot vielmehr mit einer Gewaltsamkeit betrieben, die bis zur Verzweiflung reicht und bis zum Ekel führt. Das Waste Land kann sich von seinen Toten nicht befreien, und es kann sie auch nicht in das Spiel der Sprache und ihrer Kombinatorik überführen, wie dies in Ciru geschieht - Eliots Gedicht wird in weit umfassenderem Maße von den Taten heimgesucht, die es zu verdrängen sucht und aus deren .. Leichenteilen" es doch besteht. Hier gewinnt das Problem der literarischen Nachfolge eine Virulenz, die durch die Begrifllichkeiten klassischer Provenienz, wie Harold Bloom sie verwendet,'7 nur unzureichend beschrieben ist: Im Watte Land artikuliert es sich in einer Sprache und Bildlichkeit, die von einer brutalen Konkretion und Materialität sind. Es zeigen sich die fatalen Auswirkungen der Gegenwärtigkeit der Vergangenheit, die von Eliot selbst mit den Worten beschworen wird: "Tbe historical sense involves a pcrccption, not only of the pastncss of the past, but of its presencc",,8 Das erinnert an die Zeitlosigkeit und ewige Gegenwart, wie Freud sie für das Unbcwußte behauptet - eine Annahme, die die Trau11Ukutung durch einen Vergleich mit der Unterwelt veranschaulicht: "die Schauen der odysseeischen Unterwelt, die zum neuen Leben erwachen, sobald sie Blut getrunken haben,,"9 Auch Eliot bindet seine These von der Gegenwärtigkeit der Vergangenheit an das Bild der Toten in der Unterwelt zurück - eine Unterwelt, in die der lebende Dichter weniger hinabsteigt, als daß sie durch ihn hinaufstiege: "not only the OOt, but the most individual parts of his work may be those in which the dead poets, his ancestors, ass~rt meir irnmortality most vigorously". 20 Das Waste Land ist eine T otenbcschwörung, eine Nekromantie wie die n~kyia in der Odysu~, auf die es selbst durch die Figur des Teiresias, der vermeintlich zentralen, vereinigenden Perspektive des Gedichts,21 verweist. Aber der umfassende und zugleich durchdringende Blick Teiresias', der laut den Anmerkungen "die Substanz des Gedichts" sieht, ist im T cxt selbst nicht einzulösen - es bleibt das Paradoxon des blinden Sehers, dessen Gesichte wiederum nicht zu sehen sind. Die Figur des T eircsais ist ebensowenig geeignet, diesen T cxt zu vereinen, wie irgendeine andere der Stimmen, die in dem Gedicht .. Ich" sagen und durch ihre Polymorphie die Vorstellung traditioneller lyrischer Subjektivität außer Kraft setzen. Es sind die Stimmen der Toten, die durch die Lebenden sprechen und ihre Unsterblichkeit und ihre Macht gegenüber diesen behaupten. Das ist die Situation einer Heimsuchung, und genau das ist es, was im Waste Land geschieht - es wird von den 17 Bloom bcnennr die von ihm differenzierten Ausprägungen der literarischen Aneignung des Vorgängers mit den griechischen Termini Clinarnen, T csscra. Kenosis. Askesis. Apophrades sowie Dämonisierung. Vgl. cbd.• S. 83 ff. 18 Eliot. T,aJitü", 1lru1 tIH IruliviJlllli Talmt. in: ~J WooJ. S. 49 19 Freud. T,lIumJnmmg(SIA 11). S. 528 20 Eliot. T,aJitio" Ilru1lruliviJwJ Talmt. in: ~J WooJ. S. 48 21 Siehe Eliots Anmerkung zu Zeile 219 - WlUk lAruI. S. 148
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Stimmen der Tradition heimgesucht; sie sind es, die dieses Gedicht beherrschen. Damit sind sie eine Bedrohung für seine imaginäre Einheit, für eine kontrolliene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, in der die "Substanz des Gedichts" hörbar würde. Die Beschwörung der Vergangenheit ruft so eine gespenstische Präsenz hervor, über die das neue Gedicht keine KontroUe mehr besitzt - wenn das Waru lAnd als "akademisches Gedicht" abgetan wird, 22 dessen Lektüre vor allem eine detektivische Gelehrsamkeit forden, verkennt dies das Obsessive und Zwanghafte, das seiner Konfrontation mit der Vergangenheit innewohnt. Es handelt sich hier weniger um Anspielungen im buchstäblichen Sinne des Wones, als vielmehr um bitteren Ernst: Die Kraft poetischer Formeln und des dichterischen Selbstopfers, das Eliot forden, hält die Toten nicht mehr in Bann. "Indessen kamen schon vorher in zahllosen Scharen Völker von Toten. lärmten, als sprächen Verzückte - mich packte das bleiche Entsetzen". heißt es in der Odyssu am Ende der n~ltyia, als Odysseus vor der Masse der anströmenden Toten sein Blutopfer offenbar nicht mehr verwehren kann (0 XI, 631 - 633). Es sind diese Stimmen, die den Held voU Grauen aus dem Hades treiben. Ähnliches droht im Waru lAnd, und sein Autor wehn sich gegen eine solche Venreibung "aus der Unterwelt", aus seinem eigenen Text. Dies wäre die Usurpation des neuen Werkes durch die Tradition. Zugleich aber beschwön Eliot gerade diese Bedrohung in Gestalt der Toten, die gleich Vampiren aus dem "Blut" des neuen Werkes, dem Individuellsten und Eigensten darin, ihre Unsterblichkeit ziehen. Schon in dem Essay von 1919 wird spürbar, daß sein Verhältnis zur Tradition durchaus ambivalent ist: Einerseits eine scharfe Polemik gegen die neuzeitliche Leitvorstellung der Originalität gefühn mit dem Begriff der Tradition, hebt Tradition and th~ Individual Talmt andererseits das Neue. "me really new",23 als notwendige Bedingung eines jeden Kunstwerks hervor - es ist die Neuheit eines Werkes, dank derer es die Tradition retrospektiv verändern kann. 24 Es wird betont, daß der Dichter, so unvermeidlich er sich der Beuneilung durch die Vergangenheit aussetzen müsse, doch nicht durch sie "verstümmelt" werde - "I say judged, not amputated, by mem [me standards of me past]".2S Und doch scheint die drohende Verstümmelung des lebenden durch die toten Dichter so real, daß Eliot sich umgekehn gezwungen sieht, eine ebensolche Amputation an der Vergangenheit vorzunehmen: in seinem eigenen Gedicht durch das radikale, geradezu gewaltsame Verfahren, mit dem er seine Referenztexte zerstückelt und entstellt. Auch sie werden zu "wimered stumps of time", wie es in "A Game of Chess" von den mythologischen Motiven auf den Gemälden heißt (WL 105). Es 22 So bercits das Uncil William Carlos Wdliams über das Wastc Land. Siehc Pctcr MiddJcron, TIN AcaJnn;c D~lDpmnrt 0/. TIN Was~ LA""·, in: Glyph TatJI4/ Stutlin 1 (1986), S. 153-180, hicr: S.I64 23 Eliot, TraJitio" """ buJiviJUII/ Tillmt, in: SturrJ WooJ, S. 50 24 "To conform mcrdy would be for mc ncw work not rcally to conform at all; it would not be ncw, and would mcrcforc not be a work of an." Ebd. 25 Ebd.
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ist die Gegenwehr gegen eine Tradition, die für den Nachfolger eine Drohung darstellt: die Drohung. ihn seiner Kreativität zu berauben, sein Dichterrum zu verstümmeln, kurz: eine Kastrationsdrohung. Das negative Gegenstück zur Nekromatie, zu der ehrfurchtsVollen T otenbeschwörung in Tht Wastt Land, ist die Nekrophilie, die Vergewaltigung der Toten. Das allgegenwärtige Motiv der Vergewaltigung in diesem Text ist das Pendant zu der Kastration, die mit den Toten in Verbindung gebracht wird. Sterilität und Impotenz stellen einen wichtigen Themenkreis des Gedichts dar, der bereits in seinem Titel begriffen ist: "me waste land", das öde, unfruchtbare Land. In der Studie Jessie L. Westons, auf die laut Eliots Anmerkungen nicht nur der Titel, sondern auch die Anlage und ein Guneil der Symbolik des Gedichts zurückgeht, ist das Moment der Kastration ebenso zentral wie in James Frazers Go/Jm Bough, der in derselben Anmerkung als weiterer grundlegender Bezugstext des Wastt Land ausgewiesen wird: 26 Die Wunde des Anfortas, des Fischerkönigs aus der Gralslcgcnde, die Westons Buch From RitUII/ to Romanct untersucht, ist die Wunde einer Kastration und zeitigt verheerende Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit des Landes. Das gleiche gilt für die Figur des sterbenden Gones bei Frazer: Anis, Adonis, Osiris, laut Frazer die Protagonisten von Vegetationskulten, sind Göner, deren Tod in engem Zusammenhang mit einer Kastration steht und deren Gefolgschaft Kastration implizien - das heißt, die Opferung des fruchtbarsten Körpcneils, um Fruchtbarkeit zu beschwören. In Tht Wastt Land wird nicht nur das mtmbrum virilt der individuellen Dichterpersönlichkeit in einer Entpersönlichung geopfen, um in einem umfassenderen Zeugungsakt die Einheit und Ordnung der Tradition auferstehen zu lassen, wie dies Tradition and tht Individual Talmt forden. Hier wird auch die Tradition entmannt, die sich so kraftvoll ("vigorously") auf Kosten der Zeugungskraft ihrer Nachfolger behaupten will. Das Wastt Landbcgräbt ihre abgetrennten Glieder im eigenen Text, um dessen Fruchtbarkeit zu sichern. Doch bleibt diese Gewalttat nicht ohne Folgen - die Einverleibung der Tradition wirkt sich nicht nur wohltätig aus. Als magische Praktik versagt der literarische Kannibalismus des Wastt Land: Wo allein schöpferische Kraft und Potenz übenragen werden sollen, infizien die Welt der Toten das Gedicht. "Dry bones can harm no one" muß sich der Text selbst versichern (WL 389) und ruft damit nur umso nachdrücklicher die Szene einer Geistererscheinung herauf. 27 Das Verhältnis Eliots zur Auferstehung des toten Gones nach dem Modell Frazers ist äußerst zwiespältig. Die Fruchtbarkeit, die hiermit verheißen wird, verspricht im Wastt Land keineswegs eine Erlösung, und dies wird bereits in den ersten Zeilen verkündet: "April is me cruellest monm, brecding I Lilacs out of me dcad land, mixing I Memory and desire, stirring I Dull roots wim spring rain." (WL 1-4) Als Echo einer der Eröffnungsszcnarien der englischsprachigen Lite26 Vgl. Elic)[, W4IW 1AnJ. S. 147 27 Die Kapelle in den Versen zuvor wird explizit als die "Chapcl Perilous" aus der GraWcgende ausgewiesen. Vgl. E1iot, W4IW LANi, S. 148
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rarur, Chaucers Canterbury Taks (Prologue, Vers 1-4).28 wird die Tradition hier zugleich aufgerufen und dementien - nicht bestätigende Wiederkehr Chaucers sondern seine Umkehrung. nicht freudiges Ereignis sondern grausame Heimsuchung. nicht lebendiger, inspirierender Ursprung sondern stumpfes, geisdoses Material ("dull roO[s"). Der generative Prozeß wird hier in den Bildern eines Verwesungsprozesses beschrieben - das ist nicht nur ekelhaft, es trägt auch etwas Unheimliches in sich: Wenn die abgründigen Frühlingsbilder im Folgenden von einer tödlichen, sengenden Sonne ausgelöscht werden, kehren sie am Ende des ersten Teils "The Burial of the Dead" mit umso grausigeren und unheimlicheren Assoziationen wieder. Die Fruchtbarkeit erweist sich hier endgültig als eine Fruchtbarkeit der Toten - ihre Wiederkehr, vor der man sich zu hüten hat: "That corpse you planted last year in your garden, has it begun to sprout? [... ] Oh keep the Dog far hence, that's friend to men, or with his nails he'll dig it up again!" (WL 71_75)29 Auch die Vorgängenexte kehren als Unrote wieder - mehr noch als der Geist der Tradition sind im Wasft' lAnd ihre Geister und ihre verstümmelten Überreste präsent. Dabei gräbt das Gedicht selbst die Toten aus, die in ihm umgehen, nicht zuletzt dadurch, daß es sie in den beigefügten Anmerkungen kenndich macht. Der respektvolle Verweis auf die Quellen verhinden grundsätzlich, daß die "withered srumps of time", die trunkienen, entstellten Zitate, in den neuen Text eingehen könnten, um allein seiner Fruchtbarkeit geopfen zu werden. Vielmehr lösen sie beim Leser ein beständiges Suchen aus nach den anderen Texten, die diesem hier zugrunde liegen - eine Suche, die allen Bemühungen der Interpreten zum Trotz nicht an das Ziel einer einheidichen "Entschlüsselung" des Wasft' lAnd durch einen seiner Referenztexte führen wird, nicht durch die Gralssage oder die Am~is, durch Dante oder Frazers GolJm Rough. Wohl stimulien Eliots Gedicht beständig die parsivalsche Torenfrage nach der Bedeutung, die Anrwon jedoch bleibt es schuldig. und kein anderer Text wird sie in seinem Namen geben können. Das Wastt' lAnd ist, wie Maud Ellmann in Anlehnung an Oscar Wilde bemerkt, "a sphinx without a secret".l0
28 Maud Ellmann. Tht Ponia o/lmpmoNlÜty. T. S. EIiot a"" &Ta PowuJ. Brighton: Harvester Press. 1987. S. 95 f. 29 Daß die Wiederkehr der Toten eine der zentralen Erscheinungsformen des Unheimlichen ist. begründet Freud mit der Gcfühlsambivalenz. die die Überlebenden den Toten entgegenbringen: die Trauer ob ihres Verlusts ebenso wie die Befriedigung der feindseligen Empfindungen dwch ihren Tod - Kennzeichen auch der ambivalenten Beziehung. in der Eliot zu den "dead poets" steht. Wenn das Unheimliche nach Freud wesen dich die Wiederkehr des Verdrängten ist. so sind es die feindseligen Empfindungen gegen die Toten. die aus der Verdrängung in entstellter Form wiederkehren: in der Form der Toten selbst. die durch eine Projektion zu .bösen Geistern" werden. welche die Feindseligkeit der Lebenden übernommen haben. Vgl. Freud. Dm Urahnmlicht. in: StA IV. S. 241-274. hier: S. 264 f. sowie Totml""" Tabu. in: StA IX. S. 287-444. hier: S. 342 f[ 30 Ebd .• S. 91
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Um das Moment der Wiederbelebung und Auferstehung der Vergangenheit ist auch ein anderes literarisches Unternehmen zcntrien, welches zugleich in seiner Erscheinungsform dem Wask lAnd kaum entgegengesetzter sein könnte: Thomas Manns monumentaler epischer Romanzyklus JosqJh und srint Brütkr.'1 Der vierbändige historische Roman ist eine Suche nach den Anfängen des Erzählens, nach der ursprünglichen Einheit von Mythos und Geschichte in der Narration. Mann beschwön hier das Erzählen in der Romantradition des 19. Jahrhundens, das Eliot unter dem Stichwon der "narrativen Methode" als überholte Form verwirft. Dennoch sind beide Autoren von einem ähnlichen Interesse an der Überlieferung wie auch an spezifischen mythischen Konstruktionen geleitet. Doch während bei Eliot die Auferstehung der Tradition unter dem Zeichen des Unheimlichen steht, gelingt Thomas Mann diese Wiederbelebung im heiter gebrochenen Licht der Ironie; während im Wastt lAnd die Toten der Vergangenheit aufsteigen, um die Lebenden heimzusuchen, steigen die Josephs-Romane in die Unterwelt der Vergangenheit, um diese aus der aufgeklänen Distanz eines "Besuchers" in Augenschein zu nehmen. Thomas Manns Roman steht nicht unter dem Bann der Vergangenheit, sondern schlägt diese in den Bann seines Erzählens. Trotzdem sie auch als "Hölle" bezeichnet wird, fehlen hier der Unterwelt der Vergangenheit die Bedrohlichkeit und Abgrundigkeit, die das Totenreich der Tradition in EliClts Wask lAnd auszeichnet. Die Josephs-Romane sind, in ihrem Inhalt wie in ihrem Programm, eine unermüdliche Feier der wiederholenden Variation. Die Geschichte um Jaakob und seine zwölf Söhne, die Ahnväter der zwölf Stämme Israels, ist einer der bekanntesten Stoffe des Alten Testaments. Mann macht aus den circa dreißig Seiten, die sie im ersten Buchs Moses umfaßt, eine Roman-Tetralogie, die in der Erstausgabe über 2000 Seiten mißt. Zusammengehalten durch ein Netz von Entsprechungen und Korrespondenzen zwischen den verschiedenen Figuren und Erzählsträngen, kreisen die Romane um das Thema, das sie selbst exemplarisch realisieren: den lebendigen Nachvollzug eines vorgegebenen Musters, die Vergegenwärtigung einer mythischen Grundstruktur. Eines dieser grundlegenden Muster innerhalb des Romans ist der Motivkomplex des tkscmsus, ein Mythologem, das in viel faltiger Ausgestalrung in allen vier Bänden präsent ist.
31 1926 begonnen. erscheint der eme Band des vierbändigen Romans. Im Gnchichtm Jaltobs. im Jahre 1933. die folgenden Bände im Exil bis 1943. Zilien wird im folgenden nach der Ausgabe des S. Fischer Verlags von 1960 als J unter Angabe des jeweiligen Bandes der Tetralogie sowie der fonlaufenden Seitenzählung.
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Vor allen anderen bestimmt es die Hauptfigur des Joseph: Die Grube, in weiche die Brüder den Jüngsten werfen, das "untere Land" Agypten, in das sie ihn verkaufen, das Gefängnis, in das er dort wiederum geworfen wird - sie alle werden explizit mit der Unterwelt gleichgesetzt. Josephs Leben ist von der zyklischen Figur von Tod und Auferstehung geprägt - es sind Götterfiguren wie Tammuz, Adonis oder Osiris, in deren Wesenszügen als Sterbende und Auferstandene Joseph sein Schicksal vorgeformt sieht.'2 Doch nicht nur die Figur und das Schicksal Josephs stehen im Zeichen eines Abstiegs in die Unterwelt, nahezu das gesamte Personal des Romans lebt "im Lichte kosmischer Entsprechung, als Gleichnis des Kreislaufs, als ein Auf und Ab von Himmelfahrt, Höllenfahrt und Wiedererstehen, als eine höchst glückliche Ausfüllung des wachsrumsmythischen Schemas" UI, 157)." Zahlreiche der unterweltlichen Motive und ihre Applikation auf die JosephsLegende hat Mann der anthropologischen Mythenauslegung seiner Zeit entnehmen können, vor allem dem sogenannten "Panbabylonismus" wie ihn etwa Alfred Jeremias' Buch Das Alu Ttstammt im Lichu Jn Altm Orimts vertritt.'" In dieser Lektüre des Alten Testaments vor dem Hintergrund der sumerischbabylonischen Asrralmythologie findet sich bereits die Verbindung von Joseph und TamrnuzlAdonis/Osiris ausgeführt, ebenso wie zahlreiche andere Motiverklärungen, die Mann stellenweise wörtlich übernimmt. JS Vor allem aber sind es die Vorstellungen der kosmischen Entsprechung von Himmlischem und Irdischem sowie des Kreislaufs von Höllenfahrt und Auferstehung, welche in den panbabylonischen Werken, wie auch bereits in der späuomantischen Mythosforschung Bachofens, auf die der Roman ebenfalls zurückgreift, eine zenuale Rolle spielen. 36 In dem Motiv der "rollenden Sphäre" vereint Thomas Mann diese beiden Gedanken, in diesem Bild wird die Vorstellung von kosmischer Harmonie und "Durchsichtigkeit des Seins" in ein dezidiert prozessuales Modell zeitlicher 32 Vgl. etWa die Unterkapitd "Der Adonishain a , 111, S. «0 - 459, und ..In der Höhlea , In S. 572-585, sowie das erste Hauptstück des dritten Bandes "Die Reise hinab", 1111, S. 671-725. Im weiteren Verlauf der Geschichte Josephs, vor allem im vienen Band/osqJh Jn Erniihr", wird Joseph mehr und mehr in die RoUe Hermes', des Boten zwischen oberer und unterer Wdt, wechseln V IV, 1754). 33 Jaakob verbringt seine zweimal sieben Jahre Fron bei "dem Teufd" Laban in der Unterwelt, um am Ende mit Rahd in der RoUe der befreiten Ischtar aus dieser emporzusteigen V I. 157), Esau sieht sich nach Jaakobs Erhebung als Erstgeborener schicksalhaft dem Unterwddichen zugehörig. ebenso wie dies bereits lsaaks "Gegenbruder" Ismael tat V I, 134 f.). 34 Zum Einfluß der Werke der "Panbabylonisten" auf lo~h UM snll~ BriUIn- vgI. Wdly R. Berger, Di~ MJthologis~hm Motiw ill ThomIIJ MIlIIIIS Ro""," "losqJh UM snll~ BriUIn-·, KölnlWien: Böhlau, 1971, S. 42 ff. 35 So die Verbindung der Unterweh mit der Farbe Rot und der Wüste, der Brunnen als UnterweItsbild oder der Schleier (der Ischtar) als Symbol von Leben und Tod. Siehe die Verweise in Berger, Di~MJthologis~hmMotiw, S. 92,138 f., 141 36 Der bachofcnsche Antipode von Mutterrecht und Vaterrecht ist eine grundlegende Opposition des Romans: Der vaterrechdiche Monotheismus der neuen Rdigion Jaakobs steht gegen den Toten- und Fruchrbarlceitskult Ägyptens, der mit einem chthonischen Mutterrecht verbunden wird.
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Wiederkehr übersetzt: "als Wiederholung und Rückkehr des Urgeprägten" (J 11, 581).'7 Insofern ist die Unterwelt emblematisch für die Vorstellung von mythischen Grundmustern: Die "Urform" als Muster der Vergangenheit ist zugleich ein Prinzip der Tiefe - der Tiefe als fruchtbarer, münerlicher Erde ebenso wie als Reich des Todes. Hier wird also wieder an ein vegerationszyklisches Modell angeschlossen, wie es auch Eliot im Rückgriff auf Frazer in Th~ Waste Lanti verwendet." Tod und Fruchtbarkeit werden in der Unterwelt zusammengeschlossen und produzieren auf diese Weise einen Kreislauf von Sterben und Auferstehung. Das wird besonders deudich in den ägyptologischen Anleihen der letzten zwei Bände, in welchen Joseph unter dem Zeichen des Totengones Osiris im "unteren Land der Schwärze" die Rolle des lebensspendenden Ernährers übernimmt. Doch ist diese Geschichte bei Mann nicht nur die zyklische Wiederkehr des Gleichen. Zwar ist sie zum einen die Wiederholung einer mythischen Vergangenheit (der des Osiris-Mythos) und als solche in der Unterwelt (Ägypten in den Augen der Hebräer) lokalisiert, zum anderen aber ist sie auch konkrete, individuelle Gegenwart Josephs und spielt sich in der politischen und gesellschaftlichen Realität eines historischen Ägypten ab. Um tatsächlich einen Kreisschluß herzustellen, in dem das Vergangene gegenwärtig wird, bedarf das Grundmuster, das die Unterwelt liefert, seiner realen, (ober-)irdischen - und das heißt geschichtlichen - Erfüllung. Eben das aber impliziert eine Variation: "Ich bin's und bin's nicht, eben weil ich es bin, das will sagen: weil das Allgemeine und die Form eine Abwandlung erfahren, wenn sie- sich im Besonderen erfüllen", erklärt Joseph vor Pharao, als er auf seine Rolle hin befragt wird (J IV, S. 1417). Joseph ist sich eines doppelten Einflusses bewußt - dem des Mythos' und dem der Geschichte. Dieses Geschichtsbewußrsein ist das kritische, aufklärerische Moment, das Manns Auseinandersetzung mit dem Mythos kennzeichnet. "Denn das musterhaft überlieferte kommt aus der Tiefe, die unten liegt, und ist, was uns bindet. Aber das Ich ist von Gon und ist des Geistes, der ist frei." (J IV, S. 1416) Letzteres ist im Falle Josephs auch das Neue, für das die Religion eines vaterrechdichen Monotheismus' steht, eines geistigen Prinzips, das nicht aus der munerrechdichen Tiefe stammt. 39 Dessen Grundfigur ist nicht mehr die 37 Siehe hierzu auch Jan Assmann. Zililthafos !rbm. Thomm Man" uNi Jü Phii1UJmmo!ogU Jn ltuiturrllnt Erin,,""nf. in: Thomas Man" Jahrbuch 6 (1993). S. 133-158. hier: S. 139 38 Auch die von Thomas Mann aufgcfühne Götterreihe: TammuzlAdonisiOsiris/Christus ist eben die. welche Frazcr in seinem Werk aufmacht. Dennoch muß TIN GobJm Bough keineswegs der Refercnztcxt Thomas Manns gewesen sein. wenn dieser Frazcrs Werk auch zumindest durch die extensiven Zitate und Verweise in Freuds To~m und Tabu gekanm hat. Die Mythenauslcgung nach dem vcgctationsmytbischen Schema ist zu der Entstehungszcit von Manns Roman aber längst zum Allgemeingut eines populären religionswisscnschaftlichen und anthropologischen Diskurses geworden. 39 Damit steht die jüdische Religion zugleich für das Neue schlechthin: Denn während die Tiefe mit der Vergangenheit und ihren Urformen verbunden ist. ist die Höhe und die Himmdsfahrt die Dimension der Zukunft und der Erneuerung: ..Das Neue. das (srad bringt. ist der Gedanke der Zukunft. Osiris war. Tammuz war. aber Messias wird sein." - Thomas Mann zitien in:
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zyklische einer ewigen Wiederkehr, sondern eine teleologische: die Eschatologie einer messianischen Religion wie auch eine Auffassung von Geschichte, die sich als fonschreitende Entwicklung begreift. In der Figur Josephs sind heide Bewegungen vermittelt - d. h. vereint, aber im Unterschied zu den anderen Figuren auch bereits reflektien. Deshalb steht Joseph, und nicht etwa Jaakob, der eigentliche "Gottesmann", im Zentrum des Roman: Es geht um Gründung und Wiederbelebung im Geiste spielerischer Neuschöpfung - im Geiste des Festes, wie Mann es nennt. Eben das ist das Kennzeichen seines eigenen erzählerischen Unternehmens: die Ausgestaltung eines vorgegebenen Stoffes, in welcher sich das Alte und das Neue, der Mythos und der geschichtliche Roman in einer kÜßsderischen Inszenierung spielerisch und ironisch gebrochen verbinden. Auch josq>h UM snnt Brütkr suchen ihr Sujtt als das musterhaft Überliefene in der Tiefe - in dem einleitenden Kapitel des ersten Bandes, dem an Faust 11 gemahnenden "Vorspiel", erscheint die Unterweltreise als eine Allegorie des Erzählens. Das Vorspiel, das am Anfang des Romans Reflexionen über den Uranfang allen erzählten Geschehens und allen Erzählens anstellt, trägt den Titel "Höllenfahn".4o Es hebt an mit dem Satz: "Tief ist der Brunnen der Geschichte. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?" (J I, 9) In diesen Brunnen, der im Folgenden explizit zum Bild der Unterwelt erklän wird, fühn jedes Erzählen hinab auf der Suche nach dem vergangenen Geschehen: Wir kosten vom Tode und seiner Erkenntnis. wenn wir als erzählende Abenteurer in die Vergangenheit fahren: daher unsre Lust und unser bleiches Bangen. Aber lebhafter ist die Lust, und wir verleugnen nicht, daß sie vom Fleische ist, denn ihr Gegenstand ist der erste und letzte unseres Redens und Fragens und a11 unserer Angelegendichkeit: das Menschenwesen. das wir in der Unterwelt und im Tode aufsuchen, gleichwie Ischtar den T ammuz dort suchte und Eset den Usiri, um es zu erkennen dort, wo das Vergangene ist. UI, 53 f.)
Diese Mythologeme sind ebenso Gleichnisse des erzählerischen Gangs wie sie das sind, was der ErLähler auf diesem Gang immer schon vorfindet. Der Brunnen der Geschichte fühn in eine Vergangenheit, die "prähistorisch", also vor der Geschichte, und dabei zugleich eine andere "Geschichte" ist, ein Mythos: In der Tiefe der Vergangenheit finden sich Erzählungen vom Abstieg in die Tiefe Ischtar und T ammuz in der babylonischen, Eset und Osiris in der ägyptischen Mythologie. Jedes Erzählen ist eine Reise in die Unterwelt und jede Reise in die Unterwelt ist als Mythos bereits Erzählung. Das wird der Roman, der sich an dieses "höllische" Vorspiel anschließt, in txtmso durchspielen. Auch er fühn seine
Herben Lehnen. Thomm MlUlnI VorstuJim %Ur Jowphs- Tnr". in: JIlhrbuch tJn Schil/ergtwUschaft 7 (1963). S. 485-520. hier: S. 502 40 Wie Eckard Heftrich bemerkt. ist die "HöUenfahn" von den Assonanzen auf "Un". "Ur" ... U" wie von einem Grundakkord durchzogen. Diese stete Variation des .. Ur" ist dabei das klangliche Echo des mematischen "Grundakkords" des Romanwcrks - die Wicdcrholoog und Abwandloog einer Urform. Vgl. Eckard Hefuich. Gnrilum~ Talm. "Jowph ruuJ snN BrliIkr" (Obn- Thomm Mann Bd. 111). Frankfurt a. M.: Klosrermann. 1993. S. 30
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Leser ausdrücklich in die Unterwelt hinab. Gegen Ende des Vorspiels fragt der Erzähler diejenigen, die ihm bis hierher gefolgt sind: Währt sie schon allzu lange, die Fahrt? Kein Wunder, denn diesmal ist es eine Höllenfahrt! Es geht hinab und tief hinab mit uns Erbleichenden, hinab in den nie erloteten Brunnenschlund der Vergangenheit. [... ] Hinab denn und nicht gezagt! Geht es etwa ohne Halt in des Brunnens Unergründlichkeit? Durchaus nicht. Nicht vid mehr als dreitausend Jahre tief - und was ist das im Vergleich mit dem Bodenlosen? V I, 53 f.)
Der Boden, auf dem sich das Romangeschehen abspielen wird, ist kurz darauf erreicht - in den letzten Sätzen des Vorspiels wird die Szene aufgemacht, mit der das anschließende erste Hauptstück eröffnen wird: die Schilderung einer landschaft, zunächst in den archetypischen Bildern der "Brunnenwiesen des Märchens" (K I, 55), dann jedoch mit den Details eines konkreten Ortes zu einer konkreten Zeit ausgestattet - "Wir sind zur Stelle." (ebd.) Wenn aber die Höllenfahrt, die Reise in die Unterwelt der Vergangenheit, eine Allegorie des Erzählens ist, so ist sie zugleich auch die Allegorie für den Ursprung des Menschen: in der Form des Sündenfalls, der im Vorspiel nicht in der biblischen Version erzählt wird, sondern nur angedeutet ist in Bemerkungen, die den Fall am Ursprung der Menschheit zusammenziehen mit dem ersten Fall schlechthin, dem Höllensturz Luzifers (j I, 36 ff.). Als Ursprungsgeschehen wird die Höllenfahrt darüber hinaus noch einmal in einer pseudo-gnostischen Version entworfen: im "Roman der Seele", in der die Schöpfung der Welt durch die Verbindung von Seele und Materie als "Sündenfall" erscheint (j I, 39 ff.). Die Hölle als der erste, verfluchte Zustand nach dem Fall liegt am Anfang von Zeit und Raum als irdischen Kategorien (j 38). Daß diese irdische "Todeswdt" zugleich jedoch die Welt des Lebens ist, bietet Mann Anlaß für eine spielerische Vertauschung von Oben und Unten, Himmel und Hölle. Statt des Bildes der rollenden Sphäre ergibt sich hier ein ironisches Vexierbild. Das Vorspiel geriert sich somit als mehrfache Exegese seines Titels, in deren Kontext das Bild der "Höllenfahrt" auf verschiedenen Bedeurungsebenen entfaltet wird. Im anschließenden Roman werden diese Ebenen dann wiederum zusammengeschlossen: der Höllensrurz als Urgeschehen wird zur Höllenfahrt als Urform der Geschichte, ein "geschehendes Sich-selbst-erzählen" der Geschichte."· In der Figur Josephs hat sich diese Einheit von Erleben und Erzählen bereits in eine Reflexionsfigur entfaltet: Joseph ist sich dessen bewußt, sich in einer Geschichte zu befinden. Deshalb kann er auf dem Höhepunkt des Geschehens, in der Verführungsszene mit Potiphars Frau, ein Geschehen, das die überlieferte Geschichte nicht kennt (seine tatsächliche Verführung), dadurch verhindern, daß er 41 Der Erzähler wird dies später im Bezug auf seine Geschichte ausdrücldich formulieren: .. Niemals sind wir darauf ausgegangen. die Täuschung zu erwecken. wir seien der Urquell der Geschichte Jospchs. Bevor man sie erzählen konnte. geschah sie; sie quoU aus demselben Born. aus dem aUes Geschchn quillt. und erz ä hIt e ge s ehe h end sie h seI b s t 827 - Hervorhcbung I. P.) .M
um.
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auf eben diese Überlieferung verweist (j III, 1169). Frei nach der Logik: Wovon man nicht wird erzählen können, das kann man auch nicht tun. Indem Joseph sich mit seinem eigenen Mythos identiflZien, ist es ihm zugleich möglich, sich von ihm zu distanzieren: Er betrachtet sich selbst im Spiegel der Überlieferung. Joseph verkörpen die Brechung der vermeintlich mythischen Unmittelbarkeit, indem er auf das narrative Moment verweist, das jedem Mythos bereits in seinem Ursprung innewohnt: Die U rszene selbst ist als Mythos schon immer Erzählung. Damit personifizien sich in dem Protagonisten, was Mann vorschwebt, wenn er mit Bloch davon spricht, ,den Mythos ins Humane umzufunktionieren,42 - eine ironische Tönung und künstlerische Freiheit dem Kollektiv-Mythischen gegenüber.'" Die Antizipation der kommenden erzählerischen Wiederholungen im Moment des Ursprungsgeschehens ist das Gegenstück zu der Wiederholung eines erzählerisch überliefenen, vergangenen Geschehens, welche alle Figuren des Romans beständig praktizieren - das Konzept des "gelebten Mythus", wie es in dem Voruag FrnuJ und dj~ Zukunft heißt. 44 Diese Attribuierung läßt sich auch umkehren: in der Formel des "zitathaften Lebens".4S Die Erzählung, die der Belebung bedarf, implizien ein Leben, das auf der Erzählung beruht - das Leben als Zitat. Das bedeutet aber auch die Vorgängigkeit einer Erzählung vor jedem Anfangsgeschehen: Was wiederholt wird in den Anfängen, von denen der Roman erzählt, ist das, was als Mythos erzählerisch überliefen wurde. Ich erzählte von Anfangen, wo alles zum ersten Mal da war. [... ] Aber diese: beherrschende Einmaligkeit ist zugleich Wiederholung. Spiegdung. Abbild; das Erzeugnis der Sphärendrehung, die das Obere, Sternenhafte ins Untere bringt, das Irdische wieder ins Göttliche [.]46
Hier kehn das Bild der rollenden Sphäre wieder, des Kreislaufs, der sowohl die kosmische Harmonie wie auch das vegetationszyklische Modell von Abstieg und Wiederaufstieg enthält. Es ist das Bild, in das sich das Erzählen in den JosephsRomanen selbst faßt - als festliche Wiederholung und Nacherzählung, in welcher der Unterschied von "war" und "ist" sich aufhebt, wie er dies auch in den Riten vom Tod und Wiedererstehen des Gottes tut (j 111, S. 1249). Doch die Zelebrierung des Geschehens bei Mann ist weniger eine rituelle als vielmehr eine erzählerische: 42 Thomas Mann/Karl Kercnyi. Gttpräch i" Bri4"m. Zürich: Rhein-Verlag. 1960. S. 98 und 100 43 Vgl. Thomas Mann. JO"Ph und ~i,,~ Briidn-. Ei" Vortrag. in: dcrs .• Rnk und A"twort. Frankfun a. M.: Fischer. 1984. S. 102-117. hier: S. 106 und 114 Hans Blumenbcrg bemerkt zu der Behandlung des Mythos in den Josephs-Romancn: ..Im parodienen Mythos des ..Joseph" verlien die Zeit ihre Einsinnigkcit. Zwischen dem Späteren und dem Früheren entstehen unplatonische Verhältnisse. also nicht solche von Vorbildlichkeit und AbbiJdlichkcit. sondern von Spicgclbildlichkeit. von Unentschicdenheit der Verweisung." - ders .• Arbrit am Mythos. S. 111 f. 44 Thomas Mann. FmuJ und Ji~ Zultunft. in: ders., kkl an Gtistn - &dtuh" Vnnuh~ Dlm Probkm Jn Huma"itiil. Frankfun a. M.: Fischer. 1954. S. 496-519. hier: S. 511 45 Ebd .• S. 515 46 Mann. Josqm und sn,,~ Briidn-. Ei" Vortrag. S. 113
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Fest der Erzählung, du bist des Lebensgeheimnisses Feierkleid, denn du stellst Zeidosigkeit her für des Volkes Sinn und beschwörst den Mythus, daß er sich abspiele in genauer Gegenwan! Todesfest, HöUenfahn, bist du wahrlich ein Fest und eine Lustbarkeit der Fleischesseeie, welche nicht umsonst dem Vergangenen anhängt, den Gräbern und dem frommen Es war. Aber auch der Geist sei mit dir und gehe in dich ein, damit du gesegnet seiest mit Segen von oben vom Himmel herab und mit Segen von der Tiefe, die unten liegt! (f I, 54)
Todesfest, HöUenfahn - dem gesamten Roman als "Fest der Erzählung" liegt der dncmsus nach einem vegetativen Modell von Tod und Auferstehung zugrunde. Denn dieser Topos exemplifiziert in idealer Weise das Konzept des "gelebten Mythus": die VorsteUung, daß alles Leben wesendich ein Beleben bzw. ein Wiederbeleben ist. Auch die Erzählung steigt in die Unterwelt hinab, um ihren Stoff, das "Es war", wiederzubeleben und zu vergegenwärtigen. So spiegelt sich die wesendiche Qualität des Mythos, wie Mann ihn beschreibt, in dem Inhalt eines spezifischen Mythologems, und die Unterweltreise als Grundrnotiv der JosephsRomane führt die Grundintention des Erzählens vor, welches diese Romane zu realisieren suchen. In diesem Topos sind Mythos und Geschichte in einer zyklischen Figur der Wiederkehr vermittelt, die die Wiederholung des Selben in einer anderen Gestalt bedeutet. Die unmittelbare Gegenwärtigkeit, die dem Ritus als Erleben eignet, wird ebenso wie die Vermitdung, die die Erinnerung zwischen Vergangenheit und Gegenwart leistet, in der Feier des Erzählens aufgehoben. Ein weiteres Mal wird hier also der Topos der Unterweltreise genutzt, um eine Reflexion auf die Grundbedingungen des Erzählens anzustellen. Doch geht es lbomas Mann in seiner Behandlung des Topos weniger um Fragen des p/otring oder der narrativen Ökonomie - auch wenn die Unterweltreise als ein Leitmotiv des Romans unverkennbar eine strukturierende Funktion erfüllt. Das Hauptinteresse Manns an dem Motiv liegt jedoch jenseits dieser textinternen Funktion. Es geht auf die Frage nach dem Status und der Funktion des Erzählens überhaupt: seine strukturierende und formgebende Kraft für das Leben. In letzter Konsequenz läuft das auf eine Ontologisierung des Erzählens hinaus. Die U nterweltreise als Sinnbild der Narration weist zurück auf eine Welt, die immer schon die Gestalt einer (Wieder-)Erzählung besitzt.
DIE UNTERWELT DER ZEICHEN: JORGE LUIS BORGES' MIKROKOSMEN
Was bei Thomas Mann nur mehr angedeutet ist, artikulien sich bei einem anderen Autor, der uns im Kontext der literarischen Unterwelueisen des 20. Jahrhundens begegnet, weit deutlicher: Bei Jorge Luis Borges wird das Verhältnis von Leben und Erzählen umformulien in das von Welt und Text, und es wird eindeutig zugunsten des letzteren entschieden. Es ist "la idea de que nosostros estamos hechos para el ane, estamos hechos para la memoria, estamos hechos para la poesia 0 posiblemente estamos hechos para el olvido. Pero algo queda y ese algo es la historia 0 la poesia"47 - so Borges in einem Essay zu Dantes Göttlich" Komöd~, einem der Texte, die er in seinen eigenen Texten "umschreibt". Doch im Gegensatz zu Thomas Mann, dessen "Wiedererzählung" der Josephslegende sich zu einem epischen Roman von monumentalem Umfang auswächst, schrumpft bei Borges ein Epos kosmischen Ausmaßes zu einer erzählerischen Miniatur - statt großangelegter Exegese bleibt nur die Randglosse eines großen Textes, der der Welt gleichzukommen sucht. Die enge Verbindung von Welt und Text ist ein Charakteristikum des mittelalterlichen Universums, das in Dantes Divina Comm~dia seine literarische Ausgestaltung findet. Dieses Weltbild unterscheidet sich von dem antiken Kosmos nachhaltig durch seine Zeichenhaftigkeit, welche nicht nur im Christentum, sondern auch etwa in der mittelalterlichen Kabbala in einer umfassenden Allegorese mündet: Die Welt ist ein Universum der Zeichen, deren absolutes Signifikat Gott selbst ist. In Dantes Divina Comm~dia nimmt dies eine besondere Wendung, ist doch der Anspruch dieses "göttlichen" Gedichts nicht nur, die Zeichen der Wirklichkeit in den Zeichen der Sprache wiederzugeben, sondern darüber hinaus Zeichen für die der Wirklichkeit zugrundeliegende transzendente Ordnung zu finden und damit eine neue, jenseitige Welt in der Sprache zu schaffen. Es gilt, die kosmische Totalität in einem ebenso "totalen" literarischen Kosmos zu vergegenwärtigen - eine Welt in der Gestalt eines Buches. Es ist dieser Aspekt, an den Jorge Luis Borges in seinen Texten anknüpft - man denke an die kosmische Bibliothek in La bibliouca tk Bab~1 oder an das enzyklopädische Universum in Tlön. Uqbar. Orbis Ttrtius. 48 Doch erscheint Borges' literarische Welt in ihrem 47 "ID)ie Idee. daß wir für die Kunst gemacht sind. für die Erinnerung. für die Dichtung oder vidleicht für das Vergessen. Aber etWaS bleibt. und dieses etWaS ist die Geschichte oder die DichrungM. Jorge Luis Borges. l4 JiuiNl CDINJiJz. in: ObrtlS compkttu /975-/985. Buenos Aires: Emcd Editores. 1989. S. 207-220. hier: S. 210 (deutsche Überseaung nach: Du giJnJicht Komöau. in: Du ktztt Rt;g an Otlyssnu. Ess4ys /980-/982. übers. u. hg. v. Gi5bens Haefs. München: Hanser. 1987. S. 7-27. hier: S. 11) 48 Seide aus dem Band Fkcionn (1944). in: Jorgc Luis Borges. ObrllS compkttu /923-/949. Barcelona: Emcd Editores. 1996. S. 465-471 sowie 431-443
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epistemologischen Zwielicht und ihrer klausuophobischen Immanenz nicht selten vor allem als Unter-Welt - bezeichnenderweise ist nach seiner eigenen Aussage die Hölle sein bevorzugter theologischer Gegenstand. 49 Eine der bekanntesten Erzählungen Borges' ist offenkundig eine infernalisch-ironische Variation auf Dantes kosmologisches Epos: EI Aleph aus dem gleichnamigen Erzählband von 1949. 50 Hier wird der Ich-Erzähler Borges von seinem talentlosen aber erfol~rei chen Rivalen in der Dichtung wie in Liebesdingen, Carlos Argentino Daneri, I in das Geheimnis dessen dichterischer Inspiration eingeweiht. Es handelt sich um einen rätselhaften Punkt, der sich im Keller des Hauses von Carlos Argentino befindet: das sogenannte "Aleph". Dieses ist der Punkt, in dem alle Punkte zusammentreffen, der On, an dem alle One dieser Erde zugleich anwesend sind, das Ding. in dem alle Dinge aus allen Perspektiven ansichtig sind (A 623). Das Aleph ist damit ..ese objeto secreto y congetural, euyo nombre usurpan los hombres, pero que ningtin hombre ha mirado: el inconcebible universo" (A 626).52 Wenn der Protagonist Borges schließlich in den Keller steigt, um dieses unfaßbare Universum in Gestalt des Alephs zu schauen, entspricht das der Offenbarung Gones, die Dante am Ende der Comm~J;a erfährt. Auch hier erblickt der Protagonist im ewigen Licht der Gottheit die Gesamtheit des Universums, eine Erfahrung, die der Autor Dante in der Metapher des Buches faßt (DC Par. XXXIII, 82-90). Dieser Zusammenschluß von Literatur und Kosmos findet auch in Borges' Erzählung stan: Im Namen "Aleph", dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets. In der Kabbala, aus der das Aleph als Begriff und ideelle Konzeption stammt, bezeichnet es die Gottheit in ihrer ersten, ursprünglichen Manifestation, den Ursprung des Kosmos. 53 Das Aleph ist damit, wie auch der offenbarte Gon in der Comm~di4, das absolute Zeichen, in dessen Schau Bezeichnendes und Bezeichnetes, die Schrift und ihr Autor, zusammenfallen. Mit diesem Paradox sieht sich auch der Erzähler im Aleph konftontien, und er reagien darauf, wie bereits Dante im Einklang mit der mystischen Tradition reagiene: Er bedient sich des Topos der .. Unsagbarkeit" (A 624). Wenn er dann aber doch, wie alle Erzähler vor ihm, ansetzt, das Aleph in Wone zu fassen, sprengt 49 .. [L)o cieno es que ningUn otro asunto de la teologla es para mi de igual fascinaci6n y poder." Jorge Luis Borges. l4 durad4n Jel infinno. in: ObrllS Complnas 1923-1949. 5. 235-238. hier: 5.236 50 Jorge Luis Borges. EIAkph. in: ders .• ObrllS complnas /923-1949. S. 617-627 - forthin A 51 Unverkennbar sind die Anspielungen auf die Comf1UdiA in der nominalen Idendfizierung von Ich-Erzähler und Autor. der anagrammatischen Verballhornung des Namen Dante Alighieri in Carlos Argendno Dancri. oder der Liebe bcider zu der verstorbenen 8catriz Viterbo. einer blasphemisch-verwddichten Namensvetterin von Dantes' 8catrice. Zu weiteren Parallelen und Modven vgl. Peter Kuon. 11 mio mMSlTt1 t 'I mio IlUlOrt. 5. 272-284 52 .. [D)iese[r) geheime[ ) und gemutmaßter ) Gegenstand. dessen Namen die Menschen in Beschlag nehmen. doch hat ihn kein Mensch je erblickt: das unfaßliche Universum." - zitien nach der deutschen Übersetzung von Karl August Horst. bearbeitet von Gisbcn Hacfs. in: Jorge Luis Borges. GtsIlmf1Ultt Wtrkt Bd. 3. 11 (Erzählungen 11 1949-1970). München: Hanscr. 1981. S. 124141. hier: 5. 138. im Folgenden wird der deutsche T cxt nach dieser Ausgabe zitien 53 .. Para la <:abala. csa letra significa en EI Soph. la ilimitada y pura divinidad" (A 627) [In der Kabbala bezeichnet dieser Buchstabe das En Soph. die unbegrenzte und lautere Gottheit - 140).
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das die Formen, die die spirituelle Literatur vorgibt: Was folgt, sind nicht allegorische Bilder und emblematische Figuren, sondern die Aufzählung eines Sammelsuriums unverbundener Einzelheiten ausschließlich materieller Art (A 625 f.). Hier zeigt sich eine Differenz, die bereits in dem Schauplatz des jeweiligen Erlebnisses begriffen ist: Während der Protagonist der Göttlichm Komödit in den höchsten Himmel aufsteigt, um don Gott zu schauen, steigt der Protagonist des Akph in die Tiefe, um don eine Erfahrung zu machen, die nicht himmlische sondern höllische Qualitäten besitzt. Denn das Aleph offenban dem Betrachter keineswegs einen Kosmos im Sinne dieses Wones, eine "Ordnung", sondern vielmehr ein Chaos: eine Totalität, die alles, aber kein Ganzes ist. Das Aleph, welches in • der Kabbala das Zeichen schlechthin ist, dementien in der Erzählung Borges' gerade das, was es in dieser Funktion wesentlich konstituieren sollte: Sinn. Es enthüllt statt dessen eine Welt, die weit unzusammenhängender, sinnloser und sogar schrecklicher ist als die Vorstellung, die sich der Erzähler bisher von ihr gemacht haben mag. S4 Das Aleph hat, seinem Status als götdicher Buchstabe zum Trotz, gar keine Zeichenfunktion, es ist bloßes Sein ohne Bedeutung. Das hat fatale Konsequenzen für den künstlerischen Kosmos, den seine Schau hervorbringt. In der Kabbala ist das göttliche Won das schöpferische Prinzip, getreu dem Alten Testament, wo Gottes Won die Welt erschafft (Gen. 1, 1). Dieses Won ist für die Kabbalisten in erster Linie Schrift, die einzige Form, in der das Won Gottes dem Menschen begegnet: in Gestalt der "Heiligen Schrift", der Thora, die aus den Buchstaben der heiligen Sprache, dem Hebräischen, besteht. In dieser Perspektive ist die Schrift ursprünglicher als die mündliche Rede, und das heißt, daß der Buchstabe und seine Kombinatorik, nicht die Wöner und ihre Semantik, die eigentlichen Werkzeuge Gottes sind.~~ Sie ergeben das götdiche Won schlechthin, den Namen Gottes, dessen Ausbuchstabieren eine zweite Schöpfung der Welt bedeuten würde. S6 Das Aleph als der erste Buchstabe des hebräischen Alphabets und Zeichen der reinen Gottheit fungien in Borges' Erzählung als Sigle der kabbalistischen Buchstabenmagie. Die Kenntnis des Aleph, die universale Schau im Keller, ist der Ursprung einer "zweiten Schöpfung" der Welt in der Kunst: Carlos Argentinos kosmisches Gedicht (A 622 f.), dessen erklänes Ziel es ist, die gesamte Erde in Verse zu bringen. s7 Hier wird die Welt, die aus dem Won entsprang, wieder in das Won zurückverwandelt - die Welt als Text, "La Tierra", wie die epische Dichtung betitelt ist. 54 In seiner Weltschau im Keller siehl Borges auch die bittere Wahrheil über seine verchne Beauiz Vilerbo - die explizil obszönen Briefe. die diese an ihren Vetter Carlos Argenrino geschrieben haI sowie den Verfall ihres bcwundenen Körpers in ihrem Grab auf dem Friedhof Chacarira: "vi en un caj6n del escrilorio (y Ia lena me hizo uemblar) cartas obscenas. incrdbles. prccisas. que 8earriz habia dirigido a Carlos Argenrino. vi un adorado monumcnlo en Ia Chacarira. vi la rdiquia anoz de 10 que deliciosarnenle habia sido 8eatriz Vilerbo- (A 625). 55 Vgl. hierzu Jorge Luis Borges. La cJbtzIA. in: Obras comphu 1975-1985. S. 267-275. hier: S. 270 56 Dies isl die Grundlage der Golem-Legenden: die Schöpfung eines ,.zweilen Menschen- kraft des gÖldichen Wones. Vgl. Gershom Scholem. Zur KAbb"'" """ iM Symbolik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 1995. S. 220 fT. 57 "!:.sIe se proponia versificar loda Ia rcdondez dd planna (A 620). K
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Doch ebenso ungeordnet und sinnlos wie das Universum, das der göttliche Buchstabe Aleph enthüllt, ist auch der Text, den diese: Schau hervorbringt: Die universale Dichtung Daneris stellt sich dar als "un poema que parecia dilatar hasta 10 infinito las posibilidades de la cacofonia y del caos"sa - so das vernichtende Urteil des Ich-Erzählers. Nur auf den ersten Blick ist dies ausschließlich auf die armseligen literarischen Fähigkeiten Carlos Argentinos zurückzuführen; bei genauerer Betrachtung erweist sich die mangelnde Qualität des Gedichts als bedingt durch eine ebensolche des Universums. Deshalb auch empfindet der Erzähler Borges die Schau des Aleph keineswegs als produktive Offenbarung: Nachdem er in ihm alles gesehen hat, erscheint ihm nichts mehr neu und nichts mehr bedeutend. "Felizmente." heißt es am Ende der Erzählung vor der "Nachschrift", "al cabo de unas noches de insomnio, me trabaj6 otra vez el olvido." (A 626)59 Selbst Carlos Argentino scheint am Ende das Aleph nicht zu benötigen, um seine unsägliche Dichtung fortzuschreiben - in den Augen des Erzählers fli.llt ihm dies nun sogar umso leichter. als seine Feder nicht mehr durch das Aleph behindert wird (A 627). Was ihm statt dessen zur Inspirationsquelle geworden ist, ist ein anderer Text: die materialreichen Schriften des Doktor Acevedo Dfaz. Damit ist. wenn auch kein guter so doch ein lesbarer Text an die Stelle eines unlesbaren Universums getreten. das sich nicht als zeichenhaftes auf einen Sinn hin ordnen läßt. Dennoch beinhaltet das Aleph als Buchstabe die Möglichkeit der Lesbarkeit. ja. es fordert sie geradezu. Insofern es allumfassend und mit dem Kosmos identisch ist, fehlt ih-rn jedoch die Bedingung jeder ~ignifikativen Funktion: sich von einem anderen Zeichen zu unterscheiden und mittels dieser Differenz Bedeutung zu generieren. Dies eröffnet zwei Möglichkeiten: Entweder das Aleph ist, wie es sein kabbalistischer Name nahelegt, die absolute Identität von Zeichen und Bezeichnetem. und das heißt Gott, oder es ist dessen Gegenteil, absolute Insignifikanz. Beides schließt sich gegenseitig aus, und fli.llt doch auch zusammen - im christlichen Weltbild in dem Ort, der ein theologisches Paradoxon bc:zcichnet: der Hölle. Sie ist die logische Unmöglichkeit eines von einem Absoluten unterschiedenen Anderen, das zugleich Teil jenes Absoluten ist: Als wesentlicher Bestandteil der göttlichen Ordnung des Kosmos ist die Hölle zugleich die Negation dieser bedeutsamen Ordnung - Ort der Unordnung, der Verworfenheit und der Bosheit, an dem der Name Gottes nicht genannt werden darf. Dies ist auch die Charakteristik des Inferno der Göttlichm KomöJi~ Von der göttlichen Allmacht geschaffen, ist die Hölle doch ein gottloser und insofern auch sinnloser Ort. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß sie den Sündern unverständlich. "unlesbar" bleibt. In ihr sind die Körper zur bloßen Materialität der physischen Qualen verdammt und jenes Verweisungszusammenhangs beraubt, der der mit58 .IEHn Gedicht I.. ·J. das die Grenzen der Kakophonie und der Konfusion ins Unabsehbare zu erweitern verspreche." (132) 59 "Glücklicherweise überfiel mich nach ein paar Nächten der Schlaflosigkeit wiederum das Verges-
sen: (139)
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telalterlichen Welt konstitutiv ist. Denn nur als r~ sign~(ltllltiva, als Zeichen Gones, kann die Welt "Sinn" machen, und eben diese Zeichel'lhaftigkeit ist den Verdammten verwehrt.60 Es ist das Entsetzliche an der Hölle daß sie in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem höchsten Attribut Gttes, der Liebe, zu stehen scheint. Diese Liebe ist ihr wohl von Außen als ihr Ursprung eingeschrieben - "Fecemi la divina potestate, la somma sapienza e il printo amore"61 - im Innern der Hölle aber ist nur ihr Gegenteil zu finden. Das ist die infernalische Ironie, die jedoch nur außerhalb der Hölle, durch die Schrift an ihrem Eingangstor, als solche kenntlich wird. 62 Ähnlich verhält es sich im Falle des Aleph: Der Verlust jeder Signifikanz ist sein infernalisches Moment - es ist absolute Immanenz, statt auf die absolute Transzendenz des letzten Signifikats zu verweisen, und zugleich impliziert es als Buchstabe eine Lesbarkeit, die an ihm selbst nicht einzuholen ist. Deshalb stellt die "Nachschrift vom 1. März 1943", mit der die Erzählung endet, auch die Hypothese auf, daß es sich bei dem Aleph im Keller des Hauses Carlos Argentino Daneris nur um ein falsches Aleph gehandelt haben könnte (A 627). Es ist der letzte Versuch des Erzählers, die Vorstellung von der Lesbarkeit der Welt, die dem Aleph innewohnt, zu retten, indem die Welt selbst, die er in ihm gesehen hat, zur Fälschung erklän wird. Denn anders als in der Höllenschau der Divina Comm~dia gibt es aus einem Aleph, das mit dieser Welt identisch ist, keinen Ausweg. Der Protagonist Dante mag sich während seiner Höllenfahrt in der gleichen Situation befinden wie die Insassen der Hölle; in den folgenden cantich~ der Com~dia wird er den höllischen Zustand bedeutungsloser Immanenz übersteigen hin zu einer sinnhaltigen Transzendenz, zur Offenbarung Gottes. Durch die nominelle Identifizierung von Protagonist, Erzähler und Autor kann der Leser bereits in der Hölle eine solche vertikale Verweisbewegung hcruellen. Sie macht es dem Autor Dante auch möglich, seinen Tcxt nicht als Abbild der Welt, sondern als den Entwurf einer anderen Welt zu setzen: des Jenseiti, in dem die wahre Ordnung des Diesseits zutage tritt. Der Tcxt gewinnt geradau den Status einer zweiten Schöpfung, allegorisch verfaßt wie auch die erste und dies sogar in Gestalt des vierfachen allegorischen Schrifrsinns, welcher bis datO ausschließlich einem anderen Text vorbehalten war, der Heiligen Schrift.63 Im Akph hingegen entkommt der Protagonist und Erzähler der lähmenden Erkenntnis der Nichtigkeit und Sinnlosigkeit des Universums, das ihm auf seiner "Unterwelrreise" enthüllt wurde, nur auf dem Weg des Verg~ns (A 626). Weder gibt es eine "Himmelsfahn" für den Protagonisten noch eine Überwindung 60 Siehe S. 128 f. dieser Arbeit 61 ..Geschaffen haben mich die Allmacht Gones. / Die höchste Weisheit UIIl< die erste Liebe.- So steht es am Eingangstor der HöUe (DC Inf. III. 5/6). 62 Vgl. Frc:cccro.l"ftrrwJlrony. in: ders .• Dtm~- TINPoniao!Co"lIn'1uIrI. Si. )3-109. hier: S. 98 ff. 63 Zu der Sdbstauslegung der DiuiNl ComnwJiII nach den Regeln des vierlaldcn Schriftsinns siehe Dante Alighieri. Das Schrribm 11" u"f"lIIIM Jeu. ScIli4. übers.• ein~ u. kommentien v. Thomas Ricldin (Philosophische Werke. lat.ldeutsch. hg. v. Ruedi ImbaIcl. Bd. 1). Hambllrg: Meiner 1993. §§ 20-25. S. 8 f. sowie den Kommentar zu §§ 20-22. S. 70 ff.
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dieser Welt in der Abfassung eines Textes, der ihre eigendiche Ordnung enthüllen würde. Das vermeintliche"Weltgedicht" , welches das Aleph inspirien, ist das stümperhafte Versepos Carlos Argentinos, dessen innovative Leistung nicht in der Dichtung selbst besteht, sondern in der Erfindung von Gründen, warum diese zu bewundern sei (A 619). Allerdings bringt das Aleph offenkundig noch einen anderen Text hervor, wofür die Gleichsetzung von Protagonist, Erzähler und Autor unter dem Namen Borges bürgt: nicht ein kosmisches Epos sondern eine kurze Erzählung namens EI Aleph, welche davon handelt, wie die Welt in einem schlechten Gedicht und einem höllischen Aleph verdoppelt wird, ohne dadurch auch nur einen Funken Sinn zu erhalten.6oI Was für Auswirkungen aber hat die Tatsache, daß das Aleph am Ende als ein falsches denunzien wird, auf den Status der Erzählung, die von ihm berichtet, ja vermeintlich sogar von ihm ausgelöst wurde? Die Begründung, welche der Erzähler für seine Hypothese vom falschen Aleph anfühn, liefen statt Argumenten einen obskuren Referenztext, dem, typisch borgesianisch, durch eine ebenso detailliene wie unüberprüfbare Geschichte der Schein von Authentizität verliehen wird. In dem zitienen Text werden weitere Gegenstände angefühn, die als ein Aleph gelten, doch wird ihre "Echtheit" mit den Wonen zurückgewiesen: "Pero los anteriores (ademas del defecto de no existir) son meros instrumentos de 6ptica." (A 627)6S Das eigentliche Argument ist hier in bezeichnender Weise verdreht. Als Fehler oder Mangel dieser Alephs mag man ansehen, daß sie nur auf die Optik beschränkt sind, viel grundlegender jedoch ist der Einwand, der wie nebenbei in der Klammer erwähnt wird: daß sie gar nicht existieren. Das heißt: Sie existieren nicht in dem, was man "Realität" nennt, nicht außerhalb dp.r Text~, dje von ihnen berichten. Es sind Fiktionen, aus denen sie stammen - Tausmd und tint Nacht, das Satyricon CapeUas, Spensers Famt Quem. Dieses Kriterium trifft ebenso auf das Aleph in der gleichnamigen Geschichte Borges' zu: Nicht nur ist es ein rein optisches Phänomen, es ist vor allem auch ein "inexistentes", d. h. erfundenes Aleph. Denn die Erzählung EI Akph ist eine literarische Fiktion, ganz wie die Werke, die der zitiene Text anfühn. Das bedeutet jedoch, daß ihr Aleph zwangsläufig ein "falsches" sein muß - wenn denn diese Unterscheidung überhaupt noch einen Sinn macht. Denn was soll das "wahre" Aleph dem falschen an Wahrheit voraus haben, da man auch von ihm offensichdich nur durch die literatur weiß - sei es durch die zweifelhafte Überlieferung von Borges' Referenztext, sei es durch das falsche, literarisch-fiktive Aleph: "cExiste ese Aleph en 10 intimo
64 Wohl aber öffendiche Bewunderung - im Gegensatz zu dem historischen Verfasser der Gönlichm Komötiu wie auch dem fiktiven Autor Borges im &ph bringt "La Ticrra" seinem Verfasser Daneri noch zu Lebzeiten die gewünschte Anerkennung (wenn auch nicht "Heimkehr", da ja Carlos Argentinos Geburtshaus in der Calle Caray zerstön wird). 65 .. Die vorstehend erwähnten jedoch - ganz abgesehen von dem Fehler, daß es sie nicht gibt - sind lediglich optische Instrumente." 04l)
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de una pietra? (Lo he visto cuando vi todas las cosas y 10 he olvidado?" (A 627)66 Die Welt, die das Aleph zeigt, ist immer schon und immer nur Literatur, eine Kombination von Buchstaben, mit denen Welt geschaffen wird - die Welt in der Gestalt eines Textes. Das ist die desillusioniette Variante der Kabbala: Es muß nicht mehr auf das Wott Gottes gcwanet werden, um Welten zu schaffen, aber dafür sind die Welten, die aus der neuen Buchtabenmagie in Gestalt der Literatur geschaffen werden, nichts anderes als fictio, Fiktion und Täuschung. Als "uneigendiche" und "falsche Rede" kennzeichnet das Mittelalter den modus potticus: als falsches Aleph. In Borges' 20. Jahrhundert hat die "Fälschung" längst auf die Welt übergegriffen - das Universum selbst ist das falsche Aleph, eine Unterwelt von Zeichen, die kein letztes Signifikat besitzen. 67 Die Autorität von Original und Signifikat ist aufgehoben: Die Fälschung setzt nicht mehr ein Original voraus, die Zeichen nicht eine Realität, die außerhalb ihrer läge und zu der sie eine einseitige Beziehung des Verweiscns unterhielten. Vielmehr erscheint die Realität als das Abbild ihres eigenen Bildes, wie es das Aleph zeigt, als Produkt des Wottes bzw. Buchstabens Aleph. Hier wird mit dem dantcschen Kosmos auch die mittelalterliche Hierarchie der Zeichen umgekehtt: Die Welt wird zum Zeichen des Wottes, doch eines Wottes, das als infernalisches Zeichen nichts bedeutet. Es ist die Dekonstruktion der Welt in der Unterwelt der Literatur.
66 .. Existien das Aleph im Innern eines Steins? Habe ich es gesehen. als ich alle Dinge sah. und habe es vergessen?" (141) 67 ..Cambiera eI univcrso pero yo no· (A 617) [Die Welt wird sich wandeln. ich aber nicht. - 1241. denkt der Erzähler zu Beginn der Erzählung. als er die Gleichgültigkeit der Welt gegenüber jedem Ereignis von Bedeutung feststdlt. Am Ende wird auch er sich wandeln und das fliIschcn. was ihm in seiner Bcdeutsamkcit unwandelbar schien. was ihm das Aleph jedoch bereits als VcrfliIschung ofTenban bane .. [Y)o mismo cstoy falsca.ndo y pcrdiendo. bajo la tr~ca erosion de los alios. los rasgos de 8cauiz." (A 627) [Verfalsche und verliere ich doch infolgc der tragischen Erosion der Jahre 8cauiz' Gesichtszüge. -1411
DIE PHANTASIE IM UNTERGRUND: THOMAS PYNCHONS GEGENWELTEN
Die allegorische Qualität der Unterwelt, die sich vor dem Hintergrund des chrisdichen Kosmos' der Divina Comm~dia umso augenfälliger manifestien, eröffnet auch eine moralische Dimension: Der grundlegende Dualismus von Gut und Böse kchn in den kosmischen Dimensionen von Himmel und Hölle wieder. In dem Topos der Unterwelt ist nicht nur ein Bezug zur Vergangenheit in Gestalt der Toten und der Tradition beschlossen, nicht nur eine universale Ordnung, die Mythos und Geschichte vermittelt, nicht nur ein Universum der Zeichen, in dem die Wirklichkeit als Effekt der Bezeichnung entsteht. Der Topos implizien immer auch eine Wenung, unter dem Einfluß der chrisdichen Ethik meist eine negative, in anderen Zusammenhängen jedoch auch eine positive, wie wir ansatzweise im ersten Kapitel dieser Arbeit sahen. Diese Ambivalenz ist bereits in Borges' Erzählungen ein Charakteristikum, entscheidend wird sie jedoch den Einsatz des Topos in der postmodernen Literatur bestimmen. namentlich bei einem ihrer großen amerikanischen Vertreter, Thomas Pynchon. Eine der zahlreichen Verschwörungstheorien Pynchons handelt von einem unterirdischen NetzWerk natürlicher Tunnel, das den gesamten Globus zu durchziehen scheint - "a network whose existence is only known to the inhabitants of Vheissu, the Royal Geographic Society in London. Herr Godolphin, and the spies of Florence"68 - und einer barbarischen Rasse, die im Auftrag einer unbekannten Macht im ewigen Eis des antarktischen Kontinents den Abstieg in diesen Untergrund vorbereitet. Das Szenario stammt aus V, Pynchons Debütroman einem Roman, in dem der Protagonist Benny Profane zwar nicht in ein natürliches Tunnelsystem unter der Antarktis wohl aber in die künstlichen Tunnel der Kanalisation unter New York absteigen wird. Und dies werden nicht die einzigen Abstiege in eine unterirdische Welt in Pynchons Romanen bleiben. Vielmehr kehren Variationen dieses Motivs in nahezu allen Büchern des Autors wieder. von dem 1961 erschienenen V bis zu Mason & Dixon (1997), an dessen Ende der Landvermesser Jeremiah Dixon durch eine Öffnung am nördlichen Pol - hier Arktis statt Antarktis - in eine Welt im Innern der Erde gefühn wird. 69 Das Buch Pynchons, in dem der Motivkomflex des Unterirdischen vielleicht die größte Rolle spielt, ist Gravity's R4inbow.7 In zahlreichen Variationen und Disseminationen bildet das Motiv eine wahre Substruktur des Romans, ein metaphorisches Feld, das den heterogenen plot "unterirdisch" organisien. Dabei scheint Gravity's R4inbow das Motiv der Unterwelt zunächst nur als Bildspender, 68 Thornas Pynchon. V. Ncw York u. a.: Banwn. 1964. S. 181 69 Ders.• M4Son & DixIm. London: Randorn House. 1997. S. 738 ff.. fonhin: MD 70 Dcrs.• Grtlvity's &inbow. London: Picador. 1975 - fonhin: GR
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als Steinbruch von Materialien und Motiven zu nutzen. In Pynchons enzyklopädischem EpoS71 triumphiert die schiere Übermacht des Materials - eine Materialfülle, die die Form des Romans wie auch seinen Leser zu überwältigen droht. Dabei ist das Mythologem der Unterwelt nur eines von vielen mythologischen Motiven, die in den multiplen plot eingearbeitet sind. Dennoch setzt sich dieser Motivkomplex gegen die scheinbar unüberschaubare stoffliche Viclfalt mit Nachdruck durch und gewinnt für den Roman den Charakter eines Leitmotivs, dessen Versatzstücke und Variationen sich durch den gesamten Text ziehen. Gravity's R4inbow eignet ein unwiderstehlicher Drang in die Tiefe - ein Symptom des "Tannhäuscrismus", wie der Roman selbst diese Tiefensehnsucht dcfiniert. n Selbst die titelgebende Parabel, der Regenbogen der Schwerkraft, der auch die Flugbahn der V2-Rakete ist, führt weniger in die Höhe des Himmels als in die Tiefe der Erde: "It Bcgins Infinitely Below Tbe Earth And Gocs On Infinitely Back Into Tbe Earth it's only me p~aIt that we arc allowed to sec, me break up mrough me surfacc, out of me omer silent world, violently" (GR 726). Das eröffnet eine Tiefendimension, die nicht nur "unten" ist, sondern u n t e r der Welt liegt - und dort eine andere Welt vermuten läßt: "me omer silent world". Das rechnerisch zu bestimmende Gravirationszcntrum der Flugkurve, die mamematische Abstraktion eines Punktes im Erdinnern, löst sich in einem transzendenten Raum auf, der ebenfalls im Erdinnern zu lokalisieren ist: das Jenseits, "me omer world", die Unterwelt. Der Roman selbst lädt dazu ein, jeden Abstieg nach unten als einen MScmsus zu lesen: Klassifiziert als "Tannhäuscrismus" oder "Eurydice-Obscssion" (GR472) werden die (Zwangs-)Handlungen des Protagonisten Tyrone Siomrop ganz im Stile Freuds auf mythologische ModeUe abgebildet; doch im Unterschied zu den psychoanalytischen Klassikern ist den pynchonianischen "Komplexen" ein Moment gemeinsam: die ltatJbasis. Der Held wird diesem epischen Obligatorium im Laufe des Romans gleich mehrfach unterworfen: Sei es im Rahmen eines Drogentrips, auf dem er seiner Mundharmonika folgend durch eine Klosettschüssel in die Kanalisation abraucht, um sich in einer unterirdischen othmuor/J der Exkremente zu finden (GR 63 ff.); sei es der Abstieg in eine geschichtlich-reale "Hölle": die unterirdischen StoUen der Mittclwerke, in denen die Nationalsozialisten in der Endphase des Krieges die Produktion der V-2 Rakete und dieser angegliedert das berüchtigte Arbeitslager "Dora" unterhielten. Und nicht nur der Protagonist wird auf unterweltlich-unterirdische Reisen geschickt. In der surrealen, (alb-)traumhaften Welt von Gravity's R4inbow 71 Als rcgdrcchtc Gattungsbczcichnung verwendet Edward Mcndclson den Begriff dcr .encyclopcdic narrativc". zu der cr u. a. neben der DiviNl Cmnrrutiitt und dem Ulysses auch Grtlvily'S lW"bow ühh. So trcffcnd mir die Bezeichnung crscheint. so zweifdhaft jaioch dic Kritericn und vor allem der Genrestatus. dic Mcndelson der cnzyplopädischen Erzählung zuschreibt - ihre Vcrtreter erscheinen ihm als dic privilegiertcn Repräsentanten ciner bestimmtc Phase inncrhalb einer linear gedachten Kulrurentwäcklung. - Edward Mcnddson. E1IrJC1DpeJic Mlrrtlliw: FrtJm D.,,1it 10 PytrclHm. in: MLN91 (1976). S. 1267-1275 72 .There is the not-so-rarc personality disorder known as Tannhäuserism. Somc of us love to bc taken under mountains. and not always with homy expectations [... ) ... thc comfon of a da..ed place. whcrc everyonc is in complctc agreement about Death.· (GR 299)
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wird kaum einer Figur der Abstieg in die Unterwelt erspart.73 Darüber hinaus zeugen Namen wie BlicerolWeissmann, Morituri, Thanatz oder Erdrnann74 beredt von der chthonisch-morbiden Prävalenz innerhalb des Romans. Was Brian Jarvis über Pynchons Texte im allgemeinen bemerkt, gilt für diesen Roman im besonderen: "Pynchon's quintessential postmodern fiction is unified by a very f,recise sense of direcrion [... ] manifested in continual movement undn-groUnJ."7 Im undurchdringlichen Dickicht der Handlungsstränge, Figuren und Themen liefen der Topos der Unterwelt eine Orientierung, die ganz buchstäblich als Richtungsweisung verstanden werden darf. Zugleich werden abstrakte Strukturen und Ordnungskategorien immer durch die Konkretion des Stofflichen und die ständige Verschiebung von Positionen unterlaufen. Das verweist zurück auf die Bildlichkeit und die Details, die einem Motiv wesentlich sind. Die Unterwelt implizien eine Richtung, ohne sich dabei auf eine abstrakte Dimension reduzieren zu lassen. Die Funktion des Topos in Pynchons Roman ist vergleichbar jener Rolle, welche Figuren oder Schauplätze für die Erzählung und ihre Organisation erfüllen: An ihnen zeigen sich Konstellationen eher denn feste Strukturen. Zugleich aber ist der vielgestaltige Komplex eines Motivs lockerer, flexibler und inkonsistenter als ein klar definiener Schauplatz oder eine charakterlich plastische Figur. Dies gilt in besonderem Maße für das Motiv der Unterwelt, in deren Überlieferung und ihren modernen Modifikationen sich vielf'ältige, sogar widersprüchliche Tendenzen verbinden. Dem Topos wohnt eine wesentliche Ambivalenz inne, die von Pynchon in die Extreme getrieben wird: Die allegorische T 0pographie der Unterwelt enthält nicht nur höllische. sondern auch himmlische Landschaften. Hier werden Eros und Thanatos zusammengeschlossen. Räumlich und imaginär wird dabei von au&n nach innen gestülpt, von oben nach unten gekehn: Aus dem Himmel, dem göttlichen und paradiesischen On und ultimativem Ziel christlicher Teleologie und Heilsversprechungen, kommt statt utopischer Erlösung die Vernichtung: die Rakete. Die perfekte Umkehrfigur 73 Pirate Prenucc' findet sich in einer Hölle der Spione (GR 537 ff.). Brigadier Puddings erfüllt seine erotisch-todessüchtigen Wünsche in nächtlichen Exkursionen zur "Domina Nocturna" (GR 231 ff.). Edward Pointsmans träumt sich in apokalyptische Trümmerlandschaften "mHes bdow the city" (GR 142 f.), Lyle Bland unternimmt spiritistische Jenseitsreiscn in einer Dimension. die ebenso unterhalb der Geschichte wie der tiefsten geologischen Gcsteinsschichten liegt
(GR589 f.). 74 "Bliccro" ist von dem a1tgermanischen Namen des Todes. "Blicker", abgdeitet - von "blecken" (grinsen) und ..bleichen", womit die Vorstellung des Todes als bleichem. grinsenden Gerippe verbunden ist. weshalb Bliceros eigentlicher Name. "Weissmann", wiederum als ein Pseudonym des Todes erkennbar wird (siehe GR 322). Vgl. Jacob Grimm. Dn4tscN Mytho• • Bd. 11. Götungen: Dieterische Buchhandlung. 1854. S. 809 ...Moriturt ist das Partizip Futur von "morior". lateinisch: sterben, und verweist auf die 8cgrüßungsformd der Gladiatoren im römischen Circus ..Morituri te salutant, Cacsar" - Morituri wurde als Kamikaze-Flieger ausgebildet ...Thanatz" ist unschwer als Verballhornung des griechischen Thanatos erkennbar. und die Figur der Greta Erdmann verbindet das chthonische FJement ihres Namens mit einer pathologischen Todcsschnsucht. 75 Brian Jarvis. POSlmodnn UzrtDf'llphin. TIN Gn1f1'llphicllllmagin4tion in Conrnnporllry Ammclln Cultu". London: Plu[o Press. 1998. S. 53
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dazu ist der Traum von einem neuen Totenreich. das dank der Rakete auf den Mond getragen wird: .. Is the cyde over now. and a new one ready to begin? Will our new Edge. our new Deathkingdom. be the Moon? I dream of a great glass sphere. hollow and very high and far away... " (GR 723). Dieses neue .. Königreich des Todes" verbindet den endlosen Weltraum mit einem sphärischen Innenraum. und die Gestalten. die diese Welt bevölkern. sind nur mehr eine schemenhafte Überblendung von Bildern: Über die einschlägigen literarischen Bilder der substanzlosen Schatten der Unterwelt legen sich die Fernsehbilder von der Mondlandung im Jahre 1969.'6 Die Unterwelt im Himmel. im offenen Weltraum - das ist der Traum des Herrschers der oberirdischen Unterwelt. des 55-Hauptmanns Blicero. Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Gravity's R4inbow. vier Jahre nach der amerikanischen Mondlandung und mitten im Aufrüstungswettlauf des Kalten Krieges. hat diese Phantasie einen zeitkritischen Bezug: So wie die Entwicklung des amerikanischen Raumfahrtsprogramms aus der Raketentechnologie der Nazis hervorgegangen ist. hat die Mondrakete sich umgekehrt in Gestalt der Atomraketen in eine höllische Vernichtungswaffe verwandelt. Der .. Himmelskörper". der zu den Sternen fliegen kann. wird bei Pynchon zu einem .. bright angel of death. ce (GR760) Der Himmel aber. der sowohl in einem religiös-mythologischen wie in einem technizistisch-modernen Kontext die Projektionsfläche für die Utopie der absoluten Transzendenz ist. schrumpft am Ende von Gravity's R4inbow auf die Größe einer Kinoleinwand. auf die nur schöne Illusionen projizien werden (vgl. GR 760). Auf der letzten Seite findet sich der Leser in einem geschlossenen. dunklen Kinosaal unter denen. die der Roman als die ..preterite". die Verdammten und Übergangenen. bezeichnet. Auch der Name des Filmtheaters verrät bereits. wo wir uns befinden - ..Orpheus Theatre". Der Vorstellung eines transzendenten Außenraums. des paradiesischen Himmels und des unendlichen Weltraums. wird damit wiederum ihr Gegenteil an die Seite gestellt: der geschlossene Innenraum der Unterwelt. Das Außen ist hier nach innen gekehn. der Himmel zu einem Raum der Hölle mutien: Das Filmtheater. so suggerieren die letzten Szenen. ist das Ziel der fallenden Rakete. der Vernichtungswaffe. die im Roman aus der Unterwelt kommt und die Hölle bringt. Doch läßt sich die Unterwelt nicht allein auf einen immanenten und klaustrophobischen Innenraum reduzieren. Es ist eines ihrer ei~ntümlichen Merkmale. zugleich abgeschlossen und potentiell unendlich zu sein11 - ein Innenraum. der gewissermaßen den ihn umfassenden Außen umfang überschreitet. Hier verschmilzt die diesseitig-irdische Lokalisierung mit der jenseitigen Dimension des 76 .. [l1he oolonists have lcarncd to do without air. it's vacuum inside and out ... [... ) Inside the 001ony. the handful of men have a frosty appcarancc. hardly solid. no more a1ive than memories. nothing to touch ... only their rcmote images. black and white film-images. graincd broun ycar after hoarfrost ycar out in the white latitudes[.r (GR 723) 77 Sie ist tendenziell allumfassend - der unerschöpfliche Fundw der Vergangenheit. von dessen Maßlosigkeit die Allgemeingültigkeit ihres Futur Präteritum zeugt - "es wird gewesen sein-.
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Topos. Ein solch paradoxer Raum eröffnet sich auch bei Pynchon: Wenn der unendliche Himmelsraum in einer hohlen Glassphäre und einem dunklen Kinosaal geschlossen wird, öffnet sich umgekehn das, was zuvor Innenraum, Untergrund und geschlossene Form gewesen ist, zu einer Welt der Möglichkeiten - und einem letzten Ort utopischer Projektionen. In Gravitys &inbow ist dies in den Motiven der Countnforct, des Mülls, der prttnite angelegt: Sie besitzen die Gegenposition zu den weltlich-überweltlichen Machtinstanzen, die das Geschehen in Gravitys &inbow zu konuollieren scheinen - sie sind die Unterwelt zur Oberwelt. Die Verbindung des Mülls mit der Unterwelt ist seit jeher eng: In der unteren Welt sammeln sich die Kräfte, die aw der oberen awgcschlossen werden - mit den Toten eben auch das Weggeworfene und Verworfene, der Unrat und die Exkremente.'· Daß diese Position auch eine wesentliche Etappe im Kreislauf von Tod und Auferstehung bildet, ist uns bereits bekannt, und die vegetations mythische Formel taucht bei Pynchon ebenfalls auf. Doch mehr als die mythisch-kultische Auferstehungsfigur interessiert ihn das subversive Potential der Unterwelt als Gegenmacht. Indem das Verworfene, Unnütze, Verdammte (prttniu im Sinne der "von Gott Übergangenen") zur "counterforce" erklärt wird, ist der theologische Erlösungsgedanke in eine politische Vorstellung von Widerstand gewandelt. Die Unterwelt als Sammelsurium des Awschusses und des Abfalls entzieht sich dem herrschenden Prinzip der Effizienz und Verwertbarkeit, einer Rationalisierungsbewegung, die "in dieser Welt" und Pynchons Roman allgegenwärtig und übermächtig erscheint. Nicht mehr geschlossener Höllenraum sondern ein Feld unregulierter, heterogener Kräfte, wird die Unterwelt so zum Ort einer absichts- und "nutzlosen" Kreativität. Sie ist damit auch der emblemati~che Ort des Romans: in seiner anarchischen Erzählweise, seinem polymorphen plot, seiner Heterogenität und irrwitzigen Materialfülle. Der tkscmsus ist der Abstieg in eine Welt des Verdrängten, Awgeschlossenen, Unerzählbaren - das, was die offizielle Version der Geschichte ausspart und was Gravitys &inbow mit seiner Technik der bricoi4gt zu einer fiktionalen Gegen-Geschichte, einer countn'Story, zwarnmenbaut. Die Unterwelt ist die Welt der phantastischen Fiktion Thomas Pynchons, welche aw den Überresten der Realität besteht. In einem anderen Roman Pynchons wird dies noch eindeutiger markiert: In Mason 0- Dixon greift Pynchon auf eine exzentrische Seitenlinie des Topos Unterwelt zurück - auf die Theorie der Hohlwelt als einem utopischen Ort. In dieser Vorstellung wird das neuzeitliche Schisma von symbolischem und realem Ort durch eine radikale Umkehrung überwunden: Die Hohlwelt kehrt das Außen nach Innen, den Himmel in die Erde und das Paradies an den Platz der Hölle. 78 Ober den MltruJus. die Verbindung zwischen Ober- und Unterwelt, heißt es bei Henri Lcfcbvre: "C'est un trou: dcp6t des immondiccs, d«harge public. On y pr6:ipite les dkhcu, les ordurcs, les condamn6 ~ mon, le nouvcau n6 que le Pere dccide de ne pas les -Clever- [... ). Ambigui~: Ja plus grand souillure, la plus grande purcte[,) Ja vie ct la mon, la fecondite ct Ja desuucrion, I'horrcur Cl Ja fascination. -Mundus est immundus-. Henri Lcfebvre, La proJlKtion tU l'es!«" Paris: Editions anthropos, 1974, S. 280 M
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Sie ist das Gegenstück zur Unterwelt als bloßer Metapher - der Exilierung einer mythisch-kosmologischen Lokalität in die figurative Rede, dem Prozeß, der in der Psychoanalyse gipfelt, wo Unterwelt wie auch Untergrund nur noch Metaphern einer psychischen Instanz in der Innerlichkeit des Subjekts sind. Eben diese Metaphorisierung wertet die VorsteUung der Hohlwelt in eine radikale Literalisierung um: Es ist die Idee einer wirklichen, diesseitig-konkreten Welt in der Welt. Dabei ist an die SteUe der düsteren, schreckenerregenden infm ein Hohlraum getreten, der im Gegenteil die Heimstatt paradiesischer Verheißungen sein kann. Auch bei Mason 0- Dixon ist die Hohlerde nicht der Ort der Hölle. Als Jeremiah Dixon von seiner Reise in die Hohlwelt berichtet, ist das Fazit eindeutig: Mason bleakly exhalcs. "No Hell, men?" "Not inside me Earth, anyway." "Nor any single - Administrator of Evil." (MD 742)
Statt einer Welt des Bösen ist Pynchons Hohlwelt vielmehr das letzte Territorium der Phantasie: Die friedfertigen, großäugigen Wesen, die sie bevölkern, sind ein heiterer Elfenstaat des 18. Jahrhunderts, mit anigen Manieren, Teleskopen und wissenschaftlichen Akademien. Dennoch bestehen sie ganz und gar aus dem Stoff genannt "Imagination": ",Once the solar parallax is known,' they told me, ,once the necessary Degrees are measur'd, and the size and weight and shape of the Eanh are calculated inescapably at last, aII this will vanish. We will have to seek another Space.'" (MD 741) Es ist die Austreibung des Phantastischen, die hier droht, aber auch die Austreibung eines Weltbildes, in dem der Mensch in einem schützenden Innenraum geborgen ist." Bezeichnenderweise taucht die Idee der Hohlwelt in der Wissenschaftsgeschichte erst auf, nachdem sich das kopernikanische Modell des Heliozentrismus und das neuzeitliche Konzept des unendlichen Raums gegen das ptolemäische Universum der geschlossenen Himmelssphären durchgesetzt haben. Vollendet wird diese Entwicklung in der Aufklärung, der Epoche, der sich auch der historische Roman Mason 0- Dixon zuwendet. Nicht erst am Ende des Buches angesichts der Hohlweltreise wird sich diese Aufklärung vor allem als ein rechnerisches Unternehmen im Dienste des Profits und als ein ideologisches Unternehmen im Dienst der Macht erweisen. Was die beiden Astronomen und Landvermesser Charles Mason und Jeremiah Dixon zu vermessen glauben, ist die Grenze, die fortan das aufgeklärte Zeitalter, "the Age of Reason", von der ignoranten Dunkelheit vorhergehender Jahrhunderte trennen soll - wie sich zeigen wird, eine fiktive Grenze, die nur zwei Formen derselben Hörigkeit, Aberglaube und Wissenschaftsgläubigkeit, voneinander trennt. Tatsächlich ziehen die Protagonisten Grenzlinien zwischen verschiedenen Besitzansprüchen, die im Namen der Vernunft alles träumerische Ungefähr und alle Rückzugsorte der Phantasie vertreiben werden. Was sie darüber hinaus realiter und konkret in Gestalt der 79 "I am nar surc that cvcryonc can adjust from a concavc space to a conva onc·. bemerkt eincr dcr innerwddichcn Konvcrsationspanner Dixons... Herc havc wc bccn shdtercd. ncarly cvcrywherc wc look is no Sky. but only morc Eanh." (MD 741)
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..Mason & Dixon Line" ziehen, ist die Linie, an der sich im folgenden Jahrhunden der amerikanische Bürgerkrieg entzünden wird. Die Meßbarkeit der Welt ist kein Beweis für die Herrschaft der Vernunft, weit eher das Gegenteil. Den Vermessungsreisen nach den Koordinaten des Himmels wird als Alternative eine Reise gegenübergestellt, die sich an der Tiefe und den ..Tellurick Forces" orientien (MD 740). Neben der Hohlwelt Dixons begegnet die auf dieser Reise zu erfahrende Gegenwelt in verschiedenen Gestalten, doch immer als das andere der wissenschaftlichen Rationalität und aufklärerischen Vernunft. Bereits im dritten Kapitel wird Masons geheime Absicht erwähnt, einen Weg zu seiner verstorbenen Frau Rebekah ins Totenreich zu finden (MD 25), und die folgende Seereise zur Beobachtung des Venus-Durchgangs wie auch alle anschließenden Vermessungsunternehmungen sind zugleich eine Flucht vor dieser Jenseitsreise wie auch deren diesseitig-horizontale Entsprechung.80 In einer anderen Form hat er eine Unterweltreise bereits zuvor unternommen - damals nicht als Reise ins Totenreich, sondern als Reise in ein Jenseits der Zeit: als er durch unerklärliche Umstände in das .. Zeidoch" geraten ist, das die englische Kalenderreform von 1752 verursachte (MD 556 ff.). Elf Tage sind im September dieses Jahres bei der Umstellung vom julianischen auf den gregorianischen Kalender übersprungen worden, um das Kalenderjahr wieder an das Sonnenjahr anzugleichen. 8 Mason durchlebt sie allein in einer gespenstisch-fahlen, stillgestellten Welt außerhalb der Zeit, einem Tmtpus Incognitum. 82 Einer Welt, in der die Rationalität des numerischen Kalenders keine Gültigkeit mehr besitzt und unumschränkt die Irrationalität eines Geisterglaubens herrschen kann, den das aufgekläne Jahrhunden nur scheinbar hinter sich gelassen hat: 'Twas as if mis Metropolis of British Reason [Oxford] had bccn abandon'd to the Occupancy of all mat Reason would deny. Malevolent shapes flowing in me Streets. Lanthorns spontaneowly going out. Men roaring, as if chang' d to Beasts in me Dark. [... ] I felt mat if I ran fast enough, I could gain altitude, and fly. I would become one of memo [... ] I could belong to me D --I, - anything, inside mis Vortex, was possible. (MD 559 f.)
In den geheimen Innen- und Zwischenräumen ördicher wie zeitlicher Natur überlebt in Mason 0- Dixon eine andere Welt, und sie bringt diesen anderen, fiktionalen Text hervor, der in Gestalt von Pynchons Roman an die Stelle der Zahlen und nüchternen Fakten des historischen Journals der beiden Vermesser tritt. 13 Die Unterwelt ist der Imaginationsraum. der sich nicht vermessen läßt. wie 80 Sowohl Kapstadt wie auch St. Helena. die Ziele seiner ersten Reise. werden als Kolonien der Hölle gekennzeichnet (MD 71 und 133). 81 Die "verlorenen elf Tage", die in Masons Erlebnis eine zdtliche "Unterwdt" abgeben, werden von dem Erzähler Cherrycokc auch als Eurydike bczcichnet (MD 555). 82 Sie ist, in der Darstellung des Erzählers Reverend Cherrycokc, das zeitliche Äquivalent zu der räumlichen Vorstellung der Unterwelt, in wdcher die verlorenen Tage wie eine Eurydike gefangen gehalten werden (MD 555). 83 Veröffentlicht als: Charles Mason/Jcremiah Dixon/Alvin Hugh1en Mason, TIN JOUI'1lll/ ofCharks MlISon lind Jn'mIUzh Dixon. Philaddphla (PA): American Philosophical Socicry, 1969
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bereits Galileis Vermessung des Inferno Dantes gezeigt hat. Sie ist das. was jenseits der Empirie und der Wissenschaft liegt, jenseits des logos, den seit Platon der Diskurs der Vernunft dem Erzählen des Mythos entgegensetzt. Bei Pynchon ist sie aber darüber hinaus das, was die Wissenschaft ebenso hervorbringt wie sie es zerstört: Die Hohlwelten und Zeitenstrudel in Mason & Dixon sind Zwitterwesen von Wissenschaft und Phantastik, ähnlich dem Roman selbst, der, wie auch Gravity's Rainbow einen Zwitter von historischem und phantastischem Roman darstellt. Und einen Zwitter von linearem und arabeskem Erzählen: Die "Mason & Dixon Line" ist auch die Linie, an der die Hauptlinie des plots entlang erzählt wird. Dem entgegen jedoch stehen die Umwege der unzähligen Nebengeschichten und -personen sowie die Rückgriffe, die den Fortlauf der Lebensgeschichten der beiden Protagonisten unterbrechen, um Ereignisse und Figuren aus deren Vergangenheit oft in geisterhafter Gestalt auftreten zu lassen. Wenn die Repräsentation der ersten Narrationsfigur die Linie ist, so die der zweiten der Vortex, der Strudel mit seiner zenuifugalen Kraft, wie Peter Schmidt in seiner Lektüre von Mason & Dixon hervorhebt. 84 Dieser Vortex ist aber engstens mit der jenseitigen Unter- oder Gegenwdt verbunden: Er ist die rotierende Zeitschlaufe der elf verlorenen T~e der Kalenderreform, ein "Whirlpool in Time", in den Mason gerät (MD 556). S Er ist die völlige Desorientierung der Kompaßnadel im Innern des indianischen Hügels, welcher der Linie Mason und Dixons gerade im Wege liegt und vermeintlich zur Akkumulation von "Forces more Tellurick in nature, more arrun'd, that is, to Deaeh and ehe slower Phenomena" dient (MD 599). Er ist der gewaltig Maelstroem an den Polen, der in den verschiedensten Theorien über die Hohlwelt den Reisenden in die Innenwelt zieht"6 Die Unterwdt ist ein weiteres Mal zum Ort geworden, der narrative Digressionen bedingt. Damit ist sie vor allem eine Gegenkraft (countnforct) zu der linearen Geschichte, wie sie die teleologische GeschichL~uffassung und das wissenschaftliche Fomchrittsdenken der Aufklärung schreibt. Mason & Dixon entwirft ihre Gegenfigur, indem es unter Rückgriff auf die zentrifugalen Kräfte des Tdlurischen anders erzählt als die himmlisch-autorisierte Linienführung der "Mason & Dixon Line" es nahelegt.
84 Pctcr Schmidt, Lin~, Vont'X, anJ Mouna: On Fint RelllÜng Thomm Pynchon s..MlISOn & Dixon-, hup://www.swanhmorc.edulHumanities/pschmidl/essays/pynchon/mason.html 85 .. In a slowly rouring Loop, or if you like, Vona. of eleven days. tangent to mc Linear Pam of what we imagine as Ordinary Time. but aduded from it. and repcating itsdf. - wimout end.· (MD 555) 86 Eine Vorstellung. die in der Literatur besonders eindringlich in Edgar Allen Pocs PolarPhantasien gestaltet ist. so in A Manwnipt Founa in/l &ttk (1833) und TIN Narra,;w o[Arthu, Go,don Pym (1838). Edgar Allen Poe, Comp~w Worh, ed. by James A. Harrison. New York: AMS Press. 1%5. Bd. I. S. 1-15 und Bd. 11, S. 1-245
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Eliot, Mann, Borges, Pynchon - es wären noch unzählige weitere Autoren und T ate anzuführen. Das eigendiche Problem jeder U nterwdtreise besteht bekanndich nicht im Abstieg, sondern im Aufstieg - darin, wieder hinaus zu gelangen. Das gilt auch rur die Reise in die Unterwelten der Literatur, die hier unternommen wurden. Facilis tkscmsus Avnno, s~J rnJocar~ graJum supn-asqw nJ~ aJ auras, hoc opus, hic I4bor nt. Auch dieses letzte Kapitel ist aus der Unterwelt nicht "aufgestiegen" sondern neuen Abstiegen nachgegangen. Doch sollte an diesen kurzen Exkursionen in verschiedene literarische Unterwelten noch einmal die zentrale Rolle und die Vielfalt des Topos in der Literatur des 20. Jahrhunderts deudich geworden sein - von der literarischen Avantgarde der ersten Jahrzehnte bis in die Spätzeit der Postmoderne in den 90er Jahren. Die Unterwelt hat nicht nur ihre eigene Abschaffung in der Neuzeit überlebt, sondern auch im literarischen lmaginarium die wechselnden Moden und Epochen überdauen. Was allerdings nicht heißt, daß ihre innere Topographie immer gleich geblieben wäre. Vielmehr hat sie sich als ebenso vielgestaltig erwiesen wie die Texte, die in die Unterwelt führen - das ist ebenso der Reiz wie das Verhängnis dieses Topos. Denn die diversen Vermessungsversuche von Galilei bis zu Mason und Dixon haben gezeigt, daß der Unterwelt mit der Wissenschaft schwer beizukommen ist. Während sie unter dem analytischen Blick als Gegenstand zu verschwinden droht, erweitern sich zugleich ihre Dimensionen in der Imagination ins Unermeßliche. Aber wenn die Unterwelt nicht vermessbar ist, so macht sie etwas anderes ermessbar: Ob erzähltheoretisches Programm, literarische Überbi~nmgsfigur oder kulturkritische Parabel - der tkscmsus erlaubt einen Blick in den theoretischen und poetologischen Unterbau dei literarischen Konstruktion. Jense!ts ihrer suggestiven Motivik fimgien die Unterweltreise als literarische "Urszene": als movms des Erzählens und als Reflex:ionsfigur der textuellen Genese.
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