Die Weltlinie
Jukka Maalampi
Die Weltlinie Albert Einstein und die moderne Physik Aus dem Finnischen von Manfred Stern
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Jukka Maalampi Department of Physics P. O. Box 35 (YFL) 40014 University of Jyväskylä Finland
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Übersetzer: Manfred Stern Kiefernweg 8 06120 Halle Deutschland
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This work has been published with the financial assistance of FILI – Finnish Literature Exchange Finnische Originalausgabe Maailmanviiva. Albert Einstein ja moderni fysiikka erschienen bei Ursa, 2006
ISBN 978-3-540-72409-4
e-ISBN 978-3-540-72410-0
DOI 10.1007/978-3-540-72410-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Mathematics Subject Classification (2000): 83A05, 83C05, 83F05, 81P05, 81V22, 78A25 © 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Satz: Datenerstellung durch den Übersetzer unter Verwendung eines Springer TEX-Makropakets Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Covergestaltung: deblik, Berlin Coverabbildung: © Bettmann/CORBIS, ALBERT EINSTEIN and related rights ™/© of HUJ, used under License. Represented exclusively by Corbis Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
¨ Vorwort zur deutschen Ubersetzung
Ich freue mich sehr, daß dieses Buch in deutscher Sprache erscheint, der Muttersprache der Hauptperson Albert Einstein. Zuf¨alligerweise ist das auch die ¨ Muttersprache eines meiner Großv¨ ater gewesen. Die deutsche Ubersetzung erh¨oht auch den Kreis der potentiellen Leserschaft um einen Faktor von ungef¨ahr zwanzig, was nat¨ urlich großartig ist. ¨ Ich danke dem Ubersetzer Manfred Stern f¨ ur die sachkundige Arbeit, die sich durch die Sorgfalt und Gr¨ undlichkeit eines Mathematikers auszeichnet.1 Ich danke auch Mikko Saarim¨ aki, einem anderen Mathematiker, der an meiner Universit¨at t¨atig ist und als guter Kenner der deutschen Sprache bei der ¨ Ubersetzung wertvolle Hintergrundinformationen gegeben hat. Jukka Maalampi Jyv¨askyl¨a, 29. Februar 2008
1
¨ Der Ubersetzer dankt Karin Richter (Martin Luther Universit¨ at Halle, Fachbereich Mathematik) f¨ ur das Lesen der Korrektur, Gerd Richter (Halle) f¨ ur technische Unterst¨ utzung, G¨ unter Jacobi (Halle) f¨ ur Diskussionen zur Physik zwischen Schach und Billard, Frank Holzwarth (Springer-Verlag) f¨ ur stets hilfreiche LATEXHinweise, Ute McCrory (Springer-Verlag) f¨ ur die Projektbetreuung und last but not least Andrea K¨ ohler (le-tex publishing services, Leipzig) f¨ ur ihre Bemerkungen zur Herstellung der Endfassung.
Vorwort zur finnischen Ausgabe
¨ Uber Albert Einstein sind Hunderte von B¨ uchern geschrieben worden. Er verdient sie alle, weil er ein außergew¨ ohnlich bedeutender Wissenschaftler war. Hier ist ein weiteres Buch. Im Jahr 2005 war der hundertste Jahrestag der ersten revolution¨aren wissenschaftlichen Entdeckungen Einsteins. Zu Ehren dieses Ereignisses wurde 2005 zum Jahr der Physik und zum Einsteinjahr erkl¨art. Einstein und seine wissenschaftlichen Leistungen standen im Laufe des Jahres im Rampenlicht ¨ der Offentlichkeit. Jedoch ist die Bedeutung Einsteins f¨ ur die heutige Physik und f¨ ur die jetzige Technologie weitaus gr¨ oßer als allgemein bekannt. Er hinterließ Spuren in vielen aktuellen Forschungsgebieten und zahlreiche Vorhersagen seiner Theorien werden immer noch experimentell getestet. Auf der Grundlage seiner Entdeckungen sind sogar u ate des allt¨aglichen Gebrauchs ¨berraschend viele Ger¨ entwickelt worden. Dieses Buch handelt vom wissenschaftlichen Erbe Einsteins. Im Buch schildern wir auch die Hintergr¨ unde seiner wissenschaftlichen Entdeckungen, denn auch er schuf seine Theorien nicht aus dem Nichts. Es ist schwierig, in chronologischer Reihenfolge u ¨ber Einsteins Forschungsarbeiten zu berichten, weil er gleichzeitig in mehreren Richtungen arbeitete und sich h¨aufig von einem Thema zum anderen und wieder zur¨ uck bewegte. Um einen Begriff der Relativit¨atstheorie zu verwenden: er hinterließ in der Physik viele Weltlinien. Ich hoffe, daß die in diesem Buch vollf¨ uhrten Spr¨ unge durch Zeit und Raum den Leser nicht weiter st¨ oren. Ich danke Hannu Karttunen und Tapani Perko f¨ ur die Durchsicht des Manuskripts und f¨ ur viele n¨ utzliche Bemerkungen und Korrekturen. Jukka Maalampi Jyv¨askyl¨a, 5. Juni 2006
Inhaltsverzeichnis
¨ Vorwort zur deutschen Ubersetzung ........................... V Vorwort zur finnischen Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII 1
Blumen auf Einsteins Grab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Junges Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der Raum beginnt zu leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Genie im Einweckglas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Einstein lebt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3 5 6 7
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¨ Die Zeit des Athers ........................................ 2.1 Der K¨onig der Viktorianischen Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Faraday . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Durch den Kompaß in eine neue Richtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Welt wird klein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Verschwommene Eindr¨ ucke meines Verstandes“ . . . . . . . . . . . . ”
9 10 12 15 17 18
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Die besten Gleichungen der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Teilchen oder Welle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der Arzt und der Ingenieur legen den Streit bei . . . . . . . . . . . . 3.3 Revolution¨ are Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die ersten Radiowellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Reformer wider Willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Lichtgeschwindigkeit als Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ¨ 3.7 Z¨aher Ather ...........................................
21 22 23 24 27 27 29 31
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Einsteins Weg zum Physiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Mit Lichtgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der St¨orenfried . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Bedr¨angnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Lieserl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35 37 38 39 40
X
Inhaltsverzeichnis
4.5 4.6
Patenter Patentierknecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 ¨ Atherische“ Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 ”
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Spezielle Relativit¨ atstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Was ist Bewegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Auseinandersetzung mit dem Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Dein Jetzt und mein Jetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Die Lorentztransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Einstein macht tabula rasa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Verr¨aterisches Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Verk¨ urzte L¨ ange, gedehnte Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 Unglaublich, aber wahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9 Einstein und Poincar´e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zeitdilatation und L¨ angenkontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Pro und kontra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Ursache vor Folge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Schneller als das Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Die vierte Dimension des Universums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Himmlische Beweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Langes Leben bringt Freud und Leid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Materie wird zu Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Die Masse eines bewegten Teilchens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Die Masse des Lichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Energie aus Antimaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Kernspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Die Physik verliert ihre Unschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 Der Bombenbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 70 72 74 75 76 79 80
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Raum und Gravitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 8.1 Pr¨amiiertes Leghuhn“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 ” 8.2 Gekr¨ ummter Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 8.3 Von Pisa zum Meer der Stille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 8.4 Die Gezeitenkr¨ afte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 8.5 Gekr¨ ummte Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 8.6 Die Metamorphosen des Raumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 8.7 Hilbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 8.8 Einsteins h¨ artester Konkurrent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 8.9 Die Feldgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
Inhaltsverzeichnis
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XI
Lichtquanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 9.1 Schwarzk¨ orperstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 9.2 Der photoelektrische Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 9.3 Das Licht besteht aus Quanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 9.4 Der Nobelpreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 9.5 Photoelektrischer Effekt in vielen Anwendungen . . . . . . . . . . . . 112
10 Quantenmaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 10.1 Licht als Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 10.2 Materie vermatscht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 10.3 Fermionenkondensate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 10.4 Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 10.5 Der Quantenspuk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 10.6 Die Quantenwelt ist ganz anders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 11 Schwarze L¨ ocher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 11.1 Ein Schwarzes Loch h¨ alt die Uhren an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 11.2 Wie entsteht ein Schwarzes Loch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 11.3 Sternenkollaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 11.4 Eine Idee auf dem Indischen Ozean . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 11.5 Vom strahlenden Stern zum Schwarzen Loch . . . . . . . . . . . . . . . 134 11.6 Wie kann man ein Schwarzes Loch sehen? . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 11.7 Die Schwarzen Riesen der Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 12 Schwingender Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 12.1 Nutzung einer alten Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 12.2 Was ersch¨ uttert den Raum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 13 Einstein und das Universum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 13.1 Fliehende Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 13.2 Einsteins Universum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 13.3 Inflation¨ ares Universum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 13.4 Das Uratom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 13.5 Die Hintergrundstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 13.6 Wohin gehen wir? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 13.7 Die Wiederkehr der kosmologischen Konstanten . . . . . . . . . . . . 157 13.8 Das große Fragezeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 14 Der 14.1 14.2 14.3 14.4 14.5 14.6
letzte Traum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Lokale Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Eichfeldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Einsteins innere Stimme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 In neue Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Ohne Boden unter den F¨ ußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Wird Einsteins Traum wahr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
XII
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Namensverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
1 Blumen auf Einsteins Grab
Albert Einstein starb im April 1955 in Princeton, in den Vereinigten Staaten. Er wartete auf sein Ende wie auf ein interessantes Naturph¨anomen. Es war Einsteins Wunsch, daß man seinen K¨ orper verbrennen und die Asche an einem unbekannten Ort verstreuen m¨ oge. So ist es dann auch geschehen. Die Sauerstoff-, Kohlenstoff- und Wasserstoffatome sowie andere Atome, die in seinem K¨orper jahrzehntelang in idealer Weise angeordnet waren, gelangten rasch in den Kreislauf der Natur und fanden bald einen neuen Verwendungszweck. Einstein hat also weder ein Grab noch fand eine Beerdigung statt. Es gibt keinen Ort, zu dem man an Gedenktagen pilgern k¨onnte, um Blumen niederzulegen. Das war nicht einmal m¨ oglich, als im Jahr 2005 f¨ unf Jahrzehnte seit Einsteins Tod und hundert Jahre seit seinen gr¨oßten wissenschaftlichen Entdeckungen vergangen waren. Einstein hatte auch untersagt, aus seinem Arbeitszimmer und seinem Wohnhaus in Princeton ein Museum zu machen. Viele Menschen w¨ urden zu diesen St¨ atten wallfahren, um die erhebenden Gef¨ uhle zu erleben, die man vor den Denkm¨ alern großer Pers¨onlichkeiten der Geschichte empfindet, in diesem Falle den Nachhall eines großen Genies. Einstein wollte aber nicht, daß ihn die Menschen auf diese Weise anbeten. Einstein war eine Pers¨ onlichkeit des o ¨ffentlichen Lebens und jeder Mann auf der Straße kannte ihn. Die Publicity begann, als astronomische Messungen w¨ahrend der Sonnenfinsternis 1919 die Richtigkeit der von ihm gefundenen Allgemeinen Relativit¨ atstheorie best¨ atigten. Die Zeitungen schrieben u ¨ber das Genie, das Isaac Newtons Theorien zu Fall brachte, die man jahrhundertelang f¨ ur unfehlbar gehalten hatte. Man sprach u ¨ber die neue Weltordnung und ihren Sch¨opfer Einstein. In der geistigen Leere der Nachkriegsjahre wurden Geschichten dieser Art begierig aufgenommen. Als Einstein 1933 aus Berlin in die Vereinigten Staaten u uhmtheit, viel ber¨ uhmter ¨bersiedelte, war er eine Ber¨ als jeder andere Wissenschaftler nach ihm. Er wurde mit Ehrungen u ¨berh¨auft und trat u asident Roosevelt lud ihn ins Weiße Haus ein. Jeder ¨berall auf. Pr¨ Ausspruch Einsteins kam in die Schlagzeilen und die Ver¨offentlichungen seiner wissenschaftlichen Arbeiten waren große Medienereignisse.
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1 Blumen auf Einsteins Grab
In diesen Jahren entstand das stereotype Bild von Einstein als unvergleichlichem Genie, das in den h¨ ochsten Sph¨ aren der Wissenschaft schwebt, und so lebt er auch weiterhin in der Phantasie der Menschen. Er ist das Symbol der Weisheit, dessen Wert auch die Werbetexter nur allzu gut kennen. Das ¨außere Erscheinungsbild Einsteins, die in alle Windrichtungen abstehende M¨ahne, der dichte Schnurrbart und der vertr¨ aumte Blick beschleunigen den Absatz der verschiedenartigsten intelligenten“ Produkte. Die beste Art und Weise, ” die hellen K¨opfe der Schulklassen zu ermutigen und den kleinen Ber¨ uhmtheiten der Wissenschaft zu schmeicheln, besteht darin, sie als Einsteins zu bezeichnen. Das h¨ ort sich zwar auch wie ein Witz an, aber der Vergleich kann immer auch als echtes Lob aufgefaßt werden. Einsteins besonderes Wesen f¨ uhrte dazu, daß sich die ihn umrankenden Legenden ins Unermeßliche steigerten. W¨ ahrend der Jahre in Amerika pr¨agten sich seine bohemienhaften Veranlagungen immer weiter aus und kamen in sei¨ ner Lebensweise und in seinem Außeren zum Vorschein. Das Bestreben, alle unwesentlichen Dinge auszumerzen, f¨ uhrte zu einer Elimination der Socken und der Hosentr¨ager und machte Schlafanz¨ uge, Smokinghemden, Krawatten und Besuche beim Friseur zu einem u ussigen Luxus. Die Vernachl¨assigung ¨berfl¨ des ¨außeren Erscheinungsbildes in Kombination mit einer st¨andig zunehmenden Geistesabwesenheit f¨ uhrte zu unz¨ ahligen am¨ usanten Geschichten. Andererseits gab Einsteins unabh¨ angige und unbeugsame Haltung seinen gesellschaftlichen Aktivit¨ aten ein außergew¨ ohnliches Gewicht. Seine Stellungnahmen gegen den Krieg und seine Analysen globaler Ungerechtigkeiten fanden aufmerksame Zuh¨ orer und wurden respektiert. Er war der Mann des Friedens, auch wenn ihn viele f¨ ur den Vater der Atombombe hielten, hatte er doch die Gleichung E = mc2 gefunden. Als Einstein in die Vereinigten Staaten u ¨bersiedelte, waren seine kreativsten Jahre als Wissenschaftler f¨ ur immer vorbei. In den letzten zwanzig Jahren seines Lebens schuf er nichts, was in der Geschichte der Wissenschaft Bestand gehabt h¨ atte. Sein Stern sank unabwendbar am Horizont. Das Alter begann, seinen Tribut zu fordern. Die Zeit arbeitet gnadenlos gegen die F¨ahigkeit eines Wissenschaftlers, neue Entdeckungen zu machen. Einstein versuchte, seine letzte Sinfonie zu vollenden, die einheitliche Feldtheorie, mit der die Naturerscheinungen umfassend erkl¨ art werden sollten. Aber er hatte hierf¨ ur die falsche Tonart gew¨ ahlt und seine jahrelangen Anstrengungen f¨ uhrten nur zu einer Reihe von fehlgeschlagenen Themen mit Variationen. Die j¨ ungere Forschergeneration machte sich bereits mit kleinen sp¨ottischen Bemerkungen u ¨ber ihn lustig; der Alte war immer deutlicher auf ein Nebengleis abgedriftet. Anstatt sich an der einheitlichen Feldtheorie zu versuchen, h¨atte Einstein auch in seinem Segelboot sitzen und Geige spielen k¨onnen – das waren seine Lieblingshobbys – und sein Ruf als Wissenschaftler h¨atte in den Augen der Nachwelt nicht im Geringsten darunter gelitten.
1.1 Junges Gehirn
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1.1 Junges Gehirn Einstein war ein großer Wissenschaftler, aber seine intellektuelle Kapazit¨at war nicht besonders außergew¨ ohnlich; Zeitgenossen berichteten, daß er verh¨altnism¨aßig langsam dachte. Als Physiker war er jedoch ph¨anomenal. Er hatte eine starke physikalische Intuition, ohne die auch der genialste Mathematiker ein erb¨armlicher Physiker ist, die aber andererseits aus einem durchschnittlichen Mathematiker – und ein solcher war Einstein im Vergleich zu vielen seiner Kollegen – einen gl¨ anzenden Physiker machen kann. Er hatte eine rege Phantasie und besaß die F¨ ahigkeit, sich selbst die richtigen Fragen zu stellen. Phantasie ist wichtiger als Wissen“, sagte er, denn Wissen ist begrenzt. ” ” Wichtig ist, daß man nicht aufh¨ ort, zu fragen.“ Einstein geh¨ort aufgrund seiner Leistungen zum Hochadel der Forschung in der Physik. In der Rangliste kann man schwerlich andere als Galileo Galilei und Isaac Newton vor Einstein einstufen, und neben ihm kaum einen anderen Physiker als James Clerk Maxwell. Einstein vollbrachte seine gr¨ oßten Leistungen nicht in Amerika, wo er sich mit wirren Haaren und in abgerissener Kleidung zeigte, sondern als ordentlich gekleideter und korrekter Angestellter des Patentamtes in Bern und als junger Professor in Z¨ urich, Prag und Berlin. In seinem jugendlichen Gehirn kreisten vorurteilslose Gedanken, die zu zwei großen Errungenschaften der Physik f¨ uhrten, zur Relativit¨atstheorie und zur Quantentheorie. Diese Theorien geh¨oren zu den Eckpfeilern der heutigen Physik. Ab 1905 hinterließ Einstein dauerhafte Spuren in der Geschichte der Physik. Es waren keine tastenden Schritte eines beginnenden Forschers, sondern selbstbewußte Spuren, gleichsam aus dem Nichts an die vorderste Front der Wissenschaft. Das Jahr 1905 war das Wunderjahr, auch als annus mirabilis bekannt. Einstein ver¨ offentlichte damals vier Forschungsresultate, die zu Meilensteinen in der Geschichte der Wissenschaft wurden, und dar¨ uber hinaus erschien seine Dissertation. Sogar jede einzelne dieser Arbeiten h¨atte ihn weltber¨ uhmt gemacht, zusammen machten sie ihn unsterblich. In der ersten Arbeit1 stellte er die Hypothese auf, daß das Licht aus klein” sten Portionen“, den Lichtquanten oder Photonen, besteht, und erkl¨arte mit ihrer Hilfe unter anderem den photoelektrischen Effekt, das heißt, wie das Licht und andere elektromagnetische Strahlen Elektronen aus einer Metalloberfl¨ache l¨osen. Diese Arbeit best¨ atigte die f¨ unf Jahre zuvor von Max Planck aufgestellte Theorie der Quantisierung der elektromagnetischen Strahlung, ging aber viel weiter als die Plancksche Theorie. Das veranlaßte mit der Zeit auch andere Wissenschaftler zu der Feststellung, daß die Quanten Bestandteil der realen Natur sind. Die Mikrostruktur der Materie war eine terra incognita, in die Einstein mutig und enthusiastisch als einer der Ersten – so wie Livingstone in Afrika – eindrang und einen großen Umbruch in der Physik einleitete. 1
¨ Uber einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichtes betreffenden heuristischen Gesichtspunkt.
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1 Blumen auf Einsteins Grab
Einstein wollte seine wissenschaftlichen Entdeckungen nicht revolution¨ar nennen, sondern sprach lieber von einem kontinuierlichen Entwicklungsstrom der Wissenschaft, zu dem er seinen eigenen Beitrag leistete. Sollte aber dennoch jemand irgendwelche Ergebnisse unbedingt als revolution¨ar bezeichnen wollen, dann verdiente nach Einsteins Meinung die Entdeckung der Lichtquanten am ehesten eine solche Charakterisierung. F¨ ur diese Arbeit erhielt er seinerzeit auch den Nobelpreis. Nachdem Einstein seine Arbeit u ¨ ber Lichtquanten fertiggestellt hatte, schrieb er eine kurze Dissertation u ¨ ber die Bestimmung der Gr¨oße von Molek¨ ulen2 und gleich danach einen Artikel u ¨ber die Brownsche Bewegung, die zu derselben Thematik geh¨ ort3 . Der Schotte Robert Brown hatte bereits in der ersten H¨alfte des 19. Jahrhunderts die haltlose“ Zitterbewegung bemerkt, ” die kleine Partikel in einer Fl¨ ussigkeit vollf¨ uhren. Er sah dieses unregelm¨aßige Wandern, als er Bl¨ utenstaubpartikel unter dem Mikroskop betrachtete, und er dachte, der Grund hierf¨ ur sei eine dem Bl¨ utenstaub innewohnende Lebenskraft. Als offensichtlich wurde, daß sich auch Sandk¨orner, die aus anorganischer Materie bestehen, genauso bewegen, mußte die vielversprechende Erkl¨arung fallengelassen werden. Einstein kannte Browns Arbeit nicht, aber er sagte auf der Grundlage seiner eigenen Berechnungen vorher, daß die Wassermolek¨ ule durch ihre Zusammenst¨oße die kleinen, im Wasser befindlichen Partikel zu einer zuf¨alligen Zickzack-Bewegung veranlassen. In einer Fl¨ ussigkeit und in einem Gas ist die Anzahl der Molek¨ ule so riesig, daß es unm¨ oglich ist, die Bewegung einzelner ¨ Molek¨ ule zu verfolgen und vorherzusagen. Der Osterreicher Ludwig Boltzmann hatte eine Theorie entwickelt, in der er das Verhalten von Molek¨ ulen statistisch beschrieb. Einstein leitete mit Hilfe dieser Theorie die Bewegung eines Partikels in einer Fl¨ ussigkeit ab, wenn die Molek¨ ule mit diesem Teilchen zusammenstoßen. Das Partikel st¨ oßt nicht immer in allen Richtungen mit der gleichen Anzahl von Molek¨ ulen zusammen; vielmehr ¨andert sich diese Anzahl statistisch und aus dieser Schwankung folgt die Zitterbewegung des Partikels. Einstein erkl¨arte auch, wie man das Ph¨ anomen dazu verwenden kann, die Gr¨oße der Wassermolek¨ ule zu sch¨ atzen. Einsteins Erkl¨ arung f¨ ur die Brownsche Bewegung scheint nicht sehr u ¨berraschend zu sein. Heutzutage weiß jedes Grundschulkind: H¨alt man eine Hand in warmes Wasser, dann wird das W¨ armegef¨ uhl durch das Aufprallen der Wassermolek¨ ule auf die Haut verursacht. Vor hundert Jahren war jedoch die Existenz von Atomen und Molek¨ ulen, die f¨ ur unsere Augen unsichtbar sind, nicht einmal unter den Wissenschaftlern eine allgemein akzeptierte Tatsache. Die Reise in den Mikrokosmos hatte gerade erst begonnen. Nach Meinung vieler f¨ uhrender Physiker durfte man Atome und Molek¨ ule nicht als reale Bestandteile der Materie ansehen, weil es nicht m¨oglich war, sie 2 3
Die Dissertation tr¨ agt den Titel Eine neue Bestimmung der Molek¨ uldimensionen. Die von der molekularkinetischen Theorie der W¨ arme geforderte Bewegung von in Fl¨ ussigkeiten suspendierten Teilchen.
1.2 Der Raum beginnt zu leben
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direkt zu beobachten. Damals blieben sie sogar f¨ ur die besten Mikroskope unsichtbar, aber mit den heutigen Elektronenmikroskopen kann man die einzelnen Atome sehen. Die Tatsache, daß man Atome und Molek¨ ule zur Erkl¨arung beobachtbarer Ph¨anomene verwenden konnte, wie es Boltzmann getan hatte, berechtigte nach Auffassung der besagten Physiker noch nicht dazu, diese Teilchen als reale Bestandteile der Natur zu betrachten. Boltzmann stritt deswegen heftig, besonders mit dem Deutschen Wilhelm Ostwald, dem weltweit f¨ uhrenden Forscher auf dem Gebiet der physikalischen Chemie. Ein weiterer bekannter Gegner der Boltzmannschen Theorie war der ¨osterreichische Physiker, Philosoph und Anti-Atomist Ernst Mach. Von den Atomen als realen Struktureinheiten der Materie wollte der Atomgegner Mach nichts wissen; er lehnte sie als un¨ uberpr¨ ufbare Hypothese ab. Ich glaube nicht, daß Atome ” existieren“, bemerkte er trocken auf einer Konferenz, als Boltzmann seinen Vortrag u ¨ ber die statistischen Gesetze des Mikrokosmos beendet hatte. Die abschließende L¨ osung des Streits u ule und ¨ber die Realit¨at der Molek¨ Atome erfolgte durch Einsteins theoretische Arbeit zur Brownschen Bewegung und zur Gr¨oße der Molek¨ ule sowie durch die experimentellen Untersuchungen des Franzosen Jean Perrin, welche die Richtigkeit der theoretischen Schlußfolgerungen Einsteins best¨ atigten. Diese Forschungsergebnisse machten die Atome und Molek¨ ule zu konkreten Bestandteilen der Natur. Einstein trat bereitwillig an die Seite Boltzmanns, um die Atomistik zu verteidigen, denn er liebte es, Breschen in die Hauptstr¨ omung der Physik zu schlagen. Er tat das wie immer mit einer nahezu grenzenlosen Selbstsicherheit.
1.2 Der Raum beginnt zu leben Am nachhaltigsten bleibt Einsteins Wunderjahr 1905 aber wegen der Relativit¨atstheorie in Erinnerung. Einstein legte in seiner dritten Arbeit4 des Jahres seine Spezielle Relativit¨ atstheorie vor, die die Grundlagen der Physik ¨ ersch¨ utterte. Als Ver¨ offentlichung war die Arbeit bis zum Außersten ausgefeilt und abstrakt; aus allem ging hervor, daß Einstein der Sachverhalt glasklar geworden war. Entscheidend waren seine Einsichten in die Beschaffenheit von Raum und Zeit. Diese Einsichten ließen ihn die Mysterien des Elektromagne¨ tismus und des Athers in neuem Licht erblicken und er vermochte, die Teile des Puzzles korrekt zusammenzusetzen. Es war nicht die pl¨otzliche Erleuchtung durch einen Geistesblitz, denn Einstein hatte u ¨ber diese Fragen schon seit langem, seit seiner Schulzeit, nachgedacht. Zehn Jahre sp¨ater revolutionierte Einstein die Begriffe von Raum und Zeit noch umfassender. Er vollendete damals seine Allgemeine Relativit¨atstheorie zu einer neuen Theorie der Gravitation. Er zeigte, daß die Gravitation mit Hilfe der Struktur von Raum und Zeit ausgedr¨ uckt werden kann. Der Raum lebt in den Ereignissen der Natur. Die Himmelsk¨orper formen Raum und Zeit 4
Zur Elektrodynamik bewegter K¨ orper.
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1 Blumen auf Einsteins Grab
in ihrer Umgebung derart, daß sich die vertrauten Regeln der Geometrie ebenso ¨andern wie der Lauf der Zeit. Auch das Licht wird unter dem Einfluß der Gravitation abgelenkt. Diese Vorhersage wurde 1919 experimentell best¨atigt und machte Einstein auf einen Schlag weltber¨ uhmt. Das u ¨bliche Bild von Einstein ist, daß er ein unvergleichliches Genie war und seine komplizierten mathematischen Gedankengeb¨aude das Auffassungsverm¨ogen eines gew¨ ohnlichen Sterblichen u ¨berschreiten. Man ist nicht daran gew¨ohnt, seine Leistungen mit allt¨ aglichen Erscheinungen in Verbindung zu bringen; es besteht die Meinung, daß sich Einsteins Ergebnisse mehr auf das Weltbild beziehen und auf solche fernen Dinge beschr¨anken, wie Sterne, Schwarze L¨ocher, die Entstehung des Universums und auf Geschwindigkeiten, die man sich mit dem gesunden Menschenverstand unm¨oglich vorstellen kann. Diese Vorstellungen werden der tats¨ achlichen Bedeutung Einsteins nicht gerecht. Seine vielseitigen Leistungen sind in unz¨ahligen Dingen unseres t¨aglichen Lebens erkennbar und haben einen großen Einfluß auf viele Gebiete der heutigen Physik. Die Relativit¨ atstheorie, deretwegen Einstein am bekanntesten ist, war nicht seine wichtigste wissenschaftliche Entdeckung. Wichtiger f¨ ur das Verstehen der Natur sind die obengenannte Theorie der Lichtquanten und der Nachweis dessen, daß die Atome und die Molek¨ ule konkrete Bausteine der Materie sind. Das waren riesige Leistungen, wenn man bedenkt, was sich in der Physik sp¨ater ereignet hat. Die Quantentheorie ist das wichtigste Gedankenfundament der Physik der vergangenen hundert Jahre. Ohne Quantentheorie w¨are ein sehr großer Teil der heutigen Technologie nicht realisierbar gewesen. Aber anders als die Relativit¨ atstheorie, die sich seit Einsteins urspr¨ unglicher Formulierung nicht sehr ge¨ andert hat, wurde die Quantentheorie im Ergebnis der Anstrengungen unz¨ ahliger Wissenschaftler st¨andig weiterentwickelt. Diese Weiterentwicklung ¨ ahnelt einem robusten Baum, der einst von Einstein gepflanzt wurde. Einsteins Anteil als Initiator der Quantentheorie droht in Vergessenheit zu geraten und das umso mehr, weil er sich sp¨ater von der Quantenmechanik lossagte, die er f¨ ur eine unzul¨angliche Theorie hielt.
1.3 Genie im Einweckglas Einsteins Wunsch, seinen K¨ orper verbrennen zu lassen, erf¨ ullte sich nicht ganz so, wie es seine Absicht war. Der Pathologe Thomas Harvey, der die Obduktion durchf¨ uhrte, entnahm Einsteins Gehirn eigenm¨achtig und verwahrte es. Er entnahm auch die Augen und u ¨bergab sie Einsteins ehemaligem Augenarzt. Als die Sache herauskam und Harvey in die Enge getrieben wurde, holte er von Einsteins Sohn Hans eine widerwillige Zustimmung zu seiner Maßnahme ein. Nach einiger Zeit wurde Harvey von seiner Pathologenstelle entlassen, weil er nicht bereit war, das Gehirn einem Krankenhaus zur Verwahrung zu geben.
1.4 Einstein lebt
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Harvey war kein Hirnspezialist, aber er hoffte, daß man in Einsteins Gehirn besondere Eigenschaften finden w¨ urde, die Aufschluß u ¨ber das Genie geben. Er hatte das Gehirn vier Jahrzehnte in seinem Besitz – in 240 Teile zerlegt und in zwei Konservengl¨aser verpackt – und er n¨ otigte einer Reihe von Hirnforschern Proben davon auf. Seine Ziele waren aufrichtig und er versuchte nicht, mit Einsteins Gehirn reich zu werden. Er nahm den Schatz in Amerika u ¨berall dorthin mit, wohin ihn das Schicksal verschlug. Er bot Einsteins Enkeltochter das Gehirn an, aber aus irgendeinem Grund interessierte sie sich nicht f¨ ur das Glas, in dem sich ein gutes Kilo ihres Großvaters befand. ¨ Uber die physiologische Struktur des Einsteinschen Gehirns sind drei wissenschaftliche Ver¨ offentlichungen erschienen, die letzte im Jahr 1999 in der angesehenen britischen Zeitschrift The Lancet. Man fand im Gehirn nichts Wunderbares, außer daß es mehr als zehn Prozent kleiner war als das Gehirn eines durchschnittlichen Mannes; es hatte die Gr¨oße eines Frauenhirns. Das ¨ ist an und f¨ ur sich eine Uberraschung, weil Einstein einen großen Kopf hatte, wie seine Mutter bereits w¨ ahrend der Geburt feststellen konnte. Harvey gab Einsteins Gehirn in den 1990er Jahren schließlich dem Krankenhaus von Princeton zur¨ uck. Dort befindet es sich noch immer, an einem geheimen Platz. Auf Wunsch steht Einsteins Gehirn aber Forschern zur Verf¨ ugung und kann von Journalisten bewundert werden. Unl¨angst erhielt ein italienischer Hirnforscher eine Gehirnprobe, um zu kl¨aren, ob Einstein an Demenz litt. Sicher sind noch viele andere Untersuchungen zu erwarten, denn Einsteins Name garantiert den Autoren eine todsichere Publizit¨at, egal wie signifikant diese Untersuchungen und ihre Ergebnisse sind.
1.4 Einstein lebt Im toten Gehirn Einsteins hat man also vergeblich nach physiologischen Spuren seines Genies gesucht. Im Gegensatz hierzu braucht man in der Physik u ¨berhaupt nicht nach den Spuren seines Genies zu forschen, denn diese treten uns u ¨berall entgegen. Wenn wir an Einsteins Lebenswerk erinnern wollten, dann k¨onnten wir Blumen an jeder Automatikt¨ ur niederlegen, jedes Kopierger¨at, jeden CD-Player, jeden DVD-Player und jede Digitalkamera mit Schleifen schm¨ ucken, und wir k¨ onnten jeder Fernbedienung zuprosten, die auf der Couch, auf dem Tisch oder auf dem Fußboden herumliegt. Wie unzul¨anglich w¨are doch unser Weltbild, wenn wir nicht w¨ ußten, daß Molek¨ ule und Atome tats¨achlich existieren, daß es im Weltall Millionen und Abermillionen von Schwarzen L¨ochern gibt, und daß das Universum expandiert. Einsteins Werk hat unser Weltbild geformt und seine Spuren sind in n¨ utzlichen und unentbehrlichen Dingen des t¨ aglichen Lebens sichtbar. Es ist sein Verdienst, daß wir leichter leben und mehr wissen. Einsteins Weg zum Wissenschaftler war schwierig, aber der grenzenlose Glaube an die eigenen F¨ ahigkeiten f¨ uhrte ihn zu großartigen Leistungen. Er war ein besonderer Mensch, scharfz¨ ungig, radikal und von Widerspruchsgeist
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durchdrungen, in seinen menschlichen Beziehungen selbsts¨ uchtig und auch gnadenlos. Er konnte auch arrogant und provozierend selbstbewußt sein, weswegen er nicht zu den Lieblingssch¨ ulern der Lehrer geh¨orte. Sogar in Wissenschaftlerkreisen z¨ ahlte er nicht zu den Beliebtesten. Er hatte nicht viele Partner, mit denen er zusammenarbeitete, und er hat auch keinen einzigen Nachwuchsforscher herangezogen. Er versuchte, alles nach seinem eigenen Kopf zu tun. Er riß sich entschlossen auch von den pers¨onlichen Fesseln der Erwartungen, W¨ unsche und primitiven Gef¨ uhle los, um – wie er selbst sagte – m¨oglichst frei zu sein. Er war einer der unabh¨ angigsten und freiesten Menschen, die die Erde jemals gesehen hat. Die Physik war f¨ ur Einstein alles und vor der Natur verneigte er sich demutsvoll, sie entsch¨ adigte ihn f¨ ur die Religion. Man sagt, Physik sei eine Experimentalwissenschaft, aber Einstein zeigte, daß sie auch eine theoretische Wissenschaft ist. Seine wichtigsten Entdeckungen waren das Ergebnis reinen Denkens. Das Unbegreiflichste an der Natur bestand seiner Meinung nach darin, daß der Mensch deren Wirkungsprinzipien mit seinem Gehirn verstehen kann, wenn auch oft nur sehr m¨ uhsam. Viele wichtige Einsichten entstammten seinem eigenen Gehirn, aber er stand dem¨ utig vor unserer immer gr¨oßer erscheinenden Unwissenheit. Er wollte nicht an der ihm zu Ehren veranstalteten Feier zum 50. Jahrestag der Relativit¨ atstheorie teilnehmen, weil der Mensch noch viel zu wenig u ¨ber die fundamentalen Geheimnisse der Natur wisse und weil dieser Umstand keine ger¨ auschvolle Feier rechtfertige. Auch auf seinem Sterbebett bl¨atterte er noch seine Berechnungen durch. Aber der Teufel z¨ahlt ” die Jahre gewissenhaft“ und der letzte große Fund blieb aus.
2 ¨ Die Zeit des Athers
Einstein erhielt seine Anregungen durch die Arbeiten zum Elektromagnetismus, der im 19. Jahrhundert seine Bl¨ utezeit hatte. Zu den bedeutendsten Pionieren geh¨ orten William Thomson (Lord Kelvin), Michael Faraday, James Clerk Maxwell und Hendrik Antoon Lorentz. Der Welt¨ ather war eine allgemein akzeptierte wissenschaftliche Hypothese. Einstein betrat die B¨ uhne der Physik in dem Augenblick, als man glaubte, daß sich das St¨ uck bereits dem Ende zuneige. Isaac Newton (1642–1727) hatte die Physik im 17. Jahrhundert zu einer exakten Wissenschaft gemacht, indem er die mathematischen Grundlagen f¨ ur die Beschreibung der mechanischen Ph¨anomene schuf. Mit Hilfe der Newtonschen Bewegungsgesetze vermochte man die Welt sehr lange zu erkl¨ aren und seine Gravitationstheorie verband die Bewegung der Gestirne mit den Alltagsph¨ anomenen, zum Beispiel mit dem F¨allen eines Apfelbaums oder mit dem Fallen eines Apfels von einem Baum. Die mechanistische Weltanschauung hatte eine feste Position errungen. Mit großen Schritten hatte die Erforschung der Elektrizit¨at und des Magnetismus die Physik im 19. Jahrhundert dennoch in eine neue Zeit gef¨ uhrt. Man versuchte, die neuen Ph¨ anomene mit der Mechanik in Einklang zu bringen. In der zweiten H¨alfte des Jahrhunderts glaubten viele tats¨achlich, daß die Synthese erfolgreich gewesen sei, und daß es in der Physik nichts mehr zum Erforschen gebe. Es herrschte die Meinung, daß man nun Hammer und Axt beiseite legen k¨onne und an den Einzelheiten nur noch etwas herumfeilen m¨ usse, um ihnen den letzten Schliff zu geben. Neue Physik, so hieß es, k¨onne erst ab der f¨ unften Nachkommastelle gefunden werden. Vier M¨anner spielten im 19. Jahrhundert die Schl¨ usselrollen bei der Erforschung des Elektromagnetismus und wiesen die Richtung zur neuen Physik: William Thomson, Michael Faraday, James Clerk Maxwell und Hendrik Antoon Lorentz. William Thomson, der sp¨ atere Lord Kelvin, war derjenige von ihnen, der der alten mechanistischen Physik am treuesten blieb. Er man¨ovrierte die Physik mit seinen Arbeiten tief in die Sackgasse, die sp¨ater
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¨ 2 Die Zeit des Athers
zum entscheidenden Durchbruch f¨ uhrte. Faraday war ein unvoreingenommener Experimentator, der seiner Zeit mit der Interpretation seiner Messungen elektrischer und magnetischer Ph¨ anomene weit voraus war. Maxwell war ein gl¨anzender Theoretiker: die von ihm abgeleiteten Gleichungen zeigten den Zusammenhang zwischen Elektrizit¨ at und Magnetismus auf und f¨ uhrten dazu, die Existenz elektromagnetischer Wellen vorherzusagen. Seine Theorie befand sich in einer entscheidenden Phase, als die mechanistische Weltanschauung ihre Herrschaft aufgeben mußte. Aber er war ein Revolution¨ar wider Willen und kam nie von der alten Physik los. Hendrik Antoon Lorentz gab den Maxwellschen Gleichungen einen physikalischen Inhalt, indem er erkl¨arte, daß Magnetismus und Elektrizit¨ at auf geladene Teilchen – auf Elektronen – zur¨ uckzuf¨ uhren seien, aber auch er kam nicht los von der Newtonschen Physik. Der Kern der mechanistischen Beschreibung des Elektromagnetismus war ¨ der Welt¨ather, kurz als Ather bezeichnet. Er war eine den ganzen Raum ¨ ausf¨ ullende hypothetische Substanz, mit der man die Ubertragung der elektromagnetischen Kraft zwischen weit voneinander entfernten Ladungen und ¨ Magneten ebenso erkl¨ arte wie die Wellenbewegung des Lichtes. Die Athertheorie begann im 17. Jahrhundert mit dem in Frankreich und in den Niederlan¨ den wirkenden Philosophen Ren´e Descartes, nach dessen Uberzeugung der ¨ leere Raum schon als Gedanke unm¨ oglich sei. Der Ather hatte also eine lange Geschichte und viel Zeit, im Ged¨ achtnis der Wissenschaftler Wurzeln zu ¨ schlagen. Faraday hatte es fertiggebracht, den Ather abzulehnen. Thomson, Maxwell und Lorentz konnten sich hingegen nie aus dem berauschenden Griff ¨ des Athers befreien – er war dauerhafter Bestandteil ihres physikalischen Welt¨ bildes. Sie nahmen den Ather auch mit in ihr Grab.
2.1 Der K¨ onig der Viktorianischen Physik William Thomson (1824–1907) war der Sohn eines Mathematikprofessors der Universit¨at Glasgow und verbrachte fast sein ganzes Leben in seiner Geburtsstadt. Seine Mutter starb fr¨ uh und die Erziehung der Kinder oblag fortan allein dem Vater. Der Vater wandte strenge presbyterianische Erziehungsprinzipien an. Jeden Sonntagmorgen las er der Familie aus dem Alten Testament vor und am Abend war das Neue Testament an der Reihe. Thomson wurde als Zehnj¨ahriger an der Universit¨ at Glasgow immatrikuliert, denn damals konkurrierten Schottlands Universit¨ aten mit den Schulen um die besten Sch¨ uler und Thomson war ein gescheiter Junge. Er begann sein eigentliches Universit¨atsstudium im Alter von vierzehn Jahren und setzte das Studium sp¨ater mit ausgezeichnetem Erfolg an der Universit¨ at Cambridge in England fort. Nach seinem Abschluß verbrachte er einige Zeit in Paris, bis er 1846 im Alter von 22 Jahren zum Professor der Naturphilosophie – das heißt, der Physik – an die Universit¨at Glasgow berufen wurde. Sein Vater zierte sich nicht und war als Lobbyist f¨ ur ihn aktiv. Nachdem Thomson eine feste Stelle erhalten hatte, ließ er sich durch nichts mehr dazu verleiten, in den S¨ uden zur¨ uckzukehren.
2.1 Der K¨ onig der Viktorianischen Physik
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Thomson war scharfsinnig und begeisterungsf¨ahig. Er widmete sich leidenschaftlich jeweils einer neuen Forschungsidee, arbeitete ein paar Wochen intensiv daran, verbannte sie schließlich aus seinem Ged¨achtnis und richtete sein Interesse auf ein neues Thema. Und ganz gleich, welches Problem er anpackte, er fand immer etwas Neues. Seine Ver¨ offentlichungen waren gl¨anzende Analysen einer Idee und hatten im Allgemeinen einen Umfang von wenigen Seiten. Auf diese Weise kam eine lange Publikationsliste zusammen: Thomsons Liste enth¨alt mehr als sechshundert Titel. Viele der Thomsonschen Publikationen waren epochemachend und er geh¨ orte zur Wissenschaftlerelite des 19. Jahrhunderts. Noch als Studienanf¨ anger in Cambridge bemerkte Thomson, daß die mathematischen Gleichungen, die man zur Beschreibung der Elektrostatik und der W¨armeleitf¨ ahigkeit verwendet, einander sehr ¨ahnlich sehen. Die Str¨omungsgeschwindigkeit der W¨ arme in Richtung Oberfl¨ache wird umgekehrt proportional zum Quadrat des von der Quelle gemessenen Abstands kleiner. Ein Kamin w¨armt in einem Abstand von einem Meter viermal so stark wie in einem Abstand von zwei Metern. In gleicher Weise wird das elektrische Feld schw¨acher, wenn der Abstand zur elektrischen Ladung zunimmt. Thomson schrieb 1841 u ¨ ber diese Analogie einen Artikel, der seine erste Ver¨offentlichung auf dem Gebiet der Physik war. ¨ Uber Thomson ist gesagt worden, daß es ihm in der ersten H¨alfte seiner Laufbahn nicht gelang, etwas falsch zu machen, und daß er es in der zweiten H¨alfte nicht schaffte, richtige Ergebnisse zu erzielen. Thomsons wesentlicher Beitrag zur Erforschung des Elektromagnetismus fiel zeitlich tats¨achlich mit dem Beginn seiner Laufbahn zusammen. Viele seiner Erfindungen beruhten ¨ auf den Ahnlichkeiten zwischen elektrischen und magnetischen Ph¨anomenen, ¨ zwischen W¨armelehre und Str¨ omungslehre – er wertete diese Ahnlichkeiten meisterhaft aus. Er war mit der W¨ armelehre, das heißt, mit der Thermodynamik1 , gut vertraut, denn diese war u ¨ berwiegend sein eigenes Geistesprodukt. Er hat die Thermodynamik vor allem zusammen mit James Joule untersucht. Thomson ist als Erfinder der absoluten Temperaturskala in die Geschichte eingegangen und ihm zu Ehren wird heute in der Wissenschaft der Name Kelvin als Temperatureinheit verwendet. Lord Kelvin (of Largs) ist der sp¨ater von Thomson angenommene Adelsname. Auf der Kelvin-Skala gibt es keine Minusgrade, denn die niedrigstm¨ ogliche Temperatur auf dieser Skala ist Null, der absolute Nullpunkt. Der Name Joule lebt seinerseits als Energieeinheit weiter. Thomson wollte die verschiedenen Theorien u ¨ber die Beschaffenheit der Elektrizit¨at und des Magnetismus zusammenfassen. Das Endresultat war ein 1
Der Begriff Thermodynamik wird oft als gleichbedeutend mit W¨ armelehre betrachtet. Die Thermodynamik wird jedoch von einer Reihe von Autoren auch als derjenige Teil der W¨ armelehre aufgefaßt, der sich besonders mit der Bewegung und dem Austausch von W¨ armemengen und den dabei stattfindenden Zustands¨ anderungen besch¨ aftigt.
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¨ 2 Die Zeit des Athers
¨ Gedankengeb¨aude, dessen allumfassend bindender Faktor der Ather war. Nach Auffassung Thomsons wird der Raum durch ein nicht komprimierbares und reibungsloses Medium ausgef¨ ullt, auf das keinerlei Kr¨afte wirken und aus dessen Bewegung schließlich alle mechanischen Ph¨anomene folgen. Es handelt ” sich um eine Substanz, die im Vergleich zu Luft sehr viel d¨ unner ist – Millionen und Abermillionen Mal d¨ unner. Ich glaube, daß es sich um eine reale Substanz handelt, und obgleich sie d¨ unn ist, hat sie doch eine sehr feste Struktur. Sie kann auch 400 Millionen Millionen Male pro Sekunde schwingen; und dennoch ist die Dichte so beschaffen, daß ein K¨orper nicht auf den geringsten ¨ Widerstand trifft, wenn er sich durch den Ather bewegt.“ Thomson glaubte nicht an Atome, sondern dachte, daß das, was man als Atome bezeichnet, ¨ nichts anderes sei als vom Ather gebildete Wirbel. Das alte Thomsonsche Schiff schwamm so tief im traditionellen Denken der Physik, daß es nicht mehr bereit war, beizudrehen, als an der Schwelle zum 20. Jahrhundert neue Winde zu wehen begannen. Es war der letzte Ozeandampfer der klassischen Physik. Ich bin erst dann zufrieden, wenn ich ” von einer Sache ein mechanisches Modell herstellen kann. Bin ich dazu in der Lage, dann kann ich sie verstehen. Wenn ich mir nicht in jeder Hinsicht ein mechanisches Modell machen kann, dann kann ich sie auch nicht verstehen.“ So faßte Thomson seine Newtonsche Denkweise zusammen. Er glaubte also weder an Atome noch an die Maxwellsche Theorie des Elektromagnetismus und er glaubte auch nicht an die Radioaktivit¨at. Er glaubte nicht einmal an die Darwinsche Evolutionstheorie, weil entsprechend seinen Berechnungen die Sonne nicht u ¨ber einen so langen Zeitraum Licht und W¨arme ausgestrahlt haben konnte, wie es die Entwicklung des organischen Lebens laut Evolutionstheorie erfordert h¨ atte. Damals war nicht bekannt, daß im Inneren der Sonne Kernreaktionen stattfinden, die die Sonne f¨ ur Milliarden von Jahren in ” Betrieb“ halten. Thomson hatte nicht viel Zeit, sich mit der Speziellen Relativit¨atstheorie vertraut zu machen, weil er 1907 starb, einige Jahre nach deren Entdeckung. Man darf jedoch vermuten, daß er auch daran nicht geglaubt h¨atte.
2.2 Faraday Michael Faraday (1791–1867) kam aus kleinen Verh¨altnissen. Sein Vater war ein armer und kr¨ anklicher Schmied in der N¨ahe von London. Die Familie geh¨orte der kleinen religi¨ osen Sekte der Sandeman-Kirche an und Faraday erhielt die Grundschulausbildung in der Schule, die von der Sekte betrieben wurde. F¨ ur die Anh¨ anger der Sandeman-Kirche war die Bibel die absolute Autorit¨at und sie erkannten keine anderen Autorit¨aten an. Gen¨ ugsamkeit war eine ihrer Tugenden. Faraday blieb sein ganzes Leben lang ein frommer Anh¨anger der Sandeman-Kirche und war einige Zeit sogar als Seelsorger der Londoner Gemeinde seiner Sekte t¨ atig. Die Sekte erlosch 1992, nachdem ihr letzter Vertreter den Weg alles Irdischen gegangen war. Die von Faraday
2.2 Faraday
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vertretenen religi¨osen Ideen sind also ausgestorben, aber seine unermeßlich wertvollen Gedanken zur Physik leben weiter. Die Laufbahn als Wissenschaftler war nicht die wahrscheinlichste aller Alternativen, die Faraday zu Beginn hatte. Im Unterschied zu William Thomson entstammte Faraday keiner wohlhabenden Familie, aber das Leben meinte es gut mit ihm. Zur entscheidenden Wende kam es, als er vierzehn Jahre alt war. Er begann die Lehre in einer Londoner Buchhandlung und Buchbinderei. Sein Meister war ein Franzose, der vor den Unbilden der Revolution nach England geflohen war, ein gebildeter, freundlicher und anspornender Mann, das ganze Gegenteil der u ¨berfressenen, schweißgesichtigen und rohen Typen, die man aus Charles Dickens’ Erz¨ ahlungen kennt. Faraday hatte freien Zugang zu den B¨ uchern des Meisters und durfte diese nach Herzenslust studieren. Das Hinterzimmer des Gesch¨ aftes stand Faraday f¨ ur seine kleinen wissenschaftlichen Experimente zur Verf¨ ugung. Die B¨ ucher erweckten in ihm ein euphorisches Interesse f¨ ur Chemie. Als Faraday neunzehn Jahre alt war, schloß er sich dem Londoner Naturwissenschaftlichen Verein an und nahm regelm¨aßig an den Vortr¨agen und Diskussionen u ¨ber Physik und Chemie teil. Hinter dem eindrucksvollen Namen des Vereins verbarg sich ein bescheidener Klub junger M¨anner, in dem die neuesten Ergebnisse der Naturwissenschaften und andere aktuelle Dinge diskutiert wurden. Die Mitglieder des Vereins hielten der Reihe nach Vortr¨age. Faraday fertigte sorgf¨ altig Notizen u ¨ber die Vortr¨age an und band die Aufzeichnungen an seinem Arbeitsplatz zu B¨ uchern. Sein Meister zeigte diese B¨ ucher u ¨ blicherweise seinen guten Kunden. Die Kunden wiederum verbreiteten die Kunde von Faradays Leidenschaft f¨ ur Naturwissenschaften. Dadurch bekam er vier Eintrittskarten f¨ ur die Vorlesungen, die der bekannte Chemiker Sir Humphry Davy (1778–1824) in der Royal Institution hielt. Faraday war begeistert. Graf Rumford (Benjamin Thompson), ber¨ uhmt wegen seiner Untersuchungen zur Thermodynamik, hatte 1800 die Royal Institution als vereinigtes Museum f¨ ur Naturwissenschaften und als Lehr- und Forschungszentrum gegr¨ undet. Der Graf hatte außerdem den jungen Davy als Direktor eingestellt. Davy wiederum machte die Einrichtung ber¨ uhmt. Seine ¨offentlichen Vorlesungen waren so beliebt, daß die Straße vor dem Institut stets vollst¨andig mit Pferdegespannen zugeparkt war und deswegen zur Einbahnstraße erkl¨art werden mußte – die erste in ganz London. Auch die Eintrittskarten waren nur schwer zu bekommen. Die Frauen fielen eindrucksvoll in Ohnmacht, als sie Davy h¨orten, und schrieben ihm Gedichte. Von einem derartigen Erfolg wagen die heutigen Organisatoren und Redner popul¨arwissenschaftlicher Veranstaltungen nicht einmal zu tr¨ aumen! Humphry Davy war nicht nur ein gl¨ anzender Vortragender, sondern auch der bedeutendste europ¨ aische Chemiker seiner Zeit, ein echter Superstar der Wissenschaft. Seine wichtigsten Arbeiten hingen mit der Elektrochemie zusammen. Der Italiener Volta hatte 1800 folgende Beobachtung gemacht: Taucht man zwei aus unterschiedlichen Metallen bestehende Platten nahe bei-
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einander in eine geeignete Fl¨ ussigkeit, dann entsteht zwischen den Platten eine Spannung und in einem Leiter, der die Platten miteinander verbindet, beginnt Strom zu fließen. Davy erkl¨ arte den chemischen Ursprung dieser Erscheinung. Die Funktionsweise elektrischer Batterien beruht auf diesem Ph¨anomen. Er entdeckte auch, wie chemische Verbindungen mit Hilfe von Elektrizit¨at getrennt werden k¨onnen. Auf diese Weise fand er viele neue Elemente, zum Beispiel Kalium und Natrium. Als er das Natrium entdeckte, h¨ upfte er in seinem Labor wie ein Verr¨ uckter herum, weil er glaubte, die jahrhundertealten Tr¨aume der Alchimisten verwirklicht zu haben. Eine seiner Entdeckungen war die Verwendung von Distickstoffmonoxid – als Lachgas bekannt – zu medizinischen Zwecken. F¨ ur diese Entdeckung dankten ihm unz¨ahlige geb¨arende M¨ utter und ebenso viele Patienten, die unter Dentistophobie leiden, also Angst vor dem Zahnarzt haben. Davy bemerkte die schmerzlindernde Wirkung von Lachgas zuf¨allig, als er bei seinen Versuchen Zahnschmerzen hatte. Auch ein guter Chemiker kann mal Pech haben. So war es auch bei Davy: infolge einer Explosion bekam er Chemikalien in die Augen und erblindete kurzzeitig. Faraday nutzte die Gunst der Stunde und bot sich Davy als Helfer an. Davys Erblindung war jedoch nur vor¨ ubergehend und zu Faradays großer Entt¨auschung mußte er wieder zur¨ uck in die Buchbinderei. Aber das Gl¨ uck hatte sich nicht endg¨ ultig von Faraday abgewendet. Einer der Gehilfen Davys hatte im Zustand der Trunkenheit im H¨orsaal der Royal Institution eine Schl¨agerei angezettelt und wurde gefeuert. Faraday bekam die Stelle, weil Davy nunmehr von dessen F¨ ahigkeiten u ¨ berzeugt war. Auch Faraday tat sein Bestes, um einen positiven Eindruck zu machen: er u ¨berreichte Davy ein Exemplar der detaillierten Vorlesungsmitschriften, selbstverst¨andlich in Form eines sch¨on gebundenen Buches. Auf diese Weise verwandelte sich der gelernte Buchbinder in einen fingerfertigen Lehrling f¨ ur das Chemielabor. Zu seinen ersten Aufgaben geh¨orte das Auswaschen von Davys Chemikalienflaschen. Die Bezahlung lag im Niedriglohnbereich – es war noch weniger, als ein Buchbinder erhielt –, aber Faraday war damit zufrieden. Er kam gut voran, mit der Zeit sogar so gut, daß Davy auf den Erfolg neidisch wurde. Die Sache endete mit einem Zerw¨ urfnis der beiden talentierten M¨ anner. Als Faraday seinerzeit zum Mitglied der altehrw¨ urdigen Royal Society gew¨ ahlt wurde, stimmte Davy als Einziger gegen ihn. Im Jahr 1825 erbte Faraday Davys Stelle als Leiter des Labors und wurde auch zum Professor der Chemie berufen. Er blieb der Royal Institution bis zu seinem Tode treu. Zus¨ atzlich zur Forschungst¨atigkeit auf den Gebieten der Physik und der Chemie hatte und hat die Royal Institution auch heute noch die Aufgabe, den gew¨ ohnlichen Sterblichen Kenntnisse u ¨ber die Naturwissenschaften zu vermitteln. Als Popularisierer der Wissenschaft geh¨orte Faraday zu derselben Klasse wie Davy. Seine ¨ offentlichen Freitagabendvorlesungen“ ” und seine Weihnachtsvorlesungen“ f¨ ur Kinder hatten einen legend¨aren Ruf. ” Die Tradition lebt weiter und seit 1966 werden in England die Weihnachtsvorlesungen im Fernsehen u ¨bertragen. Man trug Faraday den Adelstitel an und
2.3 Durch den Kompaß in eine neue Richtung
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bot ihm zweimal das hochgesch¨ atzte Amt des Pr¨asidenten der Royal Society ¨ an, aber er lehnte ab, offenbar wegen seiner religi¨osen Uberzeugung.
2.3 Durch den Kompaß in eine neue Richtung Der d¨anische Physiker Hans Christian Ørsted (1777–1851) machte 1820 eine interessante Beobachtung. Er bemerkte, daß sich ein in die N¨ahe eines stromdurchflossenen Leiters gebrachter Magnetkompaß2 quer zur Stromrichtung dreht. Folglich gibt es einen Zusammenhang zwischen Elektrizit¨at und Magnetismus, die man bis dahin als zwei verschiedene Ph¨anomene betrachtete. Ørsted verfaßte in lateinischer Sprache u ¨ber seine Entdeckung eine vierseitige Ver¨offentlichung, die rasch in die großen europ¨aischen Sprachen u ¨bersetzt wurde. Schon bald konnte man deswegen die Arbeit auch in Englisch in der Royal Institution lesen. Faraday verstand nicht das geringste Jota der von Ørsted vorgelegten Theorie – das war wirklich die von Immanuel Kant inspirierte deutsche Naturphilosophie in denkbar schwerverst¨ andlicher Form –, aber er war u ¨ ber alle Maßen am physikalischen Ph¨ anomen interessiert. Im Mai 1821 vertiefte er sich in seinem Labor im Keller der Royal Institution in den Vorgang. Zun¨achst wiederholte er Ørsteds Beobachtung, die deswegen so bemerkenswert war, weil die Kraft zwischen Strom und Magnetnadel eine Drehbewegung erzeugt hatte. Faraday h¨angte eine Magnetnadel frei drehbar in einen Quecksilbertrog und leitete Strom durch diese Anordnung. Unmittelbar danach begann die Magnetnadel mit ihrer Drehbewegung um den Leiter. Als der Strom ausgeschaltet wurde, h¨orte die Drehbewegung auf. Faraday entdeckte somit das Funktionsprinzip des Elektromotors, also das Prinzip, wie elektromagnetische Energie in mechanische Bewegung umgewandelt werden kann. Davy hatte dasselbe bereits fr¨ uher zusammen mit William Wollaston im gleichen Labor versucht, aber ohne Erfolg. Faraday nahm an diesen Experimenten nicht teil, dachte aber u unde des Mißerfolgs ¨ber die Gr¨ nach. Als Faraday die Ergebnisse seiner eigenen erfolgreichen Experimente ver¨offentlichte, erw¨ ahnte er weder die Versuche von Davy und Wallaston noch die dar¨ uber gef¨ uhrten Diskussionen. Das hat wahrscheinlich nicht dazu beigetragen, die Beziehungen zwischen ihm und Davy zu befeuern“. ” Faraday best¨atigte also mit seinen eigenen gr¨ undlichen Experimenten, daß Ørsted Recht hatte, das heißt, daß elektrischer Strom tats¨achlich magnetische Ph¨anomene verursacht. Er stellte sich das Ziel, zu kl¨aren, ob auch das entgegengesetzte Ph¨anomen m¨ oglich sei. L¨ aßt sich elektrischer Strom mit Hilfe eines Magneten erzeugen? In den nachfolgenden zehn Jahren rannte er in dieser Sache gegen eine Wand an. In Faradays Versuchsprotokollen finden wir 2
Unter Magnetkompaß oder Magnetnadel versteht man einen an seinem Schwerpunkt aufgeh¨ angten und in der horizontalen Ebene frei beweglichen, permanenten Stabmagneten.
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u ¨ber viele Jahre hinweg die Eintragung no effect“, aber er gab nicht auf, ” insbesondere weil aus Frankreich ermutigende Informationen u ¨ber die Experimente eintrafen, die der Astronom Dominique Arago mit einem bewegten Magneten und einer Kupferscheibe durchgef¨ uhrt hatte. Arago hatte Folgendes bemerkt: Positioniert man eine Magnetnadel u ¨ber einer sich drehenden Kupferscheibe, dann beginnt auch die Magnetnadel, sich zu drehen. Arago konnte dieses Ph¨ anomen nicht erkl¨ aren. Der Durchbruch gelang 1831. Faraday schrieb3 : Ein zweihundertunddrei ” Fuß langer Kupferdraht wurde um eine breite Holzrolle gewickelt und zwischen den Windungen desselben ein zweiter gleichfalls zweihundertunddrei Fuß langer Draht, durch dazwischengelegten Zwirnsfaden vor gegenseitiger Ber¨ uhrung gesch¨ utzt. Eine dieser Spiralen wurde mit einem Galvanometer verbunden und die andere mit einer kr¨ aftigen Batterie von hundert vierquadratz¨olligen Plattenpaaren, die Kupferplatten wiederum doppelt. Wurde nun die Kette geschlossen, so zeigte sich eine pl¨ otzliche, aber sehr schwache Wirkung am Galvanometer, und dasselbe trat ein im Moment der Unterbrechung des Stromes. Aber solange der Strom ununterbrochen durch die eine Spirale hindurchging, konnte weder am Galvanometer noch sonst eine Induktionswirkung auf die andere Spule wahrgenommen werden, obschon von der großen St¨arke der Batterie die Erw¨ armung der ganzen mit ihr verbundenen Spirale und die Helligkeit des Entladungsfunkens, wenn er zwischen Kohlen u ¨bersprang, Zeugnis ablegte.“ Faraday hatte die elektromagnetische Induktion entdeckt. Der Strom hatte in der Batteriespule ein Magnetfeld erzeugt und dieses Magnetfeld induzierte Strom in der zweiten Spule. Wesentlich da¨ bei war, daß die Induzierung des Stromes auf die Anderung des Magnetfeldes zur¨ uckzuf¨ uhren war und nicht durch das Feld an sich verursacht wurde. Diese M¨oglichkeit war Faraday fr¨ uher nicht in den Sinn kommen. Wenn der Strom in einer Batteriespule konstant war und das dadurch verursachte Magnetfeld unver¨andert blieb, dann passierte in der zweiten Spule nichts. Faraday verstand jetzt auch den von Arago beobachteten Effekt: Der Magnet der Magnetnadel induziert Strom in der stromleitenden Kupferscheibe, weil sich Magnet und Platte relativ zueinander bewegen. Dieser Strom erzeugt seinerseits das Magnetfeld, das die Magnetnadel bewegt. Faradays fr¨ uherer Arbeitskollege Charles Wheatstone, Samuel Varley und der Deutsche Werner von Siemens erfanden 1867 unabh¨angig voneinander den auf Induktion beruhenden Generator, das heißt, den bekannten Dynamo, den wir auch als die Stromquelle von Fahrradlampen kennen. Von nun an hing die Stromerzeugung nicht mehr von Batterien ab. Wheatstone war ein besonders erfinderischer Mann, denn er baute auch den ersten funktionst¨ uchtigen Telegraphen, der ebenfalls auf dem Induktionsprinzip beruhte. Das war noch nicht alles, denn er k¨ ummerte sich auch um die Unterhaltungsindustrie, indem er das Akkordeon und die Mundharmonika erfand. Diese Erfindungen hatten 3
¨ ¨ Michael Faraday: Uber die Induction elektrischer Str¨ ome (1831). Ubersetzung von S. Kalischer (1889).
2.4 Die Welt wird klein
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nichts mit der Induktion, wohl aber mit der Tatsache zu tun, daß Wheatstone aus einer ber¨ uhmten Musikinstrumentenbauerfamilie stammte. Von Siemens gr¨ undete seinerseits das Industrieunternehmen, das immer noch als Hersteller der verschiedenartigsten elektrischen Ger¨ ate floriert. Faraday selbst meldete kein einziges Patent an, obwohl die Anwendungsm¨oglichkeiten vieler seiner Erfindungen offensichtlich waren. Er konzentrierte sich auf die Forschung und ließ andere Geld scheffeln.
2.4 Die Welt wird klein Der Telegraph war einst eine mindestens ebenso revolution¨are Erfindung wie heutzutage das Internet. Auch damals sagte man, daß die Welt ein Dorf wurde. Durch den Atlantik wurde ein Telegraphenkabel von New York u ¨ber Neufundland nach Irland verlegt und K¨ onigin Victoria sandte dem Pr¨asidenten der Vereinigten Staaten, Buchanan, anl¨ aßlich der Einweihung im August 1858 aus ¨ England eine Nachricht. Die Ubertragung dieser aus 99 W¨ortern bestehenden Nachricht dauerte sechzehneinhalb Stunden. Das Kabel wurde in New York mit Salutsch¨ ussen, Feuerwerk, Fahnenschwenken und L¨auten der Kirchenglocken gefeiert. In diesem Tohuwabohu fing sogar das New Yorker Rathaus Feuer. Drei Wochen nach der Einweihung der Verbindung funktionierte das Kabel auf einmal nicht mehr. Zur Verst¨ arkung des Signals erh¨ohte man die Stromzufuhr, weswegen die Guttapercha-Isolierung versagte. Viele Menschen verloren ihr Verm¨ogen infolge dieser technischen Kinderkrankheiten. Ein uns bekannter Mann eilte zu Hilfe: William Thomson erfand ein Medium, mit dem das System zuverl¨assiger und schneller funktionierte. Zus¨atzlich zu seinem mathematischen Genie besaß Thomson auch praktische Fertigkeiten und Kreativit¨at, die er jetzt nutzte. Er wurde schließlich Anteilseigner der Gesellschaft, welche die Telegraphenleitung errichtet hatte und 1866 ein neues Kabel verlegte. Die Patente im Zusammenhang mit dem Telegraphen und seine T¨atigkeit als Berater brachten Thomson einen h¨ ubschen Geldbetrag ein. Er kaufte sich ein komfortables Haus an der Meeresk¨ uste und eine große Jacht. Er erhielt auch den Adelstitel wegen des Telegraphen, nicht f¨ ur seine wissenschaftlichen Leistungen. Thomson nahm den Adelstitel Kelvin nach einem kleinen Fluß an, der im Gebiet der Universit¨ at Glasgow fließt. Lord Kelvin wurde als gefeierte Ber¨ uhmtheit in der Westminster Abbey neben Isaac Newton beigesetzt. Kelvin erging es besser als dem tats¨ achlichen Organisator des Kabelprojektes, dem amerikanischen Pechritter Cyrus Field, der sein riesiges Verm¨ogen, das er bei dem Projekt erworben hatte, an der unbarmherzigen B¨orse der Wall Street an einem einzigen Tag bis auf den letzten Dollar verlor. Das 1866 verlegte Kabel ruht – bereits seit langer Zeit ungenutzt – immer noch auf dem Boden des Atlantiks.
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2.5 Verschwommene Eindru ¨cke meines Verstandes“ ” Faraday war vor allem ein Experimentator und seine Erfindungen f¨ uhrten bereits zu seinen Lebenszeiten zu bedeutenden Anwendungen. Aber er hatte auch theoretische Ideen. Deren wichtigste war der Begriff des Feldes, der mit der Erkl¨arung der Fernwirkung von Kr¨ aften zusammenh¨angt. Wie wird die Anziehungskraft der Erde zum Mond u ¨ bertragen und wie bewegt diese Kraft den Mond um die Erde? Wie bewirkt ein elektrischer Leiter, daß sich eine Magnetnadel dreht? Man dachte allgemein, daß manche Kr¨afte nur zuf¨allig eine solche Eigenschaft h¨ atten, und daß deswegen kein Anlaß best¨ unde, sich dar¨ uber den Kopf zu zerbrechen. Faraday hielt es jedoch f¨ ur lohnenswert, u ¨ber die Sache genauer nachzudenken. Er machte folgendes Gedankenexperiment: Angenommen, jemand zaubert die Erde pl¨ otzlich aus dem Nichts an ihren Platz im Sonnensystem. Wie w¨ urde die Erde im gleichen Moment draufkommen, daß sich die Sonne in einer Entfernung von 150 Millionen Kilometern befindet, und daß sich die Erde entsprechend der von der Sonne verursachten Gravitation bewegen muß? Faradays Antwort war, daß sich die Gravitationswirkung der Sonne keinesfalls von der Sonne zur Erde bewegt“, sondern die ganze Zeit in jedem ” Teil des Raums vorhanden ist. Er beschrieb dieses Vorhandensein mit dem Wort Feld“. Im Raum gibt es ein Schwerefeld der Sonne und dieses bewirkt ” lokal die Bewegung der Himmelsk¨ orper, das heißt, das Schwerefeld tritt dort in Erscheinung, wo sich der betreffende Himmelsk¨orper zur gegebenen Zeit befindet. Dasselbe gilt nach Faraday auch f¨ ur die anderen Fernwirkungen und somit auch f¨ ur die Elektrizit¨ at und f¨ ur den Magnetismus. Eine elektrische Ladung ist von einem elektrischen Feld umgeben und ein Magnet von einem Magnetfeld. Inspiriert durch Ørsteds Ergebnis f¨ uhrte Davy ein Experiment durch, in dem er rund um einen elektrischen Leiter Eisenfeilsp¨ane auf eine Platte streute. Die Sp¨ane bildeten Ringe um den Leiter. Das ist ein bekanntes Ph¨anomen aus dem Schulunterricht in Physik: Ein unter einem Papier befindlicher Magnet f¨ uhrt dazu, daß sich Eisenfeilsp¨ ane in linienf¨ormigen Mustern anordnen. Dieses Ph¨anomen brachte Faraday auf die Idee, Magnetfelder, elektrische Felder und Schwerefelder mit Hilfe von Kraftlinien – auch Feldlinien genannt – zu beschreiben. Laut Faraday erfolgt die Fernwirkung der Kr¨afte nicht u ¨ber den leeren Raum; vielmehr ist der Raum voller Kraftlinien, die als st¨andige lokale Repr¨asentaten des betreffenden Feldes fungieren. Nicht der weit entfernte Verursacher der Kraft, sondern die Kraftlinien sagen der Magnetnadel, wie sie sich verhalten muß. Eine Kraftlinie gibt die Richtung der Kraft an und je st¨arker das Feld an irgendeiner Stelle ist, desto dichter verlaufen dort die Kraftlinien. Die von einer elektrischen Ladung – zum Beispiel von einem Elektron – ausgehenden Kraftlinien verlaufen in der N¨ ahe der Ladung dicht, aber je weiter wir uns von der Ladung entfernen, desto mehr gehen die Kraftlinien auseinander. In
2.5
Verschwommene Eindr¨ ucke meines Verstandes“ ”
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der N¨ahe der Ladung ist die elektrische Kraft also am gr¨oßten, und sie wird kleiner, wenn der Abstand zur Ladung zunimmt. Faraday ¨außerte 1846 die unvoreingenommene Idee, daß das Licht eine Schwingung der Kraftlinien eines elektrischen Feldes sein k¨onnte. Es war bekannt, daß Licht eine Art Schwingungsbewegung ist, aber gem¨aß der herr¨ schenden Vorstellung handelte es sich um eine Wellenbewegung des Athers. ¨ Faraday lehnte den Ather ab und ersetzte ihn durch Kraftlinien. Gem¨aß Faraday ist der Raum durch die verschiedenen Kraftlinien des elektrischen Feldes, des Magnetfeldes und des Schwerefeldes ausgef¨ ullt, und auch Materie ist nichts anderes, als eine komplexe Verdichtung der Kraftfelder. Er dachte, daß das Licht eine Schwingung von Kraftlinien sei, ebenso wie die W¨armestrahlung. Laut Faraday kann eine Schwingung im materiefreien Raum stattfinden. ¨ Dieser Gedanke war in der Zeit des Athers sehr ketzerisch und wurde als uninteressant abgetan. Man sprach bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ernsthaft ¨ u das Ende des 19. Jahrhunderts war das eigentliche Goldene ¨ber den Ather; ¨ Zeitalter des Athers. Faradays mathematische Fertigkeiten reichten nicht aus, um aus diesen Ideen ordentliche Theorien zu machen. Es waren nur Spekulationen von mir, ” verschwommene Eindr¨ ucke meines Verstandes“, stellte er fest und ihm war klar, daß die Ideen der Physik ohne eine ordnungsgem¨aße mathematische Formulierung bloße Ideen bleiben. Erst in den H¨ anden von James Clerk Maxwell wurden die Feldlinien und die Felder zu einer mathematischen Theorie.
3 Die besten Gleichungen der Welt
James Clerk Maxwell schuf eine mathematische Theorie f¨ ur Faradays Felder und zeigte, daß elektrische Felder und Magnetfelder zusammenh¨ angen. Er ¨ sagte die elektromagnetischen Wellen vorher. Die Atherhypothese brachte er indes nicht zu Fall. Die englische Fachzeitschrift Physics World f¨ uhrte vor einiger Zeit bei Forschern eine Umfrage dar¨ uber durch, was die wichtigste wissenschaftliche Formel sei, die je von einem Menschen gefunden worden ist. Den Wettstreit gewann nicht die ber¨ uhmteste Gleichung aller Zeiten, Einsteins E = mc2 , auch nicht das zweite Newtonsche Gesetz F = ma, und nicht einmal 1 + 1 = 2, die wichtigste Gleichung der Mathematik, sondern eine Gruppe von vier Formeln, die James Clerk Maxwell in den 1860er Jahren abgeleitet hatte. Die Maxwellschen Gleichungen waren die mathematische Fassung der elektrischen Felder und der Magnetfelder von Faraday. Maxwell schuf damit die Theorie des Elektromagnetismus und seine Gleichungen waren f¨ ur die sp¨atere Entwicklung der Wissenschaft von unermeßlicher Bedeutung. James Clerk Maxwell (1831–1879) war Schotte. Sein Vater John Clerk hatte von seinen Verwandten, den Maxwells, ein f¨ unfhundert Hektar großes Landgut in S¨ udwest-Schottland geerbt. Die Familie zog von Edinburgh dorthin und der Vater nahm den Familiennamen Maxwell an. James wurde seinerzeit zur Ausbildung auf die Edinburgher Akademie (eine 1824 gegr¨ undete angesehene Sekundarschule) geschickt, weil der zuhause erteilte Privatunterricht aufgrund des schlechten Lehrers nicht die Ergebnisse brachte, die sich der Vater erhofft hatte. Der junge Mann, der einen l¨andlichen Dialekt sprach und eine vom Vater entworfene Schulkleidung trug (die Mutter war bereits gestorben), hatte an der Akademie keinen besonders ermutigenden Start. Die Mitsch¨ uler beschlossen, ihm zu zeigen, aus welchem Holz Stadtbewohner geschnitzt sind: James kam mit blauen Flecken und zerfetzter Kleidung zur¨ uck nach Hause. Das war Mobbing nach Edinburghscher Art, aber James quittierte es mit Humor. Er machte sich in der Schule gut und gl¨anzte insbesondere
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3 Die besten Gleichungen der Welt
in Mathematik. Als er vierzehn Jahre alt war, erschien bereits seine erste Ver¨offentlichung, bei der es um das Zeichnen eines Ovals ging. Im Alter von sechzehn Jahren ging Maxwell an die Universit¨at Edinburgh und drei Jahre sp¨ ater an die Universit¨at Cambridge. Er begeisterte ¨ sich f¨ ur William Thomsons Arbeiten zu den Ahnlichkeiten zwischen W¨arme und Elektrizit¨at. Zwischen Maxwell und Thomson kam es zu einem intensiven Briefwechsel. Thomson regte Maxwell an, die Faradayschen Hypothesen u ¨ber Felder und Feldlinien zu untersuchen. Als Ergebnis legte Maxwell Mitte der 1850er Jahre seine erste Ver¨ offentlichung u ¨ber Elektrizit¨at und Magnetismus vor. Darin zeigte er, daß sich die Faradayschen Feldlinien und die Str¨omungslinien einer Fl¨ ussigkeit mathematisch auf ein und dieselbe Weise beschreiben lassen. Auf dieser Grundlage entwickelte er in den nachfolgenden zehn Jahren ein Modell, in dem die elektrischen und magnetischen Kr¨afte mit Hilfe von ¨ Atherwirbeln beschrieben werden, die den Wirbeln einer Fl¨ ussigkeit ¨ahneln. ¨ Im Vergleich zu Faradays Ideen waren Maxwells Ather¨ uberlegungen ein R¨ uckschritt. Faraday hielt die Kraftlinien f¨ ur real, aber Maxwell versuchte, ihnen eine dem Zeitgeist entsprechende mechanische Erkl¨arung zu geben.
3.1 Teilchen oder Welle? ¨ Urspr¨ unglich bezog sich die Atherhypothese nicht auf elektromagnetische Ph¨anomene, sondern auf das Licht. Mit Ausnahme Faradays sahen die Wissenschaftler keinen Zusammenhang zwischen Elektromagnetismus und Licht, aber die Erkl¨arung beider Erscheinungen schien die Existenz einer Art Medium zu erfordern. Man sprach vom Licht¨ ather und vom elektromagnetischen ¨ Ather. Der Licht¨ather hing mit einem wissenschaftlichen Streit u ¨ber die Natur des Lichtes zusammen: Ist das Licht eine Wellenbewegung oder besteht es aus ¨ Lichtteilchen? Die Bef¨ urworter der Wellenbewegung brauchten den Ather als schwingendes Medium. Der Holl¨ander Christiaan Huygens legte eine Theorie vor, in der das Licht als Wellenbewegung beschrieben wurde. Isaac Newton pr¨asentierte eine konkurrierende Theorie, gem¨ aß der das Licht aus winzigen Korpuskeln besteht. Newton bezweifelte die Wellentheorie. Er warf die Frage auf, was denn das Medium sei, in dem das Licht schwingt, und warum sich das Licht hinter einer Ecke nicht wie der Schall ausbreite, sondern einen Schatten wirft. In seiner Korpuskulartheorie gab es einfache Antworten auf diese Fragen. In England war Newtons Wort Gesetz und auch in Kontinentaleuropa war sein Einfluß groß, so daß Huygens und andere Bef¨ urworter der Wellentheorie mit ihren Ideen ins Hintertreffen gerieten. Bereits vor Huygens hatte der italienische Jesuitenpater Francesco Grimaldi vermutet, daß das Licht eine Wellenbewegung sei. Er beobachtete, daß die Schatten von Gegenst¨ anden keine scharfen Umrisse haben, sondern der Rand eines Schattens – aus der N¨ ahe betrachtet – aus hellen und dunklen Streifen besteht. Helle Streifen sind auch hinter dem Gegenstand vorhanden,
3.2 Der Arzt und der Ingenieur legen den Streit bei
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wo es keine direkte Sichtverbindung zur Lichtquelle gibt. Grimaldi bezeichnete dieses Ph¨anomen als Beugung oder Diffraktion. Zus¨atzlich zur Reflexion und zur Brechung ist das die dritte Art und Weise, in der das Licht seine Laufrichtung ¨andern kann. Grimaldi legte seine Beobachtungen in einem kleinen Buch dar, das 1665 erschien und in dem er erkl¨ arte, daß die besagten Ph¨anomene auf den Wellencharakter des Lichtes zur¨ uckzuf¨ uhren seien. Er vermutete, daß das Licht aus einem fließenden Material besteht, das ¨ahnlich wie eine Fl¨ ussigkeit Wellenbewegungen ausf¨ uhrt. Er konnte aber kein genaueres theoretisches Modell f¨ ur das Licht angeben.
3.2 Der Arzt und der Ingenieur legen den Streit bei Es gab also zwei Theorien u ¨ber die Natur des Lichtes, die sich voneinander so stark unterschieden, daß mindestens eine von ihnen falsch sein mußte. Der Streit zum Thema Lichtwellen versus Lichtteilchen wurde durch das Interferenzph¨anomen gel¨ ost. Der Engl¨ ander Thomas Young (1773–1829) entdeckte die Interferenz in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts. Young war ein Wunderkind, er erlernte als Zweij¨ ahriger selbst¨ andig das Lesen und beherrschte im Alter von sechs Jahren sogar Latein. Im Alter von sechzehn Jahren verstand er zw¨olf Sprachen, darunter Griechisch, Amharisch, Hebr¨aisch, Syrisch, T¨ urkisch und Persisch. Der u ¨berwiegende Teil dieser Sprachen hing mit seinen arch¨aologischen Interessen zusammen, die sehr professionell waren. Als 1799 im Nildelta der ber¨ uhmt gewordene Stein von Rosetta gefunden wurde, waren Thomas Young und der Franzose Fran¸cois Champollion die Ersten, denen die Deutung der auf dem Stein stehenden Hieroglyphen gelang. Young interessierte sich so ziemlich f¨ ur alles zwischen Himmel und Erde, aber sein eigentlicher Beruf war Arzt. Die Untersuchung des Funktionsprinzips des Auges brachte ihn zur Optik. In der ersten H¨alfte des 19. Jahrhunderts f¨ uhrte er Experimente durch, in denen Licht durch zwei parallele Spalten lief, die nahe nebeneinander lagen. Bei diesem Doppelspaltversuch beobachtete er, daß sich auf der Wand hinter den Spalten nicht zwei helle Streifen gebildet hatten, sondern eine ganze Gruppe von nebeneinander liegenden dunklen und hellen Streifen. Ein entsprechendes Ph¨ anomen ist bei Wasserwellen zu beobachten, wenn sich die aus verschiedenen Spalten kommenden Wellen an einigen Stellen verst¨arken und an anderen Stellen abschw¨achen. Das Ph¨anomen wird Interferenz genannt. Young diagnostizierte das Licht als Wellenbewegung. Somit vertrat er den Huygensschen Standpunkt und legte sich mit Isaac Newtons Korpuskularmodell an. Young fand heraus, daß die verschiedenen Farben Wellen von unterschiedlichen L¨ angen entsprechen und interpretierte die mit dem Newtonschen Prisma durchgef¨ uhrten Messungen mit Hilfe der Wellentheorie. Er entdeckte auch, daß die Wellenbewegung des Lichtes quer zur Ausbreitungsrichtung erfolgt, das heißt, es handelt sich um Transversalwellen. Im Gegensatz hierzu sind die Schallwellen Longitudinalwellen, das heißt, die Wellenbewegung findet in L¨ angsrichtung statt.
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3 Die besten Gleichungen der Welt
Young und seine Geistesverwandten konnten ihre Zeitgenossen nicht dazu bringen, an die Wellentheorie des Lichtes zu glauben. Erstens hielt man es f¨ ur unm¨oglich, daß sich Newton geirrt haben k¨onnte. Und zweitens war der Gedanke, daß die Vereinigung zweier Lichtstrahlen zur Entstehung von Dunkelheit f¨ uhren k¨ onnte, vor allem am¨ usant. Der endg¨ ultige Durchbruch erfolgte durch den Franzosen Augustin Fresnel (1788–1827), ein auf Straßenund Br¨ uckenbau spezialisierter Ingenieur, der sich in seiner Freizeit f¨ ur Optik interessierte. Inspiriert durch die Thesen von Thomas Young schrieb die Franz¨osische Akademie 1817 einen Wettbewerb aus, durch den die beste Versuchsanordnung zur Untersuchung der Beugung und zur theoretischen Beschreibung des Lichtverhaltens gefunden werden sollte. Zwei Vorschl¨age gingen auf die Ausschreibung ein: einer kam von Fresnel und der andere war der schwachsinnige Versuch eines Dilettanten, der unbekannt geblieben ist. Fresnel war kein Mathematiker und so war seine 135 Seiten umfassende Wettbewerbsschrift voller komplizierter Gleichungen, von denen er nicht einmal die H¨alfte l¨osen konnte. Zum Gutachterausschuß geh¨orten ein Vertreter der Newtonschen Theorie und Sim´eon Poisson, ein beinharter Mathematiker. Poisson l¨oste die Gleichungen und leitete aus ihnen eine Vorhersage ab, die er wegen ihrer offensichtlichen Unm¨ oglichkeit f¨ ur geeignet hielt, das Wellengemunkel ein f¨ ur allemal aus der Welt zu schaffen. Poisson zeigte, daß gem¨ aß der Fresnelschen Wellentheorie in der Mitte des von einem runden K¨ orper erzeugten Schattens ein kleiner heller Punkt sein m¨ ußte. Wirklich l¨ acherlich! Man beschloß, die Vorhersage – so ausgesprochen falsch sie schon von selbst zu sein schien – durch ein Experiment als irrig nachzuweisen. Aber Wunder u ¨ ber Wunder: genau in der Mitte des schwarzen Schattens war da doch tats¨ achlich ein kleiner heller Fleck! Man mußte jetzt an die Wellentheorie glauben. Fresnel wurde in der franz¨ osischen Normandie in der kleinen Stadt Broglie geboren. Nach dieser Stadt wurde das Geschlecht de Broglie benannt, dessen Repr¨asentant Prinz Louis de Broglie einhundert Jahre sp¨ater der Geschichte der Wellen ein neues Kapitel hinzuf¨ ugen sollte. Er zeigte in seiner 1924 erschienenen Dissertation, daß auch die Elementarteilchen, zum Beispiel die Elektronen und die Protonen, nicht nur Teilchen sind, die sich wie Billardkugeln verhalten, sondern auch wellenartige Eigenschaften haben. So wie beim Licht kommt es auch bei diesen Teilchen zur Beugung und Interferenz.
3.3 Revolution¨ are Gleichungen ¨ Als Maxwell seinerzeit das Athermodell der elektrischen und der magnetischen Wechselwirkung untersuchte, machte er eine u ¨ berraschende Beobachtung. Soll ¨ der Ather die elektrischen und die magnetischen Kr¨afte korrekt erkl¨aren, dann muß er Wellen tragen, deren Geschwindigkeit mit der Lichtgeschwindigkeit ¨ u als Medium so¨bereinstimmt. Maxwell vermutete deswegen, daß der Ather wohl das Licht als auch die elektrischen und magnetischen Ph¨anomene erkl¨art,
3.3 Revolution¨ are Gleichungen
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und daß er das in einem gewissen Sinn zwangsl¨aufig tut. Lichtmaterie“ und ” elektrische Materie“ sind ein und dasselbe! ” Endg¨ ultig wurden die Dinge erst in der 1865 erschienenen Arbeit A dynamical theory of the electromagnetic field erledigt. In dieser Arbeit stellte Maxwell fest, daß Licht und Elektromagnetismus sehr viel mehr miteinander zu tun haben. Eine Welle, die sich mit Lichtgeschwindigkeit1 ausbreitet, h¨angt n¨amlich mit den elektrischen Feldern und den Magnetfeldern selbst zusammen ¨ und nicht mit dem Ather. Außerdem hat diese Wellenbewegung zus¨atzlich zur Geschwindigkeit auch alle anderen Eigenschaften des Lichtes. Sie ist Licht! Das war eine revolution¨ are wissenschaftliche Entdeckung und Maxwell selbst verstand das am besten. In einem f¨ ur ihn seltenen Freudenausbruch schrieb er seinem Cousin, daß er etwas sehr Bedeutsames gefunden habe. Er sagte, es werde sehr schwer sein, sein Vertrauen in die neue Theorie zu ersch¨ uttern. Die Erkl¨arung des Wesens des Lichtes war die gr¨oßte Leistung der Maxwellschen Theorie, aber die Theorie umfaßte auch auch alle anderen Ph¨anomene des Elektromagnetismus. Alles wurde durch einige mathematische Gleichungen beschrieben. Die Gleichungen bildeten in der von Maxwell vorgelegten Form einen schwer durchdringlichen Heckenzaun. Oliver Heaviside, einem zweiten Engl¨ander, gelang es, die Formeln mit Hilfe von Vektoren in vier Gleichungen zu verdichten. Erst danach wurde der physikalische Inhalt der Theorie allm¨ahlich auch außerhalb einer kleinen Gruppe von Experten bekannt. Ganz gleich, an welches elektromagnetische Ph¨anomen man denkt – die Antwort findet sich in diesen Gleichungen. Jedoch geht das nicht immer m¨ uhelos, wie viele Generationen von Studenten erfahren mußten, die an den von Heaviside erfundenen Operatoren rot“ und div“ verzweifelt sind. ” ” Im Jahr 1865 gab der vierunddreißigj¨ ahrige Maxwell seine Professur am King’s College auf und zog auf sein Heimatgut nach Schottland zur¨ uck. Sein Vater war gestorben und f¨ ur das Gut wurde ein neuer Hausherr ben¨otigt. Auch die seit langem geplante Erweiterung des Hauses mußte endlich durchgef¨ uhrt werden. Vor allem aber konzentrierte sich Maxwell, befreit von akademischen Verpflichtungen, auf eine umfassende Gesamtdarstellung der Ergebnisse, die Faraday und er auf dem Gebiet des Elektromagnetismus erzielt hatten. Das Werk Treatise on Electricity and Magnetism erschien 1873. Jedoch blieb das Leben in der l¨ andlichen Idylle nur eine kurze Episode f¨ ur Maxwell. Als das Buch erschien, war er bereits wieder im Stadtgewimmel untergetaucht“, denn er erhielt 1871 die erste Professur f¨ ur Experimentalphy” sik an der Universit¨ at Cambridge. In dieser Zeit fehlten der Universit¨at noch die zur experimentellen Forschung erforderlichen R¨aumlichkeiten und Ger¨ate. Die Forscher f¨ uhrten ihre Experimente in ihren eigenen Dienstr¨aumen durch, 1
Die Geschwindigkeit der Fortpflanzung elektromagnetischer Wellen stimmt so ” genau mit der Lichtgeschwindigkeit u ¨berein, daß wir guten Grund zu der Vermutung haben, daß Licht selbst eine elektromagnetische St¨ orung ist, die sich in Form einer Welle durch das elektromagnetische Feld ausbreitet.“ (Maxwell)
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3 Die besten Gleichungen der Welt
h¨aufig auch zuhause und mit selbstgekauften Ger¨aten. Jedoch ben¨otigten die Wissenschaftler f¨ ur ihre Untersuchungen immer mehr Hilfskr¨afte, und deshalb war es notwendig, in der Physikausbildung auch den Umgang mit Meßger¨aten zu behandeln. Hierzu brauchte man Laboratorien. William Thomson war in dieser Angelegenheit als Erster auf den Beinen: er leerte“ an der Universit¨at ” Glasgow den Weinkeller seines Vorg¨ angers, verlegte dort eine Wasserleitung und bezeichnete den so entstandenen Raum als Laboratorium. Auch an der Universit¨at Cambridge waren die Pl¨ ane f¨ ur ein Labor vorbereitet worden, aber das Projekt scheiterte wegen Geldmangels. Schließlich schenkte der Herzog von Devonshire, der auch als Kanzler t¨ atig war, der Universit¨at die Mittel zum Bau und zur Ausstattung eines Lehrlabors und Maxwell erhielt die Aufgabe, das Labor in Betrieb zu nehmen. Die Berufung des Theoretikers Maxwell zum Professor der Experimental¨ physik war eine Uberraschung und f¨ ur viele auch eine ziemliche Entt¨auschung. Er und seine F¨ahigkeiten waren noch nicht sehr bekannt, aber man entschied sich f¨ ur ihn, nachdem William Thomson und der hervorragende Mathematiker und Physiker John William Strutt (seit 1873 Lord Rayleigh) das ehrenvolle Amt abgelehnt hatten. Die Einrichtung erhielt nat¨ urlich den Namen Devonshire Laboratory, aber Maxwell taufte das Labor sp¨ater in Cavendish Laboratory um – zu Ehren des Physikers und Chemikers Henry Cavendish, der im 18. Jahrhundert wirkte. Die Namens¨anderung sagte auch dem Herzog von Devonshire zu, dessen b¨ urgerlicher Name William Cavendish lautete und der damals das Oberhaupt des Geschlechts der Cavendish war. Maxwells Hauptaufgabe in Cambridge war u ¨brigens die Herausgabe der vielen unver¨offentlichten Manuskripte von Henry Cavendish. Das Cavendish Laboratory floriert auch heute noch; das ganze Institut f¨ ur Physik der Universit¨at Cambridge tr¨agt jetzt diesen ber¨ uhmten Namen. Im Laufe der Jahre erhielten fast dreißig Forscher der Einrichtung den Nobelpreis. Im Institut wurde zum Beispiel auch das Elektron entdeckt und die Doppelhelixstruktur der DNA nachgewiesen. Maxwell verfaßte bedeutende Forschungsarbeiten, unter anderem zur Gastheorie und zur Farbenoptik. Zum Beispiel erfand er die Farbfotografie und wies nach, daß die Saturnringe nicht homogen sind, sondern aus kleinen diskreten Teilen bestehen. Dennoch war die elektromagnetische Theorie des Lichts seine bedeutendste Leistung. Maxwell wies also nach, daß das Licht eine elektromagnetische Wellenbewegung ist, aber er erkannte auch, daß eine solche Wellenbewegung auch andere Strahlungsformen beschreiben kann, zum Beispiel die W¨armestrahlung. Gem¨aß seiner Theorie entstehen elektromagnetische Wellen durch Schwingungen einer elektrischen Ladung, und da bei diesen Schwingungen unterschiedliche Frequenzen m¨ oglich sind, k¨ onnen auch Frequenz und Wellenl¨ange der Strahlung variieren. Alle diese Strahlungen breiten sich gem¨aß seiner Theorie mit ein und derselben Geschwindigkeit aus, mit Lichtgeschwindigkeit.
3.5 Reformer wider Willen
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3.4 Die ersten Radiowellen Der Deutsche Heinrich Hertz wies 1888 nach, daß Maxwells Schlußfolgerung korrekt war. Er brachte eine in einer Metallkugel gespeicherte elektrische Ladung u ¨ber eine kleine Luftstrecke zur Entladung, was zu einer starken Funkenbildung f¨ uhrte. Im Abstand von einigen Metern von diesem Entlader“ ” oder Sender war eine Leiterschleife positioniert, die ebenfalls eine kleine Luftstrecke hatte. Als der Sender in Betrieb gesetzt wurde, bildeten sich in der Luftstrecke der Stromschleife kleine Funken. Das bedeutete, daß in der Schleife Strom induziert worden war. Demnach wurde die elektromagnetische Energie vom Sender durch die Luft zur Schleife u ¨ bertragen, die als Empf¨anger fungierte. Hertz maß die Geschwindigkeit der Wellen und stellte fest, daß sie mit der Lichtgeschwindigkeit u ¨ bereinstimmte, so wie es Maxwell mit seiner Theorie vorhergesagt hatte. Die Wellenl¨ ange lag in der Gr¨oßenordnung von einem Meter; es handelte sich um Radiowellen, die f¨ ur das menschliche Auge unsichtbar sind. Er stellte ferner fest, daß die Strahlung – genauso wie das Licht – reflektiert und gebrochen wurde. Das war die erste experimentelle Best¨ atigung der Maxwellschen Theorie. Maxwell konnte nicht als Zeuge des Erfolgs zugegen sein, da er bereits neun Jahre zuvor gestorben war. Er konnte nicht einmal ahnen, welche enorme Bedeutung seine Theorie f¨ ur die sp¨ atere Entwicklung der Physik hatte, ganz zu schweigen von den unz¨ ahligen praktischen Anwendungen. Die Maxwellschen Gleichungen enthielten viel mehr als Maxwell im Sinn hatte, als er sie niederschrieb. Lange Zeit hielt man seine Theorie nur f¨ ur eine Ansammlung von Gleichungen ohne klare physikalische Interpretation. In unserer heutigen Welt wimmelt es von Beweisen f¨ ur Maxwells Theorie. Dank seiner Gleichungen haben wir die elektrischen und die magnetischen Ph¨anomene vollst¨andig unter unserer Kontrolle. Ohne diese Theorie w¨ are die ganze heutige Nachrichten¨ ubermittlung unm¨ oglich. Vielleicht schaut Maxwell von seinem Wolkenrand zufrieden auf all das herab.
3.5 Reformer wider Willen ¨ James Clerk Maxwells Haltung zum Ather war zweigeteilt. In seinem Hauptwerk merkt er an, daß es irgendein Medium geben muß, in dem sich die ” Energie befindet, wenn sie ein Objekt verlassen hat, aber noch kein anderes erreicht hat“. In einem sp¨ ateren Zusammenhang charakterisierte er die ¨ Existenz des Athers als eine a ¨ußerst hypothetische wissenschaftliche Annah” ¨ me“. Er entwickelte eine auf Wirbeln beruhende Athertheorie, in der sich die ¨ ¨ Kraftwirkung von Atherwirbel zu Atherwirbel ausbreitet wie von einer Umlaufbahn zur anderen. In der letzten Phase leitete er jedoch seine ber¨ uhmten Gleichungen ausschließlich von den Eigenschaften der elektrischen Felder und ¨ der Magnetfelder ab, ohne f¨ ur die Kraftlinien ein auf dem Ather beruhendes mechanisches Pendant anzunehmen. Dennoch hielt er es f¨ ur m¨oglich, daß der
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3 Die besten Gleichungen der Welt
¨ Ather existieren k¨ onne, selbst wenn die elektromagnetischen Effekte keinen ¨ Beweis daf¨ ur lieferten. Der Ather k¨ onnte ja durch irgendetwas anderes zutage treten. ¨ Im Laufe der Jahrzehnte waren mehrere Athertheorien entwickelt worden, aber keine von ihnen stand in Einklang mit s¨ amtlichen Beobachtungsergebnis¨ sen. Einerseits war es erforderlich, daß der Ather elastisch ist, damit sich die Wellen darin ausbreiten konnten. Andererseits mußte er sehr kompakt sein, weil die Transversalschwingung, die bei der Entdeckung der Polarisation des Lichts ans Licht kam, nur in einer dichten Materie erfolgen kann – zumindest kann man diese Schlußfolgerung aus der Ausbreitung von Druckwellen ¨ ziehen. Im Ather mußte es auch eine Wirbelstruktur geben, damit man andere Ergebnisse versteht, die mit der Polarisation zusammenh¨angen. Tats¨achlich ¨ m¨ ußte es im Raum mehrere Ather geben, um alle Ph¨anomene zu erkl¨aren. Die Theorie von Maxwell vereinfachte die Situation wenigstens dadurch, daß f¨ ur das Licht und zum Beispiel f¨ ur die W¨ armestrahlung keine unterschiedlichen ¨ Ather mehr erforderlich waren, da es sich bei beiden um eine elektromagnetische Strahlung handelte. Maxwell hatte irgendwann den Artikel gelesen, in dem der Franzose Hippolyte Fizeau (1819–1896) u ¨ber seine Ergebnisse zur Lichtausbreitung in str¨omendem Wasser berichtete. Das Licht schien sich stromabw¨arts schneller zu bewegen als stromaufw¨ arts. W¨ are Licht eine wellenf¨ormige Bewegung ¨ ¨ des Athers, dann w¨ urde das Ergebnis bedeuten, daß das Wasser den Ather mit sich f¨ uhrt und das Licht deswegen stromabw¨arts an Tempo gewinnt; die Geschwindigkeit des im Labor gemessenen Lichtes war gleich der Relativge¨ schwindigkeit des Lichtes in Bezug auf den Ather plus der Relativgeschwin¨ digkeit des Athers in Bezug auf das Labor. Stromaufw¨arts verlangsamt sich das Licht; das Plus wird durch ein Minus ersetzt. ¨ Augustin Fresnel hatte f¨ ur die Tendenz von Materie, den Ather mit sich zu f¨ uhren, eine mathematische Formel abgeleitet, die mit Hilfe des Brechungskoeffizienten des Mediums eine Aussage u ¨ ber die Gr¨oßenordnung des Effektes machte. Der Brechungskoeffizient des Mediums gibt an, um wieviel schneller sich das Licht im leeren Raum ausbreitet als im betreffenden Material. Die Wechselwirkung des Lichts mit den Molek¨ ulen des Mediums verlangsamt die Lichtbewegung. Der Brechungskoeffizient des Wassers ist 1,3. Somit betr¨agt die in ruhendem Wasser gemessene Lichtgeschwindigkeit ungef¨ahr 80% ¨ der Lichtgeschwindigkeit c im Vakuum. W¨ urde sich der Ather zusammen mit dem Wasser mit derselben Geschwindigkeit wie das Wasser bewegen, dann erhielte der Beobachter f¨ ur die Lichtgeschwindigkeit den Wert 0, 8c plus Ge¨ schwindigkeit des Wasser (und des Athers). Fizeaus Beobachtungen ergaben jedoch f¨ ur das Licht eine Geschwindigkeit, die einen etwas kleineren Wert hatte. Dieser Umstand ließ sich mit Hilfe der Fresnelschen Formel erkl¨aren. ¨ Fresnel hatte spekuliert, daß sich der Ather nicht zusammen mit dem Medium mit derselben Geschwindigkeit bewegt, sondern langsamer, und er nahm an, daß die Geschwindigkeitsdifferenz vom Brechungskoeffizienten des Mediums abh¨angt.
3.6 Lichtgeschwindigkeit als Passion
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Nach Fresnels Theorie w¨ urde die Erde zusammen mit ihrer Atmosph¨are ¨ ¨ auch den Ather teilweise mitf¨ uhren. Jedoch w¨ urde sich der Ather nicht so schnell bewegen wie die Erde. Man warf die Frage auf, wie groß die Geschwin¨ digkeit der Erde relativ zum Ather sei. Maxwell schrieb 1879, in seinem letz¨ ten Lebensjahr, f¨ ur die Encyclopedia Britannica einen Artikel u ¨ ber den Ather. Darin konstatierte er, daß die einzige Weise, die Relativgeschwindigkeit der ¨ Erde in Bezug auf den Ather durch Messungen auf der Erdoberfl¨ache zu bestimmen, darin bestehe, den Hin- und R¨ ucklauf des Lichtes zwischen zwei Spiegeln zu untersuchen. Wird die Position der Spiegel ge¨andert, dann sollte sich die Laufzeit des Lichtes ¨ andern, da sich seine Laufrichtung in Bezug ¨ auf den Ather ¨anderte – so wie im Experiment von Fizeau die Lichtgeschwindigkeit von der Str¨ omungsrichtung des Wasser abhing. Maxwell zog jedoch ¨ folgenden Schluß: Bewegt sich die Erde relativ zum Ather mit der Geschwindigkeit v, dann ist die Gr¨ oßenordnung des Effektes proportional zur zweiten Potenz (v/c)2 des Verh¨ altnisses dieser Geschwindigkeit zur Vakuumlichtgeschwindigkeit und deswegen viel zu klein, um gemessen werden zu k¨onnen.
3.6 Lichtgeschwindigkeit als Passion ¨ Man glaubte, daß die Relativgeschwindigkeit der Erde in Bezug auf den Ather ungef¨ahr gleich der Geschwindigkeit sei, mit der sich die Erde um die Sonne dreht, das heißt, etwa 30 Kilometer pro Sekunde. Die Lichtgeschwindigkeit betr¨agt ihrerseits 300 000 Kilometer pro Sekunde, so daß man erwartete, daß der ¨ Ather die Lichtgeschwindigkeit um weniger als ein Millionstel ¨andert. Das war eine Herausforderung f¨ ur Albert Michelson, der sich auf Pr¨azisionsmessungen spezialisiert hatte. Er wies nach, daß Maxwell allzu pessimistisch gewesen war und die F¨ahigkeit der Experimentalphysiker untersch¨atzt hatte. Mit Hilfe der von Michelson entwickelten Meßmethode war es m¨oglich, Unterschiede dieser Gr¨oßenordnungen festzustellen. Oder besser gesagt: es w¨are m¨oglich gewesen, diese Unterschiede zu festzustellen, wenn sie existiert h¨atten! Zu Michelsons ¨ Uberraschung und zum Erstaunen vieler anderer war innerhalb der Grenzen der Meßgenauigkeit der Effekt der Laufrichtung auf die Lichtgeschwindigkeit gleich Null. Die Polen betrachten Albert Michelson (1852–1931) als ihren eigenen Sohn. Er wurde 1852 in einer j¨ udischen Familie in der polnischen Stadt Strzelno geboren – die Stadt geh¨ orte damals zu Preußen –, aber seine Familie u ¨bersiedelte in die Vereinigten Staaten, als er drei Jahre alt war. Nach dem Schulabschluß nahm er ein Studium an der Marineakademie in Annapolis auf. Er wurde zwar kein richtiger Marinesoldat, aber seine erfolgreiche Arbeit in den naturwissenschaftlichen F¨achern, insbesondere in der Optik, brachte ihm Lehraufgaben ein. Bald bot sich ihm die Gelegenheit zu Postgradualstudien in Europa. Durch diesen Bildungsweg kam er in akademische Kreise und wurde schließlich Professor an der Universit¨ at Chicago.
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3 Die besten Gleichungen der Welt
Der Mensch kann die skurrilsten Leidenschaften entwickeln. Michelsons große Leidenschaft war die exakte Messung der Lichtgeschwindigkeit. Er entwickelte eine auf der Interferenz des Lichtes beruhende Meßmethode, mit der er verbl¨ uffend exakte Ergebnisse erzielte. Jeder kann die Interferenz beobachten, wenn er Zeigefinger und Daumen vor einem Auge ausstreckt und eine helle Oberfl¨ache betrachtet. Bewegt man die Fingerspitzen n¨aher aneinander heran, dann sieht man im Spalt dunkle Streifen, die durch helle Bereiche voneinander getrennt sind. Es handelt sich hierbei um die Beugung, ein Interferenzph¨anomen, das darauf zur¨ uckzuf¨ uhren ist, daß die (von den verschiedenen Stellen des Spalts) auf das Auge treffenden Lichtstrahlen geringf¨ ugig unterschiedlich lange Wege durchlaufen, und daß die Wellenphasen der (urspr¨ unglich in gleicher Phase befindlichen) Lichtwellen voneinander abweichen, wenn sie ins Auge gelangen. An einigen Stellen l¨ oschen die Wellen einander aus und diese Stellen sind dunkel. Das geschieht, wenn der Berg einer Welle zuf¨alligerweise mit dem Tal einer anderen Welle zusammenf¨allt. An anderen Stellen wiederum sind die Wellen in ein und derselben Phase; dann verst¨arken sie einander und die betreffende Stelle ist hell. Die Interferenz reagiert empfindlich auf Ph¨anomene, deren Gr¨oßenordnung der Wellenl¨ange des Lichtes entspricht. Deswegen l¨aßt sich die Interferenz zur Durchf¨ uhrung von sehr genauen Messungen verwenden. Die Wellenl¨ange des sichtbaren Lichtes liegt im Intervall von 400 bis 700 Nanometern, das heißt, unter dem millionsten Teil eines Meters. Michelson und sein Mitarbeiter Edward Morley (1838–1923) teilten einen Lichtstrahl mit Hilfe eines halbdurchl¨assigen Spiegels in zwei Strahlen auf, die ihren Weg rechtwinklig zueinander fortsetzten. Beide Strahlen wurden in der Spiegelreihe des Meßtisches von einem Spiegel zum anderen hin und her reflektiert, bis sie schließlich mit Hilfe des halbdurchl¨ assigen Spiegels wieder zusammengeleitet wurden. In der vereinigten Welle war ein Interferenzbild zu sehen, weil die von den Wellen auf ihrer Reise durchlaufenen Wege nicht exakt dieselben waren. Wenn sich ¨ die Erde im Ather bewegt, wie man annahm, dann bewegen sich die Lichtstrahlen zwischen den Spiegeln mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, und das sollte auch die Strahlen in unterschiedliche Phasen bringen. Man nahm an, daß das Interferenzbild durch die Gesamtwirkung dieser beiden Effekte entstanden sei. Der Meßtisch befand sich auf einem gemauerten Pfeiler, auf dem ein mit Quecksilber gef¨ ullter Trog ruhte. In diesem konnte sich auf einem h¨olzernen Schwimmer ein großer Sandsteinblock leicht und v¨ollig ersch¨ utterungsfrei drehen. Als der Tisch mit dem Meßsystem gedreht wurde, war der von den Lichtstrahlen durchlaufene Weg der gleiche wie vorher. Aber weil sich die Laufrich¨ tung der Strahlen relativ zum angenommenen Ather ge¨andert hatte, ging man davon aus, daß sich auch ihre Geschwindigkeit relativ zum Labor ¨andert und das h¨atte auch das Interferenzbild beeinflussen m¨ ussen. Die schwarzen und die weißen Interferenzstreifen h¨ atten sich an einer geringf¨ ugig anderen Stelle befinden m¨ ussen. Das Bild blieb jedoch unver¨andert, so sehr Michelson und
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Morley ihre Augen auch auf den Meßtisch hefteten. Das Experiment schien buchst¨ablich ins Auge gegangen zu sein. Das Ergebnis war eine große Entt¨ auschung f¨ ur Michelson. Das gesuchte Ph¨anomen war von einer so winzigen Gr¨ oßenordnung, daß einzig und allein er die F¨ahigkeit gehabt h¨ atte, es zu messen – aber nun war nicht die geringste Spur eines Effektes zu sehen! Es war f¨ ur ihn kein Meßerfolg, sondern ein Mißerfolg. Dieser Meßmißerfolg“ qu¨ alte ihn f¨ ur den Rest seines Lebens. Etwas ” frustriert bemerkte er, daß dadurch immerhin das Interferometer erfunden wurde. Michelson war in der Lage, die Lichtgeschwindigkeit so exakt zu messen, daß man bis in die 1970er Jahre warten mußte, bevor ein besseres Ergebnis erzielt wurde. Einstein fragte Michelson einmal, warum dieser so viele M¨ uhen auf sich genommen habe, um die Lichtgeschwindigkeit zu messen. Weil es ” mir Spaß macht“, antwortete Michelson ersch¨opfend. Heutzutage w¨are die Messung der Lichtgeschwindigkeit eine unn¨ otige Arbeit, denn f¨ ur die Lichtgeschwindigkeit ist der Wert c = 299 792 458 Meter pro Sekunde vereinbart worden. Geschwindigkeiten werden u ¨blicherweise dadurch gemessen, um wieviele Meter pro Sekunde sich die Bewegung ausbreitet. Das erfordert eine Vereinbarung dar¨ uber, wie lang ein Meter ist und wie lange eine Sekunde dauert. Zur Zeit Michelsons war ein Meter der Abstand zweier Markierungslinien auf dem – als Urmeter bezeichneten und in Paris aufbewahrten – schienenf¨ormigen Stab aus Titan und Iridium. Seit 1983 wird die L¨angeneinheit Meter mit Hilfe der Lichtgeschwindigkeit bestimmt: ein Meter ist die Distanz, die das Licht im Vakuum in einer Zeit von 1/299 792 458 Sekunden zur¨ ucklegt. Genauere Messungen der Lichtausbreitung f¨ uhren also nicht zu einer gr¨oßeren Pr¨azision des Wertes der Lichtgeschwindigkeit, sondern ¨andern den Abstand, den wir als Meter bezeichnen.
¨ 3.7 Z¨ aher Ather Das Ergebnis von Michelson und Morley wurde keineswegs sofort als Beweis ¨ daf¨ ur angesehen, daß es keinen Ather gibt. Die Vorstellungen von den Ei¨ genschaften des Athers waren die ganze Zeit u ¨ber lebendig und es herrschte ¨ allgemein die Uberzeugung, daß man auch f¨ ur das Ergebnis von Michelson und Morley fr¨ uher oder sp¨ ater eine akzeptable Interpretation finden w¨ urde, ¨ die auf dem Ather beruht. Tats¨ achlich wurde eine solche Interpretation schon bald gegeben. Hendrik Antoon Lorentz (1853–1928) legte 1895 eine Theorie vor, mit der er das Ergebnis des Michelson-Morley-Experiments erkl¨aren konnte. Lorentz stellte die Hypothese auf, daß sich die materiellen Objekte in ihrer Bewegungsrichtung entsprechend ihrer Geschwindigkeit im absolut ruhenden Licht¨ather verk¨ urzen. Tats¨achlich war diese Interpretation nicht neu, denn bald nach dem Michelson-Morley-Experiment hatte der Ire George Fitzgerald dasselbe vorgeschlagen. Er ver¨ offentlichte hier¨ uber in der Zeitschrift Science einen
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3 Die besten Gleichungen der Welt
halbseitigen Artikel, der jedoch Lorentz offensichtlich nicht aufgefallen war. Zu dieser Begebenheit gibt es eine besondere Geschichte. Als Lorentz seine Arbeit ver¨offentlicht hatte, erz¨ ahlte ihm jemand von Fitzgeralds fr¨ uherer Publikation. Lorentz schrieb Fitzgerald sofort, um ihm zu sagen, daß er dessen Artikel nicht absichtlich unterschlagen habe, sondern lediglich nichts davon gewußt habe. Fitzgerald antwortete, daß er seinerseits nicht gewußt habe, daß Science seinen Artikel angenommen und ver¨offentlicht hatte. Fitzgerald glaubte, daß die Lorentzsche Arbeit fr¨ uher in den Druck gegangen sei. Offensichtlich hielt Fitzgerald seine eigene Arbeit f¨ ur nicht sehr bedeutend, denn er hielt sich nicht damit auf, das Schicksal seines Artikels zu u ufen, obwohl ¨berpr¨ seit dessen Einreichung bereits mehr als zwei Jahre vergangen waren. Lorentz ging in seiner Interpretation viel eingehender auf die Details ein, als es Fitzgerald getan hatte. Das Abflachen von Objekten k¨onnte als Mutter aller Erkl¨arungen aufgefaßt werden, aber Lorentz verlieh der Angelegenheit ¨ mit Hilfe des Athers Glaubw¨ urdigkeit. Lorentz war davon u ¨berzeugt, daß die Bestandteile der Materie durch Kr¨ afte miteinander verbunden sind, die durch ¨ den Ather u onnte also gut m¨oglich sein, daß sich die ¨bertragen werden. Es k¨ ¨ Bewegung relativ zum Ather in der Gr¨ oße der Kr¨afte widerspiegelt, und daß diese Gr¨oße ihrerseits darin zum Ausdruck kommt, wie nahe die Atome beeinander liegen. Es k¨ onnte ja vielleicht sein, daß diese Kr¨afte das Objekt zusammendr¨ ucken. Diese Erkl¨ arung h¨ orte sich bestimmt f¨ ur viele ziemlich gut an. Das Michelson-Morley-Experiment enthielt viele technische Einzelheiten, u ¨ber welche die Experimentatoren, die sich mit der Sache befaßt hatten, noch lange Zeit danach diskutierten und stritten. Das Experiment wurde mehrere Male wiederholt und nicht alle Ergebnisse best¨atigten die Schlußfolgerungen von Michelson und Morley. Der Amerikaner Dayton Miller baute das exakteste Interferometer. Bei diesem betrug der Laufweg der Lichtstrahlen das Dreifache im Vergleich zum Michelsonschen Interferometer. Miller ver¨offent¨ lichte 1925 ein Ergebnis, in dem er behauptete, die Existenz von Ather im ¨ Raum nachgewiesen zu haben, wobei es sich um keinen ruhenden Ather han¨ dele, sondern um einen Ather, der sich ann¨ ahernd mit der Erdgeschwindigkeit bewege. Albert Einstein erfuhr von Millers Resultat, als er Anfang der 1920er Jahre seinen ersten Besuch in den Vereinigten Staaten machte. Er kommentierte die Kunde mit dem ber¨ uhmt geworden Satz: Raffiniert ist der Herrgott, ” aber boshaft ist er nicht.“ Einstein traf Miller privat unter vier Augen und bemerkte sp¨ater gegen¨ uber einem befreundeten Wissenschaftler, daß er nicht an die Genauigkeit des Millerschen Experiments glaube, aber er k¨onne das nicht ¨offentlich sagen. Der deutsche Physiker Max Born hatte ebenfalls das Labor von Miller besucht und war entsetzt u ¨ber die Versuchsanordnung. Born schrieb: Ich fand, das ” alles ganz wackelig und unzuverl¨ assig war; die kleinste Handbewegung oder ein Husten machten die Interferenzstreifen so unruhig, daß von Ablesen keine Rede sein konnte.“ Das kann jedoch mehr u ¨ber die Empfindlichkeit des Experiments aussagen als u ¨ber seine Ungenauigkeit. Auch Michelsons erste
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Messungen, die er in Deutschland durchgef¨ uhrt hatte, mißgl¨ uckten, weil das durch den Berliner Verkehr (im 19. Jahrhundert (!)) verursachte Vibrieren das Interferenzbild unleserlich machte. Miller berichtete u ¨ber seine Ergebnisse in seiner Rede anl¨aßlich seines R¨ ucktritts als Pr¨ asident der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft. Der Vortrag wurde skeptisch aufgenommen und die Zuh¨orer schickten Miller nach Hause, damit er seine Ergebnisse korrigiere“. ” ¨ Der Fall Miller zeigt, daß die Athertheorie in den K¨opfen der Physiker noch lange nach dem Zeitpunkt herumspukte, an dem Einstein nachgewiesen hatte, daß es sich um eine unn¨ otige Hypothese handelte. Es ist leichter, an althergebrachten Vorstellungen festzuhalten, als neue Ideen zu akzeptieren. Hjalmar Tallqvist, Professor der Physik an der Universit¨at Helsinki, ver¨offentlichte 1928 das popul¨ arwissenschaftliche Buch Der neue Aufstieg der Physik, in dem er außer den Kathodenstrahlen, Atomen, R¨ontgenstrahlen, Nordlich¨ tern und Zodiakallichtern auch die Athertheorie vorstellte. Im Buch faßte er ¨ auch die Atherhypothese zusammen: Stellen wir jetzt zum Schluß die Frage, ” ¨ ob der Ather existiert oder nicht, dann m¨ ussen wir unumwunden zugeben, daß wir das nicht wissen k¨ onnen. Aber mindestens ebenso sicher ist, daß sich ¨ die Atherhypothese als ausgesprochen n¨ utzlich f¨ ur die Physik erwiesen hat. Aber die Zeit ist noch nicht gekommen, in der man nichts mehr mit dem ¨ Ather von Huygens, Fresnel und Maxwell zu tun haben m¨ochte, auch wenn ¨ man versucht hat, den Ather zu eliminieren und stattdessen andere Prinzipien einzuf¨ uhren.“ Tallqvists Buch wurde mehr als zwanzig Jahre nach dem Erscheinen von Einsteins Spezieller Relativit¨ atstheorie und vierzig Jahre nach dem Michelson-Morley-Experiment ver¨ offentlicht.
4 Einsteins Weg zum Physiker
Einstein dachte von klein auf ¨ uber physikalische Ph¨ anomene nach. Er las popul¨ arwissenschaftliche B¨ ucher ¨ uber den Elektromagnetismus und die Theorie von Maxwell und beschloß, sein Leben dem Nachdenken ¨ uber physikalische Fragen zu widmen. Sein Weg zum Forscher war jedoch steinig. Die erste mit Physik zusammenh¨ angende Sache, die Einstein nachdenklich machte, war der Kompaß. Als Albert vier oder f¨ unf Jahre alt war, zeigte ihm sein Vater Hermann einen Kompaß. Was ist das f¨ ur eine unsichtbare Kraft, die die Kompaßnadel immer in die gleiche Richtung zeigen l¨aßt, auch wenn man den Kompaß in der Hand dreht? Einstein dachte gern u ¨ber die Dinge nach. Er sagte, daß auch seine großen wissenschaftlichen Entdeckungen entstanden seien, wenn er in Ruhe, ohne ¨ außeren Druck und ohne Erwartungshaltungen ¨ u gehen bis auf ¨ber die Dinge nachdenken konnte. Viele dieser Uberlegungen seine Schulzeit zur¨ uck. Einstein mochte die Schule nicht, aber er war kein schlechter Sch¨ uler. Im Allgemeinen geh¨orte er zu den Besten seiner Klasse, manchmal war er auch der Beste. Am schlimmsten in der Schule waren die herumkommandierenden Lehrer. Einstein war von klein auf angehalten worden, selbst¨andig zurecht zu kommen, und deswegen eignete sich die f¨ ur deutsche Schulen typische milit¨arische Disziplin und Ordnung denkbar schlecht f¨ ur ihn. Dieser Umstand wurde dadurch verschlimmert, daß ihn seine Eltern aus dem einfachen Grund in eine katholische Schule steckten, weil diese n¨aher an der Wohnung lag als die j¨ udische Schule. Zu Einsteins Lieblingsf¨ achern geh¨orten die Mathematik und die Naturwissenschaften und er konzentrierte sich auf diese ernsthafter als auf die anderen F¨ acher. Auch in seinen Lieblingsf¨achern war er kein wirklicher Einstein“, aber als er im Alter von elf Jahren mit der ebenen Geometrie ” Bekanntschaft machte, bekamen seine inneren Neigungen ein Ziel. Als Einstein siebzehn Jahre alt war, ging der Elektrobetrieb seines Vaters in M¨ unchen bankrott. Die Gesch¨ afte des Vaters durchliefen eine ziemliche Achterbahn und diese war jetzt in Deutschland so steil geworden, daß es nicht
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4 Einsteins Weg zum Physiker
mehr aufw¨arts ging. Der kleine Betrieb war Großunternehmen wie Siemens hoffnungslos unterlegen, die um die Elektrifizierung der St¨adte konkurrierten. Die Familie u ¨ bersiedelte nach Mailand, aber Albert wurde in die Obhut entfernter Verwandter nach M¨ unchen gegeben, damit er dort die Schule besuche. Doch daraus wurde nichts Richtiges und nach einigen Monaten schloß er sich seiner Familie in der italienischen Sonne an, ohne vorher seine Ankunft mitzuteilen. Er hatte eine Bescheinigung eines der Familie bekannten Arztes in der Tasche. Laut dieser Bescheinigung war Einstein aufgrund von M¨ udigkeit und gesunkener Stressbelastungsf¨ ahigkeit außerstande, die Schule zu besuchen; als Grund f¨ ur die Symptome wurde eine unbekannte Nervenst¨orung angegeben. Das war ein Vorwand, aber er dachte, daß er die Bescheinigung brauche, um unangenehme Folgen zu vermeiden. Er sollte n¨amlich bereits von der Schule entlassen werden, weil er den anderen Sch¨ ulern ein schlechtes Vorbild war und weil er u ¨berheblich und vorlaut auftrat; von seiner Warte aus war der medizinische Grund die bessere Alternative. Einstein schlug die Aufforderung seiner Eltern aus, nach M¨ unchen zur¨ uckzukehren und den Schulbesuch fortzusetzen; er erkl¨arte aufs¨assig, dar¨ uber hinaus auch die deutsche Staatsb¨ urgerschaft und die j¨ udische Religion aufzugeben. Die Aufgabe der deutschen Staatsb¨ urgerschaft hatte einen sehr praktischen Grund, n¨amlich den Wunsch, dem Milit¨ardienst zu entgehen. Er unterzog sich der Aufnahmepr¨ ufung am Eidgen¨ ossischen Polytechnikum in Z¨ urich, der sp¨ateren Eidgen¨ ossischen Technischen Hochschule (ETH), denn dort konnte in Sonderf¨allen ein Studium auch ohne Abitur aufgenommen werden. Einstein erhielt eine Ausnahmegenehmigung, als Minderj¨ahriger an den Aufnahmepr¨ ufungen teilzunehmen, aber er flog aufgrund schlechten Allgemeinwissens und wegen unzul¨ anglicher Franz¨ osischkenntnisse durch. Die Fragen zur Physik und zur Mathematik beantwortete er ohne Probleme. Man empfahl ihm, zur Schulbank zur¨ uckzukehren und sich nach einem Jahr erneut zur Aufnahmepr¨ ufung zu melden. Einstein verbrachte das Zwischenjahr in der technisch orientierten Kantonsschule in Aarau in der deutschen Schweiz. Die Schule war eine angenehme ¨ Uberraschung f¨ ur Einstein. Die dortige Atmosph¨are war liberal und insbesondere gab es ein gut ausgestattetes Labor, in dem sich alle modernen elektrischen Apparate befanden. Jost Winteler, der Geschichtslehrer der Schule, brachte Einstein in seinem Haus unter. Familie Winteler hatte sieben Kinder, so daß ein weiteres leicht in die Schar zu integrieren war. Jost Winteler vertrat in aktiver Weise ethische und soziale Fragen; mit seinem kritischen Herangehen und seinem Radikalismus beeinflußte er auch Einsteins Denken und Weltanschauung. Dieser Einfluß schlug sich sp¨ater sowohl in Einsteins Arbeit als Physiker als auch in seinen sozialen Ansichten nieder. Einstein wurde ein außergew¨ohnlich unabh¨ angig denkender Wissenschaftler, der soziale Mißst¨ande heftig kritisierte und sich nicht vor G¨ otzenbildern verneigte. Der Zweck der Schule in Aarau bestand darin, den Sch¨ ulern das geistige R¨ ustzeug f¨ ur ein Universit¨ atsstudium wie f¨ ur h¨ohere Berufe in Handel, Gewerbe und Industrie zu vermitteln. Einsteins Vater hatte den Wunsch, daß sich
4.1 Mit Lichtgeschwindigkeit
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auch Albert f¨ ur Technik begeistern m¨ oge; er solle Elektroingenieur werden und sp¨ater die Firma u ¨bernehmen. Es war ein vergeblicher Wunsch. Der Junge hielt den Gedanken f¨ ur v¨ ollig abwegig, sein Talent mit der Projektierung von Ger¨aten zu vergeuden, die das Leben erleichtern und ihn reich machen. Er wollte ausschließlich u ¨ber physikalische Probleme nachdenken.
4.1 Mit Lichtgeschwindigkeit Einstein hat nie erz¨ ahlt, welche Gedankenkette ihn auf die Relativit¨atstheorie brachte. Jedoch nannte er einige wichtige Meilensteine. Den ersten Meilenstein errichtete er in seinem Jahr in Aarau. Damals dachte er dar¨ uber nach, wie die Welt wohl aussehen w¨ urde, wenn man sie als Mitreisender“ von ei” nem Lichtstrahl aus betrachtet.1 Einstein mochte Gedankenspiele dieser Art und interessierte sich auch sp¨ ater als Forscher daf¨ ur. Sie entwickelten seine Intuition, die eine seiner starken Seiten war. Einstein kannte Michael Faradays Entdeckung, gem¨aß der elektrische und magnetische Ph¨anomene mit Hilfe von Feldern beschrieben werden k¨onnen. Um eine elektrische Ladung herum besteht ein elektrisches Feld und um einen Magneten herum ein Magnetfeld. Ein ver¨anderliches Magnetfeld erzeugt Strom in einer Leiterschleife, das heißt, es wird ein elektrisches Feld erzeugt, das die Elektronen im Leiter bewegt. Ebenso erzeugt ein ver¨anderliches elektrisches Feld ein Magnetfeld, daß heißt, um den Leiter herum entsteht ein Magnetfeld, wenn sich das elektrische Feld der Leiterelektronen aufgrund der Elektronenbewegung ¨ andert. ¨ Anderungen in einem Magnetfeld erzeugen also ein elektrisches Feld und ¨ Anderungen in einem elektrischen Feld erzeugen ein Magnetfeld. Dieser Kooperations- und Beistandspakt der Felder wird mit Hilfe der Maxwellschen Gleichungen beschrieben. Wenn eine elektrische Ladung, zum Beispiel ein Elektron, hin und her schwingt, dann ¨ andert sich das dadurch erzeugte Magnetfeld st¨andig. Ein ver¨ anderliches Magnetfeld erzeugt seinerseits ein ver¨anderliches elektrisches Feld und das wiederum ein ver¨anderliches Magnetfeld und so weiter. Nach ihrer Entstehung bilden ver¨anderliche elektrische Felder und Magnetfelder ein System, das sich selbst aufrechterh¨alt. Maxwell zeigte, daß dadurch eine Welle erzeugt wird, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet. Mit der Welle bewegt sich die Energie von der schwingenden Ladung in den umgebenden Raum. Die elektromagnetischen Wellenberge befinden sich zu jedem gegebenen Zeitpunkt dort, wo das elektrische Feld und das Magnetfeld in einer bestimmten Richtung am gr¨oßten sind, und die Wellent¨aler befinden sich dort, wo die Felder in der entgegengesetzten Richtung 1
W¨ ahrend dieses Jahres in Aarau kam mir die Frage: Wenn man einer Lichtwelle ” mit Lichtgeschwindigkeit nachl¨ auft, so w¨ urde man ein zeitunabh¨ angiges Wellenfeld vor sich haben. So etwas scheint es aber doch nicht zu geben. Dies war das erste kindliche Gedankenexperiment, das mit der speziellen Relativit¨ atstheorie zu tun hatte.“ (Albert Einstein)
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4 Einsteins Weg zum Physiker
am gr¨oßten sind. Nat¨ urlich war in der Schule von diesen Dingen keine Rede, aber Einstein hatte sich den Sachverhalt beim Lesen popul¨arwissenschaftlicher B¨ ucher klar gemacht. Einstein stellte sich vor, wie diese Art Wellenzug aussehen w¨ urde, wenn er sich mit dessen Geschwindigkeit bewegte. Er schlußfolgerte, daß dann die elektrischen Felder und die Magnetfelder wie an ihrem Platz erstarrt sein w¨ urden. Es w¨are so, als ob er auf einem Wellblechdach s¨aße, wo es Wellenberge und Wellent¨aler gibt, aber u ¨berhaupt keine Wellenbewegung. Und wenn es keine Wellenbewegung geben w¨ urde, dann g¨ abe es keine Energie¨ ubertragung und auch kein Licht. Einstein schloß, daß eine solche an ihrem Platz eingefrorene Welle vom physikalischen Standpunkt aus unm¨oglich w¨are und der Theorie von Maxwell widersprechen w¨ urde. Eine elektromagnetische Welle kann sich niemals in dieser Art von Zustand befinden, sondern ihre physikalische Bedeutung h¨angt mit ihrer Bewegung, ihrer Schwingung zusammen. Licht kann also nie festfrieren; man kann es weder einholen noch sich mit seiner Geschwindigkeit bewegen. Diese Vorstellung reifte in Einsteins Gedanken.
4.2 Der St¨ orenfried Einstein schloß die Schule in Aarau ab und bewarb sich danach erneut an der ETH Z¨ urich. Dieses Mal hatte er Gl¨ uck. Im Oktober 1896 schrieb er sich als Student in der Abteilung ein, die Lehrer f¨ ur Physik, Chemie und Mathematik ausbildete. Er erwartete im Lehrerfachbereich einen interessanteren Unterricht als in den eigentlichen Ingenieursabteilungen. So war es tats¨achlich, aber nicht so gut, daß er zufrieden gewesen w¨ are. Der Schuln¨orgler wurde zum Universit¨atsn¨orgler; nach Auffassung der Lehrkr¨afte war er ein St¨orenfried. Nach Einsteins Meinung war es ein ganz großer und vollkommen unbegreiflicher Mangel der Lehre, daß in den Vorlesungen kein einziges Wort u ¨ber den Maxwellschen Elektromagnetismus gesagt wurde. Einstein protestierte, indem er den Vorlesungen fernblieb und auf eigene Faust diejenigen Dinge studierte, die ihn am meisten interessierten. Die Dozenten merkten sich nat¨ urlich Einsteins Tricks und seine spitzen Kommentare und hielten seine Arroganz und Impertinenz f¨ ur unertr¨ aglich. Ein Professor beschwerte sich schriftlich dar¨ uber, daß Einstein die Vorlesungen schw¨ anzte; vom Rektor der Hochschule erhielt Einstein einen Vermerk. Der Dozent f¨ ur Elektrotechnik, Heinrich Weber, den Einstein f¨ ur seinen besten Lehrer hielt, sagte frustriert zu Einstein: Sie sind ein gescheiter Junge, Einstein, ein ganz gescheiter Junge. Aber ” Sie haben einen großen Fehler: Sie lassen sich nichts sagen!“ Zur gleichen Zeit, als die Kommilitonen in den Vorlesungen schwitzten, vertiefte sich Einstein in seiner Studentenbude mit Begeisterung in die Meister der theoretischen Physik. Auf diese Weise machte er Bekanntschaft mit den Fragen, u uhrende Wissenschaftler nachdachten ¨ber die damals zahlreiche f¨ ¨ – Fragen, auf die man im H¨ orsaal vergeblich wartete. Der Ather besch¨aftigte auch Einstein. Zuerst war er von dessen Existenz genauso u ¨berzeugt wie
4.3 Bedr¨ angnis
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andere auch, und im zweiten Studienjahr u ¨ berraschte er Professor Weber, indem er ein Experiment vorschlug, mit dessen Hilfe man die Bewegung der ¨ Erde relativ zum Ather messen k¨ onne. Sein Idee war, einen Lichtstrahl mit Hilfe von Spiegeln in zwei Teile zu teilen. Einer der Teilstrahlen w¨ urde sich ¨ relativ zum Ather in derselben Richtung wie die Erde bewegen, der andere in einer vertikal entgegengesetzten Richtung. Die Strahlen w¨ urden relativ ¨ zum Ather die gleiche Wellenl¨ ange haben, aber da sich die Erde relativ zum ¨ Ather bewegt, m¨ ußte zwischen den im Labor gemessenen Wellenl¨angen ein kleiner Unterschied auftreten. In dem von Einstein vorgeschlagenen Experiment w¨ urde der Wellenl¨ angenunterschied indirekt dadurch beobachtet werden, daß man die Strahlungsenergie mit Hilfe der W¨armewirkung messen w¨ urde. Diese Methode wurde bei der Messung von Atomspektren verwendet; es war ein Mittel, denjenigen Teil des Spektrums zu messen, der nicht im Bereich ¨ des sichtbaren Lichtes lag. Uber Webers Kommentare ist nichts bekannt, aber h¨aufig haben Professoren die schlechte Angewohnheit, mit v¨aterlicher oder m¨ utterlicher Freundlichkeit auf die Geistesprodukte ihrer neuen Studenten zu reagieren, ohne sich ernsthafter damit auseinanderzusetzen. Einsteins Vorschlag war intelligent und funktionierte im Prinzip. Der Vorschlag ¨ahnelte dem Michelson-Morley-Experiment, von dem Einstein damals offensichtlich weder geh¨ ort noch gelesen hatte. Die Idee erwies sich jedoch als undurchf¨ uhrbar, weil die Energieunterschiede der Strahlen zu klein gewesen w¨aren, als daß man sie mit W¨ armemessung h¨ atte registrieren k¨onnen. Michelsons geniales Interferenzverfahren maß die Wellenl¨ange der Strahlen direkt und geh¨orte zu einer ganz besonderen Pr¨ azisionsklasse. ¨ Einstein u ahlich Zweifel am Ather. Damals dachten die Wis¨ berkamen allm¨ senschaftler an eine Physik des geladenen Teilchens, das sich im elektrischen Feld bewegt. Lorentz verdichtete die herrschenden Ideen in seiner Feststellung, daß die wichtigste zu l¨ osende Frage darin bestehe, ob ein geladenes Teilchen ¨ ¨ den Ather mit sich f¨ uhrt, oder ob der Ather vollst¨andig ruht. Es gab nur ¨ diese Alternative, denn die Existenz des Athers wurde nicht infrage gestellt. ¨ Die Kopplung der Atherbewegung an die Elektrodynamik von Teilchen f¨ uhrte unvermeidlich zu einer unangenehm konfusen Theorie. Einstein schrieb seiner Freundin und zuk¨ unftigen Frau Mileva Mari´c im Sommer 1899, er sei immer mehr davon u ¨ berzeugt, daß diese Theorie und das wirkliche Naturgeschehen ¨ nichts miteinander zu tun h¨ atten. Seiner Meinung nach sei der Ather aufgepfropft, ohne daß man die M¨ oglichkeit habe, ihm irgendeinen physikalischen Inhalt oder eine physikalische Bedeutung zu geben. Er konnte aber damals noch keine korrekte Alternative anbieten; das Gedankengeb¨aude war noch nicht vollendet.
4.3 Bedr¨ angnis Das Studium dauerte f¨ unf Jahre und endete mit einer Abschlußpr¨ ufung. Von den vier Studenten, die die Pr¨ ufung erfolgreich bestanden hatten, schnitt Ein-
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4 Einsteins Weg zum Physiker
stein am schlechtesten ab. Nur Mileva Mari´c fiel durch. Dennoch war die Wissenschaftlerlaufbahn Einsteins Ziel und trotz seiner Leistung, die zu w¨ unschen u ¨brig ließ, war er ziemlich zuversichtlich, eine Stelle als Universit¨atsassistent zu bekommen. Den anderen drei erfolgreichen Pr¨ uflingen gelang das wirklich, aber Einstein nicht. Es gelang ihm weder an seiner eigenen Ausbildungseinrichtung in Z¨ urich, wo seine maultierhafte Starrn¨ackigkeit“ sicherlich nicht ” die bestm¨ogliche Empfehlung war, noch an den vielen anderen Universit¨aten, an deren Professoren er und auch sein Vater ohne Scheu Bittbriefe richteten. Heike Kammerlingh Onnes, Professor an der holl¨andischen Universit¨at Leiden, war einer derjenigen, die sich nicht einmal die M¨ uhe machten, Einstein zu antworten. Heute ist die von Einstein geschriebene Bewerbung ein großer Schatz des Universit¨ atsmuseums von Leiden. Jahre sp¨ater wurde Einstein, inzwischen weltber¨ uhmt, als Gastprofessor nach Leiden eingeladen. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sein Gehalt selbst bestimmen. Die Zeit ohne Anstellung war schwer f¨ ur Einstein, der gew¨ohnt war, sein eigener Herr zu sein und zu tun, was er wollte. Er hatte keinen Broterwerb und von den Verwandten trafen die Geldsendungen nicht mehr in dem Maße ein wie in seiner Studentenzeit. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, gab Einstein Privatunterricht und u ¨bernahm gelegentlich kurzzeitig befristete Vertretungen als Lehrer. Die eigene Schulzeit und das Studium noch frisch im Ged¨achtnis, ließ Einsteins Einstellung zu den Schulanforderungen sehr zu w¨ unschen u ¨brig. Er gab zwei Gymnasiasten Nachhilfestunden, aber dieses Unternehmen mußte eingestellt werden. Einstein hatte die Jungen n¨amlich aufgefordert, die Schule zu schw¨ anzen, weil die dortigen Lehrer seinen Privatunterricht nur vermasseln w¨ urden. Auf einen solchen Rat legte der Vater der Jungen, der selbst Gymnasiallehrer war, keinen gesteigerten Wert.
4.4 Lieserl Die Beziehung zu Mileva Mari´c wurde trotz der heftigen Proteste von Einsteins Eltern enger. Die Einw¨ ande seitens Einsteins Mutter nahmen mitunter sogar hysterische Formen an. Der mit Worten ausgesprochene Grund f¨ ur den Widerstand war die Tatsache, daß das Paar nicht die o¨konomischen M¨oglichkeiten hatte, eine Familie zu gr¨ unden. Nicht ausgesprochene Gr¨ unde waren Milevas orthodoxe Religion, ihre slawische Abstammung und ein H¨ uftleiden. Mileva wurde schwanger und kehrte zur¨ uck nach Serbien in ihre Heimatstadt Novi Sad, wo sie ein M¨ adchen zur Welt brachte, das sie in Serbien ließ. Die Existenz dieses Kindes, Lieserl“, blieb bis in die 1980er Jahre ein Geheim” nis. Man wußte kaum etwas u ¨ber die Tochter, nicht einmal ihr richtiger Name war bekannt. Entweder starb sie jung oder sie wurde zur Adoption freigegeben; jedenfalls verschwand Lieserl schnell und endg¨ ultig aus dem Leben ihrer Eltern. Der Hintergrund der Verheimlichung war m¨oglicherweise die Furcht davor, daß ein uneheliches Kind das Vorhaben Einsteins erschwert h¨atte, eine Arbeitsstelle in der Schweiz zu bekommen.
4.5 Patenter Patentierknecht
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Nirgendwo ist ersichtlich, daß Einstein wegen der Aufgabe des Kindes unter gr¨oßeren Gewissensqualen litt. Er und Mileva Mari´c heirateten ein Jahr sp¨ater und bald kamen zwei S¨ ohne zur Welt. Die Jungen sind ihrer großen Schwester offensichtlich nie begegnet, und Einstein selbst hat seine Tochter nie gesehen. Der ¨altere Sohn wurde Ingenieur und Professor der Hydraulik an der Universit¨at Berkeley in Kalifornien; der j¨ ungere Sohn wurde bereits fr¨ uhzeitig psychisch krank und starb in einer Nervenklinik in der Schweiz. Auch diese Kinder spielten in Einsteins Leben eine Nebenrolle. Die Beziehung zu Mileva, die Vertiefung in die Probleme der Physik und der grenzenlose Glaube an die eigenen F¨ ahigkeiten halfen Einstein, die schweren Zeiten zu u ahlich die Hoffnung auf eine Univer¨ berstehen. Er gab allm¨ sit¨atskarriere auf, hielt das aber nicht f¨ ur einen entscheidenden R¨ uckschlag in Bezug auf seine Laufbahn als Wissenschaftler. Einstein hatte ein reges Innenleben und vor seinem geistigen Auge erschienen immer viele Wege, die vorw¨arts f¨ uhrten. In jeder Situation schien er mit guter Laune darauf zu vertrauen, daß sich die Dinge zum Besseren wenden.
4.5 Patenter Patentierknecht Nach der Geburt des ersten Sohns erhielt Einstein durch Beziehungen eine Stelle im Patentamt von Bern. Das Gehalt war kein Beamtengehalt, aber ziemlich f¨ urstlich im Vergleich zu dem, was ihm als Assistent an der Universit¨at gezahlt worden w¨ are. Im Patentamt bekam er mindestens das Doppelte und damit kam die kleine Familie u ¨ ber die Runden. Einstein hatte Recht behalten, daß es ihm gelingen w¨ urde, den Broterwerb mit der physikalischen Forschungsarbeit zu verbinden. Offensichtlich hatte die Kreativit¨at der Schweizer nach der Erfindung der Kuckucksuhr etwas nachgelassen, weil Einstein jeden Tag die M¨ oglichkeit hatte, seine eigenen Berechnungen aus einer Schublade seines Schreibtisches zu nehmen und sich in die Physik zu vertiefen. W¨ ahrend der sieben Jahre, die er im Patentamt verbrachte, stellte er Forschungsarbeiten fertig, deren Platz auf den ersten Seiten der Wissenschaftsgeschichte zu finden ist. Viele seiner bedeutendsten Arbeiten nahmen in dieser Zeit ihren Anfang, auch die 1915 ver¨offentlichten Arbeiten zur Allgemeinen Relativit¨ atstheorie waren bereits in Vorbereitung, als er das Patentamt 1909 verließ. Offensichtlich wirkte sich das Fernbleiben von akademischen Kreisen gut auf sein Denken aus, denn die Hauptstr¨omung der damaligen Physik riß ihn nicht mit sich fort. Er selbst hielt die Arbeit im Patentamt f¨ ur einen Segen, weil bei einer akademischen Laufbahn die ”¨ wissenschaftliche Produktivit¨ at zum Uberleben notwendig ist und es eines großen Charakters bedarf, nicht in Oberfl¨ achlichkeit zu verfallen“. Als er im Patentamt arbeitete, konnte er sich in aller Ruhe in die Physik vertiefen. Man err¨at unschwer, welche Meinung Einstein von den Rentabilit¨ats- und Qualit¨atsanforderungen gehabt h¨ atte, durch die man heutige Wissenschaftler zu Spitzenleistungen anspornt.
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4 Einsteins Weg zum Physiker
¨ 4.6 Atherische“ Zweifel ” ¨ Einsteins Glaube an den Ather zerbr¨ ockelte aufgrund zweier experimenteller Beobachtungen. Die eine war das obengenannte Experiment von Hippolyte Fizeau, in dem die Lichtgeschwindigkeit in fließendem Wasser gemessen wurde. Fizeau stellte fest, daß dabei das auf Galileo Galilei (1564–1642) zur¨ uckgehende traditionelle Relativit¨ atsgesetz der Mechanik nicht funktioniert, wenn man ¨ ¨ annimmt, daß sich der Ather nicht mit dem Wasser bewegt. W¨ urde der Ather ruhen, dann d¨ urfte das Fließen des Wassers keinen Einfluß auf die Lichtgeschwindigkeit haben. Die Messungen zeigten jedoch, daß sich das Licht mit der Str¨omung schneller bewegt als gegen die Str¨omung. Augustin Fresnel erkl¨ arte das mit seiner Theorie dadurch, daß das Was¨ ser den Ather ein kleines bißchen mit sich f¨ uhrt. Laut Fresnel bewegt sich ¨ das Licht relativ zum Ather immer mit der gleichen Geschwindigkeit, aber es ¨ erh¨alt mit der Str¨ omung eine zus¨ atzliche Geschwindigkeit, weil sich der Ather mit der Str¨omung bewegt. Bei der Bewegung gegen die Str¨omung wird das Licht laut Fresnel aus demselben Grund langsamer. Das waren direkte Schlußfolgerungen aus der Art und Weise, wie man in der klassischen Mechanik die Geschwindigkeiten addiert: Man erh¨ alt die Geschwindigkeit eines Bootes, das sich in einem Fluß relativ zum Ufer bewegt, wenn man die Geschwindigkeit, die das Boot in Bezug auf das Wasser hat, zur Str¨omungsgeschwindigkeit des Wassers addiert. Mit dem Strom rudert und schwimmt es sich schneller als gegen ihn. Ein anderes Beobachtungsergebnis, das Einsteins Gedankeng¨ange beeinflußte, betraf die Aberration des Lichtes. Die Aberration wurde von dem Engl¨ander James Bradley zu Beginn des 18. Jahrhunderts beobachtet. Bradleys Absicht war, die Parallaxe eines bestimmten Sterns, des Eltanin, zu messen. Die Parallaxe ist die scheinbare j¨ ahrliche Positions¨anderung eines Sterns, die darauf zur¨ uckzuf¨ uhren ist, daß wir den Stern bei unseren Umkreisungen der Sonne zu verschiedenen Jahreszeiten aus verschiedenen Richtungen sehen. Ein ¨ahnliches Ph¨ anomen entsteht, wenn wir einen Gegenstand abwechselnd mit dem linken und mit dem rechten Auge betrachten: die Position des Gegenstands scheint sich zu ¨ andern. Bradley beobachtete tats¨achlich eine Abweichung in der Position des Sterns, aber die Abweichung war nicht im Dezember und im Juni am gr¨ oßten, wie es im Fall der Parallaxe h¨atte sein sollen, sondern im M¨arz und im September. Bradley erkannte, daß die von ihm beobachtete Erscheinung ganz und gar ¨ nicht auf die Anderungen der Erdposition zur¨ uckzuf¨ uhren war, sondern auf die Tatsache, daß die Geschwindigkeit der Erde relativ zum Stern in den verschiedenen Abschnitten der Erdumlaufbahn unterschiedlich ist. Die scheinbare Richtung des Lichtstrahls h¨ angt von der Geschwindigkeit der Erde ab. Das Fernrohr muß auf korrekte Weise schr¨ ag gestellt werden, damit die vom Stern ausgesandten Lichtstrahlen ins Fernrohr gelangen, und der erforderliche Neigungswinkel h¨angt von der Richtung der Erdbewegung in Bezug auf den Stern ab. Auch der Regenschirm muß beim Gehen in passender Weise schr¨ag nach
4.6
¨ Atherische“ Zweifel ”
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vorn gehalten werden, wenn man nicht naß werden m¨ochte. Im M¨arz bewegt sich die Erde in einer zur Septemberrichtung entgegengesetzten Richtung und deswegen differieren die Neigungswinkel des auf den Stern Eltanin gerichteten Fernrohrs im M¨arz und September um 20,5 Bogensekunden. Bradleys Ergebnis bez¨ uglich der scheinbaren Positions¨anderung des Sterns stimmte mit dem Additionsgesetz der klassischen Mechanik u ¨berein, falls das Licht aus Korpuskeln besteht, wie Newton gedacht hatte. Die Durchf¨ uhrung dieser Berechnung war m¨ oglich, weil sowohl die Lichtgeschwindigkeit als auch die Geschwindigkeit der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne hinreichend genau bekannt waren. Die Gr¨ oße der Aberration mißt das Verh¨altnis der Erdgeschwindigkeit zur Lichtgeschwindigkeit (v/c). ¨ Vom Standpunkt der Wellentheorie und der Athertheorie war die Situation ¨ komplizierter. Bradleys Beobachtung stand in Einklang mit der Atherhypo¨ these, falls der Ather als ruhend in Bezug auf die Sonne und andere Sterne vorausgesetzt wird, und falls sich die Erde mit ihrer Atmosph¨are durch ¨ den Ather bewegt, ohne ihn mitzuf¨ uhren. Dann w¨ urde sich das Licht – unter Einhaltung der Newtonschen Gesetze – auf die gleiche Weise ausbreiten wie ¨ Teilchen im Raum. Falls die Erde den Ather aber mit sich f¨ uhrt, dann w¨are die Einfallsrichtung des Lichtes im Fernrohr eine andere. Das Licht bewegt sich im Wasser langsamer als in der Luft und im leeren Raum. W¨ urde man ein Fernrohr mit Wasser f¨ ullen, dann brauchte ein Lichtstrahl l¨angere Zeit, um in das Okular zu gelangen, als es normalerweise der Fall w¨are, und die Aberration w¨ are gr¨ oßer. Ein solches Experiment wurde tats¨achlich durchgef¨ uhrt, aber man hat nicht beobachtet, daß das Wasser einen solchen Effekt hat. Die Erkl¨ arung der Fresnelschen Theorie bestand dar¨ in, daß sich der Ather auch innerhalb des Wassers befindet und das Wasser ¨ den Ather mitf¨ uhrt, was die Bewegung der Lichtwelle beeinflußt und den Effekt der Lichtverlangsamung kompensiert. Die Erdatmosph¨are w¨ urde also den ¨ Ather nicht mitf¨ uhren, w¨ ahrend ihn das viel dichtere Wasser mitf¨ uhrt. Fresnels Mitf¨ uhrungskoeffizient“ h¨ angt vom Brechungskoeffizienten des Mediums ” ab – im vorliegenden Fall also vom Brechungskoeffizienten des Wassers, so daß vom Standpunkt des Beobachters das Wasser die Ausbreitung des Lichtstrahls durchaus nicht beeinflußt. Die langsamere Lichtausbreitung im Wasser wird ¨ nach dieser Theorie dadurch kompensiert, daß die Bewegung des Athers zu einer zus¨atzlichen Geschwindigkeit f¨ uhrt. Fizeaus Ergebnis und die Erkl¨ arungen f¨ ur die Aberrationsbeobachtungen u unstlich und un¨berzeugten Einstein nicht. Sie waren seiner Meinung nach k¨ glaubw¨ urdig. Es gab tats¨ achlich ein offenkundiges Problem in Fresnels Theorie: die Lichtgeschwindigkeit in einem Medium h¨angt von der Wellenl¨ange ab, ¨ so daß jeder Wellenl¨ ange offensichtlich ihr eigener Ather entsprechen m¨ ußte, den das betreffende Medium auf spezifische Weise mitf¨ uhrt. Einstein suchte etwas, das einfacher und nat¨ urlicher ist und sich universeller anwenden l¨aßt. Die (v/c)-Ph¨anomene, Fizeaus Experiment und die Aberration sind Ph¨anomene erster Ordnung. Als solche u ¨ berzeugten sie Einstein davon, daß man auf ¨ den Ather verzichten und eine nat¨ urlichere Erkl¨arung finden sollte. Zus¨atzli-
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4 Einsteins Weg zum Physiker
chen Glauben gaben ihm die Schriften des franz¨osischen Mathematikers Henri Poincar´e (1854–1912), die er zusammen mit einigen Freunden enthusiastisch ¨ studierte. Poincar´e hatte sich dahingehend ge¨außert, daß der Ather vielleicht nur ein mathematisches Hilfsmittel sei und die Physiker eines Tages lernen ¨ w¨ urden, ohne den Ather auszukommen. Einstein entschied sich f¨ ur einen wis¨ senschaftlichen Kreuzzug, um die Welt von der Macht des Athers zu befreien. Einsteins Waffen waren weder die Dynamik noch die Materialeigenschaften, sondern die Kinematik und die Begriffe der L¨ange und der Zeit.
5 Spezielle Relativit¨ atstheorie
Einstein l¨ oste den Theorienkonflikt zwischen Newton und Maxwell in seiner Ver¨ offentlichung Zur Elektrodynamik bewegter K¨ orper“, die im September ” 1905 erschien. Der Schl¨ ussel zur L¨osung lag in einer ¨ uberraschenden Sache: in der Zeit- und L¨ angenmessung. Es ist schwierig, pl¨ otzlich irgendetwas Merkw¨ urdiges bei der Zeit- und L¨angenmessung zu finden, ganz zu schweigen von der Tatsache, daß dadurch eine Revolution der Grundlagen der Physik ausgel¨ost werden k¨onnte. Die Zeit kann mit einer Uhr und die L¨ angen k¨ onnen mit einem Metermaß gemessen werden. Die L¨ange eines auf dem Bahnhof stehenden Zuges l¨aßt sich leicht herausfinden, wenn man auf dem Bahnsteig einen Strich an der Stelle macht, wo sich die Zugspitze1 befindet, und einen weiteren Strich an der Stelle, wo sich das Zugende befindet; danach mißt man den Abstand zwischen den beiden Strichen. Die Messung der L¨ ange eines fahrenden Zuges ist eine etwas anspruchsvollere Aufgabe, aber mit zwei Helfern gelingt auch das. Der eine markiert die Stelle der Zugspitze und der andere im gleichen Moment die Stelle des Zugendes; anschließend wird wieder der Abstand der beiden Markierungen gemessen. Es ist nat¨ urlich wesentlich, daß die Stellen gleichzeitig markiert werden. Markiert man n¨ amlich die Stelle des Zugendes sp¨ater als die Stelle der Zugspitze, dann bewegt sich der Zug zwischen den Markierungen weiter vorw¨arts, und die Messung der Zugl¨ ange ergibt einen zu kleinen Wert. Das scheint selbstverst¨ andlich zu sein, aber hier tritt eines der Skelette der Newtonschen Mechanik als Poltergeist in Erscheinung. Damit das Meßpersonal an der Zugspitze und am Zugende die Striche im gleichen Moment ziehen kann, m¨ ussen Uhren verwendet werden, die die gleiche Zeit anzeigen. Das Synchronisieren von Uhren ist keine unproblematische Angelegenheit. Man k¨onnte sich den Synchronisationsvorgang beispielsweise folgendermaßen vorstellen: Genau von der Mitte zwischen den beiden Uhren wird gleichzei1
Hiermit ist nicht der h¨ ochste Berg Deutschlands gemeint, sondern der vorderste Teil des Zuges.
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5 Spezielle Relativit¨ atstheorie
tig ein Lichtpuls an beide Uhren gesandt. Es wird vereinbart, daß es zu dem Zeitpunkt, an dem der Lichtpuls bei den Uhren ankommt, genau zw¨olf Uhr ist. Sind die Uhren identisch, dann zeigen sie danach immer die gleiche Zeit an. Das Verfahren funktioniert, aber nur unter der Voraussetzung, daß sich der Lichtpuls in beide Richtungen mit der gleichen Geschwindigkeit ausbrei¨ tet! Gem¨aß der Athertheorie geschieht das nicht zwangsl¨aufig, denn das Licht ¨ breitet sich am schnellsten in die Richtung aus, in die sich der Ather relativ zur Erde bewegt, und am langsamsten in die entgegengesetzte Richtung. F¨ ur Newton war die Zeit kein Problem. Sein Ausgangspunkt war die abso¨ lute Zeit, die von den Weltereignissen nicht ersch¨ uttert werden konnte. Uber das Synchronisieren braucht man nicht nachzudenken, denn es gibt eine universelle Zeit, die man zur Feststellung der Gleichzeitigkeit verwenden kann. Die illusorischen Uhren zeigen in jedem Winkel des Universums die gleiche Zeit an. Die praktische Seite der Zeitmessung steckte zu Newtons Zeiten noch in den Kinderschuhen, denn die Uhr war damals eine ganz neue Erfindung und das gediegenere Chronometer, die Pendeluhr, wurde zur gleichen Zeit erfunden, als Newton u ¨ber seine Theorien nachdachte. Damals waren also die Zeit als abstrakter Begriff und die praktischen Fragen der Zeitmessung noch weit voneinander entfernt.
5.1 Was ist Bewegung? Außer der Zeit ist auch der Raum in Newtons Theorie absolut. Er ist eine unver¨anderliche, unsichtbare Arena, in der die Schauspiele der Natur aufgef¨ uhrt werden. Newton kam auf den absoluten Raum, als er dar¨ uber nachdachte, was Bewegung im Grunde genommen bedeutet. Um u ¨ber Bewegung sprechen zu k¨onnen, muß es einen Rahmen geben, in Bezug auf den die Bewegung stattfindet, und Newton nahm den absoluten Raum als Bezugsrahmen. W¨are der einzige K¨ orper des Universums eine im leeren Raum treibende Trommelwaschmaschine, woher wissen wir dann, ob sich die Trommel dreht, oder ob sie unbeweglich an ihrer Stelle bleibt und sich der Rest der Maschine um die Trommel dreht? Geht es darum, daß ein und dieselbe physikalische Situation auf zwei verschiedene Weisen ausgedr¨ uckt wird? Die Erfahrung sagt uns, daß man das Drehen der Trommel daran erkennt, daß die W¨asche innerhalb der Trommel gegen die Trommelw¨ ande gedr¨ uckt wird. W¨ urde die Trommel ruhen und sich die Maschine um die Trommel drehen, dann w¨ urde mit der W¨asche in der Trommel offensichtlich nichts geschehen. Vom Standpunkt der Physik ist es also wichtig, welches der beiden Teile sich wirklich dreht, aber was macht den Unterschied aus? Was sagt der W¨asche im leeren Raum, daß sich jetzt die Trommel dreht, und daß sich die W¨asche gegen die Trommelw¨ande pressen muß? Newton benutzte keine Waschmaschine als Beispiel, aber seine Antwort auf das Problem war der absolute Raum. Er sagte, daß Bewegung eine Bewegung in Bezug auf den absoluten Raum sei. Die
5.2 Auseinandersetzung mit dem Problem
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Trommel der Waschmaschine drehe sich in Wirklichkeit nur dann, wenn sie sich im absoluten Raum dreht. Die Newtonschen Bewegungsgesetze gelten f¨ ur eine Bewegung, die in Bezug auf den absoluten Raum stattfindet, aber nicht ausschließlich in Bezug darauf. Bereits vor Newton stellte Galileo Galilei fest, daß eine gleichf¨ormige Bewegung die Vorg¨ ange der Mechanik nicht beeinflußt. Er begr¨ undete das mit folgendem Beispiel. Stellen Sie sich vor, daß Sie sich im Frachtraum eines fensterlosen Schiffes befinden und dort Goldfische beobachten, die in einem Aquarium herumschwimmen. Aufgrund der Bewegung der Fische k¨onnen Sie nicht schlußfolgern, ob das Schiff vor Anker liegt oder ob es auf offener See mit gleichf¨ormiger Geschwindigkeit f¨ ahrt. Die Bewegung der Fische erfolgt nach den gleichen Gesetzen in einem vor Anker liegenden Schiff und in einem gleichf¨ormig bewegten Schiff. Wenn Sie eine Geldm¨ unze aus Ihrer Hand fallen lassen, dann f¨ allt die M¨ unze zu Ihren F¨ ußen – unabh¨angig davon, ob sich das Schiff gleichf¨ ormig bewegt oder vor Anker liegt. Die Newtonschen Gesetze gelten auf die gleiche Weise in Systemen, die sich relativ zueinander mit gleichf¨ormiger Geschwindigkeit bewegen. Das ist das Relativit¨atsprinzip der klassischen Mechanik, das auch in den Newtonschen Bewegungsgesetzen zum Ausdruck kommt.
5.2 Auseinandersetzung mit dem Problem Einige Wissenschaftler hatten bereits vor Einstein begonnen, die Begriffe der absoluten Zeit und des absoluten Raumes f¨ ur bedenklich zu halten. Es ist n¨amlich keineswegs m¨ oglich, herauszufinden, wann sich ein K¨orper relativ zum absoluten Raum in absoluter Ruhe befindet. Da die Physik in allen Systemen, die sich gleichf¨ormig in Bezug auf den absoluten Raum bewegen, ein und dieselbe ist, kann kein physikalisches Ph¨ anomen den absoluten Raum von diesen anderen Systemen unterscheiden. Einige Physiker schlugen vor, den ¨ absoluten Raum Newtons als das System zu betrachten, in dem der Ather ¨ ruht. Auf diese Weise w¨ are der Ather ein fester Bezugsrahmen. Diese Annahme ließ sich nicht begr¨ unden, aber andererseits lieferte sie einen tiefgr¨ undigen ¨ Anlaß f¨ ur die Existenz des Athers. Die beiden zur Zeit Newtons f¨ uhrenden Philosophen, George Berkeley und Gottfried Wilhelm Leibniz, kritisierten sogleich die Schw¨achen der Newtonschen Theorie, aber die Kritik verhallte mit der Zeit, weil Newtons Theorie in der Lage war, immer neue Ph¨ anomene zu erkl¨aren. Ungef¨ahr zweihundert ¨ Jahre sp¨ater setzte der Osterreicher Ernst Mach (1838–1916) die Diskussion fort. Laut Mach kann nur eine relative Bewegung Sinn haben, das heißt, es kommt darauf an, ob ein K¨ orper relativ zu einem anderen K¨orper in Ruhe oder in Bewegung ist oder nicht. Mach bestritt den absoluten Newtonschen Raum, weil es seiner Meinung nach reine Mystik sei, zu behaupten, daß ein von allen materiellen Naturereignissen unabh¨ angiger materiefreier Raum bestimmen k¨onne, wann eine Bewegung eine Bewegung ist und wann nicht. Auf
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5 Spezielle Relativit¨ atstheorie
welche Weise w¨ urde der Raum der W¨ asche mitteilen, wann sie sich gegen die Trommelw¨ande pressen solle und wann nicht? Laut Mach ist die Bewegung eines K¨ orpers eine Bewegung relativ zu anderer Materie, die sich im Universum befindet. Auch eine echte Drehbewegung existierte nur deswegen, weil es im Raum andere Materie gibt. Gem¨aß Mach beging Newton den Denkfehler, daß er annahm, Drehungen und andere Bewegungen im leeren Raum seien so beschaffen, wie wir sie hier in unserem eigenen Universum gew¨ ohnt sind, das Materie in H¨ ulle und F¨ ulle enth¨alt. Entsprechend Machs Schlußfolgerung w¨ urde nichts mit der W¨asche geschehen, die sich in der Trommel einer Waschmaschine im leeren Raum dreht; w¨ urden aber etwa beispielsweise irgendwo im Raum einige winzige Sterne funkeln, dann w¨ urde die W¨ asche tats¨ achlich bereits ein kleines bißchen gegen die R¨ander der rotierenden Waschmaschine gedr¨ uckt werden. Die Auswirkungen der Beschleunigung w¨ aren umso st¨ arker, je mehr Materie existierte. Mach war einer von Einsteins Lieblingswissenschaftlern, nach Maxwell der zweite auf der Rangliste. Machs Kritik der Theorie Newtons fiel bei dem kritischen Geist Einsteins auf fruchtbaren Boden. Die Gedankeng¨ange Machs waren mehr Philosophie als Physik und Einstein gefiel die prinzipielle Natur diese Argumentation. Auch er selbst hielt Ausschau nach Prinzipien.
5.3 Dein Jetzt und mein Jetzt Henri Poincar´e war der Erste, der kritische Bemerkungen u ¨ber die Zeit ¨außerte. Ihn st¨orte das prinzipielle Problem, das mit dem Synchronisieren von Uhren zusammenh¨angt. Das Synchronisieren erfordert, daß man die Geschwin¨ digkeit des zur Ubertragung verwendeten Signals kennt, aber das Messen der Signalgeschwindigkeit erfordert seinerseits das Messen der Zeit, das heißt, das Synchronisieren von Uhren. Das brachte ihn darauf, u ¨ber die Gleichzeitigkeit nachzudenken. Kann man u berhaupt von der Gleichzeitigkeit von Ereignissen ¨ sprechen, die an verschiedenen Orten stattfinden, wenn die Synchronisation von Uhren prinzipiell unm¨ oglich ist? Die Gleichzeitigkeiten“ verschiedener ” Beobachter k¨onnen sich voneinander unterscheiden. Wenn ich feststelle, daß zwei Dinge im gleichen Moment stattfinden, jetzt“, dann kann es sein, daß ” du sie zu verschiedenen Zeitpunkten beobachtest – jetzt und jetzt“. Mein ” Jetzt“ zerf¨allt in mehrere deiner Jetzte“. Einstein war sich auch dieser pro” ” phetischen und tiefliegenden Prinzipien bewußt, weil er Poincar´es Schriften sorgf¨altig studiert hatte. Das Synchronisieren von Uhren war nicht nur ein prinzipielles theoretisches Problem, sondern gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch zu einer praktischen Frage geworden, insbesondere aus Gr¨ unden des Zugverkehrs und der Kartographie. Die Erdkugel mußte in Zeitzonen eingeteilt werden, die die gleiche Uhrzeit verwenden, um genaue Zugfahrpl¨ane aufstellen und einhalten zu k¨onnen. Die Nutzung des Sternenhimmels zur vergleichsf¨ahigen Lokalisierung
5.4 Die Lorentztransformation
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weit voneinander entfernter geographischer Punkte erforderte eine verbindliche Zeitangabe. Die Rotation der Erdkugel ver¨andert in jedem Moment die scheinbaren Positionen der Sterne. Die Telegraphenkabel hatten die elektrische Zeit¨ ubertragung von einem Kontinent zum anderen m¨oglich gemacht. Poincar´e hatte mit praktischen Angelegenheiten dieser Art zu tun, denn er nahm seit 1895 an der T¨ atigkeit des Bureau des Longitudes teil, das urspr¨ unglich f¨ ur die Bed¨ urfnisse der Seefahrt gegr¨ undet worden war. Eine der Aufgaben des B¨ uros war die globale Synchronisation der Zeit. Auch Einstein war mit der praktischen Seite der Chronometrie vertraut, weil viele der von ihm bearbeiteten Patentanmeldungen – man befand sich ja in der Schweiz – genaue Zeitmesser und Zeitumsteller zum Gegenstand hatten.
5.4 Die Lorentztransformation Poincar´e war einem großen wissenschaftlichen Durchbruch nahe. In seinen Schriften findet man – da und dort verstreut – die meisten Bausteine der sp¨ater von Einstein entdeckten Speziellen Relativit¨ atstheorie. W¨ahrend sich Lorentz auf die alte und bew¨ ahrte Physik st¨ utzte, erkannte Poincar´e instinktiv, daß die Physik und insbesondere das Problemkn¨ auel des Elektromagnetismus eine radikal neue Sichtweise erforderte. Die von Lorentz und Fitzgerald vorgeschlagene L¨angenverk¨ urzung veranlaßte die Wissenschaftler, u ¨ber den Einfluß der Bewegung auf die Ergebnisse der Maxwellschen Theorie nachzudenken. Bald gelangte man tats¨achlich zu der Schlußfolgerung, daß sich die Koordinaten (drei Ortskoordinaten und die Zeit) von Beobachtern, die sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten bewegen, auf ganz bestimmte Weise voneinander unterscheiden – andernfalls w¨ urde die Theorie Erscheinungen vorhersagen, die nicht mit den Beobachtungen u ¨bereinstimmen. Die L¨ ange eines Pfeils, das heißt, die Werte der Koordinaten von Pfeilspitze und Pfeilende, h¨ angen davon ab, ob man den vorbeiflitzenden Pfeil von einer festen Stelle aus beobachtet oder ob man neben ihm fliegt. Die von einem ruhenden und von einem mitfliegenden Beobachter gemessenen Koordinaten stehen in einer Beziehung zueinander, die von der Pfeilgeschwindigkeit abh¨angt. Der hierbei bestehende mathematische Zusammenhang wird als Lorentztransformation bezeichnet. Joseph Larmor (1857–1942) hat 1899 gezeigt, daß die L¨angenkontraktionshypothese von Fitzgerald und Lorentz aus dieser Transformation folgt. (Tats¨ achlich hat nicht Lorentz, sondern Larmor die Transformation entdeckt.) Die Lorentztransformation betraf nicht nur die Ortskoordinaten, auch die Zeit schien sich zu a ¨ndern. Zu einem bewegten System geh¨orte eine Zeit, die sich von der Zeit eines ruhenden Systems unterschied. Lorentz bezeichnete die Zeit des bewegten Systems als lokale Zeit, aber er hielt diese lediglich f¨ ur eine mathematische Hilfsgr¨ oße; die authentische, richtige Zeit war nach seiner Auffassung die absolute Zeit Newtons. Poincar´e ging weiter und dachte, daß die lokale Zeit eine authentische physikalische Bedeutung hat. Er f¨ uhrte diesen
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5 Spezielle Relativit¨ atstheorie
Gedanken nicht zu Ende. Er bemerkte den Zusammenhang zwischen dem neuen Zeitbegriff und der L¨ angenmessung nicht; er erkannte auch nicht, daß die von Fitzgerald und Lorentz vorgeschlagene Kontraktion von K¨orpern gerade mit diesen Messungen zusammenhing und keineswegs mit den physikalischen Eigenschaften der Materie.
5.5 Einstein macht tabula rasa Einstein hatte dieselben Teile des Puzzles vor sich wie Poincar´e, aber er betrachtete sie mit anderen Augen. Das Teil, mit dem er begann, das Puzzle zusammenzusetzen, war die Theorie von Maxwell – an die Einstein felsenfest glaubte. Die Wissenschaftler hatten festgestellt, daß die Maxwellschen Gleichungen gegen¨ uber der Lorentztransformation invariant sind. Die elektrischen und die magnetischen Ph¨ anomene folgen also unabh¨angig von der Bewegung des Beobachters ein und denselben Gesetzen – vorausgesetzt, daß diese Bewegung gleichf¨ormig ist. Einstein schlußfolgerte, daß die Lichtgeschwindigkeit nicht von der Bewegung der Lichtquelle relativ zum Beobachter abh¨angt, weil die Geschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen aus den Maxwellschen Gleichungen abgelesen werden kann und weil diese Gleichungen unver¨andert bleiben. Das war einer der Ausgangspunkte Einsteins. Der andere Ausgangspunkt war die Forderung, daß zus¨ atzlich zu den Maxwellschen Gleichungen auch die anderen physikalischen Gesetze nicht von der Bewegung abh¨angen d¨ urfen. Alle Gesetze m¨ ussen gegen¨ uber der Lorentztransformation invariant bleiben. Aber in Bezug worauf bewegen sich die elektromagnetischen Wellen? Ein¨ stein hatte den absoluten Raum und den Ather abgelehnt. Was war nun der Bezugsrahmen? Wie l¨ oste Einstein die Jahrhunderte alte Frage, die Mach mit Nachdruck ausgesprochen hatte? Einsteins L¨ osung ist verbl¨ uffend einfach: es ist kein spezieller Bezugsrahmen erforderlich, weil sich eine elektromagnetische Welle stets und in Bezug auf alles mit ein und derselben Geschwindigkeit, der Lichtgeschwindigkeit c, ausbreitet. Die Lichtgeschwindigkeit ist also eine Invariante, das heißt, sie h¨ angt nicht von der Geschwindigkeit des Beobachters in Bezug auf die Lichtquelle ab. Ganz gleich, wie schnell wir uns in Bezug auf eine Lichtquelle bewegen, das Licht bewegt sich relativ zu uns immer mit 300 000 km/s. Lichtwellen erreichen unsere Augen immer mit derselben Geschwindigkeit. Man kann Licht nicht einholen: egal, wie wir unsere Geschwindigkeit beschleunigen und versuchen, mit dem Lichtstrahl auf gleiche Augenh¨ohe“ ” zu kommen – das Licht flieht vor uns immer mit einer Geschwindigkeit von 300 000 km/s. Bereits als Sch¨ uler hatte Einstein u ¨ber diese Sache nachgedacht. Die Invarianz der Lichtgeschwindigkeit ist eine notwendige Schlußfolgerung, wenn man voraussetzt, daß die Maxwellschen Gleichungen f¨ ur alle Beobachter gelten, die sich relativ zueinander mit gleichf¨ormiger Geschwindigkeit bewegen. Einstein setzte das voraus. Sein grundlegender Ausgangspunkt war das folgende allgemeine Relativit¨ atsprinzip der Physik: Alle physikalischen
5.6 Verr¨ aterisches Licht
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Gesetze sind in Systemen gleich, die sich relativ zueinander mit gleichf¨ormiger Geschwindigkeit bewegen. Hier folgte er Galilei und Newton, aber er verallgemeinerte das Relativit¨ atsprinzip von der Mechanik auf elektromagnetische Ph¨anomene. Die Goldfische schwimmen – wie bereits Galilei festgestellt hat – in einem bewegten Schiff auf die gleiche Weise, wie in einem vor Anker liegenden Schiff. Laut Einstein beeinflußt jedoch eine gleichf¨ormige Bewegung auch die elektromagnetischen Ph¨ anomene nicht, das heißt, die Radios, Digitalkameras und elektrischen Zahnb¨ ursten funktionieren auf einem Schiff, das den Ozean durchpfl¨ ugt, auf die gleiche Weise, wie auf einem Schiff, das im Hafen vor Anker liegt. Die Ph¨ anomene der Physik machen keinen Unterschied zwischen gleichf¨ormigen Bewegungen. Die von Newton formulierten Bewegungsgesetze sind gegen¨ uber der Lorentztransformation nicht invariant. Deswegen schloß Einstein, daß die Newtonschen Gesetze nicht exakt gelten, sondern daß sein allgemeineres Relativit¨ atsprinzip ihre Korrektur erforderte.
5.6 Verr¨ aterisches Licht Einsteins Annahme, daß die Lichtgeschwindigkeit konstant ist, mag unschuldig aussehen, aber sie hat dramatische Folgen, die die Grundlagen der Physik ersch¨ uttern. Man erh¨ alt die Lichtgeschwindigkeit durch einen Vergleich der vom Licht durchlaufenen Wegl¨ ange mit der dabei vergangenen Zeit. Wenn wir hier auf der Erde f¨ ur das von einem Stern kommende Licht die gleiche Geschwindigkeit erhalten, wie die Beobachter in einem Raumschiff, das sich mit hoher Geschwindigkeit zum betreffenden Stern hin bewegt, dann m¨ ussen unsere irdischen Begriffe von L¨ ange und Zeit offensichtlich anders beschaffen sein, als die entsprechenden Begriffe der im Raumschiff auf der Lauer liegenden Beobachter. In Newtons Mechanik sind Zeit und L¨ange universelle Begriffe, und gem¨aß den Gesetzen dieser Mechanik muß sich die Geschwindigkeit des von uns gemessenen Lichtes von der Geschwindigkeit des vom Raumschiff aus gemessenen Lichtes unterscheiden. Das Licht w¨ urde das zum Stern fliegende Raumschiff mit einer Geschwindigkeit erreichen, die um die Gr¨oßenordnung der Raumschiffgeschwindigkeit gr¨ oßer ist als die Geschwindigkeit des Lichts auf seinem Weg vom Stern bis hierher zur Erde. Diese Addition der Geschwindigkeiten, die auf unseren Alltagserfahrungen beruht, funktioniert gem¨aß Einsteins Theorie nicht, wenn die relativen Geschwindigkeiten groß sind. Laut Einstein wird die Auswirkung der – zwischen uns und dem Raumschiff bestehenden – relativen Geschwindigkeit auf die f¨ ur das Licht gemessene Geschwindigkeit vollst¨ andig dadurch kompensiert, daß die Zeit und die Entfernung in entsprechender Weise von der relativen Geschwindigkeit abh¨angen, die zwischen den Beobachtern besteht. Er berechnete, auf welche Weise sich Zeit- und Entfernungsmessungen von Beobachtern unterscheiden, die sich relativ zueinander bewegen. Das Resultat stimmte zuf¨alligerweise exakt mit dem Ergebnis u ¨berein, mit dessen Hilfe die von Lorentz und Fitzgerald vorgeschlagene Kontraktion fr¨ uher erkl¨ art worden war! Einstein entdeckte also die
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5 Spezielle Relativit¨ atstheorie
Lorentztransformation wieder, aber er tat das von einer ganz anderen Warte aus. Er brauchte zur Erkl¨ arung des Michelson-Morley-Experiments keinerlei Verweis auf eine L¨ angenkontraktion. Michelson und Morley hatten bei ihren Messungen genau das richtige Resultat erhalten, denn das Licht hat immer die gleiche Geschwindigkeit: die Laufrichtung des Lichtes hat keinerlei Bedeutung. ¨ Einstein stellte triumphierend fest, daß man den Ather auf den M¨ ullhaufen der Physikgeschichte werfen kann. Die elektrischen Felder und die Magnetfelder existieren und f¨ ullen den Raum aus, und die elektromagnetischen Wellen breiten sich im Raum aus, ohne daß man ein mystisches Lichtmedium ben¨otigt. Auch zur Rechtfertigung der Existenz eines absoluten Raumes ist ¨ der Ather nicht erforderlich, denn f¨ ur einen absoluten Raum gibt es keinerlei Verwendung. Raum und Zeit sind relativ, sie sind f¨ ur jeden Beobachter spezifisch und h¨angen von der Geschwindigkeit eines Beobachters relativ zu anderen Beobachtern ab. Nur die Bewegung des Lichtes ist absolut, alle anderen Bewegungen sind relativ.
5.7 Verku ange, gedehnte Zeit ¨rzte L¨ Zur¨ uck zu den Zugmessungen. Die Einsteinschen Prinzipien haben eine u ¨berraschende Folge: messen die am Bahnsteig stehenden Beobachter die L¨ange eines stehenden Zuges, dann erhalten sie ein anderes Ergebnis, als wenn sich der Zug bewegt. Der fahrende Zug ist k¨ urzer! Die Fahrg¨aste erhalten nat¨ urlich ein und denselben Wert f¨ ur die Zugl¨ ange – unabh¨angig davon, ob sich der Zug relativ zum Bahnhof bewegt oder nicht. Aber vom Standpunkt eines Beobachters am Bahnsteig beeinflußt die Zugbewegung die Zugl¨ange. Wesentlich ist die relative Geschwindigkeit zwischen Zug und Beobachter – das ist die einzige M¨oglichkeit, die Bewegung zu bestimmen. Die Zugl¨ange ist keine Eigenschaft des Zuges, sondern ein Kuhhandel“ zwischen zwei Beteiligten, zwischen dem ” Zug und dem Beobachter. L¨ ange ist somit ein relativer Begriff. Wie ist es zu verstehen, daß die Beobachter neben den Gleisen und die Beobachter im Zug unterschiedliche L¨ angen f¨ ur den fahrenden Zug erhalten? Das ist die Frage, deren Beantwortung Einstein zum entscheidenden Durchbruch f¨ uhrte. Einstein selbst nannte die Geburtsstunde der Relativit¨atstheorie den ” Schritt“. Die Antwort verbirgt sich in der Relativit¨ at der Gleichzeitigkeit. Am Bahnhof rast ein Zug vor¨ uber, dessen Geschwindigkeit ungef¨ahr H¨alfte der Lichtgeschwindigkeit betr¨ agt. Die Beobachter neben den Gleisen sehen, daß die Zugspitze bei einem bestimmten Glockenschlag der Uhr, etwa genau um 12 Uhr, bei einem Lichtmast in einer Entfernung von 300 Metern vom Zugende ist, das sich am Bahnhof befindet. Es wird vorausgesetzt, daß eine am Zugende befindliche Uhr, die sich mit dem Zug bewegt, die gleiche Zeit anzeigt wie die am Bahnhof befindliche Uhr, das heißt, genau 12 Uhr. Die Fahrg¨aste wissen, daß die L¨ ange ihres Zuges 350 Meter betr¨agt, so daß sich die Zugspitze gem¨aß den Fahrgastmessungen in einer Entfernung von 350 Metern vom
5.7 Verk¨ urzte L¨ ange, gedehnte Zeit
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Bahnhof befindet, wenn die im Zug befindlichen Uhren zw¨olf zeigen. Die Uhr der an den Gleisen stehenden Beobachter zeigt 12 Uhr, wenn die Zugspitze beim Lichtmast ist – in einer Entfernung von 300 Metern vom Bahnhof. Dagegen zeigt diejenige mit dem Zug fahrende Uhr, die sich im gleichen Moment auf der H¨ohe“ des Lichtmasts befindet, nicht ganz 12 Uhr an, sondern ei” ne etwas fr¨ uhere Zeit. Diese Uhr zeigt genau 12 Uhr erst dann an, wenn die Zugspitze 50 Meter weiter ist. Die an den Gleisen befindlichen Uhren und die mit dem Zug bewegten Uhren zeigen nur an einem Ort – am Bahnhof – die gleiche Zeit an, an anderen Stellen zeigen sie eine andere Zeit an. Die L¨angenmessung ist die Bestimmung des Abstands zwischen zwei gleichzeitigen Ereignissen. Aus dem Blickwinkel der am Gleis stehenden Beobachter passiert die Zugspitze den Lichtmast zur gleichen Zeit, wenn das Zugende den Bahnhof passiert. Alle Uhren am Gleisrand stehen dann genau auf zw¨olf. F¨ ur die Beobachter am Gleisrand ist der Abstand zwischen diesen Ereignissen gleich der Zugl¨ ange, das heißt, 300 Meter. Vom Standpunkt der Fahrg¨aste hat die Zugspitze einen Abstand von 350 Metern vom Bahnhof zur gleichen Zeit, wenn das Zugende den Bahnhof passiert. Ein und dieselben Ereignispaare finden f¨ ur die Beobachter am Gleisrand und f¨ ur die Beobachter im Zug nicht gleichzeitig statt und deswegen erhalten diese Beobachter einen jeweils anderen Wert f¨ ur die Zugl¨ ange. Dieses Beispiel gibt auch Auskunft u ¨ber die Relativit¨at der Zeit. Wenn die Uhren von Beobachtern, die sich relativ zueinander gleichf¨ormig bewegen, an irgendeinem Punkt des Raumes die gleiche Zeit anzeigen, dann zeigen sie in anderen Phasen ihrer Bewegung eine unterschiedliche Zeit an. Eine Uhr, die sich relativ zu uns bewegt, l¨ auft langsamer als unsere eigene Uhr. Wenn das Zugende den Lichtmast passiert, dann stellt der am Gleisrand stehende Beobachter fest, daß seine Uhr eine sp¨ atere Zeit anzeigt als eine im Zug befindliche Uhr an der gleichen Stelle, auch wenn am Bahnhof die Uhren noch die gleiche Zeit angezeigt haben. Dieser Vorgang heißt Zeitdilatation. Die Sekunden im vorbeirasenden Zug dehnen sich, wenn man das Laufen der Zuguhren mit dem Laufen der Uhren am Gleisrand vergleicht. Akzeptiert man diese vielleicht widerspr¨ uchlich erscheinenden Sachverhalte, dann hat man das Wesen der Speziellen Relativit¨atstheorie verstanden, n¨amlich die Relativit¨ at der Zeit und der L¨ ange. Ohne diese Relativit¨at w¨are die Lichtgeschwindigkeit weder von der Geschwindigkeit der Lichtquelle unabh¨angig, noch w¨ urden die Maxwellschen Gleichungen des Elektromagnetismus immer gelten – im Gegensatz zu dem, was Einstein forderte und die Natur best¨atigt. Abst¨ande und Zeitintervalle haben keine absolute Bedeutung, sondern ihre Werte h¨angen von der Geschwindigkeit ab, die der messende Beobachter relativ zu dem zu messenden Objekt hat. Eine Sentenz besagt, daß die Sch¨onheit im Auge des Betrachters liegt. Hier geht es um einen Sachverhalt, der dieser Sentenz ein kleines bißchen ¨ ahnelt: die L¨angen und die Zeitintervalle liegen in den Fingerspitzen des messenden Beobachters. Wenn ich mich zum Beispiel dadurch beschreibe, daß ich 182 Zentimeter groß und 57 Jahre alt bin, dann hat diese Beschreibung keine absolute Be-
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5 Spezielle Relativit¨ atstheorie
deutung. Wenn einige Aliens mein Leben von ihrem Raumschiff aus verfolgt haben, dessen Geschwindigkeit relativ zu mir 80% der Lichtgeschwindigkeit betr¨agt, dann stellen sie fest, daß ich einen reichlichen Meter groß und ein krummer alter Mann von etwas mehr als 83 Jahren bin. Ich w¨ urde also ganz sch¨on alt aussehen! Es kommt aber noch schlimmer: W¨ urden die Aliens mit Lichtgeschwindigkeit fliegen, dann h¨ atte ich gar keine physische Gr¨oße, w¨are aber unendlich alt. All das sind ebenfalls korrekte Beschreibungen meiner Person. Meine eigene Messung ergibt die l¨ angste K¨orpergr¨oße (182 Zentimeter) und das j¨ ungste Alter (57) und die gleichen Werte werden von allen denjenigen gemessen, die sich in meinem Ruhekoordinatensystem ungef¨ahr an der gleichen Stelle befinden und sich relativ zu mir nicht bewegen. Alle anderen Messungen machen mich kleiner und ¨ alter.
5.8 Unglaublich, aber wahr F¨ ur Einsteins Zeitgenossen war es schwer, seine Ergebnisse u ¨ ber Zeit und Raum zu verstehen und zu akzeptieren. Einstein ersch¨ utterte die herk¨ommlichen Begriffe, u ¨ber deren Beschaffenheit man u ¨blicherweise nicht aktiv nachdachte, ganz zu schweigen davon, diese Begriffe anzuzweifeln. Die Relativit¨at der Gleichzeitigkeit ist schwer zu begreifen, weil sie sich in keinem gew¨ohnlichen Ph¨anomen des Alltagslebens konkret offenbart. Unser Zugbeispiel ist scheinbar allt¨aglich, aber die nicht allt¨ agliche Geschwindigkeit von ungef¨ahr 150 000 km/Sekunde macht den Zug unrealistisch. Bei einem realen Zug – selbst wenn es sich um den Cixuanfulieche handelt, also um den Transrapid Shanghai – sind die Abweichungen von der Gleichzeitigkeit so extrem gering, daß wir keinerlei M¨ oglichkeit haben, diese Abweichungen zu erkennen. Aber es gibt Abweichungen, die Natur ist tats¨ achlich so beschaffen. ¨ Einsteins Theorie war im Vergleich zu den Schn¨orkeln der Athertheorie u berraschend einfach und nat¨ u rlich. Es gab Physiker, die die kristallklare Lo¨ gik sofort verstanden und bereit waren, sie zu akzeptieren. F¨ ur den u berwie¨ genden Teil der Physiker war Einsteins Theorie jedoch nur das Ergebnis eines der vielen erfolglosen Versuche. Lange Zeit verwechselte man Einsteins Theorie mit der Theorie von Lorentz, auch wenn die erstere mit der letzteren nichts anderes gemeinsam hat, als die gleich aussehenden Formeln. Warum wurde die Relativit¨ atstheorie nicht schon fr¨ uher entdeckt? Warum konnte das von Galilei und Newton geschaffene Bild von den Gesetzm¨aßigkeiten der Physik das Denken so lange in aller Ruhe beherrschen? Die Erkl¨arung ist einfach: die Leistungsf¨ ahigkeit der menschlichen Sinnesorgane ist begrenzt. Newtons Theorie beruhte weithin auf den Informationen, die der Mensch von der Natur durch seine Sinneswahrnehmungen erhielt – es handelte sich um die mathematische Beschreibung der Alltagsrealit¨at. Die einfachen Versuche, die seit Galileis Zeiten durchgef¨ uhrt worden waren, hatten in der Natur nichts aufgedeckt, was nicht auch sonst herausgefunden worden w¨are. Diese Experimente vereinfachten nur die Ph¨ anomene und halfen auf diese Weise, die hinter
5.9 Einstein und Poincar´e
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ihnen stehenden Gesetze zu finden. Nach Newtons Zeit wurden die experimentellen Methoden allm¨ ahlich exakter, aber man entdeckte nichts, was die Theorie Newtons infragegestellt h¨ atte. Die Newtonsche Theorie marschierte von Sieg zu Sieg und festigte ihre Position st¨ andig. Die Korrekturen, welche die Relativit¨ atstheorie an den Gesetzen der Newtonschen Mechanik vornimmt, sind so klein, daß ihre direkte Beobachtung pr¨aziseste technische Instrumente erfordert. Aus diesem Grund blieben die von der Relativit¨atstheorie aufgedeckten Naturgesetze den Menschen so lange verborgen. Einstein fand die Relativit¨ atstheorie nicht mit Hilfe von experi¨ mentellen Beobachtungen bez¨ uglich des Athers oder durch Messungen. Der Elektromagnetismus war es, der Einstein auf die richtige Spur brachte. Einstein hatte das vor allem Faraday und Maxwell zu verdanken. Die Portr¨ats dieser beiden Vorbilder hingen an der Wand von Einsteins letztem Arbeitszimmer in Princeton.
5.9 Einstein und Poincar´ e ¨ Oft sind Uberlegungen angestellt worden, inwieweit die Spezielle Relativit¨atstheorie eine echte Errungenschaft Einsteins ist. Wie bereits festgestellt, hatten andere den Tisch f¨ ur ihn bereits fertig gedeckt. Alles in allem kann man schließen, daß zumindest Poincar´e Einstein gegen¨ uber verbittert war, weil dieser in seiner Ver¨offentlichung nicht auf Poincar´es einschl¨agige Arbeiten verwiesen hatte, die sich mit der Relativit¨ at der Gleichzeitigkeit befaßten, obwohl genau das der Schl¨ ussel zu Einsteins eigenen Schlußfolgerungen war. Die Entr¨ ustung war gerechtfertigt. In Einsteins Ver¨ offentlichung finden sich keinerlei Hinweise auf das Michelson-Morley-Experiment, auf die Kontraktionstheorie von Lorentz und Fitzgerald oder auf Poincar´es Arbeiten, obwohl Einstein von allen diesen Arbeiten Kenntnis hatte und einige von ihnen sehr gr¨ undlich studierte. Heutzutage w¨ urde eine solche Achtlosigkeit gegen¨ uber den Arbeiten anderer als a¨ußerste Arroganz gebrandmarkt werden, wenn nicht gar als wissenschaftlicher Betrug. Ver¨offentlichungen ohne Literaturhinweise waren damals nicht ganz selten. Band 17 der Zeitschrift Annalen der Physik, in der Einsteins Arbeit erschien, enth¨alt insgesamt 54 Artikel und bei fast einem Zehntel fehlen die Literaturhinweise. Aber bei den anderen zitatenlosen“ Ver¨offentlichungen handelt es ” sich im Großen und Ganzen um kurze Mitteilungen zu experimentellen Mes¨ sungen. (Ubrigens ist es vergebliche M¨ uhe, ein Original des Bandes 17 der Annalen der Physik auf den Regalen der Bibliotheken zu suchen. Die Bibliothekare halten die Originalb¨ ande sorgf¨ altig im Safe unter Verschluß, wovon ich mich in einer Bibliothek anhand einer schmuddeligen Fotokopie u ¨berzeugen konnte, durch die man das Original auf dem Regal ersetzt hatte. Wer Gl¨ uck hat, kann ein eigenes Exemplar auf einer Antiquit¨atenauktion ersteigern, wenn er daf¨ ur ungef¨ahr zwanzigtausend Euro blecht.)
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5 Spezielle Relativit¨ atstheorie
Einstein widersprach sich, als er bei verschiedenen Anl¨assen erz¨ahlte, was er von diesen fr¨ uheren Arbeiten wußte und was nicht, als er seine Theorie entwickelte. Manchmal behauptete er, erst im Nachhinein von den Ergebnissen des Michelson-Morley-Experiments erfahren zu haben, andernfalls h¨atte er diese Resultate in seiner Ver¨ offentlichung zitiert. Bei anderer Gelegenheit sagte er, daß er gewiß bereits fr¨ uher in den Lorentzschen Arbeiten von diesen Resultaten gelesen habe, jedoch h¨ atten die Ergebnisse seine Schlußfolgerungen u ¨berhaupt nicht beeinflußt. Auch sp¨ater hat Einstein sehr selten auf Poincar´es Arbeiten verwiesen. Vielleicht bef¨ urchtete er, daß der Wert seiner eigenen Leistung in den Augen der Wissenschaftler sinken w¨ urde, wenn er zug¨abe, Anregungen aus diesen Arbeiten erhalten zu haben. Poincar´e schwieg seinerseits fast vollst¨andig u ¨ber Einsteins Relativit¨ atstheorie, obgleich ihn der Themenkreis auch weiterhin interessierte. Man kann sich auch vorstellen, daß es f¨ ur ihn – den hochgesch¨atzten Mathematiker und Philosophen – eine bittere Pille war, als ihm ein junger unbekannter Angestellter eines Patentamtes die sensationelle wissenschaftliche Entdeckung vor der Nase wegschnappte. Einstein und Poincar´e trafen einander zum ersten Mal 1911 in Br¨ ussel auf der sogenannten Solvay-Konferenz. Es war auch das letzte Mal. Einstein war damals zweiunddreißig Jahre alt und lebte in seiner ungest¨ umtesten Schaffensperiode. Poincar´e hingegen war siebenundf¨ unfzig Jahre alt und arbeitete immer noch intensiv, aber seine kreativste Zeit lag bereits weit zur¨ uck. Das Treffen war nicht sonderlich gegl¨ uckt und beide M¨anner fanden in wissenschaftlichen Dingen – physikalisch ausgedr¨ uckt – keine gemeinsame Wellenl¨ange. Einstein trug u ¨ber Quantenphysik vor, und seine Vortr¨age schienen f¨ ur Poincar´e, der sich an die Theorien von Newton und Lorentz klammerte, im Widerspruch zu fast allem zu stehen, was ein Naturgesetz f¨ ur ihn bedeutete. In der Quantenphysik gab es keine Funktionen, die sich gut verhielten, keine entsprechenden Differentialgleichungen, keine ordentlichen Kausalit¨atsbeziehungen und keinen Platz f¨ ur die physikalische Intuition. Die Relativit¨atstheorie wurde auf der Konferenz nicht behandelt, und so mußte man nicht u ¨ber heikle Dinge sprechen. Zwei große M¨ anner, die sich in ihrem Denken n¨aher kamen als irgend zwei andere, schritten ruhig und gravit¨atisch“ 2 aneinander ” vorbei – so wie sich zwei Schiffe auf dunkler See kreuzen. Das Bild, das sich Einstein auf der Konferenz von Poincar´e machte, war nicht positiv. Gem¨ aß Einstein hatte Poincar´e auf alles negativ reagiert und schien nicht recht zu erfassen, was in der Physik vonstatten ging. Zum Vergleich berief sich Einstein auf Lorentz, dessen Verstand und Takt er bis in den Himmel pries. Poincar´e hingegen war von Einsteins Auftritt beeindruckt, auch wenn er dessen Quantenideen nicht akzeptierte. Bald nach der Konferenz schrieb Poincar´e im Zusammenhang mit einer Bewerbung ein Gutachten, in 2
Das Adjektiv gravit¨ atisch“ bedeutet w¨ urdevoll, ernst“. Das Wort geht auf das ” ” lateinische Substantiv gravitas“ zur¨ uck, das w¨ urdevolles Wesen, Schwere“ be” ” deutet. Von gravitas“ leitet sich auch das Wort Gravitation“ (Schwerkraft) ab. ” ”
5.9 Einstein und Poincar´e
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dem er feststellte, daß Einstein einer der intelligentesten Denker sei, die er kannte, und daß Einsteins Leistungen und neue Einsichten unvergleichlich seien und sich im Laufe der Zeit als noch wertvoller erweisen w¨ urden. Diese positive Meinung kam jedoch in Poincar´es ¨ offentlichen Auftritten nie zum Vorschein. Als er im Mai 1912 in London u ¨ber Raum und Zeit sprach, sagte ¨ er nichts mehr u kommentierte aber andererseits den neuen ¨ber den Ather, ” Denkansatz einiger Physiker“, den er vom Standpunkt der Physik als unn¨otig erachtete. Er erw¨ahnte die Relativit¨ atstheorie von Lorentz“, wies aber mit ” keinem Wort auf Einstein hin. Poincar´e starb ein paar Monate sp¨ater. Der an der Universit¨ at Edinburgh t¨ atige Mathematiker Edward Whitta¨ ker ver¨offentlichte 1952 ein Buch u und Elektri¨ber die Geschichte der Atherzit¨atstheorien. Darin sprach er u ¨ber die Relativit¨atstheorie von Lorentz und ” Poincar´e“ und versuchte, Einsteins Anteil herunterzuspielen. Max Born, Professor der Physik an derselben Universit¨ at und ein guter Bekannter Einsteins, ¨ versuchte vergeblich, Whittaker von dieser provokativen Ubertreibung abzubringen. Born gab Einstein eine Vorwarnung, aber die Angelegenheit schien Einstein zumindest ¨ außerlich gleichg¨ ultig zu sein. Einstein schien sich mehr dar¨ uber aufgeregt zu haben, daß Born im gleichen Brief von seinem Plan erz¨ahlte, als Pension¨ ar nach Deutschland zur¨ uckzukehren. Deutschland war f¨ ur Einstein das Land der Massenm¨ order“, und er konnte nicht verstehen, ” wie ein Jude, der ins Exil gegangen war, jemals dorthin zur¨ uckkehren konnte.
6 Zeitdilatation und L¨ angenkontraktion
Die Spezielle Relativit¨ atstheorie wurde zur¨ uckhaltend aufgenommen. Ihre Vorhersagen u angenkontraktion waren sonderbar, ¨ber die Zeitdilatation und die L¨ aber sie haben sich als richtig erwiesen. Einsteins Relativit¨ atstheorie zerst¨ orte also das Fundament der klassischen Mechanik, die absolute Zeit und den absoluten Raum. Newton verzeih’ mir“ 1 , ” sagte Einstein. Jedoch machte die Relativit¨ atstheorie die Newtonsche Theorie nicht zu einer untauglichen Sache. Die Theorie Newtons eignet sich auch weiterhin ausgezeichnet zur Beschreibung der mechanischen Ph¨anomene. Die Bewegungen der Himmelsk¨ orper k¨ onnen mit Hilfe der Lehren Newtons berechnet werden und die Satelliten kreisen auf den richtigen Umlaufbahnen, wenn sie auf der Grundlage der Newtonschen Gleichungen gesteuert werden. Auf der Universit¨at und in den Schulen wird fast nur die Newtonsche Mechanik unterrichtet. Die meisten Physikstudenten lernen nur die Grundlagen der Relativit¨atstheorie, und sie werden diese in ihrem Beruf als Physiker vermutlich gar nicht weiter brauchen. Die Newtonsche Theorie beruht auf falschen Ausgangsbedingungen – auf dem absoluten Raum und der absoluten Zeit – aber in den Situationen, in denen die Theorie Newtons angewendet wurde und weiterhin angewendet wird, hat das keine Bedeutung. Einstein wies dennoch nach, daß es Ph¨anomene gibt, die von der Newtonschen Theorie nicht erkl¨art werden k¨onnen. Newtons Theorie taugt nicht zu allem – ganz im Unterschied zu dem, was man noch um die Wende zum 20. Jahrhundert glaubte. Die Relativit¨atstheorie wird nur dann ben¨otigt, wenn die relativen Geschwindigkeiten in der N¨ahe der 1
Newton verzeih’ mir; du fandest den einzigen Weg, der zu deiner Zeit f¨ ur einen ” Menschen von h¨ ochster Denk- und Gestaltungskraft eben noch m¨ oglich war. Die Begriffe, die du schufst, sind auch jetzt noch f¨ uhrend in unserem physikalischen Denken, obwohl wir nun wissen, daß sie durch andere, der unmittelbaren Erfahrung ferner stehende ersetzt werden m¨ ussen, wenn wir ein tieferes Begreifen der Zusammenh¨ ange anstreben.“
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6 Zeitdilatation und L¨ angenkontraktion
Lichtgeschwindigkeit liegen. Die Ergebnisse der Theorie Newtons sind nicht vollkommen exakt, aber die Fehler sind so klein, daß sie f¨ ur uns langsame Erdbewohner keine Bedeutung haben, egal ob wir joggen, Nordic Walking betreiben oder sprinten. Als Einstein seine Spezielle Relativit¨ atstheorie ver¨offentlichte, erwartete er, daß sie von den Physikern verrissen w¨ urde, hatte er doch keinerlei experimentelle Best¨atigungen, um seine Theorie zu untermauern. Warum sollte man die Newtonsche Theorie, die sich als exzellent erwiesen hatte, durch ein neues Gedankengeb¨ aude ersetzen, wenn kein konkretes Meßergebnis dies erforderte? Diese Art von Kritik unterblieb jedoch. Tats¨achlich h¨orte man lange Zeit u ¨ berhaupt nichts. Die Physiker antworteten auf seine Ver¨offentlichung mit tiefer Stille. Das war eine Entt¨ auschung f¨ ur Einstein, denn er konnte es kaum erwarten, seine Theorie mit anderen Physikern zu diskutieren und seine Ideen zu verteidigen. War das Machwerk“ des unbekannten jungen Mannes ” mit Achselzucken u ¨bergangen worden?
6.1 Pro und kontra Die erste Reaktion kam erst nach Wochen, war aber umso bemerkenswerter. Max Planck (1858–1947) schrieb Einstein aus Berlin und stellte einige spezifische Fragen zu den Details der Ver¨ offentlichung. Einstein war begeistert. Einer der f¨ uhrenden damaligen Physiker hatte die Ausf¨ uhrungen des in wissenschaftlichen Kreisen vollkommen unbekannten Patentamtangestellten gelesen und sich ernsthaft damit besch¨ aftigt! So etwas hatte Einstein nun wirklich nicht zu hoffen gewagt. Planck war von Einsteins Theorie echt begeistert und ver¨offentlichte bald sogar eigene Forschungsarbeiten dazu. Viele bedeutende Physiker wurden sp¨ ater zu Anh¨angern der Relativit¨atstheorie. Es gab aber auch Widerstand und manche zeigten Einstein die kalte Schulter, insbesondere weil experimentelle Best¨atigungen fehlten. Aus diesem Grund konnte sich die Theorie noch viele Jahre nicht etablieren. Als Einstein dar¨ uber informiert wurde, daß ihm der Nobelpreis 1922 zuerkannt wird, erw¨ahnte der Sekret¨ ar des Nobelkomitees in seinem Telegramm absichtlich, daß die Relativit¨ atstheorie nicht der Grund f¨ ur die Auszeichnung sei. Zwar hatte Einstein bereits seine Allgemeine Relativit¨atstheorie vorgelegt, die eine Verallgemeinerung der Speziellen Relativit¨ atstheorie ist und Einsteins wirkliches Meisterwerk darstellt, aber es gab damals noch keine vollkommen zweifelsfreie experimentelle Best¨ atigung f¨ ur die Relativit¨atstheorie. Hjalmar Tallqvist schrieb in seinem bereits fr¨ uher genannten Buch Der neue Aufstieg der Physik, das 1928 erschien, nur einige kurze Zeilen u ¨ber Einstein und die Relativit¨ atstheorie. In diesen kurzen Stellen spiegelt sich die f¨ ur Experimentalphysiker typisch reservierte und ausweichende Haltung gegen¨ uber Einsteins Theorien wider, die als schwerverst¨andlich galten. Bei” nahe h¨atte ich die revolution¨ are und umstrittene Relativit¨atsdoktrin Einsteins
6.2 Ursache vor Folge
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vergessen, die die Gem¨ uter weltweit in Wallung gebracht hat. Es ist eine besonders abstrakte Theorie, die schwer zu verstehen und schwer zu erkl¨aren ist, und auf ihre Kosten kam es zu allerlei Betrug – zur großen Gefahr der wahren Wissenschaft.“ Es w¨ are interessant, zu wissen, welchen Betrug Tallqvist meint! Es gibt heute nicht mehr die geringsten Zweifel an der Richtigkeit und Notwendigkeit der Speziellen Relativit¨ atstheorie. Unz¨ahlige Experimente haben die Korrektheit der Theorie innerhalb der Grenzen der Meßgenauigkeit best¨atigt. Am u ¨berzeugendsten zeigt die Relativit¨atstheorie ihre St¨arke in der Teilchenphysik. Die Laufbahn eines Teilchenphysikers w¨ urde an der ersten Kurve eines Teilchenbeschleunigers zerschellen, falls unser Physiker versuchen w¨ urde, mit der Newtonschen Mechanik auszukommen. Er w¨ urde weder die Bewegungen der Teilchen verstehen, noch den Teilchenbeschleuniger ingangsetzen k¨onnen. Die mikroskopisch kleinen Grundbausteine der Materie verhalten sich so, als ob sie noch nie etwas von Newton geh¨ort h¨atten. In den modernen Teilchenbeschleunigern werden Milliarden und Abermilliarden Teilchen auf Geschwindigkeiten beschleunigt, die mehr als 99,999...% der Lichtgeschwindigkeit betragen. Man k¨ onnte diese Teilchen im Beschleunigerring nicht auf der richtigen Bahn halten, h¨ atte man bei der Planung der Anlage nicht auf die Relativit¨atstheorie, sondern auf die Newtonschen Gesetze der klassischen Mechanik zur¨ uckgegriffen.
6.2 Ursache vor Folge Zu den Folgen der Relativit¨ atstheorie wird im Allgemeinen gez¨ahlt, daß sich Information von einem Ort zum anderen maximal mit Lichtgeschwindigkeit bewegen kann. Jedoch folgt dies nicht aus Einsteins Grundvoraussetzung, daß die Lichtgeschwindigkeit konstant ist. Vereinbart man aber die vern¨ unftig erscheinende Zusatzvoraussetzung, daß die Ursache-Folge-Beziehungen zwischen den Ereignissen, also die Kausalit¨ atsbeziehungen, unabh¨angig von der Relativgeschwindigkeit des Beobachters in Bezug auf das jeweilige Ereignispaar erhalten bleiben, dann ist die Lichtgeschwindigkeit die gr¨oßtm¨ogliche Informations¨ ubertragungsgeschwindigkeit. Wenn zwei Ereignisse an verschiedenen Orten stattfinden und keinerlei kausalen Zusammenhang aufweisen, dann h¨angt ihre zeitliche Reihenfolge von der Relativgeschwindigkeit des Beobachters in Bezug auf das betreffende Ereignispaar ab. Die chronologische Reihenfolge von Ereignissen, die an verschiedenen Orten stattfinden, ist also relativ. Einem langsamen Finnl¨ ander f¨ allt es schwer, diese Tatsache im Nordlicht seiner t¨aglichen Erfahrung zu glauben, aber so verh¨ alt es sich in der Natur, wenn die relativen Geschwindigkeiten groß sind. Wenn es einen kausalen Zusammenhang zwischen den Ereignissen eines Ereignispaares gibt, dann liegt die Ursache immer vor der Folge. Ein SumoRinger-Wettkampf in Tokyo und die in Helsinki stattfindende Beobachtung des Fights in einer Internet¨ ubertragung ist ein solches Ereignispaar. Es w¨are
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6 Zeitdilatation und L¨ angenkontraktion
reichlich sonderbar, wenn ein mit gewaltiger Geschwindigkeit vorbeirasender Zuschauer feststellen w¨ urde, daß man in Helsinki bereits dem Sieger zujubelt, w¨ahrend die Rikishi in Tokyo noch mit ihrem Anfangsritual besch¨aftigt sind und mit den Beinen in eindrucksvollen B¨ ogen auf der Matte herumstampfen. Die Erhaltung der Ursache-Folge-Beziehung, das heißt – gelehrt ausgedr¨ uckt – die Invarianz der Kausalit¨ at, gilt in der Relativit¨atstheorie unter der Voraussetzung, daß sich ein Effekt h¨ ochstens mit Lichtgeschwindigkeit von der Ursache auf die Folge u agt. W¨ are die Daten¨ ubertragung schneller, dann ¨ bertr¨ k¨onnte sich die Folge nach Auffassung einiger Beobachter vor der betreffenden Ursache ereignen.
6.3 Schneller als das Licht Die Relativit¨atstheorie schließt Bewegungen nicht aus, die schneller als das Licht sind. Die Teilchen, die sich im leeren Raum schneller als das Licht bewegen, werden Tachyonen genannt. Die Physiker haben von Zeit zu Zeit u ¨ber diese Teilchen spekuliert und haben sie als Erkl¨arung f¨ ur einige unerwartete Meßergebnisse pr¨ asentiert. Eine dieser Erkl¨ arungen h¨angt mit dem Betazerfall zusammen. Der Betazerfall ist der radioaktive Zerfall eines Atomkerns, bei dem u. a. Elektronen und Neutrinos abgestrahlt werden. Das Neutrino ist ein neutrales Teilchen, das im Vergleich zu anderen Elementarteilchen sehr leicht ist. Es ist so leicht, daß man seine Masse bis jetzt noch nicht mit Erfolg gemessen hat. Durch Messen der Energie eines beim Betazerfall entstehenden Elektrons kann man Informationen u ¨ ber die Masse des Neutrinos gewinnen, aber die erzielten Ergebnisse waren lange Zeit sehr r¨atselhaft. In den Experimenten wurde die Masse des Neutrinos als Gr¨oße zweiter Ordnung gemessen und erwies sich entgegen allen Erwartungen als negativ. Ein solches Ergebnis w¨are nur dann m¨ oglich, wenn die Neutrinos Tachyonen w¨aren. Aber wie so oft erwiesen sich die Spekulationen mit dieser exotischen Alternative als u ussig, als die Messungen pr¨ aziser wurden. ¨berfl¨ Die heutigen Teilchenbeschleuniger sind große Ringe, in denen die Teilchen von elektrischen Feldern beschleunigt und von Magnetfeldern so gelenkt werden, daß sie in entgegengesetzten Richtungen kreisen und aufeinander prallen. Im LEP-Beschleuniger2 des Europ¨ aischen Kernforschungszentrums CERN3 kreisten Elektronen und Positronen, im Beschleuniger des Fermilab in den Vereinigten Staaten und im Large Hadron Collider (LHC), der in CERN in Betrieb genommen wird, kreisen Protonen und Antiprotonen. Die Teilchen, die in diesen Beschleunigern gegeneinander krachen“, haben in Bezug ” auf das Labor eine Geschwindigkeit, die nahe bei der Lichtgeschwindigkeit liegt, das heißt, ungef¨ ahr 300 000 km/s. Bewegen sich dann die Teilchen nicht 2 3
Large Electron Positron Collider (Speicherring f¨ ur Elektronen und Positronen). CERN = Centre Europ´een de Recherches Nucl´eaires (Europ¨ aisches Kernforschungszentrum) in Genf.
6.4 Die vierte Dimension des Universums
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mit fast doppelter Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu? Ritten wir auf einem Elektron, w¨ urden wir dann das Positron nicht mit einer Geschwindigkeit von 600 000 km/s auf uns zurasen sehen? Nein, w¨ urden wir nicht! Die fehlerhafte Schlußfolgerung beruht auf der Newtonschen Mechanik und auf dem Galileischen Relativit¨atsprinzip, einem von fr¨ uher her vertrauten Gesetz: die Geschwindigkeit eines Bootes in Bezug auf das Ufer ergibt sich, wenn man die Geschwindigkeit des Bootes in Bezug auf das Wasser und die Str¨ omungsgeschwindigkeit des Wassers in Bezug auf das Ufer addiert. Einstein zeigte, daß dieses Gesetz nur gilt, wenn die Geschwindigkeiten viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sind. Laut Relativit¨atstheorie kann die Summe von Geschwindigkeiten nie die Lichtgeschwindigkeit u urden die Schiffsschrauben das Boot relativ zum Was¨berschreiten. W¨ ser mit knapper Lichtgeschwindigkeit antreiben und w¨are die Str¨omungsgeschwindigkeit des Flusses, die dem Boot zus¨ atzliches Tempo verleiht, von derselben Gr¨oßenordnung, dann w¨ urde der Pott – vom Ufer aus gesehen – nicht mit nahezu doppelter Lichtgeschwindigkeit vorbeidampfen, sondern nur mit einer Geschwindigkeit, die etwas unter der Lichtgeschwindigkeit liegt. Mit anderen Worten: Lichtgeschwindigkeit plus Lichtgeschwindigkeit gleich Lichtgeschwindigkeit. Die seltsam erscheinende Addition der Geschwindigkeiten ist eine einfache Folge des Einsteinschen Relativit¨ atsprinzips. Entsprechend den Maxwellschen Gleichungen breitet sich das Licht relativ zu allen Beobachtern mit ein und derselben Geschwindigkeit aus, das heißt, die L¨ange des vom Licht zur¨ uckgelegten Weges dividiert durch die dabei verflossene Zeit ist immer gleich c. Damit zwei Beobachter, die sich relativ zueinander bewegen, f¨ ur das Licht ein und denselben Geschwindigkeitswert erhalten, m¨ ussen die L¨ange des vom Licht zur¨ uckgelegten Weges und die dabei vergangene Zeit relativ sein, das heißt, sie sind f¨ ur diese beiden Beobachter verschieden. Gem¨aß der Relativit¨ atstheorie ist die Lichtgeschwindigkeit unabh¨angig von der Geschwindigkeit des Beobachters, aber das Licht ist kein Spezialfall. Das Gesetz bezieht sich zum Beispiel auch auf Teilchen, die sich mit großer Geschwindigkeit bewegen. Je mehr sich die Relativgeschwindigkeit eines Teilchens in Bezug auf einen Beobachter der Lichtgeschwindigkeit n¨ahert, desto n¨aher liegen auch die von allen anderen Beobachtern gemessenen Geschwindigkeiten des Teilchens bei dem gleichen Wert. Das observierte Positron bewegt sich relativ zum Physiker, der die Messungen im Labor durchf¨ uhrt, nahezu mit Lichtgeschwindigkeit und mit ungef¨ ahr derselben Geschwindigkeit bewegt sich das Positron auch relativ zu dem ihm entgegen rasenden anderen Beob” achter“, dem Elektron.
6.4 Die vierte Dimension des Universums Der im litauischen Kaunas geborene Mathematiker Hermann Minkowski, der in Deutschland und in der Schweiz wirkte, entwickelte f¨ ur die Spezielle Re-
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6 Zeitdilatation und L¨ angenkontraktion
lativit¨atstheorie eine neue Darstellungsweise, die sich als ¨außerst n¨ utzlich erwies. Minkowski war Einsteins Mathematikprofessor an der ETH Z¨ urich. Er sprach u ¨ber die Zeit als vierte Dimension. Er bezeichnete den vierdimensionalen Raum, der aus den drei Ortsdimensionen (zum Beispiel West-Ost, S¨ udNord, unten-oben) und aus der Zeit besteht, als Raumzeit, und entwickelte eine elegante mathematische Sprache zur Beschreibung dieses Raumes. Die Punkte der Raumzeit sind Ereignisse“, sie enthalten Informationen ” u ¨ber den Ort und u ¨ber die Zeit. Auch wir sind Punkte – oder, korrekter gesagt, kleine oder etwas gr¨ oßere K¨ orper – in diesem Raum, und mit dem Verstreichen der Zeit beschreiben wir eine fiktive Kurve in diesem Raum, eine Weltlinie. Unsere Weltlinie gibt Auskunft dar¨ uber, wo wir uns im Raum zu einem gegebenen Zeitpunkt befinden. Treffen sich die Weltlinien zweier Menschen, dann sind sie zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Handelt es sich dabei sogar um eine romantische Begegnung, dann k¨onnen diese beiden Weltlinien von da an mehr oder weniger eng miteinander verschlungen sein. Die Formeln von Lorentz, die Einsteins Ausgangspunkt waren, geben Auskunft dar¨ uber, wie sich die Koordinaten (das heißt, die drei Ortskoordinaten und die Zeit) von Beobachtern zueinander verhalten, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen. Die Orts- und Zeitkoordinaten verschiedener Beobachter vermischen sich so miteinander, daß mein Raum dein Raum und deine Zeit ist und daß dein Raum mein Raum und meine Zeit ist. Gem¨aß dem am Gleis stehenden Beobachter befindet sich das Ende des am Bahnhof vorbeirasenden Zuges zur gleichen Zeit am Bahnhof, wenn die Zugspitze am Lichtmast ist. Das Ereignispaar das Zugende f¨ahrt am Bahnhof vorbei“ ” und die Zugspitze f¨ ahrt am Lichtmast vorbei“ h¨angt aus der Sicht dieses ” Beobachters mit einem bestimmten Abstand, der Zugl¨ange zusammen, aber nicht mit einem Zeitunterschied, weil die Ereignisse gleichzeitig stattfinden. Aus der Sicht des mit dem Zug fahrenden Beobachters haben diese Ereignisse außer dem r¨aumlichen Abstand auch einen zeitlichen Abstand, das heißt, sie finden zu verschiedenen Zeiten statt. F¨ ur den im Zug fahrenden Beobachter entspricht der r¨aumliche Abstand des am Gleis stehenden Beobachters also einem gewissen r¨ aumlichen Abstand und einer gewissen Zeitspanne. Minkowski dr¨ uckte den Sachverhalt pathetisch so aus: Von Stund an sollen Raum ” f¨ ur sich und Zeit f¨ ur sich v¨ ollig zu Schatten herabsinken, und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbst¨ andigkeit bewahren.“ Als Einstein Minkowskis Artikel las, war er geschockt. Seiner Meinung war das Ganze nichts als unn¨ otige Sophistik und er hielt die Vorstellung f¨ ur banal, daß die Welt ein vierdimensionales Raum-Zeit-Kontinuum“ sei. Einstein ” hatte in seiner eigenen Arbeit einen anschaulichen Stil verwendet und die Dinge mit Hilfe von bekannten Begriffen dargestellt. Er beklagte sich, daß er in den Spuren der Mathematiker seine eigene Theorie nicht identifizieren k¨onne und witzelte damit nat¨ urlich u ¨ber die u ¨berspitzten abstrakten Formulierungen. Als Student hatte Einstein in Z¨ urich viele Mathematikvorlesungen bei Minkowski geh¨ort und Minkowski wußte, wor¨ uber er sprach, als er bei einer Gelegenheit durchblicken ließ, daß Einstein keineswegs ein mathematisches
6.4 Die vierte Dimension des Universums
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Wunderkind sei. Er beschrieb Einstein als faulen Hund, der das Studium der Mathematik nicht so ernst nahm, wie er es h¨ atte tun sollen. Vielleicht hatte aber auch Einstein von jenen Zeiten her seine eigenen Vorstellungen von Minkowski, die seine Reaktion beeinflußten. Einstein sch¨atzte den Snobismus“ ” der Mathematiker nicht. Wie es auch immer gewesen sein mag, Minkowskis Darstellung von Raum und Zeit erwies sich als sehr n¨ utzlich. Es war ein Durchbruch, der dazu f¨ uhrte, daß die Relativit¨ atstheorie mehr Aufmerksamkeit und Interesse erregte. Die Darstellung von Raum und Zeit als Bestandteile eines allgemeineren vierdimensionalen Raumes macht die mathematische Behandlung der Relativit¨atstheorie einfach und elegant. Die heutigen Physiker bewegen sich in der vierdimensionalen Welt, im Minkowski-Raum, wie zuhause. Dort k¨onnen sie geschickt Theorien formulieren, denen man bereits ¨außerlich ansieht, ob sie Einsteins Relativit¨ atsprinzip erf¨ ullen. Viele Theorien w¨ urden in den Augen dieser Physiker nahezu unkenntlich werden, wenn man die Zeit von den Ortsdimensionen trennen w¨ urde. Auch Einstein entdeckte sp¨ ater die Vorteile des vierdimensionalen Raumes, als er seine Allgemeine Relativit¨ atstheorie formulierte. Er verwendete Minkowskis hochgestochene“ Mathematik, die er fr¨ uher bel¨achelt hatte. Minkowski ” konnte diesen mathematischen Triumph, den sein schlechter Sch¨ uler nach angespanntem Nachdenken errungen hatte, nicht mehr erleben, da er 1909 im Alter von nur 44 Jahren an einem Blinddarmdurchbruch gestorben war. Man kann sehr wohl u ¨ber das vierdimensionale Raum-Zeit-Kontinuum sprechen, aber das darf keinen mystischen Schauder verursachen, wie sich ¨ Einstein gelegentlich ausdr¨ uckte. Die Anderung der Darstellungsweise ¨andert die Welt nicht, sondern es geht um den gleichen bekannten Raum und die gleiche bekannte Zeit. Man kann die L¨ angenkontraktion eines bewegten K¨orpers aus dem Blickwinkel der Raumzeit so verstehen, daß der K¨ orper w¨ahrend seiner Bewegung gleichsam teilweise in die Zeitrichtung abtaucht“ und wir ihn dann in sei” ner Raumrichtung verk¨ urzt sehen. Sogar unser langer Zug l¨aßt sich mit diesem Bild in Einklang bringen, wenn man ihn sich schr¨ag von vorn vorstellt: durch den Blickwinkel ist der Zug gleichsam verk¨ urzt. Ein ruhender K¨orper ist ¨ahnlich wie ein auf dem Schreibtisch liegender Bleistift unter dem Schein einer Lampe. Wird der Bleistift in eine aufrechtere Position gebracht, dann verk¨ urzt sich sein Schatten auf dem Tisch. Die aufrechtere Position entspricht der Bewegung und die vertikale Richtung der Zeit. Der Schatten auf dem Tisch entspricht dem K¨ orper, wie wir ihn in der Raumzeit sehen. Je aufrechter der Bleistift steht, desto schneller ist die ihm entsprechende Bewegung und desto k¨ urzer ist der K¨ orper, das heißt, der Schatten. Steht der Bleistift senkrecht, dann ist der Schatten vollkommen verschwunden. Das entspricht einer mit Lichtgeschwindigkeit erfolgenden Bewegung, bei der sich der K¨orper auf eine nichtexistente L¨ ange verk¨ urzt. Wenn wir als außenstehende Beobachter die L¨ange eines dahinrasenden Zuges messen, dann messen wir sozusagen
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6 Zeitdilatation und L¨ angenkontraktion
die Schattenl¨ange des Bleistifts. Die Fahrg¨ aste im Zug hingegen messen den Bleistift selbst.
6.5 Himmlische Beweise Eine der ersten von der Natur angebotenen Best¨atigungen f¨ ur die Spezielle Relativit¨atstheorie waren die Myonen. Diese auf der Erdoberfl¨ache beobachteten Elementarteilchen entstehen in den oberen Schichten der Atmosph¨are. Die Myonen ¨ahneln den Elektronen, aber ein Myon wiegt ungef¨ahr zweihundertmal so viel wie ein Elektron. Myonen sind kleine Zeitbomben, denn sie zerfallen von selbst in andere Elementarteilchen (in Elektronen, in ElektronNeutrinos und in Myon-Neutrinos). Man kann Myonen erzeugen und ihre Eigenschaften in Teilchenbeschleunigern untersuchen. Wird ein Protonenstrahl auf einen gewissen Target geschossen, dann entstehen weitere Elementarteilchen, Pionen und Kaonen, die schnell in Myonen zerfallen. Die Myonen k¨ onnen gestoppt werden, wenn man sie auf geeignetes Material richtet. Man findet die Lebensdauer eines Myons, indem man den Zerfall der gestoppten Myonen beobachtet. Die Lebensdauer betr¨agt 2200 Nanosekunden – das ist der 2,2 Millionste Teil einer Sekunde. Die Lebensdauer eines Myons ist die Zeit zwischen Entstehen und Zerfall dieses Teilchens, gemessen in dem System, in dem sich das Myon im Ruhezustand befindet. Die Lebensdauer ist also die mit Hilfe der eigenen Uhr“ des Myons ” gemessene Zeit. Hierbei handelt es sich um einen Durchschnittswert: einige Myonen leben l¨anger und einige von ihnen k¨ urzer als 2200 Nanosekunden. Die aus dem Weltraum kommende kosmische Strahlung verursacht in den oberen Schichten der Atmosph¨ are dieselben Reaktionen, die der Mensch auf k¨ unstliche Weise in den Teilchenbeschleunigern erzeugt. In der Atmosph¨are entstehen also Pionen und Kaonen und aus ihnen wiederum Myonen. Ein Gebirge ist ein geeigneter Ort, um die aus dem Weltraum kommende Teilchenstrahlung zu untersuchen, denn die Atmosph¨ are st¨ort dort den Teilchenstrom weniger als auf Meeresh¨ ohe. Die Myonen wurden tats¨achlich zum ersten Mal in einem Hochgebirge beobachtet. Die Energie der durch kosmische Strahlung erzeugten Myonen ist hoch im Vergleich zu ihrer Masse und deswegen bewegen sie sich relativ zur Erde fast mit Lichtgeschwindigkeit. Zur Beschreibung ihrer Bewegung muß man also die Relativit¨ atstheorie verwenden. Wegen der Zeitdilatation betr¨agt die im Koordinatensystem der Erde gemessene Lebensdauer eines Myons jedoch nicht 2200 Nanosekunden, sondern ist signifikant gr¨oßer. Es h¨angt von der Energie des Myons ab, wieviel l¨ anger seine Lebensdauer ist, aber im typischen Fall eines in der Atmosph¨ are erzeugten Myons betr¨agt sie das Zehnfache, liegt also in der Gr¨oßenordnung von 20 000 Nanosekunden. Die Wirkung der Dilatation ist vom Standpunkt der Beobachtung des Myons wesentlich. Ein Teilchen, das sich ann¨ ahernd mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, schafft in einer Nanosekunde 30 Zentimeter. W¨ urde die Lebensdauer
6.6 Langes Leben bringt Freud und Leid
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eines Myons auch in Bezug auf die Erde 2200 Nanosekunden betragen, dann w¨ urde das Myon nach einem Flug von durchschnittlich 600 Metern zerfallen. Vor dem Zerfall w¨ urden es nur einige außergew¨ohnlich langlebige Myonen schaffen, die Erde zu erreichen. Da aber die im Koordinatensystem der Erde gemessene Lebensdauer zehnmal so groß ist, betr¨agt auch die durchschnittliche Flugl¨ange der Myonen vor dem Zerfall das Zehnfache, das heißt, mehr als 6 Kilometer. Deswegen gelangt ein betr¨ achtlicher Teil der Myonen vor dem Zerfall in die Detektoren – die Myonen entstehen n¨amlich typischerweise in einer H¨ohe von ungef¨ ahr 12 Kilometern. Die Myonen mit der h¨ochsten Energie dringen sogar tief in die Erdrinde ein, bevor sie zerfallen. Das ist eine konkrete experimentelle Best¨ atigung der Zeitdilatation. Ein und dasselbe Zeitintervall, das heißt, die Zeit zwischen Entstehen und Zerfall eines Myons, wurde sowohl im Ruhekoordinatensystem als auch in dem Koordinatensystem gemessen, in Bezug auf welches sich das Myon bewegt. Die Ergebnisse best¨atigen die Vorhersage der Relativit¨atstheorie, daß die Ph¨anomene in bewegten Systemen langsamer ablaufen als in ruhenden Systemen. Wir wollen uns die Situation auch vom Standpunkt der Abst¨ande ansehen. Die relative Bewegung kontrahiert die L¨ angen. Wir betrachten diese Situation nun aus der Sicht eines Myons. In einem System, das sich mit dem Myon bewegt, betr¨agt seine Lebensdauer 2200 Nanosekunden. Da sich das Myon relativ zur Erde fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, st¨ urzt die Erde aus der Sicht des Myons mit großer Geschwindigkeit auf das Myon zu. W¨ahrend der Lebensdauer des Myons schafft es die Erde, sich ungef¨ahr 600 Meter auf das Myon zu zu bewegen (Lichtgeschwindigkeit mal 2200 Nanosekunden). Wieso k¨onnen also Myonen in die Erdoberfl¨ ache eindringen, wenn sie in einer H¨ohe von 12 Kilometern entstehen? Die L¨ osung ist die L¨angenkontraktion: um denselben Faktor, mit dem die relative Bewegung die Zeitintervalle dehnt, schrumpft sie die L¨ angen. Aus der Sicht eines Myons flachen sich die auf das Teilchen zurasende Erde und ihre Atmosph¨ are auf ein Zehntel ab, das heißt, die St¨arke der Atmosph¨ are betr¨ agt keineswegs 12 Kilometer, sondern 1200 Meter. Viele Myonen schaffen es, diese Entfernung zu u ¨ berwinden, bevor sie zerfallen.
6.6 Langes Leben bringt Freud und Leid Die Verl¨angerung der Lebensdauer der Myonen ist f¨ ur manche Physiker eine ¨argerliche Sache, denn die aus den oberen atmosph¨arischen Schichten herunterprasselnden Myonen erzeugen in verschiedenen Meßger¨aten der Teilchenphysik Fehlersignale und erschweren die Forschungsarbeit. Deswegen werden viele Experimente der Teilchenphysik tief unter der Erde, im Allgemeinen in Bergwerken durchgef¨ uhrt, so daß man die Myonen eliminieren konnte. Die Erdrinde stoppt die Myonen ziemlich effektiv. Manchmal ist die Verl¨ angerung der Lebensdauer der Myonen aber auch von Nutzen f¨ ur die Forschungsarbeit in der Teilchenphysik. Je gr¨oßer die Ener-
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6 Zeitdilatation und L¨ angenkontraktion
gie eines Myons ist, desto l¨ anger lebt es vom Standpunkt der Forscher, die im Labor Messungen durchf¨ uhren. Obwohl die Myonen – gemessen in ihrem Ruhekoordinatensystem – nur einige millionstel Teile einer Sekunde leben, k¨onnen sie im Labor sogar gespeichert werden. Bereits seit einigen Jahren denkt man u oglichkeit nach, Speicherringe zu bauen, in denen hoch¨ber die M¨ energetische Myonen in H¨ ulle und F¨ ulle gesammelt werden. Ein Speicherring ¨ahnelt in seiner Form einer Stadionlaufbahn mit langen Geraden und engen Kurven. Die Myonen, die auf den Geraden des Rings zerfallen, erzeugen bei ihrem Zerfall einen starken und genau gerichteten Neutrinostrahl, den man zur Untersuchung der Neutrino-Eigenschaften verwenden kann. Die Neutrinos sind ungeladene Teilchen, so daß die Steuermagnete an den Ringkurven den Lauf dieser Teilchen nicht beeinflussen, das heißt, die Neutrinos zischen“ auf ” geradem Wege vorbei. Zu den Zukunftspl¨ anen des Europ¨ aischen Kernforschungszentrums CERN geh¨ort auch der Bau einer Neutrinofabrik, die auf der Speicherung von Myonen beruht. Die Neutrinos durchdringen die Erdrinde ohne Schwierigkeiten, so daß sich der im Speicherring erzeugte Neutrinostrahl an Beobachtungsger¨ate weiterleiten l¨aßt, die sogar Tausende von Kilometern entfernt sein k¨onnen. In anderen Teilen der Welt werden solche Experimente bereits durchgef¨ uhrt: in den Vereinigten Staaten wurden im Forschungsinstitut Fermilab im M¨arz 2006 die ersten Neutrinos in die knapp 800 Kilometer entfernte Soudan Underground Mine geschossen und in Japan wurde ein Neutrinostrahl, der das KEK-Beschleunigungszentrum verließ, durch einen unterirdischen Detektor aufgezeichnet, der sich in einer Entfernung von 250 Kilometern in Kamioka befindet. Die Masse eines Neutrinos ist h¨ ochstens der hundertmillionste Teil der Masse eines Myons und deswegen liegt die Geschwindigkeit der Neutrinos extrem nahe bei der Lichtgeschwindigkeit. Aus der Sicht der Neutrinos ist die Welt ziemlich platt. Es ist gut m¨ oglich, daß man eines Tages beginnt, Neutrinos aus CERN hierher nach Finnland in die entlegenen Winkel des Nordens zu schießen. In Pyh¨ aj¨ arvi, einer Stadt auf halbem Wege zwischen Jyv¨askyl¨a und Oulu, befindet sich eine tiefe Mine, die f¨ ur solche Experimente wie geschaffen ist. Der Flug entlang des Neutrinoweges, der direkt durch die Erdrinde f¨ uhrt, h¨ atte eine L¨ ange von 2200 Kilometern. Aus der Sicht der Neutrinos w¨are das wegen der L¨ angenkontraktion nur ein Bruchteil hiervon, h¨ochstens in der Gr¨ oßenordnung von Millimetern. Das w¨are gar keine richtige Reise, nicht einmal ein Katzensprung.
7 Die Gleichung
Im Herbst 1905 leitete Einstein die Formel E = mc2 ab, die ber¨ uhmteste Gleichung der Welt. Masse kann zu Energie werden und Energie zu Masse. Das Ergebnis wurde in den 1930er Jahren durch Messungen als korrekt nachgewiesen. Einsteins Formel wird irrigerweise auch als Atombombenformel bezeichnet.
Die Erhaltung der Energie ist eines der heiligen Prinzipien der Physik. Energie kann ihre Form ¨ andern, nicht aber ihren Gesamtbetrag. Der Apfel, der am Baum h¨angt, hat keine kinetische Energie, aber er hat potentielle Energie, die mit der Schwerkraft zusammenh¨ angt. F¨allt der Apfel, dann wird die potentielle Energie zu kinetischer Energie. Reibung und Luftwiderstand bewirken, daß ein kleiner Teil der potentiellen Energie auch zu W¨armeenergie wird, also zu einer beschleunigten Bewegung von Atomen und Molek¨ ulen im Material. Ber¨ ucksichtigt man alle Energieformen, dann ist die Bilanz immer ausgeglichen, das heißt, der Gesamtbetrag der Energie ¨andert sich nicht. Einstein brachte die Masse in dieses Nullsummenspiel. Gem¨aß seiner Formel hat ein K¨orper zus¨ atzlich zur kinetischen Energie und zur potentiellen Energie, die mit den Kraftfeldern zusammenh¨ angt, auch eine innere Energie und die Masse ist das Maß dieser inneren Energie oder Ruheenergie. E = mc2 , die ber¨ uhmteste Gleichung der Welt, gibt Auskunft u ¨ber die Gr¨oße der inneren Energie eines K¨orpers der Masse m. Diese innere Energie muß beim Aufstellen einer Energiebilanz ber¨ ucksichtigt werden. Bei den meisten gew¨ohnlichen Ph¨anomenen der Mechanik und der Elektrizit¨at bleibt die Masse erhalten und f¨ ur diese Erscheinungen brachte Einsteins Entdeckung nichts Neues. In der Natur gibt es aber auch viele Ph¨ anomene, bei denen Masse entsteht oder verschwindet. Als Einstein vor hundert Jahren seine ber¨ uhmte Formel vorlegte, war jedoch noch kein derartiges physikalisches Ph¨anomen bekannt. Die innere Energie war Einsteins eigene Entdeckung.
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7 Die Gleichung
Die innere Energie ist ein Nebenprodukt der Speziellen Relativit¨atstheorie. Einstein formulierte den Begriff in seiner zweiten, im Herbst 1905 fertiggestellten Ver¨offentlichung zur Relativit¨ atstheorie. Der Begriff der inneren Energie steht also nicht in der ber¨ uhmten Juni-Arbeit und h¨angt auch nicht direkt mit dem Kern der Einsteinschen Theorie, dem Relativit¨atsprinzip, zusammen, obwohl die Gleichung von vielen f¨ ur ein Synonym der Relativit¨atstheorie gehalten wird. Ebenso wird die Gleichung als Atombombenformel bezeichnet, auch wenn eine Atombombe damit so viel zu tun hat wie das Brennen eines Lagerfeuers. Einsteins Gleichung macht eine Aussage u ¨ber die Wechselbeziehung zwischen der Masse und anderer Energie. Bezeichnet m die Masse eines K¨orpers, dann kann sich diese Masse in eine andere Energieform der Gr¨oße mc2 umwandeln, zum Beispiel in kinetische Energie. Die Teilchenphysiker beobachten in ihren Detektoren zig-mal die Umwandlung von Masse in Energie. Die allgemeine Reaktion ist, daß ein Positron, das bei einer Teilchenwechselwirkung als Antiteilchen eines Elektrons entsteht, auf ein Elektron eines Atom irgendeines benachbarten Materials trifft. Das Ergebnis einer solchen Begegnung heißt Annihilation: das Elektron und das Positron verschwinden, und u ¨brig bleibt nur elektromagnetische Strahlung, das heißt, Lichtquanten oder Photonen. Die Photonen sind masselos, so daß sich bei der Annihilation die Massen des Elektrons und des Positrons in eine andere Energieform umwandeln. Das entgegengesetzte Ph¨ anomen ist genauso verbreitet: ein masseloses Photon kann sich in ein Elektron und ein Positron umwandeln. Materie kann sich also in Strahlung und Strahlung in Materie umwandeln und Einsteins Gleichung macht eine Aussage u ¨ber die Beschaffenheit der hierbei vorliegen¨ den Aquivalenz. Die Umwandlung einer Energieform in eine andere h¨angt an sich nicht mit Einsteins Gleichung zusammen, sondern wird durch die zwischen den Teilchen wirkenden Kr¨ afte verursacht, in diesem Fall durch die elektromagnetische Kraft. Diese Kr¨ afte gehorchen dem Satz von der Erhaltung der Energie, und Einsteins Gleichung gibt Auskunft dar¨ uber, wie die innere Energie bei der Energieberechnung ber¨ ucksichtigt werden muß.
7.1 Materie wird zu Energie Die Engl¨ander John Cockcroft und Ernest Walton waren die Ersten, die sahen, wie Einsteins Gleichung in der Natur wirkt. Im Cavendish Laboratory der Universit¨at Cambridge bauten sie den ersten Teilchenbeschleuniger der Welt, mit dem sie den Kernen des Wasserstoffatoms, das heißt, den Protonen, eine f¨ ur damalige Verh¨ altnisse riesige kinetische Energie verliehen. Sie beschossen mit den von ihnen beschleunigten Protonen eine d¨ unne Lithiumschicht und fanden heraus, daß beim Aufprall eines Protons auf den Kern eines Lithiumatoms als Endresultat zwei Kerne des Heliumatoms, das heißt, zwei Alphateilchen auftreten. Die Gesamtmasse des Protons und des Lithiumkerns
7.1 Materie wird zu Energie
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ist gr¨oßer als die Summe der Massen der beiden Heliumkerne, so daß sich bei der Reaktion die Masse verringert. Cockcroft und Walton maßen sorgf¨ altig die kinetische Energie des Protons und der Alphateilchen (der Lithiumkern blieb an seiner fr¨ uheren Stelle, so daß er keine kinetische Energie hatte) und stellten fest, daß die vereinte kinetische Energie der Heliumkerne gr¨ oßer war als die kinetische Energie des Protons. Die kinetische Energie nach dem Zusammenprall war also gr¨oßer als davor. Als sie die Zunahme der kinetischen Energie mit der Abnahme der Masse verglichen – das heißt, mit der Abnahme der inneren Energie –, stellten sie fest, daß diese Zunahme und Abnahme exakt der Aussage der Einsteinschen Gleichung entsprach. Das geschah 1932, fast drei Jahrzehnte nachdem Einstein seine legend¨are Gleichung abgeleitet hatte. Erst nach und nach wurde die Richtigkeit der Vorhersagen der Relativit¨ atstheorie experimentell best¨atigt. Die Schl¨ ussigkeit und die Sch¨onheit der Theorie waren jedoch so u ¨berw¨altigend, daß man trotz der Kargheit experimenteller Nachweise daran zu glauben begann. Auch die Konstrukteure der heutigen Teilchenbeschleuniger haben Einsteins Gleichung deutlich vor Augen. M¨ ochte man ein schweres Teilchen, zum Beispiel ein W-Boson oder ein Z-Boson der schwachen Kernkraft, oder sogar ein Higgs-Boson erzeugen, dann muß man f¨ ur die zu beschleunigenden leichten Teilchen gen¨ ugend viel kinetische Energie zur Verf¨ ugung haben, die sich dann beim Aufprall in die Masse dieser schweren Teilchen umwandeln kann. In den 1970er Jahren f¨ uhrte der Italiener Carlo Rubbia folgende Berechnung durch: W¨ urde man im Beschleunigerring des Superprotonensynchrotrons von CERN Protonen und Antiprotonen in entgegengesetzter Flugrichtung injizieren, dann w¨ urde man f¨ ur sie vielleicht eine so große kinetische Energie bekommen, daß die Teilchen bei ihrer Kollision und Annihilation W-Bosonen und Z-Bosonen erzeugen k¨ onnten, die fast das Hundertfache des Gewichts eines Protons haben. Rubbias Berechnung war korrekt und zu Beginn der 1980er Jahre wurden die ersten Quanten der schwachen Kernkraft auf diese Weise erzeugt. Zur Durchf¨ uhrung des schwierigen Experiments mußte man zus¨atzlich zu E = mc2 nat¨ urlich noch einige andere Dinge wissen. Nach dem Superprotonensynchrotron war der Large Electron-Positron Collider LEP der n¨ achste große Beschleuniger am CERN. Im LEP wurden die Z-Bosonen bereits geradezu in Serienproduktion erzeugt. Wenn die R¨ uckstoßenergie der Elektronen und Positronen klein ist, dann werden bei der Annihilation nur Photonen erzeugt. Ist aber die Energie hinreichend groß, dann entstehen auch Z-Bosonen. Die LEP-Physiker tr¨ aumen auch vom Higgs-Boson, aber sie mußten Entt¨auschungen hinnehmen. Das Higgs-Boson ist das meistgejagte Partikel der Teilchenwelt. Sein Entdecker wird in die Annalen der Wissenschaftsgeschichte eingehen und einen Freifahrtschein nach Stockholm bekommen. Im sogenannten Standardmodell, das die Ph¨ anomene der Teilchenphysik beschreibt, spielt das Higgs-Boson eine wichtige Rolle, denn mit seiner Hilfe werden die Massen der Teilchen erkl¨art. Das Standardmodell ist in seinen anderen Bestandteilen
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7 Die Gleichung
gr¨ undlich getestet worden, aber dem vom Modell vorhergesagten Higgs-Boson ist es peinlich lange und bis jetzt gelungen, sich dem Zugriff der Forscher zu entziehen. Der LEP-Beschleuniger stellte 2002 seinen Betrieb ein, weil man begann, ihn zum Large Hadron Collider auszubauen, einem neuen Teilchenbeschleuniger. Die LEP-Ingenieure trimmten ihren Beschleuniger Jahr f¨ ur Jahr auf bessere Leistungen und kurz bevor der LEP geschlossen wurde, erreichte er die Rekordenergie von 118 GeV (die einer inneren Energie von ungef¨ahr 125 Protonen entspricht). Es w¨ are deshalb m¨ oglich gewesen, mit dem Beschleuniger ein Teilchen zu erzeugen, das eine innere Energie von etwa dieser Gr¨oßenordnung hat. Und wie k¨ onnte es auch anders sein: kurz vor der geplanten Schließung der Anlage war es den Experimentatoren tats¨achlich so, als h¨atten sie in ihren Daten den fl¨ uchtigen Schimmer eines Higgs-Bosons erhascht. Am CERN entschied man sich daf¨ ur, das Experiment zur Best¨atigung der Entdeckung noch ein paar Monate fortzusetzen, aber man fand dennoch keine stichhaltigen Best¨ atigungen f¨ ur die Existenz der Higgs-Bosonen. Die Masse des Higgs-Bosons ist wahrscheinlich zu groß, um das Teilchen mit dem LEP erzeugen zu k¨onnen. Es hilft nichts anderes, als auf die k¨ unftigen gr¨oßeren und leistungsst¨arkeren Teilchenm¨ uhlen zu warten. Die weltgeschichtlich gr¨ oßte Umwandlung von Masse in Strahlung geschah in der ersten Sekunde des Universums. Im heute sichtbaren Weltall gibt es etwa einhundert Milliarden Galaxien und in jeder Galaxie ungef¨ahr zehn Milliarden Sterne, die mehr oder weniger die Gr¨ oße unserer Sonne haben. Das ist eine unbegreifliche Menge von Materie. Im fr¨ uhen Universum gab es zehn Milliarden Mal mehr Materie und etwa dieselbe Menge Antimaterie. Materie und Antimaterie vernichteten einander auf die gleiche Weise, wie sich die Elektronen und Positronen in den heutigen Teilchenbeschleunigern annihilieren, und das Ergebnis war eine unermeßliche Menge an elektromagnetischer Strahlung, also Photonen. Aus einem Grund, der noch nicht vollst¨andig bekannt ist, gab es ein Quentchen – ein Zehnmilliardstel – mehr Materie als Antimaterie. Deswegen sehen wir all diese Sterne und Galaxien um uns herum und deswegen sehen wir einander, und nicht alles ist nur Strahlung. Im Raum findet man hingegen keine Spur von dauerhafter Antimaterie.
7.2 Die Masse eines bewegten Teilchens Vater, nimmt die Masse eines K¨ orpers zu, wenn sich der K¨orper bewegt?“ ” fragte der Sohn des amerikanischen Physikers Carl Adler seinen Vater nach der ersten Physikstunde im Gymnasium. Der Physiklehrer hatte das so behauptet. ¨ ja ... oder besser eigentlich nicht, aber erz¨ahl das nicht deinem Lehrer“, Ah, ” antwortete Adler. Der Junge brach den Physikkurs am folgenden Tag ab. Adlers Z¨ogern war auf den Begriff der relativistischen Masse zur¨ uckzuf¨ uhren, der sich in den 1920er Jahren in der Relativit¨atstheorie eingenistet hatte und der noch immer mit konstanter Regelm¨aßigkeit in Schulb¨ uchern und
7.2 Die Masse eines bewegten Teilchens
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popul¨arwissenschaftlichen Werken auftaucht. In der physikalischen Forschung hat man die relativistische Masse bereits vor Jahrzehnten fallen“ gelassen, ” da dieser Begriff nutzlos ist und lediglich Verwirrung stiftet. Auch Einstein verwendete diesen Begriff nie in seinen wissenschaftlichen Arbeiten – wohl aber in einigen seiner popul¨ arwissenschaftlichen Schriften. Mit Hilfe der relativistischen Masse versuchte man, die Ergebnisse der Relativit¨atstheorie zu veranschaulichen, indem man sie auf die seit alters her bekannte Form der Newtonschen Mechanik zur¨ uckf¨ uhrte. Der Impuls ist zum Beispiel in der Theorie Newtons das Produkt von Masse und Geschwindigkeit des K¨orpers. In Einsteins Theorie h¨ angt der Impuls auf andere Weise von der Masse und der Geschwindigkeit ab, aber man erh¨alt ihn in einer Form, die der Newtonschen Formel ¨ ahnelt, wenn die Masse m durch die relativistische Masse ersetzt wird, das heißt, durch den Quotienten m/ 1 − (v 2 /c2 ) (v ist die Geschwindigkeit des K¨ orpers). H¨ aufig wird gesagt, daß die Messungen eine Zunahme der Masse des bewegten Teilchens gezeigt haben. Es geht aber um die Zunahme der relativistische Masse – das heißt, des obengenannten Quotienten – mit wachsender Geschwindigkeit des K¨orpers. Massenzuwachs“ ” ist nur ein vermarktungsf¨ ahiger Ausdruck f¨ ur die Tatsache, daß man bei den Messungen eine von der Relativit¨ atstheorie vorhergesagte Abweichung von den Bewegungsgesetzen der Newtonschen Mechanik feststellen konnte. Die Elektronen, die im Beschleunigerring eines Teilchenbeschleunigers kreisen, erreichen nahezu die Lichtgeschwindigkeit und deswegen muß man die Bewegungsgesetze der Relativit¨ atstheorie anwenden, um die Bewegung der Elektronen zu beschreiben. Die Newtonschen Gesetze gelten in dieser Situation nicht. Wenden wir sie aber trotzdem an, dann liefern sie dieselben Ergebnisse wie die Formeln der Relativit¨ atstheorie – unter der Voraussetzung, daß die Masse des Elektrons gr¨ oßer ist, als es wirklich der Fall ist. Auch das ist eine Art und Weise zur Begr¨ undung der Behauptung, daß die Masse mit wachsender Geschwindigkeit zunimmt. Auch eine merkw¨ urdige Interpretation der Formel E = mc2 gab Anlaß, von relativistischer Masse zu sprechen. Urspr¨ unglich beschreibt die Formel die Energie eines K¨ orpers, der relativ zum Beobachter ruht, daß heißt, die Ruheenergie oder innere Energie. Bewegt sich der K¨orper, dann hat er auch kinetische Energie. Gem¨ aß der neuen Kinematik Einsteins ist die Gesamtenergie eines bewegten K¨ orpers, das heißt, der Gesamtbetrag der inneren Energie und der kinetischen Energie, gleich E = mc2 / 1 − (v 2 /c2 ). Ersetzt man in der urspr¨ unglichen Einsteinschen Formel die Masse durch die relativistische Masse, dann hat die Gleichung f¨ ur einen bewegten K¨orper dasselbe Aussehen wie f¨ ur einen ruhenden K¨ orper. W¨achst die Relativgeschwindigkeit des K¨ orpers in Bezug auf den Beobachter, dann nimmt auch die Gesamtenergie des K¨orpers zu, weil die kinetische Energie zunimmt. N¨ ahert sich die Geschwindigkeit der Lichtgeschwindigkeit, dann geht die Energie gegen unendlich. Man kann einen K¨orper nicht mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, denn das w¨ urde eine unendlich große Energieinvestition erfordern. Die Energie ist jedoch relativ, weil die Bewegung re-
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lativ ist – die Energie ist f¨ ur jeden Beobachter spezifisch und h¨angt mit der Raumzeit und letztlich mit der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zusammen. Ein K¨orper, der sich relativ zu uns schnell bewegt und eine riesige kinetische Energie hat, befindet sich f¨ ur einen anderen Beobachter – n¨amlich f¨ ur einen Beobachter, der sich relativ zu uns mit derselben Geschwindigkeit wie der K¨orper bewegt – in Ruhe und die einzige Energie, die er hat, ist seine innere Energie, das heißt, seine Masse. Die kinetische Energie h¨angt also nicht mit dem K¨orper selbst zusammen und deswegen f¨ uhrt die Aussage auf gedankliche Abwege, daß mit wachsender Geschwindigkeit auch die Masse des K¨orpers zunimmt. Die relativistische Masse ist nur ein anderer Name f¨ ur die Gesamtenergie. Die Tatsache, daß sich die Geschwindigkeit eines K¨orpers kaum noch vergr¨oßern l¨aßt, wenn sie sich der Lichtgeschwindigkeit n¨ahert, legt die verf¨ uhrerisch leichte Erkl¨ arung nahe, daß das mit der Zunahme der Masse zusammenh¨angt. Die Gedankenkette l¨ auft folgendermaßen ab: Nimmt die Masse zu, dann wird die Tr¨ agheit des K¨ orpers – das heißt, seine F¨ahigkeit, einer Geschwindigkeits¨anderung zu widerstehen – gr¨ oßer und somit ben¨otigt man zur Geschwindigkeits¨ anderung eine gr¨ oßere Kraft, um denselben Effekt zu erzielen, wie bei einer Bewegung mit einer kleineren Geschwindigkeit. N¨ahert man sich der Lichtgeschwindigkeit, dann ist keine Kraft mehr groß genug, um die ¨ Geschwindigkeit auf Uberlichtgeschwindigkeit zu steigern. Das ist ein Trugbild. Die Schwierigkeit“, die Geschwindigkeit zu steigern, ” folgt nicht aus dem Massenzuwachs, sondern aus der Zeitdilatation. Wirkt eine Kraft eine Sekunde lang auf einen sich schnell bewegenden K¨orper, dann dauert die Wirkung nach Auffassung eines externen Beobachters viel l¨anger, weil die Uhr des bewegten K¨ orpers langsamer l¨auft als die eigene Uhr des Beobachters. Der gleichm¨ aßig tuckernde“ Raketenmotor des Raumschiffs verur” sacht – gemessen mit dem schiffseigenen Tachometer – in jedem Moment die gleiche Beschleunigung, das heißt, denselben Geschwindigkeitszuwachs pro Sekunde, und zwar unabh¨ angig davon, wie groß die Geschwindigkeit des Raumschiffs relativ zum externen Beobachter ist. N¨ahert sich die Geschwindigkeit des K¨orpers in Bezug auf den Beobachter der Lichtgeschwindigkeit, dann verlangsamt sich die K¨ orperzeit“ im Vergleich zur Zeit des Beobachters und h¨alt ” schließlich an. Nach Auffassung des Beobachters erfolgt keine Beschleunigung, weil die Wirkung der Kraft aus seiner Sicht unendlich langsam abl¨auft – ebenso wie auch alle anderen mit dem K¨ orper zusammenh¨angenden physikalischen Ph¨anomene aus der Sicht des Beobachters unendlich langsam ablaufen.
7.3 Die Masse des Lichts Die Masse eines K¨ orpers nimmt zu, wenn ein auf ihn auftreffendes Lichtquant, das heißt, ein Photon, von diesem K¨orper absorbiert wird. Die vom Photon u uhrt dem K¨ orper innere Energie zu, indem es ¨bermittelte Energie f¨ die Geschwindigkeit seiner Bestandteile vergr¨oßert, das heißt, deren kineti-
7.4 Energie aus Antimaterie
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sche Energie erh¨oht. Einstein behandelte das in seiner Ver¨offentlichung, aber er legte die Angelegenheit etwas verworren dar. Er formulierte den Sachverhalt n¨amlich so, daß das Photon an den K¨ orper Masse u ¨bertr¨agt, das heißt, das Photon selbst hat irgendeine Masse (von der Gr¨oßenordnung seiner Energie dividiert durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit). Andererseits wußte Einstein nat¨ urlich, daß Photonen keine Masse haben k¨onnen, weil sie sich andernfalls – entgegen seiner Annahme – nicht mit Lichtgeschwindigkeit bewegen w¨ urden. Er war hier nicht mit sich selbst konsequent. Dennoch erwies sich dieses Straucheln als n¨ utzlich, denn es veranlaßte Einstein, dar¨ uber nachzudenken, ob die Gravitation nicht vielleicht auch auf das Licht wirkt, so wie sie auf alles wirkt, was eine Masse hat. Das war ein Schritt in die Richtung der Allgemeinen Relativit¨ atstheorie. Einstein schrieb einem Freund ¨ ber die relativistische Masse: Es ist nicht u ” gut, von der Masse M = m/ 1 − (v2 /c2 ) eines bewegten K¨orpers zu sprechen, da f¨ ur M keine klare Definition gegeben werden kann. Man beschr¨ankt sich besser auf die Ruhemasse m. Daneben kann man ja den Ausdruck f¨ ur Momentum und Energie geben, wenn man das Tr¨ agheitsverhalten rasch bewegter K¨orper angeben will.“ In der Relativit¨ atstheorie erh¨alt man die Energie eines bewegten K¨orpers durch die Formel E 2 = p2 c2 +m2 c4 . Ist der K¨orper in Ruhe (Impuls p gleich Null), dann erh¨ alt man E = mc2 als Energie.
7.4 Energie aus Antimaterie Die Lichtgeschwindigkeit c ist groß und betr¨ agt – ausgedr¨ uckt Metern und Sekunden, das heißt, in den zu unserem t¨ aglichen Leben passenden Einheiten – etwas weniger als 300 000 Kilometer pro Sekunde. Deswegen entspricht eine in unseren Einheiten kleine Masse einem großen Betrag Energie. W¨ urden wir ¨ ein Kilo Apfel und ein Kilo Anti¨ apfel (die es leider nicht auf jedem Markt gibt) in demselben Einkaufsbeutel unterbringen, dann w¨ urde sich unser Frischobst annihilieren und im Beutel w¨ urden sich rasch ungef¨ahr einhundert Milliarden Megajoule Energie aufbl¨ ahen. Das ist sehr viel: es ist ungef¨ahr derselbe Betrag, den Finnlands Kernkraftwerke in einem Jahr erzeugen oder dieselbe Menge, die mit Hilfe der gegenw¨ artigen Methoden aus ungef¨ahr zwanzig Millionen ¨ gewonnen wird. Ein Barrel Roh¨ Barrel Ol ol kostet zur Zeit ungef¨ahr sechzig Euro, gelegentlich sogar mehr. H¨atten wir Anti¨ apfel oder irgendeine andere Antimaterie, dann w¨are also die Energieversorgung unkompliziert. Aber Antimaterie gibt es nur in Teilchenbeschleunigern und selbst dort sind es nur einige einzelne Teilchen. Die ersten Antiatome wurden erst 2002 in CERN k¨ unstlich hergestellt. Das fr¨ uhe Universum vergeudete die riesige und nicht erneuerbare Energiequelle der Antimaterie auf einmal und u ¨berließ es uns, mit anderen Methoden ¨ auszukommen. Ohne Antimaterie k¨ onnen wir Einsteins Gleichung zur Aquivalenz von Masse und Energie nicht in vollem Umfang zu unseren Gunsten nutzen, aber wir haben gelernt, uns davon eine kleine Scheibe abzuschneiden
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7 Die Gleichung
und sowohl f¨ ur gute als auch f¨ ur schlechte Absichten zu verwenden. Auch die T¨atigkeit der Sonne und anderer Sterne beruht auf der Tatsache, daß ein kleiner Teil ihrer Masse zu Strahlungsenergie wird. Die makroskopischen K¨ orper, die Atome und die Atomkerne bestehen aus einfacheren Teilen, letztlich aus Elementarteilchen. Zum Beispiel besteht der Atomkern aus Protonen und Neutronen. Die Masse eines Atomkerns ist nicht dasselbe wie die Summe der Massen seiner Bestandteile. Der Atomkern hat auch eine andersartige innere Energie, die seine Masse beeinflußt. Selbst wenn ein Atomkern an seinem Platz bliebe, bewegen sich die in ihm befindlichen Protonen und Neutronen, so daß sie kinetische Energie besitzen. Außerdem beeinflussen die Protonen und Neutronen einander durch die Kernkraft und durch die elektromagnetische Kraft, weswegen sie auch potentielle Energie besitzen, die sogenannte Wechselwirkungsenergie. Die Ruheenergie des Kerns ist die Summe aller dieser inneren Energien. Die Masse des Kerns ist kleiner als die Summe der Massen seiner Bestandteile, die Differenz wird Massendefekt genannt. Wenn wir zu Bestandteilen u ¨ bergehen, die noch kleiner als die Atomkerne sind, dann wird der Anteil der Wechselwirkungsenergie an der inneren Energie noch signifikanter. Zum Beispiel ist die Protonenmasse fast nur die Bindungsenergie der Quarks, also der Hauptkomponenten des Protons; der Anteil der Masse der Quarks betr¨ agt nur ein paar Prozent. Die Kraft, die die Quarks in Bindungen zusammenh¨ alt, wird als starke Kernkraft bezeichnet. Es ist noch nicht bekannt, wieviel echte“ Masse und wieviel Bindungsenergie in ” der Masse eines Quarks enthalten sind, weil man nichts u ¨ber die innere Struktur der Quarks weiß – falls sie u ¨berhaupt eine solche haben. Es ist m¨oglich, daß die Quarks aus noch fundamentaleren Komponenten bestehen, die von einer vorl¨aufig unbekannten Kraft zusammengehalten werden und so weiter. Flieht die echte Masse immer nur weiter weg und was stellt sie schließlich dar? Wir wissen es nicht.
7.5 Kernspaltung Der Deutsche Otto Hahn (1879–1968) beschoß 1938 Urankerne mit langsamen Neutronen. Seine Absicht war, neue Kerne zu erzeugen, die schwerer als das Uran sind, sogenannte Transurane. Ir`ene Joliot-Curie und Paul Savitch hatten damals gerade u ¨ber die von ihnen erzielten eigenartigen Ergebnisse berichtet und Hahn entschied sich, ihr Experiment zu wiederholen. Hahn konnte zeigen, daß bei der Reaktion u ¨berhaupt kein neues schweres Element entsteht, sondern Barium, dessen Masse nur die H¨ alfte der Masse des Urans betr¨agt. Das Ergebnis war u uher war es nicht ge¨berraschend und unerkl¨arlich. Fr¨ lungen, von den Atomkernen Teile loszul¨ osen, die gr¨oßer sind als der kleine Heliumkern. Hahn schilderte seiner langj¨ ahrigen Arbeitskollegin Lise Meitner (1878–1968) den Sachverhalt. Lise Meitner, die sich auf der Flucht vor den Judenverfolgungen der Nazis in Schweden aufhielt, dachte zusammen mit einem
7.5 Kernspaltung
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zweiten Fl¨ uchtling, ihrem Neffen Otto Frisch (1904–1979), u ¨ ber die seltsamen Ergebnisse nach und fand daf¨ ur auch eine Erkl¨arung. Lise Meitner hatte an der Universit¨ at Wien studiert. Ludwig Boltzmanns mitreißende Vorlesungen veranlaßten sie, die Forscherlaufbahn zu w¨ahlen, was damals f¨ ur eine Frau keine leichte Entscheidung war. Als sich Boltzmann unerwartet das Leben nahm, hielt es Lise Meitner geradezu f¨ ur ihre Pflicht, ihr Leben der Wissenschaft zu widmen. Nach ihrer Promotion ging Meitner nach Berlin in die Lehre ihres zweiten Meisters Max Planck, um ihre theoretischen Kenntnisse und Fertigkeiten zu vervollkommnen. Dort begann sie ihre langj¨ahrige Zusammenarbeit mit dem gleichaltrigen Otto Hahn. Das erste gemeinsame Laboratorium entstand in einer umgestalteten Tischlerwerkstatt, denn Frauen war der Zutritt zu den R¨ aumlichkeiten der Universit¨at verwehrt. Sp¨ater schloß sich Fritz Straßmann (1902–1980) der Gruppe an. Hahn und Straßmann waren Chemiker, die sich f¨ ur die Eigenschaften radioaktiver Materialien interessierten. Lise Meitner, von Geburt j¨ udischer Abstammung, war bereits in jungen Jahren zum Protestantismus konvertiert, aber die Nazis ließen sich dadurch nicht bluffen. Als Ausl¨ anderin war es ihr gestattet, bis zum Jahr 1938 in re¨ lativer Ruhe zu leben, das heißt, bis zum Anschluß, als Osterreich ein Teil des Deutschen Reiches wurde. Danach war sie keine Ausl¨anderin mehr. Im Sommer 1938 entschied sie sich, ins Exil zu gehen, denn andernfalls h¨atte eines der vielen Konzentrationslager ihre Adresse werden k¨onnen. Das ein Jahr zuvor von den Schweden gegr¨ undete Nobelinstitut bot ihr Asyl in Stockholm an. Eine noble Tat, aber die Wirklichkeit des Fl¨ uchtlingslebens war ein harter Schlag f¨ ur Meitner, die alles verloren hatte. Die Schweden behandelten sie gleichg¨ ultig. Sie wurde weder zu den Forschungsgruppen der Einrichtung eingeladen, noch erhielt sie Forschungsmittel. Auch vom technischen Personal wurde sie nicht unterst¨ utzt. Sie bekam nicht einmal eigene Schl¨ ussel f¨ ur ihren Arbeitsplatz. Meitner hielt Kontakt zu ihren fr¨ uheren Kollegen Hahn und Straßmann. Als Hahn seine unerkl¨ arlichen Ergebnisse erhielt, organisierte er ein heimliches Treffen mit Meitner in Kopenhagen. Meitner regte Hahn an, die bei der Reaktion entstandenen Kerne ausf¨ uhrlicher zu untersuchen. Bald fanden die erfahrenen Chemiker Hahn und Straßmann heraus, daß es sich bei den entstandenen Kernen um Barium handelt. Meitner erhielt die Information in G¨oteborg, wo sie ihren Weihnachtsurlaub verbrachte. Otto Frisch, der in der Forschungsgruppe von Niels Bohr arbeitete, war von Kopenhagen nach G¨oteborg gefahren. Meitner und Frisch dachten u ¨ber die Sache beim Wandern in den schneebedeckten W¨ aldern von G¨ oteborg nach, Otto lief auf Skis und Lise stapfte daneben im Schnee. Niels Bohr (1885–1962), der seinerzeit sein Quantenmodell f¨ ur das Atom gefunden hatte, konzentrierte sich sp¨ ater auf die Kernphysik. Er studierte das Modell, das die Kerne beschreibt und das man sich in Bezug auf seine Eigenschaften ¨ahnlich wie einen Fl¨ ussigkeitstropfen vorstellte. Lise Meitner kannte das Bohrsche Atommodell und beschloß, es an die Ergebnisse von
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Straßmann und Hahn anzupassen. Das war die Feuertaufe des Modells in einer realen Situation. Ein Neutron, das auf einen Urankern auftrifft, versetzt den Kern in Schwingungen und der Kern verwandelt sich von einem runden in einen l¨anglichen Tropfen und teilt sich schließlich wie eine Zelle in zwei Teile. Otto Frisch fragte sp¨ater einen seiner Bekannten, der Arzt war, welcher Begriff in der Medizin f¨ ur die Zellteilung verwendet wird – Frisch und Meitner beschlossen, der Uranspaltung den gleichen Namen zu geben, n¨amlich Fission1 . Als Frisch von seinem Urlaub nach Kopenhagen zur¨ uckkehrte, erz¨ahlte er Niels Bohr sogleich von der Entdeckung. Bohr schlug mit der flachen Hand auf seine hohe Stirn und rief: Nat¨ urlich! Was f¨ ur Schwachk¨ opfe wir doch gewesen sind!“ Bohr war ” gerade auf dem Weg in die Vereinigten Staaten und so verbreitete sich die Kunde von der Kernspaltung rasch unter den amerikanischen Forschern. Dort wurde die Kernspaltung bald in mehreren Experimenten best¨atigt. Der Artikel von Meitner und Frisch u ¨ber die Kernspaltung wurde im Februar 1939 in der Zeitschrift Nature ver¨ offentlicht. Die Masse des zerfallenden Urankerns ist ein klein wenig gr¨oßer als die Summe der Massen der Tochterkerne, die bei der Spaltung entstehen. Die u aß der Einsteinschen Gleichung in kine¨berz¨ahlige Masse wandelt sich gem¨ tische Energie der Tochterkerne um. Die Geschwindigkeit der Tochterkerne betr¨agt ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit, was Frisch und Fr´ed´eric Joliot bald durch ihre Experimente best¨ atigten. Meitner und Frisch schlußfolgerten, daß bei der Spaltung auch Neutronen entstehen, die gegen andere Urankerne prallen und zu deren Spaltung f¨ uhren. Auch das wurde bald experimentell best¨atigt. Es kommt zu einer Kettenreaktion, mit deren Hilfe große Energiemengen freigesetzt werden. Das ist das Funktionsprinzip der Kernkraftwerke und auch der Atombomben. Demnach wird ein Teil der inneren Energie des Urankerns zu kinetischer Energie der Tochterkerne. Tats¨ achlich stammt der freigesetzte Teil der inneren Energie des Urans von der Wechselwirkungsenergie zwischen den Protonen und den Neutronen, das heißt, von der Bindungsenergie und nicht von den Massen der Protonen und der Neutronen. Es handelt sich nicht im eigentlichen Sinne des Wortes um die Umwandlung in eine andere Energieform. Lise Meitner nahm an der 1909 in Salzburg veranstalteten Jahresversamm¨ lung der Naturforscher und Arzte teil, bei der Einstein u ¨ ber seine Relativit¨atstheorie vortrug. Es war die erste Tagung, zu der Einstein als Vortragender eingeladen worden war. Meitner konnte damals nicht wissen, daß sie selbst irgendwann einmal eine gleichermaßen dramatische Folge der Theorie von Einstein entdecken w¨ urde. Man lastet diesen Vorgang n¨amlich u ¨blicherweise der Einsteinschen Gleichung an. Im Jahr 1945 erkannte das Nobelkomitee der K¨oniglich Schwedischen Akademie der Wissenschaften Otto Hahn den Chemienobelpreis des Jahres 1944 1
Fission bezeichnet in der Biologie u. a. die Zellteilung. Das Wort geht auf das lateinische fissio (Spalten, Zerschlagen) zur¨ uck.
7.6 Die Physik verliert ihre Unschuld
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f¨ ur die Entdeckung der Kernspaltung zu und der Nobelpreis wurde Hahn 1946 u ¨berreicht. Nach Meinung vieler Wissenschaftler h¨atte Meitner zur gleichen Zeit der Nobelpreis f¨ ur Physik zuerkannt werden m¨ ussen. Hahn und Straßmann leisteten eine herausragende Arbeit als Chemiker, aber das Verst¨andnis des Ph¨anomens beruhte auf Meitners physikalischen Schlußfolgerungen. Meitner beklagte sich nie u ¨ber die Sache und das Nobelkomitee hat nie zugegeben, daß die Verleihung auch auf andere Weise h¨ atte erfolgen k¨onnen. Hahn bot Straßmann sp¨ater einen Teil des Preisgeldes an, aber Straßmann wollte das nat¨ urlich nicht annehmen. Daf¨ ur versuchte Hahn, Meitners Anteil an der Entdeckung der Kernspaltung im Laufe der Jahre immer mehr auszublenden. Das war ein großer Schock f¨ ur Meitner, die Hahn als Wissenschaftler immer hoch gesch¨atzt hatte.
7.6 Die Physik verliert ihre Unschuld Die Freisetzung der Kernenergie hatte die Physiker bereits seit geraumer Zeit besch¨aftigt und als nun die Kernspaltung des Uranatoms gelang, begriff man in der Welt, was das bedeuten k¨ onnte. Eine schnelle Kettenreaktion k¨onnte zur Entwicklung einer Bombe f¨ uhren, neben der sich alle fr¨ uheren Vernichtungswaffen wie Spielzeugpistolen ausnehmen w¨ urden. Der Ungar Leo Szilard (1898–1964) hatte bereits fr¨ uher versucht, das Funktionsprinzip der Atombombe durch ein englisches Patent zu sch¨ utzen – und wer, wenn nicht er, verstand den Ernst der Lage. Die Physik war drauf und dran, ihre Unschuld zu verlieren. Einstein war zu dieser Zeit bereits f¨ unf Jahre in den Vereinigten Staaten. Die einzige Sache, um die seine Gedanken damals kreisten, war eine einheitliche Theorie der Gravitation und des Elektromagnetismus. Er hatte seit langem nicht mehr verfolgt, was in der Kernphysik geschah. Eigentlich hatte er sich von der Welt der Wissenschaft fast ebenso vollst¨andig zur¨ uckgezogen wie w¨ahrend seiner Zeit als Angestellter des Patentamtes. Er erinnerte sich wohl kaum daran, daß er in seiner Abhandlung vom Herbst 1905 selber u ¨ber die Freisetzung der Kernenergie nachgedacht hatte. Damals ging es um die experimentelle Best¨ atigung der Formel E = mc2 und Einstein hatte vorgeschlagen, daß das durch die Erforschung der Kernspaltung erfolgen k¨onne. Jetzt wurde er von den Ereignissen mitgerissen, die seinen Ruf in den Augen der nachfolgenden Generationen beflecken sollten und die er in vorger¨ ucktem Alter sogar selber tief bedauerte. In seinem Herzen war er Pazifist und jetzt hing sein Name mit der Entwicklung der schrecklichsten Waffe der Menschheit zusammen. Die Weltlage war angespannt, der Zweite Weltkrieg stand unmittelbar bevor. Nach Szilards Meinung bestand die offensichtliche Gefahr, daß Nazideutschland die Gelegenheit ergreifen und mit Hilfe der Kernspaltung eine Waffe entwickeln w¨ urde, um die Welt zu erobern. Die Uranreserven der Welt wurden damals praktisch von einer Gesellschaft kontrolliert, der belgischen
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Union Mini`ere, die in Belgisch-Kongo die Hausherrin der gr¨oßten Uranmine war. Szilard kam zusammen mit Eugene Wigner, einem weiteren Ungarnfl¨ uchtling, auf die Idee, Einsteins Ruf zu nutzen, um die Regierung auf die Gefahr hinzuweisen.
7.7 Der Bombenbrief Im Sommer des Jahres 1939 machte Einstein Urlaub in Nassau Point auf Long Island, wo er f¨ ur sich ein Sommerhaus gemietet hatte. Er verbrachte seine Zeit, indem er beschaulich segelte und den Sommer genoß. Er hatte sich auch mit dem ortsans¨assigen Ladenbesitzer David Rothman angefreundet. Einstein war gekommen, um in Rothmans Gesch¨ aft Sandalen ( sandals“) zu kaufen, aber ” der Ladenbesitzer dachte, Einstein wolle Sonnenuhren ( sundials“) haben. Das ” Lachen tat gut, als sich das Mißverst¨ andnis aufkl¨arte, und als Einstein erfuhr, daß Rothman ebenfalls Musikliebhaber war, verbrachten beide M¨anner von da an viel Zeit zusammen. Einstein und Rothman plauderten auf der Veranda von Einsteins Sommerhaus, als Szilard und Wigner mit dem Auto in den Hof einbogen. Die beiden hatten Einsteins Sekret¨ arin das Geheimnis von dessen Aufenthaltsort entlockt und waren nach einigem Umherirren am Ziel angekommen. Szilard und Wigner erz¨ahlten Einstein von ihrem Plan, in Einsteins Namen einen Brief u ogliche Atomwaffendrohung und u ¨ber Deutschlands m¨ ¨ber den Schutz der kongolesischen Uranreserven an K¨ onigin Elisabeth von Belgien zu senden, die Einstein pers¨ onlich kannte. Einstein war ganz und gar nicht u ur die Bom¨ berzeugt davon, daß die f¨ be erforderliche Kettenreaktion m¨ oglich sei, und deshalb hielt er die Gefahr f¨ ur nicht sehr real. Er hatte bei einer Gelegenheit gesagt, daß das Treffen von Atomkernen ebenso schwer sein w¨ urde, wie in der Dunkelheit einen Vogel in einer Gegend zu treffen, in der es nur wenige V¨ogel gibt. Dennoch setzte man den Brief auf, aber die Pl¨ ane a ¨nderten sich sp¨ater, und schließlich wurde der Brief an den Pr¨ asidenten der Vereinigten Staaten, Franklin D. Roosevelt, gerichtet. Der Brief wurde von einem Berater u ¨berbracht, der dem Pr¨asidenten den Hintergrund der Angelegenheit erkl¨ arte. Sie wollen also nicht, daß ” uns die Deutschen alle in die Luft jagen“, sagte Roosevelt. Er hatte die wesentlichen Punkte des Briefes verstanden. Der Brief f¨ uhrte nicht unmittelbar zu Maßnahmen, obwohl ein anderer im Namen Einsteins gesandter Brief die Angelegenheit beschleunigte. Das große Rad begann sich ein paar Jahre sp¨ater zu drehen. Das Manhattan-Projekt wurde in die Wege geleitet, das f¨ ur Jahre fast alle in den Vereinigten Staaten arbeitenden Kernphysiker in die geheime Atombombenanlage von Los Alamos (New Mexico) brachte. Das Projekt war erfolgreich: die Atombombe wurde gebaut. Zwei Bomben im August 1945 t¨oteten 140 000 Japaner in Hiroshima und Nagasaki und damit endete der Zweite Weltkrieg.
7.7 Der Bombenbrief
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Das ist das Ende“ seufzte Einstein, nachdem er die Bombennachrich” ” ten“ im Radio geh¨ ort hatte. Einstein war nicht in das Manhattan-Projekt einbezogen worden, weil ihn Polizei und Geheimdienst f¨ ur ein Sicherheitsrisiko hielten. Seine Vergangenheit wurde durchw¨ uhlt und viele S¨ unden kamen ans Tageslicht: Radikalismus, linkes Gedankengut, Pazifismus und Sympathien f¨ ur die Sowjetunion. Das von J. Edgar Hoover geleitete FBI sammelte w¨ahrend Einsteins Aufenthalt in den Vereinigten Staaten 1800 Seiten Material u ¨ber ihn mit dem Ziel, ihn zu diffamieren und seinen dubiosen“ gesellschaftlichen ” Aktivit¨aten den Boden zu entziehen. Die Hauptt¨atigkeit dreier FBI-Agenten bestand darin, Einstein zu observieren und seine Vorhaben zu u ¨berwachen. Letztlich war es nat¨ urlich das Ziel, Einstein als Kommunisten zu identifizieren. Einstein war tats¨ achlich Mitglied von mehr als zwanzig Vereinigungen, die als kommunistisch eingestuft worden waren, aber er war nicht auf eigene Initiative Mitglied geworden, sondern zum Ehrenmitglied ernannt worden. Einsteins Pazifismus schwankte w¨ ahrend der Kriegszeit und er begann, Gewalt zu akzeptieren, wenn sie gegen Gewalt eingesetzt wurde. Er u ¨bte keine ¨offentliche Kritik am Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Die tiefe Antipathie, die er gegen¨ uber Deutschland versp¨ urte, beeinflußte die Sache vermutlich. Einstein mußte unangenehme Fragen beantworten, insbesondere nachdem die Nachricht u ¨ber den Brief herauskam, der in seinem Namen an Pr¨asident Roosevelt gerichtet worden war. Warum f¨ uhrte die Gleichung, die er gefunden hatte und die der Menschheit Wohlstand und neuen Glauben an das Leben bringen sollte, in Wirklichkeit zu sinnlosem Leiden und zur Vernichtung? Ich ” beging einen großen Fehler in meinem Leben – als ich den Brief an Pr¨asident Roosevelt unterschrieb!“ rief Einstein sp¨ ater aus. Obwohl er weder an der Planung noch am Bau der Atombombe beteiligt war, konnte er sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Der Mann, mit dem alles begann“ titelte das ” Wochenmagazin Newsweek sein langes Einstein-Interview. Ein knappes Jahr nach den Bombardierungen von Hiroshima und Nagasaki wurde Einstein zum Vorsitzenden des Emergency Committee of Atomic Scientists gew¨ahlt, das von Atomphysikern gegr¨ undet worden war, die gegen Atomwaffen protestierten. Er begann auch sonst, sich mit lauter Stimme f¨ ur den Weltfrieden einzusetzen. Eine Woche vor seinem Tod, inmitten des Kalten Krieges, unterzeichnete er das Russell-Einstein-Manifest, einen Appell, mit dem elf bedeutende Wissenschaftler alle Staaten aufforderten, auf den Einsatz von Atomwaffen zu verzichten. Hieraus erwuchs die Pugwash-Bewegung, die sp¨ater den Friedensnobelpreis erhielt und w¨ahrend der gef¨ahrlichsten Jahre des Wettr¨ ustens die Stimmen der Wissenschaftler zum Ausdruck brachte. Nach Nagasaki sind Atomwaffen nur zur Abschreckung verwendet worden, aber ihr Schatten lastet auch weiterhin d¨ uster u ¨ber uns, da immer neue L¨ander diese Waffen in ihr Arsenal aufnehmen.
8 Raum und Gravitation
Nach Vollendung der Speziellen Relativit¨ atstheorie im Jahr 1905 begann Ein¨ stein, ¨ uber die Gravitation nachzudenken. Er entdeckte 1907 das Aquivalenzprinzip und 1915 vollendete er seine neue Gravitationstheorie, die Allgemeine Relativit¨ atstheorie. Man findet st¨ andig neue Best¨ atigungen f¨ ur die Richtigkeit dieser Theorie.
In der Relativit¨atstheorie war die Relativit¨ at nichts Neues – diese war bereits Galilei bekannt – aber die Invarianten waren neu, vor allem die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Einstein wollte seine Theorie Invariantentheorie nennen, aber er war nicht dagegen, als andere, allen voran Max Planck, von der Relativit¨atstheorie zu sprechen begannen. Sp¨ ater erweiterte Einstein seine Theorie und dann fing man an, die urspr¨ ungliche Theorie von 1905 als Spezielle Relativit¨atstheorie zu bezeichnen. Etwas grob gesprochen, gilt die Spezielle Relativit¨atstheorie nur, wenn sich die Bezugssysteme relativ zueinander mit gleichf¨ormiger Geschwindigkeit bewegen. Sitzt ein Physiker auf einer Bank neben dem Gleis und ein anderer in einem Zug, der sich mit gleichf¨ormiger Geschwindigkeit bewegt, dann k¨ onnen beide Physiker exakt dieselben mathematischen Gesetze zur Beschreibung der nat¨ urlichen Ph¨anomene verwenden. Beschleunigt der Zug seine Geschwindigkeit, dann sagt die Spezielle Relativit¨atstheorie nichts dar¨ uber aus, ob im Zug und neben den Gleisen ein und dieselben oder andere Gesetze gelten. Urspr¨ unglich hatte Einstein eine solche Situation nicht betrachtet. Aber die Welt ist voller Bewegungen, bei denen die Geschwindigkeit nicht konstant bleibt – beispielsweise bei Beschleunigungen und Drehungen – und f¨ ur die sich die Spezielle Relativit¨ atstheorie nicht eignet. Wie l¨aßt sich die Relativit¨at auch auf diese Situationen verallgemeinern? Wie kann man Gesetze der Physik formulieren, deren logische und mathematische Form nicht von der Beschaffenheit der Bewegung in irgendwelchen Situationen abh¨angt? Einstein konnte kaum damit rechnen, daß die Antwort auf diese scheinbar
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8 Raum und Gravitation
einfachen Fragen zu einer so gewaltigen Erneuerung der Grundlagen der Physik f¨ uhren w¨ urde. Er mußte einen Umsturz durchf¨ uhren, denn es war eine v¨ollig neue Beschreibung der Zeit, des Raumes und der Gravitation erforderlich. Das Endresultat ist unter dem Namen Allgemeine Relativit¨atstheorie bekannt. Einstein ging mit seiner Leistungsf¨ ahigkeit und seinen mathemati¨ schen Kenntnissen bis zum Außersten, um die eine Gleichung zu Papier zu bringen, in der sich schließlich alles verdichtete. Er sagte, daß die Spezielle Relativit¨atstheorie im Vergleich zu dieser Arbeit eine Kinderei gewesen sei. Einstein begann 1907 mit der Entwicklung seiner neuen Theorie. Er war gebeten worden, f¨ ur das Jahrbuch der Radioaktivit¨ at und Elektronik einen ¨ Ubersichtsartikel u atstheorie zu schreiben. Die Ar¨ber die Spezielle Relativit¨ ¨ beit an einem solchen Uberblick ist immer eine gute Gelegenheit, die eigenen Gedanken zu ordnen. Versucht man, anderen die Dinge verst¨andlich und umfassend zu erkl¨ aren, dann muß man auch selber auf neue Weise an den Sachverhalt herangehen. Einstein erkannte deutlich die M¨angel seiner eigenen Theorie, deren Verallgemeinerung f¨ ur ihn eine jahrelange gewaltige Arbeit darstellte. Der Kern der Probleme war die Gravitation. Isaac Newton entwickelte im 17. Jahrhundert eine Gravitationstheorie. Gem¨aß dieser Theorie ist die Kraft, mit der sich zwei K¨orper gegenseitig anziehen, proportional zu ihren Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat ihres Abstands. Es war eine geniale Theorie. In Kombination mit den Newtonschen Bewegungsgesetzen erkl¨ arte sie erfolgreich die Bewegungen der Planeten und Monde, die Gezeiten und die Flugbahnen von Kanonenkugeln. Hin und wieder konnte man jedoch Ph¨ anomene beobachten, die dem Gesetz des Massenanziehung nicht gehorchten, aber jedesmal ging Newton aus dem Dilemma gest¨ arkt hervor. Der am besten bekannte Fall war eine Unregelm¨aßigkeit, die bei der Umlaufbahn des Planeten Uranus beobachtet wurde. Diese Unregelm¨aßigkeit ließ sich nicht mit den Newtonschen Gesetzen erkl¨aren – außer wenn es weiter weg einen zus¨ atzlichen Planeten geben w¨ urde, der mit seiner Anziehungskraft die Bewegung des Uranus st¨orte. Man konnte die Umlaufbahn dieses imagin¨ aren“ zus¨ atzlichen Planeten berechnen und – wie h¨atte ” es auch anders sein k¨ onnen – die Fernrohre fanden 1846 einen fr¨ uher unbekannten Wandelstern der Sonne, den Planeten Neptun, genau am berechneten Ort. Es war nur ein unbedeutender Lichtfleck, den man mit bloßem Auge nicht erkennen konnte. Vom Standpunkt der Speziellen Relativit¨atstheorie hat die Gravitationstheorie Newtons eine ¨ argerliche Eigenschaft, n¨amlich die Abh¨angigkeit der Schwerkraft von der Entfernung. Es erhebt sich die Frage, wer die Entfernung mißt. Die Entfernung ist n¨ amlich gem¨ aß der Einsteinschen Theorie relativ – der entsprechende Wert h¨ angt von der Bewegung desjenigen ab, der die Messung durchf¨ uhrt. Zum Beispiel unterscheiden sich die Entfernungen zwischen Merkur und Sonne – in Abh¨ angigkeit davon, ob die Messungen von der Oberfl¨ache des Merkur oder von der Sonnenoberfl¨ache aus durchgef¨ uhrt werden – um ungef¨ahr hundert Kilometer voneinander. F¨ ur großz¨ ugige Astronomen hat dieser Unterschied keinerlei Bedeutung, weil die Differenz nur von der
8 Raum und Gravitation
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Gr¨oßenordnung eines milliardsten Teils der ganzen Entfernung ist. Das Relativit¨atsprinzip gestattet jedoch keine physikalischen Gesetze, die von der Geschwindigkeit des Beobachters in Bezug auf das beobachtete Objekt abh¨angen. Die Theorie Newtons steht auch auf andere Weise im Widerspruch zur Relativit¨atstheorie. Das h¨ angt damit zusammen, daß die Gravitation bei Newton eine Fernwirkungskraft ist. Woher weiß der Mond, daß er um die Erde kreisen muß, obwohl er so weit von der Erde entfernt ist und sich dazwischen leerer Raum befindet? Was w¨ urde der Mond tun, wenn die Erde pl¨otzlich spurlos verschw¨ande? Gem¨ aß den Newtonschen Bewegungsgesetzen sollte der Mond im gleichen Moment seine Drehbewegung beenden und auf einer geradlinigen Bahn wie ein Hammer fliegen, den der Werfer aus seinem eisernen Griff ¨ losl¨aßt oder wie ein Formel-1-Rennwagen in einer Kurve, wenn ein Olfleck auf dem Asphalt die Reibung zwischen den Reifen und der Rennstrecke unterdr¨ uckt. Ist keine Kraft vorhanden, dann wird das Fahrzeug nicht in die Kurve einbiegen. Das Problem besteht darin, daß sich gem¨aß der Relativit¨atstheorie die Information von der Erde bis zum Mond maximal mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann, weil die Lichtgeschwindigkeit die gr¨oßtm¨ogliche Daten¨ ubertragungsgeschwindigkeit ist. Obwohl also von der Erde nicht mehr u ¨ brig w¨are als eine Gedenktafel, w¨ urde sich der Mond daran erinnern und seine Drehbewegung noch mindestens eine gute Sekunde so fortsetzen, als ob nichts geschehen w¨are. Mindestens so lange dauert es n¨amlich, bis die Information u ¨ber die Beseitigung der Ursache der Schwerkraft den Mond erreicht. Oder wenn – Spinozas Gott1 beh¨ ute – die Sonne verschw¨ande, dann w¨ urde sich unser eigener Planet noch mehr als acht Minuten auf seiner vertrauten Bahn bewegen, weil die Information u ¨ ber das schreckliche Ereignis und die letzten Strahlen der Sonne so lange unterwegs w¨ aren. W¨ahrend dieser Sekunden und Minuten w¨aren die Newtonschen Gesetze außer Kraft. Auch die elektromagnetische Kraft ist eine Fernwirkungskraft. Elektrisch geladene K¨orper brauchen einander nicht zu ber¨ uhren, damit zwischen ihnen eine Kraft wirkt. Man kann sich hiervon zum Beispiel u ¨ berzeugen, indem man einen Handr¨ ucken in die N¨ ahe eines Fernsehbildschirms r¨ uckt: die H¨archen stehen einem bereits am Ende der Bewegung zu Berge. Genauso reagiert eine Kompaßnadel auf einen Magneten. Die elektromagnetischen Kr¨afte wirken demnach durch den leeren Raum und außerdem ist die Kraft umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstands zwischen den K¨orpern – so wie im Falle der Schwerkraft. Steht also der Elektromagnetismus – wie auch die Schwerkraft – nicht im Widerspruch zur Relativit¨ atstheorie? Nein, tut er nicht – vielmehr war genau das der Ausgangspunkt f¨ ur die ganze Relativit¨atstheorie! Gerade die Eigenschaften des Elektromagnetismus weckten Einsteins Interesse. Michael Faradays große Entdeckung, die elektri1
Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden ” offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit den Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt.“ (Einstein)
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schen Felder und die Magnetfelder, und James Clerk Maxwells elektromagnetische Wellen unterscheiden die Theorie des Elektromagnetismus von der Gravitationstheorie. Die elektromagnetische Kraft ist keine Fernwirkungskraft im Sinne Newtons, denn die Kraftwirkung wird nicht instantan von einem Ort zum anderen u urt“ ¨ bertragen. Kraft ist ein lokales Ph¨anomen. Der K¨orper sp¨ ” sie durch die Wirkung des an ihrer Stelle befindlichen Feldes. Wir wollen dasselbe Gedankenexperiment wie im Falle der Schwerkraft durchf¨ uhren. Auf das Elektron wirkt eine vom Proton verursachte elektrische Anziehungskraft und diese l¨ aßt das Elektron um das Proton kreisen. Was geschieht, wenn das Proton pl¨ otzlich aufh¨ ort, zu existieren? Gem¨aß der Theorie von Maxwell breitet sich die Information u ¨ber das Ereignis in Form einer Kugelwelle mit Lichtgeschwindigkeit aus. Es gibt kein Feld innerhalb der Kugel, aber außerhalb ist das Feld unver¨ andert. Solange sich das Elektron außerhalb dieser gr¨oßer werdenden Kugel befindet, verh¨alt es sich so wie fr¨ uher, weil an seinem Ort das Feld unver¨ andert ist. Erreicht die Welle jedoch das Elektron, dann verschwindet das Feld und das Elektron beginnt, sich wie ein freies Teilchen zu verhalten. Das Problem der Newtonschen Gravitationstheorie wird also im Falle des Elektromagnetismus mit Hilfe des Feldes vermieden. Man kann das Feld nat¨ urlich auch zur Erkl¨ arung der Fernwirkung der Gravitation zu Hilfe nehmen, aber anders als im Falle der elektromagnetischen Wellen gab und gibt es noch keine direkte experimentelle Best¨ atigung f¨ ur die Existenz von Gravitationswellen, das heißt, diese Erkl¨ arung ist eine Idee ohne Fundament.
8.1 Pr¨ amiiertes Leghuhn“ ” Als Einstein mit der Entwicklung seiner neuen Gravitationstheorie begann, war er noch als Experte des Berner Patentamtes t¨atig, jedoch nicht mehr auf der untersten Stufe der Leiter, sondern auf der zweitniedrigsten. Bald jedoch o¨ffneten sich die T¨ uren zur akademischen Welt. Zuerst wurde er Privatdozent der Universit¨at Bern, 1909 Extraordinarius der Universit¨at Z¨ urich, 1910 ordentlicher Professor der Deutschen Universit¨at in Prag, 1912 bekam er eine Professur an der ETH Z¨ urich, seiner fr¨ uheren Lehranstalt, und 1913 erhielt er schließlich einen Ruf nach Berlin als Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Es war ein kometenhafter Aufstieg, aber nicht alles verlief problemlos. Sein erster Antrag auf eine Privatdozentur der Universit¨at Bern wurde abgelehnt, weil die von ihm vorgelegte Forschungsprobe, seine 1905 ver¨offentlichte Spezielle Relativit¨atstheorie, als schwerverst¨ andlich galt. Das Extraordinariat in Z¨ urich blieb aufgrund einer politischen Fehde ungenutzt. Mitbewerber war Friedrich Adler, der Sohn des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei ¨ Osterreichs. Die Sozialdemokraten hatten die Mehrheit in der Verwaltung der Universit¨at Z¨ urich, und die Mehrheit vertrat – wie h¨atte es auch anders sein k¨onnen – den Standpunkt, Adler zu w¨ ahlen. Als Adler von diesen Dingen
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Pr¨ amiiertes Leghuhn“ ”
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erfuhr, zog er seinen Antrag ver¨ argert zur¨ uck. Es war ihm vollkommen unverst¨andlich, wieso man ihn als Wissenschaftler, der von einem ganz anderen ” Planeten“ kam, vor Einstein setzen konnte. Hut ab vor diesem Sozialdemokraten! Im Jahr 1916 beging Adler in seinem Idealismus eine weitere dramatische Tat. Er erschoß den ¨ osterreichischen Ministerpr¨asidenten, da dieser – nach Meinung Adlers – durch seine Willk¨ ur den Frieden erschweren w¨ urde. Adler wurde zum Tode verurteilt, aber das Urteil wurde sp¨ater in eine ziemlich milde Gef¨angnisstrafe von achtzehn Monaten umgewandelt. Der schnelle Aufstieg in der Laufbahn zeigte, daß man Einstein nunmehr als Wissenschaftler allerersten Ranges betrachtete. Die europ¨aischen Universit¨aten konkurrierten um ihn. Auch in Berlin verdoppelte man das f¨ ur ihn geplante Gehaltsangebot, damit er nur ja nicht dem ausgeworfenen Netz entfliehe. Das Netz hatten Max Planck und Walther Nernst (1864–1941) ausgeworfen, die damals einflußreichsten deutschen Physiker. Sie reisten nach Z¨ urich eigens mit der Absicht, Einstein zu u ¨berreden. Die Berliner speku” lieren mit mir wie mit einem pr¨ amiierten Leghuhn; aber ich weiß nicht, ob ich noch Eier legen kann!“ beschrieb Einstein einem Freund die Situation. Einstein bat um Bedenkzeit. Planck und Nernst unternahmen einen kleinen Ausflug in die Umgebung und als sie nach Z¨ urich zur¨ uckkehrten, wartete Einstein auf dem Bahnhof. Einstein zeigte seine Zustimmung durch ein rote Rose im Knopfloch; eine weiße Rose w¨ are das Zeichen der Ablehnung des Angebots gewesen. So war es vereinbart worden. (Eine andere Version dieser Geschichte berichtet, daß Einstein mit einem weißen Taschentuch winkte. Geschichten sind eben Geschichten.) Die verzweifelte Jagd nach Assistentenstellen vor einem Jahrzehnt war nur noch Erinnerung f¨ ur Einstein und er konnte jetzt auch kleine Sp¨aße auf Kosten der Machtmenschen machen, die mitunter auf dreiste Weise seine N¨ahe suchten, um seine Gunst zu erhaschen. Prag brachte Einstein die erste ordentliche Professur und ein besseres Einkommen. Zus¨atzlich zog es ihn aber wegen der großen wissenschaftlichen Traditionen nach dort. Die Astronomen Tycho Brahe und Johannes Kepler hatten in Prag das Fundament f¨ ur den Aufstieg der Astronomie gelegt und Ernst Mach, den Einstein sehr bewunderte, war dort der erste Rektor der Universit¨at gewesen. Bald bedauerte Einstein jedoch, daß er die Stelle angenommen hatte. Die schreckliche B¨ urokratie der ¨ osterreichisch-ungarischen Monarchie und die faulen Studenten ¨ argerten ihn. Die sozialen Spannungen in Prag (zwischen den Tschechen und der deutschen Minderheit, innerhalb der die Juden wiederum eine Minderheit bildeten) ber¨ uhrten ihn kaum, auch wenn dadurch die Atmosph¨are der Stadt bedr¨ uckend wurde. Eine Bedingung f¨ ur die Berufung war, die ¨osterreichisch-ungarische Staatsb¨ urgerschaft anzunehmen, und obwohl sich Einstein nach eigenem Gewissen als nicht religi¨os bezeichnete, erforderte seine Ernennung, daß er in den Unterlagen als mosaischen Glaubens“ ” eingetragen wurde. Der Kaiser berief n¨ amlich nur Personen, die an einen Gott glaubten. Das vom Standpunkt der Forschung wichtigste Geschenk Prags an Einstein war der Rat, den er von Georg Pick erhielt, der Assistent bei Ernst
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Mach gewesen war: als mathematische Maschinerie f¨ ur die Gravitationstheorie solle Einstein den von den Italienern Gregorio Ricci und Tullio Levi-Civita entwickelten absoluten Differentialkalk¨ ul verwenden. Dieser Zweig der Mathematik wurde sp¨ ater unter dem Namen Tensorrechnung bekannt; Tensoren spielen eine fundamentale Rolle in der Differentialgeometrie. Einstein und Pick wurden Freunde und blieben miteinander auch noch lange in Kontakt, nachdem Einstein von Prag nach Z¨ urich gezogen war – mindestens so lange, bis das Konzentrationslager Theresienstadt das Schicksal des mehr als achtzigj¨ahrigen Pick besiegelte.
8.2 Gekru ¨ mmter Raum Einstein ging u ¨blicherweise von einfachen Fragen und Feststellungen aus, die auch von Otto und Ottilie Normalverbraucher/in h¨atten gestellt werden k¨onnen. Die Allgemeine Relativit¨ atstheorie nahm ihren Anfang mit einer verbl¨ uffend einfachen Feststellung: ein fallender Mensch kennt sein eigenes Gewicht nicht. Woher kann dieser Mensch wissen, daß die Gravitation u ¨berhaupt auf ihn wirkt? Ist die Gravitation vielleicht nur ein Trugbild? Wenn wir stehen, erkennen wir die Gravitation anhand der Tatsache, daß der Fußboden unsere Fußsohlen dr¨ uckt. Der Fußboden verursacht die Normalkraft, die den Effekt der Gravitation aufhebt, so daß die Gesamtkraft verschwindet und wir an unserem Ort bleiben. Wir sp¨ uren die Schwerkraft selbst nicht, sondern nur die Normalkraft des Fußbodens, die auf mikroskopischer Ebene durch die elektromagnetische Kraft verursacht wird, die von den Atomen des Fußbodens auf die Atome unserer Fußsohlen oder unserer Schuhsohlen wirkt. Bricht uns der Boden unter den F¨ ußen weg, dann sind wir nach den Gesetzen der Newtonschen Mechanik nur der Gravitation unterworfen, die uns eine beschleunigte Bewegung verleiht. Ein ruhender Beobachter sieht, daß sich unsere Geschwindigkeit pro Sekunde um ungef¨ahr 10 m/s erh¨oht. F¨allt die vom Fußboden verursachte Normalkraft weg, dann verschwindet f¨ ur uns auch das Mittel, die Wirkung der Gravitation zu sp¨ uren. G¨abe es keinen Luftwiderstand und w¨ are die uns umgebende Landschaft in das Dunkel der Nacht geh¨ ullt, dann w¨ urden wir gar nicht wissen, daß wir uns mit Beschleunigung bewegen. Kramen wir das Schl¨ usselbund aus unserer Tasche und lassen wir es los, dann f¨ allt es nicht irgendwohin, sondern bleibt schwebend an unserer Seite. Wir k¨ onnten uns gut vorstellen, daß wir uns in einem entlegenen Winkel des Weltraums befinden, wo es keine benachbarten Verursacher von Schwerkraft gibt. Einstein erkannte, daß man diese Situationen nicht voneinander unterscheiden kann: das Leben in einem Labor, das sich in einem Gravitationsfeld im freien Fall befindet, unterscheidet sich nicht vom Leben in einem gravitationsfreien Raum. Es handelt sich hierbei nicht um einen Mangel an geeigneten Verfahren – vielmehr ist es prinzipiell unm¨ oglich, einen Unterschied festzu¨ stellen. Das wird als Aquivalenzprinzip bezeichnet.
8.3 Von Pisa zum Meer der Stille
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¨ Eine Story berichtet, daß Einstein auf die Idee vom Aquivalenzprinzip kam, als er einen Bauarbeiter sah, der von einem Hausdach fiel. Er selbst sagte jedoch, er habe das Prinzip entdeckt, als er beh¨abig auf seinem Schreibtischsessel saß. Und dieses Prinzip war seiner Meinung nach die beste Idee, die er je auf diesem Sessel hatte. Einstein erkannte, daß er den Schl¨ ussel zur L¨osung des R¨atsels der Gravitation in der Hand hielt: bei geeigneter Wahl des Standpunktes war es m¨ oglich, die Gravitation durch die Beschleunigung zu ersetzen und die Bedeutung und Beschaffenheit der Beschleunigung waren bestens bekannt. Einstein mußte auf ein Gedankenexperiment zur¨ uckgreifen, als er das ¨ Aquivalenzprinzip entdeckte, aber wir k¨ onnen alles in Form einer Direkt¨ ubertragung aus dem Raum sehen. Die Schwerelosigkeit ist uns von den Fernsehbildern her vertraut, die aus einem Raumschiff u ¨bertragen werden. Die Suppe muß dort nicht ausgel¨ offelt werden, man kann sie vielmehr mit dem Mund aufschl¨ urfen, wenn sie durch die Luft schwebt. Auch die Werkzeuge bleiben praktischerweise in Reichweite der H¨ ande und fallen nicht auf den Fußboden. Die im Raumfahrzeug herrschende Schwerelosigkeit h¨angt u ¨berhaupt nicht damit zusammen, daß man sich im Raum befindet. Die Schwerkraft der Erde erstreckt sich sehr wohl bis zum Raumschiff, sie erstreckt sich ja auch bis zum Mond. Die Schwerelosigkeit kommt daher, daß man sich nach dem Abschalten der Raketenmotoren im freien Fall befindet. Die Schwerelosigkeitsszenen vieler Science-Fiction-Filme werden nicht im Weltraum gedreht, sondern in einem Flugzeug, das f¨ ur einen Moment in den Zustand des freien Falls versetzt wurde. Es handelt sich dabei um keine k¨ unstlich erzeugte, sondern um die ganz authentische Schwerelosigkeit.
8.3 Von Pisa zum Meer der Stille Die Schwerkraft verleiht allen K¨ orpern die gleiche Beschleunigung. Galileo Galilei f¨ uhrte sein legend¨ ares Experiment durch, indem er – wie berichtet wird – vom Schiefen Turm von Pisa K¨ orper hinunterfallen ließ, die aus unterschiedlichen Materialien angefertigt worden waren. So hat es jedenfalls Galileis letzter Sch¨ uler Viviani erz¨ ahlt, der jedoch zur Zeit der behaupteten Experimente noch gar nicht geboren war. Galilei kannte dieses physikalische Gesetz wahrscheinlich von fr¨ uher her, weil sein Landsmann Giambattista Benedetti bereits Jahrzehnte zuvor dar¨ uber geschrieben hatte und Simon Stevin, ein Offizier der holl¨andischen Armee, die experimentelle Best¨atigung kurz vor der Zeit erbracht hatte, in der sich Galilei f¨ ur die Sache interessierte. Vielleicht war es ja auch gar nicht Galilei, der die K¨ orper vom Schiefen Turm von Pisa fallen ließ, sondern seine Gegner taten dies, um die Haltlosigkeit der von Galilei verk¨ undeten Behauptung nachzuweisen. Der Luftwiderstand bringt die Angelegenheit durcheinander, falls die K¨ orper keine v¨ollig identische Form haben, und wenn man sie aus der H¨ ohe fallen l¨aßt, dann kann es deswegen zu beobachtbaren Unterschieden der Fallzeiten kommen.
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Tats¨achlich f¨ uhrte Galilei seine eigenen Experimente durch, indem er K¨orper auf schiefen Ebenen rollen ließ, was nat¨ urlich vern¨ unftiger war, weil man dadurch wenigstens die f¨ ur die Versuche erforderliche Zeit zuverl¨assig messen konnte. Uhren waren zwar noch nicht in Gebrauch, aber Galilei hatte als Sohn eines Musikers und Musikinstrumentenbauers ein sehr gutes Rhythmusgef¨ uhl geerbt, das er zur Absch¨ atzung des Zeitaufwands verwendete. Newton untersuchte dieselben Dinge. Er verwendete zwei verschiedene Massenbegriffe. Der eine Begriff war die tr¨ age Masse, die Auskunft u ¨ber das Beharrungsverm¨ogen eines K¨ orper gibt. Wirkt eine Kraft auf einen K¨orper, dann ¨andert sich seine Geschwindigkeit; um wieviel, das wird durch die tr¨age Masse gemessen (diese ist das Verh¨ altnis der Kraft zur Beschleunigung). Ein anderer Massenbegriff tritt im Newtonschen Gravitationsgesetz auf. Diese Masse wird als schwere Masse bezeichnet und je gr¨oßer sie ist, desto gr¨oßer ist die auf den K¨ orper wirkende Schwerkraft. Galileis und Newtons Beobachtung der Allgemeing¨ ultigkeit der Gravitationsbeschleunigung wird klar, wenn die tr¨age Masse und die schwere Masse gleich groß sind. Dann erhalten alle K¨orper unabh¨angig von ihrer Masse durch die Wirkung der Schwerkraft die gleiche Beschleunigung. Nichts in der Theorie Newtons zwingt die tr¨age Masse und die schwere Masse dazu, gleich groß zu sein, aber die Natur scheint zu sagen, daß sie es sind. Newton hat selbst festgestellt, daß tr¨ age Masse und schwere Masse mit einer Genauigkeit von mindestens einem Prozent gleich groß sind und 1889 erzielte der ungarische Physiker Lor´ and E¨ otv¨os durch seine Messungen eine Genauigkeit von Eins zu einer Milliarde. Das vorl¨aufig genaueste Ergebnis wurde bei der Messung der Entfernung zwischen Erde und Mond erzielt. Hinge die Gravitationsbeschleunigung von der Masse eines K¨ orpers ab, dann w¨ urden Mond und Erde durch die Wirkung der Schwerkraft der Sonne mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten fallen“ ” ¨ und das w¨ urde eine Anderung der Entfernung zwischen ihnen bedeuten. Als Neil Armstrong im Juli 1969 u ¨ber die Ausstiegsleiter des Mondmoduls von Apollo 11 als erster Mensch seinen historischen kurzen Schritt auf den Mondboden setzte, nahm er einen Reflektor von der Gr¨oße einer Personenwaage mit und ließ ihn im Meer der Stille auf der Mondoberfl¨ache zur¨ uck. Mit den sp¨ateren Fl¨ ugen von Apollo 14 und 15 und mit dem unbemannten Flug der russischen Mission Luna 21 wurden weitere Reflektoren zum Mond exportiert. Seitdem sendet man Laserpulse von der Erde zu den Reflektoren und beobachtet das reflektierte Licht durch Fernrohre. Aus der Zeit, die das Licht hin und zur¨ uck ben¨otigt, konnte man die Entfernung zwischen Erde und Mond berechnen. Die Messungen waren nicht leicht, denn nur ein Milliardstel eines milliardsten Teils des gesandten Pulses kommt in reflektierter Form in den Fernrohren an. Die Messungen wurden mehr als dreißig Jahre lang fortgef¨ uhrt und die Entfernung zwischen Erde und Mond ist jetzt mit der unglaublichen Genauigkeit von einem Zentimeter Abweichung gemessen. Auf diese Weise ¨ konnte die G¨ ultigkeit des Aquivalenzprinzips mit einer Genauigkeit von einem Billionstel nachgewiesen werden. (Tats¨ achlich entfernt sich wegen des Gezei-
8.4 Die Gezeitenkr¨ afte
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tenph¨anomens der Mond um mehr als drei Zentimeter pro Jahr von der Erde ¨ weg. Diese bekannte Tatsache wird bei der Uberpr¨ ufung der Meßergebnisse ber¨ ucksichtigt.) Die Genauigkeit von einem Zentimeter reicht jedoch denjenigen Wissenschaftlern nicht, die so exotische Fragen pr¨ ufen wollen, ob die Gravitationskonstante von der Zeit abh¨ angt, oder ob die Schwerkraft in m¨oglichen zus¨atzlichen Raumdimensionen versickert“. Gem¨ aß einigen modernen Theorien ist ” die Raumzeit nicht vierdimensional, sondern vielleicht zehn- oder elfdimensional. Die Extradimensionen sind sehr klein zusammengerollt“, aber den” noch ist es m¨oglich, daß ein Teil des Gravitationseffektes der makroskopischen Welt in ihnen verschwindet. Das w¨ urde erkl¨ aren, warum die Schwerkraft im Vergleich zu den anderen fundamentalen Kr¨ aften der Natur (das heißt, im Vergleich zur elektromagnetischen Kraft, zur schwachen Kernkraft und zur starken Kernkraft) so klein ist. In einem geplanten neuen Experiment zur Messung der Entfernung zwischen Erde und Mond wird millimetergenau gemessen. Jedoch liegen die Vorhersagen, die einige Theorien in Bezug auf die ¨ Abweichung vom Aquivalenzprinzip machen, in einem so winzigen Genauigkeitsbereich, daß sie sich auch bei diesem Experiment nicht u ufen lassen. ¨berpr¨ Das Experiment erhielt den Namen Apache Point Observatory Lunar Laserranging Operation. Das ist eine etwas gek¨ unstelte Bezeichnung, die aber ein verpflichtendes Akronym hat: APOLLO.
8.4 Die Gezeitenkr¨ afte K¨orper im freien Fall erfahren die gleiche Beschleunigung, so daß die relativen Geschwindigkeiten zwischen den K¨ orpern unver¨andert bleiben. Gem¨aß der Speziellen Relativit¨ atstheorie gehorchen die K¨ orper folglich ein und denselben physikalischen Gesetzen. Einstein erkannte jedoch, daß man die Gravitationseffekte nicht einmal bei der Bewegung des freien Falles vollst¨ andig los wird. Setzen wir uns f¨ ur einen Moment Newtons Per¨ ucke auf den Kopf und denken uns ein Raumschiff, das direkt in Richtung Erde f¨ allt. Da die Schwerkraft umso gr¨oßer wird, je n¨aher ein K¨orper der Erde ist, wirkt auf die auf dem Fußboden“ des Raumschiffs ” befindlichen K¨orper eine um einen Hauch gr¨ oßere Kraft als auf K¨orper, die sich sich in H¨ohe der Zimmerdecke“ befinden. Somit erhalten die auf dem ” Fußboden befindlichen K¨ orper eine etwas gr¨ oßere Beschleunigung und deswegen nimmt die Entfernung der K¨ orper w¨ ahrend des Fallens zu. Andererseits weist die Schwerkraft in Richtung Erdmittelpunkt, so daß auf die verschiedenen Seiten des Raumschiffs minimal unterschiedlich gerichtete Kr¨afte wirken. Die Kr¨afte weisen in Richtung des Mittelteils des Raumschiffs und nicht direkt in Richtung Fußboden. Deswegen bewegen sich die im Raumschiff seitlich befindlichen K¨orper w¨ ahrend des Fallens etwas aufeinander zu. Solche Kr¨afte werden Gezeitenkr¨ afte genannt, weil sie auch das Ph¨anomen der Gezeiten erkl¨aren. Vom Standpunkt des Mondes aus befindet sich die Erde
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in einer Bewegung des freien Falles, sie umkreist den Mond. Die dem Mond zugewandten Wassermassen der Erde erfahren die Schwerkraft etwas mehr, die mondabgewandten Wassermassen hingegen etwas weniger; deswegen streben die mondzugewandten Wassermassen eine Umlaufbahn an, die kleiner als die Erdumlaufbahn ist, w¨ ahrend die auf der gegen¨ uberliegenden Seite befindlichen Wassermassen ihrerseits eine Umlaufbahn anstreben, die gr¨oßer als die Erdumlaufbahn ist. Das seitlich befindliche Wasser strebt n¨aher zur Erde – aus demselben Grund, aus dem sich die im Raumschiff seitlich befindlichen K¨orper einander n¨ ahern. Der Gesamteffekt ist, daß die Meere anschwellen. Die von der Sonne verursachte Gravitation beeinflußt die Meere auf ¨ahnliche Weise und das Gezeitenph¨ anomen der Erde ist das Ergebnis des durch Sonne und Mond verursachten Gesamteffekts der Gravitation. Zuerst ließ Einstein die Gezeitenkr¨ afte außer Acht. Beschr¨ankt man sich auf die Nachbarschaft eines K¨ orpers, dessen Gr¨oße im Vergleich zur Gr¨oße des Verursachers der Schwerkraft klein ist, dann sind die Effekte der Gezeitenkr¨afte so klein, daß sie keine praktische Bedeutung haben. Lokal kann die ¨ Schwerkraft somit vollst¨ andig vernachl¨ assigt werden und das Aquivalenzprinzip gilt ebenso, wie das Relativit¨ atsprinzip. Beobachtet man aber beispielsweise die Bewegung der Himmelsk¨ orper, dann darf man den Effekt der Gezeitenkr¨afte nicht ignorieren. Zwar wird man bei der Bewegung des freien Falles die Schwerkraft los, nicht aber die Gezeitenkr¨ afte. Die Gezeitenkr¨afte sind eine authentische Manifestation der Gravitation. Einsteins wesentliche Anstrengungen waren darauf gerichtet, die Gezeitenkr¨afte so zu ber¨ ucksichtigen, daß die Gesetze der Physik unver¨ andert bleiben.
8.5 Gekru ¨ mmte Zeit ¨ Einstein entdeckte das Aquivalenzprinzip, als er noch als Angestellter des Patentamtes in Bern arbeitete. Zwischenzeitlich untersuchte er andere Dinge, die Physik der Atome und Molek¨ ule, und er nahm 1911 die Gezeitenkr¨afte aufs Korn, als er in Prag arbeitete. Einstein wurde kribblig. Und wenn das, was man u ¨blicherweise Schwerkraft nennt, gar keine Kraft w¨ are, sondern ein durch die Struktur der Raumzeit verursachtes Ph¨ anomen?! Wieder eine verbl¨ uffend radikale Idee. Zun¨achst versuchte er, die Gravitation mit Hilfe der gekr¨ ummten Zeit zu erkl¨aren. Die Zeit w¨are demnach an verschiedenen Raumpunkten in Abh¨angigkeit davon unterschiedlich, wie die Materie im Raum verteilt ist. Die Materie w¨ urde der Zeit eine Form geben und diese Form w¨ urde dazu f¨ uhren, daß die Bewegung im Raum dem Newtonschen Gravitationsgesetz zu gehorchen scheint. Die Idee, daß die Zeit eine Form hat, war nicht aus dem Vakuum gegriffen, denn Einstein wußte, daß die Gravitation tats¨achlich den Verlauf der Zeit ¨ beeinflußt. Das ist eine Folge des Aquivalenzprinzips. Eine einfache Schlußfolgerung zeigt, daß die Zeit umso langsamer vergeht, je gr¨oßer die Gravitation
8.5 Gekr¨ ummte Zeit
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ist. Denken wir etwa an Einsteins Fahrstuhl“, einen in Richtung Erde fallen” den Kasten. An der Oberseite des Kastens befindet sich eine Vorrichtung, die periodische Lichtpulse sendet, und auf dem Boden ein Empf¨anger, der diese Pulse registriert. Der Kasten bewegt sich mit Beschleunigung und deswegen hat er beim Eintreffen der Pulse im Empf¨ anger eine gr¨oßere Geschwindigkeit, als beim Absenden der Pulse von der Oberseite des Kastens. Somit ist das Intervall von aufeinanderfolgenden Pulsen im Empf¨anger gr¨oßer als im Sender – dieses Ph¨anomen ist unter dem Namen Dopplereffekt bekannt. Zum Beispiel k¨onnten Pulse, die in Intervallen von einer Nanosekunde gesendet werden, im Empf¨anger in Intervallen von zwei Nanosekunden eintreffen. Jedoch besagt ¨ das Aquivalenzprinzip, daß die Physik in diesem – im Schwerefeld frei fallenden – Kasten die gleiche sein muß wie die Physik in einem Kasten, der sich im schwerelosen Raum befindet. In der letztgenannten Situation ist das Pulsintervall im Sender und im Empf¨ anger gewiß ein und dasselbe, n¨amlich eine Nanosekunde, und so sollte es auch im Falle“ des fallenden Kastens sein. Die ” L¨osung besteht darin, daß im Schwerefeld die Zeit auf dem der Erde n¨aher gelegenen Boden langsamer vergeht, als auf dem Oberteil. Somit ist die Gravitation im Empfangsmoment gr¨ oßer als im Sendemoment. Geht die Uhr des Empf¨angers eine Nanosekunde in der gleichen Zeit, in der die Uhr des Senders zwei Nanosekunden geht, dann ist die Frequenz der Pulse im Sender und im Empf¨anger die gleiche, n¨ amlich ein Puls pro Nanosekunde. Somit kompensiert der Dopplereffekt die durch die Gravitation verursachte Verl¨angerung der Sekunden. Die Uhren in einem st¨ arkeren Schwerefeld gehen also langsamer als die Vergleichsuhren in einem schw¨ acheren Feld. Die Uhr des Nachbarn im Erdgeschoß geht ein bißchen langsamer als Ihre eigene Uhr. Das hat jedoch keinen Einfluß auf die Alltagsroutinen, weil die Sekunde des unten wohnenden Nachbarn nur etwa den millionsten Teil eines Milliardstels l¨ anger ist als Ihre eigene Sekunde. Ist die Gravitation viel gr¨ oßer als die Schwerkraft der Erde, dann tritt auch das Ph¨anomen viel st¨ arker in Erscheinung. Auf der Oberfl¨ache der Sonne geht die Zeit im Vergleich zur Erdzeit 64 Sekunden pro Jahr nach, in der Mitte der Sonne sind es ungef¨ ahr f¨ unf Minuten. Somit hat sich der Zeitunterschied in der f¨ unf Milliarden Jahre w¨ ahrenden Lebenszeit unseres Sonnensystems auf Tausende von Jahren akkumuliert. Die Verlangsamung der Zeit offenbart sich nicht nur im Gehen der Uhren, sondern in allen Erscheinungen, zum Beispiel in den Schwingungen einer elektromagnetischen Welle. Das bedeutet, daß die Gravitation die Frequenz des Strahlers nach Auffassung eines weit entfernten Beobachters reduziert, das heißt, die Wellenl¨ ange erscheint gr¨ oßer. Beim Licht erfolgt somit eine Verschiebung zum roten Ende des Spektrums. Dieses Ph¨anomen wird als Gravitationsrotverschiebung bezeichnet.
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8 Raum und Gravitation
8.6 Die Metamorphosen des Raumes Einstein mußte bald den Gedanken fallen lassen, daß die Gravitation lediglich auf die Kr¨ ummung der Zeit zur¨ uckzuf¨ uhren sei. Das st¨ unde nicht in Einklang mit seiner Speziellen Relativit¨ atstheorie, denn wenn man sich aus dem Blickwinkel des einen Beobachters in den Blickwinkel des anderen begibt, dann vermischen sich Raum und Zeit miteinander. Die gekr¨ ummte Zeit des einen Beobachters w¨are die gekr¨ ummte Zeit und der gekr¨ ummte Raum des anderen Beobachters. Somit mußte man tats¨ achlich voraussetzen, daß nicht nur die Zeit, sondern die ganze Raumzeit gekr¨ ummt ist. Es ist nicht m¨ oglich, sich eine Kr¨ ummung der Raumzeit oder des dreidimensionalen Raums vorzustellen. Im zweidimensionalen Raum kann man den Sachverhalt veranschaulichen. Wir sind daran gew¨ohnt, uns den zweidimensionalen Raum als Ebene zu denken. Zeichnen wir zwei parallele Geraden in der Ebene, dann denken wir, daß sich die Geraden nie schneiden – egal wie weit man sie verl¨ angert. Oder wenn wir ein Dreieck in der Ebene zeichnen, dann betr¨agt die Summe seiner Winkel 180 Grad. Das sind die Regeln der Geometrie, so wie sie der Altgrieche Euklid entwickelt hatte – man verwendet diese Regeln beim Anlegen von Straßen und beim Hausbau. Es ist die Grundschulgeometrie. Aber auch die Oberfl¨ ache der Erdkugel ist ein zweidimensionaler Raum. Dort gibt es zwei Richtungen, die Nords¨ udrichtung und die Ostwestrichtung. Wenn ich zwei Geraden auf der Erde in Nords¨ udrichtung zeichne, dann sind sie im Maßstab meines Hausgartens parallel, aber wenn ich die Geraden weiter in Richtung Norden verl¨ angere, dann stelle ich fest, daß sie sich allm¨ahlich einander n¨ahern. Auf dem Nordpol schneiden sie sich. Die Oberfl¨ache der Erdkugel ist im Maßstab meines kleinen Hausgartens flach, euklidisch – aber global betrachtet, das heißt, im Maßstab der Erdkugel, ist sie nichteuklidisch. Die Oberfl¨ache der Erdkugel ist ein gekr¨ ummter Raum. Die Winkelsumme eines auf der Erdoberfl¨ ache gezeichneten Dreiecks ist nicht 180 Grad, sondern gr¨oßer. Wir denken uns eine Kugeloberfl¨ ache automatisch als Oberfl¨ache eines dreidimensionalen K¨ orpers, n¨ amlich als Oberfl¨ache der betreffenden Kugel. Wir wissen, was es in der dreidimensionalen Welt bedeutet, daß eine Fl¨ache gekr¨ ummt ist. Zur Feststellung einer Kr¨ ummung ist es jedoch nicht erforderlich, daß wir uns nach oben“ in h¨ ohere Dimensionen begeben. Die Landver” messer finden das m¨ uhelos mit den interessanten Instrumenten heraus, die man h¨aufig an Straßenecken und bei Erdarbeiten sieht. W¨are die Erdkugel st¨andig von dichten Nebelschwaden umgeben, so daß wir nicht mehr sehen, wie die Schiffe hinter dem Horizont verschwinden oder wie die Erde auf der Mondoberfl¨ache einen gekr¨ ummten Schatten wirft, dann w¨ urden wir dennoch die Kr¨ ummung der Erdoberfl¨ ache erkennen k¨ onnen. Die auf der Erdoberfl¨ache gezeichneten geometrischen Figuren gehorchen n¨amlich nicht den Regeln der euklidischen Geometrie. Wir k¨onnen die Kr¨ ummung unserer vierdimensionalen Raumzeit und unseres dreidimensionalen Raumes herausfinden, indem wir lediglich Messungen
8.6 Die Metamorphosen des Raumes
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durchf¨ uhren. Wir sind nicht in der Lage, unseren Raum von außen zu besichtigen und seine Gestalt von dort zu sehen. Wir sind nicht einmal dazu in der Lage, uns vorzustellen, wie der gekr¨ ummte drei- oder vierdimensionale Raum aussehen w¨ urde. Wenn wir einen Kreis auf der zweidimensionalen Oberfl¨ache eines Papiers zeichnen und den Kreis etwas schattieren, dann sehen wir dort das Abbild einer dreidimensionalen Kugel. Betrachten wir aber einen dreidimensionalen K¨orper, dann haben wir keinerlei Vorstellung, welcher vierdimensionale K¨orper das Urbild dieses dreidimensionalen K¨orpers sein k¨onnte. Unsere Vorstellungskraft reicht hierf¨ ur nicht aus, weil sie mit festen Ketten an den dreidimensionalen Raum geschmiedet ist, in dem wir leben. Aber wenn die Phantasie in eine Sackgasse ger¨ at, dann kann die Mathematik zu Hilfe kommen! Bernhard Riemann (1826–1866), der ber¨ uhmte deutsche Mathematiker, der im 19. Jahrhundert an der Universit¨ at G¨ ottingen wirkte, entwickelte die geometrischen Gesetze gekr¨ ummter R¨ aume. Seine sch¨onen Formeln eignen sich f¨ ur alle Arten von R¨ aumen, unabh¨ angig von der Anzahl der Dimensionen. Riemann schlug die ersten N¨ agel in den Sarg des absoluten Raumes. Seine Ergebnisse zeigten, daß sich der Mensch nicht auf seine Intuition verlassen kann, um herauszufinden, wie der Raum beschaffen ist und welche geometrischen Regeln dort herrschen. Die lokalen Beobachtungen k¨onnen in die Irre f¨ uhren. Newtons flacher absoluter Raum entspricht nicht zwangsl¨aufig der Wirklichkeit, wenn wir ihn von einem umfassenderen Standpunkt aus betrachten und nicht nur aus der Perspektive unseres kleinen H¨ uhnerhofes. Sp¨ater vervollst¨ andigten Ricci und Levi-Civita die Riemannsche Theorie. Zur Untersuchung gekr¨ ummter R¨ aume entwickelten sie einen mathematischen Apparat, in dessen Freuden und Schrecken sich Einstein unter Anleitung seines Studienkollegen und Freundes, des Mathematikers Marcel Grossmann (1878– 1936) vertiefte, der Professor der Geometrie an der ETH Z¨ urich geworden war. Grossmann warnte Einstein im Voraus vor dem Indexdschungel; nach Meinung Grossmanns lohne es sich f¨ ur einen Physiker nicht, dieses Dickicht zu betreten. Und so geschah es denn auch, daß Einstein, nachdem er in den Dschungel eingedrungen war, nie wieder wirklich von dort loskam. Die Tensoren besch¨aftigten ihn bis zu seinem Lebensende. Das Newtonsche Gravitationsgesetz und die Kr¨ ummung des Raumes sind zwei verschiedene M¨ oglichkeiten zur Beschreibung ein und desselben physikalischen Ph¨anomens, der Gravitation. Einstein erkannte, daß die Kr¨ ummung des Raumes die Bewegung von freien K¨ orpern im Raum bestimmt (unter freien K¨orpern verstehen wir K¨ orper, auf die außer der Schwerkraft keine zus¨atzlichen Kr¨afte einwirken). Freie K¨ orper folgen denjenigen Bahnen, bei denen die Entfernung von einem Ort bis zum anderen am k¨ urzesten ist. Im euklidischen Raum ist der k¨ urzeste Weg die vom Anfangspunkt bis zum Endpunkt gezogene gerade Strecke, aber im gekr¨ ummten Raum gibt es keine Geraden. Auf der zweidimensionalen Oberfl¨ ache einer Kugel liegen die k¨ urzesten Wege ¨ auf Großkreisen. Solche Großkreise sind zum Beispiel der Aquator und die L¨angenkreise. Fliegt man von Finnland nach Kalifornien, dann verl¨auft der
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k¨ urzeste Weg dicht am Nordpol vorbei. Ist man daran gew¨ohnt, sich die Erdoberfl¨ache nur auf Atlanten anzusehen, dann ist es u ¨berraschend, daß nach dem Start vom Flughafen Helsinki-Vantaa in Richtung Vereinigte Staaten die Flugzeugnase“ in Richtung Rovaniemi2 gedreht werden muß. Es ist schwierig, ” sich den wilden Westen in dieser Richtung vorzustellen. Einstein war auf dem richtigen Weg, aber er mußte noch erkl¨aren, auf welche Weise die Materie den Raum kr¨ ummt. Wie formt die Sonne den sie umgebenden Raum so, daß sich die im freien Fall befindlichen Planeten – darunter die Erde – auf mehr oder weniger kreisf¨ormigen Bahnen um die Sonne drehen? Einsteins Intuition sagte ihm, daß man mit Hilfe der Kr¨ ummung das Relativit¨atsprinzip auf alle Koordinatensysteme verallgemeinern kann, und zwar unabh¨angig davon, wie sich die betreffenden K¨orper bewegen. Er wollte sich nicht auf Systeme beschr¨ anken, die sich im freien Fall befinden. Seine Intuition war ausgepr¨agt, aber die Mathematik sollte ihm Schwierigkeiten bereiten. Die ersten Versionen der Allgemeinen Relativit¨atstheorie waren nicht die allgemeinsten, sondern behandeln Einschr¨ ankungen auf spezielle Systeme. Die mathematischen Fehler folgten einander und spannten Einsteins Nerven auf die Folter, ersch¨ utterten aber nicht seinen Glauben an sich selbst.
8.7 Hilbert Einstein trug im Sommer 1915 an der Universit¨at von G¨ottingen u ¨ber seine Gravitationstheorie vor, die noch unvollendet war, sich aber bereits auf der Zielgeraden befand. David Hilbert (1862–1943), der weltbekannte deutsche Mathematiker, hatte Einstein nach G¨ ottingen eingeladen. Hilbert war 1895 im Alter von 33 Jahren zum Professor der Mathematik nach G¨ottingen berufen worden und blieb dort bis zu seiner Emeritierung. Auf dem Internationalen Mathematiker-Kongreß 1900, der in Verbindung mit der Weltausstellung in Paris stattfand, hielt Hilbert den ber¨ uhmten Vortrag, in dem er die seiner Meinung nach 23 wichtigsten ungel¨ osten Probleme der Mathematik diskutierte. Eines dieser Probleme bestand darin, die Physik auf eine axiomatische Grundlage zu stellen, das heißt, alle physikalischen Gesetze auf mathematische Weise aus einigen Ausgangsvoraussetzungen abzuleiten. Hilbert selbst begann in den Jahren zwischen 1910 und 1920, sich mit dieser Frage zu besch¨aftigen. G¨ottingen war zu dieser Zeit eines der Forschungszentren f¨ ur Elektromagnetismus, haupts¨ achlich dank der Arbeiten von Max Abraham (1875–1922). Abraham hatte seine eigene Theorie f¨ ur die Bewegung der Elektronen in einem elektromagnetischen Feld geschaffen und sein Namensvetter Max Born entwickelte die Theorie weiter. Gustav Mie behandelte dasselbe Ph¨anomen in einer 1912 ver¨offentlichten Theorie. Der Ausgangspunkt war der feste Glau¨ be, mit dem Ather und dem Elektromagnetismus alles erkl¨aren zu k¨onnen. 2
Stadt im Norden Finnlands, Hauptstadt Lapplands, ca. 1000 km n¨ ordlich von Helsinki gelegen.
8.7 Hilbert
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Das Ziel war die Beantwortung der Frage, wie die elektrische Ladung eines Elektrons das elektromagnetische Feld beeinflußt, in dem sich das Elektron bewegt. Einstein untersuchte eine ¨ ahnliche Sache f¨ ur den Fall der Gravitation: Wie beeinflußt die Eigenmasse eines K¨ orpers das Schwerefeld? Hilbert stellte fest, daß die Theorie von Mie und die von Einstein entwickelte Gravitations¨ theorie mathematische Ahnlichkeiten aufwiesen, und er sah darin eine Chance, sein axiomatisches Programm m¨ oglichst ambitioniert auszuf¨ uhren und die gesamte Physik im Rahmen eines einheitlichen Formalismus darzustellen. Einstein hielt in G¨ ottingen eine Vortragsreihe u ¨ ber seine Forschungsarbeiten. Hilbert blieb es nicht verborgen, daß Einstein im Gebrauch der neuen mathematischen Verfahren unbeholfen war. Jeder Straßenjunge in G¨ottingen ” versteht mehr von der vierdimensionalen Geometrie als Einstein“, witzelte Hilbert. Einstein hielt Hilbert w¨ ahrend des Herbstes u ¨ber den Fortgang seiner Forschungen auf dem Laufenden. Anstelle von E-Mails, die das Kommunikationsmittel der heutigen Wissenschaftler sind, verwendete man damals Briefe und Postkarten. F¨ ur die Geschichtsschreibung ist das ein gl¨ ucklicher Umstand, denn Unterlagen aus Papier lassen sich nicht so leicht zerst¨oren wie E-Mails: auf Papier geschriebene Bittbriefe sind dauerhafter als Bitbriefe, die man mit einem einzigen unbesonnenen Mausklick in den Bithimmel bef¨ordern kann. Zur gleichen Zeit f¨ uhrte Hilbert Berechnungen zu seinen eigenen Ausgangsvoraussetzungen durch und berichtete Einstein davon. Hieraus wurde ein Wettlauf, und als von Einstein eine Karte kam, in der er mitteilte, daß seine eigene Theorie endlich die richtige Form habe, hatte Hilbert es eilig, seine eigenen Ergebnisse zu ver¨ offentlichen. Hilbert schaffte es, seine Arbeit f¨ unf Tage vor dem Datum zu ver¨ offentlichen, an dem Einstein seine eigene Relativit¨atstheorie vorlegte. Einstein ¨argerte sich u ¨ber Hilbert und beschuldigte ihn der Nostrifika” tion“, wie sich Einstein in einem Brief an einen Freund ausdr¨ uckte. Damit meinte Einstein das Verfahren, das oft und insbesondere deutschen Wissenschaftlern zur Last gelegt wird: die besten Ideen anderer in eleganter und allgemeinerer Form zu reformulieren und danach die Ideen als eigene Ideen zu beanspruchen. Entsprechend seiner Art beruhigte sich Einstein schnell, insbesondere nachdem Hilbert in seiner abschließenden Ver¨offentlichung Einsteins Verdienste vollst¨andig anerkannte. Hilbert sandte Einstein auch eine Entschuldigung. Er gab an, die von Einstein in G¨ ottingen gehaltenen Vortr¨age vollkommen vergessen zu haben, was man schwerlich glauben kann. Sp¨ater stellte sich heraus, daß in Hilberts urspr¨ unglicher Ver¨offentlichung jene Gleichungen fehlten, in denen es um den Zusammenhang zwischen Materie und Raumkr¨ ummung geht, in dem Einsteins Theorie kulminierte. Hilbert hatte diese Gleichungen erst in der Phase des Korrekturlesens hinzugef¨ ugt, nachdem er Einsteins Ver¨offentlichung zum Lesen erhalten hatte. Die Gleichungen folgten nat¨ urlich logisch aus Hilberts eigenen Untersuchungen, die sich von Einsteins Ansatz unterschieden; Hilbert hatte die Gleichungen nur nicht explizit hingeschrieben.
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8.8 Einsteins h¨ artester Konkurrent In jenen Jahren betraten auch andere Physiker die B¨ uhne mit Erkl¨arungsversuchen. Einstein verriß Max Abrahams Arbeiten zur Schwerkraft als oberfl¨achlich und physikalisch ungeeignet. Abraham kritisierte seinerseits Einsteins Untersuchungen. Es war ein wissenschaftlicher Disput, aber er wurde scharfz¨ ungig gef¨ uhrt. Abraham sprach von Einsteins hypnotischer Wirkung auf die junge Forschergeneration und betrachtete diese Wirkung als Gefahr f¨ ur die Zukunft der theoretischen Physik. Einstein beschrieb Abrahams Gravitationstheorie als ein stattliches Roß, dem aber drei Beine fehlen“. Der ” Deutsche Gustav Mie legte ebenfalls eine eigene Theorie vor, aber Einstein reagierte darauf noch sp¨ ottischer. Auf der 1913 in Wien veranstalteten Jahres¨ versammlung der Deutschen Naturforscher und Arzte hielt Einstein Vortr¨age u ahnte dabei aber die Arbeit von Mie mit ¨ber die Gravitationstheorien, erw¨ keinem Wort. F¨ ur einen Forscher sind sogar kritische Kommentare eine bessere Alternative, als wenn seine Arbeiten mit Stillschweigen u ¨bergangen werden. Auch das f¨ uhrte zu einem scharfen Wortwechsel. ¨ Als Einstein 1907 das Aquivalenzprinzip entdeckte, behauptete er, daß es – anders als bei den Newtonschen Bewegungsgesetzen – keine einfache Methode gebe, um Newtons Gravitationstheorie mit dem Relativit¨atsprinzip in Einklang zu bringen. Nach Auffassung Einsteins erforderte die Identifikation der tr¨agen Masse und der schweren Masse eine gr¨oßere Korrektur. Einstein lag ¨ gleichzeitig richtig und falsch. Es war m¨ oglich, das Aquivalenzprinzip in einer einfachen Relativierung“ der Gravitation, in der sogenannten Skalartheorie, ” zu erf¨ ullen. Dennoch war die endg¨ ultige L¨ osung die von Einstein entwickelte Tensortheorie, die in ihrer mathematischen Struktur wesentlich komplizierter ist als die Skalartheorie. In der Skalartheorie wird die Gravitation durch eine Funktion beschrieben, in der Tensortheorie durch zehn Funktionen. Der bei der Ausarbeitung der Skalartheorie bedeutendste Wissenschaftler war der Finne Gunnar Nordstr¨ om (1881–1923). Der in Helsinki geborene Nordstr¨om war der namhafteste Forscher in der Geschichte der Physik in Finnland. Sein Vater war in Helsinki Rektor der Kunstgewerbeschule und Schatzmeister des Kunstmuseums Ateneum. Nachdem Nordstr¨om sein Studium als Maschinenbauingenieur abgeschlossen hatte, richtete sich sein Interesse auf die theoretische Physik und er schloß 1905 seine Ausbildung als Magister Artium an der Universit¨at Helsinki ab. Der Physikprofessor Hjalmar Tallqvist regte ihn dazu an, in G¨ ottingen ein Postgraduiertenstudium unter der Anleitung von Walther Nernst zu absolvieren. G¨ ottingen war ein ausgezeichneter Ort, um die neuesten Winde der Physik zu schnuppern, und bald war Nordstr¨om tats¨achlich tief in die damals aktuellen Probleme des Elektromagnetismus und der Relativit¨atstheorie eingedrungen. Nordstr¨om verfolgte sorgf¨ altig den Disput, den Abraham und Einstein u uhrten. Beide Herren waren auf eine ¨ber die Skalartheorie der Gravitation f¨ Theorie gestoßen, in der die von der Speziellen Relativit¨atstheorie geforderte Konstanz der Lichtgeschwindigkeit aufgegeben werden mußte. Im Jahre 1912
8.8 Einsteins h¨ artester Konkurrent
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begab sich Nordstr¨ om ins Auge des wissenschaftlichen Orkans und legte seine ¨ eigene Version vor, in der das Aquivalenzprinzip galt und die Lichtgeschwindigkeit konstant war. Einstein fand bald einen Schwachpunkt dieser Theorie: gem¨aß der Theorie beschleunigen rotierende K¨orper im Schwerefeld schneller als nichtrotierende K¨ orper. Nordstr¨ om machte in seiner Theorie auch nicht deutlich, wodurch die Schwerkraft eigentlich hervorgerufen wird, das heißt, was ihr Ursprung ist. Einstein und Nordstr¨ om f¨ uhrten einen lebhaften Briefwechsel u ¨ber die Skalartheorie und sind einander wahrscheinlich auch pers¨onlich begegnet, als Nordstr¨om im Sommer 1913 Z¨ urich besuchte. Von Z¨ urich war auch Nordstr¨oms Ver¨offentlichung datiert, in der er eine verbesserte Version seiner Theorie – die sogenannte zweite Theorie – vorlegte. Darin hatte er Einsteins Kritik und Korrekturvorschl¨ age ber¨ ucksichtigt und eine Skalartheorie entwickelt, die in Einklang mit allen damaligen Meßergebnissen stand. Einsteins Hilfe bei der Gestaltung dieser neuen Theorie war so groß, daß man sogar von einer Nordstr¨om-Einstein-Theorie sprechen k¨ onnte. ¨ Einstein verwendete in seiner Wiener Ubersicht“ viel Zeit auf die Darstel” lung der Theorie von Nordstr¨ om. Er hielt die Nordstr¨omsche Theorie f¨ ur die beste und f¨ ur die einzig ernst zu nehmende der konkurrierenden Theorien. Eine entscheidende Vorhersage, in Bezug auf welche sich Einsteins Theorie von Nordstr¨oms Theorie unterschied, betraf die Lichtablenkung in einem Gravitationsfeld. Einsteins Tensortheorie sagte vorher, daß das Licht abgelenkt wird, wenn es zum Beispiel in die N¨ ahe der Sonne kommt. Gem¨aß der Theorie von Nordstr¨om beeinflußt die Schwerkraft den Lauf des Lichtstrahls nicht. Tats¨achlich bemerkte Einstein einem seiner Kollegen gegen¨ uber sinngem¨aß, daß im Falle einer Lichtablenkung Einsteins Theorie richtig sei, im Falle einer Nichtablenkung hingegen Nordstr¨ oms Theorie: Nach Nordstr¨om besteht wie ” bei mir eine Rotverschiebung der Sonnenspektrallinien, aber keine Kr¨ ummung der Lichtstrahlen im Gravitationsfeld. Die Untersuchungen bei der n¨achsten Sonnenfinsternis m¨ ussen zeigen, welche der beiden Auffassungen den Tatsachen entspricht.“ Laut Einstein gab es keine dritte M¨oglichkeit. Selten war ein finnischer Naturwissenschaftler dem Brennpunkt einer wissenschaftlichen Revolution so nahe, wie damals Nordstr¨ om. Nordstr¨om h¨orte 1916 auf, an seine eigene Theorie zu glauben, kurz nachdem Einstein seine Allgemeine Relativit¨ atstheorie in ihrer Endfassung ver¨offentlicht hatte. Nordstr¨ oms Theorie wurde auch danach noch vielfach diskutiert, aber die Messungen, die w¨ ahrend der Sonnenfinsternis 1919 durchgef¨ uhrt wurden, entschieden die Angelegenheit. Die Natur hob den Daumen f¨ ur Einstein. Im Schutz der Sonnenfinsternis war es n¨amlich m¨oglich, die sonnennahen Sterne zu beobachten und man stellte fest, daß die Sonne das von diesen Sternen kommende Licht ablenkt. Den offiziellen“ Nachruf auf ” die Theorie Nordstr¨ oms verfaßte Wolfgang Pauli (1900–1958) in seinem 1921 ¨ ver¨offentlichten Uberblick u atstheorie. Zur gleichen Zeit er¨ ber die Relativit¨ kannte auch Max von Laue, der treueste Anh¨ anger der Nordstr¨omschen Theo¨ rie, die Uberlegenheit der Einsteinschen Theorie an, aber im Zusammenhang
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mit Einsteins 70. Geburtstag 1949 kam er auf die sch¨onen Eigenschaften der Theorie von Nordstr¨ om zur¨ uck.
8.9 Die Feldgleichungen Einstein vollendete seine Allgemeine Relativit¨atstheorie in Berlin, wohin er im Fr¨ uhjahr 1914 gezogen war. Er erhielt dort ein f¨ ur sein Alter gutes Gehalt, aber das Gehalt war keineswegs f¨ urstlich, sondern ein durchschnittliches Professorengehalt. Man hatte ihn nicht mit Geld nach Berlin gelockt, denn Geld war f¨ ur ihn nie eine wichtige Sache. Wichtig war stattdessen der Umstand, daß er in seinem dortigen Professorenamt nicht verpflichtet war, Vorlesungen zu halten. Einstein hielt die Lehrt¨ atigkeit f¨ ur eine Unannehmlichkeit, die ihn bei seiner Forschungsarbeit st¨ orte, und er war mehr als zufrieden, daß er keine Vorlesungen mehr halten mußte. Jetzt kann ich mich ganz der Gr¨ ubelei ” hingeben!“ schrieb er voller Freude einem Freund. In Bezug auf die Lehre war er ganz anders veranlagt als etwa David Hilbert, der in seiner langen Professorenlaufbahn ohne Unterbrechung Semester f¨ ur Semester Vorlesungen hielt. Einstein zog es auch wegen ganz anderer Dinge nach Berlin. Er f¨ uhrte einen Briefwechsel mit seiner Cousine Elsa L¨owenthal, die dort lebte. Als sie einander das erste Mal begegneten, als Einstein 1913 in Berlin zu Besuch war, begann in ihm der Gedanke zu reifen, sein Privatleben neu zu gestalten. Mileva u ohnen nach Berlin, aber bereits drei Monate sp¨ater ¨ bersiedelte mit den S¨ begleitete Einstein sie zum Zug nach Z¨ urich. Die Ehe, die disharmonisch geworden war, endete damit, daß sie getrennt lebten. Die von Einstein gestellten detaillierten Bedingungen zur Fortsetzung des Privatlebens betrafen beispielsweise die Anzahl der ihm ins Arbeitszimmer servierten Mahlzeiten, das exklusive Recht zur Nutzung des Schreibtisches und die sogenannten ehelichen Pflichten (die unterbleiben sollten). F¨ ur einen zurechnungsf¨ahigen Menschen war es einfach v¨ollig unm¨ oglich, diese Bedingungen zu akzeptieren. Ein paar Jahre sp¨ater kam es zu einem Scheidungsvertrag. Eine Vertragsbedingung bestand darin, daß Einstein – sollte er einmal den Nobelpreis erhalten – Mileva den damit verbundenen Geldbetrag u urde. Diese Option wurde ¨ berlassen w¨ 1922 Wirklichkeit und Einstein sandte das Preisgeld, das er erhalten hatte, auf Heller und Pfennig an Mileva. Mit diesem Geld waren Mileva und die S¨ohne lange Zeit versorgt. Einstein zog in eine Junggesellenbude und war mit seinem Leben zufrieden. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ber¨ uhrte Einstein nicht sehr. Die Kriegsjahre waren seine produktivste Zeit. Elsa sorgte f¨ ur ihn und war einer seiner wenigen sozialen Kontakte außerhalb der akademischen Welt. Elsas erste F¨ ursorgemaßnahme war der Versuch, Einsteins pers¨onliche Hygiene zu verbessern, indem sie f¨ ur ihn eine Haarb¨ urste und eine Zahnb¨ urste erwarb. Einstein weigerte sich, die Zahnb¨ urste zu benutzen, weil er meinte, daß deren Borsten den Zahnschmelz besch¨ adigen w¨ urden. Auch der Gebrauch der
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Haarb¨ urste war ihm zumindest im vorger¨ uckten Alter offensichtlich widerlich, falls man anhand der Fotografien u ¨berhaupt Schlußfolgerungen ziehen kann. Was war das Ergebnis der jahrelangen Anstrengungen Einsteins? Was war die Bilanz dieser unz¨ ahligen Stunden in der Stille des Arbeitszimmers im unnachgiebigen Kampf gegen die Mathematik? Was war das Ergebnis der Momente der Heiterkeit, der Entt¨ auschungen und der Aufl¨osung der Familie? Es war eine Gleichung, die sich in f¨ unf Sekunden zu Papier bringen l¨aßt: 1 Rμν = −κ T μν − g μν . 2 Das ist Einsteins Feldgleichung f¨ ur die Gravitation. Die linke Seite der Gleichung beschreibt die Kr¨ ummung der Raumzeit, auf der rechten Seite stehen Materie und Strahlung. Die Gleichung gibt Auskunft dar¨ uber, wie diese Dinge voneinander abh¨angen. Die Kr¨ ummung h¨ angt von der Bewegung des Beobachters ab, aber f¨ ur jeden Beobachter offenbart sie sich auf die gleiche Weise wie die Gezeitenkr¨afte in der Newtonschen Gravitationstheorie. Man kann die drei Raumrichtungen (Ost-West, Nord-S¨ ud, oben-unten) w¨ ahlen und nachsehen, ob sich parallel bewegte K¨orper einander n¨ ahern oder ob sie sich voneinander entfernen und wie schnell das vonstatten geht. Auf diese Weise findet man die lokale Raumkr¨ ummung, die durch die Massen und durch den Druck der in der Nachbarschaft befindlichen K¨ orper und Teilchen verursacht wird. Auch die beobachteten K¨orper und Teilchen formen den Raum. Einsteins Gleichung ¨ ber¨ ucksichtigt auch das. Der Raum paßt sich den Anderungen der in ihm enthaltenen Materie an und beeinflußt gleichzeitig das Verhalten der Materie. Diese Wechselwirkung macht Raumzeit und Materie zu einer Gesamtheit, in der alles von allem beeinflußt wird. Sind die Geschwindigkeiten im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit klein und ist die Wirkung der Schwerkraft gering, dann liefert Einsteins Feldgleichung dieselben Ergebnisse wie die Gravitationstheorie Newtons. Zum Beispiel sind die Gravitationskr¨ afte des Sonnensystems so gering, daß man nach Abweichungen von der Newtonschen Theorie suchen muß. Wir leben also in einem Raum, der relativ schwach gekr¨ ummt ist. Als Einstein seine Theorie formulierte, waren nur zwei Ph¨anomene des Sternenhimmels bekannt, die sich nicht mit Hilfe der Newtonschen Theorie erkl¨aren ließen. Das eine Ph¨ anomen war eine Besonderheit, die man bei der Mondbahn beobachtet hatte, bei der anderen Erscheinung handelte es sich um einen gr¨oßer als erwarteten Twist des Merkurperihels. Einstein beschloß, seine Theorie durch die Perihelbewegung des Merkur zu testen, weil ihm das realer erschien. Sein Instinkt trog ihn nicht, weil sich die Probleme, die bei der Mondumlaufbahn beobachtet wurden, als Mißdeutung der Meßergebnisse erwiesen; der Mond bewegte sich ordnungsgem¨aß, so wie es sein sollte. Die Planeten drehen sich nicht auf vollkommen kreisf¨ormigen Bahnen um die Sonne, sondern auf Bahnen, die leicht elliptisch sind. Aber die Planeten durchpfl¨ ugen auch nicht bei jeder Umdrehung exakt dieselbe Bahn. Ein
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Planet kehrt nach einer Umdrehung nicht genau an seinen Ausgangspunkt zur¨ uck; vielmehr dreht sich die gesamte Planetenbahn in der Bahnebene. Bereits in der ersten H¨ alfte des 19. Jahrhunderts ging den Wissenschaftlern die Beobachtung im Kopf herum, daß die Perihelbewegung des Merkur, das heißt, die Drehung des sonnenn¨ achsten Punktes seiner Bahn, im Widerspruch zur Vorhersage der Newtonschen Gravitationstheorie stand. Das Perihel verschob sich bei jeder Umdrehung um 1,38 Bogensekunden, aber nur 1,28 Bogensekunden ließen sich erkl¨ aren, wenn man den Effekt der anderen Planeten auf die Umlaufbahn des Merkur mit Hilfe der Newtonschen Theorie berechnete. Die Meßgenauigkeit betrug damals ungef¨ ahr 0,01 Bogensekunden (das entspricht der Breite eines Haares, das man aus einer Entfernung von zehn Kilometern betrachtet), so daß der Widerspruch zwischen den Meßergebnissen und der Newtonschen Theorie signifikant war. Jedoch vertrauten viele Astronomen der bew¨ahrten Theorie Newtons so sehr, daß sie eine abwartende Haltung einnahmen und daran glaubten, daß die extrem genauen Messungen mit der Zeit zu Ergebnissen f¨ uhren w¨ urden, die mit der Theorie vereinbar sind. Einstein entwickelte seine Theorie nicht, um die Perihelbewegung des Merkur zu erkl¨aren, aber er verwendete diesen Umstand als ersten Test seiner Theorie. Er war sich sicher, daß das von der Newtonschen Theorie vorhergesagte Ergebnis nicht richtig sein konnte, weil die in dieser Theorie relevanten Entfernungen zwischen den Planeten und der Sonne relativ sind und weil man bei der Verwendung der Newtonschen Theorie das Relativit¨atsprinzip zwangsl¨aufig verletzt. Das erste neue Ph¨ anomen, das auf der Grundlage einer Vorhersage der Allgemeinen Relativit¨ atstheorie gefunden wurde, war die von der Sonne hervorgerufene Lichtablenkung. Als man die Lichtablenkung w¨ahrend der Sonnenfinsternis 1919 mit Hilfe von Messungen tats¨achlich feststellte, wurde Einstein mit einem Mal weltber¨ uhmt. Krieg und Armut hatten das Leben und die Gedanken der Menschen seit Jahren besch¨ aftigt und die Zeitungsseiten quollen u ¨ber von Kriegsnachrichten und Propaganda. Die eigenartige Neuigkeit der Lichtablenkung f¨ uhrte die Gedanken der Menschen in ganz neue Welten und die Zeitungen holten alles aus der Sache heraus. The Times schrieb u ¨ber das Gef¨ uge des Universums“ und f¨ uhrte aus, wie Theorien, die jahrhunder” telang als gesichert galten, jetzt aufgegeben werden mußten und durch eine neue Philosophie zu ersetzen waren, wobei die Grundlagen des physikalischen Denkens nahezu vollst¨ andig revidiert worden sind. Als sich Einstein 1921 einige Wochen in England aufhielt, erschienen w¨ ahrend dieser Zeit in The Times zehn Artikel u ¨ber ihn. Auch in den Vereinigten Staaten war die Aufmerksamkeit groß. Damals wurde der Boden f¨ ur die Kultfigur geschaffen, zu der Einstein werden sollte, nachdem er sich dort niedergelassen hatte. In der New York Times stand damals die Schlagzeile: Lichter des Himmels verbogen: Einsteins Theorie tri” umphiert.“ Im Leitartikel der Zeitung hieß es etwas sarkastischer: Die Nach” richten sind zutiefst ersch¨ utternd und sogar die Glaubw¨ urdigkeit der Multiplikationstafeln steht so langsam auf dem Spiel.“ Die ¨offentlichen Vortr¨age
8.9 Die Feldgleichungen
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u ¨ber die Relativit¨atstheorie zogen riesige Massen von Zuh¨orern an. Einstein und seine Theorie wurden zum modischen Gespr¨achsthema bei Teeparties und geselligen Abenden, bald schon wurde alles relativ“. Wohl nie zuvor und sel” ten danach hatten wissenschaftliche Meldungen eine ¨ahnliche Aufmerksamkeit erregt und ein vergleichbares Interesse erweckt.
9 Lichtquanten
Einstein dachte neben der Relativit¨ atstheorie auch ¨ uber die Beschaffenheit des Lichtes nach. In einer seiner 1905 erschienenen Arbeiten entwickelte er die Quantentheorie des Lichtes. Damit schuf er die Grundlage der Quantenphysik, des wichtigsten physikalischen Gedankengeb¨ audes des 20. Jahrhunderts.
Die Wissenschaft lebte gegen Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend von privaten Wohlt¨atern. Sie erhielt keine wirkliche ¨ offentliche Unterst¨ utzung. Mehrere englische Forscher, die Weltruhm erlangt hatten – zum Beispiel Henry Cavendish, James Joule und Lord Rayleigh (John William Strutt) –, waren so wohlhabend, daß sie nicht f¨ ur ihr Brot schuften mußten, sondern ihr Leben der Wissenschaft widmen konnten. In den Vereinigten Staaten wollten viele reiche Leute ihren Namen unsterblich machen, indem sie Forschungseinrichtungen und Universit¨ aten unterst¨ utzten. Das ist auch heute noch so. In den Vereinigten Staaten war es oft leichter, die Finanzierung zur Errichtung einer neuen Forschungseinrichtung zu bekommen, als einen f¨ahigen Leiter und hervorragende Forscher f¨ ur die Einrichtung zu finden. Im zersplitterten Deutschland entstanden keine derartigen Traditionen der Unterst¨ utzung und des Interesses f¨ ur die Wissenschaft. Hermann von Helmholtz (1821–1894), der Physiker und Arzt aus Berlin, setzte sich 1884 mit dem deutschen Kultusministerium in Verbindung und klagte u ¨ber die schlechte Lage der deutschen Wissenschaft, insbesondere im Vergleich zu England. Er schlug vor, daß die Staatsmacht die Unterst¨ utzung der wissenschaftlichen Forschung in Angriff nehmen solle. Als Programmpunkt nannte er die Notwendigkeit, f¨ ur mechanische und physikalische Gr¨oßen landesweite Meßstandards zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Diese Standards wurden haupts¨ achlich von der sich st¨ urmisch entwickelnden Elektroindustrie ben¨otigt. Helmholtz wurde im Hintergrund von Werner von Siemens unterst¨ utzt, dem Pionier dieser Industrie in Deutschland. In Berlin wurde
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9 Lichtquanten
1887 die Physikalisch-Technische Reichsanstalt gegr¨ undet und Helmholtz zu ihrem ersten Pr¨asidenten ernannt.1 Helmholtz war ein Hansdampf in allen Gassen. Er war Arzt, Physiologe, Physiker, Psychologe, Wissenschaftshistoriker und Popularisierer der Wissenschaft. Als er die Physiologie der Handmuskeln untersuchte, entdeckte er eines der wichtigsten Gesetze der Physik, den Energieerhaltungssatz. Die Entdeckung des Energieerhaltungssatzes wird nat¨ urlich auch vielen anderen als Verdienst angerechnet, aber es ist eine allgemein bekannte Wahrheit, daß der Erfolg viele V¨ater hat, wohingegen Mißerfolge uneheliche Kinder sind. Auch in der W¨armelehre schrieb Helmholtz seinen Namen in die Geschichte ein und die meisten von uns haben einer seiner Erfindungen im wahrsten Sinne des Wortes in die Augen“ gesehen, n¨ amlich dem Augenspiegel. Der Augenspiegel ” ist ein Instrument, mit dem der Augenarzt den Augenhintergrund untersucht. Da Helmholtz ein Wissenschaftler war, bevorzugte er in seiner Einrichtung – zus¨atzlich zur dienstlichen T¨ atigkeit im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Meßstandards – die Grundlagenforschung, insbesondere die Forschungsarbeiten, bei denen exakte Messungen erforderlich waren. Die Forschung erfolgte in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universit¨at Berlin. Eines der Forschungsthemen war die sogenannte Schwarzk¨orperstrahlung. Deren genaue Messung f¨ uhrte zur Entdeckung des Quantencharakters der Natur.
9.1 Schwarzk¨ orperstrahlung Einige Materialien absorbieren alles Licht, das auf sie auftrifft – sie sind schwarz. Allgemeiner bezeichnen die Physiker einen K¨orper oder eine Oberfl¨ache als schwarzen K¨ orper, wenn zus¨ atzlich zum sichtbaren Licht auch die gesamte sonstige elektromagnetische Strahlung absorbiert wird. Die elektromagnetische Strahlung l¨ aßt die Elektronen im Material schwingen, wie Hertz als Erster in seinem Antennenversuch gezeigt hat; die in der Strahlung enthaltene Energie wird auf das Material u ¨bertragen. Damit das Material eine elektromagnetische Strahlung auf allen Frequenzen absorbieren kann, m¨ ussen die Elektronen frei schwingen k¨ onnen. In den meisten Materialien sind die Elektronen jedoch an Atome gebunden und k¨onnen nicht auf allen Frequenzen schwingen. Materialien dieser Art sind nicht schwarz. Dagegen gibt es zum Beispiel im Ruß zus¨ atzlich zu den an Atome gebundenen Elektronen auch freie Elektronen, die das gesamte Licht absorbieren. Deshalb ist Ruß schwarz. Die freien Rußelektronen stoßen in schnellem Takt auf die Kohlenstoffatome und die aus deren Strahlung absorbierte Energie wird in Schwingungen der Rußatome umgewandelt, das heißt, die Energie wird zu W¨arme. Ein schwarzer K¨ orper absorbiert nicht nur, sondern strahlt auch auf allen Frequenzen. Gustav Kirchhoff, der den Begriff schwarzer K¨orper“ pr¨agte, ” 1
Man bezeichnete Helmholtz in Deutschland mitunter sogar als Reichskanzler der ” Physik“.
9.1 Schwarzk¨ orperstrahlung
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bezeichnete diese K¨ orper als ideale Strahler. Schwingende Atome f¨ uhren zu Schwingungen der freien Elektronen, und wenn ein Elektron schwingt, dann strahlt es elektromagnetische Wellen aus. Diese Emission und die oben beschriebene Absorption der Strahlung sind zueinander inverse Ph¨anomene. Es h¨angt von der Temperatur des K¨ orpers ab, wie das Spektrum der erzeugten Strahlung beschaffen ist, das heißt, wie die verschiedenen Frequenzen darin auftreten. Bei Zimmertemperatur besteht die Strahlung eines schwarzen K¨orpers, zum Beispiel eines St¨ ucks Kohle, u ¨berwiegend aus Infrarotfrequenzen, die f¨ ur die Augen unsichtbar sind. Es ist dieselbe W¨armestrahlung, durch die man sogar bei Dunkelheit bemerkt, daß ein zweiter Mensch in der N¨ahe ist. Wird ein K¨orper erw¨ armt, dann beginnt er in irgendeiner Phase zu gl¨ uhen. In der von ihm abgegebenen Strahlung treten dann auch Frequenzen des sichtbaren Lichtes auf. Ein schwarzer K¨ orper ist nicht notwendigerweise ein Festk¨orper, dessen Oberfl¨ache schwarz ist. Zum Beispiel ist ein kleines Loch, das in die Wand eines geschlossenen Kastens gebohrt worden ist, in der Klassifikation der Physiker ein schwarzer K¨ orper. Das in das Loch fallende Licht verschwindet im Kasten praktisch vollst¨ andig. Wenn man in das Loch schaut, sieht man nur Finsternis. Erw¨armt man die Innenw¨ ande des Kastens, dann sieht man Licht ¨ in der Offnung. Die Physiker maßen die St¨ arke der aus dem Loch kommenden Strahlung bei verschiedenen Frequenzen und stellten fest, wie sich dieses Spektrum ¨andert, wenn die Temperatur der W¨ande variiert. Man versuchte, das Spektrum mit Hilfe der Theorie von Maxwell zu verstehen, aber ohne Erfolg. Gem¨ aß der Theorie ist die Strahlungsenergie umso gr¨oßer, je h¨oher die Frequenz ist. Da in der Strahlung eines schwarzen K¨orpers auch die h¨ochsten Frequenzen auftreten, das heißt, die Ultraviolettfrequenzen, m¨ ußte die Strahlung eine extrem hohe Energie haben. Diese Vorhersage der Theorie wurde Ultraviolettkatastrophe genannt, weil man in den Meßergebnissen keinerlei Anzeichen von Energie festgestellt hat. Im Gegenteil: die St¨arke der Strahlung ist bei hohen Frequenzen – also bei kurzen Wellenl¨angen – sehr klein. Die Theorie lag katastrophal daneben. Die genauesten Messungen wurde im Helmholtz-Labor durchgef¨ uhrt, in dem zur damaligen Zeit weltweit vermutlich am besten ausgestatteten Labor. Die Meßergebnisse wurden regelm¨ aßig an Max Planck weitergeleitet, der an der Berliner Universit¨ at t¨ atig war. Planck untersuchte vom theoretischen Standpunkt aus die Entstehung der durch Schwingungen des Materials verursachten Strahlung und die statistischen Eigenschaften dieser Strahlung. Er verglich die Meßergebnisse mit verschiedenen theoretischen Modellen. Je genauer die Messungen wurden, desto schlechter schienen die Modelle mit dem gemessenen Spektrum u ¨bereinzustimmen. Am Sonntag, dem 7. Oktober 1900, trug Planck gegen Abend schließlich die richtige Formel in seine Notizen ein. Bereits fr¨ uher an diesem Tag hatte Planck zuhause Besuch: Heinrich Rubens, der in der Forschungsanstalt Messungen durchf¨ uhrte, war vorbeigekommen und hatte von seinen neuesten Beobachtungen berichtet, in denen es um den Niederfrequenzanteil des Spek-
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9 Lichtquanten
trums ging. Diese Informationen halfen Planck schließlich, die richtige mathematische Fassung des Spektrums zu entdecken. Die Plancksche Strahlungsformel beschreibt den Zusammenhang zwischen der vom K¨orper abgegebenen Strahlung und der Temperatur des K¨ orpers exakt so, wie es die Messungen gezeigt hatten. Laut Formel gibt der K¨ orper die st¨arkste Strahlung in einem bestimmten Frequenzbereich ab, der von der Temperatur abh¨angt. Ist die Frequenz niedriger oder h¨ oher, dann ist die Strahlung geringer. Zum Beispiel ist die Strahlung der Sonne auf der Frequenz des gelben Lichtes am st¨arksten, was einer Temperatur von ungef¨ ahr 6000 Grad entspricht. Planck gab sich nicht damit zufrieden, daß er das richtige Strahlungsgesetz gefunden hatte, bei dem es sich zun¨ achst nur um eine mathematische Formel handelte, die sehr gut zu den Meßergebnissen paßte. Er wollte auch um jeden Preis eine physikalische Erkl¨ arung f¨ ur sein Gesetz finden. Er ging das Problem mit dem ganzen Quantum seiner Energie an und konnte am 14. Dezember 1900 berichten, welche Physik hinter seiner Formel steckte. Er hatte festgestellt, daß sich sein mathematisches Gesetz aus Ludwig Boltzmanns statistischer Gastheorie ableiten l¨ aßt, wenn man annimmt, daß die Energie von den Oszillatoren, das heißt von den Wandatomen, nur in diskreten Portionen – den sogenannten Quanten – abgestrahlt wird. Die Quantengr¨oße h¨angt von der Schwingungsfrequenz des Oszillators ab: Energie = h × Frequenz. Die Konstante h wird heute als Plancksche Konstante bezeichnet. Gem¨aß der Theorie von Maxwell kann der Oszillator Energie kontinuierlich in Form von Strahlung abgeben, wobei er gleichzeitig um den entsprechenden Betrag langsamer wird. Planck, ein Sch¨ uler der alten Schule, mußte wider Willen feststellen, daß die Natur nicht auf diese Weise funktioniert, sondern daß sich die Energie des Oszillators sprungweise ¨ andert. Planck konnte selbst erleben, wie die Quantenphysik im 20. Jahrhundert zum wichtigsten neuen Forschungsgebiet der Physik wurde, denn er starb erst 1947 im Alter von 87 Jahren. Jedoch glaubte er selber nie, daß die Quanten in einem konkreten Sinn Realit¨ at seien. Als er das Strahlungsgesetz vorlegte, behauptete er nicht, daß die elektromagnetische Strahlung aus Quanten besteht, sondern nur, daß die Strahler die Strahlung in diskreten Portionen abgeben und aufnehmen. Und auch das betrachtete er nur als mathematische Vereinfachung der realen Situation. Sei es, wie es sei, seine Arbeit war der erste Schritt auf dem Weg zur Quantenrevolution und daf¨ ur erhielt er 1918 den Nobelpreis. Planck spielte in der gesamten ersten H¨alfte des 20. Jahrhunderts eine ¨ wichtige Rolle in der deutschen Physik und hatte viele bedeutende Amter inne. Er war Direktor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in der schwierigsten Zeit, als die Nazis die Macht ergriffen. Obwohl er seine Hand nur m¨ uhsam zum Nazigruß erhob, gelang ihm gegen¨ uber der Hitlerregierung der Balanceakt, die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ziemlich lange fern von den H¨anden der Nazis zu halten. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ist nach dem Krieg in die Max-Planck Gesellschaft u ¨bergegangen und hat in Deutschland mehr als 80 Forschungsinstitute in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen. Nach dem
9.2 Der photoelektrische Effekt
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Zweiten Weltkrieg wurde Planck gebeten, den Wiederaufbau der deutschen Wissenschaft zu leiten, aber damals hatten seine Kr¨afte bereits nachgelassen. Plancks wissenschaftliche Erfolge wurden von den Trag¨odien seines Privatlebens u ¨ berschattet. Seine erste Frau starb ziemlich jung, ebenso auch alle seine vier Kinder. Der ¨ alteste Sohn fiel im Ersten Weltkrieg, die Zwillingsschwestern starben innerhalb weniger Jahre, als sie Kinder zur Welt brachten, und der j¨ ungste Sohn war einer der f¨ unftausend, die von der Gestapo 1944 in Vergeltung f¨ ur das erfolglose Attentat auf Hitler hingerichtet wurden. Plancks Haus und seine wissenschaftlichen Aufzeichnungen wurde bei den Bombardierungen der Alliierten gegen Ende des Weltkriegs zerst¨ort.
9.2 Der photoelektrische Effekt Heinrich Hertz stellte 1887 ein besonderes Ph¨ anomen fest, als er elektromagnetische Wellen untersuchte. Weil es schwierig und erm¨ udend war, die mikroskopisch kleinen irrlichternden Funken zu beobachten, umgab er die Funkenstrecke des Sekund¨ arkreises zur Abdunklung mit einem Lichtschutzgeh¨ause. Anstatt die Funken nun besser zu sehen, waren sie jedoch weggeblieben. Er stellte folgendes fest: bei vorhandenem Lichtschutz mußte die Funkenstrecke verkleinert werden, damit u ¨berhaupt Funken entstehen. Als er den Lichtschutz Wand f¨ ur Wand abnahm, entdeckte er die Ursache dieses u ¨berraschenden Ph¨anomens. Funken entstanden leichter, wenn zwischen dem Sekund¨arkreis und dem Entlader freie Sicht bestand. Es handelte sich um ein Ph¨anomen, das man bald als photoelektrischen Effekt bezeichnete. Die Erscheinung war auf das Licht zur¨ uckzuf¨ uhren, das in der Funkenstrecke des Entladers entstand und auf Metalloberfl¨ achen auftraf. Hertz konnte nachweisen, daß der Effekt insbesondere bei ultraviolettem Licht auftritt. Pierre Curie stellte fest, daß auch die R¨ontgenstrahlung, die eine k¨ urzere Wellenl¨ange hat, denselben Effekt hervorruft. Der Engl¨ander J. J. Thomson wies 1897 nach, daß Licht aus einer Metalloberfl¨ache negativ geladene Teilchen, das heißt Elektronen, ausl¨ost. Er untersuchte die Eigenschaften der Elektronen, indem er ihre Masse und ihre elektrische Ladung maß. Das Elektron war das erste Elementarteilchen, das experimentell beobachtet wurde. Lorentz hatte eine Theorie entwickelt, nach der elektrische und magnetische Ph¨ anomene durch kleine geladene Teilchen innerhalb des Materials hervorgerufen werden; im Zusammenhang mit dem photoelektrischen Effekt traten diese Teilchen jetzt in Erscheinung. Die Untersuchung des photoelektrischen Effekts steckte 1905 noch in den Kinderschuhen, aber ein besonderer Umstand machte den Physikern zu schaffen. Die Ausl¨osung von Elektronen schien nicht davon abzuh¨angen, wie stark das auf die Metalloberfl¨ ache gerichtete Licht war; entscheidend war vielmehr die Frequenz des Lichtes. Hatte das Licht die falsche Frequenz, dann wurden keine Elektronen ausgel¨ ost und es half auch nichts, die Lichtintensit¨at zu erh¨ohen. Philip Lenard f¨ uhrte 1902 ein Experiment durch, bei dem er
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9 Lichtquanten
die Lichtintensit¨at auf das Tausendfache erh¨ohte, aber auch das half nichts. Erh¨ohte man stattdessen die Frequenz des Lichtes, dann fingen die Elektronen an, sich zu bewegen.
9.3 Das Licht besteht aus Quanten Unser Mann vom Patentamt fand eine Erkl¨ arung f¨ ur dieses Ph¨anomen. Einstein formulierte in seiner im M¨ arz 1905 erschienenen Arbeit die Hypothese, daß die elektromagnetische Strahlung aus kleinen Energiequanten, den sogenannten Photonen, besteht. Er kam zu diesem Schluß, indem er mit etwas Gl¨ uck das von Ludwig Boltzmann f¨ ur die Entropie von Gasen aufgestellte statistische Gesetz mit den Beobachtungsergebnissen u ¨ber den Hochfrequenzanteil der schwarzen Strahlung kombinierte. Er vermutete also, daß die von Masseteilchen gebildeten Gase und die elektromagnetische Strahlung gemeinsame Eigenschaften haben. Einstein war erfreut, als er sp¨ater bemerkte, daß seine Hypothese auch eine physikalische Erkl¨ arung f¨ ur das Plancksche Strahlungsgesetz lieferte. Die Strahler geben Energie in Form von Quanten ab, wie Planck festgestellt hatte, aber Einstein schlußfolgerte, daß das elektromagnetische Strahlungsfeld nichts anderes ist als ein von diesen Quanten gebildetes Gas“. ” Als Einstein die Photonen entdeckte, war der Ansporn f¨ ur ihn nicht die Erkl¨arung eines experimentellen Ergebnisses – Einstein ließ sich von allgemeineren Ideen leiten. Ihn st¨ orte die unterschiedliche Natur von Strahlung und Materie. Die wellenartige Strahlung wechselwirkt im Material mit den ¨ Elektronen. Nach Einsteins Uberzeugung war die Erkl¨arung dieser Wechselwirkung auf mikroskopischer Ebene ein prinzipielles Problem. Seine L¨osung bestand darin, daß auch Strahlung aus einzelnen partikelartigen Komponenten besteht. Vom Standpunkt der Geschichte der Physik ist das der wichtigste Satz in Einsteins Arbeit: Nach der hier ins Auge zu fassenden Annahme ist ” bei der Ausbreitung eines Lichtstrahles die Energie nicht kontinuierlich auf gr¨oßer und gr¨oßer werdende R¨ aume verteilt, sondern es besteht dieselbe aus einer endlichen Zahl von in Raumpunkten lokalisierten Energiequanten, welche sich bewegen, ohne sich zu teilen und nur als Ganze absorbiert und erzeugt werden k¨onnen.“ Man kann sagen, daß die Quantenphysik mit diesem Satz angefangen hat. Der Satz ist die gl¨ anzendste Perle des wissenschaftlichen Erbes von Einstein. Der photoelektrische Effekt war eines der drei Beispiele, auf die Einstein – in seiner im M¨arz 1905 erschienenen Ver¨ offentlichung – seine Lichtquantenhypothese anwandte. Die auf Metall auftreffenden Lichtquanten u ¨bertragen ihre Energie an die Elektronen und l¨ osen sie aus den Atomen heraus. F¨ ur das Ausl¨osen eines Elektrons ist ein bestimmter Energiebetrag erforderlich, und wenn ein Quant nicht genug Energie hat, dann kann es das Elektron nicht ausl¨osen. Laut Einstein ist die Energie eines Quants direkt zur Frequenz des Lichtes proportional; diese Energie ist n¨ amlich gleich der Frequenz, multipli-
9.4 Der Nobelpreis
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ziert mit der Planckschen Konstanten h. Wird Metall mit einfarbigem Licht bombardiert, dann haben alle Quanten die gleiche Energie, und wenn diese Energie nicht groß genug ist, werden aus dem Metall keine Elektronen ausgel¨ost – selbst dann nicht, wenn beliebig viele Quanten vorhanden sind. Die Lage bessert sich erst, wenn man die Frequenz des Lichtes erh¨oht. Einsteins Idee war mutig und stieß bei anderen Physikern auf hartn¨ackigen Widerstand – anders als es bei seiner gleichzeitig entdeckten Relativit¨atstheorie und seiner Erkl¨ arung f¨ ur die Brownsche Bewegung der Fall war. Noch 1913 ¨außerten sich f¨ uhrende Physiker wie Planck und Nernst, als sie Einsteins Aufnahme in die Berliner Akademie empfahlen, daß sogar einem guten Physiker in seiner Laufbahn Fehlschl¨ age unterlaufen k¨onnen, und daß sie Einsteins Lichtquantenhypothese als einen solchen betrachteten. Einstein ließ sich durch den Widerstand anderer Forscher nicht st¨ oren. Die Quantennatur des Lichtes ” scheint mir immer sicherer zu sein“, schrieb er einem seiner Freunde. Der Experimentalphysiker Robert Millikan, der an der Universit¨at Chicago arbeitete, geh¨orte zu den Kritikern der Einsteinschen Quantenhypothese. Er hielt Einsteins Erkl¨ arung des photoelektrischen Effekts einfach nur f¨ ur Unfug und wollte das mit eine langen Reihe von ¨ außerst genauen Versuchen beweisen. Als er 1916 seine Messungen abschloß, war das Endergebnis ganz anders, als er gedacht hatte. Er mußte zugeben, daß Einstein Recht hatte. Millikans Messungen waren nicht nur eine experimentelle Best¨atigung der Einsteinschen Theorie, sondern gaben auch den Wert der Planckschen Konstante mit großer Genauigkeit wieder. Als kleinen Trost f¨ ur seinen Mißerfolg erhielt Millikan 1923 den Nobelpreis f¨ ur Physik. Als Begr¨ undung f¨ ur die Zuerkennung des Preises wurde nicht nur die Bestimmung der Planckschen Konstanten genannt, sondern auch die exakte Messung der elektrischen Elementarladung. Diese Messung hatte Millikan ¨ opfchenexperiment durchgef¨ mit seinem ber¨ uhmten Oltr¨ uhrt.
9.4 Der Nobelpreis Einstein mußte u uh ¨berraschend lange auf den Nobelpreis warten. Bereits fr¨ wurde er f¨ ur den Preis vorgeschlagen und im Laufe der Jahre stieg die Anzahl der Vorschl¨age st¨andig. Insbesondere nach der Beobachtung der durch die Allgemeine Relativit¨atstheorie vorhergesagten Lichtablenkung wuchs der Druck auf das Nobelkomitee. Auch Gunnar Nordstr¨ om geh¨orte zu denen, die Einstein vorschlugen. Nordstr¨ om erg¨ anzte seinen Vorschlag durch die lehrreiche Schrift Was kann man ohne Mathematik von der Relativit¨ atstheorie verstehen? Dieser Anhang a¨rgerte sicher zumindest einige Mitglieder des Nobelkomitees, die auf ihren Sachverstand stolz waren. Aus Einsteins Sicht wendete sich die Sache zum Positiven, als Carl Wilhelm Oseen, Professor der Universit¨ at Uppsala und neues Mitglied des Nobelkomitees, Einstein f¨ ur die Auszeichnung vorschlug. Oseen, der die mathematische
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9 Lichtquanten
Physik sch¨atzte, schlug Einstein nicht wegen der Relativit¨atstheorie vor, sondern wegen der Deutung des photoelektrischen Effekts. F¨ ur diese Entscheidung wurde eine Begr¨ undung gegeben, die nat¨ urlich zu sein schien: In der Quantenphysik gibt es drei wichtige Meilensteine, n¨amlich die Entdeckung des Spektrums der schwarzen Strahlung durch Max Planck, Einsteins Quantentheorie der Strahlung und das Atommodell von Bohr. Planck war der Nobelpreis 1918 zuerkannt worden und 1922 beschloß man, Einstein und Bohr auszuzeichnen: Einstein erhielt den 1921 nicht vergebenen Preis und Bohr erhielt den Preis f¨ ur das Jahr 1922. Ein interessantes Detail ist, daß Niels Bohr in seiner Nobelvorlesung erw¨ ahnte, daß er nicht an Einsteins Lichtquantentheorie glaube. Laut Bohr stand diese im Widerspruch zur Interferenz des Lichtes, die ein f¨ ur Wellen charakteristisches Ph¨anomen ist.
9.5 Photoelektrischer Effekt in vielen Anwendungen Beim photoelektrischen Effekt erzeugt das Licht elektrischen Strom. Die Gr¨oße des elektrischen Stroms h¨ angt von der Lichtst¨arke ab, denn je mehr Quanten auf die Metalloberfl¨ ache treffen, desto mehr Elektronen werden aus der Oberfl¨ache herausgeschlagen – unter der Voraussetzung, daß die Energie eines Quants zum Ausl¨ osen eines Elektrons ausreicht. Das hat viele praktische Anwendungen, denen jeder von uns Tag f¨ ur Tag begegnet. W¨ahrend unsere Augen noch nach der T¨ urklinke des Kaufhalleneingangs suchen, ¨offnet sich der Eingang schon von selbst. Der kleine Sensor u ¨ber dem Eingang hat mit ¨ Hilfe des photoelektrischen Effekts auf die von uns verursachte Anderung der Strahlungsmenge reagiert. Der Eingang des Supermarktes ¨offnet sich, wenn der Einkaufswagen oder ein Fuß f¨ ur einen Moment den Lichtstrahl unterbricht, der von einem Torpfosten“ bis zum anderen verl¨auft; gleichzeitig mit der Un” terbrechung a¨ndert sich die St¨ arke des elektrischen Stroms im Sensor. Dem photoelektrischen Effekt ist es zu verdanken, daß im Kopierger¨at die richtige Menge Toner an die richtige Stelle kommt, daß die Kamera die passende Belichtungszeit w¨ahlt, und daß sich die Straßenlaternen automatisch einschalten, wenn sich D¨ammerlicht auf die Stadt herabsenkt. Ein wichtiges Ger¨ at, das den photoelektrischen Effekt nutzt, ist die Solarzellenplatte. In ihr l¨ ost das Sonnenlicht Elektronen aus den Silikonkristallen; dabei wird elektrischer Strom erzeugt, den man dann beispielsweise zur Essenszubereitung, zur Beheizung des Hauses oder als Stromquelle eines Raumfahrzeugs nutzen kann. Die Solarzellenplatten haben eine große potentielle Bedeutung als Energiequelle der Zukunft, weil die Sonne noch lange scheinen ¨ wird, wenn die Olquellen dereinst versiegen und die Kohlenbergwerke und Urangruben leergeknabbert worden sind. Das im Bereich der Wissenschaft wichtigste Ger¨at, das auf dem photoelektrischen Effekt beruht, ist der Photomultiplier. Er wird f¨ ur die Registrierung besonders geringer Lichtintensit¨ aten verwendet, die zum Beispiel bei Reaktionen zwischen den Elementarteilchen entstehen. Ein auf das Ger¨at auftreffen-
9.5 Photoelektrischer Effekt in vielen Anwendungen
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des Lichtquant schl¨ agt ein Elektron heraus, das dadurch vervielf¨altigt wird, daß man es in einem elektrischen Feld beschleunigt und auf eine sogenannte Dynode auftreffen l¨ aßt, aus der es eine vielfache Anzahl neuer Elektronen herausschl¨agt. Diese werden auf die nachfolgende Dynode gerichtet und so weiter. Nach vielen Stufen kann die Anzahl der Elektronen mehr als eine Million Mal gr¨oßer sein als die urspr¨ ungliche Anzahl der von den Photonen herausgeschlagenen Elektronen. Auf diese Weise kann man einen kleinen Lichtschimmer zu einem beobachtbaren elektrischen Strom verst¨ arken. Die gr¨oßte Meßanlage, bei der Photomultiplier eingesetzt werden, ist der unterirdische Super-Kamiokande-Detektor (bekannt auch unter dem Kosenamen Super-K) in Japan, im Forschungszentrum Kamioka. Die große Experimentieranlage wird zur Beobachtung von Neutrinos verwendet. Es handelt sich um einen zylinderf¨ ormigen, mit hochreinem Wasser gef¨ ullten Beh¨alter, dessen Durchmesser und H¨ ohe ungef¨ ahr 40 Meter betragen. An seinen W¨anden sind 11 200 Photomultiplier angebracht, die wie riesige Augen unaufh¨orlich ins stockdunkle Wasser starren. Ein Neutrino, das in den Detektor ger¨at, schl¨agt aus den Atomen Elektronen heraus, die sich mit sehr großer Geschwindigkeit bewegen. Tats¨achlich bewegen sie sich im Wasser schneller als das Licht und emittieren deswegen bei ihrer Bewegung ein schwaches Licht, die sogenannte Tscherenkowstrahlung. Die Photomultiplier registrieren dieses Licht und auf diese Weise erhalten die Forscher Informationen u ¨ber das Neutrino, seine Energie und seine Einfallsrichtung.
10 Quantenmaterie
Einstein kam in den 1920er Jahren auf die Quantenphysik zur¨ uck, nachdem er einen interessanten Brief aus Indien erhalten hatte. Damals wurde die statistische Theorie der Quanten entwickelt und einige Vorhersagen dieser Theorie wurden erst in den letzten Jahren als korrekt nachgewiesen. Im Grunde genommen glaubte Einstein nicht an die Quantenmechanik und das machte ihn unter den Physikern des 20. Jahrhunderts zu einem Außenseiter.
Vor hundert Jahren wurden Forschungsarbeiten in den Naturwissenschaften vor allem in Europa und in Nordamerika durchgef¨ uhrt, aber das Echo des Aufstiegs der modernen Physik war auch anderswo in der Welt zu vernehmen. In Indien begannen 1916 die beiden außergew¨ ohnlich begabten jungen Wissenschaftler Satyendra Nath Bose (1894–1974) und Meghnad Saha (1893–1956) ihre akademische Laufbahn an der Universit¨ at Kalkutta, dem gegenw¨artigen Kolkata. Sie hatten von den Arbeiten Einsteins und Plancks geh¨ort und waren sich im Klaren dar¨ uber, daß jeder Physiker, der die Zeichen der Zeit verstanden hat, auch in Indien wissen muß, um was es sich bei den Quanten eigentlich handelt und was die Relativit¨ atstheorie bedeutet. Die Bibliothek der Universit¨ at Kalkutta war auf den Hund gekommen und wegen des Krieges war es auch sonst schwierig, B¨ ucher und Zeitschriften in die H¨ande zu bekommen. Von einem deutschen Forscher, der Indien besucht hatte, liehen sich Bose und Saha neuere Literatur und auch Ver¨offentlichungen Einsteins aus. Aber diese Arbeiten waren in Deutsch geschrieben, so daß den beiden Freunden nichts anderes u ¨ brigblieb, als eine neue Sprache zu lernen, bevor sich ihnen das Tor zur Welt der neuen Physik ¨offnete. Es dauerte nicht lange, bis sie vor ihren Studenten Vorlesungen u ¨ber die Relativit¨atstheorie hielten, noch bevor dieses Thema in das Lehrprogramm der europ¨aischen und der amerikanischen Universit¨ aten aufgenommen wurde. Bose und Saha u bersetzten auch Einsteins Ver¨ o ffentlichungen zur Relativit¨atstheorie ins Eng¨
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10 Quantenmaterie
lische, nachdem sie hierzu Einsteins Einverst¨ andnis erhalten hatten. Niemand hatte diese Ver¨offentlichungen fr¨ uher u ¨bersetzt. Bose schickte Einstein 1924 einen Artikel, den er u ¨ber die Lichtquanten geschrieben hatte. Bose hatte seine Arbeit bei mehreren wissenschaftlichen Zeitschriften zur Ver¨ offentlichung eingereicht, aber jedesmal mit der Antwortpost eine Ablehnung erhalten. Das ist eine durchaus u ¨ bliche Situation: ist man ein unbekannter Forscher von einer unbekannten Universit¨at, dann landet das Manuskript leicht in der untersten Schublade, ohne daß jemand mehr als die erste Seite gelesen hat. Bose war damals Professor in Dhaka (dem fr¨ uheren Dakka), der jetzigen Hauptstadt von Bangladesch. Bose war frustriert und bat Einstein um Hilfe bei der Ver¨offentlichung des Artikels in der deutschen Zeitschrift f¨ ur Physik. Einstein war von Boses Ergebnissen begeistert, u ¨ bersetzte die Arbeit ins Deutsche und leitete sie mit lobenden Kommentaren an die Zeitschrift weiter. Vielleicht las man in der Redaktion auch diesmal nicht mehr als das Deckblatt, aber wenn Einstein die Arbeit als ver¨offentlichungsw¨ urdig bewertete, dann war sie es sicher auch.
10.1 Licht als Gas Bose hatte Max Plancks Deutung des Spektrums eines schwarzen K¨orpers gelesen, aber die Erkl¨ arung hatte ihn nicht u ¨berzeugt. Planck hielt das Licht f¨ ur eine Wellenbewegung und interpretierte die Beschaffenheit des Spektrums eines schwarzen K¨ orpers durch die Annahme, daß die Strahlung – durch die im Material stattfindenden Schwingungen – Energie nur in Form von diskreten Quanten einer bestimmten Gr¨ oße aufnimmt und auf gleiche Weise an das Material wieder abgibt. Planck betrachtete die Quantenhypothese lediglich als mathematischen Trick und dachte keineswegs, daß das Licht aus Quanten besteht. Einstein nahm dagegen an, daß die elektromagnetische Strahlung tats¨achlich aus konkreten Teilchen besteht. Dadurch konnte er den photoelektrischen Effekt erkl¨ aren. Wie Einstein nahm auch Meghnad Saha die Quanten ernst und untersuchte den durch die quantisierte Strahlung verursachten Druck. Die Diskussionen mit Saha inspirierten Bose und er versuchte, das Plancksche Strahlungsgesetz aus der Annahme abzuleiten, daß das Licht ein aus Quanten bestehendes Gas ist. Das gelang ihm und er schrieb dar¨ uber eine vierseitige Arbeit, die auf Einstein, den Entdecker der Lichtquanten, einen großen Eindruck machte. Bose bezog sich bei seiner Ableitung des Ergebnisses weder auf elektromagnetische Wellen noch auf den Elektromagnetismus u ¨berhaupt. Er betrachtete ein in einen Kasten eingeschlossenes Photonengas und leitete f¨ ur das Verhalten des Gases ein neues statistisches Gesetz ab. Ludwig Boltzmann hatte in der zweiten H¨alfte des 19. Jahrhunderts Gesetze u ¨ ber atomare und molekulare Gase aufgestellt und diese Gesetze lieferten eine gute Beschreibung der Eigenschaften dieser Gase. Bose stellte jedoch fest, daß das statistische Gesetz der Quanten nicht mit den Boltzmannschen Gesetzen u ¨bereinstimmen konnte.
10.2 Materie vermatscht
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Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß im Falle eines gew¨ohnlichen Gases, das in einen Kasten eingeschlossen ist, die Anzahl der Teilchen konstant bleibt, w¨ahrend sich in einem Photonengas die Anzahl der Photonen ¨andern kann, weil in den Atomen der Kastenw¨ande st¨andig neue Photonen entstehen und absorbiert werden. Nachdem Einstein Boses Arbeit gelesen hatte, erkannte er, daß sich das von Bose aufgestellte Gesetz auch auf Materieteilchen verallgemeinern l¨aßt, das heißt, auf Teilchen, die eine Masse besitzen. Der Italiener Enrico Fermi (1901–1954) und der Engl¨ ander Paul Dirac (1902–1984) zeigten sp¨ater, daß das Gesetz von Einstein nicht f¨ ur alle Arten von Teilchen gilt, sondern daß es auch ein anderes statistisches Quantengesetz gibt, dem gewisse Teilchen gehorchen. Dirac bezeichnete diejenigen Teilchen, die dem statistischen Gesetz von Bose und Einstein gehorchen, als Bosonen, und diejenigen Teilchen, die dem statistischen Gesetz von Fermi und Dirac gehorchen, als Fermionen. Die kleinsten Bestandteile der Materie teilen sich also in zwei Kasten auf, die Kaste der Bosonen und die Kaste der Fermionen. Die Bosonen sind Herdentiere und die Fermionen sind Einsiedler. Die Bosonen streben bereitwillig denselben Zustand an wie andere Bosonen des Systems, aber es kann sein, daß es in jedem Zustand nur ein Fermion gibt. Zum Beispiel sind die rund“ ” um den Kern eines Atoms hausenden Elektronen Fermionen und dank der Eigenschaften der Fermionen gibt es in der Natur Elementarteilchen, die sich auf viele verschiedene Weisen verhalten. Die Bosonen dr¨angeln sich danach, auf ein und demselben Stuhl zu sitzen, aber die Fermionen suchen immer nach einem eigenen Stuhl f¨ ur sich allein. Das statistische Quantengesetz war Boses einziger bedeutender Beitrag zur Physik. Er verglich sich mit einem Kometen, der aus den Tiefen des Weltalls kommt, auf seiner Bahn um die Sonne f¨ ur einen Moment hell erstrahlt und dann wieder in der Dunkelheit verschwindet. Boses Laufbahn f¨ uhrte ihn in die gleiche Richtung wie Einstein: seine Entwicklung einer einheitlichen Theorie blieb erfolglos.
10.2 Materie vermatscht In der klassischen Physik kann man jedem Teilchen ein Zahlenetikett um die ” Taille g¨ urten“ und alle seine Bewegungen vom Start bis zum Ziel verfolgen, aber in der Quantenphysik verlieren die Teilchen ihre Individualit¨at. Sind die Teilchen identisch, das heißt, in Bezug auf alle zu messenden Eigenschaften gleich, dann k¨onnen sie laut Quantenmechanik nicht voneinander unterschieden werden. Es ist leicht zu verstehen, daß sich dieser Umstand auf das Verhalten des von den Teilchen gebildeten Gases auswirkt. Dieses Verhalten wird durch statistische Gesetze beschrieben. Nehmen wir zum Beispiel eine F¨ unf-CentM¨ unze und eine Zehn-Cent-M¨ unze in die Hand und werfen die M¨ unzen in die Luft. Beim Auftreffen der M¨ unzen auf dem Boden gibt es die folgenden vier
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10 Quantenmaterie
M¨oglichkeiten: beide M¨ unzen Wappen, beide M¨ unzen Zahl, die F¨ unf-CentM¨ unze Wappen und die Zehn-Cent-M¨ unze Zahl oder die Zehn-Cent-M¨ unze Wappen und die F¨ unf-Cent-M¨ unze Zahl. Wiederholt man dasselbe mit zwei identischen F¨ unf-Cent-M¨ unzen, dann gibt es anstelle der vier M¨oglichkeiten nur drei voneinander unterscheidbare M¨ oglichkeiten: beide M¨ unzen Wappen, beide M¨ unzen Zahl sowie eine M¨ unze Zahl und die andere Wappen. Einstein zeigte 1925 Folgendes: K¨ uhlt man ein aus massiven Bosonen bestehendes Gas auf eine sehr niedrige Temperatur ab, dann ger¨at ein großer Teil der Bosonen in ein und denselben Zustand, in den sogenannten Grundzustand, in dem ihre Energie und Geschwindigkeit gleich Null sind. Diese Ansammlung von Bosonen, die sich im Grundzustand befinden, wird Bose-EinsteinKondensat genannt. Bose war jedoch u ¨berhaupt nicht an der Entdeckung des Ph¨anomens beteiligt. Im Grundzustand offenbart sich die Identit¨atskrise der Bosonen am deutlichsten: die ganze Ansammlung benimmt sich wie ein einziges makroskopisches Wesen. Es ist so, als ob die Bosonen miteinander vermatscht“ w¨aren. ” Als Einstein seine Theorie vorlegte, dachte man, daß sie lediglich von akademischem Interesse sei, denn man glaubte nicht, die zum Kondensieren erforderliche Temperatur jemals zu erreichen. Aber den Experimentalphysikern scheint nichts unm¨ oglich zu sein, wenn ihnen nur genug Zeit gegeben wird. Jetzt belief sich die erforderliche Zeit auf 73 Jahre: 1995 k¨ uhlten die amerikanischen Wissenschaftler Eric Cornell (geb. 1961) und Carl Wieman (geb. 1951) ein aus Rubidium-Atomen bestehendes Gas auf eine Temperatur von 170 Nano-Kelvin ab und stellten fest, daß sich im Gas ein Bose-EinsteinKondensat bildete. Bei dem Experiment von Wieman und Cornell wurde das atomare Gas in der Mitte eines Beh¨ alters so gehalten, daß der Strahlendruck, der durch die aus verschiedenen Richtungen kommenden Laserstrahlen erzeugt wurde, die Atome von der Flucht abhielt und gleichzeitig die Bewegung der Atome verlangsamte. Mit dieser Methode ließ sich jedoch die Temperatur nicht ausreichend senken. Deswegen preßte man mit geeigneten Magnetfeldern die Atome auf einen noch kleineren Raum zusammen, in dem sie sich so wie Kaffee in einer Tasse abk¨ uhlten. In der Kaffeetasse kommt es zwischen den Molek¨ ulen zu Zusammenst¨oßen, bei denen einige Molek¨ ule einen so großen Stoß erhalten, daß sie aus der Tasse fliegen und die Energie mit sich nehmen; dadurch sinkt die Temperatur des in der Tasse verbliebenen Kaffees. Im Rubidium-Gas findet das gleiche statt, aber das Ph¨ anomen l¨ auft ziemlich langsam ab, weil es im Gas seltener zu Zusammenst¨ oßen kommt als in einer Fl¨ ussigkeit. Bei einer Verkleinerung der magnetischen Tasse lief der Vorgang jedoch so schnell ab, daß die Temperatur auf 170 Nano-Kelvin sank, wobei das Gas kondensierte. Das Kondensat war in seinen Abmessungen so klein, daß man es nicht sehen konnte. Jedoch erfanden die Experimentatoren ein Mittel, mit dem sie das Kondensat sichtbar machen konnten. Sie eliminierten das Magnetfeld, so daß die Atome, die das Kondensat bildeten, wie aufgescheuchte H¨ uhner in alle Richtungen auseinander stiebten. Man richtete einen Laserblitz auf diesen
10.3 Fermionenkondensate
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Schwarm und dadurch entstand ein Schattenbild, das mit einer Videokamera aufgenommen werden konnte. Mit Hilfe der Aufnahme ließ sich die Geschwindigkeitsverteilung der Atome bestimmen und damit konnte nachgewiesen werden, daß die Atome tats¨ achlich aus dem Kondensat stammten. Entsprechend der klassischen Physik und auch gem¨ aß Einsteins Theorie sollten die Atome an ihrem Platz bleiben und zwar genau in der untersten Vertiefung der magnetischen Tasse. Laut Quantenmechanik k¨ onnen sich die Atome jedoch nicht vollkommen im Ruhezustand befinden. Deswegen begann sich der Atomschwarm auszubreiten, nachdem er freigelassen wurde. Das Experiment wies also nicht nur die Bose-Einstein-Theorie als korrekt nach, sondern best¨atigte auch ein grundlegendes Prinzip der Quantenmechanik, die sogenannte Heisenbergsche Unsch¨arferelation. Aus der Unsch¨ arferelation folgt zum Beispiel, daß sich die Teilchenbahnen im atomaren Bereich nicht exakt bestimmen lassen.
10.3 Fermionenkondensate Bei den Bosonen findet also eine Kondensation statt, aber die Natur hat Mittel gefunden, mit denen auch die Fermionen vermatscht werden k¨onnen. Dieser Vorgang ist nur etwas komplizierter. Zum Beispiel k¨onnen zwei Elektronen, die Fermionen sind, einen gemeinsamen Ton“ finden und beginnen, sich wie ” ein einziges holistisches Ganzes zu verhalten. Diese Gesamtheit gehorcht der Bose-Einstein-Statistik. Es handelt sich dabei nicht um ein Wesen, das einem Molek¨ ul ¨ahnelt und eine gewisse Kraft hat, die Elektronen eng aneinander zu binden; vielmehr herrscht zwischen den Elektronen eine Art geistiger Uni” on“, auf deren Grundlage sie einander selbst dann erkennen, wenn sie weit voneinander entfernt sind. Dieses Ph¨anomen wurde erstmals in den 1950er Jahren bei dem fl¨ ussigen Heliumisotop 3 He festgestellt. Die fermionischen Heliumatome bilden Paare, die als Cooper-Paare bezeichnet werden. Diese Paare kondensieren, wenn die Temperatur der Fl¨ ussigkeit unter 0,0025 Grad Kelvin f¨allt. Das fl¨ ussige Helium im kondensierten Zustand hat interessante Eigenschaften. Zum Beispiel hat es keinerlei Viskosit¨at, das heißt, es fließt ohne Widerstand. Gießt man es in einen Beh¨alter, dann kann es an den Beh¨ alterw¨ anden nach oben u ¨ ber den Rand und auf den Tisch klettern. Diese Art Wundermaterial wird Suprafl¨ ussigkeit oder Superfl¨ ussigkeit genannt. Im Dezember 2003 gelang es der von Deborah Jin (geb. 1969) geleiteten Forschungsgruppe zum ersten Mal, ein aus Fermionen bestehendes Gas zu kondensieren. Das Experiment wurde in den Vereinigten Staaten im JILA-Lab in Boulder (Colorado) am gleichen Ort durchgef¨ uhrt, an dem es Eric Cornell und Carl Wieman knapp zehn Jahre fr¨ uher gelungen war, ein Bosonengas zu kondensieren. Im Experiment von Jin wurden eine halbe Million Kaliumatome auf eine Temperatur von 50 Nano-Kelvin gek¨ uhlt und danach wurden sie mit Hilfe eines geeigneten Magnetfeldes gezwungen, Cooper-Paare zu bilden. Die
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10 Quantenmaterie
Gruppe von Jin konnte diese Paarbildung und die nachfolgende Bildung des Bose-Einstein-Kondensats beobachten. Auch anderen Forschungsgruppen gelang es sp¨ater, Fermionengase zu kondensieren. Im Sommer 2004 kondensierte die an der Universit¨at Innsbruck von Rudi Grimm geleitete Gruppe ein aus Lithiumatomen bestehendes Gas mit derselben Methode, mit der auch Jins Gruppe gearbeitet hatte. Zus¨atzlich zur Entstehung des Kondensats beobachtete die Gruppe auch, daß sich das Kondensat wie eine Suprafl¨ ussigkeit verh¨ alt.
10.4 Laser Bei den oben beschriebenen Experimenten wurde Laser als Hilfsmittel eingesetzt. Auch der Laser geh¨ ort zum wissenschaftlichen Erbe, das Albert Einstein der Nachwelt hinterlassen hat. Heutzutage hat fast jeder ein lasergesteuertes Ger¨at zuhause: Drucker, Leseger¨ ate, CD-Player oder DVD-Player. An der Ladenkasse liest der Laser-Leser“ schnell den Strichcode mit den Informa” ¨ tionen u schnell geht es in der Bib¨ber die Hackfleischpackung ein. Ahnlich ¨ liothek, wenn wir B¨ ucher ausleihen. Die Arzte f¨ uhren Augenoperationen mit Laserstrahlen durch und lasern ihre Patienten bei vielen anderen Eingriffen, Sch¨onheitsoperationen inbegriffen. In der Industrie benutzt man Laser zum Schweißen, zum Schneiden von Metall und f¨ ur unz¨ahlige andere Zwecke. Der Laser beruht auf den von Bose und Einstein gefundenen statistischen Gesetzen der Bosonenverteilung. Einstein sagte auf der Grundlage dieser Gesetze ein Ph¨anomen vorher, das unter der Bezeichnung stimulierte Emission“ ” bekannt geworden ist.1 Gem¨ aß den Gesetzen der Quantenmechanik k¨onnen die Elektronen in einem Atom bestimmte diskrete Energiewerte haben. Nicht alle Energiewerte sind m¨ oglich – das Energiespektrum ¨ahnelt vielmehr einer Leiter, auf deren Stufen die Elektronen hausen k¨onnen. Im Unterschied zu einer Leiter haben die Niveaus eines Energiespektrums jedoch keinen konstanten Abstand. Das Elektron kann von einem Niveau des Spektrums zu einem anderen wechseln, wenn es ein Photon aufnimmt, dessen Energie zuf¨alligerweise dieselbe Gr¨oße hat wie die Energiedifferenz zwischen den Niveaus. Ein Elektron, das auf ein h¨oheres Energieniveau gelangt, das heißt, ein angeregtes Elektron, versucht fr¨ uher oder sp¨ ater, auf sein vorheriges Niveau zur¨ uckzukehren; wenn das geschieht, emittiert das Atom ein Photon mit derselben Energie, die es einen Moment fr¨ uher aufgenommen hatte. Die Beendigung des stimulierten Zustands geschieht gew¨ ohnlich von selbst und ohne jeden besonderen Grund. Einstein stellte fest, daß man das Nachlassen des Anregungszustands des Atoms auch beeinflussen kann. Trifft ein Photon auf ein angeregtes Atom und hat dieses Photon genau die gleiche Energie wie das Photon, von dem das 1
Daher das Akronym LASER = Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation (Lichtverst¨ arkung durch stimulierte Emission von Strahlung).
10.4 Laser
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Atom angeregt wurde, dann l¨ aßt der Anregungszustand nach und das Atom emittiert ein Photon. Das externe Photon regt das Atom an und stimuliert es, seine Anregung abzubauen. Das Endergebnis sind zwei Photonen: das anregende Photon, das auf das Atom geprallt ist, und das Photon, das durch das Nachlassen des Anregungszustands entstanden ist. Die Photonen haben genau die gleiche Energie, die gleiche Polarisation und sie bewegen sich exakt in ein und dieselbe Richtung. Gibt es viele angeregte Atome, dann setzt diese stimulierte Emission eine Kettenreaktion in Gang. Das Photon l¨ ost vom Atom ein zweites Photon, und wenn diese Photonen gegen weitere Atome prallen, hat man im Ergebnis bereits vier Photonen. Durch diesen Netzvertrieb“ entsteht rasch eine große ” Anzahl von Photonen, die sich alle in gleicher Phase befinden und alle die gleiche Frequenz haben. Im Allgemeinen wird dieses Ph¨ anomen in einer zylindrischen Vorrichtung realisiert, in der die Photonen zwischen den Spiegeln hin und her springen, die sich an den Enden des Zylinders befinden. Auf diese Weise entsteht ein sehr starker Photonenstrahl. Einer der Spiegel ist halbdurchsichtig und durch diesen wird der Laserstrahl in Gang gesetzt. Der Laserstrahl ist sehr stark und bleibt scharf. Seine Intensit¨ at wird zum Beispiel durch Streuungen der in der Luft befindlichen Atome nicht beeinflußt. Dieses Ph¨anomen l¨aßt sich beispielsweise bei den imposanten Lichtshows beobachten, bei denen der Laserstrahl den Himmel entlang streicht oder die Luft u ¨ber den K¨opfen der Rock-Fans zerschneidet. Wesentlich f¨ ur die Funktion des Lasers ist, daß es die ganze Zeit stets betr¨achtlich mehr Atome in einem h¨ oheren Energiezustand als in einem niedrige¨ ren Energiezustand gibt, wodurch die von den Photonen bewirkten Uberg¨ ange u ¨berhaupt erst m¨oglich werden. Bei Material unter normalen Bedingungen ist das nicht so. Vielmehr wird ein niedrigeres Energieniveau h¨aufiger besetzt als ein h¨oheres Energieniveau, und weil das Springen von einem niedrigeren zu einem h¨oheren Energiezustand genau so normal ist wie das Springen von einem h¨oheren zu einem niedrigeren, bleibt der Besetzungszustand erhalten. Die im Falle des Lasers erforderliche Besetzungsinversion l¨aßt sich – in Abh¨angigkeit vom Lasertyp – auf vielerlei Weise erreichen, wobei es aber immer notwendig ist, Energie in das System zu pumpen. Aus diesem Grund hat der LaserPointer Batterien, die jedoch ¨ argerlicherweise sehr oft vollkommen verbraucht sind. Die Russen Nikolai Bassow (1922–2001) und Aleksander Prochorow (1916– 2002) erzeugten in den 1950er Jahren den ersten starken Photonenstrahl in Ammoniumgas. Es handelte sich um eine unsichtbare Mikrowellenstrahlung und das Ger¨at bekam das Akronym Maser. Der Anfangsbuchstabe M kommt vom Wort Mikrowelle2 . Der Amerikaner Theodore Harold Maiman (geb. 1927) konstruierte den ersten Laser, der sichtbares Licht abstrahlte. In Maimans 2
MASER = Microwave Amplification by Stimulated Emission of Radiation (Mikrowellenverst¨ arkung durch stimulierte Emission von Strahlung).
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10 Quantenmaterie
Vorrichtung wurde das Licht in einem Rubinkristall erzeugt und der Lichtstrahl war tiefrot. Die preiswertesten und gebr¨auchlichsten heute verwendeten Laser sind Gaslaser, die Helium und Neon enthalten. Einstein erlebte den Laser nicht mehr und er konnte sich nat¨ urlich auch die vielen Dinge nicht vorstellen, zu denen das von ihm entdeckte Ph¨anomen f¨ uhren w¨ urde. Er h¨ atte sich wohl auch kaum daf¨ ur interessiert. H¨atte man ihm einen Laser-Pointer vorgef¨ uhrt, dann h¨ atte er das Ger¨at liebensw¨ urdig l¨achelnd f¨ ur einen Moment in die Hand genommen und damit auf sein Nobeldiplom gezeigt, das dort an der Wand hing. Danach h¨atte er den Pointer vielleicht gef¨ahrlicherweise auf einen der Anwesenden gerichtet, das Ger¨at dann beiseite gelegt und sich anschließend erneut in seine Papiere vertieft.
10.5 Der Quantenspuk Die Quanten waren Einsteins Entdeckung, aber die Quantenphysik wurde f¨ ur ihn sp¨ater zum Albtraum. Er sah sich außerstande, die Gesetzm¨aßigkeiten der Quantenwelt zu akzeptieren, die in vielerlei Hinsicht verschieden von den Beschreibungen der Newtonschen Mechanik, der Maxwellschen Theorie und der Relativit¨atstheorie sind. Einstein war der Erste, der von der Doppelnatur der Elementarteilchen sprach: manchmal verhalten sie sich wie Teilchen, manchmal wie Wellen. Das war eine Auffassung, die in klarem Gegensatz zur klassischen Physik stand, aber Einstein war bereit, das zu akzeptieren. Seine eigene Lichtquantentheorie war ein Beispiel f¨ ur diesen Dualismus. Einstein akzeptierte jedoch zu keinem Zeitpunkt die Unsch¨arferelation, die sich auf Quantenph¨anomene bezieht, und er erkannte den Wahrscheinlichkeits¨ charakter der Ph¨ anomene nicht an. Nach seiner Uberzeugung ist die Natur kein Gl¨ ucksspiel ( Gott w¨ urfelt nicht“). Deswegen k¨onne man seiner Meinung ” nach die Quantenphysik – so gut sie viele Ph¨anomene auch erkl¨arte – nicht als endg¨ ultige Theorie ansehen, sondern nur als Zwischenetappe auf dem Weg zu einer tieferen Theorie, in der die Naturph¨ anomene ohne Unbestimmtheiten beschrieben werden. Einstein f¨ uhrte viele Gedankenexperimente durch, die seiner Meinung nach zeigten, daß die Quantenmechanik die Natur nicht vollst¨andig beschreibt. Einer nach dem anderen seiner Einw¨ ande wurde abgeschossen und als Sch¨ utze bet¨atigte sich meistens Niels Bohr, die große Autorit¨at der Quantenmechanik und ihrer Interpretation. Einstein schrieb 1935 eine gemeinsame Arbeit mit Boris Podolski und Nathan Rosen, die beide ebenfalls vor den Nazis geflohen waren. Die Thesen dieser Ver¨ offentlichung f¨ uhrten dazu, daß sich auch Bohr lange am Kopf kratzte. Der Artikel beschreibt ein Gedankenexperiment, das heute als EPR-Paradoxon bezeichnet wird. Als sich Weihnachten n¨ aherte, beschloß die in Jyv¨askyl¨a3 lebende Mutter, f¨ ur ihren Sohn, der in Oulu4 wohnt, Wollsocken als Geschenk zu stricken; f¨ ur 3 4
Stadt in Mittelfinnland. Stadt im Norden Finnlands, n¨ ordlichste Partnerstadt von Halle (Saale).
10.5 Der Quantenspuk
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ihre in Helsinki wohnende Tochter strickte sie dagegen einen Schal als Weihnachtsgeschenk. Sie packte beide Geschenke in ¨ahnlich aussehende Pakete ein, erinnerte sich aber auf der Post nicht mehr, in welchem Paket das Sockenpaar und in welchem der Schal ist. Deswegen schrieb sie auf beide Pakete die Inhaltsangabe Socken oder Schal“ 5 und schickte die Pakete in der Hoffnung ab, ” daß alles gut wird, das heißt, daß der jeweilige Empf¨anger das richtige Paket erh¨alt. Solange die Pakete unterwegs sind und nicht aufgemacht werden, gab es eine M¨oglichkeit von 50%, daß das nach Oulu geschickte Paket die Socken enth¨alt, und eine M¨ oglichkeit von 50%, daß sich der Schal darin befindet. ¨ Ahnlich verh¨alt es sich mit dem Paket, das nach Helsinki unterwegs war. Als der Sohn das Paket in Oulu ¨ offnete und den Schal vorfand, konnte er mit Sicherheit sagen, daß sich die Socken im Paket der Tochter in Helsinki befinden. So ist es und daran ist auch nichts Merkw¨ urdiges. Die Realit¨at der Quantenmechanik ist jedoch etwas anders. Dort untersucht man Atome oder Elementarteilchen und ihre Eigenschaften, aber wir wollen allegorisch weiter u ¨ber Postpakete, Socken und Schals sprechen. Laut Quantenmechanik enthalten die Pakete – solange sie nicht ge¨offnet werden – sowohl die Socken als auch den Schal. Die quantenmechanische Mutter schreibt Socken und Schal“ auf die Pakete. Gem¨aß der klassischen Physik ” und nach Einsteins gesundem Menschenverstand enthielt das nach Oulu gesandte Paket den Schal die ganze Zeit u ¨ber, auch wenn der Inhalt erst nach ¨ Offnen des Pakets ans Tageslicht kam. Laut Quantenmechanik ist die Situation w¨ahrend der gesamten Reise echt unbestimmt; das Paket enth¨alt sowohl die Socken als auch den Schal und dasselbe trifft auch f¨ ur das Paket zu, das ¨ auf dem Weg nach Helsinki ist. Erst nach Offnen des Pakets offenbart sich der Inhalt entweder als Sockenpaar oder als Schal. K¨onnte man den Paketsendevorgang exakt in der gleichen Weise wiederholen, dann k¨onnte der Sohn diesmal im Paket die Socken vorfinden. Die Entr¨atselung des Paketinhalts ¨ beim Offnen in Oulu ist also eine Ziehung, in deren Ergebnis man mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% den Schal und mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% die Socken erh¨ alt. Diese prozentualen Anteile r¨ uhren also nicht daher, daß die Mutter die Pakete auf der Post zuf¨ alligerweise durcheinander gebracht hat; der Grund ist vielmehr darauf zur¨ uckzuf¨ uhren, daß sich der Inhalt der Pakete in einem unbestimmten“ Zustand befindet. ” ¨ Auch das Offnen des Pakets in Helsinki ist eine Ziehung, und das ist der Punkt, auf den Einstein und seine Mitarbeiter einschlugen. Laut Quantenmechanik sind die Ziehungen in Oulu und in Helsinki nicht voneinander unabh¨angig. Das Ergebnis der Ziehung von Oulu bestimmt auch das Ergebnis der Ziehung von Helsinki und umgekehrt. Die Pakete, das heißt – im Sprachgebrauch der Quantenmechanik – die Zust¨ ande“ sind miteinander verschr¨ankt. ” Einstein fragte, wie es m¨ oglich sei, daß die Information u ¨ber das Ergebnis der Ziehung von Oulu instantan bestimmt, was sich im Paket von Helsinki 5
Unter oder verstehen wir hier das ausschließende oder.
124
10 Quantenmaterie
befindet, obwohl sich keine Information schneller als das Licht von einem Ort zum anderen bewegen kann. Laut Einstein enthalten die Pakete zus¨atzliche inhaltsbezogene Informationen – sogenannte verborgene Parameter –, die den Inhalt eines jeden Pakets von Anfang an bestimmen. Nach Einstein besteht der Inhalt der beiden Pakete bereits vom ersten Moment an entweder aus ¨ dem Sockenpaar oder aus dem Schal, und das Offnen des Pakets in Oulu hat keinerlei Bedeutung f¨ ur den Inhalt des Pakets in Helsinki. Als Einsteins Artikel erschien, ¨ außerte sich Wolfgang Pauli flugs gegen¨ uber Werner Heisenberg, der die Unsch¨ arferelation der Quantenmechanik entdeckt hatte: Einstein trat wieder mal hervor und sagte etwas u ¨ber die Quantenme” ¨ chanik. Wie bekannt, sind seine diesbez¨ uglichen Außerungen immer dieselben Katastrophen.“ Jedoch scheuerte das EPR-Paradoxon auch weiterhin an den F¨ ußen wie ein Stein in einem Schuh, auch wenn Bohr zeigen konnte, wo Einsteins Schlußfolgerung versagte. Einstein hielt die verschr¨ankten Zust¨ande f¨ ur separat, obwohl sie laut Quantenmechanik die ganze Zeit eine Gesamtheit bilden. Man kann nicht gesondert vom Oulu-Paket und vom Helsinki-Paket sprechen; man kann nur von der Gesamtheit beider Pakete sprechen, das heißt, von der Weihnachtspusselei der Mutter.
10.6 Die Quantenwelt ist ganz anders Der schottische Teilchenphysiker John Bell (1928–1990) entdeckte 1964 eine Methode, mit deren Hilfe man nachweisen konnte, daß Einsteins Hypothese der verborgenen Parameter falsch ist. Er zeigte, daß es in der Quantenphysik Situationen gibt, in denen man die Unsch¨ arferelation nicht mit Hilfe der verborgenen Parameter umgehen kann. Anfang der 1980er Jahre gelang es dem Franzosen Alain Aspect, Bells Behauptung experimentell zu best¨atigen. Der franz¨osische Physiker sandte keine Software“-Pakete mit weichen Socken und ” Schals, sondern untersuchte zwei Photonen, die von einem angeregten C¨asiumAtom emittiert wurden. Er maß die Spins der Photonen in einer Entfernung von 13 Metern voneinander und zeigte, daß die Photonenzust¨ande so miteinander verschr¨ankt waren, daß sie sich nicht durch verborgene Parameter erkl¨aren lassen. Ein a uhrt, ¨hnliches Experiment wurde 1997 in Genf durchgef¨ wobei sich die Photonen bei den Messungen in einer Entfernung von 11 Kilometern voneinander befanden. Sogar bei dieser Entfernung zeigte sich, daß die Photonen ein und dieselbe Gesamtheit bildeten und sich dementsprechend verhielten. Die Verschr¨ankung von Quantenzust¨ anden ist ein aktuelles Thema, denn die n¨achste Computerrevolution wird auf der Nutzung der Verschr¨ankung beruhen. Das Geheimnis des sogenannten Quantencomputers verbirgt sich im Bit, das heißt, in der fundamentalen Informationseinheit. Bei den gegenw¨artigen Computern hat ein Bit zwei m¨ ogliche Werte, n¨amlich 0 und 1. Ein Bit hat wie ein Stromschalter entweder den Zustand EIN ( geschlossen“) oder den ” Zustand AUS ( offen“). Bei einem Quantencomputer wird dieses zweiwertige ”
10.6 Die Quantenwelt ist ganz anders
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Bit6 durch das Quanten-Bit ersetzt, das man abgek¨ urzt als QuBit bezeichnet. Auch das QuBit kann die Werte 0 und 1 annehmen, aber es kann das gleichzeitig tun. Es ¨ ahnelt dem Paket, in dem sich sowohl die Socken als auch der Schal befinden. Das QuBit enth¨ alt gleichzeitig die Information u ¨ber beide Alternativen – aber nur solange man nicht fragt, ob es geschlossen“ oder of” ” fen“ ist. Hierauf beruht die Geschwindigkeit des Quantencomputers. Er muß nicht jede Alternative gesondert durchgehen, sondern alle Alternativen werden nebeneinander verarbeitet. Die Fragen werden erst gestellt, nachdem die Berechnungen durchgef¨ uhrt worden sind. Man kann die Computer mit den Labyrinth-Aufgaben der Arbeitshefte von Kindern vergleichen. Welchen Weg muß das M¨auslein durchlaufen, um an das K¨asest¨ uck heranzukommen? Jede entgegenkommende Weggabelung ist ein 0-1-Zustand, bei dem das M¨ auschen (oder das Kind, das die Aufgabe l¨ost) so handelt wie die heutigen Computer, das heißt, es w¨ahlt entweder den linken oder den rechten Weg. Wenn es viele Abzweigungen gibt, dann wird die Anzahl der verschiedenen Weg-Alternativen schnell ungeheuer groß. Hat man ganz großes Pech, dann m¨ ussen alle Alternativen u uft werden, bevor ¨berpr¨ man den richtigen Weg findet. Der Quantencomputer funktioniert anders. Er nimmt an den Weggabelungen beide Wege gleichzeitig und u uft damit ¨berpr¨ alle Weg-Alternativen auf einmal. Hierauf beruht seine – im Vergleich zu den jetzigen Computern – ph¨ anomenale Geschwindigkeit. Einsteins zweifelnde Haltung gegen¨ uber der Quantenmechanik erwies sich als Fehleinsch¨atzung. Diese Haltung entfremdete ihn von der Hauptstr¨omung der physikalischen Forschung, die auf den Prinzipien der Quantenmechanik beruhte. Die bedeutendsten Ergebnisse der Physik des 20. Jahrhunderts h¨angen mit der Quantenphysik zusammen und Einstein h¨atte dazu auch viel mehr beitragen k¨onnen als jene wichtigen grundlegenden Arbeiten zur Quantenphysik, die er im ersten Viertel des Jahrhunderts geschrieben hatte. Dennoch t¨auschte ihn seine Intuition bez¨ uglich der Quantenmechanik – zumindest scheint es immer noch so.
6
Die Zweiwertigkeit ist nat¨ urlich bereits Bestandteil der englischen Bezeichnung bit, die als Abk¨ urzung f¨ ur binary digit steht.
11 Schwarze L¨ ocher
Viele Theorien Einsteins m¨ ussen am Sternenhimmel aufgesp¨ urt werden. In den Schwarzen L¨ ochern reichen sich zwei Entdeckungen Einsteins die Hand: die Allgemeine Relativit¨ atstheorie und die Quantentheorie. Einstein zweifelte an der Existenz der Schwarzen L¨ ocher, aber sie entstehen in der Natur zum Beispiel beim Kollaps von Sternen. Man findet st¨andig neue Best¨ atigungen f¨ ur die Existenz von Schwarzen L¨ ochern.
Man glaubt, daß sich im Zentrum der meisten Galaxien ein Schwarzes Loch befindet. Im Zentrum unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, befindet sich vermutlich ebenfalls ein solches – ein Koloß mit einer Masse von fast vier Millionen Sonnen. Es gibt sogar noch gr¨ oßere Schwarze L¨ocher. In den Schwarzen L¨ochern von Quasaren d¨ urften sich Massen der Gr¨oßenordnung von Milliarden Sternen befinden. Man vermutete zun¨ achst, daß die Quasare dunkle Sterne seien, die eine außergew¨ ohnlich große Gravitationsrotverschiebung aufweisen. Sp¨ater wurde klar, daß sie hell leuchtende Zentren ferner Galaxien sind. Der in ein Schwarzes Loch wirbelnde Materiestrudel erhitzt sich bei den heftigen Teilchenkollisionen und das f¨ uhrt dazu, daß ein Quasar so stark wie eine Milliarde Sterne scheint. Zwar ist die Existenz dieser großen Schwarzen L¨ocher wahrscheinlich, aber es gibt noch keine vollkommen wasserdichten“ Beweise. Andererseits sind ” mehrere kleinere Schwarze L¨ ocher der Gr¨ oße von einigen bis zu ungef¨ahr zwanzig Sonnenmassen in unserer Milchstraße mit Sicherheit gefunden worden. Die Schwarzen L¨ ocher geh¨ oren zu den Vorhersagen der Allgemeinen Relativit¨atstheorie. Einsteins Theorie kam in kompakter Form in einer Gleichung zum Ausdruck, in der es um den Zusammenhang zwischen Materie und Energie sowie um die dadurch bewirkte Raumkr¨ ummung geht. Kennt man die Verteilung der Materie in irgendeiner Region, dann l¨aßt sich mit Hilfe der Gleichung die Form des benachbarten Raumes berechnen. Die Feldgleichung ist kompliziert und Einstein machte sich nicht die M¨ uhe, die Gleichung exakt
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11 Schwarze L¨ ocher
zu l¨osen. Er l¨oste sie nur approximativ, als er die von der Sonnengravitation verursachte Lichtablenkung berechnete und die Perihelbewegung des Merkur absch¨atzte. Der Deutsche Karl Schwarzschild (1873–1916) gab die erste exakte L¨osung der Einsteinschen Gleichung nur einige Wochen nach Abschluß der Arbeit Einsteins an. In der allgemeinen Herangehensweise, die f¨ ur Wissenschaftler typisch ist, hatte Schwarzschild das einfachstm¨ogliche Beispiel betrachtet, n¨amlich einen nicht rotierenden und vollkommen kugelf¨ormigen Stern. Schwarzschild sandte seine L¨ osung an Einstein, der sie seinerseits im Januar 1916 auf der Sitzung der Preußischen Akademie in Berlin vorlegte. Schwarzschild absolvierte gerade seinen Milit¨ ardienst an der russischen Front, wo er die Bahnen von Artilleriemunition berechnete und deswegen seine Ergebnisse nicht selbst vorstellen konnte. Er erkrankte an einer unheilbaren Dermatose und starb bald, nachdem er die L¨ osung gefunden hatte, die sich als historisch erwies. Einstein gab die traurige Nachricht von Schwarzschilds Tod auf der Sitzung der Akademie im Juni 1916 bekannt. Schwarzschilds L¨ osung enthielt eine dramatische Vorhersage: Wird Materie so dicht zu einer Kugel zusammengepackt, daß der Kugelradius kleiner als ein gewisser kritischer Wert ist, dann kr¨ ummt sich der benachbarte Raum so stark, daß nichts, was zur Kugeloberfl¨ache oder in deren N¨ahe gelangt, der Bannsph¨ are der Kugel entfliehen kann. Von der Erdkugel schafft man es, zu fliehen, wenn die Anfangsgeschwindigkeit gr¨oßer als 11 Kilometer pro Sekunde ist, aber auf der Oberfl¨ ache eines Schwarzschildsterns m¨ ußte die Fluchtgeschwindigkeit gr¨ oßer als die Lichtgeschwindigkeit sein und eine solche Geschwindigkeit ist nicht m¨ oglich. Der kritische Radius heißt Schwarzschildradius und das gef¨ahrliche Gebiet rund um den Stern wird als Ereignishorizont bezeichnet. Vom Inneren des Ereignishorizonts sickert keinerlei Information in die Außenwelt durch. Weil nicht einmal das Licht von dort nach außen gelangt, pr¨agte sp¨ater John Wheeler, der ber¨ uhmte Relativit¨atstheoretiker, den ins Schwarze treffenden Begriff Schwarzes Loch“. ” Die Erdkugel w¨ urde zu einem Schwarzen Loch, wenn man sie auf eine Gr¨oße zusammenpressen w¨ urde, die kleiner als eine Tomate ist. Im Raum g¨abe es dann einen vollkommen dunklen Punkt von der Gr¨oße einer Tomate. Die Sonne h¨atte ihrerseits als Schwarzes Loch einen Durchmesser von sechs Kilometern. Ein Schwarzes Loch ist ein extremes Beispiel f¨ ur die von der Relativit¨atstheorie vorhergesagte Gravitationsrotverschiebung. Je n¨aher sich das in Bewegung setzende Licht am Ereignishorizont befindet, desto gr¨oßer wird seine Wellenl¨ange. Die Wellenl¨ ange des vom Horizont ausgehenden Lichtes dehnt sich ins Unendliche aus. So etwas ist gar keine Welle mehr und auch die Energie geht gegen Null, so daß die Strahlung aufh¨ort, eine Strahlung zu sein. Wie nahe wir auch dem Horizont w¨ aren, wir w¨ urden weder die Fl¨ache noch die Innenseite des Horizonts sehen.
11.2 Wie entsteht ein Schwarzes Loch?
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11.1 Ein Schwarzes Loch h¨ alt die Uhren an W¨ urden wir eine Uhr beobachten, die sich dem Ereignishorizont n¨ahert, dann w¨ urden wir feststellen, daß sie immer langsamer geht und am Horizont vollst¨andig anh¨alt. Ein außenstehender Beobachter w¨ urde demnach sehen, daß sich die Geschwindigkeit des Weltraumtouristen, der sich dem Schwarzen Loch n¨ahert, verlangsamt, aber er w¨ urde den auf dem Horizont stehenden Touristen nicht sehen, weil das von diesem abgestrahlte Licht verschwinden w¨ urde. Unser Weltraumtourist hingegen w¨ urde durchaus nicht empfinden, daß seine Reise am Horizont unterbrochen wird – vielmehr w¨ urde er Schwarzschilds Begr¨ ußungsschild Herzlich willkommen im Schwarzen Loch“ mit vollem Zahn ” passieren. Der Lauf der Zeit ist relativ und sein Sekundenaufenthalt am Horizont entspricht unserer Ewigkeit. F¨ ur den fahrenden Raumritter w¨ urde es sich lohnen, seine SMS-Nachrichten vor dem Passieren des Schildes abzusenden, weil sie aus dem Inneren des Ereignishorizonts nicht nach außen gelangen w¨ urden. Wenn jemand fragt, wie man denn die Zeit anhalten k¨onne, dann kennen wir also mindestens eine Antwort: indem man als Raum- und Traumtourist an den Horizont eines Schwarzen Loches verreist, ohne unterwegs zu vereisen. M¨ochten wir herausfinden, wie die Welt zum Beispiel in zehntausend Jahren aussieht, dann k¨ onnten wir versuchen, f¨ ur uns einen Aufenthalt in der N¨ahe und auf der sicheren Seite des Horizonts eines Schwarzen Loches zu arrangieren, dort ein paar Wochen Urlaub machen und dann zu unserem Planeten zur¨ uckkehren. Ein paar Wochen dort w¨ urden Tausenden von Jahren hier entsprechen. In der N¨ ahe des Ereignishorizonts w¨ urde die Welt sehr viel anders aussehen, als wir es hier gewohnt sind. Das starke Schwerefeld macht diese Gegend zu einer fremdartigen und u ¨berraschenden Welt. Dort k¨onnten wir auch m¨ uhelos u ufen, ob die Haare hinten ordentlich liegen, ¨berpr¨ denn die Raumkr¨ ummung l¨ aßt die Lichtstrahlen rund um den Horizont kreisen und wir k¨onnen deswegen unseren eigenen R¨ ucken ohne Spiegel sehen. Naja, das war eine etwas gesch¨ onte Beschreibung eines Schwarzen Loches als Touristenattraktion. In Wahrheit w¨ urden unserem Weltraumtraumtouristen im starken Schwerefeld einige Dinge buchst¨ ablich sehr schwer fallen und der extrem gekr¨ ummte Raum w¨ urde sich verheerend auf ihn auswirken.
11.2 Wie entsteht ein Schwarzes Loch? Die Schwarzen L¨ocher erfreuten sich nach ihrer Entdeckung zun¨achst keines u ur wichti¨berm¨aßig starken Interesses. Auch Einstein hielt andere Themen f¨ ger und u ocher ihrem Schicksal. Arthur Eddington (1882–1944), ¨berließ die L¨ der mit seinen Messungen die Lichtablenkung nachgewiesen hatte, war der eifrigste F¨ ursprecher und auch ein guter Kenner der Allgemeinen Relativit¨atstheorie. In den 1920er Jahren konzentrierte er sich in seinen popul¨arwissenschaftlichen Schriften auf Horrorgeschichten rund“ um die Schwarzen L¨ocher. ”
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11 Schwarze L¨ ocher
¨ Uber diese L¨ocher ließen sich wirklich spannendere Storys erz¨ahlen als u ¨ber das Ungeheuer von Loch Ness. Unter den Astronomen flammte in den 1930er Jahren das Interesse an den Schwarzen L¨ ochern auf und das veranlaßte Einstein, auf die Schwarzen L¨ocher zur¨ uckzukommen. Er ver¨ offentlichte 1939 eine Arbeit, in der er seiner Meinung nach bewiesen hatte, warum die Schwarzschildsingularit¨aten“ (das ” heißt, die Schwarzen L¨ ocher) in der realen Welt nicht existieren. Einstein betrachtete eine Gruppe von Elementarteilchen, die durch die zwischen den Teilchen wirkende Schwerkraft zusammengehalten werden. Die Teilchen kreisen um einen gemeinsamen Mittelpunkt, so wie die Planeten um die Sonne kreisen. Einstein u ¨berlegte, was geschieht, wenn so eine Teilchengruppe zusammenschrumpft. Nach den Gesetzen der Mechanik flitzen die Teilchen umso schneller, je kleiner das System ist – aus demselben Grund, aus dem sich die in der N¨ ahe der Sonne befindlichen Planeten schneller bewegen als diejenigen, die weiter von ihr entfernt sind. Einstein berechnete, daß sich die Teilchen bei einer Verkleinerung des Gruppenradius auf das Anderthalbfache der Gr¨oße des Schwarzschildradius bereits mit Lichtgeschwindigkeit bewegen m¨ ußten, so daß der ganze Teilchenball durch die Wirkung der Schwerkraft ¨ nicht kollabieren w¨ urde. Das bedeutete nach Einsteins Uberlegung, daß die Teilchengruppe nicht auf die Gr¨ oße der Schwarzschildsingularit¨at geschrumpft werden kann, das heißt, solche Dinge sind unm¨oglich. An Einsteins Berechnungen war nichts verkehrt, aber der gesunde Men” schenverstand“ hatte ihm einen Streich gespielt. Er dachte, daß ein Kollaps des Systems so oder so unm¨ oglich sei, denn in der Natur gibt es ja u ¨berall kleine Sonnensysteme, Atome zum Beispiel, die ihre Struktur beibehalten.
11.3 Sternenkollaps Zur gleichen Zeit als Einstein versuchte, eine der sonderbarsten, aber gleichzeitig auch eine der wichtigsten Vorhersagen seiner Allgemeinen Relativit¨atstheorie als falsch nachzuweisen, zeigten andere Forscher, daß die Schwarzen L¨ocher sehr wohl zur Realit¨ at der Sternenwelt geh¨ oren k¨onnten. Diese Geschichte beginnt mit dem aus Indien stammenden neunzehnj¨ahrigen angehenden Physiker Subrahmanyan Chandrasekhar (1910–1995), der auf einem Ozeandampfer von Madras, dem heutigen Chennai, nach Southampton in England reiste und die Zulassung zu einem Postgraduiertenstudium an der Universit¨at Cambridge in der Tasche hatte. Er hatte die Hetzerei des Studiums und den Pr¨ ufungszirkus hinter sich und konnte sich endlich in Ruhe in eine Frage vertiefen, die ihm im Kopf herumging, seit er Arthur Eddingtons faszinierendes Buch The Internal Constitution of the Stars gelesen hatte. Eddington dachte in seinem Buch u ¨ber das Problem der ¨außerst dichten Weißen Zwerge nach: zum Beispiel besteht der Weiße Zwerg Sirius B (der Begleiter des bekannten Sterns Sirius) aus einer zehntausendmal dichteren
11.3 Sternenkollaps
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Materie als ein gew¨ ohnlicher Stein, aber irgendeine Kraft hindert die Schwerkraft daran, das Objekt kollabieren zu lassen. Eddington konnte nicht sagen, was da vor sich geht, aber 1926 fand ein zweiter Engl¨ander, Ralph Fowler, eine Erkl¨arung mit Hilfe der Quantenmechanik. Der Grund ist das Abson” derungsverlangen“ der Elektronen. Die Elektronen sind Fermionen, und wie Fermi und Dirac feststellten, meiden die Fermionen einander – im Unterschied zu den Bosonen, die sich einander aufdr¨ angen. Wenn ein Stern schrumpft, geraten die Elektronen in einen dichteren Zustand und fangen an, sich schneller zu bewegen, um die Unruhestifter fern zu halten. Dadurch erh¨oht sich der dem Schrumpfen entgegengesetzte Druck und der Stern erreicht einen Gleichgewichtszustand – aus ihm wird ein Weißer Zwerg. Das Abk¨ uhlen des Sterns reduziert den durch die Bewegung der Elektronen verursachten Druck nicht, denn diese Bewegung ist nicht auf die W¨arme zur¨ uckzuf¨ uhren, sondern es handelt sich um ein Ph¨anomen der Quantenwelt. Der Franzose Louis de Broglie (1892–1987) ¨ außerte in seiner 1924 erschienenen Doktorarbeit Recherches sur la th´eorie des quanta (Untersuchungen u ¨ber die Quantentheorie) eine mutige Behauptung: die Elektronen und andere Elementarteilchen haben wellenartige Eigenschaften. Das war ein Gegenzug“ zur ” Einsteinschen Lichtquantenhypothese, das heißt, zur Korpuskulareigenschaft der elektromagnetischen Wellen. Nach de Broglie ist die L¨ange der Welle, die ein Teilchen beschreibt, umso kleiner, je gr¨ oßer die Energie des Teilchens ist. Ger¨at ein Elektron in dem sich zusammenballenden Stern immer mehr in die Enge, dann muß sich seine Wellenl¨ ange immer mehr verk¨ urzen, damit die Welle u ugung stehenden Raum hat. Die Energie ¨berhaupt Platz in dem zur Verf¨ des Elektrons nimmt also zu und seine Bewegung wird lebhafter. Prince Louis-Victor de Broglie – so lautete sein vollst¨andiger Name – kam aus einer aristokratischen Familie von ber¨ uhmten Diplomaten und Offizieren. Er brach mit der ruhmreichen Tradition der Familie und wurde Physiker wie sein ¨alterer Bruder Maurice. Louis verbrachte die langen Jahre des Ersten Weltkriegs in der funktelegraphischen Station des Eiffelturms und dort begann er in Zeiten der Unt¨ atigkeit, sich immer h¨aufiger mit Fragen der modernen Physik zu besch¨ aftigen. Seine einzige wissenschaftliche Arbeit von großer Bedeutung war seine Dissertation, in der er die Materiewellenhypothese formulierte. Diese Arbeit brachte ihm 1929 den Physiknobelpreis1 ein, nachdem die Welleneigenschaften der Elektronen bei der Diffraktion an Kristallen experimentell best¨ atigt worden waren. Auf ein Nickelkristall wurden Elektronenstrahlen geschossen, und nachdem man die Elektronenstreuung in verschiedenen Richtungen gemessen hatte, stellte man fest, daß an bestimmten Ecken mehr Elektronen ankommen als anderswo. Der Effekt entsteht dadurch, daß sich die an unterschiedlichen Kristallschichten gestreuten Elektronen an manchen Stellen verst¨ arken, an anderen Stellen hingegen abschw¨achen, genau 1
Der hochadlige Prince Louis-Victor de Broglie wurde dadurch zur Kultfigur der franz¨ osischen Physik, zum Prinzen der Wissenschaft und des Denkens“ (prince ” de la science et de la pens´ee).
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11 Schwarze L¨ ocher
so, wie im Fall der Lichtwellen. Die Beobachtungen entsprachen der Materiewellenhypothese von Louis de Broglie und so erhielt er eine Einladung nach Stockholm. ¨ Ubrigens hatte Louis de Broglie, der siebente Prince de Broglie, auch eine Verbindung zu Finnland. Zu seinen Vorfahren geh¨orte ein Mann namens Kurki aus dem Landgut Laukko! Gr¨ abt man in de Broglies Stammbaum hinreichend tief, dann begegnet man einem gewissen Jeppe Kurki, einem Großvater des Bischofs Arvid Kurki, der im 15. Jahrhundert als Herr des Landgutes von Laukko und als Richter t¨ atig war. Da Finnland vorl¨aufig noch keinen eigenen Physiknobelpreistr¨ ager hat, lohnt es sich vielleicht, dieses von Genealogen ausgegrabene Trivialwissen zu erw¨ ahnen.
11.4 Eine Idee auf dem Indischen Ozean Bei der Schiffsreise von Madras nach Southampton dachte Chandrasekhar u ur das Gleichgewicht eines Weißen Zwergs ¨ber die Erkl¨arung nach, die Fowler f¨ gegeben hatte. Er berechnete, wie hoch die Geschwindigkeit der Elektronen im dichten Mittelpunkt von Sirius B sein muß, damit das Gleichgewicht erhalten bleibt. Das Ergebnis war 57% der Lichtgeschwindigkeit. Bei einem gr¨oßeren Stern muß die Geschwindigkeit offensichtlich noch h¨oher sein, weil dort der durch die Schwerkraft erzeugte Druck gr¨ oßer ist. Chandrasekhar stellte fest, daß in Situationen dieser Art die Effekte der Relativit¨atstheorie signifikant werden. N¨ahert sich die Geschwindigkeit eines Elektrons der Lichtgeschwindigkeit, dann wird seine Beschleunigung auf noch h¨ohere Geschwindigkeiten immer geringer. In irgendeiner Phase kommt eine Grenze, bei welcher der Anstieg des Druckes der Elektronen nicht schnell genug erfolgt, um den Kollaps des Sterns aufzuhalten. Chandrasekhar berechnete auf der Grundlage seiner d¨ urftigen Informationen, daß dieser Vorgang dann stattfindet, wenn die Masse des kollabierenden Sterns gr¨ oßer ist als 1,4 Sonnenmassen. In Southampton reichte Chandrasekhar den Artikel, den er an Bord des Schiffes u ¨ber die Massengrenze geschrieben hatte, an Fowler weiter. Fowler sollte die Arbeit u ufen, damit Chandrasekhar sie im Philosophical Ma¨berpr¨ gazine zur Ver¨offentlichung einreichen k¨ onne. Fowler saß monatelang u ¨ber der Ver¨offentlichung und ger¨ uchteweise war zu h¨ oren, daß er Chandrasekhars Beweis nicht verstanden habe. Chandrasekhar war des Wartens u ussig und ¨ berdr¨ sandte das Manuskript an das amerikanische Astrophysical Journal. Der Redakteur der Zeitschrift glaubte zun¨ achst das Ergebnis nicht, aber als Chandrasekhar ihm eine genauere Berechnung lieferte, wurde die Arbeit endlich zur Ver¨offentlichung angenommen – mehr als ein Jahr nach ihrer Fertigstellung. Die Wissenschaftler begr¨ ußten die Ver¨ offentlichung mit tiefem Schweigen. Man glaubte nicht an Chandrasekhars Massengrenze. Chandrasekhar wurde darauf aufmerksam gemacht, daß sich vielleicht der Nachweis lohne, daß ein am Himmel sichtbarer Weißer Zwerg weniger als 1,4 Sonnenmassen hat. Chandrasekhar machte sich an die Arbeit und leitete eine mathematische
11.4 Eine Idee auf dem Indischen Ozean
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Gleichung ab, mit deren Hilfe man die innere Struktur eines Weißen Zwergs berechnen konnte. Die Gleichung war jedoch so kompliziert, daß man nicht hoffen konnte, sie mit Bleistift und Papier zu l¨osen. F¨ ur die L¨osung war ein Computer erforderlich. Die Computer waren in dieser Zeit sehr primitiv, sie waren eine Rarit¨at und ihre Effektivit¨ at entsprach den heutigen billigen Taschenrechnern. Eddington besaß zuf¨alligerweise einen Braunschweiger“, das heißt, eine mecha” nische Brunsviga-Rechenmaschine, die er Chandrasekhar lieh. Auch mit dieser Maschine war die Berechnung ¨ außerst m¨ uhsam. Eddington verfolgte t¨aglich den Fortgang der Arbeiten und ermutigte Chandrasekhar. Nach Abschluß der Berechnungen stellte sich heraus, daß Chandrasekhar Recht hatte: die Radien und die Massen der am Himmel sichtbaren Weißen Zwerge verhielten sich zueinander genau so, wie seine Theorie vorhergesagt hatte. Chandrasekhar meldete sich als Vortragender auf der Versammlung der ¨ Royal Astronomical Society im September 1935 an. Zu seiner Uberraschung stellte er fest, daß im Programm nach seinem Vortrag ein Vortrag Eddingtons ¨ zum gleichen Thema angek¨ undigt war. Das war eine unangenehme Uberraschung f¨ ur Chandra, weil Eddington mit keinem einzigen Wort angedeutet hatte, daß er sich mit derselben Frage befaßte. Eddington hatte auch im Voraus nicht verraten, was er in seinem Vortrag behandeln wollte. Eddington legte sich mit all seiner wohlbekannten Eloquenz ins Zeug und verriß Chandrasekhars Ergebnisse vollst¨ andig. Eddington meinte, man k¨onne Chandrasekhars Ergebnissen nicht vertrauen, weil dieser die Quantenmechanik und die Relativit¨ atstheorie auf zweifelhafte Weise miteinander gekoppelt habe. Viele der Anwesenden stimmten im Stillen Chandrasekhar zu, wagten aber nicht, ihre Stimme gegen Eddington zu erheben. Eddington war auf dem Gipfel seines Ruhmes und hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, kraft seiner Autorit¨at andere Astrophysiker zu kritisieren. Er war bereits auf dem Weg zum Gr¨oßenwahn, die sp¨ ater in seiner allumfassenden Theorie“ und in seiner ” Vorhersage der Anzahl der im Universum vorhandenen Elektronen und Protonen gipfelte. Laut Eddington gibt es von beiden genau 15 747 724 136 275 002 577 605 653 961 181 555 468 044 717 914 527 116 709 366 231 425 076 185 631 031 296 296 St¨ uck. Chandrasekhar wußte, daß er gegen Windm¨ uhlen k¨ampfte und richtete seine Interessen auf andere Dinge. Die Zeit zeigte jedoch, daß Chandrasekhar Recht und Eddington Unrecht hatte. Chandrasekhar erhielt 1983 den Nobelpreis, nachdem er vierundf¨ unfzig Jahre darauf gewartet hatte. Es war die Erf¨ ullung eines seiner Jugendtr¨ aume. Sein Onkel Chandrasekhara Venkata Raman hatte 1930 den Nobelpreis f¨ ur Physik erhalten, und Chandra hatte gehofft, dasselbe zu erreichen.
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11 Schwarze L¨ ocher
11.5 Vom strahlenden Stern zum Schwarzen Loch Ist die Masse eines Sterns mehr als 1,4-mal gr¨oßer als die Sonnenmasse, dann kann der Druck der Elektronen den Sternenkollaps nicht aufhalten. Der Kollabierungsvorgang setzt sich so lange fort, bis das Zentrum des Sterns genauso dicht wird, wie ein Atomkern. In dieser Phase entweicht ein großer Teil der Sternenmaterie in den Raum und es bleibt nur ein aus Neutronen bestehender Teil des Kerns u ¨brig, ein sogenannter Neutronenstern. Das war die Erkl¨arung, die der in den Vereingten Staaten lebende Schweizer Physiker und Astronom Fritz Zwicky (1898–1974) f¨ ur die Entstehung einer Supernova gegeben hatte. Zwicky war ein ideenreicher Mann, der jedoch mit seiner lautstarken Gesch¨aftigkeit und seinem aggressiven Auftreten viele ver¨argerte. Er hielt sich selbst f¨ ur ein außergew¨ ohnliches Talent. Seiner Meinung nach hatte er Recht, die anderen Unrecht. Viele der wilden Ideen Zwickys haben sich sp¨ater als richtig erwiesen, wie zum Beispiel seine Erkl¨ arung f¨ ur die Supernovae. Er war auch der Erste, der den Begriff der dunklen Materie verwendete. Laut Zwicky muß es in einigen Galaxiengruppen zus¨ atzlich zu der in den Teleskopen sichtbaren leuchtenden Materie ein Vielfaches an unsichtbarer Materie geben, weil andernfalls die sich schnell bewegenden Galaxien bereits vor langer Zeit auf ihren eigenen Fluchtwegen ausgeb¨ uxt w¨ aren. Dunkle Materie ist etwas sehr Seri¨oses und eines der wichtigsten Forschungsthemen der gegenw¨artigen Kosmologie. Aber zu seiner Zeit wurde Zwicky nicht ernst genommen und so erwachte das Interesse an Neutronensternen erst, nachdem der russische Physiker Lew Landau (1908–1968) seine diesbez¨ uglichen Forschungsarbeiten ver¨offentlicht hatte. Landau war ein hochgeachtetes Physikgenie und alle, die ihn trafen und seine Untersuchungen kannten, sch¨ atzten ihn als einen außergew¨ohnlich scharfsinnigen Wissenschaftler. Landau begann seine Forschungen u ¨ ber Neutronensterne in einer verzweifelten seelischen Verfassung und er verfolgte damit nicht nur wissenschaftliche Absichten. Landau sp¨ urte, wie sich um ihn die Schlinge des gegen die Intelligenz gerichteten stalinistischen Terrors zusammenzog, da er keine saubere“ Vergangenheit hatte. Er verbrachte n¨amlich in ” den Jahren 1929–30 einen achtzehnmonatigen Forschungsaufenthalt in Westeuropa und war in Deutschland, D¨ anemark, England, in der Schweiz, in Belgien und in Holland. Das wurde als konterrevolution¨are Aktivit¨at interpretiert. Landau hoffte, daß ihm die Neutronensternforschung internationales Ansehen einbringen w¨ urde und ihm auch in seiner Heimat zu einer so gesch¨atzten Position verhelfen w¨ urde, daß man seine Freiheit nicht antasten w¨ urde. Man nahm Landaus Forschungsarbeit zur Kenntnis und er bekam auch ¨ die Offentlichkeit, die er herbeigesehnt hatte, aber es half nichts. An einem fr¨ uhen Aprilmorgen des Jahres 1938 klopfte es an seiner T¨ ur, er wurde zu Verh¨oren fortgeschafft und kam f¨ ur ein Jahr ins Gef¨angnis. Man befand, daß er ein Spion der Deutschen sei. Pjotr Kapiza, ein anderer ber¨ uhmter Physiker, rettete Landau durch seine mutigen Eingaben vor dem wahrscheinlichen Tod. Dank dieser Petitionen wurde Landau aus der Gefangenschaft entlassen, bevor
11.5 Vom strahlenden Stern zum Schwarzen Loch
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die dadurch verursachten mentalen und physischen Leiden u ¨berhand nahmen. Landau u ¨berlebte die Gefangenschaft um Haaresbreite, kam aber wieder auf die Beine und setzte seine großartige Laufbahn fort. Sp¨ater gab er eine theoretische Erkl¨arung f¨ ur die Superfluidit¨ at von Helium und erhielt 1962 den Nobelpreis f¨ ur Physik f¨ ur seine bahnbrechenden Theorien der kondensierten Materie, insbesondere des fl¨ ussigen Heliums. Kapiza hatte in seinem Gesuch angemerkt, daß Landau der einzige Wissenschaftler sei, der imstande ist, dieses schwierige Problem zu l¨ osen. Landaus Forschungsarbeiten u ¨ber Neutronensterne fielen dem Amerikaner Robert Oppenheimer (1904–1967) auf. Landau hatte behauptet, daß es auch im Zentrum der Sonne einen aus Neutronen bestehenden Kern geben k¨onne, aber Oppenheimer zeigte zusammen mit seinem Sch¨ uler Robert Serber, daß Landau die zwischen den Neutronen herrschende Kernkraft nicht ber¨ ucksichtigt hatte. Aufgrund dieser Kernkraft ist es nicht m¨oglich, daß im Zentrum der Sonne auf dem von Landau dargestellten Weg ein Neutronenkern entsteht. Landaus Idee war, daß der Neutronenkern erkl¨aren k¨onnte, warum die Sonne seit Milliarden von Jahren scheint und Energie in den Raum abgibt. W¨ urde es sich nur um die Abk¨ uhlung eines heißen Gasballes handeln, dann k¨onnte die Sonne nur einige Dutzend Millionen, nicht aber Milliarden von Jahren existieren. Landau nahm an, daß die in den Neutronenkern st¨ urzenden Atome extrem viel kinetische Energie bekommen w¨ urden, und daß das die Ursache f¨ ur die von der Sonne abgestrahlte Energie sei. Eddington und einige andere hatten bereits in den 1920er Jahren eine andere Erkl¨arung angeboten, n¨amlich Kernreaktionen im Inneren der Sonne, aber es war damals noch nicht m¨oglich gewesen, diese Erkl¨ arung theoretisch zu begr¨ unden. Der Deutsche Hans Bethe (1907–2005) lieferte 1938 die Begr¨ undung. Er gab den Zyklus der Kernreaktionen an, mit deren Hilfe innerhalb des Sterns die Fusion von Wasserstoff zu Helium stattfindet und er berechnete die Menge der freigesetzten Energie. Das ist die richtige Erkl¨ arung f¨ ur den Energieerzeugungsprozeß in Sternen von der Gr¨oßenklasse der Sonne. In gr¨ oßeren und heißeren Sternen wird die Energie auf andere Weise erzeugt, n¨ amlich durch den sogenannten Kohlenstoff-Stickstoffur die Entdeckung dieser Sauerstoff-Zyklus. Bethe erhielt 1967 den Nobelpreis f¨ Reaktionsketten. Zusammen mit George Wolkow, einem weiteren seiner Sch¨ uler, zeigte Oppenheimer 1939, daß die Gr¨ oße eines Neutronensterns zwangsl¨aufig auch eine obere Grenze hat. Ein Neutronenstern kann nicht mehr als ungef¨ahr zwanzig Sonnen wiegen. Oppenheimer untersuchte mit Hartland Snyder, einem anderen seiner Sch¨ uler, was mit Sternen geschieht, die diese Obergrenze u ¨berschreiten. Sie zeigten, daß ein kugelf¨ ormiger Stern in diesem Fall st¨andig weiter kollabiert. Oppenheimer wagte nicht, seine Gleichungen u ¨ber den Schwarzschildradius hinaus zu interpretieren, aber man kann aus ihnen ablesen, daß alle Materie schließlich in einer extrem kleinen und extrem dichten Singularit¨at endet.
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11 Schwarze L¨ ocher
Die Ergebnisse Oppenheimers und Snyders fanden keinen großen Widerhall. Einsteins Erkl¨ arung, gem¨ aß der kein Kollaps stattfinden k¨onne, erregte viel mehr Aufmerksamkeit, denn Einstein war Einstein. Und bald mußten alle an andere Dinge denken: der Krieg begann am 1. September 1939, am gleichen Tag, als der Artikel von Oppenheimer und Snyder in der Zeitschrift Physical Review ver¨offentlicht wurde. Der Krieg brachte Oppenheimer als wissenschaftlichen Leiter an die Spitze des Manhattan-Projekts zum Bau der Atombombe. Nach dem Krieg kam man allm¨ ahlich auf das Thema zur¨ uck. John Wheeler versuchte, die Ereignisse der letzten Momente des Kollapses zu ergr¨ unden und Roger Penrose zeigte, daß eine Singularit¨ at im Endergebnis kollabierender Systeme beliebiger Gestalt entsteht, das heißt, nicht nur im Falle vollkommen symmetrischer Systeme, wie einige Forscher behauptet hatten. Interessant war auch Stephen Hawkings Entdeckung im Jahr 1974, daß Schwarze L¨ocher strahlen. Das ist ein quantenphysikalisches Ph¨ anomen, das in Einsteins Allgemeiner Relativit¨atstheorie unbekannt ist.
11.6 Wie kann man ein Schwarzes Loch sehen? In der Astronomie begann in den 1960er Jahren ein neues Zeitalter, als man anfing, die kosmische R¨ ontgenstrahlung zu untersuchen. Die R¨ontgenstrahler wurden durch Zufall gefunden. Der in den Vereinigten Staaten arbeitende Italiener Riccardo Giacconi (geb. 1931) erhielt Anfang der 1960er Jahre die Aufgabe, ein Ger¨ at zu entwickeln, das sich in Raketen und Satelliten installieren l¨aßt und von dort die R¨ ontgenstrahlung mißt, die bei Testexplosionen von Atombomben entsteht. Als Giacconi beim Testen des Ger¨ ats die vom Mond abgegebene Strahlung messen wollte, maß er stattdessen die vom Sternbild des Skorpions kommende R¨ontgenstrahlung. Die St¨ arke des Signals war u ¨ berraschend, weil sie f¨ unftausendmal gr¨ oßer war als die Sch¨ atzwerte, die von den Wissenschaftlern angegeben worden waren. Der erste eigentliche R¨ontgensatellit wurde 1970 von der K¨ uste Kenias in den Weltraum gestartet. Der Satellit wurde am siebenten Jahrestag der Unabh¨ angigkeit Kenias gestartet und erhielt zu Ehren des Jubil¨aums den Namen Uhuru, Freiheit. Die Gruppe von Giacconi sandte 1978 den Einstein in den Raum, ein viel genaueres Ger¨at, das erste wirkliche R¨ontgenteleskop. Mit diesen Ger¨ aten gewann man riesige Mengen exakter Informationen u ber die R¨ o ntgenstrahler des Weltraums. F¨ ur die Entdeckung von ¨ kosmischen R¨ontgenquellen erhielt Giacconi den Physiknobelpreis des Jahres 2002. Aus den Messungen geht hervor, daß es am Himmel viele punktf¨ormige Objekte gibt, die eine starke R¨ ontgenstrahlung aussenden. Viele dieser Objekte haben sich als Doppelsternsysteme erwiesen, die aus einem deutlich sichtbaren Stern und aus einem unsichtbaren sehr kompakten Begleitstern bestehen. Doppelsternsysteme sind nicht selten, im Gegenteil: ungef¨ahr die H¨alfte der Sterne lebt in einer solchen Paarbeziehung. Die R¨ontgenstrahlung
11.6 Wie kann man ein Schwarzes Loch sehen?
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entsteht, wenn stark erhitztes Gas vom sichtbaren Stern zum unsichtbaren Begleiter str¨omt. Das geschieht, wenn der sichtbare Stern so groß ist, daß er sich bis zum sogenannten ersten Lagrange-Punkt erstreckt, das heißt, bis zu dem Punkt zwischen den Sternen, in dem beide Sterne dieselbe Anziehungskraft haben. In einem Doppelsternsystem kann der unsichtbare kompakte Partner ein Neutronenstern sein, aber es kann sich auch um ein Schwarzes Loch handeln. Sowohl die Neutronensterne als auch die Ereignishorizonte Schwarzer L¨ocher sind klein, ihr Durchmesser betr¨ agt typischerweise 10 bis 100 Kilometer. Deswegen gelangt das str¨ omende Gas in ein sehr starkes Gravitationsfeld, in dem es eine hohe kinetische Energie erh¨alt. Die Temperatur des Gases steigt auf Hunderte von Millionen Grad. Ein solches Gas emittiert viele R¨ontgenstrahlen. Bei gew¨ ohnlichen Sternen trifft man die Sternenoberfl¨ache viel fr¨ uher an, so daß man in der Umgebung dieser Sterne keine derartigen Effekte beobachtet. Doppelsterne umkreisen einander und deswegen dreht sich auch das Gas, das sich von einem Stern zum anderen bewegt. Aus diesem Grund st¨ urzt das Gas nicht direkt auf den kompakten Stern, sondern umkreist diesen weiter in Form eines Ringes. Aufgrund der Reibungseffekte verliert ein Teil des Gases seine Energie im Ring, kommt dem kompakten Stern immer n¨aher und st¨ urzt schließlich in den Neutronenstern oder in das Schwarze Loch hinein. In unserer Milchstraße gibt es ungef¨ ahr hundert Milliarden Sterne. Nach einer vorsichtigen Sch¨ atzung sind einige Millionen dieser Sterne Schwarze ¨ L¨ocher. Uber ungef¨ ahr zwanzig Schwarze L¨ ocher gibt es sichere Beobachtungen und man hat Hunderte von aussichtsreichen Kandidaten gefunden. Der erste Kandidat f¨ ur ein Schwarzes Loch war die starke R¨ontgenquelle Cygnus X-1, die im Sternbild des Schwans beobachtet wurde. Als Problem erwies sich die Kl¨arung dessen, ob der Begleitstern wirklich ein Schwarzes Loch oder ein Neutronenstern ist. Hierf¨ ur gab es ein Verfahren: Ist der Begleitstern etwas schwerer als einige Sonnen, dann ist er vermutlich ein Schwarzes Loch, weil Neutronensterne nicht so schwer sein k¨ onnen. Die Gr¨oße der Masse l¨aßt sich anhand der Bewegung des sichtbaren Sterns absch¨atzen. Als Ergebnis erhielt man 10-15 Sonnenmassen und das ist deutlich mehr als die gesch¨atzte Maximalgr¨oße der Neutronensterne. Somit war Cygnus X-1 ein zu ber¨ ucksichtigender Kandidat f¨ ur ein Schwarzes Loch. Bei vielen Kandidaten, die sp¨ ater gefunden wurden, war es leichter als bei Cygnus X-1, die Masse des sichtbaren Sterns zu sch¨atzen. Diese Kandidaten k¨onnen mit gr¨ oßerer Sicherheit als Schwarze L¨ocher identifiziert werden. Besonders vorteilhaft vom Standpunkt der Beobachtungen sind Doppelsternsysteme, bei denen der sichtbare Stern leichter als der unsichtbare ist. Bei diesen Doppelsternsystemen wird die R¨ ontgenstrahlung nur hin und wieder emittiert, und w¨ahrend der ruhigen Zeiten k¨onnen genaue optische Beobachtungen vom sichtbaren Stern gemacht werden. Auf der Grundlage dieser Beobachtungen kann man die Masse des unsichtbaren Partners zuverl¨assig
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11 Schwarze L¨ ocher
bestimmen und schlußfolgern, ob es sich um einen Neutronenstern oder um ein Schwarzes Loch handelt. Interessante potentielle Schwarze L¨ ocher sind die sogenannten Mikroquasare. Das sind massive stellare Objekte, die heftig rotieren und ihre Rotationsenergie abgeben, indem sie einen Teil des vom Nachbarstern kommenden Gasjets in Partikelschauern in Richtung der Rotationsachse schießen, wobei die Teilchen nahezu Lichtgeschwindigkeit erreichen. Die Partikelschauer lassen sich mit Hilfe der von ihnen ausgesandten Radio- und Infrarotstrahlung beobachten. Das ber¨ uhmteste dieser Objekte ist ein Doppelsternsystem mit dem Codenamen GRS 1915+105. Die Gr¨ oße des Schwarzen Loches wird auf 1018 Sonnenmassen gesch¨ atzt und es befindet sich in einer Entfernung von nur 40 000 Lichtjahren von uns. Dort entladen sich in jeder halben Stunde Materieschauer in den Raum und anschließend sinkt die emittierte R¨ontgenstrahlung auf dramatische Weise f¨ ur die Zeit von ein paar Minuten. Das Doppelsternsystem ist wie ein Geysir, ein Old Faithful2 des Universums. Im Großen und Ganzen bereitet dieser erste in der Milchstraße gefundene Mikroquasar den Forschern starke Kopfschmerzen, weil er viele sonderbare Eigenschaften hat.
11.7 Die Schwarzen Riesen der Galaxien Die Mikroquasare erhielten ihren Namen nach den Quasaren, die in den 1960er Jahren entdeckt wurden. Mit Hilfe von Radioteleskopen fand man am Himmel eigenartige punktf¨ ormige Objekte, deren Eigenschaften die Forscher in Erstaunen versetzten. Die von diesen Objekten kommenden Spektrallinien des Lichtes schienen keinen Sinn zu ergeben, weil sie den bekannten Spektren gew¨ohnlicher Sterne nicht ¨ ahnelten. Das R¨ atsel wurde von dem niederl¨andischen Astronomen Maarten Schmidt gel¨ ost, der am California Institute of Technology (Caltech) arbeitete und in einem von ihm gemessenen Spektrum (Objekt 3C273) die am besten bekannten Spektrallinien identifizierte, n¨amlich die Balmerserie des Wasserstoffs. Aber die Linien befanden sich an der falschen Stelle: sie hatten sich um 16% von ihrem bekannten Platz in Richtung gr¨oßerer Wellenl¨angen bewegt, das heißt, zum roten Ende des Spektrums. Schmidt eilte zum Institutsprofessor Jesse Greenstein, um ihm von seinem Fund zu berichten. Greenstein schaute sich sofort seine eigenen Messungen der Spektren des Objekts 3C48 an. Balmerlinien waren in diesen Spektren nicht zu sehen, aber Greenstein identifizierte die Linien von Magnesium, Sauerstoff und Neon, und alle diese Linien hatten sich systematisch um 37% in Richtung Rot verschoben. Er fand diese Linien, weil er sie jetzt am falschen Platz“ ” gesucht hatte. Die Rotverschiebungen der Spektren besagten, daß sich diese Objekte von uns wegbewegen, Objekt 3C273 mit 16% der Lichtgeschwindigkeit und Objekt 3C48 mit 37% der Lichtgeschwindigkeit. F¨ ur diese Bewegung gibt es keine 2
Old Faithful ist einer der bekanntesten Geysire der Erde. Er liegt im oberen Geysir-Becken des Yellowstone-Nationalparks.
11.7 Die Schwarzen Riesen der Galaxien
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andere Erkl¨arung als die Tatsache, daß sich die Objekte von uns aufgrund der Expansion des Universums entfernen. Aber das verwirrte die Forscher nur noch mehr als vorher. Die beobachteten Fluchtgeschwindigkeiten bedeuteten, daß die Objekte sehr weit weg sind, 3C273 in einer Entfernung von zwei Milliarden Lichtjahren und 3C48 in einer Entfernung von 4,5 Milliarden Lichtjahren. Weil wir sie nichtsdestoweniger sehen, m¨ ussen sie extrem hell sein, mindestens hundertmal so hell wie die hellsten bekannten Galaxien. Tats¨achlich war die Himmelsregion, in der sich 3C273 befindet, bereits tausende Male fotografiert worden, bevor man die von 3C273 emittierte R¨ontgenstrahlung beobachtete. Aus diesen Bildern ging hervor, daß sich die Helligkeit des Objekts sogar in kurzen Perioden von einem Monat ¨anderte. Das bedeutete, daß der Durchmesser von 3C273 nicht gr¨oßer sein konnte als ein Lichtmonat, weil es andernfalls nicht m¨ oglich gewesen w¨are, daß die verschiedenen Bestandteile des Objekts im gleichen Takt dunkler und heller werden (die Signale eines physikalischen Ph¨ anomens, das Helligkeitsschwankungen verursacht, k¨onnen sich nicht schneller als das Licht ausbreiten). Der Durchmesser von Galaxien betr¨ agt typischerweise einhunderttausend Lichtjahre, so daß 3C273 im Vergleich zu einer gew¨ ohnlichen Galaxie hundertmal mehr Strahlung in einem tausendmal kleineren Volumen aussendet. Es handelt sich um ein sehr dichtes gasf¨ ormiges Objekt, das seine Energie von einem riesigen Schwarzen Loch in seinem Zentrum erh¨ alt. Es gibt keine andere Erkl¨arung f¨ ur die Helligkeit des Objekts. Diese Objekte des Sternenhimmels heißen also Quasare. Der Amerikaner Edwin Salpeter und der Russe Jakow Zeldowitsch gaben 1964 den Funktionsmechanismus der Quasare an. Der Engl¨ ander Donald Lynden-Bell gab sp¨ater eine detailliertere Beschreibung. Die von den Quasaren abgegebene starke Strahlung ist auch auf ganz allt¨ agliche Dinge zur¨ uckzuf¨ uhren, zum Beispiel auf Reibungseffekte. Die Gaswolken rund um ein Schwarzes Loch stoßen zusammen, vereinigen sich und positionieren sich um das Loch herum zu einem scheibenf¨ormigen Gebilde, das als Akkretionsscheibe bezeichnet wird. Die benachbarten Gasschichten der Akkretionsscheibe reiben gegeneinander und das heizt die Scheibe auf eine Temperatur von Millionen Graden auf. Warum sammelt sich Gas in Form einer Scheibe rund um ein Schwarzes Loch? Das l¨aßt sich durch die Rotation des Schwarzen Loches erkl¨aren. In Dallas (Texas) fand 1963 eine gemeinsame Tagung von Relativit¨atstheoretikern und Astronomen statt, Hauptthema waren die Quasare. Zum Programm geh¨orte auch ein Vortrag des neuseel¨ andischen Mathematikers Roy Kerr, der u ocher sprach. Die Mehrzahl der Zuh¨orer setzte ¨ber die Rotation Schwarzer L¨ sich vor dem Vortrag des v¨ ollig unbekannten jungen Mannes aus dem Saal ab und viele derjenigen, die dort geblieben waren, fl¨ usterten mit ihren Nachbarn u osten einfach vor sich hin, weil sie wegen des anstren¨ber dies und das oder d¨ genden Tagungsprogramms geschlaucht waren. Es h¨atte sich jedoch gelohnt, Kerrs zehnmin¨ utigen Vortrag zu h¨ oren. Kerr war n¨amlich etwas gegl¨ uckt, mit dem viele andere Schiffbruch erlitten hatten: er hatte Einsteins Feldgleichungen f¨ ur einen rotierenden kugelf¨ ormigen Stern gel¨ost.
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11 Schwarze L¨ ocher
Laut Kerr ¨ahnelt ein rotierendes Schwarzes Loch einem Gyroskop. Die Richtung seiner Rotationsachse bleibt stets dieselbe und das f¨ uhrt auch dazu, daß der das Schwarze Loch umgebende Raum zu rotieren beginnt. Das wiederum h¨alt die in der N¨ ahe des Lochs befindliche Akkretionsscheibe dicht an der ¨ Aquatorebene des Schwarzen Loches. Dieses Mitrotieren des Raumes findet nicht nur bei Schwarzen L¨ ochern statt, sondern bei allen rotierenden Massen. Gem¨aß der Relativit¨ atstheorie ist der Raum kein teilnahmsloser Zuschauer der Naturereignisse, sondern nimmt aktiv an ihnen teil. Auch die Erdkugel zieht bei ihrer Rotation den umgebenden Raum mit sich. Der Raum folgt der Erde so, wie Teig einem R¨ uhrger¨at folgt. Ignazio Ciufolini und Erricos Pavlis wiesen dieses Ph¨ anomen 2004 nach, indem sie die Umlaufbahnen zweier kleiner Satelliten untersuchten. Die NASA hatte diese Bahnen sorgf¨altig mit Hilfe von Laserstrahlen vermessen. Die beiden Wissenschaftler stellten fest, daß sich die Bahnebenen der Satelliten einige Meter pro Jahr in Richtung der Erdrotation drehen, so wie es Einsteins Theorie vorhergesagt hatte. Die heftige Rotation des Schwarzen Loches f¨ uhrt auch dazu, daß das Loch einen in Richtung seiner Drehachse zeigenden Teilchenschauer abstrahlt, so wie ein Leuchtturm einen Lichtkegel. Dieser Teilchenschauer kann sich bis zu einer Entfernung von Millionen von Lichtjahren vom Loch erstrecken. Man vermutet, daß die ¨ außerst hochenergetischen kosmischen Strahlen, die auf die Erdatmosph¨are prallen, solche Schauer sind. Die ersten Beobachtungen dieser wahrscheinlich riesengroßen Schwarzen L¨ocher wurden bei Quasaren und bei anderen AGN, das heißt, bei aktiven Galaxienkernen3 , gemacht. Etwas u ¨berraschend war aber, daß man diese Schwarzen L¨ocher auch in ganz gew¨ ohnlichen und scheinbar friedfertigen Galaxien gefunden hat. Das n¨ achstgelegene derartige Schwarze Loch f¨ uhrt ein beschauliches Leben im Zentrum unserer eigenen Milchstraße. Die Existenz dieses Schwarzen Loches war infolge des Verhaltens der Sterne und Gaswolken in der N¨ahe des Zentrum der Milchstraße entdeckt worden. Die Gr¨oßenordnung unseres eigenen“ Schwarzen Loches betr¨ agt ungef¨ahr 3,7 Millionen Sonnen. ” Es ist mollig, aber keineswegs ein Ungeheuer, das s¨amtliche in seine N¨ahe kommende Materie verschlingt. Es handelt sich um einen eher weichherzigen und ern¨ahrungsbewußten Riesen, der sich an einen moderaten Speiseplan h¨alt. Gem¨aß einigen Sch¨ atzungen str¨ omt im Laufe eines Jahres h¨ochstens Materie von der Gr¨oßenordnung unseres Mondes in dieses Schwarze Loch und das ist u ¨berhaupt nichts. Die Umgebung des Loches ist ziemlich dunkel im Vergleich zu den Zentren einiger anderer Galaxien, bei denen die erhitzte Materie auf ihrem Weg ins Schwarze Loch sogar einhundertmillionen Mal mehr Strahlung abgeben kann als die Strahlungsmenge, die vom Zentrum unserer Milchstraße ausgeht. Mit dem Schwarzen Loch der Milchstraße h¨angt auch ein anderes Mysterium zusammen: in seiner Nachbarschaft wurden junge Sterne beobachtet, 3
AGN, Active Galactic Nuclei.
11.7 Die Schwarzen Riesen der Galaxien
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obwohl die vom Schwarzen Loch verursachte Gravitation die Akkumulation von Gas zu Sternen unm¨ oglich machen m¨ ußte. Es wird vermutet, daß diese Sterne irgendwo weiter weg entstehen, und daß sie von einem kleineren Schwarzen Loch in die N¨ ahe des großen Schwarzen Loches bef¨ordert wurden. Man nimmt an, daß es in jenen Winkeln des Universums mehrere zehntausend kleinere Schwarze L¨ ocher von Sternengr¨ oße gibt. Wie mag wohl das soziale Verhalten der Schwarzen L¨ ocher aussehen, das sich hinter ihrem beschaulichen Dasein verbirgt?
12 Schwingender Raum
Die Allgemeine Relativit¨atstheorie sagt vorher, daß der Raum schwingt. Die Massenbewegungen erzeugen Gravitationswellen, die sich im Raum mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Zur Messung von Gravitationswellen werden Hochpr¨ azisionsanlagen eingesetzt, aber bis jetzt gibt es keine direkten Beweise f¨ ur die Schwingungen des Raumes.
Die Gravitation und die elektromagnetische Kraft ¨ahneln einander, weil beide mit dem Quadrat des Abstands abnehmen. Die elektromagnetische Kraft h¨angt von der elektrischen Ladung der wechselwirkenden Teilchen oder K¨orper ¨ ab, im Falle der Gravitation sind die Massen der K¨orper das Aquivalent der elektrischen Ladungen. Als James Clerk Maxwell die Theorie des Elektromagnetismus entwickelte, sagte er die Existenz elektromagnetischer Wellen vorher und einige Jahrzehnte sp¨ ater gelang es Heinrich Hertz, ihre Existenz experimentell zu best¨ atigen. Einstein hatte in seiner Allgemeinen Relativit¨atstheorie dargelegt, daß K¨ orper mit ihrer Masse den umgebenden Raum formen. Wenn sich Massen bewegen, dann ¨ andert sich die Form des sie umgebenden Raumes und in diesem Fall k¨ onnen Wellen im Raum entstehen, so ¨ahnlich wie elektromagnetische Wellen durch Schwingungen elektrischer Ladungen entstehen. Die Raumwellen heißen Gravitationswellen. Gem¨aß Einsteins Theorie breiten sich die Gravitationswellen mit der gleichen Geschwindigkeit aus, wie die elektromagnetischen Wellen, das heißt mit Lichtgeschwindigkeit. Die Gravitationswellen sind winzige periodische Schwankungen der Raumkr¨ ummung, die sich im Raum so ausbreiten, wie die Kr¨ auselungen auf der Oberfl¨ache eines ruhigen Teiches, wenn man einen Stein ins Wasser wirft. Bis jetzt ist jedoch noch kein Heinrich Hertz unserer Zeit gekommen, dem es gelungen w¨are, diese Wellen experimentell nachzuweisen. Der Nachweis von Gravitationswellen ist schwieriger als der Nachweis elektromagnetischer Wellen, denn die Gravitation ist eine viel schw¨achere Kraft als die elektromagnetische Kraft.
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12 Schwingender Raum
Der zweite wichtige Unterschied zwischen der elektromagnetischen Kraft und der Schwerkraft h¨ angt damit zusammen, daß eine elektrische Ladung entweder positiv oder negativ ist, wohingegen die Massen nicht vorzeichenbehaftet sind: es gibt keine negative Masse. Man denke etwa an eine hypothetische Feder, an deren einem Ende sich eine positive Ladung befindet, w¨ahrend am anderen Ende eine negative Ladung ist. Wird die Feder in Schwingungen versetzt, dann bewegen sich beide Ladungen hin und her und strahlen elektromagnetische Wellen in den umgebenden Raum. Diese Wellen verst¨arken einander und erzeugen entsprechende Ladungsschwankungen. Bef¨anden sich an den Enden der Feder zwei elektrisch neutrale K¨ orper, dann entst¨ unden nat¨ urlich keine elektromagnetischen Wellen, aber beide K¨orper w¨ urden dennoch Gravitationswellen erzeugen. Massen haben das gleiche Vorzeichen“, aber die ” von ihnen abgestrahlten Wellen versuchen, einander auszul¨oschen, und je weiter man entfernt ist, desto vollst¨ andiger ist die Ausl¨oschung. Nur derjenige Anteil wird nicht ausgel¨ oscht, dessen Gr¨ oße proportional zum Verh¨altnis von K¨orpergeschwindigkeit und Lichtgeschwindigkeit ist. Das folgt aus den unterschiedlichen Wegstrecken, die von den von verschiedenen K¨orpern ausgehenden Wellen zur¨ uckgelegt werden. Die Messung dieses Anteils ist schwierig. Findet in einer Entfernung von 10 000 Lichtjahren eine Supernova-Explosion statt, dann f¨ uhrt die dadurch erzeugte Gravitationswelle dazu, daß die K¨orpergr¨oße der Menschen f¨ ur einen Moment um ungef¨ahr den hundertsten Teil eines Atomkerns gr¨ oßer oder kleiner wird. Der Raum ist voller kleiner Gravitationsschwingungen, ganz so wie er heute voller Radiowellen, Handywellen und anderer Formen elektromagnetischer Strahlung ist. Wir haben bis jetzt nur noch keine hinreichend empfindlichen Empf¨anger, das heißt, Gravitationsantennen, mit denen wir die von den Gravitationswellen getragene stille Sprache und Musik des Raumes h¨ oren k¨onnen.
12.1 Nutzung einer alten Methode Jetzt ist man endlich so weit, hinreichend empfindliche Apparaturen zu bauen und diese sind Schritt f¨ ur Schritt auch eingesetzt worden. Die Messungen beruhen auf der neuesten Pr¨ azisionstechnologie, aber im Grunde genommen geht es dabei um die Lichtinterferenz, die Albert Michelson bereits im ¨ 19. Jahrhundert bei seinen Athermessungen und bei der exakten Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit verwendet hatte. Die Amerikaner haben die LIGOAntenne gebaut, die aus vier Kilometer langen Vakuumrohren von mehr als einem Meter Durchmesser besteht (LIGO ist das Akronym von Large Interferometer Gravitational Wave Observatory). Die Rohre stehen im rechten Winkel gegeneinander und bilden gleichsam den Großbuchstaben L. An den Enden der Rohre und an ihrer Verbindungsstelle befinden sich Testk¨orper, die an der ¨ Rohrdecke h¨angen und deren Zweck es ist, die Anderungen zu messen, die von den Gravitationswellen an den Abst¨ anden zwischen den K¨orpern hervorgerufen wurden. L¨ auft eine Welle durch die Anlage, dann kann sich der Raum
12.1 Nutzung einer alten Methode
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in Richtung des einen Vakuumrohrs ein bißchen strecken, und entsprechend zieht sich der Raum in Richtung des anderen Rohres zusammen. Diese Zieh¨ harmonikabewegung erzeugt extrem kleine Anderungen an den Abst¨anden der Testk¨orper. Die Abstands¨anderungen werden mit Hilfe von Laserstrahlen gemessen. An der Kontaktstelle der Rohre befindet sich ein Laser, dessen Strahl durch Spiegel in zwei Teile geteilt wird und diese Strahlen werden in die Vakuumrohre geleitet. Auf der Oberfl¨ ache der Testk¨ orper befinden sich speziell angefertigte Spiegel, in denen die Strahlen reflektiert werden. Wenn sich die Strahlen wieder vereinigen, dann erkennt man den Effekt der Gravitationswellen daran, daß die Wellenbewegungen der urspr¨ unglich phasengleichen Strahlen aus dem Takt geraten sind, weil die Strahlen unterschiedliche Wege durchlaufen haben. Hieraus folgt, daß sich die Strahlen teilweise ausl¨oschen und dieser Sachverhalt l¨aßt sich durch Meßinstrumente nachweisen. In der Praxis wird das Experiment so ausgef¨ uhrt, daß man die Phase des zweiten Strahls absichtlich so ver¨andert, daß sich die Strahlen in entgegengesetzter Phase befinden, wenn sie sich vereinigen. In diesem Fall l¨ oschen sie einander aus und es gelangt u ¨berhaupt kein Licht in den Detektor. Der Effekt einer Gravitationswelle zeigt sich dann in einer kleinen Abweichung von der vollst¨andigen Ausl¨oschung und in dem nachfolgenden schwachen Lichtsignal. Die Wirkung einer Gravitationswelle ist umso gr¨oßer, je l¨anger der Weg ist, den die Strahlen vor ihrer Vereinigung durchlaufen, denn der Effekt der Ausdehnung und Schrumpfung des Raumes akkumuliert sich. Tats¨achlich enth¨alt LIGO eine Apparatur, mit deren Hilfe man die Strahlen vor ihrer Vereinigung viele Male zwischen den Testk¨ orpern hin und her springen l¨aßt. Die tats¨achliche Flugreise der Strahlen ist nicht nur der einfache Hin- und R¨ uckweg von einem Ende der vier Kilometer langen Rohre zum anderen, sondern mehre¨ re hundert Kilometer. Auch Michelson wendete bei seinen Athermessungen denselben Trick an, aber der Maßstab war ungef¨ahr tausendmal kleiner. Das große Problem bei den Messungen besteht darin, das Vibrationsrauschen zu eliminieren, das die Gravitationswellen zu u ¨berdecken droht. Die Quellen dieses Rauschens sind zum Beispiel die Bewegungen der Erdrinde, die durch den Wind, fließendes Wasser, kleine Erdbeben und durch die verschiedenen Aktivit¨aten des Menschen hervorgerufen werden. Auch die W¨armebewegung und die Dichteschwankungen der Erdrinde und der Atmosph¨are m¨ ussen ber¨ ucksichtigt werden. Am wenigsten wirkt sich das Hintergrundrauschen aus, wenn man Schwingungen untersucht, deren Frequenz im Bereich zwischen zehn Hertz (zehn Schwingungen pro Sekunde) und zehntausend Hertz liegt. Wesentlich f¨ ur die Elimination von Fehlersignalen ist, daß es zwei LIGOAntennen gibt, und daß sie weit von einander entfernt sind. Eine der Antennen befindet sich im nordwestlichen Winkel der Vereinigten Staaten im Staat Washington und die andere in einer Entfernung von dreitausend Kilometern in Louisiana. Die Antennen sind synchronisiert, und wenn Schwingungen bei beiden gleichzeitig beobachtet werden, dann ist der Verursacher wahrscheinlich eine aus dem Raum kommende Gravitationswelle und nicht etwa ein Wind-
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12 Schwingender Raum
stoß oder der Steinbohrer eines Straßenarbeiters. Im August/September 2005 fegte der Hurrikan Katrina u ¨ber die Meßstation in Louisiana, aber es kam zu keinen gr¨oßeren Havarien. Die Anlage war sicherheitshalber abgeschaltet worden, als der Wetterbericht Alarm schlug. Der LIGO-Detektor der Amerikaner ist nicht die einzige Gravitationsantenne. In Europa gibt es zwei ¨ ahnliche Anlagen, den GEO-Detektor in der N¨ahe von Hannover in Deutschland und VIRGO unweit von Pisa in Italien, die Japaner haben TAMA. Alle diese Anlagen arbeiten nach dem Funktionsprinzip des Michelsonschen Interferometers. Die Anlagen haben ungef¨ahr den gleichen Empfindlichkeitsbereich: sie identifizieren diejenigen Gravitationswellen, deren Frequenz zwischen zehn und zehntausend Hertz liegt. Sie eignen sich am besten f¨ ur die Aufzeichnung von Wellen, die durch die spiralf¨ormige Ann¨aherung und das Verschmelzen von Doppelsternen hervorgerufen werden. M¨ochte man schnellere Schwingungen messen, dann muß der Flugweg der Lichtstrahlen im Interferometer l¨ anger sein. Dieser Herausforderung stellt sich das gemeinsame Projekt der Raumorganisationen der Vereinigten Staaten und Europas, der NASA und der ESA. Der Name des Projekts ist LISA (Laser Interferometer Space Antenna). Die Messung erfolgt im Weltraum durch drei Satelliten, die in der Formation eines gleichseitigen Dreiecks fliegen und jeweils f¨ unf Millionen Kilometer voneinander entfernt sind. Mit Hilfe von Laserstrahlen werden in den Satelliten die Abst¨ande zwischen den Testk¨orpern gemessen. Bewegen sich die Satelliten in der Gr¨oßenordnung von nur einer Haaresbreite – tats¨ achlich reicht auch der millionste Teil einer Haaresbreite – n¨aher aufeinander zu, dann entdeckt das Interferometer diese Bewegung. Diese Pr¨azision ist ganz unglaublich, wenn man ber¨ ucksichtigt, wie weit die Satelliten voneinander entfernt sind. Passiert eine Gravitationswelle dieses Dreigestirn“ der Satelliten, dann ” beginnen die Abst¨ ande zwischen den Testk¨ orpern zu schwingen. LISA reagiert empfindlich auf langsame Schwingungen, bei denen die Dauer einer Schwingung zwischen zehn und zehntausend Sekunden liegt. Solche Raumwellen werden durch die Bewegung großer Himmelsk¨ orper erzeugt, zum Beispiel durch superschwere Schwarze L¨ ocher. Es w¨ are zumindest interessant, das tiefe Brummen des riesigen Schwarzen Loches zu h¨ oren, das sich in der Mitte der Milchstraße befindet. Auch die Doppelsterne emittieren diese Art von langwelliger Strahlung. LISA soll 2013 mit der Vermessung der Raumwellen beginnen.
12.2 Was erschu ¨ ttert den Raum? Es gibt viele interessante Urspr¨ unge von Gravitationswellen. In Doppelsternsystemen, in denen der eine Partner ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch ist, entstehen Gravitationswellen, wenn sich der Begleitstern dem schwereren Partner spiralf¨ ormig n¨ ahert und schließlich mit ihm verschmilzt. Die potentielle Energie des Systems wird kleiner, wenn sich die Sterne einander n¨ahern. Die freigesetzte Energie wird in Form von Gravitationswellen
12.2 Was ersch¨ uttert den Raum?
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in den Raum abgestrahlt. Auch die Supernova-Explosionen strahlen, falls sie nicht vollkommen symmetrisch erfolgen, Gravitationswellen ab, die von Antennen des LIGO-Typs identifiziert werden k¨ onnen. LIGO identifiziert Ereignisse dieser Art in einer Entfernung von bis zu 50 Millionen Lichtjahren. Ein Supernovasignal sollte die LIGO-Testk¨ orper im Durchschnitt einmal pro Jahr durchr¨ utteln“, denn entsprechend den Berechnungen sollte in einem Umkreis ” von 50 Millionen Lichtjahren durchschnittlich ein Stern pro Jahr sein himmlisches Design und Dasein mit einer Explosion beenden. Auch das Vibrieren des Horizonts eines Schwarzen Loches kann dazu f¨ uhren, daß ein Signal gemessen wird. Diese Schwingungen sind eine Art Magenverstimmung, die das Loch nach dem Verschlingen des Sterns bekommen hat. Periodische Gravitationswellen verursachen eine asymmetrische Rotation der Neutronensterne und eine Bewegung ihrer Oberfl¨ achenschichten. Die Identifizierung dieser Signale wird dadurch erleichtert, daß man das Objekt lange verfolgen kann und anhand der Signalst¨ arke eine Verlangsamung der Rotation sowie die wohl¨ bekannten Anderungen erkennen kann, die durch den j¨ahrlichen Erdumlauf entstehen. Mit den Gravitationsantennen kann man auch in den Anfangsmoment des Universums blicken, und zwar viel weiter als mit anderen Methoden. Einige Urknallmodelle sagen meßbare Gravitationswellen voraus, die unmittelbar nach dem Ende der sogenannten Planckzeit entstanden sind, also 10−45 Sekunden nach der Entstehung des Universums. Im Unterschied zu unserem jetzigen Sonnensystem sind das fr¨ uhe Universum, die Schwarzen L¨ ocher und die Neutronensterne Regionen eines extrem starken Gravitationsfeldes, f¨ ur das Einsteins Allgemeine Relativit¨atstheorie und die alte Gravitationstheorie Newtons erheblich unterschiedliche Vorhersagen machen. Mit Hilfe der Gravitationswellen kann man diese Unterschiede herausarbeiten. F¨ ur die Existenz von Gravitationswellen gibt es bereits indirekte Best¨atigungen. Im Jahr 1974 entdeckten Russell Hulse (geb. 1950) und Joseph Taylor (geb. 1941) mit einem Radioteleskop den Doppelpulsar PSR1913 + 16, ein System zweier schnell rotierender Neutronensterne. In diesem System umkreisen die Neutronensterne einander mit hoher Geschwindigkeit, alle acht Stunden einmal. Man stellte fest, daß die Umlaufzeit langsam aber sicher k¨ urzer wird, und das ist ein Zeichen daf¨ ur, daß die Neutronensterne einander in immer kleinerem Abstand umkreisen. Die Allgemeine Relativit¨atstheorie sagt genau das vorher: das System verliert die ganze Zeit Energie, indem es Gravitationswellen in den Raum abstrahlt, weswegen sich die Sterne einander ann¨ahern. Wenn es um Himmelsk¨ orper kleiner Gr¨ oße geht, dann gibt es außer den Gravitationswellen keine andere Erkl¨ arung f¨ ur die Abnahme der Energie. Bei gew¨ohnlichen Doppelsternen, bei denen der eine Partner ein normaler Stern mit einem großen Durchmesser ist, wird die Energie zu W¨armeenergie, wenn das Gezeitenph¨anomen große Materieansammlungen bewegt und zu Reibungserscheinungen f¨ uhrt. Die Energie wird als elektromagnetische Strahlung frei-
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12 Schwingender Raum
gesetzt. Bei Neutronensternen ist das nicht der Fall, weil die Sterne daf¨ ur zu dicht sind. Hulse und Taylor erhielten f¨ ur ihre Entdeckung 1993 den Physiknobelpreis und zweifellos wird der Preis auch an denjenigen gehen, der als Erster seine Antenne infolge einer vorbei eilenden Gravitationswelle schwingen sieht. Das w¨are ein beispielloser Test der Allgemeinen Relativit¨atstheorie Einsteins und mit dem Experiment vergleichbar, mit dem Heinrich Hertz die Existenz der von Maxwell vorhergesagten elektromagnetischen Wellen best¨atigte.
13 Einstein und das Universum
Die Allgemeine Relativit¨ atstheorie erz¨ ahlt die Geschichte und Zukunft des Weltalls. Einstein glaubte, daß das Universum im globalen Maßstab statisch sei. Deswegen f¨ ugte er zu seinen Gleichungen die sogenannte kosmologische Konstante hinzu. Das Universum ist jedoch nicht statisch, sondern expandiert. Die kosmologische Konstante spielt heute eine wichtige Rolle bei dem Versuch, die Beschleunigung der Expansion des Universums zu erkl¨aren.
Vesto Slipher (1875–1969) wurde in den Jahren zwischen 1910 und 1920 im Lowell Observatorium in Arizona angestellt, um die von Nebeln erzeugten Lichtspektren und die Dopplerverschiebungen zu messen. Die Nebel hatten den Astronomen schon seit langem den Verstand umnebelt und ihnen Kopfschmerzen bereitet. Man hielt diese am Himmel sichtbaren Lichtflecke urspr¨ unglich f¨ ur Gaswolken in der Milchstraße. Mit Hilfe der großen Fernrohre, die im 19. Jahrhundert gebaut wurden, stellte man jedoch u ¨berraschenderweise fest, daß sich in den vermeintlichen Wolken Sterne befinden. Percival Lowell (1855–1916), der Gr¨ under und Direktor des Lowell Observatoriums meinte seinerseits, daß die Nebel neue, sich entwickelnde Sonnensysteme seien und er hoffte, Slipher w¨ urde das durch seine Beobachtungen best¨atigen. Lowell war ein wohlhabender Bostoner Amateurastronom, der sich darauf konzentrierte, nach Lebenszeichen auf dem Mars zu suchen. Slipher begann mit dem Spiralnebel Andromeda. Es gelang ihm in m¨ uhsamer Arbeit, vier Spektralkarten des Nebels zu fotografieren, aus denen die Dopplerverschiebung der Spektrallinien hervorging. Die Linien hatten sich in Richtung Blau verschoben und das bedeutete, daß sich der Andromedanebel auf uns zu bewegt. In den Jahren 1912–14 maß Slipher die Dopplerverschiebungen von insgesamt dreizehn Nebeln, aber im Gegensatz zum Andromedanebel wiesen fast alle Nebel eine Verschiebung der Spektrallinien in Richtung Rot auf, das heißt, die Nebel entfernen sich. Slipher war zu vorsichtig, um auf der Grundlage seiner Messungen zu behaupten, daß die Fluchtbewegung die
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13 Einstein und das Universum
vorherrschende Eigenschaft der Nebel ist. In dem Vortrag, den er 1914 auf der Versammlung der American Astronomical Society hielt, gab er sich mit der Darstellung der von ihm beobachteten Tatsachen zufrieden und stellte die Schlußfolgerungen zur¨ uck, bis zus¨ atzliche Messungen gemacht w¨ urden. Die versammelte Zuh¨ orerschaft war von Sliphers Beobachtungen deutlich mehr begeistert als der bescheidene Slipher selbst. F¨ ur seinen Vortrag erhielt er stehende Ovationen. In Wissenschaftlerkreisen, in denen ein besonnenes Kopfnicken das Maximum einer positiven Meinungs¨außerung darstellt, kann diese Art Reaktion schon fast als hysterisch bezeichnet werden. Die Begeisterung war angebracht, weil die zus¨atzlichen Messungen den Sachverhalt best¨atigten: die Fluchtbewegung ist tats¨achlich die vorherrschende Eigenschaft der Nebel. Bis 1925 wurden die Spektren von 45 Nebeln gemessen, von denen 43 eine Dopplerverschiebung in Richtung Rot aufwiesen.
13.1 Fliehende Galaxien Edwin Hubble (1889–1953), der Astronomie studiert hatte, h¨orte sich Sliphers Vortrag an. Hubble war an den Universit¨aten Chicago und Oxford zum Rechtsanwalt ausgebildet worden, wollte aber nach seinen eigenen Worten lieber ein zweitklassiger Astronom als ein erstklassiger Rechtsanwalt sein. Seine Karriere als Jurist dauerte tats¨ achlich nur einige Monate und danach ging Hubble an die Universit¨ at Chicago zur¨ uck, um Astronomie zu studieren. Er promovierte 1917 und erhielt ein Stellenangebot vom Mount-WilsonObservatorium, wohin er sich begab, nachdem er in Frankreich seinen Beitrag zum Ersten Weltkrieg geleistet hatte. Hubble begann, Spiralnebel mit den 60- und 100-Zoll-Fernrohren des Mount-Wilson-Observatoriums zu untersuchen. Im Andromedanebel fand er einen interessanten schwachen Lichtfleck. Nachdem er seine eigenen Fotografien mit den Bildern verglichen hatte, die fr¨ uher von anderen aufgenommen worden waren, fand er heraus, daß es sich um einen Stern handelt – einen sogenannten Cepheiden –, der seine Leuchtkraft a ¨ndert. Die Amerikanerin Henrietta Leavitt (1868–1921) leistete die Pionierarbeit bei der Untersuchung der Cepheiden, bei denen sie 1912 die bedeutende Perioden-Leuchtkraft-Beziehung fand: je heller ein Cepheide, desto l¨ anger die Periode. Hubble schlußfolgerte auf der Grundlage der Fotografien, daß die Periode des Andromeda-Cepheiden einen Monat betrug, aber hierf¨ ur war die Lichtquelle unerwartet schwach. Also mußte der Stern sehr weit weg sein. Hubble sch¨atzte die Entfernung auf 900 000 Lichtjahre. Der Durchmesser der Milchstraße betr¨agt ungef¨ahr 100 000 Lichtjahre, das heißt, der Andromedanebel ist ein Sternsystem weit außerhalb unserer eigenen Milchstraße, er ist eine andere Galaxie. Hubble kam zu demselben Ergebnis in Bezug auf NGC6822, den zweiten von ihm untersuchten Nebel. Dieser schien sich in einer Entfernung von 700 000 Lichtjahren zu befinden. Sp¨ ater stellte sich heraus, daß es hinsichtlich der Leuchtkraft zwei verschiedene Arten von Cepheiden gibt, und daß sich
13.1 Fliehende Galaxien
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Hubble bei seiner Entfernungssch¨ atzung geirrt hatte, als er schwache und helle Cepeheiden miteinander verglich. Deswegen sind seine Entfernungssch¨atzungen der Galaxien so extrem niedrig. Jedenfalls hatte er unwiderlegbar bewiesen, daß die Spiralnebel nicht zu unserer Milchstraße geh¨oren. Hubble begann ungest¨ um, Methoden zu entwickeln, mit denen er in der Lage sein w¨ urde, auch die Entfernungen von entlegenen Galaxien zu sch¨atzen, in denen keine Cepheiden sichtbar waren. Er nahm an, daß der jeweils hellste Stern einer Galaxie in s¨ amtlichen Galaxien ein und dieselbe Leuchtkraft hat. Und wenn die Galaxien so weit weg waren, daß man sogar die hellsten Sterne nicht sehen konnte, dann verwendete er die Leuchtkraft der hellsten Kugelsternhaufen, wobei er voraussetzte, daß deren Leuchtkraft in allen Galaxien ein und dieselbe ist. Danach nahm er an, daß alle Galaxien gleich hell sind. Das war eine etwas wackelige Konstruktion, etwa so, wie viele aufeinander gestellte St¨ uhle. Zuunterst befanden sich die Cepheiden, von deren exakter Entfernungsbestimmung die Zuverl¨ assigkeit des ganzen Systems abhing. Jedenfalls gelang es Hubble, die Entfernung von mehr als zwanzig Galaxien zu sch¨atzen. Das zu Ehren von Hubble benannte Weltraumteleskop hat ungef¨ahr dreitausend Galaxien fotografiert und aus dem vom Hubble-Teleskop gesammelten Beobachtungsmaterial schlußfolgerte man, daß es im sichtbaren Teil des Universums insgesamt etwa 125 Milliarden Galaxien gibt, das heißt, ungef¨ahr zwanzig f¨ ur jeden Menschen. Edwin Hubbles Beobachtungen waren eine große weltanschauliche Sensation. Es ist also auch außerhalb der astronomischen Bayernmeile“ 1 etwas ” los!2 Das ersch¨ utterte viele zutiefst. Einer von Hubbles Kollegen bemerkte, nachdem er von den Ergebnissen erfahren hatte, daß sein Universum zerst¨ort worden sei. Aber es sollte ein noch gr¨ oßerer Umbruch kommen! Ende der 1920er Jahre begann Hubble, die Dopplerverschiebungen der Spektren des von den Galaxien ausgestrahlten Lichtes zu untersuchen. Als Mitarbeiter stand ihm Milton Humason bei. Humason war im Alter von 14 Jahren im Sommerlager gewesen, das f¨ ur Sch¨ uler im Mount-WilsonObservatorium organisiert worden war. Anstatt in die Schule zur¨ uckzukehren, blieb er am Observatorium und wurde dort besch¨aftigt. Er arbeitete einige Zeit als Mauleseltreiber beim Transport von Baumaterial aus der Sierre Madre zum Mount Wilson, aber schon bald wurde er zum Dienstmann bef¨ordert, danach zum Nachtassistenten und allm¨ ahlich begann er sogar, mit den Teleskopen seine eigenen Beobachtungen zu machen. Hubble ver¨offentlichte 1929 ein merkw¨ urdiges Beobachtungsergebnis: die Spektrallinien der Galaxien bewegten sich fast ohne Ausnahme in Richtung Rot, wie Vesto Slipher bereits fr¨ uher beobachtet hatte, aber diese Verschiebungen wurden systematisch um so gr¨ oßer, je weiter die Galaxien entfernt 1 2
Hierunter verstehen wir die Umgrenzung unseres provinziellen kosmischen H¨ uhnerhofes, also unsere n¨ ahere kosmische Umgebung. ¨ Das widerlegt das alte Sprichwort Extra Bavariam non est vita (in freier Ubersetzung: Außerhalb von Bayern gibt’s nichts zum Feiern).
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13 Einstein und das Universum
waren. Entsprechend den Messungen von Hubble und Humason ist die Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien proportional zu ihrem Abstand. Um mit Hubbles eigenen Worten zu sprechen, gibt es eine grob-lineare Beziehung zwi” schen Geschwindigkeiten und Distanzen“. Diese Beobachtung des ehemaligen Rechtsanwalts und des ehemaligen Mauleseltreibers geh¨ort zu den bedeutendsten in der Geschichte der Naturwissenschaften. Sie zeigte, daß das Universum expandiert.
13.2 Einsteins Universum Die Beobachtungen des Sternenhimmels und die theoretische Arbeit zur Raumstruktur f¨ uhrten ihr eigenes Leben – zwischen ihnen lag der Atlantische Ozean. In den Jahren, in denen Vesto Slipher in Arizona die Fluchtbewegung der Nebel maß, lebte Einstein in Berlin die leidenschaftlichen letzten Jahre der Entwicklung der Allgemeinen Relativit¨ atstheorie. Als Hubble seine Beobachtungen auf dem Mount Wilson in Kalifornien machte, begann man in Europa, die Allgemeine Relativit¨ atstheorie zur Erkl¨arung der Struktur des gesamten Universums anzuwenden. Als sich diese beiden Schiffe“ schließlich ” begegneten, entstand ein neues wissenschaftliches Bild von der Entstehung und Entwicklung des Universums, die Theorie vom Urknall. Einstein rollte das Thema erneut in einer Ver¨offentlichung auf, die 1917 erschien. Machs Erkl¨ arung f¨ ur die Tr¨ agheit von Massen faszinierte ihn auch weiterhin: die Tr¨ agheit eines bewegten K¨ orpers ist darauf zur¨ uckzuf¨ uhren, daß es im Universum andere Materie gibt. Zur Zeit der Publikation dieser Arbeit schrieb Einstein seinem Freund Paul Ehrenfest: Ich habe wieder etwas ” verbrochen in der Gravitationstheorie, was mich ein wenig in Gefahr bringt, in einem Tollhaus interniert zu werden.“ Offensichtlich wußte er, daß er ein ziemlich großes St¨ uck angepackt hatte. Einstein beunruhigte die Tatsache, daß in seiner Allgemeinen Relativit¨atstheorie die Tr¨agheit auch im leeren Raum vorhanden zu sein schien. Selbst wenn die Raumzeit leer ist, ist sie nicht statisch, sondern ver¨andert sich im Lauf der Zeit. Einstein konnte das nicht akzeptieren, weil er an das Machsche Prinzip glaubte. Auch die Beobachtungen deuteten darauf hin, daß der Raum statisch und unver¨ anderlich ist. Man dachte, das Universum best¨ unde aus der Milchstraße und ansonsten gebe es nur leeren Raum. Dar¨ uber hinaus schien die Milchstraße global ein vollkommen ruhiges Leben zu f¨ uhren. Nichts schien darauf hinzuweisen, daß das Universum expandiert oder schrumpft. Sliphers Beobachtungen der fliehenden Nebel waren Einstein weder zu Ohren noch zu Gesicht gekommen. Einsteins L¨osung dieses Problem bestand darin, daß er seine ber¨ uhmte Feldgleichung entsprechend dem neuen Glauben umschrieb. Er erg¨anzte die Gleichung durch einen neuen Term, die sogenannte kosmologische Konstante. Ihm schien es, daß der materielose Raum nach Hinzunahme dieses Terms seine Gleichungen nicht erf¨ ulle, das heißt, der leere Raum ist gem¨aß der Allgemeinen
13.3 Inflation¨ ares Universum
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Relativit¨atstheorie nicht m¨ oglich. Das Machsche Prinzip w¨are in Kraft, weil es im Raum zwangsl¨aufig Materie geben w¨ urde, welche die Tr¨agheit der K¨orper verursacht. Einsteins Universum war von endlicher Gr¨oße. Aufgrund der vorhandenen Anziehungskraft versucht ein endlicher Raum, sich zu einer Rosine“ zu” sammenzuziehen. Laut Einstein wird das durch die kosmologische Konstante verhindert. Die kosmologische Konstante stellt eine Art Gravitation dar, die durch den Raum selbst verursacht wird, oder besser gesagt, eine Antigravitation, die das Kollabieren des Raumes verhindert.
13.3 Inflation¨ ares Universum Der russische Mathematiker und Meteorologe Alexander Friedmann (1888– 1925) ver¨offentlichte 1922 einen Artikel, in dem er mit Hilfe der Einsteinschen Gleichungen zeigte, daß das Universum nicht, wie Einstein glaubte, notwendigerweise statisch ist, sondern daß es expandieren kann. Tats¨achlich fand Friedmann in großen Mengen neue L¨ osungen f¨ ur die Einstein-Gleichungen. Nachdem Einstein Friedmanns Ver¨ offentlichung gesehen hatte, verfaßte er sofort eine Antwort, in der er die Korrektheit des Ergebnisses anzweifelte. Er konnte nicht glauben, daß seine Theorie nicht nur ein einziges Universum vorhersagte, sondern daß sogar mehrere exotische Alternativen m¨oglich sein w¨ urden. Friedmann schickte Einstein einen Brief, in dem er die Details seiner Berechnungen darlegte und Einstein gegen¨ uber offenbarte, wo sich dieser in seinen eigenen Berechnungen geirrt hatte. Der Fehler ist auch vielen Physikstudenten bekannt, n¨ amlich die Division einer Gleichung durch einen Ausdruck, der den Wert Null annehmen kann. Friedmanns Ergebnis erregte keine u ¨bertriebene Aufmerksamkeit und er machte daf¨ ur auch keine besondere Reklame, da er sich auf meteorologische Untersuchungen konzentrierte, mit denen er sein Brot in St. Petersburg verdiente. Im Juni 1925 unternahm Friedmann einen Ballonflug in eine Rekordh¨ohe von 7400 Metern, um meteorologische und medizinische Messungen durchzuf¨ uhren. Im August begann er, sich krank zu f¨ uhlen. Der Arzt stellte Typhus fest und zwei Wochen sp¨ ater starb Friedmann im Alter von 37 Jahren. Der Belgier Georges Lemaˆıtre (1894–1966) kann als der eigentliche Vater der Urknalltheorie bezeichnet werden. Er studierte Mathematik und Physik an der Katholischen Universit¨ at L¨ owen und verteidigte dort 1920 seine Doktorarbeit, die sich mit Mathematik befaßte. Er hielt sich 1923 als Gast von Arthur Eddington an der Universit¨ at Cambridge auf und begeisterte sich dort f¨ ur die Astronomie. Das folgende Jahr verbrachte er in Amerika am Harvard College Observatory, wo Harlow Shapley arbeitete, der als Nebelforscher“ Weltruhm ” erlangt hatte. Lemaˆıtre hielt sich auch am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) auf, wo er sich als PhD-Student einschrieb. Seine Doktorarbeit u ¨ ber Gravitation erschien kurz danach.
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13 Einstein und das Universum
Lemaˆıtre besuchte auch ein Priesterseminar und kleidete sich danach mit einem weißen Priesterkragen. Dadurch hatten viele die Vorstellung von einem Kirchengelehrten, der hinter den Mauern eines Klosters in einer k¨ uhlen, dunklen Kammer u ¨ber die Geheimnisse des Universums nachdenkt. Aber Lemaˆıtre war durch und durch Naturwissenschaftler und wurde schließlich Professor der Astronomie an der Universit¨ at L¨ owen. Er setzte sich auch begeistert f¨ ur Computer ein und erwarb den ersten Computer f¨ ur seine Universit¨at, einen Burroughs-Rechner.
13.4 Das Uratom Lemaˆıtre entwickelte 1927 die Idee eines expandierenden Universums. Er wollte seine diesbez¨ ugliche Arbeit nicht ver¨ offentlichen, aber Arthur Eddington u offentlichte sie einige Jahre sp¨ater zusam¨bersetzte sie ins Englische und ver¨ men mit seinen eigenen langen Kommentaren. Um diese Zeit hatte Lemaˆıtre bereits begonnen, ein neues Thema zu untersuchen, n¨amlich die Entstehung des Universums. F¨ ur Lemaˆıtre schienen nur die ganz großen Probleme infrage zu kommen. Er besuchte 1931 England und hielt Vortr¨age u ¨ ber seine neuen Ideen, gem¨aß denen das Universum mit einem kleinen Uratom“ begann, das ” expandierte und sich im Laufe der Zeit zu seiner gegenw¨artigen Gr¨oße und Gestalt entwickelt hat. Er nannte sein Modell Hypoth`ese de l’atome primitif“, ” aber aus irgendeinem Grund wurde dieser Name nie popul¨ar. F¨ ur die Finnen h¨atte sich die Bezeichnung Urei“ sicher besser geeignet, denn das finnische ” Nationalepos Kalevala besagt, daß alles mit einem Entenei3 angefangen hat. Anstelle von Uratom“ spricht man heute vom Big Bang oder Urknall. ” Nach Eddingtons Meinung zeichnete das Uratommodell kein liebensw¨ urdiges Bild vom Weltall. Gem¨ aß Einstein erinnerte das Modell zu sehr an die christliche Doktrin von der Erschaffung der Welt und er sah die Theorie auch nicht als wissenschaftlich gerechtfertigt an. Es gab damals u ¨berhaupt noch kein Beobachtungsmaterial u ¨ber die Entstehung des Universums und deswe¨ gen kursierten dar¨ uber so viele Meinungen. Uber Jahrzehnte wurden die Diskussionen von der Philosophie und der Religion u ¨ berschattet. Lemaˆıtre selbst wollte die Religion von den Naturwissenschaften trennen, aber er geh¨orte auch zu denjenigen, f¨ ur die es bereits eine hinreichend genaue Beschreibung der Entstehung des Universums gab, n¨ amlich die Sch¨opfungsgeschichte der Bibel. Lemaˆıtre und Einstein hielten sich 1933 gleichzeitig in Kalifornien auf, um Vortr¨age zu halten. Bei dieser Vortragsreise lobte Einstein das Uratommodell bereits als die sch¨ onste und zufriedenstellendste Beschreibung der Entstehung des Universums, von der er je geh¨ ort hatte – aber diese freundliche Erkl¨arung bedeutete nicht, daß er an das Modell von Lemaˆıtre geglaubt h¨atte. Auf derselben Reise begab sich Einstein zum Mount Wilson, um Hubble zu treffen. 3
Im Kalevala l¨ aßt sich die Tochter der Luft ins Meer hinab, wo sie zur Wassermutter wird. Eine Taucherente nistet auf ihrem Knie und legt Eier. Die Eier zerbrechen, und aus den St¨ ucken entsteht die Welt.
13.5 Die Hintergrundstrahlung
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Hubble und Humason f¨ uhrten ihm ihre Fernrohre und Spektrometer vor und zur Freude der Journalisten schaute Einstein ins Okular und grinste. Hubbles Beobachtungsergebnisse veranlaßten Einstein schließlich zuzugeben, daß sein statisches Modell des Universums nicht zutreffend war. Er mußte sich von seiner kosmologischen Konstanten verabschieden, mit deren Hilfe er sein Universum statisch gemacht hatte. Lemaˆıtres Idee von einem ver¨anderlichen Universum lag im Bereich des M¨ oglichen.
13.5 Die Hintergrundstrahlung Georges Lemaˆıtre starb 1966. Was auch immer sein Schicksal bestimmt haben mag, das Timing war gut. Es blieb ihm n¨ amlich noch die Zeit, von den ersten Beobachtungsergebnissen zu h¨ oren, die sein Uratommodell best¨atigten. Arno Penzias (geb. 1933) und Robert Wilson (geb. 1936) hatten 1964 die elektromagnetische Hintergrundstrahlung entdeckt, die aus jeder Richtung des Weltalls kommt und deren Erkl¨ arung der Urknall des Universums ist. Einer der eifrigsten Verfechter der Urknalltheorie in den 1940er und 1950er Jahren war Georg Gamow (1904–1968), der aus der Ukraine stammte und 1933 in die Vereinigten Staaten u ¨bersiedelte. Ihn besch¨aftigte die Frage nach der Entstehung der Elemente und das veranlaßte ihn, sich mit Kosmologie zu befassen. Zusammen mit Ralph Alpher und Robert Hermann dachte er u ¨ber die Ereignisse nach, die sich im heißen und dichten Urraum abspielten. Er verkn¨ upfte die Mikrophysik der Materie mit den kosmologischen Ph¨anomenen, was damals in den 1940er Jahren als gef¨ ahrliche Spekulation angesehen wurde – nur sehr wenige wagten es, damit ihren Ruf als Wissenschaftler zu gef¨ahrden. Heute ist diese Teilchenkosmologie eine hochgesch¨atzte Disziplin und auf den Universit¨atskorridoren begegnet man schon seit geraumer Zeit Professoren, die f¨ ur dieses Gebiet berufen worden sind. ¨ Laut Lemaˆıtre ist das Universum ein Uberbleibsel der Explosion des Uratoms: gelegentliche letzte Blitze, Rauch und Asche – ein a¨hnliches Bild wie der Anblick des Himmels unmittelbar nach Beendigung eines Feuerwerks. Vom Feuersturm am Anfang sind nur noch blasse Nachwirkungen erkennbar. Gamow und seine Mitarbeiter hatten schon in den 1940er Jahren folgende Hypothese aufgestellt: Wenn das Universum ein paar hunderttausend Jahre nach dem Urknall durchsichtig geworden ist und von einem strahlenden Gas erf¨ ullt war, dann sollten Restbest¨ ande dieser Strahlung auch heute noch nachweisbar sein. Die Strahlung m¨ ußte vor ungef¨ ahr vierzehn Milliarden Jahren bei einer Temperatur entstanden sein, wie sie im Sonnenkern herrscht, aber das Gas m¨ ußte sich durch die Expansion des Raumes stark abgek¨ uhlt haben. Gamow gab sogar f¨ ur die gegenw¨ artige Temperatur der von ihm vorhergesagten Hintergrundstrahlung einen Sch¨ atzwert von ungef¨ahr f¨ unf Grad Kelvin an, der einer frostigen Temperatur von ca. minus 270 Grad Celsius entspricht. Wenn das gesamte Universum von einem derart abgek¨ uhlten Photonengas erf¨ ullt ist, dann sollten wir laut Gamows Hypothese aus allen Raumrichtungen eine
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13 Einstein und das Universum
Radiostrahlung empfangen k¨ onnen, deren Wellenl¨ange im Millimeterbereich liegt. Penzias und Wilson entdeckten diese Strahlung. Es war eine Ironie des Schicksals, daß sie vollkommen unerwartet auf die Hintergrundstrahlung gestoßen waren, als sie versuchten, etwas ganz anderes zu messen. Sie waren Elektronikexperten und deswegen schenkten sie dem Grundrauschen Beachtung, das ihre eigentlichen Messungen st¨ orte; sie versuchten, dieses Rauschen zu eliminieren. Eine zweite Forschungsgruppe hatte – in Kenntnis von Gamows Vorhersage – ein Experiment speziell zur Beobachtung der Hintergrundstrahlung geplant, aber die Gruppe versp¨ atete sich hoffnungslos. Die Ehre und der Nobelpreis gingen an Amateure, die die große Bedeutung ihrer Entdeckung erst verstanden, nachdem sie dar¨ uber sp¨ ater in der New York Times gelesen hatten. Anfang der 1990er Jahre maß der amerikanische COBE-Satellit4 das Spektrum der Hintergrundstrahlung – das heißt, die Verteilung ihrer St¨arke auf die verschiedenen Wellenl¨ angen – mit einer solchen Pr¨azision, daß die Ungenauigkeiten der Meßpunkte kleiner waren als die vom Plotter gezeichnete Linienbreite. Man konnte die Temperatur des Universums mit Hilfe dieses Spektrums hundertmal genauer bestimmen als ein Mensch seine eigene K¨orpertemperatur mit einem Thermometer messen kann. Das Ergebnis war eine Temperatur von 2,728 Grad Kelvin.
13.6 Wohin gehen wir? F¨ ur den Urknall gibt es außer der Hintergrundstrahlung auch andere Beweise. Im Urraum existierte die Materie in ihren Urbestandteilen, den Elementarteilchen, und ihr Verhalten wurde demnach von den Gesetzen der Elementarteilchenphysik bestimmt. Das Wissen u ¨ber die Elementarteilchengesetze erreichte in den 1970er Jahren einen ganz neuen Stand, als die sogenannten Eichfeldtheorien entdeckt wurden, die in Bezug auf ihre mathematische Struktur und Tiefgr¨ undigkeit zu einer ganz anderen G¨ uteklasse geh¨orten als die fr¨ uheren Theorien. Das verlieh der Erforschung der ersten Augenblicke des Universums einen neuen Impuls. Es war jetzt m¨ oglich, eine zuverl¨assige Beschreibung der Ereignisse der ersten Minuten des Universums zu geben. Die u ¨berzeugendste Vorhersage betraf die Entstehung der leichten Elemente: es war m¨oglich, die Mengenanteile von Wasserstoff, Helium, Deuterium und Lithium vorherzusagen und festzustellen, daß diese Anteile mit den Beobachtungsergebnissen in ¨ Einklang stehen. Diese Ubereinstimmung war kein Zufall, sondern erforderte das gleichzeitige Zusammentreffen vieler Einzelereignisse. Lange Zeit konnte aufgrund der Beobachtungen nicht gesagt werden, wohin sich das Universum entwickelt. Es expandiert – aber expandiert es f¨ ur immer und ewig, oder h¨ ort die Expansion eines sch¨onen Tages auf und beginnt 4
COBE, Cosmic Background Explorer.
13.7 Die Wiederkehr der kosmologischen Konstanten
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das Universum dann, sich wieder zusammenzuziehen? Materie und Strahlung k¨onnten dazu f¨ uhren, daß die Expansion aufh¨ ort, denn gem¨aß der Allgemeinen Relativit¨atstheorie bestimmen sie das Verhalten des Raumes. Oder, wenn sie die Expansion nicht stoppen, dann bremsen sie diese vielleicht mindestens so, daß sie sich verlangsamt. Diese Doktrin erlitt Ende der 1990er Jahre Schiffbruch, als man feststellte, daß sich die Expansion des Raumes keineswegs verlangsamt, sondern sich ganz im Gegenteil beschleunigt. Man fand das heraus, als man die jetzige Expansion des Raumes mit der Situation verglich, die vor vielen Milliarden Jahren herrschte. Durch die Untersuchung der entferntesten Objekte des Raumes gewinnt man Klarheit dar¨ uber, was sich vor Milliarden von Jahren ereignet hat. Die Supernova-Explosionen, die in entlegenen Galaxien stattgefunden haben, erweisen sich als zuverl¨ assige Leuchtt¨ urme auf dem Weg zu den ersten Augenblicken des Universums. Das Licht breitet sich mit einer Geschwindigkeit von nur dreihunderttausend Kilometern pro Sekunde aus und deswegen mußte die Strahlung, die wir jetzt sehen, vor Milliarden von Jahren von diesen Objekten ausgesandt worden sein. Der Arch¨ aologe, der sich mit seinem Spaten tief in den Boden gr¨abt, wird um Jahrtausende zur¨ uckversetzt. Der Physiker hingegen, der mit seinen Fernrohren tief in den Raum sp¨aht, sieht Milliarden von Jahren in die Vergangenheit zur¨ uck. Die Supernova-Entfernungen, die man auf der Grundlage der Leuchtkraft bestimmt hat, sind gr¨ oßer als die Entfernungen, auf die man mit Hilfe des Hubbleschen Prinzips aus der Rotverschiebung des von den Supernovae kommenden Lichtes schlußfolgern konnte. Wenn das Universum schon immer so schnell expandiert w¨ are, wie es jetzt expandiert, dann h¨atten sich die in jenen Entfernungen befindlichen Galaxien schneller wegbewegen m¨ ussen, als die Beobachtungen der Rotverschiebung angaben. Die Erkl¨arung f¨ ur diesen Widerspruch besteht darin, daß sich die Expansion des Universums beschleunigt! Als das Licht begann, sich von den Supernovae aus in Bewegung zu setzen, war die Reise gem¨ achlicher als sie es jetzt ist.
13.7 Die Wiederkehr der kosmologischen Konstanten Der Pulsschlag vieler Kosmologen setzte kurzzeitig aus, als diese Ergebnisse bekannt wurden. Die verlangsamte Expansion war eine bereits lange feststehende Theorie gewesen, auf der die Kosmologen ihr Lieblingsmodell des Universums aufgebaut hatten, aber in Wirklichkeit entwickelte sich das Weltall in eine ganz andere Richtung. Kehrtwendungen dieser Gr¨oßenordnung sind in der Wissenschaft nicht ganz allt¨ aglich, aber nachdem sich die Kosmologen von der ersten Verlegenheit erholt hatten, ersetzten sie flugs das kosmologische ” Standardmodell“, das auf einer verlangsamten Expansion beruhte, durch ein neues kosmologisches Standardmodell“, das mit der beschleunigten Expan” sion in Einklang stand.
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13 Einstein und das Universum
Im alten Modell bestand der gr¨ oßte Anteil der gesamten Energie des Universums, n¨amlich mehr als 90%, aus dunkler Materie, also aus Materie, die keine elektromagnetische Strahlung aussendet. Diese Strahlung ist aber ihrerseits f¨ ur Beobachtungen mit dem Fernrohr erforderlich. Im neuen Modell betr¨agt der Anteil der dunklen Materie nur ein Drittel und der gr¨oßte Anteil entf¨allt auf die sogenannte dunkle Energie. Diese bel¨auft sich auf ungef¨ahr zwei Drittel der Gesamtenergie. Die dunkle Energie ist Energie, die mit dem Raum selbst verkn¨ upft ist und deren Auswirkung auf die Entwicklung des Raumes kontr¨ar im Vergleich zur Materie ist. Materie bremst die Expansion des Raumes durch ihre Schwerkraft, w¨ ahrend die dunkle Energie die Expansion beschleunigt. Die dunkle Energie wirkt wie eine Antigravitation“ oder ” ein abnormaler negativer Druck. Die dunkle Energie ist nichts anderes als eine neue Interpretation der kosmologischen Konstante Einsteins. Die kosmologische Konstante war ein Buchstabe in der Feldgleichung der Allgemeinen Relativit¨atstheorie und u ¨ber die dunkle Energie ist nicht mehr bekannt als dieser Buchstabe. Einstein wollte mit seiner Konstanten das Universum vor dem Kollaps retten, aber die heutige Auffassung besagt, daß die kosmologische Konstante nicht nur das tut, sondern auch die Ereignisse von einem Moment zum anderen schneller in entgegengesetzter Richtung ablaufen l¨ aßt. Die kosmologische Konstante ist in unsere Gegenwart zur¨ uckgekehrt und jetzt ist das, was Einstein als die gr¨oßte Eselei seines Lebens bezeichnete, offensichtlich zur¨ uckgekommen, um zu bleiben. Selbst wenn der Raum leer w¨ are, w¨ urde er ohne Materie und Strahlung nicht inhaltslos sein. Die Eigenenergie des Raumes, die auch Vakuumenergie genannt wird, w¨ urde den Raum expandieren lassen. Einstein dachte nicht an diese M¨oglichkeit, aber der Niederl¨ ander Willem de Sitter (1872–1934) l¨oste Einsteins Feldgleichungen f¨ ur diese exotische Situation. Tats¨achlich hatten die Kosmologen bereits seit langem daran gedacht, daß es in den allerersten Augenblicken des Universums einen Zeitabschnitt gab, in dem der Raum sein eigenes Schicksal bestimmte. Die Vakuumenergie f¨ uhrte in dieser inflation¨aren Phase dazu, daß der Raum f¨ ur einen Moment exponentiell expandierte. Die kosmische Inflation ist f¨ ur die kosmologischen Modelle lebenswichtig, weil sie unter anderem erkl¨ art, warum die kosmische Hintergrundstrahlung in allen Richtungen von nahezu identischer Beschaffenheit ist. W¨are das Universum w¨ahrend seiner gesamten Existenz mit seiner jetzigen gem¨achlichen Geschwindigkeit expandiert, dann h¨ atten die in verschiedenen Richtungen liegenden Raumregionen, von denen die Hintergrundstrahlung zu uns kommt, niemals miteinander in Kontakt stehen k¨ onnen. Kein physikalisches Ph¨anomen h¨atte daf¨ ur sorgen k¨ onnen, daß die in verschiedenen Regionen entstandene Strahlung so exakt gleichartig ist, wie die Beobachtungen zeigen. Die Inflation erfaßt diesen Sachverhalt, weil das ganze von uns gesehene Universum vor diesem Ereignis so klein war, daß alle seine Bestandteile miteinander zusammenhingen und gleichartig werden konnten. Die neuesten Messungen
13.8 Das große Fragezeichen
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der Hintergrundstrahlung sind genauer als je zuvor und best¨atigen das inflation¨are Modell. Die gegenw¨artige beschleunigte Expansion des Universums hat einen anderen Ursprung als die inflation¨ are Expansion, aber auf lange Sicht hat sie ebenfalls dramatische Auswirkungen. Irgendwann in weiter Zukunft wird man am Himmel vergeblich nach ferneren Galaxien suchen – außer unseren unmittelbaren Nachbargalaxien wird man keine anderen mehr sehen, weil der Raum zwischen ihnen und uns mit einer derartigen Geschwindigkeit expandiert, daß das von diesen Galaxien ausgestrahlte Licht niemals zu uns gelangt, da es immer l¨angere Wege durchlaufen muß.
13.8 Das große Fragezeichen Die Vakuumenergie ist f¨ ur die Physiker keine Kuriosit¨at. Tats¨achlich strotzen die Berechnungen der theoretischen Physiker vor Vakuumenergie, weil gem¨aß den Quantentheorien, die das mikrophysikalische Verhalten der Materie beschreiben, der leere Raum voller sogenannter virtueller Teilchen und virtueller Antiteilchen ist, mit denen diese Art der Energie zusammenh¨angt. Das Problem besteht nur darin, daß der von der Theorie vorhergesagte Betrag an Vakuumenergie extrem viel gr¨ oßer ist als der Betrag, den die Kosmologie ben¨otigt, um die Beschleunigung der beobachteten Expansion zu erkl¨aren. 10120 -mal zu groß! Offensichtlich ist in der Mikrophysik noch ein weiterer wichtiger Durchbruch erforderlich, um das Problem der Vakuumenergie l¨osen zu k¨onnen. Viele halten das Mysterium der Vakuumenergie f¨ ur eine der wichtigsten ungel¨osten Fragen der Physik. Lebte Einstein noch, dann w¨ urde er gewiß eine Frage dieser Gewichtsklasse“ anpacken. ”
14 Der letzte Traum
Einstein nutzte seine letzten Jahrzehnte zur Entwicklung einer einheitlichen Feldtheorie, aber er suchte die L¨ osung in einer falschen Richtung. Er zog sich wissenschaftlich und auch sonst zur¨ uck. Die einheitliche Theorie wurde eine Utopie, die man erst Jahrzehnte sp¨ ater wieder aufgriff.
Einstein widmete die letzten drei Jahrzehnte seiner Forscherlaufbahn dem Aufbau einer einheitlichen Feldtheorie, einem Projekt, das zu nichts f¨ uhrte. Die Idee einer Theorie, die mehr abdeckt als die Allgemeine Relativit¨atstheorie und zus¨atzlich zur Gravitation auch die Struktur der Materie erkl¨art, bewegte Einstein schon bald nach der Vollendung der Allgemeinen Relativit¨atstheorie. Einsteins erste Ver¨ offentlichung zu diesem Thema erschien 1922 und von da an war die einheitliche Feldtheorie sein wichtigstes – und fast einziges – Forschungsthema. Noch am Tag vor seinem Tod 1955 verlangte Einstein die letzten Seiten seiner unvollendeten Berechnungen. Die drei Jahrzehnte w¨ahrenden ¨ Uberlegungen und die technisch komplizierten Ans¨atze brachten nichts, was zu einem wahrnehmbaren Vorteil f¨ ur die Entwicklung der Physik gef¨ uhrt h¨atte – zumindest noch nicht. Die Schaffung einer einheitlichen Feldtheorie ist auch weiterhin eines der großen Ziele der Physik und man ist diesem Ziel bedeutend n¨aher gekommen als seinerzeit Einstein und seine Zeitgenossen. Als Einstein seine einheitliche Feldtheorie formulierte, mied er die Quantenmechanik wie die Pest und das war ein verh¨ angnisvoller Fehler.
14.1 Lokale Geometrie Der Mathematiker Hermann Weyl (1885–1955) schrieb Einstein 1918 einen Brief mit der Mitteilung, daß er die Elektrizit¨at und die Gravitation von ” demselben Ausgangspunkt“ abgeleitet habe. Weyl war Student in G¨ottingen gewesen und hatte bei Hilbert promoviert. Als Weyl den Brief schrieb, war
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14 Der letzte Traum
er Professor an der ETH Z¨ urich. Er war einer der großen Mathematiker des 20. Jahrhunderts und nach Hilberts Emeritierung 1930 wurde er dessen Nachfolger in G¨ottingen. Der Ausgangspunkt von Weyl bei der Vereinigung der elektrischen Ph¨anomene und der Gravitation war rein mathematisch. Er hielt die seinerzeit von Riemann entwickelte Geometrie f¨ ur zu einschr¨ankend, weil ein L¨angenvergleich von Vektoren an verschiedenen Stellen der Mannigfaltigkeit direkt m¨oglich ist. Weyl sah darin ein unzul¨ assiges ferngeometrisches Element“ ” und forderte: Eine wahrhafte Nahegeometrie darf jedoch nur ein Prinzip der ” ¨ Ubertragung einer L¨ ange von einem Punkt zu einem unendlich benachbarten Punkt kennen.“ Weyl verallgemeinerte die geometrischen Gesetze der Allgemeinen Relativit¨ atstheorie so, daß man die L¨angenmaße umeichen“ kann, ” das heißt, man kann eine sogenannte Eichtransformation durchf¨ uhren. Als er forderte, daß diese Umeichung den Wert der in der Physik gemessenen Gr¨oßen nicht beinflussen d¨ urfe, bemerkte er, daß seine Theorie zus¨atzlich zur Allgemeinen Relativit¨ atstheorie von Einstein auch die Maxwellsche Theorie ¨ des Elektromagnetismus lieferte. Der Ubergang zur neuen Geometrie sagte außer der Erhaltung der Energie und des Impulses auch die Erhaltung der elektrischen Ladung vorher. Weyls Ergebnisse waren dramatisch, aber es waren die Ergebnisse eines Mathematikers. Einstein schickte Weyl sofort eine Postkarte, in der er konstatierte, daß die Theorie, so genial sie auch war, physikalisch belanglos sei. Gem¨aß Einstein machte die Wegabh¨ angigkeit der Strecken¨ ubertragung von vornherein jede physikalisch sinnvolle Interpretation der Weylschen Theorie unm¨oglich. Einstein stellte fest, daß Weyls Herangehensweise zu einem Konflikt mit den physikalischen Beobachtungen f¨ uhrt: Werden zwei identische Uhren von ein und demselben Punkt entlang verschiedener Wege zu einem anderen Punkt bewegt, dann gehen sie nach der Verschiebung anders. Das bedeutet, daß die Schwingungsspektren der sich im Raum bewegenden Atome – die ebenfalls gewisse Uhren sind – von den fr¨ uheren Unternehmungen“ ” der Atome abh¨angig w¨ aren, was jedoch der Frequenzstabilit¨at atomarer Oszillatoren widersprechen w¨ urde. Zum Beispiel sind die Spektren aller Wasserstoffatome identisch. Weyl und Einstein f¨ uhrten zu diesem Thema eine regen Briefwechsel, aber sie erzielten kein Einvernehmen. Jedoch erwies sich Einsteins physikalische Intuition als richtig.
14.2 Eichfeldtheorie Zehn Jahre sp¨ater gab Weyl seiner Grundidee eine neue Interpretation, die mit der Quantenphysik zusammenhing und zum Ausgangspunkt der sogenannten Eichfeldtheorien wurde, das heißt, der gegenw¨artigen Modelle zur Beschreibung des Mikrokosmos. Dabei bezieht sich Weyls Umeichung, also die Eichtransformation, nicht auf die L¨ angenmessung, sondern auf die in der Quantenmechanik verwendete Wellenfunktion, die zum Beispiel das Elektron
14.2 Eichfeldtheorie
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beschreibt. Obwohl er auch weiterhin von einer Eichtransformation sprach, ging es bei der Anwendung in der Quantenmechanik nicht um die Umeichung von L¨angen, sondern um eine Richtungs¨ anderung der Wellenfunktion. Als ¨ Weyl forderte, daß diese Anderung den Wert der Meßgr¨oßen nicht beeinflussen d¨ urfe, also eine Eichinvarianz gelten m¨ usse, kam er zum elektromagnetischen Feld: Falls ein elektrisch geladenes Elektron existiert, dann existiert zwangsl¨aufig auch ein elektromagnetisches Feld. Die von Faraday hundert Jahre zuvor ge¨außerte Hypothese erhielt auf diese Weise ein tiefliegendes mathematisches Fundament. Weyl war nach wie vor Mathematiker und deswegen verhielten sich viele Physiker seiner neuen Theorie gegen¨ uber zun¨ achst abwertend. Wolfgang Pauli, der f¨ ur seine ¨atzenden Kommentare ber¨ uhmt war, schrieb Weyl in h¨anselndem Ton: Vor mir liegt hier das Aprilheft der Proceedings of the National Acade” my. Nicht nur enth¨ alt es eine Arbeit von Ihnen in der Rubrik Physics, sondern, wie u ¨ber Ihrer Arbeit steht, sind Sie jetzt in einem Physical Laboratory zu Hause: wie ich h¨ ore, sollen Sie in Amerika sogar eine Professur f¨ ur theoretische Physik innehaben. Ich bewundere Ihren Mut; denn die Schlußfolgerung erscheint unabweisbar, daß Sie, wenigstens eine Zeit lang, nicht nach Ihren Erfolgen auf dem Gebiet der reinen Mathematik, sondern auf Grund Ihrer treuen, aber ungl¨ ucklichen Liebe zur Physik beurteilt sein wollen.“ Als Pauli sp¨ater Weyls umfassende Schrift Elektron und Gravitation“ gelesen hatte, ” verstand er die Tiefe der Theorie besser und sandte Weyl einen Entschuldigungsbrief, in dem er – wenn auch in Klammern – Folgendes schrieb: Und ” hier muß ich Ihrer T¨ atigkeit in der Physik Gerechtigkeit widerfahren lassen. Als Sie fr¨ uher die Theorie mit gik = λgik machten, war dies reine Mathematik und unphysikalisch. Einstein konnte mit Recht kritisieren und schimpfen. Nun ist die Stunde der Rache f¨ ur Sie gekommen; jetzt hat Einstein den Bock des Fernparallelismus geschossen, der auch nur reine Mathematik ist und nichts mit Physik zu tun hat, und Sie k¨ onnen schimpfen!“ Die durch die Weylsche Wellenfunktion bewirkte Eichtransformation l¨aßt sich durch Drehen eines Uhrzeigers veranschaulichen. Die Zeigerrichtung“ ist ” in der Quantenphysik wesentlich (sie wird als Phase der Wellenfunktion bezeichnet), aber die zu messenden Gr¨ oßen h¨ angen nur von der Zeigerl¨ange“ ” ab, die sich nicht ¨ andert, wenn der Zeiger gedreht wird. Die Transformation von Weyl hat auch folgende Eigenschaft, die zu Ehren des norwegischen Mathematiker Niels Henrik Abel als Abelsch“ bezeichnet wird. Wird ein Uhr” zeiger nacheinander mehrere Male gedreht, dann ist es f¨ ur das Endresultat gleichg¨ ultig, in welcher Reihenfolge die Drehungen durchgef¨ uhrt werden: drei Stunden nach vorn, zwei Stunden zur¨ uck und f¨ unf Stunden nach vorn f¨ uhrt zu dem gleichen Ergebnis wie zwei Stunden zur¨ uck, f¨ unf Stunden nach vorn und drei Stunden nach vorn. Auch jede beliebige andere Reihenfolge f¨ uhrt zu dem gleichen Ergebnis. Es dauerte drei Jahrzehnte, bis es gelang, die Weylschen Transformationen auf eine kompliziertere Situation zu verallgemeinern, die als nicht-Abelsch bezeichnet wird. Es war eine andere Zeit als die Zeit, in der Weyl die Abelsche
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14 Der letzte Traum
Eichtransformation erfand, und die Verallgemeinerung hing weder mit der Gravitation noch mit der Entwicklung der einheitlichen Feldtheorie zusammen. Die Eichfeldtheorie hatte sich bei der quantenmechanischen Beschreibung von elektromagnetischen Wechselwirkungen als exzellent erwiesen und jetzt wollte man diese Beschreibung auch auf die anderen Wechselwirkungen verallgemeinern, die im Laufe der Jahre entdeckt worden sind. Zus¨atzlich zur Erhaltung der elektrischen Ladung hatte man in der Mikrophysik auch viele andere Erhaltungss¨ atze gefunden und wollte das Weylsche Rezept auch auf diese S¨atze anwenden. Der zum Amerikaner gewordene Chinese Chen Ning Yang (geb. 1922) dachte 1954 zusammen mit seinem Mitarbeiter Robert Mills dar¨ uber nach, wie man die Weylsche Eichtransformation zur Beschreibung des Erhaltungssatzes verwenden k¨ onne, der beim Verhalten der starken Kernkr¨afte zutage gekommen war. Es handelte sich um die Erhaltung des sogenannten Isospins. Der Isospin ist eine mathematisch bedeutend kompliziertere Eigenschaft als die elektrische Ladung, und deswegen reichte die einfache Abelsche Eichtransformation von Weyl nicht aus; man mußte stattdessen eine allgemeinere nichtAbelsche Transformation verwenden. Wenn man eine Abelsche Transformation durch ein Zifferblatt beschreiben kann, bei dem die Eichtransformation einer Zeigerdrehung entspricht, dann k¨onnte eine nicht-Abelsche Transformation einer imagin¨aren Uhr entsprechen, die eine mehrdimensionale Zeit auf einem Zifferblatt anzeigt, das die Oberfl¨ache einer Kugel ist, wobei sich die im Kugelmittelpunkt befestigten Zeiger in alle Richtungen drehen k¨ onnen. Wir hatten bereits festgestellt, daß bei einer gew¨ ohnlichen Uhr die Reihenfolge der Zeigerdrehungen unwesentlich ist. Bei der imagin¨ aren Kugeluhr hingegen w¨ urde das Endergebnis der nacheinander durchgef¨ uhrten Zeigerdrehungen im Allgemeinen von der Reihenfolge dieser Drehungen abh¨ angen. Yang und Mills gelang es, eine Theorie zu entwickeln, die auf einer nicht-Abelschen Eichtransformation beruht. Diese Theorie hat sich sp¨ ater bei der mathematischen Modellierung der starken und der schwachen Kernkraft als n¨ utzlich erwiesen. F¨ ur drei der vier grundlegenden Naturkr¨afte – f¨ ur die elektromagnetische Kraft sowie f¨ ur die starke und die schwache Kraft – gibt es jetzt ein Modell, das auf Eichtransformationen beruht; nur f¨ ur die Gravitation gibt es keine so gut getestete quantenmechanische Theorie. Yang arbeitete ab 1949 lange Zeit an der Universit¨at Princeton und traf dort h¨aufig Hermann Weyl, der wie Einstein in die Vereinigten Staaten u ¨bersiedelt war, um den Nazis zu entkommen. Jedoch diskutierten Yang und Weyl nie u ¨ber die Eichfeldtheorien und offensichtlich wußte Weyl u ¨ber die Ergebnisse von Yang und Mills nicht Bescheid. Der alte Weyl interessierte sich n¨amlich f¨ ur Eichfeldtheorien insbesondere im Zusammenhang mit einer Verallgemeinerung der Gravitationstheorie, wohingegen der junge Yang das Ziel hatte, die Prinzipien der Elektrodynamik zu verallgemeinern. Weyl und Yang sprachen nicht die gleiche Sprache.
14.2 Eichfeldtheorie
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Als Yang u ¨ber seine Theorie in Princeton vortrug, war auch Wolfgang Pauli anwesend. Pauli setzte Yang w¨ ahrend des Vortrags mit Fragen u ¨ber das in den Yangschen Gleichungen auftretende Feld zu (dieses Feld war eine Verallgemeinerung des elektromagnetischen Feldes, ein sogenanntes Eichfeld). Pauli wollte wissen, was das physikalische Gegenst¨ uck dieses Feldes sei. Yang konnte darauf keine Antwort geben, er wich der Frage aus und verwies schließlich auf die Tatsache, daß er und Mills trotz ihrer erheblichen Bem¨ uhungen noch keine passende physikalische Interpretation gefunden h¨atten. Als Pauli losplatzte, daß diese Art Erkl¨ arung untauglich sei, unterbrach Yang seinen Vortrag verlegen. Robert Oppenheimer, der als Chairman fungierte, beschwichtigte Pauli und der Vortrag konnte nach dem Durcheinander fortgesetzt werden. Heute weiß man, was die Aufgabe der Yangschen Eichfelder ist: sie beschreiben die Vermittler der Kr¨ afte. Im Falle der sogenannten elektroschwachen Theorie sind die Eichfelder W-Bosonen, welche die schwache Kernkraft vermitteln, und im Falle der Quantenchromodynamik – das heißt, der Theorie, welche die starke Kernkraft beschreibt – sind es Gluonen. Pauli war es nicht mehr verg¨onnt, diese Antworten zu h¨ oren, denn er starb 1958, also zehn Jahre vor dem Beginn des Triumphzugs der nicht-Abelschen Eichfeldtheorien. Der Amerikaner Steven Weinberg (geb. 1933) und der Pakistani Abdus Salam (1926–1996) entwickelten Ende der 1960er Jahre die elektroschwache Theorie. Die Theorie vereinigt die elektromagnetische Wechselwirkung und schwache Wechselwirkung. Diese Theorie ist im Laufe der Jahre durch unz¨ahlige Messungen getestet worden. Jedoch fehlt noch das letzte Siegel f¨ ur die experimentelle Best¨atigung dieser Theorie. Gem¨ aß dem Modell h¨angt der Ursprung der Masse der Teilchen mit einem u ¨berallhin ausgebreiteten besonderen Feld zusammen, das nach dem Schotten Peter Higgs, einem der Erfinder“, als ” Higgs-Feld bezeichnet wird. Der experimentelle Test dieser Hypothese besteht darin, das Higgs-Boson – also das Quant des Higgs-Feldes – zu finden. Das Higgs-Boson spielt schon lange mit den Forschern das Spiel Fang mich, wenn ” du kannst“ und bis jetzt ist es dem Teilchen gelungen, sich den Messungen zu entziehen. In die Suche nach dem Higgs-Boson sind mehr als zwanzig Jahre Planungsund Bauarbeit und viele Milliarden Euro investiert worden. Bald werden wir sehen, ob der unverr¨ uckbare Glaube der u ¨ berwiegenden Mehrheit der Physiker an die Hypothese der elektroschwachen Theorie gerechtfertigt ist. Oder verh¨alt es vielleicht so, daß das raumausf¨ ullende Higgs-Feld ein ¨ahnlicher Irr¨ glaube ist wie der Ather vor hundert Jahren? Vielleicht entwickelt ein von der akademischen Welt verschm¨ ahter Einstein in irgendeinem Patent- oder Registeramt, in der Forschungsabteilung einer Handyfirma oder im Lehrerzimmer einer Schule gerade jetzt eine revolution¨ are neue Theorie mit dem Ziel, das Higgs-Feld in den Augen der Nachwelt als ebenso schlecht begr¨ undet und ulkig ¨ vorzuf¨ uhren, wie es die Atherhypothese in unseren Augen ist.
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14 Der letzte Traum
14.3 Einsteins innere Stimme Einstein war von Weyls erster einheitlicher Theorie begeistert, in der die Allgemeine Relativit¨ atstheorie so verallgemeinert wurde, daß sie auch die Elektrodynamik enth¨ alt. Damals glaubte man, daß die Elektrodynamik ausreiche, die innere Struktur der Materie zu erkl¨ aren, und man betrachtete es als die Aufgabe der einheitlichen Theorie, die Elektrodynamik mit der Gravitation zu vereinigen – dann w¨ urde alles gekl¨ art sein. Als Ernest Rutherford in der Mitte eines Atoms einen winzig kleinen Kern fand, dachte er, daß der Kern aus geladenen Teilchen bestehe, die durch eine starke elektromagnetische Kraft zusammengehalten werden. Man glaubte lange Zeit, daß Materie nur aus negativ geladenen Elektronen und aus positiv geladenen Protonen best¨ unde, und dachte, daß in den Kernen Elektronen vorhanden seien, so daß die Massen und die elektrischen Ladungen der Kerne in Einklang mit den Beobachtungsergebnissen standen. Erst 1919 traten die ersten experimentellen Hinweise auf, daß sich im Kern außer den elektromagnetischen Kr¨aften auch noch andere Kr¨afte verbergen. Die Neutronen traten erst sp¨ater auf den Plan und man erkannte, daß ein Teil der Masse des Kerns aus neutralen Neutronen besteht, und daß sich die Elektronen nur in einer Elektronenwolke befinden, die den Kern umgibt. So wie Weyl interessierte sich auch Einstein daf¨ ur, die Riemannsche Geometrie zu verallgemeinern, und er begann, diesen Weg zu verfolgen. Jedoch unterschieden sich Einsteins und Weyls Wege voneinander, da Weyl f¨ ur seine Eichtransformationen eine auf der Quantenmechanik beruhende Interpretation verwendete. Wir hatten bereits erw¨ ahnt, daß Einsteins Beziehung zur Quantenmechanik eigenartig war. Zusammen mit Max Planck und Niels Bohr geh¨orte er zu den Sch¨ opfern der Quantenphysik, aber er hat die Quantenme¨ chanik nie akzeptiert. Nach seiner Uberzeugung ist die Quantenmechanik an sich bemerkenswert, aber seine innere Stimme“ sagte ihm, daß sie letzten ” Endes nicht auf die richtige Spur f¨ uhre. Die Theorie hat viel zu geben, aber ” sie bringt uns den Geheimnissen des Teufels kaum n¨aher.“ Einstein hatte eine einheitliche Theorie im Visier, in der man ohne Quantenmechanik auskommt. Einstein verschloß die Augen auch vor den neuen fundamentalen Kr¨aften, die von den Physikern entdeckt worden waren. Bereits Anfang der 1930er Jahre war es v¨ollig klar, daß im Kern zwei nichtelektromagnetische Kr¨afte wirken: die starke und die schwache Kernkraft. Sp¨ atestens zu diesem Zeitpunkt war eine auf die Verallgemeinerung des Elektromagnetismus und der Gravitation beschr¨ankte einheitliche Theorie“ ein Gedankentorso. Das Interesse der Phy” siker richtete sich auf die Kr¨ afte der Mikrophysik und die Erforschung der Gravitation geriet in die vernachl¨ assigte Position eines obdachlosen Waisenkindes. Die Entwicklung einer einheitlichen Theorie war stets das Interesse eines relativ kleinen Kreises gewesen, aber jetzt blieb Einstein vollkommen allein. Es war der Anfang seines Weges zum wissenschaftlichen Ein(stein)siedler, der er bis zu seinem Lebensende blieb.
14.4 In neue Dimensionen
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14.4 In neue Dimensionen Der damals noch unbekannte deutsche Mathematiker Theodor Kaluza (1885– 1954) sandte Einstein 1919 ein Manuskript seiner Arbeit, in der er die Allgemeine Relativit¨atstheorie und Maxwells Theorie des Elektromagnetismus auf ziemlich eigent¨ umliche Weise vereinigte. Er nahm an, daß die Welt zus¨atzlich zur Zeit und den drei r¨ aumlichen Dimensionen noch eine f¨ unfte Dimension hat. Nach Kaluzas Auffassung ist die f¨ unfte Dimension verborgen. Die Kraftfelder h¨angen nicht davon ab, wo sich diese f¨ unfte Dimension befindet. Einstein antwortete Kaluza: Die Idee, eine einheitliche Theorie mithilfe einer f¨ unfdi” mensionalen Zylinderwelt zu erhalten, ist mir niemals gekommen ... Auf den ersten fl¨ uchtigen Blick gef¨ allt mir Ihre Idee enorm.“ Die Erweiterung des Raumes durch eine neue Dimension war eine unvoreingenommene Idee, ist aber vielleicht verst¨ andlich, wenn man Kaluzas Herkunft als Mathematiker ber¨ ucksichtigt. Die Gedanken eines Mathematikers gleiten offener als die Gedanken anderer u ¨ber die Schranken des vierdimensio¨ nalen Raumes hinaus. Uberraschender ist jedoch, daß ein Physiker die gleiche Idee bereits viele Jahre fr¨ uher vom physikalischen Standpunkt aus vorlegte. Bereits 1914 hatte Gunnar Nordstr¨ om eine Arbeit ver¨offentlicht, die auf derselben Grundidee beruhte: es handelte sich um einen f¨ unfdimensionalen Raum f¨ ur die Vereinheitlichung des Elektromagnetismus mit einem skalaren Gravitationsfeld. Nordstr¨ oms Arbeit fand damals keine Beachtung – offensichtlich wußte auch Kaluza nichts davon –, aber die Bedeutung seines Beitrags wurde sp¨ater anerkannt. Nordstr¨om entwickelte seine Theorie bereits vor der Ver¨offentlichung der Allgemeinen Relativit¨ atstheorie und somit ist der diesbez¨ ugliche Gravitations” anteil“ nicht die Theorie Einsteins, sondern Nordstr¨oms eigene, konkurrierende Gravitationstheorie. Vom Standpunkt der revolution¨aren Grundidee hat das jedoch keine große Bedeutung. Man kann Nordstr¨om als ersten Ver” einheitlichungstheoretiker“ betrachten, weil seine Arbeit mehrere Jahre vor Hermann Weyls Ver¨ offentlichungen erschien. Kaluzas Manuskript inspirierte auch Einstein zu dem Versuch, die Allgemeine Relativit¨atstheorie und den Elektromagnetismus mit Hilfe der f¨ unften Dimension zu vereinheitlichen. Aus irgendeinem Grund verlegte er Kaluzas Manuskript f¨ ur fast zwei Jahre, bevor er es der Preußischen Akademie vorlegte. Bald danach schrieb er seine erste eigene Ver¨offentlichung u ¨ ber das Thema. Einstein kam w¨ ahrend seiner ganzen restlichen Laufbahn von Zeit zu Zeit auf das Thema zur¨ uck, insbesondere nachdem der Schwede Oskar Klein (1894– 1977) die Theorie von Kaluza 1926 wesentlich verbessert hatte. Unter anderem erkl¨arte Klein, warum sich die f¨ unfte Dimension nicht der makroskopischen Welt erschließt: es handelt sich um eine verborgene Dimension, eine zusam” mengerollte Extradimension“. Diese f¨ unfte Dimension macht aus einer eindimensionalen Linie (deren einzige Dimension die L¨ange ist) der vierdimensio-
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14 Der letzte Traum
nalen Raumzeit einen d¨ unnen Faden1 . Die Bewegung im vierdimensionalen Raum ist eine Bewegung entlang eines Fadens, die Bewegung in der f¨ unften Dimension ist eine Drehung um den Faden. Klein schlußfolgerte, daß die St¨arke des Fadens nur der millionste Teil des milliardsten Teils des milliardsten Teils eines milliardsten Teils eines Zentimeters ist, das heißt, 10−33 cm. Die k¨ urzesten Entfernungen, die man mit Hilfe der heutigen Versuchsanlagen indirekt messen kann, sind von der Gr¨ oßenordnung eines millionsten Teils eines milliardsten Teils eines Zentimeters, so daß die von der Kaluza-Klein-Theorie vorhergesagte neue Dimension praktisch unsichtbar ist. Einstein schrieb einem Freund begeistert: Kleins Abhandlung ist sch¨on ” und eindrucksvoll, aber ich finde Kaluzas Prinzip gar zu unnat¨ urlich.“ Offensichtlich inspiriert von Klein, schrieb Einstein bald zwei kurze Mitteilungen, deren letztere einen merkw¨ urdigen Anhang hatte. Darin teilte Einstein Folgendes mit: Wie Herr Mandel mir gegen¨ uber betont, sind die von mir mit” geteilten Resultate nicht neu. Ihr ganzer Inhalt findet sich auch in der Arbeit von O. Klein.“ Im Anhang stehen die Hinweise auf Kleins Ver¨offentlichungen. Einstein erw¨ahnt auch die Untersuchungen des Russen Wladimir Fock, der viele von Kleins Ergebnissen unabh¨ angig erzielt hatte. Demgegen¨ uber erw¨ahnt Einstein die teilweise ¨ ahnlichen Arbeiten des Leningraders Mandel nicht, obwohl Mandel ihm sicher auch davon erz¨ ahlt hatte. Viele haben sich gewundert, warum Einstein seine eigenen Artikel u ¨berhaupt ver¨offentlichen wollte, obwohl er wußte, daß sie nichts Neues enthielten.
14.5 Ohne Boden unter den Fu ¨ßen Einsteins u ¨beraus einsamer Kampf um eine einheitliche Theorie war letztlich nicht erfolgreich. Das wußte er selbst am besten. Alle meine Versuche, das ” theoretische Fundament der Physik diesen Erkenntnissen anzupassen, scheiterten aber v¨ollig. Es war, wie wenn einem der Boden unter den F¨ ußen weggezogen worden w¨ are, ohne daß sich irgendwie fester Grund zeigte, auf dem man h¨atte bauen k¨ onnen.“ Als Weyl seinen ersten Versuch unternahm, eine einheitliche Feldtheorie f¨ ur die Gravitation und den Elektromagnetismus zu entwickeln, kritisierte Einstein Weyls Herangehensweise: Na, Weyl, las” sen wir das. So – das heißt, auf so spekulative Weise, ohne ein leitendes, anschauliches physikalisches Prinzip – macht man keine Physik.“ Sp¨ater im Leben neigte Einstein immer mehr zu derselben Vorgehensweise, die er Weyl anlastete. Einstein, so schien es, sah beim Herumstiefeln im mathematischen Tensordschungel den Wald vor lauter B¨ aumen nicht mehr richtig. Von Jahr zu Jahr hatte Einstein weniger Sympathisanten unter den Phy¨ sikern, aber sein Name hatte in der breiten Offentlichkeit einen magischen 1
Eine M¨ oglichkeit, das Wort Faden im Englischen wiederzugeben, ist string. Tats¨ achlich erlebt die Kaluza-Klein-Theorie in den Stringtheorien eine Renaissance.
14.5 Ohne Boden unter den F¨ ußen
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Klang. Die New York Times ver¨ offentlichte im Herbst 1928 einen Artikel mit ¨ der Uberschrift Einstein vor einer großen Entdeckung“. Die Zeitung hatte ” Wind von einer bevorstehenden Ver¨ offentlichung Einsteins bekommen und nahm an, daß seine Publikationen revolution¨ ar sein m¨ ußten. Wie dem K¨onig Midas alles zu Gold wurde, was in Wirklichkeit ein schrecklicher Fluch ist, wird bei mir alles zum Zeitungsgeschrei“ hatte Einstein bereits 1922, kurz ” nachdem er ber¨ uhmt geworden war, zu Max Born geseufzt, und auch jetzt verhielt es sich mit den Zeitungen ¨ ahnlich. In Wirklichkeit hatte Einsteins Artikel sechs Seiten, die sich als nicht sehr bedeutend erwiesen und inhaltlich mit der eleganten einheitlichen Theorie des Weylschen Modells zusammenhingen. Bald erhielt Einstein folgende Nachricht von Eddington aus London: Es mag Sie am¨ usieren zu h¨ oren, daß eines der großen Kaufh¨auser in London, ” Selfridges, Ihre Arbeit in seine Auslage gebracht hat ..., so daß die Passanten sie lesen k¨onnen. Große Menschenmassen dr¨ angen sich dort!“ Die Physiker reagierten sauer auf Einsteins Arbeit, Wolfgang Pauli, entsprechend seinem Naturell, am boshaftesten: Beschert uns doch seine nie ver” sagende Erfindungsgabe sowie seine hartn¨ ackige Energie beim Verfolgen eines bestimmten Zieles in letzter Zeit durchschnittlich etwa eine solche Theorie pro Jahr – wobei es psychologisch interessant ist, daß die jeweilige Theorie vom Autor gew¨ohnlich eine Zeit lang als ‘definitive L¨osung’ betrachtet wird.“ Einstein suchte in der Natur nach einfachen und sch¨onen Gesetzm¨aßigkeiten, weil er glaubte, daß die Natur so beschaffen ist. Tats¨achlich hatte er viele solche Gesetze entdeckt und als er nach einer einheitlichen Theorie suchte, ging er von der gleichen Grundvoraussetzung aus: Hinter dem Wirken der Natur steht ein einfaches Prinzip, das noch nicht gefunden worden ist, aber letztlich die Ph¨anomene der Physik auf neue Weise erkl¨aren werde. Er fand dieses einfache Prinzip nicht – er kam nicht einmal in dessen N¨ahe – aber sein Glaube an dessen Existenz war unersch¨ utterlich. Das ist das wichtigste Erbe, das er in seinen letzten dreißig Lebensjahren der Physik vermachte: Es gibt allgemeing¨ ultigere und sch¨ onere Naturgesetze, als wir sie bislang gefunden haben, und wir m¨ ussen nach ihnen suchen. Einige Jahre vor Einsteins Tod schrieb ihm aus Kopenhagen ein arbeitsloser junger Mann, der sich f¨ ur Naturwissenschaften interessierte, einen bewundernden Brief mit Kommentaren zur einheitlichen Theorie. Der Postbote buckelte solche Briefe s¨ ackeweise zu Einstein, aber auf diesen Brief antwortete er pers¨onlich. Die Situation ist diese“, schrieb er, wir stehen vor einem ” ” geschlossenen Kasten, den wir nicht ¨ offnen k¨onnen, und wir tun alles, um herauszufinden, was in dem Kasten ist und was nicht.“ Einstein hat mehr als irgendein anderer getan, um diese Blackbox ein wenig zu ¨offnen, aber als sich sein Ende n¨aherte, sah er immer klarer, wie schwer sich die Natur ihre Geheimnisse entreißen l¨ aßt.
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14.6 Wird Einsteins Traum wahr? Als Einstein starb, trat die Suche nach einheitlichen physikalischen Theorien zun¨achst in den Hintergrund. Die einheitliche Feldtheorie wurde zu einer utopischen Idee. Wenn Einstein trotz jahrzehntelanger Anstrengungen nicht erfolgreich gewesen war, dann lohnte es sich f¨ ur einen Forscher normalen Kalibers wohl kaum, die Sache anzupacken, wenn er nicht als gr¨oßenwahnsinnig abgestempelt werden wollte. Die Lage ¨anderte sich ungef¨ ahr zwanzig Jahre nach Einsteins Tod. Die Eichfeldtheorien erwiesen sich Ende der 1960er Jahre und Anfang der 1970er Jahre als erfolgreich und man entwickelte eine einheitliche mathematische Grundlage f¨ ur die Beschreibung aller fundamentalen Kr¨afte der Natur – mit Ausnahme der Gravitation. Bald erkannte man, daß die Quantenchromodynamik (QCD), also die Eichfeldtheorie der starken Kernkraft, und die elektroschwache Theorie, in der die elektromagnetische Kraft und die schwache Kernkraft vereinheitlicht werden, Teile ein und derselben Theorie – einer Großen Vereinheitlichten Theorie2 – sein k¨ onnten. Als man das Verhalten dieser Kr¨afte untersuchte, ergab sich, daß die Kr¨afte zu einer einzigen Kraft werden, wenn die Wechselwirkungsenergie sehr groß ist. Das Verhalten der Teilchen kann, wie Louis de Broglie gezeigt hat, mit Hilfe von Wellen beschrieben werden, und wenn es sich um ein hochenergetisches Teilchen handelt, dann hat die Welle, die das Teilchen beschreibt, eine kleine Wellenl¨ange. Je kleiner die Wellenl¨ ange ist, desto genauer sondiert“ ” das Teilchen seine Umgebung und desto exakter sind die Informationen, die es bez¨ uglich der einschl¨ agigen Wechselwirkungen preisgibt. Stoßen zwei hochenergetische Teilchen zusammen, dann liefert ihr Verhalten genaue Informationen u afte, die zwischen ihnen wirken. Dank ¨ ber die Kr¨ der exakten mathematischen Struktur der einheitlichen Theorien l¨aßt sich berechnen, wie das Verhalten der Kr¨ afte von der Energie der Teilchen abh¨angt. Bei dieser Berechnung ergibt sich, daß alle drei Kr¨afte gleich groß werden, wenn die Energie die Gr¨ oßenordnung der Ruheenergie von einer Million Milliarden Protonen hat. In den Labors l¨ aßt sich diese Situation nicht untersuchen, weil die Teilchenbeschleuniger den Teilchen keine hinreichend hohe Energie verleihen k¨onnen. Auch wenn die heutigen Teilchenbeschleuniger bereits wahre Monster sind, so kommen sie doch nur auf das Niveau der Ruheenergie von tausend Protonen. Dennoch durchlief das Universum in der erste Phase seiner Entwicklung eine Stufe, in der die Wechselwirkungen gleich waren. Die Materie war damals ein extrem heißes Plasma und die Energie der zusammenstoßenden Teilchen war gewaltig. Der Hauptmangel dieser Großen Vereinheitlichten Theorien besteht darin, daß sie die Gravitation nicht erkl¨ aren, das heißt, sie sind keine echten ein2
Grand Unified Theory (GUT): Theorie, die drei der vier bekannten physikalischen Grundkr¨ afte vereinigt, n¨ amlich die starke Wechselwirkung (starke Kernkraft), die schwache Wechselwirkung (schwache Kernkraft) und die elektromagnetische Kraft.
14.6 Wird Einsteins Traum wahr?
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heitlichen Theorien. Die Gravitation konnte aufgrund ihrer besonderen Beschaffenheit nicht zusammen mit den anderen fundamentalen Kr¨aften in ein und derselben quantenmechanischen Beschreibung erfaßt werden. Gem¨aß der Allgemeinen Relativit¨ atstheorie ist die Gravitation die Geometrie der Raumzeit, so daß die Quantisierung der Gravitation eine mikroskopische Aufsplitterung der Raumstruktur bedeutet. Laut Quantenmechanik gehorcht die Natur der Unsch¨arferelation, nach der sich Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens nicht gleichzeitig exakt bestimmen lassen. W¨ urden wir zu einem gegebenen Zeitpunkt den Ort eines Teilchens genau kennen, dann w¨ urden wir nichts u ¨ber seine Geschwindigkeit wissen, das heißt, wir w¨ urden nicht wissen, wo sich das Teilchen einen Moment sp¨ ater befindet. Dasselbe gilt f¨ ur Felder. Je genauer wir beispielsweise den Wert eines elektromagnetischen Feldes zu einem gegebe¨ nen Zeitpunkt kennen, desto weniger wissen wir u ¨ber die Anderungsgeschwindigkeit des Feldes in diesem Moment. Das Feld, das wir f¨ ur homogen halten, ist auf mikroskopischer Ebene nicht homogen, sondern schwankt die ganze Zeit entsprechend der Unsch¨ arferelation. Wird die Quantenbeschreibung auf die Gravitation erweitert, dann bedeuten diese Schwankungen nichts anderes als st¨andige kleine Schwingungen der Raumkr¨ ummung. Die korrekte mathematische Beschreibung von Schwingungen dieser Art hat sich als eines der schwierigsten Probleme der Physik erwiesen. Einstein w¨are also nicht einmal mit dem Ansatz der Großen Vereinheitlichten Theorien zufrieden gewesen, weil sie sein wichtigstes Ziel nicht erf¨ ullen, n¨amlich die Verschmelzung der Gravitation und der anderen Kr¨afte – und weil sie obendrein auch noch Quantentheorien sind. Aber er h¨atte bestimmt seine Ohren gespitzt, wenn er von der Stringtheorie geh¨ort h¨atte, dem neuesten Versuch, eine einheitliche Theorie zu entwickeln. Die radikale Ausgangsvoraussetzung dieser Theorie w¨ are sicher nach seinem Geschmack gewesen: Teilchen sind keine punktf¨ ormigen Entit¨ aten, sondern kleine Fadenst¨ ucke oder Fadenschlaufen, die ihr Spiel spielen, nicht im vier- oder f¨ unfdimensionalen Raum, sondern im zehn- oder elfdimensionalen Raum. Diejenigen, die von einer Theorie von Allem3“ tr¨ aumen, schw¨ oren heutzutage auf die Stringtheo” rie. Eine ganze Generation von mathematischen Physikern versucht, Einsteins utopische Idee umzusetzen und die korrekte Form der Stringtheorie zu finden. Ihr gr¨oßter Guru ist der Amerikaner Edward Witten (geb. 1951), der bei seinen Forschungen mehr Quellen verarbeitet hat als jeder andere Physiker. In den Quantenfeldtheorien und in den Großen Vereinheitlichten Theorien stellt man sich die Elementarteilchen – Quarks und Leptonen – als punktf¨ormige Entit¨aten vor. Sie haben also in keiner Richtung eine Dimension, sondern ihre strategischen Abmessungen sind 0 - 0 - 0. Dennoch haben diese Nicht” existenzen“ Eigenschaften, auf deren Grundlage sie sich voneinander unterscheiden. Bei diesen Eigenschaften handelt es sich um die Masse sowie um elektrische und andere Ladungen. Laut Stringtheorie sind die Teilchen in der 3
Theory of Everything (TOE): Bezeichnung f¨ ur eine vereinheitlichte Theorie aller fundamentalen Wechselwirkungen.
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vierdimensionalen Raumzeit punktf¨ ormig, aber wenn es uns gel¨ange, in die Extradimensionen zu blicken, dann w¨ urden wir sehen, daß es sich um kleine Fadenst¨ ucke oder Fadenschlaufen handelt. Diese Strings sind also eindimensionale Objekte und daher k¨ onnen sie ¨ ahnlich schwingen wie die Saiten einer Kantele4 . Tats¨achlich sind alle Arten von Quarks und Leptonen, ja sogar Energiequanten wie Photonen und Gluonen, unterschiedliche Schwingungszust¨ande von Strings. Weyl war seinerzeit begeistert, als er feststellte, wie sich aus seiner verallgemeinerten Riemannschen Geometrie zus¨ atzlich zu Einsteins Gravitationstheorie auch die Theorie des Elektromagnetismus ableiten ließ. Begeistert waren sicher auch Nordstr¨ om, Kaluza und Klein, weil die f¨ unfte Dimension das glei¨ che Wunder bewirkte. Mit den freudigen Uberraschungen geht es auch in der Stringtheorie weiter. Dort findet man auf nat¨ urliche Weise sowohl die Eichfelder als auch die Gravitation, aber auch Nordstr¨oms, Kaluzas und Kleins Extradimensionen in zusammengerollter Form. Die Strings kr¨ ummen den sie umgebenden Raum genau so, wie es die Allgemeine Relativit¨atstheorie sagt, und die elektromagnetische Kraft, die schwache Kraft und die starke Kraft werden durch Extradimensionen auf ganz ¨ ahnliche Weise beschrieben wie in den u aren die Allgemeine Relativit¨atstheorie ¨blichen Quantenfeldtheorien. W¨ und die Eichfelder nicht fr¨ uher entdeckt worden, dann h¨atte die Stringtheorie zu deren Entdeckung gef¨ uhrt – auch wenn die Ausgangspunkte ganz andere sind als seinerzeit bei Einstein, Weyl, Yang und anderen. Viele derjenigen, die in die Geheimnisse der Stringtheorie geblickt haben, sind begeistert und fasziniert. Die mathematische Sch¨onheit der Theorie beeindruckt sie und erweckt das u altigende Gef¨ uhl, daß es sich um eine ¨berw¨ tiefgr¨ undige Wahrheit handelt. Dennoch gibt es ein Glaubw¨ urdigkeitsproblem: es ist schwer, eine definitive experimentelle Best¨atigung der Stringtheorie zu finden, und solange diese Theorie f¨ ur die Erkl¨arung eines experimentellen Ergebnisses nicht notwendig ist, kann sie trotz all ihrer theoretischen und ¨ mathematischen Uberzeugungskraft infrage gestellt werden. Nat¨ urlich stand Einstein seinerzeit mit der Speziellen Relativit¨atstheorie und der Allgemeinen Relativit¨atstheorie vor dem gleichen Problem. Wo ist die Sonnenfinsternis“, ” mit der sich die Stringtheorie auf u ¨berzeugende Weise mit der realen physikalischen Welt verbinden ließe – so ¨ ahnlich wie damals, als die Beobachtung der Lichtablenkung zu einer Best¨ atigung der Allgemeinen Relativit¨atstheorie f¨ uhrte.
4
Die Kantele, das finnische Nationalinstrument, ist eine liegende, f¨ unf- bis dreizehnsaitige Zither.
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Namensverzeichnis
Abel, Niels Henrik 163 Abraham, Max 96, 98 Adler, Carl 72 Adler, Friedrich 86, 87 Alpher, Ralph 155 Arago, Dominique 16 Armstrong, Neil 90 Aspect, Alain 124 Bassow, Nikolai 121 Bell, John 124 Berkeley, George 47 Bethe, Hans 135 Bohr, Niels 77, 78, 112, 122, 124, 166 Boltzmann, Ludwig 4, 5, 77, 108, 110, 116 Born, Max 32, 57, 96, 169 Bose, Satyendra Nath 115–118, 120 Bradley, James 42, 43 Brahe, Tycho 87 Broglie, Louis de 24, 131, 132, 170 Broglie, Maurice de 131 Brown, Robert 4 Cavendish, Henry 26, 105 Champollion, Fran¸cois 23 Chandrasekhar, Subrahmanyan 130, 132, 133 Chandrasekhara, Venkata Raman 133 Ciufolini, Ignazio 140 Cockcroft, John 70, 71 Cornell, Eric 118, 119 Curie, Pierre 109
Davy, Sir Humphry 13–15, 18 Descartes, Ren´e 10 Dickens, Charles 13 Dirac, Paul 117, 131 Eddington, Arthur 129–131, 133, 135, 153, 154, 169 Ehrenfest, Paul 152 Einstein, Albert 1–9, 21, 31–33, 35–45, 47–52, 54–57, 59–61, 63–65, 69–71, 73, 75, 78–81, 83–89, 91, 92, 94–103, 105, 110–112, 115–120, 122–125, 127–130, 136, 139, 140, 143, 147–149, 152–155, 158, 159, 161–164, 166–172 Einstein, Hans 6 E¨ otv¨ os, Lor´ and 90 Faraday, Michael 9, 10, 12–19, 21, 22, 25, 37, 55, 85, 163 Fermi, Enrico 117, 131 Field, Cyrus 17 Fitzgerald, George 31, 32, 49–51, 55 Fizeau, Hippolyte 28, 29, 42, 43 Fock, Wladimir 168 Fowler, Ralph 131, 132 Fresnel, Augustin 24, 28, 29, 33, 42, 43 Friedmann, Alexander 153 Frisch, Otto 77, 78 Galilei, Galileo 3, 42, 47, 51, 54, 83, 89, 90 Gamow, George 155, 156 Giacconi, Riccardo 136
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Namensverzeichnis
Greenstein, Jesse 138 Grimaldi, Francesco 22, 23 Grimm, Rudi 120 Grossmann, Marcel 95 Hahn, Otto 76–79 Harvey, Thomas 6, 7 Hawking, Stephen 136 Heaviside, Oliver 25 Heisenberg, Werner 124 Helmholtz, Hermann von 105, 106 Hermann, Robert 155 Hertz, Heinrich 27, 106, 109, 143, 148 Higgs, Peter 165 Hilbert, David 96, 97, 100, 161, 162 Hubble, Edwin 150–152, 154, 155, 157 Hulse, Russell 147, 148 Humason, Milton 151, 152, 155 Huygens, Christiaan 22, 23, 33 Jin, Deborah 119, 120 Joliot, Fr´ed´eric 78 Joliot-Curie, Ir`ene 76 Joule, James 11, 105 Kaluza, Theodor 167, 168, 172 Kamerlingh-Onnes, Heike 40 Kant, Immanuel 15 Kapiza, Pjotr 134, 135 Kepler, Johannes 87 Kerr, Roy 139, 140 Kirchhoff, Gustav 106 Klein, Oskar 167, 168, 172 Landau, Lew 134, 135 Larmor, Joseph 49 Laue, Max von 99 Leavitt, Henrietta 150 Leibniz, Gottfried Wilhelm 47 Lemaˆıtre, Georges 153–155 Lenard, Philip 109 Levi-Civita, Tullio 88, 95 Livingstone, David 3 L¨ owenthal, Elsa 100 Lord Rayleigh 26, 105 Lorentz, Hendrik Antoon 9, 10, 31, 32, 39, 49–51, 54–57, 64, 109 Lowell, Percival 149 Lynden-Bell, Donald 139
Mach, Ernst 5, 47, 48, 50, 87, 88, 152, 153 Maiman, Harold 121 Mandel, Heinrich 168 Mari´c, Mileva 39–41, 100 Maxwell, James Clerk 3, 9, 10, 19, 21, 22, 24–29, 33, 35, 37, 38, 45, 48, 50, 55, 86, 107, 108, 143, 148, 162, 167 Meitner, Lise 76–79 Michelson, Albert 29–33, 39, 52, 144, 145 Mie, Gustav 96–98 Miller, Dayton 32, 33 Millikan, Robert 111 Mills, Robert 164, 165 Minkowski, Hermann 63–65 Morley, Edward 30–33, 39, 52 Nernst, Walther 87, 98, 111 Newton, Isaac 1, 3, 9, 17, 22–24, 43, 45–49, 51, 54–56, 59–61, 84, 86, 90, 95 Nordstr¨ om, Gunnar 98–100, 111, 167, 172 Normalverbraucher/in, Otto und Ottilie 88 Ørsted, Hans Christian 15, 18 Oppenheimer, Robert 135, 136, 165 Oseen, Carl Wilhelm 111 Ostwald, Wilhelm 5 Pauli, Wolfgang 99, 124, 163, 165, 169 Pavlis, Erricos 140 Penrose, Roger 136 Penzias, Arno 155, 156 Perrin, Jean 5 Pick, Georg 87, 88 Planck, Max 3, 60, 77, 83, 87, 107–112, 115, 116, 166 Podolski, Boris 122 Poincar´e, Henri 44, 48–50, 55–57 Poisson, Sim´eon 24 Prochorow, Aleksander 121 Ricci, Gregorio 88, 95 Riemann, Bernhard 95, 162 Roosevelt, Franklin D. 1, 80, 81 Rosen, Nathan 122
Namensverzeichnis Rubbia, Carlo 71 Rubens, Heinrich 107 Rutherford, Ernest 166 Saha, Meghnad 115, 116 Salam, Abdus 165 Salpeter, Edwin 139 Savitch, Paul 76 Schmidt, Maarten 138 Schwarzschild, Karl 128 Seldowitsch, Jakow, siehe Zeldowitsch, Jakow Serber, Robert 135 Shapley, Harlow 153 Siemens, Werner von 16, 17, 105 Sitter, Willem de 158 Slipher, Vesto 149–152 Snyder, Hartland 135, 136 Stevin, Simon 89 Straßmann, Fritz 77–79 Szilard, Leo 79, 80 Tallqvist, Hjalmar 33, 60, 61, 98 Taylor, Joseph 147, 148 Thompson, Benjamin (Graf Rumford) 13 Thomson, J. J. 109
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Thomson, William (Lord Kelvin) 9–13, 17, 22, 26 Varley, Samuel 16 Volta, Alessandro 13 Walton, Ernest 70, 71 Weber, Heinrich 38, 39 Weinberg, Steven 165 Weyl, Hermann 161–164, 166–169, 172 Wheatstone, Charles 16, 17 Wheeler, John 128, 136 Whittaker, Edward 57 Wieman, Carl 118, 119 Wigner, Eugene 80 Wilson, Robert 155, 156 Winteler, Jost 36 Witten, Edward 171 Wolkow, George 135 Wollaston, William 15 Yang, Chen Ning 164, 165, 172 Young, Thomas 23, 24 Zeldowitsch, Jakow Zwicky, Fritz 134
139
Sachverzeichnis
Aberration 42, 43 absolute Zeit 46, 47, 49, 59 absoluter Raum 46, 47, 50, 52, 59, 95 ¨ Aquivalenzprinzip 83, 88–93, 98, 99 ¨ Ather 5, 9, 10, 12, 19, 21, 22, 24, 25, 27–33, 38, 39, 42–44, 46, 47, 50, 52, 54, 55, 96, 144, 145, 165 Akkretionsscheibe 139, 140 Allgemeine Relativit¨ atstheorie 1, 5, 41, 60, 65, 75, 83, 84, 88, 96, 99, 100, 102, 111, 127, 129, 130, 136, 143, 147–149, 152, 153, 157, 158, 161, 162, 166, 167, 171, 172 Andromeda 149, 150 Antimaterie 72, 75 Apollo 11 90 astronomische Bayernmeile 151 Atombombe 2, 70, 78–81 Betazerfall 62 Bindungsenergie 76, 78 Bose-Einstein-Kondensat 118, 120 Bose-Einstein-Statistik 119 Boson 117–119, 131 Brechungskoeffizient 28 Brownsche Bewegung 4, 5, 111 Cavendish Laboratory 26, 70 Cepheide 150, 151 CERN 62, 68, 71, 72, 75 Cixuanfulieche siehe Transrapid Shanghai COBE-Satellit 156 Cooper-Paar 119
Cygnus X-1
137
Deutsche Universit¨ at in Prag 86 Doppelpulsar 147 Doppelspaltversuch 23 Doppelsternsystem 136–138, 146, 147 Dopplereffekt 93 Dopplerverschiebung 149–151 dunkle Energie 158 dunkle Materie 134, 158 Eichfeld 172 Eichfeldtheorie 156, 162, 164, 170 Eichinvarianz 163 Eichtransformation 162–164, 166 einheitliche Feldtheorie 2, 161, 164, 168 Einsteins Fahrstuhl 93 Einsteins Gehirn 6, 7 Einsteinsche Feldgleichung 101, 127, 128, 139, 152, 153, 158 elektrisches Feld 11, 18, 19, 21, 25, 27, 37–39, 52, 62, 86 elektromagnetische Kraft 91 elektromagnetische Strahlung 3, 28, 70, 72, 106, 108, 110, 116 elektromagnetische Wellen 10, 21, 26, 38, 50, 52, 86, 93, 107, 109, 116, 143, 144 elektromagnetisches Feld 96, 97 Elektromagnetismus 5, 9, 11, 12, 21, 22, 25, 35, 38, 49, 53, 55, 79, 85, 86, 96, 98, 116
180
Sachverzeichnis
Elektron 10, 18, 24, 26, 37, 62, 63, 66, 70, 72, 73, 86, 97, 106, 107, 109, 112, 113, 119, 120 Energieerhaltung 69, 70 Energieerhaltungssatz 106 Entenei 154 EPR-Paradoxon 122, 124 Ereignishorizont 128, 129, 137 Extradimensionen 91
Kettenreaktion 78–80 kinetische Energie 69–71, 73–76 Konstanz der Lichtgeschwindigkeit 83, 98 kosmische Inflation 158, 159 kosmische Strahlung 66 kosmologische Konstante 149, 152, 153, 155, 158 Kraftlinie 18, 19, 22, 27
Feldbegriff 18 Feldlinie siehe Kraftlinie Fermilab 62, 68 Fermion 117, 119, 131 Fernwirkung 18 Fernwirkungskraft 85
L¨ angenkontraktion 49, 50, 52, 59, 65, 67 Large Hadron Collider (LHC) 62, 72 Laser 120–122 Leiter (der) 14 Leiter (die) 120 LEP-Beschleuniger 62, 71, 72 Lepton 171, 172 Lichtablenkung 6, 99, 102, 111, 128, 129, 172 Lichtgeschwindigkeit 30, 31, 37, 42, 43, 50, 51, 54, 60–63, 66–68, 73–75, 144 Lichtquant siehe Photon LIGO 144–147 LISA 146 Loch Ness und Schwarze L¨ ocher 130 Lorentztransformation 49–52 Lowell Observatorium 149
gekr¨ ummter Raum 94, 95 GEO 146 Gezeitenkr¨ afte 91, 92, 101 Gezeitenph¨ anomen 147 Gluon 165, 172 Gravitation 5, 75, 79, 83, 84, 86, 88, 89, 92–94, 98, 143, 161, 171, 172 Gravitationsantenne 144, 146, 147 Gravitationsrotverschiebung 93, 127, 128 Gravitationswellen 86, 143–148 Große Vereinheitlichte Theorie 171 Higgs-Boson 71, 72, 165 Higgs-Feld 165 Hintergrundstrahlung 155, 156, 158, 159 innere Energie 69–74, 76, 78, 170 Interferenz 23, 24, 30, 33, 39, 112, 144 Interferometer 31, 32, 146 Invarianz der Kausalit¨ at 62 Isospin 164 Kalevala 154 Kaluza-Klein-Theorie 168 Kamioka 113 Kantele 172 Kaon 66 KEK-Beschleunigungszentrum Kernphysik 77, 79 Kernspaltung 78, 79
Magnetfeld 16, 18, 19, 21, 25, 27, 37, 38, 52, 62, 86 Manhattan-Projekt 80, 81, 136 Maser 121 Massengrenze 132 Materiewellen 131, 132 Maxwellsche Gleichungen 21, 25, 27, 37, 50, 53, 63 Meßmißerfolg 31, 111 Michelson-Morley-Experiment 31–33, 39, 55, 56 Mikroquasar 138 Minkowski-Raum 65 Mount-Wilson-Observatorium 150, 151 Myon 66–68
68 Neutrino 62, 66, 68, 113 Neutron 76, 78
Sachverzeichnis Neutronenstern 134, 135, 137, 138, 146–148 Newtons Per¨ ucke 91 Newtonsche Bewegungsgesetze 9, 47, 59, 61, 73, 84, 85, 98 Newtonsche Gravitationstheorie 9, 84–86, 98, 101, 102 Newtonsches Gravitationsgesetz 90, 92, 95 Nichtablenkung 99 Patentamt Bern 41 Perihelbewegung des Merkur 101, 102, 128 photoelektrischer Effekt 3, 109, 111, 112 Photomultiplier 112 Photon 3, 4, 70, 71, 74, 75, 110, 113, 116, 117, 120, 121, 124, 131, 172 Pion 66 Plancksche Konstante 108, 111 Plancksches Strahlungsgesetz 108, 110, 116 Planckzeit 147 Positron 62, 63, 70–72 Preußische Akademie der Wissenschaften 86 Proton 24, 62, 70, 71, 76, 78, 86 Quant 3, 116, 122 Quanten-Bit (QuBit) 125 Quantenchromodynamik 165, 170 Quantencomputer 124, 125 Quantenmechanik 6, 115, 117, 119, 120, 122–125, 131, 161–163, 166, 171 Quantenphysik 56, 105, 110, 112, 122, 124, 162 Quantentheorie 3, 6, 127 Quantentheorie des Lichtes 105 Quark 76, 171, 172 Quasar 127, 138–140 Raumzeit 64, 65, 92, 94, 101 Relativit¨ atsprinzip Einsteins 51, 63, 65, 70 Relativit¨ atsprinzip Galileis 47, 50, 63 Rotverschiebung 138, 157 Royal Institution 13–15 Ruheenergie siehe innere Energie
181
schwache Kernkraft 71, 91, 165 Schwarzes Loch 6, 7, 127–130, 136–141, 146, 147 Schwarzk¨ orperstrahlung 106 Schwarzschildradius 128, 130, 135 Schwarzschildsingularit¨ at 130 schwere Masse 90, 98 Schwerelosigkeit 89 Sirius B 130, 132 Skalartheorie 98, 99 Sonnenfinsternis 1, 99, 102 Spezielle Relativit¨ atstheorie 5, 33, 49, 53, 55, 59–61, 64, 66, 70, 83, 84, 86, 91, 94, 98, 172 starke Kernkraft 76, 91, 165 stimulierte Emission 120, 121 String 172 Stringtheorie 171, 172 Supernova 134, 157 Suprafl¨ ussigkeit 119, 120 Synchronisieren von Uhren 45, 46, 48 Tachyon 62 TAMA 146 Teilchenbeschleuniger 61, 62, 66, 70–73 Teilchenphysik 61, 67, 71 Tensorrechnung 88 Theorie von Allem 171 Transrapid Shanghai 54 tr¨ age Masse 90, 98 Tr¨ agheit 74 Tscherenkowstrahlung 113 Ultraviolettkatastrophe 107 Unsch¨ arferelation 119, 122, 124, 171 Uratom 154 Urknall 152, 154–156 Urknallmodell 147 Urknalltheorie 153, 155 verborgene Parameter 124 vierdimensionaler Raum 64, 95 VIRGO 146 W-Boson 71, 165 Weißer Zwerg 130–133 Wellentheorie des Lichts Weltlinie 64 Z-Boson 71 Zeitdilatation
22–24, 43
53, 59, 66, 67, 74