Jim Elliot
Heiße Grenze Ronco Band Nr. 340/49
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stieß...
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Jim Elliot
Heiße Grenze Ronco Band Nr. 340/49
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Der Scout von Fort Calhoun riskiert Kopf und Kragen, um die Hintermänner zu finden, die den Apachen Waffen liefern. Snakemann – Der Unterhäuptling der Chiricahuas kann sich aus der Todeszelle von Fort Calhoun befreien. Serge Buster – Ein skrupelloser Agent, der mit Waffen handelt. Jicarila – Der zweite Scout von Fort Calhoun schießt eine Sekunde zu früh. Hampton Lester – Der Kommandant des Forts hat schwere Sorgen und beugt sich den Maßnahmen seines Adjutanten. Major Fly – Adjutant von Colonel Lester, hält hartes Durchgreifen für die einzig richtige Methode.
Heiße Grenze 4. Dezember 1881 Es ist schon fast ein Jahr vergangen, seit ich zu den Texas Rangers gestoßen bin. Mein Leben hat sich geändert, aber nicht verwandelt. Auch jetzt komme ich tagelang nicht aus dem Sattel, durchstreife wieder die Wüsten und Prärien, die mir aus meiner Verbannungszeit noch so gut in Erinnerung sind. Nur jage ich jetzt die Männer, von denen ich, früher gejagt wurde. Die kleinen Handlanger der großen Verbrecher, die dem Gesetz die Macht ihres Geldes entgegenstellen, haben keine Prämie mehr zu erwarten, wenn sie sich mir in den Weg stellen. Ich kämpfe nicht mehr um mein persönliches Recht und um ein gerechtes Schicksal. Der Stern der Texas Ranger verpflichtet mich dazu, für alle zu kämpfen, die guten Willens sind. Für das Gesetz, das jedem von uns Gerechtigkeit verspricht. Nur das hat sich in meinem Leben verändert, der Sinn meines Kampfes. Die Strapazen und Anforderungen meines Daseins hingegen sind die gleichen geblieben. Vielleicht haben sie sogar noch zugenommen, wenn ich an meine letzten Aufträge denke. Früher kämpfte ich gegen Männer, die mir ihr eigenes Gesetz aufzwingen wollten, die es skrupellos zurechtbogen, weil sie die Macht dazu besaßen. Heute versuche ich, die Gemeinschaft vor dieser Willkür zu schützen. Als ich dieses Tagebuch zu schreiben begann, war ich noch das Opfer einer korrupten Justiz. Ich wollte mich mit meinem Tagebuch rechtfertigen, meine Unschuld beweisen, etwas hinterlassen, aus dem andere lernen konnten. Rechenschaft ablegen vor mir selbst und meinen Nachkommen. Inzwischen bin ich rehabilitiert, aber damit ist der Sinn meines Tagebuchs nicht aufgehoben oder verändert worden. Die kritische Auseinandersetzung mit sich selbst schärft den Blick für unsere Mitmenschen und vertieft das Verständnis für unsere Umwelt. Es ist gut, mit sich selbst hart ins Gericht zu gehen, ehe man über andere richtet. Ich verstehe jetzt mein Tagebuch als eine
Notwendigkeit, mich ständig von neuem zu prüfen. Wer den Stern trägt, muß das Gesetz vertreten, das Gerechtigkeit für jedermann verspricht. Früher, als Outlaw, hätte ich nur höhnisch darüber gelacht, wenn mir jemand gesagt hätte, Gesetz und Gerechtigkeit wären ein und dasselbe. Doch in den Jahren davor, als ich noch Armee-Scout in Fort Calhoun in Texas war, hätte ich leidenschaftlich dagegen protestiert, daß die Welt mehr Unrecht kannte als Gerechtigkeit. Gab es denn ein besseres Ideal als die Gerechtigkeit, eine andere Möglichkeit, das Leben einer Gemeinschaft sinnvoll zu gestalten? Nein. Also mußte auch die Welt so sein, wie ich sie mir vorstellte. Fehlerhaft zwar, aber im großen und ganzen in Ordnung. Damals, im Frühjahr des Jahres 1866, begann die Auseinandersetzung mit jenen Männern, die das Gesetz mit Füßen traten und mich aus der Gesellschaft ausstießen. Ich mußte erfahren, wie schwer es ist, sich an Ideale zu halten, wenn man ungerecht behandelt wird. Wie verdammt schwer das ist, trotzdem ein Mensch zu bleiben, der das Richtige tut. Was für eine verflucht schwere Aufgabe das sein kann, wenn man hungert, friert, kein Zuhause hat, verzweifelt ist. Ich wußte noch nicht, daß diese Welt ständig darum kämpfen muß, einigermaßen in Ordnung zu bleiben. Und daß der Glaube an ein Ideal nicht viel wert ist, wenn er sich nicht in härtester Prüfung bewährt oder behauptet. Heute bin ich bescheidener geworden. Die Gerechtigkeit ist schwer, aber keine unlösbare Aufgabe …
1. »Bringen Sie ihn zurück«, hatte mir Colonel Hampton Lester befohlen. »Verhaften Sie ihn. Es wird Ihnen ja nicht schwerfallen. Er hat sich von seinem Stamm getrennt und ist allein unterwegs. Außerhalb seines Reservats wird er nicht weit gelangen.« »Jawohl, Sir«, hatte ich erwidert. Das war vor einer Woche gewesen. Ich hatte den Apachen immer noch nicht verhaftet. Und ich konnte froh sein, überlegte ich erbittert, wenn ich allein nach Fort
Calhoun zurückkehrte. Lebend. Snakeman war ein Unterhäuptling der Chiricahua-Apachen, so alt wie ich und mindestens so zäh. Er hatte mich in die Berge der Halcon Mountains gelockt, mich hinter sich hergezogen wie an einer unsichtbaren Leine. Mir blieb gar keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Ich hatte meine Befehle und wurde dafür bezahlt. Außerdem stand Snakeman im dringenden Verdacht, mit einer Horde junger Krieger die Farmen am Rio Doro und am Eagle Pass überfallen zu haben. Mit modernen SpencerKarabinern. Das war für mich der entscheidende Grund, warum ich die Verfolgung nicht aufgeben durfte. Snakeman mußte von den Waffenschmugglern mit Gewehren versorgt worden sein, die ich schon seit einem halben Jahr erbittert verfolgte. Leider vergeblich bisher. Jetzt hatte ich das verdammte Gefühl, daß ich Snakeman nur noch nachlief, um am Leben zu bleiben. Aus der Verfolgung war ein Katz- und Mausspiel geworden. Ich hatte mich schon gewundert, daß die Fährte nach Osten lief, statt nach Süden oder Westen. Er hatte sich in eine Richtung gewandt, die ihn von seinen roten Brüdern wegführte. Und das hatte ich nicht verstanden. Ein Büffel läuft auch nicht von seiner Herde weg, es sei denn, er war krank oder wurde von dem Leittier aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Snakeman war weder ein Ausgestoßener seines Stammes noch eine Rothaut, die sich in die Berge zurückzieht, weil sie ihren Tod nahen fühlt. Er war so gesund wie eine junge Bachforelle und so kräftig wie ein Berglöwe vor der Paarungszeit. Er lockte mich immer tiefer in die Canyons am Halcon Peak hinein, in eine öde, steinige Wildnis, in der es nichts zu holen gab außer Schlangenbissen, Moskitostichen und Steinlawinen. Damit hatte mich Snakeman gestern morgen zur Begrüßung überrascht. Mit einer Steinlawine, der ich nur mit knapper Not entwischt war. Seitdem häuften sich die Pannen, bis ich allmählich begriff, warum er hierher geflohen war. Er erfüllte offenbar ebenfalls einen Auftrag. Das Fort hatte nur einen Scout, auf den es sich verlassen konnte – mich. Denn Jicarilla,
der zweite Scout, war für die Offiziere des Fort in erster Linie ein Apache – obwohl er nur ein Bastard war – und dazu noch die meiste Zeit betrunken, was allerdings seinen Blick für Spuren nicht trübte, aber manchmal seine Pflichtauffassung, wie ich zugeben muß. Wenn ich also nicht mehr ins Fort zurückkehren würde, hätten es die rebellischen Apachen viel leichter als bisher, weiße Siedler in der Umgebung des Forts zu überfallen. Ohne mich war die Armee »blind.« Vielleicht klingt das ein wenig überheblich. Aber seit sich die Übergriffe der Indianer am Rio Doro häuften, war ich der meistbeschäftigte Mann im Fort geworden, weil ich ein paar Jahre als Halbwüchsiger bei den Chiracahuas gelebt hatte und ihre Sprache und Gewohnheiten recht gut kannte. Und wer Apachen verfolgen will, muß ihre Fährten lesen können. Soldaten lernten so etwas nicht. Sie suchten sie meistens dort, wo sie schon nicht mehr waren. »Snakeman«, sagte ich laut, »wir haben als Kinder in derselben Sandkuhle gespielt. Ich kann dich ganz gut verstehen, daß du mich aus dem Verkehr ziehen willst. Aber ich hänge genauso am Leben wie du. Ich habe meinen Auftrag. Und – zum Teufel noch einmal – ich will mich nicht blamieren!« Das dachte ich heute morgen, als Snakeman mich von einem Plateau in der Schluchtwand aus unter Feuer nahm, während ich hinter einem Felsblock hervorkroch, um über einem rauchlosen Feuer einen Becher voll Kaffee aufzuwärmen. Ich hatte gesehen, wo sein Pinto angehobbelt war. Keine tausend Yards von mir entfernt, wenn auch unerreichbar, weil dazwischen ein unüberwindlicher Felsspalt klaffte. Aber solange ich sein Pferd vor Augen hatte, das irgend etwas Grünes abweidete, konnte ich mir auch die Zeit für ein karges Frühstück nehmen. Ich hatte noch sechs Biscuits, eine Armeekonserve mit Cornedbeef und ein Säckchen mit Rohrzucker. Und einen Wasserschlauch, der so dünn war wie der Euter einer trockenstehenden Zuchtkuh. Er mochte vielleicht noch einen Liter Wasser enthalten, und wenn ich nicht bald eine Quelle erreichte … Tsuing-hui, machte es, und mein Wasserschlauch hatte ein Loch. Ich hatte ihn unvorsichtigerweise fallenlassen, als die erste Kugel über den Felsblock pfiff und mir nadelfeine Splitter ins Gesicht warf.
Ich sah ihn nicht. Er hatte sich so gut versteckt, daß ich den Rauch aus seinem Gewehr erst erblickte, nachdem er vom Wind weit abgetrieben war – aufgelöst zu einem dünnen Schleier. Ich streckte mich, angelte verzweifelt nach meinem Wasserschlauch und trank so viel Wasser, wie ich konnte. Mit dem Rest spülte ich mir den Mund aus. Der bittere Geschmack blieb. Klang-klirr-kling! Ich starrte auf den flachen Stein, wo ich mein Blechgeschirr abgestellt hatte. Im Stein klaffte eine helle Narbe. Mein Geschirr hüpfte über den Rand der schmalen Steinterrasse, die ich als Nachtlager gewählt hatte, rollte den Abhang hinunter und klirrte noch einmal hell auf, ehe es über eine Steilwand hinausschoß. Amen, dachte ich ergeben. Es ist nicht ganz allein meine Schuld. Du mußt mit einem Gewehr ausgerüstet sein, das ich noch nicht kenne. Dem allerletzten, allerneuesten Fabrikat irgendeiner renommierten Waffenfabrik. Einem Repetiergewehr stark verbesserter Reichweite und Treffgenauigkeit. Gut, dachte ich mit jäh aufkeimendem Zorn, während er offenbar sein Gewehr nachlud, ich habe kein Wasser und kein Geschirr mehr. Mein Pferd lebt zwar noch, aber das kann sich rasch ändern, wenn ich versuchen sollte, es zu satteln. Du hast mich offenbar hierhergelockt, weil du diesen Canyon für einen idealen Schießplatz hältst. Ich vermute, du willst mich hier auch beerdigen, den Geiern und Kojoten opfern und dann frohlockend zu deinen Auftraggebern zurückkehren und dir als Belohnung noch ein paar von diesen fabelhaften Feuerwaffen geben lassen, um noch mehr Farmer überfallen zu können, bis tatsächlich ein neuer Indianerkrieg ausbricht. So weit werde ich es nicht kommen lassen, dachte ich wütend. Und ich werde jetzt genau das tun, was du von mir nicht erwartest! Ich werde dich angreifen, und wenn ich das mit den Zähnen und den bloßen Händen erledigen muß! Snakeman mußte meine Gedanken gehört haben. Sein Gewehr ratterte dreimal hintereinander, und die Steinsplitter nagelten mir nur so um die Ohren. Er ist verliebt in dieses Gewehr, dachte ich. Er sieht mich nicht
und verschwendet nur seine Munition. Er schießt aus purem Übermut. Ich kroch ein paar Yards weiter bis zu einer Stelle, wo ich durch einen Spalt zwischen den Felsblöcken die Nordwand der Schlucht übersehen konnte, die in bizarren Terrassen zum fahlgelben Morgenhimmel hinaufstieg. Ich war kein übler Kletterer. Ich mußte nur wissen, wo er sich genau versteckt hielt, den toten Winkel abschätzen und ihn irgendwo festnageln. Es war eine verfluchte Wand, steil und zerklüftet wie ein kalbender Gletscher. Und genauso nackt. Nicht ein einziger Busch in dem rotbraunen, zerklüfteten Gestein. Nur Steine jeder Größe und Form, die sich über- und nebeneinander zu einer fast unbezwingbaren Barriere türmten. Nicht ganz, dachte ich, nicht, wenn man genauer hinschaute. Aber zunächst mußte ich wissen, wo dieser Bastard sich versteckte. Ich hob meinen Spencer über den Kopf und schoß einfach in die Luft. Dreimal wie er, nur in längeren Abständen. Bei mir ging es nicht so rasch. Ich hatte ein älteres Modell. Es wirkte. Jeder Mensch hat seine Schwächen. Und eine Rothaut, die sich dem Sieg so nahe glaubt und in ein Spielzeug verliebt ist, läßt manchmal jede Vorsicht außer acht. Ich schätze, das ist eine angeborene Schwäche dieser Rasse – ihr Nachlassen im letzten Augenblick, wenn sie den Erfolg schon mit Händen greifen können, ihre unsinnige Neigung, sich kindisch zu benehmen, nachdem sie tagelang mit grimmiger Ausdauer schier Übermenschliches geleistet hatten. Snakeman war verliebt in sein Gewehr. Er schoß zurück, als sich noch der Pulverqualm über meiner Deckung zu einer dunklen Wolke ballte. Er sah nichts von mir, aber seine Kugeln tanzten zwischen den Steinen. Ich sah ganz deutlich den bleckenden Strahl der Mündungsflammen zwischen zwei Felstürmen, die ich aus der Entfernung für eine glatte Wand gehalten hatte. Zwei Felstürme, etwa fünfzig Yards höher als meine Deckung, und eine Lassolänge von der obersten Terrasse der Schluchtwand
entfernt. Er mußte von oben hinuntergeklettert sein und hatte gewartet, bis das Licht gut genug zum Zielen war. Warum hatte er nicht gewartet, bis ich ganz aus meiner Deckung herausgetreten war? Jagdinstinkt, dachte ich spöttisch. Mir zeigen, wie gut er mit seinem Feuerrohr umgehen konnte, bevor er mich zu den Geiern schickte. Ich maß die Entfernung bis zur nächsten Stufe im Fels mit den Augen. Vier Sprünge waren es mindestens. Ich mußte über freien Fels hetzen, bis ich die Schluchtwand erreichte. Von dort aus ging es knapp zehn Yards senkrecht hinauf. Zwei Vorsprünge in einer Höhe von sechs Fuß. Dann ein Spalt, der schräg durch den Stein lief. Darüber ein schmales Felsband. Dann ein Überhang. Ich hämmerte es mir ins Gedächtnis. Das Gewehr konnte ich nicht mitnehmen. Damit hätte ich mir spätestens auf halbem Weg nach oben das Genick gebrochen. Dort wurde es ganz schmal und kritisch. Aber dort begann der Felsturm, hinter dem er sich versteckte. Ich vermutete, daß es sich um einen Felsenkamin handelte. Junge, dachte ich böse, ich kenne auch ein paar Tricks! Ich hatte ein paar dünne, feste Stricke mitgenommen. Eine ganze Rolle davon. Sergeant Tucker hatte sie mir mitgegeben, um den Unterhäuptling damit zu fesseln, wenn ich ihn einfing. Als sollte ich ihn wie einen zusammengerollten Teppich verschnüren. »Warum so viel, Sergeant?« hatte ich Tucker gefragt. Der breitschultrige Rekrutenschinder hatte mich mit strafendem Blick gemustert. »Da fragen Sie noch, Ronco? Haben wir es nicht im letzten Winter bei diesem frommen Quäkertreck nach Norden erlebt, wozu diese Hunde fähig sind?« »Welche Hunde, Sergeant?« »Diese roten Hunde! Diese rotgesottenen Teufel! Sie schneiden einem bei lebendigem Leib das Steißbein aus dem Hintern, wenn man nicht aufpaßt oder sie nicht fest genug einwickelt.« »Sie sprechen von den Comanchen, Sergeant? Die waren total betrunken. Sie dürfen auch einen Weißen nicht danach beurteilen, was er alles anstellt, wenn er nicht ganz bei Sinnen ist.«
»Pah, Ronco! Sie sind wohl nicht zu kurieren. Für Sie sind diese roten Teufel immer noch zivilisierte Menschen, wie?« »Zu erst einmal Menschen. Mit Rechten, die besser sind als unsere, älteren Rechte.« »Ach, gehen Sie mir damit! Erzählen Sie mir bloß nicht solchen Stuß! Nehmen Sie das ganze Seil mit, Ronco. Und hängen Sie die Rothaut damit an Ihr Sattelhorn und schleifen Sie sie nach Fort Calhoun zurück. Die treiben das auch so mit unseren Soldaten, die sie fangen. Hängen Sie ihn ans Seil und lassen Sie ihn im Dauerlauf bis nach Fort Calhoun traben! Und schauen Sie sich nicht um, ob er auch folgt. Ich meine, wir werden ihn hier sowieso aufhängen …« Ich hatte nichts mehr darauf gesagt, weil ich wußte, daß sich Tuckers Einstellung zu den Rothäuten nie ändern würde. Er dachte nicht darüber nach, warum die Apachen weiße Farmen niederbrannten und nicht immer appetitliche Leichen zurückließen. Wenn er nicht an die absolute Gerechtigkeit der Sache, für die er kämpfte, geglaubt hätte, wäre er ein schlechter Soldat gewesen. Außerdem hatte er mir bei dem Treck nach Norden das Leben gerettet. Aber er war nicht von den roten Teufeln bedroht worden, sondern von weißen Teufeln. Sie kennen die Geschichte aus meinem letzten Tagebuchkapitel. Ich holte die Seilrolle aus meinen Satteltaschen. Vielleicht tat sie mir jetzt gute Dienste. Ich schob das Gewehr durch den Spalt zwischen den Felsblöcken meiner Deckung, hinter der ich immer noch wie ein Hase kauerte, der auf dem Feld von einer Treibjagd überrascht wird. Ich keilte das Gewehr mit ein paar kleinen Sandsteinbrocken fest, nachdem ich es auf die Stelle ausgerichtet hatte, wo die Schüsse von Snakeman zuletzt aufgeblitzt waren. Ich verband das Seil mit dem Repetierbügel, zog es um einen Stein herum, daß der Bügel sich frei bewegen konnte, zog wieder eine Schleife und verband sie mit dem Abzug. Dann kroch ich, das Seil über der rechten Schulter, auf einen Busch zu, der der Nordwand der Schlucht am nächsten lag. Ich brauchte vielleicht zehn Sekunden für die freie Geröllstrecke bis zur Steilwand. Zehn lumpige Sekunden, von denen ich aber schon neun
in der Ewigkeit verbringen konnte, falls Snakeman dort oben aufpaßte. Ich mußte ihn von mir ablenken. Ich zog an dem Seil und erschrak sogar selbst, als die Spencer in den Felsen losdonnerte. Die Kugel klatschte hoch über mir in die Wand, schlug roten Staub heraus und spuckte etwas Rauch. Von oben folgte prompt die Antwort. Snakeman in seinem Felsenkamin lachte sich über meine sinnlose Munitionsverschwendung halbtot. Sehr gut, dachte ich, und zog noch ein paarmal kräftig an der Leine. Der Pulverqualm legte sich wie eine Tarnkappe zwischen mich und die Rothaut hoch oben in ihrem Felsennest. Dann jagte ich los und spulte dabei das Seil ab. Bei jedem Herzschlag, den ich noch spürte, mußte ich ein Dankgebet gesprochen haben. Als ich die Schluchtwand erreicht hatte, küßte ich sogar den Stein ab, als wäre sie die Klagemauer von Jerusalem. Jetzt konnte mich Snakeman nicht mehr sehen, solange er sich nicht aus seinem Versteck herausbewegte. Und damit er das nicht tat, wollte ich auch weiterhin mit meinem fernbedienten Gewehr herumböllern. Ich zog mich hoch bis zu dem Felsvorsprung, den ich mir als ersten Tritt für den Aufstieg ausgesucht hatte. Das Seil zog ich locker hinter mir her. Ich hing im Schatten der Schluchtwand, farblos wie der Stein um mich herum. Die Sonne versteckte sich noch hinter den Felsen im Osten. Aber die Geräusche, die sich an den verwitterten Stellen im Fels nicht vermeiden ließen, würden mich verraten. Ich zog wieder am Seil, das ich fast in seiner ganzen Länge abgespult hatte. Die Sache funktionierte noch. Aber das Gewehr mußte seine Lage verändert haben. Ich zog erschrocken den Kopf ein. Um ein Haar hätte ich mich selbst erschossen. Ich ließ das Seil los und fing fieberhaft an zu klettern. Oben donnerte es wieder. Das war mir dieses Mal sehr willkommen. Ich hatte eine kleine Steinlawine ausgelöst, als ich mit den Stiefelkappen im Grätschschritt zu dem Felsenband unter dem Kamineinstieg hinüberwechselte. Dort hing ich einen Moment wie ein Hampelmann an einer
straffgezogenen Schnur. Ich hatte die kritische Stelle erreicht – den kurzen Überhang vor dem Felsenkamin. Aus der Nähe war dieses Hindernis beängstigend. Ich verfluchte mich jetzt, daß ich das Seil weggeworfen hatte. Ich konnte den Überhang nur bezwingen, wenn ich ihn seitlich umkletterte, mich oben festkrallte und dann die Beine nachzog. Aber dort gab es nichts, an dem man sich festkrallen konnte. Ronco, dachte ich, vielleicht hatte Sergeant Tucker gewußt, was für ein leichtsinniges Huhn du bist. Deswegen hat er dir auch einen Patronengurt mit zwei Schulterriemen aufgeschwatzt. Ich klammerte mich mit dem Kinn in einer Felsspalte fest, während ich mit fliegender Eile und zitternden Händen die beiden Schulterriemen vom Gürtel trennte und sie dann zusammenband. Dann holte ich tief Luft und warf mit der rechten Hand die beiden zusammengebundenen Lederriemen um eine Felsnadel. Teufel – da war wieder ein Dankgebet fällig! Ich schob den verlängerten Schulterriemen unter meine linke Achsel, nahm vorsichtig die rechte Stiefelkappe aus der Felsspalte, wo ich Tritt gefaßt hatte, und vertraute der Lederschlaufe vorsichtig zwei Drittel meines Gewichts an. Es knackte ein wenig, aber das Leder hielt. Es war verdammt ruhig geworden über mir. Hoffentlich schaute Snakemann mir nicht beim Klettern zu! Man muß sich manchmal auch auf sein Glück verlassen, dachte ich, und nahm auch den linken Fuß aus dem Fels. Einen Moment schwebte ich nur an einem Stück Leder zwischen Himmel und Erde, pendelte im Wind und zog mich mit dem rechten Arm langsam in die Höhe, ganz langsam, als erwarteten mich ein paar giftstrotzende Klapperschlangen auf dem Sims vor dem Einstieg in den Kamin. Dann, als das Leder wie eine brennende Zündschnur zu knistern anfing, streckte ich rasch den linken Arm aus, um einen Teil meines Gewichtes wieder auf den Felsen zu übertragen, während ich mit den Füßen ruderte, um irgendwo einen festen Tritt zu finden. Ich wippte mit den Knien nach, schlug den rechten Arm um die Felsnadel und drückte mich mit zusammengebissenen Zähnen nach
oben. Dann lag ich wie ein angeschwemmter Walfisch auf dem schrägen Überhang und japste nach Luft. Eine Kugel fauchte von oben herunter und sägte nur einen Zoll von meiner linken Schulter entfernt Steinsplitter aus dem Überhang. Er hatte mich entdeckt! Ich war ihm inzwischen so nahe, daß er nur ein paar große Steine zu lösen brauchte, um mich in die Tiefe zu fegen. Ich löste den Knoten der Riemen, die mich jetzt an den Felsen fesselten, mit den Zähnen wieder auf und warf mich nach vorn. Ich erreichte gerade noch rechtzeitig die Deckung, ehe die Steinlawine niederdonnerte, die mich zerschmettern sollte.
2. Er hatte nur das Gewehr, und ich hatte nur einen Colt. Aber in dieser engen Röhre, in der wir uns belauerten, war der Colt die weitaus bessere Waffe. »Gib es auf, Snakeman!« rief ich ihm in seinem eigenen Dialekt zu. »Ich denke nicht daran, gelber Falke!« rief Snakeman von oben zurück, ebenfalls in seiner Sprache. Wörtlich übersetzt, hörte sich seine Antwort folgendermaßen an: »Der Große Geist wird mir den Sieg über dich geben und dich zu deinen Ahnen schicken!« »Ich brauche dich lebend, Snakeman. Aber wenn du mich dazu zwingst, schicke ich dich ebenfalls in die Ewigen Jagdgründe!« Er hatte nur noch ein paar Patronen für sein wundervolles Gewehr, während mein Gürtel mit 45er-Coltmunition gespickt war wie die Haut eines Stachelschweins mit spitzen Hornnadeln. Ihm gingen auch die Steine aus, die er nun schon seit einer halben Stunde auf mich herunterprasseln ließ. Ich konnte diesen Geschossen bequem ausweichen, weil sie nicht im Zick-Zack herumjagten wie die verdammten Querschläger, mit denen er es anfangs versucht hatte. Dabei hätte er mich um ein Haar erwischt. Ich war im Vorteil, und Snakeman wußte das. Ich kontrollierte von meinem Versteck aus den Ausstieg aus dem Kamin. Und sobald er hinter seiner Deckung aufzustehen versuchte, schickte ich ihm eine
45er Kugel hinauf. Die tobte sich über seinem Kopf aus wie eine wildgewordenen Hornisse. Ich wollte ihn lebend, sonst hätten ihn meine Querschläger längst umgebracht. Ich brauchte nur ein bißchen tiefer zu halten. »Gib es auf, Schlangenmann!« rief ich. »Ich möchte dein neues Gewehr sehen!« »Hol es dir!« rief die Stimme des Unterhäuptlings von oben. »Ich nehme dich beim Wort!« Ich lud die Trommel meines 45er nach und hantelte mich nach oben. Ich brauchte nur die Ellenbogen dazu und meine Knie. Den Colt konnte ich immer auf seine Deckung richten. Er hatte keine Steine mehr zum Werfen. Vielleicht steckte noch eine Patrone in der Kammer seines Gewehrs, die er sich bis zum Schluß aufheben wollte, sobald ich die Plattform am oberen Ende des Kamins erreicht hatte. Aber er empfing mich mit einem stoßbereiten Messer. Ich wollte ihn lebend haben. So hatte es mir der Colonel empfohlen. Aber Snakeman schien jetzt den Tod zu suchen, weil er sich auf mich warf, obwohl ich ihm aus dieser Nähe den Kopf vom Hals hätte schießen können. Ich schoß knapp daneben, um ihn einzuschüchtern und mit dem Knall zu betäuben. Statt dessen zerriß ich mir beinahe selbst die Trommelfelle. Er duckte sich und zielte mit dem Messer nach meinem Bauch. Ich parierte den Stoß mit dem Lauf meines Colt. Und dann schlug ich zu, als er sich abduckte, um meinen Schuß abzuwarten. Ich schmetterte ihm den Griff meines Army-Colt auf den Hinterkopf und fing ihn auf, ehe er in den Kamin abstürzen konnte. Als er wieder erwachte, hatte ich ihm die Hände auf den Rücken geschnürt – mit den beiden Schulterriemen. * »Willst du mir nicht sagen, von wem du dieses Gewehr erhalten hast?« Er saß auf seinem Pinto, und sein Gewehr steckte in meinem
Sattelschuh. Ich hatte ihm das Seil, das mir Sergeant Tucker mitgegeben hatte, mit einem Slipknoten um den Hals gelegt. Und wir ritten auf demselben Weg zurück nach Westen, auf dem er mich in die Berge gelockt hatte. »Ich kann mir vorstellen, Schlangenmann, daß du nicht gern mit einem Strick um den Hals sterben möchtest, angegafft von uniformierten Bleichgesichtern. Ich könnte mir denken, daß dieses Seil, an dem ich dich jetzt festgebunden habe, reißen könnte. Irgendwo zwischen den Halcon Mountains und dem Rio Doro. Vielleicht an dem Fox Canyon, der zum Rio Grande und hinüber nach Mexiko führt. Ich könnte es mir gut vorstellen, wenn ich den Namen der Männer erfahre, die dir so ein prächtiges Gewehr verschafft haben. Ein Repetiergewehr mit einem Fernrohr darauf. Nun?« Der Unterhäuptling saß auf seinem Pinto, die Schlinge meines Seils um den Hals, die Hände auf dem Rücken gebunden. Ich ließ das Seil ziemlich locker, damit er meinen guten Willen spürte. Aber statt mir den Namen dieser Bleichgesichter zu nennen, die mir schon seit einem halben Jahr zusetzten, stimmte er ein indianisches Klagelied an. »Ich will kein Lied hören!« rief ich gereizt. »Sondern die Namen der Halunken, die dich und deine Krieger mit Gewehren ausgerüstet haben. Das sind Waffenschmuggler, die gegen unsere Gesetze verstoßen. Ich möchte dich sehen, wenn wir ein paar Skalpjäger in eure Dörfer ins Reservat schickten, die mit Armeegewehren bewaffnet sind und deine Schwestern und Brüder mit unseren Gewehren abschlachten! Das hast du getan, wie du weißt. Du hast friedliche Bleichgesichter in ihrem Wigwams am Rio Doro überfallen und abgeknallt wie Wild. Trotzdem würde ich dir die Freiheit schenken, wenn du mir die Namen nennst!« Er hörte mir überhaupt nicht zu. Je lauter ich redete, um so lauter sang er das Totenlied der Chiricahuas – eine monotone Folge von anund abschwellenden Tönen, die sich endlos wiederholten. »Du glaubst mir nicht? Du weißt, daß ich noch nie mein Wort gebrochen habe. Ich verstoße sogar gegen die Befehle meines obersten Häuptlings, sobald du mir die Namen nennst! Oder sie mir
wenigstens beschreibst, wie sie aussehen, wo sie wohnen, wo sie sich mit euch getroffen haben. Das genügt mir schon, Schlangenmann!« Er sang stur weiter. Es war zum Verrücktwerden. Ich verlor allmählich die Geduld mit ihm. »Sie werden dich im Fort an einem Galgen aufhängen, wenn du nicht redest! Und sie werden dafür sorgen, daß deine Seele nicht zu deinen Vätern einkehren kann, sondern ruhelos auf der Erde herumirren muß! Willst du das? Dann mußt du nicht ganz richtig im Kopf sein, Schlangenmann!« Das zeigte immerhin Wirkung und bewies mir, daß er durchaus hörte, was ich hinter ihm brüllte. Er zuckte zusammen und preßte die Fersen in die Weichen des Pinto, daß sich die Schlinge um seinen Hals bedenklich zusammenzog. Doch dann fuhr er mit seinem monotonen Singsang fort, als er wieder Luft kriegte. Er glaubte mir kein Wort. Das kränkte mich, weil wir uns gut verstanden hatten, als seine Leute sich noch friedlich im Reservat mit dem Kommandanten von Fort Calhoun auseinandersetzten, wenn sie Beschwerden hatten. Und Beschwerden hatten sie oft genug gehabt. Er glaubte, daß ich ihn genauso betrügen wollte wie die Lieferanten, die von der Regierung dafür bezahlt wurden, die Apachen mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Mit gutem Geld für verdorbenes Fleisch und verschimmelten Mais, bis wir diese Halunken zum Teufel jagten. Sie hatten mir immer vertraut, bis die ersten Feuerwaffen ins Reservat geschmuggelt wurden und die Überfälle auf die weißen Siedler begannen. Seitdem schienen sie nur noch einer Sorte von Bleichgesichtern zu vertrauen – den Waffenschmugglern. Verwunderlich ist es nicht, dachte ich wütend, während ich die Waffe in meinem Sattelschuh betrachtete. Es war ein nagelneues Spencer-Gewehr, ein besseres Modell, als die Regierung an die Armee lieferte. Von den Waffenschmugglern hatten die Apachen nur erstklassige Ware erhalten. Das mußte sie davon überzeugt haben, daß diese Bleichgesichter es nur »gut« mit den Indianern meinten. Natürlich meinten sie es schlecht mit ihnen. Sie wollten die Apachen dazu verleiten, einen Krieg anzufangen, damit sie dann
reißenden Absatz für ihre Ladenhüter fanden – alte Gewehre aus dem Bürgerkrieg, die jetzt nutzlos in ihrem Depots herumlagen. Denn Friedenszeiten sind flaue Zeiten für Waffenhändler. Aber keine Rothaut opfert das Heil seiner Seele für ein nagelneues Repetiergewehr. Nicht für tausend Repetiergewehre. Nicht für eine Million. Das Heil seiner Seele ist einer Rothaut mindestens so wichtig wie für einen Christen. Ich wage zu behaupten – sie ist ihm wichtiger als einem Durchschnittschristen. Schlangenmann mußte nicht mehr ganz richtig im Kopf sein, daß er sich lieber hängen ließ als die Namen der Waffenschmuggler zu verraten. Oder er glaubte, ich würde nie mit ihm zusammen Fort Calhoun erreichen. Aber ich schaffte es und überzeugte mich selbst, daß er im Arrestblock in die ausbruchsicherste Zelle gesperrt wurde, ehe ich mich bei Colonel Lester zurückmeldete. * »Das hatte er bei sich, Sir.« Ich legte das Spencer-Gewehr feierlich auf den Schreibtisch des Kommandanten. Er betrachtete es schweigend von allen Seiten, nahm es auf, blickte durch das auf dem Lauf befestigte Fernrohr und schüttelte den Kopf. »Wer gibt so etwas den Rothäuten in die Hand?« »Soviel ich weiß, Sir, ist die Waffenfabrik von Spencer noch bis zum Dach voller Karabiner, Kaliber 52. Für diese Leute endete der Bürgerkrieg immer noch zu früh.« »So eine Spencer habe ich während des Krieges nie in der Hand gehabt, Ronco. Sie haben das Magazin und die Kammer verbessert. Und diese Zieleinrichtung – damit würde ich nur meine besten Scharfschützen ausrüsten!« »Apachen sind geborene Scharfschützen. Allerdings nur mit Pfeil und Bogen. Aber mit diesen Dingern könnte nicht mal ein Blinder danebenschießen.«
»Sie haben recht. Zuerst waren es nur alte Sharps. Dann kamen die Volcanic-Repetiergewehre und alten Spencer aus dem Krieg mit ausgeleierten Läufen. Und nun das – funkelnagelneue, verbesserte 52er Modelle. Am Ende werden die Indianer noch mit Maschinengewehren und Haubitzen versorgt. Unglaublich!« »Ich sagte schon damals, Sir, als Jerome Vanderbilt hier auf dem Exerzierplatz gehängt wurde, daß er die Namen der Waffenschmuggler nicht preisgeben würde. Nicht einmal auf dem Schafott. Weil diese Leute, gegen die er vergeblich zu konkurrieren versuchte, so mächtig sind, daß sie ihn selbst über den Tod hinaus bestrafen konnten.« »Wie bitte?« erkundigte sich Colonel Lester mit einem leisen sarkastischen Unterton. »Sie drohten ihm, seine Familie umzubringen, wenn er uns auch nur einen Namem nenne. Und wenn er den Mund hielte, bis er baumelt, versprachen sie ihm eine lebenslange Pension für seine Witwe und seine Kinder. Die Witwe lebt sehr gut in ihrem Haus in Corpus Christi, wie ich hörte, Sir. Weitab von den Apachen und Comanchen, die mit geschmuggelten Spencergewehren bewaffnet werden.« »Aber dieser Snakeman, den Sie heute eingebracht haben – er wird doch reden!« »Weshalb sollte er?« »Wir verweigern ihm ein Begräbnis nach Indianerart. Dieses Mittel zieht immer!« »Diesmal nicht, Sir. Ich habe es schon auf den Ritt hierher versucht. Ich versprach, ihn laufenzulassen, wenn er mir die Namen seiner Lieferanten nennt.« »Das hätten Sie getan, Ronco? Sie hätten meinen Befehlen zuwidergehandelt!« »Ich bin Zivilist, Sir, und benutze manchmal meinen eigenen Kopf, um zu entscheiden, was richtig ist und was falsch.« »Ich hätte Sie fristlos entlassen!« »Sie hätten gar nichts davon erfahren, Sir«, erwiderte ich gelassen. »Ich hätte Ihnen die Namen der Schmuggler genannt, und das wäre gleichbedeutend gewesen mit einer gewonnenen Schlacht über alle
aufständischen Indianer entlang der Grenze.« »Wenn Sie das Major Fly erzählen, dreht er Ihnen sicher einen Strick daraus.« »Ich erzähle es ja auch nur Ihnen, Sir. Die Belieferung der Indianer mit immer besseren Waffen wird zentral von irgendeinem Ort jenseits der Grenze aus gesteuert. Ich tippe auf New Mexico. Dort bestehen günstige Transportmittel nach Norden, wenn wir den Ausbau der Eisenbahnen bedenken. Über die Union Pacific und ihre Nebenbahnen in Colorado und Utah könnten leicht und rasch größere Mengen Karabiner aus den überquellenden Depots der entwaffneten Südstaaten-Armee und ausgemusterten Yankee-Truppen in die Rocky Mountains transportiert werden. Selbst von Boston aus, dem Sitz der Spencer-Fabriken, ist es mit der Eisenbahn nur ein Katzensprung bis an die Grenze zwischen Texas und New Mexico. Ich vermute, da operierten höchst angesehene Geschäftsmänner in weißem Kragen und luxuriösen Büros, die nachts ruhig schlafen können, weil sie Indianer nur vom Hörensagen kennen. Für diese Leute ist das alles nur eine Frage des Umsatzes und des Profits, Sir.« »Sie sind noch zu jung dazu, sich so ein Urteil zu erlauben!« »Ich war alt genug, Sir, um im Bürgerkrieg zu erleben, wie die Stiefelsohlen im Schnee steckenblieben, weil sie nicht richtig am Oberleder befestigt waren. Oder wie ein ganzes Bataillon von Soldaten sterben mußte, weil es mit Gewehren aus einer Lieferung ausgerüstet worden war, die beim dritten Schuß buchstäblich explodierten. Fehlerhaftes Material für teures Geld – im voraus bezahlt. Nicht Schlamperei, sondern ganz bewußter Pfusch!« »Ich habe auch davon gehört, Ronco. Das passierte auf beiden Seiten der Front.« »Auf beiden Seiten gab es Kriegsgewinnler. Verbrecher, die sich am Elend anderer bereicherten.« »Aber dieses Gewehr ist erstklassig! Sie können doch nicht behaupten, es handle sich hier um dieselben Leute, die damals …« »Doch«, unterbrach ich ihn hitzig, »es steckt die gleiche Absicht dahinter. Ob ich nun in Zeiten stürmischer Nachfrage absichtlich schlechte Ware liefere, um mich zu bereichern, oder ob ich in einer Flaute mit erstklassiger Ware künstlich eine Nachfrage erzeuge,
bleibt sich gleich. Vergessen wir nicht, wer mit der erstklassigen Ware beliefert wird, Sir. Die Indianer, für die der Kauf und Verkauf von Feuerwaffen gesetzlich untersagt ist. Diese Leute stellen immer den Profit über das Gesetz.« »Die Waffenschmuggler, die Ihnen seit Monaten im Kopf herumspuken?« »Genau die.« »Du meine Güte! Wenn Sie recht haben, können wir nichts anfangen mit ›diesen Leuten‹! Wir brauchen Namen, Beweise, Aussagen, die vor einem Gericht akzeptiert werden.« »Sie haben das Recht dazu, diese Leute zu verurteilen, wenn Sie sie in Ihrem Militärbereich ertappen. Sie haben es mit Vanderbilt getan. Sie haben ihn aufhängen lassen.« »Aber da lag der Fall doch ganz anders! Er hat Kutschen überfallen lassen, in denen er seine Waffen versteckt hatte. Wir konnten ihm mehrere Morde anhängen …« »… die er durch Apachen ausführen ließ. Und jetzt haben wir die gleiche Methode, Sir.« Der Colonel betrachtete noch einmal das Gewehr, das ich ihm auf den Tisch gelegt hatte, von allen Seiten. »Holen Sie Major Fly herein, Ronco.« Zum Teufel, dachte ich, kann er denn nie etwas allein entscheiden!
3. Schlangenmanns monotoner Singsang ging sogar mir auf die Nerven. Er wurde von Sergeant Brightfoot bewacht, der als besonders zuverlässig galt, weil er nachts nicht schlafen konnte. Ich hatte keine sehr hohe Meinung von Brightfoot. Ich hielt ihn für einen Mann, der nur bei der Armee diente, weil er keine eigenen Vorstellungen vom Leben hatte. Er brauchte Vorgesetzte, die für ihn dachten und ihm sagten, was gut und richtig war. Major Fly, unser As aus West Point, hat den Alten wieder einmal um den Finger gewickelt, dachte ich wütend, nachdem die Konferenz beim Colonel beendet war. Ich stand unter der Tür der Kommandantur und blickte hinüber
zum Arrestblock neben dem Magazin, wo Snakeman seine Totenklagen pausenlos wiederholte. Die kühle, etwas ölige Stimme des Adjutanten mischte sich in meinen Gedanken mit dem rhythmischen Singsang des jungen Häuptlings zu einem widerwärtigen Duett. »Abschreckung ist das beste Mittel, Sir. Eine Strafexpedition. Wir umzingeln ein Dorf und exekutieren alles. Dann werden es sich die Apachen sehr genau überlegen, ob sie die Gewehre, die sie sich illegal besorgen, nicht lieber wegwerfen oder vergraben sollen.« Colonel Lester war nicht dafür gewesen, aber auch nicht dagegen. Sein verdammter Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem in West Point ausgebildeten Major hatte sich wieder einmal durchgesetzt. Colonel Lester litt darunter, daß er sich aus dem Mannschaftsstand bis zum Regimentskommandeur hinaufgedient hatte und nicht so gewandte Briefe schreiben konnte wie der Major. Es war zum Kotzen! Die beiden hatten beschlossen, das Übel nicht an der Wurzel zu packen, sondern es breitzutreten wie einen Quark. In die Asche zu blasen, bis ein verheerender Flächenbrand daraus wurde. Ich hörte wieder die wortgewandte, arrogante Stimme von Major Fly. »Sie haben einen Weißen hängen lassen, Sir. Diesen Vanderbilt. Weil er Gewehre an diese Wilden verkaufte. Das war eine sehr unpopuläre Maßnahme. Vanderbilt war in Corpus Christi und Eagle Pass ein sehr angesehener Mann.« Natürlich, hatte ich erbittert überlegt, Major Fly ging bei Vanderbilt aus und ein, trank dort kistenweise französischen Champagner und küßte Madame Vanderbilt die Hand. Es mußte für die Dame ein großer Schock gewesen sein, daß der elegante Major Fly nicht in der Lage gewesen war, ihren Mann vor dem Galgen zu retten. Und ich war sicher, er wollte mir jetzt diese Niederlage heimzahlen. Er war eitel. Ich hatte die Beweise herbeigeschafft, die Vanderbilt vor ein Militärgericht brachten, das ihn nach Lage der Dinge nur zum Tode verurteilen konnte. »Sie können jetzt unmöglich einen Wilden verschonen, Sir«, war Major Fly fortgefahren, »weil er ein wichtiger Zeuge gegen irgendwelche obskuren Waffenhändler sein könnte. Ich bitte Sie, Sir,
was für einen Wert soll die Aussage eines Wilden schon haben? Die lügen doch alle wie gedruckt!« »Was schlagen Sie vor, Major?« »Hängen. Ein Exempel statuieren. Ohne Verzug, Sir. Sie können unmöglich die Hinrichtung einer Rothaut verzögern, wenn Sie einen angesehenen Mann der weißen Gesellschaft nicht begnadigen wollten. Das schafft sonst böses Blut, Sir. Sehr böses Blut.« »Ronco meint …« Der Major hatte den Alten schroff unterbrochen: »Unser Scout hat sich in anerkennenswerter Weise darum bemüht, Mister Vanderbilts illegale Geschäfte aufzudecken. Es war nicht seine Aufgabe. Ich denke, er sollte sich jetzt wieder auf das Spurenlesen beschränken. Die Politik gegenüber der Rothäute obliegt den Offizieren, Sir.« »Mister Ronco hat ein bemerkenswertes Gespür für solche Dinge, Major.« »Er hatte Glück, Sir, denke ich. Ich gebe zu, er kommt mit diesen Wilden gut aus. Aber wir vertreten die Interessen unserer Zivilisation. Und eine Rothaut bringen Sie nie zur Einsicht, daß die Steinzeit längst vorüber ist. Sie verstehen nur die Sprache der Gewalt.« So waren wir auseinandergegangen. Mit dem stummen Übereinkommen, daß Snakeman irgendwann morgen früh gehängt werden würde. Ohne großes Tamtam wie bei Mister Vanderbilt. Es war zum Kotzen! Major Fly spielte mit seiner West-Point-Einstellung den Waffenschmugglern nur in die Hände. Noch mehr Apachen würden sich moderne Spencer-Karabiner beschaffen. Sie würden sie mit Gold aufwiegen, um wenigstens ehrenvoll zu sterben, wenn sie schon ausgerottet werden sollten. Ich konnte noch nicht schlafen. Meine Gefühle waren aufgewühlt. Ich fühlte mich hier als Scout im Fort auf verlorenem Posten. Major Fly irrte, wenn er behauptete, ein Scout habe nur Spuren zu lesen und an der Spitze eines Strafkommandos herzutraben, damit es auch den richtigen Weg fand in ein Indianerdorf, das ausgerottet werden sollte. Ein Scout hatte die Pflicht, zwischen den Interessen der weißen Bevölkerung und der Rothäute zu vermitteln. Er hatte die Pflicht,
dafür zu sorgen, daß die weißen Siedler friedlich mit den Indianern in ihrer Umgebung zusammenleben konnten. Und die Armee hatte dafür zu sorgen, kriegerische Auseinandersetzung zwischen Weiß und Rot zu verhindern. Die Carrizos zeichneten feine blaue Schatten über den Himmel im Westen des Forts. Die Nacht war noch angenehm kühl zu dieser frühen Jahreszeit. Das Versprechen von Fruchtbarkeit und neuem Leben lag in der Luft. Alles war dem Wachsen und Werden zugewandt, nicht dem Leid und dem Vergehen. Eine verfluchte Zeit, um zu sterben, dachte ich, noch dazu in einem Alter, da das Leben erst beginnen soll. »Oy - sie - shon - ka - si - pa - sha - sa …« drang es in einem wilden, dunklen Rhythmus über den Exerzierplatz. »Meine Seele wird eingehen zu den Ahnen …« Irgendwo warf jemand heftig die Tür seiner Baracke zu. In den Ställen schnaubten die Pferde. Die Posten auf den Wehrgängen gingen mit ungewöhnlich schweren Schritten auf den Bohlen auf und ab. Einer von ihnen stopfte sich sogar etwas in die Ohren. Der Gesang des jungen Häuptlings hatte seit dem Sonnenuntergang nicht mehr aufgehört. Wer mit den magischen Kultgesängen der Indianer vertraut ist und ein empfindliches Gehör hat, wird sich vorstellen können, wie sehr so etwas auf die Nerven gehen kann. Der Gesang von Ochsenfröschen im Frühling ist ein Kirchenchor im Vergleich zu der Trauerklage eines Apachen. Irgendwann muß ihm ja die Puste ausgehen, dachte ich. Aber ich verstand nicht ganz, was Snakeman damit bezweckte. Wer sich auf seinen eigenen Tod vorbereitet, stimmt die Klage erst an, wenn der Tod auf ihn zutritt. Die Apachen hatten nicht die Gewohnheit christlicher Mönche, ihre Klagen wie die Perlen des Rosenkranzes herunterzubeten. Quantität im Gebet – daran glaubten sie nicht. Es sei denn, sie verbanden handfeste irdische Absichten mit ihrer Klage … Irdische Absichten, dachte ich noch, eingefangen von den lauen Düften des Frühlings und dem monotonen Singsang, der sich alle paar Takte zu einem wilden Fortissimo steigerte, als werfe sich ein
eingesperrter Puma immer wieder gegen die Käfigtür. Ich war plötzlich hellwach, überquerte den Exerzierplatz und scheuchte einen Hund weg, der mit eingeklemmten Schwanz und geschlossenen Augen versuchte, die Klage des Apachen nachzusingen. Sergeant Brightfoot saß im Wachraum, einen Karabiner quer über die feisten Schenkel gelegt, das Gesicht der Zellentür zugekehrt, hinter der Schlangenmann seine Stimmbänder strapazierte. Auf dem Tisch neben der brennenden Öllampe lagen ein Stoß Bücher, Karten und ein umgekippter Würfelbecher. Der übliche Zeitvertreib von Sergeant Brightfoot in seinen kritischen Nächten, die irgendwie mit dem Vollmond zusammenhingen, wie mir der Doc von Fort Calhoun erzählt hatte. Bei Vollmond konnte Sergeant Brightfoot zum Verrecken nicht schlafen. Und in dieser Zeit wurde er immer zum Wachdienst auf den Palisaden oder im Arrestblock eingeteilt, falls dort jemand einsaß. Im Augenblick hatte er nur einen Gefangenen zu bewachen – Unterhäuptling Snakeman. Sergeant Brightfoot hörte mich nicht. Ich hieb ihm beide Hände heftig auf die Schultern, daß er fast vom Holzstuhl gekippt wäre. Und Snakeman grinste, obwohl er gerade an der traurigsten Stelle seiner Klage angelangt war. Der dicke Sergeant wirbelte erschrocken herum. Als er mich sah, wurde aus seinem Erschrecken eine wütende Grimasse. Er hatte wahrscheinlich angenommen, der Offizier vom Dienst stünde hinter ihm. Ich als Scout – obgleich den Offizieren gleichgestellt – hatte keinerlei Befehlsgewalt, wenn ich nicht im Einsatz war. »Ronco, Sie! Haben Sie mich aber erschreckt! Ich meine, wenn Sie nicht schlafen können, sollten Sie Ihre Scherze an Jicarilla auslassen! Und anklopfen …« Sergeant Brightfoot hätte dem Alter nach mein Vater sein können. Der Statur nach nicht. Er war untersetzt, stiernackig, brünett und sein Haaransatz begann schon mindestens drei Zoll früher als bei mir. Ich glaube, es trifft zu, daß die Höhe der Stirn irgend etwas mit dem Intelligenzgrad des Menschen zu tun hat. Bei Sergeant Brightfoot war die Übereinstimmung mit dieser These nicht zu übersehen.
»Sho - ni - pa - kato«, sagte ich, und Snakemans Lippen zogen sich noch breiter auseinander. Er sah wirklich nicht aus wie ein Todeskandidat. »So? Sie klopfen nie an?« schnaubte Sergeant Brightfoot. »Ich …« Ich langte mit beiden Händen nach seinem Gesicht, weil er den Karabiner nicht loslassen wollte, winkelte die kleinen Finger an und zog ihm die beiden dicken Wattebäusche aus seinen großen Ohren heraus. »Ich sagte, Sie wären jetzt ein toter Mann, Sergeant!« wiederholte ich meine Worte auf englisch. »Begreifen Sie denn nicht, warum sich der Apache so viel Mühe gibt, Ihnen ein Lied beizubringen?« »Er geht mir auf den Wecker!« »Genau. Dem ganzen Fort geht er das. Und den Erfolg dieser Taktik haben Sie eben erlebt. Ich hätte Ihnen die Kehle durchschneiden können, ohne daß Sie das bemerkt hätten!« »Sie meinen, er will damit seine Freunde anlocken?« fragte Sergeant Brightfoot finster. »So laut singt er nun auch wieder nicht, daß man ihn bis zum Reservat am Bear River hören könnte. Aber er will bestimmt damit bezwecken, daß er mit seinem Singsang ein anderes Geräusch übertönt.« »He – vielleicht das Kratzen einer Feile, wie?« Der Sergeant stand von seinem Stuhl auf und trat an die Zellentür, wo der dem Tode verdammte Indianer saß und sich mit beiden Händen an den Stäben festklammerte. »Meinen Sie, er versucht auszubrechen, Mister Ronco?« »Würden Sie das nicht an seiner Stelle tun?« »Nicht mit einer Feile. Außerdem hat er keine. Wäre auch zwecklos. Bis zu seiner Hinrichtung schafft der das nie.« »Wissen Sie schon, wann sie stattfinden soll?« »Morgen früh um sechs, hat Major Fly gesagt.« Da wußte er sogar mehr als ich, dachte ich verbittert. Ich blickte den Häuptling an. Ich wußte, daß er die englische Sprache leidlich gut beherrschte. Sein Grinsen war eine Herausforderung. Er hatte sogar seinen Klagegesang unterbrochen, um mir zu zeigen, wie
wenig ihn das interessierte, was er hörte. Und das verunsicherte mich. Das war nicht die Verachtung eines erprobten Kriegers, der den Tod nicht fürchtet oder die Furcht seinem Feind nie zeigt. Das war die Verachtung eines Mannes, der es besser weiß. Teufel, dachte ich, er hätte blaß werden müssen unter seiner roten Haut, denn der Tod am Galgen verdammte ihn nach seinem Glauben zum ruhelosen Umherwandern auf dieser Erde. Wollte er sich selbst umbringen? Oder glaubte er wirklich, daß seine Freunde die Wachen auf den Wehrgängen überlisten und ihn hier herausholen würden? »Was hast du vor, Schlangenmann?« fragte ich den Gefangenen im Dialekt der Chiricahuas. Als Antwort stimmte er wieder sein Klagelied an. »Er hat keine Feile, Mister Ronco. Sie sehen das selbst. Die Zelle ist so nackt wie der Popo meiner jüngsten Tochter beim Baden. Er trägt eiserne Manschetten an den Händen, und die Tür ist mit einem doppelten Schloß gesichert.« »Sie dürfen sich die Watte nicht mehr in die Ohren stopfen, Sergeant. Ich meine, ich kann Ihnen nur den Rat geben, weil ich hier nichts zu bestimmen habe. Aber es wäre möglich, daß ihm jemand aus der Zelle hilft.« »Da käme doch nur Jicarilla in Frage«, erwiderte der Sergeant kopfschüttelnd. »Das ist der einzige, dem ich so etwas zutraue.« Ich konnte ihm da nicht widersprechen. Jicarilla hatte seine Sympathie für die Verwandten seiner Mutter nie verhehlt. Aber er würde nicht wagen, einen Apachenhäuptling, der zum Tode verurteilt wurde, zur Flucht aus dem Fort zu verhelfen. Nicht aus Pflichtbewußtsein, sondern aus Freundschaft zu mir. Aber die Menschen verändern sich. Oder der Whisky verändert sie. Falls jemand Jicarilla ein Faß schottischen Whisky versprochen hatte – er bevorzugte schottischen, weil sein Vater ein Schotte gewesen war und ihn im Suff gezeugt haben soll –, würde er wahrscheinlich sogar das Fort anzünden. Für Whisky tat Jicarilla alles. *
Ich schritt alle vier Ecken des Fort ab, als wäre Snakemans Gesang eine Säge, die mich nicht einschlafen ließ. Zudem war das Schnarchen von Jicarilla viel schlimmer, wenn er in unserer Unterkunft seinen Rausch ausschlief. Meistens holte ich Sergeant Tucker, und dann trugen wir ihn gemeinsam hinüber in den Pferdestall und legten ihn dort in eine leere Box. Ich wanderte auf den Wehrgängen entlang und schaute hinaus auf die Mesa im Norden und die Berge, die uns im Westen und Süden einschlossen. Der Mond brauchte nur noch zwei Zoll zuzunehmen, und er hatte kreisrunde Fülle erreicht. Sein Licht würde kaum noch zunehmen. Ich vermochte die Umgebung des Fort fast so gut einzusehen wie am Tage. Von Indianern war weit und breit nichts zu erblicken. Dann stieg ich wieder hinunter vom Wehrgang. Nur in den Quartieren der Offiziere brannte noch Licht. Und natürlich im Arrestblock und im Wachhaus neben dem Tor. Ein banges Gefühl wollte mich nicht loslassen. Ich schob es auf die suggestive Wirkung von Snakemans Totenklage. Seine Stimme hatte einen Sprung erhalten, aber er ließ nicht locker trotz seiner Heiserkeit. Er will uns alle besoffen singen, dachte ich ergrimmt. Dann ging ich in mein Quartier, zog mich aus und legte mich auf meine Koje. Und plötzlich hatte die Klage des Apachen eine völlig andere Wirkung. Wie das monotone Geräusch eines heftigen Regens oder das Wiegenlied einer Amme an der Wiege eines Säuglings. Ich wehrte mich dagegen, aber dann hörte ich plötzlich nur noch helle, melodische Stimmen, die von einem Bach sangen, wo sie Blumen pflückten und Kränze flochten und darauf warteten, daß irgend jemand erschien und sie aufklärte. Ich mußte eingeschlafen sein und träumen, denn in der Nähe von Fort Calhoun gab es keinen Bach, wo man Blumen pflücken und Kränze flechten konnte. Und von erwartungsvollen Mädchen konnte man hier wirklich nur träumen.
4. »He, Ronco!« Ich knurrte etwas mit geschlossenen Augen. Es war totenstill in der Baracke, bis mir wieder schaler Whiskydunst ins Gesicht schlug und die rostige Stimme wiederholte: »He, Ronco – erster Scout, Sir!« Das war kein Engel, wie er bei den spanischen Padres in meiner Zelle über meinen Bett gehangen hatte – mit langem weißen Nachthemd und weißen Flügeln zwischen den Schulterblättern, die Arme segnend ausgebreitet. Damals war ich ein Kind gewesen, sieben oder acht Jahre alt, und der Engel mochte vielleicht aussehen wie neunzehn oder zwanzig. Ich hatte ihn jeden Abend vor dem Einschlafen mit Respekt betrachtet, als hätte er auch meine Mutter sein können, die ich nie gekannt und nie bewußt erlebt hatte, weil mein Erinnerungsvermögen nur ganz schwach bis zu dem Tag zurückreichte, an dem mich die Mönche in einem halbverbrannten Prärieschoner zwischen den Trümmern und Toten eines überfallenen Siedlertrecks gefunden hatten. Manchmal träumte ich jetzt noch von diesem Engel, der, mit zarten Pastellfarben getuscht oder gezeichnet, in einem dunklen Rahmen über meinem Zellenbett hing und mich anlächelte. Doch jetzt sah ich ihn nicht mehr als Mutterersatz, sondern genau im richtigen Alter, daß wir uns auch mal über weltliche Dinge unterhielten oder er sich von mir segnen ließ. Ich schlug die Augen auf. Jicarillas rotes Stirnband schwebte über mir, seine großen, feuchten Bernhardineraugen und sein voller Mund mit den wulstigen Lippen, die fast an einen Neger erinnerten. Aber ich glaube, die hatte er davon gekriegt, daß er ständig an seiner vernickelten Brandyflasche nuckelte. »He«, fluchte ich leise, »du hast mich gerade bei einem Rendezvous gestört!« Jicarilla war fünf Jahre älter als ich und als Fährtenleser viel erfahrener. Aber weil er fast ständig betrunken war, hatte man mich zu seinem Vorgesetzten ernannt. Oder zu seinem Aufpasser. Er grinste mich an. Er schien seltsamerweise ziemlich nüchtern zu sein, obwohl ich ihn vorhin noch als Schnapsleiche auf seine Koje gelegt
und ausgezogen hatte. »Was für ein Rendezvous?« fragte er, mir seinen Alkoholatem ins Gesicht blasend, »mit den Wanzen, die ich dir gestern in den Strohsack gesteckt habe, weil du mir keinen Vorschuß für den Einkauf lebensnotwendiger …« Ich fuhr fluchend aus dem Bett. »Du hast mir Wanzen ins Bett getan, während ich in den Halcon Mountains um mein Leben kämpfte? Du hast dir so etwas Gemeines einfallen lassen, weil ich dir kein Geld mehr für deinen verdammten Brandy borgen …« »Reg dich nicht auf«, sagte er rasch. »Ich wollte dich nur aus dem Bett trommeln. Ich habe ein verdächtiges Geräusch gehört!« »Ja, die Totenklage von Snakeman. Du warst so besoffen, daß du jetzt erst hörst, was wir längst … Moment mal! Es ist totenstill draußen! Wie spät ist es?« »Keine Ahnung. Eine Stunde vor dem Anbruch der Morgendämmerung, schätze ich.« »Dann muß ich ein paar Stunden tief und fest geschlafen haben. Und es muß dir aufgefallen sein, daß du nichts hörst!« »Ich habe etwas aus der Richtung des Stalls gehört, als ich meinem dringenden Bedürfnis abhelfen wollte, erster Scout, Sir.« »Eine Totenklage?« »Quatsch! Erst hörte ich das unruhige Stampfen eines Pferdes und dann ein pochendes, polterndes Geräusch. Und dann, nach einer langen Pause, ein Klirren. Das ertönte von da drüben her!« Er deutete mit der rechten Hand durch das Fenster, das zum Arrestblock hinausging. Ich war plötzlich hellwach. »Ein Klirren?« »So, als werfe jemand einen Schlüsselbund durch ein offenes Fenster. Und dann sah ich einen Schatten neben dem Stepwalk, der am Gefängnis vorbeiführt. Aber da der Schatten eine blaue Uniform trug, dachte ich mir nichts dabei. Ich …« »Teufel, warum hast du mich dann geweckt?« »Weil ich eben noch einen Schatten gesehen habe. Und diesmal trug er keine Uniform, sondern Leggings und eine Feder im Haar …« Ich starrte Jicarilla an. Hatte er nur geträumt wie ich? Nein. Er trug bereits seine abgeschabte Uniformjacke über seinem nackten,
muskulösen Oberkörper, seine ausgefranste Uniformhose und den Ledergurt mit seinem vernickelten Army-Colt. Und ich hatte ihm nur seinen Lendenschurz gelassen, als ich ihn in seiner Matratzengruft als Schnapsleiche beerdigte. »Bei deinem schottischen Vater – hast du vielleicht diesem Unterhäuptling Snakeman eine Waffe zugesteckt, damit er morgen nicht in Schimpf und Schande am Galgen verreckt?« Er starrte mich ganz groß an. »Wovon sprichst du überhaupt?« Ich blickte auf seine nackten Füße und sah, daß sie ausnahmsweise sauber und nicht mit dem Staub gepudert waren, der draußen auf dem Exerzierplatz lag. Der Arrestblock befand sich auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Er hätte fliegen müssen, wenn er mit sauberen Füßen von einer heimlichen Mission im Fort zurückkehren wollte. Barfuß, meine ich. Seine Stiefel hatte ich in meinem Schrank eingeschlossen, um sicherzugehen, daß er nichts anstellte, während ich schlief. »Wovon sprichst du überhaupt?« wiederholte das Halbblut. »Von dem Unterhäuptling, der drüben im Arrestblock sitzt und in ein paar Stunden gehängt werden soll!« Ehrliche Überraschung spiegelte sich in seinen dunklen Augen. »Davon weiß ich nichts! Warum hast du mir das nicht gleich gesagt!« »Wenn du besoffen bist, kann man dir doch nichts sagen! Moment mal! Bedeutet das, du warst schon betrunken, als ich gestern mit meinem Gefangenen ins Fort zurückkehrte?« »Das hängt davon ab, wann du zurückgekehrt bist, Ronco«, entgegnete Jicarilla stirnrunzelnd. Er wußte wirklich nichts von dem Gefangenen. Er mußte schon gestern nachmittag geistig weggetreten sein. »Werf mir meine Klamotten 'rüber, Jicarilla! Rasch! Und zieh dir deine Stiefel an! Sie stehen in meinem Schrank! Wenn du deine Schatten nicht geträumt hast wie ich von meinem – äh – Schutzengel, ist etwas faul im Fort!« *
Ich schlüpfte noch in meine Jacke, als ich über den Exerzierplatz spurtete. Der Mond war inzwischen hinter den Carrizos im Westen untergetaucht. Das Licht in den Offiziersunterkünften war erloschen. Die Lampen hinter dem Fenster der Wachbaracke brannten. Auf den Wehrgängen schlichen ein paar Gestalten fröstelnd auf und ab. Kurz vor der Ablösung ist kein Posten mehr ein drahtiges Energiebündel, das mit straffen Rücken und gemessenen Schritten seine Runde abschreitet. Nichts Verdächtiges soweit. Jicarilla trabte hinter mir her, seine verrostete Sharps unter dem Arm. Ich konnte seine Stiefelsohlen knarren hören, weil die Totenklage in der Arrestzelle verstummt war. Jeder hier im Fort mußte aufgeatmet haben, als Snakeman endlich seinen Singsang einstellte. Selbst die Schläfer in den Baracken mußten sich beruhigt auf ihren Strohsäcken herumgedreht haben. Und keiner war der Arrestzelle zu nahe geraten aus Angst, er könne wieder anfangen zu singen. Das war der Trick! Das mußte die Lösung sein! Ich fegte auf den Stepwalk der Arrestzelle hinauf und klopfte auch diesmal nicht an. Ich fiel mit der Tür in die Wachstube. Sergeant Brightfoot saß immer noch vor seinem Tisch, der mit Karten, Würfeln und Schauerromanen befrachtet war. Und mit dem Kopf von Sergeant Brightfoot, der mit offenen Augen in das flackernde Licht seiner Öllampe starrte. Das Spencer-Gewehr, das er quer auf seinen Schenkeln festgehalten hatte, war verschwunden. Und sein eigenes Messer konnte er nicht mehr erreichen. Das steckte in seinem Rücken. Zwischen den beiden Rippen auf der linken Seite, wo der Weg zum Herzen am kürzesten ist. »Beim Großen Geist!« flüsterte Jicarilla mit seiner rostigen Katerstimme. »Er muß dem Gefangenen die Schlüssel zugeworfen haben!« Die Zelle war leer, aber nicht aufgebrochen. Im Gegenteil. Sie war von außen wieder abgesperrt worden, als habe Snakeman viel Zeit gehabt, alles ordentlich zu hinterlassen. Und die Schlüssel? Die hingen dort, wo ich sie zuletzt gesehen
hatte – am Gürtel des toten Sergeanten Brightfoot. Ich starrte auf das Gesicht des Sergeanten, das auf der Tischplatte zwischen den Karten und Würfeln lag, als wäre er nur vor Übermüdung eingeschlafen. In seinem linken Gehörgang steckte wieder das zusammengerollte Wattekügelchen, das ich ihm vor ein paar Stunden mit dem kleinen Finger herausgepult hatte. »Er muß ein bißchen zu dumm gewesen sein für seinen Job«, sagte ich, mehr zu mir selbst als meinem zweiten Scout. Doch dann biß ich mir auf die Zunge und nannte mich selbst einen Idioten. Sergeant Brightfoot hatte die ganze Zeit die Zellentür im Auge behalten und trotzdem ein Messer im Rücken! Ich nahm Jicarilla die Sharps aus der Hand und gab die vorgeschriebenen Alarmschüsse durch das Fenster des Arrestblockes ab. Während die Wache am Tor unter das Gewehr trat und überall auf den Wehrgängen die Fackeln aufflammten, packte ich Jicarilla bei seiner zerlumpten Uniformjacke und flüsterte: »Jetzt zeig mir mal genau, wo du die anderen Geräusche vernommen und die Schatten gesehen hast!« Wir hasteten aus dem Arrestblock und durch die dunkle Lagergasse auf den Stall zu. * Im Stall fehlten ein paar Pferde, aber das mochte nichts bedeuten. Ein paar Männer aus dem Fort waren immer unterwegs auf Patrouille oder einer Dienstreise in die Etappe. »Jicarilla – fehlen Pferde, die eigentlich hier sein sollten?« Sein Blick flog an den Boxen entlang. »Dort – das ist weg!« »Ein Pferd? Du mußt noch nicht ganz nüchtern sein, daß du plötzlich einen leeren Verschlag siehst, wo ich sogar zwei Gäule erkenne!« »Nein, Ronco – nicht die Pferde, sondern die Stricke sind weg!« »Welche Stricke?« »Die zusammengeknoteten Stricke, die Sergeant Tucker …« »Die Strickleiter für die Lagerfeuerwehr?«
Jicarilla nickte. »Die war gestern noch hier?« Wieder nickte der Halbapache. »Weiter, Jicarilla! Schauen wir nach, wo sie hingekommen ist!« Wie liefen durch den Stall zum Sattelplatz, der sich dahinter anschloß. Nachts ist es hier, wenn das Fort nicht belagert wird oder im Alarmzustand versetzt ist, so einsam und dunkel wie in dem verlassenen Bau eines Präriehasen. Ich hatte keine Fackel oder Laterne mitgenommen und fluchte jetzt über dieses Versäumnis. Jicarilla sah im Dunkeln besser als ich. Er deutete auf eine frische Fährte im Sand. »Moskassins«, sagte er nur, »ganz frische Mokassinspuren.« »Keine Stiefelabdrucke?« »Hier nicht mehr«, meinte er mit einer seltsamen Betonung. Ich achtete nicht darauf und hastete weiter auf die dunkle, hohe Palisadenwand des Forts zu. Die Spur endete direkt an den Palisaden. Ich blickte an den glatten Baumstämmen hinauf, die regelmäßig mit Asphaltöl nachgestrichen und jeden Frühjahr ausgebessert wurden. Oben auf dem Wehrgang trabten zwei Posten in ihren blauen Uniformen und gelben Biesen im Dauerlauf heran, in der linken Hand frisch angezündete Fackeln, in der rechten Hand das geladene Gewehr. »Da hängt eine Strickleiter!« rief einer von den beiden und hielt mit einem Ruck an. Sie beugten sich mit den Fackeln über die Außenmauer des Forts. Dann nahmen sie, ohne noch ein Wort zu verlieren, die Gewehre an die Schulter und schossen, bis ihre Magazine leer waren. Ich stand wie ein Ochse vor dem verschlossenen Scheunentor unten an den Palisaden und fluchte bei jedem Schuß. Jetzt wußte Häuptling Schlangenmann, daß seine Flucht entdeckt worden war. Eine drahtige, schlanke Gestalt mit einem goldenen Ahornblatt auf den Schulterstücken eilte über den Sattelplatz auf uns zu, begleitet von zwei Fackelträgern. »Scout Ronco! Scout Ronco! Ich suche Sie schon überall!« rief
mir die Gestalt mit den goldenen Ahornblättern zu. »Colonel Lester wünscht Sie sofort in der Kommandantur zu sprechen! Vollständig angekleidet und mit angeschnallten Sporen.« Der West-PointAbsolvent behandelte meinen Freund Jicarilla so, als wäre er Luft. »Der Bastard kann inzwischen Ihr Pferd satteln. Ein frisches Pferd, selbstverständlich …« Leck mich, dachte ich, als der Major mit seiner Eskorte wieder umkehrte und zum Exerzierplatz zurückmarschierte. Hätte ich den Häuptling nur nicht hergebracht, dachte ich wütend, dann wäre Sergeant Brightfoot noch am Leben und Major Fly hätte keinen Vorwand für seine Strafexpedition gegen die Apachen! * »Sie haben das Fort alarmiert?« empfing mich Colonel Hampton Lester in seinem Hauptquartier. In diesen Momenten wie jetzt bewunderte ich den Colonel. Dann war er in seinem Element, ruhig, gelassen, überlegen. Auch seine Kompaniechefs waren inzwischen in seinem Zimmer versammelt, aber sie sahen noch verschlafen aus, schlecht gelaunt, nicht ganz korrekt angezogen. Doch der Colonel hätte eine Parade abnehmen können, so frisch, konzentriert und tadellos wirkte er. Selbst der Knoten seines gelben Schals zwischen den Kragenspiegeln seiner Uniformjacke saß korrekt in der Mitte und war genauso fest gezogen, wie es Vorschrift war. Major Fly sah auch sehr munter und korrekt gekleidet aus. Irgendwie hatte ich den Eindruck, er sei überhaupt noch nicht im Bett gewesen. Der Colonel betrachtete mich unter seinen buschigen Augenbrauen hervor, als bedauere er, so lange gezaudert und geschwankt zu haben. Meinetwegen. Als wäre ich an diesem Ausbruch eines Apachenhäuptlings schuld! »Sie haben die Friedfertigkeit der Apachen überschätzt«, sagte er kühl. »Und den Einfallsreichtum dieser Leute. Nein, ich möchte jetzt keine Widerrede von Ihnen hören, Mister Ronco. Dafür haben wir
jetzt keine Zeit …« »Wenn Major Fly mich nicht am Sattelplatz zurückgepfiffen hätte, Sir, ritt ich bereits auf der Spur des Flüchtlings. Vielleicht hätte ich ihn sogar schon eingeholt.« Ich streifte Major Fly mit einem scharfen Seitenblick. »Sergeant Brightfoot war erst ein paar Minuten tot, als ich den Ausbruch des Apachen entdeckte. Die Spur führte zur Mauer. Der Apache hat eine Strickleiter zur Flucht benutzt. Und jemand …« Ich schluckte es rasch wieder herunter. Das wollte ich dem Colonel nur unter vier Augen sagen. Jemand im Fort mußte dem Häuptling zur Flucht verholfen haben! Jemand, der Uniform trug, und sich ungehindert im Fort bewegen konnte. Jemand, den Sergeant Brightfoot so gut gekannt hatte, daß er ihm arglos den Rücken zudrehte! Jemand, der Pferde und Gerätschaften aus dem Stall holen durfte, ohne daß ihn eine Wache anhielt oder fragte! Jemand, der sich einen Schlüssel für den Arrestblock verschaffen konnte! Mir stockte der Herzschlag, als meine Gedanken bis zu diesem Punkt vorgerückt waren. Wenn ich das alles zusammenrechnete, konnte dieser Jemand nur einer von den Offizieren sein! Das konnte ich unmöglich sagen. Das war so ungeheuerlich, daß ich so etwas Colonel Hampton Lester auch unter vier Augen nicht mitteilen durfte. Ich glaube, er hätte mich geohrfeigt und mich aus dem Fort geworfen, ohne mich bis zu Ende anzuhören. Sinnlos. Nicht in diesem Moment, in dem sie alle erschreckt wie eine aufgescheuchte Büffelherde waren! Ich hätte dem Alten durch die Blume sagen müssen, daß einer von seinen Offizieren Sergeant Brightfoot in den Rücken gestochen haben muß, nicht der Apache, den sie jetzt natürlich als den Mörder hinstellten. »Sie werden Gelegenheit erhalten, Ronco, diesen Häuptling, den Sie gestern im Fort eingeliefert haben, zum zweitenmal zu fangen. Ich will Ihnen nur kurz meine Instruktionen erteilen. Dann reiten Sie sofort los.« »Ja, Sir.« Ich war froh, daß ich keine Zeit mehr hatte, ihm meinen schrecklichen Verdacht mitteilen zu können. Ich war sicher, daß Snakeman bereits am Nachmittag gewußt hatte, er würde in Fort
Calhoun nicht baumeln müssen. Daß dort jemand wartete, der ihn aus dem Gefängnis herausholen würde. Deswegen war er widerstandslos mitgekommen und hatte nur seine Klagelieder angestimmt, um meinen Fragen auszuweichen! Ich mußte ihn zum zweitenmal fangen. Und dann würde ich ihn notfalls mit einem glühenden Messer foltern, um ihm zwei Namen zu entlocken. Den Namen des Waffenschmugglers und den Namen des Verräters in Fort Calhoun! »Hören Sie überhaupt zu, oder sind Sie noch nicht ganz wach?« Und ob ich wach war! Snakeman war die einzige Möglichkeit, den Verräter in Fort Calhoun zu überführen. Jetzt fieberte ich geradezu danach, den Flüchtling zu verfolgen! »Ich bin ganz Ohr, Sir. Und wach bin ich ebenfalls.« »Gut. Sie werden dem Flüchtling auf der Spur bleiben. Sie dürfen ihn auch fangen, wie ich schon sagte. Aber erst, wenn der Einsatztrupp unter dem Kommando von Major Fly nachgerückt ist …« »Um Gottes willen, Sir, ich …« »Sie werden jetzt nicht mehr widersprechen. Das ist ein Befehl!« herrschte mich der Colonel an. »Jawohl, Sir.« »Dieser Apache weiß, daß er von uns keine Gnade mehr zu erwarten hat. Er wird deshalb alle Krieger seines Stammes, die sowieso dazu entschlossen waren, aus dem Reservat auszubrechen, zusammentrommeln und zu einem Aufstand überreden. In diesem Moment wird Major Fly mit seiner Einsatztruppe eingreifen. Dann haben wir endlich die Spreu vom Weizen getrennt!« Das war ein Plan, der nur auf dem Mist von Major Fly gewachsen sein konnte. Er schmeckte nach Indianerhaß. Aber er war auch nicht ganz dumm. Er barg nur eine Menge Gefahren in sich. Zum Beispiel für mich. »Ich soll dem Apachenhäuptling also nur folgen und beobachten, wie er eine kleine Armee aufstellt?« »Sie sollen nicht widersprechen, Mister Ronco!« »Das war eine Frage, Sir.«
»Sie werden ihn nicht aus den Augen lassen. Jicarilla wird als Scout der Einsatztruppe zugeteilt. Sie werden Zeichen für ihn hinterlassen, denen er mühelos folgen kann. Selbstverständlich werden Sie Häuptling Snakeman sofort verhaften, wenn Sie den Eindruck haben, er wolle sich durch seine Flucht nur einer gerechten Strafe entziehen. Sie werden hoffentlich selbst beurteilen können, was er vorhat – Flucht oder Rebellion.« »Jawohl, Sir.« Der Nachsatz gefiel mir. Ich konnte selbst entscheiden, was ich tun sollte. Ich würde mich nur nach meinem Kopf richten, verdammt noch mal!
5. Ein Pferd hatte für Snakeman bereitgestanden, keine dreihundert Yards vom Fort entfernt! Das war ein entmutigendes Zeichen. Die Chance, daß ich ihn noch einholte, ehe er seine Freunde alarmieren konnte, war jetzt gleich Null. Aber ich wußte wenigstens, wo ich ihn suchen mußte. In der Reservation am Bear River im Nordwesten von Fort Calhoun, wo er mit dem Stamm der Carrizo-Chiricahuas lebte. Der Anführer des Stammes war ein älterer, besonnener Häuptling, der lange beschwichtigend auf die jüngeren Krieger eingewirkt hatte. Schlangenmann war der Unterhäuptling des Stammes, sozusagen der Anführer der jungen Opposition des Stammes. Snakeman würde auf schnellstem Weg in die Reservation am Bear River reiten, falls er einen Aufstand plante. Dort hatte er seinen Rückhalt. Und sobald er genügend Krieger um sich versammelt hatte, würde er zum greisen Häuptling Schlangenmann in der Reservation am Eagle Pass reiten und ein paar Mescaleros für seinen Kriegsplan begeistern. Anschließend würde ihn sein Weg nach Mexiko hinüberführen, wo noch viele Chiricahuas und Mescaleros in Freiheit lebten. Und dann, nachdem er einen Flächenbrand entlang der Grenze gelegt hatte, würde er wie eine verheerende Feuersbrunst über die Siedler am Rio Doro herfallen. Und dann würde selbst die Besatzung von Fort Calhoun nicht
mehr in der Lage sein, die Siedler zu schützen. Vielleicht nicht einmal sich selbst, wenn die Apachen mit modernen Gewehren und reichlich Munition ausgerüstet waren. Wenn! Und das wiederum konnten nur die weißen Waffenschmuggler ermöglichen, deren Namen und Identität ich noch nicht kannte. Hier ein Verräter in Fort Calhoun, dort die Verräter hinter den Linien der Apachen. Sie würden es sein, die an diesem wahnwitzigen Krieg der Apachen schuld sein würden. Sie hätten dann die weißen Siedler am Rio Doro auf dem Gewissen. Ich mußte das alles verhindern, um jeden Preis. Ich stieg nicht mehr ab, um nach Spuren im Dunkeln zu suchen. Ich ritt so rasch wie möglich nach Nordwesten in die Carrizo Mountains hinein. * Das Reservat am Bear River war eine karge Hochfläche, auf der nur Steine und ein paar karge Pflanzen wuchsen, die sich mit salz- und schwefelhaltigen Boden abfinden konnten. Büffel vertrugen diese Vegetation nicht. Und den Chiricahuas, die noch schlechtere Mägen hatten als Büffel, bescherte sie allerhand Mangelkrankheiten, die sie bisher nicht gekannt hatten und gegen die ihre Medizinmänner machtlos waren. Weiße Docs wahrscheinlich auch. Ich ritt durch das Arroyo des Bear River, als die Sonne hinter mir über den fruchtbaren Gefilden des Nueces aufging, der sich über der Ebene in vielen Quellflüssen verzweigte. Quellflüsse, die wie ferne rote Adern in fetter, dunkler Ackererde oder zwischen grünem Weideland aufblinkten. Reichlich bewässertes Land, das nur noch den Weißen gehörte. Auch die Tafelberge am Bear River hatten etwas von dem Segen der Winterregen empfangen. Doch das Wasser, das sich trübe über die Steine des Flußbettes quälte, hatte einen stechenden Geruch und ließ gelbweiße Staubränder am Ufer zurück. Ich hätte mich in
Pökelfleisch verwandelt, wenn ich in dieser Salzlache gebadet hätte. Nichts Grünes wuchs hier am Ufer. Selbst die Steine zersetzten sich in der Salzlauge und zerbröckelten unter den Hufen meines Wallachs. Trostlos, dachte ich. Zum Glück versickerte der Bear River, ehe er die Ebene der Nueces erreichen konnte. Als ich mich dem Paß näherte, der vom Arroyo auf das Plateau hinaufführte, sah ich eine Bewegung über mir in den Felsen. Ein Apache, nur mit Lanze und Pfeilbogen bewaffnet, schwang sich über einen Felsspalt und verschwand hinter einem Gestrüpp aus Halophyten – Sträuchern, die sich mit dem Salz vertrugen und nur für Ziegen genießbar waren. Der Apache ließ sich viel Zeit. Er bemühte sich auch nicht, sich vor mir zu verstecken. Warum auch! Ich trug mein Gewehr im Scabbard, und hier begann das Reservat, in dem die Chiricahuas vertragsgemäß leben durften wie Wild in einem Gehege. Unbehelligt. Ich schwang mich aus dem Sattel, um meinem erschöpften Pferd nicht auf dem steilen Anstieg zum Paß mein Gewicht aufzuhalsen. Der Trail war so steil, daß er auch einem Muli Mühe bereitet hätte. Ich war am Ziel. Warum sich noch auf den letzten hundert Yards den Hals brechen! Keinen Steinwurf vom Paß entfernt breitete sich das Dorf der Chiricahuas in einer weiten Senke aus. Tipis, mit löchrigen Büffelfellen verkleidet, an denen die Hunde des Dorfes genagt hatten, als der Hunger im Winter zu übermächtig geworden war. Ich sah das Zelt des Häuptlings in der Mitte der Senke. Er hieß Taglio, und wir hatten vor ein paar Monaten miteinander verhandelt, ob die Winterration – die vertragsmäßige Lebensmittellieferung der Regierung – in Anbetracht des ungewöhnlich frühen Frosteinbruches des Jahres 1865, der sogar die Wölfe ins Tal hinuntergetrieben hatte, nicht aufgebessert werden konnte. Jetzt war Frühling, und haferähnliche Pflanzen sprossen aus den Hängen der Senke. Indianerjungen fingen Salzkrebse im Wasser des Bear River. Ein paar struppige Köter verbellten meinen Wallach. Squaws saßen vor den Tipis und bemalten gegerbte, mit Pflöcken
ausgespannte Antilopenfelle mit gelben und roten Farben. Ein paar von ihnen blickten zu mir hoch und lächelten, als freuten sie sich über mein Auftauchen im Dorf. Es war ein friedliches Bild, fast idyllisch. Aber es erschien mir irgendwie gestellt. Vor dem Zelt des Häuptlings hing die Medizin an der Lanze, die zum Zeichen des Friedens mit dem Schaft zuerst in den Boden gerammt war. Taglio kauerte auf einer Decke im Eingang seines Tipi und blickte mir mit ausdruckslosem Gesicht entgegen. Er trug einen weißen Kittel mit einem roten Halstuch, das er in irgendeiner Agentur gekauft haben mußte. Er sah aus wie ein Baumwollpflücker aus Louisiana, der von der Arbeit erschöpft war, nicht wie ein stolzer Häuptling mit einer kriegerischen Vergangenheit. Oder er aus wie ein Tramp, der keine rechte Arbeit mehr bekam. Er hob die Hand zum Zeichen des Friedens, als ich von meinem Wallach stieg. Eine müde Geste, als wäre ihm die Hand zu schwer. Seine Haare waren grau wie das Salz auf den Hängen, und seine schwarzen Augen lagen tief in den Höhlen. Rothäute pflegen sehr alt zu werden in ihrer natürlichen Umgebung. Aber sie haben auch ein viel verletzlicheres Gemüt als die Bleichgesichter. Sie können an gebrochenem Herzen sterben. Wer hätte so etwas jemals von einem Weißen gehört? Taglio war erst vierzig Sonnen alt, doch er sah aus wie ein Greis. »Komm in meine Hütte, Gelber Falke«, sagte er müde, als habe er schon lange auf mich gewartet. »Du hast einen scharfen Ritt hinter dir, wie ich sehe. Ich habe nicht viel, was ich dir anbieten könnte. Ich …« »Laß das und erlaube, daß ich dir ein kleines Gastgeschenk zum Zeichen unserer Freundschaft gebe«, erwiderte ich rasch im Dialekt seines Stammes. »Wie du weißt, gehörte ich einst selbst mehrere Jahre lang deinem Stamm an. Ich denke, ich werde dich nicht beleidigen, wenn ich dir ein paar Brote mit dem Salz überreiche. Und ein paar Bohnen, um frischen Kaffee damit zu bereiten.« Er nickte nur. »Du bist bestimmt nicht hierhergeritten, Gelber Falke, um Almosen zu spenden oder mit mir zu frühstücken.« Er lächelte flüchtig. Taglio hatte viel Sinn für Humor wie die meisten Indianer.
»Nein.« Ich wartete, bis er meine Geschenke einer Squaw übergeben hatte, die regungslos im Hintergrund des Zeltes gekauert hatte, als er mich in sein Tipi bat. Sie eilte aus dem Zelt und ging zu einer Feuerstelle in einiger Entfernung. Es schickte sich nicht für Männer, in Gegenwart von Frauen über Männersachen zu reden. »Es geht um Snakeman, den wir ›Lonmantosha‹ nennen«, ging der Häuptling sofort auf mein Thema los, obwohl ich noch kein Wort davon erwähnt hatte. »›Lonmantosha‹? Bellendes Feuerrohr?« Ich runzelte die Stirn. »Er hat seinen Namen gewechselt?« »Viele Krieger wechseln im Lauf ihres Lebens ihren Namen, sobald ein neuer Zauber ihr Schicksal beherrscht. Snakeman ist fasziniert von den neuen Gewehren der Bleichgesichter.« Ich war verblüfft. So offen hatte Taglio noch nie mit mir geredet. Meistens versuchte er mit viel List und Geschick die Wahrheit zu vernebeln, falls er damit einem Angehörigen seines Stammes nutzen oder helfen konnte. »Er war hier?« »Ja. Du wirst viele Zelte in meinem Dorf leer finden. Die Zelte der jungen Krieger. Die alten halten zu mir. Sie wissen, wie ›Lonmantosha‹ enden wird.« »Am Galgen«, sagte ich seufzend. Der alte Häuptling blitzte mich zornig an. »Am Galgen? Das verhüte Yastasinane, der Große Geist! Die Erbitterung über das Schicksal seines Volkes treibt ihn in die Irre, nicht das Böse. Er darf nicht mit dem schändlichen Galgen bestraft werden.« »Er hat einen weißen Mann ermordet.« »Das kann nicht wahr sein«, erwiderte der Häuptling stirnrunzelnd. »Er hat ein paar Bleichgesichter getötet – Siedler, die sich gegen ihn und seine Freunde wehrten. Du weißt, was ich darüber denke«, schloß er bitter. »Ich weiß, ehrwürdiger Häuptling.« Für ihn war es Notwehr. Die weißen Siedler am Rio Doro siedelten auf seinem ehemaligen Stammesgebiet. »Davon spreche ich nicht. Ich habe einen weißen Soldaten vor der Zelle gefunden, in der Snakeman eingesperrt war. Der Soldat hatte ein Messer im Rücken.«
»Es stammt nicht von ihm. Ich billige sein Tun nicht. Aber – er hat den weißen Krieger nicht getötet. Er hätte es mir gesagt.« In den dunklen Augen des Indianers blitzte es auf. »Du mußt den Mörder des weißen Kriegers woanders suchen. Wenn du nur deswegen hierhergeritten bist …« »Nein«, erwiderte ich ernst. »Dann sprich, Gelber Falke. Vertrauen gegen Vertrauen. Snakeman, den wir jetzt ›Lonmantosha‹ nennen, wollte dich töten. Du hast ihn besiegt. Du hast ein Recht, zu erfahren, was er vorhat.« Ich wartete ab, bis die Squaw uns mit den Schalen dampfenden Kaffees und Brot versorgt hatte, und erwiderte: »Das ist ein Recht aus der guten alten Zeit. Und es gilt nur für Indianer. Wenn du es mir trotzdem einräumst, Taglio, möchtest du mich entweder in die Irre führen oder …« Wenn der Zorn in seinen dunklen Augen auflodert, spürt man sein wirkliches Alter, dachte ich. »… oder du hast Snakeman aus deinem Stamm verstoßen«, fuhr ich rasch fort. »Denn sonst würdest du keinen deiner Krieger an ein Bleichgesicht verraten. Noch dazu einen Unterhäuptling.« »Vertrauen gegen Vertrauen«, wiederholte der alte Häuptling. »Du bist doch seinetwegen hergeritten?« »Ich habe ihn gefangengenommen. Er ist mir wieder entwischt. Ich soll ihn noch einmal fangen. Befehl des weißen Häuptlings.« »Ich wünsche dir Glück und Erfolg dazu.« »Du würdest nicht so reden, wenn du ihn nicht verstoßen hättest, ehrwürdiger Häuptling!« Taglio trank seine Schale leer und stellte sie bedächtig vor sich hin. »Jeder Medizinmann weiß, daß ein krankes Tier aus der Herde entfernt werden muß, ehe der Dämon auf die gesunden Tiere überspringen kann. Snakeman ist so ein krankes Tier. Aber ich habe ihn nicht verstoßen. Warum auch? Seine Krankheit ist nur das Leid über das Schicksal seines Volkes. Dann gäbe es keine gesunde Rothaut mehr auf Erden.« »Weshalb verrätst du ihn?« »Er ist von den Bleichgesichtern angesteckt, nicht von dem guten Willen unseres Volkes oder dem Beschluß der Ältesten geleitet. Nur
ein Bleichgesicht kann ihn heilen. Du zum Beispiel, Gelber Falke.« »Deine Worte werden immer dunkler und rätselhafter, großer Häuptling.« Taglio streckte den Arm aus und deutete damit zuerst nach Osten und dann nach Süden. »Ein weißer Mann hat ihm geholfen, aus dem befestigten Dorf deines Häuptlings zu entfliehen. Ein weißer Mann erwartet ihn im Süden jenseits des Flusses, den ihr Grenze nennt, um ihm so viele Gewehre zu geben, wie er braucht, um sich gegen deinen weißen Häuptling erheben zu können. Krank, Gelber Falke, wer nicht erkennt, daß diese weißen Männer nichts anderes vorhaben können, als Lonmantosha und die Blüte unserer Krieger in den Tod zu schicken. Sein Geist ist mit Blindheit geschlagen.« »Ich verstehe«, sagte ich langsam, »weiße Männer haben ihn angesteckt. Und du willst verhindern, daß die Krankheit dein ganzes Volk vernichtet.« »So ist es«, erwiderte Taglio und starrte in seine leere Tonschale. »Je eher du ihn wieder einfängst, um so besser für uns.« »Dann sage mir die Namen dieser weißen Männer, damit ich so jagen kann wie unser Gesetz es befiehlt: Tag und Nacht, ohne Gnade.« Diesmal blickte er mich überrascht an. »Du stellst dich auf meine Seite?« »Das Gesetz steht auf deiner Seite, ehrwürdiger Häuptling. Wir haben bereits einen weißen Mann gehängt, der Waffen an euch verkauft hat.« »Ich habe davon gehört«, erwiderte der Häuptling bedächtig. »Doch diese Männer jenseits der Grenze sollen mächtig sein und viele Helfer haben.« »Du kennst ihre Namen nicht?« »Leider nein.« »Und wo der Ort ist, wo sie sich versammeln, um Lonmantosha und seine Krieger mit Waffen auszurüsten?« »Ich wünschte, ich wüßte es. Beim Großen Geist, ich wünschte es.« Ich glaubte ihm.
»Im Süden jenseits der Grenze. Vielleicht genügt mir das schon. Ich sage dir ebenfalls etwas im Vertrauen. Soldaten werden aus dem Fort des weißen Häuptlings ausrücken, um Lonmantosha daran zu hindern, daß er mit seinen Waffen und Kriegern einen Krieg entfesselt!« Taglio senkte den Kopf und blickte wieder in seine Schale. »Fange ihn ein, Gelber Falke, ehe zu viel meiner roten Brüder von dem bösen Dämon der Bleichgesichter angesteckt werden. Die Zahl meiner roten Brüder schmilzt rascher dahin als der Schnee unter der Frühlingssonne. Du erweist meinem Volk einen großen Dienst, wenn du ihn rasch wieder einfängst, daß …« Er verstummte. »Und wenn ich ihn töten muß?« »Es ist besser, ein krankes Tier zu töten, als die ganze Herde zu opfern«, erwiderte Taglio düster. * Ich folgte den ganzen Tag der Fährte, die nach Süden durch die Carrizos führte. Taglio hatte mich nicht belogen. Snakeman hatte zwanzig von den jungen Kriegern für sein Vorhaben gewinnen können. Am Eagle Horn, wo das Reservat der Mescaleros unter dem alten Häuptling Schlangenmann an jenes der Chiricahuas stieß, entdeckte ich noch zehn weitere Ponyspuren, die sich mit der Fährte von Snakemans Trupp vereinigt hatten. Ich folgte der Spur weiter nach Süden und sah die breite Senke im Südosten zwischen den Carrizos und den roten Klippen, die den Trail nach Eagle Pass markierten. Meine Sorge nahm zu, je näher ich wieder an den Rio Doro heranritt. Wieviel Leid war hier in den letzten Monaten geschehen, wie viele Freunde hatte ich hier sterben sehen, nachdem gewissenlose Waffenschmuggler die Mescaleros und Chiricahuas in den Bergen mit Karabinern aus der traurigen Hinterlassenschaft des Bürgerkrieges ausgerüstet hatten. Sie mußten sie ihnen geradezu aufgedrängt haben, als Geschenk zuerst, als Köder – Keimlinge des Aufstandes. Die Apachen hatten die Waffen an den Siedlern am Rio Doro ausprobiert – dort unten in der Senke, die sich im goldenen Licht der
Nachmittagssonne vor mir ausbreitete. Die Siedler am Rio Doro lebten in unmittelbarer Nachbarschaft der Apachen-Reservate. Dort, wo sich die Sandschleier mit einem Hauch von Nebel vereinigten, lag der Eagle Pass am Canyon des Rio Grande – Fluchtweg aller Apachen über die Grenze in die Sierra del Burro, wenn sie etwas »ausgefressen« hatten. Dort konnten sie noch in Freiheit leben, neuen Zulauf erhalten und zurückkehren über den Rio Grande, weil es hier mehr zu holen gab als bei den Peons. Dreißig junge Krieger waren es bis jetzt. Noch nicht viele, noch eine überschaubare Truppe. Noch kein Flächenbrand, der zu einer Katastrophe wurde, weil man ihn nicht mehr löschen konnte. Aber gut bewaffnete Krieger. Und sie brauchten nicht nur Waffen, sondern auch etwas zu essen. Sie würden sich auf Indianerart verpflegen. Oder nach Art von General Sherman im Bürgerkrieg: stehlen, was man braucht, verbrennen, was man nicht mitnehmen kann. Meine Sorge wuchs, als die Fährte vor mir sich wieder teilte. Fünf Krieger waren am Eagle-Paß-Horn in das Tal des Rio Doro hinuntergeritten. Und an dieser Stelle gab es nur ein Haus, wo es etwas zu holen gab. Die Indianeragentur von Mac Wilson, dem Nachfolger des ermordeten Stuart Frey, der mein Freund gewesen war. Mac Wilson war vom gleichen guten Schlag wie Stuart Frey und auch mein Freund geworden. * »He, Mac! Bist du zu Hause?« rief ich verzweifelt. Ich legte die Hand über die Augen und blickte zu dem Blockhaus hinauf, das sich zwischen zwei roten Felsnadeln auf einer Schutthalde erhob. Einmal war ich mit einem Toten hier vorbeigeritten, den ich nicht identifizieren konnte. Wie lange lag das schon zurück! Eine Ewigkeit, dünkte mir, weil damals noch Ruhe in den Reservaten geherrscht hatte. Die Apachen hatten begonnen, sich mit ihrem Los abzufinden. Aber damals hatten sie auch noch keine Gewehre gehabt. Ich sah die breite Veranda hinter dem Gestrüpp aus
Feigenkakteen. Sie schien noch intakt zu sein, auch der Anstrich der beiden Blockhütten aus hellem Ocker, der die Sonne reflektierte und das Innere des Hauses im Sommer einigermaßen kühl hielt. Wilson war wie der ermordete Stuart Frey mit einer Indianerin verheiratet, und vielleicht hatte ihn das vor dem Schlimmsten bewahrt. »Mac!« rief ich erneut, das Gewehr quer über dem Sattel. Nichts rührte sich. Es war still, fast idyllisch, als das goldene Licht den Mesquitebüschen und den Steinen auf dem Schutthügel einen Bronzeschimmer gab, einen Hauch von Frieden und Verklärung. Auch die Natur hat ihre Launen und sentimentalen Stimmungen, dachte ich. Aber es ist gefährlich, ihnen zu erliegen oder sich von ihnen ablenken zu lassen. Auf der anderen Seite des Hügels, die den Felsen zugewandt war, war ein Fahrweg für die Gespanne angelegt worden. Mac Wilson hatte die Belieferung der Mescaleros am Eagle-Pass-Horn übernommen, nachdem Stuart Frey und seine Frau Desert Flower ermordet worden waren. Das Lagerhaus, das rechtwinkelig an sein Blockhaus anstieß, war noch so neu, daß das Holz Harz ausschwitzte, dessen Geruch ich bis zum Trail hinunter wahrnehmen konnte. Fünf Mescaleros hatten sich von Snakemans Trupp getrennt. Aber auf dem harten Felsboden hinter dem Haus war keine Spur zu entdecken gewesen. Der Boden nahm nichts an. Lediglich die Rillen der Frachtwagen hatten im Lauf der Zeit die Abdrücke ihrer eisernen Reifen dem Sandstein aufgeprägt. Da teilte sich über mir das Gebüsch am Rand der Veranda. Mac Wilson blickte zu mir hinunter, ein jungenhaftes Grinsen auf dem Gesicht. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Er war so gekleidet, wie ich es von ihm gewohnt war, wenn die heiße Jahreszeit begann. Mit einem Lendenschurz, genau wie Stuart Frey. In seinem ledergegerbten hageren Gesicht mit der schmalen Nase schien sich ebenfalls der Frieden zu spiegeln, mit dem die späte Sonne hier alles verklärte. »Du bist es, Ronco!« rief er zu mir hinunter. »Tut mir leid, Junge. Zwei Monde ist plötzlich krank geworden! Es muß an dem Wasser liegen! Es scheint das gelbe Fieber zu sein. Verflucht ansteckend. Nicht mal das Pferd darf davon trinken, wenn ihr beide Durst haben
solltet!« »In Ordnung, Mac! Dann eben auf ein andermal. Und gute Besserung für Zwei Monde!« Ich hob den Arm und wendete das Pferd auf dem steilen Trail, der zu seiner Veranda hinaufführte. Zwei Monde war Macs Frau. Er war nicht vor einem Altar mit ihr getraut worden, aber seine Ehe war bestimmt besser als so manche »reinblutige« Verbindung, die mit Orgelgebraus und heiligen Versprechungen zusammengeschmiedet worden war. Zwei Monde war eine Apachin, die den christlichen Glauben nicht angenommen hatte. Die beiden waren nur nach Indianerritual getraut worden, und ihr Sakrament war ihre Liebe zueinander. Ich war sicher, die Ehe der beiden war ganz bestimmt im Himmel geschlossen worden, wie es so schön heißt. Ich wußte Bescheid. Es gab kein besseres Wasser weit und breit als die Quelle, die Macs Vorgänger Stuart Frey damals unter seinem Haus angebohrt hatte. Und es gab nichts in der Welt, was Mac Wilson genauso wie Stuart Frey gefürchtet hätte, nicht einmal eine Horde blutrünstiger Apachen, die er deswegen nicht zu fürchten hatte, weil er sehr beliebt war im Reservat. Mac Wilson fürchtete nur eins, daß seiner Frau etwas zustoßen könnte. Im Klartext bedeutete Macs Botschaft für mich: Indianer sind im Haus. Sie bedrohen meine Frau und werden sofort schießen, wenn du dich dem Haus oder meinem Brunnen noch weiter näherst. Ich bin dagegen leider machtlos. Er winkte mir noch zum Abschied zu. Und dabei spreizte er alle fünf Finger. Fünf Mescaleros! Teufel, dachte ich, da mußt du dir etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Ich tat so, als ritt ich zum Fluß hinunter. Doch als ich den ersten Felsen erreichte, der am Fuß des Schutthügels aufragte, schwang ich mich aus dem Sattel. Es gab hier eine Höhle, die nur Mac Wilson und mir bekannt war. Stuart Frey hatte sie entdeckt, als er die Gegend nach Wasser absuchte. Stuart Frey war Geologe gewesen, bevor er sich dazu entschlossen hatte, sich für die Rechte der
indianischen Minderheiten einzusetzen. Es war eine Höhle, in der man bequem zwei Pferde unterbringen konnte und auch ein paar Fässer Whisky oder Wein, wenn man beides gern kühl trank und für diese Getränke etwas übrig hatte. Mac Wilson nun trank gern Weißwein, der bekanntlich nur gekühlt seine geschmacklichen Vorzüge entfaltet. Und so hatte er die Höhle in einen Weinkeller umfunktioniert. Das interessierte mich jetzt nicht. Ich dachte nur an den schmalen Gang, der von der Höhle bis zum Innenhof seines Anwesens führte. Hoffentlich hatten die Mescaleros andere Sorgen, als die Fundamente von Wilsons Blockhaus zu erforschen. Der Eingang der Höhle war raffiniert getarnt – mit einem Geröllblock, der eine Tonne zu wiegen schien und es wahrscheinlich auch tat. Aber er war mit einem Gegengewicht versehen und auf einem Gleitlager befestigt, wenn man wußte, daß in einem Mesquitebusch der Auslöser für den Mechanismus versteckt war. Ich holte den Navy-Colt aus dem Holster und zog an dem Hebel. Der Block neben mir glitt etwas zur Seite – weit genug, daß sich ein Pferd durch den Spalt schieben konnte. Ich horchte gebannt in die Dunkelheit vor mir. Nichts. Nur das leise Tropfen von Wasser von der gewölbten Decke. Ich zog das Pferd hinter mir her in die Höhle und hielt ihm die Hand an die Nüstern, damit es nicht irgendeine Dummheit beging. Das war also Mac Wilsons Weinkeller und Notausgang. Er hatte ihn nicht benutzt. Wahrscheinlich hatte er sogar die Mescaleros freiwillig in sein Haus eingeladen. Und sie hatten ihm erst ihre neuen Gewehre gezeigt, als er sich nicht mehr wehren konnte. Ich schloß den Spalt wieder mit der Winde, die Stuart Frey damals in diesen Keller eingebaut hatte. Dann wartete ich ab, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ich flüsterte meinem Pferd beruhigende Sprüche ins Ohr und band es dann zwischen den Fässern an den Lagergestellen fest. Ich nahm den Spencer aus dem Sattelschuh, hing mir ein Säckchen mit Ersatzpatronen um den Hals und kroch dann in den schmalen Gang, der in kurzen Windungen wieder nach oben führte. Ich kroch wie ein Maulwurf im Dunkeln, die Luft durch die Nase
einsaugend, um zu prüfen, ob sich fremde Gerüche in das Aroma von altem Wein und geschwefelten Fässern mischte. Die Luft war lau und abgestanden. Der Keller hatte eine Belüftung hoch oben im Fels über dem Haus. Der Ausgang befand sich im Schuppen hinter dem Lagerhaus, wo ihn Wilson später mit alten Säcken getarnt hatte und einer Falltür, die sich beiderseitig öffnen ließ. Ich erreichte die Falltür und preßte mein Ohr dagegen. Schwache Geräusche. Ein unregelmäßiges Pochen, ungefähr fünf oder sechs Yards von dem Ausgang des Höhlenganges entfernt. Die Ponys, dachte ich. Der Innenhof war vom Fahrweg und Trail her nicht einzusehen. Schuppen, Lagerhaus und Wohnhaus bildeten zusammen mit den Felsen, gegen die sich die Gebäude lehnten, eine kleine Festung. Ich kurbelte an der Winde, die die Falltür mit den Säcken darauf zur Seite schob, über den Dielenboden weg. Ich schwang mich in den Schuppen und drehte mich rasch im Kreis. Nichts. Aber die Tür war aufgebrochen worden. Sie bewegte sich mit monotonem Knarren in den Angeln. Keine drei Schritte von mir entfernt stand ein Apache auf dem Hof und drehte mir den Rücken zu.
6. Er starrte, ein Gewehr vor der Brust, zur Veranda hoch, die das ganze Blockhaus umgab. Ein paar Schatten fielen über die Kiesel, mit denen der Innenhof bedeckt war. Ich konnte nur bruchstückweise und mit sekundenlangen Abständen etwas sehen, wenn die Tür im Wind gerade auswärts schwang. Fünf Pintos, was mich nicht mehr überraschte – zwei von ihnen bepackt wie Maulesel. Und noch zwei Mescaleros kamen jetzt ins Bild, die sich auf beide Schultern Säcke aufgeladen hatten. Sie plünderten in aller Ruhe den Lagerschuppen von Mac Wilson.
Sie hatten nur noch die Messer im Gürtel. Die Gewehre hatten sie offenbar irgendwo abgestellt, solange sie als Träger fungieren mußten. Also waren die beiden übrigen Mescaleros entweder in Wilsons Haus, oder einer war noch im Schuppen, um sich die besten Sachen herauszusuchen. Ich sah, wie die Säcke auf den Rücken der Pintos gewuchtet wurden. Einer der Mescaleros ging gemächlich zum Lagerschuppen zurück, der andere zögerte noch, rieb die Hände aneinander und bewegte rollend die Schultern. Du trägst nicht gern Säcke, dachte ich grimmig. Und da fiel mir etwas ein, das ich impulsiv in einen Bewegungsreflex umsetzte. Ich packte die einwärtsschwingende Tür von innen und zog sie heftig gegen den Türsturz, daß es nur so krachte. Ich erschrak über meine eigene Kühnheit. Und dann geschah, was ich instinktiv beabsichtigt hatte. Der Mescalero, der froh schien, eine Ablenkung zu einer Pause ausnutzen zu können, ging auf den Schuppen zu, öffnete die Tür, betrachtete sie nachdenklich und trat dann in den Schuppen, um etwas zu suchen, mit dem er die Tür festklemmen konnte, nachdem das Schloß aufgesprengt worden war. Als er das Loch im Boden entdeckte, erstarrte er einen Moment zur Salzsäule. Und dann, als die Tür erneut in den rostigen Angeln knarrte, wurde er wieder schlaff, als ihn der Kolben meines Gewehrs auf den Hinterkopf traf. Ich fing ihn auf, damit er nicht zwischen die Werkzeuge fiel und einen zu großen Lärm verursachte. Ich bewegte kurz seinen Kopf hin und her. Er gab willig meinem Händedruck nach. Er würde eine Weile im Land der Träume weilen und keine Säcke zu tragen brauchen. Ich schob ihn kurz entschlossen in den abschüssigen Kellergang. Ich hörte, wie er bis zur nächsten Biegung hinunterrutschte. Dann verschloß ich den Gang mit der Falltür und den säuberlich darauf aufgeschichteten Säcken. Bleiben noch vier Apachen, dachte ich keuchend. Das verdammte Problem besteht darin, daß ich keinen Feuerzauber veranstalten kann,
solange einer von den Mescaleros in Wilsons Wohnstube sitzt und Zwei Monde ein Messer vor die Kehle hält. Denn für die Mescaleros war Zwei Monde jetzt eine Weiße, weil sie einem Weißen angehörte. Ich mußte mir noch etwas einfallen lassen. Wieder gehorchte ich einer Eingebung, bevor mir davon schwindlig wurde, was ich alles damit riskierte. Ich packte meinen Spencer-Karabiner am Lauf und spähte hinaus auf den Hof, als die Tür wieder einmal knarrend nach außen schwang. Der Mescalero mit dem Gewehr starrte immer noch zum Küchenfenster von Wilsons Blockhaus hoch. Der zweite Sackträger war nicht zu sehen. Er lud wahrscheinlich im Schuppen neue Konserven ein. Wie lange er fortblieb, konnte ich nicht wissen. Hoffentlich lange genug. Ich trat hinaus auf den Hof und wagte einen kleinen, vorsichtigen Satz. »Es wird regnen!« rief ich im Dialekt der Mescaleros, als er sich umdrehen wollte, ehe ich nahe genug heran war. Das war natürlich absurd, weil der Himmel ganz klar und wie golddurchwirkte Seide war. Aber im nächsten Moment hagelte es tatsächlich. Oder es Schlug ein. Kurz und kräftig. Und dann lag er vor mir wie ein gefällter Baum. Ich starrte ihn kurz an, nahm ihm den nagelneuen SpencerKarabiner weg und lief auf die Rampe des Lagerschuppens zu. Die Pintos nahmen meine Witterung auf und erregten sich heftig darüber. Sie schnaubten, fingen an zu trampeln und sich in einen unordentlichen Haufen aufzulösen. Ich schwang mich wie ein Puma mit eingezogenen Krallen auf die Rampe und preßte mich neben der offenen Schiebetür gegen die Holzwand. Sie erschienen zu zweit, gar nicht mehr gemütlich, als hätten sie den Lagerraum gepachtet und so viel Zeit, wie sie nur brauchten. Sie starrten auf die aufgeregten Pintos hinunter, die um den Mescalero herumtanzten, den ich eben mit dem Kolben niedergeschlagen hatte. Sie wußten genau, daß da unten etwas nicht stimmte. Aber da sie ihren Amigo nicht sahen, glaubten sie wohl, im Wohnhaus von Mac Wilson sei etwas schiefgegangen.
Und in diesem Moment hörten sie und ich auch einen gellenden Schrei. Den Schrei einer Frau, die in Todesangst schwebte. Sie rasten die Rampe hinunter, die mit der Veranda von Wilsons Blockhaus verbunden war. Sie waren beide mit den neuen SpencerModellen bewaffnet. Ich spurtete hinter ihnen her, aufgeschreckt von dem Schrei, nicht an meine eigene Gefahr denkend. Ich paßte mich nur ihren Schritten an, als wäre ich das Echo ihrer Schritte. Doch dann, als die Rampe im rechten Winkel in die Veranda überging, mußte es schiefgehen. Aber da war es für mich bereits zu spät, meine Dummheit zu revidieren. Der erste der beiden Mescaleros sah mich natürlich, als er auf der Veranda nach links abschwenkte. Aber er tat so, als habe er mich nicht bemerkt. Doch dann blieb er mitten im Lauf stehen und riß den Karabiner hoch. Peng! Peng! Peng! Das verbesserte Modell war ein Gedicht. Er spuckte nur so die Kugeln aus. Zum Glück für mich hatte sich der Mescalero dem neuen Modell nicht gründlich genug angepaßt. Oder die Überraschung, ein bewaffnetes Bleichgesicht plötzlich im Rücken auftauchen zu sehen, hatte ihn am Zielen gehindert. Die braunen Stämme der Schuppenwand erhielten frische Löcher. Späne flogen mir in den Nacken. Dann ratterte auch mein Gewehr los, etwas langsamer und bedächtiger. Es war ja auch ein altes Modell. Ich traf ihn in die Beine, weil ich auf dem Bauch über die Rampe schlitterte und wegen des Verandageländers nichts anderes mehr von dem Mescalero sehen konnte. Er knickte nach vorn, versuchte sich am Geländer festzuhalten, empfing noch einen Schuß in die Knie und rollte sich dann zusammen wie ein Igel. Als ob er damit kugelfest würde, dachte ich grimmig. Der andere war ein härterer Brocken. Er stand hinter einem handbreiten Balken, mit dem das Verandadach gestützt wurde, und hämmerte mit seinem Karabiner auf mich los. Pulverrauch hüllte fast die ganze Rückfront von Wilsons Blockhaus ein, Flammen leckten über den Hof und die Bohlen des Laufstegs.
Himmel, dachte ich, hoffentlich habe ich nicht alles verdorben! Zwei Monde – wenn Mac Zwei Monde verlor, hatte das Leben für ihn keine große Bedeutung mehr. Ich kannte ihn genau. Sie hatte seinem Leben erst einen Inhalt und festes Fundament gegeben. Ein langer Span rollte sich neben meiner Schulter zu einer Spirale zusammen wie ein sich in Schmerzen krümmender Wurm. Bei jedem Flammenstoß hüpfte ich auf der Rampe hin und her wie ein Bronco an einem langen Seil. Und dann knickte ich plötzlich nach vorn und stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Das gefiel ihm. Und noch mehr behagte es ihm wohl, daß ich keine Kraft mehr hatte, mein Gewehr festzuhalten. Es trudelte über die Bohlen der Rampe bis an den Stützbalken und blieb vor seinen Mokassins liegen. Ich hatte das Magazin leergeschossen. Was sollte ich noch damit! Er tat mir den Gefallen und bückte sich rasch danach. Wie hatte Taglio doch zu mir gesagt? Diese jungen Krieger waren fasziniert von solchen Feuerrohren. Er bückte sich danach, obwohl er doch ein viel besseres Modell hatte. Aber manche können eben nie genug kriegen, und so schoß ich ihm zwei Kugeln in die linke Schulter, als er mir endlich ein Stück Fleisch von sich zeigte. Denn die Eichenbalken zum Bau des Wohnhauses waren so hart und kugelsicher wie Eisen. Er versuchte noch etwas mit dem rechten Arm zu tun, aber da traf ihn noch eine Kugel. Er knickte nach vorn wie ein Schnappmesser. Ich starrte ihn mit offenem Mund an, denn ich hatte nicht geschossen. Wilson war es. Er stand unter seiner Küchentür, den linken Arm um den Hals eines Mescaleros, den er vor sich herschob, in der rechten Hand einen rauchenden Army-Colt. »Zwei Monde!« schrie ich. »Hat er Zwei Monde …« Mac sah in seinem Lendenschurz aus, als wäre er der Mescalero und nicht das von ihnen überfallene Bleichgesicht. Er zeigte wieder sein unbekümmertes, unverschämtes Grinsen. »Du kennst sie doch!« schrie er zurück, während er den Colt auf den Mescalero richtete, der immer noch wie ein zusammengerollter Igel auf der Veranda lag. »Sie ist ein gerissenes Luder! Ihr Vater war
der Häuptling der Dog-Fighters, der Elitetruppe der Mescaleros! Von dem hat sie eine Menge Tricks gelernt!« »Was ist …« »Sie hat geschrien, als wäre sie hin. Dabei hat sie ihm ihre Nagelfeile zwischen die Beine gesteckt und den halben Daumen abgebissen! Ist eben eine echte Wilde!« Er lachte laut. Und ich hörte seinen Stolz und seine unendliche Erleichterung aus seinem Gelächter heraus. * »Sie hätten es nur auf Proviant abgesehen, nicht auf unser Leben, sagten sie«, erklärte Mac Wilson, nachdem wir die betäubten Indianer mit festen Stricken verschnürt und die Verwundeten notdürftig verbunden hatten. Einem von ihnen konnten wir nicht mehr helfen, und der mit den Kugeln in den Beinen würde nie mehr richtig laufen können. Wenn überhaupt, dachte ich. »Was jetzt?« Ich war hundemüde von den Strapazen der letzten Wochen. Und heute nacht hatte ich nicht einmal drei Stunden geschlafen. Ich war noch nicht in dem Alter, in dem man wenig Schlaf braucht und doch noch etwas leistet. »Du hilfst mir, den Kram wieder einzuräumen, den sie mir aus dem Schuppen geschleppt haben!« »Oh, du heiliges Kanonenrohr. Ich sollte eigentlich auf der Fährte von Snakeman bleiben, der mit zehn Chiricahuas durch die Reservate reitet und junge Krieger zu einem Krieg anstiften will! Nur aus Sorge um dich und Zwei Monde bin ich von meinem Auftrag abgewichen …« »Zwei Monde wird auch beim Einräumen der Sachen helfen«, unterbrach mich Mac mit einem grinsenden Zähnefletschen. »Gut«, sagte ich und schraubte mich mühsam wieder von einem seiner Küchenstühle in die Höhe. Er kannte meine sentimentale Schwäche für seine Frau. Ich bin sicher, wenn Mac Wilson mir nicht zuvorgekommen wäre, hätte ich die Apachin geheiratet. Mit oder ohne christlichen Segen. Für die Weißen in Corpus Christi oder Eagle Paß war sie natürlich
nur die Haushälterin des Indianeragenten. Aber für mich war sie genau das, was ihr Name besagte. Zwei Monde – ein himmlisches Wunder. Schlank wie eine Gazelle, aber noch anmutiger, mit bezaubernden Augen, in denen immer ein leiser Spott zu liegen schien, wenn sie mich anlächelte. Dazu war sie noch so intelligent und belesen, daß sie alle Lehrerinnen, die in Corpus Christi hinter ihrem Rücken tuschelten, wenn sie dort an der Seite ihres Mannes auftauchte, bei einem Examen um zehn Längen geschlagen hätte. Sie war nicht nur schön, anmutig, intelligent, sie war auch etwas, was ich kaum beschreiben konnte, weil mir die Worte oder die Vergleiche dafür fehlten. Sie war das, was ein Mann brauchte, um ganz zu sein, vollständig. Sie war Partnerin. Ja, das war es, was ich an ihr so bewunderte. Die Achtung vor meinem Freund Mac Wilson, vor ihrer Gemeinschaft und vor sich selbst. In ihrer Nähe hatte ich immer das Gefühl, daß diese Indianerin viel mehr Taktgefühl und Kultur hatte als die meisten weißen Frauen, die sie als »Wilde« verachteten oder mit Augen betrachteten, als wäre sie ein rotes Saloonmädchen, das Lustobjekt von Mac Wilson. Sie war das natürlichste, wundervollste Geschöpf, das ich mir vorstellen konnte. Und ich war noch in dem Alter, in dem man Frauen anbetet, auch wenn sie einem nicht gehören. Oder gerade deswegen. Sie lächelte mit diesem leisen Spott zurück, der mich immer ein wenig aus der Fassung brachte. Sie hatte ein paar tüchtige Kratzer abgekriegt. Es war nicht alles so leicht abgegangen, wie Mac mir das geschildert hatte im ersten Überschwang der Gefühle, weil alles ein gutes Ende genommen hatte. An ihrem Hals hatte sie einen langen, klaffenden Riß, eine Messerwunde, die Mac zuerst behandelt hatte. Einen halben Zoll tiefer oder etwas weiter oben, und Zwei Monde hätte diesen Tag nicht überlebt. »Du mußt unbedingt einen Trupp Soldaten im Fort anfordern, Mac«, sagte ich besorgt. »Besser noch, du übersiedelst eine Weile ins Fort. Die Mescaleros und die anderen Aufständischen werden das
nächstemal keine Rücksicht mehr darauf nehmen, daß du ein weißer Mann gewesen bist, der immer für ihre Rechte einstand.« »Es wäre nicht der erste Aufstand von Rothäuten, den ich überlebte, Ronco.« »Mag sein. Aber ein Krieg ist mehr als ein Aufstand.« Ich berichtete, was inzwischen in Fort Calhoun beschlossen worden war und was ich von Häuptling Taglio am Bear River gehört hatte. »Hm«, meinte Mac Wilson, als ich meinen Bericht beendet hatte und wir den Lagerschuppen, den wir aufgeräumt hatten, wieder abschlossen, »Major Fly setzt sich mit seiner radikalen Meinung diesmal durch, wie?« »Alles gibt ihm diesmal recht.« Der Indianeragent war einer der erbittersten Widersacher von Major Fly, was die Politik gegenüber den Indianern betraf. Schon mehrere Male hatte er mit seinen Einsprüchen eine Strafexpedition gegen die Apachen verhindert. »Dann wird man die Mescaleros, die wir im Haus gefangenhalten, wahrscheinlich hängen, wenn wir sie im Fort abliefern, eh?« fragte er grimmig. »Möglich«, räumte ich ein. Und dann erzählte ich ihm auch die merkwürdige Geschichte, wie Unterhäuptling Snakeman, der sich in »Bellendes Feuerrohr« umgetauft hatte, aus dem Arrestblock von Fort Calhoun fliehen konnte. »Das ist der Gipfel!« Mac Wilson konnte sich jetzt nicht mehr bremsen. »Weshalb arbeiten wir hier eigentlich mit viel Geduld und Zähigkeit, um den roten Stämmen die Reservate erträglich zu gestalten? Weshalb opfern wir uns auf, damit diese Menschen wenigstens ihr Existenzrecht erhalten? Damit ein paar gewissenlose Schurken von den weißen Supermännern mit dem Unglück der Roten Schindluder treiben und Profit herausschlagen dürfen?« »Also würde ich diesmal Major Fly seinen Willen lassen, Mac«, wandte ich ein. »Wieso? Wie kannst du so etwas befürworten?« »Denke daran, was Häuptling Taglio zu mir gesagt hat. Die Kranken, die den Stamm anstecken, ziehen über die Grenze zu einem
Ort, wo weiße Männer sie empfangen und mit geschenkten SpencerKarabinern ausstatten oder versorgen.« »Was willst du damit andeuten?« »Daß ich genau dorthin will, um Major Fly mit seiner Kommandotruppe hinter mir herzuziehen, wie es vereinbart ist. Und dann soll er ruhig über das Camp herfallen, in dem sich die Waffenschmuggler verstecken. Wenn er mit seinem Strafgericht ein Exempel statuieren will, wird es vor allem die weißen Waffenhändler erwischen. Bleikugeln sind unparteiisch und unterscheiden nicht zwischen roter und weißer Haut.« * Ich blieb die Nacht über bei Mac Wilson und seiner lieblichen Zwei Monde. Nicht, weil ich zu müde gewesen wäre, meinen Ritt auf der Fährte von Snakeman fortzusetzen, sondern weil ich ihn nicht alleinlassen wollte, bis eine Patrouille von Major Flys Vorauskommando den Schutz der Indianeragentur übernehmen würde. Wir lösten uns in der Wache ab – Mac, Zwei Monde und ich. Ich hatte die letzte Wache übernommen und atmete erleichtert auf, als ich kurz nach Sonnenaufgang eine Staubwolke vor der roten Scheibe auffliegen sah, die sich rasch näherte. Eine Staubwolke auf meiner Fährte vom Vortag. Ich sah Sergeant Tucker, an der Spitze einer Abteilung von fünf Männern, der den Hügel hinunterritt, als sei der Teufel hinter ihm her. Er verlor die Spur auf dem steinigen Trail vor dem Schutthügel und wäre um ein Haar weiter Richtung Mexiko geritten, wenn ich mich nicht auf der Veranda von Wilsons Blockhaus mit ein paar Schüssen bemerkbar gemacht hätte. Tucker zügelte sein Pferd, stellte sich steil im Sattel hoch und blickte den Schutthügel hinauf. Er gab seinen Männern das Zeichen, schulmäßig auszuschwärmen und die Karabiner durchzuladen. »Tucker!« brüllte ich aus Leibeskräften und hielt die Hände wie einen Schalltrichter vor den Mund. »Das ist kein Überfall, sondern ein Morgengruß!«
Er ritt im Galopp den steilen Hang hoch wie bei einer Attacke. Unter der Terrasse hielt er an, kniff die Augen zusammen und schnaubte: »Sie sind es wirklich! Jicarilla, Ihr versoffener BastardKollege, hatte gemeint, Ihre ehemaligen roten Blutsbrüder hätten Sie bereits zu Hackfleisch verarbeitet und die Kojoten mit Ihnen gefüttert!« Der gute, alte Tucker. Seit er mich im vergangenen Herbst in den Round Mountains aus den Händen von weißen Banditen befreit hatte, glaubte er ein Anrecht darauf zu haben, mich in letzter Sekunde aus Todesgefahr retten zu müssen. »Was veranlaßte Jicarilla zu seiner so phantasiebegabten Vorstellung von meinem frühzeitigen Ableben?« »Er war ausnahmsweise nüchtern, und deshalb glaubte ich ihm auch. Er sah, daß Ihre Spur nach Süden abwich, zusammen mit der Fährte von fünf Mescalero-Kriegern! Wenn Sie auch bisher ganz gut mit diesen roten Halunken ausgekommen sind, meinte er, so hätte die Freundschaft doch jetzt ein Ende, seit die Chiricahuas SpencerFetischisten geworden sind! Und …« »Schon gut, Sergeant! Jicarilla muß noch besoffen gewesen sein, wenn er nicht gesehen hat, daß ich den Mescaleros nachgeritten bin und nicht mitten zwischen ihnen als Gefangener. Hat Jicarilla so etwas behauptet?« »Er war sehr besorgt.« »Hm, vielleicht war er doch nicht ganz besoffen. Kommen Sie herauf, Sergeant. Die Mescaleros sind hier!« »Teufel – sie sind im Haus?« »Ja. Aber verschnürt und auch ein wenig lädiert. Diese neuen Spencer haben es in sich, Sergeant. Die Indianer hatten keine Zeit, sich an den härteren Rückstoß zu gewöhnen. Sie hätten bei Ihnen erst Schießausbildung haben sollen. Tief durchatmen, Druckpunkt nehmen, Atem anhalten, feuern. Sie schossen immer zu hoch. Deshalb lebe ich auch noch. Haben Sie schon Kaffee getrunken?« »Verdammt – Sie sind aber …« Ich grinste zu ihm hinunter. Früher waren wir nicht gut aufeinander zu sprechen gewesen, bis ich entdeckt hatte, daß unter der rauhen Schale des bulligen Rekrutenausbilders ein Herz schlug.
Eins aus Silber, wenn nicht sogar vergoldet. Und seit er erkannt hatte, daß ich nicht nur jung war – so jung wie seine Rekruten, denen er erst Schliff, Benimm, Disziplin und alles andere beibringen mußte, was aus einem zweibeinigen Affen erst einen Menschen macht –, sondern auch das Gehalt wert war, das die Armee für mich bezahlte. Seitdem pflaumten wir uns zwar immer noch an wie früher, aber oft mit einem leisen Augenzwinkern oder einem versöhnlichen Glas Whisky oder Becher Kaffee zum Abschluß. Sergeant Tucker ließ seinen kleinen Trupp absitzen, während ich ihn, immer noch von der Veranda aus, in den gegenwärtigen Stand der Dinge einweihte. Dann erteilte er seine Befehle und ließ seine Leute an den beiden Toren der Agentur sowie an den beiden Ecken der Veranda an der Vorderfront des Wohnhauses Posten beziehen. Erst dann weckte ich Mac Wilson und erklärte ihm, daß die Wachablösung eingetroffen sei, auf die ich gehofft hatte. Anschließend kochte ich für alle Kaffee. Die Mescaleros erhielten nur frisches Quellwasser.
7. »Von mir aus können die verwundeten Mescaleros verrecken«, meinte Sergeant Tucker, nachdem er die Gefangenen in den Lagerschuppen hatte bringen lassen. »Es ist ihre eigene Schuld. Diesmal haben sie den Krieg angefangen …« »Gut, Sergeant«, beruhigte ich ihn, »das ist Standpunktsache, wie Sie wissen. Wir haben nur dafür zu sorgen, daß Mister Wilson hier nicht die Zeche dafür bezahlen muß.« »Diese Halunken kennen jetzt den Geheimgang, den Sie mir gezeigt haben, Ronco. Wäre es nicht besser, wenn wir verhindern, daß sie das weitererzählen?« »Wir sollen die Mescaleros ermorden, damit sie nichts von meinem Weinkeller weitererzählen können?« meinte Wilson entrüstet. »Das ist eine unglaublich barbarische Einstellung, die Sie da vertreten, Sergeant.« »Ja, ich weiß.« Sergeant Tucker winkte verdrossen ab. »Aber es ist mir lieber, Sie bleiben am Leben als diese roten Krieger. Können
Sie diesen Standpunkt vielleicht auch mal verstehen?« Da stehen wir nun im Hof und zanken uns, dachte ich verärgert, statt uns rasch zu einigen, was mit den Gefangenen passieren solle und wie viele Soldaten zum Schutz der Agentur benötigt würden. Denn ich wollte so rasch wie möglich wieder der Fährte von Häuptling Snakeman folgen. »Sergeant!« rief einer der ausgestellten Posten von der Veranda herunter. »Ja, Corporal?« »Da ist etwas!« Corporal Secker, einer der älteren, erfahrenen Soldaten von Fort Calhoun, deutete nach Südwesten. »Rauch, Sergeant!« Sergeant Tucker blickte mich düster an. »Ich fresse meine Gürtelschnalle, wenn das nicht wieder eine Schurkerei dieser Rothäute ist!« Ich sagte nichts, sondern jagte die Treppe zur Veranda hinauf. Mac Wilson und der Sergeant folgten auf meinen Fersen. »Das ist die Farm von Mister Goldfield«, sagte Mac Wilson sofort, als wir die Veranda an der Vorderfront seines Blockhauses erreichten. »Goldfield war bisher bei den Überfällen immer verschont geblieben.« »So wie Sie?« meinte der Sergeant grimmig und starrte nach Südwesten, wo eine dünne Rauchsäule hinter den rot überhauchten Hügeln aufstieg. »Weil er ein Indianerfreund war?« »Nein«, erwiderte Wilson schroff, »weil er seine Farm gut befestigt hat. Zu gut für eine Handvoll Indianer, die nicht mit modernen Waffen ausgerüstet sind.« »Da haben wir es!« fluchte der bullige Sergeant. »Diese verdammten Repetiergewehre! Immer wieder stolpern wir über diese verfluchten Spencer!« »Die von weißen Händlern an die Rothäute geliefert werden.« »Sie brauchen die Dinger ja nicht zu nehmen, Mister Wilson! Sie brauchen sich nur auf Regierungskosten in ihren Reservaten verköstigen zu lassen. Aber nein …« »Wir satteln die Pferde und reiten sofort los«, unterbrach ich den ewigen Streit der beiden Kampfhähne.
»Ich reite mit«, sagte Wilson. »Ich muß mir nur rasch etwas anziehen.« »Bleiben Sie in Ihrem Lendenschurz«, sagte Sergeant Tucker. »Und bleiben Sie bei Ihrer Frau. Ich gebe ja zu, daß es auch vernünftige Indianer gibt. Aber ehe sie zu vernünftigen Menschen werden, muß man sie zurechtschleifen wie meine Rekruten. Wie Sie das mit Ihrer Frau getan haben …« Oh, dachte ich und unterdrückte ein grimmiges Lächeln, wenn du wüßtest, Tucker, daß hier der Fall genau umgekehrt liegt! * Nur Corporal Secker blieb in der Agentur bei Mac Wilson und den Gefangenen zurück. Die Farm von Mister Goldfield lag ungefähr neun Meilen entfernt – zwischen der Mündung des Rio Doro in den Rio Grande und den roten Felsen am Eagle Paß. Das Farmhaus, hatte mir Mac Wilson in kurzen Zügen erklärt, lag ähnlich wie sein Blockhaus auf einer Hügelkuppe, die aber nicht von Felsen umfriedet wurde, sondern nur von niedrigen Hecken und Adobemauern. »Er hat die Mauern mit Palisaden verstärkt und in der Mitte aus einem alten Wasserturm einen Wachturm gebastelt. Seine Farm galt bisher als absolut sicher.« Wir ritten direkt auf die Rauchsäule zu, die Karabiner schußbereit quer über dem Sattel, auseinandergefächert wie zu einer breiten Attacke. »Ein paar Nachbarn aus dem Rio-Doro-Tal sind zu ihm geflüchtet, als die ersten Überfälle gemeldet wurden. Mit ihren Frauen und Kindern. Sie bestellten von seiner Farm aus die Felder jetzt gemeinsam. Er soll einen tüchtigen Vormann haben. Mister Vanderbilt hat ihm den Mann aus Corpus Christi besorgt.« Vanderbilt, dachte ich bitter, der Waffenschmuggler, den ich in Fort Calhoun an den Galgen gebracht hatte! »Er ist auch nur ein Heimstätter«, hatte Mac Wilson mir erzählt, während ich in fliegender Eile mein Pferd sattelte. »Aber er brauchte
eben ein größeres Haus als seine Nachbarn. Er hat vier Kinder aus Missouri hierherverpflanzt. Und ein paar Dutzend Rinder einer neuartigen Züchtung, die er gewinnbringend auch nach Mexiko verkaufen will.« Vier Kinder und eine junge Frau, dachte ich grimmig. Dazu noch die beiden Frauen seiner nächsten Nachbarn, ebenfalls mit ihren Kindern. Und Männer heuert er nur an, wenn er sie braucht. Vaqueros von jenseits der Grenze. Ein paar Hands für die Frühjahrsbestellung. Hoffentlich kamen wir noch nicht zu spät! Sergeant Tucker ritt neben mir, keine vier Yards von mir entfernt. Er warf den rechten Arm in die Luft und streckte ihn dann wieder nach vorn aus, während er nach links und nach rechts deutete. Die Farm, von einer schwarzen Rauchwolke überhangen, tauchte hinter der Kuppe auf, die wir gerade hinaufgaloppierten. Es war ein schweigender Befehl zur Attacke, den Sergeant Tucker uns gab, auf die Ziele deutend, als hätten wir sie nicht schon längst erkannt – oder gehört, denn die Spencer der Apachen knatterten ununterbrochen. * Ich vermochte Snakeman nicht unter den Rothäuten zu entdecken, die bei Sonnenaufgang Goldfields Farm angegriffen haben mußten. Doch seine Truppe mußte inzwischen Verstärkung erhalten haben. Ich zählte ein rundes Dutzend Apachen, in der Mehrzahl Mescaleros. Der Stall von Goldfield stand in Flammen. Ich nahm mir den nächstbesten Apachen aufs Korn, der auf seinem Pony an der Mauer vor dem Stall entlangritt, einen Brandpfeil auf der Bogensehne. Ich reckte mich im Sattel und schoß, als der Apache das gefiederte Ende des Pfeiles losließ. Der Pfeil schwirrte auf das Wohnhaus zu, blieb im flachen Dach stecken und brannte dort weiter wie eine Fackel. Der Apache warf die Arme in die Luft und fiel von seinem Pinto. Er kollerte bis zur Stallwand und blieb dort liegen, als wäre er vom brennenden Dach gestürzt. Im Wohnhaus der Farm – einem zweistöckigen Kasten, der aus
Lehm und Fachwerk errichtet war – blitzte es in den Fensterluken zweimal auf. Aber ich hörte keine Kinderstimmen, kein Blöken der Rinder im brennenden Stall, während ich in den Funkenregen und Qualm ritt, der über den Hof zwischen Stall und Wohnhaus wirbelte. Aus der Scheune traten zwei Apachen, die ein Pferdegespann hinter sich herzogen. Sie schienen völlig überrascht, als ich plötzlich aus dem grauschwarzen Rauch wie eine Kugel aus einem Kanonenrohr auftauchte. Ich schoß mit dem Colt, ohne meinen Wallach zu zügeln oder in eine andere Richtung zu lenken. Ich glaube, ich hätte das Gespann einfach überrannt oder mich auf der Deichsel selbst aufgespießt, wenn nicht die Pferde durchgegangen wären, als der eine der beiden Apachen, von meiner Kugel getroffen, ihnen vor die Hufe fiel. Ich war besessen von der Vorstellung, daß die Apachen längst erledigt hatten, was wir zu verhindern versuchten. Die Frauen und Kinder – ich hätte sie weinen oder schluchzen hören müssen. Aber ich hörte nur das Prasseln der Flammen und das Knacken der brennenden Balken im Dach der Scheune. Der andere Apache legte mit einem Gewehr auf mich an. Ich zwang meinen Wallach zu einem mächtigen Satz und ritt ihn nieder, bevor er abdrücken konnte. Ich ritt in die Tenne der Scheune. Im Stroh, das an der Wand zu meiner Linken, zu Ballen gepreßt, aufgeschichtet war, züngelten lange, gelbe Flammen. Im Heuboden hing ein Mann, die Arme schlaff über einen Balken, die Augen starr auf mich gerichtet. Es war ein Weißer, der offenbar Futter für die Pferde durch eine Luke hatte herunterwerfen wollen, als ihn eine Kugel in die Brust getroffen hatte. Die Forke steckte noch im Heu hinter ihm. Die Wagen, die hier gestanden haben mußten, waren fort. Ich riß das Pferd herum und sprengte wieder auf den Hof hinaus. Im Rauch stand ein Mann in blauer Uniform mit gelbem Schal, der suchend den Kopf hin und herbewegte. Als er mich aus der Scheune reiten sah, legte er seinen Colt auf mich an, erkannte noch rechtzeitig seinen Irrtum und ließ die Waffe wieder sinken. »Sie haben alle Rinder aus dem Stall weggetrieben, ehe sie ihn anzündeten!« rief er mir zu.
Ich achtete nicht auf ihn, ritt hinüber zum Wohnhaus, sprang vor der zerschossenen Hintertür aus dem Sattel und stürmte ins Haus. Die Küche war ein Chaos. Zerbrochenes Tongeschirr lag über dem gestampften Lehmboden verstreut, die Kupferkannen waren von den Stangen über dem Herd heruntergerissen und mit Kolbenschlägen und Schüssen in zerbeultes, nutzloses Blech verwandelt worden. Eine Stoffpuppe lag in einer Ecke, wo sich ein See aus frischer Milch neben dem Herd ausbreitete. Die Tür zur Vorratskammer war der Länge nach geborsten, mit einem kräftigen Axthieb in zwei Hälften geteilt. Sie hatten alles ausgeräumt, was sie gebrauchen konnten. Vielleicht hatten sie mit den Mescaleros, die bei Mac Wilson das Depot plünderten, einen Treffpunkt vereinbart. Als ihre roten Brüder nicht rechtzeitig mit ihrer Marschverpflegung erschienen waren, hatten sie Mister Goldfields Farm überfallen und alles kurz und klein gehackt. Die Kinder! Wo waren die Kinder und die Frauen, von denen Wilson mir erzählt hatte? Sergeant Tucker trat aus der Wohnstube, den Colt in der einen Hand, ein zerfetztes, schmutziges Stirnband in der anderen. »Sie sind fort«, sagte er düster. »Nebenan liegt nur noch ein Toter.« »Eine Frau?« fragte ich rasch mit belegter Stimme. Der Sergeant schüttelte den Kopf. »Ein alter Mann. Ein Siedler aus der Nachbarschaft. Mister Forbes weiß mehr darüber.« »Wer ist Mister Forbes?« »Goldfields Vormann. Er hielt die Stellung. Der Schütze am Fenster im Oberstock.« »Was ist mit den Frauen und Kindern?« Die Soldaten von Tuckers Truppe durchsuchten die Gebäude der Farm und bewegten sich etwas bedächtig oder unschlüssig, als könnten sie nicht recht glauben, daß der Kampf bereits vorüber sei. Es waren erprobte Männer, die Erfahrungen im Kampf mit Indianern gesammelt hatten. Sie wußten, daß sich die Rothäute nicht an eingedrillte Regeln hielten wie sie. Sie kämpften mit List und Intuition. Tucker ging an mir vorbei auf den Hof hinaus, blickte hinauf zum
brennenden Dachstuhl des Stallgebäudes und zuckte mit den Schultern. Da war nichts mehr zu retten. Dann teilte er seine kleine Streitmacht so ein, daß die Farm vor einem neuen Überfall der Mescaleros einigermaßen gesichert war. Oder daß sie wenigstens nicht von einem neuen Überfall überrascht werden konnten. Dann kehrte er zurück in die Küche, wischte sich den Ruß aus dem Gesicht und sagte: »Das wird viel Arbeit geben, fürchte ich. Ein heißer Sommer an einer heißen Grenze. Sie sind zum Fluß hinunter und ziehen nach Süden zum Rio Grande ab. Zum Teufel damit! Sie müssen genau wissen, was sie tun.« »Die Frauen und Kinder«, wiederholte ich hartnäckig. Ein Mann trat aus dem Durchgang zur Wohnstube. Er sah ziemlich mitgenommen aus, schien aber bis auf einen Kratzer am Kopf unverletzt zu sein. »Diese Halunken«, murmelte er, »diese verdammten roten Halunken!« Ich blickte ihn an. Er war untersetzt, muskulös und hatte braune, weit auseinanderstehende Augen, die stechend wirkten. »Schade, daß Sie nicht etwas früher erschienen sind, Sergeant«, sagte er, stellte sein Gewehr neben dem Herd ab und blickte sich kopfschüttelnd um. »Wenn sie das auch mit den Frauen und Kindern tun, was sie mit dem Geschirr und den Töpfen angestellt haben …« Er zog die dünnen Mundwinkel nach unten und bewegte die Schultern, als spüre er ein Messer im Rücken. Ich blickte ihn mißtrauisch an. »Sie sind Mister Forbes, Goldfields Vormann?« »Ja, und wer sind Sie?« »Er ist unser Scout, Mister Forbes«, antwortete Sergeant Tucker an meiner Stelle. Er stand an der zertrümmerten Küchentür, einen zerbeulten Becher in der Hand, den er vom Boden aufgehoben hatte. Er hatte damit Wasser aus einem Kessel geschöpft, den die Indianer bei ihrem Zerstörungswerk offenbar übersehen hatten. »Ein verdammt guter Scout noch dazu. Lassen Sie sich nicht von seinem Milchbart täuschen. Er will wahrscheinlich wissen, weshalb Sie noch hier sind und den Überfall einigermaßen heil überstanden haben.« Ich lächelte innerlich. Ein grimmiges Lächeln, das sich nicht auf
meine Augen oder meinen Mund übertrug. Offenbar mochte der Sergeant Mister Goldfields Vormann genausowenig wie ich. »Ich bin Ihnen dankbar, Sergeant, daß Sie noch rechtzeitig mit Ihren Leuten eingegriffen haben. Aber deswegen dürfen Sie mich noch lange nicht beleidigen.« »Ich beleidige Sie nicht, ich frage nur«, erwiderte Sergeant Tucker barsch, ohne sich umzudrehen. »Das ist ganz einfach zu erklären«, sagte Mister Forbes mit einem giftigen Unterton. »Die Peons, die Mister Goldfield beschäftigt, und ein paar Frauen arbeiteten bereits auf den Feldern. Unser Warnsystem funktionierte nicht. Diese roten Halunken müssen es gekannt haben. Weiß der Teufel, woher.« »Welches Warnsystem, Mister Forbes?« Der Vormann deutete mit der Hand durch ein zerschossenes Fenster. »Der Wasserturm hinter der Scheune. Mister Goldfield hat ihn zu einem Wachturm umbauen lassen. Von dort aus kann man fast bis zum Rio Grande hinunterschauen.« »Sie hatten dort einen Wachtposten eingerichtet?« »Richtig. Aber die Mescaleros müssen noch vor Sonnenaufgang über die Mauer gestiegen sein und haben ihn mit dem Messer erledigt. Es gab keinen Alarm, und plötzlich waren sie hier auf dem Hof. Mindestens drei Dutzend Krieger, Sergeant!« »Und wo waren Sie?« »Verdammt, soll das ein Verhör sein?« »Nur eine Frage, Mister Forbes. Eine ganz bescheidene, harmlose Frage.« »Ich war im Oberstock, wenn Sie es genau wissen wollen. Ich vertrete Mister Goldfield in dessen Abwesenheit. Mister Goldfield befindet sich zur Zeit in Corpus Christi. Er verhandelt dort mit ein paar Züchtern aus dem Nueces-County über den Verkauf seiner neuen Rinderrasse. Wenn er wüßte, daß die Mescaleros alle seine Zuchtrinder gestohlen haben …« »Ich denke, darüber wird er sich nicht sonderlich aufregen, wenn er an seine Frau und seine vier Kinder denkt«, unterbrach Sergeant Tucker den Vormann scharf. »Sie haben den Angriff also verschlafen, wie?«
»Ich erledigte ein paar schriftliche Sachen. Und – es ging alles so rasch, wie Sie sich das nicht vorstellen können, Sergeant.« »Kann ich, Mister Forbes. Die Mescaleros haben also alles zusammengepackt, was sie brauchen konnten, die Frauen und Kinder zusammengetrieben und sind dann Richtung Rio Grande wieder abgezogen?« »Das Gros, Sergeant. Zwei Dutzend Krieger unter der Führung eines Häuptlings. Es war eine Blitzaktion, wenn Sie wissen, was ich meine. Die Mescaleros, die Sie mit Ihren Leuten eben vertrieben haben, hatten wohl nur den Auftrag zu zerstören.« »Ja, Mister Forbes. Sie sind ein tapferer Mann. Sie haben sich nach Kräften gewehrt und Ihren Skalp gerettet«, sagte Sergeant Tucker bitter, warf die verbeulte Blechtasse auf den Hof hinaus und stieß sich vom Türrahmen ab. Er ging hinaus zu seinen Soldaten und gab ihnen irgendwelche Befehle, wobei er auf den brennenden Stall deutete. »Was hat er nur?« fragte Forbes feindselig. »Sie sollten lieber fragen, was er einmal hatte. Eine Frau und ein kleines Baby. Die Sioux haben sie am Canadian River erwischt. Er hat zwei Jahre nach seiner Familie gesucht. Aber er hat nie mehr etwas von seiner Frau und seinem Kind gehört. Und jetzt eine Frage an Sie! Wie sah der Häuptling aus, der das Gros der Krieger anführte?« Er beschrieb ihn mir. Kein Zweifel, daß Snakeman den Überfall auf die Farm angeführt hatte. Oder Lonmantosha, »Bellendes Feuerrohr«, wie er sich jetzt nannte. * »So gern ich es wollte, Ronco, ich darf nicht. Ich muß Major Fly davon unterrichten und hier so lange ausharren, bis ich seine Zustimmung erhalte. Möglich, daß er gleich selbst aufkreuzt. Mit fünf uniformierten Männern gelange ich sowieso nicht weit.« »Sie haben die Frauen und Kinder als Geiseln über die Grenze nach Mexiko verschleppt, Sergeant. Ich weiß nicht, wer ihnen so etwas geraten hat. Es ist nicht ihre Gewohnheit, sich bei einem
Raubzug mit zu vielen Gefangenen zu belasten.« »Wenn ich in Zivil über den Fluß nach Mexiko schwimmen könnte, würde ich das vielleicht tun«, erwiderte Tucker barsch, »auch wenn ich mir damit ein Verfahren vor dem Kriegsgericht einhandle. Bei Gott, ich würde es riskieren!« »Dann gehe ich allein, Sergeant. Ich bin ja nur ein Zivilist«, erwiderte ich. »Du bist verrückt, Kleiner! Entschuldigung, daß ich dich so nenne. Es ist nur ein Ausdruck meiner Wertschätzung.« Ich lächelte flüchtig. »Ich weiß, Rekrutenschinder. Solange du mich mit Sir angeredet hast, konntest du mich nicht ausstehen.« »Woher weißt du das?« »Menschenkenntnis, Sergeant.« Ich wurde wieder ernst. »Ich habe meinen Befehl von Colonel Lester erhalten, nicht von Major Fly. Und den werde ich ausführen. Ich gehe hinüber nach Mexiko und folge Snakemans Fährte, bis ich ihn habe. Sein Maß ist voll.« »Allein kannst du nichts gegen ihn ausrichten, Junge. Ich gebe dir den Befehl, hier so lange zu warten, bis wir genügend Leute beisammen haben, um die Apachen wieder herüberzuholen auf das Ufer, wohin sie gehören.« Ich lächelte trüb. »Die Apachen gehören nirgendwohin, Sergeant. Und du kannst mir gar nichts befehlen.« »Leider.« »Also – viel Glück, Sergeant. Sag Jicarilla Bescheid, daß ich ihm genügend Zeichen hinterlasse, damit er meine Leiche abholen kann, falls er darauf Wert legt, mir ein gutes Begräbnis zu verschaffen. Aber ich bin jung und optimistisch. Vielleicht begegnen wir uns auf halbem Weg, Sergeant. Du mit der Regimentsfahne und mit drei Schritten Abstand hinter Major Fly, ich mit meinem Lasso, das ich Häuptling Snakeman um den Hals gewickelt habe und an dem ich ihn mit zehn Schritten Abstand hinter mir herziehe. Vergiß nicht, daß habe ich schon einmal geschafft.« »Aber inzwischen hat sich die Lage doch völlig verändert, Ronco!« »Ja, Tucker. Du bist neidisch, daß du mich nicht begleiten kannst.«
Ich tippte an meine Hutkrempe, gab meinem Wallach die Sporen und ritt auf der Spur der Mescaleros den Hügel nach Süden hinunter.
8. Die Fährte bereitete überhaupt keine Schwierigkeiten. Ich glaube, sogar ein Blinder hätte ihr folgen können, wenn er sich hin und wieder gebückt und den Boden mit den Händen abgetastet hätte. Sie führte nicht nach Südwesten auf die roten Felstürme des Eagle Paß zu, sondern fast schnurgerade nach Süden. Die Mescaleros und Chiricahuas, die aus ihren Reservaten ausgebrochen waren, hatten es sehr eilig gehabt, sich auf dem kürzesten Weg nach Mexiko hinüberzuretten. Ich ritt nicht ganz so schnell wie die Apachen, die ich verfolgte. Das Gelände war nicht sehr steil, aber unübersichtlich – ein von kleinen Arroyos durchzogenes Hügelgelände, untauglich als Ackeroder Weideland für Heimstätter. Es hätte nicht gelohnt, es unter den Pflug zu nehmen, weil nur auf den schmalen Hügelkuppen Humus lag. Es gab hier noch Land in Hülle und Fülle, das man rationeller ausbeuten konnte als diese zerklüfteten Hügelrücken, die mit Sagebüschen überwuchert waren. Und dazwischen die ausgewaschenen Arroyos, die wie steinige Adern das Gelände durchzogen und den Regen rasch wieder zum Flußbett des Rio Grande forttrugen. Ich folgte der Fährte, aber ich war nicht so tollkühn, jede Vorsicht außer acht zu lassen. Ich war darauf gefaßt, an jeder Windung des Trails einen Apachen vor mir auftauchen zu sehen, der Snakemans Zug über die Grenze im Rücken absichern sollte. Doch ich hatte umsonst den Karabiner aus dem Scabbard gezogen und schußbereit über den Sattel gelegt. Ich begegnete nur einem Rudel Antilopen, das in einer Senke das spärliche junge Gras abweidete und mit weiten Sprüngen über die Felsrinnen hüpfte, als wären die turmhohen Risse im Karstboden nur spatentiefe Wassergräben. Mein Pferd witterte schon das Wasser des Rio Grande, als ich Hufschläge hinter mir hörte, statt vor mir, wie ich es eigentlich
erwartet hätte. Ich schwang erschrocken im Sattel herum und drängte den Wallach hinter mannshohe Mesquitebüsche. Beschlagene Hufe, keine Ponys. Trotzdem konnten sich die Mescaleros einer List bedienen. »Holla – brr!« rief eine Stimme, als sich mein Gewehrlauf durch die Zweige schob und Reflexe in der Nachmittagssonne warf. »Wir wollen nur helfen, und da hält man uns eine Waffe ins Gesicht!« Ich drängte meinen Wallach wieder nach links, etwas aus der Deckung heraus. »Wer will hier helfen?« fragte ich scharf. »Nachbarn von Goldfield! Wir haben von dem Überfall gehört und dachten, wir sollten Ihnen die Arbeit nicht allein überlassen!« Vier bewaffnete Männer ritten vom Arroyo hinunter. Einen davon kannte ich bereits. Das war der Vormann von Goldfield. Offenbar hatte er sich die Worte des Sergeanten zu Herzen genommen, der an seiner Tapferkeit gezweifelt hatte. Sie ritten im langsamen Trab auf mich zu, als ich mein Gewehr senkte. Mister Forbes hielt sich am Ende. Ich musterte die drei Männer, die mir ihre Hilfe anbieten wollten. Es waren hagere, wettergegerbte Burschen mit schmalen Lippen und schmalen, hurtigen Augen, die gewohnt waren, in die Ferne zu blicken und nicht auf die Erde, die vor ihren Füßen von der Pflugschar umgebrochen wurde. Männer, die den Kopf ruckartig zur Seite bewegten, um sich zu vergewissern, daß sie den Rücken frei und die Flanke hatten. Ich hatte ein ungutes Gefühl. »Nachbarn von Goldfield, Mister Forbes?« rief ich dem Vormann zu, den wir am frühen Morgen auf der Farm aus den Händen der Apachen befreit hatten. »Ich habe sie noch nie am Rio Doro gesehen. Und ich bin ziemlich häufig in dieser Gegend!« Forbes bewegte sich nervös im Sattel und lächelte verlegen. Aber es konnte auch ein boshaftes Lächeln sein, weil die breite Hutkrempe seine Augen verdeckte, an denen ich hätte erkennen können, was es nun wirklich war. »Es sind Weidereiter, Mister Ronco. Dick, Fred und Abel. Sie haben keine eigene Ranch oder Farm. Aber trotzdem fühlen sie sich
als Nachbarn.« Das mochte gut sein, dachte ich. Aber sie waren nicht aus einem Arroyo erschienen, der quer zu meinem Trail verlief. Aus westlicher Richtung also, während Goldfields Farm jetzt im Nordosten von mir lag. Doch als Weidereiter konnte man sie gelten lassen. Weidereiter streiften um diese Jahreszeit wochenlang durch die Hügel, ohne sich richtig waschen oder rasieren zu können. Ich durfte sie nicht nach ihrem Aussehen beurteilen. Dick, Fred und Abel hielten jetzt neben mir an. Forbes trug immer noch sein Grinsen im Gesicht, das ich nicht richtig zu deuten vermochte. »Ihr Sergeant hat mir noch etwas für Sie mitgegeben, Mister Ronco«, sagte er und kramte mit der linken Hand in seiner Satteltasche. »Sergeant Tucker?« Ich beugte mich etwas im Sattel vor. »Hat er schon Verbindung mit seiner Truppe?« Ich schob das Gewehr in den Scabbard und streckte fordernd die Hand aus. Der Vormann von Goldfield hatte einen Brief aus seiner Satteltasche gezogen. Ich wunderte mich, daß dieser Mister Forbes von Sergeant Tucker als Botengänger eingesetzt worden war, obwohl er ihn am Morgen auf der Farm sehr barsch und herablassend behandelt hatte. Es mußte etwas sehr Wichtiges sein. »Ich …« Weiter gelangte ich nicht. Ich war auf einen plumpen Trick hereingefallen. Dick, Fred und Abel hatten nur gewartet, bis meine Revolverhand nach dem Brief griff. Dann warfen sie sich auf mich. Einer umklammerte meinen Oberkörper und riß mich vom Pferd, ein anderer zog mir den Colt aus dem Holster und der dritte holte mit seinem Gewehr zum Schlag aus, ehe ich auf dem harten Felsboden gelandet war. Ich sah die Sonne am Himmel auseinanderplatzen wie ein explodierendes Pulvermagazin. Und ich sah jetzt ganz deutlich das boshafte Lächeln von dem verdammten Forbes, der das leere Blatt Papier, das er aus seiner Satteltasche gezogen hatte, zu lauter kleinen Fetzen zerriß.
Dann sah ich gar nichts mehr, weil der Himmel plötzlich so schwarz wie ein verschlossener Sarg war, den man sich von innen betrachtet. * Als ich wieder bei Bewußtsein war, summten Tausende von Moskitos um mich herum, während etwas von unten gegen meinen Magen stieß. Die Sonne mußte tatsächlich explodiert sein, dachte ich erschrocken. Ich hatte die Augen offen, aber ich sah nur eine rabenschwarze Leere. Wenn die Sonne explodiert, verbesserte ich mich ärgerlich, wird diese Welt in Minutenschnelle in einen Schlackenhaufen verwandelt. Oder in eine Eiskugel. Sie hört auf zu existieren, und du mit ihr! Die Moskitos summten auch nicht um mich herum, sondern befanden sich innerhalb meines Schädels und stachen alle auf einmal, wenn ich den Kopf bewegte. Ich mußte auf einem Pferd sitzen, aber verkehrt herum, denn meine Hände waren dort, wo der Schwanz sein mußte. Denn das Pferd bewegte sich in entgegengesetzter Richtung. Ich versuchte, mit meinen Fingern irgend etwas in der Nähe zu betasten, um mich zurechtfinden zu können. Aber meine Hände waren über Kreuz gebunden und so fest verschnürt wie ein Ledersack der US Mail, in dem gebündelte Banknoten transportiert werden. Auch meine Beine vermochte ich nicht zu bewegen. Sie waren krumm geschlossen und an den Füßen ebenfalls über Kreuz verschnürt. Bei jedem Schritt, den das Pferd unter mir tat, empfing ich einen kleinen Schlag von der Sattelpausche in den Magen. Als ich mein Gesicht ein wenig anhob, spürte ich die Wärme der Sonne. Sie war also nicht explodiert. Sie schien noch, wenn auch nur schwach und sehr niedrig am Himmel. Ich muß ein paar Stunden im Land der Träume gewesen sein, überlegte ich. Meine Kleider waren etwas feucht über dem Gürtel. Als ich meine Zehen in den Stiefeln bewegte, gab es schmatzende Geräusche. Sie waren in Wasser eingebettet.
Wir schienen uns auf einer verdammten Schaukel zu bewegen. Dauernd ging es bergauf und bergab. Demnach zogen wir in südöstlicher Richtung durch das Bergland jenseits des Rio Grande. Dick, Fred und Abel, die guten Nachbarn von Goldfield, hatten mich offenbar nach Mexiko verschleppt. Denn der Rio Doro führte nicht so viel Wasser, daß es mir in die Stiefelschäfte hätte fließen können, als sie mich wie ein verschnürtes Paket auf dem Rücken meines Pferdes über einen Fluß schafften. Sie konnten mich nur über den Rio Grande nach Mexiko verschleppt haben. Ich Idiot, dachte ich wütend. Mister Forbes war als Vormann von Mister Vanderbilt empfohlen worden, der sich mit illegalen Waffengeschäften einen einträglichen Nebenerwerb zugelegt hatte, bis ich ihm auf die Schliche kam und bei Colonel Lester anzeigte. Der hatte ihn aufhängen lassen, hatte aber damit nur den großen, anonymen Waffenhändlern, die hier an der Grenze operierten, einen lästigen Konkurrenten vom Hals geschafft. Mister Forbes war von einem Halunken empfohlen worden. Diese pflegen in der Regel keine Ehrenmänner zu empfehlen, sondern höchstens Dunkel- oder Strohmänner. Mister Forbes hatte wie durch ein Wunder den Angriff der Apachen auf die Farm von Goldfield heil und gesund überstanden. Und er hatte, als wir auf der Farm eintrafen, recht eifrig aus dem Fenster geballert. Ohne einen einzigen Apachen zu treffen, wie mir jetzt siedendheiß einfiel. Ich Idiot! Mister Forbes hatte wahrscheinlich als Agent für Vanderbilt gearbeitet. Als sein Boß das Zeitliche segnete, hatte er sich der Konkurrenz angeschlossen. War es möglich, daß Snakeman und seine jungen Krieger nur Goldfields Farm überfallen hatten, um dort Waffen abzuholen, die Forbes irgendwo im Stall oder in der Scheune für sie versteckt hatte? Vanderbilt hatte doch nach dem gleichen System gearbeitet! Er hatte in seinen Frachtkutschen die Gewehre versteckt, die er an die Apachen ausliefern wollte. Diese hatten seine Kutschen überfallen,
um sich ihre Ware zu holen und … »Er ist wieder aufgewacht!« sagte eine rauhe Stimme neben mir. Sie gehörte Dick, Fred oder Abel. »Er wird nicht mehr oft aufwachen, schätze ich«, sagte eine andere Stimme, die ebenfalls Dick, Fred oder Abel gehörte. »Er wird uns aber noch eine fette Prämie einbringen«, sagte ein dritter. Jetzt fehlte nur noch der Kommentar von Forbes. Er blieb aus. Ich hätte auch vergeblich darauf gewartet, weil ich nur die Hufschläge von vier Pferden hörte, meins inbegriffen. Forbes war offenbar wieder zu Goldfields Farm zurückgeritten, nachdem er mich als Judas an Goldfields »gute Nachbarn« verraten hatte. Ich hätte meinem Instinkt folgen und die drei Weidereiter nicht zu dicht an mich heranlassen sollen. Es waren natürlich weder Weidereiter noch Nachbarn, sondern bezahlte Killer oder berüchtigte Gunmen. Ich Vollidiot, dachte ich wütend. »Warum muß er eigentlich noch sein Halstuch um die Augen tragen, wenn er sowieso verrecken wird?« fragte Dick, Fred oder Abel. »Die hatten ihn schon einmal fest am Wickel, habe ich gehört«, erwiderte Abel, Fred oder Dick. »Das war im letzten Winter, oben in den Round Mountains. Da war er auch schon so gut wie tot. Aber der Junge hat offenbar mehr Glück als Verstand und wurde im letzten Moment von seinen Buddies bei der Armee gerettet. Buster hat ausdrücklich angeordnet, daß wir ihn bei ihm abliefern sollen wie einen Bullen im Schlachthaus. Mit verbundenen Augen.« Eine Weile hörte ich nur das Klappern der Hufe auf Felsboden. Wenn ich nur gewußt hätte, ob ich noch meine Wasserschläuche bei mir hatte. Serge Buster, dachte ich grimmig, war der Agent der Waffenhändler, denen ich seit sechs Monaten auf der Spur war. Serge Buster war der Mann, der mir in den Round Mountains im vergangenen Winter eine Falle gestellt hatte, in der ich um ein Haar ums Leben gekommen wäre. Serge Buster hatte also die Spencer-Gewehre an Snakemans junge
Krieger verteilt. Aber in wessen Auftrag? Ich würde es möglicherweise nie erfahren. Denn ein zweites Mal würde mich Buster bestimmt nicht mehr lebend aus seinen Fängen lassen. Wenn ich nur wüßte, ob mein Trick, den ich mir ausgedacht hatte, funktionierte! * Ich mußte in einen komaähnlichen Zustand verfallen sein, aus dem mich ein Faustschlag wieder weckte. Er traf mich seitlich am Kinn und schreckte die Moskitos in meinem Kopf wieder auf. »Wir sind am Ziel, Hombre!« Ich würgte einen Fluch hinunter. Keinen Sinn, den Tapferen zu spielen, wenn du nicht zurückschlagen kannst, dachte ich. Ich spürte, wie etwas an meinen Stiefeln ruckte. Die Schnüre, die meine Stiefel zusammenpreßten, lockerten sich plötzlich. Meine Beine waren eingeschlafen. Ich plumpste vom Pferd, statt langsam herunterzusteigen. Der harte Schlag gegen die Knie und Ellenbogen weckte mich gründlich auf. Aber deswegen sah ich auch nicht besser als vorher. Die Binde, die ich vor den Augen trug, wurde mir nicht abgenommen. Zwei Hände packten meine gefesselten Arme und stellten mich ziemlich unsanft auf die Füße. Die Luft war kühl geworden, und ich fröstelte. Ich stolperte, links und rechts an den Armen festgehalten, über lockere Steine bergab. Es ging einen ziemlich steilen Hang hinunter. Ich mußte den Schlag mit dem Gewehrkolben auf den Hinterkopf immer noch nicht verdaut haben, denn das Summen der Moskitos in meinem Kopf nahm bei jedem Schritt zu. Nein, korrigierte ich mich. Diesmal ertönen die Geräusche wirklich von außen, eine Menge Geräusche. Dick, Fred und Abel werden dich doch nicht mit verbundenen Augen durch eine Stadt führen? Es hörte sich aber so an. Wie eine Stadt an Markttagen: schnaubende Pferde und Mulis, das Knarren von Rädern und Achsen, menschliche Stimmen, gedämpft zwar, aber deutlich voneinander zu
unterscheiden. Apachen und auch andere Stimmen – Weiße … Sie haben mich in das Lager der aufständischen Indianer gebracht, dachte ich. Aber wo nahmen die Indianer die Gespanne und die schweren Kastenwagen her? Woher schon! Sie haben sie erbeutet! Der Boden wurde wieder eben, und dann blieben die Geräusche plötzlich zurück. Ich erhielt einen Stoß in den Rücken und taumelte nach vorn. Mitten in eine Faust hinein, die mir den Kopf in den Nacken riß und mich zu Boden schleuderte. Dabei rutschte mir die Binde von den Augen. Vor mir stand Serge Buster und massierte seine Knöchel. »Buenas noches in Mexiko, Mister Ronco«, sagte er, und seine Augen funkelten vor Haß und Schadenfreude … * Ich wischte mir mit dem Ärmel das Blut von den Lippen. Das war gar nicht so einfach mit auf den Rücken gefesselten Händen. Serge Buster stand vor einem Tisch neben einer Zeltstange, an der eine Petroleumlampe befestigt war. Er hauchte auf die Knöchel seiner rechten Hand und sagte: »Das war für die Kugel, die Sie mir im vergangenen Winter in den Round Mountains verpaßt haben, Mister Ronco!« »Sie hätten sich nicht zu bedanken brauchen, Mister Buster«, erwiderte ich mit aufgeplatzten Lippen und etwas geknickter Zunge. »Ich habe es gern getan.« Serge Buster ruckte mit dem Oberkörper vor. Aber der Schlag, mit dem er mich begrüßt hatte, mußte ihm mindestens so wehgetan haben wie mir. Er betrachtete die blutenden Knöchel und öffnete die Faust wieder. »Sie werden nicht mehr lange Gelegenheit für dumme Witze haben, Mister Ronco«, sagte er hämisch. »Sie dürfen dann in der Hölle herumschnüffeln und sich in die Angelegenheiten von Mister Satanas einmischen. Das wird Ihnen dort bestimmt noch schlechter bekommen als hier!«
»Was heißt hier?« fragte ich und bewegte vorsichtig meine Kiefer hin und her. »Er ist und bleibt ein Schnüffler! Ein neugieriger, kleiner Schnüffler, mies bezahlt und noch nicht einmal ganz ausgewachsen. Aber er spielt sich auf, als wäre er der Kommandeur von Fort Calhoun. In Wirklichkeit ist er nur ein kleiner Zivilist auf einem ganz unbedeutenden Posten.« Ich leckte mir die Lippen, betrachtete ihn von Kopf bis Fuß und grinste: »Ich bin so unbedeutend, daß Sie wegen mir drei erfahrene Killer in Marsch setzten, die mich nach Mexiko entführen sollten! Sie hätten sich das Geld sparen können, Buster. Ich wäre auch freiwillig hergeritten, um Häuptling Snakeman wieder einzufangen und nach Texas zurückzubringen. Der Häuptling ist doch hier, nicht wahr?« Serge Buster zog seine dunklen Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Er sah noch immer aus wie ein Pirat aus der Karibik, der aus Versehen aufs Festland verschlagen worden war. Er hatte ein schmales, wie ein Dreieck geformtes Gesicht, dunkel wie die Haut einer Olive. Die schwarzen, etwas gekrausten Haare wurden von einem perlenbestickten Band zusammengehalten, als wäre er zum Ehrenhäuptling der Apachen ernannt worden. Unter der wie ein Geierschnabel geformten Nase war der Schnauzbart noch voller und schöner geworden seit dem Winter, als ich ihm in den Round Mountains im Schnee eine Kugel in die Schulter verpaßt hatte. Die Enden des Schnauzbartes hingen neben den Mundwinkeln herab, zu Zöpfen geflochten, mit Pomade eingefettet. Nur den kostbaren Mantel aus Luchsfellen trug er nicht mehr, als er in den Round Mountains den Waffenschmuggel für die Comanchen organisiert hatte. Er hatte sich eine etwas leichtere Kleidung zugelegt, wie es der wärmeren Jahreszeit entsprach. Er trug ein weißes Hemd unter einer mit Türkisen bestickten Wildlederjacke, Leggings, dazu Schaftstiefel und eine Schnürsenkelkrawatte. Eine eigenartige Mischung, aber sie stand ihm. »Häuptling Snakeman ist selbstverständlich hier, Mister Ronco«, erwiderte Serge Buster mit herablassendem Spott. »Sie werden noch Gelegenheit haben, ihn zu begrüßen und sich ausführlich mit ihm zu
unterhalten. Sie sprechen ja seine Sprache, wie ich hörte. Aber die Aussprache wird sehr einseitig werden, fürchte ich.« Serge Busters dunkle Augen funkelten höhnisch. »Sie werden schreien vor Schmerzen, während er Sie mit seinem Messer tranchieren wird. Ich habe es ihm versprochen, daß er Sie töten darf. Sehr langsam und wie es einem so tapferen Burschen wie Ihnen zusteht. Unter großen Schmerzen.« »Ich dachte eigentlich eher daran, ihn dazu zu überreden, nach Texas zurückzukehren, Buster«, erwiderte ich. »Ich könnte ihn nämlich noch vor dem Galgen retten, wenn er freiwillig mitkommt und mir erzählt, wer ihm die vielen teuren Spencergewehre geschenkt hat.« Serge Buster lehnte sich gegen den Tisch, der mit Papieren und Briefen übersät war, und lachte hellauf. »Die erhält er von mir, Ronco. Willst du es sehen? Dann gewinnst du einen Eindruck davon, wie groß die Macht der Männer ist, gegen die du angerannt bist wie eine Maus gegen einen Turm. Ein anderer Vergleich fällt mir nicht ein. Und dafür wirfst du dein Leben weg.« Er lachte immer noch schallend. »Häuptling Schlangenmann wird das für uns erledigen. Aber sterben mußt du, weil du dich mit uns angelegt hast.« Er ging zum Zelteingang und schlug die Plane zurück. Ich spuckte das Blut, das sich immer noch auf meiner Zunge ansammelte, auf den Boden. Allmählich trugen mich auch meine Beine wieder. Ich bin noch lange nicht tot, dachte ich. Ich fühle mich auch nicht danach. Aber ich ließ ihn in dem Glauben, daß ich von seinen Worten eingeschüchtert sei. Er sollte auch seinen Spaß haben. Vielleicht entschlüpfte ihm der Name des mächtigen Waffenschmugglers, der mich zerschmettern wollte, wenn ich ihn bei guter Laune erhielt. »Was sagst du nun?« fragte er und hielt die Zeltplane hoch. Es traf mich härter, als ich erwartet hatte. Ich wollte meinen Augen nicht trauen! Hier sah es ja aus wie in einem Armeedepot während des Bürgerkrieges! Mindestens hundert Zelte waren hier aufgebaut, in der Mehrzahl Tipis, mit Büffelfellen oder auch mit Zeltplanen verkleidet.
Lagerfeuer flackerten überall zwischen den Zelten, als hätte das Lager nichts zu befürchten und befände sich weit hinter der Front in einem Gebirgstal, das nicht einmal auf einer Landkarte verzeichnet war. Am Ostrand des Lagerplatzes sah ich ein halbes Dutzend Frachtwagen, teils entladen, teils noch mit Planen überspannt. Ein paar weiße Männer gingen dort mit geschulterten Gewehren auf und ab. Sie trugen keine Uniform, sonst hätte ich annehmen müssen, die mexikanische Armee unterstütze die aufständischen Indianer großzügig mit Waffen. Denn daß diese Planwagen am Lagerrand Waffen enthielten, stand für mich außer Zweifel. Waffen, mit denen man ein ganzes Fort hätte ausrüsten können. Genügend Waffen, um die Chiricahuas und Mescaleros, die jenseits der Grenze in ihren Reservaten lebten, bis auf den letzten Mann auszurüsten – Frauen, Kinder und Greise Inbegriffen. »Mir scheint, du hast deine Gegner unterschätzt«, sagte Serge Buster neben mir selbstgefällig. Wenn meine Hände nicht auf den Rücken zusammengebunden gewesen wären, hätte ich ihm den Kinnhaken zurückgegeben. Denn ich hatte inzwischen auch die andere Seite des Lagers entdeckt, die Kehrseite gewissermaßen: die hohen Käfige am Westrand des Lagers. Dort hielten die Rothäute Wache. Rothäute, die bis an die Zähne mit Karabinern, Colts und Messern bewaffnet waren. Über der Brust trugen sie gekreuzte Patronengurte. Es waren Mescaleros, Chiricahuas und auch ein paar Papagos. Sie bewachten zwei lange Verschläge, die an der Bergwand aus Balken, Brettern und Stangen errichtet worden waren. Käfige für weiße Gefangene, in der Mehrzahl Frauen und Kinder. »Ihr krummen Hunde!« fauchte ich empört. »Ihr verfluchten Bastarde! Ihr handelt wohl auch mit Menschen, wie?« Serge Buster schien sich über meine Empörung zu amüsieren. »Wir handeln nicht damit, Ronco. Die weißen Gefangenen sind eine Art Lebensversicherung für uns. Wir haben unsere Taktik geändert. Am Anfang haben die Indianer sie – nun – als
überflüssigen Ballast behandelt. Das hatte natürlich den beabsichtigten Zweck erfüllt. Die Indianer benötigen mehr Waffen, um sich vor der Rache der Siedler schützen zu können. Doch nun, da ein echter Krieg zwischen den Indianern und den Weißen an der Grenze unmittelbar bevorsteht, haben wir den Rothäuten gesagt, daß sie nur mit reibungslosen Lieferungen und Nachschub rechnen können, wenn sie uns die Frauen und Kinder überlassen – als Faustpfand.« »Als Geiseln, wolltest du sagen, Buster. Geiseln, die ihr töten könnt, wenn das Lager angegriffen wird.« »So ist es. Die Indianer haben auch eingesehen, daß diese Taktik von Vorteil ist. Sie haben inzwischen begriffen, daß man damit sogar neue Waffen kaufen kann.« Buster lächelte, als er in meinen Augen las, daß ich den Zweck seiner Taktik begriffen hatte. Ich ballte die Hände auf dem Rücken. »Womit bezahlen die Rothäute?« fragte ich rasch. »Mit Gold, mit purem Gold, mein Freund. Sie wissen, wo es davon noch reichlich gibt, obwohl die Spanier, weiß Gott, das Zeug flottenweise aus dem Land geschafft haben. Aber es gibt immer noch genug davon. Sie bezahlen auch mit Fellen, Stickereien, Türkisen und anderen Dingen, die sich ganz gut verkaufen lassen. Sie sind sehr dankbar, daß wir sie mit Waffen beliefern, die wir am Ende des Bürgerkrieges für ein Butterbrot aufgekauft haben. Jetzt erhält das Zeug wieder seinen echten Wert.« »Ihr Halunken bereichert euch an dem Blut unschuldiger Menschen!« »Nur keine starken Worte. Wir tätigen Geschäfte wie jeder andere auch. Wir helfen den Indianern, sich für ihre unrechte Behandlung durch den weißen Mann zu revanchieren.« »Und die Schurken, für die du arbeitest, Buster, erpressen die Verwandten und Behörden der Bleichgesichter, indem sie ein Lösegeld für die Frauen und Kinder verlangen, die dort drüben in Käfigen eingesperrt sind. So läuft das doch, nicht wahr?« erwiderte ich empört. Er lächelte geschmeichelt. »Ein Ringtausch. Sehr richtig erkannt, mein Freund. Manchmal kriegen wir auch nichts dafür. Aber ich
schätze, im großen und ganzen schneiden wir ganz gut ab.« »Die Weißen bezahlen also die Waffen, mit denen ihr die Indianer ausrüstet? Was für ein Teufelskreis! Kein Indianer verfiele auf so eine niederträchtige Idee. So etwas kann sich nur ein weißes Gehirn ausdenken!« »Sachte, Freundchen. Immerhin verhindern wir damit ein sinnloses Abschlachten von Menschen. Natürlich erhielten wir keinen Cent Lösegeld für Indianerfrauen oder deren Kinder. Aber für weiße Gefangene macht unsere Zivilisation schon mal etwas Geld locker. Schließlich sind es ja Christen.« Serge Buster mußte tatsächlich seine Karriere als Pirat begonnen haben, dachte ich angewidert. Piraten arbeiteten nach diesem Schema, weiße Gefangene gegen teures Lösegeld zu verkaufen. Vielleicht war das sein Beitrag zu dem Waffengeschäft – der Profit aus weißem Menschenfleisch. »Vielleicht begegne ich dem Kerl im Jenseits, der dieses Geschäft aufgezogen hat«, sagte ich. »Wenn ich nur seinen Namen wüßte.« Serge Buster lachte hämisch. »Kleiner, neugieriger Schnüffler. Was nutzt dir der Name? Falls diese Leute tatsächlich in der Hölle landen, würdest du ihnen nie begegnen. Ich kann mir vorstellen, daß auch dort die Reichen und Armen weit voneinander entfernt wohnen.« »Trotzdem …« »Von mir erfährst du nichts. Und weshalb willst du noch dein Gedächtnis damit belasten? Für dich ist das Rennen gelaufen. Ich bin großzügig und schenke dir noch diese Nacht. Snakeman braucht Tageslicht, sagte er mir, wenn er dich auf ehrenhafte Art in die Ewigen Jagdgründe befördert.« Serge Buster winkte zwei weiße Männer zu sich heran, die vor seinem Zelt Wache standen. »Führt ihn in den Käfig für die zum Tode Verurteilten. Häuptling Schlangenmann wird sich morgen früh gleich bei Sonnenaufgang um ihn kümmern!«
9.
Ich wurde in einen Käfig gesperrt, der offenbar für den Transport von gefährlichen Raubtieren gebaut worden war. Er stand ganz für sich am Nordrand des Lagers, wo der Trail endete, auf dem die drei Gunmen mich hierhergebracht hatten. Ich sah zu, wie die Feuer langsam erloschen. Serge Buster mußte großen Einfluß bei den Rothäuten haben. Alles in allem sah ich nur ein Dutzend Weiße, die hier im Lager wohnten, aber mindestens zweihundert Rothäute, die mit ihren Spencern an den Feuern lagerten. Vielleicht war Buster so schlau, sie erst mit Munition zu versorgen, wenn sie auszogen, um irgendeine weiße Siedlung jenseits des Rio Grande zu überfallen. Wo befand ich mich eigentlich? Wir waren vielleicht drei oder vier Stunden nach Südosten geritten. Irgendwo in der Sierra del Burro, überlegte ich. Das Gebirge, das sich südlich des Rio-GrandeTals – zwischen Big Bend und Laredo – ausbreitete, war fast menschenleer. Ein idealer Schlupfwinkel für Schmuggler, Outlaws und Indianer, die sich auf dem Boden von Mexiko fast ungehindert bewegen konnten. Die mexikanische Armee war schwach, schlecht bewaffnet und ständig in irgendeinen Bürgerkrieg im Inneren des Landes verwickelt. Aber in der Sierra del Burro gab es für aufständische Indianer nichts zu holen. Die Beute lag drüben, jenseits des Rio Grande. Das Lager, das Serge Buster als Versorgungscamp für aufständische Rothäute eingerichtet hatte, konnte also vom Fluß nicht sehr weit entfernt liegen. Ich schloß kein Auge in dieser Nacht. Ich mußte immer daran denken, daß ich Jicarilla versprochen hatte, eine Fährte zu hinterlassen, die er unmöglich verfehlen konnte. Sie hatten mir die Augen verbunden. Aber hoffentlich hatten sie nicht auf meinen Wasserschlauch geachtet. Ehe ich den Schlag auf den Hinterkopf erhielt, hatte ich noch bemerkt, daß sie reichlich mit Wasser versorgt waren. Es hing jetzt alles davon ab, daß Dick, Fred und Abel nicht bemerkt hatten, womit ich meinen Wasserschlauch gefüllt hatte. Ich wartete auf Unterhäuptling Snakeman, der sich jetzt »Bellendes Feuerrohr« nannte. Serge Buster hatte mich ihm
überlassen. Wahrscheinlich bereitete sich der Chiricahua gründlich auf seine Aufgabe vor, weil er sich nicht in der Nähe meines Käfigs sehen ließ. Es war tatsächlich eine Ehre für mich, mit ausgesuchten Martern langsam zu Tode gequält zu werden. In den Augen eines Indianers war es eine Ehre. Für Serge Buster war es die Befriedigung eines Rachedurstes und eine Ausrede, falls er doch einmal vor Gericht gestellt werden sollte. Er hatte mich dem Häuptling geschenkt. Was der mit mir anstellte, war nicht seine Sache. Davon wußte er nichts. Dafür konnte man ihn nicht zur Verantwortung ziehen. Immerhin gehörte ich zur Armee der Vereinigten Staaten. Wenn Serge Buster mich tötete, war ihm der Galgen sicher. Ich hatte keine Angst vor dem Tod. Sicher – die Aussicht, langsam zu Tode gequält zu werden, jagte mir kalte Schauer über den Rücken. Aber ich glaubte nicht, daß Häuptling Snakeman mit seiner Folter so weit gelangen würde, daß es für mich wirklich lebensgefährlich wurde. So ein »ehrenhafter« Tod dauerte manchmal vier oder fünf Tage und begann relativ harmlos, mit vielem Tamtam und langen Unterbrechungen. Aber sobald diese Prozedur so weit fortgeschritten war, daß es an die Substanz ging – puh! Ich hoffte, Jicarilla war nicht so betrunken, daß er meine Zeichen nicht erkannte. Ich wollte nicht ohne Augen und ohne Zunge weiterleben. Ein paar Zehen weniger, das ließ sich verschmerzen. »Nun, Gelber Falke?« Ich schrak zusammen. Schlangenmann stand vor den Stäben meines Käfigs und betrachtete mich im Licht einer Fackel. Ich mußte doch einen Moment lang eingenickt sein. Denn ich hatte davon geträumt, daß Serge Buster mich für meine Neugierde auf Piratenart bestrafte. Er hatte mich mit einem langen Tau unter dem Kiel durchgezogen, bis ich keine Luft mehr in den Lungen hatte, und mich dann vor ein Kanonenrohr gebunden. Er war gerade dabei, mit einer brennenden Lunte den Schuß auszulösen, um mir mit einer Eisenkugel das Kreuz zu durchbohren, als ich von dem Lärm erwachte. Es donnerte. Regen rauschte auf das Tal nieder, in dem Serge
Buster die Indianer großzügig mit Waffen versorgte. Ein Frühjahrsgewitter, wie man es selten in dieser Gegend erlebt, wenn die Regenzeit des Winters vorbei ist. Der Regen löschte die Fackel des Indianers, der vor meinem Käfig stand. Er warf sie fort und blickte mich von Kopf bis Fuß an, als ich mich aus meiner kauernden Lage aufrichtete. »Nun, Gelber Falke? Du wirst bald deine Totenklage anstimmen müssen.« Er sagte das ohne Spott oder Mitleid. Es war nur eine respektvolle Feststellung. Ich hatte ihn im Zweikampf besiegt, und er würde diese Schmach damit ausgleichen, daß er mich tötete. Dann waren wir beide quitt und konnten in den Ewigen Jagdgründen sogar Freunde werden. »Ich bin dir dankbar dafür, daß du mich geweckt hast, Häuptling«, erwiderte ich leise, nachdem ich in die Gegenwart zurückgefunden hatte. »Meine Neugierde ist groß, wie du weißt. Ich hätte gern gewußt, wie der Name des Bleichgesichtes lautet, der dir dein hübsches neues Feuerrohr verschafft hat.« »Kein Name, Gelber Falke. Er hat nichts mit deiner Totenklage zu tun.« »Ich will ihm einen bösen Zauber ins Haus schicken, Häuptling.« »Kein Name, Gelber Falke, denn ich kenne ihn selbst nicht.« »Aber du kennst den Namen des Mannes, der dir in Fort Calhoun den Schlüssel zu deiner Zelle verschafft hat und das dicke Bleichgesicht tötete, das dich bewachen sollte!« Seine dunklen Augen glühten im Dunkeln auf wie Feuerfliegen. »Du weißt das, Gelber Falke. Du weißt, daß die weißen Krieger in dem befestigten Dorf einen Verräter haben.« »Ich wußte, daß du ein tapferer Krieger bist, der ein schlafendes Bleichgesicht nie von hinten erstochen hätte.« »Du sagst es«, erwiderte er mit einem stolzen Lächeln. »Du kennst die Gebräuche der Chiricahuas. Schade, daß du nicht bei uns geblieben bist. Aber du wirst den Tod eines Chiricahua-Häuptlings sterben. Und ich bin sicher, daß kein Laut der Klage über deine Lippen dringen wird. Yastasinane wird dir seine besten Krieger entgegenschicken, wenn du in die Ewigen Jagdgründe eingehst. Und wenn ich dorthin folge – vielleicht in gar nicht langer Zeit –, werden
wir Brüder sein!« Ich lächelte schwach. »Ich weiß, daß du es wirklich so meinst, wie du das sagst. Eigentlich könnten wir ja schon vorher Brüderschaft schließen, ehe du anfängst, mit deinem Messer an mir herumzuschnitzen. Aber das wäre ein Verstoß gegen das Ritual, und deswegen bitte ich dich nur um einen kleinen Freundschaftsdienst. Wie heißt der Halunke, der dir in Fort Calhoun den Schlüssel zu deiner Zelle beschafft hat?« Snakeman runzelte die Stirn. »Er ist ein Verräter, aber ein heimlicher Freund der Rothäute. Ich kann nicht zulassen, daß du ihn in deiner Stunde des Todes verfluchst. Die Dämonen erfüllen alle Wünsche der Sterbenden. Das kann ich nicht zulassen.« »Den Namen, Snakeman. Ich verspreche dir, daß ich ihn nicht verfluchen werde. Ich bin nur neugierig.« »Du schwörst es beim Großen Geist?« »Ich schwöre es«, sagte ich feierlich. Er blickte mich mit schmalen Augen an. Im Osten färbte sich der Himmel über der Talwand grau. Die Morgendämmerung brach herein. Aber der Himmel über dem Talkessel hellte sich nicht auf. Er war wie ein schwarzer Baldachin, in dem feurige Schlangen umherkrochen. Der Regen hatte nach dem ersten heftigen Guß etwas nachgelassen. Ich holte tief Luft. Mit dem Regen hatte ich nicht gerechnet. Er würde alle Spuren löschen, wenn er länger anhielt. Dann mußte ich mich mit dem Gedanken meines Todes ernsthaft auseinandersetzen. »Nun gut«, erwiderte Snakeman langsam und mit leisem Kopfschütteln. »Ich schulde dir noch etwas. Du bist immer für die Rechte und Ansprüche meines Volkes eingetreten, du und das Bleichgesicht, das mit Zwei Monde verheiratet ist …« »Ja doch«, unterbrach ich ihn ungeduldig, »nun sag schon den Namen!« »Er heißt …« Ein schrecklicher Donner übertönte seine Worte. Ein Blitz schien in meinem Käfig einzuschlagen, aber nicht senkrecht oder schräg von oben, sondern seitlich, quer durch die Stäbe hindurch.
Das kann nicht sein, dachte ich erschrocken. In einem Käfig ist man sicher vor einem Blitz. Sie laufen außen herum. Das hatte ich noch bei den spanischen Padres gelernt, das Gesetz vom Faradayschen Käfig. Jeden hier im Lager konnte der Blitz erschlagen, nur mich nicht. Ich saß in einem Käfig aus Eisen. Snakeman griff sich an die Brust, knickte nach vorn und rutschte an den Stäben entlang zu Boden. Dann schmetterte über der Talwand ein helles Trompetensignal, und die Blitze zuckten von allen Seiten. Es war fürchterlich. Major Fly hatte sogar zwei Geschütze im Schutz der Dunkelheit über dem Talkessel in Stellung bringen können. Und während die Soldaten von Fort Calhoun mit gefällten Bajonetten von allen Seiten die Talwände hinunterstürmten, zerfetzten die Kartätschen die Tipis der Mescaleros und Chiricahuas, schlugen die Sprenggranaten zwischen den schlafenden Kriegern ein, die sich wahrscheinlich auf Busters Versprechen verlassen hatten, daß die Soldaten der US-Armee die Grenze nach Mexiko nicht überschreiten würden, weil sie das nicht durften. Jicarilla erhob sich aus den Büschen hinter meinem Käfig. »Hallo, erster Scout, Sir!« rief er mir grinsend zu, während die Soldaten mit gefällten Bajonetten links und rechts vorbeistürmten. »Habe ich mein Versprechen gehalten? Habe ich jetzt einen Orden verdient?« Er war betrunken und konnte kaum auf den Beinen stehen. Ich wußte, wie ihm zumute war. Er hatte Major Flys Truppe gegen seine Halbbrüder ins Feld begleiten müssen. Er hatte es nur fertiggebracht, weil er sich vorher mit Brandy vollgepumpt hatte. »Warum hast du den Häuptling der Chiricahuas erschossen?« fragte ich wütend und deutete auf den Toten vor meiner Käfigtür. Er blickte mich mit stieren Augen verwirrt an. »Da fragst du noch? Wollte er dich nicht töten? Hatte er nicht ein Gewehr in der Hand?« »Ja, Jicarilla«, erwiderte ich, »aber hättest du nicht eine Sekunde damit warten können? Nur eine Sekunde?« »Ich mußte doch das Zeichen zum Angriff geben, Mann. Und als ich sah, daß Snakeman …« »Schon gut«, fiel ich ihm ins Wort, »du hast es gut gemeint. Ich danke dir. Aber wenn du eine Sekunde länger gewartet hättest, hätte
ich den Namen erfahren …« Ich stockte. Konnte nicht auch Jicarilla der Verräter sein, der Snakeman den Schlüssel zu seinem Gefängnis zugesteckt hatte? Hatte Jicarilla vielleicht den Häuptling erschossen, damit er mir nicht seinen eigenen Namen nennen konnte? War Jicarilla der Verräter? Die Logik sprach dafür, aber mein Instinkt sprach dagegen. Ich holte tief Luft. »Du siehst aus, als wärst du gar nicht froh darüber, daß wir dich gerettet haben, Mann. Du schaust mich an, als hätte ich dich nicht würdig vertreten!« Ich schüttelte mich und drehte dem Lager den Rücken zu, in dem Soldaten und aufständische Rothäute verbissen miteinander rangen. Aber die Indianer hatten nicht die geringste Chance, nicht den Hauch einer Chance. Es war so, wie ich es vermutet hatte. Serge Buster hatte den Indianern zwar Waffen ausgeliefert. Aber die Munition dazu hatte er unter Verschluß gehalten. Jicarilla schoß mit seinem Colt das Schloß an meinem Käfig auf. »Du hast Glück gehabt, erster Scout«, sagte er grinsend, »daß der Regen nicht alles Salz weggespült hat, das du auf deiner Fährte verstreut hast. Es wäre selbst für dich nicht leicht gewesen, dieses Tal so rasch zu finden.« Ich nickte nur. Ich hatte ein winziges Loch in den Wasserschlauch gebohrt, den ich mit Salz gefüllt hatte. Mit feingemahlenem Salz, das ich in der Scheune auf Goldfields Farm in einen meiner beiden Wasserschläuche gefüllt hatte … * Auch Serge Buster fand im Lager der aufständischen Apachen den Tod. Er starb, ohne uns den Namen seines mächtigen Auftraggebers zu verraten. Nach ein paar Tagen kehrte ich müde und zerschlagen wieder in das Fort zurück. Hier herrschte Hochstimmung über den »Sieg« über die Apachen. Major Fly erhielt einen Orden für seine erfolgreiche Strafexpedition gegen die Chiricahuas und Mescaleros, die von
einem gewissenlosen Waffenhändler dazu verführt worden waren, mit überzähligen Gewehren aus dem Bürgerkrieg einen aussichtslosen Kampf gegen die Armee zu führen. Sicher hatte Major Fly diesmal mit seinem Standpunkt, daß man die Indianer nur mit Gewalt befrieden könne, recht gehabt. Er hatte drei Dutzend Frauen und Kinder befreit und fast hundert aufständische Rothäute getötet. Außerdem hatte er sechs Wagenladungen Karabiner erbeutet und mehr als hundert Kisten Munition. Aber er hatte nicht den wahren Schuldigen bestraft. Die Strafexpedition hatte nur die verführten Opfer einer Clique von skrupellosen weißen Waffenhändlern getroffen. Und was bedeutete für diese Waffenhändler schon der Verlust von sechs Wagenladungen Karabiner, die sie, wie Serge Buster mir selbstgefällig versichert hatte, für ein Butterbrot eingekauft und für Nuggets weiterverkauft hatten? Wir wußten immer noch nicht den Namen dieser Waffenhändler. Und wir wußten auch nicht, wo wir sie suchen sollten. Wir waren keinen Schritt weitergekommen. Denn diese gewissenlosen Schurken würden einen neuen Mann hierher an die Grenze schicken, einen neuen Serge Buster, mit neuen Versprechungen und neuen Spencer-Karabinern. Und ich wußte auch nicht den Namen des Verräters, der Snakeman aus seiner Zelle befreit hatte, ehe er aufgehängt werden konnte. Ich war froh, daß Snakeman einen besseren Tod gestorben war. Einen Tod, der ihm den Zutritt zu den Ewigen Jagdgründen verschaffte. Aber wenn Jicarilla nur eine Sekunde später abgedrückt hätte, könnte ich ihm jetzt offen ins Auge schauen. Wer arbeitete hier in Fort Calhoun mit den Waffenschmugglern zusammen? Ich durfte mich keinem anvertrauen. Jeder im Fort konnte es sein. Auch Colonel Hampton Lester? Es war eine scheußliche Zeit, weil ich keinem mehr im Fort trauen durfte.
Ich wußte nur eins mit absoluter Gewißheit. Dieser geheimnisvolle Waffenschmuggler hatte dreimal vergeblich versucht, mich beseitigen zu lassen. Er würde nicht lockerlassen, bis er dieses Ziel erreicht hatte …
ENDE
Vorschau Kreischend begannen die Bremsen den Zug allmählich zu stoppen. Der Mann auf der Lok gab Gegendampf. Die schweren Räder der Lok drehten stampfend durch. Rauch und Qualm stiegen auf, aber der Zug stand. Die Männer auf den Flachwagen waren durcheinandergeworfen worden. Nur mit Mühe hatten sie sich auf den Flachwagen halten können. Ronco starrte über die Gleise zu der Schlucht, in die sie beinahe hineingefahren wären. Rechts führte ein dünnes schwarzes Seil den Steilhang hoch – das Kabel zum Zündkasten. Die Dynamitpatronen mußten unter den Schwellen versteckt sein. Jetzt begann die Lok rückwärts zu fahren – fort aus dem tödlichen Bereich. Zoll für Zoll setzten sich die Wagen in Fahrt und wurden zurückgezogen. Es ging um Sekunden. Und dann flog die Erde in einer donnernden Explosion auseinander … Das ist Ronco, der Texas Ranger. Lesen Sie nächste Woche Band 341 dieser großen deutschen Western-Serie:
Railroad in die Ewigkeit