MARTIN
HEIDEGGER
GESAMTAUSGABE II. A B T E I L U N G : V O R L E S U N G E N
1919-1944
B A N D 50 1. N I E T Z S C H...
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MARTIN
HEIDEGGER
GESAMTAUSGABE II. A B T E I L U N G : V O R L E S U N G E N
1919-1944
B A N D 50 1. N I E T Z S C H E S METAPHYSIK 2. E I N L E I T U N G IN DIE
PHILOSOPHIE
DENKEN U N D DICHTEN
VITTORIO
KLOSTERMANN
FRANKFURT AM MAIN
MARTIN
HEIDEGGER
1. NIETZSCHES METAPHYSIK 2 . EINLEITUNG IN DIE PHILOSOPHIE DENKEN UND DICHTEN
V1TTORIO KLOSTERMANN FRANKFURT AM MAIN
Vorlesung Wintersemester 1 9 4 1 / 4 2 {angekündigt, aber nicht gehalten) u n d a b g e b r o c h e n e Vorlesung Wintersemester 1 9 4 4 / 4 5 h e r a u s g e g e b e n von Petra Jaeger
© Vittorin Klostermaim - Krankfurt am Main • 1990 Satz: Fotosatz Otto GuUreund, Darmstadt Druck: Druckhaus Beltz, Hemsbach Alle Rechte vorbehalten • Printed in Germany
INHALT
NIETZSCHES METAPHYSIK
EINLEITUNG Hesinnnng auf die innere Einheit derfi'uijiirnndwnrte van NiiJzsthes Metaphysik aas dem Wesen der Metaphysik ülterJuiupl
5
HAUPTTEIL nir, F Ü N F ( ; κι IN I J W O K T E D E R ΜΕΤΛΙΊ I YSI Κ NiE'r/sr.i \ E S
ERSTES KAPITEL Oer ΙΛ die zw Macht
11
ZWEITES KAPITEL Α)/·» Nihilismus
21
DRITTES KAPITEL Dir ewige Wieitrrhwiß tlrt Gleichen
Μ
VIERTES KAPITEL Der {Jbermensih
H)
FÜNFTES KAPITEL Die Gerechtigkeit
ft'2
SECHSTES KAPITEL Die fünf Grundworte Nietzsches und die Metaphysik des Willens zur Macht
inßeirhimngc»
ANHANG zu Nieizsehei Metaphysik
77
R3
Inhalt
VI
EINLEITUNG IN DIE PHILOSOPHIE DENKEN UND DICHTEN EINLEITUNG EINLEITUNG IN DIE PHILOSOPHIE ALS ANLEITUNG Z U M EIGENTLICHEN DENKEN DURCH DEN DENKER NIETZSCHE UND DEN DICHTER HÖLDERLIN §1.
Die Unmöglichkeit einer Ein-Ieitung in die Philosophie
90
§ 2.
Das Bedürfnis einer Anleitung zum Heimischwerden im eigent lichen Denken
92
§ 3.
Die mannigfaltigen Wege einer Anleitung zum eigentlichen Denken. Die Krage »Was ist jetzt?«
93
§ 4.
Die Beachtung des Denkens in seinem Bezug zum Dichten als einer der Wege für eine Anleitung zum eigentlichen Denken. Nietzsche und Hölderlin
94
Die Auseinandersetzung mit dem uns geschichtlich begegnenden Denken: Nietzsches Haupt-und Grundgedanke
98
§ 5.
Wiederholung (Erste Passung)
101
Erstes Kapitel Granderfahrung und Grundstimmung des Denkens Nietzsches § 6.
§ 7.
Die Gott- und Weltlosigkeit des neuzeitlichen Menschen als Nietzsches Grunderfahrung
105
a) Das »Geschaffenwerden« der Götter von den Menschen
. . .
107
b) Die Reichweite des Gedankens vom Menschen als dem »Schaffenden«, vom »Schöpferischen« im Menschen
109
c) Der »metaphysische« Grund des Gedankens vom schöpfe rischen Menschen: die neuzeitliche Wesensbestimmung des Menschen
110
d) Das griechisch gedachte ποιειν
112
e) Die Weltlosigkeit des neuzeitlichen Menschen
114
Die Heimatlosigkeit des neuzeitlichen Menschen als Nietzsches Grundstimmung
115
a) Der Verlust der bisherigen Heimat im Ahnen und Suchen der neuen Heimat
115
b) Die bloß rechnende Verständigkeit und das Vergessen der geschichtlichen abendländischen Bestimmung
119
Inhalt
VII
Zweites Kapitel Das Schaffen der neuen Ileirnat aus dem Willen zur Macht % 8.
[Jie Heimatlosen als die Eroberer und Entdecker der neuen Heimat
125
§ ?).
Nietzsches Hauptgedanke: der Wille zur Macht als Essenz (Wesen) des Seienden und als letztes Faktum. Der verhüllte Un terschied zwischen dem Sein und dem Seienden
128
DENKEN UND DICHTEN ÜBERLEGUNGEN ZUR VORLESUNG
Denken ποιείν) § 1. § 2. § 3. § 4.
und
EINLEITUNG Dichten: Philosophie und
Poesie (σοφία
und 136
Das Vergleichen von Denken und Dichten. Das eigentliche Ver gleichen
136
Das Maß-Geben der maßgebenden Denker und Dichter für das Ermessen des Wesens des Denkens und des Dichtens
138
Die Notwendigkeit einer Vorbereitung für das Vernehmen des Denkens und des Dichtens
140
Die Besinnung auf das Denken und das Dichten und deren Ver hältnis. Das Fragwürdige als das Maßgebende für das Nach sinnen
142
ANHANG Zweite Fassung der Wiederholung zu: Einleitung Denken und Dichten
in die Philosophie. 147
Wiederholung zu Seite 105f. [Nietzsche. Zum Verhältnis von Denken und Dichten]
150
Zweite Fassung der Manuskriptseiten 4 und 5 zu: Denken und Dichten. Überlegungen zur Vorlesung. [Vorfragen zur Besinnung auf Denken und Dichten]
151
Zwei fragmentarische Fassungen der Manuskriptseite 12
154
a) Erste fragmentarische Fassung
154
b) Zweite fragmentarische Fassung
155
Notizen zur Vorlesung: Einleitung in die Philosophie. Denken und Dich ten
156
N A C H W O R T DER HERAUSGEBERIN
161
Nietzsches
Metaphysik
erläutert aus der Strophe:
»Welt —Spiel, das herrische.. Mischt Sein und Schein : Das Ewig - Närrische Mischt uns - hinein!...« ( 1 8 8 6 ? ) Bd. V.S.3+Ü
EINLEITUNG
Besinnung auf die innere Einheit der fünf Grundworte von Nietzsches Metaphysik aus dem Wesen der Metaphysik überhaupt
D a s D e n k e n Nietzsches isl gemäß allem D e n k e n des A b e n d l a n des seit Piaton
Metaphysik. D e r Begriff v o m Wesen der M e t a
physik sei hier, für den nächsten Anschein willkürlich, voraus g e n o m m e n und der Urspxurig-das Vfeums urj H ' i r t k f l n
^ P I ^ C C I M I
D i e Metaphysik ist die Wahrheit des Seienden als eines solchen im G a n z e n . D i e Wahrheit bringt das, was das S e i e n d e ist (essentia, die Seiendheit), daß es und w i e es dabei i m G a n z e n ist, in das » U n v e r b o r g e n e « der ιδέα, per-eeptio, des Vor-steilens, des Bcwußt-seins; dieses (das U n v e r b o r g e n e ) aber wandelt sich selbst gemäß d e m Sein des S e i e n d e n . D i e Wahrheit
bestimmt
sich als solche Unverborgenheit in ihrem Wesen des Entbergens aus d e m von ihr zugelassenen S e i e n d e n selJjgMmd prägt nach d e m also bestimmten Sein die jeywdji^e^jeptall^hres Wesens. D i e Wahrheit ist deshalb in ihrem e i g e n e ^ r ^ e i n ^ g e s c h i c h d i c h . D i e Wahrheit fordert jedesmal ein M e n s c h e n t u m , durch das sie gefügt, b e g r ü n d e t , mitgeteilt u n d so Verwahrt wird. D i e Wahrheil und ihre Verwahrung gehören wesenhaft, . u n d zwar g e schichtlich, z u s a m m e n .
Deige^talpübernimn^l^in^enschca-
tum jeweils d e n EptSfTi§td> ufter die ihm z u g e w i e s e n e Art, in 1
mitten der Wahrtreirctes S e i e n d e n zu sein. D i e s e ist im Wesen 2
geschichtlich' ,/licht weil das M e n s c h s e i n in der Z e i t f o l g e ver läuft, s o n d e r n weil das M e n s c h e n t u m in die Metaphysik ver1
gilt nur für die neuzeitliche, Metaphysik. welcher Zusammenhang mit der Geschichtlichkeit der Wahrheit, deren We sen anfänglich das Wesen des Geschickes? 2
liinteitmig
4
setzt bleibt und diese allein eine » E p o c h e « zu g r ü n d e n vermag, sofern sie ein M e n s c h e n t u m in einer Wahrheit über das S e i e n d e als solches im G a n z e n fest- u n d damit
»anhält«.
D i e Seiendheit (was das Seiende als ein solches ist) und das 5
G a n z e des S e i e n d e n (daß u n d w i e das S e i e n d e i m Ganzen ist) , s o d a n n die Wesensart der Wahrheit und die Geschichte der Wahrheit und zuletzt das in sie zu ihrer Verwahrung versetzte M e n s c h e n t u m u m s c h r e i b e n das Fünffache, in das siejj. das ein heitliche W e s e n der Metaphysik entfaltet
und i m m e r wieder
fängt. D i e Metaphysik ist als die z u m S e i n ' gehörige Wahrheit des S e i e n d e n nie zuerst Ansicht und Urteil eines M e n s c h e n , nie L e h r g e b ä u d e und » A u s d r u c k « eines Zeitalters. Dergleichen al les ist sie auch, aber stets als die nachträgliche Folge und ini Außenwerk. D i e Art j e d o c h , wie ein zur Wahriiis der Wahrheit im D e n k e n Gerufener die seltene F ü g u n g , B e g r ü n d u n g , Mittei l u n g und Verwahrung der Wahrheit im v o r a n g e h e n d e n existenzial-ekstatischcn E n t w u r f ü b e r n i m m t u n d so e i n e m M e n s c h e n tum innerhalb der G e s c h i c h t e der Wahrheit seine Stelle anweist und vorbaut, umgrenzt das, was die metapkysLiche lung eines Denkers genannt sei.
Grundstel
11
W e n n darum die zur Geschichte des Seins selbst gehörende Metaphysik mit d e m N a m e n eines Denkers benannt wird (Pia tons Metaphysik, Kants Metaphysik), dann sagt das hier nicht, die Metaphysik sei jeweils die Leistung und der Besitz o d e r gar die A u s z e i c h n u n g dieser D e n k e r als Persönlichkeiten des » k u l turellen
Schaffens«. D i e B e n e n n u n g bedeutet jetzt, daß
die
D e n k e r sind, was sie sind, insofern die Wahrheit des Seins sich ihnen überantwortet hat, das Sein, und d. h. innerhalb der M e taphysik das Sein des S e i e n d e n , zu sagen. 5
Diese Unterscheidung selbst als metaphysische geschichtlich bestimmen und ihre wesensgeschichtliche Abwandlung festhalten. zu welchem Sein, welchen Wesens? Dieser Abschnitt und der erste sind nur aus dem anfänglichen Denken ver ständlich und aus dem seynsgeschichüichen Denken darstellbar. Genauer, im Ereignis ihrer Uberwindung ist das Wfesen der Metaphysik erst sagbar. (Der An klang), vgl. »Beiträgezur Philosophie«. 4
5
Besinnung
auf dir innere Einheil
Gruntlioortc
M i t der Schrift » M o r g e n r ö t e « (1881) k o m m t die Helle über Nietzsches metaphysischen VVe&. Im gleichen Jahr wurde i h m , »6000
Fuß
über
dem
Meere
und
viel
höher
über
allen
m e n s c h l i c h e n D i n g e n ! - « (Bd. X l l , S. Ί·'2ί5), die Einsicht in die » e w i g e Wiederkunft des G l e i c h e n « (ebd.). Seitdem steht für ein Jahrzehnt fast sein G a n g in der hellsten H e l l e dieser Er fahrung. Zaratliustra n i m m t das Wort. Er lehrt als der Lehrer der » e w i g e n Wiederkunft« d e n » Ü b e r m e n s c h e n « . Das Wissen klärt und festigt sich, daß d e r Grundcharakter
des Seienden
» W i l l e zur M a c h t « sei u n d alle W c l t a u s l e g u n g ihm entstamme, i n d e m sie die Art von Wertsetzungen habe. Die europäische Geschichte
enthüllt
ihren
Grundzug
als
» N i h i l i s m u s « und
treibt in die N o t w e n d i g k e i t einer » U m w e r t u n g aller bisherigen Werte«. D i e s e n e u e Wertsetzung aus d u m jetzt
entschieden
sich selbst b e k e n n e n d e n Willen zur M a c h t fordert als Gesetz g e b u n g ihre e i g e n e Rechtfertigung aus einer n e u e n » G e r e c h tigkeit«. W ä h r e n d dieser höchsten Z e i t Nietzsches will in seinem D e n ken die Wahrheit des Seienden als solchen i m G a n z e n Wort werden. Ein Plan des Vorgehens löst den anderen ab. Ein Ent wurf n a c h d e m anderen eröffnet das G e f ü g e dessen, was der D e n k e r sagen will. Bald ist » d i e e w i g e W i e d e r k u n f t « d e r Leitti tel, bald » d e r W i l l e zur M a c h t « , bald » d i e Umwertung aller W e r t e « . W o das e i n e Leitwort zurücktritt, erscheint es als Titel für das Schlußstück des G a n z e n o d e r als Untertitel des Hauptti tels. Alles drängt aber auf die » E r z i e h u n g des höheren M e n s c h e n « (Bd. X V I , S. 4 1 4 ) . Es sind die »neuen
Wahrhaftigen*
(Bd. XIV, S. 3 2 2 ) einer neuen Wahrheit. D i e s e P l ä n e u n d Entwürfe können nicht als die M e r k m a l e des Unausgeführten
und Unbewältigten verzeichnet werden.
Ihr W e c h s e l b e z e u g t nicht ein erstes Versuchen und seine U n sicherheit. D i e s e Skizzen sind nicht » P r o g r a m m e « ,
sondern
die Nachschrift, in der die v e r s c h w i e g e n e n , aber eindeutigen Gärige n o c h aufbewahrt
sind, die Nietzsche i m Bereich der
Wahrheit des S e i e n d e n als s o l c h e n d u r c h w a n d e r n mußte.
Einleitung
6
» D e r W i l l e zur M a c h t « , » d e r Nihilismus«, » d i e ewige W i e derkunft
des G l e i c h e n « , » d e r Ü b e r m e n s c h « , » d i e Gerechtig
keit« sind die fünf
G r u n d w o r t c der Metaphysik
Nietzsches.
» D e r W i l l e zur M a c h t « nennt das Wort für das Sein des Seien den als solchen, die essentia des S e i e n d e n . » N i h i l i s m u s « ist der N a m e für die G e s c h i c h t e der Wahrheit des so bestimmten Sei e n d e n . » E w i g e W i e d e r k u n f t des G l e i c h e n « heißt die Weise, w i e das S e i e n d e i m G a n z e n ist, die existentia des S e i e n d e n . » D e r Ü b e r m e n s c h « bezeichnet jenes M e n s c h e n t u m , das von d i e s e m 1
G a n z e n gefordert wird. » G e r e c h t i g k e i t « ' ist das W e s e n Wahrheit
des S e i e n d e n
als W i l l e zur M a c h t .
7
Jedes
der
dieser
G r u n d w o r t e nennt z u g l e i c h das, was die ü b r i g e n sagen. N u r w e n n d e r e n Gesagtes je a u c h mitgedacht w i r d , ist die N e n n u n g jedes Grundwortes ausgeschöpft.* D e r f o l g e n d e Versuch kann zureichend nur aus der Grunder fahrung von » S e i n und Z e i t « mitgedacht w e r d e n . Sie besteht in der ständig n o c h w a c h s e n d e n , aber an einigen Stellen vielleicht sich auch klärenden Betroffenheil von d e m einen G e s c h e h n i s , daß in der G e s c h i c h t e des abendländischen D e n k e n s zwar von A n f a n g an das Sein des S e i e n d e n g e d a c h t w o r d e n ist, daß j e d o c h die Wahrheit des Seins selbst u n g e d a c h l bleibt und als m ö g l i c h e Erfahrung d e m D e n k e n nichl nur verweigert ist, son dern daß das a b e n d l ä n d i s c h e D e n k e n als Metaphysik eigens,
6
Rechtfertigung — HeilsgewiUhei», Sichversich<:rn - der Zugehörigkeit des Seienden als solchen; das Sichwissen darin und von ihn», »Wahrheit« nicht als
f...] 7
Das aus dem als Wille zur Macht bestimmten Sein des Seienden gemäße Wesen der Wahrheit des Seienden nicht die Wertsetzung als Bestandsicherung; oder doch beides dasselbe. Weshalb dann nicht gesagt, und d. h. unterscheiden? Weshalb die »Gerechtigkeit« nicht als solche begriffen? Bestandsicherung als Sein des Seienden, weil Wille zur Macht auch Sein, deshalb Wahrheit des Wil lens zur Macht als Gerechtigkeit. - Wahrheit »des« Seyns. Wahrheit des Seins des Seienden; Wahrheit des Seienden. * Aber Nietzsche selbst vermochte das innere Wesensgefüge dessen, was diese fünf Grundworte nennen, nicht mehr zu denken. Weshalb nicht? Die (Irenze der Vollendung der Metaphysik; hier die Verhüllung des Wesens der Metaphy sik am vollständigsten; auch »System« hilft hier nicht mehr - Hegel.
Besinnung für die innert- Einheit, derfünf (jntiuhvttrte
7
w e n n g l e i c h nicht wissentlich, das G e s c h e h n i s dieser Verweige rung verhüllt. D i e folgende A u s l e g u n g der Metaphysik Nietzsches muß des halb erst einmal versuchen, aus der genannten
Grunderfahrung
her Nietzsches D e n k e n , das kein bloßes » P h i l o s o p h i e r e n « ist, als Metaphysik und d. h. aus den G r u n d z ü g e n der G e s c h i c h t e der Metaphysik zu d e n k e n . D e r folgende Versuch gellt deshalb auf ein nahes u n d auf das fernste Z i e l , das d e m D e n k e n aufbe halten sein kann. U m 1 8 8 1 / 8 2 schreibt Nietzsche in sein M e r k b u c h : » D i e Zeit k o m m t , w o der K a m p f u m die Erdherrschaft geführt werden wird, - er wird i m N a m e n philosophischer
Grundlehren
geführt
w e r d e n . « ( B d . X l l , n. 4 4 1 , S. 2 0 7 ) Z u r Zeit der A u f z e i c h n u n g beginnt Nietzsche von diesen » p h i l o s o p h i s c h e n G r u n d l e h r e n « zu wissen und zu sagen. Daß sie sich in einer e i g e n t ü m l i c h e n F o l g e und Art hcrausringen, ist n o c h nicht b e d a c h t w o r d e n . O b diese F o l g e ihren G r u n d in der Wesenseinheit dieser » G r u n d lehren« h a b e n muß, wird daher n o c h nicht gefragt. O b die Art, wie sie sich hcrausringen, ein L i c h t wirft auf diese Wesensein heit, verlangt eine e i g e n e Besinnung. D i e verborgene Einheit der » p h i l o s o p h i s c h e n G r u n d l e h r e n « macht das Wesens^ejügc^ der Metaphysik Nietzsches aus. A u f d e m B o d e n dieser M e t a physik u n d n a c h ihrem Sinn entfaltet die Vollendung der N e u zeit ihre vermutlich lange G e s c h i c h t e . Das n a h e Ziel der hier versuchten B e s i n n u n g ist die Erkennt nis der inneren Einheit jener » p h i l o s o p h i s c h e n Grundlelixen«. Dazu muß erst j e d e dieser » L e h r e n « gesondert erkannt u n d dargestellt w e r d e n . D e r sie e i n i g e n d e G r u n d j e d o c h empfängt seine B e s t i m m u n g aus d e m W e s e n der Metaphysik überhaupt. Nur w e n n das b e g i n n e n d e Zeitalter o h n e Vorbehalt und o h n e Verschleierung auf diesen G r u n d zu stehen k o m m t , vermag es den » K a m p f u m die Erdherrschaft« aus jener höchsten
Bewußt
heit zu führen, die d e m Sein entspricht, das dieses Zeitalter trägt u n d durchwaltet. D e r K a m p f u m die Erdherrschaft und die Ausfaltung der ihn
Einleitung
s
tragenden Metaphysik bringen ein Weltalter der E r d e und des geschichtlichen M e n s c h e n t u m s zur V o l l e n d u n g ; d e n n hier ver wirklichen sich äußerste Möglichkeiten d e r W e l t b e h e r r s c h u n g u n d des Versuchs, d e n der M e n s c h unternimmt, rein v o n sich aus, ü b e r sein Wesen zu entscheiden. M i t dieser V o l l e n d u n g des Weltalters der
abendländischen
Metaphysik bestimmt sich aber zugleich in der Ferne eine g e schichtliche Grundstellung, die nach der E n t s c h e i d u n g jenes Kampfes u m die M a c h t ü b e r die E r d e selbst nicht m e h r den B e reich eines Kampfes eröffnen und tragen k a n n . D i e Grundstel lung, in d e r sich das Wcltalter der abendländischen Metaphysik vollendet, wird dann ihrerseits in einen Streit g a n z anderen W e sens e i n b e z o g e n . D e r Streit ist nicht m e h r der K a m p f u m die M e i s t e r u n g des S e i e n d e n . Diese deutet u n d lenkt sich heute überall » m e t a p h y s i s c h « — aber bereits o h n e die Wesensbewälti g u n g der Metaphysik. D e r S^rjit)ist die A u s - c i n a n d e r ^ c t z u n g der M a c h t des S e i e n d e n und der Wahrheit dcsf'Seyns^jDiese Auseinandersetzung vorzubereiten, ist das fernste Ziel der hier versuchten Besinnung. • c m fernsten Z i e l untersteht Jas nahe, die Besinnung auf die innere Einheit der Metaphysik Nietzsches als der V o l l e n d u n g 4er abendländischen Metaphysik. B a s fernste Ziel steht zwar in der Z e i t f e l g e der nachweisbaren B e g e b e n h e i t e n u n d Z u s t ä n d e v » m jetzigen Zeilalter unendlich weil ab. W»s sagt nur: Es g e hört in
die
geschichtliche Entfernung
einer
anderen
Ge
schichte. Dieses Fernste ist g l e i c h w o h l » n ä h e r « als das sonst N a h e und Nächste, gesetzt, daß der geschichtliche M e n s c h d e m S c y n und seiner Wahrheit zugehört; gesetzt, daß das Seyn nie erst eine N ä h e des Seienden zu übertreffen braucht; gesetzt, daß
das
Scyn das einzige, aber n o c h nicht erstellte Z i e l des wesentlichen D e n k e n s ist; gesetzt, daß solches D e n k e n anfänglich ist und im anderen A n f a n g selbst der D i c h t u n g im Sinne der Poesie n o c h voraufgehen muß. Im folgenden Text sind » D a r s t e l l u n g « und » A u s l e g u n g « in-
Besinnung fiir die innere Einheit derfiinf Grundworte Mnandergearbeitet,
9
so daß nicht überall u n d s o g l e i c h deutlich
wird, was den Worten Nietzsches e n t n o m m e n u n d was d a z u g e a n ist. Jede A u s l e g u n g muß freilich nicht nur d e m Text die Sa;he e n t n e h m e n können, sie muß a u c h , o h n e darauf zu p o c h e n , invermerkt E i g e n e s aus ihrer S a c h e d a z u g e b e n können. D i e s e Beigabe ist dasjenige, was der L a i e , g e m e s s e n an d e m , was er >hne A u s l e g u n g für d e n Inhalt des Textes hält, n o t w e n d i g als hineindeuten
u n d W i l l k ü r b e m ä n g e l t . D i e »Auseinanderset-
•.ung« mit der Metaphysik Nietzsches bleibt a u s g e s c h i e d e n .
4
9
Zur »Auseinandersetzung«, vgl. den angefügten Schluß der Vorlesung Somnwrsemester 1939 über Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht als Erkerminis. Das Niveau der Auseinandersetzung ist noch einfacher zu entfalten, als dies eine stils auch lehrhafte Vorlesung vermag.
HAUFTTETL DTE F Ü N F G R U N D W O R T E DER METAPHYSIK NIETZSCHES
ERSTES KAPITEL D e r W i l l e zur M a c h t
Was » W i l l e « heißt, kann j e d e r m a n n jederzeit bei sich erfahren: W o l l e n istein Streben
nach
etwas. Was » M a c h t «
bedeutet,
kennt jeder aus der alltäglichen Erfahrung: die A u s ü b u n g der Gewalt. Was d a n n vollends » W i l l e zur M a c h t « besagt, ist so klar, daß einer n u r u n g e m d i e s e m W o r t g e f ü g e n o c h eine b e s o n dere Erläuterung m i t g i b t » W i l l e zur M a c h t « ist eindeutig ein Streben n a c h der Möglichkeit der G e w a l t a u s ü b u n g , ein Streben nach M a c h t b e s i t z ^ D e r » W i l l e zur M a c h t « drückt n o c h » e i n G e fühl des M a n g e l s « aus. D e r » W i l l e z u r « M a c h t ist n o c h nicht eigens M a c h t h a b e , d. h. n o c h nicht » M a c h t selbst«. D i e s e s Ver langen n a c h S o l c h e m , w a s n o c h n i c h t ist, gilt als Z e i c h e n des » R o m a n t i s c h e n « . D o c h dieser W i l l e zur M a c h t ist als Trieb zur Machtergreifung zugleich auch die reine G i e r der Gewalttätig keit. S o l c h e A u s l e g u n g e n des » W i l l e n s zur M a c h t « , in d e n e n sich » R o m a n t i k « u n d Bösartigkeit treffen möchten, bringen das G r u n d w o r t der Metaphysik Nietzsches an das g e w ö h n l i c h e Ohr. Nietzsche denkt
ein A n d e r e s , w e n n er » W i l l e zur M a c h t «
sagt. W i e aber sollen w i r d e n » W i l l e n zur M a c h t « i m Sinne Nietz sches verstehen? D e r » W i l l e « ist d o c h ein » s e e l i s c h e s « Vermö g e n , das die » p s y c h o l o g i s c h e « Betrachtung seit l a n g e m s c h o n g e g e n d e n »Verstand« u n d das » G e f ü h l « abgrenzt. In d e r Tat hegreift auch N i e t z s c h e d e n W i l l e n zur M a c h t » p s y c h o l o g i s c h « . A b e r er u m g r e n z t das W e s e n des W i l l e n s nicht n a c h einer ü b l i -
Erstes Kapitel
12
chen » P s y c h o l o g i e « , sondern er setzt u m g e k e h r t das Wesen u n d d i e A u f g a b e der » P s y c h o l o g i e « gemäß d e m W e s e n des W i l l e n s zur M a c h t an. Nietzsche fordert die P s y c h o l o g i e als » M o r p h o l o gie u n d Entwicklungslehre
des Willens zur Macht«
(Jenseits v o n
G u t u n d Böse, Bd. VII, n. 2 3 , S. 3 5 ) . Was ist der W i l l e zur M a c h t ? E r ist » d a s innerste W e s e n des S e i n s « ( D e r W i l l e zur M a c h t , Bd. X V I , n. 6 9 3 , S. 156). D a s will sagen: D e r W i l l e zur M a c h t ist der Grundcharakter des Seien d e n als eines solchen. D a s Wesen des W i l l e n s zur M a c h t läßt sich d a h e r nur im Blick auf das S e i e n d e als solches, d. h. meta physisch erfragen u n d d e n k e n . D i e Wahrheit dieses Entwurfs des S e i e n d e n auf das Sein i m Sinne des Willens zur M a c h t hat metaphysischen Charakter. Sie duldet keine Bcgründung,_rJic sich auf die Art und Verfassung des je b e s o n d e r e n Seienden b e ruft, weil ja dieses angerufene S e i e n d e als ein solches,
nämlich
v o m Charakter des Willens zur M a c h t , nur ausweisbar wird, w e n n zuvor s c h o n das S e i e n d e auf den Grundcharakter
des
Willens zur M a c h t als Sein entworfen ist. Steht dann dieser Entwurf allein im Belieben dieses einzel nen D e n k e r s ? S o scheint es. Dieser A n s c h e i n der W i l l k ü r bela stet zunächst auch die D a r l e g u n g dessen, was Nietzsche denkt, w e n n er das W o r t g e f ü g e » W i l l e zur M a c h t « sagt. A b e r Nietz sche hat in d e n v o n i h m selbst veröffentlichten Schriften k a u m v o m » W i l l e n zur M a c h t « g e s p r o c h e n , ein Z e i c h e n dafür, daß er dies Innerste der v o n i h m erkannten Wahrheit ü b e r das S e i e n d e als solches möglichst lange b e h ü t e n u n d in d e n Schutz eines e i n m a l i g einfachen Sagens stellen wollte. G e n a n n t ist der W i l l e zur M a c h t , aber n o c h o h n e die A u s z e i c h n u n g z u m G r u n d w o r t , im zweiten Teil v o n » A l s o sprach Zarathustra«
(1883). Die
Uberschrift des Stückes, darin der erste volle Wesensblick in das so G e n a n n t e vollzogen ist, gibt einen W i n k für das rechte Ver stehen.
In d e m Stück »Von., der S e l b s t - U b e r w i n d u n g « sagt
Nietzsche: » W o ich L e b e n d i g e s fand, da fand i c h W i l l e n zur M a c h t ; u n d n o c h i m W i l l e n des D i e n e n d e n fand ich den W i l l e n , Herr zu sein.« D a r n a c h ist der W i l l e zur M a c h t der G r u n d c h a -
Der Wille zur Macht
13
rakter des » L e b e n s « . » L e b e n « gilt Nietzsche nur als anderes Wort für Sein. » D a s >Sein< - wir hab^n_kejnc_arjd^re_Vorstellung davon als >leben<^_— W i e kann also etwas.Totes >sein« ( W . ζ. M . , BdTXVl, n. 5 8 2 , S. 77)
WdWabcr ist Herrsein-wollen. Dieser
W i l l e ist n o c h i m W i l l e n des D i e n e n d e n , nicht etwa sofern er darnach strebt, aus der Rolle des Knechtes sich zu befreien, son dern sofern er Knecht und D i e n e r ist u n d als ein solcher i m m e r n o c h etwas unter sich hat, d e m er befiehlt. A b e r auch sofern der D i e n e r als ein solcher d e m H e r r n sich unentbehrlich m a c h t und den Herrn so an sich zwingt und auf sich (den Knecht) anweist, herrscht der Knecht ü b e r den Herrn, und das Dienersein ist noch eine Art des W i l l e n s zur M a c h t . W o l l e n wäre niemals ein H c r r sein-wollen, w e n n der Wille, nur ein W ü n s c h e n u n d
Streben
bliebe, statt yon G r u n d äuß und nur Befehl zu sein. Worin aber hat der Befehl sein W e s e n ? Befehlen heißt: Herrsein des Verfügens über die Möglichkeiten, W e g e , Weisen und Mittel des h a n d e l n d e n Wirkens. Was i m Befehl befohlen wird, ist der Vollzug dieses Verfügens. I m Befehl g e h o r c h t der Befeh lende d i e s e m Verfugen u n d g e h o r c h t so sich selber. Dergestalt ist der Befehlende sich selbst ü b e r l e g e n , i n d e m er n o c h sich selbst wagt. O b er aber dabei n o c h g e h o r s a m ist? ( G e h o r c h e n können - hören können). Befehlen ist S e l b s t - Ü b e r w i n d u n g und bisweilen schwerer als G e h o r c h e n . Nur d e m , der nicht sich selbst g e h o r c h e n kann, m u ß b e f o h l e n werden. A u s d e m B c fchlscharakter des W i l l e n s fällt ein erstes Licht auf das W e s e n des Willens zur M a c h t . D i e M a c h t j e d o c h ist nicht das » Z i e l « , zu d e m der W i l l e erst, als e i n e m Außerhalb seiner, hin will. D e r W i l l e strebt nicht nach M a c h t , sondern west bereits und nur i m Wesensbezirk der M a c h t . G l e i c h w o h l ist der W i l l e nicht einfach M a c h t , und die M a c h t ist nicht einfach Wille. Statt dessen gilt dies: D a s W e s e n der M a c h t ist Wille zw M a c h t , u n d das W e s e n des Willens ist W i l l e zur Macht Nietzsche
Nur aus diesem W i s s e n des Wesens kann
statt » W i l l e «
auch
»Macht«
und
statt
»Macht«
schlechthin » W i l l e « sagen. Dies bedeutet aber nie die G l e i c h -
Entes Kapitel
11-
setzung v o n W i l l e und M a c h t . Nietzsche verkoppelt aber auch nicht b e i d e , als seien sie je zuvor ein gesondertes, erst zu e i n e m zusammengesetztes
G e b i l d e . Vielmehr soll das
Wortgefuge
» W i l l e zur M a c h t « g e r a d e d i e unzertrennliche
Einfachheit e i
nes g e f ü g t e n und einzigen W e s e n s nennen:
das Wesen der
Macht/ M a c n t machtet nur, i n d e m sie Herr wird ü b e r die je erreichte Machtslufe. M a c h t ist nur d a n n u n d nur so lange M a c h t , als sie Machtsteigerung bleibt u n d sich das » M e h r « in der M a c h t b e fiehlt. S c h o n das bloße Innehalten in der Machtsteigerung, das S t e h e n b l e i b e n auf einer Machtstufe, setzt d e n B e g i n n der O h n macht. Z u m Wesen der M a c h t gehört die Ü b e r m ä c h ü g u n g ih rer selbst. Diese entspringt der M a c h t selbst, sofern sie Befehl ist u n d als Befehl sich selbst zur Ü b e r m ä c h l i g u n g der jeweiligen M a c h l s t u f c ermächtigt. S o ist zwar die M a c h t ständig unter w e g s » z u « ihr selbst, aber nicht als ein Streben, sondern als das M a c h t e n , aber nicht zu einer nächsten Machtstufe, sondern zur B e m ä c h t i g u n g ihres reinen W e s e n s . Das G e g e n w e s e n des » W i l l e n s zur M a c h t « ist daher nicht etwa der i m Gegensatz zu e i n e m bloßen » S t r e b e n n a c h « M a c h t er reichte »Besitz« der M a c h t , sondern die » O h n m a c h t zur M a c h t « ( D e r Antichrist, Bd. VH1, S. 2 3 3 ) . D a n n besagt aber d o c h » W i l l e zur M a c h t « nichts anderes als M a c h t zur M a c h t . Gewiß; nur b e deutet » M a c h t « u n d
» M a c h t « hier nicht dasselbe,
sondern
» M a c h t zur M a c h t « heißt: E r m ä c h t i g u n g zur Ü b e r m ä c h t i g u n g . Nur die so verstandene M a c h t zur M a c h t trifft das volle W e s e n der M a c h t . In dieses W e s e n der M a c h t bleibt das W e s e n des W i l l e n s als Befehlen g e b u n d e n . Sofern aber Befehlen ein S i c h s e l b e r g e h o r c h e n ist, kann insgleichen der W i l l e d e m M a c h t w e sen entsprechend als W i l l e z u m W i l l e n begriffen werden. A u c h hier sagt » W i l l e « je Unterschiedenes: einmal Befehlen u n d z u m a n d e r e n Verfügen ü b e r die Wirkungsmöglichkeiten. W e n n n u n aber die M a c h t je M a c h t zur M a c h t u n d der W i l l e je W i l l e z u m W i l l e n ist, sind dann nicht d o c h M a c h t und W i l l e dasselbe? S i c sind das S e l b e i m Sinne der wesenhaften Z u s a m -
Der Wille zur Macht
15
mengehörigkeit in die Einheit eines W e s e n s . Sie sind nicht das Selbe i m Sinne des gleichgültigen Einerlei zweier sonst g e trennter Wesen. » W i l l e « für sich gibt es so w e n i g w i e » M a c h t « für sich. » W i l l e « u n d » M a c h t « , je für sich gesetzt, erstarren zu künstlich aus d e m W e s e n des » W i l l e n s zur M a c h t « herausge b r o c h e n e n Begriffsstücken. Nur der W i l l e z u m Willen ist Wille, nämlich zur M a c h t i m Sinne der M a c h t zur M a c h t . D e r W i l l e zur M a c h t ist das W e s e n der M a c h t . Dieses W e s e n der M a c h t , aber n i e nur ein M a c h t q u a n t u m , bleibt freilich das » Z i e l « des W i l l e n s in der wesenhaften B e d e u tung, daß der W i l l e nur i m W e s e n der M a c h t selbst W i l l e sein kann. D e s h a l b » b r a u c h t « der W i l l e n o t w e n d i g dieses » Z i e l « . D a r u m waltet i m W e s e n des W i l l e n s der S c h r e c k e n vor der L e e r e . Sie besteht in der A u s l ö s c h u n g des Willens, i m Nicht w o l l e n . D e s h a l b gilt v o m W i l l e n : » . . . eher will er n o c h aas Nichts w o l l e n , als nicht w o l l e n . —« ( Z u r G e n e a l o g i e der M o r a l , Bd. VII, 3. A b h a n d l u n g , η . 1, S. 3 9 9 ) » D a s Nichts w o l l e n « heißt hier: die Verkleinerung, die Verneinung, die Vernichtung, die Verwüstung w o l l e n . In s o l c h e m W o l l e n sichert sich die M a c h t i m m e r n o c h die Befehlsmöglichkeit. S o ist denn auch die Weltv e m e i n u n g nur ein versteckter W i l l e zur M a c h t . Alles L e b e n d i g e ist W i l l e zur M a c h t » H a b e n u n d m e h r haben w o l l e n , Wachstum Kc££(W.z.M.,
mit E i n e m W o r t - das ist das L e b e n sej-
Bd7"XV\ n. 125, S".'233) Jpdp hlnßp Lphp"nr-
haltung ist schon N i e d e r g a n g des L e b e n s . M a c h t ist der Befehl zu M e h r - M a c h t . D a m i t aber der Wille zur M a c h t als Ü b e r m ä c h t i g u n g eine Stufe übersteigen kann, muß diese Stufe nicht nur erreicht, sondern festgehalten u n d gesichert w e r d e n . Nur aus solcher Machtsicherheit läßt sich die erreichte M a c h t ü b e r höhen. M a c h t s t e i g e r u n g Machterhaltung.
ist daher in sich zugleich wieder
D i e M a c h t kann also sich selbst zu
einer
lJbermächtigung nur ermächtigen, i n d e m sie Steigerung und Erhaltung zumal
b e f i e h l t D a z u gehört, daß die M a c h t selbst
und nur sie die B e d i n g u n g e n der Steigerung u n d der Erhaltung setzt.
Erstes Kapitel
16
W e l c h e r Art sind diese v o m W i l l e n zur M a c h t selbst gesetzten u n d so durch ihn b e d i n g t e n B e d i n g u n g e n seiner selbst? Nietz sche antwortet darauf mit einer A u f z e i c h n u n g aus d e m letzten Jahr seines w a c h e n D e n k e n s ( 1 8 8 8 ) : » D e r Gesichtspunkt des >Werts< ist der Gesichtspunkt v o n dingungen
Erhdtungs-^Steigerungs-Be-
in Hinsicht auf k o m p l e x e G e b i l d e von
relativer
D a u e r des L e b e n s innerhalb des W e r d e n s . « ( W . ζ. M . , B d . X V I ,
nT7i5,S. 171) D i e B e d i n g u n g e n , die der W i l l e zur M a c h t zur E r m ä c h t i g u n g seines eigenen W e s e n s setzt, sind Gesichtspunkte. S o l c h e A u gen-punkte w e r d e n zu d e m , was sie sind, nur durch die » P u n k tation« eines e i g e n t ü m l i c h e n Sehens. Dieses punktierende S e h e n nimmt seine » H i n s i c h t auf k o m p l e x e G e b i l d e v o n relativer D a u e r des L e b e n s innerhalb des W e r d e n s « . D a s solche G e sichts-punkte setzende S e h e n gibt sich d e n Ausblick auf » d a s W e r d e n « . F ü r Nietzsche behält dieser abgeblaßte Titel » W e r d e n « d e n erfüllten Gehalt, der sich als das W e s e n des W i l l e n s zur M a c h t enthüllte. W i l l e zur M a c h t ist U b e r m ä c h t i g u n g der M a c h t . » W e r d e n « m e i n t nicht das unbestimmte Fließen eines charakterlosen
W e c h s c l n s b e l i e b i g vorhandener
Zustände.
» W e r d e n « meint aber auch nicht » E n t w i c k l u n g zu e i n e m Z i e l « . Werden
ist
die m a c h t e n d c
Ü b e r s t e i g e r u n g der jeweiligen
Machtstufc. W e r d e n m e i n t in Nietzsches Sprache die aus i h m selbst waltende_ Bewegtheit... d x s - W i l l e n s zur M a c h t als des Grundcharakters des S e i e n d e n . D e s h a l b ist alles Sein » W e r d e n « . D e r weite Ausblick auf das » W e r d e n « ist der Vor- u n d Durchblick in das M a c h t e n des W i l lens zur M a c h t aus der einzigen Absicht, daß er als solcher » s e i « . Dieser ausblickende D u r c h b l i c k in d e n W i l l e n zur M a c h t gehört aber zu i h m selbst. D e r Wille zur M a c h t ist als Ermächti g u n g zur U b e r m ä c h t i g u n g vor- und durchblickend. Nietzsche sagt: » p e r s p e k ü v i s c h « . Allein, die »Perspektive« bleibt niemals eine bloße D u r c h b l i c k b a h n , auf der etwas erschaut wird, s o n der« das hindurchblickende Ausblicken sieht es ab auf » E r h a l lungs- und S t e i g e r u n g s - B e d i n g u n g e n « . D i e in s o l c h e m » S e -
Der Wille zur
Macht
17
h c n « gesetzten » G e s i c h t s - p u n k t e « sind als B e d i n g u n g e n von der Art, daß auf sie und mit ihnen g e r e c h n e t w e r d e n muß. Sie haben die F o r m v o n » Z a h l e n « u n d » M a ß e n « , und d. h. Werten. »Werte« » . . . sind überall reduzierbar
auf jene Z a h l - und Maß-
Skala der Kraft.« ( W . ζ. M . , Bd. X V I , n. 710, S. 169) »Kraft« ver steht Nietzsche stets im Sinne von M a c h t , d.h. als W i l l e zur Macht.
1
Die
Zahl
ist
wesenhaft
»perspektivische
Form«
( W . z . M . , Bd. X V I , n. 4 9 0 , S. 17), somit g e b u n d e n in das d e m Willen zur M a c h t eigene » S e h e n « , das seinem W e s e n nach das R e c h n e n mit Werten ist. Der » W e r t « hat den Charakter des »Gesichtspunktes«. Werte gelten und » s i n d « nicht » a n sich«, u m dann gelegentlich aufgesucht und ins A u g e gefaßt und so nachträglich auch zu »Gesichtspunkten« zu w e r d e n . D e r Wert ist »wesentlich der Gesichtspunkt« des
machtend-rechnenden
Sehens des W i l l e n s zur M a c h t . (Vgl. W . z . M . , Bd. X V I , n. 715, S. 172) Nietzsche spricht v o n den B e d i n g u n g e n Macht, i n d e m er sie »Erhaltungs-,
des W i l l e n s zur
Steigerungs-Bedingungen«
nennt. Er sagt hier mit Bedacht nicht Erhaltungs- und Steige rungsbedingungen, als w ü r d e da Verschiedenes erst z u s a m m e n gebracht, w o es d o c h nur Eines gilt. Dieses eine einheitliche W e sen des Willens zur M a c h t regelt die i h m eigene Verflechtung. Z u r U b e r m ä c h ü g u n g gehört solches, was als jeweilige M a c h t stufe ü b e r w u n d e n wird, und solches, was überwindet. D a s zu Uberwindende muß einen W i d e r s l a n d setzen u n d dazu selbst ein Ständiges sein, das sich hält u n d erhält. A b e r auch das Ü b e r w i n d e n d e muß
einen Stand haben und standhaft
sein,
sonst könnte es w e d e r ü b e r sich hinausgehen, n o c h in der Stei gerung o h n e S c h w a n k e n u n d seiner Steigerungsmöglichkeit si cher bleiben. U m g e k e h r t ist alles A b s e h e n auf die Erhaltung nur umwillen der Steigerung. Weil das W e s e n des Seins als W i l l e zur M a c h t in sich diese Verflechtung hat, bleiben die Be-
1
Wille zur Macht als »Kraft»; Kraft in einem verallgemeinernden Sinne - Le henskraft— »Energie«.
Erstes Kapitel
18
d i n g u n g e n des Willens zur M a c h t , d. h. die Werte, b e z o g e n » a u f k o m p l e x e G e b i l d e « . D i e s e Gestalten des W i l l e n s zur M a c h t , ζ. Β. Wissenschaft (Erkenntnis), Kunst, Politik, Religion, nennt Nietzsche auch »Herrschaftsgebilde«. Oft bezeichnet er nicht nur die B e d i n g u n g e n für diese Herrschaftsgebilde sondern die Herrschaftsgebilde
als Werte,
selbst; d e n n sie schaffen die
W e g e u n d Einrichtungen u n d somit die B e d i n g u n g e n , unter d e nen die Welt, die wesenhaft » C h a o s « u n d nie » O r g a n i s m u s « ist, als W i l l e zur M a c h t sich ordnet. S o wird die zunächst b e f r e m d liche R e d e verständlich, »Wissenschaft« (Erkenntnis, Wahrheit) u n d »Kunst« seien » W e r t e « . » W o r a n mißt sich objektiv der Wert? Allein an d e m Q u a n t u m gesteigerter
und
organisierter
M a c h t . . . « ( W . ζ. M . , Bd. X V I , n. 6 7 4 , S. 1 3 7 ) . Sofern d e r Wille zur M a c h t die w e c h s e l w e i s e Verflechtung v o n Machterhaltung und Machtsteigerung ist, bleibt jedes v o m W i l l e n zur M a c h t durchwaltetc Herrschaftsgebilde als sich steigerndes beständig, als sich erhaltendes aber unbeständig. Seine innere Beständig keit (Dauer) ist daher wesentlich eine verhältnismäßige. D i e s e /»celative D a u e r « cignei d e m » L e b e n « , zu d e m je, weil es » i n nerhalb des W e r d e n s « , d . h . des W i l l e n s zur M a c h t , nur ist, was es ist, » e i n fließendes
Machtgrenzcn-bestimmen
. . . gehört.«
( W . z . M . , Bd. X V I , n. 4 9 2 , S. 18) Weil der Werdecharakter des Seienden aus d e m W i l l e n zur M a c h t sich bestimmt, ist »Alles G e s c h e h e n , alle B e w e g u n g , alles W e r d e n als ein Feststellen von G r a d - und Kraftverhältnissen,
. . . « ( W . z . M . , Bd. X V I , n. 5 5 2 ,
S. 5 7 ) . D i e » k o m p l e x e n G e b i l d e « des W i l l e n s zur M a c h t sind von »relativer D a u e r des L e b e n s innerhalb des W e r d e n s « . Dergestalt ist alles S e i e n d e , weil es als W i l l e zur M a c h t west, »perspektivisch«. » D e r Perspeküvismus« ( d . h . die Verfassung des Seienden als Gesichtspunkte-setzendes, rechnendes S e h e n ) ist es, » v e r m ö g e dessenJedes^Kraftzentrum
- und nicht nur der
M e n s c h - von sich aus die ganze ü b r i g e Welt konstruiert, d . h . an~seiner Kraft mißt, betastet, gestaltet.._.« ( W . z . M , Bd. X V I , n. 6 3 6 , S. 114). » W o l l t e m a n heraus aus der Welt der Perspekti ven, so ginge m a n zu G r u n d e « (Bd. XTV, n. 15, S. 13)
Der Wille zur Macht
19
D e r W i l l e zur M a c h t ist s e i n e m innersten W e s e n nach ein perspektivisches R e c h n e n mit d e n B e d i n g u n g e n seiner M ö g lichkeit, die er als s o l c h e selbst setzt. D e r W i l l e zur M a c h t ist in sich Werte setzend.
» D i e Frage der \^l&r\.e_isi.Jundarnentaler
die Frage der Gewißheit^letztere e j i a r j g t j h j c r t j i r m t der
Voraussetzung,
daß
die. .Wertfrage
als
erst unter
beantwortet .ist.«
( W . z . M . , Bd. X V I , n . 5 8 8 , S. 9 1 ) »...
Wollen überhaupt, ist soviel w i e Siärrcer-werden-wollen,
W a c h s e n - w o l l e n - u n d dazu auch die Mittel w o l l e n . « ( W . ζ. M . , Bd. X V I , n. 6 7 5 , S. 1 3 7 0 D i e wesentlichen » M i t t e l « aber sind jene » B e d i n g u n g e n « , unter d e n e n der Wille zur M a c h t seinem Wesen nach steht: die » W e r t e « . »In allem W i l l e n ist Sichätzen
-
. . . « (Bd. ΧΠΙ, n. 3 9 5 , S. 172). D e r W i l l e zur M a c h t - und er al lein — ist der W i l l e , der Werte will. D e s h a l b muß er zuletzt aus drücklich jenes w e r d e n und b l e i b e n , von w o alle Wertsetzung ausgeht und was alle Wertschätzung beherrscht: das »Prinzip der Wertsetzung«. S o b a l d daher i m Willen zur M a c h t eigens der Grundcharakter des S e i e n d e n als eines solchen erkannt ist und so der W i l l e zur M a c h t sich selbst zu b e k e n n e n wagt, wird das D u r c h d e n k e n des Seienden als solchen in seiner Wahrheit, d. h. die Wahrheit des D e n k e n s des W i l l e n s zur M ä c h t , unausweich lich zu e i n e m D e n k e n nach Werten. Die Metaphysik des Willens zur M a c h t —und nur sie — ist mit Recht und n o t w e n d i g ein Wertdenken. Im R e c h n e n m i t Werten und im Schätzen nach Wertverhällnissen rechnet der W i l l e zur M a c h t mit sich selbst. I m Wertdenken besteht das Selbst-Be wußtsein des Willens zur M a c h t , w o b e i der N a m e »Bewußt sein« nicht m e h r ein gleichgültiges »Vorstellen« bedeutet, son dern das m a c h t e n d e und ermächtigende R e c h n e n mit sich selbst. D a s Wertdenken gehört wesenhaft z u m Selbstsein des Willens zur Macht, zu der Art, wie er subjectum (auf sich G e stelltes, allem Z u g r u n d e l i e g e n d e s ) ist. D e r W i l l e zur M a c h t ent hüllt sich als die durch das Wertdenken ausgezeichnete Subjek tivität. S o b a l d das S e i e n d e als solches im Sinne dieser Subjekti vität, d. h. als W i l l e zur M a c h t erfahren ist, muß überhaupt alle
20
Erstes Kapitel
M e t a p h y s i k als d i e Wahrheit
ü b e r das S e i e n d e als solches
d u r c h g ä n g i g für ein Wertdenken, Wertsetzen gehalten w e r d e n . D i e Metaphysik d e s W i l l e n s zur M a c h t deutet alle ihr voraufge gangenen
metaphysischen
Grundstellungen
im
Lichte
des
Wertgedankens. A l l e metaphysische Auseinandersetzung ist ein Entscheiden ü b e r R a n g o r d n u n g e n v o n Werten.
ZWEITES KAPITEL Der Nihilismus
Platon, mit dessen D e n k e n die Metaphysik beginnt, begreift das Seiende als solches, d.h. das Sein des S e i e n d e n , als » I d e e « . Die Ideen sind das je E i n e zum Mannigfaltigen, das in ihrem Lichte erst erscheint u n d so erscheinend allererst auch ist. D i e Ideen sind als dieses Eine zugleich das Beständige, Wahre, i m Unter schied z u m W e c h s e l n d e n und Scheinbaren. A u s der Metaphy sik des W i l l e n s zur M a c h t her begriffen, m ü s s e n die Ideen als Werte und die höchsten Einheiten als die obersten Werte g e dacht w e r d e n . Platon der höchsten
selbst erhellt das W e s e n der » I d e e « aus
Idee, der Idee des Guten
(αγαθόν). » G u t « aber
heißt für die G r i e c h e n das, was tauglich m a c h t zu etwas. D i e Ideen als das Sein m a c h e n das S e i e n d e dazu tauglich, Sichtba res, also A n w e s e n d e s , und d. h. griechisch, ein Seiendes zu sein. Das Sein hat seitdem in aller Metaphysik d e n Charakter der » B e d i n g u n g der M ö g l i c h k e i t « . D i e s e m Charakter des Seins hat Kant durch die transzendentale B e s t i m m u n g des Seins als G e genständlichkeit (Objektivität) eine »subjektive« A u s l e g u n g g e g e b e n . Nietzsche hat diese » B e d i n g u n g e n der Möglichkeit« aus der Subjektivität des W i l l e n s zur M a c h t her als » W e r t e « begrif fen. Allein, Piatons griechischer Begriff des » G u t e n « enthält nicht den Wertgedanken. D i e » I d e e n « Piatons sind nicht Werte; denn das Sein des S e i e n d e n ist n o c h nicht als W i l l e zur M a c h t ent worfen. W o h l kann d a g e g e n Nietzsche aus seiner schen Grundstellung her die platonische
metaphysi
A u s l e g u n g des Seien
den, die Ideen und somit das Ubersinnliche, als » W e r t e « d e u ten. Alle P h i l o s o p h i e seit Platon ist Metaphysik in der von ihm entworfenen Weise: D a s S e i e n d e als solches wird im Ganzen
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Zweites Kapitel
aus d e m Ü b e r s i n n l i c h e n begriffen und dieses zugleich als das wahrhaft S e i e n d e erkannt, sei dieses Ü b e r s i n n l i c h e n u n » G o t t « als der Schöpfer und Erlösergott des Christentums, sei das Ü b e r s i n n l i c h e das Sittengesetz, sei das Ü b e r s i n n ü c h e die A u t o rität der »Vernunft«, sei dieses Ü b e r s i n n l i c h e der »Fortschritt«, sei das Ü b e r s i n n l i c h e das » G l ü c k der M e i s t e n « . Überall wird das unmittelbar v o r h a n d e n e Sinnliche an einer » W ü n s c h b a r k e i t « , an e i n e m » I d e a l « g e m e s s e n . Alle Metaphysik ist Platonism u s . Das Christentum u n d d i e F o r m e n seiner
neuzeitlichen
VervieHUchuyig sind » P l a t o n i s m u s fiir's >Yolk<« (Jenseits v o n Gut u n d Böse, B d . VH, Vorrede, S. 5 ) . D i e W ü n s c h b a r k c i t e n denkt Nietzsche als d i e » o b e r s t e n W e r t e « . J e d e Metaphysik ist ein » S y s t e m v o n Wertschätzungen« oder, w i e Nietzsche auch sagt, » M o r a l « , »als L e h r e v o n d e n
Herrschafts-Verhältnissen
verstanden, unter d e n e n das P h ä n o m e n >Lcben< entsteht. —« (Jenseits v o n G u t und Böse, B d . VII, n. 19, S. 3 1 ) D i e v o m Wertgedanken her v o l l z o g e n e A u s l e g u n g aller M e t a 1
physik ist die » m o r a l i s c h e « . A b e r diese A u s l e g u n g der M e t a p h y sik u n d ihrer Geschichte betreibt Nietzsche nicht als historisch —gelehrte Betrachtung des Vergangenen, sondern als geschicht liche E n t s c h e i d u n g des Künftigen. W e n n der Wertgedanke z u m Leitfaden wird für die geschichtliche B e s i n n u n g auf die M e t a physik als den G r u n d der a b e n d l ä n d i s c h e n
Geschichte, dann
heißt das zuerst: D e r W i l l e zur M a c h t ist das einzige Prinzip der Wertsetzung. W o der W i l l e zur M a c h t als der
Grundcharakler
des S e i e n d e n sich zu b e k e n n e n wagt, muß alles daraufhin g e schätzt w e r d e n , o b es d e n W i l l e n zur M a c h t steigert o d e r h e r a b setzt u n d h e m m t . A l s G r u n d c h a r a k t e r b e d i n g t der W i l l e zur M a c h t alles Seiende in s e i n e m Sein. Als diese höchste B e d i n g u n g d e s S e i e n d e n als s o l c h e n ist er der m a ß g e b e n d e Wert. S o fern die bisherige Metaphysik den W i l l e n zur M a c h t nicht eigens als das Prinzip der Wertschätzung kennt, wird in der Metaphysik des W i l l e n s zur M a c h t dieser z u m »Prinzip einer n e u e n Werlset-
1
Wertdenken - Folge des »Moralischen« -
αγαθόν.
Der Nihilismus
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z u n g « . Weil v o n der Metaphysik des W i l l e n s zur M a c h t aus alle Metaphysik » m o r a l i s c h « als » W e r t u n g « begriffen ist, wird i m Sinne Nietzsches die Metaphysik des Willens zur M a c h t zur Wertsetzung, als diese zur neuen, die » n e u e « v o n der Art einer » U m w e r t u n g der bisherigen W e r t e « . In dieser U m w e r t u n g besteht das vollendete W e s e n des Nihi lismus. A b e r sagt nicht schon der N a m e » N i h i l i s m u s « , daß nach dieser L e h r e alles nichtig und nichts sei u n d jeder W i l l e u n d j e des Werk umsonst? Allein, der » N i h i l i s m u s « ist nach d e m Be griff Nietzsches w e d e r e i n e » L e h r e « u n d » M e i n u n g « , n o c h b e deutet er ü b e r h a u p t das, was der zunächst gedachte N a m e ein reden möchte: die Auflösung v o n allem in das bloße Nichts. Nietzsche hat
seine aus der Metaphysik des W i l l e n s zur
M a c h t entspringende u n d ihr wesentlich zugehörige Erkenntnis des Nihilismus nicht in d e m geschlossenen
Zusammenhang
darstellen dürfen, d e r s e i n e m metaphysischen Geschichtsblick wohl vorschwebte, dessen reine Gestalt wir aber nicht k e n n e n und auch nie m e h r aus den erhaltenen Bruchstücken zu er schließen vermögen. A b e r Nietzsche hat g l e i c h w o h l innerhalb des Bezirks seines D e n k e n s das mit d e m Titel » N i h i l i s m u s « G e meinte nach allen für ihn wesentlichen Hinsichten u n d Stufen und Arten durchdacht und die G e d a n k e n in vereinzelten N i e derschriften verschiedenen Umfangs u n d verschiedenen Prä gungsgrades festgelegt. Eine A u f z e i c h n u n g lautet
{W.z.M.,
Bd. X V , n. 2 , S. 145):
» W a s bedeutet Nihilismus? — Daß die obersten Werte sich entwerten.
Es fehlt das Ziel; es fehlt die Antwort auf das
>Warum« Nihilismus ist der Vorgang der Entwertung der bisherigen o b e r sten Werte. D e r Hinfall dieser Werte ist der Einsturz der bishe rigen Wahrheit ü b e r das S e i e n d e als solches i m G a n z e n . D e r Vorgang der Entwertung der bisherigen obersten Werte ist s o mit nicht eine geschichtliche Begebenheit unter vielen anderen,
Zweites Kapitel
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s o n d e r n das G r u n d g e s c h e h e n der v o n der Metaphysik getrage nen u n d geführten
abendländischen
G e s c h i c h t e . Sofern die
Metaphysik durch das Christentum eine e i g e n t ü m l i c h e t h e o l o gische P r ä g u n g erfahren hat, muß die Entwertung der bisheri gen obersten Werte a u c h t h e o l o g i s c h ausgedrückt w e r d e n d u r c h das Wort: » G o t t ist tot«. » G o t t « m e i n t hier ü b e r h a u p t das U b e r s m n l u h e , das sich als die » w a h r e « , »jenseitige« e w i g e W e l t g e g e n ü b e r der hiesigen » i r d i s c h e n « als das eigentliche und ein zige Z i e l geltend macht. W e n n der kirchlich-christliche G l a u b e ermattet und seine weltliche Herrschaft einbüßt, verschwindet nicht s c h o n die Herrschaft dieses Gottes. I m G e g e n t e i l : Seine Gestalt verkleidet sich, u n d sein A n s p r u c h verhärtet sich in der Unkenntlichkeit. A n die Stelle der Autorität Gottes und der Kir che tritt die Autorität des » G e w i s s e n s « , die »Herrschaft der Ver nunft«, d e r » G o t t « des geschichtlichen »Fortschritts«, d e r » s o ziale Instinkt«. Daß die bisherigen obersten Werte sich entwer ten, will sagen: D i e s e Ideale b ü ß e n ihre geschichtegestaltende Kraft ein. W e n n aber d e r » T o d Gottes« u n d d e r Hinfall der obersten Werte Nihilismus ist, w i e kann einer dann n o c h b e haupten, der Nihilismus sei nichts Negatives? Was betreibt ent s c h i e d e n e r die Vernichtung in das nichtige Nichts als der T o d und gar der T o d Gottes? Allein, die Entwertung der bisherigen obersten Werte gehört zwar als G r u n d g e s c h e h e n der a b e n d l ä n d i s c h e n G e s c h i c h t e z u m Nihilismus, erschöpft j e d o c h niemals sein W e s e n . D i e Entwer tung der bisherigen obersten Werte führt zunächst dahin,
daß
die W e l t wertlos aussieht. D i e bisherigen Werte sind zwar ent wertet, aber das S e i e n d e im G a n z e n bleibt u n d die Not, eine Wahrheit ü b e r das S e i e n d e aufzurichten, steigert sich nur. D i e Unentbehrlichkeit v o n n e u e n Werten drängt sich vor. D i e Set z u n g n e u e r Werte k ü n d i g t sich an. Ein Z w i s c h e n z u s t a n d ent steht, durch den die gegenwärtige Weltgeschichte hindurch 2
g e h t . D i e s e r Z w i s c h e n z u s t a n d bringt es mit sich, daß g l e i c h z c i -
1
Woher der Gesckichtsite.griff.
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Der Nihilismus
d g die R ü c k k e h r der bisherigen Wertwelt n o c h erhofft, ja n o c h betrieben und d e n n o c h die G e g e n w a r t einer neuen Wertwelt gespürt und, w e n n g l e i c h w i d e r W i l l e n , s c h o n anerkannt wird. Dieser Z w i s c h e n z u s t a n d , i n d e m d i e geschichtlichen Völker der Erde ihren U n t e r g a n g o d e r N e u b e g i r m entscheiden m ü s s e n , dauert solange, als der A n s c h e i n sich aufrecht erhält, die g e s c h i c h d i c h e Z u k u n f t sei d o c h n o c h durch einen vermittelnden A u s g l e i c h zwischen d e n alten u n d den n e u e n Werten der »Kata strophe« zu entziehen. D i e Entwertung der bisherigen obersten Werte bedeutet je d o c h nicht eine nur verhältnismäßige sondern
Entwertung
ist
völliger
Einbuße ihrer Geltung,
Umsturz
der
bisherigen
Werte. Er schließt d i e unbedingte N o t w e n d i g k e i t der Setzung neuer
Werte ein. D i e Entwertung
der bisherigen
obersten
Werte ist nur die geschichtliche Vorstufe eines Geschichtsgan ges, dessen G r u n d z u g sich als die U m w e r t u n g aller bisherigen Werte zur Herrschaft bringt. D i e Entwertung der bisherigen obersten Werte bleibt z u m voraus in die verborgen tende
Umwertung
aller Werte eingelassen. D e r
aufwar
Nihilismus
treibt deshalb nicht auf die bloße Nichtigkeit hinaus. Sein ei gentliches W e s e n liegt in der b e j a h e n d e n Art einer Befreiung. Nihilismus ist die einer völligen U m k e h r u n g aller Werte z u g e kehrte Entwertung der bisherigen Werte. In solcher weit zurück u n d z u g l e i c h voraus sich erstreckenden, jederzeit e n t s c h e i d e n den Z u k e h r verbirgt sieh der G r u n d z u g des Nihilismus als G e schichte. Was soll dann aber n o c h das v e r n e i n e n d e Wort » N i h i l i s m u s « für das, was im W e s e n Bejahung ist? D e r N a m e sichert d e m b e j a h e n d e n W e s e n des Nihilismus die höchste Schärfe des U n b e dingten, das j e d e Vermittlung verwirft. Nihilismus sagt dann: Nichts von d e n bisherigen Wertsetzungen soll m e h r gelten, alles S e i e n d e muß im Ganzen
anders, d . h . i m G a n z e n auf andere
B e d i n g u n g e n gesetzt w e r d e n . S o b a l d d u r c h die Entwertung der bisherigen obersten Werte die W e l t wert-los aussieht,
drängt
sich ein Äußerstes vor, was w i e d e r u m nur durch ein Äußerstes
Zweites Kapitel
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abgelöst w e r d e n kann (vgl. W . z . M . , Bei. X V , n. 5 5 , S. 181ff.). D i e U m w e r t u n g muß eine u n b e d i n g t e sein u n d alles S e i e n d e in eine ursprüngliche E i n h e i t stellen- D i e u r s p r ü g l i c h - v o r g r e i f e n d - e i n i g e n d e Einheit m a c h t j e c l o c h ^ k s W e s e n der Totalität aus.-
1
Weil d i e M e i s t e r u n g des » C h a o s « aus der n e u e n Wertsetzung durch diese s c h o n unter das Gesetz der »Totalität« gebracht ist, muß jeder m e n s c h l i c h e Anteil a m Vollzug der n e u e n O r d n u n g die A u s z e i c h n u n g der Totalität in sich tragen. D e r N a m e Nihi lismus bedeutet das u n b e d i n g t e N e i n aus d e m einzigen Ja z u m völlig Umgekehrten. M i t d e m Nihilismus k o m m t daher g e schichtlich die Herrschaft des » T o t a l e n « herauf.* Darin b e k u n det sich der ans L i c h t drängftndp
finindg.ng
des eigentlichen
b e j a h e n d e n W e s e n s des Nihilismus. D i e »Totalität« bedeutet freilich niemals eine bloße Steigerung des H a l b e n , aber a u c h nicht die Ü b e r t r e i b u n g des G e w o h n t e n , als könnte das Totale je d u r c h m e n g e n m ä ß i g e Erweiterung u n d A b ä n d e r u n g des s c h o n B e s t e h e n d e n erreicht w e r d e n . D i e Totalität g r ü n d e t stets in der vorausgreifenden Entschiedenheit einer wesenhaften U m k e h rung. D a h e r mißlingt auch jeder Versuch, das in der u n b e d i n g ten U m k e h r u n g entspringende N e u e mit d e n Mitteln bisheriger D e n k - und Erfahrungsweisen z u verrechnen. A b e r selbst durch die A n e r k e n n u n g des b e j a h e n d e n C h a r a k ters des » e u r o p ä i s c h e n « Nihilismus erreichen w i r n o c h nicht sein innerstes W e s e n ; d e n n der Nihilismus ist w e d e r nur eine Geschichte, n o c h auch der G r u n d z u g der abendländischen G e schichte, sondern die Gesetzlichkeit dieses G e s c h e h e n s , seine » L o g i k « . D i e Ansetzung der obersten Werte, ihre Verfälschung, ihre Entwertung, ihre Absetzung, das zeitweilige Aussehen der Welt als wertlose (vgl. W . ζ. M . , Bd. X V , n. 12 Α E n d e , S. 150f.), die N o t w e n d i g k e i t einer Ersetzung der bisherigen Werte durch n e u e , die Neusetzung als Umwertung, die Vorstufen dieser U m -
' Totalital-Unberlingtheit. hiei weltanschaulich. 4
1
Oer Nihilismus
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wertung, alles dies u m s c h r e i b t eine eigene Gesetzlichkeit der Wertschätzungen, i n d e n e n die W e l t a u s l e g u n g wurzelt. D i e s e GesetzHcbJteit ist die G e s c h i c h t ü c h k e i t der a b e n d l ä n d i schen G e s c h i c h t e , erfahren aus der Metaphysik des W i l l e n s zur M a c h t . Als Gesetzlichkeit der G e s c h i c h t e entfaltet der Nihilis mus eine F o l g e verschiedener Stufen u n d Gestalten
seiner
selbst. D a h e r sagt der bloße N a m e » N i h i l i s m u s « z u w e n i g , weil er i n einer Vieldeutigkeit hin u n d her schwingt. Nietzsche wehrt die M e i n u n g ab, der Nihilismus sei die Ursache des Verfalls, da er ja als d i e » L o g i k « des Verfalls ü b e r diesen g e r a d e hinaus treibt. D i e » U r s a c h e « des Nihilismus aber ist die M o r a l i m Sinne der A n s e t z u n g v o n ü b e r s i n n l i c h e n Idealen d e s W a h r e n u n d G u t e n u n d S c h ö n e n , die » a n s i c h « gelten. D i e S e t z u n g der obersten Werte setzt zugleich die Möglichkeit ihrer Entwertung, die bereits d a m i t beginnt, daß sie sich als unerreichbar erwei sen. D a s » L e b e n «
erscheint
somit als untauglich
und
am
schlechtesten geeignet, diese Werte zu verwirklichen. D e s h a l b ist d i e » V o r f o r m « des eigentlichen Nihilismus der P e s s i m i s m u s (vgl. W . z . M . , B d . X V , n. 9, S. 147). Er verneint die b e s t e h e n d e Welt. A b e r seine Verneinung ist zweideutig. Sie k a n n einfach den N i e d e r g a n g u n d das Nichts w o l l e n . Sie k a n n aber auch das Bestehende a b l e h n e n u n d so eine B a h n für die n e u e Weltgestal tung freimachen. H i e r d u r c h entfaltet sich der Pessimismus »als Stärke«. Er hat ein A u g e für das, was ist. Er sieht das Gefährli che und Unsichere u n d sucht n a c h den B e d i n g u n g e n , die eine Meisterung der geschichtlichen L a g e versprechen. D e n Pessi m i s m u s aus der Stärke kennzeichnet das Vermögen d e r » A n a l y tik«, worunter Nietzsche nicht die aufgeregte Z e r f a s e r u n g und Auflösung der »historischen Situation« versteht, s o n d e r n das kalte, weil s c h o n w i s s e n d e Auseinanderlegen u n d Z e i g e n der G r ü n d e , w a r u m das S e i e n d e so ist, w i e es ist. D e r Pessimismus, der nur N i e d e r g a n g sieht, k o m m t d a g e g e n aus der » S c h w ä c h e « , sucht überall das D ü s t e r e , lauert auf die G e l e g e n h e i t e n des M i ß i m g e n s u n d glaubt so ü b e r h a u p t zu sehen, w i e alles k o m m e n wird. Er versteht alles u n d v e r m a g für j e d e B e g e b e n h e i t
Zweites Kapitel
28
eine Entsprechung aus d e r Vergangenheit beizubringen. Sein K e n n z e i c h e n ist i m Unterschied zur » A n a l y t i k « der »Historis m u s « ( W . z . M . , Bd. X V , n. 10, S. 1+8). D u r c h diese Z w e i d e u t i g k e i t des Pessimismus k o m m e n nun aber äußerste » P o s i t i o n e n « zur Entfaltung. Sie umschreiben ei n e n Bereich, aus d e m erst der Nihilismus sein eigentliches W e sen in m a n n i g f a c h e n Stufen hervortreibt. Z u n ä c h s t ergibt sich wieder ein » Z w i s c h e n z u s t a n d « . Bald m a c h t sich nur der » u n vollständige Nihilismus« breit, bald w a g t sich schon der » e x treme Nihilismus« hervor. D e r »unvollständige Nihilismus« leugnet z w a r die bisherigen obersten Werte, setzt j e d o c h nur an die alte Stelle n e u e Ideale (an die Stelle des »Urchristentums« d e n » K o m m u n i s m u s « , an die Stelle des » d o g m a t i s c h e n Chri stentums« die » W a g n e r i s c h e M u s i k « ) . Dieses H a l b e verzögert die entschiedene A b s e t z u n g der obersten Werte. D i e s e Verzöge rung verschleiert das Entscheidende: daß m i t der Entwertung der bisherigen obersten Werte vor allem die ihnen
gemäße
Stelle, das an sich b e s t e h e n d e » U b e r s i n n l i c h e « beseitigt w e r d e n muß ( v g l W . ζ. M . , Bd. X V , n. 2 8 , S. 1 5 9 f . ) . U m vollständig z u w e r d e n , muß der Nihilismus durch die » E x t r e m e « hindurch u n d selbst extrem w e r d e n . D e r » e x t r e m e Nihilismus« erkennt, daß es keine » e w i g e Wahrheit an sich« gibt. Sofern er es nur bei der Einsicht b e w e n d e n läßt u n d d e m Verfall der bisherigen obersten Werte lediglich zuschaut, bleibt der » e x t r e m e Nihilismus« »passiv«. D a g e g e n greift der »aktive« Nihilismus ein, stürzt u m , i n d e m er sich aus der bisherigen Art zu leben herausstellt u n d d e m , was absterben will, erst recht n o c h » d a s Verlangen z u m E n d e « eingibt (vgl. W . ζ. M . , Bd. X V I , n. 1 0 5 5 , S. 3 9 4 ) . U n d dieser Nihilismus soll g l e i c h w o h l nicht negativ sein? B e stätigt nicht Nietzsche selbst den rein negativen Charakter des Nihilismus in jener einprägsamen K e n n z e i c h n u n g des Nihili sten, die so lautet ( W . ζ. M . , Bd. X V I , n. 5 8 5 A , S. 8 4 ) : » E i n N i hilist ist der M e n s c h , welcher von der Welt, w i e sie ist, urteilt, sie sollte nicht sein, u n d v o n der Welt, w i e sie sein sollte, urteilt,
Der Nihilümus
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sie existiert nicht.« H i e r wird d o c h in zwiefacher Verneinung schlechthin alles verneint: einmal die v o r h a n d e n e W e h und dann zugleich die v o n dieser v o r h a n d e n e n Welt aus w ü n s c h b a r e übersinnliche Welt, das Ideal. A b e r hinter dieser d o p p e l t e n Ver n e i n u n g steht bereits die einzige Bejahung der einen Welt, die das Bisherige abstößt u n d das N e u e aus sich selbst einrichtet u n d eine an sich b e s t e h e n d e Ü b e r w e l t nicht m e h r kennt. D e r extreme, aber aktive Nihilismus räumt d i e bisherigen Werte mitsamt i h r e m » R a u m « ( d e m Ubersinnlichen) aus u n d räumt der n e u e n Wertsetzung allererst Möglichkeiten ein. I m H i n b ü c k auf diesen raumschaffenden u n d ins Freie tretenden Charakter des extremen Nihilismus spricht Nietzsche a u c h v o m »ekstatischen
Nihilismus« (vgl. W . z . M . ,
Bd. XVI,
n. 1055,
S. 3 9 3 ) . Dieser bejaht, unter d e m A n s c h e i n , lediglich Vernei n u n g zu bleiben, w e d e r ein Vorhandenes n o c h ein Ideal, w o h l aber das »Prinzip der Wertsetzung«: d e n W i l l e n zur M a c h t S o bald dieser als G r u n d u n d M a ß aller Wertsetzung ausdrücklich begriffen u n d eigens ü b e r n o m m e n ist, hat deT Nihilismus sich in sein bejahendes W e s e n gefunden, seine Unvollständigkeit ü b e r w u n d e n u n d e i n b e z o g e n u n d sich so v o l l e n d e t D e r ekstati sche Nihilismus wird z u m »klassischen Nihilismus«. Als sol chen begreift Nietzsche seine » M e t a p h y s i k « . W o der W i l l e zur M a c h t das ergriffene Prinzip der Wertsetzung ist, wird der Nihi lismus z u m »Ideal der höchsten
Mächtigkeit
des G e i s t e s , . . . «
( W . z . M . , B d . X V , n. 14, S. 152). I n d e m jedes an sich beste h e n d e S e i e n d e g e l e u g n e t und der W i l l e zur M a c h t als Ursprung u n d M a ß des Schaffens bejaht wird, » . . . könnte Nihilismus . . . eine göttliche
Denkweise
sein: — « ( W . z . M . , B d . X V , n. 15,
S. 153). Bejahender läßt sich das bejahende W e s e n des Nihilis m u s überhaupt nicht sagen. N a c h s e i n e m vollen metaphysi schen Begriff ist d a n n der Nihilismus die G e s c h i c h t e der Ver nichtung der bisherigen obersten Werte auf d e m G r u n d e der vorauswirkenden U m w e r t u n g , d i e wissentlich den W i l l e n zur M a c h t als das Prinzip der Wertsetzung anerkennt, U m w e r t u n g meint daher a u c h nicht nur, daß an die alte u n d selbe Stelle der
Zweites Kapitel
30
bisherigen Werte n e u e gesetzt w e r d e n , sondern der Titel m e i n t stets und zuvor, daß die Stelle selbst n e u bestimmt wird. U n d darin liegt: Erst in der » U m - w e r t u n g « sind Werte als W e r t e gesetzt u n d in i h r e m W e s e n s g r u n d begriffen als die B e d i n g u n g e n des W i l l e n s zur M a c h t . U m - w e r t u n g ist, streng g e dacht, U m - d e n k e n des Seienden als s o l c h e n i m G a n z e n auf » W e r t e « . D a s schließt in sich: D e r Grundcharakter des Seien d e n als solchen ist der W i l l e zur M a c h t . D e r Nihilismus stellt sich in s s i n
eigenes
Wesen als der »klassische«. »Klassisch« g e
dacht, ist » N i h i l i s m u s « zugleich der Titel für das geschichtliche W e s e n der Metaphysik, s o f e m sich die Wahrheit ü b e r das Sei e n d e als solches i m G a n z e n als die Metaphysik des W i l l e n s zur M a c h t vollendet u n d ihre G e s c h i c h t e d u r c h diese sich deutet. W e n n aber das S e i e n d e als ein solches Wille zur M a c h t ist, w i e bestimmt sich d a n n die G ä n z e des S e i e n d e n im G a n z e n ? I m S i n n e der wertesetzenden, umwertenden Metaphysik des klas sischen Nihilismus lautet diese Frage aber: W e l c h e n Wert hat das G a n z e des S e i e n d e n ?
DRITTES KAPITEL D i e e w i g e Wiederkunft des Gleichen
ȧer
Gesamtwerl
der
Welt
ist
unabwertbar,...«
(W.z.M..
Bd. XVI, n. 708, S. 1 6 8 ) , f i e s e r Grundsatz der Metaphysik Nietzsches will nicht sa g e n , das m e n s c h l i c h e Vermögen sei außerstande, d e n Gesamt wert, der im Verborgenen d o c h besteht, aufzufinden^gehon das S u c h e n nach e i n e m Gesamtwert des Seienden ist in sich un möglich, weil der Begriff eines Gesamtwertes
ein Unbegriff
bleibt; d e n n Wert ist wesenhaft die v o m Willen zur M a c h t zu seiner Erhaltung und Steigerung gesetzte und so durch ihn b e dingte Bcdingung,^JTinen
Gesamtwert für das G a n z e setzen
hieße, das U n b e d i n g t e unter bedingte B e d i n g u n g e n stelleiüAlso gilt: » D a s Werden (d. h.-das S e i e n d e i m G a n z e n ] . . . hat gar Kei nen Wert, ...« ( c b d . ) . ^ i e s sagt w i e d e r u m nicht, das Seiende im G a n z e n sei etwas Nichtiges o d e r nur G l e i c h g ü l t i g e s i p e r Satz hat wesenhaften Sinn." Jr spricht die Werl-losigkeil der W e l l aus. ^fietzschc begreift aber allen » S i n n « als » Z w e c k « und » Z i e l « , diese j e d o c h als Werte (vgl. W . z . M . , ßd. X V , n. 12, S. 148ff.): » . . . die absolute Wertlosigkeit, d . h . Sinnlosigkeit.« ( W . z . M . , Bd. X V I , n. 6 1 7 , S, 1 0 2 ) . » ^ i e Ziellosigkeit an xich<« ist der »Glaubensgrundsatz« des Nihilisten ( W . z . M . , Bd. X V , n. 2 5 , S. 1 5 8 ) . " A b e r d e n N i h ilismus denken wir inzwischen nicht mehr »nihilistisch« im schlechten Sinne der zerfallenden Auflösung in das nichtige Nichts/Sjferl- und Ziel-losigkcit können dann auch nicht mehr einen M a n g e l , nicht die bloße L e e r e und Abweseriheit bedeuten, p i c s e nihilistischen Titel für das S e i e n d e im (ran zen m e i n e n etwas Bejahendes und A n w e s e n d e s , ja sogar die Art, wie das G a n z e des Seienden a n w c s t ^ P a s metaphysische Wort dafür heißt: die ewige Wiederkunft des Gleichen«
Drittes Kapitel
52
J i a s Befremdliche dieses G e d a n k e n s , den Nietzsche selbst d e n in m e h r f a c h e m Sinne »schwersten G e d a n k e n « nennt, b e greift nur, w e r i m voraus darauf b e d a c h t ist, i h m auch die B e fremdJichkeit zu wahren, ja diese sogar als d e n Grund dafür zu erkennen,
daß d e r G e d a n k e der » e w i g e n Wiederkunft des
G l e i c h e n « in d i e Wahrheit ü b e r das S e i e n d e i m G a n z e n g e h ö r t / Wesentlicher fast
als die Erläuterung seines
Gehalts
bleibt daher zunächst die Einsicht in den Z u s a m m e n h a n g , aus d e m allein die ewige Wiederkunft des G l e i c h e n als die Bestim m u n g des S e i e n d e n i m G a n z e n zu d e n k e n i s V ^ i e r gilt: D a s S e i e n d e , das ah ein solches d e n Grundcharakter des Willens zur M a c h t hat, kann i m Ganzen
n u r ewige W i e d e r k e h r d e s Glei
chen sein*T/nd umgekehrt: D a s Seiende, das i m Ganzen ewige Wiederkunft des G l e i c h e n ist, m u ß als Seiendes d e n G r u n d 1
charakter des Willens zur M a c h t h a b e n . J } i e Seiendheit des S e i e n d e n u n d die G ä n z e des S e i e n d e n fordern aus der Einheit der Wahrheit des Seienden wechselweise die Art ihres jeweili gen WeseuÄ *• J}Qw-V/\\lt- z u r M a c h t setzt gesichtspunkthatte Bedingungen seiner Erhaltung u n d Steigerung, die W e r t e . ^ J s so bedingte » Z i e l e « m ü s s e n sie in i h r e m Zielcharakter d e m M a c h t w e s e n rein entsprechen*Die M a c h t kennt nicht » Z i e l e « »an sich«, bei denen sie a n k o m m e n könnte, u m dabei stehen zu b l e i b e n i ^ m Stillstand verleugnet sie ihr innerstes W e s e n , die U b c r m ä c n t i gung» »Ziele« sind für die M a c h t zwar Jenes, worauf es ank o m m C ' ^ b e r es k o m m t auf die Ubermächtigung a r v p i c s c ent faltet sich dort ins Höchste, w o Widerstände sind?'Also m u ß das Machtziel stets d e n Charakter des Hindernisses
haben,'Weil
M a c h t z i e l c »nur« Hindernisse sein können, liegen sie aber auch i m m e r bereits innerhalb
des Machtkreises
des Willens zur
Macht,'Jfjas Hindernis ist als solches, auch w e n n n o c h nicht » g e n o m m e n « , doch schon wesenhaft v o n d e r Bemächtigung übergriffen.'"^eshalb gibt es für das S e i e n d e als Willen zur
ι ουσία selbst zweideutig. (Was u. Daß)
Die ewige Wiederkunft des Gleichen
35
M a c h t keine Z i e l e außerhalb seiner, zu d e n e n er » f o r t - « u n d wegschreitet. ^ I 3 e r W i l l e zur M a c h t geht als Ubermächtigung seiner selbst wesenhaft in sich selbst zurück
u n d gibt so d e m S e i e n d e n i m
G a n z e n , d . h . d e m » W e r d e n « , einen einzigartigen Charakter der B e w e g t h e i t ^ p i e W e l t b e w e g u n g hat somit keinen irgendwo für sich bestehenden u n d gleichsam ajs M ü n d u n g s g e b i e t das Werden aufnehmenden » Z i e l z u s t a n d « , andererseits aber setzt der Wille zur M a c h t nicht n u r zuweilen seine bedingten Z i e l e , ist als Ubermächtigung ständig umejjxegs^zu s e i n e m W e s e n . fffar ist e w i g tätig u n d muß d o c h zugleich gerade ziel-los sein, s o fern » Z i e l « n o c h einen an sich bestehenden Zustand außerhalb 1
seiner bedeutet^JJas ziel-los e w i g e M a c h t e n des Willens zur M a c h t ist n u n aber zugleich in seinen L a g e n u n d Gestalten not w e n d i g endlich (vgl. B d . Χ Π , n. 9 5 , S- 5 5 ) ; denn wäre es nach dieser Hinsicht unendlich, dann müßte es auch, s e i n e m W e s e n als Steigerung gemäß,
»unendlich w a c h s e n « . ^ u s welchem
Uberschuß sollte n u n aber diese Steigerung k o m m e n , w o alles S e i e n d e nur W i l l e zur M a c h t ist? *"Überdies verlangt das Wesen des W i l l e n s zur M a c h t selbst je zu seiner Erhaltung u n d somit gerade für die jeweilige M ö g lichkeit seiner Steigerung, daß er je in einer festen Gestalt u m grenzt u n d bestimmt u n d d . h . i m G a n z e n s c h o n ein Sichein grenzendes sei. Z u m W e s e n d e r M a c h t gehört Ziel-Freiheit u n d daher im G a n z e n Ziel-losigkeit. A b e r diese Ziel-Freiheit kann, gerade weil sie einzig je u n d je bedingte Zielsetzung fordert, ein uferloses Wegfluten d e r M a c h t nicht dulden. Das G a n z e des Seienden, dessen Grundcharakter Wille zur M a c h t ist, muß da her eine feste Größe sein. Statt » W i l l e zur M a c h t « sagt Nietz sche zuweilen auch »Kraft«. U n d Kraft (zumal auch die Natur-kräftc) versteht er i m m e r als Willen zur M a c h t . » E t w a s Un-fr.stes von Kraft, etwas Undulatorisches ist uns ganz
undenkbar.«
(Bd. Χ Π , η . 1 0 4 , S . 5 7 ) W e r ist mit » u n s « g e m e i n t ? Jene, d i e das S e i e n d e als Willen zur M a c h t d e n k e n . Ihr D e n k e n aber ist Festmachen u n d B c -
Drittes Kapitel
34
grenzen. » . . . die Welt, als Kraft, darf nicht unbegrenzt gedacht w e r d e n , denn sie kann nicht so g e d a c h t w e r d e n , - wir verbieten uns d e n Begriff einer unendlichen >Krqft< unverträglich.
Kraft ab mit dem
Begriff
A l s o - fehlt der Welt auch das Vermögen
zur e w i g e n Neuheit.« ( W . z . M . , Bd. X V I , n. 1 0 6 2 , S. 3 9 7 ) Wer verbietet sich hier, d e n Willen zur M a c h t unendlich zu d e n k e n ? W e r fällt den Machtspruch, daß der W i l l e zur M a c h t u n d das durch ihn bestimmte Seiende im G a n z e n endlich sei? D i e j e n i g e n , die ihr e i g e n e s Sein als W i l l e n zur M a c h t erfahren. F ü r sie bleibt » j e d e andre Vorstellung [der Kraft] . . . unbestimmt u n d folglich unbrauchbar
-
...«
( W . z . M . , Bd. X V I , n. 1 0 6 6 ,
S. 4 0 0 ) . W e n n das S e i e n d e als solches W i l l e zur M a c h t und somit ewi ges Werden ist, der W i l l e zur M a c h t aber die Ziel-losigkeit for dert u n d das e n d l o s e Fortschreiten zu e i n e m Ziel an sich aus schließt, w e n n zugleich das ewige W e r d e n des W i l l e n s zur M a c h t in seinen möglichen Gestalten u n d
Herrschaftsgebilden
begrenzt ist, weil es nicht ins E n d l o s e neu sein kann, dann muß das S e i e n d e als W i l l e zur M a c h t im G a n z e n das G l e i c h e w i e d e r k o m m e n lassen, u n d die Wiederkunft des G l e i c h e n
muß
eine e w i g e sein. Dieser »Kreislauf« enthält das » U r g e s c t z « des Seienden i m G a n z e n , w e n n das S e i e n d e als solches W i l l e zur M a c h t ist. D i e ewige Wiederkunft des G l e i c h e n ist die A n w c s u n g des Unbeständigen (des W e r d e n d e n ) als solchen, dies aber in der höchsten Beständigung (Kreisen) mit der einzigen Bestimmung, die stete Möglichkeit des M a c h t e n s zu sichern. D a s W i e d e r k e h ren, A n k o m m e n und W e g g e h e n des S e i e n d e n , das als ewige Wiederkunft b e s t i m m t ist, hat überall den Charakter des W i l lens zur M a c h t . D e s h a l b besteht auch die Gleichheit des w i e derkehrenden G l e i c h e n zuerst darin, daß in j e d e m Seienden je das M a c h t e n der M a c h t befiehlt und d i e s e m Befehl zufolge eine Gleichheit der Beschaffenheit des S e i e n d e n bedingt. W i e d e r kunft des G l e i c h e n heißt niemals, daß für irgendeinen B e o b achter, dessen Sein gar nicht durch d e n W i l l e n zur M a c h t b e -
Die ewige Wiederkunfi des Gleichen
35
stimmt wird, i m m e r w i e d e r das g l e i c h e vormals V o r h a n d e n e w i e d e r v o r h a n d e n ist.
2
» W i l l e zur M a c h t « sagt, was das S e i e n d e als ein solches, d . h . in seiner Verfassung ist. » E w i g e Wiederkunft des G l e i c h e n « sagt, wie das S e i e n d e solcher Verfassung i m G a n z e n ist. Mit d e m W a s ist das W i e des Seins alles Seienden bestimmt. Dieses W i e im G a n z e n setzt z u m voraus fest, daß jegliches S e i e n d e in j e d e m A u g e n b l i c k den Charakter seines » D a ß « (seiner »Tat sächlichkeit«) aus d i e s e m » W i e « e m p f ä n g t Weil die e w i g e W i e derkunft des G l e i c h e n das S e i e n d e im G a n z e n auszeichnet, ist es ein mit d e m W i l l e n zur M a c h t in eins gehöriger G r u n d c h a rakter des Seins, obzwar der Titel » e w i g e W i e d e r k e h r « eine » B e w e g u n g « u n d ein » W e r d e n « nennt. D a s G l e i c h e , das w i e derkehrt, hat je nur verhältnismäßigen Bestand u n d ist daher das wesenhaft Bcstandlose. Seine W i e d e r k e h r aber das I m m c r w i e d c r - b r i n g e n in den Bestand, d. h.
bedeutet
ßesländigung.
D i e e w i g e W i e d e r k e h r ist die beständigste Beständigung des Bcstandlosen. Seit d e m Beginn der abendländischen M e t a p h y sik aber wird das Sein i m Sinne der Beständigkeit der A n w c sung verstanden, w o b e i »Beständigkeit« zweideutig sowohl F e stigkeit m e i n t als a u c h Beharren. Nietzsches Begriff der ewigen W i e d e r k e h r des G l e i c h e n sagt dieses selbe W e s e n des Seins. Nietzsche unterscheidet zwar das » S e i n « als das
Bestandhafte,
Feste, Verfestigte und Starre g e g e n das » W e r d e n « . A b e r das » S e i n « gehört d o c h in den W i l l e n zur M a c h t , der sich aus e i n e m Beständigen den Bestand sichern muß, einzig zwar, damit er sich übersteigen und d. h. » w e r d e n « k a n n . » S e i n « u n d » W e r d e n « treten nur scheinbar in d e n Gegensatz, weil der Werdecharaktcr des W i l l e n s zur M a c h t i m innersten W e s e n e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n und somit die bestän dige Beständigung des Bcstandlosen ist. D e s h a l b kann Nietz-
2
Man kann nichl ewige Wiederkunft im Sinne Nietzsches denken, wenn wir nicht zugleich »das Gleiche« - das Anwesende, Wirkliche, in seinem Sinne denken.
ritus Kapitel
56
sehe in einer e n t s c h e i d e n d e n A u f z e i c h n u n g sagen ( W . z . M . , Bd. XVI, n. 6 1 7 , S. 101): »Rekapitulation: D e m W e r d e n d e n Charakter des Seins aufzuprägen — das ist d e r höchste Wille zur Macht Zwiefache Fälschung, v o n d e n Sinnen her u n d v o m Geiste her, u m eine W e l t des S e i e n d e n zu erhalten, des Verhar r e n d e n , Gleichwertigen u . s . w .
s
Daß Alles wiederkehrt, ist die extremste Annäherung einer Welt des Werdens an die des Seins: - Gipfel der Betrach tung.«* A u f d e r H ö h e seines D e n k e n s muß Nietzsche d e m G r u n d z u g dieses D e n k e n s ins Äußerste folgen u n d die » W e l t « hinsichtlich ihres Seins b e s t i m m e n . S o entwirft u n d fügt er d i e Wahrheit des S e i e n d e n i m Sinne des W e s e n s der Metaphysik. A b e r zugleich wird auf d e m »Gipfel der Betrachtung« gesagt, u m eine W e l l des S e i e n d e n , d. h. des beharrend A n w e s e n d e n z u erhalten, sei eine »zwiefache Fälschung« nötig. D i e Sinne g e b e n in d e n E i n d r ü c k e n ein Festgedrücktes. D e r Geist stellt, i n d e m er vor-stellt, ein Gegenständliches fest. Jedesmal geschieht ein je verschie denes Festmachen des sonst Bewegten u n d W e r d e n d e n . D a n n wäre also der »höchste W i l l e zur M a c h t « als s o l c h e Beständi g u n g des W e r d e n s eine Verfälschung. A u f d e m » G i p f e l der B e trachtung«, w o d i e Wahrheit ü b e r das S e i e n d e als solches i m G a n z e n sich entscheidet, müßte ein Falsches u n d ein Schein er richtet w e r d e n . U n d so wäre die Wahrheit ein Irrtum. In der Tat. D i e Wahrheit ist sogar für Nietzsche wesenhaft Irr tum, u n d zwar j e n e b e s t i m m t e »Art v o n Irrtum«, deren Artcha rakter freilich sich nur dann hinreichend umgrenzt, w e n n der
5
D. h. Wahrheit des Willens zur Macht. * um den Willen zur Macht als solchen zu sichern. Dieser ist ewige Wieder kehr des Gleichen und diese ist Wille zur Macht.
Die ewige Wiederkunft des Gleichen
37
Ursprung d e s W e s e n s der Wahrheit aus d e m W e s e n d e s Seins, u n d das will hier b e d e u t e n : aus d e m W i l l e n zur M a c h t , eigens erkannt ist. D i e e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n sagt, w i e das Seiende, das als A l l gar k e i n e n Wert u n d k e i n Z i e l an sich hat, i m G a n z e n ist. D i e Wert-losigkeit des Seienden i m G a n z e n , eine scheinbar nur v e r n e i n e n d e B e s t i m m u n g , g r ü n d e t in der bejahenden, d u r c h die d e m S e i e n d e n i m vorhinein d i e G ä n z e der e w i g e n W i e d e r k u n f t
des G l e i c h e n zugeteilt ist.
Dieser
Grundcharakterzug des S e i e n d e n im G a n z e n verbietet n u n aber auch, die W e l t als einen » O r g a n i s m u s « z u d e n k e n ; d e n n sie ist durch keinen in sich b e s t e h e n d e n Z w e c k z u s a m m e n h a n g gefügt und auf k e i n e n Zielzustand an sich h i n g e w i e s e n . » W i r m ü s s e n es [das A l l ] als G a n z e s uns g e r a d e so entfernt w i e m ö g l i c h v o n d e m O r g a n i s c h e n d e n k e n . « (Bd. Χ Π , n. 107, S. 6 0 ) N u r w e n n das S e i e n d e i m G a n z e n C h a o s ist, bleibt i h m als W i l l e zur M a c h t die stete M ö g l i c h k e i t gewährt, sich i n je begrenzten Herrschaftsgebilden v o n verhältnismäßiger D a u e r , d. h. » o r g a nisch« zu gestalten. » C h a o s « bedeutet aber nicht ein b l i n d to bendes D u r c h e i n a n d e r , drängende,
sondern die auf eine M a c h t o r d n u n g
Machtgrenzen
Machtgrenzen
absteckende,
im Kampf um
stets entscheidungsträchtige
die
Mannigfaltigkeit
des S e i e n d e n i m G a n z e n . Daß dieses C h a o s i m G a n z e n e w i g e Wiederkunft des Glei chen sei, wird erst z u m befremdlichsten u n d furchtbarsten G e danken, w e n n die Einsicht erreicht u n d ernst g e n o m m e n wird, daß das D e n k e n dieses G e d a n k e n s die Wesensart des m e t a p h y 5
sischen Entwurfs h a b e n m u ß . D i e Wahrheit ü b e r das S e i e n d e als solches i m G a n z e n w i r d d o c h allein v o m Sein des S e i e n d e n selbst verschenkt. Sie ist w e d e r ein n u r persönliches » E r l e b n i s « des D e n k e r s u n d in d e n Gültigkeitsbereich einer persönlichen Ansicht eingesperrt, n o c h läßt sich diese Wahrheit
»wissen
schaftlich«, d. h. durch E r f o r s c h u n g einzelner B e r e i c h e des Sei-
5
ein Unumgängliches, weil schon mit der "Αλήθεια eingegangenes Wesens geschick der Metaphysik selbst
Drites Kapuel
38
e n d e n , z . B . der Natur o d e r der Geschichte, beweisen.
Daß
Nietzsche selbst aus der Leidenschaft, seine Z e i t g e n o s s e n auf diesen » G i p f e l « der metaphysischen »Betrachtung« zu führen, bei s o l c h e n Beweisen seine Z u f l u c h t n i m m t , deutet nur an, wie schwer u n d selten ein M e n s c h als D e n k e r sich auf der Bahn ei nes v o n der Metaphysik geforderten Entwurfs u n d seiner B e g r ü n d u n g zu halten vermag. Nietzsche hat ein klares Wissen v o m G r u n d e der Wahrheit des Entwurfs, der das Seiende i m G a n z e n als ewige Wiederkunft des G l e i c h e n denkt: » D a s L e b e n selber schuf diesen für das L e b e n schwersten G e d a n k e n , es will 1
ü b e r sein höchstes Hindernis hinweg .« (Bd. X U , n. 720, S. 3 6 9 ) » D a s L e b e n selber«, das ist der W i l l e zur M a c h t , der sich durch die U b e r m ä c h ü g u n g der jeweiligen Machtstufe gerade zu sich selbst in sein Höchstes steigert. D e r W i l l e zur M a c h t muß sich selbst als der W i l l e zur M a c h t vor sich bringen, u n d zwar so, daß die höchste B e d i n g u n g der reir\ei> Erma^rrkgufig z u r äußersten U b e r m ä c h t i g u n g vor i h m steht: das größte Hindernis. Dies geschieht i h m dort, w o die reinste Beständigung nicht nur einmal, sondern ständig und zwar als die stets g l e i c h e vor i h m steht. U m diese höchste Bedin g u n g (Wert) zu sichern, m u ß der W i l l e zur M a c h t das eigens er s c h e i n e n d e »Prinzip der Wertsetzung« sein. E r gibt » d i e s e m « L e b e n , nicht einem jenseitigen, das einzige Gewicht. » H i e r i n umzulehren
ist jetzt i m m e r n o c h die Hauptsache: - vielleicht
wenn die Metaphysik e b e n dies L e b e n mit d e m schwersten
Ak
zent t r i f f t , - n a c h m e i n e r L e h r e ! « (Bd. Χ Π , η . 127, S. 68) D a s ist die L e h r e des Lehrers der e w i g e n Wiederkunft des G l e i c h e n . Der Wille zur M a c h t selbst, der Grundcharakter des S e i e n d e n als solchen, u n d nicht ein » H e r r N i e t z s c h e « , setzt d i e sen G e d a n k e n der e w i g e n Wiederkunft des G l e i c h e n . D i e höch ste Beständigung des Bestandlosen ist das größte Hindernis für das W e r d e n . D u r c h dieses Hindernis bejaht der W i l l e zur M a c h t die innerste Notwendigkeit seines Wesens. D e n n so bringt u m gekehrt die e w i g e Wiederkunft ihre b e d i n g e n d e M a c h t ins Weltspiel. Unter d e m D r u c k dieses Schwergewichts wird dort,
Die ewige Wiederkunft des Gleichen
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w o der B e z u g z u m S e i e n d e n als s o l c h e m i m G a n z e n wesenhaft ein S e i e n d e s bestimmt, die Erfahrung g e m a c h t , daß das Sein des S e i e n d e n der W i l l e z u r M a c h t sein m ü s s e . Das d u r c h j e n e n B e z u g bestimmte S e i e n d e aber ist der M e n s c h - Jene » E r f a h r u n g « versetzt das M e n s c h e n t u m in e i n e n e u e Wahrheit ü b e r das S e i e n d e als solches i m G a n z e n . W e i l aber das Verhältnis z u m Seienden als e i n e m s o l c h e n i m G a n z e n den M e n s c h e n auszeichnet, erringt er erst, innestehend in s o l c h e m Verhältnis, sein W e s e n u n d stellt sich der G e s c h i c h t e zu ihrer Vollbrin gung-
VIERTES KAPITEL
Der Übermensch
D i e Wahrheit ü b e r das S e i e n d e als solches i m G a n z e n wird je durch ein M e n s c h e n t u m ü b e r n o m m e n , gefügt und
verwahrt.
Warum das so ist, vermag die Metaphysik nicht zu denken, nicht einmal zu fragen; k a u m daß sie das Daß zu d e n k e n vermag. D e n n es ist nicht deshalb s o , weil alles S e i e n d e Objekt für ein Subjekt ist; diese A u s l e g u n g des S e i e n d e n aus der Subjektivität ist selbst metaphysisch u n d bereits eine v e r b o r g e n e F o l g e des verhüllten Bezuges des Seins selbst z u m W e s e n des M e n s c h e n . D i e s e r B e z u g kann nicht aus der Subjekt-Objekt-Beziehung g e dacht w e r d e n , d e n n diese ist gerade die n o t w e n d i g e Verkennung u n d ständige Verhüllung dieses Bezuges u n d der Möglichkeit, ihn zu erfahren. D a r u m bleiben die Wesensherkunft der für die Vollendung der Metaphysik n o t w e n d i g e n A n t h r o p o m o r p h i e u n d deren F o l g e n , also die Herkunft der Herrschaft des A n t h r o p o l o gismus, für die Metaphysik ein Rätsel, das sie nicht einmal als ein solches b e m e r k e n kann. Weil der M e n s c h in das W e s e n des Seins gehört und so durch das Seinsverständnis bestimmt bleibt, deshalb steht das S e i e n d e n a c h seinen verschiedenen Bereichen u n d Stufen in der Möglichkeit, durch d e n M e n s c h e n erforscht u n d gemeistert zu werden. Jener M e n s c h aber, der inmitten des S e i e n d e n z u m Seienden sich verhält, das als solches W i l l e zur M a c h t und i m G a n z e n ewige Wiederkunft des G l e i c h e n ist, heißt der Ü b e r m e n s c h . Seine Verwirklichung schließt ein, daß das S e i e n d e i m W e r d e charakter des Willens zur M a c h t aus der hellsten H e l l e des G e d a n k e n s der e w i g e n W i e d e r k e h r des G l e i c h e n
erscheint.
»Als ich d e n U b e r m e n s c h e n geschaffen hatte, ordnete ich u m ihn d e n großen Schleier des Werdens u n d üeß die S o n n e ü b e r
Der Übermensch
41
i h m stehen i m M i t t a g e . « (Bd. X U , n. 6 9 3 , S. 3 6 2 ) W e i l der W i l l e zur M a c h t als das Prinzip der U m w e r t u n g die G e s c h i c h t e i m G r u n d z u g des klassischen Nihilismus erscheinen läßt, muß auch das M e n s c h e n t u m dieser G e s c h i c h t e in ihr sich vor sich selbst bestätigen. D a s » Ü b e r « in d e m N a m e n » Ü b e r m e n s c h « enthält e i n e Ver n e i n u n g und bedeutet das H i n w e g - und H i n a u s g e h e n » ü b e r « d e n bisherigen M e n s c h e n . D a s N e i n dieser Verneinung ist un bedingt, i n d e m es aus d e m Ja des W i l l e n s zur M a c h t k o m m t u n d die platonische, christlich-moralische W e l t a u s l e g u n g in al len ihren offenen u n d versteckten A b w a n d l u n g e n schlechthin trifft.
D i e verneinende
Bejahung entscheidet,
metaphysisch
d e n k e n d , die G e s c h i c h t e des Menschenturas zu eineT n e u e n Geschichte. D e r a l l g e m e i n e , aber nicht erschöpfende Begriff des » Ü b e r m e n s c h e n « m e i n t zunächst dieses nihilistisch-geschichtliche
W e s e n des sich selbst n e u d e n k e n d e n , u n d d. h. hier
w o l l e n d e n M e n s c h e n t u m s . D e s h a l b trägt der Verkünder der Lehre
v o m Übermenschen den
Namen
Zarathustra.
»Ich
mußte Zarathustra, e i n e m Perser, die E h r e g e b e n : Perser haben zuerst
G e s c h i c h t e i m G a n z e n , Großen gedacht«.
(Bd. XIV,
2. Hälfte, n. 117, S. 3 0 3 ) In seiner » V o r r e d e « , die alles zu Sa g e n d e vorausnimmt, sagt Zarathustra: » S e h t , ich lehre euch den Ü b e r m e n s c h e n ! D e r Ü b e r m e n s c h ist der Sinn der Erde. E u e r W i l l e sage: der Ü b e r m e n s c h sei der Sinn der E r d e ! « (Also sprach Zarathustra, Vorrede, n. 3) D e r Ü b e r m e n s c h ist die ei gens in einen W i l l e n g e n o m m e n e u n b e d i n g t e Verneinung des bisherigen Wesens des M e n s c h e n . Innerhalb der Metaphysik wird der M e n s c h als das vernünf tige T i e r (animal rationale) erfahren. D e r » m e t a p h y s i s c h e « Ur sprung dieser alle abendländische G e s c h i c h t e tragenden W c -
>
s e n s b e s t i m m u n g des M e n s c h e n ist bis zur Stunde nicht b e g r i f f fen, u n d das sagt: nicht zur E n t s c h e i d u n g des D e n k e n s gestellt. D a s sagt: D a s D e n k e n ist n o c h nicht ent-standen aus der Schei d u n g der metaphysischen Seinsfrage und derjenigen, die an fänglicher nach der Wahrheit des Seins fragt und damit nach
Viertes Kapitel
42
d e m W e s e n s b e z u g des Seins selbst z u m W e s e n des M e n s c h e n . D i e Metaphysik selbst verwehrt diesen Schritt. D e r » U b e r m e n s c h « verneint zwar das bisherige W e s e n des M e n s c h e n : A b e r er verneint es nihilistisch. Das bedeutet: E r b e jaht es erst ganz, j e d o c h aus der bloßen U m k e h r u n g . Seine Ver n e i n u n g trifft d i e bisherige A u s z e i c h n u n g des M e n s c h e n , die Vernunft. D e r e n metaphysisches W e s e n besteht darin, daß am Leitfaden des » D e n k e n s « das S e i e n d e i m G a n z e n entworfen u n d als ein solches ausgelegt wird. » D e n k e n « ist, metaphysisch begriffen, das v e r n e h m e n d e Vor stellen dessen, w o r i n das S e i e n d e je das S e i e n d e ist. D e r Nihilis m u s begreift aber das D e n k e n (den Verstand) als das z u m W i l l e n zur M a c h t gehörige R e c h n e n auf eine Bestandsicherung u n d mit dieser als Wertsetzung. In der nihilistischen A u s l e g u n g der M e taphysik und ihrer G e s c h i c h t e erscheint daher das D e n k e n , und d. h. die Vernunft, als der G r u n d und das Leitmaß der Ansetzung von Werten. Sofern j e d o c h der Nihilismus alle Wertsetzungen umkehrt, w e r d e n diese Werte zu den » b i s h e r i g e n « obersten Wer ten. D i e » a n sich« b e s t e h e n d e » E i n h e i t « alles S e i e n d e n , der » a n sich« v o r h a n d e n e letzte » Z w e c k « alles S e i e n d e n , das »an sich« g ü l t i g e W a h r e für alles S e i e n d e treten als solche von der Vernunft gesetzten Werte auf. D i e nihilistische Verneinung der Vernunft schaltet aber das D e n k e n (ratio) nicht aus, sondern nimmt es in den Dienst der Tierheit (animalitas) z u r ü c k . Allein, auch die Tierheit ist g l e i c h e n t s c h i e d c n und zuvor schon umgekehrt. Sie gilt nicht m e h r als die bloße Sinnlichkeit und das Niedrige i m M e n s c h e n . D i e Tierheit ist der l e i b e n d e , d . h . der aus sich drangvolle und alles ü b e r d r ä n g e n d e » L e i b « . Dieser N a m e
nennt die ausgezeichnete
Einheit
des
Uerr-
schaftsgebildes aller Triebe, D r ä n g e , Leidenschaften, die das L e b e n selbst » w o l l e n « . I n d e m die Tierheit lebt, w i e sie leibt, ist sie in der Weise des W i l l e n s zur M a c h t . Sofern dieser d e n Grundcharakter alles S e i e n d e n ausmacht, bestimmt die Tierheit erst den M e n s c h e n zu e i n e m wahrhaft Sei e n d e n . Die Vernunft ist nur eine » l e b e n d i g e « als die l e i b e n d e
Der Übermensch
43
Vernunft. AJIe » V e r m ö g e n « des M e n s c h e n sind metaphysisch vorbestimmt als Verfügungsweisen d e r M a c h t ü b e r ihr M a c h t e n . » A b e r d e r Erwachte, d e r W i s s e n d e sagt: L e i b b i n i c h g a n z u n d gar, u n d Nichts außerdem; u n d Seele ist nur ein W o r t für ein Etwas a m L e i b e . D e r L e i b ist eine große Vernunft, eine Viel heit mit E i n e m Sinne, e i n Krieg u n d ein Frieden, eine H e r d e u n d e i n Hirt. W e r k z e u g deines L e i b e s ist auch d e i n e kleine Ver nunft, m e i n Bruder, die d u >Geist< nennst, ein kleines Werku n d Spielzeug deiner großen Vernunft.« (Also sprach Zarathu stra, I. Teil: »Von d e n Verächtern des L e i b e s « ) D i e bisherige metaphysische W e s e n s a u s z e i c h n u n g des M e n s c h e n , d i e Vernünfligkeit, wird u m g e l e g t auf die Tierheit im S i n n e des leiben den Willens zur M a c h t . A b e r die bisherige a b e n d l ä n d i s c h e Metaphysik bestimmt d e n M e n s c h e n nicht nur ü b e r h a u p t und nicht in allen Z e i t a l t e m gleichsinnig als Vemunftwesen. D e r metaphysische Beginn der Neuzeit eröffnet erst die G e s c h i c h t e d e r Entfaltung jener Rolle, in der die Vernunft ihren vollen metaphysischen R a n g gewinnt. Erst an diesem R a n g läßt sich crmessen, was in der R ü c k n a h m e der Vernunft auf d i e selbst umgekehrte Tierheit geschieht. Erst der als neuzeitliche Metaphysik z u m U n b e d i n g t e n
entfaltete
R a n g d e r Vernunft enthüllt den metaphysischen Ursprung des W e s e n s des Ü b e r m e n s c h e n . D e r metaphysische Beginn d e r Neuzeit ist ein W a n d e l des Wesens der Wahrheit, dessen
G r u n d verborgen bleibt. D i e
Wahrheit wird zur Gewißheit. Dieser liegt einzig u n d alles an der im Vorstellen selbst vollziehharen Sicherung des vorgestell ten S e i e n d e n . In eins mit d e m W a n d e l des Wesens d e r Wahrheit verlagert sich das W e s e n s g c f ü g c des Vorstellens. Bisher u n d seif d e m Beginn der Metaphysik ist das Vor-stellen (νοεϊν) jenes Vernehmen, das zwar das S e i e n d e nicht leidend
hinnimmt,
w o h l d a g e g e n tätig aufschauend das A n w e s e n d e als e i n solches in seinem A u s s e h e n (ιδέα) sich g e b e n läßt. Dieses Vernehmen wird jetzt zur V e r - n c h m u n g i m gericht lichen (recht-habenden
und recht-sprechenden)
Sinne. D a s
Viertes Kapitel
+4
Vor-stellen verhört von sich aus und auf sich zu alles B e g e g n e n d e daraufhin, o b es u n d w i e es d e m standhält, was das Vor-stellen als Vor-sich-bringen an Sicherstellung zu seiner e i g e n e n Si cherheit verlangt. Das Vorstellen ist jetzt nicht m e h r nur die L e i t b a h n zur V e r n e h m u n g des S e i e n d e n als eines solchen, d. h. des a n w e s e n d e n Beständigen. D a s Vorstellen w i r d z u m G e richtshof, der ü b e r die Seiendheit des S e i e n d e n entscheidet und sagt, daß künftighin als ein Seiendes nur gelten solle, was im Vor-stellen d u r c h dieses vor es selbst gestellt u n d ihm so sicher gestellt ist. In s o l c h e m Vor-sich-stellcn stellt j e d o c h das Vorstel len je n o t w e n d i g sich selbst mit vor; dies aber nicht nachträglich » a u c h « und gar als einen G e g e n s t a n d , sondern zuvor und als Jenes, d e m alles zugestellt sein muß und in dessen Umkreis al lein ein Jegliches sichergestellt sein kann. Das sich vorstellende Vorstellen vermag allerdings nur des halb in solcher Weise ü b e r die Seiendheit des S e i e n d e n zu ent scheiden, weil es nicht nur als Gerichtshof erst n a c h e i n e m G e setz richtet, sondern selbst s c h o n das Gesetz des Seins gibt. Das Vorstellen vermag dieses Gesetz nur zu g e b e n , weil es dieses G e setz besitzt, i n d e m es sich selbst zuvor s c h o n z u m Gesetz g e m a c h t hat. D i e Verlagerung des W e s c n s g e f ü g e s des vormaligen Vorstel lens besteht darin, daß das vor-stellendc Vor-sich-bringen alles B e g e g n e n d e n sich selbst als das Sein des S e i e n d e n aufstellt. D i e Beständigkeit der A n w c s u n g , d. h. die Seiendheit, besteht jetzt in der Vor-gestelltheit durch und für dieses Vor-stellen, d. h. in die sem selbst. V o r d c m ist jegliches S e i e n d e subjeetum, d. h. e i n von sich aus Vorliegendes. Nur deshalb liegt und steht es A l l e m zugrunde (ύποκείμενον, substans), was entsteht und vergeht, d. h. in das Sein (in das A n w e s e n nach der Art des Vorliegens) k o m m t und aus i h m w e g g e h t . D i e Seiendheit (ούοία) des S e i e n d e n ist in al ler Metaphysik Subjektivität i m ursprünglichen Sinne; der g e läufigere, aber nichts anderes n e n n e n d e N a m e lautet » S u b s t a n zialilät«. D e r N a m e »Subjektivität« wird für die neuzeitlich b e griffene
Substanzialität aufbehalten.
Im B e g i n n der Neuzeit
Der Übermensch wandelt sich die Seiendheit des S e i e n d e n , ja das W e s e n dieses geschichtlichen Beginns ruht in d i e s e m W a n d e l . D i e Subjektivi tät des subjectum (die Substanzialität) wird jetzt als das sich vor stellende Vorstellen bestimmt. N u n ist aber der M e n s c h als Ver nunftwesen das in e i n e m ausgezeichneten S i n n e sich vorstel lende Vorstellen. A l s o wird der M e n s c h z u m ausgezeichneten Seienden (subjectum), d. h. z u m »dezidierten« » S u b j e k t « . Ein » v e r k o m m e n e s Subjekt« ist jedesmal nur ein » M e n s c h « . Durch den angedeuteten W a n d e l des metaphysischen Wesens der S u b jektivität erhält u n d behält dieser N a m e künftig d e n einzigen Sinn, daß das Sein des Seienden i m Vorstellen bestehe. G e g e n die Substanzialität wird die Subjektivität i m neuzeitlichen Sinne a b g e h o b e n und schließlich darin » a u f g e h o b e n « . D a h e r lautet die entscheidende F o r d e r u n g der Metaphysik Hegels
so: » E s
k o m m t nach m e i n e r Einsicht, w e l c h e sich nur durch die Darstel lung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz,
sondern eben so sehr als Subjekt
auf
zufassen u n d auszudrücken.« (System der Wissenschaft. Erster Teil: D i e P h ä n o m e n o l o g i e des Geistes, 1807, S. X X ; W W Π , 1 8 3 2 , S. 14) D a s metaphysische Wesen der Subjektivität erfüllt sich nicht in der » I c h h c i t « o d e r gar im » E g o i s m u s « des M e n schen. Das » I c h « ist j e nur eine m ö g l i c h e und in gewissen L a g e n die nächste G e l e g e n h e i t , in der sich das Wesen der Subjektivität bekundet u n d für diese B e k u n d u n g eine Unterkunft sucht. D i e Subjektivität als das Sein eines jeglichen S e i e n d e n ist niemals nur »subjektiv« im schlechten Sinne des von e i n e m vereinzelten Ich zufällig G e m e i n t e n . Weil das Vor-stellen das B e g e g n e n d e u n d S i c h r e g e n d e in die Vorgestelllheil stellt, wird das so z u g e stellte S e i e n d e z u m » O b j e k t « . Alle Objektivität ist »subjektiv«. Das heißt nicht: D a s S e i e n d e wird zu einer bloßen Ansicht u n d M e i n u n g eines beliebigen » I c h « . Alle Objektivität ist »subjek tiv«, bedeutet: D a s B e g e g n e n d e wird zu d e m in sich selbst ste henden G e g e n s t a n d aufgestellt. Seiendheit ist solche Subjektivi tät u n d Seiendheit ist Gegenständlichkeit, sagt das Selbe. I n d e m das Vor-stellen im vorhinein d a r a u f g e h t , alles B e g e g -
Viertes Kapitel
46
n e n d e als Vor-gestelltes sicherzustellen, übergreift es das Vorzu stellende ständig. Dergestalt geht das Vorstellen, je u n d je sich übergreifend, ü b e r sich hinaus. D a s Vorstellen ist so in sich, nicht außerdem n o c h , ein Streben. Dieses erstrebt die Erfüllung seines Wiesens: daß alles B e g e g n e n d e u n d S i c h r e g e n d e aus d e m Vorstellen als Vorstellen seine Seiendheit b e s t i m m e . M i t der Einsicht in die Subjektivität als eines strebenden Vorstellens ist daher durch Leibniz
erst der volle B e g i n n der neuzeitlichen M e
taphysik erreicht (vgl. M o n a d o l o g i e , § § 1+ und 15). D i e m o n a s , d. h . die Subjektivität des Subjekts ist perceptio » u n d « appetitus (vgl. auch: Principes d e la Nature et d e la G r a c e fondes en R a i s o n , n. a). D i e Subjektivität als das Sein des S e i e n d e n b e deutet: Nichts soll » s e i n « u n d kann » s e i n « , was außerhalb der G e s e t z g e b u n g des sich erstrebenden Vorstellens dieses n o c h b e d i n g e n möchte. Das W e s e n der Subjektivität drängt nun aber aus sich und notwendig
zur
unbedingten
Subjektivität.
Die
Metaphysik
Kants widersteht n o c h d i e s e m Wesensdrang des Seins, u m in z w i s c h e n d o c h z u g l e i c h d e n G r u n d für seine Erfüllung z u g r ü n den, d e n n sie bringt z u m ersten M a l das verhüllte W e s e n der Subjektivität als das W e s e n des metaphysisch begriffenen Seins ü b e r h a u p t in d e n Begriff: daß das Sein die Seiendheit ist i m Sinne der B e d i n g u n g der Möglichkeit des S e i e n d e n . D a s Sein als solche B e d i n g u n g kann aber nicht durch ein Sei endes, d. h. ein selbst n o c h Bedingtes, sondern nur durch es selbst bedingt sein. Erst als die u n b e d i n g t e Selbstgesetzgebung ist das Vorstellen, d. h. d i e Vernunft, in der beherrschten, voll entfalteten
F ü l l e ihres Wesens das Sein alles Seienden. D i e
Selbstgesetzgcbung aber kennzeichnet den » W i l l e n « , soweit sein W e s e n sich im Gesichtskreis der reinen Vernunft bestimmt. D i e Vernunft ist in sich als strebendes Vorstellen zugleich, und d . h . eigentlich, W ü l e .
1
D i e u n b e d i n g t e Subjektivität der Ver
nunft ist willentliches Sichselbstwissen. Dies sagt: Sie ist a b s o -
1
sich vorstellender Wille - Wesen des Willens - Wille zum Willen.
Der
Übermensch
47
luter Geist. Als solcher ist die Vernunft die absolute Wirklichkeit des W i r k l i c h e n (das Sein des S e i e n d e n ) . Sie selbst ist n u r in der W e i s e des durch sie verfugten Seins, i n d e m sie sich selbst z u m Erscheinen bringt in allen ihr wesentlichen Stufen des sich er strebenden Vorstellens. » P h ä n o m e n o l o g i e « i m S i n n e Hegels
ist das S i c h - z u m - B e -
griff-Bringen des Seins als unbedingtes Sicherscheinen. » P h ä n o m e n o l o g i e « m e i n t nicht die Denkart eines D e n k e r s , sondern die Weise, w i e die u n b e d i n g t e Subjektivität als das unbedingte sich erscheinende Vorstellen ( D e n k e n ) das Sein alles S e i e n d e n selbst ist. Hegels » L o g i k « gehört in die » P h ä n o m e n o l o g i e « , weil in ihr das Sicherscheinen der unbedingten Subjektivität erst un bedingt wird, sofern auch n o c h die B e d i n g u n g e n alles Erschei nens (die » K a t e g o r i e n « ) in i h r e m eigensten Sichvor-stellen u n d Einsehließen (als » L o g o s « ) in die Sichtbarkeit der »absoluten I d e e « gebracht werden. Das unbedingte und vollständige Sicherscheinen i m L i c h t e , das sie selbst ist, m a c h t das W e s e n der »Freiheit« der absoluten Vernunft aus. O b z w a r die Vernunft W i l l e ist, so entscheidet hier d o c h die Vernunft als Vorstellen ( » I d e e « ) ü b e r die Seiendheit des S e i e n d e n . D a s Vorstellen unterscheidet das Vor-gestellte g e g e n und für das Vorstellende. D a s Vor-stellen ist wesenhaft die ses Unterscheiden u n d S c h e i d e n . Daher sagt Hegel in der »Vor rede« zur » P h ä n o m e n o l o g i e des Geistes«; » D i e Tätigkeit des Scheidens ist die Kraft und Arbeit des Verstandes, der w u n d e r samsten und größten, oder vielmehr der absoluten M a c h t . « ( W W 11, S. 25)^ Erst w e n n die Vernunft dergestalt metaphysisch als die u n b e dingte Subjektivität u n d somit als das Sein des S e i e n d e n entfaltet ist, kann die U m k e h r u n g des bisherigen Vorranges der Vernunft
1
beruht »der Verstand« im Wesen des absoluten Subjekts oder wird dieses durch den »Verstand« bestimmt - das Entweder-Oder ist ungenügend. Beides gilt und reicht zusammen nicht —wie Sein als wirkender Wille im Sinne des be ständigen Anwesens zugrunde liegt.
Viertes Kapitel in d e n Vorrang der Tierheit selbst eine u n b e d i n g t e u n d d. h. nihi listische w e r d e n . D i e nihilistische Verneinung des metaphysi schen (das Sein b e s t i m m e n d e n ) Vorrangs der unbedingten Ver nunft (nicht ihre Beseitigung) ist die Bejahung der unbedingten R o l l e des » L e i b e s « als der Befehlsstelle aller Weltauslegung. » L e i b « ist der N a m e für jene Gestalt des W i l l e n s zur M a c h t , in der dieser d e m M e n s c h e n als d e m ausgezeichneten » S u b j e k t « unmittelbar z u g ä n g l i c h , weil stets zuständlich ist. D a h e r sagt Nietzsche: » W e s e n t l i c h : v o m Leib ausgehen u n d ihn als Leitfa d e n zu b e n u t z e n . « ( W . z . M . , Bd. XVI, n. 5 3 2 , S. 4 4 ; vgl. n. 6 5 9 , S. 125 f.; n. 4 8 9 , S- 16) W e n n aber der » L e i b « z u m » L e i t f a d e n « der Weltauslegung wird, d a n n sagt dies nicht, das » B i o l o g i s c h e « u n d »Vitale« sei in das G a n z e des Seienden hineinverlegt und dieses »vital« g e d a c h t , sondern es heißt: D e r b e s o n d e r e Bereich des »Vitalen« ist metaphysisch als W i l l e zur M a c h t begriffen. » W i l l e zur M a c h t « aber ist nichts »Vitales« u n d ist nichts »Geisti g e s « , sondern »Vitales« ( » L e b e n d i g e s « ) u n d » G e i s t i g e s « sind als S e i e n d e s d u r c h das Sein im Sinne des W i l l e n s zur M a c h t b e stimmt. D e r Wille zur M a c h t bringt die Vernunft i m Sinne des Vorstellens unter sich, i n d e m er es als das r e c h n e n d e D e n k e n (Wcrle-sctzen) in seinen Dienst n i m m t . D e r bisher d e m Vorstel len dienstbare Vcrnunftwille wandelt sein Wesen in den W i l l e n , der sich selbst befiehlt als das W e s e n des Seins. In der nihilistischen U m k e h m n g des Vorrangs des Vorstellens z u m Vorrang des W i l l e n s als des W i l l e n s zur M a c h t erlangt der Wille erst die u n b e d i n g t e Herrschaft im W e s e n der Subjektivi tät. D e r W i l l e ist nicht m e h r nur die Selhstgesetzgcbung für die vorstellende und erst als vorstellende » a u c h « h a n d e l n d e Ver nunft. D e r Wille ist jetzt die reine Selhstgesetzgcbung seiner selbst: der Befehl zu seinem W e s e n , d . h . z u m Befehlen, da? reine M a c h t e n der M a c h t . D u r c h die nihilistische U m k e h r u n g wird die unbedingte S u b jektivität des Vorstellens nicht nur u m g e d r e h t auf die des » W o l lens«, sondern durch d e n Wesensvorrang des Willens wird sogar n o c h das bisherige W e s e n der Unbedingtheil angegriffen u n d ver-
Der Übermensch
49
wandelt. D i e Unbedingtheit des Vorstellens ist stets n o c h bedingt durch d as, was sich zustellt. D i e Unbedingtheit des W i l l e n s j e d o c h ermächtigt allein auch das Zustellbare erstzu e i n e m solchen. Das W e s e n der unbedingten Subjektivität erreicht in solcher u m k e h renden E r m ä c h t i g u n g des Willens erst seine Vollendung. Diese bedeutet nicht » V o l l k o m m e n h e i t « , die ja n o c h an e i n e m » a n sich« bestehenden Maß gemessen w e r d e n müßte. » V o l l e n d u n g « b e s a g t hier, daß die äußerste, bisher niedergehaltene Möglichkeit des Wesens der Subjektivität zur Wesensmitte wird. D e r W i l l e zur M a c h t ist daher die unbedingte und, weil die umgekehrte, erst auch die vollendete Subjektivität, die kraft solcher Vollendung zugleich das W e s e n der Unbedingtheit ausschöpft. D e r Beginn der neuzeitlichen Metaphysik begreift das ens (das S e i e n d e ) als das Wahre (verum) und deutet dieses als das certum (das Gewisse). D i e Gewißheit des Vorstellens u n d seines Vorgestellten wird zur Seiendheit des S e i e n d e n . D i e s e G e w i ß heit bleibt bis zu Fichtes
» G r u n d l a g e der gesamten W i s s e n
schaftsichre« ( 1 7 9 4 ) auf das Vorstellen des m e n s c h l i c h e n c o gito-sum eingeschränkt, das als m e n s c h l i c h e s nur ein geschaf fenes und
sonach bedingtes sein kann. In der Metaphysik
Hegels wird die Subjektivität der Vernunft in ihre Unbedingtheit ausgearbeitet. Als die Subjektivität des u n b e d i n g t e n Vorstellens hat sie zwar die siniüiche Gewißheit u n d das leibliche Selbstbe wußtsein anerkannt, dies aber nur, u m sie in die Unbedingtheit des ahsoluten Geistes aufzuheben u n d ihr so j e d e Möglichkeit eines unbedingten Vorrangs scldechthin zu bestreiten. Sofern in der unbedingten Subjektivität der Vernunft die äußerste G e g e n möglichkeit einer unbedingten Wesensherrschaft des sich aus sich befehlenden W i l l e n s ausgeschlossen bleibt, ist die Subjek tivität des absoluten Geistes zwar eine unbedingte, aber auch n o c h wesenhaft unvollendete Subjektivität. Erst ihre U m k e h r u n g in die Subjektivität des W i l l e n s zur M a c h t schöpft die letzte Wesensmöglichkeit des Seins als der Subjektivität aus. In ihr wird umgekehrt die vorstellende Ver nunft durch die Verwandlung z u m wertesetzenden D e n k e n an-
Viertes Kapitel
50
erkannt, aber nur u m in d e n Dienst der E r m ä c h t i g u n g
der
U b e r m ä c h t i g u n g gestellt zu w e r d e n . Mit der U m k e h r u n g der Subjektivität des u n b e d i n g t e n Vorstellens zur Subjektivität des Willens zur M a c h t stürzt der Vorrang der Vernunft als Leitbahn und Gerichtshof für den Entwurf des S e i e n d e n . D i e vollendete Subjektivität des W i l l e n s zur M a c h t ist der metaphysische Ursprung der Wesensnotwendigkeit des » U b e r m e n s c h e n « . G e m ä ß d e m bisherigen Entwurf des S e i e n d e n ist das wahrhaft S e i e n d e das Uber-sinnliche, will sagen: die Ver nunft selbst als schaffender und o r d n e n d e r » G e i s t « . D a h e r kann sich die unbedingte Subjektivität der Vernunft als das A b s o l u t e jener » W a h r h e i t « wissen, die das Christentum ü b e r das S e i e n d e als solches i m G a n z e n lehrt. Das S e i e n d e ist nach dieser L e h r e das Geschaffene des » S c h ö p f e r s « . Das Seiendstc
(summum
ens) ist der » S c h ö p f e r « selbst. Das Schaffen ist metaphysisch im Sinne des herstellenden Vorstellens begriffen. D e r Einsturz des Vorrangs der vorstellenden Vernunft enthält das metaphysische Wesen jenes Ereignisses, das Nietzsche den T o d des christlich moralischen Gottes nennt. D i e s e l b e U m k e h r u n g der Subjektivität der u n b e d i n g t e n Ver nunft zur unbedingten Subjektivität des Willens zur M a c h t ver setzt nun aber zugleich die Subjektivität in die unbeschränkte Vollmacht der ausschließlichen Entfaltung ihres e i g e n e n W e sens. Jetzt will die Subjektivität als der W i l l e zur M a c h t in der E r m ä c h t i g u n g zur U b e r m ä c h t i g u n g schlechthin nur sich selbst als M a c h t . Sich selbst w o l l e n heißt hier: sich in der höchsten Vollendung des e i g e n e n W e s e n s vor sich b r i n g e n und dcrgestall dieses W e s e n selbst sein. D i e vollendete Subjektivität muß da her aus ihrem Innersten ihr eigenes W e s e n ü b e r sich selbst hin aussetzen. Allein, die vollendete Subjektivität verwehrt ja d o c h ein A u ßerhalb ihrer selbst. Niehls hat den Anspruch auf das Sein, was nicht im Machtkreis der vollendeten Subjektivität
steht. Das
Ubersinnliche gar und der Bereich eines übersinnlichen Gottes sind eingestürzt. Jetzt m u ß der M e n s c h , weil er allein als vor-
Der Obermensch
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stellender, wertesetzender W i l l e inmitten des S e i e n d e n als eines solchen i m G a n z e n ist, der vollendeten Subjektivität die Statte ihres reinen W e s e n s bieten. D e s h a l b kann der W i l l e zur M a c h t als die vollendete Subjektivität sein W e s e n nur in das » S u b j e k t « stellen, als welches der M e n s c h ist, und zwar jener, der ü b e r d e n » b i s h e r i g e n « M e n s c h e n h i n a u s g e g a n g e n ist. S o in sein H ö c h stes gestellt, ist der W i l l e zur M a c h t als die vollendete Subjekti vität das höchste und einzige Subjekt, d . h . der » Ü b e r m e n s c h « . Dieser g e h t nicht nur nihilistisch ü b e r das bisherige M e n s c h e n wesen hinweg, sondern z u g l e i c h als die U m k e h r u n g dieses W e sens ü b e r sich selbst in sein U n b e d i n g t e s hinaus, und d . h . zu mal: in die G ä n z e des S e i e n d e n , die e w i g e Wiederkunft des G l e i c h e n , hinein. D a s neue M e n s c h e n t u m inmitten des S e i e n den, das im G a n z e n ziel-los u n d als solches W i l l e zur M a c h t ist, muß, w e n n es sich selbst will und nach seiner Art ein » Z i e l « will, n o t w e n d i g den Ü b e r m e n s c h e n wollen: » N i c h t >Menschheil<, sondern
Übermensch
ist das Z i e l ! « ( W . z . M . , Bd. X V I ,
n. 1 0 0 1 , S - 3 6 0 ) D e r » Ü b e r m e n s c h « ist kein » ü b e r s i n n l i c h e s Ideal«; er ist auch keine irgendwann sich m e l d e n d e u n d ir g e n d w o auftretende » P e r s o n « . E r ist als das höchste Subjekt der vollendeten Subjektivität
das reine M a c h t e n des W i l l e n s zur
M a c h t . D e r G e d a n k e des » Ü b e r m e n s c h e n « entspringt daher auch nicht einer » Ü b e r h e b l i c h k e i t « des » H e r r n N i e t z s c h e « . W e n n s c h o n v o m D e n k e r her der Ursprung dieses G e d a n k e n s bedacht sein will, dann liegt er in der innersten Entschieden heit, aus der sich Nietzsche der Wesensnotwendigkeit der voll endeten Subjektivität, d . h . der letzten metaphysischen W a h r heit
ü b e r das
S e i e n d e als solches, unterwirft-
Der
Ȇber
m e n s c h « » l e b t « , i n d e m das n e u e M e n s c h e n t u m das Sein des S e i e n d e n als den Willen zur M a c h t will. E s » w i l l « dieses Sein, weil es selbst » v o n « diesem Sein gewillt, d. h. als M e n s c h e n t u m sich selbst u n b e d i n g t überlassen wird.'
1
' uns der Verweigerung des Unterschieds entlassen in die Verwahrlosung von daher: der Übermensch.
Viertes Kapitel
sä
So schließt d e n n Zarathustra, der d e n Ü b e r m e n s c h e n lehrt, d e n ersten Teil seiner L e h r e mit d e m Wort: »>Tot sind edle Göt ter: nun wollen wir, daß der Ubermensch
lebe< — dies sei einst am
großen Mittage unser letzter Wille! —« (Also sprach Zarathustra, I. Teil, Schluß) Z u r Zeit der hellsten H e l l e , da das S e i e n d e im G a n z e n als e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n sich zeigt, muß der W i l l e d e n Ü b e r m e n s c h e n wollen; d e n n nur in d e r Aussicht auf den U b e r m e n s c h e n ist der G e d a n k e der ewigen Wiederkunft des G l e i c h e n zu ertragen. D e r Wille, der hier will, ist nicht ein W ü n s c h e n und Streben, sondern der W i l l e zur M a c h t . D i e » W i r « , die da w o l l e n , sind jene, die den Grundcharakter des S e i e n d e n als Wille zur M a c h t erfahren haben und wissen, daß dieser i m Höchsten sein W e s e n selbst will u n d so der Einklang ist mit d e m Seienden i m G a n z e n . Jetzt erst wird die F o r d e r u n g in Zarathustras Vorrede klar: » E u e r W i l l e sage: der Ü b e r m e n s c h sei der Sinn der Erde!« Das Sein, das dieses » s e i « sagt, ist ein befohlenes und, weil der Be fehl wesenhaft der Wille zur M a c h t ist, selbst von der Art des Willens zur M a c h t . » E u e r W i l l e sage«, das heißt zuvor: Euer Wille sei Wille zur M a c h t . Dieser aber ist als das Prinzip der neuen Wertsetzung der G r u n d dafür, daß das S e i e n d e nicht das übersinnliche Jenseits, sondern die hiesige Erde und zwar als das Objekt des Kampfes u m die Erdherrschaft sei, und so das Z i e l dieses Seienden der Ü b e r m e n s c h . » Z i e l « meint nicht m e h r d e n » a n sich« bestehenden Z w e c k , sondern besagt so viel wie » W e r t « ; und der Wert ist die v o m W i l l e n zur M a c h t selbst be dingte B e d i n g u n g für ihn selbst. D i e höchste B e d i n g u n g der Subjektivität ist das » S u b j e k t « , in das sie selbst ihren unbeding ten Willen stellt. Dieser W i l l e sagt und setzt, was das S e i e n d e im Ganzen sei. D e m Gesetz dieses Willens leiht Nietzsche das Wort:
»All die Schönheit und Erhabenheit, die wir d e n wirkli chen und eingebildeten Dingen geliehen haben, will ich zurückfordern
als Eigentum
und Erzeugnis
des M e n -
Der Übermensch
53
sehen: als seine schönste A p o l o g i e . D e r M e n s c h als D i c h ter, als D e n k e r , als Gott, als L i e b e , als M a c h t - : o h ü b e r seine königliche Freigebigkeit, mit der er d i e D i n g e b e schenkt hat, u m sich zu verarmen
u n d sich elend zu f ü h
len! D a s war bisher seine größte Selbsdosigkeit, daß er bewunderte und anbetete u n d sich zu verbergen wußte, daß er es war, der Das geschaffen hat, was er b e w u n d e r te. - « ( W . z . M . , Bd. X V , Vorspruch z u m Π . B u c h ,
1887/
1888, S. 2 4 1 ) W i r d nun aber so das S e i e n d e i m G a n z e n nicht n a c h d e m Bilde des M e n s c h e n ausgelegt u n d »subjektiv« g e m a c h t ? F ü h r t diese Vermenschlichung des Seienden als solchen i m G a n z e n nicht zur Verkleinerung der Welt? D o c h die Gegenfrage m e l d e t sich: W e r ist hier der M e n s c h , durch d e n und auf d e n das Seiende vermenschlicht wird? In w e l c h e r Subjektivität g r ü n d e t die » S u b jcktivierung« der Welt? W i e , w e n n der bisherige M e n s c h erst durch die e i n m a l i g e nihilistische U m k e h r u n g
sich
wandeln
muß z u m U b e r m e n s c h e n , der als höchster W i l l e zur M a c h t das S e i e n d e als das S e i e n d e sein lassen will? » . . . nicht mehr Wille der Erhaltung, sondern der M a c h t ; nicht m e h r die d e m ü t i g e W e n d u n g >os ist Alles nur subjektiv^ sondern >es ist auch unser Werk! - seien wir stolz, darauf!<« ( W . z . M . , Bd. X V I , n. 1 0 5 9 , S. 3 9 5 ) Z w a r ist alles »subjektiv«, aber i m Sinne der vollendeten Subjektivität des Willens zur M a c h t , der das S e i e n d e zu e i n e m solchen ermächtigt. » D i e Welt >vermenschlichen<, d. h. i m m e r m e h r uns in ihr als H e r r e n fühlen - « (Ebd., n. 6 1 4 , S. 100). » H e r r « j e d o c h wird der M e n s c h nicht durch eine beliebige Ver gewaltigung der D i n g e nach zufälligen Ansichten und W ü n schen, l i e r r - w e r d e n heißt zuerst, sich selbst d e m Befehl zur Er m ä c h t i g u n g des Wesens der M a c h t unterstellen. Triebe finden erst ihr Wesen von der Art des Willens zur M a c h t als die » g r o ßen«, d. h. in ihrem W e s e n von der reinen M a c h t erfüllten L e i denschalten. Sie wagen »sich selber dran« und sind sich selbst »Richter und Rächer und O p f e r « (Also sprach
Zarathustra,
Viertes Kapitel
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11. Teil, »Von der S e l b s t ü b e r w i n d u n g « ) . D i e kleinen L ü s t e blei ben d e n großen Leidenschaften fremd. Nicht die bloßen Sinne, sondern der Machtcharakter, in den sie einbehalten sind, ent scheidet: » . . . D i e Kraft u n d M a c h t der Sinne — das ist das W e sentlichste an e i n e m wohlgeratenen und ganzen M e n s c h e n : das +
prachtvolle >Tier< muß zuerst g e g e b e n sein, — was liegt sonst an
aller
>Vermenschlichungd« ( W . z . M . ,
Bd. X V I , n. 1045,
S. 3 8 5 ) W e n n die Tierheit des M e n s c h e n auf d e n W i l l e n zur M a c h t als ihr W e s e n z u r ü c k g e b r a c h t ist, wird der M e n s c h z u m endlich »festgestellten T i e r « . »Fest-stellcn« bedeutet hier: das W e s e n a u s m a c h e n und u m g r e n z e n und so zugleich beständig m a c h e n , z u m » S t e h e n « bringen im Sinne der unbedingten
Selbständig
keit des Subjekts des Vor-stellens. D e r bisherige M e n s c h da g e g e n , der seine A u s z e i c h n u n g allein in der Vernunft gesucht, bleibt das »noch nicht festgestellte
Tier« (Bd. X11J, n. 6 6 7 , S. 2 7 6 ) .
» V e r m e n s c h l i c h u n g « heißt daher, nihilistisch gedacht, zuerst d e n M e n s c h e n z u m M e n s c h e n m a c h e n durch die U m k e h r u n g des Vorrangs der Vernunft in den des » L e i b e s « ; und heißt datvn und zugleich: die A u s l e g u n g des Seienden als solchen im G a n z e n nach diesem u m g e k e h r t e n M e n s c h e n . Deshalh kann Nietz sche sagen: »>Vermensch!ichung< — ist ein Wort voller Vorurteile, u n d klingt in m e i n e n Ohren beinahe umgekehrt, als in euren O h r e n . « (Bd. XIII, n. 4 6 6 , S. 2 0 6 ) D a s Umgekehrte der Ver m e n s c h l i c h u n g , nämlich diejenige durch den Ü b e r m e n s c h e n , ist die » E n t m e n s c h l i c h u n g « . Sie befreit das Seiende von den Wertsetzungen des bisherigen M e n s c h e n . D u r c h diese Entmenschli c h u n g zeigt sich das S e i e n d e »nackt« als das Machten
und
Kämpfen der 1 lerrschaftsgcbilde des Willens zur M a c h t , d. h. als » C h a o s « . S o ist das S e i e n d e rein aus d e m Wesen seines Seins: » N a t u r « . D e s h a l b heißt es in e i n e m ersten Entwurf der Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen: »Chaos >Von der Entmenschlichung
sive
dcrNatur>.« (Bd. XU, S. 42b)
* d.h. die machtvolle Subjektivität des Willens-/.um Willen.
natura:
Der
Übermensch
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D i e metaphysische Fest-Stellung des M e n s c h e n z u m Tier b e deutet die nihilistische Bejahung des Ü b e r m e n s c h e n . Nur w o das S e i e n d e als solches W i l l e zur M a c h t u n d das S e i e n d e i m G a n z e n e w i g e Wiederkunft des G l e i c h e n ist, kann sich d i e n i hilistische U m k e h r u n g des bisherigen M e n s c h e n z u m Ü b e r m e n s c h e n vollziehen u n d muß der Ü b e r m e n s c h sein als das v o n der u n b e d i n g t e n Subjektivität des W i l l e n s zur M a c h t für sich aufgerichtete höchste Subjekt ihrer selbst. D e r U b e r m e n s c h bedeutet nicht die p l u m p e Vergrößerung der W i l l k ü r von ü b l i c h e n Gewalttaten
des bisherigen
Men
schen. Im Unterschied zu jeder bloßen Übertreibung des beste henden M e n s c h e n in das M a ß l o s e wandelt der Schritt z u m Übermenschen
den
bisherigen
Menschen
wesentlich
zum
» U m g e k e h r t e n « . Dieser stellt a u c h nicht lediglich einen » n e u e n Typus«
Mensch
auf,
sondern
der
nihilistisch
umgekehrte
M e n s c h ist z u m ersten M a l der M e n s c h ah Typus* » . . . E s han delt sich u m den T y p u s : d i e M e n s c h h e i t ist bloß das Versuchs material, der u n g e h e u r e Überschuß des Mißratenen: e i n T r ü m merfeld.« ( W . ζ. M . , Bd. X V I , n. 7 1 3 , S. 171) D i e vollendete U n bedingtheit des W i l l e n s zur M a c h t fordert selbst für ihr eigenes Wesen als B e d i n g u n g , daß das solcher Subjektivität
gemäße
M e n s c h e n t u m sich selbst will und selbst nur w o l l e n kann, in d e m es wissentlich-willentlich sich z u m Schlag des nihilistisch umgekehrten M e n s c h e n prägt. Das Klassische dieser sich selbst in die H a n d
nehmenden
Selbstprägung des M e n s c h e n besteht in der einfachen Strenge der Vereinfachung aller D i n g e und M e n s c h e n auf das Eine der unbedingten
Ermächtigung
des Wesens der M a c h t für die
Herrschaft über die Erde. Die B e d i n g u n g e n dieser Herrschaft ( d . h . alle Werte) werden gesetzt und erwirkt durch eine voll ständige » M a c h i n a l i s i e r u n g « der D i n g e und die Z ü c h t u n g des
' »Typus« = Sein als Vor-siellen: willentlich lest-slellen in dir- Ge-slfllt. Schlagen in den Schlag; ganz anderes als είδος, sobald iAeu als per-coptio - und doch das Selbe.
Viertes Kapitel
M e n s c h e n . Nietzsche erkennt d e n metaphysischen Charakter der M a s c h i n e und spricht diese Erkenntnis in e i n e m » A p h o r i s m u s « der Schrift » D e r Wanderer u n d sein Schatten« ( 1 8 8 0 ) aus: »Die Maschine
ah Lehrerin.
— D i e M a s c h i n e lehrt durch
sich selber das Ineinandergreifen v o n M e n s c h e n h a u f e n , bei A k t i o n e n , w o Jeder nur Eins zu tun hat: sie gibt das Muster der Partei-Organisation
u n d der Kriegsführung.
Sie lehrt d a g e g e n nicht die individuelle Sclbstherrlichkeit: sie macht aus V i e l e n Eine M a s c h i n e , und aus j e d e m E i n z e l n e n ein W e r k z e u g zu Einem
Z w e c k e . Ihre allge
meinste W i r k u n g ist: d e n Nutzen der Zentralisation zu 6
l e h r e n . « ( D e r W a n d e r e r u n d sein Schatten, B d . III, n. 2 1 8 , S. 3 1 7 ) D i e Machinalisierung ermöglicht eine kraftsparende und d. h. zugleich kraftspeichernde, jcderzeitüberallhin übersehbare M e i sterung des Seienden. In ihren Wesensbezirk gehören auch » d i e Wissenschaften«. S i c behalten nicht nur ihren » W e r t « ; sie er halten auch nicht nur einen neuen » W e r t « . V i e l m e h r sind sie jetzt z u m ersten M a l selbst ein » W e r t « . Als die betriebsmäßige u n d lenkbare Erforschung alles Seienden stellen sie dieses »fest« u n d b e d i n g e n durch ihre »Fest-stellungen« die Bestand sicherung des Willens zur M a c h t . D i e Z ü c h t u n g des M e n s c h e n aber ist nicht Z ä h m u n g als N i e derhalten und L a h m l e g u n g der » S i n n l i c h k e i t « , sondern w i e d e r u m als Aufspeicherung und R e i n i g u n g der Kräfte in die Ein deutigkeit des streng beherrschbaren » Automatismu s « alles H a n delns. N u r w o die u n b e d i n g t e Subjektivität des Willens zur M a c h t zur Wahrheit des S e i e n d e n i m G a n z e n wird, ist das Prin zip der Einrichtung einer Rassenzüchtung, d. h. nicht bloße aus sich w a c h s e n d e Rassenbildung, sondern der sich selbst wis-
6
Lehre für welches Lernen! Das Lernen des Willens im Sinne des Willens zum Willen - das vor-stellendc, her-strllende Aufstellen.
Der Übermensch s e n d e Rassengedanke
57
möglich u n d d. h. metaphysisch notwen
dig. D a s metaphysische, d e m W i l l e n zur M a c h t entsprechende W e s e n aller m a c h i n a l e n Einrichtung der D i n g e u n d rassischen Z ü c h t u n g des M e n s c h e n hegt deshalb in der Vereinfachung al les S e i e n d e n aus der ursprünglichen Einfachheit des Wesens der M a c h t . D e r W i l l e zur M a c h t will einzig sich selbst aus der einzigen H ö h e dieses einen Willens. Er verliert sich nicht in das Vielerlei des Unübersehbaren. Er kennt nur das W e n i g e der e n t s c h e i d e n d e n B e d i n g u n g e n seiner Steigerung u n d ihrer Si cherung. D a s W e n i g e ist hier nicht das Geringe u n d M a n g e l hafte, sondern der R e i c h t u m der höchsten Befehlsstelle, die aus ihren einfachsten E n t s c h e i d u n g e n a m weitesten hinaus offen ist für die Möglichkeiten des G a n z e n . » E i n alter C h i n e s e sagte, er h a b e gehört, w e n n R e i c h e zu G r u n d e g e h n sollen, so hätten sie viele Gesetze.« ( W . z . M . , Bd. XVI, n. 7+5, S. 191) A u s der i h m eigenen Einfachheit des Willens zur M a c h t k o m m t die Eindeutigkeit, Geschliffenheit u n d Festigkeit aller seiner Prägungen und S c h l ä g e . I h m allein entspringt u n d ent spricht das Schlaghafte (das » T y p i s c h e « ) - D i e W e i s e aber, wie die nihilistische klassische U m w e r t u n g aller Werte die Bedin g u n g e n der unbedingten Erdherrschaft vorausdenkt u n d z e i c h net u n d erwirkt, ist » d e r große Stil«. Er bestimmt den »klassi schen G e s c h m a c k « , zu d e m » . . . ein Q u a n t u m Kälte, Luzidität, Härte hinzugehört: L o g i k vor A l l e m , G l ü c k in der Geistigkeit, >drci Einheiten^ Konzentration, Haß g e g e n G e f ü h l , G e m ü t , esprit, Haß g e g e n das Vielfache, Unsichere, S c h w e i f e n d e , A h n e n d e so gut als g e g e n das Kurze, Spitze, H ü b s c h e , G ü t i g e . M a n soll nicht mit künstlerischen F o r m e l n spielen: m a n soll das L e b e n umschaffen, daß es sich n a c h h e r formulieren
muß.«
( W . ζ. M . , Bd. XVI, n. 8 4 9 , S. 2 6 5 ) Das Große des großen Stils entspringt aus der M a c h t w e i t e der Vereinfachung, die i m m e r Verstärkung ist. Weil n u n aber der große Stil die Art der alles e i n b e z i e h e n d e n
Erdherrschaft
vorprägt u n d auf das G a n z e des Seienden b e z o g e n bleibt, g e -
Viertes
58
Kapitel
hört zu i h m das Riesige. Dessen echtes Wesen besteht j e d o c h nicht in der nur m e n g e n h a f t e n A n r e i h u n g des ü b e r m ä ß i g Vie len. Das Riesenhafte des großen Stils entspricht d e m W e n i g e n , das die eigene Wesensfülle jenes Einfachen enthält, in dessen Beherrschung der W i l l e zur M a c h t seine A u s z e i c h n u n g hat. D a s Riesige untersteht nicht der B e s t i m m u n g der Quantität. Das Riesenhafte des großen Stils ist jene »Qualität« des Seins alles S e i e n d e n , die der vollendeten Subjektivität des W i l l e n s zur M a c h t gemäß bleibt. Das »Klassische« des Nihilismus hat da her auch alle R o m a n ü k ü b e r w u n d e n , die n o c h jeder »Klassizis m u s « in sich versteckt hält, weil er n a c h d e m »Klassischen« nur »strebt«.
» . . . Beethoven der erste große Romantiker, i m S i n n e des französischen
Begriffs R o m a n t i k , w i e W a g n e r der letzte
große R o m a n t i k e r ist . . . beides instinktive W i d e r s a c h e r des klassischen G e s c h m a c k s , des strengen Stils. — u m vom >großen< hier nicht zu r e d e n . « ( W . z . M . , Bd. X V I . n. 8 4 2 , S.261) D e r große Stil ist die Art, wie der W i l l e zur Macht die Einrich tung aller D i n g e und die Z ü c h t u n g des M e n s c h e n t u m s als M e i sterung des wesenhaft ziel-losen S e i e n d e n im G a n z e n z u m vor aus in seine M a c h t stellt und aus dieser in steter Steigerurig je d e n Schritt Übermächte! und vorzeiehnet. Diese erdherrschaftli c h e M e i s t e r u n g ist metaphysisch die unbedingte Beständigung des W e r d e n d e n im G a n z e n . S o l c h e Beständigung widersteht je d o c h der Absicht, nur einen grenzenlos a n d a u e r n d e n E n d - Z u stand eines gleichmäßigen Einerlei sicherzustellen; d e n n damit hörte der Wille zur M a c h t auf, er selbst zu sein, weil er sich selbst die Möglichkeit der Steigerung entrisse. D a s » G l e i c h e « , das wiederkehrt, hat seine Gleichheit i m j e d e s m a l wieder neuen Befeld. Wesentlich anders als die gefahrenlosc Beständigkeit ei nes l a h m e n Beharrens ist die b e r e c h e n b a r e u n d lenkbare »ver hältnismäßige D a u e r « der jeweiligen Herrschaftsgebilde. Sie
Der Übermensch
59
sind fest auf eine bestimmte Zeit, d i e aber beherrschbar bleibt. D i e s e Festigkeit hat i m Spielraum der wesenhaft r e c h n e n d e n M a c h t jederzeit d i e M ö g l i c h k e i t des beherrschten Wechsels. I m großen Stil hezeugtjlc-r Ü b e r m e n s c h seine einzigartige Bestimmtheit. Mißt m a n dieses höchste Subjekt der vollendeten Subjektivität an den » I d e a l e n « u n d W ü n s c h b a r k e i t e n der bishe rigen Wertsetzung, dann wird freilich alles ungreifbar.
Denn
jetzt ist der U b e r m e n s c h in e i n e n Bereich des S e i e n d e n versetzt, in d e m er w e d e r sein kann n o c h muß. W o d a g e g e n jedes b e stimmte Z i e l und jeder W e g u n d jegliches G e b i l d e je nur B e d i n g u n g und Mittel der u n b e d i n g t e n E r m ä c h t i g u n g des Willens zur M a c h t sind, da besteht i m Nichtbestimmtsein durch solche Bedingtingen gerade die Eindeutigkeit dessen, der als Gesetz geber erst die B e d i n g u n g e n der Herrschaft
ü b e r die
Erde
setzt. D i e scheinbare Ungreifbarkcit des Ü b e r m e n s c h e n zeigt auf die Schärfe, mit der durch dieses eigentliche Subjekt des W i l lens zur M a c h t hindurch der wesenhafte ^Widerwille g e g e n jede Festlegung begriffen ist, der das W e s e n der M a c h t auszeichnet. Das Große des Ü b e r m e n s c h e n , der nicht das unfruchtbare A b seits der bloßen A u s n a h m e kennt, besteht darin, daß er das W e sen des W i l l e n s zur M a c h t in den W i l l e n eines M e n s c h e n t u m s legt, das in s o l c h e m Willen sich selbst will als den Herrn der E r d e . Im Ü b e r m e n s c h e n ist » . . . eine e i g e n e Gerichtsbarkeit, w e l c h e keine Instanz ü b e r sich hat.« ( W . z . M . , B d . X V I , n. 962, S. 342) Stelle u n d Art des E i n z e l n e n , der G e m e i n s c h a f t e n und ihres W c c h s e l b e z u g e s , R a n g und Gesetz eines Volkes und der Völkergruppen bestimmen sich nach d e m Grad und der Weise der Befehlskraft, aus der sie sich der Verwirklichung der u n b e dingten Herrschaft des M e n s c h e n ü b e r sich selbst in d e n Dienst stellen. D e r Ü b e r m e n s c h ist der Sehlag des M e n s c h e n t u m s , das sich erstmals selbst als S c h l a g will und selbst zu d i e s e m Schlag sich schlag!. D a z u bedarf es j e d o c h des » H a m m e r s « , m i t d e m der S c h l a g geprägt und gehärtet und alles Bisherige, weil i h m U n g e m ä ß e , zertrümmert wird. Deshalb gibt Nietzsche (1886)
Viertes Kapitel
60
in e i n e m der Pläne für sein »Hauptwerk.« d e m Schlußteil fol g e n d e Fassung: »Viertes Buch: Der Hammer. schen beschaffen
sein, die u m g e k e h r t
W i e müssen M e n
wertschätzen? - . . . «
( E b d . S. 4 1 7 , η . 1) U n d in e i n e m der letzten Pläne n o c h ist die » e w i g e Wiederkunft des G l e i c h e n « die alles Bestimmung
des S e i e n d e n
durchherrschende
im Ganzen. Das
abschließende
Stück ist betitelt: » D i e Umgekehrten. Ihr H a m m e r >Die L e h r e von der W i e d e r k u n f t . « ( W . z . M , Bd. X V I , S. 4 2 5 ) W e n n das S e i e n d e i m G a n z e n e w i g e Wiederkunft des G l e i c h e n ist, dann bleibt d e m M e n s c h e n t u m , das inmitten dieses G a n z e n sich als W i l l e zur M a c h t begreifen muß, nur die Ent scheidung, o b es nicht eher n o c h das nihilistisch
erfahrene
Nichts will, als daß es überhaupt nicht mehr will und seine Wesensmöglichkeit preisgibt. W e n n das
damit
Menschentum
das klassisch-nihilistisch verstandene Nichts (die Ziel-losigkeit des Seienden i m G a n z e n ) will, schafft es sich unter d e m H a m m e r der ewigen Wiederkunft des G l e i c h e n einen Zustand, der die umgekehrte Art M e n s c h nötig macht. Dieser M e n s c h e n schlag setzt innerhalb des sinn-loscn Ganzen den W i l l e n zur M a c h t als den »Sinn der E r d e « . D i e letzte Periode des europäi schen Nihilismus ist die »Katastrophe« im bejahenden der U m w c n d u n g : » . . . die Heraufkunft die M e n s c h e n aussiebt...
Sinne
einer Lehre, w e l c h e
w e l c h e die S c h w a c h e n zu Entschlüs
sen treibt und e b e n s o die Starken —« ( W . z . M . , Bd. X V , n. 56, S. 1 8 7 ) . W e n n das S e i e n d e als solches W i l l e zur M a c h t ist, muß das S e i e n d e im Ganzen als ewige W i e d e r k e h r des Gleichen jeden B e z u g z u m Seienden übermächtigen. Wenn das S e i e n d e im G a n z e n ewige Wiederkunft des G l e i c h e n ist, dann hat sich der Grundcharakter des Seienden als W i l l e zur M a c h t offenbart. U n d zumal: wenn das S e i e n d e als Wille zur M a c h t im Ganzen der ewigen W i e d e r k e h r des Gleichen waltet, muß sich die un bedingte u n d vollendete Subjektivität des Willens zur M a c h t m e n s c h e n t ü m l i c h in das »Subjekt« des U b e r m e n s c h e n stellen. D i e Wahrheit des S e i e n d e n als solchen im Ganzen wird b e -
Der Übermensch
61
stimmt d u r c h d e n W i l l e n zur M a c h t u n d e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n . D i e s e Wahrheit wird verwahrt d u r c h d e n U b e r m e n schen. D i e G e s c h i c h t e der Wahrheit des S e i e n d e n als solchen i m G a n z e n , u n d ihr z u f o l g e d i e Geschichte d e s v o n ihr in ihren Bezirk einbegriffenen M e n s c h e n t u m s , hat d e n G r u n d z u g des Nihilismus. W o h e r n i m m t aber die so erfüllte u n d so verwahrte Wahrheit des S e i e n d e n als solchen im G a n z e n ihr eigenes W e sen?
FÜNFTES KAPITEL 1
Die Gerechtigkeit
Nietzsche ^hehälj/die N a m e n »das W a h r e « und » d i e Wahrheit« bei für das, was Platon das »wahrhaft S e i e n d e « (οντως ßy, α ληθώς öv) nennt, w o m i t das Sein des S e i e n d e n (die » I d e e « ) g e 2
meint ist.' D e s h a l b bedeutet für Nietzsche »das W a h r e « u n d »das S e i e n d e « , » d a s Sein« u n d » d i e Wahrheit« das S e l b e . Weil er j e d o c h neuzeitlich denkt, ist die Wahrheit nicht nur ü b e r haupt eine B e s t i m m u n g des vor-steller^a^h Er^eririens, sondern die Wahrheit besteht gemäß d e m W a n 5 e l des Vorstellens z u m sichernden (Zustellen i m Setzen des Ständigen. Das Halten der »Wahrheit«
ist
das
vorstellende
»Für-wahr-halten«
(vgl.
WrTTfVrrrBd^CVL n. 507, S. 23f.). D a s Wahre ist das i m vorstel l e n d e n D e n k e n Festgemachte u n d a l s o ^ e s t a n ä j g e . D o c h dieses hat nach der nihilistischen U m w e r t u n g nicht m e h r d e n Gharakr tcr des an sicJt-yorhandencn Ü b e r s i n n l i c h e n . D a s Beständige si chert den^oestanii des L e b e n d i g e n , insofern a l l e j ^ e b c n d i g e eirtgn ^ { g r f i U r r i k r e i s braucht, Äjp d e m es sich & h ä j i / Aber Er haltung ist nicht das W e s e n des L e b e n d i g e n , sondern nur der eine G r u n d z u g dieses W e s e n s , das in seinem Eigensten d o c h Steigerung bleibt. Weil die Erhaltung je ein Festes als n o t w e n dige B e d i n g u n g der Erhaltung und Steigerung setzt, das Setzen solcher B e d i n g u n g e n a b e r
3
das Werte-setzen des W i l l e n s zur
M a c h t ist, hat das Wahre als das Beständige Wertcharakter. D i e Wahrheit ist ein für d e n W i l l e n z u r M a c h t n o t w e n d i g e r Wert. ' iu5Ütia — certiludo — Rechtfertigung — Richtigkeit—Wertschätzung: Neuzeit ich. Vgl. Vorrede zu »Menschliches Allzumenschliches« aus dem Jahr 18β6, insbes. S. 62. aus dem Wesen des Willens zur Macht notwendig ist und als Setzung von Bedingungen den Charakter der Wertietzung hat. ί
3
Die
Gerechtigkeit
D i e Beständigung verfestigt aber jedesmal das W e r d e n d e . D a s Wahre stellt daher, weil es das Beständige ist, das w e r d e haft W i r k l i c h e gerade so vor, w i e dieses nicht ist. Das Wahre ist so das d e m » S e i e n d e n « i m Sinne des W e r d e n d e n , und d. h. ei gentlich » W i r k l i c h e n « , nicht A n g e m e s s e n e u n d somit das Fal sche, w e n n nämlich das W e s e n der Wahrheit i m Sinne der langher geläufigen metaphysischen B e s t i m m u n g gedacht wird als A n g l e i c h u n g des Vorstellens an die Sache. U n d so denkt Nietz sche in der Tat das W e s e n d e r Wahrheit. W i e anders könnte er sonst die für ihn entscheidende W e s e n s u m g r e n z u n g der Wahr heit also aussprechen? »Wahrheit
ist die Art von Irrtum,
ohne
w e l c h e eine bestimmte Art v o n lebendigen Wesen nicht leben könnte. D e r Wert für das Leben entscheidet zuletzt.« ( W . ζ. M . , Bd. X V I , n. 4 9 3 , S. 19) D i e Wahrheit ist zwar ein für den W i l l e n zur M a c h t n o t w e n d i g e r Wert. » . . . A b e r die Wahrheit gilt nicht als oberstes Wertmaß, n o c h weniger als oberste Macht.« ( E b d . n. 853,111, S. 2 7 2 ) D i e Wahrheit ist die B e d i n g u n g der Erhaltung des W i l l e n s zur M a c h t . D i e Erhaltung bleibt zwar die n o t w e n d i g e , aber nie zureichende, d. h. sein W e s e n n i e eigcntb'ch »tragende« W e i s e des M a c h t e n s im W i l l e n zur M a c h t . D i e Erhaltung bleibt w e sentlich der Steigerung dienstbar. D i e Steigerung geht jedesmal ü b e r das Erhaltene u n d sein Erhalten hinaus; dies aber nicht d u r c h bloße A n f ü g u n g v o n mehr M a c h t . D a s » M e h r « an M a c h t besteht
darin, daß
die Steigerung
n e u e Möglichkeiten
der
M a c h t ü b e r dieser eröffnet, in diese höheren Möglichkeiten hinaus d e n W i l l e n zur M a c h t verklärt u n d ihn v o n da her zu gleich anstachelt, in sein eigentliches W e s e n einzugehen, d. h. Überr^aEFWjS^ng seirreTsglbst zu sein. In d e m so begriffenen W e s e n der Machtsteigerung erfüllt sich der » h ö h e r e Begriff« der Kunst. D e r e n W e s e n ist zu ersehen a m »Kunstwerk, w o es ohne Künstler erscheint, ζ. B. als L e i b , als O r ganisation (preußisches Offizierkorps, Jesuitenorden). Inwiefern der Künstler nur eine Vorstufe ist
« ( E b d . n. 7 9 6 , S. 2 2 5 ) D a s
W e s e n des eigentlichen G r u n d z u g s d e s W i l l e n s zur M a c h t , n ä i n -
Fiinßes Kapitel lieh die Steigerung, ist die Kunst. Sie bestimmt erst den Grund charakter des S e i e n d e n als eines solchen, will sagen, das M e t a physische des Seienden. D e s h a l b nennt Nietzsche s c h o n früh die Kunst die »metaphysische
Tätigkeit« ( E b d . n. 8 5 3 , IV, S. 2 7 3 ) .
Weil das Seiende als ein solches (als W i l l e zur M a c h t ) im W e s e n Kunst ist, deshalb muß i m Sinne der Metaphysik des Willens zur M a c h t das S e i e n d e i m G a n z e n als » K u n s t w e r k « begriffen wer d e n : » D i e Welt als ein sich selbst gebärendes Kunstwerk — « (Ebd.
n. 796, S. 2 2 5 ) . Dieser metaphysische Entwurf des Seien
den als solchen i m G a n z e n aus d e m Hinblick auf die Kunst hat nichts g e m e i n mit einer »ästhetischen« Weltbetrachtung; es sei denn, m a n verstehe die »Ästhetik« s o , wie Nietzsche sie verstan den wissen will: » p h y s i o l o g i s c h « . Jetzt wandelt die Ästhetik sich zur D y n a m i k , die alles S e i e n d e am Leitfaden des » L e i b e s « aus legt. D y n a m i k aber meint hier das M a c h t e n des Willens zur Macht. Die Kunst ist die v o m W i l l e n zur M a c h t als Steigerung bedingte z u r e i c h e n d e B e d i n g u n g seiner selbst, u n d d. h. der i m M a c h t w e sen entscheidende Wert. Sofern die Steigerung
wesentlicher
bleibt i m Wesen des W i l l e n s zur M a c h t als die Erhaltung, ist auch die Kunst b e d i n g e n d e r als die Wahrheit, die v o m Willen zur M a c h t als Erhaltung zu deren B e d i n g u n g gesetzt wird. D e s h a l b eignet der Kunst » m e h r « , will sagen, in einem w e s e n d i c h e r e n Sinne, der Charakter des Wertes im Unterschied zur Wahrheit, Nietzsche weiß, » . . . — daß die Kunst mehr wert ist, als die WahrluuirM ( E b d . , n. 8 5 3 , IV, S. 2 7 3 ; vgl. n. 8 2 2 , S. 2 4 7 f . ) Als n o t w e n d i g e r Wert hat die Wahrheit j e d o c h , gleich w i e die E r h a l t u n g zur Steigerung, innerhalb des e i n h e i d i c h e n Wesens des Willens zur M a c h t einen wesenhaften B e z u g zur K u n s t D a s volle W e s e n der Wahrheit läßt sich deshalb erst d a r m f a s s e n . w e n n i h r T W i i g zuTlfofistlTrTd, dies* spilhat jrn vnllpn V ^ y p r w W Wahrheit mitgedacht w i r d > U m g e k e h r t verweist aber auch das
* über Nietzsche hinausgedacht, au» dem Wesen der Metaphysik her als der Wahrheit des Seienden als solchen im Ganzen.
üie
Gerechtigkeit
65
W e s e n d e r Kunst auf das zunächst bestimmteJ3feieja_cler Wahr"heit. D i e Kunst eröffnet verklärend i m h e r f S M ö g l i c h k e i l e h der .Übersteigerung des jeweiligen W i l l e n s zur M a c h t . " Dieses ^ ^ ^ ^ S j S T w e d e r das W i d e r s p r u c h s l o s e der » L o g i k « ^aoch das D u r c h f ü h r b a r e der »Praxis«, sondern das Aufleuchten J
d e s n o c h ^Jngewagten u n d deshalb n o c h nicht V o r h a n d e n e n . D a s in de^ verklärenden Eröffnung Gesetzte hat d e n Charakter deg^ScfieirtAjDieses W o r t sei in seiner wesenhaften Z w e i d e u t i g keit Testgehalten. D e r S c h e i n i m Sinne d e s L e u c h t e n s u n d Scheinens (die S o n n e » s c h e i n t « ) u n d der S c h e i n n a c h d e r Art des bloßen S o - S c h e i n e n s (der Strauch a u f n ä c h t l i c h e m W e g e »scheint« ein M e n s c h zu sfiiiLund ist d o c h n u r ein Strauch). Je ner ist der S c h e i n als^Aufscheii^cTieser der Schein a ß i ^ s c h e i ] ^ W e i l aber auch der verklärende S c h e i n i m Sinne des Aufscheins jeweils das G a n z e d e s S e i e n d e n in seinem W e r d e n a u f be stimmte Möglichkeiten festmacht u n d beständigt, bleibt er zu gleich ein S c h e i n , der d e m W e r d e n d e n nicht a n g e m e s s e n ist. S o b e k u n d e t a u c h das W e s e n der Kunst als der W i l l e z u m aufschei n e n d e n S c h e i n d e n Z u s a m m e n h a n g mit d e m W e s e n der Wahr heit, sofern diese als der zur Bestandsicherung nötige Irrtum, d. h. als bloßer S c h e i n begriffen ist. D a s volle W e s e n dessen, w a s Nietzsche Wahrheit nennt u n d zunächst als m a c h t m ä ß i g n o t w e n d i g e n S c h e i n umgrenzt, ent hält nicht n u r d e n B e z u g z u r Kunst, sondern kann seinen ein heitlichen B e s t i m m u n g s g r u n d n u r in d e m h a b e n , was einheit lich zuvor d i e Wahrheit und d i e Kunst in i h r e m wesenhaften 5
W e c h s e l b e z u g trägt. D a s aber ist das einige W e s e n d e s Willens zur M a c h t selbst, jetzt allerdings begriffen als das Z u m - S c h e i nen-und-Erscheinen-bringen dessen, was seine E r m ä c h t i g u n g zur U b e r m ä c h t i g u n g seiner selbst bedingt. Z u g l e i c h aber tritt i n d e m , was Nietzsche » W a h r h e i t « n e n n t u n d als » I r r t u m « auslegt, die A n m e s s u n g an das S e i e n d e als leitende B e s t i m m u n g des Wesens der Wahrheit hervor. Insgleichen n i m m t die A u s l e g u n g
* über Nietzache hinaus.
Fünftes Kapitel
der Kunsl i m Sinne des verklärenden Scheins das Eröffnen u n d Ins-Offeri^-bringen (das E n t b e r g e n ) unwissendreh als leitende B e s t i m m u h g i n Arispruch^Anjmsstrrrg u n d E n l b a i g u n g walten als der nie verklingende, aber gleichwjdiLganz-wberhüi Le N a c h ktäng~3es metaphysischen W e s e n s der Wahrheit in Nietzsches Wahrheitsbegriff. Im B e g i n n der Metaphysik wird ü b e r das W e s e n der Wahrheit -als αλήθεια ( U n v e r b o r g e n h c i t u n d E n t b e r g u n g ) dahin
ent
schieden, daß dieses W e s e n vor der in i h m erst gewurzelten B e s t i m m u n g d e r Wahrheit als A n g l e i c h u n g (όμοίωσις, a d a c q u a 6
tio) künftighin zurücktritt, aber niemals v e r s c h w i n d e t . D i e M e taphysik tastet das seitdem waltende Wesen d e r Wahrheit als ' a n m e s s e n d e Eröffnung des S e i e n d e n d u r c h das Vorstellen nirg e n d s an, läßt aber auch d e n Eröffnungs- u n d E n t b e r g u n g s charakter unbefragt in d i e Vergessenheit versinken. D i e s e Vergessenheit vergißt aber, w i e es ihrem W e s e n entspricht, sich selbst vollständig seit d e m geschichtlichen A u g e n b l i c k , da als metaphysischer B e g i n n d e r N e u z e i t d a s Vorstellen sich w a n d e l t zu d e m sich selbst sichernden Zustellen alles Vorstellbaren ( G e wißheit). Jegliches A n d e r e , w o r i n das Vorstellen als ein solches jlP£b~gTundeo könnte, ist verleugnet. A b e r V e r l e u g n u n g ist das Gegenteil d e r Ü b e r w i n d u n g o d e r gar Beseitigung. D e s h a l b k a n n auch das W e s e n d e r Wahrheit i m S i n n e d e r Unverborgenheit niemals in das neuzeitliche D e n ken erst w i e d e r eingeführt w e r d e n , weil es n ä m l i c h darin i m m e r s c h o n u n d i m m e r n o c h , n u r e b e n gewandelt, verkehrt u n d verstellt u n d s o m i t unerkannt, weiterwaltet.
7
D a s so vergessene
W e s e n der Wahrheit ist wie alles Vergessene nicht etwa »nichts«. E i n z i g dieses Vergessene zwingt aus d e m V e r b o r g e n e n d i e M e taphysik d e r u n b e d i n g t e n u n d v o l l e n d e t e n Subjektivität dazu, sich in das äußerste G e g e n w e s e n d e r anfänglichen B e s t i m m u n g der Wahrheit z u stellen. 6
Vgl. jetzt Piatons Lehre von der Wahrheit. Diesen Wesenszug der Metaphysik, den sie selbst nicht wissen kann, noch schärfer fassen. 7
Jfjf
pie Gerechtigkeit
D i e Wahrheit als Bestandsicherung der M a c h t ist wesenhaft b e z o g e n auf die Kunst als Steigerung der M a c h t . Wahrheit und Kunst sind wesenseinig aus der einfachen Einheit des Willens zur M a c h t . l i i e r hat das volle W e s e n der Wahrheit seinen ver b o r g e n e n BesümmnngspTnriHβ
D a s Innerste, was d e n Willen
zur M a c h t in sein Äußerstes treibt, ist, daß er sich selbst in seiner U b e r m ä c h t i g u n g will: die unbedingte, aberCjimgekeluteSubjektivität. Seridem das S e i e n d e als solches im G a n z e n sich in der Weise der Subjektivität zu entfalten beginnt, ist a u c h der M g p s x h z u m ^ S u b i g k t « g e w o r d e n . Weil er kraft seiner Vernunft vorstellend z u m S e i e n d e n sich verhält, ist der M e n s c h inmitten des S e i e n d e n im G a n z e n , i n d e m er dieses sich zustellt u n d da bei sich selbst n o t w e n d i g in alles Vor-stellen stellt. D i e s e W e i s e , die der M e n s c h im Sinne der Subjektivität
ist,
bestimmt zugleich, w e r er ist: derjenige Seiende, vor d e n alles S e i e n d e gebracht u n d d u r c h den es als ein solches gerechtfertigt wird. D e r M e n s c h wird so zu d e m auf sich selbst
gestellten
G r u n d u n d Maß der Wahrheit ü b e r das S e i e n d e als ein solches. Darin liegt beschlossen: M i t der Entfaltung des Seins als S u b jektivität beginnt die G e s c h i c h t e des abendländischen schentums
Men
als die Befreiung__dps Menschen«/*":»»c ?n einer
n e u e n Freiheit. Diese Befreiung ist d i e Art, w i e sich der W a n d e l des Vorstellens v o m Vernehmen als A u f n e h m e n (νοεΐν) z u m V e r n e h m e n als Ver-hör u n d Gerichtsbarkeit (per-eeptio) voll zieht. Dieser W a n d e l des Vorstellens j e d o c h ist bereits die F o l g e einer V e r r ü c k i m g i m W e s e n der Wahrheit. D e r G r u n d dieses Geschehnisses bleibt der Metaphysik verborgen. A b e r i h m ent springt die n e u e Freiheit. D i e Befreiung zur n e u e n Freiheit ist » n e g a t i v « L o s l ö s u n g aus der offenbarungsgläubigen,
christiich-kirchlichen
Heilssiche
rung. D i e Heilswahrheit beschränkt sich nicht auf d e n gläubi g e n B e z u g zu Gott, sie entscheidet z u g l e i c h u n d allein auch ü b e r das S e i e n d e als solches i m G a n z e n . Was P h i l o s o p h i e heißt, 8
über Nietzsche hinaus.
Füiifies Kapitel
68
aber nicht ist, bleibt D i e n e r i n d e r T h e o l o g i e . D a s S e i e n d e ist in seinen O r d n u n g e n das G e s c h a f f e n e des Schöpfergottes, das durch d e n Erlösergott aus d e m Fall w i e d e r in das Ü b e r s i n n l i c h e hinaufr u n d z u r ü c k g e b r a c h t wird. D i e Befreiung aus d e r W a h r heit als d e r Heilssicherung m u ß aber, weil sie d o c h d e n M e n schen in das » F r e i e « d e r Unsicherheit stellt u n d das W a g n i s sei ner e i g e n e n W e s e n s w a h l wagt, in sich a u f eine Freiheit z u g e hen, d i e n u n erst recht eine S i c h e r u n g d e s M e n s c h e n leistet u n d die Sicherh,ejt,,neu bestimmt. Dio^ÄichejTnTgjiiuß aber jetzt aus d e m M e n s c h e n selbst u n d für i h n selbst v o l l z o g e n w e r d e n . In dieser n e u e n Freiheit will das M e n s c h e n t u m d e r u n b e d i n g t e n Selbstentfaltung aller Ver m ö g e n z m ^ i n b e s c h r ä n k t e n Herrschaft ü h ^ r die- frnnre E r d e sicher sein. A u s dieser Sicherheit ist der M e n s c h d e s S e i e n d e n u n d seiner selbst gewiß. S o l c h e Gewißheit vollbringt nicht erst u n d n u r d i e A n e i g n u n g einer » W a h r h e i t an s i c h « , sondern sie ist das W e s e n d e r W a h r h e i t selbst. Wahrheit w i r d zu d e r v o m M e n s c h e n selbst gesicherten Sicherstellung alles S e i e n d e n für das herrschaftliche Sicheinrichten in s e i n e m G a n z e n . D i e n e u e Freiheit zeigt in die Entfaltung d e s n e u e n W e s e n s d e r Wahrheit, die zunächst als d i e Selbstgewißheit d e r vorstellenden Vernunft sich einrichtet. W e i l n u n aber d i e Befreiung z u r n e u e n Freiheit d e r Selbstge setzgebung d e s M e n s c h e n t u m s als d i e Befreiung v o n d e r christ lich-überweltlichen Heilsgewißheit beginnt, bleibt diese Befrei u n g i m Abstoß a u f das Christentum b e z o g e n . D e s h a l b zeigt sich d e m n u r n a c h rückwärts b l i c k e n d e n A u g e d i e G e s c h i c h t e d e s n e u e n M e n s c h e n t u m s g e r n als eine »Säkularisierung« des Chri stentums. A b e r die V e r w e l Ü i c h u n g d e s Christlichen in die » W e l t « m u ß diese W e l t zuvor als d i e n e u e entworfen h a b e n , u m sich in ihr einzurichten. D i e b l o ß e A b k e h r v o m Christentum bedeutet nichts, w e n n nicht zuvor u n d dafür e i n n e u e s W e s e n d e r W a h r heit b e s t i m m t u n d das S e i e n d e als solches i m G a n z e n aue dieser » n e u e n « Wahrheit z u m E r s c h e i n e n g e b r a c h t wird. A b e r diese Wahrheit des » S e i n s « i m S i n n e d e r Subjektivität entfaltet a u c h
Die Gerechtigkeit
69
nur dann uneingeschränkt ihr W e s e n , w e n n sich das Sein des S e i e n d e n u n b e d i n g t u n d vollendet als Subjektivität zur M a c h t bringt. D i e n e u e Freiheit beginnt daher erst i n d e r Metaphysik des Willens zur M a c h t , ihr volles W e s e n z u m Gesetz einer n e u e n Gesetzlichkeit zu erheben. M i t dieser Metaphysik beginnt die neue Z e i t erstmals aus der vollen Beherrschung ihres W e s e n s . Was voraufgeht, ist Vorspiel. D e s h a l b bleibt die neuzeitliche Metaphysik bis zu Hegel eine A u s l e g u n g des S e i e n d e n als sol chen
( » O n t o l o g i e « ) , deren
Logos
christlich-theologisch
als
schöpferische Vernunft erfahren u n d in den »absoluten G e i s t « g e g r ü n d e t wird ( O n t o - t h e o - l o g i e ) . D a s Christentum
ist zwar
a u c h weiterfort in der G e s c h i c h t e vorhanden. D u r c h A b w a n d lungen, A n g l e i c h u n g e n , A u s g l e i c h e versöhnt es sich j e d e s m a l m i t der n e u e n Z e i t u n d verzichtet mit j e d e m seiner » F o r t schritte« entschiedener auf die vormalige geschichtebildende Kraft; d e n n die v o n i h m beanspruchte Welterklärung steht b e reits außerhalb der n e u e n F r e i h e i t S o b a l d d a g e g e n das Sein des S e i e n d e n als W i l l e zur M a c h t sich in d i e i h m g e m ä ß e Wahrheit bringt, k a n n d i e n e u e Freiheit auch erst die Rechtfertigung ihres W e s e n s aus d e m so b e s t i m m ten Sein des S e i e n d e n i m G a n z e n vollziehen. D i e s e m Sein muß aber zugleich das W e s e n solcher Rechtfertigung
entsprechen.
D i e n e u e Rechtfertigung der n e u e n Freiheit verlangt als ihren Bestimmungsgrund eine n e u e G e r e c h t i g k e i t D i e s e ist der ent s c h e i d e n d e W e g der Befreiung in d i e n e u e F r e i h e i t In einer A u f z e i c h n u n g aus d e m Jahr 1 8 8 4 , die d e n Titel »Die Wege der Freiheit" trägt, sagt Nietzsche: »Gerechtigkeit
als b a u e n d e , ausscheidende, vernichtende
D e n k w e i s e , aus d e n Wertschätzungen heraus: höchster präsentant
Re
des Lebens selber.* (Bd. Χ Μ , n. 9 8 , S. 4 2 )
Gerechtigkeit ist als » D e n k w e i s e « ein Vor-stellen, u n d
d.h.
Fest-stellen »aus den Wertschätzungen heraus«. In dieser D e n k -
Fünfiea
70
Kapitel
weise werden die Werte, die gesichtspunkthaften B e d i n g u n g e n des W i l l e n s zur M a c h t , festgesetzt. Nietzsche sagt nicht, G e rechtigkeit sei e i n e D e n k w e i s e unter anderen aus (beliebigen) Wertschätzungen. N a c h s e i n e m Wort ist die Gerechtigkeit D e n ken aus » d e n « eigens v o l l z o g e n e n Wertsetzungen. Sie ist das Denken
im
Sinne
des
allein
Werte-setzenden
Willens zur
M a c h t . Dieses D e n k e n folgt nicht erst aus d e n Wertschätzun g e n , s o n d e r n ist der Vollzug der Schätzung selbst. D a s wird b e zeugt d u r c h die Art, w i e Nietzsche das W e s e n dieser » D e n k weise« auszeichnet. Drei e i n p r ä g s a m e und dazu in einer w e sentlichen F o l g e g e n a n n t e W o r t e leiten den W e s e n s b l i c k in ihre Verfassung. D i e Weise des D e n k e n s ist » b a u e n d « . E s erstellt S o l c h e s , was n o c h gar nicht und vielleicht überhaupt nie als ein Vorhandenes steht. D i e Erstellung ist Errichten. Sie geht in die H ö h e , so zwar, daß die H ö h e erst als eine s o l c h e g e w o n n e n und eröffnet wird. D i e i m Bauen erstiegene H ö h e sichert die Klarheit der B e d i n g u n g e n , unter d e n e n die M ö g l i c h k e i t des Befchlens steht. Aus der Klarheit dieser H ö h e herab kann allein so b e f o h l e n w e r d e n , daß i m Befehl sich alles G e h o r c h e n z u m W o l l e n ver klärt. D i e s e H ö h e weist die R i c h t u n g in das R e c h t e . Das » b a u e n d e « D e n k e n ist z u g l e i c h » a u s s c h e i d e n d « . N a c h dieser W e i s e m a c h t und hält es fest, was d e n B a u tragen k a n n , u n d weist a b , was ihn gefährdet. Dergestalt sichert es d e n B a u grund und wählt die Baustoffe aus. D a s b a u e n d - a u s s c h e i d e n d e D e n k e n ist z u g l e i c h » v e r n i c h t e n d « . Es zerstört, was als Verfestigung u n d N i e d e r z i e h e n d e s das b a u e n d e I n - d i e - H ö h e - G e h e n verhindert. D a s Vernichten si chert g e g e n d e n A n d r a n g aller B e d i n g u n g e n des N i e d e r g a n g s . Das B a u e n verlangt das A u s s c h e i d e n ; in j e d e s B a u e n (als ein Schaffen) ist das Zerstören eingerechnet. D i e drei B e s t i m m u n g e n d e s W e s e n s d e r Gerechtigkeit als D e n k w e i s e sind nicht nur i h r e m R a n g e n a c h aufgereiht, s o n dern sie sagen z u g l e i c h u n d v o r a l l e m v o n d e r i n n e r e n B e w e g t heit dieses D e n k e n s . B a u e n d richtet es sich, d i e H ö h e erst er-
Dir
richtend,
71
(jr.reclitigkeit
in diese hinauf, überhöht so sich selbst, unterscheidet
sich g e g e n das U n g e m ä ß e und entwurzelt es in seinen Bedin g u n g e n . D i e Gerechtigkeit ist als solches D e n k e n das Herrwer den ü b e r sich selbst aus der errichtenden Ersteigung der höch sten H ö h e . Dies ist das Wesen des W i l l e n s zur M a c h t selbst. D a r u m leitet der D o p p e l p u n k t im G e s c h r i e b e n e n ü b e r zu der betonten u n d das Gesagte z u s a m m e n n e h m e n d e n A u s z e i c h n u n g der Gerechtigkeit: »höchster Repräsentant
des Lebens
sel
ber«. » L e b e n « ist für Nietzsche nur das andere Wort für Sein. U n d » S e i n « ist W i l l e zur M a c h t . Inwiefern aber ist die Gerechtigkeit der höchste Repräsentant des Willens zur M a c h t ? Was heißt hier »Repräsentant«? Das W o r t meint nicht d e n »Vertreter« v o n etwas, was dieser selbst nicht ist. Das W o r t hat g l e i c h w e n i g die B e d e u t u n g v o n » A u s d r u c k « , der ja g e r a d e als solcher nie das A u s g e d r ü c k t e selbst ist. W ä r e er dies, d a n n könnte und müßte er nicht » A u s d r u c k « sein. D e r »Repräsentant« hat dort allein sein echtes W e s e n , w o »Repräsentation« w e s e n s n o t w e n d i g ist. Solches tritt ein, sobald überhaupt das Sein sich als Vor-stellen (re-pracsentarc) b e stimmt. Dieses Vor-stellen hat aber sein volles Wesert darin, sich vor sich selbst in cTaTvOll Ihm allein g e p r ä g t e und a n g e m e s s e n e Uftene zur A n w e s e n h e i t zu bringen- S o bestinxrat sich das W e sen des Seins als Subjektivität. Sie fordert als »Repräsentation« d e n »Repräsentanten«, der j e w e ü s , i n d e m er repräsentiert, das S e i e n d e selbst in seinem Sein z u m Erscheinen bringt und so .das S e i e n d e »ist«. D e r W i l l e zur M a c h t , die wesenhafte Machtsteigerung u n d Machterhaltung,
Verflechtung von
bringt durch die Er
m ä c h t i g u n g seiri.^r.s^&ST^zur Ü b e r m ä c h ü g u n e sein eigprip«; W P ^ sen zur M a c h t , d . h . zur E r s c h e i n u n g i m S e i e n d e n als dessen Sein. W i l l e zur M a c h t ist Werte-setzende Repräsentation. D a s » B a u e n « aber ist die höchste Weise d e r Steigerung. D a s unter s c h e i d e n d b e w a h r e n d e » A u s s c h e i d e n « ist die höchste Weise der Erhaltung. Das »Vernichten« ist die höchste Weise des G e g e n wesens der Erhaltung u n d der Steigerung.
Fünftes Kapitel D i e wesenhafte Einheit dieser drei W e i s e n , d. h. d i e G e r e c h tigkeit, ist der W i l l e zur M a c h t selbst in seiner höchsten W e senshöhe. Sein Höchstes aber besteht in s o l c h e m Setzen der B e d i n g u n g e n seiner selbst. D e r W i l l e zur M a c h t ermächtigt sich zu s e i n e m W e s e n , i n d e m er als B e d i n g u n g e n » G e s i c h t s p u n k t e « setzt. Dergestalt bringt er in E i n e m das Festgemachte u n d das W e r d e n d e in ihren^zwjefa^hen^Scheinen z u m Erscheinen. In d e m er a b e r so erseheinen läßt, bringt er sich selbst in die Er s c h e i n u n g als dasjenige, was zuinnerst das m a c h t e n d e Erschei nenlassen in das zwiefache S c h e i n e n des A u f s c h e i n s u n d A n scheins ist. Das v o n aller Metaphysik ü b e r n o m m e n e und, sei es a u c h nur n o c h in der völligen Vergessenheit, bewahrte W e s e n der W a h r heit ist aber das Erscheinenlassen als E n t b e r g e n des Verborge nen: die UnVerborgenheit. A l s o ist die » G e r e c h t i g k e i t « , weil die höchste W e i s e des Willens zur M a c h t , der e i g e n t h c h e Bestim m u n g s g r u n d des W e s e n s d e r Wahrheit. In der Metaphysik der unbedingten
und
vollendeten Subjektivität
des W i l l e n s zur
M a c h t west die Wahrheit als d i e » G e r e c h t i g k e i t « . W i r m ü s s e n freilich, u m das W e s e n der G e r e c h t i g k e i t dieser Metaphysik g e m ä ß zu d e n k e n , alle Vorstellungen ü b e r die G e rechtigkeit, d i e aus der christlichen, humanistischen, rischen, bürgerlichen u n d sozialistischen M o r a l
aufkläre
herstammen,
ausschalten. D a s G e r e c h t e bleibt zwar Jenes, was d e m » R e c h ten« g e m ä ß ist. A b e r das R e c h t e , das d i e R i c h t u n g weist u n d das M a ß gibt, besteht nicht an sich. D a s R e c h t e g i b t z w a r das R e c h t z u etwas. Allein, das R e c h t e bestimmt sich seinerseits aus d e m , was » R e c h t « ist. D a s W e s e n des Rechts j e d o c h umgrenzt Nietzsche also: » R e c h t = der W i l l e , ein jeweiliges M a c h t v e r hältnis zu verewigen«-.(Bd. XJJJ, n . 4 6 2 , S. 2 0 5 ) . Gerechtigkeit ist d a n n das yhrnwgfihfaas so verstandene R e c h t zu setzen, d. h. solchen W i l l e n zu w o l l e n . D i e s e s W o l l e n k a n n n u r sein als der W i l l e zur M a c h t . D a h e r sagt die mit der ersten fast gleichzeitige zweite A u f z e i c h n u n g Nietzsches ü b e r d i e Gerechtigkeit (aus d e m Jahre
Die Gerechtigkeit 1885) folgendes: »Gerechtigkeit,
73
als Funktion einer w e i t u m h e r -
schauenden M a c h t , w e l c h e ü b e r die kleinen Perspektiven v o n G u t und Böse hinaussieht, also einen weiteren H o r i z o n t des Vnrteih hat - die Absicht, Etwas zu erhalten, das mehr ist als diese o d e r jene P e r s o n « (Bd. XIV, n. 158, S. 8 0 ) . D e r G l e i c h k l a n g der beiden W e s e n s b e s t i m m u n g e n der » G e rechtigkeit« ist k a u m zu überhören: Gerechtigkeit — »höchster Repräsentant des L e b e n s selber« und Gerechtigkeit »als Funk tion einer w e i t u m h e r s c h a u e n d e n M a c h t « . » F u n k t i o n « bedeutet hier das » F u n g i e r e n « , d e n Vollzug als Wesensentfaltung u n d somit als d i e Weise, w i e die hier g e nannte M a c h t eigentlich M a c h t ist. » F u n k t i o n « bedeutet nicht etwas v o n dieser M a c h t erst A b h ä n g i g e s , sondern meint die » w e i t u m h e r s c h a u e n d e M a c h t « selbst. W i e weit schaut diese u m h e r ? In j e d e m Fall sieht sie » ü b e r die kleinen Perspektiven von G u t u n d Böse hinaus«. » G u t u n d Böse« sind die N a m e n für die A u g e n p u n k t e der bisherigen Wertsetzung, die ein Ubersinnliches an sich als das verbindliche Gesetz anerkennt. D e r h i n d u r c h b l i c k e n d e Ausblick auf die bis herigen obersten Werte ist » k l e i n « i m Unterschied z u m Großen des »großen Stils«, darin sich die Weise vorzeichnet, nach der die nihilistisch-klassische U m w e r t u n g aller bisherigen Werte z u m G r u n d z u g der a n b r e c h e n d e n G e s c h i c h t e wird. D i e weit umherschauende
M a c h t übersteigt als perspektivische,
d.h.
Werte-setzende, alle bisherigen Perspektiven. Sie ist Jenes, w o von die n e u e Wertsetzung ausgeht und was alle n e u e Wertset z u n g überherrscht: »das Prinzip
der n e u e n Wertsetzung«. D i e
weit u m h e r s c h a u e n d e M a c h t ist der sich b e k e n n e n d e W i l l e zur M a c h t . In e i n e m Verzeichnis dessen, was »zur G e s c h i c h t e der m o d e r n e n Verdüsterung« b e d a c h t werden muß, steht k n a p p aufgeführt: » G e r e c h t i g k e i t als W i l l e zur M a c h t ( Z ü c h t u n g ) « ( W . z . M . , B d . X V , n. 5 9 , S. 189) D i e Gerechtigkeit ist ein gesichtspunktsetzendes H i n a u s g e hen über die bisherigen Perspektiven. In w e l c h e n Gesichtskreis setzt diese » b a u e n d e D e n k w e i s e « ihre A u g e n p u n k t e ? Sie hat
Fünftes Kapitel
74
» e i n e n weiteren H o r i z o n t des Vorteils«. W i r stutzen. E i n e G e rechtigkeit, die es auf d e n »Vorteil« absieht, zeigt verfänglich und g r o b g e n u g in die Bezirke des » N u t z e n s « , der Übervortei lung und Berechnung. Ü b e r d i e s hat Nietzsche das W o r t »Vor teil« in seiner Niederschrift n o c h unterstrichen, u m
keinen
Z w e i f e l zurückzulassen, daß die hier g e m e i n t e Gerechtigkeit wesentlich auf den »Vorteil« ausgeht. D a s W o r t »Vor-teil« meint n a c h seiner echten Bedeutung, die inzwischen verloren ging, das i m voraus bei einer Teilung u n d Verteilung, vor d e m Vollzug dieser, Zugeteilte.
D i e Gerechtig
keit ist die allem D e n k e n und H a n d e l n voraufgehende Z u t e i lung dessen, w o r a u f sie allein das A b s e h e n richtet. D a s ist: » E t was zu erhalten, das mehr ist als diese o d e r jene P e r s o n « . Nicht ein billiger Nutzen steht in der Absicht der Gerechtigkeit, nicht vereinzelte M e n s c h e n , auch nicht Gemeinschaften, auch nicht »die Menschheit«. D i e Gerechtigkeit sieht hinaus auf dasjenige M e n s c h e n t u m , das zu j e n e m S c h l a g g e s c h l a g e n u n d gezüchtet w e r d e n soll, der die W e s e n s e i g n u n g besitzt, die u n b e d i n g t e Herrschaft ü b e r die Erde einzurichten; denn nur d u r c h diese k o m m t das u n b e dingte W e s e n des reinen W i l l e n s zur M a c h t in die E r s c h e i n u n g vor i h m selbst, d. h. zur M a c h t . D i e Gerechtigkeit ist die voraus b a u e n d e Z u t e i l u n g der B e d i n g u n g e n , die ein » E r h a l t e n « , d . h . ein B e w a h r e n und Erlangen sicherstellen. Das » E t w a s « j e d o c h , was in d e r Gerechtigkeit »erhalten« w e r d e n will, ist die Beständigung des unbedingten W e s e n s des Willens zur M a c h t als des Grundcharakters des S e i e n d e n . D e r W i l l e zur M a c h t hat d e n Charakter des » W e r d e n s « . » D e m W e r d e n d e n Charakter des Seins aufzuprägen — das ist der Wüle zw Macht.«
(W.z.M.,Bd.
höchste
X V I , n. 6 1 7 , S. 101)
Dieser höchste W i l l e zur M a c h t , der die Beständigung des S e i e n d e n i m G a n z e n ist, enthüllt sein W e s e n als die G e r e c h tigkeit. Weil sie aber alles Erscheinenlassen und j e d e Entberg u n g trägt u n d durchherrscht, ist sie das innerste W e s e n der Wahrheit
D e m W e r d e n w i r d aber der Charakter des Seins
Die Gerechtigkeit
75
aufgeprägt, indem das Seiende nach seiner Gänze als »ewige Wiederkunft des Gleichen« zum Erscheinen kommt. Nun hieß es jedoch, die Beständigung des Werdens sei jederzeit eine »Fälschung« und auf dem »Gipfelpunkt der Betrach tung« werde dann alles zu einem Schein. Nietzsche selbst be greift das Wesen der Wahrheit als eine »Art von Irrtum«. Dieser wird in seiner Art geprägt und gerechtfertigt durch den Bestim mungsgrund des Wesens der Wahrheit, durch die Gerechtig keit. Die Wahrheit bleibt nur solange noch eine Art von »Irrtum« uncfVIäuschung«, als sie nach ihrem unentfalteten, obzwar geläufigen Begriff als Anmessung an das Wirküche gedacht wird. Dagegen ist der Entwurf, der das Seiende im Ganzen als »ewige Wiederkunft des Gleichen« denkt, ein »Denken« im Sinne jener ausgezeichneten bauenden, ausscheidenden und vernichtenden Denkweise. Sie ist der »höchste Repräsentant des Lebens selber«. »Das Leben selber schuf diesen für das L e ben schwersten Gedanken, . . . « (Bd. XII, n. 720, S. 369). Er ist wahr, weil er gerecht ist, indem er das Wesen des Willens zur Macht in seiner höchsten Gestalt zur Erscheinung bringt. Der Wille zur Macht als Grundcharakter-des Seienden rechtfertigt die ewige Wiederkehr des Gleichen als den »Schern«, in dessen Glanz der höchste Triumph des Willens zur Macht erglänzt. In diesem Sieg erscheint das vollendete Wesen des Willens zur Macht selbst. Aus dem Wesen der neuen Gerechtigkeit entscheidet sich auch erst die ihr gemäße Art der Rechtfertigung. Diese besteht weder in der Anmessung an Vorhandenes noch in der Berufung auf an sich gültige Gesetze. Jeder Anspruch auf eine Rechtferti gung solcher Art bleibt im Bereich des Willens zur Macht ohne Grund und Widerhall. Die Rechtfertigung besteht vielmehr in dem, was allein dem Wesen der Gerechtigkeit als dem »höchsten Repräsentanten des Willens zur Macht« genügt; und das ist die »Repräsentation«. Dadurch, daß sich ein Seiendes als eine G e stalt des Willens zur Macht in den Machtbezirk herausstellt, ist es
76
Fünftes Kapitel
schon im Recht, d. h. in d e m W i l l e n , der sich selbst seine Uber m ä c h t i g u n g befiehlt. S o allein kann von i h m gesagt w e r d e n , daß es ein Seiendes sei im Sinne der Wahrheit des S e i e n d e n als sol chen i m G a n z e n .
SECHSTES KAPITEL
Die fünf Grundworte Nietesches und die Metaphysik des Willens zur Macht
D i e fünf G r u n d w o r t e : » W i l l e zur M a c h t « , » N i h i l i s m u s « , » e w i g e Wiederkunft des G l e i c h e n « , » Ü b e r m e n s c h « u n d » G e r e c h t i g keit« entsprechen d e m fünffach gegliederten W e s e n der M e taphysik. A b e r das W e s e n dieser Einheit bleibt innerhalb
der
Metaphysik u n d für diese n o c h verhüllt. Nietzsches D e n k e n g e horcht der verborgenen Einheit der Metaphysik, deren G r u n d stellung
er
ausmachen,
beziehen
und
durchbauen
muß,
dadurch, daß er k e i n e m der f ü n f G r u n d w o r t e d e n ausschließli c h e n Vorrang des Titels zubilligt, der einzig alle G e d a n k e n f ü g u n g leiten könnte. Nietzsches D e n k e n verharrt in der inneren B e w e g u n g der Wahrheit, i n d e m er jedesmal i m Geleit jedes Grundwortes das G a n z e durchblickt und d e n Einklang
aller
vernimmt. D i e s e wesenhafte U n r u h e seines D e n k e n s bezeugt, daß Nietzsche der höchsten G e f a h r widersteht, die e i n e m D e n ker droht: d e n anfänglich z u g e w i e s e n e n Bestimmungsort seiner Grundstellung zu verlassen u n d aus d e m F r e m d e n u n d gar Ver g a n g e n e n her sich verständlich zu m a c h e n . W e n n F r e m d e das Werk mit fremden Titeln z u d e c k e n , m ö g e n sie dies zu ihrem G e n ü g e n tun. W e n n n u n aber der hier versuchte Hinweis auf die verbor g e n e Einheit der Metaphysik Nietzsches ihr g l e i c h w o h l d e n N a m e n der Metaphysik der u n b e d i n g t e n und vollendeten Subjek tivität des W i l l e n s zur M a c h t gibt, ist dann nicht erzwungen, was Nietzsche v e r m i e d e n hat: die v o n außen k o m m e n d e , nur rückwärts b l i c k e n d e geschichtliche E i n o r d n u n g , w e n n nicht gar die stets ü b l e u n d leicht bösartige historische Verrechnung? U n d dies alles n o c h auf d e m G r u n d e eines Begriffes der Metaphysik,
Sechstes Kapitel
78
den Nietzsches D e n k e n zwar erfüllt u n d bestätigt, aber nicht b e g r ü n d e t u n d nirgends entwirft! D i e s e Fragen drängen nur auf die einzige: W o r i n hat die W e senseinheit der Metaphysik ü b e r h a u p t ihren G r u n d ? W o hat das W e s e n der Metaphysik seinen Ursprung? D i e Bewältigung d i e ser Fragen muß entscheiden, o b solches N a c h d e n k e n nur eine nachgetragene » T h e o r i e « » ü b e r « die Metaphysik herbeischafft u n d d a n n g l e i c h g ü l t i g bleibt, o d e r o b dieses N a c h d e n k e n eine B e s i n n u n g ist und d a n n aber a u c h Entscheidung. Wenn
j e d o c h Nietzsches
Metaphysik
als die
Metaphysik
» d e s « W i l l e n s zur M a c h t ausgezeichnet wird, erhält d a n n nicht d o c h ein G r u n d w o r t d e n Vorzug? W a r u m g e r a d e dieses? G r ü n det der Vorrang dieses G r u n d w o r t e s darin, daß hier die M e t a physik Nietzsches als d i e Metaphysik der u n b e d i n g t e n u n d voll e n d e t e n Subjektivität erfahren wird? W a r u m , w e n n d i e M e t a physik ü b e r h a u p t d i e Wahrheit des S e i e n d e n als s o l c h e n i m G a n z e n ist, soll nicht das G r u n d w o r t » G e r e c h t i g k e i t « , das ja d e n G r u n d z u g der Wahrheit dieser Metaphysik nennt, Nietz sches Metaphysik auszeichnen? Nietzsche hat nur in d e n b e i d e n erläuterten A u f z e i c h n u n g e n , die er selbst nie veröffentlichte, das W e s e n der G e r e c h t i g k e i t auf d e m G r u n d e des W i l l e n s zur M a c h t eigens entfaltet. Nietz sche hat nirgends die n e u e Gerechtigkeit als d e n B e s t i m m u n g s grund des W e s e n s der Wahrheit ausgesprochen. A b e r u m die Zeit, da j e n e b e i d e n W e s e n s a u s l e g u n g e n d e r » G e r e c h t i g k e i t « aufgezeichnet w e r d e n , weiß Nietzsche dies E i n e , daß i h m bis dahin e i n e e n t s c h e i d e n d e Einsicht nie zur wirklichen Klarheit jgedielifiri_war; d e n n er schreibt ( 1 8 8 5 / 8 6 ) m d e m Utuchsluijk einer rückwärts b l i c k e n d e n Vorrede zu der Schrift » M e n s c h l i ches, A l l z u m e n s c h l i c h e s « ( 1 8 7 8 ) dies:
» E s g e s c h a h spät, daß i c h dahinter k a m , w a s m i r eigent lich n o c h ganz u n d g a r fehle: n ä m l i c h die
Gerechagkeit
>Was ist Gerechtigkeit? U n d ist sie m ö g l i c h ? U n d w e n n sie nicht m ö g l i c h sein sollte, w i e wäre d a das L e b e n auszu-
Die fiinfGrundwnrte Nietzsches
79
halten?« - solchermaßen fragte i c h m i c h unablässig.
Es
beängstigte m i c h tief, überall, w o i c h b e i mir selber nach grub, nur Leidenschaften, nur Winkel-Perspektiven, nur die U n b e d e n k l i c h k e i t D e s s e n zu finden, d e m schon die V o r b e d i n g u n g e n zur Gerechtigkeit fehlen: aber w o war die Besonnenheit? — n ä m l i c h B e s o n n e n h e i t aus umfängli c h e r Einsicht.« (Bd. XIV, 2 . Hälfte, S. 3 8 5 f . ) Von dieser späten Einsicht fällt aber a u c h ein L i c h t z u r ü c k auf jenes frühe, Nietzsches D e n k e n überall d u r c h w a l t e n d e A h n e n , das in der zweiten » U n z e i t g e m ä ß e n Betrachtung« ( » V o m Nut zen u n d Nachteil der Historie für das L e b e n « , n. 6 ) ausdrück lich die » G e r e c h t i g k e i t « an die Stelle der verworfenen » O b j e k t i vität« der historischen Wissenschaften setzt; dies j e d o c h , ohne das W e s e n der »Objektivität« metaphysisch aus der Subjektivi tät zu begreifen, dies auch, o h n e v o m Grundcharakter der G e rechtigkeit, v o m W i l l e n zur M a c h t , s c h o n zu wissen.
1
Gesetzt aber, das W e s e n des WiUens zur M a c h t w e r d e als die u n b e d i n g t e u n d , weil u 4 2 e ^ e 1 t H e \ erst auch v o l l e n d e t e Subjek tivität begriffen; gesetzt ü b e r d i e s , das W e s e n der
Subjektivität
des Subjekts w e r d e metaphysisch gedacht; gesetzt schließlich, das vergessene W e s e n der metaphysischen Wahrheit w e r d e als die E n t b e r g u n g des V e r b o r g e n e n
(αλήθεια) w i e d e r
erinnert und
nicht nur g e m e i n t u n d nachgesagt, dies alles gesetzt, ü b e r w i e g t d a n n das G e w i c h t jener k n a p p e n , weil wahrhaft
gestalteten
A u f z e i c h n u n g e n ü b e r die » G e r e c h t i g k e i t « nicht alle ü b r i g e n u n d nur der zeitgenössischen » E r k e n n t n i s t h e o r i e «
nachklin
g e n d e n Erörterungen Nietzsches ü b e r das W e s e n der Wahrheit? Weil aber d e n n o c h in Nietzsches D e n k e n verhüllt bleibt, daß u n d w i e d i e » G e r e c h t i g k e i t « der W e s e n s z u g d e r Wahrheit ist, darf auch das G r u n d w o r t » G e r e c h t i g k e i t « nicht z u m Haupttitel der Metaphysik Nietzsches e r h o b e n w e r d e n .
ι Zusammenhang von Objektivität und Subjektivität, Gewißheit und Recht fertigung.
Sechstes
80
Kapitel
» M e t a p h y s i k « ist die Wahrheit » d e s « S e i e n d e n als eines sol chen im G a n z e n . D i e Metaphysik der unbedingten u n d vollen deten Subjektivität denkt, o h n e es zu sagen, das W e s e n ihrer selbst, nämlich das W e s e n der Wahrheit, als Gerechtigkeit. D i e Wahrheit » d e s « Seienden als solchen im G a n z e n ist darnach Wahrheit » ü b e r « das S e i e n d e , so freilich, daß ihr eigenes W e s e n aus d e m Grundcbarakter des S e i e n d e n d u r c h den W i l l e n zur M a c h t als dessen höchste Gestalt entschieden wird. Ist dann n o t w e n d i g jede Metaphysik Wahrheit » d e s « Seien den als s o l c h e n i m G a n z e n nach d i e s e m zwiefachen Sinne? Wahrheit » ü b e r « das S e i e n d e , weil Wahrheit, die aus d e m Sein des S e i e n d e n h e r k o m m t ? W e n n ja, sagt diese Herkunft des W e sens der Wahrheit etwas ü b e r sie selbst? Ist sie, also herkünftig, in sich nicht geschichtlich? Sagt diese Herkunft des W e s e n s der Wahrheit nicht zugleich etwas v o m W e s e n der Metaphysik? A l lerdings, und zwar dies, w a s erst nur aus der A b w e h r gesagt sei. Die Metaphysik ist kein G e m a c h t e des M e n s c h e n . D e s h a l b aber m ü s s e n D e n k e r sein. Sie stellen sich jeweils zuerst in die Unverborgenheit,
die sich das Sein des S e i e n d e n
bereitet.
»Nietzsches Metaphysik«, d . h . jetzt die aus seiner Grundstel lung ins W o r t verwahrte Wahrheit des Seienden als solchen i m G a n z e n , ist ihrem geschichtlichen W e s e n zufolge der G r u n d z u g der G e s c h i c h t e des Zeitalters, das aus seiner a n h e b e n d e n Voll e n d u n g " p j » r - d j j p n selbst als die » n e u e « Z e i t der Neuzeit b e ginnt: >(Eine P e r i o e e , w o d i e alte M a s k e r a d e u n d M o r a l - A u f putzung der Affekte W i d e r w i l l e n macht: die nackte die Macht-Quantitäten
ahentscheidende'mi&ch
d e n (als rang-bestimmend); F o l g e der großen
Natur;
zugestanden wer
v/d der große Stil wieder auftritt, als
Leidenschaft.«
( W . z . M . , B d . X V I , n. 1024,
S. 3 7 5 ) D i e Frage bleibt, w e l c h e Völker und M e n s c h e n t ü m e r e n d g ü l tig und v o r a u s g e h e n d unter d e m Gesetz der
Zugehörigkeit
in diesen G r u n d z u g der b e g i n n e n d e n erdherrschaftlichen
Ge
schichte stehen. Keine Frage aber mehr, sondern entschieden
Diefiinf
Grundworte
81
Nietzxckex
ist, was Nietzsche u m die Z e i t aufzeichnete ( 1 8 8 1 / 8 2 ) , da ihn nach der » M o r g e n r ö t e « der G e d a n k e der ewigen Wiederkunft des G l e i c h e n überfiel: » D i e Z e i t k o m m t , w o der K a m p f um die Erdherrschaft geführt werden wird, — er wird im N a m e n losophischer
Grundlehren
phi
geführt w e r d e n . « (Bd. XII, n. 4 4 1 ,
S. 2 0 7 ) D a m i t ist j e d o c h nicht gesagt, daß der K a m p f u m die unbe schränkte A u s n u t z u n g der E r d e als Rohstoffgebiet u n d u m die illusionslose Verwendung des » M e n s c h e n m a t e r i a l s « i m Dienste der unbedingten E r m ä c h t i g u n g des W i l l e n s zur M a c h t zu sei n e m G r u n d w e s e n ausdrücklich die Berufung auf eine P h i l o s o phie zu Hilfe o d e r auch nur als Fassade nimmt. Im Gegenteil ist zu vermuten, daß die P h i l o s o p h i e als L e h r e u n d als G e b i l d e der Kultur verschwindet und auch verschwinden kann, weil sie, s o fern sie echt g e w e s e n , s c h o n die Wirklichkeit des Wirklichen g e n a n n t hat, u n d d . h . das Sein, v o n d e m allein jegliches Sei e n d e ernannt ist zu d e m , was es ist und w i e es ist. D i e » p h i l o s o phischen G r u n d l e h r e n « m e i n e n das in ihnen Gelehrte i m Sinne des Dargelegten einer D a r l e g u n g , die das S e i e n d e i m G a n z e n auf das Sein auslegt, von d e m her die A u s l e g u n g bestimmt wird. D i e » p h i l o s o p h i s c h e n G r u n d l e h r e n « m e i n e n das Wesen der sich v o l l e n d e n d e n Metaphysik, die ihrem G r u n d z u g nach die abendländische G e s c h i c h t e trägt, sie als e u r o p ä i s c h - n e u zeitliche gestaltet u n d zur »Weltherrschaft« bestimmt. Was sich i m D e n k e n der europäischen D e n k e r ausspricht, kann histo risch d e m nationalen W e s e n der D e n k e r auch zugerechnet, aber niemals als nationale E i g e n t ü m l i c h k e i t a u s g e g e b e n w e r d e n . D a s D e n k e n des Descartes, losophie Humes
die Metaphysik v o n Leibnix,
die Phi
ist jedesmal europäisch u n d deshalb planeta
2
risch. G l e i c h d e m ist die Metaphysik Nietzsches niemals in ih rem Kern eine spezifisch deutsche P h i l o s o p h i e . Sie ist e u r o p ä -
2
d. h. aber nicht: sie kommt von Europa und ist dort noch doziert [?], sondern: bestimmt mit, was Europa geschichtlich ist, aber wiederum nicht dadurch, daß sie praktiziert wird.
Sechstes Kapitel isch-planctarisch. D i e D e u t s c h e n hinken nur hinter dieser M e taphysik her. D a s englische E m p i r e hat sie längst e i n g e h o l t u n d in ihren w e s e n ü i c h e n P h a s e n verwirklicht.
ANHANG
Aufzeichnungen zu Nietzsches Metaphysik
Dieses D e n k e n wird nicht dadurch wirklich, daß es als P h i l o s o phie in eine Praxis überführt wird, sondern D e n k e n als D e n k e n des Seins, u n d d. h. aus d e m Sein her, ist i m vorhinein das, was aus d e m selben Sein her i m S e i e n d e n sich so u n d so z u m Er scheinen bringt.
Vgl. zur B e s t i m m u n g des W e s e n s der Metaphysik die Aufzeich n u n g ü b e r die G e s c h i c h t e des Begriffs der Metaphysik ( 1 9 3 2 ) . W e s e n der Metaphysik aus der Wahrheit des Seins. D i e vier B e s t i m m u n g e n : essentia, existentia, G e s c h i c h t e , M e n schenwesen — einig in der fünften: Wahrheit des S e i e n d e n als solchen. D i e Metaphysik kennt nur einige Bestandstücke ihrer selbst in ihrer A u s l e g u n g , aber nicht die Wesenseinheit aus d e m Seyn.
Nietzsches
G e d a n k e der »Gerechtigkeit*
Metaphysik. Vgl. die Gerechtigkeit Eckhart; - iustitia und
und die »christliche«
und der Gerechte
bei
Meister
certitudo.
»Gerechtigkeit« — ihr verborgenes W e s e n : die Wahrheit des Seienden als s o l c h e n i m G a n z e n , sofern Sein ist d e r W i l l e zur M a c h t als die u n b e d i n g t e Subjektivität. Subjektivität und certitudo: Descartes; e g o c o g i t o , res cogitans, m e n s .
Neuzeit, Beginn
Iustificatio, iustitia — Luther. Iustitia u n d o r d o m e n t i u m - L e i b n i z . Q u i d iuris — Frageweise v o n Kants transzendentaler D e d u k t i o n als der Selbstsicherung der Subjektivität.
Anhang
84
Certitudo - Sicherheit - der Wert; Wertsetzung - f u n d a m e n taler; » G e r e c h t i g k e i t « fundamentaler als Gewißheit. Z u s a m m e n h a n g mit der rectitudo, w i e diese n o c h in der cer titudo, aber durch perceptio u n d repraesentatio g e w a n d e l t sich erhält. W e s h a l b Nietzsche selbst wedeT das Wahrheitswesen der Gewißheit n o c h gar dasjenige der Gerechtigkeit zu d e n k e n ver mag. D e r W e r t g e d a n k e versperrt alles. Letzte B e z e u g u n g der Seinsvergessenheit.
D i e f o l g e n d e Ü b e r l e g u n g ist durch eine Frage betitelt Dies b e deutet: W i r versuchen zu bringen u n d bringen keine Antwort. A b e r fragen . . . : weisen, w o h e r die Antwort k o m m e n könnte. D o c h ist die Frage wichtig? O b sie es ist o d e r nicht, ergibt sich aus ihr selbst. In die W e g r i c h t u n g weisen, in der Nietzsches D e n k e n die V o l l e n d u n g d e r Metaphysik vollbringt.
Wer üt
Zarathustra?
E i n e Auseinandersetzung m i t Nietzsche W i r n e h m e n das W o r t Auseinandersetzung wörtlich. W i r versu chen sein D e n k e n u n d unser D e n k e n außer einander u n d in das G e g e n e i n a n d e r ü b e r zu setzen; aber d e n k e n d , nicht verglei chend. Sein D e n k e n : Nietzsches G e d a c h t e s . Unser D e n k e n : das für uns D e n k w ü r d i g e . Das E i n e und das A n d e r e aus einander; d e n n n o c h ist es ineinander — nicht i m Sinne, als seien zwei Stand punkte in einander verstrickt; nicht als sei unser D e n k e n aus Nietzsches ausgeflossen. Kein Denken entspringt aus e i n e m an deren, s o n d e r n nur aus s e i n e m Zu-denkfinrjen: g l e i c h w o h l kein, D e n k e n o h n e voraufgegangenes — die^VjprfahreMS, Nietzsche ist der N a m e für ein Weltalten Die E p o c h e der Ent faltung u n d Einrichtung der Herrschaft des Menschen über die Erde. D e r M e n s c h als Subjekt des Herslellens. Die Erde als der
Anhang
85
K e m b l o c k der Gegenständlichkeit der Weltnutzung: die Seynsvergessenhejt,
die G e s c h i c h t s f e m e , die Verwahrlosung;
der
M e n s c h u n d das D e n k e n ; das D e n k e n u n d d i e Sprache; das D e n ken i m Weltalter der Verwahrlosung; das G e s p r o c h e n e dieses D e n k e n s : »Abo sprach
Zarathustra«.
W e r ist Zarathustra? - W i e ist seine Sprache? - Was ist er in ihr?
Nietzsches
»Abo sprach
Zarathustra«
D i e Interpretxxtion: S o wesentlich auf die Sache e i n g e h e n , daß Nietzsches W o r t unberührt bleiben darf und rein aus jener er klingt. D i e S a c h e aber ist das » W e s e n « des M e n s c h e n , insofern er in die Frage der W e l t vereignet ist. A b e r dieses W e s e n bleibt n o c h v e r b o r g e n ; verborgen, weil ver ,
r
weigert; verweigert in der4SSSe Η PS A " "
T O T
=
" * ' ' " die vollendete
Subjektivität des sich herstellenden Willens zur bestancuoSerr Beständigung. D a s Letzte an Verwahrlosung des M e n s c h e n w c sens im A n s c h e i n des unbegrenzten Leistens v o n O r d n u n g und des bloßen Schaffens ihrer B e d i n g u n g e n . D i e O r d n u n g aber die Beherrschbarkeit. D i e gemäße d e n k e n d e Interpretation ist dort erreicht, w o ihre F o r m ausbleibt. D i e Antwort auf die Frage, w e r Zarathustra sei, läßt sich nicht durch einen Satz g e b e n , a u c h nicht d u r c h mehrere, sondern nur so, daß wir i h m b e g e g n e n . W o r i n diese B e g e g n u n g besteht, b e stimmt sich aus d e m , was Zarathustra ist. W e r Zarathustra ist, erfahren wir in der B e g e g n u n g . D e r R i n g ist geschlossen. I m voraus ist hier ein R i n g . W i r m ü s s e n ihn rings d u r c h g e h e n . A b e r w i e g e l a n g e n wir in d e n R i n g ? W i r sind s c h o n in i h m . A b e r wir n e h m e n v o n i h m keine Kenntnis. N i c h t nur wir hier, s o n d e r n der heutige M e n s c h kennt d e n R i n g nicht, nicht n u r d e r heutige M e n s c h , sondern sein Zeitalter, sondern die Weltalter vor d i e s e m k e n n e n nicht d e n R i n g . U n d sind d o c h s c h o n in i h m g e w e s e n .
8ri
Anhang A u f seine Weise/unJj'auf eine andere Art wußte Nietzsche da
von. Jeder Schaffende sucht sein Werk, w e n n es h o c h k o m m t , in d e m Gesichtskreis, d e n dies W e r k aufschließt. Was i m Werk erst sich ereignet, erfährt er nie. In dieser G r e n z e beruht die Größe des Schaffenden. Die Größten unter ihnen sind diejenigen, in deren Werk die G r e n z e einfach, d. h. ins Äußerste entschieden, u n u m g ä n g l i c h wird dergestalt, daß der Schaffende in seiner G r e n z e rein ver bleibt u n d sie kennt, o h n e sie zu n e n n e n . W e r ist Zarathustra? E r ist der L e h r e r d e r e w i g e n W i e d e r kunft d e s G l e i c h e n . A l s dieser L e h r e r lehrt er d e n Ü b e r m e n schen; ist nicht s c h o n dieser selber. Seine R e d e n b e g i n n e n m i t dieser L e h r e , nicht als o b er v o n d e r L e h r e v o m Ü b e r m e n s c h e n erst fortschritte zur L e h r e von der e w i g e n Wiederkunft, sondern weil diese das zuerst zu L e h r e n d e u n d d a v o n zuletzt zu S a g e n d e ist; er schweigt lange ü b e r das, was er weiß. Worin gründet der Z u s a m m e n h a n g beider Lehren? In welcher Hinsicht sucht u n d denkt Nietzsche diesen Z u s a m m e n h a n g ? D e r Ü b e r m e n s c h ist der Sinn der Erde. D i e E r d e als gewahrte sei des Ü b e r m e n s c h e n . D e r Ü b e r m e n s c h ; der M e n s c h , d e m die E r d e anvertraut sei. Was ist die Erde? — E r d e u n d E r d e r o b e r u n g ; die Verwüstung - der Frevel an d e r Erde. Was heißt dieses: d e n Libermenschen lehren? S a g e n , w e r er ist u n d w i e : lernen lassen — geleiten in sein W e s e n . L e r n e n : erfahren die Gefahr.
Wiederkehr
und
Ubermensch
W e s h a l b u n d w i e gehören e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n u n d Ü b e r m e n s c h z u s a m m e n ? W e s h a l b u n d w i e tritt eine ( u n g e dachte) Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t g e r a d e in Nietzsches M e t a p h y sik hervor? W e s h a l b läßt sich d i e L e h r e von der (ewigen) W i e derkunft des G l e i c h e n w e d e r beweisen noch w i d e r l e g e n ? W e l -
Anhang c h e Art » L e h r e « ist sie? Entwurf
87
des Seins von S e i e n d e m . W o
her u n d w i e ?
Ewige Wiederkehr
des Gleichen und
Übermensch
Nietzsche denkt d e u d i c h e r , o h n e es d o c h i m W e s e n zu erfahren, das W e s e n des M e n s c h e n aus d e m Sein (vgl. Bd. XII, S. 3 9 8 / 4 0 0 f.). I m Äußersten der Verwahrlosung wird das D e n k e n in diesen B e z u g gestoßen; o h n e ihn d e n k e n zu können, w e d e r ihn n o c h das, worin er selber west: Welt. Vielmehr bleibt er in die äußerste Subjektivität verstrickt: der H a m m e r . E w i g e W i e d e r kehr des G l e i c h e n als » L e h r e « u n d » G e d a i i k e « , statt: D e n k e n ereignishaft; - » d e r H a m m e r « .
Zarathustras
Vorrede
D e r Beginn: die S o n n e - die H ö h l e ( h o c h i m G e b i r g e ) ; aber g a n z anders als für Platon u n d doch das Selbe. A b e r näher an der Kehre; d o c h in Z e i c h e n g e d a c h t g l e i c h entfernt u n d gleich nah. A b e r : die Subjeknvität
des M e n s c h e n u n d ihre R o l l e im
(Seyn) als der Objektivität. Inwiefern ist das D e n k e n Auseinandersetzung? Es ü b e r n i m m t das U n g e d a c h t e . D i e s v e r m a g es nur, w e n n es d e m zu D e n k e n d e n vertraut ist. Auseinandersetzen: D e n k e n setzt sich mit D e n k e n auseinander. S o allein v e r m a g eines d e m a n d e r e n zu b e g e g n e n . S o allein ist E n t g e g n u n g . S o befreyt sich das D e n k e n aus d e m G e g e n der Gegnerschaft - in das G e h ö r e n in das Selbe. Je weiter das Auseinander, je w e i l e n d e r die N a h e . Je verweilter d i e N ä h e , je entschiedener die Entfernung. Je entfernter das N a h e , je w e s e n d e r das G e w e s e n e .
EINLEITUNG E i n l e i t u n g in d i e P h i l o s o p h i e als A n l e i t u n g z u m eigentlichen D e n k e n durch den Denker Nietzsche und den Dichter Hölderlin
§ 1. Die Unmöglichkeit Ein-leitung
in die
einer
Philosophie
Wer eine » E i n l e i t u n g in die P h i l o s o p h i e « vorhat, setzt voraus, daß diejenigen, die in die Philosophie eingeleitet w e r d e n sollen, zunächst außerhalb der P h i l o s o p h i e stehen. D i e s e selbst gilt da bei als ein i r g e n d w o bestehender Bezirk von Erkenntnissen u n d Sätzen, an d e m vielleicht viele M e n s c h e n Z e i t ihres L e b e n s vor b e i g e h e n und so von i h m ausgeschlossen bleiben. D i e s e Vorstel lung von der Philosophie ist zwar weit verbreitet, sie verfehlt aber das Wesen der Philosophie, insofern es für die P h i l o s o p h i e ein solches Außerhalb nicht gibt, das, abgetrennt v o m M e n s c h e n w e sen, die Unterkunft der P h i l o s o p h i e a u s m a c h e n könnte, w o h i n sich dann der M e n s c h erst b e g e b e n müßte, u m in der P h i l o s o phie zu sein. In Wahrheit steht der geschichtliche M e n s c h i m m e r schon, weil wesenhaft, in der P h i l o s o p h i e . D e s h a l b gibt es — streng g e dacht—keine » E i n - l e i t u n g « in die Philosophie. D o c h w i e ist der g e s c h i c h ü i c h e M e n s c h in der Philosophie? Keineswegs nur da durch, daß er von philosophischen Erkenntnissen, die irgend w o h e r überliefert sind, G e b r a u c h macht. D e r geschichtliche M e n s c h denkt aus Herkunft u n d Zukunft an diese u n d j e n e . I m Gesichtskreis solchen A n d e n k e n s denkt er jeweils das G e g e n wärtige. Insofern der geschichtliche M e n s c h das G e w e s e n e , K o m m e n d e , G e g e n w ä r t i g e denkt, denkt er das S e i e n d e i m G a n z e n n a c h allen W e i s e n des Seins. W e n n der M e n s c h das
§ 1. Unmöglichkeit
einer Ein-leitung
in die Philosophie
91
denkt, was ist — er denkt dies ständig in irgendeiner Weise —, denkt er auch u n d hat je s c h o n gedacht, was g e w e s e n ist und was k o m m e n wird. In solcher W e i s e d e n k e n d , b e w e g t er sich überall s c h o n in d e m j e n i g e n D e n k e n , das v o n altersher » P h i l o s o p h i e « heißt. Als, der a n d e n k e n d e M e n s c h » p h i l o s o p h i e r t « der M e n s c h . Indern er in s o l c h e m D e n k e n sich b e w e g t , hält er sich in der GegenrLdessen auf, was für dieses D e n k e n das Z u - d e n k e n d e bleibt. Das Z u - d e n k e n d e u n d stets auch i r g e n d w i e s c h o n G e d a c h t e ist der Bereich des Aufenthaltes für den M e n s c h e n , insofern er p h i l o sophiert. D i e s e r Aufenthaltsbereich ist die P h i l o s o p h i e . W i r g l a u b e n zu wissen, in w e l c h e m Bereich u n d R a u m die H ä u s e r stehen, in w e l c h e m Bereich die B ä u m e w a c h s e n . W i r d e n k e n k a u m d a r ü b e r n a c h , in w e l c h e m Bereich die P h i l o s o phie, das D e n k e n , in w e l c h e m Bereich die Kunst sind, was sie sind. W i r d e n k e n s c h o n gar nicht daran, daß die P h i l o s o p h i e , die Kunst, jeweils selbst Aufenthaltsbereiche
des M e n s c h e n
sein könnten. W i r sagen jetzt: D e r geschichtliche M e n s c h ist s c h o n in der P h i l o s o p h i e . D e r M e n s c h braucht nicht m e h r in die P h i l o s o p h i e hineingeleitet zu w e r d e n . Er k a n n nicht einmal in sie h i n e i n g e führt u n d v o n i r g e n d w o andersher in sie hineinversetzt w e r d e n . W e n n es aber in Wahrheit so steht, d a n n sind alle M e n s c h e n » P h i l o s o p h e n « oder, w i e wir auch sagen, » D e n k e r « . Das sind sie auch in gewisser Weise. D e r M e n s c h ist unter allem Seien d e n dasjenige S e i e n d e , das denkt. D e r M e n s c h ist das d e n k e n d e S e i e n d e . D e s h a l b u n d nur deshalb kann es u n d muß es unter den M e n s c h e n D e n k e n d e in e i n e m ausgezeichneten Sinne, wir sagen » d i e D e n k e r « , g e b e n . D e s h a l b aber und lediglich deshalb gibt es auch nur unter M e n s c h e n die G e d a n k e n l o s i g k e i t , die stets in einer Besinnungslosigkeit ihre Wurzel hat.
92
Einleitung in die Philosophie ab Anleitung § 2. Das Bedürfnis einer Anleitung Heimischwerden
im eigentlichen
zum Denken
N a c h d e m Gesagten ist das Philosophieren das D e n k e n u n d j e des D e n k e n ist s c h o n irgendwie ein Philosophieren. D i e Phi losophie gehört in einer zunächst nicht näher b e s t i m m t e n Weise zu der G e g e n d selbst, innerhalb deren der M e n s c h als das and e n k e n d - d e n k e n d e W e s e n sich aufhält. D e r M e n s c h kann aber dort, w o er s e i n e m W e s e n nach sich aufhält, wahrhaft heimisch o d e r nicht h e i m i s c h sein. D a s h e i m i s c h e Sichaufhalten in d e n Bereichen, in die der M e n s c h gehört, n e n n e n wir das W o h n e n . S o hält sich der g e s c h i c h ü i c h e M e n s c h zwar stets in der Phi losophie auf, aber er ist nur selten in ihr h e i m i s c h . E r w o h n t nicht in ihr. D a r u m bedarf es der Anleitung z u m H e i m i s c h w e r den. D u r c h sie lernt unser D e n k e n , das nicht i m m e r in s e i n e m Eigensten zuhause ist, das W o h n e n u n d wird so ein eigentiicheres D e n k e n . D i e Anleitung z u m D e n k e n hat nur dafür zu sor g e n , daß wir, die s c h o n D e n k e n d e sind, d e n k e n d e r
werden.
D a r u m bedeutet auch die A n e i g n u n g der P h i l o s o p h i e rechtver standen niemals das so oft nur m ü h s a m e u n d fruchtlose Sich einprägen befremdlicher Begriffe u n d L e h r m e i n u n g e n , die wir eines Tages w i e d e r vergessen. D u r c h die Anleitung zur P h i l o s o p h i e sollen wir das unmittel bare tägliche D e n k e n keineswegs preisgeben, w o h l d a g e g e n sol len wir, die d e n k e n d e n W e s e n , in d i e s e m täglichen D e n k e n d e n kender, u n d d. h. nachdenklicher, a n d e n k e n d e r w e r d e n u n d da durch eigentlich d e n k e n lernen. D i e Philosophie ist nicht das, was sie allerdings weithin u n d immerfort zu sein scheint, das A b seitige o d e r gar Jenseitige z u m » e i g e n t l i c h e n « L e b e n . V i e l m e h r ist die P h i l o s o p h i e als das e i g e n d i c h e D e n k e n die allerdings weithin u n d immerfort u n b e k a n n t e G e g e n d , in der das g e w ö h n liche D e n k e n sich ständig aufhält, o h n e in ihr bewandert u n d h e i m i s c h zu sein als d e m E i g e n t u m , das d e m W e s e n des M e n schen, sofern er der D e n k e n d e ist, z u g e w i e s e n w o r d e n .
§ 3. Die mannigfaltigen Denken.
Wege einer Anleitung
zum
eigentlichen
Die Frage »Was ist jetzt?«
So vielgestaltig nun aber u n d so vielgerichtet die W e g e u n d die Aufenthalte des täglichen D e n k e n s sind, so mannigfaltig blei ben die Möglichkeiten, die einer A n l e i t u n g zur P h i l o s o p h i e of fenstehen. Ü b e r a l l u n d ständig d e n k e n wir das, was ist, w e n n g l e i c h wir uns dieses D e n k e n s nur selten bewußt w e r d e n . D a r u m fassen wir auch das, was ist, oft nur flüchtig. W i r sind d a r ü b e r k a u m verständigt, in w e l c h e r W e i s e des Seins sich uns das vielbesagte u n d betriebene S e i e n d e zeigt. W e n n wir die einfache Frage stellen: » W a s ist jetzt?«, dann dürften die Antworten auf diese Frage k a u m zu ü b e r b l i c k e n u n d zu zählen sein. D e n n s c h o n die Frage ist bei aller Einfachheit vieldeutig. Dieser Vieldeutigkeit der Frage entspricht die ver wirrende Mannigfaltigkeit der Antworten. W i r fragen: » W a s ist jetzt?« S c h o n wird, falls wir d e n Fragesatz nicht g e d a n k e n l o s hersagen, die Vorfrage nötig: »Was heißt hier >jetzt« M e i n e n wir diesen » M o m e n t « , diese Stunde, diesen Tag, das H e u t e ? W i e weit erstreckt sich das H e u t i g e ? M e i n e n wir mit d e m H e u t e die »Jetzt-Zeit«? W i e weit reicht diese? M e i n e n wir das 20. Jahrhundert? Was wäre dieses o h n e das 19. Jahrhundert? M e i n t die »Jetzt-Zeit« gar die ganze Neuzeit? Fragt die Frage: » W a s ist jetzt?« nach d e m , was in dieser Zeit, der Neuzeit, »ist«? W a s verstehen w i r unter »ist«? Ist das u n d gilt das als das Sei e n d e , was sich als handgreiflich v o r h a n d e n vorbringen läßt, o d e r bleibt dies je nur ein flüchtiger S c h e i n dessen, was i m Hinter g r u n d u n d » e i g e n t l i c h « »ist« u n d Sein hat? Was versteht m a n heute, in der heutigen Z e i t u n d in der Neuzeit ü b e r h a u p t unter »Sein«? D a s S e i e n d e ist das W i r k l i c h e , was der Vergegenständlichung zugänglich ist. Sein bedeutet dann Wirklichkeit, G e g e n s t ä n d lichkeit. A b e r was heißt Wirklichkeit? In w e l c h e m S i n n e ist das W i r k e n g e m e i n t ? W a s heißt Gegenständlichkeit? W e r v e r g e g e n -
94
Einleitung in die Philosophie ah Α nleitung
ständlicht was? M i t w e l c h e m R e c h t gilt gerade das G e g e n s t ä n d liche als das S e i e n d e ? Je n a c h d e m Sinne, in d e m wir das »Jetzt« u n d
das
»ist« verstehen,
je nach der D e u ü i c h k e i t ,
G r ü n d l i c h k e i t u n d Besinnlichkeit, m i t der wir das Verstandene denken, wird die Beantwortung der Frage: » W a s ist jetzt?« ver schieden ausfallen. D e n n o c h lassen sich die vielen, d e m A n schein n a c h unvereinbaren Antworten zur
Ubereinstimmung
bringen, sobald wir imstande sind, die genannten Fragen aus d e m eigentlichen D e n k e n zu d e n k e n .
§ 4. Die Beachtung
des Denkens
in seinem Bezug zum
ah einer der Wege für eine Anleitung Nietzsche
und
zum eigentlichen
Dichten Denken.
Hölderlin
Z u d i e s e m Stand des eigentlichen D e n k e n s können uns freilich nur diejenigen anleiten, die s c h o n eigentlich d e n k e n und, der gestalt d e n k e n d , uns i m voraus s c h o n sagen u n d gesagt haben, was jetzt ist: die D e n k e r u n d Dichter. Weshalb n e n n e n wir plötzlich, w o wir d o c h v o m D e n k e n h a n deln, a u c h n o c h die Dichter? Sind die Dichter e i g e n ü i c h D e n ker? Sind die D e n k e r i m G r u n d e Dichter? M i t w e l c h e m R e c h t n e n n e n wir sie, die D e n k e r u n d die Dichter, so gern z u s a m m e n ? Besteht zwischen b e i d e n e i n e ausgezeichnete, aber vor erst n o c h v e r b o r g e n e Verwandtschaft ihres W e s e n s ? Ruht das Verwandte beider darin, daß das D e n k e n ein Sinnen ist, insgleichen w i e das D i c h t e n ? \ Z u m E i g e n e n der D e n k e r u n d der Dichter gehört, daß sie ihr Sinnen aus d e m W o r t e m p f a n g e n u n d es in das S a g e n b e r g e n , so daß die D e n k e r u n d die Dichter die e i g e n ü i c h e n Bewahrer des Wortes in der Sprache sind. Dann hat das D e n k e n s o w o h l w i e das D i c h t e n je darin seine Auszeichnung, daß sie je ein Sin nen u n d Sagen sind, w o r i n die Besinnung auf das, was ist, zur Sprache k o m m t . IWäre es anders, dann fehlte der G r u n d , w e s -
§ 4. Das Denken in seinem Bezug zum
95
Dichten
halb wir in d e m A u s d r u c k » D e n k e r u n d D i c h t e r « das D e n k e n u n d das D i c h t e n , die P h i l o s o p h i e u n d die Poesie so gern zusam m e n n e n n e n . D a s geschieht uns fast w i e v o n selbst. W i r sind v o n e i n e m dunkel geahnten Z u s a m m e n h a n g beider angerührt u n d angezogen. Vielleicht entsinnen wir uns auch n o c h dessen, daß wir das Volk der Dichter u n d D e n k e r » h e i ß e n « , nicht nur heißen, s o n dern auch sind. Sind wir es? Sind wir es s c h o n dadurch, daß wir historisch feststellen u n d v e r k ü n d e n , daß es diese u n d jene großen D e n ker u n d Dichter unter den D e u t s c h e n g e g e b e n hat? D i e Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t v o n D e n k e n u n d D i c h t e n scheint so innig zu sein, daß zuweilen D e n k e r gerade durch das D i c h t e rische ihres D e n k e n s hervorragen u n d daß Dichter durch ihre N ä h e z u m eigentlichen D e n k e n der D e n k e r erst Dichter sind. M a n nennt d e n letzten D e n k e r der abendländischen P h i l o s o phie, Friedrich Nietzsche,
gern d e n » D i c h t e r p h i l o s o p h e n « u n d
denkt dabei an d e n » D i c h t e r « v o n » A l s o sprach Zarathustra«. M a n weiß auch, daß die ersten D e n k e r der abendländischen P h i l o s o p h i e ihr Sinnen in sogenannten » L e h r g e d i c h t e n « gesagt h a b e n . U m g e k e h r t wissen wir, daß der Dichter Hölderlin
das
Weitreichende u n d n o c h Aufgesparte u n d Alles Ü b e r a h n e n d e seines Sinnens einer einzigen N ä h e zur P h i l o s o p h i e mitver dankt, einer N ä h e , die wir in dieser Gestalt sonst nirgends an treffen, w e n n wir die Dichter der G r i e c h e n , Pindar u n d kles, a u s n e h m e n , m i t d e n e n Hölderlin
Sopho
in einer ständigen Z w i e
sprache lebte. D e m Titel der Vorlesung » E i n l e i t u n g in die P h i l o s o p h i e « ist der Untertitel » D e n k e n u n d D i c h t e n « m i t g e g e b e n . D e m Ver such einer A n l e i t u n g z u m eigentlichen D e n k e n stehen, w i e g e sagt w u r d e , mannigfaltige W e g e offen. Einer der W e g e ist, das D e n k e n in s e i n e m B e z u g z u m D i c h t e n z u b e a c h t e n u n d auf das Verhältnis v o n D e n k e n u n d D i c h t e n aufmerksam zu m a c h e n . Dieser
W e g bietet w i e d e r u m vielerlei A u s b l i c k e u n d d a d u r c h
m ö g l i c h e Blickrichtungen. I m a l l g e m e i n e n , d e m A n s c h e i n n a c h
96
Einleitung in die Philosophie als Anleitung
o h n e j e d e n a n s c h a u l i c h e n Anhalt, ü b e r D e n k e n u n d D i c h t e n Erörterungen anzustellen, dürfte freilich rasch ins B o d e n l o s e u n d Unfruchtbare führen. W i e w ä r e es aber, w e n n wir D i c h t e n u n d D e n k e n dort auf suchten, w o sie uns in einer e i g e n t ü m l i c h e n N o t w e n d i g k e i t ih res g e s c h i c h d i c h e n W e c h s e l b e z u g s b e g e g n e n , b e i Nietzsche, als D e n k e r ein D i c h t e r ist, u n d b e i Hölderlin,
der
der als D i c h t e r ein
D e n k e r ist? B e i d e sind b e i d e s in einer ausgezeichneten W e c h selbeziehung des D e n k e n s u n d des Dichtens. D i e s e r W e c h s e l b e z u g ist allerdings i m D e n k e n Nietzsches u n d i m D i c h t e n H ö l derlins g a n z v e r s c h i e d e n gewurzelt u n d geartet. M i t d e n b e i d e n N a m e n n e n n e n wir ü b e r d i e s e i n e n D e n k e r u n d e i n e n Dichter, die unser Zeitalter in einer n o c h k a u m d u r c h s c h a u b a r e n W e i s e unmittelbar a n g e h e n , weil sie vermut lich — jeder in einer a n d e r e n A r t — ü b e r uns h i n a u s g e h e n . Nietz sche u n d Hölderlin sind d a n n aber nicht b e l i e b i g e Beispiele für ein b e s o n d e r e s Z u s a m m e n s p i e l des D e n k e n s u n d des D i c h t e n s . Seit einiger Z e i t ist es a u c h ü b l i c h g e w o r d e n , Hölderlin u n d Nietz sche z u s a m m e n zu n e n n e n . Gleichviel w e l c h e B e w e g g r ü n d e diese N e n n u n g b e s t i m m e n , a b g e s e h e n d a v o n , o b dabei
das
D e n k e n Nietzsches g e b ü h r e n d zur A b h e b u n g k o m m t g e g e n das D i c h t e n Hölderlins, allein s c h o n d i e Tatsache, daß
Hölderlin
u n d Nietzsche in so betonter W e i s e z u s a m m e n g e n a n n t w e r d e n , deutet darauf, daß wir in e i n e m w e s e n d i c h e n B e z u g z u i h n e n stehen. D i e s e r D i c h t e r Hölderlin u n d dieser D e n k e r Nietzsche g e h e n uns in einer b e s o n d e r e n W e i s e geschichtlich an, dies
auch
dann, w e n n wir w e n i g Kenntnis v o n ihnen n e h m e n o d e r sie nur bildungsmäßig
kennen.
Setzen wir an d i e Stelle des i m b e
stimmten Titels » D e n k e n u n d D i c h t e n « die N a m e n Nietzsche u n d Hölderlin, d a n n wird das Verhältnis v o n D e n k e n u n d D i c h ten u n d d i e Frage n a c h d i e s e m Verhältnis b e i d e r für uns in ei n e m m e h r f a c h e n S i n n e geschichtlich u n d verbindlich. D i e b e i d e n N a m e n Nietzsche u n d Hölderlin sind dabei m i t A b s i c h t nicht in der historisch b e k a n n t e n
R e i h e n f o l g e genannt.
Der
§ 4. Das Denken in seinem Bezug zum Dichten
97
G r u n d für dieses V o r g e h e n wird später einleuchten. W i r achten jetzt zuerst auf das D e n k e n Nietzsches. W e n n wir d e m D e n k e n Nietzsches n a c h z u d e n k e n versuchen, sind w i r daran gehalten, das v o n ihjn^Gedachte, u n d d. h. das für ihn Z u - d e n k e n d e njicEzuc^Sten. Wu^sind^sogleicTTgenöngtj m i t NietzscEe^"als d e m ^ e t z t e r T D e n k e r d e r N e u z e i t das z u d e n k e n , was jetzt ist. D i e s e r letzte D e n k e r d e r N e u z e i t ist der j e n i g e e u r o p ä i s c h e D e n k e r , d e r das neuzeitliche W e s e n des A b e n d l a n d e s z u g l e i c h als das g e s c h i c h t l i c h e W e s e n d e r m o d e r n e n W e l t g e s c h i c h t e d e s Erdballs denkt. W e n n Nietzsche das denkt, w a s ist, u n d somit versucht, das z u sagen, w a s das Sei e n d e i m G a n z e n hinsichtlich seines Seins d e n n eigentlich sei, d a n n sagt Nietzsche: Alles S e i e n d e ist, insofern es ist, W i l l e zur M a c h t . A b e r W i l l e u n d W o l l e n ist jederzeit ein W e r d e n . W e i l j e d o c h das W e r d e n als solches d o c h a u c h »ist«, erhebt sich d i e Frage, w e l c h e s Sein d e m W i l l e n zur M a c h t als d e m W e r d e n v o n A l l e m eignet. I m W i l l e n zur M a c h t zeigt sich zwar n a c h Nietz sche der G r u n d z u g alles S e i e n d e n , dessen Sein. A b e r der Seins charakter dieses Seins bleibt n o c h u n b e s t i m m t u n d ungedacht, w e n n wir es dabei b e w e n d e n lassen z u sagen: Alles S e i e n d e ist W i l l e zur M a c h t . Inwiefern nun g e r a d e dasjenige D e n k e n , das alles S e i e n d e als W i l l e zur M a c h t denkt u n d mit d i e s e m Wprtgef ü g e seinen H a u p t g e d a n k e n ausspricht, eine ausgezeichnete N ä h e z u m D i c h t e n Haben sott, ist zunächst k a u m einzusehen. W a s soll i m Bereich des W i l l e n s zur M a c h t n o c h d i e D i c h t u n g ? O d e r ist das, was wir » d i c h t e n « nennen, nicht überall d e s g l e i c h e n W e s e n s ? Inwie fern für das D e n k e n Nietzsches das D i c h t e n i n einer betonten W e i s e wesentlich wird, w e s h a l b dieser D e n k e r d i e Gestalt des »Zarathustra« » d i c h t e n « m u ß , u n d was vor allem dieses D i c h ten innerhalb seines D e n k e n s bedeutet, all das k ö n n e n wir n u r klären, w e n n wir Nietzsches D e n k e n als das e i g e n d i c h e u r o p ä isch-planetarische
D e n k e n erfahren;
Nietzsches D e n k e n ist
n ä m l i c h a u c h dort s c h o n m i t g e d a c h t und so bejaht, w o , d e n laut vorgebrachten Versicherungen n a c h , seine » P h i l o s o p h i e « a b g e -
98
Einleitung in die Philosophie als Anleitung
lehnt u n d verurteilt wird. Inwiefern diese A b l e h n u n g e n nur ein S c h e i n g e b i l d e treffen, insgleichen w i e oft die Z u s t i m m u n g e n , ist eine Frage für sich. V o r d e m wäre n o c h zu fragen, o b es ü b e r haupt m ö g l i c h ist, ein w e s e n d i c h e s D e n k e n abzulehnen. Dieses seltsame G e b a r e n ist v e r m u d i c h eine Selbsttäuschung. D e r europäisch-planetarische Z u g in Nietzsches Metaphysik ist j e d o c h selbst bereits nur die F o l g e jenes G r u n d z u g e s seiner P h i l o s o p h i e , durch d e n sie fast g e g e n das W i s s e n Nietzsches in das v e r b o r g e n e G e s c h i c k des abendländischen D e n k e n s ü b e r haupt zurückreicht u n d dessen B e s t i m m u n g in gewisser W e i s e vollendet. S o l a n g e wir diesen G r u n d z u g des D e n k e n s des letzten neuzeitlichen D e n k e r s nicht n a c h d e n k e n , hat auch die A u s e i n andersetzung m i t Nietzsche noch nicht
§ 5. Die
begonnen.
Auseinandersetzung
mit dem un&g&thichtitck
begegnenden Denken:
Nietzsches Haupt- und
Grundgedanke
In einer Auseinandersetzung setzt sich das zu uns s p r e c h e n d e D e n k e n u n d unser eigenes D e n k e n eins d e m anderen g e g e n ü b e r . M i t d i e s e m Auseinandertreten bildet sich vielleicht der Abstand, aus d e m eine W ü r d i g u n g dessen zur Reife k o m m t , was die e i g e n e W e s e n d i c h k e i t u n d die unerreichbare Stärke des b e g e g n e n d e n D e n k e n s ausmacht. D i e echte Auseinanderset z u n g spürt nicht die S c h w ä c h e n u n d Fehler auf, sie kritisiert nicht, sondern sie bringt das g e s c h i c h d i c h b e g e g n e n d e D e n k e n vor unser D e n k e n u n d ins Freie/einer E n t s c h e i d u n g , die d u r c h die B e g e g n u n g u n u m g ä n g l i c h ' w i r d . Därtiö^können w i r das uns g e s c h i c h d i c h b e g e g n e n d e D e n k e n Nietzsches u n d jedes D e n kers nicht anders n a c h - d e n k e n als auf d e m W e g e d e r A u s e i n a n dersetzung, d u r c h cüe_wir selbst erst ir^iexr^Srlitnixag des g e schichtlich b e g e g n e n d e n D e n k e n s e i n b e z o g e n w e r d e n , u m i h m g e s c h i c h d i c h zu e n t g e g n e n . Sollte das Dichterische in Nietzsches D e n k e n nicht bloß e i n e
§ 5. Nietzsches Haupt- und Grundgedanke
99
d u r c h die persönliche A n l a g e des D e n k e r s b e d i n g t e B e i g a b e u n d A u s s c h m ü c k u n g seiner P h i l o s o p h i e sein, sollte das d i c h tende W e s e n i m G r u n d z u g dieses D e n k e n s wurzeln, d a n n wäre es nötig, zuvor d e n Grundzug^dieses D e n k e n s , u n d d. h. seinen G r u n d g e d a n k e n , z u erkermeffund n a c h z u d e n k e n . D e r H a u p t g e d a n k e Nietzsches spricht sich in seiner L e h r e v o m W i l l e n zur M a c h t aus. G l e i c h w o h l ist dieser H a u p t g e d a n k e n o c h nicht der G r u n d g e d a n k e seines D e n k e n s . E r sagt n o c h nicht das Z u - d e n k e n d e , was Nietzsche mit s e i n e m e i g e n e n W o r t » d e n « G e d a n k e n der G e d a n k e n nennt. D e r G r u n d g e d a n k e
seines
D e n k e n s verbirgt sich in Nietzsches L e h r e v o n » d e r e w i g e n W i e d e r k u n f t des G l e i c h e n « . D i e s e r G e d a n k e ist zuerst g e d a c h t in d e m D e n k e n , das die Gestalt des Zarathustra dichtet b z w . dieses "Dichten unmittelbar vorbereitet. A c h t e n wir darauf, d a n n legt sich die V e r m u t u n g nahe, die L e h r e v o n der e w i g e n W i e derkunft des G l e i c h e n sei a u c h etwas Gedichtetes o d e r g a r nur Erdichtetes. Ernst Bertram n e n n t d e n n a u c h in s e i n e m v i e l g e l e senen B u c h ü b e r Nietzsche die Wiederkunftslehre, d i e N i e t z sche als » d e n G e d a n k e n der G e d a n k e n « festhält, » d i e s t r ü g e 1
risch äffende W a h n m y s t e r i u m des späten N i e t z s c h e « . H i e r z u ist kurz z u v e r m e r k e n , daß diese L e h r e nicht erst v o m späten Nietzsche stammt, daß sie v i e l m e h r u n d sogar s c h o n v o r d e m A u s s p r u c h u n d der Ausgestaltung des H a u p t g e d a n k e n s u n d vor der L e h r e v o m W i l l e n zur M a c h t in aller Klarheit u n d Trag weite g e d a c h t u n d dargelegt wird. O b m a n d e n G e d a n k e n v o n der e w i g e n W i e d e r k u n f t des G l e i c h e n als ein » W a h n m y s t e r i u m « a u s g e b e n u n d d a m i t als nichtig u n d für Nietzsches P h i l o s o p h i e i m G a n z e n entbehrlich abwerten darf, das h ä n g t v o n der E n t s c h e i d u n g d a r ü b e r ab, o b u n d w i e Nietzsches L e h r e v o n der e w i g e n W i e d e r k u n f t des G l e i c h e n mit seiner L e h r e v o m W i l l e n zur M a c h t z u s a m m e n g e h t D i e s e E n t s c h e i d u n g k a n n j e d o c h erst gefällt w e r d e n , w e n n zuvor gefragt ist, was in Nietz-
• Emst Bertram, Nietzsche. Versuch einer Mythologie. Berlin 1918, 2. Aufl. 1919, S. 12.
100
Einleitung in die Philosophie aU Anleitung
sches D e n k e n der G r u n d g e d a n k e u n d was der H a u p t g e d a n k e denkt. Z u fragen bleibt, o b diese U n t e r s c h e i d u n g v o n G r u n d g e d a n k e n u n d H a u p t g e d a n k e n nur in b e z u g auf Nietzsches P h i l o s o p h i e nötig ist, o d e r o b sich in dieser U n t e r s c h e i d u n g ein Verhältnis verbirgt, das alle Metaphysik als s o l c h e auszeichnet u n d d e s h a l b i m Zeitalter d e r V o l l e n d u n g der Metaphysik in ei ner b e s o n d e r e n W e i s e ans L i c h t tritt. D i e s e Fragen
sind ü b e r h a u p t
n o c h niemals gestellt, g e
s c h w e i g e d e n n h i n r e i c h e n d beantwortet w o r d e n . D i e Erörte r u n g dieser Fragen ist d e r Prüfstein, an d e m sich j e d e A u s l e g u n g d e r P h i l o s o p h i e Nietzsches b e w ä h r e n muß. A b e r die W i l l k ü r u n d Nachlässigkeit in d e r D e u t u n g u n d A n e i g n u n g der P h i l o s o p h i e Nietzsches sind inzwischen so weit g e d i e h e n , daß m a n es w a g e n darf, die L e h r e v o m W i l l e n zur M a c h t als höchste Einsicht zu preisen u n d i m selben A t e m z u g d i e L e h r e v o n der e w i g e n W i e d e r k u n f t des G l e i c h e n als beiläufige »religiöse« Pri v a t m e i n u n g Nietzsches auf d i e Seite zu s c h i e b e n . S o l a n g e die A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit Nietzsches D e n k e n der gestalt imräfglihvliegi, muß j e d e S t e l l u n g n a h m e zu dieser P h i l o s o p h i e , sie m a g b e j a h e n d o d e r v e r n e i n e n d o d e r vermittelnd ausfallen, hinfällig w e r d e n . S o l a n g e für uns dieses D e n k e n hinsichdich des inneren Z u s a m m e n h a n g e s seines G r u n d g e d a n k e n s u n d seines H a u p t g e d a n k e n s i m d u n k l e n bleibt, d ü r f e n wir uns ü b e r h a u p t nicht anmaßen, v o n d i e s e m D e n k e n als e i n e m D e n k e n zu wissen. W i e sollen wir aber dann, w e n n es so steht, dar ü b e r b e f i n d e n , o b u n d w i e g e r a d e in d i e s e m Denken das
Dichten
wesentlich ist, so daß wir v o m D e n k e r Nietzsche als d e m D i c h t e r des »Zarathustra« s p r e c h e n k ö n n e n ? W e n n wir u n s abschicken,, 7.nm e i g e n d i c h e n D e n k e n anzulei ten, i n d e m w i r e i n i g e H i n w e i s e auf das D e n k e n u n d das D i c h ten zu g e b e n versuchen, d a n n k a n n dieses H i n w e i s e n nur auf d e m W e g e der A u s - e i n a n d e r - s e t z u n g g e s c h e h e n , d i e d e n uns a n g e h e n d e n D e n k e r u n d d e n uns a n g e h e n d e n D i c h t e r in sei n e m e i g e n e n S a g e n zur S p r a c h e bringt. V o n H i n w e i s e n ist d i e R e d e . D a s soll andeuten, daß das, was hier versucht wird, in v i e -
Wiederholung
(Erste
Fassung)
101
ler Hinsicht eingeschränkt ist u n d sich damit b e g n ü g t , auf eini ges W e s e n d i c h e aufmerksam z u m a c h e n . Zuerst gilt es, d e m D e n k e r Nietzsche i m D e n k e n
seines
G r u n d g e d a n k e n s zu folgen, d a m i t wir so bereit w e r d e n für d e n G a n g des W e g e s , d e n d e r G r u n d g e d a n k e uns weist. A u f d i e s e m W e g e w e r d e n w i r aus u n s e r e m g e w o h n t e n A l l t a g s d e n k e n her ausgerissen u n d zunächst u n d oft für lange Z e i t ins U n b e stimmte gestellt, so daß wir k a u m n o c h einen A n h a l t besitzen, der B e g e g n u n g des uns a n g e h e n d e n D e n k e n s standzuhalten. D a r u m m a g es gut sein, auf einige B e d i n g u n g e n zu achten, un ter d e n e n j e d e r Versuch steht, d e m D e n k e n eines
Denkers
nachzudenken?
Wiederholung (Erste Fassung) D i e P h i l o s o p h i e ist das D e n k e n d e r D e n k e r . Sie d e n k e n das, was ist. A b e r a u c h sonst d e n k t d e r M e n s c h stets, w e n n g l e i c h meistens u n b e h o l f e n u n d u n g e n a u u n d leicht vergeßlich das, was ist. D e r M e n s c h ist der D e n k e n d e , aber d a r u m nicht i m m e r a u c h ein D e n k e r . D a s D e n k e n d e r D e n k e r n e n n e n wir das
Den
ken, dies W o r t schlicht für sich gesagt. W e i l d e r M e n s c h i m m e r s c h o n das denkt, was ist, philosophiert er stets. D e r M e n s c h ist s c h o n in d e r P h i l o s o p h i e . D e s h a l b k a n n er nicht erst » i n sie hin e i n « geleitet w e r d e n . W o h l d a g e g e n b e d a r f es der Anleitung, damit der M e n s c h in d e m , w o r i n er sich u n b e h o l f e n u n d u n b e raten s c h o n i m m e r aufhält, h e i m i s c h e r wird u n d das eigentliche W o h n e n lernt. D i e P h i l o s o p h i e ist nicht ein Lehrstoff, k e i n W i s s e n s g e b i e t , die i r g e n d w o außerhalb des w e s e n t l i c h e n m e n s c h l i c h e n Seins liegen. D i e P h i l o s o p h i e ist um d e n M e n s c h e n T a g u n d N a c h t w i e d e r H i m m e l u n d die E r d e , n ä h e r fast n o c h als sie, so w i e die H e l l e , die z w i s c h e n b e i d e n ruht, die aber der M e n s c h fast i m m e r übersieht, w e i l er nur das betreibt, was i h m in d e r H e l l e er-
102
Einleitung
in die Philosophie
aU
Anleitung
scheint. Z u w e i l e n wird der M e n s c h auf die H e l l e u m ihn eigens aufmerksam, w e n n es dunkelt. A b e r selbst dann achtet er ihrer nicht sorgsamer, weil er es g e w o h n t ist, daß die H e l l e w i e d e r kehrt. D i e A n l e i t u n g z u m D e n k e n m ü h t sich nur darum, daß es heller u m uns wird u n d wir selbst behutsamer w e r d e n für die H e l l e . S o w e r d e n wir vielleicht als die D e n k e n d e n , die wir s c h o n sind, d e n kender. Weil das D e n k e n das denkt, was ist, muß aber w o h l das S e i e n d e seiender w e r d e n , d a m i t wir d e n k e n d e r sein können. W i e aber wird das S e i e n d e seiender o d e r auch unseiender? D a s liegt w o h l a m Sein selbst u n d an d e m , w i e es sich d e m M e n s c h e n schickt. """Einer
Anleitung zum
Denken
öffnen
sich
mannigfaltige
W e g e . D i e s e Vorlesung steht unter d e m Titel » D e n k e n und D i c h t e n « . G e w ö h n l i c h sagen wir in der u m g e k e h r t e n
Folge
D i c h t e n u n d D e n k e n , g e m ä ß der R e d e v o n d e n » D i c h t e r n u n d D e n k e r n « , w e l c h e R e d e uns selbst e i g e n t ü m l i c h berührt. M a n hört zuweilen sagen, daß wir » d a s Volk der D i c h t e r u n d D e n k e r « seien. W e n n die F r e m d e n das sagen, m e i n e n sie, wir seien das Volk, das v o r w i e g e n d D i c h t e r u n d D e n k e r hervorbringe, w ä h r e n d sie M a s c h i n e n u n d Treibstoffe produzieren. W i r selbst m e i n e n d e n F r e m d e n , allzuoft ihnen nachlaufend, diese M e i n u n g n a c h . Allein, daß wir das Volk der D e n k e r u n d D i c h t e r sind — u n d wir sind es u n d wir w e r d e n es sein —, das heißt nicht, daß wir D e n k e r - u n d Dichterpersönlichkeiten
für
kulturelle
Ausstellungen hervorbringen, s o n d e r n daß unsere D e n k e r u n d Dichter uns in unser W e s e n hervorbringen. D i e Frage bleibt, o b wir n o c h i m W e s e n groß u n d edel g e n u g sind, u m uns dergestalt in unser W e s e n hervorbringen zu lassen, g a n z a b g e s e h e n davon, was die F r e m d e n d a r ü b e r m e i n e n . Sie m e i n e n n ä m l i c h , daß, w e n n wir nur brav D e n k e r u n d D i c h t e r produzierten, sie bei ih ren e i g e n e n Geschäften ungestört b l e i b e n . D i e s e ihre M e i n u n g ist der andere n o c h größere Irrtum. E s könnte ja u n d wird eines Tages so sein, daß unser D e n k e n u n d D i c h t e n d i e F r e m d e n , zwar nicht in ihren Geschäften, aber in i h r e m W e s e n b e u n r u -
Wiederholung
(Erste
Fassung)
103
higt und fragwürdig m a c h t u n d an d e n R a n d der Besinnung bringt. D o c h auch hier erhebt sich zuerst die Frage, o b wir selbst u n d wie wir selbst diese unsere geschichtliche B e s t i m m u n g b e h ü t e n , auch w e n n der Geschichtsgang, auf d e m sie unser G e s c h i c k wird, n o c h so verhüllt bleibt. D e r Titel der Vorlesung stellt » d a s D e n k e n und das D i c h t e n « ins T h e m a . W i r pflegen darnach Erörterungen » ü b e r « das D e n ken und das D i c h t e n , u n d zwar auf d e m W e g e der Vergleichung beider.iiTndem wir das D e n k e n g e g e n das Dichten zur A b h e b u n g brtfigen, tritt das D e n k e n in s e i n e m W e s e n schärfer her aus? w e n n wir freilich nur i m A l l g e m e i n e n ü b e r das D e n k e n und Dichten reden, verliert sich alles leicht ins U n b e s t i m m t e u n d L e e r e . W i r stellen daher das D e n k e n eines bestimmten Denkers u n d das D i c h t e n eines bestimmten Dichters ins T h e m a . W i r können d e n Titel » D e n k e n und D i c h t e n « deutlicher m a c h e n durch die G e g e n ü b e r s t e l l u n g der N a m e n Nietzsche u n d lin. D o c h w a r u m nicht Kant u n d Goethe?
Hölder
D i e Antwort auf diese
Frage gibt die Vorlesung selbst. Jetzt sei, ganz v o n außen her, nur dies vermerkt: Nietzsche ist derjenige Denker, der denkt, was jetzt ist. Hölderlin ist derjenige Dichter, der dichtet, was jetzt ist. G l e i c h w o h l bleibt das, was Nietzsche denkt u n d was Hölderlin dichtet, unendlich verschieden. D e n n o c h soll es das Selbe sein, was der E i n e denkt u n d was der A n d e r e dichtet? Es soll das sein, was ist? D a n n müßte in d e m , was ist, d . h . im » S e i n « selbst, sich ein unendlicher Unterschied verbergen. A u c h wird es seinen G r u n d haben, daß Nietzsche, der D e n k e r , in seiner Weise ein Dichter u n d daß Hölderlin, der Dichter, in seiner Weise ein D e n k e r ist. I m D e n k e n u n d D i c h t e n Nietzsches u n d Hölderlins ist das D i c h t e n und D e n k e n nach einer einzigen u n d w u n d e r s a m e n W e i s e ineinander verschränkt, w e n n nicht gar verfügt. N o c h sieht es vorläufig so aus, als sollte » ü b e r « das D e n k e n Nietzsches u n d » ü b e r « das D i c h t e n Hölderlins g e h a n d e l t wer-
104
Einleitung in die Philosophie ak Anleitung
den. W i r könnten bei d i e s e m Verfahren, historisch verglei c h e n d , gewiß m a n c h e r l e i interessante S a c h e n berichten. A b e r dieses historische R ä s o n i e r e n kann niemals eine A n l e i t u n g z u m D e n k e n w e r d e n . D i e s e verlangt, daß wir mit d e m D e n k e r mit d e n k e n u n d mit d e m Dichter mitdichten. D a z u ist nötig, daß wir d e m D e n k e r n a c h d e n k e n und d e m Dichter nachdichten. N u r so erfahren wir, w e l c h e Bewandtnis es hat mit d e m nichts s a g e n d e n » u n d « , das z w i s c h e n Nietzsche » u n d « Hölderlin, das zwischen d i e s e m D e n k e r und
d i e s e m Dichter, das jetzt u n d
künftig z w i s c h e n D e n k e n u n d D i c h t e n steht. M i t d e m D e n k e n Nietzsches aber d e n k e n wir d a n n getreu mit u n d nur dann, w e n n wir den G e d a n k e n n a c h d e n k e n , d e n der D e n k e r selbst » d e n G e d a n k e n der G e d a n k e n « nennt. D a s ist der G e d a n k e v o n » d e r e w i g e n Wiederkunft des G l e i c h e n « . I m D e n k e n dieses G e d a n k e n s hat Nietzsche die Gestalt des Z a r a thustra gedichtet. Sonst u n d v o r d e m ist n i r g e n d w o i m D e n k e n der a b e n d l ä n d i s c h e n Metaphysik eine Gestalt gedichtet w o r den. D i e s wird erst n o t w e n d i g innerhalb der V o l l e n d u n g der neuzeitlichen Metaphysik u n d der Metaphysik überhaupt. Daß dieses D i c h t e n nötig wird, ist das Zeichen
der V o l l e n d u n g der
a b e n d l ä n d i s c h e n Metaphysik. N u r einmal n o c h wird in der M e taphysik gedichtet, w e n n g l e i c h anders, n ä m l i c h i m A n f a n g der a b e n d l ä n d i s c h e n Metaphysik, i m D e n k e n Piatons. ΡΖαίοη d i c h tet seine » M y t h e n « . W a s hier u n d dort das D i c h t e n innerhalb des D e n k e n s ist, o b diese D e n k e r dadurch D i c h t e r sind o d e r D e n k e r b l e i b e n , m ü s s e n wir zu seiner Z e i t fragen.
ERSTES KAPITEL
Grunderfahrung und Grundstimmung des Denkens Nietzsches
§ 6. Die Gott-
und Weltlosigkeit Nietzsches
des neuzeitlichen
Menschen
als
Grunderfahrung
D a s D e n k e n eines Denkers ist wahr, w e n n es die Ankunft des Seins wahrt. D a s D e n k e n wahrt das Sein, i n d e m es dessen A n kunft a n d e n k e n d in seinem S a g e n hütet, ins W o r t des Sagens birgt u n d so das Sein zugleich in der Sprache verbirgt. Dieses anden k e n d e W a h r e n des Seins ist die Wahr-heit der P h i l o s o p h i e . .. Jede wahre P h i l o s o p h i e ist daher in aet äußeren Gestalt eine Antwort auf die Frage, die zu j e d e r Z e i t des geschichtlichen Daseins des M e n s c h e n gefragt wird/ D i e s e Frage m a g bisweilen u n a u s g e s p r o c h e n bleiben. Sie kafßr sich bis zur Unkenntlich keit in verschiedenartigen Fa«»<mgen und
Umschreibungen
verstecken. D o c h läßt sie sichffiberall o h n e Gewaltsamkeit auf die einfache F o r m e l bringen: W a s ist jetzt? Jeder D e n k e r fragt zu seiner Z e i t nach d e m , was ist. Diese Frage des D e n k e n s entspringt in einer Erfahrung, durch die das D e n k e n v o n d e m her bestimmt wird, was als der » G r u n d « dessen waltet, was ist. Jedes D e n k e n ruht in einer Grund-erfahrung. Das, was das D e n k e n be-stimmt, durchstimmt es zugleich in seiner Herkunft u n d in seiner Weite. Jedes D e n k e n schwingt in einer G r u n d - s t i m m u n g . S o l a n g e wir nicht aus der Grunderfahrung eines Denkers er fahren u n d auf seine G r u n d s t i m m u n g gestimmt sind, solange wir beides nicht v o n G r u n d auf ständig ursprünglicher b e a c h ten,
solange bleibt jeder Versuch, das D e n k e n eines Denkers
mitzudenken, vergeblich.
106
Grunderfahrung und Grundstimmung
Allein, die Grunderfahrung eines D e n k e r s läßt sich nicht i m Vorbeigehen durch einen Titel mitteilen. G l e i c h w e n i g g e n ü g t ein N a m e , der die G r u n d s t i m m u n g nur bezeichnet. W o h l kön nen d a g e g e n g e e i g n e t e A u s s p r ü c h e eines D e n k e r s dazu helfen, auf die Grunderfahrung
u n d auf die G r u n d s t i m m u n g
seines
D e n k e n s vorzudeuten. Grunderfahrung u n d G r u n d s t i m m u n g , in d e n e n Nietzsche das denkt, was ist, m ö g e n durch d i e A n f ü h r u n g zweier A u s s p r ü c h e angedeutet sein. D a j e d o c h die P h i l o s o p h e n n a c h Nietzsches ei g e n e r A u s s a g e » w e i t voraus g e w o r f e n w e r d e n , weil die A u f m e r k samkeit der Z e i t g e n o s s e n erst langsam ihnen sich z u w e n d e t « , sagen uns auch die A u s s p r ü c h e Nietzsches w e n i g , bis wir nicht selbst sie in einer g e m ä ß e n W e i s e vordeutend gedeutet haben. Z w a r n i m m t m a n g e r a d e die Schriften seien sie leicht verständlich
Nietzsches so, als
und w i e für den unmittelbaren
H a u s g e b r a u c h g e s c h r i e b e n , damit j e d e r m a n n darin h e r u m l e sen u n d n a c h Bedarf sich daraus i r g e n d w e l c h e S p r ü c h e auflesen könne. A b e r dieser S c h e i n des L e i c h t e n u n d L e i c h t g e s c h ü r z t e n ist das eigentlich S c h w i e r i g e an dieser P h i l o s o p h i e ; d e n n dieser S c h e i n verführt dazu, daß wir ü b e r d e m Eindrucksvollen u n d Verzaubernden ihrer Sprache alsbald das D e n k e n vergessen. W i r besinnen uns nicht weiter darauf, aus w e l c h e n B e r e i c h e n der D e n k e r eigentlich spricht, in w e l c h e G e g e n d des Aufenthaltes des M e n s c h e n er hineinspricht. W i r b e d e n k e n n o c h weniger, daß i m D e n k e n Nietzsches das innerste G e s c h i c k der G e s c h i c h t e des A b e n d l a n d e s z u m W o r t k o m m t . W i r achten dessen nicht, daß wir d u r c h das G e s p r o c h e n e dieses d e n k e n d e n Wortes in die A u s - e i n a n d e r - s e t z u n g mit i h m bereits versetzt sind, gleichviel o b wir diese Last auf d i e Schulter n e h m e n o d e r aber liegen lassen u n d d e m z u f o l g e in einer Wirrnis des bloßen M e i n e n s u m h e r t a u meln. Allein, a u c h w e n n wir versuchen, uns anders zu b e m ü h e n , dürfen wir nie bei einer erreichten A u s l e g u n g stehen b l e i b e n . D e n n alles echte D e n k e n u n d M i t d e n k e n mit e i n e m D e n k e r ist eine Wanderschaft, u n d zwar die Wanderschaft in das, was n a h e
§ 6. Gott- und Weltlosigkeit des neuzeitlichen Menschen
107
liegt als das E i n f a c h e . N u r auf s o l c h e r W a n d e r u n g ist Erfah rung. N u r in der Erfahrung V e r d e n wir erfahrener. Erst in der steigenden Erfahrenheit entspringt d i e R u h e der
Sammlung
auf das Wesenhafte.
a) D a s » G e s c h a f f e n w e r d e n « der Götter v o n d e n M e n s c h e n D a s eine Wort, das uns Nietzsches Grunderfahrung u n d G r u n d s t i m m u n g a n d e u t e n soll, lautet: » Z w e i Jahrtausende b e i n a h e u n d nicht ein einziger n e u e r Gott!« (Bd. VIII, S. 2 3 5 f . ) D i e s W o r t hat Nietzsche i m Herbst des Jahres 1888, w e n i g e M o n a t e v o r d e m A u s b r u c h seines W a h n s i n n e s , n i e d e r g e s c h r i e b e n , als er dabei war, seine P h i l o s o p h i e i m G a n z e n n a c h e i n e m n e u e n P l a n darzustellen. D e r Titel des geplanten W e r k e s lautet: » U m wertung aller W e r t e « . E s sollte aus vier B ü c h e r n bestehen. N u r das Erste B u c h hat Nietzsche n o c h , in w e n i g e n W o c h e n , nieder g e s c h r i e b e n . E s ist betitelt: » D e r Antichrist. Versuch einer Kritik des Christentums«. D a s Z w e i t e B u c h ist ü b e r s c h r i e b e n : » D e r freie Geist. Kritik der P h i l o s o p h i e als einer nihilistischen B e w e g u n g « . D e r Titel des Dritten B u c h e s heißt: » D e r Immoralist. Kritik der verhängnisvollsten A r t v o n Unwissenheit, der M o r a l « . Ü b e r d e m Vierten B u c h , das Nietzsches e i g e n e P h i l o s o p h i e p o s i tiv darstellen sollte, steht: » D i o n y s o s . P h i l o s o p h i e der e w i g e n W i e d e r k u n f t « . D e r N a m e eines asiatisch-griechischen Gottes er glänzt ü b e r d e m letzten S t a d i u m der letzten Gestalt der a b e n d ländischen Metaphysik. D a s angeführte W o r t » Z w e i Jahrtausende b e i n a h e u n d nicht ein einziger n e u e r Gott!« stammt aus d e m Ersten B u c h » D e r Antichrist«. D i e s W o r t sagt nicht nur, daß, w i e Nietzsche es z u v o r oft a u s g e s p r o c h e n , » G o t t tot ist«, sondern daß E u r o p a seit zwei Jahrtausenden außerstande g e w e s e n , e i n e n n e u e n G o t t zu schaffen. D e n n dies ist ein wesentlicher G e d a n k e Nietzsches, daß die Götter v o n d e n M e n s c h e n » g e s c h a f f e n « w e r d e n . Sie w e r d e n » g e s c h a f f e n « g e m ä ß der j e w e i ü g e n »religiösen B e g a -
Grunderfahrung
und
Grundstimmung
b u n g « der Völker. D e m angeführten Ausspruch Nietzsches g e hen f o l g e n d e Sätze voraus: » D a ß die starken Rassen des nördlichen E u r o p a
den
christlichen Gott nicht v o n sich gestoßen haben, m a c h t ih rer religiösen B e g a b u n g wahrlich keine Ehre, u m nicht v o m G e s c h m a c k e zu reden. M i t einer solchen krankhaf ten u n d altersschwachen Ausgeburt der decadence
[was
nach Nietzsches M e i n u n g der chrisdiche Gott ist] hätten sie fertig w e r d e n müssen. A b e r es liegt ein F l u c h dafür auf ihnen, daß sie nicht mit i h m fertig g e w o r d e n sind: sie ha ben die Krankheit, das Alter, den W i d e r s p r u c h in alle ihre Instinkte a u f g e n o m m e n , — sie haben seitdem keinen Gott mehr
geschaffenl«
D a s letzte Wort »geschaffen« ist unterstrichen, weil es einen w e sentlichen G e d a n k e n Nietzsches ausspricht. D e r Gott u n d die Götter sind ein » E r z e u g n i s « des M e n s c h e n . W i r sind hier sogleich bei der H a n d , aus e i n e m vermeintli chen Besserwissen, das freilich nicht weit reicht, kritisch zu fra g e n , o b d e n n ein Gott, als Erzeugnis des M e n s c h e n gedacht, ü b e r h a u p t ein Gott sei. W i r könnten auch sogleich das andere fragen, was d e n n eine »religiöse B e g a b u n g « sein soll, w e n n sie nicht als »religiöse« schon auf das Göttliche b e z o g e n u n d v o m Göttlichen durch einen Gott s c h o n a n g e s p r o c h e n ist u n d durch diesen A n s p r u c h erst zur »religiösen« wird, gesetzt, daß
das
»Religiöse« zur S a c h e einer » B e g a b u n g « gestempelt w e r d e n darf, gesetzt auch, daß ü b e r h a u p t » d a s Religiöse« der Bezirk ist, in d e m schlechthin u n d zu jeder Z e i t v o n Gott u n d den Göttern g e s p r o c h e n w e r d e n kann. D e n n das »Religiöse« ist ja nicht n u r d e m N a m e n n a c h etwas » R ö m i s c h e s « . D i e G r i e c h e n hatten keine » R e l i g i o n « , w e i l sie die v o n d e n Göttern A n g e b l i c k t e n waren u n d n o c h sind. S o l c h e u n d andere Ü b e r l e g u n g e n ü b e r das E r z e u g e n v o n Göttern, ü b e r » d i e religiöse B e g a b u n g « u n d ü b e r die R e l i g i o n
§ 6. Gott- und Weltlosigkeit
des neuzeitlichen
Menschen
109
selbst m ö g e n , zur rechten Z e i t an der rechten Stelle v o r g e bracht, ihr R e c h t h a b e n . Z u n ä c h s t sind sie voreilig u n d drängen uns, die sie vorbringen, leicht ins Uferlose und damit w e g von einer Auseinandersetzung
mit d e m , was es hier zu
denken
gilt. D e n n zuvor m ü s s e n wir ein Z w i e f a c h e s in den Blick fassen: einmal die R e i c h w e i t e des G e d a n k e n s v o m M e n s c h e n als d e m »Schaffenden« und v o m »Schöpferischen« im Menschen; zum anderen u n d vor allem den geschichtlichen Ursprung, u n d d. h. zugleich den » m e t a p h y s i s c h e n « G r u n d dieses G e d a n k e n s . b ) D i e R e i c h w e i t e des G e d a n k e n s
v o m M e n s c h e n als
dem
»Schaffenden«, v o m »Schöpferischen« im Menschen F ü r Nietzsche sind nicht nur der G o t t u n d die Götter » E r z e u g nisse« des M e n s c h e n , sondern alles, was ist. D i e s e n t n e h m e n wir einer A u f z e i c h n u n g Nietzsches aus d e m selben Jahr 1888. Sie steht an einer Stelle, w o sie k a u m zu finden ist, w o h i n sie vor allem nicht gehört und dies vollends nicht in der Art, w i e sie dort steht. Sie ist in d e m von der Schwester Nietzsches u n d Peter Gast zusammengestellten B u c h , das m a n unter d e m Titel » D e r W i l l e zur M a c h t « kennt, g a n z willkürlich u n d g e d a n k e n l o s als Vorspruch d e m ersten Teil des Z w e i t e n Buches m i t g e g e b e n u n d dies sogar n o c h o h n e N u m m e r , mit der sonst alle ü b r i g e n für die Anfertigung dieses verhängnisvollen Buches z u s a m m e n g e holten S t ü c k e versehen sind. D i e A u f z e i c h n u n g , deren erhel l e n d e Tragweite in b e z u g auf das leitende T h e m a der Vorlesung leicht erkennbar ist, lautet:
» A l l die Schönheit u n d Erhabenheit, die wir d e n wirkli chen u n d eingebildeten D i n g e n geliehen h a b e n , will ich zurückfordern
als E i g e n t u m
u n d Erzeugnis
des M e n
schen: als seine schönste A p o l o g i e . D e r M e n s c h als D i c h ter, als D e n k e r , als Gott, als L i e b e , als M a c h t —: o h ü b e r seine königliche Freigebigkeit, mit der er die D i n g e b e -
110
Grunderfahrung
und
Grundstimmung
schenkt hat, u m sich zu verarmen
u n d sich e l e n d zu f ü h
len! D a s war bisher seine größte Selbsdosigkeit, daß
er
b e w u n d e r t e u n d anbetete u n d sich zu verbergen wußte, daß er es war, der D a s geschaffen hat, was er b e w u n derte. - « ( W . ζ. M . , B d . X V , S. 2 4 1 ) H i e r ist es klar gesagt: D e r M e n s c h als Dichter, als D e n k e r , als Gott, als L i e b e u n d zuletzt als M a c h t : A u s k l a r e m D e n k e n ist dies W o r t » M a c h t « zuletzt gesagt; d e n n » M a c h t « ist für Nietz sche stets W i l l e zur M a c h t . W i l l e zur M a c h t aber ist das D i c h ten, das D e n k e n , die Gottheit des Gottes. » W i l l e zur M a c h t « ist für Nietzsche auch d i e L i e b e . D e r M e n s c h ist dies alles, insofern er in einer ausgezeichneten W e i s e i m W i l l e n zur M a c h t steht. Alles, was ist, ist g e l i e h e n u n d verliehen v o m M e n s c h e n u n d trägt seine Gestalten: μορφή του άνθρωπου. Alles, was ist, ist eine einzige A n t h r o p o m o r p h i e . In ihr ist der M e n s c h »der S c h a f f e n d e « . » D a s Schöpferische« ist das W e s e n des M e n s c h e n . Setzen wir hier ein römisches W o r t ein, n ä m l i c h das W o r t » G e n i u s « , d a n n e r k e n n e n wir bereits das andere, was hier zu b e d e n k e n ist, n ä m l i c h d e n g e s c h i c h ü i c h e n U r s p r u n g der A n t h r o p o m o r p h i e u n d ihren metaphysischen Kern. In der Auf z e i c h n u n g Nietzsches spricht sich der n e u z e i ü i c h e G e d a n k e v o m M e n s c h e n als d e m » G e n i e « mit der Jretzten FolgencrMgfcgit aus. D a s G e n i a l e u n d das Schöpferische ist das K e n n z e i c h e n u n d der Maßstab für das, was in Wahrheit gilt u n d d i e P f l e g e ver dient, d. h. die »Kultur« erweckt u n d sie ausmacht.
c) D e r » m e t a p h y s i s c h e « G r u n d des G e d a n k e n s v o m schöpferischen M e n s c h e n : die n e u z e i ü i c h e W e s e n s b e s t i m m u n g des M e n s c h e n D e r G e d a n k e des schöpferischen M e n s c h e n , d e u ü i c h e r gesagt, der G e d a n k e , daß der M e n s c h i m Schöpferischen u n d als G e n i e seine höchste E r f ü l l u n g erlange, insgleichen der damit g l e i c h laufende G e d a n k e v o n der » K u l t u r « als der höchsten D a s e i n s -
§ 6. Gott- und Weltlosigkeit des neuzeitlichen Menschen
111
form des geschichtlichen M e n s c h e n g r ü n d e n auf der neuzeitli c h e n W e s e n s b e s t i m m u n g des M e n s c h e n als des sich-auf-sichselbst-stellenden Subjektes, durch das erst alle » O b j e k t e « als solche in ihrer Objektivität b e s t i m m t sind. I n d e m der M e n s c h sein W e s e n auf sich selbst stellt, steht er auf in das W o l l e n seiner selbst. M i t d i e s e m Auf-stand des M e n s c h e n in d e n W i l l e n als das W o l l e n seiner selbst w e r d e n alle D i n g e zu gleich u n d erst z u m G e g e n s t a n d . D e r M e n s c h i m Aufstand u n d die Welt als G e g e n s t a n d gehören z u s a m m e n . In der W e l t als G e genstand
steht der M e n s c h i m Aufstand. D e r
aufständische
M e n s c h läßt nur die Welt als G e g e n s t a n d zu. D i e Vergegenständ lichung ist jetzt das Grundverhalten zur Welt. D a s heute n o c h v e r b o r g e n e innerste W e s e n der Vergegenständlichung, nicht ihre F o l g e o d e r gar nur ihre A u s d r u c k s w e i s e ist die T e c h n i k . D e r Aufstand des n e u z e i ü i c h e n M e n s c h e n zur Vergegenständ l i c h u n g ist der metaphysische Ursprung der G e s c h i c h t e des n e u zeitlichen M e n s c h e n , in deren Verlauf der M e n s c h i m m e r ein deutiger sein W e s e n in d e m U n b e d i n g t e n festmacht, daß er der Schaffende ist. Hierin, daß n ä m l i c h der neuzeitliche M e n s c h sich als d e n » S c h a f f e n d e n « will, sind zwei einander entsprechende u n d da her z u s a m m e n g e h ö r i g e Entfaltungen beschlossen: der Schaf fende i m Sinne des schöpferisch Tätigen und der Schaffende i m Sinne des ArbeittffiTlBasselbe Zeitälter, i n ' d e m sich der W a n d e l des M e n s c h e n w e s e n s zur Subjektivität vollzog, die Renaissance, hat n u n aber dieses M e n s c h e n w e s e n als das M e n s c h e n b i l d in das römische u n d griechische Altertum zurückgetragen. Seitdem sieht m a n die Dichter und D e n k e r , die Künstier u n d die Staats m ä n n e r der G r i e c h e n als »schöpferische« M e n s c h e n , eine Vor stellung, die so ungriechisch ist, w i e k a u m eine andere der sonst n o c h u m l a u f e n d e n , a b g e s e h e n v o n der dazugehörigen M e i n u n g des 19. Jahrhunderts, die G r i e c h e n seien ein »kultur-schaffend e s « Volk g e w e s e n . Hätten sich die G r i e c h e n damit a b g e g e b e n , eine » K u l t u r « zu schaffen, d a n n w ä r e n sie nie d i e g e w o r d e n , die sie sind.
112
Grunderfahrung
und
Grundstimmung
d) D a s g r i e c h i s c h g e d a c h t e ποιειν
1
p o c h w i e k ö n n e n wir behaupten, die Vorstellung v o m schöpferi schen u n d schaffenden M e n s c h e n sei d e m g r i e c h i s c h e n W e s e n f r e m d ? B e n e n n e n nicht die G r i e c h e n sogar das D i c h t e n m i t d e m N a m e n ποιειν, ποίησις, n a c h w e l c h e n B e n e n n u n g e n d o c h heute n o c h statt D i c h t u n g » P o e s i e « gesagt wird? A b e r was heißt ποιειν? — Wörtiich n a c h d e m Wörterbuch: » m a c h e n « . A b e r was ist das, das M a c h e n , n ä m l i c h als ποιειν g e d a c h t u n d das heißt, griechisch verstanden? D e n k e n die G r i e c h e n dabei an das » S c h a f f e n « , sei es i m Sinne d e s schöpferischen Erzeugers, sei es i m Sinne d e s Arbeiters, sei es i m Sinne der Einheit b e i d e r B e d e u t u n g e n ? Niemals. W a s bedeutet d a n n ποιειν u n d ποίησις? W i r d e n k e n das ποιειν griechisch, w e n n wir es, n ä m l i c h das hier g e n a n n t e m e n s c h l i c h e Verhalten d e s griechischen M e n schentums z u m S e i e n d e n , so d e n k e n , daß wir dabei die griechi sche Erfahrung des Seins z u g r u n d e l e g e n u n d nicht i r g e n d e i n e verwaschene u n d ungeprüfte Vorstellung v o m W i r k l i c h e n , in der wir H e u t i g e n , u n g e z o g e n i m D e n k e n u n d verwildert g e n u g , a u f g e w a c h s e n sind. D a s S e i e n d e ist, griechisch g e d a c h t , das A n w e s e n d e , das als solches in das U n v e r b o r g e n e hereinsteht. Π ο ιειν ist das » h e r v o r - b r i n g e n « v o n etwas zur A n w e s e n h e i t ins U n v e r b o r g e n e . W i r m ü s s e n unser deutsches W o r t » h e r v o r - b r i n g e n « hier rein wörtlich n e h m e n : » h e r « : aus d e m bislang V e r b o r g e n e n her; u n d » v o r « : i n das U n v e r b o r g e n e , das Offene,
das d e r
M e n s c h vor u n d u m sich hat; u n d » b r i n g e n « , d. h. etwas e m p f a n g e n u n d darreichen u n d g e b e n . Ποιειν ist dieses Hervor-brin g e n . W i r k ö n n e n dafür a u c h sagen » h e r - s t e l l e n « , w e n n wir n u r a u c h dieses W o r t i m erläuterten S i n n e verstehen: etwas als A n w e s e n d e s in d e r A n w e s e n h e i t aufstellen u n d so stehen-lassen. I m » m a c h e n « , n ä m l i c h als ποιείν verstanden,
ist nicht d e r
Selbstvollzug einer Tätigkeit das W e s e n d i c h e , d u r c h d i e etwas N e u e s geleistet wird. E i n e z u r e i c h e n d e A u s l e g u n g des Spruches
< [Anm. der Hrsg.: Vgl.
Zweite Passung der Mss. 4 und 5 im Anhang]
§ 6. Gott- und Weltlosigkeit
des neuzeitlichen
Menschen
113
112 des Heraklit könnte einigen Aufschluß g e b e n ü b e r die echte griechische B e d e u t u n g des Wortes ποιειν. (Vgl. S o m m e r s e m e ster 1944) [ G A ,
BdJaJies
S 375 f f ]
Alles Verhalten, d a s wir heute als »künstlerisches Schaffen« begreifen, ist f ü r d i e G r i e c h e n e i n ποιειν. D a s D i c h t e n ist d a s ποιειν, die ποίησις i n e i n e m a u s g e z e i c h n e t e n Sinne. I m ποιειν waltet das U b e r n e h m e n dessen, w a s d e m M e n s c h e n sich zuträgt, waltet d a s Weiterreichen d e s Z u - g e t r a g e n e n , d a s D a r - b r i n g e n u n d Aufstellen. H i e r ist nichts v o n d e r » A k t i o n « d e s schöpferi s c h e n Geistes, aber auch nichts v o n d e r » P a s s i o n « eines b e rauschten Uberfallenwerdens, d a s sich d a n n z u m A u s d r u c k bringt u n d dieses A u s g e d r ü c k t e als Z e u g n i s d e r e i g e n e n » K u l turseele« versteht. D a s ποιειν ist das B r i n g e n dessen, w a s s c h o n »ist« u n d i m G e b r a c h t e n als das S e i e n d e , das es ist, erscheint. D a s i m H e r v o r - b r i n g e n H e r v o r g e b r a c h t e ist nicht e i n N e u e s , s o n d e r n das i m m e r Altere des A l t e n . W e n n aber das H e r v o r b r i n g e n nur n o c h auf das jeweils Neuefejrrn_cjh ist, verläßt das H e r v o r b r i n g e n sein eigenes W e s e n als ποιησϊς. D a s H e r v o r b r i n g e n w i r d jetzt z u r aufständisch-selbstherrlichen A k t i o n des sich selbst a u s - l e b e n d e n u n d so sich v o r sich selbst b e z e u g e n d e n M e n s c h e n t u m s d e r Subjektivität. D a s m e n s c h l i c h e Tun richtet sich in d e r E i g e n w i l ligkeit des Leistens d e s i m m e r N e u e s t e n ein. D a s a b e n d l ä n d i sche Zeitalter, das N e u z e i t heißt, weiß n o c h gar nicht, m i t w e l c h e m N a m e n es sich b e n e n n t . Erst w e n n w i r ποιειν u n d ποίησις griechisch u n d d. h. aber auf d i e Αλήθεια b e z o g e n d e n k e n , a h n e n w i r einiges v o n d e r M ö g l i c h k e i t , n a c h d e r das, was wir » D i c h t e n « n e n n e n , v o n d e n G r i e c h e n als ποίησις, » P o e s i e « , g e d a c h t w u r d e . H i e r m i t ist aber z u g l e i c h angedeutet, daß wir eines Tages a u c h e i n m a l das » D i c h t e n « d e r G r i e c h e n nicht m e h r v o n u n s e r e m Begriff d e r » D i c h t u n g « her, s o n d e r n aus d e m W e s e n d e r ποίησις werden d e n k e n m ü s s e n , w e n n ihr eigenes W o r t — auseinandergesetzt mit uns — z u u n s sprechen soll, anstelle i r g e n d e i n e r v o n u n s selbstgemachten Vergötzung u n s e r e s % p i g o n e n t u m s .
EINLEITUNG IN DIE PHILOSOPHIE DENKEN UND DICHTEN
Der Text gehört in eine Vorlesung, die als Einleitung in die Philoso phie unter dem Titel »Denken und Dichten« für das Wintersemester 1944/45 angekündigt war. Die Vorlesung mußte einem Eingriff der Partei zufolge Mitte November 1944 nach der zweiten Stunde abge brochen werden. Sie ist zugleich die letzte akademische Vorlesung des Verfassers als amtlichen Lehrstuhlinhabers. Erst nach sieben Jahren Vorlesungsverbot folgte die Vorlesung des Emeritus: »Was heißt Den ken?«
Grunderfahrung
und
Grundstimmung
burtsort u n d der Landstrich des Geburtslandes sind nur dann der H e r d der Heimat, wenn sie s c h o n v o m befreiten heimatlichen W e s e n durchwaltet sind u n d insofern sie es sind, u n d also die G a b e n der H e i m a t verschenken, d i e der heutige M e n s c h oft nur spärlich u n d selten u n d spät als solche erkennt u n d hütet. Gott-los u n d welt-los g e w o r d e n , ist der n e u z e i d i c h e M e n s c h heimatlos. I m A u s b l e i b e n des Gottes u n d i m Zerfall der Welt ist sogar d e m neuzeitlich-geschichdichen M e n s c h e n d i e
Heimatlosigkeit
eigens zugemutet. D e m neuzeitlichen M e n s c h e n ist daher unheimisch zumute, dies auch dann u n d gerade dann, w e n n er zu s o l c h e m flüchtet, was i h m die versagte H e i m a t vergessen m a c h t und ersetzen soll. W e r nun aber w i e Nietzsche die Gott- u n d die Weltlosigkeit des n e u z e i ü i c h e n M e n s c h e n erfahren u n d d. h. erlitten hat u n d dies inmitten einer Z e i t des anscheinenden Aufsüegs, des Fortschrittes, der Prosperität u n d der N e u g r ü n d u n g , sollte d e n nicht die G r u n d s t i m m u n g der H e i m a d o s i g k e i t durchstimmt h a b e n ? In der Tat. W i r brauchen, so scheint es, bei Nietzsche nicht m ü h s a m nach Z e u g n i s s e n dafür zu suchen. D i e meisten v o n Ihnen k e n n e n das oft angeführte Gedicht, das in die f o l g e n d e Strophe endet: » D i e Krähen schrei'n U n d ziehen schwirren Flugs zur Stadt: — bald wird es schnei'n, W e h d e m , d e r keine H e i m a t hat!« Hier wird die H e i m a d o s i g k e i t sogar dichterisch ausgesprochen. Allein, s c h o n die Tatsache, daß Nietzsche in seinem Manuskript d i e s e m G e d i c h t eine R e i h e verschiedener Überschriften gibt, deutet darauf hin, daß es m i t d e r hier gedichteten H e i m a d o s i g keit d o c h eine e i g e n e Bewandtnis hat. E i n e Überschrift lautet zwar g a n z eindeutig » O h n e H e i m a t « . D i e anderen » A b s c h i e d « ; »Ans APT WintPT-nnigtf»«- »Der_Jixeig£ist«; » H e i m w e h « ; » I m deutschen Spätherbst«: » N o ^ o r i h e c i a a μ™·λ«>"~; » D i e K r ä h e n « ;
§ 7. Heimatlosigkeit
des neuzeitlichen
Menschen
117
» A n d e n FJjisigdler« D a s G e d i c h t entstand zur Z e i t der Nieder schrift des Zarathustra 1884 (zuerst gedruckt 1 8 9 4 ) . D a s ganze G e d i c h t lautet (Bd. VIII, S. 3 5 8 f . ) :
» D i e Krähen schrei'n U n d ziehen schwirren Flugs zur Stadt: Bald wird es s c h n e i ' n — W o h l d e m , der jetzt n o c h — H e i m a t hat! N u n stehst du starr, Schaust rückwärts ach! w i e lange schon! Was bist d u Narr V o r Winters in die W e l t entflohn? D i e W e l t - e i n Tor Z u tausend W ü s t e n s t u m m u n d kalt! W e r das verlor, Was du verlorst, m a c h t nirgends Halt. N u n stehst du b l e i c h , Z u r Winter-Wanderschaft verflucht, D e m Rauche gleich, D e r stets n a c h kältern H i m m e l n sucht. F l i e g ' , Vogel, schnarr' Dein Lied im Wüsten-Vogel-Ton! — Versteck', d u Narr, D e i n blutend H e r z in Eis u n d H o h n ! D i e Krähen schrei'n U n d ziehen schwirren Flugs zur Stadt: - bald wird es s c h n e i ' n , W e h d e m , d e r keine H e i m a t hat!«
Meistens kennt m a n nur die erste u n d die letzte Strophe dieses G e d i c h t e s u n d führt sie an als d e n A u s d r u c k einer s c h w e r m ü t i -
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Grunderfahrung
und
Grundstimmung
g e n S t i m m u n g , die u m d e n d r o h e n d e n Verlust der H e i m a t bangt o d e r aber d e n g e s c h e h e n e n Verlust betrauert. M a n ü b e r hört, was z w i s c h e n der ersten und der letzten Strophe steht, u n d verhört sich i m G r u n d t o n des G e d i c h t s . D i e s e s ist durch u n d durch zweideutig. D e s h a l b passen v o n d e n Uberschriften g l e i c h gut die eine, die heißt » O h n e H e i m a t « , w i e die andere, die lau tet: » D e r Freigeist«. In d e m G e d i c h t ist zwar Heimatlosigkeit gedichtet, allein hier klagt nicht einer nur ü b e r den Verlust der H e i m a t , hier spricht z u g l e i c h der, der sich z u g l e i c h zur » W i n ter-Wanderschaft« » n a c h kältern H i m m e l n « weiß. D e r blickt nicht m e h r z u r ü c k u n d flüchtet nicht m e h r v o r d e m » W i n t e r « in die bisherige Welt, die er i m g a n z e n verloren hat u n d verloren gibt, u m ins » F r e i e « hinaus seinen » G e i s t « zu w e n d e n . Viel leicht muß er n o c h , was er bereits sieht u n d sucht, » i n Eis u n d H o h n « verstecken. A b e r in d i e s e m G e d i c h t spricht bereits e i n e Zuversicht, und zwar s c h o n in der ersten Strophe:
» D i e Krähen schrei'n U n d ziehen schwirren F l u g s zur Stadt: Bald wird es s c h n e i ' n — W o h l d e m , der jetzt n o c h — H e i m a t hat!« Es heißt nicht: »eine
H e i m a t « , s o n d e r n nur überhaupt
»Hei
m a t « . D a s » n o c h « aber b e d e u t e t z u g l e i c h , u n d zwar v e r h ü l l e n d mit ein » s c h o n « : » W o h l d e m , der j e t z t . . . « — n o c h ü b e r d e n Z e r fall u n d Verlust der bisherigen H e i m a t hinaus — bereits H e i m a t ahnt u n d zu n e u e r H e i m a t unterwegs ist u n d nicht m e h r r ü c k wärts schaut u n d nie m e h r z u r ü c k will zur bisherigen H e i m a t u n d zu d e m , was n o c h als s o l c h e a u s g e g e b e n wird. » O h n e H e i m a t « — das bedeutet hier nicht das bloße F e h l e n v o n H e i m a t , sondern Verlust der bisherigen i m A h n e n u n d S u c h e n
der
n e u e n . O b diese n e u e , v o n Nietzsche g e d a c h t e , u n d d. h. erfah rene H e i m a t in Wahrheit H e i m a t ist, o b diese » n e u e « H e i m a t nicht a m E n d e nur der letzte breite B o d e n s a t z d e r zerfallenen alten ist, das bleibt die andere Frage: die Frage der A u s - e i n a n -
§ 7. Heimatlosigkeit
des neuzeitlichen
Menschen
119
der-setzung. D i e s e w i r d aber erst möglich, w e n n das D e n k e n dieses D e n k e r s endlich in sein E i g e n e s zurückversetzt u n d d i e ses in seiner g a n z e n Tragweite w a h r g e n o m m e n ist. b) D i e bloß r e c h n e n d e Verständigkeit u n d das Vergessen der geschichtlichen a b e n d l ä n d i s c h e n B e s t i m m u n g W i e w e n i g sorgfältig m a n i m m e r n o c h mit den W o r t e n dieses D e n k e n s u m g e h t , i n d e m m a n sie n a c h zufälligen
»Privat-Er-
l e b n i s s e n « , n a c h e i n e m launenhaften G e s c h m a c k u n d s c h w a n k e n d e n S t i m m u n g s b e d ü r f n i s s e n auswählt u n d ausnutzt, dafür ist die Art der A n f ü h r u n g dieses G e d i c h t e s ein guter B e l e g . M a n b e g n ü g t sich meistens nicht nur mit der Schlußstrophe, statt das g a n z e G e d i c h t zu ü b e r d e n k e n , m a n übersieht vor allem, daß zu d i e s e m G e d i c h t ein zweites
gehört, dessen Überschrift lautet:
»Antwort«. D i e s e » A n t w o r t « gibt erst d i e » A u s l e g u n g « des ersten G e dichtes. D i e s e A u s l e g u n g ist ein Z u r e c h t l e g e n u n d Z u r e c h t r ü k ken dessen, was allerdings leicht u n d daher nicht zufällig i m er sten G e d i c h t mißverstanden w e r d e n kann, insofern m a n es als eine Klage dessen vernimmt, der sich in die verlorene H e i m a t zurücksehnt. D i e » A n t w o r t « lautet (Bd. VIII, S. 3 5 9 ) : » D a ß Gott erbarm'! Der meint, ich sehnte m i c h zurück In's deutsche W a r m , In's d u m p f e d e u t s c h e S t u b e n - G l ü c k ! M e i n Freund, was hier M i c h h e m m t u n d hält, ist dein Verstand, M i t l e i d mit dir] Mitleid mit d e u t s c h e m Quer-Verstand!« Klingt hier nicht ein anderer T o n ? N e i n — es ist derselbe, der i m ersten G e d i c h t , dort nur verhüllter u n d daher schöner, erklun-
Grunderfahrung
120
und
Grundstimmung
g e n ist. D i e erste Strophe der A n t w o r t sagt ein D o p p e l t e s : E i n m a l , daß das » H e i m w e h « , das sich i m v o r a u f g e h e n d e n G e d i c h t ausspricht, ü b e r h a u p t kein Z u r ü c k h ä n g e n n a c h e i n e m Bisheri g e n ist, s o n d e r n ein Vorwärtswollen in e i n e n e u e H e i m a t ; z u m anderen sagt d i e Strophe, daß mit d e r ersehnten H e i m a t nicht das
»deutsche W a r m «
u n d das
»dumpfe
deutsche
Stuben-
G l ü c k « g e m e i n t ist. A l s o denkt Nietzsche g e g e n das D e u t sche? Keineswegs — w o h l aber g e g e n das D e u t s c h e seiner e i g e n e n Zeit. D a s ist die Z e i t d e r Gründerjahre, w o alles i m G r u n d e b o d e n - u n d ahnungslos n a c h Aufstieg, Fortschritt u n d Prosperität jagte, u m es i m kleinen d e n E n g l ä n d e r n gleichzutun u n d ü b e r N a c h t e i n e Weltstellung zu e r o b e r n , für d i e alle Voraussetzun g e n fehlen, d i e v o r a l l e m — hier w i e dort, in E n g l a n d u n d ü b e r all — auf einer b r ü c h i g g e w o r d e n e n W e l t ruht, für die der » D a r w i n i s m u s « die e i n z i g e P h i l o s o p h i e ist mit seiner L e h r e v o m » K a m p f u m s D a s e i n « u n d der Z u c h t w a h l u n d A u s w a h l d e r Stärkeren. Nietzsche sah dies, erfuhr es, erlitt es. E r hat es n a c h s e i n e m e i g e n e n Geständnis z u m Teil s c h o n in Basel zu A n f a n g d e r siebziger Jahre d u r c h d e n älteren Jacob Burckhardt
sehen
gelernt. Was Nietzsche v o n der e n g e n H e i m a t » D e u t s c h l a n d « weghält, ist das m ä c h t i g g e w o r d e n e U n w e s e n des D e u t s c h e n , w e l c h e s U n w e s e n hier deshalb passiv h e r v o r k o m m t , weil die D e u t s c h e n i h r e m W e s e n n a c h berufen wären, aus d e m D e u t s c h e n die Besin n u n g auf das E u r o p ä i s c h e u n d dessen G e s c h i c k in G a n g zu brin g e n , w e l c h e s G e s c h i c k seit der französischen R e v o l u t i o n u n d des H e r a u f k o m m e n s des Sozialismus in ein n e u e s Stadium eingetre ten ist, das z u g l e i c h ein Weltstadium b e s t i m m e n sollte. Statt des sen sah Nietzsche, ins G a n z e b l i c k e n d , überall e i n e Mittelmäßig keit u n d E n g e u m sich, die bloß r e c h n e n d e Verständigkeit, die die großen, sich a n b a h n e n d e n g e s c h i c h t l i c h e n E n t s c h e i d u n g e n nicht erblicken k a n n u n d deshalb a u c h nicht v e r m a g , das M e n s c h e n t u m u n d die Völker darauf vorzubereiten. D a r u m sagt die zweite Strophe d e u ü i c h e r :
§ 7. Heimatlosigkeit
des neuzeitlichen
Menschen
» M e i n Freund, was hier M i c h h e m m t u n d hält, ist dein Verstand,« D i e Verständigkeit des bloßen R e c h n e n s auf d e n Nutzen und den Erfolg, die Verständigkeit des Mittelmäßigen,
die auch
dann mittelmäßig bleibt, w e n n sie wirtschaftlich-politisch sich weltweit gebärdet. A u c h da ist bereits ein Vergessen der g e schichüichen abendländischen
B e s t i m m u n g a m W e r k e , eine
Vergessenheit, die dadurch nicht a u f g e w o g e n wird, daß sie sich durch R e i c h t u m u n d Moralität u n d demokratische Humanität aufputzt. D i e s e s U n v e r m ö g e n zur w e i t v o r a u s d e n k e n d e n Besin n u n g auf das G e s c h i c k der G e s c h i c h t e des A b e n d l a n d e s hat seine W u r z e l n i m metaphysischen W e s e n des Zeitalters
der
Neuzeit überhaupt. Z w a r konnte Nietzsche dies nicht erkennen, aber er sah g l e i c h w o h l das U n v e r m ö g e n z u m e u r o p ä i s c h e n D e n ken, w e l c h e s D e n k e n das E i g e n w e s e n des je e i g e n e n Volkes so w e n i g auslöscht, daß es v i e l m e h r dieses E i g e n w e s e n erst in eine H ö h e weist, innerhalb deren es ü b e r sich hinauswachsen und so allein es selbst sein kann in seiner geschichtlichen Bestim mung. D e r » d e u t s c h e Quer-Verstand«, der, auf seinen
Eigensinn
pochertd, die Weite der inneren Ü b e r l e g e n h e i t nie erreicht und deshalb die h e r a u f k o m m e n d e innerste Gefahr der G e s c h i c h t e nicht sieht u n d nicht sehen will, dieser » d e u t s c h e Quer-Verstand« ist es, w o r a n Nietzsche mit-leidet u n d mitträgt, weil dieser Verstand nur das U n w e s e n eines D e n k e n s ist, das allein berufen sein könnte, das zerrissene B a n d der g e s c h i c h d i c h e n Ü b e r l i e f e r u n g dort w i e d e r a n z u k n ü p f e n , w o es allein a n g e k n ü p f t w e r d e n kann, w e n n das A b e n d l a n d im G a n z e n in die U r s p r ü n g e seiner g e s c h i c h d i c h e n B e s t i m m u n g u n d B e s i n n u n g einkehren soll, das Band mit den G r i e c h e n . (Vgl. D e r W i l l e zur M a c h t , Bd. X V , n. 4 1 9 , S. 4 4 4 f . , 1 8 8 5 ) In e i n e m Entwurf zu der damals geplanten Schrift » W i r Phi l o l o g e n « schreibt der 31jährige Nietzsche i m Jahre 1 8 7 5 :
Grunderfahrung
122
und
Grundstimmung
» A l l e G e s c h i c h t e ist bis jetzt v o m Standpunkt des Erfolgs und zwar mit der A n n a h m e einer Vernunft i m Erfolge g e schrieben. A u c h die griechische Geschichte: wir besitzen n o c h keine. A b e r so steht es überhaupt: W o sind Histori ker, die nicht von allgemeinen Flausen beherrscht die D i n g e ansehn? Ich sehe nur einen, Burckhardt. Uberall der breite Optimismus in der W i s s e n s c h a f t . . . Deutschland ist die Brutstätte des historischen Optimis mus
g e w o r d e n : daran
m a g H e g e l mit schuld sein.«
(Bd. X , n. 2 5 4 , S. 4 0 1 ) Nietzsche sah mit Burckhardt
nicht nur die D e u t s c h e n , sondern
E u r o p a überhaupt der M a c h t der bloßen r e c h n e n d e n Verstän digkeit im g e s c h i c h d i c h e n H a n d e l n u n d i m Betrachten der G e schichte anheimfallen. Er sah mit dieser Verständigkeit die Herrschaft der universalen Mittelmäßigkeit u n d Schläfrigkeit des D e n k e n s , u n d d. h. des M e n s c h s e i n s h e r a u f k o m m e n . A u s d e m Herbst 1884 (der Zarathustrazeit) stammen f o l g e n d e Verse (Bd. V B I , S.368): »An die Jünger Darwin 's Dieser braven E n g e l ä n d e r Mittelmäßige Verständer N e h m t ihr a l s » P h i l o s o p h i e « ? Darwin n e b e n G o e t h e setzen Heißt: die Majestät verletzen — Majestatem
genii!«
D a s G e d i c h t trägt a u c h die Überschrift (Bd. VIII, S. 4 5 4 ) : » A n die deutschen E s e l « . » E s e l « sind sie, w e ü sie ihren ursprüngli c h e n Verstand des höheren D e n k e n s der bloßen Verständigkeit des durchschnitdichen M e i n e n s überlassen haben. D i e s sagen die f o l g e n d e n Verse, gleichfalls aus d e m Herbst 1 8 8 4 s t a m m e n d (Bd. V1TJ, S. 3 6 7 ) :
§ 7. Heimatlosigkeit
des neuzeitlichen
»Beim Anblick eines
Menschen
V2i
Schlafrocks
K a m , trotz s c h l u m p i c h t e m G e w ä n d e , Einst der D e u t s c h e zu Verstände, W e h , w i e hat sich das gewandt! Eingeknöpft in strenge Kleider, Überließ er s e i n e m Schneider, S e i n e m Bismarck — den Verstand!«
Z u diesen Versen sind f o l g e n d e A u f z e i c h n u n g e n eine Erläute rung: »Jenseits v o n G u t u n d Böse«, Achtes Hauptstück: Völker u n d Vaterländer (Bd. VII, n. 2 5 3 , S. 2 2 3 f . ) : » . . . Vergesse man es zuletzt d e n E n g l ä n d e r n nicht, daß sie schon E i n M a l mit ihrer tiefen Durchschnitdichkeit eine G e s a m t - D e p r e s s i o n des e u r o päischen Geistes verursacht h a b e n : D a s , was m a n >die m o d e r nen Ideen< o d e r >die Ideen des achtzehnten Jahrhunderts« o d e r auch >die französischen Ideen« nennt, — Das also, w o g e g e n sich der deutsche
Geist mit tiefem E k e l e r h o b e n hat, — war engli
schen Ursprungs, daran ist nicht zu zweifeln.« In einer früheren A u f z e i c h n u n g aus d e m Jähr 1 8 8 4 (Bd. XIII, n. 8 7 2 , S. 3 5 2 ) heißt es: » E n g l a n d s Klein-Geisterei
ist die große
Gefahr jetzt auf der E r d e . Ich sehe m e h r H a n g zur Größe in den G e f ü h l e n der russischen Nihilisten, als in d e n e n der englischen Utilitarier.« D o c h wir selbst w ü r d e n jetzt die Opfer einer verderblichen Verständigkeit u n d einer gesteigerten A h n u n g s l o s i g k e i t u n d Verschlafenheit, wollten wir in d e m A n g e f ü h r t e n nur
einen
Spaß u n d einen Spott u n d gar nur ein verärgertes G e s c h i m p f e auf die D e u t s c h e n u n d die E n g l ä n d e r sehen, i n d e m wir dabei die e i g e n ü i c h hier r e d e n d e S t i m m e des Mit-leidens
überhörten,
die ü b e r alles Nächste u n d E n g e u n d Vereinzelte h i n w e g a m dunklen G e s c h i c k der h e r a u f k o m m e n d e n G e s c h i c h t e Europas leidet. W e n n wir, dies einzig E n t s c h e i d e n d e vergessend, die Worte anders lesen, wird alles lächerlich. W i r e n t w ü r d i g e n dann verantwortungslos das erlittene W o r t des D e n k e r s . Unter
124
Grunderfahrung
und
Grundstimmung
den A u f z e i c h n u n g e n Nietzsches zu » A l s o sprach
Zarathustra«
( 1 8 8 2 - 1 8 8 5 ) finden sich diese Worte: »Begriff
des höheren
Menschen:
wer am Menschen
leidet
u n d nicht nur an sich; w e r nicht anders kann, als an sich auch nur >den M e n s c h e n « schaffen«. » D a s L e i d e n des höheren M e n s c h e n ist nicht sein N i e deres, sondern: daß es n o c h Höheres gibt, als sein H o hes.« In diese H ö h e leidet der D e n k e r hinaus, w e n n er mitleidet mit der ü b e r die deutsche H e i m a t g e k o m m e n e n bloßen Verständig keit. In d e n b e i d e n z u s a m m e n g e h ö r i g e n G e d i c h t e n » O h n e H e i m a t « u n d » A n t w o r t « spricht dieses zweifach gerichtete Mit-leid, das zwischen d e m U n v e r m ö g e n der bisherigen H e i m a t
und
d e m H o h e n der künftigen H e i m a t hin und her leidet. D a r u m ist die Einheit beider G e d i c h t e durch einen Obertitel ausgespro c h e n , der lautet: »Mitleid
hin und her« (Bd. VIII, S. 3 5 8 ) .
Erst w e n n wir auf dies alles sorgfältig achten, g e l a n g e n wir viel leicht in die G r u n d s t i m m u n g derjenigen Heimatlosigkeit, die das D e n k e n Nietzsches durchstimmt.
D i e s e Heimatlosigkeit
versinkt nicht in e i n e m rückwärtshängenden H e i m w e h , sie will vielmehr vorwärts, d. h. hier v o m D u m p f e n der Verständigkeit in die freie Luft des Geistes, aus d e m Treiben eines kurzsichti g e n u n d deshalb auch jedesmal kurzfristigen Optimismus hin aus in die Lichtfülle des Bereichs langer, das W e s e n der G e schichte a n g e h e n d e r Entschlüsse.
ZWEITES KAPITEL D a s Schaffen der n e u e n H e i m a t aus d e m W i l l e n zur M a c h t
§ 8. Die Heimatlosen als die Eroberer und Entdecker der neuen Heimat Aus der Zeit des Überganges von 1885/86, in der sich für Nietz sches Denken vieles entscheidet, insofern er hier den Gedanken des Willens zur Macht eigentiich zu denken anfängt, sind uns die beiden folgenden Aufzeichnungen erhalten (Bd. X W , n. 2 9 5 , S. 414):
»Wir Heimatlosen — ja! Aber wir wollen die Vorteile unsrer Lage ausnützen und, geschweige an ihr zugrunde zu gehn, uns die freie Luft und mächtige Lichtfülle zu Gute kommen lassen«. Die Heimatlosen, die Nietzsche meint, sind Wollende, Wol lende im Sinne des Willens zur Macht, denen in der Lichtfülle des hellsten Mittags das Wesen ihres Wollens selbst, worin sie wollen una aurcn, qgs sie nevmiscn gpwnrnpn sinn, erscheint und alle Heimsucht und Sehnsucht erstirbt. Darumheißtes in der Schlußstrophe des »Nachgesanges« »Aus hohen Bergen« zu »Jenseits von Gut und Böse« (Bd. VII, S. 279):
»Dies Lied ist aus, -
der Sehnsucht süßer Schrei
Erstarb im Munde: Ein Zaubrer tat's, der Freund zur rechten Stunde, Der Mittags-Freund — nein! fragt nicht, wer es sei — U m Mittag war's, da wurde Eins zu Zwei
1 '2()
Schaffen der neuen Heimat
aus dem Willen zur
Macht
N u n feiern wir, vereinten Siegs gewiß, Das Fest der Feste: Freund Zarathustra
k a m , der Gast der Gäste!
N u n lacht die Welt, der grause V o r h a n g riß, D i e H o c h z e i t k a m für L i c h t u n d Finsternis
«
Im W e s e n des W o l l e n s , aus d e m die H e i m a t l o s e n das Freie w o l len, erscheint das Sein selbst, das als W i l l e zur M a c h t alles S e i e n d e durchherrscht. Das W e s e n des W i l l e n s aber steht auf in der Gestalt des Zarathustra. Er ist d e f rröcHsle^Aufstand des neuzeit lichen W e s e n s des M e n s c h e n . I n d e r Gestalt des Zarathustra k o m m t das W e s e n der u n b e d i n g t e n Subjektivität als der sich selbst w o l l e n d e W i l l e zur E r s c h e i n u n g für sich selbst. D e r M e n s c h dieses W e s e n s läßt den bisherigen M e n s c h e n hinter sich, i n d e m er eine n e u e H e i m a t entdeckt, ^/nejly in d e m Sinn, daß jetzt erst das W e s e n der Neuzeit an den Tag k o m m t u n d ent scheidet, was d e m M e n s c h e n des W i l l e n s zur M a c h t als H e i m a t u n d als der Sinn v o n H e i m a t überhaupt zurückgelassen wird. E i n e mit der v o r g e n a n n t e n A u f z e i c h n u n g aus d e m Jahre 1 8 8 5 / 8 6 g l e i c h z e i ü g e sagt (Bd. X I V , n. 2 9 5 , S. 4 1 4 ) :
» W i r H e i m a t l o s e n v o n A n b e g i n n — wir h a b e n gar keine Wahl, wir m ü s s e n E r o b e r e r u n d E n t d e c k e r sein: vielleicht daß wir, was wir selbst entbehren, unsern N a c h k o m m e n hinterlassen, — daß wir ihnen e i n e Heimat
hinterlassen.«
A c h t e n wir w o h l und lange darauf: D i e n e u e H e i m a t ist e i n e von E r o b e r e r n u n d E n t d e c k e r n hinterlassene H e i m a t ; eine H e i mat, die der W i l l e der » H e i m a t l o s e n v o n A n b e g i n n « u n d nur dieser W i l l e schaffen will, u m die m e n s c h l i c h e Zukunft d i e s e m Geschaffenen a n h e i m z u g e b e n . I m Sinne der n e u e n h e i m a t l o sen E r o b e r e r der H e i m a t sagt Nietzsche:
§ 8. Die Heimatlosen
als die Eroberer
und
Entdecker
127
»In d i e s e m Zeitalter ( w o m a n begreift, daß die W i s s e n schaft anfängt)
Systeme
b a u e n - ist Kinderei. S o n d e r n :
lange E n t s c h l ü s s e ü b e r M e t h o d e n fassen, auf Jahrhun derte hin! - d e n n die Leitung
der menschlichen
Zukunft
muß einmal in unsre H a n d k o m m e n ! - Methoden
aber, die aus unseren Instinkten v o n selber
k o m m e n , also regulierte G e w o h n h e i t e n , die s c h o n b e stehn; z . B . Ausschluß
der
Zwecke.«
(1884;
Bd. XIV,
n. 2 9 2 , S. 4 1 3 ) W i e , so fragen wir jetzt, w e n n hier die Heimatiosigkeit selbst das W e s e n der n e u e n H e i m a t ausmachte? W i e , w e n n das D e n ken des D e n k e r s , der aus der G r u n d s t i m m u n g dieser H e i m a t l o sigkeit die Gott- u n d Welt-losigkeit bis in ihren G r u n d erfährt, wie, w e n n dieses D e n k e n i m » G e d a n k e n der G e d a n k e n « nur dies E i n e d e n k e n müßte: die B e g r ü n d u n g der liejujja^osigkeit.. als das u n b e d i n g t e i ^ u z e h ^ c I ^ i f e s a i b d e i i i t H i i i i M i »ttV Wenn es so steht, dann wäre mit d e m Gesagten bereits der metaphysische Ort bezeichnet, zu d e m Nietzsches G e d a n k e von der e w i g e n W i e d e r k u n f t des G l e i c h e n hindenkt. D a n n m ü ß t e n wir sogleich g r ü n d l i c h e r fragen, inwiefern z u m D e n k e n dieses G e d a n k e n s ein D i c h t e n gehört, in w e l c h e m Sinne v o n D i c h t u n g dieses D e n k e n selbst ein D i c h t e n sein muß, w e l c h e Wahrheit diesem Dichten zukommt. O d e r steht das Dichten, vollends das D i c h t e n des Dichters, nicht unter d e m G e s e t z der Wahrheit? Untersteht es, w i e die Äs thetik, d . h . die Metaphysik sagt, d e m Gesetz der Schönheit? W i e aber u n d w o h e r Gesetze? E i n e Frage drängt hier zur ande ren. Sofern diese Fragen u n d die n o c h nicht g e n a n n t e n u n d die fragwürdigeren alle unbeantwortet sind, m ö g e n wir daraus er sehen, w i e sehr wir i m d u n k e l n tappen u n d in Wirrnis verstrickt sind, w e n n wir uns auf den W e g m a c h e n , Nietzsches G r u n d g e danken n a c h z u d e n k e n .
128
Schaffen
§ 9. Nietzsches
der neuen Heimat
Hauptgedanke:
(Wesen) des Seienden
aus dem Willen zur
Macht
der Wille zur Macht und als letztes
als
Essenz
Faktum..
Der verhüllte Unterschied zwischen dem Sein und dem
Seienden
Im G r u n d g e d a n k e n eines Denkers ist ^djs^ gedacht, was d e n » G r u n d « für dasjenige^gitjk was jeder D e n k e r denkt. E r denkt dasjenige, was ist. E r de"nkt das S e i e n d e . D e r D e n k e r denkt das S e i e n d e i m einzigen Hinblick darauf, daß das S e i e n d e ist u n d was das S e i e n d e ist. Was u n d w i e u n d daß das S e i e n d e »ist«, das n e n n e n wir das Sein des Seienden. Jedes D e n k e n eines D e n kers sagt, was das S e i e n d e ist, w e l c h e r Z u g das S e i e n d e durch zieht. D a s D e n k e n sagt d e n H a u p t z u g des S e i e n d e n in s e i n e m Hauptgedanken. D e r H a u p t g e d a n k e Nietzsches ist der G e d a n k e des » W i l l e n s zur M a c h t « . In der 1886 erschienenen Schrift »Jenseits v o n G u t u n d Böse« (Bd. VII, n. 186, S. 115) spricht Nietzsche v o n » . . . ei ner Welt, deren Essenz W i l l e zur M a c h t i s t — , . . . « . » E s s e n z « ist die a u
A b k ü r z u n g des N a m e n s für einen f j p t b e g r i f f der abendländi schen Metaphysik: essentia. W e n n gefragt wird, u n d die D e n k e r der Metaphysik fragen stets so, quid est ens? » W a s ist das Sei e n d e ? « , d a n n gibt die essentia die Antwort auf das quid-esse des S e i e n d e n . W a s die » W e l t « , d. h. das S e i e n d e i m G a n z e n , durch g ä n g i g in ihrem H a u p t z u g Ist, wird gesagt, w e n n die » E s s e n z « genannt wird. D i e » E s s e n z « der Welt ist n a c h Nietzsche » W i l l e zur M a c h t « . D a s ü b l i c h g e w o r d e n e deutsche W o r t für » E s s e n z « u n d essentia, das Wassein, lautet: » W e s e n « . D a b e i wird das deut sche W o r t » W e s e n « , das verbal das Sein des Seins meint, sogleich i m überlieferten Sinne der Metaphysik gedeutet, d e n wir besser mit d e m N a m e n » W e s e n h e i t « b e z e i c h n e n . Das W e s e n des S e i e n d e n zeigt sich d e m D e n k e n Nietzsches als W i l l e zur M a c h t . E i n e seit d e m A n f a n g des abendländischen D e n k e n s waltende, in i h r e m Ursprung u n d in ihrer Tragweite n o c h k a u m erfahrene
Z w e i d e u t i g k e i t i m S a g e n der D e n k e r
liegt darin, daß sie oft anstelle des N a m e n s » d a s S e i e n d e « sa gen: » d a s S e i n « . N a c h dieser Art zu reden, in der sich zugleich
§ 9. Nietzsches
Hauptgedanke:
der Wille zur
Macht
129
die Art des metaphysischen D e n k e n s ü b e r h a u p t bekundet, sieht es so aus, als sei der Unterschied z w i s c h e n d e m S e i e n d e n u n d d e m Sein etwas G l e i c h g ü l t i g e s . M a n k a n n daher, o h n e i r g e n d einen S c h a d e n anzurichten u n d d u r c h nichts gehalten, statt » d a s S e i e n d e « a u c h sagen » d a s S e i n « . D o c h besinnen wir uns für einen A u g e n b l i c k : D i e s e W a n d hier »ist«. D i e W a n d ist etwas S e i e n d e s . D i e W a n d ist d o c h nicht ein » S e i n « . N u r w e i l sie ein S e i e n d e s ist, können wir sagen: » W a n d « . A b e r w e n n die W a n d ein S e i e n d e s ist, dann » h a t « sie d o c h ein » S e i n « . W o hat sie ihr S e i n ? W o steckt dies S e i n ? W i r m ö g e n alle seienden Eigenschaften der seienden W a n d aufzäh len u n d z u s a m m e n r e i h e n , sie e r g e b e n nicht ihr Sein. Sie kön n e n dies nicht e r g e b e n , weil die seienden Eigenschaften
der
W a n d u n d die W a n d als seiende s c h o n i m Sein der W a n d ruhen. D a s Sein ist etwas anderes als das S e i e n d e u n d d e n n o c h ist das Sein nicht ein zweites Seiendes n e b e n der seienden W a n d . W i r treffen so auf d e n u n u m g ä n g l i c h e n Unterschied des S e i e n d e n u n d des Seins u n d können d o c h diesen Unterschied nicht u n mittelbar ins klare bringen. Allein, diese Unklarheit haftet nicht etwa nur unserer s o e b e n versuchten B e s i n n u n g an, weil diese vielleicht zu kurz geraten ist u n d oberflächlich bleibt. In dieser Unklarheit des Unterschieds zwischen d e m S e i e n d e n u n d d e m Sein steht bis zur Stunde das g a n z e a b e n d l ä n d i s c h e D e n k e n . Es steht in ihr so fest u n d ent schieden, daß das D e n k e n der D e n k e r auf diesen Unterschied selbst, u n d zwar auf seine F r a g w ü r d i g k e i t n o c h gar nicht einmal aufmerksam g e w o r d e n ist. L i e g t der G r u n d für diese n o c h k a u m erfahrene N o t l a g e des D e n k e n s nur i m U n v e r m ö g e n der D e n ker, o d e r liegt d e r G r u n d i m Sein des S e i e n d e n selbst? S t ü n d e es so, dann hätte das Sein selbst sich d e m H e r v o r g a n g i n die H e l l e dieses Unterschieds bisher versagt. Vermutlich ist es so. U n s soll zunächst nur dies a n g e h e n , daß die l a n g h e r w a l tende V e r h ü l l u n g des Unterschiedes des Seins z u m S e i e n d e n die Unklarheit u n d M e h r d e u t i g k e i t des Sagens d e r D e n k e r b e dingt, daß w i e d e r u m dieses u n d e u ü i c h e S a g e n der D e n k e r die
130
Schaffen der neuen Heimat aus dem Willen zur
Macht
Nachlässigkeit des g e w ö h n l i c h e n R e d e n s zur F o l g e hat und ihr ständig eine n e u e Bestätigung gibt. Dieser H i n w e i s auf die Nachlässigkeit u n d die Sorgfalt in der R e d e v o m S e i e n d e n u n d Sein u n d damit auf alles R e d e n der D e n k e r hat für das D e n k e n , das w i e das unsere jetzt d e m D e n k e n Nietzsches n a c h z u d e n k e n versucht, eine b e s o n d e r e B e d e u t u n g . Das d e n k e n d e S a g e n Nietzsches ist durch eine u n g e w ö h n l i c h e Nachlässigkeit ausgezeichnet. D i e s e hat weit z u r ü c k r e i c h e n d e metaphysische G r ü n d e ; sie kann daher nicht durch e i n e schul meisterliche Verbesserung b e h o b e n w e r d e n . Sie ist aber auch eine der Ursachen, die das weithin verbreitende g e d a n k e n l o s e L e s e n der Schriften Nietzsches fortgesetzt steigern. Keiner, der nicht durch die strengste S c h u l e des D e n k e n s g e g a n g e n ist, kann Nietzsches D e n k e n n a c h - d e n k e n . Dieses D e n k e n ist nicht leichter als die P h i l o s o p h i e Hegels
oder als die P h i l o s o p h i e
Kants, nicht leichter als die P h i l o s o p h i e des Aristoteles D e n k e n Heraklits.
o d e r das
Alle D e n k e r sind gleich schwer zu verstehen,
sobald wir anfangen zu d e n k e n statt zu faseln u n d mit angelese nen S p r ü c h e n der D e n k e r uns selbst zu b e s c h w i n d e l n . Nietzsche sagt an der genannten Stelle: D i e Essenz der Welt ist W i l l e zur M a c h t ; d. h. das W e s e n des S e i e n d e n ist W i l l e zur M a c h t ; oder auch der H a u p t z u g des S e i e n d e n , also das Sein des Seienden, ist W i l l e zur M a c h t . N u n beginnt eine A u f z e i c h n u n g (1888; » D e r W i l l e zur M a c h t « , B d . X V I , n. 6 9 3 , S. 156) also: » W e n n das innerste W e s e n des Seins W i l l e zur M a c h t ist, . . . « N a c h der vorhin ausgelegten Stelle ist das Sein selbst W i l l e zur M a c h t . Jetzt wird in e i n e m Bedingungssatz gesagt: D a s innerste Wesen, also nach d e m Vorigen die » E s s e n z « des Seins, des W i l lens zur M a c h t , sei W i l l e zur M a c h t . Das wäre ein nichtssagen der Satz. D e r Satz sagt aber nur d a n n etwas, d . h . das, was Nietzsche denkt u n d was er i m v o r i g e n Satz gesagt hat, w e n n wir in d e m jetzt angeführten Satz d e n lässig gebrauchten A u s -
§ 9. Nietzsches
Hauptgedanke:
der Wille zur Macht
131
druck » S e i n « ersetzen durch d e n N a m e n für das, was allein g e m e i n t ist: n ä m l i c h » d a s S e i e n d e « . Sorgfältig gesagt, muß
der
Satz lauten: » W e n n das innerste W e s e n des S e i e n d e n W i l l e zur M a c h t ist« — u n d es ist n a c h d e m Hauptsatz der P h i l o s o p h i e Nietzsches W i l l e zur M a c h t . E i n e dritte A u f z e i c h n u n g aus d e m Jahre 1885 ( i m Z u s a m menhang
der
Planskizzen
für
das
geplante
Hauptwerk,
Bd. X V I , n. 8, S. 4 1 5 ) lautet: » D e r W i l l e zur M a c h t ist das letzte Faktum, zu d e m wir h i n u n t e r k o m m e n . « D e r W i l l e zur M a c h t » d a s letzte F a k t u m « ! Factum, etwas, eine S a c h e , d i e g e m a c h t u n d getan ist — e i n e Tatsache. E i n e Tat-sache ist a u c h eine ü b e r d e n R h e i n g e b a u t e B r ü c k e . E i n e Tat-sache ist als getane S a c h e eine seitdem wirklich v o r h a n d e n e S a c h e , etwas S e i e n d e s . E i n e Tatsache ist a u c h , daß der S c h w e f e l g e l b ist, o b g l e i c h wir d e n Täter, der diese S a c h e getan hat, nicht so leicht finden w e r d e n . D a s Tatsächliche, das Faktische b e d e u t e t uns das wirklich Sei e n d e o d e r a u c h das wahrhaft S e i e n d e . W e n n wir bekräftigen w o l l e n , daß etwas in Wahrheit so sei, w i e es gesagt wird, sagen wir, es sei » i n d e r Tat« o d e r »tatsächlich« so: »factisch« — F a c tum. N u n n e n n t Nietzsche d e n W i l l e n zur M a c h t » d a s letzte F a k t u m « — also ist hier der W i l l e zur M a c h t als etwas Seiendes genannt, als dasjenige, z u d e m wir zuletzt
hinunterkommen.
W o hinunter — b e i w e l c h e m H i n a b s t e i g e n u n d H i n u n t e r g r a b e n ? W e n n wir unter d i e Oberfläche des S e i e n d e n i m S e i e n d e n i m m e r tiefer h i n a b g r a b e n , b o h r e n , d e n k e n , dann stoßen wir auf das F a k t u m » W i l l e zur M a c h t « . A b e r Nietzsche will nicht sagen: E s gibt innerhalb des W e l t g a n z e n vielerlei S e i e n d e s , viele Tatsachen, u n d die unterste Tat sache ist d e r W i l l e zur M a c h t . S o g e d a c h t wäre d e r W i l l e zur M a c h t nur ein S e i e n d e s unter a n d e r e n , w e n n g l e i c h das z u u n terst v o r h a n d e n e . Nietzsche will v i e l m e h r sagen: D a s , w o r a u f wir überall zuletzt stoßen u n d was d a h e r überall zuerst s c h o n alles durchzieht, das, was das S e i e n d e überall tatsächlich, fak tisch, d. h. in W a h r h e i t ist, ist W i l l e zur M a c h t . D e r W i l l e zur M a c h t ist das, was das S e i e n d e wahrhaft ist, d. h. s e i n e m W e s e n
132
Schaffen
der neuen Heimat
aus dem Willen zur
Macht
n a c h das S e i e n d e , das W e s e n — die Essenz — essentia. D i e s e b e zeichnet Nietzsche in der zuletzt angeführten Stelle als »letztes Faktum«. W e s h a l b soll er diese B e n e n n u n g nicht g e b r a u c h e n , w e s h a l b soll er statt essentia nicht a u c h zur A b w e c h s l u n g » f a c t u m « sa g e n ? N a c h der Erläuterung m e i n t er d o c h j e d e s m a l das S e l b e . N a c h der v o l l z o g e n e n » E r l ä u t e r u n g « — allerdings. W e n n wir uns aber die Erläuterung ersparen u n d nur so darüber w e g d e n ken, daß der W i l l e zur M a c h t g e n a n n t wird, einmal als das W e sen des S e i e n d e n , d a n n als das W e s e n des Seins, d a n n als das letzte S e i e n d e innerhalb des S e i e n d e n , d a n n d e n k e n wir dabei j e d e s m a l etwas Verworrenes, o d e r aber wir m ü s s e n , w e n n wir nur ein G e r i n g e s im D e n k e n e i n g e ü b t sind, an dieser angeführ ten Art des Nietzscheschen Sagens einen Anstoß n e h m e n , der nicht groß g e n u g sein kann. D e n n es ist in der a b e n d l ä n d i s c h e n Metaphysik eine U n t e r s c h e i d u n g w e s e n ü i c h g e b l i e b e n u n d z u letzt v o n Leibniz
ursprünglicher d u r c h d a c h t w o r d e n , w e l c h e U n
terscheidung die essentia u n d das factum angeht. E i n e einzelne Tanne, die an einer bestimmten Stelle zur b e stimmten Z e i t wirklich ist, ist ein factum. D a g e g e n ist das, was wir mit » B a u m « ü b e r h a u p t m e i n e n , was j e d e n B a u m , w a n n i m m e r u n d w o i m m e r er faktisch sein m a g , zu e i n e m B a u m b e stimmt, das W e s e n , die essentia. D e s h a l b unterscheidet
Leibniz
zwei Grundklassen v o n Wahrheiten: solche, die sich auf das W e sen des S e i e n d e n b e z i e h e n : veritates essentiae, u n d solche, die sich auf das jeweils einzelne wirkliche S e i e n d e b e z i e h e n : verita tes facti. I m H i n b l i c k auf das m e n s c h l i c h e
Erkenntnisvermögen
u n d d i e Erkenntnisart, durch die diese zwei Klassen v o n W a h r heit erfaßt w e r d e n , heißen die veritates essentiae auch Ver nunftwahrheiten
und
die
veritates facti
heißen
historische
Wahrheiten. D e r Titel » h i s t o r i s c h « ist hier i m u r s p r ü n g l i c h e n Sinne v o n ίστορεΓν =
erkunden
z u verstehen.
D e r einzelne
B a u m wird nur durch eine E r k u n d u n g zugänglich w i e jedes factum. D a s Wesenhafte d a g e g e n , was z u m W e s e n des S e i e n den gehört, ζ. B. daß jedes S e i e n d e mit sich selbst identisch ist,
§ 9. Nietzsches
Hauptgedanke:
der Wille zur
133
Macht
finden wir nicht i r g e n d w o als eine »Tatsache« durch E r k u n d e n , sondern das w i r d unmittelbar i m D e n k e n des S e i e n d e n als ei nes s o l c h e n e i n g e s e h e n . Nietzsche n e n n t den W i l l e n zur M a c h t das W e s e n des Seien d e n ( » E s s e n z « ) . Nietzsche n e n n t d e n W i l l e n zur M a c h t das letzte Faktum. D a s sind d e m Wortlaut nach u n d n a c h d e m alt überlieferten S p r a c h g e b r a u c h der Metaphysik zwei grundver schiedene Sätze u n d v e r s c h i e d e n e Wahrheiten. W i r können in A n l e h n u n g an das metaphysische D e n k e n fragen: Ist Nietzsches Satz ü b e r d e n W i l l e n zur M a c h t eine Vernunftwahrheit?
Kön
n e n wir durch bloßes D e n k e n ausfindig m a c h e n , daß das Sei e n d e überall W i l l e zur M a c h t sei? O d e r ist Nietzsches Satz eine historische Wahrheit? Ist sie auf d e m W e g e der Tatsachenfest stellung g e w o n n e n ? O d e r ist der Satz w e d e r eine aus bloßer Vernunft e i n l e u c h t e n d e Wahrheit, n o c h die bloße
Feststellung
einer Tatsache? W e n n der Satz ü b e r das S e i e n d e keines v o n b e i d e n ist, w e l c h e Art v o n Wahrheit k o m m t i h m d a n n zu? Ist er ü b e r h a u p t beweisbar? W e n n nicht, ist der Satz ü b e r das Sein
]
des S e i e n d e n d a n n v o n Nietzsche nur ejfumieji _erclkiü^et ge.-
'
J
s
dichtet? W a s heißt u n d soll hier, i m D e n k e n n ä m l i c h , das D i c h ten?
DENKEN UND DICHTEN ÜBERLEGUNGEN ZUR VORLESUNG
EINLEITUNG Denken und Dichten: Philosophie und Poesie (σοφία u n d ποιειν)
A u s einer k a u m geahnten N o t ist es nötig, in einigen H i n w e i s e n auf das D e n k e n u n d das D i c h t e n aufmerksam zu m a c h e n . D a s W o r t » d a s D e n k e n « , schlechthin gebraucht, bedeutet j e nes D e n k e n , d a s diejenigen vollbringen, d i e m a n » d i e D e n k e r « nennt. Ihr alter N a m e lautet φιλόσοφοι, d i e P h i l o s o p h e n . » D a s D e n k e n « schlechthin verstanden ist d i e P h i l o s o p h i e , φιλοσο φία. D a s W o r t » d i c h t e n « kann zwar auch eine weitere B e d e u tung h a b e n u n d soviel b e s a g e n w i e : etwas erdichten, erfinden, u m damit etwas vorzutäuschen. Allein, » d a s D i c h t e n « verstehen wir eher u n d g e w o h n t e r sogleich als das T u n derjenigen, d i e m a n » d i e D i c h t e r « nennt. D a s D i c h t e n , d i e D i c h t u n g schlecht hin verstanden, ist die » P o e s i e « . D a s W o r t ist gebildet n a c h d e m griechischen Zeitwort ποιειν, das bedeutet: herstellen, hervor bringen. Statt » D e n k e n u n d D i c h t e n « können wir auch sagen: » P h i l o s o p h i e u n d P o e s i e « . Daß in d e n alten N a m e n für D e n k e n u n d D i c h t e n , in d e n Wörtern P h i l o s o p h i e u n d P o e s i e , zwei G r u n d w o r t e des frühen anfänglichen abendländischen
Seins
n a c h k l i n g e n , n ä m l i c h σοφία u n d ποιειν (vgl. Heraklit, Frg. 112), hat seine e i g e n e , uns n o c h weithin v e r b o r g e n e B e w a n d t nis.
§ 1. Das Vergleichen von Denken und Das eigentliche
Dichten.
vergleichen
N e h m e n w i r b £ d e Wortstellungen, D e n k e n u n d D i c h t e n ^ h i l o s o p h i e u n d P o e s i e , s o , w i e sie hier vermutlich g e m e i n t s m d ,
§ 1. Das Vergleichen von Denken und Dichten
137
n ä m l i c h als Titel für eine Betrachtung, d a n n w i r d sofort klar, daß es sich d a r u m handelt, D e n k e n u n d D i c h t e n miteinander zu vergleichen. W i r g l a u b e n zu wissen, was das ist: das Vergleichen. I m Ver g l e i c h e n w e r d e n die zu v e r g l e i c h e n d e n » D i n g e « s c h o n dadurch, daß sie als zu v e r g l e i c h e n d e ausgewählt u n d vorgestellt sind, einander i r g e n d w i e gleichgestellt. Z u v o r s c h o n ist an i h n e n , o b zwar meist u n b e s t i m m t u n d zerfließend, irgendein G l e i c h e s er blickt. A b e r b e i m Vergleichen ist es fast so, als diente das G l e i c h e nur dazu, u m an i h m als d e m Hintergrund das Verschie-. d e n e hervorzuheben. D a s Vergleichen ist ein Verfahren,
das
d e m m e n s c h l i c h e n » D e n k e n « ü b e r a l l sich aufdrängt, w e i l es i h m v e r m u t h e h j i a h e liegt. D i e G r ü n d e , aus d e n e n dieses N a h e liegen k o m m t , aus d e m d a n n der seltsame Vorrang des verglei c h e n d e n Verfahrens, seine Verbreitung u n d seine Beliehtheit entspringen, h a b e n wir n o c h k a u m b e d a c h t . Jegliches k a n n mit j e g l i c h e m verglichen w e r d e n , w e n n es b e i m Vergleichen nur darauf a n k o m m t , i r g e n d e i n G l e i c h e s u n d irgendein Verschiedenes festzustellen. D i e o h n e A n s e h u n g des »Inhalts«, also formal g e n o m m e n e M ö g l i c h k e i t des Verglei c h e n s ist g r e n z e n l o s . W i r sehen dies leicht, w e n n wir eine in sich ungehörige Vergleichsmöglichkeit a u c h nur flüchtig ü b e r l e g e n . S o könnte m a n ζ. B. vergleichen: das Radfahren u n d das D i c h t e n . D a s G l e i c h e an i h n e n besteht darin, daß sie b e i d e m e n s c h l i c h e Tätigkeiten
sind.
D a s Verschiedene zeigt sich
daran, daß R a d f a h r e n eine leibliche Tätigkeit ist, d i e eine M a schine benutzt, w o g e g e n das D i c h t e n d o c h eine geistige Tätig keit ist. Z w a r sollen, w i e m a n bisweilen hört, m o d e r n e Dichter unmittelbar in die S c h r e i b m a s c h i n e dichten. S o wäre z w i s c h e n Radfahren u n d D i c h t e n a u c h in dieser H i n s i c h t ein G l e i c h e s , das aber d o c h v e r s c h i e d e n bleibt, insofern das Fahrrad u n d die S c h r e i b m a s c h i n e verschiedene M a s c h i n e n sind. O b s c h o n ü b e r das G l e i c h e u n d das Verschiedene a m Radfahren u n d a m D i c h ten n o c h vielerlei a u s z u m a c h e n wäre, sträuben wir uns g e g e n diesen Vergleich. W e s h a l b d e n n ? W e i l uns das R a d f a h r e n u n d
138
Denken und Dichten, Philosophie und Poesie
das D i c h t e n zu weit auseinanderhegen. D a s Vergleichen b e i d e r ist d o c h , selbst w e n n es weitläufig ausgeführt w ü r d e , i m Ent s c h e i d e n d e n unergiebig. D i e Unergiebigkeit wäre zwar n o c h h i n z u n e h m e n . A b e r in d i e sem Vergleich, der irgendwie zuvor s c h o n i m m e r eine Gleichset z u n g ist, bleibt eine Entwürdjgung_ des Dichtens auch dann, w e n n wir das Radfahren als eine gute Einrichtung anerkennen. G e r a d e weil die M ö g l i c h k e i t des Vergleichens grenzenlos ist, liegt in der jeweils v o l l z o g e n e n A n s e t z u n g eines Vergleiches ein wissentlicher o d e r ein ahnender o d e r auch ein nichtwissender u n d nichtsahhender E n t s c h e i d ü b e r das G l e i c h e , in das die Ver g l i c h e n e n gesetzt, aus d e n e n sie erblickt sind. D a r u m ist das ei gentliche Vergleichen stets m e h r als ein Vergleichen. D a s Vergleichen soll ja nicht nur die Feststellung v o n G l e i c h e m u n d V e r s c h i e d e n e m z u m Ergebnis haben, sondern wir trachten i m echten Vergleichen darnach, durch das G l e i c h e das Verschiedene u n d d u r c h das Verschiedene des G l e i c h e n hin durch das jeweils e i g e n e W e s e n dessen zu erblicken, was i m Vergleich steht. D a r n a c h strebt u n a u s g e s p r o c h e n alles Verglei c h e n . A b e r nur selten gelangt es dahin. Vergleichen u n d Ver g l e i c h e n ist nicht überall das G l e i c h e . D e r Vergleich des D i c h tens mit d e m Radfahren wirft nicht nur zu w e n i g ab, weil b e i d e zu weit auseinanderhegen, sondern der Vergleich wäre, w e n n er versucht w ü r d e , eine Geschmacklosigkeit, w e n n nicht gar n o c h Schlimmeres.
§ 2. Das Maß-Geben der maßgebenden Denker und Dichter fiir das Ermessen des Wesens des Denkens und des Dichtens D a g e g e n n e n n e n wir Heber z u s a m m e n : D e n k e n u n d D i c h t e n . Sie liegen also einander näher. Bei ihrer Verschiedenheit h a b e n sie etwas G e m e i n s a m e s , das sich w o h l nicht — w i e i m v o r g e nannten Fall — darin erschöpft, daß b e i d e ein m e n s c h l i c h e s T u n sind. M a n könnte n a c h einer d e m neuzeitlichen Vorstellen g e -
§2. Maß-Geben
der maßgebenden
Denker
und Dichter
139
läufigen Auffassung sagen: D e n k e n u n d D i c h t e n sind » s c h ö p f e rische«
Tätigkeiten, was v o m Radfahren nicht gilt, w o h l d a g e
g e n ζ. B. v o n der Baukunst u n d der M a l e r e i . D e n k e n u n d D i c h t e n z e i g e n aber eine n o c h e n g e r e Verwandt schaft als D e n k e n u n d M a l e n . D e n k e n u n d D i c h t e n b e w e g e n sich ausschließlich i m Bereich der Sprache. Ulfe W e r k e u n d nur ihre sind sprachlicher » N a t u r « . Allein, » D e n k e n u n d D i c h t e n « sind uns ja a u c h sonst in d i e ser i r g e n d w i e in Eins g e s a m m e l t e n N e n n i m g b e k a n n t . » D e n k e r u n d D i c h t e r « gehören uns in einer b e t o n t e n W e i s e z u s a m m e n . Sie sind e i n a n d e r n a h e in einer N ä h e , die wir vielleicht erfahren können, w e n n w i r v o m D e n k e n u n d D i c h t e n einiges wissen. O d e r n e n n e n wir D e n k e r u n d D i c h t e r nur z u s a m m e n , w e i l wir da irgendeiner, i r g e n d w a n n e i n m a l a u f g e k o m m e n e n G e w o h n heit f o l g e n ? Bleibt also d o c h das G l e i c h e , w o r i n D e n k e n u n d D i c h t e n sich g l e i c h e n , u n d das Verschiedene, w o r i n sie ver s c h i e d e n sind, u n b e s t i m m t u n d s c h w a n k e n d ? Braucht
uns
denn
dieses seit l a n g e m b e s t e h e n d e
Unbe
stimmte u n d S c h w a n k e n d e z u stören? W o z u a u c h sollen wir D e n k e n u n d D i c h t e n d e u d i c h e r v e r g l e i c h e n ? W e s h a l b sollen wir sie ü b e r h a u p t vergleichen u n d so » ü b e r « das D e n k e n u n d » ü b e r « das D i c h t e n Erörterungen p f l e g e n ? G e n ü g t es nicht, w e n n wir d e m D e n k e n der D e n k e r einfach f o l g e n u n d in das D i c h t e n der D i c h t e r uns » e i n f ü h l e n « ? A b e r w e l c h e n unter d e n D e n k e r n sollen w i r f o l g e n u n d w e l c h e n unter d e n D i c h t e r n ? A l l e n historisch b e k a n n t e n D e n k e r n u n d D i c h t e r n ? O d e r nur d e n unsrigen? A b e r sind d e n n die unsrigen diejenigen, die sie sind, o h n e die Älteren u n d o h n e die A l t e n , o h n e die D e n k e r u n d Dichter des G r i e c h e n t u m s ? G i b t es ein M a ß dafür, m i t w e l c h e n D e n k e r n w i r m i t d e n k e n , mit w e l c h e n D i c h t e m w i r mitdichten d ü r f e n ? O d e r ist dies alles d e m B e l i e b e n u n d d e m G e s c h m a c k des E i n z e l n e n überlassen, der M o d e des Tages, d e n T e n d e n z e n des Zeitalters, d e n Vorschriften der
Erziehungseinrichtungen?
O d e r ist uns d i e Q u a l der rechten W a h l d a d u r c h a b g e n o m m e n , daß die m a ß g e b e n d e n D e n k e r u n d die m a ß g e b e n d e n
Dichter
140
Denken und Dichten, Philosophie und Poesie
selbst das Maß g e b e n , w o n a c h wir das W e s e n u n d die N o t w e n digkeit des D e n k e n s u n d des Dichtens ermessen? Vermutiich ist es_sn
§ 3. Die Notwendigkeit
einer Vorbereitung für das Vernehmen
Denkens
und des
des
Dichtens
D o c h w e n n es so ist, w i e sollen wir dieses M a ß v e r n e h m e n u n d a n n e h m e n , w e n n wir unerfahren sind in d e m , was D e n k e n , u n d in d e m , was D i c h t e n ist? M u ß d a n n nicht unser O h r rein u n d i m Unterscheiden g e ü b t u n d für das sorgsame V e r n e h m e n g e eignet sein, w e n n D e n k e r u n d Dichter zu uns sprechen u n d durch sie ein anderer A n s p r u c h uns treffen soll? W i e können wir je die Betroffenen sein, w e n n wir nicht wahrhaft wissen, was D e n k e n u n d was D i c h t e n ist? W i s s e n ist n o c h nicht, w e n n wir nur Begriffe h a n d h a b e n , mit deren Hilfe wir auf Verlangen eine Definition g e b e n können ü b e r das, was P h i l o s o p h i e u n d was P o e s i e ist. W i s s e n heißt hier: i m Stande sein, d e n D e n k e r n a c h u n d m i t i h m zu d e n k e n , d e n Dichter n a c h - u n d mit i h m zu dichten. D a s Im-Stande-sein verlangt eine Ständigkeit u n d ei n e n Standort. W o dies fehlt, kann uns die S t i m m e der D e n k e r u n d der Dichter nie treffen; wir können nie die Betroffenen sein. D e n n die Betroffenheit besteht ja nicht in einer u n b e stimmten u n d alsbald zerfließenden G e f ü h l s w a l l u n g u n d G e mütserregung. Betroffen sind wir nur dann u n d können wir nur dann sein, w e n n wir auf die S t i m m e des D e n k e r s u n d des D i c h ters antworten können, u n d d. h. in der A n t w o r t verbleiben o d e r d o c h verbleiben lernen o d e r z u m g e r i n g e n verbleiben lernen können. A b e r s c h o n dazu bedarf es eines W i s s e n s v o m D e n k e n und Dichten. W a s hilft es sonst, w e n n m a n semesterweise jedesmal andere D e n k e r u n d Dichter v o r uns auftreten läßt, u m sie i m nächsten zu vergessen? W a s soll dies alles, w e n n die historische Vorfüh r u n g v o n D e n k e r n u n d Dichtern überall Unvorbereitete trifft?
§ 3. Die Notwendigkeit einer Vorbereitung
141
D e n n d a d u r c h , daß wir für D e n k e r u n d D i c h t e r »interessiert« sind o d e r d a r n a c h verlangen o d e r gar für sie bereit sind, sind wir i m m e r n o c h nicht vorbereitet. W i r b e a c h t e n es k a u m , daß da eine Vorbereitung nötig ist, wir b e d e n k e n es n o c h w e n i g e r , was dazu gehört. » W i r « sage i c h — u n d m e i n e nicht nur Sie, die Hörer, d i e hier u n d anderwärts ei n e m b e l i e b i g e n A n g e b o t der Darstellungen v o n D e n k e r n u n d D i c h t e r n ausgeliefert sind. A u c h uns m e i n e ich, die hier stehen u n d lehren; uns zuerst. D o c h dies sei keine B e s c h u l d i g u n g . D a z u fehlt nicht nur die,Befugnis, sondern B e s c h u l d i g e n u n d E n t s c h u l d i g e n w ä r e hier z u w e n i g . E s gilt, auf ein s c h o n lange w ä h r e n d e s Versäumnis hinzuweisen, dessen Art u n d dessen Ur s p r ü n g e , g e r a d e w e i l sie älter sind als wir, uns in u n s e r e m W e sen a n g e h e n , i n d e m sie ü b e r uns h i n w e g r e i c h e n . D a h e r k ö n n e n w i r a u c h das A u s b l e i b e n der g e m ä ß e n Vorbereitung für das Ver n e h m e n des D e n k e n s u n d des D i c h t e n s nicht i m H a n d u m d r e h e n u n d willentlich abstellen. W o h l aber ist anderes not, daß wir täglich n e u b e a c h t e n , w i e verwirrt u n d u n b e s o n n e n unser B e z u g z u m D e n k e n u n d D i c h ten ist. Daß d i e P f l e g e des Weinstocks u n d die G e w i n n u n g der Traube eines e i g e n e n W i s s e n s u n d Erfahrens bedarf, halten wir für ausgemacht. Daß m a n aber mit d e m D e n k e n der D e n k e r u n d d e m D i c h t e n der D i c h t e r je n a c h B e h e b e n , v o n der Straße w e g o d e r sonstwoher dazu geratend, » u m g e h t « u n d sich auf seine E i n d r ü c k e u n d Erlebnisse beruft, so w i e sie g e r a d e k o m m e n u n d g e h e n , findet m a n gleichfalls in der O r d n u n g , falls m a n ü b e r h a u p t sich darauf besinnt, was in d i e s e m » U m g a n g « mit d e m D e n k e n u n d d e m D i c h t e n v o r sich geht. A l s o b m a n ü b e r h a u p t mit d e m D e n k e n der D e n k e r u n d d e m D i c h t e n der D i c h t e r u m g e h e n könnte u n d dürfte. N o t ist vor a l l e m andern, daß wir uns erst e i n m a l auf das B e sinnungslose dieses U m g e h e n s b e s i n n e n . G e n u g ist es s c h o n , w e n n wir besinnlich w e r d e n ü b e r die zudringliche G l e i c h g ü l t i g keit, aus der wir an der Vorbereitung für das D e n k e n u n d D i c h ten v o r b e i g e h e n .
142
Denken und Dichten Philosophie und Poesie
Besinnen wir uns auf diesen weitherkommenden besin nungslosen Zustand der Unvorbereiteten für das Vernehmen des Denkers und des Dichters, besinnen wir uns also, dann spricht uns der Titel »Denken und Dichten« vielleicht anders an; entsinnen wir uns zugleich noch dessen, daß wir das Vrdk der Denker und Dichter sind, dann können wir ahnend ermessen. wie fern wir noch der Sammlung auf unser eigenes Wesen stehen. Es ist, als habe uns ein imausdenkliches GescHcFclieser Sammlung ganz entfremdet. »Denken und Dichten«, die Uberschrift für ein auch nur gleichgültiges Vergleichen des Denkens mit dem Dichten, bei welchem Vergleichen wir gelehrte Sachen über das Verhältnis von Philosophie und Poesie erzählen —; »Denken und Dichten«, der Hinweis auf eine unumgängliche Besinnung, unumgäng lich dann, wenn wir auf den stillsten Gang der verborgenen Ge schichte des Abendlandes horchen und dabei erfahren, daß wir diesen Gang nur dann leugnen können, wenn wir schon die Zu kunft der abendländischen Geschichte verleugnet haben.
§ 4. Die Besinnung
auf das
und das Dichten und deren Das Fragwürdige
ah das Maßgebende
Denken Verhäünh. für das
Nachsinnen
Besinnen wir uns, besinnen wir uns auf das Denken und das Dichten. Wie vermöchten wir das anders denn so, daß wir dem Denken, was es sei, und dem Dichten, was es sei, und dem Ver hältnis beider nachsinnen? Was ist das Denken? Können wir uns die Antwort frei ausden ken? Was ist das Dichten? Können wir uns die Antwort frei er dichten? Wir müßten bei solchem Vorgehen alsbald einer grund losen Willkür zum Opfer fallen. Wo aber ist hier ein Maß, mit dem wir das Wesen des Denkens und das Wesen des Dichtens! ermessen? Wenn es hier jedoch ein Maß gibt, wer gibt es? Wq finden wir und wie das Maß-Gebende für unser Nachsinnen?
§ 4. Die Besinnung aufdas Denken und das Dichten
143
Alles echte Besinnen gelangt sogleich u n d m i t j e d e m seiner Schritte ärger in d e n B e r e i c h des F r a g w ü r d i g e n . D a s ist ein A n deres als das nur Fragliche. D a s b e g e g n e t in vielerlei Gestalten. E s zeigt sich als das U n g e w i s s e , als das U n e n t s c h i e d e n e , als das Unerklärte. D a s nur Fragliche entzieht sich uns, g e n a u e r , es selbst bleibt ja jeweils, d o c h s o , daß es uns etwas entzieht u n d vorenthält u n d uns so stehen läßt. D a s bloß Fragliche w i r d d e n n auch bloß z u d e m , was wir v o n uns aus stehen lassen. E s ist e b e n fraglich u n d d. h. jederzeit beffagbar, aber nicht n o t w e n d i g zu befragen. I m Unterschied z u m bloß Fraglichen ist das F r a g w ü r d i g e , »das W o r t « wörtlich g e n o m m e n , das, was der Befragung w ü r d i g ist. W i r g e b r a u c h e n allerdings das W o r t » f r a g w ü r d i g « in e i n e m herabsetzenden Sinne. D a n n m e i n t es das B e d e n k l i c h e , U n z u verlässige o d e r gar das V e r d o r b e n e u n d d e m n a c h U n w ü r d i g e . Dies g e r a d e n e n n t die S p r a c h e das F r a g w ü r d i g e , also d o c h ein W ü r d i g e s . D o c h b e i d i e s e m W o r t g e b r a u c h vergessen wir g a n z , daß wir v o m W ü r d i g e n r e d e n u n d v o n W ü r d e . Seltsame Verges senheit u n d n o c h seltsameres W a l t e n der Sprache! Allein, wir k ö n n e n selbst aus dieser geläufigen V e r w e n d u n g des Wortes » f r a g w ü r d i g « ersehen, daß wir mit d e m F r a g w ü r d i g e n auch so n o c h etwas m e i n e n , was uns angeht u n d betroffen macht, a u c h d a n n , w e n n wir es v o n uns w e g h a l t e n . D a s bloß Fragliche m a c h t uns nicht betroffen. D a s F r a g w ü r d i g e d a g e g e n , das W o r t jetzt streng g e n o m m e n , öffnet
sich uns in seiner
W ü r d e , die v o n uns verlangt, daß wir ihr entsprechen, d. h. sie w ü r d i g e n i m Fragen. D o c h ist Fragen nicht eher Z u d r i n g l i c h k e i t eines W o l l e n s , das für sich nur v o n sich aus ein W i s s e n an sich reißen m ö c h t e ? Fragen - ist das je eine Art, d e m W ü r d i g e n seine W ü r d e zu w a h r e n ? Ist das Fragen, auch w e n n es das Z u d r i n g l i c h e vermei det, nicht d o c h stets u n d w e n n g l e i c h g a n z versteckt, ein M i ß achten der W ü r d e ? W ü r d i g e n ist eher anerkennen, einfach die W ü r d e v o n sich aus u n d für sich sprechen lassen u n d daher selbst nicht spre*
144
Denken
und Dichten
Philosophie
und
Poesie
c h e n u n d also nicht fragen. W i e k a n n d a n n das Fragen derglei chen übernehmen
w i e das
W ü r d i g e n als das W a h r e n
der
W ü r d e ? E s m ü ß t e d a n n höchstens sein, daß es solches gibt, d e s sen eigenste W ü r d e in der H o h e i t beruht, die in sich g l e i c h s a m » n a c h d e n k l i c h « ist u n d » s i n n e n d « . D i e s e m H o h e n u n d seiner W ü r d e könnte der M e n s c h sich d a n n nur so f ü g e n u n d es g e m ä ßer W e i s e w ü r d i g e n , daß er d e m I n - s i c h - N a c h d e n k l i c h - H o h e n auch u n d einzig nur nachsinnt. E i n e späte U m d i c h t u n g des G e d i c h t e s » D e r b l i n d e S ä n g e r « , » C h i r o n « beginnt:
1
» W o bist du, N a c h d e n k l i c h e s ! das i m m e r muß Z u r Seite g e h n , zu Z e i t e n , w o bist du, L i c h t ? « D a s Licht, das Heitere ist das N a c h d e n k l i c h e ; Hölderlin
schreibt
» N a c h d e n k l i c h e s « groß, so daß wir sagen m ü s s e n , das N a c h d e n k l i c h e ist das Licht. D a s L i c h t k o m m t »ratschlagend, H e r z e n s w e g e n « . D i e h o h e Warte des Heiteren und_dieses selbst ist i m G r u n d e so licht, daß M e n s c h e n es nie, auch Götter night, un^ mittelbar erblicken k ö n n e n . D i e s deutet darauf, daß das L i c h t e als solches sich verbirgt. D a s L i c h t e selbst lichtet sich so aus sei ner L i c h t u n g , daß diese z u g l e i c h Verbergung ist u n d dieser stets nachgeht, nachdenkt. D i e s e s N a c h d e n k l i c h e ist es, w o r i n die in sich r u h e n d e H o h e i t des H o h e n , seine W ü r d e beruht. D a s N a c h s i n n e n ist das b e g i n n e n d e , b e g i n n l i c h e Fragen, das lange u n g e s p r o c h e n bleibt u n d fern j e d e m lauten Anfragen u n d Befragen, w o r i n der M e n s c h auf das E i g e n m ä c h t i g e p o c h t . D a s N a c h s i n n e n w ü r d i g t nicht nur nachtragend das I n - s i c h - N a c h d e n k l i c h - H o h e , s o n d e r n das N a c h s i n n e n ist ein W ü r d i g e n , das erst d i e v e r b o r g e n e W ü r d e dessen enthüllt, d e m das S i n n e n auf s e i n e m W e g b e g e g n e n möchte. D a s Besinnen ist aber echt, w e n n es d e m N a c h s i n n e n entspringt u n d , in i h m verbleibend, i h m einzig dient. D a r u m durften wir sagen: Alles echte Besin-
• F. Hölderlin, Sämtliche Werke (Hellingrath) Bd. IV, S. 65.
§ 4. Die Besinnung
auf das Denken
und das Dichten
145
n e n gelangt sogleich u n d mit j e d e m seiner Schritte in d e n B e reich des F r a g w ü r d i g e n . G e m ä ß e r gesagt: ist das Besinnen s c h o n in d i e s e m Bereich. D a s F r a g w ü r d i g e ist das M a ß g e b e n d e für das N a c h s i n n e n . D a s F r a g w ü r d i g e , das i m n a c h s i n n e n d e n Fra g e n erst g e w ü r d i g t wird, gibt der B e s i n n u n g Fragen auf, die aus e i g e n e m G e w i c h t schwerer w i e g e n d e n n alles Fragliche u n d die Fragen, die sich darauf richten. Ein K e n n z e i c h e n der aus d e m F r a g w ü r d i g e n selbst s t a m m e n d e n Fragen besteht darin, daß sie stets in sich z u r ü c k k e h r e n u n d deshalb n a c h d e r g e w ö h n l i c h e n W e i s e nicht zu b e a n t w o r ten sind. D a s Fragen dieser Fragen b e g e g n e t e i g e n t ü m l i c h e n Schwierigkeiten, d e n e n das N a c h s i n n e n nicht a u s w e i c h e n darf, weil sie vielleicht K e n n z e i c h e n d e r e i g e n e n W ü r d e des Frag w ü r d i g e n sind, gesetzt, das D e n k e n , was es sei, gesetzt, auch das D i c h t e n , was es sei, gehören z u m F r a g w ü r d i g e n , insgleichen d i e B e z i e h u n g z w i s c h e n D e n k e n u n d D i c h t e n , die jetzt nur durch
das vieldeutige u n d
daher
zunächst
nichts
deutende
» u n d « genannt wird. W e l c h e Schwierigkeiten bieten sich hier d e m N a c h s i n n e n ? N u r zwei seien jetzt g e n a n n t u n d kurz erörtert. D i e erste Schwierigkeit betrifft d i e B e i b r i n g u n g dessen, w o r aus wir ü b e r h a u p t ersehen, was D e n k e n u n d was D i c h t e n ist. D i e zweite Schwierigkeit zeigt sich darin, daß wir d e m D e n ken u n d D i c h t e n n a c h s i n n e n d als N a c h d e n k e n d e d e n k e n d b e reits auf der einen Seite des Verhältnisses v o n D e n k e n
und
D i c h t e n stehen, so daß alles zu S a g e n d e i m voraus einseitig wird.
ANHANG
Zweite Fassung der Wiederholung zu: 1
Einleitung in die Philosophie. Denken und Dichten
D i e P h i l o s o p h i e ist das D e n k e n der D e n k e r . Sie d e n k e n das, was ist, das Sein, insofern es das S e i e n d e bestimmt. Als das, was ist, gilt d e m abendländischen D e n k e n seit l a n g e m u n d heute n o c h das A n w e s e n d e , das Gegenwärtige. Allein, a u c h das erst K o m m e n d e ist s c h o n in seinem K o m m e n . A u c h das G e w e s e n e ist n o c h , i n d e m es ü b e r uns herwest und h e r k o m m t .
Zu-kunft
u n d Herkunft k o m m e n einander entgegen. In dieser E n t g e g e n kunft ü b e r h o l e n sich Zukunft u n d Herkunft w e c h s e l w e i s e in je verschiedenen Weiten. A u s der Entgegenkunft der Z u k u n f t u n d der Herkunft entspringt erst das Gegenwärtige. Es ist das, was aus der Entgegenkunft d e m A n s c h e i n n a c h herausspringt u n d sich für sich aufspreizt u n d d e n S c h e i n erweckt, als sei das G e genwärtige das, was allein seiend ist, w ä h r e n d das G e w e s e n e nicht m e h r u n d das K o m m e n d e n o c h nicht— also j e d e s m a l nicht sind. D a s Gegenwärtige ist nur als der wechselweise U b e r g a n g des K o m m e n d e n in das G e w e s e n e und des G e w e s e n e n in das K o m m e n d e . D a r u m ist j e d e G e g e n w a r t ein zweideutiges Z w e i deutiges. W e n n w i r das, was ist, nur i m G e g e n w ä r t i g e n suchen, finden wir es nie, weil das Gegenwärtige vieldeutig bleibt, w e l c h e Vieldeutigkeit g e r a d e aus d e m stammt, was m e h r ist u n d eher ist als das Gegenwärtige. D i e D e n k e r d e n k e n das, was i s t Ihr D e n k e n ist das
Denken,
das W o r t schlicht i ü r sich g e s a g t Insofern der geschichtliche M e n s c h an die Zukunft aus der Herkunft und an die Herkunft
1
[zu den Seiten 90-101] Wichtige! über Geschichte und Historie und Tech nik.
148
Anhang
aus der Z u k u n f t denkt u n d also a n d e n k e n d das G e g e n w ä r t i g e b e d e n k t , denkt er stets das, was ist. D e r geschichtliche M e n s c h denkt. D e s h a l b gibt es in der G e s c h i c h t e g e d a n k e n a r m e g e d a n k e n l o s e Z e i t e n . D e r geschichtliche M e n s c h denkt.
und Er
philosophiert. D e r geschichtliche M e n s c h steht in der P h i l o s o phie. D a r u m k ö n n e n wir a u c h nicht erst » i n « die P h i l o s o p h i e hineingeleitet w e r d e n . W o h l d a g e g e n b e d a r f es einer A n l e i t u n g , d a m i t der g e s c h i c h t l i c h e M e n s c h in d e m , w o r i n er sich u n b e h o l f e n u n d leicht vergeßlich s c h o n aufhält, h e i m i s c h wird u n d so das e i g e n d i c h e W o h n e n erst lernt. D e r geschichtliche M e n s c h denkt g e s c h i c h d i c h , d . h .
aus
d e m G e s c h i c k t e n in das S i c h - i h m - s c h i c k e n d e S c h i c k l i c h e . G e schichtlich d e n k e n ist etwas wesenhaft anderes als historisch d e n k e n . D i e Historie denkt, falls ihr Vorstellen ü b e r h a u p t so b e n a n n t w e r d e n darf, u n g e s c h i c h d i c h . Sie ü b e r g e h t n o t w e n d i g das Geschickhafte u n d redet nur beiläufig u n d
gedankenlos
v o m Schicksal. D e n n d i e Historie n i m m t z u m voraus die G e schichte als einen W i r k u n g s z u s a m m e n h a n g , d . h . als eine A b laufsfolge v o n U r s a c h e n u n d W i r k u n g e n . N a c h diesen w i r d g e rechnet. D i e Geschichtsbilder der Historie sind Planskizzen v o n A b l ä u f e n u n d E n t w i c k l u n g e n , v o n Fortschritten u n d
Rück
schlägen, v o n E r f o l g e n u n d E i n b u ß e n , v o n Einflüssen u n d A u s flüssen. D i e Historie b e r e c h n e t d i e G e s c h i c h t e u n d rechnet mit ihr. D a s R e c h n e n ist der G r u n d z u g der T e c h n i k . D i e Historie ist eine Art des t e c h n i s c h e n Vorstellens, d i e die G e s c h i c h t e in die Z a n g e der T e c h n i k u n d der dieser e i g e n e n B e r e c h n u n g n i m m t . D i e m o d e r n e Historie ist entsprechend w i e d i e m o d e r n e Natur wissenschaft aus der n e u z e i d i c h e n T e c h n i k entsprungen. W e n n also die m o d e r n e T e c h n i k , d e r e n W e s e n k e i n e s w e g s i n der A n fertigung v o n M a s c h i n e n besteht, erst in u n s e r e m Jahrhundert ihr bislang v e r b o r g e n e s W e s e n z u enthüllen beginnt, so geht sie d o c h , w e s e n s g e s c h i c h t l i c h g e s e h e n , der m o d e r n e n
Naturwis
senschaft als deren G e s c h i c k vorauf. D i e m o d e r n e Technik ist k e i n e s w e g s erst d i e A n w e n d u n g der m o d e r n e n
Naturwissen
schaft auf d i e A n f e r t i g u n g v o n M a s c h i n e n u n d Apparaten, s o n -
Zweite
Fassung der
149
Wiederholung
d e m die m o d e r n e Naturwissenschaft
ist in ihrem W e s e n v o n
A n f a n g an der technische Angriff auf die Natur u n d deren Er o b e r u n g . D a s 20. Jahrhundert, in d e m sich v e r m u d i c h das Z e i t alter d e r Neuzeit vollendet, nicht etwa endet, k a n n nur, ja muß sogar deshalb das Zeitalter der T e c h n i k sein, weil diese das an fängliche u n d daher l a n g verhüllte G e s c h i c k der N e u z e i t ü b e r h a u p t ist. N u r weil die Historie mit d e r Naturwissenschaft
den
selben Wesensursprung in der T e c h n i k hat, weil die m o d e r n e Wissenschaft in sich eine Art v o n T e c h n i k ist, deshalb können, ja m ü s s e n die Wissenschaften in d e n heutigen Großstaaten un mittelbar mobilisiert w e r d e n . ' D e r geschichtliche M e n s c h denkt, u n d w e n n er e i g e n d i c h denkt, d. h. insofern er selbst das E i g e n t u m des G e s c h i c k e s ist, denkt er g e s c h i c h d i c h . E r denkt a n d e n k e n d an die
Herkunft
u n d d i e Z u k u n f t u n d b e i d e in ihrer Entgegenkunft. Etwas ü b e r uns her u n d ü b e r uns w e g k o m m e n d d e n k e n u n d z u m a l etwas auf uns z u k o m m e n d u n d uns z u k o m m e n d denken, das ist ein Verhalten, das g r u n d v e r s c h i e d e n bleibt v o m N a c h r e c h n e n der Nachwirkungen
des Vergangenen u n d
d e m Vorrechnen der
Einflüsse des G e g e n w ä r t i g e n u n d voraussichtlich
Erfolgen
den. W e n n die P h i l o s o p h i e das e i g e n d i c h e D e n k e n ist u n d das D e n k e n g e s c h i c h d i c h denkt, dann denkt die P h i l o s o p h i e g e s c h i c h d i c h . A l l e r d i n g s , u n d nur sie denkt geschichtlich — aber nie historisch. S o b a l d aber ein Historiker nicht nur historisch rechnet, s o n d e r n denkt, d. h. geschichtlich denkt, hat er s c h o n angefangen zu philosophieren. D i e Einleitung in die P h i l o s o p h i e ist die A n l e i t u n g des z u nächst u n b e h o l f e n e n D e n k e n s z u m b e h u t s a m e n D e n k e n d e s sen, was ist. D i e Behutsamkeit des D e n k e n s entfaltet sich s o , daß das A n d e n k e n a n d e n k e n d e r , daß das D e n k e n geschichtli c h e r wird. E i n e r A n l e i t u n g z u m D e n k e n stehen viele W e g e offen; alle freilich sind n o t w e n d i g Pfade des Erfahrens der G e s c h i c h t e .
Anhang
150
Wiederholung [Nietzsche.
zu S.
105f.
Zum Verhältnis von Denken und
Dichten]
Statt » ü b e r « D e n k e n u n d D i c h t e n allgemeine Erörterungen zu pflegen, versuchen w i r mit Nietzsche, d e m d i c h t e n d e n D e n k e r , m i t z u d e n k e n u n d mitHölderlin, d e m d e n k e n d e n Dichter, mitzudichten. Allein, auch n a c h dieser Verdeutiichung durch N a m e n bleibt der W e g unserer Besinnung weiterhin
Mißdeutun
g e n ausgesetzt. W o l l t e n w i r diese zuvor alle aus d e m W e g räu m e n , dann k ä m e n w i r nie auf d e n W e g . Es ist freilich auch nicht ratsam, die a n d r ä n g e n d e n M i ß d e u t u n g e n nur auf die Seite zu schieben u n d sich auf d e n W e g zu m a c h e n in der H o f f n u n g , daß alles D u n k l e sich unterwegs v o n selbst kläre. D i e inzwischen aufgetauchten Fragen u n d B e d e n k e n seien in zwei A n m e r k u n g e n z u s a m m e n g e n o m m e n . D i e eine G r u p p e v o n Fragen betrifft Nietzsche, d e n Dichter; die andere Nietzsches Verhältnis zu Hölderlin. W i r verstehen Nietzsche nicht deshalb als d e n dichtenden D e n k e r , weil sich in seinen Schriften u n d A u f z e i c h n u n g e n ein gestreute » G e d i c h t e « finden lassen u n d weil das W e r k » A l s o sprach Zarathustra« n a c h Sprache u n d F o r m einen durchaus dichtungsmäßigen E i n d r u c k m a c h t . W a r u m dies G e n a n n t e so ist, w i e es ist, können wir nur verstehen, w e n n wir wissen, in wiefern u n d in w e l c h e m Sinne das D i c h t e n in das D e n k e n Nietzsches gehört. D a s zuerst Nötige bleibt, Nietzsches D e n k e n n a c h z u d e n k e n . S o g a r Nietzsches e i g e n e A u s s a g e n ü b e r D i c h ten u n d D i c h t u n g sagen erst d a n n etwas, w e n n wir sie aus sei n e m D e n k e n begreifen, z . B . die f o l g e n d e A u f z e i c h n u n g aus d e m S o m m e r des Jahres 1 8 8 5 (Bd. XIV, n. 3 3 4 , S. 173): » D e u t s c h l a n d hat nur E i n e n Dichter hervorgebracht, au ßer G o e t h e : das ist H e i n r i c h H e i n e — u n d der n o c h dazu ein J u d e . . . «
Zweite Fassung der Manuskriptseiten 4 und 5
151
D i e s W o r t wirft ein seltsames L i c h t auf d e n Dichter G o e t h e . G o e t h e - H e i n e , » d e r « Dichter Deutschlands. W o bleibt Höl derlin, u m jetzt nur diesen zu n e n n e n , d a wir ihn d o c h mit Nietzsche z u s a m m e n s t e l l e n ? Hat Nietzsche d e n n
Hölderlins
D i c h t u n g überhaupt nicht gekannt?
Zweite Fassung der Manuskriptseiten Denken
und Dichten.
Überlegungen
[Vorfragen zur Besinnung
auf Denken
4 und 5 zw zur und
1
Vorlesung.
Dichten]
B e s i n n e n wir uns. B e s i n n e n wir uns auf das D e n k e n u n d auf das D i c h t e n . W i e vermöchten wir das anders d e n n so, daß wir d e m D e n k e n , was es sei, u n d d e m D i c h t e n , was es sei, u n d z u letzt d e m Verhältnis b e i d e r nachsinnen? W a s ist das D e n k e n ? Können wir uns die Antwort frei ausden k e n ? Was ist das D i c h t e n ? Können wir uns die Antwort frei er dichten? W i r m ü ß t e n d o c h bei s o l c h e m Vorgehen alsbald einer g r u n d l o s e n W i l l k ü r z u m Opfer fallen. W o ist d a n n aber, w e n n W i l l k ü r nicht sein darf, ein Maß, mit d e m wir d a s W e s e n des D e n k e n s u n d das W e s e n des Dichtens ermessen? W e n n es hier ein Maß gibt, w e r gibt es? W o finden wir u n d w i e finden wir das M a ß - G e b e n d e für unser N a c h s i n n e n , das sich auf das D e n k e n u n d das Dichten besinnt? A b e r es gibt d o c h ein einfaches Verfahren, durch das wir die s o e b e n vorgebrachten Fragen als k ü n s d i c h zurechtgemachte bloßstellen. W i r k e n n e n d o c h die lange u n d reiche G e s c h i c h t e des abendländischen D e n k e n s u n d seiner D e n k e r . W a s wir d a v o n nicht immittelbar k e n n e n , damit können wir uns mit Hilfe der historischen E r f o r s c h u n g der G e s c h i c h t e des D e n k e n s j e derzeit bekannt m a c h e n . D a wird uns das D e n k e n der einzelnen D e n k e r der G r i e c h e n vorgestellt; wir verfolgen die R e i h e der D e n k e r der Neuzeit. W e n n wir uns nicht auf die K e n n z e i c h [Vgl. S. 142M]
Anhang
152
n u n g eines einzigen D e n k e r s u n d seines D e n k e n s beschränken, sondern m e h r e r e D e n k e r u n d ihr D e n k e n vergleichen, dann sind wir auch s c h o n d a g e g e n geschützt, daß wir uns einseitig gar nur an einen einzigen D e n k e r halten, also ζ. B. alles P h i l o sophieren n a c h der P h i l o s o p h i e Kants beurteilen u n d nur das D e n k e n Kants für das D e n k e n ausgeben. Ü b e r b l i c k e n wir gar n o c h vergleichend die gesamte G e s c h i c h t e des D e n k e n s v o n Thaies bis zu Nietzsche,
dann fällt uns fast w i e v o n selbst die all
g e m e i n e Vorstellung d a v o n , was das D e n k e n der D e n k e r sei, unmittelbar zu. D a s G l e i c h e gilt für die B e s t i m m u n g dessen, was das D i c h t e n sei. D i e literarhistorische F o r s c h u n g gibt uns vielfältige Mittel an die H a n d , u m das D i c h t e n der Dichter v o n Homer
bis Rilke kennenzulernen u n d durch die v e r g l e i c h e n d e
Betrachtung festzustellen, was das D i c h t e n i m a l l g e m e i n e n sei. Vergleichen wir dann zuletzt das s c h o n durch das Vergleichen g e w o n n e n e a l l g e m e i n e W e s e n des D e n k e n s u n d des Dichtens, d a n n muß das G l e i c h e u n d das Verschiedene des D e n k e n s u n d des Dichtens in die A u g e n springen. D a s ist der
natürlichste
W e g einer Besinnung auf das D e n k e n u n d das Dichten. J e d e r m a n n wird freilich z u g e b e n , daß diese v e r g l e i c h e n d e hi storische D u r c h m u s t e r u n g der gesamten G e s c h i c h t e des D e n kens u n d des Dichtens das Vermögen eines einzelnen M e n schen übersteigt. D i e s e A u f g a b e ist praktisch nicht zu leisten. D a r a n m a g es auch h e g e n , daß wir i m m e r nur
unbestimmte
w e c h s e l n d e Vorstellungen ü b e r das D e n k e n u n d das D i c h t e n i m Gebrauch haben. A b e r setzen wir einmal d e n Fall, die G e s c h i c h t e des D e n k e n s könne, insgleichen a u c h die Geschichte des Dichtens, in ihren G r u n d z ü g e n übersehbar g e m a c h t u n d für eine v e r g l e i c h e n d e Betrachtung z u m G r u n d e gelegt w e r d e n — d a n n dürfte d o c h die Frage erlaubt sein, w o h e r die historischen Darstellungen der G e s c h i c h t e des D e n k e n s u n d des Dichtens d e n n wissen, w e l ches D e n k e n u n d w e l c h e s D i c h t e n die G r u n d z ü g e v o n D e n k e n u n d D i c h t e n a m ehesten zeigen. W i e sollen wir dann überhaupt a u s m a c h e n u n d unterscheiden, was in die G e s c h i c h t e des D e n -
Zweite Fassung der Manuskriptseiten
4 und 5
153
kens und was in die G e s c h i c h t e des Dichtens gehört, w e n n wir nicht zuvor s c h o n wissen, was das D e n k e n und was das Dichten ist und w o r i n ihr Unterschied besteht? Das
Riesenunterneh
m e n , das die G e s c h i c h t e des D e n k e n s historisch vergleichend verfolgt u n d e b e n s o die G e s c h i c h t e des Dichtens, u m d a n n n o c h w i e d e r b e i d e » G e s c h i c h t e n « zu vergleichen, dieses R i e s e n u n ternehmen könnte ja keinen Schritt tun, w e n n nicht zuvor b e kannt wäre, was D e n k e n und was D i c h t e n und was ihr Unter schied sei. W e n n m a n aber zu s o l c h e n historischen Vergleichung e n dessen s c h o n zuvor bedarf, was sie allererst e r g e b e n sollen, w o z u d a n n n o c h das g a n z e U n t e r n e h m e n ? W e n n m a n s c h o n eine Vorstellung v o m D e n k e n u n d v o m D i c h t e n mitbringt, w o h e r sind diese Vorstellungen geschöpft, w o h e r haben sie das M a ß g e b l i c h e , das sie b e a n s p r u c h e n , w e n n sie als Leitfaden
der historischen
Durchmusterung
dienen?
D i e s e Fragen sind alt und kehren i m m e r w i e d e r überall dort, w o wir fragen: was dies u n d jenes sei. Sie betreffen j e d e Art des Vorstellens v o n D i n g e n u n d j e d e W e i s e des Erfahrens,
jeden
m e n s c h l i c h e n B e z u g zu d e m , was d e m M e n s c h e n b e g e g n e t . W o r a u f der M e n s c h trifft und was ihn selbst betrifft, das fällt i h m nicht zu u n d fällt nicht in ihn hinein w i e der R e g e n in die Traufe.
Was d e m
M e n s c h e n b e g e g n e t , d e m entgegnet
der
M e n s c h auch dort u n d dann, w o und w a n n er d e m A n s c h e i n n a c h sich g l e i c h g ü l t i g u n d passiv z u m B e g e g n e n d e n verhält. D e r M e n s c h entgegnet d e m B e g e g n e n d e n — dafür können wir a u c h sagen: D a s B e g e g n e n d e zeigt sich je u n d je in e i n e m b e stimmten Licht. Das B e g e g n e n d e k o m m t je u n d je aus einer b e stimmten G e g e n d , die das B e g e g n e n d e , w e n n es k o m m t , nie verläßt. Daß alles A n w e s e n d e u n d mit i h m alles K o m m e n d e und
G e h e n d e je in e i n e m b e s t i m m t e n
und
bestimmenden
L i c h t e erscheint, dies hat der D e n k e r , der Pfoton heißt, z u m er stenmal, angestoßen durch seinen L e h r e r Sokrates,
wahrhaft
g e s e h e n u n d d u r c h d a c h t u n d , was das E n t s c h e i d e n d e ist, zu er klären versucht. D i e v o n i h m g e g e b e n e Erklärung ist die L e h r e von d e n » I d e e n « — w e l c h e L e h r e seitdem alles D e n k e n des
154
Anhang
A b e n d l a n d e s beherrscht. G e m ä ß dieser L e h r e sagen wir auch in d e m uns vorliegenden Fall das s c h o n Gesagte in folgender Weise: U m in der G e s c h i c h t e dergleichen w i e » D e n k e n « u n d » D i c h t e n « anzutreffen
u n d als das G e n a n n t e
zu
erkennen,
m ü s s e n wir s c h o n eine » I d e e « v o m » D e n k e n « u n d eine » I d e e « v o m » D i c h t e n « haben. O h n e die » I d e e n « könnte d e m M e n schen nichts b e g e g n e n . O h n e die Ideen könnte der M e n s c h auch nicht d e m B e g e g n e n d e n entgegnen. Was aber sind die » I d e e n « ? W o haben sie ihren Ursprung? Von w o h e r h a b e n sie ihre G e l t u n g ? D i e s e Fragen hat schon Platon gefragt u n d seit d e m w e r d e n sie i m m e r w i e d e r in irgendeiner Weise gestellt. A n der Auffassung u n d D e u t u n g der Ideen, des Ideellen u n d des Idealen scheiden sich die Weltauffassungen u n d Stellungnah m e n heute n o c h . D e r » M a t e r i a l i s m u s « , der lehrt, daß die Ideen u n d alle Ideale nur nachträgliche Produkte der jeweiligen öko n o m i s c h - t e c h n i s c h e n Verhältnisse
o d e r der L e b e n s v o r g ä n g e
ü b e r h a u p t seien, könnte nicht der Materialismus sein, der er ist, o h n e d e n Anhalt an den Ideen. Jede Aktion u n d jede Passion des heutigen M e n s c h e n t u m s g r ü n d e t in einer ausgesprochenen oder u n a u s g e s p r o c h e n e n Voraussetzung v o n Ideen, o h n e daß wir wissen, was diese Voraussetzung selbst ist. Daß Ideen vor ausgesetzt sind in allem, ist die Tatsache aller Tatsachen. Sie läßt sich auch so u m s c h r e i b e n : D i e Ideen sind das, was als das Ideelle ü b e r das Sinnliche hinausliegt. B e z e i c h n e n wir das Sinnliche als das P h y s i s c h e . . .
Zwei fragmentarische
Fassungen der Manuskriptseite
i
12
a) Erste fragmentarische Fassung D o c h wir fragen ja nicht ins U n b e s t i m m t e u n d L e e r e . W i r fra g e n das dichtende D e n k e n der Metaphysik Nietzsches, worin 1
[Vgl. S. 128 f.]
Zwei fragmentarische
Fassungen
der Manuskriptseite
12
155
das g e d a c h t wird, wasjetzt ist, das S e i e n d e n ä m l i c h in s e i n e m Sein. W e l c h e s W e s e n zeigt dieses Sein des S e i e n d e n , das jetzt ist? W a s ist das S e i e n d e u n d wie ist es, das uns bis ins H e r z und aufs Blut, durch M a r k und Bein, i m Geist u n d aus der S e e l e an geht, o b wir es w a h r h a b e n w o l l e n o d e r nicht, o b wir ihm aus d e m W e g o d e r e n t g e g e n g e h e n , gleichviel o b wir i m m e r n a c h einzelnen V o r k o m m n i s s e n innerhalb des S e i e n d e n , an d e n zu nächst sich aufdrängenden
Zuständen
des S e i e n d e n
hängen
b l e i b e n , gleichviel o b wir i m m e r n o c h u n d i m m e r n u r . . . b) Z w e i t e fragmentarische
Fassung
W i r laufen j e d o c h bei s o l c h e m N a c h s i n n e n , selbst w e n n wir auf wichtige Fragen stoßen, i m m e r n o c h die Gefahr, daß wir, ins U n b e s t i m m t e u n d L e e r e hinausfragend, sogleich w i e d e r u m nur » ü b e r « das D e n k e n u n d das D i c h t e n » s p e k u l i e r e n « . M i t d e m Fragen ist es nicht getan, solange es z ü g e l l o s u n d die Spur ver liert o d e r gar nicht erst findet. Selbst die allerwichtigsten Fra g e n sind nur echte, d. h. n a c h ihrem M a ß entsprungene Fragen, w e n n sie in d e m einen Spielraum der einen Frage gefragt sind, die lautet, was ist jetzt? D a s ist die Frage des D e n k e n s , des j e weils jetzigen D e n k e n s . »Jetzt«, das m e i n t jeweils die Z e i t derer, die »jetzt« sagen. »Jetzt«, das m e i n t unsere Z e i t , die Z e i t , in die wir gehören. D i e Z e i t , in die wir gehören, das ist die Z e i t , in der es für uns Z e i t ist, die Z e i t , in der wir es nicht v e r s ä u m e n d ü r fen. Was » e s « ? D a s , w o r a u f alles a n k o m m t : das G a n z e , was a n k o m m t , uns z u k o m m t : das Sein. W i r gehören in unsere Zeit, w e n n es für uns g e m ä ß dieser Z e i t Zeit wird — w e n n wir das d e n k e n , was jetzt ist. Es ist Z e i t für uns, das sagt, daß die Z e i t ü b e r uns w e g reicht und aus ihrer Weite uns in d e n A n s p r u c h n i m m t , damit wir uns nicht versäumen. D a s »Jetzt«, unsere Z e i t , ist die w e i t r e i c h e n d e Zeit. D i e über
uns w e g r a s e n d e , aber a u c h e b e n ü b e r uns w e g r e i
c h e n d e Z e i t ist die Neuzeit. Historisch r e c h n e n d —. D a s »Jetzt« m e i n t nicht nur d e n v o r d e r g r ü n d i g e n Z e i t p u n k t
Anhang
156
der gegenwärtigen Weltgeschehnisse. Das »Jetzt« meint dieses 20. Jahrhundert und die drei Jahrhunderte zuvor. D i e s e sind für die historische Betrachtung das Vergangene. F ü r die geschicht liche Erfahrung aber sind sie jetzt n o c h , ja vielleicht jetzt erst.
Notizen zur Vorlesung: Einleitung Denken
in die Philosophie.
Denken
und
Dichten
und Dichten — je ein Sinnen, je ein Sagen: das sinnende
Wort. D i e D e n k e r und die Dichter, die sinnend S a g e n d e n und die sagend S i n n e n d e n . Dionysos
das unbedingte Ja z u m Sein des Seienden; daß i m
G a n z e n des S e i e n d e n sich alles erlöst und bejaht; nichts Verbo tenes m e h r — außer der S c h w ä c h e ; Tatendrang der Stärke. D i e ses Ja — das Dionysische. D i o n y s o s — als N a m e des G l a u b e n s an das Ja z u m W i l l e n z u m W i l l e n . Wille zum
Willen. D e r Höchste heißt — sein g e g e n die tiefste
S c h w e r m u t . D e r U b e r - m u t des U b e r - m e n s c h e n , vgl. Bd. XII, S. 3 9 7 , 4 0 1 . Die zu dichtende
Gestalt des Zarathustra
metaphysisch die ein
zige Möglichkeit, d e m n o c h Verborgenen zu antworten, daß das Sein das M e n s c h e n w e s e n
braucht.
In der V o l l e n d u n g k o m m t dies in der äußersten Unkenntlich keit heraus. S o z u e i g n e n d ist das Ereignis während als Enteig nung. Im R ü c k e n des Willens zur M a c h t steht die Furcht vor d e m Nichts, w e l c h e s Nichts vor d e m W i l l e n steht als das von i h m nicht eigentlich Wißbare, aber ausschließlich G e w o l l t e .
Notizen
157
zur Vorlesung
D i e e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n und das Gleiche. Das G l e i c h e u n d die » L o g i k « , vgl. » D i e fröhliche Wissenschaft«, n. 1 1 1 . Wiederkunftslehre, vgl. B d . XIV, S. 2 6 4 , 2 6 7 . D i e e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n D i e e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n u n d der Ausblick in die un b e d i n g t e L e e r e d e r Gleichförmigkeit des bloßen » I m m e r w i e d e r « . S o außerhalb des Fortschritts, aber auch des e n d l i c h e n Aufhörens. Einzig gilt, daß der W i l l e will u n d w o l l e n kann sein Wollen. W o h e r u n d wie ist das » W i e d e r « — iterum — n o t w e n d i g ? Sonst d o c h gerade nie, zu keiner Zeit. D a s S e l b e — » d a s G l e i c h e « u n d das » S e l b e « . Das A u s w e i c h e n v o r d e m u n u m g ä n g l i c h e n Seinswesen, in das der W i l l e zur M a c h t sich selbst h i n e i n w o l l e n muß, so zwar, daß er i m W o l l e n d e r e w i g e n W i e d e r k e h r des G l e i c h e n erst sich selbst in der höchsten
unbedingten
(d. h. schlechthin durch d e n
W i l l e n zur M a c h t selbst bedingten) B e d i n g u n g will. In d e r ewi g e n W i e d e r k e h r das unbedingte S i c h w o l l e n des Willens zur M a c h t . D i e e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n als der W i l l e z u m Willen. D e r G e d a n k e v o n d e r ewigen W i e d e r k e h r des G l e i c h e n : »Eine
Wahrsagung«.
1. Vorher-sagen
— Voraussagen — V o r w e g d e n k e n — Vorweg-
-nehmen — Vor-weg-wollen — »eine
Prophetie«,
(Bd. X V I ,
S. 4 1 3 ) . D e r höchste, längste W i l l e . D a s e i g e n d i c h e Werk i m W i l l e n z u m W i l l e n , der jenes will, was d e n W i l l e n zur M a c h t n o c h bedingt als das Unbedingte
— sich b e d i n g e n d e . — »Voraus«-
w o l l e n gehört z u m W o l l e n als Befehl: Vor- u n d Ubergriff. 2. U n d so das Wahre des Seins sagen — was der W i l l e zur M a c h t als Sein ist. Die Auslegung
des Seins. Werte aber Sein als
W i l l e z u m W i l l e n . W i l l e - Subjektivität; Actualitas - ενέργεια; A n w e s e n h e i t — ουσία: d i e ständige A n w e s e n h e i t als W i l l e ist nur als W i l l e z u m W i l l e n .
Anhang
158
Das Nichts des Seins (im Sinne der Metaphysik — ουσία — φ ύ σις). D i e Ziellosigkeit des W i l l e n s zur M a c h t selbst — der » n u r « sich will. Das Nichts
des Seins aZs Sein. H i e r die v e r b o r g e n e
» W i e d e r k e h r « , daß das Nichts n o c h ins Sein will u n d w o l l e n muß — so sehr ist W i l l e . » D a s Nichts« — das bloße Nicht des Sei e n d e n — die L e e r e — das Verneinte im hellen N e i n . Das Nichts — als das Nicht der Ziellosigkeit, diese als das einzige Ziel, das b e jahte Nichts. D e r radikale Nihilist, vgl. » D e r W i l l e zur M a c h t « , n. 2 5 , 1887: » D i e Ziellosigkeit an sich« das gesuchte
Ziel, d . h . d e n
Willen zur M a c h t in seinem W e s e n als Sein denken. D a s Äußerste — das Nichts wollen, um zu wollen. D e r extrem ste Nihilismus u n d der radikalste sind derselbe, nicht U m k e h r , s o n d e r n ? ? - , sondern der höchste Aufstand des animal ratio nale in d e n höchsten Gipfel des Wesens des Willens als des W i l lens z u m W i l l e n . Dieser Aufstand ein » Ü b e r sich hinaus« des bisherigen M e n s c h e n , nicht in R i c h t u n g der bisherigen morali schen Transzendenz, sondern ü b e r sich hinaus ü b e r das bishe rige n o c h nicht in sein Äußerstes gedachtes
Wesen.
Das Ja zur e w i g e n W i e d e r k e h r des G l e i c h e n , zur u n b e d i n g ten Wahrheit, Beständigkeit des in seiner Wahrheit n o c h u n g e g r ü n d e t e n Seins i m S i n n e der beständigen
Anwesenheit
(vgl.
» D e r W i l l e zur M a c h t « , B d . X V , n. 1061), diese in der äußersten Gestalt des W i l l e n s z u m W i l l e n (vgl. ebd., n. 1041). D i e e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n nicht durch »Beschrei b u n g « , auch nicht durch » E r k l ä r u n g « a m S e i e n d e n festgestellt und
errechnet,
sondern w i e alle Wahrheit v o m S e i e n d e n :
ύπόθεσις, sagt Platon. A b e r was heißt das? I m B u c h das » G e d i c h t e t e « der W i l l e zur M a c h t ; dieser als ου σία, actualitas, Gegenständlichkeit. D i e extremste F o r m des Nihilismus! — inwiefern hier das Nichts gewollt? D a s unbedingte Seienden?)
Nichts ( w o v o n ? — von
welchem
erfahren, gewollt u n d in d i e s e m W o l l e n n o c h das
Sich-selbst-wollen. »Die Wiederkehr* — Wiederkunft
— geschichtslos;
die leere »Ite-
159
Notizen zur Vorlesung
ration« des leeren Kreisens. Gegen
die Einsinnigkeit
der meta
physischen Z e i t — u n d d o c h » Z e i t « , aber unerfahren in ihrem W e s e n als Wahrheit. D e r Wille zur Macht als der Wille zum
Wil
len — darin das Kreisen, circulus. I m » R ü c k e n « des W i l l e n s zur M a c h t die Furcht? » I m R ü k k e n « , nie i m Angesicht
steht das Nichts; vor diesem sich fürch
tend als das M ü s s e n , bejaht es der W i l l e u n d nennt das seine Freiheit. D e r W i l l e zur M a c h t — die e w i g e W i e d e r k e h r des G l e i c h e n D a s Tragende u n d B e s t i m m e n d e seines D e n k e n s ist der G e danke, den Nietzsche selbst » d e n G e d a n k e n der G e d a n k e n « nennt. Das ist der G e d a n k e der e w i g e n W i e d e r k e h r des G l e i c h e n . U n d » d e r W i l l e zur M a c h t « ? Soll nicht dieser der G r u n d zug des Seienden sein? Ist d e n n nicht der G e d a n k e des W i l l e n s zur M a c h t der G e d a n k e der G e d a n k e n ? — In der e w i g e n W i e d e r k e h r des G l e i c h e n wird die v o n Nietz sche erfahrene Heimatlosigkeit des Aufstandes in d e n W i l l e n zur M a c h t als » d i e H e i m a t « gedacht. — Darin ist die äußerste Heimatlosigkeit erreicht; sie entspricht, unerkannt u n d uner kennbar in ihrem W e s e n für das metaphysische D e n k e n , der letzten Seinsverlassenheit des S e i e n d e n u n d der Seinsverges senheit des M e n s c h e n w e s e n s . Wiederkehr
als ü b e r h o l u n g s l o s e , ungeholte Eintönigkeit des
einmal G e s c h e h e n e n , u n g e s c h i c h ü i c h , dinghaft; die Beständi g u n g durch bloße Iteration, u n d zwar die Beständigung
als
Wille zur Macht (überhaupt z u m voraus des Werdens), damit der W i l l e W i l l e sein kann, u n d zwar in einer Weise, daß dasjenige, was ihn als W i l l e ermöglicht, u n d d. h. beständigt, selbst solches ist, was nur i m höchsten W i l l e n zur M a c h t i m entschiedensten, unbedingten Herrseinwollen g e d a c h t u n d als Sein v e r n o m m e n w e r d e n kann. Der Gedanke
der Gedanken,
der G e d a n k e der e w i g e n W i e
derkehr des G l e i c h e n , ist dieser G e d a n k e der
unbedingten
Anhang
!(><)
Herrschaft
nicht nur
ü b e r das S e i e n d e , sondern ü b e r das
Sein. W i e hier der W i l l e zur M a c h t n o c h wiederkehrte im D e n k e n dessen, was ihn selbst ermöglicht. W i e der Wille zur Macht hier i m Höchsten sich selbst will u n d er selbst ist. D a r u m das Ver hältnis v o n Wille zur M a c h t und ewiger W i e d e r k e h r des G l e i chen nicht äußerlich zu n e h m e n .
Erläuterung
des
Nachlaßverwalters
Die im folgenden als Faksimile abgedruckten handschriftlichen Anzeigen Mar tin Heideggers hingen als letzte Vorlesungs- und Seminar-Ankündigungen am Schwarzen Brett in der Freiburger Universität und wurden nach dem Bomben angriff vom 27. November 1944 auf Freiburg versengt und verkohlt von Unbe kannt geborgen. Sie gelangten sehr viel später von einem älteren Ehepaar aus der Umgebung Meßkirchs in die Hand des Meßkircher Bürgermeisters Rauser, der sie am 13.9. 1989 dem Meßkircher Martin-Heidegger-Archiv übergab. Die Handschrift wurde zur besseren Lesbarkeit übertragen. Sie ist um etwa 2 0 Prozent verkleinert.