Der erste Handatlas in Lexikonformat der Nachkriegszeit bringt 160 Kartenseiten und 160 Seiten geographisch-statistisch...
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Der erste Handatlas in Lexikonformat der Nachkriegszeit bringt 160 Kartenseiten und 160 Seiten geographisch-statistischen Text; er befriedigt bei populärer Darstellung auch hohe Ansprüche. Den Inhalt der Karten bestimmten führende deutsche Geographen. In Halbleinen DM 2'i.— evtl. in Raten: Anzahlung DM 8 50 - 4 Münalsraten ä DM 5.—
Bitte, wenden Sie sich an un?.
K L E I N E B I B L I ' O T H E K DES W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E-H E F T E
CHRISTIAN' JE N S S E N
FRIEDRICH
Digitally signed by Mannfred Mann DN: cn=Mannfred Mann, o=Giswog, c=DE Date: 2005.09.18 13:24:06 + 01'00'
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-INHALT, -
DES H E F T E S 89
Des Dichters Leben - ein Kunstwerk — Hebbels Eltern — Schulzeit in Wessel"buren — Jugendjahre — Aufbruch nach Hamburg — Elise Lensing — Wanderjahre — Bedrängte Jahre — Erste Erfolge — Im Süden — Lebenswende in Wien — Auf eigenem Grunde — Reise- und Werkfreuden — Höhe des Lebens und Tod
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU/MÜNCHEN
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Stube in Hebbels Geburtshaus
Des Dichters Leben - ein Kunstwerk Die Lebensart und der Lebensweg eines Dichters hinterlassen gewöhnliA in seinem Werk mehr oder weniger deutliche Spuren. Wenn wir unter diesem Gesichtspunkt sein Leben betrachten, lernen wir sicherlich sein Werk besser verstehen. Bei wenigen Dichtern geben sich die Spuren des Lebenskampfes in Gedichten, Schauspielen und Erzahlungen so auffallend zu erkennen wie bei Friedrich Hebbel. Ja, man konnte behaupten: wer von seinein Leben nichts weiß, dem fällt es sehr schwer, in sein Werk einzudringen und dessen Eigenarten gerecht zu beurteilen. Wenn wir nur an das eine Wort denken, das er einmal über sich selbst gesagt hat: „Wohl weiß ich, daß ich in ganz Deutschland als schroff und unzugänglich verschrieen bin", so läßt sich diese tatsächlich unverkennbare Seite seines Wesens, die zugleich eine Eigenart seines Werkes ist, nur aus seiner Herkunft und aus seinein schweren, dornenvollen Lebensweg erklären. Man kann das Leben eines Dichters auch noch von einem anderen Gesichtspunkt aus betrachten: man kann davon ausgehen, daß der Dichter nicht nur sein Werk, gondern auch sein Leben zu einem Kunstwerk gestaltet, und kann nun versuchen, die
besonderen Merkmale und Schönheiten, vielleicht auch die schwachen Stellen dieses Lebens-Kunstwerkes darzustellen. Auch unter diesem Gesichtspunkt wird uns Hebbels Leben als bedeutend und einzigartig erscheinen. Dieser Dichter, t"er sich aus engsten und ärmlichsten Verhältnissen wahrlich aus eigener Kraft zu den Höhen der großen Kunst und des Ruhms emporgearbeitet hat, hat das Kunstwerk seines Lebens in seinem Tagebuch, das er vom 23. Jahr bis zum Lebensende führte, dem „Notenbuch seines Herzens", wie er es nannte, mit allen Erhebungen und Erniedrigungen, mit allen Wundern und Unvollkommenheiten überaus eindrucksvoll, nachgezeichnet. Aber, so möchte man nach dem Einblick in sein Leben fragen, war es wirklich nur sein eigener Einsatz, der ihm ermöglichte, seine Lebensaufgabe, die dichterische Sendung, deren er sich so früh, so stolz und so selbstsicher bewußt wurde, mit solcher Zähigkeit und Folgerichtigkeit zu erfüllen? Fühlte er sich nicht mehr als einmal in äußerer und innerer Not und vor scheinbar unüberwindlichen Hindernissen am Ende seiner Kraft? Und waren es dann nicht immer wieder die guten Helfer, Freunde und besonders Frauen, die ihm mit ihren Kräften, mit ihrer Liebe den weiteren Weg bahnten? Ja, dürfen wir nicht auch von göttlicher Gnade sprechen, die ihm über alle Bedrängnisse und alle Schwächen hinweg seine innerste Sehnsucht erfüllen half, unsterbliche Werke zu schaffen? Nun, Hebbel selbst hat in seinen Tagebüchern und Briefen dieser Hilfen und dieser Gnade offenkundig und dankbar genug gedacht, und seine eigenen Bekenntnisse wurden uns Lügen strafen, wenn wir jene Fragen verneinten. Indessen steht es außer allem Zweifel, daß ihm diese Hilfen und diese Gnade nicht zuteil geworden wären, wenn nicht seine eigene Kraft und sein eigener unbändiger Lebens- und Schaffenswille stark genug gewesen wären, sie an sich zu ziehen. Und deshalb leuchtet gerade über seinem Leben mit höchstem Recht das Leitwort „Aus eigener Kraft".
Hebbels Eltern Hebbels Vater, Claus Friedrich Hebbel, war Maurer und arbeitete als Tagelöhner in Wesselburen, das damals ein Marktflecken war und heute ein regsames Landstadtchen ist, in der Landschaft Ditly marschen zwischen der Stadt Heide und der schleswig-holsteinischen Westküste gelegen. Die Mutter hatte ein kleines Haus mit in die Ehe gebracht. Hier, vor allem in dem dazugehörigen Obstgarten, verlebte der kleine Christian Friedrich, der am 18. März 1813 geboren wurde, glückliche Tage der frühen Kindheit. Er erinnerte sich
in späteren Jahren noch an jede Einzelheit dieser freundlichen Umgebung: an die Mitbewohner des elterlichen Hauses, die sich nicht minder liebevoll wie die Eltern um ihn und seinen 181^ geborenen Bruder Johann Hinrich kümmerten, an die Nachhargärten eines fröhlichen, leutseligen Tischlermeisters, eines strengen Pfarrers, eines verdrießlichen Weißgerbers, der so aussah, „als ob er einen verzehrt hätte lind den anderen eben heim Kopf kriegen und anbeißen wollte", und eines protzigen Milchhändlers; und immer stand ihm der unheimliche ~alte Brunnen mit seiner bemoosten, schadhaften Bedachung vor Augen, der die Grenze zwischen dem Garten und dem Nachbargrundstück bildete. Der Verdienst von Hebbels Vater war und blieb gering; er war ein fleißiger und redlicher Arbeiter, aber es fehlte ihm der» innere Antrieb, sich emporzuarbeiten. So lebte die Familie von der Hand in den Mund. Und als nun gar das eigene Häuschen, das durch die Vermietung einiger Räume einen bescheidenen Nebenverdienst einbrachte, durch leichtsinniges Verschulden des Vaters — er hatte für die Schulden eines Zuchthäuslers eebürgt. die dieser dann nicht bezahlte — verloren ging, geriet die Familie in bittere Armut und Not. Sie mußte in eine billige, unbehaeliche Mietswohniing ziehen, und es fehlte nicht nur an den notdürftigsten Kleidungsstücken, sondern oft genug selbst am trockenen Brot für die beiden Jungen. Diese Armut bedrückte den Vater sehr. Er wurde
Schulzeit in Wesselburen Schon mit vier Jahren kam Hebbel in eine Kleinkinderschule, die sogenannte Klippschule. Als Schulstube diente ein großer, ziemlich dunkler Saal, in dem Kinder verschiedenen Alters auf Bänken saßen,
die Jungen auf der einen, die Mädchen auf der anderen Seite. Die Lehrerin, ein älteres Fraulein mit Namen Susanna, groß und kräftig von Gestalt, saß in der Mitte des Saales in einem altmodischen Lehnstuhl, vor einem Tisch, auf dem sich die Schulbücher häuften. Sie rauchte aus einer weißen Tonpfeife und hatte immer eine Tasse Tee vor sich stehen. Daneben lagen eine Tüte voll Rosinen und ein LineaL Die Kinder, die ihre Aufgabe fleißig gelernt hatten, bekamen ein paar Rosinen, die anderen ein paar Schlage mit dem Lineal auf die Hand. Die Kinder der Wohlhabenden wurden vorgezogen, weil die gering besoldete Lehrerin von deren Eltern neben dem spärlichen Schulgeld, das arme Eltern kaum aufbringen konnten, Geschenke erwartete, die aus Nahrungsmitteln oder Kleidungsstücken bestanden. Den kleinen Friedrich Hebbel behandelte Susanna, obwohl sie von seinen Eltern nur jedes Jahr einen Teil der Ernte eines großen Birnbaums zum Geschenk erhielt, nicht unfreundlich, weil er leichter und besser als die meisten lernte. Aber je länger er in die Klippschule ging, desto klarer erkannte er, wie unterschiedlich und ungerecht sie die Kinder behandelte; und das erregte seinen Zorn und machte ihn schon früh mißtrauisch gegen den Charakter der Menschen. Von einem schauerlichen Erlebnis in dieser Schule erzählt Hebbel in seinen Jugenderinnerungen: „Es war ein schwüler Sommernachmittag. Wir Kinder saßen träge und gedrückt mit unseren Katechismen oder Fibeln auf den Banken umher. Susanna selbst nickte schlaftrunken ein und ließ uns die Spaße und Neckereien, durch die wir uns wach zu erhalten suchten, pachsichtig hingehen. Nicht einmal die Fliegen summten, bis auf die ganz kleinen, die immer munter sind, als auf einmal der erste Donnerschlag erscholl und im wurmstichigen Gebälk des alten Hauses schmetternd und krachend nachdrohnte. Es folgte nun ein Schloßengeprassel, welches in weniger als einer Minute alle Fenster an der Windseite zertrümmerte, und gleich darauf, ja dazwischen, ein Regenguß, der eine neue Sündflut einzuleiten schien. Wir Kinder, erschreckt auffahrend, liefen schreiend und lärmend durcheinander; Susanna selbst verlor den Kopf, und ihrer Magd gelang es erst, die Läden zu schließen, als nichts mehr vor der hereingebrochenen Überschwemmung zu retten war. In den Pausen zwischen dem einen Donnerschlag und dem anderen faßte Susanna sich zwar notdürftig wieder und suchte ihre Schützlinge, die sich, je nach ihrem Alter, entweder an ihre Schürze gehängt hatten oder sich mit geschlossenen Augen in die Ecken kauerten, nach Kräften zu trösten und zu beschwichtigen. Aber plötzlich zuckte wieder ein bläulich flammender Blitz
durch die Ladenritzen, uiidWe'lftt'äie't-rstarh-'iSr auf den Lippen, während die Magd, fast so ängstliA wie das jüngste Kind, heulend autkreischte: ,Der liebe Gott ist böse!' und, wenn es wieder finster im Saal wurde, griesgrämliA hinzusetzte: ,Ihr taugt auch alle nichts!' Dies Wort, aus so widerwärtigein Mund es auch kam, machte einen tiefen Eindruck auf mich, es nötigte mich, über mich selbst und über alles, was mich umgab, hinaufzublicken, und entzündete den. religiösen.Funken in mir." ' Noch manche anderen Erlebnisse in der Kleinkinderschule blieben .Friedrich Hebbel unvergeßlich. Die Grausamkeit einiger Mitschüler, die auf die roheste Weise Tiere quälten, oder die ihn bei Susanna' anzeigten wegen kleiner Vergehen, zu denen sie ihn vorher überredet hatten, machte ihm schwer zu schaffen. Überhaupt sind es fast immer enttäuschende Erlebnisse, von denen er berichtet. Ein-, mal hatte er ein gleichaltriges kleines Mädchen besonders liebgewonnen, und als dieses von einein anderen Jungen gestoßen und geschlagen wurde, daß ihr der Mund blutete, hieb er in wilder Wut auf den Mitschüler ein. Doch das Mädchen war ihm keineswegs dankbar für seinen Beistand, sondern sogar empört über seine Einmischung und rief um Hilfe für den, der ihr wehgetan hatte; und so wurde der kleine Friedrich für seinen Ritterdienst von Susanna mit Schlägen belohnt. Ein anderes Mal wollte er es denen nachtun, die damit prahlten, daß sie unbemerkt die Schule schwänzten und wunderbare Abenteuer im Freien erlebten. Aber ein alter Junge, der ihn dazu ermuntert und ihm geholfen hatte, ein geeignetes Versteck zu finden, lief dann zu Friedrichs Mutter und teilte ihr schadenfroh mit, wo ihr Junge sich aufhalte; und die Strafe war sehr hart. Ob es "nun so war, daß diese und spätere Enttäuschungen Friedrich Hebbel verbitterten, ihn verschlossen und mißtrauisch gegen die Mitmenschen machten, oder ob sein Wesen von vornherein so düster und hart war, daß er die schmerzlichen Erfahrungen des Lebens eher und tiefer in sich aufnahm als die freudigen, — diese Frage läßt sich wohl kaum ganz eindeutig beantworten. Als Hebbel sechs Jahre alt war, hatte er das Glück, in eine regelrechte Volksschule zu kommen, die damals gerade in Wesselbur.en eingerichtet wurde. Sein Lehrer Dethlefsen war ein tüchtiger und gewissenhafter Schulmeister, dem er für seine weitere Entwicklung, besonders durch gründliche Unterweisung in den grammatischen Feinheiten der deutschen Sprache, viel verdankte. Er kümmerte sich auch außerhalb der Schule um den lernbegierigen Jungen, nahm ihn häufig zu sich ins Haus und versorgte ihn mit Lesestoff aus seiner eigenen kleinen Bücherei. Dadurch wurde die an sich schon lebhafte.
Phantasie des Knaben .weiter angeregt, und er begann schon früh, sich an eigenen Versen zu versuchen, ja er schrieb sogar einmal, noch während der Schulzeit, ein Trauerspiel mit dem Titel „Räuber-^ haaptmann Evolia", das jedoch die Mutter zur Strafe für eine Unart verbrannte. Im übrigen aber hatte gerade die Mutter viel Verständnis für seine Eigenart. Während der Vater unbedingt einen Maurer aus ihm machen wollte und den Zwölf- oder Dreizehn- ~ jährigen schon mit auf die Baustellen nahm, setzte sie es immer wieder durch, daß er Zeit zum Lernen fand, und ließ es gerne zu, daß ein in Wesselburen ansässiger Maler ihm unentgeltlich Unterricht im Zeichnen erteilte. Sie pflegte jeden Abend aus einem alten Andachtbuch vorzulesen, und als der kleine Friedrich dabei einmal das schöne Abendlied „Nun ruhen alle Wälder" von Paul Gerhard , hörte, war er von den Versen „Die güldnen Sternlein prangen Am blauen Himmelssaal" so ergriffen, daß er sich zum Erstaunen der Mutter das Lied wohl zehnmal wiederholte. Hier ging ihm, wie er später nieinte, zum erstenmal das reine und hohe Wunder der Dichtkunst auf. Über einige Erlebnisse seiner Kindheit hat Hebbel später erzählende Gedichte geschrieben, die uns nicht nur mit Einzelheiten der äußeren 'Lebensumstände vertraut machen, sondern auch einen Blick in seine trotz aller Schroffheit doch zarte Seele tun lassen. So schildert er in dem Gedicht „Schau ich in die tiefste Ferne" seinen Kummer um den Verlust eines Hundes, der sein ganzes Glück bedeutete, den aber die Eltern nicht mehr ernähren konnten. Ein •anderes Gedicht, „Aus der Kindheit", erzählt davon, wie er die Hauskatze, die ebenfalls abgeschafft werden mußte, ertränken sollte und sie nach vergeblichem Versuch, ihr bei anderen Leuten ein Unterkommen zu schaffen, auch wirklich ins Wasser warf, aber aus Mitleid gleich hinterhersprang, um sie wiederzuholen; dabei wäre er beinahe selbst ertrunken, wenn ihn nicht ein Nachbarjunge gerettet hätte. Besonders sAön ist auA das GediAt „Bubensonntag". Es handelt von der kindliAen EnttäusAung darüber, daß er den lieben Gott nie zu sehen bekam, obwohl er Sonntags in aller Frühe in die KirAe sAlüpfte, um mit ihm allein zu sein; das Traurigste war, • daß er stets vor Angst die Augen sAloß, wenn er einen geheimnisvollen Laut hörte, und naAher fest davon überzeugt war, daß Gott gerade in diesem Augenblick siAtbar an ihm vorübergegangen sei. Diese GediAte "haben bei aller Heiterkeit der Erinnerung einen sAwermütigen ünterton, und es geht dentliA aus
ihnen hervor, daß Hebbel schon in seiner Kindheit die Widerstände, die das Leben vor seinen stillen, bescheidenen Freuden aufrichtete, als besonders hart und bedrückend empfunden haben muß.
Jugendjahre Im November 1827 starb Hebbels Vater, und so wurde die Not der Familie noch größer. Die Mutter mußte die Winterkartoftetn opfern, um den Sarg bezahlen zu können. Friedrich war nun aus der Schule entlassen. Sein Lehrer Dethlefsen sorgte dafür, daß er als Laufjunge bei dem Kirchspielvogt Mohr unterkam. Er verdiente zwar Vorerst noch nichts, wohnte und aß aber fortan im Hause des Kirchspielvogts, der in jener Zeit so etwas wie der Gemeindevor Steher, Polizeibeamte und Dorfrichter in einer Person war. Friedrich erwies sich bald als ein brauchbarer Gehilfe; er durfte, da er im Deutschen sicher war und eine gute Handschrift hatte, gelegentlich schon Briefe abschreiben und wurde zwei Jahre später, nach seiner Konfirmation — damals wurden erst die Sechzehnjährigen einge-
Die Kirdispielvogtei m y?esselburen
segnet —, als Schreiber angestellt. Bis zu seinem 21. Lebensjahr blieb er in dieser Stellung. Während dieser ganzen Zeit überließ er einen großen Teil seines Verdienstes der Mutter. Hebbel hat von Mohr vieles gelernt, was ihm den schweren Lebenskampf in späteren Jahren etwas erleichtern half: Ordnungsliebe, Ausdauer, Selbstbeherrschung und die Kenntnis verschiedenartigster Lebensverhältnisse. Auch seine Sprachgewandtheit vervollkommnete er durch selbständiges Aufsetzen von Briefen und Schriftstücken. Wenn Hebbel später mit einer gewissen Unzufriedenheit auch auf diese Zeit seines Lebens zurückblickte und wenig freundliche Worte für seinen Vorgesetzten 'fand, so geht daraus nur hervor, daß Hebbel, der sich bald schon zu Höherem berufen fühlte, von der Enge der Wesselburener Verhältnisse mehr und mehr bedrückt wurde. Sicherlich hat es mitunter auch Mißverständnisse und Reibereien zwischen Mohr und Hebbel gegeben. Im allgemeinen herrschte jedoch ein gutes .Ein vernehmen, und der schönste Beweis dafür ist das vor". zügliche Zeugnis, das der Kirchspielvogt seinem Schreiber im Oktober 1834 ausstellte. Er bescheinigt ihm darin nicht nur Eifer, Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit im Dienst, sondern auch unbedingte Treue und Redlichkeit. Die Tätigkeit eines Kirchspielschreibers nahm nicht allzu viel Zeit in Anspruch. So konnte Hebbel nach Herzenslust seinen Liebhabereien nachgehen, und das heißt vor allem, daß er unermüdlich las, um seinen Bildungshunger zu stillen. Alle Bücher, deren er nur habhaft werden konnte, studierte er durch und durA. Und das waren nicht wenige. Denn der Kirchspielvogt besaß allein eine Bücherei von mehr als tausend Bänden aus den verschiedensten Wissenseehieten, darunter die Werke sämtlicher deutschen Klassiker. Darüber hinaus lieh Hebbel auch von anderen Mitbürgern Bücher aus, besonders von den beiden Pfarrern des Orte». Mehr und mehr fühlte er sich auch selbst schon gedrängt, Verse zu schreiben, und da er dann bald in den Ruf eines Verskünstlers kam, blieb es nicht aus, daß man ihn bei allen möglichen Anlässen um Gelegenheitsgedichte bat, die er bereitwillig lieferte. Hebbel sammelte in diesen Jahren einen stattlichen Freundeskreis um sich. Daß es bildungsbeflissene junge Männer waren, mit denen er siA zusammentat, ersieht man daraus, daß einer von ihnen später Konrektor, ein zweiter Arzt und ein dritter Postmeister geworden ist. Man veranstaltete Aussprache- und Leseabende und gründete ein Liebhabertheater, dessen Aufführungen in einem Stall stattfanden. Gelegentlich wurden dort auch erste kleine dramatische Versuche Hebbels gespielt. Nach und nach gesellten sich einige junge Mädchen
dem Freundeskreis zu. Für mehr alsi eine von ihnen erglühte der junge Dichter in stiller Neigung, und dieser idealen Schwärmerei verdanken wir seine frühen, zarten Liebesgedichte. Überhaupt entfaltete sich die dichterische Kraft in ihm immer stärker. Lange Zeit hindurch stand der junge Hebbel unter dem Einfluß Schillers. Aber wenn auch dag eine oder andere seiner ersten Gedichte an dessen schwungvolle Verskunst erinnert, so findet man doch auch darin schon deutliche Ansätze zu einer ganz eigenen Sprache. Später lernte er Ludwig ühlands Gedichte kennen und wurde von ihnen zu größerer Einfachheit des Empfindens und zum sehlichten Wohllaut der Verssprache angeregt.
Aufbruch nach Hamburg Obwohl Hebbel im Grunde zu den Menschen gehort, die langsam 'und spät reif werden, zeigt sich in den Gedichten des Zwanzigjährigen, wie z. B. „Die Schlacht bei Hemmingstedt", „Gott" oder „Proteus", schon eine erstaunliche Meisterschaft im Ausdruck selbständiger Gedanken und Empfindungen. Und es ist kein Wunder, daß man bald auch außerhalb Wesselburens auf ihn aufmerksam wurde. Zwei Hamburger Zeitschriften, die „Neuen Pariser Moden»blätter" und „Iduna", nahmen seit Ende 1831 ab und zu Gedichte und Erzählungen von ihm auf, und die Heransgeberin dieser Zeit. Schriften, Amalie Schöppe, eine kluge und rührige Frau, erkannte früh, daß hier ein überaus begabter junger Mensch in allzu engen äußeren Verhältnissen lebte, aus denen er befreit zu werden verdiente. Sie versuchte zunächst, ihm in Hamburg eine Stellung zu verschaffen, die es ihm ermöglichte, sich nebenher wissenschaftlich fortzubilden. Da das nicht gelang, sammelte sie unter wohlhabenden Freunden und Gönnerinnen Geldbeträge, die Hebbel in die Lage versetzten, sich an einer Gelehrtenschule auf das Universitätsstudium vorzubereiten. Daraufhin ermutigte sie ihn, seine Stellung als Kirchspielschreiber aufzugeben und nach Hamburg zu kommen. Sie besorgte ihm eine Wohnung, veranlaßte verschiedene Familien, ihm freien Mittagstisch zu gewähren, und fand einen jungen Mann, der sieh bereit erklärte, ihrem Schützling unentgeltlich Unterricht im Lateinischen zu geben. Hebbel entschloß sich, dieses Sprungbrett in die Freiheit mutig zu betreten, und reiste am 14. Februar 183S nach Hamburg. Es ist schade, daß Amalie Schöppe, die sicher eine gütige und verständnisvolle Frau war, doch nicht ganz das Gefühl für die inneren Bedürfnisse und den heimlichen Stolz des Zweiundzwanzigjährigen hatte. Sie erkannte wohl, d a ß seine ungewöhnliche10
Begabung gefordert werden sollte, doch in der Art und Weise, w i e sie ihn förderte, beging sie manchen Fehler. Sie begriff nicht, daß ein großes Zartgefühl dazu gehörte, einem innerlich so weit Fortgeschrittenen gesellschaftliche Manieren beizubringen; sie versta'nd auch nicht, daß ein junger Mann, der schon so viel von sich hielt, nur ungern sich mit so viel jüngeren Lateinschülern auf eine S^ufe stellte, daß es ihm schwer fiel, die Almosen der freien Mittagstische anzunehmen und über jeden Pfennig, den er »von dem geschenkten GeWe ausgab, Rechenschaft abzulegen.
Elise Lensing So- kam es, daß es nicht Amalie Schöppe, sondern eine andere Frau war, die Hebbel aus reiner Liebe, mit großen äußeren und inneren Opfern, in einem langen Zeitraum, wahrend dessen ihr Schicksal innig mit dem seinen verwuchs, schließlich zu der ersehnten Befreiung verhalf. Elise Lensing — so hieß diese Frau"— war dreißig Jahre alt, als der 22jahrige Hebbel in dem ärmlichen Hause ihres Stiefvaters und ihrer Mutter am Sladtdeich einquartiert wurde. Sie ha'tte sich aus dunklen, verworrenen Verhältnissen emporgearbeitet. Ihr Vater, ein Heilpraktiker, war geistesgestört und prügelte Frau und Tochter. Aber auch bei ihrem Stiefvater, einem Schiffszimmermann, hatte es Elise ursprünglich nicht gut. Sie ging daher in Stellung auf einen Gutshof. Da der Gutsherr Gefallen an ihrer Lernfreudigkeit und frischen Auffassungsgabe fand, ließ er sie auf einer höheren Töchterschule in Magdeburg ausbilden. Später war sie eine Zeitlang Lehrerin in Calbe, kehrte aber dann wegen Schwierigkeiten, über die wir nichts Näheres wissen, ins Elternhaus zurück, wo sie sieh, .unabhängig von dem Stiefvater, als Näherin und Putzmacherin ihr Brot verdiente. Elise Lensing war ein ernstes, zurückhaltendes und nicht ungebildetes Mädchen. Jedenfalls war sie die erste, die das Außerordentliche an Hebbels Wesen, seinen unruhigen, ideenreichen Geist, seine schöpferische Kraft vollkommen verstand und die sich nicht davon abstoßen ließ, daß seine Haltung auch ihr gegenüber schroff, herrschsuchtig, nicht selten verletzend war. Das dankte er ihr mit Vertrauen, mit der Mitteilung seiner heimlichsten Gedanken und mit einer warmherzigen Zuneigung. Auf diese Weise entstand
ohne seine Schuld — seinem Aufstieg entgegenstellten. Ihre Zuneigung hat mehrjähr?ge Trennungen, gemeinsame Not und manche Schicksalsschläge überstanden. Viele Zeugnisse aus Hebbels Hand beweisen, daß er bei Elise Lensing ein Verständnis für seine Pläne und Ziele, eine Bereitschaft, seine Dichtungen aufzunehmen, eine Hingabe und Güte fand, deren ein gleichaltriges oder jüngeres, weniger reifes Mädchen nur in den seltensten Fällen fähig gewesen wäre. Er gestand ihr" denn auch später in einein Brief: „Ich darf es wahrlich für das größte Glück meines Lebens halten, daß ich mit Dir zusammen gekommen bin; Du gewährtest mir in Hamburg, wo mich niemand verstand, Teilnahme, Anregung und Trost, Du standest mir zur Seite in meinen schlimmsten Stunden und riefst meine •Aonsten hervor."
Wanderjahre Als Hebbel am 27. März 1836 mit dem Rest der Hamburger ünterstülzungsgelder zu Fuß nach Heidelberg aufbrach, um sich dort dem Studium der Rechtswissenschaft zu widmen, ging er nur deshalb -in die Fremde, weil ihm die Abhängigkeit von seinen „Wohltätern" unerträglich geworden war und weil er sich um seines Stolzes willen davon befreien mußte. Hebbel lebte in Heidelberg äußerst zurückgezogen und sparsam, nicht zuletzt auch, um trotz der eigenen Armut seiner Mutter noch beistehen zu können. Monatelang leistete er sich kein warmes Mittagessen und begnügte sich mit trockenem Brot. Er besuchte fleißig die juristischen Vorlesungen an der Universität und beschäftigte sich nebenher eingehend mit den Werken von Shakespeare, Goethe, Jean Paul und Ludwig Borne, und im stillen arbeitete er an der Vervollkommnung seiner eigenen Lyrik. In einem Mitstudenten namens Emil Rousseau, der ebenfalls Schriftsteller werden wollte, gewann er einen edlen und treuen Freund, der ihn aufrichtig bewunderte. Ihm und Elise Lensing verdankte er es, daß er sich nicht allzu verbittert vor den Menschen verschloß. Bis zum September 1836 blieb Hebbel in Heidelberg. Dann gab er auf den Rat eines Universitätslehrers, der ihm sagte, er würde auf dem Gebiet des Schrifttums sicher Bedeutenderes leisten können als in der Rechtslehre, das Studium auf und wanderte nach München in der Hoffnung, dort als Schriftsteller und Berichterstatter für Zeitungen seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Diese Hoffnung wurde immer wieder enttäuscht. Und Hebbel wäre gerade während der folgenden zweieinhalb Jahre in die bitterste und ausweglose Not geraten, wenn ihm nicht Elise Lensing unermüdlich und . -
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aufopfernd beigestanden hätte. Schon für den neuen Anfang in München schickte sie ihm die beträchtliche Summe von 100 Talern. Und obwohl sie sich von Monat zu Monat nach seiner Heimkehr sehnte und er sie immer wieder vertröstete, ließ sie nicht ab, ihm liebevolle und aufmunternde Briefe zu schreiben. Da sie wußte, daß kleine Annehmlichkeiten, Genüsse und ein tadelloser Anzug ihm brotuötig waren, arbeitete sie Tag und Nacht für ihn, sparte alles entbehrliche Geld und schickte es ihm, um ihm das Leben zu erleichtern und zu Verschönern. Ja, sie ging noch weiter und sorgte auch für die arme kranke Mutter Hebbels. Sie wußte, daß es ihn beson-__ ders grämte, seine Mutter nicht unterstützen zu können, und brachte ihr nach Wesselburen in seinein Namen, doch ohne sein Wissen Geld. „Du hast ihr doch so manchen Tag zu einem vergoldeten gemacht", schrieb ihr Hebbel nach dem frühen Tod der Mutter im Jahre 1838. Ihr konnte er schreiben: „Das Heiligste und Wahrste, was an Verehrung, an Liebe in meiner Brust liegt, ist Dir zugewandt." Bezeichnend ist auch der kindlich jubelnde Dank für ein Weihnachtspaket, das sie ihm schickte: „Gestern, beste Elise, habe ich Deine Sendung erhalten. Die Sachen sind köstlich, Bock, Hose, Weste, Binde, mit einem Wort alles, über meine kühnste Erwartung, nicht allein fein und modern, gondern fast brillant; in meinem Leben habe ich einen solchen Anzug nicht gehabt. Du warst es, die bis jetzt, wie ein freundlicher Genius, alles für mich tat, was getan werden kann." So wechselten in Hebbels Münchener Jahren Freude und Leid, Hoffnung und Enttäuschung. Harte Schicksalsschläge waren im Herbst 1830 kurz hintereinander der Tod seiner Mutter und der seines Freundes Emil Rousseau, der ihm von Heidelberg nach München gefolgt war und mit dem er hier die schönsten Stunden verlebt hatte. Diese schweren Erlebnisse verbitterten ihn nur noch mehr; er verbohrte sich in Grübeleien über sich selbst und über die Welt und begann sein, wie er'meinte, bejammernswertes Schicksal als ein Beispiel für den unendlich harten und tragischen Kampf zwischen dem Ich und der Welt anzusehen, der den eigentlichen Inhalt des Lebens ausmache. Diesen Kampf hat 'er dann auch in den verschiedensten Formen in seinen späteren Schauspielen dargestellt. Schon in München beschäftigte er sich mit einigen dramatischen Entwürfen. Hebbel bildete sich in dieser Zeit zu einem Grübler aus, der leicht in Gefahr war, die großen Lebensfragen einseitig, bitter, mitlniiitig und übertrieben eigenwillig zu durchdenken. So bedachte er zeitweilig, ähnlich wie Nietzsche und andere lieblose Denker, das Christentum mit Hohn und ungerechten Vorwürfen: „Es ist die Wurzel alles Zwiespalts, aller Schlaffheit der letzten Jährhunderte
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vorzüglich." Diese Schroffheit und Eigenwilligkeit braAte ihn auch dazu, in seinen Dramen, wie wir noch sehen werden, einigen wenig liebenswerten Gestalten seine besondere Liebe zuzuwenden. Aber auch ganz entgegengesetzte Töne fand Hebbel in dieser Zeit, innige menschen- und naturfreudige, ja heitere Tone, vor allem in seiner Lyrik, aber auch in einigen Erzählungen, so in dem kleinen Roman „SAnock", der mit einem sArulligen Humor von einem Mann erzählt, der die Gestalt und Kräfte eines Bären, aber das GesiAt eines KaninAens hat und mit einer verheimliAten, unnatürliAen FurAt durA die Welt geht. Einige sehr sAöne GediAte sittd in MünAen entstanden, z. B. „Vorfrühling", „Leben, und Traum", „Die treuen Brüder" (zum Andenken an den verstorbenen Freund), „Abendgefühl" und das bedeutendste aus dieser Zeit: „HöAstes, Gebet". Er reAtfertigt darin vor slA selbst sein Verhältnis zu Elise Lensing und hält es sich als Mahnung vor, als Maßstab, naA dem er siA künftig riAten will. Hab AAtung vor dem MensAenbild Und denke, daß, wie auch verborgen, Darin für irgend einen Morgen Der Keim zu allem HöAsten sAwillt! , ' Hab AAtung vor dem MensAenbild • und denke, daß, wie tief er stecke, Ein HauA des Lebens, der ihn wecke, - VielleiAt aus deiner Seele quillt! Hab AAtung vor dem MensAenbild! Die Ewigkeit hat eine Stunde, Wo jegliAes dir eine Wunde Und, wenn niAt die, ein Sehnen stillt!
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Am 11. März 1839 trat Hebbel zu Fuß die Rückreise naA Hamburg an. Er hatte niAt, wie ursprüngliA geplant, in MünAen den Doktottitel erworben, obwohl er mit innerem Gewinn Vorlesungen von FriedriA Wilhelm SAelling und Joseph Görres gehört hatte. Wer ihn kenne, so sArieb er an Amalie SAoppe, wisse, daß es niAt an seinem. Kopf, sondern an seinem Geldbeutel gelegen habe; und wer ihn niAt kenne, dem sei mit dem Namen auA der Titel gleiAgültig. Die Wanderung war sehr besAwerliA. Die Witterung war >ioA winterliA. Fast während der ganzen Zeit weAselten SAneefälle mit Regengüssen. Sein einziger Begleiter war ein HündAen, das er siA in MünAen angesAafft hatte. Er sAirmte es vor Überanstrengung, trug es bei SAneestürmen auf dem Arm und vtrziAtete mehr als einmal auf seine karge Kost, damit es niAt Hunger
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leide; Er wanderte über Weißenburg, Roth und SAwabaA naA .Nürnberg, wo er die alten Bauten und Kunstwerke, besonders die. Erinnerungen an AlbreAt Dürer, ehrfürAtig betraAtete. Von Nürnberg naA Fürth fuhr ei- zum erstenmal mit der Eisenbahn. Dann ging es weiter über Bamberg und Koburg durA den versAneiten Thüringer Wald naA Götha. Da er keinen Mantel besaß, setzte ihm die Kälte hart zu, und er daAte voll Bitterkeit, daß er auf den Ruhm eines Shakespeare gern verziAten würde, wenn er nur ein paar wasserdiAte Stiefel an den Füßen hätte. Trotz alledem sind auA auf dieser Wanderung einige wertvolle GediAte entstanden" wie „Die Winterreise", in der er siA bitter über die Kälte und Herzlosigkeit der MitmensAen beklagt.
Bedrängte Lage — Erste Erfolge EndliA gelangte er über Göttingen und Hannover am 31. März naA Harburg. Bis hierhin war ihm Elise Lensing entgegengefahren, und es gab ein „sAmerzliA-süßes Wiedersehen".' AngesiAts der Türme von Hamburg kam ihm der wehmütige Gedanke: „Lauter ' halbe, zerrissene, in sich niAtige und bestandlose' Verhältnisse — ein Wolkenheer und nur ein einziger Stern: Elise." SAon in der ersten Zeit naA seiner Ankunft in Hamburg erkrankte er gAwer an Lungenentzündung. Im darauffolgenden Jahr wurde er von der GelbsuAt und anderen Leiden geplagt. Vor allem bedrückte es ihn, daß er, was äußeren Erfolg in seinem Beruf betraf, noA um keinen SAritt weitergekommen war. Indessen pflegte ihn Elise in,all diesen" Nöten mit aufopfernder Fürsorge und Liebe. Er gestand damals: „IA bin ihr alles, meinen äußeren und meinen inneren MensAen, meine Existenz in der Welt und in der Kunst sAuldig geworden." DurA ihren geduldig ausharrenden Lebensmut und ihr Zukunftsvertrauen gab sie ihm sAließliA starke Antriebe zu neuem Mühen und SAaffen. So entstand sein erstes Drama „Judith". Es wurde im Juli 1840 in Berlin, im Dezember in Hamburg aufgeführt, erregte großes Aufsehen und braAte ihm einen wenn auA geringen Geldbetrag ein. In der jüdisAen Heldin Judith, die siA in das Lager des fpindliAen Heerführers Holofernea begibt, um ihn zu töten und ihr Volk zu retten, stellt Hebbel eine Frau dar, die eine Aufgabe übernimmt, der sie als Erau im Grunde niAt gewaAsen ist. Das wird ihr in dein Augenblick klar, als sie erkennt, daß sie Holofernes liebt. So tötet sie ihn jetzt niAt um ihres Volkes willen, sondern weil er ihre Ehre verletzt hat. Sie fühlt, daß sie des jubelnden Empfanges, den ;
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das jüdische Volk ihr bereitet, unwürdig ist, und geht daran zugrunde. Hebbel behandelt also hier einmal ^den Gegensatz zwischen» männlichem und weiblichem Geschlecht und zum anderen den Gegensatz zwischen Judentum Und Heidentum als zwei verschiedenen Weltanschauungen. Hebbel war über den Erfolg der „Judith" glücklich. Aber schon bald stellten sich neue innere Nöte und äußere Sorgen ein. Das Geld wurde wieder knapp. In dieser Zeit schrieb er das Drama, das seinen Bund mit Elise Lensing auf das Höchste verklärt und von dem er gesagt hat: „Ich hätte ohne sie die ,Genoveva' nicht schreiben können." Aber dieses Drama nach der alten Volkssage von der schönen Genoveva, der zu Unrecht in die Einsamkeit verbannten und geduldig leidenden Heiligen, und von der frevlerischen Liebe ihres Hüters Golo hat sich auf der Bühne nicht durchsetzen können. In den beiden folgenden Jahren schrieb er neben einer Reihe geiner bedeutendsten Gedichte wie „Das Heiligste", „Weihe der Nacht", „Das Kind im Brunnen" und „Requiem" (das durch die Spätere Vertonung von Johannes Brahms allgemein bekannt geworden ist) das Lustspiel „Der Diamant", mit dem er sich ohne Erfolg an einem Preisausschreiben beteiligte. Auch die Theaterdirektoren konnten eich nicht dafür erwärmen. Und so sehr es den Dichter erfreute, daß der Verlag Campe in Hamburg im Sommer 1842 eine erste Sammlung seiner Gedichte herausbrachte, so blieben doch alle seine Anstrengungen, bessere äußere Verhältnisse zu schaden, vergeblich. Es gab wenige Lichtblicke in dieser Zeit. Ein solcher war der Besuch von Ludwig Uhland im Sommer 1842, der Hebbels Gedichte zu dessen besonderer Freude überaus herzlich lobte. Als die Armut immer drückender wurde, entschloß er sich im November 1842, nach Kopenhagen zu reisen und den dänischen König, dessen Kronuntertan er als Dithmarscher war, um ein Stipen'dium zu ersuchen. Die Reise verlief nicht unglücklich: er knüpfte bedeutsame Beziehungen zu dem dänischen Dichter Adam OehlensAläger, dem berühmten Bildhauer Bertel Thorwaldsen und anderen namhaften Persönlichkeiten an. Er mußte freilich den ganzen Winter in Kopenhagen zu' bringen, auf sich halten und doch aufs ärgste mit dem Gelde knausern, so daß er sich schließlich krank und elend in Sehnsucht nach Elisens Liebe und Fürsorge verzehrte. Die Briefe aus Kopenhagen sind die ausführlichsten, inhaltsreichsten und liebevollsten, die er an sie gerichtet hat. Endlich, im Apri-1 1843, konnte er ihr berichten, daß ihm der König ein Reisestipendium von jährlich 600 Talern für zwei Jahre bewilligt habe. Ende April kehrte er zu ihr zurück.
I mS ü d e n
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Den Sommer über blieb Hebbel noch in Hamburg und entwarf dieser Zeit die ersten Szenen des Trauerspiels „Maria Magdalen Am 8. September reiste er nach Paris ab. Hier kam Hebbel dur Vermittlung des gemeinsamen Verlegers Campe öfters mit Heinr Heine zusammen, bei dem er viel Verständnis fand, besonders seine „Judith". Näher aber befreundete er sich mit einem ander jüdischen Schriftsteller, Dr. Felix Bamberg, der geistig mit ihm a gleicher Stufe stand und ihm aus genauer Kenntnis die Sehe würdigkeiten von Paris zeigte. Er blieb auch später mit ihm v bunden, und Bamberg gab nach dem Tode des Dichters dessen Ta bücher und Briefe heraus. Im Dezember 1843 vollendete Hebbel Paris das Drama „Maria Magdalena". Dreiviertel Jahre später schien es als Buch in Campes Verlag, aber erst im Herbst 1846 wur es in Leipzig zum erstenmal aufgeführt und wird seitdem bis he immer wieder auf den großen Bühnen gespielt. Es spiegelt s darin alles, was Hebbel an kleinbürgerlicher Enge, Selbstgerecht keit und Hartherzigkeit selbst erlebt hatte. So finden wir auch den Personen viele Züge von Menschen, die im Leben Hebbels e Rolle gespielt haben. Das junge Mädchen Klara erinnert in viel an Elise Lensing. Ihr im Grunde weichherziger, aber nach außen grober, unduldsamer, tyrannischer Vater vereinigt Eigenschaften Münchner Tischlermeisters Schwarz und des Vaters von Heb Und die Mutter ist in etwa ein Abbild von Hebbels Mutter. A diese Menschen haben, von sich aus gesehen, recht in ihrem H deln. Aber sie erschweren und zerstören sich das Leben durch falsc Ehrbegriffe, dadurch, daß sie nicht wirklich sittlich, sondern n starren moralischen Vorschriften handeln. So liegt der Gegens zwischen dem Ich und der Welt bei jedem einzelnen von ihnen ni in seiner Natur, er wird vielmehr nur durch eine falsche, engherz Gesellschaftsordnung verursacht, aber er hat doch tragische Folg Nachdem Hebbel durch schriftliche Beantwortung wissenschaftlic Fragen bei der Universität Erlangen die Doktorwürde erwor hatte — das teure Diplom konnte er freilich vorläufig nicht bezah und mußte es später einlösen —, fuhr er von Paris im Oktober 1 nach Italien, wo er sich über ein Jahr aufhielt. Der Briefwechsel Elise riß auch in dieser Zeit niAt ab, aber er wurde immer quäl der; immer klarer und sAroffer braAte er ihr seine Auffassu zum Ausdruck, daß das frühere Verhältnis sich unmögliA erneu lasse. SiA selbst aber redete er zur Bestärkung hartherzig e „SAüttle alles ab, was diA in deiner Entwicklung hemmt, und wen 17
auch ein MensA wäre, der dich liebt; denn was dich vernichtet, kann keinen anderen fördern." In Rom «wurde Hebbel mit namhaften Künstlern wie Cornelius, Gurlitt nnd Rahl bekannt und ließ sich von ihnen in vielerlei Geselligkeit einführen. Einem österreichischen Kunstfreund, mit dem er sich gern unterhielt, verdanken wir eine schöne Schilderung der äußeren Erscheinung des Dichters, in der es heißt: „Sein Schädel fiel nicht durch Größe, wohl •aber durch ungewöhnlich schöne Form auf. Die tiefblauen Augensterne waren von wunderbar schillerndem Glänze, der Blick wechselnd, aber überwiegend etwas träumerisch; die Nase fein, aber nicht hoch, die Nasenflügel im Gespräch fortwährend vibrierend. Die wohlgeformten, etwas aufgeworfenen Lippen verrieten Beredsamkeit und Geschmack. Die ganze mehr als mittelhohe, feinknochige, hagere Gestalt schien wie die Ufer eines Bergstroms fortwährend leise zu erzittern und ward oft beim Aufblitzen eines Gedankens oder dem Hervorquellen eines Gefühls von leichten Zuckungen durchflogen." Mit der Zeit zog Hebbel sich von der Geselligkeit mehr und mehr zurück, aus keinem anderen Grunde, als weil er sich seines schäbigen Anzugs schämte. Da die Gelder des Reisestipendiums zu Ende gingen, wohnte er in billigen, ungesunden Zimmern und aß sich nicht satt, ja verkniff sich häufig das Mittagessen. Von Juni 1845 an hielt er sich mehrere Monate in Neapel auf, wo er einen Ausbruch des Vesuv erlebte. Neben wenigen Gedichten ist in Italien nur ein dramatisches Bruchstück, „Moloch", entstanden. Auf ein Gesuch an den dänischen König um Verlängerung des ReiseStipendiums für ein weiteres Jahr kam der Bescheid, daß nur 200 Taler für die Bückreise bewilligt seien. Mit diesem Gelde machte er sich im November 1845 auf den Weg nach Wien, in der verzweifelten Absicht, zu Anfang des Jahres 1846 nach Hamburg zurückzukehren.
Lebenswende in Wien Indessen nahm sein Schicksal in der österreichischen Hauptstadt unerwartet plötzlich einen Umschwung zu äußerem und. innerem Glück. Wie dies vor sich ging, klingt wirklich wie. ein Märchen. Nachdem Hebbel bei den Leitern der großen Wiener Theater und bei dem berühmten österreichischen Dramatiker Franz Grillparzer vorgesprochen und zwar viel Schmeichelhaftes über seine Dichtungen gehört, aber keinerlei praktische Hilfe erhalten hatte, war er im Begriff, über Prag nach Berlin weiterzureisen. Ja, er war schon auf dem Wege zur Post, als ein oberflächlich Bekannter ihm erzählte, daß zwei reiche Gutsbesitzer aus Galizien ihn dringend k^ennenzu-
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lernen wünschten. Er schob seine Abreise auf und wurde noch am gleichen Abend von den Baronen Zerboni. di Sposetti eingeladen, zwei nicht mehr jungen, aber temperamentvollen und verschwenderischen Brüdern, in denen er zu seiner Überraschung begeisterte Verehrer seiner Kunst erkannte. Sie bewirteten ihn eine wilde Nacht hindurch königlich, ließen ihn neu einkleiden und quartierten ihn auf ihre Kosten in einem vornehmen Hotel ein. „Mir war", schrieb Hebbel, »als ob mir ein Märchen passierte." Und kurze Zeit darauf, nachdem die Wiener Jugend ihn zu feiern begonnen hatte und die Zeitungen mit einemmal voll seines Lobes waren, fügte er hinzu: „Ich mochte fast glauben, daß mein Leben jetzt eine bessere Wendung nehmen wird, wenn ich auch über das Wie nichts zu vermuten wage." Trotzdem machte er noch einen zweiten Ausatz, weiterzureisen. Und wieder wurde er auf merkwürdige Weise, zurückgehalten. Der Schriftsteller Otto Prechtler hatte ihm einen Besuch bei der Schauspielerin Christine Enghaus nahegelegt, die den Wunsch geäußert habe, dem Dichter der „Judith", für deren Aufführung sie sich schon vor einiger Zelt vergeblich eingesetzt hatte, persönlich zu begegnen. Er hatte sie schon vor Jahren auf einer Hamburger Bühne bewundert und nun wieder ihr Spiel im Wiener Burgtheater erlebt. Der Besuch bei ihr am Tage vor seiner beabsichtigten Abreise entschied über Hebbels ganzes künftiges Leben. Er blieb in Wien, schon beim dritten Zusammentreffen verlobte er sich mit Christine Enghaus, und am 216. Mai 1846 fand die Hochzeit statt. Diese schöne, kluge und edelmütige Frau war gleich Hebbel und Elise Lensing niederdeutscher Herkunft und stammte ebenfalls aus ärmlichen Verhältnissen, aber sie hatte nach' harten Jahren und bitteren Erfahrungen den Lebenskampf gewonnen und zog nun auch Hebbel zu den Höhen des Ruhms herauf. 1817 in Braunschweig als Tochter eines Handwerkers geboren, wurde sie durch den frühen Tod des Vaters schon als Kind genötigt, als Tänzerin ihr Brot zu verdienen. Ein Theaterleiter, der auf ihre Begabung aufmerksam wurde, half ihr einige größere Bollen einstudieren und vermittelte ihr Gastspiele als Luise Millerin und als Jungfrau von Orleans in Bremen. Der große Erfolg brachte ihr einen Ruf nach Hamburg, wo sie sehr gefeiert wurde. Von dort aus wurde sie an das Wiener Burgtheater verpflichtet und war hier so gut gestellt, daß sie ihre notleidenden Augehörigen, Mutter und Geschwister, mit ernähren konnte. Hebbel bekannte in seinem Tagebuch: „Ich sah in der Neigung, die dieses edle Mädchen mir zuwendete, meine einzige Rettung." Sie schuf ihm die ertte behagliche, das heißt von den ^Sorgen ums nackte Leben 19
nicht gestörte Häu-slichkeit und damit die Voraussetzung für einen wunderbaren Aulschwung seines Schattens. Seine Tageüücher aus den ersten Jahren der Lne sind voll des Glücks über sie und über sein Tochtercnen Titi (= Christine), das sie ihm nach einein Knaben schenkte, der nur wenige Monate alt wurde. Hebbel hatte Elise Leasing in voller und für beide Teile schmerzlicher Aulrichtigkeit über die neue Wendung in seinem Leben unterrichtet. Es ist begreiflich, daß sie sich in der ersten Erschütterung durch diesen tur sie härtesten Schicksalsschlag zu bitteren Vorworten und zu Ungerechtigkeiten gegen Christine Enghaus hinreißen ließ. Dann aber taud sie sich mit dem Geschehenen ab, und gleichwohl blühte ihre Liebe still und entsagungsvoll weiter. Innig fühlte Christine mit Elise und lud sie in edler Selbstverleugnung nach Wien ein. Die beiden Frauen schlössen enge Freundschaft, und Elise lebte mit dem Ehepaar über ein Jahr in Wien zusammen und söhnte sich mit ihrem Schicksal aus. Ihre Beziehung zu Christine, und dadurch mittelbar auch zu Hebbel, blieb bis zu ihrem Tode im November 1854 lebendig. In den erpten Jahren seiner dauernden Niederlassung in Wien hatte Hebbel trotz den erwähnten Huldigungen noch schwer um die endgültige Anerkennung zu kämpfen. Die Theater blieben' ihm zunächst noch verschlossen. Aber er gewann doch bald schon bedeutende und einflußreiche Freunde in dem Literaturhistoriker Gervinus, dem Dichter Friedrich Rückert, dem Komponisten Robert Schumann, der aus der „Genoveva" eine Oper gestaltete, und in dem jungen, ihn schwärmerisch verehrenden Journalisten Emil Kuh, der spater die erste große und grundlegende Lebensbeschreibung Hebbels vertaßte. Für Hebbels dichterisches Schaffen waren diese Jahre außerordentlich fruchtbar. Neben Gedichten und den Erzählungen „Herr Heldvogel und Familie" und „Die Kuh", entstanden die Tragikomödie „Das Trauerspiel in Sizilien", das Drama „Julia", das Marchenlustspiel „Der Rubin" und das bedeutendste der neuen Schauspiele: „Herodes und Mariamne". Dieses Drama, das zur Zeit von Christi Geburt in Palästina spielt, zeigt deutlich, daß Hebbel von seiner früheren Mißachtung des Christentums abgekommen war, ja, daß er in dessen Lehre die reine Verwirklichung der hohen Idee von der Achtung des Menschenbildes zu sehen gelernt hatte, der er sein Gedicht „Höchstes Gebot" gewidmet hatte. Diese Achtung vor dem Menschenbild, zumal vor der Würde der Frau, verletzt der jüdische Konig Herodes, indem er den Befehl gibt, seine Gattin Mariamne zu toten, wenn er auf einer Ausfahrt sterben sollte. Für ihn bedeutet Liebe: Besitz, und er kann den Gedanken nicht er20
, tragen, daß nach seinem Tode ein anderer sie tesitzen könnte. Für Mariamne aber bedeutet Liebe: freie Hingabe eines stolzen Menschentumes, und Treue ist ihr keine Sache des Gesetzes, sondern nur eine Sache der Liebe und des Vertrauens. Als Herodes trotz ihrer inständigen Beschwörung geinen Frevel wiederholt, rächt sie sich, indem sie die Ungetreue spielt, so daß er sie hinrichten läßt und erst nach ihrem Tode zu seiner tiefen Beschämung erfährt, welch ein reines und edles Wesen er verloren hat. Und die Heiligen Drei Könige erscheinen zum Schluß als die Verkünder des neuen, christlichen Menschenbildes, in dem das, was Mariamne unbewußt durch ihr Selbstopfer schon vorgelebt hatte, zur allgemeinen Idee erhoben wird. Durch die Revolution von 1847 und 1848, an der sich Hebbel in Zeitungsberichten mit der Feder beteiligte, obwohl er im Grunde kein Revolutionär war, erhöhte sich sein Ansehen. Er wurde in den Vorstand einer Schriftstellervereinigung gewählt und stand sogar auf einer Liste von Kandidaten für die Nationalversammlung in Frankfurt. Nun ließ sich endlich auch Wiens bedeutendste Bühne. das Burgtheater, herbei, seine Schauspiele aufzuführen. Im Mai 1848 wurde „Maria Magdalena", im Februar 1849 „Judith" aufgefährt; beide Male spielte Christine Hebbel die weibliche Hauptrolle. Besonders mit der „Judith" errang der Dichter einen großen Erfolg. Er konnte in sein Tagebuch schreiben: „Mit Judith' mache ich in Wien mein Glück. Heute ist die vierte Vorstellung, und wieder war der Zulauf so groß, daß viele Menschen keinen Platz bekommen konnten." Als jedoch im Laufe des Jahres 1849 Heinrich Laube Direktor des Burgtheaters wurde, wendete sich das Blatt wieder. Laube war sowohl Hebbel wie dessen Gattin wenig gewogen; ei setzte „Herodes und Mariamne" nach der ersten Aufführung vom Spielplan ab und entzog Christine Hebbel immer mehr die großen Rollen, die ihr zustanden. Hebbel war empört, er schrieb in sein Tagebuch: Gibt's denn noch Kröten, Spinnen auf der Welt? Ich dächte doch, der Stoff war' aufgebraucht, Seit dieser Mensch geboren ward! Aber den Siegeszug seiner Dramen über die deutschen Bühnen konnte Laubes Verhalten nicht mehr hemmen. Hebbel fand einen bedeutenden Förderer in Franz Dingelstedt, dem Intendanten des Münchener Hoftheaters. Schon im April 1849 hatte dieser die „Judith" aufgeführt. Daraufhin war ihm der Dichter brieflich nähergekommen., und als er im Dezember 1851 sein Trauerspiel „Agnes
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Bernauer" beendet hatte, schickte er die Handschrift Dingelstedt, der auch sofort die Aufführung vorbereitete. Hebbel wurde zu den Proben nach München eingeladen und dort sehr herzlich aufgenommen. Der König Maximilan II., ein Freund der Dichtkunst, empfing ihn in Audienz, und kurz darauf las er im Kreise der königlichen Familie aus seinen Werken vor. In den Briefen an seine Frau erwog er sogar eine Übersiedlung in die bayrische Hauptstadt. Mit Wehmut dachte er in diesen Tagen an seinen früheren, so wenig erfreulichen Aufenthalt in München zurück. Am 25. März 1852 wurde „Agnes Bernauer" aufgeführt. Am folgenden Tage konnte Hebbel an Christine schreiben: „Die Agnes wurde gestern mit dem entschiedensten Beifall vor einem überfüllten Hause gegeben und ihr Verfasser dreimal gerufen. Das ist als ein großer Sieg zu betrachten." Dieses Trauerspiel behandelt ein Problem, das auch uns, die wir in der Mitte des 20. Jahrhunderts leben, noch genau so stark bewegt wie die Menschen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Aber mit der Art, wie Hebbel es lost, können wir uns gerade nach den Erfahrungen der jüngsten Zeit nicht mehr befreunden. Es ist das Problem, wieweit das Wohl des- einzelnen dem angeblichen Wohl des Staates unbedingt und bis zur grausamen Vernichtung des einzelnen untergeordnet werden darf. Es wird die Frage gestellt, ob die Liebe das größere Recht hat oder die Macht. Und obwohl Hebbel die Liebe ergreifend darstellt, gibt er am Ende doch der Macht und der Staatsgewalt den Vorrang vor der Liebe. Und darin können wir ihm heute nicht mehr folgen, nachdem wir erlebt haben, wie das Staatsrecht in frevelhafter Welse über gottliches und Menschenrecht erhoben und ihm zahllose unschuldige Menschenleben bedenkenlos geopfert wurden. Die schöne Augsburgenn Agnes Bernauer, Tochter eines Arztes, handelt aus den edelsten Beweggründen, aus der reinsten Liebe, wenn sie nach langem Zögern dem jungen Herzog Albrecht die Hand zu einer zwar heimlichen, aber rechtmäßigen Ehe reicht. Der alte Herzog Ernst aber erkennt die Liebesheirat des Sohnes mit einer Unebenbürtigen nicht an, er sieht daraus Gefahren für den Staat erwachsen, läßt Agnes gefangennehmen und, da sie sich weigert, ihrer Ehe zu entsagen und im Kloster zu büßen, zum Tode verurteilen. Auf ihre Frage: „Was hab' ich verbrechen?" antwortet der Kanzler: „Die Ordnung der Welt gestört,Vater und Sohn entzweit, demVolk seinenFürsten entfremdet, einen Zustand herbeigeführt, in dem nicht mehr nach Schuld und Unschuld, nur noch nach UrsaA' und Wirkung gefragt werden kann." Eine solche Auf-fassung gibt dem Staate das Recht, einen Menschen nicht nur zu bestrafen, wenn er sich schuldig gemacht hat, gondern 22
auch einen Unschuldigen, wenn er nur eine Wirkung hervorruft, die dem Staate nicht genehm ist. Es will uns nicht in den Sinn, daß der junge Herzog Albrecht nach vergeblichem Aufbäumen gegen den Mord an geiner Liebe dem Vater undHerzog amEnde doch recht gibt. Nach einer Ferienreise Hebbels mit Christine nach Mailand und Venedig im Sommer 1852 begann er mit der Arbeit an einem neuen Drama» der Tragödie „Gyges und sein Ring". Auch hier stellt er wieder wie in „Judith" und „Herodes und Mariamne", wenn auch auf eine neue, besondere Art, den Gegensatz zwischen männlichem und weiblichem Wesen dar. Die Handlung spielt im fernen Altertum in dem kleinasiatischen Lande Lydien. Der König Kandaules hat eine Gattin, die sich nach einer alten Sitte niemandem zeigen darf als ihm. Da er sie aber — ähnlich wie Herodes die Königin Mariamne — als seinen Besitz betrachtet, wird er dieses Besitzes nicht recht froh, so.lange nicht wenigstens ein anderer Mensch ihn darum glücklich preisen oder beneiden kann. Es kämpft also hier in Ihm eine menschliche Schwäche gegen ein althergebrachtes sittliches oder religiöses Gesetz. Er ist aber nicht stark genug, dieses Gesetz aufzuheben und ein neues, freieres zu schaffen; so umgeht er es nur und weiht seinen griechischen Freund Gyges heimlich in die Schönheit der Königin Rhodope ein. Das ist seine tragische Schuld, die gesühnt werden muß. Als der Frevel zutage tritt, fordert Bhodope Kandaules und Gyges zum Zweikampf auf; denn nur einer darf leben und König sein, der sie gesehen hat. Da Kandaules fällt, vermählt sie sich mit Gyges, gibt sich aber dann selbst den T»d und handelt so, nachdem sie das. Gesetz der Sitte erfüllt hat, dennoch nach dem Gesetz der Liebe. „Gyges und sein Ring" heißt diese gedanklich und sprachlich besonders schöne und ausgereifte Dichtung deshalb, weil Gyges mit Hilfe eines unsichtbar machenden Ringes heimlich in das Gemach der Königin eintreten kann; er erkennt dann freilich das Unwürdige dieser Heimlichkeit, dreht den Ring am Finger und wird srchtbar. Dieser Vorgang bildet den Mittel- und Höhepunkt der Tragödie.
Auf eigenem Grunde Im August 1855 erwarb Hebbel ein kleines Landhaus bfiGmunden am Traunsee, wo er von nun an mit seiner Familie alljährlich den Sommer verbrachte, glücklich, die Schönheiten^ der Natur unmittelbar'und friedlich genießen zu können, und im Gedanken an die Jahre der Armut von einem kindlichen Besitzstolz erfüllt, der sich in einem Brief an Emil Kuh folgendermaßen äußerte: „Ja, "wir sitzen
Das Hebbelhaus in Gmunden bereit in und auf unserem Eigenen; es gibt eine Tür, aus der ich nicht herausgeworfen werden kann, und einen Garten, über dessen Planke ich nach Belieben klettern oder springen darf, ohne daß mir irgendein Mensch etwas dareinzureden hat. Das ist für mich ein höchst possierliches Gefühl; denn ich habe' in früheren Jahren so wenig darauf gerechnet, Grundbesitzer zu werden, als ich jetzt darauf zähle, Flügel zu bekommen, und ich konnte mir selbst die Fenster einwerfen, um zu erproben, ob ich wirklich Eigentümer sei." Aber auch in Wien fühlte er sich nun von Jahr zu Jahr wohler. Er freute sich der steigenden Anerkennung, des endgültigen Befreitseins von drückenden Geldsorgen, des ungetrübten Familienglücks und des anregenden Gedankenaustausches mit Freunden und Gästen, und seine Harte und Unnachgiebigkeit wich allmählich einer ernsten, zurückhaltenden, ja mitunter .heiteren Gelassenheit. Aus innerster Zufriedenheit konnte er jetzt am Ende des Jahres 1856 den Vers niederschreiben: Gotter, öffnet die Hände nicht mehr, ich würde erschrecken, Denn ihr gabt mir genug: hebt sie nur schirmend empor! 24
Im Januar 1857 schickte er eine vervollständigte, gründlich durchgesehene und übersichtlich geordnete Sammlung seiner Gedichte an die berühmte Cotlasche Verlagsbuchhandlung in Stuttgart, die sie im Herbst desselben Jahres als schmuckus Buch herausbrachte, mit einer Widmung an den nach wie vor dankbar verehrten Ludwig Uhland. Im März 1857 vollendete er als schönstes Denkmal seiner Dankbarkeit für das Glück, das ihm Gattin und Töchterchen bedeuteten, die idyllische Verserzählung „Mutter und Kind" mit dem Untertitel: Ein Gedicht in sieben Gesängen. Sie ist in der Versform des Hexameters geschrieben wie ^Homers „Ilias und Odyssee", wie Goethes „Hermann und Dorothea" und „Reineke Fuchs" und viele andere Dichtungen. Die Idee, für ihren Inhalt hatte Hebbel schon lange mit sich herumgetragen, aber erst jetzt,^o er Mutter- und Vaterliebe Und das Wunder eines lieblich erblühenden Kindes im eigenen Heim erlebte, fand er die passende Torrn dafür. Er erzählt von einem reichen kinderlosen Ehepaar, das ein Pflegekind annehmen möchte. Dieser Kaufmann und seine Frau, an sich edle Menschen, ermöglichen es einem jungen armen Menschenpaar durch beträchtliche Unterstützung, zu heiraten, gegen das Versprechen, daß ihnen das erste Kind als Pflegekind übergeben wird. Nachdem aber das Kind geboren und abgetreten ist, bereut die junge Mutter da« unbedachte Versprechen. Die natürliche Mutterliebe reißt sie dazu hin, ihr eigenes Kind zu rauben, und die jungen Eheleute entfliehen mit ihm, nicht ohne schwere Gewissensbisse. Der Kaufmann und seine Frau lassen nach ihnen fahnden, aber nicht, um ihnen das Kind wieder zu nehmen, sondern um ihnen zu vergeben und weiter zu helfen. Von nun an sollen alle Armen ihre Kinder sein. Hebbel hat manche Jugenderinnerung -in diese Verserzählung verwoben und hat ihre Handlung ganz in die Umwelt seiner Dihmarsischen Heimat verlegt. Sie enthält dichterische Schönheiten ganz eigener Art wie die Schilderung einer Weihnacht oder die duftige Malerei einer Vorfrühlingsstimmung und vor allem den Lobpreis der Elternfreude am Kind: . .. Wer zählt die Freuden der Eltern An der Wiege des Kindes und wer die Wonnen der Mutter, Wenn sie noch alles in allem ihm sein darf, während der Vater Ihm noch ferner steht wie Himmel und Erde und einzig Durch die Sorge für sie, die beide vertritt wie ihn selber, Seine Liebe zu ihm betätigt. Wer nennt uns die Sprossen Dieser goldenen Leiter der reinsten Gefühle, auf welcher Sich der Mensch und der Engel begegnen und tauschen, und welche 25
Alle Sphären verbindet und alle Wesen vereinigt! Welches irdische Glück ist diesem höchsten vergleichbar, Das uns über uns selbst erhebt, indem wir's genießen.
Reise- und Werkfreuden Im Frühjahr 1857 unternahm Hebbel eine Reise durch ganz Deutschland, die ihm viele erhebende Erlebnisse brachte. Über Leipzig, wo er in den Strudel einer Messe geriet, und Berlin fuhr er nach Hamburg. Dort besuchte er den alten Stiefvater und die Mutter von Elise Lensing, sah den einen oder anderen Jugendfreund wieder und verhandelte mit dem Verleger Campe über die Herausgabe von „Mutter und Kind\ Das Buch erschien erst 1859, nachdem es von der Tiedge-Stiftung in Dresden mit einem Preise ausgezeichnet worden war. Dann reiste er nach Köln weiter, fuhr den Rhein aufwärts und lernte zum erstenmal die Burgen, Weinberge und die alten Kulturstätten an seinen Ufern kennen. In Frankfurt besuchte er den Schrittsteller Wilhelm Jordan, der Hebbels Werk schätzte und sich mehrfach dafür eingesetzt hatte, und mit diesem zusammen den berühmten Philosophen Arthur Schopenhauer, von dessen Büchern der Dichter sehr beeindruckt war. In Weimar besichtigte er die Stätten der Erinnerung an Goethe und Schiller. Über den Besuch des Schiller-Hauses schrieb er an Christine: „Hätte ich geahnt, wie sehr mich der Besuch dieser Stätte erschüttern würde, so wäre ich nicht gegangen; ich konnte meiner Bewegung kaum Meister werden und lernte mich von einer ganz neuen Seite kennen, um das zu begreifen, muß ich mich in meine Jugend zurückversetzen, wo Schiller mir über alles ging." Mit diesem Bekenntnis bewies Hebbel ebenso wie mit der Widmung seines Gedichtbuches an Uhland ein tiefes Gefühl der Treue zu den großen Geistern, denen er die erste Begeisterung für die Dichtkunst in der Jugend verdankte. In Stuttgart suchte er schließlich Eduard Mörike auf, der ihm herzlich entgegenkam und mit dem er in der Folge einige Briefe wechselte. Im Mal des nächsten Jahres reiste Hebbel, vom Großherzog eingeladen, noch einmal nach Weimar, um einer Aufführung seiner „Genoveva" beizuwohnen, die sein alter Freund Franz Dingelstedt, der inzwischen Bühnenleiter in Weimar geworden war, mit großem Erfolg in Szene setzte. Die beglückenden Erlebnisse dieser Frühlingstage blieben dem Dichter unvergeßlich. Er lernte bei der Gelegenheit Franz Liszt und dessen Freundin, die Fürstin Sayn-Wittgenstein, kennen und war von da an während seines Aufenthalts fast täglich Gast im Hause der Fürstin, deren junge, schöne und kunstbegeisterte t 26
Tochler, Prinzeß Marie, ihm eine schwärmerische Verehrung entgegenbrachte. Er besuchte auch Goethes Schwiegertochter Ottilie, die ihm das Goethe-Haus am Frauenplan zeigte. Die prächtigen Sammlungen ließen ihn zwar kalt, als er aber das schlichte Arbeitszimmer sah, war er tief bewegt und sprach das schöne Wort: „Dies ist das einzige Schlachtfeld, auf das die Deutschen stolz sein können." Bei der Rückkehr nach Gmunden wurde er mit einem neuen geräumigen Arbeitszimmer überrascht, das ihm Frau und Tochter inzwi-1 sehen liebevoll eingerichtet hatten, zwar äußerst schlicht, wie er es wünschte, aber behaglich. Mehr als Tisch, Stuhl und Büchergestelle enthielt es nicht. „Wenn ich auch Rothschilds Schätze hätte", so bemerkte er dazu, „so sollte nicht mehr hinein; Rosen und Lilien umspinnen die Fenster; mein Töchterchen hüpft fünfzigmal des Tages vorüber und haucht mir zuweilen, wenn ich gerade hinausschaue, einen Kuß auf die Lippen. Das ist auch etwas." Bei einem Aufenthalt in Dresden hatte Hehbel die Freude, daß ihm der Museumsdirektor Hettner, den er in Neapel kennengelernt hatte, die berühmten Kunstsammlungen zeigte. Mit Hettner unterhielt er sich unter anderm über einen großen dramatischen Plan, der ihm seit längerem vorschwebte; an dessen Ausführung hatte er schon hin und wieder, abwechselnd mit anderen Dichtungen, gearbeitet. Es war der Versuch, die Nibelungensage, die man,aeit der Romantik als deutsches Nationalepos betrachtete, in einer Folge von Dramen für die Schausnielbühne zu gestalten. Zur gleichen Zeit arbeitete auch Richard Wagner an seinem „Ring des Nibelungen" für die Musikbühne. Einen ersten Teil hatte Hebbel schön 1857 abeeschlosseu, aus. dem er später das Vorspiel „Der gehörnte Siegfried" und das Drama „Siegfrieds Tod" entwickelte. Dann aber hatte er sich anderen Plänen zugewandt, besonders einem Demetrius-Drama, das aber nur bis zum zweiten Akt gedieh und auch bei späterer Fortführung nicht mehr vollendet wurde. (Schon Schiller hatte sich an diesem Stoff, dem Schicksal eines falschen russischen Prinzen, eines unbewußten Betrügers, vergeblich versucht.) Jetzt, in dem anregenden Gespräch mit Hettner, stand ihm mit einemmal die Fortsetzung der „Nibelungen" deutlich vor Augen, und er kehrte ellig nach Wien zurück, um ans Werk zu gehen. Im "Dezember 1859 achrieb er ins Tagebuch: „Nie arbeitete ich mehr in einem Zuge, nie hat mich ein Werk aber auch so angegriffen, ich habe abends ordentlich Fieber." Und am 22. März 1860: „Eben, abends 7 Uhr, schreibe ich die letzten Verse des fünften Aktes von ,Kriemhilds Rache' nieder. Draußen tobt das erste Frühlingsgewitter sich aus, der Donner rollt, und die blauen Blitze zucken 27 "
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durch das Fenster, vor dem mein Schreibtisch steht. Beendet, wenn nicht vollendet." Hebbel hat einmal behauptet, er gäbe in den „Nibelungen" nicht mehr als eine Übersetzung des alten Epos ins Dramatische, es gehe ihm um nichts weiter als um die dramatische Vermittlung des Gedichtes für das Volk. In der Tat folgt er in der Handlung dem Hergang der alten Sage bis ins einzelne und zaubert allein daraus die
Szenenbild aus den „Nibelungen" in (.er Weimarer Uraufführung von 1861 dramatische Wirkung hervor. Wenn der Dichter immer wieder fordert, daß die Tragik in einem Trauerspiel, ganz abgesehen von Schuld und Unschuld, unvermeidlich sein müsse, so entspricht ja auch gerade das Nibelungenlied dieser Forderung; denn die Tragik seiner Vorgange geht aus dem Wesen aller Hauptgestalten zwangsläufig hervor. Und doch gibt Hebbel mehr und weniger als eine Übersetzung der Sage ins Dramatische: mehr insofern, als er die Geschehnisse in den Bereich des Übernatürlichen erhebt und zugleich vor einen großen ideengeschichtlichen Hintergrund stellt, in die Wende vom germanischen Altertum zum christlichen Mittelalter; weniger insofern, als er die einzelnen Charaktere in der seelischen Begrün'28
dnng ihres Handelns iihersT>itzt und zugleich entschuldigt, ja sogar verklärt, sn daß es f B scheinen konnte, als wiird" ein so finsterer und verschlaeener Charakter wie Hae-en als Vorbild hinbestellt Daß er das nicht sein kann und nicht s»i'n darf, muß ro-n sich heim Lesin oder beim Erlebnis einer Aufführung der „Nibelungen" immer wieder vorhalten.
Hohe dcs"I<e'heiisi. 'Kr»nl»hfit nnd Tod ' Im Mai 1861 wurden zum erstenmal alle drei Teil» der ..Nibelungen" in Weimar unter der Leitung von Fran7 D''n°'eMpdt auf. geführt, nachdem im Januar schon eine Aufführu""' der ersten zwei Teile voraufe'ee'angen war. Der Großberzoff von Weimar hatte den österreichischen Kaiser lebeten. Christine Hebbel f ü r diese Au^iihrunar aus dem Bnrytheater 711 beurlauben und so sni»1te si» in ..Siegfrieds T^d" die Brnnhild und in „Kriemhilds T?-*A**" di» Kriemhild Die Dichtung wurde mit außerordentlichem B-itaII aufgenommen und der Dichter her7lich eefeiert. Ja, es wn-de ihm n»hea:eleet. sich dauernd in Weimar niederzulassen, und Christine "wollte man sranz für das Weimarer Theater gewinnen. Doch wurde i"r Abschiedsgesuch in Wien abselehnt. und es spricht für ihre Beliebtheit, daß man ihr zugleich ein höheres Gehalt bewilligte. — Hebbel reiste anschließend nach Hamburg, um mit dem Verlesrer Camne über den Druck der „Niheluna'en" 7u verhandeln, und besuchte bei der Gelegenheit auch seinen Bruder Johann Hinrich. der als Taeelohner in der Nahe von Dendshurg lebte und den er zwanzig Jahre lane nicht gesehen hatte. Seltsamerweise aber wollte er seinen Heimatort Wesselbliren nicht wiedersehen. „Ich mache", schrieb er an Christine, „über den Ort, wo meine Wiege stand jetzt f ü r immer ein Kreuz; ich würde fast nur noch Gräber treffen und allenfalls hier und da einen Maulaffen." Wie sehr ihm aber doch seine Kinderheimat am Herzen lag, zeigt seine Beeeisterung für den „Ouickhorn". .das plattdeutsche Gedichtwerk des Dithmarschers Klairs Groth. „Er iauchyte wie ein Kind", schreibt sein Freund Emil Kuh, „als die Szenerie und die Figuren seiner Heimat lyrisch-plastisch vor ihm autstiegen .. . Das Häsleingedioht (.Matten Has'). das Hehbel wie überhaupt ein Drittel der Sammlung auswendig wußte, hauchte einen Schimmer der Verklärung über sein Gesicht, sooft er es vortrug " Hebbel ist in seinen letzten Lebenyahren viel gereist. Nachdem es ihn schon im Herbst 1860 noch einmal nach Paris gezogen hatte, brach er im Sommer 1862 zu einer großen Fahrt über Straßburg und Paris nach London auf. Er besuchte dort einen alten Freund Sigmnnd 29
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Engländer, ^mit dem er sich wie mit allen seinen Freunden — auch Dingelstedt und Kuh — vorübergehend überwerfen hatte und dem er doch — wie allen, die ihm einmal Gutes erwiesen — im Innersten eine treue Anhänglichkeit bewahrte. Dieser und ein Engländer namens Marshai, den er am Weimarer Hof kennengelernt hatte, führten ihn durdi die damals schon größte Stadt Europas. Bemerkenswert ist der Eindruck, den Hebbel von den Engländern erhielt. Er schrieb darüber an Christine: „Am nachhaltissten wirkt auf mich das moralische Klima: die freie Bewegung des Volkes innerhalb der Schranken strenger Gesetzlichkeit, mit einem Wort: der Respekt, den es vor sich selbst hat. Das verrät sich in tausend Zügen; wie der Engländer sich das Gesetz selbst gibt, so überwacht er es auch selbst, und beides muß zusammenfallen, oder nichts ist erreicht. Übrigens fühle ich mich hier wie unter Verwandten; Engländer und Deutsche stehen sich näher, als ich je gedacht hätte " Auf der Rückreise besuchte er in Stuttgart noch einmal Eduard Mörike, der ihn mit einem begeisterten Lob der „Nibelungen" erfreute. Im August fuhr er dann wieder nach Thüringen, um auf Einladung der GroRherzogin von Weimar zauberhaft schone Sommertage auf Schloß Wilhelmstal bei Eisenadh zu verbringen. Hier, in u n gezwungenem Umgang mit dem großherzoglichen Paar, fühlte er sich auf der Höhe des Lebens. Bei solchen Geleeenheiten fiel ihm gewöhnlich ein, daß er vop wenig mehr als dreißig Jahren seinem Vater heim Bau die Steine zutragen und dessen zorniges Gebrumm: „Der Junge taugt doch auch zu gar nichts!" ständig anhören mußte. Und er dachte den wunderlichen Fügungen des Lebens nach. Am 31. Dezember 1862 blickte er dankbar auf dieses reichgesegnete Jahr zurück und schrieb ins TagebuA; „Die .Nibelungen' haben mehr Erfolg wie je ein Werk von mir, in der Presse wie auf dem Theater. Ganz gegen meine Erwartung, so sehr. daß sich auch nicht im letzten Winkel des Herzens eine stumme Hoffnung verbarg, die das ahnte. In Berlin und Schwerin wurden sie bereits mit Paufcen und Trompeten gegeben; in München, sogar in Wien stehen sie bevor. Aufhören, den Dudelsack an den Nagel hängen, wäre letzt vielleicht das beste!" Als er dies schrieb, ahnte Friedrich Hebhel noch nicht, wie lald ihm der „Dudelsack" von einer höheren Macht entrissen werden sollte. Er hatte noch die Freude, im Februar 1863 eine glänzende Aufführung der „Nibelungen" am Wiener Burgtheater mit Christine in der Bolle der Brunhild zu erleben, und die weitere Freude, daß die gleiche Dichtung mit dem SAilIer-Preis auseezeichnet wurde. Aber schon seinen fünfzigsten Geburtstag am 18. März mußte er wegen eines Unwohlseins im Bett zubringen. Mannigfache Ehrungen *'
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wurden ihm an.'diesem Tage zuteil. Am meisten freute er sich aber zwei Aquarelle, die einer der Freunde ihm schenkte; das eine stellte die Kirche von Wesselburen, das andere die Kirchspielvogtei dar, Beim Anblick dieser Bilder konnte er sich der Tränen nicht erwehren. Sein Gesundheitszustand besserte sich zwar vorübergehend noch wieder, doch suchten ihn im Laufe des Jahres immer neue Anfälle der Krankheit heim, die .sich schließlich als eine unaufhaltsame Knochenerweichung herausstellte. Noch auf dem Krankenbett schrieb er das ergreifende, sein Ende vorausahnende Gedicht „Der Brahmine", dessen erste Strophe lautet: In den bängsten Qualen windet Sich der frömmste der Brahmlnen; Jahre hat er's ausgehalten, Heute ist der Tag erschienen, Wo die Kräfte ihn verlassen, Die in ihm den Gottern dienen; , Statt sie stumm wie sonst zu segnen, Stöhnt er laut empor zu ihnen. Am 13. Dezember 1863 entschlief Friedrich Hebbel. Christine und die Tochter, die ihm noch am Tage vorher unter Tränen sein Lieblingsgedicht, Schillers „Spaziergang", vorgelesen hatte, standen erschüttert am nächtlichen Totenlager, während ein heftiger Sturm durch die Straßen Wiens tobte. Christine Hebbel hat ihren Gatten um fast ein halbes Jahrhundert überlebt; sie starb 1910. Sie sah, zumal nachdem sie von der Bühne abgegangen war, ihre Hauptaufgabe in der Betreuung seines Vermächtnisses und setzte sich unermüdlich für würdige Aufführungen und Buchausgaben seiner Werke ein. Aber sie betätigte sich auch mit Erfolg auf sozialem Gebiet und erhob vor allem ihre Stimme dafür, daß die Kunst gerade den Volksschichten zugänglich gemacht werden sollte, denen Hebbel, Elise Lensing und sie selbst entstammten. Sie forderte das, was heute die Volksbühnenverbände zu verwirklichen suchen: eine Art Theater, das auch den Ärmsten ohne allzu große Opfer offensteht. Die reinste Freude und Genugtuung ihres Alters gab ihr das Bewußtsein, daß die Werke Hebbels unbestritten zu den klassischen Dichtungen unseres Volkes gezählt werden. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
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