Nr. 2520
Hubert Haensel
Grenzgängerin des Schleiers Sie erforschen Far Away – Kristallschiffe stoßen in den Sternhaufen vor Auf der Erde und den zahlreichen Planeten in der Milchstraße, auf denen Menschen leben, schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrech nung – das entspricht dem Jahr 5050 christli cher Zeitrechnung. Seit über hundert Jahren herrscht in der Galaxis weitestgehend Frieden: Die Sternenreiche arbeiten zusammen daran, eine gemeinsame Zukunft zu schaffen. Die Konflikte der Vergangenheit scheinen verschwunden zu sein. Vor allem die Liga Freier Terraner (LFT), in der Perry Rhodan das Amt eines Terranischen Resi denten trägt, hat sich auf Forschung und Wissenschaft konzentriert. Sogenannte Poly port-Höfe stellen eine neue, geheimnisvolle
Transport-Technologie zur Verfügung. Gerade als man diese zu entschlüsseln beginnt, dringt die Frequenz-Monarchie über den Polyport-Hof in die Milchstraße vor. Zum Glück kann der Angriff zumindest zeitweilig zurückgeschlagen werden. Perry Rhodan folgt unterdessen einem Hilferuf der Terraner in das in unbekannter Weite liegen de Stardust-System. Auch dort existiert ein Poly port-Hof und wird von der Frequenz-Monarchie bedroht; zugleich droht der Stardust-Menschheit eine andere Gefahr: Der schützende Kokon um ihre neue Heimat löst sich auf. Dies beobachtet unter anderem die GRENZGÄNGERIN DES SCHLEIERS ...
4
Hubert Haensel
1. Grenzgängerstation Sionis
Eine riesige Galaxis, erkannte die Grenzgängerin. Die Frage ist nur: Wo liegt dieses Meer aus Sternen? Endlich zeigten die Holos intergalak tischen Leerraum. Und sofort wieder junge Sonnen und verklumpte Struktu ren, die für Sternentstehungsgebiete ty pisch waren. Hat ES uns tief in die Vergangenheit geführt? In eine Zeit, als die Galaxien noch jung ...? Skali erschrak. Nicht wei terdenken! Das sind verrückte Spekula tionen.
Die Sterne waren da. Conail Skali blinzelte, doch das Bild blieb. Das Ortungsholo zeigte Milliarden Sonnen, und mit jeder Sekunde wurden es mehr – ein ganzes Universum, wie es prächtiger kaum sein konnte. Skali genoss das Bild der Sterne. Bisher war ihre Welt sehr überschau bar gewesen: die Sonne Stardust mit zweiundzwanzig Planeten und die Sterne von Far Away. * Darüber hinaus – nichts. Der Rand des Die Hauptpersonen des Romans: »Die Ortung wird Kugelsternhaufens Timber F. Whistler – Der Administrator muss sich in deutlicher ...« zugleich das Ende einer schweren Krise bewähren und kann dabei auf dieser kleinen Welt. »Sie zeigt einen erfahrene Hilfe bauen. Endlich stand der Ring aus Sternen. Das Perry Rhodan – Der Terraner bringt offenbar die Ereig nisse in Bewegung. müssen einige hun Stardust-Menschheit Conail Skali – Die Grenzgängerin des Sextadimdert Milliarden Son das Universum offen. Schleiers wird mit einer neuen Bedrohung konfron nenmassen sein.« Conail Skali, die tiert. Die Stimmen hinter Grenzgängerin, war Dr. Kom Agonis – Der epsalische Mineraloge, Gra bungstechniker und Kosmo-Historiker stößt auf den Aggregaten, nur mittendrin. gefährliche Edelsteine. wenige Meter von Ihr Herzschlag ras Makron – Ein Unither wird Zeuge einer gefährlichen Skali entfernt, ver te, ein flaues Gefühl Materialisation. stummten wieder. breitete sich in ihrer Der markante Bass Magengegend aus. Sie gehörte Bertom Snooblinzelte gegen den kes, dem Astrophysiker. Und die andere? Schweiß an, der in ihren Augen brann Sie war unschwer als jene Wake DaFurs te. zu identifizieren, dessen Berufung der Ungläubig und fasziniert zugleich eher abstrakte Fachbereich der Sexta schüttelte sie den Kopf. dim-Theorie war und der sich in seinen Schrei, Conail! Verschaff dir endlich sonstigen Ansichten ebenso abstrakt Luft! Lass es dieses Universum hören, präsentierte. In den letzten Wochen hat dass du da bist! te Skali eine gewisse Geschicklichkeit Die Abgeschiedenheit von Far Away entwickelt, DaFur aus dem Weg zu ge endete. Die unheimliche Barriere löste sich auf und ein neues Zeitalter brach hen. Ihre Zusammentreffen arteten re herein ... gelmäßig zu Streitgesprächen aus, und sie schätzte das ganz und gar nicht. Der Frau, die Zeugin all dessen wur Skali ignorierte die Nähe der beiden de, kam nicht einmal ein Krächzen über Männer. Allein, nur mit der Positronik die Lippen. Dicht gedrängt standen die fremden als Partner, arbeitete sie effektiv. Das Sonnen. Zwischen ihnen brodelten die hatte sie mit DaFur gemeinsam; in die Emissionen von ionisiertem Wasserstoff. ser Hinsicht waren sie einander sehr
Grenzgängerin des Schleiers
ähnlich. Nur ihre Ansichten liefen kon trär. Der Theoretiker behauptete seit jeher, jenseits der Schleier-Barriere müsse ein unüberschaubares Sternen meer liegen, erfüllt von pulsierendem, überraschend fremdartigem Leben. Achtunddreißig Wissenschaftler und Hilfskräfte arbeiteten derzeit in der Sta tion auf Sionis, nur dreieinhalb Licht wochen von der Barriere entfernt. Drei zehn Frauen, fünfundzwanzig Männer, darunter zwei Jülziish. Die Einsamkeit am Ende der bisherigen Welt war allge genwärtig. »Eine Ringgalaxis! Sieh dir das an, Bertom – es kann gar nicht anders sein.« DaFur wusste wieder einmal alles. Je des Detail kannte er wie üblich im Vor aus, oder er bildete sich wenigstens ein, es zu kennen. Skali versuchte, seine Stimme zu ignorieren. Allerdings er tappte sie sich dabei, dass sie plötzlich sogar angespannt lauschte. »Die Wiedergabe ist eindeutig«, be hauptete DaFur. »Far Away befindet sich knapp am Rand der Ringstruktur, aus unserer Sicht unterhalb der galak tischen Hauptebene.« Die Positronik blendete Falschfarben ein, um die räumliche Darstellung zu verbessern. »Offenbar bereitet die Unterschei dung zwischen dem Ring als solchem und einzelnen Hintergrundobjekten noch Schwierigkeiten«, sagte Snookes in seinem sonoren Tonfall. »Ich vermute, dass viele bisherige Messungen Fehler aufweisen. Mag sein, dass die Barriere zwar zusammenbricht, aber noch nicht in jeder Hinsicht durchlässig ist. Da durch werden die Ortungen beeinflusst, Materie kann womöglich erst später passieren.« »Trotzdem werden wir die Position von Far Away bald berechnen können.« »Eine Ringgalaxis ...«, dozierte der Astrophysiker. »Sonderfall nach einer
5
Kollision, wenn eine Spiralgalaxis zen trumsnah von einer anderen durchsto ßen wurde. Die Schwerkraft beider Zen trumsbereiche addiert sich und übt eine starke Anziehung auf die äußere Materie aus. Sobald sich der Eindringling nach der Kollision ausreichend weit entfernt hat, erlischt die zum Mittelpunkt hin gerichtete zusätzliche Kraft. Doch alle beschleunigten Masseanteile – Sonnen systeme, Nebel, Wolken – sind für ihre bisherigen Umlaufbahnen zu schnell ge worden. Zwangsläufige Folge ist eine nach außen gerichtete Verdichtungs welle.« Conail Skali kaute auf ihrer Unterlip pe. Ein Ring aus Sternen also, irgendwo im All. Sie fragte sich, wie viele solcher Objekte in den terranischen Katalogen aufgeführt sein mochten. »Der Ring weitet sich konzentrisch aus«, hörte sie Snookes reden. »Dabei geht die Verdichtung des interstellaren Gases einher mit verstärkter Neubil dung von Sternen. Die Ausdehnung en det erst, sobald der Bewegungsimpuls durch die Schwerkraftwirkung aufge zehrt wird. Dieser Prozess nimmt im All gemeinen Hunderte von Jahrmillionen in Anspruch.« Ein Hinweis? Womöglich. Aber wollte Skali die Antwort wirklich erfahren? Sie wandte sich wieder dem Hyperkom zu. Was immer im Randbereich von Far Away geschah, die Administration und das Parlament mussten davon erfahren. Bislang gab es keinen Funkkontakt nach Stardust City. Die nächstgelegenen Stationen der Hyperfunk-Relaisbrücke reagierten nicht. Von der Barriere aus gehende Störfronten mochten die Ursa che sein. Vielleicht wurde die Meldung trotz dem empfangen. Skali stutzte. Hatte sie Snookes eben von Schwerkraftexplosionen reden hö ren? Sie versteifte sich.
6
»Es sind starke energetische Entla dungen!« DaFurs Ruf hallte durch die Zentrale. »Gerichtete Schwerkraft fronten. Die Peaks sind charakteris tisch.« »Gravitationswaffen ... oder ver gleichbare Systeme«, behauptete eine dritte Stimme. Skali erkannte den Ana lytiker Sörenssen. »Jemand versucht, mit gerichtetem Vernichtungsvektor ei nen Aufriss in der Barriere zu erzeu gen.« »Und wozu ein solcher Aufwand, wenn der Schleier ohnehin zusammen bricht?« »Weil Materie die Grenzschicht viel leicht noch nicht überwinden kann.« »Demnach hat es jemand verdammt eilig, in den Sternhaufen vorzustoßen.« »Die Entfernung beträgt wenig mehr als zwei Lichtjahre.« »Können wir Einzelheiten erken nen?« »Nur die wechselnden Schwerkraft fronten.« Conail Skali kannte die jüngste galak tische Geschichte nur aus den Daten banken. Als Kind von knapp zehn Jah ren hatte sie miterlebt, wie die Verbindung zur Heimat zusammenge brochen war. Nun war sie 126 Jahre alt. An ihre frühe Kindheit erinnerte sie sich bestenfalls vage, die Sonne Sol und ihre Planeten bedeuteten ihr kaum etwas. Nicht einmal Terra selbst. Trotzdem hatte sich die Furcht in ihre Erinnerung eingebrannt. Für das Mäd chen Conail waren die Angreifer der Terminalen Kolonne damals gesichtslos geblieben, aber ihre stetig wiederholten Attacken auf den systemumspannenden Schutzschirm waren nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Hunderttausende Raumschiffe ... schwerste Waffensysteme ... Stand nun wiederum ein Angriff bevor? Skali widmete sich dem Hyperkom.
Hubert Haensel
Innerlich bebend versuchte sie, eine Ver bindung ins Stardust-System herzustel len. Endlich Kontakt. Ein rotbärtiges Ge sicht blickte sie an. Der Springer redete, aber nicht ein Ton war zu hören. Nach wenigen Sekunden floss das Gesicht auseinander. Dann kam der Ton. »Empfang mit Stör... Grenz... ionis, bitte wiederhol...«
2. 17. Januar 1463 NGZ, 14.25 Uhr Polyport-Hof NEO-OLYMP Die Situation hatte etwas Unwirk liches. Whistler reizte sein teils robo tisches Sehvermögen bis zum Äußersten aus. Er fixierte die beiden unterschied lichen Wesen, die den Obelisken verlas sen hatten. »Das muss ein Haluter sein!«, hörte er einen der Soldaten sagen, die entlang des Transportkamins in Stellung gegan gen waren. »Icho Tolot, oder? Und der andere ... ein Terraner?« Nicht einfach nur ein Terraner. Der Administrator der Stardust-Union wusste es besser. Der andere war Perry Rhodan! Rhodan trug einen SERUN. Noch hat te er den Helm geschlossen. Aber Whist ler sah das Gesicht hinter der kugelför mig aufgeblähten Folie lächeln. Die Lippen wirkten ein wenig spröde und schlecht durchblutet. Als hätte er sie eben noch vor Anspan nung fest aufeinandergepresst. Natürlich. Rhodan konnte nicht ge wusst haben, was ihn bei seiner Ankunft erwartete. Womöglich hatte er befürch tet, NEO-OLYMP von den Angreifern überrannt vorzufinden. Die winzige Narbe an seinem rechten Nasenflügel zeichnete sich hell von der gebräunten Haut ab. Und Rhodans blau
Grenzgängerin des Schleiers
graue Augen ... für einen Moment hatte Whistler den Eindruck, dass der Akti vatorträger seinen forschenden Blick erwiderte. Sie kannten einander von mehreren Empfängen in der Solaren Residenz in Terrania und von Symposien auf Olymp. Aber das war vor dem Einfall der Termi nalen Kolonne in die Milchstraße gewe sen und lag lange zurück. Rhodan muss te sich fragen, wieso er, Whistler, überhaupt noch lebte. Ein Alter von 237 Jahren in vergleichbarer Verfassung wie er zu erleben war keineswegs der Regel fall. Interessierten den Terraner solche Ne bensächlichkeiten überhaupt? Whistlers Überlegungen jagten einan der. Es sieht nicht danach aus, als sei Ter ra der Terminalen Kolonne zum Opfer gefallen! Er spürte deshalb Erleichte rung, dennoch wurde seine Besorgnis nicht kleiner. Aber es gibt wohl nirgend wo »das Paradies«, in dem wir unbehel ligt leben können. Rhodan öffnete den Helm und schob ihn in den Nacken zurück. Der Terraner entspannte sich merklich. Sein Blick schweifte in die Runde. Al lerdings galt er nicht einen Moment lang der Einrichtung von NEO-OLYMP, son dern er ruhte auf den Raumsoldaten und den Kampfrobotern. Ein leichtes zufrie denes Nicken war Rhodans einzige Re aktion. Er kennt das Transportsystem der Hö fe!, erkannte Whistler. Der Administrator ging den beiden Ankömmlingen entgegen. Er fragte sich, ob sie direkt aus der Milchstraße gekom men waren oder auf dem Umweg über andere Höfe. Vielleicht wäre es besser, sie zurückzu schicken. Was auch geschehen sein mag, wir müssen Stardust aus diesen Ausein andersetzungen heraushalten. Terra
7
zieht Bedrohungen an wie ein Magnet Eisenspäne. Das war immer so. Eine späte Einsicht. Whistler wusste das nur zu gut. Und egal, welches Unheil sich über den Siedlern zusammenbrau te, sie hatten wahrscheinlich nie die Chance gehabt, dem zu entgehen. Die Bedrohung durch die Frequenz-Monar chie war ihnen erst durch die Aktivie rung des Polyport-Hofes bekannt ge worden, den Sean Legrange im Eis des Zeus-Mondes Krian entdeckt hatte. Whistler fragte sich, was ES davon wusste. Vielleicht mehr, als wir bislang glau ben wollten. Die Bitterkeit dieser Er kenntnis brach mit voller Wucht in ihm auf. Vorbei der Traum vom schönen Uto pia? Die Niederungen des Lebens hatten die Stardust-Menschheit endgültig ein geholt. * Der Obelisk, der in drei Teilen durch den Transferkamin gekommen war und sich scheinbar selbsttätig zusammenge fügt hatte, war offensichtlich ein Raum schiff. Timber F. Whistler schätzte, dass die Seitenlänge des Objekts an der Basis gut dreißig Meter betrug. Die Gesamthö he lag zwischen siebzig und achtzig Me tern. Tolot, der sich nur wenige Schritte von der offenen Bodenschleuse entfernt hatte, bot dem Administrator einen gu ten Größenvergleich. Whistler ging an den Soldaten vorbei. Er ignorierte Legranges Geste, die ihn zur Vorsicht mahnte. Hatte denn außer ihm noch niemand Rhodan erkannt? Die Soldaten waren im Stardust-Sys tem geboren, ebenso Vizeadmiral Lexa und Verteidigungsminister Legrange. Sie kannten die Liga Freier Terraner und den Residenten nur aus den Ge
8
schichtsarchiven. Vor allem waren sie in der festen Überzeugung aufgewachsen, niemals mit den Menschen der Milch straße konfrontiert zu werden. Niemals ... So schnell veränderten sich Gegebenheiten. Whistler ignorierte sei ne aufkommende Bitterkeit. Rhodan hielt inzwischen ein flaches elfenbeinfarbenes Gerät auf der linken Handfläche. Mit zwei Fingern berührte er das an den Ecken abgerundete Gebil de. Eine Holoprojektion baute sich dar über auf. Whistler nickte Tolot zu und wandte sich an den Terraner. »Resident, ich bin überrascht. Niemand hätte für möglich gehalten ...« Rhodan verzog die Mundwinkel. Ohne von dem sich verändernden kleinen Ho lo aufzusehen, winkte er heftig mit der Rechten ab. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger tippte er in das Display. Weitere Darstellungen entstanden in rascher Folge, veränderten sich und er loschen. Whistler vermutete, dass er die Bestätigung von Schaltvorgängen sah und dass diese mit dem Transferkamin im Zusammenhang standen. Verfügte Rhodan über ein Steuergerät für den Polyport-Hof? Fragend schaute der Administrator zu Tolot auf. Der vierarmige Riese mit der schwarzen Haut und dem roten Kampf anzug überragte ihn um mehr als einein halb Meter. Tolot entblößte seine Kegel zähne zu einem vieldeutigen Grinsen. »In Ordnung«, sagte Rhodan, und Whistler hörte deutlich, dass Erleichte rung in seiner Stimme mitschwang. »Jetzt können wir uns unterhalten. Ich habe den Transporthof gesperrt.« »Du hast ...« Whistler verstummte so fort wieder. Er hatte sich also nicht ge täuscht. Rhodan beherrschte die Funk tionen von NEO-OLYMP. Der Terraner ließ das kleine Gerät in einer Außentasche seines SERUNS ver
Hubert Haensel
schwinden. Lächelnd streckte er Whist ler die Hand entgegen und kniff die Brauen ein wenig zusammen. Es war ein forschender Blick, mit dem er sein Ge genüber nun musterte, aber auch Be sorgnis drückte sich darin aus. »Administrator Whistler, nehme ich an. Timber F. Whistler. Ich entsinne mich – wir sind uns mehrmals begegnet. Doch das liegt lange zurück.« »In der Tat.« Der Administrator ergriff die ihm dargebotene Hand. Er ärgerte sich über seine Bemerkung. Sie war seinem Zwie spalt entsprungen. Mit Rhodans Anwe senheit kehrten die Geister der Vergan genheit zurück. Viele Fragen brannten ihm auf der Zunge, doch er sprach sie nicht aus. Erst galt es, das Naheliegende zu klären. Rhodans Händedruck dauerte viel leicht ein klein wenig zu lange. Als gälte es für ihn, eine Schuld abzutragen. »Dein Notruf wurde im Solsystem empfangen. ›Im Auftrag von Adminis trator Whistler ...‹ Ich war mir nicht schlüssig, ob ich dich oder einen deiner Nachkommen zu sehen bekommen wür de. Offenbar trägst du einen der von ES verheißenen Zellaktivatoren. Und das schon seit den ersten Jahren. Gratu la...« »Keiner der Aktivatoren wurde bis lang gefunden«, unterbrach Whistler entschieden. »Ich gehöre allerdings zu jenen, die das Glück hatten, vom gol denen Funkenregen getroffen zu wer den.« »Vom goldenen Funkenregen?« Rho dan zog die Stirn in Falten. »Diese Erscheinung hält den Alte rungsprozess an.« »Vielleicht eine Art Zelldusche? Hat ES damit zu tun? Wir sollten rasch alle Informationen austauschen.« Rhodan merkte offenbar, dass Whist ler seinerseits auch zu Fragen ansetzte.
Grenzgängerin des Schleiers
Die Menschen im Stardust-System in teressierte ein Überblick über die jüngs te Geschichte der Milchstraße. »Die Negasphäre in Hangay konnte verhindert werden«, berichtete der Un sterbliche. »Die Retroversion erfolgte schon ein Jahr nach dem Exodus der Stardust-Siedler. Terra und das Solsys tem wurden von den Angreifern nicht überrannt. In der Milchstraße hat eine neue Epoche der Zusammenarbeit be gonnen; es gibt wieder ein Galaktikum, das diesen Namen auch verdient.« Whistler nickte knapp. Er war er leichtert, das zu hören. »Die Terminale Kolonne ...?« »TRAITOR hat das Interesse an uns damals sehr schnell verloren.« Whistler wandte sich um. Seine ge schärften Sinne verrieten ihm, dass Le grange und Lexa zu ihm aufschlossen. Er machte die beiden mit Rhodan und dem Haluter bekannt. »Weiß Terra mehr über die FrequenzMonarchie?«, fragte Legrange. »Immer hin haben wir es bislang nicht geschafft, das Transportsystem in Betrieb zu neh men.« »An Bord von MIKRU-JON können wir alles besprechen«, sagte Tolot in ei ner Lautstärke, die Whistler schmerz haft das Gesicht verziehen ließ. * Kaum hatte er die Bodenschleuse des Obeliskschiffs betreten, fühlte Whistler sich beobachtet. Es war ein eigenartiges Gefühl, das er sich nicht erklären konn te. Zugleich empfand er eine wohlige Geborgenheit, als sei ihm dieses Schiff längst vertraut. Wie beiläufig streifte er mit den Fin gern über die Wand, während er neben Rhodan im zentralen Antigravschacht in die Höhe schwebte. Warm fühlte sie sich an und irgendwie weich, völlig anders
9
als an Bord eines Kugelraumers. An sei nen Empfindungen änderte diese Fest stellung nichts. Whistler betrat die im oberen Schiffs drittel liegende Zentrale. Ein bronzefar bener Schimmer empfing ihn. Es war ein angenehmer Widerschein, der von der Wandverkleidung ausging. Das Material pulsierte in langsamen, leicht wellenför migen Bewegungen, ganz so, als atme es. Whistler fiel das sofort auf. Legrange und Lexa hingegen schie nen das schwache Pulsieren nicht ein mal wahrzunehmen. Auf die Hologale rie, die in einem perfekten Rundumblick Soldaten und Kampfroboter zeigten, achteten sie ebenso wenig. Vor allem Le granges Interesse galt vom ersten Mo ment an der Frau, die mit verschränkten Armen nur wenige Schritte neben dem Antigravschacht stand und ihnen ab schätzend entgegenblickte. Die Frau war Mondra Diamond. Sie ist jünger als ich, entsann sich Whistler. Trotzdem ist sie unglaublich attraktiv geblieben. Eine Schönheit in den besten Jahren: schlank, durchtrainiert und elegant zu gleich. Ihr schwarzes Haar harmonierte gut mit ihrem ebenfalls dunklen Teint. Für einen Sekundenbruchteil begeg nete Whistler ihrem bohrenden Blick. Er fühlte sich ertappt, obwohl er sich nicht für ihr makelloses Äußeres interessierte, sondern über ihr Alter nachsann. Diese Frau hatte die zweihundert schon über schritten. Unmöglich, dass ihr Aussehen nur von Chirurgen modelliert wurde. Whistler war sicher: Sie alterte nicht mehr. Er entsann sich zweifelhafter Gerüch te. Im Solsystem hatten sie eine Welle der Spekulationen ausgelöst, und be stimmt nicht nur dort. Mondra Diamond – eigentlich hieß sie Agalija Teekate, aber sie lebte seit ihrer Zeit als Artistin unter ihrem Künstlernamen – unterlag
10
offensichtlich dem Effekt einer Zelldu sche. Oder trug sie längst einen Aktivator chip, und Rhodan hatte diesen Umstand beharrlich verschwiegen? Gut, vielleicht war auf Terra mittlerweile die Wahrheit bekannt. Whistler konnte das nicht be urteilen, und er würde Diamond nicht darauf ansprechen. Denn gälte im Ge genzug eine vergleichbare Frage ihm, wäre sie schwierig zu beantworten. Jeder hat eben sein Geheimnis. Ge dankenverloren fuhr sich der Adminis trator mit dem Handrücken über die Lippen. Er sah, dass Legrange die Frau an starrte. Sean zog sie mit seinen Blicken schier aus, selbst wenn es dazu keiner weit ausschweifenden Fantasie bedurf te. Ihr SERUN ließ da wenig Spiel raum. Erkannte der Verteidigungsminister die Frau tatsächlich nicht als Rhodans Lebensgefährtin? Für Whistler war Sean Legrange wie ein eigener Sohn. Als großen, schlak sigen, dürren Jungen, 15 Jahre alt und am Ende seiner Kräfte, hatte er ihn bei sich aufgenommen und ihm die Ausbil dung ermöglicht. Frauen waren für Sean immer Nebensache geblieben, weil er sich in seine Karriere verbissen hatte. Eine Zeitlang war Whistler sogar der Meinung gewesen, Sean fühle sich eher vom eigenen Geschlecht angezogen. Und nicht nur das. Whistler hatte Le grange sogar verdächtigt, kein Mensch zu sein, sondern ein Vario-1000. Viel leicht, so sein Argwohn damals, war wirklich nur einer der Varios zerstört worden. Oder es hatte gar einen vierten gegeben, ohne Echnatoms Wissen. Wer, wenn nicht ausgerechnet ein Spross der Whistler-Dynastie, konnte sich zu derart obskuren Vermutungen versteigen? Er kannte Roboter bis hin zum letzten Schaltkreis, war – von eini
Hubert Haensel
gen Organen und Nachzüchtungen ab gesehen – beinahe selbst zur Maschine geworden, und dieser Verdacht hatte zwangsläufig aufkommen müssen. Schon deshalb hatte er große Erleichterung verspürt, dass er nicht den Hauch eines Beweises gefunden hatte. Auf jeden Fall stolperte er nicht in blinder Vertrauensseligkeit durch die Gegend. Die Umstände, die Sean und ihn zusammengeführt hatten, waren in der Tat nur eine glückliche Fügung ge wesen. Seans hartnäckiger Ehrgeiz und seine Reaktionsschnelligkeit, die damals zur Entdeckung der Polyport-Hofs ge führt hatten, waren zweifellos ein Erbe seines Vaters. Und dass er nun ausge rechnet Rhodans Lebensgefährtin an starrte, als sei sie eine der käuflichen Frauen von Ares City ... Unnötige Gedanken. Legrange hatte seine Gefühlswallung wieder im Griff. Seinen starren Blick flankierte ein Lä cheln. »Mondra Diamond, nehme ich an«, sagte er. »Es muss über dreißig Jahre her sein, seit ich die Holos über Dommrath, Wassermal und das Erste Thoregon sah. Damals war unsere gefühlsmäßige Bin dung an die Liga Freier Terraner stärker als heutzutage. Trotzdem ist es für mich beeindruckend, die Mutter des Chronis ten von ES kennenzulernen. Was wir über die Frequenz-Monarchie in Erfah rung bringen konnten, lässt Schlimmes befürchten. Ich nehme an, Mondra, du verfügst über eine Möglichkeit, mit ES Kontakt aufzunehmen.« Nein, Legrange war nicht plötzlich naiv geworden. Er steckte nur die Fronten ab. Hilfeleistung durch Terra, ja, aber nicht für den Preis, die Unab hängigkeit aufzugeben. Die StardustMenschheit hatte eigene Vorstellungen ihrer Zukunft. »Ich bin Sean Legrange, Verteidi gungsminister der Stardust-Union. Mein
Grenzgängerin des Schleiers
Freund Stuart Lexa, Vizeadmiral und Befehlshaber unserer Heimatflotte. Tim ber F. Whistler, mein Ziehvater, ist dir zweifellos bekannt.« Mondra Diamond löste sich aus ihrer abwartenden Haltung. Mit beiden Hän den machte sie eine umfassende Bewe gung. »Es tut mir leid, Sean – doch du über schätzt meinen Einfluss auf ES. Das Spektrum reicht von nicht vorhanden bis ausgeschlossen. Und du unterschätzt die Bedrohung durch die FrequenzMonarchie. Für eine Weile dürfte dieser Polyport-Hof den Zuchtsoldaten unzu gänglich sein.« Sie blickte zu Rhodan. Whistler war klar, dass der Terraner die Situation sondierte. Schließlich wollte jeder wis sen, woran er mit dem anderen war. »Ich habe die Transferkamine von NEO-OLYMP nicht nur gesperrt, son dern vollständig desaktiviert«, sagte Rhodan. »Ob allerdings die Schaltung meines Controllers von außen aufgeho ben werden kann, und wenn ja, wie viel Zeit bis dahin vergeht, ist mir unbe kannt. Die Sperrung gilt übrigens auch für den Polyport-Funk.« »Und noch etwas, Sean, aber das gilt für alle«, fuhr Diamond in ihrer Erklä rung fort. »Die Frequenz-Monarchie ist ein ernst zu nehmender Gegner. Wenn der Hof unzugänglich ist, werden die Darturka über kurz oder lang mit einer Flotte ihrer Kampfschiffe angrei fen.« »Wir sind nicht gerade hilflos«, wand te Lexa ein. »Wenn Terra uns unter stützt ...« Er verstummte, weil Rhodan den Kopf schüttelte. »Noch eine Fehleinschätzung, die korrigiert werden muss. Vorerst wird kein einziges Schiff aus der Milchstraße zu Hilfe kommen. Weil wir die Position von Far Away nicht kennen.«
11
3. Grenzgängerstation Sionis Der erste Funkkontakt war in Stö rungen versunken. Danach hatte Conail Skali eine gefühlte kleine Ewigkeit lang alles darangesetzt, Stardust City erneut über Relais zu erreichen. Die Adminis tration und das Parlament mussten er fahren, was am Rand des Kugelstern haufens vor sich ging. Noch würde es Wochen dauern, bis das Licht von außerhalb den Planeten Sionis und die Station der Grenzgänger erreichte. Bis optisch erkennbar wurde, was die Ortungen schon offenbarten. Erst vor fünfzehn Minuten war eine neue Hyperkomverbindung zustande gekommen. Alles andere als optimal, Bild und Ton asynchron und verzerrt, aber doch ausreichend für eine Mel dung. Das Gesicht des Funkers im Flotten kommando hatte sich in Skalis Gedächt nis eingegraben. Mitleidvolle Nachsicht, eine Mischung aus Verblüffung und Wi derwillen. Der Mann hatte nur langsam begriffen, was die Grenzgängerin des Schleiers von ihm erwartete. Administrator Whistler? Nicht erreichbar. Der Befehlshaber der Flotte, Vizead miral Lexa? Verteidigungsminister Le grange? Beide hatten Order erteilt, nur im Notfall gestört zu werden. Wo sind sie? Das ist ein Notfall! Die Barriere löst sich auf. Außerdem messen wir in einiger Distanz schweren Waffen einsatz an. Skali räusperte sich. Ihre Kehle kratzte noch, so laut hatte sie den Mann angefahren. Im Nachhinein fragte sie sich, ob er ihr Anliegen überhaupt ver standen hatte. Ich muss ihn beim Mittagsschlaf ge stört haben.
12
Sie wischte ihre Zweifel beiseite. Im merhin hatte sie verlangt, dass ein Schiff Sionis anfliegen sollte. Als flexible Mess station für weitere Untersuchungen. Analysen näher an der Barriere ... ... falls es dann überhaupt noch Reste des Schleiers gab, die für nachträgliche Erkenntnisse gut sein konnten. »Der erste Eindruck einer Ringgalaxis hat sich bestätigt.« Bertom Snookes Bassstimme ließ Skali von Neuem auf merken. »Im Bereich des sichtbaren Lichts werden Blautöne vorherrschen. Die Schnellanalysen lassen weiterhin außergewöhnlich viele Sterngeburten erkennen. Die Ringbreite beträgt schätzungsweise fünfunddreißigtausend Lichtjahre, die Dicke ist aber wohl nicht allzu berauschend. Die Kollision zweier Galaxien ist bestätigt. Die Positronik kann den Übeltäter mit hoher Wahr scheinlichkeit nachweisen, er hat sich offensichtlich schon bis auf gut drei Mil lionen Lichtjahre entfernt ...« »Neue heftige Explosionen!«, rief ein Techniker dazwischen. »Die Emissionen steigen sprunghaft an. Unverändert zwei Lichtjahre entfernt.« Das war keine große Distanz. Nach den ersten angemessenen Schwerkraft fronten hatte vorübergehend Ruhe ge herrscht. Nun schnellten die Messwerte abermals in die Höhe. Jemand war sichtlich ungeduldig. Ein paar Stunden mehr oder weniger spielten angesichts der Gegebenheiten so gut wie keine Rolle. Die Unbekannten, die an der Peripherie von Far Away ihr beeindruckendes Feuerwerk ab brannten, schienen jedoch anderer An sicht zu sein. Skali versuchte, sich in die Situation Außenstehender zu versetzen. Es fiel ihr schwer, weil sie die Frage nicht beant worten konnte, wie lange der Sternhau fen unzugänglich gewesen war. Viel leicht existierte die Sperre seit
Hubert Haensel
Jahrzehntausenden. Dann kannten die Völker draußen religiös verbrämte My then und wahrscheinlich viele Prophe zeiungen, in denen der Sternhaufen längst als Hort des Bösen galt. Vielleicht war er auch völlig unbekannt, so wie der Sternenozean von Jamondi damals in der Milchstraße. Niemand wusste, ob Far Away von außerhalb hatte wahrge nommen werden können. Ortungsalarm heulte auf. Die Panora magalerie zeigte ein Stakkato sich auf blähender Schwerkraftfelder. Für Skali war das ein bedrohlicher, zugleich auch imposanter Anblick. Selbst Szenen der Vernichtung, so hatte sie gelernt, bargen surreale Schönheit in sich – und es gab immer jemanden, der solche Imposanz bewunderte. Wie die Blätter einer prächtigen Blüte falteten sich die Gravitationsfronten auf. Eine Explosion wuchs aus der an deren hervor, als bewege sich etwas Le bendiges durch den Bereich des Sexta dim-Schleiers. »Diesmal schaffen sie es!« Sogar DaFur konnte seine Aufregung nicht ver bergen. »Die Schwerkraft reißt die Reste des Schleiers auseinander.« Möglich, dass die Unbekannten au ßerhalb den Waffeneinsatz als ihre ein zige Chance ansahen, in den Kugelstern haufen vorzudringen. »Mag sein, dass sie seit vielen Genera tionen auf diese Stunde warten. Dass der Schleier sich ohne ihr Eingreifen nur um polen und neu stabilisieren würde ...« »Du vergleichst den Vorgang mit einem läppischen Polsprung?« Der Sextadim-Theoretiker stand plötzlich neben Skali. »Vergiss solche Anwand lungen, Conail. Die Wahrheit ist anders. Wir hatten gute Voraussetzungen für die Gründung der Stardust-Union und Zeit, uns vorzubereiten. Diese Frist ist abge laufen. Wir werden uns dem Leben stel len müssen, wie es wirklich ist.«
Grenzgängerin des Schleiers
»Und wie ist es, deiner Meinung nach?« Skali konnte sich die Frage nicht ver kneifen. DaFurs Nähe ließ in ihr immer Widerspruch anklingen. »Lebensgefährlich«, stellte der Sexta dim-Theoretiker fest. * Die Zeit der Grenzgänger war vorbei. Sie waren ohnehin nie in der Lage gewe sen, bedeutende Erkenntnisse über die Natur des Sextadim-Schleiers zu gewin nen, jene mit Standardortungen nicht anzumessende Grenze, die Beschleuni gungskräfte aufgezehrt und anfliegende Raumschiffe bis zum absoluten Still stand abgebremst hatte. Auch jetzt wa ren es eher Nebeneffekte, die ausgewer tet wurden. »Unsere Politiker werden schon früh genug mitkriegen, was hier draußen vor sich geht.« Wake DaFur redete noch mit Skali, obwohl er ihr schon wieder den Rücken zuwandte. Beide Hände im Nacken ver schränkt, blickte er zur Panoramagale rie. Eine Serie paralleler Auswertungen ließ erkennen, dass die Schwerkraft effekte rasch nachließen. »Entweder haben die Unbekannten ihr Pulver verschossen – oder sie haben den Durchbruch geschafft und sind am Ziel.« »Warum fliegst du nicht hin und siehst nach?«, fragte Skali zögernd. »Unsere Korvette ...« Erneut heulte der Alarm durch die Station. Die Distanzortung erfasste Raum schiffe als hell strahlende Reflexe. Ihre Entfernung von Sionis betrug nur wenig mehr als zehn Lichtminuten. »Hoher Energiepegel!«, interpretierte DaFur. »Zwei Pulks zu jeweils fünf Ein heiten. Kann mir einer sagen, woher die so unvermittelt kommen?«
13
»Ob sie das sind?« »Wer sonst?« DaFur reagierte heftig auf Skalis Frage. Danach wandte er sich an die Positronik. »Masse, Energiewer te ...? Warum lässt die Erstanalyse auf sich warten? Ich halte es nicht für Zufall, dass die Fremden hier erscheinen. – Far Away ist immerhin größer als nur ein paar Lichtjahre. Die Schiffe beschleunigten mit hohen Werten. DaFur stöhnte verhalten, als die Hochrechnung eingeblendet wurde. Knapp tausend Kilometer pro Sekun denquadrat zeigte die Hauptpositronik an. »Fehlerhafte Berechnung!«, monierte der Sextadim-Theoretiker. »Sind die Daten belegt?« »Abgesichert und durch zweites Mess verfahren kontrolliert. Beide Pulks neh men soeben eine Kurskorrektur vor.« »Ziel?« DaFur hielt die Hände nicht mehr im Nacken. Seine Nervosität war unverkennbar. Skali sah, dass er mit der geballten Rechten auf seine linke Hand fläche schlug. »Der Kursvektor weist auf Sionis.« Die Schiffe verschwanden aus der Wiedergabe; sie gingen in den Überlicht flug. Mit angehaltenem Atem wartete Ska li darauf, dass die kleine Flotte über dem Planeten materialisierte. Aber nichts ge schah. Die Fremden waren nicht in Transition gegangen, sondern hatten ih re Schiffe offenbar in den Zwischenraum gebracht. Wie auch immer konnte der erste Kon takt in den nächsten Minuten erfolgen. »Sie wissen, dass wir hier sind, sie ha ben unsere Tastung angemessen.« Sö renssen gab damit keine überraschende Erkenntnis von sich. Es war nur ... jeder hatte sich in der Hinsicht zu sicher ge fühlt. Hundertsechzehn Jahre Alleinsein machten nachlässig.
14
»Skali, träumst du?« DaFurs Ausruf klang keineswegs mehr so überheblich selbstsicher wie sonst. »Gib endlich die Information weiter! Die sollen in Star dust ...« Die Schiffe kamen. Die Ortung erfass te sie dreißig Lichtsekunden entfernt. Sie verzögerten mit hohen Werten. »Das sind große Brocken – gut tau sendsechshundert Meter Durchmesser, halb so hoch.« Die optische Vergrößerung vermischte sich mit der stilisierten Ortungsansicht. In einer Distanz von drei Millionen Ki lometern fächerten beide Formationen auf. »Grenzgängerstation Sionis an Star dust!« Skali sendete ohne eine Bestäti gung der Relaisstationen abzuwarten und aktivierte zugleich die Permanent wiederholung. Ihr Blick klebte an der Panoramagalerie. »Große Raumschiffe haben den Schleier durchstoßen und nä hern sich Sionis. Kontakt wird in weni gen Sekunden erwartet. Noch wissen wir nicht ...« Eine Störfront schwappte über den Planeten hinweg. Die Statusholos wech selten zu düsterem Rot. Zeitgleich wur de Alarm ausgelöst. Das bedeutete Verschlusszustand und Aufbau der Schutzschirme. Die ersten Schiffe waren über fünf tausend Kilometer von der Station ent fernt. Die Optik holte sie nahe heran: sanft schimmernde, düsterrote Kristalle, achteckig auf Ober- und Unterseite. Im vorspringenden Äquatorbereich liefen Dreiecksflächen und Trapeze zusammen. Ein helles Gleißen erfüllte die schmale Äquatornut. Für einen Moment glaubte Skali, im Schiffsinnern brodelnde Glut zu sehen. Etwas wie ein gewaltiger Funke löste sich von dem Kristallschiff und raste durch die Atmosphäre. Die Luft brannte entlang des Schusskanals.
Hubert Haensel
Auch auf einem der weiter entfernten Raumer blitzte es auf. »Sie greifen an!« »Was haben wir ihnen getan?« Skali stellte die Frage im Selbstgespräch. Ton los kam der Satz über ihre Lippen, sie erwartete keine Antwort. »Nichts. Vielleicht genügt es den Fremden, dass wir hier sind«, sagte je mand hinter ihr. »Ist das nicht Grund genug?« Die glosenden Entladungen galten al lerdings nicht der Grenzgängerstation. Noch weit entfernt ereigneten sich meh rere Explosionen. Zerstörten die Angrei fer Artefakte einer untergegangenen Kultur? Um archäologische Gegebenheiten haben wir uns nie gekümmert, schoss es der Grenzgängerin durch den Kopf. Für uns war immer nur die Barriere wich tig. Andere Schiffe kamen näher. Der Hyperfunk war weiterhin gestört. Skali wich hastig auf die Normfrequenzen aus. Sie stellte Sendebereitschaft her, wollte die Fremden anfunken ... ... und schaffte es nicht, die Hand ab zuschütteln, die sich um ihren Oberarm schloss. DaFurs Finger waren wie Schraub zwingen. Gegen ihren Protest zwang er die Grenzgängerin, aufzustehen. »Worauf willst du warten?«, herrschte er sie an. »Wenn die Angreifer schon über uns sind, wird es zu spät sein. Die se Situation ist für uns alle neu. Wir müssen Schutzanzüge anlegen und ...« »Sollen wir kämpfen?« Dass DaFurs Mine sich versteinerte, machte ihn Skali zum ersten Mal sym pathischer. »Wir fliehen mit der Korvette«, sagte er, ohne auf die Frage einzugehen. Im mer noch krallten seine Finger in Skalis Arm. Er merkte gar nicht, dass er ihr wehtat.
Grenzgängerin des Schleiers
Helles Leuchten huschte durch die Stationszentrale. Für Sekunden über tönte ein bedrohlich wirkendes Knistern den Alarm. Das seltsame Geräusch kam von überall und nirgends. Mehrere Kristallschiffe feuerten auf die Station. Wie flüssiges Feuer schlugen riesige Funken in den Schutzschirm und flossen daran auseinander. »Lauf endlich!« DaFur riss Skali mit sich. Sie hatte Mühe, Schritt zu halten. Endlich ließ er ihren Arm los, und sie hastete aus eige ner Kraft weiter. Das Magazin lag im Übergangsbe reich zur Wohnsektion. Die Atmosphäre war atembar, es gab keine toxischen Bei mengungen und folglich auch keine Notwendigkeit für permanenten Zugriff auf Schutzkleidung. Von Waffen ganz zu schweigen. Nur noch fünf einfache Anzüge hin gen in den Magnethalterungen. Skali streifte sich einen davon über. Wahrscheinlich, sagte sie sich, wäre es sinnvoller gewesen, sofort den Hangar aufzusuchen und mit der Korvette einen Gewaltstart hinzulegen. Die Größe der Kristallschiffe machte ihr Angst. Die Chance, mit dem kleinen Kugelraumer zu entkommen, wurde wohl mit jeder Sekunde geringer. DaFur nahm mehrere Energiemaga zine an sich. »Mach schon!« Er drückte Skali eben falls zwei Reservemagazine in die Hand. »Es sieht so aus, als wären wir die Letz ten.« Das Heulen des Alarms hatte aufge hört. Conail Skali bemerkte das erst, als eine schwere Erschütterung den Boden durchlief. Explosionsdonner rollte her an. »Sieht aus, als hätte der HÜ-Schirm nicht standgehalten. Ich fürchte, eine der Speicherbänke ist eben in die Luft gegangen. Hier, nimm!«
15
Die Waffe, die DaFur ihr zuwarf, fing Skali mit beiden Händen auf. Es war ei ne leichte Automatik mit Mehrfachaus löser über Drucksensor, Hautwiderstand und Stimmkodierung. Neuwertig. Aller dings war auf Sionis niemand je auf den Gedanken gekommen, eine der Waffen zu testen. »Ein Kombistrahler«, sagte DaFur. »Programmiert ist Thermomodus. Du hast die Wahlmöglichkeit ...« »Ich weiß.« »... Desintegrator und ...« »Ich kann damit umgehen. Sport schießen auf bewegte und unbewegte Ziele. Zweimal dritter Platz bei den In selwettbewerben von Zyx ...« »Ha!«, machte DaFur. »Die Burschen da draußen verpassen dir bestimmt kei ne Medaille ...« Er schwieg überrascht, weil Skali mit einem blitzschnellen Handgriff das Energiemagazin aus klinkte, die Ladekapazität prüfte und den Strahler wieder schussbereit mach te. Sekunden später brach die Energie versorgung der Station zusammen. * Conail Skali taumelte, als der gellende Schrei im Helmfunk erklang. Es war der Todesschrei eines Menschen, voll Panik und qualvollem Entsetzen, und er brach unvermittelt ab. Ihr Herzschlag raste und der Schweiß brach ihr aus allen Poren. Sie steckte in dem Schutzanzug wie in einer Zwangs jacke und rang halb erstickt nach Luft. War Sörenssen tot? Sie glaubte, seine Stimme erkannt zu haben, auch wenn der Schrei kaum mehr menschlich ge klungen hatte. DaFur gab ihr Zeichen. Skali verstand nicht sofort. Sörenssen war nicht weit vor ihr und ihrem Begleiter zum Hangar gelaufen. Etwas oder jemand hatte ihn
16
getötet. Die Angreifer waren also in al lernächster Nähe, und bereits in der nächsten Sekunde konnten sie aus der Düsternis heranstürmen. »Was ist los bei euch?«, erklang eine bebende Frage über Funk. »Hört ihr mich? Ich bin gleich bei der Kor...« Ein kaum wahrnehmbares Knacken beendete die Verbindung. Skali schalte te ihren Sender fast zeitgleich aus. Die Fremden kamen als Eroberer und suchten keine Verständigung. Sie töte ten. Sich in der Situation über Funk zu verraten wäre das Dümmste überhaupt gewesen, was sie tun konnte. Sie packte die Waffe fester. DaFur war neben ihr. Er wollte, dass sie den eingeschlagenen kurzen Weg ver ließen. Skali zögerte, aber wieder zog er sie mit sich, hinein in die Schwärze eines engen Seitenstollens. Im Laufschritt weiter. Vor ihnen öff nete sich einer der Antigravschächte. Gut fünfzig Meter führte er in die Tiefe, ein düsterer Schlund ohne Energie, und dennoch erschien er Skali wie der Durchgang in eine friedlichere Welt. »Gravo-Pak ein!«, befahl DaFur. Er sprang in den Schacht. Skali folgte ihm, der Antigrav trug sie sanft ab wärts. Sie kam federnd auf und schaltete den Gravo-Pak sofort wieder ab. Vielleicht konnten die Fremden die Streustrahlung anmessen. Wahrscheinlich sogar. Skali schaute zurück. Zum ersten Mal verwünschte sie den Zusammenbruch des Schleiers. Dabei hatten die Grenz gänger nie etwas anderes angestrebt, als in Freiheit zu leben, ohne Grenzen, so wenig diese auch spürbar sein moch ten. DaFur war schon einige Schritte wei ter. Regungslos stand er da und lauschte in die Tiefe der Halle. Skali sah ihn nur als Schemen vor dem fahlen Schimmer einzelner Fluoreszenzelemente.
Hubert Haensel
Aus größerer Distanz erklang ein enervierendes Dröhnen. Die Halle lag knapp sechzig Meter un ter der Oberfläche, eigentlich verlor sie sich im porösen Untergrund. Als die Station angelegt worden war, hatten die Wissenschaftler nur allzu gern auf die natürlichen Hohlräume im Fels zurück gegriffen. Längst schützten speziell ab geschirmte Bereiche die empfindlichsten Messgeräte vor den schweren Hyper stürmen des Sternhaufens. Im Lauf der Jahre war die Anlage zu einem Laby rinth angewachsen. Auf der anderen Seite der Halle führ te ein verwinkelter Weg in den rückwär tigen Hangarbereich. »Beeil dich!«, drängte DaFur. Die Grenzgängerin machte sich nichts vor. Wie groß war die Gefahr, dass die Angreifer das kleine Kugelraumschiff bereits entdeckt hatten? Womöglich drangen sie in dieser Sekunde in den Hangar ein. Doch ebenso gut konnten sie aus schweren Schiffsgeschützen das Feu er auf die startende Korvette eröffnen. »Worauf wartest du?« »Auf ein Wunder«, antwortete Skali schroff. »Falls wir hierbleiben, sind wir so gut wie tot.« »Wenn wir zu fliehen versuchen, ster ben wir bestimmt.« DaFur blickte sie entgeistert an. Zö gernd hob er die Schultern. »Das ist dei ne Entscheidung, Conail – und dein Le ben.« »Ich weiß.« Ein Stakkato von Explosionen dröhn te aus der Höhe herab. Die Frau atmete tief ein. Sie schaute dem Sextadim-Theoreti ker hinterher, als er wortlos weiterging. Nach dreißig Metern wandte er sich noch einmal um und winkte heftig. Er wollte, dass sie ihm folgte und nicht al lein zurückblieb.
Grenzgängerin des Schleiers
Skali sah die Fremden einige Sekun den eher als der Sextadim-Theoretiker. Sie kamen aus dem Hangar – große, massige Gestalten, die sofort angriffen. Skalis warnender Aufschrei ließ DaFur reagieren. Herumfahren und die Waffe hochreißen war für ihn eins. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen ...
4. Polyport-Hof NEO-OLYMP Whistler fühlte sich unbehaglich. Nicht allein wegen seines Sessels, der lautlos aus dem Boden hervorgewachsen war, als bestünde er aus Biomasse, und der so ganz anders als Erzeugnisse ter ranischer Technik wirkte. Zellplasma mit der Fähigkeit der Strukturverhär tung, hatte er spontan vermutet. Interes sant. Ob wir eine Probe ...? Zugegeben, der Sitzkomfort war ein Traum, als reagierte der Sessel auf jede noch so schwache Muskelverspannung, gleichwohl hatte Whistler herzlich we nig davon. Den Robotkörper beein druckte nicht, ob er stand, saß oder sich in absurden Verrenkungen verkrampf te. Whistlers Unbehagen hatte seinen Ursprung überall in der Zentrale. Tau send verborgene Augen schienen ihn zu taxieren. Ihre Blicke wühlten sich bis tief in sein Inneres. Er spürte ihre »Be rührung« mit jeder Nervenfaser und hörte eine lautlose Stimme durch seine Gedanken geistern, ohne sie indes zu verstehen. Sie glich einem warmen Windhauch. Ihr Säuseln umschmeichelte ihn for dernd und verlockend zugleich, aber ebenso unstet. Die ganze Situation hatte etwas Irreales. Perry Rhodan, Mondra Diamond und der Haluter berichteten knapp und prä
17
zise von der Zeit nach dem Aufbruch der Stardust-Siedler. Gelegentlich ließen sie von ihren Anzügen holografische Auf nahmen projizieren, die das Ganze un termalten. Obwohl er all diese Informationen be gierig in sich aufnahm, blieben sie selt sam distanziert, als ginge ihn das alles nichts an. Und so war es wohl auch: Au ßer verblassenden Erinnerungen ver band ihn kaum noch etwas mit der Hei mat. Vor allem war er nicht mehr der Mann, der Terra verlassen hatte. Wieder spürte Whistler diese innere Berührung: ein Hauch von Verständnis und Wehmut, das Gefühl, nicht allein zu sein ... Für einen Augenblick verdächtigte er das Tier, das vor Diamonds Füßen kau erte. Er sah ein wohlig eingerolltes schwarzsilbernes Fellbündel, das hin und wieder von Muskelzuckungen ge schüttelt wurde. Wie ein Tigerjunges, dachte der Admi nistrator. Rhodan beendete soeben seine Schil derung, auf welchen Wegen MIKRU JON und ihre Passagiere den PolyportHof im Stardust-System erreicht hatten. Das Tier streckte sich, es drehte den Kopf und zeigte die Reißzähne. Mondra beugte sich im Sitzen nach vorn. »Alles in Ordnung, Ramoz.« Sie kraulte seinen Nacken. »Hier droht im Moment keine Gefahr.« Offensichtlich spielerisch schnappte das Tier nach ihrer Hand. Ein verhal tenes Knurren erklang. Sekunden später vergrub Ramoz die Schnauze zwischen seinen Vorderläufen und suchte nach ei ner angenehmen Ruheposition. Dass Mondra mit den Fingern immer noch in seinem Fell wühlte, schien ihm zu beha gen. Whistlers Blick sprang zu Tolot wei ter. Der Haluter stand wie eine stählerne Statue in der Zentrale. Beide Armpaare
18
hatte er vor dem Leib verschränkt. Der schmallippige Mund war leicht geöffnet und ließ das kräftige Gebiss erkennen. Der Administrator entsann sich, dass nicht einmal Erzbrocken und Granit den Bissen eines Haluters standhielten. Tolot hatte zwei seiner drei großen Augen knapp eine Handspanne weit ausgefahren. Er taxierte Legrange und Lexa. Möglicherweise versuchte er mit seinen beiden Gehirnen einzuschätzen, ob sich die im Stardust-System gebore nen Menschen verändert hatten. Whistler löste sich von diesen Neben sächlichkeiten. Die Proto-Negasphäre in Hangay gab es nicht mehr. Das, fand er, war die be eindruckendste Neuigkeit. Die Termi nale Kolonne hatte sich unverrichteter Dinge aus den Galaxien der Lokalen Gruppe zurückgezogen. Keine TraitankFlotten mehr, keine gigantischen Kolon nen-MASCHINEN und offenbar auch keine Dunklen Ermittler. Das Solsystem hatte den Würgegriff der Chaosmächte überstanden. Whistler blieb unbewegt. Immerhin wurde die Rettungsaktion von ES in Frage gestellt, die ihn und Millionen an derer ins Stardust-System geführt hat te. Niemand hat behauptet, dass Terra untergehen würde. Die Gefahr war greif bar, die Belagerung durch die TraitankFlotten ... »Du denkst darüber nach, ob die Star dust-Menschheit vom Regen in die Trau fe gekommen ist? Ich sehe es dir an, Tim ber.« Rhodan kratzte sich an der Nase. Ähnlich, wie Duncan Legrange es oft getan hatte. Und Sean hatte diese Ange wohnheit von seinem Vater geerbt. Whistler fragte sich, warum er ausge rechnet darauf achtete. Es gab Wich tigeres. »So weit sind wir nicht«, antwortete
Hubert Haensel
er auf Rhodans Frage. »Wir stehen noch im Regen.« Der Administrator hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, da brach der Weltuntergang über MIKRU-JON her ein. Ohrenbetäubender Lärm dröhnte durch die Zentrale. Whistler riss die Hände hoch und presste sie sich auf die Ohren. Das Toben wurde für ihn dennoch nur unwesentlich leiser. Er sah Lexa aufschreien und sich zusammenkrümmen, und Ramoz sprang wie ein schwarz-silberner Blitz in den Antigravschacht. Ebenso abrupt endete der Orkan wie der. Nach nur drei oder vier Sekunden unerträglichen Lärms. Die nachfolgende Stille erschien Whistler indes nicht we niger schmerzhaft. Tolots Haltung hatte sich kaum ver ändert. In einer offensichtlich erschro ckenen Reaktion hielt er sich den Ra chen zu. »Was ist mit ihm?« Legrange war blass geworden. Halb benommen schüttelte er den Kopf. »Das wollte ich nicht«, flüsterte Tolot, und diesmal klang er wirklich leise. »Whistler hat einen besonderen Hu mor.« »Deshalb musst du nicht losbrüllen, dass unser Schiff bebt«, schimpfte Mondra Diamond. »Sogar Ramoz ist auf und davon.« Abwehrend hob sie die Arme, als er neut ein dumpfes Glucksen aus der Keh le des Haluters drang. Whistler registrierte, dass er nicht in der Lage gewesen war, seine akustische Wahrnehmung zu dämpfen. Es war das erste Mal überhaupt, dass ihm dieses Manko auffiel. Zweifellos würde es kein Luxus sein, wenn er sich über kurz oder lang Sensoren in die Hörnerven implan tieren ließ. Ab einem bestimmten Schall pegel mussten sie die Reizweitergabe regulieren ...
Grenzgängerin des Schleiers
Er unterdrückte die Überlegung, denn in diesem Moment fühlte er sich wieder beobachtet. Ihm war, als wehe ihm Neu gierde entgegen. Whistler machte eine beschwichti gende Geste und nahm den Faden wie der auf. »Ich weigere mich zu glauben, ES ha be von dem Polyport-Hof im StardustSystem nichts gewusst. Und schon gar nicht, dass ES den Hof als unbedeutend ansah. Diese Transportverbindung zwi schen der Milchstraße und dem Star dust-System kann nicht unbemerkt ge blieben sein.« »Je weiter Far Away von der Milch straße entfernt ist, desto unwahrschein licher wird ein bloßer Zufall.« Rhodan nickte zögernd. »Die Fakten reichen nur für Spekula tionen«, gab Tolot zu bedenken. Whistler bemerkte, dass sowohl Le grange als auch Lexa den Haluter arg wöhnisch musterten. Lexa drückte mit den Fingerspitzen auf seine Gehörgän ge. Dem Gesichtsausdruck nach husch te er in Gedanken durch die Geschichte der Menschheit, wobei er eigentlich nur das Kapitel der Haluterkriege betrach tete. »Wir wissen zu wenig«, sagte Rhodan mit Nachdruck. »Die Frequenz-Monar chie war über einen sehr langen Zeit raum hinweg nicht aktiv.« »Winterschlaf?«, fragte Legrange. »Könnte sein«, bestätigte der Terra ner. Ramoz tauchte aus dem Antigrav schacht auf. Nicht nur seine Eckzähne waren zu sehen, er fletschte das ganze Gebiss und knurrte Tolot an. Für einen Moment hatte es den Anschein, als wol le der Kleine wieder abtauchen. Aber dann huschte er doch auf Mondra zu und suchte zwischen ihren Beinen Schutz. »Um ein Bild zu interpretieren, muss man es von mehreren Seiten betrach
19
ten.« Rhodan neigte sich Whistler zu, stützte den Ellenbogen auf der Sessel lehne ab und legte das Kinn auf die Fin gerknöchel. »Wir sind über vieles infor miert. Bully brachte damals eine enorme Datenfülle zurück. Seitdem frage ich mich, was Stardust wirklich ist. Oder was es sein kann.« »Du sprichst von den Immateriellen Städten?« »Sie sind ein Thema, sicher. Aber das System bietet offensichtlich weit mehr Überraschungen.« * Whistler sprach nicht von den Men schen, die es allen gegenteiligen Annah men zum Trotz Mut und Überwindung gekostet hatte, sich in einem ihnen un bekannten Bereich des Kosmos eine neue Existenz aufzubauen, ohne Aus sicht, die Heimat jemals wiederzusehen. Er redete nicht von ihren Träumen, Hoffnungen und Sehnsüchten und eben so wenig davon, dass sie sich mittlerwei le betrogen fühlen mussten. Der Administrator der Stardust-Uni on fragte nicht nach Ursache oder Wir kung; er stellte keine Spekulationen über die Beweggründe der Superintelli genz ES an, sondern zählte Fakten auf. Die Stardust-Menschheit, das waren in der Mehrzahl Terraner. Doch ebenso Arkoniden, Springer, Aras, Naats und Jülziish sowie Angehörige anderer ga laktischer Völker. Sie waren sehr schnell auf die Rokinger gestoßen, Nachfahren einer gestrandeten Raum-Zeit-Expedi tion, und hatten ebenso mit den amphi bisch lebenden Indochimi auf der Was serwelt Zyx Freundschaft geschlossen. Besiedelt waren vor allem vier der inne ren Planeten. »Bald starteten die ersten Expediti onen in den Kugelsternhaufen. Mit zweihundert Lichtjahren Ausdehnung
20
und rund vier Millionen Sonnen bietet Far Away einen beachtlichen Lebens raum. Dennoch fanden unsere Explorer keine raumfahrenden Völker, nur uralte Artefakte. Und die Schleier-Barriere.« »Ein Hindernis?«, fragte Tolot dumpf. »Höchstwahrscheinlich ein Sexta dimfeld, das ganz Far Away zum Ge fängnis macht. Kein Raumschiff kann die Barriere durchdringen, unabhängig vom verwendeten Antriebssystem. Un sere Forscher gehen davon aus, dass dies in jede Richtung gilt. Niemand kann hinaus, keiner kommt herein. Wir sind isoliert.« »ES wollte der noch jungen Kolonie Probleme ersparen«, vermutete Mondra Diamond. Whistler winkte ab. »Probleme gibt’s trotzdem.« »Vor allem müssen wir die Angriffe der Frequenz-Monarchie ernst nehmen«, bestätigte Rhodan. »Das Stardust-Sys tem ist eine Station im Polyport-Netz, das können wir nicht ändern. Gibt es nähere Erkenntnisse über die Barrie re?« »Wir haben die Grenzgänger des Schleiers – das sind Wissenschaftler, die sich mit der Barriere unmittelbar vor Ort befassen.« Whistler hob die Schul tern und ließ sie langsam wieder sinken. »Erfolge lassen leider auf sich warten.« »Das kommt schon noch.« Rhodan wollte keine Details, er versuchte, sich einen raschen Gesamtüberblick zu ver schaffen. Whistler glaubte zu verstehen, was den Mann bewegte. Der Terraner fischte im Trüben. Einerseits mussten ihm die weit verstreuten Polyport-Höfe wie ein Geschenk des Himmels erscheinen. Wahrscheinlich sah er sie als Fundament für seinen Weg in die nicht allzu ferne Zukunft. Ein schnelles Transportmittel, das auch kleine Raumschiffe passieren ließ, wie MIKRU-JON bewies. Anderer
Hubert Haensel
seits ging von der Frequenz-Monarchie eine Bedrohung aus, die schwierig ein zuordnen war. Dahinter steckt mehr. Das sind deine Überlegungen, oder? Ich denke, in der Hinsicht sind wir uns einig. »Keine raumfahrenden Völker in Far Away?«, vergewisserte sich Mondra. »Keine«, bestätigte Whistler. »Wir hätten in all den Jahren aufmerksam werden müssen. Keine Ortungen, keine aufgefangenen Funksprüche ...« »Welche Rolle spielt das Zweite Ga laktische Rätsel?« Whistler schaute wieder zu Rhodan. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Ramoz sich streckte und scheinbar auf merksam den Kopf hob. Legrange räusperte sich. »Das Rät sel«, sagte er gedehnt. »Du hast eingangs die von ES hinterlassenen Zellaktiva toren erwähnt. Ich halte eine Erklärung für angebracht, woher dieses Wissen stammt.« Misstrauen Rhodan gegenüber? Whist ler stutzte. Zumindest gegenwärtig hat te er keine Erklärung für diese Attacke des Verteidigungsministers. Außer der, dass Sean erst Jahrzehnte später gebo ren worden war. »Reginald Bull war noch hier, als Lo tho Keraete das Zweite Galaktische Rätsel verkündete und von den beiden vakanten Aktivatorchips sprach«, stellte Whistler klar. »Erst kurz darauf erlosch die Teletrans-Weiche, womit wir vom Solsystem abgeschnitten wurden.« »Das Rätsel und der Polyport-Hof hängen irgendwie zusammen«, vermute te Vizeadmiral Lexa und ließ es wie eine unabweisbare Wahrheit klingen. »Im merhin wissen wir schon lange, dass eine der Kartuschen eindeutig den PolyportHof abbildet.« »Aber wir sind dennoch nicht einen Schritt weitergekommen«, wandte Le grange ein.
Grenzgängerin des Schleiers
»Kartuschen?«, fragte Rhodan. »Dir ist die Stardust-Nadel bekannt, das Wahrzeichen unserer Hauptstadt?« »Die Felsformation am Rand des Ashawar-Deltas? Imposante neunhun dert Meter hoch, zudem oberhalb der Abbruchkante des Sandsteingebirges. Der Fels hat seinen Namen wegen der verblüffenden Ähnlichkeit mit der STARDUST ...« »Uns brauchst du darüber nichts zu erzählen, wir wohnen schließlich hier«, sagte Legrange brüsk. »Oder soll ich dir erklären, dass die STARDUST jenes Schiff war, mit dem du vor mehr als drei tausend Jahren die erste bemannte Mondlandung hingelegt hast?« »Oder dass ich damals den Arkoniden begegnete? Ja, das könntest du wohl.« Rhodan lächelte nachsichtig. »Die Felsennadel ist mehr, als sie scheint«, sagte Tolot grollend. »Die Analogie der äußeren Erschei nung hat uns von Anfang an vermuten lassen, dass die Nadel mehr sein soll als nur nostalgische Erinnerung. ES hat schon immer einen skurrilen Humor er kennen lassen.« Rhodan lehnte sich zu rück. Er legte die Fingerspitzen anein ander und schaute seine Besucher durchdringend an. »Weite Bereiche der Stardust-Nadel sind hohl und verfügen über einen ex trem guten Antiortungsschutz – wir ha ben es nicht sofort gemerkt, muss ich zugeben.« Whistler lachte trocken. »Ent deckt wurde es ein halbes Jahr nach der Besiedlung. Ein Antrag auf Einbau eines Aussichtsrestaurants lag vor.« Lexa grinste. »Manchmal sind es die banalen Dinge des täglichen Lebens, die unerwartet zu großen Umwälzungen führen.« »Stuarts Vater war damals den Er kundungskommandos zugeteilt: Karto grafierung und Vermessung – und natür lich alle erforderlichen Analysen für
21
Bauvorhaben, die außerhalb der Norm lagen, und davon gab es etliche. Die sta tischen Messungen an der Felsnadel zeigten ausgedehnte Hohlräume. Und sie wiesen diesen verflixten Ortungs schutz nach, der bislang jede Entde ckung verhindert hatte. Eine Desinte gratorbohrung stieß auf verstärkten Fels, eine Art Kristallfeldintensivierung. Bis zur Entdeckung eines Zugangstors war es nicht mehr weit.« Whistler verstummte für einige Se kunden. Er spürte wieder diese seltsame mentale Berührung, als wühle sich et was Fremdes durch seine Erinnerung. Für einen Moment hatte er Ramoz in Verdacht. Aber das Tier war auf Mon dras Füßen eingeschlafen. »In der Felsnadel gibt es eine zylind rische Halle, fünfzig Meter hoch, mehr als das Doppelte im Durchmesser. Im Zentrum erwartete uns eine hologra fische Projektion. Fremde Schriftzei chen. Willkommen in der Zentrale der tausend Aufgaben ...« »... doch nur eine von ihnen bringt euch dem Ziel näher.« Scheinbar ohne nachdenken zu müssen, brachte Perry Rhodan den Satz zu Ende. Whistler hatte das nicht anders er wartet. Einen Satz wie diesen vergaß man nicht mehr. Und Rhodan hatte ihn schon einmal gelesen, vor gut dreitau send Jahren, im Wegasystem. Rhodan hatte damals das Erste Ga laktische Rätsel gelöst. Wahrscheinlich war er auch in der Lage, mit dem neuen Rätsel richtig umzugehen. »In der Halle warten tausend Kartu schen. Sie zeigen Piktogramme, von de nen wir erst einzelne identifizieren konnten.« »Ein achteckiger Stern – der Umriss des Polyport-Hofs«, sagte Legrange. »Oder die Unsichtbare Insel. Sie scheint mit Atlantis oder Talanis oder wie auch immer identisch zu sein. Seit
22
heute Morgen sind allem Anschein nach Dinge angelaufen, die wir in ihrer ge samten Tragweite noch nicht einzu schätzen wissen. Auf den vier Haupt welten erschienen riesige Nebelkuppeln, jede mehr als zweieinhalbtausend Kilo meter durchmessend und rund hundert Kilometer hoch. In der Halle der tausend Aufgaben leuchtete zeitgleich nahe der Kartusche mit dem Abbild von Atlantis eine wei tere auf. Vorher zeigte sie nur vier als Eckpunkte eines Quadrats angeordnete Kreise. Nun sind sie diagonal durch ge strichelte Linien verbunden und im Schnittpunkt entstand ein ebenfalls ge strichelter Kreis. Er enthält die Karte von Atlantis. Außerdem erklang eine mentale Botschaft: Die Tore der Vier Himmel wurden geöffnet!« Forschend schaute Whistler von Rho dan zu Tolot und weiter zu Diamond. Aber womöglich war es doch zu viel ver langt, wenn er sich die Antwort auf eine noch gar nicht gestellte Frage erhoffte. Immerhin: Rhodan hatte Erfahrung mit einem Kosmischen Rätsel. Der Haluter konnte neben seinem Ordinärhirn auch sein Planhirn zurate ziehen. Und Mon dra Diamonds Intuition traute dem Ad ministrator eine Menge Spontaneität zu. Trotzdem war er enttäuscht, als alle drei schwiegen. »Die Information über die Nebelkup peln und die Veränderung der Kartu schendarstellung kam während einer Lagesprechung in der Administration«, fuhr Whistler fort. »Kurz darauf regnete es erneut Funken, allerdings keine gold farbenen, sondern schmutzig braune, als sei der Regen krank, ein Eindruck von Fäulnis.« Rhodans Blick traf ihn intensiv. Der Terraner schaute ihm in die Augen, als spüre er, dass Whistler ein heißes Thema anschnitt. Der Administrator hielt dem
Hubert Haensel
Blick stand, ohne mit der Wimper zu zu cken. Früher wäre er Rhodans for schender Aufmerksamkeit eher ausge wichen; heute fühlte er sich dem Terraner nur noch an Erfahrung unterlegen. »In der letzten Zeit kam es wiederholt zu spontanen Materialisationsversu chen. Vor gut fünfzig Jahren war es Fell mer Lloyd ...« Whistler sah die Überraschung in den Augen des Residenten. Also war selbst Rhodan noch zu beeindrucken. Kein Wunder, wenn ein längst tot geglaubter Gefährte aus den ersten Tagen der Drit ten Macht wiederauftauchte. »Heute Morgen materialisierte Ras Tschubai. Es ist gerade mal sechs Stun den her.« »Ras! Wo ist er jetzt?«, fragte Rhodan. Seine Stimme zitterte leicht. Er hatte Ras und Fellmer damals verloren, beide waren nach der Desaktivierung ihrer Zellaktivatoren auf einer fremden Welt gestorben ... ES hatte sie allerdings trotz seiner damaligen Verwirrung aufgenom men. Das war ein tröstlicher Gedanke, vermutlich sogar für den großen Perry Rhodan, den nichts aus der Bahn werfen konnte. Das machte den Unsterblichen ein kleines bisschen menschlicher. Natürlich hatte Rhodan den kleinen Unterschied in der Wortwahl registriert. Whistler hatte von einer Materialisation gesprochen, nicht mehr nur von einem Versuch wie bei Lloyd. »Er sucht nach dir, Perry. Er sprach da von, dass er dich erreichen müsse und dass es um wichtige Informationen gehe. Aber das Überraschendste: Er behaupte te, dass er keineswegs Ras Tschubai sei.« »Sondern?« »›Ich bin Fellmer Lloyd.‹ Genau das war seine Aussage, bevor er das Be wusstsein verlor.« »Und?« »Ich habe mich über das Aussehen der beiden Mutanten informiert. Es kann
Grenzgängerin des Schleiers
keinen Zweifel daran geben, dass wir Tschubais Körper vor uns haben. Er ist gut zwei Meter groß und kräftig, hat ei ne schwarze Hautfarbe und schwarzes Haar.« »Ein Konzept!« Tolots Stimme dröhn te durch die Zentrale MIKRU-JONS. »Ja, das liegt nahe. Zwei oder mehr Bewusstseine in einem gemeinsamen Körper. ES hat sie freigesetzt. Aber was bedeutet das?« Rhodan schaute Whistler fragend an. »Wo finde ich TschubaiLloyd?« »In Ares-Alpha! Medostation.« »Ares-Alpha ...«, wiederholte Rhodan, leicht amüsiert. »Die Stardust-Union hängt so sehr an der Vergangenheit? Der Bezug zum ehemaligen Nervenzentrum des Solaren Imperiums ist überdeut lich.« »Ein nostalgischer Anklang an das le gendäre Imperium-Alpha – sollte zuerst auch Stardust-Alpha heißen.« Whistler rückte die Vermutung sofort zurecht. »Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Komm und sieh es dir selbst an.«
5. Planetoid P-17-25-1463 Kom Agonis stockte der Atem. Wenige Dutzend Meter vor ihm entstand soeben ein gewaltiger Abgrund. Der Boden mit seinen vielfältigen Verwerfungen löste sich auf. Anders konnte der Epsaler den Vorgang nicht nennen. Die scheinbar in den Fels eingeschlagenen Gebäude strukturen verwehten wie Holoprojek tionen, deren Energiequelle erlosch. Gedankenschnell sprang die Auflö sung dem nahen Horizont entgegen und breitete sich nach den Seiten aus. Düs teres Rot quoll aus der Tiefe herauf. Das feste Gestein, von ergiebigen Quarzadern und fast reinem Titan durchzogen, war nur trügerischer
23
Schein gewesen. Vorbei der Traum, P-17-25-1463 sei der Glücksfall, auf den die meisten Prospektoren ihr Leben lang vergeblich hofften. Agonis blieb keine Zeit, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Die Veränderung geschah aberwitzig schnell. Sein Verstand schrie danach, sich her umzuwerfen und zu fliehen, aber er starrte nur aus weit aufgerissenen Au gen in die Tiefe. Ein gewaltiger Hangar öffnete sich ... Agonis sah Raumschiffe, wie er sie nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Sie erinnerten ihn an geschliffene Kristalle. Und sie waren riesig. Außerdem ging von ihnen dieser unwirkliche blutige Schein aus. Es sind Schlachtschiffe. Eine Woge der Panik schwemmte jede andere Regung davon. Warum haben wir das nicht bemerkt? Was geschieht hier eigentlich ...? Ein gellender Aufschrei im Helmfunk ließ ihn zusammenfahren. Der Minera loge und Grabungstechniker glaubte, Helmas Stimme zu erkennen. Keine dreißig Meter entfernt führte die Kos mogeologin Bohrungen für die letzten nötigen Strukturanalysen durch. Zu mindest war sie bis vor wenigen Augen blicken damit befasst gewesen. Agonis wandte den Blick in ihre Rich tung. Er sah gerade noch etwas wie ei nen brodelnden Blitz aufzucken ... Planetoid P-17-25-1463, hatte er ge glaubt, würde der größte Fund seines Lebens sein. Doch nun verwünschte der Eigner der PROSPERO den Moment, als er den öden Felsbrocken entdeckt hat te. Irrlichternde Entladungen umflossen Helmas schweren Arbeitsanzug, das mo lekular verdichtete Gewebe flammte auf. Ihr Schrei verstummte. Als sie in sich zusammensackte, empfand Agonis nack tes Entsetzen.
24
Kaum mehr als zehn Sekunden konn ten seit dem ersten Aufbrechen des Un tergrunds verstrichen sein. Wer sind diese Wesen? Dell und Muursteen hatten die Geolo gin bei ihrer Arbeit unterstützt. Keiner der beiden reagierte schnell genug. Ein zweiter Feuerball zuckte heran und hüllte Jan Muursteen in brodelndes Licht. »Alle zurück!«, brüllte Agonis. Die Angriffe entsetzten ihn mehr als die riesigen Kristallschiffe. Die unbe kannten Aggressoren unternahmen nicht einmal den Versuch einer Verständi gung. Ein wuchtiger Schlag traf Agonis’ Schulter. Trotz seiner wuchtigen Statur – als Epsaler war er nicht einmal 1,60 Meter groß, dafür fast ebenso breit – tau melte er zur Seite. Ein Strahlschuss ver fehlte ihn um etwas mehr als eine Arm länge und zog eine Feuerspur über den Boden. Vacucha hatte ihn zur Seite gestoßen. Ihr Gesicht hinter der Helmfolie war zur Grimasse erstarrt. Mit fast zweieinhalb Metern Körpergröße und fünfzehn Zent nern konnte die Ertruserin einiges auf bieten, zumal ihr Fleisch überwiegend aus Muskelmasse bestand. Aber die Fremden hatten auf Agonis noch mas siger gewirkt. Vacucha griff nach seinem Gürtel und zerrte ihn mit sich. Zwei Schüsse ver fehlten sie beide nur knapp, dann hatten sie die Deckung einer schroffen Felsfor mation erreicht. Die zerklüftete Oberfläche des Plane toiden bot unzählige Verstecke. Aller dings hätte der Epsaler es nicht darauf anlegen wollen, sich einfach zu verkrie chen und abzuwarten. Er fragte sich, über welche technischen Möglichkeiten die Angreifer verfügten. Ihre Tarnung war jedenfalls perfekt gewesen. Seit sieben Tagen stand die PROSPE
Hubert Haensel
RO auf dem Planetoiden. Dass es in die ser Zeit allen Untersuchungen, Karto grafierungen und Vermessungen zum Trotz nicht gelungen war, die riesigen Hangars zu erfassen, überraschte Ago nis. Bis vor wenigen Augenblicken hätte er das für undenkbar gehalten. Die PROSPERO stand gut dreißig Ki lometer von dem untersuchten Areal entfernt. Damit drohte dem Schiff keine unmittelbare Gefahr. Ausschließen, dass die Fremden den Fünfzig-Meter-Kugelraumer angemes sen hatten, konnte Agonis jedoch nicht. Er war sich dessen bewusst, dass es kei ne Zeit zu verlieren galt. Niemand in der Stardust-Union erwartete, Fremde in Far Away anzutreffen. Die Administra tion auf Aveda musste schnellstens da von erfahren. Das Stardust-System war nur fünfundfünfzig Lichtjahre ent fernt. Ob die Angreifer von außerhalb des Kugelsternhaufens gekommen waren? Agonis blieb sich die Antwort schuldig. Eher, nahm er an, hatten die Angreifer auf dem Planetoiden im Tiefschlaf gele gen ... ... und waren geweckt worden, als die PROSPERO landete? Das alles erschien ihm wie ein böser Traum. Sein Puls raste. Weder er noch seine Prospektoren trugen irgendwelche Waf fen. P-17-25-1463 war ihnen unbedenk lich erschienen. Wahrscheinlich trieb der Planetoid seit Jahrhunderttausen den als Vagabund durch den Raum. Wo her er gekommen war, wusste Agonis nicht. Nur der künftige Kurs des Bro ckens war berechnet worden; für eine kleine Ewigkeit war keine Kollision mit einer Sonne zu befürchten. Tief atmete der Epsaler ein. Im Helmfunk blieb es ruhig. Offenbar hatte jeder seiner Leute den Sender ab geschaltet. Oder ...? Agonis brachte den
Grenzgängerin des Schleiers
Gedanken nur zögernd zu Ende. Helma war tot, von den Fremden erschossen. Wahrscheinlich hatte sie nicht ein mal mitbekommen, was geschah. Und Muursteen? Agonis biss sich auf die Unterlippe, bis er Blut schmeckte. Er fragte sich, ob Susette Angh und Pirol Yantill noch lebten. Die Grabungsspezialistinnen hatten sich in der Nähe der Gleiter auf gehalten, einige hundert Meter von den anderen Prospektoren entfernt. Unge fähr dort war die Hangardecke zuerst verschwunden. Die Arbeits-SERUNS der Prospek toren verfügten nicht über eigene Trieb werke, waren jedoch mit Gravo-Paks ausgerüstet. Die Frauen mussten also nicht zwangsläufig beim Sturz in die Tiefe ums Leben gekommen sein. Agonis blickte Vacucha hinterher. Sie hatte sich etliche Meter von ihm entfernt und schien sich nach den Verfolgern um schauen zu wollen. Verschwinden wir hier, solange wir noch in der Lage ... Die Ertruserin hielt inne. Sie kom men, glaubte Agonis aus ihrer Haltung zu erkennen. Warum lief oder schwebte er nicht zum Schiff zurück? Die dreißig Kilome ter waren kein Problem. Sobald er die Leistung seines Mikrogravitators redu zierte, kam er in der geringen Schwer kraft des Planetoiden mit Riesensätzen voran. War es womöglich schon zu spät? Va cucha winkte jedenfalls heftig. Ich soll in Deckung gehen? Aber ... Starke Erschütterungen durchliefen den Boden. Für einen Moment fürchtete Agonis, dass die Kristallraumschiffe starteten. In diesem Fall würde die PRO SPERO nicht mehr lange existieren. Selbst wenn die Positronik den Schutz schirm aufbaute, der Epsaler glaubte nicht, dass die HÜ-Projektoren den
25
Bordwaffen der Fremden lange stand halten konnten. * Eine zweite Bebenwelle. Risse ent standen im Boden, als fange der Unter grund an, sich auch in diesem Bereich aufzulösen. Einer der Risse sprang Ago nis in wildem Zickzack entgegen – und kam erst wenige Meter vor ihm zum Stillstand. Wie lange inzwischen? Zwei Minuten, vielleicht drei. Nach wie vor kein Lebenszeichen von den Frauen. Lagen sie zerschmettert in der Tiefe? Muccor war den Angreifern ohnehin so nahe gewesen, dass er kaum eine Chance gehabt hatte. Vacucha ist weg! Der Epsaler reagier te erschreckt. Wo seine Gefährtin eben noch gewesen war, stand nun einer der Fremden und schaute in seine Rich tung. Agonis floh nicht. Vor der schweren Waffe, die der Koloss auf ihn richtete, gab es kein Entkommen. So schnell konnte er gar nicht laufen, dass er einem Schuss entging. Warum schoss der Gegner nicht eben so kompromisslos, wie seinesgleichen Helma und Jan getötet hatten? Agonis glaubte, ein scharfes Zischen im Helmempfang zu hören. Der Fremde redete zu ihm? Langsam drehte der Prospektor seine leeren Handflächen nach vorn. Die Ges te provozierte eine offensichtlich auffor dernde Bewegung mit der Waffe; nur konnte er nicht erkennen, was sein Ge genüber von ihm erwartete. »Ich verstehe nicht«, sagte er zö gernd. Etwa dreißig Meter trennten sie von einander. Agonis schien es, als verflüch tige sich der Koloss. Dieses Wesen ver schmolz immer mehr mit dem unruhig
26
gefärbten Hintergrund. Passte sich sein rau wirkender violetter Schutzanzug allmählich der Umgebung an? Schätzungsweise drei Meter war der Fremde groß. Alles an ihm wirkte be drohlich. Er stand auf zwei kräftigen Beinen, hatte zwei Arme – und wirkte wie eine geballte Dosis Tod. Der Fremde war für Agonis nur eine Kreatur. Wesen, die grundlos töteten, waren für ihn Kreaturen. Der länglich vorspringende Schädel erinnerte ihn an eine Schlange oder einen schlangenar tigen Raubfisch und ließ seine Abnei gung wachsen. Agonis entsann sich einiger Holos, in denen er sehr ähnliche Kreaturen gese hen hatte. Bilder der terranischen Un terwasserwelt waren das gewesen – Mör derfische, die sich in Felsspalten verbargen und urplötzlich zustießen. Nur ihr Name kam ihm nicht in den Sinn. Ich mag euch nicht, verdammt. Wenn unsere Desintegratorbohrer nicht zwi schen den Felsen stecken würden ... Der Fremde war kaum mehr wahrzu nehmen. Agonis sah nur noch den schlanken vorspringenden Schädel, und als sich der Rachen öffnete, bestätigten Hunderte dünne Zähne den Eindruck eines Raubtiers. Dann ging alles wahnsinnig schnell. Der Angreifer hob die Waffe, deren ver dickte Mündung von fahl zuckenden Entladungen umflossen wurde. Agonis warf sich ohne nachzudenken zur Seite, und keine Sekunde später spürte er die Hitze eines Strahlschusses, der ihn bei nahe um einen Meter verfehlte und den Boden aufriss. Der Epsaler kam unerwartet hart auf und strauchelte. In der Seitwärtsdre hung sah er gut zehn Meter hinter dem Angreifer einen zweiten der Fremden erscheinen. Von seiner neuen Position aus ent
Hubert Haensel
deckte er aber auch den nahezu senk rechten Spalt in der Felswand. Den Rü cken und die Füße gegen den Fels gestemmt, verharrte dort Vacucha in mehreren Metern Höhe. Ihr kraftvoll ge schleuderter großer Steinbrocken traf den Angreifer und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Fast gleichzeitig sprang die Ertruserin und riss die Kreatur zu Boden. Ein neuer Glutball jagte über Agonis hinweg. Der zweite Angreifer hatte ge schossen, aber offenbar zugleich die Waffe verrissen, weil er sich der näher kommenden menschlichen Gestalt zu wandte. Das ist Muccor, glaubte Agonis zu er kennen. Heiß durchlief es ihn, als er sah, dass der Prospektor einen Desintegratorboh rer wie einen Speer schwang. Mit beiden Händen führte Muccor Dell den zwei Me ter langen armdicken Stab und stieß zu. Für einen Sekundenbruchteil bemerk te Agonis das fahle Leuchten der Desin tegratorspitze. Vielleicht bildete er sich den grünen Schimmer auch nur ein. Je denfalls rammte der Bohrstab durch den massigen Leib des Fremden und stieß offensichtlich auch noch eine oder zwei Handspannen tief in den Untergrund. Muccor, obwohl nur ein schmächtiger Terranerabkömmling, musste den Stab mit aller Kraft geführt haben. Die schlangenköpfige Kreatur bäumte sich auf. Der Analysestab, so wider standsfähig er sein mochte, splitterte wie ein dünnes Rohr. Vergeblich ver suchte Muccor, noch einmal zuzupacken. Eine heftige Bewegung des Fremden schleuderte ihn zur Seite und ließ ihn stürzen. Das war der Moment, in dem Agonis auf die Beine kam. Er war jedoch zu weit entfernt, um schnell genug eingreifen zu können. Vacucha sprang den Gegner von der
Grenzgängerin des Schleiers
Seite an. Für ein paar Sekunden konnte Agonis nicht erkennen, was geschah. Seine Gefährtin versuchte offenbar, die Energiewaffe an sich zu bringen. Er hatte erst die halbe Distanz über wunden, da flammten zwei Feuerbälle auf. Muccor brach getroffen zusammen. Der zweite Schuss traf Vacuchas Gegner, weil sie selbst gedankenschnell zur Sei te fuhr. Im ersten Moment glaubte Agonis, dass auch die Frau getroffen war. Sie stürzte, rollte zur Seite und kam schwan kend wieder auf die Knie. Erst da be merkte er, dass sie die fremde Waffe um klammert hielt. In seinem Helmlautsprecher erklang Vacuchas wüster Fluch. »Wie löst man dieses verdammte Ding ...?« Zwei Blitze jagten den Angreifern entgegen. Einer davon traf. Aber das konnte die Ertruserin schon nicht mehr erkennen. Sie warf sich herum und hetzte davon, feuerte wieder und igno rierte, dass sie selbst jeden Moment ge troffen werden konnte. Nur Sekunden, dann befand sie sich hinter einem Fels vorsprung im toten Winkel. Agonis hatte ebenfalls diese Richtung eingeschlagen. Vielleicht kamen andere Gegner schon von vorn und nahmen sie beide in die Zange, er wusste es nicht, und es spielte auch keine Rolle. »Weg hier!«, dröhnte Vacuchas Bass stimme im Helmempfang. »Susette und Pirol ...« »Ich glaube nicht, dass sie noch le ben.« Vacucha feuerte. Agonis konnte nicht erkennen, ob wirklich Verfolger hinter ihnen waren. Aber wenn, dann würden sie sich kaum von dem nur noch schwachen Glutstrahl beeindrucken las sen, der aus der Projektormündung her vorbrach. »Schrott.« Vacucha warf die Waffe bei seite. »Made on Ertrus ist das nicht.«
27
Agonis schwieg dazu. Allerdings rief er nach den beiden Frauen. Eine Ant wort blieb aus. »Was willst du tun, falls sie sich mel den?«, fragte Vacucha spöttisch. »Um kehren? Sei froh, dass uns niemand folgt.« Sie hatte recht. Mit bloßen Fäusten gegen diese Kreaturen vorzugehen, mochte einmal leidlich Wirkung zeigen, aber bestimmt nicht öfter. Agonis rannte nun auch los. Die kan tigen Geländestrukturen fielen schnell hinter Vacucha und ihm zurück. Aus der größer werdenden Distanz wirkten sie immer noch wie in den Fels eingeschla gene seltsame Bauwerke. Keineswegs alle waren der Auflösung zum Opfer ge fallen. »Offensichtlich verfolgen sie uns wirklich nicht«, stellte die Ertruserin fest. »Weil sie wissen, dass wir ihnen nicht entkommen können.« Jeden Moment er wartete der Epsaler, die riesigen rot schimmernden Kristallschiffe aufstei gen zu sehen. Dass gerade das nicht ge schah, beruhigte ihn keineswegs. Die Furcht lief wie ein Schatten mit ihm. Sie holte ihn nicht ein, aber sie blieb perma nent hinter ihm. Kom Agonis war Mineraloge, Gra bungstechniker und promovierter Kos mo-Historiker. Eine Ausbildung als Raumsoldat hätte er kategorisch abge lehnt. Nie hatte er gelernt, in Situati onen wie dieser ruhig zu bleiben. Er hatte Angst, das gestand er sich ein. Verdammte Angst sogar. Sie wurde größer, je mehr die Anspannung der ers ten Konfrontation von ihm abfiel. Große Bodenplatten waren in der Ebene wie Eisschollen aufgebrochen und hatten sich an den Rändern über einandergeschoben. Vor langer Zeit wa ren an diesem Ort gewaltige Kräfte wirksam geworden. In den zehn Tagen
28
Hubert Haensel
auf P-17-25-1463 hatte der Epsaler sich nur einmal gefragt, wie diese Gelände strukturen entstanden sein mochten. Alles andere war interessanter gewesen – die Titanvorkommen in fast rein metallischer Form, die seltsamen Ge bäudesilhouetten und die rätselhafte energetische Phasenverschiebung im Untergrund. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte sich zuerst mit dem Banalen ausein andergesetzt. Die Verwerfungen mochten ein Hinweis auf den riesigen Hangar sein. Oder in diesem Bereich waren technische Anlagen untergebracht: Schutzschirmge neratoren, Triebwerke ... Es war zu spät, danach zu fragen. * Alles war ruhig geblieben. Zu ruhig, fand der Eigner der PRO SPERO, als er nach der Ertruserin die Bodenschleuse des kleinen Kugel raumers betrat. Erst der überraschende Angriff dieser ... Kreaturen, und dann nichts mehr. »Mag sein, dass sie vordringlich ihren Hangarbereich absichern«, sagte Vacu cha so unvermittelt, als sei sie plötzlich in der Lage, seine Gedanken zu lesen. »Ja, vielleicht. Und womöglich folgen sie uns nicht, weil sie noch mit sich selbst beschäftigt sind.« Vacucha schaute ihn fragend an. »Sie müssen Informationen sam meln ... den Hangar und die Schiffe ab sichern ... und treffen wohl parallel dazu Vorbereitungen, den Planetoiden zu verlassen.« »Du meinst, dass sie tatsächlich hier einen langen Zeitraum in Stasis zuge bracht haben? Aber wer oder was sind sie?« Das Schott glitt hinter ihnen zu. Es dauerte nur Sekunden, bis der Druck ausgleich hergestellt war.
Agonis öffnete den Helm und schob die schlaff werdende Folie in den Na ckenwulst zurück. »Sind diese Wesen frühere Bewohner von Far Away? Kann es sein, dass ihr Volk vertrieben wurde oder ausgewan dert ist und nur eine Wachflotte zurück blieb?« Agonis schaute zu der Ertruserin auf. »Das klingt zwar spannend, aber für uns nicht besonders vorteilhaft!« Sie schwangen sich in den von Pol zu Pol führenden Antigravschacht und ver ließen ihn in der Zentrale. Nur zwei dis kusförmige Reinigungsroboter waren hier. Die dicht über dem Boden schwe benden Maschinen zogen sich sofort zu rück, als sie die beiden Besatzungsmit glieder registrierten. »Alle Funktionen aktivieren!«, ordne te Agonis an. »Bereitschaft für Alarm start! Statusanzeige Energiereserve! Wurden Funksprüche aufgefangen?« Die Frage war überflüssig. Das wurde dem Epsaler klar, kaum dass er sie ge stellt hatte. Einen eventuellen Hyper komempfang hätte die Schiffspositronik sofort weitergegeben. Er überflog die aufleuchtenden Stan dardholos. Die Energiereserven waren ausreichend groß. Selbst wenn die PRO SPERO mit Höchstwerten beschleu nigte, würde geraume Zeit vergehen, bis der Überlichtflug möglich wurde. Falls Kristallschiffe die Flucht verhindern wollten, musste der HÜ-Schutzschirm bis zum Äußersten belastbar sein. Das bedeutete eben nicht nur Standardwert hundert Prozent, sondern kurzfristige Spitzenbelastungen. Agonis fröstelte, weil sich ihm das Bild dieser Kreaturen schon wieder auf drängte. »Ich registriere weitere Gefügeverän derungen im Planetoiden«, stellte die Positronik fest. »Dazu deutlich wach sende Energiesignaturen ...«
Grenzgängerin des Schleiers
»Ist erkennbar, wodurch dieser Vor gang ausgelöst wird?« »Negativ.« Die beiden Grabungsspezialistin nen ...? Es gab nach wie vor kein Lebens zeichen von ihnen. Sie sind tot!, redete Agonis sich ein. Sie waren mitten im Geschehen ... Und falls die Angreifer beide nicht so fort getötet hatten, sondern sie verhören wollten? Wenn der Tod das gnädigere Schicksal gewesen wäre? Ich habe zu viele historische Berichte gelesen. Damals war vieles anders, aber heute ... War die Welt wirklich besser gewor den? Kom Agonis biss die Zähne zusam men und schloss für Sekunden die Augen. Alles in ihm sträubte sich gegen die Er kenntnis, dass es schon wieder losging. »Sehr viel mehr als hundert Jahre Frie den scheinen uns Menschen einfach nicht mehr vergönnt zu sein.« Ungewollt hatte er seine Überlegung laut ausgesprochen. Und das fiel ihm auch nur auf, weil Vacucha ihn plötzlich aus weit aufgerissenen Augen anstarrte. »Irgendjemand will nicht, dass wir Ru he finden. Aber warum? Manchmal glau be ich, dass die Evolution für uns Men schen erst richtig in Gang kommt. Nur: Was verbirgt sich dahinter?« »ES?« Agonis zögerte, dann schüttelte er den Kopf. Die Hologalerie zeigte den in der Schwärze versinkenden Planetoiden. Der riesige Hangar, die Kristallschiffe, sie waren in der Einblendung grell leuchtende Markierungen. Aber noch veränderte keines der Schiffe seine Position und jagte der PROSPERO hinterher. Sollten wir Glück haben und unbehel ligt entkommen? »Wer, wenn nicht ES? Die Kosmo kraten, oder ...?« Vacucha fiel prompt in einen Flüsterton. »Chaotarchen?«, platzte Agonis trotz
29
ihres Zögerns heraus. »Unsinn. Die wol len so schnell hoffentlich nichts mehr von uns.« Nicht alle Stardust-Siedler gingen mit der jüngeren Geschichte ungezwungen um. Die Furcht vor dem Heerwurm des Chaos hatte sie in diese neue Welt ge zwungen, aber sie war auch mitgereist. Für viele war das neue Leben fernab der Milchstraße nur eine schöne Fassade, die über kurz oder lang bröckeln musste. »Außerdem sind Kosmokraten und Chaotarchen gewiss nicht alles. Über ih nen gibt es sicher noch eine Macht, ob fleischlich oder mental, vielleicht mani festiert sie sich auch nur in den Naturge setzen.« »Gott ... der Schöpfergeist ... wie im mer wir das auch nennen wollen. Ich ken ne die Aussagen der Vereinigten Konfes sionen, aber manchmal glaube ich, sie sollen nur beruhigen. Es geht darum, ei nen Sinn zu finden ...« »Was glaubst du, weshalb die Vereinig ten Konfessionen sonst diesen enormen Zulauf zu verzeichnen hatten, nachdem TRAITOR in die Milchstraße eingefallen war?«, fragte Kom Agonis. »Alles in un serem Dasein muss einen Sinn haben.« Noch zwei Minuten bis zum frühest möglichen Wechsel in den Überlichtflug. Agonis zögerte einen Moment, dann wandte er sich an die Positronik: »Kurs korrektur! Wir fliegen die nächststehen de Sonne an und gehen dort in den Or tungsschutz. Ich will wissen, was auf P-17-25-1463 geschieht. Richtfunk spruch nach Aveda, sobald wir in die Ko rona eintauchen.«
6. Von NEO-OLYMP nach Aveda Ihm brannte die Zeit unter den Nä geln. Eigentlich hatte Perry Rhodan sehr schnell nach seiner Ankunft Verbindung
30
mit ITHAFOR aufnehmen und Bully über seine Ankunft im Stardust-System informieren wollen. Stattdessen hatte er aus einem Bauchgefühl heraus die Transferkamine von NEO-OLYMP des aktiviert und die Kommunikationswege per Polyport-Funk gleich mit. Bully würde sich gedulden müssen. In der jetzigen Situation war es besser, nicht zusätzlich auf NEO-OLYMP auf merksam zu machen. Der Terraner ging vorsichtshalber davon aus, dass die Fre quenz-Monarchie mit ihren Mitteln den Polyport-Funk beherrschte und die Her kunft von Sendungen anmessen konnte. In einer solchen Situation war es ange bracht, absolute Funkstille einzuhal ten. Für einen Moment musste Rhodan überlegen, wie lange es her war, dass die ersten Konzepte in Erscheinung getre ten waren. Er schüttelte kurz den Kopf, als er Mondras fragenden Blick auf sich gerichtet sah. Die Jahreszahl war schon wieder da. Selbst Aktivatorträger ver fügten nicht über unerschöpfliche Re serven; ein fotografisches Gedächtnis hatte er ohnehin nicht. Hin und wieder stellte er fest, dass die Erinnerung man ches in einem milderen Licht erscheinen ließ. März 3460, also vor mehr als einein halb Jahrtausenden. Das gewagteste Unternehmen der Menschheitsgeschich te hatte die Erde und ihren Mond dem Zugriff der Laren entziehen sollen. Der Sprung durch den Sonnentransmitter war fehlgeschlagen, hatte Terra im Mahlstrom der Sterne materialisieren lassen und letztlich das Zeitalter der Aphilie eingeläutet. Einhunderteinundzwanzig Jahre spä ter der Sturz der Erde in den Schlund. ES hatte damals eingegriffen und mehr als zwanzig Milliarden menschliche Be wusstseine in sich aufgenommen, um sie zu retten. Bald darauf waren die ersten
Hubert Haensel
Konzepte entstanden, spontane Abson derungen mehrerer Bewusstseine in einem einzigen Körper. Kershyll Vanne, der Sieben-D-Mann, war wohl das bekannteste von ES gezielt erschaffene Konzept. Sieben Bewusst seine von Männern und Frauen, die sich Vannes Körper geteilt hatten. Ein Erinnerungsfetzen schob sich plötzlich in den Vordergrund. Rhodan hatte diese Szene längst vergessen ge habt, nun war sie wieder da. Der Maus biber hatte damals, wenn auch nur ein einziges Mal, völlig despektierlich von einer WG gesprochen. Wenn jetzt längst verstorbene Mutan ten aus dem Nichts auftauchten, Fellmer Lloyd und Ras Tschubai, und wenn Tschubai dann auch noch behauptete, er sei Lloyd ... dann war es vermutlich nicht erst fünf vor zwölf. Rhodan fragte sich, ob ES auch ande re Mutanten freigesetzt hatte. Und war um suchten sie im Stardust-System nach ihm? Die Milchstraße wäre weitaus na heliegender gewesen. »ES ist ... verhindert. Mein Meister befindet sich in einer schwierigen Situa tion.« Genau das hatte Homunk als Bote der Superintelligenz erst vor wenigen Tagen zu ihm gesagt. »Die Lage in Far Away ist ihm entglitten.« Suchten deshalb die Mutanten am falschen Ort? Ras oder Fellmer oder wel ches Bewusstsein auch immer, überlegte der Terraner, würde ihm die Antwort ge ben müssen. »Zweifellos gibt es eine schnelle Ver bindung nach Ares-Alpha«, sagte Tolot. Für Rhodan war es der Beweis, dass der Haluter zu demselben Ergebnis ge langt war wie er, auch wenn er in den paar Sekunden weitaus mehr unter schiedliche Überlegungen angestellt ha ben mochte. »Wir haben einige Käfigtransmitter geschaltet«, sagte Legrange. »Ich denke,
Grenzgängerin des Schleiers
dass Stuart und ich momentan nicht be nötigt werden. Die neue Situation für NEO-OLYMP muss abgeklärt werden.« »Eine variierte strategische Ausrich tung erscheint mir sinnvoll«, bestätigte Stuart Lexa. »Was wir über die Angriffe der Frequenz-Monarchie und ihrer Zuchtsoldaten erfahren haben, erscheint mir äußerst hilfreich.« Rhodan nickte knapp. »Bildse quenzen, Ortungsdaten und andere Aufzeichnungen werden von meinem SERUN bereits an die Positronik über mittelt.« »Gut«, sagte Legrange. »Darum woll te ich eben bitten.« »Mach dir, was Tschubai oder Lloyd anbelangt, keine zu große Hoffnung, Perry«, warnte Whistler. »Ich sagte zwar, dass er das Bewusstsein verloren hat, aber er wurde von den Ärzten ins künst liche Koma versetzt. Mir ist unbekannt, wie schnell sie ihn ...« »Schon gut. Mir geht es auch um die Felsennadel. Aber zuerst Tschubai.« Whistler nickte bedächtig. »Ich habe das nicht anders erwartet. Wir nehmen eines der Fahrzeuge, um schnell zum Transmitterbereich zu gelangen.« * Schon wenige Minuten später er reichte die Gruppe über die Käfigtrans mitter Ares-Alpha. Nur Ramoz war an Bord von MIKRU-JON zurückgeblie ben, jedoch erst, nachdem Mondra ener gisch geworden war. »Du bist in der Zentrale besser aufge hoben als in der Klinik. Du kannst die Zähne fletschen und katzbuckeln, mein Kleiner, aber diesmal lasse ich mich nicht umstimmen.« Rhodan fand, dass Ramoz mitunter mehr verstand, als es für Außenstehende den Anschein hatte. Sein Unbehagen darüber, dass er zurückgelassen wurde,
31
war offensichtlich gewesen. Ramoz hat te Mondra ignoriert, sich auf dem Boden zusammengerollt und den Kopf unter den Vorderbeinen verborgen. Ein offenes Schwebefahrzeug brachte sie in schneller Fahrt ans Ziel. Die Kor ridore waren breit und hell ausgeleuch tet, Kreuzungspunkte erstreckten sich zum Teil über mehrere Etagen, und transparente Röhren ermöglichten Fuß gängern ein schnelles Vorankommen. Whistler gab Erklärungen zu der aus gedehnten Tiefbunkeranlage. Aber das war nichts, was einen Mann wie Rhodan noch hätte überraschen können. Die Grundfläche der Anlage betrug gut einen Quadratkilometer. Fünfzehn Haupt-Tiefetagen waren zum Teil ge geneinander verschoben errichtet wor den. Unerheblich, nach dem Warum dieser Bauweise zu fragen. Das mochte ebenso mit den Bodenverhältnissen im Asha war-Delta zusammenhängen wie mit geplanten weiteren Ausbaustufen. AresAlpha lag auf der Regierungsinsel im Norden von Stardust City. Eigentlich ein großes Gebiet, das ausreichend Platz für Erweiterungen bot. Es würde nicht schwer sein, den Asha-Nuur-Arm oder den ringförmigen Canal Grande zu un terminieren. »In Ares-Alpha wurde auch der Sitz des Flottenkommandos eingerichtet. Hier befindet sich zudem das Haupt quartier der Stardust Intelligence Agen cy ...« »Ah, es gibt also bereits einen Ge heimdienst«, bemerkte Mondra. »Naturgemäß obliegen ihm nur sehr wenige Aufgaben, solange sich die Star dust-Union auf ein kleines Gebiet be schränkt. Die SIA dient dem Personen schutz, nimmt aber in keiner Weise allgemeine polizeiliche Aufgaben wahr.« »Das macht wer?«, wollte Rhodan wissen.
32
»Normale Polizeiaufgaben unterste hen dem Stardust City Police Depart ment. In Ares-Alpha angesiedelt ist al lerdings das Interstellar Bureau of Investigation, die übergeordnete Poli zeibehörde für das gesamte StardustSystem. Unterstellt dem Justizministe rium.« »Genau wie beim Interstellar Bureau of Investigation auf der Erde.« Whistler gab ein knappes Kommando. Das Schwebefahrzeug bog in einen we niger frequentierten Bereich ab und sank gleich darauf in einem Lastenanti gravschacht abwärts. »Während sich im subplanetaren Ab schnitt vorwiegend die sicherheitsrele vanten Abteilungen befinden, sind die öffentlichen Bereiche in einem Turmbau an der Oberfläche untergebracht. Ein repräsentatives, vierhundert Meter ho hes Gebäude ...« Der Schweber setzte in einer Kammer auf, die Icho Tolot gerade noch ausrei chende Stehhöhe bot. Dutzende solcher Kammern reihten sich neben- und über einander. Ein Energiefeld verschloss den Ein flugbereich, gleichzeitig öffnete sich auf der gegenüberliegenden Seite ein Druck schott. »Der Zugang dient zugleich als Des infektionsschleuse«, sagte Whistler. »Hier befinden wir uns in unmittelbarer Nähe der gesonderten Behandlungszim mer.« Ein flüchtiger greller Lichteffekt war alles, was Rhodan von der Desinfektion wahrnahm. Techniker oder Mediziner der Stardust-Union hatten die ge wohnten Verfahren offenbar modifi ziert. Minuten später betraten sie gemein sam Tschubais Zimmer. Mehrere Medo roboter und Ärzte waren anwesend. »... absolut nichts an den Hirnstrom kurven deutet auf dieses vermeintliche
Hubert Haensel
zweite Bewusstsein hin«, hörte Rhodan eine Medizinerin sagen. »Ich kann die These von zwei oder mehr Bewusstsei nen im Körper des Patienten jedenfalls nicht unterstützen. Nicht einmal einen schizoiden Formenkreis halte ich für ge geben. Hochgradige Verwirrung als Fol ge eines traumatischen Schockerleb nisses ... Ebenso gut könnte er behaupten, Perry Rhodan zu sein.« »Ich behaupte das auch von mir«, sagte der Terraner verhalten. Prompt wurde es totenstill. Eine fal lende Nadel hätte einen Geräuschorkan entfesselt. Die Ärztin wandte sich um. Sie war die Älteste in der Gruppe und hatte die hundertsiebzig wohl schon überschrit ten. Im ersten Moment wirkte sie ärger lich, doch ihre Augen weiteten sich in ungläubigem Erstaunen, während sie die Besucher, insbesondere den Terraner, durchdringend musterte. »Mein Gott«, brachte sie tonlos her vor. Rhodan schüttelte den Kopf. Ein Sei tenblick auf den Haluter verriet ihm, dass Tolot sich mühsam ein dröhnendes Lachen verkniff. »Nein, keineswegs. Darf ich bitte mei nen alten Freund Ras sehen?« Rhodan ging auf das Krankenbett zu, das auf einem Hydrauliksockel befestigt war, offensichtlich mit einem Kugel gelenk sogar in Extrempositionen schwenkbar. Die Gerüste für Messgeräte und Körperscanner waren hinter dem Kopfteil komprimiert aufgereiht. Die Mediziner wichen zögernd zur Seite. Rhodan ging allein auf den im künst lichen Koma liegenden Mutanten zu. Tschubai zählte zu den ältesten Freun den, die ihn seit der Gründung der Drit ten Macht ein langes Stück seines Weges begleitet hatten. Ras Tschubai, geboren 1947 im Sudan, hatte in Indien studiert
Grenzgängerin des Schleiers
und anschließend in Moskau als Chemi ker an der versuchten Entwicklung eines lebensverlängernden Serums mitge wirkt. Seine Parafähigkeit hatte er in Lebensgefahr während einer Expedition entdeckt. Kurze Zeit später zählte er zum da maligen Mutantenkorps. Er erhielt eine lebensverlängernde Zelldusche, später einen Zellaktivator. Wann? Rhodan zö gerte. Letztlich war die Jahreszahl aus aktueller Sicht unwichtig. Tschubai war im Jahr 1169 Neuer Galaktischer Zeit rechnung gestorben ... ... und nun doch wieder da. Rhodan blieb drei oder vier Schritte vor dem Bett stehen. Seine Zweifel ver flogen. Der Mann, den er mit mehreren Messgeräten und einer Sonde für künst liche Ernährung verbunden vor sich sah, war Ras Tschubai. Daran konnte es nicht den geringsten Zweifel geben. Ein kräf tiger muskulöser Hüne mit tiefschwar zer Haut und schwarzem Kraushaar. Tschubais Lider waren geöffnet. Sein Blick verlor sich jedoch in endloser Fer ne. Die Augen schauten ins Leere, sie nahmen offenbar nichts von dem wahr, was um ihn geschah. 2326 nach Christus. Die Jahreszahl drängte sich unvermit telt in Rhodans Gedanken. 2326 war das Jahr gewesen, in dem der Teleporter sei nen Zellaktivator erhalten hatte ... Rhodan stutzte. Tschubais Lider hat ten sich bewegt, ein schnelles Blinzeln, wenngleich das Mienenspiel des Mutan ten unbewegt blieb. »Etwas verändert sich«, hörte er schräg hinter ihm die Ärztin sagen. »Die Messung zeigt verstärkte Thetawellen; der Patient reagiert.« »Wie schnell kann Tschubai aufge weckt werden?« Die Frage kam von Mondra. »Vorerst rate ich davon ab«, antwor tete einer der Ärzte. »Offensichtlich
33
stand der Mann unter Extremstress, der jederzeit lebensbedrohliche Zustände auslösen kann. Das künstliche Koma entlastet den Organismus, aber die wich tigsten Körperfunktionen sind noch nicht wieder im Normbereich.« Rhodan stand neben dem Bett. Der Hauch eines Lächelns zeichnete sich um Tschubais Mundpartie ab. Seine Lippen zuckten. Der Mutant bewegte den Kopf nicht, aber seine Augen sahen Rhodan an. Kein Zweifel: Tschubai nahm den Be sucher wahr. Wie tief diese Wahrneh mung aber ging und ob sie für ihn mehr als eine flüchtige Traumsequenz sein mochte ... Ein warnender Ausruf der Ärztin. Tschubais Kopf flog herum. Er bäum te sich auf, sackte aber sofort wieder zurück. Einige der Anschlüsse an seinem Körper hingen plötzlich lose. Ein zweiter gequälter Versuch, sich aufzurichten. Vielleicht handelte der Mutant auch nur reflexartig, als er sich mit dem rechten Unterarm abstützte und in die Höhe stemmte. Diesmal schaffte er es, sich in der Schräge zu halten. Gerade so lange je denfalls, dass seine linke Hand nach Rhodan greifen konnte und sein Hand gelenk umklammerte. Abgehackte, klagende Laute kamen aus Tschubais Kehle. Was immer er mit teilen wollte, blieb unverständlich. Im nächsten Moment röchelte er nur noch. Er wollte auch mit der anderen Hand nach Rhodan greifen, aber schon fiel er wieder zurück. Rhodan wurde zur Seite gestoßen. Er wich zurück, um den Ärzten nicht im Weg zu stehen. Mondra war neben ihm. »Wir können nicht alles übers Knie brechen, Perry. Du musst Geduld haben.« Er wandte sich ihr zu, schüttelte den Kopf. »Geduld? Mit der Frequenz-Mon
34
Hubert Haensel
archie? Oder mit ES? Ich hoffe, wir er fahren noch, welche Informationen Ras mir bringen sollte.« »Tschubai oder Lloyd oder wer immer – er braucht nichts dringender als Ru he.« Die Ärztin kam auf Rhodan zu und schob ihn sanft, aber bestimmt, zur Tür. »Noch so einen Zwischenfall kann ich nicht verantworten. Also bitte!« »Ich muss mit ihm reden«, sagte Rho dan. »Was medizinisch vertretbar ist, muss getan werden, damit Ras bei Be wusstsein bleibt.« »Willst du mit einem Toten reden oder doch eher mit einem Mann, der dir noch antworten kann?« * »Alles unverändert. NEO-OLYMP meldet völlige Ruhe.« Whistler hatte die Meldung soeben vom Verteidigungsminister erhalten. Rhodan wusste mittlerweile ein wenig mehr über die führenden Persönlich keiten der Stardust-Union. Mehrere Fa milien hatten sich schon in den ersten Jahren durch besondere Leistungen her vorgetan. Es war wie so oft: der richtige Riecher zur rechten Zeit, und Chancen wahrnehmen, wo andere zögerten. Neue Zeiten brauchten Menschen, die Verantwortung ebenso selbstverständ lich übernahmen, wie sie bereit waren, persönlichen Risiken einzugehen. Das war nun wirklich keine neue Erkennt nis. Im günstigsten Fall traten die Kin der in die Fußstapfen ihrer Eltern. Ei gentlich bot der Whistler-Clan ein Paradebeispiel. Obwohl: Der Adminis trator hatte keine eigenen Kinder, nicht einmal eine Partnerin. Rhodan fand, dass Timber F. Whistler sich trotz gegenteiligen optischen Ein drucks verändert hatte. Whistler war schwerer einschätzbar als noch auf Ter ra, Stardust hatte ihn verwandelt. Viel
leicht, weil er den Sohn seines besten Freundes wie ein eigenes Kind ange nommen hatte? Rhodan warf einen Blick auf die Zeit anzeige seines Armbands. Etwas zu viel Zeit war seit dem kurzen Aufenthalt in der Klinik vergangen. Die Space-Jet, mit der sie von AresAlpha gestartet waren, sank tiefer. Star dust City leuchtete in der beginnenden Abenddämmerung. Linkerhand er streckten sich der Thora Space-Port und unmittelbar im Anschluss der noch grö ßere Stardust Space-Port. Voraus lag die Abbruchkante der Felswand mit der Stardust-Nadel. In der Tat ein gewaltiges Monument. Jemand hatte sich Mühe gegeben, mit der Nostalgie zu spielen. Jemand? ES! Die Handschrift des Unsterb lichen von Wanderer war für Rhodan unverkennbar. Tolot konnte sich eine entsprechende Bemerkung nicht ver kneifen. Bully hatte allerdings auch schon einen entsprechenden Kommen tar dazu abgegeben. Minuten später setzte die Space-Jet auf. Rhodan spürte, wie seine Ungeduld stieg. Ihm schien es, als wäre jäh die Ver gangenheit lebendig geworden. Die Er innerung an das Galaktische Rätsel weckte seine staunende Neugierde von einst. Heute wusste er so viel mehr über die Rätsel des Kosmos als damals, als die Menschen des Planeten Erde den ersten zaghaften Schritt in ein anderes Son nensystem getan hatten. Stand ein neuer Schritt bevor? Neue Erkenntnisse – die womöglich dem Leben an sich zugutekommen konnten? Oder erwartete er bereits zu viel? Ging es letztlich nur um ES? Da war die Bedrohung durch die Fre quenz-Monarchie, aber Perry Rhodan ließ sich von einer neuen Faszination lei
Grenzgängerin des Schleiers
ten, von dem Gefühl, bislang verschlos sene Türen aufstoßen zu müssen. Es war wie damals und es war doch anders. Er selbst war nüchterner geworden, sachlicher, wenngleich nicht weniger begeisterungsfähig. Allerdings war ihm klar, dass seine Begeisterung nicht lange anhalten konnte. Der Eingang zur Felsennadel lag an der Ostseite. Die Richtung der aufge henden Sonne ... Ein kleines Detail, wo möglich wirklich ein Hinweis – zumin dest eine Anspielung – auf den langen Weg, der noch vor den Menschen lag. Ein gewaltiger Tunnel, gut dreißig Meter hoch und nahezu ebenso breit, nahm Rhodan und seine Begleiter auf. Sogar Tolot geriet in dieser Umgebung zum Zwerg. Das saphirblaue Licht, das den Tun nel erfüllte, warf keine Schatten. Es ver breitete einen Hauch von Unwirklich keit. Wir sollen uns klein und unbedeutend fühlen und unsere vermeintliche Überle genheit ablegen, erkannte Rhodan. Nicht allein Wissen zählt. Wir müssen uns dar auf besinnen, wer und was wir sind.
7. Grenzgängerstation Sionis Conail Skali stockte der Atem. Alles in der Grenzgängerin schrie danach, sich herumzuwerfen und ihr Heil aber mals in der Flucht zu suchen, doch sie konnte es nicht. Ungläubig blickte sie den Angreifern entgegen. Wie unge schlachte Riesen erschienen sie ihr, und sie kamen aus der Richtung des Han gars. Es war unmöglich geworden, mit der Korvette zu fliehen. Skalis Finger ver krampften sich um den Kombistrahler. Alles in ihr bebte, der Herzschlag raste.
35
Strahlschüsse stachen grell durch die Halle. Sie hinterließen Glutnester im po rösen Gestein, trafen DaFur aber nicht, weil er im Zickzack im weitläufigen La gerbereich verschwand. In letzter Se kunde, bevor er in der Deckung mehre rer Aggregate verschwand, schien ihn doch ein Schuss zu streifen. »Verschwinde, Conail!« Sein Keuchen klang plötzlich aus ihrem Helmempfang. »Mich hat’s nicht erwischt ... nur Metall spritzer ...« Sie verstand, warum er nicht in ihre Richtung floh. Er lenkte die Angreifer ab, verschaffte ihr eine Chance ... Wir kommen hier nicht mehr raus. Wie auch? Die Grenzgängerin spürte Verbitte rung. Im hinteren Bereich der Höhle hat te DaFur keine Chance. Er feuerte selbst dann noch, als seine Deckung aufglühte und langsam in sich zusammensank. Nur ein paar Schritte weit hatte Ska li sich zurückgezogen, dann war sie ste hen geblieben. Sie sah einen der Angrei fer zusammenbrechen und hob nun auch den Kombistrahler, ihr Zeigefinger tas tete nach dem Auslösesensor. Aber sie schaffte es nicht. Es war so völlig anders, auf Lebewesen zu schießen als auf künstliche Ziele. Das kostete enorme Überwindung. DaFur lief weiter. Für Sekunden ver schwand er hinter lodernden Flammen bündeln. Als er stürzte, konnte Skali nicht einmal schreien, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Aber schon einen Au genblick später sah sie ihn geduckt wei terhuschen. DaFur warf sich in eine neue Deckung. Er schoss nicht mehr. Wollte er die Angreifer näher an sich herankommen lassen? Wie viele Leben hatte er eigentlich? Skali dachte an Sörenssen. An Snoo kes und die anderen. Waren alle tot? Sie biss sich die Unterlippe blutig.
36
Nur Sekunden hielt die trügerische Ruhe an. Als die Angreifer wieder feuer ten, hatten sie DaFur eingekreist. Er reagierte nicht. Was hatte er vor? Die Fremden noch näher an sich heran kommen lassen? Das war Wahnsinn! Plötzlich verstand Skali, dass der Sextadim-Theoretiker mit dem Leben abgeschlossen hatte. Er wartete bis zur letzten Sekunde, um wenigstens ein paar von den Angreifern mitnehmen zu kön nen. »Nein!«, hauchte sie entsetzt. Ihr zweites Nein! kam lauter. Sie zer biss es geradezu zwischen den Zähnen, und als wäre irgendetwas in ihr urplötz lich zerbrochen, hob sie wieder die Waf fe. »Heiker ... Bensson ... Ist noch einer von euch da?« Niemand antwortete. Doch. Eine schwache Stimme klang auf. »Schalt den verdammten Funk aus, Skali!« Sie spürte, dass DaFur das Reden schwerfiel. Aber noch lebte er. Skali fröstelte, als sie die optische Vergröße rung aktivierte. Das kleine Holofeld ver riet ihr, wie sehr ihre Hände zitterten. Poröser Fels; Aggregatblöcke; Trenn wände, die im Zielholo wie unüberwind bare Mauern erschienen, hinter denen sich ein ganzes Heer verbergen konnte. Dann einer der Angreifer. Skali hatte den Eindruck, dass dieses Wesen sie ebenfalls entdeckt hatte. Die tief in den Höhlen liegenden Augen schienen sie anzustarren, sich zu verengen. Ein Mund mit Hunderten dünner Zähne öffnete sich. Die Grenzgängerin fröstelte. Sie han delte instinktiv. Ihr Magen rebellierte und brennend stieg es in ihrer Speise röhre auf, während sie Schuss um Schuss aus der Projektormündung jagte. Doch ihr Gegner war schnell und hatte einen
Hubert Haensel
Sekundenbruchteil vorher seine Posi tion gewechselt. Neben Skali glühte plötzlich der Fels, sengende Hitze schlug über ihr zusam men. Weitere Schüsse verfehlten sie nur, weil sie sich gedankenschnell herum warf. Von der Seite kamen weitere Gegner. Im Laufen jagte Skali ihnen mehrere Salven entgegen. Ob sie eine Wirkung erzielte, sah sie schon nicht mehr. Wie Feuer brannte jeder Atemzug in ihrer Lunge. Sie war Wissenschaftlerin, keine Soldatin. Jähes Seitenstechen ließ sie beinahe einknicken, vor ihren Augen flimmerten bunte Linien. Dann ging es nicht mehr weiter. Skali warf sich herum, hastete an der Wand entlang zurück. Sie entsann sich, dass vor ihr einer der Zugänge sein musste, und wenn sie es schaffte, wieder nach oben zu gelangen, konnte sie vielleicht die Station verlassen. Draußen warteten die Schiffe der An greifer ... Vor ihr schlugen Strahlschüsse ein. Die Grenzgängerin strauchelte und stürzte schwer. Ein stechender Schmerz raste durch ihre Hüfte. Sie schaffte es nicht, sofort wieder aufzustehen. Wei tere Glutbahnen zuckten über sie hin weg, krachten in die Wand und in meh rere große Aggregate. Dass sie im toten Winkel lag, brachte Skali nur einen va gen Vorteil, denn jeden Moment konnten die Angreifer heran sein. Sie tastete nach ihrer Waffe. Beim Versuch, sich abzufangen, hatte sie den Strahler verloren. Neben ihr explodierte etwas, als sie die ersten Angreifer näher kommen sah. Es regnete Feuer und Gesteinsbrocken. Schützend riss Skali die Arme über den Kopf. Fast gleichzeitig erfolgte eine zweite, weitaus heftigere Explosion. Oh renbetäubender Donner rollte durch die Halle. Der Boden bebte, Sekunden spä
Grenzgängerin des Schleiers
ter brach die Wand in sich zusammen. Große Bruchstücke schlugen neben Skali auf. Etwas krachte auf ihre Schul ter. Sie schrie, aber sie hörte die eigene Stimme nicht. Da war nur noch ein dumpfes Dröhnen in ihr, das Gefühl, als verliere sich alles um sie herum in weiter Ferne. Conail Skali fühlte sich seltsam leicht, beinahe körperlos. Vor ihr glomm ein Licht in der Dun kelheit. Es wurde größer, heller, alles umfassend. Die Grenzgängerin glaubte zu lachen, als sie von diesem Leuchten aufgesogen wurde. Eine wohlige Ruhe umfing sie. Dann war nichts mehr. * Katarakt, Außenstation Amethyst Der Himmel über Aumark hatte sich sehr schnell zugezogen. Fahl schimmerte die ferne Sonne zwischen den schnell dahintreibenden Wolkenschleiern. Der Wind frischte auf und würde wohl bald zum Orkan anschwellen. Er kam von Osten. Ostwind brachte oft drastische Veränderungen. Makron schlug den Kragen seiner Kombination hoch. Nicht einmal die eingegossene Wärmefolie machte die Kälte erträglicher. Den Rüsselwärmer hatte er ohnehin in der Station liegen lassen. Bewusst, um seiner Frau zu beweisen, dass er noch Hitze hatte. Ausreichend Elan jeden falls, um die Zeit in der Außenstation Amethyst nicht nur totzuschlagen, son dern mit Angenehmerem zu vertreiben. Jetzt umzudrehen, hätte allerdings be deutet, dass er sich Miklants spöttischem Lachen aussetzte. Er entsann sich nicht, dass es um die se Jahreszeit jemals so kalt geworden
37
war. An seiner Rüsselspitze gerann ein Sekrettropfen; überhaupt wurden die feinfühligen Nervenbahnen allmählich taub. Makron stapfte weiter, den Wind im Rücken, was seinen Kontrollgang ein wenig erträglicher machte. Solange er sich geradlinig der Stadt näherte, konn te Miklant auf keinen Fall sehen, dass er die Rüsselspitze in beide Hände genom men hatte und sie mit allen acht Fingern kräftig walkte. An den Rückweg dachte er besser noch nicht. Der Überschallknall eines patrouillie renden Jägers ertönte. Bis Miklant die schlanke Maschine mit den Stummel flügeln entdeckte, war sie längst über Amethyst-Stadt hinweggefegt. Sie ver schwand nach Norden, Richtung Meer grün. Eiskristalle wirbelten heran. Unter Makrons Stiefeln splitterte blaues Stern moos. Er achtete kaum darauf, weil er die Stadt nicht aus den Augen ließ. Das unruhige Wechselspiel von Licht und Schatten störte die imposante Silhouet te in keiner Weise. Eine zeitlose Ruhe ging von dem Ge bäudekonglomerat aus. Die höchsten schlanken Turmbauten ragten bis zu hundertachtzig Meter auf. Es war nur der Schatten von Ame thyst-Stadt, den Makron sah. Eine Art Abdruck in Raum und Zeit. Die Stadt selbst war nicht auf Katarakt, sie befand sich auf einer eigenartigen Wanderung. Lichtfinger durchbrachen die Wolken. Für einen bangen Moment hatte der Unither den Eindruck, das Sonnenlicht spiegelte sich auf fester werdenden Fas saden. Aber schon zogen neue Schatten auf und Amethyst-Stadt schimmerte so immateriell wie stets. Seit vierzehn Ta gen unverändert. Und es ist besser, wenn es so bleibt. Ein ketzerischer Gedanke und so gar nicht das, was die Propheten der Städte
38
herbeisehnten. Aber Makron spürte kein Verlangen, das bösartige Surren der klei nen Raumschiffe noch einmal zu hören. Auch wenn dieses eigenartige Geräusch vielleicht nur in seiner Vorstellung exis tiert hatte, die vielen kleinen Raum schiffe zwischen den Gebäuden hatten ihn an stechwütige Insekten erinnert. Und die Bodentruppen? Jenes Heer geschwänzter Soldaten mit ihren selt sam dreieckigen Schädeln und den grässlich harten Schnäbeln? Makron wollte all das nie wieder sehen. Er war froh darüber, dass der Vertei digungsminister schlagkräftige Flotten einheiten über dem Planeten stationiert hatte. In der verbotenen Zone hatten zu dem Raumsoldaten Stellung bezogen. Schnee wirbelte heran. Innerhalb weniger Augenblicke ver schwand Amethyst-Stadt in dichtem Schneetreiben. Makron konnte gerade noch vage erkennen, dass sich die weiße Pracht offenbar an einigen Fassaden fing. Der Wind peitschte Laub und Schneewolken durch die Straßen ... Dem Unither stockte der Atem. »Unmöglich!«, ächzte er. »Das, das kann nicht schon wieder ...« Viel zu has tig und aufgeregt schaltete er an seinem Armband. »Miklant! Hörst du mich, Mi klant? Amethyst kommt zurück.« »Bist du sicher? Werden wir angegrif fen?« »Ich weiß nicht ...« Alles in ihm drängte danach, sich her umzuwerfen und den Gefahrenbereich zu verlassen. Er konnte es nicht, er stand da wie angewurzelt, und der Sturm trug ihm ein vibrierendes Heulen zu. Miklant hatte den Alarm ausgelöst. Damit wuss ten alle Propheten der Städte, dass eine Materialisation bevorstand. Zu Hunderten waren sie in der letzten Woche gekommen und hatten die Au ßenstation geradezu okkupiert. Viele waren Wissenschaftler, andere schützten
Hubert Haensel
nur wissenschaftliches Interesse vor. Sie hatten sich den Propheten der Städte angeschlossen, aber sie waren Abenteu rer und Glücksritter. Darauf versessen, die von ES zurückgelassenen beiden Zellaktivatoren aufzuspüren. Die poten zielle Unsterblichkeit. Makron wusste nicht, ob er sie wirklich für so erstre benswert halten sollte. Amethyst-Stadt als Versteck der Ak tivatoren? Vielleicht. Nach allem, was er über ES gehört hatte, hielt er das nicht für ausgeschlossen. Und er war gewiss nicht der Einzige. Weshalb sonst ignorierten viele Prophe ten, was sie über die unheimliche Armee und die bedrohlich wirkenden Raum schiffe in der Stadt hörten? »Was ist mit dem Pararesonanzmes ser?«, keuchte er in sein Armband. Die Kälte ließ seine Stimme dumpf klingen. »Welche Werte ...?« Miklant antwortete nicht auf seinen Anruf. Aber wahrscheinlich hatte sie im Moment mehr als genug zu tun. Im schlimmsten Fall wurde seine Frau von einigen Verrückten daran gehindert, die Wachschiffe im Orbit zu informieren. Makron erschrak über seine eigenen Be fürchtungen. Waren sie wirklich nur aus der Luft gegriffen? Zwei Gleiter jagten im Tiefflug nach Westen. Die ersten der Meute verließen schon die Außenstation. Immer noch keine Antwort von Mik lant. Makron brauchte sich nur umzu drehen, um zu erkennen, dass Aufruhr herrschte. Ein Pulk schneller Antigrav schlitten kam näher und fächerte auf. Makron glaubte einen Ara zu sehen, mehrere Echsenartige und die kompakte Statur eines Ertrusers. Die anderen schienen Terraner zu sein. Er hatte im mer noch Mühe, ihre Gesichter ausein anderzuhalten, zumindest auf einige Dutzend Meter Distanz. Die ersten Fahrzeuge stoppten bereits.
Grenzgängerin des Schleiers
Wissenschaftler bauten Messinstrumen te auf. Andere lösten sich aus den klei nen Gruppen und liefen weiter auf die Stadt zu. »Bleibt auf Distanz!«, rief Makron hinter ihnen her. »Erst müssen die Trup pen Amethyst absichern, bevor jemand näher ...« Es hatte keinen Sinn, er schrie seine Warnung nur in den Wind. Keiner dieser Verrückten beachtete ihn, sie waren be sessen von ihren Sehnsüchten und Wün schen. Für sie waren die Städte Heilig tümer, unglaublich wichtig für die Stardust-Menschheit. Die anderen suchten nur ihren eigenen Vorteil. Amethyst-Stadt, immer für das Auge sichtbar, wenn auch manchmal unter Nebel verborgen und unwirklich ver schwommen, materialisierte. Sie schuf sich Platz in der Realität. Makron hatte den Rüssel eingerollt. Er spürte die Kälte nicht einmal mehr und fragte sich, was die Stadt für ihn bedeutete. Die Antwort erschreckte ihn. Er war nur aus Gewohnheit auf Au mark geblieben, und weil Miklant nie den Wunsch geäußert hatte wegzugehen. Tatsächlich hatten die Städte ihren Reiz verloren. Vor zwei Wochen waren seine Illusionen verweht. Er sah die schlanken imposanten Bau ten, ihren hellen amethystfarbenen Wi derschein – und er sah auch die düsteren Schatten zwischen den Türmen. Raum schiffe waren es. Dutzende kleiner, schlanker Schiffe. Wie ein Schwarm zor niger Insekten sammelten sie sich und stiegen summend in die Höhe. Ja, er hörte dieses Summen wieder und wusste doch, dass es nicht real sein konnte. Etwas in ihm reagierte auf die Nähe dieser Schiffe. Möglich, dass er die Vibrationen ihrer Triebwerke wahr nahm. »Wartet!«, keuchte er, als mehrere
39
Personen an ihm vorbeihasteten. »Nicht weitergehen! Seht ihr denn nicht ...?« Keiner beachtete ihn. Die Verrückten stürmten zur Stadt. Vielleicht sahen sie wirklich nicht, dass sich schwer bewaff nete Truppen aus Amethyst ins umlie gende Gelände ergossen. »Miklant!«, prustete Makron in sein Armbandmikro. Immer noch keine Antwort. Womög lich hatte sie inzwischen ebenfalls die Station verlassen. Der Unither wandte sich um, als die ersten Raumschiffe von der Stadt auf stiegen und ausschwärmten. Zwei Topsiderinnen kamen ihm ent gegen und wären beinahe mit ihm zu sammengeprallt. »Nicht weiter! Geht zurück, schnell!« Sie waren Echsenabkömmlinge. Ma kron schätzte diese Intelligenzen nicht besonders, auf ihn wirkten sie arrogant und unnahbar. Angriffslustig drehte die eine ruckartig ihre Kugelaugen, und ih re Zunge zuckte zwischen den verhorn ten Lippen hervor. Aufgebracht fau chend lief sie weiter, zu schnell, als dass Makron überhaupt noch in der Lage ge wesen wäre, sie zurückzuhalten. Mit beiden Händen griff er nach der anderen Frau ... ... und schrie auf, als sie den Schädel senkte und mit Wucht gegen seinen Rüs sel stieß. Der Schmerz trieb ihm das Wasser in die Augen. Seine Hände zuck ten hoch, umklammerten das tobende Rüsselende, und dann brach er langsam auf die Knie. Er schmeckte Blut. Offen bar war die innere Wunde wieder aufge brochen, die ihm schon vor Wochen zu schaffen gemacht hatte. Eine Weile verharrte er und rang nach Atem. Als Makron endlich wieder auf die Beine kam, waren die Angreifer da. *
40
Hubert Haensel
Aveda, Stardust-Felsennadel Beinahe übergangslos erweiterte sich der Tunnel. Whistler blieb stehen, als in der Halle ein orangefarbenes Etwas näher kam. Das Ding schwebte etwa eine Hand spanne über dem Boden. Sein Aussehen erinnerte an einen Kugelstumpf, es ver breiterte sich oben aber schon wieder und endete in einem diskusförmigen Aufsatzmodul und einer kleinen Trans parentkuppel. Vier Tentakelarme ent sprangen rund um die »Taille« des Robo ters. »Ein terranischer Gartenarbeitsrobo ter«, stellte Mondra verblüfft fest. »Wer ist der Siganese?« Rhodan hatte die kleine grünhäutige Gestalt schon be merkt, die unter der Kuppel saß und das eigentümliche Gefährt offensichtlich lenkte. »Ich bin Halb-Algustraner, Resident«, verkündete eine Lautsprecherstimme. »Corma, Vorremar Corma ist mein Na me.« »Ich bin erfreut«, sagte Rhodan. »Wenn ich meine Begleiter vorstellen darf.« »Das ist nicht nötig. Wer kennt nicht Mondra Diamond und Icho Tolot?!« Rhodan schürzte die Lippen. »Mir war bislang nicht bekannt, dass auch HalbAlgustraner zu den Stardust-Siedlern gehören. In NATHANS Statistiken gibt es keinen entsprechenden Vermerk.« »Ich wurde schlicht und einfach ver gessen – oder auch übersehen. An Bord eines Containers. Der Fehler war nicht mehr korrigierbar.« Der Mann wollte zurück. Rhodan glaubte das der Betonung deutlich anzu hören. Bevor er jedoch nachfassen konn te, erklärte Whistler, dass Corma seit einiger Zeit die Halle der 1000 Aufgaben überwachte. »Seht euch um!«, schlug der Halb-Al
gustraner vor. Rhodan schätzte seine Körpergröße auf wenig mehr als zwan zig Zentimeter. »Vielleicht liegt das Uni versum zu unseren Füßen und wir haben das bloß nicht erkannt. Du bist zum rechten Zeitpunkt gekommen, Resi dent.« Natürlich war Corma informiert. Sonst wäre seine Reaktion anders aus gefallen. Rhodan hatte in Ares-Alpha jedenfalls überaus verblüffte Gesichter gesehen. Er ging noch einige Meter weiter, dann drehte er sich langsam um die eigene Achse. Auf den ersten Blick wirkte die Halle leer. Ein kahler, nüchterner Raum, in dem es absolut nichts von Interesse zu entdecken gab. Fünfzig Meter hoch, hat te der Administrator gesagt, mehr als das Doppelte im Durchmesser. Allein damit hätte Rhodan sich ohne hin nicht zufriedengegeben. Auch nicht mit dem Anblick des vermeintlich leeren Raumes. Whistler hatte allerdings schon gesagt, was ihn erwartete. Er ging auf die Hallenwand zu. Etwa in Augenhöhe zog sich das Reliefband ringsum: Schriftzeichen, Symbole und Piktogramme, platziert in achteckigen, jeweils dreißig Zentimeter durchmes senden Kartuschen. In nicht enden wol lender Folge reihten sie sich aneinander. Tausend Rätsel, Aufgaben – wie auch immer. Keiner redete. Eine eigenartige Stim mung breitete sich in der Halle aus. Rho dan glaubte, so etwas wie angespannte Erwartung zu spüren. Whistler stand mehrere Meter von ihm entfernt und ließ ihn nicht aus den Augen. Cormas Trans portroboter verharrte im Zugangsbe reich. Zweifellos wartete auch der Siga nese darauf, dass so etwas wie ein Wunder geschah. Denn so war es doch stets, oder? Wo Rhodan war, geschahen Wunder. Das wusste jeder. Und jeder
Grenzgängerin des Schleiers
Whistler war ein Roboter, das war eben so bekannt. Und beides war falsch. Langsam schritt Rhodan die Wand ab. Die Fülle der Zeichen und Symbole in jedem Achteck verriet in keiner Weise den Schwierigkeitsgrad. Psychedelische kleine Kunstwerke waren ebenso dabei wie geometrisch eindeutige, fast schon naiv erscheinende Figuren. Ein Blick hinüber zu Tolot. Der Ha luter stand unbewegt. Wahrscheinlich befasste sich sein Planhirn intensiv mit der Entschlüsselung der Zeichen. Bei der einen oder anderen Kartusche moch te das sogar funktionieren, aber Rhodan nahm nicht an, dass die Lösung so ein fach sein würde. Er blieb vor einer der wenigen leuch tenden Kartuschen stehen. Sie zeigte vier Kreise als Eckpunkte eines Vier ecks. Diagonal wurden sie durch gestri chelte Linien verbunden, und im Zen trum befand sich ein kleinerer gestrichelter Kreis, der eine markante Silhouette umschloss. Rhodan erkannte die Darstellung in der Mitte, er brauchte nur flüchtig hinzusehen. »Atlantis«, stellte er fest. »Die Abbildung wurde erst heute Morgen aktiv«, erklang die Lautspre cherstimme des Siganesen. »Gleichzeitig war eine mentale Botschaft zu verneh men: ›Die Tore der Vier Himmel wurden geöffnet.‹« »Tore«, murmelte Rhodan und wandte sich Whistler zu. »Ein besseres Stich wort hätte nicht fallen können. Ich möchte die Transmitteranlage sehen. Du hast erwähnt, dass acht Käfigtransmit ter in der obersten zugänglichen Etage stehen.« »Es gibt darüber keine weiteren Räumlichkeiten.« »Ist das sicher?«, wollte Mondra wis sen. »Was ist schon sicher, wenn ES dahin
41
tersteckt?«, raunte Tolot. »Wie oft haben wir das bereits erlebt?« Eine der Kartuschen zeigte die Star dust-Felsennadel. Ihre Berührung hatte einen Antigravschacht aktiviert, der so wohl in die Höhe der Felsennadel als auch in die Tiefe des Tafelbergs führte. Gemeinsam schwebten sie nach oben. Lediglich Corma blieb in der Halle zu rück. »Alle Etagen scheinen leer zu sein«, erläuterte Whistler. »Jedenfalls konnten wir bislang nicht herausfinden, ob es verborgene Anlagen gibt. Uns fehlt die Information, welche Absichten ES mit der Felsennadel verbunden hat.« »Das werden wir im Schnelldurch gang kaum herausfinden«, sagte Rho dan. Gleich darauf endete der Schacht. »Transmitteretage«, verkündete nun Whistler und stieg aus. Rhodan schmunzelte dazu. Es hätte ihn wahrlich nicht verwundert, wäre ur plötzlich das schallende Lachen des Un sterblichen von Wanderer erklungen. Aber ES tat ihm den Gefallen nicht. Wahrscheinlich war die Superintelligenz der Meinung, mit den hier aufgestellten Transmittern schon genug getan zu ha ben. Spielchen, alter Freund? Du änderst dich nie, was? Acht Käfige waren über die Halle ver teilt und bildeten die Eckpunkte eines Achtecks. Deutlicher konnte der Zu sammenhang mit der Halle der tausend Aufgaben gar nicht sein. Rhodan kannte diese würfelförmigen Transmitterkonstruktionen. Sie hatten eine Seitenlänge von jeweils 4,6 Metern und standen jede auf einer einen Meter dicken Plattform. Die Käfigstangen ver liefen horizontal wie vertikal exakt im Abstand von zwanzig Zentimetern zu einander. Die Transmitter standen offen, als
42
warte jemand nur darauf, dass sie end lich benutzt würden. An jedem Gitter würfel war ein quadratisches, drei Meter messendes Segment als Zugangsrampe nach vorn geklappt. Links neben jedem Zugang erhob sich eine schmale Stele, mehr als mannshoch und achtzig Zentimeter breit, aber nur acht Zentimeter dick. »Das sind berührungssensitive Schalt flächen, jede einen auf zwei Zentimeter groß.« Whistler hatte Rhodans Blick ge nau verfolgt. Als Rhodan kurz den Kopf wandte, verstand er das als Aufforde rung und redete sofort weiter. »Es sind genau 32 Spalten und 128 Zeilen, insge samt also 4096 Sensorfelder. Niemand zweifelt daran, dass es sich um Ziel wahltasten handelt.« »Aber?« fragte Mondra Diamond, als der Administrator wieder schwieg. »Es gibt immer ein Aber.« »Die gesamte Anlage reagiert nicht. Wir haben es versucht, immer wieder. Ohne Erfolg.« »Ein Transmitternetz, das aus vier tausendsechsundneunzig Sende- und Empfangsstationen besteht, bietet eine beachtliche Bewegungsfreiheit. Zumal es sich um Käfigtransmitter handelt, die auch nach der Erhöhung der Hyperim pedanz fehlerfreie Transportvorgänge erwarten lassen ...« Rhodan war auf den nächsten Trans mitterkäfig zugegangen und vor der Schaltplatte stehen geblieben. Mondra betrat neben ihm die Gitter rampe. Sie ließ sich in die Hocke nieder und strich mit der Hand über die Gitter stäbe. »Völlig glatt. Ein unsichtbares Prallfeld.« Rhodan nickte eher beiläufig. »Mit Käfigtransmittern hatten wir es schon vor dreitausend Jahren zu tun.« Mondra stand bereits mit einem Bein im Käfiginnern. Sie zögerte allerdings weiterzugehen. »Willst du damit sagen,
Hubert Haensel
die alten Käfigtransmitter seien bereits ein Hinweis auf die Erhöhung der Hy perimpedanz gewesen? « Sie schwang sich vollends in den Kä fig und griff von innen nach den Kon trollflächen. Die Anspannung war ihr anzusehen, doch nichts geschah. Perry Rhodan hatte sich ebenfalls wieder den Schaltflächen zugewandt, die lediglich fortlaufend nummeriert, aber nicht beschriftet waren. Er wartete, bis Mondra wieder auf der Rampe stand. »Eigentlich egal«, murmelte er, »aber warum nicht? Feld 1971 – das Datum unserer ersten Mondlandung.« »Alles schon versucht ...« Whistler verstummte sofort wieder, weil Rhodan die Schaltfläche berührte. Eben noch matt, leuchtete das Feld hell auf. Das Licht sprang auf die be nachbarten Flächen über, und innerhalb von zwei, drei Sekunden strahlte die ge samte Schalttafel in diesem hellen Schein. »Alle Schalter sind funktionsklar.« Whistlers Stimme klang sachlich. Rhodan registrierte verwundert, dass kaum ein Hauch von Emotion darin mit schwang. Aber was erwartete er eigent lich, noch dazu an einem Tag, an dem sich für den Administrator die Ereig nisse geradezu überschlagen hatten? »Wahrscheinlich kann ab sofort jeder das Transmitternetz nutzen. Wie viele Gegenstationen sind bekannt?« Whistler hob in einer abschätzenden Geste beide Hände, als wäge er in dem Moment Für und Wider ab. »Durchaus möglich, dass die Transmitter über alle zweiundzwanzig Planeten und die Monde unseres Sonnensystems verteilt sind«, antwortete er. »Und vielleicht sogar darüber hin aus.« Mondra Diamond kam die Rampe herunter. »Die anderen Schalttafeln wurden ebenfalls aktiviert.«
Grenzgängerin des Schleiers
Sie zögerte kurz. »Das hier wurde eindeutig durch dei ne Anwesenheit ausgelöst. Ich bin sogar überzeugt, dass niemand außer dir das Transmitternetz hätte aktivieren kön nen. Timber hat von dem SextadimSchleier gesprochen, der Far Away zur geschlossenen Enklave macht – gemacht hat, wenn die verstümmelte Meldung von Sionis richtig interpretiert wurde. Und was ist mit der Öffnung der Tore der Vier Himmel? Das sind alles Ereignisse, die mit deiner Ankunft im Stardust-Sys tem zusammenhängen könnten.« Sie schaute fragend in die Runde. Ihr Blick blieb an Whistler hängen. »Diesen Gedanken weitergedacht: Gibt es noch etwas, das eingeleitet wor den sein könnte und von dem du uns bislang nichts erzählt hast?«
8. Katarakt, Außenstation Amethyst Nur wenige hundert Meter hoch schwebten die Dutzende Raumschiffe über dem offenen Gelände. Ihr bösar tiges Surren ließ Makron taumeln. Der Unither riss die Arme hoch und presste sich die Hände auf die Ohren, doch das entsetzliche Geräusch ließ sich nicht vertreiben. Es war in ihm, wühlte ihn auf und machte ihm Angst. Hunderte der fremden Schiffe stiegen noch in der Stadt auf. Ein düsterer, un heimlicher Schwarm, so lösten sie sich von den Gebäuden und schwärmten aus. Nach Beute jagende Insekten, die ihren Bau verließen ... Seit Tagen fürchtete Makron nichts mehr als diesen Moment. Er hatte ver sucht, von seinen Albträumen zu erzäh len, doch niemand hatte ihm zugehört. Sogar Miklants mitleidiges Lachen klang in ihm nach. Warum waren alle so versessen dar
43
auf, die Immateriellen Städte wie eine Erlösung zu sehen? Ich weiß es. Ich weiß, dass erst diese Insektenschiffe den Himmel verdunkeln werden und dann der schwere Rauch der brennenden Kontinente. Ich habe gese hen, wie ihre Waffenstrahlen den Boden umpflügen und nur Verwüstung hinter lassen. Aus weit aufgerissenen Augen starrte Makron hinauf zu den ersten Raum schiffen, die aus der Höhe herabstießen. Glutstrahlen zuckten in die Tiefe. Er sah die tödlichen Energiebahnen einschla gen, sah die Spur der Vernichtung, die sie von der Stadt aus in Richtung der Außenstation zogen. Totenstille herrschte. Das Land hielt den Atem an. Seine Träume wurden wahr. Entsetzt stellte Makron fest, dass er diese Szene kannte. Fast schon ein Dutzend Mal hat te er sie vor sich gesehen und sie hatte sich unauslöschlich in sein Bewusstsein eingebrannt. Da waren die schlanken Schiffe über ihm ... ihr Strahlenfeuer, das verwüstete und tötete ... die Truppen der Angreifer, diese wuchtigen, muskulösen Gestal ten ... Makron warf sich herum und rannte. Die Stille war nicht mehr. Er hörte die Schreie der Verletzten und Sterbenden. Irgendwo in der Nähe bemühten sich ein paar Terraner, sich verständlich zu ma chen. Vergeblich – so vergeblich wie er versucht hatte, sich Gehör zu verschaf fen. Im Salventakt schlugen Thermostrah len in den Boden. Eine Feuerwalze sprang auf Makron zu – und zog wenige Dutzend Schritt an ihm vorbei. Grimmig ignorierte er die heranbran dende Hitze. Die Schiffsgeschütze wür den ihn nicht umbringen, das wusste er. Er musste den Bodentruppen aus dem Weg gehen. Einer der Soldaten ...
44
Das war nur ein Traum. Ich darf nicht daran denken! Er riss den Arm hoch. »Miklant! War um meldest du dich nicht?« Wo blieben die Schiffe, die im Orbit patrouillierten? Warum stießen ihre Space-Jets und Korvetten nicht auf Amethyst-Stadt herab und machten die sem Spuk ein Ende? Makron ertappte sich dabei, dass er in den Himmel starrte. Wahrscheinlich über den Wolken, re dete er sich ein. Dort tobt bestimmt schon eine erbitterte Abwehrschlacht. Nur zögernd wurde ihm bewusst, dass erst eine oder zwei Minuten verstrichen sein konnten. Die eigenen Einheiten be fanden sich erst im Anflug, sie ... Ein Pulk Insektenschiffe donnerte über die Ebene hinweg und verschwand in den Wolken. Ringsum stiegen die kleinen Schiffe plötzlich auf. Makron hastete weiter. Von der Außenstation kam ein Anti gravschlitten. Makron fragte sich, wer so verrückt war, sich der Stadt zu nä hern. Der Schlitten jagte an mehreren Flüchtlingen vorbei nach Westen, bog dann allerdings scharf ab, bevor er hin ter der nächsten Bodenwelle verschwun den wäre, und kehrte zurück. Der Unither riss die Augen weit auf. Soweit er das schon zu erkennen ver mochte, lenkte keiner der Propheten den Schlitten. Eine größere, kräftige Gestalt saß an den beiden Steuerhebeln. Miklant? Sie suchte ihn? Er riss die Arme hoch und winkte. Sekunden vergingen, bis seine Frau aufmerksam wurde. Das Fahrzeug war bis auf wenige Hundert Meter heran. Es war tatsächlich Miklant, er er kannte sie jetzt. Ruckartig riss sie den Schlitten herum, beschleunigte noch einmal kurz und stoppte in riskanter Schräglage. »Aufsitzen!«, rief sie.
Hubert Haensel
Möglicherweise hätten zwei schlanke Terraner auf dem Fahrzeug Platz gefun den, für zwei Unither war es nicht ge baut. Makron zögerte eine Sekunde zu lange. Als er auf Miklant zulief, schlugen Schüsse neben ihm ein. Aber sie galten nicht ihm, sondern dem Schlitten. Die Salve brach ab, als sie das Fahrzeug knapp verfehlte. Im nächsten Moment fraß sich eine neue Glutspur heran. Makron hatte die fünf oder sechs Schritte Distanz überwunden. Mit aller Kraft stieß er sich ab. Miklant schrie auf, als er gegen sie prallte und sie von der schmalen Sitzbank schubste. Gleichzeitig trafen die Thermoschüs se den hinteren Teil des Schlittens. Sen gende Hitze schlug über Miklant zusam men, ein beinahe unerträglicher Schmerz raste durch seinen linken Arm und raubte ihm fast die Besinnung. Irgendwie erkannte Makron, dass das Fahrzeug zwar brannte, aber nicht ex plodiert war. Ein Strahlschuss zuckte dicht über das Wrack hinweg. »Bleib unten!« Makron spürte, dass seine Frau sich aufraffen wollte. Mit dem Rüssel drückte er sie zu Boden. Im selben Moment bemerkte er die beiden Angreifer. Sie standen unmittel bar neben dem brennenden Schlitten, als könnten ihnen die lodernden Flam men nichts anhaben. Einer der beiden hob die Waffe. Halb über Miklant gebeugt, sah der Unither nur die kräftigen Beine der Fremden, den langen, unruhig zucken den Schwanz des einen und den auf ihn zielenden Strahler. Die Szene aus seinem Albtraum. Ur plötzlich war sie real. Einer der Inva soren hatte ihn aus nächster Nähe er schossen. Ein grelles Aufblitzen, unsägliche Hitze ... Sein Arm tobte. Makron konnte sich nicht länger halten, er kippte einfach zur Seite.
46
Die beiden Fremden standen fast über ihm. Sie waren deutlich größer als Uni ther und extrem stämmig. Der Kopf saß auf einem kurzen Hals und war in der Tat grob dreieckig keilförmig und lief in einem kräftigen, gebogenen Schnabel aus. Der fingerdicke knöcherne Nacken schild zog Makrons Blick geradezu auf sich. Archaisch wirkte der Schild, be drohlich zugleich mit seinen stachelar tigen unregelmäßigen Auswüchsen, und erst da bemerkte Makron die beiden über den gewölbten Augen entsprin genden Hörner. Beinahe armlang, spitz und von stachelbewehrten Metallkap pen umschlossen, waren sie eine tödliche Waffe. Ein schrilles Heulen hing in der Luft. Explosionsdonner rollte heran. Makron glaubte, ein schwaches Beben wahrzu nehmen. Grelle Helligkeit senkte sich aus der Höhe herab, als wäre soeben eine neue Sonne aufgegangen. Die eigenen Truppen hatten endlich eingegriffen. Offenbar waren erbitterte Kämpfe entbrannt. Derjenige, der ihn mit der Waffe be drohte, knackte heftig mit dem Schna bel. Er stieß dröhnende Laute aus, von denen Makron nicht einmal zu sagen vermochte, ob sie ihm galten. Eine her rische Bewegung mit der Waffe folgte. In diesem Moment schnellte Miklants Rüssel nach vorn, griff nach dem lang läufigen klobigen Strahler und riss ihn ruckartig an sich. Ein Schuss löste sich, aber die Strahlbahn zuckte schräg in den Himmel. Der Gehörnte brüllte röhrend und griff sofort nach. Makron packte ins tinktiv zu, als seine Frau ihm die Waffe entgegenfallen ließ. Der Schmerz im lin ken Arm war sofort wieder da, aber Ma kron krallte die Finger um den Lauf und seine Rechte krachte auf den Auslöser. Die grelle Entladung traf den Schädel
Hubert Haensel
des Angreifers und ließ den Knochen schild aufglühen. Der Koloss drehte sich in der begonnenen Bewegung noch halb zur Seite, sein Schwanz peitschte dem Unither entgegen, dann brach er zusam men. Makron kam mit der Waffe einen Se kundenbruchteil zu spät herum. Sein zweiter Schuss ging fehl, weil der ande re Gegner in einer wilden Bewegung mit gesenktem Schädel nach vorne stieß. Beide Hörner trafen Miklants Ober körper. Der dumpfe Schlag ließ Makron zusammenzucken. Seine Frau stieß nicht einen Laut aus. Nur ihr Rüssel zuckte in einer hilflosen Bewegung in die Höhe und sie hob die Arme, als wolle sie den wuchtigen Stoß noch abwehren. Viel zu spät, denn der Angreifer richtete sich schon wieder auf. Makron feuerte. Er hätte schon Se kunden später nicht mehr zu sagen ver mocht, wie viele Schüsse. Er sah nur den Gegner, handelte rein mechanisch. Jede Regung war wie ausgelöscht. Sein bewusstes Denken setzte erst wieder ein, als er neben Miklant kniete. Ihr Kopf lag auf seinen Oberschenkeln und ihr Rüssel tastete über sein Gesicht. Miklants Atem nahm er kaum noch wahr, aber er sah die beiden grässlichen Wunden, die ihren Oberkörper aufgeris sen hatten, und spürte nur noch Ver zweiflung. »Miklant, ich ...« Nicht ein einziges weiteres Wort brachte er hervor. Danke? Dafür, dass sie versucht hatte, ihm beizustehen und nun selbst im Sterben lag? Der Kampflärm war lauter geworden. Makron nahm es kaum wahr. Sanft be rührte er mit seinem Rüssel den Rüssel seiner Frau. Das Lächeln, das sie ver suchte, bedeutete ihm so viel. In sich zusammengesunken kauerte er neben ihr, fühlte ihre Nähe ...
Grenzgängerin des Schleiers
... und merkte erst Minuten später, dass Miklant nicht mehr atmete. Vorsichtig tastete er mit dem Rüssel nach ihren Lidern und drückte ihr die Augen zu. Wir sehen uns wieder, Miklant. In ei ner besseren Welt. Er hob den klobigen Strahler auf, dann lief er los. Explosionsdonner umfing ihn. Die grellen Entladungen einer erbitterten Schlacht rissen den Himmel auf. Korvetten landeten und spien Roboter aus. Makron achtete kaum darauf. Er sah nur die Stadt, mit der die Angreifer ge kommen waren. Brüllend stürmte er den Fremden entgegen, spürte sengende Hit ze, feuerte, sobald er gehörnte Fratzen sah. Die eigenen Soldaten wollten ihn auf halten, ihn zurückschicken. Er achtete nicht darauf und stürmte weiter. Vielleicht suchte er den Tod. Er fand ihn nicht. Er stolperte über leblose Propheten. Stürzte. Raffte sich wieder auf und tor kelte weiter. Er hatte Amethyst-Stadt noch nicht erreicht, als ihn die Kräfte verließen. Diesmal kam Makron nicht wieder auf die Beine. Eine tiefe Ohn macht umfing ihn. Er war immer noch ohne Bewusstsein, als Medoroboter kamen und ihn ab transportierten. * Aveda, Stardust-Felsennadel Whistler war ein durchaus beeindru ckender Mann. Vor allem stand sein Äu ßeres gar nicht in Einklang mit seinem Alter. Aber Mondra kannte das und hat te deshalb sofort jede Überlegung in die ser Richtung beiseite gewischt. Whistler war groß, sie schätzte ihn auf
47
knapp über einen Meter neunzig. Und er brachte gut zwei Zentner auf die Waage, kein überschüssiges Fett, das er mehr oder weniger intensiv zu kaschieren ver sucht hätte, sondern ein trainierter Kör per. Nicht einmal zwei Stunden waren vergangen, seit Whistler MIKRU-JON betreten hatte. Die Ereignisse mussten sich für ihn weit mehr überschlagen ha ben, als Mondra dies für sich selbst emp fand. Immer wieder taxierte sie den Admi nistrator der Stardust-Union und ver suchte sich darüber klar zu werden, was für eine Art Mensch sie überhaupt vor sich hatte. Den Industriellen, der sich zäh und verbissen im heimischen Sol system ein beachtliches Firmenimperi um aufgebaut hatte? Den Furchtsamen, der die erste sich bietende Möglichkeit am Schopf gepackt hatte und vor der Bedrohung durch die Terminale Kolon ne geflohen war? Oder den Barmher zigen, der sein Vermögen eingesetzt hat te, um Zigtausenden Mitarbeitern und sogar Wildfremden den Exodus ins Star dust-System zu ermöglichen? Timber F. Whistler hatte es geschafft. Er hatte sich offenbar nicht nur schnell neue wirtschaftliche Macht gesichert, sondern auch politischen Einfluss. Mondra war noch zu keinem Urteil gelangt. Immer wieder versuchte sie, Regungen in seinen leuchtend blauen Augen zu erkennen. Aber Whistler wirkte beherrscht, er hatte sich selbst und seine Gefühle ebenso im Griff wie alles andere, was in seine Zuständigkeit fiel. Nur manchmal schienen seine Augen eher nach innen zu blicken. Immer nur für Sekunden, aber Mondra hatte genau dann den Eindruck, dass der StardustAdministrator einen Wall um sich er richtet hatte. Auf der einen Seite hart gegen sich selbst und wohl auch andere,
48
und dann ein jähes Aufwallen der Ge fühle. So war es auch jetzt wieder. Mondra sah Whistlers Erschrecken. Obwohl seine Miene nur wenig davon wiedergab, glaubte sie in seinen Augen Furcht zu lesen. Da war etwas, das sie als Ausgeliefertsein empfand. Was könnte außerdem noch eingeleitet worden sein? Über Whistlers linkem Handgelenk entstand ein pulsierendes Leuchtfeld. Sofort winkelte er den Arm an, und aus dem hellen Licht wurde das Konterfei eines Menschen. Obwohl der Mann has tig auf den Administrator einredete, hörte Mondra nicht einmal den Klang seiner Stimme. Der Empfang des Kom biarmbands war mit einem IndividualAkustikfeld gekoppelt. Whistlers Miene verhärtete sich. »Gut. – Seit wann haben wir die Infor mation? Und auf Katarakt ist der Vor marsch gestoppt? – Ja, über alles auf dem Laufenden halten! Insbesondere al les darüber, was in Far Away noch pas siert, sofort weitergeben!« Whistler ließ den Arm wieder sinken. Fassungslos, aber doch beherrscht, schaute er in die Runde. Als sei für ihn soeben eine Welt zusam mengebrochen!, erkannte Mondra. Whistler bedachte sie mit einem durchdringenden Blick. »Was uns noch nicht bekannt ist?«, wiederholte er die Frage, die sie vor wenigen Minuten ge stellt hatte. »Ich sage es dir: Die Lage eskaliert – sie explodiert geradezu! Auf Katarakt ist eine der Immateriellen Städte materialisiert. Amethyst. Das muss ungefähr zu dem Zeitpunkt ge schehen sein, als wir die Halle der 1000 Aufgaben betreten haben.« Offenbar ahnte er, was Mondra durch den Kopf ging. »Nein, da sehe ich keinen Zusammen hang«, sagte er, eine Spur hastiger. »Eher
Hubert Haensel
schon mit dem Zusammenbruch des Sextadim-Schleiers. Der Kugelstern haufen ist zugänglich geworden, und wir wissen nicht einmal, wer längst darauf wartet.« »Willkommen im alltäglichen Wahn sinn!«, grollte Tolot. Mondra bedachte den Haluter mit einem forschenden Blick. Nein, da schwang keine versteckte Ironie mit. Der schwarzhäutige Riese meinte den Satz genau so, wie er ihn gesagt hatte. Stardust hatte Zeit gehabt, sich zu ent wickeln. Nun war die Zeit gekommen, sich zu bewähren. Es ist verrückt. In was für eine Aus einandersetzung sind wir da hineingera ten? Mondra Diamond fröstelte. Für ei nen Moment hatte sie das Gefühl, einer Marionette gleich an unsichtbaren Fä den zu hängen. Doch diese Fäden hatten sich verwirrt. Durchtrennen! Die Fäden durchtren nen! Und dann? Marionetten sanken halt los in sich zusammen, sobald die führen de Hand über ihnen verschwand; sie waren unfähig, sich aus eigener Kraft zu erheben. Mondra wurde bewusst, dass sie die Hände ballte. Wir Menschen sind keine Marionetten! Sie war nahe daran, das laut hinauszuschreien, damit jeder, den es anging, das hören konnte. Doch sie schwieg. »Amethyst-Stadt spuckt Tausende wespenförmiger Raumschiffe aus und noch mehr Soldaten«, fuhr Whistler fort. »Die Schiffe setzen offenbar alles daran, Katarakt zu verlassen. Im planetenna hen Bereich tobt eine Schlacht mit un seren Wachschiffen, die immer erbit terter geführt wird. Inzwischen befinden sich größere Flottenkontingente im An flug auf den Planeten.« »Das Ziel der Angreifer?« »Augenscheinlich NEO-OLYMP. Ihre
Grenzgängerin des Schleiers
Stoßrichtung lässt keinen anderen Schluss zu.« »Darturka?«, wollte Mondra wissen. »Wir haben von den Soldaten der Fre quenz-Monarchie berichtet.« »Nein. Mit großer Wahrscheinlichkeit keine Darturka«, erwiderte der Admi nistrator. »Die Beschreibung, die mir eben von den Bodentruppen gegeben wurde, hörte sich anders an. Unsere Landetruppen gehen massiv gegen die Angreifer vor. Sie haben jede benötigte Beibootunterstützung, Paratron-Riegel felder werden aufgebaut und AmethystStadt weiträumig isoliert. Wir werden bald wissen, ob der stete Nachschub da nach zusammenbricht.« »Du meinst, über die Stadt dringen die Angreifer wie durch einen Transmit ter ein?«, fasste Rhodan nach. »Ich weiß es nicht«, gestand Whistler. »Aber wenn wir vom Schlimmsten aus gehen, wäre es so. Die enorme Zahl der Angreifer lässt schon jetzt kaum einen anderen Schluss zu. Und Katarakt scheint nicht das einzige Angriffsziel zu sein. Von der Forschungsstation, die kurz vor Mittag den beginnenden Zusammen bruch der Schleier-Barriere gemeldet hat, wurde ein Notruf gesendet. Allem Anschein nach ist eine Flotte größerer Schiffe in Far Away eingedrungen.« »Was ist das für eine Station?«, wollte Tolot wissen. »Sionis, ein überwiegend experimen tal genutzter planetarer Stützpunkt der Grenzgänger des Schleiers. Liegt sehr nahe an der Sextadim-Barriere.« »Was für Schiffe haben Sionis ange flogen?«, fügte Rhodan hinzu. »Eine Beschreibung liegt nicht vor. Nur, dass es ziemlich große Einheiten gewesen sein müssen. Meine Leute sa gen, dass, falls die Station tatsächlich angegriffen wurde, sie bereits gefallen sein dürfte. Jedenfalls wird vergeblich versucht, Kontakt herzustellen.«
49
Whistler bedachte den nächsten Transmitter mit einem bedauernden Blick. »Ausgerechnet jetzt mit Versuchen anzufangen, wird uns kaum weiterbrin gen. Wir fliegen zurück!« »Nach Ares-Alpha oder NEO OLYMP?«, wollte Mondra wissen. »In der Administration laufen alle Fä den zusammen. Der Transporthof unter steht Vizeadmiral Lexa. Falls dort etwas verdächtig erscheint, werden wir das ohnehin als Erste erfahren.«
9. Grenzgängerstation Sionis Als Conail Skali zu sich kam, erin nerte sie sich nicht, was geschehen war und wo sie sich befand. Es herrschte völlige Finsternis. Sie hatte Schmerzen. Ihre Schulter tobte, als sie versuchte, sich herumzu wälzen. Sie lag auf dem Bauch. Unter ihr war poröser Fels. Die stickige Luft roch nach Feuer und verbranntem Fleisch. Skali musste sich zwingen, tiefer ein zuatmen. Ihr Körper gierte nach Sauer stoff. Eine Weile lauschte sie nur ihrem hastiger werdenden Atmen. Irgendwann musste sie wieder die Be sinnung verloren haben. Sie erwachte, weil Wasser auf ihre Schläfe tropfte, zu einem kleinen Rinn sal wurde und über ihre Wange und zwi schen die Lippen rann. Es war wirklich Wasser. Zu wenig allerdings, den jäh in ihr aufsteigenden Durst zu stillen. Sie hatte geträumt. Dass die Sexta dim-Barriere sich auflöste – wenn sie sich recht entsann, ohne dass die Grenz gänger irgendwie dazu hätten beitragen können. Dass große Kristallschiffe Sio nis anflogen und ... Momentaufnahmen jagten sich un
50
ter ihrer Schädeldecke. Strahlschüsse, Schreie, eine einstürzende Wand ... Ein aufprallender Wassertropfen ließ sie zusammenzucken. Sekunden danach wieder. Die Tropfen wurden dicker. Sie fielen schneller. Mühsam wandte Skali den Kopf zur Seite, um ihnen auszuwei chen. Aber dann kam das Wasser nicht nur an einer Stelle. Allmählich kehrte ihre Erinnerung zurück. War sie allein? Oder hatten andere Grenzgänger ebenfalls überlebt? Und die Angreifer? Eine wilde Hoff nung brach in Skali auf. Es gab in der Station nichts Wertvolles, vielleicht wa ren die Angreifer schon wieder abgezo gen. Eine Weile lauschte sie angespannt. Nichts war zu hören außer dem gele gentlichen Knacken im Geröll und dumpfem Gurgeln, das aus einer gebro chenen Versorgungsleitung zu kommen schien. Skalis Gedanken klärten sich. Solan ge sie nicht wusste, wie es in der Station aussah, musste sie versuchen, sich selbst aus dem Geröll zu befreien. Danach würde sie weitersehen. Ihre Schulter war nicht gebrochen, wie sie schon befürchtet hatte, dennoch wurde der Schmerz zeitweise unerträg lich. Mühsam gelang es ihr, sich ein we nig mehr Platz zu verschaffen. Kleinere Schuttbrocken rutschten knirschend zur Seite oder verschwanden polternd in ir gendwelchen Lücken. Skali arbeitete sich mit zäher Verbis senheit voran, jeden Moment darauf ge fasst, von nachrutschendem Gestein er drückt zu werden. Es gab wohl keine Stelle an ihrem Körper, die inzwischen nicht schmerzte. Aber sie konnte es schaffen. Falls nicht ein großer Teil der Höhle heruntergekommen war, hatte sie kaum mehr als zwei bis drei Meter po rösen Schutt über sich.
Hubert Haensel
Die Handschuhe ihres leichten Raum anzugs schützten ihre Hände, sonst hät te sie sich längst das Fleisch von den Knochen gerissen. Die in das Gewebe eingearbeiteten Kraftverstärker mach ten es ihr leichter, sogar größere Brocken zu verschieben. Wie lange die fahle Helligkeit über ihr hing, hätte sie nicht zu sagen vermocht. Es war ein beinahe filigraner Schimmer, der Lücken im Gestein nachzeichnete. Für ein paar Minuten hielt Skali er schöpft inne, bis ihr rasender Puls ru higer wurde. Kurze Zeit später hatte sie eine Öff nung geschaffen, durch die sie sich mit einiger Mühe hindurchzwängen konn te. Die Halle lag in Düsternis. Nirgendwo zeichnete sich Bewegung ab. Beißender Ozongeruch vermischte sich mit Rauch schwaden. Skali glaubte, mehrere lang sam erlöschende Glutnester zu sehen, aufgebrochene und wahrscheinlich aus gebrannte größere Aggregate. Sie war allein. Die Angreifer, wer im mer sie waren, hatten sich zumindest aus dem tiefsten Bereich der Station zu rückgezogen. Skalis Strahler lag noch unter dem Schutt. Und der Gravo-Pak im Rücken tornister war nicht mehr funktionsfähig. Wahrscheinlich hatte das flache Gehäu se sie vor einer schwerwiegenden Verlet zung bewahrt. Skali löste die Magnet verriegelung und ließ den Tornister zurück. Ihr Magen knurrte. Überlaut erschien ihr das Geräusch. Obwohl die Grenz gängerin nicht mehr glaubte, dass noch jemand in der Nähe war, schaute sie has tig um sich. Sie erschrak, als sie die Ge stalt bemerkte, die neben einem kleineren Aggregat kauerte. Das war keiner der Angreifer. Ein Blue hatte sich in die Nische zurückge zogen und schlief. Also war sie nicht
Grenzgängerin des Schleiers
51
vollkommen allein. Rasch ging Skali auf den Tellerkopf zu. Erst als sie vor ihm stand, erkannte sie, dass er nicht mehr lebte. Ein gebündelter Energieschuss hatte seinen Oberkörper durchbohrt, nicht mehr als ein verkrustetes fingerdi ckes Loch war zu sehen. Sie schluckte schwer. Was wollten diese Fremden? Warum hatten sie die Station überfallen? »Möge die schwarze Kreatur der Ewigkeit mit dir sein.« Skali murmelte einen Totengruß der Jülziish und eilte weiter. Nur kurz zog sie in Erwägung, den Hangar aufzusuchen. Aber die Fremden waren von dort gekommen, also würde sie bestimmt nichts so vorfinden, wie sie es sich erhoffte. Ihr blieb keine andere Wahl, als nach oben zu gehen, in den Hauptbereich der Station. Dass der Hyperkom noch funktio nierte, bezweifelte sie. Aber irgendetwas musste sie tun. Abgesehen davon: Sie hatte Hunger, und der Durst machte sich immer quälender bemerkbar. Der Antigravschacht war ohne Ener gie. Conail Skali lief zur Nottreppe. Sie blieb vorsichtig, doch schon als sie die nächste Etage erreichte, war sie über zeugt, dass die Angreifer sich bereits
wieder zurückgezogen hatten. Eine be klemmende Stille herrschte. Warum?, fragte die Grenzgängerin sich immer drängender. Warum waren sie hier? * Aveda Dass der Pilot die Space-Jet vor der Stardust-Felsennadel senkrecht aufstei gen ließ, auf halber Höhe der stilisierten Rakete stoppte und für wenige Sekun den den Diskus erst leicht nach back bord und dann nach steuerbord kippte, mochte ein Ritual sein. Eine Ehrenbe zeugung womöglich. So wie Jägerpiloten einander mit einem Wackeln der Trag flächen grüßten. Rhodan fragte nicht nach, denn es gab so viel anderes und Wichtigeres zu bere den. Außerdem kippte die Space-Jet so eben über die linke Seite ab und be schleunigte entlang der Abbruchkante des Sandsteingebirges. Träge wälzten sich die Wassermassen des Canal Grande dahin. Auf der ande ren Uferseite erhoben sich die futuristi schen Bauten von Stardust City. Die Felswand knickte nach Nordosten ab, in
PERRY RHODAN-Heft verpasst? Dann einfach nachbestellen bei: TRANSGALAXIS-Buchversand, Postfach 1127, 61362 Friedrichsdorf/Taunus. Lieferung erfolgt per Bankeinzug (Daten nennen) zzgl. € 3,90 Versand, Ausland € 6,90 oder per Nachnahme (€ 7,50 Versand + Zahlkartengebühr). Bestellungen auch per Internet: www.Transgalaxis.de oder per E-Mail:
[email protected] PERRY RHODAN ist auch als E-Book erhältlich: www.readersplanet.de und www.libri.de
52
Richtung des Thora Space Port, die Jet folgte nun dem kreisförmigen Verlauf des Kanalufers. In ungefähr fünf Minuten, schätzte Rhodan, würde der Pilot im Sperrgebiet von Ares-Alpha landen. Über den Hyperkom der Space-Jet führte Whistler ein Funkgespräch mit Legrange. Der Verteidigungsminister hatte sich bislang in NEO-OLYMP auf gehalten, befand sich mittlerweile je doch an Bord eines Schlachtkreuzers im Anflug auf Katarakt. Der Administrator beendete das Ge spräch, als sich sein Kombiarmband wieder meldete. Er nahm den Anruf so fort entgegen. Whistler redete nicht, er hörte nur, was ihm gemeldet wurde. Sein Gesicht blieb nahezu unbewegt; Rhodan glaubte nur zu erkennen, dass sich seine Augen leicht verengten. Fast zwei Minuten vergingen, dann erlosch die Verbindung. »Mir wurde soeben eine neue Mel dung aus Far Away übermittelt.« Whist lers Stimme klang belegt. »In dem Kugelsternhaufen suchen etliche Pro spektorengruppen nach Rohstoffen. Vor wenigen Minuten wurde ein Notruf aufgefangen. Er stammt von den beiden Überlebenden eines kleinen Prospek torenschiffs. Sie haben sich in den Ortungsschutz einer Sonne zurück gezogen, ungefähr fünfzig Lichtjahre von Stardust entfernt. Der Eigner des Schiffes meldet, dass seine Crew auf einem Planetoiden eine Flotte großer Raumschiffe aufgespürt habe. Er glaubt, dass sie dort schon sehr lange stehen.« »Wann wurden diese Schiffe ent deckt?«, fragte Tolot. Whistler schien für einen Moment die Luft anzuhalten. Er verstand, was der Haluter meinte. »Vor ein, zwei Stunden vielleicht. Das wurde nicht deutlich aus gesagt.«
Hubert Haensel
»Noch eine Auswirkung«, kommen tierte Mondra Diamond. »Gibt es eine Beschreibung der Schiffe?«, wollte Rhodan wissen. »Groß.« Whistler machte eine leicht hilflos wirkende Geste. »Rot schim mernde, geschliffene Kristalle. Genau so wurde es weitergegeben.« »Schlachtlichter der Frequenz-Mo narchie.« Rhodan stieß es wie eine Ver wünschung hervor. »Bully hat während unseres kurzen Kontakts vom Angriff auf ITHAFOR gesprochen und solche Schiffe erwähnt. Ich hätte nicht erwar tet, dass sie sich schon in Far Away be finden.« »Außerhalb des Kugelsternhaufens lauern vermutlich weitere«, fügte Tolot hinzu. »In der Nachricht von Sionis war ebenfalls von großen Schiffen die Re de.« Whistler war das wachsende Unbeha gen anzusehen. Sein Blick sprang von einem zum anderen. Wie sollte es anders sein?, erkannte Rhodan. Er kommt aus der Wirtschaft. Als Politiker mag er sich deshalb recht gut schlagen, aber er ist kein Stratege, der sich einer solchen Bedrohung erfolg reich stellen könnte. »Der Notruf sprach zudem von An greifern«, fuhr Whistler fort, »die drei Meter groß seien und deren Schädel an terranische Muränen erinnern.« »Darturka!«, sagte Tolot. »Aber wer kennt Terra so gut, dass er diesen Vergleich ziehen kann?« Rhodan rieb sich den Nasenflügel. »Kom Agonis«, sagte Whistler. »Der Eigner der PROSPERO. Er ist Epsaler, das heißt, er hat Epsal nie gesehen. Aber ich kenne ihn und weiß, dass er sich als promovierter Kosmo-Historiker für al les interessiert, was mit Terra zusam menhängt.« »Zwei Positionen in Far Away, an de nen sich die Frequenz-Monarchie bereits
Grenzgängerin des Schleiers
festgesetzt hat.« Rhodan atmete tief durch. »Wir müssen davon ausgehen, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. Was ist mit den Angreifern auf Kata rakt?« Die Space-Jet landete. Whistler achtete überhaupt nicht mehr darauf. »Andere Schiffe und eine andere Spezies«, antwortete er auf Rhodans Frage. »Trotzdem. Wir müssen für den Fall gewappnet sein, dass auch Darturka auf Katarakt erscheinen.« »Was schlägst du vor, Perry?« »Amethyst muss hermetisch abgerie gelt werden; nicht einmal eine Küchen schabe darf unbemerkt aus der Stadt entkommen können. Für den Fall des Falles außerdem die Flottenpräsenz über Katarakt erhöhen. Wir müssen uns über die Schlagkraft der Flotte unterhalten: wie viele Einheiten, welche Bewaffnung, Ausbildungsstand ...« Whistler fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Stardust war von An fang an ein Ort des friedlichen Zusam menlebens. Wer hier geboren ist, musste nie kämpfen. – Perry, du kannst uns hel fen. Du, Icho und Mondra. Ich werde dir, wenn du es willst, den Oberbefehl über die Flotte übertragen.« Es hatte nicht den Anschein, dass der Vorschlag den Administrator große Überwindung kostete. Rhodan konnte aber ebensowenig erkennen, dass Whist ler die Verantwortung gern abschob. »Dein Angebot wird nicht überall Be geisterungsstürme auslösen«, sagte er nachdenklich. »Überleg dir das in Ruhe. Allerdings schlage ich vor, falls das noch nicht geschehen sein sollte, dass Flotten kontingente nach Sionis und zu den Pro spektoren in Marsch gesetzt werden. Die Besatzungen sollten darauf vorbereitet sein, was sie schlimmstenfalls erwartet.« Ein eigenartiges kurzes Geräusch er klang.
53
Erst als es sich nach zwei Sekunden wiederholte, erkannte Rhodan, woher dieses Geräusch kam. Sein Controller machte sich bemerkbar. Und eigentlich konnte der Meldeton nichts Gutes be deuten. Im schlimmsten Fall waren die Transferkamine von NEO-OLYMP so eben von außen freigeschaltet worden. Mehrere holografische Anzeigen blät terten sich selbsttätig auf, als er das Ge rät aus der Tasche zog. Er brauchte eini ge Minuten, bis er wirklich verstand, was angezeigt wurde. »Was ist es?« Tolots Stimme grollte. Rhodan antwortete nicht sofort. Poly port-Höfe gab es in der Milchstraße, in Andromeda und einigen anderen Gala xien. Far Away war ein abgelegener Au ßenposten, so stellte es sich ihm jeden falls bisher dar, nur von wenigen Transporthöfen zu erreichen. Wie weit Far Away wirklich von der Milchstraße entfernt war, wusste er nicht. Zweihundertsiebenundvierzig Minuten hatte die Reise mit MIKRU JON durch den Transferkamin von Dik tyon bis NEO-OLYMP in Anspruch ge nommen. Acht Minuten waren es von GALILEO nach ITHAFOR gewesen und etwas mehr als eine Stunde hatte es ge dauert, um vom Distribut-Depot ITHA FOR aus Markanu zu erreichen. Das mochte ein Hinweis darauf sein, wie weit Far Away wirklich von der Heimat entfernt lag. Hochgerechnet auf der Basis dieser Zeiten lag das Stardust-System unge fähr siebenundvierzig Millionen Licht jahre von Centaurus A oder Diktyon entfernt. Rhodan wusste allerdings, dass diese Berechnung so verlockend wie falsch sein dürfte: Die Reisegeschwindigkeit stieg womöglich ab einer bestimmten Distanz kontinuierlich an und betrug letztlich vielleicht ein Vielfaches des in tergalaktischen Wertes. Oder sie sank.
54
Hubert Haensel
Die Wahrheit war: Sie wussten es nicht, sie hatten keine Ahnung von den Leis tungsparametern der Transferkamine. Weil der Begriff »Ferne Stätten« aber bestimmt kein Zufall war, ging der Ter raner von einer sehr großen Distanz aus, Hunderte Millionen Lichtjahre oder noch mehr. »Es gibt in Far Away einen zweiten Polyport-Hof«, sagte Perry Rhodan überrascht. »Dieser Hof wurde vor we nigen Augenblicken aktiviert.« »Was bedeutet das für Stardust?«, fragte Whistler. »Wir haben ohnehin schon NEO-OLYMP, über den die An greifer eindringen könnten.« Tolot antwortete. »Manche Höfe kön nen Raumschiffe transportieren. Der zweite Hof könnte dafür ausgerüstet sein, sehr viel größere Raumschiffe zu trans portieren, vielleicht sogar ganze Flotten. Die Halbspur-Changeure sprachen von Handelssternen, die sie nie gefunden ha ben. Ein solcher Hof in der Gewalt der Frequenz-Monarchie, noch dazu in der nächsten kosmischen Umgebung, wäre die größte Bedrohung für Stardust.« »Wir setzen eine Flotte zur Aufklä rung in Marsch!« Whistler stockte. »Ich hoffe, der Controller weist die Koordi naten aus.« »Die Position des zweiten Hofs wird angezeigt«, bestätigte Rhodan. » Aller dings nur bezogen auf NEO-OLYMP – eine Karte des gesamten PolyportNetzes, sofern überhaupt vorhanden, kann ich nicht abrufen. Die Aufklärung hätte ich ebenfalls vorgeschlagen. Nur eines: Ich werde der Flotte mit MIKRU JON folgen. Aber vorher möchte ich noch einiges herausfinden.«
10. Grenzgängerstation Sionis Entsetzt blickte Conail Skali auf die
beiden Toten. Sie lagen in der Einmün dung des zur Zentrale führenden Korri dors, und Skali musste an ihnen vorbei. Der Anblick machte ihr zu schaffen, sie zitterte vor innerer Kälte. Dann stieg es brennend aus ihrem Magen auf. Skali war nahe daran, sich zu übergeben. Der Tod war nie schön. Aber ein ge waltsames Ende hatte etwas Widerwär tiges und absolut Hässliches. Vor allem wenn die Opfer derart entstellt waren, von Energieschüssen nicht nur nieder gestreckt, sondern verbrannt. Moor Willms und Jorada Malwar, bei de Hyperphysiker. Vor wenigen Tagen hatte Skali mit ihnen an einem Prüfpro jekt gearbeitet und dabei gelacht wie lan ge nicht mehr. Nun lagen sie verkrümmt vor ihr, fast verbacken mit dem in to bender Hitze geschmolzenen und wieder erstarrten Bodenbelag. Sie hatten die Beine an den Leib gezogen, und Jorada streckte noch im Tod ihre Arme abweh rend in die Höhe. Sie war so erstarrt. Skali kämpfte gegen das Würgen in ihrer Kehle an, doch ihren Tränen ließ sie freien Lauf. Bebend zwängte sie sich an den Toten vorbei. Schon nach wenigen Metern hielt sie inne. Alles um sie drehte sich. Skali taumelte gegen die Wand. Hem mungslos schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht und rutschte lang sam zu Boden. Ihr Blick verlor sich im Nichts. * Als die Grenzgängerin wieder auf die Beine kam, fühlte sie sich hundeelend. Bebend lief sie auf das offene Haupt schott zu. Die trübe Notbeleuchtung verbreitete einen fahlen Schimmer. Skali war allein, in der Stationszentrale gab es keine wei teren Toten. Aber auch Moor und Jorada hätten eigentlich im Hangar oder zu
Grenzgängerin des Schleiers
mindest in dessen Nähe sein müssen. Waren die beiden den Angreifern dort entkommen und hatten keinen anderen Ausweg gesehen, als zurückzulaufen? Skali wusste, dass sie keine Antwort darauf erhalten würde. Der Hyperkom war tot. Schon auf den ersten Blick erkannte die Grenzgänge rin, dass eine Reparatur unmöglich sein würde, dafür reichten die vorhandenen Mittel nicht aus. Zwei Strahlschüsse hatten wichtige Segmente der Anlage zerstört. Die Ortungen waren ohne Energie. Die Außenbeobachtung ließ sich nicht stabilisieren. Die Positronik anzusprechen war ver gebliche Mühe. Erst nach dem vierten oder fünften Versuch einer manuellen Eingabe reagierte die Kommunikations einheit. »Ich erkenne dich, Conail Skali. Du bist zugriffsberechtigt.« »Endlich! Ich brauche eine Bestands analyse: Zustand der Station, Ausfälle, was kann wiederhergestellt werden?« »Du bist zugriffsberechtigt, Conail Skali.« Immerhin reagierte die Positronik wieder auf akustischer Basis. »Ich erwarte einen kompletten Zu standsbericht.« »Du bist zugriffsberechtigt, Conail Skali.« Es hatte keinen Sinn. Sie konnte nur hoffen, dass bald ein Schiff aus dem Stardust-System eintraf. Sie streifte den Schutzanzug ab. Sie brauchte ihn nicht mehr, zumal die dün ne Hülle weder über einen Trinkwasser vorrat noch über Nahrungskonzentrate verfügte. Ihr Kombiarmband hatte sie in der Eile, als sie noch an eine Fluchtmög lichkeit geglaubt hatte, nicht abgenom men und auf den Anzug gesetzt. Die Anzeige des Armbands machte ihr klar: Standardzeit kurz nach 23 Uhr,
55
das Datum der 18. Januar. Mehr als drei ßig Stunden waren demnach seit dem Angriff vergangen. Das erklärte ihren immer quälender werdenden Durst. Skali verließ die Zentrale. Sie schaffte es, an den beiden Toten vorbeizugehen, ohne erneut in Panik zu geraten. Irgendwann stumpft Gewohnheit ab, sogar für die schlimmsten Dinge. Skali hätte sich für diesen Gedanken ohrfeigen können. Sie musste sich keine Gefühlsstärke ein reden, die sie doch nicht aufbrachte. So bald ein Schiff aus dem Stardust-Sys tem eintraf, konnte sie darangehen, den Tod ihrer Freunde zu verarbeiten. Das war anders als ihr Entsetzen mit mar kiger Ignoranz zu überdecken. Es war Mitternacht, als sie die Messe betrat. Der Ausblick nach draußen blieb blind, und innen herrschte rötliche Düs ternis. Eine beklemmende Atmosphäre. Der Getränkeservo funktionierte nicht mehr. Skali suchte nach Werkzeug, mit dem sie die Sperre aufbrechen konn te. Sie fand lediglich ein einfaches Fleischmesser: scharfer Stahl, aber kei ne Desintegratorklinge. Trotzdem ver suchte sie es damit.
Die Welt des
Jetzt Einstiegshilfe anfordern: Pabel-Moewig Verlag KG PERRY RHODAN-Kommunikation Karlsruher Straße 31 76437 Rastatt Bitte € 1,45 Rückporto beilegen.
56
Hubert Haensel
Zweimal rutschte Skali an der Sperre ab und hätte sich die Klinge beinahe in den Arm gerammt. Sie stutzte. Ein dumpfes Pochen er klang. Sekunden später wieder, ein we nig lauter diesmal. Die Grenzgängerin lauschte. Das Ge räusch ertönte unregelmäßig und es klang eher kreischend, Metall schramm te über Metall. Der Schall wurde offen bar über das Belüftungssystem weiter getragen. Dann ein heftiges Hämmern. Es stei gerte sich fast zum Stakkato – und brach auf dem Höhepunkt ab. Im ersten Moment hatte Skali ge glaubt, ein Schiff der Stardust-Union sei gelandet. Aber das Pochen und Schlei fen passte nicht dazu. Kamen die An greifer zurück? Skalis Finger verkrampf ten sich um den Messergriff. Eher klang das rhythmische, beinahe hartnäckig wirkende Pochen, das wie der einsetzte, als wolle jemand auf sich aufmerksam machen. Gab es also außer ihr Überlebende? Skali ließ das Messer fallen und lief los. * Als die Grenzgängerin glaubte, der Geräuschquelle ganz nahe zu sein, kehr te wieder Stille ein. Minutenlang wartete Conail Skali vergeblich. Sie befand sich im Unter kunftsbereich. Die Wohnräume der häufig wechselnden wissenschaftlichen Mitarbeiter waren um ein Gemein schaftsareal angeordnet. Oft hatten sie hier beisammengesessen und sich nach Dienstende die Köpfe heiß geredet. Über Gott und die Welt sozusagen. Keiner war traurig darüber gewesen, dass sie nicht in der von Kriegen geschüttelten Milch straße lebten. Skali stutzte.
Dunkle Flecken auf dem Boden führ ten in einen Seitengang. Blut? Sie war sich dessen fast sicher. Sogar größere Lachen, als hätte ein Ver wundeter dort innegehalten, waren schon angetrocknet. Sie folgte der Spur in den abzwei genden Gang. Ob sie in die richtige Richtung ging, würde sich rasch erwei sen, denn am Ende des Korridors lag der Fitnessbereich: Trainingsgeräte, Massa geröhren, außerdem das Dampfbad und Duschen. Von dort ging es nicht weiter. Der Durchgang war nur angelehnt. Blutspritzer waren am Türblatt entlang gelaufen. Ja, Skali war nun sicher, dass der Verwundete von dieser Seite gekom men war. Die Spur am Boden endete nach we nigen Metern. Aber wer immer hier ge gangen war, konnte sich nicht in Luft aufgelöst haben. Die Grenzgängerin schaute sich um. Teils standen die Kom paktgeräte meterweit auseinander; sie hätte eine irgendwo liegende Person so fort sehen müssen. »Hallo!« Skali gab sich Mühe, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. »Wo bist du? Ich will dir helfen.« Vergeblich wartete sie auf Antwort. Sie fuhr herum, als sie aus dem Augen winkel eine Bewegung wahrnahm – und atmete erleichtert auf. Ein kleiner Reini gungsroboter, nicht größer als ihre ge spreizte Hand, wuselte rastlos umher. Offenbar hatte er die Blutspuren besei tigt. Diese Maschinen hatten keine be sonders großen Datenspeicher und waren nicht für eine direkte Mensch-Ma schine-Kommunikation ausgerichtet. Die Grenzgängerin sah sich um. Die Duschen waren leer, ebenso das Dampf bad. Aber dann entdeckte sie wieder Blut – auf einem Mauersims vor dem Massa gebereich. Die Tür war ebenfalls nur an gelehnt. Skali stürmte hindurch ... ... und schrie entsetzt auf. Ihr erster
Grenzgängerin des Schleiers
Impuls war, sich herumzuwerfen und zu fliehen, doch es blieb bei ihrem heftigen Zusammenzucken. Ihr Schrei hatte keine Reaktion her vorgerufen. Der Fremde schien tot zu sein. Skali überzeugte sich davon, dass sie die Tür jederzeit wieder würde aufrei ßen können, dann ging sie zögernd wei ter. Drei Meter vor dem am Boden lie genden Koloss blieb sie stehen. Er war einer der Angreifer. Die Schwe re seiner Verletzung konnte Skali nicht abschätzen, doch seine linke Seite und das linke Bein schienen eine einzige mittlerweile verkrustete Wunde zu sein. Der in hellem Violett schimmernde Schutzanzug hing in dem Bereich in Fet zen. Skali gewann den Eindruck, dass der Fremde den Anzug selbst aufgeris sen hatte, wahrscheinlich, um die Wun de versorgen zu können. Er war groß, gut drei Meter, und ent sprechend kräftig. Seine Haut, soweit die Grenzgängerin das sah, war nicht nur fleckig braun und wirkte, als sei sie von millimetertiefen Rillen durchzogen, sie hatte auch etwas Kompaktes, fast wie ein natürlicher Panzer. Der längliche Schädel war zur Seite gesunken, die weit vorspringende Mund partie leicht geöffnet. Skali schauderte erneut, als sie den Wald Hunderter dün ner Zähne sah. Der Boden war blutverschmiert. Ei gentlich kein Wunder, denn die große Wunde schien erst vor Kurzem wieder aufgebrochen zu sein. Die Ursache der pochenden, häm mernden Geräusche wurde Skali nun klar. Dieses Wesen hatte eine der Sitz bänke aus ihren Verankerungen gebro chen. Die Bänke bestanden nur aus Leichtmetall. Der Fremde musste sie mit ziemlicher Kraft gegen die Wand gedro schen haben und hatte dann Teile davon abgerissen. Kantige Bruchstücke lagen
57
verstreut herum. Der Rest war zurecht gebogen, mit den Fäusten bearbeitet, eine Schale, die offensichtlich die Wun de klammern und zusammenhalten soll te. Erst jetzt fragte sich Skali, warum der Fremde überhaupt noch in der Station war. In diesem Zustand war er wohl kaum als Wächter zurückgeblieben. Kümmerten seine Kameraden sich nicht um ihre Verwundeten, oder war es ihm ähnlich ergangen wie ihr? Sie konnte nach wie vor nicht erken nen, ob er noch lebte. Vorsichtig trat sie näher, jeden Mo ment bereit, zurückzuweichen. Sie glaubte allerdings nicht, dass der Frem de angesichts der Wunde schnell und beweglich sein konnte. Das machte es ihr ein wenig leichter. Trotzdem empfand sie Hass. Dieses Wesen und seinesgleichen hatten wahr scheinlich alle Grenzgänger von Sionis getötet. Skali glaubte mittlerweile nicht mehr, dass außer ihr noch jemand da vongekommen war. Zögernd streckte sie den Arm aus, be rührte mit den Fingerspitzen das Schul terstück der violetten Kombination, tas tete nach dem Hals. Die Haut war ungewöhnlich fest. Skali erschrak über sich selbst. Sie ertappte sich bei der Überlegung, dass kein lebendes Wesen wirklich gut oder schlecht sein konnte. Vielleicht war alles nur ein Missverständnis, und die An greifer hielten die Stardust-Menschheit für Eroberer. »Wir müssen nicht kämpfen«, mur melte Skali. »Wer weiß, vielleicht ...« Ein scharfes Zischen ließ sie verstum men. Der Schädel ruckte herum, und der zahnübersäte Rachen fauchte sie an. Skali prallte zurück, sie kam nicht schnell genug in die Höhe, und als sie endlich ihr Gleichgewicht wiederfand, hatte sich ihr Gegenüber schon halb auf
58
die Seite gewälzt. Jetzt erst bemerkte sie, dass er auf seiner Waffe gelegen hat te. Mit einer Hand zerrte er den Strahler hervor ... Conail Skali packte instinktiv zu, um klammerte den Lauf der Waffe und zerrte mit aller Kraft daran. Ihr Gegner ließ einen schrillen Schmerzenslaut ver nehmen, als sie ihm den schweren Strah ler entriss. Sein Versuch, nachzufassen, blieb vergebens. Skali wirbelte die Waf fe herum und zielte auf seinen Kopf. »So nicht!«, stieß sie hervor. »Mag sein, dass du es nicht anders gewohnt bist, aber du wirst mich nicht umbrin gen. Jetzt nicht mehr.« Er sank zurück. Seine Seite blutete, aber trotzdem ließ sein Blick die Grenz gängerin nicht mehr los. Sein Zischen ließ Skali schaudern. Sie warf die erbeutete Waffe hinter sich. Der Strahler rutschte bis zur ge genüberliegenden Wand. »Schaffen wir eine vernünftige Basis«, sagte sie. »Wir verstehen uns nicht, und ich habe keinen Translator. Aber bald werden meine Leute kommen, dann können wir miteinander reden.« Der Fremde ignorierte sie. Er schloss die Augen und schwieg. »Auch gut. Vielleicht wirst du sterben, wenn deine Wunde unversorgt bleibt. Das ist dein Problem, nicht meins. Aber ich denke, du weißt, dass du mich brauchst.« Skali ging. Sie schaute nicht zurück. Sie brauchte Verbandmaterial und Des infektionsmittel. Natürlich würde sie alles daransetzen, den Fremden zu ver sorgen. Die Chance, zu einer Verständi gung zu kommen, konnte sie nicht leichtfertig ignorieren. Sie hatte den Massagebereich schon verlassen, da fiel ihr die Waffe wieder ein. Sie stürmte zurück. Tatsächlich hatte sich der Verwundete schon herumgewälzt. Offensichtlich mit
Hubert Haensel
letzter Kraft schob er sich über den Bo den, um den Strahler zurückzuholen. »Du gibst nicht auf, was?« Skali nahm die Waffe an sich. »Wenn du willst, dass ich dir helfe, halt dich gefälligst an mei ne Regeln!« Sein Zischen folgte ihr, bis sie wieder im Vorraum stand. Sie sperrte den Strahler in einen der Wandschränke und sicherte das Schloss mit ihrem Fingerabdruck. Tief atmete sie ein und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann suchte sie nach einem Medoset. * Raumschiff PROSPERO Vacucha Sabo wuchtete ihre fünfzehn Zentner aus dem Kontursessel. Mit bei den Händen fuhr sie durch ihren Sichel haarkamm und bedachte währenddes sen die Ortung mit einem missbilligenden Blick. »Nichts«, sagte sie düster. »Ich glaube einfach nicht, dass auf dem Planetoiden absolut nichts geschieht. Seit zwei Ta gen drehen wir hier im Sonnenorbit Däumchen ...« Im ersten Moment wollte Agonis sei ner Gefährtin widersprechen. Däum chen drehen war keineswegs das Ein zige, was sie getan hatten, aber so einfach wurde er mit dem Verlust seiner Mann schaft nicht fertig. Vacucha war in der Hinsicht ... abgebrüht, ein besseres Wort kam ihm nicht in den Sinn. »Ich hoffe, Whistlers Flotte kommt bald hier an. Die müssen doch bestimmt keinen ausgedehnten Hypersturm um fliegen.« »Die sind längst weg«, behauptete Vacucha. »Wer?« »Die Kristallschiffe. Ich hoffe, das Titan-Vorkommen ist noch da.«
Grenzgängerin des Schleiers
»Ist das alles?« »Ich frage mich, ob unsere Leute An gehörige hatten. Wir sollten den Hinter bliebenen einen Teil des Schürfgewinns zukommen lassen.« »Bertram, glaube ich, hatte nur auf dem solaren Mars eine Schwester.« Ago nis zuckte mit den Achseln. »Jedenfalls hat er vor Monaten mal davon gespro chen. Allerdings werden wir weder das Solsystem noch einen Menschen aus der Milchstraße jemals wieder zu Gesicht bekommen.« Was immer der Epsaler hinzufügen wollte, blieb unausgesprochen. Ein Funkspruch kam herein. Kein Hyper funkspruch, sondern Normalfrequenz und aus größter Nähe gesendet. »Gerade noch rechtzeitig, bevor ich darauf bestanden hätte, dass wir ohne Begleitschutz zurückfliegen«, brummte Vacucha. Es war eine ansehnliche Flotte, die kurze Zeit später auf den Beobachtungs schirmen des PROSPERO erschien. Die Ertruserin pfiff schrill zwischen den Zähnen hindurch. »Whistler lässt sich unseren Fund ganz schön was kosten«, stellte sie fest. »Der Omniträger scheint das Flaggschiff zu sein, aber seine tausend Meter kom men an die Größe der Kristallschiffe noch nicht ran. Dazu vier Schlachtkreu zer mit fünfhundert Metern, zehn Schwere Kreuzer und zwanzig mal HERMES-Klasse, immerhin noch hun dert Meter Rumpfdurchmesser.« Offen sichtlich bereitete es ihr Genugtuung, die Ortungsdaten schnell zu analysie ren. »Hast du nicht behauptet, die Frem den wären längst von P-17-25-1463 ver schwunden?«, fasste Agonis nach. »Immerhin. So wissen wir wenigstens, dass Whistler unsere Arbeit zu schätzen weiß.« Eine Viertelstunde später schleuste
59
die PROSPERO in einen Ringwulsthan gar des Flaggschiffs AVEDA ein. Vorsichtig näherte sich die Flotte dem Planetoiden. Selbst aus wenigen Lichtstunden Ent fernung deutete nichts auf Unregelmä ßigkeiten hin. Weder besondere Energienoch Massekonzentrationen wurden festgestellt. Die letzte Etappe brachte die Schiffe bis auf wenige Millionen Kilometer an den langsam durch den Raum treibenden öden Felsbrocken heran. Die Fremden, wer immer sie gewesen sein mochten, waren verschwunden ... ... irgendwo in der üppigen Sternen fülle von Far Away.
11. Grenzgängerstation Sionis Übergangslos schreckte Skali hoch. Im ersten Moment erkannte sie nicht einmal, wo sie sich befand. Sie hatte schlecht geträumt, wirres Zeug, das in ihr nachhallte und nur allmählich ver blasste. Vor Erschöpfung war sie eingeschla fen. Nur ein paar Minuten, verriet ihr ein rascher Blick aufs Armband, aber sie hatte wach bleiben wollen. Sie saß auf dem Boden, lehnte mit dem Rücken an der Wand und ließ den Fremden nicht aus den Augen. Von den Minuten abgesehen, in denen sie, wie eben, übergangslos einnickte. Er schien nie zu schlafen. Immer war sein Blick unterwegs, seit sie ihm vor zwei Tagen den ersten Verband angelegt hatte. Wenigstens schien er zu akzeptieren, dass sie sich um seine Verletzung küm merte. Skali hatte Trinkwasser besorgt und Nahrungskonzentrate. Das Wasser hatte er angenommen, den ersten Konzen
60
tratwürfel aber wieder hervorgewürgt. »Was steht auf deinem Speisenplan? Mäuse? Oder gibt es bei euch riesige Aquarien voll Plankton?« Skali redete mit sich selbst. Die Stille hatte für sie immer noch etwas Bedroh liches. Wenn sie redete, fiel es ihr leich ter, mit dem Fremden auszukommen. Sie wusste nicht, was sie von ihm hal ten sollte. Möglich, dass er von Fisch artigen abstammte. Seine eigenartigen Zähne erschienen ihr manchmal wie Barten. Falls das zutraf, waren sie nicht unbedingt Mordwerkzeuge, sondern er füllten eher Filterfunktion. »Wir müssen miteinander auskom men. Bestimmt ist es dafür nicht zu spät.« Manchmal schien er ihr zu antworten. Aber Skali konnte den zischenden Lau ten keinen Informationsgehalt abgewin nen. Trotzdem versuchte sie es immer wieder. Jetzt auch. Sie klatschte in die Hände, um seine Aufmerksamkeit zu ge winnen. Als er ihr langsam den Kopf zuwandte, klopfte sie sich mit der flachen Hand auf die Brust. »Conail Skali.« Ohne Translator konnten ihre Ver suche ewig dauern und erfolglos bleiben. Sie lehnte sich zurück. Ein Zischen Sekunden später ließ sie aufmerken. Der Verwundete schaute zu ihr herüber und wiederholte das Zischen von eben so akzentuiert, dass sie sich prompt fragte, ob er endlich konstruktiv mitarbeiten wollte. Er hob den linken Arm und ließ ihn schwach auf seinen Oberkörper fallen. Wieder dieses Zischen. »Das ist dein Name?« Skali beugte sich interessiert vor. Sie produzierte Laute, die ähnlich klingen sollten, er kannte aber selbst, wie weit sie davon entfernt lag. Seine Hand wanderte weiter und griff an den Verband, den Skali seit dem Vor
Hubert Haensel
tag nicht mehr gewechselt hatte. Wieder erklang exakt dieses Zischen. Der Frem de schaute sie an, und diesmal hielt er den Mund geschlossen. Als hätte er er kannt, was sie erschreckte. Der Verband, sah die Grenzgängerin, hatte sich verfärbt. Sie öffnete die Me dobox. »Viel habe ich nicht mehr da, und das Wundplasma ist aufgebraucht. Aber hoffentlich werden wir bald abgeholt.« Sie hielt die Box hoch. Der Fremde reagierte mit einer Geste darauf, die Ab lehnung oder Zustimmung bedeuten konnte. Noch nicht einmal das hatte sie bislang herausgefunden. Vorsichtig löste sie den alten Verband und betrachtete die vernarbende Wun de. Es sah nicht danach aus, als hätte sich etwas entzündet. »Diesmal muss der Verband allein helfen. Ich setze einige Klammern.« Ein Moment der Unachtsamkeit, in dem sie sich zu sehr auf die Wunde kon zentrierte. Skali sah den Arm hochzu cken, sie duckte sich zwar, aber die Faust erwischte sie an der Schulter und warf sie zurück. Sie schrie, schlug rücklings auf und versuchte gar nicht erst, wieder auf die Beine zu kommen, sondern stieß sich mit den Füßen ab. Gut einen halben Meter trieb sie der Schwung zurück, aber er brachte sie nicht aus der Reichweite des Angreifers. Seine Wunde schien ihn kaum mehr zu behindern. Jedenfalls war er schneller und geschickter, als Skali erwartet hätte. Eine Hand schloss sich um ihren Fußknöchel und drückte gnadenlos zu. Sie schrie, trat mit dem anderen Fuß nach seinem Gesicht, doch er drehte sich geschickt zur Seite. »Das wirst du nicht tun. Nein, du Biest ...« Sein Zischen übertönte ihren Auf schrei. Vergeblich versuchte Skali, sich aus dem festen Griff zu lösen. Sie schaff
Grenzgängerin des Schleiers
te es nicht, weil der Fremde sie mit der anderen Hand am Oberschenkel er wischte. Skali schrie. Sie warf die Arme nach hinten, suchte nach einem Halt, den es nicht gab. Ihre Hände schrammten über den rauen Bodenbelag. Da war etwas Kantiges. Skali packte zu und wusste bereits, als sie den Arm nach vorne riss, dass es einer der Leicht metallfetzen war, die sie nur auf einen Haufen geworfen hatte. Der Angreifer war über ihr, er ließ ih ren Knöchel los und griff nach ihrem Arm. Gleichzeitig stieß Skali mit der an deren Hand zu. Sie spürte, wie das Stück Metall auf Widerstand traf, hindurch schnitt und tiefer eindrang. Sie ließ los, weil sie ihre Hand nicht mehr spürte, und stieß sich noch einmal mit den Fü ßen ab. Dass der Angreifer tot war, wurde ihr erst richtig bewusst, als sie schwankend neben ihm stand und ihre zerschnittene
61
rechte Hand an den Körper presste. Das Stück Metall hatte Sehnen und Nerven bahnen ihrer Handfläche durchtrennt, aber es steckte tief unter dem Kopfan satz des Fremden. Wimmernd kippte Skali zur Seite und rollte sich zusammen. Von irgendwoher drangen neue Ge räusche heran. Polternde Schritte. Stim men. Die Fremden kamen zurück. Skali wollte fliehen, aber sie konnte es nicht mehr. Die Schritte kamen näher, verhielten neben ihr. Sie zuckte zusammen, als sich eine kräftige Hand auf ihre Schulter legte, aber sie konnte nicht einmal mehr schreien. »Ein Medoroboter zu uns! Schnell!« Conail Skali hörte die Stimme, sie verstand. Dann wich der Boden unter ihr. Sie stürzte in eine endlose Tiefe. *
62
Hubert Haensel
Aveda, Ares-Alpha Müde, aber zufrieden, schaute Rho dan auf die Hologalerie, die in den we nigen Tagen rasch angewachsen war. Ein Labyrinth war daraus geworden, in dem er sich eine Zeit lang fast verloren gefühlt hatte. Geschlafen hatte er nur drei oder vier Stunden. Als Aktivatorträger kam er mit sehr wenig Schlaf aus, im Gegensatz zu Mondra und dem Administrator. Und Tolot war nahezu die ganze Zeit über bei ihm gewesen und hatte ihn unterstützt. Der Zusammenbruch der SchleierBarriere hatte diese unglaubliche Da tenfülle überhaupt erst möglich ge macht. Weiterhin liefen permanent neue Messwerte ein, aber sie verfeinerten nur noch und brachten keine grundlegend neuen Erkenntnisse. Perry Rhodan konnte sich nun ein brauchbares Bild vom Umfeld des Star dust-Systems machen. Far Away lag in einer Ringgalaxis, etwa achtundvierzig tausend Lichtjahre unterhalb des Rings, der einen Außendurchmesser von be achtlichen 220.000 Lichtjahren aufwies und im Innern 150.000 Lichtjahre. Die Reste des galaktischen Kerns, die sich nach der lange Zeit zurückliegenden Kollision neu zusammengefunden hat ten, erreichten immerhin eine Ausdeh nung von rund 55.000 Lichtjahren. Rhodan selbst hatte die passenden Kartuschen dazu gefunden. Ohne die Unterstützung des Großrechners CREST auf dem gleichnamigen Aveda-Mond, die Whistler ihm angeboten hatte. Wahrscheinlich hätte CREST die Übereinstimmungen ebenfalls entdeckt. Aber Rhodan hatte auf Intuition gesetzt. Vor allem kannte er die Superintelligenz ES. Wer hätte behaupten können, dass in den Kartuschen keine Störfaktoren enthalten waren, die das perfekteste Rechnersystem versagen ließen?
»Ich gebe dir recht, Rhodanos.« Tolots Lachen klang noch in ihm nach. »ES wird nicht wollen, dass sich eine Posit ronik die Aktivatoren holt.« Whistler nickte nachdenklich, als er das Holoabbild der Kartusche betrach tete. »Über Jahrzehnte hinweg haben wir uns die Köpfe zerbrochen, was sich da hinter verbergen mag, keiner ist der Wahrheit nahegekommen. Dieser her vorgehobene Kreisring mit dem win zigen Punkt an seinem unteren Innen rand. Dazu der separate Kreis im exakten Zentrum.« Nun wussten sie es, und die Lösung war so verblüffend einfach: Das stilisierte Abbild der Ringgalaxis mit ihrem Kern bereich und der einsame Punkt symboli sierten den Kugelsternhaufen Far Away. Eine zweite Kartusche hatte Rhodan aufgespürt. Sie hatte bis vor Kurzem ei ne äußere gestrichelte Kreislinie aufge wiesen, die inzwischen verschwunden war. Aktuell zeigte die Abbildung sechs kreisförmige Anordnungen von jeweils zweiundzwanzig fünfzackigen Sternen, deren Größe von außen nach innen kon tinuierlich abnahm. »Es scheint eindeutig zu sein, dass diese Abbildung den Kugelsternhaufen Far Away symbolisiert«, stellte der Ter raner fest. »Zuerst mit dem umgebenden Sextadim-Schleier, inzwischen ohne. Allerdings weiß ich mit der Zahl der Sterne und ihrer Anordnung noch nichts anzufangen.« »Vielleicht wird sich das Bild weiter verändern«, wandte Tolot ein. »Ich schließe das nicht aus. Mag sein, dass wir bald mehr herausfinden. Der Anfang ist gemacht. Wir brechen auf.« Als knapp zwei Stunden später MI KRU-JON das Stardust-System verließ, befand sich der Haluter allerdings nicht an Bord. Er blieb zurück, um Whistler zu unterstützen, die veränderte Situati
Grenzgängerin des Schleiers
63
on für die Stardust-Union genauer ein zuschätzen. Tolots Stelle an Bord hatten Verteidi gungsminister Legrange und Vizeadmi ral Lexa eingenommen. Möglicherweise war der neu entdeckte zweite PolyportHof von tödlicher Brisanz. * Grenzgängerstation Sionis Vage Eindrücke: Gesichter, die sich über sie beugten; ein Roboter gab ihr ei ne Injektion. Nach einer Weile wichen ihre Schmerzen. »Wie fühlst du dich?« Die Stimme sprach Interkosmo. Conail Skali versuchte ein Nicken. Sie war müde und erschöpft. »Bin ich die Einzige ...?«
»Unsere Leute durchsuchen die un teren Hallen.« Sie wusste, dass nur sie überlebt hat te. Niemand musste ihr die Wahrheit schonend beibringen. »Was wollten die Fremden?« Skali merkte, dass ihr das Reden schwerer fiel. Die Injektion nahm ihre Anspannung und würde sie zum ersten Mal seit Tagen tief schlafen lassen. Trotzdem wollte sie eine Antwort. »Warum ... waren sie hier?« »Sie haben sich an den Positroniken zu schaffen gemacht. Einige Speicher bänke sind schwer beschädigt. Offen sichtlich haben sie alle Daten geplün dert, die sie finden konnten.« Unsere Erkenntnisse über den Sexta dim-Schleier!, erkannte Skali. Aber das brachte sie schon nicht mehr über die Lippen.
ENDE Die Situation für die Stardust-Menschheit bleibt angespannt. Nicht wenige sind durchaus erleichtert, den unsterblichen Terraner, seine Gefährtin und den berühmtesten Haluter der Milchstraße an ihrer Seite zu wissen. Auch im Roman der kommenden Woche bleiben wir im Sternhaufen Far Away und an Perry Rhodans Seite. Michael Marcus Thurner berichtet in Band 2521 von den weiteren Ereignissen. Sein Roman erscheint unter folgendem Titel: KAMPF UM KREUZRAD PERRY RHODAN – Erbe des Universums – erscheint wöchentlich in der Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Internet:
www.vpm.de. Chefredaktion: Klaus N. Frick, Postfach 2352, 76413 Rastatt. Titelillustration: Alfred Kelsner. Innenillustration:
Michael Wittmann. Druck: Pabel-Moewig Verlag KG, Karlsruher Str. 31, 76437 Rastatt, www.vpm-druck.de Vertrieb: VU Verlags
union KG, 65396 Walluf, Postfach 5707, 65047 Wiesbaden, Tel.: 06123/620-0. Marketing: Klaus Bollhöfener. Anzeigenleitung:
Pabel-Moewig Verlag KG, 76437 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rainer Groß. Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 34.
Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden;
der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m.b.H.,
Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit
vorheriger Zustimmung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen.
Printed in Germany. November 2009
Internet: http://www.Perry-Rhodan.net und E-Mail:
[email protected] Einzelheft-Nachbestellungen richten Sie bitte an:TRANSGALAXIS-Buchversand, Postfach 1127, 61362 Friedrichsdorf/ Taunus. Lieferung erfolgt per Bankeinzug (Bankverbindung nennen) zzgl. 3,90 € Versand, Ausland 6,90 € oder per Nachnahme (7,50 € Versand + Zahlkartengebühr). Alle lieferbaren Ausgaben und Bestellmöglichkeit auch unter www.Transgalaxis.de oder per E-Mail:
[email protected]. Abo- und Bestellservice:Telefon: 01805/008367 (0,14 Euro/Min. aus dem dt. Festnetz, abweichende Preise für Mobilfunk), Fax: 040/30198829 (Bestellungen), Internet: Adressen- und Bankdatenänderungen, Reklamationen und vieles mehr jetzt auch bequem unter http://kundenservice.bauerverlag.de, Brief: Bauer Vertriebs KG, 20078 Hamburg. Jahrespreis (52 Ausgaben) inkl. Porto- und Zustellkosten € 109,20 / Österreich: € 122,20 / Schweiz: sfr 213,20. PERRY RHODAN gibt es auch als E-Books und Hörbücher: www.perryrhodanshop.de
Kommentar
MIKRU-JON Am 17. Januar 1463 NGZ, 10.15 Uhr Standardzeit Terra nia, sind Rhodan & Co. an Bord der dreigeteilten MIKRU JON vom Polyport-Hof ARTHANOK in Diktyon/Centau rus A aus durch den Transferkamin gestartet. Die Ankunft beim Polyport-Hof NEO-OLYMP im Stardust-System er folgt nach einer Reisezeit von 247 Minuten. Leider lässt die pure Flugzeit keinen Rückschluss auf die tatsächlich zurückgelegte Distanz zu – schon die acht Minuten für die Entfernung GALILEO-ITHAFOR über 38.479 Licht jahre sowie die 65 Minuten ITHAFOR-Markanu über rund 12,4 Millionen Lichtjahre ergeben keinen Zusammen hang, der sich per simplem Dreisatz berechnen ließe. Für das extrem weit entfernte Gebiet der »Fernen Stätten« muss das umso mehr berücksichtigt werden. Während sich nun Rhodan und seine Begleiter vor Ort kundig machen, wenden wir unsere Aufmerksamkeit jenem bemerkenswerten Schiff zu, das dank Zerlegung für Transporte durch die Transferkamine perfekt geeignet ist. Ariel Motrifis sprach von MIKRU-JON wie von einem Le bewesen. Und tatsächlich war, sobald der HalbspurChangeur die Bodenschleuse durchschritten hat, ein deutliches Gefühl von Unwohlsein zu spüren gewesen. Ob das Schiff lebendig ist, bleibt vorerst offen – das In nere ist jedenfalls bemerkenswert variabel und anpas sungsfähig. MIKRU-JON hat eine sich nach oben verjüngende Obe lisken-Grundform; die bronzefarbene Außenhülle weist Ornamente auf. Die Höhe misst 73 Meter, die Basisfläche 31 Meter Kantenlänge. Bei 24 und 48 Metern Höhe ist die Hülle leicht eingekerbt. Das Schiff kann entlang dieser umlaufenen Einschürungen in einen Passagier-, einen Techno- und einen Antriebsblock geteilt werden: Im obe ren Drittel befinden sich die Kommando- und Unter kunftssektion. Im mittleren Energieversorgung, Lebens erhaltung und allgemeine Technik und im unteren die Triebwerke sowie die Zugangsschleusen. Im übertra genen Sinn kann vielleicht sogar von einer »modernen Version« der alten STARDUST gesprochen werden – »dreistufig, raketenähnlich«, genutzt zum Aufbruch ins Unbekannte ... Schon die Sublicht-Beschleunigung ist bemerkenswert – bis zu 1280 Kilometer pro Sekundenquadrat leistet das unbekannte Feldtriebwerk trotz erhöhter Hyperimpe danz. Beim Hyperraumflug wird im Normalfall ein eher geringer Überlichtfaktor von etwa einer Million erreicht;
das entspricht einer Geschwindigkeit von rund 1,9 Licht jahren pro Sekunde. Laut Auskunft von MIKRU-JON sei zwar durchaus mehr möglich, aber es bedarf einer An passung der Konfiguration, die noch aus der Epoche geringeren Hyperwiderstands stammt. Wirklich überragende Werte dürfen vom unbekannten Hyperraum-Antrieb, dem möglicherweise ein dem »vektoriert-modifizierten Dimetrans-Modus« vergleich bares Prinzip zugrunde liegt, nicht erwartet werden – schließlich war das Schiff vor allem für Flüge in Kyon Megas ausgelegt, sodass die geringe Größe der Satel litengalaxis nie bessere Werte erfordert hat. Ein zweiter Aspekt der Einschränkung ergibt sich durch die Ener gieversorgung: Neben »Kompaktmeilern« mit hohem Leistungsausstoß kann (Hyper-)Energie durch Sonnen zapfung sowie die Anzapfung der »galaktischen Gravi tationsfelder« gewonnen werden, wobei die jeweilige Zapfdistanz maximal zehn Lichtjahre beträgt. Weil Son nen im Leeraum zwischen den Galaxien Mangelware sind, ist eine Überbrückung intergalaktischer Entfer nungen aus eigener Kraft deshalb grundsätzlich nicht möglich! Über militärische Waffensysteme verfügt MIKRU-JON nicht, lediglich die Defensivschirme vergleichbar den HÜ-Schirmen verdienen Erwähnung. Im Fall eines Kon fliktes – für den die MIKRU-JON nicht gebaut wurde – verlässt man sich besser auf die stark minimierte Orter signatur einschließlich der Orterdämpfersysteme und die ziemlich konkurrenzlose Sublicht-Beschleunigung, zumal Raumschiffsverkehr mit einer Orterreichweite von 1000 Lichtjahren erfasst werden kann. Mit Mikru, der »Verkörperung« des Schiffes in Gestalt der von Prallfeldern imitierten stofflichen Festigkeit einer holografischen Hülle, kommt ein weiterer überraschender Aspekt ins Spiel. Eine Melange aus mentalen Elementen, die vor Jahrzehntausenden die Piloten dieses Schiffes ausgezeichnet haben, ohne dass noch Details erinnert würden. Wer immer MIKRU-JON steuerte, konnte sein Bewusstsein mit dem Schiff verschmelzen und dadurch erheblich besser navigieren. Je häufiger das geschah, umso intensiver wurde das auf das Schiff übertragene mentale Echo oder der hyperphysikalische Abdruck. Als Gesamtheit und somit mehr als die Summe der Teile formte sich mit der Zeit ein »mentaler Pool« mit eigener Persönlichkeit – Mikru. Rainer Castor
Leserkontaktseite Liebe Perry Rhodan-Freunde, es ist gar nicht so leicht, für einen einzigen Satz einen Preis zu bekommen. Manche Autoren schreiben Milli onen von Sätzen ohne dieses Erfolgserlebnis. PERRY RHODAN hat es geschafft. Unsere weltweit größte Science-Fiction-Serie hat den Wahrheit-Unter bring-Wettbewerb der Tageszeitung »taz« gewonnen. Er wurde am Samstag, 17. Oktober 2009, auf der Frankfurter Buchmesse verliehen. Seit einigen Jahren veranstaltet die »Wahrheit«, die Satire-Seite der »taz«, den sogenannten UnterbringWettbewerb. In dem traditionell zur Frankfurter Buch messe ausgelobten Preis gilt es, einen bestimmten Satz in einer Zeitung oder Zeitschrift unterzubringen. Pas send zum Gastland 2009 – China – lautete der Satz diesmal: »Was für Konfuzius Konfetti, sind für Chinesen die Spaghetti.« Diesen sinnlos klingenden Satz hat PERRY RHODANAutor Hubert Haensel in seinem Roman mit der Band nummer 2511 »Schatten im Paradies« sinnvoll in das Handlungsgeschehen eingebracht. »Es hat Spaß ge macht, das Nonsens-Zitat, dem ich selbstverständlich einen mehrdimensionalen Sinn unterstelle, flüssig in die Handlung einzubauen«, sagte der Autor. »Natürlich schaut der so Angesprochene entgeistert und überlegt,
ob an der Vernetzung seines Gehirns mit seinem künst lichen Körper eine Abstoßungsreaktion auftritt. Das ist eben Science Fiction.« Der eingereichte Roman hat die Jury des Wettbewerbs überzeugt: »Für uns ist es eine große Ehre, in der le gendären Science-Fiction-Serie auftauchen zu dürfen«, sagt »Wahrheit«-Redakteur Michael Ringel. PERRY RHODAN-Chefredakteur Klaus N. Frick hat über die Preisverleihung ein Logbuch verfasst, das ihr auf unserer Homepage findet. Feedback Alfred Heyer,
[email protected] Viele Hintergründe, TRAITOR in seinen Spätwirkungen, eine Überraschung am Ende – Christian Montillon hat mit Heft Nummer 2512 einen feinen Roman geliefert, flüssig und spannend zu lesen. Ich konnte wieder eini ge alte Bekannte erleben. Das hat mit gut gefallen. Der Report von Michael über Atlan ist klasse! Er hat mir einiges an Informationen gegeben; sehr schön. Und er hat mir Appetit auf mehr gemacht. Ich bin auch so einer, der Atlan zwar aus PR kannte, aber für die eigenständige Serie nie das Geld übrig hat te; erst seit Traversan war es mir möglich, Atlan zu PR dazuzukaufen und zu lesen. Zu den ATLAN-X-Taschenbüchern von FanPro werde ich mich wohl erst nach »SunQuest2« und »Elfenzeit« ent schließen. Grins, dann wird es aber höchste Zeit. Die Kreta-Trilogie liegt bereits voll ständig vor. Klaus Schmede mann, K-Schmedemann @versanet.de Zunächst meinen Glückwunsch zum 2500er Jubiläum. Bis heute habt ihr wirk lich gute Arbeit zum beiderseitigen Nut
Leserkontaktseite
zen von Leserschaft und Verlag/Autorenteam geleistet. Gute Unterhaltung zu machen ist nicht leicht, sie stets dem Zeitgeschmack anzupassen ist bis zu einem ge wissen Grad auch notwendig. Die Anbindung an die kulturellen Begrifflichkeiten einer Leserschaft von etwa 13 Lebensjahren an bis unbegrenzt aufwärts ist eine stete redaktionelle Herausforderung und, wie auch das generelle zyklische Downsizing, nötig, damit die Serie nicht in schwindelnde Höhe abdriftet, der nur noch Spezialisten folgen können. Langsam wird mir die Figur des Perry Rhodan unglaub würdig; ein Lebensalter von über 3000 Jahren und meistens an der Spitze der terranischen Regierung. (Wie um alles in der Welt wird die eigentlich in wie langen Legislaturperioden von wem gewählt?) Einen potenziell Unsterblichen hätte unsere Gesell schaft doch schon längst als Exoten vor die Tür gesetzt. Wie viele Leute Personenschutz sind eigentlich abge stellt? Barack Obama hat rund 20 Leute zur Verfügung. Ein Mann solchen Kalibers ist für politische Gegner ein Alpha-Ziel ersten Ranges. Und was hat der faule Bursche innerhalb der 3000 Le bensjahre eigentlich für seine Bildung getan? Ich er warte eine galaktisch-fundierte Allgemeinbildung, di verseste Kapitänspatente und mindestens fünf Doktortitel in unterschiedlichsten Fachgebieten, erwor ben in den ruhigen, friedlichen Zwischenphasen der Scharmützel, die ihn als Militärstrategen und Diplo maten fordern. Außerdem wäre es schön, wenn sich durch häufige, in spirative Highlights und die Schreibkunst der Autoren neue Zugänge zu größeren kosmophilosophischen Zu sammenhängen öffnen würden, was die Serie wohltuend vom reinen Actiongewimmel anderer Genres abhebt. Schön wäre es, wenn dieselben Verhaltensgrundmus ter von Gut und Böse nur in immer anderer Variation, Verpackung und Protagonisten – quasi zweidimensio nal – nicht ständig breitgetreten würden. Expeditionen in neues Erkenntnis-Land, so was wäre die Stammwürze für die nächsten Unterhaltungsjahre. Holt euch vielleicht mal einen Philosophen als Berater ins Team und/oder, was noch viel besser wäre, einen Religionswissenschaftler. Dank moderner Schutzschirme ist ein Personenschutz nicht nötig, und wenn doch, dann handelt es sich um
Roboter, die schneller reagieren als Menschen. Um Perry braucht uns also nicht bange zu sein. Übrigens war er keineswegs ständig in einem Regierungsamt tätig. Lange Zeit war er Chef von Camelot und hatte mit der LFT überhaupt nichts zu tun. Da von allgemeinem Interesse, hier kurz die wichtigs ten Punkte zum Regierungssystem der LFT: »Die Liga Freier Terraner ist ein demokratischer Rechts staat auf der Basis freier, gleicher und geheimer Wah len, es gilt strikte Gewaltenteilung: Neben der ausfüh renden Exekutive und der gesetzgebenden Legislative gibt es die Judikative sowie als »vierte Gewalt« die Me dien in ihrer Beobachtungs- und Kontrollfunktion! In gleicher Weise ist die Ausübung des staatlichen Gewalt monopols Aufgabe von Polizei und Sicherungskräften der entsprechenden Behörden; der Terranische LigaDienst (TLD) ist in erster Linie ein »Auslands-Geheim dienst« vergleichbar der CIA bzw. wird für den Perso nenschutz vergleichbar dem Secret Service eingesetzt; er ist nicht mit allgemeinen polizeilichen Aufgaben be traut (aus: Exposé Band 2300).« Bildung findet in Form von Hypnoschulungen regelmä ßig statt, soweit das menschliche Gehirn die notwen dige Kapazität aufweist. Emblem der Liga Freier Terraner:
Albrecht Pitzken,
[email protected] Ich möchte euch nur wissen lassen, dass ich als Briefmarkenvorschlag beim Bundesfinanzministerium, 10117 Berlin, Wilhelmstraße 97, Abteilung Briefmar
Leserkontaktseite
kenvorschläge, »Perry Rhodan« als Briefmarkenmotiv vorgeschlagen habe, denn er erfüllt alle Vorbedin gungen für einen derartigen Vorschlag. Auf die Infoseite und die Bilder vom Umschlag des Ro mans 2500 sowie auf die jeweilige Eröffnungsseite habe ich hingewiesen. Ich hoffe, es ist euch recht; denn eine bessere und billigere Breitenwirkung als eine offizielle deutsche Briefmarke mit PR kann es wohl kaum geben. Aber abgesehen davon würde es mich – und vielleicht auch die Fans – freuen, PR auf Briefmarken zu sehen. Guten Flug zu den Sternen und eine gute Basis auf Terra. Wir bedanken uns herzlich. Das ist eine super Idee.Wir drücken die Daumen, dass es was wird. Zum 50. in zwei Jahren wäre ja nicht schlecht. Perry und ich Werner Kramer,
[email protected] Inzwischen bin ich – Jahrgang 1967 – 42 Jahre alt.Auf die in gewissen Kreisen mit dieser Zahl verknüpfte Weisheit warte ich immer noch vergeblich. Die Ge heimnisse des Lebens und des Universums und des ganzen Restes haben sich mir bislang nicht erschlos sen. Beruflich bin ich in der früher EDV, modern IT genann ten Branche unterwegs und arbeite nach einigen an deren Anstellungen mittlerweile 11 Jahre bei einem namhaften, aber krisengeschüttelten Mittelständler in der Softwareentwicklung. In Sachen Science Fiction ziemlich unbeleckt, war Nummer 885 mein erster PERRY RHODAN-Roman. Da muss ich etwa 11 gewesen sein. Im Rückblick kann ich mich nicht mehr erinnern, ob »Captain Future« da mals schon lief oder uns erst bevorstand. Was ich aber noch genau weiß, ist, dass ich damals eigentlich auf der Suche nach (verbotenen und daher umso verlockenderen) Gruselromanen war. Augen scheinlich lag ich mit dem Heft genau richtig, die häss lichen Biophore-Wesen mit der bedrängten Demeter in ihren Klauen versprachen eine exzellente Gruselstun de. Natürlich kam es anders. Ein Titelbild von Johnny Bruck und ein Roman von Willi Voltz – muss ich mehr sagen? Das Fundament war gelegt.
In der Sturm- und Ausbildungszeit wechselten meine Interessen häufiger. Folglich hörte ich hier auf zu lesen und stieg dort wieder ein, quer über alle Auflagen und völlig unsortiert. Insbesondere mit meinem Jugend freund Ralf Kley, mit dem ich auch heute noch in Kon takt bin, habe ich ganze 50er-Blöcke ausgetauscht und verliehen und wieder getauscht, auch ATLAN und »Terranauten« und weiß ich, was alles, sodass ich heutzutage nicht mehr sagen kann, wie viel von meiner vollständigen PR-Heftsammlung mir und wie viel ihm gehört. Dann hat mich lange Zeit MYTHOR sehr viel stärker fasziniert, die leider mit Band 192 (beziehungsweise 193) zu Ende ging. Oder zum Glück, denn die ab 200 geplante Handlungs fortführung wollte mir nie zusagen. Eine Weile behalf ich mir mit der zweiten Auflage von PR, konnte damit die Lücken in der Sammlung schlie ßen, hatte dann aber nach deren Einstellung den Wunsch, intensiver an meiner Karriere zu basteln. Unterdessen liefen die Abonnements weiter, zuerst aus Bequemlichkeit und später aus dem irrationalen Stolz, als die Nachauflagen eingedampft und zu diesen be fremdlichen Doppelnummern fusioniert wurden, die komplette PERRY RHODAN-Serie im historischen Heft format zu besitzen. Ach, meine entfernten Urahnen müssen Jäger und Sammler gewesen sein ... Einmal gelang es mir sogar, bei einem Wettbewerb eine eigene, schrecklich unvollkommene Kurzge schichte in einem PR-Taschenbuch unterzubringen, das müsste die Nummer 280 gewesen sein. Der Beruf aber nahm einen ständig größer werdenden Teil der Woche in Anspruch, zum Glück für die Fans oder für mich opferte ich alle schriftstellerischen Ambitionen. Von einer 40-Stunden-Woche wagte ich nicht zu träu men, und daher kam es, dass ich jenseits der 1100er keinen einzigen Roman mehr gelesen habe. Als Altleser sehe ich mich auf keinen Fall, dazu bin ich 20 Jahre zu jung und kenne viel zu wenig von der Serie. Eher dürfte ich als »rückfällig« gelten, denn seit ungefähr acht Jahren bin ich wieder dabei. Wie das kam? Eine lückenlose Sammlung besitzen und nur Bruchteile davon gelesen haben, völlig durcheinander konsumiert und mit vielen kleinen und größeren Sprüngen, das
Leserkontaktseite
durfte nicht sein. Deswegen beschloss ich an einem langweiligen Septembertag 2001, dass ich zukünftig genug Zeit haben würde, um regelmäßig zu lesen und kontinuierlich über einen langen Zeitraum durchzuhal ten. Ich nahm Band 1 der 5. Auflage in die Hand, nicht ahnend, worauf ich mich eingelassen hatte. Seid ihr euch eigentlich klar darüber, welch ein Mam mutwerk ihr da geschaffen habt? Das achte Jahr wird jetzt voll, und ich nähere mich in Kürze dem »unent deckten Land« jenseits der 1100, voller Neugier, was auf mich zukommen wird. Immerhin, das eine oder andere Stichwort habe ich aufgeschnappt. Im Schnitt sind es rund 135 Hefte pro Jahr, die ich lese. Mehr ist nicht drin, da ich weiterhin berufstätig bin und – unglaublich – gelegentlich andere Interessen ver folge. Wenn ich zirka 130 Hefte pro Jahr aufhole, wird es rechnerisch etwa 17,5 Jahre dauern, bis ich in der Gegend von Band 3400 auf dem aktuellen Stand sein werde. Bei euch bin ich mir sicher, dass ihr die Ausdauer haben werdet. Aber ich? Euer Projekt nähert sich langsam, aber sicher einem
Punkt, an dem es unmöglich sein wird, die gesamte Serie zu lesen.Wer nicht zeitig angefangen hat, wird es einfach nicht mehr schaffen. Ist das nicht irre? Es ist eines der Indizien, wie unsere Serie anfängt zeitlos zu werden, generationenübergreifend existiert und da mit nicht mehr nur an den einzelnen Leser gebunden ist. Die Zukunft von PERRY RHODAN wird so aussehen, dass drei Generationen in einer Familie die Serie kennen, die Großeltern die ersten 2000 Bände, die Eltern die zweiten 2000 Bände, die Kinder die dritten 2000 Bände. Da ha ben sie Gesprächsstoff bis an ihr Lebensende. Und die Enkel werden sagen, gestern Abend hat Uropi uns von Calloberian, dem Xisrapen erzählt, der kein »a« ausspre chen konnte.War das lustig. Oder die Mama hat uns aus den Lausbibergeschichten vorgelesen. PERRY RHODAN ist längst keine Freizeitlektüre nur für einzelne Leser mehr. Die Serie beschäftigt Alt und Jung, eine Familienserie sozusagen. Mit einem Horizont, der einem schier den Atem raubt. Vergleichsweise reicht der Horizont der »Schwarzwaldklinik« nur bis zu den Vogesen.
Zu den Sternen! • Euer Arndt Ellmer • VPM • Postfach 2352 • 76413 Rastatt •
[email protected]
Diese Woche in der 5. Auflage: PERRY RHODAN, Heft 1418/1419 mit den Titeln:
Band 1418 – Kurt Mahr
Die Höhle des Giganten Der Fund im Fels – und der Sturz in die Unendlichkeit
Band 1419 – H. G. Ewers
Der Tod eines Cynos Verschwörung in M 87 – Icho Tolot erinnert sich
Impressum Alle abgedruckten Leserzuschriften erscheinen ebenfalls in der E-Book-Ausgabe des Romans. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen oder nur ausschnittsweise zu übernehmen. E-Mail- und Post-Adressen werden, wenn nicht ausdrücklich vom Leser anders gewünscht, mit dem Brief veröffentlicht.
Glossar Chronist von ES Delorian Rhodan – der Sohn von Perry Rhodan und Mon dra Diamond – wurde als »Chronist von ES« bekannt, nachdem er bei der Entstehung von ES in dessen heutiger Erscheinungsform wesentlich beteiligt war. Delorian wurde in der Galaxis DaGlausch während eines Linearflugs an Bord der Bebenyacht GLIMMER gezeugt, wobei ihm da mals ES einen psionischen Imprint mitgab, der sein Schick sal determinieren sollte. Am 30. April 1291 NGZ brachte Mondra Delorian im PULS von DaGlausch zur Welt, während unweit davon Perry Rho dan und der Kosmokrat Hismoom den »Vertrag von DaGlausch« aushandelten. Bereits kurz danach reisten Mon dra und Delorian 18 Millionen Jahre in die Vergangenheit und in die Galaxis Segafrendo. Dort entstand eine geheim nisvolle Verbindung mit dem Pflanzenvater Arystes. Schlussendlich kam es im INSHARAM zur Entstehung von ES, für die Delorian eine Schlüsselfunktion zukam; er über nahm seine Rolle als Chronist der neugeborenen Entität, hielt deren Geschichte auf den legendären Zeittafeln von Amringhar fest und griff Mitte des 5. Jahrhunderts NGZ sogar selbst in das Geschehen rund um seinen leiblichen Vater Perry Rhodan ein. Nach Abschluss der Zeitschleife, in die er geboren wurde, hat man wenig vom Chronisten gehört. Dommrath Die Galaxis Dommrath (M 95, NGC 3351) liegt etwa 38,65 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt in der Nähe der durch einen Konflikt zwischen Chaotarchen und Kosmokraten zerstörten Galaxis Kohagen-Pasmereix und durchmisst etwa 84.000 Lichtjahre. Sie ist nicht nur die ursprüngliche Heimat des verstorbenen Torr Samaho, eines Dieners der Materie aus dem Volk der Corzeiren, sondern gilt auch als Einflussgebiet der Ritter von Dommrath. Die Ritter von Dommrath regulieren die Entwicklung ihrer Galaxis über die »Mediane Gleichung«, mit der sie verhin dern wollen, dass die Völker sich über ein bestimmtes Ni veau hinaus technologisch fortentwickeln und dadurch die Aufmerksamkeit der Hohen Mächte auf sich lenken. In Dommrath war auch der Chaotender ZENTAPHER gestran det: Als dieser durch den Kosmokratenroboter Cairol zer stört wurde, konnte ein Teil der Bevölkerung des Chaoten ders auf die Welten Dommraths evakuiert werden, um dort ein neues Leben zu beginnen. Erstes Thoregon Die Superintelligenz THOREGON entwickelte vor 20 Milli onen Jahre den Plan, die Macht der Hohen Mächte über ihr Schicksal zu brechen. Dazu regte sie auch andere Super intelligenzen an, sich von Kosmokraten und Chaotarchen
abzukoppeln und eigene »Thoregons« zu gründen: Alles, was sie dazu tun mussten, war einen PULS ausfindig zu machen, einen extra-universellen Raum, in welchem die Hohen Mächte keinen Einfluss ausüben können. Über gi gantische Pilzdome und die Brücke in die Unendlichkeit konnte THOREGON alle Thoregons miteinander verbinden und dadurch einen immer größeren Einfluss auf das Uni versum gewinnen. Die ursprünglichen Beweggründe THOREGONS waren nachvollziehbar, aber nicht frei von Eigennutz und bei wei tem nicht so edel, wie es später insbesondere den Terra nern zunächst erschien. Die Kosmokraten hatten den Eindruck gewonnen, dass das »Leben an sich« eine immer stärkere Macht innerhalb des Universum gewänne und diagnostizierten eine Überpopulation auf allen Ebenen. Sie begannen daher damit, »überzählige« Superintelligenzen auszulöschen. Auch THOREGON drohte dieses Los, und er versuchte alles, um dem zu entkommen. Dabei entdeckte er den PULS und schaffte es, den Hohen Mächten einen Pakt abzutrotzen, der ihm Unantastbarkeit gewährte. Damit gab THOREGON sich aber langfristig nicht zufrieden: Er versuchte ein eigenes künstliches Kosmo nukleotid zu schaffen und dadurch das Schicksal des Uni versums entscheidend mitzubestimmen. Die ihm daraus entstehende Macht, ganze Galaxien und andere Superin telligenzen zu vernichten, führte letztlich zu seinem Unter gang, an dem auch ES und Perry Rhodan nicht ganz unbe teiligt waren, wenngleich der Kosmokrat Hismoom letztlich THOREGON vernichtete. Gravo-Pak Beim Gravo-Pak handelt es sich um ein System für vekto rierbare gravomechanische Emissionen, das Antigrav-, Prallfeld- und andere Projektoren kombiniert. Es setzt sich aus Antigrav-Generator, Mikrogravitator und -gravoneu tralisator sowie dem Gravopuls-Antrieb samt automa tischem Lagestabilisator zusammen, Die Steuerung des Gravo-Paks über Sprach-, Augen- oder taktile Eingabebe fehle beziehungsweise per paramechanischem Interface wird selbstverständlich von der Mikro-Positronik unter stützt. Ergänzend können Impuls- oder Pulsatortriebwerke zum Einsatz kommen. Wassermal Die Wassermal genannte Galaxis, in der die von Cynos abstammenden Pangalaktischen Statistiker ihren Sitz ha ben, gehört zu einer Galaxiengruppe, die auf der Erde als HCG 55 bekannt ist – »Hickson Compact Group 55«. Von der Erde aus betrachtet, befindet sich diese Konstellation im Sternbild Draco (Drache), die Einzelgalaxien wirken wie auf einer Perlenkette aufgereiht und die Distanz beträgt zwischen rund 674 und knapp 700 Millionen Lichtjahre.