Gestrandet auf Mars W. W. Bröll Notsignale erreichen die Erde
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Gestrandet auf Mars W. W. Bröll Notsignale erreichen die Erde
Personen: UTO-Forschungs-Corporation Professor Stimson, Leiter von Alamos Dr. Harris, sein Assistent Frank Donelli, Chef der Spionageabwehr. Professor Heisen, Leiter der Mondstadt Amatos Dr. Henry Paulsen, Konstrukteur des Allspiegels Badoll, sein Mitarbeiter Südamerikaner: Professor Perez, Leiter der Südamerikanischen Forschungsgesellschaft Dr. Fernando Conzales, Professor Eduarde Sanchez, Leutnant Catalo, Besatzungsangehörige eines südamerikanischen Raumschiffes Goldmann und Colmar gedungene Gangster Raijama Ho Min, Tsen La, Begleiter Mitsumas Leutnant Wan Ho, sein Pilot Dr. Sinuchi, Dr.Kazime, japanische Forscher
Während in Alamos, einem Forschungszentrum des Westens, die UTO-Corporatisn den Auftrag erhält, Vorschläge zur Abschmelzung der Polkappen zu unterbreiten, meldet sich der verschollene Dr. Mitsuma, ein Mitglied der östlichen Forschungsgesellschaft „Raijama“, in einer Botschaft vom Mars. Leutnant Wan Ho zog sich aus seinem Liegesessel hoch und warf einen Blick auf die tanzenden Zeiger der Instrumente am Armaturenbrett des kleinen Raumschiffes. Soeben war der Abschuß erfolgt, und nur ganz langsam löste sich der Druck von seinen Schläfen. Der Leutnant bekam wieder Farbe. Es war alles in Ordnung. Die Instrumente arbeiteten einwandfrei. Der Start war auch diesmal gelungen. Neben ihm richtete sich Nam Yen auf. In seinen dunklen Augen lag ein ängstlicher Schimmer. Er machte diesen Flug heute zum erstenmal, und wenn ihn nicht seine vorgesetzte Dienststelle dazu abkommandiert hätte, wäre er niemals in die kleine Zweimann-Rakete gestiegen, um der Außenstation der Raijama einen Besuch abzustatten. Nam Yen fror unwillkürlich, wenn er an den unendlich weiten Raum dachte, den er durchquerte. Über zweihundert Kilometer zeigte der tanzende Zeiger des RadarHöhenmessers, dessen zurückflutende Eektronenstrahlen ein bizarres Gebilde auf den grünschimmernden Bildschirm zauberten; die Oberfläche der Erde mit Bergen und Tälern. Und immer schneller tanzten die Zahlen. Nam Yen, der Spionageabwehr-Chef des Raijama, starrte nachdenklich vor sich hin. War es Tatsache, was die Außenstation gemeldet hatte? Seit etwa fünf Tagen zeichneten die hochempfindlichen Parabol-Spiegel eine starke Strahlung aus dem Weltenraum auf, deren Ursprung, wie genaue Untersuchungen ergeben hatten, ohne Zweifel im Bereich des MarsPlaneten zu suchen war. Welche Ursachen hatte die Strahlung? Die Gedanken des Chinesen wanderten zurück. Vor etwa zwei Jahren hatte der Asiatische Staatenblock einen Vorstoß zum Mars gewagt, um den Raumschiffen der amerikanischen UTO-Forschungs-Corporation zuvorzukommen. Niemand von der Besatzung des Raumschiffes war auf die Erde zurückgekehrt. Die Amerikaner, deren Raumschiffe nur wenige Stunden später den Mars erreichten, brachten nach ihrer Rückkehr die Meldung mit, daß Dr. Mitsuma, der Führer des asiatischen Raumschiffes, mit seinen Männern den Tod gefunden hätte. Das Raumschiff der Raijama sei abgestürzt. Mitsuma und zwei seiner Leute, die zwar den Absturz als einzige überlebten und sich den Amerikanern anschlössen, wären ohne Zweifel von riesigen Raubinsekten, die gewisse Gebiete des Mars bevölkerten, getötet worden. Eine offizielle Erklärung über diesen Vorgang ging damals der Botschaft des Asiatischen Staatenblocks zu. Aber konnten sich Mitsuma und seine Leute nicht doch gerettet haben? Die Raijama gab die Hoffnung nicht auf, zumal jetzt plötzlich eine Strahlung einsetzte, für deren Ursache man keine Erklärung fand. Ein kosmische Strahlung war es nicht, denn sie verlief nicht konstant, sondern trat nur in gewissen Abständen auf. Eigenartig war auf jeden Fall, daß sie genau alle sechzig Minuten auftrat und genau dreißig Minuten anhielt. Das war irdische Zeitrechnung, und es konnte sich hier nicht um einen Zufall handeln. Vor den Fenstern der kleinen Kabine wurde jetzt ein blitzendes Gebilde sichtbar. Man erkannte eine große gläserne Kugel, die von einem gewaltigen Reifen umgeben war. „Amerikanische Raumstation“, sagte Leutnant Wan Ho, der Testpilot für neue Raketenkonstruktionen. „Die Entfernung zwischen den beiden Raumstationen beträgt etwa zweitausend Kilometer.“ Nam Yen konnte nur einen kurzen Blick auf diesen Erd-Satelliten werfen. Er sah
antennenartige Aufbauten, Parabol-Spiegel und das Stahlnetz mit dem kleinen Sonnenspiegel, aber dann war das alles sekundenschnell im schwärzlichen All verschwunden. Parabel-Spiegel? überlegte Nam Yen. Vielleicht hatten auch die Amerikaner die Strahlung bereits bemerkt. Das mußte auf jeden Fall festgestellt werden. „Raijama 1!“ Wan Ho deutete mit einer Kopfbewegung durch das Kanzelfenster. Weit hinten, grell von der Sonne beschienen, schwebte ein riesiger Reifen im All. Und zwischen diesem Reifen blitzte und flimmerte es. Aus armdicken Stahlseilen war hier ein Netz angebracht. In ihm hingen unzählige Siliziumtäfelchen. Durch eine chemische Spezialbehandlung des Siliziums war dieses als Leiter zur Umwandlung von Sonnenenergie in Strom verwendbar geworden. Es besaß jetzt gegenüber anderen Halbleitern bei höchster Arbeitstemperatur eine viel größere elektrische Stabilität. Zugleich verarbeitete es außer den sichtbaren Sonnenstrahlen auch die ultravioletten Strahlen der Energie. Die Außenstation wurde auf diese Weise mit der Energie einer Sonnenbatterie versorgt, während die Amerikaner ihre Weltraumstation mit einer Atombatterie ausgerüstet hatten. Schnell näherte sich die kleine Rakete dem gewaltigen Reifen. In den Geräten machte sich eine leichte Anziehung bemerkbar. Etwa drei Meter hohe Quarzglasfenster zogen sich rund um die Station. Wan Ho drosselte durch Abschuß von Bremsraketen die Geschwindigkeit auf sieben Sekundenkilometer. Die Rakete schwebte jetzt mit der Raumstation auf gleicher Höhe, und diese Geschwindigkeit blieb konstant, denn mit ihr bewegte sich die Außenstation um die Erde. Durch Abschuß von Steuerungsraketen manövrierte Wan Ho das Raumschiff in die Schleuse. Wan Ho nickte seinem Begleiter zu, öffnete die Luke des Raumschiffes und schritt über eine schmale Leichtmetallbrücke auf eine Tür zu. Die Tür öffnete sich, und ein kleiner Chinese in der Uniform des Asiatischen Staatenblocks stand vor ihnen. „Eure Ankunft wurde mir bereits durch die Bodenstelle der Raijama gemeldet“, sagte der Uniformierte mit einer leichten Verbeugung. Er reichte den beiden Männern die Hand. „Ich freue mich, daß auch Sie einmal den Weg zu uns gefunden haben.“ Sein Blick richtete sich auf Nam Yen. „Sie können sich von der Strahlung nun selbst überzeugen. Alle Meßgeräte zeigen übereinstimmend an, daß der Strahlungsherd zweifelsohne auf dem Mars liegen muß.“ Er trat zur Seite. „Kommen Sie! — Ich führe Sie, meine Herren!“ Leutnant Wan Ho und Nam Yen standen bald darauf in einem gläsernen Kuppelraum. „Vielleicht führen Sie uns die Strahlung einmal vor, Dr. Sinuchi“, wandte sich Mao Tschu an einen der Männer. Der Japaner nickte. „Gern!“ Er führte die Besuchet vor eine Apparatur, deren Stirnseite ein dickes Quarzglasfenster aufwies. Hinter dieser Scheibe wogten milchige Nebel. In diesen Dämpfen zeigte sich die einfallende Strahlung und wurde auf diese Weise sichtbar gemacht. „Die Parabol-Spiegel stehen seit fünf Tagen in gleicher Position“, erklärte der Japaner. „Wir brauchten sie um keinen Millimeter neu auszurichten, so konstant ist die Strahlung.“ Leutnant Wan Ho betrachtete das alles mit einem gewissen Interesse, aber er machte sich keine großen Gedanken darüber. Er war kein Wissenschaftler und hatte zu diesen Apparaturen keinerlei Beziehung. Sein Gebiet waren Raketen und Flugzeuge. Als aber ganz überraschend in den wogenden Nebeln der Sichtkammer feine violette Fäden sichtbar wurden, sah er verblüfft auf. „Die Strahlung hat begonnen“, rief im gleichen Augenblick Dr. Sinuchi seinem Kollegen zu. „Übertragen Sie die Strahlung auf den Lautsprecher.“ Der Japaner warf an einer Schalttafel zwei Hebel herum, und sogleich wurde ein immer stärker werdender Pfeifton im Lautsprecher hörbar. „Das ist alles, was ich Ihnen zeigen und vorführen kann“, sagte Dr. Sinuchi und lauschte auf das Pfeifen, das alsbald in einen tiefen Modulationston überging.
Nachdenklich starrte Nam Yen in die weißen Nebelschwaden, durch welche sich die violetten Streifen zogen. „Wir werden sofort senden, wenn die Strahlung aussetzt“, sagte er. „Die ganze Energie der Station müssen wir einsetzen. Vielleicht bekommen wir Antwort. Genau sechzig Minuten später erlosch der violette Streifen in der Sichtkammer. Dr. Sinuchi führte die Männer in einen Nebenraum, in dem die Sendeanlage der Station untergebracht war. Leutnant Wan Ho nahm vor dem Gerät Platz, und bald darauf erloschen in der ganzen Station die Lampen. Die Richtstrahl-Antenne auf dem Kuppelraum wurde in Position gebracht und strahlte Sekunden später die gesamte Energie der Weltraumstation gebündelt in das schwärzliche All. Für Dr. Sinuchi und seine Kollegen bestand kein Zweifel, daß die Funkmeldung den Mars erreichte und von Mitsuma gehört werden mußte, wenn die Empfangsapparatur in dem abgestürzten Raumschiff intakt geblieben war. Leutnant Wan Ho hatte bereits von Nam Yen seine Anweisungen bekommen. Immer wieder hämmerte seine Hand die gleiche Meldung auf die Taste: „Strahlung festgestellt! — Wenn Gruppe Tatsama einsatzbereit, geben Sie Zeichen durch Fünf-Minuten-Strahlung in dreimaliger Folge.“ Etwa eine halbe Stunde lang ging diese Meldung in Abständen von fünf Minuten in den Äther, dann schob Dr. Sinuchi einen Hebel an der Schalttafel hoch, die Apparaturen und Lichtmaschinen begannen wieder zu arbeiten. Voller Spannung erwartete man das Ergebnis. Zehn Minuten später war die Strahlung plötzlich wieder da. Sie hielt genau fünf Minuten an, verebbte, um nach fünf Minuten wieder für die gleiche Zeit einzusetzen. Das Signal wurde dreimal wiederholt. „Das kann nur Mitsuma sein“, sagte Nam Yen erregt. „Sie sind nicht umgekommen, wie es die UTO-Leute berichteten.“ „Dann müssen wir ihnen Hilfe bringen“, erklärte der Leutnant sofort. Er sah Nam Yen fragend an. „Können wir den Bau des Raumschiffes nicht schneller vorantreiben?“ Nam Yen antwortete nicht. Er war wieder vor die Sichtkammer getreten und sah plötzlich, wie die Strahlung zu flackern begann. Sogleich wurde auch im Lautsprecher der Modulationston unterbrochen. In rhythmischen Abständen klang er immer wieder auf. Wan Ho lauschte eine Weile mit gespannter Miene, dann riß er plötzlich eilig seinen Notizblock aus der Tasche und begann zu schreiben. Nam Yen sah zu seiner Überraschung, daß der Leutnant Buchstaben zu Papier brachte. Er wollte ihn nach dem Grund fragen, doch Wan Ho hob nur die Hand und wehrte ab. Erst einige Zeit später reichte er dem Chinesen einen Zettel, überrascht starrte er. auf die Buchstabenreihen, die Wan Ho zu Worten zusammengesetzt hatte. Er las: Erbitten sofortige Hilfe! — Miß Monnard, Ho Min und Tsen La wohlauf! — Können uns höchstens noch sechs Monate halten. — Erbitten baldmöglichste Hilfe! — Mitsuma. Nam Yen sah seinen Kameraden verständnislos an. „Sie haben die Strahlung in Morsezeichen umgewandelt“, erklärte Wan Ho. „Es ist tatsächlich Mitsuma“, sagte Nam Yen immer wieder vor sich hin. „Geben Sie Antwort, daß wir die Meldung sofort an die Raijama weitergeben und daß wir alles zur Rettung tun.“ Nachdem Wan Ho diese Meldung durchgegeben hatte, verabschiedeten sich die Besucher und starteten eine Viertelstunde später zum Rückflug. * Seit drei Tagen war die Marsoberfläche in einen rötlichen Staubmantel gehüllt. Einer der gewaltigen Wirbelstürme raste um den Planeten, zerfetzte die niedrighängenden Wolken, die von den schneebedeckten Polkappen die Feuchtigkeit über das Land trugen und drückte die schweren, feuchten Wolkenschleier auf den Boden. Auf diese Weise wurde das Land für eine gewisse Zeit mit dem lebenspendenden Element Wasser versorgt. Die rostbraunen Moose
färbten sich um eine Nuance heller, die breiten Vegetationsstreifen, die man auf der Erde als Marskanäle bezeichnete, um einen Schatten dunkler. In der Nähe eines der hohen gläsernen Türme, deren Reihe sich in gerader Linie bis zum Horizont hinzog, lag das Wrack des Raumschiffes der Raijama. Die zerrissenen Raupenketten reckten sich in den fahlen Himmel. Dr. Mitsuma, der ehemalige Führer dieses Raumschiffes, und zwei von seinen Leuten, die Chinesen Ho Min und Tsen La, lagen in ihren Hängematten und horchten auf das brüllende Pfeifen des Sturmes, dessen Gewalt das Wrack erbeben ließ. Sie hatten die Luken des Raumschiffes dicht verschlossen. Mit leisem Summen arbeitete die Klimaanlage und blies Frischluft aus unzähligen Wanddüsen. Nachdem sie von den Raumschiffen der UTO hier zurückgelassen worden waren, hatten sie sich sofort mit der Reparatur und Instandsetzung der Geräte befaßt. Alles arbeitete jetzt wieder einwandfrei. Nur die Meßgeräte und Apparaturen in der Kanzel waren durch den Aufprall völlig zerstört worden und konnten nicht ersetzt werden. Und die wichtigsten Geräte hatten die UTO-Leute ausgebaut. Ein Glück, daß die Verpflegung an Bord geblieben war. Dr. Mitsuma lag mit offenen Augen in seiner Hängematte und träumte vor sich hin. Vor drei Tagen, als der Sturm das Wrack noch nicht erreicht hatte, war ihm eine Verbindung mit der Raumstation der Raijama gelungen. Sie hatten seinen Hilferuf vernommen und würden Hilfe bringen. Jetzt befanden sie sich schon seit Monaten auf dem Planeten, und es kam ihm vor, als wären es bereits Jahre. Aber was hatte er in dieser Zeit nicht alles entdeckt! Wenn der Japaner daran dachte, glitt ein Lächeln über sein ausgemergeltes Gesicht. Er hatte die unterirdischen Städte der ehemaligen Marsbewohner erforscht und ein Atomkraftwerk tief unter dem Marsboden entdeckt. Es war ihm sogar nach unzähligen Versuchen und Fehlschlagen gelungen, die Apparatur in Betrieb zu nehmen. Es gehörte nur ein wenig Einfühlungsvermögen dazu, die Zusammenhänge zu erkennen. Er erinnerte sich noch des Augenblicks, als er die Verbindungen erkannte und das Schaltschema der gewaltigen Anlage mit wahrer Hellsichtigkeit erfaßte. Minuten später erstrahlten bereits die unterirdischen Straßenzüge im Licht unsichtbarer Strahlenquellen. Apparaturen, die Jahrhunderte oder Jahrtausende stillgelegt waren, begannen plötzlich mit tiefem Summen zu arbeiten. Dr. Mitsuma wandte den Kopf und betrachtete seine Kameraden, die fest in ihren Hängematten schliefen. Aus dem Hintergrund des Schlafraumes drang ein verhaltenes Stöhnen an sein Ohr. Ein Schatten glitt über das Gesicht des Japaners. Dort hatte man Flower Monnard mit Gurten an die Verstrebungen gefesselt. Das schöne Gesicht der Amerikanerin war nicht wiederzuerkennen. Wirr hingen ihr die schwarzen Haare über das wachsbleiche Gesicht. Die Augen weit aufgerissen, stierte sie vor sich hin, dabei bewegten sich ihre Lippen unaufhörlich. Flower Monnard war von der Allkrankheit erfaßt worden, vielleicht hatte aber auch ihr Verstand durch die schrecklichen Vorkommnisse gelitten. Als sie sich damals mit Mühe und Not vor den angreifenden Rieseninsekten in das Wrack des Raumschiffes retteten und die Raumschiffe der UTO am Horizont verschwanden, war sie besinnungslos zusammengebrochen. Von diesem Schock hatte sie sich nie wieder ganz erholen können. Regelmäßig bekam sie Tobsuchtsanfälle, und Mitsuma wußte keinen anderen Rat, als sie zu fesseln. In den letzten Tagen hatte sich der Zustand der Kranken allerdings etwas gebessert. Die in der ersten Zeit regelmäßig auftretenden Anfälle waren ausgeblieben und hatten einer Apathie Platz gemacht. Völlig bewegungslos saß sie in ihrer Ecke und starrte vor sich hin. Mitsuma hatte manchmal das Gefühl, als lausche sie auf etwas. An sie gerichtete Worte verstand sie und folgte auch allen Anweisungen. ob sie auf dem Wege der Besserung war, würde sich bald zeigen.
Vielleicht war die Geistesgestörtheit nur eine vorübergehende Erscheinung. Mitsuma hoffte es. Draußen brüllte und fauchte nach wie vor der Sturm. Prasselnd fegte er den roten Sandstaub gegen die Scheiben der Kanzel. Nachtschwarz war der Himmel. Die Sandfontänen verdunkelten die Sonne. Die Männer in den Hängematten bewegten sich im Schlaf. Ihre Gesichter waren eingefallen; die Haut zog sich faltig über die vorstehenden Backenknochen. Mitsuma hörte auf das leise Sprechen der Kranken. Aber es waren keine zusammenhängenden Worte. Unwillkürlich richtete er sich auf und sah zu ihr hinüber. Flower Monnard saß auf einer Decke, hatte den Kopf zur Seite geneigt und schien auf etwas zu lauschen. „Sie kommen“, sagte sie kaum hörbar. „Sie kommen und holen uns. Ich höre sie schon.“ „Was hörst du?“ fragte Mitsuma und merkte, wie sich auch die beiden Chinesen in ihren Hängematten aufrichteten. Für sie war die Wahnsinnige ein Wesen, dessen Körper von den Geistern beherrscht wurde. Um sie nicht zu erzürnen, mußte man gut zu diesem Wesen sein. Mitsuma kämpfte gegen den uralten Aberglauben nicht an. „Es ist ein Geist, der aus ihr spricht“, sagte Ho Min und sah den Japaner ängstlich an. Mitsuma warf ihm einen wütenden Blick zu, antwortete aber nicht, um die Chinesen nicht zu beleidigen. Er brauchte ihre Hilfe, wenn die Rieseninsekten wieder angriffen. Für diesen Fall hatte er die Zerstrahier repariert und die Elektronenkanonen geladen. Bisher waren aber die seltsamen Tiere nicht wieder aufgetaucht. Vermutlich hatte sie das Licht aus der unterirdischen Stadt vertrieben. Sie waren in einem tiefen Stollen verschwunden, den man daraufhin mit einem Sprengkörper zum Einsturz gebracht hatte, um ihnen den Rückweg zu verlegen. Mitsuma war der Ansicht, daß sie auch von dort gekommen waren. Vielleicht hatte sie das summende Geräusch des Terralup, mit dem man sich Zugang in die unterirdische Stadt erzwang, angelockt. „Ich höre sie“, sagte die Kranke immer wieder. „Sie holen uns. Sie sind schon ganz nah.“ Mitsuma tat eine abwehrende Handbewegung. „Die Geister sprechen durch ihren Mund“, nickte Tsen La. „Sie glauben nicht daran, Doktor?“ „Ich glaube gar nichts“, entgegnete Mitsuma unwillig. „Wir können frühestens in drei Monaten mit Hilfe rechnen, wenn nicht die UTO eine neue Expedition aussendet. Daran werden auch die Geister nichts ändern können.“ Er hob plötzlich den Kopf. Da war tatsächlich ein Geräusch! Lauschend beugte er sich vor. Ein solches Geräusch hatte er bisher noch nie vernommen. Zwischen dem Brüllen des Sturmes stand ein langgezogener heller Ton, der an- und abschwoll. Mit einem Sprung war der Japaner aus der Hängematte und eilte in die Kanzel. Vor den Fenstern standen rötliche Sandwolken. Mitsuma stellte den kleinen Parabolspiegel ein, ließ ihn in alle Richtungen spielen und lauschte auf das zwitschernde Geräusch aus dem Lautsprecher, der die Strahlung ins Akustische übertrug. Waren Raumschiffe im Anflug, so mußten die freiwerdenden Massenteilchen des Atombrandsatzes als Strahlung zu hören sein. Immer wieder rotierte der Spiegel um seine Achse und bewegte gleichzeitig das mit ihm gekoppelte Bordteleskop in die Richtung, aus der die Strahlung einfiel. Endlich stand er still. Das zwitschernde Geräusch im Lautsprecher verstärkte sich. Auf der Schwelle zur Kanzel tauchten die beiden Chinesen auf. „Das ist das Geräusch eines Atommotors“, stellte Ho Min nach einer Weile fest. Auch Tsen La lauschte mit angehaltenem Atem auf die Geräusche aus dem Lautsprecher. „Aber da ist noch ein anderes Geräusch“, sagte er. „Dieses dünne Pfeifen. Das habe ich noch nie gehört.“ Mitsuma vernahm es jetzt auch. Was konnte es sein? Zu jeder Stunde hatten sie den Parabol-Spiegel kreisen lassen, nur als der Sturm aufkam, war
die Apparatur abgeschaltet worden. Nein, ein ähnliches Geräusch hatte er bisher nicht vernommen. Er zog die Schutzkappe vom Okular des Bordteleskops, aber in seinem Blickfeld erschienen nur vom rötlichen Staub durchsetzte Wolkenmassen, die tief über die Oberfläche des Planeten zogen. Er schaltete auf den Bildschirm am Armaturenbrett der Kanzel über. Langsam wurde er hell und übertrug das Bild, das Mitsuma im Teleskop wahrgenommen hatte. „Sie kommen“, sagte Flower Monnard in ihrer Ecke und lachte leise vor sich hin. „Sie sind schon da.“ Mit weitaufgerissenen Augen starrte sie auf den Bildschirm. Jetzt sah Mitsuma plötzlich etwas, das ihm sekundenlang die Luft nahm. Eine blitzende Scheibe war durch die grauen Wolkenmassen gestoßen. Der ganze Körper schien in flatternder Bewegung zu sein. Im gleichen Augenblick wurde das Pfeifen im Lautsprecher stärker; es klang wie eine heulende Sirene. Das war eines dieser unbekannten Raumschiffe, die seit Jahren die Erde unter Kontrolle hielten; eine fliegende Scheibe! Aber sie manövrierte in seltsamer Weise. Sie stürzte senkrecht durch die Wolkenschleier, fing sich einen Augenblick, um dann wieder mit flatternden Bewegungen in der Luft zu stehen. „Sie stürzt!“ brüllten Ho Min und Tsen La fast gleichzeitig. Mit großen Augen starrten sie auf den Bildschirm, auf dem jetzt die Fliegende Scheibe wieder sichtbar wurde. Mitsuma hatte sie wieder im Teleskop und verfolgte den Flug mit dem beweglichen Objektiv, das gleichzeitig das Bild auf den Schirm übertrug. Die Chinesen hielten den Atem an. Es war offensichtlich, daß sich die Fliegende Scheibe diesmal nicht fangen würde; sie schwebte bereits zu dicht über dem Marsboden. Etwa fünf Meter über dem Boden kam der Flugkörper wieder in waagerechte Lage. Flatternd senkte er sich auf das Wrack des Raumschiffs zu. Auf dem Bildschirm wurde es größer und größer. Der Flugkörper mußte sich jetzt in unmittelbarer Nähe über dem abgestürzten Raumschiff befinden. Aus dem Lautsprecher zwitscherten Tonkaskaden und gingen in ein helles, sirrendes Geräusch über. Flower Monnard schrie plötzlich gellend auf, so daß die Männer zusammenschraken. Im nächsten Augenblick bebte das Raumschiff unter einer Erschütterung. Mitsuma hielt sich mit aller Macht am Schalthebel fest und starrte durch das Kanzelfenster, vor dem ein haushoher Sandpilz in sich zusammenfiel. Als sich das wogende Gequirl der roten Sandwolken verzogen hatte; wurde die Fliegende Scheibe sichtbar, Ihr Körper hatte sich bis zur. Hälfte in den Marsboden gebohrt, schien aber unbeschädigt zu sein. Sie mußte seitlich abgestürzt und aufgeschlagen sein. „Sie ist abgestürzt“, sagte Ho Min erregt. „Sie hat sich in diesem Sturm nicht halten können.“ Die drei Männer starrten erwartungsvoll durch die Scheiben der Kanzel. Es geschah nichts. Fast fünfzig Meter hoch ragte der schräggestellte Körper des scheibenartigen Raumschiffes aus dem Marsboden. Unruhig warteten sie, ob sich eine Luke öffnen würde. Aber nichts dergleichen geschah. „Vielleicht fürchten sie den Sturm“, sagte Mitsuma leise. Er wurde plötzlich von einem fieberhaften Drang erfüllt, das unbekannte Raumschiff zu untersuchen. Sobald der Sturm nachließ, wollte er mit den beiden Chinesen aufbrechen. Die Fliegende Scheibe lag vielleicht zweihundert Meter vom Wrack des Raijama-Raumschiffes entfernt. Noch nie hatten Menschen einen derartigen Flugkörper aus dieser Nähe gesehen. Mitsuma wurde immer erregter. Jetzt würde er feststellen können, ob die Raumschiffe bemannt waren, oder ob es sich bei ihnen tatsächlich nur um fliegende optische Apparaturen handelte, die vielleicht nur mit einer fernsehartigen Einrichtung ausgestattet waren. Der Japaner konnte das Ende des Sturmes kaum erwarten. Als nach Stunden plötzliche Windstille eintrat, machte er sich mit seinen Begleitern sofort auf den Weg. Die beiden Chinesen hatten sich mit schweren Elektronen-Maschinenpistolen bewaffnet und gingen zögernd auf das Raumschiff zu. Mitsuma erkannte beim Näherkommen, daß sich das fremde Raumschiff bei seinem Absturz
in einen unter dem Marsboden liegenden Gang der unterirdischen Stadt gebohrt hatte. An der Einbruchstelle beratschlagten die Männer, denn trotz eifrigen Suchens war keine Luke in dem glänzenden Körper zu finden. Sie gingen um das Raumschiff herum und standen vor dem leichtgewölbten Mittelpunkt der Fliegenden Scheibe. Die Wölbung bestand aus einem glasähnlichen Stoff und war in viele kleine Fenster unterteilt. Die beiden Chinesen blieben zurück, während Mitsuma an die Scheiben herantrat, um einen Blick hineinzuwerfen. Aus einner unsichtbaren Quelle strahlte ein grünliches Licht, das einen kleinen kreisrunden Raum in einen unwirklichen Schimmer hüllte. Inmitten dieses Kommandostandes sah Mitsuma einen hufeisenartigen Schalttisch mit einem schweren Sessel.
Der Japaner hielt den Atem an, denn in diesem Sessel hing eine leblose Gestalt in den Gurten. Sie war mit einem lichtblauen Raumanzug bekleidet. Schwere Arm- und Brustpanzer und der durchsichtige, spitz zulaufende Helm ließen die Figur fremdartig erscheinen. Der Helm reichte dem Mann bis auf die Brust und war dort in einer dicken Polsterung verschraubt. Mitsuma hörte nicht die erstaunten Ausrufe seiner Kameraden, die neben ihn getreten waren.
Er sah nur noch das Gesicht des Mannes in der durchsichtigen Haube; das Gesicht eines Menschen aus einer anderen Welt. Es war ein schmales, feines Antlitz mit geschlossenen Augen. Obwohl keine Augenbrauen und Wimpern vorhanden waren und auch der Schädel des Mannes keinerlei Haarwuchs aufwies, ging etwas Faszinierendes von diesem Gesicht aus. Die Hände des Mannes hatten ein wächsernes Aussehen und eine schwefelgelbe Färbung. Lebte er noch? Mitsuma wurde von einer fieberhaften Unruhe erfüllt. Wenn es ihm gelang, mit diesem Wesen Verbindung aufzunehmen, würde auch eine Rückkehr zur Erde möglich sein. Vielleicht war es sogar möglich, das Wrack der Raijama mit Hilfe der Fremden zu reparieren. „Die Einstiegluke liegt sicher im unteren Teil des Raumschiffes“, sagte Tsen La in die Stille. „Es muß doch eine Tür geben.“ Diesen Gedanken nahm Mitsuma sofort auf. „Wir setzen den Terralup ein und legen den Körper des Raumschiffes frei.“ Eilig maditen sich die drei Männer auf den Weg zum Wrack zurück und luden den Bohrer aus. Mitsuma fuhr das tonnenschwere Gerät aus der Ladeluke des Raumschiffes. Der Terralup war ein etwa zehn Meter langer torpedoartiger Körper, dessen Spitze aus einem Bohrkopf mit drei Bohrkränzen bestand. Indem sich der Bohrkopf mit unheimlicher Schnelligkeit drehte, wühlte sich der Körper in den Boden ein und hinterließ einen etwa drei Meter hohen Tunnel. Die aufgewühlte Erde wurde durch vier bewegliche Schaufelkränze, die den Körper umgaben, hydraulisch an die Wände des Bohrloches gepreßt und durch eine zementähnliche flüssige Substanz, die aus einem Düsenkranz verspritzt wurde, erhärtet. So blieb ein einsturzsicherer Tunnel zurück. Hinter dem Bohrkopf lag eine Kabine aus durchsichtigem Stahloplex. In ihr hatten zwei Männer bequem Platz und konnten den „Erdwolf“ von dort aus steuern. Das Gerät fuhr auf Raupenketten, die bei der Bohrarbeit eingezogen wurden und im Körper des Terralup verschwanden. Dr. Mitsuma fuhr das Gerät an das abgestürzte Raumschiff heran und brachte den Körper des Erdwolfes durch Hebeldruck in Schräglage, so daß sich die Spitze des Bohrkopfes in einen Bodenriß senkte. Dann stieg Ho Min zu ihm in die Kabine, während Tsen La den Mann im Kommandostand der Fliegenden Scheibe im Auge behalten sollte. Die Männer setzten ihre Raumhelme auf, um sich durch die eingebauten Kurzwellensprecher verständigen zu können. Mit leisem Summen begann der Bohrkopf zu rotieren. Mitsuma zog die Raupenketten ein, und die Klappen am Körper des Erdbohrers schlössen sich. Bald lief der Bohrkopf auf Touren, und Tsen La beobachtete, wie Mitsuma einen Hebel anzog. Im gleichen Augenblick verschwand der Körper des Terralup Meter um Meter in dem weichen Marsboden. Fein säuberlich, wie ausgemauert, blieb ein etwa drei Meter hoher Tunnel zurück. Nach etwa einer halben Stunde war das scheibenförmige Raumschiff vollkommen freigelegt. Der Terralup riß das letzte Hindernis fort, und die Fliegende Scheibe glitt langsam in eine waagerechte Lage. Jetzt konnte man von allen Seiten an sie heran. Mitsuma stellte zu seiner Verwunderung fest, daß sich der hufeisenförmige Schalttisch mit dem Sessel genau der neuen Lage des Raumschiffes angepaßt hatte. Offenbar wurde er durch einen Mechanismus stets in waagerechter Lage gehalten und glich somit alle Bewegungen des Raumschiffes aus. Eilig machten sich die Männer auf die Suche nach der Einstiegluke. War der Körper überhaupt von außen zu öffnen? Mitsuma zweifelte daran, denn trotz angestrengten Suchens konnte er keine Luke finden. Der blitzende Körper schien nahtlos zu sein. „Dann müssen wir die Scheiben zertrümmern“, meinte Tsen La. „Wir müssen hinein. Vielleicht können wir mit dem Raumschiff zur Erde zurück.“ Er hat den gleichen Gedanken, dachte Mitsuma. Es war tatsächlich die einzige Möglichkeit,
der Einsamkeit zu entrinnen. Und wenn sie sich mit Gewalt in den Besitz dieses Raumschiffes setzen müßten. Er hatte die Anlage des Atomkraftwerkes in der Marsstadt in Betrieb nehmen können, also würde er auch den Mechanismus dieses Raumschiffes begreifen. Aber wo war die Einstiegluke? Wenn sie die Hülle zerstörten, konnten sie sich mit der Flugscheibe nicht in den Weltraum wagen. Der Japaner ging wieder um das Raumschiff herum zum Kommandostand und — erstarrte. Die Gestalt des Mannes im Sessel war verschwunden. Eilig rief er Ho Min und Tsen La herbei. Während sie noch erwartun.gsvo.ll durch die Scheiben des Kommandostandes starrten, hörten sie plötzlich ein summendes Geräusch. Zu ihrer Überraschung glitt ganz unerwartet die gläserne Kuppel des Kommandostandes zurück und gab ihnen den Weg ins Innere des Raumschiffes frei. Aber die Menschen wichen zurück. Mitsuma wurde plötzlich von einer unerklärlichen Furcht befallen. So schnell sie konnten, verließen sie den Körper des Raumschiffes, auf dem sie gestanden hatten, und warteten in sicherer Entfernung. Die beiden Chinesen hatten ihre Maschinengewehre ergriffen und starrten mit ängstlichen Gesichtern zu der blitzenden Scheibe hinüber. Aber es geschah nichts. Eine ganze Weile warteten sie, um sich dann wieder zögernd zu nähern. Unentschlossen stand Mitsuma vor der hochgeklappten Kuppel des Kommandostandes. Was geschah, wenn sich nach seinem Eintritt die Kuppel wieder schloß? Endlich überwand er seine Furcht und setzte seinen Fuß zögernd auf die Brüstung. Der Boden, auf den er trat, fühlte sich wie Gummi an; er war weich und elastisch. Die beiden Chinesen gingen mit, aber in ihren Gesichtern stand die Angst. Sie vertrauten Mitsuma und folgten ihm nur, weil sie ihn nicht verlieren wollten. Alle Sinne gespannt, bewegte sich Mitsuma auf eine kleine Tür zu, Sie öffnete sich von selbst, als er sich ihr näherte. Verwirrt blieb der Japaner stehen. Die Chinesen sahen ihn ängstlich an. Sollten sie umkehren? Nein! Mitsuma gab sich einen Ruck. Was konnte ihm passieren? Vielleicht hatten auch die Menschen der anderen Welt Interesse, mit den Erdenmenschen in Verbindung zu treten. Jetzt war diese Möglichkeit gegeben. Und dann das Raumschiff! Sie mußten zur Erde zurück! Mit festem Schritt trat Mitsuma über die Schwelle. Er befand sich in einem schmalen Gang, der sich um den Kommandostand zog. Von ihm zweigten in regelmäßigen Abständen schmale Türen ab. Auf eine dieser Türen bewegte sich Mitsuma zu. Auch sie sprang auf, als er sich ihr näherte. Ein dunkler Raum tat sich vor ihm auf. Sobald aber Mitsuma seinen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, begann im Hintergrund des Raumes ein Bildschirm zu strahlen. Mitsuma und seine Begleiter sahen eine Schalttafel mit Griffen und Hebeln, aber sie wagten nicht, sie zu betätigen. Der nächste Raum, den sie betraten, war offenbar der Maschinenraum. In ihm befanden sich unbekannte Geräte, die wahrscheinlich zum Einschalten des komplizierten Triebwerkes dienten. Mitsuma konnte sich den Sinn dieser Maschinen nicht erklären. Sein Blick richtete sich auf die Tür, die zu diesem Nebenraum führte. Die Chinesen sahen ihn an. Bevor er sich aber mit ihnen verständigen konnte, tauchte in der Tür eine Gestalt auf. Sie war mittelgroß und trug einen lichtblauen Raumanzug. Mitsuma erkannte in ihr sofort den Mann, den er im Kommandoraum gesehen hatte. Das Gesicht dieses Mannes war unbeweglich. Zwei Augen von ungewöhnlicher Schärfe musterten die drei Asiaten. Ho Min und Tsen La hatten ihre Maschinenpistolen in Anschlag genommen, aber sie ließen sie sogleich wieder sinken. Mitsuma, der soeben noch ängstlich zurückweichen wollte, spürte plötzlich eine große Ruhe über sich kommen. In seinem Gehirn ging eine seltsame Veränderung vor. Es war ihm, als spräche jenes Wesen zu ihm. In seinem Gehirn bildeten sich plötzlich Gedanken, die nicht von ihm selbst ausgingen, sondern deren Entstehung eine andere Ursache haben mußte. Nein, das waren nicht seine Gedanken. Das waren die Gedanken jenes Mannes, die dieser auf ihn
übertrug. Er wußte plötzlich, daß er sich nicht zu fürchten brauchte. Er wußte, daß sich noch fünf Männer in dem Raumschiff aufhielten. Sie lagen in der Kammer, aus der der Mann gekommen war. Und diesen Männern ging es schlecht. Auf ihrem Flug war eine Krankheit über sie gekommen. Das alles wußte Mitsuma plötzlich, ohne daß der Fremde auch nur ein Wort mit ihm gesprochen hatte. „Vielleicht können wir ihnen helfen?“ fragte Ho Min zu Mitsumas größter Überraschung. „Wir haben Medikamente in unserem Raumschiff.“ „Woher weißt du, daß sie krank sind?“ fragte der Japaner verblüfft. Der Chinese sah ihn fast erschrocken an. Ja, woher wußte er das? Darauf konnte er sich selbst keine Antwort geben. Auch Tsen La sah unsicher von einem zum anderen. In ihm war das gleiche vorgegangen. Auch er wußte von den fünf Männern, und doch konnte er sich nicht erklären, wie er es erfahren hatte. Sie verständigen sich durch Gedankenwellen, dachte Mitsuma, und sofort wurde es ihm zur Gewißheit. Diese Menschen kannten keine Sprache. Es fehlte ihnen das Sprachvermögen, dafür war aber ihr Gehirn besonders ausgeprägt. Sie besaßen die Fähigkeit, Gedankenwellen zu empfangen und auszusenden. Ob dieses sonderbare menschliche Wesen auch ihre Gedankenwellen empfangen konnte? Davon wurde Mitsuma in der nächsten Minute bereits überzeugt, denn eine innere Stimme war in ihm wachgeworden. Auf alles, was er dachte und überlegte, gab ihm diese innere Stimme sofort eine Antwort, und der Japaner zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß die Antwort von jenem Wesen gegeben wurde. So erfuhr er, daß Menschen von der Erde niemals mit dem scheibenartigen Raumschiff fliegen konnten. Der Druck der enormen Geschwindigkeit würde sie sofort töten. Die Menschen der anderen Welt waren anders beschaffen. Der gewaltige Druckunterschied konnte ihnen nichts anhaben. Aber welche Krankheit hatte diese Menschen überfallen? Darauf erhielt Mitmusa keine Antwort. Der Mann im blauen Raumanzug ging plötzlich an ihnen vorbei, und Mitsuma hatte sofort das Gefühl, ihm folgen zu müssen. Bald darauf standen sie in dem dunklen Raum, in dem sie den Bildschirm entdeckt hatten. Der Fremde trat an die Schalttafel und deutete auf einen Hebel. Misuma zog ihn herab, und der Bildschirm begann zu strahlen. Auf ihm wurde ein gewaltiger Kuppelraum sichtbar. Rings an den Wänden zogen sich Brüstungen entlang, auf denen Menschen in einer seltsamen Tracht zu sehen waren. Sie schienen in weite, faltige Gewänder gehüllt und trugen seltsame Kopfbedeckungen mit blitzenden Kugeln. Große Schalttafeln bedeckten die Wände. Im Hintergrund strahlte ein Bildschirm, auf dem sich Mitsuma zu semer Überraschung selbst sah. Er stand dort neben dieser fremden Gestalt in dem blauen Raumanzug. Offenbar wurde das Bild des Raumes, in dem sie standen, in diesen Kuppelraum übertragen und erschien dort auf dem Schirm. Alle diese seltsamen Wesen, die dort Handgriffe verrichteten und die Schalter der Apparaturen bedienten, sahen sich wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Ihre Köpfe waren haarlos und ihre Haut wächsern und schwefelgelb. Was will man von uns? fragte sich Mitsuma. Wie können wir ihnen helfen? Was hat man mit uns vor? Aber sofort wurde ihm klar, daß sie diesen Wesen bereits durch die Freilegung des Raumschiffes geholfen hatten. Vermutlich machte der Mann im blauen Raumanzug seiner Kommandostelle Mitteilung von dem Unfall und erwartete Anweisungen. Dazu benutzte er ein Gerät, das wie ein kleines Teleskop aussah. Stumm beobachtete ihn Mitsuma. Auf dem Schirm wechselte das Bild. Man sah das Innere eines Hohlkörpers, in dem vier blitzende Kugeln schwebten.
Der Mann im blauen Raumanzug ging auf eine Wand zu, die im gleichen Augenblick zur Seite wich. In ihm stand eine ähnliche Apparatur, wie sie auf dem Bildschirm zu sehen war; ein Hohlkörper, dessen Vorderwand aus einem glasartigen durchsichtigen Stoff bestand, durch den man Einblick in das Innere des Hohlkörpers nehmen konnte. Auch hier sah Mitsuma vier freischwebende blitzende Kugeln. Sie begannen plötzlich zu rotieren und bildeten einen Ring, indem sich von Kugel zu Kugel eine bläuliche Strahlung hinzog. Immer größer wurde der Ring und immer dichter die Strahlung. Bald sah der Ring wie ein fester Körper aus, der frei in dem Hohlkörper schwebte. In gleicher Weise hatte sich das Bild auf dem Schirm verändert. Mitsuma erkannte plötzlich die Bedeutung dieser Apparatur, ohne jedoch den eigentlichen Vorgang zu begreifen. Offenbar war es eine freigewordene Strahlung, die in eine Kreisbahn getrieben wurde, Sie bewegte sich mit der Strahlung im Hohlkörper des Raumschiffes im gleichen Rhythmus; die beiden Apparaturen waren synchron geschaltet. Aber was bedeutete dieser Vorgang? Auch das wurde Mitsuma ganz plötzlich klar. Auf diese Weise wurde die Batterie des Raumschiffes mit ungeheuren Energien geladen, die diese Raumschiffe in wenigen Sekunden vom Horizont zum Zenit ziehen ließen. Es war genauso, wie es sich der Japaner immer gedacht hatte; die Fliegenden Scheiben waren nicht für eine Landung außerhalb ihres Stützpunktes geschaffen. Nur zum Start brauchten sie diese ungeheure Energie, und mit ihr operierten sie auch noch während ihres Fluges. Es handelte sich also bei ihren Triebwerken nicht um einen Atommotor mit kontinuierlichem Antrieb, wie ihn die irdischen Raumschiffe besaßen. Aus diesem Grunde war es auch bisher noch nicht vorgekommen, daß diese Raumschiffe auf der Erde landeten. Drahtlos wurde die Antriebsenergie von dem Stützpunkt, der vielleicht Millionen Kilometer entfernt lag, empfangen. Der Japaner betrachtete nachdenklich diesen Vorgang. Er sah die schweren armdicken Kabel, die in den Nebenraum führten, in dem er die unbekannte Apparatur des Triebwerkes entdeckt hatte. Warum zeigte man ihm das alles? Der Mann im blauen Raumanzug stand im Hintergrund und rührte sich nicht. Eine böse Ahnung überfiel Mitsuma plötzlich. Konnte man ihn nicht aus einem besonderen Grund in das Raumschiff gelockt haben? Dieser Gedanke war aber kaum in ihm aufgekommen, da wurde er ganz ungewollt von einer heftigen Unruhe erfaßt. Auch der Fremde war irgendwie erregt, und es schien Mitsuma, als sei diese Erregung des Fremden auf ihn übergegangen. Er trat plötzlich auf die drei Asiaten zu und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Mit schnellen Schritten führte sie der Fremde in den Kommandostand zurück. Bald darauf hob sich die gläserne Haube. Wir sollen das Raumschiff verlassen, ging es Mitsuma durch den Sinn. Langsam, wie einem unwiderstehlichen Zwang folgend, trat er über die Brüstung. Die beiden Chinesen folgten ihm auf dem Fuße. Verwirrt standen sie draußen vor dem Raumschiff und beobachteten, wie sich die Kuppel des Kommandostandes langsam senkte. Sie sahen, wie die Gestalt im blauen Raumanzug hinter dem Schalttisch Platz nahm. Sekunden später ging ein Zittern durch das Raumschiff, dann hob es sich urplötzlich schräg in die Luft. „Er muß meine Gedanken erraten haben“, sagte Mitsuma leise vor sich hin. „Ich mißtraute ihm.“ Er hob die Schultern. „Wir hätten sowieso nicht mitfliegen können.“ Die Chinesen bedauerten diese Entwicklung nicht. Ihnen war das fremde Raumschiff von Anfang an unheimlich gewesen. Frohgestimmt kletterten sie mit Mitsuma in die Kabine des Terralup und rollten zu dem Wrack des Raumschiffes zurück. Schon von weitem hörten sie Flower Monnard rufen. Eilig verließen sie die Kabine und fanden die Kranke völlig erschöpft auf ihrem Lager liegen. Mit weitaufgerissenen Augen starrte sie auf den Bildschirm. Als Mitsuma seinen Blick dorthin richtete, durchzuckte ihn ein freudiger Schreck. Auf dem Bildschirm war der Körper eines Raumschiffes zu sehen, das soeben die bläulichen Wolkenschleier durchbrochen hatte und zur Landung ansetzte. Vermutlich hatte die Besatzung das Wrack des Raumschiffes entdeckt und ging aus diesem
Grunde in dem Gebiet nieder. Jetzt wußte der Japaner, warum die Fliegende Scheibe so schnell gestartet war. Mitsuma trat an das Teleskop heran und drehte die Feineinstellung. Es konnte sich unmöglich um ein Raumschiff der Raijama handeln, und es war auch kein Raumschiff der UTO, denn die Fliegenden Bretter des Westens waren Mitsuma bekannt. Sollte es sich hier um die südamerikaniische Forschungsgruppe handeln? Der Japaner dachte sofort an die letzten Agentenberichte aus Rio. In ihnen wurde von einer erhöhten Aktivität der Südamerikaner belichtet. Auch sie hatten einen Vorstoß zum Mars geplant. Sollte diese Expedition nun ihr Ziel erreicht haben? Mitsuma sah jetzt deutlich das Wappen am Bug des Raumschiffes. Ja, es waren tatsächlich die Südamerikaner! „Los, wir müssen fort“, trieb er seine Leute an. „Nehmt die Frau mit! Legt sie auf die Tragbahre!“ Schnell ergriffen die beiden Chinesen ihre Maschinenpistolen, nahmen Flower Monnard auf und verließen das Raumschiff. Im Laufschritt eilten bald darauf die drei Männer mit der Kranken über die Ebene. Die beiden Chinesen trugen die Bahre, und Mitsuma versuchte, die Schiffsbesatzung durch heftiges Winken aufmerksam zu machen. Jetzt hing der Raumer über dem Randgebirge. Würden die Südamerikaner landen? Oder sahen sie die winzigen Menschen nicht, die verzweifelt auf Rettung hofften? „Setzt die Bahre ab. Ich glaube, man hat uns bemerkt“, rief Mitsuma den beiden Chinesen zu. Und dann erkannten die Männer erschüttert, daß der Raumer wirklich zum Landemanöver ansetzte. Nur Flower Monnard schien von diesem Ereignis unberührt. Ihr kranker Geist begriff nicht, daß jetzt die Verbannung zu Ende sein sollte. * Eine halbe Stunde später lagen die Gestrandeten bereits in den Hängematten des Raumschiffes. Die Besatzung hatte inzwischen ihre Raumhelme ebenfalls abgesetzt. Der Sprecher der Gruppe stellte sich als Dr. Fernando Gonzales vor. Von ihm erfuhr Mitsuma alles Wissenswerte. Sie waren also von den UTO-Leuten als tot gemeldet worden. Niemand hatte eine Ahnung, daß sie mit dem Leben davongekommen waren. Professor Sanchez war der Leiter der Expedition. Er hörte sich den Bericht des Japaners schweigend an, und Mitsuma hatte sofort das Gefühl, als schenke man seinen Worten wenig Glauben. Als er sein Zusammentreffen mit dem Menschen einer anderen Welt schilderte, zog ein ungläubiges Lächeln um die Mundwinkel des Professors. Flower Monnard starrte die Männer nur mit großen Augen an und schwieg auf alle Fragen, die man an sie richtete. Mitsuma überlegte, was hinter der Stirn der Kranken vorgehen könnte. Das Benehmen Flower Monnards hatte sich in den letzten Stunden vollkommen gewandelt. Nach dem Auftauchen des fremden Raumschiffes war eine ungewöhnliche Ruhe über sie gekommen, die Mitsuma nicht deuten konnte. „Ich möchte Sie bitten, uns bei unseren Untersuchungen behilflich zu sein“, sagte Professor Sanchez. „Wenn Sie sich erholt haben, natürlich.“ Mitsuma verneigte sich höflich. „Gern, Herr Professor“, erwiderte er. „Ich hatte viel Zeit, mich über alles hier zu orientieren. Falls Sie auch einen Vorstoß in die unterirdischen Marsstädte vornehmen wollen, könnte ich Sie führen. Allerdings rate ich zu der größten Vorsicht.“ Dr. Gonzales warf Professor Sanchez einen Blick zu. „Uns erreichte während des Fluges eine ungeheuer starke Strahlung, die uns mit einer magischen Kraft anzog...“ „Richtig“, fiel der Professor ein. „Und als Ausgangspunkt dieser Strahlung wurde der Mars festgestellt. Können Sie uns erklären, auf welche Weise sie zustande kam?“ Mitsuma dachte an seine Entdeckungen in der Marsstadt.Er würde die Südamerikaner davon
abbringen, diesen Teil der Stadt zu betreten. Das mußte ihm unter allen Umständen gelingen. Vielleicht würde er sogar den Stollen sprengen. Aber dann konnten die Raubinsekten wieder in die Stadt eindringen. Bei diesem Gedanken lief ihm das kalte Grauen über den Rücken. Und trotzdem entschloß er sich dazu. Dann würde den Expeditionsteilnehmern schon die Lust vergehen, dort auf Entdeckungsreisen zu gehen. Aber schon bald nahm ein anderer Gedanke in ihm Form an. Wenn er die Südamerikaner in der Marsstadt festsetzte, so konnte er in aller Ruhe die Startvorbereitungen treffen und allein zur Erde zurückkehren. Plötzlich erinnerte sich Mitsuma an die Frage des Professors. Er schrak zusammen. Richtig, die Strahlung! „Uns ist nichts Bemerkenswertes aufgefallen“, sagte er schnell. „Eine Strahlung?“ Die Fliegende Scheibe kam ihm plötzlich in den Sinn. Er hatte den beiden Südamerikanern ja schon von seinem Zusammentreffen mit dem fremden Raumschiff und den seltsamen Wesen berichtet. „Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß die Strahlung durch die Energieübernahme zustande kam“, vermutete er. Professor Sanchez zog skeptisch die Brauen hoch und hob die Schultern. „Vielleicht werden Sie noch Gelegenheit haben, sich von der Richtigkeit meiner Angaben zu überzeugen“, fuhr Mitsuma etwas verstimmt fort. Es ärgerte ihn, daß man gerade diesem Punkt seiner Ausführung keinen Glauben schenken wollte. „Nun, was halten Sie davon?“ fragte Professor Sanchez, als er mit Gonzales allein war. „Kommt Ihnen das denn nicht alles ein wenig eigenartig vor?“ „Auf jeden Fall“, nickte Gonzales. „Sie bedankten sich nicht einmal für ihre Rettung.“ Er schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich habe das bestimmte Gefühl, hier stimmt etwas nicht. Bedenken Sie, die Leute gehören der Raijama an, und wie die Presseberichte damals besagten, hatten sie vor, die Raumschiffe der UTO zu vernichten.“ — „Diese Pressemeldung ging mir auch durch den Kopf“, erwiderte Sanchez. „Wir wollen nicht zu vertrauensvoll sein. Wenn ich ehrlich sein soll; die drei Männer gefallen mir gar nicht. Wir müßten uns einmal mit der Frau befassen. Sie macht den Eindruck, als könnte sie uns etwas mitteilen.“ Zur gleichen Zeit beriet Mitsuma mit den beiden Chinesen den Anschlag auf das Raumschiff. „Ihr richtet euch genau nach der Uhr“, erklärte er. „Wenn ich den Trupp in die Stadt führe, bin ich spätestens in einer halben Stunde zurück. Bis dahin müßt ihr die Wache überwältigt haben. Ich werde jetzt sofort die Sprengung vorbereiten. Vielleicht gelingt es mir, das Raumschiff ungesehen zu verlassen. Er warf einen Blick durch den Gang, der zur Kanzel führte. »Die Mannschaft hat sich in den Schlaf räum zurückgezogen. Ich werde noch eine halbe Stunde warten, dann bin ich ganz sicher.“ Flower Monnard lag mit offenen Augen in ihrer Hängematte. Man hatte ihr einen kleinen Raum neben der Klimakammer zugewiesen. Durch die offenstehende Tür konnte sie in den Schaltraum blicken, der Mitsuma und seinen Leuten als Schlafraum angewiesen worden war. Seit Flower Monnard die Südamerikaner gesehen hatte, war eine seltsame Veränderung in ihr vorgegangen. Eine große Ruhe hatte von ihr Besitz ergriffen. Nein, sie gehörte nicht zu den Gelben, das hatte sie in den vergangenen Monaten feststellen können. Die asiatische Mentalität war ihr fremd; so fremd, daß sie manchmal zu verzweifeln glaubte. Diese Verzweiflung hatte sich dann in Tobsuchtsanfällen Luft gemacht. Aber das war jetzt alles vorbei. Sie spürte von Stunde zu Stunde, wie ihre Lebensgeister wieder wach wurden. Sie gewann wieder Interesse an ihrer Umgebung, Sie haßte Mitsuma, der alles verschuldet hatte. Ob sie jemals diese Welt wieder verlassen würde? Flower richtete sich auf und sah zu den Asiaten hinüber. Die beiden Chinesen schliefen schon. Mitsuma war dagegen noch wach. Er stand gedankenvoll auf der Schwelle der kleinen Kammer, und sie merkte, wie er zu ihr herüberblickte. Dann schlenderte er zur Ausstiegluke des Raumschiffes, kam aber bald wieder
zurück. Die junge Frau schloß die Augen und überlegte, warum Mitsuma so ruhelos war. Sollte er sich mit den gleichen Gedanken beschäftigen wie damals, als die Raumschiffe der UTO landeten? Furcht kam plötzlich in ihr auf, er könnte etwas planen, das ihnen allen den Tod bringen würde. Als sie kurze Zeit später die Augen wieder öffnete, war Mitsuma verschwunden. Ein Druck löste sich von ihrer Seele. Befreit sank sie in die Kissen zurück. Der Japaner hatte indessen das Raumschiff verlassen. Der Wächter, den die Südamerikaner, ausgestellt hatten. ließ ihn ungehindert passieren. Mitsuma entfernte sich in Richtung des Wracks, blieb in dessen Schatten und tat, als klettere er zur Luke hinauf. Als sich der Wächter umwandte, kehrte er blitzschnell um und eilte im Laufschritt dem eingestürzten Stollen zu. Das Wrack des Raumschiffes lag jetzt im Blickfeld des Wächters, so daß er Mitsuma nicht mehr beobachten konnte. Atemlos erreichte der Japaner den Eingang des Stollens. In dem Versteck fand er alles noch unverändert vor. Mitsumas Blick glitt über die dicken Bleibehälter mit radioaktiven Gesteinsproben und einigen zylinderartigen Körpern, die er in einem Gelaß unter dem Atomkraftwerk gefunden hatte. Was sie bedeuteten, war ihm nicht ganz klar. Jedenfalls mußte es sich um einen hochradioaktiven Stoff handeln, denn der Geigerzähler schlug sofort aus, wenn man ihn in die Nähe brachte. Da der Japaner einen strahlungsundurchlässigen Raumanzug trug, der die Besatzung der Raumschiffe vor den kosmischen Strahlen schützen sollte, konnte auch diese Strahlung nicht wirksam werden. Er zog eine schwere Gummischutzmaske über, die mit dunklen Augengläsern versehen war, nahm einen Handscheinwerfer und eine Elektronenpistole mit und machte sich auf den Weg durch den Stollen. Bald hatte er den Kern der Stadt erreicht. Der Kegel seines Scheinwerfers glitt über die fensterlosen Wohnblocks, in denen vor Jahrtausenden einmal menschliche Wesen gelebt hatten, und tastete über die schmale Straße. Eine unheimliche Stille lastete über der toten Stadt. Mitsuma dachte an die Raubinsekten, die er durch Sprengungen eines Stollens in den anderen Teil des unterirdischen Stadt verbannt hatte. Nein, sie konnten sich nicht befreit haben, denn die Sprengung hatte mehrere hundert Tonnen Geröll in den Gang rutschen lassen. Eine andere Verbindung, die zu diesem Teil der Stadt führte, hatte er bisher nicht entdecken können. Eilig hastete Mitsuma weiter. Er kannte den Weg genau. Überall an denWänden hatte er Merkmale angebracht, die ihm den Rückweg sicherten. Das Atomkraftwerk, das die Marsstadt mit Energie versorgte, lag in einem gewaltigen unterirdischen Gewölbe. Der Meiler bestand aus einem kugelförmigen Block, an dem riesige stählerne Druckbehälter angeschlossen waren. Von hier aus war die Strahlung erfolgt, die den Kontakt mit der Außenstation der Raijama hergestellt hatte. Gedankenvoll stand Mitsuma vor der Apparatur des Senders, den er aus dem Wrack des Raumschiffes ausgebaut hatte. Er wagte nicht, die Lichtquellen der Marsstadt in Betrieb zu nehmen, denn der Schein, der durch die vielen eingestürzten Stollen an die Oberfläche drang, konnte ihn verraten. Sollte er der Raijama von dem Eintreffen der Südamerikaner Mitteilung machen? Die Außenstation würde nach dem ersten Empfang eine dauernde Marsbeobachtung eingerichtet haben. Kurze Zeit später war der Sender bereits in Betrieb. In rhythmischen Abständen zog Mitsuma den Hebel der Schaltapparatur und funkte auf diese Weise das Eintreffen der Südamerikaner in den Weltenraum. Danach verbarg er einen Sprengkörper in der Kammer eines Druckbehälters und machte sich auf den Weg zurück. Beim Einschalten des Senders wurde der Druckbehälter Unter Starkstrom gesetzt und löste augenblicklich eine Explosion aus. Der Japaner rechnete auf alle Fälle damit, daß man die Sendeapparatur in Betrieb nehmen würde. Was diese Explosion bewirkte, darüber hatte Mitsuma vorerst nur schattenhafte Vorstellungen. Es genügte, wenn die Druckwelle den Stollen, der zu dem Kraftwerk führte,
einstürzen ließ und die Gruppe von der Außenwelt abschnitt. Eilig hastete Mitsuma den Weg zurück und hatte soeben die Krümmung zum Hauptstollen erreicht, als plötzlich ein leises Geräusch an sein Ohr drang. Sofort blieb der Japaner stehen und lauschte. Schnell hatte er den Handscheinwerfer ausgeschaltet. Das Geräusch kam aus einem Nebenstollen. Waren es Schritte? Oder war es... Eine plötzliche Angst überfiel den Asiaten. Im Geist sah er den Zug der Rieseninsekten, der sich lautlos durch die Dunkelheit heranwälzte. War es möglich, daß es noch einen Weg gab, der aus dem zweiten Teil der unterirdischen Stadt führte? So genau war ein Studium der ineinander verschlungenen Stollen und Gänge gar nicht möglich gewesen, um das mit Sicherheit verneinen zu können. Mit angehaltenem Atem lauschte er in die unheimliche Stille, die ab und zu von einem undefinierbaren Geräusch unterbrochen wurde. Etwas schob sich aus der Dunkelheit heran. Nein, es waren keine Schritte; es war ein anhaltendes schleifendes Geräusch, das sich durch den Stollen näherte. Mitsuma brach der Angstschweiß aus. Er hatte dieses Geräusch noch in Erinnerung. Ohne Zweifel, die Rieseninsekten mußten sich einen Weg aus dem anderen Teil der eingestürzten Marsstadt gebahnt haben. Der Japaner zögerte noch einen kleinen Augenblick, aber dann ließ er den Strahl seines Scheinwerfers aufblitzen. Von Grauen geschüttelt, prallte er zurück. Keine zehn Meter von ihm entfernt krochen die Rieseninsekten durch den Stollen. Beim Aufblitzen des Scheinwerfers änderten sie sofort ihre Richtung und kamen auf das Licht zu. Mitsuma riß die Elektronenpistole hoch und feuerte in rascher Folge in die wogenden Tierleiber. Donnernd rollte die Detonation der Schüsse durch den Stollen, * Flower Monnard erwachte durch den Druck einer Hand, die sich auf ihre Schulter legte. Zu ihrer Verwunderung sah sie Dr. Gonzales vor sich sehen. Der Südamerikaner legte den Zeigefinger auf die Lippen und warf einen Blick auf die schlafenden Chinesen. „Ich habe mit Ihnen zu sprechen“, flüsterte er. Die junge Frau erhob sich. Sie fühlte sich durch den Schlaf erfrischt und gestärkt. Auch war der Druck von ihr genommen. Sie konnte seit langer Zeit wieder einen Gedanken fassen und zu Ende führen. Vorsichtig, um die beiden Asiaten nicht zu wecken, folgte sie Gonzales in eine kleine Kabine neben der Kanzel. Hier fand sie Professor Sanchez vor. „Nehmen Sie Platz, Miß Monnard!“ Er deutete auf einen Sessel. Flower setzte sich und sah die beider. Männer erwartungsvoll an. „Wir sind über Ihre Rolle bei der UTO-Corporation genau unterrichtet“, begann der Professor. „Ihr Vater und Sie haben sich auf die Seite der Raijama geschlagen. Wir hegen nun den Verdacht, daß Mr. Mitsuma auf den Gedanken verfallen könnte, unser Vertrauen zu mißbrauchen. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß in diesem Falle unser aller Leben in Gefahr ist. Mitsuma und seine Leute sind allein nicht in der Lage, das Raumschiff sicher zur Erde zurückzubringen. Sollte uns also etwas zustoßen...“ Er hob die Schultern. „Sie verstehen, was ich meine.“ In Flower kroch wieder unbeschreibliche Angst hoch. „Es ist am sichersten, wenn Sie Mitsuma und seine Leute sofort festnehmen“, sagte sie erregt. „Sie haben vor, sich in den Besitz des Raumschiffes zu bringen und Sie hier zurückzulassen. Ihre Vermutungen sind nicht unbegründet. Morgen, beim Besuch der Marsstadt, will man Sie von Ihren Leuten trennen. Aber mehr weiß ich auch nicht.“ „Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit“, sagte Professor Sanchez. „Vielleicht haben Sie damit unser aller Leben gerettet.“
Vor der Tür der Kabine wurden eilige Schritte laut. Es klopfte, und der Funker erschien. „Die Strahlung macht sich wieder bemerkbar“, meldete er voller Erregung. „Sämtliche Geräte setzen aus. Der Strahlungsherd muß in unmittelbarer Nähe unseres Raumschiffes liegen.“ Dr. Gonzales erhob sich sofort. „Seit wann machen Sie diese Beobachtung?“ fragte er überrascht. „Seit etwa einer Viertelstunde“, antwortete der Funker „Die Asiaten haben unser Raumschiff verlassen und sind zu dem Wrack hinübergegangen. Bisher ist niemand zurückgekommen.“ Professor Sanchez sah“ Flower Monnard mißtrauisch an. „Wußten Sie davon?“ Flower schüttelte den Kopf. „Ich weiß nur, daß sie die Sendeapparatur aus dem Raumschiff an die Kraftanlage angeschlossen haben. Mitsuma ist es gelungen, den unterirdischen Meiler der Marsstadt in Betrieb zu nehmen. Auf die erste Strahlung hat bereits die Außenstation der Raijama geantwortet.“ Sanchez überlegte einen Augenblick. „Können Sie uns in die Marsstadt führen?“ fragte er. „Sie brauchen uns nur den Eingang zu zeigen.“ Er wandte sich an Gonzales. „Sie halten es doch auch für richtig, wenn wir uns die Anlage sichern?“ „Auf jeden Fall! Dann können wir uns mit den Erdstellen in Verbindung setzen“, erwiderte Gonzales. „Sie haben Waffen“, erinnerte Flower Monnard ängstlich. „Zu einer offenen Feindschaft werden sie es niemals kommen lassen“, wehrte Gonzales ab. „Sie sind doch auf uns angewiesen. Außerdem wissen sie nicht, daß wir von ihrem Plan Kenntnis erhalten haben. Wir sind im Vorteil.“ Eine halbe Stunde später zog Dr. Gonzales mit der Hälfte seiner Mannschaft los. Flower Monnard führte die Männer bis zu dem Eingangsstollen und ließ dann Gonzales vorgehen. Der Südamerikaner schaltete einen Handscheinwerfer ein und ließ ihn durch die Dunkelheit tasten. Sein Plan stand fest. Er würde Mitsuma und die beiden Chinesen in das Wrack des Raumschiffes bringen und dort festsetzen, bis man zum Rückflug startete. Langsam drangen die Männer immer weiter vor. Voll Staunen glitten ihre Blicke über die uralten Bauten und die kunstvoll angelegten Gewölbestraßen. Plötzlich blieb Gonzales stehen. Es war ihm, als habe er Schüsse vernommen. Er lauschte. Nein, nichts war zu hören. Sollte er sich getäuscht haben? Langsam ging die Gruppe weiter. „Da!“ Einer der Männer war stehengeblieben. „Das ist eine Elektronen-Pistole!“ Rollende Detonationen drangen von weither durch den Stollen. Das konnten nur die Asiaten sein. Aber warum Schossen sie? Gonzales überlegte nicht lange. „Los, kommt! Wir müssen weiter!“ Inzwischen war es Mitsuma gelungen, den Zug der Rieseninsekten von dem Hauptstollen abzuziehen. Er brauchte nur das Licht aufflammen zu lassen, und sofort schwenkten die Tiere auf den Lichtschein zu. Mit keuchendem Atem stand der Japaner in dem Vorbau eines Wohnblocks und ließ den Zug im Dunkeln an sich vorüberziehen. Er hörte nur das schleifende Geräusch, das die widerlichen Tiere verursachten. Hier im Kernpunkt der Marsstadt, wo sich alle Gewölbestraßen trafen, waren die Insekten zu einer drohenden Gefahr geworden. Der Zug brauchte sich nur zu teilen, dann würde man sofort jede Übersicht verlieren. Aus einem Seitenstollen klangen jetzt plötzlich eilige Schritte auf. Der Schein einer Lampe wurde sichtbar. Mitsuma richtete den Strahl seines Scheinwerfers dorthin und erkannte Ho Min und Tsen La. Atemlos näherten sie sich. „Warum kommt ihr hierher?“ rief ihnen der Japaner wütend zu. „Flower ist von den Südamerikanern unter Druck gesetzt worden“, stammelte Ho Min. „Sie wird unseren ganzen Plan verraten. Gonzales ist mit einer Gruppe auf dem Weg hierher. Sie haben die Strahlung festgestellt.“ Mitsuma richtete sich auf. Ein böses Lächeln zog über sein Gesicht. „Besser können wir es uns gar nicht wünschen. Die Insekten sind ausgebrochen, und ich habe festgestellt, man kann sie durch Licht leiten. Sie ziehen augenblicklich in Richtung des Atomkraftwerkes. Es muß
mir gelingen, sie im richtigen Moment dorthin zu dirigieren.“ — Die Chinesen starrten ihn mit ängstlichen Gesichtern an. Ho Min wollte etwas entgegnen, doch Mitsuma wehrte ab, denn sein scharfes Ohr hatte erneut Schritte vernommen. Blitzschnell schaltete er die Lampe aus und riß seine Leute zu Boden. Keine fünf Schritte von ihnen entfernt zog Gonzales mit seiner Gruppe durch den Stollen, Kleiner und kleiner wurden die Lichter ihrer Scheinwerfer. „Sie müßten auf die Insekten treffen“, sagte Mitsuma leise vor sich hin. „Die Lampen werden die Tiere anlocken.“ Schnell erhob er sich. Eine andere Idee kam plötzlich in ihm auf. Es war gar nicht nötig, das Atomkraftwerk in die Luft zu sprengen. Eine kleine Elektronengranate genügte schon, um Teile des Gewölbes zum Einsturz zu bringen. Auf diese Weise konnte er ihnen den Rückweg verlegen. Alles andere würden die Raubinsekten besorgen. Zuerst mußte er sich aber orientieren, wo sich der Zug der Raubinsekten befand. Mitsuma bekam plötzlich Zweifel, ob ihm dieser Plan überhaupt gelingen würde. „Ihr bleibt hier und wartet auf mich“, wandte er sich an die Chinesen. „Ich muß feststellen, wo die Tiere sind. Es besteht die Möglichkeit, daß sie kurz vor dem Gewölbe der Atomanlage abgebogen sind. Wir müssen sehr vorsichtig sein, damit sie uns nicht plötzlich überrennen.“ Die beiden Chinesen waren mit diesem Vorschlag wenig einverstanden. Angst trat in ihre Augen. Diese seltsamen Tiere jagten ihnen eine unheimliche Furcht ein. Hätten sie von der Wanderung der Insekten gewußt, so wären sie niemals in die Stadt eingedrungen. „Am besten, wir bleiben zusammen“, wandte Tsen La ein, dem allein schon der Gedanke an die widerlichen Tiere den Angstschweiß auf die Stirn trieb. „Wir könnten uns aus den Augen verlieren...“ Mitsuma hörte nicht auf ihn. Eilig machte er sich auf den Weg durch den Stollen und ließ ab und zu den Schein seiner Lampe aufblitzen. Aber so weit der Strahl seines Scheinwerfers reichte, war nichts von der Gruppe der Südamerikaner zu sehen. Auch die Insekten waren verschwunden. Er bog in mehrere Nebenstollen ein, aber auch dort war alles still. Mehrere Male blieb Mitsuma stehen und lauschte. Nichts, tot und still lagen die Stollen in tiefer Dunkelheit. Die Insekten mußten einen anderen Weg eingeschlagen haben. Sicher hatte Flower Moonard die Männer sofort in das Gewölbe der Atomkraftanlage geführt. Unruhe wurde in Mitsuma wach, wenn er an den Druckkessel dachte, in dem, beim Einschalten der Energie für die Sendeapparatur, der Atom-Zylinder explodieren würde. Vielleicht konnte die Explosion doch größere Ausmaße annehmen, wenn die Druckwelle durch die Stollen raste. Zwar würde der Stahlkessel den ersten Kraftstoß auffangen, so wie er es sich überlegt hatte, aber würde es genügen? Nein, er mußte diese Explosion verhindern, denn es war nicht ausgeschlossen, daß sie den Zugang zum zweiten Teil der unterirdischen Stadt wieder freilegte. So schnell der Japaner konnte, eilte er weiter. Er nahm den Weg durch mehrere Seitenstollen, um auf diese Weise schneller ans Ziel zu gelangen. Endlich sah er von fern ein dünnes Licht schimmern. Es strahlte aus dem Gewölbe der Atomanlage. Also hatten die Südamerikaner den Meiler bereits erreicht. Und der Zug der Raubinsekten? Mitsuma verharrte eine Weile, um auf das bekannte schleifende Geräusch zu lauschen. Aber es blieb alles still. Die Tiere waren verschwunden, als hätte sie der Erdboden verschlungen. Vielleicht waren sie auch wieder abgezogen. Was er hörte, waren menschliche Stimmen; erstaunte Ausrufe der Männer, die die Anlage des Meilers in Augenschein nahmen. Der Japaner schaltete seinen Scheinwerfer aus, da ihm jetzt das Licht aus dem Gewölbe genügend Helligkeit spendete. Lautlos schlich er näher. Bald hatte er die Männer im Blickfeld und sah Dr. Gonzales mit seinen Leuten vor dem kugelförmigen Meiler stehen. Einer der Südamerikaner hatte sich dagegen der Kurzwellenapparatur zugewandt. Mitsuma stockte fast der Pulsschlag. Hoffentlich schaltete der Mann den Sender nicht ein. Er hatte diesen Gedanken aber noch nicht zu Ende gebracht, da war es bereits geschehen. Eine
ohrenbetäubende Explosion ließ das Gewölbe erbeben. Der Japaner wurde von der Druckwelle, die durch die Gänge raste, an die Wand gepreßt. Er glaubte sekundenlang, die Lungen würden ihm bersten und starrte wie fasziniert auf das schwefelgelbe Licht, das aus dem Eingang zu der Atomkammer schoß. Mit brüllendem Getöse riß der gewaltige Druckkessel, und eine bläuliche Flamme hüllte ihn ein. Dann prasselten Steinmassen von der Decke herab und verschlossen den Eingang des Gewölbes.
Zuerst stand der Japaner schreckgelähmt, aber dann riß er sich zusammen und raste wie gehetzt durch die Stollen zurück. Die beiden Chinesen erwarteten ihn mit erschrockenen Gesichtern. „Der Gang zur Atomkammer ist verschüttet“, keuchte Mitsuma atemlos. „Kommt, die anderen werden ihnen Hilfe bringen wollen. Das ist die beste Gelegenheit!“ Eilig machten sich die drei Männer auf den Weg zurück. Nach etwa zehn Minuten hatten sie den Ausgang erreicht. Tsen La ging voraus, um zu beobachten. Er sah den Rest der Mannschaft vor dem Raumschiff stehen. Offenbar beratschlagten die Männer, was sie tun könnten, denn sie mußten die Detonationen gehört haben. „Sie kommen“, sagte Tsen La plötzlich erregt. „Sie kommen auf den Stollen zu.“ Er wandte
sich nach Mitsuma um. „Was sollen wir tun?“ Der Japaner war sofort entschlossen. „Wir gehen in den ersten Seitenstollen zurück und warten dort ab.“ Kurze Zeit später standen sie in dem Stollen und lauschten auf die näher kommenden Schritte der zweiten Gruppe. Mitsuma gab seinen Begleitern ein Zeichen, daß sie sich weiter in den Stollen zurückziehen sollten. Auf keinen Fall durften sie mit den Südamerikanern zusammentreffen. Nachdem das geschehen war, lauschten sie auf die sich entfernenden Schritte der Männer und sahen schließlich die Lampen in der Dunkelheit verschwinden. Ein feines Lächeln stand um Mitsumas schmale Lippen. So, jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Das Raumschiff hatte man ohne Bewachung zurückgelassen. Es würde eine Kleinigkeit sein, es in Besitz zu nehmen. Mitsuma forderte die Chinesen mit einner Kopfbewegung auf, ihm zu folgen. Sie strebten dem Ausgang zu und passierten dabei einen Seitenstollen, der sich ringförmig um den Stadtkomplex zog. Der Japaner hatte den Ausgang bereits erreicht, da merkte er plötzlich, daß ihm niemand folgte. Er nahm den Scheinwerfer hoch und leuchtete in den Gang hinein. Von den Chinesen war keine Spur zu finden. Aber sie waren doch soeben noch dicht hinter ihm gewesen? Langsam ging Mitsuma zurück und kam an die Kreuzung des Ringstollens. Ganz in seiner Nähe hörte er im gleichen Moment einen unterdrückten Aufschrei. Blitzschnell fuhr der Japaner herum. Hinter einem Stützpfeiler gewahrte er schattenhafte Umrisse in wilder Bewegung. Er riß den Scheinwerfer hoch und — erstarrte. Wenige Meter von ihm entfernt wälzte sich ein Knäuel am Boden. Voll Entsetzen erkannte er Tsen La, der von zwei Rieseninsekten umklammert wurde und sich mit aller Kraft gegen die widerlichen Tiere zur Wehr setzte. Sein Raumanzug hing ihm in Fetzen vom Körper. Mit weitaufgerissenen Augen starrte er auf Mitsuma, der den ungleichen Kampf schreckgelähmt verfolgte. Aber noch mehr dieser ekelhaften Tiere waren in der Nähe. Der Japaner sah ihre Augen als grünschillernde Punkte im Dunkel des Stollens. Sie näherten sich immer mehr, und plötzlich schössen sie blitzschnell vor und verbissen sich in den brüllenden Knäuel. Mitsuma wich zurück. Seine Augen suchten Ho Min, während er sich langsam zurückzog. Als er sich umwandte, sah er weit hinten vier schillernde Punkte. Er riß seinen Scheinwerfer hoch und entdeckte zwei der scheußlichen Tiere, die bewegungslos auf einem menschlichen Körper hockten. Ho Min hatte den Kampf bereits verloren. Dieser Anblick gab Mitsuma den Rest. Mit einem irren Aufschrei warf er sich herum, dabei glitt der Schein der Lampe zur Decke des Gewölbes, und bevor der Japaner den nächsten Schritt tun konnte, ließ sich von oben ein schwerer gepanzerter Körper auf ihn herabfallen. Greifzangen tasteten nach seinem Hals, während Mitsuma in die Knie brach. Er sah die faustgroßen blitzenden Knopfaugen des ekelerregenden Tieres vor seinem Gesicht und das spitze Maul mit den messerscharfen Kiefern. Der Japaner tastete nach seinem Bordmesser im Gürtel des Raumanzugs. Der Arm wurde ihm sofort in schmerzhafter Weise gegen den Körper gepreßt. Aber Mitsuma gab nicht auf. Wild riß er den Arm aus den klauenbewehrten Zangen der Vorderfüße des Tieres. Er bekam den Arm frei und stieß das Dolchmesser bis zum Heft in den ungepanzerten Leib. Mit kraftlosen Zuckungen fiel der Körper des Tieres zurück. Wie von Furien gehetzt stürzte Mitsuma weiter, aber schon nach wenigen Metern wurde er erneut angefallen. Die Tiere hingen unter der Decke des Gewölbes. Sie hatten sich vom Zug abgesondert und lagen hier auf der Lauer. Mit dein Mut der Verzweiflung wehrte sich Mitsuma gegen die Umklammerung der Greif zangen. Sein Raumanzug hing ihm in Fetzen vom Körper. Wild stieß seine Rechte mit dem Dolchmesser zu. Er war am Ende seiner Kräfte, als er keuchend und halb wahnsinnig vor Grauen den Ausgang des Stollens erreichte.
Er fiel direkt in die Arme von Professor Sandez. Trotz seiner Todesangst schaltete Mitsuma sofort um. „Wir müssen ihnen Hilfe bringen“, stammelte er. „Der Stollen zum Atomkraftwerk ist eingestürzt“ Sanchez starrte ihn fassungslos an. „Und wie sollen wir vordringen? — Ich habe nur noch zwei Mann zur Verfügung.“ „Wir müssen den Terralup einsetzen“, erwiderte Mitsuma und spielte den Verzweifelten. Mit bewegten Worten klärte er Sanchez über den Angriff der Rieseninsekten auf. „Nur mit dem Terralup können wir bis dorthin vordringen.“ Bereits zehn Minuten später saß der Professor neben Mitsuma in der kleinen Kabine des Terralup, und der schwere Erdbohrer rollte auf seinen Raupenketten in den Stollen. Hell stachen die Scheinwerfer in die Dunkelheit. Die ersten Stollen waren leer, aber dann tauchten bereits vereinzelt die Raubinsekten auf. Sie griffen sogar das stählerne Ungetüm des Terralup an und hockten bald darauf auf dem gläsernen Dach der Kabine. Die meisten wurden jedoch von den Raupenketten erfaßt und getötet. Bald lag die Einsturzstelle in den Kegeln der Scheinwerfer. Mitsuma zog die Raupenketten ein und ließ den Bohrkopf auf Touren laufen. Dann drang das tonnenschwere Gerät in die Erdmassen. Im Licht der Scheinwerfer riß der Bohrkopf die Steinbrocken beiseite und öffnete den Durchgang zum Gewölbe. Schon nach einigen Minuten war der Durchstich erfolgt. Mitsuma fuhr das Bohrgerät nur so weit aus dem Tunnel, daß sie die Kabine verlassen konnten. Auf diese Weise wollte er sich vor unliebsamen Überraschungen schützen. Mit einem Scheinwerfer bewaffnet, verließen Sanchez und Mitsuma die Kabine. Bald hatte der Lichtkegel die Gruppe Menschen erfaßt. Sie waren durch den Druck der Explosion gegen die Wände geschleudert worden. Als ersten fanden sie Dr. Gonzales. Nach kurzer Untersuchung mußte Professor Sanchez den Tod seines Mitarbeiters feststellen. Auch die übrigen Mitglieder der Gruppe hatten den Tod gefunden. Sanchez war entsetzt. Etwas weiter fanden sie Flower Monnard. Ihr Körper war zwischen den Sockel des Atomofens eingeklemmt worden. Mitsuma zweifelte nicht, daß auch sie den Tod gefunden hatte. Er mußte jetzt unbedingt das Vertrauen des Professors gewinnen, denn eine Flucht war nun unmöglich geworden. Wo aber war die zweite Gruppe der Südamerikaner geblieben? Es bestand nur die Möglichkeit, daß sie den verschütteten Zugang passiert hatte, um vielleicht eine andere Stelle zum Eindringen zu suchen. In diesem Falle war die Gruppe der Gefahr ausgesetzt, mit dem Zug der Rieseninsekten, der sich vermutlich noch immer lautlos durch die Gänge bewegte und nach einem Ausweg suchte, zusammenzutreffen. Mitsuma machte Sanchez von dieser Besorgnis Mitteilung. „Um Gottes willen!“ Der Professor sah ihn erstaunt an. „Wir müssen ihnen sofort Hilfe bringen. Zum Start des Raumschiffes benötigen wir wenigstens zehn Mann, Ohne sie ist ein Start unmöglich.“ Eilig nahmen sie wieder in der Kabine des Terralup Platz. Mitsuma stieß die Raupenketten aus und ließ das Gerät aus dem Bohrtunnel fahren. In dem Gewölbe hatte er genügend Platz, das tonnenschwere Gefährt zu wenden. Dann rasselte der Erd-Torpedo weiter durch die Gänge. Hell tanzten die beiden Scheinwerfer durch die Dunkelheit. Überall an den Decken der Gewölbe saßen die Raubinsekten. Bald schon stießen sie auf den Zug. Er staute sich vor einem winzigen Durchlaß, der anscheinend in den anderen Teil der unterirdischen Stadt führte. Mitsuma lenkte den Terralup mitten auf den Durchlaß zu. Dann erweiterte der Bohrkopf die Lücke und brach durch. Der
Gang, der nun im Scheinwerferlicht vor ihnen lag, wimmelte von Tierleibern. Nur durch diesen Gang konnte die zweite Gruppe entkommen sein. Weiter mahlten die Raupenketten durch den Gang. Hinter der nächsten Krümmung wurde Tageslicht sichtbar. Dort mußte es einen Ausgang geben. Der Zug der Insekten war offensichtlich zum Stillstand gekommen. Hunderte von Tierleibern blockierten den Ausgang. Mitsuma konnte sich nicht denken, was dort geschehen war. „Da, sehen Sie!“ Sanchez deutete zum Ausgang. Ein heller, gleißender Strahl zuckte plötzlich durch die Lücke. Rauch stieg auf. Die Insektenleiber begannen zu wogen und ballten sich zu dichten Klumpen zusammen. Was ging dort vor? Mitsuma hatte den Terralup angehalten und starrte durch das Kabinenfenster. Er sah die Tierleiber, die zu Klumpen zusammengeballt waren. Auf dem Thermometer kletterte die Quecksilbersäule in die Höhe. Weit über zweihundert Grad zeigte das Thermometer an und kletterte noch immer weiter. Mitsuma konnte sich den Temperaturanstieg nicht erklären. Sanchez wurde langsam nervös. „Hoffentlich haben sich die Leute retten können“, sagte er unruhig. „Aber ich möchte wissen...“ „Haben Sie Zerstrahier an Bord?“ fiel Mitsuma ein. Professor Sanchez nickte. Auf einem Umweg mahlten sich die Raupenketten des Terralup dem Ausgang zu. Der Platz vor dem Stollen war mit toten Insekten besät. Vor dem Raumschiff standen die Männer der zweiten Gruppe, winkten ihnen zu und deuteten in die Luft. Jetzt ahnte Mitsuma, auf welche Weise die Tiere zu Tode gekommen waren. In etwa hundert Meter Höhe zog eine Fliegende Scheibe über den Landeplatz des Raumschiffes. Offenbar hatte sie in den Kampf eingegriffen und die Insekten bekämpft. So war es auch. Leutnant Catalo, der die zweite Gruppe geführt hatte, berichtete Professor Sanchez, daß die Männer im Stollen von den Raubinsekten angegriffen wurden. Sofort hatten sie sich zurückgezogen und den Durchlaß gefunden, der dann ihre Rettung geworden war. Mit Mühe fanden sie schließlich einen Weg, um sich in das Raumschiff zurückzuziehen. Minuten darauf sei bereits die Fliegende Scheibe aufgetaucht und habe die Insekten, die das Raumschiff zu Tausenden belagerten, mit Zerstrahlern vernichtet. So lautete der Bericht Leutnant Catalos, der Mitsuma mit finsterer Miene musterte. „Dr. Gonzales und die anderen sind tot“, sagte Professor Sanchez bedrückt. „Sie sind durch eine Explosion ums Leben gekommen.“ Catalo saß Mitsuma mißtrauisch an. „Und wo ist Miß Monnard?“ Sanchez hob die Schultern. „Tot!“ „Miß Monnard war krank“, sagte Mitsuma. „Vielleicht werden Sie es selbst gemerkt haben, daß ihr Geist durch den langen Aufenthalt in dieser Welt gelitten hatte. Ich kann mir das alles nur so erklären: Miß Monnard führte die Gruppe in das Gewölbe der Atomkraftanlage, und dort, muß vielleicht Gonzales oder einer seiner Männer eine Schaltung an den Apparaturen vorgenommen haben, die eine Explosion auslöste. Es kann nur so gewesen sein.“ In Catalos Augen stand Mißtrauen. „Miß Monnard hat Dr. Gonzales und uns in sehr eindeutiger Weise davon in Kenntnis gesetzt, daß Sie einen Anschlag auf unser Raumschiff geplant hatten“, erklärte der Leutnant. Der Japaner verzog keine Miene. „Ich sagte es bereits, Miß Monnard war unzurechnungsfähig. Wünschen Sie tatsächlich, daß ich mich gegen diese absurde Anschuldigung verteidige?“ Catalo warf Professor Sanchez einen fragenden Blick zu, und dieser hob die Schultern. „Und warum haben Sie mit Ihren Leuten das Raumschiff heimlich verlassen?“ fragte der Leutnant weiter. „Heimlich?“ tat Mitsuma erstaunt.
„Ich hatte nie die Absicht, es heimlich zu verlassen. Der Wächter hat mein Fortgehen bemerkt. Er wird es Ihnen bestätigen können.“ Der Leutnant blieb mißtrauisch. „Und warum haben Sie das Raumschiff überhaupt verlassen? Warum suchten Sie den Stollen auf?“ „Das ist sehr einfach erklärt“, erwiderte Mitsuma. „Ich wollte die Ausbeute meiner Expedition sicherstellen und sie mit meinen Männern in das Raumschiff schaffen. — In dem Stollen wurden wir kurze Zeit später von den Raubinsekten angegriffen, dann erfolgte die Explosion. Alles andere ist Ihnen bekannt.“ Er wandte sich an Professor Sanchez. „Habe ich mich Ihnen nicht sofort zur Verfügung gestellt und Ihnen meine Hilfe angeboten?“ „Dafür danke ich Ihnen“, sagte Sanchez. Die Erklärung Mitsumas schien ihm einzuleuchten. „Verzeihen Sie bitte unsere Fragen“, fuhr er fort. „Miß Monnard hat uns mißtrauisch gemacht. Wir haben natürlich nicht geahnt, daß es so um sie stand.“ Der Japaner schien mit dieser Entwicklung zufrieden. „Ich möchte Sie noch bitten, mir einige Leute zur Verfügung zu stellen, damit ich die Ausbeute meiner Expedition holen kann.“ „Selbstverständlich“, nickte Sanchez. Leutnant Catalo war mit der Entscheidung des Professors nicht sehr zufrieden. Mit finsteren Blicken beobachtete er Mitsuma, der sich mit zwei Besatzungsmitgliedern auf den Weg zum Stollen machte und etwas später mit mehreren Behältern zurückkehrte, um sie im Lagerraum des Raumschiffes unterzubringen. „Ich werde ihn jedenfalls im Auge behalten“, meinte Catalo. „Mir kam Miß Monnard sehr vernünftig vor. Von einer geistigen Umnachtung habe ich nichts bemerkt. Ich glaube ihm nicht.“ „Und was könnte Mitsuma jetzt noch gegen uns ausrichten?“ fragte Sanchez. „Er muß doch froh sein, wenn wir ihn mitnehmen.“ Zwölf Stunden später startete das Raumschiff zur Erde zurück. Professor Sanchez konnte sich nicht entschließen, die unterirdische Marsstadt noch einmal zu betreten. Auch seine Mannschaft hätte er nicht dazu bewegen können. Nein, er wollte diesen unheimlichen Planeten so schnell wie möglich verlassen. Bedrückt stand Sanchez am Fenster der Heckkammer des Raumschiffes und starrte auf die mit bläulichen Schleiern bedeckte Marsoberfläche. Diese Expedition hatte ihm einen Teil seiner besten Leute gekostet. Und nur durch das Eingreifen der Fliegenden Scheibe war er vor größeren Verlusten bewahrt geblieben. Als er Minuten später die Kanzel betrat, deutete Leutnant Catalo wortlos durch das Fenster. Rechts und links neben der Kanzel schwebten zwei silbergraue Scheiben und begleiteten den Rückflug des Raumschiffes. Erst als das Raumschiff die Umkreisungsbahn des Mars weit hinter sich gelassen hatte, verschwanden die seltsamen Flugkörper im All. „Noch immer keine Nachricht aus Deutschland!“ Mit diesen Worten betrat Dr. Harris das Arbeitszimmer Professor Stimsons, des Leiters von Almos. Er ließ sich mißmutig in einen Sessel fallen. Stimson hob die Schultern, „Da werden wir uns auch noch etwas gedulden müssen. Pauken wird nicht leicht zu bewegen sein, seine Privatstudien aufzugeben und mit nach Amerika zu kommen.“ „Ich bin beunruhigt.“ Dr. Harris, der Assistent des Professors, zündete sich gedankenvoll eine Zigarette an. „Wissen Sie, daß Washington die Südamerikanische Forschungsgesellschaft ebenfalls mit der Lösung des Antarktis-Projekts beauftragt hat?“ fragte Harris nach einer Weile. Stimson sah überrascht auf. „Nein, das ist mir nicht bekannt, aber ich kann es mir auch gar nicht denken.“ „Vermutlich ist es durch einen vorwitzigen Berichterstatter in die Zeitungen gelangt“, sagte Harris und warf eine Ausgabe der San Franzisco Times auf den Tisch. „Bitte, hier steht es schwarz auf weiß.“
Stimson studierte den Artikel. Er enthielt ziemlich konkrete Angaben über Tag und Stunde des Auftrags an die Konkurrenzgesellschaft. „Die Verhandlungen sollen hier in San Franzisko geführt worden sein“, stellte der Professor fest. Wer fungierte als Auftraggeber wohl?“ „Seit einer halben Stunde weiß ich sogar das ganz genau“, nickte Harris. „Senator Sanders empfing vor etwa einer Stunde den Vorsitzenden der Südamerikanischen Atomkommission, einen gewissen Professor Perez.“ „In unserem Werk?“ fragte Stimson. „Natürlich! — Wir waren doch so großzügig und stellten Sanders für seine Dienststelle unsere Büroräume zur Verfügung.“ „Senator Sanders ist von der Regierung eingesetzt worden, um uns, also der UTOCorporation, mit seinem Rat zur Seite zu stehen, damit schnelle Entschlüsse gefaßt werden können“, erwiderte Professor Stimson erregt. „Das ermächtigt ihn aber keinesfalls, sich hinter unserem Rücken mit anderen Gesellschaften in Verbindung zu setzen und auch um ihre Mitarbeit zu bitten.“ Er erhob sich. „Kommen Sie, Harris, ich will sofort mit ihm sprechen.“ Das Büro der Regierungskommission lag im zweiten Stockwerk des Verwaltungsgebäudes. Stimson und Harris fuhren mit dem Lift hinauf und wurden sofort vorgelassen. Zu ihrer Überraschung fanden sie im Arbeitszimmer des Senators einen kleinen, schwarzhaarigen Herrn vor, der sich bei ihrem Eintritt erhob. Er hatte ein breites Gesicht mit einem brutalen Kinn, und schwarze Augen sahen den Männern unter buschigen Brauen forschend entgegen. „Sie kommen wie gerufen, meine Herren“, sagte Senator Sanders. „Darf ich Ihnen Professor Perez von der Südamerikanischen Forschungsgesellschaft vorstellen!“ Der Südländer verneigte sich leicht und reichte den Ankommenden die Hand. „Um das Antarktis-Projekt möglichst schnell vorzubereiten, habe ich auch die Südamerikanische Forschungsgesellschaft mit diesem Projekt beauftragt“, fuhr Sanders fort und rieb sich die Hände. „Jeder von Ihnen kann nun das Problem auf seine Weise lösen. Es kommt hier nur auf den Erfolg an.“ Perez lächelte. breit „Meine Gesellschaft hat das Problem schon von allen Seiten betrachtet. Auch wir sind zu dem Entschluß gekommen, es durch Sonnenkraft zu lösen. Allerdings haben wir noch keinen geeigneten Weg gefunden. Wir dachten zuerst an gewaltige Atomöfen, die durch Spaltwärme das Eis zum Schmelzen bringen.“ „Bitte, meine Herren!“ Sanders hob die Schultern. „Jeder auf seine Art. Washington ist bereit, die beste Lösung mit einer Prämie von zehn Millionen Dollar zu honorieren und der betreffenden Gesellschaft den Bau der Anlagen zu übertragen.“ Professor Stimson richtete sich auf. Er sah Sanders kühl an. „Ihre Handlungsweise ist mir unverständlich. Die Lösung des Problems ist der UTO-Corporation bereits völlig klar. Eine zweite Gesellschaft mit dieser Aufgabe zu beauftragen, war durchaus unnötig.“ „Ach!“ In den Augen des Südamerikaners stand blaaker Hohn. „Sie haben das Problem bereits gelöst? — Sehr interessant! Wir haben es noch nicht gelöst, aber wir begrüßen die Einstellung Senator Sanders‘, auch andere Gesellschaften an der Aufgabe zu beteiligen. — Lassen wir es doch darauf ankommen, wer schneller ist, meine Herren!“ Er warf Sanders einen triumphierenden Blick zu. „Die Südamerikanische Forschungsgesellschaft wird sich jedenfalls die größte Mühe geben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen auch noch mitteilen, daß wir in aller Stille eine Expedition zum Mars starteten. Erinnern Sie sich der Pressemeldung über eine starke Strahlung aus dem Marsgebiet? Man hat dieses Phänomen nicht deuten können, aber ich kann Ihnen nun diese Erklärung offiziell geben. Die Strahlung erfolgte in Absprache mit Professor Sanchez, der das Raumschiff unserer Gesellschaft führte, und bedeutet, daß die Expedition ihr Ziel erreichte und ein gewisses‘ Gebiet des Mars für die Südamerikanische Union in Besitz genommen hat.“ „Ist das als offizielle Erklärung aufzufassen?“ fragte Senator Sanders überrascht. Perez nickte. „Die gleiche Erklärung gebe ich morgen an die Presse.“ „Das gibt eine Sensation“, fuhr Sanders auf. „Wenn es Sanchez gelingt, das Raumschiff zur Erde zurückzubringen, fällt ihm die Hälfte der Prämie zu, die die Regierung für eine
erfolgreiche Marsexpedition ausgesetzt hat. Auch die Raumschiffe der UTO haben den Mars erreicht, leider aber durch besondere Umstände sofort wieder verlassen müssen.“ „Sie gestatten, daß ich die Angaben von Professor Perez bezweifle“, wandte Dr. Harris ein. „Die Strahlung vom Mars, die unsere Meßappärate registrierten, war so stark, daß sie wohl kaum durch irdische Apparate ausgelöst werden konnte. Es handelt sich ohne Zweifel um eine atomare Strahlung, die vermutlich durch Geräte der Marsstadt hervorgebracht wurde.“ „Und wer sagt Ihnen, daß nicht Professor Sanchez die Stadt der Marsbewohner gefunden hat?“ fragte Perez. „Warten Sie ab! — In etwa siebzig Tagen ist die Expedition zurück. — Ich bleibe jedenfalls bei meiner Erklärung.“ Professor Stimson wandte sich an Senator Sanders. „Es ist also der Entschluß der Regierung, die Südamerikanische Forschungsgesellschaft ebenfalls mit der Durchführung des AntarktisProjektes zu beauftragen?“ Sanders nickte. „Selbstverständlich! — Natürlich lege ich Wert darauf, daß der Wettbewerb in fairer Form durchgeführt wird.“ „Wir beteiligen uns nicht an einem Wettbewerb“, antwortete Stimson jetzt scharf. „Wir führen unseren Auftrag in der vorgesehenen Form aus.“ Damit verneigte er sich und verließ mit Dr. Harris das Zimmer. Im Arbeitszimmer Professor Stimsons trafen sie Donelli an. Der Detektiv der UTO war vor einer Viertelstunde in Alamos gelandet. — „Wir haben schon auf Sie gewartet“, meinte Dr. Harris. „Was gibt es? — Haben Sie Neuigkeiten?“ „Einige Neuigkeiten“, sagte Donelli und zog an seiner Zigarre. „Bell ist in Kalkutta. Er mimt einen indischen Journalisten und nennt sich Schita. Hat sich mit einem Chinesen Hsiang Lu angefreundet und erst jetzt feststellen müssen, daß besagter Asiate im Dienst der Raijama steht.“ Er zog einen Zettel aus der Tasche, „Und das sind die neuen Geheimfrequenzen der Raijama.“ „Alle Achtung!“ Harros staunte. „Sie haben gut gearbeitet.“ „Nicht gut genug“, wehrte Donelli ab. „Bell wird bereits von der Raijama beobachtet, bisher konnte man ihn jedoch nicht überführen. Der Junge arbeitet sehr sauber.“ „Und was haben Sie noch herausbekommen?“ fragte Professor Stimson erwartungsvoll. „Wissen Sie, wie man die Srahlung vom Mars dort beurteilt hat?“ „Mitsuma und seine Leute leben“, antwortete Donelli. „Der Japaner hat mit der Strahlung Morsezeichen gegeben. Bell hörte diese Meldung auf der Geheimfrequenz.“ „Und hat man auch etwas von der Landung der Südamerikaner erfahren?“ wollte Dr. Harris wissen. „Uns wurde soeben offiziell mitgeteilt, daß ein Raumschiff der Südamerikanischen Forschungsgesellschaft auf dem Mars gelandet ist.“ „Nein, darüber ist nichts bekannt“, erwiderte Donelli. „Die Südamerikaner sollen dort gelandet sein?“ Er schüttelte langsam den Kopf. Dann stieß er eine Zeitlang dicke Rauchwolken aus seiner Zigarre. „Aber nun noch etwas anderes. Die Raijama hat von dem Antarktisprojekt erfahren. In einem Spruch, den sie mit dem afrikanischen Stützpunkt wechselte, tauchte der Name Dr. Paulsen auf. Was sie mit Paulsen vorhaben, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen.“ Dr. Harris war bei den letzten Worten aufgestanden und ging unruhig im Zimmer umher. „Wie ist denn das möglich? — Wir haben doch alles bis ins kleinste geheimgehalten. — Wie ist es möglich, daß die Raijama davon erfahren hat?“ „Das frage ich mich auch“, lachte Donelli bitter. „Wer hat außer uns von der Anwerbung Dr. Paulsens gewußt? Oder wer hat dienstlich darüber etwas in Erfahrung bringen können?“ „Nur ein ganz kleiner Kreis wußte von dieser Angelegenheit“, sagte Stimson. „Storni, Professor Heisen, Senator Sanders, Dr. Harris, Sie und ich“, erklärte er weiter. „Und natürlich die Besatzung der Funkstelle, die unser Kabel an Paulsen durchgab.“ „Und trotzdem konnte es die Raijama erfahren...“ „Mir ist das unerklärlich!“ Dr. Harris nahm kopfschüttelnd in seinem Sessel Platz.
„Es ist jedenfalls der Beweis, daß wir nach wie vor von Spionen umgeben sind“, stellte Donelli fest. „Die uns bekannten Agenten sind durch neue Leute ersetzt worden.“ „Halten Sie es für richtig, wenn wir Storm verständigen, daß sich die Raijama mit Dr. Paulsen befaßt?“ fragte Harris. „Auf jeden Fall“, nickte Donelli. „Ich würde ihn durch ein Kabel verständigen. Vielleicht hat die Raijama bereits ihre Leute dort.“ „Und Sie wollen wieder nach Kalkutta zurück?“ „In drei Stunden“, nickte Donelli. „Ich bin nur hergekommen, weil ich ein Abhören unserer Frequenz fürchte. Zudem war es zu gefährlich, die Sendeapparatur in Betrieb zu nehmen. Das Hotel, in dem Bell Wohnung genommen hat, steht bestimmt unter Kontrolle. Vielleicht hat man schon eine Peilanlage eingerichtet, um den Sender sofort auszuheben.“ „Sehr vernünftig“, lobte Stimson. „Bell soll seine Position unter allen Umständen halten. Über die weiteren Schritte der Raijama müssen wir genau unterrichtet sein. Was haben die Asiaten mit Dr. Paulsen vor?“ „Darüber werde ich Ihnen in spätestens zwei Tagen Nachricht geben können“, antwortete Donelli. „Jetzt möchte ich mich zurückziehen. Ich will noch zwei Stunden schlafen, damit ich für den Flug frisch bin.“ Der UTO-Agent wußte nicht, daß er den Asiaten sofort bei seiner Ankunft in Kalkutta in die Hände fallen würde. * Dr. Paulsens Privatlabor lag am Rande der Heide auf einer Anhöhe. Es war ein einstöckiges graues Sandsteingebäude, von einem verwilderten Garten umgeben. Von der Landstraße aus, die nach dem Heidestädtchen Bernsdorf führte, war es gut sichtbar und fiel besonders durch den hohen Turm auf, der mit ausladenden Parabol- und weitverzweigten Antennenanlagen versehen war. Wer sich bei dem Wirt des Heidegasthofes, der etwa fünfhundert Meter weiter an der Straße lag, nach dem Besitzer des grauen Sandsteingebäudes erkundigte, bekam die Auskunft, dort wohne der verrückte Paulsen, ein Gelehrter, der sich mit geheimnisvollen Erfindungen beschäftigte. Paulsen selbst hatte man schon jahrelang nicht mehr zu Gesicht bekommen. Einmal in der Woche wurden die Nahrungmittel, die ein Kaufmann aus Bernsdorf in den Heidegasthof brachte, von einem diabolisch aussehenden Mann abgeholt. Weitere Auskunft konnte der Wirt des Heidegasthofes nicht geben. Wenn er sehr gesprächig war, berichtete er noch von geheimnisvollen Lichterscheinungen, die des Nachts auf dem Turm des Hauses zu sehen waren und von den ungeheueren Blitzen, die bed Bildung eines Unwetters stets in der Nähe des Hauses niedergingen. Aber es interessierten sich eigentlich recht wenig Menschen für das graue Haus in der Heide. Nach Wochen war an diesem Tage zum erstenmal wieder Post gekommen, erzählte der Briefträger, der nach Abschluß seines Rundganges im Heidegasthof sein Gläschen trank. Es sei ein Kabel aus Amerika gewesen, wußte er dem staunenden Wirt zu berichten: Paulsen müsse dort ein sehr bekannter Mann sein, denn man habe ihm die Mitarbeit in einem amerikanischen Forschungsinstitut angeboten und zwei Herren angekündigt, die ihn besuchen würden. Diese Mitteilung hatte der neugierige Wirt des Gasthofes aber erst erfahren können, nachdem er dem Briefträger mehrere Gläschen spendierte. Der alte Garsten wurde dann immer sehr redselig und nahm es mit dem Postgeheimnis nicht mehr so genau, besonders, wenn es sich um eine ausgesprochene Sensation handelte. Und der verrückte Paulsen war die Sensation von Bernsdorf und Umgebung. Tagtäglich wartete nun der Wirt auf das Erscheinen der beiden angekündigten Amerikaner, die doch sicher in seinem Gasthof absteigen würden.
Da, an einem regnerischen Novemberabend, hielt vor dem Gasthof ein schwerer Atomwagen. Es war eines jener sonderbaren Gefährte, die wie große Heuschrecken aussahen. Wenn auf der breiten Autostraße eine gewisse Geschwindigkeit erreicht wurde, klappten automatisch zwei Flügelstumpen rechts und links vom Verdeck des Wagens vor, der sich daraufhin vom Boden löste und zu schweben begann. Ebenso legten sich die Flügelstumpen wieder auf dem Dach des Wagens zusammen, wenn sich die Schnelligkeit verringerte. Die beiden Fremden, es waren Asiaten, mieteten zwei Zimmer und belegten die Garage für ihren Wagen. Gleich am Spätnachmittag beobachtete der Wirt, wie sie den Pfad zum Hause Dr. Paulsens einschlugen. Waren diese Männer die erwarteten Gäste aus Amerika? Im Gästebuch hatten sie sich als Dr. Sinuchi und Dr. Kazime eintragen lassen. Briefträger Garsten, der gerade seinen Rundgang beendet hatte, traf sie auf dem Weg. Die Männer erkundigten sich bei ihm noch einmal nach dem Haus. Garsten, den die Neugier plagte und der sich von der Auskunft, die er dem Wirt später geben konnte, einige Gläschen versprach, erbot sich sofort, sie zu begleiten. Dr. Sinuchi und Dr. Kazime waren im Auftrag der Raijama nach Deutschland gekommen. Sie hatten den Befehl erhalten, Dr. Paulsen als Mitarbeiter für die Raijama zu gewinnen. Da die UTO, wie man bereits erfahren hatte, das gleiche Ziel verfolgte, mußte man schneller sein. So waren sie mit einem Heliokreuzer gestartet, hatten in Hamburg auf dem Flughafen ihren Atomwagen ausgeladen und sofort die Fahrt nach Bernsdorf fortgesetzt. Sie hatten sichere Informationen aus Alamos. Ihr Interesse galt einzig und allein dem All-Spiegel, den Dr. Paulsen vor Jahren entwickelt hatte. Während sie über den schmalen Pfad schritten, unterhielten sie sich leise in japanischer Sprache. Vor dem Portal des Hauses verabschiedeten sie Garsten und gaben ihm ein Trinkgeld. Der Alte machte sich daraufhin schleunigst auf den Weg zum Gasthof, um dem Wirt sein Erlebnis zu berichten. Dort waren inzwischen zwei weitere Fremde eingetroffen; Storm und Professor Heisen, die vor einer Viertelstunde mit einem Hubschrauber in Bernsdorf gelandet waren. Beide saßen hinter einer Portion Schinken mit Ei, um sich für den Besuch bei Dr. Paulsen zu stärken. „Er ist ein komischer Kauz“, sagte Professor Heisen, der Paulsen aus der Studienzeit kannte und ihn auch der UTO empfohlen hatte. „Damit müssen Sie sich abfinden. Wir werden es bestimmt nicht leicht haben. Er lebt in einer ganz anderen Welt.“ Storm, der noch keine Ahnung hatte, daß in diesem Augenblick die Raijama bereits am Zuge war, nickte gedankenvoll. „Wir brauchen den All-Spiegel. Ich verstehe zwar nicht viel von der Technik, aber für mich“ ist er die einzige Möglichkeit, die gewaltigen Eismassen zum Schmelzen zu bringen. Das Antarktis-Projekt ist von der Regierung als vordringlich bezeichnet worden. Wollen wir hoffen, daß es uns gelingt, Dr. Paulsen von der Notwendigkeit seiner Mitarbeit zu überzeugen.“ „Ich werde mein möglichstes tun“, erwiderte Heisen. „Er wird sich meiner bestimmt noch erinnern.“ Der Professor warf einen Blick durch den gemütlichen Gastraum. „Ich glaube, wir mieten uns hier ein. Dann sind wir gleich in der Nähe und brauchen nicht nach Bernsdorf zurück.“ Storni war damit einverstanden. Als er aber etwas später zwei Zimmer bestellen wollte, hob der Wirt die Schultern. „Leider, nur noch ein Doppelzimmer, meine Herren.“ Und bedeutungsvoll fügte er hinzu: „Bei mir pflegen stets die Gäste von Dr. Paulsen abzusteigen. Diesmal sind es zwei Chinesen oder Japaner, die meine besten Zimmer gemietet haben.“ Storm hob überrascht den Kopf. „Was?“ Sein Blick glitt zu Professor Heisen, und beide dachten sofort an das Kabel, das ihnen bei ihrer Ankunft auf dem Hamburger Flughafen ausgehändigt worden war. In ihm wurde mitgeteilt, auch die Raijama würde sich voraussichtlich mit Paulsen in Verbindung setzen oder ihn sogar mit Gewalt in ihre Dienste zwingen.
„Ist etwas nicht in Ordnung, meine Herren?“ fragte der Wirt unruhig und starrte von einem zum anderen. „Doch, es ist alles in Ordnung“, sagte Storm. „Wir nehmen auch das Doppelzimmer.“ „Dr. Kazime und Dr. Sinuchi“, las Heisen halblaut vor sich hin, als man ihm das Gästebuch zur Eintragung reichte. Er wandte sich an Storm. „Haben Sie diese beiden Namen schon gehört?“ „Bestimmt die Raijama“, nickte Storm. „Wenn ich mich nicht irre, sind diese Namen bei irgendeiner Gelegenheit schon genannt worden. Sie kommen mir auf jeden Fall bekannt vor.“ Er überlegte einen Augenblick und nahm Heisen das Gästebuch aus der Hand. „Hören Sie zu“, wandte er sich an den Wirt. „Aus bestimmten Gründen darf niemand erfahren, daß wir bei Ihnen Wohnung genommen haben, und deshalb tragen wir uns auch nicht in das Gästebuch ein.“ Er warf einen Fünfzigdollarschein auf den Tisch. „Das ist für das Zimmer und dafür, daß Sie Vertrauen zu uns haben. Sie können Dr. Paulsen einen großen Dienst erweisen.“ „Dr. Paulsen? — Dorthin sind die beiden Fremden“, sagte der Wirt und winkte Garsten herbei. „Du kommst doch von dort, nicht wahr?“ Der Briefträger bestätigte es. „Ich habe säe geführt. Vor etwa einer halben Stunde.“ Storm biß sich auf die Lippen. „Sie bleiben am besten hier“, sagte er zu Heisen. „Gehen Sie auf unser Zimmer, und warten Sie dort, bis ich zurückkomme. Am Tage werden sie wohl kaum einen Anschlag auf Paulsen wagen.“ „Sie müssen hierher zurückkommen“, bestätigte der Wirt. „Ihr Wagen steht in der Garage. Ich meine...“ Er druckste. „Sie werden mich recht verstehen, meine Herren, aber — können Sie mir Ihre Ausweise zeigen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe?“ „Die deutsche Gründlichkeit“, lächelte Heisen und kam dem Wunsch nach. Auch Storm zeigte den Ausweis des Kriminal-Departements. Der Wirt war nun zufrieden und erklärte, er wolle sich ganz nach ihren Anweisungen richten. „Und ich kann Sie führen“, erbot sich Garsten und legte seine Posttasche ab. Storm nahm das Angebot des Alten dankend an. Falls etwas Besonderes eintreten würde, konnte er den Mann zum Gasthof zurückschicken. „Sie bleiben auf jeden Fall auf Ihrem Zimmer“, schärfte er Heisen ein. „Sie wissen, wie die Raijama arbeitet. Es hat keinen Sinn, sich unnötigen Gefahren auszusetzen.“ Kurze Zeit später wanderte Storni in Begleitung Carstens dem Hause zu. Sie hatten den schmalen Pfad zur Hälfte hinter sich, da hielt der Alte an. „Wenn Sie vom Haus aus nicht gesehen werden wollen, dann können Sie hier abbiegen“, sagte er und deutete auf eine Abzweigung. „Wir kommen dann hinter dem Haus an der Gartenmauer raus.“ Storni schlug diesen Weg ein. Der Pfad war durch Buschwerk verdeckt und völlig überwuchert. Seit Jahren mußte er nicht begangen worden sein. „Ich habe den beiden Chinamännern gleich nicht getraut“, meinte Garsten bedächtig. Bald tauchte eine etwa zwei Meter hohe Mauer zwischen den Büschen auf. Garsten steuerte direkt darauf zu. „Wenn Sie hier ‚rüberklettern, kann Sie niemand sehen“, erklärte er. „Vom Haus aus jedenfalls nicht, oder er müßte schon aus dem Fenster sehen. Aber das kommt nie vor.“ „Haben Sie genau darauf geachtet, daß niemand das Haus verlassen hat?“ fragte Storm, der die Mauer in Augenschein nahm. „Ich habe genau aufgepaßt, denn man kann den Pfad durch die Büsche sehen. Außerdem hätte ich es gehört.“ Storni überlegte. Dann waren die Gelben also noch im Haus. Er mußte handeln, um sich ein Bild machen zu können. Den Gelben war alles zuzutrauen. Nach einer Absage des Professors würden sie bestimmt versuchen, auf eine andere Weise zu ihrem Ziel zu gelangen. Hinter ihnen stand ja der Befehl. Nach diesen Überlegungen zögerte Storm nicht mehr lange. Er schickte den Alten auf den
Hauptweg zurück und trug ihm auf, darauf zu achten, zu welchem Zeitpunkt die Asiaten das Haus verließen. Dann schwang er sich über die Mauer und stand kurze Zeit später in einem völlig verwilderten Garten. Langsam wurde es dunkel, und ein scharfer Wind kam auf. Im Haus, das keine zehn Meter vor ihm lag, war noch kein Lichtschein zu sehen. Storm tastete nach seiner Taschenlampe und seiner Pistole. Beide waren an ihrem Platz. Zehn Minuten wollte er noch warten. Hatten die Asiaten in dieser Zeit das Haus nicht verlassen, dann mußte er etwas unternehmen. Dr. Paulsen war ein kleines Männchen mit einem schmalen Gelehrtengesicht, weißem Haar und einem buschigen Schnauzbart. Er hatte helle, durchdringende Augen, die seine Besucher im Augenblick etwas mißtrauisch musterten. In der großen Halle des Hauses saß er den beiden Asiaten gegenüber. „Sie kommen also im Auftrag der Regierung des Asiatischen Staatenblocks“, sagte Paulsen langsam. „Ja“, nickte Dr. Sinuchi. „Die Raijamia ist die größte Forschungsgesellschaft Asiens und beschäftigt sich mit Projekten, die der Landgewinnung dienen. Wir haben vor, die ungeheuren Erz- und Kohlenlager der Antarktis auszubeuten.“ „Und dabei soll ich Ihnen helfen?“ Dr. Paulsen tauschte einen unmerklichen Blick mit einem schlanken Herrn in einem schwarzen Seidenanzug. „Und wie stellen Sie sich das vor?“ „Die Raijama bietet Ihnen einen guten Vertrag, modern eingerichtete Laboratorien und staatliche Unterstützung.“ „Nun, was halten Sie davon, Badoli?“ wandte sich Paulsen jetzt direkt an den Mann im schwarzen Seidenanzug. Badoli war ein italienischer Forscher, der schon seit Jahren im Dienst Dr. Paulsens stand. Er hatte ein asketisches, bleiches Gesicht. Sein Haar war kurzgeschoren und bedeckte seinen wohlgeformten Schädel wie eine Haube. Spitz in die Stirn gewachsen und mit ausladenden Winkeln, gab es seinem Gesicht eine ausgesprochen diabolische Note. Badoli hatte tiefdunkle Augen. Während der Unterhaltung hatte er unbeweglich in seinem Sessel gesessen. Auf die Frage Dr. Paulsens hob er den Kopf und entblößte eine Reihe perlenartiger Zähne. Dieses Lächeln verstärkte den Eindruck des Diabolischen noch mehr. Die beiden Asiaten, die den Italiener bereits bei ihrer Ankunft mißtrauisch gemustert hatten, fühlten sich unter den forschenden Blicken nicht sehr wohl. „Herr Badoli ist mein Assistent“, erklärte Paulsen. „Wir arbeiten schon seit vielen Jahren zusammen, und er ist über alles unterrichtet.“ Badoli richtete sich langsam in seinem Sessel auf. „Ich würde das Angebot der Herren ablehnen“, sagte er. „Das Projekt des All-Spiegels soll zu militärischen Zwecken mißbraucht werden. Es ist nicht in Ihrem Interesse, die Erfindung einem derartigen Zweck zuzuführen.“ Die Asiaten waren vollkommen verblüfft. Sie hatten noch kein Wort geäußert, daß man hauptsächlich an dem All-Spiegel interessiert sei. Woher wußte dieser seltsame Mensch von ihrem Vorhaben? „Sie irren, Herr Badoli“, nahm nun Dr. Kazime das Wort. „Welches Projekt unsere Auftraggeber interessiert, darüber sind wir nicht unterrichtet. Wir haben lediglich...“ „Ihre Auftraggeber sind ausschließlich an dem All-Spiegel interessiert“, fiel ihm der Italiener ins Wort. „Sie haben sogar den Auftrag, Dr. Paulsen unter allen Umständen, sogar mit Gewalt, der Raijama zuzuführen.“ „Ich danke Ihnen, Badoli“, lächelte Dr. Paulsen. „Das ist sehr interessant. Sicher wundern Sie sich über die präzise Auslegung Ihres Auftrages, meine Herren. Durch besondere Umstände ist Herr Badoli nämlich in der Lage, Einblick in Ihre Gedanken zu nehmen,“ Er erhob sich. „Falls Ihre Regierung den All-Spiegel bauen will, kann ich Sie nur darauf aufmerksam machen, daß das Projekt zum Scheitern verurteilt ist. Nur ganz genaue Berechnungen führen hier zum Erfolg. Eine besondere Formel ist notwendig.“ „Sie lehnen also das Angebot der Raijama ab?“ fragte Dr. Kazime. „Selbstverständlich“, antwortete Dr. Paulsen. „Begleiten Sie die Herren bitte hinaus, Badoli!“
Die beiden Asiaten verneigten sich und verließen wenige Minuten später das Haus. Als Badoli zurückkam, schob er am Schreibtisch in der Halle eine Verzierung beiseite. Sogleich rollte die Platte zurück, und ein Bildschirm wurde sichtbar. Obgleich es draußen bereits dunkel war, konnte man auf ihm den Weg der Asiaten verfolgen. Eilig strebten sie über den Pfad der Landstraße zu. „Sie kommen wieder“, sagte Badoli leise. Dann schaltete er einen Hebel, und auf dem Schirm wechselte das Bild. „Das ist der Amerikaner, von dessen Ankunft ich Ihnen erzählte.“ Auf dem Schirm erschien Storm. Er ging durch den Garten und sah zu den Fenstern des Hauses hinauf. Dann mußte er die Japaner bemerkt haben, eilte um das Haus herum und war verschwunden. Wieder brachte Badoli den Hebel in eine andere Stellung. Nun sah man Storni, wie er über den Pfad der Landstraße zustrebte. „Vermutlich holt er nun Professor Heisen, und wir können uns auf ihren Besuch gefaßt machen“, lächelte Paulsen. „Die Asiaten stehen also bereits unter ihrer Beobachtung.“ Es kam so, wie es Dr. Paulsen vorausgesagt hatte. Eine halbe Stunde später trafen Heisen und Storm ein. Paulsen war hocherfreut, seinen ehemaligen Studienkollegen wiederzusehen. Er führte die Gäste in sein Arbeitszimmer, wo bereits eine festliche Tafel gedeckt war. Heisen und Storm waren nicht wenig überrascht. „Wußtest du, daß wir heute kamen?“ fragte Heisen erstaunt. „Natürlich“, nickte Dr. Paulsen und deutete auf den Italiener. „Herr Badoli ist über alles unterrichtet. Er ist ein Techniker von Format, von dem sogar ihr Amerikaner noch etwas lernen könnt. Du darfst später mal seine Geräte in Augenschein nehmen. Er befaßt sich hauptsächlich mit Schallwellen.“ „Aber dieses Kapitel hat unsere Technik doch bereits abgeschlossen“, meinte Heisen. „Oder sollte Herr Badoli etwas ganz Besonderes entdeckt haben?“ Dr. Paulsen lachte. „Du wirst dich wundern! Oder seid ihr etwa auch in der Lage, Schallwellen über größere Entfernungen ohne Mikrophon hörbar zu machen?“ „Das ist nicht mein Gebiet“, erwiderte Heisen. „Es würde mich aber trotzdem interessieren.“ Storm konnte es kaum erwarten, das Gespräch auf die Asiaten zu bringen. Als man später in der Bibliothek bei einem Glas Portwein saß, war es endlich so weit. „Sie kamen im Auftrag der Raijama“, erklärte Paulsen. „Sie interessierten sich für das Projekt meines All-Spiegels, das ich aus Sicherheitsgründen längst begraben habe. Ich werde den Spiegel niemals bauen, denn ich hatte bei diesem Projekt nicht in Betracht gezogen, daß man ihn für militärische Zwecke einsetzen könnte.“ Badoli, der schweigend in einem Sessel saß, beugte sich vor. „Und die Raijama will ihn ausschließlich für diesen Zweck bauen.“ Professor Heisen sah überrascht auf. „Für militärische Zwecke? — Auf diesen Gedanken sind wir noch gar nicht gekommen. Jetzt verstehe ich auch das Interesse der Raijama.“ Er berichtete von dem Kabel, das sie bei ihrer Ankunft in Hamburg vorgefunden hatten. Dann wandte er sich an Paulsen. „Weißt du, Henry, warum man mich über den großen Teich schickte?“ „Nun?“ lächelte Paulsen. „Ich biete dir ein äußerst interessantes Betätigungsfeld bei der UTO-Corporation an. Wir haben von der Regierung den Auftrag, gewisse Gebiete der Antarktis eisfrei zu machen, um die Bodenschätze zu bergen.“ Heisen sah seinen ehemaligen Studienkollegen erwartungsvoll an. „Da erinnerte ich mich an deinen All-Spiegel, der für diesen Zweck das brauchbarste Instrument ist.“ „Das ist er auf jeden Fall“, fiel ihm Paulsen ins Wort. „Also auch der All-Spiegel! — Das Interesse der Raijama hat mir gezeigt, daß es ein Verbrechen ist, ein derartiges Instrument zu bauen. Die Menschen werden es als Waffe gegen ihre Mitmenschen mißbrauchen, in der
gleichen Weise, wie sie auch ihr Wissen um die Atomkraft mißbraucht haben.“ Jetzt schaltete sich Storm ein. „Wie Sie wissen, ist der Raijama die Idee Ihres All-Spiegels bereits bekannt. Glauben Sie wirklich, sie würden sich durch Ihre Weigerung davon abhalten lassen, das Projekt nicht durch ihre Techniker zu verwirklichen? Sie haben gute Ingenieure, darauf können Sie sich verlassen. Es handelt sich jetzt nur noch darum, wer schneller ist.“ „Sie werden es nicht schaffen“, sagte Paulsen nachdenklich. „Und wenn sie es schaffen?“ Storm sah ihn forschend an. „Ich kenne sie! — Bei der Raijama wird befohlen, und Hunderte von Ingenieuren machen sich an die Arbeit. Der All-Spiegel in der Hand der gelben Diktatoren dürfte den Untergang der westlichen Welt besiegeln. Ist er jedoch in unserer Hand, so garantiert Ihnen die amerikanische Regierung, das Gerät nur für den von ihr bestimmten Zweck einzusetzen.“ Er machte eine Pause, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. Dr. Paulsen war sehr nachdenklich geworden. „Und was wird die amerikanische Regierung tun, wenn ich eine Mitarbeit ablehne?“ „Darauf kann ich Ihnen schon jetzt eine ganz klare Antwort geben“, erwiderte Storm. „Sie wird versuchen, den Spiegel ohne Ihre Hilfe zu bauen, denn es gibt keinen anderen Weg, um den Bestand der westlichen Welt zu sichern. In unserem Zeitalter entscheidet nur noch die technische Überlegenheit, die sich von heute auf morgen zugunsten der Gelben verlagern kann, wenn ihnen die Verwirklichung des Projektes glückt. Denn dann werden die gelben Diktatoren das Signal zum Angriff geben.“ „Ich stimme mit den Ansichten Mr. Storms vollkommen überein, Henry“, wandte sich Professor Heisen an Paulsen. „Ich möchte dich dringend bitten, deinen Entschluß reiflich zu erwägen. — Wenn du Deutschland nicht gerne verlassen willst, übergib mir die Pläne zu treuen Händen. Du weißt, du kannst dich auf mich verlassen.“ Über dem Schreibtisch flammte plötzlich ein rotes Lämpchen auf. Sofort erhob sich Badoli. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte Storm. „Wir bekommen Besuch“, antwortete der Italiener. „Es nähert sich jemand dem Haus.“ Er warf einen Blick auf die Uhr. „Da es sich nicht gerade um die Besuchsstunde handelt, könnte man annehmen...“ „Die Asiaten?“ fragte Paulsen Badoli hob die Schultern. „Das werden wir gleich feststellen.“ „Ich habe mit dem Besuch gerechnet“, erklärte Dr. Paulsen. „Kommen Sie, meine Herren! — Badoll Kann Ihnen jetzt den Einsatz seiner Geräte vorführen. Die Gelben werden sich wundern, wenn sie ins Haus gelangen und wir plötzlich vor ihnen stehen.“ Sie verließen das Zimmer und betraten einen Raum, der mit technischen Apparaturen überfüllt war. Ein großer Bildschirm bedeckte eine ganze Wand des Raumes. Erwartungsvoll traten Storm und Professor Heisen näher. Auch hier strahlte eine rote Lampe über dem Bildschirm. Der Italiener trat an eine Schalttafel und zog einen Hebel herab. Sofort begann der Schirm zu strahlen. Vollkommen klar und hell erschien die Umgebung des Hauses auf dem Bildschirm. Vermutlich arbeitete man mit Infra-Strahlern, denn draußen herrschte tiefste Finsternis. Badoli schaltete weiter. In einem kleinen Lautsprecher über dem Bildschirm wurde ein klapperndes Geräusch hörbar, dann erschien auf der Wand das Innere eines kellerartigen Raumes mit einer Tür. „Es macht sich jemand an der Tür zu schaffen“, sagte Storm in die Stille. „Haben Sie dort ein Mikrophon hängen?“ Badolis Augen glänzten. „Nein, eben nicht! — Die Fernsehaufnahme-Apparatur ist mit einer Anlage gekoppelt, die einfache Schallwellen aus einer Entfernung bis zu fünf Kilometer verstärkt und hörbar macht, ohne daß dazu ein Mikrophon erforderlich ist. Und zwar werden die Schallwellen stets aus der Richtung hörbar, die der Bildschirm anzeigt. Die AufnahmeApparatur dient gleichzeitig als Richtstrahl-Antenne, die einen regulierbaren Energie-Strahl aussendet. Auf diesen treffen die einfachen Schallwellen und pflanzen sich an ihm bis in die
Aufnahme-Apparatur fort, wo sie verstärkt im Lautsprecher hörbar werden.“ Professor Heisen warf Paulsen einen Blick zu, kam aber nicht mehr zu einer Entgegnung, denn auf dem Bildschirm war im gleichen Augenblick eine Veränderung eingetreten. Die Tür hatte sich geöffnet, was der Lautsprecher akustisch untermalte. Zwei Männer in dunklen Overalls erschienen. Sie hielten Stablampen in den Händen und ließen die Lichtkegel durch den Raum wandern. Zur Überraschung aller waren es aber nicht die Asiaten, die man erwartet hatte, sondern zwei Männer, die auch Storni und Heisen völlig unbekannt waren. Bald darauf tönten flüsternde Stimmen aus dem Lautsprecher. Badoli drehte einen Knopf an der Schalttafel und sofort wurden die Stimmen lauter. Die Männer sprachen englisch. Storm und Heisen sahen sich an. „Es scheinen sich noch mehr Leute ganz plötzlich für mich zu interessieren“, lächelte Dr. Paulsen. „Du mußt eine gute Reklame in den Staaten gemacht haben.“ Jetzt hörte man ganz deutlich die Stimmen der beiden Männer aus dem Lautsprecher. „Wir müssen in den unteren Korridor gelangen“, sagte einer der Männer. „Die dritte Tür rechts soll das Archiv sein. Der Plan liegt im ersten Panzerschrank.“ „Das stimmt“, sagte Paulsen völlig überrascht, „Wissen Sie, um was es sich auch hier handelt? Um den All-Spiegel!“ „Dann sind die beiden gekauft“, meinte Storm ärgerlich. Paulsen überlegte. „Halt! — Ich weiß Bescheid!“ Er wandte sich an Badoli, der die Männer auf dem Bildschirm nicht aus den Augen ließ. „Erinnern Sie sich an den Ausländer, der vor einigen Tagen um eine Unterredung bat? Seit dieser Zeit vermisse ich die Liste, in der die Pläne über meine abgeschlossenen Arbeiten verzeichnet waren. Der Mann kam angeblich vom internationalen Patentamt und erkundigte sich über verschiedene Arbeiten. Um ihm genaue Auskunft zu geben, nahm ich die Liste zur Hand. Nachdem er sich verabschiedete, vermißte ich bereits die Aufstellung, glaubte aber, sie selbst verlegt zu haben.“ Das Bild auf dem Schirm wechselte. Die Männer hatten eine weitere Tür geöffnet und gingen vorsichtig eine Treppe hinauf. Wieder schaltete Badoli. Ein langer Korridor kam ins Bild, an dessen Ende die beiden Männer sichtbar wurden. Vor der dritten Tür blieben sie stehen. Schlüssel klirrten. Sie versuchten die Tür zu öffnen. „Wollen Sie nicht einschreiten?“ fragte Storm unruhig. Paulsen lächelte. „Der Panzerschrank ist nur durch ein besonderes Kennwort zu öffnen. Lassen Sie nur! Es amüsiert mich, ihnen zuzuschauen. Sie werden ihn nicht öffnen können.“ Mit verhaltener Bewegung beobachteten die Männer, wie die beiden Eindringlinge die Tür öffneten und das Archiv betraten. Sie wandten sich sofort dem ersten Schrank zu und begannen das Schloß zu untersuchen. „Jetzt wird es aber Zeit“, mahnte Storm. „Ich möchte fast glauben, daß ihnen das Kennwort bekannt ist. Das alles geht so zielbewußt vor sich. Kommen Sie! Wir müssen jetzt eingreifen. Zudem interessiert es mich, wer sie ausgeschickt hat.“ „Bleib hier“, meinte Paulsen zu Professor Heisen. „Haben Sie eine Pistole, Mr. Storm?“ Storm nickte und zog seinen Browning aus der Tasche. Während Heisen und Badoli zurückblieben, verließen Storm und Paulsen das Zimmer. Über die teppichbelegte Treppe, die ihre Schritte dämpfte, gelangten sie in den unteren Korridor. Sie hatten die Tür zum Archiv noch nicht erreicht, da erklang hinter dieser Tür eine schwäche Detonation, gleichzeitig wurde die Tür vorsichtig geöffnet, und der Kopf eines Mannes erschien. Blitzschnell verschwand er aber wieder, und bevor Storm seine Pistole hochreißen konnte, zersplitterte eine gläserne Kapsel vor seinen Füßen. Im Nu stiegen dichte Dampfwolken hoch und hüllten alles ein. Storni sah, wie Paulsen in die Knie brach, aber dann begann sich plötzlich alles vor ihm zu drehen. Er tat noch einige taumelnde Schritte in Richtung der Tür und schlug schwer zu Boden. Das laute Rufen Professor Heisens, der auf dem oberen Treppenpodest erschien, drang noch
an sein Ohr, dann legte sich schwarze Nacht um ihn. Storm erwachte auf einer Couch. Er sah die besorgten Gesichter von Professor Heisen, Dr. Paulsen und Badoli über sich gebeugt. Neben ihm saß ein weißhaariger älterer Herr, der eine Injektionsspritze in der Hand hielt. Langsam erinnerte sich Storm an das Vorgefallene. Er fuhr erschrocken hoch, doch der weißhaarige Herr drückte ihn sanft zurück. „Atmen Sie tief!“ befahl er. „Sie haben eine gehörige Portion von diesem Zeug in die Lungen bekommen. — Ich bin Dr. Wilhelm aus Bernsdorf.“ Im Hintergrund sah Storm mehrere Polizeibeamte und einige Zivilisten. „Die Japaner sind vor einer Stunde abgereist“, sagte einer der Zivilisten und trat auf Dr. Paulsen zu. „Sie können also als Täter gar nicht in Betracht kommen. Ihr Wagen wurde von einer Polizeistreife gesehen, als er Bernsdorf passierte.“ „Und was haben Sie veranlaßt?“ fragte Paulsen. „Sämtliche Flugplätze werden überwacht und die Häfen kontrolliert“, erwidere der Kriminalbeamte. „Außerdem ist die Interpol verständigt, die die Überwachung der Häfen und Flugplätze über den ganzen Kontinent ausdehnt. Mehr können wir im Augenblick nicht tun. Nicht die geringste Spur ist aufzufinden. Wir nehmen an, daß die Täter einen Hubschrauber benutzten und auf diese Weise spurlos verschwinden konnten.“ Jetzt richtete sich Storm auf. „Wir sind zu spät gekommen, nicht wahr?“ Dr. Paulsen hob die Schultern. „Wer hätte das gedacht? Ich war zu sicher. Sie haben die Tür des Panzerschrankes mit einer Schweißpatrone in wenigen Sekunden geöffnet. Heisen und Badoli erlebten das alles auf dem Bildschirm mit. Als sie uns zu Hilfe eilen wollten, war der ganze Korridor voller Gas. In dieser Zeit haben sie in aller Ruhe den Schrank durchsucht und die...“ „... Pläne gefunden?“ fragte Storm erregt. Paulsen nickte. „Aber ich glaube kaum, daß es Angehörige der Raijama waren. Es handelt sich auf jeden Fall um Amerikaner...“ „... die für die Raijama arbeiten“, fiel Storm ein. „Der Sache werde ich auf den Grund gehen. Bell wird inzwischen mit Donelli Verbindung aufgenommen haben, so daß wir sehr schnell feststellen können, ob die Pläne im Besitz der Raijama sind.“ Er wandte sich an den deutschen Arzt. „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Doktor. Aber Sie lassen mich jetzt aufstehen, nicht wahr?“ „Dr. Paulsen hat nicht so viel abbekommen wie Sie“, meinte der Arzt. „Aber wenn Sie glauben — bitte!“ „Ich kann mir nicht verzeihen, daß sie entweichen konnten“, ärgerte sich jetzt Storm, als man eine halbe Stunde später wieder im Arbeitszimmer Paulsens Platz genommen hatte. „Da fahre ich nun als Vertreter der Regierung in einer äußerst wichtigen Angelegenheit hierher und erlebe eine ausgesprochene Pleite. Was soll ich in Washington berichten und Senator Sanders melden? — Und ich muß die Sache melden!“ Er ging erregt im Zimmer auf und ab. „Die Sicherheit der Burschen war zu groß. Das hätte mir zu denken geben sollen. Aber ich werde ihnen auf die Spur kommen, darauf können Sie sich verlassen.“ Badoli saß mit unbeweglichem Gesicht in seinem Sessel. Storm hatte ihn von Anfang an nicht leiden können. Der Kerl war ihm unheimlich; er erinnerte ihn zu sehr an Mephisto. Dazu gab er sich noch mit ganz ausgefallenen Dingen ab. Er sah aus, als trüge er noch ganz andere Pläne mit sich herum. Paulsen nahm alles nicht so tragisch. Er füllte die Gläser und tat, als sei nichts geschehen. „Sie müssen ihn erst einmal bauen“, sagte er. „Dazu gehört Mut, denn so einfach ist die Sache nicht. Außerdem ist die Konstruktion veraltet, denn ich würde niemals ein Stahlnetz mit Facette-Spiegeln bauen, so wie es vorgesehen war. Ich wollte nicht in der Beobachtungskugel sitzen, wenn ich nicht jeden Handgriff der Arbeiter vorher kontrolliert hätte. Wird sich das riesige Netz überhaupt durch die Fliehkraft spannen? Diese Bedenken sind mir erst im letzten Jahr gekommen, und aus diesem Grunde würde ich den Spiegel heute in einer anderen Form
bauen. Nur ein kleiner Berechnungsfehler, und das Ding wird auf Nimmerwiedersehn im All verschwinden, denn in dieser Beziehung sind keine Sicherheitsvorrichtungen vorgesehen.“ Storm mußte immer wieder Badoli ansehen. Dieser lächelte, wie es schien, stillvergnügt vor sich hin, was in Storni einen stillen Ärger auslöste. „Herr Badoli macht den Eindruck, als erheitere ihn dieser Vorgang“, bemerkte er endlich bissig. „Im gewissen Sinne schon“, grinste der Italiener und meinte dann: „Ich habe das Gefühl, Sie können mich nicht leiden, Mr. Storm. Es gibt viele Menschen, die mein Aussehen stört, deshalb hatte ich es im Leben oft sehr schwer. Die Pläne des All-Spiegels sind in meinem Besitz“, sagte er ruhig. „Die Pläne, die geraubt worden sind, waren nur unvollständig und enthielten Berechnungsfehler, die wir erst später herausfanden. Es handelt sich bei diesen Plänen um eine Erstausfertigung.“ Er machte eine Pause und blinzelte Storm zu. „Und nun will ich Ihnen auch erklären, warum ich die Originale an mich nahm und sie gegen die Erstausfertigung vertauschte“, fuhr er fort. „Ich belauschte das Gespräch der Asiaten, als säe auf dem Weg zu uns waren. Mir kam sofort der Gedanke, man könnte sich mit Gewalt in den Besitz der Pläne bringen oder uns mit Waffengewalt zur Herausgabe zwingen. Dr. Paulsen hätte in diesem Fall die Papiere ohne Zweifel ausgehändigt, um Komplikationen zu vermeiden.“ „Sie werden lachen, Badoli“, nickte Dr. Paulsen, „Ich habe das alles bereits geahnt, als Sie so ruhig blieben. Meinen Dank für Ihre Vorsorge. Die Ingenieure werden ihre helle Freude an den Plänen haben; sie merken es nur zu spät. Das Ding wird nicht mal eine Umdrehung machen, denn das Netz ist um viele hundert Tonnen zu schwer.“ „Aber auch diese Pläne werden ihnen Hinweise geben, wie der Bau des All-Spiegels in der Grundform angelegt ist“, wandte Professor Heisen ein. „Gute Ingenieure prüfen die Berechnungen nach und könnten somit auf die Fehler stoßen.“ „Möglich“, erwiderte Dr. Paulsen. „Aber das ist jetzt vollkommen Nebensache.“ Er hob sein Glas. „Trinken wir auf die Verwirklichung des größten Projektes unseres Zeitalters: auf den All-Spiegel! — Ich habe mich nämlich entschlossen, das Angebot der UTO-ForschungsCorporation anzunehmen und den Spiegel zu bauen.“ * Mitten im afrikanischen Urwald befand sich der Stützpunkt der Raijama. Es war eine gewaltige Lichtung mit betonierten Landebahnen und zahllosen modern eingerichteten Bungalows. Ein kleines Atom-Kraftwerk, der einzige Betonbau, lieferte Energie und durch atomare Umwandlung Frischwasser. Durch trichterförmige Ventilationsschächte, die sich in einer Höhe von etwa zwanzig Meter über dem Erdboden erhoben, wurde die Hitze der afrikanischen Wildnis in ein erträgliches Klima verwandelt. Kaltluft strömte aus diesen Schächten. Durch sie wurde den sengenden Sonnenstrahlen die Hitze genommen und die erwärmte Kaltluft durch den Druck des Sonnenlichtes zu Boden gepreßt und über den Stützpunkt konzentriert. Unabhängig von der Kraftanlage des Atomwerkes war die Funk- und Sendeanlage, die durch die komplizierte Apparatur eines Silizium-Spiegels das Sonnenlicht in Energie umwandelte. In einem der modern eingerichteten Bungalows saß Nam Yen hinter seinem Schreibtisch. Auf dem großen Bildschirm, an der gegenüberliegenden Wand, war der Papierstreifen eines drahtlosen Fernschreibers zu sehen, der im gleichen Augenblick in der Nachrichtenzentrale des Stützpunktes aus dem Apparat lief. Er brachte die Meldungen der europäischen Abteilung der Raijama, die in Paris stationiert war. Gleichmütig überflog Nam Yen die Meldungen auf dem Papierstreifen, der langsam über den Bildschirm zog. Der Japaner befand sich in einer gereizten Stimmung, denn ein Kabel auf seinem Schreibtisch hatte ihm soeben von den erfolglosen Bemühungen seiner Unterhändler bei Dr. Paulsen berichtet. Dr. Sinuchi und Dr. Kazime waren bereits wieder auf dem Weg in
die Afrikanische Union, die sich als fünftes Land dem Asiatischen Staatenblock angeschlossen hatte und der Raijama dadurch ermöglichte, hier einen Stützpunkt zu unterhalten. China, Tibet, Japan, die Insel Madagaskar und Afrika bildeten den Asiatischen Staatenblock. Nun warben die gelben Diktatoren von Lhasa noch um die Gunst des autonom gebliebenen Indiens, das sich mit aller Gewalt gegen die Beherrschung durch die asiatischen Machthaber wehrte. Während Nam Yens Augen auf dem Bildschirm ruhten und die Meldungen automatisch überflogen, weilten seine Gedanken bei Bell und Donelli, jenen beiden Spionen der UTO, die man durch List in die Gewalt bekommen hatte. Sie waren das beste Mittel, um auch Storni in eine Falle zu locken. Dieser Mann hatte der Raijama schon zuviel Schaden zugefügt. Ihn in die Hand zu bekommen, war Nam Yens einziger Gedanke. Dazu sollten Bell und Donelli jetzt als Köder dienen. Storm würde sich sofort mit dein Schicksal seiner Mitarbeiter befassen und versuchen, sie zu finden. Plötzlich beugte sich Nam Yen unwillkürlich vor. Über den Bildschirm lief die Meldung: „Germany — Bernsdorf — Auf die Villa Dr. Paulsens wurde in den späten Morgenstunden ein Raubüberfall verübt. Die Täter arbeiteten dabei mit einem Betäubungsgas und erbeuteten wichtige Dokumente über den Bau eines neuen interplanetarischen Projektes, dessen Ausarbeitung der deutsche Gelehrte abgeschlossen hatte. Vermutlich handelt es sich bei den Tätern um Beauftragte einer asiatischen Interessengruppe. Interpol hat die Ermittlungen aufgenommen.“ Mit einer schnellen Bewegung schaltete Nam Yen den Bildschirm ab. Also hatten seine Beauftragten doch noch ihr Ziel erreicht. Er warf einen Blick auf die Uhr. Die Maschine, die Dr. Sinuchi und Dr. Kazime in Paris abgeholt hatte, mußte in der nächsten Viertelstunde eintreffen. Bald würde er also Gewißheit haben. Draußen hatten sich schon die Männer des Landekommandos eingefunden, dazu einige Soldaten in graugrünen Uniformen und weißem Turban. Weit hinten am Horizont tauchte bald darauf ein dunkler Punkt auf. Er näherte sich schnell. Es war die erwartete Maschine, die bald darauf auf der breiten Landebahn aufsetzte. Von weitem sah Nam Yen bereits seine beiden Beauftragten die Maschine verlassen. Eilig ging er ihnen entgegen. Die beiden Gelehrten machten ernste Gesichter, als sie in Begleitung Nam Yens dessen Bungalow zustrebten. „Ich kann Sie im Namen der Raijama wirklich zu Ihrer erfolgreichen Reise beglückwünschen“, begann Narn Yen, nachdem sie in seinem Arbeitszimmer Platz genommen hatten. „Diese Entschlußkraft hätte ich Ihnen wirklich nicht zugetraut.“ Die beiden Gelehrten sahen sich an. „Warum diese Ironie?“ fragte Dr. Sinuchi. „Ich nehme an, Sie haben unser Kabel bekommen.“ „Dr. Paulsen war nicht gewillt, unseren Vertrag anzunehmen“, versuchte Kazime zu erklären. „Natürlich“, lächelte Nam Yen. „Deshalb versuchten Sie es eben auf eine andere Weise. — Ich habe die Meldung bereits von der Nachrichtenzentrale erhalten.“ „Welche Meldung?“ fragte Sinuchi. „Von dem Überfall auf Paulsen. Wie Sie es gemacht haben, ist gleich. Es kommt nur auf den Erfolg an.“ „Wir müsssen uns mißverstehen, Nam Yen“, meinte Dr. Kazime unwillig. „Von diesem Überfall hörten wir in Hamburg...“ „Dann haben Sie nicht... ?“ Nam Yen sah sie fassungslos an. „Und wo sind die Pläne?“ Kazime hob die Schultern. „Es muß noch eine andere Seite Interesse an diesen Plänen haben. Deshalb wollen wir ja mit Ihnen sprechen.“ Er zog eine deutsche Zeitung aus der Tasche. Das Blatt berichtete von dem Überfall und zeigte auf der ersten Seite die Bilder zweier Männer. Wie es hieß, wurden die Bilder von eingebauten Kameras am Tatort aufgenommen und von Dr. Paulsen der Presse zur Verfügung gestellt. Interpol bemühe sich jetzt darum, diese
Männer aufzuspüren. Der Artikel schloß mit der Mitteilung, daß Dr. Paulsen in den nächsten Tagen nach Amerika reisen würde, um einen Auftrag der UTO-Forschungs-Corporation zu übernehmen. Wütend ballte Nam Yen die Zeitung zusammen, tun sie aber dann wieder schnell zu glätten. Vorsichtig schnitt er die Bilder heraus. „Haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, wer diese Männer sein könnten? Vor allem aber, in welchem Auftrag sie handelten?“ Die beiden Gelehrten bestätigten es und erklärten, die Namen der Männer wären bis zur Zeit ihres Abfluges bei der Interpol nicht bekannt gewesen. Zehn Minuten später stand Nam Yen vor seinen Gefangenen, die auf ihren Betten ruhten. Erst kurz vor der Ankunft seiner Beauftragten hatte Nam Yen die UTO-Spione verhört, und deshalb grinste Donelli ihn jetzt herausfordernd an. „Nanu?“ meinte er. „Sie können sich wohl gar nicht an uns sattsehen.“ Nam Yen überhörte die Ironie. „Ich hätte gern eine kleine Auskunft von Ihnen“, begann er. „Es handelt sich um die Auffindung von zwei Männern, zwei Amerikanern...“ Donelli sah ihm nur an. „Ich glaube, diese Männer zu kennen“, fuhr Nam Yen fort. „Aber ihre Namen wollen mir nicht einfallen. Vielleicht können Sie mein Gedächtnis ein wenig auffrischen.“ Er reichte Donelli die ausgeschnittenen Bilder. Dieser betrachtete sie eine ganze Weile und hob dann den Blick. „Nun?“ fragte Nam Yen. „Ja, ich kenne diese Männer“, sagte Donelli. „Es sind zwei ganz üble Burschen der San Franziskoer Unterwelt. Mit denen würde ich mich an Ihrer Stelle nicht einlassen.“ „Mich interessieren die Namen der Männer“, antwortete Nam Yen. Donelli reichte Bell die Bilder. „Sind Ihnen doch sicher auch bekannt, wie?“ „Goldman und Colmar“, sagte Bell sofort. „Besteht gar kein Zweifel.“ Donelli nickte. „Stimmt! — Ich weiß ja nicht, wie Sie die Burschen aufgefunden haben, aber sollten sie noch leben, dann kann ich Ihnen nur zur Vorsicht raten.“ „Goldman und Colmar“, wiederholte der Chinese gedankenvoll. Er hatte es plötzlich sehr eilig. In seinem Zimmer versank Nam in dumpfes Brüten, Diese Männer waren also von einer Stelle beauftragt worden, den Raub auszuführen. Jetzt kam es darauf an, ihrer habhaft zu werden, bevor sie mit dieser Stelle Verbindung aufgenommen hatten. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als sofort nach San Franzdsko zu starten. Er mußte mit Leutnant Wan Ho den Flug wagen. Sie konnten an einer einsamen Stelle in den Sierra-Bergen landen. So vertauschte Wan Ho fünf Minuten später seine Marineuniform mit einem dunkelgrauen Anzug und nahm Papiere in Empfang, die ihn als eingewanderten Chinesen auswiesen. Auch Nam Yen verfügte über einen ähnlichen Ausweis. Er klärte Wan Ho kurz über alles auf, um dann eine Verbindung mit seiner Gegenstelle in San Franzisko herzustellen. Der Sprecher der Gegenstelle meldete sich mit dem Kennwort „Tatsama!“ „Erwarten Sie uns heute abend gegen zweiundzwanzig Uhr an der Autostraße nach Alamos“, sagte Nam Yen in das Mikrophon. „Wir suchen zwei Männer mit Namen Goldman und Golmar. Versuchen Sie bis dahin festzustellen, wo sich die Männer aufhalten.“ „Okay!“ tönte es zurück. „Wir erwarten Sie an der Autostraße nach Alamos!“ Der kleine Helio-Kreuzer, der einige Stunden später startete, stieg sofort auf fünfzehntausend Meter Höhe und nahm Kurs über den Ozean. Schon unterwegs nahm Leutnant Wan Ho Verbindung mit der Gegenseite auf. Die beiden Männer hatte man bereits gefunden. Sie waren am Morgen in einer Maschine aus New York angekommen und wohnten in einer Pension im Ostviertel der Stadt. Von diesem Zeitpunkt an standen die beiden Männer unter dauernder Beobachtung der Raijama. Wie es hieß, hatten sie die Pension bisher noch nicht verlassen. — Nam Yen. der die Meldung über einen zweiten Kopfhörer abhörte, nickte zufrieden. Jetzt würde man die Hintermänner bald herausgefunden haben. Diese Feststellung beruhigte ihn
ungemein. Unter ihnen brach sich das Mondlicht auf den Wellen. In fünfzehntausend Meter Höhe überflogen sie die Küste. Im Kopfhörer vernahmen sie die Meldungen der Bodenstellen, die die Maschine auf dem Radarschirm entdeckt hatten, und hörten die Anweisungen für die Maschinen der Luftüberwachung. Wan Ho grinste nur still vor sich hin. Bald lag die Wüste Neumexikos unter ihnen. Im Mondschein tauchte die breite Kette der Sierra-Berge auf. Der Leutnant hielt im geraden Kurs darauf zu. Langsam verlor das Flugzeug an Höhe; die Hubschrauberflügel begannen zu rotieren. Wie ein Fahrstuhl glitt die Maschine dem Boden zu. — Nam Yen beobachtete durch das Bordteleskop das Gelände. Weit hinten lag als hellschimmernder Punkt Alamos. Von dieser Stadt aus zog sich die Autostraße am Fuße des Gebirges entlang. Unten, irgendwo in der Dunkelheit, wartete der bestellte Wagen. In einer halben Stunde war es zweiundzwanzig Uhr. Sie kamen also zur rechten Zeit. Wan Ho hatte inzwischen einen geeigneten Landeplatz gefunden. Es war ein Plateau, zu dem ein schmaler Bergpfad führte. Völlig verborgen zwischen hohen Felswänden, war es ein idealer Landeplatz. Die Infra-Strahler durchbrachen die Dunkelheit und beleuchteten den Männern, die das Gelände durch Infra-Teteskope studierten, taghell die Umgebung; Weich setzte die Maschine auf. Die beiden Chinesen verließen die Kabine und stolperten bald darauf über den steinigen Bergpfad zu Tal. Über ihnen brummte Motorengeräusch. Vermutlich waren es die Jäger, die von der Leitstelle hierhergewiesen worden waren. Sie kamen zu spät. Unbeirrt setzten die Männer ihren Weg fort und hatten wenige Minuten vor dem verabredeten Zeitpunkt die Autostraße erreicht. Am Straßenrand liefen sie weiter. Gleich blitzenden Ungeheuern jagten die Wägen über die Bahn, und die tanzenden Scheinwerfer warfen den Schatten der beiden Männer jedesmal riesengroß an die Felswände. Wieder tauchte weit hinten ein Wagen auf. Er fuhr ein langsames Tempo. „Das muß unser Wagen sein“, meinte Wan Ho und blieb stehen. Nam Yen zog wortlos eine Zigarette aus der Tasche und knipste sein Feuerzeug an. Das war das verabredete Signal. Langsam näherte sich der Wagen und hielt plötzlich an. Wan Ho glitt aber schon im nächsten Augenblick blitzschnell zwischen die Steine, denn er hatte im Scheinwerfer eines vorüberfahrenden Wagens, am Schlag des parkenden Autos einen dünnen weißen Kreis mit einer Nummer erkannt. Auf dem Bauche kroch er am Straßenrand weiter, bis ihn die Scheinwerfer des Wagens nicht mehr erfassen konnten. In einer Mulde blieb er schließlich atemlos und erschöpft liegen. Bevor Nam Yen, der durch sein Feuerzeug geblendet war, den Irrtum erkannte, sagte Storm: „Hallo, Mr. Nam Yen! Das ist eine Überraschung, nicht wahr?“ Der Chinese starrte geblendet in die Kegel des Scheinwerfers. Seine Miene blieb unbeweglich. — Vor dem Scheinwerfer tauchte Storms hohe Gestalt auf. „Da war doch noch jemand“, rief eine Stimme aus dem Polizeiauto, gleichzeitig wanderte der Scheinwerfer durch das Gelände, verweilte sekundenlang auf der Mulde, in der Wan Ho lag, und glitt weiter. „Wer war bei Ihnen?“ fragte Storm und trat näher. „Ich bin allein“, antwortete Nam Yen. „Das sehen Sie doch!“ „Na, schön!“ Storm deutete auf den Wagen. „Steigen Sie ein! Wir waren über Ihre Ankunft unterrichtet. Ich würde Ihnen raten, die Frequenzen einmal zu wechseln.“ Als die Rücklichter des Wagens in der Dunkelheit verschwanden, erhob sich Wan Ho aus seinem Versteck. Im Laufschritt eilte er an der Fahrbahn entlang. Endlich tauchten die Stopplichter eines Wagens aus dem Dunkel auf. Ein Handscheinwerfer strahlte ihm entgegen.
Das waren die Verbindungsleute. Eilig nahm der Chinese in dem Wagen Platz. „Zum Flugplatz!“ befahl er erregt. „Wir müssen die Maschine nach San Franzisko erreichen.“ * „Sie wissen, welche Strafe Sie erwartet?“ fragte Senator Sanders Nam Yen, der mit finsterer Miene vor ihm saß. Professor Stimson, Heisen, Dr. Paulsen und Storm, die dem Verhör im Sitzungszimmer der Corporation beiwohnten, waren über die Ruhe des Chinesen erstaunt. Nam Yen hatte bisher keine Frage beantwortet. Bei der letzten Frage war jedoch ein überlegenes Lächeln auf seine Züge getreten. „Keine“, antwortete er dann ruhig. „Wollen Sie mir etwa eine Spionageaktion nachweisen?“ „Hören Sie zu, Nam Yen“, fiel Storm ein. „Wir kennen Sie zur Genüge, um Ihnen nicht erst ein Delikt nachweisen zu müssen. Sie sind nicht nach Amerika gekommen, um eine Vergnügungsreise zu machen. Wir wissen übrigens ganz genau, daß Ihre Leute in der Villa Dr. Paulsens den Raubüberfall ausführten.“ Nam Yen schüttelte energisch den Kopf. „Das ist ein Irrtum, Mr. Storm. Die Raijama hat mit dieser Sache nichts zu tun. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Wir sind ebenfalls hinter den Räubern her. Was uns interessiert, ist die Frage: Welche dritte Stelle hat sich hier eingeschaltet? — Sicher wäre das auch für Sie wissenswert.“ „Damit wollen Sie also sagen, daß Sie überhaupt nichts mit dem Überfall zu schaffen haben?“ fragte Storm. „Und Ihre beiden Unterhändler? Dr. Paulsen kann doch bezeugen, daß sie ihn aufsuchten.“ „Meine Unterhändler waren Gelehrte, Mr. Storm, keine Gangster“, erklärte Nam Yen. „Ja, sie machten Dr. Paulsen das Angebot, in die Dienste der Raijama zu treten. Es steht bekanntlich jeder Forschungsgesellschaft frei, sich ihre Mitarbeiter auszusuchen. Dr. Paulsen lehnte ab, damit war die Aufgabe meiner Leute erfüllt.“ Er wandte sich Senator Sanders zu. „Aber die Raijama beteiligt sich an der Aufklärung dieses Falles, denn wir sind sehr daran interessiert, diese dritte Stelle kennenzulernen.“ „Und haben Sie schon Ermittlungen angestellt?“ fragte Storm. „Ja“, antwortete Nam Yen. „Aber ich wurde durch Sie gehindert. Die Namen der Männer, die diesen Überfall ausführten, sind mir bekannt. Es handelt sich um zwei Gangster namens Goldman und Colmar.“ „Stimmt“, nickte Storm. „Und sie standen nicht in Ihren Diensten?“ Nam Yen hob nur die Schultern. „Was hat denn eigentlich die Überwachung dieser Männer ergeben?“ fragte Professor Stimson. „Bisher noch nichts“, antwortete Storm. „Sie befinden sich in ihrer Pension und haben nach ihrer Rückkehr das Haus noch nicht verlassen. Jedes Telefongespräch wird vom Sicherheitsdienst überwacht, um die Hintermänner zu finden. Aus dem gleichen Grunde griffen wir auch noch nicht zu.“ „Ich denke, Sie wüßten genau, daß der Anschlag von Seiten der Raijama erfolgte?“ warf Nam Yen spöttisch ein, „Beruhigen Sie sich nur! — Das werden wir mit Sicherheit feststellen.“ Storm nahm den Hörer vom Telefon und ließ sich mit dem Sicherheitsdienst des FBI verbinden. Er erkundigte sich nach der Überwachung und schien eine sehr befriedigende Antwort erhalten zu haben. „Gegen drei Uhr wurde Goldman von einem unbekannten Teilnehmer angerufen“, richtete er nach Beendigung des Gespräches seine Worte an die Herren. „Als Treffpunkt wurde der Golden-Gate-Park ausgemacht. Zeitpunkt: neun Uhr morgens.“ Er sah auf die Uhr. „In drei Stunden werden wir also mehr wissen.“ „Und dürfte ich auch von dem Ergebnis erfahren?“ fragte Nam Yen. „Sie verkennen die Sachlage, Mr. Yen“, meinte Senator Sanders. „Sie sind Gefangener und werden sich für Ihre unerlaubte Einredse in die Staaten verantworten müssen, falls es uns
nicht gelingen wird, Sie der Spionage zu überführen.“ „Und das wird uns gelingen“, sagte Storm grimmig. „Sie wollten mir schon so oft an den Kragen, nun sind Sie an der Reihe.“ „Kaum“, sagte Nam Yen. „Ich gehe jede Wette mit Ihnen ein, daß Sie mich noch heute im Laufe des Tages freilassen.“ Storm lachte. „So optimistisch kenne ich Sie ja gar nicht.“ Nam Yen lächelte. „Sie kennen ja bereits unsere Frequenz, wie ich feststellen konnte. Dürfte ich Sie bitten, mir zu erlauben, eine Verbindung mit unserem afrikanischen Stützpunkt aufzunehmen?“ „Und?“ fragte Storm. „Was versprechen Sie sich davon?“ „Das soll eine Überraschung für Sie werden, Mr. Storm“, lächelte der Chinese. Storm sah Sanders an. „Haben Sie etwas dagegen?“ Senator Sanders verneinte. „Gut!“ Storm nickte dem Chinesen zu. „Kommen Sie! — Ich begleite Sie zur Funkstelle.“ „Ich möchte bitten, daß alle Herren bei dieser Unterredung zugegen sind“, forderte Nam Yen. „Ich muß sogar darauf bestehen.“ Professor Stimson erhob sich sofort. „Dann gehen wir, meine Herren!“ Sie verließen das Zimmer und betraten bald darauf die Nachrichtenzentrale im Obergeschoß des Verwaltungsgebäudes. Die Verbindung war schnell hergestellt. Schon nach wenigen Minuten meldete sich die Gegenstelle. Nam Yen beugte sich über das Mikrophon und nannte das Kennwort. „Rufen Sie mir bitte Leutnant Ma Shen“, forderte der Chinese. „Und die beiden Männer aus dem Gästebungalow.“ Storm und seine Begleiter hörten interessiert zu. Sie konnten sich kein Bild von dem machen, was jetzt geschehen würde. Nach einer Weile meldete sich der Leutnant. Nam Yen beugte sich vor. „Sollte ich bis heute abend zwanzig Uhr nicht bei Ihnen erschienen sein, so sind die beiden Gefangenen unverzüglich zu erschießen, verstanden?“ „Verstanden“, bestätigte die Stimme des Leutnants. Nam Yen wandte sich mit einem triumphierenden Blick an die Männer, die ihn verständnislos ansahen. „Wollen Sie das nicht erklären?“ fragte Storni unwillig. „Ich bin noch nicht fertig“, sagte Nam Yen. Dann wandte er sich wieder dem Leutnant im Schirm zu. „Führen Sie die Gäste vor das Gerät.“ „Zum Teufel!“ hörte man Donellis ärgerliche Stimme sagen. „Was soll das Theater?“ Jetzt erschien er mit Bell im Bild. Storm hatte auf einmal begriffen. „Hallo, Donelli! — Hier Storm!“ „Storni?“ tönte Donellis überraschte Stimme aus dem Lautsprecher. „Was ist denn eigentlich los? — Hat man Sie etwa auch hochgenommen?“ Mit wenigen Worten klärte Storni die Situation und trat zurück. „Sie halten sich auf jeden Fall an meinen Befehl, Leutnant“, beendete Nam Yen das Gespräch. „Auf jeden Fall, verstanden?“ Der Chinese wandte sich um. „Nun? — Hätte ich meine Wette verloren?“ fragte er. „Und was geschieht mit Bell und Donelli, wenn Sie zurückkommen?“ fragte Storni, der die Überraschung bereits überwunden hatte. „Ich lasse sie sofort frei, unter der Voraussetzung, daß Sie mir das Ergebnis der Untersuchung über den Raubüberfall auf Dr. Paulsen mitteilen“, erklärte Nam Yen. „Daraus mögen Sie ersehen, wie sehr wir an einer Aufklärung interessiert sind.“ Storni wandte sich an die Herren. „Was haben Sie dazu zu sagen?“ „Wir nehmen den Vorschlag Mr. Nam Yens natürlich an“, sagte Professor Stimson. „Ich glaube, meine Herren, auch Sie würden keinen anderen Ausweg finden.“ Punkt neun Uhr wimmelte der Golden-Gate-Park von Kriminalbeamten. Die Gangster waren jedem Beamten bekannt, und alles wartete auf ihr Erscheinen. Besonders aber auf das
Eintreffen der Interessenten, für die die Pläne beschafft worden waren. Aber es erschien niemand. Es war bereits halb zehn Uhr, als sich Storm endlich entschloß, die Pension, in der die Gangster Wohnung genommen hatten, aufzusuchen. Dem Portier, den Storm nach den Männern fragte, war nicht bekannt, daß die beiden die Pension verlassen hatten. „Sie müssen noch auf ihrem Zimmer sein“, sagte er und warf einen Blick auf das Schlüsselbrett. „Schön“, nickte Storni. „Nehmen Sie Ihren Universalschlüssel mit, damit Sie das Zimmer öffnen können.“ Er winkte zwei Beamten des Sicherheitsdienstes und stieg mit ihnen die Treppen hinauf. Ihnen folgte der Portier, der über den Besuch wenig erfreut war. Auf Storms Klopfen antwortete niemand. Als sich auch nach mehrmaligem Klopfen niemand meldete, winkte Storm dem Portier. „Da ist etwas nicht in Ordnung“, meinte Storm zu den Beamten. „Oder das Gespräch heute nacht war eine bewußte Irreführung, weil man bereits ahnte, daß wir uns eingeschaltet hatten.“ Der Portier öffnete die Tür, blieb jedoch ängstlich zurück. Storni stand noch eine Weile auf dem Gang. Als sich aber nichts rührte, trat er schnell ein. Seine Rechte umklammerte den Griff des Brownings in der Manteltasche. Es waren zwei nebeneinanderliegende Räume mit einer offenstehenden Verbindungstür. Ein wüstes Durcheinander herrschte in dem ersten Zimmer. Auf dem Tisch standen die Reste einer Mahlzeit und eine halbvolle Whiskyflasche. Zigarettenstummel bedeckten den Boden. Ein kleiner Lederkoffer war mit einem Messer aufgeschnitten, und es hatte den Anschein, als wäre er in größter Eile durchsucht worden. Storm betrachtete das Tohuwabohu mit innerer Unruhe. Langsam ging er weiter. Kurz vor der Verbindungstür lag ein schwerer Browning. Der Detektiv schritt über ihn hinweg ins Zimmer und blieb unwillkürlich stehen. Mitten im Raum lag die Gestalt eines großen Mannes. Er war mit einer blauen Hose und einem Netzhemd bekleidet Mit ausgebreiteten Armen lag er auf dem Gesicht. Storm prüfte die Entfernung zwischen dem am Boden liegenden Browning und der rechten Hand des Mannes. Er kam zu der Feststellung, daß ihm die Pistole beim Sturz aus der Hand gefallen sein mußte. Wie Storm bald darauf erkannte, handelte es sich um Goldman, der durch zwei Schüsse in die Herzgegend niedergestreckt worden war. Colmar fand er zusammengesunken hinter dem Tisch. Auch er war durch mehrere Schüsse getötet worden. Seine Waffe, ein Colt, hing noch zwischen seinen Fingern. „Nach den Papieren brauchen wir wohl nicht mehr zu suchen“, meinte Storm zu den Beamten. Ein Beamter prüfte die Magazine der Pistolen und stellte fest, daß aus keiner Waffe ein Schuß abgegeben worden war. „Sie sind ohne Zweifel überrascht worden“, sagte der untersuchende Beamte und legte die Waffen in seine Aktentasche. „Die Eindringlinge waren schneller.“ Er deutete mit einer Kopfbewegung zum Fenster, vor dem sich der Vorhang blähte. „Sind vermutlich über die Feuerleiter eingestiegen und haben sofort geschossen. Können Sie sich erinnern, ob sie in der Nacht Geräusche gehört haben“, wandte er sich an den yöllig verstörten Portier. Der Mann verneinte. „Sie brauchen doch nur ein dickes Handtuch um die Waffe zu wickeln“, rekonstruierte Storm. „Dann hören Sie nur einen dumpfen Laut, den Sie für alles andere halten, nur nicht für die Detonation eines Schusses.“ Ein schrilles Klingeln ließ Storm zusammenzucken. Das Telefon! Er zögerte einen Augenblick. „Ist der Apparat durchgeschaltet?“ fragte er den Portier. „Ja! — Ich mußte die Verbindung die ganze Nacht über bestehen lassen“, berichtete der Mann. „Mr. Goldman er-
wartete einen wichtigen Anruf, und er gab mir zehn Dollar, wenn ich die Verbindung bestehen ließ.“ Das konnte der Mann sein, dessen Anruf Goldman erwartete, überlegte Storm. Kurz entschlossen nahm er den Hörer ab. „Ja?“ sagte er, seiner Stimme einen möglichst gleichgültigen Klang gebend. „Was ist los?“
„Goldman?“ fragte eine Stimme am anderen Ende der Leitung. „Nein, Colmar“, sagte Storm und hoffte, daß der Anrufer Colmars Stimme nicht so gut kannte. „Wir warten seit einer Stunde im Golden-Gate-Park“, sagte die Stimme aus der Hörmuschel vorwurfsvoll. „Haben Sie nun die Pläne — oder nicht?“ „Es ist alles in Ordnung“, antwortete Storm und zwinkerte den Beamten zu. „Aber Sie müssen schon zu uns kommen. Wir wollen uns vorerst draußen nicht sehen lassen. Vielleicht haben Sie auch die San Franzisko Times gelesen.“ „Richtig! — Ihre Bilder sind abigebildet“, fuhr der Unbekannte ärgerlich fort. „Ich habe mir gedacht, daß Sie deshalb vorsichtig sein müssen. — Also gut! — Wir sind in zehn
Minuten bei Ihnen.“ Storm legte den Hörer auf und rieb sich die Hände. „In zehn Minuten kommen die Auftraggeber.“ Er winkte dem Portier, der ängstlich an der Tür stand. „Sie gehen jetzt hinter Ihre Rezeption und lassen sich nichts anmerken. — Wenn jemand nach Goldman und Colmar fragt, lassen Sie die Leute heraufkommen. Sonst wissen Sie nichts, verstanden?“ Der Portier schluckte vor Erregung. „Gut! — Ich richte mich genau nach Ihren Anweisungen.“ Damit verschwand er. Storm wandte sich an einen Beamten. „Sie gehen am besten in die Halle, damit der Rückzug abgeschnitten ist. Verschanzen Sie sich hinter einer Zeitung.“ Nachdem der Beamte den Raum verlassen hatte, zündete sich Storm eine Zigarette an und nahm in dein ersten Zimmer Platz. Wen würde er als Auftraggeber der Gangster festnehmen? Der zweite Beamte setzte sich auf einen Stuhl, der durch die geöffnete Tür verdeckt wurde, wenn jemand den Raum betrat. Langsam strichen die Minuten dahin, dann hörte man unten einen Wagen vorfahren. In der Halle wurden Schritte laut. Sie kamen die Treppe hinauf und hielten vor der Tür an. „Herein!“ sagte Storm, als es klopfte. Die Tür öffnete sich, und Storm ließ unwillkürlich den Griff des Brownings, den er in der Tasche umklammert hielt, fahren. Im Türrahmen stand Professor Perez von der Südamerikanischen Forschungsgesellschaft. Als er Storm erkannte, wechselte er sekundenlang die Farbe. „Kommen Sie nur näher, Professor“, lächelte Storni. „Wir suchen nämlich den Auftraggeber von Goldman und Colmar.“ Perez gewann sofort seine Sicherheit zurück. Er durchschaute die Situation augenblicklich und wußte sofort, hier konnte ihn nur eine ganz klare Haltung retten. Die Vorarbeiten der Beamten waren bereits bis zu einem unbekannten Punkt gediehen, und durch sein Erscheinen hatte er seine Verbindung mit den Gangstern bewiesen. „Wollen Sie ebenfalls Pläne ankaufen, die in Europa gestohlen worden sind?“ fragte Perez zynisch. „Ich bekam ein Angebot von einem gewissen Goldman und wollte mir die Sache mal ansehen. Deshalb bin ich hier.“ Er nahm seinen Hut ab und legte ihn auf den Tisch. „Oder ist es strafbar, wenn ich zum Wohle der amerikanischen Regierung eine gute Sache ankaufen will?“ „Darum geht es nicht“, antwortete Storm. „Ich suche den Mann, der Goldman den Auftrag gab, die Pläne in Europa zu beschaffen. Als wir vor wenigen Minuten eintrafen, sprach er mit seinem Auftraggeber.“ „Und wer soll dieser Auftraggeber sein?“ „Sie sprachen doch vorhin auch mit Goldman, Professor“, sagte Storm schnell. „Das Gespräch wurde nämlich abgehört. Oder wollen Sie das etwa bestreuen?“ Perez überlegte einen Moment. „Nein“, sagte er dann. „Aber das kann ich nicht gewesen sein, denn ich sprach mit Colmar...“ Storm lächelte. „Weder mit Goldman noch mit Colmar, sondern mit mir“, fiel er ein. „Denn beide Gauner wurden bereits in den frühen Morgenstunden erschossen. Die Pläne waren nicht mehr in ihrem Besitz.“ Professor Perez sah ihn fassungslos an. „Hören Sie mir bitte zu, Professor“, fuhr nun Storm fort. „Unsere beiden Institute sind von der Regierung mit der gleichen Aufgabe betraut worden. Es ist besser, wenn Sie sich uns anschließen und mit uns gegen die Stelle vorgehen, die zwei Menschen ermorden ließ, um sich in den Besitz dieser Dokumente zu bringen. Um die Angelegenheit zu klären und uns vor ähnlichen Vorkommnissen zu schützen, gibt es nur eine Lösung: unsere Zusammenarbeit. Wir wollen keine Konkurrenz. Ich bin überzeugt, daß Ihnen Professor Stimson die Zusammenarbeit mit der UTO anbieten wird. Es steht hier zu viel auf dem Spiel, denn die Stelle, in deren Händen sich vermutlich die geraubten Pläne befinden, will das Projekt
ausschließlich für Kriegszwecke bauen. Wollen Sie durch Ihr Schweigen mitschuldig werden, wenn eines Tages die Städte der westlichen Welt durch Einwirkung des All-Spiegels in Flammen aufgehen?“ Storm sah den Professor ernst an. „Wenn wir den Täter finden wollen, müssen wir zuerst wissen, wer den Raub der Pläne veranlaßte, sonst könnten wir uns einer falschen Fährte zuwenden.“ „Der Auftraggeber war ich“, sagte Perez mit leiser Stimme. „Ich habe nicht daran gedacht, daß sich auch noch eine andere Seite für die Pläne interessierte. Mein Gedanke war, der UTO zuvorzukommen.“ „Wie man höheren Orts über Ihr Vorgehen entscheiden wird, kann ich nicht sagen“, erwiderte Storni. „Im Augenblick ist aber eines wesentlich: Wir haben einen gemeinsamen Feind, den wir auch nur gemeinsam schlagen können.“ „Und was wird Senator Sanders dazu sagen, wenn sich unsere Forschungsinstitute zusammenschließen?“ fragte Perez. „Seine Ansicht ist, daß auch auf dem Gebiet der Forschung eine Korkurrenz nur als Ansporn dienen kann.“ „In diesem Fall wird sie nur der Untergang beider Unternehmen sein“ erklärte Storm leidenschaftlich. „Senator Sanders ist nicht mit den Machenschaften der Raijama vertraut. Er weiß nicht, daß die Raijama nur darauf wartet, daß wir uns gegenseitig zerfleischen.“ Einen Augenblick zögerte der Südamerikaner noch, dann reichte er Storm die Hand. „Ich nehme Ihren Vorschlag an. Betrachten Sie die Südamerikanische Forschungsgesellschaft von dieser Minute an als Ihre Partner und Freunde Ich sehe ein, daß ich einen großen Fehler gemacht habe.“ * Drei Monate waren vergangen. Storm, Donelli und Bell waren wieder in Alamos. Für sie war eine Zeit der Ruhe angebrochen. Die Raijama verhielt sich vollkommen ruhig. Storm deutete es als Zeichen, daß sie sich ebenfalls mit dem Bau des All-Spiegels beschäftigte. Auf dem afrikanischen Stützpunkt war alles still. Große Bauten konnten hier nicht vorgenommen werden, da die Werften fehlten. Die Raijama mußte sich in einen stillen Winkel zurückgezogen haben. Bell beschäftigte sich viel im Kuppelbau der interplanetarischen Beobachtungsstelle. Eine neue Expedition sollte in einigen Monaten vorbereitet werden, da Professor Perez mit Stimson vereinbart hatte, den Südamerikanern auf dem Mars Hilfe zu bringen. Vor sechs Monaten waren sie zum Flug in das All gestartet. Bisher hatte man nichts wieder von ihnen gehört. Wieder war Bell eines Abends zur Beobachtungsstation geflogen, um seinen Blick über den Sternenhimmel wandern zu lassen, da sah er auf dem Bildschirm plötzlich einen blinkenden Punkt. Er ließ sich das Teleskop von Gormick einrichten, der an diesem Abend Dienst hatte, und mit der Schnelligkeit eines Geschosses kam dieser anfixierte Punkt auf ihn zu. Dann hatte er ihn genau im Blickfeld. Bell wurde erregt, denn das, was er sah, war ohne Zweifel ein Raumschiff. Das konnten nur die Südamerikaner sein! Aber warum hatte die Außenstation noch nichts gemeldet? Sie mußte es doch schon Tage früher gesehen haben. Ganz langsam zog das Raumschiff seine Bahn, aber Bell wußte, das war nur Schein. In Wirklichkeit flog es mit einer Geschwindigkeit, die die Schallgrenze weit hinter sich gelassen hatte, dem Erdplaneten zu. Er rief die Außenstation an, und dort erklärte man, daß sie das Raumschiff schon seit Tagen beobachteten, aber keine Meldung gemacht hätten, um die Außenstation der Raijama nicht aufmerksam zu machen. Seit gestern habe man aber auch dort das Raumschiff entdeckt und bereits Meldung zur Erdstelle im Himalaja-Gebiet gegeben. Außerdem sei auch ein Funkspruch aufgefangen worden, den man aber bisher nicht habe entziffern können. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Code in einer fremden Sprache. Bell ließ sich diesen Funkspruch sofort geben und funkte ihn eigenhändig an Professor Perez.
Kurze Zeit später lag die Antwort vor, daß Professor Perez nicht wüßte, um was es sich handele. Folglich konnte der Funkspruch niemals von seinen Leuten aufgegeben worden sein. Eine nochmalige Nachfrage bei der Außenstation der UTO ergab die eindeutige Feststellung, der Spruch sei auf jeden Fall von dem im All operierenden Raumschiff abgefangen worden. Durch ein Fernsehgespräch wurden Storm und Donelli verständigt, die eine halbe Stunde später mit einer Maschine auf dem Plateau der Beobachtungsstation landeten. Sie waren Spezialisten im Entziffern verschlüsselter Meldungen und machten sich sofort an die Arbeit. Bell beobachtete unterdessen den Anflug des Raumschiffes. Weder Perez noch den anderen Herren war etwas über die Entdeckung berichtet worden. Noch etwa eine Woche, wie die Raumstation errechnet hatte, dann mußte das Raumschiff in den Anziehungsbereich des Mondes kommen. Von dort aus waren es nur noch fünfzehn Stunden bis zur Erde. Drei Stunden später erhob sich Storm und legte den entschlüsselten Text vor. Es handelte sich um die augenblickliche Position und die vermutliche Ankunft auf der Erde. Der Spruch war in chinesischer Sprache abgefaßt und trug als Bezeichnung der absendenden Stelle eine Nummer. „Mitsuma?“ fragte Doneüli und kniff die Augen zusammen. Storm hob die Schultern. „Wer könnte es anders sein? Vermutlich hat man Mitsuma, Miß Monnard und die zurückgebliebene Mannschaft an Bord genommen und die Rückreise angetreten. Der Spruch ist für die Außenstelle der Raijama bestimmt, das steht für mich vollkommen fest.“ „Dann kann es sich nur um eine Teufelei handeln“, meine Donelli. „Vielleicht will er der Raijama das Raumschiff in die Hände spielen.“ Storm pfiff leise durch die Zähne. „Das wäre eine Möglichkeit. Dann ist es unbedingt notwendig, die Südamerikaner zu warnen. Das können wir aber nur durch die Funkstellen der Mondstadt oder der Außenstation. Von hier benötigen wir eine zu große Sendeenergie, und dann dürfen wir die Außenstation der Raijama nicht vergessen. Sie wird versuchen, uns mit einem Störsender zu überlagern.“ „Professor Heisen fliegt morgen auf seinen Posten zurück“, sagte Storni kurz entschlossen. „Was halten Sie davon, wenn Sie um begleiten. Sie unternehmen von dort aus den Versuch, eine Verbindung mit dem anfliegenden Raumschiff zu bekommen.“ Donelli und Bell waren einverstanden, und so starteten sie am frühen Morgen zum Flug in die Mondstadt Amatos. Fünfzehn Stunden später landeten sie wohlbehalten in der hitzeflimmernden Helligkeit der Mondlandschaft. Sie waren froh, als sie unter der schützenden Kuppel die Raumanzüge ablegen konnten, denn sie waren das Tragen dieser ihnen unbequemen Kleidung nicht gewohnt. — Wie es Storm bereits vorausgesagt hatte, wurde ihre Sendung schon nach wenigen Minuten durch das Rattern eines Störsenders unterbrochen. Storms Tip war richtig; die Raijama hatte ihre Hand im Spiel. Als der Sender aatf wenigen Minuten schwieg, wurde der Versuch erneut unternommen. Deutlich hörten sie über den Sprechfunk eine Stimme, die sich mit dem Namen des Raumschiffes meldete. Dann brummte der Störsender wieder los. Noch am gleichen Tage flogen die beiden Detektive zur Erde zurück, machten aber in der Außenstation einen kurzen Besuch. Auch von hier aus gelang es nicht, eine Verbindung mit dem Raumschiff zu bekommen. Donelli trug dem Wachhabenden auf, alle halbe Stunde eine Warnung vor Mitsuma an das Raumschiff zu funken. Vielleicht würde sie durch einen Zufall gehört werden. Das Raumschiff der Südamerikanischen Forschungsgesellschaft näherte sich der Erde. Die beiden Weltraumstationen hatte es längst hinter sich gelassen. Der schwierigste Teil des Weltraumfluges begann, der Durchstoß in die Lufthülle der Erde. Hier waren die größten Schwierigkeiten zu überwinden! Die ungeheure Geschwindigkeit plus Anziehungskraft der Erde, mit der das Raumschiff in die Lufthülle eindrang, war nur durch Abschuß starker
Bremsraketensätze zu stoppen. Man umflog die Erde in Form einei Ellipse. Das Raumschiff verlor an Geschwindigkeit und stieß erst dann tiefer in die Erdatmosphäre vor, wenn dei Anflug des Raumschiffes auf ein Mindestmaß gedrosselt war. Leutnant Catalo leitete dieses Manöver. Sämtliche Männer waren auf ihrer Posten in Heckund Bugkanzel verteilt Jeder kannte seine Aufgabe. Professoi Sanchez überwachte alles vom Schalttisch in der Kanzel, wo er mit Mitsuma Platz genommen hatte. Der Japaner war innerlich aufs höchste erregt. Jetzt galt es, seinen Plan zur Durchführung zu bringen. Es war ihm schon einmal gelungen, einen Funkspruch an die Außenstation der Raijama abzusetzen. In etwa drei Stunden würde man landen. Er mußte versuchen, die Raijama noch einmal zu verständigen. Wenn er mit dem Raumschiff landete, würde ihn die amerikanische Polizei in Haft nehmen, das war dem Japaner vollkommen klar. Mitsuma wurde nervös, wenn er daran dachte, daß dieser Zeitpunkt in drei Stunden gekommen war. Er mußte etwas unternehmen, um sich und die Ausbeute der Expedition vor dem Zugriff der Amerikaner zu schützen. In diesem Augenblick erschien das Raumschiff bereits auf allen Bildschirmen der irdischen Radarstationen und interplanetarischen Beobachtungsstellen. Er mußte der Raijama die Position mitteilen, wenn sie in fünfzehntausend Meter Höhe das Himalaja-Gebiet überflogen. Bei der zweiten Erdumkreisung war dieser Zeitpunkt gekommen. Vorsichtig verließ Mitsuma die Kanzel und entfernte sich durch den Laufgang, der zur Funkkabine führte. Der Funker blickte erwartungsvoll auf, als sich die schmaleTür öffnete und der Japaner über die Schwelle trat. Mitsuma hatte sich im Laufe des langen Fluges das Vertrauen der Mannschaft erworben, indem er sich freiwillig + in den Wachplan einreihen ließ und auch sonst in jeder Weise gefällig war. Nur Leutnant Catalo war mißtrauisch geblieben. — „Wenn Sie die Landung miterleben wollen, nehme ich gern Ihren Platz ein“, sagte Mitsuma, der während des Fluges den Funker ab und zu vertreten hatte. Zuletzt war es ihm auch während eines solchen Wechsels gelungen, der Raijama eine Meldung durchzugeben. Und gleich danach hatte die Mondstation der UTO versucht, eine Verbindung mit dem Raumschiff aufzunehmen, was aber der Störsender der Raijama stets zunichte machte. Sie hatten bis heute noch keine Meldung von der Erde empfangen können, denn die Raijama hatte einen Dauerstörsender in Betrieb genommen, mit dem sie blitzschnell von Welle zu Welle sprang. Der Funker war über Mitsumas Vorschlag erfreut. „Das ist nett von Ihnen, Doktor! — Natürlich möchte ich das gern miterleben. Wie hoch sind wir denn?“ „Etwa fünfzehntausend Meter“, antwortete der Japaner und fieberte vor Erregung, ob der Tausch glücken würde. „Haben Sie Verbindung mit Erdstellen aufnehmen können?“ Der Funker legte seinen Kopfhörer ab. „Ausgeschlossen! Das wird Ihnen auch nicht gelingen. Sobald sich eine Bodenstelle meldet, rattert dieser Störsender dazwischen.“ Nach außen hin gleichgültig, nahm Mitsuma den Platz des Funkers ein und zog den Kopfhörer auf, während der Mann erfreut den Raum verließ. Schon glitt der Zeiger über die Skala. Hier war die Hauptfrequenz der Raijama. Schnell schaltete Mitsuma den Verstärker ein. Dann nahm er das Bordmikrophon an die Lippen. Ein dünnes Rauschen wurde hörbar. Das war der Sender! — „Achtung! Achtung! Tatsama! — Bei nochmaliger Umkreisung überfliegen wir da HimalajaGebiet in etwa dreißig Minuten. Bitte um Einsatz von Kampf-Raketen und magnetischer Strahlung!“ Diese Meldung wiederholte Mitsuma mehrere Male, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte. Der Japaner sah auf und blickte in Leutnant Catalos dunkle Augen. „Was bezwecken Sie mit dieser Durchsage?“ fragte er scharf. Mitsuma ließ sich nicht erschüttern. „Ich teile meinen Freunden meine Ankunft mit“, sagte er.
„Oder haben Sie etwa vor, mich den Amerikanern auszuliefern?“ „Sie sind scharfsinnig, mein Freund“, grinste Catalo. „Die Amerikaner dürften sich nicht nur allein für Ihre Person, sondern auch für die Ausbeute Ihrer Expedition interessieren.“ Mitsumas Augen wurden schmal. Er warf einen Blick auf die Uhr. Noch siebzehn Minuten, dann war der kritische Punkt erreicht. Wenn man seine Meldung empfangen hatte, mußten die Jagd-Raketen bald auftauchen. „Ich bin auf dem Weg zum Beobachtungsstand, um von dort aus die Landung einzuleiten“, fuhr Catalo höhnisch fort. „Es wird Ihnen alles nichts nützen. Ich habe Sie während des ganzen Fluges beobachtet und weiß auch von Ihrer ersten Meldung.“ Er zog eine Pistole aus der Tasche. „Sie werden jetzt für den letzten Teil des Fluges Quartier in der Gerätekammer machen, verstanden!
Mich können Sie nicht täuschen, denn Sie waren es auch, der den Anschlag auf Dr. Gonzales und seine Leute einleitete. Miß Monnard war keineswegs geistesgestört...“ Weiter kam Leutnant Catalo nicht. Mit einem blitzschnellen Faustschlag hatte ihn der flinke Japaner zu Boden geworfen. Catalo verlor augenblicklich das Bewußtsein. Schnell nahm ihn
Mitsuma hoch, warf ihn über die Schulter und schloß den Bewußtlosen in die Gerätekammer. Danach kletterte er eilig die kleine Leiter zum oberen Kommandostand hoch, um Catalos Platz einzunehmen. Es war eine Stahloplexkuppel mit einem Sessel, der in Gurten hing. Über ein Mikrophon konnte man sich, mit der Kanzel verständigen. Strahlender Sonnenschein flutete durch die dicken Glasscheiben. Zehntausend Meter zeigte der Höhenmesser. Mitsuma riß die Schutzkappe vom Okular des Bordteleskops. Da! Weit hinten näherten sich vier dunkle Punkte. Schon hatte sie das Auge des Teleskops erfaßt. Das waren die angeforderten Kampf-Raketen der Raijama! Liegend wurden sie von den Piloten gesteuert. Sie verfügten über eine Elektronen-Kanone und einen Zerstrahier, der den Zündfunken in den Turbo-Triebwerken der Flugzeuge nicht mehr wirksam werden ließ und zum Erlöschen brachte. „Hallo, Leutnant Catalo“, tönte plötzlich die Stimme Professor Sanchez aus dem Bordlautsprecher. „Was sind das für Maschinen?“ Mitsuma antwortete nicht. Als die Maschinen dicht genug waren, winkte er den Piloten zu. „Landen Sie sofort!“ kam jetzt der Befehl einer fremden Stimme aus dem Lautsprecher. „Sie befinden sich über dem Hoheitsgebiet des asiatischen Staatenblocks. Landen Sie sofort, sonst werden wir Sie zur Landung zwingen!“ „Hallo, Leutnant! — Was sagen Sie dazu?“ tönte wieder Sanchez‘ Stimme. „Ich würde Ihnen raten, dem Befehl nachzukommen“, antwortete Mitsuma in das Mikrophon. „Es hat keinen Zweck, sich zu widersetzen.“ „Achtung! — Die Peil- und Meßgeräte am Heckstand fallen aus!“ Und im gleichen Augenblick hörte Mitsuma auch die erregte Stimme des Professors wieder: „Kommen Sie in die Kanzel, Leutnant! — Auch hier fallen die Geräte aus. Wenn wir nicht abstürzen wollen, müssen wir landen!“ „Achtung — Landemanöver ausführen!“ gab Mitsuma das Kommando. „Bug-Bremsraketen auslösen!“ Flammensprühend schössen jetzt die Bremsraketen am Bug des Raumschiffes entlang. „Automatische Landungssteuerung einstellen! — Höhe fünftausend Meter!“ gab Mitsuma weiter durch. Auch dieser Befehl wurde unverzüglich befolgt. Das Raumschiff verlor zu sehends an Schnelligkeit. Die Räder schoben sich aus den Klappen und rasteten ein. Auf dem kleinen Bildschirm im Beobachtungsstand sah Mitsuma den Landeplatz; ein weites steppenartiges Gelände. Bald konnte er Einzelheiten erkennen. Er sah mehrere StratosphärenKreuzer der japanischen Marine, die soeben zur Landung ansetzten. Vermutlich waren auch sie dem Raumschiff gefolgt oder von den Jägern hierher geleitet worden. Zehn Minuten später setzte das Raumschiff auf und rollte auf eine Gruppe Männer zu. Sie gehörten zu der Besatzung der Stratosphären-Kreuzer, Weit hinten setzen im Augenblick die vier Kampf-Raketen auf. Schnell verließ Mitsuma den Beobachtungsstand und traf an der Treppe auf Professor Sanchez, der ihn verblüfft anstarrte. „Sie waren...? — Und wo ist Leutnant Catalo?“ „Entschuldigen Sie, Professor“, sagte Mitsuma. „Das alles geht auf mein Konto. Ich habe Ihre Gastfreundschaft lange genug in Anspruch genommen. Ich möchte mich hiermit bei Ihnen bedanken und mich auch gleichzeitig verabschieden.“ — Sanchez war blaß geworden. „Wo ist Leutnant Catalo? — Sie beantworteten diese Frage noch nicht. Ist er etwa...“ Mitsuma lächelte. „Ich habe ihn niederschlagen müssen. Es tut mir leid.“ Sanchez wurde eiskalt. „Ich habe mich in Ihnen getäuscht, Dr, Mitsuma“, sagte er scharf. „Erklären Sie mir, was nun geschehen soll?“ „Nichts Besonderes“, sagte der Japaner. „Wenn ich das Raumschiff verlassen habe, können Sie den Flug fortsetzen. Sie werden verstehen, daß ich einer Festnahme durch die Amerikaner aus dem Wege gehen möchte.“
Sanchez gab einigen Besatzungsangehörigen einen Wink. „Bringen Sie Dr. Mitsumas Gepäck von Bord.“ Im Mittelgang tauchte Leutnant Catalo auf. Er war inzwischen aus seinem Gefängnis befreit worden. „Auch bei Ihnen muß ich mich entschuldigen“, wandte sich Mitsuma an ihn. „In meiner Situation hätten Sie nicht anders gehandelt.“ Eine Viertelstunde später stieg das Raumschiff wieder auf. Die vier Jagd-Raketen begleiteten es noch eine Wedle und kehrten dann um. Mitsuma, der von Nam Yen erwartet worden war, stieg in einen Stratosphären-Kreuzer über, in dem er Dr. Kazime und Dr. Sinuchi vorfand. Kaum hatten sie Platz genommen, da ertönte schon das Startkommando, und das Flugzeug hob sich in die Luft. Es landete nach einem kurzen Flug auf einem breiten Felsplateau, das von schroffen Felswänden umgeben war. Hier, zwischen den Bergen des Himalaja, lag das unterirdisch angelegte Hauptwerk und die Forschungsstätte der Raijama. Das Werk War nur durch einen einzigen Stollen zu betreten. Man hatte es durch größten Einsatz an Maschinen und Material in den alten Gewölben von Tschitschikina, das einstmals durch Feuer und Explosionen vernichtet worden war, errichtet. * Nachdem die Männer den geschickt zwischen den Felsen versteckten Stollen betreten hatten, fuhren sie mit einem Lift in die Tiefe und schritten über hellerleuchtete Gewölbestraßen dem Hauptgebäude zu. Nam Yen hing förmlich an den Lippen Mitsumas, als er über seine Erlebnisse auf dem Mars berichtete und die Ausbeute seiner Expedition vor den Augen der Männer ausbreitete. Alles das, was man erwartet hatte, war eingetroffen. Auf dem Mars gab es unbekannte radioaktive Grundstoffe, die eine langwierige und kostspielige Erzeugung künstlicher Stoffe in den AtomMeilern unnötig machten. Mitsuma berichtete mit leuchtenden Augen von den unterirdischen Städten, die man nur in Besitz zu nehmen brauchte. Er bestätigte, was auch Storni und Harris bereits in die Presse gebracht hatten; der Mars sei der Planet der Zukunft, der einst als zweite Erde den Bevölkerungsüberschuß aufnehmen könnte. Hier sei für die übervölkerten Gebiete Asiens eine unvorstellbare Chance entstanden, die man sich nicht entgehen lassen dürfe. Und dann berichtete Nam Yen Mitsuma über das, was sich inzwischen auf der Erde abgespielt hatte. Und ganz zum Schluß flog er mit dem Japaner in das tibetanische Hochland. Hier war zwischen zwei Bodenwellen vor einigen Monaten eine Stadt förmlich aus dem Boden gestampft worden. In einem Talkessel baute man eine gewaltige blitzende Scheibe. Stumm stand Mitsuma auf der Höhe und blickte in den Kessel hinab, in dem die Menschen gleich Ameisen zwischen dem Gestänge riesiger Baugerüste hingen, die die blitzende Scheibe umgaben. „Was bedeutet das alles?“ fragte er verwundert. „Das ist der All-Spiegel!“ Nam Yen sah ihn triumphierend an. „Er wird nach den Plänen Dr. Paulsens gebaut gebaut. Leutnant Wan Ho jagte sie zwei Gangstern ab, die sie im Auftrag einer Interessengruppe in Deutschland geraubt hatten.“ Dr. Mitsuma betrachtete nachdenklich das blitzende Gebilde. „Können Sie mir eine nähere Erklärung geben? — Wie funktioniert er, und in welcher Weise kommt er zum Einsatz?“ „Was Sie dort im Bau sehen, ist der Rotationspunkt; eine gewölbte, diskusartige Scheibe von fünfhundert Meter Durchmesser. Sie besteht aus zwei Teilen. Der dreihundert Meter breite Kern ist starr, und um ihn herum bewegt sich ein etwa hundert Meter breiter Reifen, der in Lagern läuft und durch einen Atom-Motor in rotierende Bewegung versetzt wird. An diesem Ring wird ein Netz befestigt, das sich infolge der Fliehkraft ausbreitet, und in dieses Netz werden die Facette-Spiegel montiert, die von einer Beobachtungskanzel aus, im Kern der
Scheibe, in jede gewünschte Richtung gedreht werden können. Durch besondere Stellung der Facette-Spiegel wird es möglich sein, konzentriertes Sonnenlicht von ungeheuren Hitzegraden auf jeden beliebigen Punkt der Erde zu richten.“ Nam Yen machte eine Pause und sah Mitsuma erwartungsvoll an. Als der Japaner aber schwieg, fuhr er fort: „Sie haben mich nicht richtig verstanden, Doktor. Ich sagte: konzentriertes Sonnenlicht von ungeheuren Hitzegraden. Wie ein Zauberer kann ich mit diesem ,Magischen Strahl‘ blühende Städte in Schutt und Asche legen. — Durch Druck auf einen Knopf gehen weite Landstriche in Flammen auf. Atombomben-Depots und Sprengstofflager fliegen in die Luft, und anmarschierende Heere werden zu Asche, bevor sie ihren Einsatzort erreicht haben. — Wissen Sie, was das heißt?“ In Nam Yens Augen stand ein fanatisches Funkeln. „Es bedeutet, daß ich mit dem ,Magischen Strahl‘ Herrscher der Erde bin! — Was nützt ihnen noch die technische Überlegenheit?“ Er lachte leise. „Und alles ist so einfach; konzentriertes Sonnenlicht durch Facette-Spiegel tausendfach verstärkt.“ „Und die Pläne sind in Ordnung?“ fragte Mitsuma. „Die ganze Angelegenheit scheint mir sehr phantastisch. Dieses Netz hat doch ein ungeheures Gewicht.“ „Wir haben die Berechnungen genau geprüft“, antwortete Nam Yen. „Aber Sie können selbst mit den Konstrukteuren sprechen, wenn Sie etwas Besonderes wissen wollen.“ Mitsuma nickte und folgte dem Chinesen in einen Zeichensaal, in dem Hunderte von farbigen Konstrukteuren hinter den Reißbrettern standen. „Dr. Mitsuma möchte einige Details über den All-Spiegel wissen“, wandte sich Nam Yen an den Chefkonstrukteur. „Bitte, klären Sie ihn auf, damit er sich von der Realität des Projektes überzeugen kann.“ Dr. Mitsuma war aber auch nach dem fast halbstündigen Vortrag des Chefkonstrukteur nicht überzeugt. Mit sicherem Blick beanstandete er verschiedene Punkte, die ihm unklar erschienen. Der Chefkonstrukteur hob nur die Schultern. „Das wird die Praxis beweisen“, sagte er. Als aber Nam Yen für kurze Zeit den Raum verließ, bekannte er offen, daß auch er Bedenken habe. Nam Yen sei aber durch nichts zu bewegen, von diesem Plan abzulassen. „Er hat dem Sonderkomitee in Lhasa berichtet, das den sofortigen Bau befohlen hat. Das Projekt aufzugeben, ist nicht mehr möglich. Wir müssen es nach den vorliegenden Plänen beenden.“ „Und die Amerikaner?“ fragte Nam Yen. „Befassen sie sich ebenfalls mit der Einrichtung einer solchen Station?“ „Sie bauen in aller Stille auf einer Südseeinsel der Star-Gruppe“, erwiderte der Chefkonstrukteur. „Ich bin jedoch überzeugt, daß sie nicht nach diesen Plänen bauen. Hier stimmt etwas nicht. Ich halte die Pläne für Fragmente. Sie sind ungenau und enthalten Fehler, die sehr schwer auszumerzen sind.“ „Bauen Sie nur weiter“, sagte Mitsuma. „Ich werde das alles klären. Bevor aber etwas Besonderes unternommen wird, verständigen Sie mich bitte.“ Der Japaner verließ gedankenvoll den Raum und traf auf dem Korridor Nam Yen. „Nun, sind Sie jetzt davon überzeugt?“ fragte der Chinese. „Ich werde mich persönlich in den Staaten umsehen“, antwortete Mitsuma. „Meine Ansicht ist, die Pläne enthalten Fehler. Aus diesem Grunde verhalten sich die Amerikaner auch so ruhig.“ Er überlegte eine Weile. „Sie hätten sich an A 13 wenden sollen. Er hätte Ihnen bestimmt eine genaue Auskunft geben können.“ „A 13 ist seit drei Monaten abgesprungen“, antwortete Nam Yen. „Er hatte bis dahin ausgezeichnet gearbeitet und uns stets mit den neuesten Berichten aus Washington versorgt. Aber wir konnten nicht an ihn heran, weil er uns persönlich nicht bekannt war.“ „Abgesprungen?“ wiederholte Mitsuma leise. „Das ist ja sehr interessant. Sicher weil er glaubte, daß ich nicht mehr zurückkommen würde.“ „Wer ist denn dieser Mann?“ fragte Nam Yen. „Ein Weißer?“
Der Japaner nickte. „Ja, ein Weißer, eine jener Kreaturen, die für Geld alles tun. — Haben Sie ihn pünktlich bezahlt?“ „Wie es ausgemacht war; alle zwanzig Tage“, nickte Nam Yen. „Er hat uns bis dahin ausgezeichnete Informationen verschafft. Zuletzt leiteten wir das Geld an eine Deckadresse in San Franzisko. Wie wir feststellten, ist das ein Uhrmacherladen in der Market-Street. — Und seit dieser Zeit hören wir nichts mehr von ihm.“ Mitsuma sah eine Weile vor sich hin. „Ich werde ihn aufsuchen. Es ist gefährlich, wenn ein Weißer mit uns paktiert.“ „Und wer ist dieser Mann?“ fragte Nam Yen erwartungsvoll. „Ich halte es für sicherer, wenn auch ich seinen Namen weiß.“ Mitsuma zögerte einen Augenblick, dann beugte er sich vor und sagte mit leiser Stimme einen Namen. Das Gesicht Nam Yens nahm im ersten Augenblick einen bestürzten Ausdruck an; er schien zu zweifeln. Aber dann lachte er schallend auf. „Und wie ist es Ihnen damals gelungen, diesen Mann auf unsere Seite zu ziehen?“ „Ganz einfach“, lächelte Nam Yen. „Er verlor an mich eine hohe Summe im Spiel. Ich habe Schuldscheine mit seiner Unterschrift. Er ist vollkommen in unserer Hand. Warten Sie nur, in einigen Tagen werden wir wieder von ihm hören. Ich muß mich ihm nur in Erinnerung bringen.“ Die Mittagsblätter der amerikanischen Presse berichteten in großer Aufmachung über die Rückkehr des südamerikanischen Raumschiffes, das durch Funksprüche nach Alamos geleitet worden war. Der Überfall des Asiatischen Staatenblocks und die Rückkehr Dr. Mitsumas wurden eingehend behandelt. In spaltenlangen Berichten wurden die Vorgänge auf dem Mars geschildert; der Kampf der Raumschiffbesatzung gegen die Raubinsekten und das Eingreifen der Fliegenden Scheibe, deren tatkräftiges Vorgehen erst die Rettung der Expeditionsteilnehmer gewährleistete. Die San Franzisco Times warnte vor Mitsuma, den sie als einen der aktivsten Mitarbeiter des Asiatischen Staatenblocks bezeichnete. Auf der Südseeinsel der Star-Gruppe war der Bau des All-Spiegels inzwischen angelaufen. Vier große Werke waren dort mit dem Bau der Einzelteile beschäftigt, die im Bereich der UTO-Außenstation im schwerelosen Weltenraum zusammengesetzt werden sollten. So hatte man schon vor Monaten mit dem Bau einer frei im All schwebenden Montageplattform begonnen. Sie wurde direkt neben der Außenstation errichtet, und auf ihr sollte die Zusammensetzung der Einzelteile des All-Spiegels vorgenommen werden. Über die Konstruktion des Spiegels hatten Dr. Paulsen und sein Mitarbeiterstab bisher strengstes Stillschweigen bewahrt. Nicht einmal Stimson;i;Dr. Harris oder Professor Perez wußten genaue Einzelheiten über den Bau des gigantischen Projektes. Bekannt war nur, daß es sich nicht um eine Konstruktion handelte, bei der die Facette-Spiegel in einem Stahlnetz hingen. Paulsen war von diesem Gedanken abgekommen. So drängten Professor Stimson und Dr. Harris auch nicht, sondern ließen Paulsen in aller Ruhe arbeiten. Nur Senator Sanders wollte stets Einzelheiten wissen, um sie nach Washington berichten zu können. Auch seine Dienststelle War auf die Insel verlegt worden, um, wie Sanders erklärte, einen Überblick über den Stand der Arbeiten zu erhalten. Pausenlos arbeiteten die Werke in Tag- und Nachtschichten. In den Lagerhallen der Insel stapelten sich die Einzelteile. Meterdicke Linsen aus federleichtem Stahloplex bekamen einen besonderen Schliff. Sie waren die Grundbestandteile der großen Spiegel. Zu Tausenden wurden sie in Kisten verpackt und warteten auf den Tag, da man sie im Weltenraum zusammensetzte. Jeden Tag bekam Dr. Paulsen eine Produktionsmeldung über die Anzahl der fertiggestellten Einzelteile und konnte sich an Hand dieser Meldungen ausrechnen, wann mit der eigentlichen Montierung des Spiegels begonnen werden konnte. Badoli führte über alles genau Buch und gang Paulsen in jeder Weise zur Hand. Auch er war
über das Projekt genauestens orientiert, aber er schwieg wie ein Grab. Auf diese Weise blieb die Konstruktion des All-Spiegels bis zum Zeitpunkt der Montage ein Geheimnis, über das die amerikanische Presse in seitenlangen Berichten die tollsten Vermutungen anstellte. Drei Wochen nach der Rückkehr des südamerikanischen Raumschiffes, als sich die Wogen der Erregung über die Wiederkehr gelegt hatten, ging Mitsuma zu einem Angriff über. In der Nacht, als der Japaner von einem Stratosphären-Kreuzer in die Nähe von Alamos geflogen wurde, weil dort, nach amerikanischen Pressemeldungen, der Mitarbeiterstab Dr. Paulsens zu einer Beratung zusammengetreten war, zogen tiefe Wolkenschleier über das Land, die das Vorhaben Mitsumas begünstigten. Er saß in der winzigen Kabine eines bombenartigen Körpers, der unter dem Rumpf des Kreuzers eingeklinkt war. Diese sogenannte Absprungbombe war so beschaffen, daß der Luftstrom, der beim Absturz durch ein Röhrensystem zog, den sonderbaren Flugkörper mit den kurzen Flügelstumpen in waagerechte Lage riß und dem Piloten ermöglichte, im Gleitflug jeden gewünschten Punkt zielsicher anzusteuern. Dabei wurde die Geschwindigkeit durch die Auslösung eines Schlepp-Schirmes gedrosselt. Mitsuma wollte unter allen Umständen mit dem Agenten, der unter der Bezeichnung A 13 bekannt war, Verbindung aufnehmen. Sein Aussehen hatte der Japaner durch ein kleines Bärtchen verändert und sich seinen Kopf kahlscheren lassen. In dem blauen Overall, den er trug, konnte man ihn im ersten Augenblick für einen der philippinischen Monteure der UTO halten. Nam Yen steuerte die schwere Maschine, die sich in zehntausend Meter Höhe den SierraBergen näherte. Sie hatten die Sperre der. Luftüberwachung erfolgreich durchbrochen. Der Chinese drückte das Steuer, so daß die Maschine an Höhe verlor, während Mitsuma angestrengt nach einem Lichtzeichen Ausschau hielt, das unten zwischen den Sierra-Bergen aufflammen sollte, um ihm das Absprungziel anzuzeigen. Durch Kurzwellensprecher verständigte er sich mit Nam Yen. Endlich wurde unten in der samtschwarzen Dunkelheit ein Lichtschein sichtbar. „Achtung! — Ich löse aus!“ sagte Mitsuma in das Mikrophon. Seine Hand tastete nach einem Griff, den er herunterriß. Lautlos stürzte er in die Tiefe, geriet kurz darauf in waagerechte Lage und schwebte in breiten Spiralen dem Erdboden zu. Er hielt den Steuerknüppel fest umklammert und brachte durch Veränderung der Flügelstumpen den Gleitapparat in eine scharfe Kurve. Der Lichtschein näherte sich. Bald konnte er erkennen, daß es sich um einen Scheinwerfer handelte. Fünfhundert Meter zeigte der kleine Höhenmesser am Armaturenbrett an, als der Japaner durch Schließen mehrerer Röhren die Geschwindigkeit des Körpers noch mehr abdrosselte. Dann endlich drückte er den roten Knopf, der den Brems-Fallschirm auslöste. Ein heulendes Rauschen wurde hörbar, das mit einem scharfen Knall endete. Der Schirm hatte sich geöffnet. Noch zog er hinter dem Flugkörper her, um dessen Geschwindigkeit zu bremsen, aber dann glitt der Sessel Mitsumas in eine andere Lage, und der Flugkörper schwebte senkrecht am Fallschirm hängend zu Boden. Er landete etwa zwanzig Meter von dem Lichtschein entfernt. Mitsuma stieg aus der Kabine und wurde bald darauf von zwei Chinesen zu einem Auto geführt, das an einer Paßstraße gewartet hatte. In schneller Fahrt näherte sich der Wagen der Einfahrt der Autostraße und brauste in Richtung Alamos davon. Eine halbe Stunde später saß der Japaner bereits in einem Hotel am Stadtrand, während die Maschine mit Nam Yen den Rückflug durch das Sperrgebiet des Küstenschutzes antrat. In diesem Hotel, das in der Nähe des Flughafens lag, hatten sich die letzten Agenten der Raijama eingemietet. Sie waren mit der Beobachtung der UTO-Werke in Alamos beauftragt worden. Bei ihnen erkundigte sich Mitsuma nach einem Namen und erhielt die Auskunft, dieser Mann sei im Augenblick ebenfalls in Alamos.
Der Japaner überlegte einen kurzen Augenblick und ließ dann eine telefonische Verbindung mit dem UTO-Werk herstellen. Als sich bald darauf der Mann meldete, den er gewünscht hatte, zog ein böses Lächeln über Mitsumas Gesicht. „Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Quittungen über die Geldbeträge, die Sie von uns erhalten haben, bei der State-Bank deponiert sind“, sagte er. „Warum haben Sie in den letzten Monaten nichts von sich hören lassen? Auch der Plan mit den Südamerikanern hat nicht geklappt. Wir haben längst erkannt, daß man uns falsche Pläne zugeschustert hat. Sie haben sich mit der UTO zusammengeschlossen.“ Er lauschte eine Weile, wobei ein spöttischer Ausdruck in sein Gesicht trat. „Sie wollen also nicht mehr, wenn ich Sie recht verstanden habe? — Hören Sie zu! Wir benötigen die Pläne des All-Spiegels, die Originalpläne, verstanden! Das ist Ihre letzte Aufgabe. Denken Sie daran, daß wir Belege in den Händen haben, die Sie als Verräter kenntlich machen. Es gibt angenehmere Arten, aus dem Leben zu scheiden, als der elektrische Stuhl oder die Gaskammer. Oder denken Sie nur an die beiden Südamerikaner. Wir haben sie unschädlich gemacht, bevor jemand eingreifen konnte.“ Wieder lauschte Mitsuma eine Zeitlang. „Gut“, sagte er dann. „Ich erwarte Sie morgen abend um dreiundzwanzig Uhr in Fungs Uhrenhandlung in San Franzisko, verstanden?“ Zufrieden legte Mitsuma den Telefonhörer auf, „Ich möchte kein Flugzeug benutzen“, wandte er sich an die beiden Chinesen, die dem Gespräch interessiert gefolgt waren. „Schaffen wir die Fahrt mit dem Wagen, wenn wir jetzt losfahren?“ „Wir werden es versuchen“, sagte einer der Männer. Mitsuma konnte nicht ahnen, daß sein Telefongespräch mit dem Unbekannten bereits eine „Stunde später Storm vorlag. Nach der Inangriffnahme des neuen Projektes hatte Storm verfügt, daß alle Telefongespräche, die Abteilungen des Werkes mit auswärtigen Stellen führten, überwacht wurden, um den noch tätigen Mittelsmännern der Raijama auf die Spur zu kommen. Dieses Gespräch war durch seinen eigenartigen Wortlaut dem Beamten in der Überwachungszentrale aufgefallen, der die letzten Sätze mitstenografierte und zur Auswertung an Storm weitergab. Da in dem Gespräch keine Namen genannt wurden, konnte man auf die Personen, die das Gespräch geführt hatten, keine Rückschlüsse ziehen. Die Zentrale hatte in dieser Zeit so viele Gespräche vermittelt, daß auch dort eine Nachfrage ohne befriedigende Antwort blieb. Im Verwaltungsgebäude der UTO wimmelte es nämlich von Mitgliedern des Forschungskomitees, dem Dr. Paulsen heute abend eine Erklärung abgeben wollte. Seit dem frühen Morgen hatte man die Produktion der Einzelteile des AllSpiegels eingestellt, weil die Vorbedingungen zur Montage erfüllt waren. Als Storm den kleinen Saal des Verwaltungsgebäudes betrat, war er bereits bis auf den letzten Platz gefüllt. Professor Stimson, die beiden Mitarbeiter der Südamerikanischen Forschungsgesellschaft, Perez und Sanchez, Dr. Harris, Senator Sanders und die Mitglieder des Forschungskomitees warteten in den roten Polstersesseln. Ganz zuletzt traf Professor Heisen in Begleitung Dr. Paulsens ein, und hinter ihnen betrat Badoli den Saal. Storms Augen suchten Donelli und Bell. Er hatte sie bald gefunden und gesellte sich zu ihnen. Mit kurzen Worten klärte er sie über das Telefongespräch auf. „Wenn wir den Kerl fassen wollen, muß alles unter uns bleiben, Nicht einmal Stimson werde ich von dem Vorfall in Kenntnis setzen.“ „Haben Sie einen Verdacht, wer dieser Mann sein könnte?“ fragte Bell. Storni schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich habe hin und her überlegt“, antwortete er. „Nein, ich kann es mir beim besten Willen nicht denken. Aber es muß dieselbe Person sein, die die Raijama schon seit Jahren über unsere Pläne informiert.“ „Und was ist zu tun?“ Donelli sah Storm fragend an. „Wir werden uns morgen in dem Uhrenladen einfinden“, erklärte Storm. „Jedenfalls gehört dieser Mann nicht zum engsten Mitarbeiterstab, sonst wäre ihm die Überwachung des Tele-
fons bekannt gewesen. — Aber wir besprechen alles nachher in meinem Büro.“ Inzwischen hatte sich Professor Stimson erhoben und war hinter das Rednerpult getreten. Langsam verstummten die Geräusche im Saal. „Ich habe Ihnen die erfreuliche Mitteilung zu machen, daß die Vorarbeiten zum Bau des All-Spiegels beendet sind, meine Herren“, begann Stimson. „Ebenfalls ist die Errichtung der Montageplattform neben der Außenstation beendet, so daß die letzte Phase des Projektes in Angriff genommen werden kann. Dr. Paulsen wird Ihnen nun diese Situation in ihren Einzelheiten erklären. Der Zeitpunkt für diese Erklärung ist absichtlich so spät gewählt worden, um unsere Gegner nicht vorzeitig über das Projekt zu informieren.“ Er nickte Dr. Paulsen zu, der sich erhob und Stimsons Platz einnahm. „Gleich zu Beginn möchte ich eine Erklärung abgeben“, begann Dr. Paulsen. „Die Pläne, die mir damals geraubt wurden, enthalten Berechnungsfehler. Ich warne hiermit die Raijama, den Bau des All-Spiegels nach den ihnen vorliegenden Konstruktionsplänen zu bauen. Wir haben bei unserer Neukonstruktion völlig andere Wege eingeschlagen. Unser Projekt besteht aus einem Kernstück in der Größe der jetzigen Außenstation. In ihm sind Maschinenräume, Besatzungsunterkünfte, Sendeanlagen und die Schaltkanzel untergebracht. Um dieses Kernstück werden etwa fünfzig Scheiben von etwa hundert Meter Durchmesser montiert, und jede Scheibe besteht aus zwei beweglichen Facette-Spiegeln, die wiederum aus hundert scharfgeschliffenen Stahloplexlinsen gebildet werden, so daß die ganze Station über hundert Facette-Spiegel verfügt, die sich einzeln und in Gruppen einsetzen lassen. Die Einzelteile dieser Scheiben sind so eingerichtet, daß sie durch wenige Handgriffe montiert werden können und ihre Stabilität durch verbindende Verstrebungen erreichen. Die Brennkraft oder Intensität des Gesamtspiegels dürfte ausreichen, um die Urwälder des Amazonas oder Afrikas in Sekundenschnelle in Flammen aufgehen zu lassen. New York, San Franzisko oder jede andere Stadt in der Welt wäre in wenigen Minuten ein gewaltiges Flammenmeer, aus dem sich keine Menschenseele retten könnte. Daran können Sie ermessen, welches Instrument der Menschheit mit dieser Station in die Hand gegeben wird.“ Dr. Paulsen machte eine Pause und ließ seinen Blick durch den kleinen Saal wandern. Überall sah er ernste Gesichter. „Aber Sie sollen auch die positiven Seiten des All-Spiegels erfahren“, fuhr er fort. „Durch ihn wird es uns endlich gelingen, die Bodenschätze der arktischen Gebiete nutzbar zu machen. Es gibt viele Möglichkeiten, den Spiegel zum Wohl der Menschen einzusetzen. Durch intensive Bestrahlung größerer Wasserflächen können wir Dunstschleier anregen, die sich zu Regenwolken zusammenballen und die wir in regenarmen Gebieten zum Entladen bringen können. Wüsten und Einöden können dadurch in fruchtbare Gebiete verwandelt werden. Der Winter mit strengen Nachtfrösten, die oftmals die Ernte ganzer Gebiete in einer Nacht vernichteten, hat seine Schrecken verloren. Das sind nur wenige Argumente, die die positiven Seiten des Projektes behandeln, aber allein schon diese wenigen Punkte dürften für den Bau des All-Spiegels sprechen. Nur muß ein wirksamer Schutz getroffen werden, daß die SpiegelStation niemals in die Hände von Menschen fällt, die rein egoistische Ziele verfolgen und ihn zur Unterdrückung der Völker einsetzen könnten.“ Dr. Paulsen hob seine Stimme. „Morgen beginnt in dreitausend Kilometer Höhe der Bau dieses größten Projektes unseres Zeitalters. Das wollte ich Ihnen mitteilen, meine Herren!“ Damit verließ Dr. Paulsen das Podium. Im Saal brandete rauschender Beifall auf. Storm gab seinen beiden Mitarbeitern ein Zeichen. Unbemerkt verließen die Männer den Sitzungssaal und gingen in Storms Büro hinüber. Hier wurde noch einmal alles für den morgigen Abend besprochen. „Wenn wir den Kerl nicht fassen, müssen wir auf jeden Fall damit rechnen, daß er beim Bau des All-Spiegels Sabotage treiben wird“, meinte Storm. „Morgen wird die Raijama durch die Presse alles erfahren und den Bau des Projektes, falls sie bereits damit begonnen hat, einstellen. Aber sie wird niemals Ruhe geben. Die asiatischen Machthaber werden alles
aufbieten, die Fertigstellung zu verhindern.“ Donelli zündete sich eine Zigarre an und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Das regte seine Denktätigkeit an. „Und wo werden die Pläne aufbewahrt?“ fragte er. „Wieviel Ausfertigungen gibt es, und wer verwaltet diese Dokumente?“ „Es gibt nur einen Konstruktionsplan, und den hat Drr Paulsen“, teilte Storm mit. „Wenn sich der Verräter diesen Plan aneignen will, kann er ihn nur Dr. Paulsen abnehmen. Das dürfte sehr schwer sein, da Paulsen auf Anordnung.von Senator Sanders von vier Detektiven überwacht wird. Nach menschlichem Ermessen kann nichts passieren.“ „Ich würde Ihnen raten, auf alle Fälle mit Paulsen zu sprechen, um ihn auf die Möglichkeit eines Anschlages aufmerksam zu machen“, riet Bell. Damit war Storm einverstanden, Gemeinsam suchten sie den deutschen Gelehrten und fanden ihn im Zimmer von Senator Sanders. Er gab Sanders Informationen über den Bau der Spiegel-Station und teilte ihm wichtige Einzelheiten über das Projekt mit. Senator. Sanders machte sich eifrig Notizen, die er für seinen Bericht nach Washington verwenden wollte. Über das Erscheinen der drei Detektive war er nicht sehr erfreut. In Sanders‘ Büro fand Storm auch seinen Freund, den Italiener Badoli, wieder. Er saß teilnahmslos in einem Sessel und nahm von dem Eintreffen der Detektive keinerlei Notiz. Storm nahm sogleich das Wort und bat Dr. Paulsen, die Konstruktionspläne auf jeden Fall an einem sicheren Ort unterzubringen. „Aber sie liegen doch in einem Safe, meine Herren“, lächelte der Deutsche. „Ich bin mit solchen Sachen sehr vorsichtig. Die einzige Kopie der Konstruktionspläne übergab ich Senator Sanders...“ „Und Sie können sie sofort wieder mitnehmen“, fiel Sanders ein. „Ich werde aus den Umrechnungsformeln nicht schlau und konnte keine der Angaben für den angeforderten Geheimbericht nach Washington verwenden.“ Er erhob sich, trat an den Panzerschrank, öffnete ihn und nahm eine rote Mappe heraus, die er Paulsen überreichte. Der Deutsche warf einen flüchtigen Blick hinein und legte die Mappe in seine Aktentasche. „Mir genügen für den Bericht die Informationen, die Sie mir gegeben haben“, meinte Sanders. „Washington wird sich damit zufriedengeben müssen.“ „Aber warum sind Sie so besorgt, meine Herren“, wandte sich Dr. Paulsen an Storm. „Hat das einen besonderen Grund?“ Storm hob die Schultern. „Es : unsere Aufgabe, besorgt zu sein“, antwortete er. „Außerdem hörte ich Ihren Vortrag. Ich könnte mir gut denken, daß die Raijama nach ihrem Fehlschlag eine neue Gegenaktion plant.“ „Dazu ist es jetzt zu spät“, antwortete Paulsen. „In einem Vierteljahr ist die Spiegel-Station Wirklichkeit geworden. Sie werden diesen Vorsprung niemals einholen können.“ Paulsen öffnete seine Aktentasche und nahm die rote Mappe wieder heraus „Hier können Sie den Einsatzplan der Monteure einsehen. Es ist für Sie bestimmt interessant.“ Paulsen wurde plötzlich blaß. Er begann erregt in den Schriftstücken zu blättern, fand aber nur leere Seiten. „Mr. Sanders“, sagte er bestürzt, „das sind nicht die Pläne, die ich Ihnen übergeben habe.“ Der Senator sah überrascht auf. „Wieso?“ Dr. Paulsen hielt ihm die Mappe hin. „Das sind leere Seiten! Nur die ersten stammen aus dem Original, das ich Ihnen übergab. Wem zeigten Sie diese Pläne?“ „Aber ich verstehe nicht“, stammelte Sanders völlig verzweifelt. „Ich habe die Pläne gestern in den Safe eingeschlossen und bis jetzt nicht wieder hervorgeholt. Niemand hat sie gesehen. Es ist mir völlig unverständlich...“ Er brach ab und hob resigniert die Schultern. Die drei Detektive tauschten Blicke. Dann griff Storm ein. „Wissen Sie genau, daß Sie Senator Sanders die Kopien übergaben?“ wandte er sich an Paulsen. „Oder besteht die Möglichkeit, daß sie schon vorher ausgetauscht wurden?“
„Das halte ich für ausgeschlossen“, antwortete Paulsen bestimmt. „Ich überzeugte mich von dem Inhalt, als ich die Mappe aushändigte.“ „Und ich habe nur die ersten Seiten durchgesehen“, sagte Sanders. „Ich habe gar nicht bemerkt, daß die anderen Seiten nur leere Blätter waren. Ich kann mir wirklich nicht denken, wer in meiner Umgebung Interesse an diesen Plänen haben könnte.“ „Ich bitte Sie, über diesen Vorfall strengstes Stillschweigen zu bewahren“, sagte Storm. „Niemand darf etwas darüber erfahren, sonst erschwert man unsere Arbeit. — Wer hat Zugang zu Ihrem Zimmer?“ „Nur Professor Stimson und die Südamerikaner“, erklärte Sanders. „Aber die Pläne lagen im Safe. Das dürfen Sie nicht vergessen, meine Herren! Ihn kann niemand ohne das Kennwort öffnen.“ „Wir müssen uns einmal mit den Südamerikanern befassen“, meinte Bell nachdenklich. „Ich habe in der letzten Zeit das Gefühl, als wären Unstimmigkeiten zwischen ihnen aufgekommen.“ Sanders richtete sich in seinem Sessel auf. „Tun Sie alles, was in Ihren Kräften steht, meine Herren. Es ist mir außerordentlich peinlich, daß gerade mir dieses Mißgeschick passieren mußte.“ Im Zimmer Storms fand etwas später eine eingehende Besprechung zwischen den Detektiven statt. Storni war sich völlig klar darüber, daß der Unbekannte, der von seinem Partner bedroht worden war, den Tausch der Dokumente vorgenommen hatte, vermutlich während der Rede Dr. Paulsens. Der Unbekannte hatte also schnell und gründlich gearbeitet. „Könnte der andere Partner nicht Mitsuma gewesen sein?“ fragte Bell und überlegte. „Ich tippe eher auf Nam Yen“, meinte Donelli. „Er kennt sich hier aus, dagegen ist Mitsuma unseren Leuten zu gut bekannt. Er würde sich nicht nach San Franzisko wagen.“ „Das alles wird sich morgen abend klären“, nickte Storni. „Wir müssen nur ungesehen nach San Franzisko kommen. Das ist die Hauptsache. Wenn der Bursche Lunte riecht, wird er niemals zu dem verabredeten Stelldichein erscheinen.“ „Nach San Franzisko zu kommen, ist doch sehr einfach“, sagte Bell. „Wir fliegen mit der fahrplanmäßigen Postmaschine. Dann sind wir gegen Mittag in San Franzisko und können dort in aller Ruhe sondieren. Außerdem wird uns niemand in der Postmaschine vermuten.“ Storni stimmte sofort zu. Das war ein guter Vorschlag. Auf diese Weise gelangten sie ungesehen nach San Franzisko. So machten sie sich am nächsten Morgen, bevor die Dämmerung anbrach, zu Fuß auf den Weg zum Flughafen. Die beiden Piloten, die die Postmaschine steuerten, waren sofort bereit, sie mitzunehmen. Es waren prächtige Kerle, mit denen sich die Detektive ausgezeichnet unterhielten. In San Franzisko brachten die Zeitungen seitenlange Berichte über die Konferenz von Alamos. Dr. Paulsens Rede war fast wörtlich wiedergegeben. In den Mittagsstunden starteten vom Militärflughafen Alamos die ersten Lasten- und Mannschaftsraketen zum Flug zur Außenstation, um den Bau der Spiegel-Station in Angriff zu nehmen. In den Straßen stauten sich die Menschenmassen und lasen diese Meldung, die pausenlos über die Riesenbildschirme an den Fronten der Hochhäuser zog. Auch der kleinste Mann auf der Straße spürte, daß eine neue Epoche in der Erforschung des Weltenraumes begonnen hatte. Storm und seine Begleiter hatten den chinesischen Uhrenladen bald gefunden. Bell hatte vollkommen recht, wenn er diesen düsteren Laden mit den schwarzgestrichenen Fensterscheiben als eine getarnte Niederlassung der Raijama bezeichnete. In einem Drugstore, der dem Uhrenladen gegenüberlag, bezogen sie ihren Beobachtungsplatz. Durch die große Schaufensterscheibe war die Straße gut zu übersehen. Aber während der ganzen Stunden, die sie dort warteten und beobachteten, betrat niemand den Laden. Bell wurde unruhig. „Ich kann mir nicht helfen, aber ich muß doch einmal vorfühlen“, sagte er endlich. „Sollte ich in zehn Minuten nicht wieder erscheinen, kommt ihr nach.“ Damit
zerschlug er das Glas seiner Armbanduhr und machte sich auf den Weg über die Straße. Donelli und Storni beobachteten, wie er im Hauseingang verschwand. Bell hatte inzwischen den Laden betreten und stand einem alten Chinesen gegenüber, der ihn aufmerksam musterte. Er wies seine Uhr vor, die der Alte mit fachmännischer Miene betrachtete. „Das ist schnell gemacht“, sagte der Alte. „Warten Sie bitte einen Augenblick.“ Er verschwand hinter einem Vorhang, während sich Bell auf einen Hocker niederließ und die vielen Uhren, die an der Wand hingen und um die Wette tickten, betrachtete. War das eine getarnte Raijama-Niederlassung? Oder tatsächlich nur ein Treffpunkt, den die beiden Unbekannten ausgemacht hatten? Darauf wußte Bell keine Antwort. Keine fünf Minuten waren vergangen, da tauchte der Alte wieder auf. Das Glas in der Uhr war erneuert. Er nannte einen Preis und übergab Bell die Uhr. Der Detektiv zahlte und wollte soeben das Lokal verlassen, da ließ ihn eine scharfe Stimme herumfahren. „Nehmen Sie die Hände hoch, Mr. Bell!“ Bell sah drei Asiaten in blauen Overalls. Sie hielten schwere Brownings auf ihn gerichtet. Der mittlere der Männer kam Bell bekannt vor. Natürlich, das war Dr. Mitsuma! „Nehmt ihm die Waffe ab“, gebot der Japaner seinen Leuten. „Sie sind naiv“, wandte er sich an Bell. „Haben Sie tatsächlich gedacht, wir hätten geglaubt, daß Sie sich ausgerechnet hier Ihre Uhr reparieren ließen?“ fragte er spöttisch. Bell behielt seine Ruhe. „Sie werden lachen, Doktor“, antwortete er sofort. „Daß ich diesen Laden betrat, ist ein reiner Zufall. Ich bin wirklich überrascht, Sie hier zu sehen.“ „Waren Sie nicht gestern noch in Alamos?“ fragte Mitsuma. Bell schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich bin bereits seit einigen Tagen in San Franzisko und wollte heute zurück.“ „Und Donelli und Strom?“ Bell tat erstaunt. „Haben Sie denn keine Zeitung gelesen? Sie begleiten die Mannschaften zur Außenstation, um Sabotage beim Bau der Spiegel-Station zu verhindern. Sie waren seit langem für diese Aufgabe vorgesehen. — Na, nun tut es Ihnen leid, daß Sie mich hier aufhielten, nicht wahr?“ Mitsuma starrte ihn nachdenklich an. Bell betrachtete seine Uhr und stellte fest, daß die zehn Minuten längst um waren. Donelli und Storm würden jetzt nach ihm forschen. „Ausgezeichnet gemacht!“ Bell lächelte und klopfte an das Glas seiner Uhr. „Haben Sie Ihre Leute alle als Spezialisten ausgebildet?“ Der Japaner überlegte noch immer, dann wandte er sich entschlossen an seine Leute. „Bringt ihn nach hinten!“ Bell wurde in einen Nebenraum genötigt, in dem die Asiaten vermutlich ihren Geschäftspartner erwarteten. „Sie bleiben vorerst bei uns“, sagte Mitsuma. „Wir haben hier nur noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Um Mitternacht lasse ich sie frei, dann ist unsere Mission beendet.“ Bell nickte gleichmütig. „Wenn ich mich darauf verlassen kann, soll es mir recht sein. Ich habe Zeit.“ Mitsuma war nicht sehr von diesen Worten überzeugt. Er starrte weiterhin gedankenvoll vor sich hin, schien aber zu keinem Ergebnis zu kommen. Bell stellte sich im Geist die Gesichter von Donelli und Storm vor, wenn er nicht zurückkam. Was würden sie unternehmen? Hoffentlich kamen sie nicht auf die Idee, den Laden vor dem Zeitpunkt des Zusammentreffens mit dem Unbekannten zu betreten. Das würde Mitsuma in jedem Fall zu der Überzeugung kommen lassen, daß man über alles im Bilde war. Er war schon durch das Erscheinen Bells mißtrauisch geworden. Bell hatte diese Gedanken noch nicht zu Ende geführt, da erklang im Laden das
Türglöckchen. Gleichzeitig wurde an der Wand ein kleiner Bildschirm heil, auf dem das Innere des Ladens zu sehen war. Man sah den alten Chinesen, wie er auf zwei Männer zutrat, deren breite Rücken auf dem Bildschirm zu sehen waren. Mit einem Blick erkannte Bell Donelli und Storm. Mitsuma hatte sich lautlos aufgerichtet und gab seinen Männern einen Wink. Vorsichtig öffneten diese die Tür, als sich draußen plötzlich die helle Sirene eines Polizeiwagens näherte. Zur größten Überraschung Bells wandte sich Storm plötzlich um und sagte: „Ich habe das Gefühl, einer von uns hat sich hier verrechnet.“ Im gleichen Augenblick hatte Donelli blitzschnell seine Pistole gezogen und richtete sie auf die beiden Asiaten, die sofort die Hände hoben. Sekunden später wimmelte der kleine Laden von Uniformierten. Storm trat in die Tür zum Nebenzimmer und winkte Mitsuma freundlich zu. „Wir haben uns lange nicht gesehen, Doc! — Ich freue mich wirklich.“ Der Japaner sah ihn mit bewegungsloser Miene an. Er wußte genau, diesmal war ein Entkommen nicht möglich. „Damit dürfte die Laufbahn eines Meisteragenten der Raijama nun endgültig beendet sein“, fuhr Storm fort. „Sie dürfen überzeugt sein, daß Sie uns diesmal nicht entkommen.“ Mit Handschellen gefesselt, wurden die Asiaten abgeführt. Nur Mitsuma blieb zurück. Ihn brauchte man als Köder. „Und wer ist der Mann, den Sie erwarten?“ fragte Storm. „Sie können ruhig leugnen, aber es ist zwecklos. „Wir haben Ihr Telefongespräch belauscht. Wir sind über alles bestens im Bilde. Wir wissen auch, daß Agenten der Raijama die beiden Beauftragten der Südamerikaner erschossen. Sie haben es in Ihrer Drohung selbst zugegeben.“ Der Japaner hob nur die Brauen. „Dann warten wir eben“, lächelte Storm. „Wir werden ihm einen netten Empfang bereiten. Der ganze Häuserblock ist von Polizei umstellt.“ „Ich bin nicht sicher, daß er kommt“, sagte Mitsuma. „Vielleicht warten Sie umsonst.“ „Darauf lasse ich es ankommen“, nickte Storm. „In knapp einer Stunde muß er sich uns vorgestellt haben.“ Als der Zeitpunkt der Verabredung gekommen war, wurde der Japaner unruhig. Mit dem Gongschlag einer Standuhr, fielen alle Uhren im Laden ein, und in dieses Gebimmel ertönte das Motorengeräusch eines Autos, das vor dem Laden anhielt. Storm hatte das Licht im Laden bis auf eine kleine Lampe auf der Theke abgeschaltet, und im Kreis dieses Lichtscheins hatte er Mitsuma postiert, so daß ihn der Eintretende sofort sehen mußte. Dem Japaner waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Draußen wurden jetzt Schritte hörbar. Sie kamen näher und verstummten. Storm lauschte mit angehaltenem Atem. Bell und Donelli, die draußen vor dem Haus Posten bezogen hatten, waren beauftragt, dem Mann sofort ins Haus zu folgen, um ihm den Rückweg abzuschneiden. Wenn er also den Vorraum betreten hatte, so mußten die beiden im nächsten Augenblick erscheinen. Wieder wurden Schritte hörbar. Schnell näherten sie sich. Dann wurde die Tür aufgerissen. Eine dunkle Gestalt stand auf der Schwelle und hielt eine Pistole in der Hand. „Keine Bewegung!“ sagte eine heisere Stimme zu Storm, der sich im Halbdunkel des Hintergrundes aufhielt. „Sie sind erkannt!“ Weiter kam der Mann nicht, denn im gleichen Augenblick stürzten Bell und Donelli in den Raum und rissen dem Unbekannten die Arme nach hinten. Storm schaltete die Beleuchtung ein und erkannte zu seiner größten Überraschung den Italiener Badoli, den Assistenten Dr. Paulsens, der sich wie ein Wilder wehrte. „Lassen Sie mich los!“ tobte der Italiener, auf dessen Gesicht sekundenlang grenzenlose Verblüffung trat, als er die Detektive erkannte. „Lassen Sie mich sofort los! — Sind Sie verrückt!“
Draußen im Flur entstand eine Bewegung. Eine Gestalt, die sich im Dunkel des Vorraums aufgehalten haben mußte, stürzte im Laufschritt vorbei. „Da läuft er!“ brüllte Badoli. Storm hatte noch immer nicht begriffen. Draußen fiel eine Wagentür ins Schloß. Ein Motor heulte auf, und in dieses Geräusch prasselte hart und scharf die Salve einer Maschinenpistole. Bell und Donelli hatten den Italiener freigegeben, der die Männer mit bösen Blicken ansah. „Sie haben Schießbefehl“, sagte Storm mit tonloser Stimme. Über den Flur kamen Schritte näher. Ein Uniformierter tauchte auf. „Wir haben ihn“, sagte er atemlos. Auf der nächtlichen Straße stand mitten auf der Fahrbahn ein Wagen. Er wurde von den Kegeln mehrerer Scheinwerfer angestrahlt. Langsam trat Storm. näher und sah eine zusammengesunkene Gestalt hinter dem Steuer. Die Salve der Maschinenpistole war durch die Windschutzscheibe geprasselt. Ein Polizeibeamter leuchtete mit einer Stablampe in den Wagen, und Storm erkannte in dem Toten Senator Sanders. Aus dem Dunkel kamen Schritte näher. Im Strahl der Scheinwerfer tauchten Bell und Badoli nun auf. „Ich sagte Ihnen ja, ich wußte bereits, daß es Sanders war“, hörte Storm den Italiener sagen. „Gestern abend experimentierte ich mit meinen Horchgeräten. Dr. Paulsen wollte die Apparaturen den Herren des Forschungskomitees vorführen. Durch einen Zufall empfing ich bei dieser Gelegenheit das Telefongespräch, und seit diesem Zeitpunkt ließ ich Sanders nicht mehr aus den Augen, denn ich wollte feststellen, mit wem er in Verbindung stand. Ich folgte ihm nach San Franzisko und flog mit ihm in der gleichen Maschine. Offenbar schöpfte er aber Verdacht und versuchte unterwegs, mich abzuschütteln. Als er das Haus betrat, folgte ich ihm in der Annahme, er habe bereits den Laden betreten, statt dessen hielt er sich aber im Vorraum auf, und ich ging in der Dunkelheit an ihm vorbei.“ „So hielten Sie mich im ersten Augenblick für Sanders“, nickte Storni. „Sie können von großem Glück sagen, Mr. Badoli, daß wir in der Nähe waren. Sie hätten sich uns lieber anvertrauen sollen. Diese Leute schrecken vor keiner Gewalttat zurück.“ Er wandte sich an Bell. „Können Sie sich jetzt denken, warum die Raijama über alle unsere Pläne so gut informiert war? Bereits von Washington aus berichtete Sanders laufend über unsere Projekte. Er hatte vermutlich mit Mitsuma schon Verbindung, als der Japaner noch für die UTO-Corporation arbeitete.“ Aus dem Dunkel näherten sich jetzt Schritte. Die hohe Gestalt Donellis tauchte auf. Er stieß dicke Rauchwolken aus seiner Zigarre. „Mitsuma wird den Untersuchungsbehörden wenig Arbeit machen“, sagte er langsam. Storm fuhr herum. „Wieso?“ „Zyankali“, sagte Donelli und schnippte die Asche von seiner Zigarre. „Er muß die Giftkapsel im Mund gehabt haben.“ * Menschenmassen stauten sich in der Market-Street von San Franzisko und belagerten die Redaktionsgebäude des Frisco-Star. Eine Bewegung ging durch die Menge, als etwa zwanzig Zeitungsjungen nun die breite Freitreppe herunterkamen. „Spiegel-Station vor der Vollendung!“ — Der magische Strahl bewirkt Veränderung des Klimas! — Der deutsche Gelehrte Dr. Paulsen übergibt den All-Spiegel seiner Bestimmung!“ — Hell klangen die Stimmen der Zeitungsjungen durch den Morgen. „Ausführliche Berichte über die heutige Einweihung!“ Seit gestern hatten die amerikanischen Rundfunkstationen in ihrem Nachrichtendienst bereits
auf die bevorstehende Einweihung hingewiesen. Außer den beiden Raumstationen, die die Erde umkreisten, schwebte in dreitausend Kilometer Höhe ein blitzender Stern. Er funkelte und gleiste in einem verhaltenen- Licht und war besonders während der Abend- und Morgenstunden deutlich sichtbar. Der All-Spiegel der UTO-Forschungs-Corporation sollte heute seiner Bestimmung übergeben werden. Während die Herren des Forschungskomitees, die mit vier Raumschiffen den Flug ins All gewagt hatten, durch die Schaltkanzel der Spiegel-Station wanderten und sich von Dr. Paulsen die komplizerte Anlage erklären ließen, stand Badoli gedankenvoll hinter der Schaltapparatur, durch die die Facetten der Spiegel in jede gewünschte Richtung gedreht werden konnten. Diese Apparatur der Anlage war seine Erfindung, und er konnte den Augenblick nicht erwarten, bis sie in Aktion treten würde. Die Anlage war mit einem Teleskop gekoppelt. Durch dieses Teleskop wurde der Punkt anvisiert, auf den sich der Strahl des Spiegels richten sollte. War er gefunden, so wurde an einer Skala die Stärke und Reichweite der Strahlung eingestellt. Normalerweise kam man mit der Hälfte der Spiegel aus, aber für das Antarktis-Projekt, für das er ja vor allem gebaut worden war, mußte die ganze Kraft eingesetzt werden. Durch Einstellung einzelner Gruppen von Spiegeln war es sogar möglich, mehrere Städte gleichzeitig künstlich zu beleuchten. In der Spiegel-Station trat durch ein magnetisches Kraftfeld die Schwerelosigkeit des Raumes nicht mehr in Aktion. Man bewegte sich völlig frei und ohne Schwierigkeiten. Badoli hatte im Sessel hinter dem halbrunden Schalttisch Platz genommen. Er schaltete die Sprechfunk-Apparatur ein und hörte ein Gespräch, das die Raumstation mit der Bodenstelle der UTO führte. „Geben Sie die Meldung weiter an die Spiegel-Station“, hörte er eine Stimme sagen. „Wir müssen vorsichtig sein, denn es handelt sich immerhin um ein Geschwader von Kampfraketen, die mit ihren Elektronen-Kanonen ohne Zweifel einen Angriff unternehmen können.“ „Gut“, tönte eine andere Stimme. „Ich gebe die Meldung weiter. Wann ist das Geschwader gestartet?“ „Vor zehn Minuten“, lautete die Antwort. Da im gleichen Augenblick Professor Stimson und Dr. Harris den Beobachtungsstand betraten, rief Badoli sie in die Schaltkanzel und teilte ihnen mit, was er gehört hatte. „Ein Geschwader Kampf-Raketen?“ fragte Stimson mit gerunzelter Stirn. „Hat sich denn die Außenstation noch nicht gemeldet?“ Dr. Harris nahm wortlos an der Sendeapparatur Platz und stellte über Sprechfunk die Verbindung mit der Außenstation her. „Ich wollte Sie gerade anrufen“, sagte der Wachhabende. „Im Planquadrat 14 der asiatischen Karte sind etwa zweihundert Kampfraketen aufgestiegen. Ich habe sie im Augenblick im Teleskop. Position 23 im Gitterviereck. Sie stoßen im geraden Kurs auf uns zu.“ Professor Stimson war blaß geworden. „Es handelt sich ohne Zweifel um einen Angriff der Raijama auf unsere Spiegel-Station.“ Harris sah ihn entsetzt an. „Sollten sie sich tatsächlich zu dieser Ungeheuerlichkeit entschlossen haben?“ Eilig nahm er die Schutzkappe vom Okular und stellte den Bildschirm ein. Sekunden darauf krochen winzige schwarze Pünktchen über den Bildschirm. „Das sind sie“, sagte Harris mit vor Erregung zitternder Stimme. „Sie kommen im geraden Kurs auf uns zu.“ Er wrarf Stimson einen fragenden Blick zu. „Was können wir tun?“ „Vor allen Dingen müssen wir Ruhe bewahren“, erwiderte der Professor. „Noch wissen wir nicht, ob sie tatsächlich einen Angriff planen.“ Jetzt meldete sich Badoli. „Wir brauchen sie nicht zu fürchten“, sagte er. „Der All-Spiegel wird ihre Angriffslust schon dämpfen.“ Stimson und Harris tauschten Blicke.
Inzwischen hatte Paulsen mit den Herren des Forschungskomitees den Rundgang durch die Station beendet. Sie betraten den Beobachtungsstand und umdrängten den Bildschirm, auf dem die schwarzen Pünktchen größer und größer wurden. „Vielleicht erklären Sie uns, was wir dort sehen“, bat einer der Herren Dr, Paulsen. Statt seiner nahm Professor Stimson das Wort „Was Sie dort sehen, ist ein Geschwader von etwa zweihundert Kampf-Raketen des Asiatischen Staatenblocks. Sie müssen sich damit abfinden, daß unsere Station in der nächsten halben Stunde angegriffen wird, wenn wir uns nicht zu ungewöhnlichen Maßnahmen entschließen.“ Eisiges Schweigen herrschte nach diesen Worten. „Und was bezeichnen Sie mit ungewöhnlichen Maßnahmen?“ fragte Senator Hall, der im Auftrag der Regierung zur Einweihung erschienen war. „Den Einsatz des All-Spiegels“, antwortete Professor Stimson. „Wir bauten ihn zum Wohle der Menschheit, sein erster Einsatz würde aber dann der Vernichtung dienen.“ „Lassen Sie doch diese Sentimentalitäten, Professor“, antwortete Hall. „Der All-Spiegel ist Eigentum des amerikanischen Staates, und ich bin als sein Stellvertreter verpflichtet, dieses Eigentum zu schützen. Ich befehle seinen Einsatz und trage dafür die Verantwortung.“ „Ich werde versuchen, sie durch Sprechfunk anzurufen und zur Umkehr zu bewegen“, sagte Dr. Harris. Nach wenigen Minuten war bereits die Frequenz gefunden, auf der sich die anfliegenden Kampf-Raketen verständigten. „Achtung! Achtung!“ Dr. Harris beugte sich über das Mikrophon. „Hier Spiegel-Station! — Drehen Sie ab! — Die Spiegel-Station ist als militärischer Stützpunkt zu werten. Für sie gelten die internationalen Bestimmungen.“ Diese Meldung wiederholte Harris mehrere Male. Aber er bekam keine Antwort. Auf dem Bildschirm wurden die schwarzen Pünktchen größer und größer. Deutlich konnte man bereits ihre Raketenform erkennen. Auf einen Wink Dr. Paulsens nahm Badoli in dem Sessel der Schaltkanzel Platz. Seine Finger glitten über die Tasten und Knöpfe der Apparatur, und die Facetten der Spiegel formten sich zu einer gleichmäßigen Fläche. Der Druck auf einen Knopf würde sie in eine gewisse Position zur Sonne bringen, und in diesem Augenblick brachen sich die Sonnenstrahlen in den geschliffenen Facette-Linsen und schleuderten den Angreifern einen glühenden Strahl entgegen. Alle Augen richteten sich gespannt auf den Bildschirm, auf dem die kleinen EinmannRaketen näher und näher kamen. In dem Lautsprecher vernahm man chinesische Kommandos. „Sie machen sich zum Angriff bereit“, sagte Dr. Harris erregt. „Es besteht kein Zweifel, ihr Angriffsziel ist unsere Spiegel-Station!“ „Entfernung hundert Kilometer“, sagte Badoli leise vor sich hin. Mit zitternden Fingern stellte er an der Skala die Entfernung und die Brennschärfe ein. Dann glitt sein Zeigefinger zu dem roten Knopf. Er sah Dr. Paulsen fragend an. Im Lautsprecher ertönten scharfe Kommandos, und im gleichen Augenblick teilten sich auf dem Bildschirm die anfliegenden Raketen in zwei Gruppen. Aber dann zuckte plötzlich ein gleißender Blitz über den Bildschirm. Vor dem Rundfenster der Schaltkanzel stand feuerrote Helligkeit, so daß die Menschen in der Kanzel erschrocken zurückfuhren. Ein feuriger Strahl bohrte sich kilometerweit in den nachtdunklen Raum. Badoli hatte den roten Hebel nicht gezogen. Und doch schien der Feind vernichtet zu sein. Mit weit aufgerissenen Augen beugten sich die Männer zum Bildschirm. Und dann sahen sie deutlich die silbernen Flugscheiben, die sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit entfernten. Wieder hatten die unbekannten Wesen aus dem All eingegriffen, um den Frieden der Welt zu erhalten. Die schwarzen Punkte auf dem Bildschirm waren verschwunden. Im Lautsprecher herrschte Totenstille.
„Achtung! Achtung! — Hier Raumstation UTO l!“ tönte eine Stimme über die Sprechfunkanlage. „Angriff der Raijama wurde erfolgreich abgeschlagen. Silberne Flugscheiben gesichtet. Drehen in Richtung Marsbahn ab.“ Dr. Paulsen richtete sich auf. In seinen Augen lag ein feuriger Glanz. Professor Stimson nahm ihn beim Arm. „Kommen Sie, wir müssen die Illumination von San Franzisko vorbereiten.“
ENDE