Atlan - Die Abenteuer des SOL Nr. 637 Anti‐ES ‐ Das Arsenal
Geschöpfe des Nichts von Peter Terrid
Aufstand g...
52 downloads
430 Views
814KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan - Die Abenteuer des SOL Nr. 637 Anti‐ES ‐ Das Arsenal
Geschöpfe des Nichts von Peter Terrid
Aufstand gegen die Schattenwesen
Die Verwirklichung von Atlans Ziel, in den Sektor Varnhagher‐Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint außerhalb der Möglichkeit des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden‐X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besorgen zu müssen, folgt der Arkonide einer Spur, die in die Galaxis Xiinx‐Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird. Schließlich, gegen Ende des Jahres 3807 Terrazeit, muß die SOL den Sturz ins Nichts wagen, und sie gelangt dabei nach Bars‐2‐Bars, die aus zwei ineinander verschmolzenen Galaxien bestehende Sterneninsel. Die Verhältnisse dort sind mehr als verwirrend, wie die Solaner bald erkennen müssen. Doch sie tun ihr Bestes, die Verhältnisse zu ordnen, indem sie die Völker der künstlich geschaffenen Doppelgalaxis, die einander erbittert bekämpfen, zum Frieden zu bewegen versuchen. Anti‐ES ist natürlich über die jüngsten Aktivitäten der Solaner in Bars‐2‐ Bars informiert. Die in der Namenlosen Zone festgehaltene Superintelligenz beschließt daher Gegenmaßnahmen. Sie zieht ihre Fäden und lenkt die GESCHÖPFE DES NICHTS …
Die Hauptpersonen des Romans: Kerness Mylotta ‐ Ein unentdeckter Agent von Anti‐ES. Atlan ‐ Der Arkonide geht ein unglaubliches Wagnis ein. Breckcrown Hayes ‐ Seine SOL soll in eine Falle geführt werden. Bjo Breiskoll ‐ Der Mutant startet eine Befreiungsaktion. Ferner Proch und Gendra ‐ Zwei junge Merbell‐Yaner.
1. Der Mann heißt Kerness Mylotta. Er steht vor einem Spiegel, irgendwo an Bord des Riesenschiffs SOL. Er sieht sich an. Er ist hochgewachsen, nur eine Handbreit fehlt an vollen zwei Metern. Der Körper ist kräftig, fast bullig, die Haut auffallend weiß; schwarz hingegen die Kleidung, schwarz auch das Tuch, das seine Haare und die Stirn bedeckt. Das hellhäutige Gesicht wirkt kantig. Die Augen unter dichten schwarzen Brauen sind grau, die Backenknochen treten leicht hervor. Er trägt einen kurzen, gepflegt wirkender Bart, auch diese Haare sind schwarz. Er steht mitten im sechsten Lebensjahrzehnt. Sein Arbeitsbereich ist das SPARTAC‐Energieteleskop der SOL. Kerness Mylotta versteht seine Arbeit, er ist seit kurzem Chef dieser Abteilung, ein hochbegabter Junggeselle mit einer besonderen Sensibilität für Hyperenergieanteile. Nicht zuletzt dieser Sensibilität verdankt er seinen Aufstieg zum Abteilungschef. Er gilt als Einzelgänger. Solaner, die ihn zum ersten Mal sehen, halten ihn für mürrisch, unfreundlich, verschlossen, geradezu unheimlich. Sein Aussehen täuscht über die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft hinweg, wer ihn kennt, schätzt ihn. Kerness Mylotta greift sich an die Stirn, zieht das Kopftuch herab. Aufmerksam betrachtet er sich. Das kleinere Geheimnis wird sichtbar, das dritte Auge. Dunkel
sitzt es auf der weißen Stirn. Es scheint größer geworden zu sein, die Farbe beginnt ins Bläuliche abzuweichen, sie zeigt erste Ansätze von Transparenz. Die Ursache für diese Wandlung kennt Kerness Mylotta nicht. Hat es etwas mit dem zweiten Geheimnis zu tun? Er ist nicht mehr Herr seines Willens. Eine fremde, unheimliche Macht hat ihn übernommen, nutzt ihn als Werkzeug für Pläne, die bei jedem Abscheu erregen, der sie kennt. »Mörder!« Kerness Mylotta zuckt zusammen. Er hat das Wort selbst ausgesprochen. Ihn schaudert vor seinem Spiegelbild. Er sieht sich selbst so, wie er auf andere mitunter wirkt – bedrohlich. Und er weiß, daß dieser Eindruck zum Teil richtig ist. Kerness Mylotta starrt das Gesicht eines Mörders an, der Kerness Mylotta heißt. Ist dieser Mylotta ein Mörder? Das Opfer ist in Sichtweite. Ursula Grown ist tot. Es kann keinen Zweifel geben, Kerness Mylotta hat sie getötet. Die Macht, die ihn beherrscht, fordert weitere Maßnahmen. Weitere Morde. Kerness Mylotta, der Mann, der getötet hat, sucht in seinem Gesicht nach dem Kerness Mylotta, der zu einer solchen Tat niemals imstande wäre. Er findet ihn nicht. Aber er weiß, daß dieser Mylotta vorhanden ist. Er spürt die Regungen tief in seinem Innern, wie zugedeckt von dem Willen, der nicht der seine ist. In dem Gesicht zuckt kein Muskel. Der Kampf findet unter der Oberfläche statt. Von einem unmittelbaren Einfluß der fremden, bedrohlichen Macht ist nichts zu spüren. Sie kann in diesem Augenblick ihre Wirkung nicht verstärken. Aber sie wird sich wieder melden. Dann wird es zu spät sein für Kerness Mylotta. Der Mörder allein wird übrigbleiben. Nur diese eine Chance hat Kerness Mylotta, ein paar Stunden vielleicht nur. Eine geringe Spanne Zeit, um einen versklavten Geist
zu befreien, einen Willen, der schwächer ist als die Macht seines Bezwingers, ein Wille, der sich dennoch aufbäumt und wehrt. Die Kiefermuskeln verkrampfen sich. »Mörder!« Kerness Mylotta schließt die Augen. Mit dem Rest freien Bewußtseins, das ihm geblieben ist, versucht er, den Kontakt zu seinem Willen wiederherzustellen. Er hat gemordet. Er will es nicht wieder tun. Aber er weiß, daß er die weiteren Aufträge seines Bezwingers ausführen wird – so stark ist sein Widerstandswille nicht, daß er sich dagegen auflehnen könnte. Ein Ausweg, eine Flucht zur Seite. In der Nähe des SPARTAC‐Energieteleskops gibt es einen Raum, angeschlossen an die Versorgungseinrichtungen der SOL. Vielleicht bietet ihm dieser Raum eine Möglichkeit. Er wird nicht genutzt, ist kaum jemandem bekannt. Kein Wunder, angesichts der Riesenhaftigkeit dieses Schiffes. Kerness Mylotta nickt. Er wird diese Wandlung des Planes durchsetzen können – gegen sich selbst. Gegen den Mörder Kerness Mylotta. Er zieht das Kopftuch wieder über Stirn und Haare. Der dunkle Fleck auf seinem Gesicht ist nicht mehr erkennbar. Aber er weiß, daß er vorhanden ist. Er muß mit ihm leben – wie mit dem Mörder Kerness Mylotta. * »Das alles klingt recht erfreulich«, sagte Breckcrown Hayes. Von wirklicher Zufriedenheit war in seiner Stimme allerdings nichts zu spüren; vielleicht war ein so vorwärtsdrängender Charakter wie dieser niemals völlig zufriedenzustellen. Ich konnte ihm nur zustimmen. Die SOL stand wieder auf Anterf.
Dort machte die Normalisierung der Verhältnisse gewaltige Fortschritte. Nachdem die Anterferranter einmal darangegangen waren, ihre Zivilisation wieder aufzurichten, begannen nun die einzelnen Rädchen wieder kräftig ineinanderzugreifen. Eines fügte sich zum anderen – dort wurde eine Fabrik für wichtige Ersatzteile wieder in Gang gesetzt. Das Unternehmen, das diese Ersatzteile brauchte, kam wieder in Gang und belieferte jene Anlagen, die die Rohstoffe für das Ersatzteilwerk lieferten. Zunächst knirschend und ächzend, dann immer schneller kam das gigantische Räderwerk einer hochtechnisierten Zivilisation wieder in Gang. Es gab genügend Lebensmittel und auch ein wenig Freizeit – Vergnügungsstätten erhielten ungeahnten Zulauf, konnten wieder Honorare und Gagen bezahlen und schufen so neue Konsumenten für die Waren, die von den Zuschauern erarbeitet wurden. Es konnte nicht mehr sehr lange dauern, bis Anterf wieder in Blüte stand. Gewiß blieb viel zu tun übrig. Verheerend waren die Schäden in der Zeit des Schreckens gewesen. Bis all die kleinen und großen Narben verschwunden waren, würden vermutlich Jahrzehnte ins Land gehen – aber der Anfang war gemacht. Indessen galt das nur für Anterf, und das erklärte wohl auch, warum Breckcrown Hayes nur zum Teil zufrieden war. Besonders für uns war eine Menge zu tun übriggeblieben. Die Fragen und Rätsel, die wir noch zu lösen hatten, die Aufgaben, die vor uns lagen, waren mitnichten geringer an Zahl oder Gewicht geworden. Auf unseren Schultern, die mit eigenen Problemen schon genügend beladen waren, lastete nun auch noch die Verantwortung für zwei Galaxien – es war offenkundig, daß nicht nur die Anterferranter von uns die Lösung des Problems Bars‐2‐Bars erwarteten. In ihren Augen hatten wir schon Wunderdinge vollbracht, warum nicht auch das schier Unmögliche? Breckcrown Hayes nippte an seinem superstarken Kaffee. Ich hatte Fruchtsaft vorgezogen.
»Was gibt SENECA bekannt?« fragte Hayes. Ich hatte die Ergebnisse im Kopf. Die Auswertung der gesammelten Daten war selbst für einen Hochleistungsrechner wie SENECA ein beachtliches Stück Arbeit gewesen, zumal SENECAS Hilfe auch andernorts dringend gebraucht wurde, denn immer wieder kamen die Anterferranter mit Problemen. »SENECA vermutet, daß der Hauptnabel …« »… von dem wir noch nichts wissen«, ergänzte Hayes trocken. »… die Hauptursache dafür ist, daß Bars und Farynt ineinander verkeilt sind. Sofern wir die Galaxien wieder voneinander trennen wollen …« »… wozu wir in der SOL technisch außerstande sind …« »… müssen wir den Hauptnabel finden und genauestens untersuchen.« »Wenn das alles ist«, kommentierte Hayes bissig. Der Interkom meldete sich. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht von Kerness Mylotta. Er schien erregt zu sein. »Ich glaube, ich habe etwas entdeckt«, stieß er hervor. »Komm zu uns und berichte ausführlich«, schlug Hayes vor. Mylotta nickte. Dank der modernen Technik im Innern der SOL dauerte es nicht lange, bis Mylotta den Weg vom SPARTAC‐Teleskop bis zur Klause des High Sideryt zurückgelegt hatte. Der hochgewachsene, bullige Mann ließ sich in einen der Sessel fallen. »Ich habe etwas gespürt«, begann er ohne Umschweife. »Eine hyperenergetische Strahlung, sehr ähnlich den früheren Ausstrahlungen der Nabelstationen.« Breckcrown Hayes wölbte die Stirn. Sein Gesicht zeigte Interesse. »Und wo?« »In einem Sonnensystem, das zur Farynt‐Galaxis gehört. Es wird Trisker‐System genannt. Von Anterf ist es ungefähr sechstausendzweihundert Lichtjahre entfernt.« »Eine weitere Nabelstation«, sagte Breckcrown Hayes.
Mylotta schüttelte den Kopf. Er hatte eine schwarze Mütze aufgesetzt, die den oberen Teil seines Kopfes vollständig verhüllte. »Wenn mich meine Sensibilität nicht täuscht, dann handelt es sich dabei nicht um eine gewöhnliche Nabelstation. Ich habe den Verdacht, daß wir im Trisker‐System möglicherweise den Hauptnabel finden können.« »Das wäre eine echte Entdeckung«, gab Hayes zu. Ich sah ihn an. »Wann fliegen wir los?« Hayes lächelte mich an. »Gar nicht«, sagte er trocken. »Ich habe keine Lust, die SOL ohne Not noch einmal in Gefahr zu bringen.« »Aber ansehen werden wir uns dieses System doch wohl«, beharrte ich. Das Grinsen des High Sideryts wurde breiter. »Ich wußte, daß es dich nicht halten würde, Atlan. Du kannst die FARTULOON nehmen, oder die CHYBRAIN, oder meinethalben auch beide Schiffe. Die SOL bleibt hier – die Erfahrungen im B‐ 727/M‐System reichen mir vorläufig.« »Einverstanden«, sagte ich und sah Mylotta an. Der reagierte sofort so, wie man es von einem guten Wissenschaftler erwarten konnte. »Ich möchte mitkommen«, sagte er. Ich nickte. Mylotta mit seinem besonderen Spürsinn für hyperenergetische Vorgänge konnte uns vor Ort eine überaus wertvolle Hilfe sein. Daß Hayes nicht gewillt war, die SOL selbst für den Flug freizugeben, konnte ich gut verstehen. Einen Augenblick lang erwog ich den Gedanken, Hallam Blake einzuladen, dessen eigentümlicher Gefahreninstinkt uns aus mehr als einer Verlegenheit geholfen hatte. Mein fotografisches Gedächtnis erinnerte mich aber, daß Blakes Töchter zur Zeit an einer fiebrigen Erkrankung litten, gewiß nichts Ernstes, aber Grund genug für einen Mann wie Hallam Blake, alle anderen Aktivitäten zurückzustellen. »Ich werde beide Schiffe nehmen, dann können wir das System
rascher durchkämmen. Sobald ich etwas weiß, gebe ich dir Nachricht.« »Ich packe rasch meine Sachen zusammen«, erklärte Mylotta und verabschiedete sich. »Was hältst du von ihm?« fragte Hayes. Ich zuckte mit den Schultern. »Er sieht aus, als wäre er unleidlich, verhalten tut er sich ganz anders. Was kann man da schon sagen.« »Trommle dein Team zusammen und mach dich auf die Reise«, meinte Hayes. »Je eher wir etwas erfahren, um so besser.« Bjo Breiskoll war sofort einsatzbereit, Uster Brick mußte ich in einem Sportstudio aufstöbern, wo er seine Kondition verbessern wollte. Auch die anderen Mitglieder des Teams waren rasch zur Stelle. Währenddessen wurden die beiden Schiffe startklar gemacht – der ehemalige Kreuzer MT‐1, der jetzt CHYBRAIN hieß und die frühere Korvette MT‐K‐20, die wir FARTULOON getauft hatten. Die FARTULOON wurde von Bjo geflogen, während Uster Brick als Chefpilot der CHYBRAIN fungierte. Über dem Landeplatz der SOL lag Nacht, als die beiden Schiffe in den Raum vorstießen. Dies war eines jener Probleme, die sich mit noch so großem technischen Aufwand nicht lösen ließen – die unterschiedlichen Tageszeiten auf Planeten und an Bord von Schiffen. Es konnte sehr leicht geschehen, daß Besatzungen von Trampschiffen, die ihren Bordrhythmus beibehielten, wochenlang nur solche Raumhäfen anflogen, die auf der jeweiligen Nachtseite des Zielplaneten lagen. Nur bei riesigen Handelswelten – etwa dem früheren Handelszentrum Arkon II – war es möglich, so viele Raumhäfen anzulegen und freizuhalten, daß die Schiffe zu einer Ortszeit landen konnten, die ihrem gewohnten biologischen Rhythmus entsprach. Die anderen mußten zusehen, wie sie mit den Zeitunterschieden fertig wurden. In ganz besonderem Maß galt das natürlich für die SOL, die durch
den Weltraum vagabundierte und einen Planeten nach dem anderen anflog, wobei sich Breckcrown Hayes in den seltensten Fällen den Platz aussuchen konnte, an dem er die SOL landen ließ. Während die beiden Schiffe beschleunigten, um die nötige Mindestfahrt für den Eintritt in den Linearraum zu gewinnen, zog ich mich in meine Kabine zurück. Es konnte nicht schaden, wenn ich mir ein paar Stunden Schlaf gönnte, bevor die nächsten Aufregungen begannen – denn daran, daß es am Zielort Aufregungen geben würde, zweifelte ich keinen Augenblick. Ich verbrachte zehn Minuten mit einigen Entspannungsübungen, dann begann ich langsam abzudämmern. Meine Augen waren bereits geschlossen. Dennoch glaubte ich, einen deutlichen Lichtschein wahrzunehmen. Ich ließ die Augen geschlossen. Vielleicht handelte es sich um eine jener Farbhalluzinationen, die bei intensiven Übungen des Autogenen Trainings auftreten können. Das Licht blieb. Allmählich gewann es an Gestalt. Eine Erinnerung zuckte durch mein Gedächtnis. Chybrain. Ich behielt den stark entspannten Zustand bei, schwebte zwischen Traum und Wachen. Das Phänomen blieb, verstärkte sich sogar. Dann meldete sich eine wispernde Stimme in meinem Innern. Auch sie kam mir bekannt vor – sie klang wie die von Chybrain. »Atlan, höre mich. Ihr schwebt in großer Gefahr. Und der Feind sitzt in euren eigenen Reihen. Höre, Atlan, und nimm die Warnung ernst. Hüte dich vor dem Verkappten, meide die Zwiefalt. Der Feind ist mitten unter euch.« Die Stimme wurde leiser und leiser, dann unhörbar. Das leuchtende Gebilde begann sich aufzulösen, und nach kurzer Zeit war es völlig verschwunden. Ich spannte die Muskulatur an, um den Entspannungszustand zu beenden. Ich öffnete die Augen.
In meiner Kabine war nichts zu sehen. Sie lag im Dunkeln wie zuvor. Hatte ich geträumt? Nein, lautete der kurze Impuls des Extrahirns. Ich runzelte die Stirn. Was hatte ich dann gesehen und gehört. Nichts, gab das Extrahirn durch. Du kannst in den letzten Minuten nichts beobachtet haben. Geträumt hast du auch nicht, das wüßte ich. Die Angelegenheit wurde abstrus. Eine Wahrnehmung, die dem Extrahirn verborgen geblieben war? Oder eine Fehlfunktion meines Normalbewußtseins? Beide Möglichkeiten bargen äußerst unerfreuliche Konsequenzen. Im einen Fall mußte ich an der Zuverlässigkeit des Extrasinns zweifeln. Die andere Möglichkeit deutete an, daß ich allmählich den Verstand verlor, und auch das war nicht sehr angenehm. Lösen konnte ich das Rätsel nicht. Vielleicht würde die Zeit einen Hinweis bringen. In jedem Fall hatte ich mich durch mein Erlebnis an Chybrain sehr stark erinnert gefühlt. War es möglich, daß Chybrain beim Untergang von Hidden‐X nicht umgekommen war? Völlig unmöglich war das nicht – in der letzten Zeit an Bord der SOL hatte ich genug erlebt und gesehen, was der Logik Hohn sprach, und aus der Vergangenheit wußte ich, daß Freunde und Gefährten von mir aus den schier unmöglichsten Zwangslagen heraus Auswege und Fluchtmöglichkeiten gefunden hatten. War ich selbst nicht einmal offiziell exekutiert worden, um die Laren zu täuschen? Ich beschloß, meine seltsame Beobachtung für mich zu behalten. Möglich, daß ich halluziniert hatte; ich mußte es nicht jedem auf die Nase binden. Ich drehte mich um, schloß die Augen und war wenige Augenblicke später eingeschlafen. 2.
Ächzend streifte sich Solania von Terra die Schuhe von den Füßen. Zwar brauchte man an Bord der SOL keine kilometerlangen Wanderungen zu absolvieren, dafür gab es Laufbänder und Antigravschächte, aber ab und zu kam es doch vor, daß einem Besatzungsmitglied die Füße schmerzten. Solania, den meisten Solanern als Brooklyn bekannt, steckte die brennenden Füße in ein Gefäß mit heißem Wasser, in dem sie zuvor eine Brausetablette aufgelöst hatte. Zu ihrem Image, sorgfältig von ungepflegt, gehörte es, da sie sich stets vornehm‐liebenswürdig betrug. Bei jedem anderen hätte dieses Gehabe einer großen Dame sicherlich antiquiert, wenn nicht gar lächerlich gewirkt – bei Brooklyn empfand man es als echt und natürlich. Nur Atlan hatte einmal mit sanfter Ironie gespottet, daß sie sich angesichts ihres Betragens eher hätte Mayfair nennen sollen. Brooklyn hatte mit diesem Scherz wenig anfangen können; so gut bewandert in irdischer Geschichte war sie nicht, daß sie den Unterschied zwischen dem noblen Londoner Stadtviertel der Viktorianischen Ära und dem alles andere als noblen Borough New Yorks gekannt hätte. In ihren Privaträumen betrug sie sich nicht immer so ladylike, und als ein wenig von dem sprudelnden Wasser auf den Boden platschte, stieß sie eine ganz und gar nicht damenhafte Verwünschung aus. Nachdem sich das Brennen unter ihren Fußsohlen gelegt hatte, schüttete sie das Bad weg und gönnte sich ein ausgiebiges Duschbad. Danach montierte sie ihr Nachtgewand, eine Konstruktion aus stabilem Stoff in großer Menge und einer Unzahl von Knöpfen, Schleifen und Bändern, an denen sich potentielle Verführer die Finger wund knöpfen konnten, ohne etwas zu erreichen. Mit einem wohligen Seufzer streckte sie sich auf dem Bett aus, auf den Doppelstöckigen, den sie mitunter als Einschlafhilfe benutzte,
verzichtete sie an diesem Abend. Sie packte ihr Kopfkissen, knautschte es zu einer massiven Kugel zusammen und war gerade dabei, in den wohlverdienten Schlummer zu sinken, als sie ein Geräusch an der Tür hörte. Kerzengerade richtete sie sich in ihrem Bett auf. Jemand machte sich am Schloß zu schaffen. Brooklyn sprang behende aus dem Bett und suchte ihre Waffe. Der Bursche würde eine Überraschung erleben. Der Bursche, der sich ein paar Augenblicke später dunkel gegen die Hintergrundbeleuchtung auf dem Gang abzeichnete, war riesengroß, sehr unförmig und wies überdies einige scharfe Kanten auf, die schwerlich zu einem Mannsbild passen konnten. Brooklyn schloß die Augen und wartete darauf, daß das Licht anging. Der kleine Trick half ihr, nicht geblendet zu werden. Sie ließ die Waffe sinken. »Was willst du hier!« fauchte sie den Robot an, eine von den monströsen Reinigungsmaschinen, die geeignet waren, die ganze Einrichtung einer Kabine binnen weniger Stunden in einen Zustand absoluter Keimfreiheit und vollständiger Unordnung zu versetzen, weil sie mit ihren positronischen Dickschädeln alles, was sie fanden, nach logischen Gesichtspunkten aufräumten, so daß man nachher nichts mehr wiederfand. »Saubermachen«, krächzte die Maschine. Der Sprachgenerator war wohl defekt, und wie es sonst in seinem Innern aussah, wollte Brooklyn lieber nicht herausfinden. »Verzieh dich, Blechkerl«, schimpfte die Stabspezialistin. »Ich will schlafen.« »Mein Auftrag lautet, diese Unterkunft einer gründlichen Reinigung zu unterziehen. Es sind Beschwerden laut geworden über Ungeziefer.« »Das ist doch wohl …«, empörte sich Brooklyn. Der Robot rollte in die Kabine und schloß die Tür hinter sich. Die Maschine war von unglaublicher Sturheit, offenbar ein reichlich
altes Modell, daß keine unmittelbare Verbindung zu SENECA besaß. Die einfühlsame Hyperinpotronik mit ihrem Plasmateil hätte sich niemals erfrecht, eine ruhebedürftige Dame durch einen klappernden Reinigungsrobot belästigen zu lassen. Brooklyn machte ihrem Wunsch nach Entfernung Luft, in einer Sprache, die SENECAS Plasmateil hätte erröten lassen. Der metallene Klotz reagierte nicht darauf. Im Gegenteil, er machte sogar Anstalten, Brooklyn zu reinigen. Wahrscheinlich hielt er sie wegen des stoffintensiven Nachtgewands für einen beweglichen Vorhang. Er zückte jedenfalls seinen Sauger und rollte auf Brooklyn los. Ihre Reaktion kam um den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Ein Hochleistungsrobot hätte sie vielleicht stutzig gemacht, die primitive Reinigungsmaschine aber hatte ihren wachsamen Instinkt übertölpelt. Der Paralysatorschuß traf sie völlig unvorbereitet. Brettsteif stürzte Brooklyn zu Boden. Sie konnte keinen Muskel rühren, nicht einmal einen Laut von sich geben. Aber sie konnte hören, fühlen und sehen. Der Robot, der sich jetzt erheblich behender bewegte, packte sie und stopfte sie rücksichtslos in einen großen Plastiksack, einen riesenhaften Staubbeutel. In ihrem Hirn überschlugen sich die Gedanken. Wer zum Teufel wagte es, eine Stabspezialistin zu entführen, mitten in der SOL, noch dazu auf eine so grobschlächtige Weise. Und wozu überhaupt? Brooklyn konnte spüren, wie sich die Maschine in Bewegung setzte und die Kabine verließ. Da sich Brooklyn, außer im Ernstfall, jede Störung verbeten hatte, konnten acht bis zehn Stunden vergehen, eine Menge Zeit für einen Entführer, für sein Opfer im Innern der SOL ein unauffindbares Versteck aufzusuchen. Wer mochte hinter dem Anschlag stecken? Die Anterferranter sicherlich nicht. Eine Meuterei an Bord? Ausgeschlossen, es gab nicht die geringsten Anzeichen dafür. Ein
geisteskranker Sittenstrolch? Der hätte sicherlich eine knusprigere Beute ausgesucht als eine Ex‐Magnidin von dreiundsechzig Jahren, zudem waren solche Delikte an Bord der SOL weitgehend unbekannt. Wer also? Brooklyn begann zu begreifen, daß hinter diesem Attentat vermutlich die Macht steckte, mit der es die Solaner vordringlich zu tun hatten – Anti‐ES. Nur sah dieser Anschlag Anti‐ES gar nicht ähnlich. Für gewöhnlich pflegten sich seine Täter nicht in Gestalt von Reinigungsrobots zu manifestieren. Zum Standardrepertoire von Anti‐ES gehörten seltsame Wesen, die durch sämtliche Schutzschirmsysteme mit einer Selbstverständlichkeit spazierten, als gäbe es diese Systeme gar nicht. Zudem war der Reinigungsrobot, wie Brooklyn, umher geschleudert im Müllsack, schmerzlich feststellen mußte, von handgreiflicher Realität und zweifelsohne echt, wohingegen die Kreaturen des Gegners in aller Regel alles Mögliche waren, nur das nicht, wonach sie gerade aussahen. Also doch nicht Anti‐ES? Während Brooklyn verzweifelt grübelte, marschierte der Robot mit ihr durch die SOL. Natürlich kam keiner auf die Idee, ihm in den Müllsack zu schauen. Die Gefahr, daß die Entführung entdeckt wurde, war minimal, zu Brooklyns Leidwesen. Welchen Weg der Robot nahm, konnte Brooklyn nicht herausfinden. Die Geräusche um ihn herum, nur schwach wahrzunehmen, durch den Eigenlärm des alten Robots, bewiesen jedenfalls, daß man sich noch an Bord befand. Da Brooklyn sich bestens auskannte, rechnete sie sich eine gute Chance aus, einen Fluchtweg zu finden und die Freiheit zu gewinnen. Daß man sie töten wollte, schloß sie aus – das hätte der Robot bereits besorgen können. Vielleicht die Buhrlos? Zur Gänze war die innere Erregung der Buhrlos noch nicht verflogen. Der Schock, den der Gen‐Angriff seinerzeit
hervorgerufen hatte, war tief unter die Haut gegangen. Als Kennerin der Sache wußte Brooklyn natürlich, daß das Gerücht nicht stimmte, es würden bei den Buhrlos keine Kinder geboren werden. Das war sachlich falsch – aber es handelte sich bei der Nachkommenschaft der Weltraummenschen in der Regel um ganz normale Solaner. Echte Buhrlos, die den Aufenthalt im freien Raum ebenso liebten wie lebensnotwendig brauchten, wurden nur noch in Einzelfällen geboren. Die Buhrlos hatten lange Jahre ein Leben am Rand der Bordgemeinschaft geführt. Als Andersartige behandelt, hatten sie sich zunächst als unterdrückte Minderheit gefühlt. Später erst hatten sie einen gewissen Stolz auf ihre einmaligen Fähigkeiten empfunden, durchaus zu Recht nach Brooklyns Meinung. Dem war der Schock der Gen‐Attacke gefolgt und mit ihm das Schicksal einer allmählich aussterbenden Spezies – erneut waren die Buhrlos Außenseiter, jetzt nicht verachtet, sondern meist bedauert. Wäre Brooklyn bewegungsfähig geblieben, hätte sie den Kopf geschüttelt. Nein, die Buhrlos schieden aus. Auch wenn sie mißmutig waren, zu solchen Aktionen würden sie niemals greifen. Der Robot kam zum Stillstand. Mit seinen Greifarmen zerrte er Brooklyn aus dem Müllsack und schüttelte sie erst einmal durch, bevor er sie auf den Boden legte. Brooklyn bekam einen schmutziggrauen, Bodenbelag zu sehen, dann tauchte in ihrem Blickfeld ein Paar Füße auf. Nackte Füße – ihre eigenen. Jemand griff nach der Stabspezialistin, drehte sie auf den Rücken. Wäre Brooklyn nicht bereits paralysiert gewesen, so wäre sie jetzt vor Schreck starr geworden. Es war ihr Ebenbild, eine vollkommene Kopie, die auf sie heruntersah, mit ernstem Gesicht und neugierig. »Gut gelungen«, sagte die falsche Brooklyn. »Sehr gut.« Sie wandte sich an den Robot. »Du kannst mich in ihr Quartier bringen.«
Brooklyn sah die Person aus ihrem Gesichtsfeld verschwinden, die Tür klappte zu, dann wurde es still. Brooklyn blieb zurück. Alles, was sie jetzt noch tun konnte, war zu warten – auf das Ende der Paralyse und die damit verbundenen Schmerzen. Was sie aber in diesen Augenblicken quälte, war nicht die Erwartung des Schmerzes, obwohl sie genau wußte, daß ein derartiger Volltreffer Höllenqualen mit sich brachte. Sie hatte Angst, daß sie noch vor dem Ende der Paralyse das Ende der SOL erleben würde. * »Ich liebe dich!« »Ich dich auch!« »Nur mich?« »Keine andere!« »Ganz bestimmt?« »Aber sicher, mein Engel!« »Sag es noch einmal.« »Ich liebe dich.« »Ich dich auch, ganz schrecklich.« Ein Dialog wie dieser wäre jedem professionellen Autor als Zeilenschinderei der übelsten Sorte angekreidet worden. Aber wie bei Myriaden anderer Paare verwandelt sich das abgegriffene Wortgeklingel dieser Worte in den Klang lauteren Goldes, wenn der Wert durch Empfindung und Ehrlichkeit ins Unermeßliche gesteigert wird. Myrna Elloy und Tyrn Prow hatten keinerlei Grund, an der Aufrichtigkeit ihrer Beteuerungen auch nur den geringsten Zweifel zu hegen. Eine Frau wie Myrna in den Armen zu halten, hätte auch einem dichterischen Genie keine einfallsreicheren Sätze entlockt, und schwerlich hätte sich an Bord der SOL eine junge Frau finden
lassen, die in Tyrns Armen nicht in ähnliche Stoßseufzer ausgebrochen wäre. Myrna war eine hochgewachsene Rothaarige mit einem Gesicht, bei dem jeder normal empfindende Bursche die Lippen spitzte, um es zu küssen. Zudem war sie hinreißend gewachsen und ebenso gescheit wie schön. Tyrn hingegen war ein Musterbild dessen, was an Ästhetik aus einem Männerkörper herauszuholen war, gekrönt von einem markanten Kopf mit kurzen blonden Locken, ausdrucksvollen dunklen Augen und einem Schnurrbart, der ihm vorzüglich stand. Ein ahnungsloser Beobachter hätte aus dem Dialog vielleicht gefolgert, daß die beiden sich erst vor kurzem kennengelernt hatten. Das Gegenteil war der Fall, sie kannten sich bereits zu einer Zeit, da sie noch nicht richtig hatten laufen können. Und seit ziemlich genau derselben Zeit waren die Elternpaare der beiden miteinander verfeindet, eine Konfliktsituation, die jeden Dramatiker entzückt hätte und auf der Bühne unweigerlich ein Ende in Tränen und Blut gefunden hätte. Indessen dachten Myrna und Tyrn nicht daran, Stoff für Dramen zu liefern. Sie überließen Zank und Ärger ihren jeweiligen Eltern und reservierten die Szenen des Glücks und der Zärtlichkeit für sich. Die beiden waren so sehr damit beschäftigt, sich wechselseitig anzuhimmeln, daß sie gar nicht bemerkten, wie sich vor dem Gitter der Kabinenbelüftung eine rötliche Gaswolke bildete. Sie bildete sich rasch aus und sank in die Tiefe. Myrna fühlte Tyrns Lippen auf den ihrigen, und es war so schön, daß sie ohnmächtig zu werden glaubte. Im nächsten Augenblick spürte sie, wie Tyrns Rückenmuskeln schlaff wurden, und wieder eine Sekunde danach versank auch sie in eine wohlige Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, sah sie das grimmige Gesicht einer Frau über sich. Erschreckt erkannte Myrna die Stabspezialistin Solania von Terra, und verwundert fragte sich Myrna, was die Frau in Tyrns Kabine zu suchen hatte.
»Komm zu dir, Kind!« sagte Brooklyn und tätschelte dem Mädchen die Wangen. »Du warst lange genug besinnungslos.« Myrna richtete sich vorsichtig auf. Tyrns Kabine war das nicht. Sie erblickte kahle Wände, eine geradezu spartanische Einrichtung – und wenige Schritte von ihr entfernt, auf einer Pritsche liegend, Tyrn. Myrna sprang auf und wollte hineilen, aber ihre Beine waren noch so schwach, daß sie strauchelte und hingestürzt wäre, hätte sie Brooklyn nicht rechtzeitig aufgefangen. »Langsam, Kind«, sagte Brooklyn. »Du brauchst keine Angst zu haben. Dein Freund wird bald erwachen.« »Wo sind wir?« fragte Myrna. Sie setzte sich auf den harten Rand der Pritsche und versuchte, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. »Irgendwo an Bord der SOL, in einem Winkel, den ich nicht kenne. Und es sieht ganz danach aus, als würden wir hier einige Zeit zusammen leben müssen.« »Hier?« Myrna sah sich um. »Niemals.« »Wir werden wenig daran ändern können. Die Türen sind positronisch verriegelt. Schächte, durch die man davonkrabbeln könnte, gibt es nicht. Wir sitzen fest.« »Und wer hat das getan?« wollte Myrna wissen. Brooklyn zuckte mit den Schultern. Sie trug eine sehr seltsame Kleidung, fand Myrna, aber in diesem Augenblick begann sich Tyrn zu regen, und Myrna vergaß alles andere. Als Tyrn seine Freundin sah, kam ein Seufzer der Erleichterung über seine Lippen. Ein Laut der Verwunderung entfuhr ihm, als er Brooklyn erkannte. »Kann mir einer erklären, was das alles zu bedeuten hat?« fragte er und rieb sich den brummenden Schädel. »Wir werden es vermutlich erfahren«, sagte Brooklyn gefaßt. »Daß man mich verschleppt hat, paßt noch einigermaßen ins Bild – aber warum man euch entführt hat, will mir nicht in den Schädel.« Die drei machten sich daran, ihr Zwangsquartier zu untersuchen. Es war recht geräumig. Sie fanden Unterkünfte für mindestens
zwanzig Personen – ein deutlicher Hinweis, daß hier jemand mit Umsicht und Energie dabei war, langfristige Pläne in die Tat umzusetzen. Hygieneeinrichtungen waren ebenso vorhanden wie ausreichende Mengen an Nahrungsmittel. In einem Raum entdeckten sie sogar eine Maschine, die bei Eingabe der entsprechenden Daten synthetische Kleidung herstellte. Sie sah nicht schön aus, kratzte auf der Haut, aber immerhin konnte man sie tragen. »Wir werden hier ein paar Wochen verbringen müssen – vielleicht sogar noch länger«, erklärte Brooklyn. »Sonst hätte man uns dieses Ding nicht in unser Gefängnis gestellt.« Ein Geräusch am Eingang ließ sie zusammenzucken. Sie hasteten in den ersten Raum zurück. Myrna stieß einen Schrei aus, als sie die Gestalten erblickte. Neben ihr stand Tyrn und hielt sie fest, damit sie nicht umfiel! Und vor ihr stand Tyrn und trug eine Frau und eine Waffe, die auf die drei gerichtet war. Tyrn schluckte. Hinter seinem Ebenbild tauchte, gleichfalls bewaffnet, eine zweite Myrna auf, und sie hatte einen beachtlich großen Mann geschultert. »Zurück!« stieß der falsche Tyrn hervor. Die drei Gefangenen wichen zurück und sahen zu, wie die Ebenbilder von Myrna und Tyrn ihre Lasten auf den Pritschen ablegten. Tyrn erkannte den Stabspezialisten Wajsto Kolsch. Auch die ohnmächtige Frau gehörte zur Führungsspitze der SOL. »Wenn ihr euch ruhig verhaltet, wird euch nichts geschehen«, sagte der Tyrn‐Doppelgänger. Diesen harten, drohenden Ausdruck in den Augen hatte Myrna noch nie gesehen, und sie fürchtete sich vor ihm. Die Doppelgänger verschwanden. Hinter ihnen verriegelte sich wieder die Tür. »Jetzt wissen wir, was geplant ist«, murmelte Brooklyn. Sie sah auf die betäubten Stabspezialisten herab. »Auch sie haben längst einen
Doppelgänger. Offenbar will jemand systematisch die gesamte Führungsspitze der SOL durch seine Werkzeuge ersetzen.« »Und was hat das mit uns zu tun?« fragte Myrna. Vorsichtshalber ließ sie sich von Tyrn festhalten. »Du bist bildhübsch und dein Freund ein schmucker Typ. Man hat euch als Lockvögel eingesetzt.« Das erste, was Myrna erschreckte, war die Vorstellung, daß ihr Ebenbild sich an männliche Stabspezialisten heranmachte und ihren guten Ruf ruinierte. Die andere Vorstellung war noch weit schrecklicher – daß sie vielleicht in einiger Zeit vor die Alternative gestellt sein würde, sich zwischen zwei völlig identischen Tyrns zu entscheiden, von denen der eine ihr Geliebter und der andere ein Verbrecher war. 3. Ferner Proch machte sich auf den Heimweg. Ein langer Arbeitstag als Bote lag hinter ihm, und seine Flügelmuskeln schmerzten vor Erschöpfung. Das Leben auf Yan war für einen Merbell‐Yaner mitunter recht anstrengend, und manches Mal wünschte sich Ferner Proch, daß die Erzählungen der Eingeweihten stimmten, wonach es im Universum viele schöne Welten gab, auf denen man leicht und angenehm leben konnte. Natürlich wußte Ferner Proch, daß es solche Welten gab. Die Grundzüge der Geschichte von Farynt waren allgemein bekannt, auch wenn die Einzelheiten verworren und undurchschaubar waren. An alles war nur die vermaledeite Feindgalaxis mit ihren widerwärtigen Bewohnern schuld, an allem. Am schlechten Kantinenessen, an den viel zu hohen Steuern, an den schmerzenden Flügeln – es gab nichts, wofür man nicht die unheilvolle Galaxienkonstellation Bars‐2‐Bars verantwortlich machte, genauer
gesagt den Anteil Bars, mit dem das Unheil über Farynt gekommen war. Ferner Proch flog den Eingang seiner Behausung an. Die Nestblüte lag hoch über dem Boden, mit Hunderten anderer Nestblüten an einen schlanken Metallstab geschweißt. Zu Hunderten reckten sich Nester dieser Art in den klaren Himmel Yans, bewohnt von Millionen Merbel‐Yaner, die jeden Tag ihrer Arbeit nachgingen, sich müde schufteten und nie recht wußten, wofür sie eigentlich lebten. Ferner Proch gehörte zu jenen Merbell‐Yanern, die es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hatten. Seine Nestblüte war sauber und gepflegt, für einen Junggesellen fast eine Nummer zu groß. Gut, sie lag im oberen Bereich der Ähre, man mußte höher fliegen, um den Eingang zu erreichen. Aber Proch hatte schon immer die Anschauung abgelehnt, die es vornehmen Bewohnern Yans zur Pflicht machte, ihre Blüten zu Fuß zu erreichen. Mochte der Pöbel fliegen, der noble Merbell‐Yaner benutzte seine Füße, als Zeichen dafür, daß er sich das Gefieder nicht verknitterte. Die Inneneinrichtung der Blüte entsprach dem Wohnstil auf Yan. Runde Formen, meistens abgeleitet aus der Eiform, helle Flächen, großzügige Fenster, dicke Bodenbeläge. Die Schlafgrube war Prochs ganzer Stolz, ein Traum aus einer weichen, weißen Plastikumrandung und einer dicken Fülle blauer Kissen, auf denen es sich herrlich schlafen, träumen und anderes tun ließ. Seit Monaten war Ferner Proch ohne Freundin. Die letzte war ein übles Weib gewesen. Proch hatte sie zufällig kennengelernt und zu sich genommen, weil sie weder Geld noch eine Wohnung besaß und es mit ihrem klotzköpfigen Freund nicht mehr aushielt. Proch hatte sich einige Wochen lang ihrer Gunst erfreut, ihr einen Arbeitsplatz besorgt, was gar nicht einfach gewesen war, und sich seiner Hilfsbereitschaft erfreut. Sie hatte es ihm schlecht gelohnt, ihn belogen und betrogen, mit einer Dreistigkeit, die ihresgleichen suchte. Inzwischen hatte das kleine Luder einen anderen Freund,
leider aber auch noch den Zweitschlüssel zu Prochs Nestblüte. Ihm waren dafür ein Haufen Kleider verblieben, eine Ansammlung reichlich teurer Gefiederfarbe und ein beträchtliches Guthaben bei der Entschwundenen, auf dessen Ausgleich er würde Ewigkeiten warten müssen. Ferner Proch, schlank und hochgewachsen, ein ausgesprochen gut aussehender Merbell‐Yaner, hatte gerade sein erstes Lebensdrittel vollendet, und er gedachte nicht, in Untätigkeit zu versauern. Er bereitete sich eine einfache Mahlzeit zu, dann wechselte er die Gefiederfarbe. Tagsüber verwendete er ein leuchtendes Grün, das seine Stellung als Flugbote signalisierte. Abends, besonders wenn er ausgehen wollte, streute er Glitzerkristalle ins Gefieder, parfümierte sich ein wenig und sorgte dafür, daß sein kurzes Haar kerzengerade vom Kopf wegstand. Als er die Nestblüte verließ, steckte er das Sicherheitsschloß in die Öffnung. Er hatte keine Lust, bei der Rückkehr eine leergeräumte Blüte vorzufinden, schon gar nicht seine Verflossene. Für einen aktiven Merbell‐Yaner gab es abends in Yan‐Tan‐Dhor, der Hauptstadt des Planeten Yan, eine Menge Möglichkeiten, sich zu amüsieren. Flugspiele, Theaterdarbietungen, Musikvorführungen. Es gab einfache, mittlere und sündhaft teure Atzplätze, verschwiegene Schummerblüten, in denen man bei leichter Musik, teuren Getränken und schönheitsfördernder Beleuchtung Konversation treiben und die Fortsetzung dieser Konversation anbahnen konnte. Ferner Proch hatte Lust auf ein Abenteuer. Er flatterte über die Dächer der Stadt hinweg, vorbei am Stachelpalast der Regierung, der dreitausend Mannslängen hoch war und das prachtvollste Bauwerk auf dem Planeten. Proch flog Seppin an, ein Viertel, in dem vorwiegend Arbeiter zu Hause waren, kleine, fleißige Leute, freundlich auch Fremden gegenüber. In den Schankstuben dieses Quartiers ging es weniger steif und förmlich zu als im Zentrum der großen Stadt. Das bedeutete, daß es sowohl munterer und
ungezwungener zuging, aber auch das Risiko, in eine Keilerei zu geraten, stieg an. Ferner Proch hatte sich noch nie geprügelt, aber er nahm an, daß es ihm auch dort gelingen würde, einer Rauferei aus dem Weg zu gehen. Tausende von Merbell‐Yanern waren an diesem lauen Sommerabend unterwegs. Der Tag war teilweise drückend schwül gewesen, erst das tobende Gewitter am Nachmittag hatte Abkühlung gebracht – und das faszinierende Schauspiel einer Unzahl von elektrischen Entladungen, die in die Spitze des Stachelpalasts einschlugen und den schlanken Turm in blauweißes Feuer gehüllt hatten – stark kontrastierend zum nachtdunklen Sturmhimmel. Ferner Proch liebte Naturschauspiele dieser Art. In den öffentlichen Parks machten junge Merbell‐Yaner ihre ersten Flugversuche, auf Dächern saßen Liebespaare und schauten der untergehenden Sonne zu. Über dem Vergnügungsviertel hing eine Wolke aus Gerüchen – Kochdünste, Parfüms und eine reichliche Portion verdunsteten Alkohols. Irgendwo wurden Brotfrüchte gesotten, der Geruch stieg Proch angenehm in die Nase. Er landete im Herzen des Viertels. Hier waren die Nester breiter und niedriger, die einzelnen Blüten entweder kleiner oder dichter besiedelt. Vor allem gab es hier Zuzügler aus allen Winkeln des Planeten, die mit ihren mitunter eigenartigen Flügelfarben und ‐ formen, mit ihren befremdlichen Sitten und Gebräuchen in das kulturelle Einerlei der Riesenstadt manchen bunten Farbtupfer hineinbrachten. Proch hatte Seppin schon ein paar Male aufgesucht, und jedesmal hatte es ihm gefallen. Er schlenderte gemütlich durch die Straßen, bewunderte die Auslagen in den Schaufenstern, die neben buntem Tand auch mancherlei Kostbarkeiten anboten. Aus Garküchen drangen verlockende Gerüche, aus Fenstern und Hinterhöfen erklang fremdartige Musik. Vor der nächsten Schankstätte blieb Ferner Proch stehen. Die Merbell‐Yaner, die gerade das Lokal verließen und die Musik, die
aus dem Innern erklang, verrieten ihm, daß dort Leute seiner Altersgruppe verkehrten. Als dann noch eine bemerkenswert hübsche Frau die Schankstätte betrat, kannte Proch kein Halten mehr. Das Lokal war gut gefüllt. Proch mußte kämpfen, um einen Platz an einem Getränkeautomaten zu erwischen. Gewitzigt durch frühere Erfahrungen bestellte er zunächst ein alkoholfreies Getränk. Neugierig sah er sich um und versuchte herauszuhören, was an den einzelnen Tischen geredet wurde. Offenbar war er in ein Lokal geraten, in dem politisch interessierte Menschen verkehrten. Tagesaktualitäten bildeten den Hauptgesprächsgegenstand. An einem anderen Tisch wurden Sportergebnisse lautstark diskutiert, ein Jüngling versuchte seiner Freundin den Sinn eines modernen Theaterstücks zu erklären. »Wir werden betrogen, und das systematisch!« Es war eine klare Frauenstimme. Ferner Proch versuchte die Sprecherin zu orten. Sieh an, das Mädchen, das kurz vor ihm das Lokal betreten hatte. Ihre Züge bewiesen, daß sie sich ereiferte. »Seit Jahren geht das so«, fuhr die junge Frau fort. Als Flügelfarbe hatte sie ein schillerndes Türkis gewählt, eine Farbe, die Proch besonders liebte. Das Muster allerdings verriet, daß die Sprecherin keine Annäherungsversuche wünschte. »Schade«, murmelte Proch und schielte nach seinen Flügeln. Das Muster, in dem er die Gefiederfarbe aufgetragen hatte, verriet jedem Eingeweihten – und wer war das in diesem Alter nicht –, daß er Kontakte suchte. »Die Entscheidungen werden immer unverständlicher«, fuhr die junge Frau fort. »Und es ist System darin. Zusammen mit Freunden habe ich die Entscheidungsstrukturen wissenschaftlich analysiert, natürlich ohne Wissen unseres Dozenten. Und wißt ihr, was dabei herausgekommen ist?« »Die Flügellosen schlagen wieder zu«, vermutete ihr Gegenüber. Die Runde brach in Gelächter aus.
Seit Jahren kurierten in der Gesellschaft von Yan Witze über Fremdlinge aus dem Kosmos, die sich auf Yan dumm und ungeschickt betrugen und so zur Zielscheibe des Spottes wurden. Um sie besonders lustig und albern erscheinen zu lassen und so das Karikaturenhafte noch zu unterstreichen, hatte man sie sich mehr als doppelt so groß wie die Merbell‐Yaner vorzustellen, glatthäutig dazu und natürlich ohne Flügel. Als ob ohne diese flinke Methode der Fortbewegung eine hochstehende Technologie und Zivilisation überhaupt möglich wäre. Natürlich wurde in all den Geschichten und Anekdoten den tölpelhaften Riesen von den Merbell‐Yanern eine lange Nase gedreht. »Du wirst staunen«, sagte die junge Frau, nachdem sich die Heiterkeit gelegt hatte. »Unsere Analyse hat den Verdacht erhärtet, daß die Entscheidungen der Regierung nicht mehr im Interesse von uns Merbell‐Yanern gefällt werden.« »Für wen sonst, die Flügellosen?« »Das wissen wir nicht.« »Ernsthaft, was soll dieser Unsinn. Diesen Unfug glaubt dir niemand. Nicht einmal die Opposition, obwohl sie keine Möglichkeit ausläßt, der amtierenden Regierung eins auszuwischen. Wie kommt ihr überhaupt auf diesen Blödsinn?« »Durch ein überaus einfaches Verfahren. Was wir untersucht haben, ist nicht, was die Regierung sagt oder verkündet. Wir haben erforscht, was tatsächlich geschieht.« »Und dabei kommt etwas heraus?« »Eine Menge. Worte können lügen, Taten nicht so gut. Ihr kennt die große Baustelle am Rand der Stadt?« »Natürlich. Du meinst das Abwehrfort?« »Genau das. Dort werden Abwehrwaffen eingerichtet, die uns vor Angriffen aus dem Weltraum schützen sollen. Angesichts der Lage in Bars‐2‐Bars« – der Sprecher spie auf den Boden, wie es fast alle Merbell‐Yaner taten, wenn die Rede auf das Unheilsgebilde kam – »ist das doch wohl so absonderlich nicht.«
Die junge Frau lächelte. Sie sah zufällig auf, ihr Blick traf den von Ferner Proch. Ein paar Sekunden hielt der Blick, dann wandte sich die Frau wieder ihren Gesprächspartnern zu. »Auf den ersten Blick ist auch alles in Ordnung. Nun leben wir, wie euch sicherlich bekannt ist, in einem ausgesprochen bürokratischen Staat. Für alles und jedes gibt es Verwaltungsvorschriften – und natürlich auch einen Verwalter.« »Worauf willst du hinaus?« »Wir haben in den Stellenplänen nachgesehen. Normalerweise ist eine Planstelle bereits besetzt, bevor das betreffende Büro auch nur geöffnet ist. Und für das Abwehrfort gibt es keine Planstellen. Im ganzen Verwaltungsapparat existiert nicht eine einzige Person, die für dieses Riesending verantwortlich wäre. Nur das Wachpersonal ist ausgeschrieben.« »Ich verstehe nicht ganz«, sagte der Gegenredner verwirrt, seine Flügel zuckten nervös. »Folgendes. Irgendwann ist das Ding fertig und kann schießen. Irgend jemand muß dann doch wohl das Recht haben, dieses Fort aktiv werden zu lassen. Wer auch immer dieser Jemand ist – er gehört nicht zur Verwaltung unseres Planeten.« »Dann wäre das Ding doch zu gar nichts nütze, wenn niemand es bedienen darf.« »Niemand von uns«, sagte die junge Frau langsam. Ferner Proch, der aufmerksam zuhörte – er wußte selbst nicht ganz, was ihn im Augenblick mehr fesselte, der Anblick des Mädchens oder das, was sie vortrug – hielt den Atem an. »Und was noch viel schlimmer ist: Offenbar hat auch kein Mitglied unserer Regierung die Macht, das Ding abzustellen, wenn es einmal losgeht.« »Aber …« Ihrem Gegenüber verschlug es die Sprache. »Wenn dieses Abwehrfort – es gibt übrigens seit Jahren eine unglaubliche Menge davon – einen Sinn haben soll, dann wird eines Tages ein fremdes Raumschiff unseren Planeten angreifen – und das
Abwehrfort wird feuern.« »Warum sollte man uns angreifen? Warum?« »Das ist nicht einmal die wichtigste Frage. Viel entscheidender ist das Problem – was ist überhaupt ein Angriff? Vielleicht versteht die Macht der Schatten …« »Die was?« »Die Einflußkraft, die wir bisher konkret nicht haben feststellen können, haben wir so genannt, eben weil sie nicht greifbar ist wie ein Schatten. Er ist da, aber man kann ihn nicht anfassen. Wenn nun die Macht der Schatten in jedem anfliegenden Schiff einen Feind sieht? Und wenn dieser Feind das Feuer erwidert?« »Er wird unsere Stadt treffen.« Die junge Frau lachte bitter auf. »Uns wird es treffen, dich und mich und die anderen hier. Und da es viele dieser Forts gibt auf unserem Planeten, müssen wir befürchten, daß im Kampf dieser ganze Planet verwüstet wird – und wir, die Merbell‐Yaner, haben keinen Einfluß darauf. Ob geschossen wird oder nicht, bestimmt einzig die Macht der Schatten.« Ferner Proch wußte, daß das Mädchen Unsinn erzählte. Sie gefiel ihm, aber leider redete sie Unsinn. Jedermann wußte, daß die Dinge nicht so lagen, wie die junge Frau es behauptete. Die Vorstellung allein war lächerlich. Eine andere junge Frau kam näher. Ihre Flügel zeigten in hellem Blau ein Farbmuster, das gleichfalls Kontaktwunsch signalisierte. Sie sah Ferner aufmerksam an, aber der reagierte nicht darauf. Mit einem leichten Schulterzucken wandte sie sich ab und ging. »Echte Beweise für deine These wirst du uns wohl schuldig bleiben«, sagte der Gesprächspartner der jungen Rebellin. Die Frau zuckte die Schultern. »Den Beweis, den ihr fordert, kann ich nicht liefern. Und wenn die Schatten den Beweis für ihre Macht liefern, wird es für uns alle zu spät sein.« Sie sah auf, ihr Blick traf wieder den von Ferner Proch.
»Willst du etwas von mir?« Ferner Proch lief an. Mit einer so unmittelbaren Frage hatte er nicht gerechnet, und sie machte ihn verlegen. »Nein«, stotterte er, »wirklich nicht.« »Du siehst mich aber die ganze Zeit über an – und offenbar nur mich.« »Zufall«, wehrte Ferner ab. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt. »Es war keine Absicht dabei.« »Aha«, sagte die junge Frau und lächelte. »Da haben wir den Beweis. Ich bin mir sicher, daß er mit mir Kontakt aufnehmen will und daß ihn mein Farbmuster nicht davon abhalten wird. Er sagt das Gegenteil – aber sein Gesicht verrät ihn eindeutig.« Sie hatte zweifellos recht, und Ferners Unbehagen wuchs. »Du benimmst dich unmöglich, Gendra«, sagte ihr Gegenüber. »Der arme Kerl fällt ja fast um vor Verlegenheit.« Gendra sah wieder Ferner an. »Ich sehe es ein. Nimmst du einen Drink als Entschuldigung an? Wenn ja, setz dich zu uns.« Ferner Proch zögerte einen Augenblick, dann nickte er. Die sechs, die an dem Tisch beieinander saßen, kamen aus dem Universitätsviertel, offenbar Studienkollegen. Die Namen der anderen merkte sich Ferner nicht, er hatte nur Augen für Gendra. »Glaubst du nicht, daß du mit diesen Reden Ärger bekommen wirst?« fragte Ferner, nachdem er sein Getränk erhalten hatte. Um nicht als Weichling zu erscheinen, hatte er sich einen Schnaps gewünscht, an dem er vorsichtig nippte. Das Gesicht der jungen Frau verfinsterte sich. »Ich habe bereits Ärger deswegen«, sagte sie. »Ich werde in einem halben Dutzend Datensammlungen geführt – als Aufsässige, heißt es. Und die Hoffnung, nach dem Ende des Studiums in meinem Beruf arbeiten zu können, ist auch verflogen. Aber irgendwie werde ich mich schon durchschlagen.« »Den Optimismus möchte ich haben«, sagte Ferner, der an seinen
krisensicheren Posten dachte. Gute Boten waren selten, und er besaß einen Vertrag auf Lebenszeit. Er hätte schon wirklich Übles anstellen müssen, um seinen Arbeitsplatz zu verlieren. »Einmal angenommen, deine These ist richtig. Was willst du unternehmen?« »Nichts«, antwortete Gendra. »Was kann ich als einzelne schon tun?« »Es heißt, es gäbe inzwischen viele Aufsässige.« »Mag sein, aber ich kenne sie nicht, und ein paar sind in den letzten Monaten spurlos verschwunden – die Schatten haben sie geholt.« »Was heißt verschwunden?« Gendra machte eine Geste, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. »Ermordet, höchstwahrscheinlich.« »Aber so etwas fällt doch auf. Und wenn es alle wissen – die Schatten können doch nicht jeden von uns verschwinden lassen.« »Da magst du recht haben«, murmelte Gendra. »Aber was hilft es?« »Man müßte einen Beweis finden. Einen klaren, eindeutigen Beweis, der allen Merbell‐Yanern zeigt, wie es wirklich ist. Keine Theorien, auch wenn sie noch so stichhaltig sind, sondern Tatsachen.« Gendra begann zu lachen. »Da habt ihr es, Freunde. Euch konnte ich nicht überzeugen – wohl aber ihn.« Ferner Proch hob die Hände. »O nein«, sagte er. »Überzeugt hast du mich nicht.« Er war ein wenig erschrocken. Wenn Gendras These nämlich stimmte, dann steckte er zu diesem Augenblick bereits in Schwierigkeiten – Kontakte mit Gegnern der Schatten bekamen niemandem gut, wenn es sie gab. »Ich finde deine These nur interessant.«
»Eines der abgegriffenen Worte, das ich kenne. Seiʹs drum. Wir wollen noch ein paar andere Lokale aufsuchen. Kommst du mit?« »Gern«, sagte Ferner Proch sofort, und er meinte es auch so. »Ich mache mich nur ein wenig frisch«, verkündete Gendra. Als sie aus den Hygieneräumen zurückkehrte – Ferner sah es sofort – hatte sie ihre Flügel entfärbt. Der Naturton stand ihr vorzüglich. Sie lächelte Ferner zu. Die sieben verließen das Lokal. Draußen war es unterdessen ruhiger geworden. »Komm!« 4. Der Abend war wirklich prachtvoll, und das lag nicht allein am Wetter und dem prächtigen Sonnenuntergang. Ferner Proch fühlte sich so gut wie lange nicht mehr, und er wußte, daß das vor allem Gendra zuzuschreiben war. Seit einer Woche waren die beiden unzertrennlich. Das hieß nicht, daß sie stets einer Meinung gewesen wären. Im Gegenteil, sie hatten sich schon in den ersten Tagen fürchterlich gestritten. Sie hatten aber sehr schnell bemerkt, daß diese Streitigkeiten eine wichtige Funktion hatten – sie halfen den beiden, sich besser kennenzulernen und die Grenzen des Miteinanders abzustecken. Nach der anschmiegsamen Verlogenheit seiner früheren Freundin war Ferner heilfroh, eine Partnerin zu haben, die jede Unstimmigkeit auf der Stelle austrug, anstatt Ärger hinunterzuschlucken und irgendwann später als Lawine von Vorwürfen herabstürzen zu lassen. Ganz abgesehen davon machte den beiden das Versöhnen eine Menge Spaß. An diesem Abend hatte Gendra einen Ausflug in die nähere Umgebung der Stadt vorgeschlagen. Das Wetter war so herrlich, daß man im Freien schlafen konnte – etwas, das Ferner seit früher
Jugend nicht mehr gemacht hatte. Einträchtig flogen die beiden über die große Stadt hinweg, in der es von Leben förmlich brodelte. »Später möchte ich gern auf dem Land leben«, sagte Gendra. Übermütig drehte sie eine Rolle in der Luft. »Ich habe keine Lust, mich hier einpferchen zu lassen.« »Einverstanden«, sagte Ferner, wenn auch mit Vorbehalten. Er war sich nicht ganz so sicher, ob er ein solches Leben schön fand – aber Gendra zuliebe wollte er es wenigstens versuchen. Der Platz, den Gendra ausgesucht hatte, übertraf Ferners Vorstellungen – ein See, von dichtem Wald umsäumt, der nur eine Lichtung nahe dem Ufer freiließ. »Bist du schon öfter hier gewesen?« wollte Ferner wissen. Gendra legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Und was ist das dort?« fragte Ferner und deutete auf ein metallisches Gebilde, das jenseits der Bäume in den Himmel ragte, vom Licht der untergehenden Sonne in dunklem, unheilverkündendem Rot beschienen. Gendras Miene verfinsterte sich. »Das Abwehrfort«, sagte sie, während sie die Decken auf dem grasigen Boden ausbreitete. »Es ist vor vier Tagen fertiggestellt worden.« »Ich würde es mir gern einmal aus der Nähe ansehen«, sagte Ferner. »Hinfliegen können wir nicht. Das ist verboten, und wir bekämen Ärger. Aber wenn du willst, können wir durch den Wald gehen. Es gibt dort nur eine einfache Sperre für Wild.« »Dann machen wir uns auf den Weg«, schlug Ferner vor. Der Vorschlag erwies sich als mühsam durchzuführen. Es gab in diesem naturbelassenen Wald keine Wege und Stege, man mußte sich einen Pfad durch dichtes Unterholz suchen. Äste und Zweige peitschten den beiden die Körper, und das Gefieder war arg zerzaust, als sie die Sperre erreichten.
Es war nichts weiter als ein hoher Zaun aus Metall, ohne erkennbare Sicherheitseinrichtungen. »Wenn wir ihn überfliegen, wird Alarm ausgelöst«, sagte Gendra. »Freunde von mir haben es bei einem anderen Fort versucht. Sie sind verschwunden.« Ihre Sätze paßten zu der Stimmung, die Ferner erfaßt hatte. Umgeben war das Fort von einer ungeheuer großen Mauer – mindestens fünfzig Mannslängen hoch, schwarz und kompakt. Oberhalb der Mauerkante sah Ferner die Kuppel des Geschützes, und dann das Geschütz selbst – ein langes, dickes Rohr aus Metall, von anderem Metall seltsam umwunden. »Eine unvorstellbare Menge Energie und Arbeit stecken darin – und wozu? Zum Töten.« Gendras Stimme verriet Abscheu. Sie wandte sich ab. Ferner betrachtete weiter das bedrohlich wirkende Bauwerk. Er versuchte sich vorzustellen, wie es im Innern aussah, ihn interessierte, wie die Technik wohl funktionieren mochte – er wagte nicht, sich auszumalen, wie ein Funktionieren dieser Technik in der Praxis wohl aussehen mochte. »Und was ist das?« Gendra folgte mit den Augen seiner Hand, die auf den Himmel wies. Ein leuchtender Körper senkte sich langsam herab. Die beiden sähen sich an. Natürlich wußten sie, daß es Raumfahrt und Raumschiffe gab, gesehen hatten sie noch keines. Am wenigsten aber konnten sie sich vorstellen, daß ein Schiff ohne jedes Aufsehen bei Nacht auf Yan landete, noch dazu in unmittelbarer Nähe eines riesigen Abwehrforts. »Versteck dich«, flüsterte Ferner. Die beiden verschwanden im Unterholz und beobachteten weiter. Es war ein Diskuskörper, der da niederging. Er landete unmittelbar neben dem Fort, auf einem freien Platz, glücklicherweise in Sichtweite der beiden Merbell‐Yaner. Ferner
Proch schluckte. Zum ersten Mal würde er jetzt ein Lebewesen sehen, das nicht von Yan stammte. »Heiliger Prezzar!« stieß er hervor. Es war ein Monstrum, das aus der Hülle des riesenhaften Schiffes hervorgestiegen kam. Zweieinhalbmal so groß wie ein ausgewachsener Merbell‐Yaner, mit einer wächsernen Haut, die aussah wie bei einem Toten. Und das Monstrum hatte keine Flügel. »Es gibt sie also doch«, murmelte Gendra. Ferner konnte spüren, daß ihr Körper bebte, als er sie an sich zog. Das Monstrum war allein, aber es blieb nicht lange so. Aus dem Innern des Abwehrforts traten ihm Merbell‐Yaner entgegen – und neben ihnen entsetzliche Geschöpfe, die dem Alptraum eines Fieberkranken entstiegen zu sein schienen. Sie waren fast so groß wie das Monstrum von einem anderen Stern – als es den Kopf wandte, war zu sehen, daß diese scheußliche Kreatur drei Augen hatte, eines mitten auf der Stirn. Die anderen Fremden aber waren noch weit entsetzlicher – man konnte sie gar nicht richtig sehen. Es waren nur fließende, schattenhafte Schemen. »Die Macht der Schatten«, murmelte Gendra. »Wir haben uns nicht geirrt.« Was die drei unterschiedlichen Lebensformen, die Merbell‐Yaner, das Monstrum und die Schatten, miteinander zu bereden hatten, verstanden Gendra und Ferner nicht, dazu waren sie zu weit entfernt. Aber es war zu sehen, daß die drei Spezies nicht verfeindet waren – die Verhandlungen verliefen friedlich, und es sah fast so aus, als seien sie auf gewisse Weise miteinander vertraut. »Eine Verschwörung gegen unser Volk«, sagte Gendra leise. »Unsere Leute arbeiten mit den Schatten zusammen, jetzt kannst du es sehen. Und dann gibt es noch diese anderen – sie sehen gräßlich aus, so riesenhaft und klobig.« »Das muß nichts bedeuten«, versetzte Ferner. »Denkbar wäre ja auch, daß wir einfach winzig ausgefallen sind – es ist alles eine Frage des Betrachtungsmaßstabs.« »Hör mit diesen Witzen auf«, sagte Gendra scharf.
Das Monstrum kletterte zurück in sein Raumschiff. Es war so groß, daß mindestens einhundert Merbell‐Yaner darin hätten leben können. Unglaublich, daß man ein solches Gefährt überhaupt in den Raum bringen konnte – und doch war es möglich. Der Start des Diskusschiffs bewies es. Es stieg auf, beschleunigte und war nach kurzer Zeit nur als leuchtender Punkt zu erkennen, der alsbald im Dunkel des Alls unterging. »Wir kehren um und gehen zurück«, sagte Ferner, nachdem die Merbell‐Yaner und die Schatten in das Abwehrfort zurückgekehrt waren. Jetzt erst fiel Ferner auf, daß sich das Geschütz während der Landung nicht ein einziges Mal bewegt hatte. Die Zieloptik und ‐ Steuerung hatte nicht einmal den Versuch unternommen, das fremde Raumfahrzeug anzupeilen. Die Mündung des Geschützes wies in eine ganz andere Richtung. Es gab dafür nur eine Erklärung – das Monstrum war erwartet worden. Wenn solche Dinge hinter dem Rücken der Merbell‐Yaner – genauer gesagt der wählenden Bevölkerung der Merbell‐Yaner – geschahen, dann konnte man Gendras Thesen nicht mehr beiseite wischen. »Und was machen wir jetzt?« fragte Gendra, nachdem die beiden ihren Rastplatz aufgesucht hatten. Ferner Proch lächelte. »Wir kehren auf dem schnellsten Weg in meine Wohnung zurück«, sagte er. »Und dann werden wir uns damit befassen.« Er hielt die Kamera in die Höhe, die er mitgenommen hatte – ursprünglich, um einige stimmungsvolle Aufnehmen von Gendra zu machen, dann um das Abwehrfort zu fotografieren. Gendra war gar nicht aufgefallen während ihrer Beobachtung, daß Ferner die Kamera benutzt hatte. »Wenn diese Bilder kein Beweis sind, dann weiß ich es nicht«, stieß er triumphierend hervor. *
Da er den Film keinem normalen Entwicklungslabor anvertrauen wollte, mußte Ferner bis zum frühen Morgen warten. In einem Fachgeschäft erstand er die notwendigen Gerätschaften und Chemikalien, alles in allem ein teurer Spaß, aber Ferner scheute in diesem Fall die Kosten nicht. Zurück in der Wohnung, verschoß er drei Filme ziemlich wahllos mit Gendra und der Umgebung als Motiv, dann machte er sich daran, den ersten Film nach Vorschrift zu entwickeln. Er durfte keinen Fehler begehen. Hochwertige Farbmaterialien reagierten auch Chemiefehler, Verunreinigungen und Temperaturschwankungen sehr empfindlich. Auch die Entwicklungszeiten für die einzelnen Bäder mußten genau beachtet werden. Der erste Film war eine Katastrophe, voll Flecken und Schleier. Ferner hatte hektisch gearbeitet, und das rächte sich. Der zweite Probefilm war etwas besser, aber bei weitem nicht zufriedenstellend. Der dritte Film hatte einen leichten Farbstich, der sich bei der Vergrößerung würde herausfiltern lassen. Ferner Proch bezwang seine Ungeduld und machte sich an den wichtigen Film. Da er die Aufnahmen bei sehr schwachem Licht gemacht hatte, mußte der Film notwendigerweise eine starke Farbverschiebung nach Rot aufweisen, die es bei der Entwicklung auszugleichen galt bis auf Werte, die beim Vergrößern noch zu bewältigen waren. Ferner arbeitete so ruhig und sorgfältig wie möglich, Gendra half ihm dabei. Als er endlich den Film nach dem letzten Wässern aus der Entwicklungsdose holte, stieß er einen Seufzer der Erleichterung aus. Mit einer Lupe prüfte er die Aufnahmen schnell durch. Wie zu erwarten war, war ein Teil der Bilder verrissen. Zu zittrige Hände vor Aufregung und zu lange Belichtungszeiten wegen des schwachen Lichts waren dafür die Ursache. Aber der Farbton
stimmte, und eine Reihe der Aufnahmen waren gestochen scharf. »Geschafft«, stieß Ferner hervor. Gendra fiel ihm um den Hals. Nachdenklich hielt Ferner den nassen Filmstreifen in der Hand. »Es fragt sich nur, ob man uns glauben wird«, sagte er leise. »Es wird davon abhängen, ob man uns glauben will.« »Wir werden es sehen«, anwortete Gendra. Es war inzwischen Mittag geworden. Gendra bereitete eine Mahlzeit zu, während Ferner den Kommunikator einschaltete. Üblicherweise sah er sich die Mittagsnachrichten an. Zu seiner Verwunderung lief eine Sondersendung. »Komm schnell her, Gendra«, rief er über die Schulter hinweg. »Sieh dir das an.« »Bei Prezzar«, stieß Gendra hervor. Sie stellte die Schüssel mit Salat auf den Tisch. Ein Raumschiff schickte sich an, auf Yan zu landen. Es war eine kugelförmige Konstruktion von ungeheurer Größe. Ohne Mühe hätte man die ganze Bevölkerung der Hauptstadt darin unterbringen können. »Noch mehr Fremde?« rätselte Gendra. Das Raumschiff senkte sich langsam auf den Boden des Planeten herab. Daß es sich nicht beeilte und zudem bei hellem Tageslicht erschien, ließ den Schluß zu, daß die Fremden in friedlicher Absicht kamen. Eine riesige Menge Merbell‐Yaner hatte sich versammelt, um die Landung miterleben zu können. Truppen erschienen und trieben die Menge so weit auseinander, daß das Schiff landen konnte. Die Bilder wurden in sämtliche Winkel des Planeten übertragen. Es war nicht die erste Landung eines Raumschiffs auf Yan. Die Merbell‐Yaner hatten losen Kontakt zu den Beneterlogen, die sich ab und zu auf Yan sehen ließen. Aber die Landung dieses Schiffsriesen war dennoch eine Sensation. Das Schiff fuhr Teleskoplandestützen aus und setzte auf. Ein leiser Ruck ging durch die Kugel, dann stand das Schiff still.
Unwillkürlich wartete Ferner auf das Empfangskommando – wahrscheinlich würde die Regierung gepanzerte Fahrzeuge und Militär aufmarschieren lassen. Nichts dergleichen geschah. Der Gleiter war zwar gepanzert, aber er stellte für das Riesenschiff keine Bedrohung dar. Er transportierte, wie beim Aussteigen sichtbar wurde, die Regierungsspitze von Yan. Wenig später wurde der erste der Fremden sichtbar – und sofort wich die Menge zurück. Der Fremde war riesengroß, und er trug keine Flügel. Durch die Menge ging ein Ächzen. Selbst dem überaus geschwätzigen Kommentator verschlug es fürs erste die Sprache. »Monster«, stieß Gendra hervor. Es war der gleiche Typ Lebewesen, der mit den Merbell‐Yanern und den Schatten Kontakt aufgenommen hatte. Riesengroß, für yanische Begriffe häßlich und ohne Flügel. Der Regierungssprecher trat langsam hervor. Er reichte dem Fremdwesen nicht einmal bis zum Gürtel. »Willkommen auf Yan!« Der Fremde zeigte die Innenflächen seiner großen Hände. Ferner fiel auf – eine Großaufnahme zeigte es deutlich –, daß er rötliche Augen hatte und fahles Haar. Aus einem Übersetzungsgerät erklang die Stimme des Monsters. Es nannte sich Atlan, und offensichtlich verstand es sich auf die Kunst nichtssagender Worte ebensogut wie der Sprecher der Merbell‐Yaner. Die Floskeln, die die beiden geläufig austauschten, waren banal und inhaltslos. »Sie sind unbewaffnet«, murmelte Ferner, während der Regierungssprecher von dem großen Tag zweier Völker redete. »Sie werden ihre Absichten nicht offen zeigen«, antwortete Gendra. Sie mußte sich überwinden hinzusehen. Zwar versuchte sie sich klarzumachen, daß sie nur Vorurteile produzierte – aber für das Schönheitsempfinden eines Merbell‐Yaners waren die Kreaturen abscheulich. Ein halbes Dutzend hatte sich auf dem Platz
inzwischen eingefunden. Ruhig und unbewaffnet standen sie da, aber jeder, der die Übertragung ansah, konnte die Bedrohung spüren, die von diesen Geschöpfen ausging. »Was werden sie tun?« rätselte Ferner. »Du hast es gehört. Angeblich wollen sie in unserem Sonnensystem forschen, und auf Yan sind sie gelandet, um die Bevölkerung nicht ungewollt in Angst und Schrecken zu versetzen. Außerdem wollen sie Wasser und Nahrung an Bord nehmen.« »Hört sich an, als meinten sie es friedlich.« »Das werden wir noch früh genug erfahren«, orakelte Gendra. »Ist der Film inzwischen trocken?« »Nach dem Essen mache ich die Abzüge – allerdings sind sie jetzt überholt.« »Nicht ganz – vergiß die Schatten nicht. Sie haben sich uns nicht auf diese Art und Weise vorgestellt.« Das Palaver auf dem Landeplatz ging weiter. Die Riesen schleusten einen Gleiter aus. Zusammen mit der Abordnung der Merbell‐Yaner flogen sie davon – angeblich, um sich die Hauptstadt anzusehen und erste wichtige Probleme des Protokolls vorzustellen – allein die Frage der Unterbringung würde arges Kopfzerbrechen bereiten. Wahrscheinlich würde man sie in leergeräumten Fabrikhallen unterbringen müssen. »Ist dir etwas aufgefallen?« fragte Gendra. Ferner schüttelte den Kopf. »Diese Geschöpfe haben nur zwei Augen, wie wir. Das Monstrum von heute nacht hatte ein drittes Auge.« »Vielleicht der Oberste bei diesen – wie nannten sie sich? – Solanern. Vielleicht ist das dritte Auge ein Abzeichen seiner Würde.« Gendra warf einen letzten Blick auf den Bildschirm. Noch immer war das Raumschiff zu sehen, von staunenden Merbell‐Yanern umringt und begafft. Sie mochten es aufregend finden – Gendra verspürte nur Angst. Das riesige Schiff mit seinen fürchterlichen
Insassen, dazu die Bedrohung durch die geheimnisvollen Schatten und zu allem Überfluß die Sorge, daß die Führung der Merbell‐ Yanern bereits von den Gegnern kontrolliert wurde – das alles zusammen erfüllte Gendra mit der Furcht, es könnte bereits zu spät sein, dagegen Widerstand zu leisten. Ferner Proch empfand die Dinge ähnlich. Bei ihm kam noch hinzu, daß er sich zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder gelöst und glücklich fühlte und nun Angst hatte, damit könne es sehr bald vorbei sein. Über dem Volk der Merbell‐Yaner hing ein ungewisses Schicksal, und vor dem heranziehenden Gewittersturm hatten private Gefühle vielleicht wenig Bestand. Den Nachmittag verbrachten die beiden damit, von den gelungenen Bildern zahlreiche Vergrößerungen herzustellen. Es war fast Abend, als sie die Arbeit endlich einstellten. »Was machen wir jetzt mit den Bildern«, fragte Ferner und deutete auf den dicken Stapel auf dem Tisch. »Wem willst du sie zeigen?« »Unter anderem meinem Vater«, erklärte Gendra. Sie hatten bislang nicht über ihre jeweiligen Verwandten gesprochen. »Er ist ein ziemlich hohes Tier in der Verwaltung. Vielleicht kann es uns weiterhelfen. Außerdem gehören zu meinen Freunden einige, die ebenfalls einflußreiche Eltern haben. Ich bin ziemlich sicher, daß wir auf diesem Weg etwas erreichen können.« »Und wenn nicht?« fragte Ferner. Er empfand ein wenig Unbehagen bei dem Gedanken, sich eines Tages mit vornehmen Leuten auseinandersetzen zu müssen. »Das wird sich zeigen«, sagte Gendra zufrieden. Sie packte die Bilder ein, zusammen verließen sie die Nestblüte. Fast zum gleichen Zeitpunkt am Vorabend hatten sie ebenfalls Ferners Wohnung verlassen – damals heiter und guter Dinge. Nun flogen sie davon, mit einem schrecklichen Geheimnis im Gepäck. 5.
»Irgend etwas stimmt nicht mit diesen Merbell‐Yanern«, erklärte Bjo Breiskoll. »Und was?« fragte ich zurück. Wir hatten es uns in meiner Kabine gemütlich gemacht. Da die freundlichen Flügelmenschen keinerlei passende Unterkunft für uns hatten auftreiben können, waren wir nach einem langen und reichlich umständlichen Empfang in die FARTULOON zurückgekehrt. Mir hatten die Merbell‐Yaner gefallen. Nur knapp achtzig Zentimeter im Durchschnitt groß, erstaunlich menschenähnlich. Und dazu geflügelt – ein putziges Volk, liebenswürdig und freundlich. Der Versuch, sie ein wenig auszuhorchen, war hingegen kläglich gescheitert – offenbar wußten die Bewohner des Planeten Yan sehr wenig von dem, was sich im Raum abspielte. Sie schienen zufrieden damit, auf ihrem Planeten leben zu können und unbehelligt zu bleiben. »Sie haben gelogen«, sagte Bjo Breiskoll. Er nippte an dem Erfrischungsgetränk. »Genauer gesagt, ihre Worte waren nicht wahr, aber sie selbst dürften es kaum bemerkt haben. Sie wirkten auf mich wie hypnotisiert oder unter Drogen gesetzt. Ihre Gedanken und Assoziationen waren unklar, ohne erkennbare Struktur.« Bjo hatte während des Empfangs ein wenig telepathisch herumgeschnüffelt, ich hatte ihn darum gebeten. Es verstand sich von selbst, daß Bjo dabei nur nach Informationen Ausschau hielt, die uns und den Völkern von Bars‐2‐Bars weiterhalfen. »Und wie erklärst du dir das?« Bjo zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur festgestellt, daß die Denkstrukturen bei einigen hohen Herren auf Yan sich von denen ihrer Mitbewohner deutlich unterscheiden. Die Mehrzahl der Merbell‐Yaner denkt und empfindet ähnlich wie wir – und so bin ich auf den Gedanken gekommen, die Führungsschicht ist beeinflußt worden.«
Breckcrown Hayes mischte sich in das Gespräch ein. Wir hatten eine Hyperfunkverbindung nach Anterf und zur SOL geschaltet, um den High Sideryt über die Lage der Dinge unterrichten zu können. Natürlich war die Verbindung mit technischen Tricks abhörsicher und nicht anpeilbar gemacht worden – wir wollten kein Risiko eingehen. »Das gefällt mir nicht«, sagte Hayes ohne Umschweife. »Es riecht nach einer Falle. Habt ihr die Nabelstation gefunden?« »Bisher noch kein Anzeichen«, antwortete ich. »Mylotta hat sich vor unserer Landung mit einer Space‐Jet abgesetzt, um auf eigene Faust Untersuchungen anzustellen. Du wirst uns ein wenig Zeit geben müssen.« »Könnt ihr haben, aber nicht zuviel.« »Wie sieht es an Bord aus?« »Keine Probleme, so sieht es jedenfalls aus. Bemerkenswert ist nur, daß wir ein paar zerstörte Roboter gefunden haben, darunter ein geradezu archaisch anmutendes Reinigungsmodell. Die Positroniken sind völlig zerstört worden, von fremder Hand und mit Gewalt. Jemand scheint verhindern zu wollen, daß die Speicher der Robots überprüft werden konnten.« »Hört sich nicht sehr bedeutungsvoll an«, bemerkte ich. »Ist es auch nicht. Allerdings hat sich die Bord‐Kassandra bei mir gemeldet …« »Hallam Blake?« »Genau der. Er hält die Tatsache für wichtig, daß alle zerstörten Robots keiner Überwachung durch SENECA unterliegen. Hallam vermutet einen Saboteur.« Angesichts der Besatzungsstärke der SOL mußte man immer damit rechnen, daß jemand durchdrehte. Psychisch instabile Menschen konnten schon für kleine vermeintlich erlittene Demütigungen die fürchterlichsten Rachefeldzüge planen und mitunter auch durchführen. »Ich habe daraufhin alle Aggregate von SENECA durchtesten
lassen – keine Erkenntnisse. Hallams Verdacht scheint sich im Sand zu verlaufen, ich werde aber die Augen offenhalten.« »Genau das werden wir nicht tun«, sagte ich lachend. »Wenn es keine weiteren Erkenntnisse gibt, können wir uns beruhigt schlafen legen.« Hayes trennte die Verbindung. Ich rief die Funkstation an. Von Kerness Mylotta lag keine Nachricht vor. Nach den Meßdaten, die vorlagen, schien er sich mit den inneren Planeten des Trisker‐ Systems zu beschäftigen. Ich hoffte, daß er dort eine Spur finden konnte. Bjo verabschiedete sich, und ich ging ins Bett. Ich versuchte darüber nachzudenken, was mein geheimnisvoller Nachrichtengeber wohl mit dem Feind in den eigenen Reihen gemeint haben mochte. Bezog sich der Hinweis auf unser Schiff, oder war die gesamte SOL damit gemeint? Die zerstörten Roboter, die Hayes erwähnt hatte, deuteten auf jemand an Bord der SOL hin. Das Nachgrübeln half nicht weiter. Ich drehte mich um und schlief rasch ein. Für den nächsten Morgen war eine Zusammenkunft mit der Staatsspitze der Merbell‐Yaner geplant. Mir paßte das wenig ins Konzept, ich hätte mich lieber im Raum um die Sonne Trisker umgesehen, aber für die Merbell‐Yaner war offenbar jede Landung eines Raumschiffs eine echte Sensation, die gebührend gefeiert werden mußte. Seltsamerweise hatten die Merbell‐Yaner selbst keine Weltraumambitionen – vielleicht lag es daran, daß sie in der Lufthülle ihres Planeten genügend Raum hatten, ihre Flugneigung auszuleben. Beim Frühstück konnte ich über die Monitoren sehen, daß die FARTULOON von Tausenden von Merbell‐Yanern umschwirrt wurde. Ein paar Dutzend hatten sich sogar oben auf die Wölbung gesetzt oder vollführten Kunststücke zwischen den Landestützen. Das Völkchen gefiel mir. Diesmal hatten es sich die Merbell‐Yaner nicht nehmen lassen, uns
abzuholen. Ein Schwerguttransporter – für ihre Begriffe waren wir Riesen – brachte uns zu einem freien Platz, auf dem sich Zehntausende drängten. In aller Eile hatte man sogar Sitzmöbel für unsere Größe zusammengezimmert. Die ersten Stunden verliefen so, wie ich es befürchtet hatte, – lange feierliche Ansprachen, zu denen auch wir unser Teil beizutragen hatten. Es folgte ein langer Festzug, der uns einen Querschnitt durch die Kultur der Merbell‐Yaner vorführen sollte. Die Bevölkerung amüsierte sich großartig. Kein Wunder, denn Speisen und Getränke gingen an diesem Morgen zu Lasten der Regierung. Dank den Translatoren war die Verständigung problemlos. »Völlig ohne Kontakt zu anderen Völkern seid ihr wohl nicht«, fragte ich das Regierungsoberhaupt. Durch die goldene Farbe seiner Flügel war er unschwer zu erkennen. »Das ist richtig. Woher wißt ihr das?« »Wir haben beim Landeanflug etwas gesehen – eine Befestigungsanlage, die aussieht wie ein schweres Abwehrfort gegen Angriffe aus dem Raum.« Der Regierungschef zeigte ein Lächeln. »Nur zur Vorsorge, für alle Fälle. Nicht jeder Gast aus dem Weltraum kommt mit friedlichen Absichten. Bis jetzt brauchten wir das Fort nicht einzusetzen.« »Kann ich es sehen?« Die Frage war natürlich eine Frechheit. Welches Volk verriet schon militärische Geheimnisse ohne Not an Fremde? Zu meiner großen Verwunderung ging der Regierungschef darauf ein. »Ich kann es dir zeigen«, antwortete er. Vorsicht, meldete sich der Logiksektor. »Ich bin gespannt. Vielleicht können wir euch Hinweise zur Verbesserung eurer Technologie geben.« Das Gespräch hatte etwas Unwirkliches. Wie weit die Merbell‐ Yaner über die Zustände in Bars‐2‐Bars informiert waren, wußte ich nicht. Das wenige, was sie gesagt hatten, verriet eine nur sehr
oberflächliche Kenntnis. Aus dem Hintergrund dieser galaxisweiten Konflikte war unser Geplauder über Technologie und Freundschaft schon fast makaber zu nennen. Immerhin – nachdem der Festzug beendet war, durften wir in den Gleitern Platz nehmen und flogen davon, während das Volk sich weiter prächtig amüsierte. Der Regierungschef begleitete uns zu dem Raumfort. Es war eine beeindruckende Anlage, wenigstens für die Verhältnisse auf Yan. Einer Korvette konnte dieses Geschütz nur im Ausnahmefall gefährlich werden, an den Schirmfeldern der SOL wäre diese Waffe wirkungslos verpufft. So weit ging unser Gastgeber nicht, daß er uns Einzelheiten der Technik berichtet hätte, und ich hatte auch einen Verdacht, warum dem so war. Vom technischen Stand der Merbell‐Yaner hatte ich einiges sehen können, und mir war auf den ersten Blick klar geworden, daß dieses Energiegeschütz nicht der eigenen Technik entstammte. Das Fort war dem Stand auf Yan um fast ein Jahrhundert Forschung voraus – ein deutliches Zeichen, daß wir auf der Hut sein mußten. Den Beweis bekamen wir einige Minuten später. Ohne Warnung tauchten sie auf – schemenhafte Wesen, die an Schatten erinnerten. Wir hatten sie schon einmal gesehen, bei den Duusnorzern, und wir wußten, wie gefährlich sie waren. Es waren mindestens drei Dutzend, die sich auf uns stürzten. Keine Gegenwehr, riet der Logiksektor. »Hände von den Waffen«, rief ich, dem Ratschlag folgend. In aller Regel wußte das Extrahirn genau, was es mir riet. Der einzige, der sich nicht an den Befehl hielt, war Bjo Breiskoll. Ich hatte damit gerechnet. Bjo machte von seiner besonderen Begabung Gebrauch, seiner Schnelligkeit. Die Schatten reagierten mit Verblüffung, als er sich auf sie stürzte und sich mit unglaublicher Schnelligkeit einen Weg durch ihre Reihen bahnte. Bevor sie noch dazu kamen, auf ihn zu feuern, war er bereits
verschwunden. Verschwunden war auch nach ein paar Sekunden das Begleitkommando der Merbell‐Yaner. Offenbar arbeiteten sie mit den Schattenwesen zusammen – eine saubere Falle, die man uns da gestellt hatte. Mit erhobenen Händen standen wir da und warteten. Alles hing jetzt davon ab, wie Bjo sich verhalten würde. * Der Telepath wußte, daß es sinnlos war, allein einen Befreiungsversuch zu unternehmen. In ihrer Schattenform waren die seltsamen Wesen nahezu unangreifbar – aber es gab Mittel und Wege, dem abzuhelfen. Dafür aber waren die technischen Mittel der beiden Schiffe vonnöten. Bjo Breiskoll wußte, daß er sich nicht erwischen lassen durfte. Er verschwand im Unterholz in der Nähe der Festung. Von dort aus wollte er mit dem Minikom die FARTULOON anrufen und warnen. Das Vorhaben gelang. Auf der FARTULOON wurde Alarm ausgelöst, ein Funkspruch ging an die CHYBRAIN, ein weiterer Ruf galt Kerness Mylotta, der sich zwischen den Planeten herumtrieb, auf der Suche nach dem Nabel, der die Verbindung zur Namenlosen Zone darstellte. Dann machte sie Bjo auf den Weg zur Landestelle der FARTULOON. Der Weg war weit, und Breiskoll mußte seine Kräfte einteilen. Außerdem mußte er etwaige Verfolger von seiner Fährte ablenken. Um seine Spur endgültig zu verwischen, durchschwamm Bjo einen kleinen See. Als er wieder an Land stieg, stieß er zu seiner Überraschung auf zwei Merbell‐Yaner, offenbar ein Pärchen. »He, ihr braucht nicht wegzulaufen!« rief Bjo, als die beiden Anstalten machten zu fliehen. Sie hörten nicht auf ihn und Hefen so
schnell wie möglich weg. Einem Menschen wie Bjo Breiskoll konnten sie aber nicht entkommen – binnen weniger Augenblicke hatte er das Mädchen gepackt, und als treuer Freund brach der Mann seine Flucht ab. Zaghaft kam er näher, als er sah, daß Bjo keine Anstalten machte, seine Freundin zu mißhandeln. »Was wißt ihr von den Schatten?« fragte Bjo ohne alle Umschweife. »Was weißt du davon?« fragte die Frau, sobald sie ihre Furcht verloren hatte. Unter anderen Umständen hätte Bjo über ein so selbstbewußtes Frauenzimmer von achtzig Zentimeter Größe geschmunzelt, hier hielt er sich nicht damit auf. »Sie haben uns überfallen und meine Freunde gefangengenommen«, erklärte Bjo. »In welchem Zusammenhang stehen sie mit eurem Volk?« »Das wissen wir nicht. Es hat den Anschein, als hätten sie insgeheim die Regierung übernommen.« »Infiltrationstaktik«, murmelte Bjo. »Unser Volk weiß nichts von den Schatten. Wir beide haben es durch Zufall entdeckt. Aber sage mir, warum sie ausgerechnet euch gefangennehmen wollten?« Bjo zuckte mit den Schultern. »Wenn ich nur das wüßte«, sagte er. »Dummerweise sehen sie im Normalzustand auch noch genau so aus wie wir. Verwechslungen sind da sehr leicht möglich.« Er wußte nicht, daß er mit diesen wenigen Worten ein Hindernis beseitigte, das überaus nützlich hätte sein können. Eine andere Formulierung hätte ihm bereits jetzt Informationen zuspielen können, die für das weitere Schicksal der SOL lebensnotwendig waren. So aber sahen sich die beiden Merbell‐Yaner an, zuckten mit den Schultern und vergaßen die Fotodokumente. Sie hielten den geheimnisvollen Fremden mit dem dritten Auge nun für ein Schattenwesen ohne seine Tarnung, es lohnte nicht, darüber mit Bjo
Breiskoll zu reden. Zum Glück für Bjo würde er niemals erfahren, wie dicht er davor gewesen war, eine Katastrophe zu verhindern, einen infamen Anschlag, der der SOL galt. »Kennt ihr euch hier aus? Könnt ihr mir einen ungefährlichen Weg zum Schiff zeigen?« »Warum sollten wir dir glauben?« fragte die Frau. »Vielleicht bist du auch ein solches Schattenwesen.« Bjo runzelte die Brauen. »Dann lebtet ihr vermutlich längst nicht mehr«, sagte er. Als er die Gedanken der beiden kurz überprüfte, stellte er fest, daß sie starke Zweifel hatten. Ein zweites Mal binnen weniger Augenblicke hielt Bjo den Schlüssel in der Hand. Hätte er nur ein wenig länger und neugieriger in den Gedanken der beiden herumgespäht. Aber der Ehrenkodex der Mutanten verpflichtete sie, von ihren Möglichkeiten nur dann Gebrauch zu machen, wenn es unumgänglich nötig war – die Gedankenwelt eines Gegenübers war dessen privates Geheimnis. Also zog sich Bjo nach kurzem Kontakt wieder zurück und erfuhr nichts Näheres über die Begegnung der beiden mit einem Fremden. »Wir helfen dir, aber nur unter einer Bedingung – ihr müßt uns helfen, diese Fremden loszuwerden, und da die offiziellen Stellen offenbar bereits von ihnen durchsetzt sind, müssen wir ein Mittel finden, das uns auch gegen unsere eigenen Leute hilft, Gewalt kommt da nicht in Frage.« »Einverstanden«, sagte Bjo sofort. »Eine Hand wäscht die andere. Ihr helft uns, wir helfen euch. Kommt, wir wollen zu unserem Schiff.« Es war ein eigentümlicher Anblick, den die Dreiergruppe bot. Ein trabender Bjo Breiskoll – auch in dieser Gangart erheblich schneller als ein Normalsolaner – und zwei Merbell‐Yaner, die ihm flügelschlagend voranflatterten und den Weg wiesen. Immer wieder hielt Bjo an und ließ die beiden die Umgebung
erkunden. Von Verfolgern war nichts zu sehen. Gern hätte Bjo gewußt, welche Pläne die Schatten verfolgten. Er hatte keine Zweifel, daß sie mehr oder weniger im Dienst von Anti‐ES standen. Für nahezu alle Gegner, auf die die Solaner zuletzt getroffen waren, traf das zu. In diesem Fall mußten sie auch wissen, wie wichtig die Person Atlans war. Daß sie ihn lediglich festgenommen hatten, ließ nur eine einzige Schlußfolgerung, zu: Die Schatten gaben sich mit Atlan nicht zufrieden. Sie wollten mehr, und was dieses Mehr sein konnte, lag auf der Hand. Die SOL. Es dauerte Stunden, bis Bjo den Landeplatz der FARTULOON erreichte. Noch immer wurde das Schiff von Merbell‐Yanern umlagert. Die ganze Aktion gegen Atlan und seine Leute sollte wohl in aller Stille durchgeführt werden, ohne daß die Merbell‐Yaner etwas davon bemerkten. Diese Tatsache gab Bjo eine gewisse Hoffnung – es war ein Indiz dafür, daß die Schatten auf Yan so stark nicht waren, daß sie den Planeten offen beherrschen konnten. Und das wiederum gab einem Gegenangriff eine gewisse Erfolgsaussicht. »Ihr habt begriffen, was ich euch vorgeschlagen habe?« fragte Bjo zum Abschied. »Vollkommen. Dein Plan ist herrlich, er muß gelingen.« »Hoffen wir das Beste«, sagte Bjo. Die beiden Merbell‐Yaner flogen davon, und Bjo kehrte in das Schiff zurück. Als erstes stellte er eine Verbindung zu CHYBRAIN her, dann zur SOL. Breckcrown Hayes hörte sich Bjos Bericht mit Stirnrunzeln an. »Und was wollt ihr unternehmen?« fragte er anschließend. »Eine Revolution anzetteln«, verkündete Bjo. »Und in deren Verlauf werden wir im Handstreich Atlan befreien. Daß die SOL hierher kommt, halte ich im Augenblick für nicht ratsam. Wenn die Schatten uns in eine Falle locken wollen, müssen sie erst den Köder vergrößern.« »Dein Plan ist riskant, Bjo. Er gefährdet Atlans Leben.« »Und er durchkreuzt vermutlich die Absichten des Gegners, der
damit rechnen wird, daß wir euch sofort zu Hilfe holen. Das wird sie verwirren – und das gibt uns Zeit und Möglichkeit zum Handeln.« »Haltet mich auf dem laufenden«, sagte Hayes zum Abschluß. »Und gebt auf euch acht – mit diesen Schatten ist nicht zu spaßen!« »Das werden wir auch nicht«, versprach Bjo und beendete das Gespräch. »Funker, wo steckt Kerness Mylotta? Wir könnten ihn hier gebrauchen.« »Er untersucht einen der äußeren Planeten, im Augenblick ist er nicht erreichbar – wir haben nur Kontakt mit der Positronik seiner Space‐Jet.« »Bleibt dran – er soll sich sofort melden.« Draußen war nach wie vor alles ruhig. Der Gegner wartete offenbar ab. »Sollen sie«, murmelte Bjo zufrieden. Er trommelte alle Techniker der FARTULOON zusammen, das entsprechende Team der CHYBRAIN wurde per Hyperfunk in die Konferenz integriert. »Wir brauchen schnellstens ein Gegenmittel. Die Schatten müssen ihre Realkörper zurückbekommen, nur so können wir sie erfolgreich bekämpfen.« »Es wird eine wüste Improvisation werden«, sagte einer der Techniker. »Grundsätzlich sind wir in der Lage dazu. Die Daten, die wir über die Schatten und die hyperenergetische Struktur ihrer Abwehrwaffe bereits gesammelt haben, reichen aus. Wir haben auch die technischen Mittel, ein enttarnendes Gerät zu bauen – aber es wird groß und klobig ausfallen, und ganz bestimmt werden wir in so kurzer Zeit keine große Stückzahl zur mobilen Verwendung zusammenbekommen.« »Hm«, machte Bjo. Er hatte viel von Breckcrown Hayes und Atlan gelernt, und auch in diesem Fall war er um einen Ausweg nicht verlegen. »Aber ein sehr großes Gerät, eines, das ein planetenumspannendes
Enttarnfeld erzeugt – das können wir doch wohl bauen.« Der Techniker grinste breit. »Daß wir darauf nicht selbst gekommen sind. Natürlich, das schaffen wir allemal – es fragt sich nur, wie lange es hält.« »Ein paar Stunden werden genügen«, sagte Bjo. »Hoffentlich.« 6. Abwarten hieß die Devise. Einer belauerte den anderen. Die Merbell‐Yaner, soweit über die Tatsachen im Bild, warteten auf Aktionen der Solaner. Die wiederum warteten auf neue Unternehmungen der Schattenwesen, und ganz offenkundig warteten die auch. Es war ein Krieg der Nervensysteme und Charaktere, der auf diese Weise ausgetragen wurde. Besonders die Merbell‐Yaner litten unter dieser Zermürbungsstrategie. Dies insbesondere, da die Vorbereitungen des großen Tages in aller Stille weiterlaufen mußten. Spektakuläre Aktionen hätten den Flügelwesen sicherlich Auftrieb gegeben, aber damit war vorläufig nicht zu rechnen. Die Morgenstunden des nächsten Tages verstrichen in quälendem Warten. Die Regierung der Merbell‐Yaner, von den Schattenwesen manipuliert und kontrolliert, rührte sich nicht, sie nahm nicht einmal Kontakt zu Bjo und seinen Leuten auf. Die wiederum saßen in der schützenden Hülle der FARTULOON und harrten der Dinge. Währenddessen durchstreifte die CHYBRAIN das Trisker‐System auf der Suche nach Schiffen der Schattenwesen. Sie fand keine. Tausende von Merbell‐Yanern umlagerten friedlich die FARTULOON und wurden allmählich mürrisch, weil das erwartete Spektakel ausblieb, das sie sich erhofften. Am härtesten traf das Warten Atlan und seine Mitgefangenen. Sie waren in einem schmucklosen Raum eingesperrt und hatten nichts
anderes zu tun, als sich zu langweilen oder zu ängstigen, je nach Charakter. An Bord der FARTULOON näherte sich die Fertigstellung der Geheimwaffe dem Ende; das Enttarngerät war zusammengebaut und konnte eingesetzt werden. Auf einen Probelauf hatte Bjo verzichtet – er hätte die Schatten unnötig gewarnt. Alles kam darauf an, daß die einzelnen Aktionen wie geplant abliefen – und daß im entscheidenden Augenblick das Gerät einwandfrei funktionierte. Währenddessen trieben Gendra und Ferner Proch die Gebühren für Ferngespräche in die Höhe. Unablässig riefen sie Freunde an, verabredeten Aktionen und vergrößerten so die Schar der Helfer. Es war dringend nötig, so viele Freunde wie irgend möglich zusammenzutrommeln – die Zahl allein gab der Aktion das gebührende Gewicht. Zur gleichen Zeit rüstete sich an Bord der FARTULOON ein Einsatzkommando. Es hatte den Auftrag, im entscheidenden Augenblick Atlan freizukämpfen – auch dieser Einsatz mußte genauestens mit den anderen Aktionen koordiniert werden, und das alles unter den Augen der Merbell‐Yaner, die nicht ahnten, was sich auf ihrem Planeten abspielte. Langsam näherte sich die Zeitanzeige der Minute des Losschiagens. Nach Bordzeit war 14:00 Uhr dafür angesetzt. 13:55. Bjo Breiskoll läßt eine Verbindung zur Regierung der Merbell‐Yaner herstellen. Er erbittet die Erlaubnis, Wasser und Nahrung an Bord nehmen zu dürfen. Die Erlaubnis wird erteilt. Eine Gruppe von Solanern verläßt die FARTULOON, von den Wartenden draußen stürmisch begrüßt. Der Jubel ist so gewaltig, daß die Gruppe auseinandergesprengt wird. Die Solaner verschwinden fast in der Menschenmenge. Gleichzeitig tauchen Ferner Proch, Gendra und ein Dutzend ihrer besten Freunde auf der Allee der Schwingen auf, der Prachtstraße der Hauptstadt. Sie führt in gerader Linie zum Regierungssitz. Das Wasserkommando ist verschwunden. Die Männer und Frauen
haben sich einzeln von den Merbell‐Yanern gelöst, sich in der Nähe getroffen und fliegen in ihren Kampfmonturen zum Abwehrfort in der Nähe der Stadt. Bjo hat telepathisch herausbekommen, daß Atlan dort immer noch gefangen sitzt. 13:58. Dem Funker der FARTULOON gelingt es endlich, Kontakt mit Kerness Mylotta zu bekommen. Der Forscher wird aufgefordert, auf dem schnellsten Weg die CHYBRAIN anzufliegen und einzudocken. Da Mylotta zur Zeit wesentlich näher an der FARTULOON steht, wird der Befehl geändert. Mylotta soll einen Orbit um Yan ansteuern und dort warten. 13:59. Die Allee der Schwingen beginnt sich rasch mit Menschen zu füllen. Tausende kehren aus der Mittagspause in ihre Büros Fabriken oder Geschäfte zurück. Ferner Proch sieht auf der Uhr die Anzeige förmlich kriechen. Die Sekunden vergehen quälend langsam. An Bord der FARTULOON wartet ein Techniker darauf, das Enttarngerät einschalten zu können. 14:00. Der Schalter wird betätigt. Eine sofort durchgeführte Messung ergibt, daß die Strahlung präzise eingestellt ist. Yan. Ferner Proch hebt den Hammer, den er mitgebracht hat und schlägt die erstbeste Schaufensterscheibe ein. Seine Freunde tun das gleiche, überall klingeln Scherben auf den Boden. Die Zuschauer sind entsetzt, Rufe nach der Polizei werden laut. Währenddessen verteilen Gendra und ihre Freunde Fotodokumente und Flugblätter, auf denen der Sinn dieser Aktion erklärt wird. Fast ohne Ausnahme gehörten die glassplitternden Amokläufer zu jener Gruppe junger Leute, die von der Mehrheit der Bevölkerung als Prominentenzöglinge wenig geschätzt wird. Die Väter und Mütter sitzen in höchsten Führungspositionen, die Zukunft dieser jungen Leute ist doppelt und dreifach abgesichert – aber nicht in dem Augenblick, wo sie straffällig werden. Genau das ist der Plan. Indem sie ihre Zukunft ruinieren, setzen sie ihre Eltern unter Druck – öffentlich amnestieren können sie die
Rechtsbrecher nicht, das wird die alarmierte Öffentlichkeit nicht zulassen. Die Eltern haben nur eine Wahl, wenn sie ihre Kinder nicht verlieren wollen – sie müssen Farbe bekennen. Nur als selbstzerstörerische Aktion verzweifelten Widerstands gegen eine verkappte Fremdherrschaft kann die Handlung der jungen Leute gerechtfertigt werden. Eine halbe Minute lang steht das Schicksal Yans auf Messers Schneide. Wer wird den Flugblättern glauben, wer läßt sich durch die Aussagen und wenigen Bildern überzeugen? Niemand. Etwas anderes gibt den Ausschlag. Die Merbell‐Yaner auf der Prachtstraße, mehrere zehntausende inzwischen, spüren plötzlich, daß es den jungen Leuten ernst ist, daß die Flugblätter nicht dazu dienen, Übermut und Krawallaune zu bemänteln. Sie spüren den tödlichen Ernst dieser Verzweiflungstat. Polizeibeamte tauchen auf, sie werden von den Zuschauern abgedrängt. Die Menge schwillt rasend an, wie ein Lauffeuer breitet sich die Nachricht aus. Das Klirren verstummt. Die Merbell‐Yaner formieren sich zu einem Zug, er marschiert auf das Regierungsgebäude zu. 14:10. FARTULOON. Bjo Breiskoll wird informiert, daß das Einsatzkommando das Fort erreicht hat. Schatten sind keine zu sehen, wohl aber, daß es im Innern aufgeregt zugeht. Ein telepathischer Kontakt mit Atlan informiert Bjo, daß man sich nicht um die Gefangenen kümmert. Unter den Schatten, die jetzt deutlich zu sehen sind, macht sich Panik breit. 14:20. Yan. Eine Postenkette stellt sich den Rebellen entgegen. Die Bannmeile des Regierungssitzes darf nicht übertreten werden. Die Strafen sind hart. Wieder beginnen Ferner und seine Freunde als erste mit der Aktion. Sie übertreten die Markierung und halten den Polizisten die waffenlosen Hände hin, um sich festnehmen zu lassen. Dreißig Sekunden später ist die Zahl der Straftäter auf tausend angestiegen. Die Postenkette weicht zurück. Merbell‐Yaner, die offen und vorsätzlich ein Gesetz übertreten und ebenso offen bereit sind, die
Strafe für diese Tat abzubüßen, sind in ihren Dienstvorschriften nicht enthalten. Einige vergessen ihre Vorschriften, folgen ihrem Gefühl und reihen sich unter die Rebellen. Die Postenkette bröckelt auseinander. Zu Zehntausenden haben die Aufrührer die Bannmeile verletzt, und weitere Zehntausende rücken schweigend und waffenlos näher. Der kommandierende Offizier rast mit seinem Gleiter davon. Langsam rückt die Menge näher heran an den Regierungssitz. Hinter den Fenstern in den unteren Stockwerken sind aufgeregte und verängstigte Gesichter zu sehen. Darüber liegt ein großer Saal, in dem Festlichkeiten abgehalten werden. Eines der großen Fenster zersplittert. Ein Riesengesicht taucht dahinter auf, mit schmalen, verkniffenen Augen. Dann schiebt sich der Lauf einer Waffe ins Freie. Die Menge stiebt auseinander. Ein Schuß läßt glutflüssiges Gestein aufspritzen und brennt einigen Löcher in die Kleidung. Während die Menge Deckung sucht, ballen sich die Polizisten und die Anführer des Aufruhrs zusammen. Ein mit Waffen beladener Mannschaftswagen wird geöffnet, die Beamten verteilen die Waffen an Ferner und seine Freunde. Hinter den Reihen der Rebellen tauchen Übertragungswagen auf. Eines der Fahrzeuge wird von den Schatten in Brand geschossen, die Insassen können gerade noch entfliehen. Geduckt schleichen sich die Kämpfer an das Regierungsgebäude heran. Sprengladungen reißen Breschen, durch die man in den Regierungssitz eindringen kann. Mit einem fürchterlichen Knirschen bricht ein Teil der Fassade heraus. Der Schatten drückt die Wand zur Seite. Steine regnen herunter, es gibt Verletzte, die eilig in Sicherheit gebracht werden. Dann fliegt der riesenhafte Körper durch die Luft, landet auf dem Boden. In der Menge werden Schreie laut. Der Schatten kommt auf die Beine, in der rechten Hand hält er eine Waffe, die nach den Verhältnissen auf Yan als transportable
Kanone zu bezeichnen ist. Rauchspuren schlängen sich durch die Luft. Die Polizeibeamten setzen die Waffen ein, mit denen sie Unruhen bekämpfen sollen – Tränengas, Reizkampfstoffe, Betäubungsgas. Noch einen Schuß kann der Riese abgeben, dann kippt er in die Knie. Eine weitere Ladung Kampfgas läßt ihn vornüber kippen, bewußtlos bleibt er liegen. Ohne sich um den Besinnungslosen zu kümmern, stürmen die Rebellen ins Innere des Regierungspalasts. Helfer bringen die verstörten Angestellten in Sicherheit, während die Kämpfer das Riesengebäude durchkämmen. Ihr Interesse gilt allen Räumen, in denen die riesenhaften Schatten weilen können. 14:30. FARTULOON. Funkspruch aus dem Abwehrfort. Schwere Kämpfe, aber bisher keine Verluste. Mylotta nähert sich mit seiner Space‐Jet. 14:31. CHYBRAIN. Die Ortung entdeckt einen Pulk fremder Schiffe. Sie haben sich offenkundig im Ortungsschutz der Sonnenkorona versteckt. Die FARTULOON wird alarmiert. Auch die CHYBRAIN fliegt Yan an – sie hat aber den entschieden weiteren Weg zurückzulegen. Erste Informationen über die fremden Schiffe. Kugelähnlich, etwas über 450 Meter durchmessend. Ähnlichkeit mit Kampfschiffen, die man bereits bei den Beneterlogen kennengelernt hat. 14:40. Yan. Im Regierungsgebäude ist ein Brand ausgebrochen, in den unteren Stockwerken. Das Feuer frißt sich in die Höhe. Zwei weitere Schatten können gestellt, kampfunfähig gemacht und gefangengenommen werden. Unter den Rebellen die ersten Toten. Polizeieinheiten und Truppen aus der näheren Umgebung der Hauptstadt tauchen auf und greifen in die Kämpfe ein. In den Nachrichtenmedien ist zu erfahren, daß überall auf Yan ähnliche Szenen zu sehen sind – die Merbell‐Yaner nehmen in einem planetenumfassenden Aufstand ihre heimlichen Unterdrücker gefangen.
Ein weiterer Schatten sprengt sich in seinem Versteck in die Luft. Der Regierungspalast ist schwer beschädigt. Durch die Schäden im Mauerwerk kann sich der Brand leicht in die Höhe fressen. Einheiten der Feuerwehr bergen Dutzende von Merbell‐Yanern, aber die obersten Stockwerke sind zu hoch für ihre Leitern. Vor den Augen der Menge und vor den Optiken der Kameras beginnt sich eine Tragödie anzubahnen. In den oberen Stockwerken sind noch immer über einhundert Kämpfer auf der Suche nach Schattenwesen. Es erscheint hoffnungslos, sie aus dem sich ausbreitenden Feuer zu retten. Unter den geretteten Angestellten ist auch Gendras Vater. Als er erfährt, daß seine Tochter noch im Regierungspalast ist, bricht er zusammen und muß in eine Klinik gebracht werden. 14:45. FARTULOON. Breiskoll erfährt: Fort freigekämpft. Atlan unversehrt befreit, desgleichen seine Begleiter. Rings um die FARTULOON hat sich eine riesige Menge aufgebrachter Merbell‐Yaner angesammelt. Wegen der Ähnlichkeit
der realen Schattenwesen mit den Solanern hält man sie für Verbündete oder Artgenossen. Die Handfeuerwaffen können den Schutzschirmen der FARTULOON nichts anhaben, aber es sind breite Einheiten des Militärs unterwegs. Auf den Ortungsschirmen zeichnet sich ein Drama ab, ein tödlicher Wettlauf zwischen Kerness Mylotta in seiner Space‐Jet und den Fremdschiffen, die ihn jagen. Die CHYBRAIN ist zu weit entfernt, um eingreifen zu können, die FARTULOON kann nicht starten, da ihr Rumpf von Merbell‐Yanern umlagert ist. Auf Bildschirmen, die an das Kommunikationsnetz der Merbell‐ Yaner angeschlossen sind, kann Bjo Breiskoll den Kampf um das Regierungsgebäude verfolgen. Die Lage spitzt sich zu. Atlan bricht mit seinen Freunden und dem Einsatzkommando auf zum Regierungssitz. Das Fort bleibt in den Händen der Merbell‐ Yaner. 14:45. Yan. Der letzte der Schatten ist aufgespürt und niedergekämpft. Das untere Drittel des Palasts brennt lichterloh, das mittlere Drittel ist vom Feuer bereits erfaßt und unpassierbar. Die letzten Einheiten der Feuerwehr bringen sich in Sicherheit, ein Vordringen in die oberen Stockwerke ist unmöglich geworden. Die Überlebenden des Kampfes klettern in die Höhe. Die Energieversorgung im Innern des Palasts ist ausgefallen, die Männer und Frauen müssen die Treppenhäuser benutzen. Von außen ist zu sehen, daß diese Fluchtwege voller Rauch sind. Durch die gläsernen Wände kann man die dunklen Schwaden sehen und die Gestalten, die sich in die Höhe kämpfen. Die ersten Überlebenden tauchen an der Spitze des Regierungssitzes auf. 14:50. FARTULOON. Ein sich rasch ausbreitender Leuchtpunkt auf den Ortungsschirmen zeigt, daß Kerness Mylotta es nicht geschafft hat. Ein Volltreffer der Verfolger hat sein Schiff zerstört. In der Nähe der FARTULOON tauchen gepanzerte Fahrzeuge auf. Die Zivilisten werden zurückgedrängt, Militärs übernehmen das Kommando. Noch ist die Zahl der Geschütze und ihre Feuerkraft zu
gering, um die FARTULOON gefährden zu können, aber ihre Zahl wächst unaufhörlich. 14:55. Yan. Durch die Menge der Zuschauer geht ein Aufschrei. Eine Gruppe Schattenwesen im Anflug auf den Regierungspalast. Zum Entsetzen der Zuschauer fliegen die Angreifer so, daß man sie nicht unter Feuer nehmen kann, ohne dabei die Kämpfer aus dem Regierungspalast zu gefährden, die sich inzwischen auf das Dach geflüchtet haben. Ihre Konturen sind nur unscharf zu sehen – die lodernde Hitze des unter ihnen tobenden Brandes läßt die Luft flimmern. Eine Gruppe von Kampfflugzeugen der Merbell‐Yaner taucht auf und greift die Schattenwesen an. Deren Schutzschirme können die konventionellen Geschosse aber wirkungslos machen. Ein Stöhnen geht durch die Menge, als das vorderste Schattenwesen auf dem Dach zur Landung ansetzt. Die Kämpfer weichen zurück und heben die Waffen. Aus einem der oberen Stockwerke schießt eine Feuerzunge herbei. Fetter Qualm wirbelt auf und nimmt die Sicht auf das Drama, das sich auf dem Dach abspielt. Wenig später ist wieder ein Schatten zu sehen. Er trägt ein halbes Dutzend Merbell‐Yaner an seinem Körper. Von einem Antigravprojektor unterstützt, gleitet er in die Tiefe. Im Niedergehen kann man ihn erkennen – es ist der Fremde Atlan, und in seinen Armen hält er unter anderem Gendra. Zwei weitere Schatten tauchen auf, auch sie mit Merbell‐Yanern bepackt. Atlan erreicht den Boden als erster, setzte seine Last ab und startet sofort wieder zurück auf das Dach. In atemloser Spannung verfolgt die Menge die Rettungsaktion. Eine Gruppe Merbell‐Yaner nach der anderen wird gerettet – vom Dach ist fast nichts mehr zu sehen. Flammen aus dem darunterliegenden Stockwerk schlagen seitlich in die Höhe und nehmen die Sicht. Die Gruppe der Geretteten vergrößert sich, siebzig sind es bereits.
Dreißig andere und vielleicht noch mehr warten noch in der Feuerhölle auf ihre Rettung: Wieder starten die Schattenwesen, deren Handlungsweise den Merbell‐Yanern unverständlich ist. 14:57. FARTULOON. Die Flotte des Gegners, zehn Schiffe stark, hat Yan erreicht. Der Planet ist im Feuerbereich ihrer Geschütze, aber kein Schuß fällt. Während drei der Fremdschiffe einen Orbit um Yan einschlagen, eine Warteposition über der FARTULOON und der Hauptstadt, jagen die anderen sieben Schiffe der CHYBRAIN entgegen. Dieser Übermacht ist der Kreuzer nicht gewachsen. Brick zieht sich mit seinen Leuten zurück. Die Fremden brechen die Verfolgung nach kurzer Zeit ab und gesellen sich zu den anderen. 14:58. Yan. Atlan setzt den letzten Geretteten ab, mit einer Handbewegung fordert er seine Leute auf, ihm zu folgen. Während sich die Ärzte und Helfer der Merbell‐Yaner um die Geretteten kümmern, kleinere Brandverletzungen und einige schwere Rauchvergiftungen behandeln, fliegen Atlan mit seinen Begleitern zur FARTULOON zurück. Offenbar hat die Führung des Einkreisungsrings um das Schiff neue Instruktionen bekommen. Der Ring von Panzerfahrzeugen öffnet sich. Bjo läßt eine Schleuse öffnen, durch die Atlan und die anderen in das Schiff eindringen können. 15:00. FARTULOON. Die Aktion ist beendet. Atlan ist wieder an Bord, seine Mitgefangenen ebenfalls. Auf Yan ist kein Schattenwesen mehr zu finden – ausnahmslos wurden sie durch das geheimnisvolle implantierte Gerät, das ihnen ihre Schattenexistenz ermöglicht, entweder getötet oder haben sich selbst getötet. Die Fremdherrschaft über Yan ist beendet. Bei der allgemeinen Säuberung auf Yan werden einige versteckte Gefängnisse gefunden, deren Insassen werden befreit. Es finden sich allerdings auch Anzeichen dafür, daß eine große Zahl von Personen während der Herrschaft der Schatten ermordet worden ist.
Über der FARTULOON hängt ein Pulk von zehn Schiffen im Raum. Ihre Geschütze sind auf die Korvette und auf die wehrlose Hauptstadt des Planeten gerichtet. Die CHYBRAIN ist abgedrängt und beobachtet das Geschehen aus der Ferne. Sie kann so wenig eingreifen wie die FARTULOON starten kann. Die Lage ist verfahren. In nur einer Stunde haben sich die Dinge grundlegend verändert. Für die Merbell‐Yaner, vorläufig wenigstens, zum Guten, für die Solaner eindeutig zum Schlechteren. Wieder beginnt das Warten. 7. »Schafft sie zurück«, stieß er unwillig hervor. Der Mißmut war ihm deutlich anzusehen, und er hatte auch allen Grund dazu. Er begriff nicht, wie er so hatte versagen können. Der Plan hatte ganz hervorragend funktioniert. An die Frau heranzukommen, war natürlich nicht einfach gewesen. Cara Doz hatte, obwohl sie von dem Anschlag nichts wissen konnte, sich so geschickt bewegt, daß es fast unmöglich geschienen hatte, sie festzunehmen. Aber es war doch geglückt – immerhin standen ihm tüchtige und vor allem prominente Helfer zur Seite. Fast acht Zehntel der Stabspezialisten befanden sich in seiner Hand, und einem davon mußte es früher oder später gelingen, Cara Doz ein hochwirksames Betäubungsmittel unbemerkt einzuflößen. Es war gelungen. Die Schlafende hatte man abtransportiert, und dann … … dann hatte er schmählich versagt. Es war ihm einfach nicht gelungen, eine Nachbildung der Frau zu schaffen, so sehr er sich auch bemüht hatte. Er hatte Energie genug zur Verfügung gehabt, und doch war der Plan gescheitert. Cara Doz in seine Dienste zu rekrutieren, war ihm nicht gelungen. Noch einmal überprüfte er sich kritisch. Nein, an ihm hatte es
nicht gelegen. An der Frau vielleicht? Gewiß, Cara Doz war eine umstrittene Frau an Bord, geheimnisvoll und mit Rätseln umgeben. Etliche Male in der Vergangenheit waren Ereignisse um sie herum für Außenstehende fast undurchschaubar gewesen, nicht einmal sie selbst hatte solche Vorkommnisse erklären können. Lag es daran, daß es ihm nicht gelungen war, sie ebenfalls auszutauschen, wie all die anderen? Ihm war klar, daß er von jetzt an sehr vorsichtig zu sein hatte. Es war denkbar, daß Cara Doz paranormale Kräfte hatte. Vielleicht war es ihr möglich gewesen wahrzunehmen, was mit ihr geschehen war, nachdem sie betäubt eingeschlafen war. Er nahm sich vor, Cara jederzeit im Auge zu behalten‐und sie, wenn es wirklich nicht anders ging, zu töten. Das widersprach zwar seinem Entschluß, aber so stark war sein freier Wille nicht, daß er es ihm möglich gemacht hätte, dadurch den gesamten Plan in Frage zu stellen. Seine Helfer brachten Cara Doz in ihr Quartier zurück. Er konnte sicher sein, daß man von seinem Anschlag nichts mitbekommen hatte. Seine Planung war sehr sorgfältig gewesen, er hatte nichts dem Zufall überlassen, der schon so viele Pläne elend hatte scheitern lassen. Und er mußte sich sputen. Der andere Teil des großen Planes machte Fortschritte, bald würden die beiden Teile zusammenlaufen und das Schicksal der SOL besiegeln. Dank seinen Geschöpfen war er über die Lage informiert, auch wenn er selbst sich sorgfältig verborgen hielt und darauf achtete, niemandem zu begegnen, der ihn kannte. So wußte er, daß Atlan mit der FARTULOON festsaß, von zehn Schiffen der Feinde belagert. Inzwischen hatte man auch herausgefunden, daß sie sich Gyranter nannten. Unterlagen, die man auf Yan gefunden und ausgewertet hatte, hatten diese Auskunft ergeben. Auch die Sprache der Gyranter war untersucht worden, allerdings ohne wesentliche Erkenntnisse – außer der
einen. Das Idiom, das die Gyranter verwendeten, stammte weder aus Farynt noch aus Bars. Die Sprachen, die dort verwendet wurden, hatten gewisse Gemeinsamkeiten, das Gyrantische aber wich vollkommen davon ab. Es sah danach aus, als stammten sie gar nicht aus Bars‐2‐Bars. Irgendwann würde sich auch dieses Rätsel lösen – wenn er Lust dazu hatte, es zu lösen. Im Augenblick hatte er zwei Niederlagen zu verkraften, von denen eine allerdings von vornherein absehbar gewesen war. An Cara Doz heranzukommen, war schwierig genug gewesen. Breckcrown Hayes zu fangen, war ein undurchführbares Unternehmen. Der High Sideryt war ständig so umlagert, daß es praktisch keine Möglichkeit gab, ihn hinreichend lange zu isolieren. Entweder war er von Mitarbeitern umgeben, oder er steckte in seiner Klause, wo man ihn schwerlich erwischen und forttransportieren konnte. Kerness Mylotta sah noch einmal in den Spiegel. Um seine Züge lag ein zufriedenes Lächeln. Den Fehlschlag hatte er verkraftet – jetzt kam bald die Zeit der Triumphe. * Verfahrener könnte die Lage kaum sein. Uns waren die Hände gebunden. Solange die Schiffe der Gyranter uns förmlich belagerten, konnten wir nichts unternehmen. Auf den Boden festgenagelt, boten wir ein prächtiges Ziel, dennoch unternahmen die Gyranter nichts. Sie beschränkten sich darauf, die CHYBRAIN zu verjagen, wenn sie sich gelegentlich näherte, sonst taten sie nichts. Unser Verhältnis zu den Merbell‐Yanern war freundlich und herzlich, und das machte die Sache noch komplizierter. Im Feuerbereich der Gyranter‐Geschütze lag auch die Hauptstadt des Planeten, und so weit fortgeschritten war die Technik der Merbell‐ Yaner nicht, daß sie sich gegen einen Angriff so überlegener Kräfte
hätten erfolgreich wehren können. »Wir würden alles tun, um euch zu helfen«, erklärte mir der Regierungschef. »Wirklich alles.« »Es gibt nichts«, antwortete ich. »Wir würden das Leben von Hunderttausenden gefährden. Es ist ausgeschlossen. Wenn sich die Gyranter dazu entschließen, anzugreifen, werden wir uns sicherlich wehren – aber wir werden unter gar keinen Umständen die Feindseligkeiten eröffnen. Das könnten wir vor unserem Gewissen nicht verantworten.« Aus seinen kleinen Augen sah mich der Merbell‐Yaner an. »Ihr Solaner meßt dem Leben eines einzelnen eine hohe Bedeutung bei«, sagte er langsam. »Dem Leben und der Freiheit des Individuums. Ein Leben ohne Freiheit ist kein Leben, aber das brauche ich ja wohl nicht zu erklären.« Der Merbell‐Yaner nickte. »Und wie steht es mit materiellen Werten?« fragte er. »Wir verzichten nicht gern auf Annehmlichkeiten, aber wir tun es, wenn es nötig ist, um Freiheit, Würde und Leben zu bewahren.« »Wir Merbell‐Yaner denken da ähnlich«, sagte der Regierungschef. »Und wir halten auch Werte wie Freundschaft sehr hoch – höher als Hab und Gut!« Ich verstand nicht, worauf er hinauswollte. Sein Lächeln wurde undurchschaubar. »Irgendwie ist es Wahnsinn, was wir tun – schwer zu begreifen für Wesen, die die Ereignisse der letzten Tage nicht erlebt haben. Aber seltsam, wir sind bei diesem Plan auf keinerlei Widerstand gestoßen. Die ganze Bevölkerung hat mitgemacht – es ist kaum zu glauben. Und das alles in völliger Ruhe, ohne Aufregung, ohne Murren.« »Wovon ist die Rede?« fragte ich. In den Augen des greisen Merbell‐Yaners traten Tränen. Er war sehr gerührt, und ich begriff noch immer nicht, wieso.
»Ihr könnt starten, wenn ihr wollt«, sagte er und schneuzte sich. »Das können wir nicht«, entgegnete ich. »Die Gyranter würden auch eure Hauptstadt unter Feuer nehmen.« »Sollen sie«, sagte er. »Tausende würden sterben müssen«, hielt ich ihm vor. Ich begriff nicht, wie er so leichtfertig mit dem Leben seiner Leute umgehen konnte. »Keiner wird sterben. Die Stadt ist leer. Wir haben sie geräumt.« Ich sprang auf. »Was?« »Wir haben die ganze Stadt geräumt, in aller Stille und völlig unbemerkt. In diesem Augenblick bin ich der einzige Bewohner der Stadt in weitem Umkreis. Wir haben die Menschen auf den ganzen Planeten verteilt – er ist groß genug.« Er schwieg einen Augenblick lang. Der Blick seiner kleinen Augen heftete sich auf mich. »Wenn sie unsere Stadt zerstören wollen, dann sollen sie es tun. Wir werden sie wieder aufbauen. Als Preis für unsere Freiheit ist das nicht zu hoch. Und wenn sie uns vernichten wollen, dann werden sie es tun, und ihr könnt es nicht verhindern, so wenig wie wir. Aber wir werden untergehen mit der Sicherheit, daß wir einem Freund seine Verdienste um uns vergolten haben.« Er war gerührt, und ich war es auch. Das Opfer, das die Merbell‐ Yaner bringen wollten, war ungeheuerlich. Eine Stadt war schließlich nicht einfach eine Ansammlung von Straßen, Häusern und Kanalisation. Sie war Heim für Hunderttausende, die in ihrem Viertel jeden Stein, jeden Mitbewohner kannten. All das ging verloren, und was es bedeutete, konnte nur jemand ermessen, der eine große Stadt in Trümmern gesehen hatte. Und ich verstand auch den Merbell‐Yaner und seine Rührung. Sie waren ein buchstäblich kleines Volk, im Getriebe der Zweier‐Galaxis verloren und unbedeutend. In diesem Augenblick aber bewiesen sie eine innere Größe, die manches zivilisatorisch höherstehende Volk
wohl nicht aufgebracht hätte. Angesichts einer fürchterlichen Bedrohung für ihren ganzen Planeten, für ihre Existenz, wollten sie sich von der Angst nicht den Stolz abkaufen lassen, einen Freundschaftsdienst zu erwidern. Sie waren bereit, für uns ihre Hauptstadt zu opfern, vielleicht sogar alles, und sie waren stolz auf ihren Edelmut, den sie damit bewiesen. Ich konnte ihn gut verstehen. »Ich möchte beim Start dabeisein«, sagte der Regierungschef. Ich holte die Besatzung aus den Kabinen. Es war Nacht, und auf dem großen Bildschirm konnte ich die Stadt sehen, die im Glanz Tausender von Lichtern erstrahlte. »Sie haben die Stadt freiwillig geräumt«, rief ich Bjo Breiskoll zu. »Jetzt können wir starten.« Die Mannschaften gingen auf ihre Plätze. Ich achtete darauf, daß auch der Merbell‐Yaner sicher untergebracht war. Mit dem Start allein war es nicht getan – eine Phalanx von zehn Schiffen bedrohte uns, und damit war nicht zu spaßen. »Transformkanonen klar«, bestimmte ich. Gleichzeitig stellte ich eine Verbindung zur CHYBRAIN her. Sie stand so nahe bei Yan, wie es die Gyranter zuließen. Rasch war die Verabredung perfekt. Während wir von unten in den Raum vorstießen, sollte die CHYBRAIN einen Scheinangriff fliegen, um die Verfolger zu verwirren und wenn möglich zu zerstreuen. »Wir brauchen eine Stunde«, erklärte mir Uster Brick. »Dann kann es losgehen.« Wir schalteten die Bordpositroniken zusammen, um das Manöver auf den Sekundenbruchteil genau zu koordinieren. Dann brauchten wir nur noch zu warten. Auf den Ortungsschirmen waren die Gyranter gut zu sehen. Sie warteten ebenfalls ab. Natürlich mußten sie unseren Start sofort bemerken – die Impulstriebwerke waren leicht anzupeilen. Eine kurze Rechnung ergab, daß wir ziemlich genau elf Sekunden
vom Augenblick des Starts brauchen würden, um die Gyranter zu erreichen. Sieben weitere Sekunden brachten uns aus dem Feuerbereich ihrer Geschütze. Eine sehr kurze Zeitspanne, so sah es aus. Aber höchstwahrscheinlich gab es bei den Gyrantern auch Positroniken oder ähnliche Anlagen, und für einen leistungsfähigen Rechner waren achtzehn Sekunden eine mittlere Ewigkeit. Unsere einzige Hoffnung waren die Lebewesen an Bord, die letztendlich die Entscheidungen zu treffen hatten. Wenn der Kommandant möglicherweise schlief, dann konnte er in dieser Zeit nicht geweckt werden und das Kommando übernehmen. Es hing von der Bordzeit der Gyranter ab, welche Besatzungsteile gerade Dienst taten oder schliefen. Endlich war es soweit. Bjo fuhr die Impulstriebwerke hoch, mit aller Energie, die die Anlagen hergaben. Die FARTULOON schnellte in die Höhe und nahm Fahrt auf. In rasender Geschwindigkeit tickten die Sekunden weg. Dann löste Bjo, wie vereinbart, den Feuerschlag aus. Eine Kette detonierender Gigabomben setzte sich zwischen die Gyranterschiffe. Zerstören konnten wir sie damit nicht, das war auch nicht geplant – wohl aber heftig durchschütteln und verwirren. Auf den Schirmen waren die Glutbälle zu sehen, und auch die CHYBRAIN, die mit höchsten Beschleunigungswerten herangerast kam. Das Manöver gelang. Die Gyranter dachten zunächst daran, sich in Sicherheit zu bringen. Das, was uns als Sperrfeuer entgegenschlug, belastete die Schirmfelder nicht sonderlich stark. Ich wandte mich zu dem Merbell‐Yaner um. Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er war sehr blaß. Wahrscheinlich wurde ihm erst in diesem Augenblick klar, welche Bedrohung ein großes Kampfschiff für einen Planeten wie Yan bedeuten konnte. Allein unserer Bewaffnung hätten die Merbell‐Yaner nichts entgegenzusetzen gehabt, noch viel weniger einer Flotte der Gyranter. Wir rasten an den Schiffen vorbei, die sich in diesem Augenblick aufzuteilen begannen – in jeweils acht unabhängig voneinander
operierende Einheiten, und jede einzelne konnte es wahrscheinlich mit der FARTULOON aufnehmen. Vorbei und weiter. Die CHYBRAIN fegte heran. An uns vorbei stellte sie eine zweite Kette atomarer Explosionen in den Raum, genau zwischen uns und die verfolgenden Gyranter. Wir wandten uns zur Flucht. Mein Plan sah vor, daß wir uns damit nicht zu sehr beeilten – wir wollten die Flotte von dem Planeten weglocken und ihnen gar nicht erst die Zeit lassen, ihre Wut an den Merbell‐Yanern auszulassen. Die Achtteiler‐Schiffe waren langsamer als wir, und so konnten wir die Flucht in die Länge ziehen. So raffiniert dieser Plan auch auf den ersten Blick aussehen mochte, so verhängnisvoll erwies er sich sehr bald. Unversehens tauchte eine ganze Armada von Schiffen im Trisker‐ System auf, und sie schienen genau zu wissen, was sie wollten. Sie nahmen Jagd auf – und sie machten es geschickter als ihre Gefährten. Da sie von außen in das System eindrangen, versperrten sie uns die Räume. Die Übermacht war zu groß, als daß wir uns hätten durchraufen können – das hätte weder die FARTULOON noch die CHYBRAIN überstanden. Also mußten wir wohl oder übel unseren Kurs ändern. Aber auch auf dem neuen Kurs tauchten Widersacher auf. Sehr bald mußten wir erkennen, daß sie es nicht auf uns abgesehen hatten. Sie dachten gar nicht daran, uns zu vernichten. Ihr Ziel war eindeutig – sie wollten uns im Trisker‐System festnageln, und das schafften sie auch. So gewaltig die Räume auch in einem Sonnensystem sind, um eine Linearetappe einleiten zu können, brauchten unsere Schiffe eine gewaltige Anlaufstrecke – und die wurde uns systematisch von den Gyrantern verlegt. Wo wir es auch versuchten, immer schoben sich uns Gyranterschiffe in den Kurs. Wir hätten sie rammen müssen, um durchbrechen zu können, aber das wäre bei unserer Fahrt das Ende für alle Beteiligten gewesen. Wohin wir uns auch wandten, wir bekamen nirgendwo
den Anlauf, den wir brauchten. Sie hatten uns geschickt eingekreist. Wir versuchten einen Trick, aber den kannten sie schon. Wenn wir näher an sie herankamen, wichen sie ein wenig aus. Sie wollten keinen Kampf, sie wollten uns festhalten. Welcher Wunsch dahinterstand, war offensichtlich – wir hatten gegen diese Übermacht nur eine Chance, die SOL zu Hilfe zu rufen. Das Riesenschiff wäre auch mit der Übermacht fertig geworden. Aber mit großer Sicherheit wäre dann zu erwarten, daß noch mehr Schiffe auftauchten oder eine andere Gefahr, der dann auch die SOL nicht mehr gewachsen sein würde. Jetzt hatten wir die Wahl – entweder aufzugeben und uns in unser Schicksal zu fügen, oder aber die einzige Möglichkeit der Rettung zu versuchen – und damit möglicherweise den Untergang der SOL heraufzubeschwören. Nicht nur unser Leben stand auf dem Spiel – es ging um die Köpfe aller Solaner. Andere Hilfe gab es nicht – das militärische Aufgebot, das unsere Freunde, die Anterferranter, hätten aufbieten können, wäre von den Gyrantern in wenigen Minuten aus dem Raum geblasen worden. »Was machen wir?« fragte Bjo, der die gleichen Überlegungen angestellt hatte wie ich. »Rufen wir Hayes?« Ich überlegte noch immer. Letztlich trug Breckcrown Hayes als High Sideryt die Verantwortung der SOL und das Leben ihrer Besatzung. Ich wußte, daß er unter der leicht ruppig wirkenden Schale ein tief empfindender Charakter war, der uns Hilfe sicherlich nicht leichtfertig versagen würde. Auf der anderen Seite war er klardenkend und auch hart genug, um abwägen zu können, ob er unseretwegen die Sicherheit der SOL in so hohem Maß gefährden durfte. Und außerdem war er mitunter ein ausgesprochen gerissener Bursche – es war auf jeden Fall richtig, mit ihm zu reden. Er hatte bereits geschlafen, als wir ihn anfunkten. Er wirkte mürrisch. Rasch hatte ich ihn über die Lage aufgeklärt, und das Gesicht wirkte noch verschlossener und mürrischer.
»Da haben wir die Bescherung«, sagte er. »Stell dir vor, wir hätten sofort die SOL in Marsch gesetzt. Dann wären wir ahnungslos in eine Falle getappt.« »Jetzt weißt du wenigstens, was dich erwartet«, erklärte ich. »Ich komme«, entschied er sich rasch. »Und jetzt paß auf. Ich werde alle Beiboote ausschleusen. Sie werden wie ein Hornissenschwarm in das System einfliegen und zustechen. Wir wollen diese Gyranter nur auseinandertreiben. Dann nehmen wir euch an Bord und verschwinden. Und danach werden wir uns überlegen, was wir für die Merbell‐Yaner tun können. Sind sie aktuell bedroht?« »Die Gyranter kümmern sich nicht um sie – offenbar sind sie als Köder nicht weiter von Interesse.« »Um so besser«, knurrte Hayes. »Kannst du die Gyranter noch ein Weilchen beschäftigten?« Die Frage verriet einen ausgesprochen bissigen Humor. Die Gyranter waren es, die uns fortlaufend beschäftigen. Nachdem sie uns in die Enge getrieben hatten, ließen sie nun kein Mittel unversucht, uns nachdrücklich auf unsere Lage aufmerksam zu machen. Wir hatten genug mit Schüssen aus Energiekanonen und herumschwirrenden Raumtorpedos zu tun. Offenbar strebten die Gyranter an, daß wir Hayes um Hilfe förmlich anwimmerten. »Es wird möglich sein«, versprach ich. »Haltet aus, wir werden bald zur Stelle sein. Und sieh zu, daß ihr nicht da herumfliegt, wo die SOL aus dem Linearraum purzelt – es könnte euch übel bekommen.« Damit trennte er die Verbindung. 8. Es schepperte und krachte, und wieder ging irgend etwas zu Bruch. Der Merbell‐Yaner hatte sich in die Wohltat einer Ohnmacht
geflüchtet – dieses Gefecht ging über seine Fassungskraft. Unablässig setzten uns die Gyranter zu. Treffer auf Treffer krachte in unsere Schirmfelder, und mit boshafter Ironie malte ich mir die Besorgnis des Kommandanten der Gyranter aus. Auch er mußte sehnlich auf das Erscheinen der SOL warten, seine Besatzungen hatten das Hatzspiel jedenfalls langsam leid. Wir merkten es an der größeren Genauigkeit, mit der sie ihre Treffer anbrachten. Es mußte die Geschützkommandanten verdrießen, daß sie uns nur ärgern, nicht aber vernichten durften. Was sie nicht wußten, war der Umstand, daß unsere Schirmfelder allmählich zu stark belastet wurden. Ab und zu schnellte die Anzeige über die Grenzmarkierung hinaus – es zeichnete sich ab, daß man uns schließlich fast aus Versehen schwer treffen würde. Anfangs hatten wir das Passiergefecht noch als eine zwar übelgemeinte, aber trotzdem unterhaltsame Sight‐Seeing‐Tour durch das Trisker‐System aufgefaßt, doch das großmäulige Gerede war uns bald vergangen. Für bärbeißige Spaße gab es keinen Grund mehr – uns ging es an den Kragen. Eine mehr als zehntausendjährige Lebensgeschichte hatte mich gelehrt, die Dinge nicht allzu ernst zu nehmen und mir nicht durch überflüssige Schwarzmalerei den Optimismus zu nehmen. Was sich aber an Bord der FARTULOON abspielte, ging schließlich auch mir unter die Haut. Ich merkte, daß ich schwitzte. Meine Hände waren feucht, mein Herz schlug rasend schnell, und ich bemerkte, daß ich nun jedesmal zusammenzuckte, wenn das Schiff wieder getroffen wurde. Es ließ sich nicht leugnen, ich hatte Angst. Ich hatte auch keine Hemmung, das offen zu zeigen – in diesem Team hatte jeder Angst, und der alberne Versuch, mehr Tapferkeit zu zeigen, als man tatsächlich hatte, blockierte das Nachdenken und die Entschlußkraft. Folglich fieberte ich wie die anderen dem Augenblick entgegen, an dem Hayes mit der SOL endlich auftauchte. Er ließ sich entsetzlich viel Zeit. Wollte er uns noch einmal unter
die Nase reiben, daß er letztendlich die Verantwortung für die SOL trug? Über solch alberne Verdächtigungen war Hayes wohl erhaben, aber in einer Lage wie der unseren schossen einem die krausesten Gedanken durch den Kopf. Wieder krachte es, und diesmal explodierte irgendein Gerät. Die Stücke schwirrten durch die Zentrale. »Die SOL!« Hayes Warnung war so grundlos nicht gewesen. Wie ein Heuschreckenschwarm fielen die Beiboote aus dem Linearraum, und zur gleichen Zeit materialisierte der Riesenkörper der SOL. Schlagartig wendete sich das Blatt. Wie ein feuerspeiender Drache zog die SOL ihre Bahn durch den Raum, es sah aus, als wolle sie das ganze System in Stücke zerblasen. Wer Hayes kannte, wußte, daß so etwas Unsinn war – er schonte fremdes Leben, wo immer es möglich war. Was er veranstaltete, war ein monströser Theaterdonner, bei dem die Transformgeschütze als Feuerwerkskörper dienten. Die Wirkung blieb nicht aus. Die Gyranter stoben auseinander. Hatte man sie nicht über die SOL informiert? Wußten sie nicht, daß das Riesenschiff mit seiner friedliebenden Besatzung im Notfall mehr Feuerkraft entwickelte als ein Geschwader anderer Schiffe? Mit den Feuerstrahlen der normalen Energiewaffen, die Hayes großzügig einsetzen ließ, glich das Schiff einem feurigen Igel. Und wo die Waffen trafen, hinterließen sie Wirkung ‐Schirmfelder platzten auf, die Hüllen bekamen Risse und Löcher. Aus grundsätzlichen Erwägungen verzichtete Hayes darauf, angeschlagene Gyranter‐Einheiten zu vernichten. Es genügte völlig, wenn die geschockte Besatzung die Flucht ergriff, und das gelang ihm in etlichen Fällen. Das ganze Gefecht dauerte nicht länger als eine halbe Stunde, dann hatten die Gyranter die Flucht angetreten. Ihre Schiffe verließen das Trisker‐System. Nun wurde es Zeit für uns, an Bord der SOL zu gehen. Die Schäden, die die FARTULOON und die CHYBRAIN davongetragen
hatten, waren nicht erheblich. In ein paar Stunden würden die Reparaturtrupps sie wieder instand gesetzt haben. Aber die Besatzung hatte eine Ruhepause weidlich verdient; die Stunden der Jagd hatten ihre Nerven auf das Äußerste beansprucht. Aber Schonung gab es nicht. Zu unser aller Überraschung nahm die SOL Fahrt auf. Sie entfernte sich von uns. Ich brauchte einige Zeit, bis ich mich von dieser Verblüffung erholt hatte, dann stellte ich eine Verbindung her. Die SOL antwortete nicht. Ich wiederholte den Anruf. Keine Reaktion. »Da drüben stimmt etwas nicht«, stieß Bjo aufgeregt hervor. Seine Einschätzung der Lage war völlig richtig. * Breckcrown Hayes war kein Freund von Gewalttätigkeiten irgendwelcher Art. Gefechte wie dieses belasteten ihn. Mit Sicherheit hatte es Tote und Verletzte gegeben, und auf dem Gewissen des High Sideryts lastete das Ende eines Gyranters ebenso schwer wie das eines Solaners. Daher hatte der High Sideryt sich zu Beginn der Aktion in seine Klause zurückgezogen. Über Bildschirme konnte er von dort aus das Geschehen verfolgen und nötigenfalls eingreifen. Das erwies sich als nicht nötig. Die Zentralebesatzung arbeitete mit gewohnter Zuverlässigkeit und Präzision. Hayes konnte sich zu seiner Auswahl beglückwünschen – er hatte bei den Stabspezialisten die richtigen Leute auf die richtige Posten gesetzt; das zeigte sich jetzt einmal mehr. Die Operationen wurden zügig und zuverlässig durchgeführt. In den Händen der Stabspezialisten entwickelte die SOL die Qualitäten, um deretwillen sie einmal erbaut worden war. Breckcrown Hayes konnte zufrieden sein.
Er war es aber nicht. Irgend etwas irritierte ihn, eine seltsame Stimmung hatte ihn erfaßt. Obwohl es nicht den geringsten Anlaß dafür gab, mißtraute Hayes der Perfektion und Glätte, mit der die Manöver abliefen. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als er mitverfolgen konnte, wie die letzten Einheiten der Gyranter aus dem Trisker‐ System flüchteten. Jetzt war es an der Zeit, die ausgeschleusten Beiboote wieder an Bord zu nehmen, vor allem die FARTULOON, die am schwersten gebeutelt worden war. Hayes wollte gerade die Klause verlassen, um Atlan in der Zentrale zu begrüßen zu können, als er über die Lautsprecher Stimmengewirr und wütende Schreie hörte. Sofort verriegelte der High Sideryt die Klause, in der nahezu unangreifbar war. Ein Blick auf die Schirme zeigte ihm, was geschehen war. Kaum zu glauben‐ eine Meuterei. Er sah Wajsto Kölsch, Ursula Grown und andere Stabspezialisten, die Waffen in den Händen hielten. Gerichtet waren sie auf andere Stabspezialisten, vor allem auf Cara Doz, die verwirrt dreinblickte und die Hände erhoben hatte. »Nehmt Fahrt auf, aber schnell!« Es war Ursula Grown, die das Kommando führte, die Leiterin der Meuterer. Breckcrown Hayes traute seinen Augen nicht. Eine Meuterei an Bord war ohnehin ein Unding – aber dann noch mit der Hälfte der Stabspezialisten als Täter? Ein Aberwitz – aber leider, wie Hayes erkennen mußte, durchaus Realität. Aufrührer hatten das Kommando über die SOL übernommen – und wie es aussah, ließ sich dagegen nichts unternehmen. Wenigstens konnte Hayes den Schaden begrenzen. Er stellte eine Verbindung zu SENECA her. Der Hyperinpotronik waren die Vorgänge natürlich nicht verborgen geblieben. »Blockiere alle Waffensysteme nach außen«, befahl Hayes. »Und
stelle Robotkommandos zusammen. Vielleicht müssen wir die Zentrale stürmen.« »Und die Geiseln?« fragte SENECA zurück. »Ich werde später entscheiden, ob und wann angegriffen wird. Das Leben der bedrohten Stabspezialisten geht einstweilen vor – bis wir eine Lösung gefunden haben.« Auf den Schirmen konnte er sehen, daß die SOL beschleunigte. Die Beiboote blieben zurück, und über die Lautsprecher hörte Hayes die wütenden Kommentare des Kommandanten. Die Verwirrung wurde dadurch vergrößert, daß die Meuterer keinerlei Kontakt mit den Beibooten zustande kommen ließen. Was sich im Innern des Mutterschiffs abspielte, blieb der Phantasie der Kommandanten überlassen. Die Mittel des High Sideryts waren recht groß – im Normalfall. Er allein konnte alle Bordmittel gegen die Meuterer ins Feld führen, und das waren einige. Eine kleine Armee von Robotern unterstand ihm, und mit der Hilfe der Hyperinpotronik sollte eigentlich jedes Problem lösbar sein. Aber das waren theoretische Überlegungen, die vor der Praxis rasch zusammenbrachen. Bei einem Sturmlauf auf die Zentrale mußte Hayes gewärtigen, alle Stabspezialisten einzubüßen – die einen als Täter, die anderen als Opfer eines Massakers. Nicht nur aus menschlichen Erwägungen war ein solcher Angriff ausgeschlossen, er verbot sich auch aus Nützlichkeitserwägungen. Kampfgas in die Zentrale? Technisch machbar, aber den Meuterern blieb in jedem Fall genügend Zeit, ein Blutbad anzurichten. Die Zentrale völlig abzuriegeln, SENECA untersagen, Befehle aus der Zentrale zu befolgen? Auch ein Mittel – aber mit Sicherheit würden die Meuterer dann drohen, ihre Geiseln zu erschießen, um Druck auf Hayes auszuüben. Blieb die Taktik der psychologischen Kriegsführung. Atlan war ein unerreichter Meister in dieser Kunst, aber nicht an Bord. Bei aller
Hochachtung der eigenen Fähigkeiten traute sich Hayes nicht zu, dieses Problem auf diese Weise allein zu lösen. Vor allem nicht bei dieser Qualifikation der Aufrührer – ein großer Teil der Rebellen hatten des öfteren an Einsatzbesprechungen und Notfallübungen teilgenommen, in denen eben solche Probleme wie das Niederschlagen eines Aufstands durchgespielt und erprobt worden waren. Die Meuterer waren die am besten vorbereitete Gruppe an Bord für ein solches Vorhaben. »Man muß ihr Spiel durchkreuzen«, murmelte Hayes. Unruhig ging er in der Klause auf und ab, und ihm selbst drängte sich der Vergleich mit einem Raubtier im Käfig auf. Alle Macht in seinen Händen, und die waren gebunden und wehrlos, gefesselt von den selbstverständlichen Grundsätzen der Moral und Menschlichkeit. Die Handlungsspielbreite war denkbar gering. Als erstes beschloß Hayes, sich gleichsam totzustellen. Er wollte keinen Kontakt mit den Meuterern aufnehmen. Darauf waren sie sicherlich nicht vorbereitet. Das Planspiel sah vor, Rebellen mit allerlei Vorwänden zu beschäftigen, Zeit zu gewinnen. In vielen ähnlichen Fällen hatte sich gezeigt, daß im Lauf der Zeit als erstes die Stimmung der Geiseln umzuschlagen pflegte. Da sie ihr Leben bedroht sahen, verstrich die Wartezeit für sie als ausgemachte Quälerei; in der Regel stieg langsam aber sicher die Erbitterung und Wut auf die Saumseligkeit der eigenen Leute auf. Die Geiseln begannen sich mit den Geiselnehmern zu solidarisieren. Das aber hatte Auswirkungen auf die Haltung der Verbrecher. Ungewollt hatten sie unversehens Verbündete als Geiseln, die sie verstanden. Die ungeheure nervliche Anspannung trug ebenfalls dazu bei, daß sich zwischen Tätern und Opfern eine immer größere Übereinstimmung einstellte. Wenn es der verhandelnden Macht gelang, dieses Verzögerungsspiel lange genug durchzuhalten, konnte es geschehen, daß sich die Fronten völlig verwischten – dann standen Geiseln und Geiselnehmer als wütende Verbündete den Ordnungskräften gegenüber.
Das war der Zeitpunkt zum Eingreifen – sobald die Gefahr vorüber war, daß die Täter unter den Geiseln ein Blutbad anrichteten, sobald sich diese beiden Gruppen solidarisiert hatten. Hayes schüttelte den Kopf. Ein aussichtsloses Unterfangen. Zum einen kannten die Meuterer diese Taktik und würden nicht darauf hereinfallen, zum anderen war Hayes davon überzeugt, daß sich die loyalen Stabspezialisten auch bei noch so langem Hinhalten nicht mit den Meuterern solidarisieren würden. »Ein anderer Plan muß her«, murmelte Hayes, während er seine Wanderung fortsetzte. Die gesamte Verantwortung lastete auf seinen Schultern, es gab niemanden, mit dem er sich hätte verbünden können – SENECA ausgenommen, aber auch das half nicht weiter. Gewiß, der Plasmazusatz befähigte die Hyperinpotronik, sich in die menschliche Gefühlswelt hineinzuversetzen, aber so weit ging dieses Einfühlungsvermögen nicht, daß sich nicht sehr bald die klare Logik zu Wort gemeldet hätte, die kaltblütig erwogen hätte, daß dem Tod einiger Stabspezialisten der Untergang und der Tod aller Solaner als Alternative gegenüberstand. In dieser extremen Situation war mit Logik nicht viel anzufangen. Hayes mußte aus dem Augenblick heraus entscheiden, nach Gefühlslage. Er mußte mehr erspüren als erkennen, wann der richtige Zeitpunkt zum Handeln war. Noch war er nicht gekommen. * »Das ist glatter Selbstmord«, begehrte Bjo Breiskoll auf. »Dieser Einfall ist so hirnrissiger Wahnsinn, daß keiner bisher darauf verfallen ist, ihn auch nur theoretisch zu erwägen.« »Ich werde ihn durchführen«, erklärte ich. »Du gehst in den sicheren Tod, Atlan«, beschwor mich Bjo. Ich
konnte ihm ansehen, daß es ihm bitter Ernst war. »Wir werden einen anderen Weg finden.« »Wir haben keine Zeit«, hielt ich ihm vor. »Irgendeine Macht hat die SOL übernommen. Sie fliegt auf den äußersten Planeten zu, und wenn es dort nicht, bildlich gesprochen, ein bereits geschaufeltes Grab für die SOL gibt, will ich nicht Atlan heißen.« »Wenn du das durchführst, wirst du nicht mehr Atlan heißen. Es wird dich nicht mehr geben.« »Keine Zeit für Diskussionen, macht euch an die Arbeit, Leute. Ihr müßt höllisch genau zielen.« Es war heller Wahnsinn, Bjo hatte durchaus recht. Wie jeder an Bord kannte er das Funktionsprinzip einer Transformkanone. Ein Geschoß wurde entmaterialisiert, nach Art eines Fiktivtransmitters durch den Hyperraum geschleudert und am Zielort wieder materialisiert. Dort ging dann die atomare Ladung hoch. Man hätte auch eine Ladung Sahnebonbons so verschießen können, allerdings nicht mit der gleichen Wirkung. Und eigentlich mußte man auch einen säuberlich verpackten Menschen so befördern können. Die SOL raste knapp unter Lichtgeschwindigkeit durch den Raum, die FARTULOON mit der gleichen Fahrt in gehörigem Abstand hinterher. Wenn der Plan funktionierte, würde ich einige Kilometer von der SOL entfernt rematerialisieren – und zwar mit der Eigenfahrt, die mein Körper im Augenblick des Abschusses relativ zu einem ruhenden Beobachter gehabt hatte. Wenn ich also mit der gleichen Fahrt wie die SOL parallel zu ihr im Raum trieb, konnte ich mich an die Bordwand heranbefördern und durch eine der kleinen Notfallschleusen ins Innere des Schiffes vordringen. Der Plan hatte einige stillschweigende Voraussetzungen – als erste die, daß ich diese Art der Transition überhaupt überleben würde. Schon normale Transition hinterließ im Nervensystem, je nach Körper Verfassung und Reichweite des Sprunges, arge Schmerzen.
Der Transmitter der Transformkanone war aber gar nicht dazu konstruiert, Menschen zu befördern. Möglich, daß ich bereits als Leiche ankam. Die zweite Frage war, ob der Individualschutzschirm meines Kampfanzugs dieser Prozedur gewachsen war. Gewiß, es gab in diesem Bereich des freien Raumes nur alle paar Kilometer ein winziges Teilchen – man hätte als bildliche Analogie einen feinen Nieselregen verwenden können. Aber was wurde aus diesem Nieseln, wenn man mit bloßem Körper und annähernder Schallgeschwindigkeit hindurchzurasen versuchte? Auch das konnte mein sofortiges Ende bedeuten. Der dritte Faktor war die Zielgenauigkeit des Geschützes. Materialisierte ich zu nahe an der SOL, war ich verloren. Geriet ich zu weit ab, konnte ich die SOL nicht mehr erreichen und trieb hilflos im Raum. Und ein Mann‐über‐Bord‐Manöver bei annähernd Lichtgeschwindigkeit war meines Wissens noch nie durchgeführt worden. Alles in allem – der Versuch, den ich wagen wollte, enthielt mehr Risiken als Sicherheitsfaktoren. Ich hatte mich aber dazu entschieden, weil ich keine andere Möglichkeit sah, die SOL zu erreichen. Das war aber unbedingt notwendig, jedenfalls nach meiner Einschätzung der Lage. Wir machten uns an die Arbeit. Es war ungeheuer schwierig, sich so zusammenzufalten, daß man nicht mehr Platz wegnahm als das größte und schwerste Kaliber, das die Transformkanone verschießen konnte. Es gelang nur, wenn ich mich ganz klein machte, alle Luft ausstieß und so verharrte. Die ganze Prozedur mußte in äußerster Schnelligkeit durchgeführt werden. Es wurde dunkel um mich, dann hörte ich nur noch eine unsichere Stimme Zahlen rückwärts zählen. Es war Wahnsinn – im buchstäblichen Sinn.
Ich hatte ein Gefühl, als würde mein Körper auseinandergerissen und schwelle zu irrwitziger Größe an. Vor meinen geschlossenen Augen rotierten Feuerräder, und aus meinem Innern stiegen in blitzartiger Folge Eindrücke aus der Vergangenheit hoch – keine Bilder und Szenen, sondern in kompakter, unbarmherziger Form das wesentliche Gefühl, das mich damals erfüllt hatte. Grausamer Schmerz, grenzenlose Traurigkeit, eine Angst, die mir das Herz zusammendrückte, eine Wut, die mich fast bersten ließ, und das alles in unglaublicher Geschwindigkeit. Ich spürte, wie sich mein Körper scheinbar in Einzelteile zerlegte. Zwischen Abschuß und Rematerialisation verging für den Beobachter im Normalraum praktisch keine Zeit – für mich schien es endlos lange zu dauern. Ich wirbelte durch ein Meer aus Farben und schwirrenden Gebilden, die nach mir zu greifen schienen. Hätte ich nicht das Extrahirn gehabt, das meinen Geist vor Schaden zu bewahren suchte – ich wäre in dieser endlos langen Reise sicherlich vollständig wahnsinnig geworden. Jetzt begriff ich, warum das Cappin‐ Fragment im Gesicht von Alaska Saedelaere jeden Betrachter wahnsinnig werden ließ – es mußte in konzentrierter, materieller Form all das enthalten, was ich empfand. Von einem Augenblick zum anderen war der Spuk vorüber. Ich kehrte in den Normalraum zurück. 9. Hallam Blake spritzte sich etwas von der Milch auf die Haut der linken Hand. Zu heiß für das Kind. Er stellte die Flasche in kaltes Wasser, um sie ein paar Grad abzukühlen. Es war wie verhext. Erst war die Älteste krank geworden, die Kleine hatte sich angesteckt, und zum Schluß hatte es auch noch Hallams Frau erwischt. In den letzten Tagen hatte Hallam Blake
erfahren, was für ein Unterschied es war, ob man sich mit seinem Eheweib die anfallenden Arbeiten einigermaßen teilte, oder ob sie an einem einzelnen hängenblieben. Die Kinder fieberten, die Ältere schrie mitunter in Fieberphantasien, und Hallam empfand alle Qualen eines Hilfsbereiten, der nicht zu helfen vermochte. Die Kleine lag wie betäubt in ihrem Bett, und Alyns blonde Haare waren verklebt vom Schweiß, der vom Fieber herrührte. Es war ein Bild des Jammers, der krasseste Gegensatz zum Normalleben. Hallam Blake war es gewohnt, aus seinem Familienleben die Kraft zu ziehen, jedem Ungemach des Lebens mit Fassung entgegenzutreten – jetzt, in dieser kritischen Lage, mußte er diese Kraftquelle entbehren. Hallam nahm die Flasche aus dem Wasser und trug sie hinüber ins Schlafzimmer. Althera, die Jüngere, lag in den Armen ihrer Mutter und zuckte leise. Alyn lächelte schwach. »Ich finde es reizend, daß du dich um uns kümmerst«, sagte sie müde. »Ausnahmsweise keine Gefahr für die SOL?« »Die SOL kann mir im Augenblick gestohlen bleiben«, sagte Hallam ehrlich. »In diesem miserablen Schiff gibt es nicht einmal ausreichende Mengen wichtiger Medikamente. Man hat mich auf übermorgen vertröstet.« »Es wird schon werden«, antwortete Alyn. Sie nahm die Flasche aus Hallams Hand und begann Althera zu füttern. »Diese Krankheit ist nicht lebensgefährlich.« »Trotzdem«, beharrte Hallam. »Es ist eine Schande.« Der Summer zeigte an, daß Besuch vor der Tür stand. Vielleicht ein Robot mit den Medikamenten? Auf der Schwelle stand Atlan. Er sah erbarmungswürdig aus, fiel Hallam geradezu in die Arme. »Du hast mir gerade noch gefehlt«, knurrte Hallam. Er schleppte Atlan zu einem Sessel und ließ ihn hineinfallen. »Kannst du deinen Kater nicht anderswo …«
Zum Sprechen war der Arkonide zu schwach, aber in seinen rötlichen Augen glomm ein Feuer auf, das Hallam verstummen ließ. Er begriff, daß Atlan Entsetzliches hatte durchmachen müssen. »Soll ich einen Arzt rufen?« Atlan schloß die Augen und schüttelte den Kopf. Hallam versuchte sich vorzustellen, was einem Mann mit einem Zellaktivator und der hervorragenden körperlichen Verfassung Atlans derart zurichten konnte. »Was brauchst du? Einen Drink? Etwas zu essen? Ein Stärkungsmittel? Mehr? Ein Aufputschmittel? In deinem Zustand? Also gut, auf deine Verantwortung.« Seit er einige Male Einsätze mitgemacht hatte, besaß Hallam eine entsprechende Ausrüstung. Und für extreme Notfälle gab es im Medo‐Kit ein Mittel, das die letzten Körperreserven mobilisierte – allerdings um den Preis, daß der Betroffene danach einige Tage außer Gefecht gesetzt war. Hallam injizierte Atlan das Medikament. Die Wirkung trat mit gewohnter Schnelligkeit ein. Altans Körper straffte sich. »Wie sieht es an Bord aus?« fragte er. »Wie ist die Lage?« »Keine Ahnung«, antwortete Hallam. »Ich habe seit Tagen nichts mehr mitbekommen – ich kümmere mich um meine Familie. Und wenn du es genau wissen willst, im Augenblick bin ich auf die ganze SOL nicht sonderlich gut zu sprechen. Man kann mir nicht einmal das Imprevatin für meine Familie besorgen.« »Imprevatin?« »Ein Spezialpräparat für solche Fälle. Es wird auch gelegentlich bei nervösen Magenleiden verordnet.« Hallam begriff nicht ganz, warum Atlan bei diesem Thema verharrte. Offenbar stand es schlimm um ihn und um die SOL. Wahrscheinlich versuchte er nur, seine Gedanken ein wenig zu beschäftigen, bis das Mittel voll wirkte. »Ich kenne es«, murmelte Atlan. »Einer der Stabspezialisten benutzt es.«
»Offenbar als Grundnahrungsmittel«, giftete Hallam. »Die normalen Vorräte sind jedenfalls aufgebraucht.« »Aufgebraucht?« Atlan stand auf, schob Hallam sanft zur Seite und ging zum Interkomanschluß hinüber. Da Hallam seinen bordinternen Nachrichtendienst mit Hilfe der Hyperinpotronik betrieb, besaß er nicht nur einen üblichen Sprechanschluß, sondern auch ein kleines Datenterminal. Das schaltete Atlan ein. Erfahrung und das fotografische Gedächtnis befähigten den Arkoniden, sich mit Positroniken nicht nur normal zu unterhalten. Er konnte sich auch der Maschinensprache der eigentlichen Programme bedienen – und diese Kommunikation war für Nichteingeweihte nicht abzuhören. Allerdings erforderte diese Kommunikation ein unerhörtes Maß an Konzentration; ein einziger Flüchtigkeitsfehler ließ ein solches Programm zusammenbrechen. »Damit du verstehst, worum es geht«, sagte Atlan. »Ich frage SENECA nach den Empfängern des Medikaments.« Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Imprevatin wurde nur selten verwendet, obendrein war es nur über einen Arzt zu erhalten. Die Empfänger waren in jedem Fall bekannt. »Aha«, sagte Atlan. »Es ist die Person, die ich meine. Und sie hat ihren Bedarf von einem auf den anderen Tag verdoppelt.« »Und was folgerst du daraus?« Atlan lächelte müde. »Unser alter Feind hat einen Zug, den man als modus operandi bei den Kriminologen kennt, die Gewohnheit eines Kriminellen, ein einmal erprobtes Verfahren beizubehalten. Unser Gegner hat eine sehr auffällige Schwäche für Doppelgänger, Imitationen, Nachbildungen, Kopien und dergleichen. Er hat diese Mittel schon einige Male gegen uns eingesetzt, und wir hatten jedesmal große Mühe damit. Wahrscheinlich verspricht er sich einen Erfolg davon, daß er es mit immer perfekteren Versuchen probiert.« »Dann glaubst du, daß es an Bord denselben Stabspezialisten
zweimal gibt?« »Genau das. Und mit zwei Stabspezialisten mit der gleichen Krankheit steigt auch der Bedarf an Imprevatin auf das Doppelte. Das erklärt, warum es für euch kein Imprevatin mehr gibt.« Auf dem Bildschirm tauchten wieder mathematische Symbole auf. Es erschien Hallam fast wie ein Wunder, daß jemand den Zeichensalat fließend entziffern konnte, aber es war so. »Der Stabspezialist hat sich vor einigen Tagen einen ganzen Monatsvorrat aushändigen lassen. Die gleiche Person bezieht ihr Medikament auch in kleineren Portionen.« »Der mit dem Vorrat ist der Doppelgänger. Er will sich möglichst selten sehen lassen.« »Falsch. Es ist die Kopie, aber nicht aus diesem Grund. Er hat die große Menge abgeholt, um sich möglichst wenig um das Original kümmern zu müssen. Jetzt werde ich versuchen herauszubekommen, bei welcher Außenstelle er sich das Medikament hat geben lassen – er wird höchstwahrscheinlich keine Lust haben, damit größere Strecken zu marschieren.« Wieder huschten Atlans Finger über die Tastatur. Er arbeitete schnell und konzentriert, von Erschöpfung war nichts mehr zu sehen. »Hallam, was machst du?« fragte Alyn. »Mit Atlan zusammen für Medikamente sorgen«, antwortete Hallam. »Und die SOL retten«, setzte Atlan hinzu. »Das übliche also«, seufzte Alyn ironisch. »Gleich haben wirʹs«, murmelte Atlan. »Wir suchen jetzt in der Nähe der Ausgabestelle nach einem größeren Raum, der nicht benutzt wird, und in dem man ein paar Leute wochenlang versteckt halten kann. Allzu viele Möglichkeiten wird es nicht geben.« Seine Prognose erwies sich als richtig. »Sieh an, in der Nähe des SPARTAC‐Teleskops«, sagte Atlan. »Langsam kommt Klarheit in die Sache. Und jetzt zu Breckcrown
Hayes.« * Der High Sideryt war nicht wenig verwundert, als sich SENECA bei ihm mit einer Botschaft von Atlan meldete. Er brauchte aber nur wenige Minuten, um das Verfahren zu begreifen. Atlan und SENECA verkehrten über Maschinensprache, die SENECA in für Hayes verständliche Worte übersetzte, die Antwort des High Sideryts wurde auf die gleiche mühsame Art umgewandelt. »Wie sehen deine Pläne aus?« fragte Hayes. Die naheliegende Frage, auf welche wundersame Art und Weise Atlan an Bord der SOL gekommen war, stellte er nicht – das konnte man später besprechen. »Wir werden als erstes versuchen, die echten Stabspezialisten zu befreien – und mit ihrer Hilfe werden wir dann die Zentrale zurückerobern können.« »Einverstanden«, gab der High Sideryt zurück. »Wie sieht es in der Zentrale aus?« erkundigte sich Atlan. Hayes warf einen Blick auf den Bildschirm. »Fünfzig zu fünfzig, ungefähr«, sagte er. »Cara Doz steuert die SOL, und ständig sind Waffen auf sie gerichtet. Du hast höchstens eine Stunde Zeit, dann werden wir den äußersten Planeten erreicht haben. Ich vermute, daß dort eine neue Falle auf uns wartet.« »Ich werde mich beeilen«, versprach Atlan. Die Verbindung brach zusammen. Hayes blieb nicht müßig. Er schickte eine Abteilung Robots über SENECA los, die Atlan bei der Befreiung der Verschleppten helfen sollten. Außerdem ließ er alle Fluchtmöglichkeiten in der Nähe der SOL‐Zentrale sorgfältig abriegeln. Die Medo‐Sektionen wurden in Alarm versetzt.
All dies geschah geheim, und das war gar nicht einmal schwierig. Die Meuterer schienen nur ein einziges Ziel zu kennen – die SOL an den äußersten Planeten des Trisker‐Systems zu bringen. Damit schien ihre Aufgabe erledigt zu sein. Die Tatsache, daß die Rebellen gar nicht daran dachten, sich Rückzugsmöglichkeiten zu sichern, deutete darauf hin, daß sie sich des Gelingens ihres Planes völlig sicher waren. Wußten sie nicht, daß sie bei der Vernichtung der SOL auch ihr Leben einbüßen würden? Vielleicht dachten sie gar nicht daran. Sie waren außerordentlich ruhig und gelassen, und das galt, wie Hayes zufrieden feststellte, auch für die größere Zahl der Geiseln. Die Leute hielten sich bewundernswert. Hayes wußte, daß er sich auf die Stabspezialisten verlassen konnte, aber soviel Kontrolle und Selbstbeherrschung hatte er ihnen nicht zugetraut. Auf einem Monitor mit grafischen Darstellungen konnte Hayes den Fortgang von Atlans Aktion miterleben. Auch die Marschkolonne der Robots war dargestellt. Hayes wußte, daß Atlan sehr vorsichtig vorgehen würde – das Leben der Entführten mußte geschont werden, und auch bei den Helfern dieses Anschlags war anzunehmen, daß sie nicht aus freien Stücken, sondern unter Zwang gehandelt hatten. Das hieß, daß man auch auf sie Rücksicht zu nehmen hatte. Eine Viertelstunde später hatte Atlan offenbar den Einsatzraum erreicht. Die Leuchtpunkte auf der Grafik stockten. Eingesperrt in seiner Klause, in der er ebenso sicher wie gefangen war, mußte Hayes die Aktion in dieser eigentümlich abstrakten Form miterleben. Punkte, die sich bewegten, mehr gab es nicht zu sehen. Aber jeder dieser Punkte symbolisierte ein Leben. Offenbar erkundete Atlan die Lage. Einzig seine Markierung bewegte sich noch, die anderen lagen wohl in Deckung und warteten auf das Zeichen zum Angriff. Es sah beinahe aus wie eines jener Computerspiele, mit denen sich vornehmlichjüngere Solaner vergnügten – es war aber Wirklichkeit.
Dann kam Bewegung in die Leuchtpunkte. Sie sprangen aus ihren Verstecken und stürmten vor. Energiesensoren zeigten an, daß geschossen wurde. Einer der Leuchtpunkte erlosch – ein Menschenleben war vernichtet. Hayes preßte die Kiefer zusammen. Wie oft schon hatte er Vorgänge wie diesen ansehen müssen. Wie viele Menschen und andere waren in den Kämpfen gegen einen heimtückischen Gegner zu Schaden gekommen oder hatten den Tod gefunden. Gewiß, das Leben an Bord ging weiter, und die Zahl der Fremdlebewesen, denen die SOL Leben und Freiheit gesichert hatte, war Legion. War das für den, der vor wenigen Augenblicken hatte sterben müssen, ein Trost, oder für seine Hinterbliebenen? Wie viele von den Opfern hatten diesen Einsatz wirklich freiwillig erbracht, wie viele waren nicht aus dem einen oder anderen Grund mitgegangen, der mit der Sache wenig oder gar nichts zu tun hatte? Den meisten an Bord war aber klar, daß sie keine andere Wahl hatten, wenn die Existenz der SOL bedroht war, als zu kämpfen Und das Leben zu wagen. Eine Botschaft von Atlan riß Hayes aus seinen Gedanken. Sie versetzte ihn sogar in Erstaunen. SENECA spielte eine Liste der Namen ein – sie war erheblich länger, als Hayes erwartet hatte. Erstaunt sah er auf den Schirm, der das Geschehen in der Zentrale zeigte. Wie war es möglich, daß auch etliche der Geiseln der Meuterer verschleppt und kopiert worden waren? Im nächsten Augenblick hatte Hayes das raffinierte Manöver durchschaut, und jetzt begriff er auch, warum einige der Bedrohten sich so außerordentlich gelassen zeigten. Es hatte von Anfang an zum Plan gehört, daß die Meuterer einen Teil ihrer eigenen Leute als Geiseln nahmen. Mit diesen heimlichen Verbündeten als Trumpf in der Hinterhand konnten sie alle Versuche, ihre Macht zu brechen, frühzeitig durchschauen und entsprechende Gegenmaßnahmen treffen.
Wenn die Geiseln untereinander kein Vertrauen haben konnten, weil Verräter in ihren Reihen standen, war Widerstand zwecklos. Zu einer organisierten Gegenwehr gab es dann keine Möglichkeit mehr. »Infam, aber raffiniert«, murmelte Hayes. Die Gewitztheit des Gegners nötigte ihm unfreiwillig Respekt ab – und sie zeigte, daß der Kampf noch lange nicht entschieden war. Wer solche Fallstricke und Minen legte, war als Gegner nicht zu unterschätzen. Von Atlan kam Nachricht, daß er mit den Befreiten zur Zentrale der SOL vordrang. Der Entscheidungskampf konnte nicht mehr lange dauern. Es wurde auch hohe Zeit – der äußere Planet des Trisker‐Systems schien immer näher zu kommen. Die SOL hatte einen kleinen Zwischenspurt eingelegt und damit die verfolgenden Beiboote abgehängt. Und weit hinter deren Reihen tauchten wieder Schiffe der Gyranter auf. Nach der Vernichtung der SOL erwarteten sie wohl in den Beibooten eine wohlfeile Beute. Die Selbstsicherheit des Gegners, die sich in diesen Manövern ausdrückte, ließ Hayes schaudern. Was sich in diesen Minuten abspielte, sah weniger nach einem heimtückischen Anschlag auf die SOL aus, weit eher ähnelte es einer offen durchgeführten Exekution. Es war, als wolle der Ränkeschmied seinen Opfern ihre Hilflosigkeit noch deutlich vor Augen führen, ehe er zum entscheidenden Schlag ausholte. »Keine Mätzchen«, konnte Hayes einen der Meuterer sagen hören. Die Worte galten Cara Doz, die die SOL ins Verderben zu steuern hatte. Aus Cara war noch niemand an Bord richtig schlau geworden. Daß sie eine hochbefähigte Pilotin war, stand außer Zweifel, aber immer blieben Fragen und Rätsel zurück. Breckcrown Hayes wußte, daß Cara sicherlich eine Möglichkeit wußte, die SOL zu retten. Als Pilotin konnte sie Manöver fliegen, die
niemand verhindern konnte – aber in ihrem Rücken standen zwei der Meuterer, und die Mündungen ihrer Waffen berührten fast den Nacken von Cara Doz. Hayes fragte sich, ob er in dieser Lage die Kraft aufgebracht hätte, die SOL vielleicht zu retten und sich selbst mit Sicherheit zu töten. Er wußte es nicht. Dieses Opfer zu bringen, konnte nur der Betroffene selbst entscheiden, das konnte ihm niemand abnehmen – und das Opfer war gewaltig. Offenkundig war, daß Cara Doz in höchster Gefahr schwebte. Vor allem sie war bedroht. Da ihr Name bei den Geretteten nicht aufgeführt war, wußte Hayes, daß diese Bedrohung ernst war, nicht vorgespielt. Immer näher kam die SOL an den äußeren Planeten heran. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann mußte die Falle endgültig zuschnappen. Hayes hatte einen bestimmten Verdacht, was die SOL erwartete, und wenn dieser Verdacht richtig war, gab es für die SOL keine Hoffnung mehr, war sie erst einmal in der Gewalt des Gegners. Cara Doz nahm die Fahrt etwas zurück. Das gab den Beibooten die Chance näherzukommen, aber ein Feuerschlag der SOL trieb sie zurück. Es ging jetzt um Minuten, die über die Zukunft der SOL entschieden. Es durfte keine Zeit mehr verlorengehen. 10. Der Raum riß auf. Gewaltige Entladungen zuckten in das Nichts. Im Schwarz des Weltraums bildete sich ein Etwas, das auf geheimnisvolle Weise dieses Schwarz an Dunkelheit noch zu übertreffen schien. Eine ausgefranste, zuckende Öffnung ins Nirgendwo. Hayes starrte auf den Bildschirm. Die Falle war jetzt zu sehen, sie stand offen.
Die automatisch laufende Ortung bekam die ersten Ergebnisse, und sie wurden auch in die Klause des High Sideryts übertragen. Hyperenergien tobten sich aus, schufen einen wabernden Tunnel, der in ein unsagbar fremdes Kontinuum führte – und wahrscheinlich keinen Weg zurück offen ließ. Die SOL steuerte genau darauf zu. Gab es jetzt überhaupt noch eine Chance? Hayes stieß ein Ächzen aus. Ihm waren die Hände gebunden, er konnte nichts unternehmen. Allein war er der Übermacht in der Zentrale nicht gewachsen. Und noch immer waren zwei Strahlwaffen auf Cara Doz gerichtet, die anderen zielten auf die übrigen Geiseln. »Jetzt!« Es war Atlans Stimme. Sie klang aus sämtlichen Lautsprechersystemen. Hayes griff zu dem Hebel, mit dem er programmgemäß das ganze Schiff stillegen konnte, wenn ein entsprechendes Programm mit SENECA vereinbart worden war. Im gleichen Augenblick gingen überall die Lichter aus. In der Zentrale loderte ein Feuerball auf. Atlan hatte eine Thermoladung an einer Stelle der Wandung angebracht. Der gleißende Schein war so stark, daß die Menschen die Hände vor die Augen schlugen, um nicht zu erblinden. Das Zischen von Strahlwaffen war zu hören. Schreie, Kommandorufe. Über eine andere Lücke drangen die Befreier in die Zentrale ein. Ein Netzwerk von Feuerstößen spann sich durch den Raum. Monitoren platzten, Geräte barsten und gingen in Flammen auf. Ungeheurer Lärm erfüllte die Zentrale. Hayes erkannte Schemen, schattenhafte Gestalten, die sich schwarz abhoben vom grellweißen Hintergrund der Feuerkugel. Blendgranaten flogen, Krachbomben, die seltsamerweise lautlos arbeiteten – sie schickten Infraschall in den Raum, der auf die Betroffenen wirkte, als würde ihnen der Magen umgedreht und der
ganze Körper durchgeschüttelt. Metall ächzte und kreischte. Das Chaos war vollständig. Hayes öffnete die Tür zur Zentrale. Mit der Waffe in der Hand stürmte er in das Chaos hinein. Jemand stellte sich ihm in den Weg. Hayes hatte keine Zeit zu unterscheiden, ob es sich um Freund oder Feind handelte – mit einem betäubenden Hieb setzte er den Gegner außer Gefecht. Ein Feuerstoß aus einer Energiewaffe schlug ihm entgegen. Der Individualschirm hielt, aber die Aufprallwucht war groß genug, um Hayes von den Beinen zu reißen. Er flog durch die Luft, landete auf einem Menschen und überschlug sich. So rasch wie möglich kam er wieder auf die Beine. Seine ganze Sorge galt Cara Doz. War sie geistesgegenwärtig genug gewesen und vor allem reaktionsschnell genug, um sich in Sicherheit bringen zu können? Wenn nicht, raste die SOL jetzt führerlos dem Verhängnis entgegen. Ein gewaltiger Ruck ging durch den gigantischen Leib des Schiffes. Die Falle schnappte zu. Meterdicke Panzerungen ächzten, die Stabilität der SOL wurde dem härtesten Test ihrer Laufbahn unterzogen – und sie hielt. Wer nicht einen festen Halt gefunden hatte, flog jetzt von den Beinen. Die Menschen purzelten durcheinander, ein unentwirrbares Knäuel aus Gliedmaßen und Waffen. In diesem Chaos verloren selbst Stabspezialisten die Ruhe. Panikschreie gellten durch die Zentrale, und selbst ein so nervenstarker Mann wie Breckcrown Hayes konnte sich selbst vor Angst stöhnen hören. Im Nebenraum flammte die Beleuchtung wieder auf, in der Zentrale waren sämtliche Leuchtkörper zerstört, und als die Thermoladung abgebrannt war, versank der Raum in Finsternis, die um so stärker wirkte, als sich die geblendeten Augen auf diesen abrupten Wechsel nicht einzustellen vermochten. Jemand schlug Hayes mit Fäusten und hörte erst auf, als Hayes ihn mit aller Kraft
wegstieß. Wieder ging ein Ächzen durch den Schiffsrumpf, und dann hörte Breckcrown Hayes das schönste Geräusch in diesem heillosen Durcheinander. Die Triebwerke der SOL wurden bis an die Grenzwerte hochgefahren. Irgendjemand, der Nervenstärke und Kaltblütigkeit besaß, setzte alles auf eine Karte. Wenn die Reaktoren hochgingen, konnte das der SOL nicht mehr schaden als der energetische Abgrund, auf den sie zuraste. Als Hayes einen Blick auf den Bildschirm in der Klause erhaschte – seltsam verzerrt wegen der schlechten Perspektive – sah er etwas, das wie ein Sonnensystem aussah, ein sehr altes Sonnensystem allerdings, und Hayes hatte die innere Gewißheit, daß er einen Blick in die Namenlose Zone getan hatte. In einer engen Kurve, der engsten, die das Material der SOL verkraften konnte, drehte das Schiff von der Nabelschnur ab. Hayes konnte sich ausrechnen, daß Tage nötig waren, um die Schäden auszubessern, die diese Gewaltmanöver hinterlassen mußte. Gleichgültig, nur weg von dem Verhängnis. Die Kräfte, die an dem Schiff zerrten, waren ungeheuer – es waren wirklich alle Energiereserven nötig, die SOL aus dieser energetischen Klammer zu lösen. Überall im Schiff stürzten Menschen zu Boden, fielen aus den Betten, und Hayes konnte sich das Grauen dieser Menschen vorstellen, die schließlich nicht wissen konnten, was in und mit dem Schiff geschah. »Aufhören!« schrie eine Stimme. Es war das Organ des Arkoniden. »Stellt den Kampf ein!« Gespenstisch ruhig wurde es nach diesen Worten. Schweres Atmen war zu hören, Seufzer, Schluchzer und manches schmerzliche Stöhnen. Über allem lag das Röhren der Triebwerke. Im Normalfall kaum wahrnehmbar, durchdrang es jetzt das ganze Schiff. Die Verbände, in denen die Aggregate standen, meterdicke
Konstruktionen aus besten Stählen und Beton, zitterten und übertragen das Zittern durch das ganze Schiff. Geräte fielen aus ihren Halterungen, Türen sprangen auf, Leuchtkörper zerklirrten auf den Fluren. Der Panoramaschirm hatte das Chaos überstanden und arbeitete wieder. Noch immer war der Nabel zu sehen, und dann rückte langsam etwas anderes ins Blickfeld. Der äußere Planet des Trisker‐Systems. Nur einen Herzschlag lang war er zu sehen, dann brandete eine ungeheure Lichtflut gegen die Optiken. Jemand hatte einen Feuerschlag aus allen Geschützen der SOL ausgelöst, und das Ziel dieses Feuerschlags war das metallische Blinken auf der Oberfläche des Planeten gewesen – höchstwahrscheinlich die Nabelstation. Ein neuerlicher Ruck ging durch das Schiff. Es war wie bei einem Erdbeben. Die Andruckabsorber waren dem Schock nicht gewachsen, mit ungeheurer Kraft wurden die Körper auf den Boden gepreßt. Hayes glaubte seine Knochen knirschen hören zu können, der Druck trieb ihm die Luft aus den Lungen, er konnte kein Glied mehr rühren. Ebenso schlagartig ließ die Belastung nach. Keuchend atmete Hayes ein. »Notlichter her!« Wenig später wurde es hell in der Zentrale. Scheinwerfer tasteten sich durch die Dunkelheit. Hayes stieß einen Laut der Verwunderung aus. Im Sitz des Piloten erkannte er Cara Doz, die mit ungeheurer Ruhe die SOL aus der Gefahrenzone brachte, Sie hatte das Schiff im buchstäblich letzten Augenblick abdrehen lassen, sie hatte den Feuerschlag ausgelöst, der die Nabelstation zerstört hatte. Hinter dem Sitz des Piloten lagen zwei reglose Körper, in den Händen die entsicherten Waffen. Hayes rappelte sich auf, ging hinüber zu Cara und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie reagierte nicht, die Leitung der SOL
nahm sie voll in Anspruch. Hayes bückte sich zu den beiden Toten nieder. Ihre Waffen waren tatsächlich feuerbereit. Sie waren völlig unverletzt, doch sie waren tot. Was sie getötet hatte – Hayes konnte es sich nicht vorstellen. Es kam einem Wunder gleich, daß Cara diese Bedrohung überlebt hatte. »Du hast dir Zeit gelassen«, ächzte Hayes und schüttelte Atlan die Hand. Der Arkonide war am Ende seiner Kräfte. Die Augen lagen tief in den Höhlen, von der Nase zogen sich zwei scharfe Falten hinunter zu den Mundwinkeln – er sah um Jahrzehnte gealtert aus. Seinem Händedruck fehlte die Kraft, sein Atem ging schwer und keuchend. »Schneller ging es nicht«, sagte er matt. »Nehmt die Meuterer fest«, ordnete Hayes an. »Und du suchst sofort einen Arzt auf – du siehst zum Erbarmen aus.« Atlan nickte kaum wahrnehmbar. »Erst will ich das Ende der Geschichte erleben«, sagte er mit krächzender Stimme. Das Ende war verwunderlich. Keine einzige der Imitationen lebte mehr, und der größte Teil von ihnen war so unverletzt wie die beiden, die Cara bedroht hatten. Verletzungen in größerer Menge, wenn auch minderer Qualität, hatten die anderen davongetragen. Blaue Flecke, Prellungen, Quetschungen, ein Streifschuß und ein paar Schnittwunden – nichts, was den Ärzten großes Kopfzerbrechen bereitet hätte. Eine der Toten war eine bemerkenswerte hübsche junge Frau, und einer der Retter stieß beim Anblick der Toten einen Seufzer hörbarer Erleichterung aus. Auch das Ebenbild des jungen Mannes lag tot am Boden. »Wir werden viel zu tun haben«, sagte Atlan und fiel um. *
»Dieser Ruf geht mir seit mehr als zehntausend Jahren voraus«, sagte der Arkonide lachend. »Schon der Leibarzt des göttlichen Julius Cäsar hat mich als den schlechtesten Patienten seiner Karriere bezeichnet.« Er war nur mit großer Mühe zu bewegen gewesen, sich wenigstens einige Stunden lang pflegen zu lassen, aber Hayes hatte seine ganze Autorität als High Sideryt angewandt und den Arkoniden schließlich mit der Drohung, ihn unter Robotarrest zu stellen, gefügig gemacht. Dank dem Zellaktivator dauerte es nicht lange, bis der Zehntausendjährige wieder im Vollbesitz seiner Kräfte war. »Und nun berichte«, sagte Hayes. »Andernfalls bekommst du keinen einzigen Schluck ab.« Er zeigte die Flasche, und das Etikett ließ Atlan sofort fügsam werden. Er lachte breit, dann wurde er wieder ernst. »Eines kannst du in die Bordchronik eintragen«, sagte er, und für einen Moment war sein Blick abwesend. »Das Experiment mit der Transformkanone darf niemals wiederholt werden. Ohne Extrahirn und Zellaktivator hätte ich es nicht überlebt – und auch so war es knapp genug. Erspare es mir, dir Einzelheiten zu schildern, wie ich die Rematerialisation erlebt habe und wie es mir möglich war, in die SOL zurückzukehren. Es war die Wirklichkeit gewordene Hölle – dieses Erlebnis würde ich nicht einmal unserem Erzfeind zumuten.« »Ich verstehe«, sagte Hayes. Aus Gründen der Hygiene gab es natürlich keine vernünftigen Gläser in dem Krankenzimmer. Die beiden nahmen einen Schluck aus der Flasche. »Das tut gut«, ächzte Atlan und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Erinnert mich an ein Teufelszeug, daß ein gewisser Seymour Alcolaya von Shandʹong mitbrachte, Ssagis hieß das Zeug, satanisch gut. Jetzt das Ende meiner Geschichte. Ich suchte Hallam Blake auf, in der Hoffnung, daß sein Spürbauch uns helfen konnte. Fehlschlag, er war mit seiner kranken Familie beschäftigt. Aber von ihm bekam
ich den Hinweis auf das fehlende Medikament, und von da an wußte ich, daß Anti‐ES wieder einmal seiner Marotte gefrönt hatte, uns mit Doppelgängern zu beglücken. Herauszufinden war, wo man die Verschleppten untergebracht hatte – in der Nähe des SPARTAC‐Teleskops.« »Apropos – was ist mit Kerness Mylotta?« fragte Hayes. »Auch das ist eine Geschichte, die uns der Unbekannte, der die Doppelgänger erzeugte, eingebrockt hat. Wir gingen davon aus, daß Mylotta bei mir an Bord war. Und daß er über Yan abgeschossen wurde, bevor er wieder an Bord kommen konnte. Der Mylotta, der mich begleitete, war jedoch eindeutig auch ein Duplikat, und zwar eins, daß schon sehr früh erzeugt worden war. Wir wissen das, denn der echte Mylotta wurde in der Nähe des SPARTACS gefunden. Er stand unter einem Schock, und er wußte nur noch, daß ihn jemand niedergeschlagen und ihm ein Medikament eingespritzt hatte. Er muß sich dann wohl irgendwo verkrochen haben. Ein Medo‐ Roboter hat seine Aussagen überprüft. Es ist ein Glück für uns, daß wir ihn noch haben, denn beim Aufspüren der Nabel zur Namenlosen Zone ist er unersetzlich.« Atlan schwieg wieder, und Hayes, der sichtlich aufatmete, sagte: »Gut. Was geschah mit den verschleppten Stabspezialisten?« »Mit ein paar Leuten, die ich unterwegs zusammentrommelte, haben wir das Versteck gestürmt. Drei Doppelgänger hielten Wache und leisteten uns erbitterten Widerstand. Einen Mann haben wir so verloren. Dann stießen wir zu den Verschleppten vor – es waren fast achtzig Prozent der Stabspezialisten.« »Ich habe es gerade noch rechtzeitig erfahren«, sagte Hayes. »Der Trick mit den mitgebrachten Pseudo‐Geiseln war nicht schlecht. Er hat mich lange Zeit beschäftigt.« »Allerdings – eine Person, oder auch mehrere, fanden wir nicht. Den Urheber dieses Teufelplans, und auch nicht die Materialien, mit denen er das bewerkstelligt hat.« »Bist du sicher, daß es einen solchen Urheber gibt?«
»Einen oder mehrere – der nächtliche Hinweis war da sehr eindeutig. Und erinnere dich an die zerstörten Roboter – jemand hat hier mit den Mitteln der SOL gearbeitet. Wären die Doppelgänger von außen eingeschleust worden, wäre der Aufwand mit den Robots nicht nötig gewesen. Ich bin ganz sicher – wir haben einen Feind in unseren Reihen – einen Agenten von Anti‐ES.« »Wir werden die Augen offenhalten müssen«, murmelte Hayes. »Wir könnten natürlich jede Lebensäußerung an Bord von SENECA überwachen lassen, aber dann wäre unsere Freiheit dahin. Dann könnten wir uns ebensogut freiwillig ergeben.« »Meine Meinung«, bestätigte der Arkonide. »Gibst du mir noch einmal die Flasche?« Er nahm einen kräftigen Schluck. »Was mir nach wie vor ein Rätsel ist – der Tod der Meuterer. Bei den meisten sieht es so aus, als wären sie von einer unbekannten Macht … ja, irgendwie abgeschaltet worden. Ich habe den Verdacht, daß das nichts mit Anti‐ES zu tun hat.« »Vielleicht mit Cara?« »Ein rätselhafter Vorgang mehr, das stimmt. Aber sie weiß nichts davon, sie hat sich nur um die SOL gekümmert. Wir beide wissen, daß wir nicht zuletzt ihr zu danken haben, daß wir dieser Falle entkommen sind – ein paar Sekunden länger, und Anti‐ES hätte uns in die Namenlose Zone verschleppt.« Hayes zuckte die breiten Schultern. »Ich werde aus der Frau nicht schlau«, sagte er. »Vielleicht werden wir auch dieses Rätsel lösen können – irgendwann.« Die beiden Männer schwiegen eine Zeitlang. Für jedes gelöste Rätsel kam ein neues auf, mitunter sogar mehrere. Das Rätselraten und Abenteuern schien kein Ende nehmen zu wollen – auf der anderen Seite wäre diesen beiden ein Leben ohne Aufregung und Gefahr schal und langweilig erschienen. »Was ist mit den Gyrantern?« wollte Atlan wissen. »Sie haben sich zurückgezogen. Vertrieben haben wir sie nicht. Sie
stellen nach wie vor eine Bedrohung dar.« »Auch darum werden wir uns kümmern müssen – schon wegen der Merbell‐Yaner. Ein prachtvolles Volk, ich habe sie richtig ins Herz geschlossen.« »Ich habe die Geschichte gehört, und sie hat mich gerührt. Wir haben wieder einmal Freunde gefunden im All.« »Haben wir das nicht immer?« fragte Atlan zurück. »Alles in allem sind wir viel häufiger auf friedliebende Völker als auf aggressive gestoßen. Und selbst die, die uns feindlich gesinnt waren, litten meist unter dem Einfluß der wirklichen Feinde von uns. Denke nur an die Kriegsstrahlung von Xiinx‐Markant.« »Wir werden den Merbell‐Yanern ein paar technische Handbücher und Unterlagen überlassen, mit denen sie sich das Leben ein wenig bequemer einrichten können«, schlug Hayes vor. »Viel mehr können wir für sie nicht tun.« Atlan nickte, dann schlug er Hayes freundschaftlich auf die Schultern. »Dann laß uns an die Arbeit gehen«, sagte er. * Ferner Proch Heß sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Nach den Aufregungen der letzten Tage tat das doppelt gut. Die Merball‐Yaner waren in ihre Hauptstadt zurückgekehrt, und vor wenigen Stunden hatte ein Beiboot der SOL einen angeschlagenen Regierungschef zurückgebracht – zusammen mit technischen Geschenken, die den Merbell‐Yanern ein Jahrhundert intensiver Forschung ersparten. Ferner Proch hatte allen Grund, mit sich zufrieden zu sein. Seine Rolle beim Aufstand gegen die Gyranter war gebührend gelobt worden, außerdem hatte man ihm einen besseren Posten versprochen, den er schon lange angestrebt hatte. Das Wetter war
prachtvoll, seine Laune war prachtvoll, Gendra war prachtvoll, was wollte er mehr. Im Hintergrund rumorte Gendra in der Nestblüte. Auch eine größere Wohnung hatte Ferner ins Auge gefaßt. Es sah ganz danach aus, als würde er sich mit Gendra offiziell zusammentun, und da konnte eine geräumigere Unterkunft nicht schaden. »Was soll mit dem Zeug … sag mal, schämst du dich nicht? Ich rackere mich ab, um deine …« »… unsere …« »… deine Wohnung in Ordnung zu bringen, und du faulenzt hier herum. Was glaubst du, wer ich bin? Deine Putzfrau?« »Ich faulenze nicht, ich entspanne mich. Außerdem weiß ich, daß du nicht meine Hausangestellte bist. Wenn du dich auch entspannen willst, dann laß den Krempel liegen. Noch niemand ist an Unordnung gestorben, höchstens an zuviel Arbeit.« »Dieses Schicksal wird dir sicherlich erspart bleiben. Sag schon, was soll mit dem Zeug werden.« Sie hielt ihm das Filmmaterial unter die Nase. Es waren die Aufnahmen, die er beim Fort gemacht hatte. »Willst du sie den Solanern verehren?« »Die wissen, wie sie aussehen, wirf das Zeug in den Abfall, niemand braucht es mehr.« »Wie du willst. Im übrigen finde ich es erstaunlich, wieviel Unordnung man in einer so kleinen Wohnung produzieren kann.« »Das geht in einer kleinen Wohnung viel besser als in einer großen. Du hättest meine früheren Unterkünfte sehen sollen. Außerdem, wenn dir die Wohnung zu unordentlich ist – vergiß sie. Wir räumen nicht auf, wir nehmen eine größere.« Die Überheblichkeit dieser Sätze war gespielt, und das brachte Gendra zum Lachen. Sie schmiegte sich an ihn. »Das wird auch nötig sein«, sagte sie leise. Ferner Proch lächelte selbstzufrieden. Es dauerte eine Weile, bis der Unterton dieses Satzes in sein Gehirn vordrang und er die zarte Andeutung begriff.
»Willst du damit sagen …« »Genau das. So wir wir hier dastehen – oder in deinem Fall liegen – sind wir nicht nur ein glückliches Paar, sondern auch Eltern in spe.« »Alle Wetter«, entfuhr es Ferner Proch. »Du hast es aber eilig.« »Ich? Darf ich dich daran erinnern, daß man zu diesem Zweck gleichzeitig … ja?« Ferner Proch kratzte sich am linken Flügel. Vor ein paar Tagen noch ein halbzufriedener Junggeselle und jetzt auf dem unaufhaltsamen Weg zum Familienvater. »Das geht alles ein bißchen schnell«, sagte er lahm. Ihm wollte nichts Besseres einfallen. »So schnell, wie es üblicherweise geht. Du hast einige Monate Zeit, dich darauf vorzubereiten, das genügt doch wohl.« »Ich wehre mich ja gar nicht«, sagte Ferner Proch. Er spürte, daß er sich unglaublich freute, und genierte sich ein bißchen, diese Freude ganz zu zeigen. »In jedem Fall muß die Sache gefeiert werden. Und zwar heute. Ich lade dich zum Essen ein – ins feinste Restaurant der Hauptstadt.« »Hast du überhaupt das Geld dafür?« Ferner zuckte die Schultern. »Ich nicht, aber die Bank, die hat genug davon und wird mir gern etwas vorschießen. Im übrigen darfst du dich in deinem Zustand nicht aufregen und überanstrengen. Gib her, ich werde dir das abnehmen.« Er nahm die Filmstreifen aus Gendras Händen und trug sie feierlich zum Abfallvernichter, in dem sie verschwanden. Über die Schulter hinweg rief er: »Bringst du bitte die Fotosachen hinunter?« Gendra zwinkerte. Sie starrte auf ihre Hände, in denen gerade noch einige Gramm Filmmaterial gelegen hatten, dann sah sie die schwere Fototasche an, und ihr entfuhr der Seufzer, der bei allen
zwei – oder mehrgeschlechtlichen Wesen des Universums gebräuchlich ist: »Männer!« * Er sieht sich im Spiegel an. Er ist unzufrieden mit sich. Der Meisterplan ist fehlgeschlagen, die SOL ist nicht in die Falle gegangen. Schlimmer noch – sie ist sogar hineingetappt und doch wieder entkommen. Ist das seine Schuld? Wird die Macht, deren ausführendes Werkzeug er ist, ihn dafür strafen? Und ist dies – vielleicht – die Strafe einer noch höheren Macht für den Frevel des Mordes, der auf seinem Gewissen lastet? Er weiß es nicht. Zweifel plagen ihn wie eine seelische Krätze. Er kann sich nicht dagegen wehren. Aber er ist immer noch unentdeckt. Jederzeit kann er wieder zuschlagen. Er braucht sich nur anzusehen, die Waffe seines Geistes, deren Zeichen, er auf der Stirn trägt. Es ist klar zu sehen – er hat sich vervollkommnet, ist noch besser und wirkungsvoller geworden. Das Gefühl der eigenen Macht drängt die nagenden Zweifel zurück, vorerst – sie werden wiederkommen, hartnäckig und bohrend. Der Kampf in seinem Innern ist noch nicht entschieden. Der im Innern der SOL auch noch nicht. Die nächste Runde ist bereits eingeläutet. Und es steht auch schon fest, wer der Sieger sein wird. Er – Kerness Mylotta. ENDE
Neben Kerness Mylotta, der unerkannt als Werkzeug von Anti‐ES an Bord der SOL agiert, beginnen weitere Bedrohungen für das Generationenschiff und seine Besatzung Gestalt anzunehmen. Anti‐ES stellt eine unbesiegbare Truppe zusammen – DAS ARSENAL … DAS ARSENAL – so lautet auch der Titel des nächsten Atlan‐Bandes. Der Roman wurde von Peter Griese geschrieben.