Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa Eine Einführung
Ansiedlung Nationales Zusammenleben Vertreibung Integration
Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa Ansiedlung, Nationales Zusammenleben, Vertreibung, Integration Reg.Nr. 84128
Impressum Medieninhaber:
Dr. Karl Kummer Institut 1010 Wien
Projektleitung:
MR i.R. Dr. Walter Heginger
Wissenschaftliche Beratung:
Univ. Prof. Dr. Arnold Suppan
Autor:
Mag. Peter Wassertheurer
Grafische Gestaltung:
Branko Suznjevic
Lektorat:
Dr. Gerhard Schiel
Bestelladresse:
Verband der volksdeutschen Landsmannschaften Österreichs (VLÖ) Steingasse 25, A-1030
[email protected]
Druck:
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Minoritenplatz 5, 1014 Wien
Einleitung Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur hat vor Jahren damit begonnen, in einer mehrteiligen Serie die Geschichte der deutschen Volksgruppen in Mittel- und Südosteuropa an österreichischen Schulen vorzustellen. In einem ersten Teil entstanden die drei Filme "Südtirol - ein Modell für Europa", "Karnien, Friaul, Kärnten" und "Štajerska - die andere Steiermark." Der zweite Teil der Serie widmete sich unter dem Titel "Sudetendeutsche und Tschechen" der österreichisch-deutschtschechischen Geschichte in den böhmischen Ländern. Im jetzt vorliegenden dritten und letzten Teil beschäftigt sich die Serie mit der deutschen Siedlungsgeschichte in Südosteuropa: "Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa" behandelt die wichtigsten historischen Entwicklungen der Siebenbürger Sachsen, der Landler, der Bukowinadeutschen, der Dobrudscha- und Bessarabiendeutschen in Rumänien, der Karpatendeutschen in der Slowakei und der Donauschwaben, deren Siedlungsgebiet nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Ungarn, Jugoslawien und Rumänien zur Aufteilung kam. Das für die "Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa" hergestellte Begleitmaterial ist eine schriftliche Ergänzung zum Film und versucht, den europäischen Südosten als multiethnischen Kulturraum zu präsentieren, in dem seit dem Mittelalter zahlreiche Völker neben- und miteinander siedelten. Die Geschichte Südosteuropas war von zahlreichen Berührungspunkten zwischen slawischen, romanischen, germanischen und sogar außereuropäischen Sprachen, Kulturen, Religionen und Nationen gekennzeichnet, aber ebenso von imperialen Kriegen und nationalen Konflikten. Dieses Begleitheft möchte den SchülerInnen am Beispiel der deutschen Volksgruppen die soziale und geistige Entwicklung Südosteuropas, die Ursachen für nationale Auseinandersetzungen und das gewaltsame Auseinanderbrechen historisch gewachsener Gesellschaften in einem multiethnischen Umfeld aufzeigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Großteil der nach Österreich evakuierten, geflüchteten oder vertriebenen "Volksdeutschen" nach Deutschland "repatriiert" (wiedereingebürgert). Nur 170.000 Personen konnten in Österreich bleiben und wurde mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft von 1954 (Optionsgesetz) endgültig in die österreichische Nachkriegsgesellschaft integriert. Der Begriff "Volksdeutsche" (in der englischsprachigen Literatur existiert die Lehnübersetzung ethnic Germans) entstammte dem NS-Jargon und wurde nach 1945 in Österreich weiter verwendet, um sie von Reichsdeutschen (Wehrmachtsangehörige, reichsdeutsche Beamte) und fremdsprachigen "Displaced Persons" (NS-Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, KZInhaftierte) unterscheiden zu können. Im vorliegenden Unterrichtsbehelf wird das Begriffspaar "volksdeutsch, Volksdeutsche" ausschließlich für die Zwischenkriegszeit und für den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen verwendet, um den ideologischen Annäherungsprozess der deutschen Volksgruppenführung ab den 1930er Jahren und die NS-Gleichschaltungspolitik mittels der Volksdeutschen Mittelstelle (VOMI) zu unterstreichen. Beide Begriffe hatten aber nie wirklich im Sprachgebrauch der deutschen Volksgruppen Eingang gefunden. Dort spricht man bis heute von den Schwaben, Sachsen, Landlern oder Karpatendeutschen.
Univ. Prof. Dr. Arnold Suppan, Universität Wien Wissenschaftlicher Betreuer
Inhaltsverzeichnis 1. Herrschaft und Christianisierung der Magyaren in Pannonien S. 1 2. Deutsche Siedler im Königreich Ungarn S. 2 2.1. Das Andreanum und die Zipser Sachsen S. 4 2.2. Sächsische Nationsuniversität und das Eigen-Landrecht S. 5 3. Reformation und Toleranz S. 6 4. Die osmanische Herrschaft S. 7 4.1. Das Großfürstentum Siebenbürgen S. 9 4.2. Oberungarn unter den Habsburgern S. 10 5. Habsburgs Aufstieg zur Großmacht S. 10 6. Die Neubesiedlung des Königreichs Ungarn S. 11 6.1. Die Privatkolonisation S. 13 6.2. Die staatliche Kolonisation S. 14 6.3. Die Donauschwaben S. 16 7. Siebenbürgen nach der osmanischen Herrschaft S. 17 7.1. Protestantische Neusiedler in Siebenbürgen S. 18 7.2. Die Bukowina und die Dobrudscha S. 19 8. Aufgeklärter Absolutismus und Nationalimus S. 20 8.1. Nationale Emanzipation und Magyarisierung S. 20 9. Magyarisierung und die deutschen Volksgruppen S. 21 9.1. Die Siebenbürger Sachsen und die Magyarisierung S. 22 9.2. Die Karpatendeutschen und die Magyarisierung S. 22 9.3. Die Donauschwaben und die Magyarisierung S. 22 10. Das Revolutionsjahr 1848/49 S. 23 11. Der Ausgleich mit Ungarn 1867 S. 24 11.1. Die Siebenbürger Sachsen im Königreich Ungarn nach 1867 S. 25 11.2. Die Donauschwaben im Königreich Ungarn nach 1867 S. 26 12. Der Erste Weltkrieg und die Nachkriegsordnung S. 28 12.1. Der Zusammenbruch der Donaumonarchie S. 30 12.2. Das Schicksal der deutschen Volksgruppen S. 31 12.3. Ungarn wird eine Räterepublik S. 31 13. Die deutschen Minderheiten in der Zwischenkriegszeit S. 32 13.1. Die deutsche Minderheit in Jugoslawien S. 32 13.2. Die deutsche Minderheit in Rumänien S. 35 13.3. Die deutsche Minderheit in Ungarn S. 39 13.4. Die deutsche Minderheit im slowakischen Teil der Tschechoslowakei S. 41 14. Der Zweite Weltkrieg und die Folgen S. 42 14.1. Die Rumänien-Deutschen im Zweiten Weltkrieg S. 44 14.2. Die Jugoslawien-Deutschen im Zweiten Weltkrieg S. 46 14.3. Die Ungarn-Deutschen im Zweiten Weltkrieg S. 50 14.4. Die Karpaten-Deutschen im Zweiten Weltkrieg S. 51 15. Flucht, Vertreibung, Aussiedlung S. 52 15. 1. Rumänien S. 52 15. 2. Jugoslawien S. 53 15. 3. Ungarn S. 53 15. 4. Tschechoslowakei S. 54
16. Die deutschen Minderheiten nach dem Zweiten Weltkrieg S. 55 16. 1. Rumänien S. 55 16. 2. Ungarn S. 57 16. 3. Tschechoslowakei S. 58 16. 4. Jugoslawien S. 59 17. Der Neuanfang und die Charta der Heimatvertriebenen S. 60 Anhang Ortsangaben
Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
1. Herrschaft und Christianisierung der Magyaren in Pannonien 796 schlug Karl der Große (742-814) die Awaren und gliederte den westpannonischen Raum in das Karolingische Imperium ein. Die eroberten Gebiete wurden im Rahmen des neu errichteten Bairischen Ostlandes als Grenzmark (Pannonische Mark) organisiert und verwaltet, wo neben den im Land verbliebenen Awaren auch Angehörige slawischer Völkerschaften siedelten. Bald waren auch deutsche Siedler in diese neue Grenzmark gefolgt, die sich bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts vor allem um den Plattensee (ung. Balaton) und um die Gegend von Fünfkirchen (ung. Pécs) niedergelassen hatten. Bereits um 860 gab es in diesem Grenzgebiet nicht weniger als 35 deutsche Siedlungen. Im Jahr 895 drang das finno-ugrische Reitervolk der Magyaren aus der Ukraine in den pannonischen Raum ein und stieß bis zu Beginn des 10. Jahrhunderts an die Grenzen des Großmährischen Reichs und des Bairischen Ostlandes vor, das die Außengrenze des Ostfränkischen Stephan I. Reichs bildete. Im Jahre 906 zerstörten die Magyaren das Großmit Prinzessin Gisela mährische Reich und besiegten 907 bei Preßburg (slow. Bratislava, aus Bayern ung. Pozsony) den Ostmarkgrafen Luitpold von Bayern (885-907). Erst mit der Niederlage gegen Otto den Großen (912-973) am Lechfeld bei Augsburg im Jahr 955 wurde dem militärischen Vordringen der Magyaren nach Mitteleuropa ein Ende bereitet. Die Magyaren zogen sich in den zentralpannonischen Raum zurück. Es folgten die Sicherung der dynastischen Herrschaft der Árpáden im Inneren, die Festigung des Reichs nach außen und eine intensive Auseinandersetzung mit abendländischen Kulturtraditionen, die das ungarische Reich langsam für Die Magyarenzüge im 10. Jhd. bis zur die christliche Mission öffneten. Bereits Ende des 10. Niederlage am Lechfeld Jahrhunderts rief Fürst Géza (971-997) hospites (Gäste) aus dem Westen Europas ins Land. Der Einladung folgten auch deutsche Missionare aus dem Bistum Passau und Angehörige des deutschen Ritter1
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adels, die enge Kontakte zum ungarischen Fürstenhof in Gran (ung. Esztergom) pflegten. Fürst Géza leitete damit die Christianisierung der Magyaren ein und ließ seinen Sohn Wajk auf den Namen des Passauer Patrons Stephan taufen. Stephan (969-1038) hatte unter der Obhut zweier deutscher Ritter aus Schwaben eine höfische Erziehung genossen und wurde 996 mit der bayrischen Prinzessin Gisela (985-1060), der Schwester des römisch-deutschen Kaisers Heinrich II. (1002-1024), vermählt. Mit Gisela war ihr ganzer deutscher Hofstab nach Ungarn mitgekommen. Stephan war ein sehr eifriger Förderer der christlichen Mission und erhielt am Weihnachtstag des Jahres 1000 vom Papst Silvester II. (992-1003) die Königswürde, die auch vom deutschen Kaiser Otto III. (980-1002) anerkannt wurde. König Stephan I. hatte für seinen Sohn in einem Libellus de institutione morum ad Emericum ducem Anleitungen für die Regentschaft verfasst und darin die Ansiedlung von Fremden empfohlen, "weil sie manches mitbringen, was dem Land nütze und den Königshof ziere."1 Ab dem 11. Jahrhundert breiteten sich die Magyaren auch im späteren Siedlungsraum der Siebenbürger Sachsen aus und erreichten am Übergang zum 13. Jahrhundert die Süd- und Ostkarpaten. Die Grenzen waren zunächst durch Grenzverhaue (ung. gyepù) gesichert worden, später siedelte man dort Hilfsvölker zum Grenzschutz an. Zu den bekanntesten gehörten die Szekler, die als Klientelvolk mit den Magyaren in den pannonischen Raum vorgedrungen waren. Unter der Regentschaft von König Géza II. (1141-1162) wurden Mitte des 12. Jahrhunderts mit der Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen und Zipser Sachsen die beiden größten deutschen Siedlungsgebiete im Mittelalter errichtet. Die Ansiedlung erfolgte auf dem Königsboden (lat. fundus regius), der als persönlicher Besitz des Königs galt.
2. Deutsche Siedler im Königreich Ungarn 1186 wurden erstmals in einer Urkunde von König Béla III. (1173-1196) Siedler für den Raum Siebenbürgen (lat. Ultrasylvas) genannt. Damit waren wohl jene deutschen Siedler gemeint, die der Einladung von Géza II. gefolgt waren. Die Vorfahren der Siebenbürger Sachsen stammten aus mehreren Teilen des deutschen Reichsgebiets. Die frühesten deutschen Siedlungen in Siebenbürgen lagen um die Bischofsstadt Weißenburg, später Karlsburg (rum. Alba Iulia, ung. Gyulafehérvár). Ihre Bewohner stammten nach schriftlicher Überlieferung aus dem flämischen Raum, weshalb in den Urkunden von den Flandrenses die Rede ist. Die moderne Dialektforschung nennt vor allem den fränkisch-luxemburgischen Sprachraum als Herkunftsgebiet der Siebenbürger Sachsen. Bélas Chronisten berichten davon, dass die Magyaren noch vor der Landnahme in Pannonien in sieben Stämme gegliedert waren. Die Magyaren errichteten deshalb nach ihrer Sesshaftwerdung sieben Komitate. Die Bezeichnung Siebenbürgen bezog sich ursprünglich nur auf die Hermannstädter Provinz (Hermannstadt: rum. Sibiu, ung. Nagyszeben) im Altland (Königsboden), die in sieben Stühle (Verwaltungseinheiten) gegliedert war. Zu den sieben Stühlen gehörten Schäßburg (rum. Sighiþoara, ung. Segesvár), Mühlbach (rum. Sebeþ, ung. Sebes), Großschenk (rum. Cincu, ung. Nagysink), Reußmarkt (rum. Miercurea, ung. Szerdahely), Reps (rum. Rupea, ung. Kõhalom), Leschkirch (rum. Nocrih, ung. Ujegyház) und Bross (rum. Or–þtie, ung. Szászváros). Mit der Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen ging auch die Ansiedlung der Szekler einher, die auf dem Königsboden weiter im Osten im sogenannten Land der Szekler als Grenzwächter eine neue Heimat fanden. Géza II. garantierte den Siebenbürger Sachsen eine Reihe von Privilegien, die nur für die deutschen Siedler auf dem Königsboden Gültigkeit hatten. Dazu zählten vor allem die freie Wahl der Richter und steuerliche Begünstigungen. Das Königsgericht sollte nur in unlösbaren Streitfragen eingreifen. Die Siebenbürger Sachsen hatten außerdem das Recht zur alleinigen Besiedelung (lat. unus sit popopulus) ihres Gebiets zugesprochen bekommen. Neben diesen Sonderrechten waren die 1
Günter Schödl (Hg.), Land an der Donau. in: Deutsche Geschichte im Osten Europas. 1. Aufl. Berlin 1995, S. 27.
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deutschen Siedler dem König gegenüber zu Abgaben und zum militärischen Beistand verpflichtet. Die Anzahl der ersten deutschen Siedler in Siebenbürgen lag nach heutigen Untersuchungen zwischen 2.000-3.000 Personen. Die Ausbreitung der deutschen Siedler in Siebenbürgen vollzog sich in einem Zeitraum von 150 Jahren bis ins 14. Jahrhundert, wobei sich fünf Siedlungsbewegungen voneinander unterscheiden lassen: 1.)
zunächst erfolgte die Besiedelung des Königsbodens Mittelalterliche deutsche Siedlungen in Südosteuropa zwischen Broos (rum. Or–þtie, ung. Szászváros) und Draas (rum. Dr–uþeni, ung. Homoróddaróc), wo bis zur Hälfte des 12. Jahrhunderts deutsche Siedlungen in der Hermannstädter Provinz entstanden waren, 2.)
bis zur Hälfte des 13. Jahrhunderts dehnte sich das Siedlungsgebiet der Siebenbürger Sachsen bis an die Große Kokel (rum. Târnava Mare, ung. Nagy-Küküllõ) aus,
3.)
im 12. und 13. Jahrhundert entstanden deutsche Siedlungen außerhalb des Königsbodens in Nordsiebenbürgen zwischen dem Reener Ländchen (rum. Depresiunea Reghin, ung. Régeni medence) und dem Nösnerland um Bistritz (rum. Bistri ½a, ung. Beszterce),
4.)
1211 wurde der Deutsche Ritterorden von König Andreas II. (1205-1235) zur Überwachung der Grenzen ins Land gerufen und im Südosten Siebenbürgens, im sogenannten Burzenland (rum.Tara Bârsei, ung. Barcaság) angesiedelt. Der Deutsche Ritterorden errichtete mächtige Ordensburgen, holte deutsche Siedler ins Burzenland und förderte die Errichtung von Siedlungen. 1225 musste der deutsche Ritterorden das Land wieder verlassen, die deutschen Siedlungen blieben aber bestehen,
5.)
am Ende des 13. Jahrhunderts erfolgte die Besiedlung des Gebiets zwischen Großer Kokel und Kleiner Kokel, die bis zu Beginn des 14. Jahrhunderts abgeschlossen war.
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2.1. Das Andreanum und die Zipser Sachsen 1224 bestätigte König Andreas II. im sogenannten Andreanum (Andreanischer Freibrief) den deutschen Siedlern ihre Privilegien. Später wurden die Privilegien auf die anderen deutschen Siedlungsgebiete in Siebenbürgen ausgeweitet, nämlich 1366 durch König Ludwig den Großen (1326-1382) auf das nordsiebenbürgische Nösnerland um Bistritz (rum. Bistri½a, ung. Beszterce) und 1422 durch König Sigismund (1368-1437) auf das Burzenland im Südosten. Im Verlauf des 11. Jahrhunderts war es den Magyaren gegen den Widerstand der Polenkönige gelungen, ihren machtpolitischen Einfluss bis in den Karpatenraum auszudehnen. Géza II. rief deshalb Mitte des 12. Jahrhunderts deutsche Siedler aus dem mährisch-schlesischen Raum als Grenzwächter in die Zips (slow. Spiš, ung. Szepes), um die Grenzen gegen polnische Übergriffe zu sichern. Das Siedlungsgebiet im Zipser Becken und am Oberlauf der beiden Flüsse Hornád (dt. Kundert) und Poprad (dt. Popper) war nur dünn mit Slawen und Magyaren besiedelt. Bereits vor der Zeit der deutschen Kolonisation war in den oberungarischen Bergwerken vor allem nach Zinn, Blei, Eisen, Kupfer, Gold und Silber gegraben worden. Im 12. Jahrhundert hatten sich bayrische, sächsische und schlesische Bergleute in der Nähe der slawischen Bergwerkssiedlungen Banská Štiavnica (dt. Schemnitz) und Gelnica (dt. Göllnitz) in der Zips niedergelassen. Mit den deutschen Bergleuten waren neue Arbeitstechniken und Schürfmethoden in den oberungarischen Raum gekommen, die eine deutliche Steigerung der Produktivität ermöglichten. Neben der Zips zählten das Hauerland und das Preßburger Umland zu den frühen deutschen Siedlungsgebieten Oberungarns.
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Einen Bruch in der Entwicklung der deutschen Siedlungsgeschichte des Mittelalters in Südosteuropa gab es durch das Eindringen der Mongolen in den pannonischen Raum. 1241 wurde das Heer des ungarischen Königs Béla IV. (1235-1270) bei Mohi vernichtend geschlagen. Erst nach dem Abzug der Mongolen aus Ost- und Südosteuropa setzte der ungarische Königshof seine Siedlungspolitik fort und rief neuerlich Siedler aus deutschen Ländern ins Land. Die deutschen Siedler genossen dieselben Privilegien wie die Siebenbürger Sachsen. 1271 wurden diese Sonderrechte von König Stephan V. (1270-1272) auch den deutschen Gästen (lat. hospites saxones) in der Zips garantiert. Es gab auch andere Parallelen zu den Siebenbürger Sachsen. Auch die Zipser Sachsen wurden auf dem Königsboden angesiedelt, wo sie ihre eigene Rechtssprechung, ihre Kultur und ihre religiösen Traditionen frei ausüben konnten. An ihrer Spitze stand ebenso ein Sachsengraf. Im 13. und 14. Jahrhundert erreichte der Zuzug an deutschen Siedlern im oberungarischen Raum einen ersten Höhepunkt, wobei sie sich vorwiegend in den slawischen Siedlungen einrichteten. Damit waren nicht nur ein sprunghafter Anstieg der Bevölkerung in diesen Wohngebieten verbunden, sondern auch die Verbreitung der deutschen Rechtsordnung und der deutschen Wirtschaftspraktiken. Die zunehmende Urbanisierung (Verstädterung) im 14. Jahrhundert erforderte eine Kultivierung der gesellschaftlichen Ordnung, die auf dem Magdeburger Stadtrecht gründete. Das Magdeburger Stadtrecht griff vom geschlossenen deutschen Siedlungsgebiet in Schlesien auf die Städte im böhmisch-mährischen und pannonischen Raum über. In den sächsischen Dörfern der Zips und Siebenbürgens galt das Sachsenrecht. 2.2. Sächsische Nationsuniversität und das Eigen-Landrecht Die ständischen Vertreter der Sachsen, Szekler und des ungarischen Adels wurden als Nationen bezeichnet. 1437 schlossen sich die drei Nationen zur Stärkung ihrer gemeinsamen Interessen zu einer Union zusammen, aus der sich später unter osmanischer Herrschaft im Fürstentum Siebenbürgen der Landtag bildete. Die im Landtag vertretenen drei Landstände hatten im Fürstenrat ein Mitspracherecht und nahmen bei der Wahl des Fürsten teil. Die Einheit der Siebenbürger Sachsen dokumentierte sich seit dem 15. Jahrhundert in der natio saxonica, 5
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deren oberste Vertretungsinstanz die Sächsische Nationsuniversität (lat. Universitas Saxonum) war. Die Sächsische Nationsuniversität war gleichzeitig die politische und administrative Körperschaft, der seit 1477 ein gewählter Sachsengraf (lat. Comes Saxonum) vorstand. 1486 übertrug der ungarische König Matthias Corvinus (1458-1490) die Privilegien auf alle Siedlungen der Siebenbürger Sachsen. Damit war für die deutsche Bevölkerung in Siebenbürgen ein einheitlicher Rechtsraum entstanden, der wesentlich zur Bildung und Stärkung einer siebenbürgisch-sächsischen Identität beiSiebenbürgische trug. König Matthias Corvinus war während seiner Regentschaft einerKirchenburg Tartlau seits um einen Ausgleich mit dem osmanischen Großreich bemüht, das mit der Eroberung von Konstantinopel 1453 immer deutlicher in den Blickwinkel der europäischen Politik rückte. Anderseits bemühte sich Matthias Corvinus vergeblich um die Bildung einer europäischen Verteidigungsallianz gegen die Osmanen. Erst 1583 wurde unter dem Sachsengrafen Stefan Báthory (1571-1583) das gesprochene Gewohnheitsrecht der Siebenbürger Sachsen in einem Eigen-Landrecht niedergeschrieben. Das Eigen-Landrecht garantierte allen Mitgliedern in der Nationsuniversität die gleichen Rechte.
3. Reformation und Toleranz Die reformatorische Glaubenslehre von Martin Luther (1483-1546) wurde von deutschen Kaufleuten und Studenten nach Siebenbürgen gebracht, wo sie sich sehr rasch und erfolgreich verbreiten konnte. Bereits im Herbst 1542 wurde in Kronstadt (rum. Braþov, ung. Brassó) die katholische Liturgie nach dem Vorbild der Reformation abgeändert. Kronstadt war auch die Geburtsstadt von Johannes Honter(-us) (1498-1549), der mit seinen reformatorischen Schriften wesentlich dazu beitrug, dass die Siebenbürger Sachsen 1544 geschlossen zum protestantischen Glauben Augsburger Bekenntnisses (Evangelisch AB) übertraten. 1550 wurde die neue Kirchenordnung aller Deutschen in Sybembürgen eingeführt und durch die Sächsische Nationsuniversität zum Gesetz erhoben.2 Der Sitz der evangelischen Bischöfe war von 1572 bis 1867 Birthälm (rum. Biertan, ung. Berethalom). Honter(-us) reformierte das sächsische Schulsystem nach humanistischen Idealen. In Kronstadt (rum. Braþov, ung. Brassó) wurden das erste humanistische Gymnasium auf südosteuropäischem Boden eingerichtet. Die Schulreformen festigten den Protestantismus in Siebenbürgen, der sich zu einer wichtigen Säule der ethnischen und kulturellen Identität der Siebenbürger Sachsen entwickelte. Die kirchlichen Erneuerungsbewegungen beschränkten sich nicht nur auf die Siebenbürger Sachsen, sondern erfassten auch die magyarische Bevölkerung, die 1564 zum Teil zum calvinischen Bekenntnis (Jean Calvin, 1509-1564) übertrat. In Klausenburg (rum. Cluj, ung. Kolozsvár) entwickelte sich das geistige Zentrum der Unitarier (Anti-Trinitarier), die vor allem bei den Szeklern und Rumänen zahlreiche Anhänger gewinnen konnten. Neben den reformatorischen Glaubensbekenntnissen bestand auch die katholische Kirche als gleichberechtigte Institution weiter. 1557 beschloss der Siebenbürgische Landtag zu Thorenburg (rum. Turda, ung. Torda) die Duldung aller christlichen Konfessionen. Im Jahre 1568 war die religiöse Freiheit in Siebenbürgen sogar in einem eigenen Gesetz verankert worden. Der Thorenburger Landtag beschloss, dass "jeder den Glauben behalten könne, den er wolle, einschließlich der alten und neuen gottesdienstlichen Gebräuche, 2
Annemie Schenk, Deutsche in Siebenbürgen. Ihre Geschichte und Kultur. München 1992, S. 47.
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haben wir es in Sachen des Glaubens ihrer Entscheidung überlassen, dass das geschehe, was ihnen beliebt. Dabei soll jedoch nicht irgendeinem anderen Unrecht zugefügt werden."3 Die Reformation in Siebenbürgen förderte demnach die religiöse Toleranz unter den verschiedenen Volksgruppen. Ähnlich wie in Siebenbürgen wurde auch im oberungarischen Karpatenraum die lutherische Lehre über Kaufleute und Studenten der Bevölkerung nahe gebracht. Die humanistischen Gedanken der Reformation stießen vornehmlich in den Bergstädten auf ein positives Echo. Die rasche Verbreitung der neuen Glaubenslehre erregte aber den Unmut der katholischen Geistlichkeit und veranlasste 1523 den ungarischen Landtag zum Beschluss, Lutheraner öffentlich als Johannes Honter (1498-1549), Reformator der Ketzer zu verurteilen. 1526 wurde vom Landtag sogar die Forderung, Siebenbürger Sachsen Lutheraner wie Hexen am Scheiterhaufen zu verbrennen, erhoben, doch sollte die Niederlage gegen die Osmanen bei Mohács 1526 die politische Lage im Königreich Ungarn völlig verändern. Das Vordringen der Osmanen machte nicht nur eine Verlegung des ungarischen Landtages von Ofen (ung. Buda) nach Preßburg (slow. Bratislava, ung. Pozsony) notwendig, sondern führte auch zur Schließung zahlreicher Kapitelschulen und Priesterseminare, wodurch sich bald ein Mangel an katholischen Priestern ergab. Außerdem führte der Streit um das Erbe der Stephanskrone zu einer zunehmenden Schwächung des ungarischen Adels, der in sich gespalten war. In diesem machtpolitischen Vakuum konnte sich das Luthertum ungehindert im gesamten Karpatenraum verbreiten. 1559 übergaben die sieben Hauerländer Bergstädte Kremnitz (slow. Kremnica; ung. Körmöcbánya), Schemnitz (slow. Banská Štiavnica, ung. Selmec-bánya), Neusohl (slow. Banská Bystrica, ung. Besztercebánya), Libethen (slow. Lubietová, ung. Libetbánya), Puk(k)anz (slow. Schemnitz Pukanec, ung. Bakabánya), Königsberg (slow. Nová Baòa, ung. Újbáim Hauerland nya) und Dilln (slow. Banská Bela, ung. Belabánya) ihre Confessio Montana (Heptapolitana) der königlichen Kommission, um darin ihr Bekenntnis zum Luthertum zu dokumentieren. 1569 folgten die Städte in der Zips mit einer eigenen Confessio Scepusiana diesem Beispiel. Auf den beiden Synoden in Sillein (slow. Žilina, ung. Zsolna) 1610 und Kirchdrauf (slow.Spišské Pohradie, ung. Szepesváralja) 1614 wurde schließlich die Einführung einer evangelischen Kirchenordnung nach dem Augsburger Bekenntnis beschlossen. Der geistige Träger der Reformation in Oberungarn war Leonhard Stöckel (15101560), der dort auch das Schulwesen reformierte.
4. Die osmanische Herrschaft 1490 wählten die ungarischen Stände den böhmischen König Wladislaw II. (1456-1516) aus dem polnischen Geschlecht der Jagiellonen zum Nachfolger von König Matthias Corvinus. 1491 hatte Wladislaw II. im Frieden von Preßburg den Habsburgern die ungarisch-böhmische Erbfolge zugesagt, sollte er oder seine Söhne ohne männliche Nachkommen bleiben. Im Jahr 3
Konrad Gündisch, Siebenbürger und die Siebenbürger Sachsen. in: Studienbuchreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat. Bd. 8. München 1998, S. 87.
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1515 verheiratete Kaiser Maximilian I. (1459-1519) seine beiden Enkelkinder Maria und Ferdinand mit den beiden Kindern Wladislaws, Ludwig und Anna. Mit dieser Doppelhochzeit sicherten sich die Habsburger endgültig ihren Erbanspruch auf Ungarn und Böhmen. 1521 eroberte Sultan Süleyman I. (1520-1566) Belgrad (serb. Beograd), nachdem sich Ungarn geweigert hatte, für die Einhaltung eines Waffenstillstands erhöhte Tributzahlungen an den Sultan zu leisten. 1526 stand Süleyman neuerlich mit einer Armee von 100.000 Mann zum Angriff auf das Königreich Ungarn bereit. Der ungarische König Ludwig II. (1516-1526) konnte mit seinem Aufgebot von 25.000 Soldaten die Katastrophe nicht verhindern und unterlag der osmanischen Übermacht in einer blutigen Schlacht bei Mohács 1526; Ludwig II. ertrank auf der Flucht. Damit endete endgültig die Herrschaft der polnischen Jagiellonen in Ungarn, weil die Ehe von Ludwig II. kinderlos geblieben war. In den nächsten Jahren entbrannte eine Auseinandersetzung um das Erbe der Stephanskrone. Ungarn war zu diesem Zeitpunkt eine Wahlmonarchie. Der Habsburger Ferdinand I. (1503-1564) pochte auf die ungarische Erbfolge, die er durch die Heirat mit der Schwerster von Ludwig II. beanspruchte. Aber schon im November 1526 war der Schwager des polnischen Königs Sigismund I. (1467-1548), der Woiwode Johann Szapolyai (1510-1526), von einer Adelspartei aus Ungarn, Siebenbürgen und Slawonien zum Nachfolger von Ludwig II. gewählt worden. Nur wenige Wochen später ließ sich auch Ferdinand I. am 17. Dezember 1526 in Preßburg (slow. Bratislava, ung. Pozsony) mit den Stimmen der Siebenbürger Sachsen, der Zipser Sachsen und der Kroaten zum ungarischen Gegenkönig wählen. In dieser kritischen Situation ging Ferdinand I. in die Offensive und griff Johann Szapolyai an, der trotz osmanischer Waffenhilfe geschlagen nach Polen flüchten musste. Die ungarische Stephanskrone fiel damit der Hausmacht der Habsburger zu. Ferdinand I. wurde am 3. November 1527 in Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár) zum ungarischen König gekrönt. Aber Sultan Süleyman anerkannte den Anspruch der Habsburger auf die ungarische Krone nicht und verfolgte energisch seine weiteren Eroberungspläne, die ihn 1529 mit Unterstützung Frankreichs schließlich bis vor die Tore Wiens brachten. Noch ehe das osmanische Heer Ende September 1529 einen Belagerungsring um die Stadt aufbauen konnte, war es den Verantwortlichen in Wien gelungen, 18.000 Soldaten unter der Führung von Graf Niklas Salm (1459-1530) in der Stadt zu positionieren. Obwohl die Osmanen mehrmals mit Minensprengungen den Abwehrring zu durchbrechen versuchten, hielten die Verteidiger erfolgreich allen Sturmläufen stand. Am 14. Oktober 1529 traten die Osmanen nach erfolgloser Belagerung und aufgrund der schlechten Witterungsverhältnisse den Rückzug an. Ferdinand I. nutzte diese Schwäche der Osmanen und stieß bis Ungarn nach, wo er die strategisch wichtigen Festungen wie Raab (ung. Gyõr), Komoron (slow. Komárno, ung. Komárom) und Gran (ung. Esztergom) erobern konnte. Die anschließenden Friedensverhandlungen, die Wien mit dem Sultan und Johann Szapolyai zu führen versucht hatte, blieben ergebnislos. 1537 bereiteten die Truppen Ferdinands I. eine neue Offensive vor und versuchten, die slawonische Stadt Esseg (kroat. Osijek) zu erobern, wurden aber von den Osmanen empfindlich geschlagen. Daraufhin schloss Ferdinand I. am 24. Februar 1538 mit Johann Szapolyai den Frieden von Großwardein (rum. Oradea, ung. Nagyvárad), in dem festgelegt wurde, dass Ferdinand I. nach dem Tod von Johann Szapolyai der alleinige König von Ungarn sein sollte. Im Juli 1540 starb Johann Szapolyai. Um den Anspruch des Habsburgers auf die ungarische Königskrone zu verhindern, rief ein Teil der Anhänger von Johann Szapolyai seinen erst wenige Wochen alten Sohn Johann Siegmund (1540-1551) zum König aus. Sultan Sülyeman stimmte dieser Wahl zwar zu, erklärte aber 1541 in Ofen (ung. Buda), dass er das ungarische Königreich nicht einer Frau, gemeint war Isabella, die Witwe von Johann Szapolyai, überantworten könne und wandelte den zentralungarischen Raum bis zur Theiß in ein sogenanntes Paschalyk (osmanische Provinz) um. Der Versuch Ferdinands I., das Zentrum von Ofen (ung. Buda) mit deutscher Waffenhilfe 1542 aus den Händen der Osmanen zu entreißen, scheiterte kläglich. Der osmanische Gegenschlag von 1543 war hingegen erfolgreich. Den Osmanen gelang es, Fünfkirchen (ung. Pécs), Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár) und Gran (ung. Esztergom) ihrem Machtbereich einzuverleiben. Ferdinand I. 8
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sah sich angesichts dieser verlustreichen Niederlagen gezwungen, 1547 einen Waffenstillstand mit den Osmanen auszuverhandeln und sich die ungarische Königswürde durch eine jährliche Tributzahlung von 30.000 Dukaten an den Sultan zu sichern. Die Stabilisierung der osmanischen Herrschaft bedeutete für den pannonischen Raum im 16. Jahrhundert eine Verschiebung der geopolitischen Lage, die in der folgenden Form bis zum Ende des 17. Jahrhunderts bestand: 1.) 2.) 3.)
die Osmanen sicherten sich ihren Einflussbereich im Zentrum Ungarns, das als Paschalyk von einem Pascha verwaltet wurde, die Habsburger mussten sich mit dem Gebiet westlich des Plattensees, dem Nordwesten Kroatiens und Oberungarn begnügen, im Osten Ungarns entstand unter osmanischer Oberhoheit ein autonomes Wahlfürstentum Siebenbürgen, das dem Sultan gegenüber tributpflichtig war. Siebenbürgen war damit dem Machtbereich der Habsburger entzogen.
Dreiteilung Ungarns
4.1. Das Großfürstentum Siebenbürgen Erst 1551 bahnte sich wieder eine Wende im Machtkampf um Siebenbürgen an. Die Fürstin Isabella führte nämlich Gespräche mit Wien und erklärte sich bereit, Siebenbürgen an die Habsburger abzutreten. Aber noch ehe Ferdinand I. mit seinen Truppen in Siebenbürgen einrücken konnte, eroberten die Osmanen 1552 Temeschburg (rum. Timiþoara, ung. Temesvár). 1564 folgte Maximilian (1527-1576) Ferdinand I. auch als ungarischer König nach. Nach dem Tod von Sultan Süleyman konnte 1568 ein Waffenstillstand ausverhandelt werden, der, abgesehen von kleineren Grenzkonflikten, die oben angeführte territoriale Dreiteilung des ungarischen Königreichs bestätigte. 1570 verzichtete schließlich Johann Siegmund Szapolyai zugunsten der Habsburger auf die ungarische Königskrone und gab sich mit dem Titel eines Fürsten von Siebenbürgen zufrieden. Die Nachfolge des Siebenbürgischen Fürstenstuhls übernahm Sigismund Báthori (1572-1613). Siebenbürgen bildete als autonomes Fürstentum die Schnittstelle im bilateralen Beziehungsgeflecht zwischen Wien und Istanbul. 1594 trat Siebenbürgen der Heiligen Liga bei, die gegen die osmanische Herrschaft im ungarischen Kö9
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nigreich gerichtet war. Die Folge waren schwere Kämpfe und Verwüstungen auf siebenbürgischem Gebiet. 1572 erstieg Kaiser Rudolf II. (1552-1606) als Rudolf I. den ungarischen Königsthron und ernannte den walachischen Woiwoden Michael den Tapferen (1593-1601) zum Statthalter von Siebenbürgen. 1600 besetzte Michael die Moldau und nannte sich bis zu seiner Ermordung von 1601 Fürst der Walachei, Siebenbürgens und der ganzen Moldau. Dem Sachsengrafen Gabriel Bethlen (1613-1629) gelang die Anerkennung des Fürstentums durch die Habsburger. Bethlen sicherte damit dem Fürstentum seine Privilegien und führte zahlreiche Reformen zur Stärkung der Wirtschaft durch. Den außenpolitischen Höhepunkt erlangte das siebenbürgische Fürstentum unter seinem Fürsten György Rákóczi (1630-1648) als Mitunterzeichner des Westfälischen Friedens von 1648. Sein Sohn György II. (1648-1660) strebte sogar nach der Wiedererrichtung des ungarischen Königreichs, die von Siebenbürgen aus organisiert werden sollte. György II. mischte sich zudem in den Kampf um die polnische Königskrone ein, die er für das sächsische Fürstentum sichern wollte. Die Osmanen beobachteten diese außenpolitischen Aktivitäten mit Argwohn und griffen 1661 militärisch in Siebenbürgen ein. Erst die Niederlage der Osmanen bei Mogersdorf 1664 gegen den kaiserlichen Feldherrn Graf Raimund Montecuccoli (1583-1680) veranlassten den Großvezir Ahmed Köprülü (16611676) zu Friedensverhandlungen. Der Friede von Eisenburg (ung. Vasvár) 1664 sicherte den Osmanen aber dennoch die größte territoriale Ausbreitung im ungarischen Königreich. 4.2. Oberungarn unter den Habsburgern Im Gegensatz zu Siebenbürgen versuchte Wien die Gegenreformation im habsburgisch verwalteten Oberungarn mit voller Härte durchzusetzen. Das brutale Vorgehen der kaiserlichen Truppen gegen die Protestanten führte sogar zu Aufständen. Die Gegenreformation im Karpatenraum stand anfangs unter der Leitung des Graner Erzbischofs Nikolaus Oláh (15531568), der zur Umsetzung der katholischen Reformen, wie sie beim Konzil von Trient beschlossen worden waren, die Jesuiten ins Land holte. 1566 gründete Erzbischof Oláh zur Unterstützung der Jesuiten ein Priesterseminar, forderte zudem die Rückgabe des katholischen Kirchenvermögens und erbat sich dafür die Hilfe des Kaisers. Ferdinand I. kannte bei der Rückführung des Kirchenvermögens keine Rücksicht, was dazu führte, dass die Gegenreformation wenig Erfolg brachte. Erst das umsichtige Wirken des Jesuiten Peter Pázmány (1570-1637) brachte der Gegenreformation die ersten Erfolge. Pázmány wurde vom Papst zum Erzbischof von Gran mit Sitz in Tyrnau (slow.Trnava) bestellt und später sogar zum Kardinal ernannt. Ab 1666 beteiligten sich in Oberungarn auch die Piaristen an der Gegenreformation. Mit Ausnahme einiger Zipser Städte traten die ehemals lutherischen Bergstädte wieder zum katholischen Glauben über.
5. Habsburgs Aufstieg zur Großmacht Die Erfolge der osmanischen Truppen bestärkten zunehmend jene Teile des ungarischen Adels, die sich gegen die Herrschaft der Habsburger im Königreich Ungarn stellten. Die französische Diplomatie unter König Ludwig XIV. (1638-1715) und der Anführer der oberungarischen Aufstandsbewegung (Kuruzzenaufstand) gegen die Habsburger, Emmerich Tököli (1657-1705), motivierten Großvezir Kara Mustafa (1676-1683) zu einem Angriffskrieg gegen das österreichische Herrschaftsgebiet. Im Frühjahr 1683 zog Kara Mustafa mit einer Armee von über 200.000 Mann durch Ungarn gegen Wien. Schon am 2. Mai 1683 hatte Kaiser Leopold I. (1640-1705) mit dem polnischen König Jan III. Sobieski (1674-1696) ein Militärbündnis unterzeichnet, das von Papst Innozenz XI. (1611-1689) großzügig mitfinanziert wurde. Militärische Hilfe sagten auch Bayern und Sachsen zu. Die kaiserlichen Truppen standen zunächst unter dem Befehl des 10
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Herzogs Karl von Lothringen (1643-1690). Am 14. Juni 1683 begann die Belagerung Wiens, die mit 11.000 Soldaten und 5.000 Zivilisten unter dem Kommando von Rüdiger von Starhemberg (1638-1701) erbitterten Widerstand leistete. Die erfolglose Belagerung Wiens sollte sich für die Osmanen zu einem militärischen Fiasko entwickeln. Am 12. September 1683 begann unter Führung von König Jan III. Sobieski die Entsatzschlacht um Wien und führte noch am selben Tag zur vollständigen Niederlage der Osmanen. Die Heilige Liga, die sich als Militärbündnis zwischen Österreich, Polen, dem Papst und Venedig gebildet hatte, schritt mit voller Wucht zur Gegenoffensive und stieß in einem unaufhaltsamen Siegeszug immer tiefer in den pannonischen Raum vor. Im September 1686 konnte unter der militärischen Führung von Max Emanuel von Max Emanuel von Bayern (1662-1726) Bayern (1662-1726) und Karl von Lothringen (1643-1690) nach heftigen Kämpfen Ofen (ung. Buda) genommen werden. Diese Erfolge stärkten die Position der Habsburger, die bei den Verhandlungen auf dem ungarischen Reichstag in Preßburg (slow. Bratislava, ung. Pozsony) 1687 das Erbrecht für den männlichen Stamm ihrer Dynastie durchsetzen konnten. Damit war das ungarische Wahlkönigtum in eine Erbmonarchie umgewandelt worden. Das Haus Habsburg sicherte sich damit die ungarische Königswürde bis zum Auseinanderbrechen des österreichischen Vielvölkerstaates nach dem Ersten Weltkrieg. Nachdem 1687 Karl von Lothringen und Max Emanuel von Bayern die Osmanen am 12. August 1687 bei Mohács entscheidend geschlagen hatten, rückten die kaiserlichen Truppen nach Siebenbürgen vor und eroberten im September 1688 sogar Belgrad. (serb. Beograd). Als 1690 die eroberten Gebiete südlich der Save mit Belgrad wieder verloren gingen, konnten die ungarischen Gebiete dennoch gehalten werden. 1697 wurde schließlich der Oberbefehl über die kaiserliche Armee in Ungarn auf Prinz Eugen von Savoyen (1663-1736) übertragen. Prinz Eugen schlug das osmanische Heer endgültig am 11. September 1697 bei Zenta (serb. Senta) so vernichtend, dass er damit die Habsburger für die anstehenden Friedensverhandlungen in eine günstige Position brachte. Wien zeigte sich angesichts der drohenden Prinz Eugen von Savoyen Auseinandersetzungen um das spanische Erbe zum Frieden bereit. (1663-1736) Der Friede von Karlowitz (serb. Sremski Karlovci) vom 26. Januar 1699 war eine beeindruckende Machtdemonstration der Habsburger. Kaiser Leopold I. (1640-1705) wurde mit Ausnahme des Temescher Banats zum Herrscher über ganz Ungarn, Siebenbürgen und einen Großteil Slawoniens.
6. Die Neubesiedlung des Königreichs Ungarn Die jahrzehntelangen militärischen Auseinandersetzungen zur Rückeroberung der ungarischen Gebiete hatten unter der Zivilbevölkerung zu enormen Verlusten und Fluchtbewegungen geführt. Die Folge waren verödete Landstriche mit einer sehr dünnen Bevölkerungsdichte. Kaiser Leopold I. ließ deshalb von den zuständigen österreichischen und ungarischen Verwaltungsstellen Pläne für eine rasche wirtschaftliche Wiederbelebung, den Wiederaufbau der kriegszerstörten Infrastruktur und für die Ansiedlung von Kolonisten zur Kultivierung des Bodens ausarbeiten. In Wien stellte Bischof Graf Leopold Kollonitsch (1613-1707) ein Gesamtkonzept vor, das den ökonomischen Aufbau des ungarischen Königreichs a.) durch den Abzug der kaiserlichen Truppen, b.) eine gerechtere Verteilung der Steuerlast auf alle gesellschaftlichen Gruppen und 11
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c.) durch die Ansiedlung von deutschen Kolonisten ermöglichen sollte. Bischof Kollonitsch empfahl in seinem Hungarischen Einrichtungs-Werk ausdrücklich deutsche Kolonisten, "damit das Königreich oder wenigist ein großer Theil dessen nach und nach germanisiret, das hungarische zu Revolutionen und Unruhen geneigte Geblüt mit dem teutschen temperiret und mithin zur beständigen Treu und Lieb ihres natürlichen Erbkönigs und Herren ausgerichtet werden möchten." 4 Am 11. August 1689 verabschiedete Leopold I. das erste Impopulationspatent (Ansiedlungspatent) der Habsburger, das sich an alle Personen richtete, "welche sich in gedachten Königreich Hungarn und demselben angehörigen Landen Häußlich nider zulassen Lust und Sinn haben, sowohl in Städten, als auff dem Landt, für freye Burger und Unterthanen..."5 Das Impopulationspatent versprach eine Reihe von Vergünstigungen wie etwa eine 5-jährige Steuerfreiheit für ausländische, eine 3jährige für inländische Siedler, stark ermäßigte Grundstückspreise, ein ErbErstes Impopulationspatent recht auf Haus- und Grundbesitz sowie zahlreiche Fördevom 11. August 1689 rungsmaßnahmen in Bereichen der Industrie und des Bergbaus. Die Neukolonisation der rückeroberten Gebiete erfolgte auf Grundlage privater Initiativen oder staatlicher Ansiedlungsprogramme. Das ungarische Einrichtungswerk nach der osmanischen Herrschaft konzentrierte sich vor allem auf die folgenden Gebiete: a.)
b.) c.) d.) e.) f. )
4 5
das Mittelgebirge mit den Schwerpunkten Buchenwald (ung. Bákony), Schildgebirge (ung. Vértes) und Ofner Bergland (ung. Budai Hegység) mit den wichtigen Zentren Wesprim (ung. Veszprém), Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár), Gran (ung. Esztergom), Ofen (ung. Buda) und Pest die Komitate Tolnau (ung. Tolna), Branau (ung. Baranya) und Schomodei (ung. Somogy) in der sogenannten Schwäbischen Türkei das ostungarische Komitat Sathmar Slawonien und Syrmien Batschka (ung. Bácska, serb. Baèka) Banat
Schödl, S. 99. Schödl, S. 101.
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6.1. Die Privatkolonisation Teile des ungarischen Adels erhielten ihren ehemaligen Grundbesitz wieder zurück. Der Kaiser übertrug außerdem Ländereien an Personen, die sich bei der Rückeroberung des ungarischen Königreichs besondere Verdienste erworben hatten. Dazu zählten Persönlichkeiten wie Prinz Eugen oder Graf Claudius Florimund Mercy (1666-1734), der spätere Gouverneur des Temescher Banats. Es gab aber auch die italienischen und französischen Feldherrn Veterani, Caprara und Souches, die großzügig mit Gütern belohnt wurden. Die neuen Grundherrn brauchten für die Bewirtschaftung ihrer Ländereien Arbeitskräfte. Die erste Phase der Kolonisation wurde daher auf privater Initiative (Privatkolonisation) von ungarischen Großgrundbesitzern organisiert und konzentrierte sich zunächst auf das Ofner Bergland und die Schwäbische Türkei. In der Frühphase der Privatkolonisation wurden keine ausländischen Kolonisten angeworben, sondern Arbeitskräfte aus den dichter besiedelten Komitaten in West- und Oberungarn geholt. Die binnenländische Kolonisation konnte aber den schnell wachsenden Bedarf an Arbeitskräften nicht befriedigen. 1688 richtete der Fünfkirchner Bischof Mátyás Ignác Radanay (1687-1703) ein Schreiben an die Wiener Hofkammer, in dem er sich bereit erklärt hatte, die durch den Pfälzischen Erbfolgekrieg ins Elend geratenen Schwaben in seinem Gebiet aufzunehmen, wobei sich das Angebot lediglich auf deutsche Katholiken bezog, "damit auch die katholische Religion ein noch größeres Wachstum erfahren konnte."6 1689 warb auch der Abt vom Stift Petschwar 6
Schödl, S. 115.
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(ung. Pécsvárad), Ferenc Jany, deutsche Siedler an, die sich bereits ein Jahr später in den Dörfern um das Kloster ansiedelten. Im selben Jahr holte auch die Familie Zichy deutsche Kolonisten ins Pester Komitat. Der Aufstand der Kuruzzen unter der Führung von Franz Fürst Rákóczi (1676-1735) machte aber eine Fortführung der Ansiedlungspolitik unmöglich. Viele der neu angesiedelten Kolonisten flüchteten; lediglich in den größeren Städten wie Fünfkirchen (ung. Pécs) oder Mohács konnte sich ein Teil der deutschen Neusiedler halten. Erst nach 1712 war eine Wiederaufnahme der grundherrschaftlichen Siedlungspolitik möglich. Graf Alexander Károlyi (1668-1743) ließ dazu ein Ansiedlungsprogramm ausarbeiten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte Graf Károlyi über 2000 deutsche Familien aus dem oberschwäbischen Raum im Komitat Sathmar (Sathmarer Schwaben) ansiedeln. Die Schwäbische Türkei wurde unter der Leitung der Grafen Esterházy, Dõry, Wallis und Mercy kolonialisiert. Mercy öffnete seine Gebiete im Komitat Tolnau auch deutschen Protestanten, wodurch sich dieses Komitat später zum Zentrum des Protestantismus im ungarischen Königreich entwickeln konnte. 1722 richtete der ungarische Landtag ein Bittschreiben an den Kaiser, in dem um die Entsendung von deutschen Bauern und Handwerkern angesucht wurde. Die Besiedlung lag vornehmlich im Interesse der ungarischen Stände, die dazu ein entsprechendes Gesetz im Preßburger Landtag zur Verabschiedung brachten. Damit war es möglich, verstärkt ausländische Kolonisten anzuwerben. Die Graf Claudius Florimund von Mercy (1666-1734) Siedler waren nicht nur Deutsche, sondern auch Spanier, Franzosen und Italiener. Neben Bauern und Handwerkern wurden im Banater Montangebiet auch dringend Bergleute benötigt. 1717 richtete die Wiener Hofkammer dafür in Temeschburg (rum.Timiþoara, ung.Temesvár) eine Bergwerkseinrichtungskommission ein, die für den Ausbau des Hüttenwesens im Banat zuständig war. Der Bergbau konzentrierte sich auf den Abbau von Gold, Silber, Kupfer und Eisenerz. Die deutschen Bergleute kamen aus der Zips, der Steiermark, Tirol, Salzburg und Böhmen. Zum Zentrum der Banater Berglanddeutschen entwickelte sich am Ende des 18. Jahrhunderts Reschitz (rum. Reþita), nachdem Maria Theresia dort 1768 den Bau des Eisenwerks Reschitz genehmigt hatte. 6.2. Die staatliche Kolonisation Das staatlich gelenkte Kolonisationswerk der Habsburger vollzog sich während der Regierungszeiten von Karl VI. (1711-1740), Maria Theresia (1740-1780) und Joseph II. (17801790). In diese Zeit fallen die sogenannten Drei großen Schwabenzüge, die nach der Befreiung des Banats von der osmanischen Herrschaft im Frieden von Passarowitz (serb. Požarevac) 1718 ihren Anfang nahmen. Der erste Schwabenzug (1722-1726) Der rückeroberte Banat wurde unter Protest der ungarischen Stände nicht wieder dem ungarischen Königreich einverleibt, sondern stand als unmittelbares Reichsland (Krondomäne Banat) bis 1751 unter der Verwaltung der Wiener Hofkammer und des Hofkriegsrats. Der Hofkriegsrat beschränkte sich in seinem Wirken auf die Verwaltung der Militärgrenze. Bereits 1718 waren mit den kaiserlichen Truppen die ersten deutschen Kaufleute und Handwerker nach Temeschburg (rum.Timiþoara, ung.Temesvár) gekommen. Dem Militärgouvernement Banat stand Graf Mercy als Gouverneur vor, der bereits 1719 einen Ansiedlungsplan angefertigt hatte, nach welchem die Siedler in den schon bestehenden Gemeinden untergebracht wurden. Der Banat wurde in 13 Distrikte unterteilt, die von Verwaltungsämtern geleitet wurden, in deren Kompetenz die Ansiedlungsmodalitäten lagen. Unter Karl VI. konnten 46 Siedlungen für 15.000 Kolonisten 14
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errichtet werden, die aus den westlichen Teilen des deutschen Reichsgebiets kamen. Einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte Temeschburg (rum.Timiþoara, ung.Temesvár), das unter Mercy großzügig ausgebaut und industriell mit Seiden- und Tuchfabriken gefördert wurde. 1733 nahm Mercy am Italienfeldzug teil, wo er 1734 starb. Der Tod Mercys und die Kriege gegen die Osmanen zwischen 1737 und 1739 unterbrachen die Kolonisation im Banat. Die Erfolge der ersten Ansiedlungswelle waren durch die unwirtlichen Verhältnisse und schwierigen Lebensbedingungen ernsthaft in Frage gestellt worden. Pest und Sumpffieber, das ungewohnte Klima und die anspruchsvolle Körperarbeit forderten ihre Opfer unter den Kolonisten. Viele fühlten sich an den Kolonistenspruch "Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot" erinnert und verließen enttäuscht den Banat und suchten in der Schwäbischen Türkei oder im Ofner Bergland ein neues Glück. Der zweite Schwabenzug (1763-1773) Die Thronbesteigung Maria Theresias (1740-1780) entfachte eine lange Auseinandersetzung um die Anerkennung der weiblichen Erbfolge. Kaiser Karl VI. hatte 1713 für seine Tochter Maria Theresia die Erbfolge auf Grundlage von Erbfolgegesetzen (Pragmatische Sanktion) gegenüber den europäischen Großmächten und den österreichischen Kronländern zu sichern versucht. Kurfürst Karl Albert von Bayern (1697-1745 ) anerkannte die Pragmatische Sanktion jedoch nicht, erhob Erbansprüche und regierte als Kaiser Karl VII. von 1742 bis zu seinem frühen Tod 1745. Auch der Preußenkönig Friedrich II. (1712-1786) beanspruchte große Teile Schlesiens und entfachte mit seinem Einmarsch in Schlesien den Österreichischen Erbfolgekrieg, der erst 1748 mit der Anerkennung der Pragmatischen Sanktion im Frieden von Aachen endete. Unter diesen Umständen war an eine Weiterführung der Kolonisation in Ungarn nicht zu denken. Erst nach dem Siebenjährigen Krieg (Dritter Schlesischer Krieg 1756-1763) war eine Wiederaufnahme der Neubesiedlung der Kronländer im Südosten der Monarchie möglich. Für den Banat beauftragte Maria Theresia General Friedrich Alois Kolowrat, der das Aufbauwerk des Grafen Mercy weiterführen sollte. Seit 1766 arbeitete im Banat eine eigene Impopulationskommission, um die Ansiedlung zwischen der Wiener Hofkammer und den verantwortlichen Stellen im Banat besser zu koordinieren. Maria Theresia ließ aber den Banat in eine Strafkolonie für Rebellen, Kriegsgefangene, Dirnen und Schwerverbrecher umwandeln. 1778 gab die Wiener Hofkammer den Banat wieder an die Ungarische Hofkammer zurück, die fortan für die weitere Siedlungspolitik verantwortlich war. Der zweite Schwabenzug konzentrierte sich auf die Batschka, die von Beginn an der Ungarischen Hofkammer unterstellt war. Die Träger der Kolonisation in der Batschka waren weltliche und geistliche Grundbesitzer, die ihre ungarischen Ländereien nach der Befreiung von den Osmanen über die in der Wiener Hofkammer eingerichtete Neoacquistica commissio zurückerhalten hatten. Die Batschka war nach der osmanischen Regentschaft mit nur 32.000 Einwohnern sehr dünn mit Serben und Rumänen besiedelt. Maria Theresia erließ am 25. Februar 1763 ein Kolonisierungs-Patent, in dem sie zunächst die aus dem Siebenjährigen Krieg entlassenen Soldaten aufforderte, sich in Ungarn anzusiedeln. Dem zweiten Schwabenzug folgten dann bis 1773 über 40.000 deutsche Kolonisten aus Lothringen, Trier, der Schweiz, Schwaben und Tirol. Das erfolgreiche Siedlungsunternehmen in der Batschka stand unter der Leitung von Anton von Cothmann (1720 -1768). Aber schon 1771 stellte die Wiener Hofkammer ihre staatlichen Subventionen für weitere Siedlungsaktionen ein. Der dritte Schwabenzug (1782-1787) Die vom Staat finanziell getragene Siedlungspolitik fand erst wieder mit dem Impopulationspatent von Joseph II. vom 21. September 1782 eine Weiterführung. Der dritte Schwabenzug erstreckte sich über alle 15
Kaiser Joseph II (1741-1790)
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Siedlungsgebiete im Königreich Ungarn. Dem Ansiedlungsaufruf Josephs II. folgten 7.600 deutsche Familien, wobei sich die Mehrheit von 6.000 im Banat ansiedelte. 6.3. Die Donauschwaben Die staatlichen und privaten Ansiedlungsaktionen - die auch hunderttausende Rumänen, Slowaken und Ukrainer betrafen - führten zu einer ethnografischen Neuordnung im ungarischen Königreich. Die Angaben zur Gesamtzahl der eingewanderten Deutschen beliefen sich nach heutigen Schätzungen auf bis zu 200.000 Personen, wobei sich folgende Unterteilung zeigt: Banat: Batschka: Sathmar: Syrmien-Slawonien: Schwäbische Türkei: Mittelgebirge:
Die Vorfahren der Donauschwaben fuhren mit der Ulmer Schachtel auf der Donau in ihre neue Heimat
Plan des im Jahre 1785 erbauten Kameraldorfes Tscherwenka, entworfen am 1. Dezember 1784 von Ing. Joseph von Kiss
16
85.000 35.000 7.000 15.000 30.000 35.000
Modelle für Ansiedlungshäuser
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Vom Ende des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die Bevölkerung des Königreichs Ungarn von 3,5 auf 9,2 Millionen angewachsen. Die deutschsprachige Bevölkerung war bis zu diesem Zeitpunkt auf 1,3 Millionen angestiegen; außerdem waren über 200.000 Jiddisch sprechende Juden aus Galizien ins Karpatenbecken eingewandert. Die Neusiedler waren in der überwiegenden Mehrheit Deutsche, die zum Großteil aus dem fränkisch-pfälzischen, dem bairisch-österreichisch-böhmischen und zu einem kleineren Teil aus dem schwäbischen Sprachraum kamen. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden diese deutschen Kolonisten als Donauschwaben bezeichnet. Die Donauschwaben waren daher nach den Siebenbürger Sachsen und den Zipser Sachsen die dritte große deutsche Volksgruppe im ehemaligen Königreich Ungarn.
7. Siebenbürgen nach der osmanischen Herrschaft 1690 nahm Kaiser Leopold I. den Titel eines Fürsten von Siebenbürgen an und bestätigte 1691 im sogenannten Leopoldinischen Diplom die Religionsfreiheit für Siebenbürgen und die Landesrechte für die drei Nationen: "In den Angelegenheiten der daselbst rezipierten Religionen, Kirchen, Schulen, Pfarreien oder der Einführung irgend eines anderen geistlichen Standes oder kirchlicher Personen, als wie sie jetzt dort bestehen, soll nichts geändert werden."7 Das Leopoldinische Diplom blieb bis 1848 das Grundgesetz Siebenbürgens, das wieder ein fester Bestandteil der Donaumonarchie geworden war. 1694 wurde in Wien die Siebenbürgische Hofkanzlei eingerichtet, in der die siebenbürgische Verwaltung geregelt wurde. Die Siebenbürger Sachsen hatten zwar wichtige Teile ihrer historischen Privilegien von Leopold I bestätigt bekommen, die Politik Siebenbürgens wurde aber fortan in Wien bestimmt. Der Kaiser ernannte dazu einen Kommandierenden General für Siebenbürgen. Die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit oblagen von 1703 bis 1790 dem sogenannten Gubernium mit Sitz in Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszeben), das der Siebenbürgischen Hofkanzlei in Wien direkt unterstellt war. An der Spitze des Guberniums stand ein Gubernator, der den Landtag einzuberufen hatte. 1790 wurde das Gubernium nach Klausenburg (rum. Cluj, ung. Kolozsvár) verlegt. Unter dem Schutz der kaiserlichen Truppen konnte sich Siebenbürgen ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von den Kriegswirren wirtschaftlich erholen. Einige Sorgen bereiteten den Siebenbürger Sachsen die Maßnahmen der Gegenreformation, die zur Niederlassung katholischer Orden und zum Bau katholischer Kirchen auf dem legendären Königsboden führten. 1721 sah sich die Hermannstädter Bürgerschaft auf Verlangen des kommandierenden Generals sogar verpflichtet, ein Grundstück für den Bau einer katholischen Kirche zur Verfügung zu stellen. Die Präsenz der kaiserlichen Verwaltungs- und Militäreinrichtungen in Siebenbürgen bot anderseits der sächsischen Bevölkerung die Möglichkeit, eine Karriere im österreichischen Staatsdienst anzustreben. Zu den bekanntesten Persönlichkeiten zählte Samuel Brukenthal (1721-1803), der es vom Gubernialsekretär bis zum Gouverneur von Siebenbürgen brachte. Brukenthal fand als persönlicher Finanzberater Maria Theresias sogar den Zugang zu den höchsten Hofkreisen. In dieser Situation war er um eine Verteidigung der sächsischen Privilegien bemüht, was ihm in Wien sehr schnell den Vorwurf einbrachte, die Stellung der Monarchie im Südosten zugunsten eines sächsischen Separatismus schwächen zu wollen. Brukenthal trat als großzügiger Förderer der siebenbürgischen Geschichtsschreibung und Mäzen der siebenbürgischen Kunst auf. Außerdem war er bis zu seinem Lebensende mit der Errichtung einer Sächsischen Sozietät der Wissenschaften beschäftigt. In den Jahren 1762-1770 wurde die Siebenbürgische Militärgrenze eingerichtet, zu deren Verteidigung hauptsächlich Szekler und Rumänen als Wehrbauern eingestellt wurden. Während die Rumänen in dieser Aufgabe eine gesellschaftliche Aufwertung sahen, lehnten sich die Szekler gegen diese Vereinnahmung auf. 7
Gündisch, S. 105.
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Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
Der Widerstand der Szekler wurde mit Unterstützung der kaiserlichen Truppen blutig niedergeschlagen.
Deutsche Siedlungsgebiete in Südosteuropa nach der Türkenzeit
7.1. Protestantische Neusiedler in Siebenbürgen Die Geschichte der Landler in Siebenbürgen beginnt mit der zwangsweisen Umsiedlung von Protestanten aus dem Land ob der Enns, dem Salzkammergut, Kärnten und der Steiermark. Der Begriff Landler ist als Sammelbegriff erst seit dem 19. Jahrhundert im Gebrauch. Zunächst waren damit nur die vertriebenen Protestanten aus dem Land ob der Enns, vor allem aus dem Gebiet um Gmunden, Vöcklabruck und Wels gemeint. Die sogenannten Transmigrationen aus diesen österreichischen Ländern waren im 18. Jahrhundert unter Karl VI. und Maria Theresia durchgeführt worden. Der Begriff Transmigration entstammte der Wiener Kanzleisprache des frühen 18. Jahrhunderts und meinte eine innerterritoriale Zwangsumsiedlung. Die Transmigranten waren als Protestanten gezwungen, ihren Besitz zu verkaufen und nach Siebenbürgen zu ziehen. Die Kinder mussten jedoch zurückbleiben und wurden bei katholischen Bauern untergebracht. Die Verkaufserlöse verwaltete bis zur Ankunft der Protestanten in Siebenbürgen ein eigenes Transmigranten-Inspektorat. In zahlreichen Fällen gelangte das Geld verspätet oder gar nicht zur Auszahlung, wodurch ein Teil der Neuankömmlinge über Jahre hinweg unter schwierigsten Bedingungen in Massenquartieren leben musste. So wurde dem Großteil der ersten Transmigranten aus Kärnten überhaupt kein Geld in Siebenbürgen ausbezahlt, was eine Verelendung dieser Menschen zur Folge hatte. Das Magistrat in Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszeben) informierte die verantwortlichen Stellen in Wien und erklärte zur Situation, dass 18
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"die armen Emigranten zwar überhaupt, insbesondere aber die elenden Cärnthner sehr stark mit dem allhier grassierenden Fieber befallen worden, und größtenteils wegen Sehnsucht nach ihren Kindern und Mangel an Nahrung dahinsterben... so wissen wir leyder nicht, wie wir solche blooß und leeren Händen zu uns kommenden Leuten ernähren sollen... wozu noch dieses kommet, dass vielleicht die Mehrist draußen wohlhabende und nährhafte Leuthe därften gewesen seyn, sie allhier gleichsam als Bettler ansehen und dadurch ihren Kummer und Nothstand nur umso größer machen."8 Die Landler unterschieden sich deutlich in ihren Dialekten und Gebräuchen von der sächsischen Bevölkerung und lebten vor allem in den Ortschaften Großau (rum. Cristian, ung. Kereszténysziget), Neppendorf (rum. Tuniþor, ung. Kistorony) und Großpold (rum. Apoldu de Sus, ung. Nagyapold). Landler
7.2. Die Bukowina und die Dobrudscha Unter Joseph II. wurde 1775 die zum rumänischen Fürstentum Moldau gehörige und unter osmanischer Oberhoheit stehende Bukowina (Buchenland) dem Habsburgerreich einverleibt. In mehreren Einwanderungswellen strömten deutsche Siedler um 1780 aus dem Banat, Südwestdeutschland, der Zips und aus dem Böhmerwald in die Bukowina. Gemeinsam mit den großteils ebenso zugewanderten Juden, Ukrainern und Rumänen entstand eine multiethnische und multikonfessionelle Landesbevölkerung. In den Städten der Bukowina entwickelte sich insbesondere in Czernowitz (ukr. Èernivci, rum. Cern–uti) bis zum Zweiten Weltkrieg ein deutschjüdisches Bürgertum, das hohe kulturelle Leistungen vollbrachte. Als letztes historisches Beispiel der südostdeutschen Kolonisation sei die Dobrudscha am Schwarzen Meer genannt. Die Dobrudscha war als Grenzgebiet zwischen der Donau im Westen und dem Schwarzen Meer schon lange ein Wohngebiet für viele Volksgruppen: Bulgaren und Walachen, Türken und Tataren. Zar Alexander I. von Russland (1801-1825) holte 1804 deutsche Siedler aus ElsassLothringen und dem pfälzischwürttembergischen Raum nach Südrussland und das nördlich der Dobrudscha gelegene Bessarabien. Nach dem russisch-osmanischen Krieg von 1827/28 wanderten deutsche Siedler aus Bessarabien und Südrussland in die Dobrudscha ein, um dem russischen Militärdienst zu entgehen.
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Erich Buchinger, Die "Landler" in Siebenbürgen. Vorgeschichte, Durchführung und Ergebnis einer Zwangsumsiedlung im 18. Jahrhundert. München 1980, S.
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8. Aufgeklärter Absolutismus und Nationalimus Joseph II. zeigte als aufgeklärter Monarch wenig Verständnis für die Sonderprivilegien der Siebenbürger Sachsen und kündigte das Leopoldinische Diplom auf. Joseph II. wollte einen straff organisierten und zentral gelenkten Beamtenstaat mit deutscher Amtssprache, in dem alle Bürger, unabhängig von ihrer ethnischen und religiösen Herkunft, dieselben Pflichten und Rechte beanspruchen sollten. Mit dem sogenannten Konzivilitätsreskript vom 4. Juli 1781 hob Joseph II. das ausschließliche Besitzrecht der Siebenbürger Sachsen auf dem Königsboden auf. Damit konnten sich nunmehr auch Rumänen und Ungarn im sächsischen Altland ansiedeln. 1784 erwirkte die Verwaltungsreform das Ende der Eigengerichtsbarkeit und Selbstverwaltung der sächsischen Nationsuniversität. Obwohl Joseph II. kurz vor seinem Tod die Maßnahmen gegen die Siebenbürger Sachsen widerrufen hatte, konnten die Auswirkungen der Reformen nicht mehr rückgängig gemacht werden. Immerhin war 1790 die Nationsuniversität mit ihren Führungsstrukturen und Entscheidungsgremien wieder hergestellt worden. Nach der Rückgabe des Banats an die Ungarische Hofkammer wurde im Banat 1779 die ungarische Komitatsverwaltung eingeführt. Die noch von der Wiener Hofkammer eingerichtete Temescher Kameraladministration blieb aber bestehen, wodurch der Magyarierungsdruck in der öffentlichen Verwaltung abgeschwächt werden konnte. Außerdem wurde bereits 1780 die ungarische Komitatsverwaltung durch die josephinische Reform wieder aufgehoben. Die josephinische Sprachverordnung von 1784 stärkte vor allem das kulturelle Selbstbewusstsein der deutschen Bevölkerung in den Städten des Banats. Nach dem Tod von Joseph II. trat aber 1790 die ungarische Komitatsverwaltung wieder in Kraft. 8.1. Nationale Emanzipation und Magyarisierung Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts hatten die national-liberalen Ideale der Französischen Revolution und der deutschen Romantik auch auf das Königreich Ungarn übergegriffen. Die aufgeklärten Reformen des Josephinismus waren vom magyarischen Adel als massiver Eingriff in die traditionellen Verwaltungs- und Führungsstrukturen empfunden worden und provozierten eine nationale Gegenbewegung, die sich anfangs vornehmlich auf dem Gebiet der Literatur behaupten konnte. Die geistig von György Bessenyei (1747-1811) getragene Reformbewegung strebte eine Renaissance der ungarischen Sprache als Literatursprache nach klassischem Vorbild an. Die Erneuerung der ungarischen Sprache diente den Reformern als intellektuelles Mittel zur Verbreitung der ungarischen Aufklärung. Die magyarische Reformbewegung fand nicht nur in den literarischen und wissenschaftlichen Kreisen eine breite Zustimmung, sondern kritisierte ab 1825 die soziale und wirtschaftliche Notlage großer Teile der magyarischen Bevölkerung. An vorderster Front der Modernisierungsbestrebungen stand zu diesem Zeitpunkt Graf István SŸechenyi (1791-1860), der sich in seinen politischen Schriften für eine tiefgreifende Liberalisierung der Wirtschaft, eine Neustrukturierung der ungarischen Landwirtschaft und die Beseitigung der Adelsprivilegien aussprach. Noch radikaler waren die politischen Ziele der liberalen magyarischen Opposition, die unter der Führung von Lajos Kossuth (1802-1894) die nationale Selbstbestimmung und die volle Gleichberechtigung der Magyaren im Habsburgerreich forderte. Unter Kossuth hatte sich die ungarische Aufklärung zu einer politischen Reformbewegung entwickelt, die neben sozialen, kulturellen und wirtschaftspolitischen Änderungen eine Magyarisierung der Gesellschaft verlangte. Die Stärkung des Magyarentums im Königreich Ungarn sollte nach den Plänen der radikalen Reformer über die ungarische Sprache gesichert werden und zu einem ungarischen Nationalstaat führen. In diesem engen nationalpolitischen Rahmen blieb für die nichtmagyarischen Volksgruppen, die den sozialen Forderungen der ungarischen Sozialbewegung durchaus nahe standen, kaum Platz für eine Entfaltung der eigenen Identität. 1843/44 verabschiedete der ungarische Landtag ein Sprachen20
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gesetz, das die lateinische Amtssprache durch die ungarische ersetzte. Mit diesem Schritt sollte erreicht werden, dass in der Gesetzgebung, im gesamten Staats- und Bildungswesen und im kirchlichen Bereich nur mehr das Ungarische zur Anwendung komme. Die Einführung der ungarischen Amtssprache erhöhte den Druck auf die Sprachen der anderen Nationalitäten im Königreich Ungarn, die einen verstärkten Assimilationsdruck befürchteten. Die Magyarisierung war eine bewusste Reaktion auf die demografischen Verhältnisse im Königreich Ungarn um 1840. Von den 14 Millionen Einwohnern waren nur 6 Millionen Magyaren, die sich gegenüber den nichtmagyarischen Bevölkerungsgruppen in der Minderheit befanden. Die deutschen Volksgruppen umfassten zu diesem Zeitpunkt eine Größenordnung von 1,3 bis 1,5 Millionen, die Rumänen von 2,2 Millionen, die Slowaken von 1,7 Millionen, die Kroaten von 1, 2 Millionen und die Serben von 800.000 Bewohnern.
István Graf SŸechenyi (1792-1860)
9. Magyarisierung und die deutschen Volksgruppen Die deutschen Volksgruppen reagierten auf die zunehmende Magyarisierung unterschiedlich. Die uneinheitliche Haltung der deutschen Volksgruppen resultierte aus der geografischen Streulage der deutschen Siedlungsgebiete, der unterschiedlichen sozialen Zugehörigkeit und dem sehr differenzierten Zugang zum Magyarentum. Die ersten Bewegungen gegen die Magyarisierung kamen in den Städten auf, wo in Budapest von Eduard Glatz (1812-1889) die deutschsprachige Pester Zeitung herausgegeben wurde. Glatz konnte mit seiner Schrift Das deutsche Element in Ungarn erste wichtige Impulse für ein deutsches Nationalbewusstsein unter Teilen des deutschen Stadtbürgertums entwickeln, ohne freilich die deutschen Volksgruppen in den ländlichen Gebieten zu erreichen. Der Preßburger Gelehrte Gottfried Schröer (1791-1850) beschäftigte sich ebenfalls in seiner Arbeit Über Erziehung und Unterricht in Ungarn mit dem Fortschreiten der Magyarisierung im Bildungswesen des Eduard Glatz ungarischen Königreichs. Die deut(1812-1889) schen Intellektuellen hatten der Magyarisierung aber wenig entgegen zu setzen. Zu den Deutschsprachigen zählten sich teilweise auch die 240.000 Juden, die großteils dem gebildeten Stadtbürgertum angehörten und wesentlich zum deutschen Kulturleben beitrugen. Die ungarischen Sprachgesetze von 1843/44 und die wirtschaftliche Emanzipation der Juden beschleunigte aber deren Assimilation und ihre kulturelle Hinwendung zum Magyarentum. War das ungarische Deutschtum noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts der wirtschaftliche und kulturelle Motor im Königreich Ungarn gewesen, so verschoben Preßburger Zeitung von 14. Juli 1764 sich bis zur Jahrhundertmitte die Verhältnisse zugunsten des Magyarentums. 21
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9.1. Die Siebenbürger Sachsen und die Magyarisierung Siebenbürgen war zu diesem Zeitpunkt noch ein autonomes Großfürstentum, das direkt dem österreichischen Kaiserhaus unterstand. Der magyarische Adel forderte aber eine Eingliederung Siebenbürgens in das ungarische Königreich. Diese Forderung spaltete die Siebenbürger Sachsen in zwei Lager. Die sogenannten Unionisten befürworteten die magyarischen Reformbewegungen und erhofften sich von einer Eingliederung eine Stärkung der Bürgerrechte. Die Gegner der Union zeigten ebenfalls Sympathien für die ungarische Reformbewegung, befürchteten aber bei einer Vereinigung mit Ungarn den Verlust der kulturellen und sprachlichen Identität der Siebenbürger Sachsen. Auf breite Ablehnung unter den Siebenbürger Sachsen stieß die Ankündigung des magyarischen Adels auf dem Landtag in Klausenburg von 1842, das Ungarische zur allgemeinen Landessprache in Siebenbürgen zu machen. Eine zentrale Rolle nahm in dieser Auseinandersetzung der sächsische Pfarrer und Pädagoge Stephan Ludwig Roth (1796-1849) ein, der in seiner Schrift Der Sprachenkampf in Siebenbürgen eine Gleichbehandlung aller in Siebenbürgen gesprochenen Landessprachen einforderte. Anspruch auf die allgemeine Landessprache in Siebenbürgen hätte nach Roth nur die rumänische Landessprache stellen können, weil sie von einer Mehrheit der Bevölkerung in Siebenbürgen gesprochen wurde: "Sieht man auf die Anzahl der Sprechenden, so muss der allergnädigste Kaiser walachisch zu den Siebenbürgern sprechen."9 Eine gesellschaftspolitisch relevante Rolle zur Pflege der eigenen Identität kam dem sächsischen Vereinsleben zu. 1842 wurde der Verein für siebenbürgische Landeskunde zur Förderung des nationalen Zusammenhalts der Sachsen gegründet. Daneben gab es eine Reihe von MusikStephan Ludwig Roth und Bürgervereinen, die sich zum Erhalt und zur Weitergabe der eige(1796-1849) nen kulturellen Traditionen verpflichtet hatten. Eine zentrale Rolle spielte dabei die evangelische Kirche in Siebenbürgen. 9.2. Die Karpatendeutschen und die Magyarisierung Der oberungarische Karpatenraum setzte der Magyarisierung kaum Widerstand entgegen. 1824 war am Käsmarker Kollegium der magyarische Selbstbildungsverein gegründet worden, um den nichtmagyarischen Volksgruppen den Zugang zur ungarischen Sprache und Literatur zu öffnen. Eine wichtige Rolle spielte dabei die deutsche lutherische Geistlichkeit, die durch die gesetzlichen Verordnungen von 1840 und 1844 den Gebrauch der ungarischen Sprache im innerkirchlichen Schriftverkehr und im Schulunterricht zu pflegen hatte. 9.3. Die Donauschwaben und die Magyarisierung In den südungarischen Siedlungsgebieten der Donauschwaben war es hingegen der katholische Klerus donauschwäbischer Abstammung, der die Magyarisierung des geistigen Lebens mit großem Eifer betrieb. Ansätze für eine gezielte Magyarisierung gab es auch im Schulbereich, jedoch konnten die Donauschwaben in den ländlichen Gemeinden ihre deutsche Unterrichtssprache bewahren. Die Donauschwaben entwickelten erst nach 1848 ein reges deutsches Vereinsleben, das zumindest im dörflichen Beziehungsgeflecht die Entwicklung eines donauschwäbischen Volksbewusstseins anregte. Nach 1850 stieß das Vereinsleben auch in den deutschen Gemein9
Schödl, S. 235.
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den des Banats auf eine hohe gesellschaftliche Wertschätzung. Es waren vor allem Muttergottes- und Rosenkranzvereine, die zur Vertiefung des religiösen Lebens in den Gemeinden gegründet wurden. In den Banater Städten entstanden außerdem Gesangsvereine und Bürgerliche Schützenvereine, die vornehmlich die Wehr- und Verteidigungsfähigkeit der männlichen Einwohnerschaft schulten.
10. Das Revolutionsjahr 1848/49 Nach dem Ausbruch der Revolution in Wien war es zwar auch in Budapest am 15. März 1848 zu kurzen, revolutionären Ausschreitungen gekommen, aber vorerst dominierte die Politik. Die Verhandlungen mit Wien führten schließlich zur Verabschiedung der sogenannten Aprilgesetze von 1848, die den langsamen Wandel des ungarischen Feudalsystems in eine liberale Bürgergesellschaft ermöglichen sollten. Die verfassungsmäßige Verankerung der Grundfreiheiten stärkte die nationalen Ansprüche breiter magyarischer Gesellschaftsschichten. Die Aprilgesetze von 1848 berücksichtigten aber nicht die nationalen Bedürfnisse der nichtmagyarischen Volksgruppen, vornehmlich die der Serben, Kroaten und Rumänen. Die Haltung der deutschen Bevölkerung zu den revolutionären Vorgängen in Ungarn war uneinheitlich. Während das eher liberal gesinnte deutsche Stadtbürgertum seine Sympathien für das ungarische Freiheitsstreben offen dokumentierte, stand die deutsche Landbevölkerung in ihrem traditionellen Loyalitätsbewusstsein ziemlich geschlossen auf Seiten des Kaisers. Großes Misstrauen herrschte bei den Siebenbürger Sachsen vor, nachdem der ungarische Landtag gegenüber Wien die Union mit Siebenbürgen eingefordert hatte. Die Siebenbürger Sachsen fürchteten um ihre Privilegien und entsandten am 25. April 1848 eine Delegation zum Kaiser nach Wien, um gegen die Union mit Ungarn zu protestieren. Am 29. Mai 1848 stimmte dennoch die Mehrheit der Abgeordneten im sächsischen Landtag der Union zu. In dieser angespannten Atmosphäre wurde Stephan Ludwig Roth wegen seiner kritischen Haltung gegenüber der Magyarenpolitik von den Anhängern Kossuths verhaftet, wegen Hochverrats von einem ungarischen Standgericht in Klausenburg zum Tode verurteilt und 1849 hingerichtet. Die Revolution von 1848 hatte auch unter der deutschen Bevölkerung die Forderung nach nationaler Gleichberechtigung im Königreich Ungarn verstärkt. Am 2. Oktober 1849 formulierte eine Delegation von 133 Donauschwaben eine Petition an den Kaiser, die vom Dechanten Josef Nowak (1803-1880) geleitet wurde. Die Serben hatten nämlich die Errichtung einer eigenen Woiwodschaft gefordert, die auch große Teile des Siedlungsgebiets der Donauschwaben beanspruchte. In der sogenannte Bogaroscher Petition versicherten die Donauschwaben ihre volle Loyalität gegenüber dem Herrscherhaus. Sollten aber die Serben "zum Schutz ihrer Nationalität einen Woiwoden, die Rumänen einen Kapitän, die Slowaken Oberungarns ein eigenes Oberhaupt erhalten, so bitten wir im Namen aller deutschen Gemeinden auch uns unter dem Namen eines Deutschen Grafen nach dem Vorbilde des Sachsengrafen ein unmittelbares Oberhaupt einzusetzen, unter dessen Schutz unsere Angelegenheiten, Gerichtspflege und öffentliche Verwaltung in deutscher Sprache und nach deutscher Sitte behandelt, gepflogen und geleitet werde."10 Der Wiener Hof reagierte jedoch mit Zurückhaltung auf solche Forderungen, weil die Aufteilung der Macht den absoluten, zentralistischen Ansprüchen Wiens widersprachen. Die Deutschen im Banat und in der Batschka gerieten schließlich in die Auseinandersetzungen der ungarischen Regierung und in den Sog der nationalen Forderungen der Serben und Kroaten. Im Sommer 1848 kam es um Weißkirchen (ung. Fehértemplom, serb. Bela Crkva) zu heftigen Kämpfen, bei denen auch schwäbische Nationalgardisten beteiligt waren. Die Donauschwaben verhielten sich in der Revolution nicht einheitlich. Die donauschwäbische Landbevölkerung vertraute ihr Schicksal geschlossen jener kaiserlichen Macht an, die den deutschen Kolonisten bei deren Ansiedlung 10
Ingomar Senz, Die Donauschwaben. in: Studienreihe der Stiftung ostdeutscher Kulturrat. Bd. 5. München 1994, S. 44.
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als freie Untertanen Hilfe und Schutz garantiert hatte. Anhänger für die revolutionären Ideale fanden sich lediglich in den größeren Städten. Immer weniger Sympathien genoss die ungarische Nationalbewegung bei den südslawischen Völkern, galt doch Lajos Kossuth als Gegner einer unabhängigen serbischen Nation. So sprach sich Kossuth im April 1848 in Preßburg (slow. Bratislava, ung. Pozsony) gegenüber einer serbischen Delegation gegen jede Form einer serbischen Autonomie aus und erklärte: "In Ungarn gibt es nur eine Nation, die magyarische, alle anderen sind nur anderssprechende Volksstämme."11 Nach der militärischen Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn wurde auf Anordnung von Kaiser Franz Joseph am 18. November 1849 für die Serben die Serbische Woiwodschaft und Temescher Banat eingerichtet, die bis 1861 bestand. Die Serben, die seit dem 16. Jahrhundert an den österreichisch-osmanischen Grenzen als Wehrbauern im Dienste der Habsburger tätig waren, verfügten damit zum ersten Mal in ihrer Geschichte über ein autonomes Verwaltungsgebiet, dessen Administration nach der kaiserlichen Anordnung "unabhängig von jener Ungarns durch unmittelbar Unserem Ministerium unterstehende Landesbehörden zu leiten ist."12 Die Serbische Woiwodschaft war aber kein mehrheitlich von Serben bewohntes Territorium, sondern ein multiethnisches Gebiet, in dem nach der 1850/51 durchgeführten Volkszählung 400.279 Rumänen, 384.046 Serben, 335.080 Deutsche, 221.845 Magyaren, 25.607 Tschechen und Slowaken, 22.780 Bulgaren, 15.507 Juden, 11.400 Roma, 6.777 Ruthenen, 2.860 Kroaten und 2.820 Griechen lebten.
11. Der Ausgleich mit Ungarn 1867 Die militärische Niederlage gegen die italienische Nationalbewegung in Solferino 1859 schwächte das absolutistische Herrschaftssystem der Habsburgermonarchie, das nach der Niederlage gegen Preußen bei Königgrätz (tsch. Hradec Králové) von 1866 dem Königreich Ungarn umfangreiche Zugeständnisse machen musste, um die national-ungarischen Unabhängigkeitbestrebungen erfolgreich einbinden zu können. Die Habsburgermonarchie wurde in ein duales Staatsgebilde (Österreichisch-Ungarische Monarchie) mit zwei unterschiedlichen Staatsgrundgesetzen umgebaut, in dem sich nun die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder den Ländern der Ungarischen Krone gegenüber standen. Der Ausgleich mit Ungarn war ein geschickter Schachzug des Kaisers, um das Königreich Ungarn staatspolitisch stärker an die Monarchie zu binden. Die gemeinsamen Agenden der österreichischen Reichshälfte und des ungarischen Königreichs blieben die Außen-, Kriegs- und dafür erforderliche Finanzpolitik. Franz Joseph (1830-1916) wurde am 8. Juni 1867 zum König von Ungarn gekrönt. Im selben Jahr wurde Siebenbürgen auf der Grundlage des Unionsgesetzes in den Staatsverband des ungarischen Königreichs eingegliedert, bis 1881 auch die gesamte Militärgrenze. Am 25. Juni 1868 kam es dann zum ungarisch-kroatischen Ausgleich, der die Anbindung von Kroatien-Slawonien als politische Nation an Ungarn regelte. Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich verabschiedete das Königreich Ungarn ein eigenes Staatsgrundgesetz, das alle Einwohner zur ungarischen Staatsnation verpflichtete und das Ungarische zur Staatssprache deklarierte. Zumindest das Nationalitätengesetz von 1868 garantierte den Gebrauch der eigenen Muttersprache im Schulunterricht, in der Kirche und gegenüber den Behörden. Die deutschen Volksgruppen verfügten aber über keinen einheitlichen Siedlungsraum, wodurch eine Vereinheitlichung der Interessen kaum möglich war. Im Bewusstsein vieler Magyaren waren die Deutschen aufgrund der engen Verflechtungen keine Minderheit, sondern Ungarn mit deutscher Abstammung. 1879 und 1883 verabschiedete das ungarische Parlament Schulgesetze, die den verpflichtenden Gebrauch der ungarischen Unterrichtssprache auch in den deutschen Volksschulen und Gymna11
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zit. nach Horst Haselsteiner, Die Serben und der Ausgleich. Zur politischen und staatsrechtlichen Stellung der Serben Südungarns in den Jahren 1860-1867. Wien 1976, S. 20. Haselsteiner, Die Serben und der Ausgleich, S. 23.
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sien verlangten. Außerdem hatte sich die deutsche Lehrerschaft einer ungarischen Sprachprüfung zu unterziehen. 11.1. Die Siebenbürger Sachsen im Königreich Ungarn nach 1867 Mit der Auflösung der Nationsuniversität von 1872 sah sich auch die sächsische Volksgruppe einer verstärkten Magyarisierung ausgesetzt. 1876 kam es zur Auflösung der sächsischen Autonomie. Im Gegenzug wurde im selben Jahr die Sächsische Volkspartei gegründet. Die ungarischen Schulgesetze waren ein tiefer Einschnitt im autonomen Schulsystem der Siebenbürger Sachsen, das traditionell von der evangelischen Kirche geleitet wurde. Die ungarische Schulgesetzgebung belastete das Verhältnis zwischen der ungarischen Zentralgewalt und den deutschen Volksgruppen und führte dazu, dass etwa der Allgemeine Deutsche Schulverein die Öffentlichkeit im deutschen Ausland über die ungarische Minderheitenpraxis kritisch informierte. Immerhin war das Schicksal der deutschen Volksgruppen in Ost- und Südosteuropa im Rahmen der deutschen Nationsbildung von 1871 vornehmlich in den nationalkonservativen Kreisen Berlins und Wiens zu einem wichtigen nationalideologischen Thema geworden. Das Deutschtum in Ost- und Südosteuropa wurde als Kulturträger bezeichnet, das in seiner Geschichte einen entscheidenden Beitrag zur historischen Mission der Deutschen im Osten Europas leistete. Die Führungselite in der Sächsischen Volkspartei versuchte in dieser heiklen Situation die Konfrontation mit der ungarischen Regierung zu vermeiden und arrangierte sich mit der ungarischen Regierungspartei des Grafen Kálmán Tisza (1830-1902), der bei Parlamentswahlen sächsische Abgeordnete auf seine Listen setzte. Dadurch konnten die Siebenbürger Sachsen 12 Vertreter ins ungarische Parlament entsenden. Die beiden sächsischen Abgeordneten im ungarischen Parlament, Carl Wolff (1849-1929) und der Sachsenbischof Georg D. Teutsch (1817-1893), opponierten dennoch gegen die ungarische Schulgesetzgebung, stellten dabei aber ihre Loyalität zum ungarischen Königreich außer Frage. 1890 verabschiedete die Sächsische Volkspartei am Zweiten Sachsentag ein Volksprogramm, das darauf ausgerichtet war, "das siebenbürgischGraf Kálmán Tisza (1830-1902) sächsische Volk seiner Kulturbestimmung auch unter den veränderten Zeitverhältnissen als ein entwicklungs- und leistungsfähiges Glied des ungarischen Staatsganzen, mit dessen Bestand sein Geschick eng verknüpft ist, zu erhalten."13 Die Siebenbürger Sachsen anerkannten damit die neuen Herrschaftsverhältnisse und trachteten nach einem Ausgleich, der ihnen das kulturelle Überleben sichern sollte. Die Regierung unter Ministerpräsident Dezsõ Bánffy (1895-99) setzte jedoch unvermindert die Magyarisierungspolitik fort und erließ neue Sprachenverordnungen, die selbst im Kindergarten den verpflichtenden Gebrauch der ungarischen Sprache vorschrieben. Ein weiterer Einschnitt in das sächsische Rechtsleben war die Einführung der obligatorischen Zivilehe. Damit griff die ungarische Regierung in die Autonomie des sächsischen Kirchenrechts ein. Die Maßnahmen der ungarischen Schulgesetzgebung provozierten in erster Linie unter den Jungsachen (Grüne) Widerstand, der sich nicht nur gegen das ungarische Regime richtete, sondern ebenso die gemäßigte Politik und Kompromissbereitschaft der Altsachsen in der Sächsischen Volkspartei in Frage stellte. Die Grünen gründeten 1894 die Burzenländer sächsische Bürger- und Bauernpartei und verlangten den sofortigen Austritt der sächsischen Abgeordneten aus dem ungarischen Reichstag, denen politischer Opportunismus vorgeworfen 13
Gündisch, S. 160.
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wurde. Die Grünen setzten sich für einen Zusammenschluss aller deutschen Volksgruppen im ungarischen Königreich ein und waren deshalb um einen verstärkten Kontakt zu den deutschen Volksgruppen in Südungarn (Donauschwaben) und in Oberungarn (Karpatendeutsche) bemüht. 1895 veranstalteten die Slowaken, Serben und Rumänen einen Nationalitätenkongress in Budapest, um gegen die Magyarisierungspolitik der Regierung zu protestieren. Die deutschen Volksgruppen Ungarns waren jedoch nicht vertreten, weil sich zu diesem Zeitpunkt das Bewusstsein für eine einheitliche deutsche Minderheitenpolitik erst in Ansätzen zu entwickeln begonnen hatte. Das ungarische Ortsnamengesetz von 1898 und das sogenannte Apponyische Schulgesetz des ungarischen Unterrichtsministers Albert Apponyi (1906-1910) von 1907 stießen selbst bei den Altsachsen auf herbe Kritik. Dieses Schulgesetz verpflichtete nämlich alle Schulen und Kindergärten, "in der Seele der Kinder den Geist der Anhänglichkeit an das ungarische Vaterland und das Bewusstsein der Angehörigkeit zur ungarischen Nation"14 mit Nachdruck zu fördern. Es war neuerlich der donauschwäbische Klerus, der diesem bildungs- und nationalpolitischen Auftrag in den deutschen Gebieten Südund Oberungarns mit großem Eifer folgte. Lediglich den Siebenbürger Sachsen gelang es, Albert Apponyi (1846-1933) Teile ihrer Schulautonomie durch das Wirken der evangelischen Kirche und der Nationsuniversität zu sichern, weil ihre Stiftungen eine weitgehende finanzielle Unabhängigkeit von Budapest ermöglichten. Der sächsische Junglehrer aus protestantischem Haus, Rudolf Brandsch (1880-1953), gründete den Hermannstädter Bürgerabend, um einen Zusammenschluss des Deutschtums in Ungarn programmatisch vorzubereiten. Brandsch suchte in seinen Bemühungen den Kontakt zu dem aus der Zips stammenden Protestanten Edmund Steinacker (1839-1929), der sich der Karpatendeutschen Bewegung angeschlossen hatte, deren Ziel es war, alle deutschen Volksgruppen in den nichtdeutschen Kronländern der Rudolf Brandsch (1880-1953) österreichisch-ungarischen Monarchie zu organisieren. 11.2. Die Donauschwaben im Königreich Ungarn nach 1867 Die Bemühungen Wiens um einen Ausgleich mit Ungarn führten 1861 zur Auflösung der Serbischen Woiwodschaft und des Temescher Banats, wodurch die Deutschen mit den anderen Volksgruppen in der Vojvodina wieder stärker in den nationalen Sog der Magyaren gerieten. Im Unterschied zu den Siebenbürger Sachsen passten sich die Donauschwaben den neuen Machtverhältnissen an, verhielten sich eher unpolitisch und unterstützten die jeweiligen Regierungsparteien. Die Donauschwaben hatten nämlich keine eigenen Volksvertreter im ungarischen Parlament, obwohl 1880 bereits über 800.000 Donauschwaben im Königreich Ungarn lebten. Die sogenannten Regierungsschwaben waren zumeist Magyaren, die keine Politik im Interesse der deutschen Volksgruppe verfolgten. Die deutschsprachige Presse verhielt sich ganz ähnlich, indem sie in einem völlig unpolitischen Ton einen auf die Staatsmacht ausgerichteten ungarischen Landespatriotismus verbreitete. In diesem Umfeld war das Bewusstsein für eine einheitliche deutsche Volksgruppenpolitik kaum vorhanden. Einen zentralen Einfluss auf das vornehmlich bäuerlich strukturierte Gemeinwesen der Donauschwaben übte der deutsche Klerus aus, der zwar um eine Verbreitung geistlicher Literatur in deutscher Sprache für den pri14
Gündisch, S. 162.
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vaten und häuslichen Zweck bemüht war, sich aber energisch gegen jede Form der Deutschtümelei richtete, weil gerade in der liberalen Ära im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das Streben nach nationaler Eigenständigkeit als Verrat am Vaterland und als Gefahr für die Staatsmacht bekämpft wurde. Edmund Steinacker bemühte sich deshalb um eine Ausweitung seiner Kontakte zu den sächsischen Grünen, um gemeinsam eine überregionale, ungarndeutsche Minderheitenpolitik aufzubauen. Steinacker und Brandsch erarbeiteten ein Minderheitenprogramm für die Deutschen im Königreich Ungarn, das folgende Schwerpunkte enthielt: a.) b.) c.)
strikte Ablehnung der magyarischen Assimilation, ohne dabei die Loyalität gegenüber der ungarischen Staatsmacht aufzukündigen, Förderung eines deutschen Nationalbewusstseins in Ungarn durch eine verstärkte Presse- und Kulturarbeit und Ausbau eines genossenschaftlichen Agrarsystems nach Vorbild des Deutschen Reichs.
Beim Übergang ins 20. Jahrhundert konnte bei den Donauschwaben im südungarischen Raum eine leichte Abschwächung der Magyarisierung festgestellt werden. Zu den eifrigsten Mitstreitern Steinackers zählte der donauschwäbische Schriftsteller und Kulturpolitiker Adam Müller-Guttenbrunn (1852-1923) aus dem Banat, der die Geschichte und die Traditionen der Donauschwaben zum Gegenstand seines literarischen Schaffens machte. Am 16. Dezember 1900 erschien erstmals das Deutsche Tagblatt für Ungarn. 1906 gründete Steinacker in Werschetz (serb. Vršac, ung. Versecz) im Banat die Ungarländische Deutsche Partei, die Ludwig Kremling (1861-1928) als Vorsitzender leitete. Steinackers Partei konnte sich aber keine großen Erfolge erwarten, weil die Mehrheit der deutschen Bevölkerung Ungarns nicht wahlberechtigt war. Außerdem konnte Steinacker sein politisches Wirken nur von Wien Ludwig Kremling (1861-1928) aus entfalten, weil er wegen seiner Kontakte zu alldeutschen Kreisen von den ungarischen Behörden in seiner politischen Arbeit behindert wurde. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hatte sich unter den Donauschwaben eine breite Schicht an Groß- und Mittelbauern herausgebildet. Neben der Landwirtschaft bildeten das Handwerk und Gewerbe einen sehr wichtigen Wirtschaftsfaktor, wobei vor allem die Verarbeitung und Vermarktung von Lehm, Hanf, Zuckerrüben, Getreide und Tieren dominierten.
Hanfmarkt in Hodschag
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12. Der Erste Weltkrieg und die Nachkriegsordnung Am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg, nachdem der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand (18631914) und seine Gattin am 28. Juni 1914 im bosnischen Sarajewo ermordet worden waren. Österreich-Ungarn hatte ein Ultimatum an die serbische Regierung gerichtet und die Einbeziehung österreichischer Beamter in die Untersuchungen zum Attentat gefordert. Serbien hatte aber diese Forderung mit dem Verweis auf seine Souveränität abgelehnt. Vor der Kriegserklärung ÖsterMitteleuropa vor und nach dem I. Weltkrieg reich-Ungarns an Serbien hatte der deutsche Kaiser Wilhelm Wien seine volle Unterstützung zugesagt. Die Kriegserklärung an Serbien löste nach dem 28. Juli 1918 zwischen den europäischen Staaten eine Kettenreaktion an Ultimaten und Kriegserklärungen aus, so dass sich binnen einer Woche alle europäischen Großmächte gegeneinander im Kriegszustand befanden. Am 12. August 1914 begann die österreichisch-ungarische Offensive gegen Serbien, für die auch zehntausende sächsische und donauschwäbische Soldaten mobilisiert wurden, die in k.u.k. sowie in Honvéd-Regimentern kämpften. Die erste Offensive gegen Serbien endete jedoch mit einer schweren Niederlage bei Arandjelovac, die über 22.000 Gefallene, Verwundete und Gefangene forderte. Mitentscheidend für die Niederlage war, dass Teile der k.u.k. Truppen nach Galizien für die Offensive auf dem russischen Kriegsschauplatz verlegt worden waren. Die August- und Septemberkämpfe von 1914 verlangten an der Front in Galizien von den östereichisch-ungarischen Truppen abermals einen hohen Blutzoll. Erst im Mai 1915 gelang die militärische Räumung Galiziens vom russischen Kriegsgegner. Jetzt drohte aber im Süden mit der Aufgabe der wohlwollenden Neutralität Italiens ein neuer Frontabschnitt zu entstehen. Am 23. Mai 1915 trat Schwere Kämpfe in den Bergen Montenegros Italien schließlich auf Seiten der Entente in den Krieg ein, nachdem Rom zuvor Südtirol, Görz, Triest, Istrien und Tei28
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Teile Dalmatiens sowie Albaniens als Kriegsbeute in Aussicht gestellt worden war. Zwischen Juni 1915 und Oktober 1917 tobten am Isonzo zwölf überaus blutige Schlachten. Im Südosten gelang erst unter der Beteiligung deutscher und bulgarischer Truppen im Herbst 1915 die Eroberung Serbiens, Montenegros und Nordalbaniens. Im Sommer 1916 drohte der österreichisch-ungarischen Armee in Galizien mit dem Vorstoß der Russen eine militärische Katastrophe. In diesem Moment desertierten tausende tschechische und ruthenische Soldaten, die auf die russische Seite wechselSchlachten am Isonzo ten: die tschechischen Deserteure formierten sich in Sibirien zu schlagkräftigen Legionen. Durch den Kriegseintritt Rumäniens im August 1916 verlängerte sich die Ostfront. Am 27. und 28. August 1916 stießen rumänische Truppen über die Karpatenpässe nach Siebenbürgen vor und verdrängten Teile der deutschen Zivilbevölkerung aus Ost- und Südsiebenbürgen in den Banat und in den innerungarischen Raum. Die rumänischen Truppen wurden jedoch Ende Oktober 1916 in den Schlachten bei Hermannstadt und Kronstadt empfindlich geschlagen und aus Siebenbürgen zurückgedrängt. Gemeinsam mit bulgarischen und türkischen Truppen gelang den Mittelmächten schließlich die Besetzung von Bukarest (rum. Bucureþti). Indessen verdüsterte sich mit der Ermordung des österreichischen Ministerpräsidenten Graf Karl Stürgkh (18591916 ) am 21. Oktober 1916 und mit dem Tod Kaiser Franz Josephs am 21. November desselben Jahres die Stimmung an der Heimatfront. Im Winter 1916 bekam die österreichische Bevölkerung in den Städten und Industriezentren immer deutlicher die angespannte Versorgungslage zu spüren. Das Der deutsche Kaiser mit dem verbündeten Kriegsjahr 1917 war zunächst von der Februarrevolution in Russland, Sultan die im März zur Abdankung des Zaren und zur Errichtung einer bürgerlichen Regierung führte, und vom Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) gekennzeichnet. Im Oktober 1917 gelang den österreichisch-ungarischen Truppen ein Vorstoß an der Isonzofront, der die Truppen bis an den Piave führte. Den Österreichern und Deutschen fielen 300.000 italienische Gefangene in die Hände. Die Oktoberrevolution in Russland verlief zugunsten der kommunistischen Bolschewiken, die unter der Führung von Lenin (1879-1916) die sozialliberale Regierung von Alexander Kerenskij (18811970) ablöste. Lenin hatte der kriegsmüden russischen Bevölkerung den Frieden versprochen. Tatsächlich wurde am 3. März 1918 der Frieden von Brest-Litowsk geschlossen, der Frieden von Brest-Litowsk Deutschland große Gebietsgewinne im Baltikum, Polen und in der 29
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Ukraine sicherte. Im Hinterland der Habsburgermonarchie weitete sich aber die Versorgungslage der Bevölkerung zu einer ernsten Bedrohung für den sozialen Frieden aus. Der anhaltende Krieg forderte von allen gesellschaftlichen Schichten immer größere Opfer, wobei die ständigen Requisitionen von der Zivilbevölkerung zunehmend als Belastung empfunden wurden. Hinter den Fronten versuchten deshalb namhafte Persönlichkeiten des österreichischen Hochadels mit Frankreich über einen separaten Frieden zu verhandeln. Diese Initiativen scheiterten jedoch zumeist am Widerstand Deutschlands. Im Sommer 1918 erreichten die Desertionen bei den k.u.k. Regimentern einen Höhepunkt. Der Großteil der Deserteure kam aus Kroatien-Slawonien, Galizien und Böhmen. Im Frühherbst 1918 war der Krieg für die Mittelmächte nicht mehr zu gewinnen. Die Front in Bulgarien brach mit dem Vorstoß der französischen Saloniki-Armee zusammen, im Oktober 1918 suchte auch die Türkei bei der Entente um eine Waffenruhe an. An der Westfront waren die deutschen Truppen dem alliierten Druck kaum mehr gewachsen. Als Ende Oktober 1918 der Angriff der Italiener mit englischer Schützenhilfe am Piave einsetzte, begann sich die österreichisch-ungarische Front aufzulösen. 12.1. Der Zusammenbruch der Donaumonarchie Am 16. Oktober 1918 veröffentlichte Kaiser Karl ein Manifest zur Umgestaltung der Monarchie in einen ethnisch gegliederten Bundesstaat, der jedem Volksstamm die Möglichkeit bieten sollte, auf dem eigenen Siedlungsgebiet sein eigenes staatliches Gemeinwesen zu entwickeln. Das Schicksal Österreich-Ungarns war zu diesem Zeitpunkt jedoch längst schon entschieden. So stand der ehemalige ungarische Ministerpräsident István Tisza bereits am nächsten Tag vor der Nationalversammlung und erklärte den Krieg für verloren, worauf das ungarische Parlament Tage später ein 12-Punkte-Programm verabschiedete, in dem u.a. das sofortige Kriegsende, die Unabhängigkeit und territoriale Integrität Ungarns unter Wahrung des Selbstbestimmungsrechts für alle Nationalitäten in Ungarn gefordert wurden. In Prag wurde am 28. Oktober 1918 die Tschechoslowakische Republik feierlich ausgerufen. Am 3. November 1918 erfolgte schließlich in der Villa Giusti bei Padua die Unterzeichnung des Waffenstillstandes zwischen ÖsterreichUngarn und der Entente. Die Tschechoslowakei rückte im Spätherbst 1918 mit ihren Truppen in die oberungarischen Gebiete vor, was zu einem militärischen Konflikt mit Budapest führte. Die Militärkommission der Entente in Budapest setzte deshalb am 6. Dezember 1918 eine Demarkationslinie entlang der von der Tschechoslowakei beanspruchten slowakischen Gebiete fest und forderte den Abzug der ungarischen Truppen. Die Proteste der ungarischen Regierung gegen den Einmarsch tschechischer Truppen in den Karpatenraum hatten für die Tschechoslowakei als assoziierten Siegerstaat jedoch keinerlei Konsequenzen. Ohne Erfolg blieben auch die Verhandlungen der ungarischen Regierung unter Graf Mihály Károlyi (1875-1955) mit den Südslawen, die ebenso ihre staatliche Unabhängigkeit anstrebten. Ungarn unterzeichnete mit der Entente am 13. November 1918 in Belgrad einen Waffenstillstand, der von der Regierung in Budapest die militärische Räumung des Banats, der Batschka, der Baranya und Teile Siebenbürgens verlangte. Diese Gebiete sollten bis zur Klärung der endgültigen Grenzen bei den Friedensverhandlungen unter serbischer Verwaltung bleiben. Noch im November 1918 verabschiedete das ungarische Parlament ein Minderheitenschutzgesetz, das den Nationalitäten weitgehende Zugeständnisse machte. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Serben, Kroaten, Rumänen und Slowaken machten diese Initiative jedoch wirkungslos. Jugoslawische Truppen drangen in den Banat und in die Batschka vor. Am 1. Dezember 1918 kam es in Belgrad (serb. Beograd) zur Deklaration des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (Königreich SHS). Zum Scheitern waren auch die Verhandlungen mit Rumänien in Arad verurteilt, weil Bukarest (rum. Bucureþti) die volle Souveränität über alle von Rumänen bewohnten Gebiete verlangte. Budapest lehnte diese Forderungen mit dem Hinweis auf die Friedensverhandlungen ab und bot den rumänischen Vertretern als Übergangsregelung eine Autonomie für jene Gebiete an, 30
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in denen Rumänen kompakt siedelten. Daraufhin besetzten rumänische Truppen Teile Siebenbürgens und den östlichen Banat. Am 1. Dezember 1918 war der Anschluss Siebenbürgens an Rumänien durch die Beschlüsse der Nationalversammlung der Rumänen aus Siebenbürgen, dem Banat und Ungarn in Karlsburg (rum. Alba Iulia, ung. Gyulafehérvar) beschlossen worden. 12.2. Das Schicksal der deutschen Volksgruppen Die Donauschwaben sprachen sich am 3. November 1918 über ihren Schwäbischen Nationalrat für einen Verbleib bei Ungarn aus. Am 12. Dezember 1918 wurde dafür ein eigenes Temeschwarer Manifest mit den Forderungen des Schwäbischen Volkes verabschiedet. Dazu gehörten u.a. a) die Anerkennung der Unteilbarkeit des Banats, b) der Verbleib bei Ungarn, c) das Recht auf nationale Selbstbestimmung und d) die Ablehnung der serbischen und rumänischen Ansprüche auf den Banat. Zu den eifrigsten Vertretern der proungarischen Haltung zählte der Rechtsanwalt Kaspar Muth (1876-1966) aus Temeschburg (rum.Timiþoara, ung.Temesvár). Muths schärfster Widersacher war Rudolf Brandsch, dessen Deutsch-Schwäbische Volkspartei einen betont deutschnationalen Kurs propagierte und sich für einen Anschluss des Banats an Rumänien verwendete. Brandsch erwartete sich unter einer rumänischen Staatsmacht mehr an kultureller und politischer Autonomie für die deutsche Volksgruppe, was ihr das Überleben als ethnische Minderheit unter den veränderten Verhältnissen sichern sollte. Auf Grundlage der rumänischen Zusicherungen sprachen sich die Siebenbürger Sachsen daher am 8. Jänner 1919 in der Mediascher Anschlusserklärung für den rumänischen Staat aus. 12.3. Ungarn wird eine Räterepublik Als die bürgerliche Regierung unter Ministerpräsident Graf Mihály Károlyi (1875-1955) von der Pariser Friedenskonferenz in der sogenannten Vix-Note vom 20. März 1919 zur strikten Einhaltung neuer Demarkationslinien und zum weiteren Rückzug der Truppen ultimativ aufgefordert wurde, legte Károlyi sein Amt nieder. Dem bürgerlichen Regierungslager folgte eine Koalition aus Sozialdemokraten und Kommunisten nach, die sich zur Sozialistischen Partei Ungarns vereinten. Am 21. März 1919 wurde der Revolutionäre Regierende Rat ins Leben gerufen, dessen Führungsebenen nach Vorbild der Sowjetunion strukturiert waren. Die inneren Ziele der Räterepublik waren die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Sozialisierung von Handel und Industrie, der Umbau des ungarischen Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitssystems nach revolutionären Zielsetzungen, die Beseitigung des bürgerlich-demokratischen Justizsystems und die ideologische Gleichschaltung von Kunst und Kultur. An die Stelle der ordentlichen Gerichte traten Revolutionstribunale, die ein Terrorsystem errichteten, das sich gegen alle "volksfeindlichen und reaktionären Kräfte"15 in der ungarischen Gesellschaft richtete. Den außenpolitischen Kurs der ungarischen Räterepublik bestimmte Béla Kun (1886-1936), der Vorsitzende der Kommunisten. Béla Kun griff das 12-Punkte-Programm der bürgerlichen Regierung vom 24. Oktober 1918 wieder auf und verlangte von der Pariser Friedenskonferenz die Anerkennung der territorialen Integrität Ungarns. Bukarest (rum. Bucureþti) zeigte sich irritiert und konzentrierte seine Truppen entlang der gesamten Demarkationslinie. Im Mai 1919 startete Béla Kun eine militärische Offensive gegen die Tschechoslowakei zur Rückeroberung der ehemals oberungarischen Gebiete. Als aber die rumänischen Truppen nach erfolglosen Verhandlungen zwischen Budapest, Prag (tsch. Praha) und der Pariser Friedenskonferenz bis Budapest vorrückten, brach die Räterepublik zusammen. Der Revolutionäre Regierende Rat trat am 1. August 1919 zurück. 15
Holger Fischer, Eine kleine Geschichte Ungarns. 1. Aufl. Frankfurt/Main 1999, S.168-174.
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Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
Im November 1919 übernahm der ehemalige k.u.k Admiral Miklós Horthy (1868-1957) die Macht und wurde vom Parlament zum Reichsverweser bestellt. Die Weiße Revolution des Horthy-Regimes, das mit Gewaltmaßnahmen gegen die linke Opposition vorging, war um eine Restaurierung der politischen Entscheidungsinstitutionen der Vorkriegszeit bemüht. Dazu zählten vornehmlich die Krone, die Kirche, der Adel und das Militär. Ungarn war unter Horthy zumindest konstitutionell wieder ein Königreich geworden, jedoch scheiterten zwei Restaurationsversuche der Habsburger. Zur Verhinderung einer Restauration der Habsburger gründeten die Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien (SHS) die sogenannte Kleine Entente. Der Vertrag von Trianon vom 4. Juni 1920 bedeutete für Ungarn einen Admiral Miklós Horthy (1868-1957) Verlust von 70% seines ehemaligen Territoriums und 60% seiner ehemaligen Bevölkerung. Das neu gegründete Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen bekam den Westbanat, die Batschka, die südliche Baranya, Kroatien-Slawonien, Medjimurje (Murinsel) und Prekmurje (Übermurgebiet) zugesprochen. Siebenbürgen, das Kreischgebiet, das Marmarosgebiet, der östliche Banat und die Bukowina fielen an das Königreich Rumänien Die ebenfalls aus dem Erbe der österreichischungarischen Doppelmonarchie gegründete Tschechoslowakei erhielt das gesamte slowakische Gebiet und die Karpato-Ukraine. Der Grenzstreifen im Westen der Komitate Wieselburg (ung. Mosonmagyaróvár), Ödenburg (ung. Sopron) und Eisenburg (ung. Vasvár) kam als Burgenland an Österreich, die Stadt Ödenburg (ung. Sopron) und ihre Umgebung blieben nach einer Volksabstimmung vom 14. Dezember 1921 mit einer Mehrheit von 64% der Stimmen bei Ungarn. Die geopolitische Neuordnung des Donau- und Karpatenraums nach 1918 hatte große Auswirkungen auf die ethnischen Strukturen in den Nachfolgestaaten. Nur etwa 25% der zwei Millionen Deutschen, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs auf ungarischem Boden gelebt hatten, blieben als Minderheit dem ungarischen Staat erhalten. Die deutschen Siedlungsgebiete im Trianon-Ungarn konzentrierten sich auf die Komitate Tolnau und Branau in der Schwäbischen Türkei, das ungarische Mittelgebirge und das Gebiet um Ödenburg. Ungarn hatte sich genauso wie die anderen Nachfolgestaaten der Donaumonarchie gegenüber dem Völkerbund vertraglich zum Schutz der ethnischen Minderheiten verpflichtet.
13. Die deutschen Minderheiten in der Zwischenkriegszeit Die Friedensverträge von Paris hatten eine Neuordnung der europäischen Kräfteverhältnisse zur Folge, die im Osten und Südosten Europas neue Staatsgrenzen brachten. Etwa die Hälfte der zwölf Millionen Deutschen des Habsburgerreichs sollte aufgeteilt als Minderheit in diesen Nachfolgestaaten leben. Das am Ende des Ersten Weltkriegs vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Thomas Wilson (1856-1924) als Grundlage der europäischen Nachkriegsordnung propagierte und von den Siegerstaaten garantierte Selbstbestimmungsrecht der Völker fand bei einigen Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie eine mehr als großzügige Anwendung, was vor allem von den deutschen und magyarischen Minderheiten als großes Unrecht empfunden wurde. 13.1. Die deutsche Minderheit in Jugoslawien Im SHS-Königreich gab es über 500.000 Deutsche, von denen der Großteil von etwa 450.000 als Donauschwaben im ehemaligen südungarischen Raum, nämlich im Westbanat, der Batschka, 32
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der Südbaranja, in Ostslawonien und Syrmien lebte. Die anderen 50.000 Deutschen waren im slowenischen Gebiet in der ehemaligen Untersteiermark und in der Gottscheer Sprachinsel beheimatet. Am 5. Dezember 1919 ratifizierte das SHS-Königreich die von den Alliierten verlangte Konvention zum Schutz der Minderheiten. Die jugoslawische Regierung in Belgrad (serb. Beograd) zeigte jedoch keine besonderen Anstrengungen, ihren Verpflichtungen gegenüber den Minderheiten nachzukommen. So durften die Deutschen im Jahre 1920 noch nicht an den Parlaments- und Gemeinderatswahlen teilnehmen, weil das Königreich Jugoslawien nach der neuen Verfassung von 1921 als zentral gelenkte Monarchie geführt wurde, in der die Provinzen für sich keine Autonomie beanspruchen konnten. Die deutsche Bevölkerung war ihrerseits keine homogene Gruppe, sondern von ihrer regionalen Herkunft, ihrer sozialen Zugehörigkeit und ihren Deutsche Wohngebiete kulturellen Wurzeln in Jugoslawien 1918-1941 her sehr unterschiedlich. Das Fehlen eines einheitlichen Siedlungsraums trug dazu bei, dass es unter den deutschen Volksgruppen weiterhin keine koordinierte Politik gab, die auf die minderheitenfeindlichen Tendenzen der jugoslawischen Regierung hätte reagieren können. In diesem Spannungsfeld konnte sich nur sehr langsam ein deutsches Volkstumsbewusstsein entwickeln. Erst zwischen 1920 und 1924 kam es zu ersten Ansätzen, indem Einrichtungen zum Schutz und zur Förderung der deutschen Minderheit in Jugoslawien gegründet wurden. So wurde am 20. Juni 1920 in Neusatz (serb. Novi Sad) der Schwäbisch-Deutsche Kulturbund ins Leben gerufen, der seine Arbeit hauptsächlich in der Vojvodina entfalten konnte. Bis 1924 gab es dort 112 Ortsgruppen mit über 55.000 Mitgliedern. Am 17. Dezember 1922 wurde die Partei der Deutschen im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (PdD) in Hatzfeld (serb. Èombolj, ung. Zsombolya, heute rum. Jimbolia) gegründet. Die PdD trat unter der Führung von Stefan Kraft (1884-1959) und Ludwig Kremling (1861-1930) für die Förderung der deutschen Bildungseinrichtungen und für den amtlichen Gebrauch der deutschen Stefan Kraft (1884-1959) Sprache ein. 1922 erfolgte nämlich unter dem jugoslawischen Unterrichtsminister Svetozar Pribièeviæ (1875-1936) die Verstaatlichung aller Privatschulen. 1923/24 gab es daher in der Vojvodina für die Deutschen nur mehr 193 33
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Schulen mit 561 Klassen und 26.091 Schülern. Diese mittels Namensanalyse der Großeltern ermittelten deutschen Schulkinder wurden in Parallelabteilungen unterrichtet, in denen eine Mindestanzahl von 30 Schülern mit deutscher Muttersprache vorhanden sein musste. Kinder, deren Nationalität aufgrund des slawischen Familiennamens eines Großelternteils nicht eindeutig festgestellt werden konnte, mussten - unabhängig von der Muttersprache der Kinder! - die öffentlichen Schulen besuchen. Erst in den Schulverordnungen von 1930 bis 1933 wurde die Namensanalyse verboten, wobei die Sprache in der Familie als Kriterium für die Wahl der Schule herangezogen wurde. Anderseits mussten die deutschen Lehrer nach den gesetzlichen Bestimmungen des Unterrichtsministeriums Prüfungen in der Staatssprache absolvieren. Bei Nichtbestehen der Prüfungen wurden sie ins serbische Sprachgebiet geschickt. Die Folge war ein eklatanter Mangel an qualifizierten Deutschlehrern im deutschen Sprachgebiet, der durch die Anstellung von slawischen Lehrern mit Deutschkenntnissen nur ungenügend ausgeglichen werden konnte. Die PdD sprach sich zudem entschieden gegen die Benachteiligungen der deutschen Bauern bei der Bodenreform und für das Prinzip der Gleichberechtigung bei der Bodenverteilung aus. 1922 kam es daher zur Gründung der Agraria, dem Zentralverband des deutschen Genossenschaftswesens. 1924 wurde der Kulturbund wegen des Vorwurfs der nationalistischen Agitation von der jugoslawischen Regierung verboten. 1927 erfolgte eine Neukonstituierung des Kulturbundes, wobei sich die Schwerpunkte auf die Kulturarbeit verlagern mussten, um den politischen Druck aus Belgrad (serb. Beograd) zu entschärfen. König Alexander Karadjordjeviæ (1921-1934) proklamierte am 6. Jänner 1929 ein diktatorisches Regime, um auf die innerjugoslawischen Krisenerscheinungen zu reagieren. Das Regime untersagte allen nationalen Organisationen eine weitere Tätigkeit. Von diesen Maßnahmen war auch die PdD betroffen. 1931 verabschiedete das jugoslawische Königreich eine neue Verfassung, die für die Deutschen keine wesentlichen Änderungen brachte. Hingegen verlangte das neue Wahlrecht, dass eine Partei als Voraussetzung für die Zulassung zur Wahl eine Unterstützung von allen Wahlkreisen erhalten muss. Die deutschen Parteien konnten diese Forderungen jedoch nicht erfüllen und kandidierten deshalb auf der Liste der Regierungsparteien. 1936 schlossen sie sich sogar der Jugoslawischen Radikalen Union (JRU) des damaligen jugoslawischen Ministerpräsidenten Milan Stoadinoviæ (1888-1961) an, was der deutschen Minderheit einige Vergünstigungen ermöglichte. So konnte etwa der Kulturbund seine Tätigkeit wieder aufnehmen. Positive Ansätze und Verbesserungen gab es dank der zähen und geschickten Verhandlungsführung von Stefan Kraft auch im deutschen Schul- und Bildungsbereich durch die Errichtung deutscher Kindergärten und die Gründung einer deutschen Lehrerbildungsanstalt in Groß-Betschkerek (serb. Zrenjanin). Wichtige bildungs- und kulturpolitische Impulse kamen in dieser Situation von der 1930 konstituierten Deutschen EvangelischChristlichen Kirche Augsburger Bekenntnisses im Königreich Jugoslawien, der Philipp Popp (1893-1945) als charismatischer Bischof vorstand. Die Vertreter der Erneuerungsbewegung, vornehmlich junge protestantische Intellektuelle, die vielfach in Deutschland studiert hatten und dort mit dem Nationalsozialismus in enge Berührung gekommen waren, erstellten ein Grundsatzprogramm, das sich von den Grundsätzen der alten, vornehmlich katholisch geprägten Führung des Kulturbundes ganz wesentlich in den politischen Forderungen und im Verhalten gegenüber der jugoslawischen Regierung in Belgrad unterschied. Die Forderungen der Erneuerer konzentrierten sich auf: 1.)
die Anerkennung der nationalen Eigenart und der Lebensrerechte in Verfassung und Gesetzgebung,
34
Philipp Popp (1893-1945)
Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
2.) 3.) 4.) 5.)
die Anerkennung der Volksgruppe als Körperschaft öffentlichen Rechts, das Recht der Volksgruppe, alle internen Fragen des sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichs selbst zu lösen, die Anerkennung einer einheitlichen Führung der Volksgruppe seitens des Staates und der Behörden, das Recht der Volksgruppe, alle Fragen nach der eigenen Weltanschauung zu regeln.
1934 gründeten die Erneuerer die Jugendorganisation Kameradschaft der Erneuerungsbewegung, um ein betont deutschnationales Gegengewicht zum Kulturbund zu schaffen. Das Zentrum der Erneuerungsbewegung wurde ins kroatische Slawonien verlegt, wo man mit dem Slawonischen VolksboKulturbund unter ten über ein eigenes Presseorgan verfügte. Führung der Erneuerer Im Frühjahr 1939 übernahm der spätere Volksgruppenführer Sepp Janko (19052001) die Agenden des Kulturbundes und forderte als Erneuerer eine Volksgruppenpolitik nach völkischen Prinzipien. Die neue Führung des Kulturbundes betrieb eine Umstrukturierung und Gleichschaltung der kulturellen und politischen Einrichtungen der deutschen Volksgruppe im Sinne der nationalsozialistischen Führerideologie. Sepp Janko (1905-2001)
13.2. Die deutsche Minderheit in Rumänien Die Bereitschaft der Siebenbürger Sachsen, sich einem großrumänischen Staat anzuschließen, war an bestimmte Forderungen gebunden, die der sächsischen Volksgruppe das politische und kulturelle Eigenleben garantieren sollten. An der Spitze der deutschen Volksgruppe stand der Deutsch-sächsische Volksrat für Siebenbürgen, der am 6. November 1919 in Schäßburg (rum. Sighiþoara, ung. Segesvár) gegründet wurde. Der Volksrat setzte auf eine programmatische Fortführung der sächsischen Anpassungspolitik und vermied es, den rumänischen Institutionen gegenüber mit überzogenen nationalistischen Forderungen zu begegnen. Am 20. November 1919 kam es zur Gründung einer eigenen sächsischen Parlamentspartei, um die Interessen der deutschen Minderheit auf der Ebene der rumänischen Nationalversammlung zu vertreten. Die deutsche Parlamentspartei unter der Führung von Hans Otto Roth (1890-1953) schloss sich den rumänischen Großparteien an und konnte damit die eigenen Kandidaten auf sicheren Plätzen nominieren. Damit verfügten die Siebenbürger Sachsen zwar über eine parlamentarische Vertretung, mussten sich aber den Zielen der rumänischen Parteienlandschaft anpassen. Diese politische Doppelstrategie schuf in der sächsischen Volksgruppe ein permanentes Spannungsfeld zwischen nationaler Identität und kultureller Assimilation. Der 4. Sachsentag vom 6. November 1919 in Schäßburg (rum. Sighiþoara, ung. Segesvár) verabschiedete ein Volksprogramm, in dem die folgenden Forderungen gegenüber der rumänischen Regierung definiert wurden. Dazu gehörten: 1.) 2.)
das Recht auf ein eigenes Schul- und Bildungswesen, die Erfüllung der rumänischen Versprechen von Karlsburg (rum. Alba Iulia, ung. 35
Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
3.) 4.) 5.)
Károlyfehérvár), das Recht auf den Gebrauch der deutschen Muttersprache, die Gleichstellung der evangelischen Kirche mit der Zusage einer Steuerautonomie , das allgemeine Wahlrecht.
Der großrumänische Chauvinismus zu Beginn der 1920er Jahre stellte aber die in Karlsburg (rum. Alba Iulia, ung. Gyulafehérvár) gemachten Versprechungen in Frage. Die rumänische Staatsgewalt weigerte sich, die deutsche Minderheit als Volksgruppe und damit als Person öffentlichen Rechts anzuerkennen. Dies war allerdings im Minderheitenvertrag von 1919 auch nicht verlangt. Eine Verletzung der Minderheitenrechte konnte somit nicht die ganze Volksgruppe, sondern jeweils nur der Einzelne einklagen. Eingriffe der rumänischen Staatsführung gab es primär in den Bereichen des sächsischen Schul- und Kirchenwesens der Siebenbürger Sachsen, in dem etwa von der deutschen Lehrerschaft ausreichende Kenntnisse der rumänischen Staatssprache verlangt wurde. Anderseits führte die rumänische Agrarreform zu einer radikalen Umwandlung der Besitzverhältnisse. Die Kirche verlor die Hälfte ihres Grundbesitzes, über 20.000 ha Grund und Boden gingen auch der Nationsuniversität verloren. Die enteigneten Wald- und Wiesenflächen auf dem legendären Königsboden waren den rumänischen Gemeinden zuerkannt worden. Die Folge war eine Reduzierung der landwirtschaftlichen Nutzfläche für die sächsischen Bauern. Damit verringerten sich die Einnahmen der Kirche, die aber weiterhin für die schulische Ausbildung verantwortlich war. Der Vermögensentzug konnte nur durch eine Erhöhung der Kirchen- und Schulsteuern aufgefangen werden. Viele der sächsischen Kleinbauern waren aber kaum mehr in der Lage, die erhöhten Schulsteuern für ihre Kinder zu bezahlen. Wegen der schlechten Bezahlung kam es in den Jahren 1920/21 sogar zu Protesten innerhalb der sächsischen Lehrerschaft. Die negativen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf den rumänischen Agrarmarkt trieben die kleinbäuerlichen Betriebe der Sachsen noch weiter in das wirtschaftliche Abseits. Die erste Phase der Integration der Siebenbürger Sachsen in den rumänischen Staat war mit den Jahren 1923/24 abgeschlossen. Sie brachte für die sächsische Volksgruppe eine Reihe von wichtigen Umwälzungen und Modernisierungsschüben, auf die sie nur schlecht vorbereitet war. Das konservative Sozialgefüge der Siebenbürger Sachsen brachte ein deutliches Demokratiedefizit zu Tage. So erwies sich etwa in der politischen Entscheidungsfindung die nicht klar geregelte Trennung von Kirche und Politik als Nachteil. 1922 gründete Fritz Fabritius (1883-1957) in Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszeben) die Deutsch-Sächsische Selbsthilfe, die zunächst als soziale Einrichtung mit günstigen Krediten vornehmlich den Kleinbauern, Handwerkern und mittelständischen Betrieben zu helfen bestrebt war. Die Selbsthilfe war ideologisch den großdeutschen Idealen verpflichtet und zeigte bereits in ihren Anfängen deutliche Berührungspunkte zu einer völkischen Interpretation der deutschen Volksgemeinschaft. Neben der Selbsthilfe wurden weitere Vereinigungen zum Schutz der sächsischen Interessen gegründet. Dazu zählten der Hermannstädter Bürgerabend von Rudolf Brandsch, das Klingsor (1924) und der Sachsenbund (1926). Diese Erneuerungsbewegungen traten immer deutlicher in Opposition zum Volksrat, der durch seine Politik der Anpassung zunehmend auf Ablehnung innerhalb der sächsischen Bevölkerung stieß. Die Erneuerer traten für eine konsequente Oppositionspolitik gegenüber Bukarest (rum. Bucareþti) ein und sprachen sich deutlich gegen die gängige Praxis der Wahlabsprachen aus. Man forderte die Gleichstellung der sächsischen Volksgruppe und eine autonome Verwaltung des sächsischen Kirchen- und Schulwesens. Am 22. Mai 1932 wurde aus der Selbsthilfe von Fritz Fabritius die Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumänien (NSDR) ins Leben gerufen, die bereits am 6. November 1932 ein klares politisches Bekenntnis zu Adolf Hitler ablegte: "Aus der Erkenntnis heraus, dass Rasse und Volkstum von Gott gegebene Güter sind, die darum für uns eine heilige Gabe und Aufgabe zugleich bedeuten, aus der Erkenntnis heraus, dass Ich- und Raffsucht durch volksfremde Gedanken zum Bolschewismus führen, sieht die Volksversamm36
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lung es als ihre vornehmliche Pflicht an, sich zu dem Geiste und den Lehren Adolf Hitlers zu bekennen."16 Der 5. Sachsentag in Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszeben) vom 1. Oktober 1933 war mit seinen 4.000-6.000 Teilnehmern um eine Demonstration der inneren Geschlossenheit der Volksgruppe bemüht. Der Volksrat konnte sich zwar neuerlich als oberste politische Vertreterinstanz behaupten, musste aber den Erneuerern zahlreiche Zugeständnisse machen. So wurden etwa das Wahlalter auf 21 Jahre herabgesetzt, die Direktwahl eingeführt und die Zulassung von mehreren Parteien im Volksrat beschlossen. Die NSDR konnte zwar am Sachsentag ihren Führungsanspruch noch nicht durchsetzen, bestimmte aber den im Volksprogramm der Siebenbürger Sachsen vom 1. Oktober 1933 festgelegten Kurs ganz entscheidend mit (in Auszügen): 1.)
Wir bekennen uns zur Einheit aller Deutschen der Welt, mit denen wir ein einziges großes Volk bilden. In unwandelbarer Verbundenheit mit unserer Heimat stehen wir auf dem Boden des Staates Rumänien, dem wir mit unserer Kraft und Treue zur Verfügung stehen.
2.)
Wir sprechen aus, dass der Staat seine Bestimmung nur dann erfüllt, wenn er die in ihm zusammengefassten Völker und Volksteile in gleicher und gerechter Weise fördert und schützt.
3.)
Die Gesamtheit der Deutschen in Rumänien bildet eine völkische und politische Einheit mit Rechten und Pflichten nach innen und nach außen.
4.)
Die Volksgemeinschaft hat dafür Sorge zu tragen, dass jeder Volksgenosse zu einer völkischen und christlichen Lebensanschauung erzogen werde. Sie hat ihren Angehörigen Lebensraum und ausreichende Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, den sozialen Ausgleich unter ihnen anzustreben und durch Erziehung, Aufklärung und Einwirkung jeder Art die Überzeugung zu wecken und lebendig zu halten, dass das deutsche Volk eine gottgegebene Einheit und jeder Volksgenosse unser Bruder gleichen Blutes ist, für den alle mitverantwortlich sind.
5.)
Jeder Sachse hat das Volksprogramm einzuhalten und Volksdisziplin zu wahren.
6.)
Wir fordern die Einlösung der in den Karlsburger Beschlüssen feierlich übernommenen Verpflichtungen, auf Grund derer sich unsere Einfügung in den rumänischen Staat vollzogen hat.
7.)
Wir fordern die Schaffung eines Staatsgrundgesetzes, das uns für alle Zeiten das Recht gewährleistet, uns zur Erfüllung unserer besonderen kulturellen, nationalen und wirtschaftlichen Aufgaben politisch als einheitliche Nation frei zu organisieren.
Das Volksprogramm verdeutlichte, dass sich die Erneuerer und die alte Volksratsführung in ihrer Volkstumspolitik näher gekommen waren. Die Radikalisierung der Sprache und das engagierte Auftreten der Erneuerer im politischen Alltag führte dazu, dass der rumänische Staat am 4. Juli 1934 über die Partei von Fritz Fabritius, die inzwischen in Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien umbenannt worden war, ein Verbot verhängte. Dadurch fielen nach den Parlamentswahlen die Mandate wieder zur Gänze den sächsischen Konservativen zu. In den Jahren 1937-38 steigerte sich der rumänische Nationalismus, der zu zahlreichen restriktiven Maßnahmen gegen die Minderheiten führte, von denen auch die Siebenbürger Sachsen betroffen waren. So wurden die Stiftungen der Sächsischen Nationsuniversität aufgelöst und die Erträ16
Schödl, S. 563.
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ge zwischen der sächsisch-evangelischen, der rumänisch-orthodoxen und der rumänisch-unierten Kirche aufgeteilt. Im Februar 1938 proklamierte der rumänische Monarch Carol II. (18931953 ) eine Königsdiktatur, wodurch es zu einer politischen und ideologischen Annäherung zwischen dem Dritten Reich und Rumänien kam. 1918 waren auch die 315.000 Banater Schwaben gegen die Teilung des Banats gewesen, mussten aber zuerst den Einmarsch serbischer, schließlich den Einmarsch rumänischer Truppen 1919 akzeptieren. Am 8. August 1920 gab Kaspar Muth als Abgeordneter im rumänischen Parlament eine Loyalitätserklärung zum neuen Vaterland ab. Mit der Gründung der eher katholisch-konservativ orientierten Deutsch-Schwäbischen Volksgemeinschaft in Temeschburg (rum.Timiþoara, ung.Temesvár), mit 40.000 deutschen Einwohnern das kulturelle und geistige Zentrum im östlichen Banat, wurde nach den Zielen der deutschen Volksgruppenführung ein überparteilicher Interessensverband ins Leben gerufen, der alle Deutschen im östlichen Banat und die weit nördlich gelegenen rumänischen Schwaben im Komitat Sathmar vertreten sollte. Neben den sehr beschränkten Möglichkeiten der Deutsch-Schwäbischen Volksgemeinschaft, deren Arbeit unter der zerstreuten Lage der Deutschen im Ostbanat zu leiden hatte, spielte die katholische Kirche eine gewichtige Rolle, die unter Bischof Augustin Pacha (1870-1954) das kulturelle Leben der deutschen Volksgruppe betreute. Im ganzen rumänischen Banat wurden deutschsprachige Schulen errichtet, deren Lehrerschaft vornehmlich in der Lehrerbildungsanstalt Banatia in Temeschburg ausgebildet wurde. Diese bildungspolitischen Initiativen erwirkten einen spürbaren Rückgang des magyarischen Erbes, das etwa bei den 45.000 Sathmarer Schwaben fast zur vollstänBanatia in Temeschburg digen Verdrängung der deutschen Identität geführt hatte. Zum ungarischen Erbe gehörte auch das landwirtschaftliche Genossenschaftssystem und das schwäbische Bankwesen, die 1919 in den Schwäbischen Landwirtschaftsverein mündeten, der gemeinsam mit dem im selben Jahr gegründeten Banater Deutschen Kulturverein eine deutschnational ausgerichtete Oppositionsbewegung zur Deutsch-Schwäbischen Volksgemeinschaft darstellte. Die Folgen der rumänischen Bodenreform, die sich in den wirtschaftlichen Krisenerscheinungen der Jahre 1929 bis 1933/34 besonders negativ auf die Situation der kleinund mittelbäuerlichen Betriebe auswirkte, und die Maßnahmen der rumänischen Staatsführung gegen die Minderheiten provozierten innerhalb der deutschen Volksgruppe des Ostbanats eine Situation, die der im siebenbürgischen Raum ähnlich war. Die Erneuerer unter den Banater Schwaben, die sich in der Jungschwäbischen Bewegung oder in der Freien Deutschen Gemeinschaft formierten, waren mit der Konsenspolitik der alten Volksgruppenführung nicht mehr einverstanden. In diesem internen Konfliktfeld kam es zur Spaltung zwischen der alten Führung, der sich auch die gemäßigten, katholisch ausgerichteten Erneuerer zuwandten, und dem radikalen Erneuerungsflügel, der sich dem Verband der Deutschen in Rumänien anschloss. Durch die ideologischen Annäherungen zwischen der rumänischen Königsdiktatur und dem Dritten Reich gerieten auch die Banater Schwaben ins Fahrwasser der nationalsozialistischen Volksgruppenpolitik. Neben den Sachsen und Landlern in Siebenbürgen sowie den Schwaben im rumänischen Banat und im Komitat Sathmar gehörten nach der Volkszählung von 1930 weitere 81.089 Bessarabiendeutsche, 75.533 Dobrudschadeutsche und die Deutschen in der Südbukowina zur deut38
Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
deutschen Minderheit im rumänischen Königreich der Zwischenkriegszeit. Die Politik der deutschen Minderheit litt unter der mangelnden Zusammenarbeit der einzelnen deutschen Volksgruppen, die nicht nur geografisch weit voneinander getrennt waren, sondern sich auch historisch ganz unterschiedlich entwickelt hatten, so dass es nicht möglich war, politisch mit einem gemeinsamen Programm in der rumänischen Öffentlichkeit aufzutreten. 13.3. Die deutsche Minderheit in Ungarn Die politischen Verhältnisse in Ungarn nach Trianon begünstigten eine betont nationalistische Ausrichtung, die wenig Raum für eine liberale und konstruktive Minderheitenpolitik übrig ließ. An der Spitze der deutschen Volksgruppe stand Jakob Bleyer (1874-1933), der schon in seinem Wirken als ungarischer Nationalitätenminister vom 7. August 1919 bis 19. Juni 1920 resignierend feststellte, dass eine noch viel stärkere Magyarisierung der deutschen Volksgruppe in Ungarn erfolgen werde. Im Trianon-Ungarn lebten nach der Volkszählung von 1920 über 551.000 Deutsche, von denen eine Mehrheit von 56% als Bauern oder Landarbeiter tätig war. Lediglich eine kleine Minderheit von 1,7% der deutschen Bauern zählte zu den Großbauern. 25% der Ungarndeutschen gehörten dem Industrieproletariat an, 15% waren als Unternehmer im Handel oder anderen Gewerbezweigen tätig. Die IntelligenzJakob Bleyer schicht war unter den Ungarndeutschen mit 4% sehr dünn. In den (1874-1933) ungarischen Städten vollzog sich eine viel schnellere Abnahme des Deutschtums als in den ländlichen Gebieten, wo sich die dörfliche Struktur in ihrer ethnischen Zusammensetzung halten konnte. Die ersten Ansätze für eine deutsche Minderheitenpolitik nach Trianon erfolgten unter der Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten István Bethlen (1921-1931). Bleyer gab seit Jänner 1921 das Sonntagsblatt für das deutsche Volk in Ungarn heraus, das in erster Linie an das schwäbisch-bäuerliche Leserpublikum gerichtet war. Bleyer wollte eine Verbesserung des deutschen Schulwesens erreichen und durch gezielte Fortbildungsprogramme den Bildungsstand in der Volksgruppe anheben. Das Deutschtum in Ungarn sollte durch die Herausgabe von Heimatliteratur und durch landesweite Kulturveranstaltungen gestärkt werden. Mit der Bildung des Deutsch-Ungarischen Volksrats forderte Bleyer die Errichtung eines deutschen Schulsystems und die literarische Pflege der deutschen Sprache im eigenen Siedlungsgebiet. Am 15. Juni 1923 gründete Bleyer zur Umsetzung dieser Ziele den Ungarländischen Deutschen Volksbildungsverein (UDV). Bleyers UDV sollte frei von jeder Politik die kulturellen und sprachlichen Traditionen der deutschen Volksgruppe in Ungarn auf Grundlage einer christlichen Ethik fördern, um dadurch die Bindung zum ungarischen Vaterland zu stärken. 1926 war Bleyer über die Liste der Regierungspartei zu einem Mandat im ungarischen Parlament gekommen, wo er im Interesse der deutschen Minderheit die im UDV formulierten Ziele zu vertreten versuchte. Dazu zählte in erster Linie der Ausbau des deutschen Schulwesens. Aber erst 1928 unternahm die ungarische Regierung auf Drängen Berlins Schritte zur Förderung des zweisprachigen Schultyps (Typ B), in dem Deutsch neben Ungarisch als gleichberechtigte Unterrichtssprache zur Anwendung hätte kommen sollen. Trotz leichter Verbesserungen blieb aber die ungarische Unterrichtssprache vorherrschend. Bleyers Minderheitenkonzept orientierte sich an der Errichtung einer Kulturautonomie für die ungarndeutsche Volksgruppe, die sich ohne Einfluss von außen im Rahmen des ungarischen Staatsverbandes eigenständig verwirklichen sollte. Die zögerliche Haltung der ungarischen Regierung führte bei Bleyer ab 1932 zu einer Neupositionierung, die letztlich aus dem Ergebnis der Volkszählung von 1930 und den Folgen der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland resultierte. Bei der Volkszählung von 1930 39
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bekannten sich nur mehr 478.000 Personen (5% der Gesamtbevölkerung) zur deutschen Nationalität. Bleyer sprach sich nun zunehmend für die Heranbildung einer ungarndeutschen Elite aus, die in Zusammenarbeit mit reichsdeutschen Stellen Druck auf Budapest ausüben sollte. Zum engsten Beraterkreis Bleyers gehörte Gustav Gratz (1875-1946), der dem UDV bis zu seinem Rücktritt von 1932 vorgestanden hatte. Gratz sprach sich als Abgeordneter der ungarischen Regierungspartei im Parlament gegen eine eigenständige deutsche Minderheitenpolitik aus und verlegte seine programmatischen Schwerpunkte auf die kulturelle Ebene, wobei sich Gratz vor allem für die Bewahrung der ungarndeutschen Identität einsetzte. Gratz selbst bezeichnete sich als ungarischer Politiker deutscher Abstammung, der die Meinung vertrat, dass das Verhältnis zwischen Staatsnation und UDV-Führung einer deutschnational ausgerichteten Minderheitenpolitik keinen Platz bietet. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 fürchtete Gratz eine Radikalisierung der ungarischen Innenpolitik zu Lasten der deutschen Volksgruppe, die nach seiner Meinung nur allzu leicht in eine zu starke Abhängigkeit Berlins geraten könnte. Die Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre brachte die Regierung unter Graf István Bethlen (1874-1947) zu Fall. Der rechtsnationale ungarische Ministerpräsident Gyula Gömbös (1886-1936) arrangierte sich mit Gratz und gab dem deutschen Außenamt zu verstehen, dass die deutsche Frage ausschließlich eine Angelegenheit der ungarischen Innenpolitik darstelle. Hitler versicherte Gömbös, die bilateralen Beziehungen zu Budapest wegen der deutschen Volksgruppe nicht unnötig belasten zu wollen. Am 6. Mai 1934 wurde Gratz neuerlich zum Vorsitzenden des UDV gewählt. Nach dem Tod Bleyers spitzte sich die interne Diskussion um die künftige Ausrichtung der ungarndeutschen Minderheitenpolitik weiter zu. Dem Konzept einer deutsch-völkischen Orientierung stand der im ungarländischen Traditionsbewusstsein fest verankerte ungarndeutsche Konservatismus von Gustav Gratz gegenüber. Gratz vertrat in dieser Auseinandersetzung die Meinung, dass eine konsequente deutschnationale Minderheitenpolitik nicht nur den Einfluss des Dritten Reichs stärken würde, sondern eine ernsthafte Konfrontation mit dem magyarischen Nationalismus drohen würde. Die Erneuerer unter der Führung von Franz Basch (1901-1945), einem engen Weggefährten Bleyers, suchten hingegen die politische Auseinandersetzung und formierten sich in der Volksdeutschen Kameradschaft. 1938 wurde von Basch der Volksbund der Deutschen in Ungarn (VDU) ins Leben gerufen und im April 1939 von den ungarischen Behörden genehmigt. Mit der Gründung der Volksdeutschen Kameradschaft radikalisierte sich jedoch das Verhältnis innerhalb der deutschen Volksgruppe, weil Basch die Konsenspolitik der bisherigen deutschen Volksgruppenführung ablehnte und sich der VDU programmatisch sehr stark am nationalsozialistischen Vorbild orientierte. Basch erhob als Führer des VDU eine Reihe weitreichender Forderungen gegenüber der ungarischen Regierung, die außerhalb der Tradition der ungarischen Minderheitenpolitik stand. Dazu zählten: 1.) die Anerkennung der deutschen Volksgruppe als Rechtspersönlichkeit, 2.) die Lösung der Schulfrage im Sinne des geforderten Muttersprachenunterrichts, 3.) der ungehinderte Ausbau eines deutschen Pressewesens, 4.) das Recht zur Gründung von Vereinen, 5.) die Einführung der deutschen Predigtsprache und 6.) das Recht zur Gründung einer volksdeutschen Partei. Basch erklärte in seinem Volksprogramm, dass die "Volkstreue eine der Staatstreue ebenbürtige Pflicht"17 darstelle. Dieses Doppelbekenntnis, das zwischen Staatsloyalität und völkischer Treue unterschied, war vielfach die Ursache für das Misstrauen der ungarischen Staatsnation gegenüber der deutschen Minderheit. Die bilateralen Spannungen, die in den Jahren 1936 bis 1938 zwischen der Regierung Kálmán Darányis (18861939) und der nationalsozialistischen Führung in Berlin herrschten, wurden nach dem Münchner Abkommen vom 30. September 1938 und der militärischen Zerschlagung der Ersten Tschechoslowakischen Republik rasch beseitigt, nachdem Ungarn mit dem Ersten Wiener Schiedsspruch vom 2. November 1938 die südlichen Gebiete der Slowakei zugefallen waren. 17
Schödl, S. 491.
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13.4. Die deutsche Minderheit im slowakischen Teil der Tschechoslowakei Die Situation des Deutschtums auf slowakischem Gebiet war bereits ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die erfolgreiche Magyarisierung Oberungarns in seiner Existenz sehr stark eingeschränkt worden. Es gab nur noch einige wenige deutsche Sprachinseln in Preßburg (slow. Bratislava, ung. Pozsony) und Umgebung, im Hauerland mit Kremnitz (slow. Kremnica) und in der Oberzips um Käsmark (slow. Kežmarok). 1921 bekannten sich auf slowakischem Boden 122.000 Personen zu ihrer deutschen Abstammung. Die Karpatendeutschen sprachen sich 1918/19 im Unterschied zu den Sudetendeutschen in Böhmen und Mähren nicht für einen Verbleib bei Österreich aus, sondern wollten bei Ungarn bleiben. Selbst als die tschechoslowakische Regierung mit der Errichtung von deutschen Minderheitenschulen auf slowakischem Gebiet begann, um damit die engen historischen Beziehungen zwischen den Karpatendeutschen und den Magyaren zu lösen, traten die Karpatendeutschen mehrheitlich für die Beibehaltung der ungarischen Schulen ein. Der Staat reagierte damit, dass für die Deutschen und Magyaren vermehrt slowakische Schulen eingerichtet wurden. Am 18. Dezember 1918 gründete der katholische Priester Andrej Hlinka (1864-1938) die nationalkonservative Slowakische Volkspartei, die sich für die Umsetzung der slowakischen Landesautonomie und Selbstverwaltung im Rahmen der Tschechoslowakei einsetzte. 1919 nahm der Deutsche Kulturverband seine Arbeit auf und konzentrierte sich zunächst auf die verbliebenen deutschen Sprachinseln. Bei den ersten tschechoslowakischen Parlamentswahlen 1920 unterstützten die Karpatendeutschen mehrheitlich die ungarischen Parteien. Erst 1929 wurde die Karpatendeutsche Partei (KdP) gegründet, die ab 1933 unter Franz Karmasin (1901-1970) einen stärkeren Kontakt zu Konrad Henleins (1898-1945) Sudetendeutscher Heimatfront pflegte, die 1935 bei den Parlamentswahlen als Sudetendeutsche Partei (SdP) kandidierte. Franz Karmasin war sudetendeutscher Abstammung und Führer der karpatendeutschen Erneuerungsbewegung. 1935 schloss die KdP ein Wahlbündnis mit der SdP und errang 30.000 Stimmen, was ihr zwei Mandate sicherte. Henlein übernahm auch den Vorsitz in der KdP, sein Stellvertreter war Karmasin, der nach der Wahl von 1935 Abgeordneter im tschechoslowakischen Parlament war. Nach dem Tod Hlinkas übernahm der Priester Josef Tiso (1887-1947) die Führung der Slowakischen Volkspartei, deren rechtsextremer Flügel unter Vojtech Tuka (1880-1946) die staatliche Unabhängigkeit von Prag forderte und für eine ideologische Annäherung an das NS-Regime eintrat. Am 8. Oktober 1938 erfolgte nach dem Münchner Abkommen vom 29. September 1938, das die mehrheitlich deutsch besiedelten Randgebiete Böhmens und Mährens (Sudetenland) an das Dritte Reich anschloss, die Umbenennung der KdP in Deutsche Partei (DP). Die DP organisierte sich nach dem Vorbild der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und arbeitete eng mit Tuka zusammen. Am 6. Oktober 1938 stellten sich in Sillein (slow. Žilina, ung. Zsolna) mit Ausnahme der Kommunisten und Sozialdemokraten alle politischen Organisationen hinter das Programm der Slowakischen Josef Tiso - Priester und Politiker Volkspartei und bildeten mit dieser bereits am nächsten Tag eine (1887-1947) Koalitionsregierung, die von Tiso als Ministerpräsident angeführt wurde. In dieser Regierung war auch die karpatendeutsche Volksgruppe vertreten. Karmasin übernahm am 10. Oktober 1938 das am selben Tag neu eingerichtete Staatssekretariat für die Angelegenheiten der deutschen Volksgruppe in der Slowakei. Nach dem Verbot der linksorientierten Parteien wurde am 8. November 1938 das Einparteiensystem eingeführt. Zur Radikalisierung des öffentlichen und politischen Lebens trugen zudem paramilitärische Formationen wie die Hlinka-Garden bei, die sich nach dem Vorbild der SA organisierten und eine betont nationalslowakische, antisemitische und antitschechische Propaganda verbrei41
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teten. In dieser Situation versicherte Tiso am 27. November 1938 gegenüber Karmasin, dass den Deutschen in der Slowakei die "absolute Freiheit des völkischen Bekenntnisses, der Bestand einer eigenen, nach nationalsozialistischen Führungsgrundsätzen aufgebauten Volksorganisation, der Gebrauch aller derjenigen Zeichen und Symbole, die ihre Zugehörigkeit zum deutschen Volk und seiner nationalsozialistischen Weltanschauung versinnbildlichen"18, garantiert wird. Am 14. März 1939 erklärte der slowakische Landtag unter Druck Hitlers seine Unabhängigkeit von Prag, womit die Slowakei mit 2,6 Millionen Einwohnern und einer Fläche von etwa 38.000 km² ihre staatliche Souveränität erhielt. Schon einen Tag später marschierten deutsche Truppen in die Rest-Tschechoslowakei ein und errichteten das Protektorat Böhmen und Mähren. Die Karpato-Ukraine wurde mit Zustimmung Hitlers von ungarischen Truppen besetzt und annektiert.
14. Der Zweite Weltkrieg und die Folgen Die Annäherung der deutschen Volksgruppenführung an die nationalsozialistische Ideologie führte schon sehr bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland von 1933 zu einer politischen Instrumentalisierung der Minderheitenpolitik durch Berlin und spätestens nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 zu einer ideologischen Gleichschaltung der volksdeutschen Einrichtungen über die Volksdeutsche Mittelstelle (VOMI). Die Übernahme und öffentliche Präsentation nationalsozialistischer Symbole erweckte innerhalb der nichtdeutschen Mehrheitsbevölkerung Ungarns, Rumäniens, Jugoslawiens, Polens und der Tschechoslowakei den Eindruck einer weitgehenden Identifikation der Volksdeutschen mit der nationalsozialistischen Rassenlehre, die vornehmlich Juden und Slawen als rassisch minderwertig bezeichnete. Auf der anderen Seite wurden die Volksdeutschen vom NS-Staat als Teil der deutschen Volksgemeinschaft behandelt, die dem Führer Adolf Hitler zu Treue und Gehorsam verpflichtet war. Das Bekenntnis der Volksgruppenführung zur nationalsozialistischen Weltanschauung und die offen propagierte Loyalität zum deutschen NS-Regime vertiefte die Entfremdung zur eigenen Staatsmacht und bewirkte Spaltungen innerhalb der Volksgruppe. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verstärkte sich der Einfluss des Dritten Reiches auf die deutschen Volksgruppen in den mit Deutschland verbündeten Staaten, weil aus den Reihen der deutschen Minderheit Soldaten für die SS rekrutiert wurden. Gleichzeitig erhielten die deutschen Volksgruppen in Rumänien, Ungarn, der Slowakei, Kroatien und Serbien zahlreiche Sonderprivilegien und weitreichende Autonomierechte zuerkannt, wodurch es der Volksgruppenführung möglich war, im Interesse Berlins eine aktivere Rolle in den Bereichen des öffentlichen Lebens und der Verwaltung einzunehmen. Diese Entwicklung führte zu einer engen Anbindung an die machtpolitischen Zielsetzungen der Volksdeutschen Mittelstelle (VOMI), die eine immer stärkere Befehlsgewalt auf die volksdeutsche Führungsebene Volksdeutsche Mittelstelle (VOMI) ausübte. Obwohl die Volksdeutschen letztlich keine direkte Entscheidungsgewalt inne hatten, spielten ihre politischen Vertreter auf der mittleren und unteren Verwaltungsebene bei der Umsetzung der deutschen Kriegsziele eine 18
Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei. Bd. IV/1. Hg. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Berlin 1957, S. 149f.
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Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
nicht unbedeutende Rolle. Diese Mitverantwortung wird man den volksdeutschen Eliten auch im Zusammenhang mit der Verbreitung des völkisch geprägten Antisemitismus, der Arisierung jüdischen Vermögens und der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gegen die jüdische und slawische Bevölkerung in Ostmittel- und Südosteuropa zuteilen müssen. Den engen Verflechtungen der Volksdeutschen mit dem NS-Machtapparat stand anderseits ein aktiver volksdeutscher NS-Widerstand gegenüber, der in der historischen Beurteilung der Volksdeutschen in der NS-Zeit auf gleichwertiger Ebene berücksichtigt werden muss. In der legendären Reichstagsrede vom 6. Oktober 1939 forderte Hitler im Berliner Sportpalast die Splitter des deutschen Volkstums auf, Heim ins Reich zu kommen. Hitler erklärte dabei als wichtigste Aufgabe für die Zeit nach dem Polenfeldzug "eine neue Ordnung der ethnografischen Verhältnisse, das heißt, eine Umsiedlung der Nationalitäten durchzuführen, so dass sich am Abschluss der Entwicklung bessere Trennungslinien ergeben, als es heute der Fall ist."19 Hitlers völkisches Programm zur Heimholung deutscher Volksgruppen wurde zunächst auf Grundlage zwischenstaatlicher Verträge geregelt. Dazu gehörten: a) b) c) d) e) f)
23. Juni 1939 Deutsch - italienischer Vertrag (Südtiroler) 15. Oktober 1939 Deutsch - estnischer Vertrag (Estlanddeutsche) 30. Oktober 1939 Deutsch - lettischer Vertrag (Lettlanddeutsche) 16. November 1939 Deutsch - sowjetischer Vertrag (Ost-Galizien- und Wolhyniendeutsche) 30. August 1940 Deutsch - ungarischer "Vertrag zum Schutz der Volksdeutschen" 5. September 1940 Deutsch - sowjetischer Vertrag über die Umsiedlung der Deutschen aus Bessarabien und aus der Nord-Bukowina in das Deutsche Reich
Heim ins Reich
g) h) i)
Identitätskarte: deutsche Umsiedlerin aus Bessarabien 19
j)
Herbst 1940 Umsiedlung der Deutschen aus dem Cholmer Land nach Deutschland 22. Oktober 1940 Deutsch-rumänischer Umsiedlungsvertrag 10. Jänner 1941 Deutsch - sowjetische Verträge über die Nachumsiedlung der Deutschen aus Estland, Lettland und Litauen 31. Oktober 1941 Übereinkommen mit Italien zur Umsiedlung der Gottscheer Deutschen in das Gebiet von Rann/Brežice längs der Save
Johannes F. Müller, Ostdeutsches Schicksal am Schwarzen Meer. Donzdorf 1981, S. 232.
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Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
14.1. Die Rumänien-Deutschen im Zweiten Weltkrieg Im Nicht-Angriffspakt zwischen dem Dritten Reich und der Sowjetunion vom 23. August 1939 wurde der europäische Südosten vorerst den Interessen beider Machtblöcke zugeteilt. Die Sowjetunion erhob nach der militärischen Zerschlagung Polens territoriale Ansprüche auf Bessarabien und die nördliche Bukowina, die seit der Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg dem rumänischen Staatsgebiet zugeteilt worden waren. Rumänien gab dem Druck Moskaus nach und überließ Bessarabien und die nördliche Bukowina den sowjetischen Truppen, nachdem Hitler erklärt hatte, kein Interesse an diesen Gebieten zu haben. Im September 1940 trat Rumänien auf Basis bilateraler Verhandlungen die Süddobrudscha an Bulgarien ab. Der Zweite Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940 trennte Nordsiebenbürgen von Siebenbürgen ab und wurde Ungarn überantwortet. Nur Mittel- und Südsiebenbürgen waren bei Rumänien verblieben. Ungarn waren damit die sächsische Bevölkerung um Bistritz (rum. Bistri½a, ung. Beszterce), die Sathmarer Schwaben und die Zipser aus Oberwischau (rum. Viþeul de Sus, ung. Felsõvisa) zugefallen. Damit hatte Rumänien insgesamt rund 30% seines Staatsgebietes an seine Nachbarn verloren, die deutsche Bevölkerung sank auf 542.000 Personen; davon gehörten nur mehr etwa 213.000 der siebenbürgisch-sächsischen Volksgruppe an. Am 5. September 1940 unterzeichnete das Deutsche Reich einen Umsiedlungsvertrag mit der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken): 93.000 Bessarabiendeutsche wurden mit der Bahn oder auf LKWs zu den Donauhäfen gebracht, wo sie mit dem Schiff ins Auffanglager Semlin (serb. Zemun) in Jugoslawien gebracht wurden. Von Semlin gelangten die Bessarabiendeutschen mit der Bahn schließlich nach Deutschland. Die 43.000 Deutschen aus der Nordbukowina kamen über Czernowitz (ukr. Èernivci, rum. Cern–u½i) und Krakau (poln. Kraków) mit der Bahn nach Schlesien. Ebenso schloss das Dritte Reich am 22. Oktober 1940 einen Umsiedlungsvertrag mit Rumänien ab, der den Transfer der deutsche Bevölkerung aus der Norddobrudscha und der Südbukowina in die vom Dritten Reich besetzten Gebiete Westpreußens, Oberschlesiens, des Warthegaus und des Protektorats Böhmen und Mähren regelte.
Bessarabiendeutsche Umsiedler
Registrierungsstelle für bessarabiendeutsche Umsiedler
Bessarabiendeutsche Umsiedler bei der Registrierung
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Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
Die 15.400 Dobrudschadeutschen wurden donauaufwärts nach Deutschland verschifft, die 52.000 Deutschen aus der südlichen Bukowina führte die Bahn zunächst nach Österreich. Insgesamt wurden bis zum Frühjahr 1944 ungefähr 215.000 Volksdeutsche aus Südosteuropa ins Deutsche Reich umgesiedelt. Am 23. November 1940 trat Rumänien dem Dreimächtepakt Deutschland, Italien und Japan bei, womit sich die deutsche Reichsführung einen direkten Einfluss auf die Agenden der rumänischen Minderheitenpolitik sichern konnte. Das rumänische Volksgruppengesetz von 1940, das von der Regierung in Bukarest (rum. Bucureþti) unter der Führung des rechtskonservativen Marschalls Ion Antonescu (1882-1946) erlassen wurde, räumte den Volksdeutschen in Rumänien die Möglichkeit ein, als rumänische juristische Person des öffentlichen Rechts zu wirken. Antonescu erklärte sich gegenüber Berlin zur Umsetzung der seinerzeitigen Karlsburger Beschlüsse bereit. Im November 1940 wurde in Mediasch (rum. Mediaþ, ung. Medgyes) die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei der Deutschen Volksgruppe in Rumänien gegründet. An die Spitze der deutschen Volksgruppe trat im September 1940 der Siebenbürger Sachse Andreas Schmidt (1912-1948). Unter Schmidts Führung erfolgte schließlich die ideologische Gleichschaltung aller Institutionen der Deutschen in Rumänien, von der auch die evangelische Kirche Siebenbürgens nicht verschont blieb.
Chronologie der Umsiedlung
I. Dobrudschadeutsche verlassen Haus und Hof
II. Steigen in die LKWs um
III. Besteigen die Schiffe
IV. Fahren donauaufwärts “heim ins Reich” und werden...
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V. ...feierlich begrüßt
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Bereits im Juni 1940 waren über die legendäre TausendMann-Aktion bis zu 1.500 Rumäniendeutsche für die Waffen-SS ausgemustert worden. Anderseits dienten bis 1942 über 40.000 rumänische Volksdeutsche in der rumänischen Armee, wozu sie aufgrund ihrer rumänischen Staatsbürgerschaft verpflichtet waren. 1943 wurde zwischen Berlin und Bukarest ein bilaterales Abkommen unterzeichnet, das rumänischen Staatsbürgern volksdeutscher Zugehörigkeit die Möglichkeit eröffnete, sich freiwillig zur Waffen-SS zu melden. Bis Ende 1943 meldeten sich 54.000 Volksdeutsche aus Siebenbürger Rumänien zur Waffen-SS. Der Sachsen 1941 Großteil von ihnen wurde in der SS-Division Prinz Eugen am Balkan oder an der Ostfront eingesetzt. Weitere 150.000 rumänische Volksdeutsche standen in den Reihen der Deutschen Wehrmacht oder kamen in der deutschen Rüstungsindustrie zum Einsatz. Am 23. August 1944 trat Rumänien nach dem Sturz des Antonescu-Regimes auf die Seite der Alliierten über. Die Rote Armee konnte nunmehr ohne nennenswerten Widerstand in den Karpatenraum vordringen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs erlitt die deutsche Volksgruppe SS-Rekruten der Siebenbürger Sachsen Rumäniens einen Verlust von 8.000 bis 9.000 gefallenen Soldaten. bei der Verabschiedung
Die Sathmarer-Schwaben wurden nach dem Zweiten Wiener Schiedsspruch Ungarn zugesprochen, wodurch eine neue Welle der Magyarisierung einsetzte. Die Banater Schwaben erhielten jedoch auf Grundlage bilateraler Vereinbarungen zwischen Berlin und Bukarest (rum. Bucureþti) eine autonome Verwaltung, jedoch blieb der eigene Wirkungsradius auf die von reichsdeutschen Stellen vorgegebenen Eckpunkte beschränkt. Am Ende des Zweiten Weltkriegs mussten die Banater Schwaben ähnlich wie die Siebenbürger Sachsen Enteignungen und Zwangsdeportationen erdulden. 14.2. Die Jugoslawien-Deutschen im Zweiten Weltkrieg Das Königreich Jugoslawien trat am 25. März 1941 mit den Unterschriften des jugoslawischen Ministerpräsidenten Dragiša Cvetkoviæ (1893-1969) und seines Außenministers Alexander Cincar-Markoviæ (1889-1952) in Wien dem Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien und Japan bei. Daraufhin organisierten serbische Offiziere einen Putsch gegen die jugoslawische Regierung und riefen den Thronfolger Peter II. Karadjordjeviæ zum König aus, der den Luftwaffengeneral Dušan Simoviæ (1882-1962) zum Ministerpräsidenten ernannte. Am 5. April 1941 schloss das Königreich Jugoslawien unter Peter II. einen Freundschafts- und Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion ab.
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Ungarischer Einmarsch in Jugoslawien
Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
Hitler hatte sofort nach Bekanntwerden des Putsches bereits am 27. März 1941 den Befehl erteilt, "Jugoslawien militärisch und als Staatsgebilde zu zerschlagen."20 Nach der militärischen Kapitulation der jugoslawischen Armee am 17. April 1941 wurde Jugoslawien zwischen Deutschland, Italien, Ungarn und Bulgarien aufgeteilt. Kroatien erklärte sich am 10. April 1941 zum Unabhängigen Staat Kroatien, dem Ante Paveliæ (1889-1959) als Führer der nationalistischen Ustaša-Bewegung vorstand. Dem unabhängigen Kroatien fiel die donauschwäbische Bevölkerung Slawoniens, Syrmiens und Bosniens zu. Die Donauschwaben im Westbanat bekamen eine weitgehende Autonomie zugesprochen und verblieben im stark verkleinerten und unter deutscher Militärverwaltung stehenden serbischen Staat, der unter der Führung von General Milan Nediæ stand. Die Batschka und das Baranja-Dreieck kamen mit ihren Donauschwaben zu Ungarn. Das Deutsche Reich selbst beanspruchte hauptsächlich slowenische Gebiete mit der Untersteiermark, dem Mießtal und der Oberkrain. Diese Gebiete wurden in weiterer Folge von den Gauleitern der beiden Reichsgaue Kärnten und Steiermark verwaltet und auf Befehl Hitlers der deutschen Zivilverwaltung unterstellt. Die Gottschee fiel an Italien, weshalb im Herbst 1941 die Umsiedlung der Gottscheer in die Untersteiermark durchgeführt wurde.
Aufteilung Jugoslawiens nach dem Aprilkrieg 1941
Bereits im Sommer 1941 formierten sich unter kommunistischer Führung Partisanenverbände gegen die Besatzungsmächte. Im Unabhängigen Staat Kroatien startete die Ustaša-Bewegung einen regelrechten Vernichtungsfeldzug gegen die serbische Minderheit. Die zunehmende Partisanentätigkeit radikalisierte die Gegenmaßnahmen der Besatzer, deren Aktionen auch die Zivilbevölkerung betrafen. Am 16. September 1941 erließ das Oberkommando der Wehrmacht 20
Arnold Suppan , Zwischen Adria und Karawanken. in: Deutsche Geschichte in Osten Europas. Berlin 1998, S. 390
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Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
(OKW) den Befehl Nr. 888 von Generalfeldmarschal Wilhelm Keitel (1882-1946), dass in Serbien für jeden getöteten Deutschen 100 Zivilisten erschossen werden. Diese Sühneaktionen gegen die serbische Zivilbevölkerung wurden auch wirklich durchgeführt. So wurden etwa am 20. Oktober 1941 in Kragujevac 2300 serbische Zivilisten erschossen. Unter den Opfern befanden sich 300 Schüler, die man zuvor aus der Schule getrieben hatte. Mit derselben Brutalität wurde auch die Vernichtung des serbische Judentums betrieben. Im Westbanat stellte die deutsche Volksgruppenführung als Reaktion auf die Übergriffe und Sabotageakte der Partisanen eine Schutzformation mit dem Namen Prinz Partisanenkampf Eugen auf, die anfänglich lediglich der zivilen Verteidigung diente. Im April 1942 wurde aber auf Befehl Hitlers die Aufstellung der SSFreiwilligen-Gebirgsdivision Prinz Eugen angeordnet. SS-Div. Prinz Eugen Die Deutsche Volksgruppe in Kroatien (DVGK) genoss nach Festlegung der politischen Führung der UstašaBewegung "das uneingeschränkte Recht zu politischer, kultureller, wirtschaftlicher und verwaltungsmäßiger Arbeit."21 Dieses Recht garantierte der DVGK unter Führung von Branimir Altgayer (1897-1950) das Bekenntnis zum Nationalsozialismus und eine enge Kontaktpflege zur nationalsozialistischen Führung in Berlin. Altgayer organisierte seinen Führungsstab nach NS-Muster und regelte die Anliegen der DVGK über die Nationalsozialistische Deutsche Gefolgschaft Kroatiens (NSDGK). 1941 gab es mit der Einsatzstaffel (ES) und der Deutschen Kroatische Ustaša Mannschaft (DM) zwei SS-Vorfeldorganisationen, die bei der Ausmusterung der Jugoslawiendeutschen zur Waffen-SS eine wichtige Rolle spielten. Der Außenminister des Dritten Reiches, Joachim von Ribbentrop (1893-1946), erklärte am 14. Juli 1942: "Die Erfordernisse der Kriegsführung machen es zur unbedingten Notwendigkeit, alle wehrfähigen deutschen Männer zum Einsatz an die Front heranzuziehen. Dies gilt auch für die deutschen Volksgruppen in den verschiedenen mit uns verbündeten Ländern."22 Im Dezember 1942 wurde auf Befehl Hitlers die Prinz Eugen in den kroatisch-bosnischen Raum verlegt, wo sie bis Kriegsende zur Bekämpfung der Partisanenbewegung eingesetzt wurde. Die kriegerischen Auseinandersetzungen wurden auf beiden Seiten mit äußerster Brutalität und Grausamkeit geführt. Am 26. November 1942 wurde in Bihaæ im Nordwesten Bosniens auf Initiative der militärischen Führung der Partisanenarmee das Antifašistièko veæe narodnog oslobodjenja Jugoslavije (Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens, AVNOJ) als oberstes legislatives Organ zur Befreiung der Völker Jugoslawiens gegründet, um das militärische Zusammenwirken der Partisanenverbände und der Volksbefreiungsausschüsse besser zu koordinieren. An die Spitze des Vollzugsausschusses des AVNOJ wurde der Kroate Ivan Ribar (1881-1968) gewählt. Der AVNOJ erklärte sich auf seiner zweiten Konferenz im bosnischen Jajce Ende November 1943 unter dem Vorsitz von Ivan Ribar zum obersten Legislativ21 22
Schödl, S. 336. Schödl, S. 338.
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und Exekutivorgan, das mit den Stimmen der 142 Delegierten die Gründung eines föderativen Jugoslawiens auf Basis des den jugoslawischen Völkern verbürgten Selbstbestimmungsrechtes und der nationalen Gleichberechtigung beschloss. Parallel dazu wurde als Regierung das Nacionalni komitet oslobodjenja Jugoslavije (Nationalkomitee zur Befreiung Jugoslawiens) mit Marschall Josip Broz Tito (1892-1980) an der Spitze gebildet. Tito hatte ab 1937 als Sekretär die im Untergrund tätige Kommunistischen Partei Jugoslawiens übernommen.
Josip Broz Tito, 2. v. links (1892-1980)
Nach der Kapitulation Rumäniens rückte die Rote Armee unaufhaltsam in das donauschwäbische Gebiet vor. Als Anfang September 1944 die Rote Armee bis in den Westbanat vorstieß, setzten Fluchtbewegungen und Evakuierungen ein. Lediglich in Syrmien und Slawonien, die zum kroatischen Staatsgebiet gehörten, konnte die deutsche Bevölkerung von den deutschen Militärbehörden rechtzeitig evakuiert werden. Die Evakuierung der deutschen Bevölkerung aus dem Westbanat und der Batschka erfolgte allerdings zu spät, obwohl für diese Gebiete ein ausgearbeiteter Evakuierungsplan vorgelegen hatte. Die Zeit war zu kurz, um noch vor dem Einrücken der Roten Armee die gesamte donauschwäbische Bevölkerung in Sicherheit zu bringen. Die Mehrheit der NS-Funktionäre mit Volksgruppenführer Sepp Janko konnten sich jedoch noch rechtzeitig absetzen. In vielen Orten der Batschka waren über neunzig Prozent der Deutschen zurückgeblieben. Insgesamt 250.000 Angehörige der donauschwäbischen Volksgruppe waren im Herbst aus ihren angestammten Heimatgebieten geflohen oder evaDonauschwäbischer Flüchtingstreck in der Obersteiermark im Winter 1944 kuiert worden, 200.000 wurden aber Gefangene der Roten Armee und der Partisanen. Am 21. November 1944 wurde vom AVNOJ eine Reihe von Bestimmungen Über den Übergang des feindlichen Vermögens in staatliches Eigentum, über die staatliche Verwaltung des Vermögens abwesender Personen und über die Beschlagnahme von Vermögen, welches die Besatzungsmächte gewaltsam enteigneten, erlassen, die dann am 6. Februar 1945 im Amtsblatt Jugoslawiens erschienen. Mit dem Tag des Inkrafttretens hatten in das Staatseigentum überzugehen: 1. 2.
3.
alles Vermögen des Deutschen Reiches und seiner Staatsbürger, das sich auf dem Gebiet Jugoslawiens befindet, alles Vermögen von Personen deutscher Nationalität mit Ausnahme jener Deutschen, die in den Reihen der Volksbefreiungsarmee oder in Partisaneneinheiten kämpften oder die Staatsbürger neutraler Staaten waren und sich während der Besetzung nicht feindlich verhielten, alles Vermögen von Kriegsverbrechern und ihrer Handlanger ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft und das Vermögen jener Personen, die, ungeachtet der Staatsbürgerschaft, durch ein ziviles oder militärisches Gericht zum Verlust des Vermögens zugunsten des Staates verurteilt wurden.
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Erst am 31. Juli 1946 wurden die Bestimmungen des AVNOJ durch das Parlament der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien als Gesetz zur Bestätigung und Änderung des Beschlusses über den Übergang von Feindvermögen in das Eigentum des Staates beschlossen. In weiteren Gesetzen und Erlässen wurden den Deutschen alle bürgerlichen Rechte aberkannt, ebenso das Wahlrecht. Eine Ausnahme von diesen Maßnahmen galt nur für jene Angehörigen der deutschen Volksgruppe, die als Partisanen aktiv im Widerstand gegen das NS-Okkupationsregime an der Seite der jugoslawischen Truppen gekämpft hatten oder mit südslawischen Partnern verheiratet waren. 14.3. Die Ungarn-Deutschen im Zweiten Weltkrieg Die Wiedererrichtung des ungarischen Großreichs der Stephanskrone wurde nach der Wiedereingliederung der südslowakischen Gebiete in den nationalkonservativen Kreisen der ungarischen Gesellschaft neuerlich zum erklärten Ziel hochstilisiert. Ungarn trat im Januar 1939 aus dem Völkerbund aus, beteiligte sich aber nicht am Krieg gegen Polen. Der Zweite Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940, der den Anschluss Nordsiebenbürgens an Ungarn festschrieb, führte zu einer weiteren Annäherung der ungarischen Außenpolitik an die Interessen des Dritten Reichs, die sich aber bald als Abhängigkeit erwies. Bereits am 2. November 1938 waren durch den Ersten Wiener Schiedsspruch Gebiete der Südslowakei in einem Ausmaß von 10.400 km² und 860.000 Personen an Ungarn gefallen. Die Anlehnung Ungarns an die deutsche Reichspolitik ermöglichte dem VDU einen verbreiterten Aktionsradius im Alltag der ungarischen Innenpolitik. Das Volksgruppenabkommen vom 30. August 1940 verschaffte der deutschen Minderheit zahlreiche Zusicherungen in der Schulpolitik und eine verstärkte Präsenz der deutschen Minderheiteneinrichtungen im öffentlichen Leben. Wenige Wochen zuvor war am 18. August 1940 das Deutsche Haus in Budapest eingeweiht worden. Die beiden Regierungen waren in einer gemeinsamen Erklärung zur Vereinbarung gelangt, dass die deutsche Volksgruppe das Recht erhält, sich ihr deutsches Volkstum uneingeschränkt zu erhalten. Die ungarische Regierung garantierte, dass "den Angehörigen der deutschen Volksgruppe aus der Tatsache ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe und aus ihrem Bekenntnis zur nationalsozialistischen Weltanschauung in keiner Weise und auf keinem Gebiet Nachteile irgendeiner Art erwachsen."23 Mit diesem Vertrag war der Schutz des deutschen Volkstums in die Hand des Führers gelegt worden. Anderseits wurde aber die Pflicht der Angehörigen der deutschen Volksgruppe zur vollen Loyalität gegenüber dem ungarischen Staat nicht in Frage gestellt. Im November 1940 trat Ungarn dem Dreimächtepakt Deutschland, Italien und Japan bei und machte sich damit für die Kriegspläne Deutschlands unentbehrlich. Ungarische Truppen beteiligten sich im April 1941 an der militärischen Zerschlagung Jugoslawiens und annektierten das Baranyadreieck und die Batschka. Im Winter 1941/42 kam es in der Batschka zu schrecklichen Ausschreitungen ungarischer Einheiten gegen Serben und Juden. Die berüchtigte Razzia in der Batschka kostete 2.455 Serben und 810 Juden das Leben. Das Zentrum dieser Ausschreitungen war Neusatz (serb. Novi Sad, ung. Újvidék). Der VDU konnte nun unter Mithilfe der VOMI in eine elitäre Organisation nach nationalsozialistischen Vorgaben umgebaut werden. Es entstanden Unterorganisationen wie die Deutsche Jugend oder die Deutsche Volkshilfe, deren politische Aufgabe es war, die deutsche Volksgruppe an die Ideologie des Nationalsozialismus heranzuführen. Neben dem VDU bemühten sich die ungarischen Faschisten, die sogenannten Pfeilkreuzler, oder die ungarische Partei der Kleinen Landwirte um die Gunst der assimilierten Ungarndeutschen. Große Sorgen bereitete der VDU-Führung jene Bestimmung im Zweiten Wiener Schiedsspruch, die eine Aussiedlung von jenen Teilen der deutschen Volksgruppe aus Ungarn andeutete, die von der Assimilation bedroht waren. Hitler hatte jedoch 23
Schödl, S. 508.
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in der weiteren Diskussion festgelegt, dass die Aussiedlung von Volksdeutschen aus Südosteuropa zumindest während der Dauer des Krieges zu unterbleiben hat. Ähnlich wie in Rumänien und Jugoslawien traten ab 1941 junge Ungarndeutsche zunächst freiwillig den Verbänden der Waffen-SS bei, nachdem sie zu Schulungskursen nach Deutschland eingeladen worden waren. Am 1. Februar 1942 unterzeichneten Budapest und Berlin ein Abkommen zur Bildung einer deutsch-ungarischen Musterungskommission, die es den Ungarndeutschen ermöglichte, zur Waffen-SS eingezogen zu werden. Anderseits dienten die Volksdeutschen Ungarns auch in den Reihen der ungarischen Armee. Nach einer amtlichen Zählung vom 28. Dezember 1943 standen 22.125 Ungarndeutsche in der Waffen-SS, 1.729 waren in der Deutschen Wehrmacht und 459 in wehrähnlichen Verbänden. Etwa 35.000 von ihnen entschieden sich für die ungarische Armee. Die ständigen Rekrutierungsforderungen der Reichsregierung und die drohende Niederlage des Dritten Reichs verstärkten das Spannungspotential zum ungarischen Satellitenstaat. Am 19. März 1944 kam es schließlich zur Besetzung Ungarns durch die verbündeten deutschen Truppen. Damit wurde die ungarndeutsche Minderheit in eine heikle Ausgangslage für künftige Verhandlungen mit der ungarischen Staatsmacht gebracht. Ab September 1944 rückte die Rote Armee auf ungarisches Staatsgebiet vor. Admiral Miklós von Horthy (1868-1957) bot den Sowjets einen Sonderfrieden an, wurde aber sofort von deutscher Seite abgesetzt. Die Nachfolge trat der Führer der Pfeilkreuzler, Ferenc Szálasi (1897-1946), an, unter dessen Regime der blutige Terror gegen die jüdische Bevölkerung und gegen die politische Opposition intensiviert wurde. Anfang Oktober 1944 stieß die Rote Armee in den Südosten Ungarns vor und eroberte den Banat und die Batschka. Die VOMI ordnete daher im Herbst 1944 die Evakuierung der deutschen Bevölkerung aus Südungarn an. Insgesamt waren über 50.000 Ungarndeutsche in der Baranya diesem Aufruf gefolgt. Erst nach der Besetzung Budapests durch die Rote Armee im Februar 1945 kam es unter der deutschen Volksgruppe zu größeren Fluchtbewegungen. Neben dem Schicksal von Flucht und Vertreibung wurden mindestens 60.000 deutsche Schwaben aus der Schwäbischen Ungarndeutsche Türkei zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Sowjetdeportierte 14.4. Die Karpaten-Deutschen im Zweiten Weltkrieg Obwohl die Unabhängigkeit von 27 Staaten anerkannt wurde, galt die Slowakei lediglich als Satellit des Dritten Reichs, der spätestens mit der Unterzeichnung des Schutzvertrages vom 23. März 1939 keine echte Souveränität mehr in der Innen- und Außenpolitik ausüben konnte. Die Regierung Tiso war verpflichtet, ihre Außenpolitik im engen Einvernehmen mit dem Dritten Reich zu gestalten und der deutschen Wehrmacht im Westteil des Landes eine militärische Schutzzone zu überlassen. Die Verfassung vom 21. Juli 1939 sicherte der Slowakischen Volkspartei den alleinigen Führungsanspruch zu und garantierte der deutschen Volksgruppe, an der Staatsgewalt teilzunehmen. Damit verstärkte sich die Zusammenarbeit zwischen dem Tuka-Flügel in der slowakischen Regierung und der Freiwilligen Schutzstaffel der DP. Unter Tuka als Innenminister und dem Anführer der Hlinka-Garde, Šaòo Mach (1902-1968), wurde die Slowakei schrittweise nach dem Vorbild des faschistischen Italiens und des deutschen NSRegimes in eine autoritäre Einparteiendiktatur umgebaut. Mit dem Ausbruch des Zweiten Welt-
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kriegs wuchs der Druck Berlins auf die slowakische Regierung, die der Wehrmacht das Land als Aufmarschgebiet gegen Polen überlassen musste. Die Slowakei sollte nach den Plänen der deutschen Militärführung unter Ausbeutung der wichtigsten wehrwirtschaftlichen Betriebe ein Bestandteil der deutschen Rüstungsindustrie werden. Am 24. November 1940 trat die Slowakei dem Dreimächtepakt Deutschland, Italien und Japan bei und nahm mit zwei Divisionen sogar am Feldzug gegen die Sowjetunion teil. Im Juni 1944 forderte Berlin wegen der hohen Verluste die Erlaubnis ein, auf slowakischem Staatsgebiet Werbung für die Waffen-SS machen zu dürfen. In der Innenpolitik wurde mit der Ernennung Tukas zum slowakischen Ministerpräsidenten Vorkehrungen zur Ausmerzung der 135.000 slowakischen Juden aus dem öffentlichen Leben getroffen. Der am 10. September 1941 erlassene Judenkodex ordnete die Enteignung, Entrechtung und Deportation der slowakischen Juden in die NS-Vernichtungslager Auschwitz, Lublin und Majdanek an, in denen 56.000 slowakische Juden die Gräuel des Holocaust nicht überlebten. Erst am 15. Mai 1942 wurden die Deportationen auf gesetzlicher Initiative des slowakischen Staatspräsidenten Tiso bis zum Herbst 1944 eingestellt. Am 29. August 1944 brach der slowakische Nationalaufstand los. Tiso bat Hitler um Unterstützung gegen die Aufständischen, die erst nach heftigen Kämpfen bis Ende Oktober 1944 von den deutschen Truppen geschlagen werden konnten. Am 5. April 1945 wurde nach dem militärischen Vorrücken der Roten Armee im ostslowakischen Kaschau (slow. Košice) das Programm der Regierung der nationalen Front der Tschechen und Slowaken verkündet.
15. Flucht, Vertreibung, Aussiedlung 15. 1. Rumänien Die deutsche Bevölkerung Mittel- und Südsiebenbürgens blieb trotz der seit August 1944 völlig veränderten militärischen Lage in ihren Wohngebieten und folgte den Aufrufen des Landeskirchenkurators Hans Otto Roth (1890-1953), der zu Besonnenheit und Ruhe gemahnt hatte. Nach der Unterzeichnung der sowjetisch-rumänischen Wirtschaftskonvention wurden aber ab dem Frühjahr 1945 bis zu 80.000 Rumäniendeutsche, von denen 26.000 der sächsischen Volksgruppe angehörten, zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Ungefähr 15% der Deportierten überlebten die sowjetischen Arbeitslager nicht. Der Großteil wurde erst 1950/51 aus der Zwangsarbeit entlassen und nach Rumänien zurückgeschickt. Ein gänzlich anderes Schicksal ereilte die Deutschen Nordsiebenbürgens, die evakuiert werden konnten. Bis November 1944 erreichten 48.000 von ihnen die österreichischen Gebiete in Nieder- und Oberösterreich. Ungefähr 12.000 wurden im Sommer 1945 von den sowjetischen Besatzungsbehörden wieder nach Rumänien zurückgeschickt. Im Unterschied zur Tschechoslowakei, Jugoslawien oder Ungarn fanden jedoch in Rumänien keine gewaltsamen Massenvertreibungen der Deutschen statt. Abgesehen von den umgesiedelten deutschen Volksgruppen (Buchenland- und Dobrudschadeutsche) blieb in Rumänien die Kultur der Sachsen, Landler und Schwaben nach dem Zweiten Weltkrieg bestehen. Treck aus Nordsiebenbürgen im Herbst 1944
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15. 2. Jugoslawien Knapp 200.000 Donauschwaben wurden im Herbst 1944 von der Kriegsfront überrollt und völlig hilflos einem grausamen Schicksal ausgeliefert. Bis 6. Oktober 1944 besetzte die Rote Armee den Westbanat und bis zum 23. Oktober 1944 schließlich die gesamte Batschka. Noch ehe sich aber eine geordnete Militärverwaltung etablieren konnte, wurden von den örtlichen serbischen kommunistischen Instanzen Volksbefreiungsausschüsse errichtet, die mit immer brutaleren Methoden gegen die deutsche Zivilbevölkerung vorgingen. Die Erschießungs- und Säuberungsaktionen betrafen vor allem wohlhabende deutsche Bürger im Alter von 16 bis 60 Jahren (NS-Funktionäre und Klassenfeinde) und forderten ab dem Herbst 1944 im Rahmen der sogenannten Aktion Intelligenzija rund 9.500 Todesopfer. Im Winter 1944/45 wurden in den donauschwäbischen Siedlungsgebieten Arbeitslager und Konzentrationslager für die entrechtete und enteignete Zivilbevölkerung eingerichtet, die es nach Kriegsende auch für die deutsche Volksgruppe auf slowenischem Gebiet geben sollte. Zwischen November 1944 und März 1948 kamen von den 170.000 zivilinternierten Deutschen mindestens 51.000 Donauschwaben auf der Flucht im Herbst durch Folter, Hunger oder Krankheit ums 1944 Leben, darunter 5.600-6.000 Kinder unter 14 Jahren. Über 12.000 Angehörige der donauschwäbischen Volksgruppe aus der Batschka und dem Banat wurden im Winter 1944 zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Mindestens 2.000 starben an Hunger, Erschöpfung oder Krankheit. Neben den 28.000 gefallenen Soldaten verlor die deutsche Bevölkerungsgruppe Jugoslawiens 64.000 Zivilpersonen. Der Gesamtverlust der jugoslawiendeutschen Bevölkerung belief sich daher auf über 90.000 Personen. Obwohl Jugoslawien im Artikel XIII des Potsdamer Abkommens (vgl. Pkt. 15.3.) nicht erwähnt wurde, erfolgten nach Kriegsende verschiedene Vertreibungsaktionen: zuerst aus Slowenien und SlawoLeiden der Donauschwaben: nien, ab 1946 auch aus der Vojvodina. In der Volkszählung 1948 “Donauschwäbische Passion” (Viktor Stürmer) wurden daher nur mehr 55.000 Deutsche registriert. 15. 3. Ungarn In mehreren Verordnungen der provisorischen Nationalregierung wurde am 15. März 1945 festgelegt, dass "der Grundbesitz der Landesverräter, der führenden Pfeilkreuzler, der Nationalsozialisten und anderen Faschisten, der Mitglieder des Volksbundes, ferner der Kriegsverbrecher und Volksfeinde" konfisziert wird und zur Umsiedlung nach Deutschland derjenige ungarische Staatsbürger verpflichtet ist, "der sich bei der letzten Volkszählung zur deutschen Volkszugehörigkeit oder Muttersprache bekannt hat oder der seinen magyarisierten Namen wieder in einen deutsch klingenden ändern ließ, ferner derjenige, der Mitglied des Volksbundes oder einer bewaffneten deutschen Formation (SS) war." Die Alliierten legten im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 unter Punkt XIII fest, "dass die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muss. Sie stimmen darin 53
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überein, dass jede derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen muss." Am 22. Dezember 1945 verabschiedete die ungarische Nationalversammlung eine entsprechende Verordnung über die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung Ungarns nach Deutschland. Ausgenommen von dieser Verordnung waren vor allem Personen, die a) "ihr 65. Lebensjahr schon vor dem 15. Dezember 1945 vollendet haben ", die b) "ein aktives Mitglied einer demokratischen Partei oder wenigstens seit 1940 Mitglied einer in den Verband des gehörenden Gewerkschaft" waren oder c) die "sich zwar zur deutschen Muttersprache, aber zum ungarischen Volkstum bekannt haben, wenn sie glaubhaft nachweisen, dass sie wegen ihrer nationalen Treue zum UngarnUngarndeutsche Vertriebene tum Verfolgungen erlitten haben."24 Die Aussiedlungen nach Süddeutschland begannen per Zug im Januar 1946 und wurden noch im selben Jahr beendet. 1950 befanden sich bereits 177.000 Volksdeutsche aus Ungarn in Deutschland, von denen 135.000 in der amerikanischen Besatzungszone angesiedelt wurden. Das österreichische Innenministerium zählte 1951 knapp über 16.000 ungarische Volksdeutsche auf österreichischem Staatsgebiet. Demnach hatten die ungarischen Aussiedlungsverordnungen nach 1945 mindestens 190.000 Angehörige der deutschen Volksgruppe betroffen. Die ungarndeutsche Volksgruppe hatte außerdem 5.000 bis 8.000 gefallene Soldaten zu beklagen. Von den 30.000 kriegsgefangenen und 25.000 zivilverschleppten Ungarndeutschen waren nach sowjetischen Angaben mindestens 6.000 ums Leben gekommen. 15. 4. Tschechoslowakei Die deutsche Bevölkerung der Ostslowakei wurde bereits seit Ende September 1944 evakuiert. Am 27. Oktober 1944 erfolgte schließlich von Himmler die Anordnung zur Evakuierung der gesamten deutschen Bevölkerung aus der Slowakei. Insgesamt waren 120.000 Karpatendeutsche von der Überführung in das sudetendeutsche Gebiet betroffen. Im Sommer 1945 wanderte ein Teil der Karpatendeutschen wieder in ihre Heimatgebiete zurück, durfte aber nicht bleiben und wurde vertrieben. Es kam dabei zu schweren Ausschreitungen gegen die Karpatendeutschen, deren Besitz auf Grundlage der Beneš-Dekrete Nr. 12 und 108 bereits entschädigungslos enteignet war. Ein furchtbares Massaker ereignete sich dabei in der Nähe des Bahnhof der mährischen Ortschaft Prerau (tsch.Pøerov), wo am 18. Juni 1945 auf einer Anhöhe (Schwedenschanze) 265 Karpatendeutsche (71 Männer, 120 Frauen und 74 Kinder) auf dem Heimweg in die Slowakei im Auftrag von zwei tschechischen Offizieren erschossen wurden. Nach dem Prager Aufstand vom 5. Mai 1945 war in Böhmen und Mähren eine Welle des Hasses gegen die deutsche Bevölkerung ausgebrochen, die bis Juni und Juli 1945 auch die sudetendeutschen Gebiete (Reichsgau Sudetenland) mit voller Wucht erreichte. Der tschechoslowakische Exilpräsident Eduard Beneš hatte bereits am 27. Oktober 1943 bei einer Rundfunkansprache in London unmissverständlich erklärt: "In unserem Land wird das Kriegsende mit Blut geschrieben. Den Deutschen wird erbarmungslos und vielfach alles zurückgezahlt, was sie in unserem Land seit dem Jahre 1938 angerichtet haben."25 Nahezu 800.000 Deutsche wurden 24
25
Das Schicksal der Deutschen in Ungarn. in: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa. Bd. II. Hg. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. 91 E, Anlage 5. zit. nach Niklas Perzi, Die Beneš-Dekrete. Eine europäische Tragödie. St. Pölten 2003, S. 208.
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Wilde Vertreibungen im Sommer 1945
Auf zum Sammelplatz vor dem Abschiebung 1945/46
zwischen Mai und Juli 1945 in wilden Vertreibungen mit Gewalt über die tschechoslowakischen Grenzen nach Deutschland und Österreich getrieben. Die organisierte Aussiedlung der deuschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei wurde ebenfalls auf Grundlage des Potsdamer Abkommens durchgeführt und betraf etwa 2,2 Millionen Deutsche. Nach Angaben der deutschtschechischen Historikerkommission forderte der antideutsche Gewaltexzess 30.000 Vertreibungsopfer. Rechnet man zu den Vertreibungsverlusten die 175.000 bis 190.000 sudeten- und karpatendeutschen Gefallen sowie die 35.000 bis 40.000 Zivilisten, die bei Bombenangriffen, im NS-Widerstand oder in den Konzentrationsla- Ausschreitungen gern ums Leben kamen, hinzu, ergibt gegen Deutsche in Prag Mai 1945 sich für die deutsche Volksgruppe in der Tschechoslowakei ein Gesamtverlust von 240.000 bis 260.000 Personen. Freilich besteht nach wie vor trotz der zu Beginn der 1990er Jahre durchgeführten Berechnungen der Verlustzahlen immer noch eine Dunkelziffer von einigen Zehntausend Vermissten.
16. Die deutschen Minderheiten nach dem Zweiten Weltkrieg 16. 1. Rumänien Das Volksgruppendekret vom 20. November 1940 hatte alle rumänischen Staatsbürger mit deutscher Muttersprache zu Mitgliedern der deutschen Volksgruppe erklärt. Damit konnte die deutsche Bevölkerung im Nachkriegsrumänien durch das Dekret 187, Pkt.c, kollektiv enteignet werden. Das Dekret Nr. 187 zur rumänischen Agrarreform vom 23. März 1945 ordnete Enteignungen für folgende Personengruppen an: a) rumänische Staatsbürger, die Angehörige der deutschen Waffen-SS waren, mit ihren Familienangehörigen in auf- und absteigender Linie, b) rumänische Staatsbürger, die mit der deutschen oder ungarischen Armee abgezogen sind, c) rumänische Staatsbürger deutscher Nationalität, die der deutschen Volksgruppe angehört haben, d) alle Personen, die auf dem Gebiet der Kultur, Politik oder Wirtschaft Hitlerische Propaganda betrieben haben und e) der gesamte landwirtschaftliche Besitz von Personen, die sich eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht haben.26 26
Das Schicksal der Deutschen in Rumänien. in: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa. Bd. III. Hg. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, S. 156 R, Anlage 10.
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Tatsächlich fielen durch die rumänische Agrarreform über 90% des gesamten landwirtschaftlichen Besitzes der deutschen Volksgruppe dem Staat zu. Neben der kollektiven Zwangsenteignung der landwirtschaftlichen Güter war die deutsche Bevölkerung in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg weiteren diskriminierenden Maßnahmen ausgesetzt. So waren die Deutschen durch die Verordnungen im Wahlgesetz vom 14. Juli 1946 vom Wahlrecht ausgeschlossen, obwohl alle rumänischen Staatsbürger unter der Regierung von Petru Groza (18841958) ohne Unterschied von Rasse, Nationalität, Sprache und Religion die gleichen Rechte zugesichert bekommen hatten. Erst 1948 verabschiedete die Rumänische Arbeiterpartei auf ihrem zweiten Parteikongress ein Maßnahmenprogramm zu den Anliegen der deutschen Volksgruppe im Sinne der kommunistischen Gesellschaftslehre. 1949 erfolgte die Gründung des Deutschen Antifaschistischen Komitees in Rumänien, um die deutsche Bevölkerung ideologisch für den sozialistischen Umbau der rumänischen Gesellschaft zu instrumentalisieren. Die Verfassung vom 24. September 1952 garantierte den nationalen Minderheiten wieder den Gebrauch der eigenen Muttersprache im öffentlichen Leben und als Unterrichtssprache, die Herausgabe von muttersprachlicher Literatur und die Pflege eines eigenen Kunst- und Theaterbetriebs. 1956 gab der rumänische Staat immerhin einen Großteil der 1945 enteigneten Häuser an die ehemaligen deutschen Besitzer zurück, nachdem schon 1954 die Nachkriegsbestimmungen gegen die Deutschen aufgehoben worden waren. Der deutschen Volksgruppe gehörten zu diesem Zeitpunkt noch 385.000 Personen an. Die Bestrebungen der rumänischen Staatsmacht, die Minderheiten gesellschaftspolitisch zu assimilieren, ohne ihre kulturellen Eigenheiten zu zerstören, garantierte den Volksgruppen zwar die Pflege der eigenen Identität, provozierte aber anderseits eine zunehmende staatliche Abhängigkeit und Bevormundung. 1968 wurde sogar ein eigener Rat der Werktätigen deutscher Nationalität gegründet, der nach offizieller Propaganda die Interessen der Minderheit im Staatsganzen fördern sollte. In Wirklichkeit schuf sich damit der kommunistische Staatsapparat eine wirksame Kontrollinstanz über die 383.000 Deutschen, die 1966 noch in Rumänien lebten. Einen direkten Einfluss auf die deutsche Volksgruppe sicherte sich der kommunistische Staatsapparat auch über das deutsche Pressewesen, das 1968/69 mit der Gründung der Karpatendeutschen Rundschau und der Hermannstädter Zeitung gleichgeschaltet wurde. Abseits der kommunistischen Kulturarbeit hatte die deutsche Volksgruppe im Rahmen der staatlich vorgegebenen Grenzen die Möglichkeit, ihre Bräuche, Feste und Traditionen zu pflegen. Die Führung der Kommunistischen Partei Rumäniens (RPK) ließ in der rumänischen Öffentlichkeit sogar verlautbaren, dass durch die Politik des nationalsozialistischen Deutschlands die damalige rumänische Führung Maßnahmen eingeführt hatte, die "viele Werktätige deutscher Nationalität zu Unrecht getroffen haben."27 Am 18. Dezember 1974 beschloss die RKP am 11. Parteitag, dass sich die nationalen Minderheiten nach dem Willen der Partei "im Verlaufe des Prozesses der Schaffung der vielseitig entwickelten sozialistischen Gesellschaft und des Kommunismus immer mehr in das eigentliche, werktätige Volk der kommunistischen Gesellschaft integrieren"28 sollten. Mit dem Absinken der Lebensund Bildungsqualität stieg aber bei vielen Deutschen der Wunsch, über die Familienzusammenführung nach Deutschland auszuwandern. 1978 unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland (BRD) nach zähen Verhandlungen mit dem rumänischen Regime eine gemeinsame Erklärung, in der Erleichterungen im bilateralen Reiseverkehr und bei der Familienzusammenführung vereinbart wurden. Daraufhin verließen zwischen 1977 und 1989 240.000 Deutsche Rumänien, wobei die BRD pro Aussiedler einen Pauschalbetrag von bis zu Euro 5000.- an die rumänischen Behörden entrichten musste. Erst 1989 war mit der Beseitigung des Ceausescu-Regimes für die Deutschen in Rumänien die Möglichkeit zur freien Ausreise gegeben. Allein im Jahre 1990 verließen nicht weniger als 110.000 Deutsche das Land. Bis zur Volkszählung 1992 war daher die deutsche Volksgruppe auf 119.436 Angehörige zusammenge27 28
Gündisch, S. 232. Gündisch, S. 233.
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Geschichte der deutschen Volksgruppen in Südosteuropa
schmolzen. Bei der Volkszählung 2002 zählte die deutsche Volksgruppe in Rumänien nicht einmal mehr 60.000 Personen. Für das 1989 gegründete Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien sind die zunehmende Überalterung der deutschen Minderheit und der Erhalt des deutschen Kulturerbes die großen Herausforderungen für die Zukunft. Sathmarer Schwaben aus Rumänien beim Umzug 2002
16. 2. Ungarn Vergleicht man die gesamten Verluste der Ungarndeutschen mit dem Ergebnis der Volkszählung von 1941, bei der sich 490.000 Personen zur deutschen Nationalität bekannt hatten, errechnen sich 250.000 Ungarndeutsche, die nach 1945 in Ungarn verblieben. Die Repressalien der ungarischen Regierung gegen die Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs bewirkten, dass sich bei der Volkszählung von 1949 nur mehr 22.455 Personen zur deutschen Volkszugehörigkeit bekannten. Erst 1949/50 erhielten die Angehörigen der deutschen Minderheit die ungarische Staatsbürgerschaft zurück. Außerdem führten die Kollektivierung der Landwirtschaft und der Zuzug der aus der Slowakei umgesiedelten Ungarn in die verwaisten Höfe der vertriebenen Ungarndeutschen zu einer Auflösung der historisch gewachsenen und überwiegend von bäuerlichen Traditionen geprägten schwäbischen Dorfgemeinschaft. 1957 wurden von staatlicher Seite zur ideologischen Umerziehung der deutschen Minderheit der Deutsche Kalender, eine deutschsprachige Sendung im ungarischen Rundfunk und die deutschsprachige Wochenzeitschrift Neue Zeitung erlaubt. Bei der Volkszählung von 1960 bekannten sich wieder 51.000 Personen zu ihrer deutschen Muttersprache. Die Spätaussiedlung hatte bis 1965 lediglich einen Kreis von 6.500 Personen betroffen. Das Ungarndeutschtum sah sich vielmehr einer neuen Bedrohung ausgesetzt, nämlich der der Landflucht. Die Abwanderung aus den ursprünglichen Siedlungsgebieten der Ungarndeutschen führte dazu, dass die Frage nach der Einrichtung von deutschen Bildungseinrichtungen in den Städten neu aufgeworfen wurde. 1967 wurden am Budapester Kossuth-Gymnasium, am Löwey-Gymnasium in Fünfkirchen (ung. Pécs) und am Leo-Frankl-Gymnasium in Frankenstadt (ung. Baya) Sprachkurse für ungarndeutsche Kinder eingerichtet. 1973 wurde auf Initiative der Neuen Zeitung die Aktion Greift zur Feder ins Leben gerufen, die relativ rasch zu einer Intellektualisierung des literarischen Ungarndeutschtums führte. Seit 1977 gab es auch regelmäßige Werkstattgespräche ungarndeutscher Autoren, die später in die Gründung des Vereins ungarndeutscher Autoren und Künstler mündeten. Diese Ansätze einer kulturpolitischen Emanzipation des vornehmlich städtisch geprägten Ungarndeutschtums erweckte zu Beginn der 1980er Jahre die Aufmerksamkeit der damaligen Führung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). In weiterer Folge wurden bilaterale Bildungsabkommen zur Förderung des Ungarndeutschtums zwischen der DDR und Ungarn vereinbart. Erst am 7. Oktober 1987 unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland (BRD) mit Ungarn einen Vertrag zur Unterstützung der Ungarndeutschen, der eine Reihe wichtiger bilateraler Kulturbeziehungen und Partnerschaften ermöglichte. Eine Unterstützung aus Österreich setzte erst mit der Wende im Mai 1989 ein. Bei der Volkszählung von 1991 bekannten sich zwar nur 30.000 Personen zur deutschen Volksgruppe, in der Volkszählung von 2001 verdoppelte sich aber die Anzahl auf über 60.000. Diese Entwicklung ist das positive Resultat einer neuen liberalen Minderheitenpolitik, zu der sich Ungarns Regierung in seiner Verfassung verpflichtet 57
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hat. Ungarn verfügt nun über ein Selbstverwaltungssystem, das den Minderheiten eine politische Vertretung und Mitbestimmung auf allen Verwaltungsebenen garantiert. 16. 3. Tschechoslowakei Am 27. Mai 1946 verordnete das tschechoslowakische Innenministerium, dass deutsche Spezialisten und Facharbeiter nicht ausgesiedelt werden sollten. Folglich blieben nach amtlichen Angaben 200.000 bis 250.000 Deutsche in der Tschechoslowakei zurück. Diese Deutschen konzentrierten sich auf die industriell hoch entwickelten und gut erschlossenen Bezirke im Norden Böhmens. Im Frühjahr 1946 durften - mit sanftem Druck der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPÈ) - über 95.000 deutsche Antifaschisten nach Deutschland in die sowjetische Besatzungszone ausreisen. Die deutschen Antifaschisten gehörten der kommunistischen und sozialdemokratischen Partei an und sollten, so die offizielle Diktion aus Prag (tsch. Praha), beim Aufbau demokratischer Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland behilflich sein. Am 26. Oktober 1949 wurde dann mit der Alliierten Hohen Kommission die Aussiedlung von nochmals 20.000 Deutschen aus der Tschechoslowakei vereinbart. Die ÈSR hatte aber wenig Interesse daran, wertvolle Arbeitskräfte an das benachbarte Ausland zu verlieren und ließ zahlreiche Ausreiseanträge, die von den deutschen Spezialisten und Facharbeitern gestellt worden waren, unbearbeitet. Bei der Volkszählung von 1950 bekannten sich daher in der Tschechoslowakei noch 175.790 Personen zur deutschen Nationalität. Ein Kernproblem blieb die nach wie vor ungelöste Staatsbürgerschaftsfrage. Schon am 13. April 1948 und am 29. November 1949 waren zwei Regierungsverordnungen erlassen worden, die den Wiedererwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft für jene Personen deutscher oder magyarischer Nationalität regelten, die ihre tschechoslowakische Staatsbürgerschaft nach dem Beneš-Dekret Nr. 33 vom 2. August 1945 verloren hatten, "sofern sie ihren ständigen Wohnsitz auf dem Gebiet der Tschechoslowakischen Republik behalten und die Pflichten eines tschechoslowakischen Staatsbürgers nicht verletzt, insbesondere sich dem volksdemokratischen System gegenüber nicht feindlich verhalten"29 hatten. Mindestens 40.000 Deutsche verweigerten aber bis 1951/52 die Annahme der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft, weil sie einen Antrag auf Ausreise nach Deutschland gestellt hatten und auf eine baldige Ausreise hofften. 1953 wurde allen Deutschen kollektiv per Dekret wieder die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verliehen. Damit war aber keineswegs eine sozial- und bildungsrechtliche Gleichstellung gegenüber der tschechoslowakischen Mehrheitsbevölkerung und den anderen Minderheiten erreicht. Selbst in der Verfassung der Tschechoslowakei von 1960, in der die Tschechoslowakei als Staat zweier gleichberechtigter Brudervölker, der Tschechen und Slowaken, genannt wurde, fanden unter Artikel 25 nur die Magyaren, Polen und Ukrainer als nationale Minderheiten eine Berücksichtigung. Erst das neue Nationalitätengesetz von 1968 berücksichtigte die deutsche Minderheit, das unter Art. 7 folgende Rechte der Bürger magyarischer, deutscher, polnischer und ukrainischer Nationalität zumindest auf dem Papier garantierte, nämlich: a) das Recht auf Bildung in der eigenen Muttersprache, b) das Recht auf eine umfassende kulturelle Entfaltung, c) das Recht, im eigenen Wohngebiet die Muttersprache im amtlichen Verkehr zu gebrauchen, d) das Recht, eigene nationale Vereine und kulturelle Organisationen zu gründen sowie e) das Recht auf ein Pressewesen in der eigenen Sprache. Die restriktive Minderheitenpolitik der Tschechoslowakei führte dazu, dass 1961 insgesamt 51.385 Angehörige der deutschen Minderheit einen Antrag auf Ausreise und Familienzusammenführung stellten. Zwischen 1956 und 1969 gelangten tatsächlich 33.210 Deutsche zur Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland (BRD). Am 14. Juni 1969 29
zit. nach Wassertheurer Peter, Die Bildungs- und Kulturarbeit der deutschen Minderheit in Tschechien. in: Nationalstaat oder multikulturelle Gesellschaft? Die Minderheitenpolitik in Mittel-. Ost- und Südosteuropa im Bereich des Bilungswesens 1945-2002. St. Pöltner Osteuropa Studien Bd. 1. Hg. Peter Bachmaier. St. Pölten 2003, S. 31.
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wurde der kommunistische Kulturverband der Bürger deutscher Nationalität gegründet. Nach den Angaben des deutschen Roten Kreuzes warteten 1970 immer noch 25.000 Deutsche auf die Erledigung ihrer Ausreiseanträge. Zwischen 1970 und 1975 wurde 8.857 Deutschen die Ausreise aus der Tschechoslowakei ermöglicht. Nach der politischen Wende von 1989 organisierten sich die Deutschen in der Landesversammlung der Deutschen aus Böhmen, Mähren und Schlesien. Bei der tschechischen Volkszählung von 1991 bekannten sich immerhin noch 48.556 Personen zur deutschen Volksgruppe. Die deutsche Minderheit verringerte sich aber bis zur Volkszählung 2002 auf nur mehr 38.321 Angehörige. Die deutsche Minderheit in der Slowakei umfasst nach der Volkszählung von 1991 insgesamt nur mehr 5.629 Personen, die mehrheitlich im Karpatendeutschen Verein (KDV) organisiert sind. Die deutsche Minderheit in der Slowakei lebt mehrheitlich im Zipser Raum und im Hauerland. 16. 4. Jugoslawien Bei der ersten Volkszählung vom 15. März 1948 wurden auf dem Staatsgebiet der Volksrepublik Jugoslawien nur mehr 55.337 Deutsche gezählt, die mit 41.460 Personen mehrheitlich in der serbischen Teilrepublik und im Raum der autonomen Provinz Vojvodina lebten. Zum Zeitpunkt der Volkszählung befanden sich noch mindestens 10.000 Deutsche in den sich auflösenden Lagern. An die 70.000 Personen deklarierten sich wegen der antideutschen Maßnahmen als Magyaren (48.000), Kroaten (12.000), Serben (6.000), Österreicher oder als Angehörige einer anderen Volksgruppe (3.000). Denn bei der Volkszählung von 1953 gab es plötzlich noch 60.000 Deutsche, von denen zwei Drittel bis 1960 auswanderten, nachdem sie sich von ihrer jugoslawischen Staatsbürgerschaft losgekauft hatten. Zwischen 1952 und 1959 wurde mit Hilfe des Roten Kreuzes ein Großteil der deutschen Kinder von den jugoslawischen Kinderheimen nach Deutschland und Österreich überführt. Somit war die deutsche Bevölkerungsgruppe bei der jugoslawischen Volkszählung von 1961 auf 20.000 Angehörige geschrumpft. Der Rückgang setzte sich bis zur Volkszählung von 1971 fort, bei der sich nur mehr 12.300 Personen zur deutschen Volksgruppe bekannten. Davon lebten 7.243 Personen im serbisch-vojvodinischen Raum und 2.792 in der kroatischen Teilrepublik. Der Zerfall der Volksrepublik Jugoslawien zu Beginn der 1990er Jahre nährte unter dem Regime von Die zerstörte Slobodan Miloševiæ einen großserbischen Nationalismus, der bei den älteren Kirche von Angehörigen der deutschen Volksgruppe wieder Erinnerungen an die Rudolfsgnad Schrecken der Nachkriegszeit wach rief. Bei der Volkszählung von 1991 waren es daher nur mehr 5.172 Personen, die sich in Serbien als Deutsche deklarierten. Am Ende des blutigen Bürgerkriegs war unter militärischem Druck der internationalen Staatengemeinschaft aus den im ehemaligen Staatsverband der Volksrepublik Jugoslawien verbliebenen Teilrepubliken Serbien und Montenegro die Bundesrepublik Jugoslawien entstanden. Die Volkszählung in der Bundesrepublik Jugoslawien von 2002 brachte für die deutsche Volksgruppe mit nur mehr 3.901 Angehörigen einen Verlust von 24% gegenüber 1991. In der Serbischen Republik sank die Zahl der Deutschen auf 747 Personen; 1991 waren es immerhin noch 1.299 gewesen. In der autonomen Provinz Voivodina hielt sich der Verlust bei der Volkszählung von 2002 mit einem Minus von 18% gegenüber 1991 in Grenzen. Die Zahl der Deutschen sank dort von 3.873 auf 3.154. Die Volkszählung von 2002 berücksichtigte die wenigen Deutschen in Montenegro und im Kosovo nicht mehr. 1991 hatten sich in Montenegro noch 124 Personen zur deutschen Volksgruppe bekannt, im Kosovo waren es im selben Jahr genau 59
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90 - in beiden Fällen wohl ausschließlich ehemalige Gastarbeiter in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Zu gewissen Hoffnungen ermutigt das Minderheitengesetz der Bundesrepublik Jugoslawien von 2002, das die deutsche Minderheit als autochthone Volksgruppe anerkennt und ihr damit eine Reihe von Minderheitenrechten einräumt. Ein Hauptproblem für die deutsche Minderheit stellen weiterhin die AVNOJ-Beschlüsse und ihre Folgegesetze dar, weil ihre Rechtsgültigkeit die Angehörigen der deutschen Volksgruppe teilweise vom Restitutionsprogramm ausschließt. Die deutschen Minderheitsverbände in der nunmehrigen Republik Serbien-Montenegro fordern daher die Donauschwäbisches Aufhebung aller Gesetze, die gegen die Bürger deutscher Volkszuge- Mahnmal am Friedhof in Valpovo/Walpach hörigkeit in Jugoslawien erlassen wurden. Die Republik Serbien-Montenegro ist der Nachfolgestaat der Bundesrepublik Jugoslawien. In der Republik Slowenien existiert eine kleine deutsche Minderheit, die auf Grundlage der Volkszählung von 1991 mindestens 1.813 Personen umfasst, wobei zwischen Österreichern und Deutschen unterschieden wurde. In einer Untersuchung zur deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien kam man zum Resultat, dass die genaue Zahl jedoch über diesem Ergebnis liegt30 . Die Republik Slowenien hat in einem Kulturabkommen, das 2001 nach langjährigen Verhandlungen mit der Republik Österreich abgeschlossen wurde, erstmals wieder seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Existenz einer deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien anerkannt. Als autochthone Volksgruppe finden in der Verfassung der Republik Slowenien vom 23. Dezember 1991 hingegen nach wie vor nur die Ungarn und die Italiener Anerkennung. Bei der Volkszählung 2001 bekannten sich in Slowenien 1628 Personen zur deutschen Muttersprache. Im Gegensatz zu Slowenien anerkennt die Republik Kroatien ihre nationalen Minderheiten als autochthone Volksgruppen, zu denen neben den Serben, Tschechen, Ungarn, Roma, Italienern, Juden, Ukrainern und Ruthenen (Rusini) auch die Deutschen zählen. In Kroatien bekennen sich nach amtlichen Angaben 2.800 Personen zur deutschen Minderheit, die seit der kroatischen Unabhängigkeit ein reges Vereinsleben entwickelt hat. Das kulturelle Zentrum der deutschen Minderheit in Kroatien ist die Stadt Esseg (kroat. Osijek) in Slawonien.
17. Der Neuanfang und die Charta der Heimatvertriebenen Die vertriebenen Deutschen Südosteuropas zerstreuten sich nach dem Schicksal der Vertreibung in die ganze Welt. Sie gründeten Landsmannschaften in den USA, Kanada, Australien, Brasilien, Argentinien und in vielen europäischen Ländern, wo sie das kulturelle Erbe aus der alten Heimat weiter pflegen. 1950 haben sie in der Charta der Heimatvertriebenen feierlich auf Rache und Vergeltung verzichtet und ihre Bereitschaft, beim wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas mitzuwirken, bekundet. In der Charta wurde Vertriebene in Österreich nach 1945 30
Stefan Karner, Die deutschsprachige Volksgruppe in Slowenien. Aspekte ihrer Entwicklung 1939-1997. Klagenfurt 1998, S. 8.
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auch die Vereinigung Europas als Ziel genannt, die allen europäischen Nationen Frieden und soziale Sicherheit garantieren soll. In Österreich fanden nach dem Zweiten Weltkrieg 350.000 volksdeutsche Heimatvertriebene eine neue Heimat. Viele von ihnen waren in den ersten Jahren in Auffanglagern untergebracht. Die Heimatvertriebenen trugen wesentlich zum wirtschaftlichen Aufbau des zerstörten Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg bei und werden seit 1954 vom Verband der volksdeutschen Landsmannschaften Österreichs (VLÖ) als Dachverband in der Öffentlichkeit vertreten. Dem VLÖ gehören die folgenden Landsmannschaften an: Sudetendeutsche Landsmannschaft in Österreich (SLÖ) Donauschwäbische Arbeitsgemeinschaft (DAG) Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen Karpatendeutsche Landsmannschaft in Österreich Landsmannschaft der Buchenlanddeutschen in Österreich Landsmannschaft der Deutsch-Untersteirer in Österreich Österreichischer Heimatbund Beskidenland Verband der Banater Schwaben Österreichs Mit dem Niedergang der kommunistischen Regime in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa am Ende der 1980er Jahre eröffneten sich auch für die deutschen Minderheiten in den postkommunistischen Staaten neue Möglichkeiten zur Pflege und Entfaltung der eigenen ethnischen Identität. Die Europäische Union (EU) bekennt sich als multilaterale Werte- und Rechtsgemeinschaft zur ethnischen, kulturellen, religiösen und sprachlichen Vielfalt. Die von den Staats- und Regierungschefs der EU 1993 in Kopenhagen definierten EU-Aufnahmekriterien fordern von allen beitrittswilligen Staaten neben einer Stärkung der demokratischen und wirtschaftlichen Institutionen den Schutz von Minderheiten. Das Europäische Parlament (EP) hat in Anlehnung an dieses Kriterienpaket in zahlreichen Resolutionen jede Form einer ethnischen oder rassistisch motivierten Diskriminierung von sozialen Gruppen oder Minderheiten verurteilt und zu mehr Toleranz aufgefordert. Der europäische Integrationsprozess wird in allen Ländern der EU das Bewusstsein für die historisch gewachsene Vielfalt Europas stärken und das Verständnis für andere europäische Identitäten in einem globalen, gesamteuropäischen Kontext fördern. Den Minderheiten erwächst dabei im Interesse Europas eine wichtige Aufgabe. Ein Blick in die Geschichte Ost- und Südosteuropas zeigt, dass Multikulturalität und Multinationalität immer schon das Wesen Europas und seiner Staaten ausmachten. Die EU und ihre Mitglieder sollten von den Erfahrungen der Volksgruppen aus den großen europäischen Kulturräumen lernen und ihr historisches Wissen bei der Lösung künftiger Fragen zur europäischen Minderheiten- und Volksgruppenpolitik nutzen.
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Wichtige geografische Angaben Altofen (ung. Óbuda) Belgrad (serb. Beograd) Bessarabien (rum. Basarabia) Birthälm (rum. Biertan, ung. Berethalom) Bistritz (rum. Bistri ½ a, ung. Beszterce) Branau (ung. Baranya) - Komitat Broos (rum. Or –þ tie, ung. Szászváros) Buchenland (rum. Bukowina) Buchenwald (ung. Bakóny) Bukarest: (rum. Bucure þ ti) Burzenland (rum. Tara Bârsei, ung. Barcaság) Czernowitz (ukr. Èernivci, rum. Cern – u ½ i) Debreczin (ung. Debrecen) Dilln (slow. Banská Bela, ung. Bélabánya) Draas (rum. Dr – u þ eni, ung. Homoróddaróc) Eisenberg (ung. Pécsvárad) Eisenburg (ung. Vasvár) Esseg (kroat. Osijek, ung. Eszék) Fünfkirchen (ung. Pécs) Göllnitz (slow. Gelnica, ung. G ö lnicbánya) Gran (ung. Esztergom) Großau (rum. Cristian, ung. Kereszténysziget) Große Kokel (rum. Târnava Mare, ung. Nagy-Küküll ö ) - Fluss Großpold (rum. Apoldu de Sus, ung. Nagyapold) Großschenk (rum. Cincu, ung. Nagysink) Großwardein (rum. Oradea, ung. Nagyvárad) Hatzfeld (rum. Jimbolia, ung. Zsombolya, serb. Èombolj) Hauerland (dt./slow.) Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszeben) Hornád (slow.) (dt. Kunert) - Fluss Karlowitz (serb. Sremski Karlovci, ung. Karlóca) Karlsburg (rum. Alba Iulia, ung. Gyulafehérvár Käsmark (slow. Ke ž marok, ung. Késmárk) Kirchdrauf (slow. Spišské Pohradie, ung. Szépesváralja) Klausenburg (rum. Cluj, ung. Kolozsvár) Kleine Kokel (rum. Târnava Mic – , ung. Kis-Küküll ö ) - Fluss Komorn (slow. Komárno, ung. Komárom) Königgrätz (tsch. Hradec Králové) Königsberg (slow. Nová Ba ò a, ung. Újbánya) Konstantinopel (Byzanz, türk. Istanbul) Krakau (poln. Kraków) Kremnitz (slow. Kremnica, ung. Körmöcbánya) Kronstadt (rum. Bra þ ov, ung. Brassó) Leschkirch (rum. Nocrih, ung. Ujegyház) Libethen (slow. Lubietová, ung. Libetbánya) Mediasch (rum. Media þ , ung. Medgyes) Mühlbach (rum. Sebe þ , ung. Sebes) Neppendorf (rum. Turni þ or, ung. Kistorony) Neusohl (slow. Banská Bystrica, ung. Besztercebánya) Oberwischau (rum. Vi þ eul de Sus, ung. Fels ö visa) Ödenburg (ung. Sopron) Ofen (ung. Buda) Ofner Bergland (ung. Budai Hegység) Passarowitz (serb. Po ž arevac)
Peterwardein (serb. Petrovaradin) Petschwar (ung. Pécsvárad) Plattensee (ung. Balaton) Poprad (slow.) (dt. Popper) - Fluss Prag (tsch. Praha) Prerau (tsch. P ø erov) Preßburg (slow. Bratislava, ung. Pozsony) Puk(k)anz (slow. Pukanec, ung. Bakabánya) Raab (ung. Gy ö r) Reener Ländchen (rum. Depresiunea Reghin, ung. Régenimedense) Reschitz (rum. Re þ i½a) Reps (rum. Rupea, ung. Kohal ö m) Reußmarkt (rum. Miercurea, ung. Szerdahely) Salzstein (ung. Slankomen) Sathmar (rum. Satu Mare, ung. Szatmárnémeti) Schäßburg (rum. Sighi þ oara, ung. Segesvár) Schemnitz (slow. Banská Štiavnica, ung. Selmecbánya) Schildgebirge (ung. Vértes) Schomodei (ung. Somogy) - Komitat Schwäbische Türkei (Komitate Tolnau, Branau und Schomodei) Siebenbürgen (rum. Transsylvania, ung. Erdély, Ardeal) Sillein (slow. Žilina, ung. Zsolna) Semlin (serb. Zemun) Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár) Temeschburg (rum.Timi þ oara, ung.Temesvár) Thorenburg (rum. Turda, ung. Torda) Tolnau (ung. Tolna) - Komitat Tyrnau (slow.Trnava, ung. Nagyszombat) Weißenburg - heute Karlsburg Weißkirchen (serb. Bela Crkva, ung. Fehértemplom) Wesprim (ung. Veszprém) Wieselburg (ung. Mosonmagyaróvár) Zenta (serb. Senta) Zips (slow. Spiš, ung. Szepes) dt.: deutsch; kroat.: kroatisch; poln.: polnisch; rum.: rumänisch; serb.: serbisch; slow.: slowakisch; tsch.: tschechisch; türk.: türkisch; ukr.: ukrainisch, ung.: ungarisch;
Bildnachweis Die verwendete Bild-, Karten - und Fotomaterial wurden zur Verfügung gestellt oder deren Rechte zur Vervielfältigung erworben: Verband der volksdeutschen Landsmannschaften Österreichs (VLÖ) Sudetendeutsches Dokumentationsarchiv Wien Donauschwäbische Arbeitsgemeinschaft (DAG) Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm Donauschwäbische Kulturstiftung Karpatendeutsche Landsmannschaft Slowakei e.V. Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen Demokratisches Forum der Deutschen in Sathmar Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek Jörg K. Hoensch, Geschichte Ungarns © 1984 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart
Literaturangabe
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