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cben Grunddisziplin, in der Ontolo gia: nach § 4 ist sie Iu lic ieutia pracdic atoru01 eulis general iorum; Kant (a. a. 0. I 'i5 f.) überset zt: »V\ isscmch aft von den allgeme ineren Eill~>t·hnften aller Dinge~. \ Vir ersehen hieraus einmal , daß der llr •riff des Dinges sehr weit. so weit als möglich gefaßt wird. 91 I"" '~<' ist jegliche s, was ein Seiende s ist; uucb Gott, die Seele, I \'Ydt gehören zu den Dingen . Wir ersehen weiter, daß die I J." ·· llt•it der Dinge sich nu f dem Gnmde und am Leitlad en der I 111t11 lsiitze der reinen Vernun ft bestimm !. Als solche Grundcl •' l•·mten wir kennen : den Ichsatz und den Widers pruChs alz 1 r.l tlc•u Satz vom Grund. Dnmit stehen w:ir unmitte lbar bei 1l1 • llnuntw orlung der zweiten Frage.
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Kants Weise nach dem Ding zu fragen
Zu 2. Wie ist in der vorkantischen Metaphysik des 18. Jahrhunderts das Wesen der Wahrheit verstanden, deren höchste.: menschliche Verwirklichung auf dem Felde der Erkenntnis die Metaphysik darstellen soll? Nach dem überlieferten Begriff ist die Wahrheit ( veriias) diP adaequa tio intellectus et rei, die Angleichung von Denken und Ding; statt adaequatio sagt man auch commensuratio oder convenientia, Anmessung oder übereinkunft. Diese Wesensbestimmung der Wahrheitist doppeldeutig, welcheDoppeldeutigkeit auch schon im Mittelalter die Wahrheitsfrage leitete. E~ liegt auf ihr noch der Ab- und Nad1g.lanz einer einstmals urspriinglicheren, wenn auch kaum ergriffenen Wesenserfahrung der Wahrheit im Anfang des griechischen Daseins. Als adacquatio ist Wahrheit einmal eine Bestimmung der ratio, del Aussage, des Satzes. Wahr ist ein Satz, sofern er sich an die· Dinge angleicht. Die Bes1immung der Wahrheit als Angleichung gilt aber nicht nur vom Satz im Verhältnis zu den Dingen, sonde1·n auch von den Dingen, sofern sie als gesehaffe1w auf den Entwurf eines schöpferischen Geistes bezogen, diesen1 gemäß sind. Wahrheil ist- so gesehen- die Angemessenheil der Dinge an ihr von Gott erdachtes Wesen. Wir fragen vergleichend: Wje lautet die Wesensbestimmun« der Wahrheit in der neuzeitlichen Metaphysik? Baumgarten gibt m § 92 seiner »Metaphysik« folgende Bestimmung: ven tas metaphysica potest defi.nirl per converrientiam entis CUIIJ principüs catholicis. »Die metaphysische Wahrheit«- d. h. di!· \1\Tahrheit der metaphysischen Erkenntnis - »kann bestimm t werden als Ubereinkunft des Seienden rit den allerallgemci n sten Anfangsgründen«. Principia catholica sind die Grund sälze (Axiome), und zwar die »katholischen« (nach dem gril· chischen xaMÄ.ou), d. b. auf das Ganze zu gerichteten Grund sälze, die etwas vom Seienden im Ganzen und vom Sein
§ 20. Rationale Metaphysik
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'>ind die ehernen Sätze der Vernunft selbst: der Ichsatz und der Wiclerspruchsa_tz und der S~tz vom Grund. Die Wahrheit dar11her, was die Dinge in ihrer Dingheit sind. bestimmt sich aus rlcn Gnmdsätzen der 1·einen Vernunft, d. h. in dem gekenn~,c icbneten wesentlichen S:inne: mathematisch. Diesem Wahrllt' i Lsbegrili gemäß muß sich auch der innere Bau der ganzen Metaphysik gestalten. Damit stellen wir die dritte Frage. Zu 3. Welches ist der innere Bau dieser Metaphysik? Wir ktinnen am Auße:ren, an der Einteilung und Abfolge der Disziplinen, schon eimges ablesen. Der Baugrund ist die Ontologie 1111d die Spitze des Baues die Theologie. Jene handelt von dem, was zu einem Ding überhaupt, zu einem Seienden im allgemeiIH'H (oder in communi), dem ens commnne gehört; diese1 die 'll1rologie, handelt vom höchsten und eigentlicbsten Seienden ·• lllcch.Lhin, vom summum ens. Inhaltlieh finden wir diese Gliedt•nmg der Metaphysik auch im Mittelalter, soga:r sehon bei \, istoteles. Das Entscheidende ist aber, daß inzwischen durch. .lll Entlaltung und Selbstklärung des neuzeitlieben Denkens d ~ des matb.emalischen del: Anspruch der 1·einen Vernunft die llr•rrseha.lt übernommen hat. Das 'vill sagen: Auf Grund und 1111 Leitband der allerallgemeinsten Grundsätze der reinen \ t•r11 11.o.Ct sollen die allgemeinsten Bestimmungen des Seins des b1•lt•nden entworfen werden. Aber zugleich soll aus diesen all41""'insten Begriffen in rein vcmunfLgemäßer Zergliederung und Folgerung derselben das gesamte Wissen von der Welt, "" 1ler Seele und von Gott abgeleitet werden. Sn entscheidet die reine innere Gesetzlichkeit der Vernunft 111 tb:ren Grundsätzen und GrunclhegriHen über das Sein "' Seienden, die Dingheil der Dinge. In dieser re~en Verllllltftcrkenntnis soll die Wahrheit über das Seiende für alle "'' HQcbliche Vernunft als unbezweifelbare und allgemeinver•llllllirhe Gewißheil ihre Begründung und Gestaltung bekom-
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II II' reine Vernunft in dieser ihrer Selbstgestaltung, die reine •111111 fL in diesem Anspruch, die reine Vemunfl al.s der maß-
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Kants Weise nach dem Ding zu fragen
gebende Gerichtshof für die Bestimmung der Dingheit aller Dinge überhaupt- diese reine Vernunft ist es, die Kant in diL· »Kritik utelh.
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ZWEITES KAPITEL
Die Dingfrage in Kants Hauptwerk § 21. Was heißt »Kritik« bei Kant?
A.ui welchem Wege Kant selbst zu dieser »Kritik« kommt, welches die innere und äußere Entstehungsgeschichte des Werkes >>Kritik der reinen Vernunft« ist, das wollen wir nicht verfolgen. Es ist kennzeichnend, daß wir von dieser Zeit seines Schweigens auch aus Briefen wenig erfahren; aber selbst wenn wir mehr wüßten, wenn wir genau zusammenreclmen könnten, von woher Kant beeinflußl wurde u.s.I., in welcher Abfolge er ilie einzelnen Stüoke des Werkes ausarbeitete, könnten wir daraus weder das Werk erJclären- Schöpferisches ist unerklärbar-, noch könnte uns diese Neugier nu.E die Werkstatt Kan:ts dienlich sein für das Verständnis, gesetzt, daß wir nicht im voraus wissen und begreifen, was KanL in seinem Werk will und leistet. Darum aJJein handelt es sich jetzt. Genauer: um das Vorläufigere, das Verständnis des Titels. Was »reine Vernunft« meinl, wissen wir jetzt. Es bleibt noch 7.U fragen: Was heißt »Kritik«? Es kann sich hier nur darum handeln, eine Vordeutung auf das zu geben, was »Kritik« meint. Wir sind gewohnt, bei der Nennung dieses Wortes sogleich und vor allem etwas Verneinendes herauszuhören. Kritik ist uns Bemängelung, Nachrechnung von Fehlern, Herausstellung des Unzureichenden und die entsprechende Znrückweiung. Wir müssen bei der Anführung des Titels »Kr.itik der reinen Vernunft« diese gewöhnliche und abwegige 13edetltong von vomherein femhalten. Sie e.nlsprichl auch nicht der ur'lpriinglichen Bedeutung des Worles. »Kritik« kommt vom ~-triechiscben Y.(ltveLV; dies bedeutet: »sondern«, >>absondern« und so »das Besondere herausheben«. Diese Abhebung gegen II nderes entspringt einem ~Hinaufheben auf einen neuen Rang.
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Die Dingfrage in Kants Hauptwerk
Der Sinn des Wortes >}Kritik« ist so wenig negativ, daß er cl•• Positivste des Positiven meint, die Setzung desjenigen, \\'ll!-> Iu 1 allerSetzunga ls das Bestimmende und Entscheidende im \coc aus angesetzt werden muß. So ist Kritik Entscheidung in clu sem setzenden Sinne. Erst in der Folge, weil Kritik Absonclc rung und Heraushebung des Besonderen, Ungemeinen uu.t zugleich Maßgebenden ist, ist sie auch Zurückweisun g des c;•. wöhnlicben und Ungemäßen. Diese Bedeutung des Wortes ~Kritik« kommt in der zwcih·•• J läHLe des 18. Jahrhunderts auf einen1 eigenen Wege zum Vm schein: in den Erörterungen über die Kunst. ubcr clas Gestalt•·u der Kunstwerke und das Verhalten zu ihnen. Kritik heißt Fc•-.1 setzung des Maßgebenden , der Regeln, heißt Gcsetzgehmw , und das bedeutet zugleich Herausbebun g des Allgemeinen ~~· genüber dem Besonderen. In dieser zeitgenössischen ßcdPu tuugsricbtung liegt Kanls Geb1·auch des Wortes »Krilik«, tlu er nachher auch in den Titel Z"'eier anderer Hauptwerke sel1l" »Kritik der 11raktiscben V cm unfl«, »Kritik der Urtcilskra ft «. Aber das Wort empfängt durch Kants \Vcrk norh einen ,., fiillteren Sinn. Diesen gilt es jel2l z.u umreißen Von ihm nu läßt sich erst in der Folge die verneinende Bedeutung vcrslt• hen. die das Wort bei Kant auch hat. Wir versuchen, dil·~ 1111 Ruckblick aui das bisher Dargestellte deutlich zu 01achen. uluu sd1on eigens auiKants Werk einzugehen. Die »Kritik der reinen Vernunit« vvird, wenn Kritik den t;• kennzeichnete n positiven Sinn bat, nicht die reine Vcnttlllll einfach zurücl..-weisen und bemängeln, »kritisieren«, 'iclm•lu darauf ausgehen, ihr entsdteidende s und besonderes und suuul ihr eigentliches \Vesen erst zu umgrenzen. Diese Grcnnicllllllfl ist in erster Linie nicht Abgrenzung gegen ... , sondern gj,, grenzung im Sinne des Aufweisens der inneren Glicderun~ tlt 1 reinen Vernunft. Die Abbebtmg der Bauglieder und des Glit•clt·• baues der reinen Vernunft isl ein Herausheben der versrhic•d• ncn Möglichkeiten des Vernunftgebra uchs und der entsprcrl'"" den Regeln. Wie Kaul einmal betont (A 768, B 7Y6): Die Kril tl.
§ 21. ,. Kritik • bei Kant
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••tbl einen völligen Übersc hlag über das ganze Ver:mö genderr ei-
Vernun ft; sie zeichn etund umreiß t nach einem Wort Kants tl•·n » Vorriß« (B XXIII) der reinen Vernun ft. Kritik wird so 11 r Grenze n ziehend en Ausmes stmg des ganzen Bereichs der rcmen Vernunft.. Diese Ausme ssung vollzieht sidl, wie Kant ~~•~drücklicb und immer wieder einschärfl, niCht durch Bezug" timte auf lt Faktis« , sondern sie geschie ht aus Prinzip ien, uidtt durch Festste llung irgendw o angetro ffener Eigensd !aflf'll sondern durch Bestim mung des vollen \tVesens der reinen \ • munft aus ihren eignen Grunds ätzen. Kritik ist Grenze n zielwltder, ausmes sender Entwu rf der reinen Vemun:ft.. Deshal b • l1ört zur Kritik als W cscnsm oment das, was Kan t das Archi1• kton.isdle nennt. "iowenig wie die Krililc eiuc bloße >»Zensur<< ist, soweni g ist •Iw Archi tektonik, der baumei sterlieb e Entwur f des Wesenslnlltes der rC'inen Vernun ft, ein bloßer »Aufpu tz«. (Zum Ge''' tuch des Titels »architeklonjsch « vgl. Leibniz , De Primae l'hilosophiae Emend atione, und Baumg arten, Metaph ysica § 4, ""lolog ia als melaph ysica architectowcn). Iu dem Vollzug der so verstan denen »Kritik « der reinen Verln111ft kommt das »Mathc matism e« im grundsä tzlichen Sinne tll~re.rst zu seiner Entfalt ung und zugleim zu seiner Aufhelnlllg. d. h. an seine eigene Grenze. Dies gilt auch von der Ktilik«. Gerade sle liegt im Zuge des neuzeit lichen Denken.s '''" rhaupl tmd der neuzeit lichen Metaph ysik im besond eren. '''" ·•Kritik« Kants aber führt gemäß ihrer Ursprü nglichk eit zu 11wr neucn vVesen sumgrc nzung der reinen VemuniL und dauntwgl eich des Mathcw nlischen. "''11
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Die Dingfra ge in Kants Hauptzecrk
§ 22. Zusamm enhang der» Kritik" der reinen Tlemun{ t
mit dem »System aller Gruru:lsiitze des reinen Ir erstandes • 95
Es ist kein Zufall, daß die Kritik der reinen Vt'mun ft durch Kant stiindig von einer Besinn ung auf das Wesen des \!athematisch en und der Mathem atik begleit el i~t. \'On einer Abgren zung der im engeren Sinne mathcm atisdtc n \emun it ge~c:-n übcr der metaph )sische n, d. h. derjenigen, nu! cl.e eine ~It•ta physik, ein Entwur f des Seins des Seiende n, der Dinghe il der Dinge gegrün det werden muß; denn auf diese Begrun dung der Metaph ysik kommt eigentl ich alles an. Es sei nn die Definit ion der Metaph ysik bei Baumg arten und an clic Odiniti on der metaphysi schen Wahrh eit erinner t. Kritik der reinen Vernun ft heißt Ausgre nzung der Bestim mtheit des Seins des Seiende n, der Oinghe it der Dinge aus reiner Vernun ft, heißt: Ausmes · sung und Entwur f derjeni gen Grunds ätze der rcint!n Vernun ft, auf deren Grund sieb so etwas wie ein Ding in seiner Dinghell bestimm t. Wir entneh men hieraus schon, daß in dieser »Kritik « der »mathe matisch e« Gnmdz u.g der ncu~.eiilichen Motuph~-.ik festgehalte n wird. nämlich im vorhine in aus Grunds ätzell das SPin des Seiend en zu bestimm en. Der Ausges taltung nnd Begrun dung dieses »l\.lath ematisc henc gilt die cigcnU irhe Anstren gung. Die Gnmds ätze der reinen Vernun ft miissen gemi:iß ihrem eigenen Charak ter begrün det und bewiese n werden . E~ liegt zugleic h im Wesen der Grunds ätze. daß sie unter sich l'incn gegrün deten Zusam menha ng darstell en, einlteitlid1 nus einer inneren Einheit zusamm engehö ren. Eine solche Einheit nach Prinzip ien nennt Kant ein System . Die Kritik nl-; Am.ulc-.sung des inneren Baues und des Baugru ndes der reinen Vernunft steht somit vor der grundle genden Aufgab e, das System der Grundsätze der reinen Vernun ft darzust ellen und zu hegründe n. Wir wissen aus Frühere m, daß schon für Aristote)es der Sot;r. als ein.facbe Aussag e zum Leitfad en der Bestim mungen des
§ 22. »Kritik" und »Systmt aller Grundsätze•
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"eins (der Dingheit) der Dinge, d. L. der Kategorien wurde. Die Aussage: »Das Haus ist Loch« nCIUll man aum ein Urteil. Das Urteilen ist ein Akt des Denkens. Das Urteilen ist eine besondere Weise, wie Vernunft sich vol1zieht und handelt. Die reine Vemunit als urteilende Vernunft nennt l{ant Verstand, den reinen Verstand. Die Sätze, Au~sugen, sind Verstandeshan dlungen. Das gesuchte System der Gnmdsätze aller Sätze ist daher das System der Grundsätze des reinen Verstandes. Wir versuchen, Kants »Kritik der reinen Vernunft« aus der gnmdlegende n ~1iLLe her zu verstehen. Deshalb setz.en wir mit c.ler Auslegung an der Stelle ein, die überschrieben ist »System aller Grundsätze des reinen Verstandes« (A 14-8, B 187). Der gesamte Absdmitt, un1 den es sieb handelt, erstreckt sieb bis A 235 und B 294. Es ist Sache der Auslegung, unser Fragen und Wissen so durch das herausgegriffe ne Stück hindurchzuiüh ren, daß dabei l'in Verständnis ues Gesamtwerkes entsteht. Aber auch dieses Verstehen dient nur der Einsicht in die Frage: »Was ist ein Ding?« Zur \ orbcreitung können aus dem \Verk vereinzelte Abschnitte gelesen werden. in denen die eigentliche Fragestellung nicht 1mmit telbar vorkommt, die aber geeignet sind, Licht über c•inige Grundbegriffe Kants zu verbreiten. Es seien drei solcher 1\bschnittc genann l: 1) Von A 19, B 53 bis A 22, B 56. 2) Von A50, B 74 bis A 62, B HG. 5) Von A 298, B 555 bis A 520, B 377. Dagegen empfiehlt es sich nicht, srhou die beiden >>Vorreden « wAund B oder gar die entsprechende n»Einleitunge n«zu lesen, wdl sie den Einblick in das G nnze des ·werkes voraussetzen. Wir versuchen mit unserer Auslegung, den Bau des Werkes uic·ht \Oll außen zu betrachten und zu umschreiben. Wir stellen um vielmehr in den Bau selbst, um etwas von seinem Gefüge 1.11 crfaltren und den Standort Wr den Blick auf das Ganze zu •
·~t·wmnen.
Wü· folgen dabe.i nur eiJlCr Anweisung, die Kaul selbst ein-
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Die Dingfrage in Kants Hauptwrr k
mal in einer hingewor fenen überlegu ng festgehal ten hat. h:. handelt sich um die Beurteilu ng von philosophischen Werke•• »Man muß seine Beurtheil ung vom Ganzen anfangen und aul die Idee deswerks samt ihrem Grunde richten. Das übrige gt· hört zur Ausführu ng, darin manches kan gefehlt seyn und bt·~· ser werden.« (Akademi eausgabe WW XVIII, Nr. 5025) Kritik der reinen Vernunft ist zuerst Dtrrcbme ssung und Ausmessung ihres Wesens und ihres Gefüges. Die Kritik wci~l die reine Vernunft niCht zurück, sondern setzt sie ru:st h1 di" Grenzen ihres Wesens und ihrer inneren Einheit. Kritik ist die Selbsterk enn Lnis der vor sieb selbst und aui sirh selbst gestellten Vernunft. Kritik ist so der Vollzug der inner sten Vernünfti gkeit der Vernunft. Die Kritik vollendet die Au I klänmg der Vernunft. Vernunft ist Wi.ssen aus Prinzipie n und somit selbst das Ve1mögen der Prinzipie n und Grundsält.t· Eine Kritik der reinen Vernunft im positiven Sinne muß dulu•• die Grundsät ze der reinen Vernunft in ihrer inneren Einh•· •l und Vollständigkeit, d. h. in ihrem System herausstellen.
§ 23. Auslegun g des zweiten Hauptstückes der transzen.denla
Zen Analytik: »System aller Grundsätze des reinen Verstanrle~ 97
Die Auswahl gerade dieses Stückes aus dem ganzen Werk ,., scheint zunächst willldirlich. Sie läßt sich allenfalls damit rerhr fertigen, daß uns dieses Hauptstü ck im Hinblick auf unsl'll' Leitfrage , die Frage nach der Dingheit des Dinges, besondt·ll Einblicke verschafft. Aber auch dies bleibt zunächst nur 1:1111 Behauptu ng. Die Frage erbebt sich, ob .für Kant selbst und 1'111 die Art, wie er sein Werk begriff, gerade dieser Abschnitt t•ifll so betonte Bedeutun g hat, ob wir im Sinne Kants spreclu•n wenn wir diesen AbscbniLL die Mitte des Werkes nennen. Dit• • Frage ist zu bejahen; denn in der Aufstellu ng und einhl'lll• chen Begründu ng dieses Systems aller Grundsät ze des n••11• •• Verstande s gewinnt Kant den Boden, auf den die Waru·heit <1.
§ 2}. Auslegung des zweiten Hauptstücks
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\\ 1sscns von den Dillgen gegründe t wird. Kant bringt so einen 11, rdcb zur Abhebuu g und Ausgrcnz uug (Kritik), von dem aus ullt·rerst entschied en werden kann, \Vie es mit der Dingbesti mllltlrlg und der Wahrheit der bisherige n Metaphys ik steht. ob in 1hr clas ·wesen der Wahrheit wa.brhafl bestimmt ist, ob in ihr "1rklich ein streng axiomatisches, d. h. mathemat isches Wissen 111 c•indeutiger Folge seinen Gang nimmt und dabei ins Ziel h111111Dt, oder ob diese rationale Metaphy sik- wie Kant sagt1111r ein »H erumtapp en« ist, und zwar ein H erumtapp en in ltloßen Begriffen «, die ohne Ausweisu11g an den Sachen selbst ttllll daher ohne Recht und Gültigkei t bleiben. Die Ausmessu ng d··• reinen Vernunft muß mit Rücksid1t auf die Metaphys ik aus '' IHCr Vernunft zugleich ab-messen , \vic Metaphys ik, d. h. nach .r,., Definition, wie die Wissensd1aft von den Anfangsg ründen ,J, 1 menschlic hen Erkenntn is möglid1 ist. \11/ie steht es mit der llll'ttscblichenErkenntn.is undilirer Wahrheit ? I Die .folgende Auslegun g holt nach, was in der Schrill »Kaut 111111 das Problem der Metaphys ik« (1929) fehlt; vgl. das Vor'"t zur2. Auflage, 1950. I )c•r Titel dieser Schrnl ist ungenau und führt deshalb leicht 11 clcm Mißverstä ndnis, a1s handle es sich bei dem »Problem d1•1 Metaphys ik<< um die P roblemati k, deren Bewältigu ng der \lc taphysik aufgegeb en sci. »Das Problem de.r Metaphys ik« uu•iut jedoch die Fragwürd igkeit der Metaphys ik als solcher.) kant gibt auf das zweite Hauptslüc k, worin er das System 1llc•r Grundsät ze behandel t, einen Rückblick, und zwar am Be11111 des Stückes, das überschrie ben ist: »Von dem Grunde der l 111terscheidung aller Gegenstä nde überhaup t in Phaenom cna 1111cl Noumena « (A 235, B 294·). In einem anschaulichen VerJ, ll"h verdeutlic ht er, worauf es ihm mit der Aufstellu ng des Hit!'ms aller Grundsät ze des reinen Verstande s ankam: »Wir hnlwu jetzt das Land des reinen Verstande s nicht allein durch~•' 1. und jeden Teil davon sorgfältig in Augensch ein genom1 11 11 soudem es auch durchmes sen. und jedem Dinge auf dem lhl'n seine Stelle bestimmt. Dieses Land aber ist eine Insel,
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Die Dingfrage in Kants Hauptwerk
Lmd durch die Natur selbst in unveränderliche Grenzen eingeschlossen. Es ist das Land der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben von einem weiten und stünnischen Ozeane, dem ei· gentliehen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank, und man· ches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt, undindem es den auf Entdeckungen hemmschwärmenden Seefahi·er unauf'hörlich mit leeren Hoffnungen täuscht., ihn in Abenteuer verflechtet,. von denen er niemals ablassen und sie docll auch ni<'ma1s zu Ende bringen kann.«
a) Kants Begriff der Ertahnmg Das durchmessene und ausgemessene Land, der .feste Boden de1 "VVahTheit, ist der Bereich der gegründeten und begründbaroll Erkenntnis. Diese nennt Kant »Erfahrung<<. Daher entsteht dil· Frage: Welches ist das Wesen der Erfahrung? Das »System oller Grundsätze des reinen Verst..andes« ist nichts anderes als dcJ Aufriß des Wesens und Wesensbaues der Er.Eahnmg. Das \l\'1'· sen einer Sache ist nach der neuzeitlichen Metaphysik dasjenige, was die Same als solche in sich möglid:t macht: clie Mö~ lichkcit, possihilitas. ve.rslanden als das Ermöglichende. Di·· Frage nach dem Wesen der Erfahrung ist die nach ihrer innC'.ren Möglichkeit. Was gehört zum Wesen der Erfahrung? Iu dieser Frage liegt aber .vugleich: Was isl das Wesen dessen, was in der Erfahrung in Wahrheit zugänglich wird? Denn wenn Kant das Wort Erfahrung gebraucht, versteht er es immer i11 einem wesenhaft doppelten Sinne: 1. Das Erfahren als Geschehnis und Handhmg des Subjekt~ (leb). 2. Das .in solchem Erfahren Erfahrene selbst und als sol ches. Die Erfabrong im Sinne des Erfahrenen und ErlahrlM ren, der Gegenstand der Erfahrung, ist die Natur, und Z\\Or Natur verstanden im Sinne von Newtons »Prinzipien« nl·. »Systema mundi«. Die Begründung der inneren Mögllchkt·•l der Er-fahrung ist daher für Kant zugleich die Beantworh.111~· der F-rage: Wie ist eine Natur überhaupt möglich? Die Antwon
§ 21. Ausle{JWlg des nueiten Hauptstücks
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wird im Sy:;tem aller Grundsätze des reinen Verstandes gegeben. Kant .;ngt daher auch (Proleg. § 23), daß diese Grundsätze •ein physiologisches, d. i. ein Nntur:.y~>lem ausmachen«. In§ 24 nennt er sie dann auch die »physiologischen Grundsätze«. »PhysioJogisch « ist hier im ursprünglichen und allen Sinne vers1 an· tlen, nicht im heutigen; heule meint Physiologie die Lehre von flcn Lebensvorgängen im Unterschied von der Morphologie als tlcr Lehre von den Gestalten des Lebendigen. Im Wortgebrauch 1\ants ist gemeint: A6yo; der crtim;, die Grundaussagen über die '\;atur. aber q'\Jol; jetzt im Sinne Nt>wlons gedacht. Xur indem ausdrücklich und in begründeter Weise von dem festen Boden der ausweisbaren Erkenntnis, dem Land der Erfnhrung \Htd der Karte dieses Landes, Besitz genommen wird, i .t eine Stelhmg bezogen, von der aus über die Gerechtsame und die Anmoßungen der überlieferten rationalen Metaphysik, tl h. über deren Mög1ichkeit entschieden werden kann. Die Aufstellung des Systems der Grundsätze ist die Besitz' thme des ff'sten Landes möglicher Wahrheit der Erkenntnis. :->i~ ist d«.>r entscheidende Schritt im Ganzen der Aufgabe der 1\ritik der reinen Vernunft. Dieses System der Grundsätze ist tlu~ Ergebn.is einer eigentümlichen Zergliederung (Analysis) olt!!> Wesens der Erfahrung. Kant -clueibt einmal in einem Brief 11 seinen Schiiler Jak. S. Beck vom 20. Januar 1792, 10 Jahre u11d1 Erscheinen der »Kri tik der reinen Vernunft<<: »die Anoly!lts einer Erfahrung überhaupt und die Prinzipien der Möglich1PiL der letzteren [sind) gerade das schwerste von der ganNt Kritik«. (Briefe. Cassirer X, lH; Akademieausgabe At, tl) ff.) Fur den Vortrag dieses scltwcrsten Stückes der ,.Kritik tlt•r reinen Vernunft« gibt Kanl in demselben Brief die Anwcirnmg: • Mit einem Worte: da diese ganze Analysis nur zur \lt:;icht hat, darzutun: daß Erfahrung selbst nur vermittelst f,' wisser synthetischer Grundsätze a priori möglich sei, dieses tllf'r alsdann, wenn diese Grundsülze wirklieb vorgetragen wcrci••IJ, allererst recht faßlich gemacht werden kann, [ ... ]so kurz \\H' möglich zu Werke zu geben.« l-Iier ist ein Doppellos klar
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Die Dingfrage i.n Kants HauptuJerk
betont: 1. für die rechte Einsicht in das Wesen der Erfahrung, d. h. der Wahrheit der Erkenntnis, ist das Entscheidende der wirkliche Vortrag des Systems der Grundsätze; 2. die Vorbereitung dieses Vortrages ist möglichst knapp zu fassen. Wir erfüllen daher nur eine lclare Anweisung Kants, wenn wir das System der Grundsätze herausgreifen und die Auslegung dieses Stückes so anlegen, daß alles im voraus dazu Benötigte möglichst knapp zusammengeiaßt und .im Verlauf der Auslegtmg selbst beigeschafft wird. b) Das Ding als Naturding
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Das System der Grundsätze des reinen Verstandes ist im eigensten Sinne Kants die innere tragende Mitte des ganzen Werkes. Dies.es System der Grundsätze s.oll uns über die Frage Aufschluß geben, wie Kant das Wesen des Dinges bestimmt. Was im vorigen über die Bedeutung des Systems der Grundsätze gesagt wurde, gibt schon eine Vordeutung auf die Art und Weise, wie Kant das Wesen des Dinges umgrenzt und in welcher Weise er es übemaupl für bestimmbar hält. »Ding«- das ist der Gegenstand unserer Erfahrung. Da der Inbegriff des möglichen Erfahrbaren die Natur ist, so muß in Wahrheit das Ding als Naturding begriffen werden. Zwar unterscheidet gerade Kan t das. Ding in der Erscheinung und da& Ding an sich. Aber das Ding an sich> cL h. abgelöst von und herausgenommen aus jegliChem Bezug der Bekundung für uns, bleibl für uns ein bloßes X. In jedem Ding als Erscheinung denken wir zwar unvermeidlich dieses X .mit; aber in Wahrheit bestimmbar und in seiner Weise als Ding erkennbarist nur das ersCheinende Naturding. Wir fassen künfLjg Kants Antworl auf die Fragenach dem Wesen des uns zugänglichen Dinges in die zwei Sätze zusammen: 1. Das Ding ist- Naturding. 2. Das Ding ist der Gegenstand möglicher Erfahrung. Hier ist jedes Wort wesentlich, 1md zwar in der bestimmten Bedeutung, die es durch Kants philosophische Arbeit erlangt hat.
§ 21. Auslegung des zweiten Hauptstücks
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Erinnern wir uns jetzt noch kurz an die einleitend en Bettachlungen zu Beginn der ganzen Vorlesung. Dort stellten wir die Frage nach dem Ding im Umkreis dessen, was uns tagtäglich zunächst umgibt und begegnet. Damals entstand die Frage, "ic sich zu den unmj ttelbru: begegnen den Dingen d:ie Gegen~lände der Physik, also die Naturding e, verhalten . Im Blick auf Knnts Wesensbe stimmung des Dinges als Naturdin g können wir ermessen, daß Kant von vornherei n die Frage nach der Dingheit der uns umgeben den Dinge nicht stellt. Diese Frage hat für ihn kein Gewicht. Sein Blick heftet sich sogleich aui das Ding als Gegensta nd der mathemat isch-phys ikalischen Wisscn~chaft.
Daß für Kant diese Hinsicht bei der Bestimm ung der Dingheil des Dinges maßgebe nd wurde, hat Gründe, d:ie wir jetzt, nuch der Kennzeic hnung der Vorgeschichte der Kritik der reint•n VernunfL leicht ermessen. Die Bestimmu ng des Dinges als Naturding hat indes auch Folgen, für die .freilich Kant selbst ,,m wenigsten verantwo rtlich gemacht werden darf. Man l1örmte der Meinung huldigen, das Übersprin gen der uns umt•C'bendenD:inge und der Auslegun g iln-er Dingheit sei ein Ver~iiumnis, das sich leicht nachholen und der Dingbest immung clc•r Naturdin ge anfügen oder allenfalls auch vorordnen lasse. J\ ber dies ist unmöglich, weil die Dingbest immung und die Art tllres Ansatzes grundsätz liche Voraussetzungen in sich schließt, dl(' sich auf das Ganze des Seins und den Sinn des Seins überlulllpt erstrecken. Wenn man es sonst nicht wahrhabe n will, •uiltelbar ist gerade aus der Dingbest immung Kants dieses zu h•rncn: daß nämlich ein einzelnes Ding für sich nicht möglich 1111c.l daher die Dingbest immung nicht durch Bezugnah me auf • 1Jtzelne Dinge vollziehbar ist. D as Ding als Naturdin g isl nur l11 stimmbru: aus dem Wesen einer Natur überhaup t. Enlspre' lwnd und erst recht ist das Ding im Sinne des uns zunächst ' ur aller Theorie und Wissenschaft - Begegnen den nur beltlllmbar aus einem Zusamme nhang, der vor aller und über ullcr Natm: liegt. Das geht so weit, daß selbst die Dinge der
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Oie Dingfrage in Kants Hauptwerk
Technik, obzwar sie dem Ansmein nacn erst auf Grund der wissenscnaftlichen Naturerkenntnis bergestellt werden, in ihrer Dingheftigkeit etwas anderes sind als etwa Naturdinge mit der Auflage einer praktiscnen Verwendung. Dies alles aber deutet nur wieder darauS hin, daß das Fragen der Dingfrage nichts Geringeres ist als ein entscheidendes Fußfassen des wissenden Menschen inmilten des Seienden im Ganzen. Es fallen in der Bewältigung oder Nichtbewältigung oder Vernachlässigung der binreichend weit gedachten Dingfrage Entscheidungen, deren zeitlicher Spiehaum und Abstand in unserer Geschichte immer nur nach Jahrhunderten zu betrachten isl. Die Auseinandersetzung mit dem Schrill Kants soll uns für solche Entscheidungen das rechte Augenmaß verschaffen. c) D.ie Dreigliederung des FlauplslüC'kes über das System der Grundsätze
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Das »Hauptstück« der »Krilik der reinen Vemunfl<~ das wir auszulegen versuchen, beginnt A 148, B 187 und ist überschrieben: »System aller Gnmdsätze des reinen Verstandes«. Das ganze StüCk, das sich bis A 235 und B 294 erstreckt, ist in drei Abschni lte gegliedert: 1. Abschnitt »Von dem obersten Grundsatze aller analyti• sehen Urtelle« (A 150, B 189 bis A 153, B 193). II. Abschnitt» Von dem obersten GrundsaLze aller synthetischen Urteile« (A 154, B 193 bis A 158, B 197). m. Abschnitt »Systematische Vorstellung aller synthetischen Grundsätze desselben« (des reinen Verstandes) (A 158, B 197 bis A 235, B 287). Es folgt eine »Allgemeine Anmerkung zum System der Grundsätze« (B ggg bis 294). Bei dieser Dreigliederung der Lehre Kants von den Grundsätzen denken wir sofort an die drei Gnmdsätze der überlieferten rationalen Metaphysik: Widerspruchsatz, Ichsatz und Satz vom Grund. Es ist zu vermuten, daß die Dreigliederung bei
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21. Auslegung des zweiten Hauptstücks
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Kant in einem inneren Zusamme nhan g mit der Dreizahl der
überliefer ten Grundsät ze steht. In welchem Sinne das zutrifft, wird die Auslegun g zeigen. Achten wir zuerst auf die Überschriften, und zwar ·t.unächst auf die der beiden ersten Abschnitte, dann finden 'vir den Begriff des obersten Grundsatzes. und dies je für einen Gesamtbcrcicl1 von Urteilen. Der allgemeine Titel des ganzen Hauptstüc kes faßt die Grundsät ze als solche des reinen Verstnndes. Jetzt ist von Grundsät zen der Urteile clie Rede. Mit welchem Recht? Verstand ist das Vermöge n 1.u denken. Denken aber ist : Vorstellu ugen in einem Bewußtsein vereinige n; »ich denke« heißt: »ich verbinde« . Vorstellenderweise setze ich ein Vorgestelltes mit einem anderen zusammen: »Das Zimmer ht warm«; »Der Wermut ist bitter«; >>Die Sonne scheint«. »Die Vereinigu ng der Vorstellu ngen jn einem Bewußtse in is1 dns Urteil. Also lst Denken soviel als Urteilen oder Vorstellu ngen auf Urteile ü hcrha upt beziehen. « (P roleg. S 2g) Wenn mithin stall »reiner V«:>rstuntl<< in der Überschri ft des I Iauptstüc kes nunmehr in den Überschri ften der beiden ersten Abschnitte »Urteil« steht, so ist damit sachlich nichts anderes ?tCoannt; Urteil ist nur die Art, wie der Verstand als Vermögen des Denkens das Vorstellen volh.ich t. Warum freilich allgemein Crteil« gesagt "\Ürd und nicht reiner Verstand, wird sich aus clem Inhalt der Abschnitt e ergeben. (Das, was diese Handlun ~en •verrichte n•, rue Verrichtu ng und das Verrichte te, ist rue Einheit von Vorstellun gen, und zwar als selbst vorgestell te g inheit. z. B. rue scheinende Sonne im Urteil: »Die Sonne ~d1eint. «) Zugleich entnehme n wir aus den beiden ersten Überschri ften c·i ne Untersche idung der Urteile in analytisdte und syntheti~rhe. Kant bemerkt einmal in seiner Streitschr ift gegen Eberhnrd »Uber eine Enldt•ckung, nad.1 der alle neue Kritik der reill t'n Vernunft durch eine ältere entbehrlic h ge:rnacht werden ~1)11« (1790), es sei, um die H auptaufga be der Kritik der reinen Vernunft auflösen zu ltönnen, >>freilich unumgän glich nothwen-
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Die Ding/mge in Kants Hauptwerk
dig, einen deutlieben und bestimmten Begriff davon zu haben, was die Krilik erstlieh unter synthetischen Urtheüen zum Unter· schiede von den analytischen überhaupl verstehe«. Der >>genannte Unterschied der Urtheile [sei] niemals gehörig eingesehen worden.« (Akademieausgabe \VWVIII, S. 228 u. S. 244) In den Oherschriften de1. ersten und zweiten Abschnittes int »Hauptstikk« über das •System aller Grundsülze des reinen Verstandes« ist demnach mtt der Unterscheidung der analyti· sehen und synthetischen Urteile und der ihnen zugehörigen obersten Grundsätze etwas für den gesamten Fragebereich der Kritik der reinen Vernunft Entscheidendes angezeigt. Daher ist es auch kein Zufall. daß Kant in der Einleitung zu diesem Werk (A 6 ff.• B 10 Cf.) ausd.rücklkh und im voraus • Von dem Unter· schiede analytischer und syutbetischer Urteile« handelt. Aber ebenso wichtig wie der Inhalt der beiden ersten Ober· schriltcn ist die Oberschrift des dritten Abschnittes. I-lier ist weder von Grundsätzen der analytischen Urteile noch der syn· thetischen Urteile die Rede, sondern von syntltetischen Grund· sätzen des reinen Verstandes. Und gerade die systematiscllt' ,. Vorstellunge (Vorführung) dieser ist das eigentliche Ziel de; ganzen Hauplstückes. Es erscheint jetzt als das Gegebene, der Auslegung dieser drei Abschnitle eine Erörterung des Unterschiedes zwischen analytischen und synthetischen Urteüen vorauszuschicken. Allein, • wir ziehen ~ vor. gemäß der allgemeinen Art des Ganges nnsc· rer AusleguDg diese Unterscheidung dort zu bebundeln, wo der Text es unmittelbar fordert. Wir übergehen die einleitende Betrachtung zum »Ilauptstiicl~; denn diese (A 148, ß 187) ist nur unter Bezugnahme auf cüc voranstehenden Stücke des Werkt·~ verständlich, auf die wir nidJt eingehen. Wir begiunen soglekh mit der Auslegung des I. Absdmittes.
§ 24. Von dem obersten Grundsatz aller analytischen U rtei[e.
Erkenntnis und Gegenstand (A 150 ff., B 189 ff.) Im Titel des I. Abschnittes ist der »Satz vom Widerspruch« als c•ines der drei Grundaxiome der überlieferten Metaphysik gemcint. Daß dieser Satz hier aber der »oberste Grundsatz aller nnalylisd1en Urteile« genannt wird, bringt scbon Kants besonclere Auffassung dieses Satzes zum Ausdruck. Mlt dieser unter..dleidet er sich sowohl. von der vorangehenden Metaphysik als tuch von der nachfolgenden des Deutschen Idealismus, zumal •lcrjenigen Hegels. Die allgemeine Absicht Kants in seiner Auft'assung des Satzes vom Widerspruch geb L dahin, diesem (;rundsatz die leitende Rolle streitig zu machen, die er sich insbesopdere in der neuzeitlichen Metaphysik augemaßt hatte. Diese Rolle des Satzes vom Widerspruch als des oberstell Axioms in aller Erkenntnis des Sems ist schon bei Aristoteles, wenn auch in einem anderen Sinne, herausgestellt. (Metapby-
.ik ro-6.) Am Schluß des dritten Kapitels (1005 b öo) sagt Aristoteles: !piu:JEI yUQ ciQXfl xat 'tWV UAAOOV &l;LrotJ.Cnrov a\hT) navtrov. »Vom Sein lil'r gesehen ist dieser Satz sogar auch der Grnnd (Prinzip) aller
1lc•r anderen Axiome (Grundsätze).« Kant hat bereits 1755 ill seiner Habilitationsschrift einen e.rlt n, ·wenngleich noch unbestimmten Vorstoß gegen die Vorhcrrscbafl des Satzes vom Widerspruch in der Metaphysik gcwngl. Diese kleine Schrift trägt den kennzeichnenden Titel: l'rincipiorum primorum cognitionis metaphysicae nova dUucichtlio. »Eine neue Beleuchtung der ersten Grundsätze der me1 •physischen Erkenntnis.« Der Titel dieser Schriftkönnte aucb \\ i('der über der fast 30 Jahre später erschienenen» Kritik der tt'i nen Vemuoft« stehen.
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Die Dingfrage inKants Hauptwerk
a) Erkenntnis als menscbl iehe Erkenntnis
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Allerelings bewegt sich die Erörterung des Satzes vom Widerspruch in der »Kritik der reinen Ve1nunft<< auf einer anderen, eigens gegründeten Ebene und :in einem durchsichtigen, denkerisch beherrschten Berei~'h. Das verrät sogleich der erste Satz, mit dem der Abschnitt beginnt (A 150, B 189): »Von welchem Inhalt auch unsere Erkenntnis sei, und wie sie sich auf das Objekt beziehen mag, so ist doch die allgemeine, obzwar nur negative Bedingung aller unserer Urteile überhaupt, daß sie sich nicht selbst widersprechen; widrigenfalls diese Urteile an sid1 selbst (auchohne Rücksicht aufs Objekt) nichts sind.« Hier ist allgemein gesagt: Alle unsere Erkenntnis steht unter der Bedingung, daß ihi·e Urteile in sich selbst widerspruchsfrei seien. An diesem Satz Kants ist jedoch über diesen allgemeinen Gehall hjnaus Verschiedenes und für alles Folgende Entscheidendes zu beachten. 1. Die R ede 1st von »unserer Erkenntnis«, das will sagen, von der mensd1lichen Erkenntnis, nicht unbestimmt von irgendeiner Erkenntnis irgendeines erkennenden Wesens, auch nicht von einer Erkenntnis überhaupt und schlechthin, von Erkenntnis in einem absoluten Sinne. Vielmehr stehen wir, dle Menschen, unsere Erkenntnis und nur sie hier und in der ganzen >)Kritik der reinen Vernunft« in Frage. Nux in bezug auf eine nicbL absolu1e Erkenntnis hat es überhaupt einen Sinn, den Satz vom Widerspruch als Bedingung anzusetzen; denn absolute Erkenntnis, unbedingte~ kann überhaupt nicht unter Bedingungen stehen. Was für das endliche Erkennen ein Widerspruch ist, braucht es für das absolute Erkennen nicht zu sein. Wenn daher im Deutseben Idealismus Schelling und vor allem Regel das Wesen der Erkenntnis sogleich absolut setzen, ist es sachgemäß, daß für ein solches Erkennen die Widersprucbslosigkeit keine Bedingung der Erkenntnis ht, sondern umgekehrt, der Widerspruch gerade das eigentliche Elemenl der Erkenntnis wird.
§ 24. Erkenntnis und Gegenstand
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2. Es wird gesagt, daß unsere Urteile widerspruchsfrei sein 111üssen, nicht unsere Erkenntnisse; das deutet darauf hin, daß die Urteile, die Verstandeshancllungen, zwar ein -wesentliches, ober doch nur ein Bestandstück unserer Erkenntnis ausmachen. 3. Von unserer Erkenntnis wird gesagt, daß sie je .irgendeinen 1Jiha1l hat und daß sie sieh je so oder so »auf das Objekt« bezieht. Statt >>Objekt<~ gebraucht Kant oft das Wort »Gegenstand«. Um diese dreiherausgehobenen Best immun.gen der Erkennt., is als der menschlichen in ihrem inneren Zusammenhang zu verstehen und von da aus die folgenden Darlegungen Kants iiber die GrundsäLze zu begreifen, ist es not-wendig, Kants ftrundauffassung der menschlichen Erkenntnis so, wie sie ersttnal s in der »Kritik der re.inen Vernunft« deutlich wird, so knapp wiemöglich darzustellen. b) Anschammg und Denken als die beiden Bestandstücke der Erkenntnis Knnt rückt - im vollen Bewußtsein der Tragweite der Bestimuw n genl die er zu geben hat- an den Beginn seines Wer'kes dt>n Satz, der nach seiner AuHassnng das Wesen der mensclili, ftcn Erkenntnis umgrenzt (A 19, B 35): >>Auf welche Art und dltrch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Ge·~eus tände beziehen mag, es ist doch diejenige, wodurch sie sich 11 11f dieselbe unmittelbar b ezieht, und worauf alles D enken als Mit tel abzweckt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, 1cnl'crn uns der Gegenstand gegeben wird; dieses aber isL wietll·ntm , uns Menschen wenigstens, nur dadurch möglich, daß er eins Gemütauf gewisse Weise affiziere.« Diese Wesensbestimmung der Erkenntnis ist der erste und lllgleich alles entscheidende Gegenschlag gegen d:ie rationale Metaphysik Kant bat damit eine neue Grundstellung des Men, dum inmitten des Seienden bezogen, genauer: eine im Grunde 11111ner bestehende eigens ins n;Ietaphysiscbe Wissen gehoben
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Die Dingfra ge in Ka11ts Hauptw erk
tmd zur Begrün dung gebrach t. Daß es sich um mensdu idte Erkennlni s handelt , wird noch durch den Zusatz in der 2. AuOage besonders eingesc härft: »uns Menschen wcnig:;tens«. Menschliche Erkenn tnis ist vorstel lendes Sichbeziehen auf Gegens tände. Aber dieses Vorstel len ist nicht bloßes Denken in Begrifi en, Urteile n, sondern - das wird durch Spernm g im Druck und durch den Bau des ganzen Satzes herausg ehoben - >tdie Ansdwuun g«. Die eigentl ich tragend e und unm1tt elbare Beziehung auf den Gegens tand ist die Anscha uung. Gleichwohl macht sie allein ebenso wenig das Wesen unserer Erkenn tnis aus wie das Denken allein. sondern das Denken gehört zur AAschauun g, und zwar so, daß es im Dienst der Anscha uung slehl. Menschliche Erkenn tnis ist begriffücl1e. urteüsf örmige Anschauu ng. Mensch liche Erkenn tnis ist also eine eigentü mlich gebaute Einhei t von Anscha uung und Denken . J mmer wieder betont Kant durch das ganze Werk hindurc l! diese Wesens bestimmu ng der mensch lichen Et·kcnn tnis. Als Beispiel sei die Stelle B 406 angefü hrt, die erst in der zweiten Auflag e steht, in der sich sonst gerade eine schärfe re Belomm g der Rolle des Dcnken s im Erkenn en geltecd macht: »Nicht dadurch , daß ich bloß denke, erkenn e ich irgende in Objekt, « (das ist gegen die rationa le Metaph ysik gesproc hen) »sonde rn nur dadurch , daß ich eine gegebe ne Anscha uung in Absicht auf die Einheil des Bewußt seins, darin alles Denken besteht . beslimm e, kann ich irgend einen Gegens land erkenn en.« Dasselbe sagt die Stelle A 719, B 747: »Alle unsere Erkenn tnis bezieht sich doch zuletzt auf möglich e Anscha uungen : denn durch diese allein wird ein Gegens tand gegebe n.« Dieses uuletz t« meint in der Ordnun g des vVesensbaues der Erkenn tnis soviel wie: zuerst, in erster Li• n1e. Menschliche Erkenn tnis ist in sich zwiefäl tig. Das zeigt sieb an der Zwiefa lt der sie aufbau enden Bcstandstücke. Sie sind hier als Anscha uung und Denken benann t. Aber ebenso wesentlich wie diese Zwiefa lt gegenü ber einer Einfalt ist die Art und Weise, wie diese Zwiefa lt gleichs am gefalte t und geglie-
§ 24. Erkenntnis und Gegenstand
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dert ist. Sofem nur die Einigung von Anschauung und Denken eine menschliche Erkenntnis ausmacht, müssen offenbar die beiden Bestandstücke, um vereinbar zu se~ irgendeine VerwandtsChaft und Gemeinsamkeit bei sich tragen. Sie besteht darin, daß beide, Anschauung und Denken, »Vorstellungen« sind. Var-stellen heißt, etwas vor sich bringen und vor sich haben, etwas auf sich als das Subjekt zu, auf sich zurück, präsent haben: re-pracsentare. Wie unterscheiden sieb aber Anschauen und Denken innerhalb des gemeinsamen Charakters des Vorstellans als Weisen des Vorstellens? Wir können dies jetzt nur behelfsmäßig verdeutlichen: »diese Tafel«- diUllit sprechen wir an, was vor uns steht und uns vorgestell~ ist. Vor-gestellt ist dabei diese bestimm Le flächige AusbreiLllhg mit dieser Färbung und in dieser Beleuchtung und von dieser Härte und Stofflichkeit u.s.f. Das jetzt Aufgezählt e ist uns unmittelbar gegeben.. Wir sehen und Lasten das Genannte olme weiteres. Wir sehen und tasten je gerade diese Ausbreitung, dLese Färbung, diese Beleuchtung. Das unmittelbar Vorgestellte ist immer »dieses«, uas je gerade so und so Einzelne. Vorstellen, das 1mmittelbar tmd daher je dieses Einzelne vor-stellt, ist Anschauen. Dessen Wesen wird deutlicher aus der Abhebung gegen die andere Weise des Vorstellens, gege11 das Denken. Denken ist nicht unmittelbares, sondern mittelbares Vorstellen. Was es vorstellend meint, .ist nicht Einzelnes, >>dieses«, soudem gerade Allgemeines. Indem ich sage »Tafel«, ist das anschaulich Gegebene aui~efaßt als, begiffen als Tafel:» Tafel«- damit stelle ich etwas \Or, was auch für anderes gilt, zunächst für entsprechend Gegebenes in anderen Hörsälen. Das Vorstellen von dem, was für viele gilt, und zwar als ein solches Vielgi.Utiges, ist das Vorstellen von etwas Allgerueinem; dies allgemeine Eine, was allem ihm Zugehörigen gemein ist, isl der Begriff. Denken ist Vor~!ellen von etwas im Allgemeinen, d. h. in Begriffen. Begriife ,,lJer werden nicht unmittelbar vor-gefunden; es bedarf eines hr.stimmten Weges und Mittels, sie zu bilden; Denken ist daltN mittelbru:es Vorstellen.
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Die Dingfrage in Kartts f!au.ptwerk
c) Der Gegenstand beiKant zwiefäJtig beslimrut
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Aus dem Gesagten wird jedod::t zugleich klar, daß nicht nur das Erkennen zwiefältig ist, sondern daß auch das Erkennbare. der mögliche Gegenstand der Erkenntnis, zwiefältig bestimmt scin muß, um überhaupt ein Gegenstand zu sein. Wir können uns diesen Sachverhalt znnäd:tst vom Wort aus verdeutlichen. Was wir sollen erkennen können, muß uns irgendwoher begegnen, entgegenkommen; das meint das »Gegen(< in Gegenstand. Aber nicht jedes Beliebige, was uns gerade trifft, irgendeine vorbeiziehende Gesichts- oder Gehörsempfindung, irgendeine Druck- oder Wärmeemp.fi.ndung ist schon ein Gegenstand. Das Begegnende muß bestimmt sein als stehend, als etwas, das Slaud hat und so beständig ist. Damit wird jedoch nur eine vorläufige Anweisung darauf gegeben, daß offenbar aucL der Gegenstand zwiefällig bestimmt sein mu.ß. Aber was nun - iru Sirtue von Kants Begriff der Erkennlnis- wahrhaft ein Gegenstand des menschlichen Erkennens ist, haben wir dadurch nocL nicht gesagt. Ein Gegenstand im stTengen Sinne Kants ist nämlich weder das nur Empfundene A1och auch das Wahrgenommene. Wenn ich z. B. auf die Sonne zeige und das Gezeigte als Sonne anspreche, so ist das so Genannte und Gemeinte nicht Gegenstand als Gegenstand der Erkenntnis im strengen Kantischen Sinne, sowenig wie der Stein, auf den ich hinzeige, oder die Tafel. Selbst wenn wir weitergehen und etwas über Sonne und Stein aussagen. dringen wir noch nicht zum Gegenständlichen im strengen Kautischen Sinne vor. Auch weun wir bt-._ züglich des Gegebenen etwas wiederholt fest-stellen, bringen wir es nod::t nicht zur Erfassung des Gegenstandes. Wir können z. B. auf Grund wiedemalter Beobachtungen sagen: Wann dit• Sonne den Stein bescheint. dann -.;vird er warm. Hier ist zwar Gegebenes, Sonne -Sonnenschein - Stein- Wänne, und cliese1> Gegebene ist auch in gewisser Weise urteUsxnäßig bestimrul, d. h .: Sonnenschein und Wärme des Steins sind in eine Bezit>· hung gebracht. Aber es fragt sieb: in ·welche Beziehung? Wi r
§ 24. Erkenntnis und GegeitStand
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sagen deutlicher : Jedesmal , wann die Sonne scheint, dann wird cler Stein war·m; jcdesmal, wann ich die Wahrneh mung der ~onue habe, folgt aul' diese (meine) Wahrneh mung in mir die WahiDeh mung des warmen Steins. Dieses Zusamme nsein der Vorstellun gen \"On Sonne und Stein in der Aussage •jedesmal , wann ...• dann ... « ist bloß eine Vereinigu ng verschied ener Wahrneh mungen. d. h. ein Wahrneh mungsurt eiL Hier werden jeweils meine Wahrneh mungen und so die je jedes anderen wahrnehm enden I ch zueinandc rgcsctzt, also nur festgestell t, wie das gerade jeweils mir Gegebene sich flir mich ausnimmt . Sage ich dagegen: » Weil die Sonne scheint, deshalb wird der Stein warm«, dann spreche ich eine Erkenntn is aus. Die Sonne ist jetzt als Ursache und das Warmwe rden des Steins als Wirlumg vorgestell t. Die Erkenntn is ltönncn wir auch ausdrücke n in dem Satz: »Die Sonne e rwärmt den Stein«. Sonne und Stein sind jetzt nicht verknüpft auf Grund der jeweils nm subjektiv fl·ststellbarcn Aufeinan derfolge der enlsprech enden Wahrneh nmngen, sondern sie sind in den Begriffen Ursache und Wirkung allgemein in sicll, wie sie in sich und zueinand er stehen, gefaßt. Jetzt ist ein Gegen-sta nd erfaßt. Die Beziehun g ist nicht 111chr die: »jedesma l wann - dann«; diese betrifft die Abfolge l'ines Wahmehm ens. Die Beziehun g ist jetzl die des »wenn w« (»weil - deshalb ..); sie betrifft die Sache selbst, ob ich sie gerade wahrnehm e oder nicht. Diese Beziehun g ist jetzt als not\\ endige gesetzt. Was dieses Urteil sagt, gilt jederzeit und für i•·dennan n; es ist nicht subjektiv, sondem gilt vom Objekt, vom negensta nd als solchem. Das empfindu ngs- und wahrnehm ungsmäß ig Begegoen de und so anschauli ch Gegeben e- Sonne und Sonnensc hein, Stein und Wärme- dieses »Gegen« kommt als ein in sich stehender Sachverh alt erst zum Stand, wenn das Gegebene in solchen Beßrillen wie Ursache- Wirkung, d. h. unter dem Satz der Kausalitö.t allgemein vorgestell t und so gedacht wird. Die Bestand•.1 iicke des Erkenneo s, Anschauu ng und Begriff, müssen in t•mer bes1immte:n Weise geeinigt werden. Das anschaulie b Ge-
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Die Dingfrage in Kants Hauptwerk
gebene muß unter die Allgemeinhei t bestimmter Begriffe gl'· bracht werden, der Begri{f muß über die Anschauung kommt·n und das in ihr Gegebene in seiner Weise bestimmen. Mit Bczng auf das Beispiel - und d. h. grundsätzlich - ist aber schon hic•r dieses zu beachten: Das Wahrnehmtm gsurteil »jedesmal wann - dnnn~ geht nicht allmählich bei einer hinreichend großen Zahl von Beol•· achtungen in das Erfahrungsur teil »wenn- so« über. Derglc·i· eben ist so tmmöglich, '\vie es ausgeschlossen is~ daß jemals ciu »wann« in ein »wenn« und ein »dann« in ein )>deshalb« über·
gehtund umgekehrt. Das Erfahrungsurt eil verlangt in sich einen neueu Schritt eine andere Art des Vorstollens des Gegebenen, nämlich im Rl' griff. Dieses wesentlich andere Vorstellen des Gegebenen, das Auffassen desselben als Natur, macbt es ersl möglich, daß nuu mehr die Beobachtunge n als mögliche Verans<'haulicbungcu des Eriahru.n.gsur teüs genommen werden können, dnß jetzt im Liebt des Erfahrungsurt eils die Bedingungen der Beobacbtun~ abgewandelt und die entsprechende n Folgen dieser abgewan dclten Bedingungen untersucht werden können. Was wir m dc•r Wissenschaft Hypothese nennen, ist der erste Schrill zu eine·•" wesentlich anderen, nämlich begrifflichen Vorstellen gegenübt•r bloßen Wahrnehmun gen. Erfahrung entsteht nicht »cmpi riscl1«, aus Wahrnehmun g. sondern wird nur metaphysisch t•t möglicht: durch ein dem Gegebenen eigentümlich vorgreif<•u des, neues begriffliChes Vorstellen, hier in den Bcgri(f'·" Ur-sache- Wirlamg. Hierdttrch wird ein Grw1d für das Gt gcbenc gesetzt: Grundsätze. Ein Gegenstand im strengen Simll' Kants ist also erst das Vorgestellte, worin Gegebenes in einc·r notwendigen und allgemeingült igen Weise bestimmt ist. Eiu solches Vorstellen ist eigentliche menschliche Erkenntnis. K
§ 24. Erkenntni s Wld Gegenstand
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~ ..m;rklicht sich in der Gestall der mathemat iscb-phys ikali-
• hen WissenschaiL. 4. Diese Wisscnscba:ft und damit das \ Vt·sen eigenilich er menschlic her Erkenntn is sieht Kaut in der i:eo;cbichilichen Gestah der Newtonse hen Physik, die man beute tmth die »klassisch e« nennt.
tl) Sinnlichk eit und Verstand. Rezeptivi tät und Spontane ität \Vas wir bisher iiber die menschlic he Erkenntn is sagten, sollte wnäcbst nur die z,,icfä1ti gkeit in ihrem Wesensba u kenntlieb machen, ohne diesen Bau schon in seinem ionersten Gefüge vor \ ugen zu stellen. In eins mit der Z" icfältigke it der Erkenntn is t r~nb sich ein erstes Verständn is der Zwiefälti gkeit des Gegenl.mdes: Das bloße anschauli ebe »Gegen« ist noch. kein Gegen! und; aber aucb das nur begrifflich allgemein Gedachte ist als ,. Ständiges noch kein Gegensta nd. Damit klärt sich auch, wus in1 ersten Satz unseres Abschnitt es Inhalt der Erkenntn is« und »Beziehu ng auis Objekt« heißt. llt•r »Inhalt« bestimmt sich immer aus dem und als das, was R11srhaulic h gegeben wird: Licht, Wärme, Druck, Farbe, Ton. llit· »Beziehu ng aufs Objekt«, d. h. auf den Gegensta nd als uldtcn, besteht darin, daß ein anschaulie b Gegebene s in der \ll~cmeinheit und Einbeil eines Begriffes (Ursache- Wirkung) 11111 Stehen gebracht wird. Aber wohlgem erkt: Zum Stehen 1 ehracht wird immer ein Anschauli ches; das begreifen de VorSI•·Ilen bekommt hier einen wesentlic h verschärft en Sinn. Wenn daher Kant wiederhol t betont: Durch die Anschauu ng '' i rtl der Gegensta nd gegeben, durch den Begriff wird der Gel'' nstand gedacht, so legt das leicht Mißverstä ndnisse nahe, als · • das Gegebene schon der Gegensta nd, als sei der Gegensta nd 11m Gegensta nd durch den Begriff. Beides ist gleich irrig. Viel''"'hr gilt: Der Gegensta nd steht nnr, wenn Anschauli ches bel" fflich gedacht ist, und der Gegensta nd steht nur entgegen, '' • 1111 der Begriff ein anschaulic h Gegebene s als solches beti l iuun t.
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Kant gebraucht somit den Titel Gegenstand in einem engen und eigentlichen und in weitem und uneigentlicb.em Sinne. Eigentlicher Gegenstand ist nur das in der Erfahrung als Erfahrenes Vorgestellte; uneigentlicher Gegenstand ist jegliches Etwas, woraui sich ein Vorstellen überhaupt- sei es Anschauen oder Denken - bezieht. Gegenstand im weiteren Sinne ist sowohl das nur GedaChte als solches als auch das nur im Wahrnehmen und Empfinden Gegebene. Obwohl Kant der Sache nach jedesmal sicher ist, wi.e er »Gegenstand« meint, so liegt doch in diesem fließenden Gehrauch das Anzeichen dafür, daß Kant die Frage nach der m enscl:ilichen Erkenntnis 1.md ihrer Wahrheit sogleich und nur in einer bestimmten Hinsicht aufgerollt und entschieden hat. Kant hat davon abgesehen, das Offenbare, das uns vor einer Vergegenständlichung zum Erfahrungsgegenstand begegnet , in seinem eigenen Wesen zu befragen und zu bestimmen. Sofern er auf clleseu Bereich scheinbar zurückgehen muß, wle bei der Unterscheidung der bloßen Wahmehmung von der Erfahrung, geht der -vergleichende Gang immer in der Richtung von der Erfahrung ZLU Wahrnehmung. Di.es besagl: Die Wahrnebmung ist von der Erfaluung her gesehen und in bezugauf sie ein »noch nicht«. Es gilt, aber ebenso und vor allem zu zeigen, was Erfahrung als die wissenschaftliche Erkenntnis in bezug auf die Wahmehmmlg im Sinne der vorwissenschaftliehen Erkenntnis nicht mehr ist. Für Kanl war angesicht,s der rationalen Metaphysik und ihrer Ansprüche allein entscheidend: · 1. überhaupt den Anschauungscharakter der menschlichen Erkenntnis als grundgebendes Wesensbestandsttick geltend zu machen; 2. auf Grund dieser gewandelten Bestimmung auch und erst recht das Wesen des zwciten Bestandstückes, des Denkens und der Begriffe, neu zu bestimmen. Nunmehr können wir den zwie{ii.ltigen Charakter der menschlichen Erkenntnis noch deutlicher, und zwar nach verschiedenen Hinsichten, kennzeichnen. Bisher nannten wir als die beiden Bestandstücke: Anschauung und Begriff, jene das
§ 24. Erkenntni$ und Gegenstand
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unmittelbar vorgestellte Einzelne, dieser das mittelbar vorgestellte Allgemeine. Das jeweils verschiedene Vorstellen vollzieht sich in einem entsprechend verschiedenen Verhalten und LeisLen des Menschen. In der Anschauung wird das VorgesteULe als Gegenstand vor-gestellt, d. h. das Vorstellen ist ein Vorsichhaben eines Begegnenden. Begegnendes wird, sofern es als ein 1;olches genommen werden soll, auf- und hingenommen. Der Gharakter d~s Verhaltens in der Anschauung ist das Hin-nehmen, Empfangen, recipere - receptio, Rezeptivität. Dagegen ist das Verhalten im begrifflichen Vorstellen derart, daß das Vorstellen von sich aus das mannigfaltig Gegebene vergleicht 11nd vergleichend auf Eines und Selbiges bezieht und dieses als Nolches festhält. Im Vergleichen von Tanne- Buche -Eiche Birke wird das herausgeholt, festgehalten und bestimmt, worin Jiese als dem Einen und Seibigen übereinkommen: »Baum«. I >as Vorstellen dieses Allgemeinen als solchem muß sich dabei von sich her aufmachen und das Vorzustellende vor sich brinp.cn. Gemäß diesem Charakter des >>von sich aus« ist das Denken- als Vorstellen in Begriffen- spontan, Spontaneität. Das menschliche Anschauen vermag niemals durch den Vollwg seines Anschauens als solchem das zu Schauende, den I legenstand selbst, herbeizuschaffen. Dergleichen ist höchstens Iu einer Art Einbildtmg, Phantasie, möglich. Dabei wird jedoch .!t•r Gegenstand nicht selbst als seiender, sondern nur als ein-gehildeter beigestellt und geschaut. Menschliches Schauen ist \ n-schauen, d. h. an ein schon Gegebenes angewiesenes 'it hauen. Weil das menschliche Anschauen darauf angewiesen ist, daß '' "n das Anschaubare gegeben wird, muß das zu Gebende sich •nzcigen. Dafür muß es sich melden können. Das geschieht d 11rch die Sinneswerkzeuge. Vermittelst dieser werden, wie l\tllü sagt, unsere Sinne- Sehen, Hören u.s.f. -»gerührt«; es \\•lrd ihnen etwas angetan, sie werden angegangen. Das uns so \ 111.iehende und die Art, wie der Anzug des Anziehenden ge' hicht, ist die Empfindung als Affektion. Im Denken, im Be-
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griff dagegen ist das Vorgestellte solches, was wir seiner Form nach selbst bilden und herrichten; seiner Form nach - dies meint das Wie, in dem das Gedachte, begrifflich Vorgestellte ein Vorgestelltes ist, nämlich im Wie des Allgemeinen. Das Was hingegen, z. B. »Baumartiges«, muß seinem Inhalt nad1 gegeben werden. Die Verrichtung und Herrichtung des Begriffes heißt Funktion. Menschliches Ansebauen ist notwendig sinnJicbes, d. h. solches, dem das 1mrnittelbar Vorgestellte gegeben werden muß. Weil menschliche Anschauung auf Gebung angewiesen, d. b. sinnlich ist, deshalb bedarf sie der Sinneswerkzcuge. Weil also unser Anschauen ein Sehen und Hören u.s.f. ist, deshalb haben wir Augen und Ohren; nicht a her sehen wir, weil wir Augen, nichthören wir, weil wir Ohren haben. Sinnlichkeit ist das Vermögen der menschlichen Anschauung. Das Vermögen des Dcnkens aber, worin der Gegenstand als Gegenstand zum Slancl gebracht wird, heißt Verstand. Wir können jetzt die versdliedenen Kennzeichnungen der Zwie!ältigkeil der mensdllichen Erkenntnis in einer Reihe übersichtlich anordnen und zugleich die verschiedenen Hinsichten festlegen, nach denen dic~>l· Unterscheidungen jeweils die menschliche Erkenntnis bestimmen: Anschauung- Begriff (Denken) I das Vorgestellte als solches im Gegen~ land. Rezeptivität- Spontaneität I Verhaltensweisen des Vorstellens. Affektion- Funktion I der Geschehnis- und Ergebnischaraktrr des Vorgestellten. Sinnlichkeit- Verstand I Vorstellen als Vermögen des mensrlalichen Gemütes, als Quellen der Er· kenntnis. Kanl gebraucht diese verschiedenen Fassungen der zwei Wc• scnsstiicke je nach dem Zusammenhang.
§ 24. Erkennt nis und Grgrnst and
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e) Der scheinb are Vorran g des Denken s; reiner Verstan d auf reine Anscha uung bezogen Bei der Ausleg ung der •Kritik der reinen Vernun ft« und bei der Ausein anderse tzung mit Kants Philoso phie überha upt konnte es nicht entgehe n, daß nach seiner Lehre dje Erkenn tnis ·tus Anscha uung und Deuken besteht . Aber von dieser allgemeinen Festste llung ist noch ein weiter Weg zum wirklichen Verstän dnis der Rolle dieser Bestandstücke und der Art ihrer Einheit , vor nUem aber zur rechten Beurtei lung dieser Wesenshestimm ung der menschlichen Erkenn tnis. In der »Kritik der reinen Vernun ft«, wo Kant das »schwerste Geschäft.« auf sich nimmt, die Erfahr ung in ihrem Wesens bau 1.11 zerglied ern, nimmt niimlic h die Erörter ung des Denkem nnd der VerstandeshruJd]unge n, also die des zweiten Bestand ~tückes nicht nur den unve rh ällnism~ißig größere n Raum ein, \Ondem die ganze Frageri chtung dieser Zerglie derung des We't:ns der Erfahr ung ist auf die Kennzc iclmung des Denken s ab~cslellt, als dessen eigentli che l landJun g wir bereits das Urteil kcnnen lernlen . Die Lehre von der Anscha uung, a.io{)l}at;, ist die 1\stheti.k (vgl. ,.Kritik der reinen Vernun ft« A 21, B 55 Anuterkun g). Die Lehre vom Denken , vom Urteile n, ).byo;, ist die I .ogik. Die Lehre von der Anscha uung umfaßt A 19 bis A ·~9, dso 30 Seiten, bzw. B 33 his B 73, ·10 Seiten. Die Lehre vom I >enken A 60, B 74- bis A 704·, B 732 beansprucht über 650 Sei-
··n. Der Vorran g in der Behand lung der Logik. ihr unverh ältnismäßig großer Umfan g im Ganz.en des Werkes springt in die 1\ugen. Aucl1 in einzelnen Abschnitten können wir immer wieclt·r feststellen, daß die Frogc nach dem Urteil und dem Begriff , nbo die Frage nach dem Denken , im Vorderg rund steht. Wir I mmen diese Tatsach e unschwer auclt aus dem Abschn itt erkenltc n, den wir unserer Ausleg ung zugrun de legen und den wir ul~ die innere Mitte des \tVcrkcs bezeich neten. Die Ol)el·scl triflc•n sprechen deutlich geu ug: Es h andcJL sich um die Urteile .
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Die Dingfrage in. Kants Rauptwerk
Vom l.lryor; (Vernunft) ist eigens die Rede im Gesamttitel des Werkes. Auf Grund dieses augenfälligen Vorrangs der Logilt hat man fast duxchg.ängig geschlossen: Also sieht Kaut das eigentliche Wesen der Erkenntnis im Denken, im Urteilen. Dieser .Meinung kam die überlieferte und alte Lehre entgegen, wonach der Ort der vVahrheit und Falschheil das Urteil, die Aussage sei. Wahrheit ist der Grundcharakter der Erkenntnis. Also ist die Erkenntnisfrage nichts anderes als die Urteilsfrage, und die Auslegung Kants muß an diesem Punkt als dem maßgebenden ansetzen. Wie sehr durch diese Vormeinnngen das Eindringen in dlc Mitte des 'Werkes verhindert wurde, kann und braucht hier nicht mehr berichtet zu werden. Aber es ist für die rechte Aneignung des Werkes von Bedeutung, diese Sachlage ständig vor Augen zu haben. Allgemein führte die neukanlianische Auslegung der »Kritik der reinen Vernunft« zu einer Unterschätzung des grundlegenden Bestandstückes in der menschlichen Erkenntnis: der Anschauung. Die Kautauslegung der Marburger Schule ging sogar so weit, die Anscbammg als einen Fremdkörper überhaupt aus der »Kritik der reinen VernuniL« herauszustreichen. Diese Hintansetz.un.g der Anschauung hatte zur Folge, daß auch die Frage nach der Einheil der beiden Bestandstücke, Anschauung und Denken, genauer: die Frage nach dem Grunde der Möglichkeit ihrer Vereinigung, eine verkehrte Richtung nahm, wenn sie überhaupt ernstlich gestellt wurde. All diese noch heute in versdJiedenen Abwandlnngen txmlaufendenMißdeutungen der »Kritik der reinen Vernunft« haben bewirkt, daß die Bedeutung dieses Werkes fiir die ihm eigenlIich anliegende und einzige Frage, die nach der Möglichkeil einer Metaphysik, weder richug abgeschätzt noch vor allem schöpferisch .fruchtbar gemacht ·wurde. Wie ist es aber zu erklären, daß t:rotz der grundlegenden untl maßgebenden Bedeutung der Anschauung in der menschlichen Erkenntnis sogar Kant selbst die Hauptarbeit der Zergliederung der Erkenntnis auf die Erörterung des Denkeos verlegt?
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Der Grund ist ebenso einfach wie einleuc htend. Gerade weil Kant - im Gegens atz zur rationa len Metaph ysik, die das Wesen der Erkenn tnis in die reine Vernun ft, in das bloß begriffliche Denken setzte - die Anscha uung als das tragend e Grundmomen t der menschlichen Erkenn tnis herauss tellte, desha]b mußte jeLzl das Denken seines bisher angem aßten Vorrangs, ~einer ausschl ießliche n Gclttm g, entsetz t werden . Aber die Kritik durfte sich nicht mit der negativ en Aufgab e, dem begrüflichen Denken die Anmaß ung zu bestrei len. begnüg en; sie mußte ZllVOr und vor aJJem das Wesen des Deuken s neu bestimmen und begrün den. Die ausged ehnte Erörter ung des Denkcn s Wld des Begrifrs in c..ler Kritik der reinen Vernun ft« spricht l>OWcnig für eine Her· abseLzung der Anscha uung, daß vielme hr diese Erörlen mg des Begriffs und des Urteils der deutlichste Beleg dafi.u· is1, daß fortan die Anscha uung das Maßge bende bleibt und daß ohne ~ ie das Denken nichts ist. Die weitläu fige Behand lung des einen Bestandstückes der Erkenn tnis, des Denken s, hat sich sogar in der zweiten Auflag e uoch vel'schärft, so daß es in der Tat oft so aussieht, als sei die Frage nach dem Wesen der Erkenn tnis ausschließlich eine Frage nach dem Urteil und seinen Beding ungen. Der Vorran g rlcr Urteils frage hat aber seinen Grund nicht darin, daß das Wesen der Erkenn tnis eigentli ch Urteile n ist, sondern darin, daß das Wesen des Urteils neu bestimm t werden muß, wei1 es jdzt als ein im vorhine in ouf Anscha uung, d. h. auf den Gegl'nstan d bezogenes Vorstel len b(\,ari:ffen wird. Der Vorran g der Logik, die ausfuhr liebere Behand lung des l>cnkens, isl gerade deshoHl notwen dig, weil das DenJteu sei- 115 nt'lll Wesen nach nicht den Vorra11g vor der Anscha uung hat, oudern auf diese gegrün det und jederze it auf sie bezoge n ist. Dl'r Vorran g der Logik in der »Kritik der reinen Vernun ft« hat 1·inen Gnmd einzig im Nichtv orrang des Gegens tandes der Lo,.;ik, in der Diensts tellung des Denken s gegenü ber der Anscha ullng. Wenn das Denken als rechtes immer anschau ungsbe zogen
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ist, dann handelt die zugehörige Logik dieses Denkens notwendig und gerade von diesem wesenhaften Bezug zur Anschauung, mitbin von dieser selbst. Der geringe Umfang der Ästhetik - als zunächst abgesonderter Lehre von der Anschauung ist nur ein äußerer Schein. Weil die Ästhetik jetzt das Entscheidende ist, d. h. überall als maßgebend hineinspielt, deshalb macht sie der Logik so viel zu schaffen. Deshalb muß die Logik so nmfangreich ausfallen. Das zu beachten ist wichtig, nicht nur für die Gesamtauffassung der ))Kritik der reinen Vem11nft« überhaupt, sondern vor allem .für die Auslegung unseres Hauptstückes. Denn die Überschriften de1· beiden ersten Abschnitte, insgleichen der erste Satz des I. Abschnittes lauten so, als gleite die Frage nach der menschlichen Erkenntnis und-ihren Grundsätzen einfach ab in eine Frage der Urteile, also des bloßen Denkens. Wir werden jedoch sehen, daß genau das Gegenteil der Fall ist. Wir können sogar- mit einer gewissen Dberspitzung- sagen: Die Frage nach den Grundsätzen des reinen Verstandes ist die Frage nach der notwendigen Rolle der notwendig dem reinen V erstand zugrunde liegenden Anschmtung. Diese Anschauung mufJ offenbar selbst eine reine sein. »Rein« besagt einmal: »bloß<.<, »ledig«, eines anderen ledig, und zwar der Empfmdung. Negativ gesehen, ist die reine Anschauung empfindungsfreie, obzwar zur Sinnlichkeit gehörige Anschauung. »Rein« besagt dann: nur ~uf sich gegründet und somit erstlieh bestehend. Diese reine Anschauung, dieses in einem unmittelbaren Vorstellen vorgestellte reine, empfindungsfreie Einzelne, d. b. hier Einzige, ist die Zeit. Reiner Verstand heißt zunächst bloßer Verstand1 abgelöst von der Anschauung. Weil aber der Verstand als solcher auf Anschauung bezogen ist, kann die Bestimmung »reiner Verstand« nur heißen: auf Anschauung, und zwar auf reine Anschauung bezogener Verstand. Dasselbe gilt vom Titel »reine Vernunft«. Er ist zweideutig. Vorkritisch_ nennt er die bloße Vernunft; kritisch, d. h. auf das Wesen eingegrenzt, besagt er: die Vernunft, die wesenhaft in
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reiner Anschauung und Sinnlichkeit gegründet ist. Kritik der reinen Vernunft ist einmal Umgrenzung dieser auf reine Anschauung gegründeten Vernunft und ist zugleich Zuriickweisung der reinen Verntu:rlt als» bloßer« Vernunft.
f) Logik und Urteil bei Kant Die Einsieb.t in diese Zusammenhänge, d. h. die Ge,vinnung des Wesensbegriffes eines »reinen Verstandes« ist jedoch die Vorbedingung für das Verständnis des III. Abschnittes, der das systematische Gefüge des reinen Verstandes herausstellen solL Dle jetzt vollzogene Klärung des Wesens der menschlichen Erkenntnis setzt uns instand, den ersten Satz unseres Abschnittes mit anderen Augen zu lesen als am Beginn. »Von welchem Inhalt auch unsere Erkenntnis sei, und wie sie sich auf das Objekt beziehen mag, so ist doch die allgemeine, obzwar nur negative Bedingung aller unserer Urteile überhaupt, daß sie sich nicht selbst widersprechen; widrigenfalls diese Urteile an sich selbst (auch ohne Rücksicht aufs Objekt) nichts sll;ld.« (A 150, B 189). Wir sehen: Unsere Erkenntnis wird hie1· sogleich in einer bestimmten HinsicbL, nämlich auf das zweite Wesensbet;tandstück des Etkennens, die Denkhandlung, das Urteil, hin betrachtet. Genauer wird gesagt, die Widerspruchsfreiheit sei die »obzwar nur negative Bedingung aller unserer Urteile tiberhaupt«. Die Rede ist hier von »allen unseren Urteilen iiberhaupt«, noch nicht von den »analytischen Urteilen<<, die •n der überschrift als Thema gesetzt sind. Ferner ist die Rede von einer »nur negativen Bedingung«, nicht von einem obersten Grund. Zwar spricht der Text vom Widerspruch und von den Urteilen überhaupt, aber noch nicht vom Satz vom Wider~ rruch als oberstem Grundsatz aller analytischen Urteile. Kant lu.ßt hier das Urteil noCh vor aller UntersCheidung in analyti•.che und synthetische Urteile. ln welCher Hinsicht ist dabei das Urteil gesehen? Was ist uberhaupt ein Urteil? Wie bestimmt Kant das Wesen des Ur-
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teils? Die Frage klingt einfach, und doch wird die Fragestellung sogleich verwickelt. Denn wir wissen: Urteilen ist die Handlung des D enkens. Durch Kants Wesensbestimmung der menschlichen Erkenntnis hat das Denken eine neue Kennzeichnung erfahren: Es kommt in eine wesenhafte Dienststellung zur AnsChauung. Dasselbe muß dem.nach auch ffu· die Denkhandlung des Urteils gelten. Nun könn:Le man sagen: Durch die Betonung der Dienststellung des Denkensund des Urteilens wird_nur eine besondere Abzweckung des D en1cens eingeführt. Das Denken selbst und seine Bestimmung wird damit im Wesen nicht berührt, vielmehr muß das Wesen des Denkens (Urteilens) überhaupt schon bestimmt sein, um es, das Den1(en, in diese Dienststellung einzurücken. Das Wesen des Denkens, des Urteilens, ist von alters her durch die Logik bestimmt. Kant konnte also, wenn er schon in der angezeigten Bichtung einen neuen El'kenntnisbegrif:f festlegte, bezüglich des Denkens nichts anderes tun, als der geläufigen Bestimmnng des Wesens des Denl~ens (Urteilens) die weitere anzufügen, daß es im Dienst der Anschauung stehe. Er durfte die bisherige Lehre vom Denken, die L ogik, unverändert übernehmen, um sodann den Zusatz anzubringen, die Logik müsse, wenn sie vom menschlichen Erkennen handle, immer betonen, daß dabei das Denken auf die Anschauung zu bezie· hensei. So sieht.in der Tat die Stellung Kants zur überlieferten Logilt und damit auch zu deren Wesensbestimrmrng des Urteils at1s. Was noch wichtiger ist: Kant selbst hat die Sachlage vielfach in dieser Weise gesehen und dargestellt. Er hat sieb nur langsam und schwer dahjn durchgerungen, zu erkromen, daß seineEnl· deckungder eigentiimHchen Dienststellung des Denkens melJr sei als eine uur zusätzliche Bestimmung desselben, daß sich viel· mehr damit die Wesensbestimmung des Denkens und damit die der Logik von Grund aus ändert. Von der sicheren Abnnng dieser durch ihn eingeleiteten Umwälzung gibt jenes oft angc führte, aber meist im gegenteiligen Sinne und daher falsch ver-
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standene Wort Rants über die Logik ein Zeugnis. Es steht nicht zufällig- erst in der zweiten Auflage (Vorrede B VITI): »Daß die Logik diesen sicheren Gang schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei, läßt sich daraus ersehen, daß sie seit dem Aristoteles keinen Schritt 1-ückwärts hal tun dfu:fen, wenn man .ihr nicht etwa die Wegschaffung einiger entbebrHcher Subtilitäten, oder deutlichere Bestimmung des Vorgetragenen uls Verbesserungen anrechnen will, welches aber mehr zur Eleganz, als zur Sicherheit der Wissenschall gehört. Merkwürdig isl noch an ihr, daß sie auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können, und also allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint.« Das heißt grob gesagt: Von jetzt an erweist sich dieser Schein als nichtig. Dje Logik wird neu ge~-,rründet und gewandelt. Kant ist stellenweise zu dieser Einsieb l klar vorgeru:ungen, uber er hat sie nicht ausgestaltet; das hätte njcbts Geringeres bedeutet als dieses : auf dem erst durch die »Kritik der reinen Vernunft« selbst freigelegten Grund und nur aus dieseln die Metaphysik aufzubauen. Solches lag jedoch nicht in der Absicht l<.ants, da ihm zunächst und allein die »Kritik« im besagten Sinne wesentlich sein mußte. Es lag aber auch nlchl im Vermör;cn Kants, weil eine solche Aufgabe das Vermögen aueb. des 1\ roßen D enkers übersteigt; denn sie verlangt nichts Geringeres .ds über den eigenen Schatten zu springen. D as vermag keiner. -\her die höchste Anstrengung im Versuch dieses Verwehrtendus ist die entscheidende Gnmdbewegung des den.k e.rischcn II a:ndelns. Bei Platon, bei L eibniz, vor allem bei Kant, dann bei ""<·helling und Nietzsche können wir in je verschiedener Weise • l was von dieser Grundbewegung erfahren. Hegel allein ist es r.rheinbar gelungen, über diesen Schatten zu springen - aber tll!r so, daß er den Schatten, d. h . die Endlichkeit des Menschen, lu•spi tigte und in die Sonne selbst sprang. Regel hat den Schal,.,n übersprungen, aber er ist deshalb nicht über den Schatten •·sprungen. D och jeder Philosoph muß ilieses wollen. Dieses !\I (issen ist seine Berufung. Je länger der Schatten, um so weiter
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der Sprung. Das hat mit einer Psychologie der schöpferischen Persönlichkeü nichts zu tun; es betrifft allein die zum Werk selbst gehörige Bewegungsgestalt des in ibm Erwirkten. Kants Haltung in der scheinbar so trockenen Frage:» Worin besteht das Wesen des Urteils?« zeigt etwas von dieser Gnmdbewcgung. Wie schwierig es fiir Kant war, von seinem neuen Erkenntuisbegrill her auch die eiltsprechende Wesensbestimmung des Urteils in der ganzen Tragweüe zum Ansatz zu bringen, zeigt das Verhältnis der 1. zur 2. Auflage der »Kritik der reinen Vernunft«. Der Sache nach sind alle entscheidenden Einsichten in der 1. Auflage gewonnen. Gleichwohl gelangt Kant erst in der 2. Auflage dahin, an der entscheidenden Stelle diejenige Wesensumgrenzung des Urteils vonutragen, clie seiner eigenen Grundstellung entspricht. Wenn Kanl außerdem immer wieder die grundsätzliche Bedeutungder von ihm neu aufgestellten Unterscheidung der Urteile in analytische und synthetische heraushebt, dann sagt das nichts anderes als: Das Wesen des Urteils überhaupt ist neu bestimmt. Jene Unterscheidung jst nur eine notwendige Folge dieser Wcsensbestimrmmg tmd damil rückzeigend zugleich eine Weise der Kennzeichnung des neugefaßten Wesens des Urteils. D er I tinweis aufalldas Gesagte ist notwendig, damit wir die Frage» Worin besteht nach Kanl das Wesen des Urteils?« nicht zu leicbl nehmen und nicht überrascht. sind, wenn wir uns iu seinen Bestimmungen nicht ohne weiteres und einheitlich biJIdurdllinden. Denn Kant hat nirgends eine systematische Darstellung seiner Wesensbestimmung des Urt"Cils auf dem Gnmde der von ihm selbst erreichten Einsichten entwickelt, auch nicht und gerade nicht in seiner uns überlieferten Logik-Vorlesung, wo man dergleichen noch am ehesten vermuten könnte. Diest· ist überhaupt mit Vorsicht zu Rate zu ziehen; denn 1. sind Vorlesungshefte und NachschriiLen ohnehin eine fragwürdige Sache, besonders in Abschnitten, die scbwie1-ige Dinge erörteru, 2. bat ge1·ade Kant in seinen Vorlesungen sich immer zuerst an
§ 24. Erkenntni s und Gegenstan d
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die überliefer len Lehren gehalten und deren schulmäß ige Ord· uung und Darstellu ng zum Leitfaden genomme n, also nlclll 1lie innere Systemat ik der Sache selbst, wie sie sich seinem Denken datStellte. Kant benutzte als H andbuch in seinen Logik· Vorlesung en den »Auszug ans der Vemunfll ehre« von Meier, ein Schulbuch , dessen Verfasser ein Schüler Baumgar tens, des schon genannte n Schülers von Wolff war. Bei diesem Stand der Behandlu ng der Urteilsfra ge durcl1 Kont sind wir gezwunge n, in genaueste r Anmessu ng an Kant t•inc freiere systematis che, aber kune Darstellu ng seiner We~cnsbestimmung des Urteils zu geben. :'~lach dem Gesagten fiihrt dies von selbst zur Aufhellun g des entscheid enden Unter· ,rhiedes der analytisch en undsynth etischen Urteile. Die Frage: >»Worin besteht das Wesen des Urteils?« kann wnächst nach zwei Hinsiebte n gestellt werden, einmal in der 1\ichtung der überliefer ten Bestimmu ng des Denkens und dann 111 der Richtung der neuen Umgrenz ung durch Kant. Diese ist vun einer Art, daß sie die von der Überliefe rung gegebene n l\cD02ciclm ungen des Urteils nicht sducchthi n ausscbließ t, son,Jl·rn mit in den Wesensba u des Urteils hereinnim mt. Das deulct darauf lun, daß dieser Wesensba u nicht so einfach ist, wie tlic- vorkantiscl1e Logik meinte und wie man längst auch heule \\ ieder- Lrotz Kanl - clie Sache sieht. Der ionerste Grund für .J~e Scllwierig keil, das volle Wesen des Urteils zu sehen, liegt uit·ht in der Unvollko mmenheit von Knnts Systemat ik, sondern 1111 \Vesensba u des Urteils selbst. IJicr sei daran erinnert, daß wir bereils früher gelegentli ch tlt·~ \Jacl1weises, inwiefern seit Platon und Aristotele s der LeitIHdeo fü:r die Dingbest immung der 'AOyo;, die Aussage, sei, an llund einer vierfache n Bedeutun g von »Aussage « auf den ge· t_;lit•derten Bau des Urteils hingewie sen und ihn schematis ch an· 1:e1.cigt haben. (Vgl. S. 35 f.) Das dort Gestreifte findet jetzt • inc wesentlic hen Ergänzun gen in einer kurzen sysLematiIIICn Darstellu ng der Wesensbe stimmung des Urteils bei Kanl.
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Die Ding{ra~;e in Kant.s Hauptw erk
§ 2J. J{ants Wesens bestimm ung des Urteils
a) Die überlie ferte Lehre vom Urteil
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Wir gehen von der überlie ferten Urteilsl ehre aus. Die in Üner Geschichte auftret enden Untersc hiede und Wandl ungen miissen beiseile bleiben. Erinne rt sei nur an die aristotelische allgemeine Bestim mung der Aussag e (Urteil), des h6yo;: i.iyttv Tl "ata ·nvo;, »etwas von etwas aussagen«; prncdicere. Aussagen ist daher: ein Prädik at auf ein Subjek t ht"l..ichen - >I DiC' Tafel ist schwarz.« Kant driickt cliese allgeme ine Kennzeicllmmg des Urteils so aus, daß er am Beginn des wichtig en Abschnitte s» Von dem Unters miede analytis cher und S\'llthetisd1er Urteile « (Einlei tung A 6, B 10) bemerk t: In den Urteile n wird »das Verhält nis eines Subjek ts i'.um Prädika t gC'dnchL«. Das Urteil ist ein Verhiiltnis. in dem und durch das einem Subjekt ein Prädika t zu- bzw abgesprochen v.ird; demgem äß gibt es zusprechende. bejahen de, und absprechende, vemcin t'nde, UrteilI'. »Diese Tafel ist nicht rot.« Es ist wichtig. im Auge zu behalte n. daß seit Arisloleles durchg ängig, auch bei Kant, als maßgebende Gruncliorm alles Urteile ns die einfach e bcjahel ldc (und wahre) Aussage angeset zt wird. Kant sagt vom Urteil, der Überlie ferung cn tsprechend. in ibm werde »das Verhält nis emes Subjek ts zum Prädika t g(•dacht«. Diese Festste llung trifft allgem ein zu. Aber dle Frage bleibt, ob damit das Wesen des Urteils erschöpft oder auch nur im Kern erfaßt ist. Mit Bezug auf Kant gesprochen erhebt sidt die Frage, ob er zugebe n würde, daß mit der angefü hrten und von ihm selbst gebrau chten Kennze ichnung des Urteils dessen Wesen getroff en sei. Kant wiirclc das nicht zugebe n. Andere rseits sieht man auch nicht, was noch weiter zur WesensbestiUlmung des Urteils herzuge bracht werden soll. Am Ende isl es auch nicht notwen dig, noch weitere Bestim mungen beizuschaffen. Vielme hr güt es umgeke hrt, zu sehen, dnß die gegebene• Bestim mung bereits wesentliche Momen te des Urteils ausläß t,
§ 25. Wesensbestimmung des Urteils
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su daß es nur darauf ankommt , zu sehen, wie noch und gerade in der gegebene n Bestimm ung 1-Iinwelsc auf die eigentlichen Wesensm omente liegeu. Damit wir jedoch den neuen Schrill Ka.nts mit- und nachvoll:tiehen können, ist es gut, zuvor noch die zu seiner Zeit herr!irhende und \'On ihm auch beachtete Auffassu ng des Urteils kurz zu nennen. Wir wählen hierzu die Definition des Urteils, tlie WolU in seiner großen »Logik« gegeben hat. Im§ 59 heißt t•s: actus jste mentis, quo aliquid a rc quadnm diversum eidem tribuimus, vcl ab ea removemus, iudicium appellatu r. >dene llandlung des Geistes, in der wir etwas von einer gewissen Sache Verschiedenes <.Üeser zuteilen - Lribucre (xa't(upaoL~) r1der von ihr weghalte n - removere (ludxrao~) -, wird Urteil (iudicium) genannt.« Demgem äß sagt der § 40: Dum igitur 111ens iudicat, notioncs duas vel coniunglt, vel separat. »Während (indem) daher der Geist urteilt, verbindet er entweder nder trennt er zwei Begriffe.« Demen Lsprcchend vermerkt der S 201 : In enunciatione seu propositione noliones vel coniun"UDtur, vel separantu r. »In der Aussage oder dem Satz werden Begriffe entweder verbunde n oder getrennt. « Der Schüler eines Schülers dieses Meistcrs der Begrillszerglieclemog, der genannte Professor Meier, bestimmt in seinem ·• Auszug aus der Vemunftl ehre« § 292 das Urteil folgendermaßen: »Ein Urthcil (iudicium) ist eine Vorstelltmg eines Jogiehen Verhältnisses einiger Begriffe«. - Daß in dieser Definition der Logos als Vorstellung eines logischen Verhältnisses bestimmt wird, ist besonders »logisch«; aher c:lnvon abgesehen : Die Urteilsdef inition in dem von Kant gebrauch ten Handbud 1 ~ibt nur ve:dlachl die Wollische Bestim~nung wieder. Urteil isl die Vorstellung eines Vcrhällnisses zwischen einigen Begrif-
rr.n «.
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Die Dingfrage iu Knnts flauptwrrk
b) Das Unzureichend e der traditionellen Lehre; die Logi!.tik \\'ir ~tellen zunächst dieser Urteilsdefinitio n der Schulphilosu· phie diejenige von Kant gegenüber, in der sich der äußerste• Unterschied am schärfsten ausdrückt. Sie findet sich in dt·r zweiten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft«, und zwur im Zusammenhan g eines Abschnittes, den Kanl für die zweite Auilage von Grund aus umgearbeitet und in dem er Dunkel· heilen beseitigt hat, ohne an der Grundstellung etwas zu änden•. Es ist der Abschnitt über die »Transzenden tale Deduktion der reinen Verstandesbeg riffe•. Die \Vescnsbcstim mung des Urteils findet sich in§ 19 (B 140 ff.). Der Paragraph llelbst bcgiru•t mit den Worten: »Ich habe mich niemals durch die Erklänmg, welche die Logiker von einem Urteile überhaupt geben. befriedigen können: es ist, wi<' sie sagen, die Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begrilfen. « »Erklärung<< meint, etwas klar machen, nicht es ursächlich ableiten. Was Kant hier als unzureichend zurückweist, isl genau die Defmi· tion von Meier. d. h. 'on Baumgarten und WoUI. Gemeint ist die in der Logik seit Aristoteles geläuüge B~timmung des Urtt•ils als Aussage. Uytlv n xat& nvo;. Kanl sagt aber nicht. diese Kennzeichnun g sei falsch; er sagt nur, sie sei unbefriedigend Deshalb kann er selbst diese Urteilsdefiniti on gebrauchen, und er gebraucht sie mehrfach noch in der Zeit nach Erscheinen der »Kritik der reinen Vernunft~. auch der 2. AufJage. So sagl Kant in Untersuchung en, die um das Jahr 1790 angestellt sind: »Der Verstand zeigt sein Vermögen lediglich in Urteilen, welche nichts anderes sind als die Einheit d~ Bewußtseins im Verhältnis der Begriffe überhaupt ..... ( •Fortschritte •.. « ed. Vorländer, S. 97). Wo ein Verhältnis \'orgestellt wird, wird immer eine Einheit vorgestellt, die das Verhältnis aushält und die durch das Verhältnis bewußt wird, so daß das, was im Urteil bewußt ist, den Charakter einer Einheit hat Ganz dasselbe drückt schon Arisloteles aus (de anima r 6, 430 a 27 f.) : Im Urteil sei
§ 2f. Wesensbestimmung des Urteils
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~>schon
jmmer dergleichen wie Zusammensetzung yon Vor!'tcllungen in einer gewissen EinheiL«. Diese Kennzeicbmmg des Urteils gilt vom Urteil überhaupt Um hier Beispiele zu gebnnchen, die uns nachher beschäftigen müssen: »Diese Tafel t:;l schwarz«; »alle Körper sind ausgedehnt«; »einige Körper sind schwer«. Durchgängig wird hier ein Verhältnis vorgestellt. Vorstellungen werden verbunden. Den sprachlichen Ausdruck c.lieser Verbindung finden wir im »ist.« oder »sind«; daher wird dieses,. Verhältniswörtchen« (Kant) auch »Band«, Copula genannt. Der Verstand ist danach das Vermögen. Vorstell1mgen zu verbinden, d. b. dieses SubjekL-P1·ädikaL-Verhältnis vorzustellen. Die Kermzeichnung der Aussage als Vorstellungsverknüpfung isl richtig, aber tmbefriedjgend. Diese richtige, aber unzureichende At1ssagedeflnition jsL die Gnmdlage iür eine Auf.fassung und Bearbeilung der Logik geworden, die beute und seit einigen Jahrzehnten viel von sich reden macht und Logistik genannt wird. Mit Hi!Ie von mathematischen Methoden wird versucht, das System der Aussageverknüpfungen zu errechnen; daher nennl sich diese Logik auch »mathematische Logik«. Sie stellt sich eine mögliche und berechtigte Aufgabe. Was die Logistik beibringt, ist nun fxeilich alles andere, nur keine Logik, d. h. eine Besinnung auf den A6yo;. Die mathematische Logik ist nicht einmal eine Logik der Mathematik in dem Sinne. daß sie das Wesen des mathematischen Denke.ns und der mathematischen Wahrhejt bestimmte und überhaupt zu bestimmen vermöchte. Die Logislik ist vielmehr selbst nur eine auf Sätze und Satzfonneo augewandte Mathematik. Alle mathematische Logik und Logistik stellt sich selbst notwendig außerhalb jedes Bereichs der Logik, weil sie zu ihrem eigensten Zwecke den loyo~. die Aussage, als bloße Vorstellungsverknüpfung, d. h. grundsätweh unzureichend ansetzen muß. Die Anmaßungen der Logistik, als dje wissenschaftliche Logik aller Wissenschaften zn gel ten, fallen in sich zusammen, sobald das Bedingte tmd Uudurchdachte ihres Ansatzes einsichtig wird. Es ist auch kennzeichnend, daß die Logistik all das, was über ihre
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Die Dingfrage in IW:nts Hauptwerk
ci~ene
Bestinunung der Aussage als Vorstelhmgsverknüpfunt~ hinausgeht, als eine Sache der »feineren Unterschiede« bc zeichnet, die sie nichts angehen. Aber hier stehen nicht feinen· und gröbere unterschiede in Frage, sondern dieses, ob das Wc sen des Urteils getroffen ist oder nicht. Wenn Knnl sagt, die angeführte »Erklärung« des Urteils iu der Sc-buUogik sei unbefriedigend, so ist diese Unzufriedenheit keine nur persönliche, auf besondere Wünsche Kan ts lun abge· schätzte. Vielmehr steHt die genannte Erklärung jene Ansprii· ehe nicht zufrieden, die aus dem Wesen der Sache selbst kommen. c) Die Gegenstands- und Anschauungsbezogenheil des Urteils; die Apperzeption 125
Wie lautel Kants neue Bestimmung des Urteils? Kant sagt (a. a. 0., B H1), »daß ein Urteil nichts anderes sei, als die Arl. gegebene Erkenntnisse zux objekth·en Einheit der Apperzeption zu bringen.« Wir können diese DefiniUon und ihre einzelnen Bestimmungss~iickc noch nicht sogleich voll bcgrei fcn. Indes springt etwas Auifallendcs in die Augen. Es ist nicht mehr \'On Vorstellungen und B~ariffen die Rede, sondern von »gegebenen Erkenntnissen«, d. h. vom Gegebenen in der Erkenntnis, mi1hin von den Anschauungen. Es ist die Rede YOn »objektiver«, d. b. gegenständlicher »Einheit«. Hier ist das Urteileu als Verstandeshandlung nicht nur überhaupt auf Anschauun~ und Gegenstand bezogen, sondern: aus diesem Bezug, sogar als dieser Bezug ist sein Wesen bestimmt. Durch die im Anschauungs- und Gegenstandsbezug festgemachte Wesensbestimmung des U rleils wird diese Bezogenheil allererst umrissen und ausdrücklich in das einhcitlicl1e Gefüge der Erkenntnis hineingestellt. Hieraus erwächsl ein neuer Begriff des Verstandes. Verstand ist jetzt nicht mehr nur das Vermögen der Vorste1lungsverbindung, sondern nach § 17 (B t57): »Verstand ist, allgemein zu reden, das Vermögen der Erkenntnisse. Diese be-
§ 25. W esensbesti.mmung des Urteils
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~< Iehen in
der bestimmten Beziehung gegebener Vorstellungen uuf ein Obje1..-t.« Wir können uns die neue Sachlage in einer Zeichnung verdt•ullichen. Sie soll uns nachher zugleich als Anhalt dienen, wenn wir aus der neuen Auffassung des Urteils den wesentlichen Unterschied zwischen analytischen und synthetischen Url~ilen entfalten.
Obj./Geg.
s
p
Jdl
Bei der erstgenanruen Definition des Urteils handelt es sich l'infach um ein Verhältnis von Begriffen, Subjekt und Prädikat.
Daß das Vorstellen eines solchen Verhältnisses einen actus mentis verlangt, ist selbstverständlich; denn eine Handlungsweise tlcs Verstandes gehört zu jeder Verstandeshandlung. In. der ncuen Definition dagegen ist die Rede von der objektiven EinILCit der Erkenntnisse, d. h. von der Einheit der Anschauungen, welche als eine zum Objekt gehörige und das Objekt bestimmende vorgestellt wird. Dieses Vorstellungsverhältnis ist als ( iames objektbezogen. Damit ist aber für Kant sogleich auch der Bezug auf das »Subjekt« im S.inne des Ich, das denkt und nrteilt, gesetzt. Dieser Ichbezug ist in der eigentlichen Urteilstiefmition Apperzeption genannt. Percipere ist das einfache Vernehmen und Erfassen des Gegenständlichen; in der Apperwption wird zum erfaßten Gegenstand in gewisser Weise der lkzug auf das loh und dieses selbst mit dazu (ad) percipiert, Prfaßt. Das Entgegenstehen des Gegenstandes als eines solchen
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Die Dindra«c in Kanls Hauptwerk
ist nicht möglich, ohne daß dieses Begegnende in seinem Enl gegenstehen fiir ein Vor·stellcndes, Repräsentierendes gegen wärtig ist, das sich dabei selbst mit präsent hat, zwar nicht nm 1t als Gegenstand, sondern nur insoweit, als das Begegnende in seinem Entgegen überhaupt einen gerichteten Bezug aur sol ches verlangt, das des Begegnenden gewärtig ist. Nach der Arl, wie wir jetzt die zwei Urteilsdefinitionen, di•· überlieferte und Kants eigene, gegeneinander abgehoben ha· ben, siebt es so aus, als sei durch Kant nur etwas in die Urteil!.· definition eingefügt, was bisher weggelassen war. Aber es hru1 delt sieb nicht um eine »bloße Erweiterung«, sonelern um eine· ursprünglichere Fassung des Ganzen. Deshalb müssen wir von I
§ 2f. Wesensbestimmung dt•s Urteils
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tllt" gewandelte Auffassung des Logos und alles dessen, was z.u
tlun gehört, d. h. des »Logischen«. Bisher sah man das Wesen 1lt s Logischen in der Beziehung und im Verhältnis von Begrifh·u. Kants neue Bestimmung des Logischen ist - gegen die ulterliefcrte gehalten- etwas schJechLbin Befremdliches und fast \\ idersinniges, sofern sie sagt, das Logische bestehe gerade nicht in diesem bloßen Verhältnis von Bcgrillen. Kant hat ofCt•nbar aus dem vollen Wissen um die Tragweite seinerneuen lkstimmung des Logischen diese in die Oberschrift des wichtigt•n S 19 gesetzt; sie lautet: »Die logische Form aller Urteile l!l'steht in der objektiven Einheil der Apperzeption der darin • ulhaltcncu Begriffe~. Als methodische Anweisung gelesen lu•ißt weses: Alle Erörterung des Wesens des Urteils muß von tlt m vollen Wesensbau des Urteüs ausgehen, wie er sieb aus dcu Bezügen ouf deu Gegenstand und auf den erkennenden Menthen im voraus festlegt. d) Kants Unterscheidung der analytischen und synthetischen
Urteile \\ ns will nun die Unterscheidung in analytische und synthetische Urteile? In welcher Hinsicht verschafft uns die Klärung tlt·rselbcn eine erfiillte:re Einsicht in das Wesen des Urteils? Bisher wissen wir von dieser Unterscheidung nur, daß von ihr die Abgrenzung der beiden ersten Abschnitte unseres Haupt~ tiickes geleitet ist Aus der Benennung vermögen wir zunächst uichl ,;e} zu enlnehmen. Wir können, ihr folgend, leicht in die Irre gehen, und zwar deshalb, weil die so benannte Unterschei.lnng sich auch an der überlieferten Urteilsbestimmung anlrc!ft n läßt und sogar scl!on zur Zeit ihrer ersten Ausbildung bei \ ristoteles in Anwendung kam. Analytisch. Analysis, auflösen, m seinandernehmen, b,a(p~aL;; Synthcsis dagegen Zusammen·•·tzen. Achleu wir noch einmal auf die Ansetzung des Urteils als des Verhältnisses von Subjekt und Prädikat, dann ergibt sich so-
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Die Dingfrage in Kccnts Hauptwerk
gleich: Dieses Verhältnis, d. h. das Zusprechen des Präd.i.ku · tes zmn Subjekt, ist eine Synthesis, z. B. von »Tafel« und »schwarz«. Andererseits abermüssen dle beiden Verhältnisglicder, um zusammensetzbar zu sein, auseinandergenommen wer den. In jeder Synthesis liegt eine Analysis und u:mgekehrl. Also isl jedes Urteil als Vorstellungsverhältnis -nicht nur beiläufig, sondern notwendig - zugleich analytisch und synth~126 tiscb. Weil demnach jedes Urteil als solches analytisch und syn· thetisch ist, hat die Unterscheidung in analytische und synthetische Urteile keinen Sinn. Diese Überlegung ist richtig. Nut legt Kant seiner Unterscheidung nicht das herkömmlich gemeinte Urteilswesen zugrunde. Was bei Kant analytisch tmd synlhetisch heißt, bestimmL sich nicht aus der herkömmlichen, sondern aus der neuen Wesensumgrenzung. Um den Unterschied und dle leitende Hinsicht des Unterschiedes wir.k:lieh in den Blick zu bekommen, nehmen wir die Zeichnung :z.u Hilfe und zugleich Beispiele von analytischen und synthetischen Urteilen. »Alle Körper sind ausgedehnt«- ist nach Kant ein analytisches Urteil.» Einige Körper sind schwer<< ist (Proleg. § 2 a) nacl 1 Kant ein synthetisches Urteil. .Im Blick auf die Beispiele könnte man den Unterschied dahin festlegen, daß im analytischen Urteil von »allen« Körpern die Rede ist, im synthetischen dagegen von »einigen«. Diese Abweicb.ung der beiden Urteile isl gewili nicht zufällig; aber sie reiCht nicht aus, um den gesuChten Unterschied zu fassen, znmal dann nicht, wenn wir ihn nur im Sinne der herkömmlichen Logik verstehen und sagen: Das erste Urteil ist ein universales, das zweite ein partikulares. >>Alle Körper«, dies meint hier: der Körper im allgemeinen und überhaupt. Dieses »im allgemeinen« wird nach Kant im Begriff vorgestellt. »Alle Körper«, das heißt: der Körper seinem Begri.ff nach genommen, im HinbliCk auf das, was wir überhaupt mit »Körper« meinen. Vom Körper, seinem Begriff nach genommen, nach dem, was wir überhaupt dabei vorstellen, lcönnen wir, müssen wir sogar sagen:Er ist ausgedehnt, mag der Körper
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§ 25. W esensbestimmurtg des Urteils
Pin rein geometrischer oder ein stofflicher, physischer sein. Das
Prädikat »ausgedehnt« liegt im Begriff selbst; eine bloße Zer~liedernng des Begriffes findet dieses Glied. Die im Urleil »Der Körper ist ausgedehnt« vorgestellte Einheit des Verhältnisses von Subjekt und Pl·ädikat, die Zusammengehörigkeit beider llal ihren Bestimmungsgrund im .Begriff Körper. Wenn ich l.i berhaupt in irgendeiner Weise über Körper urteile, so muß ich von dem Gegenstand schon eine gewisse Erkenntnis haben im Sinne seines Begriffes. Wird über den Gegenstand nichts weiter ausgesagt, als was im Begriff liegt, d. h. gründet sieb die Wahrheit des Urteils nur auf die Zerglied.enmg des Subjektbegriffes nls solchem, dann ist dieses uur zergliederungsmäßig gegründete Urteil ein analytisches. Die Wahrheit des Urleils SLützt sich auf den auseinandergelegten Begriff als solchen. Wir verdeutlichen das Gesagte an der Zeichnung:
X
$
x
Cl>}.
p
X
$
Zum Urteil nach der neuen Bestimmung gehört der Bezug aufs Objekt (X), d. h. das Subjekt ist in seinem Bezug aufs Objekt gemeint. Aber dieser Bezug kann nun in verschiedener Weise vorgestellt sein. Einmal so, daß das Objekt nur so weil vorgestellt wird, als es im Allgemeinen genannt ist, im Begriff. fn diesem haben wir schon eine Erkenntnis vom Objekt und können mit übergehung des Objekts (X), ohne den Umweg iiber das X, rein im Subjektbegriff »körperlich« bleibend, aus diesem das Prädikat schöpfen. Ein solches zergliederndes Urteil stellt nur klarer und lauterer dar, was wir im Subjektbegrill schon vorstellep.. Das analytische Urteil ist daher nach Kant nur
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Die Dingfrage in Konts Hauptwerk
erläuternd; es erweitert unsere Erkenntnis inhaltlich ui• lt1 Nehmen wir ein anderes Beispiel. Das Urteil: »Die Tal't·l •·• ausgedehnt« ist ein analytisches Urteil. [m Begriff der Tu ft•l als eines Körperhaften liegt Ausgedehntsein. Dieses Urteil •~I selbstverständlich, d. h . das ln-Beziclnlllg-setzen von SuiJjPI\1 und Prädikat hat seinen Grund schon im Begriff, den wir '11 11 einer Tafel haben. Sagen wir dagegen: »Die Tafel ist schwni'Zw dann ist das Gesagte nicht selbstverständlich. Die Tafel könult auch grau oder weiß oder rot sein. Im Begriff -von einer Tn ft 1 liegt nicht schon-so, wie dasAusgedehntsein-das Rotsein fl'~l Wie die Tafel gefärbt ist, daß sie schwarz ist, kann nur vmu Gegenstand selbst her ausgemacht werden. Um also auf tlt·tt Bestimmungsgrund zu kommen., darin hier das Verhältnis '011 Subjekt und Prädikat gegründet ist, muß das Vorstellen eiuc.·u anderen Weg nehmen als im analytischen Urteil, nämlich den Weg über den Gegenstand und seine bestimmte Gegebenhei t. \ om anal}'Lischen Urteil her gesprochen heißt dies: Wir köu· neu hier nicht innerhalb des Subjektbegriffes bleiben und um nicht nurauf das berufen, wns zu einer T afel überbaupl gehörl. Wir müssen aus dem und über den Begrif! hinausgehen und den Weg über den Gegenstand selbst nehmen. Das sagt aber: Jetzt muß ZUlU Begriff vom Gegenstand der Gegenstand selbst hinzu vorgestellt werden; dieses ~lit-dazu-vozstellen des Gegenstandes ist eine Synthesis. Ein solches Urteil, in dem da~ Prädikat im Durchgang dur ch das X und im Rückgang darauf zum Subjekt hinzugesetzt wird, ist ein synthetisdzes. ,.Denn daß etwas außer dem gegebenen Begriffe noch als Substrat hinzu kommen müsse, was es möglich macht, mit meinen Prädicaleu über ihn binaus zu gehen, wird durch den Ausdruck der Synthesis klnr angezeigt«. (Uber eine Entdeckung ... , VIV\1 Vlfl S. 245). Im Sinne der überlieferten Urteilsdefinition wird auch im analytischen Urteil zum Sub je1."1: ein Prädikat gesetzt. Aus der Hinsicht auf das Subjekt-Prädikat-Verhältnis ist auch das analytische Urteil synthetisch. Umgekehrt ist das synthetische auch
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§ 25. Wesensbestimmung des Urteils
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lisch. Aber diese Hinsicht .ist b ei Kants Unterscheidung uttltl leitend. Wir sehen jetzt deutlicher, was es mit dieser allgeutPIII<'n Urteilsbeziehung auf sich l1at, wenn sie gesondert hertiiSf~choben und ei.nz.ig als Urteilsbeziehung ausgegeben wird. ll.um ist sie nur die gleichgültige neutralisierte Beziehung von ~11 l1]ekt und P rädikat, die im analytischen und synthetischen I 1 teil allgemein - aber je wesensverschieden- vorliegt. Diese 1 •ngcebnete und verblaBte Form wircl zu1n Wesen des Urteils .. .,stempelt. Das Verhängnisvolle bleibt. daß diese Feststellung wd(~rzeit richtig ist. Unsere Zeichnung wird jetzt insofern irrelithrcnd, als sie den Eindruck erwecken könnte, die Subjekt! 'rtidikat-Beziehung sei zunächst und vor allem anderen das I ragende und das übrige ein Beiwerk. Oie cnlscheidende HinsiCht, nach der die Unterscheidung in lllllliytische und synt.Letische Urteile festgelegt wird, ist cler Be,11~ der Subjekt-Prädikat-Bezielmng als solcher auf das Objekt. Wird dieses nur in seinem Begriff vorgestellt und dieser als das Vorgegebene gesetzt, dann ist zwar das Objekt (Gegenstand) in gt•wisser Weise M aßstab, aber nur als der gegebene Begri(f; dieser kann die Bestimmungen nur hergeben, indem er zergliedert ·wird, so zwnr, daß allein das Zergliederte 1md dabei Her·•usgehobene dem Gegenstand zugesprochen wird. Die Begrünclung vollzieht sich im Bereich der Zergliederung des Begriffes. •\11d1 im analytischen Urteil ist der Gegenstand mitmaßgebend -aber lediglich in seinem Begl:iff. (Vgl. A 151, B 190: »Denn von dem, was in der Erkenntnis des Objekts schon als Begriff liegt und gedacht wird ... «) Wird das Objekt aber unmittelbar maßgebend für die Subjekt-Prädikat-Bc-Liehung, nimrnl das Aussagen den es auswei~endcn Weg über das Objekt selbst, ist dieses mit dabei als das Z.ngnmdeliegende und Gründende, dann ist das Urteil synthe1isch. Die U nterscheidung gliedert die Urteile nach der möglichen Verschiedenheit des Bestimmungsgrundes der Wahrheit der Subje kL-Präclikat-Beziehung. Liegt der Bestimmungsgrund im tlltd)
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Die Dingfrage in Kants Hauptwerk
Begriff als solchem, dann isl das Urteil analytisch; liegt er 1111 Gegenstand selbst, dann ist das Urteil synthetisch.. Dieses brut•\1 aus dem Gegenstand selbst zur bisherigen Kenntnis desselh1·tt etwas hinzu; es ist erweiternd; das analytische dagegen ist n' 11 erläuternd. Es muß deutlieb geworden sein, daß die du.rchgesprocbcnt Unterscheidung der Urteile den neuen Urteilsbegriff voranl> setzt, den Bezug auf die obje1rtive Einheit des Gegenstand.. selbst, und daß sie zugleich dazu dient, eine bestimmte Einsielt I in den vollen Wesensbau des Urteils zu vermitteln. Gleichwolal sehen wir noch nicht klar, was diese Unterscheidung in analy tische und synthetische Urteile innerhalb der Aufgabe der Kritik der reinen Vernunft soll. Wir bestimmten diese positiv ah. Wesenseingrenzung der reinen Vernunf~ d. h. dessen, was diese vermag, negativ als Zurückweisung der Anmaßungen der Metaphysik aus bloßen Begriffen. e) a priori- a posteriori Inwiefern hat die genannte Unterscheidung für die Durchführung der Kritik eine grundlegende Bedeutung? Wir können die Frage beantworten, sobald wir die analytischen und synthetischen Urteile noch in einer HinsjchL gekennzeichnet haben, die bisher absichtlich zurückgestellt wurde. Bei der Aufhellung des Wesens des Mathematischen und bei der Darstellung der Entfahung des mathematischen Denkens in der neuzeitlichen Naturwissenschaft und in der neuzeitlichen Denkweise überhaupt stießen wir auf einen merkwürdigen TatbestancL Jenes erste Bewegungsgesetz Newtons z. B. und desgleichen das Fallgesetz Galileis haben beide das Eigentümliche an sich, daß sie dem, was die Nachprjjfung und Erfahrung im wörtlichen Sinne darbietet, vorausspringen. In solchen Sätzen ist bezüglich der Dinge etwas vorweggenommen. Solche Vorwegnahmen gehen dem Range nach allen weiteren Bestimmungen über dieDinge voran und vorher; die Vorwegnalrm!m
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lateinisch gesprochen, a priori, eher als anderes. Gemeint 1 1 11icht, daß uns diese Vorwegnahmen als solche in der Ordtlltllg der geschichllichen Ausbildung unserer Erkenntnis zuerst Iu kunn t wurden, sondern: Die vorwegnehmenden Sätze sind (ltt• t•rsten dem Range nach, wenn es sich darum handelt, die I d~t•un lnis .in sich zu begründen und aufzubauen. So kann ein N•thu forscher schon längst mannigfache Kenntnisse und ErI • nntnisse von der Natur haben, ohne daß er das oberste BeWt·gungsgesetz eigens als solches kennt; gleichwohl ist das in ,l[,•sem Gesetz Gesetzte der Sache nach imm er schon der Gnmd l11r nlle besonderen Aussagen, die im Bereich der Feststellun•••·tl von Bewegungsabläufen und ihrer Regelmäßigkeit ge••m<'htwerden. Die Priorität des aprioriist eine solche des Wesens der Din,, : was das Ding zu dem ermöglicht. was es ist, geht dem Ding d••l Sache und der »Natur« nach vorher, wenngleich wir dieses Vorgängige erst nach Kenntnisnahme irgendwelcher nächster ll••schaffenheiten des Dinges erlassen. (Über die prioritas nalnrae vgl. L eibniz ed. Gerhardt, ll, 263; Brief an de Volder 1nrt1 21. 1. 1704). In der Ordnung des ausdrücklichen Erfassens '"' das sachlich Vorgängige nachherig. D as rrg6-;Egov ~p\JoeL ist lhHEQOV rreos ill!äs. Daß das sachlich Vorgängige in der OrdllllOg des Kennenlernens das Nachherige ist, führt leicht und t11uner wieder zu dem Irrtum, es sei auch der Sache nach ein Nuchträgliches und demzufolge Unwichtiges und im Grunde l llcichgültiges. Diese weitverbreitete und auße1·dem bequeme Meinung entspricht einer eigentümlichen Blindheit für das Wesen der Dinge und für die maßgebende Bedeutung der Wer·nserkenntnis. Die Vorherrschaft solcher Wesensblindheit ist tmmer das Hindernis :für eine Wandlung des Wissens und der Wissenschaften. Andererseits beruhen die entscheidenden Wandlungen des Wissens und der Wissenshaltung des Men<'hcn darauf, daß das sachlich Vorgängige auch für das Fragen hl der rechten Weise als das Vorherige und als ständiger Vorwm f ergriffen wird. 111d
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Das a priori ist der Titel für das Wesen der Dinge. Je nachdem die Dingbeit des Dinges begrillen und überhaupt das Sein des Suicnden verstanden wird, je nachdem wird auch das n priori und seine prioritas gedeutet. Wir wissen: Für die neuzeitliche Philosophie ist in der Rangordnung der Wahrheiten und Sätze der Ichsatz der en;te Satz. d. h. das im reinen Denken des Ich, als des nusgezeiclmNen Subjekts, Gedachte. So kommt es, daß umgekehrt alles im reinen Denken dc>s Subjekts Gedachte nls das a priori gilt. A priori ist jenes, was im Subjekt, im Gemiil, bcrcitliegt. Das a priori ist jenes, was zur Subjektivität des Subjekts gehört. Alles andere dagegen, was erst durd1 ein Hinausgehen aus dem Subjekt und durch Eingehen auf das Objekt, auf die Wahrnehmungen, zugänglich wird, ist- vorn Subjekt her gesehen- nachherig: a posteriori. Auf die Geschichte dieser Unterscheidung- a priori, vorgängig dem Range nach, und a posteriori, entsprechend nacbher.igkann hier nicht eingegangen werden. Kant übernimmt sie in seiner 'Veise aus dem neuzeitlichen Denken und kennzeichnet mit il1rcr Hilfe die Untel"Scbeidung der Urteile in analytische und syuthelische. Ein analytisches Urteil, das den Bestimmungsgrund der Wahrheit seiner Subjekl-Prüdikal-Beziehung lediglich im Begriff hat, verbleibt im vorhinein im Bereich der Begriifsl.crgliederung, also im Bereich des bloßen Denkens; es isl a priori. Alle analytischen Urteile sind ihrem Wesen nach a priori. Die synthetischen Lrteile sind a posteriori. Wir müssen hier en;t über den Begriff hinaus zum Gegenstand, von dem her die Bestimmungen »nachher« geschöpft werden. f) Wie sind synthetische Urteileapriori möglich?
Werfen wir jetzt von Kanls Klärung des Wesens des Urteils aus einen Blick aui die überlieferte Metaphysik. Eine Kritik derselben muß das Wesen des iu ihr vollzogenen und beanspruchten Denkens und Urteilens umgrenzen. Welche Art von Urteilen beansprucht, im Lichte von Kants Urteilslehre gesehen, die •
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iil.let1ieferte neuzeitliche Metaphysik? Wie wir wissen, ist die rationale Metaphysik eine Erkenntnis aus bloßen Begrllien, somit a priori. Allein, diese Metaphysik will nicht Logik sein, will nicht nur Begriffe zergliedern, sondern sie beansprucht, die ubersinnlichen Bereiche- Gott, Welt, Menschenseele-, also die Gegenstände selbst zu erkennen. Die rationale Metaphysik will die Erkenntnis darüber erweitern. Die Urteile dieser Metaphysik sind ihrem Anspruch nach synthetisch, sind aber zugleich, weil aus bloßen Begriffen, aus dem bloßen Denken gewonnen, •• priori. Die Frage nach der MöglichkeiL der rationalen Metaphysik läßt sich daher nuf cüe Formel bringen: Wie sind die in ihr beanspruchten Urteile möglich, d. h. wie sind synthetische Urteile, und zwar a priori möglich? Wir sagen »und zwaN, t.lenn wie synthetische Urteile a posterlori möglich sind, läßL sieb ohne Schwierigkeilen einsehen. Eine Erweiterung unserer ßrkennlnis (Syntbesis) ergib! sich jedesmal dann, wenn wir über den Begriff hinausgeben und die Gegebenheilen des \Vah.mehmens und Empfindens, das a posteriori, das Nacbhedge- vom Denken als dem Vorherigen aus gesehen- zu Worl kommen lassen. Wie andererseits analytische Urteile a priori möglich sind, ist ellenfalls klar; sie geben als erläuternde nur das wieder, was schon im Begriff liegt. Dagegen bleibt zunächst unerfindlich, wie synthetische UrLeile apriorimöglich sein sollen. Nach dem Bisherigen jedenfalls isl schon der Begriff eines solchen Urteils an sich widersprechend. Da die synthetischen Urteileaposteriori sind. brauchen wir stau synthetisch nur a posteriori zu setzen, um. den Widersinn der Frage zu sehen. Sie laute·t: Wie sind a postcriorische Urteile a priori möglich? Oder wir können, da alle analytischen Urteile a priori s:ind, statt a priori analytisch ~ctzen und die Frage auf die Formel bringen: Wie sind synthetische Urteile analytisch möglich? Das ist so, wie wenn wir sagen wollten: Wie isl Feuer als ·wasser möglich? Die Antwort versteht sich von selbsl. Sie lautet: 1mmögllch. Die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori
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nimmt sich aus wie die Forderung, über den Gegenstand el wn Verbindliches und ihn Bestimmendes auszumachen, ohne au l den Gegenstand ein- und zurückzugehen. Dennoch besteht die entscheidende Entdeckung Kants gerad1· darin, sehen zu lassen, daß und vor allem wie synthetische Ur teile a priori möglich sind. Die Frage nach dem Wie der Mög lichkeit besagtfür Kant allerdings ein Doppeltes: 1. in welche1r1 Sinne und 2. unter welchen Bedingtmgen. Synthetische Urteile a priori sind nämlich, -wie sich zeigen wird, nur unter genau bestimmten Bedingungen möglich, wel ehe Bedingungen rue rationale Metaphysik nicht zu erfüllen vermag. Synthetische Urteile a priori sind deshalb m ihr nicbl vollziehbar. Das eigenste Vorhaben der rationalen Metaphysih bricht in sieh zusammen. Wohlgemerkt: nicht deshalb, weil sit· zufolge äußerer Hindernisse und Schranken nieht an das ge· steckte Ziel gelangt, sondern weil die Berungungen derjenigell Erkenntnis, die sie ihrem Charakter nach beanspru.eht, a u I Grand dieses Charakters von ihr nicht erfüllbar sind. Die Ztrrücl.-weisung der rationalen Metaphysik auf Grund ihrer inneren Unmöglichkeit setzt freilich den positiven Aufweis derje,n i· gen Bedingungen voraus, die synthetische Urteile a priori möglich machen. Aus der Art dieser Beilingungen beslimmt sich auch, wie, d. h. in welchem Sinne allein synthetische D ,.. teile a priori möglich sind, in einem Sinne nämlich, von dem bis zu Kant die Philosophie und das m.ensehliehe Denken überhaupt nichts wußten. Bei der Sieherstellung dieser Beilingungen - und das sagl zugleich: bei der Umgrenzung des Wesens so gearteter Urteile - erkennt Kaut nieht nur, inwiefern sie möglich, sendem auch, inwiefern sie notwendig sind. Sie sind nämlich notwendig für die Ermöglichung der menschlichen Erkenntnis als Erfahrung. Gemäß der Oberlieferung des neuzeitlichen Denkens, die Kan1 trotz allem festhält, gründet Erkenntnis in Grundsätzen. Die· jenigen Grundsätze, die unserer menschlichen Erkenntnis notwendig als Bedingungen ihrer Möglichkeit zugrunde liegen,
§25. Wesensbestimmtmg des Urteils
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II Hissen
den Charakter von synthetischen Urteilenapriori haln·n. Im m. Abschnitt l.illSeres Hauptstückes geschieht nichts ntH.leres als die systematische Darstellung und Begründung die~t·r synthetischenund doch zugleich a prio:rischen Urteile. g) D er Satz vom zu vermeidenden Widerspruch als der negativen Bedingung der W abrhe.it des Urteils Von hier aus verstehen wir schon eher, warum diesem lll. Ab~rlmitt zwei Abschnitte vorausgeschickt werden, deren erster von den analytischen Urteilen und deren zweiter von den synl l1etischen Urteilen handelt. Auf dem Hintergrund dieser beiden ersten AbsChnitte wird erst das Eigentiim]iehe und Neuurlige des im III. Abschnitt Behandelten, wird der Sinn der Mitte des ganzen Werkes sichtbar. Auf Grund der durchgerührten Aufhellung des Unterschieds der analytischen und !ij n thetischen Urteile verstehen wir auch, warum von den obersten Grundsätzen dieser Urteile die Rede ist bzw. was dies bedeutet. Die analytischen und synthetischen Urteile werden im .H inulick auf die je verschiedene Art ihrer Beziehung aufs Objekt, d. h. im Hinblick auf die jeweilige Art des Bestimmungsgrundes für die Wahrheit der Subjekt-P.rädikat-Beziehung unter~chieden. Der oberste Grundsatz ist die Satzung des ersten und eigentlichen Grundes, in dem die Wahrheit der betreffenden Art von Urteilen gründet. So können wir jetzt in der Umdrehung des Ganzen sagen: Die beiden ersten Abschnitte unseres Hauptstückes vermitteln die ursprüngliche Einsicht in das Wesen sowohl der analytischen als aucli der synthetischen Urteile, insofem sie jeweils von dem handeln, was den Wesensunterschied beider Arten von Urteilen ausmacht. Sobald von analytischen und synthetischen Urteilen die Rede ist, und zwar im Sinne Kants, sind die Urteile und ist das W esen des Urteils überhaupt in ihrer und aus ihrer Beziehung aufs Objekt begriffen, also gemäß dem
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neuen in der »Kritik der reinen Vernunft« ge" onncncn l r teilsbegriff. Wenn daher in unserem Hauptstück durchgängig von clt" Urteilen gehandelt 'Wird, so heißt dies nicl.tL und nicht mehr. cl11 Denken werde für sich bet..racl.ttel, sondern es hcjßt: Die Bezu hung desDenkensa uf den Gegenstand und damit auf die Au· schauung steht in Frage. Die versuchte kurze systematische Besinnu11g auf Knnls u, teilslehre sollte uns instand setzen, die folgenden Erörtcrungt·u des I. Abschnittes zu ven;tehen, d. b. einen Vorblick auf di•· inneren Zusammenhä nge dessen zu gewinnen, wns Kant itn folgenden zur Sprache bringt. Ein Urteil ist entweder analytisch oder synlhctisdt, d. b. 1· hol den Bestjmmungs gnmd seiner Wahrheil entweder im g!·gebcnen Subjekt-Begri ff oder im Gegenstand selbst. Ein U r teil können wir betrachten lediglich als Subjckl-Prädil tat-Bezil·· hung; damit fassen wir gleichsam nur einen Restbcstand deo; Urtcilsbaues; auch dieser Restbestand steht noch, um das zu seiu, was er ist, um überhaupt ein Subjekt-Prädi kat-Vcrbältni .. niJZugcben, unter einer Bedingung, daß nämlich Subjekt und Prädikat überhaupt vereinbar, d. h. einander zusprechbar Ulld nicht sich widersprechen d sind. Allein, diese Bedingung giht noch nicht den vollen Grund der Wahrheit des Urteils, weil dies~ noch nichtvoll begriffen ist. Die bloße Vereinbarkeil von Subjekt und Prädikat sagt nur, daß überhaupt ein Aussagen als Myr1v Tl xutu nvo;, ein Spruch überhaupt, möglidt sei, sofcm ein Widerspruch nicht hindert. Diese Vereinbarkeil reicht jedoch ols Bedin&rung de, Sagcns noch nicht in den :Bereich des Wesens des Urteils. Das Urteil ist hier noch ohne den Hinblick auf Grundgcbung und Gegenstandsb eziehung beLrachtet. Die bloße Vereinbarkeil 'on Subjekt und Prädikat besagt über die Wahrheit des Urteils so wenig, daß ein Subjekt-Präcli kat-Verhältnis trotz de r Widerspruchsfreiliei t falsch oder gnr grundlos sein kann.» Wenn aber auch gleich in unserem U r teile kein Widerspruch ist, so kann es
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dem ungeachtet doch Begriffe so verbinden, wie es der Gegenland nicht mil sieb bringt, oder auch, ohne daß uns irgendein I :rund wederapriorinoch aposteriorigegeben ist, welcher ein .olches Urteil berechtigte, und so kann ein Urteil bei allem dem, daß es von allem inneren Widerspruche frei ist, doch entweder I nlsch oder grundlos sein.« (A 150, B 190) Jetzt erst gibt Kant die Formel des beriihmten Satzes vom Widerspruch: »Keinem Dinge kommt ein Prädikat zu, welches •hm widerspricbt.t. (A J51, B 190) In seiner Metaphys:il.,orle~ung (Pölitz, S. 15) lautet die Formel: nulli subjecto competit 1)raedicatum ipsi oppositum. >)Keinem Subjekt kommt ein ihm 11clbst entgegengesetztes Prädikat zu.« Beide Fassungen unterMheidensich nicllt wesent1ich. Diejenige der »Kritik der reinen Vcmunit« nennt eigens das Ding. das, worauf der Subjektbegriff bezogen ist; die Vorlesung nennl den Su.bjektbegri(f selbst. Im letzten Absatz unseres I. Abschniltes begründet Kant, warum er den Salz vom Vllidersprueb in dieser von der Oberlieferung abweichenden Fassung aufstellt. »Es ist aber doch eine Formel dieses berühmten, obzwar von allem Inhalt entblößten und bloß formalen Grundsatzes, die eine Synthesis enthält, welche aus Unvorsich ligkei l und ganz unnötigerweise in :ihr gemischt worden. Sie heißt: es ist unmöglich, daß etwas zugleid1. ~ei tmd nicht sei. « Bei Aristoteles lautet der Satz ' ' Om Widerspmro: "tO y~ cnmi ÜJ,lO. ll:tcl(>Y.ElV "t& Y.O.l ~ll llM(>Y.SLV aauva"tOV ni) aü'tii> xat Y.cna "tO o.itt6 (Met. r 5, 1005 b 19). »Unmöglich kann dasselbe zugleich vorkommen sowohl als nicht vorkommen am selben in Tlinsicl1t auf das selbe.« Wolif in seiner Ontologie§ 28: Fieri non polest, ul idem simul sit el non sil. »Es kann nicht geschehen, daß dasselbe zugleich. sei und nicht sei«. Auffallend isL in diesen Fassungen das ÜJ.la, simul, zugleich, also die Zeitbestirnxmmg. In Kants eigener Fassung findet sich das »zugleich« nicht. Warum ist es weggelassen? »Zugleicll« ist eine Zeitbestimmung und kennzeichnet daher clen Gegenstand als zeitlichen, d. h. als Erfahrungsgegenstand.
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Sofern aber der Satz vom Widerspruch nur als negative Bediu gung des Su.bjekt-Prädikat-Verhältnisses überhaupt verstandcu wird, ist das Urteil in seiner Abschnürung vom Gegenstand und dessen zeitlicher Bestimmung gemeinl. Aber auch wenn mau dem Satz vom Widerspruch, wie es alsbald geschieht, eine posi · Live Bedeutung zuweist, gehört nach Kant das »zugleich« nl11 Zeitbestimmung nicbtin seine Formel. h) Der Sat~ vom zu vermeidenden Widerspruch als negative Fassung des Satzes der Identität
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Inwiefem kann vom Satz vom Widerspruch ein positiver Gebrauch gemacht werden, so daß er nicht nur eine negative Bedingu.ng der MögliChkeit des Subjekt-Prädikat-Verhältnisse~ überhaupt, d. b. in allen mögücl1en Urteilen, darstellt, sonderu einen obersten Grundsatz für eine bestimmte Artvon Urteilen? Die überlieferte rationale Metaphysik war der Meinung, der Satz vom Widerspruch sei Grundsatz aller Urteile überhaupt, d. h. nach Kant der analytischen sowohl wie der synthetischen. Diese Unterscheidung der Urteile ermöglicht es Kant, die Reichweite der axiomatischen Geltu.ng des Satzes vom Widerspruch schärfer als bisher, d. h. im Negativen und Positiven abzugrenzen. Ein Grundsat~ ist, im Unterschied zu einer bloß negativen Bedingung, ein solcher Satz, in dem ein Grund für mögliolw Wahrheil geselz.l wird, d. h. solches, was zureicht, um dit: Wahrheit des Urteils zu tragen. Grund ist hier immer als sol· ches vorgestellt, was trägt und im Tragen ausreicht, er isl ralio sufficiens. Wird das Urteil nur als Subjekt-Prädikat-Verhältnis genommen, dann ist es überhaupt nicht in Hinsicht auf die Bestimmungsgriinde seiner Wahrheit angesehen. Dagegen wird diese Hinsicht in der Unterscheidung von analytischen und synLheLischen Urteilen bestimmend. Das analytische Urteil nimmt den Gegenstand lediglich in seinem gegebenen Begriff und will gerade nur diesen in der Selbigkeit seines Inhalws fest.balten, um ihn zu erläutern. Die Selbigkeit des Begriffs ist
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laicr der einz.igc und hinreiche nde Maßstab für das Zusprech en und Absprech en des Prädikats . Der Sat7., der den Grund der Wahrheit des analytisch en Urteils setzt, muß also die Selbigkei t dt•s Begriffes als Gnmd des Subjekt-P rädikat-V erhältniss es setl.t'n. Als Regel verstande n, muß er set1.en: die Notwendi gkeit Jcs Festhalte ns des Begriffes in seiner Sclbigkei t, Identität. Der nherste Grundsal z der aJJalytischen Urteile ist der Salz der Identität. Aber sagten wir nicht, der oberste Gnmdsat z, von dem in 1licsem I. Absdmilt gehaJJdel t werde, sei der Satz vom Widerspruch? Sagten wir dies niCht mit Recht, da Kant im I. Ab~ch nitt nirgends vom Satz der Identität spricht? Allein, daß .. an einer zweifache n Rolle des Satzes 'om V\ iderspruc h die Rede i~l . muß stutzig machen. Die Rede vow positiven Gebrauch des Sa tzes vom Widct-spr uch besagt nicht nur: AnwendW1g dieses Satzes als Beslinunu ngsgrund , sonelern: Diese Anwendt wg isl nur möglich, wenn zugleim der neguthc Gehalt des Satzes in ~t·inen positiven umgewen det ist. In der Formel dargestell t: von A =/= non A wird zu A = A f~egangen. Der positiv gehrauch te Satz vom 'Viderspr uch ist der Satz der Identität. K.ant uennt zwar in unserem Abschnitt den Satz der Identität nicht, uh<'r in der Einleitun g (A 7, B 10) bezeichne t er cüe analytisch en Urteile als diejenige n, » in welchen die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Idenlitäl« gedacht wird; hier ist »Identitä t« als der Grund des ana]ytiscb cn Urteils angegcLc n. Insgleiche n sind in der Streitschr ift »Über ··inc Entdecku ng ... « (WW VIII S. 245) die analytisch en Urtc•ile als diejenigen bestimmt , »die ganz a uf dem Satze der Identität oder des Widerspru chs beruhen «. Im folgenden IJ . Abschnitt (A 15-1/5, B 194-) werden Identität und Widerspr uch wsamme n genannt. Das Verhältni s der beiden Grundsät ze ist hisheute nicht entschiede n. Es läßt sidt auch nicht formal entsdleidcn, weil diese Entscheid ung von der Auffassun g des Seins 11nd der Wahrheit überhaup t abhängig bleibt. In der rationalen Schulmet aphysik balle der Satz vom Widerspru ch den VorraJJg.
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Deshalb stellt Kant in unserem Absclmitt die Erörtenmg nul den Satz vom Widerspruch ab. Für Lcibniz wird dagegen eilt' Identität das erste Prinzip, zuma] für ihn alle Urteile Identilaten sind. Kant selbst zeigt in seiner Habilitationsschrift (I. Toil. de princip'io contradictionis, 1. propositio) gegen Wolff: Veritalum omniumnon datur principium UNICUM, absolute p1·i· m11m, catholicon. Die 3. propositio zeigt die praeferentia uc~ principium identi:tatis ... prae p:rincipio contradictionis. In den analytischen Urteilen wird der Gegenstand nur narh seinem BegriH gedaCht und nicht als Erfahrungsgegenstand. d. b. als zeitbestimmter Gegenstand; mitbin braucht der Grundsatz dieser Urteile in seiner Formel auch keine Zeitbe· Stimmung zu enthalten.
i) KanlS transzendentale Beh·achtung; allgemeine und transzenden La]e Logik Der Satz vom Widerspruch und der Satz der Identität geböre11 nur in die Logik und betreffen nu.r das logisch betrachtete Urteil. Wenn Kant so spricht, dann siebt er allerdings über deu von ihm eingeführten Unterschied im Gebrauch des Satzes -vom Widerspruch hinweg und betrachtet alles Denken als nur lo· gisch, das in seiner Begründung nicht den Weg über den Gegenstand selbst nimmt. Logik, im Sinne der »allgemeinen Logik<<, sjehl von aller lleziehung aufs Objekt ab (A 55, )3 79). Sie kennt nichts dergleichen wie synlhetische Urteile. Alle U r· teile der Metaphysik sind aber synthetische. Also - und darauJ kommt es jetzt allein an- ist der Satz vom Widerspruch kein Grundsatz der Metaphysik. Also- das ist die weitere entscheidende Folgerung, die zwischen Abschnitt I und II vermittelt- fordem die metaphysische • Erkenntnis und jede gegenständliche, synthetische Erkenntnis überhaupt eine andere Begründung. Andere Grandsätze müssen aufgestelll werden. Bei der Wichtigkeit dieses Schrittes versuchen wir, die Ein·
§ 25. Wesensbes timrrumg dt>s Urteü.~
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~chränkung
des Salzes vom Widerspr uch als Grundsat z auf die ' "aalytisch en Urteile noch deutlicher zu fassen, tmd zwar im I linblick auf die leitende Frage nach der Oingheit des Dinges. Oie überliefer te Bestimm ung der Dingbeil des Dinges, d. b. des Seins des Seienden, hat die Aussage (das Urteil) zum Leitfaclcn; Sein wird ans dem Denken und den Gesetzen der Denkharkeil bzw. Undenkb arkeit bestimmL Der jetzt besproche ne I. Abschnitt unseres Hauptstüc kes sagt indes nichts anderes als: Das bloße Denken kann nicht der GC"richtshof .für die Bestimmung der Dingheil des Dinges sein , Konti~ch gesproche n: fi.ir 1lie Gegenstä ndlichkei l des Gegenstan des. Die Logik kann nicht tlie Grundwis senscbafl der Metaphys ik sein. Sofern aber bei der Bestimmu ng des Gegensta ndes, der nach Kant Gegensta nd der menschlic hen Erkenntn is ist, gleichwoh l notwendi g das Denken beteiligt bleibt, und zwar als anschanuo gsbezogen es Denken, d. h. als synthelisc hes Urteil, hat die Logik als L ehre vom Denken in der Meinphys ik ein Wortmilz usprechen . Gemäß der gewandelten vVescnsb estimmnn g von Denken und Urteilen muß sid1 jedoch auch das Wesen der darauf bezogene n Logik wandein; es muß eine Logik sein. die das Denken einschließ lich 'eines Gegenstan dsbezuges in den Blic·k faßt. Diese Art Logik atcnn t Kanl die lranszend entale L ogik. Transzen dental ist das, was die Transzen denz betrifft. Transzendenta l gesehen, wird das Denken in seinem Hinübers teigen 'l.llm Gegensta nd betrachtet . Transzen dcutale Betrachlu ng richtet sieb nicht nuf die Gegenstä nde selbst; auch nicht auf das Denken als bloßes Vorstellen der Subjekt-P rädikat-Beziehung. ' ondem auf d~n Oberstieg und auf den Bezug zum Gegensta nd als diesen Bezug. (Transzen denz: 1. Hinüber zu-als solches 2. Ober-weg -) (Zu Kants Beslunmu ng des »Transze ndentalen « vgl. Kr. d. r. \ . A 12, B 25. In einer Aufzeichn ung WW XVITI Nr. 5738 beißt t•s : »Bestimm ung eines Dinges in Ansehung seines Wesens (als Oing) ist transeend en Lal. «)
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Gemäß dieser Betrachtungsrichtung nennt Kant seine l'ltll" sophie Transzendentalphilosophie. Das System der Gruntb.. llo~ isl die Grundlegung derselben. Um hier und im folgt•r11lt 11 deutlicher zu sehen. wollen wir uns verschiedene Blickst<:-lltrll gendes Fragens zur Abhebung bringen. Wir pflegen unsere Erkenntnisse, aber auch schon die Frut•.• u tmd Weisen des Bettachtens in Sätzen auszudrücken. Der Pli\ slker und der Jurist, der Historiker und deT Mediziner. do 1 Theologe und der Meteorologe, der Biologe und der Philosoplo alle reden sie gleichennaßen in Sätzen und Aussagen. Versdill den bleiben dabei die Gebiete und Gegenstände, auf.dic s11lt das Aussagen bezieht. Daher ist der Inhalt des Gesagten jewcd, ein anderer. So kommt es denn auch, daß man gemeinbin keinen ander<•n als einen inhaltlichen Unterschied .findet. wenn wir in der Fm gerlchtung der Biologie reden und von ZcllLcHung, WacbsLuu1 Fortpflanzung handeln, oder wenn wir öber die Biologie selu~l - üue Richtung des Fragens und Sagens selbst- handeln. Man meint, über Gegenstände der Biologie biologisch zu reden. utt terscheide siCh nur inbaltlich von einer Erörterung über Bioln gie. Wer das erste kann, muß doch auch, und gerade er, dn' zweite können. Aber das ist eine Täuschung; denn über Biolo· gie kann man nicht biologisch handeln. Biologie ist nicht SIJ etwas wie Algen und Moose, Frösche und Molche, wie Zellen und Organe. Biologie ist eine Wissenschaft. Die Biologie selbst können wir nicllt unter das Mikroskop legen, wie die Gegenstände der Biologie. In dem Augenblick, wo wir »über« eine Wissenschaft reden tmd auf eine soldie uns besinnen. versagen alle Mi llcl und MeIboden dieser Wissenschaft, in der wir uns selbst auskennen. Für das FragennaCh einer Wissenschaft wird eine Blickstellung verlangt, deren Vollzug und Leitung noch weniger sclbstverständlich ist als die Beherrschung einer Wissenschaft. Kommt es zu Erörterungen über eine Wissenschaft, dann setzl sich leicht die Meinung fest, solche Bettachtungen seien >>allgemeine«, im
§ 25. IJ'C$t?t1Sbestimmung clrs Urteils
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l lut crschied zu den » besondere n« Fragen der Wissensch aft. \lh·in, es hande1L sieb hierbei nicht nur um quantitati ve Unterh• h icde des mehr oder weniger »allgeme in«, sondern ein qualit•livcr Unterschi ed kommt zum Vorschein, ein solcher im Wet.t•u, in der Blickrich tung, in der Begriffsb ildung und in der Jlegriindt mg, und zwar liegt dieser Unterschi ed schon innerhalb 1•·dcr Wissensch aft selbst; er gehört zu il.u, sofern sie eine freie orc•scbichtl iche Handlung des Menschen ist. Darum gehört zu 1•·tler Wissensch aft clie ständige Selbstbes innung. Achten wir auf das Beispiel jener Aussage: »Die Sonne er" :irmt den Stein«. "'Wenn wir dieser Aussage und ihrer eigenlt•n Aussageri chtung folgen, sind wir geradezu auf die Gegenliiude Sonne, Stein, Wärme gerichteL Unser Vorstellen gebt in oiL•m auf, was der Gegens tand selbst bietet. Wir achten nicht auf tl•e Aussage als solche. Wir können tlns allerdings dmcb ein e f'igentiim lichc Blickwen dung des Vorstelleu s von Sonne und !'itcin abkehren und auf die Aussage als solche achten. Solches geschah z. B., als wir das Urteil als Subjekt-P rädikat-V erhältnis kt•rmzeidm eten. Dieses Subjekt-P räilikat-V erhältnis selbst bat mit der Sonne und dem Stein nicht das geringste zu tun. Wir uchmen die Aussage, den Abyo; - » die Sonne erwärmt den 1.\tein«- jetzt rein »logisrb .c. Wir sehen dabei nicht nur daYon daß die Aussage uui Naturgeg enstände bezogen ist.. Wir uchten überhaup t nicht auf ihren gegenstän dlichen Bezug. \ußer jener ersten VorstcUun gsrichtun g - geradezu auf den negensta nd- und außer dieser zweiten- auf das gegenstan dslose Aussagev erhältnis in sich - gibt es nun eine dritte. Wir ~ugten bei der Kennzeic hnung des Urteils »die Sonne erwärm1 den Stein «, die Sonne werde als Ursache und die Wärme des Steins als Wirkung \'erstande n. Wenn wir dies bezüglich der <;onne und des warmen Steins fest halten, so sind wir zwar auf clie Sonne und den Stein gerichtet, aber gleichwoh l nicht geradezu. Wir meinen nicht nur die Sonne selbst und den warmen Stein selbst, sondern wir sehen uns jetzt den Gegensta nd »Son ue« daraufhin an , wie dieser Gegensta ndfür uns Gegensta nd
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ist, in welcher Hinsicht er gemeint ist, d. h. wie unser Denkt ·tt ihn denJt t. Wir nehmen jetzt den Gegensta nd (Sonne, Wärme, Steiul nicht geradezu, sondern hinsichtli ch der Weise seiner Gegeu 140 ständlichk eil in den Blick. Das ist die Hinsicht, in der wir uu au.f ihn im vorhinein , a priori, bt."Liehen: als Ursache. als \\ 11 kung. Wir sind jetzt nicht nur nicht auf den Gegensta nd der Au~ sage gei·ichtcl, sondern nuch nicht auf die Fonn der Anssa~ · · als solche, vielmehr darauf: wie der Gegensta nd Gegensta nd der Aussage ist, wie die Aussage den Gegensta nd im vorbinein 'orstellt. wie unsere Erkenntn is zum Gegensta nd hinüberst eigt. transcend it, und wie dabei - m welcher gegenstän dlichen Bt• stimmthe il - der Gegensta nd begegnet. Diese ßetrachto ngsweise nennt I
§ 25. Wesensbestimmung des Urteils
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szendentalen Blick- und Fragestellung. Es ist die Einübung des Vorstellens, in dem sich alle Besinnung aui die Wissenschaften notwendig bewegt Die Sicherung dieses Bereiches, die wissentliche und wissende Inbesilznahme desselben, das Gehen- und Stehenkönnen in seinen Dimensionen ist die Gnmdvoraussetzung für jedes wissenschaftliche Dasein, das seine geschichtliche Stellung und Aufgabe begreifen will.
j) Synthetische Urteileapriori liegen notwendig aller Erkcnntrriszugrunde Wenn wir in einer Wissenschaft auf ihren Gegenstandsbereich zugehen , sind die Gegenstände dieses Bereiches im vorhinein schon so und so bestimmt; aber nicht zufällig, auch nicht auf Grund einer Unachtsamkci L un.sererseits, so, als könnte jemals diese Vorbestimmung des Gegenstandes unterbunden werden. Sie ist vie]mehrnotwendig, so notwendig, daß wir ohne sie überhaupl nie vor Gegenständen stehen könnten, als vor solchem, wonadt sich unsere Aussagen richten und woran sie sich messen und ausweisen. Wie soll denn ein wissenschaftliches Urteil mit dem Gegenstand übereinstimmen, also z. B. ein kunsthistorisches Urteil über ein Kunstwerk wirklich ein kunsthistorisches Urteil sein, wenn nicht im voraus der Gegenstand als Kunstwerk bestimmt ist? Wie soll eine biologische Aussage über ein Tier in Wahrheil ein biologisches Urteil sein, wenn nicht das Tier als Lebewesen vorbestimmt isl? Was der Gegenstand seinem gegenständlichen Wesen nach ist, dru·über müssen wir jmmer schon eine inhalLliche Erkenntnis, nach Kant eine synthetische Erkenntnis haben, und zwar im vorbinein1 a priori. Ohne synthetische Urteile a priori könnten uns überhaupt niemals Gegenstände entgegenstehen, als solches, wonach wir uns »dann«, nämlich in den besonderen Untersuchungen und Fragen und Beweisen richten und worauf wir uns ständig berufen. In allen Urteilen der Wissenschaften sprechen schon synLhe-
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tischeUrteile a priori, Vor-urteile in einem echten und notwendigen Sinne. Je nach der Ausdrücklicbkeit und Bestimmtheit, womit eine Wissenschaft sich um ihre Vor-urteile bemüht, bemißt sich die Wissenschaftlichkeit einer Wissenschaft - aber nicht nach der Anzahl der geschriebenen Bücher und nicht nac.h der Anzahl der Institute und erst recht nicht nach dem Nutzen, den sie gerade bietet. Voraussetzungslose Wissenschaft gibt es deshalb nicht, weil das Wesen der Wissenschafl in solehern Voraussetzen, in Vor-urteilen über den Gegenstand besteht. All dies hat Kant nicht nur behauptet, sondern gezeigt, und nicht nur gezeigt, sondern begründet. Die Begründung hat er in der Gestalt der >>Kritik der reinen Vernunft« als gebautes Werk in unsere Geschichte gestellt. Verstehen wir das Wesen der Wahrheit im übetlieferten Sinne als die Ubereinstimmung der Aussage mit dem Gegenstand -und auch Kant versteht sie so-, dann kann die so verstandene Wahrheit nicht sein, wenn nicht zuvor der Gegenstand durch synthetische Urteile a priori zum Gegen-stehen gebracht wird. Daher nennt Kant d.ie synthetischen Urteile a priori, d. h. das System der Grundsätze des reinen Verstandes den »Quell aller Wahrl1eil« (A 257, B 296). Der innel'e Zusammenhang des Gesagten mit unserer Frage nach der Dingheil des Dinges ist offensichtlich. WahrhafLe Dinge, d. h. solche Dlnge, davon uns eine Wahrheit werden kann, sind für Kant die Gegenstände der ErfaLrung. Der Gegenstand abe1: wird uns nur zugänglich, wenn wir über den bloßen Begriff binausgehen zu jenem anderen, was erst dazu- und beigestellt werden muß. SolChe Beistellung geschieht als Synthesis. Den Dingen begegnen wir, Kantisch gesprochen, erst und nur im Bereich der synthetischen Urteile, und der Dingbeit des Dinges demgemäß erst im Umkreis der Frage, wie ein Ding überhaupt und im -vorhinein als Ding möglich, d. h. zugleich, wie synthetische Urteile a priori möglich sind.
§ 26. Vom obersten Grundsat z aller synthetisc henUrteil e
Wenn wir alles zur Ausgrenz ung der analytischen Urteile Gesagte in einem Blick zusamme nnehmen, dann müssen die beiden ersten Absätze des zweiten Abschnittes verständlich geworc.len sein: »Die Erklärun g der Möglichk eit synthetisc her Urteile, :ist c·ine Aufgabe, mit der die allgemein e Logik gar nichts zu schaffen hat, die auch sogar ihren Namen nicht einmal kennen darf. Sie ist aber in einer transzend entalen Logik das wiChtigste Geschäft unter allen, und sogar das einzige, wenn von der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori die Rede ist, imgleiChen den Bedingun gen und dem Umfange ihrer Gültigkei t. Denn noch Vollendu ng desselben, kann sie ilu-em Zwecke, nämlich den Umfang und die Grenzen des reinen Verstandes zu bestimmen, vollkomm en ein Genüge tun. 1m analytisChen Urteile bleibe irh bei dem gegebene n Bew iffe, um etwas von ibm auszum.achen. Soll es bejahend sein, so lege ich diesem Begriffe nur dasjenige bei, was in ihm schon {tedacbt war; soll es verneinen d sein. so schließe ich nur das Ge-genteil desselben von il1m aus. In synthetischen Urteilen uber solJ ich aus dem gegebene n Begr.üJ hinausgeh en, um etwas ~nnz anderes, als in ibm gedacht war, mit demselben im Verhältnis zu betrachten , welches daher niemals, weder ein Verhältnis der Identität, noch des Widerspr uchs ist, und wobei dem Urteile an ihm selbst weder die Wahrheit , noch der Irrtum an~esehen werden kann.« {A 154 f., B 195 f.) Das »ganz andere« ist der Gegensta nd. Das Verhältni s die~cs »ganz anderen« zum Begriff ist das vorstellun gsmäßige Beistellen des Gegenstandes in einem denkende n Ansebaue n: die Synlhesis. Nur indem wir in dieses Verhältni s eingehen und m ihm uns halten, begegnet uns ein Gegensta nd. Die innere Möglichkeit des Gegenstandes, d. h. sein Wesen, bestimmt sich daher mit aus der Möglichkeit dleses Verhältnisses zu ihm.. Worin besteht, d. i. worin gründet dieses Verhältni s zum Ge-
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gensta.nd? Der Grund, worauf es ruht, muß freigele gt und t•t gensal s der Grund gesetzt werden. Dies geschieht in der \nf· stellun g und Begrün dung des obersten Grunds atzes all•·• synthetischen Urteile. In diesem gesetzten Grund gründe t die Beding ung der Mii{: lichkcit aller Wahrh eit. Die Quelle aller Wahrh eit sind tlw Gnmds ätze des reinen 'Verstandes. Sie selbst, und damit dit•s•• QueUe aller Wahrh eit, gehen auf einen tieferen Quell zuriitk. der im obersten Grunds atz aller synthetischen Urteile ans Licht gebrach t wird. Mit dem zweiten Abschn itt unseres Uo.uptsliickes crreidtl das ganze Werk der »Kritik der reinen Vernun ft« seinen durrl. es selbst gelegten tiefsten Grund. Der oberste Grunds atz alle•r synthetischen Urteile - oder wie wir auch sagen köunen: Di•' ursprUngliehe Wesens bestimm ung der menschlieben Erkenn t· nis, ihrer Wahrh eit und ihres Gegen stande s- wird am Schhtll dieses zweiten Abschnjttes (A 158, B 197) auf die Formel gt·· bracht: »die Beding ungen der Möglidzkeit der Erfaltrw11: iiberha upt sind zugleich Beding ungen der MöglidzJ.·eit dt·e Gegenstände der Erfahrung«. Wer diesen Satz begreift, begreift Kants »Kritik der reitwn Vernunft«. Wer diese begreift, kennt nidll nur ein Buch nu~ dem Schrift tum der Philosophie, sondern beherrscht eiuc Grunds tellung unseres geschichtlichen Daseins, die wir wedt·r umgeh en noch überspr ingen, noch sonstwie verleugnen kön nen. Aber wir müssen sie in dt•r aneign enden Vcrwandlun~ zum Austra g in die Zukunf t bringen . Der zweite Absdm ilt ist auch dem Range nach dem dritt(•u vorgeordnet, dieser dagege n :ist nur die Ausfalt ung von jenem Deshal b ist ein erfülltes und bestimm tes Verständnis des cnl scheidenden zweiten Abschnilles erst möglich, wenn wir dt·ll dritten schon kennen. Wir übersp ringen daher den zweiten Ah· schnitt und komme n au.f ihn erst nach der Auslegung des drit tcn aro Schluß uoscrer Darstel lung der Dingfr age in der »Kri I j), der reinen Vernun ft« zurück.
§ 27. Systematik der Grundsätze des reinen Verstandes
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Im dritten Abschniu werden alle synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes systematisch vorgeführt. Alles, was den Gegenstand zu einem Gegenstand macht, was die Dingheit des Dinges umgrenzt, wird in seinem inneren Zusammenhang dargestellt. Auch bei der Auslegung des drilten Abschnittes beginnen wir sogleich mit der Darstellung der einzelnen Grundsätze. Oie Vorbetrachtung sei nur so weit erläutert, daß wir einen bestimmteren Begriff vom Grundsatz überhaupt. und von dem Gesichtspunkt der Einteilung der Grundsätze gewinnen. Dazu gibt der erste Satz des dritten Abscbni ttes den Schlüssel: »Daß überhaupt irgendwo Grundsätze stattfinden, das ist lediglich dem reinen Verstande zuz.uschreiben, der nicht allein das Vermögen der Regeln isl, in Ansehung dessen, was geschieht, sondern selbst der Quell der Grundsätze, nach welchem alles (was uns nur als Gegenstand vorkommen kann) notwendig unter Regeln stellt, weil, ohne solche, den Erscheinungen niemals Erkenntnis eines ihnen korrespondierenden GegensLandes zukommen köonle. « (A 158 f., B 197 f.)
§ 27. Systemati.sd1e Vorstellung aller synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes
a) Die Grundsätze ermöglichen die Gegenständlichkeit des Gegenstandes; Begründbarkeil der Grundsätze 1m Verfolg der Frage nach der Dingheit des Dinges wurden wir auf Kants Lehre von den Grundsätzen des reinen Verstandes geführt. Inwiefem? Für Kanl ist das WlS zugängliche Ding der Gegenstand der Erfahrung. Erfahrung heißt für Kant die dem Menschen mögliche Lheoretische Erkenntnis des Seienden. Diese Erkenntnis ist zwieiällig. Daher sagL Kant: »Verstand und Sinnlichkeit können bei uns nur in Verbindung Gegenstände bestimmen.« (A 258, B 31'1•) Ein Gegenstand ist als Gee;enstand durch die Verbindung, d. h. die Einheit des im An-
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schauen Angeschauten und im Denken Gedachten best.i:ru1111 Zum Wesen des Gegenstandes gehört das Gegen und tJ,' Stand. Das Wesen dieses Gegen. seine innere Möglichkeit und der Grund desselben, insgleichen das Wesen dieses Stande., seine innere Möglichkeil und der Grund desselben - lllttl schließlich und vor allem die ursprüngliche Einheit beider, dt ' Gegenhcit und der StäncligkeiL, machen die Gegenständlichkt·tl des Gegenstandes aus. Daß die Bestimmung des Wesens des Gegenstandes üht·t haupt durch Grundsätze erfolgt, leuchtet nicht olme weitf'lt· ein. Es wird jedoch verständlich. wenn wir die Uherlieferuu~~ richtung innerhalb der Dingfrage in der abendländischen Pl11 losophie beachten. Darnach ist der mathematische Gnmdzut entscheidend: der Rückgang auf Axiome bei aller BestimmUIIt' des Seienden. Kant bleibt ilt dieser Uberlieferu.ng. Allein Lli1 .AJ-4 wie er die Axiome :faßt und begründet, bringt eine Unt wä.lzung. Der bisher oberste Grundsatz aller Urteile, der Su t' vom Widerspruch, ist seiner Vormachtstellung enthoben. Wd
ehe Grundsätze treten an seine Slelle?
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Zunächst muß auffallen: Kant spricht nicht von Axionwu »Axiome« sind für ihn eine bestimmte Art von Grundsät;wu a priori, nämlich diejenigen, clie unmittelbar gewiß, d. b. '" '' der Anschauung des Gegenslandes ohne weiteres belegbar siucl Um solche Grundsätze handelt es s.ichim vorliegenden Zusant menhang nicht. was sich schon darin andeutet, daß es Gnnul sätze des reinen Verstandes sind. Aber als Grundsätze müs~··n s.ie einmal die Gründe zu anderen Sätzen und Utteilen enll111l ten. Sodann können sie selbst nicht mehr in früheren und ull gemeineren Erkenntnissen gegründet sein. (A 148/9, B HlH1 Dies schließt nicht aus, daß ilmen eine Begründung eignet. 1)u Frage bleibt nur, worin sie ihre Begründung haben. Gnnttl sätze, die das Wesen des Gegenstandes begründen, kömwu nicht auf den Gegenstand geg1 iindet sein. Die Grundsätze ki111 nen n.ichl erfahrungsmäßig aus den Gegensländen gescbnpll werden, da sie selbst die GegensLändlichkeit der Gegenslä11d•
§ 27. Systematik der Gnuulsiilze des reinm V l'rstandes
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ermöglichen. Die Grundsätze können aber auch nicht aus dem bloßen Denken allein begründet werden, da es Grundl>ii tze des Gegenstandes sind. Die Gnmdsätze haben also auch nicht den Charakter der allgemeinen formal-logischen Sätze wie z. B. A ist A, von denen man sagt, sie seien selbstverstiindlich. Die Beruf1mg auf den gesunden Memchenverstand ver~agt hier. Sie ist im Bereich der Metaphysik •eine Zuflucht, die wderzeil beweist, daß die Sache der Vemunrt verzweifelt isl«. (A 783 f., B 811 f.) Welcher Art der Beweisgrund diese1· Grund'iitzc des reinen Verslandes ist und wie sie sirh durch die Art ihres Beweisgrundes auszeichnen, muß sich aus dem System der (: rundsätze selbst zeigen. b) Der reine Verstand als Quelle und als Vermögen der Reg«.>l n. Einheit, Kategorien Daß die DingbestimmLmg bei Kant auf Grundsätze zurückgeriihrt wird, nehmen wir o)s Zeichen dafür, daß Kant in der Oberlieferung bleibt. Aber diese geschichtliche Kennzeichnung to;l noch keine sachliche Erklärung. Wenn Kanl das Wesen des l>cnkens neu bestimmt, muß er auch auf dent Grunde dieser nt•uen Fassung des Wesens des Verstandes zeigen, wanun und tnwiefern zu diesem GrundsüLze gehören. Erst Kant isl im stande, das Walten von Grundsätzen nicht •' iufadl hinzunehmen und zu bejahen, sondern es aus dem We&fn des Verstandes selbst T.ll begründen. Auf diesen Zusammenlaang weist der erste Satz des dritten Abschnitles hin. Dort wird -~usdrücklich gesagt, »der reine Verstand« soi »selbst der Qncll rlt•r Grundsätze«. Inwiefern dies zutrifft, gill es zu zeigen, und \\aT unter Bezugnahme auf alles, was wir bisher über das Wcltn des Verstandes vernommen haben. Die allgemeine Logik, .Iu das Urteil als das Verhäl tnis der Subjekt-Prädikat-Vorstcllt~ugen bestimmt, kennt den Verstand als das Vermögen der \ urstellungsverbindung. So, wie die logische Urteilsauffassung n<'htig, aber unzureichend ist, bleibt auch diese Auffassung des
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Verstandes zutreffend und doch unbefried igend. Der Verstaue! muß als ein anf das Objekt bezogene s Vorstellen bzw. aJs ein :-.11 gebautes Verbinde n von Vorstellu ngengefa ßt werden: als jen•· Vorstellen, das diese Beziehun g auf einen Gegensta nd als sol eben aufnimm t und ausmacht . Das Verbinde n von Subjekt und Prädikat ist nicht nur ein fachein Verbinde n überhaup t, sondern je"cils ctn bestimml t' Verbinde n. Erinnern wir an das gegenslän dllche Urteil »di1· Sonne erwärmt den Stein«. Sonne und Stein sind hier gegt•u ständlich vorgestellt, indem die Sonne als Ursache bcgrifft·u wird, der Stein in seinem Warmwe rden als Wirkung. Die \'e• bindungv on Subjekt und Prädikat geschieht auf dem Grunclt der allgemein en Beziehun g von Ursache und Wirktmg. Verbiu dtmg ist immer ein vorstellendes Zusamme nsetzen im Hinblkk auf eine mögliche Art von Einlteil, clie das Zusamme n ketlll zeichnet. Iu dieser Kennzeic lmung des Urteils scheint noch vc•t blaßt der ursprüngl iche Sinn des Myor; als Sammlun g durch. Jede Art von Subjekt-P rädikat-V erbindung in Urteilen sel71 voraus und trägt als leitende Hinsiebt die Vorstellu ng einf'r Einheit in sich, der gemäß und in deren Sinne verbunde n wird Das voTgreifende VorsteHen solcher die Verbindu ng leilendt•n Einheiten gehört zum Wesen des Verstandes. Die Vorstelhut gen ,·on diesen Einheiten als solchen und im allgemein en siud nach der früher gegebene n Bestimmu ng »Begri.(fe«. Die Zllr Verstand eshandlun g des Verbinde ns gehörigen Begriffe solclu·r Einheiten sind jedoch nicht ,·on irgendwel chen vorgegebenr·n Gegenstä nden abgezogen, keine aus der Wahrneh mtmg einzt·l ner Gegenstä nde geschöpften Begrille. Die Vorstellu ngen \1111 diesen Einheiten gehören zu den Handlung en des Verstand•·' zum vVesen des Verbindens. Sie liegen rein im Wesen de!. \ r·1 standesse lbst und heißen daher reine Verstandcsbegriffe: Kai• • gor1en. Die allgemein e Logikhat eine Mannigfa ltigkeil von Urtc•.J, fo:rmert herausges tellt, Weisen der Subjekt-P rädikat-Verb111 dung, die sich in einer Urteilstafel ordnen lassen. Kant hat di<'!ic·
§ 27. Systematik der Grwulsätze des reinen Verstarules
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Urteilstafel, die Aufweisu ng und Ordnung der verschiedenen Weisen der Subjekt-P rädikat-V erbindung , aus der Uberlieferung übernomm en und ergänzt. (Vgl. A 70, B 95). Die Ge~ichtspunkte der Einteillll1g sind Quantität , Qualität, Relation und ModalitäL Die Urteilstaf el kann daher eine Anweisun g geben auf ebensoviele \rten YOD Einheiten und Einbeitsb egriffcu, die das verschiedene Verbinde n leiten. Gemäß der Urteilstafel kann eine Tafel dieser Einheitsb egriffe des reinen Verstandes, seiner Stammbegri.Ife. aufgestel lt werden. (Vgl. A 80, B 106). Wird überhaup t etwas als Bedingun g .für die Einigung and einheitlic he Sctzung eines Mannigfa ltigen vorgestellt. so i~l cliesc vorgestell te Bedingun g als Rege] des Verbinden s genommen. Weil zum vVcscu des Verstandes aJs Vorstellungsverllindung das vorgreife nde Vorstellen von Einheiten , die dieses Verbinden regeln. gehört und weil diese regelnden Einheilen wm Wesen des Verslandes selbst gehören, deshalb ist der Verstand im Gnmde das Vermögen der Regeln. Daher sagt Kant (A 126): »Jetzt können '\\ir ihn [den Verstand] aJs das Vermö~cn der Regeln charakterisieren<<, und er fügt bei: »Dieses Kennzeichen ist fntcbtbar er und tritt dem Wesen desselben nälter.« Das gleiche sagt unsere Stelle zu Beginn des dritten Ab\dmittes, der Verstand sei das>> Vermögen der Regeln«. Hierin zejgt sich die metaphysische Bestimmu ng des Wesens des Verlandes. Aber im vorliegen den Abschnitt geht die Wesensbe stimmung des Verstandes 11och um eine Stufe weiter in das Wesen w rück. Der reine Verstand ist »nicht allein das Vermögen der 1\cgeln«. soudem sogar die Que11e der Regeln. Das will sagen: Der reine Verstand ist der Grund der NotwendigkeiL von Re~cln überhaup t. DamH Begegnen des, Sic-hzeigendes, d. h. Erc.:heinendes überhaup t als Gegcnsteh<'ndes vor uns kommen Lmn. muß das Sichzeig1mde im vorhinein die MöglichkeiL halten, it·gendwie zum Stehen und zur Ständigke lt zu kommen. I las Insicbstehendc, das Nichtause inanderfa hrende aber ist das Insicbgesamn1elLe, d. h. in eine Einheil Gebrachte , das in dieser
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Oie Dingfrage in Kants Hauptwerk
Einheit Anwesende und so Beständige. Die Ständigkeit ist du einheitliche in sich von sieb aus An-wesen. Diese Anwesenh,,d wird mir durch den reinen Verstand ermöglicht. Seine Harul lung ist das Denken. D as D enken aber ist ein »Ich denke«, u l1 stelle m.i.r etwas im allgemeinen, in seiner Einheit tmd Zusam mengebörigkeit vor. Die Präsenz des Gegenstandes zeigt sic h im Repräsentieren, in dem auf mich zu Präsentwerden du''' '' das denkende, d. i. verbindende Vorstellen. Wem aber dir'~t Präsenz des Gegenstandes präsentiert wird, ob mir als e.im•1n zufälligen »Ich« mit seinen Launen und Wünschen und Au sichten oder mir als einem ICh, das, all jenes »Subjel.."tive« 1.11 rückstellend, den Gegenstand selbst sein läßt, was er ist, die" hängt von dem Ich ab, nämlich von der Weite und dem Au~ griff der Einheit und der Regeln, unter die das Verbinden cJ, •• Vorstellungen gebracht wird, ~ h. im Grunde von der Tru1~ weite und der Art der Freiheit, kraftderen ich. selbst ein Selb,l bin. Das vor-stellende Verbinden ist. dem Verstand UIU' mögl it lt wenn er Weisen der Ein.igung, Regeln der Einbeil des Ved>lll dens und Bestimmens in sieb enthäll, wenn der reine Verstn11d Regeln entspringen läßt, selbst deren Ursprung. deren Quell' isL Der reine Verstand ist der Grund der Notwendigkeit Vllll Regeln, d. b. des Stattfindens von Grundsätzen, weil dit>st•• Grund, der Verstand selbst, notwendig ist, und zwax ge111all dem Wesen dessen, wohin der reine Verstand gehört, ge111iill dem Wesen de1· menschlichen Erkenntnis. Sind wir Menschen._ dem Andrang von all dem, inmitten dr". senwir hängen, nur offen, dann sind wir dem Andrang nidd gewachsen. Wir werden seiner nur Herr, indem wir ihm au einer Überlegenheit dienen, d. h. indem wir den Andrang 1111 entgegenstehen lassen, ihn zum Stehen bringen und damit,., nen Bereich möglicher Ständigkeit bilden und bewabre11. l 11 dieser Not des freien l3estehenmüssens des Andrangs griimlPI die metaphysische Notwendigkeit des reinen Verstandes. c;,. mäß dieser seiner metaphysischen Herkunft ist der reine V1•1
§ 27. Systematik der Grundsätze des reinen Verstandes
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stand der Quell der Grundsät ze. Diese Grundsät ze ihrerseits 1>ind die »Quelle aller Wahrheit «, d. h. der Möglichkeit, daß unsere Erfahrun gen überhaup t mit Gegenslä:nden überein' timmen können. Solche Übereins timmung mit ... ist nur möglich, wenn das \Vomit derübere instimmu ngzuvor schon vor uns kommt und vor uns steht. Nur so spricht uns in den Erscheinu ngen ein Gegenständliches an, nur so werden sie erkennba r hinsichtlieb eilles in ihnen sprechend en und ihnen entsprech enden (» korre~r ondierenden«) Gegensta ndes. Der :reine Verstand gibt die Möglichkeit der Übereins timmung mit dem Gegensta nd dank der Gegenstä ndlichkei t der Erscheinu ngen, d. h. der Dingl1eit der Dinge für uns. c) Diemathe matischen und dynamischen Grundsät ze als metaphysische Sätze Auf dem Grunde des Dargeleg ten können wir den entscheidenden Satz verstehen, der den dritten Abschnitt einleitet (A 158 f .. B 197 f.). Die Grundsät ze des reinen Verstandes legen 1len Grund iür die Gegenstä ndlichkeil der Gegenstä nde. In ihnen- nämlich in ihrem Zusamm enhang- sind diejenigen Vorstellungsw eisen eigens vollzogen, krait deren das Gegen des Gegenstan des und der Stand des Gegensta ndes, und zwar in ihrer ursprüngl ichen Einheit, sieh öffnen. Die Grundsät ze betreffen immer diese einheitliche Zwiefälli gkeit des Wesens des (;egellstandes. Deshalb müssen sie einmal den Grund legen in der Richtung des Gegen, der Gegenhei t, und zugleich in der lUchtung des Standes, der Ständigke it. I-Iieraus erwächst dem Wesen der Grundsätz e znfolge ihre Gliederun g in zwei Gruppen. Kant nennt sie die mathema tischen und die dynamischen Grundsätze. Welches ist der sachliche Grund dieser Unterscheillung? Wie ist sie gemeint? Kant bestimmt als das uns zugänglic he Ding das Naturdin g, clcn Körper, der ist als Gegensta nd der Erfahrun g, d. h. der
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mathematisch-physikalischen Erkenntnis. Der Körper ist ci11 Bewegliches oder Ruhendes im Raume, so zwar, daß die Be'''' gungenals Ortsveränderungen zahlenmäßig nach ihren Bc7it· bungeu beslimmbar sind. Diese mathematische Bestimmtlu•ll des NaLurköl'pers ist für Kaut jedoch keille zufällige, ihm n111 angehängte Form einer Verrechnung der Vorgänge, vielwt
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physische Grundsät ze, die die physische n Grundsät ze der Dynamik erst ermöglich en. Nicht zufällig überschre ibt Hege) einen wichtigen Abschnitt in seiner »Phänom cnoJogie des Geistes«, darin er das 'Wesen des Gegensta ndes als Naturdin g umgrenzt , mit dem Titel: »Kraftlm d Verstand« . Wir finden die gedoppel te BeslimnlU ngsrichttm g des )Jaturkörpers, die mathemat ische und die dynamisc he, erstmals bei Leibniz klar vorgezeic hnet (vgL u. a. Gcrh. IV, 594 f.). Aber erst Kant ist es gelungen , ihre innere Einheit im System der Grundsätze des reinen Verstande s zur Darstellu ng und Begründu ng zu bringen. Die Gnmdsät ze enthalten diejenige n Bestimmu ngen der Dinge als Erscheinu ngen, die ihnen im vorhinein , a priori, Z11kommen, und zwar zufolge der möglic·hcn Formen der Einheit des verstande smäßigen VerbindeHS, d. h. der Kategorie n. Die Tafel der Ka tegorien ist vierlach geglieder t. Dieser Gliederun g entspricht die der Grundsätz e. D ie mathemat ischen und dynamischen Grundsät ze sind in je zwei Gntppen, das ganze S):.tcm i~ t in vier Gruppen abgeteilt: 1. A..·dome der Anschauu ng. 2. Antizipat ionen der Wahrneh mung. 5. Analogien der Erfahrun g. -1. Postulate des empirischen Den"kens iiberhaup t. Wir versud1cn diese Benennu ngen cler Grundsät ze im folgenden aus der Darlegun g derselben zu verstehen . Kanl bemerkt ausdrückl ich: »Diese Benennun gen habe ich mit Vorsicht gewählt, um die Unterschi ede in Ansehung der Evidenz. und der Ansübun g dieser Grundsät ze nicht unbemerk t zu lassen.« (A 161, B 200) Es handelt sich um die Gnmdsät ze der Quantität , der Qualität, der Relation und der Modalität . Das Verständn is der Grundsät ze wird nur im Durchgan g durch ihren Beweis gewonnen ; denn dieser Beweis ist nichts .mderes als die Aufweisu ng des :.Prin;dps «, des Grundes, auf clem sie gründen, woraus sie mithin das schöpfen, was sie selbst ~ind. Daher kommt auf diese Beweise olles an. Die Formel der tiätze sagt nicht viel, zumal sie nicht selbst·vers tändlich sind.
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Kant hat deshalb eine große Arbeit aui diese Beweise verw••u det; er hat die Beweise, jedenfalls die der ersten drei Gruppt•lt. für die zweite Auflage neu bearbeitet. Alle sind nach cint.·n• bestimmten Schema gebaut, das mit dem wesentlichen Gelw11 cüeser Grundsätze zusammenhängt. Auch die Fassungen d1 1 einzelnen Grundsätze, vor allem ihrer Prinzipien, sind in d•·r ersten und zweiten Auflage verschieden. Diese Unterschiede g•· ben wichtige Fingerzeige, in welcher R ichtung Kants Absid11 der Klarstellung geht und wie der eigentliche Sinn dieser Sötll' zu verst ebenist. Wir nehmen noch einmal alles in einen Blick, um fortan dm• Wesentliche bei dieser Aufstellung und Begründung clt·l Grundsätze des reinen Verstandes gegenwärtig zu haben. llu Gnmdsätze sind >>Prinzipien der Exposition« der Erschein 1111 gen. Sie sind die Gründe, auf deren Grund für ein en Gegl•ll stand die Ausgesetztheit in sein Erscheinen möglich ist, su· sind die Bedingungen der Gegenständlichkeit des Gegens le~n des. Aus dem, was jetzt über die Grundsätze des reinen Versh111 des im allgemeinen gesagt wurde, läßt sich auch schon deutl1 eher entnehmen, in welcl.1em Sinne sie synthetische Urteil• ,, priori sind und wie ihre Möglichkeit bewiesen werden n111ll Synthetische Urteile sind solche, die unser Wissen vom G(•gt 11 stand erweitern. Dies geschieht gemeinhjn so, daß wir die P r;idt kate auf dem Wege der Wahrnehmung aus dem Gegenstand her, a posteriori, schöpfen. Doch jetzt handelt es sich um Pwtll kate, um Bestimmungen des Gegenstandes, die diesem a pr11111 zukommen. Diese Bestimmungen sind jene, aus denen tmcl .1111 Grund deren sich überhaupt erst bes6mmt, was zu einem ( ,, genstand als Gegenstand gehört, jene Bestimmungen, die ,j,, Bestimmtbeiten der Gegenständlichkeit des Gegenstandes 111 sammenbringen. Sie müssen offenbar a prlori sein; denu 11111 sofern wir überhaupt um Gegenständliches wissen, können \\ 11 diesen und jenen möglichen Gegenstand erfahren. Aber wit• 1~1 solches möglich : im vorhinein- vor der ErfahTung, aber fiil• Nil
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- den Gegenstand als solchen bestimmen? Diese Möglichkeit wird in den Beweisen der Grundsätze erwiesen. Der jeweilige Beweis aber leistel nichts anderes, als den Grund dieser Grund:.ätz.e selbst ans Licht zu heben, der schließlieb immer einer und derselbe sein muß und den wir dann im obersten Grundsat:t. aller synthetischen UrLeÜe antrcifeu. Demgemäß sind die eigentlichen Grundsätze des reinen Verstandes diejenigen, in denen jeweils das Prünip der Sätze der vier Gruppen ausgesprochen wird. Also nid1t die Axiome und nicht die Antizipationen und Analogien und Postulate selbst sind eigentlich die Grundsätze, sondern Grundsätze sind die Prinzipien der Axiome, Antizipationen, Analogien und Postulate. d) Die Axiome der Anschauung Achten wiJ: sogleich auf die schon vem1erkte Verschiedenheit der Fassungen in A und B (A 162, B 202). A: »Grundsatz des reinen Verstandes: Alle Erscheinungen sind ihrer Anschauung nach cxtensi ve Größen.« B: »Das Prinzip derselben ist: Alle Anschauungen sind exten-
sive G1·ößen.« Nichl immer ist die Fassung in B treffender als die in A. Beide ergänzen sich und sind deshalb von besonderem Wert, weil Xant dieses große von i.hm entdecl..-te Gebiet nicht eigens so durchleuchlcl hat, wie il1m dies als Aufgabe eines Systems der T_ranszendentalphilosophie vorschwebte. Aber für uns Nachkommen isl gerade das Unausgeglichene, das Hin und Her, sind die neuen Anläufe, das vorbahnende Unterwegs wesentlicher und fruchtbarer als ein glattes System, darin alle Fugen ausgefülJ t und überstrichen sind. Bevor wir den Beweisgang für den ersten Grandsatz durchgehen, i-ragen wir nach dem, wovon hier die Rede ist, nach den " ßestandstücken«. Wir wissen, es handelt sieb. um die Bestimmung des Wesens des Gegenstandes. Der Gegen-stand bestimmt sich durch Anschauung und Denken. Gegenstand ist
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das Ding, sofern es erscheint. Der Gegenstand ist Ersdteit~u•• Erscheinung heißt hier nie Schein, sondern meint den Ge~1·11 stand selbst i.n seinem Anwesen und Dastehen. An dersellu •• Stelle, wo Kant am Beginn der »Kritik der reinen Vernuult die zwei Bestandstücke der Erkenntnis nennt, Ansdlauung utul Denken, kennzeichnet er aud1 die Erscheinung. ,.In der I• t scheinung nenne ich das, was die Empfindung korrespondh·rt die Materie derselben, dasjenige aber, weJdtes macht, dall dn Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen .., ordnet werden kann, nenne ich die Form der Erscheinung." I \ 20, B 34) Form ist das Worinnen der Ordnung von Fnrhtll Tönen und dergleichen.
a) Quant uni und quantilas Jm ersten Gnltldsatz ist die Rede von Erschcinungen»ihrcr t\11 schauung nach«, also vom Gegenstand i.n der leitenden lli11 sieht auf das Gegen, das Begegnen. das Vor-uns-kommen. Iu dieser Hinsicht wird gesagt: Die Erscheinungen als Anscl!.,u ungen sind extensive Größen. Was heißt Größe und was meint extenshe Größe? Der dt'ul sehe Ausdruck »Größe« ist im allgemeinen und besonder.. 111 bezug auf Kants Erörlenmgen zweideutig; deshalb setzt K.ual gern unterschiedliche lateinische Ausdrücke in Klammem du11a, oder er gebraucht oft nur die lateinischen, um den Untersehi••tl den er selbst erst klar herausgestellt hat, festzulegen. Wir riu den am Ende eines Absatzes Wld zu Beginn des folgenden tlu zwei verschiedenen Titel fiir Größe (A J 63, B 204·): Gm II• als quantum und Größe als qunnlitas (vgl. Reflexionen, Nt 6338 a, WW XVIll, 659 ff.). Die Größe als quantitas gibt A11t wortauf die Frage: Wie groß? Sie ist das Maß, das Sovielt·iw ' vielmalgenommenen Eins. Die Größe eines Zimmers betriiJ{t soundso viel Meter nach Länge, Breite und Höhe. Diese Gritß• des Zimmers aber ist nur möglich, weil das Zimmer als Raum ha.ftes überhaupt ein Oben, Unten , Hinten, Vorn und Ndwu ist, ein quantum. Darunter versteht Kanl das, was wir tl11
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Großhafte überhaupt nennen können. Die Größe als quantitas, als Maß und Ausmessung des Großbaflen, ist jeweils eine bestimmte Einheit, bei der die Teile vor dem Ganzen vorhergehen und dieses zusammen-setzen. In der Größe als quanturn, im Großhaften ist dagegen umgekehrt das Ganze vor den Teilen; es ist in Ansehung der Menge der Teile unbestimmt und in sich stetig. Quantitas ist immer quantum cliscretum; sie ist nur möglich dw:ch nacbherige Zerteilung und entspreChende Zusammensetzung (Synthesis) ümerhalb und auf dem Grunde des quantum. Dieses selbst aber wird niemals erst durch Synlhesis, was es ist. Größe als quantiLas ist immer, weil durch so und so viele Teile bestimmt, etwas Vergleichbares, während Raumhaftes- von der quanlitas abgesehen- in sieb jederzeit dasselbe ist. Bei der Größe als qua.ntilas handelt es sich immer um Größenerzeugung. Geschieht diese im Fortgang von Teilen zu Teilen zum Ganzen, durch sukzessive Anstückung der auseinanderliegenden Teile, dann ist die Größe (quantitas) eine ertensive. »Die Große der Menge [Aggregat] ist extensiv.« (Reflex. Nr. 5887, vgL Nr. 5891) Größe als quantitas isl i.mmer Einheit einer wiederholten Selzung. Die Vorstellung von solcher Einheil enthält znnücbsl nur das, was der Vcrslaod in solch wiederholter Setzung »für sich selbsl tulh«; es »ist darin nichts enthalten, was eine Warnehmung erfoderte«. (Reflex. Nr. 6558 a) Quantität isl ein reiner Verstandesbegri:ff. Nicht so die Größe als quantum; sie ist nicht durch Setzuog erzeugt, sondern für ein Anschauen zumal gegeben. ~) Raum und Zeit als quanta, als Formen der reinen
Anschauung VVas soll nun heißen: Die Erscheinungen als Anschauungen sind extensive Größen? Aus der vergleichenden Bestimmung der Größe als quantitas und der Größe alsquantumwurde ersichtlich, daß quantitas im.tn,er quantum voraussetzt, daß Größe als Maß, als Soviel, immer Maß eines Großhaften ist. Demnach
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müssen die Erscheinu ngen als Anschauu ngen, d. L. die An schauung en als solche, quanta sein, Großhafte s, wenn sie überhaupt Quantität en sollen sein können. Soleben Wesens (quan ta) aber sind nach Kant Raum und Zeit. Der Raum ist eint· Größe- das besagt nicht: Er ist ein so und so Großes. Raum ist zunächst gerade nie so und so groß, sondern solches, was Größt' im Sinne von quantitas erst ermöglich t. Der Raum wird nicht durch Räume zusamme ngesetzt. Der Raum besteht nicht aus Teilen, sondern jeder Raum ist immer nur als Einschrän kung des ganzen Raumes, so zwar, daß sogar clie Schranke und Grenze den Raum und die Raumerst reckung vorausset zen und wie der Teilraum im Raum verbleiben . Der Raum ist eint' Größe (quantum ), bei der endliche, maßhaftb estimmte Abteilungen und Zusamme nsetzunge n immer zu spät kommen, wo das Endliche dieser Art schlechth in kein Recht hat tmd niebis für die Bestimmu ng des Wesens ausrichtet ; deshalb wird der Raum eine »unendlic he Größe« (A 25) genannt. Dies meint 154 nicht: »endlos« hinsichtli ch der endlichen Bestimmu ngen. als quantitas, sondern als quan1 um, was nichts Endhafte s als seint• Bedingun g voraussetz t, vielmehr umgekeh rt selbst Bedingun g jeder Teilung und endlichen Zerstücku ng ist. Der Raum und ebenso die Zeit sind quanto continua, ursprünglic h Großbafle s, un-endlic he Größen und dernzufolgt· mögliche extensive Größen (Quantitä ten). Der Grundsat z clc1 Axiome der Anschauu ng lautet: »Alle Erscheinu ngen sind ihre• Anschauu ng nach extensive Größen.« Wie können aber Au schauung en exlensive Größen sein? Dazu müssen sie ursprün~ lich Großheite n sein (quanta). Als solche nennl Kanl Raum und Zeit und, wie wir sehen, mit RechL. Aber Raum und Zeit si111l doch keine Anschauu ngen, sondern: Raum und Zeit. Früher bestimmt en wir das Anschaue n als das unmittelba11· Vorstellen eines Einzelnen . Durch dieses Vorstellen wird ur•~ etwas gegeben. Anschaue n isl ein geb endes Vorstellen, kei11 machende s, durch Zusamme nsetzen erst bildendes . Anschatt ung im Sinne des Angescha uten ist Vorgestel ltes im Sinne eines
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Gegebene n. An der Stelle, wo Kant den Raum als un-endliche Größe bestimmt., sagt er aber: »Der Raum wird als eine unendliche Größe gegeben vorgestelll.« (A 25) »Der Raum wird als l'i.ne unendliche gegebene Größe vorgestellt.« (B 39) Das Vorl>tellcn, das den Raum als solchen vor uns bringt ist ein gebentles Vorstellen, d. h. ein Anschaue n; der Raum selbst ist ein \ngeschau tes und in diesem Sinne: Anschauung. Unmittel bar gegeben ist der Raum. Wo ist er gegeben? Ist der Raum überhaupt irgendwo ? Ist er nicht vielmehr die Bedingun g der Möglichkeil jedes »wo« und »dort« uncl >>hier«? Ein Raumcha rakter ist z. B. das Nebenein ander. Dieses Neben gewinnen wir jedoch nicht erst durch Vergleich von nebenein ander liegenden Gegenstä nden. Um diese Gegenstä nde als nebenein ander zu erfahren, müssen wir das Nebe.n- und im gleichen das Vor- und lli.nter- und t Jbereinnn der schon unmittelb ar vorstellen. Diese Erstreckungen hängen nicht von den Erscheinu ngen ab, von clcm, was sich zeigt; denn wir können uns alle Ge.genstände im HatliD wegdenke n. aber nicht diesen selbst. Bei allem Sichzeigen der Dinge in der Wahrneh mung ist, und zwar im vorhinein notwendig der Raum im Ganzen allgemein und unmillelb ar gegeben vorgestel1L Aber dieses Eine, allgemein Gegebene, dieses Vorgestellte ist kein Begriff, ist nicht etwas im allgemeinen Vorgestelltes, so, wie »Baum überhaup t«. Die aJ1gemeine Vorstellung »Baum« enthält alle einzelnen Bäume unter sich .tls das, wovon sie aussagbar ist. Der Rnum aber enthält alle ('inzelnen Räume in sich. Die einzelnen Räume sind nur jeweilige Einschrän kungen des einen ursprüngl ich einigen Ra um es .ds eines einzigen. Der Raum als quanttun ist als ein einziges ·Dieses« unmittelb ar gegeben. Ein Einzelnes unmittelb ar vor-;tcllen beißt anschauen. Raum ist ein Angeschautes, und zwar t•in vor allem Erscheine n der Gegenstä nde in ibm Angeschautes. im Blick Stehendes. Der Raum wird nicht durcl.t Empfmdungen empfunde n, er isl ein im vorhinein - a priori -, d. h. rein Angeschautes. Der Raum ist reine Anschauu ng. Als dieses rein Angeschaute ist er jenes, was alles uns empirisch Gegebene
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Subjektbezuges die Raumfrage aufbaut, dazu vgl. »Sein u.nd Zeit<<§§ 19-24· und§ 70). Für uns ist jetzt nur wichtig, zu zeigen, inwiefernRaum und Zeit überhaupt als Anschauungen denkbar sind. Der Raum gihl sich nur in diesem reinen Anschauen, worin der Raum als sol· eher von uns im vorhinein uns vor-gehalten, als Anblickbarcl' vor-gestellt wird, »vor-gebildet« als jenes Großhafte des Neben- und Über· und IIintereinander, einer Mannigfaltigkeit, die von sich aus die MögliChkeit zu eigenen Einscbrän.kungell undJ3egrenzungen gibt. Raum und Zeit sind reine Anschauungen. Von der Anschauung wird in der Ästhetik gehandelt. Anschauung ist darnach solches, was a priori zur GegenständJichkeh des Gegenstandes gehört, was Erscheinungen sich zeigen läßt; reine AnsChauung ist transzendental. Die transzendentale Ästhetik gibt nnr eine Vorbetrachtung. Ihre eigentliche Thematik kommt erst in der Behandlung des ersten Grundsatzes zum Ziel.
y) Der Beweis des ersten Grundsatzes; alle Grundsätze gründen im obersten Grundsatz aller synthetisChen Urteile Mit dem Gesagten ist das Wesentliche vorbereitet, um den Beweis des ersten Grundsatzes und damit diesen selbst zu verstehen. Der Beweis besteht aus drei Sätzen, die klar gegeneinander abgesetzt sind. Der erste Satz beginnt mit »Alle ... «, der zweite mit »Nun. ist ... «, der dritte mit »Also ... «. Unverkennbar stehen die drei Sätze im Zusammenhang der Form eines Schlusses: Obersatz, Untersatz, Schlußsatz. Alle folgenden Beweise- für die Antizipationen und Analogien-, die sich, wie der Beweis der Axiome, erst in der zweiten Auflage finden, sind in dieser Weise gebaut. Wir vollziehen die drei Schritte des Schlusses, indem wir ZtLgleich das in den einzelnen Sätzen noch Ungeklärte erläutern. Der Beweis beginnl mit dem Hinweis darauf, daß alle Erscheinungen sich in Raum und Zeit zeigen; hinsichtlieh der Weise ilues Erscheinens, ihrer Form nach, enthalten sie eine
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Anschauung der genannten Art. Was bedeutet dies hinsichtlich des gegenständlichen Charakters der Erscheinungen? Wir sagen: »Der Mond steht am J-Ijmrnel« Seiner sinnlichen, empfindungsmäßigen Gegebenheit nach ist er ein Leuchtendes, Farbiges mit mannigfaltig verteilten H elligkeiten und Dunkelheiten; er ist gegeben außer uns, dort, in dieser bestimmten Gestalt, von dieser Größe, in diesem Abstand von anderen Himmelskörpern. Der Raum- das Warinnen der Mondgegebenheit - ist zu dieser Gestalt von dieser Größe in diesen Verhältnissen und Abständen eingeschränkt und begrenzt. Der Raum ist ein bestimmter Raum, und nur diese Bestimmtheit macht den Mondraum, die Mondräumlichkeit aus. Die Bestimmtheit zu dieser Gestalt, die$er Ausdehnung, diesem Abstand von anderem gründet in einem Bestimmen. D as Bestimmen ist ein geordnetes Zusammensetzen, ein Herausheben besonderer Ausdehnungsstücke, die selbst in iliren Teilen gleichartig sind, z. B. der Teile der Kreislinie der Gestalt. Nur indetn die Mannigfaltigkeit des an sieb unhestimm ten Raumes in Teile zerlegt und aus diesen Teilen in bestimmter Abfolge und mit bestimmtem Aufhören zusammengesetzt wird, vermag das Leuchteud-Faxbige als 1\llo;ndgestalt dieser Größe und Entfernung sich uns zu zeigen, d. h. von uns hingenommen und aufgenommen zu werden in den Umkreis des uns je schon Begegnenden und Gegen-uns-stehenden. Das Erscheinende ist nach seiner Ansd.Iau.ung, nach der Form seiner Angeschautheit, d. h. hinsid.Itlich des Raumes und seiner zunächst unabgehobenen Mannigfaltigkeit, ein so und so Bestimmtes: ein zusammengesetztes Gleichartiges. Die Zusammengesetztheit ist jedoch eine solche nur auf Grund einer darin so und so vorgestellten Einheit der Gestalt, der Größe. In der Synthesis walteL-sie regelnd- Einheit, die Vorstellung einer solchen, das Bewußtsein von ihr. Damit haben wir den wesentUdien Gehalt des Obersatzes herausgehoben. Der Untersatz setzt 11nmittelbar bei dem zuletzt Gesagten ein, d. b. beim Bewußtsein der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen. (B 203)
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»Nun Ist das Bewußtsein des mannigfaltigen Gleicharlit-:• u in der Anschauung überhaupt, sofern dadurch die Vorstelltlllf eines Objekts zuerst möglich wird, der Begriff einer Grt.llt (quanti). «Hier wird gesagt, wodurch die Einheit des Matlllltl faltigen überhaupt möglich wird. Gehen wir vom mannigf<1llt genGleichartigen selbst aus. Gleichartiges ist die Abfolge tl•·• Aufreihung und Zusammensetzung des vielen Gleichen 7.\1111 Einen, eine Abfolge von unterschiedsloser Vielheit. Die Einl11·tt einer solchen ist je ein »soundso viel«, d. h. Quantität ülu • haupt. Einheit überhaupt einer Vielheit überhaupt ist· die Lt •t l vorstellung eines Verbindens, eines »Ich denke«, ein rei•u 1 Begriff des Vru'Standes. Sofern aber dieser Verstandesbeg• tll »Einheit« als Regel der Einigung sich auf Großhaftes, qtwu tum überhaupt bezieht, ist er der Begriff eines quanti. Dit•
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sehen zwei Punkten ist nur eine gerade Linie möglich«, als malhematische Sätze von den Erscheinungen selbst gelten, warum cUe Mathematik sich auf die Gegenstände der Erfahrung anwenden läßt. Dies ist nicht selbstverständlich und nur unter bestimmten Bedingungen möglich. Sie werden im Beweis des Grundsatzes herausgestellt. Kant nennt den Grundsatz deshalb auch den »transzendentalen Grundsatz der Ma1hematik der Erscheinungen<< (A 165, B 206). Unter dem Titel »Axiome der Anschauung« werden nicht diese selbst aufgestellt und abgehandelt. Der Grund-Satz wird bewiesen, indem der Grund der gegenständlichen Wahrheit der Axiome gesetzt wi.rd, d.lL der Grund ihrer selbst als notwendiger Bedingungen der Gegenständlichkeit der Gegenslände. Die Anwendbarkeit de:r A.·üome der Mathematik der Ausdehnung tmd der Zahl und damit der Mathematik überhaupt besteht notwendig zu Reclrt, weil die Bedingungen der Mathematik selbst, diejenigen von quantitas und quantum, zugleich die Beding1mgen des Erscheinens dessen sind, wmauf Mathematik angewandt "'i:rd. Damit treffen wh auf jenen Grund, der cliesen Grund un,d alle anderen möglich macht, auf den jeder Beweis jedes Grundsatzes des reinen Verstandes zurückverwiesen wird. Es ist der Zusammenhang, den wir jetzt erstmalig deu ilicher .in den Blick bekommen: Die Bedingung des Erfahrens der Erscheim1ugen 1 hier hi.usicbtlich Geslalt und Größe - nämlich die EinbeiL der Synthesis als Quantität - diese Bedingung des Er:fahrens isl zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes der Erfahrung. In dieser Einheit kommt die begegnende Mannigfaltigkeit des Gegen erst zum Stand- und lst Gegenstand. Die jeweilige quantitas der Räume und Zeiten macht die Aufnahme des Begegnenden, die Apprehension, das erste Gegenstehenlassen des Gegenstandes möglich. Auf unsere Frage nach der Dingheit des Dinges, d. h. nach der GegenstäncllicbJ{eit des Gegenstandes, antworten der Grundsatz und sein Beweis dieses: Weü Gegenständlichkeit überhaupt Einheit der Samm]ung ei-
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nes Mannigfaltigen in einer Vorstellung von Einheit lst 11111 1 Vorbegriff, dieses Mannigfaltige aberinR aum und Zeit bc~-tt'l' net, muß das Begegnende selbst in der Einheit der Quantit.u als extensive Größe entgegenstehen. Die Erscheinnngen müssen extensive Größen sein. Dtwnt wird über das Sein der Gegenstände selbst etwas ausgesagt, s11l ches, was nicht schon im Begriff eines Etwas überhaupt lit•j:l worüber wir im Urteil aussagen. Dem Gegenstand wirdmit tl• 1 160 Bestimmung, extensive Größe zu sein, synthetisch etwas ZUA• sproehen, aber a priori, nicht auf Grund von Wabrnehmungt•u einzelner Gegenstände, SOndern im VOrhinein aUS dem Wc~1 II der Erfahrung überhaupt. Welches ist die Angel, in der sich der ganze Beweis dreht. d. h. welches ist der Grund, auf dem der Grundsatz selbst ruht ' Was wird demnach 1rrspriinglich durch den obersten Gnmdsul. selbst ausgespTochen und damit ans Licht gehoben? Welches ist der Grund der Möglichkeit dieses Grundsatzes ul eines synthetischen Urteils a priori? In diesem wird der rC!itH Verstandesbegriff Quantität auf das quantwn Raum und dRwrt auf die im Raum erscheinenden Gegenstände übertragen. Wt• kann überhaupt ein reiner Verstandesbegriff das Bestimmend• werden für so etwas wie Raum? Diese gänzlich ungleicharti~t· • • Stücke müssen in irgendeiner Hinsicht übereinkommen1 U ll t überhaupt als Bestimmbares und Bestimmendes si.ch zu c·iut gen, und zwar so, daßkraftdieser Einigung von Anschau11111' und Denken ein Gegenstand ist. Weil diese Fragen sich bei jedem der Grundsätze und iltt·t'" Beweisen wiederholen, sollen sie jetzt noch nicht beantwtH I• t werden. Wir wollen zuvor erst sehen, daß diese Fragen iu .J,,, Behandlnng der Grundsätze ständig und unausweichlich Wlt de:rkehren. Wir möchten die Antwort aber auchnicht bis an cl••n Schluß cler Auslegung der Grundsätze verschieben, sondern '" nach der Erörterung des folgenden Grundsatzes darlegen, iw Übergang von den mathematischen zu den dynamisdu•11 Grundsätzen.
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e) Die Antizipationen der Wahrnehmung In den Grundsätzen wird der Grund, die innere Möglichkeit tles Gegenstandes gesetzt. Die n1athematischen Grundsätze fassen den Gegenstand im Hinblick auf das Gegen und dessen innere Möglichkeit. Daher spricht auch der zweite Grundsatz ebenso wie der erste von den Erscheinungen im Hinblick au.f ihr Erscheinen. A: »Der Grundsatz, welcher alle Wabrnehmtmgen, als solche, antizipiert, heißt so: In allen Erscheinungen hat die Empfindung, und das Reale, welches ihr an dem Gegenstande entspricht, (realitas phaenomenon) eine intensive Größe d. i. einen Grad«. B: »Das Prinzip derselben ist: In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d. i. einen Grad.« Hier sind die Erscheinungen in einer anderen Hinsicht geuommen als beim ersten Grundsatz. Dieser versteht die Erscheinungen als Anschauungen hinsichtlich der Form Raum und Zeit, in der das Begegnende begegnet. Der Grundsatz der »Antizipationen der Wahrnehmung<< achtet nicht auf die Form, soudem auf das, was durch die Form als das Bestimmende bestimmt wird, auf das Bestimmbare als die Materie der Form. Materie meint hier nicht den vorhandenen materiellen Stoff. Materie und Form sind als »Reflexionsbeg·riffe« gedacht., und zwar als die allgemeinsten, die sich für die Rückbesinnung auf c.lie Struktur der Erfahrung ergeben (vgl. A 266 :ff.1 B 322 ff.). Im Beweis der »Antizipalionen« ist die Rede von Empfindungen, vom Realen, aber auch wieder von Größe, und zwar von intensiver Größe. Jetzthandelt es sich nicht um Axiome der Anschauung, sondern um Grundsätzliches der W ahmehm.ung, d. h. eines solchen Vorstellens, »in welchem zugleich Empfindung ist«. (B 207)
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a) Vieldeuti gkeit des Wortes »Empfind ung«; die Lehre vo11 der Empfind ungund die neuzeitlic he Naturwiss enschaft Im menschlichen Erkennen muß das Erkennba re begegn•·•• und gegeben werden, weH das Seiende ein anderes ist als "11 selbst und weil wir das Seiende nicht selbst gemacht und ßl schaffen haben. Einem Schuster braucht man nicht erst ein• 11 Schuh zu zeigen. um ihn wissen zu lassen, was ein Schuh ist: ( 1 weiß dies ohne den begegnen den Schuh und weiß es ohne tll~ sen viel besser und eigentlich er, weil er dergleiche n herstell•·u kann. Was er dagegen nicb l herstellen kann, muß üun and•·t woher vorgefüh rt werden. Da wir Menschen das Seiendl• ..t solches im Ganzen nicht geschaHen haben und nie schaffen I-im nen, muß es uns, damitwii davon wissen, gezeigt werden. Bei diesem Zeigen des Seienden in seiner Offenbark eil lud nun jenes Tun eine herausrag ende Aufgabe, das clie Dinw zeigt, indem es sie in gewisser Weise schafft, das Schaffen J,.\ Kunstwerks. Werk wirkt Welt. Welt eröffnet erst die Dinge"' nerhalb ihrer. Die Möglichk eit und Notwendi gkeit des Ktlllsl werks ist nur ein Beweis dafür. daß wir um Seiendes erst d.11111 wissen, wenn es uns eigens gegeben wird. Gewöhnli ch geschieht dies jedoch im Begegnen der Dingt• 1111 Umkreis der alltäglich en Erfahrun g. Dazu miissen sie uns .... geben, affizieren . auf uns zu- und eindringe n. I lierbei ergclu•u sich Eindrücke , die Empfindu ngen. Ihre Mannigfa ltigkeil '"' teilt sich auf die verschied enen Felder unserer Sinne, Gesithl Gehör usf. In der Empfindu ng und ihrem Andrang findert '' 11 dasjenige , was den »eigentlic hen Unterschi ed des Empirisd1•·u von dem Erkenntn is a priori ausmacht «. (A 167, B 208/9) llu Empirisd1 e ist das a posteriori, das- von uns aus, als dem F.r slen. gesehen- Zweite, immer Nachherig e und Beiherspielt:1ul• Das Wort )>Empfindung« ist wie das Wort Vorstellu ng 111 nächst zweideuti g: Es meint einmal das Empfund ene, das "''' nommene Rot. den Ton, Rotempfind1.mg, Tonempfi ndung. I ~ meint zugleich das Empfinde n als einen Zustand unserer sc ll•~l Aber bei diesem Untexschiede hat es nicht sein Bewenden . I Jw.
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mil »Empfind ung« Benannte ist deshalb so vieldeutig , weil es eine eigentümliche vemtiltcl nde Zwischenstellung zwischen den Dingen und dem Menschen, zwischen Objekt und Subjekt cinnimmL Je nachdem, wie wir das Objektive deuten, und je nach dem Begriff vom Subjelrtiven wandelt sich auch die Aufrassung und Deutung des \Vesens und der Rolle der Empfindung. Hier sei nur eine Auffassun g genannt, die sich im abendHin diseben Denken schon sehr bald breitmach te und aud1 heute 'ielfach noch nicht überwund en ist. Je mehr man dazu überging, die Dinge nach ihrem bloßen Aussehen, nam Gestalt und Lage und Erstrecku ng ~· sehen (Demokrit und Platon), um so aufdringl icher mußte gegenübe r den Lagebezi ehungen das werden, was die Abstände und die Orte ausfüllt, das empfinchmgsmä ßig Gegebene. In der Folge wurden die Empfindu ngsgegebenb eilen- Farbe, Ton, Druck und Stoß- zu den ersten und eigentlichen Bausteinen, aus denen ein Ding sich zusammensetzt. Sobald einmal die Dinge in eine Mannigfa ltigkeit von Emphndungsg egebenhe ileo zerschlagen waren, konnte die Deutung ihres einheitlichen Wesens nur so vonstatten gehen, daß man sagte: Eigentlid1 sind die Dinge nur Ansamml ungen von Empfindungsdntcn, außerdem haben sie noch einen Gebrauchswert und einen Schönheitswert und- sofern wir sie erkennen- einen Waluheit swert. Die Dinge sind wertbeha ftete Ansamml ungen von EmpCindlmgen. Die Empfindu ngen werden dabei für sich vorgestellt. Sie werden selbst zu Dingen gemacht, ohne daß zuvor gesagt wird, \\ os denn das Ding sei, durch dessen Aufspahu ng die Splitter- dlc Empfind ungenuls das angeblich Ursprüngliche übrigbleib en. Der nächste Schrill aber ist der, daß die Splitterdi nge, die Empfindu ngen, als Wirkunge n einer Ursache gedeutet werden. Die Physik stellt fest, die Ursache der Farbe seien Lichtwellen, periodische endlose Zustandsä nderunge n im Äther. Jede Farbe hnt ihre bestimmt e Sd1wingungszahJ, z. B. Rol hat die Wellenlänge 760 j.tfl und die Schwingungszahl 400 Billionen pro Se-
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kunde. Das ist Rot; es gilt als das objektive Rot gegenübe r rh 111 bloß subjektive n Eindruck der Rotempfi ndung. Schöner wit•• es noch, wenn man auch diese Hotempfi ndung als Reizznstm ul auf eleklrisch e Ströme in den Nervenba hnen zurückfülu··n könnte. \V("nn es so weit kommt. wissen wir, was die Dm•t• objektiv sind. Eine sold)(.• Erklärun g der Empfindu ng sieht sehr wis~t·t• schaftlieh ous und ist es doch nicht, sofern der Bereic-h der Emp findungsg cgcbeuhe it und dos, was erklärt werden soll, näntlillt die Farbe als gegebene , sogleich verlassen werden. Uberdlt' • wird nicht beachtet, daß noch ein Unterschi ed besteht, oh '' •r bei einer Farbe die bestimmt e Farbigke it eines Dinges meint n dieses Rot am Ding, oder die Rotempfi ndung als im Auge .., gebene. Diese letztgena nnte Gegebenh eit ist nicht unmittell•~~r gegeben. Es bedarf einer srhr verwickel ten und kiinstlidtC'II Einstellun g, um die Empfindu ugsfarbe als sold1c im Unlt·r schied zur Dingfarb e zu fassen. Achten wir i.JJd.cs- unter Fe111 haltung jeder Erkenntn istheorie - auf die Gegebenh eit clt • DingfaTb e, z. ß. auf das Grün eines Blattes, dann fmdet sich al1 weht das mindeste von einer Ursache, die eine Wirkung in 1111 auslöst. Wir vernehme n n iemals das Grün des Blaues als W11 kung au.f uns, sonderna ls Griin des Blattes. Wo aber- wie in der neu1eitlir hen mathemat ischen Physil das Ding und der Körper ah ausgedeh ntes und widerstän digt Ding vorgestell t werden, da ~inkt die anschauli che Manni~lnl tigkeit zu einer solchen von Empfindu ngsgegeb enheiten hc111!. Heute ist das Gegebene .für die experime ntelle Atomphy sik"" ' eine Mannigfa lligkeit von J...ichtilecken und Strichen auf rlt·r photograp hischen Platte. Dieses Gegebene auszulege n, beclutl es nicht weniger Vorausse tzungen als bei der Auslegun g c11u Gedichtes . Es ist nur die Festigkei t und Greiibark eh der 1\.f••fl apparatur , was den Anschein erweckt, diese Auslegun g stümlt auf einem festeren Boden als die angeblich nur aui subjekt i\ • '' Einfällen beruhend en Auslegun gen der Dichter in den Geisll·. wissensch aftcn.
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Zum Glück gibt es aber vorerst noch- außer den Lichtwellen und außer den Nervenströmeu- die Farbigkelt und das LeuchLen der Dinge selbst, d as Grün des Bla l tes und das Gelb des Kornfelds, das Schwarz der Krähe und das Grau des ffimmels. Der Bezug zu a1l dem ist nicht nur auch da, er muß ständig als das vorausgesetzt werden, was durch clie physiologisch-physikalische Fragestellung sogleich zerschlagen und umgedeutet wird. Die Frage erhebt sich: Was isl seiender, jener gt·obe Stuhl mit der Tabakpfeüe, den das Gemälde van Goghs zeigt, oder die Lichtwellen, die den dabei verwendeten Farben entsprechen, oder die Empfindungszustände, die wir bei der Betrachtung des Bildes »in UDS« haben? Jedesmal spielen Empfindungen eine Rolle, aber jedesmal iu einem verschiedenen Sinne. Die DingIarbe z. ß. ist etwas anderes als der im Auge gegebene Reiz, den wir als solchen nie unmillelbar erfassen. Die Dingfarbe gehört zum Ding. Sie gibt sich uns auchnicht als Ursache eines Zustandes in uJJ.S. Die Dingfarbe selbst, z. B. das Gelb, ist nur dieses Gelb als zugehörig zum Kornfeld. Die Farbe und ihre leuchIende Farbigkeit bestimmen sich jeweils aus der ursprünglichen Einheit und Art des farbigen Dinges selbst. Dieses setzt sieb nicht ersl aus Empfindungen zusammen. Die H.inweise sollen nur dazu dienen, uns deutlich zu machen, daß nicht ohne weiteres klar ist, was man meint, wenn man Emptmdung sagt. Die uneingegrenzle Vieldeutigkeit des Wortes und die unbehensd1tc Vielfältigkeit der gemeinten Sache spiegeln nur die Unsicherheit tmd Ratlosigkeit wieder. die eine zureichende Bestimmung des Bezuges zwischen Mensch und Ding hintanhalten. Weitbin herrscht die Meinung, die AuHassung der Dinge als einer bloßen Mannigfaltigkeil von Emp.ündungsgegebenheiten sei die Vol'8.llssetznng für die mathematisch-physikalische Bestimmung der Körper; die Lehre von der Erkenntnis, wonach diese wesentlich in Empfindungen bestehe, sei der Gn.md für die Entstehung der neuzeillicben Naturwissenschaft. Die Sache ve1·hält sich indes umgekehrt. Der mathematische Ansatz
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des Dinges als des ausgedehnten Beweglichen in Raum uud Zeit bat zur Folge, daß das umgänglich alltiiglich Gegebene ul bloßes Material aufgefaßt und in die Mannigfaltigkeil llt • Empfindungen aufgesplittert wird. Der mathematische Anl\nl' hat erst bewi..clrt, daß man für eine entsprechende Lehre v11t• den Empfindungen wieder hellhörig wurde. ln der Ebene dit• ses Ansatzes hält sich auch Kant; er hat. wie die Uberliefen1111 vor ihm und nach ihm, jenen Bereich der Dinge von vornhercu• übersprungen, in dem wir uns unmittelbar beimisch wisst•u, der Dinge, wie sie uns auch der Maler zeigt: der einfache Stuhl mit der eben hingelegten oder liegengelasseneu Tabakpfcil• bei van Gogh.
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ß) Kants Begriff der Realilät; intensive Größen Wenngleich Kants Kritik sich von vornherein im Bereicll dc·• Erfahrung des Gegenstandes der mathe.matisch-physikalisclH·II Naturerkenntnis aufhält, bleibt seine m.etaphysische Auslegu11 :• der Empfind,mgsgegebenheit grundsätzlich von allen bish~·•• gen und nach ihm kommenden verschieden, d. h. ihnen all•· •• überlegen. Die Auslegung der Gegenständlichkeil des Gegc•u standes in Richtung aui das empfindungsmäßig Gegebene ,, .. ibm vollzieht Kant in der Aufstellung und durch den Bewc·• des Grundsatzes der Antizipationen der Wahrnehmung. h kennzeichnet die bisherige Kantauslegung, daß sie dieses Stüc~ enhYeder überhaupt übergangen oder in jeder Hinsicht mill deulel hat. Der Beweis dafür ist die Ratlosigkeit, mit der utnh einen Grundbegriff handhabt, der i.n diesem Grundsatz ci111 wesentliche Rolle spielt. Wir meinen den BegrUf des Realr·11 und der Realität. Die Klärung dieses Begrilles und seiner Verwendung lwt Kaul gehört zur ersten Vorschule bei der Einfiih.rung in dto »Kritik der reinen Vernunft«. Der Ausdruck »Realität« wird heute in der Bedeutung von WirklichkeiL oder Existenz verstun den. So spricht man von der Frage nach der Realität der J\ 11 ßenwelt und meint damit die Erörterung, ob etwas außerhull•
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des Bewußtse ins wirklich sei und wahrhaft e:ristiere. »Real politisch« denken heißt, mit den wirklich vorhande nen Zustände n Wld Umständ en rechnen. Realismus in der Kunst ist cüe Weise der Darstellun g, die das Wirkliche Wld das, was man dafür hält, vermeintl ich nur absdlreibt . Die heute geläufige Bedeutung von Realität im Sinne von Wirklichk eit müssen wir uns aus dem Sinn scluagen, um zu verstehen , was Kant mit dem Realen in der Erscheinu ng meint. Die heute geläufige Bedeutung von »Realität « entsprich t überdies weder dem ursprünglichen Wortsinn noch de.rn anfänglic hen Gebrauch dieses Titels in der mittelalle rliehen und neuzeillic hen Philosoph ie bis zu Kant. Indes ist der heutige Gebrauch vermutlic h durch ein Nichtvers tehen uod die Mißdeutu ng des Sprachgeb rauchs bei Kant entstande n. Realität kommt von reruilas; realis heißt solches, was zu.r res gehört. Dies meint die Sache. Real ist das, was zu einer Snche gehört, was den Wasgeha lt eines Dinges, z. B. eines Hauses, eines Baumes mit ausmacht , was zum Wesen einer Sache, zur essentia gehört. Realität bedeutet zuweilen das Ganze dieser V\'esensbe stimmung einer Sache oder die einzelnen Bestandstücke derselben. So ist z. B. die Ausdehnu ng eine Realität des Naturkörp ers, ferner die Schwere, die Dichtigke it, cüe Widerstandskra ft. All solches ist real, gehört zur res, zur Sache »Naturkörpeu :, abgesehen dnon, ob der Körper wirklich existiert oder nicht. Zur Realität eines Tisches gehört z. B. Stofflichkeit; der Tisch braucht dabei nicht wirklich, im heutigen Sinne neal« zu sein. Dns WirlJichs ein selbst, die Existenz, ist etwas, was zum Wesen erst hinzukom mt, und io dieser Hinsicht galt die existentia selbst als eine Realitäl. Erst Knnt hat gezeigt, daß Wirklichk eit, Vorhandensein kein reales Prädikat eines Dinges ist; d. h. hundert mögliche Taler untersche iden sid:t nicht im mindesten von hundert wirklichen Talern, nämlich ihrer Realität nach genomme nj es ist jedesmal dieselbe Sacbheit, nämlich 100 Taler, dasselbe Was, rcs, ob möglich oder wirklich. WirklichkeiL untersche iden wir gegen Möglichk eit und ge- 166
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gen Notwendigkeit; alle drei Kategorien werden bei Kanl w sammengefaßt unter den Titel Modalität. Daraus, daß in dit·~·•' Gruppe »Realität« sich niCht findet, ist zu ersehen, daß Ren Ii 1-•1 nicht Wirklichkeit bedeutet. In welrhe Gruppe gehört tlir Realität, d. h. was istihr allgemeinster Sinn? Es ist die Qualttat - quale -,ein So und So, das und das. ein Was: »Realität • ,,I Sachheil antwortet auf die Frage, was ein Ding isl, nicht »111 die Frage, ob es existiert (A 143, B 182). Das Reale, das die rt•to Ausmadlende, ist eine Bestimmung der res als solcher. So wircl der Begriff Realität in der vorkannsehen Metaphysik erläuka t Kant schließt sich in der Verwendung des metaphysischen Hn griffesRealitätdem Lehrbuch von Baumgarten an, worin di• Überlieferung der mittelalterlichen und neuzeitlichen Met.• physilt schulmäßig verarbeitet ist. Der Gmndcharal'ter der realilas ist bei Baumgarten die dr· lenninatio, die Bestimmtheit. Ausdehnung und StoffliclJkt•fl sind Realitäten, d. h. zur res »Körper« gehörige Bestimmlh•·• ten. Genauer betrachtet ist die realitas eine determinalio post tiva et vcra, eine zum wahren Wesen einer Sache gehörige uud als solche gesetzte .Bestimmtheit. Der Gegenbegrüf ist ein W •• . das ein Ding nicht positiv bestimmt, sondern im Hinblick auf solches, was ihm fehlt. So ist die Blindheit ein Fehlen, solcht·' das in dem, was das Sehen ist, ausbleibt. Allein, die Blindlwll ist oifenl-undig nicht nichts. Sie ist zwar keine positive Detc·• mination, aber eine negative, d. h. eine »Negation«. Der ( ;,. genbegriff zur Realität ist die Negation. Wie allen aus derüberlieferten Metaphysik aufgenommc111 '' Grundbegriffen gibt Kant auch diesem, der realjtas, eine Of'llt kritische Auslegung. Gegens1ände sind die Dinge, wie sie t'l scheinen. Erscheinungen bringen jeweils etwas, ein Was Zllltl Sichzeigen. Was dabei vor allem auehängt und uns anfällt 1111tl angebt, dieses erste Was und Sachhafte wird »d.as Reale.- 111 der Erscheinung genannt, >>aliquid sive obiectum quallficaL1111t. ist clie Besetzung des Raumes und der Zeit« (W'W XVIII N • 6558 a, S. 665). Das Reale in den Erscheinungen, die realitu.
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phaenomenon (A 168, B 209), ist dasjenige, was als der erste Wasgehalt die Leere von Raum und Zeit besetzen muß, damit überhaupt etwas erscheinen kann und Erscheinen, der Andrang eines Gegen, möglich wird. Das Reale in der Erscheinung ist im Sinne Kants nicht jenes. was in der Erscheinung wirklich ist im UntersChied zu solchem, was an ilir unwirkliCh und bloßer Schein und Dunst sein könnte. Das Reale ist jenes, was überhaupt gegeben sein muß, dami L über etwas binsichtlich seiner Wirklichkeit oder Unwirklichkeit e:ntsclrieden werden kann. D as Reale ist das reine und erste notwendige Was als solches. Ohne des Reale, die Sachheit, ist der Gegenstand nicht our unwirklich, er ist überhaupt nichts, d. h. ohne ein Was, gemäß dem er sich als das und das bestin1mt. In diesem Was, dem Realen, qualifiziert sich der Gegenstand als so und so Begegnendes. Das Reale isl das erste quale des Gegenstandes. Neben diesem hilisehen Begrill von Realität gebraucht Kaut den Titel zugleich in dem überlieferten weiteren Sinne für jede Sachheit, die das Wesen des Dinges mitbestimmt, des Dinges als Objekt. Demgemäß txe.ffen wir häufig und gerade bei einer Grundfrage der »Kritik der reinen Vernunft« auf den Ausdruck »objel'tive Realitäl«. Diese Wendung hat die erkenntnistheoretjsche Mißdeutung der »Kritik der reinen Vernunft« veranlaßt und befördert. Der Titel >>objektive Realität« wurde im Hinblick auf die Erörterung des ersten Grundsatzes erläutert. Hier ist die Frage, ob tmd wie die reinen Vemunftbegriffe, die nicht empirisch aus dem Gegenstand genommen sind, gleichwohl zum Sachgehalt des Objektes gehören, ob z. B. Quantität »objektive Realität« bat. Diese Frage meint nicht, ob die Quantität wirklich vorhanden sei, ob ihr etwas außerhalb des Bewußtseins entspreche. Gefragt ist vielmehr, ob die Quantität und warum sie zum Gegenstand als Gegenstand, zum Objekt als solchem, gehöre. Raum und Zeit haben » empb-i..sche Realität«. Im zweiten Grundsatz ist neben der Empfindung und dem Realen von der intensiven Größe die Rede. Die Unterscheidung
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im Begriff der Größe nacb quantumund quantitas wurde bereits erläutert. Ist die Rede von extensiver Größe, dann heißt Größe quantilas, Größenmaß, und zwar das einer angestückten Menge. Das Intensive, die intensio, ist nun nichts anderes al$ die quantitas einer qualitas, eines Realen: z. B. eine leuchtendu Fläche (der Mond). Die extensive Größe des Gegenstandes fas· sen wir, wenn wir schrittweise seine räumlichen Erstreckungen durchmessen, seine intensive Größe dagegen, wenn wir der ex· ten.si ven nicht achten, wenn wir die Fläche nicht als Fläche, son· dem das reine Was ihres Leuchtens, das »wie groß« des Lencl1tens, der Farbigkeit beachten. Die quantitas der qualllas ist dil' Intensität. Jede Größe ist als quantitas die Einheit einer Vielheit; aber extensive und ln.tensive Größe sind dies in verschif-· dener Weise. In der extensiven Größe wird die Einheit immc1 nur auf Grund und in der Zusammenn.ahme der zunächst unmittelbar gesetzten vielen Teile erfaßt. Die intensive Größl' wird dagegen unmittelbar als Einheit vemommen. Die Viclheit, die zur Intensität gehört, kann an ihr nur so vorgestellt werden, daß ein Intensives der Negation- bis zur Null - ange nähert wird. Die Vielheiten dieser Einheit liegen nicht ausg(· bieitet in ihr, so daß die Ausbreitung durch die Zusammenzäh Jung der vielen Strecken llnd Stücke die Einheit ergjbt. Di1· einzelnen V.ielheiten der intensiven Größe entspringen \fiel mehr aus der Einschränkung der Einheit eines quale; sie sind selbst je wieder ein quale, sind viele Einheiten. Solche Einhet ten nennen wir Grade. Ein lauter Ton z. B. ist nicht aus eim·t bestimmten Anzahl dieser Töne z.usammengesetzl, sondE•t•• vomleisen zum lauten geht eine Stufung der Grade. Die Viel heiten der Einheit einer Intensität sind viele jeweilige Einbct ten. Die Vielheilen der Einheit einer Extensität sind jeweilir• ei.nzelne Einheiten einer Vielheit. Beide aber, Intensilät Ulld Extensität, lassen sich als Quantitäten den Zahlen zuordueu, aber die Grade und Stufen der Intensitäten werden dadur•lt nicht zu einem bloßenAggregatvon Teilen.
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y) Empfindung bei l{ant transzendental verstanden; Beweis des zweiten Grundsatzes Nunmehr verstehen wir den Grundsatz seinem allgemeinen lnhaltnach (A 166): »Der Grundsatz, welcher alle Wahmehmungen, als solche, antizipiert, heißt so: In allen Erscheinungen hat die Empfindung, und das Reale, welches ihr an dem Gegenstande entspricht, (realitas phaenomenon) eine intensive G1·öf3e d. i. einen Grad.« In B 207 lautet er: »In allen Ersaheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d. i. einen Grad.« Wir begreifen aber den Grundsatz erst auf Grund des Beweises, der zeigt, worin dieser Grundsatz- als Grundsatz des reinen Verstandes - gründet. Der Beweisgang ist zugleich die Auslegung des Grundsatzes. Erst aus der Beherrsch.ung des Beweises werde,n wir imstande sein~ den Unterschied der beiden Fassungen A und B zu ermessen und über den Vorzug der einen vor der anderen zu entscheiden. Zu beachten bleibt: Der Grundsatz s~at etwas über die Empfindungen, nicht auf Grund einer psychologischen empirischen Beschreibtmg oder gar einer physiologischen Erklärung ihres Entstehens und ihrer HerlrunfL, sondern auf dem Weg einer transzendentalen Betrachtung. Das bedeutet: Die Empfindung wird im voraus als etwas in den Blick genommen, was innerhalb des Bezuges eines Hinübersteigens zum Gegenstand und bei der Bestimmung seiner Gegenstäncll.icllkeil ins Spiel kommt. Das Wesen der Empfindung wird aus ihrer Rolle innerhalb des Transzendenzbezuges umgrenzt. Darnil gewinnt Kam eine andersgeartete Grundstellung in der Frage nach der Empfindung und ihrer Funktion in der Erscheinung der Dinge. Empfindung istnicht ein Ding, dafür UrsaChen gesucht werden, sondern ein Gegebenes, dessen Gegebenheit aus den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung verständlich ztt machen ist.
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Aus demselben Sachverhalt ergibt sich auch das Verständul~ der Bezeichnung dieser Grundsätze als Antizipationen clc. Wahrnehmung. Der Beweis hat wieder dieselbe Form, wenngleich Ober-. Ut1 ter- und Schlußsatz in mehrere Sätze auseinandergezogen sind. Der Untersatz beginnt (B 208) mit »Nun ist vom empirischl-'U Bewußtsein zum reinen .. . «; der Obergang zum Schlußsa1·1 beginnt mit »Da nun Empfmdung an sich ... «; der eigentlirht· Schluß mit »so wird ihr ... also ... «. Es sei versucht, den Beweis in einer vereinfachten Form attl zubauen, aber so, daß die Gelenke schärfer heraustreten. Naclt dem wir die wesentlichen Bestimmungen von »Empfindung· »Realität« und »intensive Größen<< vorausgeschickt habctt, kann eine inhaltliche Schwierigkeit nicht mehr bestehen. Zuv
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na hme des begegn enden VVas ist »augenblicklich«, beruht nicht auf der Abfolge eines zusamm ensetze nden Auffassens. Das Verneh men des Realen ist ein einfaches Da-hab en, Gesetztseinlassen, ist positio eines positum . Untersatz: Es ist möglich, daß in diesem offenen Feld des Realen das Besetze nde sich ändert zwischen dem Äußers ten eines vollen Andran gs und der Leere des raumze itlichen Bereiches. Gemäß dieser Andran gsspan ne Hegt in der Empfin dung ein Großhaftes, das nicht auf Anstüc kung einer wachsenden Menge geht, sonder n je dasselbe quale betrifft, aber je in einem andere n So-groß. Ubergang: Das Wie-gr oß, die Quanli tät eines quale, d. h. eines Realen , ist aber je ein bestimm ter Grad desselben Was. Die Größe des Realen istinten sive Größe. Schlußsatz: Also hat das in der Erschei nung uns Angehe nde, das Empfin dbare als Reales, einen Grad. Insofer n der Grad sich als Quanti tät durch die Zahl bestimm en läßt, diese jedoch eine verstan desmäß ige Setzun g des »wievielmal Eins« ist, kann das Empfu ndene als begegn endes Was mat.hcmatisch zum Stehen gebracht~erden.
Damit ist der Grunds atz bewiesen. Er lautet nach B: »In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfin dung ist, intensive Größe, d. i. einen Grad.« Genauer müßte der Satz laulen: In allen Ersche inunge n hat das Reale, ~elches das Gegenh afte-Stä ndige an dem Empfu ndenen ausmac ht ... Keinesfalls aber will der Satz sagen: Das Reale hat einen Grad, weil es Gegens tand der Empfin dung ist, sondern: Weil das andrän gende Was der Empfin dung für das vorstellende Entgeg enstehe nlassen eine Realitä t, die Quanti tät einer Realitä t aber die Intensi tät ist, deshalb hat die Empfin dung- als Sachheit des Gegens tandes - den gegens tändlic hen Charak ter einer intensiv en Größe. Die Fassun g des Grundsatzes in A ist dagege n mißver ständlich und fast gegen den Sinn des eigentli ch Gemeinten. Sie legt die Irrmein ung nahe, als hätte zuerst die Empfin dung einen
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Grad und dann auch das ihr entsprechende, von ihr clingbnlt verschiedene und dahinter stehende Reale. Allein, der Grlllld satzwill sagen: Zuerst und eigentlich hat das Reale als qunle eine Quantität des Grades- nnd deshalb auch die Empfindtuag; deren Intensität als gegenständliche beruht auf der Vorgege· benheit des Realitätscharakters des Emp:findbaren. Die Fasswtt:: in A ist daher in folgender Weise abzuändern: »In allen Et scheinungen hat die Empfindung, und d. h. zuvor das Reak das sie (acc.) als ein Gegenständliches sich zeigen läßt, eine ill tensive Größe.« Es scheint, daß wir hier willkiirlich in Kants Text eingreifen Indes zeigt allein schon der Unterschied der Fassungen in 1\ und B, wie sehr Kant selbst sich damit abmüht, seine neuartig•' Einsicht in das transzendentale Wesen der Empfindamg in diu verstehbare Form eines Satzes zu zwängen.
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II) Das Befremdliche der Antizipationen. Realität und Empfindung Wie neu der Grundsatz für Kant selbst war, erkennen wir leich 1 daran, daß Kant immer wieder über das Befremdliche, das det Satz ausspricht, sich wundern mußte. Was ist auch befremdlicher als dieses, daß wir auch da noch, wo es sich - wie bei den Empfindungen -um solches handelt, was uns anfällt, was wir nur empfangen, daß gerade bei diesem »auf uns zu« von tms aus ein Entgegen- und Vor-greifen möglich und notwendig ist r1 Wahrnehnnmg als reines Hinnehmen und Antizipation als entgegen-fassendes Vorgreifen sind sieb auf den ersten Blick durchaus zuwider. Und dennoch: Nur im Lichte des entgegert· vorgreifenden Vorstelleus von Realität ist Empfindung eiu hinnebmbares, begegnendes Dieses und Jenes. Zwar meinen wir, etwas empfinden, etwas wahrnehmen, sei die geläufigste und einfachste Sache von der Welt. Wir sind empfindende Wesen. Gewiß! Allein, ein »Etwas« und ein »Was« hat noch niemals ein Mensch empfunden. Durch welches Sinnesorgan soll denn auch deligleichen geschehen? Ein
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»Etwas« läßt sich weder sehen noch hören, noch riechen, schmecken oder tasten. Es gibt kein Sinnesorg an für das» Was« und für ein »dies« und »jenes«. Der Was-Cha rakter des Empfindbaren muß im voraus im Umkreis und als Umkreis des H innchmbare n vor-gestellt, vorweg-g enommen sein. Ohne Realität kein Reales, ohne Reales kein Empfindb ares. Weil im Bereich des Hinnehm ens und Wahmel1 mens am allerwenigsten ein derartiger Vorgriff vermutet werden kann, gibt Kant, um dieses Befremdliche kenntlich zu machen, dem Grundsat z der Wahrnehmung den Namen Antizipat ion. Allgemei n gesehen sind alle Grundsätz e, in denen sich die Vorausbe stimmung des Gegenstande s ausspricht, Antizipat ionen. Kant gebrauch t auch zuweilen fiesen Titel in der weiteren Bedeutun g. Menschliches Wahmcb men ist antizipier end. Das Tier hat auch Wabm.eh mungen, d. b. Empfindu ngen, aber es antizipiert nicht; es läßt nicht im voraus das Andränge nde begegnen als das in sich stehende Was, als das Andere, das auf es selbst, das Tier, als das andere zusteht und so sich als seiend zeigt. Alles Vieh, bemerkt Kant an anderer Stelle (»Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft<<), kann niemals Ich sagen. Dies bedeutet: Es kann sich nicht in Stellung bringen als das, wogegen ein gegensteh endes Anderes s1ehen könnte. Dies schließt nicht aus, daß das Tier zu Nahrung und Licht und Luft und zu Tieren in Beziehun g ist und sogar in einer sehr geordneten- denken wir nur an das Spiel der Tiere. Aber in all dem ist kein Verbalten z.u Seiendem, so wenig wie zu Nichtseiendem. Sein Leben verläuft diesseits der O.ITenheit von Sein und Nichtsein. Hier mag alle1·dings die weitläufig e Frage auftauche n, woher wir denn wissen, was im Tier vorgeht und was nicht. Unmittel bar können wir es nie wissen, aber dennoch mittelbar eine metaphysische Gewißhei t über das Tiersein gewinnen . Nicht nur im Vergleich zum Tier ist die Antizipat ion von Realem in der Wahrneh mung befremdlich, sondern ebenso im Vergleich zu der bisherige n Auffassu ng der Erkenntn is. Wir erinnern uns an das »im vorhinein «, das gelegentli ch der Un-
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Die Dingfrage in li.anrs ITtmpltt.w k terscheidung von 8Jlalytisch en und synlhcliscbcn Urtcilt·u "'' gezeigt wurde. Das synthetische Urteil hat das Eigenliimlitlu daß es aus dem Subjekt-Prädikat-Verhältnis zu einem gan1. ,, .. deren, zmn Gegenstand heraustreten muß. Der erste gnuullr gende H.inausgrilf des Vorsteilem in .Richtung uuf dns o.,.lt,, beneines begegnenden» Was« als solchem ist die Antiziputi1111 des Realen, diejenige Synt.hesis, Beistellung, in der üheriiiiiiJII eiu Wasbereich vor-gestellt voird. aus dem her El:Scheinuug• 11 sid1 sollen zeigen können. Daher sagt Kant im Schlußnbsalz ''' ' Behandlung der Antizipationen der Wahrnehmung (A f7"i/lo, B 217): »Aber das Reale, was den Empfindungen übcrhuupt korrespondiert, im Gegensatz .mit der Negation = 0, stcUL 11111 etwas vor, dessen Begriff an sich ein Sein (d. h. ein Anwc~"" von etwas] enthält, und bedeutet nichts als dle Synlhcsis iu '1 nem empirischenBewußtsein überhau p l. « Die vorgreifende Vorstellung von Realität eröffnet den ßli1l auf Was-seiendes überhaupt (das meint hier »Sein«) und bildl'l so den Bezug, auf dessen Grund das empirische ß ewHßlsc-u1 überhauptBewußtsein von etwas ist. Das 'Was überhaupt ist du »tTanszendentaleMaterie« (A 143, B 182), das Was, das zur F1 möglichung eines Gegenhaften im Gegenstand im voraus geJll'i1 t Die Empfindungen mögen in der Psychologie wie immer Iu schrieben werden, die Physiologie und Neurologie mögcu di· Empfindungen als Reizvorgärlge oder wie immer erklären, '"' Physik mag die Ursachen der Empfindtrogen in ÄtherseJm 111 gtmgen und elektrischen Weilen nachweisen- all das si.nd uw~· liehe Erkenntnisse. Aber sie bewegen sich nicLL im Bezirk d• 1 Frage nach. der Gegenständlichkeit des Gegenstandes und un· seres unmittelbaren Bezuges zu diesem. Ka-nts Entdeckung d•·• Antizipationen des Realen in der Wahrnehmung isl besond••J· erstaunlich, wenn man bedenkt, daß einerseits seine Schiil7.111ll' der Newtonsehen Physik und andererseits seine Gru.ndsteUuu;.o im Subjektbegriff Descartes' durchaus nicht dazu angetan si ud den freien Blick auf das Ungewöhnljche der Antizipation in do·1 Rezeptivität der W ahrnel1mung zu fö.r dem.
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e) Mathema tiscbe Grundsätze und oberster Grundsatz. Kreisgang der Beweise Nehmen wir jetzt beide Grundsätze in verkürzter Form zusam· men, dann läßt sich sagen: Alle Erscheinungen sind als Anschauungen extensive. als Emplindungen intensive Größen: Quantitäten. Solche sind nur möglich in quanta. Alle quanta aber sind continua. Sie haben die Eigenschaft, daß an ihnen kein abhebbarer Teil jemals der klf'inslmögliche ist. Also sind alle Erscheimmgeu im Was ihres Bcgcgncns und im Wie ihres ErsChemens stetig. Oiesen Charakter t.lcr Erscheinungen, die Stetigkeit, der ihre Extcnsi täl ebenso wie die Intensität angeht, behandelt Kaut im Absclmill üLer den zweiten Grundsatz .für beide Grundsätze gemci_nsam (A 169 ff., ß 211 J'f.). Dadurch werden die Axiome der AnschouU11g und die Antizipationen als die mall1ematischen Grumlsülzc zusammengeschlossen, d. b. als diejenigen, die die Möglichkelt einer Anwendung von Mathematik auf GcgenstünJe metaphysisch begründen. DerBegrill der Größe- im Sin.ue der Quantität- findet in der Wissenschaft seinen Hah und seinen Sinn in der Zahl Sie stellt die Quantitäten in llu·cr Bestimmtheit dar. Weil die Erscheinungen als ein Gegenhaftes übernsupt und im vorhinein Dllr auf Grund der vorgreifenden Sammlung im Sinne der Einheitsbegrille (Kategorien) Quantität und Qualität zum Stehen kommen, deshalb ist :\lathemalik auf die Gegenstände anwendbar; deshalb ist es möglich, auf Grund einer J.Dathematischen Konstruktion etwas Entsprechendes im Gegenstand selbst anzut reffeu und durch das &.-periment zur Ausweisung zu bringen. Die Bedingungen des Erscheinens der Erscheinungen, die jeweilige quantitative Bestimmtheit ihrer Form und ihrer Materie, sind zugleich die Bedingungen des Gegenstehens, der GesanunelUteil und Ständigkeit der Erscheinungen. Die beiden Grundsätze von der extensiven undintensiven Größe aller Erscheu'l.ungcn sprechen-nur in einer bestimmtenl-Iinsieht-den oberslen G.rl.UldsaLz. allenyn thetischen Urteile a'LlS.
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Die Dingfrage in Kantsllauptwerk
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Diese Tatsache ist zu beachten, wcm1 der Charakter der 'nll zogenen Beweise für die Grundsätze erfaßt werden soll. Vuu den einzelnen inhaltlichen Schwierigkeiten dieser Beweise ,.1, gesehen, haben sie etwas Befremdliches; denn wir sind ~tiindi~: versuch! zu sagen: Alle Gedankengänge bewegen sich im Rn·i , AuS diese Schwierigkeit der Beweise braucht nicht crsl cig(·at bingewiesen zu werden. Indes bednrf es der Aufhellung cl~ Grundes der Schwierigkeit. Er liegt nichtlediglich im bcsond• ren Inhalt der Grundsätze, sondern in ihrem Wesen. Q,., Grund der Schwierigkeil ist ein notwendiger. Oie Grundsi"il~t· sollen bewiesen werden als diejenigen Bestimmungen. die citu Erfahrung von Gegenständen überhaupt erst ermöglichen. Wi•· wird solches bewiesen? Dadurch, daß gezeigt wird, doß si•· selbst nur möglich sind auf Grund der EiulH~il und Zusarunw11 gehörigkeit der reinen Verstandesbegxiffe mit dem ansc1umlidt Begegnenden. Diese Einbeil von Anschauung und Denlcen ist selbsl cl•h Wesen der Erfahrung. Der Beweis besteht also darin, daß gt• zeigt wird: Die Grundsätze des reinen Verstandes sind durrfl dasjenige möglich, was sie selbst ennöglichcn soJlcn - die Er~ fahnmg. Das ist ein offenkundiger Zirkel. Gewiß- und für dus Verständnis des Beweisganges und des Charakters der Sndu· selbst ist es unumgänglich, diesen Ziikel nicht nur zu vem1uh•:• Lmd dabei Verdacht gegen die Sauberkeil des Beweises zu schöp· fen. sondern den Zirltel klar zu erkennen und il:m als soldJcn :t.u ''olJzieben. Kant müßte wenig von seiner eigenslen Aufgal,t• und Absicht begriffen haben, wenn ihm nicht der Kreisgarw dieser Beweise vor das innere Auge gekommen v.äre. Schon seine Behauptung, diese Sätze seien Grundsätze, aber bei ollt·r Gewißheit doch niemals so augenscheinlich wie 2 x 2 = 4 (A 753, B 761 ), deutet darauf hin.
§ 27. Systematik der Grundsülze des reinen Verstandes
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f) Die Analogien der Erfahrung
Die Grundsätze sind Regeln, gemäß denen das Gegenstehen des Gegenstandes für das menschliche Vor-stellen sich bildeL Die .\xiome der Anschauung und die Antizipationen der Wahrnehmung belreffen die Ennöglichung der Gcgenheit eines Gegen in der doppe1len llinsicht: einmal des Worinnen des GegenhafLen und dann des ·was-Cbarakters des Gegen. Die zweite Gruppe der Grundsätze dagegen betrifft- bezüglich der Möglichkeil eiues Gegenstandes überhaupt- an diesem die Möglichkeil des Standes, dessen Stäncligkeil, ode.r, wie Kant sagt, das »Dasein«, »die VVirklichkeH« des Gegenstandes, in unserer Redeweise: das Vorhandenscin. Die Frage cthebt sicl1: Warum gehören die Analogien der Erfahmng nlchl zu den Grundstilzen der Modalität? Die Antwort muß Lauten: weil Dnscin nur als Verhältnis der Zustände der Erscheinungen unlcrcim1nder besLimntbar ist und nie unmittelbar als solches. Ein Gegenstand steht erst tmd ist erst als stehender eröffnet, wenn er in seiner Unabhängigkeit vom jeweiligen zufälligen Akt der Wahrnelunung desselben bestimmt ist. »Unabhängigkelt von ... « lsl aber nur eine negative Bestimmung. Sie reicht nicht zu, das Stehen des Gegenstandes positiv zu begründen. Dies ist offenbar nur so möglich, daß der Gegenstand in sein Verhältnis zu anderen Gegenständen hinausgestellt "-Tid und daß dieses Verhältrus selbst in sieb die SUindigkcit, die Einheit des in sich bestehenden Zusrunmenl1angs hat, innerhalb dessen dle einzelnen Gegenstände stehen. Die Sländigkeit des Gegenstandes gründet dober in der Verknüpfung (ne:rus) der Erscheinungen - genauer in de.tn, was eine solche Verknüpfung im vorhinein ermöglicht.
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n) Analogie als Entsprechung , als Verhältnis \'On Vcrhältnisscu, als Bestimmung des Daßseins \ erlmüpfung (nexus) ist wie compositio eine V\' eise der \'erbin· dung (coniunctio) (B 201, Anm.) und scl2.t in sid1 die Leil\orstcllung einer Einheit voraus. Allein, jetzt handelt es sich uichl um diejenigen Yerbinduugeu . die das Gegebene, dns Begegnende, in seinem Wasgehalt uach Räumlichkeit und Hea1itiil und deren Graden zusammensetz en, nicht um Verbindung de:> Glcicllartigec im \\'asgchalt der Erscheinung (compositio, d. i. Aggregation und Koalition), sondern um eine Verbindung der Ersdteinung binsichtlich ihres jeweiligen Daseins, ibrcr Anwc·· scnhcil. Die Erscheinungen aber wechseln, sind je zu nndcn·n Zeitpnnklenm it je verschiedener Zeildauer, mithin hinsiehtlieh ihres Daseins ungleichartig. Weil es nunmehr nuC die Beslin•· mung der Ständigkeil des Gcgcnslaudcs, mithin our sein Stehen in der Einheit des Zusammenhan gs mit clcm Übrigen, o lsn auf die Bestimmung seines Daseins im Verltiillnis zum Dast·in der Anderen ankommt, handelt es sich um eine Verbindung d<·s llngleidlartige n, um das einheilliehe Zusnmmenste hcn in jt• Ycrsdtiedenen Zeitverhällnis sen. Dieser Zusammensta nd de Ganzen der Erscheinungen in der Einheil der Regeln ihres Zusammen, d. b. nach Gesetzen, ist jedoch nichts anderes als dit• Natur. »Unter Natur (im empirischen Yerstande) ,·erstehen \\ir den Zusammenha ng der Erscheinungen ihrem Dasein nach, nad1 notwendigen Regeln, d. i. nach Gesetzen. Es sind also {:{<'· wisse Gesetze, und ~·ar a priori, welche allererst eine '\Tatnr möglich madten«. (A 216. B 263) D10se »ursprünglich en Gesetze• werden in den Gmndsätzcn, die Kant mit dem Titf'l ~ .\nalogien der Erfahrung« belegt, ausgesprochen . Jetzt hnu· dclt es sich nicht - wie bei den vorigen Grundsätzen - mn >)Anschauung«, um» Wahrnehmun g«. sondern um das Ganz1· der Erkenntnis, worin das Ganze der Gegenstände, die Nu Im in ihrer Anwesenheit, bestimmt wird, um die Erfnltrtlll,~ Wnnun aber »Analogien< Was hei ßt >>Annlogie«? Wir vt•r sud1cn hier in einem umgekehrten Vorgehen- aus clor Klii
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rung des Titels - das Verständn is dieser Grundsät ze vorzubereiten. Zuvor sei noch einu1nl die allgernein e Abhebun g dieser Grundsät ze gegen die vorigen kenntlich gemacht. Bei den ma· thematisc hen Grundsät zen handelt es sich um diejenige n Regeln der Einheit des \ crbiudens , gemäß denen sieb der Gegenstand als ein begegnen des \\'ns in seinem \\'asgeha lt bestimmt . Auf Grund der RegciJ.J der qunntitat h en Zusamme nsetzung im Bereich des Exteusive n des Raumes und des Intensive n des Empfund enen köoncn die möglichen Gestalten des Begegnen den im vorhinein konstruie rt werden. Die mathemat ische Konstruktion des Aussehen s, des \'\'asgehal ts der Erscheinu ngen, läßt sich aus der Erfnhrun g durch Beispiele belegen und ausweisen. (A 178, B 221) Bei den folgenden Grundsät zen handelt es sich nid1L um die B<.!Slinnmmg dessen, was begegnet1 in seinem Wasgehnl t, sondern nm die ßeslimmn ng, ob und wie und daß das Begegnen de begegnet uml dasteht, um die Bestimmung des jeweilige n Dnseins der Erscheinu ngen innerhalb ihres Zusamme nhanges. Das Dasein eines Gegensta ndes- ob er vorbande n ist und daß er vorhande n ist - lüßt sich niemals a priorj durch das bloße VorsteHen seines mögliche n Daseins unmiltelb ar erzwingen und vor uns bringen "ir können nur dos Dasein eines Gegenstandes - dieses, daß er da sein muß - aus dem Verhältni s des Gegensta ndes zu anderen erschließe n, nidll das Dasein unmittelbar erwirken. Wir kiinnen dieses Dasein nach bestimmt en Regeln suchen, es sogar als notwendi g errechnen , aber dadurch immer noch niehl und nie hervorzau bem. Es muß sich erst finden lassen. Wenn es gefunden ist, können ·wir es als das Gesuchte nach bestimmt en Merkmal en erkennen , »identifiz ieren«. Diese Regeln des Suchcns und Findens des Daseinszu sammenhang es der Erschein ungen- des Daseins der nichtgege benen Einen im Verhältni s 7.\lUl gegebene n Dasein der Anderen diese R egeln der Vm·lüiJtn isbestimm ung des D aseins der Ge-
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genstände sind die Analogien der Erfahrung. Analogie heißt Entsprechung, meint ein Verhällnis, nämlich das Verhältnis des »wie- so«. Was dabei in diesem Verhältnis steht, sind wiederum Verhältnisse. Die Analogie ist, nach ihrem ursprünglicbe11 Begriff gefaßl, ein Verbältnis von Verhällnisset1. Je nachdron. was in diesem Verhältnis steht, un!erschcidet man mathematische und metaphysische Analogien. Im Verhältnis des »wieso« stehen für die !vlathemalik Verhältnisse. die- kurz gesagt -als gleiChartige konstruierbar sind: wie a zu b, so c zu d. Vvcnn a undbin ihrem Verhältnis gegeben sind und ebenso c, dann kann nach der Analogie d bestimmt, konslruiert, durch solche Konstrulction selbst beigestellt werden. Bei der me1 aphysischen Analogie dagegen handelt es sich nicht um rein quanlilaüve VerhäJtnjsse, sondern Ulll qualitative, um solche zwischen Unglei.cbartigem. Hier hängt das Begegnen des Realen, seine Anwesenheit, mcht von uns ab, sondern wir von ihm. Wenn im Bereich dessen, was begegnet, ein Verhältnis ßegegnender gegel>en isL und ein zu einem der beideu Gegebenen Entspl·echcndes, so kann jetzt niCht das Vierte selbst erschlossen \Verden, derarl, daß es durch sokhen Schluß auch schon anwesend wäre. Vielmehr kann nach der Regel der Entsprechung nur auf das J7erhält.nis des Dritten zum Vierten geschlossen werden. Wir gewinnen aus der Analogie nur die Anweisung auf ein Verhältnis eines Gegebenen zu einem ?J"ichlgegebenen, d. i. die Anweisung, wie wir vom Gegebenen aus das Nichtgegebene zu suchen haben und als was wir es antreffen müssen. wenn es sich zeigt. Jetzt wird klar. weshalb Kaut die Grundsätze der Bestimmung des Verhältnisses des Daseins der Erscheinungen uniereinander Analogien nennen kann und muß. Da es sich um die Bestimmung des Daseins handelt, dessen, daß und ob etwas ist, das Dasein Dritter aber niemals a priori erwirkt, sondern nur angetroffen we1·den kaun, und zwar im VerJtältnis zu Vorhandenem, sind die hier notwencligen Regeln immer Regeln fiir ein Entsprechen; Analogien. In solchen Regeln liegt daher der
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Vorgrill nui einen nol wendigen Zusamme nhang der vVahrnchmungen und E rscbciuun gen überhaup l, d. h. auf die Eriahrung. Die Analogien sind Analogien der Erfaltrun g. Die Analogien als Regeln der allgemein en Zeitbestim mung Daher lautet das »Prinzip« der Analogie n der Erfahrun g nach B 218: »Erfahru ng ist nur durch die Vorstr.lln ng einer notwendi gen Vcrkniipf ung der TJ!ahmehmungen möglich.« Nach A 176/7 ausführlic her: .AUe Ezschcim mgt·u slehcn, ihrem Dasein nach, a priori unter Regeln der ßestimmt mg ihres \lerhiiltnisses untereina nder in einer Zeit.« Mit dem Wort »Zdt~ ist das Stidtwort gegeben, das denjenigen Zusammc nltnng anzeigt. in dem diese Grundsäl zc als Regeln sich vorgrcil'cn u bewcgen. Kanl nennt daher die Analof,rien (A 178, B 220) ousdrücld ich »HegeJn der allgemein eu Zcilbestim mung«. »AUgemcine.- Zeitbestim mung heißt jene Zeilbestim mung, die aller empirisch en Zeitmessu ng in der Physik \Orausliegl, und zwar notwendi g als der Grund ihrer Möglichli eit vorauslie gt Da ein Gcgcnsta ud hinsichllich seiner Dauer. hinsichtlich der Aufeinan derfolge rni t anderen und hinsichtlidl des Zugleidts cim im Yerhüllni s zur Zeit stehen kann, untersche idet Kant »drei Regeln aiJer Zeitverhä ltnisse der Erscbeinung en« (A 177, B 219). d. h. des Daseins der Erscheinu ngen in der Zeit hiusit·btlich ihres \"crhältnisscs zur Zeit. In den bisherigen Grundsill zen war nicht unmiuelb ar von der Zeit die Rede. Warum rückt in den Analogien der Erfahruug der Bezug zur Zl'il in den Vordergr und? Was hat dle Zeil mit dem zu tun, was dil'sc Grundslit ze regeln? Die Regeln betreffen das Verhältni s der Erscheinu ngen untereina nder hinsichtlich ilucs »Daseins« . d. h. der Stüncligkcit des Gegensta ndes im Ganzen des Bestandes der Erscheinu ngen. Ständigke il besagt einmal: das Dastehen, die AnwesenbeiL; Ständigke il besagt aber aucb: Fortwiihr cn, Ba]Hl'tTen. Tn dem Tilel »Ständig~)
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keil« hören wir beides in einem. Er besagt: fortwährenett Anwesenheit, Dasein des Gegenstandes . Wir sehen leicht: An wesenbeit, Gegenwart enthält einen Bez.ug zur Zeit., desgleichen das Fortwähren und Bebunen. Grundsätze, die die Beslimmung der Ständigkelt des Gegenstandes beLrcffen, babctJ daher notwendig und in einem ausnehmende n Sinne mjt der Zeit zu Lun. Die Frage ist für uus: in welcher Weise 7 Die Antwort ergibt sich, wenn wir einen der Grundsätze durchdenken und seinen Beweis durchlaufen. Wir wählen dazu die erst<· Analogie (A 182 :ff., B 221 ff.). Zur Vorbereitung sei kun gezeigt, in welcher 'Weise RanL dns Wesen der Zeit umgrenzt. Dabei beschränken wir uns auf das, was zu1n Verständnis dieser Grundsätze nö1ig ist. Recht besc· hcn erfahren wir aber gerade erst durch Kants Aufstellung der Analogien und durch ilue Beweise Wesentliches üuer seineu Zeitbegriff. Von der Zeit war Gisher nur in1 Vorbeigehen uci der Keml· zeichnungdes Wesens des Raumes die Rede. Wir sagten dort: Das Entsprechende zu dem, was über den Raum gesugt wird, gelte von der Zeit. Wir f'mden auch, daß Kaut die Erörterung der Zeit in eins mit der des Raumes in der transzendental eH Ästhetik einleitet. Wir sagen 1n.il Bedacht: einleüet -weil das dorl über die Zeit Erörterte weder das von Kant zu Sagend1• erschöpft noch überhaupt das Entscheidende gibt. Die Zeil wird zunächst, entsprechend wie der Raum. und durch dieselben Beweisgründe , als reine Anschauung aufgezeigl. Das Zugleichsein und das Nacheinander sind im vorhinein vorgestellL Nur unter dieser Voraus-vor-ste llung kann man sich vorstellen, daß einiges Begegnende zu einer und derselben Zeit (zug}ejch) oder in YCrschicdenen Zeiten (nacheinander ) ist. » ... verschiedene Zeiten sind nicht zugleich, sondern nacbein· an der (so wie verschiedene Räume nicht nacheinander, sondern zugleich sind).<< (A 31, B 47) Verschiedene Zeiten sind jedoch nur Teile einer und derselben Zeit. Verschiedene Zeiten sind nUl· als Einschränktm gen einer einzigen ganzen Zeit. D iese
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selzl sich nicht ersl. durch Anstücku ng zusamme n, sondern ist u.neingesc hränk1, un-endlic h, ist nicht dw·ch Zusamme nsetzung geruuchl, sondern gegeben. Dieses urspri_inglich einige eimjge Ganze des Nacheina nder wird im vorhinein unmittelb ar vorgeslclll, d. h. die Zeit ist ein a priori Angescha utes, ist »reine Anschauung «. Der Raum ist die Form, warinnen alle äußeren Erscheinu ngen begegnen . Die Zeillsl aber nicht auS diese eingeschr änkt, sie ist auch die Form der inneren Erschei llnilgen, d. h. des AufLretens und der Abfolge unserer Verhalten sweisen und Erlebnisse. Daher isl die Zeit die Form aller Erscheinu ngen überltaupl. »In ihr allein ist alle Wirklichk eil [ d. i. Dasein, Anwesenheit] der Erscheinu ngen möglich.« (A 51, B 46) Jegliches Dasein jeglicher Erscheinu ng steht als Dasein in einem Verhältnis zur Zeit. Die Zeit selbst ist »unwand elbar und bleibend« , sie» verläuftsi ch nicht«. (A 144, B 185) » ... die ZeiL selbst verändert sich nicht, sondern etwas, das in der Zeit ist.« (A 41, B 58) In jedem Jetzt ist die Zeit dasselbeJ etzt; sie ist stiindig sie selbst. Oie Zeit ist jenes Beharrlic he, was jederzeit ist. Die Zeit ist das reine Bleiben. und nur sofern sie bleibt, ist Nacheina nder und Wechsel mögliCh. Obzwar die Zeit in jedem JeLzt Jetzlchara Jtter bal, isl jedes Jetzl unwiederh olba:r dieses einzige und von jedem anderen Jetzl verschiede ne. Derugcm äß 1ößt die Zoi l selbst in bezug zu ihr selbst verschied ene Verhällni sse der Erscheinu ngen zu; das Begegnen de kann in verschied enen Verhältni ssen zur Zeit stehen. Verhält es sich zur Zeit als dem Beharrlic hen, also zu ihr selbst als quantum, Großhafle m, dann ist das Dasein nach seiner Zeitgröße genomme n und bestimmb ar in seine; Dauer, d. h. im Wieviel von der Zeit im Ganzen. Die Zeit selbst isl als Größe genomme n. Verhält sich das Erscheine nde zur Zeit als einer Reihe der Jetzt, dann ist es so genomme n, wie es nacheinander in der Zeit ist. Verhält es sich zur Zeit als Inbegriff, so ist das Erscheine nde so genomme n, wie es zumal in der Zeit ist. Demgem äß bezeichnet Kant als die drei Modi der Zeit: Beharrlichkeit, Folgeund Zugleichs ein. Mit Bezug auf diese drei mög-
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liehen Verhältnisse des Daseins der ErsCheinungen zur Zeil, die Zeitverhällnisse, gibt es drei Regeln der Bestimmnng derselben, drei Grundsätze vom Charakter der Analogien: J. Analogie: Der Grundsatz der BeharrlichkeiL TI . .Al1alogie: Der Grumls;Hz dor Zeitfolge, nach dem GeseLzc der Kausalität. Tll. Analogie: Der Grundsalz des Zugleichseins, uach dem Gesetze der Wechselwirlm ng oder Gemeinschaft. Wir \'ersuchen. die erste Analogie zu begreifen, d. h. ihren Beweis nachzu>ollzieben. Hierzu sei noch einmal an das allgemeine V\'esen der Analogien erinnert. Sie sollen als diejenigen Regcill begründet werden, auf die sich im voraus die StändigkeiL des Gegenstandes, das Dasein der Erscheimmgen in ihrem Verhältnis untereinander bestimmt. Diese Regel aber vermagweil Dasein der Erscheinunge n nicht von uns verfügt werden kann- das Dasein nicht durch apriorisehe Konstruktion vorzuführen tmd zu erwirken. Sie gibt nur eine Anweisung zwn Aufsuchen von Verhältnissen, denen entlang von einem Dasein aui das andere geschlossen '''erden kann. Der Beweis solcher Regeln hat zu zeigen, warum diese Gnmdsätze uotwcudig sind und worin sie gründen.
y) Die erste Analogie und ihr Beweis; Substanz als Zeitbestimmu ng Dc1· Grundsatz der Beharrlichkeil lautet in der Fassung vou A 18!2: »Alle Erscheinunge n cnlhalten das Beharrliche (Substanz) als den Gegenstand selbst, und das Wandelunre. als dessen bloße Bestimmung, d. i. [als] eine Art, wie der Gegenstand existiert.« Um den Satz sogleich als Analogie zu lesen, ist es wichtig, auf das »und« zu achten, d. b. auf die Nennung des Verhältnisses des Beharrlichen und des Wandelbaren. Kant weist darauf Lin, daß »ZU allen Zeiten« ruchl bloß ir r der Philosophie, soudem auch vom gemeinen Verstand so etwas wie Substanz, Beharrlichkeil irn Wechsel der Erscheinungen ,
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vorausgesetzt werde. Der genannte Grundsatz liegt unausgesprochen aller Erfahrung zu Grunde. »Ein Philosoph wurde gefragt: wieviel wiegt der Rauch? Er antwortete: ziehe von dem Gewicbte des verbrannten Hohes das Gewicht der iibrigbleibenden.Asche ab, so hast du das Gewicht des Rauchs. E;r set~te also als unwidersprecblich vpraus: daß, selbst im Feuer, die Materie (SubstarrL.) nicht vergehe, sandem nur die Form derselben e.ine Abänderung erleide.« (A 185, B 228) Aber- so betont Kaul - es genügt nicht, daß man das Bedü.r.frus, den Gnmdsatz der Beharrlichkeit Zllgru_nde zu legen, nnr »fiihll«, soudem es muß bewiesen werden: 1. daß und warum in allen Erscheinungen etwas Beharrliches sei; 2. daß das Wandelbare nichts anderes sei als eine bloße Bestimmung des Beharrlichen, also etwas, was in einem Zeitverhältnis zur Beharrlichkeit als einer Zeitbestimmnngst.eht. Kants Beweis sei wiedemminder Form eines Schlusses vorgelegt. Da es sich um Regeln der Bestimmung des Daseins handelL, Dasein aber besagt, »in einer Zeit sein«, und Dasein, wie Kant vermerkt, als ein Modus der Zeit zu gelten hat (A 179, B 222), so wird die eigentliche Angel, in der sich de.r Beweis dreht, die Zeil sein müssen, ihr eigentümliches Wesen in seinem Vel11ältnis zu den Et·scbeinungen. Weil ein Beweis in der Form eines Schlusses im Untersatz seinen formalen Drehungspunkt hat, muß im Untersatz das Entscheidende gesagt werden, was den Obersatz zum Schlußsatz vermittelt. Obersatz: Alle Erscheimmgcn - d. i. das uns Menschen Begcgtlende selbst- begegnen in der Zeit tmd stehen somit hinsichtli.ch der Einheil ihres Zusammenhanges in der Einheit einer Zeltbestimm theit. Die Zeit selbst isl das ursprüngliche Beharrliche- ursprünglich, weil nur, solange die Zeit beharrt, Beharrliches als ln der Zeit Dauerndes möglich ist. Daher ist Beharrlichkeit überhaupt das im vorhinein allem Begegnenden Vorgehaltene 1md ihm Unterbreitete: das Substrat. Untersatz: Dje Zeit selbst kann .für sich, absolut, nichl waJn·genommen wer-den, d. h. die Zeit, wo;rin alles Begegnende seine
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Stelle hat, isl nicbl vernehmbar als so1ches, daran auch schon tlic einzelnen Zeitstellen des Begegnenden unddamit dieses in seiner Zeitstelleapriori bestimmtwerden könnte. Dagegen fordert die Zeit als das Beharrliche in allem Erscheinen, daß alles Bestimmeu des Daseins der Erscbeimmgcn, d. h. ihr In-der-Zeit-sein, aur tlieses Beharrlid1e im vorbjne.in und ''or allem Bezug nillllllt. Srldußsatz: Also muß das Stehen des Gegenstandes zuerst und vor allem von der Beharrlichkeit aus begrillen werden. d. h. clie Vorstellang vom Beharren im Wecltsd gehört im ,·orbineiu zur Sacbhal tigkei L eines Gegenst.an des. Die Vorstellung vom Beharren im Wechsel ist nber das im reinen Verstandesbegriff »Substanz<< Gemeinlt•. Also hat gemäß der Notwendigkeil dieses Grundsatzes dle Kategorie Sllbsl an7. objektive RealiliH. Im GcgensLnnd der Erfahrung, der Natur, ist ständig Veränderw1g, d. i. diejcmge Art von Dasein, die auf eine andm·e Art von Dasein desselben Gegcnsto.ndes folgl. Dlc Bestimmung der Veränderi.Ulgen- also des Naturgeschehens - setzt Beharrlidtkeit voraus. Verändenmg nämliCh ist nur in bezug auf Beharrliebes bestimmbar, da nur das Beharrliche verändert werden kann, wäluend das Wandelbare keine Veränderung erleidet sondern nur einen Wechsel. Oie Akzidenzien- als welche man die ßcsl immungcn der Substanz faßt - sind daher nichts and eres als yerschicdene "eiscu des Beharrens, cL h. des Daseins der Substanz selbst. Alle Ständigkeil der Gegenstände bestimmt sich auf Grund des Verhältnisses ihrer Veränderungen untereinander. Verändenmgen sind Weisen der Anwesenheit von 1\riiflen. Daher heißen die Grundsätze, die das Dasein der Gegenstände betreffen, dynamische. Veränderungen aber sind Veränderungen oines Bcharxlichen. Beharrliebkeil muß im voraus den Horizont bestimmen, innerhalb dessen Gegenstände in iluem Zusam menbang ständig sind. Beharrlicllkcit aber ist als fortwährende Anwesenheit nach Kanl der Grundcharakter der Zeit. Also spielt die Zeil bei der Bestimmung der Ständiglech der Gcgetlstände die maßgebende Rolle.
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In allen Beweisen der dynamisc hen Grundsät ze kommt diese Rolle der Zeit clat.lurcl1 zum Vorschein , daß jedesmal im Untersatz die entscheid ende Au~sage über das \Vesen der Zeil sich zur Geltung bringt. Zell ist einerseits der Inbegriff, worinneo alle Erscheinu ngen begegnen , warinnen dnl1cr das Stehen der Gegenstände in ihren \ crhähniss en des Dc.hnrrens. des Aufeioan derfolgen s und des 'l.uglcid1s cins sich be:.Limml. Andererse ils aber kann - dies sagt jeweils der Untcrsnt?. - die Zeit an sich selbst nicht wahrgeno mmen werden. Das bedeutet - mit Be1.ug auf die mögliche Bestiunnu ng cler Anwesenh eil der Gegenstände zu irgendein er Zeit- nichts Geriugere s als: Die jeweilige Zeitstelle und das Zeil\'crhäl tJÜs eines Gegensta ndes können nie a priori aus dem reinen Zeitverla uf uls solchem konstruie rt, d. i. selbst nnscbma.lid1 dargestell t und vorgeführ t werden. Wirklich an der ?:eil, d. l1. unmittelb ar anwesend ist nur das jeweilige Jetzt. So bleibt allein die Möglichk eit, den Zeitcharakter eines unmillclb ar nicht gegchC"uen, aber doch wirkliche n Gegensta ndes aus dt'rn jeweiligen .\.nwcscn den her und in seinem mögliche n Zcilverltä ltnis zu dtcsem a priori zu bestimme n und damit einen Lcit faden 1.11 gc\\ innen. wie der Gegensta nd zu suchen ist. Dessen Dasein selbst muß uns immer zu-fallen. Soll demnadt das Ganze der Erscheinu ngen in seiner GegeuständlichkeiL uns übcrh<11Jpl erfahrbar sein, dann bedarf es gegründeter Regeln, die cu1e Anweisun g enthalten . in welcheu Zeit-"erhä ltnissen iiherhaup t das Begegnen de stehen muß, damit die Einheit des Daseins der Erscheinungen, d. h. eine '\fatur, möglich ist. Diese lrons7.end cntalcn Zeitbestim mungen sind die Analogien clel' Erfahrun g, dercu ersle wir durdlgcsprochen haben. Die zweite Analogie Iaulet nnch B 232: »Alle Veränderungerz gesdLehen nach dem Gesetze der Verknüpfung der Ursache urul Wirkung« ; nad1 A 189: »Alles, was geschjehL (anhebt zu sein) setzt ct was voraus, worauf es nadz einer Regel folgt,« Der Beweis dieses G rundsatze s gibt die erslmalig e Begrün-
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dungdes Kausalgesetzes als eines Gesetzes der Gegenstände dt•J
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Erfahrung. Die dritte Analogie lautet nach B 256: »Alle Substanzen, sofern sie im Raume als zugleich umhrgeuommen werden können, sind in durdz.gängiger H'rc:hsclu·ir· kung•; nach A 211: »Alle Substanzen. sofern sie zugleich sind, stehen in durchgängiger Gemeinschaft, (d. i. Wechselwirkuug un Lc.reinander) «. Dieser Grundsatz und sein Beweis ist neben seinem Tnha1t für die Art der Auseinandersetzung Kants mil Leibniz von besonderer Bedeutung, wie denn überhaupt die »Analogien« den Wandel zwischen den Grun.dstel1ungen beider Denker in ein besonderes Liebt stellen. Es gilL zum Schluß, einen Hinweis m•f die zweite Unter· gruppeder dynamischen Grundsätze zu gebeu, die zugleich dit• letzte Gruppe im ganzen System derselben ausmach l. g) Die Postulate des empirischen Den kollS iibrrhaupl a) Objektive Realität der Kategorien; d.ie Modalitäten als subjektivesynthetische Grundsüt·lc V\ ir wissen: Das System der Grundsätze des reinen Verstandes ist nach der Ordnung und Einteilung der Kategorientnfel geordnet und eingeteilt. Die Kategorien sind die im Wesen der Verstandeshancllllllg selbst entspringenden Vorstclhmgen von Einheit. die als Regeln des urteilsmäßigen Verbindens. d. i. des Bestimmens des begegnenden Mannigfaltigen am Gegenstande dienen. Die vier Tüel für die \icr Gruppen der Kategorien sind Quantität, Qualität, Relation und Modalität. Nunmehr sehen wir rückblickend deutlicher: In den A-ciomen der Anschauung wird geze.igL, inwiefen1 Quantität (als extensive Größe) notwendig zum Wesen des Gf>gcnslandes aJs eines Begegnenden gehört. ln den Antizipationen der Wolu:nchmung wird gezeigt, wie Qualität (Realität) im vorbinein d~,ts Begegnende als ein solcltes und zu einem solchen bestimmt.
§ 27. Sy~tematik der Grumlsät:r. tles
rci11cn T'erstande.~
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In den Analogien , c.lcn Grundstilzen der Entsprech ung. des lm- Verhälln.i s-stchcns und dessen Bcslimmt mg, wird gezeigt, itm iefcm der Gcg,•nstnn cl hinsichtlic h seiner Stäncligk eil nnr auf Grund des \'Orgüngigl'O I Iinhlit:ke. nur die Verhällni sse bestimmbar sein kann, in c.lencn das Begegnen de (die Er~rhcinun gen) stehL Diese Ycrhältni ssc können, da sie alle möglicher weise zur Erscheinu ng kommencl!!n Gc~enstände im vorhinein vorstellen und eiubezid11m müssen, uur Verhältni sse des Inbegriffs aller Ersrheiuu ugcn sciu- niimlid1 der Zeit. Die den Kategorien der Quantitüt , Qunlilät und Rclntion entsprech enden drei Groppen YOD Gnmdsi.it zcn haben dies gemeinsa m, daß sie im voraus bestimme n, was zum sachhnlLig cn \Vesen des Gegenstandes aJs eines b('g('{Cncndl'n u11d stiiudigt'n gehörl. :\Jit Bezug auf die Kategoricu gcsprodtc n, 7.t•igen diese drei Gruppen von Gnwdsälz cn, daß uud inwicfel'Jl die Kt\l'egorien im vorhinein das suciJhaltig c Wesen des Gegenstandes. seine Sachheit i.ibcrlmupl und im Gal11.('ll, uusmacltcn. Uic genannte n Kategorie n sind die Realitäten dt•s "csens clcs Gegenstan des. Die genannten Gnmdsäl zc beweisen, dnß sie- als diese Realitäte n- diesen, den Gcgensta ud (dns Obj<:kt), ermogliclwn, zum Objekt als solchem gehören, dnR die Kategorie n objcktivt' Reaütäl hahen. Die bisher besproche nen Grnndsäl7.c> legen dasjenige als Grund, wodurch sich iibcrhaupL erst ein Gesichtsk reis bildet, innerhalb dessen dieses und jcnc:s und ,-ides im Zusamme nhang als ein Gcgenstä ndlirhcs begegnen und stehen kann. Was soll dann noch dte vierte Gruppe der Grundsätz e, die Postulate des empirisch en Dcnkens überhaup t? Diese Gruppe entspricht den Katt'!gorie n der Modalität . Der Titel deutet schon etwas Kenozeidt ncnc.les an. Modalitä t; modus, Weise, ein VVie - nämlich im Unterschi ed zum ~\ as, zum Realen überhaup t. Kant leitet die Erörterun g der vierten Gn1ppe der Grundsät ze mit der Bemerktm g ein, daß dJc Kotegone n der Modalitä t etwas »Besonde res« an sic-h haben (A 219, B 266). Die Kategorien der Modalitül (Möglichk eil, Wirklichkeit oder Dasein, Notwendi gkeit) gehören nicht zum sachbnltig en Wesen eines
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Gegens tandes. Ob z.B. ein Tisch möglich , wirklieb oder not WC'II• dig ist, berührt die Sacbhe it» Tisch<- überha upt nicht i diese blcil•l jedesm al dieselbe . Kant drückt dies so aus: Die Katego rien clt·r \Iodalit iit sind keine realen Prädik n le des Gegens tandes ~1c gehören demnac h auch nicht zum sacbhal tigen Wesen der Gegen· stiindlicb.keil überha upt, nicht zum reinen Rcgriff dessen, wn~ das \\ esen von Gegens tand als solchem umgren zt. Dagege n sagen sie etwas darübe r aus, wie der Begriff Yom Gegens tand sid1 zum Dasein und dessen Weisen verhält und "ic, nach wcldtcu 1\lodi, das Dasein des Gegens tandes zu bestiUlm cn isl. Die Grunds ätze, die hierübe r etwas ausmad 1en, könneu abu nit:bt wie die yorigen clie Frage bctreCfen, ob und wie dje Kategorien (Möglic hkeit, Wlrklic hkeit, Nohven digkeit ) objekti ve Realitä t haben, da sie überha upt nicht zur Renlitü l des Üf.'genstundes gehören . Weil clie Grunds ülze nichts dergleic hen helumpte n können , können sie ouch nnch dieser Llinsicht nkbt bewiesen werden . Fiir ruese Gmntls ätze giht es daher keine Beweise, sondern nur Erläute rungen und Erkläru ngen ihres Gehai tes.
v\ esen der Erfnb.n mg: die \lodali täten sind auf Erfahr ung bezogen . nicht mehr auf Denkba rkeil Die Postula te des empiris chen Dcukcn s überha upt geben nur an, was geforde rt ist, um einen Gt'gcns tand nlc; 111Öglichcn. nls wirklichen und als notwen digen w bestimm en. In diesen Forderung en. »Postul aten«. liegt zugleic h die \Vcscns umgren zuug von MöglichkeiL Wirklic hkeit und '\Jot\\en digkeit. Die Postula te entspre chen dem \Ves<'n dessen, wodurc h Gegen· stlindc iiberha upt bestimm bar siud: dem Wesen der Erfahru ng. Die Postula te sind nur Aussag en des Erfordernisses, das im Wesen der Erfahr ung liegt. Dieses bringt sid1 daher als der Maßsta b zur Geltun g, an dem die Weisen des Daseins uud damit das 'Wesen des Seins sich mißt. Demge mäß lauten die Postula te (A 218, B 265 L): ~)Die Postula te entspre chen cl<'m
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1. »Was mit den formalen Bedingun gen der Erfahrun g (der Anschauu ng und den Begrillen nach) übereinko mmt, ist möglich. (( Möglidlk eit begreift Kant als Übereink unft mit demjenig en, was überhaup t das Erscheine n von Erscheinu ngen im voraus regelt: mit Raum und Zell und deren quantitati ver Bestimmung. ~ur indem das Vorstellen sich an das hält, was in der ersten Gruppe der Gnmdsat zc über den Gegensta nd gesagt ist, kann über dessen Möglid1k eil entsduede n werden. Die bisherige rationale Metaphys ik dagegen bestimmt die Möglichk eit als Widerspruchsl()~igkl'it. Was sich nicht widerspri cht, ist nach Kant zwar zu denken möglich: aber mil dieser Denkmög lichkeit ist noch nichts über die Daseinsm öglichkei t eines Gegenstandes ausgemac ht. Wos nicht in Raum und Zeit erscheinen kann, ist für uns ein unmiiglic her Gegensta nd. g, >>Was aüt den motcriolc n Bedingun gen der Erfahrun g (der Empfindu ng) zusommcnl1üngt, ist wirklich.« Wirklichk eil begreift Kant
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eines Wirklichen, jedoch nicht schon die Wirklichk eit des Wirklichen. 5. »Dessen Zusamme nhang mit dem Wirkliche n nach allgc meinen Bedingun gen der Erfahrun g bestimmt ist, ist (existiert) notwendig.« Notwendi gkeit begreift Kant als Bestimmt heit durch das. was den Zusamme nhang mit dem WirkHch en- aus der Zusam· menstimm ung mit der Einheit einer E.rfahrnn g überhaup t festlegt. Nur indem das Vorstellen sich an das hält, was in det dritten Gruppe der Grun.dsäl ze über die Ständigke it des Ge· genstaude s gesagt ist, kann über dessen Notwend igkeit ent· schieden werden. Die bisherige rationale Metaphys ik dagegen verstand die Notwend igkeit lediglich als dasjenige, was nicht nicht sein kann. Weil jedoch das Dasein nur als Ergänzun g de:. Möglichen und dieses nur als das Denkbare bestimmt wurde, blieb auch diese Bestimm ung des Notwendigen im Bereich der Denkbark eit ; das Notwend ige ist das als unseiend Undenkb are. Aber das, was wir denken müssen, braucht deshalb nicht zu existieren. Wir können überhaup t nie das Dasein eines Gegensta ndes in seiner Notwend igkeit erkennen, sondern immer nur dao; Dasein eines Zustande s eines Gegenstandes im Verhältnis z11 einem anderen.
y) Sein a1s Sein der Gegenstä nde der E.rfalrrung; Modalität en im Verhältni s zur Erkenntn iskraft Aus dieser Erläuteru ng des Gehaltes der Postulate, die gleichbedeuten d ist mit einer Wesensbe stimmung der Modalität en, entnehme n wll:, daß Kan t, indem er die Weisen des Seins bestimmt, das Sein zugleich einschrän kt aui das Sein der Gegenstände der Erfahrun g. Die nur logischen Erklärun gen von Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendi gkeit, wie sie die rationale Metaphys ik pflegte, werden zurückgewiesen; kurz: Das Seü1 wird nichl mehr aus dem bloßen Denken bes1 immt. Aber woraus dann? Auf.fallend ist in den Postulate n die wiederkehrende Formel: »was übereinko mmt mit<<, »was zusamme nhängt
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mit«; Möglichk eit, ·Wirklichkeit, Notwendi gkeit werden verstanden aus dem Verhältni s unseres Erkenntn isvermög ens- als eines denkmäß ig bestimml en Anschauens - zu den in diesem selbst liegenden Bedingun gen der Möglichk eit der Gegenst.ände. Die Modalitä ten Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendi gkeit setzen nichts Sacbhalti ges zur Sachhalti gkeit des Gegensta ndes hinzu, 1.md dennoch sind sie eine Synthesis. Sie setzen den Gegenstand je in ein Verhältni s zu den Bedingun gen seines Gegen-stehens. Diese Bedingun gen aber sind zugleich diejenige n des Gegenstehenlassens, des Erfahrens , mithin der Handhmgcn des Subjekts. Auch die Postulate sind synthetische Grundsätze, aber nicht objektiv, sondern nur subjektiv synthetisch. Dies will sagen: Sie setzen nicht die Sachheit des Gegensta ndes, des Objekts, zusamme n, sondern sie setzen das ganze durch die drei ersten Grundsätz e bestimmt e Wesen des Gegenstandes, cües in seinem möglichen Verhältnisse zum Subjekt und zu dessen Weisen des anschaue nd-denke nden Vorstellens. Die Modalitäten setzen zum Begriff des Gegensta ndes das Verhältni s desselben zu tmserer Erkenntn iskraft hinzu (A 204, B 286). Daher sind auch die drei Weisen des Seins den drei ersten Gruppen der Grundsät ze zugeordnet. Das in diesen Gesagte setzt die Modalitä ten voraus. Insofern bleibt die vierte Gruppe der synthetischen Grundsät ze des reinen Verstandes den übrigen dem Range nach vorgeordnet. Umgekeh rt bestimme n sich die Modalitäten nur im Verhältni s zu dem in den voraufgeh enden Grundsät zen Gesetzten. 8) Kreisgang der Beweise und Erläuteru ngen Hieraus wird deutlich, daß auch die Erläuteru ng der Postulate, gleich wie die Beweise der übrigen Grundsätz e, sich im Kreis bewegt. Warum besteht diese Kreisbew egungund was sagt sie? Die Grundsätz e sollen als diejenige n Sätze bewiesen werden, die die Möglichkeil einer Erfahrun g von Gegenstä nden begründen. Wie werden diese Sätze bewiesen ? Indem gezeigt
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wird, daß diese Sätze selbst nur möglich sind aui Grund der Einheil und Einigung der reinen Verstandesbegrille mit den Formen des Anschauens, mit Raum und Zcil. Die Einheit von Denken und Anschauen ist selbst das Wesen der Erfnhnmg. Der Beweis besteht darin, daß gezeigt wird: Die GrW1dsätze des reinen Verstandes sind durch dasjenige möglich, was sie selbst ermöglichen, durch das Wesen der Erfahrung. Das ist ein offcnktmdiger Zirkel, und zwar ein notwendiger. Die Grundsätze werden bewiesen im Rückgang auf das, dessen Hervorgang sie ermöglichen, weil diese Sätze nichts anderes ans Licht heben sollen als diesen Kreisgang selbst; denn dieser macht das Wesen der Erfahrung aus. Im Schlußteil seines Werkes (A 737, B 765) sagt Kanl vom Grundsatz des :reinen Verstandes, daß »er clie besondere Eigenschaft hai, daß er seinen Beweisgnmd, nämlich E rfahrung, selbst zuerst möglich m.acht, und bei dieser. [der Erfahrung] .immer vorausgesetzt werden muß.« Die Grundsätze sind solche Sätze, die ihren Beweisgrund begründen und diese Begrii.ndu.ng auf den Beweisgrund verlegen. Anders gesagt: Der Grund, den sie legen, das Wesen der Erfahrung, ist kein vorhandenes Ding, auf das wir zurückkommen und worauf wir dann einfach stehen. Die Erlah.rung ist ein in sich kreisendes Geschehen, wodurch das, was innerhalb des Kreises liegt, eröffnet wird. Dieses Offene aber ist nichts anderes als das Zwischen zwischen uns und dem Ding. h) Der oberste Grundsatz aller synthetischen Urteile; das Zwischen Woraui Kanl stieß und was e:r als Grundgeschehnis immer nen zu fassen sucht, ist dieses: Wir Menscnen vern1ögen das Seiende, das wir nicht selbst sind, zu erkennen, obzwar wir dieses Seicncle nicht selbst gemacht :haben. Seiend zu sein inmiltcn eines offenen Gegenüber von Seiendem, das ist das u.nausgesetzl Befremdende. In Kants Fassung heißt das: Gegenstände enl-
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gegenstehen haben aJs sie selbst, obzwar das Begegnen-lassen durch uns geschieht. Wie ist solches möglich? Nur so, daß die B edingungen der Möglichkeit des Erfahrens (Raum und Zeil als reine Anschauungen und cüe Kategorien aJs reine Verstandesbegriffe) zugleich Bedingungen des Gegenstehens der Gegenstände der Erfahrung sind. Was so ausgesprochen wll'd, hat Kant als den obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile angesetzL Nun wird klar, was der Kreisgang im Beweis der Grundsätze bedeutet- nichts anderes als dieses: Die Gruudsä lze sagen im Grunde nur immer den obCI'Sten Gnmdsatz aus, aber so, daß sie in ihrer Zusammengehörigkeitall das eigens nenlHm, was zum vollen Gehalt des Wesens der Erfaluung uncl des Wesens eines Gegenstandes gehört. Die Hauptschwie!'igkeiL des Verständnisses dieses Grundsilidces der »Krilik der reinen Vernunft« und des ganzen Werkes liegt darin, daß wir aus der alJ täglichen oder wissenschaftlichen D enkweise herkommen und in ihrer Haltung lesen. Wh' sind entweder auf das gerichtet, was vom Gegenstand selbst gesagt wird, oder aLtf das, was über die Weise seiner Erfahrung erörtert wird. Das Entscheidende ist aber, weder nur auf das eine noch nur aui das andere, auch nicht nur au.f beides zusammen zu achten, sondern zu erkennen und zu wissen: 1. daß wir uns immer im Zwiscl.Jen, zwischen Mensch und Ding bewegen müssen; 2. daß dieses Zwischen DW' ist, indem wir uns darin bewegen; 3. daß dieses Zwischen sieb nicht wie ein Seil vom Ding zum Menschen spannt, sondern daß dieses Zwischen als Vorgriff über das Ding hinausgreift und ebenso hinter uns zurück. Vor-griff istRüdt-wurf. Wenn wir dahei- vow erslen Salz der »Kritik der reinen Vemunit« an- in dieser Haltung lesen, rückt alles schon im Beginn in ein anderes Licht.
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Schluß
VVir versuchten, zu der Lehre von den Grundsätzen vorrudrlugeu. weil in dieser Mitte der »Krilik der reinen Vernunft(< die Frage nadl dem Ding neu gestellt und beantwortet wird. Wir sagten Irüher, die Dingfrage sei eine geschichtliche; jetzt seheu wir deutlicher, inwiefem es sich so verhält. Kants Fr-agen nacll dem Ding fragt nach Anschauen und Denken, nach der Erfahrung und deren Gnmdsätzen, d. h. es fragt nach dem Menschen. Die Frage: Was ist ein Ding? isl dje Frage: Wer ist der Mensch? Das bedeutet nicht, daß die Dinge zu einem roenschL.ichen Gernächte werden, soudem heißl umgekehrt: Der Mensch ist als jener zu begreüen, der immer schon die Dinge überspringt, aber so, daß dieses 'überspringen nur möglich ist, indem die Dinge begegnen und so gerade sie selbst bleiben indem sie uns selbst hinter uns selbst und unsere Oberllächr zmiickschicken. In Kants Frage nach dem Ding wird eine Dimension eröffnet, die zwischen dem Ding und dem Menschen liegt, die über die Dinge lrinaus- und hinter den Menschen 'ZUrückreicht.
ANHANG
Beilage zu Seite 98 ff.
Die Voraussetzungen der Philosophie Descartes', also des vermeintlichen» Beginns« der neu?..eillicben Pllll.osophie: 1. Gewißheit- Wissen- als freies Vertrauenkönnen auf sich selbst; 2. dazu je ich selbst ego-als dieser- eigentlich seiendes; daß das Einzelne das Seiende ist und gerade es, res singulare; nicht im universale das Sein der Exemplare. Umscb.lag des Nominalismus vorausgesetzt, und zwar des späteren; der frühere (10./11. Jahrhundert) wirdmetaphysisch in Richtung auf singulare ga1· nicht entscheidend. 5. Das Wesentliche des intuitus- selbstvernehmen und ausweisen- und entsprechend deductio. Das Mathematische- das Gesetz. 4. Ens creatwn und doch zugleich in sich wesend- (NominaHsmus).
Beilage zu Seite 102 ff. Das Mathematische steigert sich zum bestimmenden. Wesen un.d zum Grunde iür alles Wissen. llin solches Wissen muß auf das Ganze des Seienden im Entwurf zielen und gerade deshalb nicht Vorgegebenes anerkennen; es muß sich auf Axiome, Grundsätze stellen, die einzig aus dem Wesen des Satzes und der Setzung genommen sind. Das Wesen des einfachen Satzes ist die Beziehung von Subjekt und Prädikat. Subjekt-Prädikat-Beziehung. 1. Indem das Setzen sich selbst eigens setzt, das Denken sich
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Anhang
denkt, findet es: Denken ist: ich denke; ich denke, d. h. ich bin; das »Ich« offenbart sich als das Subjektum dieses ausgezeichneten Satzes, des Ichsatzes; das Ich wird ausgezeichnetes SatzSubjekt und wird so das erste und eigentliche Subjekt. Seitdem ist das Ichhafte das Subj ektarti_ge. Die Bedeutungen von subiectum und obiectum kehren sich um. {Sa1z und Subjekt). e. Außer dem Ichsatz - der Setzung des Ich - liegt im Satz als solchem, daß das Gesetzte (Prädikat) sichnicht dem Subjekt widersetzt, daß im SpruCh der Widerspruch vermieden wird; im Wesen des Satzes ist gesetzt das Gesetz vom zu venneidenden Widerspruch (Widerspruchssatz). (Subjekt und Prädikat). 3. lndem das Setzen das Gesetzte so setzt, daß es auf dem Unterliegenden gründel, fordert das Setzen von sich selbst für sich selbst je einen Grund. Im Wesen des Satzes liegt der Satz vom Grunde. (Satz und Verhältnis von Prädikal und Subjekt). Beilage zu Seite 10} ff.
Descartes Prinzip der Gewißheit- Wissen des Wissens; dieses Wissenals Versiebern der Habe- nich:t 1mmittelbar auf das Seiende, sondern Ich auf sich selbst. Das Prinzip der Gewißheit: die mittelalterliche fides- Lehrgebalt; .reformalorische fides - fiducia, cla.ra et distincta perceptio. Gewißsein der Zusammengehö~igkeit: von ego cogito und sum; das »ergo« zwar nicht »Schluß «-anzeige, wohl aber für die Zusammengehörigkeit von cogito und sum. Das Zugleich nich l ohne einandersein. Zusammengehörigkeil als Gedachtheit- das Mathematische; deductio alsmathematische Ausfaltung des in l uitus. Clara- unmittelbares Haben der natura rei (conceptus); distincta - die Abwehr und Ausscheidung des Nichtzugehörigen und Sicherung des Zugehörigen. Vgl. Wachsbeispiel -was zur natu.ra als res extensa und was nicht dazu gehört.
Anlzw1g
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Weder ego cogito als Tatsache noch sum als Tatsache, soudem clie Zusammengehörigkeit als solche; in ihr hängen jene Tatsachen- ihre Tatsächlichkeit also unbeslirilmt.
Beilage zu Seite 163 ff.
Wir stellen bei einer k'Ul'zen Zwischenbetrachtung über Rants kritische Lehre vom U:tteil und vom Verstand. Das Krillsehe ist nach Früherem jenes, was zur Abhebung bringt, das VVesen heraushebt und einsichtig machl. Durch Kants kritische Bestimmung des Ur leils und des Denkens überhaupt, inlelleclus, wird erstmals in begründeter Weise die Anmaßung des entwurLelten Verstandes metaphysisch überwunden. Daß wir diese überwindung bis heute noch nicht wirklich angeeignet haben, spriehl nicht gegen einen scheinbaren Rationalismus Kants, sondem sprichtnur gegen uns. Kaut iiberwindet den Intellektualismus nicht durch bloße Abkehr, sondern durch eine ursprünglichere Wesensbestimmung desDenkens. Bloße Abkehr wird entweder zu einer Hinfälligkeit an das sogenannte Irralionale, oder aber sie wird eine Berufung auf den Verstand als gesunden Menschenverstand. Kaut hat den Verstand in einer Weise verstanden wie kein Denker zuvor. Deshalb sieht er auch, was es mit der Berufung aui den gesunden Menschenverstand auf sich hat. Kant sagt, wo diese qualitas occultain der Philosophie herrsche, da habe er ein angemaßtes Ansehen; solches sei >>faule Philosophie« - der gesunde Menschenverstand ist der faule Fleck der Philosophie (Reflex. N1·. 4·965). Wahrhafter Verstcmd versteht sich gar nicht von selbst. Und deshalb ist wahrhafte Logik, und d. h. Architektonik, nach einem Wort Kants nur :für Meister (Reflex. N.r. 4861). Der neue Begriff des Denke;us entfaltet sieb. in der Ausarbeitung des Unterschiedes der Urteile als analytischer und synthetischer. Diese Unterscheidung wird nur sichtbar und begründbar, wenn das Denken in seinem Gegenstandsbezug begriffen
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ist und Denken nicht mehr als Reclmen mit Begriffen verstanden wiid, sondern als wesentliche Handlung der Gegenstandsbestimmung und d. h. als im Dienste der Wahrheit stehend. Von hier aus ist dieHinsieht der Unterscheidung zulassen. Die Urteile unterscheiden sieb nach der Art ihrer Beziehung aufs Objekt, und das sagt zugleich, nach der Art des Bestimmungsgrundes für die Wahrheit der Subjekt-Prädikat-Bezieuung. ( ... Beispiele). Die Unterscheidung des a priori und a posterio:ri und ihre Bedeutung für die Urteilsunterscheidung. Von hler: die Frageformel für die Grundfrage der Kril ik der reinen V emu.nft. Die Zwischenbetrachtung als Vorbereitung 1. für das ganze Hauptstück; im folgenden auf Grund des neuen Ansatzes eine noch ursprünglichere Fassung des Wesens des Verstandes; 2. im besonderen für den 1. Absclmitl: Widerspruchsfreiheil und Satz vom Widerspruch. Von diesem in einer zwiefachen Hinsicht gehandelt. Einmal als von einer negativen Bedingung aller Urteüe überhaupt und sodann als oberster Grundsalz aller analytischen Urteile. Widerspruchsfreiheit meint einmal Vereinbarken des SubjektPrädikat-Verhältnisses als solchem; dann aber bedeutet sie eine bestimmte Zusammengehörigkeil von Subjekt und Prädikat im analytischen Urteil. • Beilage zu. Seite 197 ff. Recapitulation
.In der vorigen Stunde ein Doppeltes behandelt. Zur Vorbereitung des Beweises des L Grundsatzes wurde dargelegt, inwiefern Anschauungen Größen sein können, gleichbedeutend mit dem Nachweis, inwiefern Raum nnd Zeit alsquantareine Anschauungen sind, und was das heißt. In der Abhebung gegen Newton und Leibniz. Baum- eim:äumend. Das im Vorhinein; dieses im vorhinein
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bei uns im Bück, im Blick eines Vorstelleus qua Ansdtau enmit Raum ein einziges einiges Ganzes Vorbildu ng und psychische Ein-bildu ng. Der Beweisga ng wurde durchlauf en oder mehr gestolpert . Nochmal in den weiten Zusamme nhang laineinste llen. Gegensta nd in der Erfahrun g; zur Erfahrun g: Anschauu ng und Denken, Gegen-sta nd. Denken aber ursprüngl iches Vor·stellen von Einheiten als Regeln des Verbinden s, veybindcn das ansebaulic h Gegebene. Diese Einheiten entspring en rein aus dem \'erstand: nicht aus dem Gegensta nd erborgt und dod1 gerade zu seiner Bestimmu n.g bestellL Wie ist das möglich? Wie können reine Verstande sbegriffe Bestimmu ngen des Begegnen den sein? Wie können sie solches, woraus sie gar nicht entnomm en, als Gegen zum Stehen bringen? Die Grundsät ze als Sätze solcher Regelung des Verbinelens sprechen aus, daß und wie reine Verstande sbegriffe die Erscheinungen als solche bestimme n. Alle Erscheinn ngen als Anschauung en sind extensive Größen, Quantität en. Es gilt, diese Grundsät ze zu beweisen, d. h. zu zeigen, daß und inwiefern der reine Verstandcsbegri.IT Quantitä t eine aprioriBe stimmun gdes Gegensta ndes sein kann. Das Gegen, das Angesdla ute, steht itt diesen Begriffen. Dieser Begriff ist auf das Gegen, die Anschauu ngen. anwendba r. Warum? Weil es dieseJbe Einheit des Verbinde ns ist, die einmal das Begegnen als sole:hes, das Angescha ute, ermöglich t und die den Begriff ausmacht . Obersalz auflösen: Oie Erscheinu ngen zeigen sich im Raum. Raum ist quantum. Erscheinu ngen aber sind jeweils bestimmte Raumges taltcn, also synthetisc he Gliederun gen lUld Abhebungen im Raum. Untersatz: 1\un isl aber dasjenige, was vor allem ein Gegenstehendes möglich macht, die EinJ1cit einer anschauli chen Mannigfaltigk eh überhaup t qua Einheit - der Begriff eines Auseinander. Großheil überhaup t, eines quallluro, d. h. Quantität.
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Schluß: Dieser reine Verstandesbegriff Quantität ist aber nidzts anderes als jene Synthesis, kraftderen Erscheinungen als bestimmte Raumgestalten eJJ:Scheinen können. Also sind alle Erscheinungen als Anschauungen Quantitäten, und zwar extensive (Raum). Es ist dieselbe Bedingung, die das Begegnende begegnen läßt und die es als Gegen zum Stehen bringt. Der Beweis ist ein Kreisgan.g. Wenn wir diesen Kreisgang als solchen durchschauen und vollziehen, gehen, bekommen wir eigenLlicb zu wissen, worum sich alles »dreht«. Zuvor aber den nächsten Grundsatz und seinen Beweis. Antizipationen der Wahm.e hmung.
NACHWORT DER HERAUSGEBERIN
Bei der hier vorgelegten Schrift Martin Heideggers handelt es sich um seine Vorlesung aus dem Wintersemester 1935/36 al1 der Freibmger Universität mit dem Titel »Grundfragen der Metaphysik«. 196~ ließ Heidegger selbst diese Überlegungen mit dem Titel »Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen Grundsätzen« im Max Niemeyer Verlag in Tübingen erscheinen. Für die Aufnahme in ehe Gesamtausgabe der Schriflen Marti.n Heideggers wurde der Text nochmals mit der Handschrift verglichen, einige Feluer wurden bericbligL Im Falle dieses Textes haben wir aus Heideggers eigener Hand ein so reicb gegliedertes Dokument vor uns, daß dem Herausgeber nur eine Vereinheitlichung innerhalb der Durchzählung der Gedankenschritte hinsiebtlieh der Paragraphen und der weiteren Unterteilung zu tun übrigblieb. Im Text vorkommende Klammern stammen von Heidegger selbst. Fiini Beilagen- in Form von Zelteln mit der Zuordnung zur entspxechenden Seitenangabe- werden als Anhang milabgedruckt, da sie in ilrrer Prägnanz für die Gedankenfolge weilere Klärung zu geben vermögen. Ausdrücklichhatte Heidegge:r selbst in dieser Vorlesung »Einiges über das Handwerkliche gesagt ... « Die von jbm benutzten Ausgaben nannte und kommenlierle er folgendermaßen: »Kants Gesammelte Smriften (W'W), herausgegeben von der Preuß)schen Akademie der Wissenschaften in Berlin A. Schriften I - IX. B. B.defe X - Xll C. Handschriftlicher Nachlaß XIII -XIX D. Vorarbeiten, Nachträge XX- XXI Ausgaben vonKants Vorlesungen
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Nachwort
B. Vorlesungen über die Metaphysik Pölitz-Scbmidt Die Philosophischen Hauptvorlesungen Kants nach den neuaufgefundenen Kollegheften des Grafen Heinrich zu DohnaWundlacken v. A. Kowalewsky Kritik der reinen Vemunft, Sonderausgaben von B. Erdmann K. Vorländer R. Schmidt-Meiner Reclam Wamen vor Ausgabe von G. Miiller »stilistisch gereinigt
n. Für erhaltenen Rat und sachverständige Hilfe d6nke ich besonders benHeb Herrn Dr. Hermann Heidegger, Herrn Prof. Dr. F.riedrich-Wilhelm v. Benmann und Herrn Dr. Hartmut Tietjen. Herm cand. phil. Hans-Helmutb Gander gilt mein Dank für seine sorgfältige Mitarbeit beim Korrekturenlesen und für die gewissenhafte Uberprüfung der Zitate. Petra Jaeger