Gesammelte Beiträge zur deutschen und europäischen Universitätsgeschichte
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Gesammelte Beiträge zur deutschen und europäischen Universitätsgeschichte
Education and Society in the Middle Ages and Renaissance Editors
Jürgen Miethke (Heidelberg) William J. Courtenay (Madison) Jeremy Catto (Oxford) Jacques Verger (Paris)
VOLUME 31
Gesammelte Beiträge zur deutschen und europäischen Universitätsgeschichte Strukturen – Personen – Entwicklungen
von
Peter Moraw
LEIDEN • BOSTON 2008
This book is printed on acid-free paper. A C.I.P. record for this book is available from the Library of Congress.
ISSN: 0926-6070 ISBN: 978 90 04 16280 8 Copyright 2008 by Koninklijke Brill NV, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill NV incorporates the imprints Brill, Hotei Publishing, IDC Publishers, Martinus Nijhoff Publishers and VSP. All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, translated, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without prior written permission from the publisher. Authorization to photocopy items for internal or personal use is granted by Brill provided that the appropriate fees are paid directly to The Copyright Clearance Center, 222 Rosewood Drive, Suite 910, Danvers, MA 01923, USA. Fees are subject to change. printed in the netherlands
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort ........................................................................................ Jürgen Miethke
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I. ÜBERBLICKSDARSTELLUNGEN I. Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte ....................................................... II. Einheit und Vielfalt der Universität im alten Europa .....
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II. UNIVERSITÄTEN VON OST NACH WEST III. Prag. Die älteste Universität in Mitteleuropa ................... IV. Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungsund sozialgeschichtlich betrachtet ..................................... V. Schlesien und die mittelalterlichen Universitäten in Prag .................................................................................... VI. Die Hohe Schule in Krakau und das europäische Universitätssystem um 1400 ............................................. VII. Die ältere Universität Erfurt im Rahmen der deutschen und europäischen Hochschulgeschichte ........................... VIII. Die Universitäten in Europa und in Deutschland: Anfänge und erste Schritte auf einem langen Weg (12.–16. Jahrhundert) ........................................................ IX. Die Universität in Gießen von den Anfängen bis zur Gegenwart (1607–1995) .................................................... X. Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter ..........................................................................
79 101 159 181 207
229 251 295
III. ZUR SOZIALGESCHICHTE DER UNIVERSITÄTEN XI. Das spätmittelalterliche Universitätssystem in Europa – sozialgeschichtlich betrachtet ............................................
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inhaltsverzeichnis
XII. Der deutsche Professor vom 14. bis zum 20. Jahrhundert .................................................................... XIII. Improvisation und Ausgleich. Der deutsche Professor tritt ans Licht .................................................................. XIV. Careers of Graduates ....................................................
353 369 391
IV. UNIVERSITÄTSBESUCHER UND GELEHRTE IM DEUTSCHEN REICH XV. Über gelehrte Juristen im deutschen Spätmittelalter .... XVI. Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493) ..................................... XVII. Conseils princiers en Allemagne au 14ème et au 15ème siècle ................................................................. XVIII. Deutsche und europäische Gelehrte im lateinischen Mittelalter: Ein Entwurf ................................................
435 465 541 557
ANHANG 1. Projektskizze: Das Repertorium Academicum Germanicum (RAG). Die Erforschung der Lebenswege der deutschen Gelehrten zwischen 1250 und 1550 (von Rainer C. Schwinges) .......................................................................... 2. Verzeichnis der universitätsgeschichtlichen Publikationen Peter Moraws (zugleich der bibliographische Nachweis der abgedruckten Beiträge) ..................................................... 3. Verzeichnis universitätsgeschichtlicher Qualikationsarbeiten von „Schülern“ Peter Moraws .......... Register der Personen- und Ortsnamen .....................................
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603 607 609
VORWORT ZUR EINFÜHRUNG Jürgen Miethke
Deutschland mußte lange warten, bis es den seit dem 13. Jahrhundert entstandenen Universitäten West- und Südeuropas durch eigene Universitätsgründungen nacheifern konnte. Erst 1348 war es soweit, daß im Römisch-Deutschen Reich des Mittelalters nördlich der Alpen die Universität Prag ins Leben trat. Diese Gründung setzte wenig später geradezu einen Wettstreit von Bemühungen deutscher Fürsten und Städte in Gang, die das Netz der deutschen Hochschulen innerhalb weniger Jahrzehnte deutlich verdichteten. Universitätsgeschichte ist für Deutschland dezidiert ein spätmittelalterliches Phänomen. Peter Moraw, in seiner Generation wohl der erfolgreichste und weithin wirkungsvollste Historiker der Verfassungsstrukturen des deutschen Spätmittelalters, hat seit seinen ersten Anfängen der Geschichte der Universitäten seine Aufmerksamkeit gewidmet. Er hat in seinen zahlreichen Beiträgen dabei eine selbständige Stimme geführt und eigene Perspektiven eröffnet. Geboren in Mährisch Ostrau, hat er nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik seinen Bildungsweg beschritten. Das Studium der Geschichte an der Universität Heidelberg dauerte eine Regelstudienzeit von fünf Jahren bis zum Staatsexamen, im Alter von 26 Jahren (1961) hat er es mit einer mediävistischen Dissertation bei Fritz Ernst abgeschlossen. Sie verband noch ganz im Sinne seines Lehrers, der sich stets für die Landesgeschichte interessiert hatte, landesgeschichtliche Fragestellungen mit institutionengeschichtlichen Problemen. Dabei wagte er bereits einen Ausblick auf die Heidelberger Universitätsgeschichte, weil das untersuchte Kollegiatstift Zell einige Zeit zur linksrheinischen wirtschaftlichen Ausstattung der Heidelberger Universität beigetragen hat1.
1 Peter Moraw, Das Stift St. Philipp zu Zell in der Pfalz, ein Beitrag zur mittelalterlichen Kirchengeschichte, Heidelberg 1964 [auch: Heidelberg, phil. Diss. 1964].
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vorwort
Die Habilitationsschrift, die ein Jahrzehnt später (1971) wiederum in Heidelberg abgeschlossen wurde2, blieb zwar (mit der Ausnahme von zwei umfangreichen zuvor erschienenen vorbereitenden vielbeachteten Aufsätzen3 ) als ganze ungedruckt, sie machte jedoch mit einem Schlag Fachkreise auf den 36 Jahre jungen Gelehrten aufmerksam. Hier war der überkommene Verstehenshorizont der Reichsverfassung verlassen, der sich an der juristisch faßbaren Formation einer staatlichen „Anstalt“ orientiert hatte, zugunsten eines Blicks auf die Personenverbände als die Träger dessen, was als Reich Leben und Wirklichkeit gewinnen konnte. Hier stand nicht mehr das abstrakte Konstrukt einer Gesamtinstitution im Vordergrund des Erkenntnisinteresses, vielmehr kamen die Räume der Begegnung und das Zusammenwirken der wichtigen Kräfte in den Blick, der Herrscherhof, die Hoftage, die Treffen der Entscheidungsträger, die ihre je und dann gefundenen Problemlösungen in meßbarer Weise erreichten und entsprechend darzustellen versuchten. Dieses Personal der politischen Entscheidungen aber, das machte er immer wieder deutlich, war keineswegs amorph und unstrukturiert, vielmehr vielfältig miteinander vernetzt in horizontaler und vertikaler Richtung. Deswegen erlaubt es die Methode einer „Prosopographie“, die hochadligen und adligen Eliten mittels einer kollektiven Biographie der einzelnen Gruppen zu erfassen und damit zu einer neuartigen Sicht der Verfassungsgeschichte des Reiches vorzustoßen, welche neue Dimensionen des Verständnisses eröffnete. Die früher so oft und grundsätzlich vernachlässigte Geschichte des späteren Mittelalters ließ sie in hellem Licht erscheinen. Daß damit auch das Zusammenspiel von Zentrum und Peripherie anders und neu begriffen werden konnte, daß hier die früher maßgebliche Kategorie der „Landesgeschichte“ durch eine neue Perspektive mit den zentralen Entwicklungen verknüpft und beide gegenseitig fruchtbar wurden, war ein willkommener Seiteneffekt. Peter Moraw hat diese Sicht der Dinge nicht als einziger verfochten, andere hatten
2 Peter Moraw, König, Reich und Territorium im späten Mittelalter, Prosopographische Untersuchungen zur Kontinuität und Struktur königsnaher Führungsgruppen, 1971 [masch.]. 3 Peter Moraw, Beamtentum und Rat König Ruprechts, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 116 (1968) S. 59–126, sowie: Kanzlei und Kanzleipersonal König Ruprechts, in: Archiv für Diplomatik 15 (1969) S. 429–531. Eine Sammlung wichtiger späterer Aufsätze liegt vor in: P. Moraw, Über König und Reich, Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, hrsg. von Rainer Christoph Schwinges aus Anlaß des 60. Geburtstags von Peter Moraw, Sigmaringen 1995.
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verschiedene Aspekte dieses Ansatzes in unterschiedlicher Form in der deutschen oder internationalen Mediävistik vorbereitet oder bereits ausgeprägt, er aber hat von seinen Anfängen an diese entschiedene Abkehr von der traditionellen Betrachtungsweise besonders methodenbewußt, dabei nicht der Konsequenz einer einzigen Methode „methodentreu“ verpichtet, sondern auf „problemorientiertes“ „multimethodisches“ Vorgehen setzend4, nachhaltig wirkungsvoll vertreten. Noch im Jahr seiner Habilitation durfte der Privatdozent eine Professur in Darmstadt vertreten, ein Jahr später (1972) folgte er dem Ruf zunächst auf eine Professur nach Bielefeld, jener Universität, deren Geschichtswissenschaft sich damals mit besonderer Aufmerksamkeit und geradezu programmatisch den theoretischen Grundlagen der eigenen Disziplin widmete. Ein Ordinariat für „Mittelalterliche Geschichte, Deutsche Landesgeschichte und Wirtschafts- und Sozialgeschichte“ nahm er dann im selben Jahr noch an der Universität Gießen an. Der weitgespannte Rahmen seiner Dienstaufgaben dort gab ihm willkommene Gelegenheit, in drei Jahrzehnten aus seiner spezischen Perspektive das Fach „in seiner ganzen Breite“ abzuschreiten. Bis zu seiner Emeritierung (2003) blieb er dieser seiner ersten Liebe treu, ehrenvollen Einladungen nach Düsseldorf, Trier und Tübingen zum Trotz. Die Mitgliedschaft in der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und eine aktive Teilnahme am Wiederaufbau der Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin können als ein Echo der deutschen Fachöffentlichkeit darauf verstanden werden. Bald schon, kurz nach seiner Ankunft in Gießen, hat er die Universitätsgeschichte schärfer in den Blick genommen5, die er zuvor in Heidelberg schon immer wieder bedacht hatte6. Sein neuartiger Zugriff
4 So als Forderung an das Fach in der Rückschau auf die methodische Wende der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts Peter Moraw selbst, vgl.: Kontinuität und später Wandel, Bemerkungen zur deutschen und deutschsprachigen Mediävistik 1945–1970/75, in: Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, hrsg. von Peter Moraw und Rudolf Schieffer (Vorträge und Forschungen, 62), Ostldern 2005, S. 103–138, hier S. 136. 5 Peter Moraw, Zur Sozialgeschichte der deutschen Universität im späten Mittelalter, in: Gießener Universitätsblätter 8/2 (1975) S. 44–60. (Der Aufsatz geht nicht zufällig auf einen für ein Bielefelder Kolloquium geschriebenen Vortrag von 1975 auf der Grundlage eines Gießener Seminars zurück). 6 Peter Moraw und Theodor Karst, Die Universität Heidelberg und Neustadt an der Haardt (Veröffentlichungen zur Geschichte von Stadt und Kreis Neustadt an der Weinstraße, 3), Speyer 1963.
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ist – wie bei seinen Studien zur Verfassungsgeschichte des Reichs – charakterisiert durch eine radikale Abwendung von einer trockenen Institutionengeschichte, die ausgeformte Strukturen einer bestimmten einzelnen Universität oder der mittelalterlichen Universität allgemein in ihrem aus den normativen Rechtsquellen erhebbaren Funktionieren beschreiben und darstellen will. Dieses Modell hat bis in die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts die allgemeine Universitätsgeschichte beherrscht7. Das Normengefüge der Institutionen, die gedachten und vorgestellten Ordnungen standen in ihrem Funktionieren und in ihrem Versagen im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses historischer Forschung und Darstellung. Moraw fragte auch hier nach den Menschen, die sich innerhalb dieser Institutionen bewegten, in ihnen arbeiteten, von ihnen geprägt wurden und welche die Institutionen nach ihren Bedürfnissen formten. Die Universitäten werden zu Schauplätzen nicht allein von Entscheidungen der institutionellen Organe, spiegeln nicht mehr allein das Wechselspiel von Befehl und Gehorsam, von Willensbildung und Entscheidung, sondern werden als Ort menschlicher Bestrebungen und politischen Durchsetzungswillens von Einzelnen und von Gruppen wahrgenommen, zeugen neben ihrer Bedeutung als Gefäß der Wissenschaften auch von Kämpfen um Einuß und Entscheidungen, sind angefüllt von Siegern und Besiegten, bergen Erfolgreiche und Zurückbleibende. Sie spiegeln, so läßt es sich auf eine Formel bringen, alltägliches Leben in menschlicher Gesellschaft wieder. Damit rückt auch der „sozialgeschichtliche“ Aspekt der Universitätsgeschichte in breitester Front in den Brennpunkt des Forscherinteresses. Denn die Universitäten treten nunmehr nicht mehr als abgegrenzter, ja in gewissem Sinn von der allgemeinen sozialen Realität abgehobener Lebenskreis in Erscheinung, sondern als vielleicht besonderer, aber mit seiner Umwelt in ständiger Kommunikation stehender eigener Lebensraum. Es ist die Prosopographie, die dieses Interesse in erkenntnisfördernde Arbeit umzusetzen vermag. Die Altertumswissenschaften des frühen 19. Jahrhundert haben aufgrund ihrer Quellenarmut dieses Vorge-
7 Das wird erkennbar etwa an dem weitbekannten Handbuch, das 1895 zum ersten Mal erschienen, 1936 in einer (später öfters neu gedruckten) dreibändigen Ausgabe erschienen ist: Hastings Rashdall, The Universities of Europe in the Middle Ages, Oxford 1895, New Edition in Three volumes, edd. by Frederick Maurice Powicke and Alfred Brotherstone Emden, Oxford 1936 [Repr. 1942, 1951, 1958, 1964, 1969]. Vgl. dazu etwa auch Heinrich Denie, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885 [Reprint Graz 1956].
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hen zuerst als historische Methode entwickelt. Zunächst ist es darauf gerichtet, scheinbar trocken möglichst zahlreiche Einzeldaten zu identizierbaren Individuen einer historischen Epoche anzusammeln. Erst in der Zusammenschau und bei geeigneter Befragung beginnen diese Daten dann zu sprechen. Mit Erfolg hat Peter Moraw die Fruchtbarkeit eines derartigen Zugriffs auf die Eliten des deutschen Mittelalters demonstrieren können. Er hat immer wieder verschiedene deutsche Universitäten in diesem Sinne „prosopographisch“ und sozialgeschichtlich durchleuchtet und damit neue Erkenntnisse zu ihrer Geschichte, ihrem Wandel und ihrer inneren und äußeren Gestalt erschlossen. Das Interesse an der universitären Sozialgeschichte hat er mit hartnäckiger Absicht dabei neu geweckt. Dabei fand und gewann er immer wieder Nachfolger und Schüler, die sich seiner Erkenntnissuche anschlossen. Insbesondere die älteste deutsche Universitätsgründung Prag, welcher er zahlreiche Arbeiten gewidmet hat (von denen im vorliegenden Bündel – der Auswahl des Autors folgend – nur drei, nämlich Kapitel 3 bis 5, aufgenommen worden sind), hat ihn immer wieder zu einzelnen Explorationen und auch zu einer wirkungsvollen synthetischen Gesamtdarstellung8 gereizt. Der vom Autor selbst vorgeschlagenen Gliederung seiner hier präsentierten Beiträge liegt keine biographisch-chronologische Folge seiner Arbeiten zugrunde, die auf die Reihenfolge der Entstehung blickte. Vielmehr erfolgte die Anordnung mit guten Gründen systematisch. Auf zwei in einem „I. Teil“ (Nr. 1–2) zusammengefaßten allgemein gehaltenen und mit weitem Blick auf europäische Dimensionen der Universitätsgeschichte geschriebenen „Überblicksdarstellungen“ folgt eine Reihe von 8 Beiträgen zu einzelnen Universitäten „von Ost nach West“, also nach geographischen Gesichtspunkten angeordnet (II. Teil). In dieser Abteilung wird nur Prag mehrfach beleuchtet, die anderen Hohen Schulen erhalten jeweils nur einen einzigen entschlossenen Hinblick. Dabei sind die strukturgeschichtlichen Beiträge zu Prag (Nr. 4), zu Krakau (Nr. 6), das natürlich „östlich“ von Prag liegt, aber auf Prag eben wegen des chronologischen Ursprungs der deutschen Universitätsgeschichte und wegen der Bedeutung Prags auch für die Gründung von Krakau hier erst nachfolgt, mit gutem Grund, wie mir
8 Peter Moraw, Die Universität zu Prag im Mittelalter, Grundzüge ihrer Geschichte im europäischen Zusammenhang, in: Die Universität Prag (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste, 7), München 1986, S. 9–134.
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scheint, zu Heidelberg (Nr. 9) eigentümliche und Maßstäbe setzende Marksteine der Forschungsgeschichte gewesen, die immer wieder vorbildhaft und perspektivenreich künftige Arbeiten beügelt haben. Arbeiten zu Erfurt (Nr. 7) und Gießen (Nr. 10) verdienten ebenfalls die Aufnahme in diese Sammlung, da sie allesamt die wegweisende Wirkung der zuvor genannten Forschungen nun an anderem Material erproben und die Fruchtbarkeit des Ansatzes erweisen. Insgesamt machen diese Studien, von Ost nach West voranschreitend, dabei auch die Richtung deutlich, in die Peter Moraw künftige historische Arbeiten an deutschen Universitäten weisen möchte. Ein weiterer III. Hauptabschnitt gilt konzentriert sozialgeschichtlichen Entwicklungen, vor allem den Folgen der Existenz von Universitäten für die Elitenbildung in Europa (Nr. 11), den sozialgeschichtlichen Bedingungen der Existenz eines deutschen Universitätsprofessors (Nr. 12 und 13) und studentischen Karrieren (Nr. 14). Nicht ganz deutlich von diesem allgemeinen Aspekt abgegrenzt, aber doch in spezischer Fragerichtung auf eine eigene Problematik hin orientiert, verfolgt sodann ein IV. Teil mit denselben prosopographischen Interessen und Methoden des Autors „Universitätsbesucher und Gelehrte im Deutschen Reich“. Hier werden konkret die Karrieren von deutschen Universitätsbesuchern in Deutschland in der Zeit nach ihrem Studium aufgesucht und damit kommt der sozialgeschichtliche Impetus Morawscher Forschungen erst eigentlich an sein Ziel. Der Beitrag (Nr. 16) war dabei in Deutschland richtungweisend, hat er doch die schon länger mit Aufmerksamkeit verfolgten „gelehrten Räte“ am königlichen und kaiserlichen Hof in differenzierter und plastischer Entwicklungsperspektive in ihrer Bedeutung für die Verfassungsgeschichte des Spätmittelalters neu zu verstehen gelehrt. Ein ganzer heute blühender Forschungszweig hat sich an diesen bahnbrechenden Ansatz angeschlossen. Auch Peter Moraw selbst hat daran mit weiteren Arbeiten Anteil genommen (z. B. Nr. 14). In einem Anhang sollen noch die breit gestreuten Arbeiten und Interessen Moraws auch dort wenigstens kurz genannt werden, die in dem vorliegenden Band keine Berücksichtigung fanden: Für die technische Leitung und redaktionelle Durchführung der Drucklegung aller Texte konnte sich der Verfasser auf seine ehemalige Schülerin Frau Dr. Miriam Spiller verlassen, die unterstützt durch Mitarbeiter des Repertorium Academicum Germanicum in Gießen die zeitaufwendigen Mühen der Korrekturen auf sich genommen hat. In dem von ihr zusammengestellten Anhang steht zunächst die knappe Problemskizze eines Großforschungsunternehmens, des Repertorium Academicum Germa-
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nicum [RAG], dessen Finanzierung Peter Moraw zusammen mit seinem früheren Schüler Rainer Christoph Schwinges (Bern) erfolgreich bei der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der deutschen Forschungsgemeinschaft hat durchsetzen können. Niemand sonst hätte dieses Vorhaben besser und kompetenter präsentieren können als R. C. Schwinges, der das Unternehmen zusammen mit Peter Moraw von Anfang an ins Werk gesetzt hat. Es folgt ein Verzeichnis aller universitätsgeschichtlichen Veröffentlichungen Peter Moraws, das damit zugleich auch die bibliographischen Nachweise für den Erstdruck der in dem Band gesammelten Arbeiten liefert. In der Folge werden die unversitätsgeschichtlichen Examensarbeiten, Dissertationen und Habilitationsschriften, die Peter Moraw angeregt, betreut und beraten hat, nachgewiesen. In dieser Liste wird in nuce so etwas wie seine „Gießener Schule“ sichtbar, die sich freilich nicht im Sinne einer schematischen Fortsetzung der Arbeiten des Meisters entfaltete, die vielmehr vor Augen führt, in welch großer Variation der Interessenrichtung seine Anregungen für die deutsche Universitätsgeschichte fruchtbar wurden. Schließlich soll ein Personennamen- und Ortsnamenregister, erstellt von Frau Bianka Frank und den Herren Frank Wagner und Wolfram C. Kändler (Repertorium Academicum Germanicum, Arbeitsstelle Gießen) den gesamten Band auch einer üchtigen Konsultation und gezielten Nachschlagewünschen erschließen. Mit der Sammlung der Aufsätze Peter Moraws zur deutschen Universitätsgeschichte wird nicht allein ein wichtiges Arbeitsinstrument vorgelegt, das angesichts der weiten Streuung der ursprünglichen Publikationsorte nun mit gesammelter Kraft eine eigene und vielleicht verstärkte Wirkung erzielen kann, eine Wirkung der Konzentration und Repräsentation der Morawschen Perspektiven auf die deutsche Universitätsgeschichte. Dem Autor ist es zu danken, daß er seine in langen Jahren entstandendenen Arbeiten nun geschlossen verfügbar macht. Seine Leser können ihm das nur damit entgelten, daß sie sich auf seine Spuren begeben und versuchen, ihren Blick auf die Geschichte nicht allein Deutschlands, sondern auf den gesamten Bereich der europäischen Universitäten weit und exibel zu halten, die Hochschulen als Lebensraum und zunehmend wichtige Panzstätte eines Großteils der abendländischen Eliten ihrer Zeit in ihrer Weite und Enge, ihren freiheitsbeschränkenden und freiheitseröffnenden Bedingungen besser verstehen zu lernen.
TEIL I
ÜBERBLICKSDARSTELLUNGEN
KAPITEL 1
ASPEKTE UND DIMENSIONEN ÄLTERER DEUTSCHER UNIVERSITÄTSGESCHICHTE*
I Wer – wie heute die meisten deutschen Geisteswissenschaftler – intensiv mit dem Phänomen „Universität“ zu tun hat, ist sich recht sicher bei der Antwort auf die Frage, was eine Universität sei. Mit der BrockhausEnzyklopädie von 1974 hält er wohl die Universität für eine „staatliche, kirchliche oder private, in der Regel körperschaftlich verfaßte Einrichtung zu institutionalisierter Pege der Wissenschaften in Forschung, Lehre, Studium und Ausbildung mit dem Recht der Selbstverwaltung, Selbstergänzung und der Promotion“1. Diese gleichsam zeitlose Denition legt den Schluß nahe, daß auch der Weg zur Geschichte der deutschen Universität2 verhältnismäßig geradlinig und ohne größere
* Der vorliegende Versuch einer Orientierung und Synthese war in erster Fassung Grundlage und ist in dieser Form auch Ergebnis der im Vorwort genannten Lehrveranstaltungen; die folgenden Einzelstudien müssen daher weder volle Übereinstimmung mit ihm zeigen noch können sie gar als Erfüllung von hier ausgesprochenen Postulaten gelten; dieses war schon aus organisatorischen und terminlichen Gründen unmöglich. – Den Herren Kollegen H. Berding, H. G. Gundel und V. Press und Herrn Dr. R. Schwinges danke ich für freundliche Hilfe. 1 Bd. 19, S. 267. 2 Seit F. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart (zuerst 1885, 3. Au. v. R. Lehmann in 2 Bdn. 1919/21) gibt es bekanntlich keine Zusammenfassung. H. W. Prahl, Sozialgeschichte des Hochschulwesens (1978), erhebt diesen Anspruch nicht. Für das Mittelalter immer noch G. Kaufmann, Die Geschichte der deutschen Universitäten, 2 (1896). Vgl. auch N. Hammerstein, Bildungsgeschichtliche Traditionszusammenhänge zwischen Mittelalter und früher Neuzeit (in: Der Übergang zur Neuzeit und die Wirkung von Traditionen, 1978, Veröff. d. Joachim-Jungius-Ges. d. Wiss. 32) S. 32–54 u. L. Boehm, Universitäre Wissenschaftsorganisation und gesellschaftliche Bildungspostulate (in: Wissenschaft und Gesellschaft, hrg. v. R. Schmitz, 1978) S. 61–72. – Weitere Lit. bei L. Erman u. E. Horn, Bibliographie der deutschen Universitäten, 3 Bde. (1904/05) [bis 1900]. – E. Stark, Bibliographie zur Universitätsgeschichte; Verzeichnis der im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland 1945–1971 veröffentlichten Literatur. Hrg. v. E. Hassinger. (1974, Freiburger Beitr. z. Wissenschafts- u. Universitätsgesch. 1). – Bibliographie internationale de l’histoire des universités. 1–2 (1973/76). – Vgl. L. Petry, Deutsche Forschungen nach dem Zweiten Weltkrieg zur Geschichte der
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kapitel 1
Hindernisse sei. Wahrscheinlich ist dies ein Trugschluß. Es könnte sich vielmehr so verhalten, daß die Nähe zum Phänomen der modernen Universität Gefahren hervorruft, wenn man von der Geschichte der Universität handelt, daß nicht wenige, die Universitätsgeschichte zumal als Detailgeschichte geschrieben haben, diesen Gefahren erlegen sind. Dieses Problem sei der erste Aspekt unserer Thematik. Es zeigen sich vor allem zwei Gefahren. Die erste, geringere Gefahr hängt damit zusammen, daß der Großteil von Universitätsgeschichtsschreibung anlaß- und standortgebunden ist, ja mit Festen und Feierlichkeiten zusammenhängt, wie dieses Unternehmen auch. Ein solcher Tatbestand mag vor allem zwei Folgen haben: Erstens könnte Universitätsgeschichte harmonisiert oder gar verklärt werden, man mag das Positive betonen und immer wieder das Negative übergehen. Der Gerechtigkeit halber ist allerdings zu sagen, daß Jubiläen viele Arbeiten hervorgerufen haben, die andernfalls vermutlich nie geschrieben worden wären; und eine methodisch etwas problematische Arbeit ist besser als gar keine3. Zum zweiten wird Universitätsgeschichte gern „linearisiert“ und „vertikalisiert“, d. h. gleichsam in einem engen Tunnel in die Vergangenheit zurückgetrieben; damit ist ebenfalls eine teleologische Deutung nahegelegt. In dieser Weise folgt man einem methodisch unterlegenen Prinzip im Vergleich zum überlegenen „horizontalen“ Ansatz. Der Historiker mag sich überschätzen, wenn er jene, seine relativ bequemste Arbeitsweise den Tatsachen auferlegt und den Kausalitäten unterschiebt; in Wirklichkeit dürften horizontale Verechtungen für das jeweilige Handeln und Unterlassen häug wichtiger gewesen sein als
Universitäten (in: VSWG 46, 1959) S. 145–203. – G. Steiger u. M. Straube, Forschungen und Publikationen seit 1945 zur Geschichte der deutschen Universitäten und Hochschulen auf dem Territorium der DDR (in: ZfG 8, 1960, Sonderheft) S. 563–599. – M. Braubach, Neue Veröffentlichungen zur Geschichte der Universitäten (in: HJb 86, 1964) S. 138–156. – N. Hammerstein, Neue Wege der Universitätsgeschichtsschreibung (in: ZHF 5, 1978) S. 449 –463. – Ders., Nochmals Universitätsgeschichtsschreibung (ebd. 7, 1980) S. 321–336. – R. vom Bruch, Universität, Staat und Gesellschaft (in: Archiv f. Sozialgesch. 20, 1980) S. 526–544. Angekündigt ist ein Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart in 6 Bdn. 3 Fast alle wichtige Literatur zur Gießener Universitätsgeschichte ist jubiläumsbezogen: Festschrift 1907. – Ludoviciana. Festzeitung zur dritten Jahrhundertfeier der Universität Gießen (1907). – Festschrift 1957. – „Der neue Typus der Gegenfestschrift“ z. B. ,Wem gehört die Universität?‘ Hrg. v. M. Doehlemann (1977, zu Tübingen). – Zum letzten großen Jubiläumsjahr 1977: V. Losemann, Darstellungsformen von Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte (in: Hess. Jahrb. f. Landesgeschichte 29, 1979) S. 162–208. – G. Franz, 500 Jahre Universität Tübingen (in: Tübinger Blätter 66, 1979) S. 104–112.
aspekte und dimensionen
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vertikale. Freilich ist auch hier wieder einzuschränken: Die praktische Forschungsarbeit, die verständlicherweise zunächst zu geschlossenen, in der Regel im Universitätsarchiv aufbewahrten Quellenbeständen greift, kommt mit einem „vertikalen“ Ansatz viel schneller voran, und auch hier wird man zurecht sagen, ein weniger guter Beginn sei besser als gar keiner. Eine zweite Gefahr scheint bedrohlicher zu sein. Sie besteht darin, daß man Erscheinungsformen der Gegenwart (die stets wichtige, wenngleich wenig reektierte „Geschichtsquellen“ darstellen) besonders gern bei der Universität und ihrem Umfeld wie selbstverständlich auch für die Vergangenheit in Anspruch nimmt. So übertrug man selbst auf die mittelalterliche Universität auch dort, wo man in der Hauptsache ganz korrekt vorging, von den Rahmenbedingungen her Wesenszüge der neueren Universität – oder besser gesagt einer Lebensform der neueren Universität – auf die Vergangenheit. Dies gilt z. B. für die klassisch gewordene Arbeit von Herbert Grundmann „Vom Ursprung der Universität im Mittelalter“4, die unter anderem verallgemeinerungsfähig zu zeigen scheint, daß in einem sonst recht „unsozialen“ Zeitalter wenigstens eine Institution bestand, die dem Tüchtigen jeglicher Herkunft aufgrund seiner intellektuellen Leistung freie Bahn gab; so erwies sich die Universität schon damals als im heutigen Sinne wertvoll, unentbehrlich und „modern“. Dies dürfte jedoch wenigstens für die deutschen mittelalterlichen Hohen Schulen nur in geringem Maße zutreffen. Vielmehr waren auch diese von vorwiegend „konservativen“ Lebensformen durchdrungen und in diese eingeordnet, und ganz konkrete soziale Qualität (die wir heute gar nicht als Qualität verstehen, wie z. B. Herkunft und Patronat) war seinerzeit zweifellos wirksamer als abstrakte „wissenschaftliche“ Qualität. Auch war der soziale Ort des akademischen Grades in vieler Hinsicht anders beschaffen als heute. Nicht weit ist der Weg von jenen Vorstellungen zu allgemeinen, großzügig Jahrhunderte überspannenden Reexionen über Idee, Wesen, Konzeption, Kern oder Aufgabe der Universität, die Vergangenheit und Gegenwart ebenfalls in häug unzulässiger Weise zusammenführen oder gleich beide in ein zeitloses Milieu versetzen5. Demgegenüber scheint
4 H. Grundmann, Vom Ursprung der Universität im Mittelalter ( 21960) bes. S. 17ff. Vgl. dazu P. Moraw, Zur Sozialgeschichte der deutschen Universität im späten Mittelalter (in: Gießener Universitätsblätter 8, 2, 1975) S. 44–60. 5 Beliebig herausgegriffene Beispiele: A. Antweiler, Von der Aufgabe der Universität (in: Studium Generale 16, 1963) S. 178–185 oder J. Schumacher, Geschichte der
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kapitel 1
es nur ein Heilmittel zu geben, die klärende Aufspaltung solcher allzu vagen Begrifichkeit: Jegliches „metaphysische“ Moment sei beiseitegelassen, und jeglicher konkrete Wesenszug sei dem Risiko des historischen Wandels ausgesetzt. Ohnehin ruht nach den Regeln historischen Arbeitens die Beweislast eher auf denjenigen, die ein hohes Maß von Beständigkeit annehmen; die Veränderung im Zeitablauf kann als Normalzustand gelten. Jene Konstanz müßte außerdem anstelle sehr summarischer Verfahren gemäß den verschiedenen Dimensionen von Universitätsgeschichte, von denen noch zu reden ist, je für sich geprüft und bewiesen werden. Sehr lehrreich ist in diesem Zusammenhang der Umgang der Historie mit dem Begriff „Staat“. Man hat generationenlang den Staat als „überzeitliche Größe“ aufgefaßt, und gleichwohl trifft dies einfach nicht zu6. Prinzipiell nicht anders verhält es sich mit der Handhabung des Begriffs „Universität“. So kann man als heuristische Gegenposition vorerst radikal formulieren: Unsere Universität sei im 19. Jahrhundert (auf der Basis des 18. Jahrhunderts) in verschiedenen Phasen und Schüben, keineswegs nach einheitlichem Konzept entstanden, und vernünftigerweise habe man sich dabei vielfach älterer Formen und Formeln bedient; das 20. Jahrhundert habe diese Universität wiederum tiefgreifend verändert, jedoch abermals aus plausiblen Gründen ältere Formen und Formeln bewahrt7. Nicht irremachen lassen wird man sich bei einer vorläugen Verteidigung dieser Position durch die traditionell isolierende Erörterung einer einzigen Dimension von Universitätsgeschichte, der institutionell-rechtlichen – mit tatsächlich langlebigen ( jedoch für sehr unterschiedliche Inhalte offenen) korporativen Formen und Rechten; denn demgegenüber weisen die beiden anderen Dimensionen, die Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg, i. Br. (ebd.) S. 91–112 (wo S. 91 erst von der zeitlosen Idee der Universität gesprochen wird, dies aber in der konkreten Thematik dann de facto zurückgenommen werden muß). Skeptisch schon L. Boehm, Die Universitäts-Idee in der Geschichte (in: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1961/62) S. 189 –208 bes. 190 und R. Wittram, Die Universität und die Fragwürdigkeit ihrer Traditionen (in: Die Universität. Kritische Selbstbetrachtungen, 1964) S. 97–118 bes. 97. 6 Th. Schieder, Wandlungen des Staats in der Neuzeit (in: HZ 216, 1973) S. 265– 303 bes. 265. Vgl. S. Skalweit, Der „moderne Staat“. Ein historischer Begriff und seine Problematik (Rheinisch-Westfäl. Akad. d. Wiss. Vortr. Geisteswiss. 203, 1976). 7 Recht deutlich in diesem Sinne schon Paulsen 2, S. 247 und G. Tellenbach, Tradition und Neugestaltung der Universität (in: Die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 1457–1957: Die Festvorträge bei der Jubiläumsfeier, 1957) S. 7–21 bes. 9. Zu scharf wiederum F. H. Tenbruck, Fortschritt der Wissenschaft? (in: Wissenschaft an der Universität heute, 1977) S. 155–226 bes. 156.
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gelehrt-wissenschaftliche und die umweltbezogene, viel größere Wandlungen auf. Selbst der Name „Universität“ birgt mehr Scheinkontinuität als Kontinuität in sich; denn am Anfang meinte das (damals u. a. mit „studium“ konkurrierende) Wort „universitas“ einfach Gemeinschaft oder Genossenschaft ohne einen speziellen Sinn, ähnlich wie das Wort „Hanse“. Es bedurfte daher anders als heute der näheren inhaltlichen Bestimmung, um etwas Konkretes zu bedeuten8. Nicht einmal darf ein schon spezisch angereicherter Wortinhalt von „universitas“ aus der vordeutschen Universitätsgeschichte allzurasch auf die mittelalterliche Phase der deutschen Universitäten übertragen werden, da sonst das von 1348 an grundlegend Neue der deutschen Universität verdeckt werden würde (siehe unten Abschnitt II). In der frühen Neuzeit benutzte man für die Institution der Universität vielfach das Wort „Academia“, das im 19. Jahrhundert wiederum einen anderen Inhalt gerade im Gegensatz zur Universität aufwies. Die Universität dieses Jahrhunderts ist zudem ganz anders legitimiert als die ältere Hohe Schule, sie hat nach dem schönen Wort von Rudolf Smend eine „neue Unantastbarkeit“9 (anders gesagt ihre erste innere „Unantastbarkeit“ überhaupt) gewonnen. Schließlich ist auch im Hinblick auf die Quantitäten ein radikaler Wandel eingetreten: Die nicht seltene Verfünfzigfachung der Studentenzahl auf dem Lebensweg einundderselben Universität (in Gießen z. B. eingetreten zwischen 1837 (290) und 1981 (ca. 16.000) oder der unfaßlich rasche Anstieg der Anzahl der Wissenschaftler in der Welt bis auf viereinhalb Millionen schon bis zum Ende der sechziger Jahre unseres Jahrhunderts10 oder auch die Gründung einer auf Massenbetrieb eingerichteten Fernuniversität ohne studentische Präsenz, um drei Beispiele anzuführen, können schwerlich ohne tiefgreifende Konsequenzen für das Wesen der Universität geblieben sein: Sie würde jetzt ein bürokratisierter Großbetrieb. Grundsätzlich sei zuletzt noch bedacht, daß eine in solcher Weise von Personen bestimmte Institution wie die Universität zwar einerseits durch zeitlich gegeneinander versetzten Mitgliederwechsel stabilisiert scheint, andererseits aber auch dem personenbezogenen Zufall in sehr hohem Maße ausgesetzt ist: Mag z. B. der Abfolge der naturwissenschaftlichen Entdeckungen des
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P. Michaud-Quantin, Universitas (1970). Zitiert bei R. Wittram, Die Universität und ihre Fakultäten (1962, Göttinger Universitätsreden 39) S. 22. 10 E. Seibold, Wissen und Gewissen (in: Forschung. Mitt. d. DFG 1981, Heft 1) S. 5, 15f. bes. 15. 9
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deutschen 19. Jahrhunderts eine gewisse Zwangsläugkeit innewohnen, so gilt dies schwerlich im gleichen Ausmaß für deren Lokalisierung an dieser oder jener Universität; und auch gegenüber den grundlegenden Wendezeiten im 14. Jahrhundert und um 1800, als über die Institution „Universität“ im ganzen entschieden wurde, kann man nicht ohne eine stark personengebundene, d. h. auch zufallsoffene Argumentation auskommen. Greift man daher aus der Gegenwart der Universität auf ihre Vergangenheit zurück, sind solche und andere Schwierigkeiten und Wandlungen gleichsam in umgekehrter Richtung gedanklich zu durchmessen und sind einige Vorsichtsmaßnahmen gegenüber allzu folgerichtig erscheinenden Schlüssen zu treffen, ehe man dann auf die ältere deutsche Universität stößt. Dieser kritische Umgang mit Begriff und Sache „Universität“, im Hinblick auf eine achthundertjährige Vergangenheit, darf nun nicht in der Weise mißverstanden werden, daß man ein kohärentes Phänomen „europäische Universität“ überhaupt leugnet. Dafür gibt es keinen ernsthaften Anlaß. Der folgende Text setzt daher diese in unserer Thematik nicht ausführlich erörterte Feststellung voraus. Auch für den Fall der jahrhundertelangen Vergangenheit einer einzelnen Universität gibt es noch zu diskutierende, normalerweise gute Gründe dafür, an einem geschlossenen Zusammenhang festzuhalten – bis etwa zu der Grenze, von welcher an in der lokalen Universitätsgeschichte zum höheren Ruhm der entsprechenden Hohen Schule methodisch bedenklich argumentiert wird: z. B. in der frühen Neuzeit abwechselnd mit personellen, konfessionellen und lokalen, in ihrer Abfolge inkonsequenten Argumenten, um die erstrebte Kontinuität der Anstalt zu wahren; oder wenn man Legitimitätsmängel, denen gegenüber eine Universität höchst empndlich ist, beschönigt. Ähnliches kennt man aus der Geschichte mancher Klöster und Kirchen. Im ganzen jedenfalls sollen hier die beiden genannten Zusammenhänge, selbst wenn sie teilweise auf unreektiertem Vorverständnis beruhen, nicht zerrissen, sondern nur als Problem verstanden werden. Die sehr bekannte Tatsache der vertikal einheitlichen Universitätsvergangenheit und das oben angesprochene weniger geläuge Faktum tiefgreifender horizontaler Zäsuren können nebeneinander bestehen: Dies eröffnet dem Historiker die Möglichkeit, die Geschichte der einzelnen Hohen Schule je nach Notwendigkeit zwischen beiden Grenzpositionen zu lokalisieren und damit zu versachlichen.
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Auch wenn die ältere deutsche Universität mit der gegenwärtigen gewiß weniger gemein hat, als man im allgemeinen glaubt, so sind sie doch aufeinander bezogen. Der Wandel der Institution und ihrer Umwelt ist normalerweise nicht auf einmal eingetreten, sondern stufen- und abschnittsweise, und über die Einzelphasen der Veränderung hinweg blieb vieles bestehen. Es ist geradezu ein Charakteristikum zumal der älteren Universität, daß viele Neuerungen eine partiell zäsurenüberschreitende Vorgeschichte aufwiesen und daß das überholte Alte noch teilweise fortbestand. So kann ein Zusammenhang selbst über längere Fristen hinweg bestehen, ohne daß dessen Anfangs- und Endpunkte vieles gemein haben müssen. Darüber hinaus gibt es tatsächlich einen dauerhaften, wenn auch nicht allzu umfangreichen und vor allem funktional wandelbaren, d. h. unterschiedlich ausfüllbaren11 Kernbestand universitärer Existenz: Dazu gehören die Lebensform der kleinen Gruppe (der vollberechtigten Lehrer mit einem gewissen Maß an institutioneller Ordnung und Bewegungsfreiheit), das Gegenüber von kleiner Gruppe und anderen, öfter größeren Gruppen (Ordinarien gegenüber Nichtordinarien und Studenten in Anregung und Reibung) und mehr oder weniger ansehnlicher oder gar kaum begrenzter Raum für die geistige Bewegungsfreiheit aller Glieder; dazu zählen auch die eigentlich niemals unterbrochene, oft drückende Abhängigkeit der Universität vom stiftenden, zahlenden und lenkenden Herrn, Hof oder Staat und die freund-feindliche Beziehung der Universität zu ihrer Heimatstadt. Insofern einige solcher „einfachen Ordnungen“ sehr zählebig sind, erscheinen sie (so kann der Historiker hinzufügen) als zweckmäßig; sie stimmen übrigens für die Professorenschaft und deren Rekrutierung weithin mit der Organisationsform der mittelalterlichen Dom- und Stiftskapitel überein, die auf ein vergleichbar hohes Alter zurückblicken kann und als ebenso anpassungsfähig aufgefaßt werden mag, ja für deutsche Verhältnisse mit der spätmittelalterlichen Universität kausal verknüpft werden könnte. Jedoch sollte man sich mit der
11 Hier, aber nicht nur hier bestehen deutliche Parallelen – auch in der Überlebensfähigkeit – zu den Institutionen der spätmittelalterlichen Kirche, insbes. zur Stiftskirchenverfassung. Vgl. J. Miethke, Die Kirchen und die Universitäten im Spätmittelalter und in der Zeit der Reformation (in: Kyrkohistorisk arsskrift 77, 1977) S. 240 –244 bes. 241 u. P. Moraw, Zur Sozialgeschichte der Propstei des Frankfurter Bartholomäusstifts im Mittelalter (in: Hess. Jahrb. f. Landesgeschichte 27, 1977) S. 225–235. Daher kommt der sozialgeschichtlichen Perspektive, die solche Zusammenhänge am besten aufdeckt, auch für die Universitätsgeschichte besondere Bedeutung zu (vgl. unten).
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Feststellung dauerhafter Formen nicht begnügen. Vielmehr setzen erst bei deren Gegenüberstellung zu den Wesenszügen und Einwirkungen des jeweiligen Zeitalters die interessanten Fragen ein – zumal hinsichtlich der beiden Bereiche „gelehrt-wissenschaftliche Welt“ und „soziale Welt“ außerhalb der jeweils angesprochenen Universität. Offenbar umfaßt bei uns das lebendige Bewußtsein vom Zusammenhang oder gar von der Identität universitärer Gegenwart und Vergangenheit erheblich mehr als den hier angesprochenen Kernbestand nachweisbarer großer Dauerhaftigkeit. Dieser wird z. B. dadurch verbreitert, daß verhältnismäßig kurzfristige Kontinuitäten selektiv bald als langfristige aufgefaßt werden, während man andere, selbst recht wesentliche Tatbestände, die wenig mit der Gegenwart zu tun haben, rasch gänzlich vergißt. Wie dem auch sei – solches begründetes, „naives“ oder gar mißverstehendes Traditionsbewußtsein ist ein besonderer Teil des Universitätslebens und hat darin eine nicht unbedeutende Funktion; es kann sogar neue Fakten schaffen, insbesondere im Hinblick auf das Beharren beim Hergebrachten und beim Widerstand gegen äußere Herausforderungen. Ein gut begründetes Traditionsbewußtsein hilft mit, der Universität einen Teil jener Legitimität zu vermitteln, die sie auf Förderung, Respekt und jenen Freiraum hoffen läßt, den sie für ihr Gedeihen braucht12. Erst dann kann sie aus ihrer Legitimität Legitimation für andere hervorbringen, für ihre Absolventen und ihren Staat. Damit ist der Historiker, der aus der Vergangenheit seiner Universität von berufswegen ihre Geschichte macht, herausgefordert. Wenn er skeptischer über Zusammenhänge denkt als andere, könnte dies sogar zu Spannungen zwischen seiner Rolle als Wissenschaftler und als Universitätsangehöriger führen. Diese Gefahr besteht jedoch nur dann, wenn er die schon angedeutete und noch weiter zu behandelnde Verechtung zwischen dem Schicksal seiner Hohen Schule als historischem Individuum und der gesamten Universitäts-, Wissenschafts- und Sozialgeschichte nicht plausibel zu machen vermag.
12 Ein sehr frühes Beispiel G. A. L. Baur, Über die Bedeutung der historischen Continuität mit besonderer Rücksicht auf die deutschen Universitäten (1857, Rektoratsrede Gießen).
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II Es kommt für Universitätsgeschichte heute darauf an, sie „horizontal“13, d. h. in ihrer jeweiligen, insbesondere sozialen Umwelt zu verankern. Die Universität antwortete wohl primär stets auf Jeweiliges, und sie tat dies aus erkennbaren Gründen innerhalb ihrer traditionellen Formen. Diese zweifache Problematik stellt sich uns jetzt als Frage nach der Chronologie und Periodisierung der deutschen Universitätsgeschichte dar. Sie führt in diesem neuen Zusammenhang zur Geschichte aller Hohen Schulen hin: Zum Wesen einer Universität gehört die Existenz anderer Universitäten. Angesichts der Tatsache, daß jede Periodisierung zugleich Reex vergangenen Geschehens und gegenwärtiger Deutung ist, suchen wir diesen beiden Gesichtspunkten durch eine Dreiteilung der deutschen Universitätsgeschichte zwischen der Mitte des 14. und dem späten 20. Jahrhundert in ein vorklassisches, ein klassisches und ein nachklassisches Zeitalter gerechtzuwerden. Mit Absicht setzen wir sprachlich und sachlich den Anfang bei der „klassischen“ Universität des 19. und der beiden ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Mit dieser Wortwahl wird als erstes in Erinnerung gerufen, daß diese Periode als positive Folie dient, wenn von älteren Hohen Schulen oder von der gegenwärtigen Universität gesprochen wird. Für die vorklassische Zeit wird zugleich das methodische Zwielicht warnend gekennzeichnet, in welches man beim Blick nach rückwärts parallel zu so gebräuchlichen Klassizierungen wie „vorreformatorisch“ oder „vorhussitisch“ geraten kann. Zum zweiten soll auch begrifich die unbestreitbare Blütezeit der deutschen Universität wenigstens in ihrer wissenschaftlichen Dimension hervortreten, das einzige Jahrhundert einer internationalen Führungsrolle der deutschen Hochschulen, die nach allgemeiner Übereinstimmung etwa von den zwanziger/dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn der Hitlerherrschaft anzusetzen ist. Dies führt sogleich zum dritten Gesichtspunkt, zum Problem der inneren Geschlossenheit unserer Periode. Bei näherem Zusehen nämlich wird das klassische Zeitalter beinahe nur dann als Einheit empfunden, wenn es als Folie für die ältere oder die jüngere Periode dient; es wird dabei von seinen Wesenszügen argumentativ recht
13 Vgl. z. B. für die Literaturgeschichte H. R. Jauss, Paradigmawechsel in der Literaturwissenschaft (in: Linguistische Berichte 3, 1969) S. 44–56 bes. 49.
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eklektisch Gebrauch gemacht. In der Realität bestanden am ehesten eine institutionelle, schwerlich eine soziale und im Hinblick auf die Endphase bestimmt keine wissenschaftsgeschichtliche Einheit, auch nicht Einheitlichkeit im Hinblick auf die Beziehungen zum Staat. Wir werden daher zur Hervorhebung der Kernperiode etwa von 1860/70 bis etwa 1933 gelegentlich von der hochklassischen oder konsolidierten klassischen Universität sprechen. Schließlich mögen durch unsere Periodisierung zwei der drei wesentlichen Zäsuren unserer ganzen Thematik gesetzt werden, ungefähr um 1810 und in den sechziger/siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Gemäß der Planung dieses Sammelbandes konzentriert sich das Hauptinteresse auf die vorklassische Zeit von der Mitte des 14. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts14. Indem wir derartig abgrenzen, betonen wir den äußeren und inneren, besonders institutionellen, aber auch den wissenschaftlichen und sozialen Zusammenhang über die Schwelle der Reformation hinweg15. Wir unterstreichen auch die Fortdauer der Rechtseinheit im ganzen deutschen Universitätsbereich, die auf den Privilegien der alten zentralen Gewalten ruhte, und heben die Schärfe der Zäsuren am Anfang und am Ende der Periode hervor. Die Hauptgrundlage vorklassischer Universitätsgeschichte ist durch das Spannungsverhältnis zweier sehr unterschiedlicher Faktoren gegeben, das der Historiker und die Zeitgenossen hinnehmen müssen. Erstens: Von ihren Prager Anfängen (1348) an war die deutsche Universität fundamental geprägt durch den Willen des Stifters und seiner Erben, d. h. zunächst durch den Territorialherrn16 und dann 14 R. Vierhaus, Geschichte der Wissenschaft: Zentraler Gegenstand auch der Geschichtswissenschaft (in: Wirtschaft und Wissenschaft, 1975 Sonderheft) S. 22–26 bes. 24. – Hammerstein S. 33f. 15 L. Petry, Die Reformation als Epoche der deutschen Universitätsgeschichte (in: Festgabe J. Lortz 2, 1958) S. 317–353. – G. A. Benrath, Die Universität der Reformationszeit (in: ARG 57, 1966) S. 32–51. – Ders., Die deutsche evangelische Universität der Reformationszeit (in: Universität und Gelehrtenstand 1400 –1800, hrg. v. H. Rössler u. G. Franz, 1970, Dt. Führungsschichten in der Neuzeit 4) S. 63–83, ferner die unten zitierten Arbeiten von P. Baumgart. 16 Oder das Stadtregiment, jedoch sind die deutschen Stadtuniversitäten für unseren Zusammenhang sekundär. Zur mittelalterlichen Universität außer Anm. 2: S. StellingMichaud, L’histoire des universités au Moyen Age et à la Renaissance au cours des vingtcinq dernières années (in: XIe Congrès international des sciences historiques, Rapports 1, 1960) S. 97–143. – Les universités européennes du XIVe au XVIIIe siècle (1967). – Stadt und Universität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hrg. v. E. Maschke u. J. Sydow (1977, Stadt in der Gesch. 3). – Les universités à la n du Moyen Age. Actes du Congrès international de Louvain 26–30 mai 1975, éd. p. J. Paquet et J. Ijsewijn (1978). – E. Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahr-
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durch den konfessionalisierten Territorialstaat, und unterschied sich damit zutiefst von den vordeutschen Verhältnissen (auch dann, wenn sich diese von den eher „freischwebenden“ Anfängen des 12. Jahrhunderts bis zum italienischen und französischen 14. Jahrhundert ansehnlich verfestigt und „politisiert“ hatten). Mit Prag und den Schisma-Universitäten der 1380/1390er Jahre begann ein neues Zeitalter europäischer Universitätsgeschichte17, das durch die alternativenlose Bindung der Hohen Schulen an einen nahen Herrn und dessen Hof und bald durch die damit verknüpfte Regionalisierung und lokale Verankerung näher bestimmt war. An diesem Tatbestand darf man sich durch die auf Paris, Bologna und anderswohin verweisenden einschlägigen Urkundentexte, durch die ebendaher ererbte Terminologie von Ämtern und Institutionen und durch spätere Urteile, die von der klassischen Universität rückprojiziert wurden, nicht irre machen lassen. Der Stifter respektierte zwar aus Legitimitäts- und Zweckmäßigkeitserwägungen die alten institutionellen Formen, wenn aber von Zeitgenossen und Historikern von der Korporation der Lehrenden und Lernenden und von deren Freiheiten gesprochen wird, so handelte es sich dabei um eine eingefügte Ordnung und um geliehene Freiheiten, die vielfältig von anderswoher ergänzt werden müssen, um das Funktionieren der Universität zu erklären – und zwar von Anfang an. Der Akt der Stiftung selbst war nach mittelalterlichem Verständnis der beste Erweis des ungekürzten Herrenrechts. Schon aus methodischen Gründen dürfen ferner die recht dünn gesäten einschlägigen Quellen des 14. und frühen 15. Jahrhunderts im Vergleich zur Folgezeit nicht zu dem Versuch verleiten, am Anfang der deutschen Universität ein Zeitalter großer Autonomie zu postulieren, das dann durch den bösen frühneuzeitlichen Staat beendet worden sei18 – analog zu einigen romantischen Vorstellungen
hunderts (in: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, hrg. v. P. Baumgart u. N. Hammerstein, 1978) S. 13–74. 17 Dies sah schon, ohne viel Gefolgschaft zu nden, C. Bornhak, Geschichtliche Grundlagen der deutschen Universitätsverfassung (in: Dt. Rundschau 182, 1920) S. 188–200, 438–456. – Das Problem wird an dieser Stelle nicht weiter vertieft, doch sei darauf verwiesen, daß wir andernorts eine quasi-universale Generation deutscher Universitätsgeschichte (von 1348 bis zum Großen Schisma) abheben möchten. Die faktisch bestehende Monopolstellung der Kaiseruniversität Prag nördlich der Alpen und östlich des Rheins wurde in gänzlich unvorhersehbarer Weise erst durch den Multiplikationseffekt der großen Kirchenkrise beendet. Die dadurch entstandene und für die Zukunft entscheidende Situation darf nicht Urteilsmaßstab für die Zeit der vierziger/achtziger Jahre sein. 18 So wie viele H. Schelsky, Einsamkeit und Freiheit (1963) S. 11ff.
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besonders des 19. Jahrhunderts von einem freien und einheitlichen, idealen Staat am Anfang der deutschen Geschichte; besser ist eine einheitliche Quellendeutung. Ein bescheidenes Maß an Ungebundenheit in den ersten Generationen, das aber auch mit einem größeren Maß an Unsicherheit korrespondierte, rührte von den Anfangsschwächen der erst heranwachsenden Territorien und von negativen dynastischen Zufällen her: So ist von den mittel- und osteuropäischen Gründungen der ersten Jahrzehnte nur diejenige einigermaßen krisenfrei geblieben, die ihren Herrn nicht frühzeitig verlor (Prag, im Gegensatz zu Krakau, Fünfkirchen, Wien, Ofen). Hinzu trat noch als weiteres Moment der Offenheit die Tatsache, daß eine Verankerung der Anstalt in dem gewachsenen sozialen Umfeld des Hochschulortes19 so schnell nicht möglich war. Eine andere Rückprojektion von Idealen der klassischen Universität ießt gern in die Interpretation des Selbstergänzungsrechtes der Universitäten ein, das jedoch selbst bei formaler Ähnlichkeit ganz anders (nämlich sehr oft patronagebezogen) beschaffen war als im späteren 19. Jahrhundert. Bei den wirklich wichtigen, d. h. den besoldeten Lehrämtern handelte der Herr ohnehin meist in gleicher Weise wie bei den ihm verfügbaren Kirchenpfründen, nämlich nach seinem Willen. Es besteht kein Grund anzunehmen, daß es sich bei den frühen Universitäten anders verhalten habe als bei den in vieler Hinsicht am besten vergleichbaren Objekten, den Kirchen und kirchlichen Stiftungen im Ermessensbereich des Herrn, wobei es sich hier und dort um ein Stück territorialer Personalpolitik handelte. Damit war die Korporation nicht chancenlos, nur eben nicht in letzter Instanz das ausschlaggebende Element20, und wir neigen dazu, uns Motive und Handlungen mittelalterlicher Universitätsgründer recht handfest vorzustellen. Die Dimension der Umwelt, die unüberbrückbar anders beschaffen war als in Italien oder Frankreich, entschied dann zuletzt über die Andersartigkeit der deutschen Hohen Schulen, welche Vorstellungen sich auch der Stifter und seine Berater gemacht haben mögen, ähnlich wie der Export des Berliner Modells ins Ausland im 19. Jahrhundert unter dem Einuß andersartiger Rahmenbedingungen zu ganz neuen 19 Künftig P. Moraw, Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter (erscheint in den Abh. der Akad. d. Wiss. in Göttingen, Phil.-hist. Kl. 1982). 20 Wenn der Landgraf die Universität mehrfach sein „Kleinod“ nannte, so heißt dies auch, daß er sich intensiv um sie kümmerte (Belege bei C. Buchner, Die Studenten zu Gießen im 17. Jahrhundert, in: ders., Aus Gießens Vergangenheit, 1885) S. 259 –278 bes. 261. Vgl. im übrigen die Beiträge von C. Reinhardt und H. G. Gundel in diesem Band.
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Ergebnissen geführt hat. Was der mittelalterliche Herr nicht übertragen konnte, war vor allem das soziale Ansehen der auswärtigen Universitäten, denen gegenüber die deutschen noch generationenlang ein Stück vom Charakter von Vorschulen behielten. Paris, Bologna und Padua waren eben unwiederholbar, übertragbar war in erster Linie das Formale. Zweitens: Neben solchen konkreten Tatbeständen in unmittelbarer Nachbarschaft der Universität existierte indessen ein archimedischer Punkt außerhalb der territorial-lokalen Sphäre, die Legitimitätsfrage der Universität. Aus eigener Kraft nämlich vermochte kein Landesherr seine Stiftung zu legitimieren, sonst hätte er aus dem Reich ausscheiden müssen; einmal gewonnene Legitimität aber gab auch der bescheidensten Gründung und dem kleinsten Territorium ein wenig abgeleiteten Glanz und Rang. Die frühe Neuzeit exekutierte auch in diesem Fall gemäß der Rechtskontinuität des Reiches Entscheidungen, die im Mittelalter gefallen waren. So bedurften die vorklassischen Universitäten für die Rechtsgültigkeit der an ihnen vorgenommenen Graduierungen und damit natürlich zugleich für ihre gesamte Reputation zuerst eines päpstlichen, später eines königlich/kaiserlichen Privilegs. Dieses Faktum war bis zuletzt allgemein anerkannt21. Aus dieser Perspektive kann man auch die vorklassische Universität verbindlich denieren: Universität ist, was als Universität anerkannt ist. Das gleiche Legitimitätsbedürfnis hatte schon am Anfang der deutschen Universitätsgeschichte die Übertragung der rechtlichen und institutionellen Formen und Formeln aus Frankreich und Italien herbeigeführt, die dann getreulich weitergegeben worden sind, auch wenn sie andere Inhalte annahmen. Die Formen allein genügten aber nicht, das Pergament einer der alten Zentralgewalten mußte hinzutreten. Auch die lutherischen Herren und Städte behielten die alten Organisationsformen der Universität bei
21 G. Kaufmann, Die Universitätsprivilegien der Kaiser (in: Dt. Zs. f. Geschichtswiss. 1, 1889) S. 118–165. Sehr sorgfältig beachtete bis zum Ende des Alten Reiches (auch in ihrer reformierten Zeit) z. B. die Universität Heidelberg diesen Tatbestand selbst gegenüber dem auf päpstlichem Privileg beruhenden, stets katholisch bleibenden Kanzleramt, von dessen Fortexistenz sie die Rechtsgültigkeit der von ihr verliehenen Grade und den Zulauf der Studenten abhängig sah; es schwand erst 1801/06. Die radikale Neuordnung von 1803 (Teilung in Sektionen) ließ mit dem gleichen Argument die Fakultäten als formale Gliederungseinheiten bestehen, die sich dann in sehr bezeichnender Weise ungeachtet des Wortlauts des Edikts wieder durchsetzten. Vgl. H. Weisert, Die Verfassung der Universität Heidelberg 1386–1952 (Abh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl. 1974, 1) S. 28f., 70ff., 84f. – G. v. Selle, Die GeorgAugust-Universität zu Göttingen 1737–1937 (1937) S. 18f.
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und wandten sich weiterhin an den katholischen Kaiser. Sie erhielten bei günstiger politischer Konstellation und bei Wohlverhalten mehr oder weniger rasch ein Privileg, das z. B. im Falle der ersten protestantischen Universität in Marburg (gegr. 1527) im Jahre 1541 das bis dahin bestehende rechtsunsichere Provisorium beendete22. So entschied das Reichsoberhaupt, nachdem das Papsttum ausgeschieden war, auch nach der Ausbildung der Konfessionen in allgemein anerkannter Form darüber, was eine Universität war und was nicht. Grundsätzlich blieben die reichsrechtlich nicht akzeptierten Kalvinisten ausgeschlossen, so daß z. B. die als reformierte Hohe Schule gegründete Anstalt in Herborn stets ohne Universitätsqualität blieb23. Ein „Gymnasium illustre“ war auch ohne den Kaiser möglich, konnte in seinem inneren Aufbau einer Universität sehr ähnlich sein und war im übrigen eine sehr reputierliche Einrichtung. Wurde eine schon bestehende Universität kalvinistisch (z. B. zeitweise die Ruperta in Heidelberg), so blieb ihr Rang bestehen, weil das Privileg nicht zurückgenommen wurde. Die Anerkennung durch Papst oder Kaiser ließ die Institution formell in den Zusammenhang der allgemeinen Universitätsgeschichte eintreten, nachdem diese Aufnahme sozialgeschichtlich gesehen nach dem Willen des Landesherrn in der Gründungsphase auf dem Weg über die erste Professorengeneration vonstatten gegangen war, die von auswärts kam, öfter im TochterMutter-Verhältnis zu einer älteren Hochschule, wie es das Mittelalter vorgelebt hatte. Danach wurde diese Mitgliedschaft mehr oder weniger fortlaufend durch Kommunikation und Personalaustausch weitergepegt und durch die heranwachsende wissenschaftliche Öffentlichkeit gestützt, im Rahmen jedoch des sozialen Gebildes der „Familienuniversität“ (s. u. Abschnitt III) und von konfessionellen und territorialen Beschränkungen und Verboten, die nicht vor 1848 endgültig elen24.
22 W. Heinemeyer, Zur Gründung des „universale studium Marpurgense“ (in: Academia Marburgensis, hrg. v. W. Heinemeyer u. a., 1977) S. 49 –92. – P. Baumgart, Die deutsche Universität des 16. Jahrhunderts. Das Beispiel Marburg (in: Hess. Jahrb. f. Landesgeschichte 28, 1978) S. 50 –80. – Was man 1527 tat, hat der Landgraf selbst als vorläug angesehen; als die ersten Graduierungen anstanden, spitzte sich die Lage zu. Bei konsequenter Anwendung unserer Grundsätze könnte die Philippina erst von 1541 an als Universität gelten, oder anders formuliert: Die Marburger und die Gießener Universität datieren ihre Gründung nach verschiedenen Prinzipien. 23 H. Grün, Geist und Gestalt der Hohen Schule in Herborn (in: Nass. Ann. 65, 1954) S. 130 –147. Vgl. hierzu auch den Beitrag von A. Schindling in diesem Band. 24 O. Buchner, Kleine neue Beiträge zur älteren Geschichte der Hochschule Gießen (in: Festgabe zur Begrüßung der 38. Versammlung dt. Philologen und Schulmänner, 1885) S. 27–48 bes. S. 35. Vgl. unten Anm. 46.
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Der Universität in Gießen25 wurde im Jahre 1607 die kaiserliche Privilegierung zuteil, nachdem eine zweijährige landesherrliche gymnasiale Vorlaufphase mit krypto-universitärem Aufbau vorausgegangen war. Mit Recht jedoch hat die Universität stets erst die Vollprivilegierung von 1607 als ihren Anfang gefeiert, und erst danach begann man, ein entsprechendes Gebäude zu errichten. Damals waren fast exakt zwei Fünftel deutscher Universitätsgeschichte – von 1348 an gerechnet – abgelaufen, drei Fünftel wird die Ludoviciana und Justus-Liebig-Universität miterleben. Das Zeitalter der vorklassischen Universität kann man in die vier Teilperioden Spätes Mittelalter, Reformationszeit, Konfessionelles Zeitalter und Aufklärung gliedern, ohne daß ganz eindeutige Grenzziehungen möglich oder erforderlich wären26. So wenig ein seinem Wesen nach ausgleichender Wettbewerb zwischen einzelnen Hohen Schulen für unser Zeitalter geleugnet werden soll, so oft nden sich beträchtliches Vorauseilen und Zurückbleiben je nach den individuellen 25 In Gießen wurde die Legitimität verständlicherweise besonders betont, weil die Konfrontation mit Marburg alles überschattete; dies dürfte schon das entscheidende Motiv für die Auswahl des Standorts gewesen sein. Nach dem Reichshofratsprotokoll vom 15. 5. 1607, das zum Privileg von 1607 unmittelbar hinführte, würden „dise zwo universität eine die andere verfolgen und auffreßen“. Kaisertreue wird auch die Auffassung der frühen Gießener Jurisprudenz prägen, und die Wahl-, Geburts- und Todestage (bis zu drei Monaten Trauer) der Kaiser wurden feierlich begangen. Bis 1808 wird der Gießener (Vize-)kanzler die Promotionserlaubnis im Namen des Kaisers erteilen, die auch auf den Doktordiplomen („auctoritate caesarea atque principali“) feierlich formuliert ist. – E. Stade, Einst und Jetzt. Rückblicke und Ausblicke (1905). – W. M. Becker, Das erste halbe Jahrhundert der hessendarmstädtischen Landesuniversität (in: Festschrift 1907) 1, S. 1–364 bes. S. 61. – H. Oncken, Der hessische Staat und die Landesuniversität Gießen (1907). – K. Esselborn, Karl Ludwig Wilhelm von Grolmann in Gießen (in: Beiträge z. Geschichte d. Universitäten Mainz und Gießen, 1907) S. 406–461 bes. 451. – A. Messer, Geschichte des Landgraf-Ludwigs-Gymnasium zu Gießen (in: Beiträge z. hess. Schul- und Universitätsgeschichte 1, 1908) S. 313–378 bes. 313ff. Vgl. auch die Beiträge von M. Rudersdorf und A. Schindling in diesem Band. 26 Außer Anm. 15, 16 und 35 F. Hufen, Über das Verhältnis der deutschen Territorialstaaten zu ihren Landesuniversitäten im alten Reich (Ms. Diss. München 1955). – P. Baumgart, Universitätsautonomie und landesherrliche Gewalt im späten 16. Jahrhundert (in: ZHF 1, 1974) S. 23–53. – The University in Society, ed. by L. Stone, 1–2 (1974/75). – A. Schindling, Humanistische Hochschule und freie Reichsstadt. Gymnasium und Akademie in Straßburg (1538–1621) (1978). – W. v. Loewenich, Die protestantische Universität zwischen Tradition und Emanzipation (in: Wissenschaft und Gesellschaft, hrg. v. R. Schmitz, 1978) S. 37–48. – L. Boehm, Humanistische Bildungsbewegung und mittelalterliche Universitätsverfassung (in: Les universités, wie in Anm. 16) S. 315–346. – P. Baumgart, Die Anfänge der Universität Würzburg (in: Mainfränk. Jahrb. f. Gesch. u. Kunst 30, 1978) S. 9 –24. – Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, hrg. v. P. Baumgart u. N. Hammerstein (1978, Wolfenbütteler Forsch. 4).
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Voraussetzungen und Schicksalen der Universitäten; insgesamt gesehen war in der Reformationszeit und im Konfessionellen Zeitalter das Universitätssystem als ganzes für die einzelne Anstalt weniger wichtig als in den Nachbarperioden; auch kommt es darauf an, welche der drei Dimensionen von Universitätsgeschichte man hervorhebt. Während darüber nicht im einzelnen gehandelt werden soll, sei davon gesprochen, daß man erstaunlich selten – langfristig soweit wir sehen noch nirgends – ein Urteilskriterium herangezogen hat, das mit allen diesen Dimensionen zu tun hatte und wohl jederzeit an den Kern des Gebildes „Universität“ heranführt: die Personen- und Sozialgeschichte der Professorenschaft27. Auch für unser Thema gilt der auf das gegenwärtige Hochschulwesen bezogene Satz von H. Maier-Leibnitz: „Es kommt immer auf die Personen an – das ist mein tägliches Wort“28. Einerseits steht die Sozial- und Personengeschichte der Einschnitte setzenden Geschichte des äußeren Handelns von Herren und Staaten dergestalt gegenüber, daß sie sich an die jeweils neuen Tatsachen mit langem Atem anlagert und diese generationenlang gleichsam umspinnt, andererseits weist sie gegenüber dem noch größeren Beharrungsvermögen einmal geschaffener Universitätsinstitutionen stärkere Wandlungen auf und kann jene daher ergänzen oder in Frage stellen. Denn es handelt sich hierbei um einen wenigstens zum Teil unabhängig vom sonst fast allmächtigen Herrn oder Staat funktionierenden oder von diesem lange Zeit respektierten Zusammenhang, der einigermaßen selbständige Urteilskriterien bietet. Erst in diesem Gedankengang stellt sich heraus: Kaum eine Veränderung in der deutschen Universitätsgeschichte war wichtiger als der Wandel in der Rekrutierungsweise der Professorenschaft, der bisher bestenfalls punktuell, aber noch nirgends systematisch behandelt oder sogar als ein Signum der ganzen Hochschulentwicklung bewertet worden ist. Fundamental war vor allem der auf dem Weg von der vorklassischen zur klassischen Universität eingetretene Übergang von einer vorwiegend lokal und verwandtschaftlich verankerten und auf gelehrte Allgemeinbildung bezogenen Nachwuchsauslese zu einer vorwiegend sprachgebietsoffenen, fachdisziplinären und spezialisiert-leistungsbezogenen Auswahl. Die eine Vorgehensweise brachte im günsti-
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Lit. unten in Anm. 77ff. H. Maier-Leibnitz, Zwischen Wissenschaft und Politik (1979), Motto des ganzen Bandes S. 3. 28
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gen Fall den universalistisch reproduzierenden Gelehrten mit einem auf einem oder einigen Gebieten vertieften Wissen hervor, der aus heutiger Sicht eher als Schulmann gelten kann – die andere den modernen Wissenschaftler als den durch spezialisierte Originalleistungen ausgewiesenen Forscher. Dazwischen gab es offenbar eine Übergangszeit, und ganz am Anfang der deutschen Universitätsgeschichte (sowie teilweise auch am Beginn späterer Neugründungen) fand sich gern eine offene Phase mit einer Rekrutierung nach verschiedenen Kriterien29 vor, gemäß einer noch ungewissen Situation; denn erst allmählich auch stabilisierte sich das Lehrstuhlsystem, das häug der Stiftskirchenverfassung des 14./15. Jahrhunderts entstammte oder nachgebildet war. Institutionell sehr deutlich beeinußt wurden alle diese Abläufe durch die labile und sich relativ am schnellsten wandelnde Position der Artisten-(Philosophischen) Fakultät, die sich von ihrem propädeutischen Charakter nur langsam (und in der vorklassischen Zeit kaum je gänzlich) löste. Dort trat deshalb auch die Konsolidierung des Lehrstuhlprinzips am spätesten und mit dem vorerst geringsten sozialen und nanziellen Erfolg ein. Auch die soziale Herkunft und Reputation der vorklassischen Professorenschaft kann man nach diesen vier Phasen ordnen. Ganz am Anfang, im späten Mittelalter, gab es Universitätslehrer aus einem weiten Spektrum vom Adeligen bis zum „homo novus“. In der konsolidierten vorklassischen Universität, d. h. in den im Durchschnitt recht kleinen nachreformatorischen Regionaluniversitäten, wie sie für das Reich typisch waren, vereinheitlichte und verfestigte sich die Professorenschaft im Vergleich zum Mittelalter immer mehr. Jetzt war das soziale Ansehen des normalerweise dem bürgerlichen Milieu entstammenden Professors herabgesunken – mit einer Reihe von besonders begründbaren Ausnahmen unter Juristen und Theologen, die in der Regel von Außenwirkung und/oder Hofnähe herrührten, weniger von der Leistung innerhalb der Universität selbst. Bei der immer wieder zu beobachtenden Verechtung mit der territorialen Beamtenschaft haben die Universitätslehrer keineswegs regelmäßig den angeseheneren Teil der Verwandtschaft gebildet. Geburtsadelige Professoren (wenn nicht Glaubensimmigranten) nden sich demnach extrem selten vor30. Zugespitzt zusammengefaßt darf man sagen: Weniger die Universität als Institution brachte die soziale Geltung der Professoren hervor, wie im 19.
29 30
Vgl. oben Anm. 19. Die Frage ist noch kaum untersucht.
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Jahrhundert, sondern man galt im Einzelfall etwas, weil man aus dem Normalbetrieb der Universität hervortrat. Die verliehenen traditionellen Würdezeichen der frühneuzeitlichen Universitäten, die jenen aus der offeneren spätmittelalterlichen Periode nachgebildet waren, mochten deshalb eher Signa der Defensive als des Triumphes gewesen sein, im Grunde Zeichen einer andersartigen Welt. Verschiedene Merkmale weisen immerhin auf eine Standeskultur hin, die man nicht vergessen sollte, von der hier aber nicht im einzelnen zu sprechen ist31. Sozial wieder uneinheitlichere Züge weist das Ende der vorklassischen Universität um und nach 1800 auf, das generationenlang durch die neuen Ideale der Aufklärung auch an den Hohen Schulen vorbereitet worden war, die z. T. schon die Möglichkeit zur Forschung im späteren Sinne vorsahen und damit den Weg vom Gelehrten zum Wissenschaftler zu öffnen begannen; das Hauptbeispiel ist bekanntlich Göttingen. Verwiesen sei nur auf Friedrich Carl von Savigny von sehr vornehmer Abstammung, der 1800 Professor in Marburg und 1810 in Berlin wurde32. Damals sah er sich zwar Zweiern gegenüber, die diese Berufswahl als für ihn eigentlich unangemessen ansahen, jedoch blieb er dabei und sah als Kollegen Männer ganz verschiedener Herkunft. Die neue „Leistungsgesellschaft“ der „Scientic Community“33 war dann untrennbar mit der klassischen Universität verbunden. Wir kehren zur Chronologie der vorklassischen Universität und zunächst zu ihrem Anfang zurück. Es setzten die Hohe Schule der Reformationszeit nach einigem Schwanken und die Universität des
31 Die auf landgräichen Befehl begonnenen Professorengalerien von Gießen (108 Bilder) und Marburg mündeten ein in das Selbstbewußtsein der Korporation, die sie z. B. 1857 als „Besitzthum von unschätzbarem Werthe“ auffaßte (Baur Anhang S. 18), gleichzeitig besaß man ein „stolzes Bewußtsein, einer Corporation anzugehören, welche die ihr Angehörigen über die Schranken des einzelnen Daseyns erhebt“ (Baur S. 5). Vgl. I. Schnack, Beiträge zur Geschichte des Gelehrtenporträts (1935). – S. Rösch, Die Professorengalerie der Gießener Universität (in: Festschrift 1957) S. 433–442. Oder zu einem anderen Aspekt L. Boehm, Der „actus publicus“ im akademischen Leben (o. J.) u. W. Paatz, Die akademischen Szepter und Stäbe in Europa (1979; Corpus sceptorum II der Heidelberger Akademie der Wissenschaften) bes. S. 42f., 173ff. Dieses Thema verdient größere Aufmerksamkeit. 32 A. Busch, Die Geschichte des Privatdozenten (1959, Göttinger Abh. z. Soziologie 5) S. 44. 33 Begriff z. B. bei R. Taton, Emergence and Development of Some National Scientic Communities in the Nineteenth Century (in: International Social Science Journal 22, 1970) S. 94–110. – R. v. Gizycki, Centre and Periphery in the International Scientic Community: Germany, France and Great Britain in the 19th Century (in: Minerva 11, 1973) S. 474–494. – J. R. R. Christie, The Origins and Development of the Scottish Scientic Community, 1680 –1760 (in: History of Science 12, 1974) S. 122–141.
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Konfessionellen Zeitalters ohne das geringste Zögern die spätmittelalterliche Universität mit ihren gewohnten Ordnungen fort, ja sogar noch getreuer oder schematischer als im 14./15. Jahrhundert, als man z. B. noch mit einer separierten Juristenuniversität experimentiert hatte. Jetzt kam alles auf Legitimität an, und obendrein schien es dem kaum veränderten ständischen Gefüge angemessen zu sein, nach der Vorbereitung im „philosophischen“ Bereich Theologen und Juristen, d. h. Pfarrer und Beamte, und einige theoretische Mediziner auszubilden. Trat der Nützlichkeitsaspekt bei der mittelalterlichen Universität wohl noch zurück hinter das ,Prestigestreben‘, d. h. hinter die Vervollständigung der Attribute höchstrangiger Herrenexistenz, so gebot jetzt das Bekenntnis zum rechten Glauben als Fürstenethos, auch die Diener in der rechten Weise auszubilden. Damit ließ sich der „staatliche“ Nutzen der Universität gut verbinden, auch als Herrschaftsmittel und Verdichtungspunkt im Territorium und darüber hinaus gegenüber Gebieten gleicher Konfession ohne eigene Hohe Schule. Freilich war die Universität damit auch in territoriale Krisen unmittelbar einbezogen, wenn sie ihnen nicht sogar ihre Existenz verdankte, oder wurde als Mittel kontroverser Politik eingesetzt, was alles mit mancherlei Unannehmlichkeiten verbunden war. Dies weist die Frühgeschichte der Gießener Universität geradezu exemplarisch aus34. Die wichtigste Veränderung im Zeitalter der vorklassischen Universität brachte das 18. Jahrhundert mit sich35, das in Deutschland ein glücklicheres Säkulum als sein leidvoller Vorgänger war. Es setzt für unseren Zusammenhang mit dem Gründungsjahr Halles, 1694, ein und fand 1734/37 mit dem Beginn Göttingens den ersten Höhepunkt. Halle und Göttingen übernahmen jeweils jahrzehntelang Führungsrollen in einer Weise, die bisher in der deutschen Universitätsgeschichte nicht üblich
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Vgl. oben Anm. 25. N. Hammerstein, Jus und Historie (1972). – R. S. Turner, University Reform and Professorial Scholarship in Germany 1760 –1806 (in: The University in Society 2, wie in Anm. 26) S. 495–531. – G. Klingenstein, Despotismus und Wissenschaft (in: Formen der europäischen Aufklärung, hrg. v. F. Engel-Janosi u. a., 1976, Wiener Beitr. z. Gesch. d. Neuzeit 3) S. 126–157. – N. Hammerstein, Aufklärung und katholisches Reich (1977, Hist. Forschungen 12). – R. Vierhaus, Kultur und Gesellschaft im achtzehnten Jahrhundert (in: Studien zum 18. Jahrhundert 1, 1978) S. 71–86. – G. Klingenstein, Aufklärung an katholischen Universitäten (in: ZHF 6, 1979) S. 81–91. – Dies., Bildungskrise (in: Maria Theresia und ihre Zeit, 1979) S. 213–223. – J. Voss, Universität, Geschichtswissenschaft und Diplomatie im Zeitalter der Aufklärung: Johann Daniel Schöpin (1694–1771) (1979, Veröff. d. Histor. Instituts d. Univ. Mannheim 4). – C. E. McClelland, State, Society and University in Germany 1700 –1914 (1980). 35
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gewesen war. Dies weist darauf hin, daß deren Kohärenz zunahm, u. a. durch vermehrte Kommunikation mit Hilfe wissenschaftlicher Literatur. Alte konfessionelle Scheidelinien schwanden dahin. Den neuen Typus der Fortentwicklung, der am Anfang der klassischen Zeit wieder auftreten wird, bildete das konkurrierende Gegenüber von Neugründung und älteren Hohen Schulen, ohne daß die neue Anstalt unmittelbar auf intensiven weiträumigen, insbesondere gelehrt-wissenschaftlichen Wettbewerb abgezielt hätte. Zunächst war das jeweilige Territorium gemeint; darüber hinaus dachte man vor allem an das gemeinsame oder immer mehr gemeinsam werdende Potential von Studenten und Professoren. Gleichwohl wird jenes jeweils temporäre Voranschreiten, Zurückbleiben und (womöglich durch Existenzangst beügelte) Nacheilen bis zum Zeitalter der bürokratisierten Massen- und Gruppenuniversität kennzeichnend und außerordentlich befruchtend sein und damit zugleich ein Zeitalter größerer Bewegungsfreiheit der Universitäten mit sich bringen. In Göttingen wurde deutlicher als je zuvor der Aufstieg der Philosophischen Fakultät sichtbar, deren Professoren erstmals ähnlich wie in den anderen Fakultäten besoldet und ausgestattet wurden. Die Theologie trat zurück, die Jurisprudenz rückte noch weiter nach vorn, die Kameralwissenschaften drangen in die Universität ein. Freiheit der Lehre im neueren Sinn begann. Auch der Forscher gewann Ansehen, nicht nur der Lehrer, das Autoritätsprinzip geriet ins Wanken. Die fachbezogene Modernisierung wird sich freilich noch weit hinein in das 19. Jahrhundert erstrecken. Neben dem Neuen behauptete sich an der Universität freilich eher überwiegend das Alte. Sozietäten der Wissenschaften einerseits36 und
36 K. Müller, Zur Entstehung und Wirkung der wissenschaftlichen Akademien und gelehrten Gesellschaften des 17. Jahrhunderts (in: Universität und Gelehrtenstand 1400 –1800, hrg. v. H. Rössler u. G. Franz, 1970, Dt. Führungsschichten in der Neuzeit 4) S. 127–144. – L. Hammermeyer, Akademiebewegung und Wissenschaftsorganisation (in: Wissenschaftspolitik in Mittel- und Osteuropa, hrg. v. E. Amburger u. a., 1976) S. 1–84. – R. J. W. Evans, Learned Societies in Germany in the Seventeenth Century (in: European Studies Review 7, 1977) S. 129 –151. – Der Akademiegedanke im 17. und 18. Jahrhundert, hrg. v. F. Hartmann u. R. Vierhaus (1977, Wolfenbütteler Forschungen 3), daraus bes. A. Kraus S. 139 –170. – J. Voss, Die Akademien als Organisationsträger der Wissenschaften im 18. Jahrhundert (in: HZ 231, 1980) S. 43–74. Vgl. die Beiträge von V. Press und G. Schmidt in diesem Band.
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Ritterakademien andererseits37 befriedigten mit ansehnlichem Erfolg hösche, staatliche, wissenschaftliche und soziale Bedürfnisse, denen die späthumanistische Universität nicht und die aufgeklärte nur zu einem Teil nachgekommen war. Die großen Neuerungen in den Naturwissenschaften, an denen Deutsche nur in geringem Maße beteiligt waren, fanden außerhalb der Universität statt. Dies gilt auch für organisierte Forschungs- und Dienstleistungsprogramme für den neuen Staat, seine maßgebenden Kräfte und zur Wohlfahrt der Untertanen. Etwas anderes war die alte verschulte Universität als Lehr- und Erziehungsanstalt für Staats- und Kirchendiener, die sozial herabsank und nicht selten dem Spott der Höhergestellten, Efzienten und Eleganten verel. Der Fürstenruhm knüpfte sich an die auch räumlich hofnahen Akademien und Gesellschaften, zu denen – und damit zur europäischen Gelehrtenrepublik – die Durchschnittsprofessoren in dieser Eigenschaft wenig Zugang hatten. Zeitgenossen, vor allem solche, die die unscheinbare Zähigkeit sozialer Verwurzelung und regional-territorialer Gewohnheiten unterschätzten, dürften die Zukunft der meisten Universitäten düster beurteilt haben und werden damit immerhin dort recht behalten, wo das Substrat – das Territorium und sein Herr – untergehen sollte, unrecht aber dort, wo es bestehen blieb. Andererseits darf man gelehrte Gesellschaften und Ritterakademien nicht idealisieren: der Anteil der gescheiterten und verfehlten Unternehmungen war bemerkenswert hoch, und die Wende von 1800 haben nur wenige überlebt; die neuen Akademien des 19. Jahrhunderts werden dann kaum weniger stark verändert sein als die neuen Universitäten. Um 1800 wurde der Streit des Alten mit dem Neuen im hohen Maße personalisiert, generationsbezogen und durch soziale Regeln mitbestimmt quer durch die Fakultäten ausgetragen. Jahrzehntelang zog er sich hin, wie es in vergleichbarer Weise vordem wohl nur die Theologen kannten. Genauso personenbezogen waren die immer wesentlicher werdenden Leistungen in den staatlichen Positionen des Ministers, Rates, Referenten, Kurators usw., die der Universität gegenüberstanden. Weniger denn je gab es also Einheitliches im Universitätsleben, was die Zäsurbildung nicht erleichtert, die Lebenskraft des Gebildes „Universität“ jedoch bestätigt. Vieles war auch ambivalent und ist vom Nachlebenden schwer zu beurteilen, wie z. B. die Ferne oder Nähe des 37 Vgl. den Beitrag von N. Conrads in diesem Band und dessen bald zu erwartende einschlägige Gesamtdarstellung.
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noch weit ins 19. Jahrhundert hinein nachweisbaren Lehrvortrags nach Autoritäten zur modernen Vorlesung38. Die Jahre bald nach 180039 haben einen fundamentalen Wandel mit sich gebracht, der schon länger als eine Generation vorbereitet war und sich erst nach einer weiteren Generation durchgesetzt hat. Die Hälfte der etwa vierzig Hohen Schulen des untergehenden Alten Reiches verschwand mit den sie tragenden Territorien; mehr noch, zum einzigen Male in seiner deutschen Geschichte stand der Typus „Universität“ selbst ernstlich auf dem Spiel, so wie vieles andere damals zur Disposition stand. Die langfristige Krise war kurzfristig durch die schweren Kriegsnöte, die politischen Umstürze und einen rapiden Studentenschwund dramatisch zugespitzt worden. Den radikalen Konsequenzen, die Napoleon mit der Beseitigung des alten Systems für Frankreich zog, entsprachen Meinungen und Pläne auch in Deutschland. Ungeachtet der vom nachlebenden Historiker festgestellten zukunftsweisenden Einzelheiten schien die alte Form verbraucht zu sein. Die Gründung der Berliner Universität 1809/10, für Preußen bestimmt40, teilte dem ganzen 19. Jahrhundert neue, rettende Werte und Impulse mit. Außer der Prager Hohen Schule des 14. Jahrhunderts hat keine zweite deutsche Universität vergleichbare Wirkungen hervorgebracht. Die für unser Thema entscheidende Vor- und Nachgeschichte zeigt, daß dies nicht ohne Zusammenhang mit dem Alten und nicht in radikaler Eindeutigkeit geschah, was die spätere Anbindung und Einbindung der anderen Universitäten erschwert hätte; so deckten sich die in der preußischen Hauptstadt und über sie hinaus wirkenden Realitäten
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W. Ebel, Zur Geschichte der Juristenfakultät und des Rechtsstudiums an der Georgia Augusta (1960, Göttinger Universitätsreden 29) S. 18ff. 39 Schelsky bes. S. 48ff. – K. v. Raumer, Zum geschichtlichen Hintergrund und europäischen Kontext der preußischen Bildungsreform (in: Das Vergangene und die Geschichte, Festschrift f. R. Wittram, 1973) S. 42–62. – F. R. Pfetsch, Zur Entwicklung der Wissenschaftspolitik in Deutschland 1750 –1914 (1974). – K.-E. Jeismann, Das preußische Gymnasium in Staat und Gesellschaft (1974, Industrielle Welt 15). – R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution (21975, Industrielle Welt 7). – H. Gerth, Bürgerliche Intelligenz um 1800 (1976, Krit. Studien z. Geschichtswiss. 19). – U. Muhlack, Die Universitäten im Zeichen von Neuhumanismus und Idealismus (in: Beiträge zu Problemen, wie Anm. 26) S. 299 –340. – B. Vogel, Reformpolitik in Preußen 1807–1820 (in: Preußen im Rückblick, hrg. v. H.-J. Puhle u. H.-U. Wehler, 1980, GG Sonderheft 6) S. 202–233. Vgl. auch allgemein J. Pfeiffer, Fakten und Fiktionen. Anspruch und Wirklichkeit (in: Wissenschaft an der Universität heute, 1977) S. 277–289. 40 M. Lenz, Geschichte der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 1–4. (1910). – Studium Berolinense, hrg. v. H. Leussink u. a. (1960).
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der Neuschöpfung, wie sie sich nach einigen Jahren darboten, keineswegs mit den Idealen Humboldts, standen ihnen vielmehr zum Teil geradezu entgegen. Jedoch behielt man nach einigem Schwanken auf Humboldts Wunsch den Namen „Universität“ bei, und es blieben herkömmliche Organisation und Personalstruktur bestehen, so daß sich die anderen Universitäten und Staaten wiedererkennen und anknüpfen konnten. Das Berliner Vorbild setzte sich dann so erfolgreich durch, daß man schließlich ringsum mehr oder weniger erfolgreiche Abschattierungen feststellen kann, und überholte bei weitem, gleichzeitige spätaufgeklärte Reformversuche: In Heidelberg war man 1803 institutionell radikaler als in Berlin vorgegangen41, aber dies blieb folgenlos. Es entsprach den gänzlich neuartigen Rahmenbedingungen des 19. Jahrhunderts, daß sich jener Vorgang mit einer in der deutschen Universitätsgeschichte bisher nicht bekannten Durchschlagskraft vollzog. Die Geschichtsschreibung der damals schon längere Zeit bestehenden Universitäten hat die Tatsache nicht genügend verarbeitet, daß das 19. Jahrhundert vor allem in seiner zweiten Hälfte und insbesondere im Hinblick auf die wissenschaftliche und soziale Dimension der Universität von gänzlich anderer Qualität war als die vorausgegangenen Perioden. Lieber hielt man sich – wie die Zeitgenossen – an die zählebige, durch die Berliner Entscheidungen abermals bestätigte institutionelle Dimension und an die Konstanten des Standorts, des Gegenübers von Staatsgewalt und Universität und von Lehrenden und Lernenden, an die Regeln des Gruppenlebens sowie an die recht einleuchtend teleologisch deutbare Aufwärtsentwicklung. Diese konnte man anhand großer Gestalten personengeschichtlich einfangen. Wie so oft erklärte sich die Geschichte des Erfolgs beinahe von selbst. Indessen hat sich die deutsche Universität und ihr Ort im sozialen Leben nach 1810 viel stärker gewandelt, als ihr selbst bewußt geworden ist. Von den treibenden Faktoren seien nur einige stichwortartig genannt: das Entstehen der industriellen Gesellschaft, der neuen Kommunikations- und Verkehrssysteme42 und mit beiden das Heranwachsen eines verdichteten politischen Lebens, die Entfaltung der Naturwissenschaften, die Neukonstitution des Verhältnisses zum Gymnasium (das konsequenter neuhumanistisch durchgestaltet wurde als die
41
Weisert S. 84ff. E. Laspeyres, Über Alter und Wechsel der Professoren an den deutschen Universitäten (1882). In dieser auch sonst sehr interessanten Gießener Rektoratsrede wird für die Professorenmobilität 1860 ein Einschnitt gemacht infolge des „ziemlich völlig ausgebauten Eisenbahnnetzes“ (S. 14). 42
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Universität), die Durchsetzung des Abiturs als Eingangsvoraussetzung, staatliche Berufseingangsprüfungen, das Entstehen neuer Berufe und die Professionalisierung älterer, die viel günstigere soziale Einordnung der Professorenschaft. Bei alledem trat der große Staat (Preußen) in bisher gänzlich unbekannter Weise auf den Plan; es kam nun auch wesentlich darauf an, ob die einzelne Universität in Preußen (zu häug günstigeren Bedingungen) lag oder nicht. Überaus wesentlich war gegenüber solchen kontinuitätsgefährdenden Tatbeständen das kontinuitätssichernde Faktum, daß auf dem Weg von der vorklassischen zur klassischen Universität mit dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches zwar der verblaßte, wenngleich juristisch und institutionell bis zuletzt festgehaltene43 Legitimitätsbezug zum Kaiser erlosch, jedoch bald eine neue, abermals übergreifende Legitimationsbeziehung heranwuchs. Der Einzelstaat des Deutschen Bundes, des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland wurde gegenüber der Universität zwar rechtlich souverän, da Bund und Reich keine legitimierenden Funktionen mehr ausüben durften. Unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung und der offenkundigen Leistungen der neuen Universitäten akzeptierte er aber in doppelter Weise ein neuartiges nichtjuristisches, indessen keineswegs immer unpolitisches Legitimierungssystem – und zwar in so durchschlagender Form, daß sich der Typus der klassischen Universität von hierher wesentlich denieren läßt; noch heute wurzeln darin die (freien) Universitäten des deutschen Sprachgebiets zum ansehnlichen Teil. Erstens war dies der schon um 1800 formulierte44 Rekurs auf die „großdeutsch“ aufgefaßte Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft gleichsam als Idealinstanz, der gegenüber man Verpichtungen fühlte und deren Aufmerksamkeit man als ideeller Gesamtbesitz der Nation zu verdienen glaubte; dies alles war längere Zeit mit nie ganz erfüllten politischen Hoffnungen verknüpft, die dann 1933 und 1945 aufs stärkste erschüttert wurden. Zweitens hegte man die Vorstellung von dem kommunikativ, sozial und in der öffentlichen Meinung konstituierten Gebilde der Wissenschaft der Professoren, von einer neuen Gelehr-
43
Vgl. oben Anm. 25. Schelsky S. 131ff. – J. D. Michaelis, Raisonnement über die protestantischen Universitäten in Deutschland 1–4 (1768–1776), hatte bereits die Universitäten gruppenweise betrachtet. Von 1871 an trat dann ein neues vielfach fruchtbares Spannungsverhältnis dergestalt auf, daß sich die Universitäten immer mehr als deutsche Hochschulen verstanden, jedoch nach wie vor landesstaatlich unterhalten wurden. 44
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tenrepublik des deutschen Sprachgebiets mit Ausläufern und Partnern darüber hinaus, die zumindest auf der Höhe des 19. Jahrhunderts beträchtlichen staatlichen Respekt genoß. Dieses neue Legitimierungsprinzip war vom selbstgestellten Auftrag und von der Leistung her wie das alte kaiserliche Legitimierungssystem räumlich weiter ausgedehnt als der größte Einzelstaat. Nicht einmal in den nationalsozialistischen Gipfeljahren war es politisch ganz erreichbar. Auch seine Binnengrenzen blieben mit Ausnahme des gerade erwähnten Zwischenspiels durchlässig. Entscheidend war dieses: Wer etwas gegen den Willen der Universität verändern wollte, dem stand dafür stets nur ein Raum zur Verfügung, der wesentlich kleiner war als die Bezugslandschaft der Universitäten insgesamt; radikale Änderungen sind aber dort am leichtesten möglich, wo die Bezugslandschaft wie in modernen Diktaturen voll kontrollierbar und einschließbar ist. So entstand ein spannungsvolles Gegenüber von Einzelstaat und Universität mit nicht gänzlich ungleich verteilten Kräften und bewirkte längere Zeit sogar für die Führungsgruppe der Professoren einen größeren Handlungsspielraum, als ihn die vorklassische und die nachklassische Universität jemals besaßen oder besitzen; denn jetzt wies man zumindest an den Spitzenuniversitäten überall anerkannte Leistungen vor und befand sich noch im vorbürokratischen und „vordemokratischen“ Zeitalter und im Zeitalter der kleinen Zahlen. Jenes Spannungsverhältnis war wie das vorausgegangene fragil und hat entschlossenes Handeln des Einzelstaats nicht aufhalten können; aber dieser entschloß sich eben nur sehr selten dazu. Darüber hinaus war dieses neue Legitimierungssystem seinem Wesen nach zugleich ein wissenschafts (= forschungs) bezogenes Wettbewerbssystem, dessen Erträge viel Anteil an der modernen Überzeugungskraft von Wissenschaft gewonnen haben. Es konkurrierten das Einzelfach (für dessen Ausstattung als Lehrstuhl, Seminar und Institut oder gar erst für dessen Einrichtung) und die einzelne Universität, die anders als in der vorklassischen Zeit nicht mehr unter ein (allmählich ansteigendes) Mindestniveau absinken durfte und daher meist eine leistungsbezogene Berufungs- und Examenspolitik anstrebte45. Der Staat fühlte sich wie
45 Oder man mischte sich ein, wenn Standards unterschritten wurden. Vgl. die Polemik Th. Mommsens gegenüber wirklich oder angeblich zu geringen Promotionsanforderungen an kleinen Universitäten, auch in Gießen (in: Preuß. Jahrb. 37, 1876, S. 571f.). Vgl. H. Schüling, Die Promotions- und Habilitationsordnungen der Universität Gießen im 18. Jahrhundert (in: F. Kössler, Katalog der Dissertationen und
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die Universität beobachtet und verband im Rahmen seiner nanziellen Möglichkeiten recht häug das Prestige der Universität mit dem seinen. Schon in der vorklassischen Zeit hatten einzelne Konkurrenzverhältnisse bestanden, doch waren diese regional- oder konfessionsbezogen und traten gegenüber anderen Rahmenbedingungen zurück. Jetzt verblaßten auch die alten unterschiedlichen Gründungsziele der Universitäten angesichts der neuen, vereinheitlichenden Gegenwart. Ein wiederholter Ortswechsel von Professoren und Studenten war lebensnotwendiger Bestandteil dieses neuen Mechanismus (als dessen Voraussetzung, Agens und als Kontrollinstrument), und wirklich verschwanden allmählich die im 18. Jahrhundert verbreitet gewesenen obrigkeitlichen Bindungen von Lehrenden und Lernenden46, als man die Hohen Schulen noch als Objekte des Merkantilismus aufgefaßt hatte. Die einzelne Universität begann damit, Teil eines bisher unbekannten Universitätssystems zu werden, dessen Verdichtung sich bis heute nur noch gesteigert hat. Die sich ständig in Bewegung bendliche, an den Spitzenreitern orientierte Vorstellung davon, wie eine Universität eigentlich beschaffen sein solle, war keine wirkungslose Waffe gegenüber zögernden Ministerien und Landtagen; unzählige Male trug das Vergleichsmoment die Argumentation der Universität. Der Historiker dürfte dieses System in abstracto recht positiv beurteilen, jedenfalls im Rahmen der bisher vorliegenden Erfahrungen mit der europäischen Universitätsgeschichte. Dies gilt im konkreten Fall auch für die stimulierende Führungsrolle des Großstaates mit seinen reicheren Mitteln und seiner Chance zum weiteren Blick (Preußen, während Österreich aus verschiedenen historischen Gründen in diese Funktion nie hat eintreten können), aber auch für die sich angesichts politischen Bedeutungsverlustes auf kulturelle Ambitionen konzentrierenden Leistungen des Mittelstaates (Baden). Der Weg, der im 19. Jahrhundert von dem anfänglichen „Kleinbetrieb“ der Universität zunächst zum „Mittelbetrieb“ und schließlich in unserem Jahrhundert zum „Großbetrieb“47 und „Riesenbetrieb“ geführt
Habilitationsschriften der Universität Gießen von 1804–1884; Berichte und Arbeiten aus der Universitätsbibliothek Gießen 22, 1971) S. 39 –42. 46 Hierfür gibt es vielerlei Material, z. B. bei Gerth S. 89, Turner S. 509 oder auch bei U. J. Wandel, „in allen stücken prudenter und reifich eingerichtet“; Tübinger Reformversuche im 18. Jahrhundert (in: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477–1977, 1977) S. 105–134 bes. 124. Hinsichtlich Gießens wurden 1848 alle Beschränkungen aufgehoben (Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 62 v. 31. 10. 1848 S. 387). 47 A. Harnack, Vom Großbetrieb der Wissenschaft (in: Preuß. Jahrb. 119, 1905) S. 193–201.
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hat, ist je nach den unterschiedlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen von den einzelnen Anstalten verschieden rasch und weit und keineswegs krisenfrei zurückgelegt worden: Man kann feststellen, daß bei aller wachsenden Einbettung in ein einziges gesamtstaatliches Hochschulsystem und in allgemeine unwiderstehliche Basisprozesse die Universitäten Individuen geblieben sind, vor allem infolge ihrer jeweiligen historischen Mitgift und derjenigen ihrer Region. Äußere Differenzierungsfaktoren traten hinzu, für Marburg etwa der Übergang von Kurhessen an Preußen 1866, der sich bald stimulierend auswirkte, bei den Universitäten in den größten Städten die ständig wachsende Anziehungskraft dieser Zentren oder zeitweise auch die Neigung zu neuentdeckten städtischen und landschaftlichen Reizen. Für Heidelberg rechnet man nach 1860 mit einer beschleunigten Entwicklung48, für die deutschen Universitäten im Durchschnitt wohl seit 1860/187049; im kleineren Gießen haben die Zeitgenossen, als man anläßlich des Jubiläums von 1907 zurückblickte50, etwa um 1880/90 eine solche Zäsur gesehen. Allein für die Periode des Kaiserreichs hat man ein durchschnittlich viereinhalbfaches Wachstum der Studentenfrequenz errechnet. An den kleinen Universitäten hat sich jedoch vieles Neue erst nach 1900 eingestellt, so daß man z. B. den tausendsten Studenten in Gießen erst feierte, als man in der weitaus größten Universität Berlin schon ungefähr das Achtfache zählte, was freilich kaum mehr ist als die Hälfte der Gießener Studentenzahl von heute. Von dem rapiden Beschleunigungsprozeß hin zum bürokratisierten Riesenunternehmen der Massenuniversität sind die deutschen Hochschulen dann nach dem Zweiten Weltkrieg betroffen worden. Er war Folge äußerer Faktoren, der tiefgreifenden Wandlungen aller Lebensverhältnisse und des Sozialkörpers (vor allem in Gestalt des steilen Anstiegs des Anteils der Studierenden am jeweiligen, ohnehin stark gewachsenen Geburtsjahrgang). Er war verbunden mit einer bislang unvorstellbaren, extrem kurzfristigen Vermehrung der in klassischer Zeit kaum veränderten Zahl der Universitäten (wenn man vom Aufstieg der Technischen Hochschulen einmal absieht) noch über die Ziffern des 18. 48 R. Riese, Die Hochschule auf dem Wege zum wissenschaftlichen Großbetrieb. Die Universität Heidelberg und das badische Hochschulwesen 1860 –1914 (1977, Industrielle Welt 19) S. 19ff. 49 F. K. Ringer, Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland 1800 –1960 (in: GG 6, 1980) S. 5–35. Vgl. ders., The German Academic Community, 1870 –1920 (in: Internat. Archiv f. Sozialgesch. d. dt. Literatur 3, 1978) S. 108–129. 50 Vgl. W. M. Becker und M. Biermer in der Festnummer der Darmstädter Zeitung zur 3. Jahrhundertfeier der Universität Gießen vom 1. 8. 1907.
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Jahrhunderts hinaus und war verknüpft mit einer wohl noch stärkeren prozentualen Zunahme der Professorenschaft und des sog. akademischen Mittelbaus. Während die Universität Gießen in ihrer Geschichte fast ausnahmslos in drückender Armut lebte, ossen ihr fortan wie allen Schwestern, wenn auch in großzügiger Weise nur für wenige Jahre, hohe Summen zu. Diese quantitativen und zugleich qualitativen Wandlungen führten mit einer abermaligen Hauptzäsur der deutschen Universitätsgeschichte – so kann man wohl heute schon sagen – das Ende der klassischen Zeit herbei, bevor noch die Pointierung des Gestaltwandels in Richtung auf die sogenannte Gruppen-Universität den tiefsten institutionellen Einschnitt mit sich brachte. Damals hatten die bundesdeutschen Länder, die im allgemeinen wie ihre Vorgänger, die Territorien der frühen Neuzeit und die Staaten des 19. Jahrhunderts, an Universitätsdinge eher zögernd herangetreten waren, ohne viel Orientierung gleichsam die Flucht nach vorn unternommen, obwohl nach einem Vorspiel von 1848 etwa seit der Jahrhundertwende institutionelle Krisendiagnosen und Reformansätze immer wiedergekehrt waren, ohne daß viel geschehen wäre. Auch nach den neuen Hochschul- und Universitätsgesetzen sollte man freilich das Gebliebene und Bleibende nicht unterschätzen.
III Die drei Dimensionen der Universitätsgeschichte, die man systematisch unterscheiden sollte, die institutionelle, die intellektuell-wissenschaftliche und die Dimension des Orts der Universität in ihrer Umwelt, sind bereits immer wieder berührt worden. Jede von ihnen hat eine bestimmte unentbehrliche Funktion bei der Klärung des Phänomens „Universität“; so darf man z. B. nicht in Umkehrung der älteren Hochschätzung des institutionellen Moments dieses heute geringachten. Indessen können zumindest die zweite und die dritte Dimension angesichts ihrer weiten Ausfächerung und ihres gegenwärtig noch sehr problematischen Kenntnisstandes forschungstechnisch von kaum jemandem gleichzeitig beherrscht werden. Sie streben forschungspraktisch auseinander. Das heißt: Gedankliche Grundlagen und Quellenmaterial einer umfassend verstandenen Universitätsgeschichte sind nirgends in systematischer Form gelagert, sondern werden allein durch das Konzept des Historikers geschaffen und zugeordnet.
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Die drei Dimensionen sollen endlich einmünden in die heute wohl noch nicht beantwortbare Schlußfrage, welche „objektive Funktion“ im jeweiligen Zeitalter die Universität als ganze ausgeübt habe. Es ist wichtig, daß die Dimensionen chronologisch gesehen keinen Gleichlauf aufweisen, wodurch die Komplexität der Universitätsgeschichte mitkonstituiert wird. Am wenigsten wandelte sich die institutionelle Dimension, die beiden anderen schwankten viel stärker und unterlagen insbesondere in den letzten Jahren Beschleunigungsvorgängen, die in der älteren Vergangenheit überhaupt keine Parallele nden. Je stärker außenbestimmt eine Dimension und ihr Wandel ist und je mehr ihr Verständnis von methodisch und sachlich wenig geklärten Tatbeständen abhängt, umso weniger wurde sie im Gesamtbild der Universität in Anschlag gebracht. So ist es auch kein Zufall, daß man sich in der am meisten in sich ruhenden Institutionengeschichte am besten auskennt. Jedoch sollte die entscheidende Frage, wie die drei Dimensionen im Vergleich zueinander zu bewerten seien und wie damit das Urteil über die Universität am Ende beschaffen sei, nicht allein vom Zufall des Forschungsstandes abhängen. Gegenwärtig scheint die Historische Personenforschung51 diejenige Hilfsdisziplin zu sein, die am leichtesten einen wenigstens einigermaßen gleichartigen Zugang zu allen Dimensionen zu nden vermag, wie wir es am Beispiel der Professorengeschichte schon angedeutet haben. Sie nimmt auch darauf Rücksicht, daß in der Universität letztlich Personen den Ausschlag geben. Es geht dabei freilich mehr um Einsichten in „soziale“ und „kollektive“ Biographien als um die Aneinanderreihung ausgewählter glänzender Figuren. Die folgenden Bemerkungen über die Einzeldimensionen der Universitätsgeschichte werden verständlicherweise die entsprechenden Probleme ebensowenig erschöpfen wie unsere vorausgegangenen Erwägungen, sondern mögen aus der Perspektive dieses Sammelbandes einiges Ergänzende und Anregende insbesondere zu den Gießener Verhältnissen beibringen. Über die institutionelle Dimension kann man sich nach dem schon Gesagten am kürzesten fassen51a. Weil sie mindestens bis an die Schwelle des 19. Jahrhunderts in Gestalt der klassischen korporativen Bestandteile
51 Vgl. z. B. K. Wriedt, Personengeschichtliche Probleme universitärer Magisterkollegien (in: ZHF 2, 1975) S. 19 –30. 51a Hierzu zählt auch die in diesem Text nicht behandelte Wirtschaftsgeschichte der Universität. Vgl. die Beiträge von Th. Martin und W. Bingsohn in diesem Band.
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(Rektor, Fakultät, Dekan) genauso wie die schon erwähnte Graduierung mit der Legitimität der Anstalt aufs engste verknüpft und damit von außen her stabilisiert war, ist sie im höchsten Maße durch Beharrung gekennzeichnet; außerhalb der Kirchenverfassung gibt es dafür bei uns kaum Parallelen. Dauer und Kohärenz der Korporation wurden sichtbar in den Zeichen, die Kontinuität bezeugten und zugleich schufen, in den Siegeln, Zeptern, Würden, Titeln, Schlüsseln, Statuten und Privilegienbüchern, Matrikeln, auch im Archiv der Universität, in den Feiern, die sie veranstaltete, den Ehren, die sie vergab, und lange Zeit auch in den Privilegien, die ihr verliehen worden waren52. Von den Abzeichen, der Rektorwürde abwärts waren darunter auch „sekundärherrscherliche“ Insignien, die wohl aus dreierlei Sphären stammten, aus der Imitatio wirklicher Herrenzeichen, aus dem Bereich von Stand und Beruf und aus dem realen Leben der Universität, das seine eigenen Zeugen hervorbrachte. Jenes Beharren hat vor allem zweierlei zur Voraussetzung: die Fähigkeit, unterhalb der Legitimitätsebene mit Überholtem großzügig umzugehen oder es ganz unbeachtet zu lassen, auch wenn es formell nicht außer Kraft getreten ist, und einfache Lebensformen, die verschiedenartig gefüllt werden können und damit nicht mit dem Neuen in Konikt geraten müssen. Daß die Marburg-Gießener Statuten von 162953 erst nach einem Vierteljahrtausend, 1880, endgültig ersetzt wurden – ein Datum für den Beginn der Moderne in Gießen –, ist nur ein extremes Beispiel für Fälle, die in der Universitätsgeschichte regelmäßig wiederkehren und erst vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts an durch ein immer stärker durchgeformtes, nun juristisch wirklich verbindliches Regelwerk (und daher jetzt auch in kurzen Abständen) verändert oder ersetzt wurden
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Der Landgraf verlieh 1607 der Universität zwei silberne Zepter als Rechtssymbole (Baur S. 9). – Vgl. auch E. H. Hirsch, Über akademische Grade und Würden (in: Nachr. d. Gießener Hochschulges. 32, 1963) S. 61–75. 53 Statuta Academiae Marpurgensis deinde Gissensis de anno 1629. Statuten der Hessen-Darmstädtischen Landesuniversität Marburg 1629 –1650/Gießen 1650 –1879, hrg. v. H. G. Gundel (1982). – Ders., Die alten Statuten der Gießener Universität 1629 –1879. Statuta Academiae Marpurgensis 1629 –1649. Prolegomena zu einer Textausgabe (1977, Gießener Universitätsschriften 3). Vgl. den Beitrag von H. G. Gundel in diesem Band.
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(in Gießen 1904, 1911 usw.)54. Mit einer großen, heute unvorstellbar erscheinenden Spannung zwischen Norm und Realität zu leben, scheint typisch „mittelalterlich“, d. h. in unserem Zusammenhang vorklassisch zu sein; dieses Faktum hat Evolution unauffällig möglich gemacht und jene Freiräume eröffnet, die die vorklassische und zum Teil noch die klassische Universität besonders kennzeichnen und einen Teil des Geheimnisses ihrer Lebensdauer in sich bergen. Deshalb lassen sich vom Historiker freilich auch wichtige Veränderungen nur mühsam feststellen. Neben der langsamen Evolution unterhalb der nicht antastbaren Legitimitätssphäre war die unterschiedliche Auffüllbarkeit der Kernformen das zweite wesentliche Moment. Dies kann wohl an der Kernform „Fakultät“ am besten erörtert werden. Da die Neuerrichtung von Fakultäten über den mittelalterlichen Vierer-Kanon hinaus in der Regel auf große Schwierigkeiten stieß und z. B. in Gießen, von kurzlebigen Versuchen abgesehen55, in bescheidenem Maße erst im 20. Jahrhundert realisiert wurde (1914 Veterinärmedizinische Fakultät, jedoch keine separierte Naturwissenschaftliche Fakultät), hat sich die von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an überall eintretende Individualisierung, die durch Reaktion auf unterschiedliche äußere Bedürfnisse den Universitäten erst ihr jeweils unverwechselbares Gesicht zu geben begann, innerhalb der alten Ordnung der Fakultät vollzogen. Denn in dieser Gestalt ist der Proporz des Hergebrachten an der Universität (z. B. bei der Rektorwahl) viel weniger gestört worden. Auch was mit der Fakultät als ganzer geschah, konnte relativ unbehindert vor sich gehen, solange der Wandel nur ohne neues Etikett blieb und sich umstürzend nicht in der institutionellen, sondern „nur“ in der wissenschaftlichen oder
54 Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt Nr. 2 v. 30. 1. 1879, S. 3–11 u. Nr. 58 v. 1. 12. 1879, S. 715–725. – Satzungen der Universität Gießen, 2 Teile (1904). – Verfassung der Landes-Universität Gießen (1911). 55 Die Ökonomische Fakultät (1777–1785), auf die Person J. A. Schlettweins zugespitzt, war ein Spätprodukt des Merkantilismus Friedrich Carl von Mosers, die Katholisch-Theologische Fakultät (1830 –1851/58) ein staatskirchlicher Versuch des paritätisch gewordenen Großherzogtums, der an der Entschiedenheit Kettelers scheiterte. Lit.: W. Stieda, Die Nationalökonomie als Universitätswissenschaft (in: Abh. d. Kgl. Sachs. Akad. d. Wiss. XXV, 2, 1906). – A. Specht, Das Leben und die wirtschaftlichen Theorien J. A. Schlettweins (Diss. Gießen 1929). – W. Gunzert, Friedrich Carl von Moser (in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken 2, 1969) S. 82–117 bes. 96ff. – A. Lutterbeck, Geschichte der katholisch-theologischen Fakultät zu Gießen (1860). – F. Vigener, Die katholisch-theologische Fakultät in Gießen und ihr Ende (in: MOHG NF 24, 1922) S. 28–96.
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in der umweltbezogenen Dimension der Universität auswirkte. Zwei Beispiele seien genannt: 1. Der lange Weg von der wissenschaftlichen Einheit „Fakultät“ zur wissenschaftlichen Einheit „Fach“, das erst im 19. Jahrhundert wirklich konstituiert wurde. Dieser Weg scheint bei den Juristen heute noch nicht ganz vollendet zu sein; er mündet auch in der für die Universitätsgeschichte so bezeichnenden Ambivalenz der Dinge in das ein, was wir bei Professoren der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts als Vielseitigkeit rühmen. 2. Der Wandel der Philosophischen Fakultät durch die Ab- und Ausgrenzung des jetzt zugleich stabilisierten Gymnasiums (in Gießen 1836/38)56, durch das Abstreifen des enzyklopädisch-propädeutischen Prinzips zugunsten des fachwissenschaftlichen und durch die erstmalige Konstituierung eines ständig wachsenden, nur von dieser Fakultät betreuten und examinierten akademischen Berufsstandes, des Standes der Gymnasiallehrer („Philologen“). Auch dieser Vorgang, der durch Studienpläne und Streitschriften gerade für Gießen gut dokumentiert werden kann, hat lange gedauert; das Wichtigste ist um 1840 geschehen57. Dadurch beschritt man den Weg
56 Messer S. 366. Vgl. J. T. B. Linde, Übersicht des gesamten Unterrichtswesens im Großherzogthum Hessen (1839). – Osann (wie in Anm. 57). – O. Immisch, Geschichte des großherzoglich hessischen philologischen Seminars in Gießen (in: MOHG NF 20, 1912) S. 1–21. – F. Blättner, Gymnasium und Universität (in: Studium Generale 16, 1963) S. 303–310. 57 Studienplan für die Großherzoglich Hessische Landesuniversität zu Gießen (1843). Zur Bibliographie der sich anschließenden ganz unbekannten, sehr interessanten Polemik: A. A. E. Schleiermacher, Bemerkungen über den Studienplan für die Großherzoglich Hessische Landesuniversität zu Gießen (1843). – J. T. B. v. Linde, Erwiederung auf die Bemerkungen des Herrn Geh. Raths Dr. A. A. E. Schleiermacher über den Studienplan für die Großh. Hessische Landesuniversität zu Gießen (1843). – F. Osann, Beleuchtung der Bemerkungen des Großh. Hess. Geh. Raths Herrn Dr. A. A. E. Schleiermacher über denjenigen Teil des für die Großh. Hess. Landesuniversität zu Gießen festgesetzten Studienplans, welcher die Candidaten des Gymnasiallehramts aus dem philologischen Gesichtspunkte betrifft (1843). – Anonymus [= L. Noack], Kritische Beleuchtung der Prinzipien des neuen Gießener Studienplans, mit besonderer Rücksicht auf die darüber erschienenen Schriftchen der Herren Schleiermacher und v. Linde (in: Konstitutionelle Jahrbücher 3, 1843) S. 183–226. – Erwiederungen auf die Bemerkungen des Herrn Geh. Raths Dr. A. A. E. Schleiermacher über den Studienplan für die Großh. Hess. Landes-Universität zu Gießen. Von einigen Professoren derselben (1843). – C. F. A. Fritzsche, Widerlegung der Bemerkungen des Großh. Geh. Raths Herrn Dr. A. A. E. Schleiermacher über den für die evangelischen Theologen auf der Ludwigs-Universität zu Gießen bestimmten Studienplan, nebst einem Anhange (1844). – Dr. v. Ritgen, Gegenbemerkungen auf die Bemerkungen des Herrn Geheimen Raths Dr. Schleiermacher über den Studienplan für die Großherzoglich Hessische Landesuniversität zu Gießen (1844). – L. Noack, Der Gießener Studienplan und Herr Professor Dr. C. F. A. Fritzsche (1845). – Der Studienplan wird als der erste einer deutschen Universität bezeichnet. Zum scharfen Kritiker Schleiermacher, der Kabinettsdirektor
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von der Zweistugkeit zur Einstugkeit der Universität, die nun erst wirklich „klassisch“ wurde; er hat mehr als hundert Jahre bis tief ins zweite Drittel des 19. Jahrhunderts hinein in Anspruch genommen. So gab es dort, wo alte Traditionen bestanden, anders als in den Neugründungen vorklassische und klassische Elemente jahrzehntelang, nebeneinander; die Einheit des Alten und des Neuen wurde der Lehrstuhl oder auch die Privatdozentur, für deren Anzahl und Beschaffenheit keine mit der legitimen Existenz der Universität verknüpften Normen bestanden. Während das Gleichgewicht der Fakultäten insgesamt unbeeinträchtigt weiterbestand, konnten sich diese selbst unbehelligt ihrem Umfang nach extrem unterschiedlich entwickeln und das vorklassische ungefähre Gleichmaß verlassen (fast Stillstand bei den Theologen und Juristen, immer schnelleres Wachstum bei den Philosophen einschließlich der Naturwissenschaften58 und bei den Medizinern). Ob eine Fakultät von drei oder weniger Ordinarien wie immer wieder in vorklassischer Zeit oder von mehr als hundert Professoren wie öfter am Ende der klassischen Universität gebildet wurde – das konnte ohne institutionelle Systemkrise „verarbeitet“ werden, ebenso wie es wenig Unterschied machte, ob jene drei miteinander verwandt oder verschwägert, d. h. lokal-sozial ausgewählt waren oder ob diese hundert aus dem ganzen Sprachgebiet stammten und disziplinbezogen berufen worden waren. An diesem Beispiel lassen sich die Extreme ermessen, die das Sozialgebilde „Universität“ institutionell auszuhalten vermochte, oder – mit anderen Worten – man kann aufzeigen, wie erfolgreich es in seinen einfachen Grundformen war; vielleicht aber leuchtet auch die Tatsache ein, daß die nachklassische Massenuniversität endlich auch den weitesten Mantel zerreißen mußte. Denn man kann nur wiederholen: Die sozialen Regeln der hergebrachten Universität waren diejenigen der kleinen Gruppe; die Universität war bis tief ins 19. Jahrhundert, vielfach bis ins 20. Jahrhundert hinein eine sehr kleine Welt. Und man kann wieder hinzufügen: Ein Teil der Lebensformen, d. h. Institutionen und Verhaltensweisen der deutschen Universität ist noch älter als
des hessischen Ministers du Thil und ausgewiesener Indologe, auch ein Förderer Liebigs war, Babinger (wie Anm. 59) S. 70. 58 Als Beispiel für den besonderen Ausbau Gießens sei neben der Landwirtschaft die Forstwissenschaft genannt: K. Vanselow, Hundert Jahre Gießener Forstinstitut (in: Nachr. d. Gießener Hochschulges. 9, 1, 1932/33) S. 23–32. Zu deren Anfeindung in der Fakultät: O. Behaghel, Ein Restaurationsversuch an der Universität Gießen (in: MOHG NF 13, 1905) S. 106f. Zuletzt G. Reinhold, Die Geschichte der Forstwissenschaft an der Universität Gießen (in: Festschrift 1957) S. 368–374.
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diese selbst und stammt durch Vermittlung des Territorialstaats aus der mittelalterlichen Pfründenkirche. Die zweite Dimension der Universitätsgeschichte, die wissenschaftsgeschichtliche, ist viel komplizierter als die institutionelle; es genügt für uns, den entsprechenden Weg nur der Universität zu skizzieren, d. h. allein das Verhältnis von jeweiliger Universität und jeweiliger Wissenschaft und dessen Wendepunkte, und man braucht nicht Wissenschaftsgeschichte an sich anzusprechen. Denn nur in jenem Fall ist eine Erörterung möglich, ohne sich allzutief in die Schulkämpfe von „Internalisten“ und „Externalisten“ ( je nach Bewertung der für die Wissenschaftsentwicklung maßgeblichen Faktoren) zu verstricken oder – wo ebenfalls viel in Bewegung ist – zwischen Wissenschaftsgeschichte, historischer Wissenschaftsforschung, Disziplingeschichte oder historisierender Wissenschaftstheorie ( je nach konventionellerem oder modernerem Ansatz) zu optieren; dergleichen wäre ohnehin auf so knappem Raum nicht begründbar59. Jedenfalls bestehen gegenüber einem zeit-
59 Veröffentlichungen verschiedener Richtungen: a) theoretisch: Die Rolle der Wissenschaft in der modernen Gesellschaft, hrg. v. H. Scholz (1969), darin bes. J. Tejmar S. 86–105. – Der Wissenschaftsbegriff, hrg. v. A. Diemer (1970, Studien z. Wissenschaftstheorie 4), darin bes. ders. S. 3–20 u. W. Bumann S. 64–75. – I. S. Spiegel-Rösing, Wissenschaftsentwicklung und Wissenschaftssteuerung (1973). – Theorien der Wissenschaftsgeschichte, hrg. v. W. Diederich (1974). – W. L. Bühl, Einführung in die Wissenschaftssoziologie (1974). – Die Bedeutung der Wissenschaftsgeschichte für die Wissenschaftstheorie (1977, Studia Leibniziana Sonderheft 6) darin bes. R. Vierhaus S. 140 –151 u. C. Burrichter S. 152–164. – Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen und die Geschichte der Wissenschaften, hrg. v. A. Diemer (1977, Studien z. Wissenschaftstheorie 10), darin bes. ders. S. 4–19. – L. Boehm, WissenschaftWissenschaften-Universitätsreform (in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 1, 1978) S. 7–36. – W. Lepenies, Wissenschaftsgeschichte und Disziplingeschichte (in: GG 4, 1978) S. 437–451. – W.-H. Krauth, Disziplingeschichte als Form wissenschaftlicher Selbstreexion (ebd.) S. 498–519. – Grundlegung der historischen Wissenschaftsforschung, hrg. v. C. Burrichter (1979), darin bes. ders. S. 7–21 u. W. Lepenies S. 23–47. – b) in Anwendung: Klassisch F. Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert 3 (zuerst 1934) S. 36ff. – W. Treue, Die Bedeutung der chemischen Wissenschaft für die chemische Industrie 1770 –1870 (in: Technikgesch. 33, 1966) S. 25–51. – A. Diemer, Die Begründung des Wissenschaftscharakters der Wissenschaft im 19. Jahrhundert (in: Studien z. Wissenschaftstheorie 1, 1968) S. 3–62. – H.-H. Eulner, Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebiets (1970, Studien z. Medizingesch. d. 19. Jhs. 4). – H. P. Bahrdt, Historischer Wandel der Arbeitsteilung in der Wissenschaft (in: ders., Wissenschaftssoziologie – ad hoc, 1971) S. 60 –71. – E. Hufbauer, Social Support for Chemistry in Germany During the Eighteenth Century (in: Historical Studies in the Physical Sciences 3, 1971) S. 205–231. – J. Ben-David, Science and the University System (in: Internat. Jahrb. f. Erziehungswiss. 18, 1972) S. 44–60. – C. A. Culotta, German Biophysics, Objective Knowledge and Romanticism (in: Historical Studies in the Physical Sciences 4, 1974) S. 3–38. – Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft im 19. Jahrhundert, hrg. v. W. Treue u. K. Mauel 1–2 (1976, Studien zu Naturwissenschaft, Technik und
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losen Begriff von Wissenschaft zu recht die größten Bedenken; eine entsprechende Frage kann bestenfalls zeitbezogen beantwortet werden, wiewohl es nicht einmal für die Moderne eine eindeutige Antwort geben dürfte. Will man den Begriff für unseren ganzen Zeitraum halten – was wir für unseren Zweck zur Vereinfachung gerade noch als zulässig ansehen, obgleich Wissenschaft im strengen Sinne sicherlich nur moderne Wissenschaft ist –, so wird man innerhalb eines dann locker gefaßten Rahmens für die ältere Zeit den Ton auf umfassende und eher konservierende Gelehrsamkeit, für die neuere Zeit auf spezialisiertes, forschendes Voranschreiten legen. Für die Vergangenheit der Universität stehen wir zusätzlich vor der Schwierigkeit, daß die Einzelfächer verschieden weiten Abstand zum modernen Wissenschaftsbegriff hielten und daß Lehrinhalte und Lehrformen noch wenig untersucht sind. Nach unserer Auffassung unterscheiden sich im Hinblick auf die wissenschaftliche Dimension vorklassische und klassische Universität grundlegend voneinander, und zwar ungeachtet dessen, daß auch hier gemäß ihrem Wesen lange Übergangszeiten sowie Vorläufer und Nachzügler feststellbar sind, und obwohl auch der anthropologische Faktor („zeitlose“ menschliche Neugier und deren vernünftige Befriedigung) in methodisch kaum kontrollierbarer Weise einwirken kann. Maßgeblich ist der breite Fluß des Geschehens, nicht der Sonderfall. Die Abgrenzung von vorklassischer und klassischer Universität fällt hier allerdings nicht Wirtschaft im 19. Jh. 2/3). – S. Koch, Der Konzeptwandel der Naturwissenschaften um 1800 im Vergleich (in: Verhaltenswandel in der industriellen Revolution, hrg. v. A. Nitschke, 1975) S. 92–106. – W. Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte (1976). – R. Stichweh, Ausdifferenzierung der Wissenschaft – eine Analyse am deutschen Beispiel (1977). – C. Meinel, Die Chemie an der Universität Marburg seit Beginn des 19. Jahrhunderts (1978, Academia Marburgensis 3). – G. Podstawski, Die Bedeutung der Disziplingeschichte für die moderne Rechtswissenschaft (in: GG 4, 1978) S. 472–497. – W. Pross, „Natur“, Naturrecht und Geschichte (in: Internat. Archiv f. Sozialgesch. d. dt. Lit. 3, 1978) S. 38–67. – R. Sprandel, Vorwissenschaftliches Naturverstehen und Entstehung von Naturwissenschaften, (in: Sudhoffs Archiv 63, 1979) S. 313–325. – W. Lepenies, Naturgeschichte und Anthropologie im 18. Jahrhundert (in: HZ 231, 1980) S. 21–42. Vgl. auch R. Vierhaus, Umrisse einer Sozialgeschichte der Gebildeten in Deutschland (in: QFIAB 60, 1980) S. 395–418. – c) Lehrreiches Material aus der Gießener Universitätsgesch. z. B. bei F. Babinger, Ein Halbjahrhundert morgenländischer Studien an der hessischen Landes-Universität: J. A. Vullers (in: Nachr. d. Gießener Hochschulges. 2, 1919) S. 68–88, – K. Bürker, Über den Werdegang der Physiologie und das neue Physiologische Institut an der Landesuniversität Gießen (ebd. 11, 2, 1936/37) S. 19 –45. – W. Lorey, Aus der mathematischen Vergangenheit Gießens (ebd. 10, 2, 1935) S. 47–75). – Ders., Die Mathemathik an der Universität Gießen vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis 1914 (ebd. 11, 2, 1936/37) S. 54–97. – Ders., Die Physik an der Universität Gießen im 17. und 18. Jahrhundert (ebd. 14, 1940) S. 14–39. – M. Trapp, Die Philosophie an der Universität Gießen im 19. Jahrhundert (1944, Gießener Beitr. z. dt. Philologie 84).
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zusammen mit einer ebenso klaren Differenz von frühneuzeitlicher und moderner Wissenschaft: Hier hat die Forschung deutliche Kontinuitäten von der Scholastik an herausgearbeitet, die in Deutschland schon ein Jahrhundert vor der ersten Universitätsgründung institutionalisiert war (1248 Studium generale der Dominikaner in Köln). Vielmehr kommt es darauf an sich zu vergegenwärtigen, daß sich das Verhältnis von Universität und Wissenschaft in beiden Zeitaltern beträchtlich unterschieden hat. Weil dieses Faktum etwas klarer vor Augen steht als die sehr komplexe Frage, seit wann es Wissenschaft in unserem Sinne gibt, werden wir unseren Gedankengang am besten von daher speisen lassen. Die großen Einzelleistungen jedenfalls, die die Wissenschaft der frühen Neuzeit wohl fürs erste am besten kennzeichnen und sich wohl gemäß den zeitgenössischen Kommunikationsbedingungen, den Hemmnissen alter Lehren und Autoritäten, den beträchtlichen bleibenden Wissenslükken und Fehlurteilen und gemäß der Selbstauffassung mancher Fächer als „artes“ (d. h. eher in „handwerklicher“ Art) erst ganz allmählich in Richtung auf ein System des Wissens bewegten (was einen entscheidenden Wesenszug moderner Wissenschaft darstellt), sind in Deutschland kaum je an der Universität geschehen. Bedeutende Gelehrte waren bekanntlich scharfe Gegner der Universität (was vielleicht auch mit deren noch zu erörterndem Rekrutierungssystem zusammenhängt). Demgegenüber war die Hohe Schule seit ihren ersten mittelalterlichen Anfängen die Stätte von seinerzeit sehr anspruchsvoller, später eher schulmäßig-tradierender Lehre, welcher Aspekt durch die für ihre Sparte modernen pädagogischen Antriebe von Humanismus, Reformation und Gegenreformation nur noch verstärkt wurde. Der „Normalprofessor“ der vorklassischen Universität war ein möglichst universal gebildeter Gelehrter mit einem oder mehreren fachlichen Schwerpunkten, der cum grano salis am ehesten mit anspruchsvollen Gymnasiallehrern des späteren 19. und frühen 20. Jahrhunderts vergleichbar ist. Daran sollte idealisierende und isolierende Rückprojektion späterer Verhältnisse nichts umdeuten. Man kann noch einen Schritt weitergehen: Nur unter der Bedingung, daß eine Universität viel mehr oder etwas anderes darstellen solle als eine gehobene Schule, was beträchtliche anachronistische, nämlich klassische Elemente enthält, ist ein Ansehensschwund der Universität im 17. und 18. Jahrhundert, wie oft getan, wirklich zu beklagen. Andernfalls könnte man besser sagen, daß das Prestige der meisten Universitäten ihrer Funktion recht gut entsprach. Andere, „wissenschaftliche“ Funktionen hat die Ständegesellschaft eben durch
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andere Institutionen (Akademien, Gelehrte Gesellschaften, in Frankreich selbst Salons und Kaffeehäuser) befriedigt. Forschungsansätze im späteren Sinne bei einzelnen Professoren sind dadurch natürlich nicht ausgeschlossen und ebensowenig die von sozialen und fachbezogenen Faktoren und von äußeren Herausforderungen verursachten Unterschiede zwischen den oberen Fakultäten, besonders zwischen der anspruchsvollen Jurisprudenz und der eher anspruchslosen Philosophischen Fakultät. Vor allem bleibt zu beachten, daß der Unterbau des ganzen „Systems“ und damit auch die geistige Grundlage der noch zu erörternden „Familienuniversität“ eine solide, fest verankerte und auch zahlenmäßig ansehnliche Gelehrsamkeit und Gebildeten-Kultur gewesen ist. Auf deren Basis ereigneten sich dann durchaus auch im späteren Sinne bemerkenswerte Leistungen, häuger freilich fand sich die auch in Gießen verbreitete Rezeptions- und „Tradierungs“wissenschaft, d. h. die Produktion von Lehrbüchern und Schulbüchern vor. Solche Leistungen waren freilich dem späthumanistischen 17. Jahrhundert angemessener als seinem aufgeklärten Nachfolger. Auch auf jener Basis konnten selbstverständlich Gelehrtenfehden und Schulkämpfe ausgetragen werden, die nicht nur formale Parallelen zu wissenschaftlichen Kontroversen des 19. Jahrhunderts aufwiesen, sondern – wenn sie nicht in dogmatischer Verfestigung endeten – der wissenschaftlichen Weiterentwicklung zu dienen vermochten. Der Weg zur modernen systematisierten und methodentreuen Beobachtungs- und Erfahrungswissenschaft an der Universität war gleichwohl weit und nicht geradlinig. Bei dessen Charakteristik ist es zweckmäßig, zwischen dem 16./17. und dem 18. Jahrhundert zu unterscheiden. In diesem Säkulum ist nämlich ein allmählich wachsender Einuß von Wissenschaft im neueren Sinn auf die Universität festzustellen, der vielfach über die Neugründungen einströmte und neben den allgemeinen geistesgeschichtlichen Wandlungen z. B. zur Veränderung des Rangverhältnisses von Disziplinen und damit von Fakultäten beigetragen hat, zuungunsten der Theologie und zugunsten der Jurisprudenz, ganz allmählich auch zugunsten der philosophischen Fächer und der Medizin. Der wissenschaftliche „Umsatz“ beschleunigte sich, weil immer mehr Zeitschriften entstanden, die die schwerfälligen Monographien ergänzten. Es stellte sich auch heraus, daß der Bruch mit der Latinität nicht das Ende internationaler Wissenschaft bedeutete. Jedoch war im frühen 19. Jahrhundert an den alten Universitäten das Alte noch so stark (z. B. in Gestalt der Zuordnung fortschrittlicherer
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Naturkunde mehr zur Medizin gegenüber oft traditionellen Inhalten bei den Naturwissenschaften der Philosophischen Fakultät), daß man jene Neuerungen wiederum nicht überschätzen wird. Die Akademien des 18. Jahrhunderts (Berlin 1700, Göttingen 1751 usw.) standen bis um 1800 der Wissenschaftsentwicklung näher als die Universitäten und waren auch sozial meist etwas Besseres; so kann man auch von hierher die Wende nach 1800 insofern charakterisieren, als die gern die alten Namen und Traditionen weiterführenden Akademien des 19. Jahrhunderts de facto soziale Anhängsel der neuen klassischen Universität geworden sind, da sie von den Professoren neuen Stils beherrscht wurden. Auch die außeruniversitäre Forschung der späteren klassischen Zeit (z. B. die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft) wird keine gewichtige Kontinuität zum 18. Jahrhundert – an der Universität vorbei – besitzen, sondern ist ohne diese nicht denkbar. Unter diesen Prämissen halten wir bei allem Respekt vor den Leistungen der Aufklärung an dem großen Umschwung fest, den das 19. Jahrhundert mit sich gebracht hat. Es hat auch die deutschen Universitäten für ihre wissenschaftliche Dimension und, davon abhängig, z. T. für ihren institutionellen Bereich zur inter nationalen Führungsrolle befördert. Die sicherlich vielgestaltigen Beweggründe für diese aus historischer Perspektive recht überraschende Entwicklung scheinen noch nicht genügend erforscht zu sein; es reicht auch für unseren Zweck aus, einige mehr oder weniger beachtete Ursachen nebeneinander zu stellen, um den Unterschied zur Vergangenheit deutlich zu machen: das neue Ethos der Verbindung von Forschung und Lehre oder auch der Lehre durch Forschung, das zuerst vor allem in Berlin realisiert wurde, ohne daß alle Berliner Kräfte von Anfang an darauf hingearbeitet hätten; das zunächst durch häug hilfreiche Eingriffe weitblickender Staatsdiener mitverursachte allmähliche Aussterben der alten Nachwuchsauslese nach Kriterien, die für Lehrer geeigneter waren als für Forscher; der Antrieb des neuartigen disziplinbezogenen Wettbewerbs innerhalb und außerhalb der Universität mit der bald fast allein entscheidenden Auslese der Wissenschaftler eben durch diesen, die auch den Vergleich der Universitäten und schon damit ein Universitätssystem und das Ende der konfessionellen und regionalen Kammerung mit sich brachte und parallel dazu Fachöffentlichkeiten entstehen ließ60; der beträchtliche
60 Z. B. seit 1822 Versammlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte oder seit 1846 Germanistenkongresse. Zur Hochschulpolitik: Hochschullehrertage
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Anstieg des sozialen Ansehens der Professoren, der jetzt anders als in der vorklassischen Universität Talente von überallher anlockte; die ständig zunehmende Spezialisierung und Arbeitsteilung, auch mit den neuen Organisationsformen des Seminars und des Instituts; der stark vermehrte Wechsel der Professoren von Anstalt zu Anstalt in einer vergleichsweise sehr großen Universitätslandschaft mit den dadurch immer erneuerten Anstößen verschiedener Art; eine informelle, jedoch wirksame Funktionsteilung unter den Universitäten zwischen großen und kleinen, oder – was das Durchschnittsalter des Lehrkörpers betraf – zwischen „ jugendlichen“, z. B. Gießen61, und „gereiften“, z. B. Berlin und Leipzig ( jede hatte die Chance zu geben, jede nahm mehr als sie gab, keine war größer als alle anderen zusammen, obwohl eine die Mitte bildete); das allmählich wachsende Bedürfnis des Sozialkörpers und seiner Wirtschaft nach spezialisiert ausgebildeten Akademikern, das die Wissenschaft stärker denn je zuvor in das ökonomische und soziale Leben hineinwachsen und -wirken ließ; ein neuer Ernst des Studiums jedenfalls im Vergleich zur frühen Neuzeit. Wesentlich bei den meisten dieser Elemente ist die Tatsache, daß sie Wirkungsfaktor und Ergebnis zugleich waren und sich gegenseitig steigerten und kräftigten, so daß am Ende alle Sparten von Wissenschaft ganz anders als zuvor und danach in die klassische Universität einmündeten und sich auf diese konzentrierten. Dies führte zu bisher ungeahnten Erfolgen, die häug international konkurrenzlos blieben. Diese Erfolge waren die Wurzel weiterer Erfolge, was z. B. darin zum Ausdruck kommt, daß erst der bewährten Universität um die Mitte des Jahrhunderts die Berufungsangelegenheiten für drei oder vier Generationen fast ungeteilt überlassen wurden – in höherem Maße als je zuvor oder danach in ihrer Geschichte und Gegenwart. Der Staat konnte sich auch deshalb ein Stück zurückziehen, weil die Universität
1848, 1907ff., Treffen der Leiter der Hochschulverwaltungen der deutschen Länder seit 1898, Rektorentreffen seit 1903 (z. T. nach Riese S. 325ff.). Zu den Zeitschriften vgl. Anm. 63. 61 Nachweise in der in Anm. 42 genannten Gießener Festrede, die zweifellos aus damals sehr aktuellen Überlegungen (und Sorgen?) hervorgegangen ist. – Die Karriere der Gießener Professoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist vor allem durch die Universitäten Berlin, München, Leipzig und Heidelberg bestimmt (siehe den im Vorwort genannten Sammelband „Gießener Gelehrte“ 1, Einleitung). Vgl. J. Ben-David, Universities and Academic Systems in Modern Societies (in: Archives européennes de sociologie 3, 1962) S. 45–84, auch W. Arnold, Die Bedeutung der kleinen Universitäten (1872) und den Beitrag von P.-J. Heinig in diesem Band.
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pekuniär und juristisch weithin staatlich geworden war62 und sich im wesentlichen politisch-sozial konform verhielt. Bei fast allen genannten Momenten stand im Mittelpunkt die Rolle des Professors neuen Typs, der etwa von der Mitte des Jahrhunderts an gänzlich mit dem Wissenschaftler identiziert werden kann. Er war ein anderer geworden, und mit ihm wurde die deutsche Universitätsgeschichte einheitlicher denn je. Niemals auch standen sich Universität und Wissenschaft näher als damals (außer vielleicht in den Anfängen der Universität) und haben stärker aufeinander eingewirkt. Die klassische Universität war auf jene entscheidende Weise neu legitimiert, von der schon die Rede war: vor allem durch die Überzeugungskraft ihrer Leistungen. Im einzelnen sind freilich diese Vorgänge weder gleichförmig noch gleichzeitig oder ganz geradlinig vor sich gegangen. Ihre Entwicklung nahm fast das ganze Jahrhundert in Anspruch, das nach einem Einschnitt wohl um 1860 erst an seinem Ende zur Reife gelangte. Am Anfang dieses Weges hat Justus Liebig (1824–1852 in Gießen) die kleine Lahn-Universität zu einem Hauptzentrum des Geschehens gemacht; sein Laboratorium steht am Beginn der modernen organischen Chemie, der wissenschaftlichen Landwirtschaft und der modernen naturwissenschaftlichem Ausbildung. Dieses Faktum und seine Begleitumstände könnte man in mancher Hinsicht als Belegstück in unsere Erwägungen einordnen; es genüge der Hinweis darauf, daß man das an sich zufällig erscheinende Moment der Ortswahl Gießens sozialgeschichtlich, d. h. unter Vorausgreifen auf die dritte, soziale Dimension wenigstens ein Stück weit „rationalisieren“ kann: Der Zufall ndet sich in Gestalt der Geburtsstadt Liebigs, Darmstadts, vor; denn der junge Mann, der dem großen Alexander von Humboldt in Paris, dem damaligen Zentrum der Wissenschaft, aufgefallen war, wurde von diesem erfahrenen Patron (in einer für jene Übergangszeit recht typischen Weise) nicht einem beliebigen, auch nicht dem preußischen Landesherrn empfohlen, weil dies wenig Erfolg versprochen hätte, sondern dem „zuständigen“ Großherzog von Hessen, der jenen dann ohne Befragen der Fakultät mit 21 Jahren zum außerordentlichen Professor an seiner Gießener Universität ernannte. Liebig war dort zuerst ein wissenschaftlicher Einzelgänger in einer Umwelt andersdenkender, ja feindlicher Kollegen, wie etwa auch der in Grünberg unweit Gießens
62 H. J. Wolff, Die Rechtsgestalt der Universität (1956, Arbeitsgem. f. Forschung d. Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswiss. 52).
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geborene Friedrich Gottlieb Welcker (1804–1816 in Gießen), Lehrer am Pädagogium und dann unbesoldeter Professor für griechische Literatur und Archäologie, der als einer der ersten den Weg von der vorklassischen Imitation der alten Sprachen zu ihrer neuhumanistischen Deutung wies. Am Ende der klassischen Universität zeigt sich auch die wissenschaftliche Dimension ein zweites Mal beträchtlich gewandelt. Wenn 80 bis 90 Prozent aller Wissenschaftler, die je tätig waren, heute leben63, in ihrer Mehrheit auch außerhalb der Hochschulen arbeiten und wenn sich in den inzwischen weltweit einheitlich betriebenen Fächern (Naturwissenschaften, Medizin) die Zahl der Publikationen derzeit alle zehn bis fünfzehn Jahre verdoppelt, dann kann der alte Anspruch der klassischen Universität nicht mehr aufrecht erhalten werden. Bewahrt ist – abgesehen von dem traditionellen Verhalten der weniger explosiven Disziplinen – als bisher unverlorenes Erbe der klassischen (und in ihr der vorklassischen) Universität das alte Prestige, das mit der Graduierung auch dann verbunden bleibt, wenn ihr Träger längst anderswo mit großzügiger bemessenen Mitteln forscht; auch für ihn war die Universität zur Legitimierung notwendig, und so bleibt er ihr weiterhin verpichtet. Die dritte, umweltbezogene Dimension der Universitätsgeschichte stellt zweifellos das umfangreichste und komplizierteste Thema dar, das demgemäß nur in vorwiegend sozialgeschichtlicher Auswahl64 angesprochen werden kann; einige Punkte sind ohnehin schon berührt worden. Umfangreich und kompliziert ist der Gegenstand insbesondere dann, wenn wir ihm zusätzlich noch die interne Sozialgeschichte der Universität zuordnen, um damit von vornherein zum Ausdruck zu bringen, daß die soziale Welt der Professoren und Studenten universitätsimmanent nicht zureichend erörtert werden kann, so sehr sie auch mit der institutionellen Dimension verochten sein mag. Wenn Sozialgeschichte der Universität als Teil und als Gegenüber der allgemeinen Sozialgeschichte zugleich aufgefaßt wird, sind damit zwei recht unvollkommen erforschte Gebilde konfrontiert, so daß jene kaum eine Stütze an dieser
63 D. J. de Solla Price, Little Science, Big Science (1974) S. 13, 17. – Vgl. ders., Science Since Babylon (1961) S. 92ff. – Bühl S. 65ff. 64 Nicht behandelt wird etwa das wichtige Problem des Verhältnisses der Universität zu ihrer Heimatstadt. Vgl. zuletzt: Stadt und Hochschule im 19. und 20. Jahrhundert, hrg. v. E. Maschke u. J. Sydow (1979, Stadt in der Geschichte 5) und den Beitrag von W. Bingsohn in diesem Band.
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nden wird. Ein beide Aspekte umfassender Ansatz, den man „historische Bildungsforschung“ nennen könnte, bendet sich bei uns – anders als in England – noch im Anfangsstadium65. Wenigstens stimmt die Forschung darin überein, daß direkte, einlinige Kausalitäten zwischen beiden Seiten kaum anzugeben sind, auch nicht bei der schon etwas vorangetriebenen Deutung der Immatrikulationsfrequenzen und ihrer Schwankungen66. Kontrovers hingegen mögen schon die Auffassungen sein, daß es zwar spezische soziale Regeln gegeben habe, die der Institution „Universität“ und der in ihr vorherrschenden Lebensform der kleinen Gruppe entsprachen, daß aber diese Regeln auch von der jeweiligen sozialen Umwelt her deutbar seien; daß im großen (etwa im Hinblick auf die öfter besprochene ,,Aufstiegs“-Frage) keine sehr auffällige soziale Autonomie der Universität gegenüber der umgebenden Gesellschaft bestanden habe; daß sich das Spezische der Universität, gern im Beharren ausdrücke und ihr letztlich viele wesentliche Veränderungen durch die Übermacht der Umwelt auferlegt worden seien. Die vorklassische, relativ statische und kleine Universität stand einer kleinteilig regional und ständisch segmentierten, auf hösch-staatliche Mittelpunkte hin organisierten Gesellschaft gegenüber; die klassische Universität fand sich – allmählich selbst in etwa parallelisierbarer Entwicklung begriffen – in einer rasch wachsenden, zu räumlicher, sozialer, ökonomischer und politischer Verdichtung fortschreitenden, vor allem nach Besitz und Bildung klassizierbaren, im 20. Jahrhundert dann sozial relativ geöffneten Gesellschaft vor. Das spätere 18. und das frühere 19. Jahrhundert bilden:eine Übergangszeit. Unter diesen Umständen wird die von der Moderne her besonders betonte Frage nach der sozialen Rolle der Universität wenigstens für das 16. und 17. Jahrhundert nicht direkt auf ein Kernproblem der allgemeinen Sozialgeschichte treffen. Denn nahezu konkurrenzlos für viele oder alle sozial gehobenen Bereiche qualizierte die Universität gemäß moderner Leistungskriterien schwerlich länger als 150 Jahre, in der vorklassischen Zeit zwängte sie sich zunächst ein in andere, höher geschätzte Qualitäten, und nicht immer mit dem besten Erfolg. 65 Vgl. das in Anm. 2 angeführte Handbuch und P. Lundgreen, Historische Bildungsforschung (in: Historische Sozialwissenschaft, hrg. v. R. Rürup, 1977) S. 96–125. Zu England z. B. L. Stone, The Educational Revolution in England, 1560 –1640 (in: Past and Present 28, 1964) S. 41–81. – H. Kearney, Scholars and Gentlemen (1970). – F. K. Ringer, Education and Society in Modern Europe (1979). 66 Vgl. den Beitrag von R. C. Schwinges in diesem Band mit der dort angegebenen Literatur.
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Die ältesten Bezugs- und Orientierungspunkte der vorklassischen Universität – abgesehen von ihresgleichen und von der Legitimitätsfrage – waren nämlich der Landesherr und seine Dynastie, die die Universität gestiftet und unbestritten auch die bis ins 18. Jahrhundert grundlegende Konfessionsfrage entschieden hatten67, sowie die Hofgesellschaft und die Beamtenschaft des werdenden und fertigen Territorialstaats. Angesichts der adeligen Hofgesellschaft und der zumindest adelsnahen höheren Beamtenschaft war die Existenz des Adels auch innerhalb der Universität von größter Bedeutung, auch noch in Göttingen im 18. Jahrhundert. Ständische Gliederung in der kleinen Welt der Universität betraf nicht die Professoren, unter denen es in der frühen Neuzeit offenbar kaum Adelige gab (außer einigen Glaubensimmigranten), weil das Lehren für einen zur Herrschaft Geborenen sehr unpassend schien, sondern die Hörer oder Gäste – etwa analog zu den spätmittelalterlichen Juristenfakultäten und -universitäten, in welchen reich bepfründete und hochgeborene Studenten ihren Lehrern oft insoweit überlegen waren und daher auch zu Ehre und Nutzen der Universität mit ihrem höchsten Amt ausgestattet wurden, zumal um weitere Hochgeborene anzuziehen68. Neben die Universität der frühen Neuzeit wird bald (zuerst Tübingen 1596) die adelige Ritterakademie treten, wo man unter sich sein wird. Die Versuche, durch Graduierung (also auch für Professoren) Adelsgleichheit zu erringen, waren im wesentlichen gescheitert, jedenfalls für die territoriale Universität der frühen Neuzeit. Dem Unterschied der Geburt unter den Universitätsbesuchern entsprach bald der Unterschied des anspruchsvolleren und je für sich honorierten Privatkollegs gegenüber der unentgeltlichen öffentlichen Arme-Leute-Vorlesung und entsprach noch lange Zeit die Distanz des Adels zum wenn schon nicht sehr leistungsbezogenen, so doch den Vergleich gestattenden Prüfungswesen. Die Graduierung war ihrem Wesen nach „bürgerlich“, und erst die klassische Universität wird unter dem „Leistungsdruck“ des modernen Staates den Adel durch dieses Joch führen. Indessen war es auch ohne diese Problematik um das Leistungs- und Prüfungswesen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein immer wieder schlecht bestellt, wie zeitgenössische Kritik belegt; denn die Interessen der „Universitätsfamilien“ und
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(Lutherische) Religionsreverse der Professoren sind in Gießen bis 1794 nachweisbar. Vgl. den Beitrag von B. Jäger in diesem Band.
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der Wettbewerb der Hochschulen um Studenten verführten rasch zur lockeren Handhabung (s. u.). Mit Absicht haben wir die Universität zur Charakterisierung ihres sozialen Orts aus zeitgenössischer Perspektive und ohne Rücksicht auf modernes Interesse zuerst gleichsam punktuell auf die soziale Umwelt auftreffen lassen. Das Territorium, Stadt und Dorf, kam zunächst dadurch wirksam zur Geltung, daß der Herr seinen Beamtendienst und den von ihm gelenkten protestantischen Kirchendienst an eine Ausbildung an seiner Universität band. Aber auch hier sind die in allgemeiner Weise verwendeten Verständnismodelle „Bedarf und Bedarfsdeckung“ und „sozialer Aufstieg“ eher etwas verfrüht; denn viele Theologen waren längere Zeit ohne Amt und blieben in bescheidenen Verhältnissen, während sich unmittelbar für Hof und Staat auf dem Weg über das juristische Studium in erster Linie die etablierten Beamtenfamilien „zuständig“ fühlten. Das 18. Jahrhundert war dann in durchorganisierten Staaten imstande, absolutistische Studienhindernisse aufzurichten, um ein wirkliches oder vermutetes Überangebot hintanzuhalten, d. h. vor allem auch zu große Konkurrenz für den Adel im Hinblick auf höhere Positionen. Am frühesten bildete sich für Juristen ein relativ einheitlicher Markt aus, an welchem Räte, Gerichtsmitglieder und die Professoren dieser sozial höchststehenden Fakultät Anteil besaßen69. Der Begriff des Studenten69a nahm in der vorklassischen Zeit an Eindeutigkeit zu, nachdem im späten Mittelalter noch, die Spanne der Universitätsbesucher zwischen studierunfähigen Kindern einerseits und durch kirchliche Würden oder eigene artistische Lehrtätigkeit ausgewiesenen Männern andererseits recht groß gewesen war; jedoch wurde bis um 1800 weder Alters- noch Eignungshomogenität in der Weise erreicht, wie dies in der konsolidierten klassischen Universität als selbstverständlich erschien. Klagen über zu junge Universitätsbesucher in Gießen gab es noch um 184070. Im 17. und 18. Jahrhundert war 69 R. A. Müller, Sozialstatus und Studienchance in Bayern im Zeitalter des Absolutismus (in: HJb 95, 1975) S. 120 –141. – G. Klingenstein, Akademikerüberschuß als soziales Problem im aufgeklärten Absolutismus (in: Bildung, Politik und Gesellschaft, hrg. v. G. Klingenstein u. a., 1978, Wiener Beiträge zur Gesch. der Neuzeit 5) S. 165–204. – B. Wunder, Die Sozialstruktur der Geheimratskollegien in den süddeutschen protestantischen Fürstentümern (1660 –1720) (in: VSWG 58, 1971) S. 145–220 bes. 162. Vgl. den Beitrag von S. Jahns in diesem Band und Anm. 15 in der Studie von R. C. Schwinges ebenda. 69a Für Einzelfragen besonders quantitativer Art sei auf die ebengenannte Arbeit verwiesen. 70 Fritzsche S. 22.
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solche Inhomogenität durch die propädeutische Funktion der Philosophischen Fakultät noch akzentuiert worden. Weil hier gegenüber den Gymnasien wie anderswo im Hinblick auf die Akademien, die das adelige Bildungsbedürfnis befriedigten, die Universitäten nur einen Teil der Ausbildung bewältigten, sind für die frühe Neuzeit isoliert behandelte Studentenzahlen für die Breite der Sozialgeschichte fragwürdig, so hilfreich sie zur Analyse der Einzelhochschule sein mögen. Entsprechendes gilt für die üblichen kontinuierlichen, zu unzutreffenden Vergleichen herausfordernden Zahlenreihen, die zur klassischen Universität hinüberführen. Diese wirkt in sozialer Hinsicht geschlossener als ihre Vorgängerin und ließ demgemäß die Distanz der Besitzenden und Gebildeten zum übrigen Volkskörper eher klarer zum Ausdruck kommen und brachte auch nur ein relativ geringes Maß an sozialen Veränderungen mit sich71. Ein anderes wichtiges Exempel für die soziale Vielgestaltigkeit der vorklassischen Universität gerade in Hessen war die Sondergruppe der Stipendiaten72, die vor allem Theologen wurden, im Durchschnitt weniger bemittelt und angesichts der regionalen Verankerung der Stipendien besonders „heimatbezogen“ waren. Demgemäß war es üblich, im 18. Jahrhundert drei oder vier Studententypen zu unterscheiden, nach Zorn die Stutzer, Renommisten, Krassen und Konviktoristen; im 19. Jahrhundert stellte man dann vor allem die „Brotstudenten“ denen gegenüber, die auf ein derartiges Studium nicht angewiesen waren73.
71 Vierhaus, Umrisse (wie Anm. 59) S. 396. – P. Lundgreen, Sozialgeschichte der Deutschen Schule im Überblick 1. 1770 –1918 (1980) bes. S. 100ff. Vgl. F. K. Ringer, Higher Education in Germany in the Nineteenth Century (in: The Journal of Contemporary History 2, 1967) S. 123–138. – L. O’Boyle, Klassische Bildung und soziale Struktur in Deutschland zwischen 1800 und 1848 (in: HZ 207, 1968) S. 584–608. – Bildungspolitik in Preußen zur Zeit des Kaiserreichs. Hrg. v. P. Baumgart (1980). 72 W. M. Becker, Der Übergang der Marburger Stipendien nach Gießen 1605 (in: MOHG NF 10, 1901) S. 56–64. – W. Diehl, Geschichte der Gießener Stipendiatenanstalt von ihrer Gründung im Jahre 1605 bis zum Abschluß der Reformen des Ministers von Moser im Jahr 1708 (in: Festschrift 1907) 2, S. 1–132. – Ders., Der Verfall der Gießener Stipendiatenanstalt in den Jahren 1780 bis 1811 (in: Beitr. zur hess. Schul- u. Universitätsgesch. 3, 1915) S. 155–176. – Vgl W. Heinemeyer, Pro studiosis pauperibus (in: Studien und Stipendium, hrg. v. dems., 1977). S. 77–100, und den Beitrag von A. Schindling in diesem Band. 73 Schelsky S. 76ff. – W. Zorn, Hochschule und höhere Schule in der deutschen Sozialgeschichte der Neuzeit (in: Spiegel der Geschichte; Festgabe f. M. Braubach, 1964) S. 321–339 bes. 325. – H.-G. Herrlitz, Studium als Standesprivileg (1973). – Student und Hochschule im 19. Jahrhundert (1975). – Vgl. M. Rassem, Die problematische Stellung der Studenten im sogenannten Humboldtschen System (in: Revolution statt Reform, 1968) S. 15–36.
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Das frühneuzeitliche „Beschäftigungssystem“, das in Gestalt der Entstehung und Ausübung der akademischen Berufe in Erscheinung trat, ist bisher so wenig untersucht, daß wenige Hinweise genügen müssen74. Jener mit großer Vorsicht zu handhabende Begriff gewann jedenfalls erst in langsam wachsendem Maße Berechtigung und Inhalt, beginnend im späten Mittelalter bei den Juristen75, und prägte sich dann bei den protestantischen Pfarramtskandidaten deutlicher aus, da die Priesterweihe als Legitimationsmittel verschwunden war. Als jenes „System“ zumal im späteren 18. Jahrhundert ausgeweitet worden war, z. B. für mehrere Generationen um die Kameralisten, schuf das neuentstehende, „vernünftigere“ staatliche Prüfungswesen eine veränderte Situation, die auch die klassische Universität solange prägen wird, bis erstmals die private Wirtschaft von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Absolventen in größerer Zahl wird aufnehmen können76. Der höhere Staatsdienst wurde erstmalig von der Universität monopolisiert, und damit wurden – ganz anders als in der vorklassischen Zeit – fast alle fortan Einußreichen an die Universität gebunden, was wiederum auf diese festigend zurückwirkte. Dies alles waren landesherrliche oder bundesstaatliche Aktionen und Bezugsgrößen, die erst allmählich zur Vereinheitlichung in ganz Deutschland voranschritten: Im Jahre 1874 erkannte man das Abitur gegenseitig an, und erst 1938 kam es zur Reichsassessorenprüfung, die überall zum Eintritt in den höheren Schuldienst berechtigte. Um von diesem üchtigen Blick nach außen wieder zu einem unserer wichtigsten Leitgedanken, dem Professoreninteresse der vorklassischen Universität zurückzukehren, sei darauf hingewiesen, daß aus dieser Perspektive die Quantitäten des Zugangs mehr Aufmerksamkeit auf sich zogen als die Qualitäten der Absolventen; ganz in diesem Sinne war man gegenüber studentischen Wissenslücken, Normüberschreitungen oder gar Gewaltakten – wie man aus der Perspektive der klassischen Universität urteilen müßte – in ganz unverständlicher Weise großzügig, ohne Rücksicht auf das
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D. Rüschemeyer, Professionalisierung (in: GG 6, 1980) S. 311–325. – D. Saalfeld, Die ständische Gliederung der Gesellschaft Deutschlands im Zeitalter des Absolutismus (in: VSWG 67, 1980) S. 457–483. 75 Künftig P. Moraw, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493) (in: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, hrg. v. R. Schnur, 1982). 76 W. Bleek, Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg (1972) S. 73ff., 139ff. Noch um 1840 gingen fast alle Gießener Absolventen in den Staats- oder KirchenDienst (Fritzsche S. 69).
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„gesellschaftliche Bedürfnis“ nach gut ausgebildeten Absolventen und den Stadtfrieden. Solange jedoch ein großer Teil des Lebensunterhalts der Universitätslehrer vom ununterbrochenen und möglichst „umsatzstarken“ Betrieb der Hohen Schule ganz unmittelbar abhing (Kolleggelder und Beköstigung von Studenten im Professorenhaushalt gegen Entgelt) und solange sich Bestrebungen zum solidarischen Handeln mehrerer oder gar aller Universitäten als unrealistisch erwiesen, waren strenge Ordnungen in der Lehre eher die Ausnahme76a. Es war dies eine andere Art der Abhängigkeit der Lehrenden als diejenige vom Landesherrn, jedoch eine nicht weniger wirksame. Sie weist darauf hin, daß die aus dem inneren Leben der älteren Universität erwachsenden Antriebe bedeutend unterschätzt werden, wenn man von der in ganz anderer Weise „vergesellschafteten“ klassischen Universität her urteilt. Das soziale Gebilde „vorklassische Universität“ wäre durch diesen Anspruch überfordert worden. Erst der moderne Staat wird als neutralisierende Instanz von dem Augenblick an, als der Professor im 19. Jahrhundert wirklich Staatsbeamter wurde, nach längerer Übergangszeit bewirken, daß die Absolventen infolge der größer gewordenen inneren Unabhängigkeit der Lehrenden und der zunehmenden staatlichen und universitären Solidarität einheitlicher ausgebildet und strenger beurteilt an das „Beschäftigungssystem“ abgegeben wurden. Die soziale Rolle des Professors ist zur Charakterisierung der Universität so gut geeignet, daß auch zur Fixierung ihres Orts in ihrer Umwelt die Frage nach ihm, diesmal nach seiner Rekrutierung, nicht entbehrt werden kann. Denn nur dann tritt mit aller Klarheit hervor, in welch hohem Maße, die Universität ungeachtet des Beharrens ihrer formalen Positionen und Verfahren in das jeweilige soziale Leben eingeordnet war. Sie hat sich nur dann zeitweise stärker davon abgehoben, wenn sie sich in einer labilen Phase befand. Gründungsjahre und -jahrzehnte waren fast immer labile Phasen, und so gilt diese einschränkende Feststellung, der hier nicht weiter nachzugehen ist77, generell etwa für die ersten, ältesten Generationen der deutschen Universitätsgeschichte und dann öfter jeweils für die Anfänge der einzelnen jüngeren Hohen Schule.
76a E. Horn, Kolleg und Honorar (1897) S. 11ff. – W. M. Becker, Gießener Studententum in der Frühzeit der Universität (1605–1624) (in: MOHG NF 11, 1902) S. 57–84 bes. 66f. 77 Hierzu künftig P. Moraw, Zur Entstehung und Entwicklung des deutschen Professors.
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Die Professoren der stabilisierten vorklassischen Universität verhielten sich ganz ähnlich wie die ihnen jeweils nächststehende soziale Gruppe, zuerst der mittlere Pfründenklerus der spätmittelalterlichen Kirchen und dann das höhere und mittlere Beamtentum der frühneuzeitlichen Territorien, dessen Lebensregeln recht gut erforscht sind78. Will man das in unserem Zusammenhang am deutlichsten prägende Moment benennen, könnte man von der „Familienuniversität“ und von „Universitätsfamilien“ sprechen, d. h. die Hohe Schule befand sich wie Ratskollegien, Hofgerichte oder Kammern vorwiegend im „Besitz“ einer verochtenen Oligarchie von Familien bürgerlicher Abkunft, exakt so, wie spätmittelalterliche Dom- und Stiftskirchen im „Besitz“ entsprechender Oligarchien gestanden hatten. Statt der nicht immer leicht nachweisbaren Befähigung wird man lieber das soziale Moment betonen, also in der nicht ungefährlichen Kombination „Gelehrtenfamilie“ lieber das Element „Familie“ als dasjenige des „Gelehrten“. Gießen, Marburg oder Tübingen sind typische Universitäten dieser Art, wo das ernährende Zentrum von Familienbeziehungen gleichsam umsponnen wurde. Es geht dabei selbstverständlich nur um die vorwiegende Prägung, nie um Ausschließlichkeit; denn es sind in jeder Generation auch Neuankömmlinge zu verzeichnen, die in anderer Weise, zumal über den Hof, durch Empfehlung von Autoritäten, durch Freundschaftsbeziehungen oder durch Publikationen auf sich aufmerksam gemacht hatten. Umgeben wurde der Familienverband ohnehin von dem weiteren Kreis der Landsmannschaft, die ein höheres Maß von Vertrauen einößte als fremde Herkunft und in alteuropäischer Zeit in vielen Bereichen eine große Rolle gespielt hat79. Auch die Neulinge kannten ihre Picht, heirateten sehr oft in die „besitzenden“ Familien ein, akzeptierten damit die „Familienordnung“ und frischten sie zugleich auf; dies tat man noch lange, wie sich überhaupt diese Sozialstruktur mit großer Zähigkeit bis ins Zeitalter der vorwiegend leistungsgeprägten Universität des 19. 78 J. R. Dieterich, Ein Gießener Professor als hessischer Staatsminister (in: Beitr. z. Gesch. d. Universitäten Mainz und Gießen, 1907) S. 462–514. – K. E. Demandt, Amt und Familie (in: Hess. Jahrb. f. Landesgesch. 2, 1952) S. 79 –133. – F. W. Euler, Entstehung und Entwicklung deutscher Gelehrtengeschlechter (in: Universität und Gelehrtenstand 1400 –1800, hrg. v. H. Rössler u. G. Franz (1970, Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 4) S. 183–231. – A. Eckhardt, Politische Führungsschichten in Hessen (in: Genealogie Bd. 11, 22 Jg. 1973) S. 761–771. Vgl. Wunder passim. „Verechtung“ im Sinne W. Reinhards, Freunde und Kreaturen (1977, Schriften der Philos. Fachbereiche d. Univ. Augsburg 14), liegt hier zweifellos vor, auch eine „kollektive“ oder, „soziale“ Biographie könnte geschrieben werden. 79 Dies betont mit Recht Reinhard S. 35.
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Jahrhunderts hinein forterbte und erst langsam auslief oder ausläuft, was den Sozialhistoriker nicht überraschen wird. Das Extrem war die auch in Gießen vorgefallene unmittelbare Vererbung des Lehrstuhls vom Vater auf den Sohn80; sodann gab es zahlreiche andere, sich immer mehr abschwächende Formen der Weitergabe der „Pfründen“ an demgemäß vorbereitete Jüngere. Diesem Verhalten entsprach der gerade in Gießen gut ausgebildete, schon in der vergleichbaren Sozialform der spätmittelalterlichen Dom- und Stiftskapitel gern geübte Brauch des allmählichen Aufrückens vom schlechter zum besser besoldeten Stuhl innerhalb der Fakultät (die die Ordinariate bis ins 19. Jahrhundert entsprechend durchnumerieren konnte) und von der „schlechteren“ zur „besseren“ Fakultät oder auch die nicht seltene gelegentlich sehr kühne Lehrstuhlkumulation81. Dies alles geschah je nach dem Standort in der Familienhierarchie und den sich bietenden Gelegenheiten mit einer gewissen inneren Logik, „ökonomisierte“ jedoch die Universität und ließ das Einzelfach öfter als sekundär erscheinen, d. h. als vertauschbare Einheit und als recht und schlecht schulmäßig betreibbar. Die Vergabe der verschiedenen Nebenämter und Nebeneinkünfte wurde in gleicher Weise gehandhabt. Ein solches Verhalten ist im Lichte der Tatsache zu beurteilen, daß die untergeordneten Lehrstühle schlecht bezahlt wurden, und ist vom Landesherrn prinzipiell akzeptiert worden. So gab es schon in der vorklassischen Universität eine „Laufbahn“, die dann am Ende sogar über die Hochschule hinausführen konnte81a. Solche Karrieren sind freilich nur personen- und sozialgeschichtlich, nicht jedoch institutionell erkennbar und werden daher wenig beachtet. Sie werden dann in der klassischen Universität mehr oder weniger rasch von der vorwiegend leistungsgeprägten und stärker formalisierten „Laufbahn“ ,Privatdozent – außerplan-(etat)mäßiger Extraordinarius – planmäßiger Extraordinarius – Ordinarius‘ abgelöst werden. Die Einigkeit der „Familienuniversität“ nach außen schloß natürlich erbitterte innere
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Z. B. Lorey, Physik S. 34 (1762). O. Buchner S. 33f. – L. Günther, Der „Kanzler Koch“ (in: MOHG NF 16, 1908) S. 23–85. – W. Diehl, Beiträge zur Geschichte von Karl Friedrich Bahrdts Gießene Zeit (in: AHG NF 8, 1912) S. 199 –254. – K. Esselborn, Karl Eduard Weiß (in: AHG NF 8, 1912) S. 276–294. – Lorey, Physik S. 23ff. – Ders., Vergangenheit S. 55. – Trapp S. 17, 31f. 81a Die nicht allzu ansehnliche Stellung des frühneuzeitlichen Professors wird dadurch gut beleuchtet, daß gerade Erfolgreiche öfter in die Positionen des höheren Kirchenmannes, des Rats, Gerichtsmitglieds oder Leibarztes überwechselten und die Universität verließen. 81
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Positionskämpfe nicht aus, die vielfach bezeugt sind; und nichts wäre weniger angebracht, als diese kleine Welt, die auch eine Welt der Kleinlichkeit war, zu idealisieren. Es ist schwer zu sagen, ob der Landesherr oder sein Berater, weil sie es leid waren, immer zum Frieden mahnen zu müssen, oder infolge des wachsenden Gewichts von Leistungskriterien gegenüber der „Familienuniversität“ zunehmend skeptischer wurden, wie es in Gießen im späteren 18. und frühen 19. Jahrhundert sehr deutlich hervortrat82 – sicherlich auch parallel zu dem immer stärkeren Anstoß, den vergleichbare soziale Regeln im Regierungsapparat erregten. Sie haben damit die öfter heilsame Wirkung staatlicher Eingriffe, wie sie für den Beginn der klassischen Universität in Berlin schon angesprochen worden sind, mit wachsendem Erfolg vorweggenommen und begleitet. Auch das 18. Jahrhundert schätzte schon den weithin bekannten, d. h. auf konkurrierende Weise legitimierten Professor und die Empfehlung der führenden Autoritäten, die freilich recht häug an eigene Verwandte und Günstlinge dachten. Die „Familienuniversität“ suchte zumindest hinhaltenden Widerstand zu leisten, aber angesichts des ungleichen Kräfteverhältnisses auf die Dauer vergebens. Zweifellos ist das geringe Ansehen der Hohen Schulen bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein, das wie gesagt vom geringen Ansehen der Professoren nicht zu trennen ist, auch auf die zunehmende Diskreditierung ihrer sozialen Formen zurückzuführen; es setzte sich wohl die Erkenntnis allmählich durch, daß eine möglichst offene Konkurrenz um Positionen bessere Auswahlergebnisse versprach. So traten die positiven Seiten der „Familienuniversität“, die soziale Verankerung und Stabilisierung eines zunächst fragilen und der Einwurzelung bedürftigen Gebildes und die Pege einer traditionsgesättigten Gelehrtenkultur, gänzlich zurück, als die erfolgreiche neue Legitimierung der Universität durch disziplinbezogene Leistungen im ganzen Sprachgebiet obsiegte. Es ist hier nur noch daran zu erinnern, daß die klassische Universität allmählich (nicht sogleich) eine historisch geurteilt erstaunliche Geltungssteigerung des deutschen Professors nach
82 Dieterich S. 476: „schändlicher professors Krieg“ (Landgraf Ludwig X. 1794). Trapp S. 7, 31. Vgl. allgem. Turner (wie Anm. 35) S. 512 und den Beitrag von R. Mack in diesem Band. Als Quellen C. F. Ayrmann, Libellus postumus de peregrinis in Hassia professoribus nominatim Marburgensibus et Gissenis, ed. L. G. Mogen (1751), und Linde (wie oben Anm. 56) S. 295 (zu 1839).
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Ansehen und Besoldung83 mit sich brachte – in engstem Zusammenhang mit den Veränderungen der wissenschaftsgeschichtlichen Dimension der Universität und daher mit steil angestiegenen Anforderungen und Qualitäten, die dann auch lange Zeit für den Rückblick den Maßstab geboten haben. Die Professoren wurden hochgeschätzte und zufriedene „Mandarine“84. Mit der Stabilisierung von „Wissenschaft als Beruf “ stellte sich auch das Problem der Rekrutierung grundsätzlich neu, obwohl es dem Namen nach schon im 18. Jahrhundert Privatdozenten gegeben hatte. Das Nichtordinarien-Problem sollte jedenfalls die zweite Hälfte der klassischen Ära immer intensiver beschäftigen, und schließlich auch die Frage, ob es gut sei, daß die Schleuse des Privatvermögens dabei eine so große Rolle spiele85.
IV Wir stehen damit am Schluß einer überaus komplexen, ja verwirrenden Thematik, die zum gegebenen Zweck und im gebotenen Raum selbst mit einer Schwerpunktbildung in der frühen Neuzeit nur sehr vereinfacht abgehandelt werden konnte, jedoch trotz dieser schwerwiegenden Einschränkung Anhaltspunkte für weitgespannte Orientierung und Synthese bieten sollte. Das Problem mag dann als beherrschbar erscheinen, wenn man den Stoff nach Aspekten und Dimensionen ordnet und unterscheidet, das heißt vor allem, wenn man sich mit dem überwältigenden Eindruck der (wie auch immer gedeuteten) gegenwärtigen Universität kritisch auseinandersetzt, sich vorrangig der
83 Die Besoldungsverhältnisse in jenem günstigen Sinne wurden freilich erst in den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts konsolidiert (Busch S. 97ff.). Älteres bei P. Baumgart, Zur wirtschaftlichen Situation der deutschen Universitätsprofessoren am Ausgang des 16. Jahrhunderts. Das Beispiel Helmstedt (in: Jahrb. f. fränk. Landesforschung 34/35, 1974/75) S. 957–974. 84 F. K. Ringer, The Decline of the German Mandarins. The German Academic Community 1890 –1933 (1969). Klassische Beschreibung des deutschen Ordinarius bei H. Plessner, Zur Soziologie der modernen Forschung und ihrer Organisation in der deutschen Universität. Tradition und Ideologie (in: ders., Diesseits der Utopie, 1966) S. 121–142 bes. 133ff. (zuerst 1924). Die Sorgen der Zeitgenossen u. a. bei G. Krüger, Denkschrift über die Stellung der Landesuniversität und ihrer Professoren im hessischen Staatswesen (o. J., 1916). 85 M. Weber, Wissenschaft als Beruf (31930). – Busch passim. – Ders., The Vicissitudes of the Privatdozent (in: Minerva 1, 1962) S. 319 –341. – K. D. Bock, Strukturgeschichte der Assistentur (1972, Wissenschaftstheorie, Wissenschaftspolitik, Wissenschaftsplanung 29). Vgl. auch den Beitrag von M. Keller in diesem Band.
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Periodisierungsfrage stellt und ein beziehungsreiches „Leitfossil“, die Rolle der Professorenschaft, auswählt. Die radikalste Frage, ob man bei der deutschen Universitätsgeschichte von 1348 an von einem Kontinuum sprechen solle, kann nun mit einem „ ja – aber“ beantwortet werden, welches sich je nach Zeitalter, Aspekt und Dimension difzil unterscheidet. Immerhin scheint unsere Auffassung von Universitätsgeschichte mutatis mutandis parallelisierbar zu sein mit neueren Ansichten von der allgemeinen deutschen Geschichte, insofern man einen relativ einheitlichen Zusammenhang vom späten Mittelalter bis zu einem Ende der frühen Neuzeit um 1800 und dann wesentliche, jedoch vorbereitete Neuanfänge im 19. Jahrhundert feststellt. Sicherlich entsprechen beide „Geschichten“ einem öffentlichen Bedürfnis nach Legitimierung auch dann, wenn vorerst wenigstens bei der Universität einige Ansichten der Allgemeinheit mit Befunden des Historikers nicht voll zur Deckung zu bringen sind86. Man sollte nur nicht auf bequeme Weise und unbeschädigt einen „Kern“ oder „Grundgedanken“ der Universität über mehr als sechshundert Jahre hinweg in Empfang nehmen wollen; wir wenigstens haben dergleichen nicht aufnden können.
86 Ein Beispiel ist die Wiedereinführung des Magistergrads in jüngster Zeit, die fast ohne konkreten historischen Zusammenhang, nur im Vertrauen auf die allgemeine legitimierende Kraft der Universität vorgenommen wurde, oder auch der recht verschiedene Inhalt des vorklassischen und des modernen Kanzleramts an der Universität.
KAPITEL 2
EINHEIT UND VIELFALT DER UNIVERSITÄT IM ALTEN EUROPA
I Weil dem Vortragenden die Ehre zuteil geworden ist, die Ringvorlesung der Universität Konstanz über „Die Universität in Alteuropa“ zu eröffnen, ist der Titel seines Vortrags recht allgemein formuliert worden: „Einheit und Vielfalt der Universität im alten Europa“. Aber dies wird nur so allgemein scheinen. Er soll durchaus nichts Feierliches oder Hochabstraktes gesagt werden, etwa über die Idee der Universität, wie man dies vor einer Generation gern getan hat. Wir glauben, daß es in einem streng historischen Sinn die Idee der Universität an und für sich gar nicht gibt. Vielmehr befassen wir uns wortwörtlich mit der im Titel verborgenen Frage. Probeweise könnte man diese Frage so zuspitzen: „Einheit oder Vielfalt der Universitäten im alten Europa.“ Aber dies genügt uns noch nicht. Wir möchten auf die Gleichstellung der beiden Begriffe verzichten. Die ungeheure Fülle von Aspekten nämlich, die offenbar schon das vergangene wie erst recht das gegenwärtige Gebilde „Universität“ unabwendbar zur Vielfalt hindrängen, möchten wir als den Normalzustand auffassen. Die Frage nach der Einheit könnte dann am Anfang und am Ende des Vortrags stehen – am Anfang insofern, als es um das Diskutieren auf eine Einheit hin gehen könnte, das in den Augen von Heutigen gerechtfertigt sein mag, selbst wenn seinerzeit die Fakten ganz anders beschaffen sein mochten. Denn der Historiker weiß: Auch was man sich nur wünscht oder gar nur einbildet, kann historisch sehr bedeutsam sein, oder es erscheint wenigstens – im guten Sinne – als menschlich. So hat sich beispielsweise der Soziologe Reinhard Bendix auf seinem schweren Lebensweg weit weg von Europa und Deutschland und ihren Universitäten daran festgehalten, daß er „im klassischen Sinne Bürger aller Universitäten“ sei. So steht es in seinen Erinnerungen1. Hinter 1 Reinhard Bendix, Von Berlin nach Berkeley, Frankfurt am Main 1990, S. 464 (Suhrkamp Taschenbuch 1797).
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dieser sehr abgewogenen, mit Vorbehalt versehenen Formulierung steht wohl doch die Universität an und für sich, ihre Einheit. Sie wird also auf jeden Fall des Nachdenkens wert sein, und sei es erst dann, wenn der Historiker seine Arbeit an der Vielfalt getan hat. Am Schluß des Vortrags könnte unsere Frage insofern stehen, als tatsächlich innerhalb einer gleichsam vorgegebenen Vielfalt Elemente der Einheit aufndbar sein mögen, vielleicht am Beginn der Universitätsgeschichte oder an ihrem vorläugen Ende in unserer Gegenwart. Ernstlich – um nun zum Handwerk des Historikers zu kommen – kann doch kaum ein Zweifel daran bestehen, wohin eine moderne Disziplin wie die Wissenschaft von der Geschichte drängen wird: Immer mehr wird sie sich der ungeheuren Vielfalt wirkender Kräfte aus allen Richtungen bewußt werden, oder: sie wird das Eingeochtensein des Phänomens „Universität“ in eine Fülle von Rahmenbedingungen immer klarer erkennen. Sie wird damit Arbeit auch für Generationen späterer Wissenschaftler bereitstellen, schon aus grundsätzlichen Überlegungen – zum Beispiel dadurch, daß die immer noch ziemlich geradlinige Straße von einst zum heute Bestehenden oder heute für gut Befundenen durch ein Gewirr schmalerer Wege ersetzt werden wird, die zum Teil auch anderswohin hätten führen können. Von diesem Punkt aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Bezeichnung des Ziels von heute. Es geht diesmal um Probleme, das heißt um Fragen, die durchaus auch offen bleiben können, bis sie ein anderer löst oder auch als unerheblich erkennt. Der Zweck dieser Stunde könnte erfüllt sein, wenn das eine oder andere dieser Probleme bei den kommenden Vorträgen als wirkliche Frage gegenwärtig wäre. Vollständigkeit der Fakten wird man gewiß nicht erwarten, spannt sich doch der zeitliche Rahmen vom 12. bis zum 18. Jahrhundert – solange dauert das Alte Europa der Titelformulierung. Räumlich gesehen meint das Europa der Universitäten zunächst das Europa des Papstes und dann das Europa der durch die in diesem Bereich nach der Glaubensspaltung hervorgetretenen Konfessionen. Weil ein Mediävist eingeladen worden ist, dürfte es verzeihlich sein oder gar erwartet werden, daß er wesentlich mehr mit dem Mittelalter umgeht als mit der Neuzeit, was diesmal auch aus sachlichen Gründen das Richtige scheint. Auf eine vielleicht schmerzliche Einschränkung weisen wir sogleich hin: Wir werden uns mit dem Produkt der Universitäten, heute Wissenschaft genannt, überhaupt nicht befassen, weil dies einfach dem Umfang nach unmöglich ist. Zu viel wäre schon an Vorbedingungen und Bedenken auszubreiten, ehe man zur ungeheuer umfangreichen Sache selbst
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käme. Weil wir aber der Meinung sind, daß es Wissenschaft ohne den Wissenschaftler und dessen Implikationen – für unser Thema also ohne den Angehörigen der Universitäten – nicht gibt, sprechen wir heute in der Tat von etwas Primärem. Was beiseite gelassen werden muß, ist wenigstens aus unserer Perspektive etwas Sekundäres. Wo steht die Geschichte der Universitäten des Alten Europa heute? Sie hat in den beiden letzten Jahrzehnten organisatorisch, quantitativ und wohl auch qualitativ einen bedeutenden Aufschwung genommen und ist als ein Teilgebiet der internationalen Geschichtswissenschaft, zumal der Mediävistik, fest etabliert2. Gerade ist der erste Band einer international produzierten Gesamtdarstellung der europäischen Universitätsgeschichte erschienen, die die Europäische Rektorenkonferenz in Auftrag gegeben hat3. Es ist ein kühnes Unterfangen schon deshalb, weil zum ersten Mal nicht nach Ländern oder einzelnen Hochschulen, sondern übergreifend nach Sachgebieten jeweils für ganz Europa gehandelt wird. Einem derartigen Ansatz würde man für andere Gebiete der Geschichte mit gutem Grund sehr zurückhaltend gegenüberstehen. Die Kritik wird zeigen, ob für die Universitäten so etwas jetzt schon realisierbar ist. Beim Blick auf die Universitätsgeschichte darf man aber nicht nur von wirklichen oder erhofften Erfolgen sprechen. Man muß auch auf Gefahren hinweisen. Die Tatsache, daß das Gebilde „Universität“ heute auf der ganzen Welt erfolgreich scheint, stellt vielleicht die größte Gefahr für das richtige Verständnis seiner älteren Geschichte dar. Denn zum Erfolg der Universitäten von heute gehört in den Augen vieler irgendwie die innere Konsequenz oder eben auch Einheitlichkeit der Universitäten von seinerzeit oder am einfachsten ihr Erfolg vom Anfang an. Man könnte die moderne Universitätshistorie wohl auch als Geschichte der Befreiung oder vorerst besser gesagt der Befreiungsversuche von solchem Erfolgsdruck beschreiben. Dabei sollte man aber wohl nicht so weit gehen, den intensiven Glauben an solche Zusammenhänge
2 Zum Beispiel die Zeitschrift „History of Universities“, zuletzt 10, 1991, und die regelmäßige Vertretung der Universitätsgeschichte auf den internationalen Historikerkongressen. 3 A History of the University in Europe, General Editor Walter Rüegg, Vol. I: Universities in the Middle Ages, Editor Hilde de Ridder-Symoens, Cambridge usw. 1991. Daneben: Le università dell’Europa. La nascita delle università, A cura di Gian Paolo Brizzi e Jacques Verger, Milano 1990; Le università dell’Europa. Dal Rinascimento alle riforme religiose, Milano 1991.
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und Positiva, sofern er der Universität von heute hilft, grundsätzlich und erbarmungslos zu demontieren. Denn wie jedermann lebt auch die Universität von heute von Fakten und von Fiktionen, und man sollte ihr im Interesse aller ein möglichst erfolgreiches Leben wünschen. Demontieren darf man aber wohl die Rückprojektion der Wünsche und Notwendigkeiten von heute auf so weit entfernte Zeiten wie das Mittelalter und die frühe Neuzeit. Daß die Frage nach Einheit und Vielfalt von dergleichen besonders betroffen ist, läßt sich leicht einsichtig machen. Noch offenkundiger wird dies durch den Hinweis auf die drei prinzipiell bestehenden Dimensionen jeglicher Universitätsgeschichte. Sie werden in den folgenden Vorlesungen je für sich zu Wort kommen, ihre Gesamtheit ist aber gerade im Zusammenhang mit dem Bedrohtsein der Universitätsgeschichte als ganzer vorzustellen. Es handelt sich um die institutionelle Dimension, um die wissenschaftsbezogene Dimension und um die umweltbezogene Dimension der Universitätsgeschichte4. Die drei Dimensionen sind von der Forschung durchaus nicht gleichmäßig behandelt worden. Am weitesten – und vielleicht deshalb auch mit vielen Mängeln behaftet – ist die institutionelle Dimension entwickelt; viel weniger weit entfaltet sind die beiden anderen. Indem wissenschaftsgeschichtlich gesehen diese drei Dimensionen unterschiedlich gehandhabt wurden und heute sehr unterschiedlich beschaffen sind, wird das Bild der alten Universität, die doch einmal irgendwie ein Ganzes dargestellt hat, auf neue Weise gleichsam perspektivisch gemacht. Ältere Darstellungen sahen die Universität gern fast ausschließlich institutionell; deshalb war sie nach kurzer anfänglicher Unsicherheit solide, zuverlässig und erfolgreich und blieb es. Bevorzugt man andere Dimensionen, können die Dinge ganz anders aussehen. Nur die Modellbildung des Historikers, nicht irgendein geheimnisvoller Zauberstab führt diese Dimensionen in der richtigen Quantität und Qualität zusammen – vermutlich einmal in der Zukunft. Heute sucht man das Ganze der Universität von einst, alle drei Dimensionen, vor allem in den Personen auf, die die Hohen Schulen maßgeblich getragen haben. Mit einem Wort, das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart in der Universitätsgeschichte ist äußerst komplex und bleibt voller 4 Ausführlicher dargelegt bei Peter Moraw, Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte, in: Academia Gissensis, hg. v. Peter Moraw und Volker Press, Marburg 1982, S. 1–43 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 45).
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Fallstricke für den Forscher. Je grundsätzlicher oder je einfacher man die Fragen stellt, umso näher liegt das Scheitern. Ein Kongreß, an dem wir vor Jahren in einem arabischen Land teilgenommen hatten, sollte die Frage klären, ob arabische oder europäische Universitäten älter und damit gleichsam für die Menschheit wertvoller seien5. Weil es nicht einmal möglich war, eine gemeinsame Terminologie zu nden, und weil das Ergebnis – wie es auch ausgefallen wäre – als Politikum gegolten hätte, ist die Sache kläglich, wenn auch akademisch-formvollendet gescheitert. Man wird also besser bescheiden bleiben und darf dann auf bescheidene Erfolge hoffen. Zu diesen Hoffnungen wollen wir jetzt übergehen.
II Mit der hier gebotenen Knappheit und Konzentration auf das Allerwesentlichste wollen wir das Thema in vier Schritten zu bewältigen suchen. Wir unternehmen zunächst gleichsam einen Doppelschritt, indem wir zwei grundverschiedene, jedoch beidesmal offenbar zutreffende Sichtweisen nebeneinander stellen, die hinführen bis zur ersten für uns gewichtigen Krise, der Spaltung des Papsttums von 1378. Danach vollziehen wir den Schritt hin zur zweiten großen Krise, der Reformation, und schließlich den Schritt bis hinein ins 18. oder gar 19. Jahrhundert. Daß sich die Dinge dabei ausnehmen wie eine Pyramide, die auf einer breiten mittelalterlichen Basis ruht und sich zur Neuzeit hin immer mehr verjüngt, möge man zunächst als Sache der Praxis hinnehmen. Es ist gleichsam die Perspektive einer einzigen Vortragsstunde. Zugleich aber mag es sich insofern um mehr handeln als um einen aus der Not geborenen Behelf, als die Fundamente des Problems in der Tat am Anfang gelegt worden sind, und auch insofern, als diese unsere Perspektive als Perspektive offengelegt wird. Schon dadurch wird ein Stück Kritik und Reexion möglich, indirekt auch gegenüber anderen perspektivischen Möglichkeiten der Betrachtung, die so oft unreektiert als eindeutig und konkurrenzlos richtig ausgegeben worden sind. Sehen wir die Dinge fürs erste institutionell, dann beginnt die Universitätsgeschichte im späten 12. Jahrhundert, und zwar am frühesten
5 Histoire comparée de la fondation des premières Universités européennes et arabes-Particularismes et similitudes, Bagdad 1989.
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um 1180 in Bologna, etwas später dann in Paris (vor 1208)6. England, das damals kulturell und auch sprachlich in hohem Maß mit Nordfrankreich zusammengehörte, folgte in der Gestalt Oxfords wenige Jahre später7. Das südliche Frankreich wiederum, das abermals etwas später hinzutrat und damals bekanntlich noch etwas ganz anderes war als der Norden des Landes, hat schon eine universitätsnahe Vorgeschichte, war also durch die wohl von Anfang an gern wahrgenommene Gelegenheit, nach Bologna zu gehen, ein Stück Umwelt der ältesten Universität, so daß das institutionelle Moment daheim noch etwas warten konnte8. Ungefähr so, wenn auch mit sehr deutlich abgeschwächter Intensität, verhielt es sich damals, also im früheren 13. Jahrhundert, in Teilen der Iberischen Halbinsel9. Warum aber Portugal und nicht Polen? Hier greift eine erste, gleichsam theoretische Vorgabe von außerhalb unserer Thematik ein, oder – anders gesagt – schon hier muß man gründlich der Tatsache Rechnung tragen, daß Universitätsgeschichte ein Teil der allgemeinen Geschichte ist, also daß Universitäten lieber „horizontal“, daß heißt in ihrer Zeit und in ihrem Raum, betrachtet werden sollten als „vertikal“, also in einen isolierten Sektor „Universitätsgeschichte“. Gewinn zieht man indessen aus einer solchen Verbindung von allgemeiner Geschichte und Universitätsgeschichte nur dann, wenn von dorther statt Verwirrung Erklärungshilfe geboten wird, die man bei den Universitäten schmerzlich hat entbehren müssen, solange man autark zu bleiben strebte. Und wirklich können offenbar bestimmte soziale Tatbestände und soziale Gruppen wenigstens im Ablauf der hoch- und spätmittelalterlichen Geschichte Europas als einem prinzipiell einheitlichen und gerichteten Prozeß zugehörig verstanden werden – ungeachtet aller räumlichen und zeitlichen Unterschiede, des Auf und Ab von Konjunkturen und Krisen und trotz Intervallen
6 Außer wie in Anm. 3 v. a. Università et società nei secoli XII–XVI, Pistoia 1982; Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. v. Johannes Fried, Sigmaringen 1986 (Vorträge und Forschungen 30); Histoire des universités en France. Sous la direction de Jacques Verger, Toulouse 1986; Milieux universitaires et mentalité urbaine au Moyen Age, Paris 1987. 7 The History of the University of Oxford, General Editor T. H. Aston, Vol. Iff. Oxford 1984ff. 8 Dazu verschiedene Arbeiten von Jacques Verger, z. B. Les gradués en droit dans le sociétés urbaines du midi de la France à la n du Moyen Age, in: Milieux universitaires et mentalité urbaine au Moyen Age (wie Anm. 6), S. 145–156. 9 Peter Moraw, Careers of Graduates, In: A History of the University in Europe (wie Anm. 3), Vol. 1, S. 244–279, bes. S. 258.
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und retardierenden Momenten, auch trotz der Besonderheiten von zentralen Landschaften einerseits und der Peripherie andererseits. Dabei muß man bestimmte Vorsichtsmaßnahmen beachten. Dieser Vorgang, an den man mit Grund ängstlich herantritt, war zweifellos ein Prozeß der Differenzierung und des Wachstums an Komplexität, kurz von Modernisierung in einem weiteren Sinn des Wortes. Denn unter bestimmten Voraussetzungen, von denen wir eine fundamentale gleich nennen, kann man solche unterschiedlichen Tatbestände als phasenverschoben verstehen, die demnach hier früher und dort später im vergleichbarer Weise aufzunden sind10. Die erste Hauptvoraussetzung eines solchen Verständnisversuchs ist die Unterscheidung eines „Älteren Europa“ und eines „ Jüngeren Europa“. Das „Ältere Europa“ wies einen im weitesten Sinn direkteren, das heißt auch schon geographisch unmittelbaren Zugriff auf das Erbe der römischen Antike auf, oder anders formuliert: es war weniger mittelalterlich als das „ Jüngere Europa“. Wir erinnern nur an zwei Momente, an das deutlich höhere Maß von Urbanität (aufbauend auf höherer Bevölkerungsdichte) und an die oft geringere Feudalität, das hieß oft auch größeres intellektuelles Vermögen der Kirchen. Wie sehr es für die Universitäten auf Städte und Kirchen ankam, werden wir noch hören. Von den zahlreichen Momenten, die man zugunsten des „Älteren Europa“ anführen könnte (man möchte in der Tat fast jegliches Moment nennen), erwähnen wir nur zwei, die unmittelbar mit der Universitätsgeschichte verknüpft sind. Die „moderne“ Schriftlichkeit, ihrerseits Ausdruck und Ausdrucksform vielfältiger Tatbestände, setzte in den oberitalienischen Kommunen11 noch vor 1100 ein und erreichte schon im 12. Jahrhundert Ausmaße, von denen man damals und selbst noch später anderswo, zum Beispiel bei uns, nicht einmal zu träumen vermochte; hier wird Ähnliches – bei prinzipiell gleicher Richtung des Geschehens – Jahrhunderte später eintreten. Oder: Der Prozeß der Laisierung von immer mehr Funktionen und Bereichen war im 13.
10 Derselbe, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch, in: Hochnanz, Wirtschaftsräume, Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer, Bd. 2, Trier 1987, S. 583–622. 11 Hagen Keller, Oberitalienische Statuten als Zeugen und als Quellen für den Verschriftlichungsprozeß im 12. und 13. Jahrhundert, in: Frühmittelalterliche Studien 22, 1988, S. 288–314, weitere Literatur bei dems., Veränderungen des bäuerlichen Wirtschaftens und Lebens in Oberitalien während des 12. und 13. Jahrhunderts, ebd. 25, 1991, S. 340 –372, bes. 343 Anm. 6–8.
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Jahrhundert in Süd- und Westeuropa im vollen Gang; in Ungarn kann man ihn kaum vor dem 16. Jahrhundert feststellen12. Das „ Jüngere Europa“ war nur indirekter Erbe der römischen Antike, vielmehr am meisten Erbe relativ einfacher autochthoner agrarischer Strukturen, und konnte sich jenes Gut nur in mühsamen Ausgleichsvorgängen aneignen. Zu diesen Ausgleichsvorgängen wird man auch jene Herausforderungen zählen, die dazu führten, daß Autochthones weiterentwickelt wurde, weil man mithalten wollte. Solche Ausgleichsprozesse sind nach und nach, oft erstaunlich gut, aber wohl niemals gänzlich gelungen. Man macht auch heute aus ganz verschiedenen Gründen Urlaub in der Toskana und in Finnland. Solche Grundvorstellungen – vielleicht sollte man dies wiederholen – wird man nicht schematisch und gewaltsam anwenden; aber sie vermögen Licht zu werfen auf bisher Unverstandenes und erlauben die Einordnung von bisher Isoliertem. So hat beispielsweise die belgische Forschung längst als punktuelles Faktum festgestellt, daß zwischen dem spätmittelalterlichen Flandern im Westen, damals noch französisch, und dem reichsangehörigen Brabant weiter östlich ein Entwicklungsabstand von ungefähr einem halben Jahrhundert zu Lasten Brabants bestand, gerade auch was den Universitätsbesuch und das Vordringen gelehrter Juristen in maßgebliche Positionen anging13. Ähnliche Abstände dürfte man, wieder jeweils zuungunsten des Ostens, zwischen Brabant und dem engeren Niederrheingebiet und dem Niederrheingebiet und Westfalen aufweisen können. Oder es hat die skandinavische Forschung zur Universitätsgeschichte das dortige Studienverhalten des 17. Jahrhunderts als mittelalterlich charakterisiert14; das heißt, es war wie bei uns im 15. Jahrhundert beschaffen, was wiederum gegenüber Italien sehr kräftig verspätet war. Deutschland hat insofern eine interessante Stellung in der Entwicklungsgeschichte des Kontinents, als es beiden „Europas“ angehörte, wenn auch in weitaus größerem Umfang dem „ Jüngeren Europa“. Teile des „Älteren Europa“ waren ursprünglich das Land links des
12 Andras Kubinyi, Städtische Bürger und Universitätsstudien in Ungarn am Ende des Mittelalters, in: Stadt und Universität im Mittelalter und in der früheren Neuzeit, hg. v. Erich Maschke u. Jürgen Sydow, Sigmaringen 1977, S. 161–165. 13 Hilde de Ridder-Symoens, Brabanders aan de rechtsuniversiteit van Orleans (1444– 1546), in: Bijdragen tot de Geschiedenis 1978, S. 195–347. 14 Sverre Bagge, Nordic Students at Foreign Universities until 1660, in: Scandinavian Journal of History 9, 1984, S. 1–29, bes. 27.
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Rheins und etwas schwächer Bereiche nördlich der Alpen bis etwa zur Donau. Offenbar seit der Ottonenzeit, also recht früh, sind kräftige Ausgleichsvorgänge zum Beispiel vom Rhein bis hin zur Elbe erkennbar. Im europäischen Durchschnitt war und blieb aber Deutschland ein Land mittleren Standards, nur Nord- und Osteuropa blieben sehr deutlich dahinter zurück. Was haben solche, für manche vielleicht schockierenden Tatbestände mit der Geschichte der Universitäten zu tun? Sehr viel. Was wir vorhin noch ohne nähere Erläuterung als die Region der ersten Universitäten beschrieben haben, war ganz präzise nichts anderes als das „Ältere Europa“. Da doch offenbar die Universität eine ebenso entwickelte wie empndliche Panze im Garten der Kultur darstellt, konnte es wohl auch nicht anders sein. Mit anderen Worten: Italien und Frankreich waren schon um 1200 soweit fortgeschritten und differenziert, um solche Pänzchen hervorzubringen, und zwar jeweils auch schon in recht verschiedener Weise. Gänzlich anders verhielt es sich mit der anderen Hälfte Europas: Der altbekannte, bis heute eher mit Stirnrunzeln zur Kenntnis genommene, nicht wirklich akzeptierte Tatbestand, daß die älteste Universität der Mitte des Kontinents (Prag 1348) mehr als 150 Jahre verspätet war oder daß es, als diese erste Universität gegründet wurde, schon eine ganze Menge von Universitäten anderswo gegeben hat, scheint nun erklärbar. Betrachtet man übrigens Vorgeschichte und Begleitumstände der ersten Universitäten hier und dort, worauf wir jetzt nicht eingehen können, so ist der Unterschied strenggenommen noch deutlich größer als 150 Jahre15. Im Mittelalter ist, wie wir auch bald hören werden, der Rückstand im ganzen nicht aufgeholt worden. Ob dies bis zum Ende des 18. Jahrhunderts geschah, ist eine von den Neuhistorikern noch nicht beantwortete Frage. Auch in ganz allgemeiner Hinsicht, also weit über das Universitätsproblem hinaus, spricht manches dafür, daß den Deutschen erst das 19. Jahrhundert – aufbauend auf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert – eine grundsätzlich neue Chance der Entfaltung geboten hat, entwicklungsgeschichtlich gesehen angesichts der älteren Geschichte eher etwas Unerwartetes. Wir beurteilen zwar die Gründung einer Universität in Berlin im Jahr 1810 in mancher
15 Die Prager Universitäten haben kaum vor 1370 wirklich funktioniert (vgl. unten Anm. 19), Wien mit größerem Erfolg nicht vor 1384/85, danach folgen Heidelberg (1386), Köln (1388) usw.
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Hinsicht anders als die geläugen Meinungen16, aber daß dies ein Einschnitt war, an dem man zur Orientierung festhalten sollte, ist uns nicht zweifelhaft – auch dann nicht, wenn ältere Verhältnisse bis tief in das 19. Jahrhundert hinein andauern konnten und andererseits 1810 längst vorbereitet war. Wir benden uns immer noch, wenn auch nicht mehr lange, beim ersten und weitesten unserer vier Gedankenschritte, im Angesicht der am Anfang und bis hin zum Großen Schisma bestehenden Vielfalt der Universitäten. Schärfer, als dies die öfter wohl unbewußt harmonisierende Forschung tut, sollte man die Lebenswelten von Bologna und Paris und damit den Mittelmeerraum und die modernsten Bereiche des nordalpinen Europa voneinander sondern. Gemeinsam waren immerhin zwei Wesenszüge: Ein sehr hoher Entwicklungsstand im Vergleich zum übrigen Europa, wobei Oberitalien für unser Thema zweifellos weiter fortgeschritten war als Nordfrankreich, und das in beiden Fällen, wenngleich nicht mit der gleichen Wirkungskraft und den gleichen Folgen überwölbende Dach der Papstkirche. Wir werden gleich davon sprechen, daß das Moment der relativen Einheit des ältesten Hochschulwesens in Europa in der Hauptsache ein papstkirchliches Moment gewesen ist. Das Modernste vom Modernen, was dieses Europa um 1200 und längere Zeit danach vorweisen konnte, war das Innenleben der großen norditalienischen Kommunen. Wir berühren nur solche Momente, die für die Universitäten maßgeblich wurden: eine einzigartig frühe, intensive und komplexe, weitverbreitete und wirkungsmächtige Schriftlichkeit, ein hohes Maß an intelligenter Partizipation von vergleichsweise vielen Personen an wichtigen Dingen und eine relativ große soziale Mobilität, etwa infolge der schon weit gediehenen Trennung von Geburt und Besitz. Die Folge war: Bolognas Universitäten wurden groß dadurch, daß sie eine wirkliche Funktion bis hin zu dem Phänomen, das wir heute Arbeitsmarkt nennen, in den Kommunen besessen haben17. Nirgends sonst verhielt es sich so. Diese Universitäten sind nicht einfach nur in Nischen geduldet herangewachsen, in denen man sich sozial weithin unverbindlich verhielt, wie das doch wohl lange Zeit für sehr viele, die in Paris studierten, der Fall gewesen ist. Das alles heißt zugleich auch, daß man schärfer als bisher die unterschiedlichen Funktionen betonen
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Dazu ist eine Arbeit unserer Schülerin Marita Baumgarten zu erwarten. Moraw, (wie Anm. 9), S. 255.
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muß, die die gleichen Hohen Schulen für unterschiedliche Besucherkreise besaßen. Nicht im mindesten hieß ein Studium in Bologna für nichtkommunale Besucher von weither dasselbe wie für kommunale Scholaren aus nächster Nähe. Ursächlich wohl noch nicht voll erklärt, in unserem Zusammenhang einfach hinzunehmen ist die enorme soziale Wirkung, die das Rechtsstudium zunächst von Bologna auf das außerbologneser Europa ausübte. Wir müssen Sie jetzt bitten, einem etwas schwierigen Gedanken zu folgen: Zum ersten war es ein geographischer Tatbestand von großer Folgewirkung, daß Bologna einerseits und Paris andererseits von dem für die Zukunft der Hochschulgeschichte wichtigsten noch unerschlossenen Großreservoir Europas, dem deutschen, ungefähr gleich weit entfernt waren – in je einer der beiden attraktivsten Himmelsrichtungen klar unterscheidbar gelegen, so daß also die Verschiedenheit der beiden Zentren sie nebeneinander stellte. Noch wichtiger ist ein zweiter Tatbestand: Daß man sich zur gleichen Zeit – im ganzen Mittelalter und weit darüber hinaus – neben dieser gleichsam vertikalen Differenz eine horizontale vorstellen muß. Ganz Europa war nämlich (zwar mit unterschiedlicher, jedoch für Deutschland weithin vergleichbarer Intensität) in zwei „Stockwerke“ der Hochschulgesellschaft gegliedert, in eine obere „Etage“ für Bologna und eine untere „Etage“ für Paris. In diesen Sätzen sind mehrere fundamentale und langwirkende Tatbestände der Vielfalt stets nur mit knappen Worten abstrakt angesprochen worden. Es bleibt auch kaum Raum, dies anschaulicher zu machen. Nur bei einem Faktum sollte man solches tun, weil es nach den heutigen deutschen Erfahrungen so schwer verständlich ist, bei der „Zweistöckigkeit“ des älteren Studiums. Am anschaulichsten ist folgendes nur leicht zugespitzte Gegenüber: Ein Magister der Artisten, also der Inhaber des obersten Grades seiner Fakultät, zum Beispiel aus Paris oder aus Prag, führend mitwirkend an dem, was man etwas anachronistisch Selbstverwaltung seiner Universität nennen könnte, war weniger wert als ein frisch immatrikulierter Juristenscholar in Bologna, Toulouse oder Orléans. Die Theologen und die wenigen Mediziner sind sozialgeschichtlich an die Artisten anzubinden. Das heißt aber: eine einzige wirklich funktionierende Universität für Juristen und für Nichtjuristen zugleich war dort, wo man sich aus Mangel an eigenständiger Substanz streng an Bologna und Paris orientierte, nicht denkbar, bevor nicht nach 1378 und dazu noch in problematischen Pionierlandschaften der Universitätsgeschichte ganz neuartige Umstände von großem Gewicht auftraten. Eine Ausnahme bildete am ehesten das etwas
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„exotische“ Milieu Englands18: „exotisch“ zum Beispiel, weil hier zwei frühe Universitäten ohne eigentliche Urbanisierung des Landes und bei eigentümlich großer sozialer Mobilität innerhalb des kirchlichen Milieus, bei einem „uneuropäischen“ Rechtswesen und in einer abgegrenzten und überschaubaren relativ kleinen Landschaft bestanden haben. Bei geradlinigem sozialen Denken war im Normalfall ein Artistenrektor für einen Juristenscholaren nicht akzeptabel. Völlig konsequent hat es daher auch am ersten Studium im „ Jüngeren Europa“, dem Prager, nominell seit 1348, faktisch seit etwa 1370 wirkend, solange es in alter Weise bestand (bis 1417), stets zwei Universitäten gegeben, eine für die Juristen und eine für die Nichtjuristen19. Nur die Historiker, die sich dies einfach nicht haben vorstellen können oder auch nicht haben vorstellen wollen, behaupteten dies entgegen dem Wortlaut der Quellen bis vor wenigen Jahren. Jenes war so – das behalten wir für den nächsten Punkt im Auge –, obwohl die Prager Privilegien von Papst und König den Singular benutzten. Aber es war eben damals (wie wohl auch heute) sinnlos, mit Pergament und Papier gegen elementare soziale und ökonomische Tatbestände und Regeln vorzugehen. Wodurch unterschieden sich Juristen und Nichtjuristen? Sie waren schon verschieden, bevor sie an die Universität kamen, durch Herkunft und Besitz. Da wohl heute niemand mehr die These verteidigt, daß die älteren Universitäten große Aufstiegskanäle für begabte Homines novi gewesen seien, kann man knapp sagen, daß sich hier die hergebrachte Teilung, wenn man will Zweiteilung der Gesellschaft in Possidentes und Non-Possidentes spiegelte, oder wir sagen schärfer, darstellen mußte20. Eine Alternative dazu scheint uns schlecht vorstellbar. Oder auch: Die soziale Modernität Bolognas für die innerbologneser Verhältnisse stellte zur gleichen Zeit die Bestätigung des „feudalen“ Milieus für das außermediterrane Europa dar. Bei vernünftigem Nachdenken wird man wohl vor dem Massenzeitalter den Universitäten niemals die Chance oder auch die Absicht zusprechen, die Welt sozial in der Breite zu verändern. Systemstabilisierend durch langfristigen Wandel, nicht systemstörend
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Ebd., S. 259. Peter Moraw, Die Universität Prag im Mittelalter, in: Die Universität zu Prag, München 1986, S. 9–134 (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7). 20 Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert, Stuttgart 1986 (Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6). 19
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oder gar systemsprengend kann man ihre wirkliche soziale Funktion nennen. Als Nebenwirkung, auf sehr lange Frist gesehen, haben sie in der Tat vieles verändert; so aber war es von den Zeitgenossen, die verständlicherweise das Naheliegende begriffen und erstrebten, nicht gemeint und wäre auch so nicht verstanden worden. Vielmehr blieb man an den Universitäten in Räumen der Verschiedenheit oder präziser: die Universität war für viele ein Raum für Wandlungen von „Possessiones“ auf ungefähr dem gleichen Niveau, also von Geburt oder mehr noch von Besitz in hohe akademische Grade, die dementsprechend kostspielig waren. Ziel solchen Wandels war freilich nicht der Grad eines Magisters der Artisten; das wäre für einen Adeligen oder Großbürger eine ziemlich absurde Idee gewesen. Bakkalar und Magister der Artisten waren Aufstiegsgrade für von unten Emporstrebende, aber eben zumeist auch Endstationen, die das nicht mehr Erreichbare – nämlich was darüber lag – wohl kaum weniger deutlich fühlen ließen als das bis dahin Erreichte. Wir geben ein Zahlenverhältnis an, um das deutlich zu machen: Im Kardinalskollegium der Jahre 1303 bis 1378 (insgesamt 134 Personen) waren unter den 66 graduierten Mitgliedern 71 Prozent Juristen, 28 Prozent Theologen und ein Prozent Artisten21. Die nicht graduierten Kardinäle ordneten sich wohl nach Herkunft und Besitz den Graduierten zu, also die Adeligen den Juristen, usw. Oder besser sollte man wohl immer noch umgekehrt sagen: Die Graduierten ordneten sich den durch Herkunft und Besitz Qualizierten entsprechend zu. Diesen und weiteren unerwähnt gebliebenen Aspekten der Vielfalt trat nun zur gleichen Zeit gegenüber, was man Einheit oder vielleicht besser Einheitlichkeit im Milieu der Hohen Schulen nennen wird. Wenn man auf die Realitäten sieht, so ist es schwer vorstellbar, daß solche Einheitlichkeit gleichsam vom anthropologischen Bereich, also von der wissenschaftlichen Neugier und von deren Weiterungen, oder auch von den ziemlich kleinen Kreisen von Lehrern und Schülern wirkungsvoll getragen worden ist, die man sich am Anfang der Universitätsgeschichte vorzustellen hat. Eher war es der Ausdruck der Aufmerksamkeit, die diese Schulen und Universitäten außerhalb ihrer erregten, zum Beispiel durch ihre Konikte, so daß rechtliche Regelungen und Übereinkünfte notwendig wurden. Daß dieses oder jenes für lange Zeit modellhaft oder gar epochal werden sollte, ist den jeweils unmittelbar Beteiligten
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Moraw, (wie Anm. 9), S. 253.
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schwerlich klar gewesen. Gleichwohl ist nach einigen Generationen oder spätestens nach ein bis zwei Jahrhunderten jenes beeindruckende, formal in der Tat gleichmachende Netz der Rechtsstellung, der Organisationsformen, der Personenbeziehungen, auch des Wissens, das heißt des personen- und textgetragenen weitervermittelten und weiterentwikkelten Geistesguts, eine Tatsache geworden. Von den Schwierigkeiten bei der konkreten Existenz dieses Netzes kann jetzt nicht die Rede sein. Dieses Netz sieht für uns Menschen der Moderne so selbstverständlich aus, daß man sich viel zu wenig des Außerordentlichen einer solchen Situation bewußt ist. Ganz auf sich allein gestellt, aus sich selbst heraus, hätten die Universitäten unter den gerade beschriebenen Voraussetzungen dergleichen schwerlich auch nur annähernd zu Wege bringen können. Nur die Papstkirche war dazu imstande, für die alle daran Beteiligten Christen, großenteils obendrein Kleriker waren und daher zumindest in Sachen des Glaubens und des kirchlichen Rechts Anspruch auf Beachtung hatten. Bald wurde man auch Anlaß der Fürsorge, der Ordnung und Kontrolle, endlich womöglich brauchbares Instrument zur Verteidigung des Glaubens und der Produktion anspruchvollen Nachwuchses. Außerhalb der kommunalen Welt war die Kirche Hauptträgerin und Treffpunkt derjenigen Gruppen, auf die es für die Universitäten auf Jahrhunderte hinaus ankam. Innerhalb der Papstkirche überlebten diejenigen zarten Pänzchen, für die es kein kommunales Umfeld, wie vorhin geschildert, gab, und zwar zunächst je für sich und deutlich unterschieden auch im Rang. Dies ist etwa erkennbar an der Erlaubnis, auch Theologie, das Höchste und Empndlichste, zu lehren oder – wie zunächst zumeist – an der Verweigerung dieses Lehrens. Die vielen Konikte ertrug man am Ende mit Fassung. Um mit den Universitäten, wo sie bedrohlich schienen, prinzipiell Schluß zu machen, war die Kirche selbst viel zu intellektuell; überall saßen bald die Absolventen an den Schaltstellen. Deshalb auch war die schwere Katastrophe der Kirche, das Schisma von 1378, ein Wendepunkt der Universitätsgeschichte Europas. Dadurch erst hat sich die bis dahin offene Frage, was mit dem großen Potential in der Mitte des Kontinents geschehen solle, auf überraschende Weise gelöst, wobei auch ein weiterer Schritt hin zu relativer Einheitlichkeit der Universitäten in ebenfalls unvorhersehbarer Form zustande kam. Wir können auf Details jener papstkirchlichen Einheitlichkeit, etwa auf die seinerzeit kaum berechenbare Wirkung der nicht wenig umkämpften „Licentia ubique docendi“, die dann für die Gleichgestelltheit der Universitäten so wesentlich wurde, nicht eingehen. Vielmehr
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möchten wir das Grundsätzliche betrachten, nachdem allerdings zuvor auf eine der damit verbundenen Schwierigkeiten hingewiesen worden ist. Diese Schwierigkeit besteht darin, daß das angeblich durch Migration nachgewiesene europäische Bildungsnetz uns in seiner damit zugleich vermuteten Gleichmäßigkeit, die dadurch auch den Ehrgeiz der Lokal- und Nationalhistoriker von heute befriedigt, sehr zweifelhaft erscheint. Gern stellt man sich ein ziemlich gleichmäßiges Hin und Her von Lehrern und Scholaren über Europa hinweg vor. Das ist großenteils nicht richtig. Vielmehr gab es wenige breite „Einbahnstraßen“ des Normalverhaltens, eine deutlich größere Zahl faktisch unbenutzt gebliebener Bewegungsrichtungen und manche stark überwachsene Pfade mit hohem individuellen Risiko, die nur wenige betraten. Die Peripherie Europas spielte eine sehr geringe Rolle, auf wenige Zentren konzentrierte sich die Hauptmasse der Scholaren. Kehren wir aber gleichsam zum Positiven zurück. Wenig Gedanken macht man sich über die eigentlich erstaunliche Tatsache, daß die Graduierung, die zuerst als interner Selbstergänzungsvorgang der Lehrerschaft gemeint war, zu einer so bedeutsamen, nach und nach – schon im Mittelalter – auswärts anerkannten und heute weltweit akzeptierten sozialen Auszeichnung geworden ist, die für die Einheitlichkeit der Universitäten steht. Nur im Rahmen und nach dem Vorbild der Kirche, die an übergreifende rechtliche Kategorien und an Abstraktion gewöhnt war, bei weitem nicht durch irgendeine herrscherliche oder staatliche Instanz oder gar durch die Universitäten selbst ließ sich dies bewerkstelligen. Entscheidend dafür und im allgemeinen war und ist die Frage nach der Legitimität der Universität. Dafür gelten bis heute, also mit enormer Folgewirkung kleiner Anfänge, zwei Sätze: „Universität ist, was als Universität anerkannt ist“, und: „Es gibt die eine Universität, weil es eine Mehrzahl von Universitäten gibt“. Das Legitimsein der Universitäten ist in dem ersten von uns behandelten Problemschritt insofern verankert, als es sich bald mit der Frage nach der Graduierung fundamental verknüpft erwies und damit verknüpft blieb, solange das Alte Europa andauerte. Es gibt kaum einen schöneren Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit des alten Deutschland und des ungebrochenen, tief in der Christlichkeit des Kontinents verwurzelten Zusammenhangs von Mittelalter und Neuzeit, als daß für die Gründung einer Universität bei uns ein päpstliches oder kaiserliches Privileg unentbehrlich blieb, solange eben das Alte Reich und mit ihm das Alte Europa Bestand hatten. Auch das moderne Göttingen von 1734/37 ersuchte um das kaiserliche Privileg, genauso wie es das erzprotestantische Marburg
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(1527/41) oder irgendeine andere Hohe Schule getan hat, die in den Listen unserer Universitäten verzeichnet ist. Sonst war man eben keine Universität und durfte nicht graduieren, gleichgültig welche Umstände im übrigen bestehen mochten. Es gibt noch heute manche Ungereimtheiten in lokalen Universitätsgeschichten, weil man mit diesem einfachen Tatbestand nicht umzugehen weiß. Die Zeitgenossen wußten es. Denn wäre die Graduierung nicht legitim gewesen, hätte man vergebens studiert und gezahlt. Legitim sein mußte außer diesen Aspekten noch mindestens zweierlei: die Terminologie und die Organisation. Der große Erfolg des Vierfakultätenschemas, dessen Geburt nicht an und für sich, sondern als weiterwirkende legitime Organisationsform wir noch andeuten werden, erweist das bis in unser Jahrhundert hinein nachdrücklich. Nebenbei gesagt: es handelt sich zugleich um sehr zweckmäßige, ebenfalls nicht selten der Kirche entlehnte Organisationsformen, zumindest als Rahmen für kleine Gruppen. Das legitime Dasein der Hohen Schulen erklärt, warum auch in der hintersten frühneuzeitlichen Zwerguniversität eines Zwergterritoriums aufzublitzen vermochte, was das ganze Europa der Universitäten bedeutet hat, wie auch in einem gänzlich abseits gelegenen Kloster die Einheit der Kirche nie ganz verloren gegangen ist. Wir kommen zum dritten Schritt, den wir ebenso wie den vierten schon aus Zeitmangel an deutschen Beispielen erörtern. Auch dadurch, daß man an jüngere Universitäten gern die „privilegia“ und „libertates“ von älteren verlieh, wurde die gerade besprochene Rechtseinheit deutlich. Aber diese Verleihungen konnten abermals Koniktstoff in sich bergen – von nicht geringerem Gewicht als jenen, dem wir uns bei der Erinnerung an den ersten und den zweiten unserer Schritte gegenübersehen. Wenn wir uns diesen Koniktstoff klar machen, verstehen wir wohl am besten das Neue des Spätmittelalters, der Zeit nach 1378 und vor der Reformation, – eines Zeitalters, dessen Gewicht in der europäischen Universitätsgeschichte wohl noch zu wenig gewürdigt ist. Die schon zitierte Carolina von 1348 in Prag sollte sich an Paris und an Bologna zugleich orientieren. Dies war ebenso der Gipfel legitimer Existenz wie der Gipfel praktischer Unmöglichkeit. Was sollte nun geschehen? Was in der Tat geschah, war vermutlich typisch für die ältere Universitätsgeschichte oder ist typisch für Universitätsgeschichte überhaupt. Man fand bestenfalls zu punktuellen Lösungen, sah das prinzipielle Problem überhaupt nicht, das erst der Nachlebende erkennt, und handelte nur unter äußerstem Druck und dann vielfach nach sach-
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fremden Gesichtspunkten. Das Studium in Prag ist wie gesagt wohl von Anfang an in zwei Teile auseinandergerissen worden, schied aber schon ganz am Anfang der Hussitenkrise (1417) dahin, ehe man den Blick über das Allernächste hinaus erheben konnte. So wurde maßgeblich für die Zukunft, was seit 1365/85 und 1386 die neuen, im Vergleich zu Paris kleinen und regional verhafteten Universitäten der deutschen Fürsten und Städte zuwege brachten, in Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt, Leipzig usw. Es war ein andersartiger, nach Bologna und Paris dritter Haupttypus der Universität in einem Bereich, der einfach wegen seiner Menschenzahl und infolge bestimmter Veränderungen der Wirtschaftsgeographie aus der peripheren in eine zentrale Situation hineinwuchs. Diese „Armeleuteuniversitäten“, wie man sie im europaübergreifenden Vergleich mit den Spitzenanstalten nennen muß, zwangen die vier Fakultäten in vergleichsweise kleinen Verhältnissen zusammen und wurden nach und nach vom sich festigenden Territorialstaat diszipliniert. Ihrem Ruf nach, soweit er sich an den Besuchern ermessen läßt – schwerlich hat sich auch nur ein einziger italienischer oder französischer Student nach Prag, geschweige denn nach Tübingen verirrt –, waren und verblieben sie im unteren der beiden „Stockwerke“ des europäischen Universitätssystems und zogen einen (kleinen) Teil des oberen „Stockwerks“ gleichsam in sich hinein und hinab. Es war also eine Nivellierung. Denn die deutschen Juristen waren sozial nicht so potent wie ihre mediterranen oder französischen Kollegen, ganz abgesehen von ihrer viel kleineren Zahl; um 1400 hat es wohl – der Größenordnung nach – etwa zehnmal soviel französische gelehrte Juristen gegeben als deutsche, von den italienischen ganz zu schweigen22. Das obere „Stockwerk“ blieb dadurch erhalten, daß man auch im 15. Jahrhundert, wenn man es nanziell ver mochte, zum Studieren nach Bologna, Padua und Pavia oder Orléans ging und dann nach der Rückkehr entsprechend bessere Positionen erhoffen konnte als die Daheimgebliebenen. Typisch scheint auch für die Verhältnisse mittleren Entwicklungsstandes das außerordentliche quantitative Übergewicht der Artisten. Sie stellten an den deutschen Universitäten 80 bis 90 Prozent der Studenten und erreichten weiterhin, wie schon angedeutet, sozial am wenigsten. Wer gutbemittelt am Alten festhalten wollte, konnte dies bequem tun, denn das Neue ersetzte nicht das Alte, sondern trat nur als das quantitativ Stärkere daneben.
22
Ebd., S. 271.
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Gleichwohl erhielt das Thema „Einheit“ einen starken neuen Akzent. Denn es gab bald sehr viele Universitäten dieser neuen Art, bis zum Vorabend der Reformation insgesamt fünfzehn funktionierende, nun mehr als in jedem anderen Land Europas. Spät, tief im 15. Jahrhundert, kam auch hier das Studium als relative Massenerscheinung zur Welt. Indessen war es eine sehr nüchtern zu beurteilende Einheit, die da heranwuchs, schon weil sie der gleichsam natürlichen Regionalität des menschlichen Lebens von damals starken Ausdruck verlieh. Immer zwar schon, aber besonders hier war die Region, also etwas vom Ganzen Europas aus gesehen Differenzierendes, das sozial Sichere im Vergleich zum sozial problematischen Wandern und schien das den besonderen deutschen Zuständen besonders Angemessene. Und gleichwohl war dies alles zugleich – schon als Ausfüllen der riesigen Lücke in der Mitte Europas – etwas in anderer Hinsicht Vereinheitlichendes, auch wenn der Beteiligte von damals aus der Nahperspektive weiterhin große Unterschiede zwischen Altbewährtem und kaum Erprobtem vor sich sah. An den Anfang unserer kurzen Worte über das frühneuzeitliche Europa der Universitäten gehört die Feststellung, daß das Gewicht der Kirche oder der Kirchen sich trotz aller Konfessionalisierung, die auch Intensivierung war, verminderte und das Gewicht der Staaten stark zunahm. So war es etwa in Spanien von Anfang an gewesen, und so wurde es auch in Oberitalien im 15. Jahrhundert. Dies konnte nicht vereinheitlichend, sondern mußte viel eher differenzierend wirken, und zwar gerade auch dann, wenn man wie für Deutschland die Symbiose von Staaten und Konfessionskirchen in ihren tragenden Schichten und Gruppen stark betonen wird23. Schon im späten Mittelalter ndet man die ersten Spuren staatlicher Reglementierung auch des Universitätsbesuchs als Studienzwang für Landeskinder, was sich von nun an unter manchen Schwankungen im Zeitablauf, über die wir jetzt hinweggehen, stark vermehrt hat. Die Nationalisierung der Diplome ndet sich in Frankreich besonders früh, schon im späteren 17. Jahrhundert, im neuerworbenen Orange z. B. sogleich 1708. Aber immerhin konnten Goethe und Georg Büchner, die nicht Staatsdiener werden wollten, im französisch gewordenen Straßburg studieren. Im übrigen setzte die frühe Neuzeit die spätmittelalterlichen Tatbestände oft bis ins Detail hinein getreulich fort; wenn sie sie verwandelte,
23 Zum Beispiel Derselbe, Kleine Geschichte der Universität Gießen, 2. Au. Gießen 1990.
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geschah dies im konsequenten Zusammenhang mit der Vergangenheit. Besonders deutlich wird, wie intensiv die nächstgelegene Umwelt und die Universität zusammengehörten. Im England des 15. Jahrhunderts ersieht man dasselbe wie im Deutschland des 18. Jahrhunderts: in der Nahzone wirkte die Universität extrem stark, etwas weiter weg ließ die Wirkung kraß nach, so daß enorme Ungleichheiten entstanden. Von den Studenten des Oxforder New College, von dem die einzigen brauchbaren Daten aus dem mittelalterlichen England stammen, kamen 63 Prozent vom Land, aber nicht einfach vom Land an und für sich. Denn allein von der Gruppe der Studenten, deren Väter „Smallholders“ waren, wohnten 45 Prozent dieser Väter auf Collegeland. Die Grundherrschaft des College lieferte also nicht nur Getreide und Gemüse, sondern auch die größte abgrenzbare Gruppe der Scholaren24. Genau so war der protestantische Klerus im engsten Umkreis der lutherischen Universität Gießen um ein Vielfaches öfter und höher graduiert als genau derselbe Klerus im gleichen Zwergterritorium Hessen-Darmstadt ein paar Kilometer weiter25. Kleine Universitäten in kleinen Welten, so war die Realität beschaffen. Aus der fundamentalen Eigenschaft der regionalen Existenz wuchs dort, wo man heiraten durfte, die Familienuniversität hervor. Die Hohe Schule geriet gleichsam in den Besitz eines Kreises späthumanistisch gelehrter, miteinander verochtener Bürgersippen – nicht gänzlich, aber weit überwiegend. Öfter waren es die gleichen Familien, die das mittlere oder im Fall der Juristen das höhere Beamtentum des Territoriums und protestantischerseits auch, sozial dann nach unten orientiert, das Pfarrertum trugen. Es war ein durchschlagender Grund für das Entstehen einer neuen Universität, wenn sich solche Gruppen durch das konfessionspolitische Hin und Her zwischen Luthertum und Calvinismus im Milieu der Fürsten in ihrem Glaubensbestand bedroht sahen. Die neue Universität glich dann – von der Konfession abgesehen – der alten wie ein Ei dem anderen26. Die Konfessionsgesellschaft zumal des deutschen 17. Jahrhunderts kann man ganz gut mit der
24 Guy Fitch Lytle, The Social Origins of Oxford Students in the Late Middle Ages: New College, c. 1380–c. 1510, in: Les universités à la n du moyen âge, ed. par Jacques Paquet et Jozef Jjsewijn, Louvain 1978, S. 426–454. 25 Vgl. den kommenden Sammelband über die Geschichte der Universität Gießen im 18. Jahrhundert in der Reihe der Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen. 26 Wie oben Anm. 23.
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Stadtgesellschaft Oberitaliens im 13. Jahrhundert vergleichen, was die Rolle der Universität betraf. Die Einheitlichkeit der Universitäten stützte sich damals auf die wenn möglich noch stärker betonte Legitimität der Institution und auch auf auswärtige oder gar kaiserliche Karrieren von Juristen; in den anderen Fakultäten blieb solches die Ausnahme. Die Legitimität war am wichtigsten. Auch die kalvinistisch gewordene Universität Heidelberg respektierte ihren katholischen Kanzler, sonst hätte sie nicht mehr graduieren können. Das einheitliche Legitimationssystem erlaubte ebensosehr das regionale Verharren der vielen wie das Weiterwandern der Begünstigten. Das Italienstudium blieb natürlich bestehen. Allein Siena wies mehr als 10.000 deutsche Studenten im 16. bis 18. Jahrhundert auf. Die gute Herkunft blieb für Juristen mit erfolgreicher Karriere ein entscheidendes Merkmal. Auch deshalb war die gemeindeutsche Elite extrem dünn und wurden die Regionaleliten, wenn auch sozial eher gedrückt, relativ stark. Das ganze schwerwiegende Problem der Kohärenz der älteren deutschen Geschichte ist auch hier aufzunden. Weil die Elite verständlicherweise für sich selbst am besten sorgte, lebten die Universitäten trotz des dürftigen deutschen 17. Jahrhunderts weiter und blühten im besseren 18. Jahrhundert wenigstens gutenteils wieder auf. Dieses 18. Jahrhundert brachte schon deutliche Merkzeichen des Wandels zur Moderne hin hervor, auch und gerade in Deutschland. Wenn die Diskussion, für die wir nicht im mindesten mehr zuständig sind, über Nutzen und Nachteil der Großen Revolution in Frankreich und der fehlenden Revolution in Deutschland zu allgemein anerkannten Ergebnissen geführt haben wird, dürften auch die Universitäten dabei ihre Rolle spielen. Inzwischen waren es in Deutschland etwa 45 geworden, von denen viele um 1800 dahinstarben, während andere überlebten. Sie sollten die neuen Formen wissenschaftlichen Lebens, die das 18. Jahrhundert abseits von ihnen hervorgebracht hatte, von den Akademien bis zu den Salons, wieder in sich hineinsaugen oder aber entwerten. In die alte Kohärenz durch Legitimität mischte sich damals die neue Kohärenz durch geistige Führungsrollen und durch entsprechende Schülerpatronage. Daraus erwuchs dann das in der Tat bemerkenswerte deutsche Universitätssystem des 19. Jahrhunderts mit seinen im ansehnlichen Maß auch neuen Regeln. Das Alte aber blieb stark. Die Reformzeit um 1800, die soviel umstürzte, verzichtete auf die Erneuerung der Universitätsverfassung und – terminologie. Zumindest sind „moderne“ Reformen, wie in Heidelberg von 1803, kläglich
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gescheitert. Wohl gerade weil das Alte, Legitime erhalten blieb, konnte die inhaltliche Reform, die die Etiketten unberührt ließ, nach und nach erfolgreich sein. Die gänzlich neuartigen Rahmenbedingungen des 19. Jahrhunderts haben dann auf der Basis der Vierfakultätenuniversität des 14. und 15. Jahrhunderts die „klassische“ Universität hervorgebracht27, wenn auch schwerlich so rasch, wie viele glauben: Vermutlich wurde erst das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts sein universitätsgeschichtlich wichtigstes. Am bedeutendsten dafür war wohl dafür der Wandel in der Rekrutierung der Professorenschaft von primär sozialen zu primär disziplinbezogenen Leistungen, bei fast freier Auswahl aus dem ganzen Sprachgebiet. Aus dem Gelehrten wurde so der Wissenschaftler. Damit war das Alte Europa der Universitäten zu Ende.
III Wir möchten mit ganz wenigen Worten schließen. Man mag beobachtet haben, wie sich im Lauf des Vortrags ein zuerst recht übersichtlich erscheinendes Gegenüber, dasjenige von Einheit und Vielfalt der Universität im Alten Europa, in ein fast verwirrendes Sach- und Gedankengefüge von hoher Komplexität verwandelt hat. Dabei ist noch vieles übergangen oder bestenfalls angedeutet worden. So ergeht es dem Historiker nicht selten. Etwa Analoges könnte man wohl auch beim folgenden „klassischen“ Zeitalter der Universitätsgeschichte, besonders bei der deutschen, aufzeigen. Es bildet nur dann eine Einheit, wenn es gleichsam als Folie für die „vorklassische“ Zeit, von der wir sprachen, und für die „nachklassische“ Zeit, die heutige, herangezogen wird. Anders kann es vermutlich auch gar nicht sein. Denn bei den Universitäten handelt es sich um Lebensformen, die einfach durch ihr Überdauern in immer neue Zusammenhänge und Herausforderungen hineinwuchsen und hineinwachsen, so daß zum Beispiel die Gründungsphase, die seinerzeit soviel Anstrengung erfordert hat, nur noch wie ein blasser Schatten der Erinnerung erscheint. Manchmal können Universitäten sogar durch gute Antworten auf Herausforderungen jene neuen Zusammenhänge mitverändern. Die folgenden Beiträge werden wohl solche und ähnlich beschaffene Situationen darlegen, die für viele das Faszinierende der Universitätsgeschichte ausmachen.
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Wie oben Anm. 4.
TEIL II
UNIVERSITÄTEN VON OST NACH WEST
KAPITEL 3
PRAG. DIE ÄLTESTE UNIVERSITÄT IN MITTELEUROPA
I Erst an siebenter Stelle des Gesamtthemas „Stätten des Geistes. Innovation und Tradition in der Geschichte der europäischen Universität“ ist von der Mitte Europas die Rede. Dieser Tatbestand allein macht klar, daß Deutschland oder Mitteleuropa irgendwo auf dem langen Weg, bestimmt nicht am Anfang der Geschichte jener Stätten aufzunden ist. Warum das so war und was das bedeutet hat, wird das Thema dieses Beitrags sein. Das wissenschaftliche Erinnern an eine bestimmte „Stätte des Geistes“ vollzieht sich nicht an und für sich. Es ist Teilstück des den Historiker ebenso faszinierenden wie für ihn problematischen Dialogs jeweils seiner Gegenwart mit der entfernten Vergangenheit – eines das geschichtliche Wissen stets verändernden Dialogs, der nie aufhört, solange es Historiker gibt. In unserem Wissen gerade vom älteren deutschen und mitteleuropäischen Bildungswesen haben sich in jüngster Zeit beträchtliche Wandlungen vollzogen. Die 1998 eingehend gefeierte 650. Wiederkehr des Gründungsdatums der ersten Universität im nordalpinen Reich, in Prag im Jahr 1348, sagt uns anderes, auf bessere Information Gegründetes, aber auch mit anderen Kriterien Betrachtetes, als frühere Generationen registriert haben. Es könnte an dieser oder jener Stelle sogar zum Phänomen des Denkmalssturzes oder der Denkmalsbeschädigung kommen, was früher undenkbar gewesen wäre. Zwei Änderungen sind wohl am wichtigsten: die Neubewertung des späten Mittelalters insgesamt (nun ein Kernbereich europäischer Geschichte statt einer Phase der Verlegenheit) und das – immer noch andauernde – Bemühen, spezielle, lokale Geschichte der lokalen Spezialisten zu domestizieren und die Vergangenheit grundsätzlich großräumig-übergreifend zu verstehen. Das gilt auch und gerade für die Universitäten. Es wird kaum je möglich sein, alle Aspekte darzulegen, die vom Titelthema dieses Beitrags evoziert werden. Dafür sorgen neben der Begrenzung des Umfangs die Ungleichheit des Forschungsstandes und das gewichtende Interesse des Vortragenden. Vom „Geist“ in jenem
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Sinn, an den die Überschrift des ganzen Bandes denken lassen mag, wohl vom vorwärtsdrängenden Forschergeist der Moderne, kann obendrein nicht gut als von einem gleichsam zeitlosen Phänomen gesprochen werden. Mit alledem sei gesagt, daß für das 14. und 15. Jahrhundert, die uns heute angehen, institutionsgeschichtliche und sozialgeschichtliche Tatbestände stärker akzentuiert werden als die Produkte des zeitgenössischen gelehrten Wissens. Denn abgesehen von der Tätigkeit des einen oder anderen modernen Spezialisten, die indessen wenig darüber publiziert haben, ist das handschriftliche disziplinengeschichtliche Material von Prager Professoren und Studenten ein noch ungehobener Schatz für kommende Wissenschaftlergenerationen. Aber auch ganz unabhängig davon scheint es Phasen der Universitäts- und Bildungsgeschichte zu geben, in denen wenigstens für bestimmte Räume wissenschafts-organisatorische und wissenschafts-soziale Mitteilungen wichtiger sein mögen als wissenschafts-geschichtliche im strengsten Sinn. Demgemäß wird an dieser Stelle von drei Fragen die Rede sein: 1.: Warum entstand überhaupt eine Universität in Prag und warum gerade im Jahr 1348? 2.: Was bedeutete und bewirkte diese Universität an ihrem Ort in der – kurzen – Zeit ihrer relevanten Existenz? und 3.: Welche Folgen dieser Existenz für die damalige Gegenwart und Zukunft sind zu konstatieren?
II Warum entstand überhaupt eine Universität in Prag und warum gerade im Jahr 1348? Wir sollten uns, um für die Gesamtsituation einen Anfang zu nden, an die Beiträge von Peter Landau und Joachim Ehlers erinnern und damit an Bologna und Paris, hierdurch auch an das 12. Jahrhundert und an die Zeit um 1200, sodann erinnern ebenfalls an ganz Oberitalien und ganz Nordfrankreich sowie schließlich – besser noch an erster Stelle statt wie hier an letzter – daran erinnern, was das mittelalterliche lateinische Europa, unser Europa, der mittelmeerischen Antike verdankt. Stichworte hierfür bieten die Fundamentaltatsachen des Christentums und der Schriftlichkeit, die Lebensform der Stadt, besonders der wirklich urbanen Stadt, die Lebensform der organisierten Kirche, die Lebensform der entwickelten oder sich wiederentwickelnden Wirtschaft mit dem Medium des Geldes, insgesamt und überhaupt das inspirierende Zusammenleben und Zusammenwirken vieler auf
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engem Raum. Wir wollen hier nicht untersuchen, was unmittelbares und was mittelbares Erbe, was angeregte Neuschöpfung und wirkliche Neuschöpfung war. Gewiß aber und sehr auffällig ist der Tatbestand, daß von allen diesen genannten Phänomenen im Mittelalter früher, intensiver und quantitativ ansehnlicher dort zu sprechen ist, wo jenes Wirken der Antike oder die Erinnerung daran räumlich nahe stand, und daß deutlich schwächer, später und quantitativ bescheidener dort von jenen Phänomenen die Rede sein wird, wo die Antike räumlich fern war. Demgemäß unterscheiden wir gern – mit wandernder Grenze zwischen beiden – ein „Älteres Europa“ und ein „ Jüngeres Europa“ voneinander, im Hinblick also auf die gerade erwähnten Tatsachen der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Zivilisationsgeschichte des Kontinents. Die Geschichte der europäischen Universität scheint hierfür ein klassischer Fall zu sein. Diese Sicht der Dinge erlaubt es auch, andere Faktoren als jene entwicklungsgeschichtlichen leichter zu identizieren und zu bewerten. In den beiden erwähnten Beiträgen ist davon zu lesen, daß mancherlei Erstaunliches, zuletzt nur individuell Erklärbares in Bologna und Paris und anderswo nicht weit davon entfernt vor sich gegangen ist. Man erfährt auch von in höherem Maß „Objektierbarem“, das heißt von den Trägergruppen und von den sozialen Voraussetzungen der Lehrenden und Lernenden und von ihren Lebenszielen. Man sollte sich daran vor allem unter dem Aspekt erinnern, daß sich zwei einigermaßen sinnvoll abgrenzbare und verständliche Lebenswelten in Oberitalien und Südfrankreich und in Teilen Spaniens einerseits und in Nordfrankreich, Südengland und auch am Niederrhein andererseits herausgebildet hatten, als Rahmenbedingungen jener Anfänge unseres ganzen großen Themas im mittelalterlichen Europa. Es kommt uns auf zwei Tatbestände aus diesen komplexen Zusammenhängen besonders an. 1.: Die beiden Lebenswelten waren in ihrer konkreten Ausgestaltung zumeist voneinander grundverschieden. 2.: Gemeinsam war ihnen jedoch jene Intensität oder „Modernität“, die beide Welten zusammen deutlich abhebt von den weniger intensiven oder weniger „modernen“ Lebenswelten des „ Jüngeren Europa“ – ungeachtet mancher Zwischenzonen und Übergänge. Zum Beispiel: Wenn man irgendwo von einem Phänomen, das dem modernen akademischen Arbeitsmarkt ähnelt, sprechen kann, dann in den großen oberitalienischen Städten im Hinblick auf deren juridiziertes kommunales Leben im späteren Mittelalter. Es scheint daher ziemlich klar (soweit dergleichen überhaupt klar sein kann), warum die einheimischen
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Rechtsstudenten dieses Fach studierten. Weniger klar ist solches in und für Paris mit seinem philosophisch-theologischem Schwerpunkt, da doch die Kirche schwerlich alle Besucher dieses Studiums aufnehmen konnte. Das bietet Gelegenheit, wenigstens in einem Satz darauf hinzuweisen, daß ungeachtet des säkularen Klimas italienischer Rechtsschulen das Entstehen und vor allem das Bestehenbleiben der Universitäten Europas insgesamt ohne den Rückhalt der Papstkirche nicht denkbar erscheint. Das aufregende Phänomen zum Beispiel, daß die akademischen Grade, die zunächst der Selbstrekrutierung innerhalb des Studiums dienten, über die Universitäten hinaus immer mehr Geltung gewannen, ist kaum vorstellbar ohne den Rückhalt der Kirche, ganz einfach dadurch, daß die „Akademiker“ in ihr immer mehr an Gewicht gewannen. In Italien und in Frankreich waren wohl von Anfang an mitteleuropäische, insbesondere deutsche Studenten anwesend, aus denen dann auch deutsche Lehrer hervorgegangen sind. Zuvor ist noch zu sagen: Mit der Verschiedenheit der Lebenswelten von Bologna und Paris sind auch die sozialen Unterschiede der Beteiligten gemeint. Ein Jurastudent in Italien war im Durchschnitt, besonders auch was die Zugereisten betraf, deutlich ranghöher als ein Student der Pariser „Artes“, nach familiärem oder pfründentechnischem Hintergrund oder in beiden Aspekten. Oft war er auch voraus, was das Lebensalter betraf. Die Juristen scheinen beinahe – durchschnittlich – ein soziales Stockwerk höher beheimatet gewesen zu sein als die „Artisten“. Die Geographie Europas kommt nun dergestalt ins Spiel, daß die Mitte des Kontinents von beiden benannten Aktionszentren auf den ersten Blick ungefähr gleich weit entfernt war. Die Geographie Deutschlands, eines damals noch sehr ausgedehnten Landes, wurde und blieb insofern dabei wichtig, als der gut entwickelte rheinische Westen näher bei Frankreich lag und der beinahe ebenso entfaltete oberdeutsche Süden und Südwesten näher bei Italien. Ja, man sollte in dieser Hinsicht immer weniger mit Hilfe von Außengrenzen denken, sondern lieber in übergreifenden Räumen – derart, daß wir Oberitalien und Oberdeutschland ungeachtet, aber unter Berücksichtigung des SüdNord-Gefälles zusammenfassen und uns ferner einen nordwesteuropäischen Verkehrsraum einschließlich des Rheinlandes vor Augen halten, der eine zweite Großregion auch für das Bildungswesen darstellte. Der Grenzsaum zwischen dem „Älteren“ und dem „ Jüngeren Europa“ hatte damals den Rhein schon verlassen und befand sich auf seinem langsamen Weg nach Osten; im Süden war das Voralpen- und Alpen-
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gebiet, besonders auch das zugleich dem Westen nahe heute schweizerische, zu einem Übergangsraum geworden. Das damalige ausgedehnte, mehrsprachige Deutschland darf jedenfalls auf keinen Fall einheitlich betrachtet werden, gerade auch nicht im Hinblick auf unser Thema. Immer war es ein Stück des deutschen Schicksals in älterer Zeit, daß jener europäische Grenzsaum, von dem wir sprachen, mitten durch unser Land verlief. Schon zwischen Weser und Elbe war deutlich weniger an zivilisatorischer Substanz vorhanden als beiderseits des Rheins, das heißt geringere Bevölkerungsdichte, weniger große Städte, weniger Kirchenpfründen, weniger Juden usw., erst recht dann östlich der Elbe. Wir sehen also, wieviel man zu erklären, hier eher anzudeuten versuchen muß, ehe man sinnvoll vom Prager Datum von 1348 sprechen kann, oder wie wenig einleuchtend isolierte Universitätsgeschichte heute erscheint. Wir kommen nun endlich zu diesem Datum. Hierzu stellen wir eingangs fest: Wenn allein jene Faktoren, von denen bisher die Rede war, uneingeschränkt und konkurrenzlos gewirkt hätten und damit das Geschäft des Historikers wesentlich einfacher gestalten würden, als es tatsächlich ist, dann wäre wohl die erste deutsche Universität in Köln entstanden. Köln, die größte deutsche Stadt des Mittelalters, verkehrsgeographisch ein Spiegelbild von London als Teil der nordwesteuropäischen Führungslandschaft, gehörte von Anfang an zum „Älteren Europa“, auch wenn es niemals im Mittelalter so groß wurde, wie das römische Trier der Spätantike schon gewesen war. Albertus Magnus hatte im 13. Jahrhundert am Generalstudium der Dominikaner in Köln gelehrt, und Thomas von Aquin hatte zu seinen Füßen gesessen. Einen glanzvolleren Auftakt für eine Universität kann man sich kaum vorstellen. Nun aber kamen andere Faktoren ins Spiel. Das Kölner Domkapitel war hochadelig, hochfeudal, und die feudale deutsche Kirche war ganz im allgemeinen nicht recht bildungsfreundlich, im Vergleich jedenfalls zur französischen. Die politischen Kräfte am Niederrhein waren zersplittert und so gut wie stets der zentralen Gewalt des Königtums gegenüber gleichgültig oder ablehnend. So kam es zu jener Verspätung, die erst 1388 die Gründung einer Universität in Köln zugelassen hat. Andere mußten im eigenen Land vorangehen. Wir weisen allerdings schon hier darauf hin, daß der zeitliche Abstand zu 1348 in Wirklichkeit wesentlich geringer war, als die Daten arithmetisch betrachtet anzugeben scheinen. Man darf überhaupt mit Gründungsterminen nicht „naiv“ umgehen. Wir werden gleich hören,
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wie lange Zeit die Prager Universität, wenn man sie „entmythologisiert“ betrachtet, gebraucht hat, um voll funktionierend in die Welt zu treten, fast zwanzig Jahre oder gar mehr. Im Jahr 1388 fand am Rhein ein quantitativ und wohl auch qualitativ weit überlegener Akt statt. Die Kölner „Gründungsmannschaft“ nämlich war größer als alle vorherigen „Gründungsmannschaften“ zusammengenommen, außerdem höherrangig graduiert und brachte damit die demographische, ökonomische und organisatorische Überlegenheit des Niederrheins über das restliche nordalpine Reich klar zum Ausdruck. Wir wollen bei dieser Gelegenheit sagen, daß man – ohne den entsprechenden Anstalten die Chance „pünktlichen“ Feierns nehmen zu wollen – den faktischen Anfang der Universität in Wien besser nicht 1365, sondern 1384 datieren sollte, daß die Rupertina in Heidelberg (1386) geradezu ein Zwerg gewesen ist und daß man das angebliche Gründungsdatum von Krakau (1364) so rasch wie möglich zugunsten von 1400 streichen sollte. Es sollte wenigstens unter Wissenschaftlern um Maßstabsgleichheit, nicht um patriotische Etiketten gehen. Die maßgebliche Gestaltungskraft von 1348 in Prag, nach der man suchen muß, war die große Dynastie, die Dynastie des Königs und bald des Kaisers, sehr gestützt durch die erstaunliche und einmalige Individualität Kaiser Karls IV. aus dem linksrheinischen Haus Luxemburg, der bekanntlich ein Kenner Frankreichs und Italiens und ein Intellektueller gewesen ist, auch ein Autor von Rang, und der sich im Bündnis mit dem Papst befand. Aber auch die große Dynastie besaß nur beschränkte Gestaltungskraft, wie nun einmal die Rahmenbedingungen von damals beschaffen waren. Gestaltet wurden von der Dynastie kaum Tatbestände in Deutschland oder in Böhmen als ganzem, sondern fast allein völlig Punktuelles – eben in Prag. Schwerlich ist die Carolina, wie sie später hieß, zunächst ganz anders zu begreifen als die lokal gemeinte Karlsbrücke über die Moldau, die erst sekundär auf ein weiter gedehntes Straßennetz verwies, oder als die Errichtung des Erzbistums Prag im damals entstehenden Veitsdom. Schon ein paar Dutzend Kilometer von Prag entfernt mochte die Praxis anders beschaffen sein. In dieser Hinsicht war der Universitätsort Prag gewiß ein ereignisgeschichtlicher „Zufall“. Denn könnte man sich nur Ludwig den Bayern, den Vorgänger Karls, als Universitätsgründer vorstellen, so wäre dessen Handeln gewiß dem Ruhm Münchens, seiner Hauptresidenz, zugute gekommen, und Marsilius von Padua, Wilhelm von Ockham und andere „Münchener“ hätten dafür einen die heutigen Historiker überzeugenden Rahmen geboten. Aber Kaiser Ludwig sagte man nach, er habe nicht lesen und
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schreiben können, sein Erfahrungsraum war eng, und er war mit dem Papst tödlich verfeindet. Wie dem auch gewesen war oder hätte sein können, die deutsche Universität blieb verspätet gegenüber dem Süden und dem Westen Europas und zwar insgesamt um mindestens 150 Jahre. Daraus dürfen wir den Schluß ziehen, daß die allgemeine zivilisatorische Entfaltung des Kontinents wirklich ein entscheidender Faktor gewesen ist, der von anderen Faktoren, wie vom Faktor der Beschaffenheit des dynastischen Handelns, nicht allzuviel hat abgewandelt werden können. Immerhin teilt das dynastische Element einen sehr wesentlichen Tatbestand mit: Während die ältesten italienischen und französischen Universitäten ohne festes Gründungsdatum gleichsam aus dem umgebenden Wurzelgrund emporgesprossen sind und nur haben bestätigt und gefördert, geordnet, kontrolliert und domestiziert werden müssen, wurden die Hohen Schulen des „ Jüngeren Europa“ regelhaft eingepanzt. Mit solchen obrigkeitlichen Strukturen korrespondierte das Bedürfnis nach Legitimierung durch höchstrangige Privilegien, durch das Handeln von Papst und Kaiser. Dieser Wesenszug ist bis zum Ende des Alten Reiches charakteristisch geblieben. Auch die frühneuzeitlichen Universitäten wurden privilegienhaft errichtet, selbst lutherische Anstalten durch den katholischen Kaiser, während kalvinistische Institutionen keine derartige Urkunde erhielten und daher auf den Charakter einer Universität haben verzichten müssen. Ohne ein solches Privileg konnte bei uns nicht rechtmäßig graduiert werden. Über die Frage, wieviele Universitäten im Jahr 1347 bereits bestanden haben, können die Meinungen ein wenig auseinandergehen. Es kommt auf den Gesichtspunkt an. Zählt man, was für uns wesentlich ist, nur die blühenden und funktionierenden Anstalten, so waren es siebzehn, fünf in Italien, je vier in Südfrankreich und Iberien, je zwei in Nordfrankreich und England. Worauf es entscheidend ankommt, ist dieses Faktum: In jenem weiten Gebiet, das wir das „ Jüngere Europa“ nennen, gab es noch keine einzige Universität, keine also in Mitteleuropa und keine in Ost- oder Nordeuropa. Die Prager Carolina ist demnach nicht nur die älteste mitteleuropäische oder deutsche Universität, sondern auch die älteste Universität in jener benachteiligten Hälfte des lateinischen Kontinents. Lassen Sie uns noch nachtragen, daß im Todesjahr der alten Carolina, im Jahr 1417/1419 nach ihrem Siechtum seit 1409, in ganz Europa 34 Universitäten bestanden haben, die nach unserem Urteil wirklich funktionierten, davon inzwischen sechs im nordalpinen Reich (schon ohne Prag berechnet).
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Es handelt sich nun um die für den Historiker spannende Frage, inwiefern und wie sich in ungewohnten Milieus, weitab von den beiden Führungsräumen des lateinischen Europa, solch zarte und empndliche Gebilde ausgefaltet haben und wie sich ihre Geschichte – hier im konkreten Fall von Prag – dargestellt hat. Das Maß des Selbstverständlichen und gleichsam Naturgegebenen also, das ist wohl eine Quintessenz des bisher Angeführten, werde reduziert zugunsten eines eher sorgenvollen Blicks auf etwas in fremde Erde Umgetopftes. Das präzise Datum dieser Umtopfung ist einzuordnen in jene Reihe von Gunstbeweisen, die der Papst, Todfeind des Kaisers im Endkampf gegen Ludwig den Bayern, demjenigen dienstwilligen dynastischen Rivalen hat eilig zukommen lassen, der bereit war, gegen den Wittelsbacher in diesem Endkampf anzutreten. Daher stammt die Erhebung des Prager Bistums zur Metropole 1344 und seine Herauslösung aus der Mainzer Kirchenprovinz, daher kamen unterschiedliche Gnaden für Karls Höinge, daher rührte auch das Universitätsprivileg (1347). Dieses war sehr großzügig, vor allem angesichts der päpstlicherseits sonst fast regelmäßig verweigerten Theologischen Fakultät (im Hinblick auf die Sorgen, die gerade die Pariser Theologen der Kurie fast pausenlos bereiteten). Der Papst war so in Geberlaune, daß man unter der Berücksichtigung der Tatsache, daß mehr als die Hälfte der Gründungen des 14. Jahrhunderts gescheitert sind, sagen darf: Es ist durchaus denkbar, ja wahrscheinlich, daß man in Avignon mit einem Mißlingen rechnete, so daß es bei einem Teilstück wenig folgenreicher Bündnispolitik hätte verbleiben können. Aber es kam anders. Man sollte, ehe wir mit dieser Feststellung zur zweiten Hauptfrage übergehen, noch mit wenigen Worten darüber Auskunft geben, wie es neben den urbanen um die bildungstechnischen Voraussetzungen um 1350 in Deutschland stand. Es gab hier eine Anzahl von – nach europäischem Maßstab mittelgroßen – Städten, in denen positive Merkmale aufgewiesen werden können, wenn auch ganz gewiß nirgends derart, daß man an die Möglichkeit der spontanen Entstehung einer Universität denken dürfte. Städtische Ordnungsinitiativen, die bei uns ebenfalls obrigkeitliche, nur eben nichtdynastische Akte gewesen sind, haben dynastische Vorbilder in der Nähe abgewartet. Relativ am weitesten verbreitet, vor allem in Erfurt, Köln, Magdeburg, Prag und Wien, waren Generalstudien der Bettelorden, besonders der Dominikaner, Franziskaner und Augustinereremiten. Sie bildeten für den internen Ordensbedarf ohne Graduierungsrecht und mit geringer Gesamtzahl Studenten in Philosophie und Theologie heran, wie es am Beispiel
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von Albert und Thomas für Köln schon erwähnt worden ist. Bettelordensklöster und Bettelordensstudien waren angesichts der geringen ökonomischen Masse, die dafür jeweils akkumuliert und stabilisiert werden mußte, gleichsam Leichtgewichte und konnten daher gemäß der Ordensstrukturen relativ großzügig über Europa verteilt werden. Bemerkenswert darüber hinaus sind gewiß die Studien in Erfurt, die sich – wenngleich nur für das Artistenwesen – in ganz ungewöhnlicher Breite darstellen. Erfurt war eine auswärtige Kurmainzer Bastion mit – wenn man so sagen darf – rheinischen Eigenschaften. Dort schien man noch in den 1360er Jahren dem Prager Artistenstudium überlegen zu sein, und andere Studien von Rang gab es damals in Prag noch kaum. Doch führte auch von Erfurt kein autochthon und spontan beschrittener Weg hin zu einer Universität. Es mußte vielmehr, endgültig 1392, der Prager Privilegienpfad beschritten werden und Prager Lehrer mußten angelockt werden, damit in Erfurt eine „richtige“ Hohe Schule entstand.
III Die zweite Hauptfrage lautet: Was bedeutete und bewirkte das Prager Studium an seinem Ort in der – kurzen – Zeit seiner für die allgemeine Geschichte registrierenswerten Existenz? Wir wollen zunächst zur schlecht bezeugten Frühgeschichte einige Tatbestände formulieren, die immer noch verhältnismäßig ungewohnt klingen und in ihrer Rezeption erst auf dem Weg sind, aus dem einfachen Grund, daß sie wohl mit Denkmalsbeschädigung zu tun haben. Es geht realiter um die konsequente Anwendung von Regeln der Quellenkritik, die bisher hin und wieder gegenüber der Carolina suspendiert worden sind. Wir heben sechs Tatbestände hervor. 1. Die schlechte Überlieferung am Ort der ersten Anfänge, die je nach Fakultät bis 1365 und 1371/72 reichen, kann nicht anders denn als Ausdruck einer vorerst geringen oder sehr geringen Bedeutung der Anstalt begriffen werden. Fast alles, was wir zeitgenössisch anderswoher wissen, bestätigt diese Auffassung. 2. Ohne Zweifel hat der Kaiser selbst etwas von Universitäten verstanden. Man darf schon eine Äußerung in seiner Autobiographie so deuten. Doch angesichts des gewaltigen sozialen Abstands seiner geheiligten Person zu den Lehrenden und Lernenden hat er sich um Details, jedenfalls zunächst, nicht gekümmert. Diese überließ er seinen
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Vertrauensleuten an der Prager Domkirche, zuerst dem Erzbischof, so daß die Carolina vorerst beinahe wie dessen Eigentum erscheint. Es ist bezeichnend, daß man von als persönlich aufzufassenden Initiativen Karls in Richtung auf das Studium konkret erst hört, als der Eifer seines habsburgischen Schwiegersohns ans Licht trat. Herzog Rudolf von Österreich war von glühendem dynastischem Konkurrenzneid erfüllt und brachte – wieder als eines unter mehreren Mitteln des Wettbewerbs – eine Universität in Wien auf den Weg, im schon erwähnten Jahr 1365. Nun begann auch Karl selbst in Prag zu investieren. 3. Erst seit einigen Jahren ist uns bewußt, was angesichts der neuen Gründung von 1348 die spannendste Frage sein dürfte, spannender als das noch einige Zeit recht anachronistische Problem des deutschen oder tschechischen Charakters der Carolina; diese Frage wuchs zeitgenössisch erst nach und nach und aus sekundären Motiven heran. Die wahre Kardinalfrage lautet: Sollte man Bologna oder sollte man Paris kopieren, die beide im Prager Gründungsprivileg genannt werden, aber eben abstrakt, ohne Bezug zur prosaischen Realität weit unterhalb von Papst und Kaiser. Wir wissen schon, daß beide Modelle unvereinbar gewesen sind, so als ob man ein Haus mit zwei Stockwerken, die bestenfalls durch eine enge Treppe verbunden waren, von weither zu einem Bungalow hätte umdeklarieren wollen. Leider sind die frühen Nachrichten wie gesagt sehr bescheiden. Sie bedürfen aufschließender Hypothesen, ehe man sie anspruchsvoll zum Reden bringen kann. Die bisher geübte einfache Nacherzählung bringt kaum Erkenntnisfortschritte. Es ist so wichtig, was man auf jene Weise herausinterpretieren kann, daß man das Ergebnis in zwei weiteren Ziffern darlegen wird. 4. Widerspruchsfrei, wenn auch zugegebenermaßen lückenhaft lassen sich alle vorliegenden zeitgenössischen Quellen so ordnen, daß von Anfang an in Prag zwei Universitäten angenommen werden können, ja angesichts der europäischen Situation um 1350 angenommen werden müssen – ungeachtet des privilegialen Tatbestandes, daß nur von einem Studium die Rede ist –: eine Universität der Juristen und eine Universität der Nichtjuristen. Warum halten wir an einem Faktum fest, das zu rezipieren die tschechischen Kollegen fast bis heute so große Mühe haben? Schon wegen des höheren Interpretationsanspruchs der neuen Auffassung. Das heißt, die neue Lehre schließt mehr auf als die alte, die wie angedeutet auf einem Minimum an Reexion beruht und seit dem 19. oder schon 18. Jahrhundert unverdrossen wiederholt wird. Dazu muß man freilich wissen, daß das Bestehen von mehr als einer Universität an demselben Ort im Mittelmeerraum nichts Besonderes
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darstellt und daß dieser Zustand vereinbar ist mit der Privilegierung eines einzigen Studiums, wie es in Prag geschah. Denn „universitas“ meint bekanntlich zunächst einfach eine Gemeinde oder Genossenschaft annähernd Gleichrangiger, mit welchem Inhalt auch immer, jedenfalls ein Gebilde relativ engen Zusammenhalts aus wohlverstandenem Interesse der Mitglieder, unter einem selbstgewählten Haupt mit Lenkungsgewalt, andere nicht annähernd Gleichrangige – hier vor allem die Städter – ausschließend. In Prag hat man sich die Dinge so vorzustellen, daß bis 1371 ein gemeinsames Rektorat zweier „Universitates“ dergestalt bestand, daß in einem Jahr vom Wahlkörper und nach dem Wahlverfahren der Juristen ein Juristen-Rektor gewählt wurde und im folgenden Jahr aus dem Wahlkörper und nach dem ganz anders beschaffenen Wahlverfahren einer Dreifakultäten-Universität [des Gebildes der „Artisten“ und Theologen mit dem damals geringfügigen Anhang der Mediziner] ein Angehöriger dieses Gebildes. Der Vizerektor war ein Produkt des im laufenden Jahr gerade ausgeschlossenen Verfahrens und der Gruppe, die nicht den Rektor stellte. Dies konnte schwerlich funktionieren. So sind auch die einzigen Universitäts-Statuten (eines Erzbischofs) aus dieser Periode eine einzige Pazizierungsanstrengung, mit dem Signum der Vergeblichkeit. Seit 1372 hat es dann zwei Rektoren in zwei Universitäten nebeneinander, nun mit ununterbrochenem Rektorat je nach einem der beiden Verfahren, gegeben. Daß eine Juristenuniversität einerseits und eine Universität der Artisten und Theologen andererseits nicht beisammenbleiben konnten, jedenfalls im Probierfeld Prag nicht, läßt sich wohl am leichtesten sozialgeschichtlich verständlich machen. Ein Lehrer (Magister) der Artisten war annähernd gleichen Ranges mit einem Scholaren der Juristen, ja es war in Prag durchaus üblich, daß ein solcher Magister zugleich Student in einer der drei anderen, „höheren“ Fakultäten gewesen ist. Die Juristen fühlten sich den Artisten so überlegen, daß sie die Vorschule der Philosophie häug übersprungen haben, vielmehr sich in ihren feinen Vaterfamilien durch Hauslehrer hatten einschlägig ausbilden lassen. Die Artisten waren häug, wie schon in Paris, Emporkömmlinge aus einfachen Verhältnissen und hofften auf eine bessere Zukunft, oft durch ein späteres Weiterstudieren bei den Theologen, während die Juristen gern schon bepfründet und schon mit Kirchenämtern versehen an die Universität kamen. Das entsprach ihrem Geburtsstatus, den sie an der Universität weiterhin pegten und der respektiert wurde, sowie ihrem durchschnittlich höheren, wohl deutlich höheren Lebensalter. Sie waren nach zeitgenössischer Prager Terminologie
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„domini“ (Herren). Niemals wäre man bei den Artisten auf einen solchen Sprachgebrauch gekommen. Der Juristenrektor entstammte wie in Italien den (zahlenden) Scholaren, ausgewählt nach sozialem Status, und nicht den (bezahlten) Lehrern, wie bei den Prager Artisten oder wie in Paris. Erst später (dahin kehren wir bei unserer dritten Frage zurück) haben die engen Verhältnisse der kleinen deutschen Territorialuniversitäten – die deutschen Fürsten waren normalerweise arm an Bargeld und an Verfügungsrechten über Pfründen – beide Gruppen zusammengezwungen, die Juristen und die Nichtjuristen, unter Wehklagen der Juristen. Dies entschied sich endgültig außerhalb von Prag, als die dortige Juristenuniversität schon untergegangen war und in dieser Weise ein tiefes Loch in die Elitenausbildung für das ganze „ Jüngere Europa“ gerissen hatte. In Basel hat man nach der Mitte des 15. Jahrhunderts das Prager Modell der zwei Universitäten noch einmal – vergeblich – zu erneuern versucht. 5. Um das „Denkmal“ geht es auch in der 5. Ziffer und zwar um das Harmoniebedürfnis unserer Zeitgenossen und ihrer Vorgänger, eben indem sie Einheit und Kontinuität der „Prager Universität“ andächtig betrachteten. Schon daß es zwei Universitäten gegeben habe, war schwer erträglich. Auf der vorhin erwähnten Prager Jubiläumsfeier von 1998 trat das Faktum hinzu, daß auch das unzählige Male reproduzierte und bis heute repräsentativ verwendete älteste Prager Universitätssiegel (nach Meinung der Kunsthistoriker schon um 1350 geschnitten) keine Botschaft des Friedens und der Eintracht, sondern eher ein Signal des Konikts vermittelt. Es war, wie der übergreifende Vergleich ergibt, ein Siegel der Juristen, das die Scholaren dieser Fakultät als die tragende Gruppe (wie in Italien üblich) hervorhebt und die gegenüberstehenden Magister der Artisten vielleicht demonstrativ übergeht (von deren Studenten, die meist im Schüleralter gewesen sein dürften, ganz zu schweigen). Man könnte annehmen, daß ein Artistenrektor von einst dieses Siegel nur mit Ablehnung, wenn überhaupt, verwendet hat, weil es eine Niederlage seiner Gruppe bezeichnete. Oder gab es ein zweites, später vernichtetes oder verloren gegangenes Siegel der Artistenuniversität oder gab es überhaupt nur Besiegelungen der Juristen? Jedenfalls siegte – siegeltechnisch bis heute – die sozial überlegene Gruppe und mit ihr weniger der Kaiser (dieser war nachweislich kein großer Freund der Juristen und bevorzugte Theologen oder diejenigen, die wir heute Ökonomen nennen) als die durch und durch juridizierte Prager Domkirche.
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Gleichsam in Parenthese noch etwas zur inneren Universitätshierarchie: Alles was wir mit Johannes Hus in Verbindung bringen und was hierzu am liebsten theologisch interpretiert wird, sieht der Universitätshistoriker mit etwas Zurückhaltung. Er weist darauf hin, daß die Husfrage, soweit sie zunächst universitätsintern gehalten werden konnte – von hier kam sie in der Tat her – auch als interner Protest von Unterpriviligierten gedeutet werden kann, also als Aufstand von Artisten und von gering graduierten Theologen gegen die etablierten Doktoren der Theologie, die es mit der Amtskirche und mit den Juristen hielten. Auch die Sprachen- oder Nationalitätenfrage kann man – sekundär hierzu – als Erhebung des unterprivilegierten Tschechischen gegen die Hof-, Patriziats- und Juristensprache des Deutschen verstehen. Als nämlich der erste „richtige“ („richtig“ heißt hier überregional und international – das meint durch Papstnähe, Geburt und Geld – legitimiert), vom Kaiser geholte Doktor der Jurisprudenz nach Prag kam, da zerplatzte das Kunstgebilde der Frühzeit von 1348 bis 1371 zugunsten der völligen Trennung beider Universitäten. Dieser Jurist stammte aus einer feinen Hamburger Bürgermeisterfamilie und dürfte sich demgemäß betragen haben, bis er bald wieder an den lukrativen Papsthof zurückkehrte. Es ist nicht denkbar, daß er sich einem Artistenrektor untergeordnet hätte. 6. Die Ouellennot des Anfangs von 1348 und der Folgenjahre nötigt, wenn man alle Entschuldigungen beiseiteschiebt, noch zu einer weiteren Denkmalsbeschädigung. Jene Anfänge, die so lange währten, lassen ernstlich daran zweifeln, ob in den ersten zwölf bis zwanzig Jahren die Substanz für ein wirkliches Funktionieren des Prager Studiums vorhanden gewesen ist. Der so gut verständliche Mechanismus, daß sich der Forscher am Ort bei jedem seiner Schritte, ohne es vielleicht zu wissen und zu wollen, für die positive Variante seiner Quellenanalyse entscheidet, führt geradewegs in die Interpretations-Katastrophe. Die harten Tatsachen zeigen jedenfalls, daß bei den Artisten bis zu einem Zeitpunkt knapp vor 1360 beinahe nichts vorgefallen ist, bei den Juristen noch deutlich länger. Auch diese Feststellungen, die mancherorts schockartig wirken mögen, verwundern aus europäischer Perspektive gesehen nicht. Wie sollte man Bologna oder Paris anders begreifen wollen? Wir erwähnen hierzu aus der Sozialgeschichte des Studierens gleichsam beispielhaft nur einen konkreten Punkt: Am Rhein, vor allem am Niederrhein, und danach im Südwesten und Süden wohnte die deutsche Bevölkerung von damals am dichtesten und war am wohlhabendsten.
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Warum sollten wenigstens die feinen Leute, seit Generationen an die Lockungen von Paris und Bologna gewöhnt, nun ausgerechnet nach Prag gehen? Vielleicht weil es billiger war. Das war gewiß ein Argument. Eine Anzahl von Studenten oder besser gesagt deren Vätern ging es aber eher um den Umtausch ihrer Gulden in soziale Geltung durch einen akademischen Grad zum Pfründenerwerb oder – ganz langsam – auch zum Erwerb „staatlich“-städtischer Ämter – für jüngere Söhne. Ein solcher Wandel sozialer Geltung vollzog sich am überzeugendsten an längst bekannten Plätzen. Abwarten über Jahrzehnte hinweg war daher eine durchaus vernünftige Haltung. Mitnichten ging man aus dem Reich quantitativ analog zur Bevölkerungsdichte zum Studium nach Prag – auch nicht, als man sich nach Jahrzehnten womöglich an die neue Kaiserstadt gewöhnt hatte. Man sollte hier daran erinnern, daß die Carolina in der Prager Altstadt zu Hause war, also in der größten und vornehmsten der drei oder vier Prager Kommunen, mit etwa 16.000 bis 18.000 Einwohnern (Köln hatte 40.000), die weit überwiegend von Deutschen besiedelt war. Gemäß den mittelalterlichen und großenteils noch heute gültigen Regeln ging man an einen Universitätsort zunächst aus der Nähe; in Böhmen hatte Prag von alters her eine natürliche Mittelpunktsfunktion. So bildeten die Einheimischen – so sehr sie insgesamt in der Minderheit blieben – die relativ größte Gruppe. Man kann zum zweiten anhand der Matrikel der Juristen und des Dekansbuchs der Artisten, auch mit Hilfe der Biographien der Lehrer feststellen, woher relativ die meisten Universitätsbesucher von weit her gekommen sind – „relativ“ meint die Anzahl der Anwesenden annähernd im Vergleich zur Bevölkerungsdichte der Heimat – gekommen sind. Es waren nicht Rheinländer, Südwestdeutsche oder Österreicher und Bayern, sondern Leute aus dem heutigen Niedersachsen, das damals zumindest bei weitem nicht die höchstentwickelte deutsche Landschaft war. Dort schätzte man offenbar den geringeren Aufwand, den ein Prager Studium mit sich brachte, am meisten. Gleichsam dazwischen lag Thüringen mit seinem Mittelpunkt Erfurt, das wir schon als ein ansehnliches nichtuniversitäres Artistenstudium vor der Prager Zeit und während der Prager Frühzeit bezeichnet haben. Auch daß jener große Jurist aus Hamburg kam, ist schwerlich ein Zufall. Es war stets dieselbe Himmelsrichtung. Fränkische Juristen ersten Ranges wird man in Italien und rheinische in Orléans oder in Köln und Löwen nden. Wir kommen nun zur Blütezeit oder eher zum Höhepunkt der alten Prager Universitätsgeschichte, weil es sich äußerstenfalls um eine
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Generation, besser nur um annähernd zwanzig Jahre gehandelt hat. Diese Jahre erlauben indessen den Schluß, daß in Deutschland – wäre nicht so bald der Zusammenbruch des karolinischen Systems und die schwere Krise des Königshauses und des sie tragenden Kernlandes eingetreten – ein wesentlich in Prag beheimateter Aufholprozeß gegenüber Süd- und Westeuropa hätte einsetzen können, der so dringend nötig gewesen wäre. So aber kam es nach jener kurzen Blüte zu andersartigen, dezentralen, bescheideneren, wenn auch quantitativ immer breiter werdenden Einzelprozessen, die am Ende des Mittelalters Deutschland zum hochschulreichsten Land Europas machen werden. Aber es war eben räumlich sehr zersplittert und ist beim Leistungsniveau wohl oft zurückhaltend zu beurteilen. Bei vermutlich wachsendem Wohlstand trat dieser Aufholprozeß immerhin im 15. Jahrhundert deutlich zu Tage und zog gleichsam Nord- und Osteuropa hinter sich her. Für diese Peripherie des Kontinents spielten Prag und später deutsche dezentralisierte Plätze annähernd diejenige Rolle, wie Paris und Bologna sie für Deutschland innegehabt hatten. Zurück zum Erfolgsbericht. Es gibt in Prag aus den siebziger und achtziger Jahren – vor der Folie des bis dahin Erreichten – einige bemerkenswerte oder gar erstaunliche Dinge zu registrieren. Es setzten Matrikel und Graduiertenliste ein: Die Prager Juristenmatrikel seit 1371 (d. h. seitdem es ein funktionierendes Juristenstudium gab, das prompt auch seine ersten bescheidenen Anfänge zu vertuschen trachtete) ist die erste voll erhaltene Universitätsmatrikel, die wir überhaupt in Europa kennen, ein Dokument von enormer Wichtigkeit, mit 3.563 Namen aus dem „ Jüngeren Europa“ (praktisch ohne Namen aus dem „Älteren Europa“, denn warum hätte man sich sozial verschlechtern sollen). Diese Matrikel ist bei weitem noch nicht angemessen ausgewertet. Sie bezeugt zusammen mit dem die Examinierten anführenden Dekansbuch der Artisten und mit einigen weiteren Nachrichten insgesamt wohl auch so etwas wie ein Aufgestautgewesensein des Bedürfnisses nach dem Studieren im eigenen Land, zu günstigeren ökonomischen Bedingungen als auswärts und im eher vertrauten Umfeld. Es waren mehr als 1.000, zeitweilig wohl gegen 2.000 Studenten, die nach den besten Schätzungen in den siebziger und achtziger Jahren gleichzeitig in Prag weilten. Auch die sehr elitäre Juristenuniversität erreichte in den achtziger Jahren mit etwa 150 Immatrikulationen jährlich den Höhepunkt. Wir haben gleichwohl weiterhin mancherlei Quellenprobleme. Beispielhaft sei erwähnt, daß man zwar die Examinierten der Artisten und die Immatrikulierten der
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Juristen kennt (dies sind sozial ziemlich gleichrangige Datensätze), nicht aber die Verweildauer der Universitätsbesucher. Der längste Weg, den man zurücklegen konnte, führte in etwa zwölf Jahren zum Doktorat der Theologie, zur Krone des gelehrten, nicht des sozialen Ansehens. Dieses blieb den Doktoren der Jurisprudenz vorbehalten. Wir erwähnen kurz einige Prinzipien, die an sich aus der älteren Universitätsgeschichte bekannt sind, nun aber in Prag zum ersten Mal auf dem Boden des nordalpinen Reiches hervortraten. Das landsmannschaftliche Prinzip war in vieler Hinsicht durchaus durchschlagend. Das heißt, die vier Prager sogenannten Universitätsnationen stellten die wichtigste Lebensform in den beiden Universitäten dar. Es waren der Größe nach geordnet die Bayerische Nation (das heißt die rheinischfränkisch-südwestdeutsch-bayerische Nation), dann die Sächsische, das heißt immer noch niedersächsische Nation, die ihr an sich viel geringeres Herkunftspotential aus schon benannten Gründen stärker ausschöpfte als die Bayerische, dann die Polnische Nation, das heißt faktisch die Schlesische Nation, und als kleinste Einheit die Böhmische Nation (aus Tschechen und Deutschen gemäß der Einwohnerschaft Böhmens und Mährens zusammengesetzt). Traf man zum Beispiel aus Niedersachsen in Prag ein, um sich als vielleicht 16jähriger um die Artes zu bemühen (das heißt um Schulstoff in mehreren Fächern wie im späteren Gymnasium), dann schloß man sich selbstverständlich einem Magister aus der Heimat an, wohnte wennmöglich in dessen Wohnheim (Burse), machte bei ihm, wenn es glückte, das Examen als Bakkalarhalter (nur eine Minderheit) und vielleicht sogar als Magister (eine ganz kleine Zahl) und kehrte wieder nach Hause zurück, bereichert um einige Kenntnisse und um soziale Beziehungen, die an Weser und Elbe gleichermaßen nützlich sein mochten. Die Artistenuniversität produzierte bald zu viele Absolventen, die sich gern weiterhin an die Carolina klammerten und angesichts einer auch damals unzureichenden Universitätsausstattung Positionskämpfe ausfochten. Das bezeichnete schon die achtziger Jahre und wurde immer härter. Hier ist bei nüchterner, quellennaher Betrachtung die Wurzel oder eine Hauptwurzel dessen zu suchen, was man früher Nationalitätenkämpfe genannt hat. Warum sollten die Ankömmlinge von weither, angesichts des vergleichsweise kleinen Landes Böhmen die erdrückende Mehrheit bildend, Kollegienplätze und Magisterpfründen anstreben dürfen, die heimisch dotiert waren? Die Plätze waren knapp. Es war eine erstmalige Erfahrung in unserer Geschichte, daß junge stellungslose Absolventen mit geringer Lebenserfahrung, die wenig zu
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verlieren hatten, in einer nach damaligen Begriffen großen Stadt ein Unruhepotential zu bilden drohten, das für aktuelle Indoktrination bereit stand. Die Universitätslehrer beider Anstalten bildeten eine vielgestaltige, hierarchisch gestufte Gruppe, die mit dem Begriff des Professors noch nicht zureichend erfaßt werden kann. Jedoch gehören dessen Anfänge zum Thema. Erst jüngst ist eine erste Arbeit über die Entstehung des deutschen Professors erschienen, mit dem bezeichnenden Titel: „Improvisation und Ausgleich“. Was Kaiser Karl selbst für die Universitäten tat, bezog sich neben der gut bekannten Technik der Umwidmung von Ressourcen (hier kirchliche Pfründen in Universitätspfründen) auf die Rekrutierung hochrangiger oder vorsichtiger gesagt hochgraduierter Lehrer irgendwo im weiten Umkreis, die offenbar von selbst so gern nach Böhmen und Prag nicht kommen wollten. Für ihre Titel besorgte er manchmal ein päpstliches Privileg, das die Graduierung ersetzen mußte. Aller Anfang war eben schwer, auch in Prag. Strenggenommen war für die Graduierung in einer „höheren“ Fakultät, wenn man nicht wollte, daß die Kandidaten zum Examen nach Italien auswichen, ein Kollegium von drei Doktoren vonnöten. So fand nicht vor 1372 die erste und schon 1407 die letzte juristische Doktorpromotion des Mittelalters in Prag statt. Man sieht, wie kurz die Periode des normalen Funktionierens gewesen ist; das muß man angesichts jahrhundertelang geübter Selbstverständlichkeiten in Italien und Frankreich der Gerechtigkeit halber erwähnen. Man kann den Wendepunkt, die Umkehr vom langsamen und dann schnelleren Aufstieg zum Niedergang und zur Katastrophe, recht gut mit dem Jahr 1384/85 angeben. Das Große Schisma von 1378 (die Spaltung der Christenheit in zwei Papstobödienzen), die erste Herrschaftskrise König Wenzels sowie die wachsende Universitätskonkurrenz mit mancherlei Neidaspekten ringsum machten das Leben schwieriger. Scholaren aus den schon bezeichneten westlichen und südlichen Räumen in größeren Entfernung wanderten vielfach ab. Anders formuliert: das universale Zeitalter der europäischen Universitätsgeschichte, in das die Carolina gerade noch hineingepanzt worden war, ging zu Ende; das regionalnationale Zeitalter begann – vor allem auch, weil das Papsttum in seiner Verdoppelung duch das Große Schisma erpreßbar geworden war und nun fast jedem Fürsten- oder Städtewunsch nach einem neuen Universitätsprivileg nachkam, weil man sonst zum Konkurrenten gegangen wäre. Man kann es vielleicht tragisch nennen, daß nicht genug Zeit verblieben ist, um dem so wünschenswerten Anfang in der Mitte eines
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großen Reiches Dauer zu verleihen und daß andere Plätze das Erbe antraten, daß in Prag eher ein Signal des Neuen gesetzt wurde als daß dieses Neue wirklich realisiert worden wäre. Aber auch schon das Signal hat seinen Rang. Die Frage nach den Ursachen der Krise wollen wir nur knapp beantworten, schon weil das Wühlen in Wunden nicht die feinste Aufgabe des Historikers zu sein scheint. Eine so ungewohnte Panze, fremdartig in einer kaum darauf eingestellten Umwelt, war zweifellos enorm anfällig, ja es trug sogar der (quantitative) Erfolg den Keim der Krise schon in sich. Bei kaum mehr vergrößerten Ressourcen kehrten sich nämlich die am Ort verbleibenden Interessenten, deren Zahl ständig anwuchs, gegeneinander. Dazu trat wohl die langsam von Westen nach Osten wandernde europäische Wirtschaftskrise, die in den siebziger oder achtziger Jahren auch Böhmen und früher oder später die Städte erreichte, hinzu kam die Unruhe der großen Stadt (alle Prager Städte zusammen waren fast so groß wie Köln), die polizeilich nicht kontrollierbar war; schließlich stellten sich, wenngleich schwerlich zunächst an erster Stelle, abweichende kirchliche Meinungen bis an den Rand der Ketzerei ein, besonders durch den Import der radikalen Thesen des Oxforder Professors John Wiclif. Die Strukturen des scholastischen „Wissenschaftsbetriebs“ (in Gestalt der Lehr- und Übungsform der Disputation) begünstigten die Entstehung solcher Thesen oder züchteten sie gar heran. Es war vorerst ein Spiel unter jungen Leuten, die keine Verantwortung trugen. Die nüchterneren, machtnäheren, eher saturierten Juristen haben sich daran kaum beteiligt. Beim Urteil über den Kern der Krise kommt es entscheidend auf die Perspektive des Historikers an. Das muß ganz klar sein, damit unsere Zurückhaltung verständlich wird. Die Frage besteht darin, ob man die kommende hussitische Ordnung als wünschenswert und zukunftsreich ansieht und damit der Prager Universitätsgeschichte eine neue Richtung, mitten hinein in die böhmische Landesgeschichte, zuweist oder ob man den Ton darauf legt, daß die Carolina nun aus dem Kreis europäischer Gemeinsamkeiten herauszutreten drohte und tatsächlich heraustrat, als dessen logische Konsequenz sie ihre Anerkennung als europäische Universität verlor. Nach den Regeln der klassischen Universitätsgeschichte handelte es sich schon etwa seit 1390 um den Beginn eines immer rascher voranschreitenden Verfalls, der durch die Abwanderung starker Gruppen von Lehrern und Studenten, durch negative auswärtige Stimmen und durch die weitere Verstärkung der inneren Konikte gekennzeichnet ist. Die etablierten Lehrer lehnten
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das Neue praktisch geschlossen ab. Auch noch im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts waren die jungen „Revolutionäre“ oder „Umstürzler“ bei weitem in der Minderheit. Die Wende kam von außen, als König Wenzel in der Schismafrage die Partei, das heißt den Papst, wechseln wollte, und ihm die böhmische Amtskirche dabei die Gefolgschaft verweigerte. Die Universität als quasikirchliche Instanz, das hieß jene Neuerer, sprang in die Bresche und ließ sich dies gründlich vergüten. Im Jahr 1409 kehrte das sogenannte Kuttenberger Dekret des Königs die Stimmenverhältnisse der Nationen um, so daß aus der bisherigen hoffnungslosen Minderheitsposition der Böhmischen Nation eine Mehrheit wurde: Sie erhielt drei Stimmen, die nun ausdrücklich als deutsche bezeichneten drei anderen Nationen zusammen eine Stimme. Es kam zur Abwanderung von zwei Dritteln oder drei Vierteln der damals noch anwesenden Lehrer und Studenten aus Prag. Eine neue Universität in Leipzig entstand (ebenfalls 1409). Es folgte, was unvermeidlich war: die Radikalisierung der Zurückgebliebenen und Ausbrüche unversöhnlichen Hasses auf beiden Seiten. Das Konzil von Konstanz (1414–1418) hat dann wie erwähnt die Universitätsprivilegien aufgehoben, so daß Prager Graduierungen nicht mehr akzeptiert wurden. Die drei höheren Fakultäten verschwanden (bis 1419); sie wurden erst von den Habsburgern im 17. Jahrhundert, unter katholischem Vorzeichen, restituiert. Es verblieb eine hussitische Artistenfakultät, die für das neugläubig gewordene Innerböhmen vor allem Lehrer ausbildete.
IV Wir kommen abschließend und knapp zur dritten Frage, zur Frage nach der Nachwirkung der Carolina und damit zu ihrer Rolle in der deutschen und europäischen Universitätsgeschichte. Dieses Prager Erbe, wie man auch formulieren könnte, war trotz des kurzen Lebens des Studiums und ungeachtet einer Reihe von anderswo unwiederholten und unwiederholbaren Phänomenen bedeutender als jedes andere – jüngere – Erbe in Mitteleuropa vor dem 18. und 19. Jahrhundert, ehe Göttingen und Berlin neue Vorbilder für ein neues Zeitalter wurden. Nur Paris und Bologna, die ältesten, waren noch wichtiger. Die neuen Hohen Schulen der Schisma-Generation, beginnend wie erwähnt mit der renovierten Wiener Rudolna von 1384, fortgesetzt in Heidelberg, Köln, Erfurt und Leipzig, könnte man Töchter der Pariser Universität
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und der Carolina zugleich nennen: was biologisch nicht möglich ist, funktioniert in der Universitätsgeschichte durchaus. Dieser ersten Gruppe folgte bis Wittenberg und Frankfurt an der Oder eine Anzahl weiterer Gründungen, insgesamt sechzehn Universitäten in Deutschland vor der Reformation (ohne Prag). 45 Anstalten bestanden dann im späten 18. Jahrhundert. Auch wegen der unzähligen personellen Verechtungen kann man von einem einzigen, wenn auch in große Regionen gegliederten und vor allem gegenüber Italien weiterhin geöffneten Hochschulsystem sprechen. Das alles bedeutete nicht, daß ein ganz klar umreißbares Erbe der Carolina hätte von den Jüngeren übernommen werden können. Schon die Vervielfachung der Universitäten änderte die Lage gründlich; die jeweiligen lokalen Individualitäten sprachen immer kraftvoller mit. Entscheidend war in erster Linie, daß Prag stellvertretend für Töchter, Enkelinnen und Urenkelinnen das so divergente Erbe von Paris und von Bologna „verarbeitet“ hatte. Paris ist dabei, wenn man schon eigentlich Unvergleichbares vergleichen möchte, wichtiger gewesen als Bologna, weil es mehr Nichtjuristen als Juristen gab und wohl auch, weil der rheinische Westen die führende deutsche Landschaft blieb. Jene „Verarbeitung“, ein Vorgang natürlich ohne jegliche Ahnung von der Zukunft, war gleichwohl ein Geschehen von größter Bedeutung für die kommenden Universitäten der jüngeren Hälfte Europas und zuletzt auch darüber hinaus für ganz Europa und die von Europa bestimmte Welt. Denn – und das ist ein Kernsatz – nicht direkt aus Paris und Bologna, sondern über die Mitte Europas verlief – erstaunlicherweise – der Weg in die neuzeitliche Zukunft der Hochschulen. Im besonderen wurde Prag, obwohl es selbst anders angelegt war, zur wirkungsmächtigen „Stiefmutter“ der klassischen VierfakultätenUniversität, die es zuvor nicht gegeben hatte. Es hatte sie auch, wie wir hörten, in Prag nicht gegeben, doch zogen die zeitgenössischen Fachleute mit ihren unmittelbaren und mittelbaren Prager Erfahrungen, inzwischen über ganz Mitteleuropa verstreut, und die entsprechenden Landesfürsten und Städte diese Konsequenz aus den Erfahrungen mit der Carolina. Das geschah schon in Wien, dann in Heidelberg, und als ob es nie etwas anderes gegeben hätte, panzten sich die Dinge in dieser Form auf die Dauer fort. So, mit vier Fakultäten zwar nicht gleichen Ranges, aber vom gleichen Typus und mit einer einheitlichen Spitze, sah das legitime Modell der künftigen deutschen und zunächst auch mittel-, ost- und nordeuropäischen Universität aus. Seitdem der Neuansatz von 1810 in Berlin nach einigem Schwanken ebenso konstruiert worden
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war, wirkte das Modell weiter auch in andere Teile Europas und weit darüber hinaus, gewiß mit regionalen Abwandlungen, aber wohl das Bewußtsein prägend, wie es eigentlich und prinzipiell sein sollte – eben wie zuerst in Wien und Heidelberg seit 1384/86, die beide entscheidend mit ehemaligen Prager Professoren besetzt worden waren. Die bescheidenen Lebensbedingungen der deutschen Territorien und Städte haben dieses „Sparmodell“ erzwungen, aber es war zugleich ein recht zweckmäßiges und durchsetzungsfähiges Modell. Die kleine Regionaluniversität, die nun den deutschen Durchschnitt bildete und zwar bis in unser Jahrhundert hinein, war billig, praktisch, übersichtlich, anpassungsfähig, unverwüstlich, immer nur eine „Universitas“ in einem Studium, erfolgreich wie einst der VW-Käfer. Die Tendenz zur gegenseitigen Angleichung der Lebensverhältnisse in den Fakultäten setzte sich fort. Lehrer und Belehrte wurden vom Fürstenstaat gezähmt und wurden dessen treue Diener, jedenfalls in den allermeisten Fällen. Es bestand kein großer Spielraum für Neuerungen, aber es handelte sich um zähe und immer wieder krisenbeständige Gebilde. Das alles trat ein, während die alte Carolina, diejenige nämlich von 1348 oder 1370 bis 1409 oder 1417/19, in die Vergessenheit zurücksank und faktisch erst von den Historikern des 19. und 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde. Was damals in Prag geschehen war, war längst im nun lang und breit gewordenen Strom der deutschen und europäischen Bildungsgeschichte gleichsam aufgehoben.
Literatur Fried, Johannes (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, Sigmaringen 1986 (Vorträge und Forschungen 30). Kej®, Ji®í, Dîjiny prahské právnické univerzity, Praha 1995. Moraw, Peter, Die Universität Prag im Mittelalter, in: Die Universität zu Prag, München 1986, S. 9–134 (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7). Ders., Schlesien und die mittelalterlichen Universitäten in Prag, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 34, 1993, S. 55–72. Müller, Rainer A., Geschichte der Universität, München 1990. Patschovsky, Alexander, Rabe, Horst (Hgg.), Die Universität in Alteuropa, Konstanz 1994. Petran, Josef, Nástin dîjin losocké fakulty Univerzity Karlovy, Praha 1983. Ders., Karolinum, Praha 1997. Rexroth, Frank, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln, Köln Weimar Wien 1992 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 34). Rüegg, Walter (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1, München 1993. Schwinges, Rainer Christoph, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert, Stuttgart 1986 (Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6).
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kapitel 3
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KAPITEL 4
DIE JURISTENUNIVERSITÄT IN PRAG (1372–1419), VERFASSUNGS- UND SOZIALGESCHICHTLICH BETRACHTET
I Aus der Perspektive der europäischen Universitätsgeschichte nördlich der Alpen1 beurteilt, war die Prager Juristenuniversität2 des 14. und 15. Jahrhunderts ein Gebilde ganz eigener Art, und eigenartig beschaffen ist auch der Stand des Wissens von ihr. Das Fehlen einer Nachgeschichte hat ihre Geschichte verdunkelt. Nach ihrem frühen Ende hat sie nicht viel Traditionspege erfahren, auch nicht im Zusammenhang der Prager
1 Aus der Lit.: H. Denie, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400. 1885. G. Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten. 1. 1896. Rashdall I–III. J.Verger, Les universités au Moyen Age. Paris 1973. Bibliographie internationale de l’histoire des Universités. 1. Commission internationale pour l’histoire des Universités – Etudes et travaux. 2. Genève 1973. H. de Ridder-Symoens, Universiteitsgeschiedenis als bron voor sociale geschiedenis. In: Tijdschrift voor sociale geschiedenis 10 (1978), S. 87–115. The History of European universities. Works in progress and publication. Ed. J. M. Fletcher. 1–4. o. O. 1978–81. 2 G. N. Schnabel, Geschichte der juridischen Fakultät an der vereinigten Carl-Ferdinandischen Hochschule zu Prag. 1. Prag 1827. S. 1ff. H. Jireoek, Právnický hivot v nechách a na Moravî v tisicilete dobî od konce IX. do konce XIX. století. Praha Brno 1903. Hier S. 107ff. E. Ott, Das Eindringen des kanonischen Rechts, seine Lehre und wissenschaftliche Pege in Böhmen und Mähren während des Mittelalters. In: ZRG (34) KanAbt 3 (1913), S. 1–107. Hier 75ff. O. Peterka, Ursachen und Wege der Rezeption des römischen Rechts in Böhmen und Mähren. In: Prager Festgabe für Theodor Mayer. 1953. S. 37–55. M. Boháoek, Zalohení a nejstarší organisace prahské university. In: Acta universitatis Carolinae – Historia universitatis Carolinae Pragensis (künftig AUC-HUCP) 6, 1 (1965), S. 5–31. Hier S. 21ff. Ders., Einüsse des römischen Rechts in Böhmen und Mähren. IRMAE V, 11. (1975), S. 24ff. J. Kej®, Po stopách prvního profesora práv na prahské universitî. In: Studie o rukopisech (künftig SoR) 16 (1977), S. 3–12. R. Zelený, J. Kadlec, Uoitelé právnické fakulty a právnické univerzity prahské v dobî p®edhusitské (1349 –1419). In: AUC-HUCP 18, 1 (1978), S. 61–106.
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kapitel 4
Universitätshistorie insgesamt3 oder der Geschichte der Juristenfakultäten4 oder des gelehrten Rechts im allgemeinen5. So ist dieser Versuch das
3
Außer Anm. 1 und 2: W. W. Tomek, Dîje university prahské. 1. Praha 1849. Die Reichsuniversität in Prag. Studien zu ihrer Geschichte bis 1409. Hg. v. H. Zatschek. Brünn u. a. o. J. F. Kavka, L’université Charles de Prague. Praha 1963. Ders., Zalohení university a její vyvoj do roku 1409. In: Struoné dîjiny university Karlovy. Red. F. Kavka, Praha 1964. S. 7–43. F. Šmahel, Husitská universita. Ebd. S. 44–76. M. Boháoek, Repertorium und Bibliographie für die Universität Prag bis 1500. IRMAE II, 7e, ee. (1966). F. Seibt, Von Prag bis Rostock. In: Festschrift f. W. Schlesinger. 1. Mitteldt. Forsch. 74/I. 1973. S. 406–426. F. Kavka, Universitätsgeschichte von den Anfängen bis zum Humanismus. In: Bohemia sacra. Hg. F. Seibt. 1974. S. 406–413. J. K. Zeman, The Hussite Movement and the Reformation in Bohemia, Moravia and Slovakia (1350 –1650). A Bibliographical Study Guide. Reformation in Central Europe 1. Ann Arbor 1977. S. 331ff. R. Schmidt, Begründung und Bestätigung der Universität Prag durch Karl IV. und die kaiserliche Privilegierung von Generalstudien. In: Kaiser Karl IV. 1316–1378. Hg. v. H. Patze. 1978, S. 695–719. M. Svatoš, Hospodá®ské zazemí prahské univerzity v dobî Karla IV. (1347–1378). In: AUC-HUCP 18, 2 (1978), S. 7–36. F. Seibt, Karl IV. 31978. S. 179ff. J. Spîváoek, Karel IV. Praha 1979. S. 275ff., 373ff. M. Melanová, M. Svatoš, Bibliograe k dîjinám prahské univerzity do roku 1622 (1775–1975). Praha 1979. J.T®íška, givotopisný slovník p®edhusitské prahské univerzity 1348–1409. Praha 1981 (darin sind die älteren einschlägigen Arbeiten T®íškas nachgewiesen). M. Svatoš, Karel IV. a prahská univerzita. In: AUC-HUCP 21, 1 (1981), S. 85–97. – Unzugänglich war: M. Haasová-Jelinková, Správa a kancelá® prahské university v první dobî jejího trvání. Sonderabdruck aus dem nichterschienenen Bd. 10 (1948) des Sborník p®íspîvk% k dîjinám hlavního mîsta Prahy. S. 1–83. 4 Vgl. E. Friedberg, Die Leipziger Juristenfakultät, ihre Doktoren und ihr Heim 1409 –1909. Festschrift zur Feier des 500jähr. Bestehens der Universität Leipzig 2. 1909. G. Bohne, Die juristische Fakultät der alten Kölner Universität in den beiden ersten Jahrhunderten ihres Bestehens. In: Festschrift zur Erinnerung an die Gründung der alten Universität Köln im Jahre 1388. 1938. S. 109 –193. G. le Bras, La faculté de droit au moyen âge. In: Aspects de l’université de Paris. Paris 1949. S. 83–100. W. M. Plöchl, Das Kirchenrecht in der ältesten Studien- und Prüfungsordnung der Wiener Rechtsfakultät. In: SG 2 (1954), S. 565–581. G. Dickel, Die Heidelberger Juristische Fakultät. In: Aus der Geschichte der Universität Heidelberg und ihrer Fakultäten. Hg. G. Hinz. Ruperto-Carola Sonderbd. 1961. S. 163–234. G. Kisch, Die Anfänge der Juristischen Fakultät der Universität Basel 1459 –1529. Studien z. Gesch. d. Wiss. in Basel XV. Basel 1962. E. Kleineidam, Universitas studii Erffordensis. 1. 1392–1460. Erfurter Theol. Studien 14. 1964. S. 297ff. L. Just, Die Juristische Fakultät der alten Universität Mainz. In: Jb. d. Vereinigung „Freunde der Universität Mainz“ 13 (1964), S. 28–41. A. Vetulani, L’enseignement universitaire du droit à Cracovie d’après les dessins de Casimir le Grand. In: Etudes d’histoire du droit canonique dédiées à G. le Bras. 1. Paris 1965. S. 373–383. A. Gouron, Les juristes de l’école de Montpellier. IRMAE IV, 3a. (1970). K. K. Finke, Die Tübinger Juristenfakultät 1477–1534. Contubernium 2. 1972. H. Wolff, Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät 1472–1625. Ludovico Maximilianea Forsch. 5. 1973. H. Coing, Die Juristische Fakultät und ihr Lehrprogramm. In: Coing Hdb. I. S. 39 –128. P. Moraw, Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter. In: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hg. B. Moeller, H. Patze, K. Stackmann. AAG 3. F. 137. 1983. S. 524–52. 5 F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. 2. Au. 1967. S. 97ff. W. Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland. Recht u. Gesch. I. 1962. Hier S.
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erste Bemühen um eine Gesamtdeutung der Prager Juristenuniversität. Aus der Fülle möglicher Gesichtspunkte, die vom quellenkritischen Detail bis zur Frage nach dem breiten Weg der mittelalterlich-frühneuzeitlichen Bildungs- und Sozialgeschichte reichen, sind hier nur einige ausgewählt. Zunächst geht es um die verfassungsgeschichtlichen Grundlagen, beginnend mit den Vorphasen und der Entstehung der Institution und endend mit ihrem Verhältnis zu den drei übrigen Prager Fakultäten. Sodann ist von einigen personengeschichtlichen Aspekten die Rede, vor allem von den Rechtslehrern und teilweise auch von den Rektoren. Dies alles mündet ein in das Bestreben, den Standort des Gebildes „ Juristenuniversität in Prag“ innerhalb der Carolina und in der damaligen Gegenwart und Zukunft des Universitäts- und Bildungswesens des Heiligen Reiches zu bestimmen. Umgekehrt kann man auch von der Prager Rechtsschule aus die Universitätssituation des ausgehenden deutschen Mittelalters zu deuten suchen. Der Begriff „ Juristenuniversität in Prag“ nimmt dabei zunächst gleichsam naiv das Selbstverständnis der unmittelbar beteiligten Zeitgenossen auf und stellt sich erst danach der kritischen Prüfung. Zur Diskussion steht dabei immerhin die Frage, inwiefern im Reich ernstlich eine Entscheidung zwischen dem Weg der Schulen von Paris und von Bologna zu fällen war, und zugleich damit die Frage nach der Einheitlichkeit der deutschen Universitätsgeschichte oder nach ihrer Offenheit für eine Alternative6. Vor allem die erste Generation ist in dieser Hinsicht zu beobachten. Dabei könnte sich herausstellen, daß wesentliche Entscheidungen erst
102ff. K. H. Burmeister, Das Studium der Rechte im Zeitalter des Humanismus im deutschen Rechtsbereich. 1974. Hier S. 31ff. N. Horn, Soziale Stellung und Funktion der Berufsjuristen in der Frühzeit der europäischen Rechtswissenschaft. In: Rechtsgeschichte. Hg. G. Dilcher, N. Horn. Sozialwissenschaften im Studium des Rechts IV. 1978. S. 125–144. (Anonym), ¿imské právo v právním vývoji oeských zemí. In: Antika a oeská kultura. Praha 1978, S. 189 –204, 535. P. Moraw, Die gelehrten Juristen der deutschen Könige im späten Mittelalter (1273–1493). In: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates. Hg. R. Schnur. 1985. 6 A. Borst, Krise und Reform der Universitäten im frühen 14. Jahrhundert. In: Konstanzer Bll. f. Hochschulfragen 9 (1971), S. 47–62. J. Miethke, Die Kirche und die Universitäten im Spätmittelalter und in der Zeit der Reformation. In: Kyrkohistorisk arsskrift 77 (1977), S. 240 –244. E. Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts. In: Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit. Wolfenbütteler Forsch. 4. Nendeln 1978, S. 13–74. Mit P. Classen ist schon hier vor einem anachronistischen Verständnis der Universität zu warnen, vgl. Ders., Zur Geschichte der „Akademischen Freiheit“, vornehmlich im Mittelalter. In: HZ 232 (1981), S. 529 –553.
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längere Zeit nach 1348 elen und daß der Lebensweg der Universitäten im Reich nicht ganz so gerade war, wie er heute vielfach erscheint. Daß solches Fragen, so wichtig es sein mag, am Ende nur fragmentarische Antworten nden wird, weiß jeder Kenner. Denn aus mitteleuropäischer Quellenperspektive geurteilt, bendet man sich noch in einer Frühzeit. Die wichtigste Arbeitsgrundlage ist die Matrikel der Juristenuniversität7, offenbar die älteste europäische Universitätsmatrikel, die vollständig überliefert ist. Hingegen ist das Urkundenarchiv der Rechtsschule, das ursprünglich in einer 1373 angeschafften Truhe8 aufbewahrt war, ebenso verloren wie der einschlägige Bestand an Bauten und Realien9. Aus auswärtigem Material kann freilich noch einiges zusammengetragen werden, insbesondere eine nicht geringe Ausbeute an personengeschichtlichen Zeugnissen, von denen manche bisher nicht herangezogen worden sind10. Ungeachtet allerdings der wie auch immer beschaffenen Quellenlage bleibt entscheidend eine möglichst angemessene Fragestellung, in diesem Fall vor allem das Bemühen, auf harmonisierende und isolierende Bestrebungen und auf Anachronismen zu verzichten. Der chronologische Rahmen des Themas ist mit den Jahren 134811 und 1417 bzw. 141912 rasch abgesteckt, wobei die Enddaten mit der
7 Album seu matricula facultatis juridicae universitatis Pragensis ab anno Christi 1372 usque ad annum 1418. In: Monumenta historica universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis (künftig MUP) II. Pragae 1834, S. 1–215. Die Handschrift ist 1945 untergegangen. Vgl. M. Millauer, Die Original-Matrik der juridisch-canonischen Fakultät an der Carolinischen Prager Universität. In: Monatsschrift d. Ges. d. vaterländ. Museums in Böhmen 1 (1827), S. 60 –71 (danach: „53 Pergamentblätter“ „im kleineren Folioformat“) u. J. Bergel, Die Hauptquellen zur Geschichte der Prager Karls-Universität. In: Studien zur Geschichte der Karls-Universität zu Prag. Hg. v. R. Schreiber. Forsch. z. Gesch. u. Landeskunde d. Sudetenländer II. 1954. S. 15–38. 8 MUP II, S. 25. Vgl. den Codex diplomaticus almae Carolo-Ferdinandeae universitatis Pragensis. In: MUP II. Pragae 1834, S. 217–244 u. K. Kuoera, M. Truc, Archiv University Karlovy. Praha 1961, oder auch das Chronicon Universitatis Pragensis. Ed. J. Goll. In: FontrerBohem V. Praha 1893, S. 567–588 u. M. Rustler, Das sogenannte Chronicon Universitatis Pragensis. 1886. M. Boháoek, O rukopisech statut prahské university. In: SoR 1964, S. 73–124. Ders., Nové prameny k dîjinám prahské university. In: SoR 1965, S. 49 –92. Ders., Prahská universitní statuta a jejich Boloõský vzor. In: SoR 1969, S. 11–64. 9 Vgl. Anm. 54 und 60. 10 Vgl. unten S. 123ff. 11 Vgl. bes. Anm. 3. Die Hauptprivilegien am besten in MGH Const. 8, Nr. 161 u. 568, oder im Archivum coronae regni Bohemiae t. 2. Ed. V. Hrubý, Pragae 1928, Nr. 62. 12 Boháoek, Repertorium (wie Anm. 3), S. 30. Kavka, Universitätsgeschichte (wie Anm. 3), S. 411. MUP II, S. 57. – Die Restaurationsversuche des zurückkehrenden
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Suspension der Prager Privilegien durch das Konstanzer Konzil und dem Umsturz nach dem Tode König Wenzels gegeben sind; die allerletzte Eintragung in die Juristen-Matrikel geschah 1418. Innerhalb dieses Rahmens sind vorerst hervorzuheben das Jahr 1372, der förmliche Entstehungszeitpunkt der Juristenuniversität13, und das Jahr 1409 mit dem sogenannten Kuttenberger Dekret König Wenzels14, als dem Beginn ihrer Agonie. Der Rückblick bis 1348 dient diesmal nicht der gewohnten Erörterung einer Vorgeschichte, sondern ist unentbehrlich für das rechte Verständnis des ganzen Themas.
II Die Deutung der Verfassungsgeschichte der Carolina von 1348 an hat wohl darunter gelitten, daß man ihr Schicksal am liebsten Schritt für Schritt chronologisch verfolgt hat, im Weiterschreiten von Quelleninsel zu Quelleninsel, und damit auch ungewollt ausgleichend und abschleifend verfahren ist. Dadurch trat das Wesentliche, das auch kantig und disharmonisch sein kann, nicht immer genügend scharf hervor. So scheint es zweckmäßig, bei der Analyse von Vorgeschichte und Geschichte der Rechtsschule anders vorzugehen. Es stehe gleich am Anfang die Hauptthese, daß das Problem einer Juristensezession so alt sei wie die Prager Universität selbst, ja daß man die Geschichte der Carolina von Anfang an und prinzipiell dualistisch deuten solle. Es ist dies eine Gegenposition zum bisher geübten Verständnis, das u. E. zu stark von unzeitgemäßen, vom 19. und 20. Jahrhundert geformten Vorstellungen beeinußt ist. Als Kerndokument der ersten Phase (1348–1372), wie sie wirklich war, erweist sich nicht eines der manches Mal hin und her gewendeten Gründungsprivilegien, obwohl deren Bedeutung als Legitimationsquelle und in gewisser Hinsicht als Absichtserklärung bestehen bleibt. Vielmehr sind dies die ordinationes des Prager Erzbischofs und Universitätskanzlers
Sigismund 1437 und Georgs von Podiebrad 1443–48 sind für unser Thema ohne Belang. Die 1461 für ein Jahrhundert utraquistisch gewordene „Universität“ blieb praktisch auf die artes beschränkt. 13 Vgl. unten S. 116ff. mit Anm. 48ff. 14 Sammelband Dekret Kutnohorský a jeho místo v dîjinách = AUC Philosophica et historica 2 (1959). S. Schumann, Die „nationes“ an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien. Diss. FU Berlin 1974. S. 155ff.
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Ernst von Pardubitz15 (1343–1364), der selbst ein in Padua und Bologna ausgebildeter gelehrter Jurist gewesen ist (Lizentiat des Kirchenrechts). Diese „Ordnungen“ vom 10. April 136016 beleuchten rückblickend das Schicksal der Carolina für das Dutzend Jahre bis zu ihrer Gründung, über welchen Zeitraum man im übrigen aus gleichzeitigen Quellen nur sehr wenige zuverlässig überlieferte Einzelheiten kennt17, und sie weisen ein Dutzend Jahre voraus bis zur Sezession von 1372; inzwischen nahmen die Quellen allmählich zu18. Die ordinationes suchten die wichtigsten Tatbestände des Universitätslebens zu regeln. Sie sind offensichtlich ein Zeugnis ehrlichen Bemühens, jedoch zugleich und in erster Linie ein Dokument der Hilosigkeit des Ordnenden – ein Versuch, anscheinend Unüberbrückbares zu überbrücken, um wenigstens ein Minimum von Ordnung oder auch nur dessen Schein zu wahren. Was war das Problem? Um dieses scharf zu beleuchten, wird man zuerst an die nicht immer genügend beachtete Tatsache erinnern, daß die Prager Universität bis in die Schismazeit, die die zweite, anders beschaffene Periode der deutschen Universitätsgeschichte eröffnete, im Reich und darüber hinaus praktisch allein geblieben ist19. Ungeachtet aller achtenswerten Bemühungen der jeweiligen Lokalforschung steht fest, daß die auf Prag folgenden, gemäß päpstlichem Willen ohnehin der ersten Fakultät, der Theologischen, beraubten Gründungen in
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A. Frind, Die Geschichte der Bischöfe und Erzbischöfe von Prag. Prag 1873, S. 90ff. J. K. Vyskooil, Arnošt z Pardubic a jeho doba. Praha 1947. Z. Hledíková, Kirche und König zur Zeit der Luxemburger. In: Bohemia sacra. Hg. F. Seibt. 1978, S. 307–314. J. Polc, Ernst von Pardubitz. In: Karl IV. und sein Kreis. Hg. F. Seibt. Lebensbilder z. Gesch. d. böhm. Länder 3. 1978. S. 25–42. Vgl. A.-B. Cobban, Episcopal control in the mediaeval universities of northern Europe. In: Studies in Church History 5 (1969), S. 1–22. Hier S. 14ff. 16 MUP II, S. 229ff. und Codex iuris bohemici (künftig CIB) II, 3. Ed. H. Jireoek, Pragae 1889, S. 258f. Vgl. Boháoek, O rukopisech (wie Anm. 8). 17 Neben Anm. 7, 8, 11 vgl. die Quellenauszüge in CIB II, 3, S. 244ff. Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia (künftig MVB) 1. Ed. L. Klicman. Pragae 1903. Dass. 2, Ed. J. F. Novák. Pragae 1907. Chronicon Francisci Pragensis. Ed. J. Emler. In: FontrerBohem IV. Praha 1884. S. 347–456. Chronicon Benessii de Weilmil. Ebd. S. 457–548. 18 Wie Anm, 17 und besonders MVB 3. Ed. F. Jenšovský. Pragae 1944, u. 4. Ed. C. Stloukal. Pragae 1949 –53. 19 So schon Benesch von Weitmühl, S. 518.
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Krakau20 (1364), Wien21 (1365) und Fünfkirchen22 (1367), im damaligen ostmitteleuropäischen „Viereck der großen Politik“, überregional belanglos waren. Nur „Wien I“ überlebte in stark reduzierter Form überhaupt das Gründungshandeln seines Fürsten. So war nicht nur eine Generation hindurch die Carolina, bald eine kaiserliche Universität, konkurrenzlos. Was hier ausgetragen und entschieden wurde, vollzog sich auch ohne Stütze, Argumentationshilfe oder Einmischung aus nachbarlichen, ungefähr vergleichbaren Verhältnissen, wie dies von der nächsten Generation an allgemein gebräuchlich und selbstverständlich werden sollte. Man war auf sich allein gestellt, den krassen Unterschieden der kontinentalen Universitätslandschaft ausgesetzt, wie sie seit zwei Jahrhunderten einerseits in Nordfrankreich und andererseits in Norditalien herangewachsen waren. Der oft diskutierte Prager Nationalitätenkonikt verliert stark an Gewicht im Vergleich zu diesem bedeutsamen Gegenüber, das an der Moldau stellvertretend für die jüngeren Universitäten ausgehalten werden mußte. Der Stiftungsbrief Karls IV.23 nennt die Freiheiten von Paris und Bologna als Leitbilder der Prager Universität; sie waren bekanntlich recht verschiedener Natur. So berechtigt es ist, mit der jüngsten Forschung an analoge Positionen innerhalb beider Universitäten (Artistenmagister – Juristenscholaren) zu erinnern24, so ist doch daran festzuhalten, daß es sich um analoge Positionen innerhalb unterschiedlicher sozialer Welten
20 Außer Anm. 1 und 4: Z. Kozlowska-Budkowa, La fondation de l’Université de Cracovie, en 1364, et son rôle dans le développement de la civilisation en Pologne. In: Les universités européennes du XIVe au XVIIe siècle. Aspects et problèmes. Genève 1967, S. 13–25, und P. W. Knoll, Casimir the Great and the University of Cracow. In: JbGO NF 16 (1968), S. 232–249. 21 Außer Anm. 1, 4 und 38: H. Baltl, Einüsse des römischen Rechts in Österreich. IRMAE V, 7. (1962), S. 74ff. P. Uiblein, Beiträge zur Frühgeschichte der Universität Wien. In: MIÖG 71 (1963), S. 284–310. Ders., Die österreichischen Landesfürsten und die Wiener Universität im Mittelalter. Ebd. 72 (1964), S. 382–408. Ders., Zu den Beziehungen der Wiener Universität zu anderen Universitäten im Mittelalter. In: Les universités à la n du moyen âge. Ed. J. Paquet, J. Ijsenwijn. Louvain 1978. S. 168–189. 22 Außer Anm. 1: A. Csizmadia, Die Universität Pécs im Mittelalter (1367). Studia iuridica auctoritate Universitatis Pécs publicata 41. Budapest 1965. E. Kovács, Die Gründung der Universität Pécs und ihre Bedeutung für die ungarische Kultur. In: Les universités européennes du XIVe au XVIIIe siècle. Aspects et problèmes. Genève 1967, S. 36–47. A. L. Gabriel, The mediaeval universities of Pécs and Pozsony. 1969. S. 9ff. 23 MGH Const. 8, Nr. 568. 24 A Seifert, Statuten- und Verfassungsgeschichte der Universität Ingolstadt (1472– 1586). Ludovico Maximilianea Forsch. 1. 1971, S. 40ff.
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handelte; dies betraf u. a. die ständische Herkunft und die „Berufsfelder“ der Studenten, die Richtung, in welcher die Legitimationsanstrengungen verliefen, das lokale Gegenüber, dessen Verschiedenartigkeit seinen Ausdruck in unterschiedlichen Universitätsorganisationen fand, und die Beziehungen zu den Spitzen der zeitgenössischen Welt (Papst und Kaiser). Aus großer Distanz gesehen ergänzten die Schulen von Paris und Bologna einander womöglich glücklich – aus der Nähe betrachtet, im Hinblick auf eine Universität, waren sie kaum vereinbar. Dabei ging es am wenigsten um Statutentexte, die in Prag vorerst noch nicht bestanden, auch in Paris kaum, jedenfalls nicht in durchgefeilter Form, existierten und nur in Bologna wohl seit 1317 formuliert25 waren, sondern zuerst um „Lebenswelten“. Sollte es beide derartigen Welten dem Ansatz nach auch in Prag gegeben haben, konnten sie nur „verarbeitet“ werden, wenn die Carolina anders beschaffen war als die von der Schismazeit an geläugen territorial-städtischen Hohen Schulen des Reiches, die bisher das Verständnismodell auch für die erste Prager Generation geboten haben. Und so verhielt es sich u. E. auch: Die Carolina war zwar von 1347/48 an einheitlich privilegiert, wie es sich gehörte, besaß aber keine einheitliche Lebensordnung, sondern nur disparate Einzelelemente einer solchen. Oder in Anlehnung an die bisher unbeachtet gebliebene Prager zeitgenössische Terminologie gesprochen: Es bestand zwar ein studium, aber mehr als eine universitas26. Unter dieser Voraussetzung lassen sich alle uns bekannten Quellen zur alten Prage Universitätsgeschichte widerspruchsfrei deuten und einige Texte besser als bisher verstehen, sodann kann man den bisher kaum erschlossenen Reichtum des personengeschichtlichen Materials in recht plausibler Weise zuordnen, womit hier nur ein Anfang gemacht wird. Wichtig ist zunächst in diesem Zusammenhang, daß der längst gedruckte, aber bisher – soweit wir sehen – nirgends erschöpfend aus-
25 H. Denie, Die Statuten der Juristen-Universität Bologna vom J. 1317–1347 und deren Verhältnis zu jenen Paduas, Perugias, Florenz. In: ALKGMA 3 (1887), S. 196–397. Vgl. Boháoek (wie Anm. 8) und Statuta nationis germanicae universitatis Bononiae (1292–1750). Ed. P. Colliva. Quaderni dell’ Associazione italo-tedesca. Acta germanica I. Bologna 1975. 26 Am nächsten kommt bisher dieser Auffassung Uiblein, Beiträge, S. 289f., und Ders., Beziehungen S. 174f. (wie Anm. 21). Zum allgem. P. Michaud-Quantin, Universitas. Paris 1970, u. O. Weijer Terminologie des universités naissantes. In: Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters, Hg. A. Zimmermann. Miscellanea mediaevalia XII, 1. 1979. S. 258–280.
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gelegte Text der ordinationes von 1360 in diese Weise wirklich verwertbar erscheint. Bisher ist er stumm geblieben, obwohl er doch laut Kunde davon geben müßte, daß der Weg der Carolina in diesen Jahren bei weitem nicht friedlich und eben verlief. Die ordinationes erweisen zunächst die Universität als Angelegenheit des Erzbischofs, wie dies auch unabhängig davon bei der Professorenbesoldung, in der Perspektive der Prager Chronistik und ein Vierteljahrhundert später ex negativo in den Versuchen zu Tage trat, im Krisenfall gerade dieses Abhängigkeitsverhältnis zu lockern. Im Hinblick auf die Privilegierung war das Studium Sache des Papstes und des Königs gewesen, in der Praxis jedoch sind bis zum Erwachen der dynastischen Konkurrenz in Wien (1365) die Belege für ein konkretes Handeln Karls vergleichsweise gering; die Frage nach dem Einuß des Papstes nach 1348 wird erst die Personenforschung zu beantworten suchen27. Die entscheidende Rolle lag ohnehin nahe für einen organisatorisch so interessierten und befähigten Mann wie Erzbischof Ernst, der wesentlicher Teilhaber und Helfer beim „Aufbruch“ der ersten karolinischen Jahre und Jahrzehnte gewesen ist und als Universitätskanzler ein Amt versah, das wohl als einziges an der Carolina zunächst der Problematik des Dualismus entzogen schien. Umso bemerkenswerter ist es, daß gegenüber seinen qualitätsvollen Synodalstatuten oder seinen sonstigen vergleichbaren im Jahre 1360 schon auf den Weg gebrachten Neuerungen28 sich die Universitätsordnungen als recht unvollkommen oder hilos erweisen. Die in acht Sachpunkte gegliederten Ordnungen des Prager studium (dieses ist hier und anderswo die maßgebliche Einheit im Singular) sollten gemäß der Präambel pro principio[ ! ] et fundamento . . . studii dienen. Ansprechpartner waren dabei Magister, Doktoren und „bestimmte Scholaren“. In dieser „unlogischen“ Reihenfolge, die auch anderswo auftritt, ist keine Rangliste, sondern sind zwei Parteien zu sehen, die einander gegenüberstanden – einerseits die Magister der Artisten nach Pariser Brauch, andererseits die Doktoren und die vornehmen Scholaren
27 Zum Papst vgl. unten S. 467ff. Zu Karl IV.: Svatoš, Zazemí (wie Anm. 3) und P. Moraw, Kaiser Karl IV. 1378–1978. Ertrag und Konsequenzen eines Gedenkjahres. In: Politik, Gesellschaft, Geschicht5schreibung. Gießener Festgabe für F. Graus zum 60. Geburtstag. Hg. H. Ludat, R. C. Schwinges. 1982 S. 224–318. 28 Libri erectionum. Libri conrmationum ad benecia ecclesiastica. Libri ordinationum cleri. Cancellaria Arnesti. Vgl. Polc, S. 31ff., und Z. Hledíková, Ú®ad generálních viká®% prahského arcibiskupa v dobî p®edhusitské. AUC-Philosophica et historica Monographia XLI. Praha 1971. Ernst weilte 14 Jahre in Padua und Bologna.
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der Rechte nach dem Modell Bolognas. Damit sind zugleich diejenigen Kräfte genannt, welche mit der Ordnung der Universitätsspitze befaßt waren, um die es im folgenden vor allem ging29. Der erste Artikel mit der Feststellung in dicto studio sit unus rector et una universitas, in welchem aus der Perspektive der deutschen SchismaUniversitäten unnötigerweise Selbstverständlichkeiten ausgesprochen scheinen, kann und darf bei methodenstrenger, Späteres außer Acht lassender Interpretation nur als Ausdruck der Tatsache erklärt werden, daß in Prag bis 1360 wenigstens zeitweise nicht nur ein Rektor und nicht nur eine universitas bestanden haben. Erst recht gilt dies bei einem in juristischen Formulierungen so gewandten Aussteller wie Ernst. Ein Blick auf den dritten und vierten Artikel macht die Situation noch deutlicher: Rector eligatur per universitatem. De modo autem eligendi et de electoribus deliberetur. Sooft ein Artist Rektor werde, habeat vicarium juristam quoad regimen juristarum et e converso. Mit dürren Worten geht daraus zunächst das Scheitern eines Hauptteils der zwingend zu postulierenden Vorverhandlungen hervor, da Ernst zweifellos gerade gegenüber dem Angelpunkt, dem Wahlverfahren und den Wählern, das Äußerste versucht hat, um eine Lösung zu nden. Es gab also auch nach 1360 – und zweifellos erst recht zuvor – keine im ganzen Prager studium akzeptierten Regeln für die Rektorwahl. Dies bedeutete sicherlich nicht Anarchie. Vielmehr bestanden stattdessen 1360, wie der zitierte Text und weitere Belege zu erschließen fordern, zwei Verfahren, die abwechselnd angewandt wurden, und zwei Personenkreise, von welchen, sowie zwei weitere, aus welchen abwechselnd gewählt wurde; oder noch schärfer formuliert: Jede von zwei in dieser Hinsicht gleichrangigen universitates, die von Artisten und von Juristen angeführt wurden bzw. aus ihnen bestanden, wählte nach ihrer Weise und aus ihrem Kreis bisher offenbar wenigstens zeitweise zu jedem Wahltermin je einen Rektor, und nun von 1360 an abwechselnd einen Rektor und einen Vikar. Der Vikar, später Vizerektor30, war im Hinblick auf seine universitas, als deren Haupt, mit dem Rektor praktisch gleichrangig, da es sich wohl jeweils um fast geschlossene „Herrschaftsbereiche“ handelte. Das Studium als Gesamtheit trat nach 1360 dadurch in Erscheinung, daß die beiden Spitzen gegenüber der Außenwelt nicht gleichberechtigt waren. Nach innen handelte es 29 Der ebenfalls erkennbare Gegensatz zwischen Weltgeistlichen und Mönchen (zweiter Artikel) kann hier übergangen werden. Vgl. J. Kadlec, ¿eholní, generální studia p®i Karlové Universitî v dobî p®edhusitské. In: AUC-HUCP 7, 2 (1968), S. 63–108. 30 So in den Statuten wohl von 1368, vgl. Anm. 44.
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sich beim Vikar nicht um eine wirkliche Stellvertretung für das Ganze, ebensowenig wie beim Rektor um eine wirkliche Spitzenstellung für das Ganze. So war der eingangs zitierte erste Artikel für seinen ersten Teil Wirklichkeit, im zweiten Teil blieb er Postulat. Es handelte sich dabei, so darf man mit gutem Grund annehmen, um eine vorläuge Schlichtung von Konikten, die sich bei der Begegnung zweier sehr verschiedener „Lebenswelten“ einstellen mußten, die verfassungstechnisch als universitates in Erscheinung traten. Zwei verschieden verfaßte Gebilde sollten mühselig genug unter einem Haupt zusammengefaßt werden – immer in der Erwartung der Beteiligten, daß sich nach dem nächsten Wahltermin die Dinge umkehren würden und daß man das Seine endlich realisieren oder das Fremde rückgängig machen könnte, falls der Rektor wirklich „regiert“ hatte. Leider sind die Nachrichten über die Person der frühen Prager Rektoren extrem dürftig. Sie lassen sich jedoch bis zur Trennung von 1372 dem hier erschlossenen System exakt zuordnen: Es gab einerseits wie in Paris Magister-Rektoren aus der universitas der Artisten-Theologen (mit dem damals unbedeutenden Anhang der Mediziner) und andererseits wie in Bologna ScholarenRektoren der Juristen31. Um der mit Recht festgestellten annähernden sozialen Gleichrangigkeit32 dieser beiden Kreise trotz unterschiedlicher Lebenswelten Rechnung zu tragen, benötigte man jenes ausgekämpfte Verfahren. Der im Text beiläug gebrauchte Begriff der Fakultät33 31 Franz von Prag: ein Rektor (FontrerBohem IV, S. 452, zu 1353); Matricula rectoratus studii Pragensis a. D. 1358 (verloren, vgl. Bergel, S. 20; Codex diplomatics (MUP II) Nr. III. S. 225ff.: rectoris et scholarium (1359)). – Erster namentlich bekannter Rektor: 1366 Henricus Etwaet von Prenzlau, scholaris in iure canonico (MVB 3, S. 432). 1367 Vizerektor Henricus de Nancxen von Einbeck; 1369 in . . . artibus rector studii Pragensis (!) (ebd. S. 719f. und MUP 1, 1 [= Liber decanorum facultatis philosophicae universitatis Pragensis. Pars I. Pragae 1830], S. 133); er war am 9. Oktober 1368 zum ersten Dekan der Artistenfakultät gewählt worden (ebd. S. 137f.); 1371 Rektor Johannes Bliden, Bakkalaureus beider Rechte und Magister artium (MVB 4, S. 41f.); 1372 Rektor Nikolaus von Kolberg (s. u. zu Anm. 48). – Theologen: F. Kavka, Zur Frage der Statuten und der Studienordnung der Prager Theologischen Fakultät in der vorhussitischen Zeit. In: Folia diplomatica 1. Brno 1971, S. 129 –143. Mediziner: K. Beránek, O pooátcích prahské léka®ské fakulty 1348 ah 1622. In: AUC-HUCP 9, 2 (1968), S. 44–87. M. Cierny, Medizin und Mediziner an der Prager Karls-Universität von der Gründung bis 1654. Diss. med. Zürich 1973. F. Šmahel, Mist®i a studenti prahské léka®ské fakulty do roku 1419. In: AUC-HUCP 20, 2 (1980), S. 35–68. Artisten: R. Bicheril, Die Magister der Artistenfakultät der Hohen Schule zu Prag und ihre Schriften im Zeitraum von 1348 bis 1409. Diss. med. Erlangen-Nürnberg 1971. 32 Vgl. Anm. 24. 33 Der Begriff der Fakultät erscheint zuerst (wenig aussagekräftig) im Papstprivileg von 1347 und in der Königsurkunde von 1348 (vgl. Anm. 11), dann offenbar erst wieder 1359 (CIB II, 3 S. 249) und in den hier behandelten ordinationes. Der Liber
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trägt, zumal wenn er mit modernen Assoziationen belastet wird, nur wenig zur Erhellung dieser Umstände bei. In einer solchen explosiven Situation war vor allem eines gefährlich, das Zusammentreffen der ganzen Universität, da es für dieses Ereignis an allgemein anerkannten Regeln fehlte. Im vierten und nochmals im siebten Artikel der ordinationes wird von solchen Versammlungen abgemahnt oder auf ihre Beschränkung gedrängt. Die an sich wenig sinnvoll erscheinende zweimalige Warnung in einem insgesamt so knappen Text ist dadurch zu erklären, daß jeweils verschiedene Zusammenkünfte gemeint sind. Im vierten Artikel weist totam universitatem auf die dem einen studium entsprechende Gesamtgemeinde der Carolina hin, auf deren Einberufung man möglichst verzichten solle, da sie (wie sanft angedeutet ist) in dispendium et distractionem legentium et studentium führe. Im siebten Artikel wird universitas ohne Attribut auf die Treffen der Teilgemeinden beiderseits des Dualismus verweisen, die nur debito tempore et necessitate exposcente stattnden sollten – diesmal nicht wegen ihrer Unordnung, sondern um „Eskalationen“ zu vermeiden. So möge sich der Rektor der Räte und Prokuratoren bedienen (sechster Artikel), die von den einzelnen Universitätsnationen (nach einem nicht näher beschriebenen Verfahren) gewählt würden. Auch die Prager Nationen34 bildeten im Hinblick auf den Dualismus keine übergreifende Klammer, sondern waren jeder der beiden universitates zu- bzw. untergeordnet, jedenfalls soweit die überlieferte Matrikel und die Graduiertenlisten Aussagen erlauben. Jedoch stellten die Nationen die wichtigste organisatorische Untereinheit beiderseits des Dualismus dar. Sie legen Zeugnis davon ab, daß diejenigen Scholaren, die erst die Artisten- und dann die Juristen-universitas durchlaufen hatten, jeweils in einem gleichartig abgegrenzten landsmannschaftlichen Verband eine Heimat fanden. Möglicherweise haben sich die Nationen sehr früh ausgebildet, sie bestanden jedenfalls 1360 als offenbar funktionsfähige Wahlkörper für Räte und Prokuratoren; anscheinend war auch hier das Wahlverfahren je universitas verschieden35. Darüber hinaus sind sie wie das bischöiche Kanzleramt wichtige Zeugen des Tatbestands,
decanorum facultatis philosophicae (MUP I) begann 1368. Zur Entstehung des Dekansamts der Artisten vgl. Anm. 31. Vgl. Kavka, Universitätsgeschichte (wie Anm. 3), S. 408 zu den verlorenen Statuten der Fakultäten aus der gleichen Zeit. 34 P. Kibre, The Nations in the Mediaeval Universities. The Mediaeval Academy of America, Publ. 49. Cambridge Mass. 1948, S. 167ff. Schumann (wie Anm. 14). 35 Dies ist dem 5. Artikel zu entnehmen.
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daß das Gegenüber zweier universitates in Prag nicht als Ausdruck voller Gleichrangigkeit der Prinzipien von Paris und Bologna verstanden werden darf. Auch die Carolina war, wie die folgende Generation der Schisma-Universitäten in noch reinerer Form, im Kern eine Hohe Schule Pariser Typs36. Den vier Pariser Nationen entsprachen in Prag wiederum vier, und auch die anderswo an Bologna orientierte Juristenuniversität von 1372 folgte diesem Schema, ohne zu zögern. Um die im fünften Artikel angekündigten Universitätsstatuten zu erarbeiten, sollte ein unbestimmter Kreis von certae personae nach ungenanntem (daher wohl abermals unterschiedlichem) Verfahren gewählt werden: ita disponant et ordinem ponant, prout competit cuilibet facultati. Der Dualismus wurde wie selbstverständlich in die Zukunft projiziert. Schon an dieser Stelle läßt sich erkennen, daß es sich bei der ersten Generation der Carolina um eine besondere Situation innerhalb der Universitätsgeschichte des Reiches gehandelt hat. Oder allgemeiner formuliert: „Prag I“, wie man dieses Stadium wohl nennen kann, war in dieser Hinsicht in stärkerem Maße Teil des internationalen Universitätssystems; von der Mitte der achtziger Jahre an bildeten die Schisma-Universitäten (Wien II, Heidelberg usw.) und mit ihnen „Prag II“ (wie man die parallele Entwicklung nach 1384/85 nennen mag) einen neuen, territorial verengten und organisatorisch verdichteten, bescheidener wirtschaftenden Universitätstypus, der die Zukunft des Hochschulwesens im Reich prägen sollte. Dabei ist zu beachten, daß das Trägerland Böhmen erst von der „Staatskrise“ Wenzels (1384/85) an zu einem wirklich mit dem albertinischen Österreich oder mit der Kurpfalz vergleichbaren, seine Energien vor allem nach innen wendenden Territorium wurde; zuvor war es unter einer durchaus „international“ auftretenden, d. h. auch dem Papsttum besonders verbundenen Dynastie seit König Johann sicherlich mehr als nur eines der großen Länder des Reichs37. Die besondere Rolle Prags blieb nicht ohne Nachwirkung. „Irregularitäten“ an den beiden folgenden Universitäten Wien und
36 Wenn noch eine zeitgenössische Bestätigung nötig wäre, so liefert sie pointiert Benesch von Weitmühl, S. 517. – Dieser Tatbestand bleibt gültig, auch wenn sich die Juristen das alternierende Rektorat erkämpft haben. 37 Zusätzlich kann man auf die recht weltoffene, staufernahe Vorgängerdynastie der P®emysliden und die dem Kirchenrecht früh und weit geöffnete Prager Kirche verweisen. Vgl. hierzu M. Boháoek, Das römische Recht in der Praxis der Kirchengerichte der böhmischen Länder im XIII. Jahrhundert. In: SG 11 (1967), S. 273–304.
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Heidelberg, die dort in den ersten Jahren vorelen38, knüpften an die alten Prager Verhältnisse an. Bald aber entschied es sich, daß angesichts der andersartigen Voraussetzungen der Territorial-(Stadt-)Universitäten neuen Stils vieles „bereinigt“ wurde. Die Lebenszeit Erzbischof Ernsts endete (1364), ehe sich die Situation in Prag in dieser oder jener Weise klärte. Die neue Regierung und Kanzlerschaft Johanns von Wlaschim39 (1364–78), ebenfalls eines gelehrten Juristen, führte zur Zuspitzung der Situation: Sie erbrachte mit dem energischen Bemühen um die Statuten der Gesamtuniversität (wohl 1368) und mit der Sezession (1372) rasch hintereinander den Höhepunkt der Einheit und wohl als dessen Folge auch den Gipfel der Zwietracht. Die Unterschiede in den Lebenswelten der beiden universitates erwiesen sich als wirkungsvoller denn das Drängen nach dem einen studium. So mündete die Nachgeschichte der ordinationes ein in die Separation von 1372. Auf dem Weg dahin sind zwei Stationen zu beachten. Die Wiener Universitätsgründung von 1365 forderte Karl IV. heraus, denn die Universität war auf dem Weg zum monarchischen Attribut. Er antwortete dynastisch, vom Hofe her, mit der aus kirchlichen Formen fortentwickelten Stiftung des Karlskollegs von 1366 und mit der „Umwidmung“ des Allerheiligenstifts auf der Prager Burg zugunsten der jeweils würdigsten Karls-Kollegiaten, so daß auf die Dauer insgesamt 23 Lehrerpfründen zur Verfügung standen40. Besonders der zweite Schritt ist bemerkenswert. Denn das Allerheiligenstift bildete vor 1366 den Kern der kaiserlichen Hofkapelle, die bekanntlich auch der
38 Zum allg. H. Coing, Repertorium und Bibliographie für die deutschen Universitäten bis 1500. IRMAE II, 7, e, b. (1966). H. Baltl, Repertorium und Bibliographie für die Universität Wien bis 1500. IRMAE II, 7, e, cc. (1966). Seifert, Statuten, S. 50. Uiblein (wie Anm. 21). Seibt, Prag (wie Anm. 3), S. 422. H. Weisert, Die Verfassung der Universität Heidelberg 1386–1952. AAH, Phil.-hist. Kl. 1974, 2. 39 Frind, S. 96ff. 40 MUP II, S. 231ff. CIB II, 3, S. 259ff. W. W. Tomek, Pamîti kollegiat% kolleje Karlowy. In: nasopis oeského museum 21, 1 (1847), S. 382–401, 522–540, 622–646. V. J. Nováoek, Nîkolik listin týkajících se kolleje Karlovy z let 1367–1424. Vîstník král. oeské spoleonosti nauk. T®ída l.-hist. 1895, XII. R. Nový, Koleje mistr% prahské university do r. 1409. In: AUC Philosophica et historica 2 (1959), S. 83–90. A. Kubioek, A. Petráõová, J. Petráõ, Karolinum a historické koleje university Karlovy v Praze. Praha 1961. M. Truc, J. M. Polák, Karolinum. Praha 1966. M. Ernest, Karolinum – zakladatel%v dar oeské vîde. In: Staletâ Praha 9 (1979), S. 260 –274. Zum allg. A. L. Gabriel, The college system in the fourteenth century universities. In: The forward movement in the fourteenth century. Columbus 1961. S. 79 –124. A. Seifert, Die Universitätskollegien. Eine historisch-typologische Übersicht. In: Lebensbilder deutscher Stiftungen 3 (1974), S. 355–372.
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spätmittelalterliche Herrscher besaß; sie wurde hier einem mindestens als gleichrangig angesehenen anderen Zweck bestimmt. Für unsere Frage ist entscheidend, daß sich dieses Doppelkolleg, zugleich das erste Zentrum der Carolina nach der Domkirche, wie alle späteren Gründungen der Luxemburger und anderer Prager Stifter auf das strengste an den hier herausgearbeiteten Dualismus hielt; kein einziges Kolleg war „übergreifend“ angelegt, wie es bald außerhalb Prags in den Universitäten neuen Stils üblich werden sollte, klassisch etwa ausgeprägt im Heidelberger Heiliggeiststift41. Karlskolleg und Allerheiligenstift waren allein artistisch-theologisch. Vermutlich waren diese beiden Fächer, was die Lehre betraf, dringlicher als die Jurisprudenz auf Förderung angewiesen, wie auch der dritte Teil dieses Aufsatzes zeigen mag. Aber die erste, mittelpunktsbildende und einen Vorsprung gewährende Stiftung gibt mit anderen Zeugnissen am Ende auch Nachricht davon, wo die Sympathien des Hofes lagen: nicht zuerst bei den Juristen. Für diese tat Karl nichts, obwohl ihm kaum der gleichzeitige, freilich wirklichkeitsfremde und schwerlich auch nur teilweise ausgeführte Plan verborgen geblieben ist, in Krakau mit Legisten und Kanonisten gleichsam ein zweites Bologna zu schaffen42. Auch an den kaiserlichen Rotuli waren die Juristen nicht allzusehr beteiligt43. Die nächste Station bildeten die Prager Universitätsstatuten von etwa 136844, die tatsächlich den wenige Jahre zuvor angekündigten Versuch wahrzumachen suchten, eine möglichst einheitliche Universität zu schaffen. Es schmälert das Interesse an dieser Konzeption nicht, daß dieser Versuch scheiterte, ja wohl zuletzt das Gegenteil seiner Absicht, nämlich die endgültige Separation der Juristen, bewirkte. Denn es zeigte sich, daß der Prager Erzbischof und wohl auch eine größere Zahl von Universitätsangehörigen, vermutlich besonders Artisten, ernstlich um die Einheit bemüht waren, wie sie in den Privilegien enthalten war. Nach den Statuten sollte fortan kein legens oder tenens cathedram eine andere Fakultät oder einen ihrer Angehörigen beleidigen, während von Nationenkonikten nicht die Rede war. Insgesamt schienen die Juristen von der Position des einen Partners des Dualismus auf den Status einer von vier Fakultäten herabgedrückt; die universitas entsprach im Text
41 H. Weisert, Universität und Heiliggeiststift. In: Ruperto-Carola Heft 64 (1980), S. 55–71 u. Heft 65/66 (1981), S. 72–87. 42 Vetulani (wie Anm. 4) und Anm. 20. 43 Z. B. MVB 3, S. 38f., 353ff., 433f., 452ff. 44 Statuta universitatis Pragensis, Ed. A. Dittrich, A. Spirk, Pragae o. J. (1843) (= MUP III), S. 1ff. CIB II, 3, S. 266ff. Dazu Boháoek, wie Anm. 8.
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jetzt der Gesamtgemeinde des studium, die aus den Nationen bestand. Konsequent wurde dem Themenbereich des gestärkten Rektorats die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Die Wahl des Hauptes sollte jetzt nach einem außerordentlich komplizierten System in drei hintereinander geschachtelten Wahlkörpern sehr rasch, jeweils in Stundenfrist, ablaufen. Der erste Wahlkörper sollte auf den Nationen aufruhen; aber es blieb offen, ob die Nationen in neuer Weise als fakultätenübergreifend gelten sollten und sich damit für Artistenmagister und Juristenscholaren jedesmal die „Machtfrage“ stellte oder ob abwechselnd die Nationen auf der einen und auf der anderen Seite des Dualismus angesprochen waren. Wahrscheinlicher dürfte die dualistische Lösung mit weiterhin abwechselnd aus den beiden Wählerkreisen der Magister und Scholaren gewählten Rektoren sein. Die Wahl des Vizerektors sollte künftig ebenfalls nach einem einheitlichen Verfahren und zwar in gewisser Abhängigkeit vom Willen des Rektors stattnden. Wie immer wieder in der Geschichte versucht, sollte auch hier eine juristisch-institutionell besonders ausgeklügelte Regelung ein elementares soziales und „Macht“problem lösen – und ist daran gescheitert. Gegenüber zwanzig Jahren Wirklichkeit war nicht viel auszurichten. Wir wissen nicht einmal sicher, ob die Statuten in den vier Jahren bis 1372 wirklich konsequent und übergreifend angewandt worden sind. Gewiß ist nur, daß der Versuch fehlgeht, zuerst von diesem Text her, als dem formal am meisten hervortretenden Dokument der älteren Prager Universitätsgeschichte, den ganzen Ablauf der Dinge zu interpretieren. Die Analyse von Boháoek, die eine einheitliche Universität voraussetzt, zeigt, daß formal das Vorbild der Statuten von Bologna (1317/47) eine sehr beachtliche Rolle gespielt hat45; es mußte freilich in die Realitäten eines überwiegend von Artisten-Theologen bestimmten Studiums eingefügt werden. Für unser Thema genügt der Hinweis, daß die sich auf beiden Seiten des Dualismus vermehrenden Einzelnachrichten auf die Stabilität oder Verfestigung eben dieses Zustands hinweisen oder zumindest ohne Schwierigkeiten mit einem bestehenden Dualismus zu vereinbaren sind. So begann z. B. das Dekansbuch der Artisten von 1367 mit dem wohl verräterischen Begriff der decani universitatis [ergänze: artistarum] Pragensis46, und die Juristen nannten diese 45
Vgl. Anm. 8. MUP I, S. 18. Auch wenn diese Worte später nachgetragen worden wären, bieten sie einen Sinn nur in dem hier angesprochenen Zusammenhang und müssen daher auf diesen zurückverweisen. 46
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Jahre rückblickend tempus unionis47, was ebensosehr auf den Vorrang des Partikularen hinweist. Wie es nach dem bisher Gesagten konsequent scheint, kann für die Separation von 1372 keine sehr tief wurzelnde Ursache, eher ein äußerer Anstoß angeführt werden. An den Erzbischof-Kanzler Johann von Wlaschim als Berufungsinstanz war offenbar eine Entscheidung gelangt (und vielleicht revidiert worden), die der Rektor Nikolaus von Kolberg, ein Scholar der Jurisprudenz, in einer Erbsache zugunsten der Juristenfakultät und zuungunsten des Karlskollegs, d. h. zuungunsten der Artisten und Theologen, gefällt hatte. Es ging dabei um das Wohnhaus des verstorbenen Universitätspedells Eckart genannt Sapientia. In nicht ganz klarer Weise war damit ein anderer Vorgang verochten, der zur Ablehnung der neuen Rektorswahl (Modus oder Person?) durch Nikolaus von Kolberg geführt hatte48. Jedenfalls war die entscheidende Frage des Dualismus ein weiteres Mal gestellt, und diesmal gab es keine Überbrückung mehr. Die Juristenscholaren wählten am Georgstag (24. IV.) oder zwei Tage später aus ihren Reihen einen eigenen Rektor bezeichnenderweise hohen Standes, den böhmischen „Grafen“ Johann von Pernstein49. Hierzu gab der Kaiser in nicht überlieferter Form zu einem nicht überlieferten Zeitpunkt, aber kaum wesentlich später, seine Zustimmung50. Vom Papst oder Erzbischof war nicht die Rede. Damit war offenbar, was verborgen von Anfang an vorhanden war: Man begann die Matricula universitatis Pragensis graduatorum rectoris juristarum51, ins Leben trat die universitas juristarum in studio Pragensi (studii Pragensis)52. Mit dieser Bezeichnung war in Konsequenz des oben Gesagten der Tatsache der Separation einer Personengemeinde ebenso Rechnung getragen wie dem Faktum, daß die Privilegien auf ein studium lauteten und daß ein gemeinsames Kanzleramt verblieb: es gab fortan ein studium, aber zwei universitates mit zwei Rektoren. Das war im Europa der Hohen Schulen zumindest in den Augen der Italienkenner nichts Ungewöhnliches, man denke nur an die universitas juristarum citramontanorum und die universitas
47
MUP II, S. 133f. MUP II, S. 28, 58, 85, 119, 252ff. CIB II, 3, S. 281f. Chronicon universitatis Pragensis (wie Anm. 8), S. 567. W. W. Tomek, Základy starého místopisu prahského. I. Praha 1866. S. 144 Nr. 591. Vgl. Nováoek (wie Anm. 40), S. 14. Zum allgem. A. B. Cobban, Medieval student power. In: PP 53 (1971), S. 28–66. 49 MUP II, S. 28, 58, 85, 119. 50 Ebd. S. 28. 51 Ebd. S. 1. 52 Ebd. S. 28, 58, 119 u. ö., vgl. S. 6. 48
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juristarum ultramontanorum und die universitas artistarum in Bologna53. Daß die Zustimmung Karls nicht nur ein Wunschbild war, geht vor allem daraus hervor, daß der Kaiser schon 1373 ein Kollegium auch für Juristen und nur für Juristen stiftete, was vielleicht schon von längerer Hand vorbereitet war und womöglich erst zur Abspaltung ermutigte. Es war ein entscheidender, legitimierender, mittelpunktsbildender und wirtschaftlich absichernder Akt. Das Anwesen in hervorragender Lage in der Altstädter Zeltnergasse hatte der Kaiser um 150 Schock Prager Groschen vom kaiserlichen Kämmerer Peschlin erworben, zuvor war es in der Hand einer der ersten Prager Großbürgerfamilien. Man hielt dort die Vorlesungen ab und konnte Wohnung für mindestens einen Rechtslehrer ohne Prager Pfründenhaus schaffen. Die bemerkenswerten Nachrichten über den Ausbau und die Ausstattung des Juristenkollegs dürften die ältesten einschlägigen Zeugnisse aus der Universitätsgeschichte des nordalpinen Reiches sein54. Die Aufregung über die Separation war verhältnismäßig gering. Nur der oder ein Autor der Prager Universitätschronik, ein Unbekannter aus dem zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, kritisierte aus artistisch-böhmischer Perspektive die Abspaltung, die noch andauere, als Eidbruch55. Wiedervereinigungsbestrebungen sind nicht bezeugt. Von 1372 bis 1419 währt die Reihe der auf ein Jahr gewählten Rektoren der Juristenuniversität, der nach außen hin sichtbarste Beweis ihrer selbständigen Existenz, und ebensolange wurde die neu angelegte Matrikel geführt. Der Rektor der Juristen wurde von acht von den vier Nationen zu gleichen Anteilen gestellten Räten gewählt. Auf der anderen Seite stand fortan eine „Dreifakultätenuniversität“, in welcher die Artistenmagister, aus deren Reihen offenbar bislang die Hauptgegner der Juristen stammten, keinen Widerpart mehr fanden und sich in nicht allzulanger Zeit zur bekannten Radikalisierung fortentwickeln konnten. Im Jahre 1384 kam diese Radikalisierung zum ersten Male zum Ausdruck und mündete schließlich in die Vorgänge um das Kuttenberger Dekret ein (1409). Als wichtigste Rahmenbedingung ist die sehr bewegte Geschichte
53 Vgl. W. Steffen, Die studentische Autonomie im mittelalterlichen Bologna. Geist und Werk der Zeiten 58. Bern 1981. 54 Vgl. Anm. 60 u. W. W. Tomek, Dîjepis mîsta Prahy 2. 2. Au. Praha 1892, S. 155f. Zu Wien A. Camesina v. Sanvittore, Das Haus der Juristenschule in der Schulerstraße in Wien. In: Bll. d. Vereins f. Landeskunde v. Niederösterreich 9 (1875), S. 127–129. 55 Chronicon universitatis Pragensis, S. 567. Im Testament Dr. Adams von Neietic (vgl. Anm. 120) von 1414 wird so formuliert, als ob es vier Fakultäten einer Universität gäbe.
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des Erzbistums jener Jahrzehnte aufzufassen, die mit der Amtszeit Johanns von Jenzenstein (1378–1396) einsetzte56 und sich nicht weniger stürmisch fortsetzte. (Hauptkrisen 1384, 1392/96, 1409/11). Das Fragen nach der inneren Verfassung der Juristenuniversität von 1372 an ist verbunden mit dem Fragen nach ihrem Verhältnis zur Dreifakultätenuniversität, zu den weiterhin zuständigen Autoritäten (Papst, König, Erzbischof-Kanzler), zur umgebenden Stadt und nicht zuletzt zu dem sie tragenden sozialen Milieu. Die dem Umkreis des Verfassungslebens unmittelbar entstammenden Quellen sind nicht gerade zahlreich; recht brauchbare Auskünfte bietet immer wieder die historische Personenforschung, von welcher im nächsten Abschnitt Näheres mitgeteilt wird. Sie empehlt ganz im allgemeinen, die Separation der Juristen nicht zu überschätzen, ebensowenig wie man die Einheitlichkeit der ganzen Universität vor 1372 überschätzen sollte, wie wir sahen. Die Juristenschule reagierte auf die wichtigsten Prager Ereignisse nach 1372 in vieler Hinsicht ganz ähnlich wie die Dreifakultätenuniversität. Vor allem entwickelten sich die Frequenzverhältnisse beider universitates – soweit man sieht – durchaus parallel57. Von der Umkehrung des Stimmenverhältnisses der vier Nationen durch König Wenzel im Jahre 1409 war die Rechtsschule schwerlich betroffen – es ließ sich jedenfalls kein Beleg dafür aufnden; und gleichwohl wanderten in diesem Jahr auch zahlreiche Juristen aus Prag ab58. Die Phase der Agonie im Jahrzehnt bis 1419 galt für beide Universitäten in gleicher Weise. Neben der wachsenden politischen Unsicherheit betrafen das Auf und Ab der Konjunktur, von Seuchen (1380 u. ö.) und Konikten beide Schulen. Nach wie vor gab es einen lebhaften Übergang von Studenten aus der artistischen „Vorschule“ zur Jurisprudenz, den man allerdings normalerweise nur für Bakkalare und Magister nachweisen und daher
56 Frind, S. 101ff. R. Holinka, Církevní politika arcibiskupa Jana z Jenštejna za pontikátu Urbana VI. Bratislava 1933. J. Le Goff, Un étudiant tchèque à l’université de Paris au XIVe siècle. In: RESl 24 (1948), S. 143–170. R. E. Weltsch, Archbishop John of Jenstein (1348–1400). The Hague Paris 1968. 57 F. Kavka, Mist®i-regenti na artistické fakultî prahské university v letech 1367–1420. In: Z oeských dîjin. Sborník prací in memoriam Prof. Dr. Václava Husy. Praha 1966. S. 77–95. F. Šmahel, Prahské universitní studentstvo v p®edrevoluoním období 1399 –1419. Rozpravy osl. Akademie vîd, ®. spol. vîd, r. 77, s. 3. Praha 1967. Schumann, S. 116ff. H. Václav%, Pooet graduovaných a negraduovaných student% na prahské artistické fakultî v letech 1367–1398 a jejích rozdîlení podle p%vodu do univerzitních národ%. In: AUC-HUCP 17, 1 (1977), S. 7–32. 58 Zatschek, S. 108ff. Šmahel, S. 61ff. Schumann, S. 126ff.
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quantitativ nicht leicht beurteilen kann; gewiß ist nur dieses, daß ein artistischer Grad nicht die Voraussetzung für die Immatrikulation im höheren Studiengang bildete. Ungeachtet aller dieser Parallelen wird man die Schritte zur Verselbständigung und zur Durchbildung der Eigenständigkeit der Rechtsuniversität mit dem Kern des Juristenkollegs nicht übersehen. Doktor Wilhelm Horborch59, ein auswärtiger Rechtslehrer hohen Ansehens, bezog darin 1373 Wohnung und womöglich neben und gewiß nach ihm weitere Kollegen, die keine Prager Pfründenhäuser besaßen. Im Jahre 1378 schmückte man die Portale ( picturam ad utrasque portas), beschaffte ein maius sigillum und erbaute 1383 neue Hörsäle (scholae) für den Vortrag des Dekrets und der außerordentlichen Lektionen; wenigstens ein Raum des Gebäudes (commune auditorium) ist nach zeitgenössischem Zeugnis würdig ausgestattet gewesen (cum scamnis, cancellis, hostio et sera)60. Im Jahre 1373 schon hatte man – verständlicherweise eilig arbeitend – die verlorenen, nur fragmentarisch bezeugten Statuten verfaßt und wohl ein Jahr später in Kraft gesetzt61. Was man an Details kennt, zeugt vom zu erwartenden Verharren in den Bahnen der Legitimität und damit von der Nachbildung der Unions-Universität. Dem Rektor elen auch die Aufgaben des Hauptes einer Fakultät zu, ein Vizerektor konnte ihn vertreten. Normalerweise acht und in Sonderfällen (bei der Arbeit an den Statuten) sechzehn Räte aus den vier weiterhin maßgeblichen Nationen standen ihm zur Seite, etwa bei der Abrechnung, und bildeten einmal im Jahr auch den Wahlkörper, der den höchsten Amtsinhaber bestimmte; nur bei der ersten Wahl hatte man anders, offenbar tumultuarisch gehandelt. In Notzeiten wählte man denselben Mann mehrfach wieder. Der Rektor wurde von der Universität in kirchenrechtlich vorgebildeter Form dem Kanzler präsentiert und von diesem approbiert und konrmiert. Die Hauptfrage gegenüber der Juristenuniversität bis zu ihrem Ende ist die Frage nach ihrem Verfassungswandel in jenen fast fünfzig Jahren. Gerade diese Frage ist rein verfassungsgeschichtlich nur schwer zu beantworten. Sie stellt sich weniger vor dem Hintergrund der Entwicklung der Dreifakultäten-Universität zur Magisterhochschule, die etwa die Teilhabe der (ohnedies sehr jungen) Artisten-Scholaren, 59
Vgl. Anm. 136. MUP II, S. 26f. Vgl. CIB II, 3, S. 282. 61 MUP II, S. 25. Zu den etwas jüngeren Wiener juristischen Fakultätsstatuten vgl. Plöchl (wie Anm. 4). 60
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sofern sie je wirklich bestanden hatte, gänzlich zurückdrängte, als daß sie einzuordnen ist in die sich seit der Mitte der achtziger Jahre rasch wandelnden und krisenhaft zuspitzenden politischen und kirchenpolitischen Verhältnisse in Prag und in Böhmen. Derzeit kann man wohl zwei Aspekte hervorheben: 1. Von einer verfassungstechnischen Verfestigung des Lehrkörpers ungefähr wie beim collegium doctorum62 in Bologna ist etliches erkennbar, besonders für die zeremoniöse Darstellung der Universität. Jedoch blieb die Zahl der Doktoren meist sehr klein, und es ist nicht ersichtlich, wie die Kluft zwischen der „Wohngemeinschaft“ der auswärtigen Rechtslehrer im Kollegienhaus und den in den kirchlichen Strukturen der erzbischöichen Metropole verankerten heimischen Doktoren auf die Dauer hätte überbrückt werden können. Wenn sich Papst Innozenz VII. im Jahre 1404 de universitate doctorum iuris canonici studii Pragensis äußerte, sollte man dies nicht unbesehen als Beleg für eine endlich entstandene kompakte und einußreiche Doktorengruppe heranziehen; es wird sich vielmehr um einen Auslassungsfehler (in der Lücke: et scholarium) handeln63. Eine allgemeine Überlegung ist wohl zutreffender. Vermutlich hat – ähnlich wie zwei oder drei Generationen später beim Separationsversuch der Basler Juristen64 – das unwiderstehliche Bedürfnis einer Anlehnung an Bologna, wie man es in Prag verstand, einen nach rückwärts weisenden Legitimationsdruck geschaffen, so daß man sich jedenfalls nicht betont in anderer Richtung verändern wollte, und hat damit zur Beharrung geführt. Letzteres ist ohnehin das normale Verhalten von Universitäten. Als am Ende immer weniger Studenten kamen, fürchtete man wohl erst recht jede Neuerung. 2. Zunächst nur vage erkennbar sind die Adressaten der Juristenschule bei deren Suche nach Orientierung und festem Halt in der politischen und kirchlichen Krise. Bemerkenswert ist immerhin dieses, daß man sich – auch mit Hilfe des Papstes – gegenüber der schwankend gewordenen erzbischöichen Gewalt verselbständigen wollte, und
62 Boháoek, Prameny, S. 70. F. Tadra, P®íspîvky k dîjinám university prahské ve otrnáctém století. In: Vîstník královské oeské spoleonosti nauk 11 (1890), S. 283– 308. Hier S. 293. 63 Acta summorum ponticum res gestas Bohemicas aevi praehussitici et hussitici illustrantia. Ed. J. Eršil. Pars 1. Pragae 1980. S. 29. 64 Kisch (wie Anm. 4), S. 55ff.
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sei es zunächst nur, um das Funktionieren der Universität auch bei Funktionsunfähigkeit des kirchlichen Oberen zu sichern (1397, 1405)65. Angesichts der Führungsrolle der Domkirche bei der Entstehung und gegenüber der ersten Generation der Carolina und angesichts der Zusammensetzung des Lehrkörpers (s. u.) kam dies wahrscheinlich zeitweise einer inneren Zerreißprobe nahe. In dieser Situation suchte man Halt an der Altstadt Prag und am Prager Stift auf dem Wischehrad, das traditionell seine Unabhängigkeit vom Erzbischof betonte. Für solche Orientierungen gibt es gewisse Parallelen in Italien und bei der gleichzeitigen deutschen Stadtuniversität, aber angesichts der Prager Unsicherheiten wird man schwerlich an eine großangelegte Annäherung an die Verhältnisse Bolognas, vielmehr an kurzfristige Aushilfen in der Krise denken. Die Rechtsschule selbst war „machtpolitisch“ hilos, ihr Interesse mußte vor allem das Überleben in einem einigermaßen geschützten Raum sein. Ein solches Haltsuchen wird schwerlich ohne mehrmalige „Kurskorrekturen“ und damit kaum ohne innere Spannungen vor sich gegangen sein und hat auch mit dem Aspekt „Wissenschaft“ wenig zu tun. Dafür ist bezeichnend, daß man sich 1372, im entscheidenden Augenblick, in erster Linie sozial, nicht wissenschaftlich zu „prolieren“ suchte, indem man den Vornehmsten, der gerade greifbar war, zum Rektor wählte, und nicht jemanden, der damals oder später als Jurist hervorgetreten wäre. Auch Anknüpfungsversuche an König Wenzel, der doch die Kirche so schlecht behandelte, deuten sich an. Dabei besteht im allgemeinen kein Zweifel an der antihussischen Gesinnung und an einem „konservativen“ Grundzug der Juristenuniversität. In dieser Hinsicht zumindest blieb man prinzipientreu66. Der Gesamteindruck ist der, daß sich die Position der Juristenuniversität, je mehr Zeit verstrich, nicht verbesserte, ja daß die ihr bald nach dem Augenblick der Sezession gezeigte Huld des alten Kaisers ein Höhepunkt gewesen sein wird, dem nicht mehr viele folgten. Immerhin haben sich, wie im Folgenden noch zu zeigen ist, die meisten Studenten erst in den achtziger Jahren eingestellt. Dieses Jahrzehnt war auch im Hinblick auf den Umfang des Lehrpersonals das beste. Die Prager Angelegenheiten
65 CIB II, 3, S. 283, 286ff. Chaloupecký, S. 61. Boháoek, Zalohení, S. 31. Vgl. Uiblein, Landesfürsten (wie Anm. 21), S. 392, 398, 408. 66 Vgl. die personengeschichtliche Erörterung im III. Abschnitt.
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sind das einzige Gebiet auswärtiger Beziehungen, auf welchem man die beiden Rektoren nebeneinander und einträchtig handeln sehen kann (1374). Das Verhältnis zur gastgebenden Stadt war ein Problem, das zur gleichen Zeit auch in Wien und später anderswo vielfach Sorgen bereitete. Somit blieb in Prag ein gemeinsames Interesse beider Universitäten in gewisser Hinsicht erhalten67. Die königliche Kanzlei verhielt sich in den wenigen erhalten gebliebenen einschlägigen Urkunden formalistisch, ebenso wie der Papst, so daß es am Ende in den meisten konkreten Einzeltexten offen bleibt, ob man beide Universitäten weiterhin als ein studium zusammenfaßte oder sich nur an die Dreifakultäten-Universität wandte; die päpstliche Gnade zumindest blieb den Juristen bis zur Konzilszeit hin erhalten68.
III Weil angesichts der gegebenen Quellenlage eine verfassungstechnische Analyse nur einen kleineren Teil des Schicksals der Prager Juristenuniversität aufzuklären und zu erklären vermag, ist im Folgenden von der Möglichkeit der historischen Personenforschung die Rede. Diese wird hier freilich gleichsam nur auf den Weg gebracht und kann schon angesichts des beschränkten Raumes bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Denn ganz am Ende ist es vorstellbar, in einer Monographie alle mit der Juristenuniversität verbundenen Personen aufzuarbeiten und zu konfrontieren mit der Frage nach dem Heranwachsen des gelehrten Rechts im Reich besonders in den beiden Generationen vor und nach 1400. Mindestens quantitativ geurteilt stünde die Prager Juristenuniversität in der Mitte dieses großen Themas. An dieser Stelle muß es genügen, kursorisch von den Rektoren und etwas genauer von den Rechtslehrern zu handeln und zuletzt das Verhältnis zum Königshof wenigstens anzusprechen. Auch schon auf diese Weise
67 Tomek, Dîje 1 (wie Anm. 3), S. 82. Vielleicht Anfänge schon MUP II, S. 248ff. (1367). Zu Wien Uiblein, Landesfürsten (wie Anm. 21), S. 386, 391. Zum allgem. H. Koller, Universität und Stadt im Spätmittelalter. In: Stadt und Universität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Hg. E. Maschke, J. Sydow. Stadt in der Geschichte 3. 1977, S. 9 –26. 68 MUP II, S. 271ff., 276ff., 325ff., 334ff., 346ff., 352ff., 370ff., 413ff. III, S. 68ff., 72f., CIB II, 3, S. 257, 282. Chronicon universitatis Pragensis, S. 576. Denie, S. 599. Le Goff, S. 167f.
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dürfte man zu einer differenzierteren und aspektreicheren Sicht des Themas gelangen. Am Anfang ist es zweckmäßig, sich eine quantitative Vorstellung vom Ganzen zu verschaffen, zumal dies mit Hilfe der Matrikel mit ganz unzeitgemäßer Exaktheit möglich ist. Es gab von 1372 bis 1418 insgesamt 3.563 Immatrikulationen. Davon entelen auf die böhmische Nation 19,1 Prozent, auf die bayerische 19,3 Prozent, auf die polnische, d. h. eigentlich schlesische Nation 26,1 Prozent und auf die sächsische Nation 35,5 Prozent. Dieses Verhältnis blieb bis 1408 im großen und ganzen konstant. Es verdient höchstens dieses Erwähnung, daß sich die drei übrigen Nationen auf Kosten der bayerischen vermehrten, auf die sich von den achtziger Jahren an die Erneuerung der Rudolna und die rheinischen Neugründungen am deutlichsten auswirkten. Am wenigsten nahm die böhmische Nation zu, da ihr Reservoir am meisten ausgeschöpft war: nur auf 20,9 Prozent im Jahrzehnt von 1399 bis 1408; sie war diejenige, die den geringsten Schwankungen unterlag69. Von den Immatrikulationen her läßt sich die Geschichte der Juristenuniversität recht deutlich in drei Phasen teilen. Eine erste Phase von 1372 bis 1389 verzeichnete durchschnittlich 125 Immatrikulationen jährlich. Innerhalb dieses Zeitraumes brachte nur das Pestjahr 1380 einen Tiefpunkt mit sich, die Hochblüte währte von 1381 bis 1389 mit durchschnittlich 150 Immatrikulationen jährlich. Es folgte eine zweite Phase von 1390 bis 1408 mit nur noch 58 Immatrikulationen im Durchschnitt pro Jahr, und schließlich kam die Phase der Agonie von 1409 bis 1418 mit nur noch 11 Immatrikulationen im jährlichen Durchschnitt bei fallender Tendenz. Den Einschnitt brachte hier das Kuttenberger Dekret mit sich; seitdem trafen in zehn Jahren insgesamt weniger Scholaren ein als in einem einzigen Durchschnittsjahr der ersten Phase. Sicherlich gab es dem Ende zu keinen normalen Lehrbetrieb mehr. Die einzige wirklich brauchbare Zahlenreihe aus dem Bereich der Prager Artisten, diejenige der Bakkalarspromotionen, folgt bis in die Einzelheiten recht genau dem Verhalten der Juristen70. Auch in der Größenordnung standen sich beide Zahlenreihen nahe: Es gab wenigstens
69 Zahlen nach Zelený-Kadlec (wie Anm. 2), S. 66. Leicht abweichend bei Boháoek, Einüsse (wie Anm. 2), S. 27. Prinzipiell: R. C. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im späten Mittelalter. Methoden und Probleme ihrer Erforschung. In: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im alten Reich. Hg. H. Weber. 1980, S. 37–51. 70 MUP I, passim. Vgl. Anm. 57.
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von 1375 an ungefähr ebensoviele Bakkalarspromotionen der Artisten wie Juristenimmatrikulationen. Der Vergleich mit anderen Universitäten zeigt in sehr bemerkenswerter Weise das große quantitative Gewicht der Juristenausbildung an der Carolina: An der altberühmten deutschen Nation in Bologna verzeichnete man im Durchschnitt der Jahre 1351 bis 1400 jährlich nicht einmal zehn Immatrikulationen, so daß selbst dann, wenn man die Zahl der in die Nationsmatrikel nicht eingetragenen Scholaren sicherheitshalber für ebenso groß hält, ein sehr deutlicher Abstand bestehen bleibt. In den Jahren 1377 bis 1380/81 kann man für Wien aus der allgemeinen Matrikel durchschnittlich etwas mehr als dreißig juristische Immatrikulationen jährlich ermitteln, auch die ungedruckte Wiener Juristenmatrikel weist von 1402, ihrem Anfangsdatum, bis 1419 im jährlichen Durchschnitt knapp dreißig Immatrikulationen auf. Für die Rupertina in Heidelberg hat man die Zahl der Juristenimmatrikulationen in der Zeit von 1386 bis 1540 auf etwa 13 bis 15 jährlich geschätzt71. Es lohnt sich also, auch ohne genaueres Wissen von den Juristen in Padua, Pavia, Paris, Köln, Erfurt, Würzburg und Leipzig und bei aller Unsicherheit des qualitativen Moments von Prag zu sprechen, wenn man die Verwissenschaftlichung des deutschen Rechtslebens oder auch nur das Problem schriftlicher Verwaltung vor Augen hat. Vermutlich hat der weitaus größere Teil aller in diesem Zusammenhang bis 1419 greifbaren Personen die Carolina besucht. Der innere Dualismus der Prager Juristenuniversität kommt darin zum Ausdruck, daß als Petenten beim Stiftungsvorgang des Kollegienhauses (1373) angegeben wurden der Rektor, nach dem Brauch Bolognas ein Scholar, freilich ein gut bepfründeter, und der angesehenste nichtböhmische Rechtslehrer dieser Jahre, der Kanonist Wilhelm Horborch72. Wir befassen uns zunächst mit den Rektoren. Ihre Reihe läßt sich von 1372 bis 1419 lückenlos aufstellen. Das entscheidende Beweisstück dafür, daß es sich bei der Prager Juristenuniversität um eine Institution nach dem Modell Bolognas handelte, wie dieses auch immer verstanden
71 Acta nationis germanicae universitatis Bononiensis. Ed. E. Friedländer, C. Malagola. 1887, S. 120 –157. Die Matrikel der Universität Wien 1. 1377–1450. 1954–56. S. 4–8. Matricula facultatis juristarum studii Wiennensis. Universitätsarchiv Wien, Sign. J. 1. fols. 2–15. Dickel (wie Anm. 4), S. 174. 72 Die Bakkalarspromotionen geschahen mit dreifacher Autorität (Erzbischof-Kanzler, Rektor, Doktor). Vgl. den Text bei Boháoek, Prameny, S. 63.
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und abgewandelt worden sein mag, besteht darin, daß sich die Gruppe der Rektoren in keinem einzigen Fall mit der Gruppe der Rechtslehrer zur Deckung bringen läßt73. Allerdings zählten, wohl auch unter Pariser Einuß, Bakkalare einerseits noch als Studenten und konnten Rektoren werden; andererseits wurden sie auch ausdrücklich als Lehrer bezeichnet, freilich im Rahmen ihrer Ausbildung und kaum jemals anders als extraordinarie legens. Scholaren-Rektoren oder auch ScholarenDekane hat es auch anderswo im Reich gegeben, jedoch nirgends mit solcher Dauer und Konsequenz wie in der Prager Rechtsschule. Als die Basler Juristen um 1462 auf die Dauer einen Scholaren als Haupt für ihre Fakultät oder gar für eine eigene Universität wollten, sind sie gescheitert74. Es gab von 1372 an 47 Rektoratsjahre, die von 37 Personen wahrgenommen wurden. Zwei Personen waren zweimal Rektor, eine Person viermal und eine Person gar sechsmal. Auf die Nationszugehörigkeit wurde insofern keine Rücksicht genommen, als es keinen Turnus gab. Vielmehr wurde die böhmische Nation klar bevorzugt, obwohl sie zahlenmäßig, wie wir sahen, die kleinste war. Alle Scholaren mit mehr als einem Rektorat gehörten der böhmischen Nation an, auf sie entel insgesamt die Hälfte aller Rektorate und zwar vor allem infolge der Kumulationen. Gleichstark, mit je einem Fünftel, waren danach die sächsische und die polnische Nation unter den Rektoren vertreten, am schwächsten, mit weniger als einem Zehntel, die bayerische Nation. Es ging also nicht um Proportionen, sondern um die Situation des unmittelbaren Umfeldes. Der letzte Rektor aus der bayerischen Nation amtierte 1394, der letzte „sächsische“ 1406, nachdem freilich drei seiner Nation aufeinander gefolgt waren; dann gab es nur noch „polnische“ (zuletzt 1416) und böhmische Rektoren, ungefähr parallel zur Entwicklung in der Magisteruniversität. Beinahe noch wichtiger als die räumliche Herkunft war der Stand des Rektors. Adelige Abkunft oder ein hohes Kirchenamt oder wenn möglich beide Eigenschaften waren der erwünschte Fall74a. Die ständisch ansehnlichsten Rektoren waren zwei Hohenlohe und ein „Graf “ von
73 Gelegentliche entgegenstehende Behauptungen in der Literatur beruhen auf einem Irrtum. 74 Kisch (wie Anm. 4), S. 55ff. 74a Eine „Skandalgeschichte“, die solches voraussetzt, im Protocollum visitationis archidiaconatus Pragensis annis 1379 –1382 per Paulum de Janowicz archidiaconum Pragensen factae. Ed. I. Hlaváoek, Z. Hledíková. Pragae 1973, S. 71.
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Pernstein gleich als erster Rektor; der eine Hohenlohe, Georg, sollte später Bischof von Passau und Hofkanzler König Sigismunds werden75. Als recht gut bekannter Fall sei genannt Berthold von Wehingen aus einer ursprünglich schwäbischen Adelsfamilie, die im erfolgreichen Dienst an den Habsburgern spätestens seit 1353 in Klosterneuburg saß76. Berthold, Passauer Domherr und Inhaber einer der reichen niederösterreichischen landesfürstlichen Pfarreien, war 1374/75 Rektor der Juristenuniversität, nachdem er in Wien als erster oder einer der ersten den Grad des Magister artium erworben und sich 1373 in die Prager Rechtsmatrikel eingetragen hatte. Er wurde dann 1377 Propst von St. Stephan in Wien und damit Kanzler der Rudolna und schließlich Bischof von Freising und herzoglicher Kanzler (†1410). Von ähnlicher Bedeutung war Johann von Brunn aus Elsässer Adel (Rektor 1394), später Bischof von Würzburg (1411–40) und vor allem Verwandter Lamprechts von Brunn, Bischofs von Bamberg (1377–99), der einer der führenden Räte des alten Kaisers und Kanzler König Wenzels gewesen war77. Nahezu der Mindestrang für das Rektorat war ein Domkanonikat (Prag, Bamberg, Breslau, Würzburg, Olmütz, Plock, Roskilde, Lund usw.) oder die Propstei oder das Dekanat eines Kollegiatstiftes (Heiligkreuz in Breslau, St. Stephan in Bamberg, Wischehrad und St. Apollinaris in Prag u. a.), seltener ein einfaches Stiftskanonikat oder eine (vermutlich wohlhabende) Pfarrei. Es besteht Grund zur Annahme, daß die repräsentativen Aufgaben des Rektorats weithin aus dem Privatvermögen bestritten werden mußten. Am bemerkenswertesten ist sicherlich das sechsfache Rektorat des Nikolaus Geuner78 zwischen 1381 und 1403/4 (erst 1379 immatrikuliert), der erstmals im Krisenjahr 1384 wiedergewählt worden war. Nikolaus gehörte einem der reichsten Großbürgergeschlechter der Prager Altstadt an, das schon unter König Johann im Münzmeisteramt Dienst getan hatte und im Patriziat weithin verschwägert war. Vater und Bruder waren Ratsherren der Altstadt. Nikolaus hatte die Immatrikulationsgebühr eines Adeligen gezahlt und
75
MUP II, S. 28, 58, 85, 119. Zu Pernstein: Ott%v Slovník. Bd. 19 (1902), S. 507ff. T®íška, S. 289. – E. Forstreiter, Die deutsche Reichskanzlei und deren Nebenkanzleien Kaiser Sigmund’s von Luxemburg. Masch. Diss. Wien 1924, S. 4ff., 73ff. T®íška, S. 118. 76 MUP II, S. 30, 60, 87, 121. A. A. Strnad, Kanzler und Kirchenfürst. In: Jb. d. Stiftes Klosterneuburg NF 3 (1963), S. 79 –107. 77 MUP II, S. 45, 78, 105, 133, 146. A. Wendehorst, Das Bistum Würzburg 2. Die Bischofsreihe von 1254 bis 1455. GS NF 4. 1969. S. 142ff. 78 MUP II, S. 200 (Register). W. W. Tomek, Dîjepis mîsta Prahy 1. 2. Au. Praha 1892, S. 320f. 2 Praha 1892, S. 542. Boháoek, Prameny, S. 54ff. T®íška, S. 392.
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verankerte die Universität in einem Milieu, das ihr sonst eher skeptisch gegenüberstand. Geuner hat eine bemerkenswerte Pfründenkarriere mit dem Endpunkt des Dekanats in Wischehrad zurückgelegt († wohl 1407). Wichtig auch als „Zielgruppe“ bei den Rektorwahlen war das Prager Domkapitel. Mit dem Hof hatte man auf diesem Wege hingegen wenig Berührung. Im ganzen entsprach das soziale, nicht das regionale Verhalten bei der Prager Rektorwahl ziemlich genau dem Brauch bei der Bestellung der Prokuratoren der deutschen Nation in Bologna. Die Dreifakultätenuniversität entbehrte dieses Mittels und mußte andere Wege der sozialen Selbstbehauptung suchen. Im ganzen kann man zwei Typen von Juristen-Rektoren unterscheiden, nachdem die Erhöhung und Verfestigung der Immatrikulationsgebühren (ca. 1378) einen sicheren Maßstab bietet. Es waren dies erstens diejenigen Amtsinhaber, die als Adelige oder Adelsgleiche mehr als die einfache Taxe gezahlt hatten und sehr oft schon bald nach ihrer Einschreibung das höchste Amt innehatten, und zweitens die sich „hochdienenden“ Normalzahler, bei welchen gewöhnlich vier, sechs oder mehr Jahre zwischen Immatrikulation und Rektorat lagen; immerhin waren es noch häug genug Kanoniker. Zwischen beiden Typen gab es im ganzen gesehen ein recht exaktes Gleichgewicht, chronologisch betrachtet jedoch läßt sich ganz klar ein sozialer Abstieg des Rektorats feststellen. Unter den zehn Amtsinhabern der achtziger Jahre waren nur zwei Personen vom zweiten Typus, in den letzten zehn Jahren der Universität hingegen sieben. Jedoch gab es unter den letzten fünf Rektoren immerhin noch vier Prager Domherren, und der fünfte, bescheidenste, war ein Kanoniker des großen Stifts auf dem Wischehrad. Ohne Zweifel stellte die Gruppe der Rektoren eine soziale Auslese im Kreis der Scholaren dar; jedoch ist auch insgesamt – im groben Überblick – der ständische Rang der Prager Juristen sehr deutlich über dem der anderen Fakultäten anzusetzen, wenn auch wohl unterhalb des Milieus der Deutschen in Bologna oder Padua. Überschlägig zählt man unter den Prager Scholaren der Rechte gegen 250 Personen, die mindestens Kanoniker waren, und beinahe 200 Pfarrer oder ähnliche Amtsinhaber. So wird man auch mit dem Begriff „Student“ bei unserem Thema sehr zurückhaltend umgehen und wird den Unterschied zwischen solchen, die gewohnt waren zu führen, und dem eher schülerhaften Treiben bei den erheblich jüngeren Artisten hervorheben. Den Begüterten standen wie üblich pauperes gegenüber, die ungefähr
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ein Fünftel der Gesamtzahl ausmachten. Jedoch hat nur ein einziger pauper einen akademischen Grad erreicht79. Unabhängig davon, wie das sozialgeschichtliche Interesse der Gegenwart zuordnet, fühlten sich die Prager domini canonistae80 in die beiden Gruppen der nobiles und der simplices oder auch studentes gegliedert81. Die simplices umfaßten auch die pauperes. Bei einer solchen Unterscheidung war der Universität nur eines wirklich wichtig: die Zahl der nobiles; die simplices bildeten den statistischen Hintergrund. Es war eine Haltung, die die Quantitäten nicht im geringsten berücksichtigte. Denn eine überschlägige Auszählung der Immatrikulierten in Fünfjahresabständen von der Zäsur der stabilisierten Gebührenordnung an (1380, 1385, 1390 usw. bis 1415)82 zeigt insgesamt die Scholaren mit Normalgebühr (ca. 70 Prozent) zusammen mit den pauperes (23 Prozent) in erdrückender Überzahl gegenüber den nobiles, die in den Stichproben durchschnittlich gerade 7 Prozent ausmachten. Die böhmische und vor allem die polnische Nation waren dabei „adeliger“ (8 bzw. 10 Prozent) als die sächsische und die bayerische (5 bzw. 4 Prozent). Im Ablauf der Jahre sank der Anteil des Adels stark ab: Was 1380 mit 12 Prozent begonnen hatte, war 1405 und 1410 auf den Nullpunkt gelangt. Die Bevorzugung der nobiles ist bemerkenswertes Indiz für den noch immer (zu Unrecht) angezweifelten Tatbestand, daß die sozialen Regeln der Umwelt auch die mittelalterliche Universität bestimmten und daß diese auch intern nach diesen Regeln verfuhr. Denn die nobiles saßen im Prager Hörsaal in einer besonderen Bank83, vermutlich weiter vorn oder höher als die simplices. Beachtenswert ist allerdings auch dieses, daß ausdrücklich davon gesprochen wurde, man könne universitätsintern
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Šmahel, S. 89. MUP II, S. 6. 81 Ebd. S. 98, 138, 163. Benesch von Weitmühl (FontrerBohem IV, S. 518) hebt ausdrücklich als besonderen Ruhmestitel der Carolina den Besuch durch lii nobilium et principum hervor. Zum Adelsproblem: R. A. Müller, Universität und Adel. Ludovico Maximilianea Forsch. 7. 1974. J. Verger, Noblesse et savoir. Etudiants nobles aux universités d’Avignon, Cahors, Montpellier et Toulouse (n du XIVe siècle). In: La noblesse au moyen âge, XIe–XVe siècles. Essais à la mémoire de Robert Boutruche, réunis par Ph. Contamine. Paris 1976, S. 289 –313. H. de Ridder-Symoens, Adel en Universiteiten in de zestiende eeuw. In: TG 93 (1980), S. 410 –432. 82 Diese Zählung greift einer späteren genaueren sozialgeschichtlichen Untersuchung nicht vor, die diese älteste zahlenmäßig genau bekannte Scholarengruppe aus der Bildungsgeschichte des Reiches verdient. 83 MUP II, S. 163. 80
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„adelig“ werden durch die Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen den beiden Statussummen84 (14 Groschen und 24 Groschen, stabilisiert nach starker Erhöhung 1378; zuvor 2, 3, 4 bzw. 7 oder 8 Groschen). Wollte man sich der zweifellos deutlichen Prestige- und praktischen Vorteile des höheren Scholarenrangs bemächtigen, so wird sich freilich unzweifelhaft die höhere Zahlung bei allen sonstigen Studiengebühren fortgesetzt haben. Zu erwähnen ist schließlich noch die hier nicht näher behandelte kleine Gruppe derjenigen, die infolge einer Empfehlung nichts bezahlen mußten und wahrscheinlich gleichwohl bevorzugt behandelt wurden; es sind Zeugen des Netzes sozialer Beziehungen aus Patronat und Klientel, das auch an der Universität wesentlich war, hier aber nicht näher erörtert werden soll85. Im ganzen begegnet man in allen diesen Zusammenhängen einem keineswegs streng abgeschlossenen oder in sich ruhenden Gebilde, sondern eher den Phänomenen der Zuordnung und Abhängigkeit. Daraus scheinen sich zwei allgemeinere Folgerungen zu ergeben: 1. Die hier beobachteten Tatbestände zeugen nicht eigentlich von einer betonten, zuletzt gar nationalen oder wie auch immer gerichteten Stellungnahme der Universität als eigenständiger, andere formender Faktor, wie man vor dem Hintergrund der klassischen Universität86 leicht urteilen könnte, sondern eher vom Streben nach Anpassung. 2. Existenz, Legitimität und Rang der Universität bemaßen sich unabhängig von den Studieninhalten87 auch und vielleicht vor allem nach ihrer sozialen Orientierung an der Außenwelt und ihrer Anerkennung durch diese. So bot die Zusammensetzung der exklusiven deutschen Nation in Bologna ohne Zweifel ein Vorbild, dem man auf jeden Fall, beinahe um jeden Preis, nachstreben mußte; und so ist der Untergang der Juristenuniversität zuletzt am besten zu parallelisieren mit dem Exil des Prager Domkapitels (1420), als für beide die alte Welt unterging.
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Ebd. Vorerst vgl. G. F. Lytle, Patronage patterns and Oxford college c. 1300 –c. 1530. In: The University in history 1. Ed. L. Stone, Princeton NJ 1974. S. 111–148. 86 Zu diesem Begriff P. Moraw, Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte. In: Academia Gissensis. Hg. P. Moraw, V. Press. VHKH 45. 1982. S. 1–43. 87 Ein bemerkenswertes Zeugnis zur „Hochstilisierung“ der Prager Kanonistik in hac sacra iuris canonici sciencia, que est ars artium et regimen animarum, zit. bei Boháoek, Prameny, S. 72. 85
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Der Frage nach den Prager Lehrern der Jurisprudenz zwischen 1348 und 141788 sei größere Aufmerksamkeit gewidmet, auch deshalb, weil es sich um einen wesentlichen Teil des Lehrkörpers der ältesten Universität im nordalpinen Reich handelt. Infolge der ungleichmäßigen Überlieferung und wegen der am Anfang der Universitätsgeschichte wohl im Fluß bendlichen Organisation sollte man genaue Auswahlkriterien angeben. Man wird mit der Fixierung einer Zeitgrenze zwischen einem Frühstadium, das sich noch nicht an strenge Regeln halten konnte, und der vollausgebildeten Universität beginnen: der Einschnitt liegt etwa bei 1370. Danach folgt die Feststellung einer quantitativen Ober- und Untergrenze des Lehrkörpers. Die Obergrenze ist erkennbar erst von etwa 1370 an, als offensichtlich alle Doktoren und Lizentiaten, die etwas mit der Juristenuniversität zu tun hatten, in die Matrikel von 1372 (geringfügig rückblickend) aufgenommen wurden; es waren insgesamt 47 oder 48 Personen89. Über die Zeit vor etwa 1370 kann man für diese Obergrenze keine Angaben machen. Die Untergrenze des Lehrkörpers bildete vor und nach 1370 die Zahl der ausdrücklich als lehrend bezeugten Personen, und zwar seit 1370 oberhalb des Ranges eines juristischen Bakkalars; denn diese hielten an einer normal funktionierenden Universität Lehrveranstaltungen im Rahmen der Ausbildung ab und sollten der Klarheit halber von den höher qualizierten eigentlichen Rechtslehrern unterschieden werden. Die Bakkalare kann man rückgreifend bis 1361 verfolgen, als man offenbar im Anschluß an die oben behandelten ordinationes eine später in die Matrikel aufgenommene und innerhalb dieser erhaltene Liste anlegte. Im letztgenannten Jahr begann man wohl überhaupt erst mit der Promotion von Bakkalaren, da der erste angeführte, ein magister (artium) Theodor, ausdrücklich als primus bezeichnet wurde. Insgesamt waren es 23590. Im folgenden ist von den Rechtslehrern höheren Ranges die Rede. Zu einer ersten Teilgruppe aus denjenigen Doktoren und Lizentiaten, die als ordentliche Lehrer bezeugt sind, d. h. die zyklischen Hauptvor-
88 Die von Zelený-Kadlec (vgl. Anm. 2) gebotene sehr verdienstliche Liste folgt nicht streng gleichartigen Kriterien, sie ist einesteils etwas zu knapp und andernteils zu ausführlich. Die nach unseren im folgenden genannten Kriterien herangezogenen Personen sind im Text namentlich erwähnt. Wie bei vielen personengeschichtlichen Erörterungen kann nur der Teil der dem Autor bekannt gewordenen Belege beigegeben werden, der für den Gedankengang wichtig erscheint. 89 MUP II, S. 1–8. 90 Ebd. S. 9 –24. Vgl. Zelený-Kadlec, S. 66.
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lesungen an den günstigsten Stunden des Tages abhielten, gehören acht Personen. Zu einer zweiten Teilgruppe gleichen akademischen Ranges, bei welcher Lehrtätigkeit, jedoch ohne den Zusatz ordinarie, gesichert ist, zählen zehn Namen. Vier Personen erwarben in Prag den Doktor- oder Lizentiatentitel und lassen sich kurze Zeit danach lehrend an anderen Universitäten aufnden; diese Tatsache läßt recht zuverlässig auch auf ihre Prager Lehrtätigkeit nach der Promotion schließen. Drei weitere Rechtslehrer der Prager Frühzeit, als noch nicht genügend graduierte Juristen zur Verfügung standen, führten weder den Doktor- noch den Lizentiatentitel, sondern waren magistri artium und einmal Bakkalar des Kirchenrechts; sie haben aber eindeutig ordinarie oder actu Kanonistik gelesen. Sie sind daher zum Lehrkörper im hier abgegrenzten Sinne hinzuzurechnen, der damit zumindest aus 25 Personen bestand. Etwa ebensoviele weitere Personen kommen von etwa 1370 an aufgrund ihrer in Prag erworbenen oder rezipierten Doktor- oder Lizentiatenwürde als Lehrende der Juristenuniversität in Frage, ohne daß man dies nachweisen oder ausschließen kann. Sie sind im folgenden nicht berücksichtigt, weil der Verzicht aus methodischen Gründen auch dann bevorzugt werden muß, wenn damit der Kreis der Lehrenden sicherlich zu eng gezogen wird91. Zwei Personen schließlich haben in dieser Periode das Recht gelehrt, ohne daß die Quellen überhaupt irgendeine Graduierung bezeugen92. Möglicherweise gehörten auch sie zur Gruppe der „hauptamtlichen“ Lehrer; da der Beweis dafür jedoch nicht mit voller Sicherheit zu erbringen ist, werden sie ausgeschlossen. Näher ins Auge gefaßt sei nun der engste Kreis von 25 Personen. Unter ihnen befanden sich drei Italiener, darunter die beiden einzigen Prager Doktoren beider Rechte, die mit Gewißheit gelehrt haben; der dritte war Doktor des Kirchenrechts. Die Gruppe der verbleibenden 22 Personen stammte ungefähr zur Hälfte aus der ost-luxemburgischen Hausmacht (Böhmen, Mähren, Schlesien) und aus dem übrigen Reichsgebiet, zumal vom Mittel- und Niederrhein und aus Mittel- und Norddeutschland (12:10 Personen). Es ergibt sich damit eine gewisse Parallele zu den Rektoren: Wieder war das heimische Element insbesondere aus dem Bistum Prag bei weitem überrepräsentiert, wenn man mit den Scholaren vergleicht; und auch noch war es überrepräsentiert 91 Wie Anm. 89. Dazu gehören bekannte Namen, etwa derjenige von Johannes Nepomuk. Ausgeschlossen sind auch Adam von Neietic und Friedrich Schavart (s. Anm. 120 und 142), die beide letztlich kaum entscheidbare Grenzfälle darstellen. 92 Zelený-Kadlec, S. 89f.
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gegenüber den Bakkalaren, bei denen sich unter den vorerst als sicher oder wahrscheinlich lehrend nachweisbaren Personen kein Böhme, Mährer oder Schlesier befand93. Bis zum Beginn der Juristenuniversität im Jahre 1372 ist nicht mehr als der lückenhafte Nachweis zweier Lehrstühle nebeneinander möglich, die den Dekretalen und dem Dekret gewidmet waren; diese dürften schon um 1350 bestanden haben. Denn nach dem Bericht des Franz von Prag, den man gegen 1353 datieren kann, begann das ganze Studium mit fünf Theologen, zwei Juristen, einem Mediziner und einer Anzahl von Artisten als Lehrpersonen94. Der erste Dekretist trug auch den Liber sextus vor. Ein Ordinarius für diesen Liber und die Clementinen ist wohl recht zufällig erst spät (1382) belegt, sofern man nicht einen noch unzureichend graduierten Gewährsmann aus der Frühzeit (1363) mit heranzieht95. In der Blütezeit der Juristenuniversität in den siebziger und achtziger Jahren könnte ungefähr ein halbes Dutzend Doktoren und Lizentiaten nebeneinander gelehrt haben. Danach schrumpfte diese Zahl wieder kräftig zusammen, dem Endstadium zu wohl wieder auf drei oder zwei Lehrstühle oder gar nur einen. Zum Vergleich kann man anführen, daß die Anfänge der Wiener Jurisprudenz im 14. Jahrhundert als dürftig gelten und daß in Heidelberg nach den allerersten tastenden Jahren drei kanonistische Lehrstühle bestanden, in Köln freilich wohl erheblich mehr96. Die Vorphase der Juristenuniversität wurde, soweit man sieht, fast allein von Italienern und Einheimischen bestritten; die große Zeit der Auswärtigen waren die Blütejahre nach 1372; zuletzt ndet sich wieder ein klares Übergewicht der Böhmen vor. Man braucht kaum mehr festzustellen, daß es sich praktisch um ein rein kanonistisches Programm gehandelt hat, ungeachtet der Italiener und des gelegentlichen Auftretens des legistischen Bakkalariats bei Rechtslehrern und Rechtshörern. Die erste und einzige Verleihung eines Doktorats utriusque iuris in Prag (1402) ist eher als gesellschaftlich-politisches denn als wissenschaftliches Ereignis anzusehen97. Im ganzen hat sich die Legistik erst im 15. Jahrhundert
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Ebd. S. 80, 89f., 99f., 104. FontrerBohem IV, S. 452. 95 Vgl. Anm. 111 und 134. 96 Vgl. Anm. 4 (Bohne, Plöchl, Dickel), Uiblein (wie Anm. 21), Burmeister, S. 73ff. und Zelený-Kadlec, S. 66. Die ungedruckte Wiener Juristen-Matrikel setzt 1402 ein (vgl. Anm. 71). 97 Vgl. Anm. 152. 94
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an den Universitäten durchgesetzt – manchmal, wie in Heidelberg, auf merkwürdigen Umwegen98. Wichtig ist nun vor allem die Frage nach der beruflich-sozialregionalen Einordnung der Rechtslehrer. Die Italiener wurden, wie der Chronist andeutet, wohl vom König bezahlt. Sämtlich oder zum größten Teil waren es Laien. Die übrigen Juristen waren Kleriker, offenbar bestenfalls mit der Ausnahme Johanns von Weilburg (s. u.). Obwohl es die Quellen nicht leicht gestatten, den Eintritt in kirchliche und akademische Würden und Ämter so genau zu datieren, daß man auf Kausalbeziehungen in der einen oder anderen Richtung schließen könnte, stellt sich dieses in der Universitätsgeschichte bisher kaum beachtete Wechselverhältnis als ein besonders aufschlußreiches Moment heraus, um heute die Individualität der Prager Rechtsschule zu charakterisieren und um morgen das Problem der „Entstehung des deutschen Professors“ aufzugreifen. Für beide Gesichtspunkte genügen zu den italienischen Rechtslehrern wenige Sätze. Bei kritischer Analyse der Quellen behält einerseits die Tatsache Geltung, daß diese Vertreter des Mutterlands des Rechts zum höheren Ruhm der nordalpinen Universitäten ansehnlich beitrugen; aber ihre praktische Wirksamkeit zumal als Geburtshelfer der Legistik sollte wohl schon im Hinblick auf ihre Dauer skeptischer als bisher beurteilt werden. Bonsignore de Bonsignori99, Doktor des Kirchenrechts aus Bologna, las (1350 bis wohl 1354) noch am längsten in Prag (Dekretalen). Die Tätigkeit Ludwigs de Sancto Laurentio von Padua100, eines Doktors beider Rechte aus Padua, ist nur punktuell für 1365 bezeugt. Bei Ubertus de Lampugnano101 mit dem gleichen akademischen Rang (aus Bologna), nachgewiesen in Prag 1380 und 1385 oder weniger wahrscheinlich 1380 bis 1385, handelte es sich wohl um die „Nebentätigkeit“ eines Diplomaten, des Gesandten Giangaleazzo Viscontis von Florenz. Eine zeitliche Kontinuität italienischer Lehre bestand nicht, vielmehr
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Moraw, wie Anm. 4. G. Novak, Gli Italiani a Praga e in Boemia nel medio evo. In: Rivista d’Italia 14, 2 (1911), S. 525–548. G. Pozzi, Postille autografe di Bonsignore de Bonsignori canonista a Praga. In: IMU 1 (1958), S. 347–350. J. Kej®, Joannis Andreae ‚Hieronymianum opus‘ a jeho ohlas v oeských zemích. In: SoR 12 (1973), S. 71–88. Ders., Po stopach prvního profesora práv na prahské universitî. In: SoR 16 (1977), S. 3–12. Zelený-Kadlec, S. 61, 70f. T®íška, S. 55. Ob ein Zusammenhang mit dem bekannten Sieneser Bankhaus besteht, das 1302 faillierte? 100 Zelený-Kadlec, S. 72f. T®íška, S. 346. 101 Zelený-Kadlec, S. 93–95. T®íška, S. 513f. 99
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besaß diese unterschiedliche Funktionen: zunächst als unentbehrlicher Ausweis der „Wissenschaftlichkeit“ des neuen Rechtsstudiums, zuletzt nur mehr dekorativ wirkend angesichts eines stattlich angewachsenen Lehrkörpers nordalpiner Provenienz. Die Beobachtungen über die Rechtslehrer einheimischer Herkunft sind deshalb von Bedeutung, weil hier gänzlich andere Tatbestände zu verzeichnen sind als diejenigen, die aus den Territorialuniversitäten von der Schismageneration an in großen Umrissen bekannt scheinen; und ebensosehr unterschieden sich die Prager Verhältnisse von jenen an den oberitalienischen Rechtsschulen. Leider weisen die vorliegenden Daten nicht eine solche chronologische Präzision auf, daß die Frage nach der zeitlichen und sachlichen Priorität der akademischen und außerakademischen Laufbahn und der entsprechenden Wechselwirkungen jedesmal eindeutig beantwortet werden kann. Unberührt davon bleiben allerdings die erstaunlichen Kongruenzen von hohem Kirchenamt und der Lehre an der Rechtsschule an und für sich genommen und die Feststellung, daß den weit überwiegenden Anteil gerade solche Ämter und Pfründen bildeten, die der persönlichen Verfügung des Prager Erzbischofs ohne nennenswerten Einuß des Domkapitels unterstanden: besonders Generalvikariate und Ofzialate, Archidiakonate (außer dem Prager Archidiakonat) und Stiftspfründen an St. Ägidien und St. Apollinaris in Prag. Die Einheit, um die es ging, war das Bistum Prag und insbesondere die Prager Domkirche, die mit wohl 280 Klerikern eine der wirklich großen Pfründenkirchen des Reiches war. Das Bistum selbst zählte 2.180 Pfarreien102. Dabei ist zu bedenken, daß nach Chronistenbericht fast von Anfang an die Hauptlast der Universität auf der Prager Kirche ruhte. Diese, nicht die Krone Böhmens, erweist sich unter diesen und anderen Gesichtspunkten als Hauptträgerin der Carolina und erst recht der Rechtsschule. Schließlich ist der Tatbestand zu beachten, daß an der Domkirche und in der kirchlichen Verwaltung Kanonisten schon vor 1348 und von 1348 an neben der Rechtsschule tätig gewesen waren und tätig blieben. Es war die stärkste Ballung juri-
102 W. W. Tomek, Dîjepis mîsta Prahy 5. Praha 1881. Hier S. 104ff. A. Podlaha, Serie praepositorum, decanorum, archidiaconorum aliorumque praelatorum et canonicorum s. metropolitanae ecclesiae Pragensis a principiis usque ad praesentia tempora. Editiones Archivii et Bibliothecae S. F. Metropolitani Capituli Pragensis 10. Pragae 1912. Supplementum I–III, Pragae 1916–1928. Editiones 15, 18, 21. Z. Hledíková, Prahská metropolitní kapitula, její samospráva a postavení doby husitské. In: Sborník historický 19 (1972), S. 5–48. Dies., Kirche (wie Anm. 15). Polc, S. 31. Zum allgem.: W. Trusen, Die gelehrte Gerichtsbarkeit der Kirche. In: Coing Hdb. I, S. 467–504.
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stischen Sachverstands in Böhmen – weit vor dem Hof und der Altstadt Prag. Berufsjuristen waren damals bis auf weiteres Kleriker-Juristen, die vor allem mit der gut ausgebauten geistlichen Gerichtsbarkeit zu tun hatten. Die innenpolitischen Auswirkungen dieses betont-„kanonischen“ Handelns dürften als ständige Herausforderung der Adelswelt und teilweise auch des städtischen Milieus zur Zuspitzung der Lage in Böhmen beigetragen haben. Vor den Italienern und vor denjenigen Juristen, die von der Kurie kamen (und häug wieder zu ihr zurückkehrten), war die bischöiche Kanonistik der wichtigste Wurzelgrund der Prager Juristenuniversität und zwar beinahe bis zu ihrem Ende. Dieses ist neben der Scholaren-Struktur der zweite fundamentale Unterschied, der die Prager Rechtsschule von der späteren Universitätsgeschichte des Reiches trennt, und diesmal auch ebensosehr von Bologna oder auch von Paris. Hier waren eindeutig lokale Tatbestände prägend, die sich anderswo nicht wiederholten. Vier Gruppen oder „Generationen“ kann man bei den einheimischen Rechtslehrern unterscheiden und damit den beträchtlichen Wandel beobachten, der sich hinter der scheinbar recht einheitlichen Fassade der „vorhussitischen Zeit“ verbirgt. Die erste Gruppe, bestimmend für die Anfangszeit bis ungefähr 1370, bestand aus den rechtskundigen Magistern Stefan von Uh®etic103 und Borso von Mrákotic104. Beide waren akademisch noch nicht voll legitimiert, obwohl man einen Italienaufenthalt vermuten darf. Ihr Ausweis über die artistische Graduierung hinaus ergab sich aus dem Kirchenamt oder sicherlich noch genauer aus erzbischöichem Auftrag. Es waren iuris periti in einem älteren Sinne, wie es wohl auch für Rudolf Losse oder auch noch für Reinbold Vener d. Ä. galt105. Stefan und Borso waren Generalvikare und zwar insbesondere jener (1346–1358) schon einige Zeit, bevor er Lehrer des Dekrets wurde. Er las in der Domkirche, gewiß anders als Bonsignore. Borso, wohl der unmittelbare Nachfolger Stefans (belegt als actu legens 1361), kehrte dessen Ämterfolge, die offenbar den besonderen Verhältnissen des Anfangs entsprach, bereits um: er war zuerst Rechtslehrer und danach hoher kirchlicher Beamter. Denn alle aufndbaren wenngleich insgesamt recht dürftigen Indizien sprechen dafür, daß Borso um 1370 nicht mehr lehrte, als endlich Doktoren
103
Zelený-Kadlec, S. 68–70, T®íška, S. 493f. Hledíková, Ú®ad (wie Anm. 28), S. 118. Zelený-Kadlec, S. 71f. iuris peritus MVB 3, S. 477. Hledíková, Ú®ad, S. 124. 105 Nova Alamanniae. Hg. E. E. Stengel, K. Schäfer. 1–2. 1921–76. H. Heimpel, Die Vener von Gmünd und Straßburg 1162–1447. 3. Veröff. d. Max-Planck-Inst. f. Gesch. 52. 1982, S. 1610. 104
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zur Verfügung standen, sondern lieber als Generalvikar (1370 –73) und Ofzial (1380 –83) wirkte. Seine Pfründenkarriere weist klar auf erzbischöiches Patronat hin. Die rückblickende „Ehrenliste“ am Anfang der Juristenmatrikel106, die jedoch auch ein konstitutives, gegenüber Nichtakzeptierten zunftartig abschließendes Dokument und jedenfalls ein wesentliches Bewußtseinszeugnis darstellt, überging Stefan und Borso, sondern erwähnte als erste die akademisch vollqualizierten Lehrer der zweiten Generation, die aus einer Dreiergruppe bestand: Paul von Janowitz († 1383), Matthias von Muttersdorf († 1393) und Kunso (Konrad) von T®ebovel († wohl 1397). Offenbar in Umdrehung der Chronologie zugunsten sozialer Tatbestände ist in der Matrikel der früher eingetretene und, soweit man dies sagen kann, „wissenschaftlich“ besser ausgewiesene, jedoch auswärtige Wilhelm Horborch (s. u.) intern an die fünfte Stelle gedrängt; bei der Separation von 1372 war allerdings charakteristischerweise nach außen hin nur von ihm die Rede. Alle vier zusammen und bald weitere auswärtige mit ihnen waren jedenfalls erstmals – nach einem knappen Vierteljahrhundert – imstande, ein Prager Doktorenkollegium zu bilden, wie es der Brauch an „erwachsenen“ Universitäten war und wie es Promotionen und andere feierliche Akte eigentlich voraussetzten. Damit hatte die Separation, die vorher eher als sozialer Tatbestand wirksam war, auch eine akademische Legitimation erhalten. Die neue Dreiergruppe behielt freilich prägende Eigenschaften der Vorgänger bei, vor allem die enge Verbindung zur kirchlichen Gerichtsorganisation und zum Erzbischof. Es ist nicht gewiß, ob die interne Abfolge der Dreiergruppe diejenige des „Dienstalters“ war; einiges spricht dafür, darin eine soziale Abfolge zu sehen und damit Paul von Janowitz107 als einheimisches Haupt der neuen Rechtsschule von 1372 aufzufassen. Jedenfalls stand er auch in verschiedenen erzbischöichen Gerichtsurkunden den Kollegen voran und war in einem handgreiichen Scholaren-Konikt, der sich gegen einen auswärtigen Lehrer wandte, die Bezugsperson der Einheimischen107a. Paul entstammte nicht der gleichnamigen angesehenen Herrenfamilie, war jedoch offensichtlich adeliger und vermögender Herkunft und durchlief eine Karriere von nicht jedermanns Art. Mit seinem
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MUP II, S. 1–8. Zum allgem. vgl. Burmeister, S. 141ff. Zelený-Kadlec, S. 79. T®íška, S. 437. Zu Herkunft und Vermögen vor allem Libri erectionum archidioecesis Pragensis saeculo XIV. et XV. Ed. C. Borový. 2. Pragae 1878. S. 244f. Zu seiner Tätigkeit vgl. das Protocollum visitationis (wie Anm. 74a). 107a Ott (wie Anm. 2), S. 83. 107
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möglichen Gegenüber Horborch teilte er eine persönliche Beziehung zur Kurie, die überhaupt als ein Wesenszug der Prager Rechtsschule erscheint und den Papst bei weitem nicht nur als weit abgerückten Privilegienspender und gedrängten Notar bei der Bewilligung von Suppliken zeigt: Der päpstliche Hof war auch für Prag ein juristisches Zentrum von Belang. Paul trat ins Licht der Quellen als Klient des Kardinals Piero Corsini (1370 –1405), der unter Urban V. Auditor geworden war, und zwar 1369 als Lizentiat des Kirchenrechts. Zwei Jahre später las er an der päpstlichen Hofuniversität die Dekretalen und war damals im Prager Umkreis schon ansehnlich bepfründet. Im gleichen Jahr, dem Vorjahr der Separation, wurde er auf Bitten seines Patrons mit einem Prager Domkanonikat providiert; wie er sind fast alle Domherren von St. Veit in dieser und der folgenden Generation auf dem Weg über die Kurie ins Amt gelangt. Im Jahre 1371/72 wurde Paul Doktor des Kirchenrechts, vielleicht in Bologna, wo man ihm im erstgenannten Jahr als Gläubiger seines sogleich zu erwähnenden künftigen Kollegen Matthias begegnet. Paul war einer der sehr wenigen einheimischen Rechtslehrer, der über ein Archidiakonat hinaus kein hohes Amt des Erzbischofs innehatte, wofür er vielleicht zu früh gestorben ist; jedoch befaßte er sich viel mit dem kirchlichen Gerichtswesen. Matthias von Muttersdorf 108, dessen Studien vor dem Einsetzen der Prager Matrikeln bzw. Listen liegen und daher wenig erhellt sind, weist wenigstens ein typisches Kennzeichen seiner späteren Kollegen vergleichbarer Herkunft auf: er erscheint zuerst als Inhaber einer heimischen Pfarrei (1363), deren Ertrag offensichtlich das Studium, nicht jedoch die Promotion nanzierte, die aber ein vollberechtigter Prager Rechtslehrer von nun an nicht mehr entbehren konnte. So wurde Matthias 1371 für die vergleichsweise hohe Summe von 150 Gulden in Bologna Schuldner seines Kollegen Paul von Janowitz. Fünf Jahre später hatte er noch nichts zurückzahlen können, vielmehr verpichtete er sich damals erst zu jährlichen Raten von 20 Gulden. Belege für Prager Lehrtätigkeit im Fach der Dekretalen, das er schon als Lizentiat gelesen hatte, liegen allein für 1371/72 vor. Ein Archidiakonat (spätestens 1373) bezeugt als vom Erzbischof vergebene Würde und Pfründe seine Beziehung zum Kirchenhaupt, kaum ein Jahrzehnt später gelang dann mit der Olmützer Dompropstei ein größerer Wurf. Offenbar ist Matthias
108 Zelený-Kadlec, S. 75f. T®íška, S. 365. Schuldgeschäft Soudní akta konsisto®e prahské. Ed. F. Tadra. 1. Historický Archiv 1. Praha, 1893. S. 168f. MUP II, S. 162.
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damals nicht mehr an der Rechtsschule tätig gewesen, jedoch wurde sein Todesdatum ausnahmsweise in der Matrikel verzeichnet (1393). Den (oder schon: einen) Lehrstuhl des Dekrets versah gleichzeitig Kunso (Konrad) von T®ebovel109 aus einer Bürgerfamilie in Kou®im (bezeugt 1375/76). Auch hier ging das übliche Italienstudium voraus (Padua), jedoch fand die Promotion bereits in Prag statt (1372), sicherlich zu einem geringeren Preis als im Süden. Es war die erste dieser Art eines Prager Professors und bezeichnet damit ein Stück Verselbständigung oder auch Regionalisierung der Carolina. Das Einsetzen der Prager Pfründenkette, die Kunso als Vertrauensmann des Erzbischofs ausweist, liegt wohl aus quellentechnischen Gründen zeitlich ganz knapp hinter seinen Lehrbelegen, insbesondere dann die Tätigkeit als Generalvikar 1377–78, 1378–82 und 1386–89; jedoch zeigen die erst seit 1373 überlieferten Akten des Prager geistlichen Gerichts ihn von Anfang an so intensiv tätig, daß diesmal an der Gleichzeitigkeit von Kirchen- und Lehramt kaum zu zweifeln ist. Wie freilich die Gewichte verteilt waren, bleibt noch ungewiß. Die Zeit der achtziger Jahre, in deren Mitte die Krise einsetzte, sah unter den heimischen Rechtslehrern einer dritten „Generation“ in der Mitte Bohuslaus von Jägerndorf 110, der als ordentlicher Lehrer der Dekretalen von 1381–85, vielleicht noch (wieder?) 1396 bezeugt ist († 1415/16). Es spricht manches dafür, daß er, der nicht aus dem Bistum Prag und aus Böhmen, sondern aus Schlesien bzw. Mähren stammte, nicht den normalen Aufstieg zurückgelegt hat. Seine unbekannte, d. h. einschließlich des Doktorats auswärtige Ausbildung läßt daran denken, daß ein älterer iuris peritus Paul (Praunspeck) von Jägerndorf zunächst im Dienste König Ludwigs von Ungarn eine bemerkenswerte Karriere vom Breslauer Domkanonikat und von päpstlicher Kollektorstätigkeit bis zum Bischofsamt in Freising zurückgelegt hatte. Bei Bohuslaus gelang offenbar erst nach dem Lehramt eine auch diesmal erfolgreiche kirchliche Laufbahn bis in das wichtige Amt des Prager Domdekans (ab 1386), der in diesen Jahren das Kapitel leitete. Obwohl Bohuslaus, wie es angesichts seines Lebenswegs nahelag, kein erzbischöiches Amt übernahm, hat er sich in der lebensbedrohenden Krise von 1393
109 Zelený-Kadlec, S. 76–78. T®íška, S. 84f. Hledíková, Ú®ad, S. 125f. Die Zeit der Bakkalarslehre wird nicht beachtet. 110 Zelený-Kadlec, S. 83f. T®íška, S. 54f. Frind, S. 104. Hledíková, Kapitula (wie Anm. 102), S. 18, 23. Zu Paul von Jägerndorf G. Schindler, Das Breslauer Domkapitel von 1341–1417. Zur schlesischen Kirchengesch. 33. 1938. S. 247.
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solidarisch mit den Generalvikaren Johannes Nepomuk und Nikolaus Puchnik gegen die Willkür des Königs gestellt. Es ist ein erstes von sich künftig öfter wiederholenden Zeugnissen dafür, daß aktive und ehemalige Prager Rechtslehrer bis zuletzt standhaft die Grundsätze des kanonischen Rechts und damit die Orthodoxie verteidigt haben und wohl auch deshalb endlich in Defensive und Isolierung geraten sind. Von den beiden letztgenannten hohen kirchlichen Würdenträgern kann nur der Lizentiat des Kirchenrechts Nikolaus Puchnik111 († 1402) mit Sicherheit als Prager Rechtslehrer nachgewiesen werden, als lector ordinarius der nachgeordneten Themen des Liber sextus und der Clementinen, wohl zu 1382. Jedoch erscheint auch der bekanntere Johannes Nepomuk112 († 1393), Doktor des Kirchenrechts mit Studium in Padua, unter den 1387 in Prag mit diesem Rang Intitulierten in der Juristenmatrikel. Sechs Jahre zuvor hatte er sich mit einer höheren als der Normzahlung, jedoch nicht mit der Adelsgebühr, als Pfarrer von St. Gallus in der Prager Altstadt immatrikulieren lassen. Puchnik, landadeliger Abstammung, war Generalvikar von 1383 bis 1393 und von 1395 bis 1402, also erheblich dienstälter als Nepomuk (in diesem Amt 1389 –93), und außerdem Ofzial von 1383 an und Prager Domherr seit 1385, zuletzt für kurze Zeit erwählter Erzbischof (1402). Allem Anschein nach war er hauptamtlich kirchlicher Würdenträger und als solcher auch zeitweise Vizekanzler der Prager Universitäten, zugleich erster Berater des Erzbischofs, und nur nebenbei und kürzere Zeit am Anfang seiner Karriere auch Universitätslehrer. Der Kontakt zur Universität ging allerdings nicht verloren; denn ausgerechnet im Krisenjahr 1393, dreieinhalb Monate nach der Ermordung Nepomuks, betätigte er sich, den Wenzel hatte foltern lassen, (in einer Rückzugsposition?) als Examinator in der Artistenfakultät113. Universitätsorganisatorisch verweist dieses Handeln auf den anderswo, etwa in Heidelberg, geläugen Tatbestand, daß man erst als Doktor vollberechtigtes Glied der höheren Fakultät wurde und man bis dahin den Artisten zugeordnet blieb. Dies geschah hier auch in Prag ohne Rücksicht auf die damals schon zwanzigjährige Trennung der beiden universitates. Es mag jedoch
111 Zelený-Kadlec, S. 80 –82. T®íška, S. 414. Frind, S. 104, 107f. Boháoek, Prameny, S. 57. Hledíková, Kapitula, S. 26f. Dies., Ú®ad, S. 127f. 112 MUB II, S. 3, 35. Hledíková, Ú®ad, S. 128. F. Seibt, Johannes von Nepomuk – ein schweigender Märtyrer. In: Beiträge zur Tausendjahrfeier des Bistums Prag 2. 1975. S. 79 –88. 113 MUP I, S. 825, nicht schon 1389 wie irrig T®íška, S. 414.
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als Ausnahmefall in schwerer Zeit auch nicht überbewertet werden. Ähnlich wie Puchnik ist Matthias von Chrást114 zu beurteilen, der – seit 1381 Doktor des Kirchenrechts – fünf Jahre später als ordentlicher Lehrer des Liber sextus bezeugt ist († 1396 in Rom). Seine Karriere wiederholt ein weiteres Mal fast in jeder Station das schon bekannte Schema: Beginn als Pfarrer (bezeugt erst 1379), danach Archidiakon (1382) und Prager Domherr (1386/87), endlich Generalvikar von 1380 bis 1385. Diesmal freilich liegt das einzige bezeugte Datum für die Rechtslehre (zufällig?) zeitlich nach dem kirchlichen Hauptamt. Noch stärker in den Bereich von Kirchenpolitik und Kirchenkrise einbezogen und damit der Überformung und Überwältigung der Universität noch mehr ausgesetzt war die letzte „Generation“ der einheimischen Lehrer der Juristenuniversität um und besonders nach 1400, zuletzt im Zeitalter der Agonie von 1409 an. Im Mittelpunkt stand hier der Kirchenmann und Rechtslehrer Georg von Bor115 († 1413), der von der sich radikalisierenden Führungsgruppe der Dreifakultäten-Universität besonders scharf angegriffen worden ist, als fundamentum, medium et nis116 der „Reaktion“. Insofern spitzte sich bisher schon Bekanntes nur noch weiter zu. Anderswo jedoch läßt sich ein Neuansatz feststellen, der das schon zum Rektor Nikolaus Geuner Gesagte aufgreift und vertieft: Die Juristenuniversität war nicht nur der dem Erzbischof, solange er kirchentreu war, und dem juridizierten Erzbistum weiterhin eng verbundene Hort der Orthodoxie. Man kann bei ihr auch den Versuch erkennen, sich im Großbürgertum der Altstadt Prag und zuletzt wohl auch bei konservativen Kräften des Hofes zu verankern, im Ansatz also möglicherweise „Stadtuniversität“ zu werden wie Köln oder Erfurt – äußerstenfalls im Gedenken an ein wie auch immer verstandenes, inzwischen recht ferngerücktes Bologna. Georg von Bor durchmaß die Normallaufbahn vom Pfarramt an (1375) und legte seine ganze wissenschaftliche „Bilderbuch“-Karriere in Prag im Lichte der Matrikel ab (Immatrikulation mit Normalgebühr 1383; Bakkalaureat 1387; Lizentiat 1393; Doktorat 1396). Ein böser Zufall der Überlieferung verschweigt leider, auf wessen Fürsprache hin ihm die Bakkalarsgebühren erlassen wurden, so daß wir seinen damaligen Förderer nicht kennen. Ebenso „ordentlich“ vollzog sich 114
Zelený-Kadlec, S. 85. T®íška, S. 363. Hledíková, Ú®ad, S. 126. Zelený-Kadlec, S. 85–88. T®íška, S. 116f. Boháoek, Prameny, S. 57, 65. Hledíková, Ú®ad, S. 133f. 116 Chronicon universitatis Pragensis, S. 571. 115
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seine Lehrlaufbahn, die modellgemäß zuerst dem Dekret, dem Liber sextus und den Clementinen und am Ende cum salarii consueti perceptione117 den Dekretalen galt. Eine sichere Datierung ist hier leider nicht möglich, so daß wieder einmal die Synchronisation mit den üblichen Kirchenämtern (1395–96 und 1403 Ofzial, 1396 Domherr, 1403 stellvertretender Administrator des Erzbistums) Schwierigkeiten macht; gewiß ist, daß er mindestens dem Erzbischof Wolfram (1396–1402) als Familiar besonders nahestand. Georg dürfte lebenslang oder nahezu lebenslang gelehrt haben. Zu seiner Generation zählte als zweifelsfrei bezeugter weiterer Rechtslehrer Dr. Jakob von hihobec118 (1410 letzter Beleg), 1404 ordinarie legens, und gehörten vielleicht zwei weitere – statistisch hier sicherheitshalber nicht berücksichtigte – Kollegen: Dr. Johann Kbel119 (1404, qui . . . de universitate doctorum iuris canonici studii Pragensis existat) († 1410) und Dr. Adam von Neietic120 (Mähren) († 1414), falls man seine Hinterlassenschaft etwas extensiv deutet. Zumindest diese beiden Generalvikare waren ebenfalls entschiedene Gegner von Hus und dessen Freunden. Ebenso dachte vermutlich auch Jakob, der ein schönes Beispiel der Pfründenverechtung im Umkreis der Universität bietet: Als Archidiakon trat er in das Amt des Matthias von Chrást ein und wurde als Dekan von Wischehrad Nachfolger Nikolaus Geuners. Derjenige, der aus dem Kreis dieser Gesinnungsfreunde die alten Zusammenhänge am dauerhaftesten verteidigte und parallel etwa zum Hofjuristen Dr. Johannes Naso oder zu Dr. Nikolaus Zeiselmeister121 aus der zusammenbrechenden Welt Wenzels die Brücke in die Zukunft König Sigismunds und der sich wieder festigenden Orthodoxie schlug, war Dr. Simon von Nimburg122, der jüngste der Prager Rechtslehrer 117 F. Palacký, Über Formelbücher in Bezug auf böhmische Geschichte 2. Abh. d. kgl. Böhm. Ges. d. Wiss. V, 5. Pragae 1847. S. 157f. 118 Zelený-Kadlec, S. 88. T®íška, S. 211. Acta summorum ponticum 1. S. 5f. 119 T®íška, S. 263. Hledíková, Ú®ad, S. 129. Acta summorum ponticum 1. S. 29. Kbels Karriere entsprach zuerst derjenigen Georgs von Bor, bog dann aber in den kirchenamtlichen Bereich ab (ab 1392 Generalvikar, ab 1395 Ofzial, auch Administrator des Erzbistums); treuer Gefolgsmann der Erzbischöfe Johann und Wolfram. 120 Zelený-Kadlec, S. 105. T®íška, S. 13f. Sein in vieler Hinsicht interessantes Testament bei Podlaha (wie Anm. 102), S. 68ff. Es ist fraglich, ob es sich beim entscheidenden Belegstück um ein Vorlesungsmanuskript oder eine Vorlesungsnachschrift handelt. Schindler, S. 300f. Hledíková, Ú®ad, S. 129f. Generalvikar ab 1395, auch Administrator des Erzbistums. 121 Zu Naso Anm. 152. Zeiselmeister: T®íška, S. 286. Der gleichgesinnte Dr. Hieronymus Seidenberg war 1410 verstorben (Schindler, S. 344f. T®íška, S. 194). 122 Fehlt bei Zelený-Kadlec. T®íška, S. 485 und 486 (irrig als zwei Personen aufge-
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(† 1449). Acht Jahre nach seinem Prager Lizentiat von 1404 ist er als Universitätslehrer belegt, während kaum mehr Studenten anwesend waren; den Doktortitel hat er auswärts erworben oder erwerben müssen (1411?). Dieser strenge Legitimist mit der schon gewohnten Karriere (Beginn im Pfarramt, 1411 Archidiakonat, 1415 Domkanonikat) ging mit dem Domkapitel 1420 ins Exil, nachdem die alte Ordnung in Kirche, Universität und Königreich zusammengebrochen war, und wurde dort Generalvikar (1421–31) und Bistumsadministrator (1434–44). Er knüpfte die Brücke zur Universität Leipzig, die inzwischen in vieler Hinsicht an die Stelle Prags getreten war (Immatrikulation 1425). Während dieser Entwicklungsstrang um und auch längere Zeit nach 1400 noch gänzlich kirchlich akzentuiert war, gab es auch in Prag, wie etwa gleichzeitig in Heidelberg, erste Ansätze zur Laisierung bei dem einen oder anderen der führenden Juristen. Damit wurde zugleich eine Brücke zu Stadt und Hof als einer, wenn auch am Ende nicht ausreichenden Alternative zur Amtskirche geschlagen. Schon Jakob von hihobec, der kein bischofsnahes Kirchenamt besaß, stattdessen aber wie gesagt bei der konkurrierenden Kirche von Wischehrad vorrückte, mag in diese Richtung weisen, während der Metropolit selbst immer mehr in eine bedrohte, diskreditierte und diskreditierende Randsituation geriet. In den Jahren 1389/99, 1404 und 1407 ist als Rechtslehrer (Sextist) Dr. Johann d. J. von Weilburg123 bezeugt, der seine ganze akademische Laufbahn an der Carolina absolviert hatte (Doktorat 1398/99). Dies war inzwischen nahezu zum Normalfall geworden. Nicht normal war jedoch Johanns soziales Umfeld, das zunächst auf das reiche Bürgertum der Prager Altstadt und zuletzt auf die das Reich von West nach Ost überspannende Großdynastie der Luxemburger verwies. Denn die bald wohlhabende Beamten-Familie stammte aus Weilburg an der Lahn, Trierer Bistums, und war offenbar im Zusammenhang mit Balduins von Trier zeitweiliger Administration von Kurmainz zunächst ins mitteldeutsche Weida gekommen. Der Vater Johann d. Ä. war vom Kaiser geförderter Protonotar der Prager Altstadt (wohl bis 1397);
faßt). Acta summorum ponticum 1, S. 308, 364, 395. – In deutschen Quellen: Simon von Neuburg. Die Matrikel der Universität Leipzig 1. Hg. G. Erler, Codex dipl. Sax. reg. 2, 16. 1895. S. 83. 123 Zelený-Kadlec, S. 91f. T®íška, S. 321. Tomek, Dîjepis 2, S. 569. L. E. Schmitt, Untersuchungen zu Entstehung und Struktur der „neuhochdeutschen Schriftsprache“ 1. Mitteldt. Forsch. 36/I. 1966. S. 113ff. Boháoek, Prameny, S. 65ff. I. Hlaváoek, Das Urkunden- und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 1376–1419. MGH Schr. 23. 1970. S. 490.
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seine drei Söhne erhielten die bezeichnenden Namen Johann, Wenzel und Sigismund, nachdem schon der Großvater Heinrich (vgl. Kaiser Heinrich VII.) geheißen hatte. Nach den üblichen Regeln erbte Johann d. J., Laie oder clericus conjugatus, das einußreiche und einträgliche Stadtschreiberamt (tätig bis 1411; danach sein Bruder Sigismund). In den Jahren 1412 bis 1419 war Johann d. J. dann Protonotar der Hofkanzlei König Wenzels und suchte nach dem Tode seines Herrn die Brücke zu König Sigismund zu schlagen. Aus der Sicht der Juristenuniversität kann man solche Gewichtsverlagerungen womöglich als das Zusammenrücken Gleichgesinnter verschiedenartiger Provenienz auffassen; denn Johann von Weilburg d. J. ist zusammen mit Georg von Bor als Testamentsvollstrecker Nikolaus Geuners bestellt worden124. Johanns Schüler war Konrad (Cunso) von Zvole125 aus mährischem Adel, der letzte Doktor des Kirchenrechts (1407), der in Prag promoviert werden konnte und der wie Adam von Neietic möglicherweise zu den Lehrenden zu zählen ist, ohne daß man dies belegen könnte. Konrad war ein Legitimist wie sein ganzer Umkreis, später Bischof von Olmütz (1431–34) und Prager Bistumsadministrator (ab 1431). Sein jüngerer Verwandter Bohuslaus126, später ebenfalls Doktor und Bischof von Olmütz, konnte schon nicht mehr in Prag, sondern mußte Kanonistik in Wien studieren, allerdings beim Brünner Landsmann Prof. Johann Polzmacher, der Rat Kaiser Friedrichs III. war. So verknüpfte sich das Schicksal der letzten Prager Doktoren der Jurisprudenz, ob innerhalb oder außerhalb der Rechtsuniversität tätig, auf mannigfache Weise mit der unaufhaltsam weiterschreitenden, personengeschichtlich kohärenten Juridizierung des öffentlichen Lebens im Reich127, während sich die Mitte Böhmens für einige Zeit außerhalb dieser Entwicklung stellte. Die böhmisch-mährisch-schlesischen Rechtslehrer weisen ein so hohes Maß an Gemeinsamkeit auf, daß man jetzt formulieren kann: das Prager Rechtsstudium war in seinem Kern von Anfang bis nahezu zum Ende Sache der Prager Kirche und insbesondere der kirchlichen Verwaltung und Gerichtsbarkeit der Erzbischöfe. Die einheimischen
124 Regesta Bohemiae et Moraviae aetatis Venceslai IV. t. 2. Ed. V. Vav®ínek. Pragae 1968. S. 42. 125 MUP II, S. 7. Chronicon universitatis Pragensis, S. 571. K. Pohl, Beiträge zur Geschichte der Bischöfe von Olmütz. Diss. Breslau 1940. S. 50f. Boháoek, Prameny, S. 69. T®íška, S. 87. 126 M. Boháoek, Rukopisná sbírka uoeného právníka a biskupa Bohuše ze Zvole v universitní knihovnî Olomoucké. In: Sborník historický 7 (1960), S. 79 –122. 127 Moraw, wie Anm. 5.
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Rechtslehrer waren oder wurden so hochrangige Kleriker, daß sich unabweislich die Frage stellt, welches ihr Hauptamt und welches ihr Nebenamt war und was als prima causa ihrer Lehrtätigkeit anzusehen ist: Waren sie zuerst „wissenschaftlich“ qualiziert oder wurden sie nach dem Willen des Erzbischofs zeitweise an das Studium abgeordnet? Darauf kann nur die oben angeführte Chronologie Antwort geben. Es hat sich gezeigt, daß beide Möglichkeiten bestanden. Der Normalfall – während der vollentwickelten Universität – war die der zeitgenössischen sozialen Abstufung entsprechende Situation: Das Kirchenamt war wichtiger und angesehener als das Universitätsamt. Insofern war die Prager Kanonistik in die Prager Kirche sozial „eingebaut“. In dieser Lage gewinnt das eine oder andere Einzelzeugnis an Gewicht, das auf einen besonders engen praktischen, nicht nur formalen Kontakt von Erzbischof und Universität hindeutet128. Auf der anderen Seite wird man die Rolle des Königtums geringer veranschlagen. Karl IV. hat das Gebäude beschafft und wohl einige auswärtige Lehrer ständig oder zeitweise versorgt; aber er hat nicht die Hauptsache des Lehrbetriebs getragen. Vermutlich kann man sogar sagen, daß seine Fürsorge für Artisten und Theologen intensiver war als für die Juristen. Angesichts von deren Kirchenämtern treten ferner die Unterschiede innerhalb des studium schärfer hervor. Die Einheit der Universität war gerade unter dieser Perspektive ein schwieriges Problem; denn vergleichbare Positionen für die Lehrer anderer Fakultäten hat es kaum gegeben. Schließlich wurden Blüte und Krise der Bischofskirche ganz im allgemeinen maßgeblich auch für Blüte und Krise der Juristenuniversität. Damit kommen wir abermals zur Hauptfrage nach dem Wandel der Rechtsschule im Zeitablauf. Nach dem Ende des relativ ruhigen Zeitalters Karls IV. und der ebenso beschaffenen ersten Jahre Wenzels (bis 1384) zog bekanntlich die Zeit der Konikte und Bedrängnisse herauf. Die ersten Krisenzeichen hatten mit dem Schisma von 1378 eingesetzt und zugleich Kirche und Juristenuniversität erfaßt; beiderseits zeigten sich clementistische Neigungen, die Erzbischof Johann von Jenzenstein scharf bekämpfte129. Er mußte dann 1393 vor Wenzel nach Rom iehen und auf sein Amt verzichten. Den Nachfolger Sbinko Hase von Hasenburg (1402–11) kann man zum ersten Mal als einen Kirchenführer bezeichnen, der nicht ernstlich mit der Kanonistik
128 129
Ausgebreitet bei Boháoek, Prameny, passim. Vg. Anm. 56 und Anm. 137.
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verbunden war; von 1409 an stand auch er unter starkem Druck des Königs, während – abgekürzt gesagt – Hus das Kuttenberger Dekret erhielt. Erzbischof Sigismund Albich von Mährisch Neustadt (1411–12), Mediziner und Jurist (als Paduaner Doktor des Kirchenrechts 1407 von der Prager Rechtsuniversität rezipiert), scheiterte. Erst Konrad von Vechta (1413–25), ein Günstling Wenzels, vermutlich Scholar der Rechtsuniversität, verließ dann nach längerem Schwanken den alten Glauben (1421)130. Jenem Weg der Prager Kirche entsprach der Weg der Prager Kanonistik. Man kann jetzt noch mehr hervorheben, daß das betonte Festhalten an Positionen des Kirchenrechts und an der Freiheit der Kirche schon angesichts der alten Adels- und Herrschaftsstruktur Böhmens und erst recht gegenüber den neuen Lehren der Magister der Dreifakultäten-Universität pointierend oder gar herausfordernd gewirkt haben dürfte131. Die Träger dieser legitimistischen Politik entstammten im wesentlichen dem Kreis der Rechtsuniversität oder fühlten sich ihr verbunden. Dies war kaum weniger „politisch“ als die Gegenposition, wenn auch Vorlesungen nicht so massenwirksam waren wie Predigten. Jede Seite hat ein Recht vertreten, das sie für ihr gutes hielt; dies hat dann den Konikt unheilbar gemacht. Den einheimischen Rechtslehrern standen – und zwar zeitweise womöglich distanziert – die auswärtigen gegenüber. Diese unterschieden sich von jenen weniger durch ihren sozialen oder kirchlichen Rang, wie wir sehen werden, als vielmehr dadurch, daß ihnen kein mit der Prager Domkirche oder der erzbischöichen Kirchenverwaltung vergleichbarer Kristallisationspunkt zur Verfügung stand. Von den Prager Pfründen und Ämtern sind sie sorgfältig ferngehalten worden. Allein dieser Konstellation müssen Unterschiede oder Gegensätze entsprungen sein. Insgesamt gesehen standen die Auswärtigen dem Normalbild von Professoren einer spätmittelalterlichen deutschen Universität etwas näher als die Einheimischen, jedoch insofern nicht sehr nahe, als Analogien am leichtesten zu einer ersten Generation, etwa in Heidelberg, weniger jedoch zu späteren Generationen festgestellt werden können132. Hier scheint sich die kommende deutsche
130 Frind, S. 106ff. H.-J. Weitz, Albich von Prag. Diss. Heidelberg 1970. R. Rudolf, Albich, Siegmund. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2. Au. 1 (1978), Sp. 154f. – T®íška, S. 21. I. Hlaváoek, Konrad von Vechta. In: Beiträge zur Geschichte der Stadt Vechta 1. 1974. S. 5–35. T®íška, S. 80. 131 Vgl. Hledíková, Kirche, S. 313. 132 Moraw, wie Anm. 4.
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Territorialuniversität typisch anders verhalten zu haben. Sie neigte bei sich vermindernden Unterschieden zwischen den Fakultäten dazu, sich in ihrem Nahraum sozial zu verwurzeln, und weist damit schon in „katholischer“ Zeit zur protestantischen „Familienuniversität“ der frühen Neuzeit133 hinüber. So wird man die auswärtigen Kanonisten der Carolina mit ihrem geographisch weitgedehnten Aktionsradius und ihrer meist kurzen Anwesenheit besser mit ihren italienischen Kollegen parallelisieren, die kometengleich kamen und gingen. Am Anfang auch der Auswärtigen deutscher Zunge stand – wiederum in der Frühzeit (1363) – ein noch nicht vollausgewiesener Jurist, der bisher nicht näher bekannte Magister artium und auswärts promovierte Bakkalar des Kirchenrechts Berthold von Speyer134. Er mag wie die vergleichbaren böhmischen Kollegen gerade noch als vollgültiges Mitglied des hier behandelten Kreises gelten, während später als lehrend bezeugte Bakkalare zumal Prager Herkunft gemäß den eingeführten Prämissen unberücksichtigt bleiben135. Es war ein beträchtlicher Erfolg, als 1369 als Lehrer der Dekretalen Wilhelm Horborch136 († 1384) gewonnen werden konnte. Er war der
133
Ders., wie Anm. 86. Zelený-Kadlec, S. 89. T®íška, S. 51. Es ist unsicher, ob er identisch ist mit dem 1355–1361 bezeugten Prager Stadtschreiber Magister Berthold (Tomek, Základy I – wie Anm. 48 – S. 250). 135 Vgl. Anm. 90. Dies schließt natürlich nicht aus, daß von Juristen dieses Ranges beträchtliche Nachwirkungen ausgegangen sind. Verwiesen sei nur auf die interessante Figur des Westfalen Johann Hundebeke von Dülmen (Zelený-Kadlec, S. 90f. T®íška, S. 237), der eine bemerkenswerte papstnahe Karriere zurücklegte, eine Reihe von Pfründen erwarb und schließlich als Doktor des Kirchenrechts Bischof von Lübeck wurde (1399 –1419). Es ist bisher offensichtlich unbekannt, daß er etwa zeitgleich mit Würzburg eine Universitätsgründung in Lübeck betrieb und die eine oder andere Anfangsstation realisiert zu haben scheint; das studium wird jedenfalls als institutum bezeichnet. Hauptquellen unter Vorbehalt einer späteren Untersuchung: Repertorium Germanicum 2. Bearb. v. G. Tellenbach, 1933–1961. Sp. 1284 (1401/1405: Päpstliche Bulle und Theologie). 4. Bearb. v. K. A. Fink. 1943–1979. Sp. 2680 (1419: Artes). Letztgenannte Stelle verdanke ich Fr. Dr. C. Schuchard, Gießen-Berlin. 136 Zelený-Kadlec, S. 73–75. T®íška, S. 533. E. Göller, Wilhelm Horborch und die „Decisiones antiquae“ der Rota Romana. In: AKKR 91 (1911), S. 662–680. I. Pfaff, Zur Geschichte des Kanonisten Wilhelm Horborch und seiner Werke. In: ZRG (44) KanAbt 13 (1924), S. 513–518. H. Reincke, Hamburgs Bevölkerung. In: Ders., Forschungen und Skizzen zur hamburgischen Geschichte. Veröff. a. d. Staatsarchiv d. Hansestadt Hamburg 3. 1951. S. 167–200. Hier S. 190. Hamburger Testamente 1351 bis 1400. Bearb. v. H.-D. Loose. Veröff. 11. 1970. S. 19f., 48. G. Dolezalek, Die handschriftliche Verbreitung von Rechtsprechungssammlungen der Rota. In: ZRG (89) KanAbt 58 (1972), S. 1–106. Ders., in HRG 2. 1978. Sp. 237f. H. Reincke, in: NDB 9 (1972), S. 622. C. Schuchard, Die päpstlichen Kollektoren im spätmittelalterlichen Reich. Masch. Staatsexamensarbeit Gießen 1979. S. 27, 29, 33, 40, 88 u. ö. 134
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erste Doktor nach zwei Italienern und vor allen Einheimischen und kann wohl am besten als Nachfolger Ludwigs von Padua aufgefaßt werden. Er blieb bis Ende 1375 und bildete den Kristallisationskern des sich jetzt erst bildenden Doktorenkollegiums, ohne welches eine vollgültige höhere Fakultät eigentlich nicht bestehen konnte. So schwierig auch die Abwägung des wissenschaftlichen Ranges von Universitätslehrern aus dem 14. und 15. Jahrhundert sein mag – Horborch jedenfalls war mit großem Abstand zu seinen Prager Kollegen der weitaus erfolgreichste Autor, vermutlich auch der erfolgreichste des Zeitalters im ganzen Sprachgebiet und darüber hinaus. Er entstammte einer führenden Hamburger Großbürgerfamilie; Vater und älterer Bruder waren Bürgermeister. Er ist daher für seine Zeit als adelsgleich anzusehen. Mit Paul von Janowitz, der bald sein Kollege werden sollte, teilte er nicht nur den sozialen Rang, sondern auch den papstnahen Aufstieg (Erstbeleg 1360) etwa zugleich mit Studien in Avignon und Paris. Schon 1361 war Horborch päpstlicher Kollektor in den Bistümern Bremen, Verden und Kammin und weist damit wohl auch – ein weiteres Mal – beträchtliche eigene Finanzkraft nach. Rasch hatte er auch sein heimatnahes Pfarramt hinter sich gelassen und besaß das bedeutende Hamburger Domdekanat (1365). In Bologna wurde er Prokurator der deutschen Nation und bald darauf Doktor des Kirchenrechts (1368). Der Weg nach Prag wird schwerlich anders als durch kaiserliche Berufung attraktiv gemacht worden sein, und diese wurde dann faktisch Voraussetzung und wohl auch Mitanlaß der Verselbständigung der Juristenuniversität. Denn die Unterordnung Horborchs unter Artistenmagister viel geringeren kirchlichen, sozialen und nanziellen Ranges, ganz abgesehen von seiner Nähe zu Papst und Kaiser, schien kaum zumutbar zu sein. Horborch hat Karl IV. auf seiner Reise nach Lübeck begleitet (1375). Bald darauf kehrte er an den päpstlichen Hof nach Avignon und Rom zurück und wirkte dort fortan als Auditor der Rota. So war für ihn wie für die Italiener oder für hohe Prager Kirchenbeamte der Lehrstuhl eine Zwischenstation. Er ging noch vor der ersten bekannten Krise und daher wohl aus persönlichen Gründen. Seine Entscheidungssammlung der Rota übertrifft an Verbreitung alle vergleichbaren Arbeiten um ein Vielfaches. Ihre Nachwirkung auf die höchste Gerichtsbarkeit im Reich, auch auf das Kammergericht, war generationenlang beträchtlich. Studiengenosse und vielleicht auch Freund Horborchs war oder
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wurde in Bologna Wilderich (selten: Ulrich) von der Hauben137 (lat.: de Mitra) († 1417?) aus reichem Wormser Großbürgergeschlecht wohl ministerialischer Herkunft, das sich wie lehnsfähiger Landadel verhielt und bald unter König Ruprecht ein ansehnliches Hofamt besetzen sollte; in ähnliche Richtung weist bei Wilderich das damals noch recht seltene zusätzliche legistische Bakkalaureat. Man kann wohl auch hier so formulieren, daß das Erbteil des jüngeren Sohnes weniger in wissenschaftliche als in die Qualität des hohen Kirchenamtes mit Papstbezug (s. u.) umgewandelt wurde. Nach Prag wurde Wilderich wohl 1371 (oder bald danach) gezogen, als er mit einem Domkanonikat providiert wurde, das freilich offenbar ebensowenig Wirklichkeit wurde wie die spätere Anweisung einer Pfründe im Stift Wischehrad. An der Rechtsuniversität jedenfalls war er zuerst als Lizentiat, dann als (auswärtiger) Doktor ordinarius lector (Beleg 1374). Zur guten Abkunft und nanziellen Kraft gehörte auch bei ihm die Beziehung zum Papsttum. Sie ist schon früh angedeutet; nachgewiesen wird sie dadurch, daß sich Wilderich beim Ausbruch des Großen Schismas mit wenigen Gesinnungsfreunden, unter denen allerdings der Kuriengesandte des Kaisers, Dekan von Wischehrad, und sogar der Prager Domdekan waren, zu den Clementisten schlug und den Prager Lehrstuhl aufgab. Über die Universität Wien und Dienste bei gleichgesinnten Reichsfürsten in Salzburg und Österreich begab sich Wilderich nach Avignon. Wie sein Kollege Horborch wurde er Auditor, nur eben auf der anderen Seite. Die Urbanisten verfolgten ihn; auf dem gleichen „Steckbrief“ stand auch Nikolaus Vener, den er in Bologna kennengelernt hatte, der Onkel Job Veners, des ersten Juristen des Gegenkönigs Ruprecht138. Krisenbezogen, ja spektakulär war auch der Abgang der größten Gruppe der Prager Rechtslehrer auswärtigen Ursprungs, die sich in den achtziger Jahren, der Blütezeit der Juristenuniversität, an dieser vereinigt hatte. Es handelte sich um die Krise von 1384 am Karlskolleg und wohl auch um die böhmische Staatskrise von 1384/85 und damit verbunden – als Nachwirkung der Kirchenkrise von 1378 – um die Neubelebung
137 Zelený-Kadlec, S. 80 –82. T®íška, S. 535. H. Boos, Geschichte der rheinischen Städtekultur von den Anfängen bis zur Gegenwart mit besonderer Berücksichtigung von Worms 3. 2. Ausg. 1899. S. 55, 442. A. Strnad, Herzog Albrecht III. von Österreich (1365–1395). Masch. Diss. Wien 1961. S. 181ff., 214ff. P. Moraw, Beamtentum und Rat König Ruprechts. In: ZGO 116 (1968), S. 59 –126. Hier S. 71f., 86. Heimpel, Vener 1, S. 65, 72. 2, S. 1100f. 138 Repertorium Germanicum 2, Sp. 25, 28. Vgl. Heimpel, Vener 3, S. 1601. Auch der Vater Jobs, Reinbold d. Ä., war dieser Auffassung.
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der Rudolna in Wien und die Stiftung der Rupertina in Heidelberg (1384/85 bzw. 1386). Die einschlägigen Belege sind abermals nicht von wünschenswerter Klarheit, jedoch tritt wohl das Wesentliche zu Tage. Dazu gehört vor allem der Tatbestand, daß sich wichtige Merkmale der beiden gerade skizzierten Lebensbahnen so deutlich wiederholen, daß in gewisser Weise abermals ein Typus vor Augen tritt. Ein Schüler oder Freund Horborchs war offenbar Hermann von Werder (lat.: de Insula)139 († 1390 oder kurz zuvor) aus einem Hildesheim-Merseburger Ministerialengeschlecht. Er immatrikulierte sich 1379 in Bologna, wurde zwei Jahre später Doktor des Kirchenrechts ebendort und ist 1383 als Meißener Domscholaster bezeugt. In diesem Jahr wurde er an der Rechtsuniversität intituliert und wirkte noch 1384 am gleichen Ort, ging aber schon im Herbst nach Wien und wurde bald darauf als Auditor an den päpstlichen Hof gezogen, wo er seinerseits nach dem Vorbild Horborchs eine Sammlung von Gerichtsentscheidungen erstellte. Nicht weniger als vier oder gar fünf Prager Rechtslehrer auswärtiger Herkunft gingen 1386/87 nach verhältnismäßig kurzer Tätigkeit nach Heidelberg. Es war der größte Exodus, den die Juristenuniversität erlebt hat; er stellt wohl einen Einschnitt in ihrer Geschichte dar. Denn nach Horborch und seinen Freunden und Schülern und den jetzt zu behandelnden Juristen bot sich keine dritte Gelegenheit mehr, der Rechtsschule auch im Lehrkörper zu überregionaler Geltung zu verhelfen und damit im kommenden Zeitalter der Regionaluniversitäten gegenüber den Scholaren womöglich weitreichende Anziehungskraft zu befestigen. Dabei handelte es sich ebenso wie bei den Beziehungen zur Kurie nicht nur um eine Frage der Abstoßung, sondern auch um eine Frage der Anziehung. Denn in der älteren Universitätsgeschichte ist stets die Geburtsheimat oder kirchlich-beruiche Heimat des Lehrers mit zu bedenken; die Herkunftsregion gehörte mit zu seiner sozialen Existenz. Drei der vier Auswandernden waren Rheinländer im engeren oder weiteren Sinn, und vor der Gründung der Hohen Schule in Köln war Heidelberg der Universitätsmittelpunkt dieser wohlhabendsten und kulturell aufgeschlossensten Großlandschaft des Reiches. So war die
139 Zelený-Kadlec, S. 95. T®íška, S. 184. Matrikel Wien 1, S. 13. H. Kochendörffer, Päpstliche Kurialen während des großen Schismas. In: NA 30 (1909), S. 549 –601. Hier S. 594. W. v. Werder, Geschichte des märkisch-magdeburgischen Geschlechts von Werder. 2 Bde. 1937/38. Dolezalek, (wie Anm. 136), S. 15ff., 32. G. Wentz, B. Schwineköper, Das Erzbistum Magdeburg I, 1–2. GS. 1972. S. 1019.
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Abwanderung bis zu einem gewissen Grade kaum vermeidbar, sollte als eine Art struktureller Anpassung an eine unaufhaltsame Regionalisierung verstanden und der Carolina nicht in vollem Maße negativ angelastet werden. Zur gleichen Zeit ging auch in Paris das universale Zeitalter zu Ende. Man mag stattdessen positiv die ansehnliche Zahl der Promotionen in diesen fruchtbaren achtziger Jahren, den letzten Jahren des faktischen Prager Studienmonopols in Mitteleuropa, vermerken und auf deren Weiterwirken, z. B. in der Verwaltungsgeschichte des Königtums, im 15. Jahrhundert verweisen (s. u.). Gleichwohl trat das Ende des überregionalen Ranges der Prager Jurisprudenz, den Horborch so eindrucksvoll eingeleitet hatte, durch die Fernwirkung des Schismas überraschend schnell ein. Heinrich von Angern († 1411/15)140, wohl bürgerlicher Herkunft aus dem magdeburgischen Neuhaldensleben, etwa 1370 –75 Student in Paris als Kleriker des Bistums Halberstadt, war 1377 Ofzial seines Bischofs und bei seiner Prager Immatrikulation von 1380 schon Bakkalar des Kirchenrechts. Er wurde wohl 1382 an der Moldau Lizentiat im gleichen Fach und wird in Prag gelehrt haben, bis er 1387 nach Heidelberg aufbrach. Auch dort blieb er nur kurze Zeit, denn mindestens seit 1391 war er Generalvikar und Ofzial des Erzbischofs von Magdeburg. Das 1394 in Prag erworbene Doktorat des Kirchenrechts qualizierte ihn für die Rechtslehre in Erfurt (1395; 1410 Rektor), daneben aber stand weiterhin die kirchliche Laufbahn in einem hier nicht näher zu untersuchenden Mischungsverhältnis. Daß ein derartig zwischen den Polen „Kirche“ und „Universität“ hin und her pendelnder Lebenslauf bei Kanonisten des 14. Jahrhunderts häuger vorel als eine reine Universitätslaufbahn, hatten schon die böhmisch-mährisch-schlesischen Rechtslehrer gezeigt. Das gleiche galt auch für Johann von Kolnhausen (zuletzt 1398 belegt)141, der aus einem oberhessischen Niederadelsgeschlecht (Kolnhausen, ht. Stadt Lich) stammte. Er hat offenbar als bisher einziger unseres Kreises allein eine Prager Ausbildung genossen bzw. konnte sich anderes nicht leisten. Elf Jahre nach seiner Immatrikulation wurde er Lizentiat des Kirchenrechts 140 Zelený-Kadlec, S. 100f. T®íška, S. 142f. Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662. Bearb. v. G. Toepke. 1. 1884. S. 4, 28; 2. 1886. S. 607. Kleineidam (wie Anm. 4), 1, S. 300f., 355. Wentz-Schwineköper, S. 892. 141 Zelený-Kadlec, S. 103. T®íška, S. 265. Matrikel Heidelberg 1, S. 4. W. Kisky, Die Domkapitel der geistlichen Kurfürsten in ihrer persönlichen Zusammensetzung im 14. und 15. Jahrhundert. Q. u. Stud. z. Verf.-gesch. d. Dt. Reiches in MA u. Neuzeit I, 3. 1906. S. 123. Weisert, Universität (wie Anm. 41) 2, S. 77f.
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(1384) und dürfte sich als Voraussetzung für seine Dekretalenvorlesung in Heidelberg (1387) an der Moldau einschlägig betätigt haben. Am Ende zog er dann doch Domkanonikate in Mainz und Würzburg vor. Ähnliches könnte – allerdings bei äußerst knapp bemessenem zeitlichen Spielraum, der ihn aus der hier umgrenzten Gruppe ausschließt – bei Friedrich Schavard142 aus Trier († wohl 1409) vorliegen, der es 1387 zum Prager Lizentiaten der Kanonistik gebracht hatte und gleich darauf für ebenso kurze Zeit in Heidelberg erschien. Viel wichtiger war ihm offensichtlich die Karriere im Dienst seines Erzbischofs und auch ein Gastspiel als Rat und Protonotar König Ruprechts, dann die Wormser Dompropstei und zuletzt die Propstei von St. Paulin in Trier. Hingegen hielten die beiden Niederländer Johann van der Noet und Gerhard Radingk der akademischen Laufbahn die Treue. Johann van der Noet143 († 1432), offenbar aus Brüsseler Großbürgergeschlecht, wurde länger als eine Generation als Dekretalist der führende Rechtslehrer der Rupertina (1386–1432) und königlicher Rat. Begonnen hatte er seine Laufbahn mit dem Prager Lizentiat (1383) und Doktorat (1385) als Schüler von Matthias von Muttersdorf und Bohuslaus von Jägerndorf, die auf diese Weise tief ins 15. Jahrhundert hineingewirkt haben. Johanns Landsmann Gerhard Radingk von Groningen144 († 1407?) wurde nach nichtadeliger Gebührenzahlung 1386 Prager Lizentiat und ein Jahr später Doktor und ging in diesem oder im nächsten Jahr nach Heidelberg. Dort lehrte er als Dekretist und dann nach kurzem Wiener Zwischenspiel insbesondere in Köln (1393–1407). Nach diesem Exodus traten in der immer mehr schrumpfenden Gesamtzahl der Prager Doktoren und Lizentiaten Auswärtige nur noch als Einzelgänger auf und zwar kaum mehr über die Jahrhundertwende 142 Zelený-Kadlec, S. 104. T®íška, S. 112. Kochendörffer, S. 584. Matrikel Heidelberg 1, S. 4, 674 Anm. 3. P. Moraw, Kanzlei und Kanzleipersonal König Ruprechts. In: ADipl 15 (1969), S. 428–531, hier S. 500f. (mit irriger Zuweisung). F.-J. Heyen, Das Erzbistum Trier 1. Das Stift St. Paulin vor Trier. GS NF 6. 1972. S. 806. 143 Zelený-Kadlec, S. 103. T®íška, S. 284. Matrikel Heidelberg 3. 1893. S. 346. G. Ritter, Die Heidelberger Universität. 1. 1936. S. 528. A. Schmidt, H. Heimpel, Winand von Steeg (1371–1453), ein mittelrheinischer Gelehrter und Künstler und die Bilderhandschrift über Zollfreiheit des Bacharacher Pfarrweins auf dem Rhein aus dem Jahre 1426 (Handschrift 12 des Bayerischen Geheimen Hausarchivs zu München). AAM, Phil.-hist. Kl. NF 81. 1977, S. 117. Heimpel, Vener 3, S. 1587. Weisert, Universität 1, S. 62, 66; 2, S. 77. 144 Zelený-Kadlec, S. 104. T®íška, S. 123. Matrikel Heidelberg 1, S. 4; 2, S. 524. Matrikel Wein 1, S. 40. Die Matrikel der Universität Köln. Bearb. v. H. Keussen. Bd. 1. 2. Au. 1928. S. 72, 81, 83, 98. Ders., Die alte Universität Köln. 1934. S. 450. Weisert, Universität 2, S. 77.
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hinaus. Im Entscheidungsjahr 1409 und danach gab es in Prag keinen fremden Rechtslehrer mehr. Nikolaus Klitzke († 1419)145 aus der brandenburgischen Adelsfamilie (Prignitz), die sich später von Klitzing nannte, scheint nach den bisher bekannt gewordenen Daten ebenfalls den schon üblich gewordenen alleinigen Prager Studiengang absolviert zu haben. Er erwarb sein Lizentiat im Jahre 1396. Seine vielleicht untergeordnete Lehrtätigkeit ist ohne sicheres Datum bezeugt. Lange war er nicht damit befaßt, denn schon 1401 war er Generalvikar, später Ofzial des Bischofs von Brandenburg und beendete seine Laufbahn als Propst dieser Domkirche. Das letzte Datum, an welchem ein auswärtiger Rechtslehrer ausdrücklich als lehrend bezeugt ist, ist 1402. Dieses bezog sich auf Michael Blide (wohl: von Greifenhagen)146 aus Pommern († 1417 oder davor), der sich im Jahre 1399 mit adeliger oder adelsgleicher Gebühr an der Rechtsuniversität immatrikulierte und schon im gleichen Jahr Lizentiat und Doktorat erlangte. Diese nicht gewöhnliche Konstellation besaß ihre nicht gewöhnliche Vorgeschichte, von welcher rekonstruiert werden kann, daß Michael damals schon ein erfolgreicher Kirchenjurist und Pfründeneigner war, dem nur noch die akademischen Titel fehlten: Als Domherr von Kammin, Kanoniker in Stettin und Generalvikar (1391–98) und Ofzial seines Bischofs sowie päpstlicher Subkollektor in diesem Bistum (1394) war er längst „fertig“, bevor er Prager „Student“ wurde. Dies ist gegenüber den vielleicht vierzehnjährigen Lateinschülern in der Artistenfakultät nicht nur ein klassisches Beispiel für die Problematik des nivellierenden Etiketts „Universität“, das die Historiker einer Anstalt aufkleben, die sozial auseinanderzufallen kaum umhin konnte. Man ersieht auch aus diesem Fall, daß sich die wichtigsten Karriereelemente der einheimischen Juristen bei den auswärtigen Rechtslehrern durchaus wiederholen konnten, daß sie jedoch des entscheidenden Moments der Konzentration entbehren mußten, das sich an der Moldau von selbst ergab. Einen gewissen, freilich bei weitem
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Zelený-Kadlec, S. 96. T®íška, S. 401. Urkundenbuch der Familie von Klitzing. Hg. G. Schmidt. 1891. G. Abb, G. Wentz, Das Bistum Brandenburg 1. GS I, 1. 1929. S. 44, 60, 64, 92, 102, 104, 110, 117, 122, 134f., 165f. F. Bünger, G. Wentz, Das Bistum Brandenburg 2. GS I, 3. 2. 1941. S. 515, 517. Ein älteres Familienmitglied 1312 in Bologna (G. C. Knod, Deutsche Studenten in Bologna [1289 –1562]. 1899. S. 254). 146 Zelený-Kadlec, S. 96f. T®íška, S. 371. Als Kollektor war er einem Lizentiaten des Kirchenrechts (Bologna) Nikolaus von Werder zugeordnet (Repertorium Germanicum 2, Sp. 866), der wohl mit dem oben genannten Rechtslehrer verwandt war. Schuchard, S. 87, 95.
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nicht genügenden Ausgleich mag die im Durchschnitt etwas höher zu veranschlagende Standesqualität der Ankömmlinge geboten haben, die – im Lichte der kommenden Universitätsgeschichte betrachtet – nicht als Standesqualität von Professoren im allgemeinen, sondern als solche von Juristen und insbesondere von führenden Kirchenjuristen bewertet werden muß. Die Carolina, so sollte noch einmal betont werden, war sozialgeschichtlich betrachtet eine zugeordnete Größe und nicht ein Mittelpunkt eigenen Gewichts. So liegt der Verdacht nahe, daß auch bei Blide die erfolgreich fortgesetzte kirchliche Laufbahn (Breslauer Generalvikar) nach einer „Pichtübung“ an der Universität das wirklich Wesentliche war und bis zum Lebensende blieb. Geld und Papstbezug oder genauer Papstnanz (man denke an die Kollektoren im Kreis der Doktoren) erweisen sich ein weiteres Mal als Elemente eines „horizontalen“ Netzes von Personenbeziehungen, in welchem die Prager Universität jeweils nur für einige Zeit einen Verdichtungspunkt darstellte, und nicht den wichtigsten. Solche Verechtungen bezogen sich natürlich auch „vertikal“ auf die eigene Familie; ein zweifellos verwandter Johannes Blide147 z. B. war als Artistenmagister und Bakkalar beider Rechte Prager Rektor von 1371, nachdem er zusammen mit Horborch und Hauben in Bologna studiert hatte (1368). Erst im Zeitalter der Territorialuniversitäten wird eine nicht unbeträchtliche regionale Verengung und damit verbunden ein sozialer Abstieg der Universitätslehrer einsetzen148. Insgesamt erscheinen gegenüber dem relativ geschlossenen Kern des einheimischen Lehrkörpers die auswärtigen Rechtslehrer als Einzelgänger von geringerer Bedeutung; das annähernde Gleichgewicht der Zahlen täuscht. Immerhin ist bemerkenswert, daß sich das Studienverhalten beider Gruppen nicht wesentlich unterschied, eher war die Rolle der Prager Ausbildung bei den Nichtböhmen noch gewichtiger. Die Fremden waren oder wurden zum größten Teil mit den Einheimischen hierarchisch gleichrangig, ein „Einbruch“ in die Prager Kirche ist ihnen aber nicht gelungen. So war es die Regel, daß die auswärtigen Lehrer Prag wieder verließen: zugunsten der Kurie, der heimischen Kirchenlaufbahn oder zugunsten einer anderen deutschen Universität. Kein Böhme hat diesen letzten Weg gewählt. Es ist ein wesentlicher
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Zelený-Kadlec, S. 80. T®íška, S. 222. Moraw, wie Anm. 4 und 86. Die Juristen blieben selbst dann in der Regel die relativ höchststehende Gruppe. 148
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Tatbestand, daß auf diese Weise vor allem nach Heidelberg und Köln zwar nicht die Prager Juristen-Universität an sich verpanzt wurde, jedoch ganz bestimmte Positionen an ihr, und damit natürlich auch das Wissen um die Gesamtsituation. Die Prager Situation als ganze war ohnehin nicht exportierbar. Ist damit für die deutsche Universität schon das Stichwort vom „Modell Prag“ bedenklich geworden, so wird es noch bedenklicher beim Blick von Prag aus auf das Stichwort „Modell Bologna“, das vom verfassungsgeschichtlichen Blickpunkt einleuchtend schien. Die Situation in Prag wies zweifellos Wesenszüge auf, die in Analogie zu jenen Bolognas ausgebildet worden waren, besonders die Rolle der Scholaren und ihr Rektorat, und die ebensoviel mit der Nachahmung des Selbsterlebten wie mit dem unabweisbaren Legitimitätsbedürfnis zu tun hatten. Adeliges und adelsorientiertes Verhalten und Legitimierungsbedürfnis – dieses und nicht viel mehr band die Prager Rechtsschule wirklich an Bologna. Hier war auch – wenigstens einigermaßen – soziale Vergleichbarkeit gegeben. Gemeinsam war auch noch das Faktum, daß ein Gegenüber „exklusive Scholaren“ – „Doktoren“ bestand. Aber die Beschaffenheit dieses Gegenübers auf der Seite der Rechtslehrer war gänzlich anders. Von doctores salariati oder gar von den alten collecta-Doktoren konnte, was den Kern betraf, in Prag nicht die Rede sein; auch bildete nicht eine ökonomisierte Laienwelt den Hintergrund des ganzen Instituts. An der Stelle der Kommune stand die reiche Prager Kirche, die dann auf immer mehr Kritik und Widerstand stieß und die Juristenuniversität in ihren Zusammenbruch mithineinriß. In Wien und Heidelberg oder dann in Köln und Erfurt war das Milieu wiederum in hohem Maße anders; so waren am Ende die Juristen integriert und die Studenten einußlos. Es entstand damit ein weiteres Mal eine neuartig beschaffene Universität – jedoch abermals mit jenen beiden Eigenschaften, die ordentliche Universitäten schon zuvor legitimiert hatten: mit Privilegien und mit Verfassungsformalien in der hergebrachten Weise. Wir kommen zuletzt zur Frage nach der Verankerung des Prager Rechtsstudiums in der politischen und juristischen Gesellschaft der Mit- und Nachwelt. Karl IV. ist – wie schon angedeutet – schwerlich ein großer Freund der Juristen gewesen. Unter seinen nichthochadeligen Dienern fast jeglicher Sparte waren Vertreter einer nanziellökonomischen Elite, die vor allem dem Großbürgertum entstammten, beträchtlich erfolgreicher als gelehrte Juristen. In der Hofkanzlei, deren gutes Funktionieren allgemein anerkannt ist, war der Anteil dieser Fachleute, noch dazu mit Graduierung, erstaunlich gering: ein Dok-
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tor des Kirchenrechts, drei Bakkalare verschiedener Rechte, mehrere Jura-Studenten ohne Graduierung149. Nur einer der Kanzler hatte das Recht studiert; Johann von Neumarkt, der wichtigste, offenbar nicht. Nur in einem einzigen Fall ist in der Kanzlei schon ein Prager Studium (zusammen mit einem Aufenthalt in Bologna) nachzuweisen. Die wichtigste Quelle gelehrt-juristischer Belehrung bot – wenn man ihrer bedurfte – die Prager Kirche in Gestalt ihrer Erzbischöfe und von deren führenden Mitarbeitern, mit denen der Hof des Kaisers vertrauensvoll zusammenarbeitete. Auch einige Hofkapelläne und Bischöfe aus dem Reich, die immer wieder am Hofe weilten, hatten ein Rechtsstudium besucht. Weitaus am wichtigsten war dafür Italien. Die gelehrten Juristen okzitanischer Ausbildung, beachtenswert noch unter König Johann von Böhmen und Balduin von Trier (mit dem Paradebeispiel Rudolf Losses), waren am Karlshof nur wenig erfolgreich. Umgekehrt ist bei keinem der Prager Universitätsjuristen außer bei Wilhelm Horborch eine nähere Beziehung zum Kaiser nachweisbar. Das Bild änderte sich unter Wenzel und bestätigt damit manche andere Beobachtung über die Entwicklung der Carolina und über das Zeitalter des unglücklichen Luxemburgers; denn es ist von einer Verengung des Königtums und damit von einer Konzentration auf das heimische Substrat auch aus diesem weniger rühmlichen Grund zu sprechen; zuletzt ist Wenzels Herrschaft beinahe ein Prager Stadtkönigtum gewesen. Es hatten auch die Wirtschaftsbürger zu studieren begonnen, und zwar natürlich das Feinste: die Jurisprudenz150. So wurde in den erfolgreichen achtziger Jahren die Juristenuniversität zu einem Treffpunkt dieser und der nächsten politischen Generation, der jetzt – personengeschichtlich beurteilt – an die Seite der italienischen Universitäten gestellt werden kann. Zwischen 1381 und 1385 trifft man bei den Prager Juristen mindestens sieben Kanzleibeamte Wenzels, zwei spätere Räte Ruprechts und einen kommenden Kanzler Sigismunds. Die Hofkanzlei Wenzels war wie diejenige des Wittelsbacher Gegenkönigs gelehrt-juristisch akzentuiert; man konnte kaum mehr Protonotar ohne Rechtsstudium werden151. Dabei zeigte sich freilich immer mehr 149 P. Moraw, Grundzüge der Kanzleigeschichte Kaiser Karls IV. (1346–1378). In: ZHF 12 (1985), S. 11–42. An obigem Urteil ändert auch nichts die Ernennung des Bartolus von Saxoferrato zum Rat Karls IV. ehrenhalber (1355). Vgl. auch P. Weimar, in: Lexikon des Mittelalters 1 (1980), Sp. 1500f. 150 Klassisches Beispiel ist der Erzbischof Johann von Jenzenstein. Vgl. Anm. 56. 151 Hlaváoek, Urkundenwesen, passim. Moraw, Kanzlei, passim. Vgl. etwa MUP II, S. 7f., 31, 70.
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ganz allein Prager Ausbildung. Jetzt wuchs auch die Legistik, die zur kaiserlichen Rechtswissenschaft des 15. Jahrhunderts aufsteigen sollte, in ihren ersten Anfängen langsam heran. Johannes Naso († 1440 als Bischof von Chur), Kapellan, secretarius und Rat König Wenzels, aus Lindauer Familie, Sohn eines wohlhabenden Hofbeamten Karls IV., wurde 1402 als erster in Prag doctor utriusque iuris, der erste auch am Hofe eines deutschen Königs152 – freilich nicht allein, denn im gleichen Jahr 1402 wurde der führende Hofjurist Ruprechts in Bologna mit der gleiche Würde ausgezeichnet: Job Vener153. Ein Beleg für eine Universitätslehre Nasos läßt sich nicht erbringen. Im Rat König Ruprechts kann man drei Heidelberger und Würzburger Jus-Professoren Prager Provenienz aufnden154. Die orthodoxe Politik König Sigismunds, gerade im Umkreis des Konzils von Konstanz, ist wesentlich mitbestimmt worden durch diejenige Generation, die das schon bedrohte Prag vor und um 1400 miterlebt hatte und zur erbitterten Gegnerin der Glaubensneuerer, der „Umstürzler“ und „Nationalisten“, wie sie sie sah, heranwuchs. Viele Vorkämpfer und Berater beider Parteien dürften sich von Prag her gekannt haben. In dieser Krisenzeit war die kleine Welt der Prager Juristenuniversität – als bedrohte und untergehende Welt – mit der großen Welt der Politik besonders verbunden. Zuletzt setzte sich im 15. Jahrhundert im Reich ohnehin eine viel engere Beziehung der Jurisprudenz zum „Staat“, auch zum Königtum durch, als man sich im vorhergehenden Säkulum hätte vorstellen können. Damals war erst die Kirche juristisch durchdrungen, vom Papsttum ausstrahlend auf die großen Bischofskirchen. Indem der „Staat“ des 15. Jahrhunderts als neuen Typus die „integrierte“ Territorialuniversität schuf, siegte er an diesem Punkt gleichsam über die „Gesellschaft“, die die üblichen großen sozialen Unterschiede zwischen studierenden und studierten Juristen und studierenden und studierten Nichtjuristen hervorgebracht hatte. Er siegte freilich nicht gänzlich: Es kam zwar statt des adeligen Doktors vorwiegend der bürgerliche, aber dieser wollte adelsgleich werden155. Der adelige Doktor entsprach der weitgespannten Kirche,
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Zelený-Kadlec, S. 97–99. T®íška, S. 283. Moraw, Kanzlei (wie Anm. 142), S. 476ff. Heimpel, Vener, passim. 154 Moraw, Beamtentum, S. 112ff. 155 G. Le Bras, Velut splendor rmamenti: Le docteur dans le droit de l’église médiévale. In: Etudes de la philosophie médiévale. Mélanges offerts à Etienne Gilson. Toronto Paris 1959, S. 373–388. H. Lange, Vom Adel des doctor. In: Das Prol des Juristen in der europäischen Tradition. Symposion aus Anlaß des 70. Geburtstages von Franz Wieacker. 1980, S. 279 –294. 153
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der bürgerliche dem engen Territorialstaat. Dieser Enge wirkte jedoch als zweite bewegende Kraft die Thematik und der Geist des gelehrten Rechts entgegen, innerhalb dessen im neuen Jahrhundert die legistischen Bestandteile immer stärker nach vorn traten. Es entstand eine übergreifende „politische Gruppe“ (groß-)bürgerlicher Juristen, die sich zum eigenen Nutzen einem fachlich neu verstandenen Reichsinteresse zuwandten156.
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Moraw, wie Anm. 5.
KAPITEL 5
SCHLESIEN UND DIE MITTELALTERLICHEN UNIVERSITÄTEN IN PRAG
I Mit dem Thema „Schlesien und die mittelalterliche Universität Prag“ hat man sich seit fast 150 Jahren befaßt. Die Abstände sind immer kürzer geworden, zuerst 80, dann 40 und nun, bis heute, nur noch 20 Jahre1. Das ist kein Zufall, sondern korrespondiert mit dem immer mehr beschleunigten Fortschreiten der Forschung. Die beste Rechtfertigung, das Thema schon nach zwei Jahrzehnten wieder aufzugreifen, besteht in der Tat in diesem beträchtlichen Vorwärtskommen der jüngsten Zeit. Ja man wird ohne Übertreibung behaupten dürfen, daß Universitätsund Bildungsgeschichte zu den sich fast explosiv ausdehnenden und durch enormen Erkenntnisgewinn bezeichneten Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft gehören. Daß wir mehr wissen als vor zwanzig Jahren, gilt auch für Gebiete, bei denen die Quellen kaum vermehrt worden sind, wie für unser Thema. Man hat aber gelernt, mit den Quellen anders umzugehen.
II Als Meilenstein in der Erforschung der älteren Universitätsgeschichte kann man schon heute das Werk „A History of the University in Europe“ bezeichnen, dessen das Mittelalter betreffender Band 1991 in Cambridge erschienen ist. Im Jahr 1993 kam eine deutsche Übersetzung2 heraus. Zum ersten Mal ist der Versuch gemacht worden, 1 A. W. E. Th. Henschel: Schlesiens wissenschaftliche Zustände im vierzehnten Jahrhundert, Breslau 1850; W. Wostry: Die Schlesier an der Universität Prag vor 1409, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Altertum Schlesiens 66, 1932, S. 1–33; F. Machilek: Die Schlesier an der Universität Prag vor 1409, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 32, 1974, S. 81–102. 2 A History of the University in Europe. General Editor W. Rüegg, Vol. I: The Middle Ages. Editor H. De Ridder-Symoens, Cambridge 1991; Geschichte der Universität in Europa, hg. v. W. Rüegg, Bd. 1: Mittelalter, München 1993.
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die kaum übersehbar gewordene, inzwischen völlig internationalisierte Forschung der letzten Jahre und Jahrzehnte zusammenzufassen, und zwar nicht nach Ländern oder gar nach einzelnen Anstalten, sondern übergreifend nach Sachgebieten jeweils für ganz Europa. Einem derartigen Ansatz würde man für andere Gebiete der Geschichte mit gutem Grund zurückhaltend gegenüberstehen. Hier ist – wohl zum ersten Mal für einen größeren Ausschnitt der älteren europäischen Geschichte – tatsächlich ein voll integratives Vorgehen versucht worden. Auf seine Ergebnisse werden wir, soweit Schlesien betroffen ist, zurückkommen. Nicht minder wird man von ansehnlichen Veränderungen sprechen, die unser Bild vom älteren Bildungswesen in Prag in der jüngsten Zeit erfahren hat. Im Jahr 1348 ist bekanntlich dort das älteste Generalstudium im nordalpinen Reich gegründet worden3. Ich fasse diese Veränderungen in sieben Punkten zusammen: 1. Vermutlich von Anfang an, gewiß seit dem Beginn eines wirklichen Universitätsbetriebs haben in Prag nebeneinander zwei Universitäten bestanden, ungeachtet der einheitlichen Privilegierung eines Studiums durch Papst und König. Es waren eine vornehme Universität der Juristen nach dem Vorbild von Bologna und eine weniger vornehme Universität der Artisten, d. h. der Philosophen, und der Theologen, vermehrt um einige Mediziner, nach dem Vorbild von Paris. Die beiden Universitäten lagen im Konikt miteinander und haben erst nach und nach zu einem Modus vivendi gefunden. 2. Die Juristenuniversität ist praktisch 1409 untergegangen, durch die Abwanderung der meisten Lehrenden und Lernenden als Folge des
3 Hauptquellen für unsere Fragestellung: Monumenta historica universitatis CaroloFerdinandeae Pragensis. Pars 1: Liber decanorum facultatis philosophicae universitatis Pragensis, Prag 1830; Pars 2: Album seu matricula facultatis juridicae universitatis Pragensis, Codex diplomaticus universitatis ejusdem, Prag 1834. – P. Moraw: Die Universität Prag im Mittelalter, in: Die Universität zu Prag, München 1986, S. 9 –134 [mit der wichtigsten Literatur] (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7); Ders.: Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungsund sozialgeschichtlich betrachtet, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. v. J. Fried, Sigmaringen 1986, S. 439 –486 (Vorträge und Forschungen 30); Ders.: Die Prager Universitäten des Mittelalters, in: Spannungen und Widersprüche, Gedenkschrift für F. Graus, Sigmaringen 1992, S. 109 –123; M. Svatoš: Das Institut für die Geschichte der Karls-Universität in Prag, in: Bohemia 33, 1992, S. 361–370. Laufend die Zeitschrift Acta universitatis Carolinae – Historia universitatis Carolinae Pragensis.
schlesien und die universität prag
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sogenannten Kuttenberger Dekrets, von dem noch kurz die Rede sein wird. Das Konstanzer Konzil hat 1417 die Privilegien des Prager Studiums aufgehoben. Spätere Restitutionsversuche blieben ohne dauernden Erfolg. So ist auch die Dreifakultäten-Universität, die stark geschwächt und auf die „Böhmische Nation“ reduziert das Jahr 1409 überlebt hatte, 1417 aus der legitimen europäischen Universitätsgeschichte gemäß dem Urteil der Zeitgenossen ausgeschieden. Die legitime europäische Universitätsgeschichte ist in verschiedener Weise, aber vor allem dadurch gekennzeichnet, daß Graduierungen an Anstalten mit einwandfreier Privilegierung überall im christlichen Europa anerkannt worden sind. Prager Graduierungen hatten nach 1417 im Normalfall nur noch Gültigkeit für das neugläubige Innerböhmen und die entsprechenden Teile Mährens. Übrigens ist eine Hohe Schule wie die Prager nach 1417, die allein auf die philosophische Fakultät beschränkt ist, nach mitteleuropäischem Verständnis keine Universität. Man kann sie mit dem Status frühneuzeitlicher kalvinistischer Studienanstalten wie Herborn vergleichen, die zwar von ihren speziellen Interessenten besucht wurden, aber nicht anerkannt graduieren konnten. 3. Gegenüber dem formalen Datum von 1348 stellt sich die Frage nach dem wirklichen Beginn des Studienbetriebs nach europäischem Maßstab, das heißt die Frage nach dem Einsetzen von Graduierungen und zwar nicht nur bei der untergeordneten Artistenfakultät, sondern vor allem bei den höheren Fakultäten. Für eine Graduierung an einer höheren Fakultät war ein Doktorenkollegium vonnöten, das heißt zwei oder normalerweise drei der höchstrangigen Lehrer, an denen in jener Generation in der Mitte Europas noch extremer Mangel herrschte. In der Artistenfakultät ist wohl der unterste Grad des Bakkalars seit 1359 erteilt worden, ein Magistergrad wohl zwei Jahre später, wenn auch das Dekansbuch der Artisten als Hauptdokument der Existenz der Fakultät erst 1367 einsetzte. Die Graduierung der Juristen kann man nicht vor 1371, bestenfalls 1370, datieren4. Erst 1369 ist der erste nichtitalienische Doktor des Kirchenrechts eingetroffen, an Römisches Recht war ohnehin nicht zu denken. Seit 1371 oder 1370 kann man daher von einem nachgewiesenen Prager Universitätsbetrieb auf allen Ebenen sprechen, der den Selbstverständlichkeiten einer italienischen, französischen oder
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Moraw: Die Prager Universitäten (wie Anm. 3), S. 116f.
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englischen Universität entsprach. Weil die erste Krise der Prager Universitätsgeschichte schon 1384 auftrat, war die Zeit der Blüte nur kurz, bestenfalls knapp 40 Jahre. 4. Jede Universität war bedeutsam für ihren Nahbereich, in diesem Fall für Böhmen. Bei der Frage nach dem Wirken einer Universität über den Nahbereich hinaus jedoch treten bedeutende Unterschiede auf. So verhielt es sich auch in Prag. Die Analyse der wichtigsten Graduierungen, der juristischen, hat ergeben, daß das nordalpine Reichsgebiet außerhalb Böhmens, also auch Schlesien, keineswegs gleichmäßig erfaßt worden ist. Zwei Tatbestände aus diesem Zusammenhang sind wichtig: a) das Studieren in Italien und eingeschränkt in Frankreich bestand auch während der Erfolgsjahrzehnte der Carolina unverändert fort. b) Nach Prag ging man zur Graduierung in der Juristenuniversität in erster Linie aus den weniger entwickelten und im Hinblick auf die alten Bildungszentren entlegenen Landschaften, zumal aus denjenigen zwischen Böhmen und der Nord- und Ostsee. Aus dem Rheinland und dem Südwesten und Süden, den moderneren deutschen Landschaften, kamen viel weniger junge Leute zur Graduierung nach Prag, als Bevölkerungszahl und Entwicklungsstand hätten erwarten lassen5. 5. Blicken wir noch einen Augenblick auf die nun nähergerückten Entstehungsdaten der anderen mitteleuropäischen Universitäten (die zum Teil, was das hier interessierende wirkliche Funktionieren betrifft, ebenfalls rektiziert werden müssen: so für Krakau von 1364 auf 1400 und für Wien in hohem Maß von 1365 auf 1384), so tritt das große Gewicht der Kölner Gründung von 1388 nach vorn6. Die „Startmannschaft“ der Kölner war so umfangreich wie diejenigen aller älteren mitteleuropäischen Gründungen zusammengenommen. Auch war die Personalsituation in Köln anders als diejenige in Wien, Heidelberg, Erfurt oder Leipzig von der Prager Situation weitgehend unabhängig. Man konnte aus einem eigenen rheinischen Reservoir schöpfen, und dieses Reservoir war allen anderen in Deutschland klar überlegen. Auf die naheliegende Frage, warum dann eine Universität zuerst in Prag und nicht umgeben von wesentlich moderneren
5
Ebd. 119ff. P. Moraw: E. Meuthen, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte 1), Köln-Wien 1988, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 243, 1991, S. 239 –245; Ders.: Die Hohe Schule in Krakau und das europäische Universitätssystem um 1400, künftig in: Fünfzehntes Jahrhundert, Festschrift für E. Meuthen, 1993. 6
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sozialen Bedingungen am Rhein ins Leben getreten sei, gibt das Kraftzentrum „große Dynastie“ die Antwort. Karl IV. hatte den erbitterten Kampf der Kurie gegen Kaiser Ludwig den Bayern genutzt. So hatte er ein erstaunlich freigebiges Papstprivileg erlangt, dessen Großzügigkeit man am besten damit erklärt, daß man in Avignon mit seiner Realisierung wohl gar nicht gerechnet hat. Denn mehr als die Hälfte der Universitätspläne des 14. Jahrhunderts in Europa ist gescheitert. Die Energie Karls IV. aber setzte sich durch. 6. Man ahnt schon: Ohne Rücksicht auf das allgemeine Kultur- oder Zivilisationsgefüge Europas kann man heute nicht mehr von Universitätsgeschichte reden. Behauptungen, die nicht da hinein passen, laden sich eine hohe Beweislast auf und entlarven sich häug als grober Anachronismus oder als nationales oder regionales Wunschdenken. Denn die oft stillschweigend gemachte Voraussetzung, daß es sich um ein verhältnismäßig gleichartiges Universitätssystem in einem verhältnismäßig gleichartigen Europa gehandelt habe, ist gänzlich unzutreffend7. Es bestanden vielmehr krasse Unterschiede. Zum Beispiel konnte Prag niemals ein zweites Paris oder Bologna werden, und ebensowenig vermochten dies Wien oder Heidelberg. Insofern Köln – wie ich sage – zum „Älteren Europa“ wie der Südund der Westteil des Kontinents gehörte und nicht zum „ Jüngeren Europa“ rechts des Rheins8, war auch seine Universität etwas anderes, „Westlicheres“. Es gab auch kein Netzwerk von gleich breiten Wegen, auf denen man über Europa hinweg zu Studienzwecken hin und her wanderte. Vielmehr bestanden einige breite Straßen, die faktisch Einbahnstraßen waren, und einige ziemlich überwachsene Pfade, auf denen zu wandern nicht empfehlenswert war. 7. Je nach dem sozialen Anspruch der Scholaren besaßen auch die Prager Universitäten grundverschiedene Funktionen. Für die „Grundausbildung“ der „Artisten“ oder „Philosophen“ bestand zunächst tatsächlich, bis zum Auftreten arbeitsfähiger Konkurrenten, eine gut ausgebaute Mittelpunktsstellung in Zentraleuropa. Für die vornehmsten und später einußreichsten, die graduierten Juristen,
7 P. Moraw: Das spätmittelalterliche Universitätssystem in Europa – sozialgeschichtlich betrachtet, in: Wissensliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, hg. v. H. Brunner u. N. R. Wolf, Wiesbaden 1993, S. 9 –25 (Wissensliteratur im Mittelalter 13). 8 P. Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: Hochnanz. Wirtschaftsräume. Innovationen, Festschrift für W. v. Stromer, Trier 1987, Bd. 2, S. 583–622.
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blieb die Carolina wie erwähnt eine Nischenuniversität. Demgemäß gab es in Prag auch praktisch keine Studenten aus dem „Älteren Europa“, denn für diese hätte ein Prager Studium sozial gesehen einen Abstieg bedeutet. Dafür kamen nicht wenige aus der unterentwickelten Peripherie im Norden und Osten des Kontinents, da sie nur gewinnen konnten. Es gab in Prag auch kein Lehrangebot im modernsten Fach, im Römischen Recht, wie es von Anfang an an den linksrheinischen Hohen Schulen, in Köln und Löwen, bestand. Man kann alle diese Bemerkungen in dem bekannten Satz zusammenfassen, daß aller Anfang, auch derjenige der Prager Universitäten, schwer gewesen ist und daher zweckmäßigerweise bescheidener eingeordnet werden sollte, als er bei isolierter Betrachtung erscheint.
III Wenigstens eine Konsequenz aus dem nun wohl offengelegten Tatbestand, daß das Thema „Schlesien und die mittelalterliche Universität Prag“ schwieriger ist als zunächst vermutet, sollte man hier ziehen. Man sollte erwähnen, daß dieses Thema nach modernen Ansprüchen eigentlich nur als umfassende ältere Bildungsgeschichte einer Region behandelt werden kann, die damit zugleich in die europäische Bildungsgeschichte eingeordnet wird. Die ältere Bildungsgeschichte irgendeiner mitteleuropäischen Region, also etwa auch der 36.000 qkm Schlesiens oder genauer des Bistums Breslau, ist meines Wissens noch nie geschrieben worden, obwohl man möglicherweise heute schon einen jungen Mann oder eine junge Dame ermutigen könnte, etwas dergleichen zu wagen9. Wir brauchen hier nur einen Aspekt aus einem solchen Ansatz anzusprechen, um endlich wohl alle besonders wesentlichen Voraussetzungen unserer Thematik wenigstens berührt zu haben. Wir müssen einen vagen Eindruck davon gewinnen, wie das – sagen wir einmal – höhere Bildungswesen, das für Schlesien in Betracht kommt, vor 1348 oder
9 Ein Ansatz etwa bei F. Rapp: Les Alsaçiens et les universités à la n du Moyen Age, in: Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Comptes rendus des séances de l’année 1984, S. 250 –263.
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(wie wir jetzt schon berichtigt sagen:) vor 1360/70 beschaffen (gleich sei hinzugefügt:) und wie es neben dem Thema „Prager Studium“ bis zum Ende dieser Prager Thematik beschaffen blieb. Denn Prag ist niemals der einzige Blickpunkt der höheren schlesischen Bildung in älterer Zeit gewesen. Zur Zeit der Gründung der Carolina im Jahr 1348 gab es 17 blühende Universitäten, fünf in Italien, vier in Südfrankreich, vier auf der Iberischen Halbinsel und je zwei in Nordfrankreich und in England. Angesichts der geographischen Lage Schlesiens waren für dieses wirklich wichtig vor allem zwei, die Juristenuniversität Bologna mit ihrem Ableger Padua und die philosophisch-theologisch akzentuierte Universität in Paris. Sie sind um 1200 entstanden. Alle übrigen Hohen Schulen können wir vernachlässigen. Der Rückblick, der sich demnach auf die 150 Jahre vor 1348 oder die gut 200 Jahre bis zum Untergang der alten Carolina konzentrieren kann, hat zwei jeweils gleichsam zweiteilige Adressaten. Diese Adressaten entsprechen bis zur Zeit um 1400 den beiden klar getrennten „Stockwerken“ der europäischen Bildungslandschaft. Im Hinblick auf die Kirche, zunächst faktisch auf die Breslauer Domkirche, blickt man nach Italien; in diese Richtung auch, aber in ganz deutlichem Abstand, hinsichtlich der Höfe der Piastenfürsten. Im Hinblick auf das im 13. Jahrhundert vollendete deutsche Schlesien, das heißt hier auf die Stadtbevölkerung und womöglich in deren Gefolge hie und da auch auf Landgesessene, sieht man auf Paris. Das Visieren in beiderlei Richtung ist freilich wie üblich durch enorme Quellenschwierigkeiten getrübt. Das heißt: Wir sind für unseren Zweck, bis der Forschung ein vielleicht bald zu erhoffender methodischer Durchbruch gelingt, oft auf einfache phänomenologische, nicht so sehr auf quantizierbare Aussagen verwiesen. Sie sind immerhin besser begründet als noch vor einigen Jahren. Zu diesen Aussagen gehört: Schlesien verhielt sich nach der Aussage des ganzen Belegmaterials wie eine mitteleuropäische Landschaft, nicht wie eine osteuropäische. Das heißt: Abzüglich dynastischer Zentralität sind diejenigen Zeugnisse zumal für graduierte Juristen in wachsender Zahl vorhanden, die man vernünftigerweise erwarten kann, und sogar einiges mehr. Es war freilich wohl eher ein defensives als ein weit ausstrahlendes Verhalten. Dieses Urteil ist aus zahlreichen Einzelbeobachtungen zusammengesetzt, von denen ich eine negative und eine positive aus der jüngsten Forschung zitieren möchte: 1. Im recht ansehnlichen voruniversitären Bildungszentrum Erfurt um und nach 1300 mit seiner zentralen Lage
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ist unter den vielen Lehrern kein Schlesier zu nden10 (S. Lorenz). Dies würde Philosophie und vielleicht Theologie betreffen. Dafür sei aber auf den Zeitgenossen der großen Scholastiker (Stichwort: Albertus Magnus), den Schlesier Witelo, hingewiesen, den Naturwissenschaftler (Optik) und Neuplatoniker, der nach Studien in Frankreich und in Padua zeitweise am Papsthof weilte und wohl auch Breslauer Domherr geworden ist11. An der Kurie hielten sich auch der Breslauer Archidiakon Stefan (1264) und (erst 1371) der Franziskaner Jakob von Breslau – dieser als päpstlicher – Pönitentiar auf. 2. Die Analyse der gelehrten Juristen im territorialen Dienst (I. Männl) hat gezeigt, daß zwar die schlesischen Kleinfürsten weit zurückblieben, daß sich aber die Bischöfe von Breslau „modern“ verhalten haben. Ihnen dienten von 1278 bis 1440 25 Personen jener Art, im Vergleich zu 41 Personen beim Erzbischof von Prag, sieben beim Bischof von Olmütz und drei beim Bischof von Meißen12. Es muß sich in Breslau um besondere Herausforderungen gehandelt haben. Denn das Geschilderte waren nicht ostdeutsche, sondern wie in Böhmen selbst süddeutsche Verhältnisse. Man muß betonen, daß diese Verhältnisse mit oder ohne das Prager Studium zustande gekommen wären. Denn nur vier Prager Studien-Belegen stehen elf aus Bologna und Padua gegenüber. Die weiteren elf ungewissen Studienorte verweisen bestimmt nicht auf Prag, das eher gut bekannte, hin. Die 25 Breslauer Juristen erhielten zu zwei Dritteln Pfründen im Domkapitel. Für dieses Kapitel gibt es von 1200 bis 1341 nach der älteren Arbeit von Samulski neunzehn sichere Studiennachrichten, zumeist italienische, und vierzig Magisterbelege, die nach dem Urteil des Autors universitätsbezogen seien (und damit am ehesten auf Paris verweisen würden). Das wäre alles zusammen genommen ein damals hoher Studienanteil für zwanzig Prozent aller Kanoniker13. Die bisher angesprochenen Lebenskreise repräsentieren indessen bei weitem nicht alles, was an Bildung und Kultur welchen Ranges auch immer in Schlesien bestand. Man sollte auf das öffentliche Notariat
10
S. Lorenz: Studium Generale Erfordense, Stuttgart 1989. C. Baeumker: Witelo, 2. Au. Münster 1991. 12 I. Männl: Die gelehrten Juristen in den deutschen Territorien im späten Mittelalter, Ms. Diss. Gießen 1987, S. 63ff. 13 R. Samulski: Untersuchungen über die persönliche Zusammensetzung des Breslauer Domkapitels im Mittelalter bis zum Tode des Bischofs Nanker (1341), Weimar 1940, S. 88ff. (Historisch-Diplomatische Forschungen 6). Vgl. P. Pfotenhauer: Schlesier auf der Universität Bologna, in: Zeitschrift d. Vereins f. Geschichte u. Altertum Schlesiens 28, 1894, S. 433–446. 11
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hinweisen, das anders als im Binnenreich, wo es ausnahmslos aus dem Westen kam, von Italien her induziert worden ist (im Westen bestand es seit den 30er Jahren des 13. Jahrhunderts, in Schlesien einheimisch seit 1298 und italienisch seit 128214. Spuren der Ketzerei, ein Indiz früher sozialer Differenzierung und „modernen Lebens“ (so zuerst im 12. Jahrhundert am Rhein und im Südwesten, in Böhmen um 1300 und im früheren 14. Jahrhundert nur bei Deutschen nachgewiesen), zeigten sich in Schlesien schwach im beginnenden und deutlich im endenden 14. Jahrhundert15. Die schlesische Literatur des Mittelalters war vor allem Fachliteratur und zwar lange vor 1348 oder 1360/7016. Für uns am wichtigsten ist17 die frühe Rezeption des Sachsenspiegels im Zusammenhang mit der Annahme des Magdeburger Stadtrechts. Zwischen 1272 und 1292 ist in Breslau durch den Notar Konrad von Oppeln der ganze Sachsenspiegel ins Lateinische übersetzt worden, vielleicht ein Zeugnis der Übernahme deutschen Rechts in muttersprachlich polnische Kreise. Vermutlich ist dergleichen auf der Basis heimischer oder allenfalls benachbarter Schulen geleistet worden, vor allem in Gestalt heute von der Forschung nicht mehr diskriminierter Rechtspraxis (statt „Halbgelehrtheit“ wie früher herabsetzend formuliert), bevor nämlich Gelegenheit zur Verwissenschaftlichung des Rechts an der Universität bestand. Beides hat sich dann im 14. Jahrhundert gleichsam zusammengefunden, gerade auch in Schlesien.
14 F. Luschek: Notariatsurkunde und Notariat in Schlesien von den Anfängen (1282) bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, Weimar 1940, S. 1ff. (Historisch-Diplomatische Forschungen 5); P.-J. Schuler: Notar, Notariat A II, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München-Zürich 1993, Sp. 1272f. Vgl. C. Bukowska Gorgoni: Le notariat et la pénétration du droit romain en Pologne, in: Conuence des droits savants et des pratiques juridiques, Actes du Colloque de Montpellier, Milano 1979, S. 243–262. 15 A Patschovsky: Spuren böhmischer Ketzerverfolgung in Schlesien am Ende des 14. Jahrhunderts, in: Historica docet [ Festschrift Ivan Hlaváoek], Praha 1992, S. 357–387. 16 W. Bein: Die Literatur des Hochmittelalters in Schlesien, in: JSFUB 24, 1983, S. 253–278; G. Keil: Schlesien als Gegenstand medizinischer Fachprosaforschung, in: Schlesien als Aufgabe interdisziplinärer Forschung, hg. v. L. Bossle u. a., Sigmaringen 1986, S. 53–73; P. Assion: Fachliteratur, in: Die deutsche Literatur des späten Mittelalters 1250 –1370. 2. Teil, hg. v. I. Glier, München 1987, S. 371–395 (H. De Boor und R. Newald: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart III, 2). 17 P. Johanek: Rechtsschrifttum, in: Die deutsche Literatur (wie Anm. 16), S. 396–431.
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Wir kommen nun zur Hauptsache: Zum Verhältnis des Prager Studiums zu Schlesien. Wir sprechen zuerst von den Studenten, dann von ihren Lehrern und zuletzt von der Krise der Prager Universitäten mit ihren gravierenden Folgen auch für die Schlesier. Dem Begriff des mittelalterlichen Studenten muß man, wie dem Begriff des Universitätslehrers von damals, mit großer Zurückhaltung gegenübertreten. Sachliche Eintrittsvoraussetzungen oder auch nur ein vorgeschriebenes Mindestalter gab es nicht. Man sieht die Prager Universitätsbesucher in mehrere Gruppen aufgeteilt, die sich als grundverschieden erweisen. Es gab ja kein geregeltes Schulsystem, das als wenigstens einigermaßen einheitliche Alters- oder Wissensbasis hätte dienen können. Am häugsten war als erster Typus der Anfängerstudent der Artistenfakultät, der sich wohl im Alter von fünfzehn oder sechzehn Jahren, von seiner heimischen Pfarr- oder Stadtschule mit einigen Kenntnissen ausgerüstet, immatrikuliert hat. In diesem Grundwissen sollte er in Prag in einiger Breite und mit wenig Tiefe, vielfach mechanisch-formal durch Auswendglernen, befestigt werden. Die Lehrsprache war ein recht sorgloses, umgangssprachlich angepaßtes Latein. Der Student schloß sich einem Magister, meist einem heimatnahen, an und mochte, wenn er als besonders erfolgreicher junger Mann nach den zwei vorgeschriebenen Mindestjahren zum Bakkalar promoviert wurde, in mehreren Unterrichtsfächern ungefähr die „mittlere Reife“ einer modernen Schule erreicht haben18. Schon diesen Grad gewann nur eine Minderheit der Immatrikulierten. Die vielberufene soziale Aufstiegsfunktion der mittelalterlichen Universität hat sich, wie die neuere Forschung unerbittlich nachgewiesen und wie es auch zweifellos für Schlesien gegolten hat, in vielen Fällen auf diese „mittlere Gymnasialbildung“ beschränkt. Schon deshalb sind Analogieschlüsse zum modernen Hochschulwesen äußerst problematisch. War der Student besonders befähigt und wurde er gut gefördert, so konnte er nach abermals zwei Jahren, im Mindestalter von 21, Magister werden und damit gleichsam Abitur machen. Dieser Abschluß gelang aber nur sehr wenigen, im Durchschnitt jedem fünften Prager Bakkalar.
18 Vgl. außer wie in Anm. 2 R. C. Schwinges: Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert, Stuttgart 1986.
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Die Rückkehr als Nichtgraduierter oder als Bakkalar in die – gewöhnlich verhältnismäßig kleine – Heimatstadt ohne erkennbare soziale Konsequenzen war wohl das Normalschicksal der meisten Studenten des späteren Mittelalters in Deutschland. Eine ganz klare Grenze für den sozialen Aufstieg auch zwischen den erfolgreichsten Artisten und den Juristen (siehe später) durchquerte nach wie vor das Land. Der vieles noch erschwerende Übergang des Studiums zur Massenerscheinung in Deutschland, im 15. Jahrhundert, lag zwar nach dem Ende der alten Carolina. Es ist aber auch für die Zeit davor erkennbar, daß der Prozeß der Modernisierung der mittelalterlichen Welt nicht viel mit sozialem Aufstieg zu tun hatte. Man ist eher dadurch charakterisiert, daß man sozial anpassungsfähig blieb und die zentralen Pfeiler des alten Sozialsystems nicht nur nicht tangierte, sondern geradezu durch diese Anpassung stabilisierte. Der Magister erst trat in jenen eigentümlichen Mischstatus ein, den man als den zweiten Grundtyp des Studenten charakterisieren wird. Als Teil seiner Pichten unterrichtete der neue Magister zwei Jahre lang die Jüngsten und konnte u. U. daraus einen Lebensberuf machen, wenn er sich dafür eignete und nicht mehr Ehrgeiz bewies. Er konnte als Lehrer dieser Art auch im Gefüge der Universität aufsteigen, die durch das Ausscheiden der Juristen unter den Einuß der Artisten geraten war, er konnte Dekan und Rektor werden – freilich ein Rektor (auch da er sozial in der Regel ein Aufsteiger war), den ein Angehöriger des noch zu charakterisierenden dritten Studententypus kaum hinnehmen würde. Aber zunächst bleiben wir noch beim Magister und sagen, daß er gleichzeitig, während er lehrte, in einer höheren Fakultät Student wurde und dort aufzusteigen suchte, in der Regel mit nicht sehr viel Erfolg. Bestenfalls schaffte er es bis zu einem mittleren Grad in der Theologie (wie etwa Hus) oder in der Medizin; fast ohne Aussicht war er in der Rechtswissenschaft, der vornehmsten. Denn ihm fehlte der wichtigste Ausweis, der soziale, durch Herkunft und Besitz. Der dritte Studententyp besaß diesen Ausweis und konnte sich daher in der Regel den Weg über die sozial für ihn eher diskriminierende Artistenfakultät ersparen. Durch einen Hauslehrer hatte er sich ungefähr dieselben Kenntnisse angeeignet wie ein Bakkalar oder ein Magister, aber ohne die demütigende Examenssituation. Er ng nun direkt das (kirchliche) Recht zu studieren an und hatte wohl schon eine Pfründe in einer Kirche durch Familienprotektion erworben, eine Pfarrei oder gar ein Kanonikat in einem Stift. Er war auch schon wesentlich älter als die anderen Studierenden, öfter wohl auch älter als
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die Magister der Artisten und ihnen, die oft Hungerleider waren, wie gesagt sozial deutlich überlegen. Er mochte ein Jahr oder dergleichen in Prag zubringen und ging dann nach Italien oder Frankreich, um dort weiterzustudieren oder gar einen juristischen Grad zu erwerben, wie es seinem Stand entsprach. Rechts-Studium oder Grad bekräftigten ihn in dem Anspruch auf Führungspositionen in der Kirche oder am Hof. Aber schon aufgrund seiner meist adeligen oder großbürgerlichen Geburt hätte er diesen Anspruch erheben können. Deswegen war es wünschenswert, studiert zu haben oder gar graduiert worden zu sein, aber nicht notwendig. Die Hauptsache blieben Geburt und Besitz. Auf diese drei Haupttypen der mittelalterlichen Studenten in Deutschland treffen wir auch bei den Schlesiern. Wir nähern uns nun den Befunden quantitativ, so gut es geht. Die Grundlage aller Berechnungen bilden die von 1372 bis 1418 geführte Matrikel der Prager Juristenuniversität, die älteste erhaltene Universitätsmatrikel in Europa, und das Dekansbuch der Artistenfakultät, das die Promotionen der Bakkalare und Magister von 1367 an verzeichnete19. Vor diesen beiden Daten ist in Prag wohl nicht sehr viel los gewesen. Von Theologen und Medizinern haben wir keine systematisch verwertbaren Daten, jedoch punktuelle. Alle Datenquellen, die nun gleichsam kriminalistisch zu kombinieren sind, sind allerdings zeitlich gesehen punktuell, d. h., sie verzeichnen nur augenblicksbezogene Rechtsakte und sagen nichts Exaktes etwa über die Dauer eines Aufenthalts in Prag aus. Die moderne Forschung weiß inzwischen, daß auch äußere Bedingungen bis hin zur Höhe des Getreidepreises den Universitätsbesuch und seine Dauer beeinußten (niedrige Preise begünstigten ihn) und daß insgesamt Universitätsdaten zum zyklischen Verhalten neigen, wie wohl noch heute. Man sollte wohl noch sagen, daß relative Gleichmäßigkeit von Daten das Ergebnis moderner Ausgleichserfolge oder -wünsche ist und daß ältere Daten zumeist extremen Schwankungen unterliegen, als Ausdruck der Unsicherheit der Zeitläufte von damals. Über diese Datenbasis hinaus muß man in der älteren Universitätsgeschichte schätzen. Schätzungen von Zahlen sind schwierig, aber man kann sich von den Größenordnungen dadurch einen Eindruck verschaffen, so z. B. davon, daß von 1348 bis 1505 nach den Annahmen von Schwinges mit ungefähr 200.000 Besuchern an allen deutschen Universitäten zu rechnen ist. Für die Prager Artisten entelen davon
19
Vgl. oben Anm. 3.
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bis 1417 etwa 18.000 –20.000. Die insgesamt bedeutendste Universität von damals, die Wiener Rudolna, zählte für die wesentlich längere Zeitspanne von 1365/1384 bis 1505 gut 40.000 Besucher20. Durch die Immatrikulation beim Rektor und bei einer der vier Universitätsnationen trat man in die Rechts- und Privilegiengemeinschaft der Universität ein. Die entscheidende Lebensform für die Frage nach der Rolle der Schlesier in Prag, aber nicht nur für dieses, bildete die Universitätsnation21. Die Universitätsnationen waren nämlich auch Ausdruck des fortbestehenden Zusammenhangs von Heimat und Studienort und nahezu auch Garanten der Rückkehr nach dem Studienende nach Hause, wie es in der wohl weit überwiegenden Zahl der Fälle eingetreten ist. Universitätsnationen als landsmannschaftliche Vereinigungen waren nicht politische, aber unter Umständen politisierbare Personengruppen für Lehrer und Studenten mit starkem Zusammenhalt, der viel mit Aufstiegswünschen und Positionsverteilungen in Prag und daheim zu tun hatte. Nach Pariser Vorbild gab es an den Prager Universitäten je vier gleichartige und gleichrangige Nationen, in der Reihenfolge ihrer Größe die Bayerische (d. h. rheinisch-bayerische), die Sächsische (d. h. norddeutsche und nordwestdeutsche), die Polnische und die Böhmische Nation. Die Polnische Nation, die nach ihrer größten Teilgruppe auch schlesische Nation hätte heißen können, bestand aus Schlesiern, Altpreußen, (Ober-)Sachsen, Thüringern, Polen und Livländern. Nur der Raum um Glatz zählte gemäß der Bistumszugehörigkeit zur Böhmischen Nation. Unvereinbar mit der statutarischen Gleichrangigkeit der Nationen war freilich das gleichsam unwiderstehliche soziale „Gesetz“ vom Vorwalten des jeweiligen nahen Raumes. Aus diesem Prinzip erwuchsen der Böhmischen Nation, der kleinsten, beträchtliche „Heimvorteile“. Das war damals plausibel, denn auch regionale Kirchen gehörten faktisch, trotz der Bemühungen der Päpste, dem regionalen Klerus, das heißt, oft den führenden einheimischen Familien für deren jüngere Söhne. So entstanden aber auch tiefgreifende Konikte. Auch entsprang daraus mit
20
Schwinges passim. P. Kibre: The Nations in the Mediaeval Universities, Cambridge Mass. 1948 (The Mediaeval Academy of America, Publ. 49); S. Schumann: Die „nationes“ an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien, Diss. FU Berlin 1974; Moraw: Die Universität Prag (wie Anm. 3), S. 50ff.; R. Schmidt: Die Prager Universitätsnationen bis zum Kuttenberger Dekret von 1409 und die Anfänge „nationaler“ Gedanken im Königreich Böhmen, in: Deutsche in den böhmischen Ländern, hg. v. H. Rothe, Köln-WeimarWien 1992, S. 47–65. 21
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derjenige Konikt, der schließlich zum Untergang der alten Carolina führte, weil sich die drei anderen Nationen mit einer quantitativ nicht begründbaren Vorherrschaft der Böhmischen Nation nicht abnden wollten. Den Anteil der Polnischen Nation am Sozialkörper der beiden Prager Universitäten kann man nur näherungsweise angeben, soweit Herkunftsorte identizierbar sind22. Für die Dreifakultätenuniversität in den Jahren 1367 und 1398 beläuft sich dieser Anteil auf 16,9 Prozent bei einigen Schwankungen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Für die schon von Krisen gekennzeichnete und daher weniger besuchte Periode von 1398/99 bis 1409 stieg der Anteil auf 30,1 Prozent. Bei der viel kleineren Juristenuniversität (insgesamt 3.563 Immatrikulationen) lassen sich bei prinzipiell ähnlicher Quellensituation 26,1 Prozent für die Polnische Nation angeben. Damit stand hier diese an zweiter Stelle nach der Sächsischen Nation; über die vermutliche Ursache dieser Abfolge habe ich schon gesprochen. Aus der Polnischen Nation die Gruppe der Schlesier herauszultern23 gelingt abermals nur näherungsweise, weil wieder die Beschaffenheit von Matrikel und Graduiertenlisten mancherlei Schwierigkeiten macht. Der Anteil der Graduierten unter den Artisten, soweit abermals die Namen ungeachtet mancher Vorbehalte geographisch aussagekräftig sind, weist zwischen 1367/68 und 1398 auf einen Anteil der Schlesier an der Polnischen Nation von fast 35 Prozent hin. Mit den Preußen arbeiteten die Schlesier offenbar am besten zusammen, wovon gemeinsame Anstrengungen für ein Kolleg der Nation zu zeugen scheinen (davon später). Dann folgten die Untertanen der Wettiner und die Polen, unter denen wohl nicht wenige Deutsche waren, mit jeweils knapp dreizehn Prozent. Wagt man eine „Hochrechnung“, wie heute üblich, auf die Gesamtstudentenzahl der Schlesier bei den Artisten, so dürfte der Anteil bei ungefähr sechs Prozent gelegen haben. Das war wohl die größte geschlossene Gruppe nach den Böhmen und den Rheinländern und war
22
Die Reichsuniversität in Prag, hg. v. H. Zatschek, Brünn usw. o. J. (1939); F. Šmahel: Prahské universitní studentstvo v p®edrevoluoním období 1399 –1419, Praha 1967 (Rozpravy neskoslovenské Akademie vîd, ®ada spoleoenských vîd 77, 3); Ders.: Le mouvement des étudiants à Prague dans les années 1408–1412, in: Historica 14 (1967), S. 33–75; H. Václav%: Pooet graduovaných a negraduovaných student% na prahské artistické fakultî v letech 1367–1398 a jejích rozdîlení podle p%vodu do univerzitnìch národ%, in: Acta universitatis Carolinae – Historia universitatis Carolinae Pragensis 17, 1, 1977, S. 7–32. 23 Wie Anm. 22.
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angesichts der Kompaktheit der Heimat im Vergleich zum Rheinland möglicherweise die geschlossenste Großgruppe von außerhalb Böhmens. Benachteiligt waren die Schlesier allerdings infolge des Fehlens einer handlungsfähigen heimischen Dynastie von Rang, was womöglich bei der Abwanderung von 1409 ungeachtet der Führungsrolle schlesischer Magister bei diesem Unternehmen zum Zielpunkt Leipzig und nicht zum Zielpunkt Breslau geführt hat. In der Juristenuniversität läßt sich der Anteil der Schlesier an der Polnischen Nation auf ein Drittel angeben und damit auf fast neun Prozent der Jurastudenten. So käme man bei wie gesagt ungefähr 18.000 bis 20.000 Studierenden der Dreifakultäten-Universität hier auf insgesamt etwa 1.100 studierende Schlesier. Zu diesen würden gut 300 Juraimmatrikulationen hinzutreten, die sich allerdings zu einem kleineren Teil auf Personen beziehen dürften, die sich schon an der anderen Prager Universität eingeschrieben hatten und daher dort schon berücksichtigt sind. Mancherlei Indizien, die hier nicht im einzelnen ausgebreitet werden können, weisen auf folgende Eigenschaften der Gruppe der Schlesier in der Artistenfakultät hin: 1. Der Anfang scheint mangels eines führenden Mannes schwierig gewesen zu sein; denn ehe sich Patronate schlesischer Magister für schlesische Scholaren, wie auch sonst allgemein üblich, eingespielt hatten, war man von Führungspersonen der Sächsischen Nation abhängig24. 2. Die Gruppe weist, wenn man die Leipziger Daten von 1409 an25, woran ich nicht zweie, hilfsweise heranziehen darf, eine im Vergleich zur Bayerischen Nation deutlich geringere Zahl von Herkunftsorten (nur 89) auf, was praktisch zu Lasten der Herkunft aus kleineren Plätzen in Schlesien geht. Dies deutet wohl auf eine im ganzen „konservativere“ Sozialstruktur hin. Die Artisten waren demnach zumeist in den Städten verankert und kehrten vermutlich wieder dahin zurück. Leider war es mir nicht möglich, zur regionalen Verteilung Detailaussagen zu machen. 3. Die die Polnische Nation leitenden Schlesier (an dieser Führungsrolle besteht kein Zweifel) haben sich zur Endkrise der Carolina hin nicht dadurch gleichsam korrumpieren lassen, daß der geschwundene Anteil zumal der Bayerischen Nation gleichsam im Bündnis mit der Böhmischen Nation auch den Polen-Schlesiern hätte womöglich Vorteile bringen können. Die luxemburgische Gemeinsamkeit
24
Liber decanorum (wie Anm. 3). W. Keck: Die Herkunft der Leipziger Studenten von 1409 bis 1430, Diss. Leipzig 1933, S. 45ff. 25
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spielte als Motiv keine Rolle gegenüber dem nationalen Beweggrund, jetzt schon ohne Anführungszeichen, also gegenüber der solidarischen Handlungsgemeinschaft mit den beiden anderen deutschen Nationen, wie dieses Trio damals schon zeitgenössisch bezeichnet worden ist26. 4. An der Juristenuniversität ist als weitere Eigenschaft der Polnischen Nation insgesamt, diesmal zusammen mit der Böhmischen, ein deutlich größerer, faktisch doppelt so großer Adelsanteil im Vergleich zur Bayerischen und zur Sächsischen Nation festzustellen (8 bzw. 10% gegenüber 4 und 5%)27. Man kann daher wohl auch deshalb sagen, daß die Sozialstruktur der westlichen Universitätsnationen moderner war als diejenige der östlichen. Es folgen einige Bemerkungen zu den Universitätslehrern. Es waren sehr ungleiche Leute: vom Magister, der sein Leben lang vielleicht am häugsten unwilligen Zöglingen Lateinunterricht gab, bis zum großen Star, dem Doktor der Jurisprudenz, der sich nur zeitweise sehen ließ, für den der Lehrstuhl an einer so jungen Universität nur das zeitweilige Abzweigen von einer viel einträglicheren höschen Karriere am besten beim Papst darstellte. Ein solcher Fall war Wilhelm Horborch (heute Harburg), Angehöriger einer Hamburger Bürgermeisterfamilie, der als erster nichtitalienischer Doktor der Prager Jurisprudenz, wohl vom Kaiser gerufen, der Anstalt Rang und Namen verlieh und bald wieder verschwand28. Stabilität vermochte diese wichtigste Disziplin des päpstlichen Europa an der Carolina erst dadurch zu gewinnen, daß sie mit der Prager Domkirche verknüpft wurde und daß die Lehrstühle des Rechts Durchgangspositionen wurden zu Führungsstellen in der erzbischöichen Verwaltung29. Das hieß aber auch, daß mit dieser Stabilisierung Fremdlinge, darunter Schlesier, von Dauerpositionen praktisch ausgeschlossen wurden. Das Gegenbild scheint die uktuierende Schar der Magister der Artistenfakultät gewesen zu sein. Aber dieser Eindruck ist nur teilweise richtig, wie wir gleich hören werden. Auch bei den Magistern fällt das Urteil über die Polnische Nation und damit über die Schlesier, die fast monopolartig in ihr führten, eher ernüchternd aus. Auch hier sind die Dinge isoliert betrachtet schwer
26 Machilek (wie Anm. 1); F. Seibt: Johannes Hus und der Abzug der deutschen Studenten aus Prag 1409, in: Archiv für Kulturgeschichte 39, 1957, S. 63–80. Vgl. unten Anm. 37. 27 Moraw: Die Universität Prag (wie Anm. 3), S. 76. 28 Ders.: Die Juristenuniversität Prag (wie Anm. 3), S. 475f. 29 Ebd. 465ff.
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verständlich und können nur vom Gesamtbild aus begriffen werden. Teilt man die Prager Magister nach Generationen von ungefähr 15 Jahren, um die Entwicklung im Zeitablauf zu verstehen30, so begann die Carolina mit einem erdrückenden Übergewicht von Magistern aus dem Westen. Charakteristisch für das westliche Interesse an Prag ist wieder, daß nicht die demographisch weit überlegene Bayerische Nation, also West-, Südwest- und Süddeutschland, die Führung übernahm, sondern die Sächsische, d. h. nord(west)deutsche Nation. So kamen die ersten Prager Magister aus einem relativ engen Gebiet des nördlichen Niedersachsen und hatten mit der Schulstadt Erfurt zu tun gehabt. Vermutlich hingen sie untereinander zusammen. Das zweite soziale Moment, das sich durchsetzte, war gegenüber dieser Gründungslage der gleichsam durch die Nähe naturgegebene Aufstieg der Böhmen von Magistergeneration zu Magistergeneration, der durch die entsprechende Vergabe der stets zu knappen Kollegienplätze noch begünstigt wurde. Schlesier wie andere dritte waren gegenüber dieser Situation, gleichsam zwischen zwei Zentren, benachteiligt. Dabei ist es auch im wesentlichen geblieben, selbst als sich dem Ende zu jener schon angedeutete relative prozentuale Anstieg, bei stagnierenden oder schwindenden absoluten Zahlen durch den Abzug von „Westlern“, geltend machte. Einzelne waren jedoch auch unter den Schlesiern besonders wichtig, in erster Linie Nikolaus Groß (lateinisch Magni) von Jauer31. Man muß auch dessen Lehrer Matthäus von Krakau32, den noch bekannteren Theologen, in einem weiteren Sinn zu den Schlesiern rechnen. Pole war er jedenfalls nicht, und Krakau kann man sich ohnehin ohne Breslau nur schwer vorstellen. Dessen ungeachtet blieb es dabei, daß das artistisch-theologische Milieu, das wie gesagt als sozial zusammengehörig zu betrachten ist, gleichsam geteilt war zwischen dem Nordwesten
30 F. Kavka: Mištri-regenti na artistické fakultî prahské university v letech 1367–1420, in: Z oeských dîjin [Gedenkschrift V. Husa], Praha 1966, S. 77–95; Moraw: Die Universität Prag (wie Anm. 3), S. 84ff. 31 A. Franz: Der Magister Nikolaus Magni de Jawor, Freiburg i. Br. 1898; S. Bylina: Licitum-Illicitum, in: Kulturna elitarna a kultura masowa w Polsce poznego tredniowiecza, red. B. Geremek, Wrocdaw usw. 1978, S. 137–153; J. Kadlec: Nikolaus von Jauer, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 6, 1987, Sp. 1078–1081; M. Gerwing: Nikolaus Jauer, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, 1993, Sp. 1180. 32 F. J. Worstbrock: Matthäus von Krakau, in: Verfasserlexikon, Bd. 6, 1987, Sp. 172–182; P.-J. Heinig: Matthäus von Krakau, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 16, Berlin 1990, S. 397f.; G. Labuda: Matthäus von Krakau, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, 1993, Sp. 397.
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und Böhmen und daß es für dritte wenig Raum ließ, jedenfalls nicht an hervorragender Stelle. Prinzipiell ähnlich war es auch, und gewiß nicht zufällig, mit dem Lehrkörper der Juristenuniversität bestellt. Von den 25 „feinsten“ Lehrern des Rechts kamen drei aus Italien, zwölf aus der ostluxemburgischen Hausmacht, vor allem aus Böhmen, und zehn aus dem westlichen und nördlichen Reichsgebiet. Zu Schlesien kann man bestenfalls Bohuslaus von Jägerndorf rechnen, der aber eine ganz außerschlesische Karriere gemacht hat33. Weitaus am häugsten begegnet man schlesischen Dozenten unter den „Leichtgewichten“ der Philosophischen und Theologischen Fakultät und in der späteren Prager Zeit, schon weil der voll ausgebildete Viererproporz im praktischen Betrieb der Artisten stets eine bestimmte Zahl von Positionen der Polnischen Nation und damit faktisch meist schlesischen Magistern zusprach. Am aktivsten trifft man sie an in dem sich immer mehr zuspitzenden Kampf um gemäßigte oder radikale Auffassungen in der Kirchenreformfrage: ganz auf der gemäßigten Seite. Vielleicht waren sie so aktiv, weil sie bis 1400 gleichsam mit dem Rücken zur Wand standen, bis wirklich auch in Krakau eine Universität und in ihr ein zunächst gerade bei den Magistern stark deutsch, das heißt prag-schlesich bestimmter Artistenlehrkörper entstanden waren34. Magister der Prager Bayerischen und Sächsischen Nation hatten sich leichter zu den Landsleuten an den jüngeren deutschen Universitäten begeben können. Man mag es angesichts des üblichen Regelwerks an europäischen Hohen Schulen von damals als vielleicht bemerkenswerten gesamtdeutschen Tatbestand ansehen, daß schlesische Lehrer gleichwohl relativ zahlreich weit weg an den Rhein oder Neckar gingen, vor allem nach Heidelberg. Matthäus von Krakau hatte den Anfang gemacht, obwohl er sich vielleicht in Krakau hätte betätigen sollen, dann Nikolaus Groß, der Mediziner Peter von Brieg und einige andere. Insgesamt kann man mit dem Schwerpunkt in den späten Jahren knapp fünfzig schlesische Magister und Lizentiaten in Prag zählen35, die vielfach schon vor 1409 die Stadt verlassen haben und dann natürlich geschlossen, sofern sie noch da waren, an diesem Datum verließen. Die große Rolle von Liegnitz bei den Herkunftsna-
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Moraw: Die Juristenuniversität Prag (wie Anm. 3), S. 469. Ders. (wie Anm. 6). 35 So schon Henschel (wie Anm. 1). Außer wie in Anm. 31 und 40 vgl. z. B. A. Franz: Matthias von Liegnitz und Nicolaus Stör von Schweidnitz, in: Der Katholik 78, 1898, S. 1–25. 34
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men, noch vor Breslau, fällt auf. Wichtig waren auch, wenn auch mit Abstand, die Städte Neiße, Brieg und Schweidnitz. Wir sind damit unmerklich zum dritten und letzten Abschnitt, zu einigen Worten über die Prager Krisenzeit und über die Rolle der Schlesier in ihr, übergegangen. Ohne die Krise bei den Magistern, sicher ein Gemisch aus Überzeugungs- und Existenzkrise, wäre es vielleicht nicht zu jener Zuspitzung der Lage in Prag und Böhmen gekommen, die dann nicht mehr beherrscht werden konnte und zu den bekannten allgemeingeschichtlichen Folgen der hussitischen Bewegung geführt hat. Bei alledem hatte die Polnische Nation einen schwierigen Stand, den man summarisch wohl am besten durch die Begriffe „Alternativarmut“ oder gar „Alternativlosigkeit“ charakterisiert. Die Bayerische und die Sächsische Nation konnten sich durch Schrumpfung gleichsam entlasten, es gab neue Chancen im Westen und Süden nahe der eigenen Heimat. Für die Polnische Nation, der sich nur Krakau öffnete, wird man im praktischen Universitätsbetrieb von einer Art Satellitenposition gegenüber der Böhmischen Nation sprechen müssen, während man sich doch gedanklich mit den beiden anderen deutschen Nationen solidarisch fühlte. Es wird keine einfache Lage gewesen sein. Demgemäß hat es auch innerhalb der Böhmischen Nation, wie es ganz selten in den Quellen anklingt, Deutsche in nicht geringer Zahl und damit andere Meinungen als die mehrheitliche radikale gegeben, wie es natürlich auch konservative Tschechen gab. Das von schlesischen Lehrern vorangetriebene Vorhaben, ein Kolleg der Polnischen Nation zwecks gewisser Emanzipation zu errichten (1406)36, scheiterte an der sich krisenhaft zuspitzenden Gesamtlage. Das sogenannte Kuttenberger Dekret kam zustande, als König Wenzel 1409 zugunsten der politischen Schwenkung hin zum Konzil von Pisa eine andere kirchliche Legitimationsinstanz – die Universität – anstelle des sich verweigernden Erzbischofs benötigte37. Das Dekret brachte mit dem Verfassungswandel zugunsten der willigen Böhmischen Nation einen Haupteinschnitt in der Geschichte der Prager Universitäten mit sich. Die große Mehrheit der Lehrer und Studenten, eher drei Viertel als zwei Drittel (eher 700/800 als 500 Personen) verließ Prag, um niemals wiederzukehren. Der Lehrbetrieb der höheren Fakultäten erlosch 36
Collegium Beatae Mariae Virginis in Universitate Lipsiensi. I, Leipzig 1859. F. Šmahel: The Kuttenberg Decree and the Withdrawal of the German Students from Prague in 1409: A Discussion, in: History of Universities 4, 1984, S. 153–166. Vgl. oben Anm. 26. 37
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damit oder in den nächsten Jahren. Die Sächsische Nation hatte die Hauptlast des Konikts getragen. Die Polnische Nation folgte aber wie die Rest-Bayerische dieser Linie ohne Schwanken und ließ die Böhmische Nation zurück. So entstand im selben Jahr die Universität in Leipzig, die die neue, zunächst zeitweilige Carolina werden sollte und in gewisser Hinsicht auch geworden ist38. Auf eine Gründung in Breslau zu hoffen war wohl aus verschiedenen Gründen unrealistisch, vor allem weil wie gesagt auf die Rolle eines aktiv interessierten und kräftigen Landesfürsten nicht verzichtet werden konnte. Gemäß der Hochschulgeographie spielten in der Tat Schlesier in Leipzig eine besondere Rolle. Aus Breslau kamen bis 1430 ebenso viele Scholaren wie aus Leipzig selbst. Das für Prag bestimmt gewesene Kolleg der Polnischen Nation wurde als Frauen- (d. h. Marien-)Kolleg in Leipzig für Schlesier und einen Preußen errichtet (bestätigt 1422)39. Die Protagonisten waren die Magister Johannes von Münsterberg und Johann Hoffmann von Schweidnitz, der später Bischof von Meißen wurde40. Außer in Leipzig ndet man die meisten Schlesier nach 1409 in Krakau und Wien vor41. Wichtig für unseren Zusammenhang ist, daß auf der anderen Seite des Kuttenberger Spiels von 1409, beim Konzil und beim König, sich
38 S. Hoyer: Die Gründung der Leipziger Universität und Probleme ihrer Frühgeschichte, in: Karl-Marx-Universität Leipzig 1409 –1959, Bd. 1, Leipzig 1959, S. 1–33; Ders.: Die Gründung einer Universität in Leipzig 1409, in: Leipzig. Aus Vergangenheit und Gegenwart 3, 1984, S. 77–93. 39 Vgl. Anm. 25, 36 und 38. 40 R. Becker: Johann Hoffmann, der nachmalige Bischof Johann IV. von Meißen, Diss. Leipzig 1912; G. Webersinn: Johannes Otto von Münsterberg, in: JSFUB 7, 1962, S. 75–95; F. Machilek: Johannes Hoffmann aus Schweidnitz und die Hussiten, in: Archiv f. schles. Kirchengesch. 26, 1968, S. 96–123. 41 J. Gottschalk: Oberschlesier auf den Universitäten des Mittelalters, in: Beiträge zur Heimatkunde Oberschlesiens 2, 1934, S. 29 –78; H. Franze: Herkunft und Volkszugehörigkeit der Krakauer Studenten des 15. Jahrhunderts, in: Deutsche Monatshefte in Polen 5, 1938/39, S. 16–41; U. Hielscher: Schlesier an der Universität Wien in der Zeit von 1365 bis 1658/59, in: Zeitschrift für Ostforschung 11, 1962, S. 648–673; W. Laug: Schlesier an der Universität Krakau im Mittelalter, in: Jahrbuch f. schles. Kirchengesch. NF 53, 1974, S. 26–40; A. Gieysztor: Origines sociale et nationale du corps unversitaire de Cracovie aux XlVe et XVe siècles, in: Les universités à la n du Moyen Age, éd. J. Paquet et J. Ijsewijn, Louvain 1978, S. 475–483; A. L. Gabriel: Intellectual Relations between the University of Paris and the University of Cracow in the 15th Century, in: Studie zroddoznawcze 25, 1980, S. 37–63; K. Walsh: Ein Schlesier an der Universität Krakau im 15. Jahrhundert, in: Archiv f. schles. Kirchengesch. 40, 1982, S. 191–206; Moraw (wie Anm. 6). Vgl. künftig N. Conrads: Bildungswege zwischen Schlesien und Wien, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 50, 1993.
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der Jurist Dr. Hieronymus Seidenberg42 aus einer Breslauer Großbürgerfamilie befand. Er hatte kurz in Prag studiert, dann standesgemäß seinen Doktor in Bologna gemacht und sich bei Papst und König wohl auf die Geldmacht der Familie gestützt politisch betätigt. Seidenberg erinnert uns an zweierlei: an die Etage der Macht oberhalb des Gewimmels der machtarmen Philosophen und Theologen und an die in diesem Vortrag notgedrungen vernachlässigten heimischen, also schlesischen PersonenKonstellationen. Denn bei wichtigen Leuten stets mitzubedenken, wenn auch hier nicht zureichend mit zu analysieren ist beispielsweise die Parteibildung von Breslauer Bischof, im Domkapitel und in der Breslauer städtischen Führungsgruppe, im lokalen Gegeneinander und im Hinblick auf die freundliche oder feindliche Stellung zum luxemburgischen Hof, wie das schon unter Bischof Nanker (gest. 1341) der Fall gewesen war. Diese Konstellationen mögen, etwa in Gestalt des mit den Seidenberg verwandten Hofkanzlers König Wenzels, Hanko Brunonis ( Johannes Braun) ebenfalls aus Breslauer Großbürgertum (Kanzler bis 1396), bis tief in die Prager Hofgesellschaft hineingereicht haben43. Es geht dabei nicht einfach um ein nationales Gegenüber, sondern um komplexe Interessen, die nur zum kleinen Teil rekonstruierbar sind.
V Wir stehen damit am Schluß unserer Übersicht. Im Hinblick auf die schlesische Vergangenheit, die in dieser Tagung interessiert, sollte abschließend wohl gesagt werden, daß es sich bei diesem Vortrag nur um einen kurzen, wenn auch vielleicht bewegten Ausschnitt aus der langen, wohl in sich kohärenten Geschichte eines regionalen Bildungswesens gehandelt hat. Diese Geschichte setzt erst im 15. Jahrhundert als „Massenbewegung“ ein, die an die Seite älterer und weiterbestehender „elitärer“ Positionen trat. Eine Zeitlang noch wird die Bildungsgeschichte des politischen Nebenlandes Schlesien durch das Fehlen einer eigenen Universität gekennzeichnet sein, was immer mehr zu einem Anachronismus wurde und angesichts der fortschreitenden Modernisierung Europas Probleme mit sich brachte. Grundsätzlich ist 42 J. T®iška: givotopisný slovník p®edhusitské prahské univerzity 1348–1409, Praha 1981, S. 194; R. Stein: Der Rat und die Ratsgeschlechter des alten Breslau, Würzburg 1963, S. 52, 100. 43 Stein (wie Anm. 42), S. 294 s. v. Braun, bes. S. 52.
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zur wünschenswerten Erhellung solcher Tatbestände auf vergleichende Analysen zu setzen oder jedenfalls auf Analysen ohne lokalen Überschwang und selbstgesetzten Erfolgszwang. Es geht übrigens dabei über die hier betriebene Nahsicht auf eine Universität und auf wenige Jahrzehnte hinaus auch um sehr langfristige Vorgänge, wie um die Prozesse der Laisierung und der Alphabetisierung. Bei deren Durchdringung für das späte Mittelalter und die Folgezeit, was noch viel wichtiger wäre als unser Thema, stehen wir erst ganz am Anfang.
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DIE HOHE SCHULE IN KRAKAU UND DAS EUROPÄISCHE UNIVERSITÄTSSYSTEM UM 1400
I Erich Meuthen hat der Universität zu Köln ein Meisterwerk gewidmet1. Sie ist 1388 gegründet worden. Dieser Zeitpunkt wird umrahmt von den beiden Jahreszahlen, die die Hohe Schule in Krakau2 betreffen, von 1364 und 1400. Es trügt der Eindruck, daß es zu diesen und anderen viel erörterten Daten, wie 1348 (Prag), 1365 (Wien), 1386 (Heidelberg) oder 1392 (Erfurt), nichts Neues mehr zu sagen gäbe. Im Gegenteil – was zwar für Köln unnötig scheint, was aber am Fall der Prager Carolina3 mit Grund versucht worden ist, kann an der Jagiellonischen Universität ein weiteres Mal geübt werden: Die Konfrontation allgemein anerkannten, geradezu traditionellen national-monographischen Ertrags mit denjenigen eher neuartigen Plausibilitäten oder gar Notwendigkeiten, die von der Respektierung der Universitätsgeschichte des ganzen papstchristlichen Europa herrühren. Der Historiker kommt bei diesem Gegenüber rasch in eine eigentümliche, manchmal sogar paradoxe oder heikle Situation. Er scheint undankbar, denn er kritisiert diejenigen Ergebnisse, auf die er sich zugleich stützen muß. Die Kritik richtet sich zwar nicht so sehr gegen
1 E. Meuthen, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte 1) Köln-Wien 1988. Vgl. dazu P. Moraw, in: GGA 243 (1991) 239–245. 2 Quellen: Statuta nec non liber promotionum philosophorum ordinis in universitate studiorum Jagellonica ab anno 1402 ad annum 1849, ed. J. Muczkowski, Cracoviae 1849; Codex diplomaticus universitatis studii generalis Cracoviensis, pars prima (1365–1440), Cracoviae 1870; Das älteste Matrikel-Buch der Universität Krakau, Beschreibung und Auszüge mitgetheilt durch H. Zeissberg, Innsbruck 1872; Album studiosorum universitatis Cracoviensis, t. I, Cracoviae 1887; Index studiosorum universitatis Cracoviensis annis 1400–1500, ed. cura G. Zathey/G. Reichan, Wratislaviae etc. 1974. Literatur unten, besonders in Anm. 17 und 25. – [Anm. der Herausgeber: Beim Zitieren von ostmitteleuropäischen Erscheinungsorten werden in diesem Beitrag nur die jeweiligen slawischen und lateinischen Bezeichnungen verwendet.] 3 P. Moraw, Die Prager Universitäten des Mittelalters, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus, hg. von S. Burghartz u. a., Sigmaringen 1992, 109–123.
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pure Tatsachen, doch schlimmer: sie richtet sich gegen den Umgang mit diesen Tatsachen und weitet sich damit aus zur Historiographiekritik, ja unter Umständen zur Kritik an nationalen Geschichtsdenkmälern4 und Geschichtsbildern. Hier genügt es davon zu sprechen, daß es sich um Methodenkritik handelt. Methodisch problematisch ist bei den national-monographischen Universitätshistorikern (immer abgesehen von dem einen oder anderen Realisten) vor allem dreierlei: ihr Verzicht auf systematischen übergreifenden Vergleich, immer wieder ein ahnungs- oder gar bedenkenloser Umgang mit Anachronismen und das Aussprechen oder Voraussetzen von positiven Qualitätsurteilen, die nicht argumentativ untermauert werden. Ein Beispiel aus einem Bereich, der im folgenden keine Rolle mehr spielen wird, möge zur Illustration genügen. Um einen Gelehrten irgendeiner Universität von damals als bedeutend, herausragend oder ähnlich einzustufen, gibt es u. E. bisher keine wirklich brauchbaren Kriterien. Welche Anhaltspunkte für ein solches Werten die Verbreitung seiner Texte oder deren Weiterwirken bieten mag, ist bisher nicht systematisch geprüft worden und kann wohl auch heute kaum schon geprüft werden. Gleichwohl hat es – liest man die entsprechenden Monographien und Aufsätze nacheinander – selten so viele hochrangige Universitätslehrer gegeben wie im 14. und 15. Jahrhundert. Solche Aussagen sind nahezu wertlos. Um dem kritischen Vergleich, der ja Unterschiede und damit Besseres und Schlechteres herausarbeiten soll, geradezu entgegenzuwirken, wird dann noch vom Ganzen einer beliebigen Universität, einfach weil sie existierte, auf das Ganze einer anerkannt hochgeschätzten anderen verwiesen. So ndet man, was man suchte: terminologische Gleichheit und damit auch den Anschein der Gleichartigkeit und Gleichrangigkeit. Der Schritt zum „hohen Niveau“ des heimischen Gebildes ist dann sehr kurz. Die realen Quantitäten, Inhalte und noch mehr die Rahmenbedingungen universitärer Existenz bleiben weithin beiseite. Problematisch verhält es sich vor allem bei den Rahmenbedingungen. Bevor man zum Beispiel – was gern das Ziel ist – eine alte Universität zur Ehre eines ganzen Landes in Anspruch nimmt, müßte man sie bei genauerer Prüfung einer Stadt (südlich der Alpen) oder einer Dynastie, einer 4 Vgl. A. Maczak, National traditions in the historiography of the state: the case of Poland. Vervielfätigt durch European Science Foundation: The origins of the modern state in Europe (13th–18th century). First Plenary Conference Rome, 28–31 march 1990.
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Stadt und der regionalen Kirche (nördlich der Alpen) zuordnen. In welchem Maß diese Stadt damals das je Eigene des ganzen Landes sichtbar machte oder ob sie nicht eher ein Fremdkörper in diesem war, spielt keine Rolle. Vor allem aber bleibt wie gesagt unerörtert, ob sich die so gewonnenen Einzelergebnisse sinnvoll einordnen lassen in das wenigstens in vagen Umrissen erkennbare, wenngleich seinerseits fortlaufender Präzisierung und Kritik bedürftige europäische Kulturoder allgemeiner Zivilisationsgefüge. Innerhalb seiner geht es um die Umrisse eines Universitätssystems, insofern es dieses damals gab5. Man kann jetzt schon sagen, daß die Situation von Krakau, wie sie derzeit datiert und bewertet wird, in diesem Zusammenhang Schwierigkeiten macht oder, vorsichtiger formuliert, besonderen Erklärungsbedarf mit sich bringt. So kann man mit einigem Bedauern resümieren: Der nationale oder auch lokale Stolz auf eine möglichst alte und seinerzeit attraktive Hohe Schule ist im ganzen Milieu der Universitätsgeschichtsschreibung, auch da sich Kollegen über „Kollegen“ äußern, weniger abgebaut worden als anderswo. Vergleichbar ist wohl nur noch das auch sachlich nicht ganz fernstehende Thema des nationalstaatlichen Legitimierungsbedarfs. Rektizierungsbestrebungen in der Universitätsgeschichtsschreibung lassen sich in der Tat innerhalb eines heutigen Staates leichter realisieren als über moderne Grenzen hinweg6. Im 14. und 15. Jahrhundert indessen waren Tatbestände der Universitätsgeschichte allenfalls hie und da und vorübergehend etwas Nationales. Interessanter als der Zusammenhang mit der staatlichen Geographie ist oft das soziale und sozialräumliche Verhalten im Umkreis der Hohen Schule. Die Wirkungen städtischer und kirchlicher Lebenswelten auch über einige Entfernung und über wechselnde dynastische Zuständigkeiten hinweg sind – wenn die Anstalt einmal bestand – höher zu bewerten als politischer Wille. Auch dann bleibt man gelassener, wenn man die beim Entstehen oder Erlöschen oder auch bei einem vergeblichen Gründungsversuch seinerzeit bewegte
5
A History of the European University. General Editor W. Rüegg, vol. 1: Universities in the Middle Ages, ed. H. de Ridder-Symoens, Cambridge 1991; dt. Ausgabe München 1993. Vgl. die Zeitschrift „History of Universities“ und: Le università dell’Europa. La nascita delle università, a cura di G. P. Brizzi/J. Verger, Mailand 1990; F. Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln (Beihefte zum AKG 34) Köln u. a. 1992. 6 Beispielsweise P. Denley, Academic rivalry and interchange: the universities of Siena and Florence, in: Florence and Italy. Renaissance Studies in honor of Nicolai Rubinstein, ed. by P. Denley e. a., London 1988, 193–208.
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Masse nicht allzugroß veranschlagt. Desgleichen tut man gut daran, die Motive für den Einrichtungsentschluß abgesehen vom religiösen Streben nach guten Werken im dynastischen Ehrgeiz und im Wunsch nach Bereitstellung fachkundiger Helfer aus den oberen Fakultäten für Hof und Kirche zu erblicken; bei weitem nicht war irgendein „bildungspolitisches“ Interesse an der Förderung junger Leute zum Wohl des Gemeinwesens maßgebend. Wie bei vielen mittelalterlichen und neuzeitlichen Anfängen waren die Folgewirkungen nicht im mindesten abzusehen, erst recht nicht späte Folgen unter gänzlich veränderten Rahmenbedingungen. Hier ist der Verzicht auf Anachronismen besonders wichtig. Schließlich sollte man sich gleich am Anfang des schwierigen Paradoxons bemächtigen, daß die Existenz einer Universität einerseits legitim sein mußte, also dem Beispiel von Bologna oder von Paris so getreulich wie nur möglich zu folgen hatte (oder gar – was eigentlich unmöglich scheint – beiden Vorbildern zugleich), daß aber andererseits diese Protagonisten der europäischen Hochschulgeschichte aus großer Distanz für kaum einen wesentlichen Punkt wirklich überzeugend nachgeahmt werden konnten. Allzu deutlich unterschieden sich zum Beispiel die Lebensbedingungen des „Jüngeren Europa“ von jenen am Ort der zwei erwähnten Hauptausprägungen dessen, was wir „Älteres Europa“ mit seinem vorerst uneinholbaren Vorsprung nennen7. Innerhalb dieser beiden großen Zonen ist dann noch zwischen Zentren und Peripherie zu unterscheiden. Die Peripherie des „ Jüngeren Europa“, ob Schottland oder Skandinavien, war am meisten benachteiligt und zurückgeblieben. Dies läßt sich leicht an den Daten der Universitätsgründungen, aber auch an zahlreichen weiteren Parametern ablesen. Die positive Antwort auf bescheidene Rahmenbedingungen war demnach, wenn die Einwurzelung einer Hohen Schule geglückt war, bei stark betontem Legitimseinwollen eine ganz spezielle Ausformung oder „Dehnung“ des Phänomens „europäische Universität des Mittelalters“, wie es den Notwendigkeiten eines schwierigen Existenzkampfes entsprach. Am Beispiel der Prager Carolina, der ältesten Universität im „ Jüngeren Europa“, läßt sich diese Situation am besten studieren8; keine
7 P. Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: Hochnanz. Wirschaftsräume. Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer, hg. von U. Westmann u. a., Bd. 2, Trier 1987, 583– 622. 8 P. Moraw, Die Universität Prag im Mittelalter, in: Die Universität zu Prag (Schriften
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Universität war auch für die Hohe Schule in Krakau wichtiger. Der Bedarf an „Entmythologisierung“ erwies sich für die exponierte Position an der Moldau als besonders groß. Für unseren Gedankengang sind daraus folgende Punkte von Bedeutung: Innerhalb eines einheitlich privilegierten Studiums bestanden in Prag wohl von Anfang an, jedenfalls seit dem Beginn des wirklichen Funktionierens, zwei Universitäten, eine vornehmere Juristenuniversität und eine weniger vornehme „Dreifakultäten“-Universität der Artisten und Theologen mit dem Anhang der Mediziner. Die Zielpunkte der Legitimierung der beiden Gebilde, Bologna und Paris, waren nicht vereinbar, auch war die soziale Beschaffenheit der Studentenschaften beider Vorbilder und beider Nachahmer zu verschieden. Der Anfang der Prager Universitäten war mühsam. Kaum früher als kurz vor 1370 haben sie wirklich zu funktionieren begonnen9 – wenigstens nach jenem Maßstab, den man beim Reden von italienischen, französischen und englischen Hohen Schulen für selbstverständlich hält, den man demnach auch für Anstalten des „ Jüngeren Europa“ anlegen sollte: am besten mit Hilfe des Nachweises von Graduierungen in einer höheren Fakultät, so daß ein Doktorenkollegium bestanden haben muß. Die Erfolgszeit der alten Carolina war kurz; nach Besucherzahlen gerechnet gab es eine Hochblüte von etwa einem Jahrzehnt, das von zwei weiteren Dezennien sehr ansehnlicher Existenz umrahmt wurde. Beim anspruchsvollsten „Leistungsangebot“, bei der Graduierung von Juristen, wies man abgesehen vom Nahbereich vor allem dort Erfolge auf, wo es sich um Studierende aus den eher mittelmäßig oder gering entwickelten deutschen Landschaften an Nord- und Ostsee handelte. Aus dem höchstentfalteten Nordwesten, aus dem Westen, Südwesten und anderen recht „modernen“ Gegenden des Reiches ging man – wie vor 1348 – lieber anderswohin, nach Italien oder Frankreich. Besucher aus dem „Älteren Europa“ gab es in Prag nicht, Ausländer kamen von der Peripherie10. Im Jahr 1417 wurden die Prager Privilegien vom
der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7) München 1986, 9–134. Zeitschrift: Acta universitatis Carolinae – Historia universitatis Carolinae Pragensis. 9 Vgl. die ganz unabhängig von unserem Zusammenhang festgestellte Auösung der bis dahin führenden, jedoch nicht privilegierten Artistenschule in Erfurt um 1370 (S. Lorenz, Studium generale Erffordense. Zum Erfurter Schulleben im 13. und 14. Jh. [Monographien zur Gesch. des Mittelalters 34] Stuttgart 1989, 332). 10 Vgl. auch R. C. Schwinges, Französische Studenten im spätmittelalterlichen Reich, in: Les échanges universitaires franco-allemands du moyen âge au XX siècle (Actes du
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Konstanzer Konzil wegen Ketzerei aufgehoben, so daß die höheren Fakultäten, die faktisch schon um 1409 erloschen waren, nicht mehr zum Leben erweckt werden konnten. Die Carolina bestand (unter dem Namen einer Universität) als regionale Artistenschule bis zu den habsburgischen Erneuerungsmaßnahmen der Neuzeit fort. Ähnlich mühsam wie in Prag war der Anfang der Rudolna in Wien11. Es entstand wie an der Moldau eine primär dynastische und sekundär kirchlich getragene Gründung in einer ansehnlichen Stadt. Vor 1384/85 ndet man nur Spuren auf, die bei der Orientierung an den Anforderungen des „Älteren Europa“ wohl nicht ausreichen, um von einer funktionierenden Universität zu sprechen. Der Zeitpunkt des Umschwungs weist auf das fundamentale Datum der Universitätsgeschichte Mittel- und Osteuropas hin, auf den Beginn des Großen Schismas (1378). Das Papsttum war erpreßbar geworden, und die Dynastien erfuhren einen Legitimierungsschub auch für die Regelung geistlicher oder halbgeistlicher Angelegenheiten. Das im Falle Prags bleibend Bemerkenswerte ist demnach der Tatbestand, daß die Carolina auch schon vor 1378 funktionsfähig gewesen war. Im schon genannten Jahr 1384 setzte indessen das Prager Krisenzeitalter ein. Nachdem die von einigen propagierte, aber realitätsferne Idee der Verlegung der Pariser Universität nach Frankfurt am Main, wieder in demselben Jahr bezeugt12, fallen gelassen worden war, folgten in derselben hochschulpolitischen Lage die Anfänge in Heidelberg und kurz darauf in Köln und Erfurt. Erfurt hatte sich seit 1378(!) um eine Universität bemüht13. Die Kölner Gründung14 ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil sie vom ersten Augenblick an als die mit weitem Abstand opulenteste in Deutschland gelten kann. Ob man gleich am Anfang zwanzig Magister als Kern oder fünfzig als Elite hervorhebt, ob man die Pfründen oder die Bursen zählt und wägt, die beiden Rechtsfakultäten mit elf Lehrpersonen beider Rechte (1389, bei einem knappen Übergewicht legistischer Graduierung) nennt, stets ist Köln den viel günstigeren Verhältnissen des „Älteren Europa“ zuzurechnen. Damit kommt zur Sprache, was Colloque de Göttingen. Mission Historique Française en Allemagne, 3–5 XI 1988). Textes réunis par M. Parisse, Paris 1991, 37–54. 11 Rexroth (Anm. 5) 108ff. mit der älteren Literatur. 12 K. Bund, 1436–1986. 550 Jahre Stadtarchiv Frankfurt am Main (Mitteilungen aus dem Frankfurter Stadtarchiv 39) Frankfurt/M. 1986, 68. 13 Lorenz (Anm. 9) 332. 14 Meuthen (Anm. 1) 57, 71 u. ö.; Rexroth (Anm. 5) 251, 267.
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neben der Legitimität der Existenz für jede Hohe Schule am wichtigsten war: Urbanität und Reichtum, Differenziertheit und lange Geschichte der Trägerlandschaft und Trägerstadt. So konnte sich mit Köln kein zweites Zentrum in Mitteleuropa, um von Ost- und Nordeuropa zu schweigen, messen. Von diesem Bild, das sich in den letzten Forschungsjahren immer klarer abzeichnet, heben sich nun die Fragen an die Krakauer Situation ab. Es genügt hier, zwei Hauptprobleme aufzugreifen. Das erste ist der Realitätsgehalt des Datums von 1364, das zweite ist die personelle Beschaffenheit der ersten Jahre und Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts. Mit der Antwort auf beide Fragen könnten die Anfänge der Jagiellonengründung in das zeitgenössische europäische Universitätssystem eingeordnet werden. Ein drittes ebenso wichtiges, hier nicht mehr zu erörterndes Problem wäre dasjenige der Stellung der Weichseluniversität innerhalb des kommenden „Massen“studiums des mitteleuropäischen 15. Jahrhunderts15. Es brachte neuartig modernisierende Wandlungen mit sich, die noch nicht genug bekannt sind.
II Vor dem Hintergrund des einleitend Skizzierten erhebt sich die Frage nach dem Krakauer Datum von 1364 drängender als bisher. Denn dieses stellt sich nicht mehr nur als Problem des nationalen Wettbewerbs dar, sondern möglicherweise auch als Signal an einem Haltepunkt europäischer Universitätsgeschichte. Gab es, nachdem die Wiener Rudolna mit dem Datum 1365 ausgeschieden worden ist, vor den erst um 1370 wirklich funktionierenden Hohen Schulen in Prag16 ein erstaunliches Zeichen aus der Peripherie des „ Jüngeren Europa“, das an der „Logik“ von Geographie und Chronologie der kontinentalen Universitätsgründungen Zweifel wecken darf ? Konnte dynastische Kraftentfaltung, die man in diesem Fall unter Hintanstellung entwicklungsgeschichtlicher Bedenken aufs stärkste beanspruchen müßte, über die geringe Bewegung hinaus, die ein Handeln auf dem Pergament verlangt, die soziale Basis eines ganzen Landes oder wenigstens 15 R. C. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (VIEG 123) Stuttgart 1986. 16 Vgl. zu Wien und Prag oben Anm. 11 und 8. Die Rudolna bedarf wohl einer einschlägigen Neuuntersuchung.
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seiner Mitte wirksam modernisieren? Nur unter der Voraussetzung des Akzeptiertwerdens nämlich wäre jenes Geschehen wirklich ein Erfolg über den Tag hinaus, ein Gründungsakt mit Substanz, das heißt der Anfang eines fortdauernden, annähernd die Intentionen des Beginns realisierenden Unternehmens. Die einschlägigen Quellen sind wie im Falle Prags längst bekannt. Mehr als um Fragen der Einzelinterpretation geht es wieder um Probleme der Bewertung und Einordnung oder auch darum, wie weit man Wunsch und Wirklichkeit zu unterscheiden vermag. Die ausführliche Jubiläumspublikation von 196417 stellt schon durch das Erscheinungsdatum ein Programm dar und ist auch so gegliedert, daß die Alternative von 1400 im Schatten liegt (1364–1390, 1390–1414). Bis zur Gegenwart halten die polnischen Autoren ohne Diskussionsbedarf an 1364 fest18. Weniger gut informierte Auswärtige haben dies ohne Bedenken akzeptiert, nur bei bester Kennerschaft hat man gezögert19. Es gibt drei Gedankenbahnen, bei deren Verfolgung sich schwerwiegende Zweifel erheben. Zunächst ist dies der klassische Weg der Prüfung der Texte, die man tatsächlich nur bei sehr gutem Willen des Historikers so zusammenfügen kann, daß sie zugunsten jenes erstrebten Zieles ihre Aussage machen. Zum zweiten läßt die bisher unbeachtet gebliebene europäische Gesamtsituation, wie sie angedeutet worden ist, ein so frühes Datum äußerst unwahrscheinlich wirken und lädt daher einem Befürworter eine noch weit höhere als bisher angenommene Beweislast auf. Zum dritten ist wiederum ein unzulässig großherziger Umgang mit der Terminologie zu fürchten. Denn selbst wenn alles zutreffend wäre, was von der Situation an der Weichsel behauptet wird, würde man wohl immer noch einen für Krakau beibehaltenen Begriff „Universität“ im Vergleich zu den süd- und westeuropäischen Protagonisten so sehr dehnen müssen, daß Inhalt und Wert beinahe verloren gingen. Ofziell-juristische Texte sind mangels anderer gleichzeitiger Nachrichten am Anfang die Quellen nicht nur für das Sollen, sondern auch für das Sein. Die von der Selbstverpichtung der Stadt vom 12. Mai 17 Dzieje uniwersytetu Jagiellonskiego w latach 1364–1764, t. I, red. K. Lepszy, Krakow 1964. Autoren der einschlägigen Teile sind J. Dabrowski (15–36), Z. KozÜowskaBudkowa (37–89) und K. Pieradzka (91–137); P. W. Knoll, Casimir the Great and the University of Cracow, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 16 (1968) 232–249. Weitere Literatur unten. 18 Wie Anm. 17 und 25. 19 J. Verger, Patterns, in: A History I (Anm. 5) 35–74, besonders 46, 63, 71f.
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1364 begleitete Urkunde König Kasimirs vom gleichen Tag, der die Privilegien Papst Urbans V. vom 1. und 13. September folgten20, enthält recht Erstaunliches. Sie benennt die Errichtung eines neuen Studiums in Krakau nach dem Beispiel von Bologna und Padua und zielt im einzelnen ab auf „scolas“ des kanonischen und römischen Rechts, der Medizin und der Artes. Für jedes Detail werden norditalienische Verhältnisse zum Vorbild gemacht. Zu drei Lehrstühlen (sedes) des Kirchenrechts und dreien des Zivilrechts sollen im folgenden Jahr zwei weitere der letztgenannten Art hinzutreten. Mit Ausnahme je eines Lehrenden in beiden Rechten, der mit je zwanzig Mark Silber zu besolden sei, werden vierzig Mark als Jahressalär ausgesetzt. Zwei Mediziner und ein Artist, mit zwanzig bzw. mit zehn Mark entlohnt, treten hinzu. Handlungsfähige, also erwachsene und selbständige Scholaren stehen nach außen der Stadt gegenüber und regeln nach innen das Funktionieren der Hochschule. Der Rektor wird ein von ihnen bestimmter Scholar sein, Doktoren und Magister sollen fakultätsweise von den Scholaren gewählt werden, auch dies bekanntlich wie in klassischen italienischen Fällen. Auf die im Jahr 1363 eingeleiteten, im päpstlichen Register nachweisbaren Verhandlungen mit der Kurie weist hin, daß Kasimir auf eine Theologische Fakultät verzichtete, die Papst Urban grundsätzlich nicht genehmigt hat21. Die übliche Bewertung der Königsurkunde als eines besonders modernen und zukunftsweisenden Dokuments teilen wir nicht. Wir sehen den Text als Idee einer winzig kleinen „elitären“ geistlichen Personengruppe von höherer Abkunft und von Wohlhabenheit an. Diese Gruppe hatte den Herrscher gewonnen. Vermutlich war der wichtigste Betreiber des Unternehmens der in der datum per manus-Formel des königlichen Privilegs genannte Doktor des Kirchenrechts offensichtlich einer italienischen Universität, Johannes Suchywilk, Krakauer Domdekan und Kanzler, ein anderer war vielleicht der Bischof von Kraukau mit unbekannter Ausbildung22.
20
Codex diplomaticus (Anm. 2) Nr. I–IV. E. Delaruelle, La politique universitaire des papes d’Avignon – spécialement d’Urbain V – et la fondation du Collège Espagnol de Bologne, in: El cardenal Albornoz y el Colegio de España, ed. E. Verdera y Tuels, vol. 2, Zaragoza 1972, 7–39, besonders 10ff.; Rexroth (Anm. 5) 284. 22 K. Ozog, Kultura umyslowa w Krakowie w XIV wieku, Wroclaw etc. 1987, 144, 153. Vgl. auch A. Radziminski, Pralaci i kanonicy kapituly katedralnej plockiej w XIV i I pol. XV w., t. I, Pralaci, Torún 1991, besonders 40ff.; J. Wiesolawski, Episkopat polski XV w. jako grupa spoleczna, in: Spoleczenstwo polski sredniowiecznej 4, 21
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Jedenfalls war die Entscheidung für das vornehmere der beiden damals bestehenden Hauptmodelle europäischen Studierens gefallen, das mediterranen Ursprungs und Zuschnitts war, der hochentwickelten urbanen Welt Oberitaliens und Südfrankreichs angemessen blieb und in besonderen Fällen (Orléans, England) von den modernsten außermediterranen kirchlichen und staatlichen Strukturen Westeuropas angenommen worden ist; den Rest des papstchristlichen Europa bediente es aus der Ferne mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Wanderscholaren. Nicht entschied man sich in Krakau für das Pariser Modell mit seiner viel größeren sozialen Spannweite, aber eben auch mit seinem geringeren sozialen Ansehen, obwohl es – wie sich bald zeigte – für das „ Jüngere Europa“ viel besser geeignet war und erst recht als einziges brauchbar schien für dessen Peripherie. Damit ist das Urteil gesprochen. Gerade wegen seiner Modernität, die interessen- oder besser lebensweltbestimmte Einseitigkeit war, erscheint ein Pergament, das für Italien und Südfrankreich gut verwendbar gewesen wäre, in der östlichen Mitte Europas als völlig wirklichkeitsfremd und von vornherein ohne jede Chance der Realisierung. Erst fünf Jahre nach 1364, nach zwanzig Jahren der Krise oder des Experimentierens, stellte sich in Prag ein entsprechender erster einigermaßen erfolgreicher Beginn ein, der aber weniger als die Hälfte der Krakauer Ansprüche verwirklichte. Er betraf allein die Kanonistik, die im ganzen Jahrhundert die einzige tatsächlich benötigte Rechts- oder eher „politische“ Wissenschaft des „ Jüngeren Europa“ war, und galt einem ersten und vorerst einzigen Doktor, der wirklich lehrte. Es war Wilhelm Horborch (Harburg, heute Teil von Hamburg), der ein langjähriger Praktiker im päpstlichen Dienst und nanziell potent gewesen ist und der vor allem zweifellos jene Übersicht besaß, die man an der Weichsel vermißt. Denn mit gutem Grund halten wir die bisher stets stillschweigend gemachte Annahme, die Zeitgenossen müßten die gesamte europäische Hochschullandschaft überblickt und verstanden haben und sich daher in Krakau wohlüberlegt entschieden haben, für grob anachronistisch. Noch im Jahr 1400 wird in der neuerlichen und diesmal wirksamen Gründungsurkunde des Königs Wladislaus II. Jagiello bei der Nennung der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Vorbilder Oxford nach Deutschland
Warszawa 1990, 236–295; E. Potkowski, Écriture et société en Pologne du bas moyen âge (XIVe–XVe siècles), in: Acta Poloniae Historica 39 (1990) 47–100; E. Wisniowski, Die Pfründen der Diözesangeistlichen in Polen, in: L’hostie et le denier, ed. M. Pacaut/ O. Fatio, Genf 1991, 63–70.
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verlegt werden23. So wenig war man sich über die Hochschulgeographie im klaren, wohl im Unterschied zur dynastischen Geographie. Es gab aber noch keine allgemeine Geographie als Basis; Quelle jeglicher Geographie war die persönliche Erfahrung der gerade verfügbaren Fachleute, bei denen allen naturgemäß als Regel zu gelten hat, daß genau Gewußtes, weil Erlebtes, hart an nur vage Bekanntes oder gänzlich Unbekanntes stieß. Erst recht konnte man wenig oder gar nichts von den komplexen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen und Auswirkungen wissen, die wir heute wie selbstverständlich mit dem großen Überblick verbinden. Texte wie derjenige von 1364 verweisen wohl auf Erfahrungen um 1350 oder aus der ersten Jahrhunderthälfte, die im Universitätsmilieu auch in Deutschland noch recht ungewiß und ungleich beschaffen waren. Es ging dabei – schärfer gefaßt – um nach sozialen Gruppen streng geordnete Erfahrungen: Ein Universitätsbesucher aus gutem Adel oder ein Gleichrangiger aus wohlhabender Familie sah etwas anderes und nur etwas Bestimmtes, zum Beispiel das 1364 vom polnischen König Anvisierte – wieder etwas anderes sah ein Armer oder ein Durchschnittsstudent. Betont aristokratische oder aristokratengleiche Erfahrungen von monopolartigem Einuß scheinen typisch zu sein für wenig entwickelte Verhältnisse; man kann sie bei studierenden deutschen Adeligen seit dem 12. Jahrhundert vornden. Der praktischen Wahrnehmung des Aristokraten oder seinesgleichen entsprach gerade nicht das in unseren Augen Zweckmäßige, also nicht der Aufbau einer Universität von unten nach oben, sondern in sehr einleuchtender Weise das „Aufdemkopfstehen“ der Quantitäten des Lehrpersonals wie eben in der urkundlichen Konkretisierung von 1364. Diese Vorstellung war in extremer Weise den anderswo bestehenden „vernünftigen“ Verhältnissen und der bald auch in Krakau lebensfähigen „bürgerlichen“ Praxis entgegengesetzt. In der Reifezeit der Prager Erfahrungen wird ein sozial bevorzugter und demgemäß künftig erfolgreicher Scholar, Johann von Vlaschim, später als Nachfolger seines Onkels und Großonkels Erzbischof von Prag, in Paris und in Italien studieren, anstatt nur hier oder dort. Er wird damit womöglich eine vage Vorstellung davon gewinnen, daß das europäische Studiensystem grob gesprochen „zweistöckig“ war.
23 Codex diplomaticus (Anm. 2) Nr. XVI, dasselbe Nr. XXI (1401) und XXXI (1403).
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Aber davon dürfte seinerzeit so vieles „naturwüchsig“ und daher unveränderlich und somit auch damals nicht befragbar gewesen sein, daß man nur sehr weniges grundsätzliche Verstehen in solche Vergewisserung hineindenken mag – schon gar keine Idee von der Zukunft. Denn nach dem gewaltsamen Ende der alten Carolina (1409/1417) sollte in der Tat eine dritte Form der Universität nach denjenigen von Bologna und Paris „unbewußt“ entstehen – mit großer Folgewirkung, in die dann auch die Krakauer Hohe Schule von 1400 hineinwuchs. Es war die eher bescheidene Vierfakultäten-Universität des 15. Jahrhunderts umgestalteten Pariser Erbes. Sie zwang wegen der Mittelmäßigkeit Mitteleuropas und erst recht seiner Peripherie unter dem Dach des Dynastenstaats sozial Unterschiedliches zusammen, auch wenn das den Bessergestellten nicht so recht geel. Das alles heißt: Das beharrliche Schweigen der Quellen über den Kern jener Urkundentexte von Frühjahr und Sommer 1364 bedeutet diesmal nicht extremen Quellenverlust, sondern meint, daß schlechterdings nichts vom Hauptziel von 1364 Wirklichkeit geworden ist. Weder gab es Scholaren wie in Italien noch ebensolche Doktoren, am wenigsten Legisten, schwerlich jemals einen Rektor, Dekan, juristische Graduierungen und alles weitere, was mit einer höheren Fakultät zusammenhängt. Überwältigend ist dabei der Druck, der von den gesicherten Tatbeständen der allgemeinen Universitätsgeschichte dieser Generation ausgeht und dem sich auch die Krakauer Verhältnisse, da schlechterdings kein Gegenargument erkennbar ist, beugen müssen. Man sollte sich darüber nicht wundern. Die große Mehrzahl aller Anläufe zu Universitäten in Europa ist im 14. Jahrhundert gescheitert. Die gut bekannte Mühsal der Prager Juristenuniversität würde unerklärlich werden, wenn man an der Weichsel Erfolg gehabt hätte. Man hätte dort zaubern, d. h. entgegen allen Voraussetzungen handeln müssen. Prag war moderner als Breslau, und Breslau war moderner als Krakau. Zu beachten ist hilfsweise noch das völlig unrealistische Krakauer Verhältnis von Kanonistik und Legistik, mit dem Überwiegen von dieser. Selbst in Köln, das – wie bald mit ihm Löwen – auf eine ganz andere, viel modernere Bedarfssituation als auf die polnische antwortete, war bei ungefähr gleichgewichtiger formaler Verteilung beider Zweige das Kirchenrecht in der Lehre beträchtlich im Vorteil; alle rechtsrheinischen Universitäten bildeten ausschließlich Kanonisten aus und gewöhnten sich erst nach und nach im 15. Jahrhundert an das römische Recht.
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Zu Unrecht ist schließlich unbeachtet geblieben, daß die schwachen Spuren eines Hochschullebens, die man in Krakau vor 1400 aufndet und von denen gleich die Rede sein wird, der Absicht von 1364 geradezu entgegengesetzt waren und ganz anderen Verhältnissen, nämlich dem nichtaristokratischen Studienniveau und dem Pariser Universitätsmodell, zuzuordnen sind. Der eine Artistenlehrer der Urkunde von 1364 besaß konzeptionell kaum mehr als eine Alibifunktion; in Italien mit seinen reichen Möglichkeiten und seiner sozialen Mobilität und im ärmeren und starreren Mitteleuropa hatte das Artistenstudium durchaus verschiedene Aufgaben und Quantitäten. Für den Krakauer „Kurswechsel“ war gewiß der Einuß aus der Prager Nachbarschaft verantwortlich, der sich auf einem anderen Weg als dem hösch-juristischen, nämlich dem bürgerlich-artistischen und von der „Dreifakultäten“-Universität her, durchgesetzt hat. In der Kanzlei und am Hof wirkte die höhere Geistlichkeit, vor der Burg aber erstreckte sich die 1364 sicherlich mit gutem Grund urkundlich mitbeteiligte Bürgerstadt (wohl 12.000 –14.000 Einwohner). Es war die weitaus größte und modernste Stadt Polens, auch Hansestadt wenigstens im weiteren Sinn, mit ihrem deutschen Handels- und Handwerksbürgertum und den daraus hervorgewachsenen Führungsfamilien, die über den Rat die Stadt beherrschten24. Für die Frage nach der Universität interessiert praktisch allein die deutsche Einwohnerschaft, die das bis 1507 auch formal gesicherte Privileg der Stadtführung besaß. Es handelte sich wie in Prag um ein „natürliches“ Umfeld und Reservoir einer funktionsfähigen Universität des „ Jüngeren Europa“ mit ihrem erdrückenden Übergewicht der Artisten. Die Prager Altstadt und Krakau waren der Größe nach, ethnisch, wirtschaftlich und sozial durchaus verwandt. Im Dekansbuch der Prager Artistenfakultät nden sich zu den Jahren 1368, 1370 und 1373 sowie rückblickend auf die Zeit bis 1370 in der
24 J. Strzelczyk, Krakau, in: LMA V (1991) 1467–1470. Vgl. M. Ludwig, Tendenzen und Erträge der modernen polnischen Spätmittelalterforschung unter besonderer Berücksichtigung der Stadtgeschichte (Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 128) Berlin 1983, besonders 38ff.; P. W. Knoll, The Urban Developement of Medieval Poland, with Particular Reference to Cracow, in: Urban Society of Eastern Europe in Premodern Times, ed. by B. Krekic, Berkeley u.a. 1987, 63–136. Zum Allgemeinen: Polen im Zeitalter der Jagiellonen 1388–1572 [Ausstellungskatalog], Schallaburg 1986; F. Seibt, Polen von der Jahrtausendwende bis 1444, in: Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 2, hg. von F. Seibt, Stuttgart 1987, 1042–1079, besonders 1067ff.
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Wohltäterliste am Anfang der Krakauer Matrikel von 1400ff. die Namen von vier Krakauer Bakkalaren25. Sie haben somit den untersten der artistischen Grade erworben. Eine Magisterpromotion ist nicht bezeugt. Für die Erhebung zum Bakkalar wird der schon 1364 im Königsprivileg erwähnte einzige (unbekannte) Magister, der schon zuvor tätig gewesen sein mag, genügt haben; daß eine Artistenfakultät bestanden habe, wird nirgends belegt und ist äußerst unwahrscheinlich. Im Schatten der Privilegien und mit städtischer Flankierung hatte jenes einzige Ergebnis der Pergamente von 1364 einige Jahre Bestand. Das Interesse der Stadt an dieser schon in der Urkunde Kasimirs an die (deutsche) Marien-Hauptkirche der Stadt gebundenen „Grundausbildung“ liegt in der Tat nahe. Den wichtigsten Hinweis auf die Beschaffenheit dieser Schule bieten die Namen der drei bestimmbaren, wohl 16–19 jährigen Adepten. Zwei Scholaren kamen aus westlicher (Osterhausen, SachsenAnhalt; Gleiwitz, Schlesien) und einer aus nördlicher Richtung (Elbing,
25 Monumenta historica universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis, t. I, Prag 1830, 138, 143, 155; Album Studiosorum I (Anm. 2) 9. Außerdem sind zwei Scholaren bekannt, von denen einer Albert heißt. Vgl. Dabrowski (Anm. 17); A. Vetulani, L’enseignement universitaire du droit à Cracovie d’après les dessins de Casimir le Grand, in: Etudes d’histoire du droit canonique dédiées à Gabriel Le Bras, Paris 1965, 373–383; Z. KozÜowska-Budkowa, La fondation de l’Université de Cracovie en 1364 et son rôle dans le développement de la civilisation en Pologne, in: Les universités européennes du XIVe au XVIIIe siècle. Aspects et problèmes (Etudes et documents 4) Genf 1967, 13–25; M. Markowski, Methodologische Grundlagen der ofziellen Universitätsbeschlüsse und Erklärungen der Professoren an der Krakauer Universität im XV. Jahrhundert, in: Studia Mediewistyczne 17 (1977) 5–32; A. Gieysztor, Origines sociales et nationales du corps universitaire de Cracovie au XIVe et XVe siècles, in: Les universités à la n du moyen âge, ed. J. Paquet/ J. IJsewijn, Löwen 1978, 475–483; B. Chmielowska, Stanislas de Skarbmierz – le premier recteur de l’université de Cracovie après le renouveau de celle-ci, in: Mediaevalia philosophica Polonorum 24 (1979) 73–112; J. Babicz, Die exakten Wissenschaften an der Universität zu Krakau und der Einuß Regiomontans auf ihre Entwicklung, in: Regiomontanus-Studien (Österreichische Akad. der Wiss., Phil.-hist. Kl., SB 363) Wien 1980, 301–314; K. Mrozowska/ L. Hajdukiewicz, Pologne, in: CRE-Information Nr. 69, 1985, 113–180; L. Hajdukiewicz, Bildungswesen und Wissenschaft in der Epoche der Jagiellonen, in: Polen im Zeitalter der Jagiellonen (Anm. 24) 77–85; F. Kiryk, Nauk przemozinych perla, Krakow 1986, 52ff.; R. Zawadzki, Die Anfänge des Renaissance-Humanismus in Polen in den Gründungsjahren der Universität Krakau, in: Zeitschrift für Ostforschung 36 (1987) 175–190; H. Protze, Bedeutung und Ausbreitung von Humanismus und Reformation und der Anteil ostdeutscher und osteuropäischer Universitäten und Gelehrter, in: Soziokulturelle Kontexte der Sprach- und Literaturentwicklung. Festschrift für Rudolf Große z. 65. Geburtstag, hg. von S. Heimann, Stuttgart 1989, 81–92; J. Wyrozumski, L’université de Cracovie à l’époque conciliaire, in: The Jagiellonian University in the Evolution of European Culture, Kraków 1992, 7–23.
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Preußen)26. Unsicher ist die Verknüpfung eines Gebäudes (collegium) im benachbarten Kazimierz mit diesem Betrieb, der Sache nach recht unwahrscheinlich, weil man mit den vorhandenen Baulichkeiten an der Marienkirche ausgekommen sein dürfte; eine nur als Regest bekannte Urkunde König Kasimirs von 1369, die formelhaft vom Rektor oder Vizerektor als Gerichtsinstanz für Scholaren wie im Gründungsprivileg spricht27, ist als Quelle für die Realität nicht brauchbar. Denn da wie gesagt kein einziges Zeugnis über juristischen Unterricht oder entsprechende Personen vorliegt, kann man sich auch nicht die Wahl eines Rektors aus den Scholaren der höheren Fakultäten, wie vorgeschrieben, vorstellen. Das Fazit aus alledem ist einfach: Es ist unzulässig, vom Bestehen einer Universität in Krakau seit 1364 zu sprechen. Das von vornherein fehlgesteuerte Vorhaben dieses Jahres ist nie Wirklichkeit geworden. Zeitweiliger Anfängerunterricht im artistischen Milieu ist als Ausweis für eine Begriffswahl, die Paris und Bologna mit dem gleichen Terminus bedenkt, nicht geeignet. Krakau I gehört vielmehr in eine Reihe mit anderen gescheiterten Vorhaben des Jahrhunderts in West- und Südeuropa, mit Wien I (1365), Fünfkirchen (1367), Kulm (1386) und Altofen (1395)28, von denen einige ungefähr vergleichbare oder ansehnlichere Spuren hinterlassen haben. Seit 1390 bestehen dürftige programmatisch-zielorientierte Quellen, die mit Plänen zur (Neu-)Errichtung einer Universität in Krakau in Verbindung zu bringen sind29; keine Belege mehr bieten sich für ein konkretes Funktionieren im Sinn der Privilegierung von 1364 oder gemäß der Praxis an der Marienschule. Nach mancherlei kaum erkennbarem Hin und Her, das für uns nicht so sehr von Bedeutung ist, mündete die Entwicklung in den erfolgreichen Akt von 1400 ein. Herauszuheben für unsere Fragestellung ist dabei zweierlei: 1. Es gab keine klare Linie zugunsten des Krakau-Plans, vielmehr bestand daneben oder besser an seiner Stelle einige Zeit der Gedanke,
26 Beim nicht bestimmbaren Theodoricus de Lucca ist schwerlich an die italienische Stadt zu denken, viel eher an Lucka (Thüringen) oder Luckau (Brandenburg). 27 Dabrowski (Anm. 17) und wie in Anm. 25. 28 Schwinges, Universitätsbesucher (Anm. 15) 17. Vgl. B. Kürbis, Die mißlungene Gründung einer Universität in Kulm (1386), in: AKG 46 (1964) 203–218. 29 KozÜowska-Budkowa (Anm. 17) und wie in Anm. 25. Von den in der Predigt des Bartholomäus von Jaslo angesprochenen zwei Juristen und dem einem Artisten gibt es keine konkrete Spur.
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sich an der bewährt erscheinenden Prager Carolina gleichsam zu beteiligen, statt ein neues Experiment an der Weichsel zu wagen. Hauptargument ist dafür die Stiftung des litauischen Kollegs in Prag durch die Königin Hedwig von Polen im Jahr 139730, was angesichts der insgesamt beschränkten und für 1400 dann recht mager gebliebenen polnischen Mittel viel eher als Alternative denn als großzügige Doppelung herrscherlichen Handelns bezeichnet werden muß31. 2. Was auch immer hätte verwirklicht werden sollen und verwirklicht wurde: Es geschah nach 1378, also in der Schismaphase der Papstkirche und in der national- und territorialstaatlichen, nicht mehr in der universalen Periode der mittelalterlichen Universitätsgeschichte32. So konnte auch vom erpreßbar gewordenen Papst ein vorsorgliches Privileg für eine Theologische Fakultät (1397) erlangt und dann verwendet werden. Die Krakauer Situation ist demnach gleichzuachten den schon erwähnten Situationen von Wien II, Heidelberg, Köln und Erfurt und ordnet sich gemäß der Hochschulchronologie und -geographie hinter diesen, immerhin jedoch vor Leipzig ein. Damit wurde, wie obendrein zahlreiche Personenbeziehungen und Sachargumente bezeugen33, die Jagiellonische Universität eine Tochter und war keine Schwester der Prager Carolina – eine Tochter mit ihrerseits mehreren älteren und jüngeren Schwestern. Daß sich das Schicksal der Mutter schon wieder zum Negativen neigte und so rasch der
30 M. Svatoš/J. Havránek, University Colleges at Prague from the fourteenth to the eighteenth centuries, in: Collegi universitari in Europa tra il XIV e il XVIII secolo, a cura di D. Maffei/H. de Ridder-Symoens (Orbis academicus IV) Mailand 1991, 143–154, besonders 147f. 31 Die für das Prager Kolleg ausgesetzte Summe war höher als der zunächst vom Königtum im Jahr 1400 versprochene Betrag (100 Mark Silber). Erst die Hinzunahme künftig freiwerdender 14 Kirchenpfründen sicherte das Vorhaben (1401ff.). 32 P. Moraw, Careers of graduates, in: A History I (Anm. 5) 244–279, besonders 253ff., 264ff. 33 H. Barycz, Dziejove zwiaski polski z uniwersytetem Karola w Pradze, in: Przeglad Zachodni 1 (1948) 251–269, 337–355; O. Odlohilik, Prague and Cracow Scholars in the Fifteenth Century, in: Polish Review 9 (1964) Nr. 2, 19–29; J. Krzyzaniakowa, Zwiaski uniwersytetu praskiego z uniwersytetem krakowskim w drugiej polowie XIV wieku, in: Acta Universitatis Carolinae-Historia universitatis Carolinae Pragensis V, 1–2 (1964) 53–134; K. Estreicher, Collegium Maius, Warszawa 1974, 11ff.; F. Machilek, Die Schlesier an der Universität Prag vor 1409, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 32 (1974) 81–102; I. Hlaváoek, U oeskopolským kulturním vztah%m v dobî p®edhusitské, in: Acta universitatis Nicolai Copernici Nr. 204, Historia 24, Torún 1990, 79–87. Selbst der Erker vom Prager Rotlöwhaus, dem „Collegium Carolinum“, ist am Collegium maius, ebenfalls einem ehemaligen deutschen Bürgerhaus (Stefan Pecherz, Peter Gerhardsdorf), in vereinfachter Form nachgeahmt worden.
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Katastrophe zueilen würde, war um 1400 nicht abzusehen. So haben sich nach der tatsächlichen Gründung von 140034 ganz unerwartete Chancen geboten: besonders die Teilhabe am Prager Lehrerreservoir und die Möglichkeit, sich als Hort betonter Rechtgläubigkeit rasch ein höheres Ansehen zu verschaffen, als es dem Alter der Anstalt und dem Rang der Trägerstadt eigentlich entsprach.
III Die zweite Frage, die wir hier stellen, aber angesichts des beschränkten Umfangs dieser Studie nur skizzenhaft und vereinfachend beantworten können, ist diejenige nach der Rolle der Universität Krakau innerhalb des europäischen Universiätssystems in den Jahren und Jahrzehnten nach 1400. Diese Frage ist aus einem verständlichen Grund noch nie gestellt worden: Ein Blick auf die Karte der funktionierenden Universitäten des 15. Jahrhunderts35 zeigt nämlich, daß in diesem Fall, wie es auch für Skandinavien gilt, die Begriffe „europäisch“ und „deutsch“ inhaltlich fast zusammenfallen, jedenfalls für die große Mehrzahl der einfacheren Studenten. Die polnischen und skandinavischen Scholaren vornehmer Herkunft verhielten sich hingegen wie ihre deutschen Standesgenossen: Schon im 14. und noch im 16. Jahrhundert waren bei ihnen italienische und französische Hohe Schulen begehrter als deutsche. Das Gefälle der Reputation und wohl vielfach auch der Qualität blieb eben von Anfang an und mehrere Jahrhunderte hindurch im großen und ganzen dasselbe. Auffällige Abweichungen davon sind uns bisher nur im Fall regionaler Gruppenbildung begegnet, die offenbar zusätzliche Aspekte aufkommen läßt. Krakau beherbergte die östlichste Universität des Mittelalters. Die polnische Hauptresidenz lag auswärts der Kette Greifswald-Leipzig-Erfurt-Wien in weitgedehnten Bereichen dünner und sehr dünner Besiedlung. Man kann sich demnach vom Fall Krakau Aufschlüsse für dieses selbst und daneben auch für das ganze deutsche Universitätssystem versprechen, das bekanntlich das in Europa bestüberlieferte und -dokumentierte ist36. Auch die Chronologie der Entstehungsgeschichte und die nationale 34 Codex diplomaticus (Anm. 2) Nr. XVI mit einer dichten Folge weiterer Urkunden Nr. XVII–XXIV (1401) usw. 35 Verger, in: A History I (Anm. 5) 74, vgl. 72. 36 Schwinges, Universitätsbesucher (Anm. 15) passim.
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Beschaffenheit von Land und Stadt deuten auf interessante Ergebnisse hin. Die Jagiellonische Universität mochte auch eingefügt gewesen sein in die Krise der Carolina und die Aufstiegszeit der deutschen Hohen Schulen der Schismageneration. Gab es Nischen, die man besetzen konnte? Wegen des Vorwaltens des deutschen Elements im „ Jüngeren Europa“ könnte man unter bestimmten Aspekten von einer QuasiInternationalität von dessen Universitätssystem sprechen, da Deutsche überall und oft sozial führend anzutreffen sind. Am wichtigsten scheint, daß in Krakau die älteste erfolgreiche Universität der Peripherie des „Jüngeren Europa“ entstanden ist, vor St. Andrews in Schottland (1412) und erst recht vor der ersten Gründung in Skandinavien (Kopenhagen 1479); Ungarn hat es bekanntlich das ganze Mittelalter hindurch trotz mehrerer Anläufe nicht zu einer eigenen Hohen Schule gebracht. Krakau war also in seiner hier vorauseilenden Art ein kleines Prag. So könnte man versuchsweise auch von Prag aus chronologisch ordnen, in eine erste Phase 1400–1409 (bis zum Abzug der Lehrer und Studenten der nichtböhmischen Nationen aus Prag), in eine zweite Phase 1410–1417 (bis zur Aufhebung der Prager Privilegien) und in eine dritte Phase 1418–1432 (bis zum Anschluß an die bestehende Forschung)37. Aber nicht alles kam aus Prag; der Verzicht auf die Nationenverfassung nach dem Beispiel Heidelbergs, Kölns und Erfurts zeigt, daß auch ganz Modernes rezipiert wurde, während das jüngere Leipzig, weil es sich als das rechtgläubige Prag zu „prolieren“ suchte, am alten Nationensystem festhielt. Vor allem bot ein ausgedehntes Königreich mit einer schon ansehnlich entwickelten Kirchenverfassung und mit einer Anzahl von Städten eine eigenständige soziale Basis für eine Hohe Schule, wenn damit auch über das Anspruchsniveau noch nichts Eindeutiges ausgesagt ist. Insgesamt wird aus alledem zu lernen sein, daß der Wandel von Beschaffenheit und Funktion einer Universität vielfach von außen auferlegt wurde und keineswegs allein den eigenen Kräften der Anstalt zuzuschreiben ist. Das wesentlichste, wenn auch mehrdeutige Kenndatum für die Entfaltung der Jagiellonischen Universität ist wie üblich die Anzahl der Immatrikulationen, die in der Art mitteleuropäischer Hoher Schulen
37 I. Kaniewska, Les étudiants de l’Université de Cracovie aux XVe et XVIe siècles (1433–1560), in: Les universités européennes du XIVe au XVIIIe siècle. Histoire sociale des populations étudiantes I. Études rassemblées par D. Julia e. a., Paris 1986, 113–133.
die hohe schule in krakau um 1400
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von 1400 an aufgezeichnet wurden und erhalten sind38. Die einfachste, aber besonders eindrucksvolle Information, die daraus entnommen werden kann, ist diejenige vom Erfolg der neuen Gründung. Auf das ganze Jahrhundert gesehen reihte man sich ein nach der Gruppe der großen und vor der Gruppe der mittelgroßen Universitäten, vergleichbar etwa mit Heidelberg39. Sehr starke Schwankungen sind durchaus normal, in Krakau zwischen 239 (1420) und 35 (1408) Immatrikulationen im Jahr. Der Jahresdurchschnitt lag bis 1432 bei 129, je Phase (siehe oben) bei 96 (ohne die wie üblich große Eröffnungsklientel: 84), 119 und 156. Der quantitative Anstieg ist unverkennbar. Die Summe von 1400 bis 1432 beträgt 4.248 Immatrikulationen, das waren je Phase 961, 950 und 2.33740. Für die Dreifakultäten-Universität in Prag hat man für die Zeit von 1399 bis 1409 3.800 bis 4.200 Immatrikulationen erschlossen41, also für die erste Phase das Vierfache der Krakauer Daten. Dieser Vergleich ist angemessen; denn man wird die Anzahl der Jurastudenten in Krakau sehr niedrig veranschlagen, wie üblich die Mediziner vernachlässigen und Artisten und Theologen sehr eng zusammenrücken. Der Zuwachs der Krakauer Immatrikulationen bis 1432 ist normal oder besser knapp normal im Vergleich zum besonders langfristigen „Trend“ der sogenannten Reichsfrequenz des 15. Jahrhunderts42. Diese gibt zwischen 1400 und 1432 ungefähr einen Anstieg von 700 auf 1.400 Immatrikulationen jährlich an. Für den quantitativen Vergleich der Studienneigung in Deutschland und Polen kann man jedoch besonders die erste Zahl nicht verwerten. Sie liegt viel zu niedrig. Wert und Bedeutung der „Reichsfrequenz“ rühren nämlich von der durchgehend nach streng gleichartigen Kriterien ausgewerteten Basis von zwölf einwandfrei dokumentierten deutschen Universitäten her. Für die Phase von 1400 bis 1409 und etwas darüber hinaus bringt das Fehlen der nur erschließbaren Immatrikulationen der Prager Dreifakultäten-Universität (1399–1409 wohl ca. 400 jährlich) eine gravierende, der Verzicht auf die Juristenuniversität am selben Ort sowie der Nachweismangel für die kurzlebige Hohe Schule in Würzburg
38
Album studiosorum mit Index studiosorum (Anm. 2). Schwinges, Universitätsbesucher (Anm. 15) 544f. 40 Die Zahlen im Matrikel-Buch (Zeissberg: [Anm. 2]) 19ff., scheinen nicht ganz zuverlässig. Hier nach eigener Zählung. 41 F. Šmahel, Prahské universitní studentstvo v p®edrevoluonim období 1399–1420 Praha 1967, 16ff. 42 Schwinges, Universitätsbesucher (Anm. 15) 23ff. 39
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(1402–1411/13) eine kleine Lücke (zusammen wohl zwischen 50 und 100 Immatrikulationen jährlich) mit sich. Auf die Auskünfte, die die Krakauer Matrikel zur Frage nach zyklischen Phänomenen im Sinne von Schwinges bietet, kann hier schon aus Gründen des Raumes nur hingewiesen werden. Erst durch eine solche Analyse wird wohl der soziale Ort der Jagiellonischen Universität bestimmt werden können, zumal ein hervorragendes Vergleichsmaterial in Gestalt der deutschen Universitäten vorliegt. Schwinges zieht im 15. Jahrhundert ganz im allgemeinen eine erste Grenze um 1430, die eine von kurzatmigen Schwingungen dominierte Phase abzuschließen scheint43. Die deutlichsten Negativstationen der Krakauer Immatrikulationsfrequenz sind 1401 (auch als Rückschlag gegenüber der Eröffnungssituation), 1408, 1422 und 1433. Die positivsten Stationen waren außer 1400 1405, 1411, 1420 und 1425. Auf dem Weg zur wichtigsten qualitativen Frage an die neue Gründung, inwieweit sie nämlich ein eigenständiges Studentenpotential an sich zu binden vermochte oder ob sie sich in hohem Maß in den Nischen des schon bestehenden Systems etablierte, etwa von den Katastrophen und dem Scheitern der Carolina abhängig gewesen sei, geben die Zahlen eine klare Antwort. Sie bestätigen auch die Aussagen über die quantitative Geringfügigkeit der unmittelbaren Studentenabwanderung von Prag nach Krakau aus Anlaß der bekannten Katastrophenstationen von 1409 und 141744. In Anlehnung an die tabellarischen Darlegungen von Schwinges über die deutschen Universitäten stellt sich die erste Krakauer Generation wie folgt dar (Tabelle 1): Tabelle 1: Immatrikulationsfrequenz in Krakau 1400–1435
43
Zeitraum
Frequenz
Index
1400–1405 1406–1415 1416–1425 1426–1435
65245 1.053 1.386 1.412
100 115 152 155
Ebd. 189f. Drei nachgewiesene Personen in Krakau gegenüber 302 in Leipzig, 60 in Erfurt und 36 in Wien (Šmahel [Anm. 41] 73f., 79). 45 Im Unterschied zu den Tabellen von Schwinges (siehe Anm. 46) ist hier bei der Immatrikulationsfrequenz die erste naturgemäß unvollständige Dekade (1400–1405) auf ein volles Jahrzehnt hochgerechnet (652 werden daher rechnerisch 913 Personen), um eine präzise Vorstellung vom Wachstum zu vermitteln. 44
die hohe schule in krakau um 1400
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Diese Tabelle gewinnt ihre volle Aussagekraft erst im Vergleich mit den entsprechenden Aufstellungen bei Schwinges, die zeigen, was für Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt, Leipzig und die folgenden Gründungen galt46: Stets traten sehr rasch „negative Wachstumstrends“ an den Platz der in der ersten Dekade gut ausgeprägten Zunahme. Das zeugt in zeitlich versetzter Form – abwechselnd mit neuen Phasen des Zugewinns – vom Ineinandergreifen des deutschen Hochschulsytems. So war es also – wenigstens vorerst – in Krakau nicht; man schöpfte größtenteils aus einem von anderswoher kaum erreichbaren Potential. Dasselbe Urteil ergibt sich beim Überblick über die Herkunftsregionen der Studierenden bis 143247. Zuerst fällt das Auge auf die Schlesier, die bis 1409 in Prag den relativ größten Prozentsatz (32–33) der Polnischen Nation, die daher eigentlich Schlesische Nation hätte heißen sollen, und demgemäß auch in Leipzig gestellt haben. Genau so deutlich traten ihre führenden Magister hervor. Ein wesentlich kleinerer Anteil fand aus Schlesien den Weg nach Krakau. Hier dürften die Schlesier zusammen mit den Deutschen aus den Städten Polens (vor allem aus Krakau, aber auch aus Posen und anderswoher) samt einigen Scholaren aus den Städten Ordenspreußens (Danzig, Thorn, Königsberg) sowie aus annähernd anstoßenden Gebieten (Lausitzen) und schließlich mit den Deutschen aus den ungarischen (slowakischen) Städten eine ethnisch und sozial ziemlich einheitliche Gruppe gebildet haben. Die Schlesier waren wohl etwa so zahlreich wie alle anderen Genannten zusammengenommen. Nach überschlägiger Zählung bewegte sich diese ganze Gruppe bei leicht steigender Tendenz etwa zwischen 17 und 22 Prozent. So ähnlich verhielt es sich auch noch in den anschließenden Jahren48. Die große Mehrheit der Scholaren an der Weichsel war zweifellos polnischer Herkunft. Krakau lag eben abseits. Aus den böhmischen Ländern zeigten sich sehr wenige Studenten, während Prag in seiner Blütezeit ziemlich viele Polen angezogen hatte (etwa zwei Drittel der oben erwähnten Schlesier). Die Nachahmung Prags nahm einen anderen Weg. Sie verlief über die Lehrer und wirkte sich
46
Schwinges, Universitätsbesucher (Anm. 15) 69, 77, 88, 98, 113 usw. Vgl. H. Boockmann, Die preußischen Studenten an den europäischen Universitäten bis 1525, Historisch-geographischer Atlas des Preußenlandes. Lieferung 3, Wiesbaden 1973, und T. M. Trajdos, Spiszacy na akademii krakowskiej w XV w., in: Spoleczenstwo polski sredniowiecznej 4 (1990) 296–357. 48 Kaniewska (Anm. 37) 128. 47
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daher gemäß dem Selbstergänzungsprinzip der damaligen Universitäten personell gesehen nur relativ kurze Zeit aus. Das Problem der Jagiellonischen Universität mochte – mit jenem positiv erscheinenden Faktor der ethnischen Eigenständigkeit eng verknüpft – anderswo liegen. Es mochte liegen in der unvermeidlichen Anpassung des Studienbetriebs an die Gesamtsituation eines Landes an der Peripherie. Beobachtet man zum Vergleich unvoreingenommen den um zwei Generationen vorausgegangenen mühsamen Aufstieg der Carolina ebenfalls in einem Land ohne Universität, so erkennt man hier zum Beispiel sehr klar die anfänglichen Dezite bei der (einzig erkennbaren) formalen Qualikation der Hochschullehrer49 und ersieht dasselbe an der im Vergleich zum „Älteren Europa“ andauernden ziemlich extremen Verteilung der Studenten zugunsten der unteren Fakultät und zu Lasten der höheren. Umso mehr zu beachten wären daher gegebenenfalls Analogien zur Rolle der Prager Juristenuniversität50, deren Untergang (1409/17) zunächst oder auch auf längere Zeit ein tiefes Loch in die Qualikationen des „ Jüngeren Europa“ bis hinauf nach Skandinavien gerissen haben dürfte. Daraus ergeben sich an die Universität in Krakau Fragen, die man zunächst anhand des Materials aus der Artistenfakultät, der Liste der Rektoren und mit Hilfe der Reihe der Hochschullehrer stellen kann, die wie in Prag zeitgenössisch am Anfang der Matrikel eingetragen wurden51. Zuerst das Positive. Jedes Jahrzehnt, das verstrich, füllte Qualikationslücken im „ Jüngeren Europa“. Das Erbe Prags bot an und für sich und infolge des individuellen Geschicks der Carolina ein reichhaltiges Reservoir, für Krakau wie für andere Universitäten. Im Jahr 1400 befand sich an der Weichsel in der Tat gleichsam an einer Wegkreuzung. Einesteils verfügte man nun bei Theologen und Kanonisten von Anfang an über je zwei oder drei vollgraduierte Lehrer, brauchte sich um eine sehr ansehnliche Zahl von Artistenmagistern keine Sorge zu machen und konnte die selten befriedigend gelöste Situation bei der Medizin auf sich beruhen lassen. Die Verhältnisse im
49 Ein Aufsatz des Verfassers über „Improvisation und Ausgleich. Der deutsche Professor tritt ans Licht“ wird sich um die Aufhellung des bisher unbearbeiteten Themas bemühen. 50 P. Moraw, Die Prager Juristenuniversität (1372–1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. von J. Fried (VuF 30) Sigmaringen 1986, 439–486. 51 Statuta (Anm. 2), passim; Matrikel-Buch (Anm. 2) 22ff.; Album studiosorum I (Anm. 2) 4ff; Codex diplomaticus (Anm. 2) 202ff.
die hohe schule in krakau um 1400
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viel günstiger gelegenen Erfurt52 waren kaum großzügiger bemessen. Zum anderen macht stutzig die überragende Rolle der Artistenfakultät, die Verschmelzung von Fakultäts- und Universitätsverfassung in wichtigen Punkten und die Beschaffenheit der Überlieferung für andere als artistische Disziplinen. Wir haben, um es rundheraus zu sagen, entgegen den möglicherweise anachronistischen Vorwegannahmen in der Literatur, die sich einem Beweiszwang noch nicht gegenübersah, in den uns zugänglichen Quellen keinen Nachweis für die Existenz einer höheren Fakultät oder für einen entsprechenden Dekan vor und nach 1422 aufgefunden. Auch der Beleg von 142253, der für uns isoliert steht, beschreibt aus der Sicht des Bischofs von Krakau eher das Sollen als das Sein für drei Fakultäten und Dekane (Theologie, Kirchenrecht, Artes). Von den an dieser Urkunde beteiligten führenden Hochschullehrern wird aber, wie auch in den folgenden Jahren, kein Theologe und Jurist als Dekan bezeichnet. Entgegen sonstigem Brauch blieben zunächst (nur zunächst?) auch vollqualizierte Doktoren und Professoren dieser Disziplinen oder mindestens je einer von ihnen mitwirkende Mitglieder der Artistenfakultät, wenigstens bei wichtigen Entscheidungen54. Es gab auch keinen fachlichen Turnus beim Rektoramt. Hier wirkte natürlich das Erbe der Prager Dreifakultäten-Universität nach, die man nach solcher Erfahrung vielleicht anders nennen sollte, mit ihrem erdrückenden Übergewicht der Artisten, bei einer separierten Juristenuniversität und mit einer zuletzt sehr problematischen und kaum mehr aktionsfähigen, da „konfessionell“ tief und zwar entlang den Qualikationsgrenzen gespaltenen Theologischen Fakultät (Etablierte gegen „Mittelbau“). Angesichts der Überlieferung ist es nicht in der Breite, sondern wohl nur bei den Qualikationsstufen der Hochschullehrer nachprüfbar, ob überhaupt, seit wann und welche Graduierungen in den höheren Disziplinen in Krakau vorgenommen wurden (nicht auswärts oder mit Dispens). Der einflußreiche Paul Wladimiri erwarb jedenfalls 1411/12 seinen Krakauer juristischen Doktorgrad mit Dispens des Papstes55.
52 E. Kleineidam, Universitas studii Erffordensis – Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter 1392–1521, Teil I: 1392–1460, Leipzig 21985. 53 Codex diplomaticus (Anm. 2) Nr. LXXI. 54 Statuta (Anm. 2) I, IV. Noch 1485 (ebd. XL) ist der Dekan der Artisten ein Theologieprofessor. 55 P. W. Knoll, The university of Cracow and the conciliar movement, in: Rebirth, Reform, and Resilience. Universities in Transition 1300–1700, ed. by J. M. Kittelson/ P. J. Transue, Columbus 1984, 190–212, besonders 194.
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Ganz sicher war der Aufstieg zum Doktor der Medizin im 15. Jahrhundert an der Weichsel nicht möglich. Im Hinblick auf die regionale und sprachliche Struktur des Lehrkörpers der ersten Generation verhält es sich so, daß analog zu den Prager Verhältnissen die beiden vornehmsten juristischen Positionen, da als einzige mit der kirchlichen Hierarchie kompatibel, von Einheimischen mit ebensolchen Ambitionen und Erfolgen besetzt waren. Bei Theologen und Artisten war zunächst der Anteil der Deutschsprachigen – ganz ohne vergleichbaren Pfründen-Hintergrund – sehr groß, partiell größer als die Hälfte, und damit weitaus größer als bei den Studierenden, was sich auch auf das Amt des Rektors deutlich auswirkte. Allen Lehrern war gemeinsam, daß sie in erster Linie in Prag ausgebildet worden waren. Nur einmal ist uns in den Quellen der ersten Jahrzehnte der Hinweis darauf begegnet, daß ein Hochschullehrer als Inhaber einer Altaristenpfründe die polnische Sprache so beherrschen sollte, daß er im Dom predigen könne56. Wie in Prag war bei der Predigt das Sprachenproblem besonders konkret. Der Wandel dieser Anfangssituation noch innerhalb der ersten Jahrzehnte zugunsten der Polen hängt eng mit der beachtlich hohen Produktion von Bakkalaren und Magistern zusammen, die man in Krakau beobachtet und die eine vergleichende Untersuchung verdienen würde. Von 1402 an, dem ersten möglichen Datum nach der Gründung gemäß dem zweijährigen Kursus, sind bis 1432 579 Bakkalare und 150 Magister promoviert worden. Aus den Magistern gingen neue Hochschullehrer hervor, das heißt solche, die über das auch in Krakau ungeliebte Biennium hinaus an der Universität verblieben. Sie wirkten weiterhin in der Artistenfakultät oder machten sich auf den Weg in eine höhere Disziplin. Die Gleichheit von Herkunftsnamen deutet mehrfach darauf hin, daß sich wie üblich auch in Krakau Personenverbände bildeten oder schon von außen auf die werdende Universität eingewirkt hatten, indem ein einußreicher Patron jüngere Verwandte und Landsleute förderte. Im ganzen beobachtet man dabei eher altertümliche Sozialformen, zumal das Klerikermonopol bis tief in das 15. Jahrhundert hinein. Den Kreis der Stifter und Wohltäter, unter denen es einen bemerkenswerten Anteil von Universitätslehrern, also von „Selbstnanzierung“ gegeben hat, sollte man hinzunehmen.
56
Codex diplomaticus (Anm. 2) Nr. LVI, vgl. LXXI.
die hohe schule in krakau um 1400
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Tabelle 2: Bakkalar- und Magisterpromotionen in Krakau 1400 –1435 Zeitraum
1400–1405 1406–1415 1416–1425 1426–1435
Bakkalare Index
6157 115 207 246
100 76 135 162
Prozentan- Magister Index Prozentanteil an der teil an der Studentenzahl Studentenzahl 9,4 10,9 14,9 17,4
1257 23 69 62
100 77 230 207
1,9 2,2 5,0 4,5
Auf jeden Fall wird man hier – abgesehen vom fortdauernden Auslandsstudium der Vornehmen und Begüterten – das geistige Zentrum des Königreichs erblicken und in der Artistenausbildung dessen besondere Ausprägung58; dabei war die Kirche die entscheidende Kraft. In Frankreich, um von den italienischen Kommunen zu schweigen, hatte damals längst eine quantitativ durchaus vergleichbare, aber staatlichjuristische Elitebildung stattgefunden59. In Deutschland handelte es sich wohl um eine gemischte Situation. Abgesehen von Krakau und von Italien war dabei für das Königreich Polen weiterhin die Universität Leipzig von ansehnlicher Bedeutung60, deren polnische und „polnische“ Studenten allerdings eher aus dem näher gelegenen Großpolen und besonders aus dessen Städten, in erster Linie aus den größeren deutschgeprägten (Posen, Fraustadt) stammten, statt wie in Krakau eher aus Kleinpolen. Wie weit dies innenpolitische Folgen zeitigte, wäre noch zu untersuchen.
57 Die Indexzahl 100 wird auf die Basisdaten 152 statt 61 und 30 statt 12 gegründet, indem die für vier Jahre (1402–1405) gebotenen Original-Zahlen auf ein volles Jahrzehnt hochgerechnet werden. 58 Daher rührt wohl auch die international eher ungewöhnliche Tatsache, daß man wissenschaftsgeschichtlich den Artisten größte Aufmerksamkeit schenkt und die höheren Disziplinen in Krakau fast außer acht läßt – mit der latenten oder manifesten Neigung, die Qualität dieses „Anfängerunterrichts“ einer Philosophischen Fakultät des 19. Jahrhunderts anzunähern. 59 F. Autrand, Naissance d’un grand corps de l’État. Les gens du Parlament de Paris 1345–1454 (Publ. de la Sorbonne – Sér. NS Recherche 46) Paris 1981. 60 M. Biskup, Die Bedeutung der Leipziger Universität für das intellektuelle Leben des polnischen Staates im XV. und bis zur Mitte des XVI. Jahrhunderts, in: Leipziger Beiträge zur Universitätsgeschichte 2 (1988) 5–16.
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kapitel 6 IV
Als übergreifenden Befund der binnenpolnischen Universitätsgeschichte, die sich auf das 15. Jahrhundert beziehen sollte, kann man sich eine Gliederung in drei Krakauer Phasen vorstellen; von ihnen ist hier die erste und ein Teil der zweiten angesprochen worden. Es waren die Gründungsphase, die Einwurzelungsphase, die nach den vorliegenden Daten deutlich über den hier gewählten Endpunkt hinausreicht, und eine Öffnungsphase. Diese brachte wohl zweistug in den sechziger und in den achtziger Jahren eine kräftige Vermehrung und veränderte Zusammensetzung der Studentenpopulation mit sich. Von Europa, das heißt von Deutschland aus betrachtet handelte es sich dabei kaum um etwas Singuläres, wie die polnischen Kollegen annehmen, sondern um das Weiterwandern einer Welle der mitteleuropäischen Bildungsgeschichte durch starke Vermehrung des Artistenstudiums mit zugleich gewandelter sozialer Zielsetzung61. Man kann dies am Rhein schon in den zwanziger/dreißiger Jahren erkennen. In Zukunft mag man solchen Vorgängen um ihrer selbst willen und zur Auockerung monographischer Argumentation mehr Aufmerksamkeit schenken und auch noch allgemeineren Prozessen wie demjenigen der europäischen Laisierung62.
61 In einem kommenden Sammelband des Max-Planck-Instituts für Geschichte (Studien zur Germania Sacra) wird sich der Verf. unter dem Titel „Stiftspfründen als Elemente des Bildungswesens im spätmittelalterlichen Reich“ u. a. dazu äußern. 62 Ansätze im Sammelband Intellectuels français, intellectuels hongrois, XIIIe–XXe siècles, éd. J. Le Goff/B. Köpeczi, Budapest-Paris 1985.
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DIE ÄLTERE UNIVERSITÄT ERFURT IM RAHMEN DER DEUTSCHEN UND EUROPÄISCHEN HOCHSCHULGESCHICHTE*
Eine Abhandlung, die die ältere Universität Erfurt in die deutsche und europäische Hochschulgeschichte hineinzustellen sucht, gedenkt der Vergangenheit in vergleichender und damit in kontrollierter, wohl auch in relativierender Form. Das ist gerade im Bereich der Universitätsgeschichte nicht immer so gewesen. Gegenüber allzu schwungvollem Lobreden und allzu willigem Nachsprechen sind wir aber auch auf diesem Gebiet zurückhaltend geworden. Will man einen eher bescheidenen, aber gut verteidigungsfähigen Standpunkt beziehen, so empehlt sich vielleicht der folgende: Nicht so sehr die Legitimierung Hoher Schulen von heute sollte historisch sein, gerade weil dieser Punkt in der Vergangenheit eine so große Rolle gespielt hat, sondern die Individualisierung. Wer kein eigenes Gesicht hat, den lohnt es sich kaum anzuschauen, und man fühlt sich ortlos wie in manchen auswechselbaren Stadtzentren von heute. Einer Hochschule ohne Gesicht wird man in schwieriger werdenden Zeiten nicht viel Zukunft prophezeien, und vielleicht verdient sie diese Zukunft auch nicht.
* Leicht veränderter Vortrag anläßlich der Gründung des Instituts für Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Erfurt-Mühlhausen am 2. November 1993.
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Die ältere Universität Erfurt1 hat nach einer sehr ansehnlichen Vor- und Frühgeschichte des Bildungswesens am Ort2 von 1392 bis 1816 bestanden. Man sollte nicht „alte“ Universität Erfurt sagen, weil dies wie etwas Abgeschlossenes klingt. Es ist aber gar nicht so einfach, Hohe Schulen abzuschließen. Die Universitäten in Köln, Mainz und Trier sind nach längerer Pause während des 19. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert wiedererstanden und erfreuen sich guter Gesundheit. Alle drei waren, wie Erfurt, mittelalterlichen Ursprungs. Knapp hinter Köln, nimmt man nur alles in allem, und weit vor Trier und Mainz hat Erfurt einst gleichsam einen zweiten Platz in diesem Quartett belegt. Blickt der Historiker auf die Geschichte der älteren Universität Erfurt, so sieht er sich in einer etwas paradoxen Situation. Zumindest aus den frühesten Zeiten ist nicht allzuviel erhalten, und doch ist der Forschungsstand für das schriftlich Bezeugbare gerade in unserer Generation sehr respektabel zu nennen. Dringend scheint es, die erhaltenen körperlichen Denkmale, das Collegium Maius, die Zepter und die wesentlichsten Urkunden und Amtsbücher, in den institutionellen Rahmen zurückzuführen, in den sie nach dem Neuerstehen der Universität gehören – zum Zeichen, daß die Erfurter Wiedergründung in den ganz kleinen Kreis der alten Hohen Schulen zurückkehrt. Was nun wieder das Erforschen der Erfurter Universitätsvergangenheit im Bereich der schriftlichen Überlieferung
1 W I–III; Horst Rudolf Abe, Bibliographie zur Geschichte der Universität Erfurt (1392–1816) für die Jahre 1900–1990. Erfurt 1992; ders., Die frequentielle Bedeutung der Erfurter Universität im Rahmen des mittelalterlichen deutschen Hochschulwesens (1392–1521). In: BGUE 2 (1957), S. 29–57; Erich Kleineidam, Geschichte der Wissenschaften im mittelalterlichen Erfurt. In: Geschichte Thüringens. Hg. Hans Patze und Walter Schlesinger, Bd. 2/2, Köln/Wien 1973, S. 150–187; Horst Rudolf Abe, Die Erfurter Medizinische Fakultät in den Jahren 1392–1524. In: BGUE 17 (1973/74); Kleineidam I–III; Johannes Kadenbach, Zur Vorgeschichte der Erfurter Universität. In: Aus der Vergangenheit der Stadt Erfurt 4 (1988), S. 44–62; ders., Die Gründungsurkunde Papst Urbans VI. für die Universität Erfurt vom 4. Mai 1389. In: Erfurt 742–1992. Hg. Ulman Weiss, Weimar 1992, S. 135–153; Rainer Christoph Schwinges, Rektorwahlen. Sigmaringen 1992; Horst Rudolf Abe, Die Rolle der Universität Erfurt in der thüringischen und hessischen Bildungsgeschichte vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. In: Hessen und Thüringen. Von den Anfängen bis zur Reformation. Marburg 1992, S. 54–57; Almuth Märker, Geschichte der Universität Erfurt 1392–1816. Weimar 1993. 2 Clemens Stroick, Heinrich von Friemar. Freiburg/Br. 1954; Ludger Meier, Die Barfüßerschule in Erfurt. Münster 1958; Sönke Lorenz, Studium generale Erfordense. Stuttgart 1989; ders., Studium generale Erfordense. In: Traditio 46 (1991), S. 262–289; ders., Das Erfurter Studium generale artium – Deutschlands älteste Hochschule. In: Erfurt 742–1992 (wie Anm. 1) S. 123–134; ders., Erfurt – die älteste Hochschule Mitteleuropas? In: Aspekte thüringisch-hessischer Geschichte. Hg. Michael Gockel, Marburg 1992, S. 139–146.
die ältere universität erfuhrt
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betrifft, so schreitet es erfreulicherweise weiter fort. Die Edition der Bakkalarslisten seit 1392 steht vor dem Erscheinen3. Es handelt sich um eine Quelle, die wichtige Aufschlüsse über die nach außen gerichteten Wirkungen der Universität im Mittelalter bietet. Wo ist angesichts dieser Situation der Platz dieser Abhandlung? Man kann sagen, daß sich die Forschung bisher stark auf Erfurt selbst konzentriert hat und nicht allzusehr darauf hat achten wollen, daß es sich bei jeder Universität nur um einen Knoten unter mehreren und bald unter vielen in einem Netz gehandelt hat, das man seinerzeit gleichsam über das ganze papstchristliche Europa hinweg ausgeworfen zu haben scheint. Wissenschaftliche Aussagen über eine einzige Blume sind problematisch, sofern man nicht das ganze System der Panzen vor Augen hat. Die Fortschritte, die die international betriebene europäische Bildungsgeschichte im letzten Jahrzehnt und schon davor gemacht hat, sind enorm. Angesichts dessen könnte man unser Ziel ebenso bescheiden wie anspruchsvoll nennen. Es geht darum, die vorhin angesprochenen individualisierenden Erfurter Aspekte im Licht der deutschen und der europäischen Universitätsgeschichte zu betrachten. Köln, Erfurt, Trier und Mainz, das gerade erwähnte Quartett, braucht sich gegenüber Wien, Heidelberg oder Leipzig, die keine gravierenden Unterbrechungen ihrer heimischen Universitätstradition aufweisen, nicht allzusehr im Hintertreffen zu fühlen. Denn die seit dem Mittelalter nur wenig veränderte Terminologie und das Verlangen von damals und heute, kontinuitätsbildend-legitimierend zurückzublicken, täuschen den Historiker der Gegenwart nicht über die gewaltigen Unterschiede hinweg, die zwischen dem älteren und dem modernen Universitätsleben bestehen. Die vorklassische Universität, die man bis zum frühen 19. Jahrhundert rechnen kann, war ganz anders beschaffen als die nachklassische, in der wir heute leben. Maßstab für beide, Forschungsmaßstab für die vorklassische und hochschulpolitischer Maßstab für die nachklassische Zeit, ist die große Epoche der klassischen Universität im 19. und früheren 20. Jahrhundert – die einzige Periode, in welcher deutsche Hohe Schulen Weltbedeutung gehabt haben4. Was klassischer und vorklassischer Universität gemeinsam ist und was sie von unserer heutigen Universität unterscheidet, sind vor allem das Vor3 Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392–1521. Hg. Rainer Christoph Schwinges und Klaus Wriedt. 4 Peter Moraw, Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte. In: Academia Gissensis. Hg. Peter Moraw und Volker Press, Marburg 1982, S. 1–43.
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walten der kleinen oder ganz kleinen Zahlen und die Existenz von der Vergangenheit her legitimierter, recht einfacher Organisationsformen. Was die klassische Universität und die nachklassische Periode einerseits unterscheidet von der vorklassischen andererseits, ist die Differenz zwischen dem Gelehrten in seiner Haltung und dem Wissenschaftler in seinem Handeln. Beide sind durchaus verschieden beim Umgang mit ihrem Gegenüber; beim Gelehrten lag der Akzent auf dem Gewußten, beim Wissenschaftler liegt er auf dem zu Wissenden. Für den Erforscher der vorklassischen Zeit, der die ältere Universität Erfurt gänzlich angehörte, ist es daher nicht ohne weiteres nützlich, Mitglied einer modernen Universität zu sein, weil die hier gewonnenen Erfahrungen beim Verständnis der Vergangenheit in die Irre führen können. Viele Fehler, die man bei Themen wie dem unseren gemacht hat, rühren daher. Gleichwohl ist die Geschichte der ganzen Universität als die Geschichte einer der interessantesten langlebigen Sozialformen, die die Europäer hervorgebracht haben, bei richtiger Bewertung der jeweils anders beschaffenen Rahmenbedingungen äußerst lehrreich. Als Beispiel diene der Tatbestand, daß es unberechtigt ist, gegenüber einer Universität den Begriff des Regionalismus als Schimpfwort zu gebrauchen. Achthundert Jahre europäischer Universitätsgeschichte zeigen vielmehr: Nur diejenige Universität war und ist gesund, die sich in einer tragfähigen Region dauerhaft verwurzelt. Erst sekundär und häug nicht von Dauer waren und sind überregionale Wirkungen. Damals wie heute waren Universitäten in ihrem Existenzkampf „horizontal“, also in ihrer jeweiligen Umwelt verankert. Probleme und Problemlösungen von Fall zu Fall, Bewährung oder Scheitern von Fall zu Fall zu analysieren ist daher mindestens ebenso fruchtbar wie einen oft dünnen Faden der Kontinuität noch mehr in die Länge zu ziehen. In der Vergangenheit kannte niemand die Zukunft, und man wußte nichts über den Legitimierungsbedarf oder auch Individualisierungsbedarf der viel Späteren. Man behauptete sich am Tage, wie wir das heute in unseren Universitäten versuchen, recht und schlecht in dem Bestreben, das im Augenblick am besten Erscheinende zu tun. Nebenwirkungen oft des einst kurzfristig Bezweckten wirkten dann weit in die Zukunft. Auch die Erfurter Universität ist mitnichten zum Zweck aufgeklärter Bildungspolitik für viele gegründet worden, sondern war primär gewiß ein Prestige- und Wirtschaftsobjekt für ganz wenige – als Zeichen, daß man etwas vorzeigen konnte, was andere nicht vorzuzeigen vermochten. Sie sollte sein vielleicht in zweiter Linie ein Versorgungsinstitut für zu begünstigende Nahestehende und zum
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dritten in Gestalt ihrer Lehrer ein Reservoir für Fachleute, die den Regierenden nützen mochten. Auch was dann aus den europäischen Universitäten – wie gesagt als Nebenabsicht – an größeren Zahlen von Absolventen oder unabsolvierten Besuchern hervorgegangen ist, hat für Jahrhunderte die „feudale“ Gesellschaft bei uns bei weitem nicht direkt verändert, sondern im Gegenteil zunächst und auf mittlere Frist indirekt stabilisiert. Denn man nahm Posten bestenfalls zweiten und vor allem dritten Ranges in Gesellschaftsformen ein, deren erste und vielfach auch zweite Stellen nach den Kriterien von Geburt und Besitz vergeben worden sind. Erst sehr langsam, von kaum einem Führenden wirklich gewollt, kam das Leistungskriterium als neues Element zur Geltung. Es sollte dann in der Moderne siegreich werden und die Welt verändern, aber wie gesagt als Nebenwirkung. Einen Arbeitsmarkt für Akademiker im modernen Sinn zum Beispiel mochte es im Mittelalter allenfalls in den großen oberitalienischen Städten gegeben haben5. Als man die italienische und französische Institution „Universität“ in Deutschland, auch in Erfurt, kopierte, war man sich schließlich nicht im mindesten dessen bewußt, daß die soziale Situation im eigenen Land ganz anders beschaffen war, daß die italienischen Fachleute, wenn man sie ernsthaft befragt hätte, wohl diese Kopie als grotesk und die Franzosen als bedenklich bezeichnet hätten. Aber man tat es trotzdem, und – siehe da, auf die Dauer stellten sich doch Wirkungen ein, über die wir heute recht positiv denken. Europäische Universitätsgeschichte ist insofern eine vertrackte Angelegenheit, als die Wahrheitssuche fast immer ein Element des Befremdlichen an sich hat. Daß man das ertragen muß, ist etwas, was die Errichtung einer Hohen Schule in der eigenen Stadt mit sich bringt. Solches Aufgestörtwerden hat es von Anfang an in der Universitätsgeschichte gegeben, und es wird bestehen bleiben.
5 La nascita delle università. (Le università dell’Europa [1]). Hg. Gian Paolo Brizzi und Jacques Verger, Milano 1990, bes. die Beiträge von Jacques Verger und Rainer Christoph Schwinges; Geschichte der Universität in Europa. Hg. Walter Rüegg. Bd. 1, München 1993; Peter Moraw, Das spätmittelalterliche Universitätssystem in Europa – sozialgeschichtlich betrachtet. In: Wissensliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Hg. Horst Brunner und Norbert Richard Wolf, Wiesbaden 1993, S. 9–25.
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kapitel 7 II
Die Anfänge der Geschichte der europäischen Universitäten im 12., 13. und im größten Teil des 14. Jahrhunderts kann man zusammenfassend einem „universalen“ Zeitalter6 zurechnen, vor allem weil sich das allzuständige Papsttum auch für sie verantwortlich gefühlt hat. Diesem Zeitalter hat die Universität Erfurt bekanntlich nicht angehört, jedoch taten dies ganz am Ende noch die Prager Universitäten und in gewisser Hinsicht die sehr respektablen Erfurter Schulen vor der Universitätsgründung7. Damit wird, so heben wir erstmals vergleichend hervor, etwas Besonderes mitgeteilt. Denn in jenem universalen Zeitalter, bevor die Papstkirche im Großen Schisma (1378) auseinanderbrach und erpreßbar wurde, gab es als eine Selbstverständlichkeit Universitäten allein im „Älteren Europa“; das heißt in jenem Süden und Westen des Kontinents, der direkt oder indirekt von römisch-antiker Tradition geprägt war – ein Raum, der vom inneren Deutschland aus gesehen links des Rheins und südlich der Alpen, in gewisser Weise auch südlich der Donau lag. Dichtere Bevölkerung, größere Städte, eine vorwiegend gebildete und ausgebildete statt einer vorwiegend adeligen Kirche, ein weitaus höheres Maß an Schriftlichkeit, ein „modernes“ Geldwesen, immer wieder größere soziale Mobilität und eben die Existenz von Universitäten seit dem späten 12. Jahrhundert machten dieses begünstigte Europa aus. Im „Jüngeren Europa“ rechts des Rheins und nördlich der Donau war man auf mühsame Ausgleichs- und Beschleunigungsvorgänge angewiesen, um nach und nach aufzuholen8. In Prag, seiner wichtigsten Residenz, ist von einem frankreich- und italienerfahrenen Kaiser, Karl IV. (1346/1347–1378), aus politischdynastischen Gründen im Jahr 1348 eine Universität gleichsam in fremdes Erdreich eingepanzt worden. Sie hat für die untere Fakultät
6 Peter Moraw, Der Lebensweg der Studenten. In: Geschichte der Universität in Europa (wie Anm. 5) S. 227–254. 7 Peter Moraw, Die Universität Prag im Mittelalter. In: Die Universität zu Prag, München 1989, S. 9–134; ders., Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet. In: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Hg. Johannes Fried, Sigmaringen 1986, S. 439–486; Peter Moraw, Die Prager Universitäten des Mittelalters. In: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus. Sigmaringen 1992, S. 109–123. Vgl. oben Anm. 2. 8 Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. In: Hochnanz. Wirtschaftsräume. Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer. Bd. 2, Trier 1987, S. 583–622.
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der „Artisten“-Philosophen kaum früher als um 1360 und für die höheren Fakultäten der Theologie, Kanonistik und Medizin nicht eher als um 1370 wirklich funktioniert. Nach entwicklungsgeschichtlichen Standards – wenn es nur unwiderstehliche überpersönliche Prozesse und nicht auch das individuelle Handeln von Mächtigen gegeben hätte – hätte der Standort der ersten deutschen Universität Köln sein müssen, die damals größte deutsche Stadt und einzige wirkliche deutsche Großstadt im „Älteren Europa“, die mit nahezu allen entsprechenden Ausstattungsstücken versehen war. Aber die politisch-kirchlichen Verhältnisse begünstigten dies nicht. Einige wenige anspruchsvolle Schulorte, nicht Universitätsorte, die bedeutendsten davon Köln und Straßburg, Wien, Magdeburg und eben Erfurt, waren im 13. und 14. Jahrhundert in Deutschland hervorgetreten. Das „national“-regionale Zeitalter der europäischen Universitätsgeschichte setzte dann mit der Kirchenspaltung von 1378 ein, einem fundamentalen Datum nicht nur für Erfurt, und währte – jedenfalls in Deutschland – zunächst bis zur Reformation. Diesem Zeitalter gehörte die Erfurter Universität seit ihrem Beginn an. Das universale Zeitalter und das nachfolgende waren bei weitem nicht darauf bedacht, im Interesse der Volksbildung in Europa überall Universitäten zu verstreuen, und waren sich nicht einmal darüber einig, was eine Universität sei. Besser gesagt: Nicht im mindesten irgendeine übergreifende und langfristige Idee von der Universität an und für sich stand am Anfang, sondern „fachlich“ spezialisierte Lehrer-Schüler-Verhältnisse, die nach und nach vor allem wegen innerer Konikte von der betreffenden Obrigkeit institutionalisiert und angesichts von Konikten mit äußeren Kräften privilegiert, das heißt geschützt worden sind. Der von später her übergestülpte vereinheitlichende Begriff „Universität“ ist für das Erkennen der Realitäten von damals geradezu gefährlich9. Denn es gab am Anfang vor allem zwei Haupttypen europäischer Universitäten, die fast in jeder Hinsicht unvereinbar gewesen sind: Die praktisch nur der Juristenausbildung gewidmete, sozial höherrangige Universität in Italien (und etwas später in Südfrankreich) mit dem Urbild in Bologna entstammte der norditalienischen Großstadt (die um ein Mehrfaches größer war als die größten deutschen Städte), der modernsten in Europa, mit ihrem schon höchst komplexen, rationalen und säkularen, der Jurisprudenz bedürfenden öffentlichen Leben; zum
9
Vgl. bes. Anm. 5.
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zweiten bestand um 1200 die sozial nachstehende oder auch sozial diffuse, auf die Fächer der späteren Philosophischen Fakultät und auf die damit eng verbundene Theologie abzielende Universität in Paris (und ganz ähnlich bald in Oxford und Cambridge), die eng mit der nicht weniger rationalen, ja intellektuellen, aber nicht zwingend urbanen nordfranzösischen und englischen Kirche verknüpft war. In Prag oder anderswo rechts des Rheins bestand weder die eine noch die andere Lebenswelt; dafür aber gab es um 1350 den entschiedenen Willen der mit dem Papst verbündeten großen Dynastie. So erwuchsen in Prag, wie die neuere Forschung gezeigt hat, zwei Universitäten (die schon im Jahr 1417 wieder zugrunde gegangen sind): eine Universität der Juristen nach dem Bild von Bologna und eine Kopie von Paris als Universität vor allem der Philosophen. Hier waren die Theologen und die Mediziner dabei, von denen die letztgenannten wegen ihrer ganz geringen Zahl keine beachtenswerte Rolle innehatten. Erst die Töchter Prags, in Wien, Heidelberg, Köln und Erfurt, dann in Leipzig, Rostock usw., vereinten unter ihren meist knapp bemessenen Dächern, unter den Dächern nämlich der jungen und nicht allzu wohlhabenden deutschen Territorialstaaten oder Städte, alle vier Fakultäten, weil man sich Alternativen nicht leisten konnte. So entstand in der Mitte des Kontinents das dritte europäische Modell der Universität mit ungeheurer Nachwirkung bis in die Moderne. Denn fast alle europäischen Universitäten der klassischen Zeit sind im Kern Vierfakultätenuniversitäten. Es zeichnet sich schon ab, welche allgemeinen Eigenschaften man einem Universitätssystem wie dem mittelalterlichen zuschreiben wird, welchem sich dann auf noch zu schildernde Weise die Universität in Erfurt einordnete. Eine Haupteigenschaft war die krasse Unterschiedlichkeit in den Realitäten bei formaler Gleichheit im Rechtszustand; denn ein erster Hauptsatz der Universitätsgeschichte (und Universitätsgegenwart) heißt: „Universität ist, was als Universität anerkannt ist“. Diese Rechtsgleichheit kam in der Vergangenheit durch das Herangewachsensein im „Älteren Europa“ und durch päpstliches oder kaiserliches Privileg im „ Jüngeren Europa“ zustande. Einem Höchstmaß von angleichender Legitimität, das man durch Privilegienbesitz und durch die Orientierung an Vorbildern anstrebte, stand ein Höchstmaß von lebensweltlichen Unterschieden gegenüber. Gewaltige Spannungen zwischen Norm und Realität mußten ausgehalten werden. Das Forum dafür war ganz Europa, der Papst bildete die oberste Instanz. Denn die alte Universität – außerhalb von Italien – ist im Prinzip nur als kirchliche
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Anstalt verständlich, vor dem Hintergrund der alles durchdringenden, fast alles tragenden und vieles rational bewältigenden Papstkirche. Niemals hätten sich die schwachen Pänzchen der Universitäten aus eigener Kraft behauptet. Auch der bei etwas Nachdenken wahrhaft erstaunliche Vorgang, daß der interne Mechanismus der Selbstergänzung des Lehrkörpers, die Graduierung, rasch nach außen zu wirken vermochte, so daß durch eben diese Graduierung von immer mehr Personen ein neues europäisches System sozialer Qualikation heranwuchs, ist nur vor dem Hintergrund der Kirche vorstellbar. Dieses System der Graduierung stellt bekanntlich bis heute den Kern der Universität dar. Überall mag Wissenschaft betrieben werden, derzeit quantitativ gesehen viel mehr außerhalb der Universität als innerhalb ihrer, aber graduieren kann nur die Universität und nicht irgendeine staatliche oder private Instanz.
III Wir stellen uns nun der Erfurter Situation und beginnen mit einer vielleicht abermals ernüchternden, gleichwohl vielfach bestätigten Aussage, die für Vergangenheit und Gegenwart gültig war und ist: Die Bedeutung einer Universität wird von ihren wissenschaftlichen Leistungen relativ wenig, hingegen fundamental von der Stadt und vom nahegelegenen Umland bestimmt, denen die Universität zugehört. Die Lage am Rand oder in dünn besiedelter Gegend wird ein entscheidendes Hemmnis sein10. Unter diesen Voraussetzungen sind Erfurts Gegebenheiten von damals und wohl auch von heute als glücklich zu bezeichnen. Ja es verhält sich rückblickend betrachtet geradezu so, als ob die allgemeine Geschichte gleichsam zugunsten der Erfurter Universitätsgeschichte tätig gewesen wäre. Wir erinnern dafür ganz kurz an wohlbekannte Tatbestände. Im Lichte dessen, was von der europäischen Universitätsgeschichte erwähnt worden ist, zeigt die Vergangenheit Erfurts11 das eine oder andere Merkmal einer Stadt am Rhein, also aus einer 10 Vgl. Dieter Brosius, Kurie und Peripherie – das Beispiel Niedersachsen. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 71 (1991) S. 325–339 oder Peter Moraw, Das Mittelalter (bis 1469). In: Schlesien. Hg. Norbert Conrads. Berlin 1994, S. 37–176, 706–719, bes. 160, 165ff. 11 Willibald Gutsche (Hg.), Geschichte der Stadt Erfurt. Weimar2 1989; Ulman Weiss, Sedis Moguntinae lia delis? In: Südwestdeutsche Bischofsresidenzen außerhalb der Kathedralstädte. Hg. Volker Press, Stuttgart 1992, S. 99–131.
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historisch besonders begünstigten Landschaft des „Älteren Europa“. Die uralte, seit Bonifatius bestehende und immer wieder zeitgemäß erneuerte Verknüpfung mit Mainz war dabei äußerst wichtig. Dadurch rückte Erfurt gleichsam weit nach Westen. Am wesentlichsten war jene dadurch herbeigeführte Konzentration geistlich-geistiger Institutionen und Interessen, auch in Gestalt zahlreicher Pfründen, die ein intellektuelles Leben von Rang erst möglich machte. Dies muß man sehen in der Kombination mit ausreichender politischer Bewegungsfreiheit, die die geographische Distanz vom Stadtherrn, dem Erzbischof, mit sich gebracht hat, und in Verbindung mit einem vermutlich geringeren Feudalisierungsgrad als am Rhein. Dort war eher die Adelsbildung bestimmend, die ganz etwas anderes war als geistig-geistliche Bildung. Die geistlich-geistigen zentralen Funktionen Erfurts für Thüringen und auch darüber hinaus traten anregend hinzu. Die große wirtschaftliche Bedeutung der Stadt mit ihren Handelsstraßen und dem gewerblich nutzbaren Umland und ein recht gut entwickeltes Geldwesen ankierten den Spielraum des Handelns als nahezu autonome Stadt gegenüber dem Erzbischof. Der König war nicht sehr nah, aber auch bei weitem nicht so fern wie etwa gegenüber Norddeutschland; er hat jedenfalls bis ungefähr um 1300 seinen Teil zur Zentralität Erfurts beigetragen. Im 15. Jahrhundert hat sich die dann doch ausgeschlagene Alternative, Reichsstadt zu werden, am deutlichsten dargeboten. Die Mauer schon des 12. Jahrhunderts mag 130 Hektar umschlossen haben. Erfurt war gewiß größer als Frankfurt am Main, wenn auch kleiner als Nürnberg; jedenfalls kann es als ein überzeugender Nachweis für jene grundlegenden Ausgleichsprozesse gelten, die die ältere deutsche Geschichte erst vollendet haben. Aus einem Ort an der Slawengrenze wurde eine der bemerkenswertesten Städte des deutschen Mittelalters. Im 14. Jahrhundert stand sie auf der Höhe ihrer Macht. Doppelgesichtig, wie in kaum einer anderen deutschen Stadt, ist die Geschichte derjenigen Erfurter Studien, die in die Vorgeschichte der Universität gehören. Auch der quantitative und, soweit man sehen kann, der qualitative Rang dürften ansehnlich gewesen sein12.
12 Bisher hat man Vergleiche noch nicht angestellt. Material bei Jacques Verger, Etudes et culture universitaires du personnel de la curie avignonnaise. In: Le fonctionnement administratif de la papauté d’Avignon. Rome 1990, S. 61–78, bes. 77. Vgl. auch Marie Blahova, Artes und Bildung im mittelalterlichen Böhmen (vor der Gründung der Prager Universität). In: Scientia und Ars im Hoch- und Spätmittelalter. Berlin/New York 1994, S. 777–794.
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In Erfurt bestanden nebeneinander Generalstudien der drei großen Bettelorden, der Dominikaner, der Franziskaner und der Augustinereremiten, wie nur in sehr wenigen deutschen Städten, und ein aus zuletzt vier Erfurter Stifts- beziehungsweise Klosterschulen hervorgewachsenes philosophisches Studium13. Dieses hat als vorerst einmalig in Deutschland zu gelten. Sehr früh, 1224 und 1229, kamen Franziskaner und Dominikaner nach Erfurt, 1266/1276 die Augustinereremiten. Ihren bald entfalteten „modernen“ Zentralisierungsbestrebungen innerhalb eines regional gegliederten Ordensgefüges kam – zunächst in Konkurrenz mit Magdeburg – die Mittellage Erfurts im mittleren Deutschland, bei genügend großer Nähe zum Süden, sehr entgegen. Für die Zentren der Ordensprovinzen waren bekanntlich ordensinterne Studienanstalten vorgeschrieben worden, an die die intelligentesten Brüder entsandt werden sollten. Es waren Studien, die die jeweilige Ordenstradition und die jeweilige Ordenstheologie betonten und die gleichsam nach innen gewandt waren, in aller Regel nur Ordensangehörige zuließen. In einem eigentümlichen Verhältnis standen die Bettelorden – stadtbezogen, intellektuell, als Teile der Kirche päpstlich-kritisch beaufsichtigt wie die Universitäten Pariser Stils – zu eben diesen nicht viel älteren Universitäten. Die Theologie als Königin der Wissenschaften, dieses hochempndliche und heiß umstrittene Gebilde, wurde beiderseits mit Leidenschaft betrieben. Doch fehlte es lange Zeit, in Deutschland bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts hinein, an ausreichend qualizierten weltgeistlichen Lehrern der Theologie in genügender Zahl. So kam es zum Ineinanderschieben von Ordensstudien und Universitäten in der Theologie, zu einer sehr eigentümlichen Konstruktion. Sie erweist sich von heute aus gesehen als Sackgasse der Universitätsgeschichte, doch konnte das damals nicht so verstanden werden. Vielmehr war es nach Pariser Vorbild völlig normal, daß die Ordensleute auch in der Theologischen Fakultät wenigstens am Anfang führten. Es stand für Prag am Beginn der Universitätsgeschichte kein einziger weltgeistlicher Theologieprofessor zur Verfügung. Erst nach gewiß nicht unbeträchtlichen Kämpfen kam es nach einigen Jahrzehnten zu einem Gleichstand, in Prag wie in Erfurt zu einem Verhältnis von drei zu drei. Die Ordensprofessoren kosteten nichts, weil sie im Kloster lebten und
13 Vgl. Anm. 2. Isnard Wilhelm Frank, Die Bettelordensstudia im Gefüge des spätmittelalterlichen Unterrichtswesens. Stuttgart 1988.
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lehrten. Auch Martin Luther, in Erfurt ausgebildet, ist als Augustinereremit ein Professor dieser Art in der kleinen und armen Universität Wittenberg geworden. Die weltgeistlichen Professoren mußten, wie es der Normalfall erst recht in den übrigen Fakultäten war, mit einer Pfründe ausgestattet werden. Die Zahl der verfügbaren Pfründen deckte aber zumindest im rechtsrheinischen Deutschland niemals den Bedarf. Dennoch wies dieses System und nicht das andere der Ordenslehre in die Zukunft. Denn gerade aus der Pfründe entstand der Lehrstuhl, die grundlegende und, so darf man hinzusetzen, überaus erfolgreiche, da extrem exible Kerneinheit des europäischen Hochschulwesens. Die Verechtung mit der Mutteruniversität in Paris, wo die Allerklügsten, vor allem die künftigen Professoren, zum großen Teil auch studiert oder gar gelehrt haben, sicherte in den Ordensstudien die Einheit der Thematik und Auffassung (in der nach Orden gegliederten Vielheit) und wohl auch eine Mindestqualität. Ein besonders namhafter unter den Erfurter Ordenstheologen war der Dominikaner Meister Eckart (gest. 1328 oder vor 1328), aber auch der Augustinereremit Heinrich von Friemar der Ältere (gest. 1340) ist erwähnenswert. Im Dominikanerstudium in Köln hatte Thomas von Aquin, der wohl bedeutendste Gelehrte des christlichen Mittelalters, zu Füßen Alberts des Großen gesessen. Alle vier Genannten sind früher oder später Professoren in Paris geworden. Betrachten wir diese Situation unter dem Gesichtspunkt der kommenden Erfurter Universitätsgeschichte, so kann man etwa so formulieren: Wie nur in wenigen Städten Deutschlands, günstiger als in Prag oder Wien, nur wenig ungünstiger als in Köln, stand in Erfurt ein Element des kommenden Universitätsbetriebs bereits zur Verfügung. Direkte Aktivitäten von den Ordensstudien hin zur Universitätsgründung sind freilich nicht bekannt und wohl auch nicht wahrscheinlich, weil die „internationalen“ Systeme der Bettelorden je für sich schon generationenlang gut funktioniert hatten. Was ihnen allerdings fehlte, war das allgemeine Graduierungsrecht über die ordensinterne Qualizierung hinaus. Interessanter noch, ja beinahe aufregend, wenn auch immer noch vielfach im Quellendunkel verharrend, ist das Artistenstudium in Erfurt, wohl etwa vom späteren 13. Jahrhundert bis ungefähr 1366/1368 zu datieren. Es handelte sich um die beiden Stiftskirchen St. Marien, den heutigen Dom, und St. Severi, um das Augustinerchorherrenstift, das „Reglerstift“, und um das Schottenkloster. Wie aus dem für Stiftskirchen normalen Schulbetrieb im engeren Sinn soviel mehr als dieser gewor-
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den ist, verschwimmt leider im Quellendunkel. Jedenfalls hat Nikolaus von Bibra14, ein ebenso eleganter wie scharfzüngiger Poet (und gewiß zugleich angesehener Geistlicher) in Erfurt, Student einst in Padua, schon in seinem 1281/1283 entstandenen Carmen satiricum Licht und Schatten einer großen Schülerzahl in Erfurt hervorgehoben und auch höherrangige Studien angedeutet. Derselbe hat übrigens auch schon behauptet, daß das Geld die (Erfurter) Welt regiere. Wenn wir dasjenige, was sich besonders aus den beiden ersten Dritteln des 14. Jahrhunderts bruchstückhaft vom „Artisten“studium erfahren läßt, im Licht der europäischen Universitätsgeschichte beurteilen, dann kann man etwa folgendes feststellen: 1. Wie bei den Ordensstudien war alles, was hierbei vorel, inhaltlich und personell pariszentriert, dorthin also gerichtet, wohin man sich beim größten Ehrgeiz in der, wie wir vorhin sagten, zweiten Etage der europäischen Universitätsbildung orientieren mußte. Charakteristischerweise ist in Erfurt, anders als etwa bei den Magdeburger Ordensstudien, kaum von Jurisprudenz die Rede15. So fein war man nicht, aber immerhin klug genug, um wegen des Fehlens der äußeren Legitimierung durch ein Privileg nach einer inneren Legitimierung durch Qualität und durch Personenbeziehungen zu streben. 2. Auch die schwachen Erfurter Spuren organisatorischer Art verweisen auf Paris, auf die partielle Loslösung – wie in Paris – von Magistern mit ihren Scholaren von den geistlichen Institutionen und auf einen dadurch entstehenden städtischen Regelungsbedarf. Das Artistenstudium war wenigstens ansatzweise hierarchisch organisiert, mit einem Rektor an der Spitze, der vielleicht Schulleiter an der angesehensten Kirche, dem Marienstift, gewesen ist. 3. Was die Magister lehrten, war ein respektables Artistenprogramm bis hin zur Mathematik und Astronomie selbst mit einem Anklang an Medizin, also einer sozial verwandten Disziplin; jedoch blieb man kurz vor der sozial und fachlich niedrigen, rechtlich aber unübersteigbaren Grenze zur Theologie stehen. Diesen Mangel schien man zu empnden. Denn trotz der so zufälligen Überlieferung ist wenigstens einmal eine substantielle Zusammenarbeit der vorhin angesprochenen
14 B. Pabst, Nicolaus von Bibra. In: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München/Zürich 1993, Sp. 1132. 15 Neu zu prüfen wäre Ferdinand Doelle, Die Rechtsstudien der deutschen Franziskaner im Mittelalter und ihre Bedeutung für die Rechtsentwicklung der Gegenwart. In: Aus der Geisteswelt des Mittelalters. Studien und Texte Martin Grabmann gewidmet. Münster 1935, S. 1037–1064.
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Ordensstudien, die neben den Artes der Theologie gewidmet waren, und der Artistenschulen nachweisbar16. 4. Untersucht man die Herkunft der Lehrer17 (bekannt für 14–15 Personen), so tritt Thüringen mit zwei bis drei Personen bei weitem nicht so stark hervor, wie man bei einem nur lokalen Unternehmen hätte annehmen müssen. Die beiden führenden Herkunftslandschaften ( je vier Personen) waren das Rheinland (wie zu erwarten bei dieser wichtigsten deutschen Region) und Niedersachsen, der Rest war ziemlich weit verstreut. 5. und am wichtigsten: Es gab auf das Studium ein auswärtiges Echo, bis hin zum Kaiserhof. Es waren also Realitäten und nicht nur lokale Wunschvorstellungen, die die Quellen widerspiegeln. Die bekannteste Situation im Zusammenhang mit dem Erfurter ArtesStudium bilden tatsächlich Äußerungen und Handlungen Kaiser Karls IV. und seiner Kanzlei. Im Briefverkehr des Hofes mit der päpstlichen Kurie steht zum Jahr 1366 mit dürren Worten zu lesen, daß das Erfurter Studium besser qualiziert sei als die Prager Artistik18. Wenn man die Prager Universitätsgeschichte nüchtern und nicht verklärend betrachtet, so wird man dies für das betreffende Jahr und für die knapp zwei Jahrzehnte davor für richtig halten. Man wird ohnehin bedenken, daß man sich so ausdrückte in einem Kommunikationsgeecht mit einer geringen Zahl von Beteiligten, die Fachleute waren, die einander und die meisten fraglichen Schauplätze kannten und vernünftige Maßstäbe hatten. Die Prager Universitäten hatten in der Tat beträchtliche Mühe, einigermaßen konkurrenzfähig zu werden. Vermutlich hatte man nur deshalb 1348 ein so großzügiges Privileg erhalten, weil man am Papsthof dessen Realisierung als kaum möglich ansah. Daß es in Prag mehr gab als nur den einen oder anderen Artistenmagister, nämlich fünf bis sechs, hört man erst aus den sechziger Jahren, von den höheren Fakultäten ganz zu schweigen. Geblendet von den Gründungsdaten hat man sich auch hier die von der Umwelt her vorgeformten Rahmenbedingungen und Proportionen nicht klar gemacht. In der angesehensten Fakultät, auf die soviel ankam, der Juristischen, ist in Prag erst knapp vor 1370 ein Doktor fest verankert worden, dem dann bald ein oder zwei wei-
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Lorenz, Studium generale Erfordense (wie Anm. 2) S. 155f. Ebd., S. 161ff. 18 Horst Rudolf Abe, Karl IV. und das Erfurter „Studium generale“. In: Mezinárodní vedecká konference doba Karla IV. v dîjinách národu nSSR. Materialy ze sekce dîjin lozoe a p®ívodních vîd. Praha 1981, S. 111–122; Lorenz, Studium generale Erfordense (wie Anm. 2) S. 42ff. 17
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tere folgten. Das waren eben, wie gerade auf der obersten Ebene nicht anders zu erwarten, wie später auch in Erfurt rechtsrheinische Verhältnisse. Köln, unter den Bedingungen des „Älteren Europas“ lebend, brachte aus dem Stand, im Gründungsjahr 1388, elf besetzte juristische Lehrstühle hervor und je nachdem, wie man zählt, zwanzig oder fünfzig Magister der Philosophie, im Vergleich zu acht Magistern in Erfurt vier Jahre später19. Es gab eben beispielsweise auch elf Kollegiatstifte in Köln statt zwei wie in Erfurt. Prag war kirchlich besser ausgestattet als Erfurt, dafür aber sehr stark von heimischen Adelsinteressen bestimmt, die in ganz andere Richtung wiesen als in die einer Universität. Unter solchen Voraussetzungen wird auch klar, was rasch und schmerzhaft zum Schicksal des Erfurter Artistenstudiums geworden ist. Der Kaiser und seine Kanzleibeamten, Leute, die weit blickten, erfaßten sofort die unheilbare Schwäche der Erfurter Lehrer, ihre nur „informelle“ Existenz. Die führenden Magister von der Gera konnten dem Ruf in das formgerecht privilegierte Prag nicht widerstehen, und es hat sich für sie auch gelohnt. Sie bildeten in Prag eine Gruppe, die samt ihren Schülern eine Zeitlang sehr beträchtlichen Einuß auf die beiden Fakultäten der Philosophie und Theologie ausgeübt hat.
IV Aus der älteren Erfurter Universitätsgeschichte seit 1392 und aus deren unmittelbarer Vorgeschichte sind als individualisierende Faktoren wohl am interessantesten die Gründungsphase und das Problem der, wie man heute sagt, Akzeptanz der Universität in ihrem Umland. Öfter hat man mit einem gewissen Bedauern festgestellt, daß die Universitätsgründung trotz der so günstigen fachlichen Voraussetzungen erst 1392 realisiert worden sei. Damit hat man gänzlich aus moderner Sicht und etwas anachronistisch geurteilt. Entscheidend war nämlich die Rechtsfrage des Privilegs oder besser der Zugang zu dieser Rechtsfrage, von ganz geringer Bedeutung blieb der Zustand der sachlichen Voraussetzungen. Der Weg zum Privileg aber war vor 1378 praktisch verstellt, oder anders formuliert: Dieses Ziel war soweit entfernt wie der soziale Abstand zwischen dem Erfurter Rat einerseits und Kaiser,
19 Erich Meuthen, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte Bd. 1), Köln/Wien 1988.
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Großdynasten und Papst andererseits, also unerreichbar weit. Die mächtigste Stadt Mitteldeutschlands war ein Zwerg, wenn es um das Europa der großen Familien und um das Europa des Papstes ging. Das läßt sich am Beispiel des ersten vergeblichen Erfurter Anlaufs bekanntlich von 1379 gut aufzeigen. Die wohl weltgeschichtliche Entscheidung Karls IV. und des Kaiserhofs, in der Kirchenspaltung von 1378 auf die Seite des römischen und nicht des avignonesischen Papstes zu treten, die Entscheidung gegen Frankreich und für England, gegen Österreich und für das Rheinland, gegen ein großdynastisch-politisch und für ein kurfürstlich-verfassungsmäßig organisiertes Reich, gegen die eigene dynastische Tradition und wohl für die persönlichen Gefühle Karls, diese Entscheidung war umstritten. Der kaiserliche Gesandte an der Kurie hatte die Anerkennung des Papstes von Avignon empfohlen und wurde desavouiert. Die Hinwendung des Erfurter Rats von 1379 zum „falschen“ Papst von Avignon, über deren Umfeld wir leider so gut wie nichts wissen, kann nicht ohne einen informierten Mittelsmann in die Wege geleitet worden sein, wohl im Zusammenhang mit Erzbischof Adolf, der sich in gleicher Weise entschieden hatte. Es gibt nur die Alternative, daß man nicht sehr klug einen langfristigen, also vor 1378 begonnenen Anlauf, der wie gesagt ohne Chance war, schon eingeleitet hatte und zufällig in die Papstkrise hineingeraten war, oder daß jemand die neue Lage blitzschnell erkannte, nun erst um das Privileg nachsuchte und sich nur in der Person des Papstes, wie viele andere, vertan hat. Man kann das Entweder-Oder heute nicht mehr aufklären; schmeichelhafter wäre der zweitgenannte Fall. Die Personen hohen Ranges, die als Vermittler in Frage gekommen wären, kennen wir alle mit Namen, aber man kann eben vorerst nicht auf einen bestimmten hindeuten. Dabei ist es durchaus möglich, daß die avignonesische Partei am Kaiserhof, an der Kurie, in Mainz und in Erfurt zusammengearbeitet hat, und das ganze Syndrom war dann noch mit dem Mainzer Bischofsschisma verknüpft. Daß man sich gegenüber den zwei Päpsten falsch entschieden hat, war eine durchaus läßliche Sünde. Unvergleichlich wichtiger war die Folgewirkung der aus Erfurter Perspektive gänzlich zufällig eingetretenen Konstellation von zwei Päpsten an und für sich, wie sie das Spätjahr 1378 mit sich gebracht hatte. Aus dem speziell Erfurter Blickwinkel kann nicht deutlich werden, wie tief der Einschnitt dieses Jahres für das Hochschulwesen des Kontinents und besonders für dasjenige des „Jüngeren Europa“ gewesen ist. Diese Zäsur ist vergleichbar wohl nur noch mit dem Sprung der Uni-
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versitätsgeschichte nach vorn seit etwa 1800/1810, als sich annähernd gleichzeitig, wenn auch aus verschiedenen Motiven, in Deutschland und anderswo Fundamentales zu ändern begann. Das Schisma von 1378 beantwortete nämlich die große, völlig ungeklärte, ja ungestellte Frage, wie es denn überhaupt mit der Universitätsgeschichte Europas weitergehen solle, auf eine gänzlich überraschende, von niemanden vorhersehbare Weise. Das Problem erkannte wohl kaum ein Zeitgenosse, das erkennen erst wir. Die Lage war so: Für die Zeit bis 1378 dürfen wir nicht annehmen, daß die Hohen Schulen in Europa auf längere Sicht irgendwie ächendeckende, gar vom Bedarf her formulierbare Institutionen hätten werden sollen und können. Vielmehr war völlig „elitär“ vom verständlicherweise restriktiven theologisch-politischen Interesse der Papstkirche her gedacht worden – zugunsten von Paris, oder es bestand in anderer Weise die restriktive Bindung an die einmalige, nicht exportierbare historische Formation der oberitalienisch-südfranzosischen Großstädte. Warum hätte man die Situation ausgerechnet dem zurückgebliebenen „ Jüngeren Europa“ zuliebe modizieren sollen? Das Interessante an unserem Fall ist nun dieses, daß der historische Zufall gerade die Erfurter Universitätsgeschichte in diese Wendezeit hineingeworfen hat. So konnte auch diese Geschichte ex post, zumal aus lokalem Blickwinkel, ein völlig anderes Gesicht erhalten, als die Zeitgenossen es hätten erkennen können. Wir wollen aber als Historiker und der Gerechtigkeit halber zunächst wissen, wie die Zeitgenossen die Dinge sahen. Fast jedes neue Universitätsprivileg nach 1378, mit derselben legitimierenden Wirkung wie zuvor ausgestattet, mußte vom Papsttum aus geurteilt als Niederlage gelten, als gelungene Erpressung, da man prinzipiell auch zum anderen Papst hätte gehen können. Denn nichts lag dem Papst und anderen Zeitgenossen ferner – wir wiederholen es – als die Idee des Ausgleichs oder gar der Bildungsgerechtigkeit innerhalb eines Reiches oder innerhalb Europas; bestenfalls ging es um das Gewinnen von Parteigängern. Auch die Erfurter dachten schwerlich als freundliche Förderer an das umliegende Thüringen oder an diese oder jene Nachbarlandschaft, die – wie wir gleich hören werden – zum Einzugsgebiet ihrer Universität geworden ist. Sie werden wie erwähnt an ihr Prestige und an ihre Einkünfte gedacht haben. Nun aber war, ganz anders als vor 1378, der Wettbewerb um Universitäten auch für Mächte mittleren Ranges freigegeben, da nahezu jeder Privilegienantrag bewilligt werden mußte. Ganz ohne daß sie davon hätten wissen können, haben die Erfurter an einer der ersten Stellen dabei mitgetan, dem europäischen und dem deutschen Hochschulwesen zu mehr
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Flächendeckung und zu mehr „ausgleichender Gerechtigkeit“ zu verhelfen. Auch haben sie auf die Dauer – ebenso als unfreiwillige Nebenwirkung – sozialgeschichtliche Veränderungen von größter Bedeutung mit herbeigeführt. Bedeutsam war dies gerade für Deutschland in Richtung auf die dringend notwendige, einigermaßen kohärente Elitenbildung, womit man hier so weit im Rückstand war. Nicht minder diente der Vorgang – so sehen wiederum erst wir es – dem Aufholen des „Jüngeren Europa“ ganz im allgemeinen. Nur – so geplant war dieses alles nicht. Die Geschichte der Hierana nach 1392, nachdem man mit Kaiser und König und mit Erzbischof Adolf zum römischen Papst übergegangen war, zeigte sich wegen der Distanz zu den großen Handlungszentren weniger politisch als die Geschichte anderer Universitäten. Erfurt knüpfte personell sehr intensiv an Prag an, so daß die „Entwicklungshilfe“ der sechziger Jahre gleichsam zurückerstattet wurde, aber anders als Leipzig (1409) noch in weitgehend unproblematischer Form. So verschaffen wir uns abschließend nur noch einen Überblick über die quantitativen und regionalen Aspekte des Erfolgs der Universitätsgründung bis hin zur Reformation20. Von Erfolg kann man in der Tat sprechen. Denn von 1392 bis 1505 liegt die Gesamtzahl der an der Gera Immatrikulierten an zweiter Stelle im Reich nach Wien und vor Leipzig, Köln und Löwen. Diese fünf Universitäten bildeten eine Größenklasse für sich. Die Carolina in Prag war wie erwähnt früh aus diesem Kreis ausgeschieden (1409/1417), nachdem sie etwas länger als eine Generation für diese erste Generation sehr bedeutend gewesen war. An den insgesamt ungefähr 200.000 deutschen Immatrikulationen zwischen 1385 und 1505 (die übrigens bisher einzige zuverlässige große Zahl aus der älteren europäischen Universitätsgeschichte) hatte Erfurt einen Anteil von mehr als 30.000. Im Detail hat man sich das so vorzustellen, daß in jedem Studienjahr mehr als 200, im Höchstfall mehr als 350 Neuankömmlinge zu verzeichnen waren, die dann im Durchschnitt möglicherweise zwei Jahre und länger an der Universität verblieben sind. So allgemeine Feststellungen sind für das Gesamtbild nützlich; auf ihrer Grundlage kann man das individuelle Gesicht der Universität zeichnen. Dazu sind vor allem drei Bemerkungen zu machen:
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Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Stuttgart 1986. Das Manuskript seines Beitrags zu diesem Band „Erfurts Universitätsbesucher im 15. Jahrhundert: Frequenz und räumliche Herkunft“ ist mir freundlicherweise zugänglich gemacht worden.
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1. Die Universität in Erfurt war eine verhältnismäßig teure und elitäre Hochschule. Die Anzahl der anerkannt armen Studenten, der pauperes, war relativ klein; der Adelsanteil war hoch. In diesen Eigenschaften verhielt sich die Universität gleichsam süddeutsch und hob sich deutlich ab von den weiter nördlich gelegenen Hohen Schulen. Zum zweiten Mal, wie schon einmal in Richtung Westen, wurde die Hochschulgeographie gleichsam zugunsten Erfurts korrigiert. Was den Westen betraf, so ist der Einuß auf die jungen kurfürstlichen Universitäten in Mainz und Trier, politisch über weite Entfernung vermittelt, ein neuer, positiver Beleg aus dem späten 15. Jahrhundert. Jenem Wesenszug entsprach die relativ große Rolle der Juristen, als der vornehmsten, in der Führungsgruppe und im allgemeinen Habitus der Hierana. Wir erinnern uns daran, daß es in Prag wegen unüberwindlicher innerer sozialer Distanz zwei Universitäten gegeben hatte, als Erfurt begann. Die Lösung dieses Problems, dem sich jede Neugründung stellen mußte, wurde in Erfurt gleichsam durch die Anhebung der nichtjuristischen Fakultäten bewerkstelligt, bis man von den Juristen her die bescheidenere Nachbarschaft ertragen konnte. Allerdings blieb der Abstand zu den italienischen Universitäten sehr groß; wer die Rechte wirklich fein studieren wollte, ging weiterhin über die Alpen. 2. Auch die in Erfurt auftretenden Einzelschwankungen im Besucherinteresse haben ein besonderes Gesicht. Vom letzten Viertel des 15. Jahrhunderts an ging das Interesse an Erfurt relativ zurück, oder anders formuliert: Die rheinischen Universitäten, unter anderem infolge einer dort – wie üblich – zuerst auftretenden neuartigen Welle des „massenhaften“ Studierens, rückten immer weiter nach vorn. Köln und Löwen gerieten eindeutig an die Spitze, und Erfurt el auf den fünften Rang zurück. Daran hat die Zeit des Erfurter Humanismus etwa seit 1460 nicht nur nichts geändert, sondern hat möglicherweise den Wandel noch beschleunigt. Die bisher rein geistesgeschichtlich verstandenen Polemiken zwischen Erfurt und Köln (Stichwort: „Dunkelmänner“ als Vorwurf gegen Köln) gewinnen vor solchen Daten ein neues Gesicht. 3. Betrachtet man diese Tatbestände geographisch21, so zeigt sich abermals Bemerkenswertes. Der Kernraum der Universität war
21 Ders., Franken in der deutschen Universitätslandschaft des späten Mittelalters. In: Die Universität in der Welt – Die Welt in der Universität. Hg. Hanns-Albert Steger und Hans Hopnger, Neustadt/Aisch 1994, S. 1–26.
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selbstverständlich Thüringen, aber auch Hessen und Franken: Er reichte in deutlich höherem Maß nach Westen und dann nach Süden als nach Norden oder nach Osten. Jeder zweite Erfurter Student kam aus den Bistümern Mainz, das bekanntlich besonders groß war, und Würzburg. In Franken war Erfurt nicht führend, sondern lag an dritter Stelle hinter Leipzig und Wien; trotzdem war die Region wegen ihrer hohen Bevölkerungsdichte auch für die Hierana so wichtig. Im Lauf des 15. Jahrhunderts fand ein Wandel statt von einer eingangs noch bestehenden schwachen zusätzlichen Nordorientierung, nach Niedersachsen hinein, zugunsten der Südorientierung, während der Schwerpunkt nach Westen hin erhalten blieb. Die hohe Bevölkerungsdichte des Rheinlands machte sich dadurch bemerkbar, daß auch von dort Studenten kamen, obwohl man seinerseits über bedeutende Universitäten verfügt hat und immer noch neue gegründet wurden. Hansisch war Erfurt nicht oder kaum, und wenn in Andeutungen, dann eher niederrheinisch„hansisch“ als ostseehansisch. Der geringe Preis für die günstige Mittellage, die an der hohen Frequenz gewiß sehr großen Anteil hatte, war die weit unterdurchschnittlich geringe Zahl von Ausländern. Sie kamen, wie im rechtsrheinischen Deutschland üblich, praktisch allein aus Nord- und Osteuropa; so gut wie niemand entstammte dem Westen oder gar Süden des Kontinents. Solche Leute hätten sich sozial verschlechtert. Einen in strengem Sinn überregionalen Erfurter Einzugsraum von Dauer kann man nicht erkennen. Die Studierenden stammten wohl zu mehr als 80 Prozent aus Städten, zumal aus vielen kleinen und mittleren Städten, und je später im Jahrhundert, um so mehr aus Städten solcher geringen Größe.
V Die erste Schlußbilanz dieses Zusammenhangs heißt so: Die ganze spätere Erfurter Universitätsgeschichte bis in das 19. Jahrhundert hinein kann bei weitem keine solche Erfolgsbilanz vorweisen, wie es das 15. Jahrhundert dargetan hat. Zumindest im ersten Jahrhundert ihrer Existenz wird man daher die ältere Universität Erfurt charakterisieren als ein sehr ansehnliches und als ein mit kraftvollen individuellen Merkmalen ausgestattetes Gebilde. Zugleich ist sie aussagefähig und aussagekräftig für übergeordnete Tatbestände.
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Eine zweite Schlußbilanz wird nämlich folgendermaßen lauten: Die Fragen, die hier angesprochen wurden, gehören – etwas verallgemeinert und auf ganz Deutschland bezogen – zu den wichtigen Anliegen künftiger universitätsgeschichtlicher und allgemeingeschichtlicher Forschung im späten Mittelalter. Die Analyse der neuen Eliten – neben der Analyse der alten, weiterhin wichtig bleibenden adeligen Führungsgruppen – hilft wesentlich mit bei der Lösung des brennenden Problems der zeitlichen Kontinuität und des räumlichen Zusammenhalts der älteren deutschen Geschichte. Zugleich handelt es sich um den Personenkreis, von dem die seinerzeit dringliche Modernisierung der Herrschaftstechniken über die veraltenden Methoden der traditionalen Gesellschaft hinaus erwartet werden kann. Die deutsche Einheit der Vergangenheit war nichts Selbstverständliches aus geheimnisvoller Frühzeit, sondern ist im Licht der Geschichte nach und nach herangewachsen oder gar erarbeitet worden. Es war eine Geschichte von Erfolgen und Mißerfolgen. Die entsprechenden Fragen an die politische Geschichte sind zu ergänzen oder besser gesagt zu fundieren durch Fragen an deren „Unterbau“, an die Sozialgeschichte vor allem der Führenden. Dabei scheinen Daten aus der älteren Universität Erfurt wegen ihrer quantitativen Bedeutsamkeit und wegen ihrer geographischen Lage besonders aufschlußreich zu sein. Das 15. und das 16. Jahrhundert waren jedenfalls in dieser Hinsicht Schlüsselzeiten der ganzen deutschen Geschichte. Damals machte das Land Integrationsvorgänge durch, über deren Beschaffenheit noch sehr wenig bekannt ist. Das 13. und das 14. Jahrhundert waren offenbar in dieser Hinsicht nicht so bedeutsam, dies waren entscheidende Phasen eher für die Monarchien West und Südeuropas. Kann man nun, was bei uns geschah, so ausdrücken, daß Deutschland insgesamt „westlicher“ und „südlicher“ wurde, gemäß der Überlegenheit des großen rheinischen Raums und des breiten habsburgischen Südens, die man auch universitätsgeschichtlich aufweisen kann, oder sollte man einen eigenständigen, brückenbildenden mitteldeutschen Raum hervorheben? Einiges aus der Erfurter Universitätsgeschichte, worauf wir hingewiesen haben, spricht vorerst für die erstgenannte Alternative, auch gemäß dem Zugewinn, den der fast lückenlose Aufenthalt des Königtums in Oberdeutschland für dieses mit sich gebracht hat, oder gemäß dem sozialen Vorsprung der oberdeutschen Mundarten gegenüber den niederdeutschen. Nicht minder wichtig ist die Frage nach dem Standort des ganzen Deutschland im seinerzeitigen Europa. Wie wenige andere Sektoren von
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Geschichte vermag die Universitätsgeschichte den Entwicklungsvorteil des Mittelmeerraums und des Westens des Kontinents darzulegen, als recht deutliche urbane und geistige Überlegenheit, sowie die demgegenüber nur mittlere Position Deutschlands, das seinerseits moderner war als der Norden und Osten Europas. So gesehen sind Daten und Zahlen aus Erfurt Daten und Zahlen über Ausgleichsvorgänge, die die europäische Geschichte nicht weniger kennzeichnen als altes und uraltes, zuletzt antik begründetes Erbe. Auch beim Aufholen scheint jedenfalls in der Mitte Europas das 15. Jahrhundert eine Hauptposition einzunehmen; an seinem Ende war der Abstand sicherlich geringer oder viel geringer als an seinem Anfang. Das alles sind vorerst einfache Vorstellungen, die dafür bestimmt sind, von komplexeren abgelöst zu werden. Denn ganz gewiß war auch die damalige Wirklichkeit komplex. Einfache Vorstellungen orientieren aber darüber, wohin man blicken und wonach man fragen sollte.
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DIE UNIVERSITÄTEN IN EUROPA UND IN DEUTSCHLAND – ANFÄNGE UND ERSTE SCHRITTE AUF EINEM LANGEN WEG (12.–16. JAHRHUNDERT)
I Es gibt mehrere Motive dafür, daß das Interesse des Historikers an Universitäten nichts Seltenes ist – in Europa, in den USA, in Japan und anderswo. Das wichtigste Motiv ist auch das Marburger Motiv: Es gibt immer wieder etwas zu feiern, vor allem Jubiläen. Ein zweites Motiv hängt mit der Tatsache zusammen, daß die einzelne Universität ein zwar fragiles, aber zugleich zählebiges Gebilde ist. Das meint: Es gibt immer wieder etwas zu verteidigen. Die Universität als Korporation kann sich wehren; sie ist ein Gebilde, das zu sich selbst steht und das dabei gewisse respektable Regeln oder gar Grundsätze demonstriert. Als die älteste Universität in Mitteleuropa, die Carolina in Prag, vor kurzem ihr 650jähriges Jubiläum feierte, hat sie angesichts ihrer schwierigen Geschichte in dieser Richtung etwas Kühnes unternommen. Sie hat einen Auswärtigen, einen Ausländer eingeladen, um sich auf dem Weg über ihre Geschichte gleichsam die Wahrheit über sich selbst von außen sagen zu lassen – was ein Angehöriger der feiernden Universität wohl nur durch die Blume tun würde. Die Prager Carolina hat die so verstandene „Wahrheit“ durchaus überlebt. Das hängt mit unserem gerade genannten zweiten Motiv zusammen, das wir nun noch etwas weiterentwickeln: die Universität als Kooperation kann sich wehren, weil sie – immer wieder auch im inneren Disput – unermüdlich nach dem Richtigen sucht. Das ungefähr nennen wir Wissenschaft. Ob es auf Erden auch Wahres gibt, wissen wohl nur die Theologen. Richtiges – und zwar nicht anders als in Gestalt unaufhörlicher Suche nach dem immer Richtigeren – gibt es aber: eben an der Universität. Davon bin ich überzeugt, sonst stünde ich nicht hier. Richtiges und die Suche nach immer Richtigerem – das setze ich gleich hinzu – gibt es freilich offenbar nur im Rahmen des zeitgenössisch anerkannten wissenschaftlichen und lebensweltlichen Paradigmas der Suchenden und gilt, solange dieses Paradigma nicht durch ein anderes abgelöst ist.
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Paradigmen haben allerdings ein zähes Leben. Wir argumentieren im wesentlichen immer noch so, wie dies Professor Abälard im 12. Jahrhundert in Paris vorbildlich getan hat. Den Begriff „Professor“ und desgleichen, wenn ich so formuliert hätte, den Begriff „Universität“ für Abälard und für Paris im 12. Jahrhundert werde ich bald wieder einschränken müssen; denn – dies lernen wir nebenbei – die Universitäten und die Geschichte der Universitäten sind etwas Kompliziertes und Komplexes, so daß man aufs Wort genau hinschauen muß. Ein drittes Motiv, sich mit unserem Thema zu befassen, bietet der Stolz, den man auf die Universität oder auf seine Universität empndet. Dieser Stolz bestand und besteht, ob man der Universität nun angehört oder ob man sie nur „besitzt“, insofern man an dem Ort oder in dem Land oder dem Kulturkreis zu Hause ist, zu dem die Universität gehört, von der die Rede ist. Man hatte mich vor langer Zeit zu einem Kongreß in Bagdad eingeladen, der die Frage klären sollte, ob die morgenländischen Universitäten (Medressen) oder die westlich-europäischen mehr zum Wohl der Menschheit beigetragen hätten. Es war ein Kongreß, der zu keinem Ergebnis kommen konnte, denn es handelte sich um eine politische oder gar weltanschauliche Frage. Man einigte sich – in der Sprache der Fußballer gesagt – auf ein Unentschieden und man ließ sich reich beschenken als Symbol der Wertschätzung der Universitäten natürlich auch im Orient. Ich besitze heute noch einen schönen Talar von dort, elegant schwarz mit goldenem Rand. Den heimischen Talar aus Gießen trage ich gemäß dem kurzen Augenblick der langen Universitätsgeschichte, den wir derzeit gemeinsam erleben, nur im Ausland. (Die Universitätsgeschichte ist – wie wir gleich hören werden – in der Tat lang und hat schon vieles ausgestanden und überstanden). Die Gießener Talare, in meinem Fall der alten Philosophischen Fakultät in Blau, werden sorgfältig aufbewahrt, wohl für den nächsten kurzen Augenblick der langen Universitätsgeschichte. Ich benötige den Kongreß von Bagdad noch für ein weiteres Moment. Es war das einzige Mal in meinem wissenschaftlichen Leben, daß ich diskutiert habe mit Kollegen, die nicht von Abälard herkamen, die nicht das scholastische Denken des 12. und 13. Jahrhunderts, das unser wissenschaftliches Denken ist, weitergepegt haben. Sie pegten stattdessen ein Denken, das man wohl am besten rhetorisch nennt, das mit anderen Methoden zu anderen als in unserem Sinn logischen Ergebnissen kommen konnte und wirklich kam. Das heißt für uns heute: Ich kann nur von der (latein-)europäischen Welt der Universitäten sprechen, die sich allerdings inzwischen fast auf der ganzen Erde durchgesetzt hat.
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Zu beachten ist gerade für die Geschichte der Universitäten das Wort „fast“. Auch die orthodoxe Welt, die man wie die islamische Welt ebenfalls auf europäischem Boden vorndet, war und ist wohl noch partiell anders als die unsrige. Also: Jene beiden Welten und weitere, zumal in Ostasien, kennen die Universität in unserem Sinn nicht von Anfang an. Das heißt: Sie ist außerhalb Europas Import, oft später Import. Die älteste russische Universität zum Beispiel war eine deutsche Universität, d. h. sie gehörte dem deutschen Universitätssystem an: Dorpat seit 1692, heute in Estland gelegen. Die Universität in Moskau, im dort ehemals entscheidenden orthodoxen Milieu, ist jünger (1755). Drei Motive habe ich benannt. Das vierte ist eines, das ich heute nur streifen kann: das Faktum, daß sich der Forschungsgegenstand „Geschichte der Universitäten“ heute weltweit als wissenschaftlich interessant darstellt und durchaus auch methodisch diskutiert wird: so zwischen sogenannten Internalisten und Externalisten. Jene stellen die Universität in erster Linie als ein selbsttragendes Gebilde dar, diese verankern sie primär in ihrer Umwelt und erklären sie zuerst von daher. Ich gehöre eher zu den Externalisten oder verhalte mich kompromißhaft. Es kommt auf den Anlaß und auf den Zweck der Überlegung an. Heute möchte ich ohnehin eher einen Bericht geben als Forschungsprobleme diskutieren. Daher werde ich ein Bild entwerfen von den mir wichtig erscheinenden Stationen der (latein-)europäischen Universitätsgeschichte von ihren Anfängen bis heran an die Gründung einer Universität in Marburg. Ich habe sechs Stationen auf der Basis dessen ausgewählt, was die Fachleute aus Europa und Amerika in den letzten Jahren zu unserem Thema gesagt haben. Wen solches Fachwissen interessiert, den weise ich besonders darauf hin, daß es seit kurzem – von der Europäischen Rektorenkonferenz herausgegeben – eine mehrbändige „Geschichte der Universität in Europa“ gibt (für uns in deutscher Sprache 1. u. 2. Bd., München 1993/96). Das Werden dieses Sammelwerks war eines der spannendsten wissenschaftlichen Gemeinschaftsunternehmen, bei dem ich dabei war. Dergleichen neutralisiert auch etwas den ein klein wenig pikanten Umstand, daß man gerade einen Gießener Professor zu diesem Thema nach Marburg eingeladen hat. Wahrscheinlich wissen die meisten Zuhörer nicht, warum diese Einladung ein klein wenig pikant ist. Nicht allein deshalb, weil der Redner privatim glaubt, daß zum Marburger Gründungsdatum von 1527 das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. Es hat auch einen anderen Grund: Es geht um die nicht ganz leicht entscheidbare, allerdings heute nur noch theoretische Frage, welche
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Universität in Hessen die wirklich legitime sei – wenn es nur eine einzige gäbe. Ein Hauptargument in diesem Gegenüber der beiden Hohen Schulen an der Lahn (andere Standorte im Land kommen dafür nicht in Frage) ist das Faktum, daß eines der beiden ursprünglich Marburger Universitätszepter seit dem 17. Jahrhundert der Universität in Gießen gehört. Das Zepter können wir auch nicht wieder hergeben (das Wort „zurückgeben“ zu verwenden wäre schwierig), eben weil es eine Sache der Legitimität ist. Ein Zepter ist in Deutschland ein kaiserliches Zeichen. Die Marburger Zepter bilden ungeachtet des damaligen hessischen Bekenntnisses zum neuen Glauben den Kaiser, Karl V., ab, auch ungeachtet dessen, daß er pointiert katholisch war und zeitweilig Krieg gegen die Protestanten führte – eben weil man legitim sein mußte. Die Landgrafen von Hessen, die zuständigen Fürsten, besaßen kein Zepter, wohl aber besaß zwei solche Zeichen eine ordentliche alte Universität. Warum? Dies deutet daraufhin und sollte darauf hindeuten, daß eine Universität nie ganz allein der regionalen Gewalt gehört hat und gehört, sondern auch anderswohin orientiert ist, gleichsam weiter nach oben. So sollte das in der Tat auch künftig sein. Im Fall von Oxford – bekanntlich die älteste und berühmteste englische Universität, gut 300 Jahre älter als Marburg – hat man das einmal in einem klassischen Kriminalroman, der in der Stadt an Themse und Cherwell spielt, ungefähr so ausgedrückt: „Die Gassen sind eng und schmutzig, aber die Türme ragen in den Himmel“. Es ist keine Spielerei, was man damit hat sagen wollen. Dieser ganze Vortrag soll es eigentlich vor Augen stellen. Eine Universität ist etwas Spezisches, ja etwas Kostbares und Köstliches wie ein besonders schönes Schmuckstück: dem ersten Anschein nach zerbrechlich oder womöglich gar überüssig, aber – wie die Geschichte zeigt – als gut behütetes Wesen sehr zählebig, vielleicht „unsterblich“, solange unsere Lebenswelt und unser Paradigma des Wissens bestehen, kurz solange wie wir wir selbst sind. Kaiser und Landgrafen gibt es (zumindest in ihrer alten Funktion) nicht mehr, Hessen hat sich gewaltig verändert. Aber die Universität besteht weiter. Man darf allerdings von ihr von Zeitalter zu Zeitalter jeweils nur das verlangen, was sie ihrer Beschaffenheit gemäß leisten kann – nicht alles und jegliches. Ein „winddurchblasenes Gartenhaus“ habe ich sie einmal genannt, als man sie dringlich institutionellen Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisten sehen wollte. Wie hätte das in einem winddurchblasenen Gartenhaus funktionieren sollen? Nur der einzelne kann widerstehen wollen, und auch nur
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dann, wenn nicht die Familie gefährdet ist. Eigensinnig oder mehr als eigensinnig kann eine ganze Universität nur in der Demokratie sein, da diese ihrerseits empndlich und empndsam ist: In mindestens einem der hessischen Universitätsgesetze, die bekanntlich seit 1970 alle paar Jahre aufeinander folgen, hätte es eine Konferenz (oder so ähnlich) der Universitätspräsidenten geben sollen. Sie ist nie zusammengetreten, denn die Universitäten wollten das nicht. Als letzte Hinführung zu meinen sechs Stationen ziehe ich zwei Begriffe versuchsweise in Zweifel und habe gute Gründe dafür – zwei Begriffe, die in fast jeder einschlägigen Rede und in fast jeder einschlägigen Veröffentlichung vorkommen. Erstens: ‚die Universität an und für sich‘, die Universität im Singular. Sie, die Universität an und für sich, hat es – sage ich – nicht gegeben. Zweitens: ‚die Idee der Universität an und für sich‘, ebenfalls im Singular. Auch sie hat es nicht gegeben. Man sieht, wie nüchtern der Historiker ist und als Jubiläumsredner eigentlich unbrauchbar. Universitäten und ihre Grundgedanken waren, so sage ich (um es positiv zu wenden), immer etwas Jeweiliges und sind es heute noch und müssen sich stets je für sich neu um einen Sitz im Leben bemühen. Deshalb leben sie im ganzen so erfolgreich fort. So eigenartige und doch, wie ich glaube, überwiegend sinnvolle Tatbestände kann man in einer knappen Stunde nur zum ganz kleinen Teil darlegen. Von den drei großen Milieus, um die es bei unserem Thema vor allem geht, dem institutionellen Milieu, dem im engeren Sinn gelehrtwissenschaftlichen Milieu und dem umweltbezogenen Milieu (Umwelt im alten generellen, nicht im ökologischen Sinn), behandle ich beim Blick auf das, was in dieser Vortragsreihe noch folgt, vor allem das institutionelle Milieu. Was heute fehlen wird, ist vor allem die Figur des Gelehrten oder Wissenschaftlers (das ist nicht dasselbe), der wohl im Mittelpunkt der modernen Forschungsdiskussion der Universitäts-Historiker steht. Gab es ihn wirklich, als pointiertes Individum, oder gab es primär ein wissenschaftliches Klima oder auch einen solchen Stil? Schon die Terminologie, die man verwendet, entscheidet mit und verrät den Standpunkt des „Analysten“ von heute. Das alles tue ich beiseite, um überwiegend institutionell auf ein halbes Jahrtausend europäischer und deutscher Universitätsgeschichte blicken zu können, auch um die Anfänge einer Universität in Marburg noch miteinschließen zu können. Anders formuliert: Fast die Hälfte der europäischen Universitätsgeschichte war schon verstrichen, ehe die erste Universität an der Lahn zur Welt kam. Sie war ein eher spätes Phänomen.
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Die erste Station: Höhere Bildung hat es offenbar in jedem etwas anspruchsvolleren Kulturkreis gegeben. Die Instrumente dafür waren verschieden. Auch wir, die wir nach wie vor dem lateinisch – als Kultursprache – redenden Europa angehören (auch das Wort „Universität“ ist natürlich lateinisch), besaßen vor der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Institutionen höherer Bildung. Dies war schon und in erster Linie nötig, um mit dem Erbe der Antike, zu allererst der lateinischen Antike, angemessen umzugehen – jenes Erbe, das für die Existenz aller späteren Bildung und Wissenschaft schlechterdings unentbehrlich war und ist. Auch das Christentum war, seit den lateinischen Kirchenvätern, für Europa vorerst ein lateinisches Erbe der Antike, sicherlich das wichtigste Erbe. Höhere (sage ich einmal) Schulen an Klöstern und Bischofssitzen des Früh- und Hochmittelalters kann man die entsprechenden Institutionen der Folgezeit nennen. Sie verwalteten das handschriftliche Erbe der lateinischen Antike und reagierten vor allem auf die Bedürfnisse des christlichen Kultus. Dabei dachte man immer auch, wenigstens hier und dort, über das Nächstliegende hinaus. Man wird bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß das mittelalterliche Christentum eine diskussionsfreudige, „pluralistische“ Religion gewesen ist – sonst hätten wir heute keine Universitäten. Das Ziel, das Heil der Seele, war klar und eindeutig, aber diskutiert oder gar umkämpft war der Weg dorthin. Aus dieser Diskussion stammen großenteils unsere Methoden. Ein anderer Teil rührt von den Versuchen her, auf Erden Frieden zu halten: das Denken der Juristen, und entstammt dem Bestreben, den Menschen gesund zu erhalten: das Denken der Mediziner. Das alles war – faktisch unter Einbeziehung großer Teile des Erbes der nichtchristlichen Antike – die fundamentale Voraussetzung der Universität: vor allem anderen aber die „Pluralität“ des mittelalterlichen Christentums. Ihr hat der Papst als Hüter des Glaubens mit einem unterschiedlichen Maß an Geduld, häug sehr geduldig, zugehört. Auch die Terminologie der Universität entstammt der Kirche. Woher auch hätte sie sonst stammen sollen: Rektor, Dekan, Konvent, Konzil, was man sich nur denken mag. Niemals hätte sonst auch das interne Qualikationsgerüst der Universität, mit dem wir heute mit so unterschiedlichem Erfolg umgehen, die Welt erobert (Bakkalar, Magister, Doktor, Dozent, Professor), wenn es nicht von der Kirche vorgeformt und verbürgt worden wäre, und zwar ebenfalls schon im
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Mittelalter. Universitätstitulaturen waren eigentlich interne Dinge und hätten ohne die Kirche sehr gut interne Dinge bleiben können. Die zweite Station. Wie kam es zur Entstehung von Universitäten, und wo und wann? Normalerweise braucht eine Universität etwas, was Marburg und Gießen nachdrücklich entbehren und wohl immer entbehren werden: Urbanität – die große Stadt. Am besten war es die große Stadt, in der es nur selten regnet, damit man unproblematisch auch ohne festes Dach miteinander reden kann, wie am Mittelmeer. Die islamischen Medressen bilden noch heute große Höfe nur mit Randbebauung zum Schutz der empndlichen Lehrer vor der Sonne – sonst aber braucht man kein Dach. Man sieht: Eine Universität im Norden ist allein schon ein bauliches Problem. Das mittelalterliche lateinische Europa, um das es hier noch ein paar Minuten geht, hatte – grob gesprochen – erst im 12. Jahrhundert die römische Antike kulturell (im allerweitesten Sinn) gleichsam wieder eingeholt und hatte dabei zwei große Innovationslandschaften ausgebildet. Man erkennt sie heute noch, wenn man dahin kommt: Erstens Oberitalien samt Südfrankreich und zweitens der weitere Umkreis der Rheinmündung, einschließlich Nordostfrankreich und Südostengland. Auch Köln samt Umland gehörte aus dem Deutschland von heute dazu, als einzige wirkliche Metropole, die unser Land in älterer Zeit besessen hat. Dort, im Köln des 13. Jahrhunderts, saß Thomas von Aquin (der ein Süditaliener feiner Herkunft war), wohl der bedeutendste Gelehrte unseres Mittelalters, in lateinischer Sprache lernend zu Füßen von Albertus Magnus, der von der oberen Donau gekommen und ebenso feiner Herkunft und fast ebenso bedeutend war. Sie saßen da in einer Vorstufe der Universität, in der Studienanstalt eines religiösen Ordens, bei den Dominikanern. Beider wissenschaftliche Endstation war dann die Universität in Paris. Nun waren die beiden Innovationslandschaften sehr verschieden, verschieden vor allem im Hinblick auf die Akzentuierung des Erbes der römischen Antike. Verschieden waren auch die damals aktuellen Bedürfnisse dieser beiden Landschaften – Bedürfnisse, die dann Universitäten mit hervorbrachten und mitformten. Das römische Erbe in Oberitalien schlug sich speziell in den Städten nieder. Sie waren wirklich urban. Wer je dort war, weiß, wovon ich spreche. Die Städte bestimmten auch die kraftvolle politische Struktur (die deutschen Kaiser des Mittelalters, stets zugleich Könige von Italien, konnten leidvoll davon sprechen), und sie bestimmten die Sozialstruktur
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(Romeo und Julia aus Verona waren, wie es sich gehörte, von hohem Adel, aber die Burgen ihrer Eltern standen nicht – wie es bei uns der Fall gewesen wäre – auf dem Land, sondern in der Großstadt, eben in Verona). Kurz, die oberitalienischen Städte waren, wenn diese gefährliche Abkürzung gestattet ist, außerordentlich „modern“, das vergleichsweise „Modernste“ und Aktivste im lateinischen Europa im 12. und 13. Jahrhundert, von denen ich immer noch spreche. Sie besaßen elaborierte, von intensiver Schriftlichkeit begleitete städtische Instanzen, eine stark verschriftlichte komplexe Bürgergesellschaft, daher auch viele interne Konikte. Kurz, sie benötigten Juristen. Die oberitalienischen und südfranzösischen Universitäten werden in der Regel Juristenuniversitäten sein, alles andere entstand hier anhangsweise und später. Man besaß in Italien auch Spezialisiertes wie eine Mediziner„universität“ in Salerno, wo der „Arme Heinrich“ Hartmanns von Aue, des schwäbischen Epikers um 1200, vergeblich Heilung gesucht hatte. Aber es kommt in diesem Vortrag auf die Hauptsachen an, und die meisten Mediziner des lateinischen Mittelalters und des 16. Jahrhunderts waren Praktiker, „Handwerker“, nicht Theoretiker von der Universität. Das Wichtigste waren in der Tat die Juristen. Die Juristenstudenten waren wohlhabend, denn sie oder schon ihre Juristenväter und -Großväter verdienten gut. Auch heute ist solches noch nicht ganz verschwunden. Man kann selbst aus dieser kleinen unbedachten Randbemerkung etwas wichtiges Generelles lernen: Der lange Weg der Universität vom 12. bis zum 21. Jahrhundert war im Prinzip, nicht in jedem Einzelfall, ein Weg des inneren Zusammenhangs, auch des streitbaren Zusammenhangs, war ein Weg der Tradition und der nur langsamen, oft von außen erzwungenen Veränderung. Im Zweifelsfall wird die Universität gegen schnellen Wandel Widerstand leisten. Die Juristen in Oberitalien und Südfrankreich waren, sage ich, feine, das heißt wohlhabende Leute. Das führt mich nach der „Demontage“ der ‚Universität im Singular‘ und der ‚Idee der Universität im Singular‘ zur dritten Illusionsstörung oder -zerstörung, die wir benötigen, wenn wir erfahren wollen, was heute in der Universitätsgeschichte als richtig gilt: den ‚Studenten‘ oder (heute) den ‚Studierenden‘ im Singular gab es nicht und gibt es nicht. Es gab und gibt natürlich auch nicht den ‚Professor‘ im Singular. Das kann nur jemand behaupten, der gänzlich ein Außenseiter ist. (Fast am wichtigsten in der Universitätsgeschichte und Universitätsgegenwart sind die Unterschiede zwischen den Professoren). Die Studenten in Bologna, Padua und Pavia, um die ältesten Juristenuniversitäten zu nennen, oder auch in Montpellier hatten ihren Berufsweg
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und Berufserfolg sicher. (Das ist übrigens eine sehr frühe, wenn nicht die früheste Professionalisierung, wenn man den Begriff etwas lockerer fassen darf, die wir in unserem mittelalterlich-neuzeitlichen lateinischen Kulturkreis kennen). Diese Leute fanden daheim einen ordentlichen Arbeitsmarkt vor, wiederum wohl zum ersten Mal im lateinischen Europa. Nur aus heutiger Sicht klingt es etwas kurios, wenn ich sage: das Gebilde in Bologna und seine Nachfolgerinnen waren Studentenuniversitäten – in dem Sinn, daß die feinen Juristen das Sagen hatten, hinter denen wie gesagt öfter Juristenväter und – Großväter standen. Die ausbildenden Professoren in Bologna („Doktor“ war dafür der präzise Terminus) waren gleichsam ihre Angestellten. Die Kommune sorgte für Ordnung. Das, was wir heute Studiengebühren nennen würden, lag extrem hoch, wie etwa an exklusiven US-amerikanischen Law-Schools, die die Karrieregarantie ebenfalls gleich mitliefern. Wo Juristen und Nichtjuristen zusammentreffen werden, ernsthaft erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und weit im europäischen Norden, wo es oft regnet, wie einleitend benannt zuerst in Prag nach 1348 – werden zwei verschiedene Welten koniktreich aufeinanderstoßen. Das verträgt sich nur schlecht mit dem generell harmoniebedürftigen Rückblick mindestens unserer Generation auf die europäische Universitätsgeschichte. Die vorhin erwähnten Prager Jubiläumszuhörer waren daher erstaunt und eher unwillig, als ihnen der Gast aus den Quellen darlegte, daß es im damals eher zurückgebliebenen Mitteleuropa (der Norden und der Osten des Kontinents waren noch weiter im Rückstand) zuerst und längere Zeit zwei Prager, miteinander im Konikt liegende Universitäten gegeben habe, in derselben Stadt – eben weil Juristen und Nichtjuristen einfach nicht anders als separiert zu denken und zu handeln vermochten. Ein einfacher Jurastudent war mindestens dasselbe wie ein schon absolvierter Angehöriger der „Artisten“-Fakultät, der als Abschluß seines Studiums schon den Magistertitel führte. Denn man vermutete von vornherein die soziale Überlegenheit, diejenige der Herkunft und der höheren Studiengebühren, beim Juristen. Hingegen waren die meisten Magister von damals – Angehörige der Geistes-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften, würden wir heute sagen – „arme Schlucker“. Bis zum Ersten Weltkrieg (bis, wie man so plastisch sagt, „in Europa die Lichter ausgingen“) war die soziale Qualikation an der Universität die führende. Wenn man je in Gestalt einzelner zeitgenössischer Veränderungen in der Universität auf Probleme dieser Art reagierte, dann gab es in der Regel eine Anpassung nach unten, wie vielleicht heute noch in analogen Fällen.
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Die dritte Station: Paris, die damals größte Stadt des lateinischen Europa, (zweimal, vielleicht aber auch fünfmal so groß wie die damals größte deutsche Stadt Köln, beide Städte sehr wichtige Teile der zweiten latein-europäischen Innovationslandschaft) war der andere Ort, an dem eine Universität vor und um 1200 entstand, eine gänzlich andere Universität als in Bologna, so daß man zögert, denselben Namen für beide Gebilde zu benutzen. Man tut das heute. Aber eigentlich sollte man es nicht tun, weil es eine grob ex-post-perspektivische Zusammenführung zweier sehr verschiedener Lebenswelten ist. Wir ahnen inzwischen, daß man ein präzises Anfangs-Datum für die beiden ältesten unserer Hohen Schulen im lateinischen Europa nicht angeben kann. Italienische und französische Historikerkollegen streiten freundschaftlich darüber, ob Bologna oder Paris älter sei. Wie Paris verhielten sich übrigens nur wenig später Oxford und seine Stifttochter Cambridge. Diese beiden waren in mancher Hinsicht eher untypische Plätze wie manches weitere Englische, schon weil beide kleine Städte waren, wenn auch nahe beieinander und nahe bei London im recht dichtbesiedelten Südengland gelegen. Paris hingegen war schon um 1200 eine Metropole und mit jenen Annehmlichkeiten oder Versuchungen reich versehen, für die die Stadt auch heute bekannt ist. Paris war aber – das ist ein Unterschied – keine Kommune im italienischen oder auch deutschen Sinn damaliger städtischer Selbstbestimmung, der König von Frankreich hielt es nieder. Neben dem dort handelnden Herrscher waren noch wichtig die französische Kirche und ihr Klerus, klug oder gar intellektuell im Vergleich zum armen italienischen oder zu dem feudalen deutschen Klerus. Die deutsche Kirche war vergleichsweise wohlhabend, aber damals an den entscheidenden Positionen durch und durch feudalisiert. Das heißt: die adelige Qualikation durch hohe Geburt zählte mehr oder viel mehr als Ausbildung oder gar Gelehrsamkeit – oder auch als Frömmigkeit. Das Kölner Domkapitel zum Beispiel war hochadelig; man hat wohl schon im Mittelalter gesagt, daß Jesus Christus dort nicht hätte aufgenommen werden können. Anders dachte man über diese Dinge in Paris und in Frankreich. Nord-Frankreich (mit Südengland, die damals zusammen fast einen einheitlichen Lebensraum bildeten) war zumindest im etwas späteren Mittelalter, wie gutenteils auch noch in der frühen Neuzeit, im Milieu der Gelehrsamkeit und der Wissenschaft deutlich „moderner“ als Deutschland und moderner auch als die allermeisten Partien des übrigen lateinischen Europa (abgesehen von den italienischen Juristen
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und einigen anderen Landsleuten). Gründlich gewandelt hat sich das eigentlich erst im 19. Jahrhundert. Im Frankreich um 1200 dachte man nicht so sehr juristisch, denn ein Städtewesen ganz wie in Italien gab es nicht – außer im Süden, der ohnehin lebensweltlich eher italienisch war als nordfranzösisch. Die jungen Leute mit Verstand sahen in Paris kirchliche Karrieren vor sich, nicht juristische; man benötigte daher auch „allgemeinbildende“ Fächer, die man, solange bei uns noch Philosophische Fakultäten bestanden, unter diesen Namen zusammengefaßt hat. Der ältere Name für eine Philosophische Fakultät ist bekanntlich Artistenfakultät (nach den „Künsten“, artes = Wissenschaften), die man dort lehrte und lernte. Aus der Sicht der Juristen, Theologen und Mediziner handelte es sich bei diesen „artes“ um propädeutische Fächer. Es war also ein „Grundstudium“ – beginnend mit Latein und endend mit Astronomie und Musik, ungefähr so wie bei uns die Oberstufe der Gymnasien beschaffen ist oder sein sollte, oder sehr ähnlich dem „undergraduate“-Milieu im angelsächsischen Raum. Dieser Raum hat die bei uns zu Recht oder Unrecht mit dem Namen „Humboldt“ verbundenen Reformen nach 1800 in der Durchschnittsausbildung, nicht in Sonderfällen, nicht mitgemacht, sondern führte und führt das mittelalterliche System getreulich weiter. Deswegen klingt es auch für den Universitätshistoriker so paradox und unrealistisch, wenn deutsche Bildungspolitiker von heute amerikanische und deutsche Studentenzahlen schlicht miteinander vergleichen. Wir müßten die Schüler der Oberstufe der Höheren Schulen und mancher Fachschulen bei uns dazurechnen, um zu vergleichbaren Verhältnissen zu kommen. Wer je an einer amerikanischen Universität weilte, der weiß, warum wir den Bachelor der USA nur als Abiturienten akzeptieren. Als jene jungen Leute in Paris um 1200, um 1300, um 1400 oder um 1500 zu studieren oder zu „studieren“ begannen, sechzehn oder gar erst vierzehn Jahre alt (es gab kein Mindestalter für die Zulassung), waren sie im Durchschnitt sechs, acht oder zehn Jahre jünger als die Juristenstudenten desselben Zeitalters in Italien. Die Mehrzahl der nordalpinen „Artisten“ erreichte nicht einmal das Bakkalariat, eine bescheidene Prüfung, die der mittleren Reife bei uns entsprochen haben mag. Eine noch kleinere Anzahl erreichte den Magistertitel, der ungefähr dem Abitur gleichzusetzen ist. Was dann? Viele oder die meisten gingen nach Hause zurück, um vielleicht eine kleine Kirchenpfründe oder eine Lehrerstelle zu suchen oder einfach den Beruf des Vaters fortzusetzen.
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Anders als bei den südalpinen Juristen gab es nördlich der Alpen kein klar umrissenes Stellenangebot für Leute dieser Art. Generell gab es – um das zwischenherein zu sagen – ziemlich wenige Studenten, auf die Gesamtbevölkerung berechnet. Eine Universität mit 2.000 Studenten, wie am kurzdauernden Höhepunkt des Prager Erfolgs vor 1400, war ein „Riesenunternehmen“. Die schon damals recht bekannte Universität in Heidelberg, die älteste des heutigen Deutschland (seit 1386), zählte im Mittelalter nie mehr als ein paar hundert Studenten. Einige der „Artisten“ sind an der Universität verblieben. Sie studierten weiter an einer höheren Fakultät und wurden in erster Linie Theologen. Die Theologie stand bekanntlich jahrhundertelang an der Spitze der Wissenschaften. Aber es war eher eine formale Hierarchie. Denn sozial gesehen waren die Theologen zumeist nicht mehr als aufgestiegene Philosophen und blieben daher in der Hierarchie der Praxis weiterhin klar hinter den Juristen zurück. Die allermeisten Päpste und Kardinäle des Zeitalters waren nicht Theologen, sondern Juristen (Kanonisten). Man denke auch an Martin Luther: Wie enttäuscht die Eltern waren, als der Sohn entgegen der Planung nicht Jura, sondern Theologie studieren wollte und damit den sozialen Aufstieg der Familie nicht honorierte. Die Mutter, der vornehmere Elternteil, war aus einer Juristenfamilie gekommen. Die vierte Station: Wo blieben die deutschen Professoren und Studenten? Es gab sie von Anfang an, aber eben im Ausland, nicht bei uns. Und es waren wohl nicht so viele wie im Süden und Westen des Kontinents. Feine Leute wie Otto, der spätere Bischof von Freising und berühmte Geschichtsschreiber, studierte in Paris schon im 12. Jahrhundert – sein Großvater war Kaiser Heinrich IV., der nach Canossa (1077) hatte gehen müssen. Ottos Familiengeschichte war Weltgeschichte. Professoren wurden der eine oder andere Jurist oder der vorhin genannte süddeutsche Theologe Albertus Magnus, übrigens der einzige Wissenschaftler unseres Kulturkreises, der mit dem Beinamen „der Große“ ausgezeichnet worden ist. (Neider sagen, es sei eigentlich statt „magnus“ (groß) „magus“ gemeint gewesen, also Zauberer). An der privaten Intelligenz lag es bei den Deutschen nicht, viel eher an den generellen Entwicklungsbedingungen. Auch sehr arme Studenten gab es bei uns, die einfach irgendwo ihr Glück versucht haben. Bei der Ausformung und Abgrenzung des deutschen Volkes oder präziser seiner geistigen Eliten hat übrigens das auswärtige Studium bis in die Neuzeit hinein eine ansehnliche Rolle gespielt, vor allem „mental“. Die Matrikel der „Deutschen Nation“ in Bologna, so hieß
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die einschlägige Organisation der Studenten („Nation“ noch vornational als Abstammungsgemeinschaft verstanden, von „nasci“, geboren werden; die „Nationalisierung“ im neueren Sinn kam schrittweise erst seit dem 15. Jahrhundert), ist seit 1268 erhalten – ein „Erinnerungsort“ der Deutschen, wie man heute sagen könnte, natürlich in lateinischer Sprache. Die Matrikel liest sich wie eine Liste später führender Leute, sehr viele waren von Adel. Die deutschen Sozialverhältnisse und sicherlich auch – vereinfacht und zusammenfassend formuliert – der Stand der Zivilisation in Mitteleuropa waren allerdings bescheidener als im Westen und Süden Europas. Die Städte waren kleiner, es gab wohl weniger Intellektuelle und kaum je Positionen für sie außerhalb der Kirche. Es dauerte bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, bis sich dies zu ändern begann. Damals gab es schon 23 funktionierende Universitäten anderswo, ausschließlich, wie ich gern sage, im „Älteren Europa“. Deutschland gehörte, wie ich auch gern sage, größtenteils dem „Jüngeren Europa“ an, das nicht so viel oder nur indirekt antike Zivilisation hatte aufnehmen und weiterentwickeln können. Das stellte sich dar in Gestalt von ungefähr 150 Jahren Verspätung beim Stichwort „Universitätsgeschichte“, bei anderen Stichworten mit mehr oder mit weniger Verspätung: der Kölner Dom hinkte z. B. kunstgeschichtlich geurteilt nur hundert Jahre hinter St. Denis bei Paris her, der Prager Veitsdom Peter Parlers dann aber wieder hundert Jahre hinter Köln. Die fünfte Station: die ersten deutschen Universitäten. Eine richtige alte Universität in Europa wurde nicht gegründet, sondern sie war einfach auf einmal da. Die jungen Universitäten, und alle deutschen Universitäten sind in diesem Sinn „junge“ Universitäten, wurden gegründet. Das heißt: eine universitätsfremde obrigkeitliche Kraft mußte eingreifen. Man trat nicht einfach nach und nach ins Leben, weil zuvor ein urbaner Bedarf bestanden hatte und weil sich in einer großen Stadt Lernbegierige um einen Lehrer sammelten, ihn nanzierten, weil auf einmal weitere Lehrer und Schüler angelockt wurden und weil der König oder der Bischof oder die Stadtobrigkeit dieses Gewimmel ordnen mußte, so daß man plötzlich von einer Universität sprechen konnte (oder besser heute sprechen kann, da die zeitgenössische Terminologie noch schwankend war). „Universität“ heißt wörtlich übersetzt einfach „Gemeinschaft“ oder „Gruppe“ oder „Zusammenschluß“ und ist noch nicht inhaltlich bestimmt. Unsere heutige Kurzformel „Universität“ hat als inzwischen stark volkssprachlich mitbestimmtes Erbe nicht mehr die
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Präzision des Lateinischen. Lateinisch hieß es präzise „universitas studii“ oder „universitas doctorum et scholarium Bononiensis“ usw. Wir kehren zurück zu den ersten deutschen Universitäten. Mit den politisch-sozialen Kräften war es bei uns, wie wir schon wissen, nicht allzu modern bestellt. Der weitaus größere Teil Deutschlands war in der Terminologie der Mediävisten „Germania germanica“ oder „Germania slavica“, das heißt ohne jene alte, aber zugleich „modern“ machende, durchorganisierte westlich-südliche Geschichte der „Germania romana“, die mehr mit sich hat transportieren können als agrarische Verhältnisse mit ein paar eingestreuten Feudalen, die fast genau so agrarisch lebten wie ihre Untertanen, und mit ein paar Händlern, die da durchzogen. Es entstanden oder – häuger – es wurden in Deutschland obrigkeitlich gegründet auch rechtsrheinisch und nördlich der Donau Städte seit dem 12. und 13. Jahrhundert, aber sie waren zumeist klein. Deutschland ist auch von Natur aus für sein agrarisches Zeitalter, also bis tief in das 19. oder gar in das frühe 20. Jahrhundert hinein, mehrheitlich eher ein armes Land. Es wies eigentlich nur eine wirklich kraftvoll formende und dann auch Geld und Menschen akkumulierende Kraft auf: die große Dynastie. Von großen Dynastien hatten wir immer wieder sogar mehrere gleichzeitig, die miteinander rivalisierten. Dies galt vor allem auch für dasjenige Zeitalter, in das wir nun eintreten, in das letzte vor der Periode, der die Universität Marburg angehört. Für den Historiker ist es aufregend zu beobachten, daß die deutsche Universität im Wettbewerb der großen Dynastien zu einem Prestigeobjekt wurde. Dieser Wettbewerb unserer großen Dynastien, ein Vorläufer des Wettbewerbs der Dynastien und Eliten des frühneuzeitlichen Mächteeuropa, wird die Geschichte des Kontinents mitformen, in ziemlich gerader Linie bis an das Zeitalter der Weltkriege heran. Die großen Dynastien, die, wie ich sagte, bei uns als einzige imstande schienen, politischen Willen und ausreichend Geld so zu konzentrieren, um damit Kirchen zu bauen, Kriege zu führen und Universitäten zu gründen, konnten in einigen Ländern Europas, nicht überall, von kleineren Dynastien, von großen Kirchen und von großen Städten Konkurrenz erfahren. Wenn dergleichen geschah, wie auch bei uns, so war dies ein Zeichen des Aufholens in Europa. Deutschland holte auf im späteren Mittelalter, ohne Zweifel. Es wird am Ende des Zeitalters, auch weil es das größte Land Europas ist, die meisten Universitäten in Europa haben. Es hatte wohl auch die meisten Städte, aber sie blieben klein, wie wir schon wissen, und auch die Universitäten blieben klein, nur
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eben beide Male ziemlich gleichmäßig im Land verteilt. So bildete sich nach und nach jene Struktur aus, wie sie bei uns noch heute besteht – eine Struktur, die in Europa eher ungewöhnlich ist: keine wirklich große Metropole, der eine „Provinz“ gegenübersteht, sondern statt beider ansehnlich viele Zentren mittlerer Größe und auch kleine Städte, die man durchaus vorzeigen kann. Die größte Dynastie war das Kaiserhaus. Unter normalen Umständen war der Kaiser der höchstrangige Monarch des lateinischen Europa und war daher nicht sehr weit entfernt vom Papst, und er besaß als König von Italien direkten Zugang zu Oberitalien. Ein päpstliches Privileg war am besten für die Legitimität einer gegründeten Universität. Vermochte man es nicht zu erhalten, so genügte auch ein kaiserliches. So wird es bis zur Gründung der Universität in Göttingen 1734/37 bleiben, oder anders formuliert: bis das Alte Reich in der Revolutionszeit unterging. So mußte es auch sein, weil das alte lateinische Europa ein rechtlich geordneter Kontinent und weil das Alte Reich ein Rechts „staat“ war oder immer mehr dazu geworden ist. Gut war es natürlich, wenn man jeweils den Kaiser selbst einen Intellektuellen nennen kann, wie man dies beim Papst normalerweise voraussetzen darf. Kaiser Karl IV. aus dem linksrheinischen Haus Luxemburg (reg. 1346/47–1378) erfüllte diese Bedingung und stand auch in einem guten Verhältnis zum Papst. Karls Großvater, Kaiser Heinrich VII. (1308–1313), hatte den Hausbesitz der Familie um das Königreich Böhmen vermehrt. Mit päpstlichem und eigenem Privileg gründete Karl zum Jahr 1348 ein Studium, so heißt es, in seiner Hauptresidenz Prag. Die Carolina, wie man sie nach dem Gründer nennt, hatte einen mühsamen Start und hatte einen mühsamen Weg vor sich, was niemanden ernstlich wundern wird – angesichts der lebensweltlichen Situation in Prag und ebensosehr wegen der Unausgeglichenheit der beiden älteren Universitätstraditionen Europas, an die man sich, um legitim zu sein, um jeden Preis anschließen mußte. Nur waren sie, wie wir hörten, strenggenommen unvereinbar. Die zweitmächtigste Dynastie, die Habsburger, in vieler Hinsicht Rivalin des Kaiserhauses, schuf die zweitälteste Universität 1365 in Wien. Auch diese wird lange – fast zwanzig Jahre – benötigen, um sich zu konsolidieren. Die drittgrößte Dynastie, die Wittelsbacher, gründete 1386 als dritte Hohe Schule die Rupertina in Heidelberg. Es schloß sich an die größte Stadt im Reich, das schon erwähnte Köln mit seinen vielen West- und Südkontakten, nur zwei Jahre später (1388) – mit der, wie es sich angesichts der Afnität von Metropole und Universität wohl gehörte, bis dahin am
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besten ausgestatteten deutschen Hohen Schule, linksrheinisch gelegen und damit dem „Älteren Europa“ zugehörig. Es folgten alle Kurfürsten, zuletzt der Hohenzoller als Markgraf von Brandenburg in Frankfurt an der Oder (1506). In Hessen gab es keine Universität, dafür war der Fürstenrang der Landgrafen zu bescheiden, und große Städte bestanden im Land nicht. Eigentlich sollte heutzutage eine einigermaßen anspruchsvolle historische Darstellung als Problemgeschichte angelegt sein und sollte die Fakten einfach voraussetzen – nicht in erster Linie schlicht darlegen, was einst geschehen ist. Über Problemgeschichte zu sprechen dauert aber lange, weil sie kompliziert ist. Ich will daher nur von dem wichtigsten Problem sprechen, von demjenigen, das die junge deutsche Universitätsgeschichte zur europäischen Universitätsgeschichte gemacht hat, und zwar nicht nur für ein paar Jahre, sondern für die fünf oder sechs folgenden Jahrhunderte. So wurde auch die Universität in Marburg maßgeblich geformt. Es ging um das Problem, wie die so verschiedenen Hohen Schulen in Bologna und in Paris europäisch weiterwirken sollten – oder auch, wie sich die beiden so verschiedenen Lebenswelten in Oberitalien und in Nordfrankreich in die Ferne geltend machen konnten und dabei übereinkommen mochten mit der abermals ganz anderen, deutlich bescheideneren Lebenswelt nördlich der Alpen und östlich des Rheins. Oder auch, wie Juristen und Nichtjuristen fortan miteinander umgehen sollten, wer künftig die Universitäts-Lehrer nanzieren mochte, wie sich das Verhältnis zur Obrigkeit gestalten sollte, usw. Dafür gab es bisher ganz verschiedene Vorbilder oder Angebote, und keines paßte so richtig auf das neu zu erschließende Terrain. Die Lösung des Problems ist nicht spektakulär und demonstrativ geschaffen worden, sondern sie hat sich gleichsam eingestellt – nach und nach. Dadurch aber, daß sie sich einstellte, entschied sich, daß nicht Paris oder Bologna, sondern daß ein drittes Modell, die bescheidene deutsche „Vierfakultätenuniversität“, zum Lehrbeispiel der europäischen Universität der Zukunft wurde, wie eben auch in Marburg oder wie am vorläugen Ende (und neuen Anfang) dieser Abfolge in Berlin im Jahr 1810. Damals und daraus entstand die „klassische“ Universität des 19. Jahrhunderts, die uns, die wir heute in der nachklassischen Phase der Universitätsgeschichte leben, als (sicherlich idealisiertes) Orientierungsmuster weiterhin vor Augen steht. „Klassisch“, und das heißt auch überaus erfolgreich, war gerade diese Lebensform der Hohen Schule in der Tat. So ist die Kaiserliche Universität in Tokio zum Beispiel,
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das Vorbild dann der anderen Universitäten in Japan und darüber hinaus, nach Berliner Vorbild geschaffen worden, oder man hat sagen können, daß heute die Hebräische Universität in Jerusalem als die letzte klassische Universität deutschen Stils gelte. An diesem Tatbestand wird auch dadurch nichts geändert, daß es nach dem Stand der Forschung von heute nicht mehr möglich ist, jene „Klassik“ unmittelbar und naiv mit dem Namen Wilhelm von Humboldts zu verbinden. In Wirklichkeit lagen die Dinge auch hier viel komplizierter. Ich skizziere kurz, was im ausgehenden Mittelalter geschah. Die relative Armut und Kleinräumigkeit der deutschen Fürstenstaaten war offenbar das entscheidende Moment, zusammen mit der geringen Größe der betroffenen Eliten und mit ihrer Zersplitterung, sowie mit ihrem Minimum an Urbanität. Wir haben uns so sehr in der seitdem währenden, langdauernden Armut unserer Hohen Schulen eingerichtet, daß uns der fundamentale Unterschied des angelsächsischen und des deutschen Universitätsraumes gar nicht recht bewußt ist: Viele Studierende in den Vereinigten Staaten und an ordentlichen Universitäten Großbritanniens und anderswo, wo man diesem Vorbild hat folgen können, wohnen und leben, essen, feiern und schlagen über die Stränge innerhalb der Universität – als selbstverständliche Glieder dieser ihrer Universität. Sie leben idealiter auf dem Campus mit ihren Lehrern zusammen und unterstanden, wenn nicht noch unterstehen der Disziplinargewalt der Universität. Sie sind deren „Bürger“. In Mitteleuropa gibt die Universität ihren jungen Leuten Gastrecht eigentlich nur für Stunden. Sonst steht sie leer. Sie wirkt wie eine Behörde, die Türen öffnet und schließt und die sehr arm ist an gastlichen Momenten. Niemals konnte und kann bei uns das Kapital aufgebracht werden, das sich heute bei den amerikanischen Eliteuniversitäten in Milliardenhöhe bewegt und das eine entsprechende „Heimat“ mit einer eigenen praktisch kleinstädtischen Struktur aufgebaut hat, die sich selbst trägt und selbst ordnet und der man sich ein Leben lang zugehörig fühlen kann – ein eigenes kleines Gemeinwesen im großen Gemeinwesen. Wenn heute der Staat hierzu gewaltige Zuschüsse gibt, weil man sich inzwischen doch nicht selbst erhalten kann, so tritt dies kaum ins Bewußtsein. Auf das Bewußtsein über kommt es an. Kaum je hat man analoge Strukturen auch bei uns angestrebt, jedesmal sind solche Versuche gescheitert. So gesehen war und ist auch die vielgerühmte Autonomie der deutschen Universität welchen Jahrhunderts auch immer vielfach Illusion. Wirklich autonom ist nur, wer sein eigenes Geld ausgeben kann oder wer diesen Eindruck zu erwecken vermag. Bei uns gab das Geld und
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hatte für jedermann sichtbar die Macht und besaß sie besonders im noch so formbaren ältesten Zeitalter der Universitäten der Territorialstaat oder Landesstaat. Er ist gemäß dem Verlauf der ganzen deutschen Geschichte zuerst zum Staat geworden, früher als das Reich oder der Bund, etwa gleichzeitig mit einigen großen staatsartigen Städten, die dann auch ihre eigenen Universitäten gründeten, zuerst wie gesagt Köln, dann Erfurt, Rostock, Basel, später auch Nürnberg – in Altdorf – und Straßburg. Die letzte städtische Universitätsgründung war diejenige in Frankfurt am Main im Jahr 1914, ganz kurz bevor die Alte Welt zusammenbrach. Der deutsche Territorialstaat war im Rahmen seiner Möglichkeiten durchaus guten Willens, sage ich nun recht abkürzend, schon im Dienst seiner Eliten, deren junge Leute zum Teil studieren sollten. Aber er war eng, im Durchschnitt arm, von partikularen Familienverbänden beherrscht, von politischen und später religiös-konfessionellen Spannungen wiederum oft kleinen Maßstabs durchzogen. Was er bestimmt nicht wollte und auch nicht hätte realisieren können, war Bildungspolitik im neueren Sinn. Seine Gründungsziele waren Prestigegewinn und wie gesagt Förderung von (vielfach stark erblichen) Eliten als den Inhabern der Führungspositionen in Kirche und Staat. Hin und wieder wollte man auch mit Hilfe einer Universität Geld verdienen, doch war dies eine Fehlkalkulation. Die Vorstellung, die Universität sei stets für viele oder gar für alle dagewesen, ist gänzlich anachronistisch. Als speziell dieses politisches Programm wurde, seit etwa dreißig oder vierzig Jahren, nicht vorher, hat dies unvermeidlicherweise zu schweren Krisen geführt, weil man achthundert Jahre lang dergleichen an der Universität nicht im mindesten hatte denken können. Jedoch gab es längst zuvor – schmerzhaft genug – immer wieder einzelne inneruniversitäre Anpassungsprozesse an sich verändernde Situationen, selbst unter prinzipiell „elitären“ Verhältnissen. Vorhin habe ich von der „Anpassung nach unten“ als von einem bis heute immer wieder neu zu beobachtenden Sozial-Phänomen der Universitätsgeschichte gesprochen, vielleicht einem ‚Gesetz des geringsten Widerstandes‘ folgend. Eines dieser Sozial-Phänomene war schon recht früh entscheidend für das kommende deutsche oder, generell „dritte“ Modell der europäischen Universität, von dem ich gerade gesprochen habe. Das heißt: Die frühe Universität in der „späten“ Mitte Europas wurde schon im ausgehenden Mittelalter einheitlich oder besser gesagt einheitlicher (und am Ende womöglich auch erfolgreich) dadurch, daß die Juristen fast ganz auf das Niveau der anderen Fakultäten
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herabgedrückt wurden, so sehr sie sich auch dagegen wehrten. Sie wehrten sich in der Tat nach Kräften, weil sie alle an die Situation in Italien dachten: So gab es in Prag zwei Universitäten im 14. Jahrhundert, in Basel wurde dieser Versuch im 15. Jahrhundert wiederholt, in einigen Fällen suchte man Kompromißregelungen. Auf die Dauer war aber, blickt man voraus bis heute, alles vergeblich oder fast vergeblich. Trost fanden fast alle Fakultäten in Bezügen nach außerhalb, vorerst vor allem zu den Herrscherhöfen; denn mit Ausnahme der „Artisten“ oder Philosophen hielt sich (mit unterschiedlichen Argumenten) jede Fakultät gern für die wichtigste, bis ins 18./19. Jahrhundert auch die Theologen und neu im 19. und 20. Jahrhundert die Mediziner. Man darf die Geschlossenheit älterer Universitäten und selbst Fakultäten keinesfalls überschätzen; denn ein Leibarzt war mehr als ein bloßer Medizinprofessor, ein Hofprediger mehr als ein bloßer Lehrer der Theologie, ein Rat des Kaisers oder des Landesfürsten mehr als ein bloßer Universitätsjurist. Um einiges kompakter wurde die Universität bei uns erst im 19. Jahrhundert und zwar eher in dessen zweiter Hälfte. Damals brach die größte Zeit der deutschen Universitäten an, und man vermochte mit einigem Grund auf sich selbst stolz zu sein; eifersüchtig war man damals nur noch auf die Uniformierten. Diese Periode dauerte kaum länger als ein halbes Jahrhundert und war mit dem Ersten Weltkrieg ziemlich denitiv zu Ende. Sechste Station: Der Weg der Universität nach Marburg und der Anfang einer Universität in Marburg. Diejenige Hohe Schule, die sich für hessische Landeskinder seit längerem als am attraktivsten erwies, solange das Land selbst keine derartige Einrichtung besaß, war abgesehen vom weiterhin sehr „elitären“ Studium in Italien und Frankreich die Universität in Erfurt. Sie war 1392 in einem zweiten Anlauf glücklich ins Leben getreten und hatte bald aus dem Zusammenbruch der Universitäten in Prag (seit 1409) reichlich Gewinn gezogen. Erfurt war auch längst vor 1392 ein sehr beachtliches Schulzentrum gewesen, vor allem wegen seiner zahlreichen Klöster und Kirchen von Rang, mit denen sich keine hessische Stadt auch nur von Ferne hat messen können. Erfurt gehörte ungeachtet seines langwährenden Unabhängigkeitsstrebens territorial dem Erzbischof von Mainz und war gleichsam eine rheinische Stadt weit östlich des Stromes. Die Hessen spielten in Erfurt eine große Rolle, wirtschaftlich und auch universitär. So orientierte sich die Frage, wie es mit einer speziell hessischen Universität bestellt sein könnte, an den Verhältnissen in Erfurt.
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Sicherlich hatte infolge verschiedener politischer Umstände, die uns hier nichts angehen, ein Aufstieg von Dynastie und Land Hessen im Rahmen der deutschen Fürstenhäuser und Territorien stattgefunden, im 15. Jahrhundert und dann bald nach 1500. Entscheidend für eine eigene Universität war aber offensichtlich der reformatorische Anstoß. Nach einigem Schwanken und obwohl die Stadt zur Reformation überging, blieb die Universität in Erfurt katholisch. Ihre Theologische Fakultät stellte sich gegen Martin Luther. Es wäre Sache eines eigenen Vortrags zu erörtern, warum und mit welchen Folgen Landgraf Philipp von Hessen, der Großmütige genannt, schon zum Datum von 1527 Konsequenzen aus dieser Lage zog – selbst gleichsam noch im Studentenalter bendlich, von Leuten beraten oder gedrängt, die die Erfurter Verhältnisse kannten. So gesehen kann sich die Philippina zu recht die älteste protestantische Universität der Welt nennen. Die Theologische Fakultät, die bis dahin überall in Europa bekanntlich nicht Pfarrer oder andere Kleriker in der Breite, sondern wenige Wissenschaftler der Gottesgelehrtheit ausgebildet hatte, wuchs in die bisher ungekannte neue Rolle einer Legitimatorin der neugläubigen Pfarrgeistlichen hinein, anstelle des weggefallenen Sakraments der Priesterweihe. Die Kontrolle der reinen Lehre und organisatorischdisziplinarische Aufgaben in der neuen Landeskirche traten für die Fakultät hinzu, auch ein besonderes Interesse des Landesherrn an ihr. Allerdings ist damit zum Faktum von 1527 noch nicht alles gesagt. Vielleicht kann man hierzu auch einem jungen Mann oder einer jungen Dame eine historische Aufgabe stellen. Die äußere Form der Gründung in Marburg entsprach exakt der Vierfakultätenuniversität, die – wie wir wissen – inzwischen zum Grundmodell einer legitimen Universität geworden war. Man ersieht auch daraus: Die Legitimitätsfrage war wichtig in Marburg. Aber unsere Frage greift als wissenschaftliche Frage noch weiter aus. Es geht um das kaiserliche Privileg von 1541. Dieses Privileg war wichtig, ja in meinen Augen – beim Blick auf Marburg von außen – entscheidend. Es ist ein übrigens „klassisches“ Phänomen der allgemeinen Universitätsgeschichte, daß lokale Wertungen und solche, die vom Ganzen der europäischen Hochschulen herkommen, auseinandertreten können, und zwar bis heute. Dann hat es die lokale Forschung auf die Dauer nicht ganz leicht, sich zu behaupten. Bestünde dieses Faktum auch an der Lahn, so wäre die Situation der Jahre 1527 bis 1541 davon betroffen. Ich deute damit an, daß der entscheidende Punkt die Anerkennung der Graduierungen an der Universität darstellt und zwar die Anerken-
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nung an und für sich und überall, nicht nur im lokalen Machtbereich. So war die Universität in Europa entstanden und so verhält es sich auch noch heute, jedenfalls normalerweise. In der älteren Zeit entscheidend war die Graduierung in den höheren Fakultäten, die nach außen wirkten. Eine Graduierung in der Artistenfakultät, und sei es die abschließend scheinende zum Magister, hätte man wegen des vielfach üblichen Weiterstudiums in einer höheren Fakultät am gleichen Ort beschönigend als inneruniversitären und vorläugen Vorgang auffassen können. So lange der Grundsatz gilt, – damals wie heute – „Universität ist, was als Universität anerkannt ist“ (und zwar stets auf dem höchsten Niveau), müssen die erwähnten Jahre als problematisch gelten. Schwer ins Gewicht fallen dabei zweifelnde Selbstäußerungen aus der fraglichen Zeit, da man doch alles hätte daransetzen müssen, solche Zweifel zu zerstreuen. Das Problem, das ich damit anspreche, stellte sich, nachdem die positive Entscheidung von 1541 gefallen war, neu im 17. Jahrhundert und hängt nun auch mit dem eingangs erwähnten Übergang des einen Marburger Gründungszepters nach Gießen zusammen. Denn diese neue Universität vom Jahr 1607, einige Meilen weiter südlich gelegen, stand erst recht unter extremem Legitimierungsdruck und hat dies auch sogleich begriffen. So sah sie in allen Einzelheiten exakt aus wie die Stiefmutter in Marburg oder wollte möglichst so aussehen. Nur in einem Punkt verhielt sie sich ganz anders: Sie zählte und zählt ihre Jahre anders, stets vom kaiserlichem Privileg von 1607 an, das nach ihrer Auffassung die legitime Existenz, auch das legitime Graduieren, erst möglich machte. In Gießen dachte man nicht daran, den kurzen lokalen Vorlauf vor dem Erwerb des kaiserlichen Privilegs für ein Gründungsdatum zu bemühen (man nannte diese Anstalt klar unterscheidend „Gymnasium“), ohne Rücksicht darauf, daß jede Universität auf der ganzen Welt möglichst alt sein möchte. In dieser Differenz des Handelns der beiden Universitäten verbirgt sich das kleine wissenschaftliche Problem, das für die Marburger Frühzeit bis 1541 neu zu bedenken und unvoreingenommen zu klären wäre.
Literatur Academia Marburgensis, hg. v. Walter Heinemeyer u. a., Marburg 1977. Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert, hg. v. Rainer Christoph Schwinges, Basel 1999.
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Peter Baumgart, Die deutsche Universität im 16. Jahrhundert. Das Beispiel Marburg, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 28 (1978), S. 50–79. Gustav Adolf Benrath, Die deutsche evangelische Universität, in: Universität und Gelehrtenstand 1400–1800, Limburg 1970, S. 63–83. Catalogus Professorum Academiae Marburgensis [ I ], bearb. v. Franz Gundlach, Marburg 1927. Geschichte der Universität in Europa, hg. v. Walter Rüegg, Bd. 1 und 2, München 1993–1996. Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, hg. v. Rainer Christoph Schwinges, Berlin 1996. Walter Heinemeyer, Die Bildungspolitik Landgraf Philipps des Großmütigen, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 21 (1971), S. 100 –128. Heinrich Hermelink, Siegfried A. Kaehler, Die Philipps-Universität zu Marburg 1527–1927, Marburg 1927. Peter Moraw, Deutsche und europäische Gelehrte im lateinischen Mittelalter, in: Personen der Geschichte, Geschichte der Personen. Festschrift für Rainer Christoph Schwinges zum 60 Geburtstag, Basel 2003, S. 239–254. Jürg Schmutz, Juristen für das Reich, Basel 2000. Ulrich Sieg, Die Marburger Universitätsgeschichte, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 38 (1988), S. 203–226.
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DIE UNIVERSITÄT IN GIESSEN VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR GEGENWART (1607–1995)
I. Voraussetzungen und Anfänge Eine europäische Universität1 kann normalerweise auf zweierlei Weise entstehen: Sie mochte von der Stadt hervorgebracht werden, in der sie zu Hause war und ist, wie die Hohen Schulen im mittelalterlichen Bologna, Paris und Köln oder im neuzeitlichen Frankfurt am Main und wieder Köln. Oder es erlegte sie eine übergeordnete Kraft einer Stadt auf, die von sich aus nie zu einer Universität gekommen wäre. So war es in Gießen. Auch die Universität in Gießen2, die sich wie
1 Rüegg, Walter (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1ff., München 1993ff.; Patschowsky, Alexander u. Rabe, Horst (Hg.), Die Universität in Alteuropa, Konstanz 1994. 2 Bibliographie: Knipper, Adolf u. Schmidt, Erwin, Bibliographie zur Geschichte der Universität Gießen von 1900 bis 1962, Gießen 1963; Gundel, Hans Georg, Ausgewählte Bibliographie zur Gießener Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert, in: Gießener Universitätsblätter 15 (1982), Heft 3, S. 175–186. Archivalien: Schmidt, Erwin, Universitätsarchiv Gießen. Bestandsverzeichnis, Gießen 1969; Vorläuger Archivplan der Präsidialabteilung der Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen 1977; Felschow, Eva-Marie, Das Universitätsarchiv Gießen, in: Gießener Universitätsblätter 21 (1988), Heft 1, S. 45–54. Gedruckte Quellen: Wasserschleben, Hermann, Die ältesten Privilegien und Statuten der Ludoviciana, Gießen 1881; Gundel, Hans Georg (Hg.), Statuta Academiae Marpurgensis deinde Gissensis de anno 1629, Marburg 1982 (Veröff. d. Hist. Komm. f. Hessen 44); Klewitz, Ernst u. Ebel, Karl (Hg.), Die Matrikel der Universität Gießen 1608–1707, Gießen 1898; Waldhaus, Luise, Suchbuch für die Gießener Universitätsmatrikel von 1649 bis 1707, in: Mitt. d. Hess. Familiengesch. Vereinigung 6 (1940–41); Praetorius, Otfried u. Knöpp, Friedrich (Bearb.), Die Matrikel der Universität Gießen, Zweiter Teil, 1708–1807, Neustadt an der Aisch 1957; Kössler, Franz, Register zu den Matrikeln und Inscriptionsbüchern der Universität Gießen WS 1807–WS 1850, Gießen 1976; Ders., Register . . . SS 1850–WS 1900/01, o. O. o. J. (Typoskript); Diehl, Wilhelm (Hg.), Moriz Carrieres Lebenserinnerungen (1817–1847), in: AHG NF 10, (1914), S. 133–301; Crome, August Wilhelm Friedrich, Selbstbiographie, Stuttgart 1833; [ Fendt, Rudolph], Von 1846 bis 1853, Darmstadt 1875; Küster, Ernst, Erinnerungen eines Botanikers, Gießen o. J. [1957]; Laukhard, Friedrich Christian, Leben und Schicksale, Halle u. Leipzig 1792–1802; Tellenbach, Gerd, Aus erinnerter Zeitgeschichte, Freiburg Br. 1981; Vogt, Carl, Aus meinem Leben, Stuttgart 1896. Dazu Vorlesungs- und Personalverzeichnisse, Rechenschaftsberichte der Rektoren und Präsidenten, Landtagsprotokolle, Staatliche Amtsblätter. Literatur: Die
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jedes soziale Gebilde an ihren Ort und in ihrer Region zu verankern suchte, um weiterzuleben, hat ihre Wurzeln in den Boden gestreckt. Aber der Boden war karg. Die günstigste Lebenswelt einer Universität ist die große, urbane Stadt in einem wohlhabenden und dichtbesiedelten Umland. Auf eine solche Lebenswelt hofft die Universität in Gießen bis heute. Es gibt demnach langlebige Merkmale unseres Themas, die ohne weiteres Jahrhunderte überdauern können. Davon zu unterscheiden sind Eigenschaften, die sich heute ganz anders darstellen als beispielsweise noch vor einer Generation. Auch einen dieser wandelbaren Wesenszüge wird man ganz am Anfang nennen: die Größe der Universität. Jahrhunderte hindurch sind die europäischen Hohen Schulen in der Regel kleine Gebilde gewesen, die daher auch in sehr einfachen sozialen Formen zu leben wußten: Ein oder einige Dutzend Professoren und ein oder einige hundert Studenten und wenige Köpfe weiteren Personals genügten. Erst vor und nach dem Ersten Weltkrieg haben sich diese Maße ernsthaft zu wandeln begonnen, indem aus wenigen hundert Mitgliedern wenige tausend wurden. Die Vorstellung, daß – wie heute auch in Gießen – Zehntausende Menschen zu einer Universität gehören, ist bei uns erst seit dreißig oder vierzig Jahren denkbar. So waren auch die Kosten einer Universität sehr lange Zeit hindurch gering. Gewaltige Umschichtungen im sozialen Leben und beim wissenschaftlichen Fortschritt mußten eintreten, bis jener Milliardenumsatz zustande kam, der heute auch die Universität in Gießen kennzeichnet.
Universität Gießen von 1607 bis 1907. Beiträge zu ihrer Geschichte. Festschrift zur dritten Jahrhundertfeier, 2 Bde., Gießen 1907; Ludwigs-Universität. Justus Liebig-Hochschule 1607–1957. Festschrift zur 350–Jahrfeier, Gießen 1957; Moraw, Peter u. Press, Volker (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte, Marburg 1982 (Veröff. d. Hist. Komm. f. Hessen 45); Benedum, Jost (Hg.), 375 Jahre Medizin in Gießen [Ausstellungskatalog], Gießen 1982; Werner, Norbert (Hg.), 375 Jahre Universität Gießen 1607–1982 [Ausstellungskatalog], Gießen 1982; Gundel, Hans Georg, Moraw, Peter, Press, Volker (Hg.), Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, 2 Bde., Marburg 1982 (Veröff. d. Hist. Komm. f. Hessen 35,2); Gundel, Hans Georg, Die Siegel der Universität Gießen, Gießen 1983; Ders., Rektorenliste der Universität Gießen 1605/07–1971, Gießen 1979; Moraw, Peter, Kleine Geschichte der Universität Gießen von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Au. Gießen 1990; Ders., Universitäten und Hochschulen. Geschichte und Gegenwart, in: Mittelhessen, Marburg 1991, S. 225–241. Geschichte der Universitätsbibliothek Gießen, Gießen 1991 (Studia Giessensia 2). Allgemein: Goldschmidt, Dietrich u. a. (Hg.), Forschungsgegenstand Hochschule, Frankfurt a. M. 1984; Hammerstein, Notker u. a. (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, bisher Bd. 1, 3–5, München 1987–96; Müller, Rainer A., Geschichte der Universität, München 1990.
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Drei übergreifende Prozesse und Kräfte haben in einer ganz besonderen Konstellation zum Entstehen einer Universität in dieser Stadt geführt: die Ausbildung der protestantischen Konfessionen als Folge der deutschen Reformation; die Durchformung des Territorialstaats in Hessen und das im Kaiser gipfelnde politische System des Reiches3. Im Jahr 1527 hatte Landgraf Philipp der Großmütige von Hessen (1509–1567) eine Universität in Marburg gegründet, als erste protestantische und erste hessische Universität. Bis dahin hatten Studenten und Professoren aus Hessen seit etwa 1200 in Italien und in Frankreich und seit etwa 1350 auch an heimischen Hohen Schulen gelernt und gelehrt, zuletzt am häugsten in Erfurt (gegründet 1392). Im Jahr 1567 zerbrach das einheitliche Hessen zugunsten von zuletzt zwei Teilstaaten, in das kalvinistisch werdende Hessen-Kassel mit dem Universitätsort Marburg und in die viel kleinere lutherische Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Hessen-Darmstadt war in zwei Provinzen um Darmstadt und um Gießen aufgesplittert. Daß dieses Hessen keine Universität besaß, wie viele andere größere und ebenso große Territorien im Reich, el nicht ins Gewicht, solange es eine einheitliche neue Glaubenslehre zu geben schien. Um 1600 jedoch konnte man diese Hoffnung nicht mehr hegen, erst recht nicht zwischen Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt. Denn Konfessionalisierung und Staatsbildung stellten ein und denselben Prozeß dar. Pfarrer waren nicht weniger Mitträger der Herrschaft als Amtleute. Außer vom Fürsten und vom Hof wurden die hessischen Landgrafschaften von einer sich immer mehr verfestigenden Gruppe getragen, die aus den Staats-, Stadt- und Kirchendienern bestand und die diese Positionen in ihren Reihen zu vererben suchte. So kann man zwar sagen, daß lutherische Theologen eine lutherische Universität in Gießen aus dem Gegensatz zum verhaßten Kalvinismus betrieben und hervorgebracht haben, aber erst die richtige Konfession machte eben die richtige staatliche Identität aus. Eine neuerliche Zuspitzung der innerhessischen Situation durch eine Teilung von 1604/05 bot den Anlaß. Die Universität in Marburg sollte von einem neuen Herrn nun restlos kalvinistisch gemacht werden. Die Lutheraner verließen den Platz. Am 10. Oktober 1605 wurde provisorisch in Gießen – im
3 Lutz, Heinrich, Das Ringen um deutsche Einheit und kirchliche Erneuerung, 1490–1648, Berlin 1983 (Propyläen Geschichte Deutschlands 4); Heinemeyer, Walter (Hg.), Das Werden Hessens, Marburg 1986 (Veröff. d. Hist. Komm. f. Hessen 50); Moraw, Peter, Die Rolle der Landgrafschaft Hessen in der deutschen Geschichte, in: MOHG NF 75 (1990) S. 1–23.
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Rathaus – ein „Gymnasium illustre“ mit angeschlossenem „Paedagogium“ errichtet, die Vorstufe zu einer Universität, für welche man das notwendige kaiserliche Privileg noch nicht besaß. An dieser Stelle kommt der Tatbestand zur Geltung, daß die Fürsten beider Hessen Untertanen des katholischen Kaisers waren. Seitdem es ein lutherisches Hessen-Darmstadt gab, bis über die Französische Revolution hinaus, war dieser Kleinstaat auf den Kaiser angewiesen und war kaiserlich gesinnt; der Kaiser schätzte seinerseits schwache Lutheraner mehr als starke Kalvinisten. So ging es mit dem Privileg, das die Universität in Gießen rechtlich erst schuf, viel schneller als seinerzeit im Fall Marburgs, das auf die Gunst einer zufälligen Stunde hatte lange warten müssen (1541). Am 19. Mai 1607 wurde das Stiftungsdokument Kaiser Rudolfs II. in Prag ausgefertigt, die wichtigste Urkunde der heimischen Universitätsgeschichte. Die Stadt, für welche dieser Text erteilt wurde, war klein. Ihre Einwohnerzahl dürfte bei knapp 3.000 Personen gelegen haben. Es waren zumeist arme Handwerker und Ackerbürger. Beachtenswert waren nur zwei Merkmale, von denen eines noch heute seine Wirkung tut: die günstige Verkehrslage, die Gießen inzwischen zur größten Stadt zwischen Frankfurt am Main und Kassel gemacht hat. Das andere Merkmal, das Militär, hat bis vor einigen Jahren die Stadt mitgeprägt. Philipp der Großmütige hatte Gießen, am Ausgang des gebirgigen Althessen zur fruchtbaren Wetterau gelegen, zur starken Festung ausgebaut. Es handelte sich um ein überlokales Motiv wie bei der Universitätsgründung. Die neue Hohe Schule entstand angesichts ihrer Vorgeschichte nicht gleichsam an und für sich. Ihr wurde vielmehr eine Hypothek auferlegt: Die Ludwigsuniversität (so benannt nach Ludwig V. von HessenDarmstadt, dem Gründer) sollte die unverdorbene, bessere Marburger Hochschule sein und daher nur bis zum Ende der dortigen „Irrlehre“ Bestand haben. So kam es seit 1607 in Gießen zur Ausbildung zweier Wesenszüge, die sich nicht leicht vereinbaren ließen: Man kopierte die Institutionen von Marburg bis ins Detail und war doch so kaiserlich und anti-marburgisch gesinnt wie möglich. Als die nördliche Nachbarstadt im Dreißigjährigen Krieg tatsächlich erobert und „befreit“ worden war, verlegte man demgemäß die Ludoviciana dorthin (1625 bis 1649). Erst die Niederlage des Kaisers am Ende des großen Ringens stellte seit 1650 die alte Verdoppelung wieder her.
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II. Vom Dreißigjährigen Krieg bis zur Französischen Revolution Die äußere Form der Ludwigs-Universität war die einer besonders legitimen und daher auch besonders typischen frühneuzeitlichen Territorialhochschule4. Sie bestand aus vier Fakultäten, wie es schon im Mittelalter und noch lange Zeit danach üblich war, aus den Theologen, den Juristen, den Medizinern und den „Artisten“ oder Philosophen. Diese stellten eine Vorschule für die anderen drei, die „höheren“ Fakultäten dar („Artisten“ genannt nach den dort gelehrten Freien Künsten = Artes). Blickte man zurück auf die Gründung, so schienen die Theologen am wichtigsten zu sein. Aber es schien nur so. Denn an der Universität setzte sich, wie überall im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa, die soziale Realität rasch durch. Sie sprach die erste Rolle den Juristen zu, schon weil es sich um das teuerste Studium der feinsten Leute handelte, wohlhabender Bürgerlicher und immer wieder auch Adeliger. Für die Juristen bestand auch im Gegensatz zu den anderen Universitätsbesuchern ein überregionaler „Arbeitsmarkt“, der sich im Ausnahmefall bis zum Kaiserhof erstrecken konnte, ohne allzuviel Rücksicht auf die sonst so wichtige Konfession. Eines der beiden obersten Gerichte im Reich, das Kaiserliche Kammergericht, war ohnehin seit 1690/93 im nahen Wetzlar ansässig und trat bald in nähere Beziehung zur Ludoviciana. Auch die wohlhabenden Frankfurter Bürger studierten am liebsten in Gießen und zwar zumeist Jurisprudenz, wie Goethes Vater. Die Mediziner5 waren zu gering an Zahl, als daß sie viel ausgerichtet hätten. Die Philosophen waren vielfach arme Leute wie die Theologen.
4 Außer Anm. 2 Diehl, Wilhelm (Hg.), Stipendiatenbuch der hessen-darmstädtischen Universitäten Gießen und Marburg für die Zeit von 1605–1774, Hirschhorn 1907; Schüling, Hermann, Die Dissertationen und Habilitationsschriften der Universität Gießen im 18. Jahrhundert, Gießen 1976; Ders., Die Dissertationen und Habilitationsschriften der Universität Gießen 1650–1700, Gießen 1982; Ders., Verzeichnis des von 1605–1624 in Gießen erschienenen Schrifttums, Gießen 1985; McClelland, Charles E., State, society, and university in Germany, 1700–1914, Cambridge 1980; Jendorff, Bernhard u. a. (Hg.), Theologie im Kontext der Geschichte der Alma Mater Ludoviciana, Gießen 1983; Steiger, Heinhard, Zur Kontroverse zwischen Hermann Vultejus und Gottfried Antonius aus der Perspektive der politischen Theorie des Johannes Althusius, in: Dahm, Karl-Wilhelm u. a. (Hg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988, S. 333–367; Stichweh, Rudolf, Der frühmoderne Staat und die europäische Universität, Frankfurt a. M. 1991. 5 Benedum, Jost u. Giese, Christian, Die Professoren der Medizin in der Gießener Gemäldegalerie, Gießen 1983 (Arbeiten zur Geschichte der Medizin in Gießen 5); Benedum, Jost, Vom Anteil der Facultas Medica Gi(e)ssena am Werden der medizinischen
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So krasse Unterschiede galten auch für die Professoren. Noch lange nicht gab es Wissenschaft im modernen Sinn, vielmehr Gelehrsamkeit auf der Basis späthumanistischer Allgemeinbildung. Das heißt, man lernte durch das Aufnehmen von Stoff, ohne in erster Linie das Ziel der Innovation vor Augen zu haben. So konnten auch die Professoren mit wenig Rücksicht auf das Fach von einem schlechter bezahlten zu einem besser dotierten Lehrstuhl aufsteigen, am liebsten von den bei den „Artisten“ beheimateten Geistes- und Naturwissenschaften einerseits zur Theologie und andererseits zur Medizin. Nur die Juristen blieben, was sie waren, die vornehmsten innerhalb und außerhalb der Universität. An der Spitze jeder Fakultät stand damals wie heute ein Dekan, an der Spitze der Universität der Rektor. Es waren nach Anciennität und durch Einußnahme besetzte Wahlämter. Nach erfolgreichem Studium wurde man Magister oder Doktor wie im Mittelalter und konnte als Doktor dann auch lehren, bis etwa 1830, ähnlich wie heute ein Privatdozent. Doch erschien dieses an einer kleinen Universität als wenig lohnend. Somit blieb generationen- oder gar jahrhundertelang vieles beim alten. Das war die Grundvoraussetzung dafür, daß die Universität in hohem Maß aus dem Eigenen, das heißt aus dem Ertrag von anfangs zugewiesenem Landbesitz, oft einst in der Reformation enteignetem Kirchengut, leben mußte und konnte. Das Wappen der Universität bildet bis heute das „Tau“ des Antoniterklosters in Grünberg ab, des wohl wertvollsten Besitzes der Ludoviciana bis in das 19. Jahrhundert. Daß schon früh beachtliche Deckungslücken im Haushalt bestanden, die vom Landgrafen oder durch allerhand Geldgeschäfte6 gedeckt werden mußten, wird man als Konsequenz ungenügender Ausstattung verstehen. Das soziale Leben an der frühneuzeitlichen Universität ähnelte einem stillen Teich am meisten. Wie die Landgrafschaft selbst ihren Beamten zu „gehören“ schien, so verstand man die Universität als ein Eigentum derjenigen Familien, die sich seit 1607, die günstige Stunde nutzend,
Wissenschaft, in: Gießener Universitätsblätter 16 (1983), Heft 1, S. 63–82; Prüll, CayRüdiger, Der Heilkundige in seiner geographischen und sozialen Umwelt. Die Medizinische Fakultät der Universität Gießen auf dem Weg in die Neuzeit (1750–1918), Gießen 1993 (Studia Giessensia 4). Vgl. Schultka, Wolfgang, 375 Jahre Botanischer Garten der Universität Gießen, in: Gießener Universitätsblätter 17 (1984), Heft 1, S. 19–31. 6 Bingsohn, Wilhelm, Lokale und regionale Kapitalbeziehungen im 17. und 18. Jahrhundert. Die Universität Gießen als Kreditanstalt, in: MOHG NF 68 (1983), S. 95–126; Ders., Stadt im Territorium. Studien zur Wirtschafts-, Sozial- und Verfassungsgeschichte der Stadt Gießen 1630–1730, 2 Bde., Darmstadt und Marburg 1996 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 103).
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darin heimisch gemacht hatten. Auch der Sohn sollte normalerweise Professor werden, wenn er nur einigermaßen geeignet war – es kam wie gesagt auf Lehre im Sinne etwa eines guten Gymnasiums des 19. Jahrhunderts an. Ein Kollege von auswärts sollte am besten die Tochter eines schon anwesenden Professors heiraten. Man wird von solchen damals überall verbreiteten Praktiken nicht zu negativ denken. Über Deutschland hinweg, in einem damals durchschnittlich ziemlich armen Land, erhielt sich auch und gerade auf diese Weise trotz vieler Katastrophen eine große Zahl ansehnlicher Kulturzentren, die auch noch unsere Gegenwart mitprägen. Allerdings wurden die großen Entdekkungen und Denkleistungen – bis hin zur Mitte des 18. Jahrhunderts – zumeist anderswo gemacht, dort gewöhnlich, wo großächige Staaten für mehr Konzentration in der Metropole, für mehr Ungleichheit und dadurch für mehr Herausforderung und Konkurrenz gesorgt hatten, als Nebenwirkung ihres dynastisch-politischen Ehrgeizes. Weniger homogen als die Professoren waren die Studenten, selbstverständlich – bis etwa 1900 – nur junge Männer. Das Rekrutierungsgebiet, außerhalb des hessischen Nahbereichs vor allem der lutherische Westen und Nordwesten des Reiches, bot zunächst eine recht günstige Konstellation. Gefährliche und bessere Konkurrenten wuchsen erst im 18. Jahrhundert heran. Auf das Ganze des Volkskörpers gesehen studierte damals eine mikroskopisch winzige Zahl, was dem noch sehr geringen Bedarf ungefähr entsprach; aber es drohte auch schon im 18. Jahrhundert eine „Überfüllungskrise“. Wie damals üblich erwarb nur ein kleiner Teil der Studenten einen Abschluß, für die feinsten ging es beim Universitätsbesuch vielfach um das Teilstück einer längeren Bildungsreise. Auch im studentischen Leben war die Spanne zwischen den Extremen groß. Einerseits lebten diejenigen, die mit einem kleinen Stipendium auskommen mußten, um Pfarrer zu werden, durchaus kaserniert, andererseits war gerade Gießen für ungezügelte Ausschreitungen bekannt. Weil die Universität an einer möglichst großen Zahl von Studenten vital interessiert war, verhielt sie sich großzügiger, als manche Kritiker für richtig hielten. Die Zahl der Lehrstühle schwankte geringfügig um zwanzig, die Hälfte davon gehörte der Artistenfakultät an. Unterrichtssprache der Vorlesungen, Disputationen und Repetitionen war bis in das 18. Jahrhundert im Normalfall das Lateinische. In den Vorlesungen wurden in der Hauptsache maßgebliche Lehrbücher durchgenommen und kommentiert – Autoritäten des ganzen zivilisierten Europa oder mindestens des protestantischen Deutschland. Der allgemein anerkannte
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Wissensbestand wurde weitergegeben. Am wichtigsten war der Wandel nach dem Westfälischen Frieden von 1648 zu Lasten der Vorherrschaft religiös-kirchlicher Themen und zugunsten säkularer, „moderner“ Stoffe. Eine auf selbständige Vernunft gegründete, rationalere Welt entfaltete sich nach und nach, die dann in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts gipfelte. Neues kam vor allem von außerhalb, von Höfen, Akademien und anderen gelehrten Gesellschaften sowie von neuartigen Universitäten wie Halle und Göttingen. Wenn Älteres zurückzubleiben drohte, gab es kaum schon inneruniversitäre Mechanismen, um hier Wandel zu schaffen. Solcher Wandel kam eher vom Hof oder von der Beamtenschaft, was dann wiederum an der Universität als störend empfunden wurde. Vom Darmstädter Hof rührte vor allem das Eindringen des Pietismus7 her, was zu heftigem Streit unter den Theologen führte. Sie verloren an Reputation, während die Juristen weiter aufstiegen. Wesenszüge von Toleranz stellten sich nach und nach ein gegenüber studierenden Juden8, Kalvinisten und Katholiken; Professoren freilich konnten nur glaubensfeste Lutheraner werden. Bemerkenswert ist das Bestreben, eine fünfte, eine Ökonomische Fakultät9 zur neuartigen, realitätsnäheren Ausbildung von Staatsdienern zu schaffen. Die Fakultät blühte von 1778 an nur für wenige Jahre, hinterließ aber ein Erbe für das kommende Jahrhundert. Hier und dort zeigten sich Spuren des Aufbruchs, der an die Seite der kommenden politischen Revolution die Vorboten einer wissenschaftlichen Revolution stellte. Doch gab es auch hindernde Faktoren. Am bedrohlichsten waren die politischen und die Finanzkrisen des Landesstaats, die im 18. Jahrhundert immer gewichtiger statt geringer wurden. So dauerte die um 1700 zu beobachtende relative Erholung der Universität nicht viel länger als eine Generation.
7 Mack, Rüdiger, Pietismus und Frühaufklärung an der Universität Gießen und in Hessen-Darmstadt, Gießen 1984; Dienst, Karl, Johann Jacob Rambach in Gießen (1731–1735), in: MOHG NF 78 (1993), S. 82–102; Bister, Ulrich u. Zeim, Martin (Hg.), Johann Jakob Rambach. Leben-Briefe-Schriften, Gießen Basel 1993; Brecht, Martin (Hg.), Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen acht zehuten. Jahrhundert, Göttingen 1993. 8 Mack, Rüdiger, Judenexamina an der Universität Gießen vor 1800, in: MOHG NF 57 (1972), S. 103–150; Richarz, Monika, Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe, Tübingen 1974. 9 Klippel, Diethelm, Die Ökonomische Fakultät der Ludwigs-Universität Gießen, in: Gießener Universitätsblätter 27 (Dez. 1994), S. 25–35. Vgl. Schlettwein, Johann August, Grundverfassung der neuerrichteten ökonomischen Fakultät auf der Universität Gießen, Marburg und Gießen 1778.
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Was sich bald darauf an Negativem einstellte, wurde durch Kriegsnot noch verstärkt. Die beiden Jahrzehnte zwischen 1790 und 1810 waren Wendezeiten der Gießener und der ganzen deutschen Universitätsgeschichte. Fast die Hälfte der damals bestehenden Hohen Schulen im Reich ist untergegangen, selbst die Institution „Universität“ schien nach französischem Vorbild disponibel zu sein. Hessen-Darmstadt wurde als ohnmächtiges Zwerggebilde in den Strudel der Revolutionskriege gerissen. Doch ging es nicht unter, sondern wurde gleichsam nach oben gespült und war vom Glück begünstigt. Als stark vergrößerter „Mittelstaat“ trat das nunmehrige Großherzogtum in den Deutschen Bund von 1815 ein. Damit waren die Grundlagen geschaffen, die bis 1933 und 1945 gültig blieben. Der neugestaltete Landesstaat bot weiterhin die notwendige Voraussetzung für seine Landesuniversität, nun aber auf breiterer Basis. Schon in der schwersten Zeit, 1798, hatte man – als spätabsolutistische Maßnahme – vorgeschrieben, daß jeder Interessent für den höheren hessischen Staatsdienst von dem dafür notwendigen dreijährigen Studium zwei Jahre in Gießen zubringen müsse. Dies stützte eine auch durch viel äußeres Unglück heruntergekommene Universität in einer vorerst weiterhin ärmlichen Kleinstadt. Es war wie ein Symbolakt der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, daß in den Jahren 1805 bis 1810 die Festungswälle, im Verlauf des heutigen Anlagenrings, niedergelegt wurden. So konnte frische Luft einströmen.
III. Das neunzehnte Jahrhundert Keine zweite Veränderung – auch diejenige der siebziger Jahre unseres Jahrhunderts nicht – war in der deutschen Universitätsgeschichte so tiefgreifend und wirkungsvoll wie der Übergang von der „vorklassischen Universität“ der frühen Neuzeit zur „klassischen Universität“ des 19. und früheren 20. Jahrhunderts. Nur Namen, Zeichen und Titel der akademischen Welt sind dieselben geblieben. Die Frage nach den Ursachen jenes Wandels führt hin zu den neuen Rahmenbedingungen des 19. Jahrhunderts, das die moderne Welt geschaffen hat. Zu den vielen Faktoren, die daran Anteil hatten, zählen das Entstehen der industriellen Gesellschaft und ihrer Folgeprobleme, die neuen Verkehrs- und Kommunikationsmittel, das sich enorm intensivierende politische Leben, aber auch das Auftreten neuer Berufe und die Professionalierung der alten sowie die Entfaltung einer Schicht der akademisch Gebildeten,
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des „Bildungsbürgertums“ gemäß den Idealen des Neuhumanismus. In der klassischen Epoche war die deutsche Universität führend und Vorbild für die Universitäten in der zivilisierten Welt10. Was sich schon im 18. Jahrhundert vorbereitet hatte, wurde nun immer mehr praktiziert und proklamiert: die Einheit von Forschung und Lehre. Professoren und Studierende sollten dem durch methodisches Forschen immer besser zu ergründenden Unbekannten gemeinsam gegenübertreten, die einen das Forschen lehrend, die anderen durch Forschen lernend. Die Lehre sollte und soll auf eigener Forschung der Lehrer beruhen. Nicht mehr auf enzyklopädische Gelehrsamkeit, sondern auf spezialisiertes Suchen und Finden sollte es ankommen. Deren Werkstatt wurde die Universität. Die Hohe Schule der alten Familien ging langsam zu Ende, denn es entstand das „Qualikationsprol“ des modernen Universitätslehrers in der Auslese der Besten aus dem ganzen Sprachgebiet. Ein Wettbewerb der deutschen Staaten um gute Universitäten und um die besten Professoren stellte sich nach und nach ein. Der Professor genoß ein immer mehr wachsendes Prestige. Im Wettbewerb kann man nun ganz allgemein ein Hauptkennzeichen der deutschen Universitäten der Moderne sehen. Energien wurden frei, die sich niemand hatte vorstellen können – das kostbarste Erbe auch für die „nachklassische Universität“ von heute. Das klassische Zeitalter war uneinheitlich. Schon der Übergang zu ihm dauerte umso länger, je kleiner und entlegener eine Universität war. Entlegen war die Ludoviciana gewiß nicht, jedoch blieb sie klein. Weiterhin lag Gießen in der Mitte Deutschlands – und dies umso mehr, als die konfessionellen Schranken und dann auch diejenigen der deutschen Einzelstaatlichkeit allmählich elen. Es war aber schwer, den Weg in die neuen Verhältnisse zu bahnen, schon weil weiterhin drückende
10 Ferber, Christian von, Die Entwicklung des Lehrkörpers der deutschen Universitäten und Hochschulen 1864–1954, Göttingen 1956; Kössler, Franz, Katalog der Dissertationen und Habilitationsschriften der Universität Gießen von 1801–1884, Gießen 1971; Jarausch, Konrad H. (Ed.), The Transformation of Higher Learning 1860–1930, Stuttgart 1983; Baumgarten, Marita, Vom Gelehrten zum Wissenschaftler. Studien zum Lehrkörper einer kleinen Universität am Beispiel der Ludoviciana Gießen (1815–1914), Gießen 1988; Siemann, Wolfram, Chancen und Schranken von Wissenschaftsfreiheit im deutschen Konstitutionalismus 1815–1918, in: Hist. Jahrbuch 107 (1987), S.315–348; Titze, Hartmut, Das Hochschulstudium in Preußen und Deutschland 1820–1944, Göttingen 1987 (Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgesch. I,1); Ders., Wachstum und Differenzierung der deutschen Universitäten 1830–1945, Göttingen 1995 (Handbuch . . . I,2); Ders., Der Akademikerzyklus, Göttingen 1990.
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Geldnot den Kauf von Büchern behinderte oder auch dazu verführte, Examina ungebührlich zu erleichtern. Nun begannen die Universitäten unterschiedliche Rollen in einem einheitlichen System zu spielen, statt jegliche Funktion in ihrer Region zu erfüllen. Klarer umrissen denn je stand eine einheitliche deutsche Kulturlandschaft vor Augen, deren Glanzpunkte die Universitäten sein sollten. Diese selbst nahmen einander fachspezisch-kritisch und als Konkurrenten am Professorenund Studentenmarkt wahr, zugleich aber als Lebens- und Organisationsformen, die gemeinsamer Anstrengung und Interessenvertretung wert schienen. Auf den Märkten regulierten sich Rang und Ansehen jeglicher Hochschule ein. Die Anziehungskraft der Universitätsstadt sowie die Geldmacht des Trägerstaats waren wichtige Kriterien der Unterscheidung. Auch die Kleinen erhielten wie gesagt neue, jeweils spezielle Funktionen. Die Ludoviciana wurde nach und nach eine Durchgangsuniversität für den ganzen Sprachraum. Das heißt: Sie suchte ihre Chance in der Berufung junger Gelehrter von überallher am Anfang von deren Karriere. Von diesen blieben nur einige auf die Dauer; die anderen aber, wenn sie die besten waren, hoben in den Jahren ihrer Anwesenheit das Niveau entscheidend an. Als sich das neue System von Fach zu Fach durchgesetzt hatte, kann man der Universität eine überdurchschnittlich erfolgreiche Berufungspolitik bescheinigen. Dazu trugen immer noch die gute Verkehrslage und späterhin liberale Verhältnisse am Ort und in der Regierung bei und nicht zuletzt der Wandel Gießens zur freundlichen Mittelstadt, in der man gern wohnte. Dieser Wandel war vor dem Ersten Weltkrieg vollendet (1914: 32.000 Einwohner). Gleichwohl blieben die Studentenzahlen klein. Die tausendste Immatrikulation innerhalb eines Semesters konnte nach mancher Frequenzkrise erst 1902 gefeiert werden11; das Pichtstudium der „Landeskinder“ in Gießen war schon 1848 aufgehoben worden. Die Studierenden reproduzierten immer noch im wesentlichen die staatstragenden Gruppen, wie es von Anfang an selbstverständlich gewesen war. Sozialer Aufstieg war möglich, aber selten. Am leichtesten vollzog man ihn nicht rasch, sondern über Generationen hinweg, wenn möglich über sogenannte Plattformberufe. Der Vater wäre demgemäß nach handwerklicher Vorfahrenschaft Volksschullehrer geworden und hätte nun den Sohn
11 Gießener Anzeiger, Fest-Nummer aus Anlaß der Immatrikulation des 1000. Studenten an der Universität Gießen (Pngsten 1902).
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geistes- oder naturwissenschaftliche Fächer für das Lehramt, Theologie oder eine jener „jungen“ Wissenschaften studieren lassen, die für Gießen charakteristisch werden sollten (siehe unten). Noch fühlte man sich von den Nachbarn unbedroht. Erst als Marburg preußisch wurde (1866) und eine Universität in Frankfurt am Main entstand (1914), wuchsen die Sorgen. Die politische Schwäche und zugleich zentrale Lage sowie die unorganische Gestalt des neuen Großherzogtums, das nun mit Mainz und Rheinhessen auch Landesteile von ganz anderer als der „geruhsamen“ binnenhessischen Geschichte enthielt, brachten in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ein eigentümliches Umfeld hervor. Dieses war annähernd ähnlich nur für eine einzige weitere Universität in Deutschland, für Jena. Bei Gießen und Jena handelte es sich tatsächlich um die beiden klassischen politisierten Universitäten des Vormärz. Denn die Frage nach Freiheit und Vaterland stellte sich in Hessen und Thüringen, die jeglichem auswärtigem Interesse offen lagen, anders dar als unter festgefügten Staatsverhältnissen. Obendrein war Frankfurt, die Hauptstadt des Deutschen Bundes, nahe. Demgemäß zeigten sich Professoren und Studenten in verschiedene Lager gespalten. Drei Hochzeiten politischer Erregung gab es in Gießen, die erste von 1809 bis 1819 im Zusammenhang mit der Urburschenschaft, die zweite im Gefolge der französischen Juli-Revolution vor 1830 vor allem in den Jahren 1832 bis 1835 und die dritte im Kontakt mit der deutschen Revolution von 1848/49. Dreimal sind die Neuerer unterlegen, doch wurde auch in solcher Konstellation das politische Bewußtsein der Stadt und des Landes geformt. Die üblichen Formen studentischer Selbstorganisation des 18. Jahrhunderts, die Landsmannschaften und die „Orden“, hatten schon allerhand Unruhe in das vorrevolutionäre Universitätsleben gebracht. Von einem wirklich politischen Akzent wird man aber selbst während des angeblichen Jakobinertums am Ende des Säkulums kaum sprechen. Politisch wurde erst, und zwar zunächst bei den Professoren, das Gegenüber von Franzosenfreundschaft und nationaler Begeisterung. Unter den Studenten wird 1809 eine nationale Opposition erkennbar, an der sich unter anderem zwei bald einschlägig bekannte, recht verschiedene junge Leute beteiligten, Karl Theodor Welcker (1784–1869) und Karl Follen (1795–1840). Follen entstammte einer Führungsfamilie des Landes, Welcker einem Pfarrhaus. Die Universitätsgeschichte verzeichnet in diesen Jahren eine Anzahl schnell wechselnder Vereinigungen von der Lesegesellschaft bis zum Geheimbund. Burschenschaften und Corps (die
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diesen Namen noch nicht trugen) bildeten sich damals als die beiden neuen Hauptformen studentischen Lebens. Beim Wartburgfest im Oktober 1817 nahm eine ansehnliche Gießener Abordnung teil. Am 23. März 1819 ermordete der Jenaer Student Sand, ein Freund und Anhänger Follens, den russischen Staatsrat August von Kotzebue, als Bannerträger der Reaktion. Die Regierungen des Deutschen Bundes schritten nun zu den sogenannten Karlsbader Beschlüssen vom September desselben Jahres, zum bis dahin tiefsten politischen Eingriff in die deutsche Hochschulgeschichte. Auch in Gießen kamen die Bewegungen der Neuerer ans Ende. Die vielumstrittene Gestalt des Gießener Medizinstudenten, Dramatikers und Revolutionärs Georg Büchner (1813–1837) bezeichnet die zweite Phase der politisierten Universität am deutlichsten. Das Hambacher Fest von 1832, abermals mit Gießener Beteiligung, führte zur Verschärfung der Bundesbeschlüsse und zum Abdrängen der Opposition in die Illegalität, in Geheimbünde. Im Jahr 1835 emigrierte Büchner im letzten Augenblick, nachdem er unterwegs, in Darmstadt, in wenigen Wochen sein Drama „Dantons Tod“ niedergeschrieben oder besser wohl vollendet hatte. Er hat wie andere „Demagogen“ Gießen nicht wieder gesehen. Erst die Thronbesteigung König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen (1840) schien wieder eine liberalere Ära zu eröffnen, auch in Hessen. Die dritte Phase der politisierten Universität, die Jahre 1848/49, hatte an der Lahn keine überregionale Bedeutung mehr. Damals hob man den größten Teil der vormärzlichen Disziplinierungsmaßnahmen auf, in Gießen besonders schnell. Erfolglose Reformbestrebungen innerhalb der Universität wurden erstmals von der inzwischen größer gewordenen Gruppe der Extraordinarien und Privatdozenten getragen, deren Lage noch labiler geworden war. Der Republikaner Carl Vogt (1817–1895), Extraordinarius der Zoologie, von den Gießenern in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, Sohn eines liberalen Medizinprofessors und Neffe Karl Follens, war im allerletzten Stadium der Paulskirche noch Reichsverweser. Auch er verschwand in der Emigration12.
12 Haupt, Hermann, Karl Follen und die Gießener Schwarzen, in: MOHG NF 15 (1907), S. 1–156; Krüger, Paul, „Hochverräterische Unternehmungen“ in Studentenschaft und Bürgertum des Vormärz in Oberhessen (–1838), in: MOHG NF 49/50 (1965), S. 73–136; Setter, Jürgen, Kleine Geschichte der Verbindungen in Gießen, Sande 1983; Hardtwig, Wolfgang, Krise der Universität, studentische Reformbewegung (1750–1819) und die Sozialisation der jugendlichen deutschen Bildungsschicht,
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In aller Welt ist das Thema vom wissenschaftlichen 19. Jahrhundert mit dem Namen Justus Liebigs13 (1803–1873, bis 1852 in Gießen) verbunden. Doch ist dieser keineswegs auf moderne Weise Professor geworden. Auch in viel älterer Zeit hätte er exakt denselben Weg nehmen können und hat sich auch später bei weitem nicht ungeteilt nach neuem Stil verhalten, zumal wenn es um Personalfragen ging. Die Übergangszeit war eben lang. Alexander von Humboldt hatte den Sohn der Residenzstadt Darmstadt, der ihm in Paris aufgefallen war, dem Großherzog dringlich empfohlen. So erhielt Liebig 1824 gegen den Willen der Universität ein Extraordinariat. Sein chemisches Laboratorium (unverändert erhalten nun Museum, in der jetzigen Liebigstraße) ist bis heute eine Wallfahrtsstätte der modernen Wissenschaft. Folgende Tatsachenbündel sind bei Liebig besonders wichtig: seine Leistung als genialer Experimentator, der die organische Chemie gleichsam vom Chaos zur Klarheit geführt hat; die umfassende, für Deutschland noch ganz unzeitgemäße Sorge für die Nutzanwendung, auch schon für die industrielle Fertigung chemischer Produkte, zumal zugunsten der wissenschaftlichen Landwirtschaft und der Welternährung; die Indienstnahme des gedruckten Worts als Wissenschaftsmedium in bis dahin ungewohnter Form und das Revolutionieren der akademischen Ausbildung. Die Einheit von Forschung und Lehre zog in das Laboratorium ein und zwar für alle Chemiestudenten, nicht wie bisher nur
in: Gesch. u. Gesellschaft 11 (1985), S. 155–176; Calder III, William M. u. a. (Hg.), Friedrich Gottlieb Welcker, Werk und Wirkung, Stuttgart 1986 (Hermes Einzelschriften 49); Felschow, Eva-Marie, Friedmann, Bernhard, Schnelling, Heiner, Die autobiographischen Schriften Carl Vogts: ein Editionsvorhaben, in: MOHG NF 77 (1992), 175–192; Wettengel, Michael, Wilhelm Liebknecht und die Revolution von 1848/49 in Gießen, ebd. NF 78 (1993), S. 178–186; Haaser, Rolf, Politische Verfolgung und Autodafé auf dem Wartburgfest 1817 aus Gießener Perspektive, ebd. NF 79 (1994), S. 145–193; Strack, Friedrich (Hg.), Evolution des Geistes. Jena um 1800, Stuttgart 1994. Vgl. Jarausch, Konrad H., Students, Society and Politics in Imperial Germany, Princeton N. J. 1982; Felschow, Eva-Marie, Die Revolution von 1848 in Deutschland und in Gießen – Politische Anmerkungen des Chemikers Justus Liebig, in: Gießener Universitätsblätter 28 (1995), S. 23–30. 13 Justus von Liebig zum Gedenken, 12. Mai 1803–18. April 1873 (Gießener Universitätsblätter 6 (1973), Heft 1); vgl. 11 (1978) Heft 2; Moraw, Peter, Humboldt in Gießen, in: Gesch. u. Gesellschaft 10 (1984), S. 47–71; Vorträge des Symposiums „150 Jahre Agrikulturchemie“, Gießen 1990 (Berichte der Justus Liebig-Gesellschaft zu Gießen 1); Felschow, Eva-Marie u. Heuser, Emil (Bearb.), Universität und Ministerium im Vormärz. Justus Liebigs Briefwechsel mit Justin von Linde, Gießen 1992 (Studia Giessensia 3); Moraw, Peter, Liebig in Gießen, in: Speitkamp, Winfried u. Ullmann, Hans Peter (Hg.), Konikt und Reform. Festschrift f. Helmut Berding, Göttingen 1995, S. 216–232.
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für einzelne Begünstigte im handwerklichen Meister-Geselle-Verhältnis. Die Grenzen von Liebigs Tun lagen, was die Hochschulgeschichte betrifft, in seiner Selbstisolierung von der herkömmlichen Universität und in der Isoliertheit seiner Studenten. Chemiker und Adepten der „jungen“ Wissenschaften bildeten als „Barbaren“ zusammen mit den katholischen Theologen benachteiligte Unterklassen im Vergleich zu den Humanisten. Aus der Nähe betrachtet löst sich der scheinbar einheitliche Wandlungsprozeß der Universität hin zur Moderne in zahlreiche Einzelvorgänge auf, die hier nur in knapper Auswahl benannt werden können. Die Ludoviciana wurde bürokratisiert parallel zur Bürokratisierung des Großherzogtums, doch waren die Minister und Beamten im allgemeinen verständnisvoller als die Volksvertreter des jungen Verfassungsstaats. Die bauliche Situation war, da man im Landeshaushalt streng sparte, schlecht oder sehr schlecht, vor allem wenn man sie mit auswärtigen Hochschulen verglich und mit den neuen Ansprüchen der Wissenschaft konfrontierte. Bei den nach und nach unabweislich werdenden „Sachzwängen“ der Apparatefächer und bei den Kliniken begann zögernd die Erneuerung. Sie zog sich über das ganze Jahrhundert hin und schritt erst seit etwa 1875/80 rascher voran. In dem durch seine Gebietserweiterungen konfessionell paritätisch gewordenen und mit einem neuen katholischen Bistum in Mainz ausgestatteten Großherzogtum schien eine Katholische Theologische Fakultät14 notwendig. Sie bestand seit 1830 und zwar zunächst durchaus mit ansehnlichem Erfolg, solange die katholische Kirche selbst dem staatskirchlich aufgeklärten 18. Jahrhundert verhaftet war. Wegen der fehlenden Verankerung im heimischen Milieu war diese Fakultät die erste, in welcher nach modernen Leistungskriterien berufen worden ist – unter maßgeblicher Mithilfe des bedeutenden Ministerialbeamten von Linde. Dann aber fand die Fakultät zugunsten der nach Mainz verlegten Priesterausbildung ein frühes Ende (1851/59), als der neue Bischof Ketteler die Freiheiten von 1848 auch für seine Kirche einforderte und sich dem Ministerpräsidenten Dalwigk überlegen zeigte. Viel deutlicher prägten sich der Geschichte der Ludoviciana die „jungen“ Wissenschaften ein15. Damit wurde nach und nach jene
14
Jendorff, Bernhard u. a. (Hg.), Theologie im Kontext (wie Anm. 4). Außer Anm. 2: 200 Jahre Veterinärmedizin an der Universität Gießen 1777–1977, o. O. o. J. (Gießen 1977); Agrarwissenschaften in Gießen: 1777–1977, Gießen 1977; 15
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ungewöhnliche Vielfalt an Disziplinen geschaffen, die bis heute für die Universität in Gießen charakteristisch ist. Die „jungen“ Wissenschaften hatten großenteils in der Ökonomischen Fakultät des 18. Jahrhunderts gewurzelt und fanden nun die Gunst des Zeitgeistes in neuer Form. So konnte man von der Teilhabe an der inzwischen veralteten RundumAusbildung von Verwaltungsbeamten zur Existenz als eigenständiges Hauptfach übergehen. Dabei war wesentlich, daß sich das arme Großherzogtum mit Ausnahme des Polytechnikums in Darmstadt „Fachhochschulen“ nicht leisten konnte. Stattdessen brachte man alles, was das neue Jahrhundert zu erfordern schien, an der Landesuniversität unter. So kam sie, ohne es recht zu wollen, zu einigen deutschen und Weltrekorden in der Geschichte der „jungen“ Disziplinen. Die Veterinärmedizin wurde nach längerer unsicherer Vorgeschichte (seit 1777) im Jahr 1828 auf eine einigermaßen feste Grundlage gestellt. Vier Jahre später fand die erste in Deutschland registrierte Promotion in diesem Fach statt. Schon 1824 war ein Ordinariat für Forstwissenschaft errichtet worden, das man 1831 mit dem damals geschaffenen Universitätsforstinstitut, dem ältesten der Welt, verband. Nach einer recht ungleichmäßigen Vorgeschichte setzte im Jahr 1835 die kompakte Ausbildung in technischen Fächern ein, die dann 1874 nach Darmstadt abgegeben wurden. Das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts war zusammen mit den Jahren bis 1914 das Zeitalter der bis dahin reichsten Entfaltung der Ludoviciana. Im Bewußtsein der Zeitgenossen vollzog sich damals ein Wandel im Bild der Universität: Vom lästigen Kostgänger wurde sie zum Stolz des Landes, weil die kleinen deutschen Staaten inzwischen kaum mehr anders als so ihre kulturellen Leistungen vorweisen und ihrer Identität dienstbar machen konnten. Das war nicht allzu schwierig, denn die Gebildeten fühlten sich nun ihrer Universität lebenslang verbunden. Die Absolventen waren inzwischen überwiegend „Landeskinder“, während die Lehrenden gemäß den neuen Regeln aus dem ganzen Sprachgebiet berufen worden sind. So hatten sich die Verhältnisse des
Weimann, Hans-Joachim, 200+10 Jahre Forstwissenschaft an der Universität Gießen, in: Gießener Universitätsblätter 21 (1988), S. 79–88; Giese, Christian, Die Entwicklung der Tierheilkunde an der Universität Gießen von den Anfängen bis zum Jahre 1866, Gießen 1985 (Arbeiten zur Geschichte der Medizin in Gießen 6); Wagner, Werner, Johann Georg Pug (1835–1905), Gießen 1987 (Arbeiten . . . 9); Letschert, Gerhard, Friedrich Karl Eichbaum (1852–1901), Gießen 1987 (Arbeiten . . . 10); Noell, Elisabeth, Paul Martin (1861–1937), Gießen 1987, (Arbeiten . . . 11).
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17. und 18. Jahrhunderts in ihr Gegenteil verkehrt. Das 1880 in Kraft gesetzte Organisationsstatut billigte der Universität das höchste Maß an Selbstverwaltung zu, das ihr je beschieden war16. Mit gutem Grund war man sich an der Spitze des Großherzogtums der Loyalität der Anstalt gewiß und konnte sie in den neunziger Jahren im Einklang mit der öffentlichen Meinung mit der größten Ausbauperiode ihrer bisherigen Geschichte belohnen. Es machte dabei keine Schwierigkeiten, daß man sich in Gießen neben der hergebrachten und fortdauernden Zuneigung zum Landesstaat immer mehr auch dem Deutschen Reich verpichtet fühlte. Allenfalls in der guten Gesellschaft der Stadt verspürte man etwas kritisch – wie gegenüber dem in Gießen stationierten Ofzierskorps – den neuen Tatbestand der landsmannschaftlichen, gar preußischnorddeutsch akzentuierten Vielfalt. Gravierender war wenigstens für die gläubigen Protestanten zur gleichen Zeit das Faktum, daß sich die ebenso zusammengesetzte, liberal gesinnte Theologische Fakultät weit von der heimischen Landeskirche entfernte. Das neue Hauptgebäude in der Ludwigstraße, der Hauptachse der Stadterweiterung, wurde 1880 bezogen, der Neubau der Universitätsbibliothek 1902. Seit 1887/92 wuchs das Klinikviertel auf dem Seltersberg17 empor, gegenüber entstanden bald die Gebäude der Veterinärmedizin, seit 1903/06. Das Institut und das Seminar hatten als Organisationsform und Bautypus schon zuvor die Universität zu prägen begonnen. Das allererste war das (Alt-)Philologische Seminar von 1812. Im Jahr 1810 bestanden in Gießen 22 Ordinariate, in Berlin damals 24. Im Jahr 1840 gab es an der Ludoviciana 31 (im deutschen Durchschnitt 32), 1900 dann 43 und 1914 schließlich 50 Ordinariate. Die Gesamtzahl des wissenschaftlichen Personals hat sich in dem Jahrhundert bis 1914 auf 98 Personen vervierfacht. Am schnellsten wuchsen die Philosophische und die Medizinische Fakultät. Daß gleichwohl andere Universitäten viel rascher zunahmen und sich gründlicher modernisierten, bemerkt man erst bei genauem Hinsehen: Die Zahl der (gewöhnlich
16
Satzungen der Universität Gießen, 2 Teile, Gießen 1904. Benedum, Jost, Einhundert Jahre Klinikum auf dem Seltersberg: Gedanken zur Baugeschichte der Medizinischen Fakultät Gießen, in: Gießener Universitätsblätter 20 (1987), Heft 2, S. 15–35. Vgl. Eulner, Hans-Heinz, Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebiets, Stuttgart 1970 (Studien zur Medizingesch. des 19. Jhs. 4) u. Gundel, Hans Georg u. a. (Hg.), Gießener Gelehrte (wie Anm. 2). 17
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an Jahren jüngeren) Nichtordinarien unter den habilitierten Lehrpersonen, das Maß also der Spezialisierung für die folgende Generation, wuchs in Gießen viel langsamer als an den führenden Hochschulen. Theologie und Jurisprudenz wurden nun Fächer wie andere auch. Nicht einmal ein Fünftel der Studentenschaft hörte noch in diesen Führungsdisziplinen von einst. Die Ludoviciana war inzwischen eine Universität der Mediziner und Philosophen geworden. Nahezu vierzig Prozent studierten in den beiden Medizinischen Fakultäten und mehr als vierzig Prozent in der Philosophischen Fakultät, die noch die Geistes-, Natur- und Kameralwissenschaften vereinte. Mehr als ein Viertel der Studenten hatte sich für Fächer entschieden, die zum höheren Lehramt führten – für Disziplinen, die es ein Jahrhundert zuvor häug noch gar nicht gegeben hatte. Stille Revolutionen waren eingetreten, die das Schritthalten der Universität mit den erstaunlichen Wandlungen des Jahrhunderts kundtun. Weitere Modernisierungsvorgänge bei den Studierenden betreffen die Umgruppierung des Verbindungswesens und die Anfänge des Frauenstudiums. Im erstgenannten Bereich beobachtet man das rasche Wachstum „freier“ Vereinigungen der verschiedensten Art und die Zunahme der Zahl nichtorganisierter Studenten. Bei der Datierung der Anfänge des Frauenstudiums darf man diejenigen häug weit zurückliegenden Einzelfälle, in denen der soziale Rang oder die Sozialbeziehungen des Vaters das Geschlecht seines Kindes vergessen machten, nicht beachten. Vom Sommersemester 1900 an gab es individuelle Zulassungen von Hospitantinnen, was freilich angesichts der oft noch unzureichenden Vorbildung Probleme bereitete, 1908 folgte die Gleichberechtigung. Bis 1914 erreichte der Anteil der Gießener Studentinnen nur ein Drittel des Reichsdurchschnitts; die Zahl der Ausländerinnen war hoch18. Hinweise auf die führenden Wissenschaftler der Ludoviciana im 19. Jahrhundert und bis 1914 können nur knapp ausfallen. Für die Naturwissenschaften stehe die spektakulärste Auszeichnung, der Nobelpreis, der nacheinander an die drei Ordinarien der Physik Wilhelm Conrad Röntgen19 (1845–1923), Wilhelm Wien (1864–1928) und Walther Bothe (1891–1957) gefallen ist, jedoch gemäß dem schon erwähnten
18 Huerkamp, Claudia, Frauen, Universitäten und Bildungsbürgertum, in: Siegrist, Hannes (Hg.), Bürgerliche Berufe, Göttingen 1988, S. 200–222 (Kritische Studien zur Geschichtswiss. 80). 19 Speitkamp, Winfried, Wilhelm Conrad Röntgen, Bürger und Forscher, in: Archiv f. Kulturgesch. 75 (1993), S. 123–151.
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Schicksal der Ludoviciana als Durchgangsuniversität sämtlich erst nach ihrer Gießener Zeit. Wichtiger als in der Medizin einzelne Personen hervorzuheben ist der Hinweis auf den fundamentalen Wandel der Kliniken von Armenhäusern zu von allen sozialen Gruppen akzeptierten Heilanstalten, der mit außerordentlichen Fortschritten in der Behandlung einherging20. Der Veterinärmedizin gelang 1914 der Schritt zur eigenen Fakultät. Ihre Verwissenschaftlichung im modernen Sinn, durch Spezialisierung, kann man auf das Jahr 1901 datieren. Die Landwirtschaftswissenschaft, eine andere „junge“ Wissenschaft, sollte auf diesen Akt noch bis 1926 warten. Anders als in den Jahrhunderten zuvor wuchsen nun Theologie, Jurisprudenz, die Geisteswissenschaften und die Wirtschaftswissenschaften als Buchwissenschaften zusammen – im Gegensatz zu den Apparatewissenschaften. Es war eine Revolution, die der naturwissenschaftlichen und der medizinischen nicht nachsteht, als sich alle jene Disziplinen im 19. Jahrhundert als historische verstanden. Unter den Juristen waren besonders bedeutend Rudolf von Jhering21 (1818–1892) und Franz von Liszt (1851–1919). Das Jahr 1878 bezeichnet eine Umwälzung in der Theologie, die die Fakultät zu einer der ersten in Deutschland machte22. Der Kirchenhistoriker Adolf von Harnack (1851–1930), der eine Enkelin Liebigs heiratete, kann in seiner späteren Berliner Zeit als Hauptrepräsentant der wilhelminischen Wissenschaft gelten. Auf die Methode der Bibelexegese dürfte niemand stärker eingewirkt haben als der Alttestamentler Hermann Gunkel (1862–1932). Der Neutestamentler Rudolf Bultmann (1884–1976) war nur kurze Zeit in Gießen. Die Geisteswissenschaften konnten aus Geldmangel nicht so weit aufgefächert werden wie an den größeren Universitäten, nicht einmal so weit wie im preußisch gewordenen Marburg. Fast alle Fächer wiesen jedoch wenigstens für kurze Jahre hervorragende Namen auf,
20 Außer wie Anm. 2 Handrack, Christoph, Georg Friedrich Wilhelm Balser (1780–1846), Gießen 1979 (Arbeiten zur Geschichte der Medizin in Gießen 2); Maaß, Christian, Johann Bernhard Wilbrand (1779–1846), Gießen 1994 (Arbeiten . . . 19), Wolff, Claudia, Georg Gaffky (1850–1918), Gießen 1992 (Arbeiten . . . 13); Krumholz, Werner, Eugen Waldemar Bostroem (1850–1928), Gießen 1983 (Arbeiten . . . 8). 21 Behrends, Okko (Hg.), Rudolf von Jhering, Beiträge und Zeugnisse, Göttingen 1992. 22 Stade, Bernhard, Die Reorganisation der theologischen Fakultät in Gießen in den Jahren 1878 bis 1882, Gießen 1894; von Loewenich, Walter, Adolf von Harnack – Liberale Theologie als Anfrage an die Gegenwart, in: Gießener Universitätsblätter 12 (1979), Heft 1, S. 44–54. Vgl. Gundel, Hans Georg u. a. (Hg.), Gießener Gelehrte (wie Anm. 2).
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wie zum Beispiel die Altphilologen Richard Reitzenstein (1861–1931) und Eduard Schwartz (1858–1940). Ein weitbekannter Germanist war Otto Behaghel23 (1854–1936).
4. Das Zeitalter der Weltkriege Von der Epoche der beiden Weltkriege ist die Geschichte der LudwigsUniversität viel intensiver betroffen worden als von jeglichen politischmilitärischen Ereignissen zuvor, die zumeist recht punktueller Natur gewesen sind. Neben den direkten Einwirkungen standen indirekte, die mit der sich beschleunigenden Umgestaltung der politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse verknüpft waren. Die Schwachstellen der Universität, der Region und des Trägerlandes wurden unbarmherzig ans Licht gezerrt. Durch den Ersten Weltkrieg24 entstand eine innenpolitische Ausnahmesituation von unvermutet langer Dauer. Die allgemeine Wehrpicht band drei Viertel der Studenten an sich. Die Zahl der Kriegstoten war außerordentlich hoch, insgesamt sind 321 Männer gefallen. Die Fortsetzung des Lehrbetriebs bereitete große Probleme. Ernährungssorgen und Kohlemangel kennzeichneten das Leben. Eine schwere Last trugen die Kliniken. In der veränderten Lage konnten Frauen nicht mehr nur akademische Prüfungen, sondern auch das Staatsexamen für das höhere Lehramt ablegen (seit 1915). Soziale Veränderungen bei den Studierenden hielten sich aber noch in engen Grenzen. Die publizistische Betätigung der Professoren, die der Politik inzwischen fast gänzlich entwöhnt waren, zeigt, daß vielen der Sinn dafür fehlte, was vernünftig und realistisch war. Es trat wie anderswo eine Spaltung in „Annexionisten“ und Gemäßigte ein, die in die Nachkriegszeit hineinwirkte. Im ganzen lebte die Universität von der Substanz und mußte sich nach neuen Kraftquellen umsehen. So trat am 21. Februar 1918 die Gießener Hochschulgesellschaft nach dem Vorbild anderer
23 Olt, Reinhard u. Ramge, Hans, „Außenseiter“: Otto Behaghel, ein eitel Hirngespinst und der Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft u. Linguistik 53/54 (1984), S. 194–223. Vgl. Gundel, Hans Georg u. a. (Hg.), Gießener Gelehrte (wie Anm. 2), auch Rieger, Dietmar, Johann Valentin Adrian, Universitätsprofessor und „homme de lettres“, Bonn 1993 (Abh. z. Sprache u. Lit. 60). 24 Anderhub, Andreas, Das Antoniterkreuz in Eisen. Zur Geschichte der Universität Gießen während des Ersten Weltkriegs, Gießen 1979.
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regionaler Fördereinrichtungen ins Leben25. Schon zuvor hatten benachbarte Firmen die Universität ansehnlich unterstützt. Eine erste Hilfe der Hochschulgesellschaft war der Ankauf eines Hauses nahe beim Hauptgebäude, womit man der unerträglich gewordenen Raumnot abhelfen wollte. Im Volksstaat Hessen, der nach dem verlorenen Krieg die Monarchie ablöste, regierte bis 1933 ein Bündnis aus Sozialdemokratie, dem Zentrum und der Deutschen Demokratischen Partei, also eine „Weimarer Koalition“. Im Jahr 1931 erhielt die NSDAP als fortan stärkste Partei 37 Prozent der Stimmen. Das größte Problem der neuen Republik war ihre unheilbare Finanznot, herbeigeführt zuerst durch die französische Besetzung der steuerkräftigsten Provinz Rheinhessen, dann durch die große Wirtschaftskrise. Eine Zeit der Konsolidierung war kaum vergönnt. Im Rahmen seiner Möglichkeiten hat der Volksstaat in respektabler Weise Universitätspolitik getrieben, der Kulturstaatsgedanke behielt jedenfalls seine Gültigkeit. Man orientierte sich am Bestehenden. Als eine Stütze der neuen Demokratie wird man die Ludoviciana kaum bezeichnen. Schon weil die Weimarer Republik deutlich zentralistischer war als das Kaiserreich, dachte man über die Ludwigs-Universität immer öfter unter dem Aspekt weitreichender Rationalisierung nach. Dabei stellte sich beinahe schon die Existenzfrage, jedenfalls die Frage von Einsparungen. Wohl weil die Zeit, die dem Volksstaat beschieden war, so kurz blieb, geschah außer der einen oder anderen Lehrstuhlaufhebung nichts Gravierendes. Doch war und blieb die Stimmung auch deshalb gedrückt. Diesen Negativa stand als wichtigste positive Neuerung der Ausbau der Wirtschaftswissenschaften26 zum vollgültigen Studiengang gegenüber, vor allem im Wettlauf mit der neuen Universität in Frankfurt. Die Gießener Fachvertreter gewannen ansehnlichen Ruf. Politisch standen sie weit links. Überhaupt dehnte sich nun das Spektrum politischer Meinungen über die ganze Skala des Möglichen. Für die Mehrheit allerdings blieb das Erlebnis von Weltkrieg und Versailles grundlegend:
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Benedum, Jost, 75 Jahre Gießener Hochschulgesellschaft (GHG), in: Gießener Universitätsblätter 27 (Dez. 1994), S. 9–23. 26 Hüther, Michael, Ernst Günther, Friedrich Lenz, Paul Mombert oder der Aufbruch der Gießener Nationalökonomie zur modernen Universitätswissenschaft, in: Gießener Universitätsblätter 22 (1989), Heft 1, S. 77–89. Vgl. Gundel, Hans Georg u. a. (Hg.), Gießener Gelehrte (wie Anm. 2).
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für sie war die Demokratie aus der Niederlage geboren worden, für viele als ein Phänomen des Übergangs, jedoch ohne zu wissen, wohin. Sie blieben im Herzen Monarchisten. Damals stieg das Bildungsbürgertum, dem die meisten Professoren entstammten oder zu dem sie sich bekannten, ökonomisch ab oder löste sich auf 27. Krisenhafter war nur noch die Lage der Studierenden28. Sie kann man die am wenigsten gesicherte soziale Gruppe nennen. Unmittelbar nach Kriegsende stieg die Zahl der Immatrikulationen steil an (1919: 2.446). Der Anteil der Studentinnen schwankte zwischen fünf und siesen Prozent und lag unter dem Reichsdurchschnitt. Das Beschäftigungssystem war dem Ansturm der Absolventen bei weitem nicht gewachsen. Mittelstand und Kleinbürgertum, denen die Studierenden nun zumeist entstammten, hatten unter Krieg und Nachkriegszeit am meisten gelitten. Die modernen Instrumente der Fürsorge, Studentenheim, Mensabetrieb, Gesundheitspege, Werkarbeit wurden im Rahmen des Möglichen entwickelt. Aber sie genügten offenkundig nicht. Nach einer Spätblüte des Verbindungswesens lag der Weg in Richtung auf weit rechts am nächsten. Für die Kammer der Studierenden wurde bis zum Wintersemester 1928/29 stets nur eine Liste, diejenige der Korporationen, angeboten. Im Jahr 1929 kam der Durchbruch zur Politisierung. Die den Parteien entsprechenden Hochschulgruppen konstituierten sich. Bei den Wahlen von 1931 gewannen die Nationalsozialisten die Mehrheit, wie in neun anderen Studentenvertretungen im Reich. Die Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 hat auch das Schicksal der Ludoviciana entscheidend bestimmt. Schon in den Jahren 1933/35 wurde der Bruch mit der landesstaatlichen Verankerung vollzogen, das Grundgesetz von 1607 zerrissen. Die Hoheitsrechte der Länder gingen auf das Reich über. Der scharfe Wind der offenen Konkurrenz traf die Universität unter ungünstigen und sich noch ständig verschlechternden Rahmenbedingungen29. 27 Döring, Herbert, Der Weimarer Kreis, Frankfurt a. M. 1975; Töpner, Kurt, Gelehrte Politiker und politisierte Gelehrte, Göttingen 1970; Chroust, Peter, Gießener Universität und Faschismus. Studenten und Hochschullehrer 1918–1945, 2 Bde., Münster/New York 1994. 28 Kater, Michael H., Studentenschaft und Rechtsradikalismus in Deutschland 1918–1933, Hamburg 1975 (Hist. Perspektiven 1); Anderhub, Andreas, Die Gießener Studenten in der Schlußphase der Weimarer Republik, in: MOHG NF 65 (1980), s. 87–113; Gissel, Norbert, Vom Burschenturnen zur Wissenschaft der Körperkultur, Gießen 1995 (Studia Giessensia 5). 29 Frontabschnitt Hochschule. Die Gießener Universität im Nationalsozialismus, Gießen 1982; Jakobi, Helga u. a., Äskulap und Hakenkreuz. Zur Geschichte der
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Ein Gemisch aus Begeisterung, Illusion, Bangigkeit und Ablehnung, das vielfach auch anderswoher bekannt ist, kennzeichnete die Lage am Anfang. Als Grundauffassung der meisten wird man eine rechtskonservative Haltung voraussetzen dürfen. Keiner der wenigen ernsthaften Parteiaktivisten hatte einen wissenschaftlichen Namen. Die Universitätsangehörigen insgesamt verhielten sich im Durchschnitt kaum anders als Mitglieder irgendeiner anderen relativ ausgesetzten Berufsgruppe. Was auf einfache Urteile in dieser oder in jener Richtung zu verzichten rät, ist der Tatbestand, daß ohne partielle Teilhabe beruiche Existenz und später womöglich partielle Resistenz nicht möglich schien. Nicht selten waren Bespitzelung, üble Nachrede und Denunziation und weitere Versuchungen, vor denen glücklichere Zeiten ohne ihr Verdienst bewahrt geblieben sind. Im Vergleich mit anderen deutschen Universitäten trat die Ludoviciana nicht besonders hervor. Eine breite parteigebundene Elite stand nirgendwo bereit, so daß man sich am Ende auf allen Seiten mit den gegebenen Verhältnissen arrangierte. Die anfängliche Suggestion durch Aufmärsche und Kundgebungen verlor rasch ihre Kraft. Das Reichsgesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 beraubte diejenigen Hochschullehrer30 ihres Amtes, die jüdischer Abstammung waren oder nun als politisch unzuverlässig galten. Davon ist für die beamteten Professoren in Gießen nur die Philosophische Fakultät betroffen worden, diese jedoch schwer. Es verloren ihre Position sieben Ordinarien und planmäßige Extraordinarien. Dazu sind hinzuzunehmen einige Grenzfälle beim Ausscheiden durch Emeritierung, die zum Teil unfreiwillig, zum Teil in gewohnter Weise vonstatten ging. Jüdischer Abstammung war beispielsweise die Archäologin Margarete Bieber (1879 –1978); der Germanist Karl Viëtor (1892–1951) emigrierte, ehe er wegen seiner jüdischen Frau den Dienst hätte verlassen müssen. Zwölf nichtplanmäßigen Professoren und Privatdozenten aus mehreren Fakultäten wurde die Lehrbefugnis entzogen. Von den
Medizinischen Fakultät in Gießen zwischen 1933–1957, 2. Au. Frankfurt a. M. 1989; Press, Volker, Die Universität Gießen 1933–1957 – Niedergang, Auösung und Wiedergeburt, in: Gießener Universitätsblätter 16 (1983), Heft 2, S. 9–33; Heiber, Helmut, Universität unterm Hakenkreuz, 2 Teile, München usw. 1991/94; Chroust (wie Anm. 26). 30 Vgl. Gundel, Hans Georg u. a. (Hg.), Gießener Gelehrte (wie Anm. 2); Gerstengarbe, Sybille, Die erste Entlassungswelle von Hochschullehrern deutscher Hochschulen aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933, in: Berichte z. Wissenschaftsgesch. 17 (1994), S. 17–39.
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vor der Machtergreifung bestehenden 75 planmäßigen Professorenstellen sind 1933/34 insgesamt zwölf Prozent gewaltsam freigemacht worden. Das entspricht recht genau dem Durchschnittsverlust, den die deutschen Universitäten damals erlitten haben. Aus diesem Grund und wegen des üblichen Generationswechsels sind in den Jahren 1933 und 1934 insgesamt 21 Lehrstühle freigeworden. Dadurch entstand eine in der Universitätsgeschichte äußerst seltene Situation. Diese größte, und wie sich zeigen sollte, einzige Chance des neuem Systems, die Lage an der Ludoviciana radikal zu seinen Gunsten zu verändern, ist aber nicht genutzt worden. Fünf Stellen wurden eingespart. Nur die kleinere Zahl der Neuberufungen kann man nach heutigem Urteil als politisch negativ beeinußt ansehen. Die Mehrzahl der Besetzungen hatte ein wissenschaftlich korrektes oder tolerables Ergebnis. Dasselbe galt für die folgenden zehn Jahre der Diktatur. Die neue Verfassung der Universität von 1933 realisierte das sogenannte Führerprinzip. Der Rektor als „Führer der Landesuniversität“ wurde zunächst vom Reichsstatthalter in Hessen und später vom Reichserziehungsminister auf unbestimmte Zeit ernannt. Ihm elen auch die Befugnisse des bisherigen Senats, des Kanzlers und des Verwaltungsausschusses zu. Ein Senat neuer Art von wechselnder Zusammensetzung hatte nur beratende Funktion. Beschlüsse und Abstimmungen fanden nicht mehr statt, ebensowenig wie in den Fakultäten, deren Dekane vom Rektor ernannt wurden. Eine Hauptfolge der Veränderungen war die sich immer mehr steigernde Zerrüttung des Universitätsgefüges, zumal alle Regelungen nur vorläug sein sollten. Die Praxis führte zum Rückfall in vormoderne Zustände mit einem großen Anteil „privater“ Abmachungen und unberechenbarer Entscheidungen. Noch bedenklicher war der Dualismus von Staat, sofern man die neue Universitätsverfassung noch staatlich nennen kann, und Partei. Der Dozentenbund war die Organisation der Parteigenossen an der Universität. Die Führer des Dozentenbundes, oft im akademischen Leben Zukurzgekommene, mischten sich in Berufungsfragen ein und suchten den Nachwuchs zu formen. Es konnte zum Konikt über die Frage kommen, ob der Rektor oder der Führer des Dozentenbundes der mächtigste Mann an der Universität sei. Jedenfalls läßt sich an den Realitäten ablesen, wer auf die Dauer belohnt und wer bestraft wurde. Die Stellung der Ordinarien war geschwächt, die der jüngeren Dozenten und der Studierenden gestärkt. Diese waren das eigentliche „revolutionäre“ Potential. Doch galt solches eher für die Friedensjahre als für die Kriegszeit. Sobald man ähnliche Sorgen hatte wie im Ersten Weltkrieg, trat die wissenschaftliche Kompetenz
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wieder nach vorn. Das Jahrzwölft der Hitlerzeit war in vieler Hinsicht kein einheitliches Zeitalter. Manches, was damals geschah, läßt sich sogar als Weiterführung von Entwicklungslinien der Weimarer Zeit verstehen. So setzte sich die Sparpolitik fort und nicht minder die Schrumpfung der Anzahl der Studierenden. Was anderen Universitäten nur schadete, brachte indessen die Ludoviciana in Lebensgefahr. Im Sommer 1939, als gerade noch Friede herrschte, zählte man nur noch 557 Studierende. Im Jahr 1945 war man, was die Zahl der Planstellen für Professoren betraf, wieder beim Stand von 1922 angelangt. Die Theologie schrumpfte enorm zusammen, auch die Zahl der Juristen nahm ab. Hingegen studierte man zu fast sechzis Prozent Medizin und Veterinärmedizin. Es ist kein Zufall, daß seit 1938 nur noch Mediziner Rektoren waren. Auch ein Teil der Naturwissenschaften wurde fast wie in vormoderner Zeit zu Hilfswissenschaften der Medizin. Aus der Kriegszeit existieren keine präzisen Zahlen, doch kann man schätzen, daß gegen achtzig Prozent der Studierenden schon damals diejenigen Fächer gewählt haben, die dann in der 1946 verbleibenden Hochschule und Akademie vertreten waren. Nur einen kurzen Anstieg der Studentenzahlen brachte die Zuwanderung aus den zuerst zerstörten Großstadtuniversitäten mit sich. Im Studienbetrieb kehrten Phänomene wieder, wie sie schon der Erste Weltkrieg mit sich gebracht hatte, so die Arbeit in kleinen Zirkeln mit immer persönlicher werdender Atmosphäre. Der Theologie und den Geisteswissenschaften ging es am schlechtesten. Der Kirchenkampf, den die Theologische Fakultät zusammen mit Teilen der Landeskirche ausfocht, stellt das wichtigste Zeugnis überindividuellen Widerstandes an der Ludoviciana dar. Auch hier hatte man zunächst Illusionen gehegt, so auch der Rektor von 1933, der bekannte Lutherforscher Heinrich Bornkamm (1901–1977). Bald aber wandte man sich gegen den Reichsbischof Müller und entsprechende landeskirchliche Größen. Die Antwort der Partei war die personelle und skalische „Austrocknung“ der Fakultät, so daß sie am Kriegsende fast erloschen war31. Bei den Geisteswissenschaften wurde am meisten
31 Hofmann, Martin u. a. (Hg.), Dokumentation zum Kirchenkampf in Hessen und Nassau, in: Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung 25–36 (1974–1985); Selge, Kurt-Victor, Heinrich Bornkamm (1901–1977) als Kirchenhistoriker und Zeitgenosse, in: Heidelberger Jahrbücher 23 (1979), S. 101–122; Steitz, Heinrich, Geschichte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Bd. 1–5, Marburg 1961–77; Meier, Kurt, Die Theologischen Fakultäten im Dritten Reich, Berlin New York 1996.
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gespart, durch Abbau und Herabstufung von Lehrstühlen und durch die geradezu systematisch betriebene Ernennung von Lehrstuhlvertretern nur für kurze Zeit, wodurch Kontinuität und Zusammenhalt von Fach und Fakultät großen Schaden nahmen. Niemals war der Personenwechsel größer als in der Hitlerzeit. Naturwissenschaften und Medizin litten unter der Dürftigkeit der Forschungsmittel. Die Forstwissenschaft wurde nach Hannoversch Münden verlegt (1938), was nach Kriegsende nicht mehr rückgängig gemacht worden ist. Besser als zuvor erging es nur zwei bisher eher zurückgesetzten Fächergruppen, der Landwirtschaft und der Veterinärmedizin. An neuen Modefächern brachte es die Ludoviciana im Lehrstuhlrang „nur“ zu einer Professur für Erb- und Rassenforschung, wofür man das Extraordinariat für Geburtshilfe hergab. Durch eine größere Zahl von Sterilisationen gegen den Willen der Betroffenen hat die Universität Schuld auf sich geladen. Daß es in der Epoche der Weltkriege weniger plausibel ist, von großen Wissenschaftlern in Gießen zu reden, hängt nicht nur mit den vielen Krisen und mit einigen Verstrickungen des Zeitalters oder auch damit zusammen, daß weiterhin das akademische Belohnungssystem nicht wenige Erfolgreiche anderswohin führte. Gründe bestehen auch und vor allem in der Veränderung der Wissenschaften selbst. Diese Problematik, die bis heute gültig ist, auch nur in Kürze darzulegen scheint hier nicht am Platz. Allein das Anwachsen der Differenzierung dessen, was man leichthin Wissenschaft nennt, kann in wenigen Sätzen schwerlich skizziert werden. Wie kann man vernünftig vergleichen, was einerseits der einsam arbeitende Philologe am Schreibtisch tut, und andererseits die hierarchisch sehr unterschiedlich zusammengesetzte Forschungsgruppe am Großgerät? Auch die Strukturen der Veröffentlichung von Ergebnissen oder von deren Beachtung wurden immer verschiedener. Immerhin war bis 1945 (und noch eine Generation danach) die ganz persönliche Forschung in höherem Maß als heute das Grundmodell wissenschaftlicher Betätigung. So lassen sich wenigstens einige Rahmenbedingungen solcher Arbeit skizzieren. Jene Rahmenbedingungen waren gerade in Gießen nicht günstig, übrigens auch nicht bei einer Anzahl von Schwesteranstalten. Finanznot und staatliche Pression und die Zunahme problematischer Berufungen oder noch bezeichnender von Hausberufungen waren Hauptursachen. Das wissenschaftlich außergewöhnlich Gute wurde nicht selten zum Glücksfall anstatt zur geplanten Selbstverständlichkeit. Nimmt man alle Zeugnisse zusammen, so kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß für den Fall des „Endsiegs“ das Ende der
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Ludoviciana als vollständige Universität bevorstand. Die Theoretiker des Hochschulwesens in der Partei wollten die Zahl der deutschen Universitäten nach übergreifenden Gesichtspunkten und „rationalisierend“ radikal verringern, wohl um ein Drittel. Aber auch die Niederlage und deren Begleitumstände mußte man fürchten. Das schwerste Unglück in der Geschichte von Stadt und Universität waren die Bombenangriffe vom 6. und 11. Dezember 1944. Sie zerstörten zwei Drittel der Stadt und mehr als die Hälfte der Universität und forderten beinahe eintausend Menschenleben. Besonders schmerzlich war das Schicksal der Kliniken, die fast alle zertrümmert oder schwer beschädigt wurden. In der vernichteten Kinderklinik starben eine Ärztin, 16 Schwestern und 16 Kinder. Gleichwohl wurde der Lehrbetrieb, wenn auch vielfach unter abenteuerlichen Bedingungen, bis zum Semesterende fortgesetzt, mit Auslagerungen in den Vogelsberg und die Wetterau. Vier Wochen später besetzten die Amerikaner die Stadt32.
5. Von 1945 bis zur Gegenwart Der Zusammenbruch des Reiches am 8. Mai 1945 versetzte die Ludwigs-Universität in einen gespenstischen Schwebezustand. Sie war geschlossen, aber nicht aufgehoben. Man konnte nicht studieren, aber Professoren, Institute und Kliniken arbeiteten weiter. Die Frage nach dem nackten Überleben nach der totalen Niederlage im totalen Krieg und nach totaler Diskreditierung war die einzig wichtige. Niemand konnte sich vorstellen, wie schnell die Dinge sich wieder wandeln würden. So waren völlige Hoffnungslosigkeit in der Stadt und deren inselhafte Existenz in einem fast zusammenhanglos gewordenen Land die prägenden Momente. Was nicht zerstört war, schien unbegreiich und verwirrend, jedenfalls für die Glieder der Universität. Der Eindruck, den Gießen auf Besucher machte, ist bis in das Jahr 1948 hinein niederschmetternd gewesen33. Im Vergleich zu den benachbarten Hochschulen in Marburg, Frankfurt am Main und Darmstadt, die später mit Gießen im neu geschaffenen Land Hessen zusammengefaßt wurden, war die Lage in dieser Stadt die objektiv weitaus ungünstigste. 32 Humpfrey, Richard u. a. (Hg.), Der Untergang des alten Gießen, Gießen 1994; dies., Gießen – ein Kriegsende, Gießen 1995. Vgl. die Beiträge im Bd. NF 80 (1995) der MOHG. 33 Vgl. Anm. 31.
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Ohne Wissen davon, was Verantwortliche entscheiden würden, begann man mit der Beseitigung der Trümmer und mit dem Erbetteln von Geldmitteln in der Nachbarschaft. In diesem Milieu war man erfolgreicher als in einem anderen, viel wichtigeren, beim Kontakt zum amerikanischen Universitätsoffizier und bei der Teilhabe an jenen „informellen“ Zirkeln, die erbetene und unerbetene Ratschläge für die Zukunft gaben34. Über diese Zukunft gingen die Meinungen weit auseinander. Verständlicherweise sorgte jeder für sich selbst. Das gelang den anderen hessischen Universitäten von ihren günstigeren Ausgangsbedingungen her besser. Marburg war ähnlich wie Heidelberg unzerstört geblieben und konnte auch von einer gewissen Romantik zehren. Die Unentbehrlichkeit und zentrale Lage von Frankfurt am Main war für jegliche Alternative staatlichen Weiterlebens offenkundig; hier würde man zuerst aufbauen. Die zerstörte Technische Hochschule in Darmstadt war ein Sonderfall. So entbehrte die für Stadt und Universität Gießen so schmerzliche Lösung, die schließlich im Jahr 1946 gefunden wurde, aus größerer Distanz betrachtet nicht der Folgerichtigkeit. Unentbehrlich war an Gießen nur, was keine andere hessische Universität besaß: Landwirtschaft und Veterinärmedizin, da Deutschland vielleicht doch ein Agrarland werden sollte, und wenig gefährdet schien, was für die Bevölkerung lebensnotwendig war, die Kliniken. Ein Grundbestand an Natur- und Wirtschaftswissenschaften mochte diesen Fächern als Basis dienen. Was verlorenzugehen drohte, war zudem meist schon zerrüttet worden. Es verwundert nicht, daß man an die Solidarität der Glücklicheren vergeblich appellierte. Im März 1946 el die Entscheidung gegen die Wiedereröffnung der ganzen Universität, die damit als einzige im Vierzonen-Deutschland unterging. Unabhängig von der Frage, wie sich das Schicksal der Universität im Konkurrenzkampf entschied, vollzog sich ihre Reinigung vom Nationalsozialismus35. Einige der Gießener Aktivisten waren längst vor
34 Heinemann, Manfred (Hg.), Hochschulofziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945–1952, Teil 2: Die US-Zone, Hildesheim 1990; Bernhardt, Markus, Universitäten und Hochschulen im Wiederaufbau (1945–1957), in: Böhme, Klaus u. Mühlhausen, Walter (Hg.), Hessische Streiichter, Frankfurt a. M. 1995, S. 216–226. 35 Bernhardt, Markus, Gießener Professoren zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik, Gießen 1990 (Studia Giessensia 1); Ders., Die Entnazizierung in Gießen am Beispiel der Stadtverwaltung und der Universität (1945–1946), in: MOHG NF 75 (1990), S. 95–130.
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Kriegsende an größere Hochschulen abgewandert, andere sind damals umgekommen oder setzten ihrem Leben ein Ende. Der Umfang der Entlassungen (19 = 16,5 Prozent) hielt sich im üblichen Rahmen. Gerade in der ersten Zeit ging man ohne viel Ansehen der Person schematisch vor. Auch in Gießen zeigen sich berechtigte und absurde Fälle der Entnazizierung. Im ganzen sieht die moderne Forschung die Entnazizierung als gescheitert an, gerade weil sie so hohe, nur eben angesichts der Zeitumstände unrealisierbare Ziele vor sich sah. Es handelte sich juristisch geurteilt um einen Neuanfang, als im Sommersemester 1946 eine „Hochschule für Bodenkultur und Veterinärmedizin“ ins Leben trat, die den Namen Justus Liebigs annahm. Diesen Neuanfang kann man allerdings nur verstehen, wenn man ihn als Fortsetzung begreift – ja noch mehr: Es handelte sich um das erst verdeckte und bald offene nachdrückliche Bestreben, so schnell wie möglich eine vollständige Universität wiederherzustellen. Die Hochschule besaß drei recht verschiedene Fakultäten, die Veterinärmedizin mit acht Lehrstühlen, die schon jahrzehntelang eine Fakultät gebildet hatten; die neu zur Fakultät erhobene Landwirtschaftswissenschaft, die man mit etwas Wirtschaftswissenschaft anreicherte; und sieben naturwissenschaftliche Lehrstühle, die wie die agrarischen aus der Philosophischen Fakultät stammten. Nur die Naturwissenschaften, die zu ihrer Empörung allein Hilfsdienste leisten sollten, funktionierten wirklich, auch weil sie politisch kaum belastet waren. In den beiden anderen Fakultäten hatte eben diese Belastung zu beträchtlichen Lücken geführt. Fast alle Institute waren obendrein zerstört oder beschädigt. Die Überfüllung, die gleichwohl rasch eintrat, ließ dem Ministerium einen strengen Numerus clausus als angebracht erscheinen. Erst die Währungsreform, die dann nach und nach das „Wirtschaftswunder“ mit sich brachte, begann die Zukunft etwas lichter zu gestalten. Währenddessen suchte die Humanmedizin, die man 1946 auf den Status kommunaler Krankenhäuser reduziert hatte, die Zeit gleichsam anzuhalten, bis bessere Jahre kämen. Man hatte die akademischen Strukturen nicht zerstört. Der nach Kriegsende gewählte Dekan führte sein Amt mehr oder weniger weiter und wurde darin auch halbofziell anerkannt. Kurse für ärztliche und fachärztliche Fortbildung halfen von 1949 an einem damals dringenden Bedürfnis ab (bis 1961 ca. 75 mit etwa 5.000 Beteiligten). Der Name „Akademie für medizinische Forschung und Fortbildung“ wurde propagiert und ist 1950 amtlich geworden. Das Hochschulgesetz von 1950, von dem
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sogleich die Rede sein wird, hat die Humanmedizin als vierte Fakultät akzeptiert. Das Land Hessen, sozialdemokratisch regiert, war inzwischen zum Partner der Gießener Hochschuleinrichtungen geworden. Es war eine eigentümliche Partnerschaft. In Wiesbaden war man offenbar von Skepsis gegenüber dem Hochschulwesen insgesamt und dem Gießener im besonderen erfüllt – während die Region sich bald heftig gegen diese Skepsis wandte – und war zugleich interessiert an einem Experimentierfeld in Gießen, auf dem man mit gewissem Recht weniger Widerstand als anderswo vermutete. Das Gesetz zur Errichtung der Justus Liebig-Hochschule vom 11. September 1950 beendete die Phase der Provisorien. Es war wiederum ein Ergebnis zähen Ringens der Interessenten. Die Humanmedizin wurde einbezogen und der Namenszusatz „für Bodenkultur und Veterinärmedizin“ getilgt. Vor allem schuf man eine „Allgemeine Abteilung“ als Vorbotin der noch fehlenden Fakultäten. Die Ungeduld, mit der man das Unglück von 1946 endlich zu tilgen trachtete, wurde immer größer. Die Konzepte waren aber verschieden. So rang man hart darum, ob ein biologischer Schwerpunkt das richtige sei oder ob man zuerst die Geistes- oder die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften erstreben solle. Auch Ideen für eine Universität des deutschen Ostens oder besonders für Frauen wurden vorgebracht. Die Wortführer waren dem Andrang der Studierenden durchaus voraus. Denn die um 1950 erreichte Anzahl von tausend sank 1956/57, kurz bevor die Universität wiederhergestellt wurde, deutlich wieder ab (846). Im Jahr 1950 hat man insgesamt 46 Lehrstühle besessen und 1956 dann 53, darunter erstmals zwei Lehrstühle für Geisteswissenschaften. Die Selbstverwaltung funktionierte nach der Ordnung von 1922, zu der man nach dem Ende der Diktatur wie selbstverständlich zurückgekehrt war. Der Lehrstuhl war weiterhin die Grundeinheit der Hochschule und zwar wegen deren starker Prägung durch die Apparatewissenschaften in besonders intensiver Weise. Hiervon wurde das Gießener „Klima“ nachhaltig bestimmt. Sicherlich hängt auch damit der bemerkenswerte Tatbestand zusammen, daß die Veränderungen von 1970/71 in Gießen über den juristischen Formenwandel hinaus deutlich weniger bewirkt haben als an den anderen hessischen Hochschulen. Wie völlig unvorhersehbar das kommende Zeitalter der großen Zahlen war, das die Menge der Studierenden auf weit mehr als das Zwanzigfache und die Zahl der Professoren fast auf das Zehnfache
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ansteigen lassen würde, verdeutlicht am besten die Baugeschichte36. Man wollte alle Natur- und Geisteswissenschaften in dem Gebäudeviereck zwischen Ludwigstraße, Goethestraße, Stephanstraße und Bismarckstraße aufnehmen. Die Landwirtschaft sollte sich in dem nach langem Ringen für die Universität wiederaufgebauten Zeughaus konzentrieren, Medizin und Veterinärmedizin sollten bleiben, wo sie waren. Als Geburtstagsgeschenk zur 350. Wiederkehr der Universitätsgründung im Jahr 1957 erneuerte das Land Hessen den Status als Universität, die den Namen Liebigs weiterführte. In der jungen bundesdeutschen Hochschulgeschichte markierte dieser Akt fürs erste eine eigentümlich isolierte Zwischenposition. Die Zeit der Nachkriegsgründungen (Mainz, Freie Universität Berlin, Saarbrücken) war längst vorüber, von der neuen großen Gründungswelle (seit Bochum 1961, Regensburg 1962, Konstanz 1964 usw.) ahnte man noch nichts. Tatsächlich war das Jahr 1957 zuerst mehr ein Ergebnis innerhessischer Regionalpolitik, als daß schon mit vollem Bewußtsein reagiert worden wäre auf das, was man die große Ausweitung des bundesdeutschen oder auch europäischen oder gar weltweiten Bildungshandelns nennen könnte. Doch ordnete sich Gießen sehr rasch mit Erfolg, sogar mit großem Erfolg in jene letztgenannte Welle ein, sobald sie kam, ohne doch das stabile Gefüge einzubüßen, das die schon vorausgegangenen Jahre eingezogen hatten. So gesehen kam die Erneuerung der Universität doch zur richtigen Zeit, und in dieser Hinsicht kann die Wiedergründung von 1957 als die letzte in Deutschland gelten, die noch mit allen Konsequenzen dem klassischen Zeitalter der Universitätsgeschichte angehört. Von 1960 an reagierte man, und zwar in recht glücklicher Weise, auf die im Bundesdurchschnitt seit 1954 eingetretene Zunahme der Zahl der Studierenden. Der Weg vom Zwerggebilde zur zweitgrößten hessischen Hochschule begann, obwohl Gießen bei weitem nicht die zweitgrößte hessische Stadt war oder ist. Dies hing fundamental damit zusammen, daß neben dem hessischen Datum von 1957 dasselbe Datum steht für die inzwischen zu einem Markstein der deutschen Universitätsgeschichte gewordenen Empfehlungen des Wissenschaftsrats über den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen. Es war das erste gesamtbundesdeutsche Planungswerk
36 Schmidt, Heinrich, Beitrag zur baulichen Entwicklung der Stadt Gießen zwischen 1919 und 1982, in: MOHG NF 74 (1989), S. 1–353, bes. 90ff.
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großen Stils, das auf die Kultusministerien der Länder beträchtliche Faszination ausübte. Für Gießen hatte diese Planung die weit überproportionale Teilhabe an der zwischen 1960 und 1965 im bundesdeutschen Durchschnitt eingetretenen Verdoppelung des wissenschaftlichen Personals und der entsprechenden Bauausgaben zur Folge37. Es war einer der tiefsten Einschnitte in der nun bald 400jährigen Geschichte einer Universität in Gießen. Erstmals wurde die alte Kleinstaatsbindung mit einem positiven Ergebnis statt in negativer Richtung, wie zur Hitlerzeit, in der ganzen Breite durchbrochen. Die Ausstattung sollte fortan von den arbeitsteilig bewerteten gesamtbundesdeutschen Aufgaben und nicht von den Finanzen des Trägers her deniert werden. Es war ein Zeitalter, das nicht einmal zwanzig Jahre dauern sollte (bis 1973/74), das aber in Gießen auf eine Phase traf, die die größten Zuwachsmöglichkeiten eröffnete, größere als an vielen anderen Plätzen. Für diese Jahre war eines der beiden Fundamentalprobleme der Universität, die von Anfang an bestehende Schwäche des Trägerstaats, gleichsam außer Kraft gesetzt. Gegen das andere erst seit zwei Generationen hervortretende Grundproblem, die eingezwängte hochschulgeographische Lage, mochten die beiden Hauptvorzüge Gießens in die Schranken treten: die weiterhin bestehende günstige Verkehrslage und die wiederherzustellende und auszubauende Vielseitigkeit des Fächerangebots, die in Deutschland kaum ein Gegenstück hat. Die Jahre von 1957/60 bis 1973/74 waren demgemäß in der Universitätsgeschichte die erfolgreichsten. Ein Vergleich des Wintersemesters 1957/58, des ersten der wiederhergestellten Universität, und des Sommersemesters 1970, als die neuen hessischen Universitäts- und Hochschulgesetze in Kraft traten, bietet folgendes Bild: 1957/58 bestanden eine Naturwissenschaftlich-Philosophische Fakultät (11 Ordinariate, 3 Extraordinariate), eine Landwirtschaftliche Fakultät (10/3), eine Veterinärmedizinische Fakultät (9/1) und eine Medizinische Fakultät (16/3). Insgesamt gab es 46 Ordinariate und 10 Extradordinariate. Im Jahr 1970 bestanden demgegenüber
37 Waibel, Wolf-Wilhelm, Die Rechtsprechung auf dem Gebiet des Hochschulrechts seit 1945, Freiburg i. Br. 1966; Stamm, Thomas, Zwischen Staat und Selbstverwaltung. Die deutsche Forschung im Wiederaufbau 1945–1965, Köln 1981; Rebe, Bernd, Hochschulrecht und Hochschulentwicklung zwischen Freiheit der Wissenschaft und heteronomer Funktionalisierung, in: Broda, Christian u. a. (Hg.), Festschrift für Rudolf Wassermann zum sechzigsten Geburtstag, Neuwied 1985, S. 415–428; Oehler, Christoph, Hochschulentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1945, Frankfurt a. M. New York 1989. Vgl. unten Anm. 36.
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190 Ordinariate und 20 Extraordinariate. Statt 165 Personen im Jahr 1957/58 lehrten jetzt insgesamt 620 Personen. Nun gab es eine Rechtsund Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät (28 Ordinariate, 0 Extraordinariate, 0 Wissenschaftliche Räte und Professoren), eine Medizinische Fakultät (39/2/19), eine Veterinärmedizinische Fakultät (20/0/3), eine Philosophische Fakultät (36/0/5), eine Naturwissenschaftliche Fakultät (30/1/16), eine Landwirtschaftliche Fakultät (17/1/16) und eine Abteilung für Erziehungswissenschaften (20/16/1). Im Vergleich zur Endzeit der Ludoviciana (1945) ist 25 Jahre später eine Verdreifachung der Ordinariate festzustellen. Die Fächerverteilung der Studierenden sah im Wintersemester 1971/72 so aus: Man belegte die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften zu 15,6 Prozent, die Geisteswissenschaften zu 14,6 Prozent, die Naturwissenschaften zu 12,5 Prozent, die Agrar-, Haushalts- und Ernährungswissenschaften zu 8,2 Prozent, die Humanmedizin zu 7,9 Prozent und die Veterinärmedizin zu 5,9 Prozent. 33 Prozent studierten im Bereich des Lehramts an Grund-, Haupt- und Realschulen. Der letztgenannte Punkt markierte ein leidenschaftlich umkämpftes Problem, das in eine gänzlich andere Richtung wies als in diejenige der Wiederherstellung und Fortführung einer klassischen Universität. Beügelt vom Standesinteresse der nichtakademischen Lehrer war im Jahr 1961 das Pädagogische Institut in Weilburg als Hochschule für Erziehung in merkwürdig kompromißhafter Form „als jüngere Schwester“ (Kultusminister Schütte) an die Universität Gießen angelehnt worden. Das hessische Hochschulgesetz von 1966 machte aus dieser Hochschule eine Abteilung für Erziehungswissenschaften der Universität. Es fehlte allerdings weiterhin das Promotions- und Habilitationsrecht und damit das entscheidende Merkmal einer Universität. Die völlige Integration mit allen akademischen Rechten kam 1970. Jedesmal hatten alle hessischen Universitäten widersprochen, mußten sich aber dem Willen der Regierungspartei beugen. Dies war ein wichtiges Teilstück eines recht paradoxen Tatbestands, der so lautet: Auch in einem Zeitalter unvergleichlicher und für das Land sehr kostspieliger Entfaltung der Universität war deren Verhältnis zu Hessen bei weitem nicht ungetrübt, also nicht einfach von schrankenloser Dankbarkeit gekennzeichnet. Denn noch in einer zweiten Kernfrage war man gänzlich verschiedener Meinung. Während man in Gießen eine in jeder Hinsicht untadelige Universität werden und sein wollte, suchte das Land die besondere Lage der Hochschule zu nutzen, um dieses Gegenüber zu disziplinieren. Im Gesetz von 1950
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war eine Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht enthalten, so daß die Hochschule strenggenommen kein Vermögen erwerben und keine Stiftung annehmen durfte. Auch dagegen hatten die hessischen Universitäten protestiert. Die Kommission für Hochschulrecht der Westdeutschen Rektorenkonferenz hat, was dann 1957 Gesetz wurde, für verfassungswidrig gehalten. Beide Vorhaltungen blieben ohne Wirkung. Praktisch wurde das Problem vor allem in der Verwaltung. Ein neugebildetes Kuratorium der Universität war gegenüber dem Ministerium weisungsgebunden, vorerst offenbar ein Unikum in der deutschen Hochschulgeschichte in demokratischen Zeiten. Erst die neuen Verfassungen von 1966 und 1970 beseitigten diese Regelung, sie banden nun auch den Kanzler der Universität in die Selbstverwaltung ein. Das Jahrzehnt von 1960 bis 1970 wies zwei ganz verschiedene Hälften auf. Die zweite Hälfte wurde immer bewegter, je weiter die Zeit fortschritt, ja erregt und leidenschaftlich erhitzt. Bis 1965 kann man die Fortsetzung und Konsolidierung der klassischen Ordinarienuniversität konstatieren – auch in den Jahren, als der schnelle Ausbau zu manchen Schwierigkeiten mit dem Hochschullehrernachwuchs und noch mehr mit der baulichen Ausstattung geführt hat. Im Jahr 1959 war die neuerbaute Universitätsbibliothek eingeweiht worden. Sie wurde so schnell zu klein, daß schon 1970 mit der Planung eines Neubaus an ganz anderer Stelle begonnen werden mußte. Dieses Gebäude ist 1983 in unmittelbarer Nachbarschaft des Philosophikums I eröffnet worden. Im Jahr 1961 wurde das Zeughaus bezogen, ein äußerlich weitgehend in den schönen Formen des späten 16. Jahrhunderts wiederhergestelltes Bauwerk. Erst 1965/66 ließ man den Plan fallen, in jenem schon benannten Straßenviereck auch noch einen Turm von mehr als hundert Meter Höhe für die Philosophische Fakultät zu errichten, nachdem das Baugelände [„Osswalds Wiese“] schon dafür vorbereitet worden war. Nun el an die Philosophen das Gelände im Klingelbachtal, das ursprünglich für die Landwirtschaft vorgesehen worden war. Fünf Jahre später (1971/72) konnte man dort in zweckmäßige Gebäude einziehen. Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften rückten nach und nach in den von der Hochschule für Erziehung freigemachten campusartigen Bereich an der Licher Straße ein. Im Jahr 1957 zogen die Physikalischen Institute in Neubauten am Heinrich-Buff-Ring um, 1976 die chemischen Institute in ihr neues Heim. Das Mensaproblem ist 1975 gelöst worden, nur Teillösungen fand die Wohnheimfrage für
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die Studierenden. Der Betriebsbeginn des seitdem mehrfach neu ausgerüsteten Hochschulrechenzentrums lag 1979/80. Der Wiederaufbau oder Neuaufbau allein bis 1971 nahm Summen in Anspruch, deren Größe in älteren Phasen der Universitätsgeschichte – selbst bei Beachtung des Kaufkraftschwunds – gänzlich unvorstellbar gewesen wäre. Erst der moderne „intensive“ Staat hat solches möglich gemacht. Von 1957 bis 1971 ist an der Universität mehr als eine halbe Milliarde DM verbaut worden, bis 1976 nochmals eine Viertelmilliarde DM. Danach elen die Bauausgaben steil ab. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre, als sich eine weltweite Unruhe der Studierenden auch den deutschen Universitäten näherte, wurden fast in jedem Jahr kurzlebige Satzungsänderungen vorgenommen oder wenigstens beraten. Erst ein Vergleich könnte zeigen, ob dies in Gießen öfter und intensiver geschah als an Anstalten mit ungebrochener Geschichte. Seit 1959 waren die Universitäten beunruhigt durch die Arbeit an einem hessischen Hochschulgesetz, dem ersten in einer langen Reihe solcher Gesetze der deutschen Länder. Es trat 1966 gegen den Willen aller hessischen Hochschulen in Kraft. Seine Geltungsdauer war sehr kurz, aber es hatte Signalwirkung. Die 1966 aus den USA in Berlin eintreffenden, 1967 über Berlin hinaus wirkenden Polarisierungen und Politisierungen der Studentenschaft breiteten sich wieder ein Jahr später nach Gießen aus. Mit außerordentlicher Geschwindigkeit wechselten und veralteten Schlagworte und Parolen. Im Jahr 1969 endeten die meisten militanten Aktionen, die ohnehin von deutlich geringerem Gewicht gewesen sind als an den beiden Nachbaruniversitäten. Eine weit links stehende Gruppe Frankfurter Professoren, der der damalige hessische Kultusminister angehörte, propagierte währenddessen die These, die Universität sei als Koniktlage zwischen Gruppen aufzufassen und durch den „Abbau von Herrschaft“ zu demokratisieren; die Aufgabe der Forschung und Lehre stellte sich demgegenüber als von geringerem Rang dar. Jener Demokratie fehlte allerdings das Volk. Denn keiner der Reformer dachte daran, die „elitäre“ Grundsituation der Hochschulglieder aufzubrechen und womöglich die Steuerzahler als die Geldgeber miteinzubeziehen. So sollte die Rolle des „Souveräns“ nicht viel später annähernd dem Ministerium zufallen. Die radikalen Elemente jenes „Abbaus“ im Gesetz von 1970 sind gerichtlich bald als verfassungswidrig aufgehoben worden. Insoweit sind die Reformer gescheitert, schon weil sich die grundlegenden Funktions- und Kompetenzunterschiede von Lehrenden und Lernenden nicht beseitigen
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ließen. Der Grundgedanke jedoch, die sogenannte Gruppenuniversität, blieb bestehen38. Es ist bemerkenswert, daß ein Experiment, vor dem so viele warnten, hat unternommen werden können. Viel Menschliches nahm an der Universität Schaden, und ein tiefgreifender, lange Zeit nachwirkender Ansehensverlust der hessischen Universitäten in der deutschen und außerdeutschen Öffentlichkeit ist eingetreten. Vertrauenskrisen in allen Richtungen kennzeichneten die Folgezeit. Was von der hessischen Gesetzgebung bestehen blieb, ist dazu angetan, einen tiefen Einschnitt in der Gießener Universitätsgeschichte mitzubegründen. Indessen waren es diese und parallele Neuerungen nicht allein, die es notwendig machen, die in der zweiten Nachkriegszeit zunächst wiederhergestellte „klassische Universität“ in Hessen, und bald danach nicht anders in der ganzen damaligen Bundesrepublik, durch eine „nachklassische Universität“ abgelöst zu sehen39. Wichtiger war der Tatbestand, daß nun die moderne Welt in ihrer Gestalt als Massengesellschaft auf die Hochschulen ausgriff und diese ihren „Gesetzen“
38 Bilanz einer Reform. Denkschrift zum 450 jährigen Bestehen der Philipps-Universität zu Marburg, Bad Godesberg 1977; Thieme, Werner, Deutsches Hochschulrecht, 2. Au. Köln 1986 (vgl. dazu Meinhard Schröder, in: Die Verwaltung 21 (1988), S. 505–512); Neusel, Ayla u. Teichler, Ulrich (Hg.), Hochschulentwicklung seit den sechziger Jahren, Weinheim 1986; Kickartz, Peter, Hochschulrecht, in: Stober, Rolf (Neubearb.), Verwaltungsrecht II, 5. Au. München 1987, S. 174–255; Schreiterer, Ulrich, Politische Steuerung des Hochschulsystems, Neuwied 1989; von Friedeburg, Ludwig, Bildungsreform in Deutschland, Frankfurt a. M. 1989; Peisert, Hansgert u. Framheim, Gerhild, Das Hochschulsystem in der Bundesrepublik Deutschland. Struktur und Entwicklungstendenzen, Bad Honnef 1990; von Hentig, Hartmut, Bilanz der Bildungsreform in der Bundesrepublik Deutschland, in: Neue Sammlung 30 (1990), S. 366–384; Teichler, Ulrich (Hg.), Das Hochschulwesen in der Bundesrepublik Deutschland, Weinheim 1990. 39 Für das letzte Vierteljahrhundert der Gießener Universitätsgeschichte liegen kaum Vorarbeiten vor. Die jüngste Analyse des Professorenmilieus bezieht sich auf das Winterhalbjahr 1966/67, also auf den (wie man noch nicht wissen konnte) Ausklang der „klassischen Universität“: Pross, Helge, Boeticher, Karl W., Laubsch, Landolf, Professoren in der Provinz. Eine Erhebung an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Neuwied Berlin 1970, deren zeitgemäße Wiederholung äußerst erwünscht wäre. Vor allem interessierte man sich seitdem für hochschulgeographische Fragen: Leib, Jürgen, Justus Liebig-Universität, Fachhochschule und Stadt, Gießen 1975, und vor allem Aberle, Gerd, Giese, Ernst und Kaufmann, Lothar, Wechselwirkungen zwischen Hochschule und Region. Fallstudie Justus-Liebig-Universität Gießen, 2 Bde., Gießen 1982. Vgl. Giese, Ernst, Anziehungskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Justus-Liebig-Universität Gießen, in: Gießener Universitätsblätter 19 (1986), Heft 2, S. 53–76. Einblick in die wissenschaftlichen Strukturen der Universität zum Stichjahr 1982 bieten die Selbstdarstellungen der Fächer zum 375 jährigen Jubiläum, in: Gießener Universitätsblätter 15 (1982), Heft 1–3.
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unterwarf. Beide erwähnten Tatbestände, die neue Gesetzgebung und die großen Zahlen, kann man in gewisser Hinsicht parallelisieren. Vor allem tat dieses eine dritte Kraft, die Bürokratie und „Technokratie“. Mit deren Hilfe versuchte das Land, jene Vertrauenskrisen zu bewältigen und zugleich mit den großen Zahlen umzugehen. Viel schwieriger wurde das Mit- und Gegeneinander der Kräfte, als die Konjunkturwende zum Negativen von 1973/74 schicksalhaft hereinbrach. Der Zuwachs der Mittel wurde jäh beendet und schlug bald in Stellenabzüge und Stellensperren um. Zulassungsbeschränkungen und andere Lenkungsmaßnahmen sollten Hilfe bringen. Im Rechenschaftsbericht des Präsidenten von 1975 ist erstmals von einer sich verschärfenden Beschäftigungssituation für die Absolventen die Rede. Das Universitätsgesetz vom 20. Mai 1970 brachte vor allem folgende fortdauernde Veränderungen: An die Stelle des Rektors trat ein auf acht Jahre gewählter Universitätspräsident. Dadurch zeigte die Spitze der Universität nun monarchische statt wie bisher republikanische Wesenszüge und erforderte zugleich ein beträchtliches persönliches Opfer für den erwünschten Fall, daß der Amtsinhaber aus dem Kreis der allerbesten Wissenschaftler der Anstalt stammte. Es war bezeichnend für die Haltung und Leistung der führenden Männer von 1970, die die alten Tugenden auf jeden Fall bewahren wollten, daß der letzte Rektor auch zum ersten Präsidenten gewählt wurde. Es war eine knappe Entscheidung, doch blieb die Mehrheit stabil und hat fünfzehn Jahre lang die Universität getragen, solange die Erinnerung an die große Wende und Krise nachwirkte. Der Präsident leitete und leitet die Verwaltung der Universität und war und ist weisungsbefugt gegenüber dem Kanzler. Nach einer internen Gießener Geschäftsordnung bildete sich ein Präsidium aus dem Präsidenten, dem oder den Vizepräsidenten und dem Kanzler, das faktisch zum Entscheidungskern der Universität wurde. Dem Präsidenten traten nach dem Scheitern oder Auslaufen der einen oder anderen hessischen Besonderheit vier „Gruppen“ von Universitätsangehörigen gegenüber: in der ofziellen Reihenfolge die Professoren, die Studierenden, die wissenschaftlichen Mitarbeiter und die sonstigen Mitarbeiter. Die Universität wurde damit zum Ständestaat, weil eine wirkliche Demokratie mit Entscheidung nach der Kopfzahl auch den kühnsten Reformer erschreckte. Unmöglich war und ist aber die rationale Begründung der Gewichtsverhältnisse unter den Gruppen. So wird die Gruppenuniversität ihrem Wesen nach stets problematisch und labil bleiben. Nicht minder anfechtbar ist die Vorstellung, daß Fach- und
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Institutsinteressen und alles weitere, was „ständeübergreifend“ war und ist, auf einmal nichts mehr gelten sollten. Zunächst erklärte das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 25. Mai 1973 solche Regelungen für nichtig, die bei Entscheidungen über Forschungsfragen und Berufungen keine Professorenmehrheit vorsahen, und unterwarf das Stimmrecht der sonstigen Mitarbeiter starker Beschränkung. Dem mußten sich die hessischen Gesetze anpassen. Doch zögerte man dabei beim umfangreichsten Organ, dem Konvent, bis 1987/88. Der Konvent wählt den Präsidenten, den oder die Vizepräsidenten und die Mitglieder der Ständigen Ausschüsse und soll Grundsatzdiskussionen führen. Jenes Zögern führte in der Praxis zu einem Gewichtsverlust des Konvents. Der Senat, das für Berufungsfragen und Prüfungsordnungen wesentliche Gremium, die Mitte der „klassischen Universität“, sollte geschwächt werden. Der Senat wies und weist fast eine Dreiviertelmehrheit von Professoren auf. Verfassungsrechtlich bedenklich war daran, daß die Dekane der Fachbereiche, „geborene“ Mitglieder des Senats, auch von Nichtprofessoren mitgewählt worden sind. Eine große Zahl der hergebrachten Aufgaben des Senats el an fünf neuartige Ständige Ausschüsse, die mit leichter Modizierung den Regeln der Gruppenuniversität angepaßt wurden. Oft wurde hier der Vorwurf der Doppelarbeit und Umständlichkeit erhoben, doch hat sich der Gesetzgeber nicht zu einem einzigen Hauptausschuß oder Verwaltungsrat durchringen können. Auch die Fakultäten galten als Horte der „klassischen Universität“. Deshalb sollten sie beseitigt werden, anstatt daß man sie in den wenigen Fällen, wo sie in der Tat zu groß geworden waren, geteilt hätte. Die Zerstörung der Philosophischen und der Naturwissenschaftlichen Fakultät (statt dessen neun bzw. fünf Fachbereiche) wurde allgemein als nachteilig empfunden. An die Stelle der Fakultäten traten Fachbereiche, doch ohne daß man der ungleichen Größe dieser Körperschaften hätte Herr werden können: Nach Professoren gerechnet war der größte Fachbereich 18mal so groß wie der kleinste. Einzelne Zusammenlegungen von Fachbereichen seit 1970 waren langwierige Prozeduren und haben am Kern des Problems nichts geändert. Jeder Fachbereich wurde und wird von einem Dekan geleitet, der Fachbereichsrat war im Verhältnis der vier Gruppen ursprünglich wie 7:3:2:1 zusammengesetzt. Inzwischen sind in einzelnen Gesetzesnovellierungen seit 1974 bestimmte Abstimmungsvorteile für die Professoren und Nachteile für andere Gruppen eingeführt worden (zuletzt 1987). Die Versuche, durch gemeinsame Kommissionen benachbarter Fachbereiche gemeinsame Probleme zu
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lösen, erwiesen sich nicht als ermutigend. Auch die Bildung Wissenschaftlicher Zentren, deren Mitglieder zugleich einem Fachbereich angehören, stellte sich als problematisch heraus. Die Sonderstellung der Medizin, ein Grundproblem schon der „klassischen Universität“, hat sich eher noch verstärkt. Denn dort, wo teuere und streng sachbezogene, rasch auch auswärtiger Kritik ausgesetzte Entscheidungen fallen sollten, strebte der Gesetzgeber von der Gruppenuniversität weg. Zuletzt war es dessen Ziel, den Kreis der Professoren aufzusprengen, die mit erdrückender Mehrheit die Neuerungen ablehnten. Zugleich sollten die Lehrkapazitäten ohne viel Geldaufwand vermehrt werden. So schuf das Gesetz von 1970 zusätzlich den sogenannten Hessen-Professor. Dieser verdankte sein Amt nicht einer Berufung von auswärts oder wenigstens – nach der Habilitation – einer längeren erfolgreichen Dozententätigkeit am Ort, sondern einer landesgesetzlichen „Umwandlung“. Die Vorschläge der Fachbereiche waren auch vom Zeitgeist und von den problematischen Eigenschaften dieser neuen Einheiten geprägt. Immerhin hat der Senat in Gießen wesentlich strenger gesiebt als anderswo in Hessen. Gleichwohl sind damals fast siebzig Lehrpersonen ohne Habilitation Professor geworden. Während die Gruppenuniversität mit welchen Paritäten auch immer nach und nach in allen deutschen Ländern Einzug hielt, so daß Hessen gleichsam eingeholt wurde, blieb jene Aktion ein Einzelfall und versehrte das Ansehen der Landesuniversitäten am meisten. Allerdings nahm Gießen den relativ geringsten Schaden. Je schneller Hessen vorauseilte, um so lauter wurde der Ruf nach bundeseinheitlichen Regelungen. Sie machten das Zurückschlagen des Pendels deutlich. Nach dem schon zitierten Grundsatzurteil des Verfassungsgerichts markierte vor allem das Hochschulrahmengesetz des Bundes von 1976 diesen Wandel. Einheitliche Regelungen kamen auch durch Staatsverträge der Länder zustande. Solche Lenkungsmaßnahmen und diejenigen der Landesministerien erreichten in fortgesetzter Steigerung ein Ausmaß wie nie zuvor, das die jüngsten Jahre der Gießener und deutschen Universitätsgeschichte besonders kennzeichnet. Die Spitze der Universität wurde immer mehr zum Vollzugsorgan. Hauptthema beim Land war der Konikt zwischen zuerst stagnierenden und dann schrumpfenden Geldmitteln und der weiter steigenden Zahl der Studierenden. Höhepunkt des Hineinwirkens des Landes in die Universitäten war die sogenannte Kapazitätsverordnung von 1974, die unter dem Anschein der Seriosität fast beliebig manipulierbar und obendrein ohne Expertenhilfe unverständlich war. Der Staatsvertrag der Länder
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von 1972 über eine Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen erwies sich als besonders wichtig. Der Unterschied von beliebten und weniger beliebten Hochschulen (gemäß der Attraktivität von Stadt und Region) wurde damit für wichtige Fächer ausgeglichen. In Gießen, das gemäß der Größe der Universität einen Mittelplatz einnahm (damals den 20. unter 50 Universitäten), waren im Wintersemester 1981/82 45 Prozent der Studierenden in Numerus clausus-Fächern eingeschrieben (Human-und Veterinärmedizin, Psychologie, Biologie). Weil man sich in den neuen, überwiegend enger und daher unter Umständen auch bequemer gewordenen Verfassungsverhältnissen zunehmend einrichtete, verlief die innere Geschichte der Universität recht kontinuierlich. Der Einschnitt des unvermuteten Präsidentenwechsels im Jahr 1986/87 bildete nur scheinbar eine Ausnahme. Im Vergleich zu 1970/71 legte man dabei ein geringeres Maß an politischer Energie an den Tag, eben weil sich ungeachtet eines gewissen Linksrucks wenig zu ändern schien. Die nahezu zyklische Wiederkehr studentischer Unruhe, ein oder das Kernproblem der Gruppenuniversität, wies – etwa 1988 – nicht mehr den Wesenszug prinzipieller Gegnerschaft zum demokratischen Rechtsstaat auf, wie 1968 und danach. Es schien die Einsicht zu wachsen, daß die demokratischen Rechte des Staatsbürgers in erster Linie außerhalb des dem Gemeinwohl in ganz konkreter Funktion, als Leistungsträger durch Forschung und Lehre, dienenden Gliedes „Universität“ auszuüben seien. Zu wünschen übrig ließ noch das Bewußtsein davon, daß die Allgemeinheit für die Studierenden riesige Summen erbrachte, ohne eine kontinuierliche Kontrolle der Leistungen zu fordern – ein international fast einmaliger Vertrauensvorschuß. Immerhin bestanden in Gießen weder die wohl unlösbaren Probleme einer Mammuthochschule noch die wohl ebenso unheilbaren Schwächen einer Zwerganstalt. Ohne Zweifel läßt sich an einer Universität mittlerer Größe am besten studieren und ist das Geld der Steuerzahler am vernünftigsten angelegt. Mit mehr als 22.000 Immatrikulierten im Jahr 1993/94 erreichte die Zahl der Studierenden einen Rekord. Seitdem stagnierte sie. Etwa 7.000 Studierende der Fachhochschulen und mehr als 10.000 Bedienstete aller dieser Anstalten machten aus einer Stadt von nicht einmal 75.000 Einwohnern denjenigen Platz in Deutschland, der vom Hochschulwesen am meisten geprägt wird. Es ist die bemerkenswerteste Eigenschaft Gießens. Hinter recht kontinuierlich wachsenden Zahlen verbargen sich sehr beträchtliche Umschichtungen vor allem auf zwei Feldern, in der sozialen Zusammensetzung der Studentenschaft und in der Anziehungskraft der Studienfächer.
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Die wichtigste Ursache des sozialen Wandels lag außerhalb der Universität: die rasche Vergrößerung der Zahl der Studienberechtigten je Altersjahrgang. Ihr Anteil hat sich seit den fünfziger Jahren – inzwischen mit gut einem Viertel – vervierfacht. Soweit die Berufe und Schulabschlüsse der Väter bekannt sind, war eine Hauptfolge dieses Wachstums die beträchtliche Zunahme des Anteils von Familien ohne ein Studienerlebnis der Eltern. Im Jahr 1979/80 waren 23,4 Prozent der Väter Selbständige, 22,3 Prozent Beamte, 35 Prozent Angestellte, 14,1 Prozent Arbeiter und 4,9 Prozent Sonstige. Damals gab es 43 Prozent Studentinnen. Im Jahr 1994 ist dieser Anteil auf 52,5 Prozent gestiegen. Erstmals in der Hochschulgeschichte kann man von einer Universität für alle sprechen. Der allgemeine sozial-kulturelle Wandel, der in der jüngsten Vergangenheit und in der Gegenwart zu beobachten ist, vollzieht sich an der Universität infolge solcher und anderer Tatbestände beschleunigt, mit tiefgreifenden, wohl noch nicht genug bedachten Folgen. Einer möglichen Niveauminderung im Hinblick auf die Voraussetzungen des Studierens und auf das Studieren selbst mag eine Bereicherung durch mehr Lebensnähe gegenüberstehen. Neue Lebens- und Wohnformen bürgerten sich ein, was durch eine gewisse Entspannung des Gießener Wohnungsmarktes im Vergleich zu den Jahrzehnten davor erleichtert wurde, auch durch eine wenn auch zögernde Verbesserung der Verkehrsverhältnisse im Umland. Private Kleinmilieus gewannen an Gewicht gegenüber dem Großmilieu der Universität, doch wurde dieses immer noch weit mehr geschätzt als die undurchsichtige Welt des sich immer schwieriger gestaltenden Arbeitsmarktes. Alle diese Gründe führten zur Verlängerung des Studiums, wogegen administrative Maßnahmen wenig auszurichten vermochten. Als die Universität halb so groß war wie heute, 1972, studierten 15 Prozent der Immatrikulierten Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften, im Jahr 1994 aber 22,6 Prozent. Noch etwas stärker zugenommen hat nur noch der Anteil der Mediziner von 8,5 auf 13,2 Prozent. Einen Zuwachs verzeichneten auch die Veterinärmedizin von 5,4 auf 7,7 Prozent und die Agrar- sowie Haushalts- und Ernährungswissenschaften von 9 auf 10,7 Prozent. Die stark gefallene Quote der Einstellungen in den Schuldienst zeigt sich in der Abnahme bei den Geisteswissenschaften von 36,9 auf 30,4 Prozent und bei den Naturwissenschaften von 25,2 auf 15,2 Prozent. Hier haben auch Stellenschrumpfungen in der Industrie und Mentalitätsveränderungen eine Rolle gespielt. Ein Lehramt strebten 1994 insgesamt nur noch 16,6 Prozent der Studierenden an, was einen sehr starken Abfall gegenüber der früheren Nachkriegszeit
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mit über 40 Prozent bedeutet; demgegenüber haben die auf den freien Markt strebenden Magisterstudiengänge deutlich zugenommen. Die Universität war bestrebt, langsamer als das Ministerium auf solche Veränderungen zu reagieren, denn nichts ist weniger voraussehbar als das Kommende gerade auf diesem Gebiet. Die zentralen Umverteilungen und die Anziehungskraft spezieller Studiengänge ließen weitaus mehr außerhessische Studierende nach Gießen kommen, als dies im 19. Jahrhundert und in der Zeit der Weltkriege üblich gewesen war. Durch komplexe Forschungen ließ sich nachweisen, daß insgesamt – wie zu erwarten – die Anziehungskraft aller hessischen Hochschulen auf Nichthessen klar nachgelassen hätte, wenn jene zentralen Umverteilungen nicht vorgefallen wären. Von diesen Hochschulen wies Gießen die relativ günstigste Bilanz auf. Vielseitigkeit und eher geringe Turbulenzen waren wohl die Hauptursachen. Im Hinblick auf das Ausschöpfen des Umlandes wurde nun die Justus-Liebig-Universität der Schwester in Frankfurt am Main ähnlicher als der Philippina in Marburg, ein sehr interessanter Wandel wohl aufgrund der modernen Verkehrsverhältnisse. Die studentischen Lebenshaltungskosten in Gießen lagen 1994 fast um zehn Prozent niedriger als im Bundesdurchschnitt. Im Jahr 1975 hatte die Universität den bisher höchsten Stellenbestand ihrer Geschichte erreicht. Seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre mußten mehr als hundert Stellen abgegeben werden, vor allem zugunsten der neuen Gesamthochschule in Kassel. Von 1995 an sollen wegen der Haushaltsschwierigkeiten des Landes innerhalb von fünf Jahren weitere 67 Stellen gestrichen werden. Im letztgenannten Jahr bestanden an der Universität 233 Stellen für C 4-Professoren, früher Ordinarien, und ebensoviele Stellen für C 3- und C 2-Professoren. Die Gesamtzahl der wissenschaftlichen Personalstellen belief sich einschließlich des Klinikums auf 1677,5. Weil das Ministerium kaum gesamthessische Konzeptionen vorlegte, blieb es Sache der Universität, in so schwieriger Lage zu handeln. Die jüngsten Einsparungen dürften vor allem die Agrar- und die Naturwissenschaften belasten. Das rechnerische Verhältnis von Lehrpersonen zu Studierenden gestaltete und gestaltet sich unter solchen Umständen immer ungünstiger. Die Praxis war aber noch deutlich problematischer als die Theorie, denn Geld sollte auch durch zeitweilige Stellensperren und andere Manipulationen erspart werden. So ist die allgemein bekannte Überlast der deutschen Hochschulen auch in Gießen zu einem sich von Tag zu Tag verschärfenden Problem geworden. Seit Jahren stagnierte ebenfalls die Zuweisung an Sachmitteln, ja diese wurden
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jüngst durch das neue Instrument der prozentualen Haushaltssperre (1994–1996 von 6 auf 30% gesteigert) noch deutlich vermindert. Die Universität sah sich gezwungen, von der Substanz zu leben. Auch die zunehmende Belastung mit politisch auferlegten Nebenzielen wirkte sich negativ aus. Nur wenige Neuerungen hellten ein sich verdunkelndes Schicksal auf. Der Erweiterungsbau der Chirurgischen Klinik wurde fertiggestellt und damit das eine zeitlang kontrovers diskutierte Verbleiben der Kliniken auf dem Seltersberg entschieden. Die Zusammenarbeit mit dem Klinikum in Marburg soll beiderseits Einsparungen erbringen. Die wirtschaftlich selbständig geführten Gießener Universitätskliniken sind mit einem Jahresumsatz von zuletzt 560 Millionen DM ökonomisch ungefähr ebenso bedeutsam wie die übrige Universität zusammengenommen. Insgesamt ist diese weiterhin der größte Wirtschaftsfaktor zwischen Frankfurt am Main und Kassel. Der Neubau eines „Interdisziplinären Forschungszentrums für biowissenschaftliche Grundlagen und Umweltsicherung“, seit langem geplant, scheint trotz der Notlage des Landes gesichert (Fertigstellung im Jahr 2000 geplant). Ein „Transferzentrum Mittelhessen“ sollte seit 1992 für die Hochschulen in Gießen und Marburg die Verbindung zur Region festigen und akademisches Wissen wirtschaftlich besser verwertbar machen. Auch weiterhin ist der Berufungs- und Zukunftspolitik das größte Gewicht zuzumessen. Das tagtägliche Inordnunghalten des eigenen Hauses, so notwendig es ist, kann nicht als höchster Wert einer Universität gelten. Es ist das wichtigste Stück Zukunftssicherung, wenn die Universität weiterhin mehr leistet, als ihre Voraussetzungen in Stadt und Regionen erwarten lassen, und zwar auf denjenigen Gebieten, auf die es ankommt, in der Forschung und in der von Forschung getragenen Lehre.
KAPITEL 10
HEIDELBERG: UNIVERSITÄT, HOF UND STADT IM AUSGEHENDEN MITTELALTER
I Die mittelalterliche Universität Heidelberg1 tritt als festgefügte Institution vor Augen, ähnlich wie eine klassische Universität des 19. und 20. Jahrhunderts2. Man kann dafür auf Gründungsurkunden, Würdezeichen, Gebäude und andere Zeugen verweisen3. Gegenüber solchem 1
Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662. Bearb. u. hrsg. von Gustav Toepke. 3 Teile. Heidelberg 1884–1893. – Urkundenbuch der Universität Heidelberg. Hrsg. von Eduard Winkelmann. 2 Bde. Heidelberg 1886 (künftig UB Heidelberg). – August Thorbecke: Geschichte der Universität Heidelberg. I. Die älteste Zeit der Universität Heidelberg 1386–1449. Heidelberg 1886. – Gerhard Ritter: Die Heidelberger Universität. 1. Bd. Das Mittelalter (1386–1508). Heidelberg 1936. – Aus der Geschichte der Universität Heidelberg und ihrer Fakultäten. Hrsg. von Gerhard Hinz. Heidelberg 1961 (Sonderband der Ruperto-Carola). – Hans Krabusch: Die Universität Heidelberg. In: Die Stadt- und die Landkreise Heidelberg und Mannheim. Amtliche Kreisbeschreibung. Bd. II: Die Stadt Heidelberg und die Gemeinden des Landkreises Heidelberg. Karlsruhe 1968. S. 281–330. – Hermann Weisert: Die Verfassung der Universität Heidelberg 1386–1952. Heidelberg 1974 (Heidelberger Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., Abh. 1974, 2). – Hans Krabusch: Das Archiv der Universität Heidelberg. Heidelberger Jbb. 3 (1959) S. 15–47. – Hermann Weisert: Das Universitätsarchiv Heidelberg und seine Bestände. Ruperto Carola Jgg. 25, Heft 52 (1973) S. 21–25. – Unter den ungedruckten Quellen sind die „Annalen“ der Universität als zentrale Aktenserie am wichtigsten: hier 1.–3. Bd. [1386–1410 im Auszug, 1421–1500 komplett]. Die Edition von Bd. 1 und 2 wird im Universitätsarchiv vorbereitet. Von den Fakultätsakten der hier vor allem interessierenden Juristen sind für das 15. Jahrhundert nur kleine Bruchstücke erhalten (das meiste gedruckt in Matrikel Heidelberg 2 S. 500–544 und UB Heidelberg 1 S. 24–30), Herrn Universitätsarchivar Dr. H. Weisert danke ich herzlich für die Erlaubnis zur Einsichtnahme in die fast abgeschlossene Transskription von Bd. 1 der „Annalen“ und für weitere Auskünfte und Hilfen. 2 Zum Begriff der klassischen Universität vgl. Peter Moraw: Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte. In: Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte. Hrsg. von Peter Moraw und Volker Press. Marburg 1982 S. 1–43, bes. 7ff. (Veröff. d. Hist. Komm. f. Hessen 45). 3 Außer Anm. 1 u. a. Paul Zinsmaier: Die älteren Siegel der Universität Heidelberg. Ruperto-Carola 6. Jgg., Heft 15/16 (1954) S. 27–38. – Georg Poensgen: Die Universität im Stadtbild Heidelbergs vor 1700. Ebd. S. 39–46. – Günther W. u. Ingeburg Vorbrodt: Die akademischen Szepter und Stäbe in Europa. Heidelberg 1971 S. 96–100 (Corpus Sceptrorum I). – Walter Paatz: Dass. Heidelberg 1979 S. 254 (Corpus Sceptrorum II). – Vgl. auch Hermann Weisert: Die Rektoren der Ruperto-Carola zu Heidelberg
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Gemeingut der Forschung befaßt sich der folgende Beitrag eher mit Randbereichen und Grenzzonen der Universität, wo Geschlossenheit und einheitliche Zweckbestimmung in Frage gestellt sein könnten. Es handelt sich dabei um das Verhältnis der Universität zum pfalzgräflichen Hof am Beispiel der Legistik und um die Sozialbeziehungen der Rupertina zur Stadt Heidelberg am Beispiel der Studierenden aus der Universitätsstadt. Jedesmal geht es wohl auch um ein Teilstück des unaufhörlichen Ringens des Historikers mit der Versuchung des Anachronismus und der damit verbundenen thematischen Verengung. Von beidem ist gerade die Universitätsgeschichtsschreibung nicht unbedroht geblieben4, neigt sie doch traditionell zur Harmonisierung und Verfestigung ihres Stoffes, tritt gern in den Dienst isolierender Kontinuitätspege und unterschätzt immer wieder das Gewicht äußerer Einüsse. Als Gegenmittel empehlt es sich, die Universität betont in ihre Umwelt hineinzustellen und damit das „horizontale“ gegenüber dem „vertikalen“ Fragen zu bevorzugen; auf Erfolg kann dabei wohl zuerst eine möglichst umfassend verstandene Sozialgeschichte der Universität hoffen5. Am Ende mag jenes Spannungsverhältnis hervortreten, das sich stets einstellt, wenn von Zeitalter zu Zeitalter recht unterschiedliche Funktionen und Verhaltensweisen der Hohen Schule aufgezeigt werden und man gleichwohl am überwölbenden Begriff „Universität“ festhält6. Es ist dasjenige Spannungsverhältnis, das Hochschulgeschichte offen hält und fruchtbar macht.
II Die Universität Heidelberg war wie ihre beiden älteren Schwesteranstalten in Prag und Wien eine fürstliche Gründung und stand im Fürstendienst, zuletzt auch als ein Zeuge des Wettbewerbs der drei und die Dekane ihrer Fakultäten 1386–1968. Heidelberg 1968 (Anlage zur RupertoCarola). Nachträge ebd. Jgg. 30 Heft 61 (1978) S. 92–111. 4 Wie Anm. 2 S. 3f. – Ein gutes Beispiel bietet Alphons Lhotsky: Die Wiener Artistenfakultät 1365–1497. Wien 1965 (Österr. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., Sitzungsber. 247, 2). 5 Peter Moraw: Zur Sozialgeschichte der deutschen Universität im späten Mittelalter. Gießener Universitätsblätter 8, Heft 2 (1975) S. 44–60. 6 Wie hoch man die Kontinuität von Universitätsgeschichte veranschlagt, hängt wohl wesentlich von der vergleichenden Bewertung ihrer drei wichtigsten Dimensionen ab, der (oft beharrenden) institutionellen, der wissenschaftsgeschichtlichen und der (schwankendsten) umweltbezogenen Dimension; dazu wie in Anm. 2. S. 23ff.
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führenden Großdynastien des Reiches, der Häuser Luxemburg, Habsburg und Wittelsbach. Daß vor allem Personen, noch nicht Staaten am Anfang der mitteleuropäischen Universitätsgeschichte standen, zeigen im 14. Jahrhundert das Hinscheiden der Hohen Schulen in Krakau und Fünfkirchen und das Siechtum in Wien, als die Gründer weggestorben waren. Die kleinräumigen Verhältnisse der Kurpfalz und eine die Nachfolger besonders verpichtende dynastische Kontinuität7 haben dazu geführt, daß die Rupertina anders als die Carolina und die Rudolna8 beständig fürstennah geblieben ist, soweit nur die Lebensbedingungen von (land-)adeliger Herrschaft und gelehrter Korporation vereinbar waren. Existenzprobleme gab es demnach in Heidelberg nicht, auf der anderen Seite jedoch entschiedene Aufsicht und Steuerung. Die Universitätsreform von 1452 zum Beispiel war ein klarer Ausdruck fürstlicher Universitätsherrschaft. Demgemäß gab es unter normalen Verhältnissen ein folgsames und in Zweifelsfällen ein höchst zögerndes politisches und kirchliches Handeln der Rupertina, so daß die mehrfach geforderten Loyalitätseide kaum notwendig waren. Das 15. Jahrhundert führte ohnehin zur weiteren Festigung des Territorialstaats und damit zu einer Verringerung des Freiraums der Universität. Dieser war auch am Anfang schwerlich prinzipiell gewährt worden, da schon der Stiftungsakt an sich wie bei mittelalterlichen Kirchengründungen auch ohne viele Worte den höchsten und unanfechtbaren Ausdruck der Herrschaft des Stifters darstellte; stattdessen ist eine möglicherweise größere Bewegungsfreiheit am Beginn vor allem als Folge der anfänglichen Schwächen des Staatswesens aufzufassen9. Aus alledem ergab sich ein gewisses Spannungsverhältnis zu den die Universität neben den Gründungsprivilegien legitimierenden, aus anderen Verhältnissen stammenden institutionellen Formen, wie sie unmittelbar von Paris und Prag her die Rupertina geprägt haben10.
7 Seit dem Testament Ruprechts II. von 1395 wurde die Erhaltung der Universität als Teil der Erbfolgeverpichtungen verstanden (UB Heidelberg 2 Nr. 82, 240). 8 Peter Moraw: Die Juristenuniversität in Prag, verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet (1372–1419). Künftig in: Studium und Gesellschaft im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Hrsg. v. Johannes Fried. Sigmaringen 1983. – Paul Uiblein: Die österreichischen Landesfürsten und die Wiener Universität im Mittelalter. MIÖG 72 (1964) S. 382–408. 9 Meinrad Schaab: Die Festigung der pfälzischen Territorialmacht im 14. Jahrhundert. In: Der Deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert. Hrsg. v. Hans Patze. Bd. 2 Sigmaringen 1971, S. 171–197 (Vortr. u. Forsch. XIV). 10 Ferdinand Seibt: Von Prag bis Rostock. In: Festschrift für Walter Schlesinger. Bd. 1. Köln Wien 1973 S. 406–426 (Mitteldt. Forsch. 74 I).
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Das Medium, durch welches der Fürst seine Existenz verwirklichte, war der Hof. Angesichts der geringen Bedeutung der Stadt, in welcher auch größere kirchliche Institutionen fehlten, war der Hof in Heidelberg gänzlich konkurrenzlos. Am Anfang der Rupertina bot er demgemäß auch die soziale Basis für die aus dem ungastlich gewordenen Frankreich und Böhmen eintreffenden Lehrer; die wichtigsten Ankömmlinge zumindest sind als Familiaren, insbesondere als Hofkleriker („Pfaffen“) eingeordnet worden11. Es richtete sich nicht nur das Interesse des Landesherrn auf die sogleich greifbaren Doktoren viel mehr als auf die recht abstrakte Idee, zum Wohl des Landes die kommende Generation besser auszubilden, sondern eine solche Verankerung schützte auch die junge Universität am besten. Sie wäre auf sich allein gestellt kaum sehr rasch in das öffentliche, d. h. adelig-hösche Bewußtsein einbezogen worden. Selbst unter fürstlicher Hut zeigte sich bald, daß besonders das Zusammenleben junger Leute von Hof, Militär und Universität auf engem Raum problematisch war, von den Städtern ganz abgesehen, die schon als Steuerzahler den privilegierten Universitätsgliedern nicht nur Sympathie entgegenbrachten. Handgreiichkeiten waren ein überall verbreitetes Argument, wobei keinem die Schwäche der pfalzgräichen „Polizeigewalt“ verborgen geblieben sein dürfte. So elen immer wieder mehr oder weniger schwere Konikte vor (1406, 1422, 1426, 1444, 1457, 1499)12, obwohl doch der neue Faktor nicht nur keine Mitherrschaft anstrebte, sondern sich auf Pergamente pochend eher ängstlich verhielt. Gleichwohl wollte man 1422 lieber Studenten und Pfaffen als „Hussen“ erschlagen. Hilfe vom Pfalzgrafen war nur insoweit zu erwarten, als adelig-militärische Interessen oder entsprechende Mentalität es zuließen. Solcher Abstoßung standen indessen ansehnliche Kräfte der Anziehung gegenüber. Verstreute Zeugnisse erlauben die Annahme, daß die ordentlichen Lehrer der höheren Fakultäten, die Doktoren, im ganzen 15. Jahrhundert regelmäßig Familiaren des Pfalzgrafen gewesen sind. Sie wurden demgemäß jährlich mit einem Hofkleid ausgestattet, genossen Immunität, was wirklich einem von ihnen bei einer Ausschreitung das Leben rettete, und wurden zum Hofdienst herangezogen, vor allem –
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UB Heidelberg 1 Nr. 38. UB Heidelberg 2 Nr. 232, 324, 395, 569. Thorbecke S. 39f. – Hermann Heimpel: Ein „Studentenkrieg“ vor 557 Jahren. Georgia Augusta, November 1979, S. 20–33. – Ders.: Die Vener von Gmünd und Straßburg 1162–1447. 3 Bde. Göttingen 1982, hier Bd. 1 S. 384ff. (Veröff. d. Max-Planck-Inst. f. Gesch. 52). 12
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soweit erkennbar – in Gestalt von Berater- und Diplomatentätigkeit13. Im Jahrzehnt zwischen 1400 und 1410 befanden sich – wie sonst nur bei Kaiser Friedrich III. – unter den 107 Räten König Ruprechts neun oder zehn nicht kanzleigebundene Doktoren und Lizentiaten, darunter so bedeutende Namen wie Matthäus von Krakau, Nikolaus Burgmann von St. Goar, Nikolaus Groß von Jauer und Konrad Coler von Soest – alle „Ordinarien“ im Sinne derjenigen hauptamtlichen Anstellung, die das den Kern der Hohen Schule bildende Dutzend von Klerikern bald im Heiliggeiststift genießen sollte14. Während einerseits Professoren im anspruchsvollen Hofdienst auftraten, erschienen andererseits in der zweiten Generation der Universität – als Nachfolger der von auswärts gekommenen Gründergruppen – Söhne von schriftführenden Hofbeamten als Professoren und zwar in vergleichsweise großer Zahl15. Dies ist ein wesentliches Merkmal der für alteuropäische Verhältnisse wohl typischen Einwurzelung einer neugeschaffenen Institution im lokalen Zusammenhang. Solche Stabilisierung im heimischen Milieu war kaum weniger wichtig als die formaljuristische Einrichtung am Anfang. Man wandte das allgemein übliche Verfahren an, der eigenen Familie möglichst viele erreichbare Positionen zu sichern –
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UB Hiedelberg 2 Nr. 202, 556, vgl. Nr. 149. Außer oben Anm. 1 Nicolaus Thoemes: Das Stift der königlichen Kapelle zum Heiligen Geist und die Universität Heidelberg in ihrer Verbindung von 1413. Heidelberg 1886. – Eberhard Zahn: Das Heiliggeiststift und seine Bedeutung für die Universität. Ruperto-Carola 5. Jgg. Heft 11/12 (1953) S. 78–82. – Georg Poensgen: Berühmte Lehrer der Heidelberger Universität aus den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens. Ebd. 7. Jgg. Heft 17 (1955) S. 41–50, 8. Jgg. Heft 19 (1956) S. 18–28. – Eberhard Zahn: Die Heiliggeistkirche zu Heidelberg. Karlsruhe 1960 (Veröff. d. Vereins f. Kirchengesch. in der evang. Landeskirche Badens XIX). – Peter Moraw: Beamtentum und Rat König Ruprechts. ZGO 116 (1968) S. 59–126. – Hermann Weisert: Universität und Heiliggeiststift. Ruperto-Carola Jgg. 32 Heft 64 (1980) S. 55–77, Jgg. 33 Heft 65/66 (1981) S. 72–87. – Zu Friedrich III. vgl. Peter Moraw: Die gelehrten Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493). Künftig in: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates. Hrsg. von Roman Schnur. Berlin 1983. 15 Es handelt sich um die Familien Kirchen, Stein, Vener und W(e)inheim. Zu Vener und Kirchen vgl. unten Anm. 32ff. und 36ff. – Stein (de Lapide): UB Heidelberg 1 S. 472; 2 S. 372. – Matrikel Heidelberg 3 S. 279. – Poensgen 2 S. 27. – Drei Inquisitions-Verfahren aus dem Jahre 1425. Hrsg. und erläutert von Hermann Heimpel. Göttingen 1969 S. 151f. (Veröff. d. Max-Planck-Instituts für Geschichte 24). – Aloys Schmidt, Hermann Heimpel: Winand von Steeg (1371–1453). München 1977 S. 121 (Bayerische Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., Abh. NF 81). – Heimpel: Vener 3 S. 1616. – Weinheim: UB Heidelberg 1 S. 482; 2 S. 385. – Matrikel Heidelberg 3 S. 512. – Peter Moraw: Kanzlei und Kanzleipersonal König Ruprechts. Archiv f. Diplom. 15 (1969) S. 428–531 bes. 472ff. 14
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und vor allem: es gab im schriftführenden Kreis am Hofe um 1400 schon solche Familien, d. h. einen „säkularisierten“ Bereich, früher als an der Kleriker-Universität selbst und vermutlich sogar zum ersten Male in der deutschen Geschichte an einem so wichtigen Platz. Wie auch immer das Verhältnis von Adelsrang und Doktorwürde im Heidelberg des 15. Jahrhunderts beschaffen gewesen war16, mit alledem näherte sich die Doktoren-Universität anderen Graduierten im Hofdienst, die nicht Universitätslehrer mit Pfründe waren, aber diesen deshalb nicht sozial unterlegen, sondern überlegen schienen. Denn der wichtigste Quellpunkt sozialen Ansehens von Doktoren war schwerlich zuerst das „Ordinariat“, sondern die Fürstennähe. Vermutlich suchten gerade die rasch Emporstrebenden den Hofdienst17, und auch der Pfründenerwerb ließ sich bekanntlich auf diesem Wege beschleunigen. Man versteht die Heidelberger Verhältnisse nur dann, wenn man neben die gelehrten Fürstenräte aus der Universität die kaum kleinere Gruppe derjenigen Doktoren und Lizentiaten (der Jurisprudenz) stellt, die eine formal gesehen gleichrangige, jedoch sozial geurteilt öfter höher qualizierte Ausbildung und Graduierung genossen hatten – in Bologna, Padua oder Pavia nämlich statt in Prag oder Heidelberg. Um 1450 sandte der Pfalzgraf seine Günstlinge „auf Staatskosten“ nach Italien, damit sie sich dort statt an der eigenen Universität ausbilden lassen konnten18, während der Bezugsrahmen der Rupertina eher von omnibus aliis antiquis (immerhin dieses) universitatibus tocius Almanie dargestellt wurde (1482)19. Der kurfürstliche Hof war mit dem Ansteigen des juristischen Niveaus auf der politischen Bühne des Reiches anspruchsvoller geworden. Nicht nur Kanonisten wie andere auch, sondern besonders hervorgehobene Doktoren, nämlich Legisten, wollte man vorweisen. Die Hofjuristen waren ebenfalls Familiaren und Räte, auch Protonotare des Königs oder Pfalzgrafen. Außer dem schon erwähnten
16 Hermann Lange: Vom Adel des doctor. In: Das Prol des Juristen in der europäischen Tradition. Symposion aus Anlaß des 70. Geburtstages von Franz Wieacker. Ebelsbach 1980 S. 279–294. – Raimund J. Weber: Noblesse de robe. In: Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 3 (20. Lief. 1981) Sp. 1019–1023. – Heimpel: Vener Bd. 1 S. 196ff. 17 Das beste Beispiel stellt wohl Konrad von Soltau dar. Vgl. Hans-Jürgen Brandt: Universität, Gesellschaft, Politik und Pfründen am Beispiel Konrad von Soltau († 1407). In: Les universités à la n du moyen âge. Hrsg. von Jacques Paquet und Jozef Ijsewijn. Louvain 1978 S. 614–627 (Université catholique de Louvain, Publications de l’Institut d’études médiévales 2e sér. vol. 2). 18 Vgl. unten zu Anm. 41f. 19 UB Heidelberg 1 Nr. 136.
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höherwertigen Studium sprechen weitere Argumente für das größere Ansehen der Hofjuristen gegenüber den Universitätslehrern: das höhere Maß von Fürstennähe oder auch die Nähe zum 1410 wieder luxemburgisch gewordenen Königtum, ein größerer Anteil von Personen adeliger Geburt und die Ehrerbietung, die die Universität den Hofjuristen zollte, wenn sie einmal innerhalb ihrer eine Graduierung vornahmen. Wenigstens am Rande gehörte zu den Hofjuristen König Ruprechts auch der Kanzler selbst, Bischof Raban von Speyer, dessen Adelsqualität in Bologna eine Graduierung unnötig gemacht hatte. Ruprechts Protonotar Job Vener war – damals eine extreme Seltenheit – Doktor beider Rechte, drei Protonotare wiesen das kanonistische Doktorat oder Lizentiat auf, zwei geistliche Räte führten die gleiche Würde. Drei von ihnen waren schon Bischöfe oder sollten es noch werden, einer wurde Kandidat für den päpstlichen Stuhl. Zwar gingen auch aus den zuvor erwähnten zehn „Professoren“-Räten Ruprechts drei Bischöfe hervor, doch waren diese sämtlich Theologen, und auch bei Dompropsteien und Domdekanaten war der Anteil der Höinge größer20. Die eine „Endstation“, das hohe Kirchenamt, war beiden Gruppen gemeinsam. In der anderen aber unterschieden sie sich: Es war die immer noch geistlich geprägte hauptamtliche Pfründen-Professur einerseits und andererseits die am Hofe schon möglich gewordene Laienexistenz mit Familiengründung – ohne Rücksicht auf die in der Studienzeit womöglich erworbenen niederen Weihen. Beide Lebenswege haben am Ende Universitätsgeschichte geformt. Die erste Generation der Heidelberger Universitätslehrer (Ankunft 1386/1388) stammte weit überwiegend und in bemerkenswert großer absoluter Zahl (44 Personen mit artistischem Magisterium oder höherer Graduierung) aus Prag21, zum viel geringeren Teil aus Paris. Von dort kam freilich schon vor den Pragern der Organisator der Neugründung, Marsilius von Inghen. Diesem bekannten Tatbestand ist ein kaum beachteter gegenüberzustellen: Schon die erste Generation bildete das künftige Einzugsgebiet der Neugründung ab, das zunächst ohne Rücksicht auf die bald so erfolgreiche Konkurrenz von Köln (1388) beurteilt werden muß: Es waren Mittelrhein und Niederrhein (samt Westfalen) und größere Teile des Oberrheins und von Mainfranken; es
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Vgl. die Einzelangaben bei Moraw: Beamtentum, und Dems. Kanzlei. Sabine Schumann: Die „nationes“ an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien. Diss. FU Berlin 1974 S. 127ff. – Seibt, bes. S. 413, 421. 21
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war auch ein nicht näher bekannter Magister darunter, der sich wohl schon in Prag nach der Stadt Heidelberg benannt hatte22. Eine solche recht einseitige Auswahl aus dem Prager und Pariser Personalbestand war Ergebnis der Tatsache, daß Herkunftslandschaft und Herkunftsort einen Teil der Existenzbasis des Lehrers bildeten, wie es auch für die Scholaren gelten wird. Heimat- und Schulort korrespondierten verhältnismäßig intensiv miteinander und bildeten zusammen eine „Landschaft“, die das Wesen der Universität von Anfang an beeinußte und deren Veränderungen auch fortan das Schicksal der Hohen Schule mitbestimmten. Hier verhielten sich Doktoren und Scholaren nicht anders als beliebige Hofbeamte. Es gab nicht viele Lehrer der ersten Generation, die nicht Verwandte und Landsleute und damit zum Teil auch Fortsetzer im Kreis der Lehrenden nach sich gezogen haben. Neben Marsilius selbst sind weitere drei Träger des Namens Inghen bekannt, von denen es der eine (Franco) kaum ganz zufällig mehrmals zum Dekan der Artistenfakultät und zum Rektor gebracht hat23. Die allerersten Besucher der neuen Universität kamen fast allein mit Marsilius aus den Niederlanden (wohl großenteils über Paris) oder aus Heidelberg selbst. Klientelbildung durch einen Patron und Begünstigung des eigenen Anhangs dürften ganz normale Vorgänge gewesen sein, die immer wieder auch nach außen in Gestalt gebührenfreier Immatrikulation auf Fürsprache von Universitätslehrern oder durch das Gegenüber von Landsleuten als Lehrer und Schüler bei der Graduierung zum Ausdruck kamen, ebenso wie im Tatbestand, daß Scholaren überdurchschnittlich oft solchen Orten entstammten, in denen Lehrer zu Hause waren24.
22 Joseph Kerkhoff: Einzugsgebiete der Universitäten Heidelberg, Freiburg und Tübingen im Wintersemester 1845/46 und im Wintersemester 1960/61. In: Historischer Atlas von Baden-Württemberg. Erläuterungen IX, 7; 8. Lieferung Stuttgart 1980 (S. 4 mit Karte des Einzugsgebietes von Heidelberg 1395–1400). Der Niederrhein, Westfalen und selbst ein Teil des Mittelrheins gingen bis zum Jahrhundertende an Köln verloren. Matrikel Heidelberg 1 S. 7. Zur Anziehungskraft eines Lehrers vgl. z. B. Wilhelm Hartnack: Wirtschaftsstruktur und Raumbeziehungen Wittgensteins. Westfäl. Forschungen 7 (1953/54) S. 137–174 bes. S. 155f. 23 Matrikel Heidelberg Bd. 3 S. 268. – Weisert: Rektoren S. 9, 74f. 24 Selbst gegenüber dem gern zitierten (extrem seltenen) Beispiel steilen Aufstiegs aus dem Stadium des „pauper“ zu reichsfürstlicher Würde bei Konrad Coler von Soest könnte man anführen, daß schon aus Prag ein Soester Universitätslehrer nach Heidelberg gekommen war, der anfangs – als es am schwierigsten war – etwas geholfen haben mag (Matrikel Heidelberg 1 S. 25, vgl. S. 18).
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Als die erste Generation aus dem Amt schied und damit „normale“ Verhältnisse eintraten, erwies sich der Übergang als weniger schwierig, als man vermuten könnte. Der Personenwechsel erstreckte sich über Jahrzehnte hinweg (Marsilius von Inghen † 1396, Nikolaus von Jauer 1435, Johann van der Noyt 1437, Nikolaus Burgmann 1443; jedoch waren schwerlich alle bis zuletzt aktiv)25. Anhand der Rektoren- und Dekanslisten, der Listen der Pfründeninhaber im Heiliggeiststift und aus anderen Quellen ist für das Folgende vor allem hervorzuheben, daß das zweifelsfrei bestehende Besetzungsrecht des Landesherrn weiterhin gemäß den oben genannten sozialen Regeln ausgeübt worden ist. Es änderte sich nur das Substrat: An die Stelle des Vorwiegens der Exulanten trat das Vorwiegen der werdenden Beamtenfamilien des Landesherrn. Dabei wurde der Herkunftsbereich der Lehrer auf dem Weg in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts hinein zunehmend verkleinert und war schließlich im ganzen enger als der Herkunftsbereich der Studenten. Denn er beschränkte sich immer mehr auf das Territorium und das hegemoniale Umland der Kurpfalz. Besonders in den höheren Fakultäten mit ihrem langen Studium, welches das Berufsziel des Hochschullehrers im Ablauf der Zeit immer wahrscheinlicher machte, schien die soziale Kontrolle durch die künftigen Kollegen dringlich zu sein. Kontinuität und Loyalität waren am ehesten vom jungen Verwandten zu erwarten, den man schon jahrelang gefördert hatte. Am Hofe und anderswo waren vergleichbare Tatbestände eine Selbstverständlichkeit. Auch in Heidelberg trat damit eine Entwicklung zur sozialen Abschließung ein, wie man sie an anderen Universitäten beobachtet hat26. Mit diesen Erörterungen ist der Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen die Heidelberger Legistik vornehmlich des 15. Jahrhunderts erörtert werden kann. In großen Zügen scheint die Geschichte des Fachs in Deutschland und Mitteleuropa bekannt zu sein27. Im Prager und im 25
Lit. wie oben in Anm. 1 und 14. Vgl. z. B. Jacques Verger: Les universités au moyen âge. Paris 1973 S. 176ff. 27 Rudolf Kink: Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien. Bd. I, 1. Wien 1854 S. 98ff. – Joseph Aschbach: Geschichte der Wiener Universität im ersten Jahrhunderte ihres Bestehens. Wien 1865 S. 302ff. – Emil Friedberg: Die Leipziger Juristenfakultät, ihre Doktoren und ihr Heim 1409–1909. Leipzig 1909 bes. S. 4, 19f. – Hermann Keussen: Die alte Universität Köln, Köln 1934 S. 237ff. – Gotthold Bohne: Die juristische Fakultät der alten Kölner Universität in den beiden ersten Jahrhunderten ihres Bestehens. In: Festschrift zur Erinnerung an die Gründung der alten Universität Köln im Jahre 1388. Köln 1938 S. 109–193. – Willibald M. Plöchl: Das Kirchenrecht in der ältesten Studien- und Prüfungsordnung der Wiener Rechtsfakultät. Studia Gratiana 2 26
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Wiener 14. und frühen 15. Jahrhundert war die Juristenfakultät der Sache und öfter auch dem Namen nach eine kanonistische Fakultät. Dasselbe galt auch für Erfurt, Würzburg und Leipzig, wahrend an der Kölner Gründung von 1388 das römische Recht von Anfang an eine beachtenswerte Rolle gespielt haben mag. Hier und anderswo ist indessen wohl kritischer zu verfahren, als die ältere Forschung für notwendig hielt, und ist neben der Bedarfs- und Rangfrage vor allem die Quellenfrage zu beachten; denn weder der legistische Grad eines Lehrers noch Postulate in Privilegien oder Statuten können als ausreichend sicheres Zeichen für einen entsprechenden Lehrbetrieb gelten. Überdies war das Papsttum noch längere Zeit gegenüber dem Zivilrecht skeptisch und blieb mit den das legistische Studium begünstigenden Dispensen sehr sparsam. Auch mit einem kanonistischen Grad konnte man später in der Berufspraxis legistisch tätig werden28. Die ganze Frage bedarf einer vergleichenden neuen Untersuchung, die wohl im Durchschnitt zu einer späteren Datierung führen wird. Im 15. Jahrhundert lassen sich jedenfalls Universitäten unterscheiden, die nach wie vor der Legistik gegenüber ablehnend blieben (Wien),
(1954) S. 565–581. – Winfried Trusen: Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland. Wiesbaden 1962 S. 102ff. (Recht und Gesch. 1). – Guido Kisch: Die Anfänge der Juristischen Fakultät der Universität Basel 1459–1529. Basel 1962 (Studien z. Gesch. d. Wiss. in Basel XV). – Leo Just: Die Juristische Fakultät der alten Universität Mainz. Jb. d. Vereinigung „Freunde der Universität Mainz“ 13 (1964) S. 28–41. – Erich Kleineidam: Universitas studii Erffordensis. Teil 1 Leipzig 1964 S. 297ff., Teil 2 1969 S. 317ff. (Erfurter Theol. Studien 14,22). – Erich Genzmer: Kleriker als Berufsjuristen im späten Mittelalter. In: Etudes d’histoire du droit canonique dédiées à Gabriel Le Bras, vol. 2. Paris 1965 S. 1207–1236. – Helmut Coing: Repertorium und Bibliographie für die deutschen Universitäten bis 1500. Mediolani 1966 (IRMAE II, 7, e, bb). (Hermann Baltl: Repertorium und Bibliographie für die Universität Wien bis 1500. Ebd. II, 7, e, cc. – Charles Lefèbvre: Juges et savants en Europe (13e–16e s.). Ephemerides iuris canonici 22 (1966) S. 76–202; 23 (1967) S. 9–61. – Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. 2. Au. Göttingen 1967 bes. S. 154f. – Karl Konrad Finke: Die Tübinger Juristenfakultät 1477–1534. Tübingen 1972 bes. S. 29f. (Contubernium 2). – Franz Machilek: Zur Geschichte der älteren Universität Würzburg. Würzburger Diözesangeschichtsbll. 34 (1972). S. 157–168. – Helmut Coing: Die Juristische Fakultät und ihr Lehrprogramm. In: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Bd. 1. Hrsg. v. Dems. München 1973 S. 39–128. – Helmut Wolff: Geschichte der Ingolstädter Juristenfakultät 1472–1625. Berlin 1973 (Ludovico Maximilianea Forsch. 5). – Karlheinz Burmeister: Das Studium der Rechte im Zeitalter des Humanismus im deutschen Rechtsbereich. Wiesbaden 1974 passim. – Norbert Horn: Soziale Stellung und Funktion der Berufsjuristen in der Frühzeit der europäischen Rechtswissenschaft. In: Rechtsgeschichte. Hrsg. von Gerhard Dilcher und Norbert Horn, München 1978 S. 125–144 (Sozialwiss. im Studium des Rechts IV). Zu Prag vgl. oben Anm. 8. 28 Moraw: Juristen, wie in Anm. 14 (zu Kaiser Sigismund).
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während sich andere zögernd öffneten (Leipzig), vor allem nach der Mitte des Jahrhunderts, und eine dritte Gruppe auf das neue Fach ihre Hoffnungen setzte (Rostock, Greifswald). Die beiden Grenzpositionen der Heidelberger Legistik, die bisher hervorgehoben wurden, sind einerseits die Tatsache, daß das Privileg Pfalzgraf Ruprechts und der Amtseid der Universitätslehrer (beide 1386) ausdrücklich von beiden Rechten sprachen, und andererseits der Umstand, daß es in gebräuchlicher Weise voll besoldete Legisten bis über die Mitte des 15. Jahrhunderts hinaus nicht gegeben hat29. Eine solche Regelung für einen Doktor und einen Lizentiaten wurde erst durch die Reform von 1452 ermöglicht und drei Jahre später verwirklicht, nachdem sich die Universität 1444 für eine solche Lösung eingesetzt hatte und gar schon 1401 (offenbar an zweiter Stelle nach Köln: vor 1394) ein einschlägiges päpstliches Dispensprivileg angestrebt worden war, wenngleich vergeblich; man erhielt es erst 1469. Ein dritter Lehrstuhl wurde 1498 eingerichtet30. Gleichsam zwischen diesen beiden Grenzpositionen gibt es eine mehr oder weniger brüchige Kette von Einzelbelegen für legistische Aktivitäten an der Rupertina. Die Forschung hat sich angesichts solcher Voraussetzungen recht vage oder auch widersprüchlich geäußert. Vor allem bot sich kein Grundkonzept an, mit dessen Hilfe man die vorgegebenen Daten hätte sinnvoll ordnen und erklären können. Unter diesen Umständen versuchen wir einen neuen Ansatz im Zusammenhang mit der einleitend ausgesprochenen Vermutung, die Historiker könnten sich zu früh für eine institutionalisierende Abgrenzung der Universität entschlossen haben. Es seien daher auch auswärtige Tatbestände einbezogen, vor allem die Situation des Hofes und einige die Universität übergreifende soziale Regeln. Unter dieser Voraussetzung wird hier die These vertreten, es habe schon verhältnismäßig früh eine Heidelberger Legistik gegeben, die jedoch zunächst jahrzehntelang gänzlich und später immer noch zum wichtigen Teil auf anderer Grundlage geruht habe als die klassischen höheren Lehrfächer der Theologie und des Kirchenrechts. Sie konnte daher weder seinerzeit voll in die Universität eingereiht werden noch darf sie heute allein von dieser her gedeutet werden – und zwar nicht weil sie weniger, sondern 29 Thorbecke: S. 99ff., 89*ff. – Ritter S. 516ff. – Günter Dickel: Die Heidelberger Juristische Fakultät. In: Aus der Geschichte der Universität Heidelberg (wie Anm. 1) S. 163–234, bes. S. 167ff. 30 Außer Anm. 29 Weisert: Universität 2 S. 76ff.
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weil sie mehr galt als die höheren Fakultäten – mehr für den fürstlichen Herrn der Universität und mehr im sozialen Leben. Zur näheren Erörterung sind zuerst einige personengeschichtliche Angaben vonnöten. Der erste Heidelberger Legist und zugleich der erste Legist an einer deutschen Universität war 1387/88 der Doktor des Zivilrechts (Rom 1369) Matheus Clementis aus Aragon (legens ordinarie codicem), vermutlich eher eine etwas zweifelhafte Figur31. Nach seinem Weggang nden sich in der Matrikel einzelne einschlägig Graduierte (Lizentiaten 1388, 1401, 1404, Bakkalare 1388, 1391), ohne daß ein Beleg für längeres Wirken vorliegt. So setzt das Thema etwa gleichzeitig mit dem schon erwähnten Bemühen der Universität um ein päpstliches Legistikprivileg (1401) in Gestalt Job Veners (ca. 1370–1447) aus wohlhabender stadtadeliger Familie ein, des Doktors beider Rechte von Bologna 1402, dem Hermann Heimpel gerade sein monumentales Werk gewidmet hat32. Die Frage, ob Vener trotz schwacher Belege nicht doch an der Rupertina das römische Recht in der in anderen Fächern üblichen Weise vertreten habe, ist wohl nicht richtig gestellt. Es ging nicht um die Lehre, sondern um den Hofdienst und zwar in einem engeren Sinne als beim Fürstendienst, den schließlich auch die Universität als fürstliche Stiftung leistete. Gleichwohl war beides verwandt, so daß Hof und Universität auf diesem Feld in Beziehung traten und zwar zeitweise so eng, daß Vener wie ein „Lehrstuhlinhaber“ einen Grad erteilte und der Fakultät und Universität hilfreiche Dienste leistete. An erster Stelle freilich war er Protonotar und Rat des Königs und hatte zusammen mit seinem Vater Reinbold d. Ä. die juristische Rechtfertigung der problematischen Königswahl von 1400 bewerkstelligt. Nachdem Job 1387 schon einmal als Ankömmling aus Paris in Heidelberg immatrikuliert worden war, gibt es zum Jahre 1403 eine nächste recht zufällige Erwähnung anläßlich der Gebühren-
31 Matrikel Heidelberg 1 S. 4 Anm. 4, S. 24. – Thorbecke S. 99, 85*. – Ritter S. 244, 437, 516. – Dickel S. 169. – Vgl. Heinrich Finke: Aragonisch-sicilische Beziehungen zum bayerisch-pfälzischen Hause im 14. Jahrhundert. ZGO 78 (1926) S. 499–514 bes. 508ff. – Der dritte Heidelberger Rektor (1387), Johannes de Berswort von Dortmund, zivilistischer Bakkalar aus Orléans, zog rasch nach Köln weiter (1389) und kann in Heidelberg nicht als ordentlicher Lehrer der Legistik gelten. Universitätsarchiv Heidelberg Annalen 1 (Signatur I, 3, 1) fol. 13 r. – Matrikel Heidelberg 1 S. 8, 18, 34 Anm. 4; Bd. 2 S. 607. Vgl. Die Matrikel der Universität Köln. Bearb. von Hermann Keussen, Bd. 1. 2. Au. Bonn 1928 S. 14 (Publik. d. Ges. f. Rheinische Geschichtskunde VIII). – Thorbecke S. 85*. 32 Matrikel Heidelberg 1 S. 23, 89, 100; 2 S. 502. – UB Heidelberg 1 Nr. 65 (Zitat; 2 Nr. 149 (1405), 177. – Weisert: Rektoren S. 78. – Heimpel: Vener passim.
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befreiung seines Bruders Reinbold d. J., den er dann fünf Jahre später am gleichen Ort zum Bakkalar des Kirchenrechts promovierte. Unter einigen weiteren Belegen, die Job mit der Rupertina zusammenführen, ist vor allem derjenige von 1405 erwähnenswert, als er sich in einem Loyalitätskonikt zwischen Hof und Universität von dieser lösen wollte, man aber hier einen solchen Schritt zu verhindern wußte. Viermal ist er mit der Bezeichnung professor bezeugt (1408–1426), die zwar noch nicht den „Ordinarius“ nachweist, aber auch nicht mehr als ganz unverbindlich gelten kann. Ihm, regalis aulae prothonotario . . . tamquam ipsius universitatis membro et lio scheint die Doppelfunktion auf den Leib geschrieben gewesen zu sein, wenn man sich nur vor Augen hält, daß er stets zuerst der Hofmann war – gelehrter Jurist in beiden Rechten blieb er ja in beiden Fällen. Kurfürstliche Besoldung bezog der pfründenlos und unverheiratet gebliebene Kleriker gewiß, wie es dann auch für den hauptamtlichen Lehrstuhlinhaber der Legistik gelten wird. Bedeutungsvoll im Lichte noch zu schildernder Zusammenhänge ist schließlich die Tatsache, daß ein dankbarer Verehrer Jobs der Lizentiat beider Rechte Hermann von Bure war, der als Referendar am Königlichen Hofgericht Ruprechts tätig gewesen ist33. Reinbold Vener d. Ä.34 († 1408), verheirateter clericus mit vier Söhnen, ist das Haupt wohl der ersten fürsten- und zugleich universitätsnahen Beamten- und Gelehrten-Familie, die wir kennen, ein „utriusque iuris peritus vir“, der vielleicht infolge des Zufalls der Quellenüberlieferung nur einmal in Beziehung zur Universität gesetzt werden kann (1408). So wissen wir nicht genau, ob man es in Jobs Gestalt mit der ersten oder nicht schon mit einer zweiten Generation unseres Zusammenhangs zu tun hat. Auf jeden Fall ist der Sohn und Bruder Reinbold d. J.35, verheirateter Lizentiat beider Rechte an der Rupertina und Rat und Sekretär Pfalzgraf Ludwigs III., des Königssohnes, ein wertvoller Zeuge für die Familien-Struktur des Beamten-Gelehrtendienstes. Gewiß noch vor seiner Eheschließung war er als Mitglied der Artistenfakultät zweimal Rektor (1412, 1418) und bezeugt damit ein Vierteljahrhundert nach der Universitätsgründung das Kommen einer neuen Generation: Er war der erste Rektor aus dem Kreis der Hoffamilien, der neuen
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Ebd. Bd. 3 S. 1581. Matrikel Heidelberg 2 S. 502. – Heimpel: Vener Bd. 3 S. 1610 (Zitat Bd. 1 S. 82). 35 Matrikel Heidelberg 3 S. 162. – UB Heidelberg 2 Nr. 188. – Weisert: Rektoren S. 10f. – Heimpel: Vener Bd. 3 S. 1610. 34
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Trägergruppe der Universität, dem viele folgen sollten. Gewiß ebenfalls vom Hofsold lebend, hat auch der dritte Vener keinen (Pfründen-)Lehrstuhl erlangt oder wohl besser gesagt gar nicht angestrebt. Eine in den zwanziger Jahren einsetzende und in den dreißiger Jahren vollendete Lockerung der Beziehungen der Familie zur Dynastie hat dann den einen Vener nach Speyer, den anderen nach Straßburg geführt. Alle drei haben die Legistik wichtig genommen, wie Fremdbeurteilung und eigene Graduierung zeigen und das politische Wirken andeutet. Die Universität hatte Gelegenheit, über lange Jahre hinweg davon Kenntnis zu nehmen und daraus Nutzen zu ziehen. Es stehen jetzt Wesenszüge vor Augen, die weiterwirkten: Man kann sie in der Feststellung zusammenfassen, daß die privilegierte und institutionalisierte Universität der Pfründen und der Fakultäten bei der Legistik eine offene Flanke besaß; oder besser positiv formuliert, daß das Verhältnis von Hof und Hoher Schule hier auf Tatbestände gegründet war, die auf halbem Wege zwischen den beiden Polen angesiedelt waren – im Zweifelsfalle näher beim Hofe. In der Nachfolge der Vener trat unter den gleichen Bedingungen, das heißt als Hofjurist(-legist) mit Universitätsbeziehung, jedoch ohne zum Lehrstuhl „hinabzusteigen“, Johann Kirchen (von Kirchheim) II36. auf, zuerst Lizentiat und dann 1427 Doktor des Zivilrechts, zuletzt Doktor beider Rechte, auch professor (1428) wie Job Vener († wohl 1441 vor Juli 9). Es war der Sohn Johann Kirchens I37. († 1422/27), eines verheirateten Klerikers, Hofgerichtsnotars König Wenzels und Ruprechts und Protonotars der Hofkanzlei Ruprechts und Sigismunds. Dieser wohl „nur“ rechtspraktisch ausgebildete, aber außerordentlich erfahrene Kollege Jobs war einer der wichtigsten Kanzleibeamten des luxemburgischen und wittelsbachischen Königtums. Auch in Diensten
36 Die Matrikel der Universität Wien. 1. Bd. Graz Köln 1956 S. 104. – Universitätsarchiv Wien: Matricula facultatis Juristarum studii Wiennensis (Sign. J2) f. 9r (zu 1414). – Thorbecke S. 84*ff. – Ritter S. 438, 516f. – Weisert: Rektoren S. 76ff. – Schmidt-Heimpel S. 116. – Heimpel: Vener Bd. 3 S. 1586. 37 Moraw: Kanzlei S. 488ff. – Ders.: Zum königlichen Hofgericht im deutschen Spätmittelalter. ZGO 121 (1973) S. 307–317. – Friedrich Battenberg: Gerichtsschreiberamt und Kanzlei am Reichshofgericht 1235–1451. Köln Wien 1974 S. 130ff. (Quellen u. Forsch. zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 2). – Peter Moraw: Noch einmal zum königlichen Hofgericht im deutschen Spätmittelalter. ZGO 123 (1975) S. 103–104. – Friedrich Battenberg: Das Hofgerichtssiegel der deutschen Kaiser und Könige 1235–1451. Köln Wien 1979 S. 313 (Quellen u. Forsch. . . . 6). – Ders.: Beiträge zur höchsten Gerichtsbarkeit im Reich im 15. Jahrhundert. Köln Wien 1981 S. 314 (Quellen u. Forsch. . . . 11). – Heimpel: Vener Bd. 3 S. 1586.
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Sigismunds, der keine feste Residenz im Reich besaß, behielt er sein Anwesen in Heidelberg. Er könnte am ehesten aus Kirchheim unter Teck stammen und damit aus jener schwäbischen Region, der seit Ludwig dem Bayern in besonderer Weise das Notariat des Königlichen Hofgerichts zugeordnet war. Johann I. war offenbar bescheidener Herkunft, da er sich einst an der Universität Wien als pauper und wohl als Famulus eines adeligen Herrn immatrikuliert hatte, der ebenfalls Protonotar König Ruprechts werden sollte. Johann I. wird dann als „Mitunternehmer“ des Hofgerichts reich geworden sein. Johann II. war natürlich pfalzgräicher Rat, aber auch Familiar Kaiser Sigismunds und durch dessen Gnade ehrenhalber Erbe des väterlichen Protonotarstitels. Auch er war verheiratet; seine Frau führte den im Pfälzer Fürstenhaus vertretenen Namen Mechthild, was auf eine hohe Patenschaft verweisen könnte; schon seine Mutter war vielleicht adelig. Jedenfalls war Johann II. ein einußreicher und bedeutender Mann. Er vollzog auch die erste Heidelberger Promotion im Zivilrecht (1428) und zwar an einem Kandidaten, der bald darauf pfalzgräicher Kanzler werden und in der kirchlichen Hierarchie aufsteigen sollte, an Ludwig von Ast38. Ludwig war kurz zuvor zum Doktor des Kirchenrechts durch den hofnahen Kanonisten Otto von Stein, abermals Sohn einer pfälzischen Kanzleifamilie, promoviert worden. Nicht nur die Personenkonstellation, sondern auch die Wortwahl der Fakultätsakten, die ausdrücklich auf den adelighöschen Charakter der chronologisch noch vereinzelten Zeremonie hinweisen, drücken aus, daß etwas geschah, was nur unzureichend von der Universität aus erklärt werden kann. Es handelte sich um einen gesellschaftlichen Akt des Hofes, der sich der akademischen Formen bediente. Erstmals ist auch die dritte Generation greifbar, da Johann Kirchen III.39, sicherlich Enkel und Sohn, um 1450 als Heidelberger Lizentiat des Kirchenrechts und Dekan der Artistenfakultät bezeugt ist, freilich ohne an Hof oder Universität bemerkenswert aufzusteigen. Mit dem Tode Johann Kirchens II. geriet die Heidelberger Legistik in eine Krise. Im Jahre 1444 erbat dann die Universität die Institutionalisierung dieses Fachs in der Juristischen Fakultät. Dies wurde 38 Matrikel Heidelberg 1 S. 160; 2 S. 507f., 527, 529. – Ritter S. 521. – Hartmut Boockmann: Die Rechtsstudenten des Deutschen Ordens. In: Festschrift für Hermann Heimpel. Bd. 2 Göttingen 1972 S. 313–375 bes. 330 (Veröff. d. Max-Planck-Instituts f. Gesch. 36 II). – Heimpel: Vener Bd. 1 S. 11, 615. – Vgl. die Promotion von Mathias Ramung: Matrikel Heidelberg Bd. 2 S. 529 (1446). 39 Matrikel Heidelberg 1 S. 168, 172?; 2 S. 383. – UB Heidelberg 2 Nr. 356, 365, 368. – Ritter, S. 516f. – Weisert: Rektoren S. 78.
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im Zusammenhang mit der Universitätsreform Friedrichs des Siegreichen von 1452 zugebilligt – ein Schritt, der offenbar im Vergleich zu anderen deutschen Universitäten nicht so verspätet war, wie man es bisher vermuten mochte40. Es wurde ein Lehrstuhl für einen Doktor und eine schlecht dotierte „ Junior-Professur“ (Lizentiat) eingerichtet, die wohl der Nachwuchsausbildung dienen sollte. So schien die HofLegistik nach dem Modell Vener-Kirchen überüssig zu werden. Aber es schien nur so. Im Reformjahr 1452 stand nirgends ein Fachmann zur Verfügung. So entsandte der Kurfürst Johann Schröder (Lutiguli) aus Heidelberg41 nach Italien mit dem Ziel, dort sein einst am Neckar aufgenommenes Studium jetzt in den Leges abzuschließen. Schröder kehrte 1455 wirklich aus Pavia als Doktor beider Rechte zurück. Er war nicht aus der Bürgerstadt Heidelberg hervorgegangen, sondern erwies sich bei seiner kostenfreien Immatrikulation 1439 als servus dominorum ducum, d. h. angesichts seiner zu vermutenden Jugendlichkeit eher wohl schon als Abkömmling eines Hofbeamten. In Pavia war er Rektor (der Studenten-Universität), was ihn dann sogleich auch für ein Rektorat der Magister-Universität Heidelberg auswies. Es war das erste eines Legisten in der Geschichte der Rupertina als auch nach außen hin sichtbare Demonstration der Einbeziehung der Legistik in die Rechte und Pichten der Korporation, oder es war – kaum weniger wahrscheinlich – eine Verbeugung vor dem Pfalzgrafen. Jedoch trat Schröder schon 1461 zur intern angeseheneren Kanonistik über und unterwarf sich damit als erster Legist den Regeln der Universität statt des Hofes; bei ihm ist auch charakteristischerweise kein Ratstitel bekannt. Schröders Nachfolger wurde der Italienstudent Johann Bissinger42 († 1463), im Amt 1461–1463. Bissinger war in Heidelberg ausgebildet worden (1449ff., Bakkalar der Leges 1459 unter Schröder) und wurde dann, wohl als Inhaber der „ Junior-Professur“, für achtzehn Monate nach Italien entsandt, um sich im Zivilrecht zu vervollkommnen. Weil er so kurz im Dienst war, ist er der einzige der Heidelberger Legisten, über dessen Herkunft und Patronatsverhältnisse nur Vermutungen möglich sind, jedoch sehr verlockende; denn streng analog zu den Verhältnissen
40 Vgl. oben zu Anm. 27f. Zur Einrichtung der Legistik: Thorbecke S. 99f., 84*ff. – Ritter S. 378. – Dickel S. 168ff. – Weisert: Verfassung S. 44, 47. 41 Matrikel Heidelberg 3 S. 300. – UB Heidelberg 2 Nr. 380. – Thorbecke, S. 87*ff. – Ritter S. 440, 458. – Weisert: Rektoren S. 12, 78. 42 Matrikel Heidelberg 1 S. 253; 2 S. 391, 515. – UB Heidelberg 2 Nr. 413. – Thorbecke S. 88*.
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seines Vorgängers Kirchen und seines Nachfolgers Wacker erinnert man sich bei Bissinger an den gleichnamigen Notar Konrad des Königlichen Hofgerichts43 unter Ludwig dem Bayern, Karl IV. und Wenzel (tätig 1347–1385), wohl aus Tecker Ministerialität stammend. Konrad Bissinger war auch königlicher Schultheiß von Schwäbisch Gmünd gewesen und hatte in dieser Eigenschaft mit der Familie Vener zu tun bekommen, deren Stammsitz sich in eben dieser Reichsstadt befand. Dies sind wohl zu viele Anknüpfungspunkte, als daß man jedesmal von einem bloßen Zufall sprechen dürfte, und erst recht wird man so urteilen, wenn der nächste Fall vor Augen steht. Peter Wacker (II.)44 aus Sinsheim bei Heidelberg hatte den legistischen Lehrstuhl wohl von 1463 bis 1469 inne. Man kann sagen, daß in diesen Jahren, jedenfalls soweit es die Promotionen ausweisen, das Heidelberger legistische Studium voll in Gang gekommen ist und die Voraussetzungen bereitstellte, um allmählich in Konkurrenz zur Kanonistik zu treten, wenigstens was den Lehrbetrieb anging. Auch Wacker freilich, der eine lange Legistenkarriere hätte erleben dürfen, wechselte zur Kanonistik über, zuletzt auf den höchstrangigen Lehrstuhl der Dekretalen, und war demgemäß ein Dutzend Jahre Dekan, auch viermal Rektor. So begegnet man am Beginn des letzten Drittels des Jahrhunderts der voll eingefügten Legistik als Universitätswissenschaft und erlebt damit einen Teilsieg der Universität über den Hof, insofern als Wacker die traditionelle Stufenleiter der Fakultät Schritt für Schritt erklomm und damit akzeptierte. Auch in Wackers Gestalt verknüpften sich überkommene Personenbeziehungen der Heidelberger Legistik. Einem älteren Peter Wacker (I.)45, dem Vater Peters II., einem verheirateten Laien rechtspraktischer Ausbildung, begegnet man 1413 als Schüler und dann Nachfolger Johann Kirchens I. in der Funktion als Notar des Königlichen Hofgerichts Sigismunds. Er starb 1437, als sein gleichnamiger Sohn noch unmündig war, als Protonotar der 43
Battenberg: Gerichtsschreiberamt S. 107ff. – Ders.: Hofgerichtssiegel S. 308. Matrikel Heidelberg 3 S. 502. – UB Heidelberg 2 Nr. 380, 509, 523. – Thorbecke S. 100, 88*f. – Ritter S. 440. – Weisert: Rektoren S. 12f., 45. – Battenberg: Beiträge S. 322. – Albert Krieger: Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Baden. 2. Au. Bd. 2 Heidelberg 1905 Sp. 1005ff. – E. Strobel: Sinsheim. In: Badisches Städtebuch. Stuttgart 1959 S. 151–155 (Deutsches Städtebuch IV 2). – Alfons Schäfer – Gerhard Kaller: Sinsheim. In: Baden-Württemberg. Hrsg. von Max Miller. 2. Au. Stuttgart 1980 S. 745–747 (Handbuch der historischen Stätten Deutschlands 6). 45 Battenberg: Gerichtsschreiberamt S. 149ff. – Ders.: Hofgerichtssiegel S. 322. – Ders: Beiträge S. 322. Ein älterer Johann Wacker: Matrikel Heidelberg 3 S. 502 und Thoemes (wie in Anm. 14) S. 12. 44
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kaiserlichen Hofkanzlei und als erster unseres Personenkreises, der geadelt worden ist. Er war auch pfalzgräicher Rat. Somit war er abermals Fortsetzer der Personalkontinuität des Königlichen Hofgerichts, die zu den eindrucksvollsten, nahezu „bürokratischen“ Wesenszügen der spätmittelalterlichen deutschen Verwaltungsgeschichte zählt46 und ihre Ausläufer, wie hier hervortritt, in der Heidelberger Legistik fand. Die Rupertina war eben, solange Wittelsbacher und Luxemburger herrschten, nach dem Ausscheiden Prags die königsnächste Universität und wird erst von 1440 an nach und nach von der Rudolna Kaiser Friedrichs III. abgelöst werden; und das römische Recht wurde im 15. Jahrhundert immer mehr zur kaiserlichen Wissenschaft46a. Peter Wacker II. war zugleich auch Schröders „junger Mann“: denn beide weilten gleichzeitig in Pavia, jener als der wohl um zehn Jahre Jüngere. Beide erlangten dort die Doktorwürde, Wacker 1464. Peter Wackers II. Vetter, Johann Wacker47 von Sinsheim, mit dem Humanistennamen Vigilius, wirkte als Legist von 1482 bis 1492 und las dann als Kanonist die Nova Jura bis 1509. Er war eine der Hauptguren des bekannten Heidelberger Humanistenkreises, dessen neue Ideen wie einst bei der Legistik vom Hofe aus in die Universität eingedrungen waren. Johann Wacker war Rat und Vertrauter Kurfürst Philipps. Wenige Kilometer von Sinsheim entfernt, ebenfalls im Kraichgau unweit von Heidelberg, liegt das ehemalige Reichsstädtchen Eppingen, das wie Sinsheim endlich von der Kurpfalz auf dem Pfandwege erworben worden war. Aus der Eppinger Familie Becker (Pistoris) stammten die drei Heidelberger Legisten Hartmann I.48, Andreas49 46 Insofern es sich um praktisch lebenslängliche Tätigkeiten hochspezialisierter Laienbeamten handelte – nicht jedoch im Hinblick darauf, daß diese über die Gerichtsgebühren Mitunternehmer des „Unternehmens“ Hofgericht waren. Vgl. Peter Moraw: Die Verwaltung des Königtums und des Reiches (ca. 1350–1500). In: Deutsche Verwaltungsgeschichte. Bd. 1. Stuttgart 1983 S. 45–89 bes. 70ff. 46a Vgl. Moraw wie in Anm. 14 (Ende) und 46. 47 Matrikel Heidelberg 3 S. 502. – UB Heidelberg 2 S. 371. – Thorbecke S. 89*. – Karl Hartfelder: Zur Gelehrtengeschichte Heidelbergs am Ende des Mittelalters. ZGO 45 (1891) S. 141–171 bes. 152ff. – Ritter S. 477, 481f. – Weisert: Rektoren S. 13f., 80. – Henry J. Cohn: The Early Renaissance Court in Heidelberg. European Studies Review 1 (1971) S. 295–322. 48 Matrikel Heidelberg 3 S. 26, 224. – UB Heidelberg 2 Nr. 426, 635, 641, 643, 710. – Thorbecke S. 89*. – Weisert: Rektoren S. 12f., 45, 78. – Krieger Bd. 1 (1904) Sp. 523ff. – Strobel S. 60–62. – Schäfer-Kaller S. 184f. 49 Matrikel Heidelberg 1 S. XXXVIII Anm. 1, 257, 343; 2 S. 400, 404f., 517, 532, 614. – Thorbecke S. 89*. – Weisert: Rektoren S. 13, 79. – Volker Press: Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619. Stuttgart 1970. S. 182 (Kieler hist. Studien 7).
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(Hartmanns I. Sohn?) und Andreas’ Sohn Hartmann II.50, die den Lehrstuhl des Codex wohl von 1469 bis 1472, 1472 bis 1476 und von 1522 bis 1527 innehatten. Ihnen schloß sich für die Jahre 1527 bis 1544 der Legist Johannes Pfau51 (Pavonis) aus Eppingen an, schwerlich ohne familiären Zusammenhang. Es ist derzeit nicht möglich festzustellen, ob die Familien Wacker und Becker miteinander verwandt oder verschwägert waren, jedoch liegt diese Vermutung nahe. Die Becker kann man jedenfalls schon als eine der pfälzischen Beamtenfamilien gänzlich im Sinne der frühen Neuzeit bezeichnen. Diese besetzten und behaupteten die fürstlichen Rats-, Gerichts- und Universitätskollegien als „staatstragende Gruppe“ und machten die Universität schon mehr zum Nachbarn einer Administration als eines Hofes älteren Stils. Vor und um 1500 ist deutlich erkennbar, daß das pfälzische Hofgericht als oberstes Justizorgan des Landes52 die Legisten so sehr beanspruchte, daß man abermals von einem Universitätsproblem sprechen kann. Wieder handelte es sich um mehr als um die Organisation einer Fakultät, es ging abermals um Loyalität und Sozialprestige. Ohne Zweifel rückten wenigstens die Becker (alias Hartmann) schrittweise wieder aus der Universität heraus, so daß man für den Ausschnitt dieser Abhandlung besser von einem vorübergehenden als von einem endgültigen „Integrationserfolg“ der Universität spricht. Hartmann I., in klassischer Manier von Peter Wacker zum Doktor beider Rechte promoviert53, war vor allem Professor, auch oft Rektor; Hartmann II., den Karl V. nobilitierte, ist schon bedeutender als Pfälzer Kanzler und aufgrund seines maßgeblichen Anteils an der Einführung der Reformation. Sein Sohn, Hartmann III., ebenfalls Jurist, wirkte nur noch als Pfälzer Rat und kehrte schließlich als Assessor des Kaiserlichen Kammergerichts gleichsam wieder zur Tradition zurück, die das Heidelberger Zivilrecht so lange mit der obersten Gerichtsbarkeit im Reich verknüpft hatte.
50 Matrikel Heidelberg 3 S. 26, 224. – UB Heidelberg 2 Nr. 710. – Thorbecke S. 89*. – Weisert: Rektoren S. 82. – Volker Press: Hartmanni, Hartmann. In: NDB 8 (1969) S. 5f. – Ders.: Calvinismus S. 531 (hier d. Ä.). – Die Inschriften der Stadt und des Landkreises Heidelberg. Ges. u. bearb. v. Renate Neumüllers-Klauser. Stuttgart 1970 S. 139 (Die Deutschen Inschriften 12, Heidelberger Reihe 4). 51 Matrikel Heidelberg 3 S. 361. – UB Heidelberg 1 Nr. 173; 2 Nr. 842, 867, 881, 885. – Thorbecke S. 89*. – Weisert: Rektoren S. 15, 45, 83. – Press: Calvinismus S. 175. 52 Henry J. Cohn: The Government of the Rhine Palatinate in the Fifteenth Century. Oxford 1965 bes. S. 202ff. – Klaus Bender: Die Hofgerichtsordnung Kurfüst Philipps (1476–1508) für die Pfalzgrafschaft bei Rhein. Diss. Mainz 1967. 53 Universitätsarchiv Heidelberg Annalen 1f. 27 v.
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Hartmanns III. Schwester heiratete den bedeutenden Juristen Nikolaus Kistner (Cisner), wieder Professor der Jurisprudenz in Heidelberg, Verwandter Bucers und Freund Melanchthons, endlich auch wieder Beisitzer des Kammergerichts54. Hier wollen wir abbrechen. Man überblickt damit wohl das Wesentliche auch schon heute, zu einem Zeitpunkt, an welchem angesichts der Quellenlage des späten 15. und des frühen 16. Jahrhunderts bei weitem noch nicht alle personengeschichtlichen Daten erhoben sind. Es bestand demnach eine Heidelberger Legistik wohl von dem Zeitpunkt an, als die problematische Königswahl Ruprechts gerechtfertigt werden mußte. Dabei ist charakteristisch, daß mit dem Jahre 1400 eher ein hösches als ein akademisches Datum an den Anfang gestellt wird. Diese Legistik hat sich dann wohl, soviel man derzeit beweisen und vermuten kann, nach den sozialen Regeln des Zeitalters ins 16. Jahrhundert hinein ununterbrochen fortgepanzt. Ihre ofzielle Einrichtung als Lehrstuhlwissenschaft in den Jahren 1452/55 erweist sich als recht formaler Akt angesichts des überlegenen höschen und familiären Kräftespiels, das vor und nach der Jahrhundertmitte im wesentlichen das gleiche blieb. Eine solche „offene Flanke“ der Universität wird man schwerlich nur als einen Nachteil bezeichnen. Die Nähe zum Hof war ein wesentliches Stück der Individualität der Rupertina und damit auch die Nähe zum König, von welcher die Beziehung zur höchsten Gerichtsbarkeit am bemerkenswertesten ist. Noch stärker wirkten sich wohl die sozialfamiliären Regeln aus. Wenn man Wurzeln und Ausläufer miteinbezieht, erlauben sie es vielleicht in einzigartiger Weise, eine Brücke vom Zeitalter Ludwigs des Bayern bis zur Reformation zu schlagen. Zweifellos hat dabei auch das beruiche Umgehen mit dem Recht seine Anziehungs- und Prägekraft geltend gemacht, es dürfte sich endlich auch nanziell gelohnt haben. Neben dem Schloß auf dem Hügel besaß auch die Universität im Tal konzentrierende Kraft und ansehnliche Attraktivität. Nicht nur die Hofdoktoren stiegen zu ihr hinab, auch die führenden Kanzleibeamten entsandten ihre Söhne; nach Ausweis der Matrikel waren sie gern gesehen. Obwohl die Rupertina eher als kleine Universität gelten wird, nden sich schließlich an ihr nicht wenige jener Studenten vor, die später im Rechtsleben des deutschen 15. Jahrhunderts eine große Rolle spielen sollten: Auf Nikolaus von Kues folgten Peter Knorr,
54 Hartmann III.: Press: Calvinismus S. 531. – Kistner: Günther Dickel: Kistner, Nikolaus. In: NDB 11 (1977) S. 690f. – Press: Calvinismus S. 527.
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Martin Mair, Johann von Lieser und andere55. Sie wurden durch die in mancher Hinsicht eigenartige Heidelberger Jurisprudenz mitgeprägt, die damit einoß in das von diesen „Reichsjuristen“ so maßgeblich bestimmte öffentliche Leben des Jahrhunderts, das zum ersten Male „Politik als Beruf “ verwirklichte. Hofbeamte, Hofjuristen, in städtische Dienste übergetretene Juristen und wohl von den dreißiger Jahren an auch universitätsnahe und dann Universitäts-Legisten haben geheiratet und Familien gegründet. Dies war eine soziale Neuerung von großer Bedeutung. Die Pfründenprofessur des ehelosen Klerikers hatte am Anfang der institutionalisierten deutschen Universität gestanden, insofern Soldzahlungen nur im Ausnahmefall, vor allem an Italiener, geleistet worden waren56. Die Patronage, das Grundmodell älterer sozialer Existenz zwischen den Generationen, war auch im Pfründenwesen möglich, selbst im günstigsten Fall jedoch nur für den Neffen. Sie fand nun das denkbar stärkste Motiv in der Fürsorge für Söhne und Schwiegersöhne. Vererbung in direkter Linie wurde dann vom zweipoligen System Hof-Universität in die Universität hineinverlegt. Was jeder für sich tat, führte im ganzen notwendigerweise zur Verfestigung und Abschließung einer winzigen neuen Kaste. Es geschah auch in Heidelberg, was längst aus Bologna oder Padua bekannt ist57. Dies trat trotz aller Widerstände58 schon vor der Reformation ein und zwar in der Legistik schwerlich später als bei den Medizinern, denen man in Heidelberg 1475 die Laisierung zugestand59. Demnach gab es schon im 15. Jahrhundert Gelehrtenfamilien, wie sie dann die frühe Neuzeit so oft kannte; das protestantische System der „Familienuniversität“60 war schon in ,,katholischer“ Zeit ins Leben getreten. Ohne Zweifel ist damit das Bestreben zu parallelisieren, die 55 Lit. bei Moraw: Juristen, wie in Anm. 14. Die Universität hoffte 1464 auf die Fürsprache ihres ehemaligen „alumpnus“ und „subiectus“ Nikolaus von Cues (UB Heidelberg 1 Nr. 122 S. 181). 56 Vgl. Jacques Paquet: Salaires et prébendes des professeurs de l’Université de Louvain au XVe siècle. Léopoldville 1958 (Studia Universitatis „Lovanium“, Faculté de Philosophie et Lettres 2) oder auch Dante Zanetti: Les salaires des professeurs à l’Université de Pavie au XVe siècle. Annales E.S.C. 17 (1952) S. 421–433. 57 Außer Anm. 26 vgl. Jacques Le Goff: Les intellectuels au Moyen Age. Paris 1957 S. 142ff. 58 UB Heidelberg 1 Nr. 136. 59 Ebd. 2 Nr. 467. 60 Friedrich Wilhelm Euler: Entstehung und Entwicklung deutscher Gelehrtengeschlechter. In: Universität und Gelehrtenstand 1400–1800. Hrsg. von Hellmuth Rössler u. Günther Franz. Limburg 1970 S. 183–231 (Dt. Führungsschichten in der Neuzeit 4). – Zu Erfurt Kleineidam 1 S. 101. – Zur frühen Neuzeit Peter Moraw: Kleine Geschichte der Universität Gießen 1607–1982. Gießen 1982 S. 43ff.
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Universitätsverfassung stärker „aristokratisch“ zu gestalten, was 1452 auch gelang61. Man suchte dem Adel näher zu rücken; und wenn dies schon nicht durch die allgemeine Anerkennung der Doktorwürde als adelsgleich gelang, bemühte man sich eben um die Nobilitierung. Verbunden war endlich mit alledem ein gewisser Separatismus der Juristen, deren Lehrer und Studenten die sozial höchstgestellten waren, gegenüber den übrigen Fakultäten, wie er in Prag 1372 Wirklichkeit geworden war und sich latent auch noch im 15. Jahrhundert zeigte (Basel)62.
III Das zweite Thema dieser Abhandlung ist eher zum anderen Ende der sozialen Skala hin orientiert. Es geht um das Verhältnis von Universität und Universitätsstadt Heidelberg im 15. Jahrhundert. Auf städtischer Seite ist leider die Überlieferung überaus dürftig. Der große Brand von 1689 hat mit dem Stadtarchiv praktisch alle schriftlichen Materialien dieser Provenienz zur mittelalterlichen Geschichte vernichtet. Was neben den Quellen zur Universitätsgeschichte überlebte, ist vor allem die Hinterlassenschaft der Pfalzgrafen63. Ihr entstammt das für unser Thema wichtigste Aktenstück, ein Heidelberger Schatzungsverzeichnis von 1439, das alle Zahlungspichtigen, insgesamt 779 Personen, mit ihrem Steuervermögen nach eigener Veranschlagung anführt64.
61
Weisert: Verfassung S. 46ff. Vgl. Moraw wie in Anm. 8. 63 Herbert Derwein: Das Heidelberger Stadtarchiv. Ruperto-Carola Jgg. 6 Heft 13–14 (1954) S. 147–149. – Unter diesen Umständen ist das wichtigste Hilfsmittel die von Maximilian Huffschmid angelegte, im Stadtarchiv aufbewahrte Kartei der Personen und Örtlichkeiten Heidelbergs in Mittelalter und früher Neuzeit, soweit sie im Material der wichtigsten auswärtigen Archive enthalten sind, besonders im Generallandesarchiv Karlsruhe. Zu diesem vgl. die Gesamtübersicht der Bestände des Generallandesarchivs Karlsruhe. Bearb. von Manfred Krebs. 2 Teile Stuttgart 1954/57 bes. Teil 2 S. 489 (Veröff. d. Staatl. Archivverwaltung Baden-Württemberg 1 und 2). – Herrn Stadtarchivar Dr. Wagner (Heidelberg) danke ich herzlich für freundliche Hilfe in seinem Archiv. 64 Karl Christ: Das Steuerwesen von Kurpalz im Mittelalter. I. Die Heidelberger Schatzung von 1439. Neues Archiv f. d. Gesch. d. Stadt Heidelberg u. d. rheinischen Pfalz 3 (1898) S. 200–264. 62
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Heidelberg65 hat in älterer Zeit den Charakter einer ganz besonders von der Landesherrschaft geprägten Stadt nie abstreifen können. Die Burg war älter als die Stadt und hat ihr weit mehr als nur den Namen verliehen. Eine Bürgeropposition wie in Prag oder Wien ist kaum vorstellbar. Die Stadt bildete auch keinen nennenswerten kirchlichen Mittelpunkt. Ihre selbständige Wirtschaftskraft (Landwirtschaft, besonders Weinbau, und Fischerei) war gering; was über den Eigenbedarf hinausging, war vor allem auf Hof und Universität bezogen. Größeren Handel in die Ferne gab es schwerlich. Man kann mit etwa 4.000, höchstens 5.000 Einwohnern rechnen; der Anteil der Universitätsangehörigen dürfte im Durchschnitt ungefähr fünf Prozent betragen haben. Im Jahre 1392, nicht lange nach der Universitätsgründung, hatte der Pfalzgraf die Stadt beträchtlich erweitert; man wird auch für diesen Akt an das Vorbild Prags denken. Die steuerpichtigen Heidelberger waren sozial wie üblich geordnet; es gab zehn Zünfte und einen außerzünftigen Bereich aus Ratsfamilien, sogenannten Kolhengern und Nichtzünftigen im engeren Sinn. Innerhalb dieser ganzen letztgenannten Gruppe trat zwar kein Patriziat wie in Reichsstädten, aber eine Gruppe aus einigen wohlhabenden Familien als „Oberschicht“ hervor. Sie war oft kurfürsten- bzw. hofnah und trug vor allem jenes Maß an Selbstverwaltung, das der Pfalzgraf zugestand. Ein Rat ist von 1287 an bezeugt, der stadtherrliche adelige Schultheiß und zwei Bürgermeister aus den Ratsfamilien standen der Gemeinde vor. Insoweit kann man im allgemeinen und auch punktuell zum Jahre 1439 ein einigermaßen übersichtliches Bild gewinnen. Dunkel bleibt jedoch aus dieser Perspektive der nichtbesteuerte und der steuerlich immune Bereich, d. h. neben den Ärmsten, über die praktisch überhaupt nichts bekannt ist, der ganze Hof und der Adel, größtenteils der Klerus und mit diesem die Universität. Auf jeden Fall handelte es sich um eine kleine Stadt.
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Oberrheinische Stadtrechte. 1. Abt.: Fränkische Rechte 5. Bearb. von Carl Koehne. Heidelberg 1900. – Meinrad Schaab: Die Entstehung des pfälzischen Territoriums am unteren Neckar und die Anfänge der Stadt Heidelberg. ZGO 106 (1958) S. 233–276. – Richard Benz: Heidelberg. Schicksal und Geist. Konstanz 1961 S. 22ff., 47ff. – Fritz Trautz: Aus der pfälzischen Vergangenheit Heidelbergs. In: Heidelberg und die Rhein-Neckar-Lande. Festschrift zum 34. Deutschen Geographentag . . . 1963 in Heidelberg. Heidelberg 1963 S. 54–73. – Herbert Derwein: Geschichte der Stadt. In: Die Stadt- und die Landkreise Heidelberg und Mannheim. Amtliche Kreisbeschreibung. Bd. II: Die Stadt Heidelberg und die Gemeinden des Landkreises Heidelberg. Karlsruhe 1968 S. 8–82. – Meinrad Schaab: Heidelberg. In: Baden-Württemberg (wie oben Anm. 44) S. 303–310.
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Sie war im 15. Jahrhundert, als sich die Konkurrenz der Universitäten verstärkte, kaum in der Lage, neben der Rupertina selbst ein zweites Zentrum der Anziehung für auswärtige Studenten zu bilden, wie man dies etwa von Köln sagen könnte. Wie in anderen Universitätsstädten herrschte auch unter den Heidelbergern gegenüber der Hohen Schule ein durchaus gemischtes Klima. Ohne Zweifel haben viele Bürger an ihr verdient und haben aus diesem oder einem anderen Grunde gut von ihr gedacht; aber auch Konikte bis hin zur Straßenschlacht und zum Totschlag waren nicht selten. Im Jahre 1435 glaubten nicht wenige dem Gerücht, die Studenten wollten die Stadt in Brand stecken. Das humanistische Städtelob des Petrus Antonius (1465 oder später), der die besondere Harmonie von Bürgern und Studenten in Heidelberg hervorhob, kann nicht viel gelten66. Bisher gibt es offenbar für keine deutsche Universitätsstadt des Mittelalters eine sozialgeschichtlich unterbaute Analyse des Verhältnisses von Bürgerschaft und Hochschule67; Entsprechendes kann wohl auch
66 Vgl. oben Anm. 12. – Berta Scharnke: Über Zusammensetzung und soziale Verhältnisse der Heidelberger Universitäts-Angehörigen im 15. Jahrhundert. Ms. Diss. Heidelberg 1921 S. 51ff. – Universitätsarchiv Heidelberg Annalen 1f. 92–93: hier wird erkennbar, daß wichtige Heidelberger Familien (Rype, zum Ochsen, Salwart) wenigstens 1406, jedoch z. T. „ab inicio“ (universitatis) Gegner der Rupertina waren. Zu Antonius Klaus Voigt: Italienische Berichte aus dem spätmittelalterlichen Deutschland. Stuttgart 1973 S. 154–159 (Kieler hist. Studien 17). 67 Wolfgang Keck: Die Herkunft der Leipziger Studenten von 1409 bis 1430. Diss. Leipzig 1933 S. 20ff., 93. – Gerhard Kallen: Die Stadt Köln und ihre Universität in alter und neuer Zeit. In: Festschrift zur Erinnerung an die Gründung der alten Universität Köln im Jahre 1388. Köln 1938 S. 13ff. – Ludwig Petry: Stadt und Universität – ein Kapitel deutscher Kulturgeschichte. Jb. d. Vereinigung „Freunde der Universität Mainz“ 10 (1961) S. 65ff. – Jacques Paquet: Bourgeois et universitaires à la n du Moyen Age. Le Moyen Age 67 (1961) S. 325–340. – Gertrud Gerhartl: Wiener Neustädter als Studenten an der Universität Wien. Jb. f. Landeskunde v. Niederösterreich NF 36 (1964) S. 207–235. – Hubert Freilinger: Ingolstadt als Universitätsstadt. In: Die mittelalterliche Stadt in Bayern. Hrsg. von Karl Bosl. München 1974 S. 143–162 (ZBLG Beiheft 6). – Francis Rapp: Les Strasbourgeois et les Universités rhénanes à la n du Moyen Age et jusqu’ à la Réforme. Annuaire des Amis du Vieux Strasbourg 1974 S. 11–22. – Heinrich Koller: Stadt und Universität im Spätmittelalter. In: Stadt und Universität im Mittel alter und in der frühen Neuzeit. Hrsg. v. Erich Maschke und Jürgen Sydow. Sigmaringen 1977 S. 9–26 (Stadt in der Geschichte 3). – Anna-Dorothee von den Brincken: Die Stadt Köln und ihre Hohen Schulen. Ebd. S. 27–52. – Hans-Wolf Thümmel: Universität und Stadt Tübingen. In: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477–1977. Tübingen 1977 S. 33–84. – Francis Rapp: Les universités dans leur relations avec la bourgeoisie avant la Réforme. In: Kyrko-historisk arsskrift 77 (1977) S. 227–235. – Michael Matheus: Das Verhältnis der Stadt Trier zur Universität in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Kurtrier. Jb. 20 (1980) S. 60–139.
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infolge der Quellenlage nicht leicht erarbeitet werden. Der interessanteste Aspekt dieses Gegenübers ist vermutlich das Studienverhalten der Stadtbewohner. In Heidelberg besteht nun die Möglichkeit, in Anlehnung an das Stichjahr 1439 Person für Person Universitätsbesucher und steuerzahlende Familienhäupter gegenüberzustellen. Auch hierbei bleiben natürlich große Probleme bestehen, da es sich 1439 gleichsam um eine Momentaufnahme handelte; im Vergleich aber z. B. zu dem älteren Versuch, die sozialen Verhältnisse derjenigen Heidelberger Studenten aufzuklären, die aus dem mittelalterlichen Neustadt in der Pfalz stammten68, kann man in der Universitätsstadt selbst mehr erreichen. Es fällt auch wenigstens ein Problem weg, das anderswo gewisse Schwierigkeiten bereitet: In unserem Fall bezeichnete man sich zweifellos nur dann als Heidelberger, wenn man wirklich hinter Mauer und Neckar wohnte, da dies unmittelbar nachprüfbar war und da auch die Nachbardörfer in der Matrikel erscheinen (Handschuhsheim, Leimen usw.). Anderswo – weit weg von der Universität – mochte man sich auch dann nach einer größeren Stadt nennen, wenn man in Wirklichkeit in einem kleinen Nachbardorf zu Hause war. So läßt sich wenigstens in dieser Hinsicht einwandfrei erkennen, wie sich das unmittelbare Nebeneinander von Stadt und Universität auswirkte, ob und für welchen Bereich z. B. eine vergleichsweise stärkere Ausschöpfung von „Bildungsreserven“ eintrat. Zum besseren Verständnis des Folgenden sind zunächst einige Zahlenangaben vonnöten. Die Ausgangsbasis der Analyse bildet die Zeitspanne von Ende 1424 (20. XII. = Beginn des 93. Rektorats) bis Ende 1454 (18./19. XII. = Ende des 152. Rektorats), d. h. eine konstruierte Generation von dreißig Jahren, deren Mittelachse das Jahr der Heidelberger Schatzung (1439) bildet. In dieser Periode ist einerseits die Aussicht, Studenten mit steuerpichtigen Familienhäuptern einigermaßen plausibel in Verbindung bringen zu können, noch groß genug und ist andererseits der gewählte Ausschnitt für allgemeinere Aussagen nicht gar zu klein. Mögliche Vermögensschwankungen in diesem Zeitraum sind notwendigerweise außer acht gelasssen. Die Gesamtzahl der Immatrikulationen an der Rupertina zwischen Ende 1424 und Ende 1454 betrug insgesamt 4.053. Unberücksichtigt bleiben, wenn hier von Immatrikulationen von Universitätsbesuchern aus Heidelberg
68 Peter Moraw–Theodor Karst: Die Universität Heidelberg und Neustadt an der Haardt. Speyer 1963.
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und später demgemäß aus Frankfurt, Straßburg, Speyer usw. die Rede ist, diejenigen, die stärker in andere als in städtische Zusammenhänge eingebunden scheinen: Adelige, bepfründete Kleriker und Mönche. Unter diesen Voraussetzungen stellt sich als erste beachtenswerte Tatsache heraus, daß der Anteil der Stadt Heidelberg an der Studentenzahl der Universität zwischen 1424 und 1454 beträchtlich höher gewesen ist als derjenige jeder anderen, auch weitaus bedeutenderen Stadt. In diesem Zeitraum haben sich 102 Heidelberger immatrikuliert. Dies waren 2,5 Prozent der Gesamtzahl (von 1386 bis 1424 zum Vergleich: 3,2%) und entspricht einem rechnerischen Durchschnitt von 3,4 bzw. 3,2 Einschreibungen im Jahr. Die nächstgrößte Anzahl für die Jahre 1424 bis 1454 bietet das benachbarte Speyer mit 62 Immatrikulationen (l,5%), das zum hegemonialen Raum der Kurpfalz zählte und durch zahlreiche Personenverbindungen mit der Neckarstadt verknüpft war. Es folgten dann etwa gleichauf die beiden Großstädte Frankfurt am Main (50) und Straßburg (47) ( je 1,2%). Ungefähr 30 Immatrikulationen verzeichnen die Städte Augsburg, Wimpfen, Heilbronn, Mainz und Esslingen ( je 0,7–0,8%), ungefähr 20 Immatrikulationen Nürnberg, Worms, Schwäbisch Hall u. a. und auch die ganz oder teilweise pfalzgräichen Kleinstädte Neustadt a. d. Haardt und Ladenburg. Aus der Kölner Matrikel läßt sich zum Vergleich angeben, daß der Anteil der Studenten aus der Stadt Köln, die achtmal oder zehnmal größer war als Heidelberg, an den Kölner Immatrikulationen zwischen 1426 und 1455 3,3% betrug, also umgerechnet wesentlich kleiner war als der Heidelberger Anteil. Für alle Universitätsstädte dürften übrigens diese Zahlen etwas zu niedrig liegen, weil hier Hochschulbesuch ohne Immatrikulation aus naheliegenden Gründen leichter vorstellbar ist als aus der Ferne; für die anderen Städte sind die Zahlen möglicherweise zu hoch, wenn man die Zuordnung von Dörfern zur Stadt bei der Herkunftsangabe des Ankömmlings als Möglichkeit in Betracht zieht. So zeigt sich am Heidelberger Material sehr deutlich, daß räumliche Nähe ein für den Universitätsbesuch sehr wichtiges Faktum darstellte, daß also wohl auch die im 15. Jahrhundert zunehmende, manchmal womöglich in der Forschung beklagte Regionalisierung der Universitätslandschaft durch die Verdichtung des Netzes der Hohen Schulen, die eher für Deutschland bezeichnend ist als für Frankreich oder gar für England, eine wesentliche sozial- und bildungsgeschichtliche Tatsache war. Für einen immer neuen Nahbereich wurden wohl die „Bildungsreserven“ stärker ausgeschöpft als anderswo.
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Natürlich haben Heidelberger, Frankfurter, Straßburger usw. im angegebenen Zeitraum auch andere deutsche Universitäten als die Rupertina besucht. Daher sei auf der Basis der Heidelberger, Wiener, Kölner und Leipziger Matrikeln69 für die angegebene „Generation“ stichprobenartig eine weiter ausgreifende Kontrollrechnung versucht. Für die Heidelberger Universitätsbesucher zeigt sich dabei schlagend, daß die heimatliche Hohe Schule praktisch alle am Studium Interessierten an sich gezogen hat. Andere Universitäten kamen beinahe nur als zweitbesuchte Anstalt und zwar nur für sehr wenige in Frage: In den vier Matrikeln nden sich im ganzen 108 Eintragungen aus der Stadt Heidelberg, aber nur sechs davon beziehen sich auf auswärtige Hochschulen. Diesen 108 Fällen stehen gegenüber ebensoviele Fälle aus Frankfurt am Main, wo freilich der Ausfall des Erfurter Materials am schwersten wiegt; 46 Prozent bezogen sich auf die Rupertina. Von 92 Fällen aus Straßburg betrafen Heidelberg 51 Prozent und von 84 Fällen aus Speyer bezogen sich auf jenes sogar 74 Prozent. Angesichts der im Vergleich zur Neckarstadt wohl drei- bis viermal so hohen Einwohnerzahl Straßburgs und wohl doppelt so hohen Einwohnerzahl Frankfurts dürfte auch ohne die Berücksichtigung der Erfurter Universität das Urteil erlaubt sein, daß die Heimatstadt der Rupertina tatsächlich ungewöhnlich viele Studenten hervorgebracht hat. Auch die Zahlen des unweit gelegenen Speyer weisen wohl in die gleiche Richtung und vermutlich ebenfalls die Tatsache, daß das universitätsgeographisch günstiger gelegene Frankfurt das größere Straßburg zahlenmäßig hinter sich ließ. Bei alledem erhebt sich die Frage, welcher Art denn diese Studenten gewesen seien und ob man Student gleich Student setzen dürfe. Der Weg zu dem Versuch, diese Frage zu beantworten, führt über die genauere Analyse der Heidelberger Verhältnisse anhand des Schatzungsregisters von 1439. Die Besteuerung zielte auf eine fünfprozentige Vermögensabgabe ab, der in Heidelberg ein Gesamtsteuervermögen von ungefähr hunderttausend Gulden gegenüberstand. Die Steuerpichtigen kann man in drei große Gruppen einteilen. Von diesen ist im folgenden die eine Gruppe mit insgesamt 125 Zahlern aus den beiden Vorstädten (westliche Neustadt und Vor dem Berg, d. i. der Schloßberg 69 Das Register der Erfurter Matrikel ist so unzureichend, daß diese zentral gelegene Universität leider nicht berücksichtigt werden kann. Rostock und Löwen können übergangen werden.
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südlich der Stadt) und aus dem stadtnah jenseits des Neckars gelegenen Dorf Neuenheim (im Durchschnitt sehr arme Leute) sowie schließlich zwölf Priester als ein Sonderthema gänzlich beiseite gelassen: sie alle stellten zusammen ohnehin – soweit man sieht – nur zwei Studenten. Die dann als bereinigte Zahl für die eigentliche Stadt verbleibenden 642 Steuerpichtigen (einschließlich 81 Frauen) gehörten zwei Gruppen an. Es waren dies 119 (19%) Nichtzünftige, bestehend aus zwölf Ratsfamilien, 33 Kolhengern70 und 74 Unzünftigen im engeren Sinn mit einem Gesamtsteuervermögen von 39.316 . oder 330 . je Pichtigem im Durchschnitt ( je Ratssteuerndem 636 ., je Kolhenger 316 ., je Unzünftigem im engeren Sinn 277 . durchschnittlich). Die andere Gruppe bildeten 523 (81%) Angehörige der zehn Zünfte mit einem Gesamtsteuervermögen von 53.380 . oder im Durchschnitt von 102 . je Pichtigem. Es waren in der Reihenfolge der Steuerliste 30 Metzger mit durchschnittlich 205 ., 54 Fischer mit 86 ., 91 Schmiede mit 94 ., 38 Bäcker mit 164 ., 129 Weingärtner mit 66 ., 36 Schuhmacher mit 120 ., 27 Weber mit 65 ., 55 Krämer mit 120 ., 50 Schneider mit 123 . und 13 Weinschröter mit 27 . Diesem ganzen Personenkreis standen nun in der angegebenen Matrikel-„Generation“ die schon erwähnten 102 Studenten Heidelberger Herkunft gegenüber. Von ihnen können nach der Steuerliste 72 (71%) recht exakt oder ausreichend gut bestimmten Familienhäuptern zugewiesen werden, bei 30 (29%) ist dies nicht möglich. Dieses knappe Drittel besteht aus „pauperes“, bei denen die Haushaltszugehörigkeit zu andersnamigen, daher nicht identizierbaren Steuerpichtigen oder zu Nichtbesteuerten anzunehmen ist, aus zahlenden Studenten, denen mehrere gleichnamige Personen beiderseits der Grenze zwischen Nichtzünftigen und Zünftigen entsprechen, und aus anderen ebenfalls zahlenden Universitätsbesuchern, deren Namen keine Entsprechung im Register nden, da sie wohl entweder dem steuerlich immunen Personenkreis entstammten oder nur kurze Zeit in der Stadt geweilt haben. Es ist im übrigen zu erwarten, daß sich angesichts der Problematik spätmittelalterlicher Namengebung und Aktenführung bei Steuerzahlern und Immatrikulierten einige Fehler eingestellt haben dürften, selbst wenn die Familiennamenbildung in diesem Umkreis schon stabilisiert erscheint; man muß solches in Kauf nehmen.
70
Der Begriff ist von der Lokalforschung bisher nicht befriedigend erklärt.
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Die Bestimmbaren, die fortan allein interessieren, gehörten zu 37 Prozent (27 Namen) dem Kreis der Nichtzünftigen und zu 63 Prozent (45 Personen) der Gruppe der Zünftigen an. Demnach entstammte von den zuweisbaren Universitätsbesuchern ein erheblich größerer relativer Anteil den besser bemittelten Unzünftigen. Wegen des mehrfachen Auftretens einiger wichtiger Steuerzahlernamen ist eine ins einzelne gehende Parallelisierung von Studentennamen und Vermögenssummen nicht möglich, sie wäre auch wegen der Größe des Zeitabschnitts problematisch. Erwähnt seien wenigstens die reichsten Familien, bei denen Zuweisungsprobleme nicht bestehen: unter den Unzünftigen die Quaterloch mit 1.600 . Steuervermögen, von denen ein Abkömmling ad reverentiam universitatis kostenfrei immatrikuliert wurde71, sodann die Schuhmacherfamilie Steinacher mit 1.200 ., die Kolhenger Garnschragen mit 1.100 . und die unzünftigen Scheuermann mit 1.070 . Es ist ein sicheres Ergebnis, daß im großen und ganzen Vermögensstatus und Universitätsbesuch insoweit miteinander zusammenhingen, als im Durchschnitt größerem Vermögen eine höhere Beteiligung am Studium entsprach; so war schon von 1386 an die Gruppe der führenden Geschlechter mit einem klar überdurchschnittlichen Anteil am Universitätsbesuch beteiligt. Im Hinblick auf die einzelne Familie jedoch war dieses Handeln sehr ungleichmäßig. So gab es solche (Diemer, Zwengel), die wohl in jeder Generation einen Sohn oder mehrere an die Hohe Schule entsandten, andere aber fehlten völlig. Wirksam in diesen Kreisen waren wohl auch besondere Motive, die den Universitätsbesuch begünstigten, z. B. der hof- und gelehrtennahe Beruf des Apothekers72. Hinsichtlich der Zünftigen, die die große Mehrzahl der Universitätsbesucher hervorbrachten, ist zunächst die in der deutschen Sozialgeschichte wohlbekannte Tatsache hervorzuheben, daß Zünfte Personen von sehr ungleicher Wirtschaftskraft zusammenfaßten. Dies tritt am Heidelberger Material deutlich hervor73. Soweit man sieht,
71
Matrikel Heidelberg 1 S. 165. Zu diesen Familien vgl. die Kartei Huffschmids, deren Nachweise hier nicht ausgebreitet werden können, und z. T. Derwein S. 57ff. – Bürgermeisterliste bei Krieger 1 Sp. 889ff. 73 Zu beachten ist dabei auch, daß ungeachtet der formalen Parallelen des Zunftwesens jede Stadt ein Individuum darstellte – über die Heidelberger Verhältnisse ist bisher praktisch nicht gearbeitet worden. Lit. zum allgem.: Gesellschaftliche Unterschichten in den südwestdeutschen Städten. Hrsg. von Erich Maschke und Jürgen Sydow. Stuttgart 1967 (Veröff. d. Komm. f. gesch. Landeskunde in Baden-Württemberg B41). – 72
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haben die im Durchschnitt reichste, die Metzgerzunft, und die ärmste, die Weinschröterzunft, in der „Generation“ zwischen 1424 und 1454 keinen Studenten gestellt. Der Kopfzahl nach waren die Schuhmacher am studienfreundlichsten, in einigem Abstand folgten fast gleichauf Weber, Bäcker, Schmiede und Fischer. Recht gut erkennbar ist die Lokalisierung der einzelnen Familien, die Universitätsbesucher entsandten, innerhalb des Sozialgefüges ihrer Zunft: Sie nden sich in der Regel deutlich oberhalb des Vermögensdurchschnitts vor und näherten sich mehr oder weniger dem Durchschnittsvermögen der Nichtzünftigen an. Da man feststellen kann, daß die große Mehrzahl der Studierenden der Zunftfamilien und ohnedies der nichtzünftigen Familien jeweils von relativ wohlhabenden Eltern, gewissermaßen also aus einer „oberen Mittelschicht“ stammte74, bleibt die Frage nach der Minderheit der Armen zu stellen. Über die Denitions- und Abgrenzungsprobleme der pauperes in Stadt und Universität ist hier nicht im allgemeinen zu handeln75. Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Armutsnachweis ergaben, waren in der Universitätsstadt wohl geringer als üblich, die Subjektivität des Urteils des einzelnen Rektors bleibt freilich bestehen.
Städtische Mittelschichten. Hrsg. von dens. Stuttgart 1972 (Veröff. . . . B 69). – Erich Maschke: Deutsche Städte am Ausgang des Mittelalters. In: Die Stadt am Ausgang des Mittelalters. Hrsg. von Wilhelm Rausch. Linz 1974 S. 1–44 bes. 24ff. (Beiträge zur Gesch. d. Städte Mitteleuropas III). 74 Ähnliches beobachtet man auch anderswo, vgl. z. B. Koller S. 20f. – Rapp: Universités S. 229ff. 75 Allgem.: Hermann Mitgau: Die soziale Herkunft der deutschen Studenten bis 1900. In: Universität und Gelehrtenstand 1400–1800. Hrsg. von Hellmuth Rössler und Günther Franz. Limburg 1970 S. 233–260 (Dt. Führungsschichten in der Neuzeit 4). – Zu den Pauperes: J. M. Fletcher: Wealth and Poverty in the Medieval German Universities with Particular Reference to the University of Freiburg. In: Europe in the Late Middle Ages. Ed. by J. R. Hale, J. R. L. Higheld, B. Smalley. London 1965 S. 410–436 bes. 423ff. – František Šmahel: Prahské universitní studentstvo v p®edrevoluoním období 1399–1419. Praha 1967 S. 38ff. (Rozpravy nsl. Akademie vîd, ®. spol. vîd, r. 77 š. 3). – Rainer A. Müller: Universität und Adel. Berlin 1974 S. 94ff. (Ludovico Maximilianea Forsch. 7). – Magnus Ditsche: Zur Studienförderung im Mittelalter. Rhein. Vierteljahresbll. 41 (1977) S. 53–62. – Hilde de Ridder-Symoens: Universitetsgeschiedenis als bron voor sociale geschiedenis. Tijdschrift voor sociale geschiedenis 10 (1978) S. 87–115 bes. S. 96ff. – Elisabeth Mornet: Pauperes scholares. Le Moyen Age 84 (1978) S. 53–102. – Jacques Paquet: Recherches sur l’université „pauvre“ au moyen âge. Revue belge de philologie et d’histoire 56 (1978) S. 301–353. – Ders.: L’universitaire „pauvre“ au moyen âge: Problèmes, documentations, questions de méthode. In: The Universities in the Late Middle Ages. Ed. by Jozef Ijsewijn and Jacques Paquet. Leuven 1978 S. 399–425. – Rainer Christoph Schwinges: Pauperes an deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts. ZHF 8 (1981) S. 285–309.
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Die bis zur Gebührenreform der Universität von 1448, die neue Maßstäbe setzte, von 1424 an an der Rupertina nachweisbaren 16 pauperes aus Heidelberg stellten einen Anteil von 18,4 Prozent an den von 1424 bis 1448 immatrikulierten Universitätsbesuchern aus der Stadt dar; der entsprechende Durchschnitt für die ganze Periode von 1386 bis 1448 lautet 19,4 Prozent. Die sicher zuweisbaren pauperes, deren Namen in der Matrikel leider öfter allzu knapp aufgezeichnet wurden, gehörten zu Familien von Schmieden, Schuhmachern, Schneidern und Fischern. In der Steuerliste von 1439 wurde für die entsprechenden Familien mit einer Ausnahme (40 .) stets der unterste Steuervermögenssatz von 20 . angegeben. So kann diese Summe im Hinblick auf die Heidelberger Verhältnisse wohl als eine Scheidemarke zur anerkannten Armut gelten; ein Schuhmacher mit 30 Gulden Steuervermögen zahlte für seinen Sohn [?] hingegen schon die volle Aufnahmegebühr76. Der Studienerfolg der Studenten aus der Stadt Heidelberg kann mit hinreichender Genauigkeit angegeben werden. Den schon zitierten 4.053 Immatrikulationen, die man an der Rupertina zwischen Ende 1424 und Ende 1454 vornahm, standen 1.117 Bakkalaureate gegenüber, die auf ein Studium von wohl anderthalb bis zwei Jahren verweisen. Diese unterste Graduierung erreichten 27,5 Prozent der Universitätsbesucher oder – wenn man allein diejenigen Immatrikulationen, die nicht der Stadt Heidelberg entstammten, berücksichtigt – 26,7 Prozent. Beide Anteile stiegen übrigens im Verlauf der dreißig Jahre deutlich an. Auf die 19 Prozent pauperes jeglicher regionaler Herkunft, die bis 1448 insgesamt in Heidelberg weilten, entel bis zur Gebührenreform von 1448 ein Anteil von 22 Prozent an den Bakkalaureaten: Sie waren demnach, wie auch anderswo festgestellt wurde77, stärker auf einen nachweisbaren ersten Studienabschluß bedacht als die durchschnittlichen Universitätsbesucher. Im Vergleich zeigt sich nun, daß der an der Graduierung erkennbar werdende Studienerfolg der Universitätsbesucher aus der Stadt Heidelberg ganz deutlich über dem Durchschnitt lag: Ihre 32 nachweisbaren Bakkalaureate entsprechen einer Erfolgsquote von 31,4 Prozent. Es war offenbar vor allem der Vorteil der räumlichen Nähe mit allen seinen Konsequenzen, der dazu geführt hat. Von den 25 mit Hilfe der
76 Zur Armutsgrenze im Hinblick auf die Jahresmittel des Scholaren vgl. Paquet: Recherches S. 309f. – Schwinges S. 292: 12 . in Heidelberg. 77 Schwinges S. 304.
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Steuerliste von 1439 genauer bestimmbaren Bakkalaren gehörten zehn (40%) zu den Nichtzünftigen und fünfzehn (60%) zu den Zünftigen. Die Verteilung der Graduierten auf die einzelnen Zünfte läßt von Zunft zu Zunft keinen besonderen Schwerpunkt erkennen. Im Durchschnitt waren die Bakkalarsfamilien wohlhabender als die Studentenfamilien insgesamt; die Verbindung von Besitz und Graduierung scheint im „sozialen Mittelfeld“, auf das die Universität besonders zugeschnitten war, noch enger gewesen zu sein als der schon aufgezeigte Zusammenhang von Familienbesitz und Universitätsbesuch an sich. Von den sechzehn bis 1448 aus Heidelberg stammenden pauperes haben freilich nur drei das Bakkalaureat erreicht. Diese Erfolgsquote von 18,8 Prozent ist geringer als erwartet. Es deutet sich hier für das innerstädtische Milieu eine Art Zweiteilung der Universität an. Was das Bakkalaureat vor Augen führt, wird vom Magistergrad, der wohl zwei bis zweieinhalb Jahre weiteres Studium erforderte, bestätigt und verdeutlicht. Als Ausgangszahl sei wieder die Gesamtsumme der entsprechenden Graduierungen gewählt, die an der Rupertina in einem im Hinblick auf die Studiendauer um vier Jahre nach rückwärts versetzten Zeitraum zwischen Ende 1428 (20. XII.) und Ende 1458 (19. XII.) stattfanden. Deren Gesamtzahl betrug 381 und weist damit an den 4.053 Immatrikulationen einen Anteil von 9,4 Prozent auf. Demgegenüber betrug der Anteil der aus dem Heidelberger städtischen Milieu zu Magisterehren gelangten Personen an der Zahl der Immatrikulationen aus der Stadt 10,8 Prozent (elf Fälle, davon ein Magisterium wohl außerhalb Heidelbergs erlangt). Von den zehn nach der Liste von 1439 gut bestimmbaren Magistern stammten drei aus nichtzünftigen und sieben aus zünftigen Familien, bei wiederum recht gleichmäßiger Verteilung über die Zünfte. Dabei handelte es sich mit einer einzigen Ausnahme (ein Weber mit 20 . Steuervermögen, der jedoch bei der Immatrikulation seines Sohnes [?] nicht den pauper-Status beanspruchen ließ) stets um Wohlhabende. Von den Heidelbergern, die sich als pauperes immatrikulieren ließen, ist keiner Magister geworden78. Über das Normalstudium an der Artistenfakultät, an der sich wohl mehr als vier Fünftel aller Universitätsbesucher aufhielten, weisen hinaus die Grade der höheren Fakultäten und das Amt des Rektors, in gewisser Weise auch schon das Amt des Dekans der Artistenfakultät. Hier
78 An der Prager Juristenuniversität erlangte trotz eines Armenanteils von etwa 20% nur ein einziger „pauper“ einen Grad (Šmahel S. 89).
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zeigt sich selbst im vorgegebenen engen Blickfeld ein bemerkenswerter Einschnitt, der zur Thematik des ersten Teiles dieser Abhandlung zurücklenkt. Derjenige Heidelberger aus der Generation von 1424 bis 1454, der am weitesten emporgelangte, gehörte einem anderen Milieu an als demjenigen der nichtzünftigen oder zünftigen Bürgerstadt und fällt damit aus der Statistik dieses Zusammenhangs heraus, da er als servus dominorum ducum immatrikuliert worden war. Es war der schon in anderem Zusammenhang genannte Legist Johannes Schröder79. Man kann ihn im Schatzungsregister von 1439 nicht zuverlässig zuschreiben, sehr wahrscheinlich war seine Familie steuerlich privilegiert. Gewiß ist es kein Zufall, daß er, der Herrschernahe, im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts der einzige Angehörige der vornehmsten Fakultät gewesen ist, der aus Heidelberg stammte80. Eine soziale Schranke teilte hier die Universität. Artistendekane wurden in dem hier behandelten Zeitraum drei Magister aus der Stadt Heidelberg: 1. Johann Doliatoris81 (Bender/Büttner, wegen des mehrdeutigen Namens nicht sicher zuweisbar), Dekan 1441 und 1453, zugleich Bakkalar der Theologie; 2. Peter Sander82 aus der Zunft der Weingärtner oder Schneider, dessen Vater [?] Bürgermeister war, Dekan 1442 und ebenfalls Bakkalar der Theologie; 3. Johann Keller83 (Kellerhans) aus der Krämerzunft, 1468 Dekan der Artisten, zuletzt Lizentiat der Theologie. Diese Fakultät ist sozial bekanntlich an zweiter Stelle nach der Jurisprudenz einzuordnen und erwies sich hier auch für Städter als erreichbares Aufstiegsziel. Rektoren der Universität wurden – als Angehörige der Artistenfakultät – Doliatoris (1454) und Keller (1473). Festzuhalten ist dabei, daß alle drei zuletzt doch im Artistenmilieu verblieben sind, da der Erwerb einer theologischen Doktorpfründe, der vermutlich anderen, noch zu klärenden sozialen Regeln unterlag, nicht gelungen ist. So mußte man sich am Ende doch mit einer zweitrangigen Position begnügen. Bezeichnend ist auch, daß anders als etwas später in Trier offenbar noch kaum eine Verwandtschaft von Doktoren höherer Fakultäten und von Heidelberger
79
Vgl. oben Anm. 41. Abgesehen ist hier von der Tatsache, daß die Familien der oben erwähnten Hofbeamten sich gelegentlich nach Heidelberg nannten. Damit meinten sie aber ebensowenig den sozialen Bereich der Bürgerstadt wie der Pfalzgraf, der um und nach 1400 öfter „Herzog von Heidelberg“ hieß. 81 Weisert: Rektoren S. 12, 77f. – Ders.: Universität 1 S. 69. 82 Weisert: Rektoren S. 77. 83 Ebd. S. 13, 79. 80
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Bürgern nachweisbar ist und daß die Stadt die Universität nanziell nicht gefördert hat84. So zeigte die Universität für die größere Zahl einerseits und für sehr wenige andererseits, für die Städter und für Landesherrn und Höflinge, ein durchaus verschiedenes Gesicht und erfüllte unterschiedliche Aufgaben. Sie faßte mehr kleinere, verschiedenartige Einheiten unter einem gemeinsamen Etikett zusammen als daß sie sich in gleichförmige Abteilungen gegliedert hätte. Für die sehr ansehnliche Zahl ihrer Besucher aus der Universitätsstadt nämlich ist sie, so bequem erreichbar, am Anfang kaum etwas anderes als eine Lateinschule gewesen85. Diese artistische Schulbildung endete selbst unter den günstigsten Bedingungen für mehr als zwei Drittel der Interessenten unterhalb des Bakkalaureats; schwerlich hielt man dieses nach Adelsmentalität für unnötig, sondern vermochte es nicht zu erreichen. Das letzte Drittel erlangte diesen untersten Grad, der am ehesten einer „Mittleren Reife“ entsprach, nur ein Achtel errang den Magistergrad, eine Art Abitur. Diese Verhältnisse übertrafen noch den allgemeinen Durchschnitt ganz beträchtlich, und erst recht galt dieser „soziale Vorsprung“ für den Universitätsbesuch aus Heidelberg an sich, wie die Zahlen ganz klar ausweisen. Wie andere durch die Nähe zum Hofe Vorteile genossen, so genossen sie die Heidelberger für ihren Bereich durch die Nähe zur Universität. Schon für diese begünstigten Basisstudien kam es aber auch auf Geld und Besitz an, zwar nicht im streng prohibitiven Sinne, jedoch so, daß die Aussichten umso stärker begrenzt waren, je anspruchsvoller die erstrebte Position schien. So könnte man zuletzt für den Ausschnitt des hier behandelten Themas, jedenfalls in der großen Mehrzahl der Fälle, eher von einer Umwandlung von ökonomisch unterbauten in akademisch unterbaute Positionen als von einem Aufstieg im abstrakten Sinne sprechen. Für die vielen bot die mittelalterliche Universität, wie wir seit langem vermuten86, ungeachtet aller klangvollen Proklamationen87 nur eine geringe „wissenschaftliche Zusatzqualikation“, ohne
84
Matheus S. 80ff., 90ff. Vgl. die parallele Beobachtung bei Ernst Schubert: Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts. In: Beiträge zu Problemen deutscher Universitäts gründungen der frühen Neuzeit. Nendeln 1978 S. 13–74 bes. S. 34ff. (Wolfenbütteler Forschungen 4). – Zur Heidelberger Schule vgl. Rudolf Heinze: Magister Conrad Schades Streithändel mit der Stadt Heidelberg. Neue Heidelberger Jbb. 3 (1893) S. 199–223. 86 Moraw wie in Anm. 5. 87 Vgl. z. B. Müller S. 54f. oder Heinz Rüthing: Universität und Gesellschaft im 85
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daß deshalb in der Stadt ein neues soziales Gebilde entstand oder ein altes seine Bedeutung verlor. Denn es fehlten den Kleinen die entscheidenden sozialen Qualikationen: die Beziehung zum Hofe mit seinem mächtigen Patronat und die Verwandtschaft mit bereits Etablierten. So war das Bild von der Rupertina, das sich den Städtern bot, ganz anders beschaffen als dasjenige, das Landesherr und Hof sich bildeten. Eine Synthese gab es schwerlich. Man wird daraus die Konsequenz ziehen können, daß man Universitätsgeschichte besser nicht isoliert deutet, sondern sie von Anfang an intensiv und in vielfältiger Weise mit ihrer Umwelt in Beziehung setzt.
Spätmittelalter. In: Bericht über die 29. Versammlung deutscher Historiker in Regensburg . . . 1972. Stuttgart 1973 S. 55–57.
TEIL III
ZUR SOZIALGESCHICHTE DER UNIVERSIT¹TEN
KAPITEL 11
DAS SPÄTMITTELALTERLICHE UNIVERSITÄTSSYSTEM IN EUROPA – SOZIALGESCHICHTLICH BETRACHTET
Der Sonderforschungsbereich der Universitäten Würzburg und Eichstätt, der sich mit wissensorganisierender und wissensvermittelnder Literatur im Mittelalter befaßt, stellt seine Ergebnisse zur Diskussion. Der Historiker begegnet heute der Welt dieser Literatur gleichsam von außen; er wird nicht von Autoren und Handschriften, sondern bestenfalls von Lesern und Hörern und mehr noch von Voraussetzungen für diese beiden Gruppen sprechen. Auch große Namen werden keine Rolle spielen, weil es mehr um die vielen geht als um einzelne, wenn vom spätmittelalterlichen Universitätssystem1 in Europa gesprochen werden soll – sozialgeschichtlich betrachtet2. Wieviele von jenen Personen Wissen produziert, organisiert und rezipiert haben und wie intensiv sie es gegebenenfalls taten, wissen wir nicht genau. Wir postulieren aber wohl zu Recht Zusammenhänge zwischen der Frage nach Wissensorganisation und Wissensvermittlung und der Frage nach dem Universitätssystem. Je nach dem Fachgebiet wird man solche Brücken verschieden ansehen und verschieden beurteilen. Wir möchten hierbei nicht mitwirken, sondern das andere Ufer, eben das europäische Universitätssystem, mit kurzen Worten zu charakterisieren trachten. Wenn man dieses versucht, bendet man sich gegenwärtig in einer ganz anderen Lage als vor zwanzig oder mehr Jahren. Damals waren es wenige, die sich unter den Historikern für eine solche Frage interessierten, beinahe Einzelgänger. Heute sind es viele, die recht gut international
1 Der Begriff „System“ ist hier nicht im Sinn der Soziologie, sondern eher umgangssprachlich gebraucht. 2 Winfried Dotzauer: Deutsches Studium und deutsche Studenten an europäischen Hochschulen (Frankreich, Italien) und die nachfolgende Tätigkeit in Stadt, Kirche und Territorium in Deutschland. In: Stadt und Universität im Mittelalter und in der früheren Neuzeit. Hrsg. von Erich Maschke und Jürgen Sydow. Sigmaringen 1977 (Stadt in der Geschichte 3), S. 112–141; Harald Dickerhof: Europäische Traditionen und „deutscher Universitätsraum“. Formen und Phasen akademischer Kommunikation. In: Die Bedeutung der Kommunikation für Wirtschaft und Gesellschaft. Hrsg. von Hans Pohl. Stuttgart 1989 (VSWG Beiheft 87), S. 173–198. Vgl. unten Anm. 5 und 13.
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kapitel 11
organisiert sind3 und auf ein bemerkenswert breites Interesse auch über das Fach hinaus stoßen. Die Europäische Rektorenkonferenz hat eine mehrbändige europäische Universitätsgeschichte in Auftrag gegeben4, die zwar nicht oder nicht so sehr diejenigen Brücken zu schlagen sucht, von denen wir gerade gesprochen haben – sie scheinen übrigens nicht leicht zu schlagen zu sein –, sondern die gleichsam selbsttragend integrativ vorgeht. Brücken werden in dem genannten Werk immerhin insoweit gebaut, als jeweils das ganze papstchristliche Europa übergreifend nach Sachgebieten und nicht nach den Nationen oder gar nach den einzelnen Universitäten abgehandelt wird. So scheint das Wort „Universitätssystem“ nicht nur eine leere Hülse zu sein, sondern eine zum kleinen Teil schon bewältigte Herausforderung. Wie gut sie freilich bewältigt worden ist, wird erst die Kritik lehren. Jedenfalls möchten wir heute aus den Ergebnissen dieses Unternehmens und natürlich auch im Hinblick auf die übrigen einschlägigen internationalen Arbeiten auf diesem Feld berichten5. Man kann in der Tat von nennenswerten, freilich der weiteren Diskussion bedürftigen Ergebnissen sprechen, die auch einiges Geläuge oder für sicher Gehaltene anders sehen lassen oder gar umstürzen. Mittelalterliche Universitätsgeschichte im strengen Sinn spannte sich aus zwischen dem späteren 12. und dem beginnenden 16. Jahrhundert. Daran werden wir heute nicht zweifeln. Mittelalterliche Universitätsgeschichte dehnte sich über das Europa des Papstes hinweg. Insofern zum Begriff des Europäischen Gleichartigkeit und Gleichrangigkeit assoziiert wird, sollten sich einige Zweifel einstellen. Mittelalterliche Universitätsgeschichte war älteren Forschergenerationen etwas Helles, Positives, etwas woran man sich aufrichten konnte. Daran werden wir ziemlich intensiv zweifeln. Mittelalterliche Universitätsgeschichte war etwas, was man aus der Erfahrung mit dem Funktionieren der Universitäten von heute recht gut verstehen kann. An diesem meist für selbstverständlich gehaltenen „Wissenstransfer“ wollen wir am meisten zweifeln und mit diesem Zweifel gleich beginnen.
3 Zeitschrift ,History of Universities‘, zuletzt 10, 1991; regelmäßige Vertretung auf den internationalen Historikerkongressen. 4 A History of the European University. General Editor Walter Rüegg. Vol. 1. Universities in the Middle Ages. Editor Hilde de Ridder-Symoens. Cambridge 1991. Die deutsche Ausgabe erscheint in München wohl von 1992 an. 5 Außer wie in Anm. 3 und 4 zuletzt: Le università dell’Europa. La nascita delle università. A cura di Gian Paolo Brizzi e Jacques Verger. Milano 1990.
das spätmittelalterliche universitätssystem
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Ein schlimmer Feind des Historikers im allgemeinen und wohl der schlimmste Feind des Universitätshistorikers ist der Anachronismus. Dieser Teufel arbeitet gern mit der Gleichheit von Begriffen (Student, Professor, Studium, Examen) oder subtiler mit dem Konstanthalten der Vorstellung von einer Institution „Universität“, die es – weil es sie heute gibt – auch früher gegeben haben muß, oder am subtilsten mit Idealvorstellungen, etwa von der Freiheit welcher Art auch immer, der des Lehrens und des Lernens, oder auch von genossenschaftlicher Solidarität und dergleichen. Wir sind heute fast sicher, daß alles Aufgezählte und manches weitere aus der mittelalterlichen Universitätsgeschichte etwas anders zu beurteilen sei als dergestalt, wie es unsere Augen und Ohren zunächst gleichsam naiv wahrnehmen. Dabei gibt es keinen geheimnisvollen kurzen Weg zum richtigen Urteil, außer vielleicht einem uralten: die Quellen ganz ernst und in gewisser Weise (das ist aber nicht mechanisch gemeint) ganz wörtlich zu nehmen. Es stellte sich zum Beispiel eine gewisse Überraschung bei den betroffenen Kollegen ein, als vor einigen Jahren gezeigt wurde, daß es im mittelalterlichen Prag trotz eines einheitlichen Privilegs wohl von Anfang an zwei Universitäten und nicht eine einzige gegeben habe, die vielfach mit der gegenseitigen Distanzierung, jedenfalls im ersten Vierteljahrhundert, beschäftigt waren, zwischen denen bis zu ihrem Untergang (1417) eine Überbrückung nicht gelungen ist6. Es waren samt und sonders längst gedruckte Quellen, denen diese Tatbestände entnommen wurden: Man hatte sie aber nicht so lesen können oder wollen, wie sie wirklich lauteten. Denn wenigstens das Mittelalter der Universitäten hatte harmonisch sein und in sich ruhen sollen. Es war aber ganz und gar nicht harmonisch und ruhte auch nicht in sich. Die Grundthese vielmehr, auf der die moderne Sozialgeschichte der mittelalterlichen Universität aufbaut, lautet, daß die Hohen Schulen von damals nicht besser oder schlechter und nicht sehr anders – von ihrem speziellen Handwerk natürlich abgesehen – beschaffen waren als die Umwelt, der sie zugehörten. Man beobachtet so viele Opportunismen oder auch Anbiederungsversuche nach außen, wie man dies bei vernünftigem Nachdenken von so zerbrechlichen Gebilden wie Universitäten erwarten muß, eben weil sie zerbrechlich waren. Die
6 Peter Moraw: Die Universität Prag im Mittelalter. In: Die Universität zu Prag. München 1986 (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7), S. 9 –134.
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just zitierten Prager, gerade die feinen Juristen, haben einen Rektor aus dem Großbürgermilieu der Gaststadt gewählt und zwar gleich fünfmal denselben, weil sie sich konkrete Hilfe in der Not erhofften – ohne Rücksicht auf das, was wir heute Wissenschaft nennen. Sie wollten einfach überleben7. Wir werden uns aber an dieser Stelle nicht mit Universitäten je für sich befassen, vielmehr die Skepsis, die man gegenüber den Harmonisierungen der Geschichte einer einzelnen Hohen Schule von damals hegen sollte, übertragen auf das System aller Hohen Schulen des papstchristlichen Europa. Manche idealisierte und idealisierende Vorstellung steht da noch dem Durchblick auf die Realitäten im Weg. Solange der Scholar weit weg und überallhin ziehen durfte, vielleicht der reinen Wissenschaft nach, konnte es so schlecht um die mittelalterliche Universtität (und damit stillschweigend auch um die Universität an und für sich) nicht bestellt sein. Aber so verhielt es sich eben in der Wirklichkeit nicht oder sogar ganz und gar nicht. Extrem wenige Deutsche studierten in Oxford und Cambridge, kaum jemals ein Italiener oder Franzose in Deutschland8. Nur eine Minderheit wechselte überhaupt im Mittelalter ihre Universität, und an mehr als zwei Universitäten weilten äußerst wenige9. Mitnichten gab es ein Netzwerk von gleich breiten Wegen, auf denen man über Europa hinweg zu Studienzwecken hin und her wanderte. Vielmehr bestanden nicht allzu viele breite Straßen, in der Regel Einbahnstraßen, deren Verknüpfung ziemlich viel zu wünschen übrig ließ, und daneben schmale überwachsene Pfade. Über diesen ersten ernüchternden Tatbestand hinaus glauben wir aussagen zu sollen, daß das Benutzen der wenigen breiten Einbahnstraßen das seinerzeit vernünftige und empfehlenswerte Verhalten war. Wie ein Romantiker quer zu wandern, konnte in die soziale Katastrophe führen. Wie soll man mit solchen Beobachtungen umgehen, oder allgemeiner gefragt: Kann man heute über das spätmittelalterliche Universitätssy-
7 Ders.: Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet. In: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Hrsg. von Johannes Fried. Sigmaringen 1986 (Vorträge und Forschungen 30), S. 439–486. 8 T. H. Aston: Oxford’s Medieval Alumni. Past and Present 74, 1977, S. 3–40; ders., G. D. Duncan, T. A. R. Evans: The Medieval Alumni of the University of Cambridge. Ebd. 86, 1980, S. 9–87. 9 Rainer Christoph Schwinges: Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Stuttgart 1986 (Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6), S. 29f.
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stem Europas isoliert sprechen? Weil diese Frage mit Entschiedenheit zu verneinen ist, wird man wenigstens mit einigen Worten jene Rahmenbedingungen charakterisieren, ohne deren methodisch gut zu begründende Respektierung man über ein Thema wie das hier behandelte kaum mehr reden darf. Das Problem besteht darin, daß dabei Dinge anzusprechen sind, über die weder sachliche noch methodische Klarheit im ausreichenden Maß besteht. Trotzdem müssen wir sie in unsere Rechnung einsetzen. Wir beschränken uns auf einen einzigen, den wohl wichtigsten Punkt. Die stillschweigend gemachte Voraussetzung, daß es sich um ein verhältnismäßig gleichartiges Europa handele, in welchem von diesem Universitätssystem zu reden sei, scheint nicht richtig zu sein. Es handelte sich viel eher um einen Kontinent krasser Unterschiede. Bei der Analyse der sozialen Situation der europäischen Universitäten, wie sie das eingangs erwähnte Werk enthält, kam es darauf an, diese Unterschiede derart in einem funktionsfähigen Verständnismodell der europäischen Sozialgeschichte einzufangen, daß man damit auch für die Universitätsgeschichte umgehen kann. Dieses gerade in einem knappen Satz formulierte ziemlich beträchtliche Wagnis muß sich auf zwei Voraussetzungen stützen, ohne welche europäische Sozialgeschichte und auch europäische Sozialgeschichte der Universitäten wohl nicht übergreifend betrieben werden kann. 1. Es gebe vom späten 12. bis zum frühen 16. Jahrhundert ungeachtet aller Brüche, Verwerfungen und Sondersituationen langfristig, im allgemeinen und aufs Große gesehen für einige soziale Gruppen, auch für die Universitätsbesucher, einen eher einheitlichen als disparaten Weg der europäischen Sozialgeschichte von einfacheren hin zu komplexeren Existenzverhältnissen im weitesten Sinne, zum Beispiel von kleineren zu größeren Zahlen der Beteiligten, von exklusiveren zu weniger exklusiven Voraussetzungen der Beteiligung und so weiter. Das ist eine jener teleologischen Voraussetzungen, die man auch sonst stillschweigend bei vielem mitschwingen läßt, was man sich unter Geschichte und unter darauf aufbauender Gegenwart vorstellt. 2. Eine Anzahl der einschlägigen, sehr deutlichen Unterschiede zwischen den Regionen Europas lassen sich mit ausreichender Gewißheit für diesen unseren Zweck als zeitliche Phasenverschiebungen auffassen. Auch Phänomene solcher Art gibt es wohl im gerade genannten Zeitabschnitt in größerer Zahl. Die doppelte
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Buchführung beispielsweise war in Oberitalien wesentlich früher vorhanden als in Oberdeutschland, aber beide Phänomene kann man – blickt man auf ihre Voraussetzungen – in einen eher einheitlichen als disparaten Fortgang der europäischen Wirtschaftsgeschichte einordnen, wieder in den Weg von einfacheren zu komplexeren Verhältnissen. Akzeptiert man die beiden genannten Voraussetzungen, die selbstverständlich äußerst vorsichtig gehandhabt werden müssen, nicht, so bleibt das europäische Universitätssystem schwer oder gar nicht erklärbar; zumindest bleibt es gleichsam ächig-zweidimensional. Anders formuliert: Es geht darum, bei welchem Ansatz (mit oder ohne jene beiden Voraussetzungen) in der Zukunft auf die Verringerung methodischer und sachlicher Fehler mehr zu hoffen sei oder welches „Programm“ forschungsgeschichtlich gesehen mehr Anreiz bietet für junge Kräfte, die sich dadurch herausfordern lassen. Die Entscheidung wird dann nicht sehr schwer fallen. Ein weiteres Stück Rahmenwerk ist noch in unser Thema einzubeziehen, das hier nicht näher ausgeführt und begründet sei, sondern einfach benannt werden mag: eine räumlich modizierte „Einheits“Chronologie für Europa10. Manches spricht dafür, daß man phasenhafte ökonomische Tatbestände, etwa Krisen und Konjunkturen, über den Kontinent hinweg „einheitlich“ datierend verstehen kann, wenn man sie als phasenverschoben deutet. Zum Beispiel: Die Krise des 14. Jahrhunderts, die ein langes „positives“ 13. Jahrhundert beendete, begann in Westeuropa bald nach 1300, erreichte aber Böhmen kaum vor 1370. Man kann sogar einen Schritt weiter gehen und mag feststellen dürfen, daß die nächste Wendezeit, diesmal zur guten Konjunktur hin, ein schon moderner gewordenes Europa in der gleichen Richtung schneller durchquert hat als die Krise ein Jahrhundert zuvor; für Deutschland kann man wohl von den Jahren 1450/1475 sprechen. Wie dem aber auch gewesen sein mag, eine räumlich differenzierte, aber einheitlich verstandene europäische Universitätschronologie ist zur Orientierung notwendig und scheint wirklich möglich. Wenn man in diesem Beitrag den Ton auf die deutschen Verhältnisse legt, überspringt man eine 10 Peter Moraw: Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch. In: Hochnanz. Wirtschaftsräume. Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer. Trier 1987, Bd. 2, S. 583–622.
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erste, nur süd- und westeuropäische Zäsur ungefähr wohl im frühen 13. Jahrhundert, diejenige zwischen der Universität als „exotischem“ Phänomen und als von den maßgeblichen Eliten in Kirchen, Höfen und großen Städten zahlreich akzeptiertem Phänomen. In Mitteleuropa, in einem verspäteten Raum, gab es im wesentlichen drei Zeitalter: dasjenige des Studiums eher als Ausnahme- und Randerscheinung (bis etwa 1370/80), die Periode des Studiums als immer noch besonderer Erscheinung bis ungefähr 1450 und schließlich die Phase des Studiums als Massenerscheinung (im mittelalterlichen Sinn) bis etwa 1520. Das letztere könnte man auch schon neuzeitlich nennen. Wir wollen nun versuchen, einige Wesenszüge des spätmittelalterlichen Universitätssystems in Europa aus sozialgeschichtlicher Sicht aufzuzeigen. Man wird zu diesem Zweck zunächst ganz kurz von den Universitäten selbst reden. Extreme Ungleichheit kennzeichnete auch sie, mitnichten relative Gleichheit etwa infolge gut formulierter, voneinander abhängiger Privilegien der Stifter und korrekt ausgeführter Rechtsakte am Universitätsort selbst. Privilegien und korrekte Rechtsakte waren selbstverständlich lebenswichtig: sie unterschieden die Universität von der Nicht-Universität. War man aber einmal Universität, dann hieß wie vielleicht sonst nur beim Adel das Thema: Ungleichheit. Beim mittelalterlichen Städtewesen Europas haben internationale Kongresse der letzten Jahrzehnte, die auch die letzten Winkel des Kontinents zu Wort kommen ließen, zu dem fatalen Fehlschluß geführt, daß im Grunde alle Städte gleich wichtig oder gleich interessant seien. Dem ist ganz bestimmt nicht so, und genauso verhält es sich bei den Universitäten. Erdrückend war das Gefüge an festgeprägten Vorstellungen, das man von später oder von heute her schon dem Beginn der Universitäten in Europa auferlegt hat. Selten ist ernsthaft die Frage gestellt worden, ob die beiden Hauptanfänge in Bologna und in Paris eigentlich zu Recht mit der gleichen Terminologie gehandhabt werden, da es sich doch in fast jeder Hinsicht um grundverschiedene Lebenswelten gehandelt hat. Gern hat man Unterschiedliches gleichsam als individuelle Abirrung von einem eigentlich von Anfang an gemeinsamen Weg verstanden, der irgendwo in der Mitte zwischen beiden Standorten verlaufen sollte, in Wirklichkeit aber wohl im Nirgendwo verlief. Man sollte dieses Verständnismodell probeweise einmal aufgeben. Dann verändert sich vieles, gerade auch für die Deutschen – etwa dergestalt, daß die (noch im Mittelalter wirklich eingetretene) relative Vereinheitlichung jener beiden so verschiedenen Grundtypen in jüngeren Hohen Schulen
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als Zäsur für die gesamte Universitätsgeschichte Europas hervortritt, mit wesentlicher Fortwirkung sogar bis in die Moderne, auch wenn diese Zäsur natürlich nicht so gewollt worden sein kann; denn einen Überblick wie heute hatten die Zeitgenossen nicht, noch hätten sie entsprechende Gestaltungsmittel besessen. Das eingangs zitierte mittelalterliche Prag jedenfalls ist europäisch wichtig nicht so sehr wegen seiner oft aufgegriffenen Nationalitätenkämpfe zwischen Deutschen und Tschechen, sondern weil dort, im Streit der beiden Universitäten, die stellvertretend standen für die beiden alten Zentren Bologna und Paris, dieses Gegenüber ausgetragen wurde, wenn auch noch ohne klares Ergebnis. Entscheidend wurden dann erst die Hohen Schulen in Wien, Heidelberg, Köln und weitere in dem Sinn, daß diese „Armeleuteuniversitäten“, wie man sie im europäischen Vergleich nennen könnte, alle vier Fakultäten in vergleichsweise kleinen Verhältnissen zusammenzwangen und der Territorialstaat Ausbruchsversuche verhinderte. Sie haben unser Bild von der „eigentlichen“ mittelalterlichen Universität – auch mit Rückwirkung auf Bologna und Paris – genau so geprägt, wie sie dann zum Vorbild der modernen kontinentalen Universität des 19. Jahrhunderts geworden sind. „Armeleuteuniversitäten“ wird man sie gemäß dem entwicklungsgeschichtlichen Rückstand der Mitte Europas im Vergleich zum Süden und Westen und wegen ihrer noch allzu kurzen Geschichte heißen, die sie vorerst (und auf die Dauer) nur relativ wenig Ressourcen ansammeln ließ. Hat man jenen Gedanken von der einheitlich entstandenen europäischen Universität provisorisch aufgegeben, so sollte man gleich auch zusätzlich ernst machen mit der Unterscheidung von Zentren und Peripherie. Universitäten von der Peripherie haben, so kann man nur wenig vereinfachend feststellen, auch für unsere Frage nach dem Universitätssystem nur eine Rolle am Rand gespielt, auch quantitativ, ob es nun um Portugal und selbst Spanien, Schottland, Skandinavien und Polen oder um ansehnliche Teile Deutschlands ging – jedenfalls im Mittelalter. Überhaupt sollte man sich daran erinnern, daß es mehr gescheiterte und dahinvegetierende Hohe Schulen gab als wirklich erfolgreiche. Die erfolgreichen allein sind für die Frage nach dem Universitätssystem bestimmend. Selbst die englischen Universitäten – zeitweilig wissenschaftlich sehr bedeutsam –, die auch in sehr beachtlicher Weise das eigene (kleine) Land durchgeformt und hierfür im Vergleich zum Kontinent deutlich individualisierend gewirkt haben11, nahmen am
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Wie oben Anm. 8.
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Universitätssystem, sofern es ein System der Bewegung von Lehrern und Scholaren war, nur einen sehr begrenzten Anteil. Eigentlich gab es vor dem Großen Schisma von 1378 nur drei große Schwerpunkte unseres Systems, 1. Bologna und seine Töchter in Padua und Pavia und später weitere in ihrem Umkreis als Juristenuniversitäten, 2. Paris als Universität der Philosophen und Theologen mit seiner Juristenliale in Orléans und 3. die südfranzösischen Universitäten, vor allem Montpellier, Toulouse und dann Avignon, Hohe Schulen zuvörderst nach italienischem Muster. Die beiden erstgenannten Schwerpunkte, Bologna und Paris, bildeten allein, wohl auch schon aus geographischen Gründen, wirkliche Zentren großen Stils. Denn im Midi versorgte man vor allem die eigene Region und weniger gewichtige Nachbarn, zumal aus Iberien. Aus größerer Entfernung, zum Beispiel aus Mitteleuropa, kamen nur wenige dahin und offenbar auch (wegen des Großen Schismas) nur für relativ kurze Zeit. Nicht Länder vom Rand Europas waren dann entscheidend für die Zukunft des Systems der Universitäten nach 1378. Stattdessen war maßgeblich – wohl ohne daß dies irgendein Zeitgenosse angemessen durchschaute – die Frage, wie die große, bis dahin gleichsam freischwebende, noch wenig erschlossene und noch nicht mit eigenen Universitäten ausgestattete Masse der Mitteleuropäer und Deutschen, neben den Franzosen das größte Volk des damaligen Europa, erfaßt werden würde. Wegen der allgemeinen entwicklungsgeschichtlichen Verspätung Deutschlands, präziser wohl wegen der geringen Größe und Urbanität seiner Städte und wegen der Feudalität seiner führenden Kirchen, hat es bekanntlich sehr lange, bis 1348, gedauert, bis man eine eigene Universität schuf. Noch länger währte es (nach neuesten Forschungen bis etwa 1370 in Prag und sonst bis in die Mitte der achtziger Jahre)12, bis diese Universitäten wirklich funktionierten. Lange hatte es offenbar auch gedauert, wohl bis in das 13. Jahrhundert hinein, bis mehr als einzelne und nicht nur – soweit man sieht – in hohem Maß Vornehme aus Deutschland, wenn es auch in der Summe vor 1348, und 1370 und 1384/86 gewiß Tausende Deutsche waren, in Frankreich und Italien studierten und auch lehrten. Tausende waren aber wenige im Vergleich zur Zahl der Franzosen oder auch Engländer, die damals schon studierten und graduiert wurden, von den Italienern ganz zu schweigen.
12 Peter Moraw: Die Prager Universitäten des Mittelalters. Künftig in: Gedenkschrift für František Graus. 1992.
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Wie man einigermaßen gut beobachten kann13, hatte sich die Gruppe der Deutschen vor jenen Daten studienhalber gleichsam aufgeteilt – in einer zutiefst verschiedenartigen Weise vor allem zwischen Bologna und Orléans einerseits und Paris andererseits. Als sich nun auch die Mitte Europas zu eigenen Hohen Schulen fortentwickelte, konnte es nicht ausbleiben, daß diese gerade erwähnte Differenz, oder anders formuliert, diese je für sich in und für Italien und in und für Frankreich entstandene und von den Deutschen wie selbstverständlich akzeptierte unterschiedliche Studiensituation, zum Konikt führte. Es mußte ausgetragen werden, ob in Mitteleuropa Gebilde wie in Bologna oder wie in Paris oder andersartige entstehen sollten. Einesteils zerrten die ganz anderen entwicklungsgeschichtlichen, sozialen und politischen Realitäten in diese dritte, ungewisse Zukunft; das für Neulinge nicht minder zwingende Bedürfnis, sich zu legitimieren, um anerkannt zu sein, verwies demgegenüber einerseits nach Bologna, andererseits nach Paris. Bevor wir aber zu diesem Konikt kommen, müssen wir zu den Unterschieden zwischen Bologna und Paris zurückkehren und zur Frage, warum sie unüberbrückbar waren. Gemeinsam waren den beiden Plätzen und Regionen immerhin zwei wesentliche Tatsachen: 1. ein vergleichsweise sehr hoher Entwicklungsstand und deutlicher Entwicklungsvorsprung schon vor 1200 und noch lange danach, wenn sich Stand und Vorsprung auch zum Teil in unterschiedliche Richtungen entfaltet hatten. Italien war zweifellos noch moderner als Frankreich. Zum zweiten war gemeinsam das überwölbende Dach der Papstkirche. Für die Papstkirche war in geographisch etwas paradoxer Weise Paris wichtiger als Bologna. So sehr aber bei den italienischen Universitäten das säkulare Moment betont werden muß (dergestalt, daß die große Stadt in jeder Hinsicht, beginnend bei der extrem frühen Entfaltung der kommunalen Schriftlichkeit, fundamental gewesen ist), so gewiß hätte es niemals das Phänomen der mittelalterlichen Universität gegeben ohne die Papstkirche. Sie war das übergeordnete, das umfassende und das
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Joachim Ehlers: Verfassungs- und sozialgeschichtliche Studien zum Bildungsgang Erzbischof Adalberts II. von Mainz. Rheinische Vierteljahrsblätter 42, 1978, S. 161–184; Peter Classen: Studium und Gesellschaft im Mittelalter. Hrsg. von Johannes Fried. Stuttgart 1983; Johannes Fried: Die Bamberger Domschule und die Rezeption von Frühscholastik und Rechtswissenschaft in ihrem Umkreis bis zum Ende der Stauferzeit. In: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Hrsg. von dems. Sigmaringen 1986 (Vortrage und Forschungen 30), S. 163–201; Peter Moraw: Careers of Graduates. In: A History of the European University. Vol. I. Universities in the Middle Ages (Anm. 4), S. 244–279, bes. 260–263.
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legitimierende System. Nicht nur formte sie in Konkurrenz mit dem König von Frankreich die Universität in Paris und die Universitäten des Pariser Typs und nahm auch viele, zeitweise die meisten ihrer Absolventen auf, sie wirkte mitlegitimierend zurück auch auf Bologna und dessen Töchter. Es ist sozialgeschichtlich, und das heißt auch kommunikationsgeschichtlich, einfach nicht vorstellbar, daß die Universitäten ganz auf sich gestellt, das heißt lange Zeit allein die beiden führenden Zentren, jenes so beeindruckende, formal in der Tat gleichmachende Netz der Rechtsstellung, der Organisationsformen, der Terminologie, der Handschriften, des Wissens und der Gelehrten jemals hätten über Europa auswerfen können. Nur die Papstkirche war dazu imstande, und innerhalb ihrer überlebten auch die zarten Pänzchen der ersten nordalpinen Universitäten je für sich, durch Patronage, Zuneigung, Gewöhnung usw. Die vielen Konikte innerhalb der Hohen Schulen und in deren Umkreis hielt man als kirchliche Autorität doch nur aus mit Töchtern, die man liebte, und wo man verbot, war das immer in Teilen, nicht grundsätzlich. Dazu war die Kirche selbst viel zu intellektuell; überall saßen bald die Absolventen, die sich dankbar erinnerten, an den Schaltstellen. Deshalb war auch die schwere Katastrophe der Kirche, das Große Schisma von 1378, ein Wendepunkt der Universitätsgeschichte Europas; denn von nun an war das Papsttum erpreßbar geworden. Durch diese Wende ist auch jene schon erwähnte offene Frage, was mit dem großen Potential in der Mitte des Kontinents geschehen solle, auf unvorhersehbare Weise gelöst worden. Neben dem Gemeinsamen von Paris und Bologna steht aber das Unterscheidende. Für die längste Zeit der mittelalterlichen Universitätsgeschichte wog das Unterscheidende sehr schwer, um so schwerer, als beide Zentren gerade von Deutschland aus ungefähr gleich gut erreichbar waren. Die Scheidelinie verlief nicht an erster Stelle geographisch, obwohl auch geographisch aufweisbar, sondern primär gleichsam sozial-horizontal, so daß man sich außerhalb der wohl konkurrenzlos dominierten Nahzonen der beiden Zentren und abseits der vielleicht einseitig erschlossenen Peripherie ein Übereinander der Einzugsgebiete vorstellen muß, gerade auch in Deutschland. Dieses Übereinander fällt tatsächlich auch in die Zuständigkeit der Sozialgeschichte; denn es war ein Übereinander der Universitätsbesucher, von Lehrern und von Studenten, nach Ansehen, Geburt, Besitz und sonstigem Einuß, kurz nach dem sozialen Status. Nur unter dieser Voraussetzung versteht man den Konikt in Deutschland. Auch die Lösung des Konikts stellt sich dann
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als relativ einsichtig und „logisch“ dar: Denn die Anspruchsvolleren in einer weniger entwickelten Region wie Deutschland waren nicht so fein und waren auch geringer an Zahl als anderswo; so ließen sich viele von ihnen leichter hinabdrücken. Die deutschen vereinheitlichten „modernen“ Universitäten waren dann vom endenden 14. Jahrhundert an im wesentlichen nur noch einschichtig, und zwar dem unteren der beiden Milieus zugehörig. Restaurationsversuche der alten Ungleichheit oder Doppelstöckigkeit hat es gegeben, aber sie blieben aufs ganze gesehen punktuell und ohne dauernden Erfolg. Das Hauptbeispiel ist Basel. Was ist nun mit jener Ungleichheit gemeint? Gemeint ist die eindeutige soziale Überlegenheit der Juristen, deren Legitimationspunkt Bologna war, gegenüber den Artisten und Theologen. Die Mediziner spielten in diesem Gegenüber keine bedeutsame Rolle. Die Juristen waren nicht allzu zahlreich, vor allem nicht in Ländern durchschnittlichen Standes wie in Deutschland; die Artisten hingegen wurden immer zahlreicher, vor allem dem Ende des Mittelalters zu. Jene schon erwähnte Zäsur ungefähr um die Mitte des 15. Jahrhunderts zur Moderne hin war vor allem ein Phänomen der Artisten, die nun wie eine Flut kamen, bis um 1480 offenbar vieles verstopft war und eine erste Überfüllungskrise eintrat. Die vielen Artisten suchten einen Weg nach oben, die neuen deutschen Universitäten kamen ihnen gleichsam entgegen und stiegen damit sozial ab; denn eine extreme Artistenuniversität junger Existenz konnte kaum mehr als einen der hintersten Plätze der europäischen Rangskala belegen. Ausnahmen von dieser Regel gab es wenn überhaupt nur wenige. Mit diesen Gedanken nähern wir uns einem weiteren Arbeitsschritt zur Vervollständigung des Panoramas. Endgültig verabschiedet ist wohl inzwischen die Vorstellung von der mittelalterlichen Universität als dem großen Aufstiegskanal für Arme und Tüchtige14. Es gab solche Leute, aber jede beliebige Statistik liefert für diese Fälle ernüchternd geringfügige Zahlen. An der Prager Juristenuniversität des Mittelalters zum Beispiel gab es ungefähr 20 Prozent „Pauperes“, wobei der Begriff selbst diese oder jene hier nicht zu erörternde Schwierigkeit aufweist. Nur ein einziger „pauper“ aber erreichte einen, und zwar den bescheidensten akademischen Grad. Verallgemeinert gesprochen: man blieb an der Universität sehr häug sozial gesehen das, was man oder was die heimische Familie schon war, und wandelte seinen Status nur gleichsam
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Schwinges (Anm. 9), passim; Moraw (Anm. 13), passim.
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horizontal um, zum Beispiel im Tausch von Vermögen gegen einen akademischen Grad. Gerade in Deutschland ist die soziale Funktion der Artistenfakultäten von derjenigen gehobener Lateinschulen nicht immer leicht zu unterscheiden. Es führt auch kein Weg an der Einsicht in den Tatbestand vorbei, daß ein Magister der Artisten, also ein Inhaber des obersten Grades dieser Fakultät, sozial im Durchschnitt unter einem Scholaren, also unter Umständen auch erst Studienanfänger der Juristen stand. So ist auch der schon erwähnte Konikt in Prag verständlich. Nach den allgemeinen Regeln der zeitgenössischen Gesellschaft – im freien Spiel der Kräfte und noch ohne einheimische domestizierende Traditionen – konnte sich ein Juristenscholar, womöglich adelig und aus vermögender Familie, keinesfalls einem Universitätsrektor unterordnen, der nur Magister der Artistenfakultät war, also womöglich oder sogar wahrscheinlich ein Habenichts und Emporkömmling. So eine Universität konnte es in dieser Generation unter normalen Umständen, das heißt bei einer alleinigen Orientierung an Bologna und Paris und wie gesagt noch ohne Chance zum Einüben am Ort, nicht geben und gab es zunächst auch nicht. Es gab sie erst, als nach dem Großen Schisma die deutschen Regionaluniversitäten mit ihren engen Verhältnissen entstanden waren, wo eben reiche Juristen selten gewesen sind. Die reichen deutschen Juristen mieden vielfach die deutschen Universitäten und gingen weiterhin oder gingen nach einer Anfangsorientierung daheim zusätzlich und in für ihre Karriere entscheidender Weise nach Italien oder nach Orléans. Da und dort ndet man die feinen Leute aus den großen Städten Brabants, aus Nürnberg oder Augsburg. Man kann diese Aussagen noch derart schärfer zuspitzen, daß die normale Artistenfakultät ein soziales Problem für viele der Juristen darstellte, so daß sie an ihr vorbei und durch Hauslehrer oder anderswie vorbereitet worden waren. Wie konnte man sich auch – gut geboren – von einem sozial Unterlegenen examinieren lassen, oder noch schlimmer, wie konnte man, wie es wenigstens formal verlangt wurde, als Magister dieser Fakultät den Jüngeren Latein- und vergleichbaren Unterricht erteilen? Die Universitäten selbst bevorzugten den gutgeborenen und besitzenden Adepten ganz klar. Dafür daß er mehr zahlte, gewann er niedergeschriebene und wohl noch mehr ungeschriebene Vorrechte. Der Altersunterschied trat verschärfend hinzu, denn man muß sich viele mittelalterliche Artisten bei uns sehr jung, manchmal wie Schulkinder, und viele Juristen als Erwachsene, als Pfründeninhaber und Pfarrer, vorstellen. Schließlich ist deutlich genug erkennbar, daß
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die Professorenposition selbst an einer höheren Fakultät weniger wert war als ein gehobenes kirchliches Amt, etwa das Amt des Ofzials, und ebenfalls weniger als ein Hofamt, wie etwa das des Leibarztes. An der Universität zählte man gern die Adeligen, um sich zu rühmen, und wählte vor allem in Krisenzeiten Hochgeborene in die ersten Ämter. Wahlen und Examina darf man sich wohl nicht im modernen Sinn vorstellen, so schwer dies auch quellentechnisch durchdringbar sein mag; wahrscheinlicher ist die Anerkennung von sozialen Besitzständen als die Auswahl des nach Leistungskriterien am besten Geeigneten. Bis ins 12. Jahrhundert zurück – man denke an Otto von Freising in Paris – reicht die von der Forschung zusammengetragene Belegreihe des Studierens in der Ferne15. Dieses Studieren ist der auf den ersten Blick interessanteste Teil des Universitätssystems. Aber auch das Studium aus der Nähe, im Extremfall in der Heimatstadt, war ein überall vertretener Tatbestand von großem, öfter wohl von größerem Gewicht. Dieser Tatbestand differenzierte wiederum jenes europäische System eher, als daß er es unterschiedslos zusammenhielt. Die Kräfte aus der Nähe sind zum Beispiel bei der Amterbesetzung nachmeßbar, am deutlichsten wohl in der Krise; sie vermochten die bloßen Quantitäten, die sehr oft zugunsten der Auswärtigen ausschlugen, leicht zu überspielen. (Auch dies ist übrigens ein Hinweis darauf, wie Universitätswahlen zu bewerten sind.) Stets waren auch die besonders „internationalen“ Universitäten zugleich Regionaluniversitäten. Bei allem Respekt also vor der reichen und mächtigen deutschen Nation in Bologna, die sich freilich im Ablauf der Zeit quantitativ recht ungleich präsentiert – entscheidend war immer, was in der Stadt selbst vorel und was für die Stadt gut schien. Wegen ihrer großen Zahl kann man im allgemeinen in der Ferne die Deutschen am leichtesten von allen Nationen erkennen. Wir wissen aber inzwischen, daß man genausogut die Gruppe der Schotten, Finnen oder Portugiesen zur Untersuchung heranziehen könnte. Denn die Ergebnisse der entsprechenden Analysen sind durchaus vergleichbar, nur entwicklungsgeschichtlich phasenverschoben und, was genausogut erklärbar scheint, durch die Geographie modiziert. In diesem Zusammenhang bieten sich allerdings zwei bisher nicht bewältigte oder überhaupt nicht überwindbare Schwierigkeiten, die sich auf diese Ergebnisse störend
15 Wie Anm. 13. Vgl. z. B. Sverre Bagge: Nordic Students at Foreign Universities until 1660. Scandinavian Journal of History 9, 1984, S. 1–29.
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auswirken: 1. Die armen und erfolglosen Scholaren sind schwer greifbar; 2. Italiener und Franzosen sind in ihren eigenen Ländern viel weniger gut dokumentiert als die deutschen Ankömmlinge, so wie man auch in den späten Phasen (genau seit 1372) viel mehr über die deutschen Universitäten des Mittelalters weiß als über italienische oder französische. Dies ist ein interessantes Phänomen, das noch besserer Durchleuchtung bedarf. Die mit der Prager Juristenuniversität einsetzenden überlieferten Matrikeln16 mögen nämlich nicht so sehr unter dem Aspekt des Verlustes vergleichbarer Texte von anderswo zu beurteilen sein denn als neuartige Quellengruppe. Diese zentralisierte Art der Buchführung wäre dann eher ein Ausdruck von Enge und Armut und sollte erst viel später dem Historiker positiv erscheinen. Wie dem aber auch gewesen sein mag, es stellt – wie im ersten Punkt angesprochen – nach wie vor ein Problem dar, daß vor dem Zeitalter der Matrikeln die sozial Überlegenen unter den Deutschen im Universitätssystem Europas in vorerst unkontrollierbarer Weise hervortreten. So wird dieses System im Rückblick wohl etwas zu sehr „feudalisiert“. Aber auch dies sollte man in gewissem Maß nicht nur der Perspektive zuschreiben, sondern als Quellenzeugnis nehmen. Denn aus größerer Distanz betrachtet ist ein solcher Tatbestand ein Ausdruck sozialer Rückständigkeit. Nicht nur meint die eingangs zitierte wachsende Komplexität Europas, daß immer mehr Leute, die dann eben nicht mehr nur nach Geburt und Besitz ausgelesen sein konnten, an einem differenzierten System Anteil hatten, ungefähr so wie schon früh in einer großen italienischen Kommune. Und nicht nur im allgemeinen moderner, weil ebenfalls differenzierend wirksam, war das etwa für die italienische Stadt bezeichnende Auseinandertreten von guter Geburt und von Besitz, während diese beiden in Deutschland mindestens bis tief in das 14. Jahrhundert hinein, vielfach noch länger, eng zusammengehörten. Es gibt auch verschiedene Zeugnisse, die am gleichen Universitätsort soziale Milieus unterschiedlicher räumlicher Herkunft zu betrachten erlauben17. Bei dieser Gelegenheit kommt eindeutig zum Ausdruck, daß der Westen – in Richtung auf die kommende Neuzeit – weiter entwickelt war als der Osten, auch innerhalb des Reiches. Oder anders formuliert: die weniger modernen Landschaften des Pariser oder 16 Album seu matricula facultatis juridicae universitatis Pragensis ab anno Christi 1372 usque ad annum 1418. In: Monumenta historica universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis 2. Pragae 1834, S. 1–215. 17 Moraw (Anm. 13), S. 248–250; ders. (Anm. 6), S. 75 f.
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des Prager Einzugsgebietes wiesen mehr Adelige unter Lehrern und Studenten auf als die moderneren. So kann man trotz aller Schwierigkeiten sagen: Ehe es heimische Universitäten gab, haben die Ärmeren und Armen weniger oder wenig Erfolg gehabt, und das dauerte bei uns mindestens bis tief in das 15. Jahrhundert hinein. Die Ärmeren und Armen bildeten gleichsam – im günstigen Fall von der Universität in das heimische Leben zurückgekehrt – eine Art Nährboden für die sich verbreitende Schriftlichkeit der deutschen Städte. Im späteren 15. Jahrhundert erreichte man in diesem Milieu gleichsam einen Reifezustand, insofern nämlich als schon viele ärmere Studierende, wenn auch meist nur der Artes, von der regionalen, der Heimatuniversität hervorgebracht wurden. In den oberen Fakultäten hatten weiterhin nur wenige dieser Leute Erfolg. Wir sind damit auch auf diesem Weg nicht mehr weit von der schon einmal angesprochenen, nicht sehr ungewöhnlichen Einsicht entfernt, daß das Europa des Universitätssystems am offensten war für die Scholaren mit den besten Ressourcen. Zum Schluß möchten wir, wieder auf ganz Europa blickend, in drei Punkten einige Konsequenzen zu formulieren suchen: 1. Bevor es in phasen- oder stufenartiger Form zu regional-sozialen Ausgleichsvorgängen im Universitätsmilieu kam, für Deutschland wie erwähnt im späteren 14. Jahrhundert und um die Mitte des 15. Jahrhunderts, begünstigte und bestätigte die Verteilung der Universitäten, wie sie bestand, eindeutig die schon bestehende entwicklungsgeschichtliche Situation des Kontinents, ja akzentuierte sie geradezu, und zwar zugunsten des Südens und des Westens Europas. Vermutlich alle Universitäten sind nicht um der vielen willen, sozusagen aus bildungspolitischen Gründen und zum Ausgleich von Ungerechtigkeiten, geschaffen worden. Von den sogenannten spontanen Gründungen abgesehen ging es im wesentlichen um zwei Motive, um das Prestige des Stifters und um das Bereitstellen von Fachleuten aus höheren Fakultäten für ihn. Anders war es nur in den Kommunen Italiens und Südfrankreichs, wo die Universitäten wirklich in die Führungs- und Intellektuellenschichten oder -gruppen der Städte hineingeochten waren. Aber dies waren eher lokale als regionale und schwerlich überregionale Tatbestände. 2. Am alten Faszinosum der Universitätsgeschichte, am Wunsch also, ein (möglicherweise zeitloses) Interesse an Bildung an und für sich historisch aufzusuchen, bleibt gewiß bestehen, was auch die ange-
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strengteste Sozialgeschichte nicht erklären kann: das private Interesse des Individuums, das durch Gewährsleute von der Universität gehört hatte und sich dorthin zu gehen entschloß. Am leichtesten el dies dem Wohlhabenden und Gutgeborenen. So entstand der Typus des Universitätsbesuchers von außerhalb des gleichsam natürlichen Nahraums der Universitäten. Entschlüsse dieser Art hatten von einem frühen Zeitpunkt an auch mit der Karriere in der Kirche und am Hof zu tun, aber nicht sogleich und auch nicht jedesmal mit durchschlagendem Erfolg, so daß ein beachtenswerter persönlicher Impetus als Motiv bestehen bleiben sollte, und zwar bis zum Ende des Mittelalters. Selbst die französische Monarchie, damals wohl die modernste, führte Eingangsvoraussetzungen aus dem Studium für einige Ämter, und zwar bezeichnenderweise für ziemlich untergeordnete, erst ganz knapp vor 1500 ein18. Überall sonst konkurrierten im nordalpinen Europa, soweit wir sehen, Geburt und Besitz durchaus erfolgreich mit Graduierung und Universitätsbesuch. 3. Gleichwohl kam es nach und nach zu bedeutsamen Ausgleichsprozessen, zumal zugunsten der Mitte Europas, noch nicht im Mittelalter ernsthaft zugunsten des Ostens oder gar des Nordens Europas. Auch dies geschah, wie schon angedeutet, nicht ausdrücklich zum Zweck dieses Ausgleichs, sondern überwiegend aus ganz anderen Motiven, als Nebenwirkung, und es geschah später, als man im allgemeinen denkt, jedenfalls soweit es um eine beachtlich große Zahl von Betroffenen ging. Auch war dieser Ausgleich wohl bis zum Ende des Mittelalters selbst für die Mitte Europas recht unvollkommen. Ein Beispiel: Man kann auf riskante Weise ganz grob schätzen, daß es um 1400 mindestens zehnmal soviel gelehrte Juristen in Frankreich gab als in Deutschland19, von der Qualitätsfrage, zu der man vorerst keinen Zugang hat, ganz abgesehen; Italien dürfte wiederum gegenüber Frankreich deutlich überlegen gewesen sein. Wenn also auch zunächst bei weitem nicht ein Gleichstand erreicht wurde, so scheint doch, um einen Begriff aus der Physik zu zitieren, schon im Mittelalter in der Mitte Europas das Minimum der kritischen Masse deutlich überschritten worden zu sein, so daß nun gesellschaftliche Auswirkungen des neuen Standes möglich wurden, 18 Neithard Bulst: Studium und Karriere im königlichen Dienst in Frankreich im 15. Jahrhundert. In: Schulen und Studium im sozialen Wandel (Anm. 7), S. 375–405, bes. 391–396. 19 Moraw (Anm. 13), S. 271.
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vermutlich schon auf die Reformation. Zuvor hatte es sich um die Frage gehandelt (und tat es immer noch), inwieweit in Gestalt der gelehrten Juristen eine Führungsschicht zweiten Ranges neben und hinter die alte Geburtselite eines aristokratischen Gemeinwesens zu treten imstande war. Prüft man zum Beispiel die Bildungsgeschichte von eher durchschnittlichen Kanonikerstiften in Deutschland nach, so zeigt sich nach noch extremen Unterschieden (ein sicheres Zeichen unausgereifter Verhältnisse) je nach der geographischen Lage innerhalb Deutschlands im 13. und 14. Jahrhundert von der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts an das Phänomen, daß die Zahl der Universitätsbesucher unter den Kanonikern, meist Artisten, rapide und auf stärker gleichmäßige Weise zunahm20. Es trat ein neuer Typ des Studierenden hervor, den man als „modern“ bezeichnen könnte. Der ältere, deutlich seltenere Typus, den man schon im 12. Jahrhundert vorndet, ist der schon bepfründet Studierende, gleichsam der Satte; der jüngere Typus, gleichsam der Hungrige, hoffte erst durch das Studium eine Pfründe zu gewinnen. So sanken die Universitäten in Deutschland im 15. Jahrhundert, wie schon einmal in anderem Zusammenhang angedeutet, mit einigen Ausnahmen sozial ab. Aber das war bildungsgeschichtlich gesehen durchaus moderner als der ältere Zustand. Wie bei vielen sozialen Phänomenen bestand allerdings der Wandel eher darin, daß etwas Neues neben dem fortbestehenden Alten erschien und dieses Alte allein quantitativ an die Seite drängte, ohne es zu beseitigen. Denn die soziale „Hackordnung“ der Universitäten Europas war um 1500 nicht prinzipiell anders beschaffen als um 1200, mögen sich auch zahlreiche Veränderungen im Detail vollzogen haben. Die Brabanter gingen weiterhin nach Frankreich, die Oberdeutschen nach Italien, wenn sie es sich nur leisten konnten. Die innerdeutsche Differenzierung spielte sich gleichsam in der Etage darunter, aber nicht weniger deutlich ab. Wien, Köln und Löwen waren die am meisten besuchten deutschen Universitäten des Mittelalters, wohl auch weil diese Städte dem Milieu des „Älteren Europa“, das die Universitäten für seinesgleichen hervor-
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Ders.: Stiftspfründen als Elemente des Bildungswesens im spätmittelalterlichen Reich. Künftig in: Untersuchungen zum weltlichen Kollegiatstift. Göttingen 1992 (Studien zur Germania Sacra 18).
das spätmittelalterliche universitätssystem
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gebracht hatte, am ähnlichsten waren. Im speziellen Fall entstanden adelsnahe Universitäten, so in Ingolstadt. Durchaus mit einer gewissen Absicht schließen wir an diesem Punkt relativ unvermittelt. Denn dies ist ein symbolischer Ausdruck dafür, daß es sich um ein besonders stark in Bewegung bendliches Gebiet der Mediävistik handelt, das täglich Neues oder gar Überraschungen hervorzubringen vermag.
KAPITEL 12
DER DEUTSCHE PROFESSOR VOM 14. BIS ZUM 20. JAHRHUNDERT
Die mittelalterliche und auch die frühmoderne Universität war prinzipiell eine Lehranstalt. Nur ein geringer Teil der akademischen Lehrer war auch als Forscher tätig. Wie entwickelte sich die Institution des deutschen Professors vom Mittelalter zur Gegenwart? In deutschen Universitäten und Forschungsstätten trifft man auf den deutschen Professor, zumeist in männlicher, gelegentlich auch in weiblicher Gestalt. Selbstverständlich ist er ein Phänomen mit individuellen Merkmalen, ganz anders beschaffen als seine Kollegen. Jedenfalls glaubt er dieses. Irgendwie meint er aber zugleich Anteil zu haben an übergreifenden Wesenszügen eines, seines „Kollektivsingulars“, das heißt am deutschen Professor an und für sich. Wenn man dieser Species – ebenso deutlich vielleicht wie der Species der Köche oder der Schornsteinfeger – gewisse gemeinsame Eigenschaften zusprechen kann, so muß das mit der Geschichte, mit der langen Geschichte des deutschen Professors zu tun haben. Paradoxerweise wird man dieser Geschichte um so weniger entgehen, je geringere Kenntnis man von ihr hat. Sollte gar die deutsche Universität, wie manche sagen, im Positiven oder Negativen etwas Besonderes an sich haben, so müßte das auch für den deutschen Professor gelten. Denn das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Wie aber Soziologen zu zögern scheinen, ihre Profession fachkundig zu durchleuchten, so zögern Professoren mit der Analyse der eigenen Art: Vielleicht erfährt man mehr, als wünschenswert ist. So hat es zum Beispiel bis vor wenigen Jahren keine einzige Arbeit über die Entstehung des deutschen Professors gegeben. Hatte dieser angesichts des Fleißes der Historiker etwas befremdliche Tatbestand nicht noch eine andere Ursache? Konnte vielleicht der deutsche Professor gar nicht entstehen, weil er gleichsam immer schon da war, als eine Figur aus dem Mythos? So mögen das unsere Professoren am ehesten in ihrer größten Zeit gesehen haben, im 19. und im frühen 20. Jahrhundert. Diese Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung der „klassischen“ Periode der deutschen Universität hat die ältere „vorklassische“ Vergangenheit überformt und hat auf die Zukunft, auf die
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„nachklassische“ Zeit, die unsere Gegenwart ist, vorausgewirkt. Denn was man wahrzunehmen meint, ist am Ende ebenso wichtig wie das, was wirklich bestand oder besteht. Das lernt man seit kurzem in den Vorlesungen der Historiker. In diesen Vorlesungen hört man daneben aber immer noch das Ältere und ebenso Richtige: Was heute ist und morgen sein mag, versteht man besser, wenn man nach dem Gestern und dem Vorgestern fragt. Wenn freilich ein Professor fragt, was Professoren gewesen seien, dann sollte er seine Steine besonders kraftvoll in den tiefen Brunnen der Vergangenheit werfen, wenn er sich zur Rückschau über dessen Rand beugt. Denn bleibt das Wasser glatt, das im Brunnen steht, sieht man nur sein eigenes Spiegelbild. Prinzipielle Feststellungen könnten solche Steine sein. Zwei davon fassen wir gleich am Anfang an: 1. Der deutsche Professor ist in seiner 650jährigen Geschichte, samt 150jähriger Vorgeschichte, etwas jeweils recht Verschiedenes gewesen. 2. Der deutsche Professor ist in dieser langen Zeit in hohem Maß etwas Außenbezogenes oder gar Außenbestimmtes gewesen. Und die Konsequenz aus beidem: Sein Unveränderliches, seine Substanz oder sein Wesen, ist schwer zu nden. Analog zum Faktum, daß sich das Wasser im Brunnen nach einiger Zeit wieder glättet, wird man aber beruhigend hinzufügen: Es bleibt vernünftig, von einer zusammenhängenden Geschichte des deutschen Professors zu sprechen, die bis zur Gegenwart reicht – weil der Glaube daran seine guten legitimierenden Seiten hat und auch weil mancherlei Sachargumente dafür sprechen. Unter dieser Voraussetzung wollen wir vier Stationen in der Geschichte des deutschen Professors unterscheiden: 1. Die Entstehungsphase samt deren Vorgeschichte; jene gehört in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts und in das 15. Jahrhundert, die Vorgeschichte kann man bis in das 12. Säkulum zurückverfolgen. 2. Die Phase des eißigen, braven und gebildeten deutschen Professors oder die Phase der Gelehrsamkeit im guten Sinn dieses altertümlich gewordenen Wortes, vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. 3. Die Phase mit den meisten guten Eigenschaften des deutschen Professors: immer noch eißig und gebildet, nun aber auch wißbegierig, methodenbewußt und originell, wenigstens zum ansehnlichen Teil, auch national und international recht angesehen – ganz im Gegensatz zu den beiden Vorphasen. Es war die Periode des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts. 4. Im späteren 20. Jahrhundert, in der Gegenwart, verteilten und verteilen sich gute und weniger gute Eigenschaften auf inzwischen sehr viele deutsche Professoren, mehr oder weniger ungleich.
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Daß Professoren schwache Menschen sind wie wohl die Angehörigen der allermeisten Berufsgruppen, außer vielleicht Heilige und Fanatiker, und daß die Universität, nicht anders als die Verwaltung oder die Justiz, im Hinblick auf den Zeitgeist keine stählerne Festung, sondern ein winddurchblasenes Gartenhaus darstellt, dafür hätte man zu den zwölf traurigen, auch schuldbeladenen Jahren nach 1933 eine eigene Station einrichten können, wenn genügend Raum und eine andere Stilebene zur Verfügung stünden. Die leichte Hand dieses Beitrags scheint dafür nicht geeignet. Ohnehin muß eine Übersicht wie diese vieles übergehen, was eigentlich zu unseren Stationen hinzugehört: die Universität als Institution, die einzelnen Fachdisziplinen, das Gegenüber von Universität und Staat und manches andere. Nicht so sehr, was er tat, interessiert uns heute am deutschen Professor, sondern was er war. Nur die astronomische, nicht die historische Zeit verstreicht gleichmäßig. Blicken wir 650 oder gar 800 Jahre zurück, so liegen zwei besonders wichtige Einschnitte der Universitäts- und der Professorengeschichte erst wenige Jahrzehnte zurück: Die Universität und die Professorenschaft vor diesem Einschnitt waren eine Angelegenheit kleiner, besser gesagt sehr kleiner Zahlen, und: Diese Universität und diese Professorenschaft waren jeweils in eine prägende, führende oder mitführende, jedenfalls bergende Gruppe der Gesellschaft eingebettet, worin man sich zu Hause fühlen konnte. Erst die Massenuniversität von heute ist sozial ortlos geworden. Wir kommen zum historischen Ablauf. Als die Universität in der Mitte Europas ins Leben trat, war diese Mitte auch entwicklungsgeschichtlich geurteilt etwas Mittleres – vor allem in ihrer zivilisatorischen Qualität. In Süd- und Westeuropa war man zumindest vom 12. Jahrhundert an weiter fortgeschritten, war man „moderner“. Die ältesten europäischen Universitäten sind demnach in Oberitalien, zuerst in Bologna, und in Nordfrankreich und Südengland, zuerst in Paris, im 12. Jahrhundert oder um 1200 entstanden. Ihr Wurzelgrund und ihre bergende Hülle zugleich waren eine bereits hochentwickelte „Großstadt“/kultur hier und dort und war noch dazu in Frankreich eine gelehrt gewordene christliche Kirche. Beide Regionen und Lebenswelten entfalteten sich ziemlich gleichzeitig, beide kann man sich ohne das fortwirkende Erbe der römischen Antike nicht vorstellen. Doch waren beide Welten sehr verschieden. Das säkulare, agonale, sozial mobile, „demokratische“ Innenleben der großen oberitalienischen Kommunen interessierte sich primär für die Rechtswissenschaft; kaum schon politisch, aber gelehrt und religiös sehr interessierte, sozial eher „freischwebende“ Gruppen in
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Frankreich konzentrierten sich zuerst auf den Bereich, den wir heute Philosophische Fakultät nennen oder bis vor kurzem so nannten. Das hieß in der Sprache von damals „Sieben Freie Künste“ (septem artes liberales, daher „Artisten“) und meinte eine Anzahl „Schul“ fächer im geistes- und naturwissenschaftlichen Gebiet. Als zunächst notwendige Fortsetzung und Krönung der „Artistik“ trat die Theologie hinzu. Ein weiterentwickeltes Latein war diesen romanischen Umwelten eine gut verständliche Umgangssprache, ganz in der Nähe der gelehrten Texte der lateinischen Antike. Aber auch Engländer, Deutsche, Skandinavier und Polen hatten daheim Latein lernen können und suchten jene Stätten der Gelehrsamkeit auf. Deutsche Studenten waren traditionell die größte Gruppe der „Ausländer“, Professoren deutscher Herkunft lehrten in Paris und Bologna. Daß so fragile Gebilde wie die Universitäten Bestand hatten und immer mehr Anziehungskraft entfalteten, kam in ihrer rauhen Umgebung fast einem Wunder gleich. Undenkbar wäre dies gewesen ohne den schützenden Mantel der Papstkirche, deren intellektuelle Führung die Universitäten ungeachtet aller Sorge um Rechtgläubigkeit und Moral mit Zuneigung begleitete, waren doch Päpste und Kardinäle in immer höherem Maß selbst aus den Universitäten hervorgegangen, jedenfalls im Westen und im Süden des Kontinents. Erstaunlicher war nur noch die Attraktivität jener Lebensformen für die weniger entwickelten Teile Europas, die kein direktes Erbe der Antike kannten, vor allem nicht deren Urbanität. 150 Jahre freilich mußten verstreichen. Die älteste Universität östlich des Rheins und nördlich der Alpen, die Carolina in Prag, hat 1998 ihr 650jähriges Jubiläum gefeiert. Diese Universität mußte wie ihre vielen jüngeren Schwestern von oben eingepanzt werden. Ein Umland, das sie wie von selbst hervorgebracht hätte, gab es in diesem „ Jüngeren Europa“ selbst im 14. Jahrhundert noch nicht, anders als viel früher schon im „Älteren Europa“, von dem bisher die Rede war. Am meisten verstand man am Kaiserhof vom Prestige oder gar vom Nutzen einer Universität. Bei weitem noch nicht wird man von einer „Bildungspolitik“ für Studenten reden, sondern von der Zweckmäßigkeit von Fachleuten des Rechts, der Theologie und auch der Medizin für den Hof. Als die Zeit gleichsam reif geworden war, herrschte Kaiser Karl IV. – persönlich hochgebildet und Frankreich- und Italienkenner – aus dem linksrheinischen Haus Luxemburg gerade in Prag. Daher lag dort der Anfang. Es folgten gemäß dem dynastischen Rang die Habsburger in Wien (1365), dann die Wittelsbacher in Heidelberg (1386) und so weiter. Zwischenhinein schob sich die damals größte deutsche Stadt, die links
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des Rheins gelegen dem „Älteren Europa“ angehörte: Köln (1388). Anders als in Bologna oder Paris benötigte man in der Mitte Europas ein Privileg von Papst oder Kaiser, um legitim beginnen zu können, und man benötigte Lehrer, „Professoren“, die die Dynastie irgendwo rekrutieren mußte. Von Anfang an war der Professor an deutschen Universitäten ein Diener des Herrschers, aus dessen Handeln nach und nach der Staat hervorging. Nicht war man wie in Italien von der Kommune ernannt worden oder gar wie in Frankreich gleichsam aus einem Kreis junger wißbegieriger Leute als ihr bester ausgelesen. Der deutsche Professor wurde obrigkeitlich berufen, und so ist es bis heute geblieben. Um zu verstehen, wie man in solcher Lage Professoren auffand oder heranzüchtete, wie also ein neuer Berufszweig in einer darauf nicht vorbereiteten Umwelt entstand, wird man sich einer heute nur noch im angelsächsischen Raum erhalten gebliebenen mittelalterlichen Eigenschaft der Universitäten erinnern. Sie konnten sich nicht auf ein staatlich geordnetes Schulwesen stützen, sondern mußten die Vorbildung ihrer Studentenschaft selbst organisieren. Daher waren sie zweistug beschaffen. Die Hauptaufgabe der „Artisten“ fakultät war die Grundausbildung in jenen schon erwähnten „Schul“ fächern. Wenn man diese hinter sich hatte, studierte man an einer der drei „höheren“ Fakultäten Theologie, Rechtswissenschaft oder Medizin. Die Studenten dieser Fakultäten waren vielfach zugleich Lehrer (Magister) in der Artistenfakultät für die Jüngsten. Wer indessen aus adliger Familie oder aus reichem Bürgerhaus stammte, hatte diese Kenntnisse bei seinem Hauslehrer erwerben können und mochte sogleich „oben“ beginnen, vor allem in der Jurisprudenz, im eigentlich einzigen dem Adel angemessenen Studium. Von diesen sozialen Tatbeständen ist vieles bis in das 19. und auch bis in das 20. Jahrhundert erhalten geblieben. Man würde die ältere Universität sehr mißverstehen, wenn man in ihr ein sicheres Vehikel sozialen Aufstiegs für begabte und leistungsfähige junge Leute sehen würde. Solcher Aufstieg ist stets ein Sonderfall geblieben, oft ein sehr seltener. War man vornehm durch Geburt, so blieb man es an der Universität und erst recht danach. So waren die Doktoren der höheren Fakultäten viel feiner als die Magister der Artisten. Ob man diese Magister überhaupt als Professoren im heutigen Sinn bezeichnen soll, ist durchaus problematisch und muß von Fall zu Fall und je nach der Fragestellung entschieden werden. Unterschiede im Professorenrang scheinen eben unvermeidlich zu sein. Eine Auockerung dieses Zustands kann man darin erkennen, daß sich gelehrter und sozial-ökonomischer
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Rang jedenfalls in der Vergangenheit nicht völlig deckten. Bis ins 18. Jahrhundert waren die Theologen nach dem Maßstab der Gelehrsamkeit die ersten, auch wenn sie arme Schlucker waren. Am besten ging es sozial und nanziell den Juristen und dann vom mittleren 19. Jahrhundert an, zunächst nanziell, den Medizinern. Der deutsche Professor hatte es gemäß alledem nicht leicht, ins Leben zu treten – oder anders formuliert: Es handelte sich um einen Prozeß mit unbekanntem Ziel, der lange Fristen, zunächst viel Improvisationsaufwand und zahlreiche umständliche Ausgleichsvorgänge erfordert hat. Daß die erste Universität in Prag mehr als zwanzig Jahre gebraucht hat, um wirklich zu funktionieren, nimmt daher nicht wunder. In der Regel war der mittelalterliche Universitätslehrer unverheiratet und lebte als Kleriker; die Universität vor 1520 und außerhalb Italiens kann man sich am besten als geistliche Anstalt vorstellen. So vermochten auch einfache Magister, junge Leute, zu überleben, die sich recht und schlecht von den Gebühren ihrer Studenten ernährten. Besser ging es den Magistern als Betreiber eines Wohnheims für ihre Schüler oder als Mitglieder kleiner Magistergruppen in Kollegien (ähnlich wie idealiter im englischen College noch heute). Der Doktor wurde in der Regel komfortabler versorgt, zumeist in Gestalt einer Pfründe, also eines geistlichen Einkommens, das hier statt mit einem Seelsorgeamt mit einer Lehrverpichtung gekoppelt war. Auf diese Weise handhabten die deutschen Fürsten ihre Universitäten am liebsten, auch schon Kaiser Karl, indem sie faktisch ihre Kirchen besteuerten. Aus der Pfründe, die im günstigen Fall ein sicheres Einkommen mit ansehnlicher Unabhängigkeit und Selbstverantwortung des Inhabers verband, entstand auf direktem Weg der Lehrstuhl. Der Lehrstuhl ist jene soziale Figur, die über mehrere Jahrhunderte hinweg Stabilität und Leistung der Universitäten fundamental gesichert hat und nicht minder die relative Unabhängigkeit des Kollegen vom Kollegen. Nur so konnte die so oft heikle Situation gemeistert werden, daß unmittelbar nebeneinander das fachlich Modernste und das fachlich Altertümlichste Bestand haben mochten, ohne daß man die ganze Institution „Universität“ unerträglichen Zerreißproben ausgesetzt hätte. Von Jahrhundert zu Jahrhundert gab es jeweils aktualisierte Detaillösungen in diesem Problemkreis. So wurden Theologieprofessoren, die zugleich Mitglieder eines religiösen Ordens waren, von diesem unterhalten und kosteten die Universität besonders wenig, so daß man in diesem Milieu etwas wagen durfte: Der Augustinereremit Martin Luther gelangte nach Wittenberg. Die feinen und teuren Professoren waren oft hofnahe oder hatten gar Hofpositionen
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oder auch hohe Kirchenämter inne. Ein Leibarzt und Professor galt mehr als ein gewöhnlicher Professor der Medizin, und vor allem war diese Kombination viel einträglicher; ein königlicher Rat und Jurist war gewichtiger als ein normaler Professor der Rechte. Ob man als Adliger mit dem Doktortitel wirklich an der Universität lehren sollte, war problematisch bis um und nach 1800. Der hochgeborene große Jurist Savigny setzte sich als einer der ersten über solche Bedenken hinweg. Die „klassische“ Zeit der Universität stand bevor. Die Fachdisziplin spielte im Vergleich zum Streben des Professors nach nanziellem und gesellschaftlichem Aufstieg zunächst nur eine geringe Rolle. Man konnte zuerst Rhetorik, dann Geschichte und schließlich Theologie lehren und sich demgemäß verbessern, bis man eine einträgliche Pfründe erlangte. Die wertfrei betrachtete Pfründe ist, wie wir nun noch deutlicher wahrnehmen, ein Hauptkennzeichen der ersten Phase der Professorengeschichte in Deutschland und im Hinblick auf den Lehrstuhl eine der wichtigsten Erbschaften, die diese Phase hinterlassen hat. Jeglicher einschlägige Rationalisierungsversuch der „nachklassischen“ Zeit, den auch der Historiker gewiß nicht von vornherein ablehnen wird, muß sich an einer langen geschichtlichen Erfahrung messen lassen. Wenn man von der Freiheit von Forschung und Lehre spricht, muß man zuvor von der Freiheit der Pfründe und des Lehrstuhls reden. Die Bezeichnungen der frühen Universitätslehrer waren so verschieden wie ihre Rangverhältnisse und ihre Tätigkeitsorte. Erst von heute her gesehen kann man diese Männer als Professoren zusammenfassen. Auf die durchaus problematische Übersetzung dieser Titulatur als „Bekenner“ sollte man nicht viel Wert legen. Die Begriffe waren kirchlich: Beim Rektor dachte man an den „rector ecclesiae“ (= Pfarrherr, Pfarrer), der Dekan trug nicht minder einen kirchlichen Titel. Wer die teure Doktorprüfung nicht erschwingen wollte oder konnte, der blieb mit dem gleichen wissenschaftlichen Anspruch Lizentiat, wie Goethe. Als Jurist galt Goethe immer noch mehr als der Doktor der Theologie Martin Luther, dessen Vater, der sich das inzwischen hatte leisten können, ihn viel lieber als Juristen gesehen hätte. Rasch gab es auch in Deutschland Magister und Doktoren, Bakkalare und Lizentiaten innerhalb und außerhalb der Universität. Daß ein Titelwesen, das eigentlich intern zur Nachwuchsregelung ausgebildet worden war, so ungeheuren auswärtigen Erfolg – bis heute – davontrug, ist wahrhaft erstaunlich und läßt sich ohne die Zuneigung und Förderung der Kirche und der Höfe nicht denken.
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Der wichtigste Vereinheitlichungsschub, der die deutschen Universitäten und ihre Professoren noch vor dem Ende des Mittelalters erfaßte und die Zukunft bestimmte, rührte von der Armut der deutschen Fürstenstaaten und als deren Folge von der Armut und geringen Durchschnittsgröße der deutschen Universitäten her. Auch heute sind alte deutsche Hochschulen, um von den jungen zu schweigen, viel ärmer als alte englische. Die Armut der deutschen Universitäten zwang jedenfalls Juristen und Nichtjuristen – trotz harten Widerstands von jenen – in einer Hochschule zusammen. Es war eine Angleichung nach unten, die erste, aber nicht die letzte der deutschen Universitätsgeschichte in dieser gefährlichen Richtung. So entstanden die vier klassischen Fakultäten der „vorklassischen“ und der „klassischen“ Universität: Theologie, Rechtswissenschaft, Medizin und Philosophie. Nach und nach, zumal im 19. Jahrhundert, gewann dieses Schema Geltung fast in der ganzen Welt als Grundmuster einer legitimen Hohen Schule. Nicht nämlich Bologna oder Paris, die großen alten Namen mit ihrer extremen Schwerpunktsetzung, sondern die ausgeglichenen deutschen Universitäten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit bildeten den fortan gültigen Normaltyp der europäischen Hochschule aus. Zunächst brachte die zweite Phase der deutschen Professorengeschichte, die nun zu skizzieren ist, auch einiges zum Thema „Neuerung“ zum Vorschein. Dennoch können wir von dieser Station etwa zwischen 1520 und 1810, einer weiterhin „vorklassischen“ Phase, viel knapper handeln. Deutschland war das hochschulreichste Land Europas geworden. Ungeachtet seiner fortbestehenden Armut holte es nun entwicklungsgeschichtlich auf, während Länder mit stolzerer Vergangenheit stehen zu bleiben schienen. Die protestantischen Universitäten des Zeitalters führen sein Besonderes am klarsten vor Augen. War die mittelalterliche Universität im Idealfall eine Pfründenuniversität, so wird man die frühneuzeitliche Universität eine Familienuniversität nennen. Die Pfründe aus katholischer Zeit bestand als Wirtschaftskörper fort, aber die Professoren waren fortan verheiratet. Der Lehrstuhl sollte nun wie ein Wohnhaus, ein handwerklicher Beruf oder ein Fürstenthron wenn möglich in der Familie vererbt werden. Wie einst beim mittelalterlichen Umgang mit der Pfründe handelte es sich für die Zeitgenossen um ein normales Sozialverhalten, das man nicht nach den Regeln der „klassischen“ Zeit beurteilen und verurteilen sollte. Man begreift die Familienuniversität wohl am besten, wenn man sich die beiden Idealtypen des an der Universität führend Tätigen vor Augen führt: den
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traditionsbezogenen, enzyklopädisch gebildeten und eher schulmäßig weitergebenden Gelehrten einerseits und den forschend vorandrängenden, spezialisierten Wissenschaftler andererseits. Die Professoren der Moderne verstehen sich seit „klassischer“ Zeit im Sinne des zweiten Typus, ohne daß der erste gänzlich ausgestorben wäre und ohne daß man angesichts der Vorzüge der jüngeren Species die Augen vor ihren Mängeln verschließen sollte. Zur sozialen Instanz der Familienuniversität paßte aufs beste, wie vielfach schon zum Mittelalter, der erstgenannte Typus. Diese Lebensform sicherte ungeachtet der schwierigen Kommunikations- und Literaturverhältnisse jener Jahrhunderte ein ziemlich gleichbleibend ansehnliches Niveau der Tradierung von insgesamt späthumanistischen Lehrinhalten. Innovation war dadurch nicht ausgeschlossen, war aber weder notwendig noch allseits erwünscht. Auf ihre Weise war die Familienuniversität fest im Beamtentum des Fürstenstaates, in den Trägergruppen seiner Landeskirche und im gehobenen Bürgertum der heimischen Städte verankert. Nur wenn solche Staaten untergingen, wie immer wieder um 1800 in Deutschland unter französischem Druck, war auch die zugehörige Universität bedroht. Sonst war ihre Existenz gesichert. Das notwendige Minimum an geistiger und sozialer Erneuerung, also der Aufstieg vielversprechender junger Leute, vollzog sich am besten durch Einheirat, auf dem Weg über die Hand der Professorentochter. Weil sich auf diese Weise während dreier Jahrhunderte – mit Ausnahme der Juristen, die überregional interessiert blieben – das soziale Potential räumlich und gesellschaftlich nach und nach verengte, sank das Ansehen der Universitäten. Jedoch minderte es sich nie so sehr, daß man vergessen hätte, daß die ganze Institution mit Kaiser und Papst und mit überall geläugen Texten und Wissensformen sowie mit allgemein anerkannten Graden und Titeln zu tun hatte. Gleichwohl gab es nun, im 18. Jahrhundert, immer mehr große Wissenschaftler außerhalb der Universitäten, wie z. B. Leibniz, und drohten Höfe, Akademien, Salons und Kaffeehäuser die Rolle der Hohen Schulen jedenfalls im diskursiv innovativen Bereich zu übernehmen. Da begann mitten im Alten das Neue, und man kann schwerlich in Kürze ausreichend erklären, wie dieses begann. An neuen Universitäten hat es das Neue immer leichter gehabt, in Wittenberg im 16. Jahrhundert, in Berlin im 19. und vielleicht in Bielefeld im 20. Jahrhundert. Im 18. Säkulum spielte diese Rolle nach der Neugründung in Halle (1694) vor allem Göttingen (seit 1734/37). Sehr abgekürzt kann man das wissenschaftsgeschichtlich Innovative die allmähliche Ablösung des
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Gelehrten durch den Wissenschaftler nennen, wie sie in Gestalt der Abfolge der beiden Idealtypen des Universitätslehrers schon angedeutet worden ist. Mit der Verbesserung des Gymnasialunterrichts stieg die entlastete Artistenfakultät zur Philosophischen Fakultät auf, es kam zur Durchdringung alter Fachinhalte im geistes- und naturwissenschaftlichen Bereich mit Fragestellungen „modernen“ Typs. Diese Fakultät sollte im 19. Jahrhundert die Führung der „klassischen“ Universität übernehmen und sich nach und nach in Natur- und Geisteswissenschaften sondern. Gleichsam von unten her, an manchen Universitäten in sogenannten Ökonomischen Fakultäten, begannen junge, vorerst praktische Fächer den langen Weg zur Verwissenschaftlichung einzuschlagen: Wirtschaftswissenschaften, technische Disziplinen, Landwirtschafts- und Forstwissenschaft, Veterinärmedizin. Im sozialen Milieu kann man am wenigsten von radikalen Einschnitten oder weitgespannten Einzelschritten reden, viel eher handelte es sich um die Modizierung des Alten. So wurde der biologische Vater der Familienuniversität langsam durch den akademischen Vater ersetzt, der sich zugunsten nun seiner geistigen Söhne ganz ähnlicher Förderungsmechanismen bediente wie sein Vorgänger. Die Antwort auf die Frage nach dem Warum der Entstehung der „klassischen“ Universität, vereint mit dem „klassischen“ Zeitalter der deutschen Professorengeschichte, in der einzigen Periode, in welcher beide Phänomene internationale Geltung gewannen, müßte das ganze so erstaunliche 19. Jahrhundert erklären wollen. Wir begnügen uns mit wenigen Beobachtungen. Im allgemeinsten kann man wohl sagen, daß dieses Jahrhundert der deutschen Geschichte und mit ihr der deutschen Universitätsgeschichte gleichsam die Chance eines Neuanfangs im europäischen Wettbewerb eröffnet hat, durch technisch-industriellökonomische Innovationen im allgemeinen und durch politisch-geistigsoziale Konstellationen im besonderen. Auch die Ereignisgeschichte hat das ihrige getan, vor allem in Gestalt der Herausforderung Preußens nach seiner schweren Niederlage am Beginn des Jahrhunderts. Dieses Neue wurde dargelegt und symbolisiert durch die Gründung einer Universität in Berlin im Jahr 1810. Dem Wissenschaftsstandort Berlin war bestimmt, die Führungsrolle von Paris in Europa abzulösen. Dafür genügte, daß es im weiten deutschen Sprachgebiet zu einer zuvor nie dagewesenen Wettbewerbssituation unter den Universitäten und ihren Trägern gekommen ist, in den Staaten des Deutschen Bundes und dann des Deutschen Reiches, in Österreich-Ungarn und der Schweiz – mit einer Führungsrolle Preußens, das aber nie so mächtig war, daß es
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alles hätte bestimmen können. Neben Berlin wurden und waren auch München und Leipzig Metropolen des Wissens, sodann Göttingen und Bonn und weitere Städte. Die öffentliche Meinung, sozial ausgeformt im neuentstehenden Bildungsbürgertum, erkannte die Leistung der „klassischen“ Universitäten an. Sie wurden eine Art ideeller Gesamtbesitz der Kulturnation. Die Gebildeten fanden ihre Heimat in dem geistigen Klima, das die Universitäten schufen. Hier studierten die Söhne des Bildungsbürgertums und nach und nach auch des Wirtschaftsbürgertums, vorerst aber nur wenige Söhne von Kleinbürgern oder gar von noch stärker sozial Benachteiligten. Dieser grundlegende Wandel, der bedeutsamste in der langen Geschichte der deutschen Universitäten, übertraf die Veränderungen um 1970, die den heute Lebenden bemerkenswert erscheinen, bei weitem. Jedoch dauerte er länger und setzte vielfach später ein, als es das gern auf das frühe Datum von Berlin xierte Geschichtsbewußtsein anzunehmen geneigt ist. Es gab überall eine Phase des „take off “, an den großen Anstalten meist früher als an den kleineren, wo man zum Teil fast bis zum Ende des Jahrhunderts warten mußte. Von den Gedanken Wilhelm von Humboldts oder zuvor Schleiermachers wurde bei weitem nicht alles verwirklicht, manches davon war auch widersprüchlich und wirklichkeitsfremd. Der „Mythos Humboldt“ ist ein eigenes Thema, die Analyse seiner weltweiten Wirkung steht noch bevor. Was aber „verinnerlicht“ wurde und in dieser spezischen Form weit über Deutschland hinaus die wissenschaftliche Welt gestaltet hat, das waren die Gedanken vom Primat der Forschung, von der forschenden Lehre und vom Lehren der Forschung. Nur wer selbst Wissenschaft betreibe, könne sie lehren. Professoren und Studenten (und zwar wenigstens dem Prinzip nach alle Studenten, nicht nur wie damals in Frankreich eine winzige Elite) sollten gemeinsam dem zu Ergründenden, das nie ganz ergründbar ist, suchend und ndend gegenübertreten. Es ist klar, daß „alle“ von damals nicht einfach „alle“ von heute sein können, so daß man in der Gegenwart rasch auf die konzeptionellen Grenzen einer These stößt, die in die sozialen Bedingungen um 1800 hineingesprochen worden ist. Gleichwohl: Wissenschaft war nun nicht mehr in erster Linie enzyklopädische Gelehrsamkeit, sondern wurde methodisch gesteuerte spezialisierte Forschungsarbeit. Man kann die Theorie und die Praxis dieses Wandels in seinen wissenschaftlichen Erträgen und in den institutionellen Veränderungen der Universität des 19. Jahrhunderts aufsuchen. Nicht minder oder gar primär aber muß man dafür die Geschichte des deutschen Professors
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studieren. Hier nämlich, in der tiefgreifenden Veränderung seines „Qualikationsprols“ innerhalb von zwei oder drei Generationen, hat sich Entscheidendes ereignet. Denn es gab und gibt keine Wissenschaft ohne die Wissenschaftler, die nun eigentlich erst als soziale Gruppe ins Leben traten und die Anerkennung der Gebildeten und des Staates fanden. So kam es nach und nach, nicht abrupt, zum Ende der alten Universitätsfamilien. Das System der sprachgebietsweiten und disziplinbezogenen Auslese setzte sich, früher oder später, durch. Dieses System führte trotz aller Unzulänglichkeiten im einzelnen im ganzen zu einer unerhörten Qualitätssteigerung, die zu einem Hauptkennzeichen der modernen Welt geworden ist. Zu Verlusten führte das neue Ideal im Hinblick auf den umfassenden Bildungsbesitz der älteren Generationen und mochte auf längere Frist auch zur Enthistorisierung wissenschaftlicher Selbstwahrnehmung beitragen. Außerdem konnte das Neue von großer sozialer Härte und Ungerechtigkeit sein. Wie sich dies auch immer verhielt, unwiderstehlich setzten sich Differenzierung, Spezialisierung und Arbeitsteilung der Wissenschaftsgebiete durch – ein Prozeß von vielen, der schon vor der „klassischen“ Zeit eingesetzt hatte und der bis heute andauert, aber eben nun, im „klassischen“ Jahrhundert, die entscheidende Beschleunigung erfuhr. Wieder ist der Hinweis auf den Wettbewerb auf verschiedenen „Etagen“, vom ganzen Sprachgebiet bis zur persönlichen Rolle des Professors an der heimischen Universität, vonnöten. Je machtloser die deutschen Mittelstaaten wurden, umso mehr Ehrgeiz setzten sie in ihre Kulturpolitik, weiterhin als Mischung von Innovation und Tradition, aber in wesentlichen Punkten unter dem Primat der Innovation. So entstanden Institute und Seminare als neue Organisationseinheiten unter der Leitung des Lehrstuhlinhabers. Der Lehrstuhl blieb als die entscheidende Organisationseinheit bestehen, obwohl nun die alte Pfründenherkunft verblaßte und die Finanzierung aus dem Staatshaushalt zum Regelfall wurde. Am besten läßt sich auch mit dem „Ranking“ der deutschsprachigen Universitäten von damals umgehen, wenn man sie sozialgeschichtlich als Teile eines Systems unterschiedlicher Berufungspraxis versteht: Anfängeruniversitäten versus „Endstationen“, mit Anstalten mittleren Ranges dazwischen. Die interne Sozialgeschichte der Professoren des 19. Jahrhunderts weist weniger tiefgreifende Veränderungen auf, als man vermuten möchte, und sie wandelte sich durchaus in der Konsequenz älterer Tatbestände. Die Juristen waren und blieben die führenden, auch wenn
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sie vergleichsweise quantitativ schrumpften. Die Mediziner rückten auf, unter anderem als Folge der Verwissenschaftlichung und technischen Modernisierung des allgemeinen Gesundheitswesens. Die Theologen verloren immer mehr an Bedeutung. Unter den weiterhin sehr vielgestaltigen „Philosophen“ strebten die Ökonomen nach oben und kamen den Juristen näher. Die Naturwissenschaftler blieben etwas hinter den Geisteswissenschaftlern zurück. In wechselnden Schüben wurden gerade diese beiden Fächergruppen „vervielfältigt“. Die Geisteswissenschaftler waren ihrerseits deutlich sozial gegliedert, zugunsten ihrer „alten“ und zu Lasten ihrer „neuen“ Fächer. Ein Altphilologe war angesehener als der Fachvertreter einer neueren Sprache. Am schwersten hatten es die „jungen“ Disziplinen, die mühsam und lange Zeit fast erfolglos um ihre Anerkennung rangen. Jedenfalls ist die Gleichheit selbst der Professoren der „klassischen“ Universität eine Fiktion. Insgesamt gewann das soziale Ansehen der Professorenschaft kräftig hinzu und erreichte wohl um 1900 seinen Gipfel, vermutlich seinen absoluten Höhepunkt in der ganzen Universitätsgeschichte. Das Ende der „klassischen“ Universität ist ebensowenig eindeutig markierbar wie ihr Anfang. Ein tiefer Einschnitt war das Jahr 1933, nachdem schon die vorausgegangene Ination der damaligen Geradenoch-Muttergruppe, dem Bildungsbürgertum, unheilbaren Schaden zugefügt hatte. Eine weitaus bescheidenere Zäsur bildete das Jahr 1945. Nach einer kurzen Phase der Restauration lag der wichtigste äußere Einschnitt um 1970, als sich ein weltweites, gemäß der „deutschen Gründlichkeit“ bei uns besonders akzentuiertes Streben nach Veränderung zeitweilig durchzusetzen schien, gerade auch im Umfeld der wichtigsten jugendlichen Veränderer, an den Hochschulen. Während man überall davon sprach, waren jedoch längst bedeutsamere Wandlungen in der Breite in Gang gekommen, auf die jene „Revolution“ ihrerseits zum Teil schon reagierte. Im Milieu der Universitäten handelte es sich um das Studium als Massenbewegung und damit verbunden um eine intensive soziale Verbreiterung der Studierenden tief in Milieus hinein, die keine Erfahrung mit der Hochschule mitbrachten und sich demgemäß ganz anders als bisher gewohnt zu legitimieren trachteten. Damit begann die „nachklassische“, unsere Universität. Sie tradierte und tradiert Altes – und zwar vermutlich, wie man inzwischen aus der Geschichte gelernt haben mag – in beträchtlichem Maß, weist aber auch auffallende neue Wesenszüge auf. Zwei sehr wichtige wurden gerade genannt. Zu gleicher Zeit mochte als Warnsignal für die Aufmerksamen der rasch wachsende Anteil außeruniversitärer anspruchsvoller
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Forschung gelten, so daß für den Fall einer wirklich ernsten Krise der Universitäten gewichtige Verlagerungsprozesse hätten vorfallen können, die auch zu Lasten der Neuerer hätten geschehen müssen. Absolut einmalig in der deutschen und vielleicht auch in der europäischen Universitätsgeschichte war die bundesdeutsche Ausbauphase zwischen etwa 1960 und 1973. Ungeheure Summen haben die Träger des politischen Willens in alte und neue Hochschulen investiert und daraus notwendigerweise die Konsequenz stärkeren Formungswunsches und stärkerer Kontrolle gezogen. Der erste, ein „demokratischer“ Kontrollversuch, der auf einem „fortschrittlichen“ Konsens innerhalb und außerhalb der Universitäten zu bauen hoffte, ist gescheitert, auch wenn die sogenannte Gruppenuniversität, die quasiständische Mitbestimmung aller Statusgruppen an der Hochschule in unterschiedlichem Proporz von Land zu Land, als „Bauruine“ fortbesteht und nach Jahrzehnten der Gewöhnung eingewurzelt scheint. In einer zweiten Phase haben sich die Landesbürokratien um die Vorherrschaft bemüht, schon um politischen Schaden von ihren Regierungen abzuwenden – angesichts des unheilbaren Auseinanderklaffens von steigendem Finanzbedarf der Massenuniversität und schwindendem konjunkturell-skalischem Spielraum. Ob ein dritter Anlauf, der Versuch der Ausbildung eines technokratischen Konsenses zwischen neuartigen „konformen“ Leitungsgruppen der Universitäten und „schlankeren“ Staaten, funktionieren wird, muß die Zukunft lehren. Sozialgeschichtlich gesehen heißt Massenuniversität, daß man erstmals in der Universitätsgeschichte von einer Universität für alle sprechen kann. Das bedeutete und bedeutet eine beträchtliche Umstellung auf vielen Gebieten, zumal in der Lehre und im Sozialverhalten. In ungewohnter Weise muß sich nun auch die Universität einen eigenen Platz in einer immer mobiler werdenden politischen Gesellschaft suchen und notfalls erkämpfen. Was unser Thema betrifft, so werden innerhalb vorhersehbarer Fristen die sozialen Veränderungen in der Gruppe der Studierenden auf die Gruppe der Lehrenden durchschlagen. Nur ein Aspekt davon ist der kommende quantitative Ausgleich zwischen den Geschlechtern, soweit ihn nicht weitere soziale Bedingungen modizieren, und möglicherweise auf lange Sicht ein Schwinden der immer noch bestehenden relativen, d. h. „bürgerlichen“ sozialen Geschlossenheit der Professorenschaft. Die deutschen Professoren und Professorinnen der Gegenwart sind angesichts der quantitativen Ausdehnung des höchstrangigen Bildungswesens zu einer ziemlich großen Gruppe geworden. Es gibt heute bei
der deutsche professor
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uns mehr als 60 Universitäten einigermaßen abgerundeter Art und Hunderte weiterer Hochschulen, an denen ebenfalls Professoren lehren. Zugleich sind viele der Besonderheiten deutscher Professoren von einst von der modernen Welt abgeschliffen worden, so daß es immer schwerer fällt, wie für die Vergangenheit einen besonderen Typus, den deutschen Professor, oder mehrere Untertypen zu charakterisieren. Vielleicht wird man bald sinnvoll von europäischen Professoren sprechen können. Auch hat sich die einheitsstiftende Kraft der Universitätsstadt angesichts weltweiter Kommunikation und Reisetätigkeit und angesichts raumübergreifender Fach- und Verbandsinteressen sehr verringert. Es haben sich Netzwerke der unterschiedlichsten Art und Reichweite herausgebildet, die zu den wichtigsten Kennzeichen des Wandels gehören. Skizziert man kurz zusammenfassend den subjektiven Eindruck vom gegenwärtigen Zustand, so kann man wohl festhalten, daß ungeachtet solcher Neuerungen weder in sozialer noch in bewußtseinstechnischer Hinsicht quasi-revolutionäre Veränderungen des deutschen Professorenmilieus stattgefunden haben. Auch die gerade betonte beträchtliche Vergrößerung des Kreises hat solches nicht herbeigeführt. Integrative Kräfte und gemeinsame Interessen scheinen stark zu sein. Die öffentliche Anerkennung des Berufs hat wie bei anderen Berufen gelitten, doch schwerlich in bedrohlicher Form. Veränderungsbestrebungen aus verschiedener Richtung, die zu Recht oder Unrecht als professorenfeindlich empfunden wurden, sind oft elastisch aufgefangen worden. Was in der jüngsten Vergangenheit eintrat und demnächst eintreten mag, läßt sich sehr oft durch die Extrapolation bekannter historischer Entwicklungen rational „verarbeiten“. Bei einer solchen eher defensiven Haltung muß man aber nicht stehen bleiben. Es könnte die Erkenntnis wachsen, daß ein höheres Maß von Selbstwahrnehmung und Selbstachtung wünschenswert ist, ganz besonders im Dienst der zuerst den Professoren anvertrauten deutschen Universität. Nur wer sich selbst achtet, wird auch von anderen geachtet.
KAPITEL 13
IMPROVISATION UND AUSGLEICH. DER DEUTSCHE PROFESSOR TRITT ANS LICHT
I Die Frage nach dem Ans-Licht-Treten des deutschen Professors1, die heute gestellt werden soll, ist offenbar noch nie behandelt worden. Es erhebt sich, um eine erste chronologische Klärung zu bieten, die Frage nach der Beschaffenheit der anspruchsvollen Lehrer der ersten Generation oder der ersten beiden Generationen an den ältesten deutschen oder mitteleuropäischen Universitäten2 seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, also die Frage nach dem deutschen Professor im damaligen Deutschland. Es ist eine Frage an eine für deutsche, nicht für süd- und westeuropäische Verhältnisse frühe Zeit. Später, im Verlauf des 15. Jahrhunderts, verhielten sich Voraussetzungen und Tatbestände anders, zumal als neuartige quantitative und qualitative Prozesse in Gang gekommen waren, deren Beschaffenheit und Geschwindigkeit wir noch nicht genau kennen. Vermutlich hat man jene Frage nicht gestellt, weil sie keine konkrete Frage zu sein schien. Dem deutschen Professor, von dem in der modernen Welt so viel bekannt ist3, war es offenbar angemessen, x und fertig gleichsam der Stirn des Zeus zu entspringen und ein für allemal und
1 Emil Reicke, Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit, Köln 1924; Peter Moraw, Vom Lebensweg des deutschen Professors, Beilage zu: Forschung Mitteilungen der DFG 1988, Heft 4. Wieder in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 37 (1989), 255–261, und in: Tumult. Zeitschrift für Verkehrswissenschaft 13 (1989), 39–49; Jacques Verger, Professor, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 7, Lief. 2, München/Zürich 1994, Sp. 241. 2 Jacques Verger und Gian Paolo Brizzi (Hrsg.), La nascita delle università, Milano 1990; Walter Rüegg (Hrsg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1, München 1993; Peter Moraw, Das spätmittelalterliche Universitätssystem in Europa – sozialgeschichtlich betrachtet, in: Wissensliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, hrsg. von Horst Brunner und Norbert Richard Wolf (Wissensliteratur im Mittelalter 13), Wiesbaden 1993, 9–25; Die Universität in Alteuropa, hrsg. von Alexander Patschowsky und Horst Rabe Konstanz 1994. 3 Fritz K. Ringer, The Decline of the German Mandarins, Cambridge Mass. 1969; Marita Baumgarten, Vom Gelehrten zum Wissenschaftler, Gießen 1988; dies: Lehrstuhlentwicklung – Berufungswandel – Universitätssystem, Ms. Diss. Gießen 1993.
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gleich richtig da zu sein. Denn die deutschen oder mitteleuropäischen Universitäten schienen nicht minder x und fertig vorhanden gewesen zu sein, gleich nachdem sie endlich gegründet worden waren; und zu ihnen gehörte als klar umrissene Gestalt der deutsche Professor. In Wirklichkeit war beidem ganz und gar nicht so. Heute stellt sich allmählich heraus, daß verhängnisvoller lokaler und nationaler Ehrgeiz grob anachronistische Vorstellungen darüber hat entstehen lassen, daß bei „seiner“ Universitätsgründung alles möglichst früh und möglichst glanzvoll vonstatten gegangen sei4. Noch etwas länger wird es wohl dauern, bis man einsieht, daß auch die zahlreich gefällten positiven Urteile über die Qualität der Gelehrten dieser oder jener Universität von damals überzeugend kaum begründet werden können, jedenfalls solange man sich nicht auf einheitliche Kriterien einigt. Gegenüber beiden Tatbeständen scheint es schon gegenwärtig einige Einsichtsmöglichkeiten zu geben, die es erlauben, zu Gunsten der vergangenen Wirklichkeit nüchterner und hoffentlich etwas angemessener zu fragen und zu antworten. Dafür sollte man nüchterne Ausgangspositionen festlegen, von denen zwei am wichtigsten scheinen. Gemäß dem Sprichwort „Aller Anfang ist schwer“ nehme man erstens sehr ernst, daß das 1348 in Prag gegründete Studium nicht vor den späten sechziger Jahren oder gar erst um 1370 angemessen zu funktionieren begonnen hat, daß das 1365 in Wien geschaffene Studium abermals erst knapp zwanzig Jahre danach im Flor war und daß – sieht man von dem quantitativ sehr bescheidenen Beginn in Heidelberg von 1386 ab – endlich zwei Jahre später, 1388, in Köln ein großer und breiter Anfang gesetzt worden ist5. Dies geschah dort, wo ohnehin die weitaus besten äußeren Voraussetzungen bestanden haben und von wo aus man inzwischen manchen Anlauf und manche Entwicklung hat beobachten und seine Lehren ziehen können. Prag, Wien, Heidelberg und Köln werden mit abnehmender Intensität die Bühnen des Interesses sein. Der Anlauf in Krakau von 1364 oder andere noch problematischere Versuche dieser Jahre sind unter angemessen strengen
4 Peter Moraw, Die Prager Universitäten des Mittelalters, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus, hrsg. von Susanna Burghartz, Hans-Jörg Gilomen et al., Sigmaringen 1992, 109–123; ders.: Die Hohe Schule in Krakau und das europäische Universitätssystem um 1400, in: Studien zum 15. Jahrhundert, Festschrift für Erich Meuthen, hrsg. von Johannes Helmrath und Heribert Müller, München 1994, 521–539. 5 Moraw (Anm. 4) und ders., Von der Universität zu Köln im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: GGA 243 (1991), 239–245.
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Kriterien nicht ernsthaft diskussionsfähig6. Abgesehen von der Carolina in Prag, die tatsächlich einen Sonderfall darstellt, den Sonderfall des Königs und Kaisers, ist das Große Schisma7 von 1378 mit allen seinen Schwierigkeiten auch das fundamentale Erstdatum der frühen Universitätsgeschichte des „Jüngeren Europa“ geworden. Wenn dem aber so war, dann mag auch der deutsche Professor einen schwierigen Anfang genommen haben. Als zweite Voraussetzung sei verlangt, daß man über die kleine Gruppe dieser Professoren sozialgeschichtlich weit hinausblicken muß, um diese Gruppe besser zu verstehen. Dieses Hinausblicken mag in zweierlei Richtung geschehen: Zum einen muß man den Rang des gelehrten Wissens außerhalb der Universitäten beobachten, um zu erkennen, welchen Wert im Sozialgefüge die neue Existenz eines Professors darstellen mochte. Es wird nach dem bisher dämpfend Gesagten nicht überraschen, wenn man vorwegnehmend feststellt: keinen sehr hohen Wert. Das Wirken am Hof, ein ansehnlicher Pfründenbesitz in der Kirche oder die Nähe zum großen Geld scheinen wesentlich attraktiver gewesen zu sein. So muß man den unpopulären Gedanken zu denken wagen, daß es Professuren als Durchgangspositionen zu Besserem oder auch als ungeliebte befohlene Karrierestationen gegeben haben mag. Man sollte sogar den wohl noch kaum je gedachten Gedanken wagen, daß es schwierig gewesen sein mochte, das neue Institut „Universität“ überhaupt personell in den sehr kleinen Kreis derjenigen „einzuklinken“, die als Lehrer in Frage kamen. Es war wieder eine Frage der Attraktivität. Das mochte vor allem ein Prager Problem als Problem der östlichen Lage gewesen sein. König Johann, der Vater des Universitätsgründers, wollte im Jahr 1319 in Prag ein großes internationales Turnier veranstalten, weitab von den Zentren der europäischen Ritterschaft. Es kam aber niemand von weither an die Moldau, um diesem Vergnügen zu huldigen, und so mußte das Vorhaben mit ansehnlichem Prestigeverlust aufgegeben werden8.
6 A. Czìsmadia, The Origins of University Education in Hungary, in: Acta Juridica Academiae Scientiarum Hungaricae 9 (1967), 127–160; zu Krakau oben Anm. 4. Zu Erfurt unten Anm. 25. 7 Genèse et débuts du Grand Schisme d’Occident (Colloque international du CNRS 586), Paris 1980. 8 Josef Macek, Das Turnier im mittelalterlichen Böhmen, in: Das ritterliche Turnier im Mittelalter, hrsg. von Josef Fleckenstein (Veröff. d. Max-Planck-Inst. f. Gesch. 80), Göttingen 1985, 371–389, bes. 377.
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In anderer Richtung sollte man über das Untersuchungsfeld weit hinausblicken zu den längst etablierten Hohen Schulen in Süd- und Westeuropa. Wenn moderne Forschung etwas Internationales ist, dann muß sie sich bemühen, mit denselben Begriffen dasselbe zu bezeichnen, also nur dann von einer Universität und von ihren Lehrern zu sprechen, wenn derselbe Maßstab wie im Süden und Westen angelegt wird. Sonst redet man aneinander vorbei, und es kommt zu den Mißverständnissen, mit denen international übergreifende Sammelbände reichlich versehen sind. Wir denieren also, nach welchen Personen wir mittels der Analyse ihrer Lebenswege suchen, so gut das heute möglich ist. Die Denition ist eng und streng und könnte von anderen Forschern anders gewählt werden. Bestenfalls sekundär als Helferin geeignet ist die zeitgenössische Begrifichkeit. Das Wort „Professor“ ist daher für uns ein Verabredungsbegriff, auch wenn es gelegentlich in den Quellen erscheint9. Gemeint sind damit die vollberechtigten und vollbesoldeten Lehrer der höheren Fakultäten, aus denen sich ein Doktorenkollegium hat bilden lassen, wie es zur Promotion in diesen Fakultäten notwendig war. Meist heißen diese Leute in unseren Quellen bekanntlich Doktoren, aber auch Magister (der Theologie oder Medizin). Zwei Argumente sprechen vor allem für diese Abgrenzung: 1. Das Selbstverständnis der Artisten-Magister als Unfertige, die sich bemühten, diesen unfertigen Zustand zu überwinden; 2. die Verleugnung von nicht voll qualizierten 9 Außer wie in Anm. 2 Jean Dauvillier, La notion de Chaire professorale dans les universités depuis le Moyen Age jusqu’â nos jours, in: Annales de la Faculté de droit de Toulouse 7 (1959), 283–312; Gabriel Le Bras, Velut splendor rmamenti. Le docteur dans le droit de l’Eglíse médiévale, in: Etudes de la philosophie médiévale. Mélanges offerts à Etienne Gilson, Toronto/Paris 1959, 373–388; Hermann Lange, Vom Adel des doctor, in: Das Prol des Juristen in der europäischen Tradition, Ebelsbach 1980, 279–294; Peter Weimar, Zur Doktorwürde der Bologneser Legisten, in: Aspekte europäischer Rechtsgeschichte, Festgabe für Helmut Coing, Frankfurt/M. 1982, 421–443; Olga Weijers, L’appellation des professeurs au XIIIe siècle, in: Sine invidía communico. Opstellen angeboden aan Prof. Dr. Antonius Johannes de Groot, Nijmegen 1985, 303–320; Jacques Vergers: Les professeurs des universités françaises à la n du Moyen Age, in: Intellectuels français – intellectuels hongrois, XIIIe–XXe siècles, Budapest/Paris 1985, 23–39; Josef T®íška, Auto®i uhívající starší prahské univerzitní terminologie, in: Acta Universitatis Carolinae – Historia universitatis Carolinae Pragensis 26,1 (1986), 65–94; Ingrid Baumgärtner, De privilegiis doctorum, in: HJb 106 (1986), 298–332; Olga Weijers, Terminologie des universités au XIIIe siècle, Rome 1987; dies. (Hrsg), Terminologie de la vie intellectuelle au Moyen Age, Turnhout 1988; dies., La terminologie delle nascenti università, in: Filosofi e Teologi, Bergamo 1989, 81–107. Vgl. Jacques Verger, Pour une histoire de la maitrise ès-arts au Moyen Age – quelques jalons, in: Médiévales. Langue, Textes, Histoire 12 (1987), 117–130.
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Vorgängern in demselben Fach durch voll qualizierte Nachfolger10. Die Schwierigkeiten, die sich aus dem unterschiedlichen Rang und den unterschiedlichen Quantitäten der höheren Fakultäten und innerhalb dieser Fakultäten gemäß den Lehrgebieten ergeben, muß man in Kauf nehmen. Es ist klar, daß die Juristen die feinsten waren und daß in deutlichem Abstand dahinter die Theologen folgten, die zu eng mit den Philosophen verbunden waren. Die Mediziner Mitteleuropas standen eher seitwärts als dahinter, schon wegen ihrer geringen Zahl. Man muß sogar – wieder als ein vorweggenommenes Ergebnis der Analyse des Ans-Licht-Tretens des deutschen Professors – noch weitergehen und sagen: Die Vorstellung von der Gleichartigkeit der höheren Fakultäten muß zugunsten einer kräftigen Individualisierung aufgegeben werden, solange wenigstens bis ein erstes Stadium der deutschen Universitätsgeschichte abgeschlossen war. Von den Magistern der Artistenfakultäten wird demnach nicht die Rede sein. Das geschieht im vollen Bewußtsein einer doppelten Schwierigkeit, die sich daraus ergibt: Die Schwierigkeit mit dem Unterschied der beiden Universitätsmodelle, die das südliche und das westliche Europa für die Mitte des Kontinents bereithielten, gerade im Hinblick auf den Magister, und die Schwierigkeit, die darin besteht, daß die kommenden deutschen und mitteleuropäischen Universitäten nach jener Zeit der Unklarheit und Ungewißheit, von der hier die Rede ist, im Vergleich zu den mediterranen Hohen Schulen sozial nach unten gedrückte Universitäten sein sollten, wie es ungefähr auch dem entwicklungsgeschichtlich gesehen zweiten Rang Mitteleuropas entsprach11. Aber es ist wenigstens punktuell erkennbar, daß erfahrene deutsche Universitätslehrer der ersten Generation(en), die „nur“ Artistenmagister waren, sich noch im Alter bemühten, durch den Erwerb eines Grades in einer höheren Fakultät „richtige“ Professoren zu werden, und damit den hier gemachten Einschnitt gewissermaßen bestätigen12. Umgekehrt ist es vorerst wohl nicht recht zu beweisen, mag aber vermutet werden, daß die Krise der Prager Universitäten in der vorhussitischen und am Anfang der hussitischen Zeit manches damit zu tun hatte, daß nicht
10
Vgl. unten zu Anm. 20 und 30. Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter, in: Hochnanz. Wirtschaftsräume. Innovationen, Festschrift für Wolfgang v. Stromer, Bd. 2, Trier 1987, 583–622. 12 Vgl. unten zu Anm. 30. 11
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vollqualizierte Lehrer ihr Zurückstehen anders als durch den vielleicht zu eng gewordenen oder gar versperrten Aufstieg in eine höhere Fakultät zu kompensieren trachteten, notfalls durch einen Umsturz13. Man sollte endlich hinzufügen, daß mit der Bezeichnung „deutscher Professor“ nicht zwingend die Nationalität „deutsch“ gemeint ist, sondern eine vor allem in ihren späteren Formen allgemein bekannte Institution benannt wird. „National“ abgegrenzt sei nur gegenüber Italienern in Deutschland, weil diese ein längst fertiges, anders beschaffenes und fundiertes Universitätssystem verkörperten, während das hier zu analysierende dadurch grundlegend charakterisiert ist, daß es gerade die allerersten unsicheren Schritte in eine unbekannte Zukunft machte.
II Wir kommen zum Thema zuerst anhand der Prager Verhältnisse14. Der Chronist Franz, ein erfahrener Kleriker der Domkirche und Zeitgenosse, schrieb ziemlich schwungvoll über die Anfänge der Carolina15, von denen abgesehen von den recht allgemeinen Fundationsurkunden praktisch keine gleichzeitigen schriftlichen Überreste vorliegen. Unter Bezugnahme auf die älteren Universitäten Europas führt Franz zum Beginn des Prager Studiums fünf Magister der Theologie an, nämlich einen Weltgeistlichen und vier Ordensleute, dann einen Doctor decretorum aus Bologna und den Magister Stefan, den Kanzler seines Erzbischofs, als Juristen, danach Balthasar de Tusta oder Tusia, besser Tuscia (Toskana), als Magister und Mediziner sowie eine nicht genannte Zahl von Artistenmagistern. Von allen Personen ist ohne eine präzise Zeitangabe die Rede. Namentlich sind Stefan und Balthasar erwähnt. Man hat das alles ziemlich wörtlich und als Regelfall genommen, als ob konsolidierte Verhältnisse etwas Selbstverständliches seien, und hat darin einen respektablen Anfang der Carolina erblickt.
13
František Kavka, Mist®i-regenti na artistickî fakultî prahské univerzíty v letech 1367–1420, in: Z oeskÿch dîjin [Gedenkschrift f. Václav Husa], Praha 1966, 77–95; Vilém Herold, Prahská univerzita a Wyclif, Praha 1985; Katherine Walsh, Vom Wegestreit zur Häresie, in: MIÖG 94 (1986), 25–47; Peter Moraw, Die Universität Prag im Mittelalter, in: Die Universität zu Prag (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7), München 1986, 9–134, bes. 82ff. 14 Moraw (Anm. 4) und ders. (Anm. 13). 15 Chronicon Francisci Pragensis, in: Fontes rerum Bohemicarum IV, hrsg. von Josef Emler, Pragae 1884, 347–456, bes. 452f.
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In Wirklichkeit waren die Dinge viel schwieriger. Die Prager Juristenuniversität als Gegenüber der Dreifakultäten-Universität dürfte im Konikt mit dieser bestanden haben, und gewiß nicht erst seit 1372, als die ofzielle Trennung vor sich ging, sondern aufgrund einiger hier nicht auszubreitender Indizien spätestens von dem Zeitpunkt an, als überhaupt ein Rechtsstudium in Prag möglich war16. Zu einem wirklichen Rechtsstudium gehört doch wohl zwingend zumindest die Aussicht für ein „Erstsemester“, sich nach Ablauf der entsprechenden Jahre graduieren lassen zu können. Der Anfang mit dem Italiener, es war nach anderer Quelle Bonsignore de Bonsignori, war in der Tat respektabel. Man kann seine Tätigkeit in Prag annähernd auf die Jahre 1350 bis 1354 datieren. Von einem Nachfolger gleicher Herkunft erfährt man aber nichts, bis zu einem punktuellen Beleg zu 1365 für einen Doktor beider Rechte aus Padua, Ludwig de Sancto Laurentio, und dann zu 1380 für Ubertus de Lampugnano, Doktor beider Rechte aus Bologna17. Bei diesem ist man sich ziemlich sicher, daß es sich bei seiner Lehre um die „Nebentätigkeit“ eines Diplomaten am Königshof, des Gesandten Giangaleazzo Viscontis von Mailand, gehandelt hat. Was seine beiden erstgenannten Landsleute wirklich getan haben, ist gänzlich unsicher. Wie dem aber auch gewesen sei, selbst im allergünstigsten Fall einer im Sinne Bolognas normalen Lehrtätigkeit von einiger Dauer handelte es sich stets nur um einen einzigen vollberechtigten Lehrer, der kein Kollegium zum Graduieren bilden konnte und auch keine Fakultät ausmachte. Daher wird man sich für den Magister Stefan interessieren, der möglicherweise, da dem ranghöchsten Lehrer die Dekretalen zuzuweisen sind, als Dekretist zu bezeichnen ist. Magister Stefan gehört jener interessanten Gruppe an, die die noch unfertige Vorphase der gelehrten Jurisprudenz im eigenen Land verkörpert. Nach einiger Suche sind entsprechende Leute in so verhältnismäßig ansehnlicher Zahl in den Quellen aufndbar, daß man sie in der Tat als eine eigene Gruppe bezeichnen kann. Es waren Männer, die mit mehr oder weniger Recht
16 Miroslav Bohápek, Prahská univerzitní statuta a jejích bolonskýv vzor, in: Studie o rukopisech 8 (1969), 11–64; Peter Moraw, Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hrsg. von Johannes Fried (VortrrForsch 30), Sigmaringen 1986, 439–486; Ji®í Kej®, Sbírka projev% z doby rozkvîtu prahské právnické univerzity, in: Acta Universitatis Pragensis – Historia universitatis Carolinae Pragensis 29,2 (1989), 15–69. 17 Moraw, Juristenuniversität (Anm. 16), 465.
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den Magistertitel führten. (Bei diesem Titel könnte es sich in einem Land ohne Universität immer auch noch um die Bezeichnung eines Gelehrt-Gebildeten ohne formelle Graduierung handeln, es kann aber auch der artistische Magistergrad einer Universität, etwa von Paris, gemeint sein). Zusätzlich hatten diese Leute (Kirchen-) Recht studiert, hier jedoch ohne Graduierung, außer – in wenigen Fällen – mit dem Rang eines Bakkalars oder gar Lizentiaten. Diese Leute heißen in den Quellen iuris periti. Rudolf Losse oder Reinbold Vener, der Vater des bekannt gewordenen Dr. Job Vener, waren Personen dieser Art18. Man ndet sie seit Rudolf von Habsburg in der Umgebung des Königs neben den noch sehr seltenen Personen, die den Doktortitel führten. Anläßlich der Prager Gründung von 1348 haben sich die ganz wenigen deutschen oder mitteleuropäischen Doktoren vorerst – für mehr als zwanzig Jahre! – nicht dazu bereitgefunden, zur Universität zu gehen, zweifellos wegen besserer und einträglicherer Tätigkeiten anderswo. Man kam tatsächlich als Jurist in den ersten beiden Jahrzehnten neben den mit Geld, wie man vermuten darf, angelockten Italienern nur zur Universität als „abkommandierter“ Kirchenmann, wie Stefan. Bei den Italienern bietet sich wohl die breite und unkontrollierbare Skala vom respektablen Fachmann bis zum Abenteurer als Möglichkeit an. Einen dritten Typus hat es zunächst nicht gegeben. Stefan von Uh®etic hatte in Bologna und Padua studiert, aber ohne Doktorat, und war Kanzler und Generalvikar des Erzbischofs von Prag. Diesem war von Karl IV. die Universität faktisch zugewiesen worden, solange bis die neue Wiener Konkurrenz das Warnsignal setzte, daß man sich mehr anstrengen und mehr investieren müsse. Stefan war als Lehrer vermutlich nebenamtlich tätig. So ähnlich verhielt es sich wohl auch mit seinem Nachfolger und Amtskollegen Borso von Mrakotic, belegt als Lehrer im Jahr 1361. Stefan war schon Generalvikar, seit 1346, bevor er zur Carolina ging. Wir haben übrigens Grund, in ihm auch den ersten Rektor zu vermuten, sobald es Rektoren gab. Immerhin ist ein beginnender Wandel dadurch angedeutet, daß Borso anscheinend erst nach seiner Lehrtätigkeit Generalvikar und Ofzial geworden ist; seine Pfründenliste weist aber von Anfang an auf erzbischöiches Patronat hin. Auch er wurde wohl einfach zur Universität entsandt. Im Jahr 18 Nova Alamanniae, hrsg. von Edmund E. Stengel unter Mitwirkung von Klaus Schäfer, Berlin/Hannover 1921–76; Hermann Heimpel, Die Vener von Gmünd und Straßburg 1162–1447 (Veröff. d. Max-Planck-Instituts f. Geschichte 52), 3 Bde., Göttingen 1982.
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1363 ist als ein letzter Magister und als Bakkalar des Kirchenrechts Berthold von Speyer als Rechtslehrer bezeugt, von dem bisher nichts Näheres bekannt ist. Es ist eine sehr verlockende Versuchung, ihn mit dem 1355 bis 1361 bezeugten Prager Stadtschreiber gleichen Namens in eins zu setzen und ihn damit ebenfalls als nebenamtlichen, wohl nicht minder „abkommandierten“ Helfer zu verstehen19. Mehr als all dieses weiß man nicht bis 1370, und man hat nach Prüfung der Belege guten Grund, sich zu weigern, anstelle von Quellen die Phantasie wirken zu lassen. Denn als es Professoren höherer Qualikation gab und man am Anfang der Prager Juristenmatrikel von 1372, bekanntlich der ersten vollständig erhaltenen Universitätsmatrikel Europas, rückblickend gleichsam eine „Ehrenliste“ derjenigen erstellte, auf die man stolz sein wollte (oder auch: von denen man überhaupt noch etwas Genaueres wußte), hat man alle bisher genannten Namen verschwiegen20. Sie paßten in die neue Zeit nicht hinein. Solange bis wir nicht Theologen und Mediziner entsprechend geprüft haben, mag Anspruch auf den Titel des ersten deutschen Professors erheben der 1369 für Prag gewonnene Wilhelm Horborch21 – offenbar vom Kaiser selbst geworben als Teilstück des neuen Aufbauprogramms des Studiums. Wilhelm ist ein in vieler Hinsicht interessanter Mann. Denn er verbindet in seiner Person typische Merkmale, die ihn zu einem Hauptzeugen jener endlich beginnenden „Öffnung“ des deutschen 14. Jahrhunderts „nach Europa“, das heißt hin zum kulturell und nanziell führenden Mittelmeerraum, für aktiv mithandelnde Deutsche machen. Diese Öffnung hatten die (Nord-)Franzosen spätestens im 13. Jahrhundert bewerkstelligt. Wilhelm Horborch, der bis 1375 an der Carolina wirkte und den Kern des sich nun bald bildenden Doktorenkollegiums der Juristen abgegeben hat, entstammte einer führenden Hamburger Großbürgerfamilie. Vater und älterer Bruder waren Bürgermeister der damals schon bedeutenden Hansestadt, die Familie ist als adelsgleich anzusehen. Wilhelm hat in Avignon und Paris studiert und war nach seiner Vorkarriere ein zu großes oder viel zu großes „Kaliber“ für eine – wie wir nun recht deutlich sehen – noch ziemlich unbedeutende
19
Moraw, Juristenuniversität (Anm. 16), 466f., 475. Album seu matricula facultatis juridicae universitatis Pragensis ab anno Christi 1372 ad annum 1418 (Monumenta historica universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis II), Pragae 1834, 1f. 21 Heinrich Reincke, Wilhelm Horborch, in: Neue Deutsche Biographie Bd. 9, Berlin 1972, 622. 20
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Universität. Im Jahr 1361 war Wilhelm päpstlicher Kollektor in den Bistümern Bremen, Verden und Kammin, also ein Mann wohl der Großnanz jedenfalls mit internationalen Verbindungen, Domdekan in Hamburg, Doktor aus Bologna von 1365. Eine Unterordnung Wilhelms in Prag unter einen Rektor, der nur Artistenmagister war, schien gänzlich unzumutbar. So dürfte die formal exekutierte Spaltung der Carolina in zwei Rektorate statt eines abwechselnden Rektorats von Juristen und Nichtjuristen im Jahr 1372 unmittelbar mit der Person Wilhelms zusammenhängen. Schon drei Jahre später kehrte dieser für immer an den päpstlichen Hof zurück und wurde Auditor der Rota. Seine einschlägige Entscheidungssammlung übertrifft an Verbreitung die vergleichbaren Arbeiten um ein Mehrfaches und hat anscheinend generationenlang nachgewirkt. Von 1371 an gab es dann vollqualizierte einheimische und auswärtige Professoren der Jurisprudenz an der Carolina. Seit 1371 gab es auch Graduierungen zum Bakkalar. Im Jahr 1372 fand die erste Promotion statt. Der Promovierte, der zuvor in Padua studiert hatte, begann damit – charakteristischerweise – seine Prager Lehrtätigkeit oder setzte sie schon fort. Die Universitätsgeschichte, wie wir sie kennen, begann ihren Weg zu nehmen – aber nun erst. Bedauerlicherweise hatte die Prager Situation nicht lange Bestand, sondern war 1409 und partiell schon zuvor zu Ende. Die vorhussitischen Krisen hatten dafür das meiste getan. Die letzte juristische Promotion fand 1407 statt. Wir werden daher lieber am Heidelberger Beispiel in die Zukunft zu blicken versuchen. Immerhin sei festgestellt, daß die beiden Haupteigenschaften der „vorprofessoralen“ Zeit der Rechtslehrer, die enge Bindung an die erzbischöiche Administration der einheimischen Juristen und die Kürze der Aufenthalte der auswärtigen Doktoren, bis zuletzt erhalten geblieben sind. Mit anderen Worten: die für Professoren im vollen Sinn wünschenswerte hauptberuiche Arbeit und lebenszeitliche oder jedenfalls langwährende Lehrtätigkeit deuteten sich bei den Prager Juristen noch nicht oder noch kaum an. Der Kaiser hat sich viel mehr für die Theologie als für die Rechtswissenschaft interessiert. Der Theologie hat er auch, selbst was die hier erörterte Thematik betrifft, ganz persönlich unter die Arme gegriffen. Die vom Chronisten Franz von Prag dargelegte Personalsituation des Theologiestudiums an der Carolina hat, auch wenn man sie mehr als Modellvorstellung denn als ein Abbild der Realität oder auch als chronologisch zusammengezogene Darlegung versteht, zwei für das Thema wichtige Aspekte.
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Der eine Aspekt ist der, daß sich die extreme Zuspitzung der Prager Theologie auf die Ordensstudien für diejenigen, die wie die Forscher von heute die Zukunft kennen, als Sackgasse darstellt. Der andere Aspekt ist der, daß um 1350 eine Alternative zu einer von Ordenslehrern getragenen Universitätstheologie in Deutschland offenkundig nicht bestanden hat. Es gab anscheinend keine verfügbaren weltgeistlichen Doktoren der Theologie, und wenn es einen gegeben haben sollte, kam er nicht nach Prag. Wir wissen, daß Karl für sein „Modell“ energisch eingetreten ist, indem er für die als päpstlicher Gunsterweis erteilte Graduierung von Ordensleuten supplizierte; denn die ordenseigenen Studien und Generalstudien durften bekanntlich nicht graduieren. Ordensstudenten waren aber keine Normalstudenten, ein Ordenslehrer konnte nicht Rektor werden. Karl hat sich gewiß nicht darum gekümmert, daß damit ein neues Strukturproblem von Gewicht einem eigentlich nur aus Problemen bestehenden Studium auferlegt worden ist. In der Tat ist für uns ein Universitätslehrer, der an der Korporation der Hohen Schule nicht aktiv teilhaben kann, kein Professor, und so haben es wohl auch schon die Zeitgenossen gesehen. In Paris waren daher die Ordenstheologen klar in der Minderheit. In Prag hingegen musste zuerst auch die weltgeistliche Lehrkanzel mit einem Dominikaner besetzt werden, mit Johann Moravec, der durch päpstlichen Gunsterweis zum Magister der Theologie gemacht worden war. Je ein Dominikaner, Franziskaner und Augustinereremit besetzten die für diese Orden vorgesehenen Lehrstühle, über den vierten weiß man nichts Genaues. Immerhin waren Nikolaus von Laun (Böhmen) und der Elsässer Johannes von Dambach, Student in Bologna, der in Montpellier mit päpstlichem Dispens zum Magister der Theologie promoviert worden war und der bald wieder nach Straßburg ging, durchaus auch am Königshof bekannte Namen22. Wenn alledem so war, so ist der für uns entscheidende Tatbestand der Wandel der Prager Theologie hin zu einer Fakultät auch und vor allem von Weltgeistlichen; ja vermutlich ist durch Weltgeistliche überhaupt
22 Franz Josef Worstbrock, Johannes von Dambach, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon Bd. 4, 2. Au., Berlin/New York 1983, Sp. 571–577; Jaroslav Kadlec, Nikolaus von Laun, ebd., Bd. 6, 2. Au. 1987, Sp. 1116f. Vgl. allgemein Jacques Verger, Studia et universités, in: Le scuole degli ordini mendicanti (secoli XIII–XIV), Todi 1978, 173–203, und Laetitia Boehm, Papst Benedikt XII. (1334–1342) als Förderer der Ordensstudien, in: Secundum regulam vivere. Festschrift für Norbert Backmund O. Praem., hrsg. von Gerd Melville, Windberg 1978, 281–310. Vgl. Alfred v. Wretschko, Die Verleihung gelehrter Grade durch den Kaiser seit Karl IV., Weimar 1910.
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erst die Fakultät geschaffen worden. Davon unabhängig konnten auch Ordensleute Schüler zum Doktor promovieren, in Prag offenbar zum ersten Mal im Jahr 136723. Man leidet wie bei den Juristen unter Quellenmangel, so daß man am besten einen Fixpunkt bei der einzigen einigermaßen bekannten Fakultätssitzung vom Ende 1383 setzt, ganz kurz bevor die erste große Universitätskrise die Fakultät gleichsam zur Explosion gebracht hat (1384). Damals, 1383, gab es drei Ordensleute und drei Weltgeistliche als vollgültige Lehrer; damals wurde in Gestalt einer Novellierung oder eben doch der Erstfassung der Fakultätsstatuten ein Kompromiß zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Gruppen geschlossen. Zwei der drei Klerikernamen sind dem Fachmann geläug, es waren Heinrich Totting von Oyta (Niedersachsen) und Matthäus von Krakau; dazwischen stand der vorerst unbekannte Friedmann von Prag24. Verfolgt man nun den Lebenslauf des ältesten dieser drei, Heinrich Tottings, zurück, so kommt man dem Ans-Licht-Treten des deutschen Theologieprofessors ziemlich nahe. Man sieht, wie aus einer kleinen Gruppe nichtordensgebundener Theologiestudenten, die aus der Prager Artistenfakultät hervorwuchsen, die ehemaligen Erfurter Artistenlehrer Hermann von Winterswich und Heinrich Totting heraustraten, das heißt in den Gesichtskreis der an den Papst supplizierenden Hofkanzlei Karls IV. gerieten. Vermutlich war in Prag ein Ordensmann ihr Lehrer, der Augustinereremit Johann von Brakel (Kreis Höxter), ein enger Landsmann der beiden. Der Aufstieg muß umkämpft gewesen sein, denn Heinrichs Karriere geriet durch den (später vor der Kurie als unberechtigt erwiesenen) Verdacht der Ketzerei zunächst aus der Bahn. Den Vorwurf hatte (in wessen Auftrag?) der Prager „Privatgelehrte“ Adalbert Ranconis erhoben. Heinrich wich in den siebziger Jahren nach Avignon und Paris aus und wurde dort promoviert (1380). Im Jahr 1376 schon war der unbehelligt gebliebene Hermann von Winterswich als
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František Kavka, Zur Frage der Statuten und der Studienordnung der Prager Theologischen Fakultät in der vorhussitischen Zeit, in: Folia diplomatica 1, Brno 1971, 129–143, bes. 130. 24 Kavka (Anm. 23); Manfred Gerwing, Heinrich Totting von Oyta, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 4, München/Zürich 1989, Sp. 210f.; Moraw, Universität Prag (Anm. 13), 87f.; Jaroslav Kadlec, Die Franziskaner in den böhmischen Ländern und ihr Generalstudium in vorhussitischer Zeit, in: Archiv für Kirchengeschichte von BöhmenMähren-Schlesien 8 (1987), 84–91; Gerard Labuda, Matthäus von Krakau, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 6, München/Zürich 1993, Sp. 397.
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erster Prager Weltgeistlicher zum Lizentiaten der Theologie promoviert worden. Dabei war sein Mentor der Zisterziensertheologe Konrad von Ebrach. Heinrich Totting war dann wohl derjenige Gelehrte, den der Prager Erzbischof bei einem Treffen in Frankfurt am Main Ende 1380 dazu bewogen hat, nach Prag zurückzukehren. Denn offenbar war Hermann kurz zuvor verstorben25. Heinrich Totting ist von heute aus gesehen trotz seiner kurzen Prager Jahre der bekannteste Theologe der Carolina aus der vorhussitischen Zeit und übte mit seinen direkten und indirekten Schülern Konrad von Soltau, Matthäus von Krakau und Johann von Marienwerder beträchtlichen Einuß auf die Universitätstheologie in Deutschland aus, bis über das Jahr 1400 hinaus. Er entspricht in seinem Fach im Hinblick auf die hier gestellte Frage ungefähr Wilhelm Horborch, stellt aber ein gänzlich anders beschaffenes Individuum dar. Was übereinstimmt, ist die Zeitstellung, abermals keineswegs schon 1348, sondern erst Jahrzehnte danach; ohne die unfreiwillige Verzögerung wären es wieder die siebziger Jahre geworden. Was nicht übereinstimmt, ist der intensive Lebensbezug auf die Universitätstätigkeit, der gewiß mit dem geringeren sozialen Rang des Theologen korrespondiert. Was es bedeutet, daß die Region zwischen unterer Weser und Elbe wieder und nicht zum letzten Mal die Heimat war, wird an einer anderen Stelle analysiert werden. Die Prager Medizin26 war wie üblich die kleinste Studieneinheit. Daß Franz von Prag jenen Balthasar (de Marcellinis) neben seinem geistlichen „Kollegen“ Stefan namentlich bezeichnete, war gewiß kein Zufall; es handelte sich um den wohl überall bekannten Leibarzt Karls IV., der sehr wahrscheinlich in der schon geläugen nebenamtlichen
25 Franz Josef Worstbrock, Adalbert Ranconis de Ericinio, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon Bd. 1, 2. Au., Berlin/New York 1978, Sp. 35–41; Ji®i Kej®, Determinatio de contractibus Jana z Brakel a neuroenÿ spisek Jind®icha z Bitterfeldu, in: Studie o rukopisech 23 (1984), 99–103; Kassian Lauterer, Konrad von Ebrach, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon Bd. 5, 2. Au., Berlin/New York 1985, Sp. 160–162; ders.: Konrad von Ebrach, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 5, München/Zürich 1991, Sp. 1356f. Zu Erfurt: Sönke Lorenz, Studium Generale Erfordense, Stuttgart 1989; ders., ‚Studium Generale Erfordense‘. Neue Forschungen zum Erfurter Schulleben, in: Traditio 46 (1991), 261–289, und Peter Moraw, Die ältere Universität Erfurt im Rahmen der deutschen und europäischen Hochschulgeschichte, künftig in: Erfurt – Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Ulman Weiß, Weimar 1995. 26 Karel Beránek, O pooatcích prahské lékaršké fakulty 1348–1622, in: Acta Universitatis Carolinae – Historia universitatis Carolinae Pragensis 9,2 (1968), 44–87; František Šmahel, Mist®i a studenti prahskî léka®ské fakulty do roku 1419, ebd. 20,2 (1980), 35–68.
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Form mit der Universität in Zusammenhang gebracht worden ist. Im Jahr 1353 hieß er Magister und medicinae professor. Leider besitzt man für die sechziger Jahre keine Sicherheit darüber, daß die wenigen in den Quellen erwähnten medizinischen Graduierungen an der Carolina erworben worden sind oder zu Universitätslehrern gehören. Man weiß erst, daß Wibold Stut(t)e aus Osnabrück im Jahr 1371 actu regens medicinae war und 1375 Rektor der Dreifakultäten-Universität wurde, möglicherweise noch als Artist. Doch hat er zweifellos wenigstens etwas konkret Medizinisches getan, nämlich seinen engsten Landsmann, ja vielleicht Verwandten Bruno von Osnabrück gefördert. Dieser ist 1379 zum offenbar ersten Prager Doktor der Medizin promoviert worden, zusammen mit Hermann von Ravensberg, nachdem 1371 oder kurz zuvor ein erster Bakkalar kreiert worden war. Damals, 1379, war der ehemalige Günstling Herzog Rudolfs von Österreich, Jakob Wenceslai, wohl aus Mähren stammend, der Magister der Medizin ganz gewiß außerhalb von Prag geworden war, vermutlich nur formal der Doktorvater. Denn der Regionalbeziehung gebührt der Vorrang. Leider weiß man im Vergleich zu den beiden anderen höheren Fakultäten über den medizinischen Bereich am wenigsten. Davon unberührt bleiben aber zwei Hauptaussagen. Erstens spielten Hofämter, also nicht ausschließliche Universitätstätigkeit, weiterhin eine wichtige Rolle; diese fundamentale Außenbeziehung verbindet die Mediziner mit den Juristen. Zweitens ist die Herkunft aus dem Weser-Elbe-Bereich und aus dessen Nachbarschaft ebenso auffällig wie bei den Theologen, als das eine Hauptreservoir neben dem heranwachsenden gleichsam natürlichen Reservoir des Mutterlandes Böhmen. Gewiß handelte es sich in beiden Fällen um Patronage, vielleicht auch über die Disziplinen hinweg, die äußerst hilfreich ist für die Feststellung, daß die Auswahl gerade der ersten „Professoren“ oder schon Professoren bei weitem nicht gleichsam neutral und daher womöglich leistungsbezogen stattfand, sondern eindeutig landsmannschaftlich gelenkt war. Gegenüber jener nordwestlichen Himmelsrichtung wird man alternativ oder besser addierend zwei weitere Möglichkeiten erwägen: Erstens lag der in den sechziger Jahren für seine artistische Gelehrsamkeit bekannte Platz Erfurt – noch ohne Universität – auf dem halben Weg vom Nordwesten nach Prag; zweitens mögen Leute aus einer vergleichsweise weniger hoch entwickelten Gegend leichter vom „jugendlicheren“ und wohl billigeren Prag angezogen worden sein als Rheinländer, Südwestdeutsche oder Süddeutsche, die weiterhin Italien und Frankreich bevorzugt haben dürften.
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Die im Jahr 1365 gegründete, aber erst 1384/85 aktiv gewordene Rudolna in Wien27 hätte schon das eine oder andere Mal erwähnt werden können, und zwar in durchaus gegensätzlicher Weise: als etwas im Hinblick auf Prag Gleichartiges oder auch Fortsetzendes im personalen Bereich, in institutioneller Sicht aber als etwas durchaus anderes. Ferner tritt nun ganz klar vor Augen, wie winzig klein der Kreis aller Beteiligten gewesen ist und wie wenig das allgemein bekannte institutionelle Schema der Universität über die Realitäten der ersten Stunde aussagt. Vielleicht hängt es mit einem Zufall zusammen, daß in den sechziger Jahren in Wien das meiste liegenblieb: Der vom Herzog berufene Protagonist von 1365, Albert von Rikmersdorf aus (Nieder-) Sachsen (= Albert von Sachsen), ebenfalls aus Erfurt kommend, ist ungefähr ein Jahr nach seiner Wahl zum Wiener „Gründungsrektor“ als Bischof in das heimatliche Halberstadt zurückbeordert worden. Besser gesagt: fast alles blieb liegen. Denn Alberts Landsleute, darunter wieder einer, der mit Osnabrück zu tun hatte, scheinen an der Stephansschule weitergewirkt zu haben, jedoch nur noch im Artistenmilieu. Jetzt erst fällt es auf, daß es in Prag 1348 einen Protagonisten nicht gegeben hat, sicherlich mit gewichtigen Folgen, bis Wilhelm Horborch kam und knapp zuvor die Gruppe der Erfurter Niedersachsen erschien. Was war der Grund? Es mag um 1350 niemand in Deutschland aufndbar gewesen sein, der eine solche Rolle hätte spielen können. Eine Generation später hingegen, im Jahr 1384, als sich die Dinge in Wien wieder bewegen ließen, gab es einen solchen Protagonisten. Denn nach Wien kam der gleichsam arbeitslos im Rheingau weilende, aus dem schismatischen Paris abgereiste Theologe Heinrich von
27 Joseph Aschbach, Geschichte der Wiener Universität im ersten Jahrhundert ihres Bestehens, Bd. 1, Wien 1865; Paul Uiblein, Beiträge zur Frühgeschichte der Universität Wien, in: MIÖG 71 (1963), 284–310; ders., Die österreichischen Landesfürsten und die Wiener Universität im Mittelalter, in: MIÖG 72 (1964), 382–408; Harry Kühnel, Mittelalterliche Heilkunde in Wien, Graz/Köln 1965; Paul Uiblein, Zur Lebensgeschichte einiger Wiener Theologen des Mittelalters, in: MIÖG 74 (1966), 95–107; Isnard Wilhelm Frank, Hausstudium und Universitätsstudium der Wiener Dominikaner bis 1500, Wien 1968; Paul Uiblein, Die ersten Österreicher als Professoren an der Wiener Theologischen Fakultät (1384–1389), in: Aspekte und Kontakte eines Kirchenhistorikers, hrsg. von Franz Loidl, Wien 1976, 95–101; ders., Zu den Beziehungen der Wiener Universität zu anderen Universitäten im Mittelalter, in: Les universités à la n du Moyen Age, hrsg. von Jacques Paquet und Jozef Ijsenwijn, Louvain 78, 168–189; Joel Biard (Hrsg.), Itinéraires d’Albert de Saxe Paris-Vienne au XIV e siècle, Paris 1991.
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Langenstein28. Seine Berufung hat die nun erfolgreiche Anlaufzeit der Rudolna intensiv geprägt, ja hat das partielle Abrücken der Prager Verhältnisse vom Pariser Vorbild rückgängig gemacht und hat so den Weg maßgeblich mitgebahnt zur bescheidenen, aber konsolidierten deutschen Universität des 15. Jahrhunderts, wie man sie kennt. So blieben die Juristen ganz im Gegensatz zu den Prager Verhältnissen in Wien bis weit ins 15. Jahrhundert sehr schwach; der Pariser Druck auf ihre Statuten, die an der Moldau ganz italienisch ausgefallen waren, ist gut erkennbar; niemand dachte an zwei Universitäten wie in Prag. Facultas iuris protunc nulla fuit, steht in den Akten29. Und so blühte mindestens quantitativ die Theologie, die in Wien bekanntlich durch das Schismaprivileg ganz neu, ohne heimische Vorgeschichte, eingerichtet worden war. Woher aber sollten die Theologen an die Donau kommen? Sie kamen natürlich aus Prag, und zwar in so extremer Weise, daß die oben zitierte Prager Fakultätsrunde von 1383 zu zwei Dritteln an die Donau übersiedelte, mit Heinrich Totting an der Spitze, der nun neben Heinrich von Langenstein trat. Konrad von Ebrach war dabei, der Augustinereremit Leonhard von Kärnten und der Karmeliter Friedrich von Nürnberg. In Paris hatten naturgemäß vor allem Westdeutsche studiert, neben dem Hessen Langenstein besonders Leute vom Niederrhein, der Theologe Gerhard von Kaikar und der Jurist Heinrich von Odendorf aus Köln. Auch sie wurden nach Wien geholt. Vom Niederrhein kam, wie man allgemein-entwicklungsgeschichtlich, wenn auch natürlich nicht in jedem Einzelfall erwarten kann, Moderneres als aus Prag: Odendorf war auch Legist gegenüber der rein kanonistischen Prager Fakultät. Die Struktur solcher Personengruppen und damit auch das Rekrutierungsmodell einer Universität, wenn ein deutscher Fürst deren Gründung beabsichtigte, treten in Wien viel schärfer vor Augen als in Prag. Das Modell hieß: Es kam zunächst alles auf den ersten Mann oder gegebenenfalls auf die ersten Männer an. Danach waren längere Zeit wesentliche anders gerichtete Entscheidungen beinahe nicht mehr möglich. Der erste Mann wurde importiert, wenn es auch bei genauem Hinsehen auffällt, daß dieser Import landsmännische Vorspiele haben
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Georg Kreuzer, Heinrich von Langenstein, Paderborn usw. 1987. Uiblein, Beziehungen (Anm. 27), 175. Vgl. die ungedruckte Matricula facultatis Juristarum studii Wiennensis (ab 1402) (Universitätsarchiv Wien J 2). 29
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konnte, wie für Heinrich Totting, als er nach Wien kam. Die zweite Generation des Imports stand dann regelmäßig dem Phänomen der heimischen Aufzucht, wie man es etwas despektierlich nennen möchte, gegenüber: also der sozialen Wirkung aus der Nähe, aus der Umgebung des betreffenden Zentrums. Auf die Dauer entfaltete diese heimische Aufzucht unwiderstehliche selbstrekrutierende Kraft. Von da an kann man dann die Konsolidierung oder auch die Erstarrung der Verhältnisse datieren. Das war in Wien nicht anders als in Heidelberg. In die Medizinische Fakultät der Rudolna sickerte der Einuß Langensteins schon früh hinein in Gestalt des engsten Landsmanns Hermanns von Treysa, und nicht minder der Einuß der Prager Kolonie in der Person von Hermann Lurtz aus Nürnberg und wohl auch Johanns Gallici aus Breslau. Damit war die Fakultät komplett, bis die Einheimischen kamen – abgesehen davon, daß man sich bald aus dem nahen Padua, vielleicht unter dem Druck des leibärztlichen Interesses des Herzogs, anregen und vorübergehend ergänzen ließ. Was an der Moldau überhaupt nicht selbstverständlich war, in Wien el es (abgesehen von den leibärztlichen Medizinern) kaum mehr auf: Das Professorendasein bewegte sich unauffällig, aber entschieden hin zur Haupttätigkeit und zum Lebensberuf. Dies geschah wohl auch infolge des Mangels an hochrangigen kirchlichen Alternativen in der Nähe. Der Nachwuchs aus der starken Artistenfakultät mit vielen Magistern quoll hinüber in die höheren Fakultäten und füllte die Nachwuchsplätze. Zur Hauptkarriere des Professors einer höheren Fakultät trat damit die ebenso „professionalisierte“ Vorkarriere in der Artistenfakultät hinzu – ein Überquellen, das in Prag infolge der Zerstörung der höheren Fakultäten bald nicht mehr möglich war und damit dort erst recht spezische, politische Probleme mit ausgelöst hat. Auch die Quantitäten der bald kommenden weiteren Neugründungen lassen sich in Wien gut erkennen. Während der bescheidene Heidelberger Beginn fast unbemerkt blieb, war die Entstehung der weiter ab liegenden, aber vergleichsweise „riesigen“ Universität in Köln ein Einschnitt auch für Wien. Es schien ein Glück, daß sich Langenstein und seine Hessen nicht so sehr als Rheinländer fühlten und blieben; andere gingen. Die Universitätsgründungen in Heidelberg und in Köln kann man, was die Potentiale und die Quantitäten betrifft, als Gegensätze verstehen, als den kleinsten und den größten der hier betrachteten Fälle; raum- und entwicklungsgeschichtlich gesehen gehörten beide jedoch ähnlichen, für deutsche Verhältnisse modernen Landschaften, den rheinischen, an.
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Was die Professoren des höchsten Anspruchsniveaus betrifft, zehrte Heidelberg30 von der Abwanderung aus Prag. Für die kleine Neckarstadt (etwa ein Zehntel Kölns) ist typisch, was in Wien und Prag und erst recht in Köln nur eine geringe Rolle spielte: Der kurfürstliche Hof mußte die Universität von Anfang an massiv sozial stützen. Sonst wäre sie kaum überlebensfähig gewesen. Die führenden Professoren wurden Familiaren des Pfalzgrafen und wurden wohl auch von ihm großenteils nanziert. Die Schwäche der Jurisprudenz in Wien wiederholte sich an Rhein und Neckar nicht, in Heidelberg aber nur, weil der Hof half. Es gab – das muß man ganz klar sehen – kurz vor 1400 in Deutschland abgesehen von den Städten und Fürsten des heute niederländisch-belgischen Bereichs nur zwei Zentren des Modernsten, der Legistik: in Heidelberg am Hof, nicht primär an der Universität, und in Köln an der Universität. Dr. Job Vener ist das Paradebeispiel für Heidelberg, der immer wieder vom Schloß in der Höhe zur Universität im Tal hinabstieg. Vorher hatten solche Zentren überhaupt nicht bestanden, man ndet nur Einzelpersonen vor. Individuen waren auch die großen Heidelberger Namen seit 1386. Wenn unser Bild gerade von dieser Vergangenheit nicht so extrem universitätszentriert-verklärend beschaffen wäre, würde schnell auffallen, daß die Potentesten sehr bald in die vielfältige kirchliche Landschaft übergingen, die im Westen bestand. Niemals wurden so viele Professoren Bischöfe wie von der frühen Rupertina aus. Deshalb vermutlich war Heidelberg attraktiv, nicht wegen seiner winzigen Zahlen. Es hatte im Jahr 1386 mit zwei Magistern der Artisten, die für uns nicht zählen, und einem Ordenstheologen aus Prag begonnen, der wegen seiner niederrheinischen Herkunft kurze Zeit später nach Köln weiterzog. Vermutlich wäre Heidelberg wegen des starken Sogs aus Köln schon 1388 am Ende gewesen, wenn der Hof nicht gestützt hätte oder wenn nicht Hoffnungen auf ihn bestanden hätten. Je kleiner das 30 Gerhard Ritter, Die Heidelberger Universität, Bd. 1, Heidelberg 1936; Peter Moraw, Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter, in: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, hrsg. von Bernd Moeller u. a., Göttingen 1983, 524–552; Semper Apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karl-Universität Heidelberg 1386–1986, Bd. 1 und 4, Berlin usw. 1985; Eike Wolgast, Die Universität Heidelberg 1386–1986, Berlin usw. 1986; Die Geschichte der Universität Heidelberg, Heidelberg 1986, Mieczyslaw Markowski, Marsilius von Inghen, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters, Verfasserlexikon Bd. 6, 2. Au., Berlin/New York 1987, Sp. 136–141; Jürgen Miethke, Marsilius von Inghen, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 6, München/Zürich 1993, Sp. 33lf.
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Zentrum war, um so weniger Strukturen konnten sich ausbilden. Es ist charakteristisch, daß es in der Medizin überhaupt keine klare Linie gab und daß sich Theologie und Jurisprudenz als quantitativ gleich schwach die Waage hielten. Immerhin brachte das Zeitalter des Schismas viel Bedarf an guter Theologie mit sich – es war die große Zeit des Matthäus von Krakau, ehe auch dieser Bischof wurde –, und die vielgestaltige Fürstenlandschaft beschäftigte die Juristen. Nach Pariser Vorbild und wegen Marsilius von Inghen, dem Protagonisten der Rupertina, war Heidelberg offenkundig als Artistenuniversität geplant. Aber man konnte das nicht durchhalten; auch Marsilius ist wenige Monate vor seinem Tod noch Doktor der Theologie geworden, als erster der Fakultät im Jahr 1396. Es gab also, mit einem Wort, auch in der ersten Heidelberger Generation den deutschen Professor nicht im mindesten als klar umrissene Figur, sondern ganz verschieden konturierte und verschieden eingebundene Leute. Differenziert waren sie vor allem je nach ihrem Platz auf einer breiten Skala von Existenzformen: vom Lebensinteresse an der Universität bis zum Verankertsein außerhalb von dieser. Am Heidelberger Beispiel kann man bisher am zuverlässigsten feststellen, wie rasch die sozialen Regeln des Zeitalters, die dem Historiker vertraut sind, nach dieser unübersichtlichen Lage griffen, um sie sich konform zu machen. Das heißt: Bald nach 1400 setzten „Normalisierungsprozesse“ ein, die vor allem von dem schon entstandenen oder gerade entstehenden Geecht der Hof- und Beamtenfamilien her die Professoren einzubeziehen begannen. Nach dem rasch anfangenden Studium der Söhne dieser Familien begannen sie selbst Professoren zu stellen. Der erste Rektor aus dem Kreis der Hoffamilien amtierte 1412. So kann man für den weiteren Verlauf des 15. Jahrhunderts den Heidelberger Professor als Idealtyp ziemlich klar beschreiben. Er stammte aus der Nähe mit gutbürgerlicher, adelsnaher Verwandtschaft aus Hof-, Beamten- und Universitätsfamilien, und zwar aus größerer Nähe, als durchschnittlich die Studenten kamen. Er war sozial stabilisiert, war gut ausgebildet und durchaus auch weltkundig; denn er hatte, wenigstens wenn er Jurist war, auf Wunsch des Pfalzgrafen ungeachtet der Rupertina Italien zum Studium aufgesucht; gleichwohl war er in summa eher solide als irgendwie aufregend. Aus der Exulantenuniversität war eine „Heimatuniversität“ wenngleich in einer ziemlich weltoffenen Landschaft geworden. Fast alle großen deutschen Juristen des 15. Jahrhunderts, Nikolaus von Kues, Mair, Knorr, Lieser, haben
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auch in Heidelberg studiert; das heißt, daß sie von weiter her als die Lehrer, aber nicht von allzu weither stammten. Die Universität zu Köln31 trat 1388 auf, im Vergleich zu Heidelberg wie ein Riese, in der größten deutschen Stadt und in der modernsten und bevölkerungsreichsten deutschen Landschaft gelegen. Man konnte auf eine Ordensstudien-Tradition zurückblicken, die im „ Jüngeren Europa“ nirgends ihresgleichen hatte. Wohl nur die politisch zersplitterten Verhältnisse und die Feudalstruktur der heimischen Kirche haben verhindert, daß in Köln nicht längst, seit Generationen, eine Universität bestand. Man erkennt das im Vergleich sofort an den Quantitäten von 1388. Gleichsam aus dem Stand, in den ersten Monaten, bot Köln sieben Theologen, elf Juristen und fünf Mediziner der höchsten Qualikationsstufe auf (Lizentiaten und andere Graduierte ungerechnet), und diese Zahlen wuchsen weiter an. Es sollten zwei Juristische Fakultäten, eine kanonistische und eine legistische (mit einem Legistenprivileg des Papstes von 1394), bestehen. Das wurde dann organisatorisch nicht verwirklicht, jedoch inhaltlich. Man kann im Durchschnitt behaupten, soweit man dergleichen überhaupt heute festzustellen wagen kann, daß Köln in den höheren Fakultäten im kommenden Jahrhundert in Deutschland führend war, jedenfalls eher führend als jede andere Universität. So war es wohl auch zu erwarten; denn ungeachtet der längst und weiterhin vielgenutzten Möglichkeit, nach West- und Südeuropa zum Studieren und zum Lehren zu gehen, waren Lehrer vom Niederrhein in dem Augenblick, als sie mitteleuropäische Standorte attraktiv fanden, von Anfang an maßgebend dabei. Das geschah noch nicht in Prag, aber sehr wohl in Wien und sehr deutlich dann in Heidelberg. Der hösche Impetus fehlte in Köln, und leider fehlt auch eine Untersuchung über die für Deutschland am besten in Köln gebotene Möglichkeit, die soziale Verechtung einer großen Stadt mit einer großen Universität zu studieren. Das würde gerade die Professoren angehen. So ist es heute trotz sehr ansehnlicher moderner Anstrengungen zur älteren Kölner Universitätsgeschichte noch kaum möglich, sich ein klares Bild vom Kölner Professor der ersten Generation zu machen. Man gewinnt immerhin den Eindruck, daß hier der Weg von der uns schon selbstverständlich gewordenen Vielfalt des Anfangs zur relativen
31 Erich Meuthen, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte Bd. 1), Köln/ Wien 1988. Vgl. dazu oben Anm. 5. Die Kölner Universität im Mittelalter, hrsg. von Albert Zimmermann (Miscellanea Mediaevalia 20), Berlin/New York 1989.
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Einheitlichkeit länger gedauert hat als in Heidelberg. Denn auch alte Strukturen, wie die Mendikantenlehrstühle der Theologie, verfügten in Köln über eine feste Basis und blühten noch lange, als sie anderswo schon dahingeschrumpft waren. Vorläug wird man wohl so resümieren können: In Köln wirkte sich die (noch quantitativ zu untersuchende) Vermehrung der deutschen Graduierten von Jahrzehnt zu Jahrzehnt des späteren 14. Jahrhunderts erstmals gravierend aus. Diese Vermehrung sollte man aber nicht nur abstrakt-allgemein konstatieren, sondern auch regional unterscheiden. In Köln trafen zwar Graduierte aus allen älteren deutschen Universitäten und aus den bekannten Zentren des Auslands zusammen, aber man traf deshalb in so großer Zahl zusammen, weil man schon zuvor am Niederrhein oder gar in Köln selbst bepfründet gewesen war, das heißt zumeist selbst vom Niederrhein in vergleichsweise großer Zahl oder gar in der größten Zahl stammte. Dieses Zusammentreffen machte Köln groß und wirkte sich auch in der Folgezeit aus. So verhielt es sich offenbar auch bei den Magistern der Artistenfakultät.
III Mit wenigen Worten sei abgeschlossen. Es mag sich herausgestellt haben, daß in der ersten Generation des deutschen Professors in Deutschland Improvisiertes, Unverhofftes, Vielgestaltiges das Bild prägten, gewiß nichts Eindeutiges und nichts Fertiges. Dies war so, obwohl doch die deutschen Universitäten sämtlich feierlich gegründet worden sind und formvollendete Privilegien besaßen – ganz anders als beim vielfach ungelenkten Heranwachsen in Süd- und Westeuropa. Offenbar haben die Sozialverhältnisse (im weitesten Sinn gemeint) der deutschen Universitätslehrer der ersten Generation mit dem politischen Willen der Gründer nicht oder nicht im mindesten Schritt gehalten. Etwas zugespitzt: Zuerst war die deutsche Universität da, dann erst der deutsche Professor. Die Verlockung, Professor an einer solchen Gründungs-Universität zu werden, war bei weitem nicht so intensiv, wie man dies zumeist meint, da für manche begehrte Kandidaten andere, lukrativere und sozial höherrangige Karrieren winkten32. Autonome „wissenschaftliche“
32 Jüngst Frank Rexroth, Karriere bei Hof oder Karriere an der Universität?, in: ZGORh 141 (1993), 155–183.
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Motive in Rechnung zu stellen wäre ohnehin grob anachronistisch. So mußte man improvisieren. Dies ist das klarste Ergebnis. Weniger klar, jedoch in seiner Richtung erkennbar ist der Weg, der dann wirklich zum typischen deutschen Professor der typischen deutschen Universität des Mittelalters – das heißt des 15. Jahrhunderts – geführt hat. Dahin leiteten Prozesse des Ausgleichs. Sie waren allerdings viel zu deutlich durch weitverbreitete soziale Regeln bestimmt und scheinen auch seinerzeit kaum beeinußbar gewesen zu sein, als daß man sie irgendwie speziell wissenschaftsorientiert oder auch nur obrigkeitlich zugunsten der Wissenschaft gelenkt nennen könnte. Dabei handelte es sich – wieder sozial gemessen – um eine Angleichung nach unten, zu Lasten also der Position der Juristen noch des Prager 14. Jahrhunderts. Damit trat das neue deutsche Universitätssystem – nun europäisch geurteilt – an die Stelle von Paris, das durch das Schisma diskreditiert schien und gemäß den Sozialverhältnissen Deutschlands und denjenigen seiner Regionen so gut es ging ersetzt wurde. Das italienische Hochschulwesen hingegen wurde (ebensowenig wie auch Orléans) keineswegs ersetzt, sondern infolge des Fehlens einer „oberen Etage“ des Universitätssystems in Deutschland weiterhin dringlich benötigt, wie die fortdauernden Studienaufenthalte im Süden bis tief in die Neuzeit hinein zeigen. Man kann nun erst recht von einer italienisch-deutschen Verechtung sprechen. Schließlich sollte man auf die Bescheidenheit der Quantitäten in der ersten deutschen Lehrergeneration der höheren Fakultäten hinweisen. Hier haben die Urbanität des „Älteren Europa“ und die große, schon staatlich verwaltende Monarchie fundamental gefehlt. Was sich daran nach den ersten Improvisationen geändert hat und wie rasch das geschah – diese Frage ist für Deutschland an das 15. Jahrhundert weiterzureichen.
KAPITEL 14
CAREERS OF GRADUATES
The Interaction Between University and Society The university is anchored in society by those who attend it and those who leave it. The word ‘university’ denotes a social body for its members. The nature of this anchorage in society is difcult enough to see in our own day, despite the fact that modern industrial societies, and, so it often seems, modern universities, have become very much alike. The question is more difcult for the very diverse societies and universities in the long stretch of time from the twelfth to the fteenth centuries. Of no aspect of early university history is less known. The number of universities which came into existence in Europe in that period is known, but who knows how many different societies there were and how many local and regional élites within them? This also explains the lack of a complete social history of medieval Europe and a comprehensive theory of its social history.1 To the question of the role of the university graduate in medieval society, only provisional and simplied answers are possible and even these apply only to limited areas. The present state of research permits us, however, to discern certain uniformities, particularly in those features which were important for the implantation of universities in society: a minimum of freedom and mobility for many and a minimum of legal stability for most social orders, which though hierarchical, were seldom static or impermeable; demographically, economically, and socially concentrated centres, i. e. cities; a gradual mutual differentiation between churches and states; respect for education and culture; special groups of agents servicing these and other demanding social functions. To this inchoate mass of actual situations, the social data of the universities and their members can only be related intelligibly if certain
1 Cf., for example, R. Fossier, Histoire sociale de l’Occident médiéval (Paris, 1970); Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, vol. II, ed. J. A. van Houtte (Stuttgart, 1980), vol. III, ed. H. Kellenbenz (Stuttgart, 1986); O. Brunner, Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2nd edn (Göttingen, 1968).
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emphases are accepted, specic aspects brought out, and a number of interpretative principles assumed which are partly hypothetical and require further research. Yet, as long as certain precautions are taken, and despite geographical and historical differences, non-synchronic economic uctuations, crises, intervals, and delays, the social history of Europe can be seen as a comparatively advancing process. It was undoubtedly a process of increasing differentiation and complexity, i. e. of ‘modernization’ in the broad sense. If the social history of Europe, for all its geographical and historical diversity, is to be understood in this relatively unitary way, a model is required which interprets these differences wherever possible as shifting phases. Such a model appears to be available.2 It begins by distinguishing between an ‘older’ and a ‘younger’ Europe. ‘Older’ Europe consisted, on the one hand, of Italy and southern France, together with parts of Spain perhaps, and, on the other hand, of northern France and the imperial territories west of the Rhine, together with England. To some extent, this ‘older’ Europe was the direct heir to Roman antiquity, which still inuenced and found expression in urban culture and in relatively less feudalized churches, for example. ‘Younger’ Europe – in the centre, east, and north – was able to assimilate this heritage only belatedly and never completely during the Middle Ages, by laborious processes of equalization. Before the beginning of the university era and well into it, the church was culturally and socially the prima causa and chief base of the groups and concerns which were important for the social history of the universities. Throughout the whole medieval period, the world of the universities was in the main that of the church. The city, with its social and economic consolidation, complexity, division of labour, mobility, and accumulation of resources, became increasingly, and soon decisively, the milieu and sine qua non of the history and social development of the university and its graduates. The interaction between university and society is also quantitative. Unfortunately, reliable statistics are almost completely lacking for the period up to the late fourteenth century and, where they exist, apply only
2 P. Moraw, ‘Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter’, in U. Bestmann (ed.), Hochnanz, Wirtschaftsräume, Innovationen, Festschrift für W. von Stromer, vol. II (Trier, 1987), 583–622.
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to a part of Europe. Only from this time, moreover, can we estimate the economic and cyclical uctuations connecting the overall impression of a long-term numerical growth with reality. The proportion of graduates among the total of university students may, by and large, have increased, but the proportion of both graduates and non-graduates in the whole population at any given time remains uncertain throughout the whole period. In any case, only a minority of students graduated and only a proportion of these can be traced from successful careers. Contemporaries were never in a position to analyse either the development of society as a whole or even basic aspects of this development. While the universities were being founded or expanded, there was no conscious intention of inuencing social conditions generally. Far more important were the ‘prestige’ and the practical, economic, and administrative benets accruing to communities and rulers. Many of the social changes produced by university men must be regarded as an unintended ‘spin-off’ of quite different concerns. We should thus be chary of speaking of a ‘labour market’ and its supply and demand, and can only speak about specic instances. Mere attendance at university and even graduation were not automatically respected and welcomed as new qualications for the furtherance of a career. The traditional qualications of birth and property put up a stiff resistance to such newcomers. Graduation was seldom more than just another qualication among those a person possessed or lacked. Its function within a set of qualications varied widely and depended on a graduate’s birth or property qualications. Only gradually did the newcomer gain a foothold and establish himself within the old conditions or even create quite new ones, though much became established practice without leaving any identiable trace. Yet there could be no question of monopolistic claims on the part of graduates prior to the end of the medieval period. One of the paradoxes of the universities and their components is that they tried to claim social autonomy in many detailed respects without being socially autonomous at all, let alone socially powerful. In fact, in order to maintain their position, they strove to conform to the regional milieu. Students brought with them the social rules of their personal background and tried to maintain and develop their particular position. Before and after the start of a career, both within the university and outside it, the governing principles were patronage, privilege, and inheritance. A family’s wealth was put to use in the promotion of certain expectations. The expense of a chosen course of
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study and the faculty and university selected varied considerably, and the career was meant to prove that this investment had been worth while. Universities and faculties differed in status and this affected the social value of the degrees they conferred. In ‘younger’ Europe, at all events, the social cachet attached to graduation diminished with the passage of time, chiey because of the growing number of graduates. No less far-reaching in its effects on the same milieu was the relative equalization of the four faculties within the increasingly narrow structure of the territorial university. All this brought graduation closer to our modern view of it as a certicate of achievement. Up until then, however, the important thing was the diversity of ‘graduation’ as a social starting-point. Despite all this, the universities enjoyed a certain autonomy and even had an inherent dynamic, which became, in time, a social factor. This is already shown simply, yet decisively, by their longevity; they gradually assumed new social roles unimaginable at the outset. The relative autonomy of the university system was due mainly to those who, after graduating, continued their careers in the university and so fullled the basic function of that graduation. The autonomy of the university is also recognizable from the spatial structure which developed around a college or university location and which, in due course, also began to inuence careers. The medieval university can already count it as an outstanding achievement to have gradually clawed its way into and increasingly merged with its regional milieu, with all this implied for careers.
The Beginnings in Italy and France (Twelfth Century until around 1200) The social position of university-leavers is most difcult to establish for the early period of the universities and, above all, for their prehistory. What we call ‘graduation’ existed only in a rudimentary form. Many accounts refer only to a small group of university men or even to a single individual. At best, what emerges are the worlds these people inhabited: the towns, churches, and courts of ‘older’ Europe. The lead established by the northern Italian towns is clearly visible in the eleventh century. They were bigger, more prosperous and more ‘aristocratic’, more active politically and economically, more diverse and mobile socially, more effectively laicized, and more interested in education and culture than all other contemporary communities. It was here rather than in the
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rest of Europe that an independent and literate laity rst appeared and developed with surprising speed. This was connected with early rationalism, and the development of law and ‘modern’ constitutional forms. Out of these there gradually developed the professions of the jurist, the notary, and the physician. The law schools of Bologna were the focal point for the jurists. These schools had existed on a private basis since the second half of the eleventh century, and were united to form a ‘university’ after 1180. They made possible the emergence of groups of persons who, as legal experts, occupied posts of growing importance for the life of society. The communities needed these specialists for their domestic administration and legal system, in the quest for increasing autonomy and in the competitive struggle with their neighbours. Already in this early period, the general point made above applied: it was a question of introducing something new. Here the high social, aristocratic position of the causidicus (advocate) or iudex ( judge) was primary, whereas the exploitation of legal knowledge must be seen at rst as only a secondary concern. Two legal experts from Bologna appeared in this capacity before the Emperor Henry V in the year 1116. Judicial practice having paved the way, the practice of law as an urban profession emerged during the twelfth century. The persons concerned were laymen, who have to be seen against the background of a steadily growing literate urban laity. The posts now being gradually opened to those trained in the law schools had formerly been occupied by persons well versed in customary law. In the second half of the twelfth century and connected with this phenomenon, a constitutional and social change took place from an aristocratic to a podestà constitution. As leaders of the cities, podestà appointed for one year took over from the old aristocratic families. Although themselves of noble birth, these podestà were above all professional administrators, having studied law at Bologna. They went from one city to another, accompanied by a small group of judges, notaries, and secretaries, who also had had some legal training. The specialist qualication thus increased in importance compared with evidence of birth. Moreover, more posts were available. The speed but also the sporadic character of this development must be stressed. Only in this qualied way can we speak here of the emergence, for the rst time, of an academically trained class. In contrast to the situation in Paris during the same period, in Bologna well-to-do persons normally studied jurisprudence and soon began to do so with a fairly clear professional interest focused on the community.
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Law graduates were at work from a very early date in one or two courts, beginning with that of the countess of Tuscany (before 1100) and continuing under the emperor (1112). After the middle of the century, a rst high-water mark was reached at the time of Frederick I Barbarossa (1155 et seq.). Clerics also studied in Bologna, especially canon law. Increasing numbers of canons, archdeacons, and bishops were trained in law schools. From 1153, a canonist headed the papal chancellery. The great Pope Innocent III (1198–1216) was a former student of Bologna. Finally, aside from all community employment, we can also discern in early Bologna – as, too, at Paris, though fewer in number – the gure of the intellectual, who was socially and professionally an ambiguous ‘outsider’. The cultivation of the artes in Bologna indicates a less strict professional attachment and this, too, had its roots in the eleventh century. Masters of arts (especially of grammar and dictamen, the art of letter-writing) were often trained notaries as well, the most widespread semi-legal professional class of medieval Italy.3 Paris, along with its very advanced and differentiated urban society, was at the centre of the early history of the university in the northern half of ‘older’ Europe in the twelfth and thirteenth centuries. Despite numerous personal contacts, however, the world of its studies was basically different from that of northern Italy. The surrounding city, despite its considerable size and many-sided importance, was an indispensable soil rather than a formative factor in the social life of the university. The church milieu in the broadest sense was more important. From the forties of the twelfth century, former Paris students achieved preeminence in the papal court, in the college of cardinals, and then in the papacy itself. One in six of the cardinals appointed by Innocent III had studied or taught in Paris, one in two of those appointed by Gregory IX (1227–41).4 The University of Paris came into existence as a social factor almost anonymously. The only way to evaluate its social inuences is to analyse the available information about the group of masters. In many respects, 3
J. Fried, Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert (Cologne, 1974); M. Bellomo, Saggio sull’università nell’età del diritto comune (Catania, 1979); I ceti dirigenti dell’età comunale nei secoli XII e XIII (Pisa, 1982); P. Classen, ‘Richterstand und Rechtswissenschaft in italienischen Kommunen des 12. Jahrhunderts’, in P. Classen, Studium und Gesellschaft im Mittelalter, ed. J. Fried (Stuttgart, 1983), 27–126. 4 P. Weimar (ed.), Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert (Zürich/Munich, 1981); P. Classen, ‘Die Hohen Schulen und die Gesellschaft im 12. Jahrhundert’, in Classen, Studium und Gesellschaft (note 3), 1–26; J. W. Baldwin, Masters, Princes, and Merchants, 2 vols. (Princeton, 1970).
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beginning with age, the active masters were like the law students of Italy, in contrast to the young students of the arts. Here we must bear in mind the basic twofold division, which is important in any assessment of the universities in the Parisian tradition. As has been shown in chapter 5, they fullled at one and the same time the role of present-day colleges (for many pupils) and that of present-day universities (for a small minority). As teachers of the arts, masters could also be students in a higher faculty. Our knowledge of the Paris masters and those of other schools prior to and around 1200 is slight. Certainly, the master’s career was more uid and uncertain than that of the law student, at least the urban Italian law student. But we know virtually nothing of the masters’ social origin. In most cases we do not even know exactly where they had studied. The most plausible hypothesis about employment is that there was a steady increase in the proportion of those actively engaged in the court life of the French and English kings or of French and English bishops, for example, in the emergent ofce of the ‘ofcial’. One possible periodization for France would be: rst traces, 1140 to 1180; discernible growth, 1180 to 1220; nally, a fairly clear increase from 1220 onwards. The percentage of masters who were also bishops conrms this evolution: 3 per cent in the royal bishoprics in France under Louis VII (1137–80), 20 per cent under Philip II Augustus (1180–1223) – whereas the English percentage was already approaching 30 per cent – and 41 per cent under Louis IX (1226–70). On average, the English kings employed at least twice as many masters as the French sovereigns.5 As will be explained later, the leading position of the English administration can be documented almost a century before 1200 and the gap was hardly made good before 1250. Conditions in the imperial diocese of Liège (including Aix-la-Chapelle, the imperial city), which was part of ‘older’ Europe, t smoothly into this chronology. The existence of some thirty ‘masters’ in the twelfth century has been traced, almost all after 1170. They were employed in the churches of Aix-la-Chapelle and Liège, or formed part of the retinue of important lay lords.6 The extent to which the process
5 J. W. Baldwin, ‘Studium et Regnum. The Penetration of University Personnel into the French and English Administration at the Turn of the Twelfth and Thirteenth Centuries’, Revue des études islamiques, 44 (1976), 199–215. 6 C. Renardy, Le Monde des maîtres universitaires du diocèse de Liège 1140–1350 (Paris, 1979); C. Renardy, Les Maîtres universitaires dans le diocèse de Liège. Répertoire biographique 1140 –1350 (Paris, 1981).
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of equalization had at that time prospered in ‘younger’ Europe east of the Rhine is dicussed below. Finally, no account of the masters would be complete without reference to the fact that very little is known of the lives and careers of the vast majority of those Paris students around 1200 who did not graduate. A wide social range and an innite diversity of individual circumstances can be assumed.
The Beginnings in England, in the Iberian Peninsula, and in ‘Younger’ Europe The University of Oxford (before 1214) was only a few years younger than the University of Paris and, in many respects, was very similar to it, in the range of disciplines, for example. Not surprisingly under an Angevin monarchy, conditions in state and church were also similar, except for England’s less direct involvement with the papacy. Yet it was a decisive century later than in Italy or France that potentially rival school activities were established in Oxford, clearly not earlier than around 1185. The careers of the English students and teachers provide the best explanation of this.7 Prior to 1190, those who attained onerous ecclesiastical dignities and court ofces, or who wrote important works or even merely became schoolmasters, always spent a longer time on the continent, especially in Paris or Bologna. Foreign students did not come to England. On the other hand, we nd a great many Englishmen among those Parisian masters around 1200 of whom a little more is known. In the second half of the twelfth century, a loose association of English scholars existed, which, not long after 1200, became the ‘English nation’ in Paris. All this was despite the fact that the island monarchy was more modern and disposed of an élite in the shape of a group of educated experts, the royal clerks, as well as the fact that well-educated laymen already cultivated law very actively and independently within the royal court, and the fact that literature and culture were highly regarded in the royal entourage. In this respect, England counted as part of ‘older’ Europe, even if no urban milieu capable of assuming responsibility for higher education yet existed. An
7 G. Stollberg, Die soziale Stellung der intellektuellen Oberschicht im England des 12. Jahrhunderts (Lübeck, 1973); Baldwin, ‘Studium et regnum’ (note 5), 199–215; J. Dunbabin, ‘Careers and Vocations’, in History of Oxford, 565–605.
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important university came into existence in Oxford, even though the town itself could by no stretch of the imagination be compared with Paris or Bologna. As for the Iberian peninsula, there is little known for sure about the University of Palencia (1180?–1243/63) in Castile. We should therefore stress the presence of Spanish and Portuguese students in Italy and France. Most of these probably were or became canons.8 When we turn from ‘older’ to ‘younger’ Europe, it is possible, on the whole, to envisage the latter as divided into two parts. On the one hand, there was the centre of the continent, open to and in some measure comparable to the west, widely dominated economically and socially by the Rhineland (part of ‘older’ Europe). On the other hand, there was the periphery in the east and north where conditions were still retarded: density of population, the urban milieu, and the superstructure of church and state are taken here as the indicators. These conditions did not favour interest in the new knowledge. Quite apart from this, however, the new could even appear alien from the standpoint of the traditional Ottoman and Salic educational system of the centre. Nevertheless, the new was in fact received. Broadly speaking, however, it was not yet supported by any general demand; its reception remained, therefore, the outcome of individual decisions taken against the background of an already customary mobility of students and teachers. When the situation of the English in Paris is compared with that of the Germans, Danes, or Hungarians, typical differences can be noted. The number of visiting students who subsequently distinguished themselves by their careers (and are therefore the only ones of whom we have any knowledge) was clearly smaller in the case of those from the periphery. The arrival date of those from the periphery is later than that of those from the centre; the success of students from a distance was less than that of those whose homes were closer. On the other hand, to the extent that it is known, the social rank of the students from far away was above the average. This was natural enough, since those advantaged by birth and property were enabled to continue even in difcult circumstances and were undeterred by failure. A centuries-old wind was blowing through Europe in the new-style educational system, mostly from west to east but also from south to north. It was not easy for
8 J. Veríssimo Serrão, Les Portugais à l’Université de Montpellier (Paris, 1971); A. García y García, Iglesia, Sociedad e Derecho (Salamanca, 1985).
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anyone without special advantages to resist this trend. Even two centuries later, the two eastern ‘nations’ of the jurists’ university in Prague were plainly more aristocratic than the two western ones. In other words, the further west we look, the more modern the social world we nd and the more chances someone with fewer or no advantages of birth and property had than in the east. The differences could be glaring, moreover. We have already mentioned the somewhat better-known Paris masters around 1200. The geographical origin of forty-two of them is known. Sixteen were English and only one – a Dane – came from ‘younger’ Europe. It is no accident, of course, that the latter was far and away the highest-born of the whole group. Among the seven identiable teachers singled out for mention by John of Salisbury (d. 1180), only one was not from ‘older’ Europe.9 In ‘younger’ Europe, the situation best known is that of Germany.10 Almost simultaneously (between 1153 and 1156), university men became leading gures at the papal, English, and imperial courts; yet the only aristocrat among them (and certainly the least educated) was the imperial chancellor, Rainald of Dassel. If measured by the title of master of the western pattern, the imperial court was not behind the times compared with the papal court and was even in advance numerically of the French court. What Frederick I Barbarossa (1123–90) already had, only Philip II Augustus (1165–1223) attained. The data about German dioceses in the forties of the twelfth century point in the same direction as in the west. But whether the title of master meant academic studies or the old-fashioned dignity of the scholasticus of a cathedral or collegiate church becomes increasingly uncertain the further the distance from the new educational institution. Yet study does not appear as an effective motor for promoting a career or even as a factor in the establishment of ‘professional groups’. We have evidence that, of the German bishops between 1002 and 1197, only 4 per cent attended foreign education centres (25 out of a total of 646), fteen of whom spent some time in Paris in the twelfth century. In this group, which into the thirteenth century included a majority
9 P. Riché, ‘Jean de Salisbury et le monde scolaire du XIIe siècle’, in M. Wilks (ed.), The World of John of Salisbury (Oxford, 1984), 39–61. 10 J. Ehlers, ‘Verfassungs- und sozialgeschichtliche Studien zum Bildungsgang Erzbischof Adalberts II. von Mainz’, Rheinische Vierteljahrsblätter, 42 (1978), 161–84; R. M. Herkenrath, ‘Studien zum Magistertitel in der frühen Stauferzeit’, Mitteilungen des Instituts für Oesterreichische Geschichtsforschung, 87 (1979), 3–35.
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unable to write, aristocratic birth and inuential patrons were more important than a period of study. If the social conditions of ‘younger’ Europe in the twelfth century are considered, successful careers which included university studies could only end up in church posts. If this was already true for Germany, it was even truer for the east and north of the continent, with sharply diminishing numbers. Together with the introduction of Christianity in the northern countries (eleventh till early thirteenth centuries), a well-educated higher clergy had to be established. Pope Gregory VII proposed in 1079 to the kings of Norway and Denmark that they send some well-born young men to the curia to be instructed in canon law. In the second half of the twelfth century, Paris was the educational centre for the Norwegian and, to a lesser extent, for the Danish and Icelandic higher clergy. Indeed, after the introduction of Christianity in Iceland in the year 1000, this island showed a remarkable interest in learning and education. Sweden and Finland followed the same pattern, but also with a time-lag of one (Sweden) or two (Finland) centuries, compared with central European countries.11
The Universal Age (1200–1380) The ‘universality’ of the age 1200–1380 was due to the existence and inuence of the papal church. The universities were primarily and essentially clerical institutions, even when the university’s pathway slowly began to lead out of and away from the shelter of the church, or even – in the communal universities of northern Italy and southern France – to bypass it to a large extent. Outside Italy, their members were for the most part clerics. The ‘younger’ a surrounding society was by the yardstick of European development, the more clearly was this the case. The universal age of university history ended with the Great Schism of 1378, the division of the papacy between Rome and Avignon, with its consequent exposure to the pressure of regional powers. Until then, the increase in the number of university students in the individual medieval societies can be estimated roughly and compared with their advance in church administration. Of the 134 cardinals in the Avignon
11 S. Bagge, ‘Nordic Students at Foreign Universities until 1660’, Scandinavian Journal of History, 9 (1984), 1–29.
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curia (1309–78), 66 were university graduates. The social status of the various disciplines is, on the whole, reliably reected in the fact that, of these 66 cardinals, 71 per cent had graduated in law, 28 per cent in theology, and 1 per cent in the arts.12 Everywhere and at every level, a church emerged in the thirteenth and fourteenth centuries which was, in general, legalist in emphasis. The synodal system, scalization, and transactions between local churches and the curia all contributed to this general trend and to a growing demand for university graduates. Avignon became a main centre of the university’s social success, one of the most important focal points for the establishment of personal contacts and a whole network of personal relationships. To be close to an important personage in the curia was an advantage for a graduate’s career. However, a sober assessment is necessary when the situation is viewed from the angle of the career-hungry individual. He was no more aware of how many people like him were studying in Paris or Bologna, still less of the state of the ‘employment market’ in his profession, than were the responsible contemporary leaders then or are the historians today. The social range of students at university may have been very wide and the geographical area from which they were drawn extremely vast, but this is not to be misinterpreted as an ideal come true. It was indicative, on the contrary, of uncertainties and incalculable risks. Yet the individual needed some predictability, and this only existed in the regions. This regional emphasis was thus a prevalent feature already of the universal era. The catchment area of a whole series of universities was never other than regional in character; indeed, the importance attached to the ‘nation’ reected the need for regional anchorage. We would completely misunderstand the nature of university studies and careers in this period if we were to link them with complete freedom of movement throughout Europe. A person who lost the permanent link with his region was rootless and socially handicapped. If it were impossible to assume that this anchorage in the (often modest) home society with the aid of non-academic qualications was seen as the primary and essential element, the picture we should have to paint of the early universities would be a very sombre one, considering the relative paucity of outstanding posts available in churches, courts, and cities 12 B. Guillemain, La Cour ponticale d’Avignon 1309 –1376. Etude d’une société (Paris, 1962), 277–356.
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– with the possible exception of northern Italy. This anchorage was either modied positively by university studies or, in the event of failure, not modied at all. Since attendance at university without graduation was regarded as quite normal, however, the notion of ‘failure’ was far from clear. In the case of the successful and the unsuccessful, a career was normally pursued in the individual’s home milieu. Central career posts, which now appear as supraregional (in papal or royal courts), were no less controlled by certain pressure groups than minor career posts, and in this way localized. Nor should the choice of a specic university be seen as the exercise of a preference, since, here again, the career was normally the determining factor in the choice. For the end of this era, this is conrmed by the precise data from the only university of ‘younger’ Europe which was for a time ‘universal’, i. e. that of Prague. Many scholars were drawn there from the disadvantaged half of the continent, some of them from great distances. But, despite the common use of the Latin tongue, hardly a single student came from ‘older’ Europe outside the German-speaking area. Such a student would have compromised his position socially. Finally, broad interactions between the university and society can be illustrated by careers within the university itself. The case of the university teacher is examined in chapter 5. But the churches, lords, and communes also claimed the services of professors for their own ends. The extent of these services in comparison with teaching provides a reliable test of the social value of the university as a whole. The churches and the courts were obviously the stronger parties, so that professors came to have second or ‘under-the-counter’ careers and the most successful left the university altogether. The most important of these social developments was established in the thirteenth century, namely, the separation of graduation from the replenishment of the ranks of university teachers. Still fundamental even today, this decision, by which graduation was left to the university and the majority of graduates were sent out into the world, was accepted by society. It was an acceptance all over Europe which only the church could have brought about. The opportunity of having a qualication which was largely or to some extent independent of birth and property was important everywhere, but supremely important in the modernization of less advanced societies.
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kapitel 14 The Universal Age in ‘Older’ Europe
The urban societies of northern Italy in the thirteenth and fourteenth centuries were the most developed in Europe. Strongly expansive forces were operating there, to which, as elsewhere – by 1350 at the latest – the brake was suddenly applied. Given the endless variety of detail and the lack of representative statistics, all we can attempt here is a brief outline of the general developments.13 In the rst place, alongside the usual social classes, certain factors dependent on ‘market mechanisms’ should be noted. Mobility between aristocratic and common birth was nowhere greater than in Italy. An aristocracy which had lost most of its resources came to terms with the wealthy bourgeoisie, which felt the attraction of the courts. Knowledge and culture as administered by the universities were hardly less helpful here than the already tried and tested eld of law. In the communes, minimum standards were established for active jurists in the thirteenth century, and this meant not so much graduation as a minimum period of study. Only two centuries later was this the case in France. To a far greater degree than elsewhere in Europe, the Italian university also lived off the city in the cultural area of rhetoric and dictamen as part of political and administrative life. A developed educational system offered further opportunities for arts graduates, not only as teachers but also as secretaries in the chancelleries of princes or towns. Physicians appeared as practitioners, scholars, and members of the urban élite. More properly here than elsewhere we can thus speak of ‘professions’. For France in the thirteenth and fourteenth centuries, the view from the south is instructive, especially if, out of the wealth of facts, we emphasize only the historically very important role of the jurists, who implemented the royal policy of establishing a strong, expansive, and unifying monarchy. For the beginning of the period, however, the difference between north and south and the latter’s connection with northern Italy should be stressed. A relatively uniform north-western Mediterranean area, including parts of Catalonia, is evidenced later on as a largely urbanized and laicized region through trade, commu-
13 C. Lefebvre, ‘Juges et savants en Europe (13e–16e s.)’, Ephemerides iuris canonici, 22 (1966), 76–202; 23 (1967), 9–61; T. Pesenti Marangon, ‘Università, giudici e notai a Padova nei primi anni de dominio Ezzeliniano (1237–1241)’, Quaderni per la storia dell’Università di Padova, 12 (1979), 1–61; W. M. Bowsky, A Medieval Italian Commune. Siena under the Nine, 1287–1355 (Berkeley, 1981).
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nications, and the legal system. The Italian inuence on the spread of the consulate system, the notariate, and even jurisprudence in southern France can be traced step by step. Bologna inuenced legal culture from the beginning of the twelfth century. Many Frenchmen from the south had studied there, but most of these returned home for their careers. Since Bologna was so easily accessible, effective law teaching was not established in the Midi earlier than around 1260–70 – in Toulouse a generation later, in Montpellier earlier than the ofcial foundation of the university (1229, 1289). An almost ‘Italian-style’ legal landscape, with written law even in the private sphere, already existed at that time. Here it is possible for the rst time to gain a more precise idea of academic careers. In the ve sénéchaussées of the south between 1280 and 1320, 189 jurists are named as being in royal service, 131 of them as judges, and 58 as advocates and procurators, with 54 of them bearing the title of doctor.14 This is a gure which would have to be regarded as unimaginable in ‘younger’ Europe even centuries later. Work for private or public employers in the towns of the region was regarded as normal. Service in the royal entourage was not eagerly sought; it was poorly rewarded and only on a short-term basis. No more than ten or eleven jurists found their way to the king or parliament in Paris. The jurists outside the royal service created a legal climate which kept the acts of the monarchy under constant surveillance, in the formal expert way at least. As a result, the king’s servants also had to be sufcient in number and of good enough quality to avoid wasting time in parliament. For the king’s opponents employed advocates, too. The cities in particular hired them in growing numbers, and, from the fourteenth century, an increasing number of jurists also gured among their consules, with the exception of Montpellier. The new legal culture thus spread in terms of both ‘style’ and personnel, providing employment for other colleagues. Even the offspring of aristocratic families became doctores, though most of the latter were bourgeois. Most of them continued to be interested solely in the problems of the regions to which they returned after university. There were exceptions, of course, such as Guillaume de Nogaret, professor of Roman law in Montpellier, and Pierre Flote, well known as royal ministers with few scruples. At home, hopes of rising into the patriciate were cherished. As examples
14
20ff.
J. R. Strayer, Les Gens de justice du Languedoc sous Philippe le Bel (Toulouse, 1970),
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of careers from Lyon show, it was necessary to invest a considerable sum of money and this the family had rst to nd. Without it, success was hard to come by.15 In the north, which gradually gained the upper hand politically, we have documentation of conditions from the royal court and the churches. Jurists from both the south and (more numerous) the north were in royal service. However, after 1285 and with the advent of Philip IV the Fair, one nds above all jurists from the northern part of the kingdom trained at Orléans working in the parliament, the public accounting ofce, and the chancellery.16 As everywhere in Europe, compared with the knightly aristocracy on which every ruler continued to be dependent, they constituted a minority in the royal court. There were, however, posts which only jurists could ll competently, and these were growing in number. After a preliminary stage under Philip II Augustus and Louis IX (1214–70), jurists were regularly present. Around 1300, an era matured. Careers began to emerge which had originated in the bailliages and sénéchaussées. Self-recruitment in social groups became a familiar phenomenon. From around 1280, jurists are to be found among the counts of Flanders, who were particularly dangerous vassals; twenty or forty years before this, there were magistri who may have been jurists.17 Under Pope John XXII (1316–34), the entire world of the French church can be surveyed in terms of the system of beneces.18 Numbers which command respect clearly show the superiority of France, at all events on the continent north of the Alps. Of 16,773 papal interventions in the French and Burgundian churches, 4,879 were concerned with graduates. If the accumulation of beneces is considered, 14,000 persons were involved, of whom around 4,000 were graduates. More
15 Universités en France, 95–108; J. Verger, ‘Les rapports entre universités italiennes et universités françaises méridionales (XIIe–XV e siècles)’, in Università e società, 145–72; A. Gouron, Le rôle social des juristes dans les villes méridionales au Moyen Age’, Annales de la Faculté des Lettres et Sciences Humaines de Nice, 9–10 (1969), 55–67; R. Fedou, Les Hommes de loi lyonnais à la n du Moyen Age. Etude sur les origines de la classe de robe (Lyon, 1964). 16 R. Cazelles, Société politique, noblesse et couronne sous Jean le Bon et Charles V (Geneva, 1982); R. Cazelles, ‘Une chancellerie priviligiée: celle de Philippe VI de Valois’, Bibliothèque de l’Ecole des Chartes, 124 (1966), 355–81. 17 B. Guenée, Tribunaux et gens de justice dans le bailliage de Senlis à la n du Moyen Age (vers 1380–vers 1550) (Strasburg, 1963); J. Gilissen, ‘Les légistes en Flandre aux XIIIe et XIV e siècles’, Bulletin de la Commission royale des anciennes lois et ordonnances de Belgique, 15 (1939), 117–231. 18 L. Caillet, La Papauté d’Avignon et l’église de France (Paris, 1975). See also note 12.
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than half of these, i. e. 2,836 clerics, had studied jurisprudence. We nd the amazing gure of 1,255 doctorates and licentiates in civil law, to which gure must be added 252 canon law titles and 329 from both disciplines. Finally, of the 556 who graduated in more than one faculty, another 403 were jurists of all grades. This leaves a total of 381 arts men, 359 physicians, and 305 theologians. Only 442 gure as non-graduates. The best individual example in the long run is the royally connected cathedral chapter of Laon.19 From 1272 to 1412, 48 per cent of 850 canons were masters or held a higher degree. Prior to 1200, the proportion was 15 per cent, rising to 22 per cent between 1200 and 1220 and then, from 1240 to 1280 and thereafter until 1378, already to 45 per cent and 43 per cent, respectively. After 1378, the proportion was 65.5 per cent. One hundred and sixty canons were jurists, 110 of them doctors or licentiates. Not more than 15 per cent of the canons were of noble descent, though most of the rest were not really bourgeois in the broad sense but – as betted a church with royal and papal connections – members of a bourgeois church ofcialdom. Since statistics of this kind must mostly do service for general social conditions, even in large nations, another of the few still known groups of data is added here. If the names of all known French health specialists (physicians in the strict sense, as well as barbers and surgeons) are arranged chronologically, the resultant picture is of a fairly clear increase from the rst half of the twelfth to the second half of the fteenth century, though at different rates, of course. The largest increase occurred in the second half of the thirteenth century and the smallest in the fourteenth century. The numbers for the rst half of the twelfth century are related to those of the second half of the fteenth century in the proportion of one to ve.20 It is difcult to obtain more than an accidental glimpse into less lucrative professions than those of jurists and physicians. This is the case, for example, when an attempt is made to demonstrate the difcult position in which masters of arts, no less than other arts men, found themselves. Even at an advanced age, ‘ordinary’ masters found themselves badly provided for in the way of beneces attached to teaching posts for permanent servants of the university. That makes sense since, in this respect, the pre-state university fell between all possible stools.
19 20
H. Millet, Les Chanoines du chapitre cathédral de Laon 1272–1412 (Rome, 1982). D. Jacquart, Le Milieu médical en France du XII e au XV e siècle (Geneva, 1981).
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In the rst instance, secular and ecclesiastical patrons were obliged to provide for closely connected persons, so that there was rarely anything left over for the ‘free enterprise’ of the masters. The simple masters of arts, if they did not obtain a sufcient ecclesiastical benece, often had to resort to modest employment as schoolmasters. Although masters of theology had better chances, either in high ofces of the church or in better endowed professorships, they suffered from the competition of the jurists in their careers. The luckiest were those who belonged to mendicant orders and who generally attained high posts in their respective orders.21 The Iberian peninsula’s part in the universal age of university history was more passive than active. The most valuable input came from the Universities of Salamanca (from 1218–19), and Lisbon-Coimbra (from 1288–89). Particularly in the thirteenth century, however, the migration to Italy and southern France, and also to Paris and even to Oxford (in both instances for theology, which was lacking at home before the Great Schism), seems to be more important. This was true, above all, for canon law, though the Iberian universities followed the Bologna model. But there was no urban milieu, as in Italy, nor was there any early laicization; rather the dominant role of monarchies and churches prevailed. In Castile, however, the two universities – Salamanca and Valladolid – which were both protected and nanced by the king and the towns, trained a not insignicant number (though inferior to the numbers trained in France or England) of letrados, masters of arts and law graduates, who subsequently found employment in the royal, ecclesiastical, or municipal administrations and tribunals. However, given the ‘feudal’ structure of the country, which was still predominant, the group of letrados, while becoming increasingly important during the course of the fourteenth century, never really became autonomous; many graduates entered the entourage of the aristocracy.22 This situation already announced that of the countries belonging to the Holy Roman Empire.
21 T. Schmidt, ‘Pariser Magister des 14. Jahrhunderts und ihre Pfründen’, Francia, 14 (1987), 103–38; J. Verger, ‘Pour une histoire de la maîtrise-ès-arts au Moyen Age: quelques jalons’, Médiévales: Langue, Textes, Histoire, 13 (1987), 117–30. 22 A. Rucquoi, ‘Sociétés urbaines et universités en Castille au Moyen Age’, in D. Poirion (ed.), Milieux universitaires et mentalité urbaine au Moyen Age (Paris, 1987), 103–17.
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Of English bishops between 1216 and 1499, 57 per cent studied at Oxford and another 10 per cent at Cambridge. The numbers increased from century to century, so that in the fteenth century, for example, the proportion of bishops having attended one of the two universities rose to 91 per cent; under Henry III (1207–72) the gure was 51 per cent and under Edward III (1326–77) it was 70 per cent. The proportion of theology to law, which in the beginning was surprisingly high, declined to what was still a high level, i. e. around 40 per cent. At a very rough estimate, a fth of all Oxford students in this period attended a higher faculty. Given the overall situation, it is not surprising that graduates not only followed the customary road into cathedral and collegiate chapters but also, to an internationally exceptional degree perhaps, into the parish clergy. Already between 1280 and 1317, the highest gures in some dioceses were 26 per cent and the lowest 7 per cent.23 Again, we have no comparable statistics for the secular eld, that is to say for judges and other civil servants of the crown. As in France, the erasure of the boundary between clergy and laity within the group of ‘clerks’ in the thirteenth century was an important factor. In point of fact this accelerated the laicization of society.24 The discernible trends are, as expected, in the direction of really ‘modern’ conditions. Among the graduates, for example, the success of arts men continued to diminish. Despite the fact that judicial careers were still pursued in the eld of customary law far from the universities, the most effective way of entering administration of all kinds was to have studied civil law or, at a pinch, canon law, at the university.
The Universal Age in ‘Younger’ Europe Only from the last period of the universal era of university history did a university also exist in ‘younger’ Europe. What does this imply for the period before 1348 and what changed after that date?
23 T. H. Aston, ‘Oxford’s Medieval Alumni’, Past and Present, 74 (1977), 3–40; T. H. Aston, G. D. Duncan, and T. A. R. Evans, ‘The Medieval Alumni of the University of Cambridge’, Past and Present, 86 (1980), 9–87; R. B. Dobson, ‘Recent Prosopographical Research in Late Medieval English History: University Graduates, Durham Monks, and York Canons’, in N. Bulst and J. P. Genet (eds.), Medieval Lives and the Historian. Studies in Medieval Prosopography (Kalamazoo, 1986), 181–200. 24 Cf. J. R. Strayer, ‘The Laicization of French and English Society in the Thirteenth Century’, Speculum, 15 (1940), 76–86.
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Despite considerable regional differences, central Europe is to be seen as a unity. From the thirteenth to the fteenth century, a signicant acceleration and equalization took place in medieval university history, once this central area had, in some measure, reached the demographic and urban level of the west (but not of the south), and once the clerical monopoly of literacy had begun to be broken. The chronology of this process is still insufciently known. At all events it was characterized, as normally happens in historical developments, by speedy accommodation at the summit and a slower effort, intensively and qualitatively speaking, on a broad front. Studies and careers were more clearly separated than in ‘older’ Europe. There was less social mobility; usually it was more a matter of redistributing existing resources than of securing fresh ones. The decisive change in the direction of an academic ‘competitive society’, already existing in the northern Italian cities to a great extent, did not take place here until the late fteenth century. Although there were a number of quasi-university institutions – the result of efforts mostly in the rst half of the thirteenth century – studies in ‘younger’ Europe relied on migration to the ‘older’ European centres, since the domestic educational institutions did not offer graduation. For the many who subsequently occupied leading posts, the experience abroad was of supreme importance, particularly for the Germans. Unfortunately, we have more or less precise knowledge only of the ‘upper class’, comprising those who followed successful careers. They probably numbered altogether several thousands in the thirteenth and fourteenth centuries. Round about 1300, the German nation of the University of Bologna regularly totalled more than 200 students.25 From the very beginning, however, there must also have been a migration of poor students, often in the wake of the powerful, though it is still hardly possible for poor people to be identied as individuals. Even in Germany, the university, once it existed, was mainly an urban phenomenon. In the measure that university study was followed by a successful career, it was for the Germans, none the less, an aristocratic privilege. Only in the lower Rhineland was the situation somewhat different; the behaviour pattern there was part of ‘older’ Europe. Moreover, in many areas it is not easy to distinguish between the lesser nobility and early urban 25 S. Stelling-Michaud, L’Université de Bologne et la pénétration des droits romain et canonique en Suisse aux XIIIe et XIV e siècles (Geneva, 1955); A. I. Pini, ‘“Discere turba volens”. Studenti e vita studentesca a Bologna dalle origini dello Studio alla metà del trecento’, Studi e Memorie per la Storia dell’Università di Bologna, new series, 7 (1988), 62–9.
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leadership groups. Only in the later fourteenth century do we nd the vital social changes taking place, with the participation of many from the bourgeois class as well as with the beginnings of laicization. A second mark of the rst successful students was their church connection. In contrast to the situation in ‘older’ Europe, here the study of canon law was the main discipline for politics and higher administration. Except in the lower Rhineland, Roman law remained a luxury discipline up to the fteenth century, until the emperor nally made this an option for Germany as well, and not exclusively one for his Italian subjects (as during the Salian and Staufer period already). The élite usually pursued their studies after having rst secured a canonry or similar benece on the basis of birth. This led to attitudes of superiority and even arrogance in centres such as Bologna, Padua, and Orléans. At rst, therefore, there was a tendency in Germany to stress rather than ignore the old differences in development. Most of the beneces in cathedral and collegiate churches were in the west and south, since the north and east were often poorly provided for in this respect. An aristocratic student or jurist still belonged to a minority in his own aristocratic society, which continued to ll posts by regional family alliance. Noble birth made successful study possible, but successful study was not a typical sign of nobility. Even up until about 1350, there were many noble canons able, at a pinch, to read, but unable to write. The attitude of a collegiate chapter to study largely depended on regional and social conditions. It was in the fteenth century that the sudden change came about. Whereas 29 per cent of the canons in the cathedral chapter of Breslau (1341–1417) and 21 per cent of those in the cathedral chapter of Bressanone (Brixen) (1300–1400) were students, the percentage soon after increased sharply, to 60 per cent in Bressanone, for instance.26 A third characteristic of aristocratic study was its markedly minority role at the moment when it became possible for the masses to enter the arts faculties. Even in the fteenth century, less than 3 per cent of all German university students managed to obtain a degree in a higher faculty. The opportunity of becoming a graduate in this way was good for someone of noble birth or – from the fourteenth century – of wealthy urban origin. In other words, the division between the haves
26 L. Santifaller, Das Brixner Domkapitel in seiner persönlichen Zusammensetzung im Mittelalter, 2. vols. (Innsbruck, 1924–25), especially vol. I, 114ff.
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and have-nots was fairly clearly reected in the faculties. Jurisprudence was the science for the élite even in the church, which, in Germany, was still largely ‘feudal’ in the higher ranks. The arts and theology faculties were bastions of the middle class and poorer classes, particularly of social climbers – though mostly only up to a stage below the really important posts. One reason why the faculties of medicine were the smallest among the higher faculties north of the Alps (see chapter 11), and enjoyed less esteem than the others, was due to the fact that, of all the graduates, medical doctors frequently received the lowest recognition in medieval society. Doctores medicinae or physici, as they were also called, were few and originated from the middle or artisan classes (often surgeons’ sons). Medical education and the medical profession were often tied to certain families.27 As for jurists, what happened in the courts of the king and princes is this time better known than in ‘older’ Europe. The numbers were fewer in comparison, the degrees more modest, and social relationships more old-fashioned. Just as clearly observable as in the west and south of the continent, however, is the evidently irresistible tendency for all higher administration to be brought under the control of the jurists and the increasing range of career possibilities accompanying this process. The number of jurists who had business with the ruler multiplied sixfold from King Rudolf I (1273–91) to the Emperor Frederick III (1440–93) – 230 persons in all. The princes of the Holy Roman Empire followed suit with their legal staff (some 700 persons from 1250 to 1440), depending on the challenges facing the princes and the situation of their country’s development. As usual, the west and south of the empire were favoured.28 Despite the relatively homogeneous social background of the jurists, there was no uniform recruitment pattern for the Holy Roman Empire as a whole. Decisions were made regionally depending on the situation at the centre of government. Until the fteenth century, study abroad continued to be a socially more valuable qualication and here, apart from west of the Rhine, Italy was the clear favourite. From around 27 E. T. Nauck, ‘Die Zahl der Medizinstudenten deutscher Hochschulen im 14.–18. Jahrhundert’, Sudhoffs Archiv für die Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, 38 (1954), 175–86; Schwinges, Universitätsbesucher, 468–70. 28 P. Moraw, ‘Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493)’, in R. Schnur (ed.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates (Berlin, 1986), 77–147; I. Männl, ‘Die gelehrten Juristen im Dienst der deutschen Fürsten im späten Mittelalter (1250–1440)’, dissertation, Gießen, 1986.
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1370, jurists would appear to occupy posts on the basis of their training at German universities, with the result that those with an urban background became increasingly important. Although the university founded in Prague in 1348 closed down after two generations it was of fundamental importance for the relation between higher education and society in ‘younger’ Europe. There were fewer possibilities for careers, and the accessibility of less modern societies was more limited, given the practically irreparable backlog of a century or more. Prague could never become Paris or Bologna, any more than could Vienna or Heidelberg. These and other ‘daughter’ institutions of Prague were implanted by the authorities, as in Prague itself; there was no development in stages. Because of their poverty, they were subject to the pressure of the need for constitutional and social unity and, later on, to the pressure of the regional lord in favour of ‘rationalization’. The rectorial register, henceforth the most important source for the social history of universities, since it enables us to replace guesses by statistics, was itself the product of such straitened conditions. It is no accident that the oldest one we have is that of the jurists’ University of Prague (1372–1418). The social situation of Prague can be seen as a continuation and development of the two-stage study pattern of the migration period. Over and against the 3,563 inscribed jurists, there were at least ve times as many arts students, the vast majority of whom did not even obtain the lowest degree. University attendance thus meant very different things. The rst signs of the social modernization processes (of which we shall speak later) began to appear towards the end of the century, for example, in the remarkable devotion to the study of arts and theology in Bohemia. There seemed to be too few suitable posts in churches and administration, however. The university crisis, which, after 1400, culminated in the Hussite question, was also connected with the over-production of masters of arts who wished to prolong their stay at university.29 Prague University initiated for future leaders experiences of the kind that had previously been provided by the south and west of Europe for the benet of central Europe. But this ‘international’ role of Prague concerned only ‘younger’ Europe in a surprisingly strict way. The
29 P. Moraw, ‘Die Universität Prag im Mittelalter’, in Die Universität zu Prag (Munich, 1986), 9–134.
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Scandinavians soon switched from Paris to Prague and, after Prague’s demise, mostly to Leipzig (from 1409) and Rostock (from 1419), so that a part of Europe was reoriented. The same principle applied in other eastern European countries, such as Poland and Hungary. The highest input of students was from Poland. The fact that the leading urban groups were often of German origin made it easier for students from Poland and Hungary, and perhaps also from Sweden, to pursue their studies in Germany.30 The main social attributes of German students can be found some time later in Scandinavia, rstly in Denmark, then in Sweden and Norway, and nally in Finland. Studying in Italy continued to be important because of the high social rank of students and the corresponding likelihood of their subsequently occupying high positions, mostly in the churches. From the fourteenth century, nearly all the Nordic bishops had studied and about half of the canons of the cathedral and collegiate chapters, including those from Finland. The number of educated clergymen increased constantly until the Reformation in all the northern countries. Lay graduates from the upper social strata could also follow a career in the king’s service. The Norwegian royal administration had more educated non-noble laymen than the Swedish or Danish. Both Denmark and Sweden had a wealthier and more privileged aristocracy, whose education conformed more to the normal pattern of aristocratic families in central Europe.31 All in all, there were enough career opportunities for wealthy students coming home after having spent some years at a foreign university. It is, however, difcult to know to what extent an academic education stimulated social mobility.
The National and Regional Era in ‘Older’ Europe (1380 –1500) The third phase of European university history may be described as one of concentration i. e. of both intensication and narrowing, as with many other contemporary developments. The concrete event which serves as the caesura here – the Great Schism of 1378 – points both
30 G. Bonis, ‘La pénétration du droit romain dans les pays slaves et hongrois’, Recueil de Mémoires et Travaux publié par la Société d’Histoire du Droit et des Institutions des Anciens Pays de Droit Ecrit, 6 (1967), 75–83. 31 Bagge, ‘Nordic Students’ (note 11), 8–13; H. Holma and A. Maliniema, Les Etudiants nlandais au moyen âge (Helsinki, 1937), 13–15.
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to the decline of the universal church and the growth of the individual state. Equally important, at a time when the total population was sharply decreasing, was the relative and sometimes absolute increase in the number of university students. From around 1450, this was once again offset by a general increase in population. Instead of small groups of students, as was the case prior to and around 1200, we are now able to envisage totals running into hundreds of thousands, even when some of the older universities encountered a period of difculties during the course of the fteenth century (Avignon, Montpellier). In this phase, urban northern Italy, still the most modern of the four main contexts of medieval universities, also offers the least clear prole. It would be presumptuous to venture any summary. We can, however, consider the dozen or so more or less successful Italian universities existing around 1500 as a single system in which students often moved from one place to another. This was independent of the fact that these universities, too, were increasingly being pressed into the service of the states. At the same time, throughout the fteenth century, the social mobility within these universities remained considerable. When we compare its jurists and educated physicians, certain features of the leading and also most attractive community, namely Florence, are characteristic of the wider picture.32 These are signicant groups (163 individuals from 1380 to 1530, 150 individuals from 1350 to 1450) with radically different social patterns. On the basis of a far better quality of biographical material than exists for all the above-mentioned groups, one common feature which could previously be presumed but is now demonstrable was that a career did not depend solely on the study pursued. Both career and study are part of a long-term and broadbased ensemble of social connections, which have to be interpreted in terms of the family destiny at their centre. The decision to study and the choice of discipline were not just autonomous options marking a fresh start, but were often determined by factors which continued to affect the career beyond the study period. For the groups of Florentine patricians and leading social climbers whose success was already evident, a period of legal studies was, in the rst place, the consequence of a successful family history, now consolidated after generations of risky trading: one’s son and grandson would study jurisprudence. This pattern reminds us of capable upper
32
L. Martines, Lawyers and Statecraft in Renaissance Florence (Princeton, 1985).
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middle-class merchants north of the Alps and their efforts to establish themselves in their more traditional milieu by ‘old-fashioned’ land ownership and noble rank. Those jurists practised their profession but it was not a profession of the kind familiar to us in the modern struggle for existence. It was only the third group of Florentine jurists that came close to assimilating this active model, since those who belonged to it had to offset their foreign origin; but they were of respectable status, too, otherwise they would have had no chance of success at all. To achieve success, hard work was indispensable. There was no fourth group worth speaking of. Not surprisingly, in view of the increasing complexity of conditions both at home and abroad, the commune recruited from these subgroups on the basis of individual achievement, with opportunities diminishing proportionately from the rst to the third of them, those jurists who served as political leaders in Florence – and, all in all, they were an impressive number. A similar process has also been established in the case of Milan and Venice, here with political conditions of an even pricklier kind. Even smaller towns like Pistoia increased the number of posts to be lled by jurists.33 In Florence, if nowhere else, it was an élite of a kind rarely encountered with such a clear prole. To be a physician on the Arno, on the contrary, was much more ‘modern’ and also more uncertain and the prospects were poorer, not to mention the dangers of the profession in times of major epidemics. This may have been a major reason why the group of ‘incomers’ from the rural districts and from beyond the frontiers was the largest; this was already the occasion of much unrest in the social history of the medical doctors. But even among the Florentines, who found themselves increasingly in a minority, the study of medicine and the careers to which it led were, from the angle of family history, only a rst and usually the only step upwards for secondary health agents, minor traders, and notaries, and even artisans (but very seldom – only three cases have been identied). Three doctors came from the aristocracy, fteen were recognized social climbers. Medical studies were very expensive and subsequently extremely rewarding nancially. The mercenary factor was much more prevalent than among the jurists. The medical profession had no powerful tradition, received less support from family connections, and had less traditional inuence on sons than was the
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D. Herlihy, Medieval and Renaissance Pistoia (New Haven/London, 1967).
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case with the jurists. When, as in three instances, a doctor broke into the limited circle of those with some political inuence, this was certainly an individual achievement of some weight by comparison with the fty jurists who did likewise. The better-known French conditions none the less need to be commented upon in any attempted survey, even if it is only possible to speak of trends rather than quantities.34 One fundamental feature of what also happened here was the process of regionalization, characteristic of the world into which the eight universities founded in the fteenth century were born (on the whole, these remained relatively small). This regionalization affected even Paris and, to an increasing extent, the ‘customers’ of the universities, even the royal institutions. The French law faculties developed into almost exclusively professional and largely laicized training schools. By ‘professional’ here we mean not so much immediate applicability but a general training in legal thinking and, even more, the process of socialization among one’s peers. At all events, the universities established very concrete contacts with the families which sent them their sons, ties which even tended to transform the social structures of the university. The heavy fees typical of the system meant that the profession was restricted almost completely to well-off families. All this was hardly possible except on the basis of an expensive and private preparatory education at school or at home. It was a far cry from the traditional Parisian ‘general’ arts courses open to all and which, judged from the standpoint of social success now (and probably earlier), turned out to be vague and ineffectual. A second Paris was never established in France. It remains unclear how large arts faculties should be judged, whether as more advanced philosophical schools or as training grounds for beginners, differing little from the school milieu. Even the higher level of the lawyers was full of uncertainties. It is astonishing, or perhaps indicative of uctuations in social life, which must be assumed to have been widespread, that the pool of French jurists studying at one and the same time (estimated as from 3,000 to 3,300 in 34 In addition to references in notes 15–17: J. Favier, ‘Les légistes et le gouvernement de Philippe le Bel’, Journal des Savants (1969), 92–108; J. Verger, ‘Sul ruolo sociale delle università: La Francia tra Medioevo e Rinascimento’, Quaderni storici, 23 (1973), 313–58; A. Gouron, ‘Le recrutement des juristes dans les universités méridionales à la n du XIV e siècle: Pays de canonistes et pays de civilistes?’, in Universities in the Late Middle Ages, 524–48; A. Rigaudière, ‘Hiérarchie socioprofessionnelle et gestion municipale dans les villes du midi français au bas Moyen Age’, Revue historique, 269 (1983), 25–68.
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all) changed its proportions within a few years (1393/94–1403): a twothirds majority from the south was changed into a two-thirds majority from the north, with the total gure remaining unchanged. For canonists, the churches were the main employers. Yet graduates in Roman law enjoyed greater prestige; even in the church, they often occupied the highest positions. But it was obviously the king, important princes (duke of Burgundy, duke of Brittany, count of Provence), or the cities which normally made use of their competence. Compared with Italy and the south of France, the laicization of northern lawyers and the advance of northern jurists in the cities was clearly belated, not occurring until the second half of the fourteenth century. Once again, this advance had a twofold thrust; it served the ambitions of newcomers who wished to rise in the world and, later, the further consolidation of existing leading families or those still of secondary rank. Examples from Lyon, Poitiers, or smaller towns show that here, though a start was made later than in Florence, the success was greater. This was probably due to the fewer political demands made under the cloak of the monarchy and to a more restrained political climate. In the leading cities, at all events, after earlier beginnings, roughly between 1430 and 1456–60, jurists became so rmly established in the ranks of lay assessors and councillors that it became possible to speak in supercial terms of a predominance of doctors and licentiates. What this amounted to, however, was not only a dissolution of the old aristocracy but also a new legitimacy of hitherto leading families. The result was a transformed urban world. At the same time, graduates were well represented amongst the clergy, especially in the cathedral chapters; many canon lawyers served both the state and the church. The spread of Gallicanism and the retreat of papal intervention in the fteenth century did not permanently exclude graduates from ecclesiastical beneces; they were too numerous and too indispensable.35 In the fteenth century, the development of the power of the monarchy was also dependent on leading groups of various kinds and was seriously hindered by ckle political fortunes. However, the social factors proved the most difcult to master. A group of jurists on whose expertise every monarch increasingly depended reacted with temporary
35 H. Millet, ‘Quels furent les bénéciaires de la soustraction d’obédience de 1398 dans les chapitres cathédraux français?’, in Bulst and Genet (eds.), Medieval Lives (note 23), 123–37.
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changes rather than with a really fresh start. The Paris parliament – the supreme royal court – and the central administration outside the court were two groups each consisting of roughly a hundred persons with very extensive structures by European standards. The parliament (we have details of 678 of its members between 1345 and 1450) was undoubtedly the more compact group. Perhaps with the exception of the papal court, this parliament contained more legal expertise in an increasingly concentrated social form than anywhere else in Europe. The data on graduation show the expected increase, but it is generally agreed, with more reason here than elsewhere, that possession of a degree is already to be assumed as normal practice around 1350. During the latter part of the fteenth century, the practice of handing down an ofce in the family, which as a widespread normal practice hardly raised an eyebrow any longer, also existed in the group of members of parliament. However, the hereditary nature of an ofce did not imply abandoning one’s law studies, as the act of studying had become a family tradition. The extent of the legal complexion of the teams of twenty-seven bailiffs and twelve seneschals was clearly less than the number of posts available, i. e. two or three in each case. Here, again, an increase was possible, but hardly prior to 1500. At the end of the fteenth century, as illustrated by the case of the small bailliage of Senlis, north of Paris, not only the two or three royal judges of the tribunal but also the advocates and even the mere attorneys were increasingly university graduates. From 1434, ve new provincial parliaments were created. This made it possible for advocates, who were now – with increasing frequency – licentiates and doctors, to establish a permanent place in administrative and judicial circles. In many cases the way was opened to wealth and nobility. All these posts, however, lacked any supreme decisionmaking authority. Posts with such authority were still reserved for the ruler’s aristocratic ministers, although, before the end of the fteenth century, hardly any thought was given to supplementing their training with legal education. There were never more than a few jurists in the royal council. The year 1450 is the rough boundary between the earlier stagnation and the extension of possibilities. Henceforth we can reasonably speak of a legally educated leading stratum independent of the church. The next step, which appears logical but which was only tentatively taken prior to 1500, was to establish conditions for controlling admissions to the legal ‘professions’, too. As dates, 1490 may be indicated for advocates
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and 1499 for the lieutenants généraux of the bailiffs and seneschals. This was not so much the creation of something entirely new, but rather the conrmation of customary practice in written form. Correspondingly, perhaps also as the result of an oversupply, the importance of graduation to some extent declined. The same thing is found in other countries as well, so that licentiates and doctors are now found occupying posts which previously seemed inappropriate. This reversal applied still more to graduation in the arts. Apart from individual cases, however, we still do not know which professions the masters and students of the large Paris faculty entered before and after 1450. Certain masters of arts became attorneys, others schoolmasters; many remained in the lower ranks of the urban clergy. There was little change in the main features of English university history in the fteenth century. The rst interesting point is that, with an estimated 2,000 persons studying contemporaneously at Oxford and Cambridge prior to 1400, and with the increase in this gure to roughly 3,000 around the year 1450, the student population was very large in proportion to the population as a whole. It was certainly higher than in France and far higher than in central Europe. ‘Older’ than in France or Italy, however, was the fact that in England all this was closely connected with the church. Here again, we must remember the gradual blurring of the boundaries between clergy and laity. The situation was not greatly altered by the Reformation. The registers of New College, Oxford (founded in 1379), enable us for once to cite original ‘statistical’ data for medieval England. An analysis of the background of students (937 in all, excluding unclear cases), which presents a rather more ‘conservative’ picture than the university average, shows that, from 1380 to 1500, 63.2 per cent of the students came from the rural areas; the majority of them may have belonged to families of ‘smallholders’. Only 21.8 per cent were urban residents, and one in seven of them from the urban ‘aristocracy’. The proportion of gentry (including state ofcials in this group) amounted to 12.5 per cent. Only six persons were nobles in the narrower sense and only two from the lower class. A very remarkable fact is that 45 per cent of the ‘smallholders’ lived on college land.36 A study of the careers of 2,040 persons (42.5 per cent of these are unclaried cases or early
36 G. F. Lytle, ‘The Social Origins of Oxford Students in the Late Middle Ages: New College, c. 1380–c. 1510’, in Universities in the Late Middle Ages, 416–54.
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deaths) demonstrates the overwhelming predominance of church posts, also for the period from 1451 to 1500: 39 per cent joined the ranks of the parish clergy, a further 5 per cent of clergymen went into church administration and the courts, another 2.5 per cent into an amalgam of church and secular administration and justice, and nally 7.5 per cent into other clerical posts. For only 2.5 per cent is there evidence of posts exclusively in the lay world (ofcials, judges, schoolmasters). If we examine the same source material for the longer but less uniform period from 1380 to 1520 (with 44 per cent of unclaried cases or early deaths), we nd that at least 46 per cent entered the ecclesiastical sphere and only 5.5 per cent that of the laity.37 As everywhere in ‘older’ Europe, in England civil and canon law stood side by side and even attracted increasing numbers of students from around 1460, but both were primarily in the service of the church. In contrast to the situation in highly urbanized northern Italy, the laity may well have represented the more modest part. In these circumstances, the benece situation was hardly less fundamental than in Germany. Fluctuations in the attitude of those with disposal rights became vital questions for the university – a situation very different from the one prevailing in the Mediterranean area. Clerical activities to a large extent overlapped with secular ones. Equally ‘medieval’ was the open rivalry between graduates and otherwise qualied persons for posts outside cathedral chapters and large collegiate churches. This, of course, was another aspect of the continuing relatively high social mobility, even into the rank of bishop. On the other hand, the element of ‘self-recruitment’ was not absent in ofcial circles. As for the career opportunities of the poor, nothing can be said with certainty.38 Yet the fairly high proportion of pauperes in the combined English-German ‘nation’ in Paris (1425–94: 17.6 percent) will probably not have been the situation of the continentals only. In short, though we may know little of the social history of the English universities, the distinctive
37
In addition to references in note 23: J. T. Rosenthal, ‘The Fifteenth-Century Episcopate: Careers and Bequests’, in D. Baker (ed.), Sanctity and Secularity (Oxford, 1973), 117–27; R. N. Swanson, ‘Universities, Graduates and Beneces in Later Mediaeval England’, Past and Present, 106 (1985), 28–61; R. N. Swanson, ‘Learning and Living: University Study and Clerical Careers in Later Medieval England’, History of Universities, 6 (1986–7), 81–103. 38 N. Orme, ‘Schoolmasters, 1309–1509’, in C. H. Clough (ed.), Profession, Vocation, and Culture in Later Medieval England (Liverpool, 1982), 218–41; R. S. Gottfried, Doctors and Medicine in Medieval England 1340–1530 (Princeton, 1986).
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position of the kingdom of England between the main landscapes of Europe emerges very clearly. The most important general change in the career of Spanish students took place not long before 1500.39 In a period of rapid economic growth, ‘modern’ monarchies needed far more good-quality ofcials than before. The number of holders of higher ofces with academic titles thus steadily increased, by as much as 11.7 per cent in the reign of Ferdinand and Isabella (1474–1516). The rst appearance of these letrados can be traced back to the late fourteenth century. The new foundations were state universities, to promote jurisprudence in the rst instance. In the kingdom of Castile, the letrados trained at the Universities of Salamanca and Valladolid continued to obtain high clerical posts – in the fteenth century, they represented almost half of the members of the chapters of Valladolid – and ofces in the royal administration. Barcelona, the capital of Catalonia, with its characteristics of Italian and southern French communes, demonstrated from the late fourteenth century considerable participation and inuence of jurists in its municipal and private affairs.40
The National and Regional Era in ‘Younger’ Europe Between 1348 and 1505, there were 200,000 German university students. This gure is the rst and only statement based on a reliable overall estimate. For the generation prior to 1380 we have only to subtract a few thousands. For 1470–80, the number is reckoned as ve times that for 1390–1400; there were at the end of the period easily 2,500 new students each year. Around 1480, the number becomes more or less xed at this level. The total population of Germany in 1500 can be estimated as roughly 15 million or more. A comparison
39 R. L. Kagan, Lawsuits and Litigants in Castile 1500–1700 (Raleigh, 1981); W. D. Phillips Jr, ‘University Graduates in Castilian Royal Service in the Fifteenth Century’, in Estudios en homenaje a Don Claudio Sánchez Albornoz en sus 90 años (Buenos Aires, 1986), vol. IV, 475–90; M. Lunenfeld, Keepers of the City. The Corregidores of Isabel I of Castile (1474–1504) (Cambridge, 1987), 73–106. 40 Rucquoi, ‘Sociétés urbaines’, (note 22); C. Carrère, ‘Refus d’une création universitaire et niveaux de culture à Barcelone: hypothèses d’explication’, Moyen Age, 85 (1979), 245–73; J. S. Amelang, ‘Barristers and Judges in Early Modern Barcelona: The Rise of a Legal Elite’, American Historical Review, 89 (1984), 1264–84.
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between these two sets of gures brings out quantitatively what could already be gathered from previous less accurate considerations: the ‘student density’ in the centre of Europe was considerably less than in the west but, despite the simultaneous decline and halt in population gures (between 1348 and 1450–70), the gap was in the end reduced. This was the result of the work of fteen new universities (founded before 1506).41 What is true of the Holy Roman Empire can be taken on the whole to apply also to the north and east of the continent, but with considerable delay and quantitatively on a smaller scale. Compared with the preceding period, some essential changes took place in northern Europe. Since the Norwegian king and his administration had moved to Denmark, the career opportunities for the Norwegian aristocracy and bourgeoisie had considerably diminished. For Norwegian students, mostly of middle-class origin, only the church could henceforth provide comfortable positions. The impoverished nobility showed very little interest in higher education. In Denmark the number of students from aristocratic or upper middle-class origin grew constantly. The increasing centralization and bureaucratization which occurred during the period of the Nordic Unions produced a demand for educated administrators (lawyers). From the fteenth century onwards, laymen gradually replaced clerics in the central and local administrations. The Swedish part of Finland followed the Swedish pattern of education. The cathedral and collegiate chapters were lled with rather well-educated aristocrats. In contrast with Sweden, however, the Finnish élites continued to visit Paris and perhaps not German universities so frequently as their Swedish counterparts.42 An important difference between continental ‘older’ Europe (with the exception of Paris) and ‘younger’ Europe is the higher proportion of arts students in the latter. This could be as much as 75–80 per cent. Among law students, the central Europe increase in numbers, at least around 1400, appears to have been minimal, if there was any increase at all. The crisis and disappearance of the Prague law university (1409–17) was a setback. Whereas before and around 1400 the
41 Schwinges, Universitätsbesucher, passim; P. Moraw, ‘Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte’, in P. Moraw, and V. Press (eds.), Academia Gissensis (Marburg, 1982), 1–43. 42 Bagge, ‘Nordic Students’ (note 11), 13–17.
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number of French jurists studying contemporaneously was 3,000, the German gures may have amounted to only 10–20 per cent of that gure, even in the Prague ‘springtime’ (1380–90). Another essential condition of academic career opportunities in Germany is the tendency to a levelling-down of the faculties in the four-faculty universities under the inuence of the territorial state. With few exceptions, the new universities were small and poor. They put down roots in the neighbourhood and mostly lacked municent bequests and foundations. In contrast to Paris and Bologna, we have here a new, third, combined type of European university, with different implications for the careers of the students. There was, therefore, a fairly clear twofold division between a student type continuing in the aristocratic and propertied tradition and the ‘exclusively’ arts student type now emerging into view, for the most part lacking in nancial resources. The career possibilities open to these two student types differed considerably. The former type of student was recognizable among the Germans long before their own universities emerged; they were relatively few in number and tended to study law. They could also, if they wished, travel abroad in the fteenth century. That the main recruiting places were small towns and, not infrequently, villages was mainly true of the second student type. The middle classes and artisans supplied the majority of these students. Most of them returned to their regional towns, since a high value was attached to the link with the home region. They appear to have been particularly affected by the oversupply crisis after 1480.43 As individuals, the better-situated students were less affected by the level of development in their own region than the poorer students, as illustrated by their status and number. The conditions in Brabant were probably the most modern in the empire – whether in law studies in aristocratic, ‘elitist’ Orléans or in participation in communal and territorial decision-making bodies at home. Of the Brabant students in Orléans (from 1444) – and thus outside the area of the new four-faculty universities – only 20 per cent came from noble families, the majority being from prosperous bourgeois families, especially from the large cities. The behaviour pattern was aristocratic to begin with, but in the long run the aristocrat was introduced to the ‘modern’, urban style of life. What emerges clearly here, too, is something that was true quite
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Schwinges, Universitätsbesucher, passim.
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generally for the nal phase of the medieval period: the social history of students continued uninterrupted into the sixteenth and seventeenth centuries. Only in the modern period does it turn out that the Brabant way produced a fairly uniform group of ‘jurist ofcials’ from good backgrounds, who gradually became qualied through their specialist and professional achievement.44 The more or less parallel inuence of Nuremberg and Augsburg can be traced among the southern Germans, in Pavia, in smaller numbers and in a milieu which was even more ‘feudal’. If we look beyond into the sixteenth century, the same was true in the long run for the ‘aristocratic’ University of Ingolstadt, which began functioning in 1472.45 It is in the church milieu that we can best approach the difcult question of the temporal course of the most important changes. Increased participation in study – though with a clear time-lag compared with western Europe – is observable everywhere, even in whole dioceses, but most clearly perhaps in a ‘recent’ case like that of the cathedral chapter of Roskilde.46 Until 1430, 55 per cent of the members of the Roskilde chapter had been former students; then, until 1493, the percentage was 76.1 per cent. Only a small proportion of these were graduates, with a steep decline in the proportion of jurists in the early fteenth century, due doubtless to the collapse of Prague. This shows how imsy the network of study connections was at the periphery. From 1418 onwards, conciliar decrees encouraged this development towards a growing emphasis on study in the church, more or less successfully. A less easily discernible change was far more important, however: the transition from study based on an already acquired canonry to study with a view to securing a benece thereby. In this second more ‘modern’ case, all that was at rst offered was the chance to qualify by performance. In ‘younger’ Europe, this was a change which began only in the fteenth century.
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H. de Ridder-Symoens, ‘Brabanders aan de rechtsuniversiteit van Orleans (1444– 1546). Een socioprofessionele studie’, Bijdragen tot de Geschiedenis, 609 (1978), 195–347. 45 R. A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt, 1472–1648 (Berlin, 1974). A. Sottili, ‘La Natio Germanica dell’università di Pavia nella storia dell’Umanesimo’, in Universities in the Late Middle Ages, 347–64. 46 E. Mornet, ‘Préliminaires à une prosopographie du haut clergé scandinave: le chapitre cathédral de Roskilde 1367–1493’, in Bulst and Genet (eds.), Medieval Lives (note 23), 159–62.
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Even in this century, study and careers in ‘younger’ Europe were still related primarily to churches. But laicizing trends of the sort which were already visible further south or even west in the thirteenth century are unmistakable. In general, certainly in the second half of the fteenth century as far as the most modern careers were concerned, leadership passed to the secular authorities. It was in the lower Rhineland that this succeeded the earliest and also the most. Here, there was something like a legal, secular, administrative and judicial ‘career path’ which it was possible to choose on the basis of appropriate study. For the earliest successes of lay jurists in territorial administrations and judicial systems, reference is made once again to Brabant, which itself was half a century late on the scene compared with Flanders. Of the members of the Raad van Brabant (court of justice) in the second quarter of the fteenth century, 40 per cent were graduates; during the next fty years this proportion rose to almost 70 per cent.47 The urban career involved entry into the administration and, nally, advance to the executive decision-making bodies. Certainly caution is needed with respect to this nal stage, since it is possible that the existing ruling oligarchy – mostly trained in economics – sought to keep jurists at a safe distance from its affairs. In this case, it was necessary to wait until sons from the leading families were sent to university, and this could take a long time. In Germany, Nuremberg employed jurists early on (from 1366) with the title of doctor, on a permanent basis and not just as ‘lucky ukes’, but for centuries it kept them at a distance from the Rat. In the north-west, in Antwerp and Louvain, there was a more open attitude; jurists appear there in 1431 and 1451 as lay assessors for the rst time, and the law qualication soon became a standard requirement. The rst graduate jurist in the Lübeck court of justice dates from 1460, in Hamburg from 1465; the rst doctor sat in the Cologne Rat in 1484. The whole development lasted well into the sixteenth century. In the fteenth century, roughly three-quarters of the chief posts in the city administration of Antwerp and Louvain were occupied by graduate
47 H. de Ridder-Symoens, ‘Milieu social, études universitaires et carrière des conseillers au Conseil de Brabant, 1430–1600’, in Recht en Instellingen in de Oude Nederlanden tijdens de Middeleeuwen en de Nieuwe Tijd, Liber Amicorum J. Buntinx (Louvain, 1981), 257–301. H. de Ridder-Symoens, ‘Internationalismus versus Nationalismus an Universitäten um 1500 nach zumeist südniederländischen Quellen’, in F. Seibt and W. Eberhard (eds.), Europa 1500 (Stuttgart, 1987), 397–414.
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jurists, and in the sixteenth century practically all of them were. For the Holy Roman Empire, that was a very modern attitude.48 From the fourteenth century in the Mediterranean area and from the fteenth to sixteenth century in the rest of Europe, medical doctors became more important in society. The great plague of 1348–50 not only stimulated the activities of the medical faculties, particularly in the eld of consilia or medical advice, but gradually persuaded city councils to appoint doctores medicinae as town physicians. Before that time, medical doctors could mainly nd a position in the service of high-ranking people or hospitals, or they could start up a private practice in a large city for well-to-do citizens. The majority of the medieval population never saw a doctor who had graduated. The barber-surgeon or quack doctor was their only succour.49 It continues to be difcult to obtain a clear picture of the careers of students of lesser rank in Germany and the whole of ‘younger’ Europe, and still more of the 30,000 or so German pauperes. What happened to the students of a whole university offers a fairly useful cross-section, but a study of this kind exists only for the university founded in Tübingen in 1477.50 At that time, this university occupied ninth place in the German university system, with roughly a hundred new students annually. Until 1534, the number of persons attending the institution was 5,800. It has proved possible to quarry information about the careers of 28 per cent of them. Of the 1,627 students about whom we have more precise information, no fewer than 1,097 entered clerical professions; 314 are to be found in administrative and judicial posts and 110 in the university itself or in posts closely connected with it. There were 33 physicians, 23 schoolmasters, and 13 notaries 48 F. W. Ellinger, ‘Die Juristen der Reichsstadt Nürnberg vom 15. bis 17. Jahrhundert’, in Reichsstadt Nürnberg, Altdorf und Hersbruck (Nuremberg, 1954), 130ff. H. de Ridder-Symoens, ‘De universitaire vorming van de Brabantse stadsmagistraat en stadsfunktionarissen. Leuven en Antwerpen, 1430–1580’, Varia Historica Brabantica, 6–7 (1978), 21–126; K. Wriedt, ‘Das gelehrte Personal in der Verwaltung und Diplomatie der Hansestädte’, Hansische Geschichtsblätter, 96 (1978), 15–37; B. Moeller, H. Patze, and K. Stackmann (eds.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Göttingen, 1983). 49 A. W. Rüssel (ed.), The Town and State Physician in Europe from the Middle Ages to the Enlightenment (Wolfenbüttel, 1981). 50 W. Kuhn, Die Studenten der Universität Tübingen zwischen 1477 und 1534, 2 vols. (Göppingen, 1971). Cf. comparative data in F. Smahel, ‘L’université de Prague de 1433 à 1622: recrutement géographique, carrières et mobilité sociale des étudiants gradués’, in D. Julia, J. Revel, and R. Chartier (eds.), Les Universités européennes du XVIe au XVIIIe siècle. Histoire sociale des populations étudiantes, vol. I (Paris, 1986), 65–88.
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or advocates. A comparable number were involved in the book trade in the broadest sense and in the armed forces. Given the weakness of the higher faculties, what is reected here is the arts milieu as it appears to have been generally in ‘younger’ Europe, and therefore, for the most part, the middle and lower levels of social life. The quota of graduates was highest among the clergy and administrative and legal personnel. Existing family status and newly acquired qualications were here mixed in a way which now dees disentanglement. Despite all provincialism, the tide of innovation also reached Tübingen. That important trends won the day is evidenced by, among other things, the advance of Roman law as the basis of a ‘civil’ career, which, around 1500, was evidently the most respected one. Further details serve to show that this whole situation is fairly typical of the provincial milieu in central Europe. One basic fact was that so many returned without discernible social change to their domestic urban life. It is in the university towns that we can see most clearly that, for many, the university was a basic educational institution rather than a social one. Although, up to the bachelorship of arts, the poor were more than averagely diligent, from that point on, or at latest from their graduation as masters, they remained practically without further possibilities; at this point a quite clear barrier to social advance traversed the country, a fact which helps to explain the lot of so many. From this angle, there were in fact two universities in one. The pathway from being an artisan, which was the social background of many scholars at the end of the medieval period, hardly led anywhere beyond the lower clerical and scribal posts, where these existed at all. The ‘better’ families in the many small towns are typical of the background of many students, but this status had little value in a faraway place or in the larger cities. Study made little difference to the direction of the lives of numerous sons of patricians, still less in the case of the sons of artisans. They remained what they were and, like their fathers before them, had to assert themselves on the basis of qualications other than those acquired by study. Is it cynical to say that all that was achieved in this way was merely an enrichment of intellectual life? Not altogether! The world was already being changed by the mere fact that it became possible for almost everyone to meet people who had been to a university and had thereby caught at least a glimpse of the world of letters and felt in some measure, at least, the power of the word. The university thus came closer to everyday life. That, too, was a social fact. It has been impossible until now to date in any consistent way the transition whereby study became a mass phenomenon in Germany
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and a changed social and cultural situation emerged, without which the Reformation, among other things, would have been inconceivable. Something decisive happened around 1470. This was chronologically connected, surely not accidentally, with the general economic change from a long period of stagnation to a new upsurge which inaugurated the ‘long’ sixteenth century. With the increase in the number of students, a period began in which civil authorities exercised more control over society and the social classes closed ranks. The fragile social body of those who had attended university was unable to breach this situation but had to accommodate itself to it. The pressure of supply which undoubtedly existed in the last quarter of the century could nd no other outlet than in the increasingly muscular struggle for existing posts; the holders of higher degrees contented themselves with posts which had previously been lled by those of more modest rank. Changes in the power to dispose of church beneces seem, at the same time, to have come about in the shape of a retreat of the papacy. Perhaps they had important repercussions on the German ‘employment system’ for university students. An unregulated social system, left to shape itself painfully and unconsciously, tried – as in every previous generation – to achieve some sort of balance at the expense of the weak. It was to be a long time before the strongest arguments would be those of university students and graduates. After the (re-)foundation of the University of Cracow (1400) and the foundation of the Scottish universities from 1412, Poland and Scotland were the only countries of ‘younger’ Europe besides Germany that were in a position to replace the migration of their sons to foreign countries by studies of their own. Because of the attraction of Italian, French, and German universities, however, these studies remained no more than a complement. Foundations in Sweden and Denmark were too late and too small to have any remarkable effects, while Norway and Finland had no universities. Again, the social context of careers is quite comparable with earlier contexts, as in Germany, for instance. Numbers were small, the role of the churches as employers was always important, and laicization was late. In Hungary, for example, it did not occur before the sixteenth century. But the general direction of ‘modernization’ remained the same.51
51 A. Kubinyi, ‘Städtische Bürger und Universitätsstudien in Ungarn am Ende des Mittelalters’, in E. Maschke and J. Sydow (eds.), Stadt und Universität im Mittelalter und in der früheren Neuzeit (Sigmaringen, 1977), 161–5; J. Durkan and J. Kirk, The University
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This rst attempt to understand the social history of the European universities in the medieval period as the history of those who attended the universities and as a more or less integrated process leaves many questions unanswered. Not surprisingly, therefore, the briefest conclusions sound paradoxical. Born in social interstices and very fragile as a structure, the universities nevertheless survived and became one of the phenomena treasured by leaders of societies. That is an astonishing fact in itself. The products of the university, both its graduates and those who failed to graduate, emerged from that fragile structure, forced their way into numerous societies, and, not without success, opposed their new qualications to the old traditional qualications of these societies. The process of education and training of people through universities was, as a whole, unplanned and unpiloted, only partly canalized and nally instrumentalized. Much remained a spin-off of quite diverse individual intentions. Yet the university denitely helped to modernize the medieval world, even if it only remained mobile by adapting itself to external social rules and by willingly accepting the changes taking place in the societies around it. It was a question of mobilization rather than of mobility – in other words, more a case of oscillating movements in different directions than of a straight path ahead. Rapid advancement on the basis of university qualications alone was rare, however. From the standpoint of all the societies taken together, the inuence of the universities was in stabilizing systems rather than disturbing or even shattering them; the changes they brought about helped to make the ‘feudal’ or communal worlds capable of adaptation and survival. It was therefore an appropriate price to pay for this when, as the new technicians of power, the jurists pushed their way forward into positions of second or third importance. This served to stabilize the posts of rst importance, which continued to be occupied on the basis of birth and often of property and inuence. Graduation was, in the main, only one qualication among others on the road to securing a post. The greatest success could be expected by young men who combined the largest number of qualications. Only in a long-term perspective does it become clear that all this was, at the same time,
of Glasgow 1451–1577 (Glasgow, 1977); J. Pinborg, ‘Danish Students 1450–1535 and the University of Copenhagen’, Université de Copenhague, Cahiers de l’Institut du Moyen Age grec et latin, 37 (1981), 70–122; I. Kaniewska, ‘Les étudiants de l’université de Cracovie aux XV e et XVIe siècles (1433–1560)’, in Julia, Revel, and Chartier (eds.), Universités européennes (note 50), 113–33.
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the rst step on the way to the modern goal of making the principle of achievement the determining factor.
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TEIL IV
UNIVERSITÄTSBESUCHER UND GELEHRTE IM DEUTSCHEN REICH
KAPITEL 15
ÜBER GELEHRTE JURISTEN IM DEUTSCHEN SPÄTMITTELALTER1
Das Vortragsthema „Über gelehrte Juristen im deutschen Spätmittelalter“ ist aus verschiedenen Gründen gewählt worden. Das Motiv, das man zuerst nennen wird, ist die Reverenz, die man mit einem solchen Titel dem Gastland Italien erweist, und das mit vollem Recht. Denn nicht nur soll mehr als die Hälfte der bemerkenswerten Kunstdenkmäler der Welt auf italienischem Boden zu Hause sein – Italien ist auch Ursprungsland, Herkunftsland, Studienland und schließlich jahrhundertelang Autorität und Inspiration für die gelehrte Jurisprudenz und darüber hinaus auch für „Wissenschaft an und für sich“ des nordalpinen Mittelalters gewesen. Als vor kurzem die 650jährige Wiederkehr der Gründung der ältesten Universität östlich des Rheins und nördlich der Alpen, der Carolina in Prag, gefeiert worden ist, hat man mit Nachdruck auf Italien hingewiesen und damit auch auf unser Thema2. In gewissen Abständen mag es – zum zweiten – der Forschung gut tun, in Gestalt einer Übersicht über ein bestimmtes Fach- und Stoffgebiet gleichsam innezuhalten, zurückzuschauen, die wissenschaftliche Gegenwart zu prüfen und ein wenig auch die Zukunft zu bedenken. Das scheint besonders nützlich zu sein bei Themen, die in Bewegung oder gar in schneller Bewegung sind. Als erste aller Sachfeststellungen dieses Vortrags ist wohl diejenige am Platz: Das Thema „Gelehrte
1 Vortrag im Deutschen Historischen Institut in Rom (Direktor Prof. Dr. Arnold Esch) am 4. Mai 1998. Die Vortragsform wurde beibehalten, jedoch ist der Text aktualisiert und mit Fußnoten versehen. 2 P. Moraw, Die Prager Universitäten des Mittelalters im europäischen Zusammenhang. In: Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 20, München 1999, S. 97–129. Ders., Das älteste Prager Universitätssiegel in neuem Licht. Ebd., S. 131–151. Ders., Prag. Die älteste Universität in Mitteleuropa. In: A. Demandt (Hg.), Stätten des Geistes. Köln Weimar Wien 1999, S. 127–146. – Vgl. F. Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln (AKG Beih. 34). Köln Weimar Wien 1992. M. evatos (Red.), Dîjiny univerzity Karlovy 1347/48–1622. Praha 1995. F. emahel, Die Anfänge der Prager Universität. In: Historica S. N. 3–4 (1996/97), S. 7–50. Ders., Pooátky prazského obecného uoení. In: neský oasopis historický 96 (1998), S. 253–291.
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kapitel 15
Juristen im deutschen Spätmittelalter“ ist in Bewegung und zwar in schneller Bewegung. Worüber in erster Linie zu berichten ist, ist der Ertrag verschiedener Tagungen, die schon einen oder auch noch keinen schriftlichen Niederschlag hinterlassen haben3, und der Ertrag gedruckter, ungedruckter oder noch laufender Arbeiten junger Leute. In Deutschland gehört das Thema zwei verschiedenen Forschungstraditionen an, derjenigen der Rechtshistoriker aus der Juristischen Fakultät und derjenigen der Allgemeinhistoriker, wenn man so sagen darf, aus der Philosophischen Fakultät. Heute verhält es sich bei uns leider so, daß der Anteil der Rechtshistoriker immer kleiner wird; das hängt mit der Überlastung der Juristischen Fakultäten und mit ihrer sich immer
3 Ascona 14.–19.3.1993, veröff.: R. C. Schwinges (Hg.), Gelehrte im Reich (ZHF Beih. 18). Berlin 1996. Göttingen 17.–18.11.1994 und 19.–20.11.1995, veröff.: H. Boockmann u. a. (Hg.), Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. 1. Tl. (Abh. Gött. Akad. phil.-hist. Kl. 3.F.228). Göttingen 1998 (Teil 2 steht noch aus). Washington 18.–20.9.1997, veröff.: W. J. Courtenay, J. Miethke (Hg.), Universities and Schooling in Medieval Society. Leiden Boston Köln 2000. Bad Homburg 26.–28.2.1998: organ. v. I. Baumgärtner, P. Johanek: Die Rezeption des gelehrten Rechts im „Regnum Teutonicum“ (noch unveröff.). Prag 3.–6.4.1998 The Role of the University at the Threshold of the 21st Century (unveröff.).Vgl. unten Anm. 18, 24, 26, 35, 39. – Verwandtes in Auswahl: W. Stelzer, Gelehrtes Recht in Österreich. (MIÖG Ergbd. 26). Wien Köln Graz 1982. E. Isenmann, Reichsrecht und Reichsverfassung in Konsilien reichsstädtischer Juristen (15.–17. Jahrhundert). In: Schnur (wie Anm. 8), S. 545–628. D. Willoweit, Rezeption und Staatsbildung im Mittelalter. In: D. Simon (Hg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages Frankfurt a. M. 1987 ( Jus Commune, Sonderheft 30), S. 19–44. A. Garcia Y Garcia, Die Rechtsfakultäten. In: W. Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa Bd. 1. München 1993, S. 343–358. S. de Rachewiltz, J. Riedmann (Hg.), Kommunikation und Mobilität im Mittelalter. Begegnungen zwischen dem Süden und der Mitte Europas (11.–14. Jahrhundert). Sigmaringen 1995 (bes. die Beiträge von W. Malezcek, O. P. Clavadetscher, W. Stelzer, O. Hageneder, C. Schuchard). H. G. Walther, Die Rezeption Paduaner Rechtswissenschaft durch die Aufnahme Paduaner Konsilien in die Nürnberger Ratschlagbücher. In: I. Baumgärtner (Hg.), Consilia im späten Mittelalter. Sigmaringen 1995, S. 207–224. D. Willoweit, Juristen im mittelalterlichen Franken: In: Schwinges (wie oben in dieser Anm.), S. 225–267. R. A. Müller, Zur Akademisierung des Hofrates. Beamtenkarrieren im Herzogtum Bayern 1450–1650. Ebd., S. 291–307. J. Kejr, Pronikáni kanonického práva do st®edovekého oeského státu. In: Revue církevního práva 3 (1997), S. 137–156. H.-J. Becker, Das kanonische Recht im vorreformatorischen Zeitalter. In: Boockmann (wie oben in dieser Anm.), S. 9–24. W. Sellert, Zur Rezeption des römischen und kanonischen Rechts in Deutschland von den Anfängen bis zum Beginn der frühen Neuzeit: Überblick, Diskussionsstand und Ergebnisse. Ebd., S. 115–166. H. Boockmann, Gelehrte Juristen im spätmittelalterlichen Nürnberg. Ebd., S. 199–214. H. G. Walther, Italienisches gelehrtes Recht im Nürnberg des 15. Jahrhunderts. Ebd., S. 212–229. Ders., Learned Jurists and their Prot for Society- Some Aspects of the Development of Legal Studies at Italian and German Universities in the Late Middle Ages. In: Courtenay, (wie oben in dieser Anm.), S. 100–126.
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mehr verstärkenden Gegenwartsorientierung, beim Nachwuchs wohl auch mit schwindenden Sprachkenntnissen zusammen. So gelangte und gelangt das Thema, analog zu den Verhältnissen in der älteren Kirchengeschichte und wohl auch anderer Bereiche, immer mehr in die Hände der Allgemeinhistoriker. Damit mag man einiges gewinnen, zum Beispiel was die sozialgeschichtliche Verankerung betrifft, aber es geht wohl auch ebensoviel verloren. Eine Generation zuvor war die Lage ganz anders. Man orientierte sich praktisch allein bei Rechtshistorikern, bei Helmut Coing, Heinz Lieberich, Winfried Trusen und Franz Wieacker4, um nur einige Namen der hochverdienten Väter (angesichts der Enkel muß man nun wohl bald sagen: Großväter) des Themas zu nennen. Heute gibt es wohl vor allem zwei Wege – der Historiker –, um zur Sache zu gelangen: den Weg über die Verfassungsgeschichte, den auch wir als ersten eingeschlagen hatten, und den Weg über die Universitätsgeschichte, der auch unser zweiter Weg war. In beiden Fällen war und ist der spezielle Stoff größeren, vor allem sozialgeschichtlichen, aber auch generell sachlich und räumlich weitergespannten Zusammenhängen zu- und eingeordnet. Das ist ein Positivum, denn zuvor bestand eine gewisse Gefahr der Isolation. Inzwischen haben wir uns noch einen dritten Zugang eröffnet, einen Zugang von noch stärkerer Zuordnung und Einordnung: die Analyse der Gruppe der gelehrten Juristen als Baustein, ja als Argument bei der Suche nach einer integrativen Geschichte des lateinischen Europa in älterer Zeit, oder anders gesagt: als Indiz oder als Argument für eine entwicklungsgeschichtlich verstandene Geschichte dieses Europa5. Alle drei Zugänge geben den Deutschen Anlaß zu großer Bescheidenheit. Auf nordalpine Zuhörer scheint es immer noch überraschend zu wirken, wenn man von der enormen Verspätung der Universitäten des – wie wir gern sagen – „ Jüngeren Europa“ und von der ungefähr ebensogroßen Verspätung seiner gelehrten Jurisprudenz spricht. Ungläubige
4 Z. B. H. Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte Bd. 1, München 1973. H. Lieberich, Die gelehrten Räte. In ZBLG 27 (1964), S. 120–189. W. Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland. Wiesbaden 1962. F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. Göttingen 21967. 5 P. Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch. In: Hochnanz Wirtschaftsräume Innovationen. Festschrift f. W. v. Stromer Bd. 2. Trier 1987, S. 583–622.
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Gesichter zeigen, wie intensiv man mancherlei positive Veränderungen der Situation Mitteleuropas im 19. und 20. Jahrhundert, die eigentlich die Welt überrascht haben, weit zurückprojiziert hat. Auch heute ist es nicht leicht, die Vorstellung zu vermitteln, daß das quantitative Verhältnis deutscher gelehrter Juristen des Spätmittelalters zu ihren französischen Kollegen bestenfalls wie 1 zu 10 beschaffen gewesen sein mag oder gar noch krasser unterschieden war und daß man beim quantitativen Verhältnis von deutschen zu (nord)italienischen Juristen vielleicht an ein Gegenüber von 1 und 100 denken sollte. Es geht hier nur um die „Schockwirkung“ der Aussage, nicht um Mathematik; denn sonst müßte man die gewaltigen innerdeutschen oder innermitteleuropäischen Unterschiede entscheidend mitveranschlagen. Ohnehin haben wir zu den Qualitäten, wenn wir ehrlich sind, bisher überhaupt keinen methodisch verantwortbaren Zugang. Das alles heißt: Selbst wenn man im folgenden von großen wissenschaftlichen Fortschritten berichten kann, die vor zwanzig oder noch vor zehn Jahren nicht vorstellbar gewesen wären, benden wir uns im wesentlichen immer noch im phänomenologischen Zeitalter der Forschung und erst ganz am Rand ihres quantitativen Zeitalters und haben wie gesagt von Qualitäten keine wirklich brauchbare Vorstellung. Was wir über gelehrte Juristen im ganzen deutschen Mittelalter wissen, kann man sich ganz grob in zwei chronologisch aufeinanderfolgende Partien geteilt vorstellen. Von diesen soll der erste Teil vereinfachend mit dem Namen von Peter Landau6 bezeichnet sein und der zweite durch diejenigen Personen, die sich um das Spätmittelalter bemühen. Die Grenze liegt etwa bei 1250. Es ist eine recht deutlich erkennbare Grenze, so als ob es bei uns zwei Jurisprudenzen gegeben habe, eine Grenze der Methoden. Landau forscht anhand der einschlägigen Handschriften, gemäß deren Herkunft, Beschaffenheit und Inhalte, und stellt damit eine inhalte- und vielleicht verfahrensbezogene, aber fast personennamenlose Jurisprudenz dar. Nach 1250 verhält es sich ziemlich genau (wir spitzen jetzt der Anschaulichkeit halber etwas zu) umgekehrt: Man forscht nach Juristennamen und Juristenleben, weiß aber nicht oder nicht genau, was solche Juristen wirklich gedacht und getan haben, und weiß zu wenig davon, was sie geschrieben haben. Die Situation der spätmittelalterlichen Juristen-Handschriften ist wegen
6
P. Landau, Kanones und Dekretalen. Goldbach 1997.
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ihrer großen Zahl und ihrer Verstreutheit über ganz Europa hinweg durchaus unübersichtlich. Wenn man deren systematische Erschließung abwarten wollte, müßte man noch lange Zeit die Hände in den Schoß legen. Die Erforschung der spätmittelalterlichen gelehrten Jurisprudenz nördlich der Alpen ist entscheidend und fast erdrückend von der prosopographischen Methode geprägt, mit allen ihren großen Vorzügen und schweren Nachteilen. Es ist gewiß wünschenswert, für dieses Zeitalter auch einmal etwas anderes zu versuchen. Immerhin hat die Prosopographie ein einigermaßen eindrucksvolles Gebäude errichtet, das uns im Rahmen ihrer Möglichkeiten vorläuge und umrißhafte Klarheit über das ganze Thema zu bieten scheint. Zuvor hatte keinerlei Klarheit bestanden. Und, was uns noch wichtiger ist, die Erforschung des gelehrten Rechts wurde auf dem Weg über die historische Personenforschung entschieden in übergreifende Zusammenhänge hineingestellt. Das sollte man keinesfalls aufgeben. Unser eigener Zugang zum Thema – wir rechnen uns nun angesichts der vorhin angesprochenen Großväter gleichsam zu den Vätern – war nicht im mindesten juristisch, sondern politisch. Wir fragten im Zeitalter der deutschen Teilung und des Kalten Krieges seit den sechziger Jahren nach den Momenten deutscher Einheit oder besser Einheitlichkeit in älterer Zeit, von denen es gar nicht so viele gibt. Konkret suchten wir gemäß der damaligen Konjunktur der Sozialgeschichte (zu der wir uns noch heute – unter anderem – bekennen) nach den seinerzeit führenden Leuten, ihrem politischen Tun und ihrem sozialen Verhalten, das heißt auch nach ihrem Patronage- und Klientel-Verhalten und damit nach Kontinuität und Kohärenz. Diese Leute mußte man nach unserem damaligen und heutigen Erachten befragen, wenn man das Bestehen und das Funktionieren von deutscher Einheit oder Einheitlichkeit im späteren Mittelalter aufspüren wollte7. Das Deutschland von einst war – das schien von Anfang an klar – ein primär aristokratisch-agrarisches Gemeinwesen, wenn man es als Ganzes betrachtet. Die Städte haben – wieder auf das Ganze gesehen – für unser Problem keine so große politische Rolle gespielt, wie das Stadtromantiker vermuten mögen. Der weitaus größere Teil Deutschlands gehörte eben (zunächst rechts des
7 P. Moraw, Gedanken zur politischen Kontinuität im deutschen Spätmittelalter. In: Festschrift f. H. Heimpel Bd. 2. Göttingen 1972, S. 45–60. Ders., Vom deutschen Zusammenhalt in älterer Zeit. In: M. Werner (Hg.), Identität und Geschichte ( Jenaer Beitr. z. Gesch. 1). Weimar 1997, S. 27–59.
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Rheins, dann mit ostwärts wandernder und sich je nach Fragestellung differenzierender Grenzzone) dem „ Jüngeren Europa“ an, das sich vom „Älteren Europa“ (zunächst links des Rheins und am Rhein) durch das Fehlen eines mehr oder weniger dichten zivilisatorischen und speziell urbanen Erbes aus der römischen Spätantike und aus vorteilhaften naturräumlichen Voraussetzungen unterschied. Auch war das „ Jüngere Europa“ an und für sich dünner oder viel dünner besiedelt, und das blieb noch lange so oder ist heute noch so. Natürlich besaßen wir bald auch nördlich der Alpen Tausende von Städten, aber ob die allermeisten wirklich urban und gar groß genug für anspruchsvolle Urbanität gewesen sind und derzeit sind, das ist bis heute eine problematische Frage. Die Führungselite jedenfalls war adelig-militärisch, auch in der Kirche, und blieb dies. Nach und nach traten dieser Elite sekundär weitere Gruppen zur Seite, weil man sonst angesichts der sich verändernden Rahmenbedingungen fortan nicht mehr angemessen hätte führen können: zunächst schriftgebildete Leute aus der Kirche und dann, ebenfalls zunächst aus der Kirche, Leute mit besonderer Ausbildung und mit speziellen Kenntnissen. Unter diesen waren die gelehrten Juristen bei weitem nicht die einzigen, aber die für die staatliche Zukunft langfristig gesehen wohl wichtigsten. Die Frage nach der Entstehung des Staates, vor allem als Frage nach der Entstehung von herrschaftlicher Verwaltung, hat uns sodann auch als allgemeines Problem beschäftigt. Den seinerzeitigen, partiell schon überholten Stand der Dinge mag man recht gut dem von Roman Schnur herausgegebenen Sammelband über „Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates“8 entnehmen oder umfassender der „Deutschen Verwaltungsgeschichte“9 und zuletzt dem europäischen Unternehmen „Die Entstehung des modernen Staates in Europa, 13.–18. Jahrhundert“10. Auch hierfür kann man mit der Elitenfrage beginnen11. Für uns heißt das konkret: Niemals haben die
8 R. Schnur (Hg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates. Berlin 1986 (Tübinger Kolloquium 23.–26.9.1980, ein wichtiger Vorläufer der oben in Anm. 3 genannten Tagungen). 9 K. G. A. Jeserich u. a. (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte Bd. 1. Stuttgart 1983. 10 The European Science Foundation: The Origines of the Modern State in Europe, 13th–18th Centuries, in 7 Bänden. 11 Aus Anm. 10: W. Reinhard (Hg.), Power Elites and State Building. Oxford 1996.
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Juristen wirklich geführt und schon gar nicht allein geführt. Aber sie waren immer häuger beim Führen nahe dabei und verdienten nicht unerheblich daran (nur wenn man mitverdient, ist man wohl wirklich loyal, von einigen Idealisten abgesehen). Es trat dann bald die Frage nach der Ausbildung jener „sekundären“ Eliten hinzu. Das führte zur Geschichte der Universitäten nördlich und auch südlich der Alpen.12 Nachgedacht wird zur Zeit über ein „Repertorium Academicum Germanicum“, das heißt über ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis der Artistenmagister und Graduierten der höheren Fakultäten im deutschen Mittelalter. In diesem Repertorium würden die Juristen eine erste Rolle spielen.
1. Vermutungen über Chronologie, Geographie und Quantitäten der deutschen gelehrten Juristen Es folgen nun im Hauptteil des Vortrags punktweise einige Hauptergebnisse der jüngsten Erforschung der gelehrten Juristen des spätmittelalterlichen Deutschland, kombiniert mit offenen Problemen. a) Zur Chronologie Beide traditionellen Grenzpunkte des deutschen Spätmittelalters, um 1250 und um 1500, sind aus unserer Perspektive betrachtet gleichsam fremdbestimmt und trotzdem nicht wertlos. Zum Hochmittelalter hin wird die immer noch bestehende forschungsgeschichtliche „ Jugendlichkeit“ unseres Themas durch die Methodenbezogenheit seiner zeitlichen Abgrenzung offengelegt: Die Prosopographie benötigt ein bestimmtes Minimum an Quellen, ohne welches sie nicht wirksam wird. Vor der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist hierzu nördlich der Alpen für unsere Personengruppe wenig oder fast nichts zu erhoffen. In sehr charakteristischer Weise setzen die ersten personengeschichtlich brauchbaren Nachrichten quellentechnisch und sozial hochrangig ein, nämlich in der Historiographie vorwiegend überregionalen Anspruchs und im Umkreis des Königtums, gemäß seinen Urkunden. Es geht stets um einzelne Personen, die noch bis deutlich in das 14. Jahrhundert hinein ohne
12
Rüegg (wie Anm. 3).
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kapitel 15
viel Rücksicht auf (auswärtige, daher zunächst ungewohnte) akademische Titulaturen häug einfach als „Rechtskundige“ (iuris periti) bezeichnet wurden. Der Zusammenhang zeigt oder läßt vermuten, daß sie – nach der oberdeutschen Quellenlage praktisch allein auf italienischer Basis – rechtsgelehrt waren. Dieses Zeitalter quantitativer Dürftigkeit endet in Oberdeutschland kaum vor dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts, also im Vergleich mit Süd- und Westeuropa sehr spät. Damals begann eine zweite Phase, die Phase mit nun auch heimischer „ Juristenproduktion“. Die erste Promotion im Reich nördlich der Alpen, natürlich zum doctor iuris canonici, fand 1372 in Prag statt. Die Prager Juristenuniversität13 entwickelte sich von da an zunächst zwei Jahrzehnte hindurch nahezu explosiv, was anfangs möglicherweise mehr auf Prestigedenken denn auf Praxisbedarf hinweist. Dann trat sehr bald eine Krise ein, die sich als ausweglos erwies. Die letzte Prager Juristenpromotion gehört ins Jahr 1407. So gibt es ganz am Anfang der autochthonen mitteleuropäischen „Produktionsgeschichte“ gelehrter Jurisprudenz einen sehr positiven und einen sehr negativen Befund. Positiv: Die erste in Europa vollständig erhaltene Universitätsmatrikel, eben diejenige der Prager Juristenuniversität, weist zwischen 1372 und 1418 3.563 Immatrikulationen auf. Mitteleuropa und das ganze übrige „ Jüngere Europa“, also auch Skandinavien und Ungarn/Polen, wurden von hier aus sehr ansehnlich mitbeeinußt. Negativ: Das Ende der Prager Juristenuniversität im Konikt um Johannes Hus brachte, was solche „Massenproduktion“ betraf, einen ersten tiefen Einschnitt mit sich – aber eben nur für das „ Jüngere Europa“ der Juristen. Denn zum Verständnis des „Prager Zeitalters“ ist eine doppelte, eine soziale und eine geographische Abstufung oder Einschränkung unentbehrlich. Erstens: West- und südeuropäische Scholaren waren in nennenswerter Zahl nicht nach Prag gekommen und nahmen somit diese Wende nicht wahr. Zweitens: Die heimische „Elite der Elite“ ging offenbar, vom hiesigen Universitätsbetrieb oder seinem Fehlen oder partiellen Scheitern nicht sehr beeinußt, weiterhin nach Italien. Übergreifende oder umfassende Daten aus Italien sind allerdings noch lange Zeit recht ungewiß.
13 P. Moraw, Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet. In: J. Fried (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters (VuF 30). Sigmaringen 1986, S. 439–486. J. Kej®, Dejiny prazské právnické univerzity. Praha 1995.
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Die Universität in Heidelberg14 seit 1386 und spätere rechtsrheinische Hohe Schulen egalisierten den Prager Rückschlag offenbar erst spät im 15. Jahrhundert, wenn überhaupt innerhalb des Mittelalters. Chronologische Angaben über die Abgrenzung dieser dritten, der nachprager Phase der rechtsrheinischen Juristengeschichte des Spätmittelalters hin zur Neuzeit scheinen vorerst nicht möglich. Anders verhielten sich (das ist schon ein wesentliches Stück Juristen-Geographie) die Dinge in Wien15 – also ganz im Süden – und erst recht im linksrheinischen Deutschland mit der Universität zu Köln und mit ihrer Tochter in Löwen, die beide dem „Älteren Europa“ angehörten. Hier in Köln16 waren nicht nur die Quantitäten im Vergleich zum Rechtsrheinischen deutlich größer, sondern wohl auch die Qualität, soweit sie gemäß der generellen Fortentwicklung des Fachs „meßbar“ scheint, das heißt abgesehen von den Graduierungen beinahe nur im Hinblick auf den wachsenden Anteil der Legistik. Die „politische Wissenschaft“, wenn man so sagen darf, östlich des Rheins war dagegen mit ganz geringen Ausnahmen (diese nicht zufällig im weit westlich gelegenen Heidelberg) vom 13. Jahrhundert bis ca. 1450 praktisch allein die Kanonistik. Links des Rheins aber ndet man in recht hohem Maß (das heißt deutlich seit der Kölner Gründung von 1388) auch die Legistik vor, wie in Orléans. In der breiten Zone der Wohlhabenheit und der anderswo im Reich unerreichten Urbanität beiderseits des Rheins bis hin zur Mündung (und eher punktuell und wohl später auch in Süddeutschland) war man eben „modern“. Hier überall blieb das ganze Mittelalter hindurch und noch danach das auswärtige Rechtsstudium die erste Wahl der Feineren und behielt damit erst recht einen sehr ansehnlichen, offenbar wachsenden
14 J. Miethke, Heidelberg. In: A. Demandt (wie Anm. 2), S. 147–164. J. Miethke, Die Anfänge der Universitäten Prag und Heidelberg in ihrem gegenseitigen Verhältnis. In: Grenzen erkennen – Begrenzungen überwinden. Festschrift f. R. Schneider. Sigmaringen 1999, S. 299–315. Vgl. D. Willoweit, Das juristische Studium in Heidelberg und die Lizentiaten der Juristenfakultät von 1386 bis 1436. In: Semper apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386–1986 Bd. 1. Berlin Heidelberg 1985, S. 85–135, u. M. Nuding, Die Universität, der Hof und die Stadt um die Wende zum 15. Jahrhundert. In: ZGO 146 (1998), S. 197–248. 15 Die Anfänge der Universität Wien. Wien 1990. T. Maisel, I. Matschinegg, A. Müller, Universitätsbesuch in Wien (1377–1554). In: Bildungs- und sozialgeschichtliche Studien zu Spätmittelalter, Reformation und konfessionellem Zeitalter. Wiesbaden 1994, S. 53–62. A. A. Strnad, Wien: Das Beispiel einer landesfürstlichen Stiftungsuniversität. In: Ders., Dynast und Kirche (Innsbrucker Hist. Stud. 18/19). Innsbruck Wien 1997, S. 247–278. Vgl. unten Anm. 26. 16 E. Meuthen, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte Bd. 1). Köln Wien 1988.
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legistischen Anteil, ob französischer oder italienischer Provenienz. Am wohlhabendsten und am „modernsten“ war man, was das Alte Reich betraf, parallel zu Flandern (aber etwas bescheidener als in diesem) im Herzogtum Brabant und in seiner nächsten Nachbarschaft17. b) Zur Geographie Man ermißt schon, daß es fundamental wichtig ist, sich die großen landschaftlichen Unterschiede im Deutschland von damals vor Augen zu halten, die unser Thema und viele andere mittelalterliche und neuzeitliche historische Themen vom Anfang bis zum Ende des Alten Reiches begleiten. Verallgemeinernde Aussagen über dieses ganze Deutschland können eigentlich nicht zutreffend sein, auch spezielle chronologische und quantitative Aussagen ohne einigermaßen präzisen regionalen Bezug sind problematisch. Hier ist die zum Druck vorbereitete Dissertation von Ingrid Männl über die gelehrten Juristen im Dienst der deutschen Territorialherren 1250–144018 von großer Bedeutung, und zwar auch in zivilisationsgeschichtlicher Hinsicht über die Frage nach den gelehrten Juristen hinaus. Gelehrte Juristen sind an und für sich bedeutsam, aber sie stellen auch ein „Leitfossil“ für übergreifende Fragen dar. Was zeigt sich? Das ganze Deutschland verhielt sich offenbar wie ein Europa im Kleinen, das heißt, es stellt sich als ein Land mit beträchtlichen chronologischen und quantitativen, vermutlich auch qualitativen Unterschieden dar. So kann auch die allgemeine Geschichte zumindest des deutschen Spätmittelalters,
17 Italien: W. Maleczek, Deutsche Studenten an Universitäten in Italien. In: Rachewiltz (wie in Anm. 3), S. 77–96. W. J. Courtenay, Study Abroad: German Students at Bologna, Paris, and Oxford in the Fourteenth Century. In: Courtenay (wie Anm. 3), S. 7–31. J. Schmutz, Juristen für das Reich. Rechtsstudenten an der Universität Bologna 1265–1425. 2 Teile. Basel 2000. – Frankreich: J. Ehlers, Deutsche Scholaren in Frankreich während des 12. Jahrhunderts. In: Fried (wie Anm. 13), S. 97–120. D. Illmer, Die Rechtsschule von Orléans und ihre deutschen Studenten im späten Mittelalter. Ebd., S. 407–438. M. Tanaka, La Nation anglo-allemande de l’université de Paris à la n du Moyen Age. Paris 1990. J. Verger, Étudiants et gradués allemands dans les universités françaises du XIV e au XVl e siècle. In: Schwinges (wie Anm. 3), S. 23–40. 18 I. Männl, Die gelehrten Juristen in den deutschen Territorien im späten Mittelalter. Diss. Gießen 1987. Vgl. Dies., Die gelehrten Juristen im Dienst der Territorialherren im Norden und Nordosten des Reiches von 1250 bis 1440. In: Schwinges (wie Anm. 3), S. 269–290, u. Dies., Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Territorialherren am Beispiel von Kurmainz (1250–1440). In: Boockmann (wie Anm. 3), S. 185–198. Vgl. Z. H. Nowak, Die Rolle der Gelehrten in der Gesellschaft des Ordenslandes Preußen. In: Schwinges (vgl. Anm. 3), S. 211–223.
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wenn nicht ebenfalls der angrenzenden Perioden eigentlich nicht mehr einebnend-gleichmacherisch geschrieben werden. Es bestätigt sich im großen und ganzen ein West-Ost-Unterschied und in etwas anderer Weise ein Süd-Nord-Unterschied, sofern nicht vereinzelt Sonderbedingungen vorlagen. So war man, was die Juristen betraf, nicht im geistlichen Staat Ordenpreußens mit seinen speziellen Bedingungen auch mediterraner Herkunft am „langsamsten“, was man naiv hätte vermuten können, sondern in Mecklenburg und Pommern, auch noch in Brandenburg. Der Nordwesten war wie gesagt die „modernste“ Landschaft (Herzogtum Brabant), in der Nachbarschaft des noch „moderneren“ Flandern. Wir gehen nicht auf Details ein, sondern sagen nur beispielsweise, daß die vergleichende Geschichte des Ofzialats oder insgesamt der kirchlichen Gerichtsbarkeit der Bischöfe, die sehr früh oder gar (neben dem König) am frühesten gelehrte Juristen an sich gezogen haben, enorme zeitliche Unterschiede von West nach Ost aufweist. Der einschlägige Erstbeleg eines gelehrten Juristen liegt nach Männl in Salzburg im Jahr 1267, in Trier 1273, in Bremen 1328 und in Riga 1360. Die frühesten Belege vor 1270 gehören praktisch alle in den Süden und den Westen des Reiches. Diese Unterschiede entsprachen anscheinend im Großen den Divergenzen im kirchlichen Pfründenangebot, das bis tief in das 15. Jahrhundert hinein vielfach oder zumeist die soziale Basis der gelehrten Jurisprudenz geboten hat, die in diesen Zusammenhängen tätig war, jedenfalls derjenigen bei uns. Daß, wie wir einmal ausgerechnet haben, die Hälfte der deutschen Stiftskirchen links des Rheins und am Rhein lag und darüber hinaus deutlich mehr als die Hälfte des einschlägigen Pfründenangebots, das hat sich im eigens ausgezählten 15. Jahrhundert, d. h. praktisch bis zur Reformation, nicht geändert19. Die für die ältere deutsche Geschichte u. E. fundamentale Frage nach der Rolle und der Auswirkung von Ausgleichsvorgängen oder gar von Beschleunigungsprozessen in zuvor benachteiligt gewesenen Gebieten auf der Basis der, wie man wohl noch immer zitieren darf, „Gnade der späten Geburt“ ist noch offen. Man sollte aber wohl nicht zu sehr und zu früh auf Ausgleich hoffen. Am Ende des deutschen Mittelalters war keineswegs alles ganz anders geworden als an seinem Anfang.
19
P. Moraw, Über Typologie, Chronologie und Geographie der Stiftskirche im deutschen Mittelalter. In: I. Crusius (Hg.), Untersuchungen zu Kloster und Stift (Veröff. d. MPI f. Gesch. 68 = Studien z. Germania Sacra 14), S. 9–37.
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Betrachtet man die geographischen Verhältnisse inhaltlich, soweit das heute schon möglich ist, so wird man vorerst wohl drei deutsche „Rezeptions“- bzw. Juristenlandschaften20 unterscheiden: 1. die niederrheinische (Niederrhein im weiten Sinn), die „modernste“ mit stark französischen Wesenszügen (viel Legistik, relativ frühe Laisierung der am Thema Beteiligten und auch im allgemeinen, eher Stadtnähe als Herrennähe, Papstbezug, aber kein nennenswerter Kontakt zum Königtum); 2. die oberdeutsche „Rezeptions-“ bzw. Juristenlandschaft, die „zweitmodernste“. Sie war königsnah, oder besser formuliert: das Königtum war in sie eingebettet. Im fachlichen Verhalten war sie eher „konservativ“, das heißt lange Zeit kanonistisch, erst spät auch legistisch bestimmt, lange Zeit sehr kirchlich geprägt, auf Italien bezogen; 3. die niederdeutsche Juristen- bzw. „Rezeptions“landschaft, die „langsamste“ der drei, die durch die Anverwandlung des Sachsenspiegels statt durch Direktverwertung der antiken und mittelalterlich-italienischen Rechtstexte – wie es in den beiden anderen Landschaften geschah – gekennzeichnet ist. Durch die Glosse wurde der Spiegel zu geschriebenem Recht im Sinne der Rezeption. Größere Herausforderungen und entsprechende Antworten (Stichworte: Hanse„rezeption“, wissenschaftlicher Protagonist Dietrich von Bocksdorf (cf. p. 310) (1488) in Leipzig, offenbar dem oder einem Zentrum der Landschaft) gehören erst in das spätere 15. Jahrhundert. Es bestanden wenig Kontakte zu Italien und Frankreich, die Landschaft war königsfern und sozial gesehen „konservativ“. – Die bekannten Wesenszüge des „Älteren“ und des „ Jüngeren“ Europas lassen sich leicht korrelieren, das Problem der „deutschen Einheit in älterer Zeit“ wird durch all dieses anscheinend in charakteristischer Form akzentuiert21. Zentren wesentlicher Modikation der generellen nordalpinen „Entwicklungsgeographie“ waren die großen Handlungsmittelpunkte, vor allem der Königshof. Die Frage nach den gelehrten Juristen am Hof bringt in der Tat eine gewisse Ehrenrettung des einst öfter geringgeachteten deutschen Königtums im späten Mittelalter mit sich, ungeachtet seiner weiterhin gültig bleibenden Schwächen angesichts unerfüllbar großer Aufgaben daheim und im Vergleich seiner Leistungen gegenüber dem Westen und Süden Europas. Es kommt auch zu einer gewissen Herabstufung der deutschen Territorien im Vergleich zum Königtum. 20 Insbesondere auch nach P. Johanek auf der noch unveröffentlichten Tagung Bad Homburg 1998 (Vgl. Anm. 3). Vgl. K. Kroeschell, Von der Gewohnheit zum Recht. Der Sachsenspiegel im späten Mittelalter. In: Boockmann (vgl. Anm. 3), S. 68–92. 21 Moraw, wie oben in Anm. 5 und 7.
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Sie haben sich mit wenigen Ausnahmen als recht arm an üssigem Geld, was man immer mehr auch für Juristen benötigte, und öfter auch als schwächlich beim Einuß auf Kirchenpfründen erwiesen. Große geistliche Territorien waren wenigstens in dieser Hinsicht bei Einstellung und Unterhalt gelehrter Juristen etwas bevorzugt. Die Veränderung dieser Geographie durch die kommenden deutschen Universitäten seit dem späteren 14. Jahrhundert möchten wir nach heutigem Wissensstand wirkungsgeschichtlich zunächst eher vorsichtig beurteilen, jedenfalls bis hin zur Mitte oder bis zum späteren 15. Jahrhundert, als sich manche Rahmenbedingungen und erst recht die Quantitäten änderten. c) Zu den Quantitäten Indirekt sind hierzu schon einige Aussagen gemacht und ist vor allem um Verständnis dafür geworben worden, daß dieses Teilthema bisher am wenigsten entwickelt ist. Ein großräumiger Vergleich ist wohl nur mit Frankreich einigermaßen sinnvoll. Man kennt die Zahl der päpstlich geförderten französischen Juristen aus dem Pontikat Johanns XXII.22 (1316–1334): es waren innerhalb dieser wenigen Jahre 2.836 Graduierte, darunter 1763 Legisten. Das sind im Vergleich zum gleichzeitigen Deutschland, das sich noch in seiner „ juristischen Frühzeit“ befand, absolut phantastische Zahlen. Die Daten von Schwinges, die auf der Basis aller erhaltenen Universitäts-Martikeln seit dem 14. Jahrhundert die zuverlässigsten Gesamtwerte bieten, erlauben die Vermutung, daß sich an deutschen Universitäten bis zum Jahr 1550 ungefähr 300.000 Studenten immatrikuliert haben23, von denen wohl etwa 12 bis 15 Prozent als Rechtsstudenten, was natürlich bei weitem nicht dasselbe ist wie graduierte Juristen, bezeichnet werden können. Jürg Schmutz erfaßt als deutsche Besucher Bolognas von 1265 bis 1425 3.601 Personen, davon war etwa ein Drittel bisher nicht bekannt24. Frau Männl25 behandelt etwa 700 Personen, in Wien ging es bei Beat Immenhauser von 1402
22 L. Caillet, La papauté d’Avignon et l’Eglise de France. La politique béneciale du pape Jean XXII en France (1316–1334). Paris 1975. 23 Freundliche Mitteilung von R. C. Schwinges. Vgl. Ders., Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Stuttgart 1986. Ders., On Recruitment in German Universities from the Fourteenth to Sixteenth Centuries. In: Courtenay (wie Anm. 3), S. 32–48. 24 Schmutz (wie Anm. 17). 25 Vgl. oben Anm. 18.
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bis 1519 um 2.441 Rechts-Studenten26, in Prag von 1372 bis 1417/19 wie erwähnt um 3.56327 . Die ungedruckte Wiener Juristenmatrikel, von Immenhauser untersucht, weist – um nun anders zu formulieren – im Durchschnitt des 15. Jahrhunderts zwanzig Eintragungen jährlich auf. Für Köln rechnet man mit dreißig Immatrikulationen jährlich.
2. Sozialgeschichtliches von deutschen gelehrten Juristen Unser Wissen über sozialgeschichtliche Daten und Fakten deutscher gelehrter Juristen beruht, wie das allermeiste in diesem Vortrag, auf der Zusammenschau von zumeist voneinander unabhängig vorgenommenen Untersuchungen regionaler Gruppen oder von Gruppen, die durch einen gemeinsamen „Arbeitgeber“ oder durch gemeinsame Studienverhältnisse geschaffen worden sind. Es handelt sich nur um einen kleinen Prozentsatz aller deutschen Juristen von damals, der Größenordnung nach ganz grob um vielleicht gegen zehn Prozent, und eher – das ist besonders wichtig – um die Hervorgehobenen als um das „Fußvolk“. Dieses „Fußvolk“ bildet ohnehin ein Problem, das ähnlich wie beispielsweise für die untere Grenze des Adels kaum je schon für sich allein zum Thema gemacht worden ist28. Gleichwohl wagen wir es im Dienst des Vorantreibens der Forschung, in die Mitte dieses Abschnitts eine generelle Behauptung zu stellen. Sie heißt: Die Sozialgeschichte der deutschen gelehrten Juristen nach prosopographischer Methode (vorwiegend in Oberdeutschland) begann beim Niederadel, vermutlich bei einem relativ stadtnahen Niederadel. Im Nordwesten war man offenbar von Anfang an städtischer oder viel städtischer bestimmt. Die Grenze zwischen landadeligen und stadt„adeligen“ Familien wird man vor dem 15. oder vor dem späten 14. Jahrhundert nicht sehr betonen. Sodann entwickelte sich die Sozialgeschichte der Juristen in die Stadt hinein, im 14. Jahrhundert in Oberdeutschland schon ganz klar, und erfaßte innerhalb der Städte – von oben nach unten rückend – immer breitere Schichten oder Gruppen
26 B. Immenhauser, Wiener Juristen. Studien zur Sozialgeschichte der Juristen an der Universität Wien von 1402 bis 1519. Lizentiatsarbeit Bern 1996. Ders., Wiener Juristen. In: Mitteilungen der Österr. Ges. f. Wissenschaftsgeschichte 17 (1997), S. 61–102. 27 Vgl. oben zu Anm. 13. 28 Vgl. einen der künftigen Bände der „Vorträge und Forschungen“.
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bis hin zu den Mittelschichten. Wirkliche Aufsteiger von ganz unten waren extrem selten, sie können keinesfalls als typisch gelten. Es handelte sich – anders formuliert – für jüngere Söhne von ansehnlichen Familien eher oder viel eher um eine Umschichtung oder Verlagerung von „sozialem Kapital“, wenn man so sagen darf, nun in eine juristische „Laufbahn“ hinein als um eine Neubildung solchen „Kapitals“. An den deutschen Universitäten des Mittelalters und danach waren die Juristen die eindeutig Führenden. Sie waren auch diejenigen, die von der Universität im Singular zunächst (bis ins 15. Jahrhundert) nur mit Einschränkung zu sprechen erlauben. Hingegen stehen wir der Vorstellung von der Adelsgleichheit des hochgraduierten Juristen mit Zurückhaltung oder gar Skepsis gegenüber. Es ist offenbar eine Wunschvorstellung geblieben. Gegenüber wirklichen, machtorientierten Aristokraten, etwa von der Untergrenze des deutschen Hochadels an aufwärts, hatte der Fachmann des Rechts keine wirkliche Chance, jedenfalls nicht, wenn eine „Öffentlichkeit“ dabei war. Zur sozialen Lage der Juristen am Ende unseres Zeitabschnitts äußern wir uns nur zögernd. Es geht nicht nur darum, daß die nach ihrer Gewohnheit meist bei den Anfängen einsetzenden Historiker den Abschluß ihres Themas gern weniger intensiv ins Auge fassen. Die stark wachsenden Studentenzahlen machen Aussagen vorerst schwer, der Kontakt zur frühneuzeitlichen Juristenforschung29 ist schon wegen der etwas unterschiedlichen Arbeitspraxis noch nicht stabil genug, und es scheint die jüngste Adelsforschung von gewohnten Thesen über das Studienverhalten des Niederadels im 16. Jahrhundert Abschied zu nehmen und in eine neue Richtung zu steuern, die noch nicht recht klar ist. Auf jeden Fall ist es auch ein soziales und nicht nur ein quantitatives Faktum, daß ungefähr seit der Mitte des 14. Jahrhunderts nicht allein wie schon gewohnt Juristen als Einzelpersonen, sondern die ganze neue Gruppe der gelehrten Juristen bei uns übergreifend und unwiderruich etabliert war. Endlich und spät etabliert, sagen wir wieder im kontinentalen Vergleich mit dem „Älteren Europa“. Älter dürfte wiederum sein die stabile regionale Etablierung der Juristen im äußeren nordwestlichen Teil des Reiches, der heute vor allem von niederländi-
29 F. Ranieri (Hg.), Rechtsgeschichte und quantitative Geschichte ( Jus commune. Sonderheft 7), Frankfurt a. M. 1977.
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schen und belgischen Kollegen wissenschaftlich betreut wird und eine eigenständige, viel stärker urbanisierte und wie erwähnt französisch akzentuierte Juristengeschichte aufweist30, die auch deutlich früher ausgeformt ist als in den größeren Städten der deutschen Hanse weiter östlich. Die Hansestädte blieben, wie zu erwarten, als Arbeitgeber von Juristen31 chronologisch und quantitativ auch hinter den oberdeutschen Städten von Rang zurück. Die oberdeutschen Städte ordneten sich ihrerseits ein, das darf man heute schon vermuten, in die allgemeine Entwicklung der dortigen territorialen Jurisprudenz. Wir vergessen natürlich auch hier nicht, obwohl die entsprechenden sozialen Umrisse noch nicht recht klar sind, die frühesten: die Juristen im Kirchendienst, besonders im Ofzialat und auch als Generalvikare. Man kann diese Fachleute infolge der besonderen deutschen Eigenart des Fürstenstatus der meisten Bischöfe nicht ganz abtrennen von der Gruppe der Juristen in den übrigen Territorien. Auch sozialgeschichtlich wird man hier klarer sehen, wenn das erstmals ächendeckend erarbeitete Buch von Frau Männl vorliegen wird.
3. Zur Ausbildung der deutschen gelehrten Juristen außerhalb Deutschlands Der Stolz der nordalpinen Lokalhistoriker auf ihre Universitäten, als sie nun einmal da waren, ist wohl verständlich, so wie er zuletzt bei der Feier der Carolina in Prag im Jahr 1998 hervorgetreten ist. Dieser Stolz hat nicht nur die relative Jugendlichkeit unserer Hohen Schulen vergessen lassen. Er ließ noch zwei weitere nicht unproblematische Eigenschaften zurücktreten, die bis heute nicht ausreichend erarbeitet scheinen: 1.: Die deutschen Universitäten hatten mit dem so divergenten Universitätserbe des „Älteren Europa“, das nun in ganz andere Verhältnisse „von oben“ eingepanzt wurde, Schwierigkeiten, und
30
Vgl. oben Anm. 17. K. Wriedt, Bürgertum und Studium in Norddeutschland während des Spätmittelalters. In: Fried (wie Anm. 13), S. 487–525. Ders., Amtsträger in norddeutschen Städten des Spätmittelalters. In: N. Bulst, J. Genet (Hg.), Medieval Lives and the Historian. Kalamazoo 1986, S. 227–234. Ders., Gelehrte in Gesellschaft, Kirche und Verwaltung norddeutscher Städte. In: Schwinges (wie Anm. 3). S. 437–452, u. K. Andermann, Bildung, Wissenschaft und Gelehrte in der Stadt um 1500. In: B. Kirchgässner, H.-P. Becht (Hg.), Stadt und Bildung (Stadt in der Geschichte 24). Sigmaringen 1997, S. 9–49. K. Wriedt, University Scholars in German Cities during the Late Middle Ages: Employment, Recruitment, and Support. In: Courtenay (wie Anm. 3), S. 49–64. 31
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zwar große und fortdauernde Schwierigkeiten. 2.: Nicht im mindesten hörte das Studium von Deutschen in Italien und in Frankreich auf, als die deutschen Universitäten gegründet worden waren. Wir fragen uns manchmal, ob man für die wirklich feinen Leute nicht als provokante Arbeitshypothese formulieren sollte: Das Auslandsstudium von Deutschen nahm zwar relativ geurteilt ab, aber nach absoluten Zahlen geschätzt durchaus weiterhin zu. Es scheint jedenfalls gut mittelalterlich zu sein, daß der Anfang, in unserem juristischen Fall der Anfang in Bologna und dann bei dessen Schwesterninstitutionen, nicht nur erst- und einmalig entscheidend war, sondern entscheidend blieb. Naturgemäß gab es ungeachtet des gerade Gesagten zwei bisher und fortan einleuchtende Phasen des deutschen Italien- und Frankreichstudiums: die Phase ohne heimische Universitäten und die Phase mit solchen. Doch man gießt schon kräftig Wasser in den Wein, wenn man feststellt, daß keineswegs 1348, das Gründungsjahr in Prag, als Scheidemarke brauchbar ist, sondern daß man den ersten Grenzpunkt viel besser zwanzig Jahre später ansetzt (wegen der großen Anfangsschwierigkeiten der Carolina) und selbst von den sechziger Jahren an gegenüber Wien und erst recht gegenüber Krakau Zurückhaltung übt.32 Das entscheidende, wirklich übergreifende Datum sind die Folgejahre des Schismas von 1378 gewesen, die achtziger Jahre. Das Werk von Schmutz hat auf der Grundlage der Bologneser Notariatsüberlieferung unser Wissen über diese vorerst am besten bezeugte italienische Rechtsuniversität des Mittelalters im Hinblick auf Deutschland auf eine neue Basis gestellt. Wir fassen einige seiner Ergebnisse mit anderen Einsichten der jüngsten Zeit zusammen und stellen fest: Auch über Italien ist unser Wissen vorerst Stückwerk, ja angesichts des „Ozeans“ italienischer Juristen bleibt es bei dem vielleicht etwas grotesken Zustand, daß wir noch dahin kommen oder schon dahin gekommen sind, daß man über die Tochter „Deutschland“ mehr Sicheres erkennen kann als über die Mutter „Italien“. Der entscheidende Unterschied dabei scheint der zu sein, daß wir von den so viel schlichteren nordalpinen Verhältnissen inzwischen gewisse Rahmenvorstellungen haben, in die man Neues einordnen kann. In Italien erkennen wir einen solchen
32 Vgl. oben Anm. 2,15 und P. Moraw, Die Hohe Schule in Krakau und das europäische Universitätssystem um 1400. In: J. Helmrath, H. Müller, H. Wolff (Hg.), Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für E. Meuthen. München 1994, S. 521–539.
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quantitativ-geographisch-sozialen Rahmen noch nicht. Herr Schmutz begreift die deutschen Studenten in Bologna im 13. und 14. Jahrhundert und zumal (wegen der hohen Kosten) die Graduierten als besondere Gruppen, die er nach ihren Lebenswegen, soweit diese bekannt sind, in Hofjuristen, Kirchenjuristen und Stiftsjuristen unterteilt. Das ist zugleich die soziale Rangfolge. Die „Grauzone“, der Rest, bleibt freilich sehr groß. Selbstverständlich ist für die Rückkehrer nach Deutschland das Sprechen von einem Arbeitsmarkt, wie idealiter in den oberitalienischen Kommunen damals schon möglich, nicht sinnvoll. Das kann erst partiell im späteren 15. Jahrhundert versucht werden. Insgesamt warnt Schmutz mit Recht vor einer Überschätzung des Faktors „Studium“ und speziell des Faktors „Studium in Bologna“ im Vergleich zu den Faktoren ansehnlicher Geburt und ansehnlichen Familienbesitzes. Das Studium in Bologna ist jedenfalls (gemäß den Zwängen der Quellenlage) der Urtyp des älteren der beiden mittelalterlichen juristischen Studienmodelle, desjenigen, das die passende Universität gemäß dem schon bestehenden heimischen sozialen Kontext des Studenten auswählte und eine soziale Qualität (Geburt und Geld) in eine andere (Prestige und Grad) umwandelte. Das andere jüngere, nordalpine Modell, wohl vom zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts an, erhoffte vom Studium auch etwas soziale Bewegung nach oben33.
4. Zur Ausbildung deutscher und anderer gelehrter Juristen in Deutschland Gerade zu diesem Thema könnte man leicht eine eigene Abhandlung oder ein Buch schreiben. Hier indessen geht es wie im ganzen Vortrag um etwas anderes, Bescheidenes. Wir haben schon einiges Einschlägige erwähnt, das nun nur noch zugespitzt werden soll. Wir sind geneigt zu glauben und haben das auch immer wieder (vielleicht zum Erschrecken von Zuhörern, die lieber Feierlich-Harmonisches hören wollten) ausgesprochen, daß uns die Einheit und Harmonie oder selbst das zweckmäßige Ineinandergreifen der mittelalterlichen Universitätsgeschichte
33 Ders., Stiftspfründen als Elemente des Bildungswesens im spätmittelalterlichen Reich. In: I. Crusius (Hg.), Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland (Veröff. d. MPI f. Gesch. 114 = Studien zur Germania Sacra 18). Göttingen 1995, S. 270–297. Vgl. R. C. Schwinges, Pfaffen und Laien in der deutschen Universität des späten Mittelalters. In: E. C. Lutz, E. Tremp (Hg.), Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus? Freiburg/Schweiz 1999, S. 235–249.
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weithin eine Fiktion des späten 19. Jahrhunderts zu sein scheint, als man für die Erfolge der Universitäten von damals Wurzeln suchte. Schuld am Problematischsein der Einheit der mittelalterlichen Universität waren, wenn man so sagen darf, die Juristen. Da es ohnehin unmöglich war, die oberitalienische Zivilisation in das nordalpine Gebiet zu verpanzen, ging es zwar wohl nur um die – eher abstrakte – Legitimitätsfrage, aber das hat zur Problemgenese völlig ausgereicht. Ein Jurist war innerhalb der hier überhaupt zur Diskussion stehenden Abschnitte der sozialen Pyramide von damals einfach etwas Besseres als ein (nichtadeliger) Nichtjurist, schon wegen seiner familiären Herkunft und öfter auch wegen einer bereits begonnenen kirchlichen Karriere, dann wegen der hohen Kosten seines Studiums, möglicherweise auch wegen seiner schon vorhandenen oder kommender Herrennähe und insgesamt wegen seines aus alledem erwachsenden Sozialprestiges. Das heißt auch: Es war eigentlich unmöglich, daß sich ein Juristenscholar einem Artistenmagister, der ein Habenichts und an Jahren deutlich jünger sein mochte, in dessen Funktion als Rektor der Universität unterordnete. Inzwischen hat sich der Tatbestand durchgesetzt, daß es im Prag des 14. Jahrhunderts zwei Universitäten gegeben habe, eine („bessere“) der Juristen und eine (sozial „weniger gute“) der Nichtjuristen. Strittig ist noch das Erstdatum. Die „Konservativen“ meinen „ Juristenuniversität seit 1372“, wir glauben, daß es am Anfang von 1348 allein einen Anfang der Juristen gegeben habe. Das alte Prager Universitätssiegel ist nach unserer Interpretation ein Siegel der Juristen. Die Juristen hatten in Prag nicht einfach als die „Stärkeren“ begonnen, sondern als diejenigen, die für die Erfahrungswelt der führenden geistlichen Mitarbeiter Karls IV. die selbstverständlichen Studenten waren. Artisten und Theologen waren von dieser Erfahrungswelt weiter entfernt, auch wenn sie später die Mehrheit bildeten. Sie folgten zeitlich erst nach den Juristen. So verhielt es sich auch in Krakau, nur daß dort eine Juristenuniversität „mangels Masse“ gar nicht ins Leben trat (1364), sondern nur eine artistische (1400)34. Erst der Druck der Armut der deutschen Territorien und die Nähe ihrer Herrengewalt zur Universität (in Wien und in Heidelberg) haben vom späten 14. Jahrhundert an die uns vertraute Vierfakultätenuniversität herbeigezwungen. Sie hat ein soziales Herabdrücken der Juristen
34
Vgl. Anm. 32.
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mit sich gebracht. Es ist erkennbar, daß sich die Juristen oder einige – die führenden – von ihnen durch Hofnähe entschädigt glaubten, langfristig gesehen freilich zu Unrecht. Denn als diese „Entschädigung“ wegel oder an Wert verlor, verblieb das Nebeneinander der vier Fakultäten. Die alte Differenz wurde nun nur noch binnensozial und in der Reichweite der Sozialbeziehungen zum Ausdruck gebracht, aber nicht mehr institutionell. Der späte Anlauf in Basel mit einer eigenen Juristenuniversität nach 1450 scheiterte. So entstand nach dem Modell von Bologna und nach dem Modell von Paris das dritte der großen europäischen Universitätsmodelle, dasjenige mit der größten Nachwirkung zuletzt infolge der Neuerungen des 19. Jahrhunderts, wie wir heute wissen: die deutsche Vierfakultätenuniversität. Es ist mehr oder weniger noch unser Idealmodell, an dem wir die Situation der Universität von heute messen. Wer Jurisprudenz allein in Deutschland studierte, blieb im Mittelalter strenggenommen ein Jurist zweiter Klasse. Das ist hart formuliert, ist aber recht gut belegbar und mußte sich nicht unbedingt auf die Qualität ( jedenfalls kann man diese bisher nicht messen), wohl aber auf das Sozialprestige beziehen. Wer die Welt einigermaßen kannte und universitätserfahren war, wie der Wittelsbacherkönig und die Pfalzgrafen aus Heidelberg im 15. Jahrhundert, der schickte seine heimischen Spitzenjuristen zur Promotion nach Italien, oder sie gingen von selbst dorthin. Es war wie gesagt eine Sache des Prestiges und der Legitimierung, und zwar wohl noch lange Zeit. Wir haben uns manchmal gefragt, ob die Phase der generellen deutschen, am Ende auch gesamtdeutschen „Verdichtung“ (wie wir sie nennen) von etwa 1470 an und die gleichzeitige Lockerung der bis dahin recht engen Personenbeziehungen von Oberdeutschen und Oberitalienern zur gleichen Zeit etwas miteinander zu tun hatten: Vermutlich ja. Deutschland veränderte sich gleichsam für die große Mehrzahl der Deutschen, aber das Italienstudium deutscher Elite-Juristen blieb bestehen. Bisher ist vor allem von den Spitzen die Rede gewesen. Dabei sei noch etwas geblieben. Eines der interessantesten Spitzenphänomene, das weiterer Klärung bedarf, ist der unter Kaiser Sigmund erfolgte „Einfall“ italienischer Juristen (nach Gisela Beinhoff ca. 70 meist mit hoher Graduierung) in den kaiserlichen Dienst in Deutschland35. Es
35 G. Beinhoff, Die Italiener am Hof Kaiser Sigismunds (1410–1437). Frankfurt a. M. usw. 1995.
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war ein Phänomen ohne Nachfolge, weil sich die kommenden Habsburgerherrscher in dieser Hinsicht vorerst „provinzieller“ verhielten als der letzte Luxemburger mit seinem zum Mittelmeer hin offenen ungarischen Königtum. Das Faktum ist auch wichtig als Nachweis des manchmal recht überraschenden Einbruchs der Ereignisgeschichte als individuelle Geschichte in sonst möglicherweise allzu deterministisch erscheinende langfristige Abläufe, so als ob die Menschen von damals nur Puppen gewesen seien. Sie waren es offensichtlich nicht, obwohl man das Langfristig-Großräumige in seiner Grundrichtung, nicht oder nicht so sehr im Hinblick auf individuelle Lebensläufe oder Ereignisfolgen, für recht unwiderstehlich halten wird. Erst dieses Langfristig-Großräumige macht aber eine europäische Geschichte möglich, die mehr ist als eine Ansammlung von Zufällen oder von zentralisierenden Überwältigungen durch Gewalthaber. Wer auch immer bis zu einem akademischen Grad oder auch ohne Graduierung ausgebildet oder durch einen Aufenthalt mit möglicher Ausbildung legitimiert wurde – Hauptarbeitgeber für ihn blieben die Kirchen mit ihrem Pfründenpotential, mit dem vor der Reformation niemand nördlich der Alpen konkurrieren konnte. Das Vordringen von Laien vollzog sich bei uns langsam, jedenfalls rechtsrheinisch, und bezeichnet abermals eine fundamentale Verspätung des „ Jüngeren Europa“ gegenüber dem „Älteren“, vor allem natürlich gegenüber Italien. Der erste Hofkanzler der deutschen Könige, der Laie war, Kaspar Schlick aus Eger im Dienst von Sigmund, Albrecht II. und Friedrich III., gehört erst in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts36. Er war nur „Artist“, obwohl gutbürgerlicher Herkunft. Erst die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts brachte den breiten Durchbruch der Laien mit sich; in Ungarn etwa wird man darauf noch länger warten.
5. Vermutungen über die Tätigkeit gelehrter Juristen in Deutschland Die Schwäche der Prosopographie als streng personenbezogene Methode im Hinblick darauf, was diese Personen ringsum an Sachinhalten umgab und noch mehr, was diese Personen konkret taten und
36 P.-J. Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440–1499). Hof, Regierung und Politik. 3 Teile. Köln Weimar Wien 1997. Ders., Gelehrte Juristen im Dienst der römisch-deutschen Könige des 15. Jahrhunderts. In: Bockmann (wie Anm. 3), S. 167–184.
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bewirkten, ist evident. Man ersieht daraus, was dem Historiker im Banne einer Methode und einer variationsarmen Überlieferung entgeht und wie sehr man sich noch im Frühstadium der Durchforschung des Titelthemas bendet. Was man heute schon über die Tätigkeit der gelehrten Juristen im spätmittelalterlichen Deutschland weiß, läßt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Verwaltung in einem weiten Sinn, zuerst kirchliche und bald königliche Verwaltung, dürfte seit dem mittleren und späteren 13. Jahrhundert der Kernpunkt gelehrter juristischer Tätigkeit in Deutschland gewesen sein. Dies begann mit ganz kleinen Zahlen, faktisch mit Einzelpersonen, die neben Personen mit Adelsoder „praktischer“ Bildung tätig waren. Ebenso alt war in günstigen, westlich und südlich gelegenen Fällen oder war wohl partiell noch älter die Teilhabe an der kirchlichen Gerichtsbarkeit, nicht hingegen an der weltlichen Judikatur. Beim König, bei den Fürsten und bei den Städten sieht man dies ganz klar. Weltliches und geistliches Milieu unterschieden sich demnach. Für weltliche und für geistliche Herren, an der Spitze wieder für den König und dann für die rheinischen Erzbischöfe, war das nächste und ebenfalls (für ihre Region) recht frühe Movens, um Juristen zu bemühen, der diplomatische Verkehr mit auswärtigen Höfen und zwar zuallererst der Verkehr mit der Kurie. Der Hof in Avignon war ohne Zweifel für die erst in der Zeit des päpstlichen „Exils“ wirklich heranwachsende deutsche Jurisprudenz in ihren Spitzen ein entscheidender oder der entscheidende Treffpunkt, schon wegen der Karrieren, für die man auch auf den Papst angewiesen war. Wir glauben inzwischen mehr von mittelalterlichen Höfen zu verstehen37, an denen man die Juristen im 13. und im 14. Jahrhundert unverkennbar wirken sieht, wie dann im 14. und 15. Jahrhundert immer deutlicher auch in den großen Städten. Das Entscheidungshandeln und damit die Frage nach dem präzisen Anteil unserer Protagonisten an diesem oder weiterausgreifend an der Geschichte des „Staates“ wird aber wohl weiterhin oder für immer schwer erfaßbar sein. Immerhin gibt es Indizien. Im 14. Jahrhundert war die Stellung der Juristen noch nicht so eindeutig und so stark, daß man sie nicht auch hätte nicht schätzen oder zumindest hinter Theologen und Finanzfachleuten nicht hätte zurückstehen lassen können. Kaiser Karl IV. ist – offenbar
37 Vgl. die Buchreihe „Residenzenforschung“ Bde. 1ff. Sigmaringen 1990ff. und die „Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen“ 1ff. Kiel 1991ff.
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aus persönlicher Ab- bzw. Zuneigung – dafür ein gutes Beispiel. Für das endende 14. und das 15. Jahrhundert herrscht dann sehr deutlich der Eindruck vor, daß es nicht mehr um die Akzeptanz von Juristen an und für sich ging – diese war inzwischen selbstverständlich geworden –, sondern nach 1450 jedenfalls punktuell beinahe schon um das Freibleiben eines aristokratischen Spielraums außerhalb permanenter juristischer Mitsprache. Als Herr und Kurfürst mußte man gleichsam schon auf den Tisch hauen, um sich beim König den aristokratischen Vorrang im Gespinst juristischer Argumente zu sichern. Urteilt man jedoch nicht vom Einzelfall her, sondern quantitativ, dann wird man erst im frühmodernen Staat des 16. und 17. Jahrhundert die Juristen wirklich als dessen Rückgrat bezeichnen wollen. Zuvor erreichten sie – nach Männls Forschungen bis 1440 aufgeteilt auf 55 geistliche und 29 weltliche Fürstenhöfe in Deutschland – zumeist wohl einfach noch nicht jene kritische Masse, die erst wirklich tiefgreifende Wandlungsvorgänge möglich macht. Kaiser Sigmund hatte nach älterem herrscherlichen und nach noch älterem kurialen Vorbild Kommissionen38 vom Hof aus ins Land gesandt, nun öfter auch mit landfremden italienischen Doktoren des Rechts besetzt, die politisch-juristische Konikte schlichten sollten – ein mühseliges, aber interessantes Surrogat fehlender herrscherlicher Erfassung der Fläche. Das war bekanntlich ganz anders als in Frankreich, wo die Baillis und Sénéchaux des Königs fachlichen Rechtsbeistand am Ort ihrer Tätigkeit bei sich hatten. Aber auch dort war die Prärogative aristokratisch legitimierter Verwaltung bestenfalls indirekt gefährdet. Bei allen diesen Fällen handelte sich um hervorragende oder zumindest überdurchschnittliche Figuren. Das juristische „Fußvolk“ erzwingt dieselbe Frage, die sich mutatis mutandis auch bei der Erforschung des Schicksals der erdrückenden Mehrheit deutscher Universitätsbesucher von damals, der ungraduierten oder kaum graduierten Artisten, stellt: Wo gingen diese Leute hin, als sie die Universität verließen? Die provisorische Antwort lautet in beiden Fällen: Sie gingen in die Stadt, auch in die kleinere Stadt zurück, aus der sie mehrheitlich gekommen waren, und innerhalb dieser in das Milieu ihrer Familie, vielleicht leicht aufgebessert und im nahen Umkreis etwas vom Gelernten verwendend, jedoch ohne jeden Umsturz oder auch nur kraftvolle Veränderung der
38 Jeserich (wie Anm. 9) S. 52f. und das Forschungsprojekt von K.-F. Krieger und Kollegen in Mannheim.
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gewohnten sozialen Ordnung. Artistsein oder auch Juristsein war für diese kleinen Leute wohl am häugsten ein mehr oder weniger gutes Zusatzargument auf dem Lebensweg innerhalb einer Reihe anderer Argumente, die insgesamt wohl wichtiger waren als das akademische.
6. Der Anteil der gelehrten Juristen an den deutschen politischen Eliten Bei diesem Teilthema geraten wir am tiefsten in die allgemeine Geschichte hinein. Das halten wir für einen Vorteil, gerade auch zugunsten der immer gründlicheren Durcharbeitung des ganzen Stoffes. Die Elitenfrage, wie wir sie stellen, ist bei uns – und das ist wieder spät im Vergleich zu Italien und Frankreich – als Tatbestand ineinandergreifender Vielfalt ein Thema des 15. Jahrhunderts. Dieses Jahrhundert hat bei uns immerhin eine gewaltige forschungsgeschichtliche Mutation durchgemacht – vom armseligen Stiefkind des Interesses zu einer der attraktivsten Wendezeiten der ganzen deutschen Geschichte. Die Frage, was eine Elite sei, eine „Funktionselite“ natürlich, kann wohl nur denitorisch entschieden werden. In der Arbeit von Bettina Koch39 sind im Hinblick auf das ganze Deutschland diejenigen Personen gemeint, die an Reichsversammlungen teilgenommen haben oder (präziser:) dorthin geschickt worden sind. Seit etwa 1470 kann man dann von Reichstagen im strengen Sinn reden. Gesprächspartner waren dort die Beauftragten des Königs und teilnehmender Fürsten, auch die Boten der größeren Reichsstädte und Freien Städte. Weil es in Deutschland keinen festen Versammlungsort gab und weil die dynastische Stetigkeit des Königtums erst nach und nach erreicht wurde, handelte es sich um äußerst komplexe, aber gerade deshalb den Historiker faszinierende Zusammenhänge, von denen hier nur der Anteil der gelehrten Juristen in der gebotenen Kürze interessiert. Um 1400, so erarbeitete Frau Koch, gab es gelehrte Juristen, die eigens in den Quellen benannt wurden, also eine gewisse Mindestaufmerksamkeit erregten oder eine Mindesttätigkeit entfalteten, auf Reichsversammlungen nur in der Begleitung des Königs. Der erste klar hervortretende territoriale Rechtsgelehrte betätigte sich im Jahre 1406 für den Erzbischof von Mainz. Kurtrier folgte 1411. Quantitativ 39 B. Koch, Räte auf Reichsversammlungen. Frankfurt a. M. usw. 1999. Vgl. P. Moraw, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493). In: Schnur (wie Anm. 8), S. 77–147, und oben Anm. 36.
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nennenswert wurde die Anzahl der Fürstenjuristen erst in den 1440er Jahren, kaum ohne Zusammenhang mit den großen Konzilien auf deutschem Boden in Konstanz und Basel. Der recht abgelegene Landgraf von Hessen folgte beispielsweise erst 1495. Insgesamt zählte Frau Koch bis zum Beginn des Reichstagszeitalters um 1470 138 gelehrte Juristen auf Reichsversammlungen, mit starker Progression in der späteren Zeit. Sie waren ungefähr zur Hälfte Fürstenjuristen. Nur ein kleinerer Teil der (wie gesagt) gegen 700 Rechtsfachleute, die Frau Männl in 84 deutschen Territorien bis 1440 tätig sah, zählte also zu unserer besonders denierten Funktions-Elite. Noch war gesamtdeutsche Politik, sofern es sie überhaupt gab, überwiegend Sache des ungelehrten Adels. Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts, im Zeitalter der „Verdichtung“, beschleunigten sich die Dinge beträchtlich. Den Reichstag von Regensburg von 1471 kann man als eine Wendemarke ansehen. Zum Beispiel: Erstmals trat eine „Arbeitsgruppe“ von vier Fürstenjuristen anläßlich eines ständischen Alternativplans zum Türkenkriegsprojekt40 hervor. Er wurde erarbeitet von Personen, die der Fachmann kennt: von Martin Mair für den Herzog von Bayern, von Peter Knorre für die Stadt Nürnberg, von Lorenz Blumenau für den Erzbischof von Salzburg und von Georg Pfeffer, dem Kanzler des Erzbischofs von Mainz. Das Quartett war hochgraduiert. Es bietet auch eine schöne Illustration für die Ausdehnung des oberdeutschen „ Juristenraumes“. Kaiser Friedrich III. (1440–1493) verfügte insgesamt bereits über 70 graduierte Juristen41, davon 35 Kanonisten, 15 Legisten und 20 Fachleute mit doppelter Graduierung. Von den 350 bekannten Beisitzern seines Kammergerichts waren, mit steigender Tendenz, insgesamt 100 gelehrte Juristen; dafür zog man auch Gäste des Hofes heran. Unter den deutschen Universitäten, an denen man in dieser Gruppe studiert hatte, war – wie zu erwarten – der bevorzugte Studienplatz das kaisernahe Wien (zu einem Viertel). Kochs Juristen wiesen bereits, wenn man deren Studienverhalten als ein ganzes auffaßt, recht große Einheitlichkeit auf, auch „Einheitlichkeit im Wandel“, etwa hin zu einem wachsenden Maß an Herrenwechsel und zu größerer geographischer Mobilität. Nur noch geringfügig unterschieden sich – in Richtung auf häugeren Herrenwechsel und damit wohl auch auf mehr politische Erfahrung – die königlichen Juristen von den fürstlichen. 40 H. Wolff (Hg.), Deutsche Reichstagsakten [Ältere Reihe], Bd. 22, 2. Hälfte. Göttingen 1999, S. 770f. 41 Heinig (wie Anm. 36).
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Man verneint heute mit guten Gründen das Bestehen umfassender und langfristiger erfolgreicher Reformplanungen an der Spitze des Reiches um 1500, sondern sieht den unzweifelhaft eingetretenen tatsächlichen Wandel viel stärker als anlaßbezogen, kurzfristig und ungeplant an, auch als kaum gewollte Nebenwirkung ganz anderer Intentionen. Ein „Modernisierungsschub“ solcher Art, der ebenfalls an und für sich schwerlich geplant worden ist, sondern „nebenbei“ eintrat, war beispielsweise der Import „modernerer“ rheinischer (das hieß in diesem Fall mittelrheinischer, nicht aber noch „modernerer“ niederrheinischer) Juristen an den Hof Kaiser Friedrichs, als 1471 das Kammergericht aus skalischen Gründen an den Erzbischof von Mainz verpachtet wurde. Dieser brachte einfach seine Leute mit. Ganz ähnlich ungeplant sind ebenfalls, soweit sie uns interessieren könnten, die Veränderungen von 1495 beim Kammergericht zu verstehen, obwohl auch sie – aus der Ferne und abstrakt betrachtet – „modernisierend“ gewirkt haben42. Im 14. Jahrhundert hatten die Dinge noch anders gelegen. Zur Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. (1346/47–1378) von 1356, dem ersten „Reichsgrundgesetz“, sind sicherlich gelehrte Juristen herangezogen worden, aber als Spezialisten, von denen wir keine präzise namentliche Vorstellung haben43. Lupold von Bebenburg war wahrscheinlich dabei, aber vielleicht auch oder gar zuerst in seiner Eigenschaft als geistlicher Würdenträger aus königsnaher Landschaft. Es erscheint sehr lehrreich, daß es schon in karolinischer Zeit zwei deutsche Übersetzungen der Goldenen Bulle gegeben hat (was gelehrte Juristen nicht benötigten). Diese Versionen waren von bemerkenswerter Qualität. So ist – wenn hier weiterzudenken erlaubt bleibt – sachlich vernünftige und wohlbegründete Politik weiterhin durchaus auch außerhalb der Sphäre des gelehrten Rechts anzunehmen oder auch auf diese Weise indirekt nachzuweisen – gerade in großen königsnahen Städten, woher die Übersetzungen stammten (Frankfurt, Nürnberg). In dieselbe Richtung weist ein anderes Fragenbündel, das auf Beschaffenheit und Geschichte der Sammlungen dessen abzielt, was man später insgesamt „Reichsgrundgesetze“ nennen
42 Vgl. F. Battenberg, Königliche Gerichtsbarkeit und Richteramt nach der Kammergerichtsordnung von 1495: Realisierung eines Reformanliegens oder politischer Kompromiß? In: S. Dauchy u. a. (Hg.), Auctoritates. Xenia R. C. van Caenegem oblata. Brüssel 1997, S. 91–111. 43 B.-U. Hergemöller, Fürsten, Herren und Städte zu Nürnberg 1355/56. Köln Wien 1983. A. Wolf, Goldene Bulle von 1356. In: Lexikon des Mittelalters Bd. 4. München Zürich 1989, Sp. 1542f.
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wird. Diese Texte sind, beginnend mit der gerade erwähnten Goldenen Bulle, schon im Mittelalter immer wieder gemeinsam überliefert worden. Man hat sie dann zuerst 1502 gemeinsam gedruckt. Diese in mehr als 30 Auagen bis ins 18. Jahrhundert hinein verbreitete Sammlung, wohl auch eine Art abstrakter Mitte des frühneuzeitlichen Reiches, enthielt in den ersten Auagen ebenfalls die Bulle nur in deutscher Sprache. Erst tiefer im 16. Jahrhundert kam die lateinische Urfassung hinzu, die dann noch später – offenbar mit immer stärker werdender Juridizierung oder gar Verwissenschaftlichung der Reichspolitik – allein enthalten war. Das scheint einer von mehreren Hinweisen darauf zu sein, daß erst im 16. Jahrhundert vollendet wurde, was im 15. Jahrhundert angelegt worden ist: die „Verwissenschaftlichung“ des Umgehens mit der deutschen Verfassung, viel später also als ein analytisches Befaßtsein mit kirchlichen Verfassungsproblemen. Man tastet vorerst noch bei all diesen Punkten, doch wird man tasten dürfen44. Die allerletzte Frage, die hier erwähnt sei, ist gleichsam eine Abstraktion des gerade Anvisierten. Es ist die Frage nach dem „Stellenwert“ unserer Gewährsleute und ihres Tuns im Verfassungsleben von einst. Was war denn das Wichtigste an der deutschen politischen Existenz von damals? Offenbar die historisch begründeten und gewohnheitsrechtlich exekutierten legitimen Grundtatsachen von Königtum, Kaisertum und Reich und die Regeln der Erneuerung von Königtum und Kaisertum – und zwar recht unabhängig davon, wie „dünn“ oder wie „dicht“ die konkrete Existenz des Reiches beschaffen war. Niemand bezweifelte diese Tatsachen und Regeln. So war man auch so lange Zeit ohne gelehrte Juristen und später ohne gelehrte Juristen in größerer Zahl ausgekommen. Im Zeitalter der „Verdichtung“ traten dann mindestens zwei Dinge neu hinzu: erstens die intensiver werdende Anwendung des römischen Rechts als Recht des regierenden Königs und Kaisers in der legitimen Nachfolge der römischen Imperatoren, wie das für Italien längst üblich gewesen war, und zweitens das nun vielfach verschärfte Problem von Rang und Würde der einzelnen Reichsglieder, das im entstehenden Reichstag geordnet und gebändigt werden mußte. Man überlege nur: Noch niemals oder in längst vergessener Zeit waren sich der Erzbischof von Salzburg und der Erzbischof von Magdeburg oder ihre Räte begegnet, wie dies nun auf dem Reichstag geschehen
44 Arbeiten im Sonderforschungsbereich „Erinnerungskulturen“ an der Universität Gießen.
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konnte. Wer war der Ranghöhere und wer sollte auch gegebenenfalls mehr zahlen, und wie sollte man miteinander umgehen und die Teilhabe an einem dergestalt neuentstehenden oder neu konkretisierten Ganzen praktizieren? Wieviel mag man zu alledem im Kirchenrecht und im Zivilrecht, in Prag und Wien und zuvor in Bologna, Padua und Pavia gelernt haben? Wenig oder sehr wenig. Aber man mochte nützliche Denkguren anwenden, die zu brauchbaren Verhaltens- und Verfahrensformen führen konnten, zum Beispiel zu aufschiebenden Kompromissen für die vielen einfach fast unlösbaren, aber ungerührt gleichzeitig auftretenden Probleme des neuen Miteinanders. In der Ausschußarbeit des Reichstags trafen gelehrte Juristen, praxiserfahrene Städtevertreter und vor allem das eine oder andere Mitglied der wohl wichtigsten älteren Funktionselite in Deutschland zusammen. Dies waren einer oder mehrere der „klassisch“-königsnahen Grafen und Herren, deren einschlägige Familientradition und ganz gewiß Standestradition bis in die Stauferzeit zurückreichten. Der Schwabe Graf Haug von Werdenberg war so ein nimmermüder „Professioneller“ der Politik in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Er hatte natürlich nicht studiert. Doch dürfte er mit dem Habitus der gelehrten Juristen vertraut gewesen sein und auch mit den Grundzügen derjenigen römisch-rechtlichen Gedankengänge, die wir heute in erster Linie in den in reichsstädtischen Konsilien aufbewahrten Verteidigungs- oder Widerlegungsversuchen der Partner des Kaisers aufnden, soweit sie aus heimischer Räson Gegenspieler der Majestät werden mußten. Ohne Zweifel wurde die politische Welt immer „juristischer“ im Sinne des gelehrten Rechts, aber ihre Rahmenbedingungen blieben aristokratisch und damit dem politisch-praktischen Laienverstand der Herrschaftsträger und ihrer gleichartig erzogenen und erfahrenen Helfer zumindest vorerst zugänglich. Daß in diesem letzten Punkt die Perspektive des Vortrags gewechselt, das heißt erweitert wurde, hat mit den nun endlich unübersehbar gewordenen Quantitäten des gesamten deutschen Juristenproblems um 1500 zu tun, das man noch nicht beherrscht. Es hat aber auch damit zu tun, daß wir auf einen interessanten Aspekt des Gesamtthemas wenigstens haben hinweisen wollen, eben auf das Problem des „Stellenwerts“ der gelehrten Juristen unter anderen Führungsgruppen – und dahinter auf die Integrationsfrage der älteren deutschen Geschichte überhaupt. In beiden Fällen handelt es sich um eine im kontinentalen Vergleich beurteilt späte Entfaltung. Man mag dazu kommentierend oder gar tröstend sagen, daß auch traditionelle, das heißt adelspolitisch-militä-
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rische Selbstbehauptung in Europa erfolgreich sein konnte, und so ist es im großen und ganzen wohl im deutschen Fall gewesen. Wollten wir ganz besonders gerecht sein, dann müßte man sogar dem dynastischaristokratischen Zeitalter zubilligen, daß der Weg zum modernen Staat gleichsam seitwärts lag von dynastisch-aristokratischer Räson, so daß man Erfolg oder Mißerfolg von Staatsbildung den Handelnden von damals nicht einfach naiv auasten darf. Aber akzeptieren wir die Verspätung und sagen nur, daß man Geduld haben sollte mit der älteren deutschen Geschichte und Geduld haben muß als Mediävist, der immer mehr Tatbestände des Mittelalters zum Ende seines Zuständigkeitsbereichs hinschiebt und dort zusammenschiebt. Man wird es, wie Herrmann Heimpel einst schon sagte, wohl tatsächlich lange dauern lassen, das deutsche Mittelalter.
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GELEHRTE JURISTEN IM DIENST DER DEUTSCHEN KÖNIGE DES SPÄTEN MITTELALTERS (1273–1493)
I Am Anfang der Erörterung unseres bisher unbehandelt gebliebenen Themas1 erscheint die kurzgefaßte Formulierung einiger Denitionen und Abgrenzungen (A) und einiger Rahmenbedingungen (B) als nützlich. A 1. Als gelehrte Juristen bezeichnen wir diejenigen Königsdiener, bei denen wir (in der Regel anhand eines Studien- oder Graduierungsbelegs1a) eine juristische Universitätsqualikation erkennen können, und zwar unab1 Zur Einführung allgemein: W. Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland, Wiesbaden 1962; E. Genzmer, Kleriker als Berufsjuristen im späten Mittelalter, in: Etudes d’histoire du droit canonique dédiées à Gabriel Le Bras, 2, Paris 1965, S. 1207–1236; C. Lefèbvre, Juges et savants en Europe (13e–16e s.), Ephemerides iuris canonici 22 (1966), S. 76–202; 23 (1967) S. 9–61; F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Au. Göttingen 1967, bes. S. 97ff.; H. Lieberich, Gelehrte Räte, HRG I (1971), Sp. 1474–1477; G. Buchda, Gelehrte Richter, ebd., Sp. 1477–1481; W. J. Bouwsma, Lawyers and Early Modern Culture, AHR 78 (1973), S. 303–327; N. Horn, Soziale Stellung und Funktion der Berufsjuristen in der Frühzeit der europäischen Rechtswissenschaft, in: Rechtsgeschichte. Hrsg. v. G. Dilcher u. N. Horn, München 1978, S. 125–144 (= Sozialwissenschaften im Studium des Rechts IV). Territorien z. B.: H. Lieberich, Die gelehrten Räte, ZBLG 27 (1964), S. 120–189; A. Uyttebrouck, Le gouvernement de duché de Brabant au moyen âge (1355–1430), Bruxelles 1975, bes. S. 306ff.; W. Stelzer, Österreichische Kanonisten des 13. Jahrhunderts, Österr. Archiv f. Kirchenrecht 30 (1979), S. 57–81. Nachbarländer z. B.: J. Gillissen, Les légistes en Flandre aux XIIIe et XIVe siècles, Bulletin de la Commission royale des anciens lois et ordonnances de Belgique 15 (1947), S. 119–231; J. Bartier, Légistes et gens de nance au XVe siècle. Les conseillers des ducs de Bourgogne Philippe le Bon et Charles le Téméraire, Bruxelles 1955; F. J. Pegues, The Lawyers of the Last Capetians, Princeton 1962; J. Favier, Les légistes et le gouvernement de Philippe le Bel, Journal des Savants, 1969, S. 92–108. Literatur zur politischen und Verfassungsgeschichte des Reiches kann nur in seltenen Ausnahmefällen zitiert werden. – Meinen Schülern Dr. P.-J. Heinig (Mainz) und Dr. R. C. Schwinges (Gießen) bin ich für freundliche Hinweise zu Dank verpichtet. 1a Es gibt hier Schwankungen im einzelnen; so hat sich z. B. herausgestellt, daß normalerweise im 14. Jh. auch die Qualizierung als „iuris peritus“ und öfter im späteren 15. Jh. als „Meister“ im Sinne gelehrter Jurisprudenz gewertet werden kann.
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hängig davon, ob sie beim König/Kaiser als Räte, „secretarii“, Kanzlei-, Gerichts- oder Fiskal-„Beamte“ (bis 1410 auch als Kapellane) betitelt wurden oder nichttituliert in einem der Funktion dieser „Beamten“ entsprechenden Arbeitsbereich auftraten. Beim Herrscher waren neben den gelehrten Juristen – abgesehen von den durch Adel, Kirchenrang, Wirtschaftswissen, Theologie2, Medizin2a und durch Humanistenstolz Legitimierten – in der Regel auch hier nicht behandelte Rechtspraktiker3 tätig, die ohne jene gelehrte Vorbildung in höheren, gleichrangigen oder geringeren Positionen in oft vergleichbarer Weise wirkten; auch das Verhältnis beider Gruppen zueinander und Übergänge zwischen beiden Gruppen bleiben unerörtert. Das Abwägen des Verfassungsranges aller dieser Personenkreise im Hinblick auf die zentrale Gewalt ist eine Aufgabe der Zukunft. 2. Räumlich und sachlich beschränken wir uns auf die Aktivität des Königs im Reichsgebiet nördlich der Alpen. Für die zeitliche Abgrenzung sind Beginn bzw. Ende der Regierungszeiten König Rudolfs I. (1273) und Kaiser Friedrichs III. (1493) maßgebend; die Anfänge Maximilians I. vor 1493 werden nicht berücksichtigt. Es wird nicht behauptet, daß unsere Grenzjahre auch thematisch zweckmäßige Einschnitte darstellen; diese sind schon deshalb vorerst nicht leicht erkennbar, weil unser Thema auch für die Nachbarperioden unbearbeitet ist. Bekanntlich reicht prinzipiell der Kontakt des Königtums/Kaisertums mit dem im Hochmittelalter erneuerten gelehrten Recht wenigstens im Hinblick auf Italien kaum weniger weit zurück als diese Erneuerung
2 Zu den Theologen z. B. R. Bäumer, Konrad von Soest und seine Konzilsappellation 1409 in Pisa, Westfalen 48 (1970), S. 26–37; A. Bauch, Philipp von Rathsamhausen Bischof von Eichstätt, in: Fränkische Lebensbilder 7, Neustadt/Aisch 1977, S. 1–11, oder P. Moraw, Rat und Beamtentum König Ruprechts, ZGO 116 (1968), S. 59–126 bes. 112ff. 2a Z. B. H. Kühnel, Die Leibärzte der Habsburger bis zum Tode Kaiser Friedrichs III., Mitt. d. Österr. Staatsarchivs 11 (1958), S. 1–36. 3 Dieser Begriff scheint treffender zu sein als die älteren Termini „Halbgelehrter“ oder gar „ juristischer Proletarier“; ihn verwendet auch G. Bónis, Die praktische Juristenausbildung im mittelalterlichen Ungarn, in: Die juristische Ausbildung in der Slowakei und Ungarn bis zum Jahre 1848, Bratislava 1968, S. 55–64 (Acta facultatis iuridicae universitatis Cominianae). Wenigstens im späteren 14. und im 15. Jh. wiesen solche Männer häug eine artistische Universitätsbildung und eine praktische Lehrzeit in ihrer späteren „Behörde“ oder in ähnlicher Art auf. Sie steht der Schreiber-Bildung und der Ausbildung eines Teils der Öffentlichen Notare nahe. Vgl. auch K. H. Burmeister, Das Studium der Rechte im Zeitalter des Humanismus im deutschen Rechtsbereich, Wiesbaden 1974, S. 16f. und ders., Anfänge und Entwicklung des öffentlichen Notariats bis zur Reichsnotariatsordnung von 1512, in: Festschrift für F. Elsener, Sigmaringen 1977, S. 77–90.
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selbst; das Handeln Friedrich Barbarossas ist ein Höhepunkt mit einer längeren Vorgeschichte4. 3. Es handelt sich um die verfassungs- und sozialgeschichtliche Arbeit eines Historikers, nicht um eine spezische rechtsgeschichtliche Analyse eines Juristen. Es wird daher wenig eingegangen auf die auch längere Zeit noch nicht leicht erkennbaren Inhalte der gelehrten Juristentätigkeit, also auch nicht unmittelbar auf die Frage nach der Rezeption des Römischen Rechts oder nach der Verwissenschaftlichung des Rechtswesens in einem engeren Sinn5. Ebensowenig behandeln wir das Problem der Mentalität und Selbstbeurteilung der gelehrten Juristen6. Die teilweise neuartige Situation der humanistischen Jurisprudenz7 wird ebenfalls nicht mehr erörtert, weil die hier gewählte zeitliche Abgrenzung dafür als unzweckmäßig erscheint. B 1. Der Wandel der Reichsverfassung (diese in einem sehr weiten Sinne verstanden) und mit jenen Wandlungen der Kohärenz des Reichsverbandes unterwarfen vom 13. bis zum 15. Jh. die Stellung des Königtums im Reich, die Beschaffenheit des auf das Reichsganze bezogenen politischen Lebens und mit diesen beiden auch Aufgaben und Rolle der gelehrten
4 Vgl. z. B. H. Appelt, Friedrich Barbarossa und das römische Recht, RHM 5 (1961/62), S. 18–34; H. Zimmermann, Römische und kanonische Rechtskenntnis im frühen Mittelalter, in: La scuola nell’occidente latino dell’alto medioevo, I, Spoleto 1972, S. 767–799, bes. 778ff. (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’ alto medioevo XIX); J. Fried, Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert, Köln – Wien 1974, bes. S. 46ff.; N. Horn, Bologneser Doctores und Iudices im 12. Jahrhundert und die Rezeption der studierten Berufsjuristen, ZHF 3 (1976), S. 221–232; K. F. Werner, L’empire carolingien et le Saint-Empire, in: Le Concept d’Empire, p. p. M. Duverger, Paris 1980, S. 151–202, bes. 160ff.; aus D. Hägermann, Studien zum Urkundenwesen König Heinrich Raspes (1246/47), DA 36 (1980), S. 487–548 (mit d. älteren Lit. zum Interregnum) geht hervor, daß dieses Zeitalter kaum Material bietet. 5 Vgl. die Beiträge in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 1: Mittelalter, hrsg. v. H. Coing, München 1972; ders., Die Rezeption des römischen Rechts, in: Mélanges Roger Aubenas, Montpellier 1974, S. 169–179. 6 Vgl. den Vortrag von H. Boockmann, Die gelehrten Räte, auf dem Würzburger Historikertag 1980, der mir dank der Freundlichkeit des Verfassers im Manuskript vorlag, oder auch D. R. Kelley, Clio and the Lawyers, Mediaevalia et Humanistica n. s. 5 (1974), S. 25–49 und Burmeister, Studium, S. 13f. 7 Vgl. z. B. H. Hübner, Jurisprudenz als Wissenschaft im Zeitalter des Humanismus, in: Festschr. f. R. Larenz, München 1973, S. 41–62; Burmeister, Studium, S. 7ff., und G. Köbler, Juristenausbildung, HRG II (1978), Sp. 484–488.
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Juristen im Königsdienst beträchtlichen Veränderungen. Die Niederlage der Staufer gegenüber dem Papsttum mit ihren schwerwiegenden innenpolitischen Folgen, aber auch andere ältere Entwicklungen hinterließen zunächst für ungefähr ein Jahrhundert ein Zeitalter der „Offenen Verfassung“; das heißt, es überwog u. a. bei weitem ein Nebeneinander von vielen auf sich selbst bezogenen Einzelgewalten, das für übergreifende Zwecke nur wenig Energien übrigließ. Die zunächst nicht erfolglose Erneuerung der zentralen Gewalt durch Kaiser Karl IV. und die dadurch herbeigeführte Vermehrung monistischen königsbezogenen Handelns blieben ohne Dauer; vielmehr vollzog sich im 15. Jh. die für die Zukunft entscheidende Verdichtung der Reichsverfassung auf andere Weise: Der Druck innerer und äußerer Feinde (Hussiten, Türken, Burgunder, Franzosen), eine im Vergleich zum 14. Jh. neuartige und sehr gefährliche Herausforderung, brachte eine mühselige, aber endlich wirksame Mehrung zentralen Handelns im Reich mit sich, die zugleich auch auf breiten, vor allem sozialgeschichtlich greifbaren „Modernisierungs“ vorgängen aufruhte. Dieses Handeln wurde damals freilich endgültig dualistisch: Neben den König trat der Reichstag8. 2. Das Königtum des späten Mittelalters war im Gegensatz zu den Nachbarmonarchien und zu den Territorien des Reiches eine Wahlherrschaft, die zunächst generationenlang im Interesse der führenden Kurfürsten geplantem Dynastienwechsel unterlag. Erst vom ausgehenden 15. Jh. an war die Übermacht der endlich glücklichsten Großdynastie, der Habsburger, so deutlich, daß man in der Praxis einem Erbkönigtum wieder näher kam. Häuger Dynastienwechsel brachte noch häugeren Wechsel der räumlichen Zentren und räumlichen Bezugssysteme im Reich mit sich und immer wieder auch, wenigstens teilweise, den Wechsel der sozialen Bezugssysteme des zentralen Handelns. Es gab jedoch königsnahe soziale Gebilde, die gegenüber dem Dynastienwechsel im hohen Maße widerstandsfähig blieben. Gleichwohl
8 Vgl. P. Moraw, Versuch über die Entstehung des Reichstags, in: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im alten Reich, hrsg. v. H. Weber, Wiesbaden 1980, S. 1–36, wo auch andere Arbeiten des Vfs. angeführt sind, die sich auf die Verfassungsgeschichte des Reiches in der hier interessierenden Periode beziehen, und ders., Krisen und Wandlungen im späten Mittelalter, in: Ploetz Deutsche Geschichte, hrsg. v. W. Conze u. V. Hentschel, Freiburg 1979, S. 101–111. Verwiesen sei auch auf den kommenden Beitrag des Vfs. im Handbuch: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1983, der die Verwaltung des Königtums und des Reiches etwa von 1350 bis 1500 behandelt.
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litten – verwaltungsgeschichtlich betrachtet – die Institutionen der Zentralgewalt außerordentlich darunter, daß auf die Dauer kein fester Mittelpunkt ausgebildet wurde. 3. Die Arbeit der gelehrten Juristen im Königsdienst ist unter diesen Umständen zunächst dadurch gekennzeichnet, daß das Königtum über seine Hausmachtterritorien (Erbländer) hinaus eine dauerhafte und effektive Lokalverwaltung für das Gesamtreich nicht aufzubauen vermochte. Infolgedessen waren die Aufgaben, Mittel und Möglichkeiten des Herrschers und seiner Diener je nach dem Gegenüber von sehr unterschiedlicher Art: a) Man beobachtet immer intensiver werdende Verwaltung und Rechtsprechung (in der Art aller großen Landesherrn) in den Hausmachtterritorien; b) man erkennt eher „Politik“ und eher punktuelle Rechtspege bei recht beschränktem Staatszweck gegenüber weiten von starken Landesherren beherrschten Teilen des Reiches; c) man stellt ein zwischen beiden erstgenannten Formen stehendes Handeln in den könignahen und in den von der Hausmacht her hegemonial bestimmten Reichslandschaften fest; d) es bestand ferner nach wie vor insbesondere von 1346 an, eine besondere, auch für unser Thema wichtige Verbindung des Königs zu den Spitzen der Kirche (Papst, Kardinäle, Konzilien); e) es gab endlich weiterhin Elemente einer „internationalen“ oder „übernationalen“ Stellung des Königs, vor allem insofern, als er als einziger Herr seines Ranges nicht nur keinen Kaiser zu respektieren genötigt war, sondern selbst immer wieder diese zumal in Nord- und Nordosteuropa nach wie vor beachtete Rolle einzunehmen vermochte. 4. Bis zum Ende unseres Zeitraums waren die gelehrten Juristen des Königs, der Landesherren und der Städte mit nicht sehr vielen Ausnahmen Kleriker welchen Weihegrades auch immer; d. h. sie gehörten (am häugsten wohl mit voller Überzeugung) dem Normenund Pfründengebäude der Papstkirche an, welches als ein wesentliches soziales Bezugssystem unseres Kreises stets mitzubedenken ist. Hier behaupteten sie – zusammen mit den Universitätslehrern – nicht ohne Erfolg eine Sonderstellung, wie die Konzilien und Konkordate des 15. Jhs. zeigen. Zusammen mit den Universitätslehrern hatten sie auch Anteil an einem weiteren System, an der „wissenschafts“- und „berufs“-bezogenen Hierarchie der anerkannten Fachleute. Es wird sich die Frage erheben, ob sie als führende Teilnehmer eines immer komplizierter werdenden politischen Spiels schon gleichsam von der „Politik als Beruf “ zu leben vermochten.
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5. Als Ausbildungsstätten für gelehrte Juristen bestanden bis zur Mitte des 14. Jhs. allein auswärtige Universitäten in Italien und Frankreich. Aber auch nachdem Hohe Schulen im Reich errichtet worden waren (von Prag 1348 bis Mainz und Tübingen 1477), blieb das auswärtige Studium als sozialer Ausweis und häug wohl auch als Qualitätsausweis deutlich überlegen. Mindestens während der ersten drei oder vier Generationen deutscher Universitätsgeschichte besaß dabei die Kanonistik ein beträchtliches Übergewicht, das erst im Laufe des 15. Jhs. zugunsten der Legistik abgebaut wurde. Beide, Kanonisten und Legisten, sind für unser Thema gelehrte Juristen; weder auf Grund der Ausbildung noch der Tätigkeit ist eine Trennung gerechtfertigt.
II Für die Periodisierung unseres Zeitraums bietet sich aus sachlichen Gründen eine Dreiteilung in etwa gleichlange Zeitabschnitte an. Von Rudolf von Habsburg bis zu Ludwig dem Bayern (1273–1347) blieb die Zahl der Rechtsgelehrten des Königtums klein (unten A). Es folgen als Höhe des deutschen Spätmittelalters die Periode Karls IV. mit dem Nachklang unter Wenzel und das Gegenkönigtum Ruprechts (1346–1410/1419) mit dem Beginn der deutschen Universitätsgeschichte und mit einer ansehnlichen quantitativen und qualitativen Ausweitung der gelehrten Jurisprudenz, die freilich immer noch fast allein „Regierungswissenschaft“ war und der Gerichtsbarkeit fernstand (unten B). Es schließen sich an das Krisen- und Konzilszeitalter Sigismunds und Albrechts II. mit einer bedeutsamen Sonderentwicklung unserer Thematik und zuletzt die keineswegs nur äußerlich – chronologisch zur Neuzeit hinüberführende Regierungszeit Friedrichs III 9. (1410–1493) (unten C), in welcher gelehrte Juristen des Königs schon als „politische Gruppe“ im engeren Sinne oder als Teil einer solchen Gruppe in einem weiteren Sinne aufgefaßt
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Während die prosopographischen Materialien des Vfs. bis 1439 ein angemessen hohes Maß an Vollständigkeit aufweisen dürften, ist die Quellensituation von 1440 an wegen des fortan stark wachsenden Anteils des nur gelegentlich benützten ungedruckten Materials so beschaffen, daß mit beachtlichen Lücken gerechnet werden sollte. Die gedruckten Quellen sind allerdings möglichst vollständig herangezogen worden. Es kann zu fast jeder Person verständlicherweise fast regelmäßig nur ein kleiner Teil der uns bekannten Einzelnachweise geboten werden. Intensiv ins Detail zu gehen (wie z. B. W. Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, Graz 1967), ist hier schon aus Raumgründen unmöglich.
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werden können und sich dieser Berufsstand im Umkreis des Herrschers abermals beträchlich vermehrte. A. (1273–1347) Es wird kaum überraschen, daß relative Dürftigkeit der Überlieferung und sachliche und terminologische Unklarheiten die Untersuchung am Anfang unseres Zeitraums stärker beeinträchtigen als später. Nicht lange vor dem Ende des Zeitalters König Rudolfs setzen als erste wirklich ergiebige Quelle zur Universitätsgeschichte die Akten der Deutschen Nation von Bologna ein (1289); Paris wird mit dem Prokuratorenbuch der Englisch-Deutschen Nation erst kurz vor dem Ende des Zeitabschnitts folgen (1333)10. Welchen Wert der von Kanzleibeamten recht exakt bis zum Ende dieser Periode gern geführte Magistertitel als Nachweis eines Universitäts- oder gar Rechtsstudiums besitzt, ist auf breiter Basis noch nicht untersucht11. Man wird gut daran tun, sich selbst auf die Gefahr einer Verengung des Kreises unserer Gewährsleute sehr vorsichtig zu verhalten, so daß uns in diesem Zeitabschnitt eine derartige Bezeichnung für sich allein genommen als Beleg nicht genügt. 1. Unter solchen Voraussetzungen lassen sich unter den Helfern Rudolfs von Habsburg (1273–1291), der selbst wohl Analphabet war und eher für die Pege der deutschen als der lateinischen Urkundensprache eintrat12, nur wenige Juristen aufnden, allerdings schon von Anfang an. Der erste Zeuge unserer Thematik ist der von 1273 bis 1275 im Amt des Protonotars der Hofkanzlei nachweisbare Doktor des Kirchenrechts und Deutschordensbruder Heinrich († 1289 als Bischof von Trient)13, über dessen Amtstätigkeit und soziale Stellung nichts Näheres
10 Acta nationis Germanicae universitatis Bononiensis, edd. E. Friedländer / C. Malagola, Berlin 1887; vgl. G. C. Knod, Deutsche Studenten in Bologna (1289–1562), Berlin 1899; Liber procuratorum nationis Anglicanae (Alemanniae) in universitate Parisiensi, t. 1, edd. H. Denie / Ae. Chatelain, Paris 1894. 11 Vgl. z. B. H. Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. I, 2. Au., Leipzig 1912, S. 549 Anm. 2, und R. M. Herkenrath, Studien zum Magistertitel in der frühen Stauferzeit, MIÖG 87 (1979), S. 3–35. 12 A. Lhotsky, Umriß einer Geschichte der Wissenschaftspege im alten Niederösterreich, Wien 1964, S. 38f. 13 J. F. Böhmer, Regesta Imperii (fortan RI) VI, 1: Rudolf von Habsburg. Neubearb. u. erg. v. O. Redlich, Innsbruck 1898, S. 12f.; ders., Rudolf von Habsburg, Innsbruck 1903, S. 733ff., bes. 807. Vgl. außer Bresslau: S. Herzberg-Fränkel, Geschichte der deutschen Reichskanzlei 1246–1308, MIÖG Erg.-Bd. 1 (1885), S. 254–297. (Bis 1354 gab es immer nur einen Protonotar in der Hofkanzlei).
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bekannt ist. Den gleichen wissenschaftlichen Grad führte auf Grund eines Studiums in Bologna sein Amtsnachfolger Heinrich von Klingenberg (als Protonotar bezeugt 1279–1291, als Vizekanzler 1283–1290) aus einer Thurgauer, bald bischöich Konstanzer Ministerialenfamilie († 1306 als Bischof von Konstanz)14. Bei den Kanzlern Rudolfs ist eine juristische Ausbildung nicht nachweisbar und im Lichte späterer Erfahrungen auch nicht zu postulieren – bei spätmittelalterlichen Amtsträgern dieses Ranges handelte es sich häug um „politisch“ in ihre Position gelangte Personen. Aus dem Kreis der Notare der Kanzlei hat offenbar allein Konrad von Herblingen aus Schaffhausener Stadtadel – ohne Graduierung – in Bologna geweilt15. Unter den königlichen Räten erscheint nur Magister Lupold von Wilting (bei Cham Opf.), Würzburger Domherr, in chronikalischer, jedoch glaubwürdiger Überlieferung als juristisch ausgebildet („dominus legum“)16; im übrigen können schon damals, wenn ein Rückschluß aus etwas späterer Zeit erlaubt ist, auch die Protonotare (und erst recht die Kanzler) als ratsgleich gelten. Zwei Kapellane Rudolfs, Peter Reich17 († 1296) aus Stadtbasler Adel und Johann von Wildegg18 († 1301) aus habsburgischer Ministerialenfamilie, bei denen beiden man Gesandtschaften und damit möglicherweise ein Element einer „Beamten“tätigkeit nachweisen kann, haben sich ohne Graduierung in Bologna aufgehalten. Der Name eines als Familiar angenommenen doctor legum, sehr wahrscheinlich eines Italieners, ist leider nicht bekannt19. Diese recht verschiedenartigen Tatbestände lassen sich in der Feststellung zusammenfassen, daß ungeachtet der vorwiegend schwäbischen, dem Herkunftsland des neuen Königs entsprechenden „Färbung“ des gelehrten Juristenkreises innerhalb von diesem fast alle Typen und Elemente auftreten, die noch generationenlang im Umkreis des Königtums 14
ADB 11, S. 511; W. Müller, LThK 52, Sp. 193f.; RI VI, 2. Neubearb. v. V. Samanek. Innsbruck 1948, Nr. 35; MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum (fortan Const.) III, ed. J. Schwalm, Hannover 1904/06, S. 670; A. Cartellieri, Heinrich von Klingenberg, Propst von Aachen 1291–1293, Zs. d. Aachener Geschichtsvereins 17 (1895), S. 74–88; S. Stelling-Michaud, L’université de Bologne et la pénétration des droits romain et canonique en Suisse aux XIII et XIVe siècles, Genève 1955, S. 306; ders., Les juristes suisses à Bologne (1255–1330), ebd. 1960, S. 313; R. Sablonier, Adel im Wandel, Göttingen 1979, S. 116. 15 RI VI, 1 S. 13; Stelling-Michaud, Université, S. 304; ders., Juristes, S. 98f. 16 Johannis abbatis Victoriensis liber certarum historiarum. Ed. F. Schneider, t. II, Hannover 1910, S. 10, 31 (MGH SS rer. Germ. i. us. schol.); RI VI, 1 Nr. 2066, 2093. 17 Stelling-Michaud, Université, S. 172; ders., Juristes, S. 138ff. 18 Stelling-Michaud, Université, S. 318; ders., Juristes, S. 166ff. 19 Const. III, S. 296 Nr. 295.
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zu beobachten sind. Dies wird im folgenden klarer erkennbar werden. Eine spezisch gelehrt-juristische Kontinuität zu den Interregnumskönigen ist – so weit wir sehen – nicht nachweisbar, anders als in der Hofkanzlei insgesamt und damit wohl auch anders als im Kreis der Rechtspraktiker; der Italienbezug weist offenbar zu den Staufern zurück. 2. Der wesentlich kürzeren Regierungszeit König Adolfs von Nassau (1292–1298) und seinen recht beschränkten Machtmitteln entspricht nicht nur eine extrem geringe Zahl nachweisbarer gelehrter Juristen; man muß im Gegensatz zum Vorgänger sogar den niemals mehr wiederkehrenden Tatbestand annehmen, daß entsprechender Rat am Königshof nicht ununterbrochen zur Verfügung stand20. Kanonistisch ausgebildet war der uns schon bekannte Heinrich von Klingenberg (als Adolfs Rat bezeugt 1292)21. Etwas unklar ist die Situation beim Notar, Rat und secretarius Magister Wilhelm von Schaf( f )hausen, der vielleicht in Bologna studiert hat22. 3. König Albrecht I. von Habsburg (1298–1308) setzte die Juristentradition seines Vaters Rudolf für sein Jahrzehnt lückenlos fort. Kanonisten mit Universitätsbildung waren zwei seiner drei Kanzler, nämlich der uns schon bekannte Heinrich von Klingenberg23, jetzt auch Bischof von Konstanz (im Amt 1298, später Albrechts secretarius), und dessen vormaliger Protonotar Johann von Zürich, ein Priestersohn und „magnus clericus in canonico iure“ wohl nach Aufenthalt in Bologna (im Amt 1303–1308, Protonotar seit 1298, † 1328 als Bischof von Straßburg)24.
20 Die gegenteilige positive Feststellung kann angesichts der Quellenlage in unserem ganzen Zeitraum vertändlicherweise nur cum grano salis gelten, weil über konkrete Dienstzeiten im einzelnen nichts Sicheres bekannt ist. 21 RI VI, 2 Nr. 156; Const. III, S. 486f. Nr. 505. 22 Const. III Nr. 505; RI VI, 2 Nr. 388; Stelling-Michaud, Université, S. 201. Die geographische Herkunft ist unsicher. Möglicherweise war der Protonotar, bald Kanzler, Magister Ebernand (im Amt 1293–1295), Stiftsscholaster in Aschaffenburg und Vertrauensmann des Königmachers Erzbischofs Gerhard von Mainz, vielleicht aus einer Frankfurter Großbürgerfamilie stammend, gelehrter Jurist (RI VI, 2 S. X, 409; V. Samanek, Studien zur Geschichte König Adolfs, SB Wien, phil.-hist. Kl. 207, 2 (1930), S. 21; ders., Neue Beiträge zu den Regesten König Adolfs, ebd. 214, 2 (1932), S. 5–27; H. F. Friederichs, Herkunft und ständische Zuordnung des Patriziats der wetterauischen Reichsstädte bis zum Ende des Staufertums, Hess. Jb. f. Landesgesch. 9 (1959), S. 37–75, bes. 52f.). 23 Regesten der Grafen von Katzenelnbogen 1060–1486, bearb. v. K. E. Demandt, Bd. 1, Wiesbaden 1953, Nr. 399, vgl. oben Anm. 14 u. 21; A. Hessel, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter König Albrecht I. von Habsburg, München 1931, S. 244. 24 Zitat aus Gesta episcoporum Eichstetensium continuata, edd. L. Bethmann et G. Waitz, in: MG SS 25 (1880), S. 592; N. Rosenkränzer, Bischof Johann I. von Straßburg
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Lupold von Wilting hat offenbar bei Albrecht („suorum secretorum auricularius“) eine noch bedeutendere Rolle gespielt als unter Rudolf 25. In Bologna studierten der wohl verheiratete königliche secretarius Hermann von Landenberg aus St. Galler Ministerialenfamilie († 1306) und der königliche Kleriker und Familiar Johann Botten von Trier († 1351), Sohn eines Trierer Bürgers und einer Schwester des Mainzer Erzbischofs Peter von Aspelt, zuletzt Stiftspropst in Aschaffenburg26. 4. Eine erste bemerkenswerte Neuentwicklung, die einen sich zaghaft ausbildenden Zusammenhang radikal zu zerreißen schien, dann aber wegen ihrer geringen Dauer doch nicht unmittelbar nachwirkte, brachte die Regierungszeit Heinrichs VII. (1308–1313) mit sich, der als Glied des Hauses Luxemburg ein ganz neues Personalreservoir und neue Amtstraditionen aus dem äußersten, gutenteils romanischen Westen des Reiches zur Geltung brachte. Zum zweiten stand er auf dem ersten Italienzug seit der Stauferzeit ganz neuen Aufgaben gegenüber. Es ist bezeichnend, daß sich die letztgenannten Anstöße am wenigsten in der Hofkanzlei auswirkten, in welcher gemäß der hergebrachten Übung die beiden Protonotare gelehrte Juristen – aus dem neuen Rekrutierungsgebiet – waren: Simon von Marville27 (dép. Meuse) (im Amt 1309–1311), zuvor Auditor des Papstes Clemens V., „legum professor“, und Heinrich von Geldonia ( Jodoigne) aus einer Brabanter Gelehrtenfamilie, ebenfalls „legum professor“ wiederum unbekannten, wohl französischen Studienorts (im Amt 1312–1313, auch Rat 1310, † 1352, nachdem er zuletzt in hennegauischen Diensten gestanden hatte)28, die ersten nachweisbaren Legisten nordalpiner Herkunft im Königsdienst des späten Mittelalters. Neu war zwar nicht das Wirken gelehrter Juristen als Räte
gen. von Dürbheim, Diss. Straßburg 1881; J. Bernoulli, Propst Johann von Zürich, König Albrechts I. Kanzler, Jb. f. Schweizer. Gesch. 42 (1917), S. 283–331; Hessel, S. 244; Stelling-Michaud, Université, S. 149, 163, 172, 202; ders., Juristes, S. 105ff., 179ff., 330. 25 Liber (wie Anm. 16) II, S. 31. 26 Stelling-Michaud, Juristes, S. 161 u. 113f. 27 RI 1246–1313. Neubearb. v. J. F. Böhmer, Stuttgart 1844, S. 256; Const. IV., ed. J. Schwalm, Hannover 1906/11, S. 298 Nr. 351 (legum professor) u. S. 1510; B. Guillemain, La cour ponticale d’Avignon 1309–1376, Paris 1962, S. 354. 28 F. Vercauteren, Henri de Jodoigne, légiste, clerc et conseiller des princes († 1352), Bulletin de l’Institut belge de Rome 27 (1952), S. 451–505. Wieder in: ders., Etudes d’histoire médiévale, o. O. 1978, S. 93–147. (Die Gemahlin des Königs war Brabanterin.) – Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Nikolaus von Ybbs, Notar Heinrichs VII., in Bologna studierte, der nachmalige Bischof von Regensburg († 1340). Vgl. P. Acht, Ein Registerbuch des Bischofs Nikolaus von Regensburg (1313–1340), Mitt. d. Österr. Staatsarchivs 4 (1951), S. 98–117; L. Morenz, Magister Nikolaus von Ybbs, VHO 98 (1957), S. 221–308.
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oder in ratsgleicher Position, jedoch war Johann (von Buss) von Finstingen (Lothringen), Student in Bologna, der erste Doktor beider Rechte (auch „professor“ von Orléans) im Dienste des deutschen spätmittelalterlichen Königtums außerhalb Italiens29, ein Mittler zwischen zwei großen romanischen Rechtsstudienkreisen. Hieran kann man die besonderen Qualitäten, aber eben auch das vorläuge Heraustreten Heinrichs VII. aus dem Zusammenhang der deutschen gelehrten Jurisprudenz ermessen. In Speyer 1309, also nicht in Italien, aber wohl schon im Zusammenhang mit dem Süden erscheint in der Umgebung des Königs ebenfalls erstmalig ein namentlich bekannter italienischer Doktor des Zivilrechts, Bassianus de Guaciis30, der auf dem Romzug als Auditor des Luxemburgers weiterwirken wird; sein Kollege als königlicher Richter wird ein französischer Legist sein, Dr. Ugo de Sancto Audomaro (SaintOmer, dép. Pas-de-Calais)31. Das Stichwort „Italien“ gibt Anlaß, zwei weitere Neuerungen Heinrichs VII. auch dann zu erwähnen, wenn sie von der künftigen deutschen gelehrten Jurisprudenz überhaupt nicht oder nur episodisch und spät (unter dem Urenkel Sigismund, s. u.) aufgenommen werden sollten. Beide Neuerungen wurzelten in dem Bedürfnis, in der fremden Welt des Südens Fuß zu fassen und die Kaiserrechte zu realisieren. Während aber die Verrechtlichung der Königlichen Kammer durch das Institut der Kammernotare vor allem vom mehr rechtspraktischen Usus des öffentlichen Notariats getragen worden zu sein scheint32, war das (bisher nirgends genügend gewürdigte) Auftreten von mehr als einem Dutzend italienischer Rechtsgelehrter hohen Ranges, zumeist von doctores legum (nur ein Kanonist wird genannt) als Räte, Hofauditoren und Hofrichter innerhalb extrem kurzer Zeit33 ein Gipfelpunkt 29
Const. IV S. 1486; Stelling-Michaud, Juristes, S. 85. Const. IV S. 275 Nr. 312, S. 307 Nr. 359 f., S. 726 Nr. 735; W. M. Bowsky, Henry VII. in Italy, Lincoln 1960, S. 26f., 252. 31 Const. IV S. 591 Nr. 631. 32 G. Seeliger, Kanzleistudien II, MIÖG 11 (1890), S. 398–442; V. Samanek, Die verfassungsrechtliche Stellung Genuas 1311–1313, ebd. 27 (1906), S. 237–314, 560–628; H. Kämpf, Zu einem Imbreviaturenbuch und einem Register Bernards von Mercato. MÖIG Erg.-Bd. 14 (1939), S. 391–409; F. Vercauteren, Gilles de la Marcelle, chanoine de Liège, trésorier de l’empereur Henri VII. Zuletzt in: ders., Etudes d’histoire médiévale, S. 472–489. – Quellen sind Const. IV passim. 33 1. Andreas Calandrinus de Advocatis de Roma iudex, Rat und Hofrichter, Const. IV S. 660 Nr. 689, S. 710 Nr. 721, S. 759 Nr. 768; – 2. Andreas de Garretis de Ast doctor legum, ebd. S. 442ff. Nr. 487 u. S. 1457; – 3. Antonius de Bargeis iurisperitus, ebd. S. 442ff. Nr. 487 u. S. 1457; – 4. Antonius Surdus de Placentia professor legum, Hofrichter, ebd. S. 1048 Nr. 1005 u. S. 1457; – 5. Bartolus de Spoleto legum doctor, Hofrichter, ebd. 30
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gelehrter Jurisprudenz im Dienste der Königspolitik. Es war ein in dieser Intensität in der Romzugspraxis des deutschen Mittelalters vermutlich einmaliges Ereignis und wirft auch neues Licht auf die Respektierung von Heinrichs Unternehmen in Italien, ist aber nicht eigentlich ein Teil unseres auf das nordalpine Reich bezogenen Themas. 5. Aus der besonderen Situation des Luxemburgers kehren wir mit der gelehrten Umgebung Ludwigs des Bayern (1314–1347) zu den schlichteren binnendeutschen Verhältnissen zurück. Im Vergleich zur langen Dauer seiner Regierungszeit ist gegenüber Vorgänger und Nachfolger die Zahl der gelehrten Juristen des Wittelsbachers nicht allzu groß34. Die Herausforderung Ludwigs war anders beschaffen als diejenige Heinrichs VII., aber sie war nicht weniger schwerwiegend; und sie ist dieses Mal nicht sehr glücklich beantwortet worden. Gleich am Anfang scheiterte der Versuch, die beiden „Chefjuristen“ des Vorgängers, Johann von Finstingen und Heinrich von Geldonia, zu gewinnen35, was sich zweifellos politisch negativ ausgewirkt hat. Denn offenbar ist der Bayer gerade am Anfang seines großen Konikts mit der Kurie, den er besser nie begonnen hätte, juristisch nicht angemessen beraten worden36; später mochten auch die besten Rechtsgelehrten keinen Ausweg aus der Sackgasse nden. Daß als Personalreservoir praktisch allein Kleriker in Frage kamen, die der Gewissensentscheidung zwischen geistlicher und weltlicher Macht in deren leidenschaftlichem Gegensatz S. 703 Nr. 716 u. S. 1460; – 6. Ebrordus (Berordus) Laonius de Ast doctor legum, ebd. S. 442 Nr. 487, S. 465 Nr. 510 u. S. 1461; – 7. Homo de Peretulo doctor decretorum, ebd. S. 505f. Nr. 551 u. S. 1482; – 8. Johannes de Cancellariis de Janua professor legum, ebd. S. 660 Nr. 689 u. S. 1486 (mit Einschränkung); – 9. Johannes des Castilione Palastauditor, ebd. S. 726 Nr. 735 u. S. 1486, vgl. Bowsky, S. 289; – 10. Johannes Faseolus de Pisis doctor legum, ebd. S. 442ff. Nr. 487 u. S. 1486; – 11. Johannes Johannis Jacobi de Roma iudex, Rat und Hofauditor, ebd. S. 711 Nr. 721, S. 1058 Nr. 1515 u. S. 1486; – 12. Palmerius de Altovitis de Florentia legum professor, Rat und Hofrichter, ebd. S. 591 Nr. 631, S. 710 Nr. 721, S. 759 Nr. 768 u. S. 1459; – 13. Petrus Deodati de Tuderto legum professor, Hofrichter und Rat, ebd. S. 660 Nr. 689, S. 703 Nr. 716 u. S. 1501; – 14. Sanctus de Riparolo iudez, Rat, ebd. S. 711 Nr. 721 u. S. 1509; – 15. Schotus de Sancto Geminiano iuris civilis professor, Hofrichter, ebd. S. 1039 Nr. 965 u. S. 1509. 34 Es ist aber zu beachten, daß die zweite größere Hälfte seiner Regierungszeit quellentechnisch schlecht erschlossen ist. H. Lieberich, Kaiser Ludwig der Baier als Gesetzgeber, ZRG Germ. Abt. 76 (1959), S. 173–245, geht auf unsere Fragen nicht ein. 35 Const. V, ed. J. Schwalm, Hannover 1909–1913, Nr. 122 S. 123, vgl. Nr. 96 S. 94. 36 Namenlose iuris periti 1314, Const. V S. 60 Nr. 63 u. S. 67 Nr. 67. Unter den Appellationsteilnehmern 1323/24 dürften sich gelehrte Juristen befunden haben, doch läßt sich kein Nachweis führen (ebd. S. 641ff. Nr. 824, S. 655ff. Nr. 836, S. 727ff. Nr. 909f.). – Nicht am Hofe blieb Friedrich von Sulz, Bamberger Domherr, dr. decret., ebd. S. 754.
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besonders ausgesetzt waren, hat Ludwigs Möglichkeiten nicht gerade gemehrt. Immerhin waren vier (oder nur drei?) der Kanzler Ludwigs juristisch unterrichtet. Beim ersten jedoch, dem hochadeligen Hermann Hummel von Lichtenberg 37 (im Amt 1314 bis 1335, † 1335 als Bischof von Würzburg), war der Bologna-Aufenthalt gerade wegen seiner Standesqualität vermutlich eher etwas Formales. Im Jahre 1337 wurde der Bologneser Student Heinrich von Schönegg 38, Sohn einer oberschwäbischen Reichsministerialenfamilie, Kanzler und Bischof von Augsburg (im Amt wohl bis 1340, Bischof bis 1348, † 1368). Gewichtiger ist der Pariser Lizentiatengrad des hochadeligen Kirchenrechtlers Albert von Hohenberg39 (im Amt 1340–1342, † 1359, ebenfalls Bischof von Würzburg). Da offenbar der Freisinger Bischof Leutold Graf von Schaunberg (O.-Ö.) (Bischof 1342–1347, † 1355) anschließend Kanzler war, treffen wir auf einen weiteren Besucher Bolognas39a. Ludwigs Protonotar Ulrich Hofmeier aus Augsburg40, ein Bürgersohn, vermutlich als Laie oder bestenfalls als clericus conjugatus nach Hermann von Landenberg wohl wieder ein erster königlicher Jurist solchen Standes aus dem Binnenreich, war ein „eximius decretista“ Pariser Ausbildung (im Amt 1335–1346, schon 1331 secretarius, † 1346). Drei Notare der Hofkanzlei und der Königin (Otto von Donauwörth, Arnold Minnenpeck, Otto von Rain) haben – soweit man bisher sieht – in Bologna studiert41.
37 Const. V S. 687; Friedländer-Malagola, S. 55; Knod, S. 302; ADB 24, S. 878; H. Bansa, Studien zur Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern vom Tag der Wahl bis zur Rückkehr aus Italien (1314–1329), Kallmünz 1968, S. 227ff.; A. Wendehorst, Das Bistum Würzburg, Teil 2, Berlin 1969, S. 57ff. 38 Friedländer-Malagola, S. 55; Knod, S. 505; H. Zoep, Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter, München o. J. (1955), S. 284ff.; H. O. Schwöbel, Der diplomatische Kampf zwischen Ludwig dem Bayern und der römischen Kurie im Rahmen des kanonischen Absolutionsprozesses 1330–1346, Weimar 1968, S. 30, 39. 39 Schwöbel, S. 479; Wendehorst, S. 72ff. 39a Friedländer-Malagola, S. 76; Knod, S. 485. 40 Liber (wie Anm. 16) II, S. 146; vgl. Die Chronik des Mathias von Neuenburg, hrsg. v. A. Hofmeister, Berlin 1924–40, I, S. 140; II, S. 374 (MGH SS rer. Germ. n. s. IV); S. Riezler, Kaiser Ludwig der Baier, Meister Ulrich der Wilde und Meister Ulrich der Hofmeier von Augsburg, FDG 14 (1874), S. 1–17; A. Buff, Der Apotheker Claus Hofmeier . . . und Magister Ulrich Hofmeier, Protonotar Kaiser Ludwigs des Baiern, Zs. d. Hist. Vereins f. Schwaben u. Neuburg 16 (1889), S. 14–209; Schwöbel, S. 23ff., 490. 41 Otto v. D.: Friedländer-Malagola, S. 78f.; Knod, S. 622; Bansa, S. 267, vgl. Const. V S. 642f. Nr. 824, S. 754 Nr. 910; Schwöbel, S. 31 – Arnold: Friedländer-Malagola, S. 59, 61; Knod, S. 348f.; Bansa, S. 271f.; Schwöbel, 475ff. – Otto v. R.: Friedländer-Malagola, S. 80; Knod, S. 428; Schwöbel, S. 31.
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Für den Bereich außerhalb der Kanzlei waren die Versuche Ludwigs, in den Spuren seines Vorgängers in Italien mit italienischen Rechtsgelehrten zu wirken, offenbar von wenig Erfolg begleitet42. Glücklicher war der Kaiser mit einem anderen Schwaben, dem Bologneser Lizentiaten der Kanonistik Marquard von Randegg (im Königsdienst seit 1335, 1348–1365 Bischof von Augsburg, † 1381 als Patriarch von Aquileja)43. Marquard, dem seine Landsleute und ebenfalls ehemaligen Besucher des Bologneser Studiums Eberhard von Tumnau, sein Onkel, und Graf Ludwig von Oettingen junior zur Seite standen44, war als Rat und secretarius offenkundig der führende Jurist des Kaisers in den Verhandlungen des letzten Jahrzehnts mit der Kurie; gleichwohl hat er sich dadurch außerhalb der Wittelsbacher Partei erstaunlicherweise nicht kompromittiert. 6. Ludwigs Gegenkönig, Friedrich der Schöne von Habsburg (1314–1322, † 1328), dessen endliches Scheitern in den ersten Jahren schwerlich absehbar gewesen ist, verdient in unserem Zusammenhang insofern Beachtung, als er über das Intervall Heinrichs VII. hinweg und am bayerischen Rivalen vorbei die Linie der gelehrten Jurisprudenz Rudolfs und Albrechts ungebrochen weiterführte. Fürs erste war Friedrich, der auch für seine Person als der bisher am besten herangebildete König binnendeutscher Provenienz seit der Stauferzeit gelten kann, juristisch umfänglicher beraten als der Wittelsbacher. Friedrichs Kanzler wurde der uns schon bekannte Kanonist Johann von Zürich45, hingegen läßt sich für die Protonotare der königlichen Hofkanzlei kein Rechtsstudium nachweisen. Die auf Grund von Herrschertradition und Geographie naheliegenden Italienbeziehungen Friedrichs waren zum Teil dem secretarius Dr. legum Nicolaus de Rubeis von Treviso anvertraut, während der Kontakt zum Papsttum durch den Prokurator Dr. decret. Friedrich von Schärding gepegt wurde46. Der wichtigste Jurist außerhalb der Kanzlei war der secretarius Dietrich von Wolfsau aus einer Seckauer Ministerialenfamilie, Doktor beider Rechte einer unbekannten Universität, nach Johann von Finstingen, der möglicherweise französischer Zunge war, der nächste Träger dieses Titels und demnach vielleicht der erste deutscher Muttersprache im Dienst des spätmittelalterlichen
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Zum Hofrichter Lanfranc Corbi von Lucca: Bansa, S. 259f. Friedländer-Malagola, S. 73, 80, 82, 84; Knod, S. 429f.; Zoep, S. 295ff.; G. Wunder, Bischof Marquard von Randeck (von Augsburg), in: Lebensbilder aus Franken und Schwaben 7, Stuttgart 1960, S. 1–17; Schwöbel, S. 25ff., 486f. 44 Friedländer-Malagola, S. 75; Knod, S. 586, 393; Schwöbel, S. 481, 486. 45 Vgl. oben Anm. 24. Protonotar vor der Königswahl war der studierte Berthold von Kiburg, zuletzt belegt 1312 (Stelling-Michaud, Juristes, S. 102f.). 46 Const. V S. 240 Nr. 278, S. 382 Nr. 467. 43
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Königtums, später Bischof von Lavant († 1322)47. Mit ihm kündigte sich ein neues königlich-habsburgisches Personalreservoir, neben dem bisher dominierenden schwäbischen, im Südosten an, das im 15. Jh. Bedeutung gewinnen wird. Es zeigt sich zum dritten Mal (nach Schwaben und dem äußersten Westen des Reiches), daß die Juristenrekrutierung durch das Königtum ähnlichen Regeln folgte wie große Teile der Adels- oder Schreiber- und Rechtspraktikerrekrutierung, d. h. gemäß den Schwerpunkten der Dynastie regional bestimmt war. 7. Für das erste Dreivierteljahrhundert des Spätmittelalters, auf welches wir nun in Kürze zusammenfassend zurückblicken, dürfte an der Tatsache kein Zweifel bestehen, daß das Königtum an den Früchten der etwa gleichzeitig zu datierenden „Entstehung des Juristenstandes“ in Mitteleuropa einen nennenswerten Anteil besessen hat, wenigstens soweit man bisher vergleichend urteilen kann48. Es treten vor allem folgende Einzeltatsachen hervor: a) Die Anzahl der gelehrten Juristen im Königsdienst war vorerst gering – in unsere bereinigte Statistik gehen 27 Namen nordalpiner Juristen und damit jedes dritte Jahr ein neuer Name ein; jedoch mußte der Hof nur selten ohne wenigstens einen ausgebildeten Rechtskenner auskommen. Vom rechnerischen Durchschnitt weichen König Adolf negativ und Heinrich VII. positiv ab. b) Das erste Tätigkeitsfeld der gelehrten Juristen betraf von Anfang an Führungspositionen in der Hofkanzlei, deren anspruchsvollste Aufgaben von Rechts- und Schreibpraktikern offenbar nicht voll bewältigt wurden. Der Weg von den leitenden Stellen der Kanzlei in den Königlichen Rat war kurz, und es gab schon sehr früh und bald fast regelmäßig rechtsgelehrte Räte auch außerhalb der Kanzlei. Unter den Aufgaben dieser Gruppe ist die hochrangige Diplomatie, besonders die Kuriendiplomatie, am deutlichsten erkennbar. Gelehrte Rechtsprechung für den König ist nur in Italien anzunehmen, das deutsche Gerichtswesen des Herrschers funktionierte bekanntlich auf andere Weise49.
47 A. A. Strnad, Dietrich von Wolfsau, Carinthia I 155 (1965), S. 367–405, vgl. Liber (wie Anm. 16) II S. 60, Const. V S. 325 Nr. 388, S. 418 Nr. 520. 48 Außer der oben in Anm. 1 genannten Lit. K. Wriedt, Das gelehrte Personal in der Verwaltung und Diplomatie der Hansestädte, Hans. Geschbll. 96 (1978), S. 15–17, zum Papsttum vorerst Bresslau, I, S. 323. – Der Begriff „ Juristenstand“ ist hier wie anderswo in diesem Text abkürzend und nicht als sozialgeschichtliche Kategorie gebraucht. 49 Zuletzt U. Rödel, Königliche Gerichtsbarkeit und Streitfälle der Fürsten und Grafen im Südwesten des Reiches 1250–1313, Köln 1979.
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c) Gelehrte Juristen waren fast ausnahmslos Kleriker mit einer oft erfüllten Hoffnung auf eine erfolgreiche Pfründenkarriere, die recht häug (bei jedem dritten) im Bischofsamt gipfelte. d) Es überwog die italienische, aber wesentlich war auch die französische gelehrte Ausbildung, die in hohem Maße von Angehörigen des niederen Adels ministerialischer Herkunft, also zweifellos im Hinblick auf das gewohnte Modell der Kirchenkarriere dieser Gruppe, wahrgenommen wurde. Die Stadt als Herkunftsort war vorerst nur gering vertreten und dann meist durch Stadtadel, der dem Landmilieu nicht fernstand. e) Es gab im Reich keine einheitliche, übergreifende Juristenlandschaft, an die sich das Königtum hätte rekrutierend wenden können. Vielmehr handelte es sich um einige mittelgroße Bereiche mit bisher starker Vorherrschaft Schwabens, die auf Grund der jeweiligen regionalen Verankerung der Herrscherdynastie als „vorgewählt“ erscheinen. Innerhalb dieser Landschaften bestand dann von König zu König, besonders nach dynastischen Voraussetzungen, eine recht deutliche Kontinuität, ein wesentliches Stück jener Verfassungsstetigkeit, die das Reich ungeachtet aller Krisen mitzusammenhielt. B. (1346–1410/1419) Der zweite Zeitabschnitt unserer Thematik umfaßt mit den Regierungszeiten Karls IV. (1346–1378), Wenzels (1378–1419) und Ruprechts (1400– 1410) eine Periode mit vielfach neuartigen Wesenszügen, von denen als ein Hauptmerkmal nur die jetzt einsetzenden Gründungen deutscher Universitäten und deren allmählich auch für unseren Zusammenhang erkennbare Folgen genannt seien. Die Zahl der gelehrten Juristen im Königsdienst nahm beträchtlich zu, und dies korrespondierte mit einer komplizierter und differenzierter werdenden innenpolitischen Szenerie. Beide luxemburgischen Könige haben eine vorzügliche Ausbildung genossen und vermochten den Wert gelehrter Jurisprudenz zweifellos aus eigener Kompetenz zu beurteilen, auch der pfälzische Wittelsbacher war aus unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Universität mit diesem Gegenstand vertraut. 1. Wir behandeln zunächst die Hofkanzleien Karls und Wenzels. Der neue territoriale Ausgangspunkt, die böhmischen Länder50, über welche 50 Um 1300 schon gab es ansehnliche gelehrte Juristen am Prager Hof: E. Ott, Das Eindringen des kanonischen Rechts, seine Lehre und wissenschaftliche Pege in Böhmen
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dynastische und königtumsbezogene Attraktivität zumindest bei Karl IV. weit hinausgriff, unterschied sich im Hinblick auf das Studienverhalten bei Niederadel und Kirche kaum von den uns bisher bekanntgewordenen Verhältnissen – ein West-Ostgefälle innerhalb des Reiches gab es nicht mehr. Im Gegenteil: Etwas Neues und „Modernes“, das bei Ludwig dem Bayern erst anklingt, tritt jetzt in das helle Licht der Überlieferung: Mit der gelehrt-juristischen Qualikation wird fortan beim König erfolgreich eine zweite wesentliche Verwaltungsqualikation wetteifern, die Leistung einer auf dem Großbürgertum wichtiger oberdeutscher Reichsstädte und der führenden ostluxemburgischen Territorialstädte fußenden Wirtschafts- und Finanzelite, die gerade das Regierungssystem Karls IV. stärker prägen wird als die gelehrten Juristen51. Man kann schwerlich entscheiden, welcher dieser beiden Aspekte im Hinblick auf den Erfolg der Zentralgewalt wichtiger gewesen ist, und man braucht kaum zu betonen, als wie wesentlich sich die Fortentwicklung oder Krise jeder von beiden „Eliten“ für das Königtum erwies. Die meisten Hofkanzler der beiden Luxemburger, darunter auch der bekannte Johann von Neumarkt, und eine Reihe weiterer Kanzleimitglieder gehörten der ökonomischen Elite an und sind demgemäß wohl auch zugleich als rechtspraktisch informiert anzusehen, Johann hatte immerhin auch Kontakt zum einen oder anderen italienischen Juristen von Rang. Nur eine Minderheit der Kanzleiangehörigen Karls IV. hat gelehrte Jurisprudenz studiert oder gar das Studium abgeschlossen; so wird auch das Gewicht dieses Studiums für die Geltung am Hofe kaum sehr zugenommen haben. Gleichwohl kennen wir im Vergleich zur älteren Periode von nun an unverhältnismäßig mehr Kanzleibeamte mit dieser Ausbildung, neue Quantitäten scheinen sich ohnehin insgesamt in der Verwaltung geltend zu machen. Freilich bleibt vieles Wichtige nach wie vor unbekannt, z. B. die Identität der gelehrtjuristischen Mitautoren der Goldenen Bulle von 1356 oder das Verhältnis gut bekannter Juristen zum Hofe52.
und Mähren während des Mittelalters, ZRG 34 Kan. Abt. 3 (1913), S. 1–107; F. Tadra, Kulturní styky nech s cizinou ahdo válek husitských, Praha 1897; O. Peterka, Ursachen und Wege der Rezeption des römischen Rechtes in Böhmen und Mähren, in: Prager Festgabe für Th. Mayer, Freilassing 1953, S. 37–55; F. Kavka, Die Hofgelehrten, in: Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hrsg. v. F. Seibt, München 1978, S. 249ff. 51 Zur Kanzlei Karls vgl. P. Moraw, Räte und Kanzlei, in: Kaiser Karl IV. (Anm. 50), S. 285–292, 460. 52 B. Hergemöller, Der Nürnberger Reichstag von 1355/56 und die „Goldene Bulle“ Karls IV., Diss. Münster 1978. – S. Krüger, Lupold von Bebenburg, in: Fränkische Lebensbilder 4, Würzburg 1971, S. 49–86.
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a) Eine erste Gruppe von Rechtsgelehrten der karolinischen Kanzlei entstammte dem Umkreis des vorzüglichen Verwaltungsfachmanns Erzbischof Balduins von Trier aus dem Hause Luxemburg, des Bruders Kaiser Heinrichs VII. und Karls Großonkels, der selbst Pariser Student gewesen war. Dazu gehörte zunächst Dietmar Maul von Meckbach53 aus thüringisch-niederhessischem Niederadel, der eine französische Juristenausbildung ohne Abschluß genossen hatte und nach einer Tätigkeit für Balduin und nach Arbeiten für König Johann von Böhmen, den Vater Karls IV., in dessen Kanzlei er 1342 und vor allem 1347 bis 1351 und 1354 nachweisbar ist; als Kanzler des luxemburgischen Fürstentums Breslau und Inhaber hoher Kirchenpfründen wird er seine von hoher Verwaltungskunst zeugende Karriere beenden. Aus dem gleichen Kreis stammten der Bakkalar des römischen Rechts einer unbekannten, wohl französischen Universität Johann Gauer von Oberwesel54 aus mittelrheinischem Niederadel (mit zeitlichen Lücken Notar Karls von 1349 bis 1364) und Rudolf Rule aus Friedberg55, Student in Bologna, daraufhin „in iure canonico peritus“ und Besitzer einer juristischen Bibliothek, Großbürger aus der wetterauischen Reichsstadt, auf führendem Kanzleiposten 1354–67, der im Königsdienst als Bischof von Verden starb. Hierzu zählen ferner Johann von Montabaur († 1370)56, Doktor des Kir-
53 RI VIII, hrsg. u. ergänzt v. A. Huber, Innsbruck 1877, S. XL, XLII. Erstes Ergänzungsheft, ebd. 1889, S. VII; G. Keil, in: Verfasserlexikon 22, Berlin 1978, Sp. 98–100; Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia (fortan MVB) I, ed. L. Klicman, Praha 1903, Nr. 46, 449f., 1061; G. Schindler, Das Breslauer Domkapitel von 1341–1417, Breslau 1938, S. 287ff.; L. E. Schmitt, Untersuchungen zur Entstehung und Struktur der „neuhochdeutschen Schriftsprache“, Bd. 1, Köln 1966, S. 647. 54 MVB I Nr. 1156f.; III ed. F. Jenšovsky / V. Jenšovska, Praha 1944–54, Nr. 321; RI VIII S. LXIII; Ergänzungsheft, S. VIII; Schmitt, S. 18, 210f. 55 Belege bei W. Küther, Rudolf Rule von Friedberg, Propst zu Wetzlar, Bischof von Verden und Notar Kaiser Karls IV. Arch. f. hess. Gesch. u. Altertumskde. NF 37 (1979), S. 79–151, Zitat S. 131. Eine Schwester heiratete in die Frankfurter Juristenfamilie Frosch, deren Mitglied Wicker 1360 den ersten bekannten kaiserlichen Adelsbrief wegen seiner hervorragenden juristischen Fähigkeiten erhielt (RI VIII Nr. 3329), doch wohl auch ein Zeugnis für die Beachtung der gelehrten Jurisprudenz am Hofe. Der Kleriker Heilmann Frosch, vielleicht auch Jurist, hatte einst 1324 die Sachsenhausener Appellation Ludwigs des Bayern mitbezeugt (Const. V Nr. 910 S. 754). Vgl. auch L. M. Euler, Urkunden zur Geschichte der Familie Frosch, Arch. f. Frankf. Gesch. u. Kunst N. F. 4 (1869), S. 298–336, bes. 313f. Vgl. zu einschlägigen Kanzleiformularen, die leider ohne Namensnennung überliefert sind, den Collectarius perpetuarum formarum des Johannes de Geylnhusen, ed. H. Kaiser, Innsbruck 1900, S. 15 Nr. 20f., S. 48f. Nr. 50f.: Gemeint sind, soweit Legisten angesprochen werden, wahrscheinlich immer noch Italiener. 56 MVB III Nr. 541, 607, 823; RI VIII, S. XLII, Ergänzungsheft S. VII; H. Gensicke, Die von Montabaur, Nass. Ann. 68 (1957), S. 233–245.
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chenrechts (der einzige dieses Ranges in der Kanzlei Karls IV.) wohl aus kurtrierischer adeliger Burgmannenfamilie, secretarius Karls und 1365–68 in der Kanzlei beschäftigt, sowie der Bakkalar des Kirchenrechts und Protonotar Konrad von Geisenheim57 aus einer Kurmainzer Burgmannenfamilie der mittelrheinischen Burg Lahneck, im Dienst mit Beleglücken von 1358 bis 1376, dann 1379 Bischof von Lübeck, und wohl zwei untergeordnete Kanzleibeamte58. Ebenso klar, wie diese im wesentlichen mittelrheinische in sich nachweislich kohärente Gruppe hervorgehoben werden kann, erkennt man als einen zweiten Kreis einige schlesische Notare um den Kanzler und Breslauer Bischof Preczlaus von Pogarell (im Amt 1351–53/54) († 1376)59, der – aus schlesischer Herrenfamilie stammend – gleichzeitig mit manchen uns schon bekannten Juristen des Königs in Bologna geweilt hatte, der einzige Kanzler Karls IV., der nachweislich studiert hat. Preczlaus’ Landsmann und Standesgenosse Ulrich Schoff 60 (d. i. Schaffgotsch) war vier Jahre in der Kanzlei tätig, ehe er in jungen Jahren verstarb (1358); zuvor war er Scholar des Kirchenrechts einer unbekannten Universität gewesen. Ein Landsmann war auch Johann von Frankenstein61, wohl bürgerlicher Herkunft, Notar und Protonotar der Hofkanzlei (1361 bzw. 1363–1368), „peritus in iure canonico“ ohne Studienbeleg und zeitweise bischöicher Ofzial. Der gleichen Gruppe gehörten der erste im Königsdienst bezeugte Scholar des Kirchenrechts einer deutschen Universität an, Nikolaus von Posen62, der in Prag und
57 MVB II ed. J. F. Novák, Praha 1907, Nr. 1214, 1228, 1267; MVB III Nr. 36, 383, 541; Repertorium Germanicum II, bearb. v. G. Tellenbach, Berlin 1933–61, Sp. 5, 17, 610, 820; Schmitt, S. 15, 29, 93, 111. 58 Volpertus (Volzo) von Worms, Jurastudent einer unbekannten Universität, öff. Notar und Registrator der Hofkanzlei 1355–1374 (mit Lücken): RI VIII, S. XLI, Ergänzungsheft S. VI; MVB IV Nr. 393, 422, 538. Vgl. auch zu R. Losse unten bei Anm. 93. Diesem nahe stand vielleicht der in Bologna gewesene Gerung Hartmanni von Melk, im Königsdienst 1346–1348 (Friedländer-Malagola, S. 109; Knod, S. 392; RI VIII S. XLII, Ergänzungshefts S. VII.) 59 RI VIII S. XLVI, 644, 672; Ergänzungsheft S. VIII, 813, 821; MVB I S. 942, II S. 620, III S. 221 (Reg.), IV S. 883; K. Eistert, Beiträge zur Genealogie des Breslauer Bischofs Preczlaus von Pogarell (1299–1376), Archiv f. schles. Kirchengesch. 20 (1962), S. 226–290. 60 MVB I S. 913, II S. 627; Schindler, S. 339f.; J. v. Witzendorff-Rehdiger, Die Schaffgotsch, Jb. d. Schles. Friedrich-Wilhelms-Univ. zu Breslau 4 (1959), S. 104–123. 61 MVB II Nr. 67, 79, 672f., 973f., III Nr. 110f., 541, 576, 823; RI VIII S. XLIII; Ergänzungsheft S. VI. 62 MVB I Nr. 1181f., II Nr. 1090; III Nr. 167, 175, 267; IV Nr. 127, 1116f.; V Nr. 1027, 1468; Rep. Germ. II Sp. 539, 937; RI VIII S. XLIII, Ergänzungsheft S. VII; Verfasserlexikon 2 (1936), Sp. 404ff.; Schindler, S. 320f.
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in Bologna studiert hatte und in der Kanzlei 1367/68 und 1374–78 arbeitete, sowie schließlich auch Nikolaus von Krappitz63 (Oberschlesien), Student der Kanonistik in Padua und damit erstmals mit einem gesicherten Italienaufenthalt außerhalb von Bologna, 1366–1368 in der Kanzlei nachweisbar. Über diese beiden größeren Kreise hinaus läßt sich der verbleibende Teil der gelehrten Juristen der Hofkanzlei fast ohne Rest zwei ganz kleinen Gruppen zuordnen: Zwei Juristen aus Kleinstädten Mährens und Böhmens sind als Schüler Johanns von Neumarkt aufzufassen. Nikolaus von Kremsier64, der Protonotar und „iuris peritus“ unbekannter Ausbildung († 1364), der 1354–63 tätig war, und Johann von Leitomischl 65, der von 1355–58 als Registrator arbeitete. Erst nach dieser untergeordneten Kanzleitätigkeit, für die er rechtspraktisch und/oder vielleicht artistisch ausgebildet worden war, absolvierte er ein Rechtsstudium in Padua, kehrte als Lizentiat des Kirchenrechts zurück und wurde in Prag zum Doktor promoviert. Er begann dann eine zweite Laufbahn als secretarius, auch Kapellan und Kuriendiplomat des Kaisers; zuletzt war er Generalvikar des Erzbistums Prag. Es sei darauf hingewiesen, daß dies ein Karrieretypus war, der hier erstmals klar erkennbar ist und immer wieder auftreten wird. Diejenigen Kräfte, die Johann von Neumarkt in der Kanzleiführung ablösten, werden ebenfalls in Gestalt gelehrter Juristen erkennbar. Es waren dies der Nachfolger Johanns, Nikolaus von Riesenburg66 (im Amt 1370/71–78, auch wenn er den Kanzlertitel nie geführt hat) aus dem Ordensland Preußen, nichtgraduierter Rechtsstudent von Padua, später Bischof von Konstanz und Olmütz († 1397), und sein Landsmann Dietrich Damerow67 sehr wahrscheinlich aus Elbinger Ratsherrengeschlecht, Student in Paris und Bakkalar beider Rechte, 1372–76 secretarius und Protonotar, seit 1379 Bischof von Dorpat (resigniert 1400). Zuletzt ist Ulrich von Sulzbach (Opf.)67a
63 MVB I Nr. 1115; III Nr. 167, 178, 408, 800, 1030; RI VIII S. XLIV, Ergänzungsheft S. VIIf.; Schindler, S. 260f. 64 MVB II S. 556; III S. 57 (Reg.); RI VIII S. XLIII; Ergänzungsheft S. VII. 65 MVB I Nr. 594; II S. 558; III S. 113 (Reg.); IV S. 740; V Nr. 58; Schindler, S. 270ff. 66 MVB III Nr. 94, 96, 429, 1140, 1145; IV Nr. 615, 673, 686, 741(?), 807; V S. 1411; RI VIII S. XLIVf., Ergänzungsheft S. VIII, Schindler, S. 331ff. 67 MVB III Nr. 377; IV Nr. 861, 898, 1035, 1038, 1095; V Nr. 1; Denifle-Chatelain, S. 969; Rep. Germ. II, Pers.-Reg. Sp. 293; RI VIII S. XLIV, Ergänzungsheft S. VII; Schindler, S. 203ff.; B. Jähnig, Zur Persönlichkeit des Dorpater Bischofs Dietrich Damerow, Beitr. zur Gesch. Westpreußens 6 (1980), S. 5–22. 67a Monumenta Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis (fortan MUP) II, 1 Pragae 1834, S. 60; Schindler, S. 361f.
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zu nennen, der als Kanzleibeamter von zwei oder drei Gemahlinnen Karls IV. in späteren Jahren (1371) ein Jurastudium in Prag aufnahm und es zu ansehnlichen Kirchenpfründen und zum Doktorat des Kirchenrechts brachte. b) In der Kanzlei König Wenzels tritt zum ersten Male und damit wohl mit einer charakteristischen Phasenverschiebung von einer Generation die Bedeutung der am Hauptsitz der Königsdynastie gelegenen Universität ganz klar hervor, und damit zeigt sich zugleich eine wachsende Regionalisierung des Studiums und wohl auch eine gewisse, wenn auch nicht gleichmäßig fortschreitende Öffnung der Kanzlei für sozial tiefer stehende Personen. Es gab im Zeitalter Wenzels kaum einen führenden Kanzleibeamten mit gelehrter juristischer Ausbildung, der nicht unter anderem auch in Prag studiert hat, wenngleich das Auslandsstudium besonders in Italien – nach der mit dem Andauern des Schismas immer wirksamer gewordenen Aussonderung der französischen Universitäten – ein gesuchter Ausweis blieb. Auch das neue Moment einer „reifer“, d. h. geistiger gewordenen Elite und der vermutlich ältere, jetzt aber immer deutlicher erkennbare Aspekt der sozialen Kohärenz unserer Personen treten hervor, wofür je ein Beispiel geboten sei: Der Hofkanzler Johann von Jenzenstein (im Amt 1378/79 bis spätestens 1384), Erzbischof von Prag 1379–139668, ein später Sproß des ins landadelige Milieu aufsteigenden führenden Prager Finanz- und Wirtschaftsbürgertums, das mit Karl IV. eng verbunden war, hatte nacheinander in Prag, Padua, Bologna, Montpellier und Paris studiert und zwar nicht nur in Form einer Kavalierstour: er hatte das Bakkalaureat des Kirchenrechts erworben und wird später als Autor hervortreten. Eine solche Ausbildung verhinderte zwar nicht sein politisches Scheitern in der sich immer mehr krisenhaft verformenden böhmischen Innenpolitik, vermag jedoch den Wandel der Verhältnisse im hofnahen Großbürgertum (und nicht nur hier) seit der Welt Ludwigs des Bayern fünfzig Jahre zuvor anschaulich zu machen. Zwischen 1381 und 1385, unmittelbar vor der entscheidenden Königskrise, traf sich an der Prager Juristenuniversität eine Anzahl von jungen
68 J. Le Goff, Un étudiant tchèque à l’université de Paris au XIVe siècle, Revue des études slaves 24 (1948), S. 143–170; R. E. Weltsch, Archbishop John of Jenstein (1348–1400), The Hague 1968; I. Hlavápek, Das Urkunden- und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 1376–1419, Stuttgart 1970; Sborník „ Jenštejn“, Praha 1978; J. Bujnoch, Johann von Jenstein, in: Karl IV. und sein Kreis, München 1978, S. 77–90.
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Leuten, die bald als gelehrte Juristen in Rat und Kanzlei Wenzels, Ruprechts und Sigismunds Bedeutung gewinnen sollten: vier Protonotare und drei Notare Wenzels, ein Protonotar und ein gelehrter Rat Ruprechts und ein Notar seiner Gemahlin, schließlich ein späterer Kanzler Sigismunds69. Der Knoten- und Verdichtungspunkt „Universität“, der für die Rekrutierung gelehrter Juristen des Königtums und für die allmähliche Entstehung einer „politischen Gruppe“ im Gesamtreich so bedeutungsvoll war, tritt damit erstmals im Reich, wie schon zuvor in Italien, klar hervor. Von den späteren Kanzlern und Kanzleileitern Wenzels war der Bamberger Bischof Lamprecht von Brunn70 (im Amt 1384) aus elsässischer Niederadelsfamilie Bakkalar des Kirchenrechts einer unbekannten Universität, und Erzbischof Albrecht von Magdeburg aus dem hochadeligen Hause Querfurt 71 (im Amt 1395 und wieder 1396) hatte nach Studien in Bologna und Prag den gleichen Grad erworben; nach dem Erlöschen des Kanzleramtes in der Endzeit des Königtums Wenzels waren Kanzleileiter die beiden Protonotare Johann Münzer aus Bamberg, Sohn einer Großbürgerfamilie und Student der Prager Juristenuniversität72 (im Amt 1403–1419), und Johann Weilburg von Weida73 (im Amt 1413 [1412?]–1419), offenbar erstmals in unserem Bereich doctor decretorum allein Prager Provenienz; er stammte aus dem einst von der Kanzleitechnik Balduins von Trier beeinußten Teil Mitteldeutschlands, war zuvor Vorsteher der Kanzlei der Prager Altstadt und Professor der Prager Juristenuniversität. Eine solche Verbindung von zwei oder drei an sich verschiedenartigen Karrieren ist allerdings nicht nur nicht typisch, sondern ist als eines der zahlreichen Merkmale der Krise Wenzels anzusehen. Die Bedeutung des Jurastudiums für die Durchschnittskarriere der Protonotare Wenzels war im Vergleich zur karolinischen Ära nicht wesentlich verändert; ihr Studienverhalten ist allerdings gemäß der schon festgestellten allgemeinen Tendenz zur stärkeren regionalen 69
MUP II, 1 S. 2, 11f., 37f., 68ff. Hlavápek, Urkundenwesen, S. 489; K. Hitzfeld, Lambert von Brunn, Abt von Gengenbach (1354–1374) und Fürstbischof von Bamberg, ein großer Staatsmann, Die Ortenau 57 (1977), S. 166–195; I. Hlavápek, Lamprecht von Brunn, Bischof von Bamberg, in: Fränkische Lebensbilder, 3, Neustadt/Aisch 1980, S. 46–60. 71 Friedländer-Malagola, S. 132; Knod, S. 426; MUP II, 1 S. 214; Hlavápek, Urkundenwesen, S. 489. 72 MUP II, 1 S. 70; Hlavápek, Urkundenwesen, S. 488. 73 MUP II, 1 S. 6, 16; Hlavápek, Urkundenwesen, S. 490; R. Zelený / J. Kadlec, Uoitele pravnické fakulty a pravnické univerzity prahské v dobî p®edhusitské (1349–1419), Historia universitatis Carolinae Pragensis 18 (1978), S. 61–106, bes. 91. 70
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Bindung, also im Zusammenhang mit ihrer meist böhmischen oder mährischen Herkunft und wohl z. T. auch infolge ihres geringeren sozialen Ranges, stärker auf Prag hin zugespitzt. Dies galt für Martin von Gewitsch74 (im Amt 1379–1388), einem Beamten unklarer sozialer Provenienz (ob aus Niederadelsfamilie?), der sich in Prag bei den Juristen zumindest immatrikulierte, für Wlachnik von Weitmühl 75 aus dem böhmischen Zweig eines bekannten Niederadelsgeschlechts (im Amt 1396–1399), der in Padua und Prag ohne Abschluß Jurisprudenz gehört hatte, und für Wenzel von Olmütz76 (im Amt 1392–1401), Lizentiat des Kirchenrechts aus Prag. Zwei weitere Protonotare haben den artistischen Studienausweis, verbunden mit dem einen oder anderen indirekten (hier nicht mitgezählten) Hinweis auf juristisches Wissen77, so daß in dieser Generation luxemburgischen Königsdienstes jener für die praktische Kanzleiarbeit entscheidende Dienstgrad nicht mehr ohne Universitätsbesuch erreicht worden ist. Bei sechs Kanzleinotaren Wenzels kann man ein, jedoch ausschließlich Prager Rechtsstudium nachweisen78. 2a) Neben der Kanzleitätigkeit stand nach wie vor, auch mit quantitativ ansteigender Tendenz, die Aktivität gelehrter Juristen im königlichen Rat oder in verwandten Diensten. Bemerkenswert ist dabei zunächst, daß (anders als bei den Theologen) eine entsprechende Tätigkeit von Professoren der Prager Juristenfakultät bzw. -universität in nennenswertem Maße nicht nachgewiesen werden kann79, auch nicht bei dem bedeutenden Wilhelm Horborch79a. Vielleicht handelt es sich dabei wegen der geringen räumlichen Distanz auch um ein Quellenproblem, aber
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MUP II, 1 S. 35; Schindler, S. 224f.; Hlavápek, Urkundenwesen, S. 489. MUP II, 1 S. 37; Schindler, S. 379f.; Hlavápek, Urkundenwesen, S. 490. 76 MUP II, 1 S. 7, 11; Hlavápek, Urkundenwesen, S. 489. 77 Franz von Gewitsch: mag. artium und Breslauer Kapitelsrichter (Schindler, S. 222f.; Hlavápek, Urkundenwesen, S. 489). – Jakob von Beraun (MUP I, S. 503; vgl. Hlavápek, ebd. S. 488). 78 Bartholomäus von Neustadt, MUP II, 1 S. 38; Schindler, S. 295f.; Hlavápek, Urkundenwesen, S. 489; Heinrich von Imbremont, MUP II, 1 S. 180; Ludwig von Hartberg, MUP II, 1 S. 15 (?); Hlavápek, ebd. S. 221; Nikolaus von Gewitsch, MUP II, 1 S. 42; Hlavápek, ebd. S. 489; Paul von Tost, MUP II, 1 S. 104; Hlavápek, ebd. S. 490; Peter von Wischau, MUP II, 1 S. 32; Hlavápek, ebd. S. 490. 79 Vorerst Zelený-Kadlec passim. Eine genügende Spezialstudie über die Prager Juristenuniversität fehlt, so daß sich der Verf. in der Zukunft damit zu befassen gedenkt. – Es gibt Spuren von drei wohl nur kurzzeitig wirkenden italienischen Juristen: G. Novák, Gli Italiani a Praga e in Boemia, Rivista d’Italia anno 14 vol. 2 (1911), S. 525–548. 79a NDB 9, S. 622; G. Dolezalek in HRG II Sp. 237f. 75
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kaum um ein solches allein; denn die Dinge haben sich offenbar wirklich etwas anders verhalten als bei Ruprecht und Friedrich III. Auch daß dem großen Bartolus von Sassoferrato (1313–1357) der Ratstitel Karls IV. verliehen wurde80 (1355), ist kaum als etwas sehr Konkretes aufzufassen. Einen gewissen Ersatz für Universitätslehrer fand man offenbar in der heimischen Kirchenhierarchie. Die ranghöchsten geistlichen Räte Karls IV. waren die Prager Erzbischöfe, von denen Ernst von Pardubitz81 (1343–1364) aus böhmischem Rittergeschlecht nach Studien in Bologna den Grad eines Lizentiaten des Kirchenrechts in Padua erworben hatte, während Johann von Wlaschim82 (Erzbischof 1364–1378/79), einer Prager Großbürgerfamilie und damit dem wirtschaftspraktischen Milieu entstammend, anscheinend ohne Juristenausbildung aufstieg. Erst der schon erwähnte Johann von Jenzenstein, der uns an dieser Stelle nur für die Jahre vor seiner Kanzlerschaft und damit für seine Tätigkeit als Rat des Kaisers angeht, hat aus einer anderen, wohl eher „kulturellen“ Ambition heraus wieder das Rechtsfach gewählt. Aus der Umgebung der Erzbischöfe wurde Karl IV. bei Bedarf wenigstens zeitweise ein kirchlicher „Chefjurist“ zur Verfügung gestellt: Von der markgräichen Zeit an der einheimische Doktor des Kirchenrechts (?) Johannes Ducis mit dem sprechenden Beinamen „Paduanus“ und danach seine Landsleute Wilhelm von Leskau und Konrad von Wessel 83. In welch hohem Maße allerdings – wie vor und auch nach dem Zeitalter Karls IV. bis 1410/19 – die Kanzlei Zentrum der gelehrten Hofjurisprudenz blieb, zeigen erstens die relative Disparatheit aller übrigen studierten Rechtskenner im Hofumkreis, die sich kaum einigermaßen kompakten Gruppen zuordnen lassen, und zweitens der Verzicht Karls auf die romanische Juristentradition seines Vaters und Großvaters und damit auf ein altluxemburgisches Erbe. Zum ersten Punkt: Die relativ größte Gruppe bisher nicht erwähnter Juristen des Kaisers bestand aus auswärtigen rechtsgelehrten Bischöfen
80 RI VIII Nr. 2129. Vgl. H. Peter in HRG I Sp. 319f. und P. Weimar, Bartolus de Saxoferrato, in: Die Großen der Weltgeschichte, 4, Zürich 1974, S. 65–77. 81 Schindler, S. 244f.; J. K. Vyskopil, Arnošt z Pardubic a jeho doba, Praha 1947. 82 RI VIII S. 660, 671, 676; Ergänzungsheft S. 817, 823, 829. 83 Direkte Studienbelege und akad.-juristische Titel fehlen freilich bei den beiden letztgenannten, soweit wir sehen; die juristische Kompetenz ist aus der kirchlichen Funktion erschlossen und wird demgemäß für die Schlußbilanz nicht mitgezählt Johann: Vyskopil, S. 669. – Wilhelm: RI VIII S. 667; Ergänzungsheft S. 815, 819; MVB II S. 593f.; III S. 107, 216 (Reg.). – Konrad: MVB II Nr. 318f., 459; III S. 212f. (Reg.); IV S. 764, 784, 877; V Nr. 1, 83, 174.
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mit Ratsrang, die nach Aussage des Itinerars allerdings keineswegs regelmäßig zur Verfügung gestanden haben und daher hier nur mit Abstrichen in Anschlag gebracht werden dürfen. Es waren dies der uns schon bekannte Lizentiat Marquard von Randeck, bald Bischof von Augsburg und Patriarch von Aquileja84 (1348–65, 1365–81), der mit diesem verwandte Walter von Hochschlitz85 (Bischof von Augsburg 1365–1369), Student in Bologna ohne Abschluß, der bedeutende Lamprecht von Brunn86, dessen wir im Zeitalter Wenzels schon für die Kanzlei gedacht hatten, der an unbekannter Universität zum kirchenrechtlichen Bakkalar promovierte Eckard von Ders87, Bischof von Worms (1371–1405), und zuletzt der wissenschaftlich erfolgreichste und auch längere Zeit hofnächste Kirchenfürst, der nach Studien in Bologna, Perugia und Rom zum Doktor beider Rechte erhobene Peter Wurst ( Jelito)88 aus offenbar einfacher böhmischer Familie, den ein leider unbekannter Patron intensiv gefördert haben muß, päpstlicher Auditor, Bischof von Chur (1356–1368), Leitomischl (1368–1371), Erzbischof von Magdeburg (1371–1381) und Bischof von Olmütz (1381–1387)89. Kaum einer von diesen ist freilich nach allem, was wir wissen, auf Grund juristischer Gelehrsamkeit in den engsten Kreis der einußreichsten Königsdiener eingetreten, sondern stand bestenfalls an dessen Rand und zwar auf Grund politisch-persönlicher Qualikation; wohingegen außergewöhnliche Leistungen auf nanziell-wirtschaftlichem Gebiet, wie das Beispiel des Großbürgersohns Dietrich von Portitz, zuletzt Erzbischof von Magdeburg (1361–67), lehrt90, mitten in jene Spitzengruppe hineinzuführen vermochte.
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Vgl. oben Anm. 43. Zoep, S. 314ff. 86 Vgl. oben Anm. 70. 87 K. Wiemann, Eckard von Ders, Bischof von Worms, Diss. Halle 1895. 88 RI VIII S. 645, 673ff.; Ergänzungsheft S. 815, 822; MVB III S. 60 (Reg.); IV S. 801, 805; V S. 1389, 1393; O. Vasella, Bischof Peter Gelyto und die Entstehung des Gotteshausbundes, in: Festschrift 600 Jahre Gotteshausbund, Chur 1967, S. 43–90; Helvetia sacra I, 1. Schweizerische Kardinäle. Das apostolische Gesandtschaftswesen in der Schweiz. Erzbistümer und Bistümer, I, red. v. A. Bruckner, Bern 1972, S. 484f. 89 Gerhard von Schwarzburg, Rat und secretarius Karls und Wenzels, Bischof von Naumburg (1359–1372) und Würzburg (1372–1400), soll in Avignon studiert haben (er wird wegen der Unsicherheit des Belegs nicht mitgezählt): Wendehorst, 2, S. 111f.; H. Wießner, Gerhard von Schwarzburg, Bischof von Naumburg und Würzburg, in: Fränkische Lebensbilder, 8, Neustadt/Aisch 1980, S. 22–45. 90 P. Moraw, Zur Mittelpunktsfunktion Prags im Zeitalter Karls IV., in: Europa slavica – Europa orientalis. Festschrift f. H. Ludat, Berlin 1980, S. 445–489, bes. S. 469ff. 85
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Als Kapellan und secretarius Karls begegnen wir Otto von Wettin, der baccalaureus in decretis war. Mehrere Juristen sind allein als Kapellane greifbar: die Böhmen Odolenus von Wirsetz, Bakkalar des Kirchenrechts aus Montpellier, Dietrich von Saaz, ebenfalls kanonistischer Bakkalar, und Nikolaus von Pilgram, doctor decretorum, und die beiden Tübinger Dietrich und Konrad Last aus großbürgerlicher Familie nach Studien in Bologna und Padua, die sie u. a. mit dem noch zu erwähnenden Reimbold Vener aus dem unweit gelegenen Schwäbisch Gmünd, dem Rechtsberater König Ruprechts und Vater von dessen Kronjuristen Job Vener, in Beziehung brachten91. Bei diesen Personen herrscht leider über ihre konkreten Dienstleistungen die geringste Klarheit; sie mögen daher vor allem eine allgemeine quantitative Verbreiterung der juristischen Basis des Königtums erweisen helfen. Zum zweiten Punkt: Es ist sehr bezeichnend, daß die zuletzt von Johann von Böhmen in der Tradition Heinrichs VII. und nicht ohne Zusammenhang mit Kurfürst Balduin von Trier beschäftigte Gruppe (süd-)französisch ausgebildeter und/oder auf das Papsttum in Avignon bezogener, damit durch Distanz zum wittelsbachischen Kaisertum sich 1346/47 empfehlender Juristen nur in der Anfangszeit Karls Bedeutung gewann, insbesondere Gerald von Magnac, aber auch hier eher am Rand als im Zentrum92. Dies galt auch für die italienische Jurisprudenz und unterstreicht damit die vorwiegend binnendeutsche Verankerung der karolinischen Herrschaft, im klaren Gegensatz zum Großvater Heinrich und zum Vater Johann; der Schwerpunktwechsel nach Osten wirkte sich stärker aus als alte dynastische Zusammenhänge. Derselbe Zusammenhang entschied auch über den dank einer einmaligen Gunst der Überlieferung wohl am besten bekannten deutschen Juristen des 14. Jhs., über Rudolf Losse aus Eisenach93 († 1364) aus einer mitteldeutschen
91 Otto: MVB II Nr. 80, 90; III Nr. 186. – Odolenus: MVB IV Nr. 96 u. ö. – Dietrich: MVB III Nr. 518. – Nikolaus: MVB III S. 73, 254f. – Last: MVB III Nr. 37, 114. 92 Gerald war Lizentiat beider Rechte und Rat Johanns und Karls, nacheinander Diener mehrerer Herren in der Weise Heinrichs von Jodoigne (MVB I S. 864; Constit. VIII S. 758). Juristisch ausgebildet waren wohl auch – jedoch bei uns nicht mitgezählt – Mag. Wilhelm Pinchon (Const. VI S. 783; VIII Nr. 91f., 95ff.; Schindler, S. 315f.), Nikolaus von Luxemburg (Const. VIII S. 767) und der Italiener Johann von Pistoja (RI VIII S. 663, 678; Ergänzungsheft S. 817, 823; Const. VIII S. 762; MVB I S. 889), vielleicht auch der Hofkanzleinotar Nikolaus Sortes, der die großen karolinischen Urkunden von 1348 kaum ohne Kenntnisse in gelehrter Jurisprudenz abgefaßt haben wird. 93 Nova Alamanniae, hrsg. v. E. E. Stengel unter Mitwirkung von K. Schäfer, 1–2, Berlin 1921–1976, bes. Nr. 803, 805, 825, 928; K. Schäfer, Der Dank des Königs, in:
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Ministerialenfamilie mit städtischem Bürgerrecht. Losse, der bis 1349 Rat und Kapellan Karls IV. besonders als Fachmann für Kuriensachen war und zuvor schon Protonotar, Rat und Ofzial Balduins und Kapellan Johanns von Böhmen sowie einst Student im okzitanischen Montpellier gewesen ist, war auch ohne Graduierung ein anerkannter Jurist („iuris peritus“) und war ausgestattet mit hier einmal gut erkennbaren, aber wohl auch anderswo kaum ganz fehlenden erstaunlich dichtverzweigten Personenbeziehungen bis tief in die politische und juristische Welt des Reiches und nach Avignon hinein. Es ist wichtig, daß er – obwohl Deutscher von Geburt – für unseren Zusammenhang einem von Europas Südwesten her dominierten Juristentypus angehörte und demgemäß auch nicht am Hofe Karls verblieben ist. b) Wir kommen zu den Rechtsgelehrten König Wenzels außerhalb der Hofkanzlei, wobei angemerkt sei, daß der Einschnitt von 1378 weniger vom hösch-dynastischen Wandel geprägt war (politisch geurteilt liegt die Zäsur ohnehin eher 1384/85) als daß jenes Datum unser Thema durch den gleichzeitigen Ausbruch des Großen Schismas betrifft. Im Jahre 1378 setzte jedenfalls in der abendländischen Kirche eine Abfolge von wechselnden Polarisierungen ein, die neben der politischen auch die rechtsgelehrte Szenerie des Reiches mehr als zwei Generationen hindurch intensiv beeinußte. Durch Karriere, Traditionen, Überzeugung und immer wieder auch durch das Aufgabengebiet waren unsere Juristen nach wie vor auf König und Papst zugleich verwiesen. Auch für unser Thema ist die deutsche Geschichte dadurch von der Geschichte der Nachbarländer unterschieden, daß die zeitgenössischen Rechtsgelehrten das vergangene, gegenwärtige und künftige Geschick des Reiches als eines Gebildes ganz eigener Art erlebt und diskutiert haben. Wir können unter den Juristen Wenzels außerhalb der Hofkanzlei zwei kleine Gruppen unterscheiden, von denen die erste bewährte Traditionen des Vaters fortsetzte, die zweite hingegen auf das Neue dieser Generation verweist.
Kaiser Karl IV. 1316–1378, hrsg. v. H. Patze, Neustadt/Aisch 1978, S. 527–537; H.-G. Langer, Urkundensprache und Urkundenformeln in Kurtrier um die Mitte des 14. Jahrhunderts, AfD 16 (1970), S. 350–505; 17 (1971), S. 348–435. Losse war verwandt mit dem schon angeführten juristisch ausgebildeten Notar Dietmar Maul (wie oben Anm. 53) und mit dem Rat (ehrenhalber) Karls IV. Herbord von Bischofferode, Bakkalar der Dekrete und Vorstand der Leipziger Stadtkanzlei (Schmitt, S. 658); auch Nikolaus Sortes (vgl. Anm. 92) war wohl sein Klient.
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Soweit es das bald in die Krise geratene Verhältnis des Königs zu seinen heimischen Bischöfen noch zuließ, sind diese in der Regel als Räte mit mehr oder weniger politischem Gewicht aufgetreten. Juristisch belehrt oder ausgebildet (in Prag) waren darunter der Prager Erzbischof Konrad von Vechta94 (1413–1421/1431) wohl aus bürgerlicher Familie, ein Mann mit sehr bedeutendem Einuß am Hofe, und der Olmützer Bischof Johann Mraz95 (1397–1402), Doktor des Kirchenrechts einer unbekannten Universität, vielleicht aus einer niederadeligen Familie Böhmens. Die zweite Gruppe besteht aus drei gelehrten Juristen, die – obschon wiederum alle Räte des Königs – mit ihren grundverschiedenen Schicksalen bezeichnend sind für die krisenhafte Verwirrung einer bisher eher recht einheitlichen Königshandlung in Böhmen. Der Schwabe Johannes Naso96 aus einer nicht näher bestimmbaren ursprünglich Lindauer Familie, Jurastudent in Prag und Padua, Sohn eines nicht einußlosen Prager Hofbeamten, hat im Jahre 1402 den nördlich der Alpen immer noch ungemein seltenen Rang eines Doktors beider Rechte in Prag erlangt, für diesen Ort zum ersten Male – und zur gleichen Zeit, als dem führenden Juristen des Gegenkönigs Ruprecht, Job Vener, die gleiche Ehre in Bologna widerfuhr. Seit 1397 Kapellan, dann secretarius und Rat des Königs entschied sich Naso in der Huskrise für die Orthodoxie; er wird uns im Dienst Sigismunds wiederbegegnen. Wenn dies nicht ein früher Tod (1410) vereitelt hätte, würde sich wohl der aus einer führenden Breslauer Ratsfamilie stammende Hieronymus Seidenberg97, Doktor des Kirchenrechts nach einem Studium in Bologna (zusammen mit zwei Protonotaren Ruprechts) und päpstlicher Auditor, ähnlich entschieden haben, denn schon 1409 hatte er sich gegen die husfreundliche Politik Wenzels gewandt. Gerade die entgegengesetzte Position vertrat an führender Stelle der Böhme Sdenko von Labaun98,
94 I. Hlavápek, Konrad von Vechta, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Vechta, 1, Vechta 1974, S. 1–35. 95 K. Pohl, Beiträge zur Geschichte der Bischöfe von Olmütz, Diss. Breslau 1940, S. 44 f. 96 MUP II, S. 7, 43, 98; Monumenti della Università di Padova (1318–1405), raccolti da A. Gloria, t. 2, Padova 1888, S. 458; Die Matrikel der Universität Wien, I (1377–1450), Graz 1956, S. 94; RI VIII Nr. 5643, 5663; Deutsche Reichstagsakten (fortan RTA) Bd. 6, hrsg. v. J. Weizsäcker, 1888, S. 812; Helvetia sacra I, 1, S. 489. 97 MVB V S. 1462; Rep. Germ. II Sp. 553; RTA 6 S. 825; MUP II, 1 S. 102; Schindler, S. 344 f. 98 MUP I, S. 409; II, 1 S. 172; Documenta mag. Joannis Hus vitam, doctrinam, causam in Constantiensi concilio actam et controversias de religione in Bohemia annis 1403–1418 motas illustrantia, hrsg. v. F. Palacký, Prag 1869, S. 768.
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1395 Rektor der Prager Juristenuniversität und nach dem Umbruch von 1409 auch der Dreifakultätenuniversität, Rat, secretarius und Vertrauensmann Wenzels und ein Wortführer der Neuerung. 3. Das Jahrzehnt Ruprechts (1400–1410), des Gegenkönigs Wenzels, mit einer radikalen „geopolitischen“ Neuorientierung und Schwerpunktbildung im rheinischen Westen, weist einige recht ungewöhnliche Wesenszüge auf, zu deren interessantesten der Versuch gehört, gewissermaßen mit Hilfe immaterieller Mittel auszugleichen, was an materiellen Kräften fehlte. Hierzu zählt ein besonders hohes Maß an „Verwissenschaftlichung“, darunter auch Juridizierung des Hofes, während sich der Anteil der „Verwirtschaftlichung“ gegenüber der luxemburgischen Ära minderte. a) Der Hofkanzler Bischof Raban von Speyer99 (im Amt 1401–1410, † 1439 als Erzbischof von Trier) aus Kraichgauer Adel (Helmstatt) hat sich nach Studien in Heidelberg und Wien auch in Bologna aufgehalten, woher er ohne Graduierung zurückkehrte. Von den insgesamt sechs aktiven Protonotaren seiner Kanzlei sind zwei als Rechtspraktiker anzusehen, drei andere waren hochgraduierte Juristen, der letzte gelehrter Jurist ohne Abschluß. Dies ist – gemessen an der kurzen Dauer der Regierung – ein zuvor und danach unerreicht gebliebenes Ausmaß von „Verrechtlichung“ der Spitzenpositionen der Kanzlei, dem auch hier eine extrem geringe Vertretung des nanz-wirtschaftlichen Elements entspricht; hier ist wohl ein Kompensationsmoment im Spiel. An der Spitze jenes Quartetts stand Job Vener100 aus stadtadeliger Familie in Schwäbisch Gmünd bzw. Straßburg, Doktor beider Rechte nach Studien in Paris, Heidelberg und Bologna (im Amt 1401–1410, † 1447), der erste „Beamte“ dieses Ranges in einer Hofkanzlei des deutschen Mittelalters und einer der bedeutendsten Juristen im mittelalterlichen Königsdienst, Sohn des Rechtsgelehrten Reimbold Vener († 1408)101, der in Bologna und Paris ungraduiert studiert hatte, ein Klerikerjurist mit niederen Weihen, der verheiratet war und ebenfalls zeitweise im Wittelsbacher Königsdienst gestanden hatte; beide waren maßgebend
99 Friedländer-Malagola, S. 152; Knod, S. 194; P. Moraw, Kanzlei und Kanzleipersonal König Ruprechts, AfD 15 (1969), S. 428–531, bes. 454ff. 100 Moraw, Kanzlei S. 476ff. (mit den Belegen); A. Schmidt / H. Heimpel, Winand von Steg (1371–1453) . . ., Abh. d. Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl. N. F. 81, München 1977, S. 115; H. Heimpel, Die Vener von Gmünd und Straßburg (1162–1447), Anzeiger der phil.-hist. Kl. d. Österr. Akad. d. Wiss. 115 (1978), S. 1–15. Von dems. ist demnächst ein großes Werk über J. Vener zu erwarten. 101 Heimpel, Vener, S. 2ff.
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für die rechtliche Fundierung des so problematischen Wahlaktes von 1400. Job seinerseits gehört zu den wenigen Juristen, die Studienerfahrungen aus Italien und aus Frankreich aufwiesen, und war als erster Kanzleibeamter des Spätmittelalters papabilis (Wahl von 1417); erst sein Kollege Enea Silvio, kein Jurist, aus der Kanzlei Friedrichs III. wird allerdings das Ziel erreichen. Der Protonotar Eglolf von Knöringen aus schwäbischer Niederadelsfamilie (im Amt 1401–1404, † 1408)102 wurde nach Studien in Wien und Bologna Lizentiat des Kirchenrechts, sein Landsmann Ulrich von Albeck103, vielleicht aus verarmtem Adel stammend (im Amt 1401–1406), dann Bischof von Verden bis 1417 († 1431 als Bischof von Seckau), war nach Wiener Studien Doktor des Kirchenrechts einer unbekannten, wohl italienischen Universität. Der Protonotar Nikolaus Bumann aus Lauterburg104, ein Klient des Kanzlers offenbar städtischer Herkunft († 1402/03), hat in Prag, Rom, Heidelberg und Wien ohne Abschluß studiert, gewiß nicht nur in der Artistenfakultät. Ehrenhalber trug den Protonotarstitel schließlich der Prager Lizentiat des Kirchenrechts Friedrich Schafart aus Trier105. Als recht charakteristisch für die gelehrt-juristische Atmosphäre, die in den insgesamt verhältnismäßig engen Heidelberger Verhältnissen zusammen mit einem gelehrttheologischen Klima einen nach wie vor (land-)adeligen Hof beeinussen konnte wie niemals zuvor oder danach, ist folgende Tatsache anzusehen: Nicht weniger als viermal kann der Fall registriert werden, daß – nach dem Vorbild der Abfolge von Vater und Sohn Vener – Söhne von (in der Mehrzahl rechtspraktischen) Kanzleibeamten mit Erfolg die Laufbahn des gelehrten Juristen eingeschlagen haben, darunter auch mit dem Ergebnis einer Professur an der Heidelberger Juristischen Fakultät106.
102
Moraw, Kanzlei, S. 498ff. Moraw, Kanzlei, S. 485ff.; G. Wesener, Der Einuß des Bartolus de Sassoferrato in Österreich, in: Bartolo de Sassoferrato. Studi e documenti per il VI centenario, I, Milano 1962, S. 91–106, bes. 92f.; E. Kovács, Ulrich IV. von Albeck 1417–1431, in: Die Bischöfe von Graz-Seckau 1218–1968, Graz 1969. 104 Moraw, Kanzlei, S. 482ff. 105 Moraw, Kanzlei, S. 500f.; berichtigt durch F. J. Heyen, Das Stift St. Paulin vor Trier, Berlin 1972, S. 597ff. – Als Prager Student der Jurisprudenz ist der Notar Jakob Heimersheim von Alzey bezeugt (MUP II, 1 S. 64; Moraw, Kanzlei, S. 513). Johann Dorre von Landau († 1429), Notar, studierte nach seiner Kanzleitätigkeit in Heidelberg, Wien und Padua Jurisprudenz (lic. in decretis) (Moraw, Kanzlei, S. 511f.). 106 Es sind dies die Namen Stein, Weinheim, Kirchen, Dorre. Hierzu und zur Heidelberger Universität im 15. Jh. wird sich der Verf. demnächst in den Abh. d. Göttinger Akademie der Wiss. äußern. 103
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b) Damit kommen wir zu einer zweiten Besonderheit dieses Jahrzehnts. Unter den zehn Heidelberger Professoren, die – ein in dieser Dichte einmaliges Phänomen der deutschen Universitätsgeschichte des Mittelalters – als königliche Räte tätig waren, befanden sich neben sieben Theologen auch drei Juristen. Der wichtigste war der ehemalige Prager Bakkalar und Heidelberger Doktor Nikolaus Burgmann von St. Goar107 († 1443), es folgten der ebenfalls ehedem Prager Doktor Johann van der Noyt108 († 1434), ein Niederländer, und Nikolaus von Bettenberg109 aus Luxemburg († 1431/32), alle drei Kanonisten; übrigens war auch Job Vener, wenn auch nicht als „Lehrstuhlinhaber“, der Fakultät verbunden. Hinzu trat als ein vierter oder fünfter rechtsgelehrter Rat aus dem Universitätsmilieu der in Prag ausgebildete Würzburger Kanonist Dr. Johannes Ambundii110 aus Schwaan in Mecklenburg († 1424 Erzbischof von Riga). Sehr gering war die Zahl der weder an die Kanzlei noch an die Universität gebundenen Juristen. Längere Zeit wirklich beim König als Rat tätig war nur der Rigaer Erzbischof Johann von Wallenrode aus fränkischem Niederadel († 1419 als Bischof von Lüttich), Student in Bologna, der sich in seinem Sprengel nicht recht durchsetzen konnte und den Hofdienst vorzog; der Würzburger Bischof Johann von Egloffstein (1400–1411) aus fränkischem Niederadel, Rat Ruprechts, war Bakkalar des Kirchenrechts einer unbekannten Universität. Andere Juristen (Tilmann von Schmallenberg, Volmar Sack) dürften eher ehrenhalber mit dem Ratstitel ausgezeichnet worden sein111. Einzelgänger waren eben nach den sozialen Regeln der Hofgesellschaft meist „Zufallstreffer“, der Normalfall war die Rekrutierung durch Protektion und auf Grund von Anfang an festliegender sozialer Merkmale. 4. Wir fassen die für uns wesentlichen Merkmale des Zeitalters Karls IV., Wenzels und Ruprechts kurz zusammen: 1. Die Anzahl der gelehrten Juristen in Königsdienst verdoppelt sich im Durchschnitt
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Moraw, Rat (wie in Anm. 2), S. 114; Schmidt / Heimpel, S. 120f. Moraw, Rat, S. 116; Schmidt / Heimpel, S. 117. 109 Moraw, Rat, S. 117. 110 Ebd. S. 121; B. Jähnig, Die Rigische Sache zur Zeit des Erzbischofs Johannes Ambundii (1418–1424), in: Von Akkon bis Wien. Festschrift z. 90. Geburtstag von Althochmeister P. Dr. Marian Tumler O. T., Marburg 1978, S. 84–105. 111 Zu Wallenrode: Moraw, Rat. S. 119, u. B. Jähnig, Johann von Wallenrode O. T., Bonn 1970. Zu Egloffstein: Wendehorst, 2, S. 127ff. Zu Schmallenberg und Sack: Moraw, Rat, S. 122. 108
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gesehen im Vergleich zur Vorperiode ( jetzt 65 gegenüber zuvor 27 Namen), und zwar um 1350 in geradezu sprunghafter Weise: Die Dichte der Rechtsgelehrsamkeit am Hofe (neue Juristennamen je Regierungsjahr) verdreifacht sich auf dem Weg von Ludwig dem Bayern und Friedrich dem Schönen zu Karl IV., sinkt dann unter Wenzel wieder etwas ab und beträgt unter Ruprecht einen nie zuvor erreichten Wert, das Fünffache des Durchschnitts der Jahre von 1273 bis 1347. Diese bemerkenswerte Entwicklung ist freilich im Zusammenhang mit anderen ebenso beachtlichen Veränderungen zu beurteilen; denn es wäre z. B. ein Wettbewerb um Spitzenpositionen am Hofe mit dem wirtschaftlich-nanziellen Karrieretypus in luxemburgischer (nicht in wittelsbachischer) Zeit zuungunsten der Rechtsgelehrten entschieden worden (es tritt z. B. kein Großbürger mit gelehrter Rechtsausbildung aus der wirtschaftlich stärksten königsnahen Stadt des Zeitalters, aus Nürnberg, auf; dafür eine Anzahl anders ausgewiesener Nürnberger). Es beginnt sich aber deutlich abzuzeichnen, daß die Führungsposition des Protonotars in der Kanzlei fast regelmäßig ein Rechtsstudium erfordert. 2. Die Tätigkeitsfelder der gelehrten Juristen differenzieren sich, verändern sich jedoch innerhalb und außerhalb der Kanzlei nicht grundsätzlich. 3. Immer noch überwiegt in sehr hohem Maße die kirchliche Laufbahn. 4. Italienische und französische Ausbildung stehen weiterhin nebeneinander, jedoch gewinnt die Universität Prag als erste und längere Zeit einzige deutsche Hohe Schule für die Karriere allmählich ein ansehnliches Gewicht, wenngleich die Erfolgreichsten nur selten in Prag allein, vielmehr in der Regel auch oder nur im Ausland studiert haben. Die Professoren und damit die Universität als Institution spielen im Königsdienst erst unter Ruprecht eine größere Rolle. 5. Neben die niederadelige Abstammung der gelehrten Juristen tritt etwas deutlicher die Herkunft aus der Stadt und zwar recht häug aus führenden Familien, erstmals zeichnet sich damit in unserem Kreis ein allerdings „gleitender“ sozialer Wandel ab. 6. Weiterhin kann man die große Mehrzahl der Juristen einigen wenigen Herkunftsregionen zuordnen, dabei treten gemäß den alten und neuen Schwerpunkten der luxemburgischen Dynastie der Mittelrhein und die luxemburgischen Erblande im Osten hervor, während im Wittelsbacher Jahrzehnt wohl mangels eines entsprechenden Hausmachtreservoirs die alte Rolle Schwabens wiedererweckt erscheint.
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C. (1410/1419–1493) 1. Die Regierungszeit Sigismunds von Luxemburg (1410–1437), die am Anfang unserer dritten Periode steht, stellt bekanntlich innerhalb der spätmittelalterlichen Reichsgeschichte in vieler Hinsicht einen Sonderfall dar, sofern es nicht ohnehin für die Königshandlung dieses Zeitalters charakteristisch ist, daß sie von Sonderfall zu Sonderfall weiterschreitet (was infolge der hier gebotenen Konzentration leider uneingeordnet und unerklärt verbleiben muß). Als für unser Thema wesentliche Neuerungen sind anzuführen die keineswegs unwirksam gebliebene Personalunion mit den ungarischen Königtümern und die auch damit verbundene Öffnung des Hofes gegenüber dem Süden Europas111a, die so folgenreiche enge Verknüpfung der Aktivitäten Sigismunds mit den großen Konzilien auf deutschem Boden und schließlich die problematische, meist geringfügige Hausmachtbasis des Königtums im Reich. Dies alles ist der Forschung dem äußeren Umriß nach, wenn auch nicht immer in Funktion und Auswirkung bekannt; einiges andere Neue ist bisher unbekannt geblieben. Im ganzen gesehen tritt auch für unser Sachgebiet die Sonderstellung des letzten Luxemburgers klar hervor, die wohl zugleich die eigentümliche Doppelpoligkeit unserer Thematik kennzeichnen hilft: Diese wurzelt einerseits, wie wir jetzt noch einmal deutlich sehen, in jeweils recht unterschiedlichen konkreten Rahmenbedingungen der Zentralgewalt, ist aber andererseits auch – bisher mehr erahnt als festgestellt – in breiteren sozialen Prozessen verankert, die im großen eher kontinuierlich abliefen. a) Bemerkenswert für uns und wohl auch für die allgemeine deutsche Rechtsgeschichte ist zunächst die für das nordalpine Reichsgebiet gänzlich einmalige Rolle, die italienische Juristen gegenüber deutschen Belangen am Hofe Sigismunds gespielt haben. Der Höhepunkt liegt im Jahrzehnt nach dem Ende des Konstanzer Konzils; jedoch hat, sofern man einige Überlieferungslücken in Relation zur allgemeinen Quellenlage bewerten darf, der Luxemburger kaum jemals auf italienischen Juristenrat für das engere Reichsgebiet verzichten wollen. Vermutlich entstammt dieses Verhalten nicht nur der Hausmachtnot des Königs, sondern auch der nach Süden hin stärker geöffneten ungarischen
111a Vgl. jetzt M. Csáky, Humanitische Gelehrte am Hofe des Königs Matthias Cornivus, in: Regiomontanus-Studien, hrsg. v. G. Hamann, Wien 1980, S. 255–266 (SB d. Österr. Akad. d.Wiss., Phil.-hist. Kl. 364).
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Umwelt Sigismunds; jedenfalls schwindet es mit dem Ende der effektiven Phase der Personalunion nach 1437 wieder dahin. Die Rolle der Konzilien in diesem Zusammenhang sei vorerst dahingestellt112. Von 1412 bis 1416 arbeitete offenbar aus ungarischen in deutsche Zusammenhänge übergreifend Ottobonus de Bellonis de Valentia, Doktor beider Rechte (zunächst päpstlicher Auditor) als Rat, Gesandter und Hofauditor Sigismunds113. Sodann ist insbesondere von 1418 bis 1435, vielleicht daher bis zum Tode des Kaisers, Baptista Cigala114 aus Genua zu nennen, Ritter, Rat, Doktor des Zivilrechts (?) und Lehrer an der Wiener Universität. Von 1418 bis 1425 sind nebeneinander Dr. Omnebonus de Schola aus Padua115 und Dr. Peter Paul de Vergeriis aus Capo d’Istria116 nachweisbar. Auch jener war Rat und Ritter, wie anderwärts in unserer Gruppe; bei diesem müßte der Ratstitel auf Grund seiner Tätigkeit substituiert werden. Von 1424 bis 1428 wirkte Ludovicus de Cataneis aus Verona, Dr. legum und Rat117, der auch in ungarischen Zusammenhängen nachweisbar ist. Hierher gehören auch der königliche Fiskalprokurator Dr. Bartolus aus Pisa118, von dessen Amt wir noch sprechen werden, der 1425–31 bei Sigismund tätig war und in seiner Funktion als ratsgleich anzusehen ist, und schließlich die beiden Doktoren Johannes de Melanensibus aus Prato119 und Simon de Teramo120, die man 1424/25 und 1437 im Hofdienst beobachten kann, vielleicht auch Dr. Jakob Spinola wohl aus Genua121. 112
Eine Andeutung bei Trusen (Anm. 1), S. 203. H. v. d. Hardt, Magnum Oecumenicum Constantiense concilium, t. 5, Frankfurt 1699, Sp. 21; RI XI, bearb. v. W. Altmann, Innsbruck 1896/1900, Bd. 2, S. 467; RTA 7 S. 311; Acta Concilii Constanciensis 3, ed. H. Finke / J. Hollnsteiner / H. Heimpel, Münster 1936, S. 376; Haus-, Hof- u. Staatsarchiv Wien, Reichsregister E fol. 27r. „de Valentia“, dabei ist Valence a. d. Rhône weniger wahrscheinlich als Valenza (Prov. Alessandria). Vgl. Stadtarchiv Frankfurt a. M. Reichssachen Nachträge 962a f. 9. – Berücksichtigt sind hier nur italienische Räte, die nachweislich in Deutschland für den König gewirkt haben. (Andere RI XI Nr. 9223f.) Prinzipiell übergangen sind auch die ungarischen Diener Sigismunds, selbst wenn die Frage nach der Nationalität manchmal schwer zu beantworten ist. Weitere nichtdeutsche Gesandte Sigismunds mit juristischer Ausbildung (Legisten) Acta Concilii Constanciencis 3, S. 376f. 114 RI XI, 2 S. 479 (Rat Nr. 3092, Universitätslehrer 7718); RTA 11 S. 619. 115 RI XI, 2 S. 559. 116 RI XI, 2 S. 577. 117 RI XI Nr. 5804, 5894; RTA 10 S. 29, 77, 115ff. 118 RI XI, 2 S. 465; v. d. Hardt, 5, Sp. 25; U. Knolle, Studien zum Ursprung und zur Geschichte des Reichsskalats im 15. Jahrhundert, Diss. Freiburg/Br. 1965, S. 65ff.; ders., Fiskalat, HRG I, Sp. 1134f. 119 RI XI, S. 528 (Ratstitel muß substituiert werden). 120 Ebd. Nr. 12183. 121 Ebd. Nr. 4233a, vgl. 4615. Möglicherweise hat auch der secretarius und Protonotar Antonius Bartholomaei Franchi aus Pisa (d. Ä.) studiert, ein öffentlicher Notar, der 113
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Wir fragen wenigstens in Kürze nach Inhalt und Bedeutung dieser Tätigkeit. Dabei stellt sich heraus, daß es sich bei unserer Gruppe um die vermutlich ersten gelehrten Juristen im Königsdienst handelte, die im Reich außerhalb Italiens gerichtlich tätig waren, und daß es sich dabei vielleicht um die bis dahin am breitesten gefächerte Anwendung von Kaiserrecht (im Sinne römisch-rechtlichen Anspruchs) für nordalpine Belange handelte; es hat also ein König von Ungarn, welcher Sigismund auch noch nach 1410 eine Zeitlang in erster Linie war, auf diese Weise das Potential des Kaisertums stärker auszuschöpfen gesucht als seine Vorgänger und Nachfolger binnendeutscher Herkunft. Das Vorgehen des Urgroßvaters Heinrich VII. in Italien wurde erneuert, nur diesmal für das deutsche Regnum – vermutlich beide Male aus einer vergleichbaren Distanz von Subjekt und Objekt, die auch diesmal den Schritt zu neuartigen Handlungen erleichtert haben dürfte. Es war nicht die geringste der Wirkungen Reichs-Italiens auf ReichsDeutschland. Von dieser Aufgipfelung des Kaisergedankens (die für den „rex Romanorum“ als „imperator futurus“ ohne weiteres auch schon vor der Kaiserkrönung möglich war, wofür es nicht wenige Parallelen gibt) haben wohl deutsche Juristen einiges gelernt. Es geht hier klarer als je zuvor im nördlichen Reichsgebiet um den weltlich-legistischen Aspekt neben dem von uns schon oft berührten kirchlich-kanonistischen: beides ist im 15. Jh. präsent. Wie wir auch in anderem Zusammenhang zu zeigen suchten122, blieb demnach das „Reichs“-Potential des Hochmittelalters selbst nach längerer Latenz und ungeachtet einiger Wandlungen auch in unserer Periode erhalten, war immer wieder und keineswegs ohne Erfolg aktivierungsfähig und wird an das 16. Jh. weitergegeben werden. Es handelt sich um einen einzigen langfristigen Zusammenhang, zu dessen Höherbewertung man sich auch für unser Zeitalter entschließen sollte. Auch die Momente des Rechtsinhalts und des Rechtsverfahrens können wir hier nur andeuten. Zunächst ist wichtig, daß gleichermaßen im deutschen Regnum und in Ungarn für das Reich und über das Reich hinaus gehandelt wurde, daß dieses Rechtshandeln also herrscherund hofbezogen und -dominiert war und damit übergreifend wirkte, wie im Idealfall der König-Kaiser selbst – in höherem Maße als das 1413–1429 eng mit den Doktoren zusammenwirkte: RI XI, 2 S. 491; E. Forstreiter, Die deutsche Reichskanzlei und deren Nebenkanzleien Kaiser Siegmund’s von Luxemburg, Ms. Diss. Wien 1924, S. 38ff., vgl. S. 66f., zu Antonius d. J., ebd. S. 41. 122 P. Moraw, Reich (Antike und Mittelalter), künftig in: Historische Grundbegriffe, hrsg. v. O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck, Bd. 5, Stuttgart 1981.
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alte Königliche Hofgericht und eher dem etwa gleichzeitig erkennbar werdenden Königlichen Kammergericht vergleichbar. Behandelt und damit vielleicht auch nach römischem Recht entschieden wurden, soweit erkennbar, „politische“ Fälle: Sachen zwischen Reichsfürsten, Grafen, Niederadel und Städten123, d. h. interterritoriale Konikte und solche, die sich aus der Entfaltung der Landesherrschaft ergaben. Es ging aber auch um Streitfälle über die Reichsgrenzen hinaus, gegenüber Nordeuropa, wo es anders als im Westen des Kontinents keinen dem römisch-deutschen König vergleichbaren Gegenspieler gab, und zwar vermutlich im Sinne einer wiederum oder immer schon bedachten Weltkaiser-Position nach stauschem Vorbild, was legistisch gesehen selbstverständlich und konsequent war. Verfahrenstechnisch ist hervorzuheben, daß bis zu fünf gelehrte Juristen mit der Behandlung eines Falles befaßt sein konnten, unter denen meist nur ein einziger Deutscher war (zu diesen siehe unten). Es zeigt sich, daß anscheinend (mit Ausnahme der Beigabe von Dolmetschern)124 ohne Rücksicht auf Landesverhältnisse und Landesbrauch und ohne Landeskenntnis, d. h. auch in scharfem Gegensatz zu dem, was deutsche Rechtsauffassung war, „abstrakt-juristisch“ vom Rechtstext her gehandelt wurde – und damit wohl auch in hohem Maße ohne jene Fülle von Personenbezügen, -rücksichten und -belohnungen, die für das Funktionieren des Hofes sonst so charakteristisch waren. Was hier geschah, scheint nivellierend-neutral-„modern“ gewesen zu sein, war aber vielleicht doch etwas abseits von den Realitäten. Eine Erfolgskontrolle ist in unserem Zusammenhang nicht möglich. Im Blick auf diese ganze Thematik, die hier nicht weiter erörtert werden kann, ist vor allem festzuhalten, daß die habsburgischen Nachfolger Sigismunds solche Vorgehensweisen nicht fortgesetzt haben. Königliche Rechtsgelehrsamkeit war eben doch in hohem Maße substratbezogen, und die Substrate Sigismunds und Friedrichs III. waren grundverschieden. Allmählich wird indessen auch eine deutsche Legistik und mit ihr eine Teil-Laisierung der Rechtsgelehrten heranwachsen; auch Friedrich III. wird sich zumindest argumentativ des römischen Rechts bedienen; die Rechtsintensität wird sich nicht mindern, sondern mehren. Eine Grenze für königliche Rechtsübung wird am ehesten
123 Den Zugang zur Sache, der in den RI mangels Sachregister sehr erschwert ist, kann man am besten über die angeführten Juristen-Namen nden. 124 So offenbar RI XI Nr. 5804 in Gestalt zweier deutscher Notare.
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politisch gezogen werden: Der im 15. Jh. im Reich endlich siegreiche Dualismus wird auch über Tätigkeitsgebiete der gelehrten Jurisprudenz des Königtums mitentscheiden und wird zu einer spezisch deutschen Lösung führen. b) Von den Italienern kommen wir zu den Deutschen. Im Zusammenhang mit jenen und damit offenbar wenigstens zum Teil bei einem gleichartigen Wirken begegnet man nacheinander regelmäßig zwei und zwar nur zwei deutschen Räten Sigismunds, die als dementsprechend spezialisiert gelten können, Nikolaus Zeiselmeister125 und Nikolaus Stock126. Beide waren Doktoren der Kanonistik, die sich aber, was bekanntlich keineswegs ungewöhnlich ist, in unserem Zusammenhang legistisch betätigt haben. Zeiselmeister entstammte einer großbürgerlichen Familie aus dem Prag König Wenzels, hatte dort und in Padua studiert und dürfte wie Naso oder Seidenberg von den Erfahrungen des böhmischen Kirchen- und Nationalitätenkampfes geprägt worden sein; von dieser orthodoxen Seite her kam ohnehin das meiste zu Sigismund, was an innerdeutscher königsnaher Tradition gelehrter Rechtspege vorhanden war, und wird seine Rückwirkungen auf das königliche Handeln gezeitigt haben. Von 1418 bis 1425 war Zeiselmeister Hofjurist des Königs, danach bis in die dreißiger Jahre hinein päpstlicher Auditor, blieb aber im Kontakt mit seinem früheren Herrn. Der Glogauer Stock, Student in Krakau und Wien, wurde von 1427 bis 1435 in recht präziser Weise sein Nachfolger. Hier können wir ein wenn auch unbetitelt gebliebenes Juristen„amt“ (mit einem gegenüber den Italienern doch auch auf Landeskenntnis begründeten Auftrag) nahezu vom Beginn der de facto-Regierungstätigkeit Sigismunds bis zu dessen Lebensende feststellen, das nördlich der Alpen ebensowenig ein Vorbild besaß wie die anlaßbietende Funktion der südländischen Kollegen.
125 RI XI, 2 S. 586; RTA 8 S. 228; MUP II, 1 S. 46; Monumenti bes. 1 S. 97; Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges vom Jahre 1419 an, hrsg. v. F. Palacký, I, Prag 1873, S. 46f. Nr. 41; Archiv Prahské metropolitni kapituly I, Praha 1956, S. 381 (Ofzial des Prager Erzbischofs); Rep. Germ. IV, bearb. v. K. A. Fink, Berlin 1941–79, Sp. 1018, 1831, 3035f.; W. Marschall, Schlesier auf dem Konzil von Basel, Annuarium historiae conciliorum 8 (1976), S. 294–325, bes. 308. 126 Matricula facultatis juristarum studii Wiennensis [I] [1402–1442], Universitätsarchiv Wien, Sign. J 1 (fortan MJW) f. 16v, 18: 1422 ehrenhalber Dekan; RI XI, 2 S. 568; RTA 10 S. 1129; Lieberich, Räte, S. 186; Marschall, S. 303ff.; ders., Der Breslauer Domdekan Nikolaus Stock auf der Diözesansynode von 1446, in: Archiv f. schles. Kirchengesch. 35, 1977, S. 51–63. – Zeiselmeister und Stock gehörten im Gegensatz zu den Italienern der Pfründenkirche an.
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c) Nicht minder auffällig als diese legistische Juridizierung des Hofes ist gleichzeitig die ebenso neuartige Entjuridizierung der Hofkanzlei127; beide Phänomene stehen gewiß im Zusammenhang. Nicht absichtsvolle Planung freilich, sondern eher das Zusammenwirken mehrerer äußerer Faktoren möchten wir als Hauptursachen dieses singulären Phänomens ansehen: 1. Von den Kanzlei- und Universitätsjuristen Ruprechts hat nach 1410 keiner den Weg zum Luxemburger eingeschlagen, hingegen der wichtigste Rechtspraktiker des Wittelsbachers, der Protonotar und Hofgerichtsnotar Johannes Kirchen128, der seine Fachkenntnisse jahrelang fast konkurrenzlos einsetzen konnte; 2. anders als beim Wittelsbacher besaß die alte wirtschaftlich-nanzielle Beamtenvorbildung gegenüber dem Luxemburger wieder Anknüpfungspunkte, besonders wohl in Gestalt Kaspar Schlicks129, der mit Leipziger Artistenbildung Kanzler dreier Könige werden sollte (1433–1448/49, 1429 schon Vizekanzler); 3. die eingangs genannten besonderen Rahmenbedingungen Sigismunds, zumal der Mangel an einer heimisch-territorialen Basis für Kanzleijuristen und seine Universitätsferne, haben weitere Voraussetzungen für einen solchen Kontinuitätsbruch geboten. Wichtiger freilich als die spezielle Frage nach den Ursachen ist die allgemeine, vor allem verwaltungsgeschichtlich bedenkenswerte Beobachtung, in welch geringem Maße auch noch im 15. Jh. „behörden“bezogene Kontinuität bestanden hat, so daß auf Grund von Substratsveränderungen und von personengebundenen Faktoren extreme Schwankungen auftreten konnten. Unter den deutschen Kanzlern Sigismunds hat nur Georg von Hohenlohe130, Bischof von Passau (im Kanzleramt 1417–1422, † 1423), der schwerlich wegen seiner Rechtskenntnisse, sondern aus politischen Gründen ernannt worden war, gelehrte Jurisprudenz gehört, und zwar an der Prager Juristenuniversität, wo er auch 1383 (Ehren-)Rektor gewesen war, aber seinem hohen Adelsrang gemäß kein Examen abgelegt hatte. Das ist im Lichte unserer älteren Erfahrungen nicht sehr überraschend. Gänzlich neu ist jedoch die extreme Entjuridizierung der Gruppe der Protonotare und Vizekanzler (welch neuen Titel wir für unseren Zweck hier anreihen können), die bisher die eigentlichen fachlich, d. h. oft
127 128 129 130
Das Material, jedoch für unsere Fragen sehr unzulänglich, bei Forstreiter, passim. Moraw, Kanzlei, S. 488ff. Forstreiter, S. 24, 86ff., vgl. unten Anm. 173. MUP II, 1 S. 175; Forstreiter, S. 4ff., 73ff.
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gelehrt-juristisch fundierten Träger der schriftlichen Regierungstätigkeit des Königs gewesen waren: Unter den zehn Personen, die dieses Amt wirklich ausgeübt haben131, könnte es mit Michael von Priest (im Amt 1414/18–1427) bestenfalls einen einzigen Graduierten (Doktor des Kirchenrechts) gegeben haben, und selbst hier bestehen starke Zweifel; sein Kollege Johann Gersse vom Niederrhein hatte wenigstens in Köln ein Jurastudium begonnen132. Protonotar ehrenhalber war doctor legum Johannes Kirchen d. J., ein Sohn des erwähnten rechtspraktischen Protonotars Ruprechts und Sigismunds, Student in Heidelberg, Wien und Bologna und Heidelberger Professor132a. Der von zwei rechtsgelehrten Kanzleibeamten des Stiefbruders Johann von Bamberg und Paul von Tost) getragene Versuch, an die Kanzleijuristen-Tradition König Wenzels anzuknüpfen, ist nach sehr kurzer Zeit gescheitert133, vermutlich aus ähnlichen Gründen – wegen des nichtanpassungsfähigen Substrats – wie bei der in den Anfängen Karls IV. auftretenden romanisch bestimmten Juristengruppe. Im Kreis der übrigen Notare Sigismunds, und das heißt in der ganzen Hofkanzlei, sind nur noch zwei weitere gelehrte Juristen in untergeordneter Position nachzuweisen, der Schwabe Jodok Rot, scriptor und secretarius, und Peter Schenk aus Waibstadt unweit Heidelberg, beide mit Jurastudium133a, während wir wie gewohnt Rechtspraktiker, darunter auch öffentliche Notare, und „Beamte“ mit wirtschaftlichnanziellem Ausweis vornden. d) Die Frage, wer außer der schon behandelten Legistengruppe die selbstverständlich weiterdauernden rechtsbezogenen Aufgaben des Königtums übernahm, stellt sich daher mit Dringlichkeit. Und tatsächlich ist mit wünschenswerter chronologischer Exaktheit ein Novum
131
Ebd. S. 25ff., 106ff. Priest: Ebd. S. 30, 113ff.; Schindler, S. 325; Hlavápek, Urkundenwesen, S. 222, 318; W. Marschall, Schlesier auf dem Konzil von Konstanz, in: Festschrift f. B. Stasiewski, Köln 1975, S. 34–64, bes. 51f. – Gersse: Forstreiter, S. 42, 127ff., 140. 132a Ebd. S. 28, 112; Schmidt / Heimpel, S. 116 (einer jener Heidelberger „Aufsteiger“ der zweiten Generation, von denen in Anm. 106 die Rede war). – Der Kanzlerbruder Matthäus Schlick weilte zum Jurastudium in Wien und Bologna (MJW I f. 23v, 26; Friedländer-Malagola, S. 180; Knod, S. 496), er wird (wohl ehrenhalber) Notar, secretarius und Rat genannt (Forstreiter, S. 61, 144, 171). 133 Ebd. S. 133ff. und 147; sonst vgl. oben Anm. 72 und 78. – Es wirkte weiter als Protonotar Franz von Gewitsch (oben Anm. 77), dessen Rechtsstudium nur vermutet werden kann (Forstreiter, S. 42f., 129f.). 133a Jodok: MJW I f. 3v (15v ist wohl ein anderer); RI XI, 2 S. 552; Rep. Germ. IV, bes. Sp. 1584ff.; Forstreiter, S. 49f., 141. – Peter: MJW I f. 9 (zus. mit Mag. Johann Kirchen jun.!); RI XI, 2 S. 557; Forstreiter, S. 63f., 144f. 132
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aufzuweisen, das einen Teil der Antwort bietet: Die behördenartige Verfestigung einer alten Aufgabe des Königsdienstes führte jetzt zum Fiskalat134. Der Fiskal vertrat bekanntlich das Interesse des Königs gegenüber den Untertanen und zwar im Sinne der Durchsetzung der Herrscherrechte, womöglich durch Aufweis und Anklage entsprechender Rechtsverletzungen. Im Jahre 1421 ist erstmals für diese wie gesagt ältere und fortan stets ratsgleiche Funktion eine betitelte Person namentlich bezeugt, und zwar ein gelehrter Jurist, der uns schon begegnet ist: Der Legist Dr. Bartolus aus Pisa übte das Amt ein Jahrzehnt lang aus und hat im üblichen Patronagehandeln den vermutlich mit ihm verwandten Antonius Bartholomaei Franchi aus Pisa mit herangezogen135. Weder beim Fiskalat noch bei irgendeinem anderen zeitgenössischen Königsamt darf man bekanntlich mit einer reinlich destillierbaren Beamtenabfolge rechnen. Angesichts dessen ist es sogar bemerkenswert „bürokratisch“, daß wir mit dem gelehrten Juristen (Bakkalaureus des Kirchenrechts einer unbekannten Universität) Ulrich Meiger von Waseneck136 aus einer Niederadelsfamilie des heutigen Württemberg, dem ersten Fiskal deutscher Herkunft, einen zeitlich fast exakten Anschluß gewinnen (1430/31–1434, † 1438/40), dem dann 1435/36 der Rechtspraktiker Johann Geisler137 aus einer Göttinger Großbürgerfamilie folgen und die Brücke zum Nachfolger im Königsamt schlagen wird; beide waren Laien oder äußerstenfalls clerici conjugati. Für die Möglichkeiten Sigismunds ist die zuerst reichsnah-italienische (Pisa mit langer entsprechender Tradition) und dann südwestdeutsche Rekrutierung so typisch, daß man wieder auf das für uns so wesentliche Faktum aufmerksam machen sollte, daß es nach wie vor nur bestimmte einzelne Personenreservoirs und damit keine über das ganze Reichsgebiet hinweg kohärente Juristengruppe gab. Genauso bemerkenswert ist die Tatsache der Zweitrekrutierung (zuvor war Meiger für Baden und Straßburg tätig), da keine Königshausmacht einen Binnenaufstieg ermöglichte: Insofern weisen die zwanziger und dreißiger Jahre schon
134
Knolle, passim. Ebd. S. 65ff.; vgl. oben Anm. 118 u. 121; RI XI. 2 S. 491. – Im Jahre 1427 war der Lizentiat des Zivilrechts Stephanus de Vini (gewiß kein Deutscher) Fiskal für Burgund, eine einmalige, wohl vorübergehende Aktion (Knolle, S. 165ff.). 136 RI XI, 2 S. 528; RTA 11 S. 223 Nr. 109; H. Kaiser, Ulrich Meiger von Waseneck, ZGO N. F. 55 (1901), S. 161–206; Knolle, S. 79ff. 137 W. Falckenheiner, Göttinger Bürgersöhne auf auswärtigen Universitäten bis 1737, Neues Gött. Jb. 2 (1929), S. 27ff., bes. 31, 37f.; Knolle, S. 83. 135
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voraus auf die kommende Gruppe der Berufsjuristen/Berufspolitiker, die – indem sie von der Politik und ihren wechselnden Konstellationen leben werden – diese und jene nicht unbeträchtlich verändern sollten. Zum dritten wird man abermals über die Gefahr isolierender Behördengeschichte belehrt, die die wahren genetischen Zusammenhänge im Bereich des ganzen Hofes und seines Umfeldes nicht zu erkennen vermag und zudem die unwiderstehliche Wirkung äußerer Rahmenbedingungen (Soziales, Kommunikation, Verkehr) gern übersieht. Indirekt ist nämlich das Fiskalat neben legistischen Antrieben zuletzt doch aus der Hofkanzlei als dem älteren zentralen Juristenreservoir hervorgewachsen, ebenso wie auch die Legistik Sigismunds zum Teil als Surrogat einer nicht mehr ausgeübten Kanzleifunktion aufzufassen ist. Anfänge des Fiskalats konnten sich wohl im Schoß der Kanzlei entwickeln, ohne daß man schon des Amtes und des Titels bedurft hätte, die erst auf Grund der neuartigen Separierung und Isolation zur Legitimierung erforderlich waren. Unser Verständnis von Rechts- und Verwaltungsgeschichte in „patrimonialer“ Zeit sucht demnach nicht in erster Linie nach Ergebnissen von Überlegungen und Vorausplanung, sondern nach konkreten Herausforderungen und Augenblicksnotwendigkeiten, die dann Anlaß zu fortan eigengesetzlicher, auch behördlicher Entwicklung, zu Spezialisierung und „Modernisierung“ boten138. Die Verfestigung des Fiskalats erkennt man an der zunächst überwiegend durch die Praxis gebotenen und dann (wenigstens für das Kammergerichtsskalat) auch obrigkeitlich xierten Bedingung gelehrter Rechtskenntnis des Fiskals (1500); es gibt aber auch Belege für eine allgemein-politische Betätigung des Amtsinhabers. e) Unter ähnlichen Voraussetzungen könnte man vermutlich die Veränderungen bedenken, die zur gleichen Zeit beim königlichen Gerichtswesen vor sich gingen, wie es die Forschung mit dem Stichwort „Nachweis des Kammergerichts seit 1415“ andeutet. Für uns ist es zweckmäßig, diese Fragen (soweit sie überhaupt zu unserem Thema und nicht zur Frage nach adelsständischer und rechtspraktischer Gerichtsbarkeit gehören) für das Zeitalter vor Friedrich III. nicht zu erörtern; immerhin sei angemerkt, daß reichsstädtische Beobachter der Hofverhältnisse im Jahre 1434 einen Neubeginn der Hof- und Kammergerichtsbarkeit mit der Ankunft von „des Kaisers Doktoren
138
Vgl. oben Anm. 8.
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und Rechtsgelehrten“ kausal in Zusammenhang brachten, nachdem man seit 1417 und verstärkt dann seit etwa 1440 entsprechende Forderungen erhob139. f ) Findet sich demnach deutlicher als früher im Zeitalter Sigismunds ressortartige Spezialisierung gelehrt-juristischen Handelns, die wir zunächst im Hinblick auf die legistische Seite behandelt hatten und klarer als je zuvor von anderen, mehr oder weniger kirchlich bestimmten oder mitbestimmten Bereichen absondern konnten, so muß man dessen ungeachtet im Hinblick auf die großen Aufgaben dieser Generation der Kirchenfrage ebensoviel Aufmerksamkeit schenken; sie hat seit hundert Jahren kaum je größeres Gewicht besessen und mehr Spezialkenntnis, auch juristischer Art, erfordert. So waren auch die meisten bisher unerwähnt gebliebenen gelehrten Juristen Sigismunds, die zugleich Räte und secretarii waren, diesem Bereich zugeordnet. Was hier wesentlich ist, sei vorweggenommen: Spätestens von den zwanziger Jahren an nahmen neben dem König auch andere Kräfte im Reich, für unser Interesse zuerst Kurfürsten und große königsnahe Reichsstädte, in anwachsender Zahl gelehrte Juristen in Dienst, gutenteils aus uns schon vom König her bekannten Motiven. Diese Fachleute trafen sich auf Konzilien und Tagen oder im Gesandtenverkehr, wenn sie sich nicht längst schon von Universitäten, Kirchen und Höfen her kannten. Der Weg vom Nebeneinander zum Ineinander, zur Verdichtung des politischen Lebens, wird deutlicher erkennbar und wurde immer bedeutungsvoller, bis eine neuartige „politische Gruppe“ eine gemeinsame Bühne „Reich“ und damit ein neues Stadium der Konkretisierung dieses Gemeinwesens wird heranwachsen lassen. Es gab viele Statisten oder Zaungäste, aber es gab auch „Stars“, und man konnte sich bei bedeutenden Leistungen entsprechend „prolieren“, wie das Beispiel des Cusanus schlagend erweist140. Neben die verschiedenen Stufen der Adelskommunikation, der Kirchen-, Wirtschafts- und Universitätskommunikation trat damit – vielfach mit diesen verochten – die Juristenkommunikation, und zwar allmählich mit „modernen“, stärker laikalen und berufsbezogenen Wesenszügen. All dieses wurde
139 RTA 11 S. 376f. Nr. 195: 13 S. 386, 448, 456; Ellinger, S. 137; Burmeister, Studium, S. 12; Heimpel, Vener, S. 12. 140 E. Meuthen, Das Trierer Schisma von 1430 auf dem Basler Konzil, Münster 1964; fortan auch: Acta Cusana, hrsg. v. E. Meuthen u. H. Hallauer, 1, Hamburg 1976. – E. Meuthen, Nikolaus von Kues, 4. Au. Münster 1979; H.-J. Becker, Nikolaus von Kues, HRG III (20. Lief., 1981) Sp. 1014–1019.
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dadurch beschleunigt, daß die Hussitengefahr die Selbstorganisation des Reiches in großer Not in Gang setzte und daß gegenüber den Konzilien zugleich das Schicksal der Papstkirche auf dem Spiel stand. Zu den Hussitenverhandlungen von 1429 entsandte der König z. B. nicht weniger als vier leider ungenannte Doktoren (darunter sind sicher auch Theologen gewesen)141, und vor allem erlebte man auf den Konzilien eine bislang unerhörte Massierung von Gelehrsamkeit und gelehrter Jurisprudenz: In Konstanz zählt man unter 409 Graduierten aller Fakultäten 186 Doktoren; in Basel weilten bis 1442 mehr als 170 Doktoren der Rechtswissenschaft, darunter 122 Dekretisten, 19 Legisten und 30 Doktoren beider Rechte, ferner 204 Lizentiaten der Rechte. Die Bischöfe hatten wohl noch Konstanz beherrscht, die Doktoren und Magister bestimmten Basel142. Im Kreis der Kirchenjuristen Sigismunds freilich gab es keine klare Kontinuität, so daß der Eindruck entsteht, man habe eher je nach Herausforderung mehr oder weniger für den Augenblick gehandelt, mit Ausnahme erst der späteren Jahre gegenüber Basel, als eine wenigstens teilweise über den Tod des Kaisers hinauswirkende Juristen„mannschaft“ herangezogen worden war. Indessen ist diese Gruppe für uns fast allein durch Gesandtentätigkeit und das heißt recht lückenhaft erkennbar; leider treten zumal in Konstanz die unmittelbaren Konzilsberater des Königs infolge der geringen räumlichen Distanz, die schriftliche Anweisungen überüssig machte, bei weitem nicht genügend deutlich hervor. Es sind zuerst zu nennen Christian von Mühlhausen143, Dr. jur., 1418 Rat, aus Prager Zusammenhang, offenkundig auch sehr kurze Zeit in legistennahem Auftrag tätig, und Dr. decret. Albert Varrentrapp aus Münster († 1438)144, secretarius 1420/21, ein Träger besonders intensiver Prager Erinnerungen, da er 1409 als Universitätslehrer (letzter deutscher Dekan der Artistenfakultät) an dem nach dem Kuttenberger
141 Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges, 2, Prag 1873, S. 22 Nr. 574. 142 J. Ringel, Die Teilnehmerlisten des Konstanzer Konzils, Diss. Freiburg/Br. 1916; M. Lehmann, Die Mitglieder des Basler Konzils von seinen Anfängen bis August 1442, Ms. Diss. Wien 1945, bes. S. 90ff.; eine ungedruckte Konstanzer Liste z. B. Stadtarchiv Frankfurt a. M. Reichssachen Nachträge 962 a. – Allgemein: A. N. E. D. Schoeld, Councils and Assemblies, Cambridge 1971, S. 219–227. 143 RI XI 3095, 3714. 144 MUP I, S. 120, II, 1 S. 153; RTA 8 S. 77; Rep. Germ. IV Personenreg. Sp. 12; Forstreiter, S. 50f., 142; Schmidt / Heimpel, S. 110; E. Meuthen, Rota und Rotamanuale des Basler Konzils, in: Römische Kurie, Kirchliche Finanzen, Vatikanisches Archiv. Studien zu Ehren von H. Hoberg, 1, Roma 1979, S. 473–518 bes. 510ff.
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Dekret von der großen Mehrheit der Lehrer und Studenten vollzogenen Auszug teilgenommen und in Leipzig, dem Nachfolgeplatz, eine größere Rolle gespielt hatte. Nach dem Königsdienst ging er nach Köln. Es wird spätestens hier eine Gruppe von „Exilpolitikern“ erkennbar, die vielfach Juristen waren und ein letztes Zeugnis vom Rang der Prager Universität vor ihrer fast tödlichen Krise ablegten. Ein gleichrangig in Heidelberg und Würzburg graduierter oder lehrender Kollege war Winand von Steeg145, vom Mittelrhein aus Kurpfälzer Zusammenhang stammend, 1419 secretarius, der anschließend in Nürnberger Dienste trat und danach wieder zu rheinischen Pfründen zurückkehrte († 1451). Der uns schon bekannte Johannes Naso146, Rat auch Sigismunds, bald Bischof von Chur (1418–1440), und der Würzburger Bischof Johann von Brunn (1411–1440), einst Rektor (ehrenhalber) der Prager Juristenuniversität (1394)146a, bildeten als zwei letzte „Prager“ in lockerer Ratstätigkeit eine Brücke hinüber zur zweiten, um Basel konzentrierten Juristengruppe. Hier gab es unter den kaiserlichen Räten Namen, die in die habsburgische Zukunft weisen: Zunächst Dr. decret. Johannes Schele147, Bischof von Lübeck (1430–1439), sehr wahrscheinlich Ratsherrensohn aus Hannover, ausgebildet in Padua und Bologna, die als Bildungsstätten nach dem Ausscheiden Prags vorerst noch stärker nach vorn traten, vor dem Königsdienst päpstlicher Abbreviator; danach Peter von Schaumberg148, Bischof von Augsburg seit 1424 (Kardinal 1439, † 1469) aus fränkischem Rittergeschlecht, verwandt mit Ruprechts Juristenrat Johann von Wallenrode, ungraduierter Student in Bologna; sodann einer der bekanntesten Juristen im Reich, der Doktor beider Rechte (in Padua) Gregor Heimburg149 aus reichsstädtisch Schweinfurter Bürger-
145 RI XI 3848; RTA 8 S. 229; Forstreiter, S. 51, 142; F. W. Ellinger, Die Juristen der Reichsstadt Nürnberg vom 15. bis 17. Jahrhundert, in: Reichsstadt Nürnberg, Altdorf und Hersbruck, 1954, S. 130ff., bes. 159; Schmidt / Heimpel, S. 9ff. 146 Vgl. oben Anm. 96. Ferner RI XI, 2 S. 479; RTA 10 S. 1085; 11 S. 619; Lehmann, S. 269. 146a MUP II, 1 S. 45, 78f., 105, 146; Wendehorst, 2, S. 142ff. 147 H. Ammon, Johannes Schele, Bischof von Lübeck, auf dem Basler Konzil, Lübeck 1931; G. Hödl, Zur Reichspolitik des Basler Konzils: Bischof Johannes Schele von Lübeck (1420–1438), MIÖG 75 (1967), S. 46–65; H. Zimmermann, Die Herkunft Johann Scheles Bischofs von Lübeck, Hannoversche Geschichtsbll. N. F. 23 (1969), S. 77–84; K. Wriedt, Johannes Schele, Schleswig-Holst. Biographisches Lexikon, 4, 1976, S. 201f. 148 RI XI, 2 S. 469; A. Uhl, Bischof Peter von Schaumberg, in: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, 3, München 1954, S. 37–80; Zoep, S. 380ff. 149 RTA 11 Nr. 229 S. 434; Acta Cusana 1 Nr. 167, 221; P. Joachimsohn, Gregor Heimburg, Bamberg 1891; Ellinger, S. 160; E. Maschke, Gregor Heimburg und der Deutsche Orden, in: ders., Domus Hospitalis Theutonicorum, Bonn 1970, S. 150–157;
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meisterfamilie († 1472), Laie und gleichwohl Mainzer Generalvikar und einußreich am Basler Konzil, 1433/34 als Rat in kaiserlichen Diensten, bis auch er nach Nürnberg wechselte; zuletzt Dr. utriusque iuris und Ritter Georg Fischl150, der uns bald wieder begegnen wird. Es gab beim König die ersten Boten einer vielfach neuartigen, im pro und contra gleichermaßen verochtenen Generation von politischen Juristen, die ohne Kirchenamt als Gehaltsempfänger von ihrem Beruf lebten151. 2. Die kurze Dauer der Regierungszeit König Albrechts II.152 (1438– 1439), des habsburgischen Schwiegersohns und längst erklärten Erben Sigismunds, erlaubt es, daß wir uns gänzlich auf die Frage nach Kontinuität oder Wandel konzentrieren. Dabei ist wesentlich, daß man das Gewicht der Hausmacht jetzt wieder voll in Rechnung stellen muß, so daß eigentlich diejenige lange Zeitspanne rückgreifend mitzubehandeln wäre, die das Heranwachsen der neuhabsburgischen Territorien umfaßt152a. Demgemäß ist eine eigentümliche Mischung von Altem und Neuem festzustellen. Radikal anders und damit eine Rückkehr zum hausmachtbetonten Regierungsstil war der Verzicht auf italienische Legisten, der auch unter dem Nachfolger Friedrich bestehen bleiben wird. Das Hofsubstrat war eben ganz anders beschaffen als beim Schwiegervater und stand in dieser Hinsicht dem Heidelberger Milieu vom Anfang des Jahrhunderts näher. Hingegen blieb die Juristenferne der Hofkanzlei infolge der Übernahme des größten Teils des luxemburgischen Personals erhalten, an dessen Spitze wieder Kaspar Schlick stand; die bisher tätige territoriale Kanzlei, die bald Österreichische Hofkanzlei genannt werden wird und dem Hausmachtbrauch gemäß gelehrt-juristennah beschaffen war, spielte anders als unter dem Nachfolger noch keine größere Rolle, wenngleich sie offenbar im Unterschied zu
A. Wendehorst, Gregor Heimburg, in: Fränkische Lebensbilder, 4, Würzburg 1971, S. 112–129. 150 Matrikel Wien I S. 111; MJW I f. 14; RI XI, 2 S. 578; RTA 9 S. 279; 13 S. 994; 15 S. 925. 151 Dr. Kaspar Stange von Wandofen, Deutschordensprokurator und Bologneser Jurist († 1437), war (eher ehrenhalber) Rat Sigismunds (RTA 10 S. 1129). Kapellan war Dr. decret. Johann Schallermann aus Soest (Studien in Heidelberg und Padua, † 1465): (RI XI 7093, 7140, 8892), Dekan der Wiener Juristischen Fakultät 1412, 1416, 1424 (MJW I f. 6v, 11, 17); A. A. Strnad, Zum Studiengang des Dekretisten Johannes Schallermann, MIÖG 74 (1966), S. 108–117; Meuthen, Rota, S. 511. Vgl. unten zu Anm. 193. 152 Das Reichregister König Albrechts II., bearb. v. H. Koller, Wien 1955 (MÖSTA Erg.-Bd. IV); RI XII, bearb. v. G. Hödl, Wien 1975; ders., Albrecht II., Wien 1978. 152a Z. B. A. A. Strnad, Kanzler und Kirchenfürst, Jb. d. Stiftes Klosterneuburg N. F. 3 (1963), S. 79–107.
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früher auch 1438 für sich bestehen blieb. Die Tradition der skalischen Reichsdurchdringung wurde unverändert fortgesetzt, ja eher noch verstärkt und hatte damit Anteil an den vielfältigen und so folgenreichen Verdichtungsvorgängen dieser und der nächsten Generation im Reich. Aber damit war die durch den Verzicht auf die italienischen Legisten gerissene Lücke noch nicht geschlossen, so daß zunächst die Gruppe der um die Kirchenpolitik gescharten Rechtsgelehrten quantitativ und wohl auch ihrem Gewicht nach beträchtlich anwuchs; ohnedies war die Konzils- und Papstfrage kaum jemals brennender. Diese vermischte sich aber stärker als je zuvor mit der Kurfürsten- und damit mit der Verfassungsfrage des Reiches. Der Bedarf an entsprechenden Fachleuten nahm zu, und hierbei zeichnete sich eine breite Personalkontinuität zum Vorgänger und Nachfolger ab. Alle diese Aktivitäten wurden freilich, wie wir schon wissen, keineswegs allein von gelehrten Juristen getragen, so daß auch hier zweckmäßigerweise an den ausschnitthaften Charakter unseres Versuchs erinnert sei. Denn daß der uns hier interessierende Aspekt der Rechtsgelehrsamkeit für die Zeitgenossen keineswegs stets an erster Stelle stand, mag der gegenüber der Hofkanzlei eingeleitete, schnell gescheiterte Versuch der Kurfürsten von 1438 illustrieren, Schlick durch einen „ehrbaren, weisen, gelehrten, deutschgeborenen Prälaten“ zu ersetzen153. Damit wollte man ganz präzise die Person des allzu städtenahen Kanzlers treffen, vielleicht auch vorsorglich einen Ungarn oder Italiener ausschließen, kaum aber in abstrakter Form einen Rechtsfachmann zur Bedingung machen; dies war ein gut klingendes Zusatzargument, kein Kernproblem. Gerade jetzt war kein einziger der Protonotare der Hofkanzlei gelehrter Jurist, sondern allein Johannes (Hans) von Maiers, seit 1436 Österreichischer Hofkanzler, als Wiener Lizentiat des Kirchenrechts154. Dringlicher war, wenigstens in den Augen des königlichen „Finanzministers“ und Erbkämmerers Konrad von Weinsberg, die Rechtsgelehrsamkeit im Finanzwesen. Da das Fiskalat in Albrechts Zeit in Kontinuität zu Sigismund und dann zu Friedrich III. hin rein rechtspraktisch ausgeübt wurde155, sah Konrad in seinen Reformvorschlägen an den
153
RTA 13 S. 95 Nr. 38. MJW I f. 16, 18; RI XII Nr. 1178 u. S. 315; H. Goehler, Das Wiener Kollegiat-, nachmals Domkapitel zum hl. Stephan in seiner persönlichen Zusammensetzung in den ersten zwei Jahrhunderten seines Bestandes 1365–1554, Ms. Diss. Wien 1932, S. 238ff. Vgl. unten Anm. 166. 155 RI XII S. 315; Knolle, S. 82ff., 103ff. 154
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neuen König einen Lizentiaten oder Doktor der Jurisprudenz für seine Finanzverwaltung als notwendig an, freilich als allerletzten Punkt auf seinem Merkzettel156. So etwas war wohl eine inzwischen verbreitete Forderung geworden. Den Schwerpunkt des Interesses an Albrecht II. legen wir auf diejenige Rechtsgelehrsamkeit, die sich an die Kirche und zugleich damit in diesen Jahren immer mehr auch an das Reich wandte; eine solche latent stets vorhanden gewesene und gelegentlich auch manifest gewordene Verknüpfung wird bald zur Gleichrangigkeit beider Themen und in der Zukunft zum Übergewicht der Reichsproblematik führen, was sich auch auf unsere Fragen auswirken wird. Die Konzil-Papst-Sorge beschäftigte die ersten Köpfe des Fachs, die „gelertsten doctores“, die 1438 König und Kurfürsten „in iren landen konnen gehaben“: Heimburg, Fischl, Heinrich Leubing, Hugo Dorre (den Sohn wohl eines rechtspraktischen Kanzleibeamten Ruprechts), auch Johann von Lieser und andere157. Die bekannte Neutralitätserklärung gegenüber Papst und Konzil ist wohl eines der ersten spezischen Produkte dieses Kreises, von dem die Königsdiener nur einen Teil bildeten. Den Zusammenhang Albrechts mit Sigismund verkörperten als Räte des Habsburgers die Bischöfe Johann von Lübeck und Peter von Augsburg, dann Fischl, der als Konzilsstatthalter für den König wirkte, und wohl auch der nach Studien in Wien und Heidelberg zum Doktor des Kirchenrechts der Basler Konzils-Universität gewordene Johannes von Beinheim, illegitimer Sohn des elsässischen Adeligen Heinrich von Fleckenstein158. Neu traten in die Zahl der Räte ein die Bischöfe Friedrich von Regensburg (1437–1456) aus dem Oberpfälzer Adelshaus Parsberg159, Lizentiat des Kirchenrechts nach Studien in Wien, Heidelberg und 156
RTA 13 S. 99 Nr. 41; vgl. S. 595 Nr. 308. RTA 13 S. 592 Nr. 304; vgl. S. 216ff. Nr. 130, vgl. die Literatur in Anm. 140. Zu Lieser: J. Weigel, Kaiser, Kurfürst und Jurist, in: Aus Reichstagen des 15. und 16. Jahrhunderts, Göttingen 1958, S. 80–115; J. H. Ringel, Studien zum Personal der Kanzlei des Mainzer Erzbischofs Dietrich von Erbach (1434–1459), Mainz 1980, S. 237ff. 158 Johann: Reichsregister Albrechts II., S. 272, vgl. S. 139 Nr. 188; J. Ziegelwagner, König Albrecht II. als oberster Richter im Reich, Ms. Diss. Salzburg 1969, S. 72. – Peter: Reichsregister S. 139 Nr. 188; Ziegelwagner, S. 73. – Zu Fischl oben Anm. 150. – Beinheim: Reichsregister S. 242 Nr. 370; RI XII Nr. 1103; A. Bernoulli, Die Chroniken Heinrichs von Beinheim, in: Basler Chroniken, 5, Leipzig 1895, S. 327–469; Lehmann, S. 129; W. D. Wackernagel, Heinrich von Beinheim, an Ecclesiastical Judge of the 15th Century, in: Essays in Honor of Felix Frankfurter, 1966, S. 275–288; Ziegelwagner, S. 72; Helvetia sacra, I, S. 248f.; T. Struve, Reform oder Revolution?, ZGO 126 (1978), S. 73–129 bes. 75. 159 Friedländer-Malagola, S. 163; Knod, S. 397; Ziegelwagner, S. 74. 157
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Bologna, Leonhard von Passau (1424–1451) von Laiming160 aus Chiemgauer Adel, Student in Wien und Bologna, sowie der vielleicht nur wegen einer Quellenlücke allein als Gesandter zu qualizierende Silvester von Chiemsee (1438–1454) aus der Augsburger Familie Pieger161, Doktor des Kirchenrechts nach Aufenthalten in Wien und Padua und bald zu höheren Aufgaben bestimmt. Unter den im Kirchendienst damals noch nicht so hochgestiegenen Räten stand seiner politischen Bedeutung nach an erster Stelle der Doktor beider Rechte Johann von Eich162 Paduaner Provenienz nach Studien in Wien, aus fränkischer Ritterfamilie (Aich bei Heilsbronn, Bischof von Eichstätt 1445–1464). Gerade in Padua hat sich vor und um 1430 eine Zusammenballung später wichtiger Königs- und Reichsjuristen ergeben, die an personalpolitisch ähnlich wichtige Knotenpunkte im vergangenen Jahrhundert in Bologna oder Prag erinnert, worauf wir gelegentlich hingewiesen haben. Es folgen ebenfalls als Räte der Doktor des Kirchenrechts Rudolf Hecker von Rüdesheim163 aus bürgerlicher Familie, Rotaauditor, später Bischof von Lavant (1463–1467) und Breslau (1467–1482) und päpstlicher Legat, der im zweiten Thorner Frieden von 1466 eine große Rolle spielen wird, Heidelberger und römischer Student, der Ordensmann Georg Münsinger, Propst des Augustinerchorherrenstiftes Klosterneuburg bei Wien, nicht graduierter Jurastudent ebendort, und nur als Kapellan der vielleicht nur ehrenhalber hierzu ernannte Peter Nowag aus Neiße, Domkustos in Breslau (später dort 1447–1455 Bischof), Doktor des Kirchenrechts164. 3. Wir kommen nun zur längsten Regierungszeit unseres Zeitalters, derjenigen Kaiser Friedrichs III. (1440–1493), die die größte Zahl gelehrter Juristen aufweist und zugleich quellentechnisch die relativ größten 160 MJW I f. 3; Reichsregister Albrechts II. S. 139 Nr. 188; RI XII S. 324; G. Koller, Princeps in Ecclesia, Wien 1964, bes. S. 183ff.; Ziegelwagner, S. 72; vgl. unten Anm. 173. 161 MJW I f. 6; RI XII S. 338; ADB 34, S. 342; Ziegelwagner, S. 74; vgl. unten Anm. 167. 162 Matrikel Wien I, S. 140; MJW I f. 30, 32v (Dekan ehrenhalber 1435, 1437); Reichsregister S. 139 Nr. 188; RI XII S. 321; RTA 13 S. 675 Nr. 371, S. 730ff., S. 742 Nr. 374; 14 S. 843, 854; Rep. Germ. IV Sp. 1840f.; Ziegelwagner, S. 73; NDB 10, S. 483f. 163 RTA 13 S. 890, 14 S. 875; Reichsregister S. 113f. Nr. 140; ADB 29, S. 529–534; L. Petry, Rudolf von Rüdesheim, Bischof von Lavant und Breslau, MIÖG 78 (1970), S. 347–357. 164 Georg: Reichsregister Albrechts II. S. 205; RI XII Nr. 275; Ziegelwagner, S. 74. – Peter: MJW I f. 16, 19, 28v (1436 Dekan ehrenhalber); RI XII Nr. 275. – Sehr unsicher ist Johann von Ebersdorf (bei Ziegelwagner, S. 75). – Ein Ausländer ist offenbar der nicht näher bestimmbare Dr. utriusque iuris Augustinus, procurator et advocatus (RTA 13 S. 897; 1438).
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Schwierigkeiten bereitet, daher hier auch derzeit noch nicht vollständig erfaßt werden kann. Zu den für uns wesentlichsten Veränderungen des Zeitalters zählen die Rückkehr der gelehrten Juristen in die ReichsHofkanzlei, die Rejuridizierung des Fiskalats und das überwältigend starke Eindringen von Rechtsgelehrten in das Kammergericht, das die Wormser Parität von 1495 vorweggenommen hat. Die Kirchenproblematik trat immer mehr zurück hinter den Fragen der Innenpolitik: Es ist die Zeit mühseliger Selbstbehauptung des Königtums unter sehr schwierigen Umständen, aber auch die Zeit der heranwachsenden, zunächst vor allem mentalen und sozialen, allmählich auch politischverfassungstechnischen Reichsverdichtung. a) Wir sprechen zuerst von den Kanzleien. Die Analyse von Beschaffenheit und gegenseitigem Verhältnis der beiden unter Friedrich III. arbeitenden Kanzleien165, der Reichshofkanzlei (Römische Hofkanzlei) und der Österreichischen Hofkanzlei, ist ein bislang gänzlich unzureichend behandeltes Thema der Verwaltungsgeschichte; wir müssen uns bei dem hier vorliegenden ersten Versuch mit Annäherungen begnügen. Kaum ein anderes verfassungsgeschichtliches Phänomen des Zeitalters dokumentiert jedenfalls die neue und fortan weiterwirkende Problematik einer Königshausmacht am äußersten Rand des Reiches mit mancherlei selbständigen Traditionen (und später mit einer bislang unerhörten Machtkonzentration) besser als der Entschluß, den territorialen Hofkanzleibestand nicht wie bisher mit der Kanzleikontinuität des Königtums zusammenzuführen. Vielmehr ließ Friedrich dem personellen Dualismus, der sich jetzt wie jedesmal bei einer Königswahl ohne Vater-Sohn-Abfolge ergab, auch institutionell freie Bahn; er wollte damit nichts Neues einrichten, sondern wollte vermeiden, etwas (im territorialen Rahmen) Neues durchsetzen zu müssen. Dieses Nebeneinander zweier Kanzleien, das sich wegen der langen Dauer der Regierungszeit Friedrichs ganz anders auswirkte als ein ähnliches Geschehen unter dem Vorgänger, darf man freilich nicht von modernen Vorstellungen her mißverstehen: Es gab keinen abstrakten Anstaltsstaat, so daß die
165 Die Quellen- und Literatursituation ist sehr ungünstig, weil die RI XIII noch ausstehen. Vorerst J. Chmel, Regesta chronologico-diplomatica Friderici IV. Romanorum regis, Wien 1838/40 (ohne Reg.); B. Seuffert, Drei Register aus den Jahren 1478–1519, Innsbruck 1934; zur Personengesch. Goehler; H. Großmann, Die Frühzeit des Humanismus in Wien bis zu Celtis Berufung 1497, Jb. f. Landeskunde v. Niederösterreich N. F. 22 (1929), S. 150–325; A. A. Strnad, Die Hofkapelle der österreichischen Landesfürsten, Ms. Hausarbeit am Institut f. österr. Geschichtsforschung, Wien 1962. – Es folgt aus Platzmangel immer nur eine kleine Belegauswahl.
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Person des einen Herrschers im Hofbereich nach Belieben umlenkend einzugreifen vermochte; es gab keine moderne Ressortabgrenzung, so daß man Sprünge in den „Zuständigkeiten“ feststellt; es gab keine moderne Behördenkontinuität, die über lange Zeiträume hinweg gleichbleibendes Handeln anzunehmen erlaubt; es war alles andere als eine politisch-„separatistische“ Willenserklärung – und trotzdem war dieser Dualismus etwas wesentlich Neues und Wirksames. Wenn die Österreichische Hofkanzlei auch nicht in vollem Maße an Albrecht II. anknüpfen konnte, da die Erblande der beiden Verwandten bekanntlich nicht identisch waren, so gab es doch die eine oder andere nicht unwesentliche Brücke und ein verwandtes Grundgefüge, insbesondere im Hinblick auf die Rekrutierung aus dem heimischen Raum oder aus dessen sprachlich verwandter Nachbarschaft. Beim ersten Österreichischen Hofkanzler (im Amt bei Friedrich III. seit 1436) Konrad Zeidlerer von München († 1442), Propst von St. Stephan in Wien, der anfangs zum Teil auch für Reichsbelange tätig war, da eine politisch voll vertrauenswürdige Reichshofkanzlei noch nicht bestand, kann man eine artistische und juristische Bildung ohne akademischen Grad in Wien nachweisen; er wurde 1441 durch den uns schon bekannten gelehrten Juristen Johann von Maiers aus der Österreichischen Kanzlei Albrechts II. abgelöst (im Amt wohl bis 1445, † 1450)166. Wohl von 1445 bis zum Todesjahr 1453 war Bischof Silvester von Chiemsee Österreichischer Hofkanzler, dem wir schon als rechtsgelehrten Rat König Albrechts begegnet sind167. Während das Kanzleramt in der Folgezeit (ungeachtet inofzieller Titulaturen) offenbar verwaist war, leitete Ulrich Sonnenberger168, Lizentiat des Kirchenrechts aus Öhringen in Hohenlohe,
166 Konrad: Matrikel Wien I S. 73; MJW I f. 5; Die Akten der Theologischen Fakultät der Universität Wien (1396–1508), hrsg. v. P. Uiblein, Bd. 2, Wien 1978, S. 635; Goehler, S. 38, 73ff.; H. A. Genzsch, Die Anlage der ältesten Sammlung von Briefen Enea Silvio Piccolominis, MÖIG 46 (1932), S. 372–465, bes. 449f.; Strnad, S. 111. – Johann: außer oben Anm. 154 J. Chmel, Materialien zur österreichischen Geschichte, 2, Wien 1840, S. 48; Topographie von Niederösterreich, Bd. 3, Wien 1893, S. 323; Strnad, S. 105. 167 Vgl. oben Anm. 161. RTA 14 S. 840; J. Lechner, Reichshofgericht und königliches Kammergericht im 15. Jahrhundert, MIÖG Erg.-Bd. 7 (1907), S. 44–185, bes. S. 98, 101, 129, 135f.; Großmann, S. 188, 200. 168 RTA 14 S. 9f., 47, 79; 19, 1 S. 125 Anm. 6, irrig S. 212; 22, 1 S. 268; Akten d. Theol. Fak. Wien 2 S. 705; Lechner, S. 127 u. ö.; Großmann, S. 201; A. Lhotsky, Aeneas Silvius und Österreich, Basel 1965, S. 23 (danach ein Neffe Schlicks); A. A. Strnad, Woher stammte Bischof Ulrich III. Sonnenberger von Gurk?, Carinthia I 156 (1966), S. 634–679; J. Obersteiner, Die Bischöfe von Gurk 1072–1822, Klagenfurt 1969, S. 233ff.; R. Milesi, Bischof Ulrich III. Sonnenberger als Mäzen, in: Festgabe f. G. Moro, Klagenfurt 1972, S. 99–107.
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de facto die Kanzlei; er hatte mindestens seit 1442 den Rang eines Protonotars und spätestens 1444 den Ratstitel inne. Von 1453 bis zu seinem Tode 1469 war er Bischof von Gurk. Silvester und Ulrich waren, wie in der Folgezeit praktisch alle höheren Beamten beider Kanzleien, auch Vorsteher oder Beisitzer des Kammergerichts. Sonnenbergers Nachfolger, ofziell ebenfalls nur mit dem Titel eines Vizekanzlers oder Protonotars ausgestattet, waren wiederum zwei Rechtsgelehrte, beide mit sehr engen Beziehungen zum Kammergericht und vor allem zur Juristischen Fakultät der Wiener Universität: Johannes Rehwein aus Wien169, Inhaber der alten Kanzleipfarre Gars und damit die geistliche Tradition der Amtsleiter ein weiteres Mal fortsetzend, Student in Padua und „Lehrer“, d. h. diesmal Lizentiat beider Rechte, im Amt wohl von 1464 bis 1480; und Bernhard Perger aus Stainz (Steiermark)170, Wiener Lizentiat des Kirchenrechts, 1478 Rektor der Universität, Humanist, verheiratet und demnach clericus conjugatus oder Laie. Er blieb aktiv bis zum Tode des Kaisers und gehörte dann unter Maximilian I. dem österreichischen Landesregiment an († bald nach 1502). Den beiden Kanzleileitern stand wohl von 1471 bis 1483 der Protonotar Thomas Prelager von Cilli171 zur Seite, diesmal wieder „Lehrer“ beider Rechte nach Studien in Wien und Padua und Geistlicher (zuletzt 1491–1496 Bischof von Konstanz). Wir registrieren damit den recht bemerkenswerten Tatbestand, daß im radikalen Gegensatz zur Kanzlei der beiden Vorgänger im Königsamt sämtliche seit der Königswahl bestellten Kanzleileiter und Protonotare der Österreichischen Hofkanzlei Friedrichs III. gelehrte Juristen gewesen sind – offensichtlich im Stil des älteren, vor allem durch Wenzel und Ruprecht dargestellten Zeitalters, als sich der
169 MJW II (Universitätsarchiv Wien sign. J 2) f. 8v; RTA 22, 1 S. 27, 230; Seuffert, S. 46ff.; Topographie 3 S. 324; Strnad, Hofkapelle, S. 106f.; M. Steinmann, Die humanistische Schrift und die Anfänge des Humanismus in Basel, AfD 22 (1976), S. 376–437, bes. 394f. 170 Matrikel Wien II S. 164; MJW II f. 25, 26v, 29v; Seuffert, S. 49ff., 73ff.; J. Aschbach, Geschichte der Wiener Universität im ersten Jahrhundert ihres Bestehens, Wien 1865, S. 134, 356, 573ff., 598; Großmann, S. 262ff.; G. Ganser, Die rechtliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Stellung der österreichischen Beamten unter Maximilian I., Ms. Diss. Graz 1976, S. 187ff. 171 MJW II f. 11v; Seuffert, S. 33ff.; M. Ljubša, Doctor Thomas de Cilia, Graz 1897; Großmann, S. 270f.; Goehler, S. 87ff.; H. Fichtenau, Die Lehrbücher Maximilians I. und die Anfänge der Frakturschrift, Hamburg 1961, S. 11f., 14. – Thomas war auch Lehrer Maximilians. Bei dieser Gelegenheit sei auf einen anderen Lehrer, Wolfgang Zechner aus Frohnleiten bei Graz, hingewiesen, einen Lizentiaten beider Rechte nach Studien in Wien und Bologna, † 1491 (MJW II f. 25v; Friedländer-Malagola, S. 215; Knod, S. 650; Goehler, S. 408f.).
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Großteil juristischen Handelns in der Kanzlei konzentrierte und diese mit der territorialen Universität verbunden war; demgemäß ist auch für höhere Kanzleibeamte der Ratstitel relativ häug überliefert172. Die Kanzlerreihe der Reichshofkanzlei setzt ein mit dem formell seit 1441, konkret nur einige Monate Mitte 1442 realisierten Anspruch Erzbischofs Jakob von Trier (1439–1456) aus dem Hause Sierck (der schon Rat Sigismunds gewesen war) als bestellter Vertreter des Mainzer Erzkanzlers und scheint kurze Zeit durch eine nominelle Kanzlerschaft Bischof Leonhards von Passau († 1451) umrahmt worden zu sein, den wir schon von Albrecht II. her kennen; er war als Student in Bologna dem gelehrten Recht nahegetreten, und er blieb Rat und Mitglied des Kammergerichts. Danach kam Kaspar Schlick173 ein weiteres und letztes Mal ins Amt (1443 [1442?]–1448/49, † 1449). Daraufhin war Kanzleiverweser der Vizekanzler Ulrich Welzli174 aus Göppingen, Wiener Student unbekannter Fachrichtung († 1463/64). Sein Nachfolger war von 1464 an Bischof Ulrich von Passau (1451–1479) aus der Adelsfamilie der Nußdorfer175 „prope Salczburgam“, ein Doktor beider Rechte nach Studien in Wien, Bologna und Padua, auch Pacht-Verwalter des Kammergerichts 1461–1470. Die Verpachtung der Reichshofkanzlei an Erzbischof Adolf von Mainz (1461–1475) aus dem Hause Nassau176 in den Jahren 1470/71 bis 1474 ließ diesen nur eine mehr nominelle Führungsrolle einnehmen. Vom letztgenannten Jahr an wurde die Kanzlei 172 Von Rechtsstudien der wenigen bekannten Kanzleinotare ist nur etwas zu Dr. Wolfgang Forchtenauer aus Wiener Neustadt überliefert, er war scriptor und secretarius, † 1495 (Matrikel Wien I S. 213; Großmann, S. 207; Goehler, S. 329ff.). 173 Sierck: ADB 13, S. 546–548; Ringel, S. 242ff.; Leonhard: vgl. oben Anm. 160; RTA 14 S. 869; Lechner, S. 92, 136; auch Rat des Königs (Materialien, 1, S. 59 Nr. XXIII). – Schlick: Neben Anm. 129 vgl. O. Hufnagel, Kaspar Schlicks letztes Hervortreten in der Politik, Diss. Leipzig 1910; ders., Caspar Schlick als Kanzler Friedrichs III., MIÖG Erg.-Bd. 8 (1910), S. 253–460; A. Zechel, Studien über Kaspar Schlick, Prag 1939. 174 Matrikel Wien I S. 203; Lechner, S. 146ff.; Frankfurts Reichscorrespondenz nebst anderen verwandten Aktenstücken von 1376–1519, hrsg. v. J. Janssen, Bd. 2, Freiburg/ Br. 1872, S. 241 Nr. 375. 175 ADB 39, S. 231ff.; RTA 16 S. 741; 22, 1 S. 55; Rep. Germ. IV Sp. 3644; Matrikel Wien I S. 179; MJW I f. 31v; Akten der Theol. Fak. Wien 2 S. 704; Friedländer-Malagola, S. 185; Knod, S. 382; Acta graduum academicorum Gymnasii Patavini ab anno MCCCCVI ad annum MCCCCL, cur. C. Zonta et J. Brotto, Patavii 1922, S. 544; Lechner, S. 50; Urteilsbuch des Kaiserlichen Kammergerichts 1471–1474, im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (fortan Urteilsbuch) Nr. 22, 36, 148, 552. Zitiert wird nach der als Druckvorlage dienenden Transkription, die Herr Kollege G. Gudian (Mainz) angeführt hat und liebenswürdigerweise zur Verfügung stellte. 176 ADB 1, S. 119; NDB 1, S. 84f.; Die Protokolle des Mainzer Domkapitels 1 (1450–1484), bearb. v. F. Herrmann, Darmstadt 1976, S. 616; G. Seeliger, Kanzleistudien, I, MIÖG 8 (1887), S. 1–64.
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wieder im direkten Auftrag des Kaisers vom Verweser Johann Waldner177 († 1502) aus Salzburg bis zum Tode Friedrichs geleitet; den Bildungsweg Waldners können wir leider wegen der Häugkeit des Namens nicht mit Sicherheit verfolgen, er war jedoch schwerlich in Italien. Die Abfolge der Protonotare bzw. Vizekanzler der Reichshofkanzlei beginnt mit dem Dr. legum und Lizentiaten des Kirchenrechts (daher auch: Lehrer beider Rechte) Heinrich Leubing aus Nordhausen178 († 1472), seinerzeit als „pauper“ Student in Leipzig, jedoch auch in Erfurt und Bologna, der zu einer der bekanntesten Figuren der Reichspolitik um die Mitte des 15. Jhs. heranwuchs. Er wirkte nur während der Amtszeit Jakobs von Trier, also nur für kurze Zeit, formal seit 1441, konkret 1442, war davor und danach Kurmainzer Kanzler, ging dann nach Nürnberg und starb als Domdekan von Meißen, blieb aber im Unterschied zu seinesgleichen herrschernah auch in den späten vierziger und den fünfziger Jahren. Sein Protonotar war für jene gleiche kurze Zeit Jakob Johel von Linz (Rhein)179, Doktor des Kirchenrechts, ebenfalls ehemaliger Student in Bologna. Danach war langjähriger Protonotar Dr. legum Ulrich Riederer180, wohl aus Paar oder Aichach unweit von Augsburg, Sohn einer herzoglich bayerischen Beamtenfamilie, zuletzt Dompropst von Freising, in seiner Amtszeit ein oder besser der „Chefjurist“ des Habsburgers; im Jahre 1462 wurde er von den aufständischen Wienern als Getreuer des Kaisers ermordet. Sein Nachfolger in engem Kontakt mit Nußdorfer war der Doktor des Kirchenrechts (nach Romund Paduastudium und Tätigkeit im Herzogtum Österreich für König Ladislaus) Johannes Roth181 aus Wemding bei Nördlingen, aus einfacher Familie (Bischof von Lavant 1468–1482, dann von Breslau, † 1506); in der zweiten „fremdbestimmten“ Phase der Kanzlei unter Adolf von Mainz wirkte der Franke Dr. Georg von Hell gen. Pfeffer als Vizekanzler und tatsächlicher Leiter der Kanzlei182, zuvor wieder Kurmainzer
177 Seuffert, S. 44ff.; Goehler, S. 92; H. Wiesecker, Kaiser Maximilian I., Bd. 3, München 1977, S. 234, 241, 246, 250. 178 Friedländer-Malagola, S. 182ff.; Knod, S. 300f.; Reichscorrespondenz 1 S. 473; 2 S. 102f.; W. Loose, Heinrich Leubing, Mitt. d. Vereins f. Gesch. d. Stadt Meißen 1 (1886), S. 34–71; Ellinger, S. 160; Ringel, S. 89ff. 179 Friedländer-Malagola, S. 187f.; Knod, S. 307f.; RTA 15 S. 735; Lechner, S. 116. 180 RTA 19, 1 S. 73, 435, 454; Lechner, S. 121 u. ö.; Chmel, Materialien 2 Nr. XCIX, Großmann, S. 201f.; Lieberich, Räte S. 140, 181f. 181 ADB 14, S. 186; NDB 10, S. 481f.; RTA 22, 1 S. 27, 29; Lechner, S. 153; Großmann, S. 208; vgl. Goehler, S. 269. 182 Protokolle S. 641; Reichscorrespondenz 2 S. 310; Lechner, S. 161; R. Smend, Das Reichskammergericht, Bd. 1, Weimar 1911, S. 389ff.; R. Jung, Ludwig von Marburg
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Kanzler, und diesen löste schließlich Dr. utriusque iuris Georg Heßler183, Würzburger Schultheißensohn aus ritterlicher Familie, ab, Student in Leipzig, Köln, Heidelberg und Pavia, Rat 1471, dann in Diensten Maximilians, 1477 Kardinal und 1479 Bischof von Passau († 1482). Er bietet ein gutes Beispiel für den im späteren 15. Jh. weit verbreiteten Dienst bei mehreren Herren nacheinander und für die nach wie vor bestehende Nähe unserer Juristen zum Papsttum. Auch dessen Bruder Dr. legum (Leipzig, Köln, Heidelberg, Padua) Johannes Heßler († 1482 in Wien) war Rat Friedrichs III.183a. Auch ohne die vorerst abermals unmögliche lückenlose Erfassung der unteren Beamtengruppen184 zeigt dieser Überblick, daß die recht bewegte Geschichte der Reichshofkanzlei Friedrichs III. in hohem Maße gelehrt-juristisch bestimmt war. Rechtswissen war nahezu das einzige gemeinsame Merkmal aller Führungskräfte. Ökonomisch-nanzielle Interessengruppen vermochten sich angesichts der wenig konzentrierten Wirtschaftskraft der südosthabsburgischen Länder nicht durchzusetzen oder auszubilden; es war nicht nur das ökonomische Interesse der großen königsnahen Reichsstädte am ferngerückten Herrscher im Vergleich zum 14. Jahrhundert gemindert, sondern jenes hatte sich inzwischen auch gelehrt-juristisch zu artikulieren gewußt, wie das Beispiel Nürnbergs am deutlichsten erweist185. Solche Rechtsgelehrsamkeit wurde auch nicht von dem neuen humanistischen, auf eine zu erneuernde Artistenfakultät gestützten „Modell“ des Königsdienstes zur Seite gedrängt, das sich in der Person Enea Silvio Piccolominis (seit 1443 im Kanzleidienst) und bei dessen Freunden unübersehbar zur Geltung brachte und sich gegenüber der Jurisprudenz eher ambivalent verhielt186. b) Wenn wir nun zum Amt des Fiskals übergehen, so sollte nicht an eine scharfe sachliche Trennungslinie gedacht werden. Persönlicher Einuß erstreckte sich nach wie vor über „Behörden“ grenzen hinweg, zum Paradies, in: Die Stadtbibliothek Frankfurt am Main, hrsg. v. F. C. Ebrard, Frankfurt a. M. 1895, S. 125–136, bes. 129; F. Battenberg, Eine Darmstädter Handschrift zur Kammergerichtsordnung Kaiser Friedrichs III. vom Jahre 1471, AHG N. F. 36 (1978), S. 37–62, bes. 58f.; Urteilsbuch vor Nr. 1, Nr. 488. 183 W. Hollweg, Dr. Georg Heßler, Leipzig 1907; A. A. Strnad, Der Apostolische Protonotar Dr. Georg Heßler, RQ 65 (1970), S. 29–53. 183a Chmel, Regesta 6945; Lechner, S. 178ff., sonst vgl. Anm. 183. 184 Bei den uns bekannt gewordenen unteren Kanzleibeamten ließ sich kein Jurastudium ermitteln. 185 Ellinger, passim. 186 Großmann, passim; Lhotsky (Anm. 168).
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und die ganz persönliche herrscherbezogene Ratstätigkeit, die man beim einen oder anderen Fiskal beobachtet, konnte ihnen eine hervorgehobene Stellung mit neuartigen Zuständigkeiten geben187, zumal sie zeitweise beinahe als einzige Königsdiener recht konsequent nicht hausmachtgebunden rekrutiert wurden und damit über Erfahrungen in königsnahen Landschaften des Reiches verfügten. Die Ernennung des Hessen Hartung Molitoris von Kappel188 zum Fiskal im Jahre 1454 beendete das rechtspraktische Zwischenspiel des Fiskalats. Kappel war Doktor beider Rechte mit unbekanntem Studienweg und Passauer Domherr, als er sich 1432 in die Wiener Matrikel eintrug; schon ein Jahr später war er mehr oder weniger ehrenhalber Dekan der Fakultät. Zweierlei hat ihm – neben seiner zu vermutenden Qualikation – hierzu verholfen: der Lebensweg eines älteren Trägers des gleichen Namens († wohl 1433), der als Jurist und Rotaauditor bedeutendes Ansehen genoß und in Rom als Mentor der Basler Prozeßpartei Job Veners und Hugo Dorres auftrat (mit denen Heinrich von Beinheim und Gregor Heimburg sympathisierten), also auf der Gegenseite des Nikolaus von Kues – und eine ganze in Wien verwurzelte Verwandtengruppe, die wir im Zusammenhang mit seinem Fachkollegen Hinderbach skizzieren werden. Hartung junior seinerseits ist seit 1444 beim Kammergericht am Hofe zu nden. Trotz seiner Pfründen besaß er einen Sohn, der 1453 heiratsfähig sein wird und – wenn auch vergeblich – in die Karrierepläne zweier anderer bekannter Juristen (Heimburg und Mair) eingeordnet werden sollte. Als Fiskal arbeitete Kappel von 1453 bis 1458, er war noch 1473 aktiv. Auch Johann Kellner aus Nürnberg189, als Fiskal von 1466 bis 1487 belegt, „Lehrer beider Rechte“ einer unbekannten Universität und Rat, war einußreich und bedeutend am Hofe, wie Kappel es gewesen war. Nicht viel stand ihm nach der Doktor beider Rechte Paduaner Provenienz (wo er acht Jahre geweilt hatte) Georg Ehinger190 aus einer Ulmer Großbürgerfamilie; er diente im 187 Vgl. z. B. die Szene in: J. Chmel, Actenstücke und Briefe zur Geschichte des Hauses Habsburg im Zeitalter Maximilians, 1, Wien 1854, S. CXVI f. (1474). 188 Matrikel Wien I S. 178; MJW f. I 27v, 28; Knod, S. 234; Rep. Germ. IV Sp. 948, 1799, 1963, 2088; Materialien 2 Nr. XXXIV, XLI; Lechner, S. 58, 125ff.; Aschbach, S. 562; K. Schalk, Aus der Zeit des österreichischen Faustrechts 1440–1463, Wien 1919, S. 410 (K. hat einen gleichnamigen Sohn); Großmann, S. 201f.; Schindler, S. 185f.; Knolle, S. 104, 110ff.; Meuthen, Schisma S. 11, 19, 143; Urteilsbuch Nr. 295, 671. 189 Der Studienweg ist nicht eindeutig; vgl. Matrikel Wien I S. 203 u. II S. 267; Acta S. 347; Lechner, S. 159f.; Knolle, S. 105f., 111f., 150; Urteilsbuch Nr. 3, 734 (heißt auch Keller). 190 Acta S. 513; Lechner, S. 53, 151, 159f.; Lieberich, Räte, S. 133; I. Kothe, Der
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Amt von 1466 bis 1474. Nicht nur beim Kaiser, auch in Bayern und Württemberg war er als Rat besoldet († 1497). Arnold von Loe191, verheirateter Fiskal 1465, 1471/1475, am Kammergericht als Prokurator 1470, war auf Grund unbekannter (wohl niederdeutscher) Herkunft und Karriere Bakkalaureus in legibus geworden und seit 1455 für Lübeck beim Kaiser tätig und noch 1487 aktiv; sein Kollege Johann Gessel192 aus Augsburg war Lizentiat des Zivilrechts und 1489–1492 im Amt, zuvor Gerichtsschreiber am Rottweiler Hofgericht. c) Wir sprechen nun von den geistlichen Räten des Herrschers, soweit sie gelehrt-juristisch gebildet waren. Am Anfang seiner Regierungszeit sah sich Friedrich III. in der Kirchenfrage vor dieselbe Situation gestellt wie die Vorgänger, und demgemäß bestand auch in hohem Maße Personenkontinuität bei den zuständigen Räten. Auch als sich die Kirchenproblematik beruhigte, suchten geistliche Herren nicht ungern Rückhalt am Hofe, um vielleicht auch nur wie der Mainzer die Kosten der eigenen Hofhaltung zu mindern. Hier war ein Reservoir für Juristen, denen womöglich der Kaiser selbst zum Aufstieg ins Bischofsamt verholfen hatte. So gab es ungeachtet der im allgemeinen heranwachsenden Laisierung der Jurisprudenz weiterhin eine hochrangige geistliche Gruppe von hofnahen Rechtsgelehrten. Von den Bischöfen Peter von Augsburg und Johann Schallermann von Gurk193, die auch Räte Friedrichs III. wurden, war schon bei den Vorgängern im Königsamt die Rede193. Ein recht interessantes Modell gelehrt-juristischen Aufstiegs zum Bischofsrang bieten zwei Ankömmlinge aus der Ferne, der schon genannte Johann von Eich194 aus einem mittelfränkischen Rittergeschlecht und der Hesse Johann
fürstliche Rat in Württemberg im 15. und 16. Jahrhundert, Stuttgart 1938, S. 17, 138; vgl. auch K. Kohler, Handelsakten der Ulmer Gesellschaft Färber-Ehinger von 1495, Böblingen 1968; Knolle, S. 105f., 110f.; Urteilsbuch oft zwischen Nr. 17 und 1028. – Zu Padua in diesem Jahrzehnt A. Sottili, Studenti tedeschi e umanesimo italiano nell’ università di Padova durante il quattrocento, I, Padova 1971, S. 1ff. 191 Knolle, S. 109f.; G. Neumann, Johannes Osthusen, Zs. d. Vereins f. Lübeckische Gesch. u. Altertumskunde 56 (1976), S. 16ff., bes. 31; ders., Erfahrungen und Erlebnisse Lübecker Syndici und Prokuratoren zur Zeit Kaiser Friedrich III., ebd. 59 (1979), S. 29–62, bes. 29, 31f.; Urteilsbuch oft zwischen Nr. 58 und 1026. 192 Knolle, S. 106, 110ff.; vgl. G. Gruber, Die Verfassung des Rottweiler Hofgerichts, Stuttgart 1963, S. 230. Bei anderen Fiskalen, die Knolle nennt, kann man ein Rechtsstudium nicht nachweisen. 193 Vgl. oben Anm. 148 und 151; RTA 14 S. 854; Lechner, S. 89, 120. Das gilt auch für Fischl (vgl. Anm. 150): Lechner, S. 123ff. (1444). 194 Vgl. oben Anm. 162; J. Sax, Die Bischöfe und Reichsfürsten von Eichstätt 745–1806, 1, Landshut 1884, S. 302ff.
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Hinderbach195 aus Rauschenberg (nördl. Marburg). Jener wurde Bischof im heimatlichen Eichstätt (1445–1464), dieser im habsburg-beherrschten Trient (1465–1486). Die Karriere beider Männer vollzog sich über das Medium der Universität Wien, die die unentbehrliche Nähe zum Hof bot, und der Universität Padua, die das notwendige exklusive Prestige mit fachinternen Personenbeziehungen mit sich brachte, zum Doktorat beider Rechte oder des Kirchenrechts. Beide waren Räte und leisteten jahrelang intensiven, kanzleinahen Hofdienst und sammelten Pfründen. Am bemerkenswertesten ist das verwandtschaftliche Substrat Hinderbachs in Wien. Er war verwandt mit dem großen Theologen Heinrich von Langenstein († 1397), mit dem Medizinprofessor Hermann von Treysa, mit studierten Trägern seines eigenen Familiennamens und mit dem uns schon bekannten Fiskal Kappel. Dieser ganze Zusammenhang ist sogar mit Hinderbachs eigenen Worten zeitgenössisch formuliert worden: Heinrich von Langenstein . . . „alium post se de genere nostro . . . in eodem Wiennensi studio enutrivit, qui et ipse . . . alium iterum . . . post se nostri generis . . . educavit, . . . cuius ego . . . pietate . . . in eum, quem de miseratione adeptus sum, gradum et fortunam perveni“; auch sind sechs Losse-Handschriften möglicherweise kurz nach 1400 in den Besitz des ebenfalls verwandten Heidelberger Kanonisten Dietmar von Treysa gelangt196, so daß man sich einen Zusammenhang von gelehrter Jurisprudenz, Universitäten und Königtum über mehr als hundert Jahre hinweg vorstellen könnte. Anschließend sind zu nennen noch vier kaiserliche Räte und Doktoren des Kirchenrechts, der Wiener Bischof Leo aus dem Tiroler Herrengeschlecht der Spaur (1471–1479/80), Bischof Sigmund von Laibach (1463–1488) aus der zukunftsreichen österreichischen Ritterfamilie der Lamberg, Bischof Johann Grünwalder von Freising (1443–1452), unehelicher Sohn Herzog Johanns II. von Bayern, 1448 beim Kammergericht, Bischof Sixtus von Tannberg von Freising (1474–1495), der Paduaner Doktor sogar beider Rechte war, und der Schwabe Mathias Scheit aus Westerstetten
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ADB 12, S. 457; Matrikel Wien I S. 186; MJW I f. 30, 34; Acta S. 327, 425; V. v. Hofmann-Wellenhof, Leben und Schriften des Doctor Johannes Hinderbach, Bischofs von Trient (1465–1486), Zs. d. Ferdinandeums f. Tirol u. Vorarlberg 3, F. 37 (1893), S. 205–262; Goehler, S. 158ff.; Großmann, S. 214f.; A. A. Strnad, Johannes Hinderbachs Obedienz-Ansprache vor Papst Pius II., RHM 10 (1966/67), S. 43–183. 196 Fontes rerum Austriacarum II, Bd. 61, S. 81 nach Goehler, S. 160; Nova Alamanniae 2, 2 (1976) S. XV f. Vgl. auch E. Schröder, Heinrich von Langenstein und die Hessen an der alten Wiener Universität, Hessenland 47 (1936), S. 144–147; Schmidt / Heimpel, S. 111f.
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bei Ulm (1482–1503 bzw. 1512 Bischof von Seckau) sowie zuletzt der umstrittene Bakkalar des Kirchenrechts Andreas Zamometin O. P., Erzbischof von Krain in Albanien (1476–1482)197. d) Die Verbindung Friedrichs III. mit den Juristen der Wiener Universität ist angesichts der durch Ladislaus-Periode, Albrecht-Krise und Ungarnnot der fünfziger, sechziger und achtziger Jahre herbeigeführten Zäsuren und Schwierigkeiten recht eng gewesen. Man kann zehn Wiener „Ordinarien“ der Jurisprudenz als Räte des Kaisers oder mindestens als Beisitzer des Kammergerichts anführen, die nach Ausweis der von ihnen bekleideten Universitätsämter neben wenigen anderen zugleich als die zu ihrer Zeit angesehensten Professoren gelten können: Konrad von Hallstatt (O.-Ö.), Hans Polzmacher von Brünn, Nikolaus Stürzenbecher von Glatz, Peter Pachmüller, Nikolaus Simonis von Lützelburg (bei Augsburg), Johannes Knaber von Albersdorf (Steiermark) und Jobst (Jodok) Hausner aus Neumarkt (wohl Oberpfalz) in den ersten beiden Jahrzehnten der Regierungszeit und dann wieder zu deren Ende hin Jörg Steyregger aus Wien († 1480), Kilian Horn von Dettelbach alias von Würzburg († kurz nach 1508) und Leopold Prantz aus Mattighofen O.-Ö. († 1490)198. Daß wie einst in Heidelberg auch Theologen, wenn
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V. Fliedner, Bischof Leo von Spaur, in: Festschrift F. Loidl zum 65. Geburtstag, Bd. 1, Wien 1970. S. 42–56. – Sigmund: ADB 34, S. 285; Seuffert, S. 91ff. – ADB 10, S. 60; NDB 10, S. 485; Lechner, S. 136; A. Königer, Johann III. Grünwalder Bischof von Freising, Programm München 1874; H. Strzewitzek, Die Sippenbeziehungen der Freisinger Bischöfe im Mittelalter, München 1938, S. 67, 170ff. – Sixtus: Lechner, S. 178; Strzewitzek, S. 71, S. 225ff. – B. Roth, Matthias Scheit, in: Bischöfe von Graz-Seckau, S. 159–193. – Seuffert, S. 91ff.; C. Eubel, Hierarchia catholica medii aevi, 2, Münster 1901, S. 155; J. Schlecht, Andrea Zamometim und der Basler Konzilsversuch vom Jahre 1482, Paderborn 1903; LThK 102. Sp. 1307f. Auch hier sind bei einigen – von uns nicht gezählten – Bischöfen, die Räte der Urteiler waren, die Studienumstände vorerst unklar; z. B. bei Bischof Wilhelm von Eichstätt, der Ratstitel hingegen ist unsicher bei Friedrich III. Gren von Seckau (1446–52). der Lizentiat des Kirchenrechts war (K. Amon, Friedrich III. Gren, in: Bischöfe von Graz-Seckau, S. 135ff.). 198 Alle so häug in MJW und bei Aschbach (hier Jurist. Fakultät bes. S. 302ff.), daß hieraus nur ausnahmsweise einzeln zitiert wird. – Rep. Germ. IV Sp. 438, 3154; Matrikel Wien I S. 153, 178, 192, 215, 225, 274; II S. 14, 39; Lechner, S. 128 u. ö. – Matrikel Wien I S. 202; MJW I f. 23; Lechner, S. 128ff. – Matrikel Wien I S. 148, 236, 259; II S. 10; MJW I f. 29, 35; Lechner, S. 128, 130f., 140. – Lechner, S. 129ff.; MJW I f. 25v. – Matrikel Wien I S. 257, vgl. 544; Lechner, S. 135, 150f. – Matrikel Wien I S. 279; Materialien 1, 1837 S. 344f. Nr. CLXV. – Matrikel Wien I S. XXV f., II S. XX f.; Lechner, S. 150; P.-J. Schuler, Die Notare Südwestdeutschlands. Vorauss. Stuttgart 1981 Nr. 507a (Veröff. d. Komm. f. gesch. Landeskunde in Baden-Württ. B 90) (dem Autor sei für die Erlaubnis zur Einsicht in die Druckfahnen gedankt); Friedländer-Malagola, S. 198, 200; Knod, S. 555. – Lechner, S. 161; Matrikel Wien I S. 213. – Matrikel Wien II S. 16, 185; Lechner, S. 184; Goehler, S. 401ff.
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auch gewiß in eher umgekehrtem Verhältnis als zur Zeit Ruprechts, entsprechende Dienste leisteten, weist der bekannte Geschichtsschreiber Thomas Ebendorfer auf 199. e) Die Berufung von gelehrten Juristen aus den Hausmachtterritorien an das Kammergericht, das bekanntlich mit dem Herrscher selbst jahrzehntelang im Südosten weilte, legt Zeugnis ab von der Ausbreitung der Rechtswissenschaft bis in den letzten Winkel des Reiches. Alle Ländergruppen waren vertreten: Die Donauländer, Innerösterreich und besonders nach dem Ausklang der Herrschaft Herzog Sigismunds auch Tirol und die Vorlande. Aus dem erstgenannten Bereich sind besonders wichtig Dr. Martin Haiden aus Drosendorf und Dr. Johann Kaufmann aus Rassing200, beide Niederösterreicher und künftige Kontinuitätsträger zu Maximilian hinüber, in dessen Landesregimenten sie tätig sein werden. Haiden, der ältere, ein Wiener Student, hatte schon Herzog Albrecht VI. gedient. Dr. Sigmund Drechsler († 1463) aus Trofaiach (Steiermark), ebenfalls Wiener Student, und Doktor („Meister“) Jobst Ber aus Graz, Pfarrer in dieser Hauptresidenz des Kaisers, standen diesem um 1460 und um 1480 ebenso juristisch zur Seite wie der Lizentiat Peter Knaur aus Gutenberg (Steiermark), ein drittes Mal Student in Wien, dann Propst in Gurnitz (Kärnten), oder „Dr. Sebriacher“, d. h. wohl Dr. Johannes Semriacher aus Semriach (Steiermark)201. Dr. decret. Benedikt Füger († 1490), Domdekan von Brixen, ein Tiroler aus dem Inntal, war Gesandter des Kaisers; Dr. Johannes Fuchsmagen202, Bürgermeisterssohn aus Hall i. T. († 1510), später ebenfalls im Landesregiment Maximilians tätig, brachte erstmals in unserem Umkreis die Universität Freiburg i. Br. als Studienort
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A. Lhotsky, Thomas Ebendorfer, Stuttgart 1957. Matrikel Wien II S. 100; Battenberg, Handschrift S. 58f.: Gänser. S. 187ff.; Smend, S. 389ff.; Aktenstücke Maximilians, 1, 1854, S. 300; 2, 1855, S. 250; 3, 1858, S. 353; Urteilsbuch öfter (vor Nr. 1 bis Nr. 410). – Matrikel Wien II S. 141 Gänser, S. 187ff.; Politische Korrespondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles, hrsg. v. F. Priebatsch, Bd. 3, Leipzig 1898, S. 446 Nr. 1123. 201 MJW II f. 7; Lechner, S. 147; Die ältesten steirischen Landtagsakten 1396–1519, Teil II, bearb. v. B. Seuffert u. G. Kogler, Graz 1958, S. 55. – Matrikel Wien II S. 29; Lechner, S. 179f. – Matrikel Wien II S. 59; Lechner, S. 179f. – Matrikel Wien II S. 140; Korrespondenz 3 S. 446 Nr. 1123. 202 Matrikel Wien II S. 40; W. Höechner, Die Gesandten der europäischen Mächte, vornehmlich des Kaisers und des Reiches 1490–1500, Wien 1972, S. 45. – Beiträge zur Geschichte der niederösterreichischen Statthalterei, Wien 1897, S. 413; S. Ruf, Doctor Johannes Fuchsmagen, Zs. d. Ferdinandeums für Tirol u. Vorarlberg 3. F. 21 (1877), S. 93–119; Großmann, S. 273f.; A. Lhotsky, Quellenkunde zur mittelalterlichen Geschichte Österreichs, Graz 1963, S. 434ff. (MIÖG Erg.-Bd. 19); Höechner, S. 44f.; Gänser, S. 187ff. 200
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zur Geltung; vor 1485 diente er, wie es seiner Herkunft entsprach, Herzog Sigismund. Auch der spätere Hofkanzler Maximilians, Konrad Stürzel aus Kitzingen203 († 1509), Dr. decret. (Heidelberg/Freiburg), hat schon am Kammergericht Friedrichs III. teilgenommen (1479). Größer, ja relativ am größten ist die Zahl der Rechtsgelehrten, die aus dem benachbarten Bayern und Schwaben zum Kaiser gefunden haben und von der Anziehungskraft des Hofes in einem freilich vielfach von habsburgischen Kräften dominierten Gebiet und zugleich vom Gewicht der hofnahen Universität Wien Zeugnis geben; jedenfalls waren selbst die bayerischen Herzogtümer territorial noch nicht so abgeschlossen, daß sie ihre juristisch ausgebildeten Landeskinder hätten an sich fesseln können. Ans Kammergericht kamen Dr. Jakob Ebser aus Salzburg (1443), Wiener Student, und Peter Chotrer (Kottrer) aus Passau (1455), später wohl durch habsburgische Protektion Propst in Rheinfelden, einst Wiener Jurastudent und Vizerektor der Ultramontanen in Padua unter dem Rektor Johann von Eich und dann selbst Rektor204; der adelige Johannes Klausner (Closner) von Gern, (Orte in Oberbayern, Niederbayern und Franken), Passauer Domherr und Wiener Jurastudent, hatte 1444 am Kammergericht teil; aus München stammte der Doktor des Zivilrechts Ulrich Ersinger, Paduaner Scholar, der dort u. a. zusammen mit dem späteren Kanzler Nußdorfer und dem künftigen Fiskal Ehinger geweilt hatte; er hat als Prokurator am Kammergericht ebenso eine Freisinger kirchliche Laufbahn eingeschlagen wie der Gerichtsbeisitzer (1478) Kaspar Schmidhauser, Doktor des Kirchenrechts ebenfalls aus München († 1485), der die Studienplätze Wien und Bologna als „pedagogus“ bayerischer Herzöge kombiniert hatte. Aus dem niederbayerischen Vilshofen kam Johann Krachenberger († 1518), Ingolstädter Jurastudent, der nach 1490 in kaiserliche Dienste trat (1492 „secretarius ultimus“) und unter Maximilian I. weiterarbeitete. Bayerischer Herkunft war vermutlich auch der Lizentiat des Kirchenrechts Hans Bock (Peck), um 1470 am Kammergericht und in der österreichischen Territorialverwaltung tätig, offenbar Wiener Studienprovenienz205. Es gab drei Doktoren gesicherter
203 Lechner, S. 182; G. Buchwald, Konrad Stürtzel von Buchheim aus Kitzingen, Leipzig 1900; J. Bücking, Der „Oberrheinische Revolutionär“ heißt Conrad Stürtzel, seines Zeichens kgl. Hofkanzler, AKG 56 (1974), S. 171–197; H. Kopf, War Kanzler Konrad Stürtzel der „Oberrheinische Revolutionär“?, Zs. d. Breisgau-Geschichtsvereins 97 (1978), S. 29–37. 204 Matrikel Wien I S. 135; Lechner, S. 122 – MJW I f. 11; Rep. Germ. IV Sp. 805, 2121, 3003, 3124; Acta S. 505; Lechner, S. 144f.; Großmann, S. 205. 205 MJW I f. 14, Matrikel Wien I S. 102; Rep. Germ. V Sp. 808, 1733; Lechner,
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oder vermutlicher Oberpfälzer Herkunft: Wilhelm Maroltinger, 1467 am Kammergericht und zehn Jahre später als kaiserlicher Gesandter tätig († 1482), Johann Tröster aus Amberg († 1484/85), ein weiterer Freund Enea Silvios und früher Humanist mit kanzleinaher Arbeit, und Georg Schrättl (Schrottel) aus Neumarkt, in den siebziger und achtziger Jahren am Hofe einußreich und noch nach 1500 im österreichischen Landesregiment beschäftigt; alle drei hatten eine Wiener Ausbildung206. Die Schwaben (bzw. Alemannen) im sprachlichen Sinn, die ebenfalls als unmittelbare Nachbarn habsburgischer Übermacht und zum Teil zugleich als Abkömmlinge einer traditionell königsnahen Landschaft gelten können, waren ebenso zahlreich: Der Vorderösterreicher Doktor des Kirchenrechts Konrad Ranching (Ruhing) von Freiburg, Inhaber mehrerer Pfründen auch im Augsburger Umkreis, der sein Studium abermals in Wien begann, aber in Padua fortsetzte oder abschloß, 1441 am Kammergericht; der St. Galler „Meister“ Johannes Ruttler (Rutili, Rättler, Röttel), Propst von Rheinfelden, Student in Wien und Bologna, 1456 bis 1459 Beisitzer am Kammergericht (später Bischof von Brixen); Johann von Westernach, Propst der Stuttgarter Stiftskirche, aus dem ursprünglich bei Öhringen, dann unweit von Ulm und Heidenheim ansässigen Rittergeschlecht, Rat und „Rechtsgelehrter“, 1453–1456 am Kammergericht; „Meister“ Hans von Horb, ebenfalls „Rechtsgelehrter“, wohl aus dieser vorderösterreichischen, aber lange Zeit verpfändeten Stadt, im Jahre 1455 und 1467 am Kammergericht; Gebhard (Gerhard) von Bülach (Bulbach), (Kanton Zürich), Konstanzer Domherr und „Meister“, 1448 am Kammergericht, spätestens 1451 Dr. decretorum († 1465); der Lizentiat des Kirchenrechts Peter Renz aus Tengen (Kr. Konstanz), 1450 am Kammergericht; Dr. Martin Kellner aus Weil der Stadt († 1482), 1472–82 Propst der Stuttgarter Stiftskirche, am Gericht 1467/68 und 1474/75; Dr. Johann Dürr aus Schwäbisch Hall, 1444 beim Kammergericht; „Meister“ Johann Glockengießer aus St. Gallen, 1471 Advokat/Prokurator am Kammergericht, beide Wiener Studenten;
S. 126. – RTA 19, 1 S. 452; Acta S. 352. – Lechner, S. 178; Matrikel Wien II S. 16; Friedländer-Malagola, S. 210; Knod, S. 498. – Großmann, S. 279ff. – Lechner, S. 159f. 206 Matrikel Wien I S. 263; Lechner, S. 157ff.; L. H. Krick, Das ehemalige Domstift Passau und die ehemaligen Kollegiatstifte des Bistums Passau, 1922, S. 48; J. Wodka, Die Inhaber der Pfarre Krems, in: 950 Jahre Pfarre Krems, 1964, S. 237–289, bes. 254f. – RTA 22, 1 S. 292; Matrikel Wien I S. 220; Großmann, S. 210ff.; P. Lehmann, Dr. Johannes Tröster, in: ders., Erforschung des Mittelalters, 4, Stuttgart 1961, S. 336–352. – Matrikel Wien II S. 72; MJW II f. 17, 18v, 21; Seuffert, S. 102; Kothe, S. 185; Battenberg, Handschrift, S. 58f.; Urteilsbuch Nr. 525, 968.
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Doktor beider Rechte Marquard Breisacher gewiß aus der mit der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft verbundenen Ritterfamilie, dem ein gleichnamiger, zweifellos verwandter rechtspraktischer Kanzleibeamter Sigismunds, Albrechts II. und Friedrichs III. vorausgegangen war – aus dem Rats- und Gesandtschaftsdienst beim Kaiser ist er wohl 1490 zu Maximilian übergetreten; Dr. iuris civilis (Heidelberg, Padua, Ferrara) Bernhard Schöfferlin († 1504) aus alter Eßlinger Familie, Kurmainzer Kanzler und in anderen wichtigen landesherrlichen Ämtern, 1478 am kaiserlichen Gericht, wird 1495 als Beisitzer des neuen Kammergerichts im Gespräch sein und starb als Mainzer Professor. Am Kammergericht Friedrichs III. arbeitete auch der Lizentiat Reinhard Summer, Domherr von Konstanz, und zuletzt sei genannt der kaiserliche Kapellan Dr. decret. Leonhard Nötlich († 1481), Propst von Herrenberg207. Nicht immer streng abgrenzbar von den gerade genannten Personen ist ein mehr oder weniger um Augsburg, die immer wieder königsnahe Stadt, konzentriertes Herkunftsgebiet gelehrter Juristen. Zuerst ist hier zu nennen der Augsburger Domherr Georg von Stein von Diemantstein aus einem Rittergeschlecht (Kr. Dillingen), der 1446 mit einer ganzen Gruppe Augsburger Scholaren in Padua weilte, als Georg Ehinger, der spätere Fiskal, Rektor der Ultramontanen war; Stein blieb ohne Graduierung, was natürlich für sein Mitwirken am Kammergericht (1454) kein Hindernis war. Falls es sich nicht um eine durch Schreiberirrtum entstandene Verwechslung mit dem gleichnamigen Landvogt handelt, tat ihm dies ein Jahr später ein „Rechtsgelehrter“ Jakob Truchseß von Waldburg nach. Der Augsburger Domherr Ulrich von Rechberg (später Domdekan, † 1501) aus der nördlich und südlich der Donau sitzenden bekannten Adelsfamilie, Heidelberger und Bologneser Student, wirkte 1465 als „Lehrer geistlicher Rechte“, d. h. Dr. decret., am Kammer-
207 Rep. Germ. IV Sp. 497 u. ö.; Matrikel Wien I S. 68; MJW I f. 6, 11v; Acta S. 140; Lechner, S. 116f. – Friedländer-Malagola, S. 194; Knod, S. 463; RTA 17 S. 239, 270; Rep. Germ. IV Sp. 2312ff.; Matrikel Wien I S. 193; Lechner, S. 147, 150ff. – Rep. Germ. IV Sp. 2504 u. ö.; Lechner, S. 141f., 146ff. – Lechner, S. 143ff., 157; Battenberg, Handschrift, S. 167f.; Matrikel Wien I S. 111 (ders.?). – Lechner, S. 135; Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Konstanz Bd. 4, bearb. v. K. Rieder, Innsbruck 1941, S. 468. – Lechner, S. 139; RTA 13 S. 180. – Lechner, S. 157ff.; Kothe, S. 145. – Lechner, S. 125f.; Matrikel Wien I S. 85; Schuler, Nr. 235. – Matrikel Wien II S. 2; Battenberg, Handschrift S. 58f.; Knolle, S. 115. – Materialien 2 Nr. CCXC S. 357f.; Regesten 4, S. 467; Smend, S. 389ff.; Höechner, S. 32ff. – Lechner, S. 179; Protokolle S. 190, 401; Smend, S. 10; Kothe, S. 139f. – Lechner, S. 180; Regesten 4, S. 528. – Kothe, S. 76, 139. Zu den Personen aus dem württembergischen Bereich vgl. den Beitrag von D. Stievermann in diesem Band.
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gericht. Das gleiche gilt für den kaum bekannten „Meister“ Lienhart (Leonhard) Merklin aus Kaufbeuren, Wiener Student, 1467 am Kammergericht, und den wesentlich wichtigeren Doktor des Kirchenrechts Hans Heinrich Vogt von Sumerau (Hauptsitz der Ritterfamilie ist Praßberg Kr. Wangen), Gerichtsbeisitzer 1479/80, sonst für den Kaiser 1477–1485 tätig und dann wieder 1495 im Kammergerichtsbereich aufndbar. Zum Schluß sei, schon im Übergang zu Maximilian, erinnert an die bekannten Augsburger Dr. Konrad Peutinger (1491 dr. legum nach Studien in Basel, Padua und Bologna), der sich rühmte, Rat Friedrichs III. gewesen zu sein, und an den wenig jüngeren Matthäus Lang, den späteren Kardinal, der vielleicht auch beim Kaiser begonnen hat, Student in Ingolstadt, Tübingen und Wien, eher Artist freilich als Jurist, jedoch 1494 von Maximilian I. mit den insignia doctoralia des Zivilrechts beschenkt208. Es hängt vermutlich mit der zentralen Lage Frankens, aber auch mit seinen alten königsnahen Traditionen zusammen, daß sich mit dieser Landschaft diejenigen Juristen verbinden, die wir als eine ganz eigenartige Gruppe hervorheben können. Diese unterscheidet sich zwar von anderen eher graduell als prinzipiell, jedoch ganz deutlich durch die Steigerung bestimmter Eigenschaften unserer Rechtskundigen: Die Mobilität war größer, die Entfernung zur Pfründenkirche weiter, das persönliche Treueverhältnis zum Herrn lockerer, und vor allem: dieses wurde zunehmend als Teil einer Gesamtkonstellation begriffen. Kurzum, es waren Männer, die von der Politik und der politischen Jurisprudenz im Reich lebten, das ihnen als politisches Gebilde eine selbst verständliche Rahmenbedingung gewesen ist. Als Spezialisten waren auch und gerade sie vielfach besser informiert als die Adelswelt, der doch eigentlich die Herrschaft zukam. So sahen sich die alten Führenden neben den ökonomischen, sozialen und technisch-praktischen „Zwängen“ nun auch immer fühlbarer von juristischen Grenzen eingefangen, die kaum zu durchbrechen waren. Die Welt wurde komplizierter – oder anders
208
Matrikel Wien I S. 66; Lechner, S. 142; Acta S. 395; Zoep, S. 402. – Lechner, S. 143f. – Friedländer-Malagola, S. 250, 252; Knod, S. 432; Lechner, S. 153; Kothe, S. 115; Zoep, S. 398, 482f.; F. Battenberg, Die Lichtenberg-Leiningensche Fehde vor dem Kammergericht Kaiser Friedrichs III., ZGO 124 (1976), S. 105–176, bes. 167f. – Matrikel Wien I, S. 195; Lechner, S. 157f. – Lechner, S. 180ff.; Korrespondenz 3 S. 446 Nr. 1123; Smend, S. 389ff. – H. Lutz, Conrad Peutinger, Augsburg o. J., bes. S. 9, vgl. 16 (Abh. z. Gesch. d. Stadt Augsburg 9). – H. Wagner, Kardinal Matthäus Lang, in: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, 5, München 1956, S. 45–69; Wiesecker, Bd. 1, 1971, S. 371, 377; Bd. 2,1975, S. 569; Bd. 3, S. 613.
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formuliert: Der große Wert, den die führende Reichsstadt Nürnberg auf einmal gelehrt-juristischer Vertretung zumaß und zwar in ganz erstaunlichem Umfang und für teures Geld, zeigt, daß das Recht als Verteidigungswaffe neben die bisher so erfolgreiche Finanzkraft trat. Es war im Vergleich zu Sigismund etwas Neues, und dieses Neue hat auch vieles mit dem Kaiserhof zu tun. Denn kaum einer der großen politischen Juristen war nicht ein oder mehrere Male am Hofe. Er war ein Treffpunkt, dessen Rang jetzt auch auf recht abstrakten Überlegungen beruhte, die das 14. Jh. noch kaum verstanden hätte209, weniger auf Militär und Macht. Jetzt ist wohl auch noch leichter erklärlich, warum sich Friedrich und Maximilian so hartnäckig gegen ein Abrücken des Gerichts vom Hofe wehrten. Man sollte zum zweiten hervorheben, wie wesentlich solche Entwicklungen für eine neue, konkretere Auffassung vom Reich auf der Basis neuer Gemeinsamkeit gewesen sind. Dies wird dann zu den Ergebnissen von 1495 hinführen. Vier sehr wichtige Vertreter dieses Typus, Gregor Heimburg, Heinrich Leubing, von denen wir schon gesprochen haben, Peter Knorr und Martin Mair haben wenigstens einige Zeit mit dem Königtum in Verbindung gestanden: Heimburg war 1442 und 1444 beim Kammergericht, Knorr 1444, 1453 und 1455, Leubing war Protonotar, Mair befand sich als einziger nachweislich in einer Ratsposition und sollte 1463/64, wie gerüchtweise an mehr als einer Stelle verlautete, sogar Reichshofkanzler werden210. Der älteste, Heimburg, wollte sich mit Hartung von Kappel am Hofe familiär verbinden, und sein Schüler Mair sollte dies vermitteln. Ein Kern dieser „politischen Gruppe“ in einem engeren 209 Kaum ausgewertet ist in diesem Zusammenhang die höchst aufschlußreiche Korrespondenz von Albrecht Achilles. Am besten sah diese Probleme wohl H. Quirin, Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach als Politiker, Jb. f. fränk. Landesforsch. 31 (1971), S. 261–308. Es ist interessant zu beobachten, in welcher Reihenfolge sich die Reichsglieder entschlossen, das knappe Geld in Juristen anzulegen und damit gewissermaßen „armierte“ Reichsstände zu werden. Dabei nden sich Konstellationen wieder, die ein Jahrhundert zuvor mit anderen Mitteln ähnlich ausgebildet worden sind. 210 Vgl. zu Leubing und Heimburg oben Anm. 149 u. 178; Ellinger, passim; G. Schrötter, Dr. Martin Mair, Diss. München 1896; J. Kist, Peter Knorr, in: Fränkische Lebensbilder, 2, Würzburg 1968, S. 159–176; M. Watanabe, Duke Sigismund and Gregor Heimburg, in: Festschrift Nikolaus Grass zum 60. Geburtstag dargebracht, 1, Innsbruck 1974, S. 559–573; Ringel, S. 154ff.; vgl. auch H. Boockmann, Laurentius Blumenau, Göttingen 1965. – Lechner, S. 126, 141 u. ö.; Lieberich, Räte, S. 128, 140, 161, 176. – Ein anderer Mittelpunkt war Landshut: P. Kluckhohn, Ludwig der Reiche Herzog von Bayern, Nördlingen 1865, bes. S. 155ff. – Die Perspektive aus der Ferne wird gut erkennbar in den Arbeiten von G. Neumann, Lübecker Syndici des 15. Jahrhunderts in auswärtigen Diensten der Stadt, Hans. Geschbll. 96 (1978), S. 38–46; ders., Osthusen, u. ders., Erfahrungen.
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Sinn war an Nürnberg gebunden, das damit abermals Hauptstadtfunktionen und zwar ganz neuer Art übernahm. Mair heiratete in das Nürnberger Großbürgertum ein, Heimburg, Leubing, Mair und Knorr arbeiteten im Dienst der Stadt. Wesentlich lockerer als bei vielen schon genannten war hier der Bezug zu der Universität Wien, die in anderen Fällen geradezu ein Binde- oder sogar „Herrschafts“mittel des Kaisers gegenüber der gelehrten Welt war. Es bestand freilich bei fast allen die Gefahr, gegenüber den neuen Möglichkeiten des politischen Handelns das Augenmaß zu verlieren, ganz ähnlich wie dies im ökonomischen Bereich mit dem Medium des Geldes so oft vorgefallen war und noch vorel. Politische und kirchenpolitische Radikalisierung und vielleicht berechtigte Ungeduld haben nämlich fast jeden dieser Juristen in schwere Krisen und extreme Positionen geführt. Mair insbesondere war der große Plänemacher, und kaum zufällig haben sich unsere Juristen gern von der damals am meisten im politisch-kirchlichen „Abseits“ stehenden, jedoch kraftvollen Gestalt der deutschen Innenpolitik, dem Böhmenkönig Georg von Podiebrad, anziehen lassen. Diesen großen Gestalten gegenüber treten andere gelehrte Juristen zurück; jedoch sei auch auf Dr. Hertnid von Stein zu Ostheim v. d. Rhön (Kr. Mellrichstadt, Unterfranken) verwiesen, einen „Lehrer beider Rechte“ aus ganerbschaftlich organisiertem Rittermilieu, der Geistlicher blieb, zuletzt Domdekan von Bamberg, und als Humanist von Rang gilt († 1491). Er war beim Kammergericht (1465) und war Gesandter des Kaisers (1456–1463). Dr. Johannes Pirckheimer ist sicher der oft genannten Nürnberger Patrizierfamilie zuzuordnen (1454–1458 am Kammergericht). Es reiht sich an Johann von Seinsheim-Schwarzenberg († 1501), ein „Rechtsgelehrter“ mit Bologna-Erfahrung, aus dem bekannten unterfränkischen Geschlecht. Aus vorerst verwandter sozialer Umwelt kam Anselm von Eyb, Ritter und Dr. legum aus Erfurt und Pavia († 1477). Er gehörte zu den Juristen, die Adolf von Mainz, als er neben der Reichshofkanzlei auch das Kammergericht pachtete, an den Hof mitbrachte; wohl aus gleichem Anlaß begegnen wir auch den Doktoren Heinrich von Mellrichstadt (Unterfranken) und Berthold Borlies aus Lorch im Rheingau, Bernhard Groß († 1502), Günter Milwitz von Erfurt und Dr. Otto Spiegel von Grünau (Meißen), bei denen demgemäß Verdacht auf nur lockere Beziehungen zum Kaiser besteht211.
211 Lechner, S. 153; ebd. S. 139, 150f.; ebd. S. 145; ebd. S. 161; Verfasserlexikon 12 Sp. 381f.; Smend, S. 389ff.; Seeliger, Kanzleistudien I S. 18, 37; A. Gerlich, Dr. decret.
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Die Anzahl der nachweislich außerhalb der bis jetzt genannten Bereiche und daher auf vorerst nur für den Einzelfall erklärbare Weise rekrutierten gelehrten Juristen ist klein. Es handelte sich um den Glogauer Heinrich Senftleben, kaiserlichen Rat und päpstlichen scriptor, Domherrn von Breslau, mit Laurentius Blumenau 1444 in Bologna, bei welchem freilich eine Ehrenimmatrikulation anzunehmen ist, um die Goslarer Stiftspröpste „Meister“ Heinrich Zedelin und Dr. Johann Steinberg, 1458/59 sowie 1478/80 dem Kammergericht beisitzend, um den Düsseldorfer Stiftsdekan Johann Bochan, „Lehrer der Rechte“, der 1478 als Gesandter zwischen Friedrich und Maximilian fungierte, um den bekannten Kölner Stadtschreiber Johann Vrunt († 1463), einen Freund Enea Silvios, ebenfalls „Meister“, der 1458 Beisitzer des Kammergerichts zweifellos anläßlich einer Gesandtschaftsreise zum Kaiserhof geworden ist, um den Lübecker und später Hamburger Syndikus, auch Rektor der Universität Erfurt, Doktor beider Rechte Arnold Somernat von Bremen († 1466), mit dem gleichen Anlaß und der gleichen Funktion212.
Bernhard Groß, Jb. f. d. Bistum Mainz 5 (1951/54), S. 24–39; E. Kleineidam, Universitas studii Erffordensis, 2, Leipzig 1969, S. 321; Battenberg, Handschrift, S. 58ff.; ders., Fehde, S. 167f.; mehrere im Urteilsbuch: vor Nr. 1 und Nr. 415. 212 RTA 19, 1 S. 34 Nr. 4; Friedländer-Malagola, S. 191; Knod, S. 702; Lechner, S. 140, 150ff., 179, 181f.; Aktenstücke und Briefe 2 S. 394f.; 3 Nr. LIII S. 129ff.; ADB 49, S. 207; H. Diemar, Johann Vrunt von Köln als Protonotar (1442–48), in: Beiträge zur Geschichte vornehmlich Kölns und der Rheinlande. Zum 80. Geburtstag G. v. Mevissen, Köln 1895, S. 71–106; Großmann, S. 208; Boockmann, Blumenau S. 27; Kleineidam, 1, 1964, S. 315. – Folgende Juristen im Umkreis Friedrich III. (als Räte oder Beisitzer des Kammergerichts) sind vorerst nicht sicher geographisch und sozial bestimmbar, werden jedoch statistisch mit berücksichtigt: Rechtsgelehrter Christian von Bryda, Ofzial Dr. Ciwipold, Rechtsgelehrter Hans Gelthaus (wohl aus der Mainzer Patrizierfamilie), Bartholomäus Geplin, Meister Stephan Haymberger, Meister Jakob Helmreich (Helmerich), Dr. Johann Kantsch, Emmerich Kunigsperiger, Meister Johannes Pistoris, Hans Sattler, Lehrer beider Rechte, David vom Stein, Meister Wolfgang Strobel, Meister Peter Staude (Stude), Rechtsgelehrter Georg Ungnad (Kärnten/Steiermark?), Meister Hans Volkner (Nürnberg?). – Ungewißheit, ob es sich um gelehrte Juristen handelt, besteht bei folgenden z. T. geographisch und sozial zuweisbaren, jedoch statistisch nicht berücksichtigten Personen: Pfarrer Friedrich Abprecher zu Tügger aus Reifnitz (Kärnten), Heinrich Beyersdorf, Bernhard Braun, Peter Here, Heinrich Himmelberger, Bechtold Kappe, Jost Kaps von Landau, Johann Menichen, Gregor Plaickner, Georg von Schönberg Propst von Preßburg und Wetzlar, Heinrich Sibott von Rambach. Die Belege nden sich bei Lechner, passim, Seeliger, Kanzleistudien, I, S. 18, Seuffert, S. 91ff., und Battenberg, Handschrift, S. 58f. Die Prokuratorenfrage ist vorerst beiseitegelassen. Einige nicht berücksichtigte Namen bei Seeliger, a. a. O. – Nachtrag: Nach freundlicher Auskunft meiner Schülerin cand. phil. E. M. Felschow ist Dr. utriusque iuris Joh. Gelthus als Frankfurter bezeugt (Stadtarchiv Wetzlar Urkk. 1466 II 16, 1469 I vor 2/I 6, 1475 VIII 5). Zu Schönberg Urkundenbuch der Stadt Wetzlar 3 (Das Marienstift zu Wetzlar im Spätmittelalter. Regesten 1351–1500), bearb. v. W.-H. Struck, Marburg 1969, S. 789, zu Somernat F. Wiegand, Arnoldus Sommernat de Bremis, Symon Baechtz de Homborch
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Nur ein italienischer Rat Friedrichs III. ist bekannt, Dr. Bartholomäus Cipolla213. Wir vermögen jetzt allein vom quantitativen Moment aus zu erkennen (wir fanden insgesamt 109 neue Juristennamen unter Friedrich III.), eine wie wesentliche Neuerung dieses Zeitalters die Verbindung der königlichen Kammergerichtsbarkeit mit der gelehrten Jurisprudenz gewesen ist214. Es mag Vorstadien gegeben haben, wirklich deutlich werden die Verhältnisse jedoch erst in dieser Generation. Die Funktion als beisitzender Urteiler verband Kanzleijuristen, Fiskaljuristen, Ratsjuristen, Professoren der Jurisprudenz, geistliche Würdenträger mit entsprechender Ausbildung und zufällige rechtsgelehrte Hofbesucher mit einem beliebigen Anliegen: Fast jeder irgendwie im Zusammenhang mit Friedrich III. zu erwähnende Juristenname begegnet auch im Kammergericht. War der Hof in Innerösterreich schon kein militärisches, ökonomisches oder verkehrstechnisch-kommunikatives Zentrum und war er jetzt auch in bedenklichem Maße „gesellschaftlich“ (im alten Sinne des Wortes) eingeschränkt – so blieb er doch ein juristisches, ja das juristische Zentrum des Reiches – zunächst einmal in prosopographischer Hinsicht. Indem die gelehrte Jurisprudenz auf diese Weise in die höchste Gerichtsbarkeit sichtbar eindrang, kam es zwar nicht direkt zur Rezeption des römisch-kanonistischen Prozesses, aber es wandelten sich wohl langsam Terminologie und Verfahren215. Dabei ist allerdings zweierlei zu beachten: Die Tatsache, daß das Zeitalter Friedrichs krisenreich war und nicht zu früh als geschlossenes Ganzes aufgefaßt werden darf, und das Faktum, daß sich die Vermehrung der Juristen nur in geringerem Maße auf Kanzlei und Verwaltung bezog. Hier war man nach wie vor viel weniger „modern“, als die nackten Zahlen auszudrücken scheinen. Wir kehren zur Gerichtsbarkeit zurück. Es ist im letzten Jahrzehnt des Kammergerichts Friedrichs III. mit einigermaßen ausreichend und Johannes Osthusen de Erffordia – drei Erfurter Universitätsjuristen des 15. Jhs. als Ratssyndiker von Lübeck, Beitr. z. Gesch. d. Univ. Erfurt 7, 1960, S. 49–59 und H. Schwarzwälder, Lübeck und Bremen im Mittelalter, Zs. d. Vereins f. Lübeckische Gesch. u. Altertumskde. 41, 1961 S. 5–41 bes. 18ff. 213 Chmel, Regesta, Nr. 6343. 214 Vgl. hierzu aus einer anderen Perspektive H. Koller, Die Aufgaben der Städte in der Reformation Friderici (1442), HJb 100 (1980), S. 198–216, bes. 208. 215 Hierzu sind von der rechtshistorischen Seite am wesentlichsten die Arbeiten von F. Battenberg (vgl. Anm. 182 und 208 sowie ders., Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg und die Falkensteiner Erbschaft, AHG N. F. 35 (1977), S. 99–176).
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überlieferter Sitzungszusammensetzung (zwischen 1471 und 1480)216 in 18 auszählbaren Terminen im Durchschnitt beinahe exakt der Gleichstand zwischen gelehrten Juristen und Laienbeisitzern erreicht worden. Die Proportionen des Kammergerichts von 1495 sind damit vorweggenommen worden, wie auch ansehnliche personale Kontinuität zwischen unserem Personenkreis und den 1495 diskutierten Gerichtsmitgliedern bestand: acht oder neun Namen kann man nennen217. Im ersten Jahrzehnt der Kammergerichtsbarkeit Friedrichs hingegen war der Anteil der gelehrten Juristen erst etwa halb so groß. Zur Routine, die schon solchen Wandlungen unterlag, kam das Sensationelle: Der Prozeß des Hochmeisters des Deutschen Ordens gegen den Preußischen Bund, gleichzeitig mit einem Verfahren „Burggraf von Nürnberg gegen Stadt Nürnberg“, war z. B. 1452/53 ein Höhepunkt, der große Juristen des Reiches am Hofe zusammenführte. Sie waren zur Koniktlösung unentbehrlich, und so gibt es auch Zeugnisse für einen die Standesunterschiede zurückdrängenden Verkehr zwischen Herren und Helfern218. Gegen Ende des Zeitalters kann man auf der Reise des alten Kaisers neue Proportionen erspüren: Im Jahre 1485 berechnete man unterwegs der Römischen Kanzlei 16, der Österreichischen Kanzlei 9 Pferde. Der Fiskal führte 6, vier ungenannte gelehrte Juristen führten 9 und Dr. jur. Thomas von Cilli für seine Person noch einmal 6 Pferde219.
III 1. Damit stehen wir am Ende unseres Versuchs. Die Untersuchung von sieben Generationen gelehrter Jurisprudenz im Dienst der deutschen Herrscher des späten Mittelalters erwies sich vor allem anderen als eine Sache vieler Details. Die mosaikartige Zusammensetzung trockener Fakten in streng chronologischer Abfolge ist wohl der Preis, den man beim ersten Male zu zahlen hat, um sich quantitativ und qualitativ
216 O. Franklin, Das königliche Kammergericht vor dem Jahr MCDXCV, Berlin 1871; Lechner, S. 159–184 (Beleglücken bestehen für die Jahre 1460–64, 1472–74, 1481–93); W. D. Räbiger, Kammergericht, Königliches, HRG II, Sp. 576–580. 217 Vgl. Smend, 389ff.: Stürtzel, Pfeffer, Breisacher, Vogt, Groß, Haiden, Bock?, Pirckheimer, Schöfferlin. 218 Die besten Beispiele in der Politischen Korrespondenz von Albrecht Achilles (z. B. Bd. 1 S. 175 oder Nr. 154). 219 Ebd. Bd. 3, S. 446 Nr. 1123.
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einige Klarheit gegenüber einer „dunkel verschwommenen Schicht“220 zu verschaffen. Bisher gab es in unserem Themenbereich bekanntlich bestenfalls inselhafte Angaben über deutsche Einzelterritorien und Städte, wobei man zudem nach uneinheitlichen Gesichtspunkten vorging, so daß es nicht leicht möglich ist, eine Entwicklung und deren Phasen zu erkennen. Eine längerfristige Studie gerade über das Königtum mag in dieser Situation vorteilhaft sein, weil es sich hier wohl um die zahlenmäßig größte um einen einzigen Hof konzentrierte Gruppe von Juristen handelt. Mit dem Hof ist ein zeitgemäßes Abgrenzungskriterium gewählt, und es bietet sich zudem die Möglichkeit, die mehr wissenschaftsgeschichtlich bedingte221 als sachlich berechtigte Benachteiligung der zentralen Gewalt gegenüber den landesfürstlichen und städtischen Gewalten zu mildern. Zur besseren Einordnung unserer Ergebnisse sollte man womöglich bestimmte Höfe, Territorien oder Städte nach Typen geordnet in ungefähr vergleichbarer Weise abhandeln: diejenigen der Dynastien mit Königsehrgeiz, der geistlichen und weltlichen Kurfürsten, weitere geistliche und weltliche fürstliche und nichtfürstliche Gewalten und verschiedenartige städtische Obrigkeiten222, später auch im europäischen Vergleich. 2. Für das Königtum gilt, daß es im Ablauf des späten Mittelalters kaum jemals auf gelehrte juristische Beratung verzichten mußte, wenn es davon Gebrauch machen wollte (nicht immer schien dies opportun223), und daß sich die Quantität dieser Beratung aufs Große gesehen einigermaßen stetig gemehrt hat. Dies war gewiß Folge zunehmenden Bedarfs, der freilich unten noch zu differenzieren ist, und von sich gegenseitig steigernden Prestigeerwägungen, jedoch auch und vielleicht zuerst Folge von breiteren sozialen Prozessen, die in Gestalt des anscheinend unaufhaltsamen Anwachsens der Zahl gelehrter Juristen sichtbar werden. Diese Seite der Dinge liegt vorerst noch weithin im Dunkeln224. Zugleich tritt freilich auch hier die vielfach gebrochene 220
Weigel, S. 102. Klassisch bei Wieacker, der das Gesamtbild zusammenfaßt. 222 Lit. oben bes. in Anm. 1 und 48; auch Boockmann, Blumenau, S. 142f. 223 Die Szene, wie der Jurist Riederer vom Hohenzollern-Markgrafen Albrecht aus dem Ratgericht gewiesen wird, bei G. Voigt, Enea Silvio de Piccolomini, als Papst Pius der Zweite, und sein Zeitalter, Bd. 2, Berlin 1862, S. 80f. (zu 1453); zur Austauschbarkeit von Juristen Reichscorrespondenz 1 S. 326 Nr. 364, RI XI Nr. 8928 (vgl. Forstreiter, Anhang S. 9). 224 Mein Schüler R. C. Schwinges bemüht sich von der Universitätsgeschichte her um die quantitative und qualitative Bewältigung einiger dieser Probleme. Vgl. ders., Deutsche Universitätsbesucher im späten Mittelalter. Methoden und Probleme ihrer 221
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Geschichte (oder sollte man besser sagen: mehrsträngige Geschichte) der deutschen Zentralgewalt vor Augen, die eine im einzelnen z. T. unruhige Entwicklung der Jurisprudenz am Hofe mit sich gebracht hat, verursacht vor allen Dingen durch die unterschiedlichen Möglichkeiten und Grenzen der königstragenden Dynastien. Diese Unruhe wird sozialgeschichtlich u. a. dadurch erkennbar, daß sich das Königtum im hohen Maße regionaler, d. h. räumlich naher und oft hausmachtbezogener Rekrutierungsbereiche bedient hat, die dann mit dem Wechsel des Schwerpunkts der Zentralgewalt selbst gewechselt haben. Es gab in unserem Zeitalter kein einheitliches deutsches Rekrutierungsgebiet für die gelehrten Juristen des Königs. Oberdeutschland insgesamt – wo eben auch das Herrschertum weilte – war fast ausnahmslos die Herkunftsregion im großen, und innerhalb dieser kann man zeitweise bevorzugte Einzelgebiete bezeichnen: Schwaben, Bayern, Franken, die östlichen luxemburgischen Erblande, Österreich. Der Norden in seiner ganzen Breite von Hennegau bis Livland war für unser Thema fast bedeutungslos. Offenbar war angesichts der geringen verkehrstechnisch-kommunikativen Möglichkeiten des Zeitalters die beträchtliche Ausdehnung des Reiches ein noch zu großes Hemmnis, lagen doch auch die Wissenschaftszentren Italiens oder Frankreichs der deutschen Zentralgewalt geographisch gesehen eher näher als die am weitesten entfernte eigene Grenzlandschaft. 3. Die gelehrt-juristische Elite konkurrierte im Hinblick auf den Dienst beim König mit anderen, sich jeweils untereinander und mit der unsrigen teilweise überschneidenden und verechtenden Eliten, zumal mit in sich wiederum gestuften adelig, dann nanziell-wirtschaftlich, kirchlich-hierarchisch, anderweitig fachlich (theologisch, medizinisch) und rechtspraktisch legitimierten Kräften225, zuletzt auch mit Humanisten. Kaum eine von solchen Gruppen oder Teileliten konnte der
Erforschung, in: Politische Ordnungen und soziale Kräfte im alten Reich, hrsg. v. H. Weber, Wiesbaden 1980, S. 37–51. 225 Hierzu u. a. die „Schriften zur Problematik der deutschen Führungsschichten in der Neuzeit“, bzw. „Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit“; 3: Deutsches Patriziat 1430–1740, hrsg. v. H. Rößler, Limburg 1968; 4: Universität und Gelehrtenstand 1400–1800, hrsg. v. G. Franz, 1970; 5: Beamtentum und Pfarrerstand 1400–1800, hrsg. v. dems., 1972; 6: Führungskräfte in der Wirtschaft in Mittelalter und Neuzeit 1300–1800, 1, hrsg. v. H. Heibig, 1973; V. Press, Führungsgruppen in der deutschen Gesellschaft im Übergang zur Neuzeit um 1500, in: Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit. Eine Zwischenbilanz, hrsg. v. H. H. Hofmann u. G. Franz, Boppard 1980, S. 29–77; A. J. Looyenga, Elites. Proeve van een bibliograe, Leiden 1980.
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König ohne Schaden auf die Dauer entbehren226, jedoch hat sich ihre Bedeutung am Hofe im Laufe der Zeit gewandelt. Kann man von den gelehrten Juristen für unseren Zeitraum sagen, daß ihr Anteil im ganzen beträchtlich gewachsen sei, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß auch die Juristenwelt adelsorientiert war, wie das wirtschaftende Großbürgertum. Der Adel blieb die entscheidende Kraft, und mit diesem gemeinsam galt die Tatsache, daß die Zahlen der Juristen aufs Große der Gesellschaft gesehen bescheiden waren. Eine von größeren Gruppen her beeinußte sozialgeschichtliche Terminologie muß daher vorsichtig gehandhabt werden. Auf einen Begriff sollte man freilich heuristisch vorerst nicht verzichten, auf den Begriff der „politischen Gruppe“ im weiteren und im engeren Sinn. Im weiteren Sinn faßt er die zum eigenen Vorteil am Gesamtinteresse des Reiches orientierten Personen, d. h. unsere Teileliten zusammen. Die Analyse der „politischen Gruppe“ und ihrer Teile ist wohl im allgemeinen ein wesentliches Hilfsmittel zum Verständnis älterer Verfassung, und man mag gerade von unserem Aspekt her auf eine Bereicherung dieses Verständnisses hoffen. Von hier aus gesehen ist unser Thema ein Exempel für ein noch kaum bekanntes Ganzes, auf der anderen Seite werden wir dadurch vor allzu isolierender Betrachtung gewarnt. Ähnliches gilt übrigens prinzipiell für den Anteil der Jurisprudenz an der zeitgenössischen wissenschaftlichen Welt, wie sie vor allem durch die Universitäten und durch Handschriftenproduktion, -besitz und -weitergabe dargestellt ist227. 4. Unter dem quantitativen Aspekt seien die folgenden Tatbestände erwähnt: Die 230 erfaßten Personen nordalpiner Herkunft (demnach ohne Italiener), die infolge strenger Auswahl und wegen des Verlusts und der unfreiwilligen Nichtberücksichtigung von Quellen gewiß eine zu geringe Zahl darstellen, verteilen sich im zeitlichen Ablauf sehr ungleich. Dies tritt beim Vergleich unserer drei fast genau gleich langen Perioden klar hervor: Dem ersten Zeitabschnitt von 1273 bis 1347 gehören 27 (= 12%), dem zweiten von 1346 bis 1410/1419 65 (= 28%) und dem dritten von 1410/19 bis 1493 138 Personen (= 60%) 226 Vgl. z. B. R. Cazelles, La société politique et la crise de la royauté sous Philippe de Valois, Paris 1958. 227 Vgl. J. Miethke, Zur Bedeutung der Ekklesiologie für die politische Theorie im späteren Mittelalter, in: Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters, hrsg. v. A. Zimmermann, 2. Halbbd., Berlin 1980, S. 369–388; vgl. auch die Nähe einiger unserer Juristen zu Universitätsgründungen: Beinheim für Basel, Mair für Ingolstadt.
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an; oder anders formuliert: Die Hälfte der Juristenanzahl wird erst 1437/38 erreicht, als schon drei Viertel des Spätmittelalters in unserer Abgrenzung verstrichen waren. Derjenige Quotient, der für jeden Herrscher die durchschnittliche Anzahl verstrichener Regierungsjahre je neu auftauchendem Juristennamen angibt, verändert sich demgemäß einigermaßen gleichförmig von 3,0 bei Rudolf zu 0,5 bei Friedrich III.; oder anders ausgedrückt: Friedrich hat relativ gesehen sechsmal so viel gelehrte Juristen beschäftigt wie Rudolf. Dies war der Weg, den Königtum und Jurisprudenz in zwei Jahrhunderten zurückgelegt haben. Von dem entsprechenden Durchschnittsquotienten je Einzelperiode (1273–1347 = 3; 1346–1410/1419 = 1,2; 1410/1419–1493 = 0,6; Gesamtdurchschnittsquotient 1273–1493 = 1) weichen am stärksten jeweils negativ ab Adolf von Nassau, Friedrich der Schöne und Wenzel, entsprechend positiv am meisten Heinrich VII., Ruprecht und Albrecht II. Man wird dabei beachten, daß infolge der Unmöglichkeit, zuverlässige Zahlen über die Arbeitsdauer zu ermitteln, und infolge des in mittelalterlichen Verhältnissen üblichen schwungvollen Anfangs einer Regierungszeit kurz amtierende Könige leicht bevorzugt erscheinen. Die quantitative Mitberücksichtigung auch der jeweils vom Vorgänger übernommenen Juristen mildert die Extreme nach der positiven und der negativen Seite, ändert aber im ganzen nicht soviel, daß der Abdruck einer zweiten Zahlenreihe angebracht wäre. Die Tätigkeit italienischer Juristen nördlich der Alpen gehört vor allem in das Zeitalter Sigismunds, im übrigen nden sie sich nur ganz vereinzelt vor. Die hohen Zahlen für Kaiser Friedrich III., der für sich allein genommen mit 109 neuen Juristennamen 47 Prozent aller aufgenommenen Personen (in 24% Zeitanteil an der Gesamtperiode) aufweist228, lenken den Blick auf eine Tatsache von großer Bedeutung: Es ist die bemerkenswerte Aktivierung der Kammergerichtsbarkeit (nach einer oben charakterisierten besonderen italienisch-legistischen Vorgeschichte bei Sigismund). Jene verdeckt, daß sich eine Zunahme der Kanzlei und Verwaltungsjuristen in viel geringerem Maße vollzog – zumal langfristig gesehen, d. h. über den aus besonderen Gründen bei Sigismund eingetretenen Tiefpunkt hinweg. 5. Es bleibt daher richtig, daß im deutschen Spätmittelalter eher mühsam und schlicht verwaltet wurde, gemäß einem Staatszweck, der
228 Diese Zahl dürfte sich angesichts der hier vermutlich größten Quellenunsicherheit künftig stärker erhöhen als anderswo.
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vielfach beschränkt war und eher nach rechtspraktischer Bewältigung verlangte. Allerdings stand die Gerichtsbarkeit unter dem gemeinsamen Dach der älteren Herrschertätigkeit der Verwaltung näher als in der Moderne und ist daher auch für ein solches Thema nicht bedeutungslos. Im übrigen gehört es zu den Konstanten unserer Thematik, daß Führungsstellen in der Kanzlei gelehrt-juristisch besetzt wurden. Dies betraf weniger das Kanzleramt als den Rang des Protonotars, den man sich oft als den Leiter des konkreten Urkundengeschäfts wird vorstellen können. Die Kanzlei war und blieb das wichtigste und dauerhafteste Zentrum der Jurisprudenz am Hof. Daneben gab es von Anfang an auch gelehrte Juristen, die – ohne Kanzleiamt – am besten als Räte aufzufassen sind oder so oder als secretarii229 bezeichnet wurden. Hier ist zu beachten, daß der Königliche Rat unseres ganzen Zeitalters230 ohne Stabilität der Mitgliederzahl, feste Kompetenz, gleiches Stimmrecht und gesichertes Abstimmungsverfahren blieb und daß im Zweifelsfall Adelsrang und Schwert wirksamer waren als Doktorhut und Pergament. Man wird ohnehin mit der Annahme kaum fehlgehen, daß man am Anfang unserer Periode der Jurisprudenz in erster Linie für den Kontakt mit dem siegreichen und überlegenen Papsttum bedurfte. Noch lange Zeit, bis ins 15. Jh. hinein, stellten kirchliche Belange ein Hauptarbeitsgebiet unserer Gewährsleute dar. Dies stimmt auch mit der sozialgeschichtlich faßbaren recht zögernden Laisierung unseres Kreises und mit den erstaunlichen Erfolgen unserer Juristen gegenüber dem Bischofsamt überein. Erst aus jeweils besonderen, hier nicht zu diskutierenden Gründen hat sich dies bei Wenzel, Ruprecht und Sigismund teilweise geändert, und in der gewandelten Atmosphäre des mittleren und späteren 15. Jhs. trat man dann in aller Breite in die allgemeine Politik ein. Das Reich als politisches Gebilde im großen und politische Dinge im Reich im kleinen wurden allmählich das neue Hauptthema der gelehrten Juristen, wie es der frühen Neuzeit selbstverständlich sein wird. Man wurzelte dabei weiterhin in alten Verhältnissen, aber diese wurden neuartig durchgeformt. 6. Das Stichwort „Sozialgeschichte“ ist gefallen. Unter Verzicht auf die Darstellung von „Karrieremustern“, „Sozialprolen“ oder gar der
229 Der Begriff des „secretarius“ ist schwierig und kann hier nicht im einzelnen erläutert werden. Bis in die zweite Hälfte des 15. Jhs. hinein kann jedenfalls ein secretarius als ratsgleich gelten und meint keineswegs zwingend einen Kanzleiangehörigen wie am Ende des 15. Jhs., als ein Bedeutungswandel eingetreten war. 230 Dazu Moraw wie oben in Anm. 2 und 51.
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„Anatomie einer Elite“ sei auf diesem Feld in unserem Zusammenhang nur weniges hervorgehoben. Zunächst ist die relative soziale Homogenität unserer Probanden zu beachten. Zwei „Stände“, Niederadel und großes Bürgertum nicht unbedeutender Städte, an dessen relative Adelsnähe bis ins 15. Jh. hinein erinnert sei, brachten fast bis zum Ende unserer Periode bei weitem die Mehrzahl der gelehrten Juristen im Königsdienst hervor. Der Anteil des Bürgertums nahm zu, jedoch nicht sehr rasch; der Landadel, der die Graduierung nicht so wichtig nahm, behauptete sich bis zuletzt recht ansehnlich. Hier könnte eine Besonderheit der königsnahen Juristen vorliegen, da es doch um den Dienst an einer besonders hochgestellten Adelswelt ging. Genauso gewichtig war, trotz ganz allmählicher Verkleinerung, der lange Zeit überwiegende Anteil der Pfründenkirchen, also der Dom- und Stiftskapitel, am sozialen Substrat unseres Personenkreises; auch dies mag mit dem Königsdienst zu tun haben231. Die Zahl der verheirateten Juristen nahm zwar zu, bis dieser Status im 16. Jh. wohl zur Regel werden wird; beim König aber wurde der Weg vom Klerikerjuristen zum Laienjuristen nicht sehr schnell zurückgelegt. Zum dritten ist der soziale Ausweis (der zugleich ein nanzieller Ausweis war) durch das Auslandsstudium232 für unsere Gewährsleute eine Konstante des ganzen Zeitalters. Das Übergewicht Italiens (zuerst Bologna, dann Padua) ist so klar, daß es kaum in Zahlen gefaßt zu werden braucht. Als ein zweites wesentliches Moment der Rekrutierung tritt die Institution der königsnahen Universität (zuerst Prag und Heidelberg, dann besonders deutlich Wien) hervor, wenn auch bei den führenden Leuten nur selten allein. Wer womöglich Studienorte beider Typen wählte oder besser: wer hierzu angeleitet wurde, hatte erheblich bessere Aussichten als Absolventen anderer Provenienz. Damit sind wir bei der wohl wichtigsten, zugleich zusammenfassenden Feststellung zur Sozialgeschichte unseres Kreises233: Überall, wo
231 Die freund-feindliche Nähe der Juristen zur Kurie und die Argumentation mit kirchlichen Zusammenhängen beleuchtet z. B. der an Martin Mair gerichtete Traktat Enea Silvios: Aeneas Silvius Germania und Jakob Wimpfeling: „Responsa et replicae ad Eneam Silvium“, hrsg. v. A. Schmidt, Köln 1962. 232 Vgl. z. B. W. Dotzauer, Deutsches Studium und deutsche Studenten an europäischen Hochschulen (Frankreich, Italien) und die nachfolgende Tätigkeit in Stadt, Kirche und Territorium in Deutschland, in: Stadt und Universität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hrsg. v. E. Maschke u. J. Sydow, Sigmaringen 1977, S. 112ff. 233 Vgl. P. Moraw, Zur Sozialgeschichte der deutschen Universität im späten Mittelalter, Gießener Univ.-Bll. 8, 2 (1975), S. 44–60.
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die Quellen nur einigen Einblick erlauben, trifft man auf die alten, weit verbreiteten Grundregeln sozialer Existenz des alteuropäischen Zeitalters, Patronat und Begünstigung auf Grund von Verwandtschaft, Landsmannschaft, Schülerschaft, Studienfreundschaft oder ähnlichem. Die Chancen wurden offenbar in viel höherem Maße zugeteilt als durch geistig-wissenschaftlichen Ausweis erworben, wobei dieser selbstverständlich nicht ausgeschlossen war. Die Gegenprobe erweist, daß die Zahl der wirklichen „Aufsteiger“, die nicht etwa nur ökonomischen Rang gegen juristischen Rang getauscht haben, verschwindend gering war. So ist auch die Schar der an den Universitäten erkennbaren „pauperes“ aus unserem Kreis außerordentlich klein, sie beträgt wohl ein Prozent234. 7. Die Schlußbemerkung gelte noch einmal dem Verhältnis der Jurisprudenz zum Reich: Auch der schwächste König blieb der König der Juristen, und dies war nicht ohne Folgen. Denn ehe eine Gesamtgesellschaft „Reich“ eigentlich politisch in höherem Maße wirksam bestanden hat, setzten sie die gelehrten Juristen voraus und nahmen sie vorweg. Fast alle „politischen Kulturen“ im Reich waren von ihren praktischen und sozialen Voraussetzungen her regional angelegt, und die allermeisten blieben es auch im Denken und Handeln. Sozial gesehen galt dies auch für die gelehrt-juristische Kultur, wie wir sahen. Deren Denken jedoch war umfassend und hat verwirrende und partikulare Tatbestände der Reichsverfassung neu sehen und aussprechen gelehrt und neue Legitimationen bereitgestellt. Auch das Handeln der Juristen trieb die Verdichtung des Reiches voran. Das Kammergericht zumal Friedrichs III. war – unabhängig von seinem vielleicht problematischen gerichtlichen Erfolg – neben Fiskal und Kanzlei ein dritter zentralisierender Punkt am Hofe, der immerhin soweit entfernte Städte wie Lübeck dazu veranlaßte, ihren teuren Syndikus jahrelang beim Kaiser weilen zu lassen. Daß von diesem, der in Innerösterreich saß, bis zur Travestadt durchschnittlich eine Reise von 34 Tagen Dauer zurückzulegen war235, mag noch einmal die Schwierigkeiten beleuchten und die vielen Unvollkommenheiten erklären helfen, mit denen man sich oftmals vergeblich auseinandersetzte. Aber welche Gedanken ließen sich schon in einem technisch-lebensweltlich so problematischen Zeitalter unbeschädigt verwirklichen? Im 15. Jh. fanden immerhin die
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Aufgefallen sind uns Ulrich von Albeck und Heinrich Leubing. Neumann, Erfahrungen, S. 61.
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Einübung und das weitere Wachsen eines Beziehungsgeechts statt, an das man hundert oder zweihundert Jahre zuvor bei weitem nicht hätte denken können. Zweitrekrutierung, Mehrfachdienst, Wechsel des Dienstherrn stärkten es, oder auch das Faktum, daß Fürsten des 15. Jhs. den werdenden Reichstag nur selten persönlich aufsuchten und an ihrer Stelle ihre Räte, darunter in der Regel Juristen, entsandten; was kurzfristig wegen der gefährdeten Beschlußfassung als politisch schädlich zu verbuchen ist, mag in unserem Sinne, als Gespräch unter Kollegen, auch eine positive Seite gehabt haben. Daß der politische Schriftverkehr, an dem unsere Gruppe mit ihren Kollegen im Fürstendienst führend beteiligt war, beträchtlich zunahm, ist leicht zu erkennen. Demnach ist die politische Teilhabe am Reich von Kräften auch außerhalb des seit dem 13. Jh. traditionellen Bereichs, des Verbundes von Königtum und Kurfürstentum, von den gelehrten Juristen vorweggenommen worden, bevor sie von den Fürsten im Umkreis von 1495 endgültig realisiert wurde. Der König selbst wurde zwar nicht doctor legum, wie die Reformatio Sigismundi gefordert hatte236, aber er wurde mit den Fürsten immer stärker juristisch eingebunden – ein Vorgang, der in unserem Zeitalter begann und in der frühen Neuzeit als „Verrechtlichung“ gipfeln wird. Wir sehen daher die gelehrten Juristen nicht mit Wieacker 237 und seinen Gewährsleuten als Gehilfen bei der „Zerstörung des Reiches durch die Fürsten“ an, sondern möchten in ihnen eine Kraft erkennen, die die alten Mauern des Gemeinwesens neu gefestigt hat, so daß sie noch lange Zeit Bestand hatten.
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Struve, S. 73. Wieacker, S. 96.
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CONSEILS PRINCIERS EN ALLEMAGNE AU 14ÈME ET AU 15ÈME SIÈCLE
Pour autant que nous le sachions, le thème ‘Conseils Princiers en Allemagne au 14e et 15e siècle’ n’a encore jamais été traité dans sa totalité, quoique nous disposions de nombreuses recherches concernant des questions plus particulières.1 Cette lacune peut certainement s’expliquer de plusieurs façons: 1. Le nombre de cours princières allemandes au moyen âge tardif est assez impressionnant. Dans sa dissertation concernant ‘Les juristes érudits dans les territoires allemands au moyen âge tardif ’,2 qui tend à l’exhaustivité, Ingrid Männl traite 29 cours séculières et 55 cours de l’Eglise, donc 84 cours au total.3 Le nombre de princes augmentait toujours.4 2. La délimitation du groupe des princes allemands est problématique car les principautés étaient constamment soumises à des réunions et des divisions dynastiques. A côté des princes de l’Empire germanique, qui seuls formeront l’objet de cette recherche, il y avait des princes qui occupaient un rang inférieur (par exemple les ducs de 1 Sur l’histoire allemande de l’époque: Peter Moraw, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490, Berlin, 1985 (Propyläen Geschichte Deutschlands, 3). Sur les princes: Julius Ficker et Paul Punschart, Vom Reichsfürstenstande, 2 tomes, Innsbruck, 1861–1923; Deutsche Verwaltungsgeschichte, Kurt G. A. Jeserich e.a., éds., Bd. 1, Stuttgart, 1983 (surtout la contribution de Dietmar Willoweit); Peter Moraw, Die Entfaltung der deutschen Territorien im 14. und 15. Jahrhundert, dans: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter, I, München, 1984, pp. 61–109; Vom Reichsfürstenstande, Walter Heinemeyer, éd., Köln, Ulm, 1987; Gerhard Theuerkauf, Fürst, dans: Lexikon des Mittelalters, IV, München Zürich, 1989, col. 1337–1351; Ernst Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter, München, 1996 (Enzyklopädie dt. Geschichte 35). Sur les Conseils: C. Verwaltungsgeschichte, I (cf. supra), surtout la contribution de D. Willoweit et P. Moraw; Paul-Joachim Heinig, Rat, dans: Lexicon des Mittelalters, VII, München, Zürich, 1995, Col. 449–453. Cf. Les élites du pouvoir et la construction de l’État en Europe, Wolfgang Reinhard, éd., Oxford, 1996. 2 Sans la cour impériale. 3 Diss. Giessen, 1987. 4 Ainsi, le margrave de Bergen (Bergen op Zoom), devint prince de l’Empire germanique au 16e siècle.
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Silésie n’étaient que des princes au service du roi de Bohême, qui lui était prince de l’Empire germanique).5 En outre il y avait en l’Empire, comme on l’a déjà remarqué, la particularité des princes de l’Eglise, surtout des évêques. Mais pas tous les évêques étaient des princes de l’Empire (par exemple les évêques suffragants de l’archevêque de Salzbourg). Il y a à peu près 40 véritables princes et princesses de l’Eglise dont, d’habitude, on ne tient pas compte. C’est ce que nous ferons également, puisque ces ‘souverains’ étaient trop pauvres pour entretenir une vraie cour. Il s’agit de la plupart des princes-abbés, des princes-prévôts et de toutes les princessesabesses.6 3. En effet, les différences entre les princes de l’Empire germanique étaient remarquables. Notre sujet présentera beaucoup de variations selon la nature des principautés: sont-elles grandes ou petites, sontelles séculières ou religieuses? Les trois puissantes dynasties éligibles (Habsbourg, Luxembourg, Wittelsbach), et les électorats, en général très considérables, contrastent avec les principautés toutes modestes, qui elles-mêmes étaient dépassées par de nombreux comtés (comme le comté de Württemberg, principauté depuis 1495). Normalement, les comtés n’étaient pas des principautés; cependant, le comte de Anhalt était exceptionnellement prince de l’Empire germanique, et il y avait des comtés convertis en principautés (e. a. Henneberg). Les Conseils de la dynastie fournissant un roi recevaient, dans ses terres héritées, de puissantes impulsions de la part d’une royauté alors soumise à des changements dynastiques constants.7 Un autre facteur important était la position géographique de la principauté à l’intérieur de l’Empire: se situait-elle dans la partie occidentale, plus développée, dans la partie orientale, moins développée, dans la partie méridionale, plus développée ou dans la partie septentrionale, moins développée? Nous ne nous prononçons pas ici sur les princi-
5 Peter Moraw, Das Mittelalter, dans: Schlesien, Norbert Conrads, éd., Berlin, 1994, pp. 37–176, 706–719, 778–783. 6 Peter Moraw, Geistliche Fürstentümer, dans: Theologische Realenzyklopädie, XI, Berlin, New York, 1983, pp. 711–715. 7 Sur les Conseils du roi: Deutsche Verwaltungsgeschichte; Peter Moraw, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493), dans: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Roman Schnur, éd., Berlin, 1986, pp. 77–148; PaulJoachim Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440–1493), Hof, Regierung und Politik, 3 tomes, Cologne, Weimar, Vienne, 1997.
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pautés du Nord-Ouest (dans la Belgique actuelle et aux Pays-Bas), qui seront traitées ailleurs dans ce tome, de sorte que nous devons sauter quelques exemples exceptionnellement ‘modernes’. Dans la partie méridionale, le Comté de Tyrol, converti en principauté, jouait un rôle primordial.8 En n de compte, il est très important de souligner que la principauté allemande typique n’existe pas. La naissance des différentes principautés va de pair avec des facteurs très variés, et même si personne ne conteste que les principautés qui ont survécu jusqu’au 18e siècle présentent un nombre grandissant de caractéristiques communes, elles sont restées des entités individuelles jusqu’à la n. 4. La détermination du mot ‘Conseil’ (Rat, aussi bien comme institution: Consilium que comme individu: consiliarius) s’avère également problématique. Nous y reviendrons encore. Toutefois, nous sommes convaincus que l’on peut reconnaître et formuler les caractéristiques fondamentales du système des conseils à l’époque. 5. De même, les problèmes liés à la transmission sont considérables, surtout en Europe Centrale. Des évolutions très importantes se sont déroulées à une époque très pauvre en sources, c’est à dire avant le 14e siècle. La cour se trouvait toujours à portée des ordres oraux, et l’oral sufsait donc à garantir leur exécution, de sorte que de nombreux éléments essentiels n’ont pas laissé de traces. Cela vaut également pour des époques plus tardives. Les compilations de sources disponibles s’avèrent souvent très récalcitrantes et n’offrent qu’un regard externe: des chartes, des instructions, des mentions dans l’historiographie. Apparemment, des témoignages qui nous amènent à l’intérieur du conseil, surtout des protocoles, n’ont pas été conservés avant le 16e siècle, ou n’ont tout simplement pas existé.9 Nous traitons brièvement trois éléments qui servent de point de départ pour notre sujet: 1. La personne du prince. Dans le contexte des Conseils médiévaux, en tout cas au moyen âge allemand, la personne du souverain se trouve toujours à l’avant-plan, et non le pays, ni même l’État. C’est 8
Eines Fürsten Traum. Meinhard II. Das Werden Tirols, Dorf Tirol, Innsbruck, 1995. Thomas Fellner, Heinrich Kretschmayr, Die österreichische Zentralverwaltung, I, 1, Vienne, 1907. 9
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le rapport personnel entre le conseiller et le prince qui détermine le rang et l’inuence du premier; ils ne dépendent pas d’une communauté quelconque, ni d’un procédé administratif ou d’une situation hiérarchique. Le prince, lui, assisté ainsi par ses conseillers, pouvait être à son tour le conseiller du roi.10 2. ‘L’État’ du prince, ‘l’État’ territorial. Dans la recherche, cet ‘l’État’ est traité différemment selon les proportions de son caractère étatique médiéval; de même, il faut faire des distinctions selon sa position géographique. De nos jours, on a tendance à n’émettre que des jugements très prudents, et de plus en plus on considère qu’il ne s’agit pas d’une évolution continue, mais de phases isolées, hésitantes et inconséquentes. On abandonne l’hypothèse d’une évolution linéaire. En ce qui concerne le degré d’institutionnalisation dans les territoires, on ne se prononce qu’avec beaucoup de réserves, avec plus de réserves en tout cas que la génération précédente et surtout les historiens du 19e et du début du 20e siècle, qui considéraient l’État comme une entité presque universelle. En revanche, on prêtera beaucoup plus d’attention au rôle central et prépondérant de la famille princière, ainsi qu’aux vicissitudes connues que la vie familiale entraînait.11 Au fond, l’Empire médiéval dans son ensemble n’était pas un l’État, même s’il présentait quelques caractéristiques étatiques et même si ce caractère étatique, l’Empire grandissant, augmentait graduellement, surtout à partir de la deuxième moitié du 15e siècle.12 3. La cour princière. Depuis le moyen âge tardif, le Conseil princier (Consilium) faisait avant tout partie de la cour princière. Il y avait un lien presque existentiel entre le prince et les phénomènes de la cour. On ne peut guère s’imaginer qu’un prince sans cour était vraiment perçu comme un prince. La cour était beaucoup plus que le centre du gouvernement et de l’administration du prince. Elle était la preuve de l’existence du seigneur, la plate-forme des services au seigneur et à sa famille, le point de départ du mode de vie patriarcal et des festivités, l’instrument du seigneur vis-à-vis du monde extérieur, l’espace où le monde extérieur inuençait le seigneur, la scène où se jouait la course au pouvoir. Tout cela concernait également
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Cf. note 7. Schubert, op. cit. Cf. note 1.
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le conseil, qui formait bel et bien la partie la plus essentielle de la cour après le seigneur lui-même et sa famille.13
1 Nous parlerons maintenant brièvement de la naissance, de la nature et des occupations des Consilia princiers. Actuellement, on a l’habitude de considérer les territoires allemands comme un ensemble d’entités que des dynasties à succès commencèrent à créer depuis la n du 11e siècle et surtout depuis le 12e siècle. Des formations prédynastiques sous forme de pays (d’après les théories d’Otto Brunner)14 sont jugées aujourd’hui de façon plus sceptique, et on n’admet leur existence que dans certaines régions (surtout dans le Sud: l’Autriche). La formation dynastique n’était pas encore entièrement accomplie à la n du moyen âge. Seuls les grands territoires sont devenus, au cours du 18e siècle et après, de véritables États au sens moderne du terme: l’Autriche, le Brandebourg – la Prusse, la Bavière, peut-être la Saxe. La féodalité jouait un rôle prépondérant dans la formation dynastique. Le conseil ou mieux l’activité qui consistait à conseiller était enracinée dans la féodalité, tout comme les ‘Landstände’ (États). Elle était également enracinée dans la ‘familia’ princière, c’est à dire l’entourage ou la suite du prince. En ce qui concerne la naissance des Consilia princiers, on est confronté au même problème que dans le cas des États princiers: les structures autour des Conseils et des États et le territoire lui-même n’ont pu se développer que grâce à l’apparition – réelle ou probable – de Conseils et d’États. Cela implique avant tout que, pour résoudre le problème de la naissance des Conseils, il faut se servir d’une compilation de sources équivoque: des mentions de personnes dans les chartes princières. Face à cette compilation, deux sortes d’approches sont possibles: une approche prudente et une approche audacieuse. Les deux approches ont été essayées, c’est à dire, on a essayé de situer très tôt les Conseils ou les États, au 13e ou même déjà au 12e siècle, et on a essayé de les situer tard, à partir du 14e siècle. Les sources sont toujours les mêmes. Les différences dépendent surtout de la manière dont on interprète les chartes. Nous adhérons, dans les deux cas, pour les Conseils et pour
13 14
Deutsche Verwaltungsgeschichte, I (cf. note 1). Otto Brunner, Land und Herrschaft, 5. Au. Darmstadt, 1965.
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les États, à des datations tardives et à des interprétations prudentes et très provisoires.15 Tout ce qu’on vient de dire ne concerne que les débuts. Au 14e et 15e siècle, qui constituent l’objet de notre recherche, les afrmations concernant les Conseils sont beaucoup plus sûres. L’on peut donc se er quelque peu à la liste des caractéristiques fondamentales que nous formulerons ici. 1. La notion de ‘Conseil’ était et restait vague et ambiguë, partout dans l’Empire. On parlait beaucoup plus souvent de conseillers (consiliarii ) que du Conseil (Consilium). Cela valait aussi pour le Conseil Royal, que nous ne traitons pas ici, même s’il a toujours constitué un exemple pour les Consilia princiers et s’il était en tout cas plus grand et plus différencié qu’eux. Selon une ‘typologie idéale’ (idealtypisch, cf. Max Weber), et compte tenu de zones de transition vagues pour les cas individuels, l’on peut distinguer trois types de conseillers (consiliarii): a. Le conseiller quotidien (‘conseiller quotidien’, täglicher Rat, est une notion qui provient de la critique des sources), c’est à dire les conseillers constamment présents à la cour du prince (il s’agit en général d’un total de quelque trois à six personnes, y compris dans la plupart des cas les ‘fonctionnaires’ qui dirigeaient la cour). b. Le groupe de personnes – beaucoup plus grand – (bien plusieurs douzaines dans les grands territoires), entre autres des conseillers qui demeuraient dans les bourgs à l’intérieur ou proche du territoire, mais qui pouvaient être convoqués à la cour sur demande, pour y rejoindre le conseil ‘quotidien’ (Räte von Haus aus, +/– ‘Conseillers à partir de chez eux’, également un terme qui provient de la critique des sources). c. Le Conseil des puissants du pays, qui était lié au système des États ou même partiellement identique à cet organisme. Surtout à des moments de crise, il conseillait sur demande ou imposait ses conseils au prince.
15
Peter Moraw, Zu Stand und Perspektiven der Ständeforschung im spätmittelalterlichen Reich, dans: Die Anfänge der ständischen Vertretungen in Preussen und seinen Nachbarländern, Hartmut Boockmann, éd., München, 1992, pp. 1–38.
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2. Mis à part les Conseils d’experts, dépourvus de pouvoir réel, le Consilium était toujours en même temps quelque chose de politique, car des facteurs sous-jacents tels que le pouvoir et l’argent du consiliarius jouaient un rôle primordial auprès du prince. Dès lors, le Consilium était un facteur – du point de vue du roi un outil – important, même prépondérant en vue de l’intégration du territoire. Déjà dans la féodalité princière, si étroitement liée à la naissance du Conseil, ‘conseil et assistance’ étaient des concepts indissociables. Celui qui conseillait, devait également s’engager et aider à exécuter ses conseils. Et comme la capacité d’aider différait de personne en personne, ce seul principe implique déjà qu’un vrai collège de conseillers, institutionnalisé et bien structuré, basé sur un nombre xe de participants, sur un droit de vote collectif ou même sur des votes dotés d’un poids égal pour tout le monde, était impossible. Il faut attendre jusqu’en 1500 pour voir apparaître, dans les Conseils royaux, une certaine systématisation de votes au sens moderne du terme (d’après l’exemple juridique), et même là il ne s’agissait que de sujets auxquels le souverain s’intéressait moins.16 Du reste, tout ce qui importait vraiment était traité de façon ‘politique’, c’est à dire selon la volonté du plus fort ou des plus forts – dans la plupart des cas le roi – et non pas de façon ‘démocratique’. De même, la symbiose entre le prince et le Consilium était également de nature politique, de sorte que le seigneur pouvait condamner le Consilium à l’impuissance ou bien lui accorder toutes les responsabilités. En général, vu le manque de nouvelles provenant des cours, l’on ne peut pas vraiment distinguer l’activité du prince de celle du conseil. 3. Le Consilium princier reétait parfaitement la puissance politique du seigneur dans la principauté, ainsi que sa stabilité politique (un cas extrême: le fameux meurtre des conseillers au Bourg de Karlstein en Bohême, en 1397, quand un groupe de conseillers du roi Wenzel assassina un autre groupe, suite à des problèmes politiques à l’intérieur de la Bohême).17 D’après les dimensions et l’importance du territoire, l’on peut distinguer parmi les conseils trois rangs sociaux:
16
Deutsche Verwaltungsgeschichte, I, p. 36. Deutsche Reichstagakten [ältere Reihe], tome 2, Julius Weizsäcker, éd., Gotha, 1874, à partir de la p. 454. 17
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a. Quelques membres de la haute noblesse (comtes et barons), qui euxmêmes n’avaient pas réussi à se former un territoire important. b. Les chevaliers nobles (petite noblesse), qui constituaient toujours le noyau et le groupe majeur des conseillers. c. Des membres du clergé issus de la petite noblesse ou même des bourgeois, qui en général avaient moins de pouvoir et jouaient un rôle plutôt professionnel; parmi eux, les juristes savants (dont nous parlerons encore brièvement) gagnaient constamment en importance; aussi les professionnels du Conseil étaient-ils des laïcs au 15e siècle. Le Conseil royal était quelque chose de comparable, mais à un échelon plus haut: a. Des princes séculiers et des princes de l’Eglise. b. Des comtes et des barons (seulement très exceptionnellement des chevaliers). c. Des religieux dotés de pouvoir (des évêques) et des religieux qui jouaient un rôle en tant qu’experts ( juristes). Avant le 15e siècle, les classes sociales bourgeoises et laïques n’y guraient que dans des cas exceptionnels, et toujours temporairement. Auprès du roi il s’agissait surtout d’habitants de quelques grandes villes proches du souverain (Nürnberg, Frankfurt am Main), à titre de professionnels des nances. 4. Les consiliarii n’étaient pas vraiment des individus au sens moderne du terme; ils faisaient surtout partie d’un réseau de liens familiaux, de rapports avec leur lieu d’origine, et de relations formées au cours de leur carrière (studium). En général il vaut mieux partir de ce genre de rapports que de la notion d’individu. La gestion du personnel, soumise au patronage de puissants conseillers, nous offre la meilleure perspective quand il s’agit de comprendre les rapports de forces réels à la cour et dans le Conseil des princes.18 Il était parfaitement possible que des individus, membres du Conseil, dominent la cour entière. 5. Nous connaissons très mal le déroulement et les procédures qui caractérisaient les sessions des Conseils médiévaux en Allemagne.
18 Klientelsysteme im Europa der Frühen Neuzeit, Antoni Maczak, éd., München, 1989; cf. Gunner Lind, Great Friends and Small Friends: clientelism and the Power Elite, dans: Power Elites and State Building, pp. 123–147.
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Apparemment l’on avait l’habitude d’organiser de longues rencontres quotidiennes, qui commençaient tôt le matin. Il y avait le serment des conseillers (‘conseillers jurés’) et la rémunération des conseillers, si elle n’était pas remplacée par la prébende cléricale. Le système social était certainement beaucoup plus compliqué que les formes extérieures de l’institution du Conseil. L’on ne saurait pas vraiment distinguer les compétences d’un certain conseiller, tout au plus on pourrait indiquer les éléments centraux de son activité. L’une des tâches du conseiller consistait à être temporairement ou continuellement présent à la cour, et à entretenir des contacts personnels avec le prince, à être son ‘conseiller’ au sens littéral du terme. Puis il devait collaborer à l’organisation interne et à l’administration du pays (il était dès lors possible que des dignitaires locaux et régionaux jouent constamment ou très souvent le rôle de conseiller) – de sorte qu’on peut parler d’une espèce de responsabilité et de gestion partagées dans le pays. Par le terme ‘gestion partagée’ nous entendons des investissements politiques et surtout nanciers du consiliarius dans le territoire, qui allaient souvent de pair avec l’attribution de fonctions et de privilèges de la part du seigneur. En troisième lieu, la tâche du conseiller consistait en la collaboration à la juridiction et au tribunal arbitral de la cour princière, à l’intérieur et à l’extérieur du territoire; en quatrième lieu il y avait la collaboration à l’entretien des rapports externes de la cour – avec les pétitionnaires du territoire, avec les cours voisines, avec le roi, avec les assemblées de l’Empire et, le cas échéant, avec le pape. En outre, il y avait constamment des cas exceptionnels imprévisibles, qui augmentaient temporairement l’inuence et la responsabilité de certains groupes de conseillers: quand un pays était divisé ou quand deux pays se réunissaient, quand le prince était absent, en période de régence et si le roi se sentait surmené. Le roi Jean de Bohême,19 par exemple, prince de l’Empire germanique (1310–1346) et en même temps comte (non princier) au Luxembourg – donc dans un territoire très éloigné –, ls d’un empereur, ce qui impliquait des grandes espérances politiques, et nalement très orienté vers la société française, forma des groupes de conseillers très différents, très indépendants les uns des autres, qui 19 Winfried Reichert, Landherrschaft zwischen Reich und Frankreich, 2 tomes, Trier, 1993; Peter Moraw, Über den Hof Johanns von Luxemburg und Böhmen, dans: Johann der Blinde Graf von Luxemburg, König von Böhmen, 1296–1346, Michel Pauly, éd., Luxemburg, 1997, pp. 93–120.
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correspondaient à ces quatre conditions. Ou mieux: ces groupes se sont formés presque spontanément, inspirés par les objectifs du roi, et le roi devait s’arranger avec eux. Dans ce cas, plutôt que de parler d’un Consilium princier unique, il faut peut-être admettre la présence simultanée de plusieurs Consilia.
2 Il serait sans doute à propos d’introduire ici quelques différenciations spatiales et chronologiques par rapport à l’ensemble du thème des ‘Conseils princiers dans l’Empire’, mais cela nous ferait dépasser largement la longueur prévue de cet article.20 C’est pourquoi nous nous contentons d’une liste des facteurs les plus différenciateurs. Il y a d’abord l’état quantitatif de la recherche (nous connaissons par exemple beaucoup mieux la Bavière et le palatinat que l’Autriche et Mecklenbourg); deuxièmement il y a l’état qualitatif de la recherche. Cela concerne surtout, comme on l’a déjà indiqué, l’audace ou la prudence des historiens quand ils se décident pour une certaine hypothèse de travail, qui peut partir d’un modèle d’interprétation ‘bureaucratique’ ou ‘moderne’ (comme le préfèrent les historiens du droit) ou plutôt d’un modèle ‘élémentaire’ ou ‘médiéval’ (comme les historiens le préfèrent
20 Choix de monographies: Hans Spangenberg, Hof- und Zentralverwaltung der Mark Brandenburg im Mittelalter, Leipzig, 1908; Gottfried Opitz, Urkundenwesen, Rat und Kanzlei Friedrichs IV. (des Streitbaren) Markgrafen von Meissen und Kurfürsten von Sachsen 1381–1428, Diss. München, 1938; Irmgard Kothe. Der fürstliche Rat in Württemberg im 15. und 16. Jahrhundert, Stuttgart, 1938; Winfried Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland, Wiesbaden, 1962; Heinz Lieberich, Landherren und Landleute, München, 1964; Klaus Frhr. v. Andrian-Werburg, Urkundenwesen, Kanzlei, Rat und Regierungssystem der Herzoge Johann II., Ernst und Wilhelm III. von Bayern-München (1392–1438), Kallmünz, 1971; Karl H. Schleif, Regierung und Verwaltung des Erzstifts Bremen am Beginn der Neuzeit, Hamburg, 1972; Ludwig Schnurrer, Urkundenwesen, Kanzlei und Regierungssystem der Herzöge von Niederbayern 1255–1340, Kallmünz, 1972, Wolf-Dietrich Penning, Die weltlichen Zentralbehörden im Erzstift Köln von der ersten Hälfte des 15. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, Bonn, 1977; Karl E. Demandt, Der Personenstaat des Landgrafschaft Hessen im Mittelalter, 2 tomes, Marburg, 1981; Winfried Stelzer, Gelehrtes Recht in Österreich von den Anfängen bis zum frühen 14. Jahrhundert, Wien, Köln, Graz, 1982; Christoph Frhr. v. Brandenstein, Urkundenwesen und Kanzlei, Rat und Regierungssystem des Pfälzer Kurfursten Ludwig III. (1410–1436), Göttingen, 1983; Alfons Sprinkart, Kanzlei, Rat und Urkundenwesen der Pfalzgrafen bei Rhein und Herzöge von Bayern 1294–1314 (1317), Köln, Wien, 1986; Dieter Stievermann, Die gelehrten Juristen der Herrschaft Württemberg im 15e Jahrhundert, dans: Die Rolle der Juristen, pp. 229–271: Friedhelm Burgard, Familia Archiepiscopi, Trier, 1991; Gerda Maria Lucha. Kanzleischriftgut, Kanzlei, Rat und Regierungssystem unter Herzog Albrecht III. von Bayern-München 1438–1460, Frankfurt M., 1993. Cf. note 19.
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entre-temps). L’approche ontogénétique peut également avoir un effet différenciateur (nous y reviendrons quand nous traiterons l’exemple des conseillers savants, qui se prête le mieux à un aperçu global de l’Empire). Ou bien en d’autres termes: la principauté religieuse de Salzbourg dans la partie méridionale était presque aussi ‘moderne’ que la principauté religieuse de Kurköln dans la partie occidentale, mais suite à des facteurs très différents, qui résultaient d’inuences extérieures très hétérogènes sur l’Europe centrale. L’une des tendances générales les plus importantes, qui soulève actuellement peu de discussion, est une évolution quantitative et qualitative claire, partout en Allemagne, dans le sens d’une ‘modernisation’ du territoire et du Conseil vers la deuxième moitié du 15e siècle ou bien – dans des pays tardifs – vers 1500. Ce phénomène implique également la transition d’un Consilium que l’on pensait surtout en termes de politique et de rapports de force, l’endroit où se jouaient les courses au pouvoir du territoire, vers un instrument administratif et gouvernemental du prince, ainsi que le remplacement de personnages dotés de pouvoir par des personnages dotés d’une fonction. Les États adoptaient alors, le cas échéant, une attitude dualiste en tant que détenteurs du pouvoir vis à vis des princes du territoire, mais uniquement en dehors du Conseil princier. Ce nouveau type de Conseil était graduellement intégré dans un petit groupe d’institutions, caractérisés par un usage de plus en plus poussé de l’écrit et par une organisation tendant à fonctionner de plus en plus comme un ensemble cohérent. On les retrouvait à la cour et, comme on le voit plus clairement maintenant, aux échelons supérieurs de l’administration territoriale. Ce changement important était dû à des facteurs très divergents: il y avait entre autres le besoin d’argent qui se faisait plus pressant dans la principauté et dans tout l’Empire, et la naissance graduelle d’infrastructures résidentielles dans le territoire. Il y avait toujours eu un petit nombre des ecclésiastiques qui étaient des conseillers du prince; le chef de la Chancellerie princière de la cour, par exemple, en faisait souvent partie. Depuis le 13e siècle apparaissent parmi ces ecclésiastiques, qui forment un groupe toujours plus grand et toujours plus homogène, des preuves de leurs études universitaires et de leur connaissance de la science juridique, qui se limite d’abord presque exclusivement à la connaissance du droit canonique, sauf dans le Nord-Ouest (aux bouches du Rhin). La dissertation de Männl, qu’on a déjà mentionnée au début de cet article, n’a pas uniquement étudié les conseillers savants du prince, mais tous les juristes au service des princes allemands, de 1250 à 1440, ce qui a abouti à des conclusions
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remarquables (cf. infra). On pourrait les appliquer facilement au groupe beaucoup plus restreint des conseillers savants des princes.21 Les juristes savants du roi avaient déjà fait l’objet d’une étude.22 Cependant, l’on constate toujours que, pour arriver à une compréhension globale et concrète des tâches imposées aux conseillers savants, on est réduit à répéter les observations concernant les tâches de tous les conseillers. C’est à dire: pour les princes séculiers d’abord l’administration du territoire et les relations avec le monde extérieur, et en outre, une tâche qui fut longtemps uniquement réservée aux conseillers des princes de l’Eglise, la juridiction religieuse (dans l’évêché). Avant la deuxième moitié du 15e siècle, ou dans certains cas même avant 1500, il arrivait rarement que des juristes savants interviennent dans la juridiction séculière. En ce qui concerne les conseillers savants, c’est surtout en examinant l’évolution des Conseils dans les principautés individuelles que l’on arrive à des conclusions assez fondées: partout il y avait des nobles, mais au début il y avait peu de juristes, et ils étaient chers. La partie occidentale et méridionale du pays avaient une avance claire dans ce domaine. On pourrait même presque adopter l’hypothèse que les différences que l’on distingue dans le degré d’intégration des nouvelles évolutions européennes se poursuivaient à l’intérieur de l’Empire, selon les sens qu’on a déjà indiqués (Ouest – Est et Sud – Nord), comme si les frontières extérieures de l’Empire n’existaient point.23 Par exemple on peut bien comparer le rapport entre la Flandre, qui au 14e et au 15e siècle était en grande partie française, et le territoire voisin du Brabant, au rapport entre Rheinland et Westfalen, etc. En ce qui concerne la Flandre
21
Choix: Paul Joachimsohn, Gregor Heimburg, Bamberg, 1891; Heinz Lieberich, Die gelehrten Räte, dans: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, 27, 1964, pp. 120–189; Hartmut Boockmann, Laurentius Blumenau, Göttingen, 1965; Johannes Kist, Peter Knorr, dans: Fränkische Lebensbilder, II, Würzburg, 1968, pp. 159–176; Alfred Wendehorst, Gregor Heimburg, dans: ibid., IV, Würzburg, 1971, pp. 112–129; Hermann Heimpel, Die Vener von Gmünd und Strassburg 1162–1447, 3 tomes, Göttingen, 1982; Wilfried Podlech, Tilmann Joel von Linz, † 1461, Neustadt/Weinstr., 1988; Matthias Thumser, Hertnidt vom Stein, Neustadt/Aisch 1989; Walther Ludwig, Von Neuhausen nach Fürfeld – der Kurpfälzische Kanzler Dr. Jakob Kuhorn, dans: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 127, 1989, pp. 260–289; Reinhard Stauber, Der letzte Kanzler des Herzogtums Bayern-Landshut, dans: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, 54, 1991, pp. 325–367; Christine Reinle, Ulrich Riederer (ca. 1406–1432), Mannheim, 1993; Friedhelm Burgard, Rudolf Losse (um 1310–1362), dans: Rheinische Lebensbilder, 14, Köln, 1994, pp. 47–70. Cf. note 20. 22 Cf. note 7. 23 Peter Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch, dans: Hochnanz Wirtschaftsräume Innovationen, Festschrift für Wolfgang von Stromer, II, Trier, 1987, pp. 593–622.
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et le Brabant, on a parlé d’une distance d’à peu près cinquante ans.24 L’on trouve la première preuve d’un ofcial, le juge religieux savant de l’évêché, à Salzbourg, situé dans le Sud, en 1263, à Trèves, située dans la partie occidentale, en 1268, à Bremen, ville du Nord, en 1318, et à Riga, dans la partie orientale, en 1360. On peut observer et comparer ce genre de différences jusque dans les détails et voir où ils sont dus à des facteurs précis et concrets. Car également les dimensions du territoire jouent un rôle, les grands pays étant souvent plus avancés que les petits. Et n’importe où elle s’établissait, la cour royale était visiblement plus ‘moderne’ que les cours princières qui l’entouraient (à l’exception du Nord-Ouest qui était encore plus ‘moderne’), étant donné que la tâche du roi était plus étendue et dès lors beaucoup plus exigeante, aussi bien du point de vue quantitatif que du point de vue qualitatif.
3 Avant de terminer cet article, nous voudrions encore aborder deux questions, que nous lançons plutôt que de chercher une réponse. Elles découlent toutes les deux du thème des ‘Conseils princiers en Allemagne’, mais le dépassent également: 1. Est-ce que les élites administratives présentes dans les Conseils des principautés individuelles s’inséraient ou commençaient à s’insérer dans un contexte allemand plus global, de sorte qu’on peut parler d’une élite de conseils plus ou moins homogène et typiquement allemande?25 2. Qu’est-ce qu’on peut dire sur eux dans la perspective d’une histoire européenne des couches sociales et des élites? 1. Comme on l’a déjà dit, jusqu’à la fin du moyen âge et longtemps après, les élites administratives des principautés allemandes
24 Hilde De Ridder-Symoens, Milieu social, études universitaires et carrière de conseillers au Conseil de Brabant, 1430–1600, dans: Recht en Instellingen in de Oude Nederlanden tijdens de Middeleeuwen en de Nieuwe tijd. Liber Amicorum Jan Buntinx, Louvain, 1981, pp. 257–301. 25 Christina Göbel, Der Reichstag von Worms 1495, Marburg, 1996. La distance à parcourir pour atteindre la France était assez grande: cf. par exemple Françoise Autrand, Naissance d’un grand Corps d’Etat, Paris, 1981, ou bien Mikhael Harsgor, Maîtres d’un royaume. Le groupe dirigeant français à la n du XVe siècle, dans: La France de la n du XV e siècle, Paris, 1985, pp. 135–146.
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provenaient de la noblesse laïque, en général d’une classe décrite comme ‘la petite noblesse’; seulement dans les grands territoires il y avait également des conseillers de la haute noblesse. Une telle noblesse était par nature liée à sa région. Sa préoccupation existentielle constante était donc de tenir à distance la noblesse étrangère, surtout pour empêcher le prince d’attirer ainsi des serviteurs trop obéissants et bon marché. En Allemagne, la noblesse régionale savait bien défendre sa position, et le ‘particularisme’ triomphait partout. Il y a bien évidemment des exceptions, dont la plus intéressante était la suivante: vers la n du moyen âge, à peu près depuis 1470, il se déclencha en Allemagne un processus que nous préférons désigner par le terme ‘densication (Verdichtung) de l’Empire’.26 C’est alors qu’on observe aux assemblées de l’Empire (bientôt ils s’appelleront Reichstag, Diète) la présence d’une certaine ‘élite des élites’ provenant des territoires individuels, qui, convoquée par le roi, demeurait parfois des mois durant à l’endroit du Reichstag, où elle s’émancipait quelque peu de sa propre cour. Elle avait également un grand degré d’autonomie vis-à-vis de la cour royale. Car cette cour était en train de former un autre groupe d’élites, dont on ne parlera pas ici. Chaque Reichstagselite comptait au total cinq échelons: 1. Princes séculiers et princes de l’Eglise – quand ils venaient personnellement. 2. Des comtes et des barons, en général proches du roi. 3. Des conseillers appartenant à la petite noblesse du territoire, délégués ou accompagnateurs du prince (apparemment les meilleurs que l’on savait amener). 4. Les juristes savants, qui de toute manière étaient les plus mobiles. Et 5. Les représentants des villes provenant des villes libres et des villes de l’Empire – des membres du gouvernement urbain et également des juristes savants. Les principautés allemandes étaient en général trop peu urbanisées pour envoyer des représentants des villes territoriaux aux légations. C’est pourquoi les uniques ‘bourgeois’ qui participaient au Reichstag provenaient des villes libres sans seigneurs et des villes de l’Empire. Dans les principautés, la bourgeoisie, mis à part quelques experts, ne se faisait valoir qu’aux échelons intermédiaires de l’État territorial, l’échelon supérieur de l’administration restait noble. Toutes les élites, d’abord séparées selon des facteurs spatiaux, sociaux et professionnels, se parlaient maintenant au Reichstag, d’autant plus
26
Moraw, Von offener Verfassung, à partir de la page 389.
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qu’il s’agissait presque toujours de la question pressante des nances, et elles commençaient à manifester des signes d’une attitude et d’une conscience communes.27 Au cours du 16e siècle, le premier siècle où l’on peut vraiment parler d’une Allemagne plus cohérente, leur rôle politique gagnera en importance, et, malgré la réformation et les différences linguistiques persistantes, elles continueront à développer cet esprit commun. Le 14e et le 15e siècle en jetaient les bases. L’on voit bien les difcultés qui surgissent quand on veut traiter le problème de la cohérence dans un Empire très étendu, sans administration centralisée, uniquement basé sur la loyauté. Les moments où l’on passait le plus facilement à une certaine solidarité concrète, étaient ceux où une pression militaire extérieure la rendait nécessaire (Turcs, Français). 2. Les développements à court terme et surtout les évolutions à long terme de l’histoire médiévale allemande ne témoignent pas d’un ‘itinéraire particulier’ de l’Europe Centrale, mais bien d’un retard partiel assez prononcé comparé à l’Europe Occidentale et Méridionale, et d’une avance sur la partie orientale et septentrionale du continent. Cela est dû à des évolutions historiques propres à toute la civilisation européenne et à un cadre global plein de problèmes et d’obstacles supplémentaires, difciles à surmonter (le problème des grandes distances). Un bel exemple d’un tel retard est la laïcisation déjà mentionnée des professionnels savants, qu’en France on peut situer au 13e siècle mais en Europe Centrale uniquement au 15e siècle, et en Hongrie même à l’époque moderne. A l’intérieur de l’Empire il y avait pourtant des exceptions: la partie nord-ouest, beaucoup plus ‘moderne’, et certainement l’ensemble des territoires à gauche du Rhin, qui selon notre terminologie appartiennent à ‘l’Europe Ancienne’, où l’histoire culturelle est en grande partie parallèle à celle du Sud et de l’Ouest du continent. Cependant, seulement une petite partie de l’Allemagne appartenait à cette ‘Europe ancienne’; le reste appartenait à ‘l’Europe nouvelle’. Ainsi, des frontières culturelles et sociales importantes traversaient l’Allemagne, et sa modernisation se déroulait à plusieurs vitesses. Ces différences expliquent bien des matières problématiques de l’histoire ancienne de l’Allemagne.
27 Volker Press, Finanzielle Grundlagen territorialer Verwaltung um 1500, dans: Die Verwaltung und ihre Ressourcen, Gerhard Dilcher, éd., Berlin, 1991, pp. 1–29 (Der Staat Beiheft 9).
KAPITEL 18
DEUTSCHE UND EUROPÄISCHE GELEHRTE IM LATEINISCHEN MITTELALTER EIN ENTWURF1
Begriffe und Abgrenzungen, Methoden und Prinzipien stehen mehr als Inhalte in der Mitte dieses Versuchs, der eine kleine Station bezeichnen mag auf einem langen Weg, der großenteils zusammen mit Rainer Schwinges zurückgelegt worden ist und wie gewohnt seinen Ideen und Realisierungen vieles verdankt. Ganz im allgemeinen oder nur mit Inhalten geht es nämlich nicht. Wir haben vor längerer Zeit an einem Kongress in Bagdad teilgenommen, der klären sollte, ob die morgenländische oder die abendländisch-europäische Gelehrtheit des Mittelalters mehr zum Wohl der Menschheit beigetragen habe (1989). Mangels klarer Begriffe und Kriterien drohte das Chaos auszubrechen, und man einigte sich schließlich „politisch“ auf ein Unentschieden. Eine zweite Tagung dieser Art gab es nicht. – Nun aber zu uns. Dem damaligen und heutigen Titelbegriff „Europa“, der hier „nur“ das lateinische Europa meint, kann man derzeit, wie man die Sache auch handhabt, noch nicht so gerecht werden wie irgendeiner nationalen Gelehrtenkultur. So ist es kühn oder gar tollkühn, wenn wir uns nach dem Wunsch der Veranstalter trotzdem entschlossen haben, europäisch wenigstens zu formulieren, ungeachtet aller Stolpersteine. Denn so sehr auch unser Thema immer noch zum Feilen am nationalen Geschichtsbild nötigt, das Fernziel ist in der Tat eine vergleichende, nichtadditive europäische Geschichte der älteren Zeit. Das Thema fordert aber nicht – und das tun wir auch nicht – zu handeln von den Produkten der Gelehrten und auch nicht von der Tradierung und von sonstigen Bewegungen des gelehrten Wissens. Unter diesen Prämissen bieten wir sechs Thesen an.
1 Vortrag auf dem Kolloquium „Reichweiten mittelalterlicher Geschichte. Die deutsche Mediävistik vor ihrer europäischen Herausforderung“ des Zentrums für Mittelalterstudien der Universität Bamberg am 30. Juni 2001 anläßlich des 65. Geburtstages von Prof. Dr. Joachim Ehlers (Freie Universität Berlin). Der Begriff „Entwurf “ spricht nicht nur das Transitorische des Bemühens an, sondern erlaubt auch den Verzicht auf eingehende Dokumentation. Diese hätte sonst, wie der Kenner weiß, umfangreicher ausfallen müssen als der Text.
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kapitel 18 1. These: Begrifiche und andere Abgrenzungen
Der Begriff des europäischen oder auch des deutschen Gelehrten des Mittelalters ist alles andere als eindeutig. Es gibt Monographien, Sammelbände und Forschungsvorhaben über Intellektuelle und über „gens de savoir“, über Graduierte und auch über Gelehrte und über spezieller benannte Personengruppen. Ein Gelehrter von damals kann für uns heute nur jemand sein, der als Gelehrter erkennbar ist, und so wird sich die zweite These mit den Quellen befassen. Titulierung und Tun sollten eigentlich das Wichtigste für uns anzeigen und abgrenzen. Aber ganz so einfach verhält es sich offenbar nicht. Sagen wir also: Das, was man inzwischen vom Autor verlangen könnte, ist die Fakten-Geschichte unseres Objekts und als zweiter Gegenstand die damit zu verknüpfende, das Umgehen mit der Faktengeschichte bewußt oder unbewußt regulierende Deutungsgeschichte unseres Objekts, bis heute. Dazu kämen dann regionale Konnotationen beider Geschichten von großem Gewicht und käme das Problem der Chronologie für ein so weites Feld. Uns scheint aber auch das immer noch zu einfach zu sein. So sagen wir zuletzt: Das was uns bisher Sorgen gemacht hat, sollte uns lieber vorantreiben und herausfordern, vor allem herausfordern zum Versuch der Modellbildung. Also etwa: Nicht einfach „regionale Konnotationen von großem Gewicht“, sondern „fünf Plattformen“, die das lateinische gelehrte Europa von damals in sehr unterschiedlicher Form ausgemacht haben mögen („Plattform“ ist ein Begriff aus der dritten These). Wir sollten ein so eigenartiges Denken wohl noch etwas erläutern. Zum Beispiel: Was bedeutet es, daß die Magister des Bistums Lüttich von 1140 bis 1350 analysiert worden sind? Und nicht nur: Wie viele und wie beschaffene Magister sind es damals gewesen? Denn dieses gelehrte Buch von Christine Renardy (Paris 1979) ist eigentlich erst dann wirklich verwertbar, wenn ein Verständnismodell erstellt werden kann, das Geographie und Chronologie der Forschungsarbeit in den Prämissen und Tatbeständen der generellen Gelehrtengeschichte des Mittelalters zu xieren sucht. Daß es zuvor im Bistum keine Studienbelege für Magister gibt und daß es danach zu viele Belege werden, kann doch kein abschließendes Argument sein. Eine übergreifende Antwort, besser eine Antwort aus der Problemmitte, ist nötig (3. und 4. These), also das wohl riskanteste, was es einschlägig gibt: wirklich ein Verständnismodell latein-europäischer Gelehrtheit bis 1500. Das sollte
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geschehen, lange bevor man alle Magister und sonstige einschlägige Personen in allen lateineuropäischen Bistümern aller mittelalterlichen Jahrhunderte analysiert hat. Der Drohung, die der hermeneutische Zirkel dabei ausspricht, muß man standhalten. Ein Risiko scheint noch zu wenig. In der fünften These setzen wir uns mit dem Faktum auseinander, daß wir eines weiteren ganz anderen Verständnismodells bedürfen: jenes Verständnismodells nämlich oder besser jener Verständnismodelle, um die die neuzeitliche Disziplinengeschichte und zuvor schon die neuzeitliche Wissenschaftsgeschichte seit Jahrzehnten vor allem im angelsächsischen Raum ringen: um die Frage, ob es eine immanente Gelehrtengeschichte überhaupt gibt, das heißt, eine von endogenen Faktoren bestimmte Geschichte, oder ob es sie strenggenommen nicht gibt, ob nämlich exogene Faktoren das Wesentliche ausmachten und wir nur zusammendenken, was auf legitime Weise eigentlich gar nicht zusammengehört. Je mehr exogene Faktoren, umso weniger Gewißheit über die Gelehrten im Zusammenhang; unsere generelle Vorentscheidung entscheidet über vieles, was danach im Detail in Rede steht. Wir wissen, wovon wir dabei sprechen: Als ganz bescheidenes Glied der europäisch-amerikanischen Forschergruppe, die im Auftrag der „European Science Foundation“ die von Walter Rüegg herausgegebene „Geschichte der Universität in Europa“ (Teil Mittelalter, deutsch erschienen München 1993) erarbeitete, sollten wir zunächst zusammen mit Rainer Schwinges Mittel- und Ostmitteleuropa generell vertreten. Realiter schrieben wir für ganz Europa „nur“ über das Schicksal der Universitätsbesucher nach dem Ende ihres lernenden Aufenthalts an der Universität, also auch über Gelehrte und besonders über den etwas größeren Rest der studierten Menschheit von damals. An die Ballade vom Ritt über den mehr oder weniger zugefrorenen Bodensee haben wir dabei öfter denken müssen. Es gab viele ausgezeichnete Spezialisten in der Runde, aber nicht so leicht Allgemeinhistoriker. Ohne ein gewisses, sorgenvoll abgewogenes Maß an Zusammendenken, ohne riskante Verständnismodelle, wäre es aber nicht gegangen. Oder anders formuliert: Am Ende steht jegliche Einzelforschung – bei weitem nicht nur bei unserem Thema – vor zwei harten Fragen: vor der Frage nach der Relevanz des speziell Erforschten und vor der Frage nach der Repräsentativität des speziell Erforschten.
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kapitel 18 2. These: Quellen und Wissenstraditionen
Es gibt einen nationalen historischen Wettbewerb in Europa, der sich vermutlich noch verstärken wird. In dieser Lage sollte es eigentlich nicht mehr möglich sein, Bücher allein auf Quellenkenntnis und Quellenkritik zu fundieren, ohne gleichrangig (zuerst gegen sich selbst gewandte) Traditionskritik zu betreiben. Richtiges kann sehr schnell falsch werden, wenn es unpassend zugeordnet ist. Entsprechende Beispielsfälle sind kaum je anderswo weiter verbreitet als in unserem Milieu und werden noch ansehnlich verstärkt durch den Umstand, daß Kollegen über Kollegen schreiben. Und das ist bei weitem noch nicht genug: Ein Land an der Peripherie, das einst zu abgelegen und zu arm war, um bei sich daheim höhere Fakultäten auf Dauer zu betreiben, betont oder übertreibt gar die Leistungen seiner Artisten. Das Europäischsein des nächsten Kollegen besteht dann darin, daß er fertige Ergebnisse solcher Art übernimmt und ihre Genese nicht kritisch durchschaut. Die moderne Kongresstechnik schließlich läßt minimale Tatbestände aus der Peripherie schnell aufgewertet erscheinen, disproportional, aber „correct“ im neuamerikanischen Sinn des Wortes. Und ganz zuletzt: Die Quellen geben oft nicht direkte Antworten auf unsere Fragen, sondern halten sich etwas boshaft gleichsam seitwärts von diesen Fragen auf; aber unser Wissenkönnen und seine Methodik sind gerade für diese Sachlage schwach ausgebildet. Seltener schließlich, als es gut ist, fällt auf, daß das moderne Wissen von mittelalterlicher Gelehrtheit insgesamt in doppelter Weise und eigentlich sehr irritierend gebrochen ist: Erstens folgen wenig verbunden aufeinander bis ins 13. Jahrhundert hinein ein Zeitalter handschriftenbasierten Wissens mit quantitativ eher schmaler Wissensmenge (dies ist allein vergleichend von der Folgezeit her geurteilt) und mit vergleichsweise geringer Kenntnis von den damals agierenden Personen und gleich darauf seit dem 13. Jahrhundert ein zweites Zeitalter immer reicherer prosopographischer Überlieferung, für welches man wiederum vor der Analyse der unzähligen zeitgenössischen Handschriften und damit vor den damaligen Wissensinhalten zurückschreckt. Das Verhältnis beider Zugriffsweisen zueinander ist locker oder eher sehr locker. Ein zweiter, nicht minder gewichtiger Bruch in der „historischen Logik“ besteht darin, daß man über Länder zweiter thematischer Bonität mit mittelmäßiger Überlieferung (klassisch steht dafür Deutschland) mehr oder viel mehr weiß als über Länder erster thematischer Güte mit ihren überreichen Quellen (klassisch: Italien); denn Material von mittelmäßigem
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Umfang ist bei entsprechendem Gelehrteneiß am besten erarbeitet. Die Produktion von Gesamtbildern – und das ist ja doch wohl das generell gemeinte Endziel – erfolgt derzeit jedenfalls regelhaft additiv aus auf sehr unterschiedliche Weise gewonnenen, immer wieder nicht mehr sehr gründlich durchleuchteten Endprodukten. Demgegenüber setzen wir eher auf einen anderen Zugriff, der freilich schon mit einem vielleicht unpolulären Grundgedanken beginnt: Es seien weniger Quellenverluste beklagt als davon geredet, daß Quantität und Qualität der Quellen, wie wir sie im Rohzustand besitzen, die erste und nicht leicht überholbare Fundamentalaussage über die Sache selbst darstellen. Oder weiter ausgreifend formuliert: Die Erfahrung aus dem Umgang mit der älteren Geschichte des Kontinents scheint zu lehren, daß das lateinische Europa schon mit sehr großen Unterschieden in fast allen Dimensionen seiner Existenz zur Welt gekommen ist und sich bestenfalls nach und nach, wenn überhaupt, in seinen Standards ein wenig vereinheitlichte. Eine Rückprojektion vielleicht eher ausgeglichener moderner Verhältnisse, die so oft unreektiert von statten geht, scheint uns unerlaubt zu sein.
3. These: Geographische Rahmenbedingungen Wenn die Schlußsätze der zweiten These einigermaßen zutreffen, könnte sich der Versuch lohnen, das lateinische Europa geographisch möglichst sinnvoll zu gliedern, gerade was unser Thema betrifft. Dadurch mag man alte und neue wissenschaftliche Anstrengungen in einem ersten Schritt zuordnen und vergleichend würdigen. Eine Anzahl von Beobachtungen läßt uns mit fünf „Plattformen“ beginnen. Wir wählen damit einen Begriff aus der Technik, der historisch noch nicht besetzt erscheint. Er lehnt sich – in vielleicht etwas überraschender Weise – an die Praxis des frühen 15. Jahrhunderts an, an die ‚ Nationen‘ des Konstanzer Konzils seit 1414. Es gebe zwei mediterrane „Plattformen“, die italienische und die iberische, zwei westeuropäische „Plattformen“, die französische und die englische, und eine fünfte am weitesten gedehnte und am wenigsten gefestigte oder am wenigsten „dichte“ „Plattform“. Diese „Plattform“ umfasse unter Führung der Deutschen das übrige lateinische Europa, nämlich den Bereich, den wir in anderer Hinsicht gern das „Jüngere Europa“ nennen. Die vier erstgenannten Plattformen machten das „Ältere Europa“ aus. Dieses „Ältere Europa“ besaß anscheinend zumindest im späten
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Mittelalter ein erdrückendes quantitatives und allem Anschein nach auch, lassen Sie es uns ruhig aussprechen, sehr beachtliches qualitatives Übergewicht, gerade was unser Thema betrifft. Zur Deutschen Nation gehörten bekanntlich auch die Schotten, die Skandinavier und das papstchristliche Ostmitteleuropa; verändert hat das aber wenig. Es gibt übrigens noch andere, analoge Klärungsbehelfe exakt für unser Problem, über die wir jetzt hinweggehen, vor allem das präzise Beobachten der damaligen „Evaluation mit den Füßen“, das heißt die Analyse der eindeutig gerichteten, nicht im mindesten richtungslos-chaotischen Mobilität der Studenten über Jahrhunderte hinweg. Ganz genau stimmt selbstverständlich eine so großzügig gezeichnete Ordnung nicht und kann nicht stimmen. Zum Beispiel: Südfrankreich steht eigentlich zwischen Oberitalien und Nordfrankreich. Oder: Das vorhin benannte Bistum Lüttich gehörte ungeachtet seiner Teilhabe an der Deutschen Nation (bei bekanntlich großenteils französischer Muttersprache) zum „Älteren Europa“, wie das übrige linksrheinische Reichsgebiet, wie einiges am Rhein und je nach Zeitstellung auch östlich davon und wie einiges im deutschen Süden. Oder auch: Die mediterrane Welt war in prinzipiellerer Weise etwas anderes als der nordalpine Bereich, nämlich nicht einfach nur das „Allermodernste“ des lateinischen Mittelalters in ihrem vergleichsweise urbanen, stark laiengeprägten und weniger feudalen Habitus, sondern war insgesamt auch ein wenig unmittelalterlich, gleichsam etwas seitwärts gelegen von den nordalpinen „Plattformen“. Es sei genug mit dem Beschreibungsversuch der „Plattformen“, denen man nun im einzelnen Quellenlage und Tatbestände unseres Themas zuordnen mag. Man kann sich nun unter anderem vorstellen, in welchen Richtungen und für welche Gegenden die Mobilität, die unserem Thema innewohnt, unter zivilisationsgeschichtlichem Aspekt leichtießend beschaffen war und wo sie auf große bremsende Schwierigkeiten stieß, nein stoßen mußte. In umgekehrter Denkrichtung war das historisch allzu selten verwertete Motiv vom Etikettenschwindel, das wir gewöhnlich erst der modernen Welt zuordnen, längst zu einem notwendigen Bestandteil des Handelns und Bestehens für unser Thema geworden. Wie hätte man sonst nord- und ostwärts so viele neue Universitäten, Magister und Doktoren bei oft so knapper heimischer Substanz schaffen können? Oder auch: Mußte jeder importierte italienische Professor, wie bis heute steif und fest behauptet wird, ein Könner gewesen sein? Gab es nicht auch Abenteurer und sind diese nicht irgendwo weit nördlich und östlich am wahrscheinlichsten? Nur
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partiell ist die vorhin erwähnte „Geschichte der Universität in Europa“, die natürlich weithin eine Geschichte der Gelehrten in Europa darstellt, solchen desillusionierenden Überlegungen gefolgt, die damals auch noch recht unausgegoren waren, und ermangelt daher nicht problematischer, das heißt eher historiographisch als historisch fundierter Aussagen. Geht man hingegen annähernd wie hier vorgeschlagen mit Quellen und Deutungen um, so lassen sich mancherlei Tatbestände verhältnismäßig einleuchtend neu erklären, mancherlei Tatbestände generell bezweifeln oder für sie die Beweislage verschärfen und manche – gerade auch negative – Urteile emotionsärmer formulieren, da man in der Tat immer wieder geradezu schicksalhaft bestehende, breitgelagerte und kaum veränderbare Voraussetzungen berücksichtigen wird. Hinzugefügt sei alledem ein differenzierendes System von Aussagen über die Verhältnisse innerhalb der benannten „Plattformen“, vor allem dort, wo diese „Plattformen“ sehr ausgedehnt gewesen sind. Man könnte dafür von einer Mehrzahl von Bildungslandschaften mittlerer Größe sprechen. Es gibt dabei nicht so sehr neue prinzipielle, sehr wohl aber neue konkrete Probleme, zumal wenn diese „Plattformen“ heute auf einigermaßen politisierte jüngere Geschichtstraditionen aufgeteilt sind. Sie mögen etwas Besseres gewesen sein wollen, als sie seinerzeit sein konnten, vor allem wenn es um das übliche Postulat gelehrter Höchstleistungen geht. Es gibt bis heute kaum Versuche, die Binnenverhältnisse eines großen Teils auch nur einer unserer „Plattformen“ quantitativ und damit wenigstens in einer Hinsicht verhältnismäßig schwer widerlegbar aufzuzeigen2. Nach alledem, was bisher bekannt ist, gilt jedenfalls: Die fünf „Plattformen“ waren sehr verschieden und zwar stets, soweit man sieht, zuungunsten der fünften Plattform. Die häugste Form des Universitätswechsels bei den deutschen (vergleichsweise elitären) Juristen im „Staatsdienst“3 war der Wechsel hin zu einer ausländischen Universität. Man wird gewußt haben warum. So konnte man eben auch auf dem Konstanzer Konzil trotz des „Platzvorteils“ der Einheimischen keinen Papst, der inzwischen längst ein Gelehrter hat sein müssen, aus dem
2 Die in Druckvorbereitung bendliche Gießener Dissertation von Ingrid Männl (Berlin) über die gelehrten Juristen im Dienst der deutschen Territorialherren (weltliche und geistliche, auch Könige) von 1250 bis 1440 wird anhand von etwa 825 erfaßten Personen bemerkenswerte Ergebnisse über entsprechende zeitliche und Intensitätsdifferenzen im Reichsgebiet aufzeigen. 3 Vgl. Anm. 2.
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„ Jüngeren Europa“ wählen; denn man wählte stets nicht einfach nur eine Person, sondern eine Erfahrungswelt und ein soziales System, ja nahezu eine „Kultur“. Die Kultur der fünften „Plattform“ aber war wohl nicht mehrheitsfähig; denn kurz zuvor – Anfang 1348 – hatte es in vier Plattformen schon 23 funktionierende Universitäten gegeben, in der fünften jedoch noch keine einzige. Allenfalls wäre ein solches Wahlinteresse ganz am Westrand oder ganz am Südrand dieser „Plattform“ möglich gewesen, woher in der Tat ein Kardinal stammte (Nikolaus von Cues) und dann anfangs des 16. Jahrhunderts wirklich ein Papst (Hadrian VI.).
4. These: Zur Chronologie Es erscheint sinnvoll, zusammen mit anderen Forschern in der Hauptsache zwei Phasen älterer lateineuropäischer Gelehrtenkultur wohl seit der Karolingerzeit chronologisch zu unterscheiden. Dabei sollte man – wie wir schon wissen – geographisch kräftig differenzieren. Es handelt sich wieder um ein ordnendes und insoweit auch generalisierendes Denken, das sich erst seinen Weg durch die individuellen, nationalen und disziplinenbezogenen Denkweisen suchen muß oder das gegebenenfalls solchen Herausforderungen nicht gewachsen sein mag. Man wird das abwarten. Orientierung statt Isolation ist uns jedenfalls vorerst am wichtigsten. Es handelt sich bei unseren beiden Phasen einerseits um die bekannte hochmittelalterliche, von den alten Orden und von „alten“ Domkirchen akzentuierte vorscholastische und (wenn man so sagen darf) „voraristotelische“ Welt und andererseits im späteren Mittelalter vor allem um etwas Bipolares: um die scholastisch-weltkirchlich-bettelordenszentrierte Welt der Artisten und Theologen (auch mit Kanonisten) und dann um die eher lebenspraktisch-laikal akzentuierte Welt der Legisten und Mediziner (abermals nicht ohne Kanonisten). Beide neuen Welten waren stark durch die Institution „Universität“ und waren urban geprägt (außer in England) und wiesen im Vergleich zur ersten Phase oft beträchtliche Zuwachsraten auf. Diese neuen Welten vor allen Dingen schufen seit dem 12. und besonders seit dem 13. Jahrhundert in einer weiterhin zu differenzierenden Weise jene Gelehrten, die hier das Hauptthema sind. Es waren oder es wurden daraus schließlich diejenigen Formationen, die sich ungeachtet von Humanismus, Konfessionalisierung und Aufklärung in einem kontinuierlichen Wandel als sehr langlebig erwiesen
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haben und wesentlich erst durch die Wissenschaftler modernen Typs abgelöst wurden. Auch diese Sätze sind natürlich vereinfacht. Es kommt uns aber darauf an, daß man hoffen darf, daß sich ungeachtet allen Differenzierungsbedarfs vom 12./13. Jahrhundert an von einem relativ einheitlichen, wenn auch regional abgewandelten und phasenverschobenen Phänomen reden läßt, eben vom europäischen Gelehrten. Es gibt offenbar auch von Plattform zu Plattform interne, einigermaßen klare zeitliche Zäsuren speziell für die Formationen der Studenten, der Basis des Gelehrtentums; im Milieu der fünften „Plattform“ beobachtet man zum Beispiel einen „Schub“ seit etwa 1430. Über alle „Plattformen“ hinweg hatten wir in der „Europäischen Universitätsgeschichte“ um 1380 generell ein universales und ein national-regionales Zeitalter voneinander zu scheiden versucht. Es mag inzwischen klar geworden sein, für welche „Plattform“ eine übergreifende Orientierung auf Europa hin am lehrreichsten und am wichtigsten ist: für die fünfte. Denn deren autochthoner Gehalt dürfte der vergleichsweise geringste gewesen sein. Diese „Plattform“ war insbesondere dafür bestimmt, daß auf ihrem Boden ausgetragen wurde, was die einander widerstreitenden Inhalte des gleichzeitigen Imports von italienischen und von französischen Verhältnissen hervorzubringen vermochten – vermischt dann noch mit autochthonen Wirkkräften. An anderer Stelle haben wir diesen Vorgang am Beispiel des äußeren Aufbaus der älteren europäischen Universitäten aufzuzeigen versucht. Denn es hat sich vom 15. Jahrhundert an ausgerechnet das deutsche Modell, das Modell der jungen und bescheidenen Vierfakultätenuniversität, als legitime Form der Hohen Schule durchgesetzt, obwohl doch – wie wir hörten – anderswo deutlich höher entwickelte Verhältnisse bestanden hatten. Europa und später erst recht Außereuropa waren aber im Durchschnitt offenbar eher weniger reich entfaltet als reich entfaltet, und dorthin paßten weder so recht oberitalienische Stadtjuristen mit ihrer schriftlich und konstitutionell durchgebildeten Gedankenwelt noch elaborierte Pariser Theologen.
5. These: Die Gelehrten und die sozialen Welten Gegenüber der Frage, ob eher endogene oder exogene Wirkkräfte die ältere europäische Gelehrtengeschichte geprägt haben, neigt sich jedenfalls für die frühe Neuzeit die Waage offenkundig der exogenen Variante zu, und auch wir sympathisieren mit ihr. Das bedeutet auch,
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daß es immer schwieriger wird, von den mittelalterlichen Gelehrten isoliert zu sprechen, und daß man nach außenweltorientierten Aussagen streben wird. Festhalten kann man sich – jedenfalls entfernt von der oberitalienischen Welt – offenbar nur an einer übergreifenden Instanz, an der Papstkirche. Gleichgültig ob man (wieder unter Ausschluß Italiens) von den Universitäten als kirchlichen Anstalten sprechen möchte – wir tun dies – oder nicht, die Kirche stellte jenes Gehäuse dar, das ein Mindestmaß an begrificher Einheitlichkeit, an Sicherung legitimer Existenz, an Streitschlichtung und an Stabilisierung durch Arbeitsplätze und Pfründen und – vielleicht sogar an erster Stelle – auch ein Mindestmaß an Zuneigung und Geborgenheit dargeboten hat. Viel zu wenig hat man über die Erstaunlichkeit des Faktums nachgedacht, daß die in den Fakultäten geborenen, nur der internen Qualizierung und Unterscheidung dienenden akademischen Grade so enorm fragiler Gebilde so rasch zu einem Mittel des Abstufens und der Orientierung, kurz der Legitimierung, draußen in der Welt des ganzen lateinischen Europa geworden sind. Nur die Kirche und ihre „Kultur“ hatten dies zustande gebracht. Insofern war die gelehrte Welt eine abgeleitete Welt, abgesehen wohl von den Inseln der Mediziner und dem oberitalienischen kommunalen Arbeitsmarkt für Juristen und Notare. Bald darauf formten sich auch akademische Einzelkarrieren zu einer übergreifenden Sphäre um, in die von vermögenden und rechnenden Eltern Geld für Söhne hat investiert werden können, und mit Erfolg. In dem anderen sozialen Gebäude mit vielen Wohnungen, dem aristokratischen, ist ein vergleichbarer Erfolg für gelehrte Aufsteiger im Kern ausgeblieben, und man hat sich unter modernen Forschern, die gleichsam zusammen mit ihren Vorgängern sozial emporklimmen wollten, über kleine Erfolge oder Scheinerfolge wohl einige Illusionen gemacht. Daher ist es vielleicht zweckmäßig, die gelehrte Welt nicht primär horizontal nach Inhabern von Doktor- und Lizentiatentiteln und von weiteren akademischen Rangstufen zu ordnen, auch nicht so sehr nach Disziplinen oder gar nach modernen Nationen in der Art einer Nobelpreisträger-Statistik, sondern eher schon nach „Regionen“ oder „Milieus“ im weitesten, nicht nur rein geographischen Sinn. Solche „Regionen“ oder „Milieus“ konnten auch durch seinerzeitige soziale Verhaltensweisen geschaffen werden, oder auch durch „Arbeitgeber“, bis hinauf zum Papsthof. Sucht man nach einem Medium, das dieses alles durchdrang und insofern das leitende, gemeinschaftliche oder gar Vergleiche erlaubende Medium war, so verbleibt für diese Rolle nur das Geld. Die Aussage aus Jena um 1800, ein adeliger Jurastudent
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bringe so viel Geld ins Land wie hundert arme Theologen4, entzaubert die akademische Welt und bezeichnet die Realitäten – wohl auch die Realitäten des späteren Mittelalters. Hingegen können wir uns kaum vorstellen, daß bestimmte aus der gelehrten Moderne rückprojizierte Elemente, die nur den gleichen Namen wie im Mittelalter tragen, ob das nun das Examen sei oder der „Amor scientiae“, ein brauchbares Verstehensgerüst abgeben – zumal nicht, wie einst Herbert Grundmann wollte, mit dem Ziel der Distanzierung der Gelehrten von der umgebenden so profanen Welt. Im Gegenteil formen für uns die je prägenden Elemente der Umwelt weitgehend den Gelehrten. Dann erst und in diesem Rahmen mochte er seine Indiviualität entfalten, und man wird ihn hoffentlich nicht sehr daran gehindert haben. Fast alle Assoziationen von heute her, beginnend bei der Kollegialität und endend bei der Gleichrangigkeit von Fakultäten, gebrauchen wir jedenfalls nur mit äußerster Vorsicht und am liebsten überhaupt nicht, sofern man die Mosaiksteinchen der Quellen auch anders zusammensetzen kann. Eher Defensive, ja Ängstlichkeit charakterisiert vermutlich mehrheitlich das gelehrte Verhalten von damals, auch das Anklammern an das bisher gültig Gewesene, nicht so sehr offensive Gesten. Das Dekansbuch der Prager Artistenfakultät nach 1417/19 spricht z. B. nicht von hussitischem Bekennermut, sondern eindeutig von Rückwärtsgewandtheit hin zum Rest gesamtkirchlicher Legitimität, der vielleicht noch geblieben war. Mut war Sache des Adels und der Märtyrer, die es dann – sekundär – in angemessen proportionaler Zahl auch unter Gelehrten gegeben haben mag. Sicherlich gab es das solidarisierende Moment des Zusammenlebens junger Leute als Schüler und von etwas Älteren als Lehrer an der Universität. Aber war man nicht schon zusammen dorthin gezogen, oder besaß man nicht zumindest eine gemeinsame Heimat? Überschätzen wir nicht auch, vielleicht ganz beträchtlich, die gleichsam gelehrteneigenen, sprich universitären Positionen – im Gegensatz zu den zwar auch von Gelehrten besetzten, aber von anderen Autoritäten in Höfen, Kirchen und Städten dargebotenen und kontrollierten Ankerplätzen? Ein Leibarzt war mehr als ein Medizinprofessor, ein Domherr mehr oder viel mehr als ein Theologe, ein Hofrat mehr als ein Universitätsjurist.
4 Ulrich Rasche, Umbrüche. Zur Frequenz der Universität Jena im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800, Stuttgart 2001, S. 71–134, bes. 91.
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War der statutengeregelte Zusammenhalt in der Fakultät von damals nicht immer wieder die Spielwiese der Hungerleider, der Artistenmagister, die gerade 25 Jahre alt sein mochten? Nichts gegen Genies, aber viel häuger waren wahrscheinlich doch schlichte Lateinlehrer. Man brachte die heimische Position, das meint die Familienposition, an die Universität mit, ließ sie dort wirken und nahm sie wieder mit zurück nach Hause, im Positiven und im Negativen. Wirklicher Aufstieg durch akademische Leistung war selten und scheint eher ein Quellenproblem als eine Sachfrage zu sein. Es fällt sicherlich schwer, aber man sollte es versuchen: Aus methodischen Gründen fast alles beiseite tun, was man von der modernen Universität weiß, um wenigstens hier einmal das nackte An-und-für-sich mittelalterlicher Quellen möglichst unvoreingenommen prüfen zu können. Das radikalste Modell, vor dem wir uns eigentlich noch scheuen, es der Wirklichkeit von damals zuzumuten, ist das Modell der Steuerung durch Angebot und Nachfrage. Dieses Modell sagt etwa folgendes: Dort, wo nicht seit dem 12. und 13. Jahrhundert schon relativ „moderne“ Verhältnisse bestanden (nicht also bei uns), dürften die Personengruppen, die uns angehen, lange Zeit klein oder winzig klein gewesen sein. Sie sind nicht im Mindesten aufzufassen als proportionales Gegenüber zu einer zeitgenössisch verfügbaren Gesamtquantität von Intelligenz, sondern waren Konsequenz vom Augenblick gebotener, eher zufälliger Gelegenheiten. Erst als das Mittelalter zu Ende ging, waren die Zahlen für seinerzeitige, nicht für moderne Verhältnisse groß geworden und zwar offenbar in Schüben, deren wichtigsten man bei uns wie gesagt wohl in die 1430er Jahre datieren kann. Damals und danach hat dann das „Stellenangebot“ an Kirchen, Höfen und Hohen Schulen nicht oder nicht im mindesten mit der gesteigerten Nachfrage Schritt gehalten. So besaßen die allermeisten, die es an der Universität vielleicht schon bis zum Bakkalar oder gar Magister gebracht hatten, abermals keine gelehrte Zukunft, sondern mußten sich anderswo Chancen suchen. Sagen wir ganz klar, wo die beiden offenbar einzigen größeren Arbeitsmärkte zu nden sind, die unseren Gewährsleuten etwas versprachen: Dort nämlich, wo ohnehin am meisten „los gewesen ist“ – nicht begleitet von einem offenen oder unterschwelligen Gerechtigkeitsdenken irgendwelcher Art, sondern gesteuert von harten alteuropäischen Aufstiegsregeln – in der oberitalienischen Stadt und in den nicht oder nicht so sehr feudalisierten Kirchen des westlichen nordalpinen Europa, beide Male zuerst für Juristen.
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Es handelte sich um zwei sehr verschiedene, jedesmal intensiv formende „Welten“. Wir sind für die zweitgenannte „Welt“ überzeugt davon, daß eine Geschichte, Geographie und Statistik der Kirchenpfründen im nordalpinen Europa für unser Thema äußerst wertvoll wäre. Gesetzt, es gäbe gleiche Anteile von Gelehrten in den je entsprechenden Institutionen, so zeigt die Pfründenstatistik, daß ein Kollegiatstift am Niederrhein (St. Viktor in Xanten) siebenmal soviel Chancen geboten hätte wie ein Domkapitel an der Elbe (Meißen). Oder: Unter Führung der französischen Kollegen ist die Elitenfokussierung auf den heranwachsenden monarchischen Staat immer gründlicher erarbeitet worden und hat von Zentrum zu Zentrum nicht minder große Unterschiede aufgezeigt (europäisches Unternehmen: „Die Entstehung des modernen Staates in Europa, 13.–18. Jahrhundert“). Hierbei geht es in der Tat meist um Juristen. Niemals haben Juristen wirklich geführt, aber kaum mehr konnten Führende ohne sie auskommen. Jedoch gilt eben auch: Juristen waren oft oder meist schon etwas, ehe sie zur Universität kamen. Es gibt, sagen wir damit, nicht so viel „An und für sich“ beim Stoff „Erfolgreiche Gelehrte im Mittelalter“ und viele Vor- und Rahmenbedingungen, die im Detail nicht leicht veränderbar gewesen sind.
6. These: Wo ordnet man eigentlich Gelehrte ein? oder: Nochmals von der Binnengliederung Europas Die sechste und letzte These sollte eigentlich die schwere Last selektiver Konkretisierung so abstrakten Ordnens und Kategorisierens tragen, wie es bisher versucht worden ist. Denn auch die Geschichte der gelehrten Welt hat sich nur konkret verwirklicht. Wir können aber nur noch zwei Fragen andeuten, die Frage vom Sinn der Abgrenzung zu den Nichtgelehrten und die Frage nach den Proportionen bei den Abgegrenzten. Zur ersten Frage. Es stellt sich am Anfang allen entsprechenden Überlegens das Problem, ob man so großzügig verfahren solle, die Graduierten der Artistenfakultät, speziell die Magister, zu den Gelehrten in unserem Sinn zu rechnen, auch wenn sie es nicht zu besonderen handschriftenbezeugten Einzelleistungen gebracht haben. Als Problem erscheint dabei wieder der Unterschied oder krasse Unterschied zwischen der fünften „Plattform“ und den übrigen „Plattformen“. Achtzig Prozent nämlich der bis hin zur Reformation geschätzten etwa 300.000 deutschen Studenten waren wohl bei uns Artisten, das heißt nach
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unserem Verständnis weithin oder vielfach eher Schüler, anderswo hingegen deutlich oder sehr deutlich weniger Prozente. Die Zukunft unserer Artisten wird zumeist in einfachen Positionen der Berufspraxis gelegen haben, oder gar blieb ihr Universitätsbesuch gleichsam Privatangelegenheit. Denn zu einem sehr hohen Prozentsatz hören wir von ihnen in den Quellen nichts mehr. Auf der anderen Seite steht: Nur ein einziger von hundert Kardinälen der Kurie von Avignon bis 1378 war bloßer Artist, alle anderen hatten höherrangig studiert, und statistisch gesehen stand am Beginn eines Studiums an einer höheren Fakultät in Europa vielfach die Alternative: Magistertitel oder gute Abkunft. Die Angehörigen der zweiten Gruppe hatten bessere Chancen. Wir denieren inzwischen den Artistenmagister nicht so sehr dadurch, daß er Latein gelernt und sich weitere Artes erarbeitet hatte, sondern dadurch, daß er zwei wie auch immer beschaffene Examina abgelegt und sich eidlich zu einer bestimmten, häug elementaren Lehrleistung hatte verpichten müssen. Beides war bei weitem nicht für alle Standesverhältnisse zumutbar, war jedenfalls weniger zumutbar als das Lateinlernen. Wir wiederholen nicht, daß sich Herr Schwinges und wir öfter gegen die uns anachronistisch anmutende Lehrmeinung von einer einheitlichen mittelalterlichen Studentenschaft gewandt haben. Man sollte vielmehr fünf sehr verschiedene Gruppen oder Kategorien unterscheiden, die sich in unterschiedlicher Kombination im lateinischen Europa vornden und tief dort hinein greifen, was man in nicht unproblematischer Form die Universitätslehrer nennt. Maßgeblich war offenbar die Vorstellung vom Umwandeln des Familienstatus für die betroffene Person in einen korrelierenden Status beim Universitätsbesuch und noch mehr danach. Wenn kein Status da war, war normalerweise kaum etwas umzuwandeln. Nun beginnen wir wohl auch die eigenartige Reihenfolge der hier vorgetragenen Thesen zu verstehen: Der „Gelehrte“ wird nicht vorneweg deniert, sondern man sieht ihn nach und nach – ungeachtet des wiederum unvermeidlichen hermeneutischen Zirkels – als Produkt problembehafteten Nachdenkens „entstehen“. Entfernen wir uns noch ein kleines Stück weiter von der traditionellen Perspektive. Stattdessen akzentuieren wir als Problem das seinerzeit am Studienanfang anvisierte Tätigkeitsfeld unserer Gewährsleute samt seiner „Ausstrahlung“ und die den Lebensweg des jungen Mannes vororientierende oder darauf durchgreifende Kraft dieses angestrebten Tätigkeitsfeldes. Anders formuliert: Das Studium war nur ein Element des Weges, auf den die Familie abzielte oder der der Familie entsprach.
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Für breite Aufstiegsprozesse ist dann, wie man in der Tat auch in den Quellen beobachtet, wenig Platz. Der Abschied von der Vorstellung vom Aufstieg durch Bildung (in der Breite) ist wohl ebenso unvermeidlich wie der Abschied vom Abbild des Gelehrten aus dem deutschen 19. Jahrhundert, gar nach dem Typus des Genremalers Carl Spitzweg, oder aber auch gemäß Humboldts Idealen. Wünschenswert scheint stattdessen die Hinwendung zum angelsächsischen Studententypus dieses 19. Jahrhunderts und anderer Jahrhunderte. Hier ist offenbar die mittelalterliche Situation besser bewahrt worden als bei uns. Unser mittelalterlicher Gelehrter paßt daher besser zu der bekannten, zugegebenermaßen etwas zugespitzten Aussage, daß das britische Weltreich von Altphilologen errichtet worden sei. Ihnen hat ein zwei- oder höchstens dreijähriger allgemeinbildender Aufenthalt in Oxford oder Cambridge zur sozialen und rhetorischen Einübung genügt. Das schließt als Minderheit, vermutlich als sehr kleine, Gelehrte „deutschen“ Typs nicht aus. Kaum aber sie hängen als Porträts im Speisesaal des College, sondern die Praktiker mit familiär-sozialer Vororientierung. Man sieht also, daß wir diesmal die unterschiedlichen Lebenswelten des lateinischen Mittelalters als Bezugsgrößen gewählt haben und nicht so sehr Fachrichtungen oder weitere Binnenstrukturen gelehrten Verhaltens. Längst haben auch andere Protagonisten moderner Wissenschaftsgeschichte, vielleicht gleichsam instinktiv, zugunsten der Lebenspraxis optiert, auch hat man wohl nur in der deutschen Sprache jene eigenartigen, ganz speziellen Konnotationen des Gelehrtenbegriffs. Man sollte sie für unseren Zweck weithin aufgeben. Es handelt sich, das sehen wir nun, dabei nur um die Sprache der fünften, am wenigsten maßgeblichen „Plattform“ – wenn auch zugleich um die Mitwirkung des revolutionären Schwerpunktwechsels moderner Wissenschaft des oftgenannten 19. Jahrhunderts von London und Paris nach Berlin. Das ist heute schon wieder Geschichte, tut aber weiterhin seine Wirkung auf das Geschichtsbild und hat längst seine Legenden geschaffen. Uns beschäftigt allerdings inzwischen weniger diese recht „deutsche“ Frage des Gegenübers von Gelehrsamkeit und Praxis, sondern etwas anderes: das Miteinander unserer nun „aufgeklärten“ Situation mit einer anderen, in den Quellen oft belegten, aber bis heute wenig beachteten Situation des Mittelalters überall in Europa. Diese meint das Miteinander unserer Gelehrten mit anderen bisher kaum bedachten „Wissenschaftlern“ der Praxis von damals: aus der Finanzpraxis, der Verwaltungspraxis, der Gerichtspraxis, der diplomatischen Praxis, der höschen Praxis, vielleicht auch aus der nicht verschriftlichten
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Symbolpraxis. Sie kamen ohne gelehrtes Studium aus und bedienten sich anderer Einübungsmechanismen. Betrachtet man nun umfassender, was im monarchischen Europa, dem entscheidenden Europa, öffentliche Existenz ausmachte, so sieht man, daß gelehrte Kompetenz und andere, „praktische“ Kompetenz stets nebeneinander ausgeübt wurden. Man sieht auch, daß beide Kompetenzen mindestens zwei anscheinend tiefgreifenden Fundamental-Prozessen ausgesetzt waren, zur gleichen Zeit. Existenz und Handeln von Gelehrten bildeten so gesehen nur ein Teilgebiet oder Teilproblem. Es ging dabei um den Prozeß der Machtakkumulation und anschließend der Machtteilung der ursprünglich alleinherrschenden Artistokratie und Monarchie, und es ging um den Vorgang der Laisierung oder auch Säkularisierung vieler Beteiligter, der diesmal die Kirchen einer Monopolstellung beraubt hat. Das führen wir heute nicht näher aus, sondern bezeichnen es nur. Höchstens vermerken wir Tröstliches bei Johannes Fried5: Indem solche Kompetenz (er meinte die praktischen Juristen in Bologna) mit Erfolg ausgeübt wurde, stieg auch die Bedeutung der Lehrer. Wir möchten am Schluß der sechsten These zur vergleichenden europäischen Geschichte zurückkehren. In vielen Wissenschaftsdisziplinen von heute gelten bekanntlich Ergebnisse dann erst als präsentabel, wenn sie über das phänomenologische Stadium hinaus in meßbare Bereiche gelangt sind. Man muß darin kein Allheilmittel erblicken, aber es kann zweckmäßig sein. Ein Ziel des Bemühens kann daher der Versuch sein, noch unverbindlich und locker, die fünf „Plattformen“ in Relation zueinander zu setzen. Daß signikante Unterschiede besonders angesichts unserer eigenen fünften „Plattform“ bestehen, hat sich wohl inzwischen hin und wieder gezeigt. Julia Barrow6 schrieb in solcher Richtung erfrischend deutlich, angesichts ihres Vergleichs deutscher und englischer Domherrenkarrieren zwischen 1100 und 1225, die deutschen Hochadelsfamilien hätten eine wirksame Maschinerie zur Verhinderung meritokratischen Aufstiegs errichtet. In der englischen Kirche sei dieser hingegen (erfreulicherweise) möglich gewesen. Das Faktum stimmt gewiß, selbst wenn man das Hindernis in unserem Land weniger
5 Johannes Fried, Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert, Köln Wien 1974, S. 247ff. 6 Julia Barrow, Education and the Recruitment of Cathedral Canons in England and Germany 1100–1225, in: Viator 20 (1989), S. 117–138.
deutsche und europäische gelehrte
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„intentional“ als „existentiell“ auffaßt. Wie letzterem aber auch gewesen sei, eine solche Weichenstellung für einen englischen Schienenstrang einerseits und einen deutschen andererseits war fundamental wichtig und hat für unser Thema überaus langwirkende Folgen gezeitigt. Unser eigener entsprechender Beispielsfall mag ebenso auffällig sein. Aus dem Buch von Louis Caillet über die Benezialpolitik Papst Johannes’ XXII. (1316–1334)7 sind Interventionen zugunsten von 3.879 graduierten französischen Juristen bekannt, aus dem Zivilrecht allein für 1.255 Lizentiaten, Doktoren und mit dem Professorentitel bezeichnete Kleriker, aus dem Kirchenrecht für 252 Personen derselben höchsten Ränge und aus beiden Rechten für 329 Personen solcher Art. Das waren durchschnittlich Gnaden für je 158 immer neue höchstrangige Gelehrte jährlich. Entsprechende Daten für Deutschland besitzen wir nicht, sie hätten auch gleichzeitig angesichts des päpstlichen Kampfes gegen Ludwig den Bayern keinen Sinn. Deutsche Zahlen sind von anderer Art und liegen zumeist später, sind aber nicht ohne Vergleichswert und weisen alle in die selbe, ganz andere Richtung. Aus Bologna kennt Schmutz 3.601 deutsche Jurastudenten zwischen 1265 und 1425, das sind 21 neue Namen im jährlichen Durchschnitt bei einer Graduierungsquote von 3,6 Prozent, das meint 0,7 Graduierungen im Jahr. Aus Prag überliefert die vollständig erhaltene Matrikel der Juristenuniversität zwischen 1372 und 1418 3.563 Personen, jährlich im Durchschnitt 78 neue Namen, bei einer Graduierungsquote von 8,7 Prozent gleich knapp 7 Personen jährlich. Seit 1402 kann man die Wiener Juristenfakultät auf jährlich etwa 20 Neuimmatrikulationen schätzen, die Kölner Konkurrenz auf etwa 30. Heidelberg war viel kleiner. Man fand für 190 Jahre seit 1250 im deutschen Herrendienst – gutenteils sich mit den Vorherigen überschneidend – 825 Juristennamen, das sind je Jahr 5 neue Namen bei einer absolut elitären Graduierungsquote von 66 Prozent8. Legisten gab es am Königshof in Frankreich schon unter Ludwig IX. († 1270), bei uns zuerst und zwar in minimaler Zahl unter Karl IV. († 1378), Kanonisten natürlich mindestens seit König Rudolf († 1291). 7
Louis Caillet, La papauté d’Avignon et l’Eglise de France, Paris 1975, passim. Jürg Schmutz, Juristen für das Reich. Rechtsstudenten an der Universität Bologna 1265–1425, 2 Teile, Basel 2000; Album seu matricula facultatis inridicae universitatis Pragensis ab anno Christi 1372 usque ad annum 1418, Pragae 1834; Beat Immenhauser, Wiener Juristen, in: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 17 (1997), S. 61–102. Zu Männl vgl. oben Anm. 2. 8
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Man lasse diese Zahlen nur der Größenordnung nach auf sich wirken, ohne jede mathematische Einzeloperation und Erläuterung. Niemand behauptet, daß es sich auf anderen Gebieten ähnlich verhalte. Für unseren Fall aber zweifeln wir nicht daran, daß alles in allem ein Gegenüber von 10 zu 1 gleichsam an der Basis dieser Profession den deutschen Verhältnissen noch schmeichelt oder sehr schmeichelt. Die Differenz bei den Höchstgraduierten ist weitaus größer, eigentlich unfaßlich groß. Wie soll man damit umgehen? Das ist die Frage, die wir weitergeben möchten. Mit beiden Befunden bendet man sich übrigens wohl ungefähr in der Mitte einer Skala, die das lateinische Europa von Oberitalien einerseits bis Finnland andererseits bezeichnen möge. Die Skala ist überaus weitgespannt, die Unterschiede sind sehr groß, die lateineuropäische Geschichte wird horizontal aufs Äußerste gedehnt. Spannend ist auch die Frage, was im 15. Jahrhundert anders wurde. Mit einem Wort: Schwerlich ist das Thema „Deutsche und europäische Gelehrte im lateinischen Mittelalter“ schon ausgereizt.
ANHANG
REPERTORIUM ACADEMICUM GERMANICUM EIN WHO’S WHO DER GRADUIERTEN GELEHRTEN DES ALTEN REICHES (1250–1550)
1. Idee, Grundlagen und Ziele Im Jahre 1999 entschlossen sich Peter Moraw ( Justus-Liebig-Universität Gießen, Deutschland) und Rainer C. Schwinges (Universität Bern, Schweiz), seit langem durch gemeinsame Interessen in der Universitäts- und Bildungssozialgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit verbunden, die universitätsgebildeten Gelehrten des alten römisch-deutschen Reiches personengeschichtlich zu erforschen und ihre Lebenswege, ihr Wissen, ihre gesellschaftliche Wirkung und die sich dabei entwickelnde spezische Kultur zu erkunden. Die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München, deren ordentliche Mitglieder beide Professoren sind, akzeptierte die Idee und das Design des Projekts und richtete unter der Bezeichnung Repertorium Academicum Germanicum (RAG ) eine eigene Forschungsabteilung mit Arbeitsstellen in Gießen und Bern ein1. Das RAG verfolgt das Ziel, alle schätzungsweise 40.000 auf dem Gebiet des Reiches tätigen graduierten Gelehrten (Theologen, Juristen, Mediziner und Artisten-Magister) zwischen 1250 und 1550 mit soweit wie möglich vollständigen Lebensläufen auf ausreichend breiter Quellengrundlage zu erfassen. Gießen konzentriert sich auf den Zeitraum von 1250 bis 1450, Bern auf den folgenden bis 1550. Es gilt, die Institutionengeschichte (Universitäten, Fakultäten) mit der Sozial- und Kulturgeschichte der
1 Die Arbeiten am RAG begannen im Januar 2001 in Bern und im Oktober 2002 in Gießen. Gefördert wurden sie von 2001 bis 2006 durch den Schweizerischen Nationalfonds, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Fritz-Thyssen-Stiftung. Seit Januar 2007 ist das RAG auf zwölf Jahre (bis Ende 2018) in die Förderung durch das Akademienprogramm der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften aufgenommen worden. Der vorliegende Text beruht teilweise auf dem erfolgreichen Projektbeschrieb für das Akademienprogramm aus den Jahren 2005 und 2006. Vgl. zum RAG bereits: P. Moraw und R. C. Schwinges, in: Akademie Aktuell (2004); Repertorium Academicum Germanicum (2003/2004); S. Baeriswyl, Die graduierten Gelehrten (2003); C. Hesse, Repertorium (2002).
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Universitätsbesucher (Herkunft, Studium, soziale Vernetzung, Lebensqualitäten und Berufswege) und mit der Wissenschaftsgeschichte (Was hat man gelernt, gedacht und vermittelt?) so zu verbinden, dass die Lebens- und Wirkungsgeschichte der Gelehrten in der vormodernen Gesellschaft beschrieben werden kann. Letztlich wollen wir verstehen, wie sich über die Personen die mittelalterlich-frühneuzeitlichen Grundlagen der modernen Wissensgesellschaft formierten. Gelehrte im Sinne des RAG – die genannte Zahl dürfte eher noch nach oben als nach unten zu korrigieren sein – sind alle jene, die an einer Universität Europas zum Magister Artium oder zum Bakkalarius, Licentiatus, Magister oder Doktor einer der höheren Fakultäten der Rechte, der Medizin oder der Theologie promoviert worden sind. Als Gelehrte gelten zudem jene, die nachweislich ein Studium an einer der höheren Fakultäten absolvierten, ohne sich jedoch einem Examen mit anschließender Promotion zu unterziehen, darunter viele Adlige, die Universitätsbildung zwar nicht missen wollten, deren Standesqualitäten einem universitären Abschluß aber immer noch überlegen waren. Die international hoch vernetzte und besonders produktive Universitäts- und Wissenschafts forschung zeichnete sich bislang durch eine Konzentration auf einzelne Gelehrte, eine Universität, einzelne Kirchen oder landesherrliche Kanzleien aus und blieb insofern perspektivisch beschränkt. Das RAG, das am Ende ein „Who’s Who“ der graduierten Gelehrten im Alten Reich darstellen soll, bietet mit seiner Datenbasis ganz neue, auch interdisziplinäre Perspektiven. Möglich werden qualitative und quantitative Aussagen über die geistige Elite des Reiches insgesamt, auch über ihre europäische Vernetzung sowie vielfältige institutionelle und territoriale Vergleiche. Das Projekt ist nicht nur thematisch, sondern durch seine Datenbankstruktur auch methodisch innovativ. Mit dem RAG entsteht eine einzigartige offene Plattform, die vielfältige Erweiterungsmöglichkeiten bietet: für inhaltliche Ergänzungen, mit Projekten europäischer Nachbarn oder zu anderen Epochen. Mit Fragen an die Gelehrten des RAG holt man sich Antworten auf eine ganze Reihe von zentralen Fragen der Geschichtswissenschaft, Fragen zum Beispiel, die der Nutzung der erworbenen schriftlichen und mündlichen Kompetenzen im öffentlichen Leben gelten, der Ausarbeitung und Anwendung von Herrschafts- und Verwaltungstechniken, der Bildung von Gelehrten- und Wissenschaftsnetzwerken, dem Transfer tradierten Wissens und methodischer Schulung in Hof- und
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Verwaltungskarrieren, in Kirchen, in Gerichten und Schulen, königlichen, territorialen und städtischen Ämtern, in selbständig bestimmten Professionen der medizinischen und juristischen Praxis und nicht zuletzt auch in der Laufbahn des sich herausbildenden Universitätsprofessors. Gelehrte und ihr Wirken antworten aber auch auf Fragen, die weiter reichen, zum Beispiel nach Bau und Rolle politischer Systeme, nach dem Gefüge, dem Funktionieren und dem Wandel der Gemeinwesen in Stadt und Land, nach den Möglichkeiten sozialer Mobilität oder dem Entstehen neuer Berufs- und Führungsgruppen, auch neuer oder ergänzter Eliten. Angemessene Antworten erhält man indessen weniger aus den Institutionen selbst als vielmehr aus der zeitgerechten Rekonstruktion der Individualdaten der handelnden Personen, die gerade im Raum des Alten Reiches in europaweit unvergleichlicher Fülle vorhanden sind. Basis der Projektarbeit, im Sinne einer materialfundierten bzw. -erschließenden Grundlagenarbeit, muß daher eine mit den methodischen Mitteln der Personenforschung angelegte Datenbank sein. Neben Daten über Herkunft, Studium und Lebensweg, Positionen, Ämter, Karrieren, hinterlassene Werke, Testamente, Stiftungen interessieren dabei wegen der empirisch begründeten Andersartigkeit einer vormodernen, „traditionalen“ Gesellschaft vor allem auch die relationalen Daten über den zugehörigen Sozialraum, seine Einußtiefe und Reichweite, über verwandtschaftliche Bindungen, über Freundschaften und Feindschaften, über Referenzen und Beziehungen zu Herren jeder Art, über Tischgenossenschaften, Privilegien und Klientelverhältnisse. Eine derart geplante und teils schon realisierte Geschichte der Gelehrten auf der Grundlage vieltausendfacher Personendaten aus der Hauptphase der universitären Expansion im Alten Reich bis 1550 ist ein innovatives geschichtswissenschaftliches Ereignis von europäischem Rang mit herausragender Vorbildfunktion für andere Länder wie für andere Epochen. Durch die Erschließung, Sicherung und Aufbereitung dieser Personendaten kann der Aufbau einer Wissensinfrastruktur für die Geistes- und Kulturwissenschaften entscheidend gefördert werden, die auch in moderner Form unter Nutzung der gebotenen Möglichkeiten elektronischer Medien öffentlich zugänglich gemacht wird. Der jeweils aktuelle Zustand der Forschungen ist jederzeit online recherchierbar unter www.rag-online.org.
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Wenige Gebiete der älteren Geschichte haben sich international so rasch und fruchttragend entwickelt wie die historische Bildungsforschung, insbesondere ihr Teilgebiet der sozial- und kulturgeschichtlich begründeten Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. Zeugnisse dafür sind zum Beispiel die mehrbändige „Geschichte der Universität in Europa“, das ebenso mehrbändige Werk „Le Università dell’Europa“, die neue europäische Universitätsgeschichte, vornehmlich aus wissenshistorischer Sicht von Wolfgang Weber2, die internationalen Zeitschriften „History of Universities“ (1981ff.), das „Jahrbuch für Universitätsgeschichte“ (1998ff.) und die „Annali di storia delle Università italiane“ (1997ff.) sowie die Publikationen der Reihen „Pallas Athene“ (2000ff.) und „Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“ (1999ff.). Die Bildungsforschung zur Neuzeit ist gleichermaßen in Bewegung. Man denke nur an das mehrbändige „Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte“ (1995ff.). Während diese jedoch viel stärker von der Nachbarschaft zur historischen Pädagogik und zur Wissenschaftsgeschichte oder gar zur Wissenschaftstheorie und -forschung protieren kann, ist für die ältere Zeit, nachdem lange die Institutionengeschichte dominierte, die Begegnung mit der Sozial- und Kulturgeschichte das prägende Moment geworden. Dies hat für die Forschung gerade im deutschsprachigen Raum bzw. im Gesamtgebiet des Alten Reiches entscheidende Konsequenzen. Betrachtet man die Geschichte mittelalterlicher Bildung und Wissenschaft samt ihren Institutionen rein chronologisch, so wird man selbstverständlich nicht umhin können, zuerst auf Frankreich und Italien zu blicken mit ihren europäischen Zentren für Theologie und Philosophie in Paris, für Rechtswesen und Medizin in Bologna, Padua oder Ferrara. Die entsprechenden, rund 150 Jahre späteren Ereignisse und Prozesse im Alten Reich, beginnend mit Prag (1348) als der ersten Universität nördlich der Alpen, wird man demgegenüber nicht gerade in den Vordergrund stellen können. Diese Tatbestände sind deutlich verspätet und werden quantitativ und qualitativ im Vergleich mit West- und Südeuropa noch lange zurückstehen. Sieht man aber auf die Sozialgeschichte der Gelehrten und darauf, was sie als graduierte
2
W. Rüegg (1993–2004); G. P. Brizzi, J. Verger (1990–1995); W. E. J. Weber (2002).
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Absolventen der Theologie, des kirchlichen und weltlichen Rechts, der Medizin und der Artes Liberales studiert, geleistet und bewirkt haben, auch im Hinblick auf „Staat“, Städte, Kirche und Gesellschaft, dann muß man die Regionen des Alten Reiches, mit weitem Abstand in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Denn nirgends in Europa kann man so viel über so viele gelehrte Personen in Erfahrung bringen wie gerade hier. Die schätzungsweise 40.000 Graduierten (Bakkalare, Lizentiaten, Magister und Doktoren), die auf einer vermutlich mittleren Führungsebene neben Adel und Großbürgertum wichtigste Träger sozialer, kultureller, politischer und administrativer Entwicklungen auf dem Boden des Reiches waren, standen an der Spitze der rund 300.000 deutschen Studenten an Europas Universitäten zwischen 1250 und 1550. Daß man solche Zahlen überhaupt nennen kann, hängt fundamental mit der vorzüglichen Quellenlage zusammen, damit, daß die entsprechenden Universitätsmatrikeln und die anderen Universitäts- und Fakultätsakten einschließlich jener der Deutschen Nationen in Frankreich und Italien in unerreichter Fülle erhalten und zum Teil schon gedruckt sind3, und auch damit, daß der Quellenreichtum des Vatikanischen Archivs in Rom bisher für das Gebiet des Reiches am intensivsten ausgeschöpft worden ist4. Jener Vorsprung dürfte mangels Existenz oder Erhaltung entsprechender Quellen niemals einzuholen sein, dieser wohl kaum in absehbarer Zeit. Diese Bemerkungen zeigen, daß die reiche Quellenlage insbesondere hinsichtlich der entwicklungsgeschichtlichen Einordnung dieser Verhältnisse auch problematische Seiten hat. Anknüpfungspunkte zur vergleichenden Wertung in Europa fände man allenfalls in den „Biographical Registers“ von Oxford und Cambridge, im „Biographical Register“ der promovierten Pariser Theologen, im „Répertoire biographique“ der Lütticher Universitätsmagister, in den Promotionsakten der Universitäten Padua und Pavia oder in dem Sammelwerk „Contemporaries of Erasmus“5. In Italien kommen archivalische Bestandsaufnahmen und personengeschichtlich wichtige Arbeiten aus Universitätsakten neuerdings
3
Übersicht bei J. Paquet (1992). Repertorium Germanicum (1916–2002); A. Meyer (1986); B. Schwarz (1991); L. Schmugge (1996–2002); L. Schmugge et al. (1996). 5 A. B. Emden (1957ff.) mit den Auswertungen von T. H. Aston (1977, 1980); J. K. Farge (1980); T. Sullivan (2004); Ch. Renardy (1979, 1981); A. Belloni (1986); A. Sottili (1995–97); P. G. Bietenholz und T. B. Deutscher (1985–1987). 4
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wieder in Gang6. Aus anderen europäischen Ländern, namentlich aus Spanien, Skandinavien und Osteuropa, wo die Quellenlage vor dem 16. Jahrhundert insgesamt dürftig ist, sind entsprechende Arbeiten vorerst kaum zu erwarten, ausgenommen aus Polen und Tschechien7. In Buch- und Aufsatzform existieren eine ganze Reihe von qualitativ sehr unterschiedlichen Vorarbeiten. Vorherrschend sind lokale, bestenfalls regionale Einzel- und Gruppenanalysen von gelehrten Eliten, von Juristen, Theologen, Medizinern oder Artisten und ihrer Tätigkeiten in Kirchen, Städten und „staatlichen“ Stellen. Einblicke in internationale Forschungen über kirchliche, städtische, politische und intellektuelle Eliten werden in jüngerer Zeit geboten8. Wichtige Monographien, zum Teil auch Buchkapitel über Juristen und Mediziner in Frankreich und Italien sind hier ebenfalls zu nennen9. Die Gesamtheit der Gelehrten konnte aber für kein Land des mittelalterlichen Europa bisher in den Blick genommen werden. Erste europäisch vergleichende Überblicke unternahmen P. Moraw und J. Verger sowie zum gelehrten Wissen P. Burke und M. Kintzinger10. Zum Forschungsstand – auch in europäischer Perspektive – haben sich zuletzt die Leiter des RAG, P. Moraw und R. C. Schwinges, sowie N. Hammerstein geäußert11. Für das Reich kann man sich zunächst auf die Leistungen der älteren deutschen universitätsgeschichtlichen Forschung stützen, auf die großen Editionen (Matrikeln, Urkunden und Akten) des 19. und 20. Jahrhunderts, auf heute noch wertvolle Synthesen, neuere Gesamtdarstellungen sowie Monographien zu einzelnen Universitäten12. Grundlegende
6 Studenti e dottori, Convegno (1999); A. Sottili (2000–2003); P. Rosso (2001); F. Piovan und L. Sitran Rea (2001). 7 Überblick in D. Julia u. a. 1986; M. Svatoš (2000); F. Šmahel (2001, 2007), von beiden werden einschlägige Dissertationen betreut. A. Gaiorowski, T. Jurek et al. (2000). 8 Siehe etwa C. H. Clough (1982), N. Bulst und J.-P. Genet (1986), J. Fried (1986), D. Poirion (1987), H. Millet (1992), J.-P. Genet und G. Lottes (1996), W. Reinhard (1996) und M. Bideaux und M.-M. Fragonnard (2003). 9 Siehe z. B. R. Fédou (1964), B. Guillemain (1966); L. Martines (1968), L. Caillet und J. Gaudemet (1975); D. Jacquart (1981) J. Kerhervé (1987); N. G. Siraisi (1990); M. Prietzel (2001); W. J. Courtenay (2002); P. Renzi (2002). 10 P. Moraw (1992); J. Verger (1997); P. Burke (2000); M. Kintzinger (2003). 11 N. Hammerstein (2003); R. C. Schwinges (2000, 2001, 2004, 2006); P. Moraw (2003). 12 Überblick über Editionen bei J. Paquet (1992). – G. Kaufmann (1888, 1896); F. Paulsen (1919, 1921). – H.-W. Prahl (1978); R. A. Müller (1990); H. Boockmann (1999); W. Weber (2002). Zu einzelnen Universitäten E. Bonjour (1960); E. Kleineidam (1985, 1992); E. Meuthen (1988); P. Uiblein (1999); M. Asche (2000).
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Arbeiten, in denen sich älteres institutionengeschichtliches Fragen mit neuerem bildungssozialgeschichtlichem Fragen verband, stammen vor allem von P. Classen, L. Boehm und R. A. Müller sowie von den Leitern des RAG13. Innerhalb des Alten Reiches sind von den Personen her die Juristen und Rechtspraktiker (Notare und Schreiber) im Dienst des Königs und der Fürsten sowie einzelner Landschaften und Städte am besten dokumentiert, von der Geographie her sind es die alten Führungslandschaften im Süden, einschließlich der Schweiz, am unteren Niederrhein, in den Niederlanden und im westlichen Hanseraum14. Für die gelehrten Mediziner und Theologen existieren außerhalb der engeren universitätsund fakultätsgeschichtlichen Literatur deutlich weniger vergleichbare Vorarbeiten. Hingewiesen sei nur auf das biographische Material im „Verfasserlexikon“, auf Studien zu Theologen-Karrieren sowie auf Arbeiten aus dem Kreis der Projektleiter15. Bei den Theologen muß man auf die allgemeine ordens-, bistums-, pfarr- und stiftsgeschichtliche Literatur zurückgreifen, darunter auf einige, auch modernen prosopographischen Ansprüchen genügende Stiftsmonographien aus dem Umkreis der Germania oder Helvetia Sacra, die der Universitätsausbildung Beachtung geschenkt haben16. Die große Mehrheit der Kanoniker hatte eher juristische oder artistische als theologische Graduierung aufzuweisen. Reichlich diffus ist die Lage bei gelehrten Artisten, selbst bei Inhabern des Magistergrades. Gute Einblicke verschaffen zur Zeit einzelne Arbeiten sowie der Sammelband „Artisten und Philosophen“17.
13 P. Classen (1983); L. Boehm (1970, 1998); R. A. Müller (1974, 1990, 1996); P. Moraw; R. C. Schwinges. 14 Exemplarisch hervorzuheben: O. Vasella (1932); P. Staerkle (1939); S. StellingMichaud (1955, 1960); H. Lieberich (1965); A. Uyttebrouck (1975); H. de RidderSymoens (1978, 1981); K. Wriedt (1978, 1983, 1990, 1996, 1999); D. Willoweit (1985, 1996, 1999); R. Schnur (1986); D. Stievermann (1986); P.-J. Schuler (1987); I. Männl (1987, 1996, 1998); F. Elsener (1989); R. A. Müller (1996); U. M. Zahnd (1996); Ranieri (1997); A. Sohn (1997); P.-J. Heinig (1997, 1998); H. Boockmann u. a. (1998); H. G. Walther (1998); K. H. Marcus (1999); H. Noatscher (1999); J. Schmutz (2000); H. v. Seggern (2000); R. Becker (2001, 2006); D. Mertens (2002, 2003); R. Gramsch (2003), A. Tervoort (2005). 15 M. Bernhardt (1996); M. Zitter (2000); S. Horn (2001); M. Kintzinger (2000); B. Immenhauser (1996); B. Vogler (1994); J. Miethke (1996); C.-R. Prüll (1996). 16 A. Meyer (1986); G. Fouquet (1987); J. Pilvousek (1988); C. Hesse (1992); B. Wiggenhauser (1997); O. Auge (2002). 17 U. a. von G.-R. Tewes (1993); M. Kintzinger (1999) und K. Wriedt (1996, 1999, 2005); I. Matschinegg und T. Maisel (2001); R. C. Schwinges (Hg.), Artisten und Philosophen (1999).
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Spärlich sind die Arbeiten, die den Lebensweg der Gelehrten – schon als Studierende – von einzelnen Universitäten aus verfolgen18. Die Arbeiten der RAG-Projektleiter, die zu den Mitbegründern und zum Kreis der international beteiligten Erforscher der universitären Sozial- und Kulturgeschichte gehören19, sowie die ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Schüler und Schülerinnen, sind soweit gediehen, daß sie als Ausgangsbasis für ein Gesamtbild der graduierten Gelehrten des Alten Reiches dienen können. Besonders hervorzuheben sind Arbeiten von S. Baeriswyl, P.-J. Heinig, C. Hesse, B. Immenhauser, W. C. Kändler und F. Wagner, I. Männl und J. Schmutz20. Inzwischen liegen Studien über Universitätsbesucher und Gelehrte vor, über Studium, Lebenswege und Karrieremuster, Rekrutierung, Examina, Promotionen und Professionalisierung, insbesondere über Artisten, Juristen und Mediziner und deren Funktionen an Königs- und Fürstenhöfen, in Städten und Kirchen. Unter Leitung von R. C. Schwinges sind zudem zwischen 1993 und 2005 mehrere thematisch einschlägige internationale Tagungen durchgeführt worden, die allesamt der Projektthematik zugute kamen. Das Feedback der Forschung, auf das diese Aktivitäten von Anfang an abzielten, ist höchst anregend und auf diese Weise kontinuierlich in die Projektarbeit eingeossen21. Dessen ungeachtet gibt es noch reichlich Gelegenheit, Neuland zu betreten. Die graduierten Magister der Artisten, die Bakkalare, Lizentiaten und Doktoren der Juristen, Theologen und Mediziner befanden sich – wie oben schon angedeutet – auf jener vermutlich mittleren Führungsebene, die für die Entwicklung des Reiches, der Territorien, der Städte und der Kirche im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit von entscheidender Bedeutung gewesen ist. Wie breit und wie zugänglich 18 Z. B. W. Kuhn (1971), U. M. Zahnd (1979); R. Häfele (1988), C. Fuchs (1995), F. Heiler (1998) und speziell zum Italien-Studium W. Dotzauer (1976), W. Rüegg (1991); I. Matschinegg (1993), W. Maleczek (1995), A. Sottili (1996) sowie J. Schmutz (2000); S. Irrgang (2002); R. Gramsch (2000). 19 Kritisch gewürdigt zuletzt durch M. Borgolte (1996), S. 373–384; N. Hammerstein (2003). 20 Siehe Literaturliste. 21 1993: Gelehrte im Reich; 1995: Neue Forschungen zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; 1997: Artisten und Philosophen; 1999: Humboldt International; 2001: Finanzierung von Universität und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart; 2001: Wissenschaftsfreiheit in Vergangenheit und Gegenwart; 2003: Examen, Titel, Promotionen. Akademisches und staatliches Qualikationswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert; 2005: Die Universität im öffentlichen Raum; vgl. www.guw.unibe. ch/Publikationen.htm.
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diese Ebene war, ist allerdings eine noch weitgehend offene Frage; dies um so mehr, als für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts mit Höhepunkten nach 1470 von einem starken Angebotsdruck an Universitätsgebildeten unterschiedlicher Kompetenzstufen gesprochen werden muß, dem auf den weithin unelastischen Arbeitsmärkten der geistlichen wie der weltlichen Herren und der Städte offenbar noch keine adäquate Nachfrage gegenüberstand. In regionaler und überregionaler Hinsicht wird man schon innerhalb des Reiches, erst recht im europäischen Raum, auf größte Differenzen und Entwicklungsunterschiede stoßen. Erst die politischen und sozialen Begleiterscheinungen der Reformation dürften diesen Druck auf die Arbeitsmärkte der graduierten Akademiker bis um 1550 „kanalisiert“ haben22.
3. Methoden Antworten auf offene Fragen, die weniger den einzelnen Gelehrten als vielmehr dem Zusammenhang und der Wirkung ihrer Gesamtheit gelten, erhält man freilich nur, wenn man in ausreichendem Maße personengeschichtlich relevantes Material zusammengetragen und im RAG aufbereitet hat. Die Projektarbeiten sind stets personennah und personenintensiv. Daher stehen die prosopographischen und kollektivbiographischen Methoden der historischen Forschung im Vordergrund – unter selbstverständlicher Einordnung in die allgemeine Sozial- und Verfassungs-, Wissenschafts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte des Alten Reiches. Das zentrale Hilfsmittel des RAG ist eine Datenbank mit einer eigens entwickelten modellorientierten Struktur23. Diese entspricht den Anforderungen einer spezisch mittelalterlichen prosopographischen Datenerfassung am besten, da sie auch das schwierige Problem der Identikation von Personen hinter den überlieferten Namen berücksichtigt. Einer der großen Vorteile dieser modellorientierten Struktur (anstelle einer projektorientierten) liegt darin, daß der Inhalt der Datenbank mit dem Erkenntnisgewinn wachsen kann, ohne die Struktur ständig anpassen zu müssen.
22 Vgl. R. C. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (1986), S. 30ff., 219ff., und B. Immenhauser, Reformationszeit (2003). 23 Autorin ist die Mitarbeiterin der Berner Arbeitsstelle S. Baeriswyl (2003, 2007).
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Diese Datenbank wird in beiden Arbeitsstellen kontinuierlich ausgebaut und gepegt. Die Technik der Online-Synchronisierung konnte bereits Mitte 2003 implementiert werden. Seitdem werden die Daten an beiden Orten in kurzen Zeitabschnitten online abgeglichen, so daß sich Fehler und Doppeleingaben weitgehend vermeiden lassen. Seit Anfang 2007 ist eine direkte Abfrage einzelner Teile der Projektdatenbank über das Internet möglich: www.rag-online.org. Es können damit die vorhandenen Personendatensätze mit Namen, Herkunft, Universitätsbesuchen, Promotionsgraden, Immatrikulationsdaten und teilweise weiteren Ausbildungs- und Karrieredaten weltweit verknüpft recherchiert und für die unterschiedlichsten Forschungen herangezogen werden. Diese frühe Publikation von Teilen des RAG im Internet ist eine Dienstleistung für die scientic community. Sie mag – entsprechend begleitet – dem Projekt in Fachkreisen Aufmerksamkeit verschaffen und durch hoffentlich zahlreiche Rückmeldungen dazu führen, die Angaben im RAG zu korrigieren oder zu ergänzen. Ein weiteres Hilfsmittel bildet eine in Bern erstellte Ortsdatenbank, die zur Qualizierung der Herkunftsorte von Universitätsbesuchern angelegt worden ist; sie verzeichnet zur Zeit koordinatengetreu über 100.000 Ortschaften des Alten Reiches, zum Teil mit Angaben zu Herrschafts- und Verwaltungsverhältnissen am Ort, zur Verkehrslage und zu wirtschaftlichen, rechtlichen, kirchlichen, schulischen, demographischen und topographischen Besonderheiten. Die Kombination der beiden Datenbanken wird es erlauben, weiterführende Aussagen über die unterschiedliche räumliche Präsenz der graduierten Gelehrten im Reich, über verschieden prolierte Bildungs- oder Gelehrtenlandschaften von West nach Ost und Süd nach Nord zu machen. Entsprechende Arbeiten zu Rekrutierungsräumen im gesamten Universitätssystem des Alten Reiches, die die gewonnenen Erkenntnisse auch historischgeographisch analysieren und kartographisch darstellen sollen, wurden in Bern im Rahmen eines Schweizerischen Nationalfonds-Projekts über „Innovationsräume“ durchgeführt24. Sie können später in das RAG von Modul zu Modul eingeordnet werden. So mag es einmal möglich sein, dem RAG ein Atlaswerk über „Gelehrten-Landschaften“ des Alten Reiches beizugeben. Die Projektleiter haben ohnehin ein gemeinsames Interesse an „Regionalität“, an „Innovationsräumen“ und „Migrationslandschaften“, zumal hier aus weiteren Forschungen
24 Zu gelehrtenspezischen Ergebnissen vgl. R. C. Schwinges, Innovationsräume (2001), ders. Entre regionalité (2003, mit Karten).
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Ergebnisse vorliegen, die man mit den zu erwartenden Einsichten aus den „Gelehrten-Landschaften“ in Beziehung setzen kann25. Prosopographisch angelegte Arbeiten sind und bleiben arbeits- und zeitintensiv, trotz ausgefeilter Datenbanktechnik. Sie setzen einen hohen Wissensstand der einzelnen Mitarbeiter voraus, welche die verschiedenen Angaben in den Quellen richtig zu interpretieren und einzugeben haben. Solche Arbeiten induzieren dafür aber vielfachen Erkenntnisgewinn, der aus anderen Quellenzusammenhängen allein nicht zu erschließen wäre. Die Kenntnis von der Verbreitung gelehrten Wissens und von der zunehmenden „Akademisierung“ und „Professionalisierung“ gelehrter Tätigkeit gehört zu den spannendsten Themen der europäischen Geschichte seit dem späten Mittelalter. Voraussetzung dafür ist, die Personen zu kennen, die solches Wissen erworben, angewendet und (der Sache nach) zugunsten der vormodernen Gesellschaften verbreitet haben. Der fundamentale Unterschied zwischen der erfreulich wachsenden Anzahl einschlägiger Veröffentlichungen und dem RAG besteht darin, daß dort von oft günstigen, inselhaften Quellenbeständen aus durchaus ins Neue vorgestoßen wird, während sich die RAG-Teams um ein umfassendes Grundlagenwerk bemühen, dass sich „guten“ wie „schlechten“ Quellen aussetzen muss. Es soll gleichermaßen heute schon erkennbaren und heute noch nicht erkennbaren wissenschaftlichen Fragen dienen, von solchen nach regional höchst unterschiedlich verlaufenden Professionalisierungsprozessen bis hin zu Fragen nach dem seinerzeitigen Zusammenhalt und dem „Funktionieren“ ganzer Regionen und nicht zuletzt des Reiches insgesamt.
4. Modulare Strukturen Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, das RAG so aufgebaut zu haben, daß man in jeweils absehbaren Zeiträumen zu befriedigenden und recht geschlossenen Teilergebnissen kommen kann. Dies gebietet erfahrungsgemäß nicht nur die Sachlage, sondern auch die Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ausgehend von einer zwölfjährigen 25 P. Moraw (Hg.), Regionale Identität und soziale Gruppen im deutschen Mittelalter (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 14), Berlin 1992; R. C. Schwinges (Hg.), Neubürger im späten Mittelalter. Migration und Austausch in der Städtelandschaft des Alten Reiches 1250–1550 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 30), Berlin 2002; Ders. et al. (Hg.), Innovationsräume in Vergangenheit und Gegenwart, Zürich 2001.
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Projektdauer ab 2007 läßt sich das Vorhaben in sechs unterscheidbare Teile oder Module gliedern. Dafür sprechen sowohl sachliche als auch räumliche Kriterien. Diese modulare Aufteilung versteht sich aus dem Vorwissen heraus, daß man beim Personenkreis des RAG immer wieder auf Phänomene vom einfachen Zusammenhalten bis zur Integration stößt, d. h. immer wieder von Generation zu Generation den gleichen Personalkonstellationen, Familien und Netzwerken in bestimmten Landschaften begegnet. Solche können zentrale Landschaften sein oder auch Peripherien, die gleichsam mitgetragen oder einfach mitgenommen werden. Dies entspricht der sozial-historischen Beobachtung des häugen Zusammenhalts in Landsmannschaften und Freundschaften in den verschiedensten Lebensräumen und Wirkungsfeldern, auch auf höchster Ebene. Das Alte Reich setzte sich aus sehr unterschiedlich entwickelten Landschaften oder Regionen zusammen, die nicht zuletzt auch von Universitätsbesuchern und insbesondere graduierten Gelehrten mitgeprägt wurden. Durch die Überschneidung ihrer Einzugsräume hatten oft mehrere Universitäten daran Anteil. Ausgehend von diesem Modell (manches ist noch Hypothese) kann man die einzelnen Module und damit zugleich den Arbeitsrhythmus der kommenden Jahre wie folgt beschreiben. Während das erste Modul noch querschnittartig über das gesamte Reich hinweg angelegt ist, um die begonnene Gesamtbestandsaufnahme zu vervollständigen, sind die folgenden Module längsschnittartig bestimmten Großräumen zugeordnet. Jeder dieser Räume soll für sich stehen und je für sich zu präsentablen Ergebnissen führen können. Das letzte Modul faßt wiederum horizontal zusammen und widmet sich abschließenden Publikationen (inklusive gegebenenfalls Atlaswerk). Diese Vorgehensweise ist auch deswegen von Vorteil (nicht zuletzt im Hinblick auf die Arbeitsökonomie), da sich die Module relativ problemlos auf verschiedene Arbeitsstellen aufteilen lassen. Deren zeitliche Gliederung wird also durch eine modulare, universitätsräumlich orientierte Struktur ergänzt. Modul 1 ist der Bestandsaufnahme der Gelehrten des Reiches gewidmet. Es gilt, sämtliche wohl über 40.000 RAG-relevanten Personen aus allen Universitäten des Reiches und soweit möglich des europäischen Umlandes namentlich mit ersten rudimentären Personendaten zu kennen und im Internet verfügbar zu machen26. Auf dieses Fundament
26 Dies dürfte 2007/08 erreicht sein. Der Zustand ist ständig abfragbar über www. rag-online.org.
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werden sodann alle greifbaren Personendaten aufgesetzt, die aus dem universitären Material erschlossen werden können, gleichgültig ob es sich dabei um Originalquellen oder editorische Sekundärangaben handelt. Trotz der großen Unterschiede im Überlieferungs- und Forschungsstand der einzelnen Universitätslandschaften wird auf eine umfassende Bestandsaufnahme des gedruckten und ungedruckten Materials grundsätzlich für das gesamte Reichsgebiet und angrenzende Gebiete Wert gelegt. Vorrangiges Kriterium ist der prosopographische Nutzen. Infrage kommen an Quellen z. B. Matrikeln, Fakultätsakten, Promotionslisten, Doktorenkataloge, Besetzungslisten der Kollegien und Universitätsstifte, Rechnungs- und Nationsbücher, und zwar der Universitäten Prag, Wien, Heidelberg, Köln, Erfurt, Würzburg, Leipzig, Rostock, Löwen, Greifswald, Freiburg, Basel, Ingolstadt, Trier, Mainz, Tübingen, Wittenberg, Frankfurt/Oder, Marburg und Königsberg; dazu Krakau, Paris, Orléans, Dôle, Avignon, Montpellier, Bologna, Padua, Pavia, Siena, Ferrara etc. Mit diesem Vorgehen wird man am Ende für sämtliche Personen im RAG über recht gleichartige Informationen über ihr universitäres Leben verfügen, zusammengesetzt aus „Kerndaten“, die gewisse Mindestaussagen erlauben, und „Ausbaudaten“, die von der Erstimmatrikulation bis zum höchsterworbenen Grad Auskunft geben können, teilweise auch schon über Universitätswechsel und über Stand, Amt und Tätigkeiten, über Stiftungen, Bücherbesitz, eigene Werke, Freunde und Bekannte. Diesen „universitären Datenschatz“ gilt es in den weiteren Modulen durch Quellen außeruniversitärer Provenienz und Literaturauswertung zu ergänzen – in Richtung auf die wesentlichen Fragen der Universitäts- und Bildungsgeschichte. Wesentlich sind vor allem regional differenzierte Daten, die der zusammengesetzten Struktur des Universitätsbesuchs Rechnung tragen. Das 2. Modul betrifft den Großraum Niederlande, Niederrhein, Westfalen. Dieser Raum gehörte zu den bekannten Führungslandschaften des Alten Reiches, in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Hier als erstes nachforschen, bedeutet sich ergebnis- und erfolgsorientiert verhalten. Hier lagen die großen und reichen Kirchen, die ebenso großen und reichen Städte und einige Territorien, und hier hinein griffen die Einzugsräume der Universitäten von Löwen, Köln, Erfurt, Rostock und Heidelberg. Von daher wird man hier besonders viele Belege zu Karrieren, Tätigkeiten und Wirkungsfeldern der Gelehrten erwarten dürfen, so daß man so etwas wie ein Modell für das Vorgehen in den weiteren Modulen gewänne. Hier käme man – auch mit Hilfe der einschlägigen Erkenntnisse von Ad Tervoort über den Iter Italicum
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der Niederländer27 – zu einer ersten Gewichtung von Qualitäten und Quantitäten, von wirklich „wichtigen“ Leuten unter den Gelehrten und von ihren Netzwerken, die deutlich erkennbare Spuren hinterlassen haben, und all denen, die das nicht vermochten. Das 3. Modul gehört dem Mittel- und Oberrhein mit Schwaben und der Schweiz. Der rheinische Führungsraum setzte sich im Südwesten des Reiches fort. Man kann hier ähnliche Aussagen treffen wie zum zweiten Modul, wenn auch in geringerer Intensität. Die Einzugsräume teilten sich vor allem die Universitäten Heidelberg, Erfurt, Freiburg, Basel und Tübingen. Dieses Modul hat bereits intensiv von den prosopographischen Forschungen Beat Immenhausers protiert, der über Bildungs- und Lebenswege der Universitätsbesucher aus der Diözese Konstanz, der lange Zeit größten Diözese des alten Reiches, gearbeitet hat28. Durch seine Forschungen wissen wir bereits, daß der Quellenreichtum für diese Hochschullandschaft wesentlich größer als vorher angenommen ist und damit auch wesentlich mehr Daten zu dem erfaßten Personenkreis liefern wird. Auf den ober- und süddeutschen Raum, einschließlich Böhmens und Österreichs und mit einem Blick nach Italien, konzentriert sich das 4. Modul. Dieses betrifft den wirtschaftlich starken fränkisch-oberdeutschen Raum, die großen Zentren Nürnberg, Augsburg und Regensburg mit Ausstrahlung nach Italien und in den europäischen Südosten, ferner die politisch starken Territorien der Habsburger und Wittelsbacher, die reiche süddeutsche Kirchen- und Klosterlandschaft sowie die zahlreichen Reichsstädte dieses Raumes. Hier greifen die Einzugsräume insbesondere der großen Universitäten von Wien und Ingolstadt hinein, teilweise auch die von Erfurt, Leipzig und Wittenberg. Die Prager Universitäten beendeten freilich ihr Wirken im Wesentlichen bereits um 1410. Ähnlich wie am Niederrhein wird man aber auch hier auf eine vergleichbar intensive Wirkungslandschaft stossen, in der gerade nach 1470 die Schriftlichkeit auch im Umkreis und in den Tätigkeitsfeldern der Gelehrten sich sehr gesteigert hat. Das 5. Modul wendet sich an den mittel- und nordostdeutschen Raum. Dieser kann durch die Rekrutierungen der Universitäten Erfurt und Leipzig, Greifswald, Rostock, Wittenberg, Frankfurt und Krakau, durch die wirtschaftliche Ausstrahlung der Hansestädte an Nord- und Ostsee sowie der Zentren von Erfurt und Leipzig bis Breslau und Danzig und durch den Deutschen
27 28
A. Tervoort (2005). B. Immenhauser (2006).
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Orden und die wettinischen Territorien charakterisiert werden. Wie Vorarbeiten zeigen, sind auch in ihm Gelehrte schon relativ früh zum Zuge gekommen, zum Beispiel als fürstliche und städtische Räte und sonstige Amtsträger, weniger aber wohl in großen Kirchen, an denen es hier mangelte. Man wird für diesen Raum v. a. von den Arbeiten Klaus Wriedts (Hanseraum) protieren sowie von der Berner Dissertation Suse Baeriswyls29. Im 6. Modul schließlich mögen alle „Abschlußarbeiten“ versammelt sein, die sowohl eine Synthese der Hauptergebnisse als auch eine vollständige Internetpublikation des RAG (sowie eventuell eine gedruckte Version) gewährleisten. Wie sie letztlich aussehen, hängt auch von der weiteren technischen Entwicklung ab.
5. Bedeutung des Projekts Die Bedeutung liegt zum einen bereits in der gründlichen und quellenintensiven Auseinandersetzung mit aktuellen und zukunftsreichen Feldern im Bereich der historischen Bildungsforschung, insbesondere der Bildungssozialgeschichte zwischen Universitäts-, Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte in der Vormoderne. Die Bedeutung liegt zum zweiten in der großen Herausforderung, die in Europa unvergleichlich reiche und günstige Quellenlage zur Personengeschichte der Gelehrten methodisch zu bändigen und innovativ zu erschließen. Sie liegt zum dritten in der ebenfalls großen Herausforderung, durch die Aufbereitung und Analyse dieses Quellenreichtums zum ersten Mal, auf materialbasierter Grundlagenforschung aufbauend, eine Gesamtgeschichte der sozialen und kulturellen Rolle der graduierten Gelehrten im Mittelalter und im Übergang zur Neuzeit anvisieren zu können. Damit wird man einen im internationalen Wettbewerb bis auf weiteres nicht leicht einholbaren Wissensvorsprung für die historische Forschung wie auch für die Geistes- und Kulturwissenschaften insgesamt gewinnen.
29 K. Wriedt (1978–2005), S. Baeriswyl, Räte am Fürstenhof. Gelehrte und andere Wissensträger im Spiegel der Korrespondenz des Kurfürsten Albrecht Achilles von Brandenburg-Ansbach, Diss. Bern (in Vorbereitung).
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UNIVERSITÄTSGESCHICHTLICHE PUBLIKATIONEN EMER. PROF. DR. DR. H. C. PETER MORAW (OHNE REZENSIONEN, KURZE LEXIKONARTIKEL, ZEITUNGSBEITRÄGE UND DERGLEICHEN)
I. Selbständige Veröffentlichungen Die Universität Heidelberg und Neustadt an der Haardt (zusammen mit Theodor Karst). Speyer 1963 (Veröffentl. z. Gesch. von Stadt und Kreis Neustadt an der Weinstraße 3). 115, XII S. – Vorabdruck in: Die Pfalz am Rhein 35 (1962), S. 6–9, 38–41, 56–59, 73–76, 92–95. Die Anfänge der Universität Gießen im Rahmen der deutschen Universitätsgeschichte (Reformation und Konfessionelles Zeitalter). Gießen 1982. 19 S. Kleine Geschichte der Universität Gießen 1607–1982. VIII, 271, XVI S. 2. Au. Gießen 1990, VIII, 280 S. II. Beiträge zu Sammelwerken und Zeitschriften Philosophische Fakultät, in: Universität Heidelberg. Geschichte und Gegenwart 1386–1961. Heidelberg 1961, S. 36–47. Veröffentlichungen von Fritz Ernst. Habilitationsschriften und Dissertationen der Schüler, in: Fritz Ernst 1905–1963. Stuttgart 1964, S. 23–30. S. 23–27. – Wieder abgedruckt in: Fritz Ernst, Gesammelte Schriften. Hg. v. Gunther G. Wolf. Heidelberg 1985, S. 413–418. Zur Sozialgeschichte der deutschen Universität im späten Mittelalter, in: Gießener Universitätsblätter 8,2 (1975), S. 44–60. Personenforschung und deutsches Königtum. In: ZHF 2 (1975), S. 7–16. Zur Mittelpunktsfunktion Prags im Zeitalter Karls IV., in: Europa slavica – Europa orientalis. Festschrift für Herbert Ludat zum 70. Geburtstag. Berlin 1980, S. 445–489. Organisation und Lehrkörper der Ludwigs-Universität Gießen in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, in: Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Hans Georg Gundel, Peter Moraw und Volker Press. Bd. 1 (Veröff. d. Hist. Komm. für Hessen 35,2), Marburg 1982, S. 23–75. Fritz Vigener (1879–1925), in: Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Hans Georg Gundel, Peter Moraw und Volker Press. Bd. 2 (Veröff. d. Hist. Komm. für Hessen 35,2), Marburg 1982, S. 981–995. Aspekte und Dimensionen älterer deutscher Universitätsgeschichte, in: Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte. Hg. v. Peter Moraw und Volker Press (Veröff. d. Hist. Komm. für Hessen 45), Marburg 1982, S. 1–43. Geschichte und „Geschichtswissenschaften“. Mittelalterliche Geschichte und Landesgeschichte, in: Gießener Universitätsblätter 15,1 (1982), S. 72f. 375 Jahre Universität Gießen – Kontinuität im Wandel, in: Gießener Universitätsblätter 16,1 (1983), S. 7–21. Heidelberg: Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter, in: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hg. v. Bernd Moeller, Hans Patze und Karl Stackmann (Abh. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen. Philol.-hist. Kl. 3. F. 137), Göttingen 1983, S. 524–552.
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universitätsgeschichtlichen publikationen
Humboldt in Gießen, in: GG 10 (1984), S. 47–71. Über den Weg vom geschriebenen zum gedruckten Buch, in: Gießener Universitätsblätter 18,2 (1985), S. 39–50. Die Juristenuniversität in Prag (1372–1419), verfassungs- und sozialgeschichtlich betrachtet, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters. Hg. v. Johannes Fried (VuF 30), Sigmaringen 1986, S. 439–486. Tschechische Übersetzung unter dem Titel: Prazska právnická univerzita 1372–1419, in: Acta Universitatis Carolinae – Historia Universitatis Carolinae Pragensis 32,1–2, 1992 (ersch. 1994), S. 7–50. Die wirtschaftlichen Grundlagen der Universität Heidelberg: Mittelalterliche Fundierung und staatliche Finanzierung, in: Die Geschichte der Universität Heidelberg. Vorträge im Wintersemester 1985/86. Heidelberg 1986, S. 69–89. Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273–1493), in: Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates. Hg. v. Roman Schnur. Berlin 1986, S. 77–147. Die Universität Prag im Mittelalter, in: Die Universität zu Prag (Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 7), München 1986, S. 9–134). Vom Lebensweg des deutschen Professors. 12 S. Beilage zu: Forschung. Mitteilungen der DFG 1988, Heft 4. – Wieder in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 37 (1989), S. 255–261; wieder in: Tumult. Zeitschrift für Verkehrswissenschaft, Nr. 13 (1989), S. 39–49. Geleitwort für Carlrichard Brühl, in: Carlrichard Brühl. Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze. Bd. 1. Hildesheim usw. 1989, S. XV–XVIII. Universitäten und Hochschulen. Geschichte und Gegenwart, in: Mittelhessen. Marburg 1991, S. 225–241. Von der Universität zu Köln im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: GGA 243 (1991), S. 239–245. 1920 und 1990 – Zwei Jahre Gießener Universitätsgeschichte, in: Gießener Universitätsblätter 24 (1991), S. 53–59. Careers of Graduates, in: A History of the University in Europe. Volume I: Universities in the Middle Ages. Editor Hilde de Ridder-Symoens. Cambridge 1992, S. 244–279. 2. Au. 1994. – Deutsch: Der Lebensweg der Studenten, in: Geschichte der Universität in Europa. Hg. v. Walter Rüegg. Bd. 1: Mittelalter. München 1993, S. 227–254. Spanisch: Carreras de los graduados, in: Historia de la Universidad en Europa. Vol. 1. Bilbao 1994, S. 279–319. Die Prager Universitäten des Mittelalters, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für Frantisek Graus. Sigmaringen 1992, S. 109–123. Das spätmittelalterliche Universitätssystem in Europa – sozialgeschichtlich betrachtet, in: Wissensliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Horst Brunner und Norbert Richard Wolf (Wissensliteratur im Mittelalter 13), Wiesbaden 1993, S. 9–25. Staatsdiener und Studenten oder Anpassung und Revolte in Mittelhessens Mitte, in: Stadtluft macht frei. Hg. v. Hans Sarkowicz. Stuttgart 1993, S. 150–159. Wieder in: 800 Jahre Gießen, Sonderveröffentlichung der Gießener Allgemeinen vom 28.6.1997, S. 2f. Einheit und Vielfalt der Universität im alten Europa, in: Die Universität in Alteuropa, hg. v. Alexander Patschovsky und Horst Rabe. Konstanz 1994, S. 11–27 (Konstanzer Bibliothek 22). – Wieder abgedruckt in: Deutscher Hochschulverband. Almanach 8, 1995, S. 107–121. Die Hohe Schule in Krakau und das europäische Universitätssystem um 1400, in: Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen, München 1994, S. 521–539.
universitätsgeschichtlichen publikationen
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Schlesien und die mittelalterlichen Universitäten in Prag, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 34 (1993) [erschienen 1994], S. 55–72. Volker Press 1939–1993, in: HZ 259 (1994), S. 878–883. Liebig in Gießen, in: Konikt und Reform. Festschrift für Helmut Berding, hg. v. Wilfried Speitkamp und Hans-Peter Ullmann. Göttingen 1995, S. 216–232. Die alte Universität Erfurt im Rahmen der deutschen und europäischen Hochschulgeschichte, in: Erfurt – Geschichte und Gegenwart, hg. v. Ulman Weiß, Weimar 1995, S. 189–205. Stiftspfründen als Elemente des Bildungswesens im spätmittelalterlichen Reich, in: Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland, hg. v. Irene Crusius, Göttingen 1995, S. 270–297. Hélène Millet and Peter Moraw: Clerics in the State, in: Power Elites and State Building, hg. v. Wolfgang Reinhard, Oxford 1996, S. 173–188. Improvisation und Ausgleich. Der deutsche Professor tritt ans Licht, in: Gelehrte im Reich, hg. v. Rainer Christoph Schwinges (ZHF Beiheft 18), Berlin 1996, S. 309–326. Die Universität von den Anfängen bis zur Gegenwart (1607–1995), in: 800 Jahre Gießener Geschichte 1197–1997, hg. v. Ludwig Brake und Heinrich Brinkmann, Gießen 1997, S. 446–484. Einleitung, in: Carl Vogt, Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rückblicke (Studia Giessensia 7), Gießen 1997, S. V–VII. Die Gründung der Universität Prag 1348, in: Deutsche Geschichte in Dokumenten 14, 3 S., 3 Beilagen, Braunschweig 1998. Der deutsche Professor vom 14. bis zum 20. Jahrhundert, in: Alexander von Humboldt Stiftung Mitteilungen 72, Dezember 1998, S. 15–26. Hartmut Boockmann, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 54, 1998, S. 911f. Mittelalter-Kommission, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Jahrbuch 1998, Berlin 1999, S. 325–335. Die Prager Universitäten des Mittelalters im europäischen Zusammenhang, in: Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste, Bd. 20, München 1999, S. 97–129. Das älteste Prager Universitätssiegel in neuem Licht, in: Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste, Bd. 20, München 1999, S. 131–151. Prag. Die älteste Universität in Mitteleuropa, in: Stätten des Geistes, hg. v. Alexander Demandt, Köln, Weimar, Wien 1999, S. 127–146. Die Stunde der Stellvertreter. Hinter der Schranke wird aufgeschrieben: Beginn von Verwaltung und Staat in Europa, in: Das 14. Jahrhundert. Abschied vom Mittelalter, hg. v. Michael Jeismann, München 2000 (ersch. 1999), S. 44–50. Mittelalter-Kommission, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jahrbuch 1999, Berlin 2000, S. 313–322. Landesgeschichtliche Spätmittelalterforschung in Hessen, in: Ulrich Reuling, Winfried Speitkamp (Hg.), Fünfzig Jahre Landesgeschichtsforschung in Hessen (Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 50), Marburg 2000, S. 93–124. Gesammelte Leges fundamentales und der Weg des deutschen Verfassungsbewußtseins (14. bis 16. Jahrhundert), in: Florilegien, Kompilationen, Kollektionen. Literarische Formen des Mittelalters, hg. v. Kaspar Elm (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 15), Wiesbaden 2000 (erschienen 2001), S. 1–18. Über gelehrte Juristen im deutschen Spätmittelalter, in: Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, hg. v. Jürgen Petersohn (VuF 54), Stuttgart 2001, S. 125–147. Conseils princiers en Allemagne au 14ème et au XVème siècle, in: Robert Stein (Hg.), Powerbrokers in the Late Middle Ages, Leiden 2001, S. 165–176.
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universitätsgeschichtlichen publikationen
Universitäten, Gelehrte und Gelehrsamkeit in Deutschland vor und um 1800, in: Rainer C. Schwinges (Hg.), Humboldt International. Der Export des deutschen Universitätsmodells im 19. und 20. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 3), Basel 2001, S. 17–31. Peter Moraw [Lebenslauf und Publikationen], in: Jürgen Petersohn (Hg.), Der Konstanzer Arbeitskreis 1951–2001. Die Mitglieder und ihr Werk. Eine bio-bibliographische Dokumentation, Stuttgart 2001, S. 283–294. Mittelalter-Kommission, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jahrbuch 2000, Berlin 2001, S. 324–332. Prof. Dr. Hans Georg Gundel zum Gedenken, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins NF 85 (2000) [ersch. 2001], S. 1–3. Mutmaßung und Streiicht. Eckhard Müller-Mertens, Kaiser Karl IV. und Peter Parler, in: Olaf B. Rader unter Mitarbeit von Mathias Lawo (Hg.), Turbata per aequora mundi, Dankesgabe an Eckhard Müller-Mertens (Monumenta Germaniae Historica, Studien und Texte 29), Hannover 2001, S. 13–25. Die Rolle der Monumenta Germaniae Historica bei der Erforschung des europäischen Mittelalters – gestern und heute, in: The Past, Present and Future of History and Historical Sources. A Symposium to Commemorate 100 years of Publication of the Historiographical Institute. Historiographical Institute. The University of Tokyo. 2002 S. 16–37. Japanische Übersetzung S. 38–56, Englische Übersetzung S. 57–79. Mittelalter-Kommission, in: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (vormals Preußische Akademie der Wissenschaften), Jahrbuch 2001, Berlin 2002, S. 357–366. Deutsche und europäische Gelehrte im lateinischen Mittelalter. Ein Entwurf, in: Personen der Geschichte. Geschichte der Personen. Studien zur Kreuzzugs-, Sozial- und Bldungsgeschichte (Fest Schrift für Rainer C. Schwinges zum 60. Geburtstag), Basel 2003, S. 239–254. Moraw, Peter und Rainer C. Schwinges, Das Repertorium Academicum Germanicum (RAG). Die Erforschung der Lebenswege der deutschen Gelehrten zwischen 1250 und 1550, in: Akademie Aktuell 11. Zeitschrift der bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1 (2004), S. 38–40. Die Universitäten in Europa und in Deutschland: Anfänge und erste Schritte auf einem langen Weg (12.–16. Jahrhundert), in: Die Idee der Universität heute, hg. v. Ulrich Sieg und Dietrich Korsch (Academia Marburgensis 11), München 2005, S. 25–41. III. Tätigkeit als Herausgeber Moraw, Peter (Hg.), Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 2 Bde (Veröff. der Hist. Komm. für Hessen 35,2), Marburg 1982. Moraw, Peter (Hg.), Academia Gissensis. Beiträge zur älteren Gießener Universitätsgeschichte (Veröff. d. Hist. Komm. für Hessen 45), Marburg 1982. Moraw, Peter und Rudolf Schieffer (Hgg.), Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, Ostldern 2005. IV. Tätigkeit als Mitherausgeber 1974ff. 1977ff. 1983ff. 1984ff. 1987ff. 1990ff. 1998ff.
Zeitschrift für historische Forschung, deren Beihefte 1985ff. Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches. Propyläen Geschichte Deutschlands in 9 Bänden. Neue Deutsche Geschichte in 10 Bänden. Lexikon des Mittelalters, ab Bd. 4. München, Zürich 1989. Studia Giessensia. Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte N.F.
VERZEICHNIS UNIVERSITÄTSGESCHICHTLICHER QUALIFIKATIONSARBEITEN VON „SCHÜLERN“ PETER MORAWS
Magisterarbeiten • Baumgarten, Marita, Vom Gelehrten zum Wissenschaftler: Studien zum Lehrkörper einer kleinen Universität am Beispiel der Ludoviciana Gießen (1815–1914) (= Berichte und Arbeiten aus der Universitätsbibliothek und den Universitätsarchiv Gießen, Bd. 42), überarb. u. erg. Fassung d. Magisterarbeit Universität Gießen 1987, Gießen 1988. • Lind, Carsten, Gießener Apotheken. Frühneuzeitliches Apothekenwesen im Spannungsfeld von Stadt, Universität und landesherrlichen Behörden (= Studia Giessensia, Bd. 8), Gießen 1998. • Siebe, Daniela, Ausländische Studierende in Gießen (1900–1949). Akzeptanz, Umwerbung und Ausgrenzung (= Studia Giessensia, Bd. 10), Gießen 2000. • Wagner, Frank, Die ordentlichen Professoren der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, 1810 bis 1918. Eine sozialgeschichtliche Betrachtung, Universität Gießen, Magisterarbeit 2002 (masch.). • Kändler, Wolfram C., Die etatmäßigen und ordentlichen Professoren der Königlich Technischen Hochschule zu Berlin 1879 bis 1932, sozialgeschichtlich betrachtet, Universität Gießen, Magisterarbeit 2003 (masch.). • Sargk, Corina, Forschung und Lehre im Fach Geschichte an der Universität Gießen 1870–1933, Universität Gießen, Magisterarbeit 2004 (masch.). • Busse, Neill, Die Schüler Justus Liebigs. Eine sozialgeschichtliche Betrachtung, Universität Gießen, Magisterarbeit 2005 (masch.). Dissertationen • Männl, Ingrid, Die gelehrten Juristen in den deutschen Territorien im späten Mittelalter, Universität Gießen, Dissertation 1987 (masch.). • Bernhardt, Markus, Gießener Professoren zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik. Ein Beitrag zur hessischen Hochschulgeschichte 1945–1957 (= Studia Giessensia, Bd. 1), Gießen 1990. • Prüll, Cay-Rüdiger, Der Heilkundige in seiner geographischen und sozialen Umwelt – Die medizinische Fakultät der Universität Gießen auf dem Weg in die Neuzeit (1750–1918) (= Studia Giessensia, Bd. 4) Gießen 1993. • Baumgarten, Marita, Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 121), Göttingen 1997. • Thimme, David, Percy Ernst Schramm und das Mittelalter. Wandlungen eines Geschichtsbildes (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 75), Göttingen 2006. • Siebe, Daniela, „Germania docet“. Ausländische Studierende, deutsche Universitäten und auswärtige Kulturpolitik [in Vorbereitung]. • Wagner, Frank, Zur Sozialgeschichte der ordentlichen Professoren der FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin im 19. und 20. Jahrhundert, Universität Gießen [Arbeitstitel Dissertation].
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universitätsgeschichtlicher qualifikationsarbeiten
• Kändler, Wolfram C., Lehrer und Forscher der Technischen Hochschule BerlinCharlottenburg und ihrer Vorgängerakademien, 1851 bis 1945. Eine sozialgeschichtliche Betrachtung, Universität Gießen [Arbeitstitel Dissertation]. • Sargk, Corina, Hochschulpolitik und Hochschulgesetzgebung in Hessen in den 1960/1970er Jahren. Das Beispiel Gießen, Universität Gießen [Arbeitstitel Dissertation]. Habilitationen • Schwinges, Rainer C., Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Universalgeschichte, Bd. 123: Beiträge zur Sozialund Verfassungsgeschichte des Alten Reiches, Bd. 6), Stuttgart 1986. • Nagel, Anne Christine, Im Schatten des Dritten Reiches: Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970 (= Formen der Erinnerung, Bd. 24), Göttingen 2005.
PERSONEN- UND ORTSREGISTER
Nicht aufgenommen sind die Begriffe Europa (europäisch) Deutschland (deutsch) Reich und ihre Äquivalente. Bistümer sind nicht extra gekennzeichnet. Personen des Mittealters sind nach ihren Vornamen geordnet. Adalbert Ranconis, 380 Adam von Nehetic, 142, 144 Adolf von Nassau, röm.-dt. König, 473, 479, 536 Adolf I. von Nassau, 222, 224 Adolf II. von Nassau, 516f, 529 Aich (bei Heilsbronn), 512 Aichach (bei Augsburg), 517 Aix-la-Chapelle, 397 Albanien, 522 Albersdorf (Steiermark), 522 Albert Varrentrapp, 507 Albert von Hohenberg, 477 Albert von Rikmersdorf, 383 Albertus Magnus, 83, 87, 166, 218, 235, 240 Albrecht I., röm.-dt. König, 473f, 478 Albrecht II., röm.-dt. König, 455, 470, 509ff, 514, 516, 522, 526, 536 Albrecht VI. von Österreich, Herzog, 523 Albrecht von Magdeburg, 486 Alemannen, 525 Altdorf, s. Nürnberg, Universität Altofen, Universität, s. Ofen Amberg, 525 Altpreußen, s. Preußen Amerika, 231 Andreas Becker (Pistoris), 312 Andreas Zamometim, 522 Anhalt, 542 Anjou-Plantagenêt, 398 Anselm von Eyb, 529 Antonius Bartholomaei Franchi, 504 Antwerpen, 426 Aquileja, 478, 489 Aragon, 306 Arnold Minnenpeck, 477 Arnold Somernat von Bremen, 530 Arnold von Lohe, 520 Aschaffenburg, 474
Asien, 231 Augsburg, 320, 345, 425, 477f, 489, 508 511f, 517, 520, 522, 525ff, 590 Avignon, 86, 148f, 163, 222, 401f, 456, 490f, 570 – Universität, 148, 341, 377, 380, 415, 589 Baden, 28, 504 Baeriswyl, Suse, 584, 591 Bagdad, 230, 557 Balduin von Trier, 143, 156, 482, 486, 490f Balthasar de Tusta (Tusia, Tuscia) (de Marcellinis), 374, 381 Bamberg, 127, 486, 503, 529 Baptista Cigala, 498 Barcelona, 422 Barrow, Julia, 572 Bartholomäus Cipolla, 531 Bartolus, 498, 504 Bartolus von Sassoferrato, 488 Basel, 459, 472, 507, 509, 519 – Universität, 90, 121, 126, 246f, 316, 344, 454, 508, 511, 527, 589f Bassianus de Guaciis, 475 Bayern, 84, 86, 163, 309, 311, 314, 459, 470, 476ff, 481, 485, 496, 517, 520, 524, 534, 545, 550, 573 Becker (Pistoris), Familie, 312ff Behaghel, Otto, 270 Beinhof, Gisela, 454 Bendix, Reinhard, 55 Belgien, 386, 450, 543 Benedikt Füger, 523 Berlin, ix, 40, 363, 571 – Universität, 20, 24f, 29, 41, 52, 63, 97f, 244f, 267, 269, 281, 285, 361f Bern, Universität, xiii, 577, 586, 591 Bernhard Groß, 529 Bernhard Perger, 515
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personen- und ortsregister
Bernhard Schöfferlin, 526 Berthold Borlies, 529 Berthold von Speyer, 147, 377 Berthold von Wehingen, 127 Bielefeld, Universität, ix, 361 Bieber, Margarete, 273 Bochum, Universität, 281 Boehm, Laetitia, 583 Boháoek, Miloslav, 116 Böhmen, 84, 92, 94ff, 113, 121, 132, 135f, 139, 144, 147, 149, 154, 156, 161f, 166f, 172f, 175ff, 201, 243, 298, 379, 382, 413, 480, 482, 484f, 487ff, 501, 529, 542, 547, 550, 590 Bohuslaus von Jägerndorf, 139, 152, 176 Bohuslaus von Zvole, 144 Bologna, 395f, 399 – Universität, 13, 15, 60, 64ff, 70f, 80ff, 88, 91ff, 97f, 103, 106ff, 110f, 113, 115f, 118, 121f, 125, 128, 134, 136, 138, 141, 148ff, 154ff, 160, 163, 165f, 179, 184f, 189, 192, 195, 213f, 236ff, 240, 242, 244, 251, 300f, 306, 315, 339ff, 355ff, 360, 375f, 378f, 395f, 398, 402, 405, 408, 410f, 413, 424, 447, 451f, 454, 462, 471ff, 477f, 482ff, 488ff, 492ff, 503, 508, 511, 516f, 524ff, 529f, 538, 572f, 580, 589 Bonifatius, 216 Bonn, 363 Bonsignore de Bonsignori, 134, 374 Brabant, 62, 345, 350, 424f, 444f, 552f Bornkamm, Heinrich, 275 Borso von Mrákotic, 136, 376 Bothe, Walther, 268 Brabanter, 474 Brandenburg, 153, 445, 545 Bremen, 148, 378, 445, 530, 553 Breslau, 127, 139, 154, 164ff, 172, 175, 177ff, 192, 385, 411, 482f, 492, 512, 517, 530, 590 Bressanone, s. Brixen Bretagne, 418 Brieg, 176f Brixen (Bressanone), 411, 523, 525 Brünn, 522 Brunner, Otto, 545 Bruno von Osnabrück, 382 Brüssel, 152 Büchner, Georg, 72, 263 Bulbach (Kanton Zürich), 525 Bultmann, Rudolf, 269 Burgund, 406, 418, 468 Burke, Peter, 582
Caillet, Louis, 573 Cham, 472 Christian von Mühlhausen, 507 Classen, Peter, 583 Clemens V., Papst, 474 Coing, Helmut, 437 Cambridge, 159 – Universität, 214, 238, 336, 409, 420, 571, 581 Canossa, 240 Capo d’Istria, 498 Chiemgau, 512 Chur, 157, 489, 508 Coimbra, Universität, 408 Dänemark, 399, 400f, 414, 423, 429 Danzig, 201, 590 Darmstadt, 42, 253, 258, 263f – Polytechnikum, Technische Hochschule bzw. Universität, ix, 266, 277f Dettelbach, 522 Dillingen, 526 Diemantstein, (Kr. Dillingen), 526 Dôle, Universität, 589 Donauländer, 523 Dorpat, 484 – Universität, 231 Düsseldorf, 530 – Universität, ix Dalwigk, Reinhard Carl Friedrich von, 265 Diemer, Heidelberger Familie, 323 Dietmar Maul von Meckbach, 482 Dietmar von Treysa, 521 Dietrich von Bocksdorf, 446 Dietrich Damerow, 484 Dietrich Last, 490 Dietrich von Portitz, 489 Dietrich von Saaz, 490 Dietrich von Wolfsau, 478 Drosendorf, 523 Eberhard von Tumnau, 478 Eckard von Ders, 489 Eckart, genannt Sapientia, 117 Eckart, Meister, 218 Eduard III., eng. König, 409 Eglolf von Knöringen, 494 Ehlers, Joachim, 80 Enea Silvio Piccolomini, 494, 518, 525, 530 Ernst, Fritz, vii Ernst von Pardubitz, 106, 109f, 114, 488
personen- und ortsregister Eger, 455 Eichstätt, 512, 521 – Universität, 333 Eisenach, 490 Elbing, 194, 484 Elsaß, 379, 486, 511 England, 44, 60, 66, 73, 81, 162, 165, 185, 190, 214, 222, 235, 238, 245, 320, 340f, 355f, 358, 360, 397f, 400, 408f, 420ff, 561, 564, 571ff Eppingen, 312 Erfurt, 86f, 92, 165, 175, 213, 216ff, 247, 382f, 529, 590 – Universität, xii, 71, 87, 97, 125, 141, 151, 155, 162, 181, 186, 197f, 203, 207–228, 246ff, 253, 304, 321, 517, 529f, 589f Esslingen, 320, 526 Estland, 231 Ferdinand II. von Aragón, spn. König, 422 Ferrara, Universität, 526, 580, 589 Finnland, 62, 346, 401, 423, 429, 576 Flandern, 62, 406, 426, 444f, 552 Fleckenstein, 511 Florenz, 134, 415f, 418 Follen, Karl, 263 Franco von Inghen, 302 Frank, Bianka, xiii Franken, 226, 495, 508, 512, 517, 520, 524, 527, 529, 534, 590 Frankfurt am Main, 186, 216, 254f, 262, 293, 320f, 381, 460, 548 – Universität, 246, 251, 262, 271, 277f, 292 Frankfurt an der Oder, Universität, 98, 244, 589f Frankreich (auch Südfrankreich etc.), 14f, 24, 39, 60, 63f, 72, 74, 80ff, 84f, 95, 107, 161, 163, 165f, 170, 185, 190, 197, 205, 211, 213f, 222f, 235f, 238f, 244, 247, 253, 298, 320, 336, 341ff, 347ff, 355ff, 361, 363, 377, 382, 394, 397f, 399ff, 404ff, 417f, 420, 422, 429, 438, 444, 446f, 450f, 457f, 468, 470, 474f, 480, 482, 485, 490, 494, 496, 534, 552, 555, 561f, 565, 569, 573, 580ff Franz von Prag, 133, 374, 378, 381 Fraustadt, 205 Freiburg, 525 – Universität, 523f, 589f Freising, 127, 139, 477, 517, 521, 524
611
Fried, Johannes, 572 Friedberg, 482 Friedmann von Prag, 380 Friedrich der Schöne, röm.-dt. König, 478, 496, 536 Friedrich der Siegreiche, Pfalzgraf, 310 Friedrich I. Barbarossa, Kaiser, 396, 400, 467 Friedrich III., Kaiser, 144, 299, 312, 412, 455, 459f, 466, 470, 488, 494, 500, 505, 509f, 512ff, 517f, 520, 522, 524, 526ff, 530ff, 536, 539 Friedrich von Nürnberg, 384 Friedrich von Parsberg, 511 Friedrich von Schärding, 478 Friedrich Schafart, 152, 494 Friedrich Wilhelm IV., pr. König, 263 Fünfkirchen, Universität, 14, 107, 195, 297 Garnschragen, Heidelberger Familie, 323 Gebhard (Gerhard) von Bülach, 525 Genua, 498 Georg von Bor, 141f, 144 Georg Ehinger, 519, 524, 526 Georg Fischl, 509, 511 Georg Heßler, 518 Georg von Hell (gen. Pfeffer), 459, 517 Georg von Hohenlohe, 127, 502 Georg Münsinger, 512 Georg Pfeffer, s. Georg von Hell Georg von Podiebrad, bhm. König, 529 Georg Schrättl (Schrottel), 525 Georg von Stein von Diemantstein, 526 Gerald von Magnac, 490 Gerhard Radingk von Groningen, 152 Gerhard von Kaikar, 384 Gern, 524 Gießen, 42, 235, 254, 290f – Universität, ix, xii, xiii, 17, 21, 29ff, 39, 41ff, 46, 50ff, 73, 230ff, 249, 251–293, 577 Giangaleazzo Visconti, 134, 375 Goethe, Johann Wolfgang von, 72, 255, 359 Gillaume de Nogaret, 405 Glatz, 522 Gleiwitz, 194 Glogau, 501, 530 Göppingen, 516 Goslar, 530 Göttingen, 40, 363, 504 – Universität, 21f, 45, 69, 97, 243, 258, 361 Graz, 523
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personen- und ortsregister
Gregor Heimburg, 508, 511, 519, 528, 529 Gregor VII., Papst, 401 Gregor IX., Papst, 396 Greifswald, Universität, 197, 305, 587f Groningen, 152 Grünau (Meißen), 529 Grünberg, 42 Grundmann, Herbert, 5, 567 Gunkel, Hermann, 269 Günter Milwitz, 529 Gurk, 515, 520 Gurnitz (Kärnten), 523 Gutenberg (Steiermark), 523 Habsburger, 97, 181, 243, 297, 356, 455, 468, 479, 500, 508f, 511, 517f, 521, 524f, 542, 590 Hadrian VI., Papst, 564 Halberstadt, 151, 383 Hall in Tirol, 523 Halle, Universität, 21, 258, 361 Hambach, 263 Hamburg, 91f, 148, 377f, 530 Hammerstein, Notker, 582 Handschuhsheim, 319 Hanko Brunonis ( Johannes Braun), 179 Hannover, 508 Hannoversch Münden, 276 Hans Bock (Peck), 524 Hans Heinrich Vogt von Sumerau, 527 Hans Polzmacher, 522 Hans von Horb, 525 Harnack, Adolf von, 269 Hartmann Becker (Pistoris) I., 312f Hartmann Becker (Pistoris) II., 313 Hartmann Becker (Pistoris) III., 313 Hartmann von Aue, 236 Hartung Molitoris von Kappel, 519, 521, 528 Hartung Molitoris von Kappel d. Ä., 519 Heidelberg, 115, 298, 301, 316ff, 356, 386, 503, 509, 521f – Universität, vii, viii, ix, xii, 16, 25, 29, 71, 74, 84, 97ff, 113f, 125, 133f, 140, 143, 146, 150ff, 155, 157, 162f, 176, 181, 186, 196, 198f, 201, 209, 214, 240, 243, 278, 295–329, 340, 356, 370, 378, 385ff, 413, 443, 453, 493ff, 503, 508, 511f, 518, 524, 526, 538, 589f Haug von Werdenberg, 462 Hedwig, pln. Königin, 195 Heidenheim, 525
Heilbronn, 320 Heilsbronn, 512 Heimpel, Hermann, 306, 463 Heinig, Paul-Joachim, 582 Heinrich III., eng. König, 409 Heinrich IV., Kaiser, 240 Heinrich V., Kaiser, 395 Heinrich VII., Kaiser, 144, 243, 474ff, 478f, 482, 490, 499, 536 Heinrich von Angern, 151 Heinrich von Beinheim, 519 Heinrich von Fleckenstein, 511 Heinrich von Friemar d. Ä., 218 Heinrich von Geldonia ( Jodoigne), 474, 476 Heinrich von Klingenberg, 472f Heinrich von Langenstein, 383ff, 521 Heinrich Leubing, 511, 517, 528f Heinrich von Mellrichstadt, 529 Heinrich von Odendorf, 384 Heinrich von Schönegg, 477 Heinrich Senftleben, 530 Heinrich Totting von Oyta, 380f, 384f Heinrich von Trient, 471 Heinrich von Weilburg, 144 Heinrich Zedelin, 530 Hennegau, 474, 534 Herborn, 16, 161 Herrenberg, 526 Hermann Hummel von Lichtenberg, 477 Hermann von Bure, 307 Hermann Lurtz, 385 Hermann von Ravensberg, 382 Hermann von Treysa, 385, 521 Hermann von Werder (lat. de Insula), 150 Hermann von Winterswich, 380f Hermann von Landenberg, 474, 477 Hertnid von Stein zu Ostheim v. d. Rhön, 529 Hesse, Christian, 582 Hessen, 47, 226, 232f, 244, 247f, 253f, 262, 271, 274, 277f, 280ff, 292, 384f, 459, 482, 519f – Hessen-Darmstadt, 73, 253f, 259 – Hessen-Kassel, Kurhessen, 29, 253f Hieronymus Seidenberg, 179, 492, 501 Hildesheim, 150 Hitler, Adolf, 272 Hohenlohe, 514 Hohenzollern, 244 Horb, 525 Höxter, 380 Hugo Dorre, 511, 519
personen- und ortsregister Humboldt, Alexander von, 42, 264 Humboldt, Wilhelm von, 25, 239, 245, 363, 571 Iberische Halbinsel, 60, 85, 165, 341, 398f, 408, 561 Immenhauser, Beat, 447f, 582, 588 Ingolstadt, Universität, 351, 425, 524, 527, 589f Innozenz III., Papst, 396 Innozenz VII., Papst, 121 Inntal, 523 Isabella I. von Kastilien, spn. Königin, 422 Island, 401 Italien (auch Oberitalien etc.), 14f, 62ff, 72, 74, 80ff, 84f, 90, 92, 95, 98, 107, 122, 132, 135f, 147f, 156, 161f, 165ff, 170, 176, 185, 189ff, 205, 211, 213f, 223, 225, 235f, 238f, 243f, 247, 253, 300, 310, 315, 336, 338, 341f, 345, 347ff, 355ff, 374ff, 382, 384, 387, 390, 394, 396ff, 401, 403ff, 408, 410ff, 415, 418, 420ff, 429, 435, 438, 442, 444, 446, 451ff, 457f, 461, 466, 470, 472ff, 478, 480f, 484ff, 490, 494, 496f, 499, 501, 504, 509f, 517, 531, 534ff, 538, 560ff, 565, 566, 568, 576, 580ff, 589f Jagiellonen, 181, 187, 196, 198, 200, 202 Jakob von Breslau, 166 Jakob Ebser, 524 Jakob Johel von Linz, 517 Jakob von Sierck, 516f Jakob Spinola, 498 Jakob Truchseß von Waldburg, 526 Jakob Wenceslai, 382 Jakob von gihobec, 142f Japan, 229, 245 Jena, Universität, 262f, 566 Jerusalem, Universität, 245 Jhering, Rudolf von, 269 Job Vener, 149, 157, 301, 306, 308, 376, 386, 490, 492ff, 519 Jobst ( Jodok) Hausner, 522 Jobst Ber, 523 Jodok Rot, 503 Johann von Bamberg, 503 Johann II. von Bayern, Herzog, 521 Johann (von Buss) von Finstingen, 475f, 478 Johann Bissinger, 310 Johann Bochan, 530 Johann der Blinde, bhm. König, 113, 127, 156, 371, 482, 490f, 549
613
Johann Botten von Trier, 474 Johann von Brakel, 380 Johann von Brunn, 127, 508 Johann Doliatoris (Bender, Büttner), 327 Johann Dürr, 525 Johann von Eich, 512, 520, 524 Johann von Frankenstein, 483 Johann Gallici, 385 Johann Gauer von Oberwesel, 482 Johann Geisler, 504 Johann Gessel, 520 Johann Glockengießer, 525 Johann Grünwalder, 521 Johann Hinderbach, 519ff Johann Hoffmann von Schweidnitz, 178 Johann von Jenzenstein, 119, 145, 485, 488 Johann Kaufmann, 523 Johann Kbel, 142 Johann Keller (Kellerhans), 327 Johann Kellner, 519 Johann Kirchen I., 308f, 311, 502 Johann Kirchen II. (von Kirchheim), 308f, 311, 503 Johann Kirchen III., 309 Johann von Kolnhausen, 151 Johann Krachenberger, 524 Johann von Leitomischl, 484 Johann von Lieser, 315, 387, 511 Johann von Lübeck, 511 Johann von Marienwerder, 381 Johann von Montabaur, 482 Johann Moravec, 379 Johann Mraz, 492 Johann Münzer, 486 Johann von Neumarkt, 156, 481, 484 Johann van der Noet (Noyt), 152, 303, 495 Johann von Pernstein, 117, 127 Johann Polzmacher, 144 Johann Schallermann von Gurk, 520 Johann Schröder (Lutiguli), 310, 312, 327 Johann Steinberg, 530 Johann Tröster, 525 Johann von Seinsheim-Schwarzenberg, 529 Johann Vrunt, 530 Johann Wacker (Vigilius), 312 Johann Waldner, 517 Johann von Wallenrode, 495, 508 Johann d. Ä. von Weilburg, 143 Johann d. J. von Weilburg, 134, 143f, 486 Johann von Westernach, 525
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personen- und ortsregister
Johann Wiclif, 96 Johann von Wildegg, 472 Johann von Wlaschim (Vlaschim), 114, 117, 191, 488 Johann von Zürich, 473, 478 Johannes XXII., Papst, 406, 447, 573 Johannes ( Johann, Hans) von Maiers, 510, 514 Johannes Ambundii, 495 Johannes von Beinheim, 511 Johannes Blide, 154 Johannes Braun, s. Hanko Brunonis Johannes von Dambach, 379 Johannes Ducis, 488 Johannes Fuchsmagen, 523 Johannes Gersse, 503 Johannes Heßler, 518 Johannes Hus, 91, 142, 146, 169, 442 Johannes Klausner (Closner), 524 Johannes Knaber, 522 Johannes de Melanensibus, 498 Johannes von Münsterberg, 178 Johannes Naso, 142, 157, 492, 501, 508 Johannes Nepomuk, 140 Johannes Pfau (Pavonis), 313 Johannes Pirckheimer, 529 Johannes Rehwein, 515 Johannes Roth, 517 Johannes Ruttler (Rutili, Rättler, Röttel), 525 Johannes Schele, 508 Johannes Semriacher (Sebriacher), 523 Johannes Suchywilk, 189 John of Salisbury, 400 Jörg Steyregger, 522 Kammin, 148, 153, 378 Kändler, Wolfram C., xiii, 582 Karl IV., Kaiser, 84, 86ff, 95, 107, 109, 114f, 118, 145, 148, 155, 157, 163, 212, 220, 222, 243, 311, 356, 376, 379ff, 453, 456, 460, 468, 470, 480ff, 485, 488, 490f, 495f, 503, 573 Karl V., Kaiser, 232, 313 Karlsbad, 263 Karlstein, 547 Kärnten, 523 Karolinger, 564 Kasimir, pln. König, 189, 194f Kaspar Schmidhauser, 524 Kasper (Kaspar) Schlick, 455, 502, 509f, 516 Kassel, 254, 293 – Gesamthochschule, 292
Kastilien, 399, 408, 422 Katalonien, 404, 422 Kaufbeuren, 527 Kazimierz, 194 Ketteler, Wilhelm Emmanuel von, 265 Kilian Horn, 522 Kintzinger, Martin, 582 Kirchen, Familie, 308ff Kirchheim unter Teck, 309 Kitzingen, 524 Klosterneuburg (bei Wien), 127, 512 Koch, Bettina, 458f Köln, 38, 83, 86, 92, 213, 218, 235, 238, 241, 320, 357, 384, 386, 530 – Universität, 71, 83, 92, 97, 125, 133, 141, 150, 152, 155, 162ff, 181, 186f, 192, 196, 198, 201, 208f, 213f, 221, 224f, 243, 246, 251, 301, 304f, 318, 320f, 340, 350, 357, 370, 385ff, 443, 448, 503, 508, 518, 551, 589 Kolnhausen (heute Lich), 151 Königsberg, 201 – Universität, 587 Konrad Bissinger, 311 Konrad Coler von Soest, 299 Konrad von Ebrach, 381, 384 Konrad von Geisenheim, 483 Konrad von Hallstatt, 522 Konrad von Herblingen, 472 Konrad Last, 490 Konrad von Oppeln, 167 Konrad Peutinger, 527 Konrad Ranching (Ruhing), 525 Konrad Stürzel, 524 Konrad von Soltau, 381 Konrad von Vechta, 146, 492 Konrad von Weinsberg, 510 Konrad von Wessel, 488 Konrad Zeidlerer von München, 514 Konrad (Cunso) von Zvole, 144 Konstanz, 97, 105, 157, 161, 186, 459, 472f, 484, 497, 507, 515, 525f, 561, 563, 590 – Universität, 55, 281 Kopenhagen, Universität, 198 Kotzebue, August von, 263 Kouhim, 139 Kraichgau, 312, 493 Krain, 522 Krakau, 175 – Universität, xi, 14, 84, 107, 115, 162, 176f, 181–206, 297, 370, 429, 451, 453, 501, 589f Kulm, Universität, 195
personen- und ortsregister Kunso (Konrad) von TÓrebovel, 137, 139 Kurhessen, s. Hessen Kurpfalz, s. Pfalz Kuttenberg, 105, 118, 124, 146, 161, 177f, 507 Ladenburg, 320 Ladislaus Postumus, ung. u. bhm. König, 517, 522 Lahneck, Burg, 483 Lamprecht von Brunn, 127, 486, 489 Landau, Peter, 80, 438 Laon, 407 Laurentius Blumenau, 530 Lausitzen, 201 Lauterburg, 494 Lavant, 479, 512, 517 Leibniz, Gottfried Wilhelm, 361 Leimen, 319 Leipzig, 363, 590 – Universität, 41, 71, 97, 125, 143, 162, 173, 178, 196ff, 201, 205, 209, 214, 224, 226, 304f, 321, 414, 502, 508, 517f, 589f Leitomischl, 484, 489 Leo von Spaur, 521 Leonhard von Laiming, 512, 516 Leonhard Nötlich, 526 Leonhard von Kärnten, 384 Leopold Prantz, 522 Leutold Graf von Schaunberg, 477 Lieberich, Heinz, 437 Liebig, Justus, 42, 264, 269, 279, 281 Liège, 397 Liegnitz, 176 Lienhart (Leonhard) Merklin, 527 Lindau, 157, 492 Linde, Justin von, 265 Linz (Rhein), 517 Lissabon, Universität, 408 Liszt, Franz von, 269 Litauen, 196 Livland, 171, 534 London, 83, 571 Lorch (im Rheingau), 529 Lorenz Blumenau, 459 Lorenz, Sönke, 166 Lothringen, 475 Löwen, 426 – Universität, 92, 164, 192, 224f, 350, 443, 589 Lübeck, 148, 483, 508, 511, 520, 530, 539 Ludovicus de Cataneis, 498
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Ludwig de Sancto Laurentio, 134, 375 Ludwig, ung. König, 139 Ludwig der Bayer, Kaiser, 84, 86, 163, 309, 311, 314, 470, 476ff, 481, 485, 496, 573 Ludwig III., Pfalzgraf, 307 Ludwig V., Landgraf von Hessen-Darmstadt, 254 Ludwig VII., frz. König, 397 Ludwig IX., frz. König, 397, 406, 573 Ludwig von Ast, 309 Ludwig von Oettingen junior, 478 Ludwig von Padua, 148 Lund, 127 Lupold von Bebenburg, 460 Lupold von Wilting, 472, 474 Lüttich, 558, 562 – Universität, 581 Lützelburg (bei Augsburg), 522 Luxemburg, 495, 509, 534, 549 Luxemburger, 84, 115, 143, 156, 243, 297, 308, 312, 356, 455, 474ff, 480ff, 487f, 496f, 502, 542 Lyon, 406, 418 Magdeburg, 86, 151, 167, 213, 217, 219, 461, 486, 489 Mähren, 94, 132, 139, 142, 144, 161, 382, 484, 487 Mährisch Ostrau, vii Maier-Leibnitz, Heinz, 18 Mailand, 416 Mainfranken, 301 Mainz, 143, 152, 216, 222, 226, 247, 262, 265, 320, 458ff, 474, 483, 509, 516f, 520, 526, 529 – Universität, 208f, 225, 281, 470, 526, 589 Männl, Ingrid, 166, 444f, 447, 450, 457, 459, 541, 551, 584 Marburg, 229, 235, 521 – Universität, 16, 20, 29, 32, 50, 69, 231ff, 242, 244, 247ff, 253f, 262, 269, 277f, 292f, 589 Marquard Breisacher, 526 Marquard von Randegg, 478, 489 Marsilius von Inghen, 301ff, 387 Marsilius von Padua, 84 Martin Bucer, 314 Martin Haiden, 523 Martin Kellner, 525 Martin Luther, 218, 240, 248, 358f Martin Mair, 315, 387, 459, 519, 528f Martin von Gewitsch, 487
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personen- und ortsregister
Marville (dép. Meuse), 474 Matheus Clementis, 306 Mathias Scheit, 521 Matthäus Lang, 527 Matthäus von Krakau, 175f, 299, 380f, 387 Matthias von Chrást, 141f Matthias von Muttersdorf, 137f, 152 Mattighofen, 522 Maximilian I., Kaiser, 466, 515, 518, 523f, 526ff, 530 Mechthild, Ehefrau Johann Kirchens II., 309 Mecklenburg, 445, 495, 550 Meißen, 150, 166, 517, 529, 569 Mellrichstadt, 529 Merseburg, 150 Meuthen, Erich, 181 Michael Blide, 153f Michael von Priest, 503 Midi, 341, 405 Mittelrhein, 132, 301, 482f, 496, 508, 590 Montabaur, 482 Montpellier, 405, 490 – Universität, 236, 341, 379, 405, 415, 485, 491, 589 Moskau, Universität, 231 Müller, Ludwig, 275 Müller, Rainer A., 581 München, 84, 363, 514, 524 Münster, 507 Nanker, 179 Napoleon, 24 Neiße, 177, 512 Neuenheim (bei Heidelberg), 322 Neuhaldensleben, 151 Neumarkt, 522, 525 Neustadt an der Haardt, 319f Nicolaus de Rubeis von Treviso, 478 Niederlande, 152, 302, 386, 449, 495, 543, 583, 590 Niederrhein, 62, 81, 83f, 91, 132, 301, 384, 386, 388f, 410f, 426, 446, 503, 569, 583, 590 Niedersachsen, 92, 94, 175, 220, 226, 380, 383 Nikolaus von Bettenberg, 495 Nikolaus von Bibra, 219 Nikolaus Bumann (aus Lauterburg), 494 Nikolaus Burgmann von St. Goar, 299, 303, 495
Nikolaus Geuner, 127f, 141f, 144 Nikolaus Groß (lat. Magni) von Jauer, 175f, 299, 303 Nikolaus Kistner (Cisner), 314 Nikolaus Klitzke, 153 Nikolaus von Kolberg, 117 Nikolaus von Krappitz, 484 Nikolaus von Kremsier, 484 Nikolaus von Kues, 314, 387, 506, 519, 564 Nikolaus von Laun, 379 Nikolaus von Pilgram, 490 Nikolaus von Posen, 483 Nikolaus von Riesenburg, 484 Nikolaus Puchnik, 140f Nikolaus Simonis von Lützelburg, 522 Nikolaus Stock, 501 Nikolaus Stürzenbecher, 522 Nikolaus Vener, 149 Nikolaus Zeiselmeister, 142, 501 Nordhausen, 517 Nördlingen, 517 Norwegen, 401, 414, 423, 429 Nürnberg, 216, 320, 345, 385, 425f, 459f, 508f, 517ff, 528f, 532, 548, 590 – Universität, 246 Oberrhein, 301, 588 Odolenus von Wirsetz, 490 Ofen, Universität, 14, 195 Öhringen (in Hohenlohe), 514, 525 Olmütz, 127, 138, 144, 166, 484, 487, 489, 492 Orange, Universität, 72 Orléans, Universität, 65, 71, 92, 190, 341, 342, 345, 390, 406, 411, 424f, 443, 475, 589 Omnebonus de Schola, 498 Osnabrück, 382f Osterhausen (Sachsen-Anhalt), 194 Österreich (-Ungarn), 28, 88, 113, 149, 222, 362, 382, 509f, 513ff, 517, 521, 523ff, 531f, 534, 539, 545, 550, 590 Ostheim v. d. Rhön (Kr. Mellrichstadt, Unterfranken), 529 Otto von Freising, 240, 346 Otto von Donauwörth, 477 Otto von Rain, 477 Otto Spiegel, 529 Otto von Stein, 309 Otto von Wettin, 490 Ottobonus de Bellonis de Valentia, 498 Ottonen, 399
personen- und ortsregister Oxford, 399 – Universität, 60, 73, 190, 214, 232, 238, 336, 398, 399, 408f, 420, 571, 581 Paar, 517 Padua, 84, 148, 498 – Universität, 15, 71, 106, 125, 128, 134, 139, 140, 146, 165f, 189, 218, 236, 300, 315, 341, 375f, 378, 385, 411, 462, 484f, 487f, 490, 492, 501, 508, 512, 515ff, 521, 524ff, 538, 580f, 589 Palencia, Universität, 399 Paris, 42, 230, 240f, 383, 395f, 399, 405, 419, 558, 571 – Universität, 13, 15, 60, 64f, 70f, 80ff, 88ff, 97f, 103, 107f, 111, 113, 125f, 136, 148, 151, 160, 163, 165f, 171, 184f, 190ff, 195, 214, 217ff, 223, 235, 238f, 244, 251, 297, 301f, 306, 339ff, 345ff, 355ff, 360, 362, 376f, 379f, 384, 387, 395ff, 400ff, 408, 413f, 417, 420, 423f, 454, 471, 477, 482, 484f, 493, 580f, 589 Passau, 127, 502, 512, 516, 518f, 524 Paul (Praunspeck) von Jägerndorf, 139 Paul von Janowitz, 137f, 148 Paul von Tost, 503 Paul Wladimiri, 203 Pavia, Universität, 71, 125, 236, 300, 310, 312, 341, 425, 462, 518, 529, 581, 589 Perugia, Universität, 489 Peschlin, 118 Peter Abälard, 230 Peter von Aspelt, 474 Peter von Augsburg, 511, 520 Peter von Brieg, 176 Peter Chotrer (Kottrer), 524 Peter Knaur, 523 Peter Knorr(e), 314, 387, 459, 528f Peter Nowag, 512 Peter Pachmüller, 522 Peter Parler, 241 Peter Paul de Vergeriis, 498 Peter Reich, 472 Peter Renz, 525 Peter Sander, 327 Peter von Schaumberg, 508 Peter Schenk, 503 Peter Wacker I., 311 Peter Wacker II., 311ff
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Peter Wurst ( Jelito), 489 Petrus Antonius, 318 Pfalz, 113, 297, 303, 312f, 319f, 508, 511, 522, 525, 550 Philipp II. Augustus, frz. König, 397, 400, 406 Philipp IV. der Schöne, frz. König, 406 Philipp der Aufrichtige, Pfalzgraf, 312 Philipp der Großmütige, Landgraf von Hessen, 248, 253f Philipp Melanchthon, 314 Piasten, 165 Piero Corsini, 138 Pierre Flote, 405 Pisa, 498, 504 Pisa, Konzil, 177 Pistoia, 416 Plock, 127 Poitiers, 418 Polen, 60, 167, 171f, 188, 192f, 196f, 199, 201, 205f, 340, 356, 414, 429, 442, 582 Pommern, 153, 445 Portugal, 60, 340, 346, 399 Posen, 201, 205, 483 Prag, 84, 86, 92, 96, 119, 121f, 127f, 132, 135f, 139ff, 145f, 147ff, 154ff, 166, 214, 218, 241, 243, 317, 335, 356, 371, 377, 380f, 484ff, 488, 492, 501, 507 – Dreifakultäten-Universität und Juristenuniversität, vii, xi, 12ff, 24, 63, 65f, 70f, 79–100, 101–158, 159–179, 181, 184ff, 190ff, 196ff, 212, 214, 217, 220, 224f, 229, 237, 240, 243, 247, 296f, 300ff, 312, 316, 335f, 340f, 344f, 347f, 356, 358, 370f, 373ff, 388, 400, 413f, 423ff, 435, 442f, 448, 450f, 453, 462, 470, 483ff, 487, 492ff, 501f, 507f, 512, 538, 567, 573, 580, 589 Praßberg (Kr. Wangen), 527 Prato, 498 Preczlaus von Pogarell, 483 Preußen, 24, 26, 28f, 171f, 177, 194, 201, 362, 445, 484, 545, 532 Provence, 418 Quaterloch, Heidelberger Familie, 323 Raban von Helmstatt, 301, 493 Rainald von Dassel, 400 Rassing, 523 Rauschenberg (bei Marburg), 521
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personen- und ortsregister
Ravensburg, 526 Regensburg, 459, 511, 588 Regensburg, Universität, 281 Reinbold (Reimbold) Vener d. Ä., 136, 306f, 376, 490, 493 Reinbold Vener d. J., 307f Reinhard Summer, 526 Reitzenstein, Richard, 269 Renardy, Christine, 558 Rheinfelden, 524, 525 Rheingau, 383, 529 Rheinhessen, 262, 271 Rheinland, 150, 162, 172f, 220, 222, 226, 382, 385, 399, 456, 460, 493, 508, 552, 590 Riga, 445, 495, 553 Rom, 141, 145, 148, 166, 222, 401, 475f, 500, 513, 519, 532, 581 – Universität, 138, 306, 489, 494, 512, 517 Röntgen, Wilhelm Conrad, 268 Roskilde, 127, 425 Rostock, Universität, 214, 246, 305, 414, 589, 590 Rottweil, 520 Rudolf Hecker von Rüdesheim, 512 Rudolf II., Kaiser, 254 Rudolf IV. von Österreich, Herzog, 88, 382 Rudolf Losse, 136, 156, 376, 490f, 521 Rudolf Rul, 482 Rudolf von Habsburg, röm.-dt. König, 376, 412, 466, 470ff, 478, 536, 573 Rüegg, Walter, 559 Ruprecht von der Pfalz, röm.-dt. König, 149, 152, 156f, 299, 301, 305, 307ff, 314, 470, 480, 486, 488, 490, 492f, 495f, 502f, 508, 511, 515, 523, 536f Saarbrücken, Universität, 281 Sachsen, 171, 545 Sachsen-Anhalt, 194 Saint-Omer (dép. Pas-de-Calais) (lat. Sancto Audomaro), 475 Salamanca, Universität, 408, 422 Salerno, Universität, 236 Salier, 399, 411 Salzburg, 149, 445, 459, 461, 516f, 524, 542, 551, 553 Samulski, Robert, 166 Sand, Karl Ludwig, 263 Savigny, Friedrich Karl von, 20, 359 Sbinko Hase von Hasenburg, 145
Schaffhausen, 472f Scheuermann, Heidelberger Familie, 323 Schleiermacher, Friedrich, 363 Schlesien, 132, 139, 159–179, 194, 201, 483f, 542 Schmutz, Jürg, 447, 451f, 573, 584 Schnur, Roman, 440 Schottland, 184, 198, 340, 346, 429, 562 Schütte, Ernst, 283 Schwaan (Mecklenburg), 495 Schwaben, 236, 472, 477ff, 492, 494, 496, 503, 521, 524f, 534, 590 Schwäbisch Gmünd, 311, 490, 493 Schwäbisch Hall, 320, 525 Schwartz, Eduard, 270 Schwinges, Rainer Christoph, xiii, 170, 200f, 447, 557, 559, 570, 577, 584 Schweden, 401, 414, 423, 429 Schweidnitz, 177f Schweinfurt, 508 Schweiz, 362, 577, 583, 590 Sdenko von Labaun, 492 Seckau, 478, 494, 522 Semriach (Steiermark), 523 Senlis, 419 Siena, Universität, 74, 589 Sigismund, Kaiser, 127, 142, 144, 156f, 308f, 311, 454f, 457, 470, 475, 486, 492, 497ff, 516, 526, 528, 536f, 540 Sigismund Albich von Mährisch Neustadt, 146 Sigismund von Österreich, Herzog, 523f Sigismund von Weilburg, 144 Sigmund Drechsler, 523 Sigmund von Lamberg, 521 Silvester von Chiemsee, 512, 514f Simon de Teramo, 498 Simon von Marville, 474 Simon von Nimburg, 142 Sinsheim (bei Heidelberg), 311f Sixtus von Tannberg, 521 Skandinavien, 62, 184, 197f, 202, 340, 356, 414, 442, 562, 582 Smend, Rudolf, 7 Spanien, 72, 81, 340, 399, 422, 582 Speyer, 147, 320f, 475, 493 Spiller, Miriam, xii Spitzweg, Carl, 571 St. Andrews, Universität, 198 St. Gallen, 474, 525 St. Goar, 299, 303, 495 Stainz (Steiermark), 515
personen- und ortsregister Staufer, 411, 462, 468, 473f, 478 Stefan von Breslau, 166 Stefan von UhÓretic (Magister Stefan), 136, 374f, 381 Steiermark, 515, 522f Steinacher, Heidelberger Familie, 323 Stettin, 153 Straßburg, 213, 320f, 379, 473, 493, 504 Straßburg, Universität, 72, 246 Stuttgart, 525 Tengen (Kr. Konstanz), 525 Tervoort, Ad, 589 Theodor, 131 Thomas Ebendorfer, 523 Thomas Prelager von Cilli, 515 Thomas von Aquin, 83, 87, 218, 235 Thomas von Cilli, 532 Thorn, 201, 512 Thurgau, 472 Thüringen, 92, 171, 216, 220, 223, 226, 262, 482 Tilmann von Schmallenberg, 495 Tirol, 521, 523, 543 Tokio, Universität, 244 Toskana, 62, 374, 396 Toulouse, Universität, 65, 341, 405 Trient, 471, 521 Trier, 83, 143, 152, 156, 327, 445, 458, 474, 482f, 486, 490, 493f, 516f, 553 – Universität, ix, 208f, 225, 589 Trofaiach (Steiermark), 523 Trusen, Winfried, 437 Tschechien, 582 Tübingen, 45, 490 – Universität, ix, 50, 71, 427f, 470, 527, 589f Türkei, 468, 555 Ubertus de Lampugnano, 134, 375 Ugo de Sancto Audomaro, 475 Ulm, 519, 521, 525 Ulrich von Albeck, 494 Ulrich Ersinger, 524 Ulrich Hofmeier, 477 Ulrich Meiger von Waseneck, 504 Ulrich von Nußdorfer, 516f, 524 Ulrich von Rechberg, 526 Ulrich Riederer, 517 Ulrich Schoff (Schaffgotsch), 483 Ulrich Sonnenberger, 514f Ulrich von Sulzbach, 484 Ulrich Welzli, 516
619
Ungarn, 62, 198, 201, 399, 414, 430, 442, 455, 497ff, 510, 522, 555 Urban V., Papst, 138, 189 USA, 229, 237, 239, 245, 285 Valladolid, Universität, 408, 422 Venedig, 416 Vener, Familie, 306ff, 494 Verden, 148, 378, 482, 494 Verger, Jacques, 582 Verona, 498 Versailles, 271 Viëtor, Karl, 273 Vilshofen, 524 Vogelsberg, 277 Vogt, Carl, 264 Volmar Sack, 495 Vorlande, 523 Wacker, Familie, 311ff Wagner, Frank, xiii, 582 Waibstadt (bei Heidelberg), 503 Walter von Hochschlitz, 489 Wartburg, 263 Weber, Wolfgang, 580 Weida, 143, 486 Weil der Stadt, 525 Weilburg, 134, 143, 283 Welcker, Friedrich Gottlieb, 43 Welcker, Karl Theodor, 263 Wemding (bei Nördlingen), 517 Wenzel, röm.-dt. König, 95, 97, 105, 113, 119, 122, 127, 140, 142, 144ff, 156f, 177, 308, 311, 470, 480, 485ff, 489, 491ff, 495f, 501, 503, 515, 536f, 547 Wenzel von Olmütz, 487 Wenzel von Weilburg, 144 Westerstetten (bei Ulm), 521 Westfalen, 62, 301, 552 Wetterau, 254, 277, 482 Wettiner, 172, 591 Wetzlar, 255 Wibold Stut(t)e, 382 Wieacker, Franz, 437, 540 Wien, 86, 127, 213, 218, 317, 321, 356, 512, 514f, 517, 519, 521f – Universität, 14, 71, 84, 88, 97ff, 107, 109, 113f, 123f, 127, 133, 144, 149f, 152, 155, 162f, 171, 178, 181, 186f, 195ff, 201, 209, 214, 224, 226, 243, 296f, 304, 309, 340, 350, 356, 370, 376, 383ff, 388, 413, 443, 447, 451, 453, 459, 462, 493f, 498, 501, 503,
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personen- und ortsregister
510ff, 515f, 519, 521ff, 527, 529, 538, 573, 589f Wien, Wilhelm, 268 Wiesbaden, 280 Wilderich (selten: Ulrich) von der Hauben (lat.: de Mitra), 149, 154 Wilhelm Horborch, 120, 125, 137f, 147ff, 154, 156, 174, 190, 377f, 381, 383, 487 Wilhelm von Leskau, 488 Wilhelm Maroltinger, 525 Wilhelm von Ockham, 84 Wilhelm von Schaf(f )hausen, 473 Wimpfen, 320 Winand von Steeg, 508 Witelo, 166 Wittelsbacher, 86, 156, 243, 297, 308, 312, 356, 454, 476, 478, 480, 490 493, 496, 502, 542, 590
Wittenberg, Universität, 98, 218, 358, 361, 589f Wlachnik von Weitmühl, 487 Wladislaus II. Jagiello, pln. König, 190 Wolfram (Olbram) von Škvorec, 142 Worms, 149, 152, 320, 489, 513 Wriedt, Klaus, 591 Württemberg, 504, 520, 542 Würzburg, 127, 152, 226, 472, 477, 495, 508, 518, 522 – Universität, 125, 157, 199, 304, 333, 508, 589 Xanten, 569 Zell, vii Zorn, Wolfram, 47 Zürich, 473, 478, 525 Zwengel, Heidelberger Familie, 323