Geisterfänger Band 7
Geister leben gefährlich von Gordon Walby ... denn sie sind verflucht bis in die Ewigkeit.
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Geisterfänger Band 7
Geister leben gefährlich von Gordon Walby ... denn sie sind verflucht bis in die Ewigkeit.
Am Himmel kroch das erste Hell empor. Bald würde die Sicht besser werden. Aber noch schützte der Nebel die verdammten Geister, die nur in Finsternis ihr gespenstisches Leben führen können. Aber nicht mehr lange... »Gespenster! Ha!« Ich erschrak nicht nur über meine eigene Stimme, die gesprochen hatte, ohne dass ich es wollte. Nein, ich erschrak über den huschen den Schatten, der über das flache Dach flitzte und genau wie ich, hin ter einen der Kamine Deckung suchte. »Oh, verdammt.« Zu mehr reichte es bei mir nicht und die Frage bohrte weiter in mir, ob ich es wirklich mit Geistern zu tun hatte, Geis tern, die allen menschlichen Wesen überlegen sind, weil sie die Ge danken derer erfassen können und schneller sind, als diese zu träu men wagen. Ganz unbewusst hatte ich den 45er schon in der Hand, drückte den Lauf gegen das Mauerwerk, um besser zielen zu können. Nichts rührte sich. Absolute Stille. Aber in meinen Ohren klingelte es, als hätte jemand meinen Namen gerufen. Als wäre nichts an meine Ohren gedrungen, sprang ich hinter meiner Deckung hervor, verharrte geduckt, den 45er im Anschlag. Gerade, als ich mich etwas entspannte und weitergehen wollte, traf mich eine Stimme. »Mestize, kehre um, solange noch Zeit ist.« Wie ein eisiger Hauch klang die Stimme. Sie hätte den Abgebrühtesten erschauern lassen. Noch sicherte ich nach allen Seiten, versuchte den Sprecher aus findig zu machen, da gellte ein Schrei auf, verstummte wie abgeschnit ten. Aber noch immer schien die Luft unter dem Grauen zu vibrieren, das daraus gesprochen hatte. Im Innern des Hauses musste sich jemand in größter Gefahr be finden. Es gab kein Halten mehr für mich. Wie ein angeschossener Büffel stürmte ich vorwärts, bereit, alles nieder zu rennen, was sich mir in den Weg stellen sollte. Da - ein Schatten. Am letzten Kamin! 4
Zielen, anlegen, schießen. Drei Dinge, die in eine fließende Bewe gung übergingen. Und als der Donner des Schusses aufdröhnte, rann te ich weiter. Hinter dem Kamin befand sich nichts. Dafür lachte es meckernd hinter meinem Rücken. Ich merkte, wie meine Wangenmuskeln als dicke Knoten hervor traten. Wut schüttelte mich. In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich hinter einem Geist herjagte. Weit links, fast am Rand des Daches, stand eine wuchtige Gestalt. Schwarz war sie, kaum erkennbar. Das weiße Oval des Gesichtes leuchtete maskenhaft zu mir herüber. Endlich hatte ich die Dachluke gefunden, konnte ins Innere des Hauses steigen, da präsentierte sich dieser Sohn der Hölle in voller Größe, als wollte er mich abhalten, Sir Bromfild zu Hilfe zu eilen. Mich ritt beim Anblick des herrisch dastehenden Typs der Teufel. Ja, in diesen Sekunden der grenzenlosen Wut, die nur ein Gefoppter verstehen kann, war der Teufel selbst in mir. Verdammt, ich war so tollkühn und raste auf den Kerl zu, weil ich ihn vom Dach stoßen wollte. Dieser Höllengeist. Dieser verdammte Hundesohn... So richtig im Rasen, traf mich der Degenstich von hinten. Wieder einmal hörte ich es ratschen und mein Jackett war total im Eimer. Ein Könner hatte die Klinge geführt und meine Jacke in zwei Hälften ge teilt. Ich schnappte nach Luft und bremste meinen Lauf. Wenn der Kerl gewollt hätte, ich wäre jetzt ohne Kopf gewesen. Als ich mich herumwarf, war niemand zu sehen. Dieser Höllen hund hatte sich in Luft aufgelöst. Aber da war ja noch sein Kumpan. Groß und mächtig, eine gewal tige Silhouette, ragte er vor mir im Morgennebel empor. Starr und ausdruckslos klotzte mich der Kerl an. Unwillkürlich musste ich an eine Killervisage denken. Solche Kerle töten einen und streicheln hinterher eine Frau, als wenn nichts geschehen wäre. Nicht mit mir. 5
»Pfoten hoch und kein Zucker mehr«, bellte ich heiser, machte mir doch der Anblick des schweigenden Recken, der mal eine große Nummer im Mittelalter gewesen sein soll, zu schaffen. Ich wusste von deren Heimtücke und Gefährlichkeit. Noch keine zwei Stunden war es her, dass er mir mit seinen Söhnen schon einmal auf den Leib rückte. Also hob ich den 45er unmissverständlich, bereit, den Lauf in den Magen des Kerls zu rammen, wenn dieser mich angehen sollte. Dieser gottverdammte Geist schwebte vor mir davon, als würden sich Balken in der Luft befinden. Dazu flatterte der schwarze Umhang, gab mir den Gedanken an eine riesengroße Feldermaus. Der Kerl aus dem O'Hara-Clan flüchtete vor mir und meinem Schießeisen ins Nichts, das ihm Schutz bot, wie ich mit eigenen Augen sehen konnte. Ganz allmählich senkte sich der Geisterkörper, glitt wie auf Totenschwingen nach unten. Ich musste mich weit über den Dachrand beugen, um ihn noch sehen zu können. Drei Stockwerke unter mir, schwebte er weiter der Tiefe zu. Fast wäre ich vom Dach gekippt, denn hinter mir dröhnte ein La chen auf, so laut, dass mir fast die Trommelfelle platzten. Ich warf mich auf die Knie, kam aber nicht schnell genug herum. Das Lachen hatte verteufelt nahe geklungen. Wer auch immer es ausgestoßen haben mag, er musste dicht hin ter mir stehen. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich einen Schatten über mich fallen, der länger und länger wurde, mächtiger und größer. Gleich musste der Tritt kommen, der mich in die Tiefe stürzte... Wer zuerst schießt, lebt länger. Also versteifte ich mich, spannte alle Muskeln, um den Tritt abzufangen. Aber ich stieß auch den 45er unter meinen linken Arm nach hinten und ließ den Hammer fallen. Mir blieb die Spucke weg. Mit der Schussexplosion kam das Lachen - und dann platzte der Geist im wahrsten Sinne des Wortes auseinander, löste sich in Nichts auf, war einfach verschwunden. 6
Ich brachte es nicht einmal fertig, die Trommel meines Colts neu zu füllen. Ich hockte mich nieder, wo ich gerade stand und steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen. Tief inhalierte ich den Rauch. * Als ich die Kippe austrat, wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich kletterte durch die Dachluke, gelangte auf den dunklen Boden, knipste kurz das Feuerzeug an und entdeckte die Tür. Leise drückte ich diese auf. Von unten vernahm ich Gemurmel. Ich ging vor bis zur Treppe und blickte hinab. Ich sah ein Podest im Winkel von neunzig Grad die nächsten Stufen - und keine Menschenseele. Ich setzte meinen Fuß auf die erste Stufe, sah die flüchtige Bewegung eines Schattens an der Wand unter mir und schrak zurück. Sie hatten im vierten Stock einen Wächter postiert. Es war ein mir schon bekannter Kerl im Flatterumhang. Er ging drei Schritte vor und drei Schritte zurück. In seiner Faust blinkte der blankgezogene Degen. Die Hölle über ihn. Er stand mir im Wege. Ich kletterte auf das Treppengeländer und ließ mich einfach auf ihn fallen. Mal sehen, ob er sich auch in Luft auflöst, dachte ich noch, aber da bekam ich schon Knochen und Muskeln zu spüren. Mit dem Instinkt eines Dschungeltigers ausgestattet, musste er meinen Angriff erahnt haben, denn er rollte den Buckel, so dass ich über ihn hinweg geschleudert wurde. Mein Schwung war so stark, dass ich eine geschlossene Tür mitgehen ließ und in das dahinter liegende Zimmer reinplatzte wie eine Granate. Des Satans Schergen mussten schon auf mich gewartet haben. Ich sah einen älteren Herrn geknebelt und gefesselt und halb in einen Teppich gerollt liegen - und drei von den furchtbaren Gespenstern, die ihr verlorenes Reich zurückerobern wollten. Der Clan-Boss stand neben der Tür. Als ich herein geschossen kam, schlug er hart zu. Hart und auf die richtige Stelle. Als ich mit verdrehten Augen zu Boden ging, kicherte einer der Galgenvögel. 7
Das Bewusstsein verlor ich nicht, doch ich war gelähmt. Der hin terhältige Schlag musste einen bestimmten Nerv getroffen haben. Ich sah, wie O'Haras den gefesselten Mann, sicher Sir Bromfild, weg schleppten und musste noch von dem zurückgebliebenen Gespenst einen Tritt einstecken, bevor sich dieser dann auch entfernte. Lange Zeit lag ich so da. Erst, als stechender Schmerz meinen Körper durchraste, wurde ich nach und nach Herr meiner Glieder. Ich massierte die schmerzende Stelle und hoffte dabei, nichts ernstliches davongetragen zu haben. Erst dann sah ich mich um. Das Zimmer, ein kostbar eingerichteter Büroraum, war von oben bis unten durchsucht worden. Keinen Schub, kein Fach hatte man ausgelassen. Sogar die teure Ledergarnitur, Sessel und Couch, hatte man aufgeschlitzt. Mein Blick blieb an der Hausbar hängen. Ich konnte nicht wider stehen und goss mir einen Cognac ein. Allmählich besserte sich mein Zustand. Gerade, als ich mir nochmals einschenken wollte, schrillte das Te lefon. Ich steckte mir eine Zigarette an und starrte auf den Apparat. Noch immer läutete es. Ein innerer Zwang ließ mich zugreifen. Ich klemmte den Hörer ans Ohr und sagte: »Ja, bitte?« »Du scheinst härter zu sein, als wir annahmen«, tönte es mir ent gegen und endete in einem rohen Lachen. »Oh, verdammt, seit wann können Geister telefonieren?«, entfuhr es mir. Das Lachen brach ab. Eine ganze Weile war es still. Nur heftiges Atmen drang an mein Ohr. Dann, leise und eiskalt: »Geh zurück aufs Dach und springe herunter. Es ist der einfachste Weg.« Drohungen bekam ich schon genug in meinem Leben zu hören. Ich nahm sie immer ernst, ohne dass ich sie überbewertete. Diese Drohung aber war anders... Bei Manitou, dem Gott aller Indianer, es war meine eigene Stim me, die aus der Muschel des Telefons drang. Ich, Paco Sheehan, befahl mir, vom Dach zu springen. 8
*
Ich hätte einen Butler oder eine Zofe erwartet, aber gewiss nicht damit gerechnet, dass mir eine solche Schönheit die Tür öffnete, nachdem ich den schweren Türklopfer bedient hatte. Sie hatte strahlende grüne Augen, rotes Haar und einen braunen Teint, der nicht nur ihre Augen vor allem auch ihren vollen, leuchtenden Mund deutlich unterstrich. Sie lächelte und fragte: »Sie wünschen?« Ich lächelte zurück und sagte: »Mein Name ist Sheehan. Ich möchte Mr. McWatford sprechen.« Der plötzlich, erschreckte Ausdruck eines Tieres, das überrascht wird, stand in ihrem Gesicht. Schnell aber fasste sie sich wieder, sagte überlegen lächelnd: »Es gibt mehrere McWatfords.« »Den Boss«, verlangte ich mit einer Stimme, die keinen Wider spruch duldete. »Mein Großvater, Zeb McWatford, wurde vor drei Stunden begra ben. Sie kommen zu spät, Mr. Sheehan.« Mir wurde trocken im Mund. Das war schon eine Handvoll. »Mein Beileid«, sagte ich und deutete eine Verbeugung an. Heimliche, verstohlene Blicke glitten über mich hinweg, blieben an meinem Gesicht hängen. Ich hätte etwas dafür gegeben, wenn ich die Gedanken des Mädchens, das schon eine Frau war, hätte erraten kön nen. Lange Wimpern bedeckten die Augen, von denen ich nur schmale Schlitze zu sehen bekam. Wie bei einer Katze. »Danke.« Knapp und kurz angebunden kam es und es klang wie:
Nun ist es genug, hau endlich ab!
Dieses Mitglied der obersten schottischen Gesellschaft kannte meine Zähigkeit nicht. Ich fragte und lächelte weiter: »Sicher gibt es einen Nachfolger, Miss...?« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ungeduldig stieß sie hervor: »Das ist einzig und allein unsere Angelegenheit.« »Aber, aber, warum gleich so böse?« »Ich mag keine Reporter.« 9
»Sie können wählen zwischen zwei Übeln«, schlug ich vor und ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen, sondern erklärte: »Erstens: Ich bin Privatdetektiv und von Sir Bromfild, dem Notar, engagiert. Sie sehen, ich habe allen Grund, das neue Familienoberhaupt zu sprechen.« Ich zündete mir eine Zigarette an, tat den ersten Zug und stieß den Rauch durch die Nasenlöcher aus. Dabei registrierte ich den überraschten Ausdruck in dem schönen Gesicht der rassigen Frau. »Well, zweitens: Sir Bromfild wurde vor meinen Augen entführt - von den O'Haras! Sie warten vergebens auf die Testamentseröffnung, Miss...?« »Glende, Glende McWatford«, kam es fast tonlos über die schön geschwungenen Lippen. Sie hatte leise gesprochen. Ein unruhiger Glanz lag in ihren grü nen Augen und dunkle Schatten entstellten ihr so plötzlich verkrampf tes Gesicht. Es scheint doch etwas am Gerede der Leute zu sein, dachte ich, denn Glende zeigte offen ihre Angst, die mit dem Namen O'Hara ge kommen war. Dass sie mich jetzt erst recht nicht losbekommen sollte, stand bombenfest. »Glende«, sagte ich. »Der Name ist so schön wie seine Trägerin und auch so geheimnisvoll...« Sie ging nicht auf das plumpe Kompliment ein, fragte statt dessen: »Sie sahen wirklich die O'Haras, Mr. Sheehan?« Rings um mich waren Mauern. Ich stand in einem kleinen kahlen Hof. Die schwere Eichentür stand offen. Sehen konnte ich nichts, denn in dem dahinter liegenden Gang war es dunkel. Aber ich roch den Reichtum der McWatfords. Altes Holz, Leder, aber auch Glendes teures Parfüm. Alles stank nach Geld. Und mich ließ man in einem nackten, mit Katzenköpfen bepflaster ten Hof stehen. »Ich sah sie wirklich«, erklärte ich. »Zwei von ihnen wollten mich mit ihren Degen durchlöchern. Es sind vier wilde Gesel len.« »Vier?« Glendes Hand flog an den Mund, ihr Atem stockte. Zwei harte Explosionen, doppelt und dreifach von den hohen Hofmauern zurückgeworfen, schnitten jedes weitere Wort ab. Direkt 10
hinter mir summten die Querschläger bösartig durch die Luft, bevor sie sich in die Hauswand bohrten. Das waren keine Schüsse aus einer modernen Pistole. Dem lauten, trockenen Knall nach zu urteilen, wurde mit Steinschlosspistolen ge schossen. Waffen des Altertums... Die O'Haras! Vier 9-mm-Kugeln rasten auf die Stelle zu, an der ich den Mord schützen vermutete. Irres Gelächter antwortete. Also doch die O'Haras... Ich schlug die Tür hinter mir zu. Weiche Arme legten sich um meinen Hals. Dann kam der Mund, feucht und warm. Glendes Lippen fühlten sich wie Fackeln an. Ich hatte nichts dagegen und fasste nach ihrer Taille und drückte sie fest an mich. Wann hat unsereins schon mal die Gelegenheit, eine echte Komtess zu küssen? »Du verdammter Indianer«, sagte sie, schwer nach Atem ringend und versuchte, der Entklammerung zu entfliehen. »Du hast mir das Leben gerettet, dafür küsste ich dich. Mehr ist nicht drin.« »Indianer?« »Du bist doch einer. Keiner hat so rabenschwarzes Haar, so eine scharf geschnittene Nase, solch hohe Wangenknochen und so...« Ich zog sie fester an mich - und ich küsste sie wieder. Der anfäng liche Widerstand erlahmte schnell; ich hatte ein anschmiegsames, wei ches, braves Kätzchen in den Armen, das sogar schnurren konnte. Zum Teufel, hastige Schritte rissen uns auseinander. Glende fum melte gerade in ihrer zerzausten Frisur herum, als grelles Licht uns blendete. Eine scharfe Stimme schrie: »Miss, hat Sie der Kerl...?« Mitten im Satz brach das Gefasel ab, mit einem resignierten Seuf zer. Der Bursche musste meinen Colt gesehen haben. »Nimm das Licht weg«, knurrte ich. Der Strahl wanderte zur Wand. Da heulte auch schon Glende auf: »John, draußen sind die O'Haras. Man hat auf mich geschossen.« »Ich, ich hole Hilfe«, stotterte die vordem so scharfe Stimme. 11
Ich schnitt ihr das Wort ab. »Zu spät, mein Lieber. Meinen Sie, diese Verdammten warten, bis alles zusammengelaufen ist? Wer sind Sie überhaupt?« Statt seiner antwortete Glende: »John ist unser Butler und wenn Sie weiter so unverschämt fragen...« Sie kam nicht mehr dazu, ihre Drohung zu vollenden. Plötzlich trommelten harte Fäuste gegen die Türfüllung. Dazu kam eine Stimme auf, schneidender wie ein Buschmesser. »McWatford, hörst du mich? Ich und meine drei Söhne sind gekommen, unser Eigentum zurückzu fordern. Wenn du dich weigerst, das Gestohlene herauszugeben, rot ten wir deine ganze Sippschaft aus. Dich aber, McWatford, werden wir bei lebendigem Leibe verschütten. Dir soll es nicht anders ergehen, als es uns erging.« Plötzlich herrschte Schweigen... aber kein bedrückendes diesmal. Dieses Schweigen war spannungsgeladen, pulsierend, vor Elektrizität knisternd. Ich riskierte es und riss die Tür auf. Nichts zu sehen. Das verdammte Gespenst hatte sich entmateriali siert. * Man ließ mich nicht mehr gehen. Glende meinte, ihren Lebensretter vorstellen zu müssen. Also stiefelte ich hinter dem Butler her, der steif vor mir daher schritt. Noch ein ganzes Stück von der Doppeltür entfernt, drang das Ge murmel vieler Menschen an meine Ohren. Es summte und brummte wie in einem Bienenstock. Wenige Schritte vor der Tür blieb Glende stehen. Sie trat nahe an mich heran, dass ich den Druck ihrer festen Brust an meinem Arm spürte. »Mr. Sheehan«, flüsterte sie. »Da drinnen werden Sie Gilbert Lathrop kennen lernen. Kein Wort von dem, was zwischen uns vorge fallen ist, bitte. Ich, ich soll einmal seine Frau werden...« Schöne Schweinerei, dachte ich, Geld soll zu Geld kommen. Laut sagte ich: »Unter einer Bedingung.« 12
Glende zog die rechte Augenbraue in die Höhe. »Ja?« Ich verkniff mir ein Lächeln und stellte meine Bedingung. »Sie sa gen mir hier und jetzt, was es mit den O'Haras auf sich hat.« Die Haut über ihren hohen Wangenknochen spannte sich. Nach einem Augenblick des Besinnens meinte sie: »Ist das so wichtig?« »Von größter Wichtigkeit sogar.« »Nun gut. Es fing an, als bekannt wurde, dass Großvater unheilbar erkrankt war. Immer meldeten sich Stimmen, ohne dass jemand zu sehen war. Die Stimmen behaupteten - Sie hörten es ja eben selbst -, dass einer unserer Urahnen die O'Haras ein Haus gelockt hätten. Man sagt, er soll mit ihnen in den Keller gegangen sein, wo er sie einsperr te, bis sie umkamen...« »Mehr nicht?« Ich war enttäuscht. So viel Gewalt, wegen unbe weisbarer Geschehnisse, die mindestens dreihundert Jahre zurückla gen. »Sie sind gut«, fauchte mich Glende an. »Lassen Sie sich mal Tag und Nacht bedrohen.« Was sollte ich ihr darauf antworten? Ich steckte ja selbst schon mit in diesem Schlamassel. Ich packte ihren weichen warmen Arm und drückte ihn. Röte schoss in ihr Gesicht. Da sauste ein großes, schwarzes, zottiges Ungetüm knurrend um die Ecke und sprang John, den Butler, an. Lange weiße Fangzähne blitzten in einem roten Rachen, näherten sich dem Hals des Mannes. Im Einsatz trage ich immer ein Messer in der Nackenscheide. Es hat mir schon oft geholfen, besonders, wo es unsichtbar unter der Jacke verborgen ist und wer vermutet schon ein indianisches Wurf messer bei einem Stadtmenschen? Ich packte den Griff. Die Klinge glitt leicht aus der gefetteten Le derscheide. Meine Hand befand sich noch in Nackenhöhe und doch spannten sich schon die Muskeln. Dann warf ich, sah, wie die Klinge blitzend auf das schwarze Ungeheuer zuraste, sich in das zottige Fell bohrte. Die Fangzähne klappten zusammen wie ein Schnappschloss, knapp vor Johns Hals. Ein winselnder Laut noch und der Wolfshund lag verendet auf dem orientalischen Läufer. 13
Glende kippte lautlos um. Ich konnte sie noch auffangen und bet tete sie an meine Brust. Ihrem Haar entströmte ein Duft, der mich an wilde Veilchen erinnerte. Der Butler, kreidebleich, keuchte: »Sir, wenn Sie nicht gewesen wären...« Ich spürte, wie mich die Spannung packte. »Wem gehört denn das Vieh?«, fragte ich. Er zuckte beredt die Schultern. »Das Tier kenne ich nicht - aber die O'Haras sollen immer schwarze Hunde gezüchtet haben.« »Ach, nee...« »Doch, doch, Sir. Das stimmt wirklich. Sie müssen wissen, Sir McWatford besitzt die Chronik über diese Burg, die einmal den O'Haras gehörte. Da steht alles genau beschrieben.« Schöne Schweinerei! Sollte tatsächlich an dem Spuk etwas Wahres sein? »All right, John. Sie holen jetzt am besten was Scharfes zu trin ken, für sich selbst und die kleine Miss.« Hinter dem Butler drängten eine Menge Leute, alle schwarz ge kleidet, einige laut schreiend, andere ängstlich auf den toten Wolfs hund schielend, um dann zurückzuweichen. Nur zwei ältere Personen trauten sich näher. Eine Frau um die Fünfzig. Es musste sich um Glendes Mutter handeln, denn die Frau schrillte sofort: »Mein Kind, was ist mit dir? Wer hat dir etwas getan?« »Nichts ist passiert, Lady«, erklärte ich, ohne Glende von meiner Brust zu lassen. »Lassen Sie mal John ran, der hat den richtigen Mun termacher bei sich.« »Sehr wohl«, tönte des Butlers kultivierte Stimme neben mir. Ich nahm den Schnaps ab und flößte ihn Glende ein. Sie öffnete die Augen, ihr Gesicht, weiß wie Papier, glänzte silbern vor Schweiß. »Ist - ist er weg, Mr. Sheehan?« »Aber sicher doch. Der beißt keinen mehr.« »Es war einer von O'Haras in Höllenhunden«, flüsterte Glendes Mutter erstickt und griff entschlossen nach ihrer Tochter. 14
Ich konnte die schöne Komtess nicht mehr an meiner Brust hal ten. Doch gerade, als ich sie losließ, dröhnte ein schauriges Gelächter auf. Als alles steif vor Angst wurde, kicherte die messerscharfe Stim me: »Einen habt ihr töten können. Aber wir besitzen eine ganze Kop pel. Glaubt nur nicht, dass wir auf unsere Forderung verzichten.« Dann Stille, erregende Stille, die kaum noch erträglich war, gera dezu gespenstisch wirkte bei der Vielzahl der Trauergäste. Ich fixierte den Mann, der jetzt Glendes Hand hielt. »Sir McWat ford?« Er nickte, wandte aber schnell den Blick ab. Sonnengebräunt waren wir beide, aber meine Haut war von noch tieferem Bronzeton als seine. Ich sah aus wie ein großer, zivilisierter Teufel. Er musste den Mestizen in mir erkannt haben. Ich klappte meine Brieftasche auf, damit er meinen Ausweis be wundern konnte und dabei erhaschte er gleich auch einen Blick auf den 45er in meinem Gürtelhalfter. Er nickte wieder, die Augen ein wenig zusammengekniffen und starrte mich an. Als ich den Blick nicht senkte, atmete er tief und ge räuschvoll aus und sagte in einem Ton, der für Lakaien angebracht war: »Willkommen auf Castle Deer Abbey, Mr. Detektiv, oder muss ich Schnüffler sagen?« Ich hatte schon ein paar kräftige Worte auf der Zunge, als Glende ihrem Vater zurief: »Dad, Mr. Sheehan rettete mir das Leben - und er ist gekommen, weil die O'Haras Onkel Edward entführten.« Sie sagte Onkel zu Sir Bromfild, dem Familiennotar. Ein schöner Zug, der aber von ihrem Vater, dem zukünftigen Erben von Deer Ab bey Castle, total zerstört wurde. »Aah, Sie arbeiten für Bromfild? Fein. Bromfild gehört uns, mit Haut und Haaren, also werden auch Sie für uns arbeiten. Ihre Aufgabe wird sein...« »Die O'Haras zurück in die Hölle zu befördern«, unterbrach ich das protzige Gerede und fühlte, wie eine kalte Wut in mir aufstieg. Man gab mir die Ehre, den Saal zu betreten, der voller Trauergäs te an drei langen Tafeln war. Bei meinem Eintritt verstummte das Ge murmel. 15
Ich befand mich auf dem reichsten Landsitz Schottlands, schlen derte zwischen millionenschweren Männern umher, die beim Trinken genauso schlürften wie ich. Nach dem dritten Whisky, die gefüllten Tabletts wurden massenweise herumgetragen, stach mich der Hafer. Ich schlängelte mich durch die Reihen und konnte alsbald hinter dem reichen Gilbert stehen, der seit dem zwölften Lebensjahr Anspruch auf Glende erhob. Das Bürschchen in Dunkelblau mit Luchsaugen und Bürstenschnitt blickte auf, lehnte sich in seinem Sessel zurück, zog eine Banknote aus der Westentasche und sagte: »Hier, nehmen Sie, Indianer. Sie haben schließlich Glende und John das Leben gerettet. Gute Arbeit.« Ich produzierte den Schatten eines Grinsens und sagte laut: »Be halte dein Geld - Drecksack!« Sie alle waren Mitglieder des gleichen Clubs - des Clubs der Mäch tigen. Außerdem gehörten sie alle mehr oder weniger dem McWatfordClan an. Und doch rührte keiner einen Finger für Gilbert Lathrop. Nur eine der fetten Erbtanten quiekte: »Sie unverschämter Kerl. Verlassen Sie sofort Deer Abbey Castle!« Glende maß mich mit einem verdutzten Blick, bevor sie laut, für alle verständlich, sagte: »Mr. Sheehan bleibt hier. Er ist unser Gast.« Sofort fixierten mich Gilberts Luchsaugen mit einem ironischen, geheimnisvollen und bedeutungsvollen Ausdruck. Ich spürte, dass er fast verging vor Lust, mir ins Gesicht zu schlagen. Doch er tat und sagte nichts. Statt dessen sah ich sein Gesicht weiß wie eine gekalkte Wand werden, sah das plötzliche Zittern seiner Hände, die er ins Tischtuch krallte und den starren Ausdruck seiner Augen, die etwas Furchtbares gesehen haben mussten oder noch sahen. Ich folgte seinem Blick. Schreck durchfuhr nun auch mich, als ich an der gegenüberlie genden Wand ein Flimmern entdeckte, das zuerst ganz schwach, dann immer stärker wurde. 16
Nur Sekunden benötigte ich, um zu reagieren. Sofort sprang ich über die reich gedeckte Tafel. Der Tisch kippte mit all den Köstlichkei ten um. Scherben klirrten und Menschen schrieen hysterisch auf. Bewegungslos stand Reginald McWatford neben seiner Frau Cesa re. Er wagte nicht einmal richtiggehend zu atmen. Das Gekreische aus vielen Kehlen schwoll an, vermischte sich mit dem Fußgetrappel Flüchtender, die den Saal verlassen wollten. Eisige Angst hatte die Trauergäste gepackt, die Zeb McWatford die letzte Ehre erwiesen hatten und nun das Totenmahl einnehmen woll ten. Die Angst artete in Panik aus. Dann wurde es totenstill. Ich hatte den Colt gezogen und eine Kugel in die Decke gejagt. Hätte ich es nicht getan, die Leute würden sich tot getrampelt haben. Denn schlagartig war das Flimmern in der Wand verschwunden. Eine dunkle Gestalt stand plötzlich da, aufgetaucht aus dem Nichts. Ein Dreispitz verdeckte die oberen Teile des Gesichts und ein wei ter schwarzer Umhang verbarg den Körper des seltsamen Wesens. Mit über der Brust verschränkten Armen ging die Gestalt auf Glen des Eltern zu. Zwangsläufig musste sie nahe an Wade Horthen vorbei, dem Polizeichef von New Pitsligo. Alle nannten ihn Schmerbauch, was auch, äußerlich gesehen, zu traf. Ich aber wusste, welche Kräfte in dem Mann steckten. So verwunderte es mich nicht, dass Horthen steif verharrte, als habe ihn der Schreck gelähmt. Doch als das Gespenst, das aus der Wand kam, an ihm vorbeiging, schnellte sein Arm hoch. Die Hand war ausgestreckt und gespannt und der Handkantenschlag traf richtig plat ziert den Hals. Die mittelalterliche Gestalt blieb ruckartig stehen. Langsam drehte sie sich Horthen zu. Ebenso langsam kam ein weißer Arm unter dem Unhang hervor, glitt nach oben und schob den Dreispitz zurück. Zum Vorschein kam das Gesicht eines Toten. Ein Stöhnen ging durch die vielen Trauergäste. Nur Gilbert Lathrop, das reiche Muttersöhnchen, schrie voller Angst: »Die O'Haras. Rette sich, wer kann!« Er machte zwei, drei Sät 17
e kippt
ze in Richtung Tür, sah nicht einmal Glende an, die wie versteinert dastand; er dachte nur an sich. Aber er kam nicht weit. Stand doch da Joe, ein Reporter des New Morning und stellte ihm ein Bein. Als Gilbert krachend unter einem Tisch landete, besaß Joe die Nerven, ein Blitzlicht auf den Schönling und ein weiteres auf den Geist abzuschießen. Der Polizeichef von New Pitsligo wagte sich nicht zu rühren. Ein bleicher Totenschädel grinste ihn an... Leere Augenhöhlen begannen ihn zu fixieren. Der Knochenmann stieß Horthen vor die Brust, so stark, dass die ser schwere Mann ein paar Meter zurücktaumelte. Ein kaltes Lachen ließ alle schaudern. Den Schweiß trieb die kalte Stimme aus den Poren. »Ihr redet euch ein, wir, die O'Haras, existie ren nicht. Hoho und wie wir das tun. Seht mich an!« Lady Cesare McWatford kippte lautl
»Aber gern, Sergeant.« McEvans blies den Schaum von seinem Bier und setzte dann das Glas an die Lippen. Als er absetzte, sah er mich lange an. »Es kamen einige Fremde«, erklärte er, wobei der Dialekt des schottischen Hoch landes deutlich herauszuhören war. »Well, Sheehan, wir von der Poli zei können auch denken.« Ohne mein Glas anzurühren, fragte ich hastig: »Was kam bei der Überprüfung heraus?« »Nichts. Alles unbeschriebene Blätter. Sehr merkwürdig.« Seine Stimme hatte Kanten und seine Augen rollten wild. »Mist«, sagte ich aus vollem Herzen, setzte das Glas an und leerte es in einem Zug. »Das ist schon ein ganzer Misthaufen, Sheehan und es kommt noch dicker.« »Noch dicker?«, echote ich. »Sicher. Sie erinnern sich des Vorfalls in der Burg, während der Totenfeier?« »Und ob. Da kamen die vier rothaarigen O'Haras aus der Wand und wollten Reginald McWatford ans Leder.« McEvans nickte gewichtig. »Ihr Freund, der Reporter, schoss eini ge Bilder...« Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Zum Teufel, das hatte ich ganz vergessen.« »Joe aber nicht. Er entwickelte noch in der gleichen Nacht.« Der Sergeant legte eine beziehungsvolle Pause ein, bevor er schwerge wichtig sagte: »Dann rief er bei uns an.« Ich winkte nach einer neuen Runde. »Na und?« »Wieder nichts.« Die Zigarette, die ich eben anbrennen wollte, ließ ich in der Luft hängen wie meine Hand, die sie hielt. »Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Sergeant.« McEvans grinste schief. »Da gibt es nichts mehr zu sagen. Die Bil der waren leer, nichts drauf.« 67
Aus dem Hintergrund wimmerte Sam, der sein Ohr bei uns auf dem Tresen liegen hatte. »Also gibt es sie doch, die O'Haras. O Gott, wie soll das noch enden?« »He, Sam, beruhige dich. Für alles gibt es eine logische Erklä rung.« »Vielleicht bei euch in London, Black Lobo. Hier im Bergland ist das anders. Sie hörten es doch selbst: Die Bilder waren leer. Geister lassen sich nun mal nicht knipsen, noch kann man sie in einem Spiegel sehen.« Sam hatte jetzt Angst, richtige Angst. Mir war auch nicht wohl zumute, wenn ich ehrlich sein soll. Es war nicht der erste Fall, bei dem Geister im Spiel waren, den ich zu lösen hatte, aber meistenteils han delte es sich da um spiritistischen Unsinn, um überdrehte Menschen, denen der Alltag einfach über den Kopf wuchs. Doch hier, in New Pits ligo, sah alles ganz anders aus. Die McWatfords waren ein fluchbela denes Geschlecht und in ihrer Burg ging wirklich etwas Außerge wöhnliches, nicht mit normalen Maßstäben zu Messendes, um. Ver rückt an der ganzen Sache war nur, dass ich noch immer nicht an Geister glauben konnte, an Wesen, die längst vermodert und nun kör perlich sichtbar herumspazieren sollen. Wenn es an dem gewesen wä re, hätte ich meinen Jaguar voll getankt und das Weite gesucht. * Die Nacht war schwül. Am Horizont wetterleuchtete es. Bevor ich in die Falle kroch, si cherte ich das Fenster. Ich tat es weniger des zu erwartenden Gewit ters, sondern wegen der gespenstischen O'Haras, die in der Lage wa ren zu fliegen. Die Jacke meines Schlafanzuges warf ich in die Ecke und die Steppdecke strampelte ich weg. Schließlich wollte ich schlafen und keine Sauna machen. Das Klopfen hörte sich sehr leise an. Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht geträumt hatte. Da ich als Detektiv immer mit einem Angriff rechnen muss, griff ich unters Kopfkissen, wo ich den 45er aufbewahr 68
te. Der harte Stahl gab mir ein sicheres Gefühl. Ich kam mir nicht mehr vor wie ein Wolf ohne Zähne. Alles blieb still und da ich nun schon munter war, griff ich nach der Zigarettenpackung auf dem Nachttisch. In diesem Moment wiederholte sich das Klopfen, zwar leise, aber es klopfte. Jemand stand vor meiner Zimmertür. Geräuschlos glitt ich aus dem Bett, die Kanone in der Faust. Fein de klopfen in der Regel nicht an, sie schießen durch die Tür. Doch ich hatte es nicht mit gewöhnlichen Gangstern zu tun, sondern, wie mir schien, mit überirdischen Wesen aus den Zwischendimensionen. Langsam, millimeterweise, öffnete ich meine Zimmertür, bis ich hinausspähen konnte auf den langen Flur - und sah am Ende einen Schatten huschen. Wenn es sich um einen Menschen handelte, so war er in eine Sackgasse geraten. Da hinten endete der Flur vor einer Brandmauer. Ich wusste, dass man mich nicht sehen konnte, aber ich ließ den geheimnisvollen Ruhestörer auf meine Art hören, wo ich war. Ich kippte den Hahn des Colts nach hinten und es war das lautes te Geräusch im schleifenden Hotel. »Hier bin ich.« Der Unbekannte wusste, was ich in der Hand hielt, denn er gab einen unterdrückten Überraschungslaut von sich. Dann: »Nicht schie ßen, bitte.« Die Stimme... Herrgott, die Stimme gehörte einer Frau. Ich nahm den Finger vom Drücker, kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Da kam sie auf mich zu, klein, schmächtig und hübsch, etwas, das man sofort heiraten würde. In ihren großen Augen stand Angst. Die Hände hielt sie um eine Handtasche gekrampft. Ich kam mir ziemlich blöd vor mit der schweren Artillerie in der Faust, andererseits jedoch lebe ich noch, weil ich immer vorsichtig war. Der Tod kommt oft in Gestalt einer schönen Frau. Ihre Stimme klang leise, zaghaft, als sie fragte: »Sind Sie Mr. Sheehan?« Und als ich nicht gleich antwortete, sagte sie noch: »Sie müssen es sein. Thomas hat Sie mir ganz genau beschrieben.« 69
»Thomas...?« Mir fiel der Groschen. Ja, natürlich, der kleine naturbegeisterte Bengel, der seiner Mutter immer ausbüxte. »Sind Sie etwa Mrs. Torry, Thomas' Mutter?« »Ja, ich bin Beate Torry.« Sie war heran. Der Luftzug wehte mir den angenehmen prickelnden Duft von Black Satin in die Nase. Langsam ließ ich den Colt sinken. »Mr. Sheehan, ich muss Sie dringend sprechen. Thomas meint, es wäre ungeheuerlich wichtig, Ihnen zu zeigen, was er gefunden hat.« Ich wies auf die Tür und ließ sie vorgehen. Das Angespannte wich aus mir, als ich sie von hinten betrachtete. Wirklich, man konnte sich mit ihr von allen Seiten sehen lassen. Noch ängstlich blieb sie mitten im Zimmer stehen. »Nehmen Sie Platz, Mrs. Torry. Einen Drink?« Sie ließ sich in den Sessel sinken und schlug ihre tadellosen, in Ny lon gehüllten Beine übereinander. »Keinen Drink. Bitte, wenn Sie eine Zigarette hätten?« Ich gab der schönen Witwe Feuer, zündete mir selbst ein Stäb chen an und fragte dann direkt: »Vor was haben Sie Angst, Mrs. Tor ry?« Ohne zu antworten, fingerte sie an ihrer Handtasche herum, bis das Ding mit einem Schnapplaut aufsprang. »Sie haben mir nicht geantwortet«, beharrte ich und fühlte, wie die vertraute Spannung von mir Besitz ergriff. Etwas war im Busch. Noch immer wortlos, kramte Mrs. Torry eine kostbare Krokodil brieftasche hervor, zusammengedrückt und angeschmutzt von Erde. Stumm hielt sie mir die Ledertasche entgegen. Ich griff danach. »Ist es das, was Thomas fand?« Sie nickte und ihr tiefschwarzes Haar flog dabei. Ein schöner An blick, wie das Gefieder eines Raben. Ich tat einen tiefen Zug aus meiner Zigarette, bevor ich sie ableg te. Dann klappte ich die teure Brieftasche auf. Ich stieß einen Überraschungspfiff aus. Die Brieftasche gehörte Sir Bromfild, der mich telefonisch um Hilfe gebeten hatte und den die O'Haras vor meinen Augen entführten. 70
Ich hörte das Knirschen meiner Zähne, als ich das teure Krokodil leder auf den Tisch legte. »Wo hat sie Thomas gefunden?«, fragte ich dann mit seltsam kratzender Stimme. Ihre dunklen Augen öffneten sich einen Moment weit und es glit zerte seltsam in ihnen. Nach einigen Schweigesekunden sagte sie lei se: »Neben der alten Wehrmauer, am Fuße des eingefallenen Eck turms.« »Also oben auf der Burg?« »Ja, er war wieder einmal im Wald.« Ich betrachtete das Fundstück nochmals. Die Brieftasche war zu sammengeknickt worden, so, als hätte man sie durch einen schmalen Spalt geschoben. Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitzschlag: Sir Bromfild lebt und wird auf der Burg gefangen gehalten. Irgendwie war es ihm gelungen, das Erkennungszeichen ins Freie zu schieben. »Wann fand er sie?« »Es mag zwei Stunden her sein, Mr. Sheehan. Ich bin gleich zu Ihnen gekommen. Der arme Sir Bromfild...« »Kennen Sie ihn?« »Oh, ja natürlich. Er war mit Zeb - äh - mit Sir McWatford eng be freundet, nicht nur der Notar des Hauses.« Zeb hatte sie gesagt... Sie musste die Zweifel in meinem Blick gelesen haben, denn un aufgefordert erklärte sie: »Ich war viele Jahre Sir McWatfords Haus dame.« »Aah und warum hörten Sie auf?« Sie wurde rot bis unter den Haaransatz und presste die Lippen zu sammen. Ich konnte sie nicht schonen, schließlich ging es um ein Men schenleben. Nur aus diesem Grunde sagte ich ihr unmissverständlich meine Meinung: »Sie waren die Geliebte des Verstorbenen, nicht wahr? Irgendeiner aus der Familie sagte Ihnen nach dem Tod des Burgherrn, sie sollen Deer Abbey Castle verlassen. War es so?« Tränen zogen glänzende Bahnen über ihre Wangen und als sie sich etwas zurücklehnte, blieb ihr Mund halb offen und ein Schluchzen 71
entschlüpfte ihr. »Ich habe ihn sehr geliebt. Bitte glauben Sie mir das. Oft bot er mir Geld an und wollte mir Schmuck schenken. Aber ich lehnte immer ab.« »Sie waren so allein wie er. Ich glaube Ihnen, Mrs. Torry«, sagte ich und kein Wort war gelogen. »Doch Sie müssen auch mich verste hen«, bohrte ich weiter. »Sir Bromfild wird gefangen gehalten. Er ist nicht mehr jung. Es könnte sein Tod sein. Ich schlage vor, Sie erzählen mir jetzt alles.« Während Mrs. Torry nervös rauchte, tastete ich sie mit Blicken ab. Mein Eindruck von dieser Frau war positiv. Sie gehörte nicht zu der Sorte Flittchen, die alte und reiche Männer ausnimmt. Ich war richtig froh darüber. * Das Kratzen an der Tür hörte sich so leise an, dass ich es fast nicht wahrnahm. Doch meine Sinne waren geschärft, seit die Frau in mei nem Hotelzimmer Andeutungen machte, die den Fall betrafen. Man kann es Instinkt nenne. Ich nenne es den siebten Sinn, den mir meine indianischen Vorfahren vererbten. Leise erhob ich mich, zog dabei den Colt und als mich Mrs. Torry aus angsterfüllten Augen ansah, legte ich den Zeigefinger auf die Lip pen. Dann sagte ich laut: »Bedienen Sie sich ruhig. Es ist noch genug in der Flasche.« Noch nicht ganz zu Ende gesprochen, erschütterten zwei starke Detonationen mein Zimmer. Im gleichen Augenblick erschienen zwei große fransige Löcher in der Tür. In Brusthöhe. Ich warf mich auf Mrs. Torry und kippte mit ihr und dem Sessel zu Boden. Während meine Besucherin einen spitzen Schrei ausstieß, schoss ich zurück. Jetzt zierten vier Löcher die Tür. Noch war der Schussdonner nicht verhallt, da sprang ich vor und riss die Tür auf. Ich rechnete damit, einen vor der Schwelle liegen zu sehen, aber nicht damit, allen vier O'Haras gegenüberstehen zu müssen. 72
Diese dreimal verfluchten Untoten bildeten eine Mauer. Sie ver harrten reglos, fast starr, mit gezogenen Degen, deren Spitzen auf meine Brust wiesen. Die Gesichter, die Augen der ausdruckslosen Totenköpfe schienen ins Weite zu starren. Aber ich wusste, dass die leeren Augenhöhlen mich unablässig beobachteten. Wir standen uns gegenüber. Jede Partei wartete auf den Fehler der anderen, um zuschlagen zu können. Mir bereitete es Genugtuung zu bemerken, dass sogar Geister Bammel vor mir hatten. Es ist doch gut, wenn man das Image hat, ein harter Mann zu sein. Der Geist des alten O'Hara, dessen Körper längst zu Erde gewor den, aber von satanischen Kräften sichtbar gemacht, grinste jetzt. Haben Sie schon mal einen Totenkopf grinsen sehen? Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Der Anblick war schreck lich. Es gibt nicht viele Männer, die grinsen, wenn sie einen Menschen töten. Und das verfluchte Gespenst bereitete sich darauf vor, mich umzubringen. Der Höllenhund würde wahrscheinlich ein paar Sekunden brau chen, um die Distanz zu überwinden, wollte er den Degen in meine Brust stoßen. Wenige Sekunden nur. Also... jetzt oder nie! Der alte Recke war knapp zwei Meter von mir entfernt und ich stand auf dem Läufer aus Bastgeflecht. Ich ging leicht in die Hocke und hob den Colt, als wollte ich wie ein Combatschütze kämpfen. Meine Bewegung wurde mit tierischem Knurren aus vier Ritterkeh len quittiert. Verrückt machte mich das ständige Starren aus den toten schwar zen Augenhöhlen. Ich brüllte auf, ließ den 45er fallen - und bückte mich so tief, dass ich mit beiden Händen das Läuferende packen konn te. 73
Wenn ich geglaubt hatte, Geister wären schwerelose Wesen, so sah ich mich jetzt, wo es darauf ankam, arg getäuscht. Die zwei Klei derschränke, die auf dem Läufer standen, kamen mir tonnenschwer vor. Ich packte noch fester zu, krallte meine Finger in das raue Gewe be, richtete mich blitzschnell auf, schwang den Läufer hoch und riss so heftig an ihm wie ich nur konnte. Der Geist des alten O'Hara stieß den Degen nach vorn, wollte mich erledigen, bevor ich ihm den Läufer unter den Beinen wegzog. Zu spät. Doch selbst im Fall noch war es ihm gelungen, die scharfe Klinge nach mir zu werfen. Zum Glück verfehlte sie mich. Dann stürzte der existent gewordene Geist rücklings zu Boden. Ich machte einen Schritt, riss im Sprung die geballte Faust hoch und schmetterte sie dem alten, bösartigen, sich vor Rachegelüsten verzehrenden O'Hara ins Gesicht. Als ich neben ihm auf den Boden fiel, sah ich seinen Schädel nach hinten kippen. Da ich selbst keinen Halt mehr unter den Füßen hatte, saß keine wirkliche Wucht dahinter und ich wiederholte den Schlag noch einmal. Ich rutschte weg, krallte meine rechte Hand in das Totengesicht, das sich eigentlich sehr flei schig anfühlte, rappelte mich auf die Knie, warf meinen Körper herum und knallte ihm die solide Linke auf das Loch, das den Mund darstellte. Dieser Schlag betäubte den verfluchten Geist. Und der nächste be täubte ihn noch mehr, denn ich konnte die Hebelkraft meines rechten Armes ausnutzen, den ich hoch über den Kopf erhoben hatte - und dann schlug meine Faust von oben auf die Nasenlöcher. So schnell ich konnte, warf ich mich wieder zur Seite. Nur zwei Handbreit entfernt lag mein Colt. Zischend stieß ich die angestaute Luft aus. Auf dem Colt stand der Reiterstiefel eines O'Haras. Hinter mir vernahm ich heftiges Rumoren. Ich riskierte einen schnellen Blick. Der zweite Recke musste heftig gefallen sein, als ich ihm den Läufer wegriss, er lag auf seinem Bruder und hatte sich in dessen weiten Umhang verheddert. Ich gewann dadurch wertvolle Sekunden. 74
Das Gespenst auf meinem Colt glaubte sich des Sieges sicher. Es kostete seinen Triumph zu lange aus, hob den Degen zu langsam in der Absicht, mich zu demoralisieren. Bevor sich der niedersausende Degen zwischen meine Schulter blätter bohren konnte, hatte ich schon das Fußgelenk des Kerls um klammert. Es bedurfte nur eines kurzen Rucks - und der mächtige Geist lag ebenfalls am Boden. Ich riss den Colt an mich - er schmiegte sich vertraut in meine Hand. »So, ihr Halunken«, giftete ich. »Nehmt schön eure Pfoten hoch, oder ich knacke euch ein paar Rippen.« Es gab ein zischendes Geräusch. Sehr kurz nur. Danach stank es verbrannt. Übergangslos fiel das Licht aus. Kurzschluss! Der Teufel griff ein. Sofort sprang ich zurück, bis ich die Flurwand hinter mir spürte. Dazu fächerte ich mit dem 45er. Wenn dieser auf Widerstand stoßen sollte, brauchte ich nur abzudrücken. Aber so weit kam es nicht. Ich hörte lautes Klappern, dann das Klirren von Glas. Die Wesen aus dem Totenreich waren zum Fenster hinaus ge sprungen. * Mit dem Licht des Feuerzeuges suchte ich meine Taschenlampe. Als ich sie fand und anknipste, fiel der Strahl auf Mrs. Torry. Die Geliebte des verstorbenen Burgherrn saß verkrampft und stumm vor Angst im Sessel. Ihr Mund war zum lautlosen Schrei geöff net, die Augen rollten irre in ihren Höhlen. Ich packte sie an den Schultern und schüttelte sie kräftig durch. Zuerst ein greller Schrei, dann Schluchzen. Der Schock begann sich zu lösen. Den Whisky musste ich ihr aufzwingen, aber er weckte ihre Le bensgeister. Sie verlangte nach einer Zigarette. 75
Mrs. Torry rauchte stumm und ich war nahe dran ihr anzubieten, sie nach Hause zu bringen. Da gab sie sich einen Ruck und begann zu erzählen: »Jetzt muss ich es jemandem sagen. Diese fürchterlichen Gestalten, denen der Tod auf den Fuß folgt, müssen dahin zurück, von wo sie Reginald gerufen hat.« Ich verbrannte mir die Finger an meiner Zigarette, die ich unge schickt vor lauter Überraschung, an der falschen Seite angefasst hatte. »Reginald rief die Geister? Der neue Earl von Deer Abbey Castle?« »Er ist noch kein Earl«, wütete Mrs. Torry, »und wird es nie wer den. Zeb hat ihn in seinem Testament Aufgaben gestellt, die er nie lösen kann.« Erschöpft hielt sie inne und griff nach dem Glas. Es war schon eine gespenstische Szene. Ringsum Finsternis. Nur der schmale Strahl meiner Taschenlampe spendete Licht, riss Mrs. Torrys blasses Gesicht plastisch hervor. Mich konnte sie nicht sehen, denn ich saß auf der Bettkante, hin ter der Lampe. Ich räusperte mich und suchte nach Worten. Klar, dass mich diese Nachricht überrascht hatte. Krach zwischen den mächtigen McWatfords, Enterbung vielleicht und was weiß ich nicht noch alles... »Mr. Sheehan...?« »Ja?« »Ich kann doch Vertrauen zu Ihnen haben? Thomas meinte, Sie wären ein Pfunds-Kerl.« »Oh, da habe ich wohl einen Freund gefunden?« »So kann man es auch nennen.« Ich zündete die nächste Zigarette an der Kippe der vorhergehen den an, bevor ich antwortete: »Sprechen Sie sich aus, Mrs. Torry. Wenn es Ihnen hilft: Ich arbeite für Sir Bromfild, der ja ein Freund des Verstorbenen war. Dass mich Reginald versuchte zu zwingen, die O'Haras zu jagen, tut nichts zur Sache. Ich stehe auf Ihrer Seite.« »Danke«, klang es leise zurück. Dann, nach zwei Zügen an der Zi garette: »Sie werden den Grund wissen wollen?« »Das ist wichtig, sozusagen unumgänglich.« »Ich verstehe. Also da...« Mitten im Satz brach sie ab, weil eine andere, lautere Stimme sie übertönte. 76
Meine Stimme. Aber sie kam nicht von mir. Mein ›Schutzengel‹ musste sich drau ßen auf dem Flur befinden. »Schicke die Verräterin fort, Black Lobo und verpflichte sie zu schweigen. Was sie dir sagt, muss nicht die Wahrheit sein. Wenn es aber stimmt, werden viele sterben müssen, sterben...« Mit einem Missklang endete die Stimme. Ich sprang auf, rannte zur Tür und riss sie auf. Wie vermutet, war nichts zu sehen. Resigniert ging ich zurück. Da sagte Mrs. Torry dumpf und schwer: »Das hat Zeb die letzten Tage, an denen er mit dem Tod rang, den Rest gegeben.« Ich wollte mich setzen, blieb stehen und stieß hervor: »Was? Schon der Earl hat seine eigene Stimme gehört?« »Ja. Ich war mehrmals dabei. Seit diesem Tag, als wir sie zum ersten Male hörten, fand ich keine Ruhe mehr. Zeb meinte, da stecke bestimmt Reginald dahinter. Er hat ihn, bevor er bettlägerig wurde, belauscht und dabei gehört, wie Reginald die Hölle anrief.« »Langsam«, unterbrach ich. »Zuerst: Was hat Reginald gesagt, welche Worte gebraucht? Dann: Aus welchem Grund?« Mrs. Torry wusste, was ich meinte, sie sah mich an, quälte sich ein gezwungenes Lächeln ab und sagte: »Zeb war sehr ehrenhaft, aber Reginald schrie immer, die O'Haras sollten auferstehen, wenn Zeb ihm die Leviten verlas. Sie müssen wissen, Mr. Sheehan, Reginald war und ist dem Spielteufel verfallen, ein haltloser Mensch, der viel Schul den machte.« »Da fehlt noch was«, sagte ich grüblerisch, mehr so für mich. »Natürlich konnte der alte McWatford seinen Sohn wegen Spielschul den enterben, aber ganz passt das Bild nun doch nicht.« Ich hob den Kopf und blickte Mrs. Torry an. »Was wissen Sie noch?« »Zeb sagte, kurz bevor er starb, er würde aus dem Jenseits auf Reginald spucken und wenn er könnte, würde er drüben dafür sorgen, dass Reginald einen besonderen Platz in der Hölle bekäme. Er wollte auch einmal versuchen, mit dem Teufel zu reden, dass er Reginald bald holen würde.« So musste sein Vater sterben... 77
Als ich die Gläser nachgeschenkt hatte, fragte ich weiter: »Aber da muss noch etwas sein. Bitte, sagen Sie es mir.« Sie rang mit sich, versuchte ihre Angst zu unterdrücken. Um ein Haar hätte es geklappt, denn ich sah, wie sie energisch nickte und den Mund öffnete. Da brüllte meine Stimme, die ich zu hassen begann: »Wenn du den Mund aufmachst, Verräterin, wirst du dein Kind nicht mehr wieder sehen.« Mrs. Torry verschloss sich wie eine Auster. Ich fuhr sie heim und wartete vor ihrem Haus so lange, bis sie mir den kleinen Thomas zeig te. Dem Jungen war nichts geschehen. Noch nicht. Zehn Minuten später saß ich Sergeant McEvans gegenüber. »Und Sie meinen, man will sich an einem Kind vergreifen?«, fragte er ungläubig. »Ich meine nicht. Ich weiß. Veranlassen Sie Polizeischutz für die Torrys.« * Es war 23 Uhr, wie ich auf dem Leuchtzifferblatt meiner Armbanduhr feststellen konnte. Ich hockte auf den Absätzen und starrte zum Berg hinauf, der links von Deer Abbey Castle emporragte; ein drohender Schatten, dessen düstere Gipfel, Schluchten und Steilhänge das schot tische Bergland geprägt hatten und selbst Eingang in die Gedanken der hier wohnenden Menschen gefunden zu haben schien. Ich atmete tief die frische Nachtluft ein. Der Schweiß auf meiner Stirn verdunstete und hinterließ ein Gefühl der Kühle. Noch immer zuckte Wetterleuchten über den Himmel. Unten im Tal schlief die kleine Stadt. Vereinzelt blinzelten die win zigen Punkte der Laternen zu mir herauf und erinnerten mich daran, dass nur wenige Minuten von mir entfernt Wärme, Leben und Sicher heit existierte. Wenige Minuten querfeldein nur und doch hätte New Pitsligo auch am Ende der Welt liegen können. 78
Der Wind wurde stärker und rüttelte an den knorrigen Ästen der Bäume, drückte die Büsche zu Boden und zerzauste die grünen Moos polster. Alles deutete auf ein schweres Gewitter hin. Ich machte mich wieder auf die Socken. Der Berg stieg zwar nur langsam an, aber das glitschige Moos, die Luftwurzeln und das Unter holz machten den Aufstieg schwierig. Licht durfte ich nicht benutzen, denn ich war dabei, einen Geisterbesuch abzustatten. Mehrmals unterbrach ich den Aufstieg. Das Mondlicht, wenn es durch die schnell dahin ziehenden Wolken brach, schuf bizarre Schat tengestalten, die mich stark an die O'Haras erinnerten. Langsam kam ich dem Gipfel näher. Ich musste grinsen, weil es wieder einmal stark auf die Geisterstunde zuging. Der Baumbestand trat zurück und vor mir breitete sich der riesige Park von Deer Abbey Castle aus. Ich verbarg mich hinter den letzten Stämmen und maß die Entfernung bis zur alten, teilweise eingefalle nen Wehrmauer. Fast zweihundert Meter. Zweihundert Meter freie Fläche, auf der mich, wenn der Mond durchkommen sollte, jeder sehen konnte, der auch nur müde aus ei nem Fenster blinzelte. Ich schlug mich nach rechts, hinüber zu den Koppeln, in denen tagsüber die Reit- und Wagenpferde der McWatfords grasten. Mit einem Satz überwand ich den Stacheldraht, duckte mich und lauschte in die Nacht. Nichts regte sich. Das Glück schien auf meiner Seite zu sein. Mit eingezogenem Kopf lief ich am Zaun entlang, bis ich zu den Stallungen kam, aus denen mir warme Luft, Schnauben und Huf gestampfe entgegenschlug. Weiter! In diesem Augenblick schlug ein Hund an. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Zornig und drohend hallte das Bellen durch die stille Nacht. Das Hundevieh musste mich gehört oder gewittert haben. Im Stall erklang nervöses Schnauben, gefolgt von einem verängs tigten Gewieher. 79
Also wechselte ich nochmals die Richtung und ging direkt auf mein Ziel zu dem eingefallenen Eckturm. Jähes Mündungsfeuer blendete mich. Den Schmerz spürte ich erst, als die Schussdetonation an meine Ohren drang. Irgendwo lauerte ein Mörder. Da hörte ich ihn auch schon lachen, roh und brutal. Ein Mörderla chen. Mühsam humpelte ich zur Seite. Meine rechte Wade schmerzte bei jedem Schritt und ich fühlte etwas Warmes, Klebriges das Bein herun ter rinnen. Blut! Kaum hatte ich meinen Standort gewechselt, da schoss ich zurück, platzierte zwei Kugeln auf die Stelle, an der mich der Heckenschütze überrascht hatte und von wo das Lachen gekommen war. Das Hundegebell wurde lauter. Wie rasend kläffte der Köter. Bald mussten alle wach sein. Dann hörte ich das Rascheln. Kurz danach sich eilig entfernende Schritte. Schon wollte ich einen neuen Schuss abgeben, ungezielt, der Dunkelheit wegen. Doch da brach der Mond durch und bevor ich rea gieren konnte, stieg einer der heimtückischen O'Haras doch direkt vor mir in den Himmel, wurde getragen von dem einsetzenden Sturm, der das Gewitter schnell heranbrachte. »Himmel, Arm und...« Resigniert brach ich meine Flüche ab. Ei nem entschwindenden Geist heißes Blei nachzuschicken, wäre sinnlos gewesen. In einem Busch untersuchte ich meine Wunde. Es handelte sich um einen stark blutenden Wadenstreifschuss. Ich presste mein Ta schentuch darauf und schlich weiter. Im Herrenhaus war es hell geworden. Überall gingen die Lichter an. Eine tiefe, verschlafene Stimme schrie etwas. Ich begann zu rennen. Es war mehr ein Humpeln, aber es brachte mich vorwärts, weg von den Menschen, denen ich nicht trauen konnte. Mit einer Ausnahme: Glende! Der Gedanke an die Komtess machte mich heiß. 80
Zweige peitschten mir ins Gesicht, Dornen schabten glühend an meinem verletzten Bein entlang. Das Tempo konnte ich nicht steigern. Es wäre nötig gewesen, kam doch das Hundegebell näher. Mein Versuch, heimlich auf das Gelände von Deer Abbey Castle zu gelangen, um nach Sir Bromfild zu suchen, schien sich als Fehler zu erweisen. Regen setzte ein und schlug mir ins Gesicht, machte die Sicht noch schlechter. Und immer näher hechelte der Köter... Als es plötzlich donnerte und ein Blitz in der Nähe einschlug, der alles für Sekunden taghell erleuchtete, sah ich gleich zwei Gefahren, einer riesigen Meereswoge auf mich zukommen. Rechts befand sich die Burgmauer, an ihrem Ende die Ruine des Wehrturms. Ich befand mich knapp vor meinem Ziel. Aber da kam von links ein Kerl über die Wiese gerast, so schnell, dass ich seinen Lauf kaum verfolgen konnte. Es war erstaunlich, dass er so schnell rennen konnte, blähte doch hinter ihm her ein weiter langer Umhang. Eigentlich hatte es ihm die Luft abdrosseln müssen, war doch der riesige Stofffetzen um seinen Hals geschlungen, also praktisch an ihm befestigt. Das Ungeheuer entdeckte mich im grellen Schein des Blitzes. So fort stieß es einen gellenden Schrei aus, der aus anderen Richtungen erwidert wurde. Ich hatte die O'Haras auf meiner Fährte! Aber das allein genügte dem Teufel nicht, der es in dieser stürmi schen Nacht ganz genau wissen wollte. Hinter mir her hetzte der Hund. Das Vieh raste noch schneller als der Geist des alten Recken. Im zuckenden Licht des Blitzes war er nur als tief geduckter graubrauner Strich auszumachen. Und das Biest bellte nicht mehr. Der Großvater meiner Mutter musste noch sein Leben gegen Wöl fe verteidigen. Als Häuptling war er der Stammesehre verpflichtet und durfte ein Raubtier, gleich welcher Art, nur mit dem Messer töten. 81
Mein Leben verlief genauso gefährlich, nur mit einer Ausnahme, dass die Raubtiere, gegen die ich mich verteidigen muss, zwei Beine haben. Es war also zum ersten Male, dass ich gegen einen Bluthund kämpfen musste. Und es musste lautlos geschehen, um nicht noch mehr Verfolger hinter mich herzulocken. Es blieb nur das Messer. Ich verlangsamte meinen Lauf und zog die Jacke aus, wickelte sie um meinen linken Arm. Dann lauschte ich, versuchte das Hecheln des Hundes aus dem Prasseln des niedergehenden Regens herauszuhören. Der Regen rauschte zu stark. Ich konnte mich nur auf meinen In stinkt verlassen. Wenn der nicht funktionierte, mussten bald spitze Hundezähne in mein Genick schlagen. Als ich meinte, jetzt müsste der hechelnde Tod nahe genug heran sein, wirbelte ich herum. Kein Blitz erhellte jetzt die tintenschwarze Nacht. Und doch sah ich einen lang gestreckten Körper auf mich zufliegen. Ich streckte den linken, von der Jacke umwickelten Arm vor. Augenblicklich sprang der Schatten in die Höhe und ich hörte das laute Zuklappen des fürchterlichen Gebisses. Vier kratzende Pfoten bearbeiteten meine Beine. Die Schusswunde begann höllisch zu brennen. Dazu knurrte die Bestie und zerrte an meinem Arm. Ich griff zur Nackenscheide. Mein Wurfmesser hätte allem ein En de gesetzt. Der härteste Knochen besitzt eine schwache Stelle. Ich mache darin keine Ausnahme. Während meine Hand den Messergriff umklammerte, kam mir der Gedanke an die Treue des Tieres, das nur seiner Pflicht nachkam. Soll te ich es deswegen töten? Das Biest zappelte, kratze und zerrte. Mit meiner Beinwunde wur de es immer schlimmer. Vielleicht roch der Köter das Blut. Es fiel mir gar nicht leicht, den Colt aus dem Gürtelhalfter zu an geln und noch schwerer, den richtigen Augenblick und die richtige Stelle zu treffen. Noch immer kein hilfreicher Blitz... 82
Ich schlug zu. Das Knurren erstarb und der schwere Körper wurde noch schwerer. Meine Jacke ließ sich nur langsam aus den Fingen lösen. Sicher wies sie eine Menge Löcher auf - und mein vierbeiniger Gegner würde nach einer halben Stunde Kopfschmerzen haben. * Geduckt schlich ich weiter und hoffte trotz der Finsternis, die Reste des Wehrturms zu finden. Ich musste an Sir Bromfild denken, der tief unter der Erde auf Befreiung hoffte. Ich musste es einfach schaffen. Denn da waren die vom Teufel wieder zu gespenstischem Leben erweckten O'Haras, die bereits ausgeschwärmt waren, um mich zu eliminieren. Diese Höllenhunde hatten Sir Bromfild gefangen genommen. Es bestand die Möglichkeit, dass sie den Notar in ihr nun freies Grab ge legt hatten. Eine regnerische Nacht kann eine Stimmung wie diese entstehen lassen. Sie kann den ganzen Lauf der Ereignisse ändern. Sie scheint die Zeit zurückzudrehen. Mir war es, als befände ich mich auf einmal im tiefsten Mittelalter. Ich kam mir vor wie einer, der in Acht und Bann geschlagen worden war. Um mich herum wurde die Nacht lebendig. Kehlige Zurufe zwangen mich, die Richtung zu ändern. Stur wie ein Panzer raste ich auf die brüchige Wehrmauer zu und als ich sie erreicht hatte, zog ich mich an ihr hoch. Oben auf der Krone verschnaufte ich. Ich hob gerade den Kopf, um mich zu orientieren, da trafen sich meine Augen mit den toten schwarzen Höhlen eines Knochengesichts, die rot glühend auf mich gerichtet waren. Ein paar Ellen von mir entfernt stand ein Skelett auf der Mauer. Der Tod! Ihm fehlte nur die Sense, mit der er mich niedermähen konnte. 83
Der knöcherne Tod hielt etwas anderes in seiner bleichen Hand: einen Degen! Jetzt, wo ich ihn ganz bestimmt nicht gebrauchen konnte, erhellte ein mehrfach gezackter Blitz den regenschweren Himmel. Im grellen Gleißen leuchtete das Skelett grünlich auf und ich sah, wie das Re genwasser an den Knochen herunter lief. Mein Körper wurde starr. Ich hatte das Gefühl, über ein Grab zu schreiten. Nun hatten sie mich doch erwischt... Nur meine Augen lebten und die starrten unverwandt auf die ge spenstische Erscheinung. Der Tod zeigte keine Regung, keine Bewegung, noch gab er einen Ton von sich. Er wartete, so wie ein Geier darauf wartet, dass ein Tier verendet, damit er zu seinem Schmaus kommt. Zwei Meter unter mir hörte ich plötzlich eilige Schritte. Noch ein Verfolger. Abrupt verhielt er. Dann stieß er einen gellenden Schrei aus. Sicher hatte er jetzt das Skelett auf der Mauerkrone entdeckt. Ein dumpfer Fall drang zu mir herauf. Bestimmt war der arme Kerl - ich vermutete den Hundeführer - in Ohnmacht gefallen. Der Umgang mit Ausgeburten der Hölle ist längst nicht jeder manns Sache, solche Erlebnisse wirken meistens lange nach. Mir gab das Erscheinen des schreckhaften Mannes eine Chance. Der Geist hatte sich umgedreht, starrte in die Nacht, wo der Mann hingefallen war. Zu sehen war nichts. Die Finsternis ringsum machte eine Orientierung unmöglich. Aber da streiften mich Äste, wenn der Wind sie bewegte. Ganz in der Nähe stand eine riesige Kastanie. Ich wusste nicht, wie sehr und wie weit Geister sehen können, noch kannte ich ihr Gefühlsempfinden. Ich wagte es trotzdem. Noch schaute der alte O'Hara, ein Mann vergangener Jahrhunder te, hinunter auf die Wiese. Sicher vermutete er dort Feinde, war er doch zu seinen Lebzeiten niemals seines Lebens sicher gewesen. Da mals machten Schnapphähne ganze Landstriche unsicher. Wer reich war, musste um seinen Besitz bangen. 84
Ich spannte die Muskeln. Lodernden Feuers gleich, raste der Schmerz durch mein verletztes Bein. Doch es war nicht die Zeit Weh wehchen nachzugehen. Als ich meinte, genügend vorbereitet zu sein, hechtete ich mich von der Mauer ab, sprang hinein in das unbekannte Zweigwerk des Kastanienbaums. Blätter und biegsame Zweige streiften mich - bis feste, knorrige Äste meinen Flug stoppten. Mit beiden Händen griff ich zu, bekam einen dicken Knüppel zu packen, an dem ich mich hochziehen konnte. Kaum hatte ich mich auf einen starken Ast gesetzt, da ging das Gebrüll schon los. Mein lieber Mann, die Apachenkrieger meines Urgroßvaters konn ten ihre Kriegsschreie nicht lauter gebrüllt haben als der skelettartige Geist auf der Mauerkrone. Für ihn musste mein plötzliches Verschwin den geradezu mit übernatürlichen Kräften stattgefunden haben. Viel leicht, so hoffte, glaubte er, ich wäre auch ein Jünger der Schwarzen Magie. Das Gebrüll wollte nicht enden. Es lockte sogar die drei Söhne herbei, deren gemeinsames Bestreben darin bestand, mich zu finden. Die Lichter im Herrenhaus brannten weiter. Durch die hohen Bo genfenster fielen gelbe Bahnen in die schwarze Nacht, zauberten Pfa de, durch die der Regen wie mit Bindfäden gezogen fiel. Leise brauchte ich nicht zu sein, denn der Regen, vermischt mit Donnergrollen, fiel dicht und laut. So gab ich mir auch gar keine Mühe, einen belaubten Zweig abzubrechen, um einen Guck zu bekommen. Freunde, ich hätte es nicht tun sollen, denn ich sah mich plötzlich vier Geistern gegenüber. Der alte O'Hara mit dem starren Totengesicht hatte aufgehört zu brüllen. Er stand wie ein Tier bewegungslos auf der Mauer und beo bachtete seine drei Söhne mit rot glühenden, kreisrunden Augen. Sei nen Skelettkörper beugte er vor und dann begann er zu toben mit einer Stimme, die an das Kreischen von rostigen Türangeln erinnerte: »Ihr Nichtsnutze habt wohl geschlafen? Wie kann ein verwundeter Mann vier Häschern entkommen?« 85
Einer seiner Söhne antwortete aufsässig: »Du warst dem Hund so nahe, dass du ihn hättest von der Mauer stoßen können. Warum hast du ihn nicht...« Der Alte duldete keinen Vorwurf, schon gar nicht, wenn er von seinen eigenen Söhnen kam. Mit einer schnellen, plötzlichen Bewe gung schlug er zu und der Aufsässige kippte aus den Stiefeln. Nach dem dumpfen Fall griff einer zum Degen, zog ihn und richte te ihn gegen den Vater. »Du bist zu weit gegangen, Henry O'Hara. Dein unstillbarer Hass wird uns zurück in die Hölle bringen.« »Aus der du kommst«, grollte es zurück. »Macht nur weiter so und uns wird am Ende nichts, gar nichts gehören. Arm wie Leibeigene werden wir umherirren. Noch einmal bekommen wir keine Chance.« »Verflucht, Alter, wir glauben nicht daran, denken eher, dass du einer fixen Idee nachrennst.« Als der Vater der drei widerspenstigen, aufmuckenden Söhne ant wortete, war in seiner dumpfen Stimme ein Klang von Ratlosigkeit: »Seid vernünftig. Ich jage keinem Hirngespinst nach. Wer Deer Abbey Castle erbt, wird zahlen. Außerdem befinden sich unter diesen alten Mauern, die wir besser kennen als jeder andere, Truhen voller Gold, Geld und Schmuck...« Hart und zänkisch unterbrach der jüngere Knochengeist. »Unter diesen alten Mauern, Alter? Wo denn? Weißt du überhaupt, wie sehr die Jahrhunderte alles verändert haben? Schon allein die Erde hat sich bewegt. Was damals einen Meter tief war, kann heute mindestens zehn Meter tief liegen.« »Aber nicht das Mauerwerk. Zugegeben, Gänge und unterirdische Kammern können verschüttet sein - aber vorhanden ist es. Ich ver pfände dafür meinen Kopf.« Das Gehörte durchfuhr mich siedend heiß. Der Schatz von Deer Abbey Castle. Gemunkelt wurde viel von dem versteckten Gold, aber... Vielleicht gab es irgendwo Höhlentempel und Schlösser, vielleicht auch Königsgräber voller Schätze. Doch das waren phantastische Ge danken. Vor mir, zum Greifen nahe, standen die Knechte des Teufels und sie wollten meinen Tod. 86
Unter mir war die Nacht zu dunkel, als dass ich hätte etwas aus machen können. Ich musste es einfach so riskieren. Aus der Jackentasche klaubte ich drei Patronen, wartete, bis der Wind eine Pause einlegte und warf sie weit ins offene Gelände. Dann lauschte ich. Mein Trick schien geklappt zu haben. Als die Patronen ins Nasse Gras platschten, ruckten die Totenköp fe der knöchernen Gespenster hoch. Zwei, drei Sekunden verharrten sie reglos. Bis einer schrie: »Los, ihm nach. Er darf uns nicht entkom men!« * Ich umschlich die Ruine des Wehrturms wie ein Wolf, der eine Falle wittert. Tagsüber wäre die Suche erfolgreicher gewesen, aber da hätte man mich gesehen. Also setzte ich alles aufs Spiel und begann laut nach Sir Bromfild zu rufen. Wenn sich irgendwo in dem brüchigen Gemäuer eine Spalte befand, durch die der Notar seine Brieftasche geschoben hatte, dann musste er mich hören - wenn er noch lebte. Immer wenn ich auf Antwort lauschte, fühlte ich mein Herz klop fen und sah mich suchend um, darauf gefasst, jeden Augenblick eines der grün schillernden Skelette auftauchen zu sehen. Mein lautes Rufen konnte nicht ungehört bleiben. Öfter legte ich mein Ohr an Mauerspalten, um ja nicht Sir Brom filds eventuelle Rufe zu überhören. Doch die alte Raubritterburg gab ihr Geheimnis nicht preis. Bedrückende, dumpfe Stille drang aus dem Schutthaufen. Sonst nichts. Die unwirklichen Körper der Wiedererweckten leuchteten durch die Finsternis. Jeden einzelnen Knochen konnte ich zählen, wenn der Wind die Umhänge zur Seite fegte. Sie rückten näher, breit gefächert. Ein geisterhaftes Heulen ertönte. Es schien von überall und nir gends zu kommen. Der Wind trug es über die weite Landschaft. Fremdartig und schaurig. Mir blieben nur noch Minuten. 87
Düster und feindselig ragten die verwitterten grauen Mauern der Burg vor mir auf. Ich wählte das dem Wehrturm am nächsten stehende Haus. Auf den ersten Blick, von einem grellen Blitz erleuchtet, sah es nicht besonders einladend aus. Eher bedrohlich. Es war groß, mit drei Stockwerken, hatte zahlreiche Veranden und Balkone und ein Schie ferdach, das steil abfiel. Im Innern war es dunkel und still. Das Haus schien in atemloser Spannung auf etwas zu warten. Die Fenster in der langen Front glotzten wie die ausdruckslosen Augen von Erdrosselten. Eigenartig schien es, dass die untere Reihe sehr hoch gebaut war. Um an eines dieser Fenster zu gelangen, muss te eine drei Meter hohe Mauer, besser gesagt Hauswand, überwunden werden. Ich hangelte am wilden Wein hoch, bis ich auf einer Fensterbank Fuß fassen konnte. Das Eindringen war ein Kinderspiel. Scheiben waren nicht vorhan den und die Reste eines Rahmens so morsch, dass sie beim Anfassen zerbröckelten. Ich vernahm ein schlürfendes Geräusch, als ich das Zimmer durch schreiten wollte. Es war nicht nah, aber auch nicht allzu fern. Bei dem Türdurchbruch zum Nebenraum bewegte sich etwas. Geister schlafen nicht. »He, Sie da«, rief ich leise und ließ dabei den Hahn des Colts zu rückschnappen. Das kleine metallene Geräusch wirkte wie eine Explo sion in der Grabesstille des leer stehenden Hauses. Die von mir gesichtete Gestalt verschmolz mit der Wand, wurde eins mit dem Nachtschatten. Mit jeder Faser spürte ich ihre Anwesenheit. Wenn da hinten eine Geheimtür vorhanden war, so wurde sie nicht begangen. Der Schatten lauerte. Das Belauern eines versteckten Feindes gehörte zu den Spezialitä ten der Apachen. Stundenlang konnten die Krieger auf ihren Hacken sitzend warten, ohne sich dabei zu verraten. Sogar ihr Atem wurde flach - wie jetzt bei mir. Ich rührte mich nicht, stand stocksteif und ließ 88
nur die Augen wandern, allerdings halb verdeckt unter den Lidern, um mich nicht durch das Weiß in ihnen zu verraten. Immer besser konnte ich sehen und so entdeckte ich das unförmi ge Gebilde neben der Tür. Wenn es sich um einen Menschen handelte, dann musste er nicht nur dick, sondern geradezu ein fetter Klumpen sein, der sich gegen die Zimmerwand drückte. »He, Fettwanst, ich habe dich genau im Visier.« Kaum hatte ich meine Warnung ausgestoßen, da meinte ich, mich träfe der Schlag. »Sage noch einmal Fettwanst, du ungehobelter Klotz!«, drohte mir meine eigene Stimme entgegen. Ich japste nach Luft und brachte kein Wort hervor. Der Schreck, aber auch die Genugtuung, endlich meinen ›Schutzengel‹ greifbar na he vor mir zu haben, setzte mir zu. Schnell aber fing ich mich wieder und schlug vor: »Zeige dich, wenn du mein Freund bist. Ich weiß so etwas zu würdigen.« »Scheinbar nicht«, musste ich mir sagen lassen und schon fuhr meine Stimme fort: »Ich habe dir mehrmals geraten, herüber zu kommen, wo du frei bist, ledig aller Sorgen. Du lehntest es jedes mal ab, meinen Rat zu befolgen.« Mir reichte es jetzt, ein für allemal. Entsprechend fiel meine Ant wort aus. »Zur Zeit gehen mir zu viele Schutzengel um. Die reinste Invasion. Von jedem, mit denen ich sprach, hörte ich, dass ihn sein Schutzengel den Tod empfahl. Mir scheint das ein wenig übertrieben.« Kaum hatte ich ausgesprochen, da wusste ich schlagartig, was jetzt kam. Ich konnte es geradezu riechen. Ich machte einen wilden Satz nach links und ließ mich reaktionsschnell zu Boden fallen. Fast hätte ich es geschafft und wäre dem Todesstaub entronnen, der aus Richtung Geist auf mich zugeweht kam wie eine weiße Wolke. Ein Teil traf mich. Sofort begannen die Augen zu tränen. Starker Nies- und Hustenreiz setzte ein. Ich war für Minuten kaltgestellt. Jäh und lautlos hatte sich das abgespielt - wie ein Spuk, wie eine Vision mitten im Schweigen des gottverlassenen Hauses. 89
Zum Glück entpuppte sich der Todesstaub als weißer Pfeffer. Dar an zu kauen hatte ich trotzdem. * Der Strahl meiner mitgebrachten Taschenlampe schnitt einen schma len Pfad durch die pechschwarze Finsternis, riss die Spur eines kleinen Fußes sichtbar aus dem Staub, die sich weiter hinten in der Weite des Hauses verlor. Der kleine Fuß passte zu einem Engel, alles andere aber war der Hölle entsprungen. Als ich den Abdrücken folgte, rechnete ich mit einem Hinterhalt, aber nicht damit, dass mein ›Schutzengel‹ aus Angst vor mir floh. Es musste die Angst gewesen sein, die das astrale Wesen in die Finsternis trieb und in die Gefahr, sich in dem leer stehenden riesigen Gebäude zu verirren. Nach einer Viertelstunde wusste ich, dass die Flucht in eine be stimmte Richtung ging. Das erkannte ich, als ich einen Raum durch hastete, den ich schon vor Minuten betreten hatte. Mein ›Schutzengel‹ flüchtete zurück zu der Stelle, an der ich ihn entdeckt hatte, somit in die südliche Spitze der Burg, an der sich die Ruine des geheimnisvollen Wehrturms befand. Der kleine Fußabdruck, ich tippte auf Sandalen, weil ich den Ab satz vermisste, endete vor einer Mauer. Der Geist, wo immer er herge kommen war, musste durch die Wand gegangen sein. Ich verschenkte wertvolle zehn Minuten auf der Suche nach einer Geheimtür. Wenn eine vorhanden war, ich fand sie nicht. Also machte ich kehrt und begab mich in den Flur, von dem aus eine Treppe in den Keller führte. Mein mitgeführtes Licht brachte mich sicher nach unten. Anfangs wollte mich die Enttäuschung übermannen, denn der Keller wies nichts Bemerkenswertes auf, außer, dass er leer und voller Dreck, Staub und Spinnweben war. 90
Rechtzeitig fiel mir ein, dass die Erbauer von Wehrburgen mehr geschossige Keller anlegten, für Fluchtzwecke, aber auch als Gefängnis für die zahlreichen Feinde. Es galt nur, den Zugang zum Unterirdischen zu finden. Ich bog gerade um eine Ecke, als etwas Schweres meinen Arm traf. Vor Schmerz und Schreck ließ ich die Taschenlampe fallen. Sie knallte auf den steinernen Boden. Das Glas zerbrach, dann noch ein kurzes Flattern und ich stand im Dunkel. Um mich wurde es finster - wie in einer Mördergrube. Natürlich ging ich nicht weiter, sondern bemühte mich, so schnell wie möglich den 45er zu ziehen. Da sah ich zwei glühende Punkte, die mich belauerten. Die Augen eines Dämons. Dann traf mich die Stimme des alten O'Hara, die dumpfe, harte Stimme des Geistes, dem ich vor einer halben Stunde entkommen war. Die Stimme klang so, als wäre sie mit Muskeln ausgerüstet, als schnalzte der Recke unentwegt mit der Zunge. »Du kommst spät. Ich musste lange auf dich warten.« »Na, so was«, sagte ich darauf und tastete mich zur gegenüber liegenden Wand, was völlig geräuschlos vor sich ging. Der Geist des rachsüchtigen Alten war mir in den Kellergewölben über. Nicht nur, dass er sich hier unten bestens auskannte, schien er dazu noch mit Katzenaugen ausgestattet zu sein, die durch die Dun kelheit dringen konnten. Dieser Hundesohn musste meinen Stellungswechsel beobachtet haben, schlug doch genau über meinem Kopf eine Kugel in die Wand. Einen Zentimeter tiefer und ich wäre im Klub der Geister aufgenom men worden. »Elender Bastard. So nicht!« Ich brüllte mir die Wut aus dem Bauch, ging in die Knie und fä cherte mit der linken Hand über den Hammer des Colts. So schnell kann man gar nicht hören, wie sich die einzelnen Schüsse lösten - bis auf den letzten. Der war für mich bestimmt, wenn alles schief gehen sollte. 91
Der Pulverdampf verzog sich nur träge, beizte die Augen und Na se. Auf allen vieren robbte ich vorwärts und als meine tastenden Hän de den Mauervorsprung erfühlten, schielte ich um die Ecke. Ich erwartete ein leuchtendes Skelett und glühende Augen, statt dessen empfing mich undurchdringliche Finsternis und tödliche Stille. Sollte es mir gelungen sein, den unseligen Geist eliminiert zu ha ben? Dann musste er vor mir auf den Steinen liegen. Ich duckte mich hinter dem Mauervorsprung und griff nach meiner Brieftasche, in der ich einige unbezahlte Rechnungen aufbewahrte. Drei davon knüllte ich zu einem Ball und setzte diesen mit dem Feuer zeug in Brand. Als die Flammen zu züngeln begannen, warf ich die provisorische Fackel vor mir in den Gang. Sicher riskierte ich, angegriffen zu werden, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich schob meinen Kopf, zusammen mit dem 45er, um die Ecke. Der Papierball brannte und erhellte einen weiten Teil des lang ge streckten Ganges, auch den Durchbruch, an dem sich früher eine Tür befunden haben musste. Meine Freunde, die Lumpen O'Haras, waren verschwunden. Dass Geister offenes Feuer scheuen, ist bekannt. Vielleicht hatten sie sich verdrückt. Vielleicht in den Mauerdurchbruch. Als ich davor stand und mit dem Feuerzeug hineinleuchtete, gähn te mir modrige Dunkelheit entgegen - und glitschige Stufen, die steil in die Tiefe führten. Klar, dass ich hinunter steig. Ich wollte schließlich Sir Bromfild fin den, nach Möglichkeit lebend. Es war ein Gewirr von Gängen, Kammern, Nischen und Gruben, in das ich geriet. Mit dem Lauf des Colts ritzte ich mir Zeichen in die Wand, um den Rückweg zu finden. Ich war gewillt, so lange zu su chen, bis sich mein Feuerzeug, ein Tausendzünder, verbraucht hatte. Interessant wurde es, als ich an eine hölzerne, mit Eisen beschla gene Tür kam, die im Laufe der Jahrhunderte selbst zu Stein geworden war. Besonders fiel mir die Stelle auf, weil sie weiß hervorleuchtete, an der ein Kreuz gehangen haben musste, groß wie ein Lineal. Das heilige 92
Zeichen hatte jemand gewaltsam entfernt, deutlich an den Kerben zu erkennen, die Werkzeug hinterließ. Schon komisch, was man so alles in alten Raubritterburgen vorfinden kann... Die Tür war angelehnt. Ich stieß sie mit dem Lauf des 45er auf und achtete dabei auf den immer größer werdenden Spalt, dass mir keiner entgegen gesprungen kam. Nichts geschah. Die Luft in diesem Verlies war noch verbrauchter als im Gang, a ber in ihr schwang ein Hauch von Tabak mit. Jemand musste hier kürzlich eine Zigarre geraucht haben, ein verdammt gutes Kraut sogar. Ein großer Raum mit verschimmelten Regalen an der rechten Wand und einem gleichwertigen Tisch in der Mitte boten sich meinen Blicken dar. Neben dem Tisch - beim Großen Manitou - lagen die Reste von vier Menschen. Das Grab der O'Haras! Für mich gab es keinen Zweifel. Ich hatte das Verlies gefunden, in dem die Urbesitzer von Deer Abbey Castle ums Leben gekommen wa ren, weil jemand die Tür hinter ihnen verschloss. Waren so die McWatfords zu ihrem Vermögen gekommen? Viele Fragen überfielen mich in diesem Moment. Mir blieb aber nicht die Zeit, nach Antworten zu suchen. Eine Stimme schreckte mich auf. »Wenn Sie an Gott glauben, dann helfen Sie mir bitte.« Die Stimme sprach leise. Eine sanfte, ruhige Stimme, schwächer als Geflüster. Ich blieb abrupt stehen, sprungbereit. Trippelnde Schritte kamen näher. Eine welke Hand legte sich von hinten auf meine Schulter. Ich zuckte zusammen, als wäre ich mit Strom in Berührung ge kommen. Mir wurde so richtig komisch zumute. Ich hatte ein uraltes Verlies entdeckt, in dem die Reste von vier Toten lagen - und nun leg te sich eine Hand auf meine Schulter. So etwas bringt leicht den Glau ben an Geister zurück. 93
»Bitte, helfen Sie mir. Ich werde hier gewaltsam gefangen gehal ten. Viele Tage schon. Genau weiß ich es nicht mehr. Um mich ist nur Dunkelheit. Ab und zu kommt jemand und schiebt mir Wasser und Brot zu. Bisher habe ich geraucht. Aber mein Vorrat an Zigarren ging gestern zu Ende.« Die Stimme, sie gehörte zu einem Mann, dessen Hand sich in mei ne Schulter krallte, klang leise und zitternd und war mit jedem Wort, das gesprochen wurde, spürbar nervöser geworden. Ich traute nicht mich umzudrehen. Die üblen Tricks der gespensti schen O'Haras waren mir hinreichend bekannt. Aber der Ton in der Stimme... »Wer sind Sie?«, fragte ich. »Bromfild, Notar Bromfild.« Jetzt fuhr ich herum, ohne Rücksicht auf eventuelle Hinterhältig keiten. Ein alter Mann taumelte, fiel gegen mich. Tagealte Bartstoppeln bedeckten sein Gesicht. »Sie sind Mr. Bromfild?« »Ja, der bin ich. Und Sie?« »Paco Sheehan, der Privatdetektiv, den Sie telefonisch engagier ten. Mann, äh, Sir, was freue ich mich, Sie endlich gefunden zu haben. Ich war nahe daran, das ganze alte Gemäuer abbaggern zu lassen.« Er rückte seine Nickelbrille zurecht und musterte mich über die Flamme des Feuerzeugs hinweg. »Sheehan, der Indianer?« »Ja, Sir. Der Indianer.« Dann taumelte er. Ich fing ihn auf und trug den leichten Körper in die kühle Luft der Nacht, ohne von einem Geist behindert zu werden. * Ich schaute an Sir Bromfild vorbei auf das unheimliche, leer stehende Haus, dessen Kellergewirr ich soeben entronnen war. Meine Hand kroch zum Gürtelhalfter. Da war eben etwas gewesen. Das dumpfe Pochen wiederholte sich, nahm an Lautstärke zu. 94
Einer kam den mit morschen Dielen belegten Gang entlang, einer, der auch im Haus gewesen war. Gleich musste er im Türrahmen erscheinen. »Keinen Muckser«, warnte ich den Notar, dem die frische Nacht luft gut bekam. »Es könnte mein Essenbringer sein«, flüsterte er mir zu, um dann zu verstummen. Tatsächlich erschienen die Umrisse einer Männergestalt in der Tür, die in der linken Hand eine Stalllaterne trug. Sir Bromfild stieß mich leicht an. »Das ist Reginald«, flüsterte er mir ins Ohr. »Reginald McWatford? Glendes Vater?« »Ich bin ganz sicher, Mr. Sheehan.« Der Burgherr konnte uns nicht sehen und ich hütete mich, in den Lichtkreis der Stalllaterne zu treten. Noch nicht. »Was mag der hier wollen, zu dieser Zeit?«, fragte ich ebenso flüsternd den Notar. »Tja, wissen Sie, der ist hinter dem versteckten Gold her. Seit Jahren schon sucht er und sucht und sucht...« »Welches Gold, Sir?« Sir Bromfild trat von einem Fuß auf den anderen. Der starke Re gen machte ihm zu schaffen; er wollte schnell ins Trockene. Nur aus diesem Grund wahrscheinlich klärte er mich auf. »In der alten Burgbib liothek befindet sich der Fetzen eines Pergaments, von dem über die Hälfte fehlt. Darauf steht, dass die Truhen der Erde übergeben wur den, um den Besitz zu retten, da die gierigen Hände der M... Hier en det es. Irgendwann muss es irgend jemand abgerissen haben. Man weiß heute noch nicht, wer das einst niederschrieb und wer mit M ge meint ist.« »Vielleicht die McWatfords?«, warf ich ein. Verhaltenes Lachen. Dann: »Beweisen Sie es, Mr. Sheehan.« »Ich kann mich beherrschen.« »Ist ja auch egal. Bedenken Sie: Das Pergament ist an die vier hundert Jahre alt.« 95
Ich gab noch etwas von mir: »Reginald kennt die Hinterlassen schaft dieses, na, sagen wir Urahnen und seit dem sucht er, nicht wahr?« »Er ist geradezu besessen.« »Glauben Sie, dass er es war, der Ihre Entführung veranlasste?« Ich hatte den alten Fuchs am entscheidenden Punkt. Er erging sich nicht in Ausflüchte. Er schwieg einfach. »Bockmist«, fluchte ich und wandte meine Aufmerksamkeit dem zukünftigen Burgherrn zu, der zur rechten Zeit am unrechten Ort auf getaucht war. Reginald McWatford war für mich der Typ, der seinen Vater die Hand schüttelt und hinterher seine Finger zählt, ob er sie noch alle hat. Genauso misstrauisch und verschlagen bewegte er sich von dem leer stehenden Haus fort. Der Regen gab eine gute Geräuschkulisse ab. Unhörbar konnten wir ihm folgen. Auf dem Weg zum Herrenhaus, begann meine Wade wieder zu brennen. Es wurde höchste Zeit für einen richtigen Verband. Reginald hatte die Suche nach dem mysteriösen Schatz für diese Nacht aufgegeben. Ich sah noch, wie er die Stalllaterne ausblies und im Herrenhaus verschwand. Sehr leise, als hätte er etwas zu verber gen. Dazu völlig rätselhaft, dass ausgerechnet ihn die O'Haras in Ruhe gelassen hatten. * Sir Bromfild wurde nicht nur entführt, sondern man stahl auch das Testament des Burgherrn, des verstorbenen Zeb McWatford. Dem Tes tament bei lag ein Brief, geschrieben von dem Dienstmädchen, das Selbstmord beging, weil es von Reginald ein Kind bekommen sollte. Auch dieser Brief wurde gestohlen. Er hätte Aufschluss über die Ge rüchte geben können, ob das Mädchen wirklich Selbstmord beging oder gewaltsam in den Tod getrieben wurde. Das Dumme an allem 96
war, dass Sir Bromfild den Inhalt des Testaments und des Briefes nicht kannte. Sein Freund und Klient hatte ihm beides besiegelt übergeben. Ich musste unter allen Umständen ins Haus, heimlich Zeb McWat fords Arbeitszimmer aufsuchen und nach dem Duplikat des Testa ments suchen. Vielleicht auch hatte der misstrauische und seinen Sohn hassende Kranke eine Abschrift des Briefes angefertigt. Sir Bromfild bediente den Türklopfer. Ich hielt mich etwas zurück. Als geöffnet wurde, fiel der Lichtschein nur auf den Notar. Ich hörte einen erschrockenen Ausruf und erst viel später die er staunten Worte. »Sir, ich, ich glaube, ich träume.« »Das tun Sie nicht, John. Ich bin es wirklich, kein Geist. Allerdings, wenn mich Mr. Sheehan nicht gefunden hätte...« »Black Lobo, wie man den verdammten Indianer nennt, Sir?« »Genau der, John«, sagte ich und trat ins Licht. Der sich immer so steif gebende Butler trat hastig zurück. In sein teigiges Gesicht schoss Röte. »Sir, ich...« »Geschenkt, mein Lieber. Sagen Sie mir nur, warum Sie mich nicht mögen, gelinde ausgedrückt.« Als keine Antwort erfolgte, gab mir Sir Bromfild Schützenhilfe. »John«, mahnte er. »Ich möchte auch, nach alldem, was ich durch gemacht habe, dass du mit der Wahrheit herausrückst.« »Das rate ich Ihnen auch«, drohte ich mit erhobener Stimme. Der Blick, mit dem John mich betrachtete, verriet, dass ich bei diesen Worten nicht gerade hübsch aussah. Zweimal hüpfte sein A damsapfel auf und nieder. Dann zerbrach etwas in ihm. »All right, Sir. Ich sage es Ihnen gern. Sir Reginald ist mir seit seiner Geburt bekannt und vertraut. Er mag etwas haltlos sein, aber ein schlechter Mensch, der anderen Böses tut, ist er nicht. Alle sind gegen ihn, Gentlemen. Auch Sie, Mr. Sheehan.« »Nur deshalb sind Sie so grantig zu mir?« »Ja, Sir.« »Dann kann ich Sie beruhigen, John. Wenn Ihr Herr eine saubere Weste hat, wird ihm nichts geschehen.« Während der Butler endlich die Tür frei gab, sagte er leise: »Dan ke, Sir.« 97
Ich machte mit Sir Bromfild aus, dass er mir die Meute vom Halse halten sollte, was er auch augenzwinkernd versprach. Ich war sofort in einem Nebengang verschwunden, als er mir den Weg beschreiben wollte. Die Augen des Butlers verfolgten mich so lange, bis ihm der Notar etwas zuflüsterte. Den südlichen Teil des Herrenhauses hatte sich Zeb McWatford vorbehalten. Jetzt, wo er tot und begraben war, herrschte eine Stille, die mir regelrecht an die Nieren ging. Ich kam mir vor wie in einem Mausoleum. Ging ich ein paar Schritte neben dem Läufer her, so schickten meine Absätze ein hohl klingendes Echo durch die Gänge. Es wurde immer unheimlicher, je tiefer ich in Zeb McWatfords Reich eindrang. An den Wänden hingen brennende Kerzen, die Schat ten warfen. Alles war überlagert von einem merkwürdigen Duft, der vielleicht von den Blumen und Kränzen herrührte, als der Herr von Deer Abbey Castle hier aufgebahrt lag. Die Kerzen wurden spärlicher, das Licht diffuser. Und meine Ta schenlampe lag zerbrochen in einem tiefen Keller. Aber ich kannte den Weg. Noch eine Abbiegung, dann die zweite Tür rechts. Mrs. Torry hatte mir alles haarklein beschrieben. Sie musste es wissen, schließlich war sie Zeb McWatfords Geliebte gewesen. Ich bog in den beschriebenen Gang ein, der nur von einer einzi gen schwarzen Kerze dürftig erhellt wurde. Wie bei den Teufelanbe tern... Es waren nur noch ein paar Schritte, aber ich konnte sie nicht ge hen. Irgendwie kam es mir vor, als schliche eine Gestalt, ein Schatten, lautlos wie auf Katzenpfoten, hinter mir her. Jemand, der versuchte, möglichst unentdeckt zu bleiben. Es gab keine Nische, keinen Winkel, wo ich mich hätte verbergen können, um aus sicherer Deckung heraus zu beobachten, wer mich verfolgte. Es blieb nur das Arbeitszimmer des Verstorbenen, dem ich sowieso einen heimlichen Besuch abstatten wollte. Ich schaffte es nicht ganz. Denn plötzlich war sie da, knapp neben der schwarzen Kerze, die weiter ruhig brannte, als habe kein Luftzug sie getroffen. 98
Ich staunte die Frau an, denn sie war mehr als schön, sie war ras sig schön, rothaarig und grünäugig. Sie glich gewiss den Bildern, die Männer sich nur in ihren Träumen von Frauen machen, wohl wissend, dass es diese Traumwesen in Wirklichkeit niemals gibt. Aber diese da, die gab es. Der Kerzenschatten tanzte über ihr Gesicht und verlieh ihrer Schönheit ein ganz neues Leben. Ihr Haar war wie ein tiefes, mitter nächtliches Glühen und ihr voller Mund war rubinrot. Mein Blut wurde richtig heiß und meine Stimme heiser. »Glende, Darling, du verstehst es wirklich, mich zu überraschen.« Es gab überall tiefe Schatten in der Runde. Schweigen, Ruhe. Still stand der Zeit. Das Schweigen des Todes. Denn die Frau, deren weißes Gewand geradezu durchsichtig wirk te und die mich so stark an Glende erinnerte, schwieg sich aus. Sie bewegte sich nicht einmal. Je mehr ich sie betrachtete, um so durch scheinender kam sie mir vor. Fast wie dicker Nebel. Ich erkannte, dass es nicht Glende war, die mich stumm aus wis senden Augen anstarrte. Je länger das Starren anhielt, um so ungemütlicher wurde mir zu mute. Eine böse Ahnung rieselte mir über den Rücken, als würde ich die Überraschung des Jahres erleben. Ich machte einen zögernden Schritt auf die überirdisch schöne Frau zu. Um meine Lippen spielte ein Lächeln. Sehr verkrampft. Plötzlich hob sie den Arm. Es war eine leichte Bewegung, wie wenn der Wind eine Wolke treibt. Das weiße Gewand ging mit in die Höhe. Erst jetzt bemerkte ich, dass es keine Ärmel besaß, mehr ein Umhang war. »Suchst du auch?«, fragte mich ihre sanfte Stimme. Sie klang wie ein Hauch aus dem Jenseits und berührte mich eigenartig. »Wie bitte, Lady?«, stotterte ich und ging weiter auf sie zu. Ihre erhobene Hand, fast durchsichtig und weiß, senkte sich ein wenig. »Bleibe, wo du bist.« Noch immer besaß die Stimme das leise, flüsternde Wehen. »Antworte mir. Suchst du auch?« Impulsiv antwortete ich: »Ja, Zeb McWatfords Arbeitszimmer.« »Wer ist Zeb?« 99
Ich stutzte, fing mich, antwortete: »Der vorgestern verstorbene Herr von Deer Abbey Castle.« »Der ist schon lange tot.« Das Lächeln, das bei diesen Worten ihren schönen Kussmund um spielte, ließ mein Blut in den Adern gefrieren. Es war das Lächeln eines Rachegottes. »Das muss ein Irrtum sein«, widersprach ich und staunte über das Kratzen meiner Stimme. »Kein Irrtum«, kam es hohl zurück. »Der Herr von Deer Abbey Castle ist Trutzo McWatford - mein Mann.« »Ihr Mann?«, echote ich. »Er und seine Freunde waren Lumpen. Ich hoffe nur, dass er in der Hölle schwitzt.« Ich war verwirrt. Das durfte es einfach nicht geben. Aber die Frau, deren Mann Trutzo, der Mörder der O'Haras gewesen sein soll, sprach weiter: »Ich weiß alles und darum finde ich keine Ruhe. Niemand kann mich von der Qual der Mitwisserei erlösen. Das einzige, was ich tun kann, ich kann den Schatz der Unglücklichen bewachen. Wer ihn trotz dem findet, wird von dem Fluch getroffen werden, der auf ihm lastet.« Herb brach die schöne Frau ab, von der ich annehmen musste, dass sie nicht wirklich existierte. In meinem Schädel kreisten die Ge danken. Ich kam auf keinen Nenner. Da ging plötzlich ein grausames Gebrüll los. Niemals hätte ich ge glaubt, dass eine so zierliche Frau derart laut und hysterisch brüllen könne. Die schrillen Schreie wurden immer greller, überschlugen sich, durchbohrten meine Ohren. Abrupt brachen die Schreie ab und die Frau wich zurück, vom Ent setzen gepackt. Mit erstickter Stimme flehte sie: »Nicht, Trutzo, tue es nicht. Du darfst dir die Hände nicht blutig machen. Lass sie wieder ihres Weges ziehen. Denke an unsere Liebe.« Dann, ganz laut wie ein Knall. »Nein, Trutzo, nein. Sei verflucht bis in alle Ewigkeit.« Endlich zerriss der Schleier, den die Geisterfrau über mein Gehirn gelegt hatte - aber da war es zu spät. Wieder setzte das Schweigen ein, nach diesen Augenblicken der Wahrheit. * 100
Die Tür war verschlossen. Ich musste meinen Spezialdietrich einset zen. Als mir die Dunkelheit entgegenschlug, tastete ich nach dem Lichtschalter. Eine alte Lampe, umhängt von Stoff, erhellte warm das Arbeitszimmer, in welchem über achtzig Jahre Zeb McWatford residier te. Nach einem genauen Rundblick konzentrierte ich mich auf den wuchtigen, handgearbeiteten Schreibtisch. Wahrlich, so ein altes Ding konnte zehn Geheimfächer haben. Trotzdem machte ich mich sofort an die Arbeit. Vorsichtig tatstete ich über Ornamente und Leisten. Auf einmal merkte ich, dass sich eine der geschnitzten Lilien verschieben ließ. Der Erfolg blieb aus. Ich überlegte. Die Logik sagte mir, dass der Schlüssel zum Ge heimfach eine systematische Anordnung von Lilien sein könnte. Behut sam berührte ich die Lilie an der anderen Seite der Schublade und dann noch die, die genau über dem Knauf eingeschnitzt war. Kaum hatte ich die letzte Verzierung ein paar Millimeter gedreht, als es ein leises Knacken gab. Mit Zufriedenheit stellte ich fest, dass ein Türchen an der linken Seite sich öffnete, das zuvor unsichtbar gewesen war. Ich hatte das Vermächtnis des Zeb McWatford gefunden. Nun nahm ich mir Zeit zum Lesen. Ich brannte mir eine Zigarette an und pflanzte mich in den breiten Sessel. Schon nach den ersten Sätzen begann ich zu grinsen. * Hinter mir sagte eine raue Stimme: »Umdrehen, Black Lobo.« Ich legte die Papiere auf den Schreibtisch. »Aufstehen«, sagte der Kerl mit der rauen Stimme. Und dann sah ich sie. Alle vier. Es war schrecklich. Eine solche Konzentration der Stupidität hatte ich noch nie gese hen. Es waren die Knochenmänner. Die aus dem Grab gekommenen O'Haras. »Aufstehen«, sagte der mit der rauen Stimme wieder. 101
Ich sah zu ihm hoch, blickte in sein knöchernes Gesicht und wünschte sofort, es nicht getan zu haben. So etwas, jetzt bei Licht besehen, konnte und durfte es einfach nicht geben. »Also, Black Lobo«, höhnte er, meinen Kriegsnamen lang ziehend. »Wo sind die Papierchen?« Knallkopf!, dachte ich, weil ich das Gesuchte mit meinem Rücken verdeckte. Laut fragte ich: »Wovon ist die Rede?« Die Faust kam schnell. Ich konnte ihr nicht ausweichen. Also stemmte ich mich ihr entgegen, packte sie mit beiden Händen und knallte sie auf die hölzerne Lehne des Sessels. Noch bevor die anderen mit der neuen Situation fertig werden konnten, ging ich auf den nächsten zu und trat ihm vors Schienbein. Er wäre hingefallen, aber das wollte ich nicht. Ich packte ihn mit der linken Hand und hielt ihn an mich gepresst. Der Colt lag in meiner rechten Faust. Ich hatte den Finger am Abzug und schrie die anderen an: »Pfoten hoch.« Ich brauchte nicht mehr zu sagen, denn ein Mann mit einer Kano ne in der Hand ist immer ein stärkeres Argument als alle Worte, selbst Geistern gegenüber. Nur der eine, den ich am Sessel zusammen schlug, schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Er griff zum Degen, zog ihn und stach nach mir. Ich schoss zweimal und die blanke Waffe flog davon. Zurück blieb der verblüffte Geist, der auf den roten Striemen starrte, der seine blei che Hand zierte. Ich kaufte mir den alten O'Hara und riss ihm die Totenkopfmaske vom Gesicht. McMahoney, Reginalds Schwager, kam zum Vorschein. »Haben Sie Sir Bromfild Wasser und Brot gebracht, oder tat das einer Ihrer angeheuerten Spießgesellen?«, fragte ich, nachdem ich den Obergeist entlarvt hatte. »Sie wollten jetzt das zweite Testament an sich bringen, nachdem Sie das Original vernichteten. Wie konnten Sie nur so blöd sein und glauben, das McWatfordsche Vermögen an sich zu reißen?« Er schwieg und ich betrachtete mir in der Zeit seine Spießgesellen genauer. Wirklich, die Totenkopfmasken waren perfekt, es fehlte nicht einmal die Batterie, die die Augen leuchten ließ. Und die Skelettkno 102
chen der Körper waren mit Phosphor auf schwarze Trikots gemalt worden, unter denen Kugelwesten getragen wurden, stich- und schussfest. Die fliegenden und sich auflösenden Geister trug McMaho ney bei sich: Aufblasbare Gummipuppen. Und ich Trottel hatte sie für echte Geister gehalten... Mir fiel etwas ein und ich fragte: »Wie habt ihr das mit der laufen den Rüstung gemacht?« McMahoney, der alles auf eine Karte setzte und verlor, lachte: »Ferngesteuert wie bei einem Modellschiff. He, Black Lobo, was haben wir über dich gelacht.« »Du Laus hast also im Testament gelesen, dass Reginald einem Dienstmädchen ein Kind andrehte, wie? Mich interessiert nur, warum er sich von dir erpressen ließ, denn das Mädchen schied freiwillig aus dem Leben, weil es krank war, nicht des Kindes wegen.« »Ha, den Trottel kann man mit allem erpressen. Er kannte doch den Brief gar nicht. Sein Alter verheimlichte ihm das Schreiben.« »Noch eins, Lump. Wer von euch machte meine Stimme nach?« Verblüffte Gesichter, verständnisloses Gestammel. Ich hatte eine Niete gezogen. Also ging in Deer Abbey Castle doch ein Geist um... * Jeder in der Burg wusste, dass ich Zeb McWatfords Testament gelesen hatte und jeder wunderte sich, warum ich es nicht Sir Bromfild, dem Notar, übergab. Ich besuchte Glendes Vater. Als ich ohne anzuklopfen in sein Zimmer trat, zuckte er heftig zusammen und fuhr mit der rechten Hand in die Tasche seines seidenen Hausmantels. »Was wollen Sie, Sheehan?« Ich zündete mir eine Zigarette an und tat einige Züge, genoss sei ne Verwunderung. Dann fragte ich: »Wie viel haben Sie für das edel steinbesetzte Kreuz bekommen, das als Bannmal an der Tür zum stei nernen Verlies hing, in dem die O'Haras umkamen?« »Barny McMahoney, mein Schwager, erfand die O'Haras.« 103
»Hm, aber im Keller liegen die Reste ihrer Skelette, über dreihun dert Jahre alt und McWatfords ließen das Kreuz an der Tür, damit nicht der Fluch der bösen Tat über sie kommen sollte.« Reginalds Hand begann in der Manteltasche zu zucken. Ich sprang vor und riss die Hand samt Pistole hervor. »Sie wollten doch nicht auf mich schießen, Sir?« »Alle sind gegen mich. Alle wollen mich...« »Ich nicht, Sir.« Dann holte ich die Kugeln aus dem Rahmen der Beretta und die eine aus der Kammer und gab ihm alles einzeln zurück. Er blinzelte zweimal, erschlaffte und erklärte: »Der Trödler haute mich übers Ohr. Aber ich brauchte Bargeld, um nicht als Mörder durch die Presse gezogen zu werden. Woher sollte ich wissen, dass mein eigener Schwager in der Maske eines Geistes...« »Vergessen Sie es, Sir. Es ist vorbei.« »In Deer Abbey Castle ist es nie vorbei, Mr. Sheehan.« »Richtig, Sir. Da wäre noch diese Stimme, die eigene Stimme, zum Beispiel.« Wieder erblasste er unter der Haut. Keuchend sagte er: »Das ist sicher Delia McWatford, unsere Ahnfrau.« »Trutzos Frau, nicht wahr?« »Sie wissen wohl alles?« »Es ist mein Beruf, Sir. Auch warum ich überhaupt gekommen bin.« »Ja?« »Ich möchte gerade jetzt, bevor der Tag anbricht, noch einmal die Burg inspizieren. Sie gestatten es doch?« »Sie meinen...?« »Hoffnung und Glück sind oft starke Bundesgenossen. Sir.« * Es war dunkel in der verwitterten Burg, aber das Morgenrot zog schon ein breites leuchtendes Band über den Himmel, fiel durch die hohen Bogenfenster und erhellte ein wenig den langen Flur. 104
Ich war auf der Suche nach einem bestimmten Gästezimmer. Noch immer beherbergte Deer Abbey Castle eine große Trauerge meinde, Bekannte, Freunde - und habsüchtige Verwandte. Die Tür zur Burgkapelle stand offen. Neugierig geworden, trat ich lautlos ein. Vor dem Altar kniete Glende im lauten Gebet. Aus dem Gestammel ihrer Worte entnahm ich, dass ihre eigene Stimme sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Der Hass aller auf mich war noch stärker geworden, weil ich noch das nicht verlesene Testament bei mir trug; ein Lockmittel, mit dem ich den ›Schutzengel‹ hervorlocken wollte. Vielleicht brauchte ich das Schriftstück gar nicht mehr. Denn da hörte ich Glende laut zu sich selbst sagen, nur dass ihre Stimme weit weg war: »Bete - und dann springe aus dem Fenster.« Die Stimme kam von oben. Nicht vom Himmel. Ich raste die Wendeltreppe hoch und bekam fast den Drehwurm. Fast oben angelangt, schreckte mich ein wütendes Zischen zurück. Unten wimmerte Glende. Sie war fast am Ende ihrer nervlichen Kraft. Ich rief ihr laut zu: »Keine Angst, mein Darling. Ich bin gleich bei dir.« Dann raste ich hinter dem unförmigen Schatten her, bekam ihn von hinten zu packen, als er sich durch die enge Pforte des Organisten zwängen wollte. Ich fühlte viel fettes, wabbeliges Fleisch zwischen den Fingern und musste derb zugreifen, bis der ›Schutzengel‹, der stets den Tod for derte, einen Quieker von sich gab. Die voll gefressene, juwelenbehangene Lady Isabel Randell hatte nicht vergessen, dass ich sie kürzlich Fettwanst genannt hatte. Jetzt, wo ich sie festhielt, spuckte sie mich an und keifte: »Dass ausgerech net ein schmutziger Mestize mich überführen musste...!« * 105
Ich brachte Glende in ihr Zimmer. Und dort musste ich erfahren, dass auch eine Handvoll Nylonwäsche die Brisanz einer mittleren Atombom be haben kann. Als der Hunger sich meldete, gingen wir nach unten. Spannung lag im Frühstücksraum. Sie zeigte sich an der Art, wie sie alle steif herumsaßen. Ich störte, indem ich Sir Bromfild das Tes tament nebst Anhang übergab, so dass Glendes Vater nunmehr das Erbe übernehmen konnte. Seine erste Amtshandlung bestand darin, die liebe, raffsüchtige Isabel Randell zum Teufel zu jagen, ohne sie allerdings anzuzeigen, denn das tun feine Leute nicht untereinander. Als dann einer mit einem Fotoapparat ankam und mein Magen immer lauter knurrte, bellte ich: »Legen Sie erst mal einen Film ein, Freund, auf dass es Ihnen nicht so ergeht wie Joe, dem Reporter.« Ich schielte Glende an. Die prachtvollste aller Komtessen schüttel te ihre Locken und flüsterte: »Wenn du jetzt Vater von uns erzählst, dreht er durch. Schließlich bin ich seit dem zwölften Lebensjahr Gilbert Lathrop versprochen. Du hättest nur eine Chance, wenn du den omi nösen Schatz findest.« »Schei...« Glendes zarte, kosende Finger schlossen meinen Mund. Ich wollte gerade Glende an den Tisch führen, als ich hinter mir eine leise, flüsternde Stimme hörte. »Sucht nicht, es bringt euch nur den Tod.« Ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass es die Geisterfrau, Lady Delia McWatford, gewesen war. Ende
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