Geisterfänger Band 7 Geister leben gefährlich von Gordon Walby ... denn sie sind verflucht bis in die Ewigkeit.
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Geisterfänger Band 7 Geister leben gefährlich von Gordon Walby ... denn sie sind verflucht bis in die Ewigkeit.
Am Himmel kroch das erste Hell empor. Bald würde die Sicht besser werden. Aber noch schützte der Nebel die verdammten Geister, die nur in Finsternis ihr gespenstisches Leben führen können. Aber nicht mehr lange... »Gespenster! Ha!« Ich erschrak nicht nur über meine eigene Stimme, die gesprochen hatte, ohne dass ich es wollte. Nein, ich erschrak über den huschenden Schatten, der über das flache Dach flitzte und genau wie ich, hinter einen der Kamine Deckung suchte. »Oh, verdammt.« Zu mehr reichte es bei mir nicht und die Frage bohrte weiter in mir, ob ich es wirklich mit Geistern zu tun hatte, Geistern, die allen menschlichen Wesen überlegen sind, weil sie die Gedanken derer erfassen können und schneller sind, als diese zu träumen wagen. Ganz unbewusst hatte ich den 45er schon in der Hand, drückte den Lauf gegen das Mauerwerk, um besser zielen zu können. Nichts rührte sich. Absolute Stille. Aber in meinen Ohren klingelte es, als hätte jemand meinen Namen gerufen. Als wäre nichts an meine Ohren gedrungen, sprang ich hinter meiner Deckung hervor, verharrte geduckt, den 45er im Anschlag. Gerade, als ich mich etwas entspannte und weitergehen wollte, traf mich eine Stimme. »Mestize, kehre um, solange noch Zeit ist.« Wie ein eisiger Hauch klang die Stimme. Sie hätte den Abgebrühtesten erschauern lassen. Noch sicherte ich nach allen Seiten, versuchte den Sprecher ausfindig zu machen, da gellte ein Schrei auf, verstummte wie abgeschnitten. Aber noch immer schien die Luft unter dem Grauen zu vibrieren, das daraus gesprochen hatte. Im Innern des Hauses musste sich jemand in größter Gefahr befinden. Es gab kein Halten mehr für mich. Wie ein angeschossener Büffel stürmte ich vorwärts, bereit, alles nieder zu rennen, was sich mir in den Weg stellen sollte. Da - ein Schatten. Am letzten Kamin! 4
Zielen, anlegen, schießen. Drei Dinge, die in eine fließende Bewegung übergingen. Und als der Donner des Schusses aufdröhnte, rannte ich weiter. Hinter dem Kamin befand sich nichts. Dafür lachte es meckernd hinter meinem Rücken. Ich merkte, wie meine Wangenmuskeln als dicke Knoten hervortraten. Wut schüttelte mich. In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich hinter einem Geist herjagte. Weit links, fast am Rand des Daches, stand eine wuchtige Gestalt. Schwarz war sie, kaum erkennbar. Das weiße Oval des Gesichtes leuchtete maskenhaft zu mir herüber. Endlich hatte ich die Dachluke gefunden, konnte ins Innere des Hauses steigen, da präsentierte sich dieser Sohn der Hölle in voller Größe, als wollte er mich abhalten, Sir Bromfild zu Hilfe zu eilen. Mich ritt beim Anblick des herrisch dastehenden Typs der Teufel. Ja, in diesen Sekunden der grenzenlosen Wut, die nur ein Gefoppter verstehen kann, war der Teufel selbst in mir. Verdammt, ich war so tollkühn und raste auf den Kerl zu, weil ich ihn vom Dach stoßen wollte. Dieser Höllengeist. Dieser verdammte Hundesohn... So richtig im Rasen, traf mich der Degenstich von hinten. Wieder einmal hörte ich es ratschen und mein Jackett war total im Eimer. Ein Könner hatte die Klinge geführt und meine Jacke in zwei Hälften geteilt. Ich schnappte nach Luft und bremste meinen Lauf. Wenn der Kerl gewollt hätte, ich wäre jetzt ohne Kopf gewesen. Als ich mich herumwarf, war niemand zu sehen. Dieser Höllenhund hatte sich in Luft aufgelöst. Aber da war ja noch sein Kumpan. Groß und mächtig, eine gewaltige Silhouette, ragte er vor mir im Morgennebel empor. Starr und ausdruckslos klotzte mich der Kerl an. Unwillkürlich musste ich an eine Killervisage denken. Solche Kerle töten einen und streicheln hinterher eine Frau, als wenn nichts geschehen wäre. Nicht mit mir. 5
»Pfoten hoch und kein Zucker mehr«, bellte ich heiser, machte mir doch der Anblick des schweigenden Recken, der mal eine große Nummer im Mittelalter gewesen sein soll, zu schaffen. Ich wusste von deren Heimtücke und Gefährlichkeit. Noch keine zwei Stunden war es her, dass er mir mit seinen Söhnen schon einmal auf den Leib rückte. Also hob ich den 45er unmissverständlich, bereit, den Lauf in den Magen des Kerls zu rammen, wenn dieser mich angehen sollte. Dieser gottverdammte Geist schwebte vor mir davon, als würden sich Balken in der Luft befinden. Dazu flatterte der schwarze Umhang, gab mir den Gedanken an eine riesengroße Feldermaus. Der Kerl aus dem O'Hara-Clan flüchtete vor mir und meinem Schießeisen ins Nichts, das ihm Schutz bot, wie ich mit eigenen Augen sehen konnte. Ganz allmählich senkte sich der Geisterkörper, glitt wie auf Totenschwingen nach unten. Ich musste mich weit über den Dachrand beugen, um ihn noch sehen zu können. Drei Stockwerke unter mir, schwebte er weiter der Tiefe zu. Fast wäre ich vom Dach gekippt, denn hinter mir dröhnte ein Lachen auf, so laut, dass mir fast die Trommelfelle platzten. Ich warf mich auf die Knie, kam aber nicht schnell genug herum. Das Lachen hatte verteufelt nahe geklungen. Wer auch immer es ausgestoßen haben mag, er musste dicht hinter mir stehen. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich einen Schatten über mich fallen, der länger und länger wurde, mächtiger und größer. Gleich musste der Tritt kommen, der mich in die Tiefe stürzte... Wer zuerst schießt, lebt länger. Also versteifte ich mich, spannte alle Muskeln, um den Tritt abzufangen. Aber ich stieß auch den 45er unter meinen linken Arm nach hinten und ließ den Hammer fallen. Mir blieb die Spucke weg. Mit der Schussexplosion kam das Lachen - und dann platzte der Geist im wahrsten Sinne des Wortes auseinander, löste sich in Nichts auf, war einfach verschwunden. 6
Ich brachte es nicht einmal fertig, die Trommel meines Colts neu zu füllen. Ich hockte mich nieder, wo ich gerade stand und steckte mir eine Zigarette zwischen die Lippen. Tief inhalierte ich den Rauch. * Als ich die Kippe austrat, wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich kletterte durch die Dachluke, gelangte auf den dunklen Boden, knipste kurz das Feuerzeug an und entdeckte die Tür. Leise drückte ich diese auf. Von unten vernahm ich Gemurmel. Ich ging vor bis zur Treppe und blickte hinab. Ich sah ein Podest im Winkel von neunzig Grad die nächsten Stufen - und keine Menschenseele. Ich setzte meinen Fuß auf die erste Stufe, sah die flüchtige Bewegung eines Schattens an der Wand unter mir und schrak zurück. Sie hatten im vierten Stock einen Wächter postiert. Es war ein mir schon bekannter Kerl im Flatterumhang. Er ging drei Schritte vor und drei Schritte zurück. In seiner Faust blinkte der blankgezogene Degen. Die Hölle über ihn. Er stand mir im Wege. Ich kletterte auf das Treppengeländer und ließ mich einfach auf ihn fallen. Mal sehen, ob er sich auch in Luft auflöst, dachte ich noch, aber da bekam ich schon Knochen und Muskeln zu spüren. Mit dem Instinkt eines Dschungeltigers ausgestattet, musste er meinen Angriff erahnt haben, denn er rollte den Buckel, so dass ich über ihn hinweg geschleudert wurde. Mein Schwung war so stark, dass ich eine geschlossene Tür mitgehen ließ und in das dahinter liegende Zimmer reinplatzte wie eine Granate. Des Satans Schergen mussten schon auf mich gewartet haben. Ich sah einen älteren Herrn geknebelt und gefesselt und halb in einen Teppich gerollt liegen - und drei von den furchtbaren Gespenstern, die ihr verlorenes Reich zurückerobern wollten. Der Clan-Boss stand neben der Tür. Als ich herein geschossen kam, schlug er hart zu. Hart und auf die richtige Stelle. Als ich mit verdrehten Augen zu Boden ging, kicherte einer der Galgenvögel. 7
Das Bewusstsein verlor ich nicht, doch ich war gelähmt. Der hinterhältige Schlag musste einen bestimmten Nerv getroffen haben. Ich sah, wie O'Haras den gefesselten Mann, sicher Sir Bromfild, wegschleppten und musste noch von dem zurückgebliebenen Gespenst einen Tritt einstecken, bevor sich dieser dann auch entfernte. Lange Zeit lag ich so da. Erst, als stechender Schmerz meinen Körper durchraste, wurde ich nach und nach Herr meiner Glieder. Ich massierte die schmerzende Stelle und hoffte dabei, nichts ernstliches davongetragen zu haben. Erst dann sah ich mich um. Das Zimmer, ein kostbar eingerichteter Büroraum, war von oben bis unten durchsucht worden. Keinen Schub, kein Fach hatte man ausgelassen. Sogar die teure Ledergarnitur, Sessel und Couch, hatte man aufgeschlitzt. Mein Blick blieb an der Hausbar hängen. Ich konnte nicht widerstehen und goss mir einen Cognac ein. Allmählich besserte sich mein Zustand. Gerade, als ich mir nochmals einschenken wollte, schrillte das Telefon. Ich steckte mir eine Zigarette an und starrte auf den Apparat. Noch immer läutete es. Ein innerer Zwang ließ mich zugreifen. Ich klemmte den Hörer ans Ohr und sagte: »Ja, bitte?« »Du scheinst härter zu sein, als wir annahmen«, tönte es mir entgegen und endete in einem rohen Lachen. »Oh, verdammt, seit wann können Geister telefonieren?«, entfuhr es mir. Das Lachen brach ab. Eine ganze Weile war es still. Nur heftiges Atmen drang an mein Ohr. Dann, leise und eiskalt: »Geh zurück aufs Dach und springe herunter. Es ist der einfachste Weg.« Drohungen bekam ich schon genug in meinem Leben zu hören. Ich nahm sie immer ernst, ohne dass ich sie überbewertete. Diese Drohung aber war anders... Bei Manitou, dem Gott aller Indianer, es war meine eigene Stimme, die aus der Muschel des Telefons drang. Ich, Paco Sheehan, befahl mir, vom Dach zu springen. 8
* Ich hätte einen Butler oder eine Zofe erwartet, aber gewiss nicht damit gerechnet, dass mir eine solche Schönheit die Tür öffnete, nachdem ich den schweren Türklopfer bedient hatte. Sie hatte strahlende grüne Augen, rotes Haar und einen braunen Teint, der nicht nur ihre Augen vor allem auch ihren vollen, leuchtenden Mund deutlich unterstrich. Sie lächelte und fragte: »Sie wünschen?« Ich lächelte zurück und sagte: »Mein Name ist Sheehan. Ich möchte Mr. McWatford sprechen.« Der plötzlich, erschreckte Ausdruck eines Tieres, das überrascht wird, stand in ihrem Gesicht. Schnell aber fasste sie sich wieder, sagte überlegen lächelnd: »Es gibt mehrere McWatfords.« »Den Boss«, verlangte ich mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Mein Großvater, Zeb McWatford, wurde vor drei Stunden begraben. Sie kommen zu spät, Mr. Sheehan.« Mir wurde trocken im Mund. Das war schon eine Handvoll. »Mein Beileid«, sagte ich und deutete eine Verbeugung an. Heimliche, verstohlene Blicke glitten über mich hinweg, blieben an meinem Gesicht hängen. Ich hätte etwas dafür gegeben, wenn ich die Gedanken des Mädchens, das schon eine Frau war, hätte erraten können. Lange Wimpern bedeckten die Augen, von denen ich nur schmale Schlitze zu sehen bekam. Wie bei einer Katze. »Danke.« Knapp und kurz angebunden kam es und es klang wie:
Nun ist es genug, hau endlich ab!
Dieses Mitglied der obersten schottischen Gesellschaft kannte meine Zähigkeit nicht. Ich fragte und lächelte weiter: »Sicher gibt es einen Nachfolger, Miss...?« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ungeduldig stieß sie hervor: »Das ist einzig und allein unsere Angelegenheit.« »Aber, aber, warum gleich so böse?« »Ich mag keine Reporter.« 9
»Sie können wählen zwischen zwei Übeln«, schlug ich vor und ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen, sondern erklärte: »Erstens: Ich bin Privatdetektiv und von Sir Bromfild, dem Notar, engagiert. Sie sehen, ich habe allen Grund, das neue Familienoberhaupt zu sprechen.« Ich zündete mir eine Zigarette an, tat den ersten Zug und stieß den Rauch durch die Nasenlöcher aus. Dabei registrierte ich den überraschten Ausdruck in dem schönen Gesicht der rassigen Frau. »Well, zweitens: Sir Bromfild wurde vor meinen Augen entführt - von den O'Haras! Sie warten vergebens auf die Testamentseröffnung, Miss...?« »Glende, Glende McWatford«, kam es fast tonlos über die schön geschwungenen Lippen. Sie hatte leise gesprochen. Ein unruhiger Glanz lag in ihren grünen Augen und dunkle Schatten entstellten ihr so plötzlich verkrampftes Gesicht. Es scheint doch etwas am Gerede der Leute zu sein, dachte ich, denn Glende zeigte offen ihre Angst, die mit dem Namen O'Hara gekommen war. Dass sie mich jetzt erst recht nicht losbekommen sollte, stand bombenfest. »Glende«, sagte ich. »Der Name ist so schön wie seine Trägerin und auch so geheimnisvoll...« Sie ging nicht auf das plumpe Kompliment ein, fragte statt dessen: »Sie sahen wirklich die O'Haras, Mr. Sheehan?« Rings um mich waren Mauern. Ich stand in einem kleinen kahlen Hof. Die schwere Eichentür stand offen. Sehen konnte ich nichts, denn in dem dahinter liegenden Gang war es dunkel. Aber ich roch den Reichtum der McWatfords. Altes Holz, Leder, aber auch Glendes teures Parfüm. Alles stank nach Geld. Und mich ließ man in einem nackten, mit Katzenköpfen bepflasterten Hof stehen. »Ich sah sie wirklich«, erklärte ich. »Zwei von ihnen wollten mich mit ihren Degen durchlöchern. Es sind vier wilde Gesellen.« »Vier?« Glendes Hand flog an den Mund, ihr Atem stockte. Zwei harte Explosionen, doppelt und dreifach von den hohen Hofmauern zurückgeworfen, schnitten jedes weitere Wort ab. Direkt 10
hinter mir summten die Querschläger bösartig durch die Luft, bevor sie sich in die Hauswand bohrten. Das waren keine Schüsse aus einer modernen Pistole. Dem lauten, trockenen Knall nach zu urteilen, wurde mit Steinschlosspistolen geschossen. Waffen des Altertums... Die O'Haras! Vier 9-mm-Kugeln rasten auf die Stelle zu, an der ich den Mordschützen vermutete. Irres Gelächter antwortete. Also doch die O'Haras... Ich schlug die Tür hinter mir zu. Weiche Arme legten sich um meinen Hals. Dann kam der Mund, feucht und warm. Glendes Lippen fühlten sich wie Fackeln an. Ich hatte nichts dagegen und fasste nach ihrer Taille und drückte sie fest an mich. Wann hat unsereins schon mal die Gelegenheit, eine echte Komtess zu küssen? »Du verdammter Indianer«, sagte sie, schwer nach Atem ringend und versuchte, der Entklammerung zu entfliehen. »Du hast mir das Leben gerettet, dafür küsste ich dich. Mehr ist nicht drin.« »Indianer?« »Du bist doch einer. Keiner hat so rabenschwarzes Haar, so eine scharf geschnittene Nase, solch hohe Wangenknochen und so...« Ich zog sie fester an mich - und ich küsste sie wieder. Der anfängliche Widerstand erlahmte schnell; ich hatte ein anschmiegsames, weiches, braves Kätzchen in den Armen, das sogar schnurren konnte. Zum Teufel, hastige Schritte rissen uns auseinander. Glende fummelte gerade in ihrer zerzausten Frisur herum, als grelles Licht uns blendete. Eine scharfe Stimme schrie: »Miss, hat Sie der Kerl...?« Mitten im Satz brach das Gefasel ab, mit einem resignierten Seufzer. Der Bursche musste meinen Colt gesehen haben. »Nimm das Licht weg«, knurrte ich. Der Strahl wanderte zur Wand. Da heulte auch schon Glende auf: »John, draußen sind die O'Haras. Man hat auf mich geschossen.« »Ich, ich hole Hilfe«, stotterte die vordem so scharfe Stimme. 11
Ich schnitt ihr das Wort ab. »Zu spät, mein Lieber. Meinen Sie, diese Verdammten warten, bis alles zusammengelaufen ist? Wer sind Sie überhaupt?« Statt seiner antwortete Glende: »John ist unser Butler und wenn Sie weiter so unverschämt fragen...« Sie kam nicht mehr dazu, ihre Drohung zu vollenden. Plötzlich trommelten harte Fäuste gegen die Türfüllung. Dazu kam eine Stimme auf, schneidender wie ein Buschmesser. »McWatford, hörst du mich? Ich und meine drei Söhne sind gekommen, unser Eigentum zurückzufordern. Wenn du dich weigerst, das Gestohlene herauszugeben, rotten wir deine ganze Sippschaft aus. Dich aber, McWatford, werden wir bei lebendigem Leibe verschütten. Dir soll es nicht anders ergehen, als es uns erging.« Plötzlich herrschte Schweigen... aber kein bedrückendes diesmal. Dieses Schweigen war spannungsgeladen, pulsierend, vor Elektrizität knisternd. Ich riskierte es und riss die Tür auf. Nichts zu sehen. Das verdammte Gespenst hatte sich entmaterialisiert. * Man ließ mich nicht mehr gehen. Glende meinte, ihren Lebensretter vorstellen zu müssen. Also stiefelte ich hinter dem Butler her, der steif vor mir daher schritt. Noch ein ganzes Stück von der Doppeltür entfernt, drang das Gemurmel vieler Menschen an meine Ohren. Es summte und brummte wie in einem Bienenstock. Wenige Schritte vor der Tür blieb Glende stehen. Sie trat nahe an mich heran, dass ich den Druck ihrer festen Brust an meinem Arm spürte. »Mr. Sheehan«, flüsterte sie. »Da drinnen werden Sie Gilbert Lathrop kennen lernen. Kein Wort von dem, was zwischen uns vorgefallen ist, bitte. Ich, ich soll einmal seine Frau werden...« Schöne Schweinerei, dachte ich, Geld soll zu Geld kommen. Laut sagte ich: »Unter einer Bedingung.« 12
Glende zog die rechte Augenbraue in die Höhe. »Ja?« Ich verkniff mir ein Lächeln und stellte meine Bedingung. »Sie sagen mir hier und jetzt, was es mit den O'Haras auf sich hat.« Die Haut über ihren hohen Wangenknochen spannte sich. Nach einem Augenblick des Besinnens meinte sie: »Ist das so wichtig?« »Von größter Wichtigkeit sogar.« »Nun gut. Es fing an, als bekannt wurde, dass Großvater unheilbar erkrankt war. Immer meldeten sich Stimmen, ohne dass jemand zu sehen war. Die Stimmen behaupteten - Sie hörten es ja eben selbst -, dass einer unserer Urahnen die O'Haras ein Haus gelockt hätten. Man sagt, er soll mit ihnen in den Keller gegangen sein, wo er sie einsperrte, bis sie umkamen...« »Mehr nicht?« Ich war enttäuscht. So viel Gewalt, wegen unbeweisbarer Geschehnisse, die mindestens dreihundert Jahre zurücklagen. »Sie sind gut«, fauchte mich Glende an. »Lassen Sie sich mal Tag und Nacht bedrohen.« Was sollte ich ihr darauf antworten? Ich steckte ja selbst schon mit in diesem Schlamassel. Ich packte ihren weichen warmen Arm und drückte ihn. Röte schoss in ihr Gesicht. Da sauste ein großes, schwarzes, zottiges Ungetüm knurrend um die Ecke und sprang John, den Butler, an. Lange weiße Fangzähne blitzten in einem roten Rachen, näherten sich dem Hals des Mannes. Im Einsatz trage ich immer ein Messer in der Nackenscheide. Es hat mir schon oft geholfen, besonders, wo es unsichtbar unter der Jacke verborgen ist und wer vermutet schon ein indianisches Wurfmesser bei einem Stadtmenschen? Ich packte den Griff. Die Klinge glitt leicht aus der gefetteten Lederscheide. Meine Hand befand sich noch in Nackenhöhe und doch spannten sich schon die Muskeln. Dann warf ich, sah, wie die Klinge blitzend auf das schwarze Ungeheuer zuraste, sich in das zottige Fell bohrte. Die Fangzähne klappten zusammen wie ein Schnappschloss, knapp vor Johns Hals. Ein winselnder Laut noch und der Wolfshund lag verendet auf dem orientalischen Läufer. 13
Glende kippte lautlos um. Ich konnte sie noch auffangen und bettete sie an meine Brust. Ihrem Haar entströmte ein Duft, der mich an wilde Veilchen erinnerte. Der Butler, kreidebleich, keuchte: »Sir, wenn Sie nicht gewesen wären...« Ich spürte, wie mich die Spannung packte. »Wem gehört denn das Vieh?«, fragte ich. Er zuckte beredt die Schultern. »Das Tier kenne ich nicht - aber die O'Haras sollen immer schwarze Hunde gezüchtet haben.« »Ach, nee...« »Doch, doch, Sir. Das stimmt wirklich. Sie müssen wissen, Sir McWatford besitzt die Chronik über diese Burg, die einmal den O'Haras gehörte. Da steht alles genau beschrieben.« Schöne Schweinerei! Sollte tatsächlich an dem Spuk etwas Wahres sein? »All right, John. Sie holen jetzt am besten was Scharfes zu trinken, für sich selbst und die kleine Miss.« Hinter dem Butler drängten eine Menge Leute, alle schwarz gekleidet, einige laut schreiend, andere ängstlich auf den toten Wolfshund schielend, um dann zurückzuweichen. Nur zwei ältere Personen trauten sich näher. Eine Frau um die Fünfzig. Es musste sich um Glendes Mutter handeln, denn die Frau schrillte sofort: »Mein Kind, was ist mit dir? Wer hat dir etwas getan?« »Nichts ist passiert, Lady«, erklärte ich, ohne Glende von meiner Brust zu lassen. »Lassen Sie mal John ran, der hat den richtigen Muntermacher bei sich.« »Sehr wohl«, tönte des Butlers kultivierte Stimme neben mir. Ich nahm den Schnaps ab und flößte ihn Glende ein. Sie öffnete die Augen, ihr Gesicht, weiß wie Papier, glänzte silbern vor Schweiß. »Ist - ist er weg, Mr. Sheehan?« »Aber sicher doch. Der beißt keinen mehr.« »Es war einer von O'Haras in Höllenhunden«, flüsterte Glendes Mutter erstickt und griff entschlossen nach ihrer Tochter. 14
Ich konnte die schöne Komtess nicht mehr an meiner Brust halten. Doch gerade, als ich sie losließ, dröhnte ein schauriges Gelächter auf. Als alles steif vor Angst wurde, kicherte die messerscharfe Stimme: »Einen habt ihr töten können. Aber wir besitzen eine ganze Koppel. Glaubt nur nicht, dass wir auf unsere Forderung verzichten.« Dann Stille, erregende Stille, die kaum noch erträglich war, geradezu gespenstisch wirkte bei der Vielzahl der Trauergäste. Ich fixierte den Mann, der jetzt Glendes Hand hielt. »Sir McWatford?« Er nickte, wandte aber schnell den Blick ab. Sonnengebräunt waren wir beide, aber meine Haut war von noch tieferem Bronzeton als seine. Ich sah aus wie ein großer, zivilisierter Teufel. Er musste den Mestizen in mir erkannt haben. Ich klappte meine Brieftasche auf, damit er meinen Ausweis bewundern konnte und dabei erhaschte er gleich auch einen Blick auf den 45er in meinem Gürtelhalfter. Er nickte wieder, die Augen ein wenig zusammengekniffen und starrte mich an. Als ich den Blick nicht senkte, atmete er tief und geräuschvoll aus und sagte in einem Ton, der für Lakaien angebracht war: »Willkommen auf Castle Deer Abbey, Mr. Detektiv, oder muss ich Schnüffler sagen?« Ich hatte schon ein paar kräftige Worte auf der Zunge, als Glende ihrem Vater zurief: »Dad, Mr. Sheehan rettete mir das Leben - und er ist gekommen, weil die O'Haras Onkel Edward entführten.« Sie sagte Onkel zu Sir Bromfild, dem Familiennotar. Ein schöner Zug, der aber von ihrem Vater, dem zukünftigen Erben von Deer Abbey Castle, total zerstört wurde. »Aah, Sie arbeiten für Bromfild? Fein. Bromfild gehört uns, mit Haut und Haaren, also werden auch Sie für uns arbeiten. Ihre Aufgabe wird sein...« »Die O'Haras zurück in die Hölle zu befördern«, unterbrach ich das protzige Gerede und fühlte, wie eine kalte Wut in mir aufstieg. Man gab mir die Ehre, den Saal zu betreten, der voller Trauergäste an drei langen Tafeln war. Bei meinem Eintritt verstummte das Gemurmel. 15
Ich befand mich auf dem reichsten Landsitz Schottlands, schlenderte zwischen millionenschweren Männern umher, die beim Trinken genauso schlürften wie ich. Nach dem dritten Whisky, die gefüllten Tabletts wurden massenweise herumgetragen, stach mich der Hafer. Ich schlängelte mich durch die Reihen und konnte alsbald hinter dem reichen Gilbert stehen, der seit dem zwölften Lebensjahr Anspruch auf Glende erhob. Das Bürschchen in Dunkelblau mit Luchsaugen und Bürstenschnitt blickte auf, lehnte sich in seinem Sessel zurück, zog eine Banknote aus der Westentasche und sagte: »Hier, nehmen Sie, Indianer. Sie haben schließlich Glende und John das Leben gerettet. Gute Arbeit.« Ich produzierte den Schatten eines Grinsens und sagte laut: »Behalte dein Geld - Drecksack!« Sie alle waren Mitglieder des gleichen Clubs - des Clubs der Mächtigen. Außerdem gehörten sie alle mehr oder weniger dem McWatfordClan an. Und doch rührte keiner einen Finger für Gilbert Lathrop. Nur eine der fetten Erbtanten quiekte: »Sie unverschämter Kerl. Verlassen Sie sofort Deer Abbey Castle!« Glende maß mich mit einem verdutzten Blick, bevor sie laut, für alle verständlich, sagte: »Mr. Sheehan bleibt hier. Er ist unser Gast.« Sofort fixierten mich Gilberts Luchsaugen mit einem ironischen, geheimnisvollen und bedeutungsvollen Ausdruck. Ich spürte, dass er fast verging vor Lust, mir ins Gesicht zu schlagen. Doch er tat und sagte nichts. Statt dessen sah ich sein Gesicht weiß wie eine gekalkte Wand werden, sah das plötzliche Zittern seiner Hände, die er ins Tischtuch krallte und den starren Ausdruck seiner Augen, die etwas Furchtbares gesehen haben mussten oder noch sahen. Ich folgte seinem Blick. Schreck durchfuhr nun auch mich, als ich an der gegenüberliegenden Wand ein Flimmern entdeckte, das zuerst ganz schwach, dann immer stärker wurde. 16
Nur Sekunden benötigte ich, um zu reagieren. Sofort sprang ich über die reich gedeckte Tafel. Der Tisch kippte mit all den Köstlichkeiten um. Scherben klirrten und Menschen schrieen hysterisch auf. Bewegungslos stand Reginald McWatford neben seiner Frau Cesare. Er wagte nicht einmal richtiggehend zu atmen. Das Gekreische aus vielen Kehlen schwoll an, vermischte sich mit dem Fußgetrappel Flüchtender, die den Saal verlassen wollten. Eisige Angst hatte die Trauergäste gepackt, die Zeb McWatford die letzte Ehre erwiesen hatten und nun das Totenmahl einnehmen wollten. Die Angst artete in Panik aus. Dann wurde es totenstill. Ich hatte den Colt gezogen und eine Kugel in die Decke gejagt. Hätte ich es nicht getan, die Leute würden sich tot getrampelt haben. Denn schlagartig war das Flimmern in der Wand verschwunden. Eine dunkle Gestalt stand plötzlich da, aufgetaucht aus dem Nichts. Ein Dreispitz verdeckte die oberen Teile des Gesichts und ein weiter schwarzer Umhang verbarg den Körper des seltsamen Wesens. Mit über der Brust verschränkten Armen ging die Gestalt auf Glendes Eltern zu. Zwangsläufig musste sie nahe an Wade Horthen vorbei, dem Polizeichef von New Pitsligo. Alle nannten ihn Schmerbauch, was auch, äußerlich gesehen, zutraf. Ich aber wusste, welche Kräfte in dem Mann steckten. So verwunderte es mich nicht, dass Horthen steif verharrte, als habe ihn der Schreck gelähmt. Doch als das Gespenst, das aus der Wand kam, an ihm vorbeiging, schnellte sein Arm hoch. Die Hand war ausgestreckt und gespannt und der Handkantenschlag traf richtig platziert den Hals. Die mittelalterliche Gestalt blieb ruckartig stehen. Langsam drehte sie sich Horthen zu. Ebenso langsam kam ein weißer Arm unter dem Unhang hervor, glitt nach oben und schob den Dreispitz zurück. Zum Vorschein kam das Gesicht eines Toten. Ein Stöhnen ging durch die vielen Trauergäste. Nur Gilbert Lathrop, das reiche Muttersöhnchen, schrie voller Angst: »Die O'Haras. Rette sich, wer kann!« Er machte zwei, drei Sät17
ze in Richtung Tür, sah nicht einmal Glende an, die wie versteinert dastand; er dachte nur an sich. Aber er kam nicht weit. Stand doch da Joe, ein Reporter des New Morning und stellte ihm ein Bein. Als Gilbert krachend unter einem Tisch landete, besaß Joe die Nerven, ein Blitzlicht auf den Schönling und ein weiteres auf den Geist abzuschießen. Der Polizeichef von New Pitsligo wagte sich nicht zu rühren. Ein bleicher Totenschädel grinste ihn an... Leere Augenhöhlen begannen ihn zu fixieren. Der Knochenmann stieß Horthen vor die Brust, so stark, dass dieser schwere Mann ein paar Meter zurücktaumelte. Ein kaltes Lachen ließ alle schaudern. Den Schweiß trieb die kalte Stimme aus den Poren. »Ihr redet euch ein, wir, die O'Haras, existieren nicht. Hoho und wie wir das tun. Seht mich an!« Lady Cesare McWatford kippte lautlos zur Seite. Der Schreck, die Angst ließen sie ohnmächtig werden. Ihr Gatte, Reginald McWatford, der sich des reichen Erbes sicher war, kam nicht dazu, seiner Frau zu helfen. In einer blitzschnellen Drehung hatte das Gespenst den eingeschüchterten Burgherrn gepackt und zu sich herangezogen. Starr war der Blick der leeren Augenhöhlen, unbeweglich das Loch des Mundes. Und doch drangen hasserfüllte Worte hervor. »Du Nachkomme einer räuberischen Bande weigerst dich beharrlich, das Geraubte an uns zurückzugeben. Dreihundert Jahre habt ihr euch an meinem Vermögen gemästet. Du wirst jetzt ein Papier ausstellen, aus dem hervorgeht, dass du allen Besitz an uns, den O'Haras, überschreibst.« »Niemals!«, stieß er hervor. Wie lächerlich und hilflos seine Ablehnung klang, bewies das Lachen des alten O'Hara, der gekommen war, seine Forderung zu stellen, wenn es sein musste - mit Gewalt. Ich sah alles wie einen Film vor mir abrollen. Noch immer hielt ich die 45er in der Faust, wagte es nur nicht zu schießen, weil einige Leute zwischen mir und dem verdammten Geist standen. 18
Mein Blick traf sich mit dem des Polizeichefs. Der Mann war waffenlos zur Beerdigung gekommen. Er nickte unmerklich. Ich kniff ein Auge zu und signalisierte: Verstanden. »Sir, ich würde auch keine Verzichtserklärung unterschreiben«, sagte ich laut und deutlich in das beklemmende Schweigen. Nur ganz wenig wendete das Wesen aus dem Schattenreich den Kopf nach mir. Seine schwarze Seele war kalt und glatt wie eine Stahlklinge. Angst schien ihm ein Fremdwort zu sein. Wütend grollte es: »Paco Sheehan, den man Black Lobo nennt. Du hast meinen Lieblingshund getötet. Wenn ich mit dem Kerl hier fertig bin, kommst du dran.« Ich fühlte einen starken Druck in der Magengegend. Die Szene hatte etwas Unwirkliches an sich, erschien mir geradezu irreal. Da war einer seinem Grab entsprungen, um materielle Forderungen zu stellen und scheute sich nicht, einen Saal zu betreten, in dem über hundert Menschen versammelt waren, die Zeb McWatford zu Grabe getragen hatten. Bei mir hakte etwas aus. Impulsiv erwiderte ich: »Keinen wirst du dir mehr vornehmen, wer immer du auch bist. Ich lasse dich nicht einmal mehr verschwinden, Freundchen. Deine Zeit ist abgelaufen.« Der Unheimliche in dem schwarzen Umhang, schien unbeirrbar. Langsam, mit verschränkten Armen, was seine Überlegenheit dokumentieren sollte, kam er auf mich zugeschritten. Nun befand sich niemand mehr zwischen dem sichtbar gewordenen Geist und mir. Und die noch im Wege standen, wichen zurück und ergriffen die Flucht. Ich stand allein einem Wesen gegenüber, dem der Hauch des Todes anhaftete. Ich schoss. Die Kugeln rissen Löcher in den Stoff des Umhangs. Bei jedem Treffer war mir, als prallten die Kugeln ab. Henry O'Hara, der seinem Grab entflohen war, zeigte keinerlei Wirkung, als schützte ihn eine Panzerweste. Zielstrebig kam der Geist näher. Schweiß trat mir auf die Stirn. Mein Leben schien ernstlich in Gefahr, denn der Colt hatte versagt. 19
Plötzlich schoss das Gespenst nach vorn, die bleichen Arme weit vorgestreckt. Ich wollte ausweichen, doch eine Hand umklammerte mein Fußgelenk. Meine Abwehrreaktion kam deshalb zu spät. Ich sah das teuflische Grinsen im verzerrten Gesicht von Gilbert Lathrop. Dieser Hundesohn lag, am Boden und schien den Zeitpunkt der Rache für gekommen. Wie Schraubstöcke legten sich die bleichen, knöchernen Hände des Geistes um meinen Hals. Unbarmherzig drückten sie zu. Verzweifelt versuchte ich, den Todesgriff zu lösen. So sehr ich mich auch wand, es gab kein Entrinnen. Ich war dem Knecht der Hölle voll ausgeliefert. Die Luft wurde knapp und ich meinte, mir quellten die Augen aus den Höhlen. In meinen Ohren begann es zu rauschen. Der Todesgriff lockerte sich für einen Augenblick. Ich spürte, wie die Luft in meine Lungen drang. Da ich nun fest auf beiden Beinen stehen konnte, war es leicht, ein wenig Distanz zu gewinnen, die mir Gelegenheit gab, meine Hände zwischen die klammernden Arme des Gespenstes zu bringen. Langsam verstärkte ich den Druck, der die Todesklammer sprengen sollte. Ich fühlte, wie meine Adern anschwollen und wie die Hitze in mein Gesicht schoss. Aber das Untier von einem Ritter besaß die Kraft eines Bären. Also zog ich nochmals mein Knie hoch und presste gleichzeitig meine Unterarme gegen die Baumstämme des irischen Rächers. Jetzt brüllte der Kerl und sein Brüllen schallte schaurig in dem Festsaal wider. Und er torkelte zurück. Ich setzte nach und trieb das Ungeheuer mit Fußtritten vor mich her. Ich wollte es zurück in die Hölle jagen, aus der es entsprungen war. Aus den Augenwinkeln heraus nahm ich eine Bewegung wahr. Gilbert Lathrop hatte sich schwankend erhoben und war im Begriff, mich mit einem Stuhl anzugehen. Unwillkürlich fragte ich, warum ausgerechnet dieses steinreiche Jüngelchen dem unseligen Geist zu Hilfe 20
kam. Rache an mir hätte er zu jedem anderen Zeitpunkt nehmen können. Da sprang Glende wie eine Katze ihren Zukünftigen von hinten an. Ich hörte den Halunken schreien, als lange, spitze Fingernägel in sein Gesicht fuhren. Man soll niemals den Gegner aus den Augen verlieren. Ich hatte zu sehr auf Gilbert geachtet und das wäre mir um ein Haar zum Verhängnis geworden. Denn in diesem Augenblick der Unaufmerksamkeit griff der Knochenmann wieder an. Plötzlich hatte er einen Dolch in der Hand, mit dem er weit ausholte. Sirrend flog die Waffe auf mich zu. Aber ich reagierte schneller und warf mich zur Seite. Haarscharf zischte die Klinge an meinem Kopf vorbei und bohrte sich in die Rückenlehne eines Stuhls. Das Gespenst brüllte vor Wut und Enttäuschung auf. Im gleichen Augenblick spaltete sich die Wand. Hervor stürzten die drei Söhne des alten O'Hara. Jeder der kräftigen Männer hielt seinen Degen gezückt. Die blanken Klingen schirmten den Vater ab. Die Spannung in mir wuchs, kroch mir kalt den Rücken hinauf. Keiner der vielen Trauergäste rührte sich. Ich stand allein den vier O'Haras gegenüber. Die urwüchsigen Burschen fackelten nicht lange, stürmten auf mich los wie Luzifers Höllenscharen, bereit, mir die Klingen in die Brust zu stoßen. Das Erscheinen der drei O'Hara Söhne geschah so unerwartet, dass ich wertvolle Sekunden verlor. Als ich endlich zu einer Reaktion bereit war, blitzten schon die Degenklingen knapp vor meinem Gesicht auf. Ein paar fette Weibsleute kreischten wild und hysterisch. Es klang eher wie Sensationsgelüste. Denn gleich würde meine Hinrichtung nach alter Ritterart erfolgen. Mich störte nur, dass ich der Delinquent sein sollte. Ein grelles Licht, links von mir, blendete mich. Hatte der Blitz eingeschlagen? 21
Doch ich hörte kein Donnergrollen. Aber der weiße Blitz hatte die angreifenden O'Haras gebannt. Stumm standen sie da und starrten in die Richtung, aus der es geblitzt hatte. Ich weiß nicht, warum ich stehen geblieben und nach dem Messer in der Nackenscheide gegriffen habe. Heldentum war es bestimmt nicht. Eher schon Trotz. Aber noch bevor die schrecklichen Gestalten aus ihrer Erstarrung erwachten, blitzte es wieder auf. Jetzt glaubte ich selbst nicht mehr an Blitz und Donner, noch an magische Sperren, denn ich sah Joe, den Reporter, neben mir, der mit Sensationslust den Auslöser seiner Kamera drückte. Geister auf ein Bild zu bannen, würde für ihn alles bedeuten. Um es kurz zu machen. Die horrorartigen Gespenster scheuten das grelle Licht, wichen zurück und knurrten dabei wie ein Rudel hungriger Wölfe. Das gab mir Auftrieb. Ich stürzte vor und meine Rechte kam von unten herauf. Sie kam ohne jeden Ansatz, ohne Warnung - und sie kam unheimlich schnell. Meine Faust bohrte sich in den Magen des alten O'Hara, stieß ihn gegen die Wand und wirkte wie ein Huftritt. Obwohl er ein harter Bursche war, musste er auf die Knie nieder. Er konnte einfach nicht mehr stehen. Zur gleichen Zeit trat Joes Kamera in Aktion. Dreimal blitzte das Ding auf und ich hörte es klicken, als der Filmraster arbeitete. Aber das Blitzlicht blendete mich derart, dass ich die Augen schließen musste. Bevor ich die Augen wieder öffnete, drang das große Stöhnen an meine Ohren. Die vielen Trauergäste mussten etwas Erregendes gesehen haben. Und so war es auch. Der O'Hara-Clan, Vater und drei Söhne, war durch die Mauer verschwunden. Ich entdeckte Minuten später die Geheimtür und lauschte in den großen schwarzen Gang, aber mir schlug nur verbrauchte Luft und Stille entgegen. 22
Meine ganze Hoffnung setzte sich auf die, Bilder, die Joe geschossen hatte. Doch als dieser mir die schwarzen Negative zeigte, begann ich an Geister zu glauben. Schließlich ist bekannt, dass sich Geister und Gespenster nicht fotografieren lassen, noch dass ihr Bild in einem Spiegel erscheint. * Grau war der Himmel. Wie eine schmutzige Decke spannte er sich über Deer Abbey Castle. Die Wolken ballten sich zusammen und ließen die aufgehende Sonne nicht durchdringen. Nebel hing in der Luft. Als ich mich anschickte, den Sandweg hinaufzusteigen, der zum ehemaligen, jetzt verfallenen Frauenhaus führte, nahm ich zu meiner Linken eine Bewegung wahr. Das Gelände hier war üppig mit Büschen und Bergkiefern, Pamen und Philodendron überwuchert. Halb links von mir stand eine Gruppe von drei Fichten und dort, so schien es mir, hätte sich etwas bewegt. »Mr. McWatford, Sir? Sind Sie da?« Es kam keine Antwort. Aber ganz bestimmt bewegte sich dort etwas. Es bewegte sich so schnell, dass es kaum wahrzunehmen war und von mir fort. Ich strengte meine Augen an und erkannte undeutlich die Gestalt einer schmalen Person, die vornüber geneigt den Berg hinauf auf das Plateau zulief, das sich vor den Trümmern des ehemaligen Frauenhauses auftat. Ich lief schneller, getrieben von dem Willen, dieser Person ins Gesicht zu schauen. Der Pfad wurde steiler und mir die Luft knapp. Ich keuchte und schwitzte. Trotzdem meinte ich, Hufgetrappel gehört zu haben. Aber es musste eine Täuschung gewesen sein, denn als ich kurz anhielt, umgab mich Stille. Aber schon beim ersten vermeintlichen Geräusch spürte ich jenes prickelnde Gefühl, das Gänsehaut produziert. Etwas war im Busch... Es dauerte nicht lange, kaum so lange, wie man braucht, um eine halbe Zigarette aufzurauchen. Da teilten sich die tief hängenden Zweige einer Fichte. Zu sehen war noch nichts, aber ich wusste, dass ich aus dem undurchdringlichen Grün heraus beobachtet wurde. Ich schob 23
die Hand unter das Jackett und legte sie um den Knauf des Colts, der im Gürtelhalfter steckte. Dass ich diesen Freund bei mir hatte, verstärkte meine Sicherheit. Vorsichtig, die Augen nicht von der Stelle nehmend, an der sich soeben etwas bewegt hatte, ging ich näher heran. »Du, Onkel, komm schnell unter die Zweige.« Ich war wie elektrisiert. Die helle Stimme kam zwischen den Zweigen hervor und sie klang gepresst, geängstigt, ein Wort stieß an das andere. »Heiliger Strohsack«, entfuhr es mir. »Wer bist du und was suchst du hier? Warum, zum Teufel, warnst du mich?« Die Augen wurden noch größer und blieben an meinem Colt hängen. Anfangs achtete ich nicht darauf, denn ich lauschte auf das Nahen der Reiter. Das Hufgetrappel war verklungen. Es herrschte wieder Stille. Also legte ich den Colt auf den Teppich aus Fichtennadeln und betrachtete mir den Kleinen genauer. Er gefiel mir und ich wiederholte meine Frage. Mit einer seltsam eintönigen Stimme, wie ein Medium unter Hypnose, stammelte er: »Ich bin Thomas Torry. Ich reiße immer meiner Mutter aus und komme hierher zur Burg, weil es hier viel Wild gibt, das ich gern beobachte.« »Ah, ja. Und deine Mutter will das nicht?« »Nein. Sie sagt, die McWatfords, denen das hier alles gehört, sind böse Menschen.« »Einer von denen hat dich wohl mal verjagt, wie?« »Nein, Sir. Ich verstecke mich, weil da fremde Männer sind. Sie reiten durch den Wald und machen Jagd auf jeden, den sie sehen...« »Hirschhatz?« Der kleine Thomas schüttelte heftig den Kopf. »Sie jagen Menschen, Sir.« Mir blieb die Spucke weg und es dauerte Sekunden, bis ich gezielt fragen konnte: »Wie sehen diese Männer aus?« »Kannst du gut mit dem Colt schießen?«, kam die Gegenfrage. 24
»Bisher habe ich immer getroffen«, antwortete ich mit einem verlegenem Lächeln, denn mir fiel ein, dass ich mit der entsicherten Waffe auf den kleinen Kerl zugegangen bin. Der Kleine grinste plötzlich und sagte auf einmal mit völlig freier Stimme: »Du bist Paco Sheehan, den man Schwarzen Wolf nennt, nicht wahr? Ich sah dein Bild vorige Woche in einer Zeitung. Hoh, jetzt brauche ich keine Angst mehr vor den Reitern zu haben, die Totenmasken tragen und sich mit schwarzen Umhängen unkenntlich machen.« Mich traf der Schlag. Der Knirps sprach von keinen anderen, als von den teuflischen O'Haras... Und er hatte keine Angst mehr, weil ich, ein kleiner Privatdetektiv, neben ihm, versteckt von Fichtenzweigen saß. Ich flehte Manitou, den Gott meines Urgroßvaters an, mir Kraft zu geben, damit der Kleine nicht enttäuscht wurde. »Die Toten leben«, flüsterte es plötzlich neben mir. Es war Thomas und ihm klapperten die Zähne. »Sie kommen - sie sind schon ganz nahe. Onkel Paco, sie werden uns töten.« Auch ich hatte das harte Pochen von Pferdehufen vernommen, das rasend schnell näher kam. In der Rechten hielt ich den Colt, mit der freien Linken fasste ich nach dem Amulett, das ein indianischer Medizinmann schmiedete. Der Tod kam auf Thomas und mich zugeritten. Sicherheitshalber hielt ich dem Knirps so lange den Mund zu, bis die Gefahr vorüber war. Erst dann erhob ich mich und streckte den Kopf zwischen den Ästen hervor. Mir genau gegenüber geschah das gleiche - und ich starrte in das angespannte Gesicht von Barney McMahoney. Gestern lernte ich ihn beim Leichenschauhaus kennen. Seine Frau, die Schwester des zukünftigen Erben von Deer Abbey Castle, beging vor zwei Jahren Selbstmord. Der Kerl strahlte etwas Unheimliches aus, als sei er die Verkörperung des Bösen, korrupt, skrupellos, ständig auf der Lauer nach neuen Untaten. Er sah aus wie ein Geist, der aus einem Sumpf auftaucht. »Hallo«, sagte ich und zeigte alle meine Zähne, alles andere als freundlich. 25
Er zerquetschte etwas zwischen seinen schmalen Lippen. Wahrscheinlich einen Fluch. Ich grinste weiter gefährlich, denn ich war es gewohnt, dass viele bei meinem Anblick zu fluchen begannen. Schlagartig gefror mir das Grinsen. Unhörbar, vermutlich durch den dicken Nadelteppich, tauchte einer der O'Haras auf. Sein Pferd begann zu schnauben und verweigerte den Gehorsam. Sicher hatte es die nahen Menschen gewittert, kam es doch jetzt gegen den Wind. Wie der Blitz wich ich zurück in meiner Deckung. Schnell machte ich Thomas ein Zeichen zu schweigen. Er gehorchte und drückte sich eng an meine Seite. Ich legte meine Hand auf seinen Lockenkopf. Der Krach kam von gegenüber, von McMahoney. Ihn hatte das Skelett zu Pferde entdeckt. Einen Zweig zur Seite schiebend, blickte ich auf den mächtigen Leib des schwarzen Pferdes. Schreck durchraste mich, denn ich sah nur Rippen. Sie erschienen mir grünlich im diffusen Morgenlicht. Also auch ein toter Gaul, dachte ich noch, da sah ich Reginald McWatfords Schwager wie von Furien gehetzt losrennen. Hinter ihm her der O'Hara, der wild los schrie, abgehackt und voller Triumph. Jeder Schrei, der aus dem Skelett quoll, klang hohl und dumpf und wie aus einem tiefen Grab. Wenig später erfolgte Antwort. Es gab ja noch zwei weitere Geisterreiter. Eigentlich vier, aber an diesem frühen Morgen waren nur drei erschienen. Hin und wieder wieherte schrill ein Pferd, wenn es von den Sporen seines Reiters getroffen wurde. Auch das Wiehern klang unwirklich, erinnerte an Todesstöhnen. Mir liefen kalte Schauer den Rücken hinunter. McWatfords Schwager, ich konnte diesen Widerling nicht riechen, brachte es aber auch nicht fertig, den Kerl den O'Haras auszuliefern, steckte in einer verdammten Klemme. »Bleib hier versteckt liegen, Junge«, sagte ich zu Thomas und schlüpfte dann unter dem dichten Vorhang aus Fichtenzweigen hervor. 26
McMahoney rannte in Zickzacksprüngen auf den schmalen Pfad bergabwärts. Hinter ihm her preschte einer der O'Hara Söhne, die blanke Degenklinge in der Faust. Nur ein halber Meter trennte die beiden. Ich hob den Colt, visierte, nahm Druckpunkt und als Kimme, Korn und Arm eine Linie bildeten, zog ich durch. Der Schuss bellte auf wie das urwüchsige Gebrüll eines wildlebenden Bären. Und noch bevor die Detonation verhallt war, zügelte der Geisterreiter sein Pferd, zwang es rau auf der Hinterhand zu drehen. Unsere Blicke trafen sich. Hass, tödlicher Hass strömte mir entgegen. Ich stand wie gelähmt. Hatte meine Kugel nicht getroffen? Mit einem heiseren Laut trieb der Knochenmann sein Pferd an, lenkte es direkt auf mich zu. Der Höllenhund wollte mich über den Haufen reiten. Mir fiel ein alter Indianertrick ein. Ich fauchte wie ein Puma. Es war herrlich anzusehen, wie das Knochengestell von Gaul schrill wiehernd vorn aufstieg und seinen Reiter abwarf, um dann wild durch die Büsche zu preschen. Hätte ich es mit einem Gangster zu tun gehabt, ich würde mich auf den abgeworfenen Reiter gestürzt haben, der so leicht aus dem Sattel gefallen war. Ich tat es nicht, denn ich hatte es mit Geistern zu tun. Bevor ich mich der Stelle näherte, an der das Gespenst liegen musste, griff ich nach meinem Amulett. Es dauerte nur Sekunden, aber diese hatte das Höllenwesen genutzt, um sich aus dem Staub zu machen. Noch mit meinem Zorn beschäftigt, zupfte mir einer am Jackenärmel. Ich fuhr herum. Der kleine Thomas stand da und zeigte mit seiner Hand auf eine Lichtung. »Von da kommen sie, Paco.« Und wie sie kamen... Mit geblähten Nüstern stürmten drei Pferde mit Reitern den Hang herauf. Es blieb nur die flucht. Und die musste durch dichtes Gebüsch gehen, in das Pferde nicht folgen konnten. 27
Thomas und ich rasten mit glühenden Hacken los, schlugen uns in eine Schonung, durchbrachen sie und gelangten an eine Steilhang. Oben sah ich eine Jagdhütte stehen. Ich musste es schaffen, bevor die wilde Horde heran war, deren Hufgedonner schnell näher kam. Thomas stieß einen spitzen Schrei aus, als ich ihn plötzlich packte und auf meine Schultern hievte. »Festhalten«, befahl ich und als der Kleine seine Hände in meinen Skalp krallte, trabte ich los, begann den steilen Anstieg. Fast die Hälfte der Wegstrecke lag schon hinter mir, als das Wutgebrüll aufkam. Ich nahm mir Zeit, nach unten zu blicken. Zwei Pferde und drei Reiter sah ich. Man war eben dabei, aus den Sätteln zu steigen und die Verfolgung zu Fuß aufzunehmen. Ich bekam eine Galgenfrist. »Los, Häuptling«, brüllte Thomas, der scheinbar Spaß an der ganzen Sache bekommen hatte, den tödlichen Hintergrund natürlich nicht voll erkannte. Ich wollte ihn nicht unnötig ängstigen und stieß einen Kriegsruf aus, bevor ich wieder losrannte. Völlig ausgepumpt, erreichte ich die Jagdhütte. Jetzt hatte ich Zeit, denn die O'Haras befanden sich noch im Hang. Ich hörte ihr Keuchen und wunderte mich darüber, hatte ich doch in New Pitsligo, in Notar Bromfilds Haus gesehen, dass sie fliegen konnten. Ich machte mir keine Gedanken darüber, lockerte eine paar große Steine und ließ sie den Steilhang herunterkollern. Mein lieber Mann, die O'Haras hopften und brüllten wie die Affen. Aber sie kletterten weiter. Es war nur noch eine Frage von Minuten, dann musste ich kämpfen... Ich zog Thomas hinter mir her, erreichte die Tür, doch die war verschlossen. Aber es befand sich jemand in der Jagdhütte, deutlich zu hören am Knirschen, das entstand, als jemand versuchte, ein Fenster zu öffnen. Es war das Fenster direkt neben der Tür. 28
Plötzlich stieß ein Gewehrlauf gegen meine rechte Schulter. Ich versteifte mich. Thomas gab einen erschreckten Laut von sich. Mir kam er vor wie ein Seufzer. Ich wusste auf einmal, dass geschossen werden wird. Darum streckte ich meine linke Hand und hieb sie gegen den Gewehrlauf. Im gleichen Augenblick donnerte der Schuss los, versengte meine Jacke. Vom Hang kam Wutgebrüll. Die gespenstigen O'Haras glaubten sich als Zielscheibe. Dabei war ich gemeint. Der Junge starrte mich an. Er begriff nichts. Entsetzen war in seinen Augen. Den Mund hielt er weit geöffnet. Kreideweiß das Gesicht. Ich hatte den Colt gerade aus dem Gürtelhalfter, da ballerte ich schon los. Scheiben klirrten. Die Splitter flogen mir um die Ohren. Aus dem Inneren der Hütte drang ein Schrei, der jäh abbrach. Vielleicht hatte ich getroffen. Aber das kümmerte mich im Augenblick wenig, erschien doch am Rand des Steilhanges ein Dreispitz, unter dem hervor mich ein Totenschädel angrinste. Ich schoss sofort auf diese Fratze. Der Knochenmann verschwand. Aber da rammte ich schon meine Schulter gegen die verschlossene Tür. Das Ding gab nach wie Pappe. Ich stürzte samt Füllung ins Innere. Und da hockte McMahoney am Boden, das Gewehr neben sich liegend und massierte seine rechte Hand. Ich sah die Schramme auf dem Gewehrkolben und wusste sofort, dass er von meiner abgeschossenen Kugel stammte. »Sie Lump wollten mich und den Jungen schutzlos draußen stehen lassen, wie?«, fauchte ich los. Der Schwager des zukünftigen Burgherrn stöhnte, verdrehte die Augen, um dann zu fluchen: »Der Teufel soll dich holen, Indianer. Der siebte Sinn muss deine Schritte gelenkt haben. Diese Hütte findet selten einer.« Arsch, wollte ich sagen, überlegte es mir, da Thomas neben mir stand. Stumm wandte ich mich ab und schleppte zwei Stühle und eine 29
Bank an die eingetretene Tür, bildete so eine Brustwehr, die zur Verteidigung genügen musste, weil mehr nicht vorhanden war. Des Jungen Warnruf folgte ein metallenes Geräusch. Vorsichtig drehte ich den Kopf. McMahoney hatte die Flinte an sich genommen, war aufgestanden und dicht hinter mich getreten. Dass er den Lauf abgeschossen hatte und eine Jagdbüchse nachgeladen werden muss, schien er ganz vergessen zu haben. Ich schlug ihm den Kolben meiner 45er über den Schädel. Dem Mann stand eine längere Ruhepause bevor. Als ich hochblickte, grinste mir ein boshaft, die Zähne bleckender Totenschädel entgegen. Der Tod war mit einem blankgezogenem Degen bewaffnet. Außer der schweren Artillerie. Die hatte ich. Zweimal drehte sich die Trommel, Zweimal brüllte der Colt auf. Zweimal klickte es metallen - und der Tod grinste noch breiter. Da packte ich eine neben mir stehende Blumenvase und warf sie ihm ins Knochengesicht. Ich hörte Scherben klirren, mindestens zwanzig Pfund waren im Eimer, denn die Vase hatte ihren Wert gehabt. Aber der Geist des auferstandenen O'Hara hatte sich verflüchtet. Sekunden später sah ich die mittelalterlichen Recken frontal angreifen. Ich lud nach, feuerte und hatte wieder Ruhe. Aber da war noch ein Schatten im Morgengrauen und der machte mir die meisten Sorgen. Zuerst hielt ich ihn für ein Gebüsch oder so etwas. Mein Verdacht wurde erst geweckt, als dieser Schatten auf einmal ein paar Meter herangerückt war. Ich nahm ihn genauer unter die Lupe. Das verdammte Teufelsding stand starr und fest wie angewachsen. Ein Haus zu verteidigen, das von drei geisterhaften, grusligen Wesen umschlichen wird, ist ganz gewiss nicht leicht; man muss sich förmlich zerreißen, auf allen Seiten zugleich sein. Ich winkte Thomas herbei, zeigte ihm den Schatten und bat ihn, genau zu beobachten, ob dieser sich bewegt. Dann sprang ich an die Rückwand. Gerade noch zur rechten Zeit. 30
Da versuchte doch einer dieser Macker durchs Fenster zu steigen. Mit seinem Oberkörper hing er schon im Innern, brauchte sich nur noch fallen zu lassen. Er hatte etwas Mühe mit dem Einsteigen, konnte sich nur mit einer Hand festhalten, weil er mit der anderen den Degen umkrampft hielt. Mir brach vor Zorn ein raues Lachen über die Lippen und ich packte einen Stuhl, der aus Eichenholz geschnitten war, so ein altes schweres Ding mit Rückenlehne. Als ich den Stuhl hoch wuchtete, tat mir das Gespenst fast leid, von dem ich wusste, dass es aus Hass und Rachegelüste die ewige Ruhe nicht finden konnte. Mein Hemd war mir aber näher und so ließ ich das Monstrum von Sitzmöbel auf den bewaffneten Arm fallen. Nichts. Kein Laut des Schmerzes, noch ein Wutgebrüll. Nur tief liegende Augen starrten mich an, seelenlos und unergründlich. Ich verspürte eisige Grabeskälte. Thomas' Ruf riss mich aus der Erstarrung. Der Kleine brüllte: »Der Schatten bewegte sich, Häuptling. Ich habe gesehen, wie er zwei Sätze aufs Haus zu machte.« Oh, verdammt, diese Geister gaben keine Ruhe. Von allen Seiten griffen sie an. Wenn ich nur gewusst hätte, warum ich so wichtig für sie geworden war. Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht. Mein Gehilfe, der kleine Knirps, schrie wieder. Also raste ich durch die Stube zum anderen Fenster. Bevor ich durch die Scheibe blickte, warf ich noch einen Blick hinter mich. Neuer Schreck raste durch meinen Körper. Das eben von mir attackierte Gespenst hatte sich regelrecht aufgelöst, war einfach verschwunden. Zurück hatte es mir nur seinen Degen gelassen. Diesen holte ich mir schnell, wog ihn in der Hand; eine gute, fein geschmiedete Waffe, die mir gerade gelegen kam. Ich baute mich neben dem Fenster auf und lauerte auf den Schatten, der soeben wieder einige Sprünge aufs Haus zu machte. Als er unter dem Fenster angelangt war, riss ich dieses mit einem heftigen Ruck auf, beugte mich hinaus - und stach zu. 31
Erschrecken konnte ich nicht mehr. An diesem frühen Morgen war einfach zuviel auf mich eingestürmt, Dinge, die ich noch vor vierundzwanzig Stunden als unmöglich gehalten hätte. So musste es meinen Vorfahren, mütterlicherseits ergangen sein, als sie die erste Eisenbahn sahen... Noch im Zustechen spürte ich den harten Widerstand. Die Klinge bog sich, wollte nicht in den schattenhaften Körper eindringen, dabei hatte ich immer gedacht, Geister würden aus Nichts bestehen. Dann kam das furchtbare Lachen. Dieser hundsgemeine Geist eines mittelalterlichen Recken lachte mich doch tatsächlich aus. Es war, als hätte das nervtötende Lachen McMahoney aufgeweckt. Dieser Verwandte der mächtigen McWatfords richtete sich stöhnend auf, massierte seine Birne, die Bekanntschaft mit meinem Colt machte. Ich schielte zu ihm hin, während das Lachen draußen anhielt und sah, dass er sich auf mich stürzen wollte. Genau in diesem Augenblick läutete das Telefon. Der hässliche Schwager von Reginald McWatford stutzte, starrte mich aber weiter aus blutunterlaufenen Augen an. Ein paar Sekunden vergingen in denen sich die Sonne endlich durch den Nebel kämpfen konnte, alles mit ihren goldenen Strahlen hell und freundlich erscheinen ließ. Fast abrupt brach das Geisterlachen ab. Bis auf McMahoney. Der Bulle stieß einen knurrenden Laut aus, drohte mir mit der Faust und stampfte zum Telefon hin. Mit einer wütenden Bewegung riss er den Hörer von der Gabel. »Hallo, wer ruft an?« Dann sprach er kein Wort mehr. Statt dessen verfärbte er sich, sah plötzlich grau und verfallen aus. Kraftlos ließ er den Hörer auf die Gabel sinken. In meiner Brust fühlte ich eine große Spannung, mein Mund wurde trocken. Heiser fragte ich: »Haben Sie eben mit sich selbst gesprochen?« Er starrte mich an aus Augen, die halb verdreht in ihren Höhlen steckten. Immer wieder fuhr seine Zunge heraus, wie eine Schlange, 32
beleckte die wulstigen Lippen. Noch mehr kippten seine Augen nach oben, bis nur noch das Weiß zu sehen war. Plötzlich stieß McMahoney ein lautes Gebrüll aus, raste los, direkt auf die Zimmerwand zu, die er mit seinem runden Schädel rammte und wild mit seinen Fäusten bearbeitete. Dazu heulte er ununterbrochen: »Jeder hat mir gesagt, ich soll mit dem Saufen aufhören. Warum habe ich es nicht getan? Jetzt höre ich schon meine eigene Stimme aus dem Telefon.« * Ich teilte einen farbenfreudigen Vorhang aus aneinander gereihten Glasperlen, betrat die Bar des Enfield Hotel und blieb stehen, bis sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Auf den Tischen standen große, aus Indien oder Persien, jedenfalls aus dieser Gegend importierte Metall-Lampen, die aber nicht mehr Licht spendeten wie eine halberloschene Kerze. Ich ging zu der langen, teuren Bar und hockte mich auf einen freien Schemel. Der Mixer kam und ich bestellte einen Gastonde Lagrange. Davon wollte der turbantragende Mann hinter der Bar nichts wissen. »Sie müssen kosten unsere Spezialgetränke«, radebrechte er, obwohl man seinen Londoner Akzent besser heraushörte als seinen orientalischen. Er machte mir eine Liste mit über dreißig verschiedenen Spezialitäten. Ich schloss die Augen, ließ meinen Zeigefinger vorschnellen. »Den da!« Er sah hin und sagte bedeutungsvoll. »Ah ja, ein O'Hara Flip.« Freunde, mir zog es den Magen zusammen. Da will man für ein Stündchen seine Sorgen vergessen, geht in eine Bar, um einen zu kippen - und hört schon wieder den bösen Namen. »Was ist denn da drin?«, fragte ich, mich zusammennehmend. »Ne' Menge hartes Holz«, sagte der Kerl und grinste mich voll an. »Denn man los«, munterte ich ihn auf und hörte dabei das Telefon klingeln. 33
Er nahm ab, lauschte kurz, sah sich um und rief dann laut: »Ist hier jemand Mr. Sheehan?« Ich hatte wohl beim Portier hinterlassen, wo ich zu finden sei, aber wer sollte mich dreißig Minuten vor Mitternacht anrufen? Am Ende ich mich selbst wieder? »Gib her, Kumpel«, sagte ich und nahm den Hörer auf in der Erwartung, den Tod sprechen zu hören. Statt dessen traf mich Sir Reginald McWatfords erregte Stimme. »Mr. Sheehan, Sie müssen sofort kommen.« »Wohin?«, blaffte ich, angesteckt durch seine Nervosität zurück. »Zur Burg rauf, natürlich. Wohin denn sonst?« Natürlich... Draußen war es dunkel und dann die schmale Serpentinenstraße... »Ist etwas passiert, Sir?«, fragte ich. Zuerst keuchender Atem, danach schwaches Stimmengemurmel. Dann: »Sie schweben an den Fenstern vorbei und ihr teuflisches Lachen dringt durch alle Mauern.« »Wer?« »Fragen stellen Sie...?« »Doch nicht die O'Haras?« »Hören Sie mal«, brüllte es zurück. McWatford musste den Hörer zum Fenster hingehalten haben, denn ich horte das satanische Gelächter, das gleiche, das mir in der Jagdhütte fast den Schneid abgekauft hatte. »Mr. Sheehan, kommen Sie schnell...« »Bin schon auf dem Weg, Sir - und bitte, Nerven behalten. Diese Höllenbrut will sie nur demoralisieren.« * Mein Jaguar schnurrte wie ein zufriedenes Kätzchen. Ganz herunterdrücken konnte ich das Gaspedal nicht. Die Straße war schmal und kurvenreich und stieg steil an! Vielleicht noch acht Meilen bis Deer Abbey Castle, dem alten Raubritter-Steinkoloss. 34
Die eben angebrannte Zigarette konnte ich aufrauchen, sogar noch im Aschenbecher ausdrücken. Erst dann geschah es. Die Kurve war eng, aber kein Problem für mich. Sauber zog ich durch. Doch da grellte ein blendendes Licht auf, machte mich schlagartig blind. Ich stieg in die Eisen und riss das Steuer nach rechts. Mit einem gewaltigen Ruck kam ich zum Stehen. Das grelle Licht blendete nicht mehr. Stockfinstere Nacht umgab mich, so finster, dass ich kaum die Hand vor Augen sah. Ich witterte in die Finsternis und nahm den Colt in die Hand. Geduckt schlich ich mich um den Jaguar herum, zur Straße hin. Gerade streckte ich den Kopf am Kofferraum vorbei - da hörte ich die Stimme. Ich schien mit einem Schlag in Eis zu stecken. Es lastete mir auf den Schultern, drang durch die Haut, eisiges Blut pulste mir durch die Adern. Die Stimme - bei allen guten Geistern - gehörte mir. »Paco, warum quälst du dich für ein paar müde Pfund so ab? Denke doch an deinen Urgroßvater. Der reitet jetzt in Wanagi Yata, dem Sammelplatz aller Seelen und er hat keine Sorgen mehr. Er würde sich bestimmt freuen, wenn du kommst. Es ist sehr einfach. Steige in deinen Wagen und fahre den Hang hoch - bis er sich überschlägt...« Ich lauschte meiner eigenen Stimme nach. Noch nie war mir aufgefallen, wie beschwörend, zwingend und einlullend sie klingen konnte. Sie besaß Überzeugungskraft, machte müde und widerstandslos. Und es musste meine Stimme sein, denn wer in Schottland kennt schon Wanagi Yata, den Sammelplatz indianischer Seelen, dazu meinen Ahnen, der ein großer Medizinmann der Apachen gewesen sein soll? Es war schon so: Ich sprach mit mir selbst. Ich musste also zweimal existieren! Dieser Gedanke setzte mir schwer zu. Weil ich nicht daran glauben konnte, fragte ich heiser in die Nacht: »Wer bist du, dass du so mit mir sprichst?« Mein eigenes, spöttisches Lachen hallte mir entgegen. Dann: »Ihr auf Erden nennt uns Schutzengel. Jeder hat einen. Auch du, Paco.« 35
Ich bekam einen sauren Geschmack im Mund. Natürlich glaubt jeder an seinen Schutzengel, aber dass dieser spricht, die eigene Stimme benutzt! Zum Teufel, ich hätte in diesem Augenblick mit Felsen um mich werfen können. Mein Zögern musste meinem Schutzengel zu lange gedauert haben. Vielleicht auch, dass er mich gern bei sich gehabt hätte. Das Vernehmen der eigenen Stimme aus der Dunkelheit, dazu noch ein Stück entfernt, hatte mich schon geschockt und ich hatte meine Vorsicht ein wenig außer acht gelassen. Das Zirpen der Kugel, dicht an meinem Kopf vorbei und die Explosion des Schusses, schienen simultan zu kommen. Ich ließ mich in den Dreck fallen und kroch zur rechten Seite des Jaguars. Der Schuss war von links, aus dem Hang, gekommen. Mein zweites Ich musste sich zwischen den Krüppelkiefern befinden. Ich spannte den Hammer des Colts, kam langsam hoch, blieb eine Sekunde reglos stehen und trat dann unvermittelt nach rechts. Mein Schutzengel, der solche Sehnsucht nach mir hatte - er hätte mich auch verfehlt, wenn ich stehen geblieben wäre. Die Kugel zischte hoch über meinen Kopf. Dem Klang nach zu urteilen wieder ein Schuss aus einer alten Reiterpistole, also eine antike Waffe. Aber diesmal sah ich das Mündungsfeuer. Mein Verdacht bestätigte sich. Der Hundesohn lag gegenüber im Hang, umgeben von starkem Unterholz. Ich streckte den Arm aus, zielte ein bisschen mehr nach links und drückte dreimal hintereinander ab, bevor ich mich wieder duckte. Gleich zwei Kugeln kamen als Antwort zurück, aber beide weit im Abseits. Ich kroch vor bis zum Kotflügel und hob behutsam den Kopf. Da sah ich ihn. Ich sah ihn nur für einen kurzen Augenblick, seine flüchtende Gestalt klar abgegrenzt gegen den nachtdunklen Himmel. Es war einer der O'Haras. Ich schickte ihm noch eine Kugel nach. Sie hieb ihm den Dreispitz vom Schädel. Wütend rannte ich hinterher. Zweimal fiel ich hin und schürfte mir die Handflächen auf, als ich mich an den groben Steinen hoch angeln wollte. Schließlich erreichte 36
ich die Stelle, wo der ruhelose, rachsüchtige Geist auf mich gelauert hatte. Die Hölle hatte ihn verschlungen. Ich fluchte, band das Taschentuch um meine blutende Hand und ging zurück zum Wagen. Gerade hatte ich die schmale Straße erreicht, da wäre ich am liebsten zurück in die Büsche gesprungen. Das dumpfe Klopfen klang monoton, abgezirkelt auf die Sekunde. Ein wenig Blech war herauszuhören, Blech, das von meinem Jaguar stammen konnte - aber auch von einer Ritterrüstung. So ein Klopfen zu hören, inmitten der Natur, bei tiefster Nacht, wo es einfach nicht hingehört, ermutigt schon zum Weglaufen. Ich lief nicht weg, obwohl mir klar war, dass dieses unheimliche Geräusch mit den wiedergekehrten O'Haras zusammenhing. Eine neue Falle für mich. Ich war diesem Teufelsgeschmeiß wichtiger geworden als die McWatfords, denen eigentlich der Angriff aus dem Jenseits galt. Aber diese reiche Blase war kein ernstzunehmender Gegner für die Geister. Bei mir war das schon etwas anderes. Ich war Detektiv, konnte schlagen, boxen, stechen und schießen und ich besaß ein untrügliches Gespür für Gefahr. Das Blut meiner indianischen Vorfahren hatte schon sein Gutes. Ich spürte die Warnsignale und beachtete sie. Da ich den 45er noch in der Hand hielt, brauchte ich nur den Hammer nach hinten zu ziehen. Dann machte ich einen mächtigen Satz nach vorn. Er brachte mich an das Heck meines Wagens. Das Klopfen kam von weiter vorn, aber doch schon bedeutend näher. Seltsam hohl klang es und ich konnte es noch immer nicht identifizieren. Leichte Nervosität befiel mich. Seit sechsunddreißig Stunden wurde ich von Geistern gejagt. Oft fehlte nur eine Haaresbreite und sie hätten mich zur Strecke gebracht. Das ließ mich vorsichtig werden. Der Angreifer ist nicht immer im Vorteil. Schon gar nicht, wenn er erwartet wird. Also wandte ich die Taktik des Nervenkrieges an, ging in die Hocke und wartete. Außer dem mysteriösen Klopfen drangen noch andere Geräusche an meine Ohren. Die nächtliche Natur war zu vollem Leben erwacht. 37
Dürre Äste knackten, wenn Wild darauf trat, Greifvögel stießen heisere Laute aus. Der Todesschrei eines Tieres ließ mich zusammenzucken. Schwarze Wolken jagten am Himmel entlang. Selten ließen sie eine Lücke frei, durch die dann der Mond auf die Erde strahlte. Der Wind wurde stärker - und schneller und lauter das Klopfen. Mir zog es die Kopfhaut zusammen, denn aus höchstens zehn Meter Entfernung rief ich mir selbst zu: »Du hast es nicht getan, Paco. Du hättest springen müssen, dann wäre alles vorbei für dich. Du bist ein schwacher Mensch. Komm rüber zu uns und du wirst stark werden...« Ich ließ meine Augen wandern, denn gerade war im Gewölk ein Loch entstanden, durch das bleiches Mondlicht fiel. Ein plötzlicher Schrecken packte mich, fuhr mir durch alle Glieder. Fast zum Greifen nahe taumelte einer der wilden O'Haras auf meinen Wagen zu. Kurz vor den Scheinwerfern verharrte er. Weit blähte der Nachtwind seinen schwarzen Umhang auf. Zum Vorschein kam sein Skelett. Wie in Trance setzte ich mich in Bewegung, direkt auf das Gespenst zu. Und dazu klopfte es weiter dumpf und monoton. Dieses unheimliche Geräusch wurde vom lauten Krächzen einer Eule übertönt, die hinter einer Maus her war. Mir wurde von innen heraus kalt. Schauer jagten über meinen Rücken und der saure Geschmack im Mund wurde stärker. Ich spuckte aus und griff nach dem schwebenden Geist. Doch der war schneller. Gerade, als meine Finger den groben Stoff des schwarzen Umhangs berührten, zuckte der Körper einfach weg, als habe ihn die Berührung angetrieben. Lautlos gleitend, schwebte er hangaufwärts davon, unerreichbar für mich. Wütend drehte ich mich um in der Absicht, dem nervtötenden Klopfen auf den Grund zu gehen. Ich sah ihn vor den Rädern meines Jaguars liegen. Sein Bein pendelte hin und her und stieß dabei gegen den Kotflügel, der die dumpfen Laute von sich gab. Es war einer der gespenstischen O'Haras. 38
Der Dreispitz war ihm vom Kopf geglitten und entblößte eisgraues, schütteres Haar, das einen breiten knochigen Schädel einrahmte, den Schädel eines vor Jahrhunderten gewaltsam ums Leben gekommenen. »Du schwebst mir nicht davon«, zischte ich wütend und wollte mich mit meinem ganzen Körper auf den sichtbaren Geist werfen. Die scharfe Degenspitze in meinem Rücken stoppte mich. Würde ich mich nur einen Zentimeter weiter nach vorn bewegt haben, sie hätte mich durchbohrt. Ich erstarrte zur Salzsäule, hob in einer automatischen Bewegung die Arme. Oft ließ ich Gangster so vor mir stehen. Jetzt war ich dran. »Wie fühlt sich so ein ungehorsamer Dreckspatz?« Die Stimme hinter mir war ein heiseres Flüstern, voll wilder Freude und Triumph. Ich schaltete sofort. »Du kennst wohl meinen Schutzengel?« Antwort bekam ich nicht von dem Satansknecht; er lachte nur, grimmig, unheilvoll. Während ich so stand und auf die Initiative meines Gegners wartete, begann sich der zweite, wie tot daliegende Geist zu bewegen. Auch er schwebte den Hang empor, steif wie ein Brett, aber lautlos. Da fiel mir der nächtliche Anruf von Sir McWatford ein, der am Telefon sagte: »... sie schweben am Fenster vorbei und lachen teuflisch.« Zwei waren unterwegs. Gleich musste es wieder spuken in Deer Abbey Castle - und ich wurde von solch einem Geist auf der Stelle festgenagelt, konnte nicht zu Hilfe eilen. Da versuchte ich es, denn ich war schon immer ein Bursche, der lieber kämpfend unterging, als sich wehrlos abmurksen zu lassen. Das hatten wir Sheehans so an uns. Und ich bin Paco Sheehan, den man Black Lobo nennt. Wo man mich kannte, da fing man mit mir keinen Streit an. Schnell wie ein Wolf warf ich mich zur Seite, fort von der Degenspitze, die in mein Kreuz drückte. Und noch schneller drehte ich mich herum, kam auf den Rücken zu liegen und riss den Colt hoch. Ich zielte nicht lange, ließ nur den Hammer fliegen, zweimal, dreimal und hörte erst auf, als das gespenstische Wesen vor mir mit 39
einem lauten Knall auseinander flog, sich von einer Sekunde zur anderen in Luft auflöste. Zuerst atmete ich auf, denn ich war wieder einmal davongekommen. Dann fluchte ich laut vor mich hin. Ich fragte mich voller Zorn, wie oft mich diese Geisterplage noch zum Narren halten würde. * Im zweiten Gang rollte ich langsam die Serpentine hinauf, immer darauf gefasst, erneut überfallen zu werden. Diesen Ungeheuern traute ich allerhand zu. Deshalb lag der Colt schussbereit auf dem Beifahrersitz. Plötzlich war die Nacht nicht mehr zu schwarz. Der Mond hatte über die dahinjagenden Wolken gewannen. Nun warfen die Dinge ihre Schatten überlebensgroß, furchterweckend. Als dann die Türme und Mauern von Deer Abbey Castle vor mir aufragten, steil in den Himmel hinein wachsen zu wollen, war ich fast enttäuscht. Die nächtliche Fahrt durch den unheimlichen Wald hatte ihren Reiz. Andererseits freute ich mich, Glende wieder zu sehen, die gegen ihren Willen verheiratet werden sollte. Verfluchtes Geld... Das schwere Tor war verschlossen. Ich bediente den Klopfer. Laut hallten die Schläge durch die Nacht. Geöffnet wurde nicht. Statt dessen knirschte es über mir. Im fahlen Schein des Mondes erkannte ich, wie sich ein riesiger Stein aus der Mauerkrone löste. Ein reizender Empfang. Das war ganz Asmodi. Er hasste nichts so sehr, wie überlistet zu werden. Er trug es mir nach, dass ich seinen Schergen entkommen war. Ich kletterte über die Gesteinstrümmer und bediente nochmals den eisernen Klopfer. Endlich wurde geöffnet, von einem Kerl, der ins Zuchthaus passte, nur nicht in diese Burg. Das Gesicht des hageren Mannes wirkte fast dreieckig, denn von einer kantigen Stirn aus liefen schmale Wangen hinunter zu einem vorstehenden spitzen Kinn. Sein Haar war tiefschwarz, ebenso die breiten buschigen Augenbrauen, unter denen dunkle, unstete Augen tief in 40
den Höhlen lagen. Zu einer Teufelsmaske fehlten nur die Hörner, aber es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sie sich oberhalb der Stirn vorzustellen. »Sir?«, fragte er mit hartem Akzent. Ich rang einen kurzen Augenblick mit mir, wie ich ihn anreden sollte. Ich entschloss mich für die harte Art, weil er mich aus dreckigen Augen anstarrte, als sei ich Ungeziefer. »Dein Boss hat mich gerufen. Führe mich zu ihm - aber ein bisschen dalli.« Jetzt grinste der Kerl, was seinem Gesicht einen wirklich satanischen Ausdruck verlieh. »Sie müssen sich täuschen... Sir«, sagte er spöttisch und lang gezogen. »Unser Earl hat ganz bestimmt niemanden gerufen, am wenigsten Sie.« Als er geendet hatte, klang von irgendwo zur Linken her ein schriller Schrei auf, der sich mehrmals wiederholte. »Was war das?« »Das ist der Pfau drüben im Vogelhaus«, erklärte er, wobei sich seine Mundwinkel zynisch nach unten bogen. »Er ist ein böses Tier, das nicht frei herumlaufen darf, weil es auf jeden Menschen losgeht. Es scheint ein Gewitter in der Luft zu liegen, das ihn unruhig werden lässt - oder er ahnt ein Unheil.« Er hätte sicher weiter orakelt, wenn ich ihn nicht an der Hemdbrust gepackt hätte. Er bekam plötzlich ein angespanntes Gesicht und besorgte Augen. »Sir...?« »Lass den Sir und führe mich zu deinem Herrn. Wenn nicht...« Ich ließ den angefangenen Satz in der Luft hängen, wo er wie eine Drohung wirkte. Der Kerl brabbelte vor sich hin. Ich hörte nur meinen Kriegsnamen heraus. Also musste er mich kennen. Ich packte fester zu. Ich wollte nicht dem undurchsichtigen Burschen meinen Rücken zuwenden. »Paco, gleich wirst du sterben.« 41
Die Stimme, meine eigene, sägte wie ein Messer und sie kam aus dem oberen Fenster des Gebäudes, das links hoch emporragte und einen langen Nachtschatten warf. Hach, die Wut in mir kam hoch und mit ihr die Röte, die mir ins Gesicht schoss, dass es nur so brannte. Aber noch schneller hatte ich meinen 45er hoch. Die Kugel flog dem Gespenst entgegen, als dieses zu lachen anfing und sich verflüchtete. Der Kerl mit dem Teufelsgesicht vor mir stöhnte: »Beim Heiligen St. Patrick, Black Lobo ist schneller als ein Geist.« Ich schüttelte den zynischen Burschen noch mehr. »Du scheinst dich mit Geistern auszukennen, wie?« »Wenn man auf Deer Abbey Castle angestellt ist, kein Wunder, Sir.« Wortlos drehte er sich um. Ich folgte ihm. Wir kamen in eine riesige Halle mit einem riesigen Kamin, der von zwei alten Ritterrüstungen flankiert wurde. Der Diener grinste. Dazu hielt er seinen Teufelskopf schief, was ihn noch gefährlicher erscheinen ließ. Ohne sein hämisches Grinsen einzustellen, servierte er mir eine Geschichte von alten Geheimgängen in den ehrwürdigen Mauern der Burg. Sie sollten hier in der Halle münden, vielleicht irgendwo hinter den Bildern oder Gobelins. Der Kerl wollte mir Angst einjagen. »Los, weiter«, blaffte ich ihn an. Verdutzt über den barschen Ton, glotzte er mich aus seinen tief liegenden Augen an. Der Blick in mein Gesicht ließ ihn vorsichtig werden. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und lief weiter. Ich folgte in zwei Meter Abstand, die Hand am Kolben des 45er. Das hohe Bogenfenster hätte ich nicht beachtet, aber da war eine Bewegung hinter den grünlichen Scheiben, durch die schwaches Mondlicht fiel. Ich ließ den Lakai allein weitergehen und schwenkte zur Seite. Es waren nur wenige Schritte. Kein Problem bei meiner Größe. Kein ganzer Schritt mehr trennte mich von dem Fenster, das gut in eine Kirche gepasst hätte. 42
Ich kniff die Augen zusammen, da sich das Licht des Kronleuchters in den Scheiben spiegelte. Alles war still, leer, bewegungslos. Schon wollte ich mich abwenden, dem teuflisch aussehenden Diener folgen, da war mir, als huschte tatsächlich draußen etwas am Fenster vorbei. Mein Misstrauen schoss regelrecht in die Höhe. Mit einem Satz war ich heran und packte den Riegel, drehte ihn und wollte so das Fenster öffnen. Das verdammte Ding war verquollen, klemmte an allen Ecken und Kanten. Ich legte den Colt auf die Fensterbank, um mit beiden Händen zupacken zu können. Die Sache sollte schnell gehen. Nur darum stemmte ich die Knie gegen die Wand. Dann riss ich kraftvoll am Riegel. Das verflixte Ding löste sich, ohne dass der Flügel aufschwang. Ich krachte mit Gewalt aufs Kreuz. In diesem Augenblick knallte etwas gegen die Scheibe. Noch im Liegen sah ich hoch - und starrte in das tote Gesicht des alten O'Hara, der es eng gegen das Fenster presste. Wie von einer Feder geschnellt, sauste ich in die Höhe, wollte nach dem Colt auf der Fensterbank greifen, um diesen Knecht des Satans zur Strecke zu bringen. Aber in dem Augenblick, wo ich den Colt fast mit den Fingerspitzen erreicht hatte, bannte mich ein sonderbarer Laut auf der Stelle. Meine Hand schwebte noch über der Waffe, da drehte sich schon mein Kopf. Ich schielte über die Schulter nach hinten. Schreck lahmte mich derart, dass ich nicht einmal daran dachte, nach dem 45er zu greifen. Ein, nein, zwei Gedanken ergriffen von mir Besitz. Der eine signalisierte mir ein, die Flucht zu ergreifen, während der andere sich damit beschäftigte zu denken, dass die Geister von Deer Abbey Castle alles daransetzten, mich am Weitergehen zu hindern. Kam doch da tatsächlich eine der Rüstungen klirrend auf mich zugetappt, unbeholfen, schwerfällig- und drohend wie etwas Unabänderliches. 43
Ich sprang zur Seite, in der Absicht, der näher kommenden Rüstung auszuweichen. Doch wie radargelenkt, änderte die klirrende Ritterwehr ebenfalls die Richtung. Und nicht nur das. Sie hob einen ihrer eisenbewehrten Arme, der auf mich zeigte. In der Hand hielt der Unsichtbare, der sich hinter Eisenplatten versteckte, ein Schwert. Dann hob sich der bewehrte Arm höher und das Schwert sauste nieder. Die scharfe Klinge kam mir nicht einmal nahe. Meine 45er hatte dem Geist schon ein Loch durch die Sehschlitze geschlagen, ihn gegen den Schrank und dann auf den Boden geworfen. Noch quoll Pulverdampf aus dem Lauf, da war ich schon über dem eisernen Schrottberg. Als ich das Visier hochriss, starrte mir nur Schwärze entgegen. Die Rüstung war leer! Ich schüttelte mich wie ein nasser Hund, konnte nicht glauben, was meine Augen sahen. Aber die Tatsache blieb. Ein Geist hatte die Rüstung bewegt. Ich zuckte zurück, mehr gedanklich als wirklich. Starrte mir doch, nur wenige Zentimeter entfernt, der Diener mit dem Teufelsgesicht entgegen. Der Kerl grinste frech und verschlagen. »Sir, Sie scheinen schreckhaft zu sein?« Ich blies die Backen auf. »Was bin ich?« Ohne sein hintergründiges Grinsen einzustellen, erklärte er es mir: »Sie haben auf eine tote Rüstung geschossen... Sir. Nun ja, in Deer Abbey Castle fürchtete sich schon mancher.« »Mann«, fauchte ich los. »Wo stand die Rüstung? Hier mitten in der Halle? Können Sie mir sagen, wie sie hierher kam?« Seine schwarzen runden Knopfaugen wieselten hin und her. Hatte er bisher eine schmutzige Gesichtsfarbe, so wurde sie jetzt kalkweiß. »Sir... die Rüstung hat sich von allein bewegt?« »So ist es, mein Freund. Vergiss es. Jetzt will ich noch schneller zu deinem Herrn.« »Sofort, ja, selbstverständlich, aber wenn sich die Rüstung von ganz allein bewegte, dann...« 44
* Es ging noch eine Treppe höher und es wurde vornehmer und kostbarer, zu sehen an den Brücken, Teppichen, Möbeln und Gemälden. Es stank regelrecht nach Geld. Mir war das schon recht, denn je reicher die Klienten, um so deftiger das Honorar. Auch ein Stockwerk höher änderte nichts an den Lichtverhältnissen. Dämmrig war es, zum Fürchten düster. Der komische Knilch von Diener schwenkte auf einmal nach links und war verschwunden. Misstrauisch sah ich mich um. Alles wirkte normal auf dem menschenleeren Flur. Als ich die Stelle erreichte, wo das Teufelsgesicht verschwunden war, stand mir nur ein wuchtiger Schrank gegenüber. Natürlich riss ich die Tür auf, doch ich bekam nur feinen Damast zu sehen. Also war er ein Teufel, dachte ich, nun immer vorsichtiger werdend, nach allein Seiten sichernd. Mein Nervensystem gab Alarm und weckte meine Sinne, so, wie ein plötzlich auftretendes Geräusch einen in der Stille der Nacht aus dem Schlaf reißt. Es war wieder dieses eigenartige, fast beängstigende Gefühl, das mich überkommen hatte, als ich dem Mistkerl zum ersten Male gegenüberstand. Ich konnte mir nicht denken, woher es kam, aber dieses beunruhigende Gefühl wuchs. Der bleiche Totenschädel grinste kalt und hämisch. Das diffuse Licht erhellte die knöchernen Finger, die unter dem schwarzen Umhang hervorschauten und leise klapperten. Einer der gespenstischen O'Haras drückte sich tiefer in den Schatten einer Nische. In den toten Augenhöhlen glomm plötzlich ein unheimliches Feuer. Es dauerte höchstens drei Atemzüge, dann verlöschte es. Abrupt verharrte ich auf der Stelle. Mein Glück, dass ich dieses Ungeheuer rechtzeitig entdeckt hatte. Dann ging ich langsam weiter, als wenn nichts geschehen wäre. Nur fühlte ich, wie in mir alles vibrierte, jeder Muskel sich spannte. 45
Ich sah, wie der Unheimliche sich enger gegen die Mauer presste. Seine Knochenhände formten sich zu Krallen. Dann löste er sich von der Mauer, schlich an ihr entlang. Deutlich konnte ich das Rasseln des Degens hören, der bei jedem Schritt gegen ein Knochenbein schlug. Zum Teufel, das Gespenst hatte es gar nicht auf mich abgesehen, vermutlich mich nicht einmal gesehen oder gehört, weil die dicken Läufer meine Schritte bis zur Unhörbarkeit dämpften. Dann sah ich das Opfer. Es war Barney McMahoney, der Lump, wegen dem ich, zusammen mit dem kleinen Thomas, in die Klemme geraten war. Der Schwager des Earls sah und hörte nichts. Wie ich erkennen konnte, war er dabei, eine Tür mit Hilfe eines Dietrichs zu öffnen. Doch da war das Gespenst schon heran. Der Knochenmann sprang mit einem Satz auf den Ahnungslosen zu. Seine Hände zuckten nach vorn und umkrallten McMahoneys Hals. Unbarmherzig drückten sie zu. Der Überraschte hatte nicht mal Zeit aufzuschreien. Panisches Entsetzen ergriff ihn. Er schlug wild um sich, doch der Untote ließ nicht locker. Verzweifelt versuchte McMahoney die würgenden Hände von seinem Hals zu lösen. Die hohle Stimme kam aus dem schwarzen Loch des Totenschädels. Hassvoll keuchte sie: »Du willst dich auch an unserem Vermögen bereichern, elender, raffsüchtiger Hund. Aber daraus wird nichts. Uns allein gehört es, sonst niemandem.« Mit letzter Kraft warf sich McMahoney zur Seite. Er wusste, dass es um ihn geschehen war, wenn er den Griff nicht lösen konnte. Er fiel nach hinten und riss seinen Widersacher mit sich. »Warum kommt ihr erst jetzt?«, krächzte er dabei. »Den alten Zeb McWatford habt ihr doch in Ruhe gelassen. Schickt euch etwa Reginald?« Der letzte Satz klang mehr wie eine Feststellung und berührte mich eigenartig, war schuld daran, dass ich noch nicht eingriff. Wie kam dieser nicht gerade angenehme Zeitgenosse darauf, dass ausgerechnet sein Schwager die Geister lenkte? 46
»Hoh, du sollst nicht unwissend sterben«, höhnte der Wiedererweckte, dem der Hass die ewige Ruhe verwehrte. »Nun gut, Strolch. Gestern habt ihr Zeb McWatford begraben, einen Mann, der uns Tote bannen konnte. Seinen missratenen Sohn Reginald gab er das Geheimnis nicht preis, er nahm es vielmehr mit ins Grab. Deshalb können wir endlich erscheinen und Rache nehmen für den gewaltsamen Tod, den einst ein McWatford für uns, die ihm vertrauten, heimtückisch bereitete. Bist du nun schlauer?« McMahoney stöhnte und krächzte unter der Last des Unheimlichen, der auf ihm hockte wie ein riesiger Berg. Aber noch war Lebenswille in ihm und er fragte weiter: »Was ist mit Reginald? Ich will ihm das Erbe nicht mehr streitig machen, wirklich nicht. Du kannst es ihm sagen.« Mit einem Kichern antwortete der wieder auferstandene O'Hara: »Ich werde es ihm sagen, aber erst, wenn ich meine Hände um seinen Hals lege, so, wie ich es jetzt mit dir mache.« Es wurde höchste Zeit, dass ich eingriff. Ich konnte diesen McMahoney nicht leiden, andererseits aber auch nicht umbringen lassen. Also hob ich den Colt, zielte auf das Genick des Geistes und nahm Druckpunkt. Einer dieser rachsüchtigen O'Haras sollte endlich dahin verschwinden, woher er gekommen war: ins tiefste Grab. Weiter hinten im Gang schlug eine Tür. Sofort brüllte einer wütend: »Schließen, verdammt und zugenäht! Draußen schleichen die O'Haras umher...« Das kurze Intermezzo hatte den Geist hochblicken lassen - genau auf mich, der ihm nur wenige Schritte entfernt gegenüberstand. Ein seltsamer Laut kam aus dem Mund des Geistes. Danach blitzschnelle Reaktion. Ich konnte nicht mehr schießen. Unweigerlich hätte ich McMahoney getroffen, den das Gespenst in einem gewaltigen Kraftakt hochgerissen hatte und nun als Schutzschild benutzte. Über McMahoneys Schulter hinweg starrten mich die toten Augenhöhlen an. Sie lauerten bösartig und trieben mir den Schweiß auf die Stirn. Es war unheimlich, einem lebenden Totenkopf gegenüberzustehen. 47
Während ich noch nach einem Ausweg suchte, kam McMahoneys Körper auf mich zugeflogen. Bevor ich ausweichen konnte, prallten wir zusammen und fanden uns auf der Erde wieder. So schnell ich konnte, brachte ich mich in Schussposition, denn der Geist flüchtete, war fast am Ende des Ganges angelangt. Es war ein Schnappschuss, zu hastig abgegeben. Wirkung könnte ich nicht feststellen, lediglich nur noch hinter dem verschwundenen Teufelsknecht her fluchen. Trotz der lauten Schussdetonation erschien niemand. Das kam mir sonderbar vor und ich fragte den Schwager des zukünftigen Burgherrn nach dem Grund. McMahoney bedankte sich nicht bei mir, massierte seinen von Knochenhänden strapazierten Hals und sagte lediglich: »Die haben alle die Hosen voll, weil die O'Haras umgehen. Wenn Sie Sehnsucht nach den McWatfords haben, Sie finden alle im Herrenzimmer versammelt.« Ich konnte nicht umhin, eine Spitze loszulassen. »Weil die Angst alle im Zimmer festhält, nutzen Sie die Gelegenheit, in fremden Sachen herumzuschnüffeln, wie?« Der Typ fuhr hoch, wie von einer Natter gebissen. Ich dachte schon, dass ich ihm eine auf seine schmalen Lippen knallen müsste. Jedoch beruhigte er sich überraschend schnell, geradezu unnatürlich. »Was wollen Sie hier überhaupt?«, knurrte er statt dessen. »Ihrem Schwager zu Hilfe eilen«, knurrte ich genauso unfreundlich zurück. * McMahoney riss ungestüm eine Tür im hinteren Flur auf und verschwand. Die Tür ließ er offen. Noch bevor ich heran war, drangen erschrockene Rufe nach draußen. Ich beeilte mich, vergaß dabei, den 45er ins Halfter zu schieben. So trat ich halt durch die Tür mit nach unten gerichtetem Lauf. Die Erbschleicher haben sich zusammengerottet, ging es mir durch den Kopf, als ich die Männchen und Weibchen wie verängstigte Hühner um einen Tisch hocken sah. 48
Der harte Kern der McWatfords... Reginald saß vor einem Stück Papier, auf das er Zahlen warf. Vermutlich konnte er die zu erbenden Millionen nicht aus dem Kopf ausrechnen. Bei meinem unkonventionellen Eintritt flogen die Köpfe hoch. Man musterte mich wie eine eklige Spinne an der Wand. Dabei hatte ich noch kein müdes Pfund als Vorschuss auf mein Honorar erhalten. Die ›Blase‹ tauschte wieder einmal viel sagende Blicke. Reginald tippte mit seinem Bleistift auf die Tischplatte. Es klang wie eine Uhr, die gleich stehen bleiben wollte. Im Raum herrschte Schweigen. Alle starrten auf den 45er in meiner Hand. Schließlich drückte Reginald den Stift so fest auf, dass die Spitze abbrach. Eine sehr stimmungsvolle Geste. »Oh, Mr. Sheehan. Was wünschen Sie?« Mir blieb wieder einmal die Spucke weg. Vor einer knappen Stunde rief er mich an, weil die O'Haras irre lachend am Fenster vorbei flogen... Mit ein paar gezielten Worten ließ ich Dampf ab und steckte den 45er endlich weg, nachdem ich unter den strengen Blicken der McWatford-Erben die abgeschossenen Patronen durch neue ersetzt hatte. »Ich... und Sie angerufen, Mr. Sheehan?« »Es war Ihre Stimme, Sir.« Reginalds Kinnlade klappte herab. »Niemals, Mr. Sheehan. Mein Wort.« Also lockte mich der verdammte Geist zur nachtschlafenden Zeit auf die Burg. All right. Irgendwann würde sich das Blatt schon wenden... »Wie heißt denn der Diener, der mich empfing?«, fragte ich und gab eine Beschreibung des Kerls ab, der mich mit seinem teuflischen Aussehen an etwas Unangenehmes erinnerte. Verwundertes Kopfschütteln. Dann: »So einen Bediensteten habe ich nicht auf der Lohnliste.« Ich stand ganz schön belämmert da, ließ mir aber nichts anmerken. Erst als der zukünftige Erbe eines riesigen Vermögens mich fragte, ob ich soeben geschossen habe, legte ich los: »Egal, wer mich rief, 49
die O'Haras geistern umher. Fragen Sie doch Ihren Schwager, der beinahe erwürgt worden wäre. Außerdem, wie soll ich arbeiten, wenn ich erst um Erlaubnis bitten muss, Deer Abbey Castle zu betreten?« Die Dicke, mit Gold und Juwelen über und über behangen, hieß Isabel Randell. Den Verwandtschaftsgrad kannte ich nicht. Ihrem frechen Mundwerk nach zu urteilen, musste er sehr blutsverwandt sein. »Das fehlt uns gerade noch, dass ein Indianer ein und aus gehen kann, wie es ihm beliebt«, geiferte sie los. »Bisher regelten die McWatfords ihre Angelegenheiten selbst. Ich empfehle Ihnen zu verschwinden.« Ich verstehe selbst nicht, wieso manche Tanten mich so schnell und mit wenigen Worten zum Schäumen bringen können, aber jedenfalls war es wieder soweit. Ich gab das Reden auf, griff hinter meinen Kopf, wo das Wurfmesser in der Nackenscheide ruhte, packte den Knauf und ließ die Klinge fliegen. Knapp neben den Wurstfingern der fetten, wortstarken Lady Randell bohrte sich das Messer in die Tischplatte, blieb vibrierend stecken. Die gold behangene, voll gefressene Lady quiekte wie ein Ferkel und wurde unter ihrer Puderschicht blass. Natürlich hatte sie mein Messer erschreckt, aber wohl noch mehr die große, langbeinige Spinne, die nun zweigeteilt vor ihr lag. Ich sah keinen Spinnfaden, an dem das Vieh, vielleicht war es eins von der giftigen Sorte, auf den Tisch hätte gelangen können. Es gab nur eine Erklärung: Jemand musste den großen, dick mit Blut gefüllten Gliederfüßler absichtlich zwischen die dasitzende Runde geworfen haben. Eine Person fehlte: Glende. Reginald McWatfords Tochter, die seit Kindheit an für den reichen Gilbert Lathrop bestimmt war, kam durch eine Tapetentür, die für das Auge nicht erkennbar war. Als Glende mit ihren leisen, ruhigen Schritten eintrat, kam mir zum Bewusstsein, wie sehr ich auf sie gewartet hatte. Man täusche sich jedoch nicht: Ich bin kein Idiot und gehöre nicht zu den Leuten, die ein Unterrock gleich aus den Gleisen wirft. 50
Glende trug einen Morgenmantel, der bei jedem Schritt auseinander fiel und ein durchsichtiges Etwas von Nachthemd den Augen darbot. Sie musterte mich von oben bis unten, lächelte dann rätselhaft und sagte: »Sie können zu Bett gehen, Mr. Sheehan. Die Geisterstunde ist gerade abgelaufen.« Ich lächelte befangen, ohne den Blick von ihrer Brust lösen zu können, die weiß unter dem Durchsichtigen Nachthemd hervorschimmerte. »In einem Normalfall könnte ich gehen, sagte ich. »Doch nicht bei den O'Haras, Komtess. Diese Wesen erscheinen rund um die Uhr, allerdings nur an Stellen und Orten, in die das Tages- und Sonnenlicht nicht dringt. Dann wäre da noch etwas: Ich muss herausfinden, wohin sich die sichtbar gewordenen Geister begeben, wenn einmal alles von der Sonne überflutet wird: Der Ort muss sich hier befinden. Soweit mir bekannt, wurden die vier O'Haras in dieser Burg ermordet.« Die Hölle brach los. Jeder der Anwesenden schrie auf mich ein, überschüttete mich mit Beleidigungen. Meine Schuld. Man darf eben nicht die Wahrheit sagen. Der rothaarige Mann, zu dem sich Glende gesellt hatte, drehte den Kopf und sagte, fast ohne die Lippen zu bewegen, so leise, dass nur ich ihn hören konnte: »Wenn Sie nicht gleich abbauen, Indianer, gerbe ich Ihnen das Fell.« Ich machte einen Schritt vorwärts. Neben mir wuchs noch ein Rothaariger empor, groß und gewaltig. Unwillkürlich musste ich an die O'Haras denken. Seine Finger krallten sich um meinen rechten Arm. Ganz oben auf der Liste der Dinge, die ich nicht leiden kann, steht Anfassen. Ich mag es nicht, wenn sich Finger in mich verkrallen. Es gibt da einige Ausnahmen, in ganz bestimmten Situationen, aber das setzt voraus, dass die Finger feingliedrig und die Nägel daran rot lackiert sind. Ich blickte auf die Hand, die meinen Lauf zu stoppen versuchte und die mein Jackett gepackt hielt - und dann in das Gesicht des Burschen. Ich trat einen halben Schritt zurück und holte mit der geballten Faust aus. Ich wollte ihm nur zeigen, dass ich seine Art nicht mochte und um das zu unterstreichen, wollte ich sein Kinn polieren, aber er ließ mei51
nen Arm los. Vielleicht sah er den Rauch in meinen Augen. Vielleicht glaubte er auch, sich überschätzt zu haben. Jedenfalls trat auch er zurück und fragte: »Wollen Sie nun endlich abhauen?« »Du kannst ihn nicht dazu zwingen. Du ganz bestimmt nicht.« Keiner wollte gesprochen haben. Alle lauschten der knarrenden Stimme nach und blickten zu der offenen Tapetentür. »Vater?«, kam es gequält von Reginald McWatford. Der gestern begrabene Zeb McWatford hatte das Zimmer betreten; ein verwehtes Gespenst und doch kompakte Wirklichkeit. Wieder eine Stimme, dachte ich und sagte laut, bewusst jeden Titel weglassend: »Mr. McWatford, ich pfeife auf Ihr Geld. Von mir aus stecken Sie es sich an den Hut. Aber denken Sie nun nicht, dass ich gehe. Sir Bromfild, mein Klient, Ihr Notar, ist verschwunden und ich werde so lange nach ihm suchen, bis ich ihn gefunden habe.« Glendes Stimme war dazu angetan, Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Wenn sie mir jetzt auch zynisch kam, schauern tat ich trotzdem. »Sie haben stets einen prima Bösewicht abgegeben, Mr. Sheehan. Wie haben Sie's bloß geschafft, immer wieder heil davonzukommen?« »Das ist mein Rezept«, antwortete ich, ihr voll ins Gesicht grinsend. * Ich befand mich in dem Zimmer, unter dessen Dielen alte Kellerräume dahinmoderten, deren einst von Menschenhand gelöste Steine die O'Haras unter sich begruben. An den Wänden hingen verblichene Fotos in hölzernen Rahmen und ähnliches Zeug. Im Kamin glimmte ein armseliges Holzfeuer, das keiner angemacht haben wollte, es vermochte den ziemlich hohen Raum nicht zu erwärmen. Auch ohne die starke Zugluft hätte es nicht ausgereicht. Die farblos gewordenen Fensterrahmen waren verquollen und schlossen schlecht. Die dicken feuchten Steinwände schienen für Jahrhunderte errichtet, die breiten schmutzbedeckten und nicht ganz ebenen Fußbodenplanken wirkten eisenhart und unverwüstlich. 52
In einem hochlehnigen Stuhl, der unter meinem Gewicht knarrte, nahm ich Platz. Den Colt legte ich quer über meine Schenkel, um ihn sofort greifen zu können. Ich gedachte in diesem Zimmer auf die Rückkehr der Geister zu warten da das Morgengrauen nicht mehr fern war. Von hinten tippte mir etwas sanft auf die Schulter. Sie sind tatsächlich gekommen, schoss es mir durch den Kopf. Also umklammerte ich den Colt und ließ mich vom Stuhl fallen. Ich landete auf dem Rücken - und sah – nichts. Im gleichen Augenblick fiel mir ein, dass Geister auch unsichtbar erscheinen können. Darum sah ich zu, dass ich so schnell wie möglich hoch kam. Nach zehn Minuten wusste ich, dass eine Fliegenpatsche, die an der Wand hing und von der Zugluft bewegt wurde, mich genarrt hatte. Später, als dann ein Geräusch aufkam wie das Schlagen von Taubenflügeln, grinste ich nur. Noch einmal wollte ich mich nicht zum Besten halten lassen. Und doch schielte ich instinktiv in die Richtung, aus der es so eigenartig geklungen hatte. Mir verging das Grinsen, denn aus den Augenwinkeln heraus nahm ich ein Flimmern wahr, das in einer Ecke entstand, wo sich alte Möbel stapelten. Ich sah konzentriert hin. Tatsächlich glitzerte dort die Luft auf unerklärliche Weise. Wieder ließ ich mich fallen und brachte das Monstrum von Stuhl zwischen mich und dem unheimlichen Flimmern. Zwei, drei Sekunden lang starrte ich auf das überirdische Licht, das keine Farbe zu haben schien, nur grelle Helligkeit. Plötzlich verschwand das Flimmern und vier Gestalten, eingehüllt in weite schwarze Umhänge, tauchten aus dem Nichts auf. Vier Paar leere Augenhöhlen fixierten mich, der ich auf dem Boden kniete, den rechten Arm aufgestützt am Stuhl, den 45er haltend. Henry O'Hara, das Clanoberhaupt, trat vor mit gezogenem Degen. Es war verdammt düster in dem alten Burgzimmer. Zu sehen waren die Geister nur als unförmige Klumpen, aus denen die Totenschä53
del herausleuchteten - und das Skelett des Alten, der seinen Umhang zur Seite wischte, um nicht von ihm behindert zu werden. Ich begann zu schwitzen, weil ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte. Darum fragte ich, allen Mut zusammennehmend, den Alten: »Wo habt ihr Sir Bromfild hingebracht? Ich bin nur gekommen, um ihn zu suchen.« Die unbeweglichen Knochengesichter starrten, ohne einen Laut von sich zu geben. Lediglich in der Luft hing ein modriger Geruch. Ich schluckte schwer. Geister, die ihrem Grab entstiegen waren, wollten mich frikassieren. Nass wurde auch meine Hand, die den Colt umklammert hielt. Meinen einzigen Freund. »Na, seid ihr stumm?«, quetschte ich frech hervor, da mir die Stille auf die Nerven ging. Die Stimme des Alten klang gereizt und dumpf, als käme sie tief aus der Erde hervor. »Unsere Feinde befinden sich da, wo uns die McWatfords hinterhältig töteten und wo auch du dich bald befinden wirst.« Ein paar Sekunden sah der furchtbare Geist mir unverwandt in die Augen, dann glitt ein heimtückisches Grinsen über sein knöchernes Gesicht - und er ging mit langen, wiegenden Schritten davon, durch seine drei Söhne hindurch und auch durch die Mauer. Die drei Burschen, so richtige Knochenbrecher, verharrten weiter stumm und reglos. Ihre toten Augen sahen durch mich hindurch, als wäre ich Luft. Ich kannte bereits die Gefährlichkeit des O'Hara-Clans und hütete mich, den Kerlen zu nahe zu kommen. Aber etwas unternehmen musste ich. Bereits als ich die Burg betrat, hatte ich mir ein Kruzifix von der Wand genommen, weil mein indianisches Amulett nicht auf diese Geister ansprach. Ich zog also das Kruzifix unter dem Hemd hervor, wo ich es verborgen hielt und streckte es den drei O'Hara-Brüdern entgegen. Die Wirkung war gleich Null. Unverrückbar standen sie da, stupid wie steinerne Götzen. 54
Mir blieb nur der Colt. Bereits schon einmal gelang es mir, mit gezielten Schüssen dieses Unwesen zu vertreiben. Also hob ich den schweren Stahlfinger an, bereit, es noch einmal zu versuchen. Doch da sprach mich meine eigene Stimme von hinten an. »Black Lobo, wie tapfer du bist. Siehst du nicht, dass nur alte Kleider da hinten hängen und was du für Gesichter hältst, sind getrocknete Sonnenblumen.« Ich wollte mich nicht bluffen lassen und behielt die O'Haras weiter im Auge. Aber die Stimme, meine eigene Stimme, kam näher. Wer sie immer auch gebrauchen mochte, bald musste er dicht hinter mir stehen. Ich fuhr herum und mein Gesicht glänzte jetzt vor Schweiß. Aber da war nichts, auf das ich schießen konnte - bis auf ein Lachen, das mir verdammt vertraut vorkam. So lache ich immer, wenn es haarig wird. Schon bereit, dem Klang meines eigenen Lachens nachzugehen, brach es abrupt ab. Ich war wieder allein mit den O'Haras, die von der Hölle ausgespuckt worden waren. Langsam verzog sich mein Gesicht zu einem Grinsen und ich begann mich bedeutend wohler zu fühlen. Dort, wo eben noch die Geister gestanden hatten, gähnte mir nun Leere entgegen. Meine Stimme hatte den Höllenwesen zur Flucht verhelfen. Aber da war doch etwas. Im tiefen Staub, der das ganze Burgzimmer bedeckte, erkannte ich einen länglichen, mehrfach unterteilten Abdruck. Verwundert beugte ich mich nieder und betrachtete ihn genauer. Es handelte sich um das Profil eines Fußes. Aber nicht mit Fleisch und Sehnen, sondern ein Knochenabdruck. Freunde, mir wurde eigenartig zumute. Nicht, dass ich Angst bekommen hätte, nein, aber da war so ein unbeschreibliches Gefühl in mir, das sich mehr und mehr auf den Magen konzentrierte. Zugegeben, in mir fließt Indianerblut, aber das besagt noch lange nicht, dass ich an Götzen und Dämonen glaube. Aber eben wieder hatte ich meine eigene Stimme gehört und vier Gespenstern gegenübergestanden. Das macht zumindest nachdenklich. 55
Hier war nichts mehr zu holen. Ich ging rückwärts bis an die Tür. Durch das verdreckte Fenster brach ein erster Sonnenstrahl. Gerade, als ich den Blick noch einmal über die abgestellten Möbel gleiten ließ, traf mich etwas hart am Kopf. Dann prasselte es auf mich nieder. Aus allen Ecken und Winkeln flogen mir harte Gegenstände um die Ohren, wie abgebrochene Stuhlbeine, hölzerne Kugeln, die früher Bettpfosten zierten, Kleiderbügel und auch leere Schubladen. Während ich einen Satz machte, durch die Tür flitzte und diese hinter mir zuschlug, fluchte ich laut: »Himmelkruzitürken. Verdammt! Elender Mist! Ist denn jetzt noch ein Poltergeist dazugekommen?« * Da stand Glende plötzlich im halbdunklen Flur dicht neben mir, mit einer Haut wie aus cremefarbener Seide und in den funkelnden Augen schimmerte es grün, grün wie die Farbe von taufrischem Moos. Es waren große und runde Augen, die konstante Überraschung ausdrückten und das gab ihnen einen Hauch jungfräulicher Unschuld - wenn man in ihre Augen schaute. Aber knapp zwei Handbreit tiefer erstarb die Jungfrau. Ihre Lippen waren wie das Fleisch einer heißen, üppigen Blüte. Sie waren eine Falle, wie gemacht für einen sinnlichen Mund; es waren wilde, leidenschaftliche Lippen, die sich kaum merklich bewegten, als vibrierten sie noch in Erinnerung eines langen, liebestaumelnden Kusses; es waren schöne und feuchte und volle Lippen, sanft und süß und samtweich. »Teufel, Teufel«, sagte ich halblaut, ohne dass es mir richtig bewusst wurde, etwas gesagt zu haben. »Na, na«, lächelte Glende. »Wer wird denn einen solch bösen Namen in den Mund nehmen?« Sie lächelte dabei hintergründig und herausfordernd zugleich. »Sie haben recht«, sagte ich. »Ich möchte viel lieber was anderes in den Mund nehmen.« 56
»Hier?«, fragte sie und das Grün in ihren Augen tanzte auf und ab. »Überall«, antwortete ich begeistert. »Übrigens«, sagte Glende, »vielen Dank, dass Sie denen da oben gezeigt haben, was ein Mann ist.« »Es war mir ein Vergnügen, nur schade, dass Ihr Zukünftiger nicht dabei war.« Sie blickte an mir rauf und runter, von meinen staubigen Hosen zu meinem zerknitterten Jackett. »Himmel, was haben Sie gemacht? Kam der Krach da drinnen von Ihnen?« »Und von den O'Haras«, gab ich ihr zu verstehen. »Ich erwischte sie gerade, als sie ihren Tagesschlupfwinkel aufsuchen wollten. Aber was suchen Sie hier und dazu in solch einer Aufmachung?« Glende lachte und trat noch einen Schritt näher heran. »Vielleicht bin auch ich auf Geisterjagd?« »Aber doch nicht in diesem durchsichtigen Ding, das Sie umhüllt«, sagte ich rügend, dabei meinen Arm um ihre Schulter legend - und gab ihr einen Kuss. Ich war wahrscheinlich ebenso überrascht wie sie. Ich hatte nicht vorgehabt, sie zu küssen, obwohl ich schon häufig an diese Möglichkeit gedacht hatte, aber nicht so, dass sie jemals wahr werden würde. In dem einen Augenblick stand ich noch ganz harmlos und schüchtern da und im nächsten hatten meine Lippen ihre schon umklammert. Glende verkrampfte sich und wollte sich lösen. Aber sie wollte nur. Dann entspannte sich ihr Körper und ihre Lippen wurden weich und feucht und warm. Ich legte meine Hände um ihren Rücken und drückte sie fest gegen mich und ihre Arme schlangen sich um meinen Hals und auch sie zog mich fest gegen sich. Als unsere Lippen sich lösten, sagte ich: »Hoppla, Komtess.« Sie öffnete ihre großen, jetzt dunkel gewordenen Augen und sagte leise: »Sag nichts, Paco. Sag nichts...« Und ich blickte nur in ihre Augen, sekundenlang, minutenlang. Sie öffnete die Lippen ein wenig. Ich nahm das als heimliches Zeichen und presste meinen Mund auf ihren. 57
Erst glaubte ich, in höheren Regionen zu schweben, als der Fußboden zu vibrieren begann und erst, als Glende mich zurückstieß und laut zu schreien anfing, merkte ich, dass wir auf einer Falltür standen, die schwerfällig nach unten schwang. Ich stand schon tiefer und konnte keinen Halt mehr finden. Es reichte nur noch aus, Glende einen Stoß zu versetzen, der sie zurück auf den Flur schleuderte. Dann ging es ab in eine schwarze Tiefe. Der Aufprall war hart und ich lag einige Minuten reglos da, weil mir alles weh tat. Erst nach und nach stellte ich fest, dass alle Knochen heil geblieben waren. Ich hörte Wasser tropfen und fühlte kalte Steine. Sehen konnte ich nichts. Tiefste Dunkelheit umgab mich. Vermutlich hatte sich die Falltür wieder geschlossen. Glende war meine einzige Hoffnung. Sicher holte sie Hilfe... Die Flamme meines Feuerzeugs zeigte mir, dass ich in ein unterirdisches Verlies geraten war, fünf mal fünf Meter groß und zwei Meter hoch. Ich tastete die Decke ab, was mir meine Länge erlaubte. Ich brauchte mich nur etwas zu recken. Die Falltür konnte ich nicht erfühlen. Es bestand die Wahrscheinlichkeit, dass im Laufe der Jahrhunderte das Holz der Klappe versteinert war. Ich steckte mir eine Zigarette an und blies das Feuerzeug aus. Es war nass, kalt und still. Grabesstill. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so gesessen und vor mich hin gegrübelt habe. Aufgeschreckt hatte mich ein Strahlen, das direkt aus einer der Steinmauern zu kommen schien, ein grelles Strahlen, das mich zwang, die Augen zu schließen. Es knirschte, als wenn Steine gegeneinander reiben und ich riss die Augen auf. Flucht war sinnlos. Einmal umgaben mich meterdicke Wände, zum anderen waren die vier O'Haras erschienen. Sie standen da wie eine lebende Mauer aus Knochengerippen. 58
»Was wollt ihr denn schon wieder?«, knurrte ich. Große Hoffnung, lebend aus diesem Schlamassel herauszukommen, hatte ich nicht mehr. Die unheimlichen Recken hielten mich einer Antwort für unwürdig. Sie musterten mich stumm, mit einer tödlichen Selbstsicherheit. Mir fiel das Groschen. Das musste das Verließ sein, wo man damals die O'Haras einkerkerte. Ich sagte es laut. »So ist es, Mensch«, erwiderte einer der Unheimlichen finster. »In diesen Gemäuern haben wir gedurstet und gedarbt, bis der Tod uns ereilte. Der Verrat dieses McWatford hat uns getötet.« Um den Dialog nicht abreißen zu lassen, solange gesprochen wird, tötet man nicht, fragte ich: »Warum habt ihr es gerade auf mich abgesehen? Ich gehörte in keiner Weise zum McWatford-Clan.« Der Jüngste aus den Reihen der vier Recken lachte meckernd. »Du bist in eine McWatford Hexe verliebt. Sie hat dich verzaubert, will dich in ihre Machenschaften einspannen.« Mit einer herrischen Handbewegung unterbrach der Alte seinen Sohn, wandte mir sein starres Gesicht zu und sagte donnernd: »Jeder, der sich uns in den Weg stellt und denen hilft, die uns einst töteten, ist ebenfalls des Todes.« »Was wollt ihr mit mir machen?«, fragte ich weiter. Aber das war mir eigentlich klar. Ich würde mein Todesurteil hören. Ich glaubte schon eine bleiche Knochenhand um meinen Hals zu spüren, die mir die Luft aus der Lunge presste. Der unheimliche Alte vor mir starrte aus toten Augen. Sein knöchernes Gesicht blieb reglos. Lediglich die Arme verschränkte er vor der Brust. Dabei rutschte der Umhang zurück und ich sah das Skelett seines Körpers grünlich leuchten. »Hier in diesem Verließ wirst du bleiben, dursten und darben, wie wir es taten. Die Ratten werden dich anfressen, bis der Wahnsinn dich packt.« Ein Leuchten tauchte im gleichen Augenblick aus dem Nichts auf. Wie ein Mantel legte es sich um den Alten und seine drei furchteinflößenden Söhnen. 59
Die für meine Begriffe nicht ganz normalen Gespenster wandten sich ab, nachdem sie mir noch einmal ihre starren Masken von Gesichtern zugewandt hatten, aus denen mir nackter Hass entgegen sprang. Der Alte dieses tödlichen Rudels trat dicht an mich heran. Seine Faust schlug mir mitten ins Gesicht. Ich hörte die Englein singen, denn die Faust fühlte sich wie ein Stein an und warf mich ein Stück zurück. Dann drang teuflisches Gelächter an meine Ohren und ließ mich den Schmerz vergessen. Ich sah die vier Teufel in Menschengestalt genau vor mir, denn das komische, unwirkliche Licht zeichnete klare Silhouetten. Ich konnte nicht erkennen, welche Silhouette zu welchem Gespenst gehörte, aber das kümmerte mich wenig, denn inzwischen begannen meine Peiniger durch die Wand zu laufen. Ich hob den Colt, zielte auf die erste umstrahlte Silhouette, drückte zweimal ab, noch einmal und hörte einen kreischenden Schrei, fast ein Bellen. Bei Manitou, ich hatte diesmal einen erwischt. Aber wie immer, wenn ich meinte, einen der O'Haras unter den Dreispitz gucken zu können, half ihnen der Teufel, Ihr Herr und Meister, aus der Klemme. Ich sah die letzte Gestalt verschwinden, wobei das dämonische Licht dunkler wurde, mir Gelegenheit gab, das Loch in der Wand zu erkennen. Jetzt wurde ich erst richtig wütend. Bisher glaubte ich, die vier existent gewordenen Geister könnten durch steinerne Mauern gehen, dabei benutzten sie einen verborgenen Geheimgang... Ich hatte vor Aufregung nicht mitgezählt, aber zwei, wenn nicht gar drei Kugeln mussten sich noch in der Trommel befinden. Und die schickte ich der verschwindenden Gestalt hinterher, drückte schnell ab, bis der Hammer klickend auf eine leer geschossene Patrone fiel. Die Geister waren entwischt, ohne einen Tropfen Blut vergossen zu haben. Im schwachen Schein meines Feuerzeuges suchte ich den Fußboden ab, leider vergeblich. Aber etwas hatten doch meine schweren Geschosse bewirkt. Irgendeine der 9-mm Geschosse musste den Mechanismus der Geheimtür beschädigt haben. Die Tür stand eine 60
Handbreit offen, hatte sich zu meinem Glück nicht automatisch geschlossen. Mit fliegenden Fingern leerte ich die Trommel, ließ die abgeschossenen Patronen zu Boden fallen und ersetzte sie durch neue, von denen ich immer ein Teil mit mir herumtrage. Dann sah ich zu, dass ich aus dem kaltnassen Verlies kam. Zuerst löschte ich das Feuerzeug. Das Licht hätte mich zu meiner eigenen Beerdigung angemeldet. Vorsichtig betrat ich das Loch, hielt dann kurz an, um zu lauschen. Kein verdächtiges Geräusch. Der Gang vor mir schien keine Geister zu beherbergen. Aber das täuschte, denn Geister sind lautlos, wenn sie es wollen. Man wiegte mich ein paar Sekunden lang in Sicherheit - bis einer der O'Haras mir zeigte, dass er und seine Sippe die Herren im unterirdischen Teil von Deer Abbey Castle waren. »Auch wenn du wegrennst, weit kommst du nicht«, donnerte es mir urplötzlich entgegen. »Wohin du dich auch wendest, das Tageslicht wirst du niemals mehr sehen.« Ich erstarrte. Praktisch aus dem Nichts war eines der Gespenster in den Keller des Todes zurückgekehrt. Über meine Lippen brach ein verzweifelter Laut. Ein grelles Gleißen umhüllte jetzt mich, gab mir die Vorstellung, selbst schon ein Geist geworden zu sein. Panik wollte in mir aufkommen, denn die Mächte der Finsternis hielten mich gefangen. Es gab kein Entrinnen vor ihnen. Ich raffte all meinen verbliebenen Mut zusammen und rannte in den dunklen Gang hinein, auf die Stimme zu, die mir meinen Tod vorhersagte. Heftig prallte ich gegen eine Wand. Benommen verharrte ich. Tiefste Dunkelheit herrschte. Das Leuchten und Gleißen war aus meiner Nähe verschwunden. Im selben Moment, als das Licht verschwand, kamen sie. Aus beiden Gangwänden tauchten ihre schwarzen Umhänge auf. Wie Schatten schälten sie sich aus der Finsternis. Mein Magen verwandelte sich zu einen Eisklumpen. 61
Die körperlich gewordenen Geister kamen näher. Kein Wort drang aus den schwarzen Mundhöhlen. Lautlos kamen ihre drohenden, bleichen Totenhände unter den Umhängen hervor. Ich musste alles wagen, wollte ich jemals lebend aus den Kellergewölben herauskommen. »Yiiieh!« Der Kriegsschrei des Stammes meines Urgroßvaters brach mir unbewusst über die Lippen und ich sprang vor, täuschte so meine gespenstischen Gegner. Die mittelalterlichen Recken waren für Bruchteile von Sekunden überrascht. Mit einem Angriff hatten sie nicht gerechnet. Ehe sie begriffen, was geschah, sauste ich ganz rechts an ihnen vorbei, weil an dieser Stelle noch freier Raum war. Einen musste ich mit der Schulter rammen, die sofort höllischen Schmerz protestierte. Mit wütendem Geschrei stürzten sich die vier Kerle auf mich. Ich wich ihnen geschickt aus. Zwei von ihnen prallten hart zusammen. Zur Freude war keine Zeit. Die Höllenbrut hetzte geschlossen hinter mir her. Übel war für mich, dass der dunkle, mir völlig unbekannte Gang sehr niedrig war, so dass ich gebückt rennen musste. Doch die Angst trieb mich vorwärts. Das Wutgeschrei wurde immer lauter; es forderte meinen Skalp. Wie nahe meine Gegner schon heran waren, hörte ich nur an den Geräuschen, die entstanden, wenn einer von Ihnen gegen eine der engen Wände stieß oder wenn sie sich gegenseitig behinderten und einer zu fluchen begann. Aber trotz aller Enge waren sie schnell. Ich pumpte mich voll Luft und erhöhte das Tempo. Bloß weg von diesem blutrünstigen Rudel... Welcher Körperteil zuerst gegen die Mauer knallte, kann ich nicht mehr sagen. Auf alle Fälle fühlte ich an zwei, drei Stellen stechenden Schmerz und wurde zurückkatapultiert. Ich war in eine Sachgasse geraten. »Sterbe tapfer, Paco«, sagte ich zu mir und drückte meinen Rücken gegen die Mauer, deren Existenz meine letzte Hoffnung auf Rettung zunichte machte. 62
Das erste gespenstische Wesen, ich sah nur die Umrisse, weil der schwarze Umhang alles andere verdeckte, kippte schnell und geräuschlos um. Es wollte noch nach dem Degen greifen, als es mich erblickte und ich erledigte es mit einem harten Schlag. Ich war in diesem Augenblick so eiskalt wie ein Berufsjäger. Ich riss den Colt hoch und visierte, hielt den Atem an, riss durch und stieß einen Schrei aus, als ich hörte, wie die Kugel am knöchernen Körper des zweiten O'Haras abprallte. »Verfluchter Geist, dich soll der Teufel holen«, schrie ich blind vor Zorn und ohnmächtiger Wut, wehrlos abstrakten, irren Edelleuten aus vergangenen Jahrhunderten gegenüber stehen zu müssen. In der Hitze des Gefechtes musste ich mich fester gegen die Mauer gestemmt haben. Zuerst bemerkte ich nur, wie die drei übrig gebliebenen O'Haras näher rückten. Jeder hatte jetzt seinen Degen gezogen und jeder war dazu bereit, mich aufzuspießen. Dann fühlte ich in meinem Rücken, wie die Mauer nachgab. Ich kann nicht mehr sagen, was damals größer war. Die Angst vor den anstürmenden O'Haras oder das Gefühl, Leere im Rücken zu haben. Hinterrücks fiel ich ins Freie, überschlug mich dabei wie eine Katze. Und noch bevor ich zum Liegen kam, hörte ich, wie die Geheimtür zuschnappte. Ein paar Minuten lauerte ich auf das Erscheinen der gespenstischen Recken. Doch die Geheimtür öffnete sich nicht wieder. Ich atmete auf. Finstere Nacht herrschte ringsum. In der Ferne hörte ich das Schreien eines Käuzchens. Der Wind strich durch die Büsche und spielte mit den Ästen der Bäume. Eine Gestalt huschte durch die Dunkelheit. Sie nutzte jede noch so geringe Deckung, während sie sich meinem Standort näherte. Vorsichtshalber ging ich in die Hocke. Die Gestalt war bedeutend kleiner als ein Mann, aber sehr gelenkig. Ihr Haar leuchtete kupfern auf, wenn es der Mondschein traf. Lautlos robbte ich auf ein Gebüsch zu, darauf vorbereitet, mit einer neuen Schweinerei fertig werden zu müssen. Angespannt schaute 63
ich nach links und rechts. Jede noch so kleine Bewegung wäre mir aufgefallen. Wo hielt sich die Gestalt versteckt? Sekunden später spannten sich alle Muskeln und Sehnen bei mir. Ich hatte ein Kratzen und Schaben vernommen. Instinktiv duckte ich mich tiefer hinter dem Busch. Das Schaben entfernte sich und kam dann wieder näher. Millimeter für Millimeter kroch ich an den Rand des Busches und streckte den Kopf vor. Wie erschrak ich, als ich wenige Schritte entfernt die bleichen Totenschädel der O'Haras in der Dunkelheit leuchten sah. Ein einziger Blick sagte mir, warum die Gespenster sich dort aufhielten. Selbst in der Dunkelheit erkannte ich die Gestalt mit dem Kupferhaar. Die Halunken aus der Hölle begannen sie einzukreisen. In der Sekunde, in der mir bewusst wurde, dass diese Gestalt keine andere als Glende war, Glende, die vielleicht nach mir suchte, begann mein Herz wie rasend zu schlagen. Der alte O'Hara warf seinen Totenkopf herum, zuerst ungläubig, zur Untätigkeit geschockt, als er mich hinter dem Busch hervorspringen sah, meine Hände bereits erhoben, um ihn zu packen. Nur der Himmel wusste, was in diesem Augenblick durch das Gehirn des körperlichen Geistes ging, aber dann klickte es doch bei ihm, er erkannte mich und stieß einen sonderbaren Laut aus. Aber der Überraschungsmoment hatte mir schon Vorteile gebracht. Ich war fast vor ihm, wollte ihn packen, als er in einer Art Reflexbewegung die bleiche Hand in mein Gesicht schlug. Der Schlag konnte mich nicht stoppen. Dann war ich auf dem knöchernen Gespenst. Mein Körper prallte auf seinen, mein ganzes Gewicht und meine ganze Geschwindigkeit legte ich in den Anprall hinein, es war, als wenn eine Axt in einen Baumstamm schlägt. Er ging rückwärts, stolperte, fiel auf den Rücken. Ich warf mich auf ihn, weil ich wusste, dass nur einer von uns hochkommen durfte. Im selben Augenblick warf er seinen Körper herum. Blitzschnell hob er sich auf die Knie und die rechte Hand langte nach meinem Hals. 64
Ich tauchte diesem Arm entgegen, hielt ihn fest. Wir waren beide jetzt auf unseren Knien, sanken in das nasse Gras unter uns und der Geist tauchte vor mir zur Seite und holte mit seiner linken Totenhand aus, hielt zwei Fingerknochen tiefer ausgestreckt, die er auf meinen Solarplexus gerichtet hatte. Wenn sie trafen, würde er mit den Knochenfingern auf dem Rücken wieder herauskommen. Mir blieb keine Zeit zum Angriff, ich musste mich jetzt auf Verteidigung einstellen, vor diesen harten Fingern fliehen, in denen die Kraft des Teufels steckte. Ich warf mich nach vorn, warf mich in ihr hinein, drehte mich in der letzten Sekunde mehr nach links, als mich der Schlag erwischte. Ich hatte Glück, die Totenfinger schnitten nur in meine Rippen, schickten aber trotzdem Flutwellen von Schmerz durch meinen Körper. Das alles hätte ich noch überstanden. Aber da waren die drei Söhne des Alten. Geschlossen fielen sie über mich her. Ich sah nur noch Sterne vor meinen Augen tanzen. Die Dunkelheit wich zurück. Ich schlug die Augen auf und erblickte die schwache Sichel des Mondes. Egal, wo ich auch gelandet war, Himmel oder Hölle, nirgendwo scheint der Mond, also musste ich mich noch auf der Erde befinden. Ächzend kam ich hoch, ließ mich aber sofort wieder fallen, höhnte doch aus dem nahen Wald hervor meine eigene Stimme. »Black Lobo, was bist du für ein Waschlappen. Sei schlau, nimm deinen Colt und halte die Mündung auf dein ängstliches Herz. Du wirst den Knall nicht hören, der dir dein Herz zerreißt und du wirst endlich frei sein, unter uns weilen können. Schnell, Paco, drücke ab, ehe es zu spät ist.« * Kein Mensch war im Grill Quick außer einem Mann, der die leeren Flaschen und den Dreck der vergangenen Nacht wegräumte. Er spürte sofort, mit wem er es zu tun hatte und wollte mir aus dem Weg gehen, aber ich hielt ihn fest und sagte: »Moment mal, Sam.« 65
Sam bekam ein vergrämtes Gesicht. »Was wollen Sie? Ich habe mit denen da oben nichts zu tun.« Ich lehnte mich gegen den Tresen, bemüht um eine Maske der Gleichgültigkeit. »Wieso weißt du, dass ich Auskunft über die McWatfords wünsche?« Seine Augen waren schläfrig, aber auch hungrig. Deshalb begann ich mit einem Geldschein zu spielen. »Es dreht sich weniger um die McWatfords als vielmehr darum, wie viel Fremde sich seit einiger Zeit, sagen wir zehn bis vierzehn Tage, in New Pitsligo herumdrücken.« »Hab' schon von Ihnen gehört«, versuchte er auszuflüchten. »Sicher«, sagte ich. »Kommt nur drauf an, was?« »Die Leute reden so allerhand, von wegen Schwarzer Wolf, ein Name, der in London nur geflüstert wird.« »Du weißt also, was man hinter meinem Rücken flüstert?« Er atmete gepresst durch die Nase, nickte schweigend. »All right, dann weißt du ja, was dir blühen kann. Also los, spuck's aus.« Sein Mund wurde ein dünner Strich, die Nasenlöcher darüber zogen sich zusammen. Seine Stimme war ein heiseres Flüstern. »Nicht so - wenn die uns hören...« Man konnte die Furcht direkt riechen, die aus seinen Poren drang, darum dämpfte ich meine Stimme. »Wer kann uns hören?« Der Bursche sah jetzt mehr einer Maus ähnlich, mit einem unruhigen Flattern in den Augen. Er stieß einen Seufzer aus. »Die O'Haras...« Mir platzte der Kragen. Ich packte ihn am Schlips und zerrte daran. »Mann, willst du mich veräppeln?« »Sie gehen zu weit, Sheehan«, sagte eine Stimme da hinter mir und sie klang sehr ungnädig. »Sergeant McEvans. Natürlich. Immer, wenn man euch nicht braucht...« »Schon gut, Sheehan. Ich kann ja Ihre Erregung verstehen. Aber Sam weiß nun mal nichts.« »Das kann er seiner Großmutter erzählen. Außer der Bar in meinem Hotel gibt es in diesem Nest kaum noch einen Treffpunkt.« »Darf ich Sie zu einem Drink einladen?« 66
»Aber gern, Sergeant.« McEvans blies den Schaum von seinem Bier und setzte dann das Glas an die Lippen. Als er absetzte, sah er mich lange an. »Es kamen einige Fremde«, erklärte er, wobei der Dialekt des schottischen Hochlandes deutlich herauszuhören war. »Well, Sheehan, wir von der Polizei können auch denken.« Ohne mein Glas anzurühren, fragte ich hastig: »Was kam bei der Überprüfung heraus?« »Nichts. Alles unbeschriebene Blätter. Sehr merkwürdig.« Seine Stimme hatte Kanten und seine Augen rollten wild. »Mist«, sagte ich aus vollem Herzen, setzte das Glas an und leerte es in einem Zug. »Das ist schon ein ganzer Misthaufen, Sheehan und es kommt noch dicker.« »Noch dicker?«, echote ich. »Sicher. Sie erinnern sich des Vorfalls in der Burg, während der Totenfeier?« »Und ob. Da kamen die vier rothaarigen O'Haras aus der Wand und wollten Reginald McWatford ans Leder.« McEvans nickte gewichtig. »Ihr Freund, der Reporter, schoss einige Bilder...« Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Zum Teufel, das hatte ich ganz vergessen.« »Joe aber nicht. Er entwickelte noch in der gleichen Nacht.« Der Sergeant legte eine beziehungsvolle Pause ein, bevor er schwergewichtig sagte: »Dann rief er bei uns an.« Ich winkte nach einer neuen Runde. »Na und?« »Wieder nichts.« Die Zigarette, die ich eben anbrennen wollte, ließ ich in der Luft hängen wie meine Hand, die sie hielt. »Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Sergeant.« McEvans grinste schief. »Da gibt es nichts mehr zu sagen. Die Bilder waren leer, nichts drauf.« 67
Aus dem Hintergrund wimmerte Sam, der sein Ohr bei uns auf dem Tresen liegen hatte. »Also gibt es sie doch, die O'Haras. O Gott, wie soll das noch enden?« »He, Sam, beruhige dich. Für alles gibt es eine logische Erklärung.« »Vielleicht bei euch in London, Black Lobo. Hier im Bergland ist das anders. Sie hörten es doch selbst: Die Bilder waren leer. Geister lassen sich nun mal nicht knipsen, noch kann man sie in einem Spiegel sehen.« Sam hatte jetzt Angst, richtige Angst. Mir war auch nicht wohl zumute, wenn ich ehrlich sein soll. Es war nicht der erste Fall, bei dem Geister im Spiel waren, den ich zu lösen hatte, aber meistenteils handelte es sich da um spiritistischen Unsinn, um überdrehte Menschen, denen der Alltag einfach über den Kopf wuchs. Doch hier, in New Pitsligo, sah alles ganz anders aus. Die McWatfords waren ein fluchbeladenes Geschlecht und in ihrer Burg ging wirklich etwas Außergewöhnliches, nicht mit normalen Maßstäben zu Messendes, um. Verrückt an der ganzen Sache war nur, dass ich noch immer nicht an Geister glauben konnte, an Wesen, die längst vermodert und nun körperlich sichtbar herumspazieren sollen. Wenn es an dem gewesen wäre, hätte ich meinen Jaguar voll getankt und das Weite gesucht. * Die Nacht war schwül. Am Horizont wetterleuchtete es. Bevor ich in die Falle kroch, sicherte ich das Fenster. Ich tat es weniger des zu erwartenden Gewitters, sondern wegen der gespenstischen O'Haras, die in der Lage waren zu fliegen. Die Jacke meines Schlafanzuges warf ich in die Ecke und die Steppdecke strampelte ich weg. Schließlich wollte ich schlafen und keine Sauna machen. Das Klopfen hörte sich sehr leise an. Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht geträumt hatte. Da ich als Detektiv immer mit einem Angriff rechnen muss, griff ich unters Kopfkissen, wo ich den 45er aufbewahr68
te. Der harte Stahl gab mir ein sicheres Gefühl. Ich kam mir nicht mehr vor wie ein Wolf ohne Zähne. Alles blieb still und da ich nun schon munter war, griff ich nach der Zigarettenpackung auf dem Nachttisch. In diesem Moment wiederholte sich das Klopfen, zwar leise, aber es klopfte. Jemand stand vor meiner Zimmertür. Geräuschlos glitt ich aus dem Bett, die Kanone in der Faust. Feinde klopfen in der Regel nicht an, sie schießen durch die Tür. Doch ich hatte es nicht mit gewöhnlichen Gangstern zu tun, sondern, wie mir schien, mit überirdischen Wesen aus den Zwischendimensionen. Langsam, millimeterweise, öffnete ich meine Zimmertür, bis ich hinausspähen konnte auf den langen Flur - und sah am Ende einen Schatten huschen. Wenn es sich um einen Menschen handelte, so war er in eine Sackgasse geraten. Da hinten endete der Flur vor einer Brandmauer. Ich wusste, dass man mich nicht sehen konnte, aber ich ließ den geheimnisvollen Ruhestörer auf meine Art hören, wo ich war. Ich kippte den Hahn des Colts nach hinten und es war das lauteste Geräusch im schleifenden Hotel. »Hier bin ich.« Der Unbekannte wusste, was ich in der Hand hielt, denn er gab einen unterdrückten Überraschungslaut von sich. Dann: »Nicht schießen, bitte.« Die Stimme... Herrgott, die Stimme gehörte einer Frau. Ich nahm den Finger vom Drücker, kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Da kam sie auf mich zu, klein, schmächtig und hübsch, etwas, das man sofort heiraten würde. In ihren großen Augen stand Angst. Die Hände hielt sie um eine Handtasche gekrampft. Ich kam mir ziemlich blöd vor mit der schweren Artillerie in der Faust, andererseits jedoch lebe ich noch, weil ich immer vorsichtig war. Der Tod kommt oft in Gestalt einer schönen Frau. Ihre Stimme klang leise, zaghaft, als sie fragte: »Sind Sie Mr. Sheehan?« Und als ich nicht gleich antwortete, sagte sie noch: »Sie müssen es sein. Thomas hat Sie mir ganz genau beschrieben.« 69
»Thomas...?« Mir fiel der Groschen. Ja, natürlich, der kleine naturbegeisterte Bengel, der seiner Mutter immer ausbüxte. »Sind Sie etwa Mrs. Torry, Thomas' Mutter?« »Ja, ich bin Beate Torry.« Sie war heran. Der Luftzug wehte mir den angenehmen prickelnden Duft von Black Satin in die Nase. Langsam ließ ich den Colt sinken. »Mr. Sheehan, ich muss Sie dringend sprechen. Thomas meint, es wäre ungeheuerlich wichtig, Ihnen zu zeigen, was er gefunden hat.« Ich wies auf die Tür und ließ sie vorgehen. Das Angespannte wich aus mir, als ich sie von hinten betrachtete. Wirklich, man konnte sich mit ihr von allen Seiten sehen lassen. Noch ängstlich blieb sie mitten im Zimmer stehen. »Nehmen Sie Platz, Mrs. Torry. Einen Drink?« Sie ließ sich in den Sessel sinken und schlug ihre tadellosen, in Nylon gehüllten Beine übereinander. »Keinen Drink. Bitte, wenn Sie eine Zigarette hätten?« Ich gab der schönen Witwe Feuer, zündete mir selbst ein Stäbchen an und fragte dann direkt: »Vor was haben Sie Angst, Mrs. Torry?« Ohne zu antworten, fingerte sie an ihrer Handtasche herum, bis das Ding mit einem Schnapplaut aufsprang. »Sie haben mir nicht geantwortet«, beharrte ich und fühlte, wie die vertraute Spannung von mir Besitz ergriff. Etwas war im Busch. Noch immer wortlos, kramte Mrs. Torry eine kostbare Krokodilbrieftasche hervor, zusammengedrückt und angeschmutzt von Erde. Stumm hielt sie mir die Ledertasche entgegen. Ich griff danach. »Ist es das, was Thomas fand?« Sie nickte und ihr tiefschwarzes Haar flog dabei. Ein schöner Anblick, wie das Gefieder eines Raben. Ich tat einen tiefen Zug aus meiner Zigarette, bevor ich sie ablegte. Dann klappte ich die teure Brieftasche auf. Ich stieß einen Überraschungspfiff aus. Die Brieftasche gehörte Sir Bromfild, der mich telefonisch um Hilfe gebeten hatte und den die O'Haras vor meinen Augen entführten. 70
Ich hörte das Knirschen meiner Zähne, als ich das teure Krokodilleder auf den Tisch legte. »Wo hat sie Thomas gefunden?«, fragte ich dann mit seltsam kratzender Stimme. Ihre dunklen Augen öffneten sich einen Moment weit und es glitzerte seltsam in ihnen. Nach einigen Schweigesekunden sagte sie leise: »Neben der alten Wehrmauer, am Fuße des eingefallenen Eckturms.« »Also oben auf der Burg?« »Ja, er war wieder einmal im Wald.« Ich betrachtete das Fundstück nochmals. Die Brieftasche war zusammengeknickt worden, so, als hätte man sie durch einen schmalen Spalt geschoben. Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitzschlag: Sir Bromfild lebt und wird auf der Burg gefangen gehalten. Irgendwie war es ihm gelungen, das Erkennungszeichen ins Freie zu schieben. »Wann fand er sie?« »Es mag zwei Stunden her sein, Mr. Sheehan. Ich bin gleich zu Ihnen gekommen. Der arme Sir Bromfild...« »Kennen Sie ihn?« »Oh, ja natürlich. Er war mit Zeb - äh - mit Sir McWatford eng befreundet, nicht nur der Notar des Hauses.« Zeb hatte sie gesagt... Sie musste die Zweifel in meinem Blick gelesen haben, denn unaufgefordert erklärte sie: »Ich war viele Jahre Sir McWatfords Hausdame.« »Aah und warum hörten Sie auf?« Sie wurde rot bis unter den Haaransatz und presste die Lippen zusammen. Ich konnte sie nicht schonen, schließlich ging es um ein Menschenleben. Nur aus diesem Grunde sagte ich ihr unmissverständlich meine Meinung: »Sie waren die Geliebte des Verstorbenen, nicht wahr? Irgendeiner aus der Familie sagte Ihnen nach dem Tod des Burgherrn, sie sollen Deer Abbey Castle verlassen. War es so?« Tränen zogen glänzende Bahnen über ihre Wangen und als sie sich etwas zurücklehnte, blieb ihr Mund halb offen und ein Schluchzen 71
entschlüpfte ihr. »Ich habe ihn sehr geliebt. Bitte glauben Sie mir das. Oft bot er mir Geld an und wollte mir Schmuck schenken. Aber ich lehnte immer ab.« »Sie waren so allein wie er. Ich glaube Ihnen, Mrs. Torry«, sagte ich und kein Wort war gelogen. »Doch Sie müssen auch mich verstehen«, bohrte ich weiter. »Sir Bromfild wird gefangen gehalten. Er ist nicht mehr jung. Es könnte sein Tod sein. Ich schlage vor, Sie erzählen mir jetzt alles.« Während Mrs. Torry nervös rauchte, tastete ich sie mit Blicken ab. Mein Eindruck von dieser Frau war positiv. Sie gehörte nicht zu der Sorte Flittchen, die alte und reiche Männer ausnimmt. Ich war richtig froh darüber. * Das Kratzen an der Tür hörte sich so leise an, dass ich es fast nicht wahrnahm. Doch meine Sinne waren geschärft, seit die Frau in meinem Hotelzimmer Andeutungen machte, die den Fall betrafen. Man kann es Instinkt nenne. Ich nenne es den siebten Sinn, den mir meine indianischen Vorfahren vererbten. Leise erhob ich mich, zog dabei den Colt und als mich Mrs. Torry aus angsterfüllten Augen ansah, legte ich den Zeigefinger auf die Lippen. Dann sagte ich laut: »Bedienen Sie sich ruhig. Es ist noch genug in der Flasche.« Noch nicht ganz zu Ende gesprochen, erschütterten zwei starke Detonationen mein Zimmer. Im gleichen Augenblick erschienen zwei große fransige Löcher in der Tür. In Brusthöhe. Ich warf mich auf Mrs. Torry und kippte mit ihr und dem Sessel zu Boden. Während meine Besucherin einen spitzen Schrei ausstieß, schoss ich zurück. Jetzt zierten vier Löcher die Tür. Noch war der Schussdonner nicht verhallt, da sprang ich vor und riss die Tür auf. Ich rechnete damit, einen vor der Schwelle liegen zu sehen, aber nicht damit, allen vier O'Haras gegenüberstehen zu müssen. 72
Diese dreimal verfluchten Untoten bildeten eine Mauer. Sie verharrten reglos, fast starr, mit gezogenen Degen, deren Spitzen auf meine Brust wiesen. Die Gesichter, die Augen der ausdruckslosen Totenköpfe schienen ins Weite zu starren. Aber ich wusste, dass die leeren Augenhöhlen mich unablässig beobachteten. Wir standen uns gegenüber. Jede Partei wartete auf den Fehler der anderen, um zuschlagen zu können. Mir bereitete es Genugtuung zu bemerken, dass sogar Geister Bammel vor mir hatten. Es ist doch gut, wenn man das Image hat, ein harter Mann zu sein. Der Geist des alten O'Hara, dessen Körper längst zu Erde geworden, aber von satanischen Kräften sichtbar gemacht, grinste jetzt. Haben Sie schon mal einen Totenkopf grinsen sehen? Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Der Anblick war schrecklich. Es gibt nicht viele Männer, die grinsen, wenn sie einen Menschen töten. Und das verfluchte Gespenst bereitete sich darauf vor, mich umzubringen. Der Höllenhund würde wahrscheinlich ein paar Sekunden brauchen, um die Distanz zu überwinden, wollte er den Degen in meine Brust stoßen. Wenige Sekunden nur. Also... jetzt oder nie! Der alte Recke war knapp zwei Meter von mir entfernt und ich stand auf dem Läufer aus Bastgeflecht. Ich ging leicht in die Hocke und hob den Colt, als wollte ich wie ein Combatschütze kämpfen. Meine Bewegung wurde mit tierischem Knurren aus vier Ritterkehlen quittiert. Verrückt machte mich das ständige Starren aus den toten schwarzen Augenhöhlen. Ich brüllte auf, ließ den 45er fallen - und bückte mich so tief, dass ich mit beiden Händen das Läuferende packen konnte. 73
Wenn ich geglaubt hatte, Geister wären schwerelose Wesen, so sah ich mich jetzt, wo es darauf ankam, arg getäuscht. Die zwei Kleiderschränke, die auf dem Läufer standen, kamen mir tonnenschwer vor. Ich packte noch fester zu, krallte meine Finger in das raue Gewebe, richtete mich blitzschnell auf, schwang den Läufer hoch und riss so heftig an ihm wie ich nur konnte. Der Geist des alten O'Hara stieß den Degen nach vorn, wollte mich erledigen, bevor ich ihm den Läufer unter den Beinen wegzog. Zu spät. Doch selbst im Fall noch war es ihm gelungen, die scharfe Klinge nach mir zu werfen. Zum Glück verfehlte sie mich. Dann stürzte der existent gewordene Geist rücklings zu Boden. Ich machte einen Schritt, riss im Sprung die geballte Faust hoch und schmetterte sie dem alten, bösartigen, sich vor Rachegelüsten verzehrenden O'Hara ins Gesicht. Als ich neben ihm auf den Boden fiel, sah ich seinen Schädel nach hinten kippen. Da ich selbst keinen Halt mehr unter den Füßen hatte, saß keine wirkliche Wucht dahinter und ich wiederholte den Schlag noch einmal. Ich rutschte weg, krallte meine rechte Hand in das Totengesicht, das sich eigentlich sehr fleischig anfühlte, rappelte mich auf die Knie, warf meinen Körper herum und knallte ihm die solide Linke auf das Loch, das den Mund darstellte. Dieser Schlag betäubte den verfluchten Geist. Und der nächste betäubte ihn noch mehr, denn ich konnte die Hebelkraft meines rechten Armes ausnutzen, den ich hoch über den Kopf erhoben hatte - und dann schlug meine Faust von oben auf die Nasenlöcher. So schnell ich konnte, warf ich mich wieder zur Seite. Nur zwei Handbreit entfernt lag mein Colt. Zischend stieß ich die angestaute Luft aus. Auf dem Colt stand der Reiterstiefel eines O'Haras. Hinter mir vernahm ich heftiges Rumoren. Ich riskierte einen schnellen Blick. Der zweite Recke musste heftig gefallen sein, als ich ihm den Läufer wegriss, er lag auf seinem Bruder und hatte sich in dessen weiten Umhang verheddert. Ich gewann dadurch wertvolle Sekunden. 74
Das Gespenst auf meinem Colt glaubte sich des Sieges sicher. Es kostete seinen Triumph zu lange aus, hob den Degen zu langsam in der Absicht, mich zu demoralisieren. Bevor sich der niedersausende Degen zwischen meine Schulterblätter bohren konnte, hatte ich schon das Fußgelenk des Kerls umklammert. Es bedurfte nur eines kurzen Rucks - und der mächtige Geist lag ebenfalls am Boden. Ich riss den Colt an mich - er schmiegte sich vertraut in meine Hand. »So, ihr Halunken«, giftete ich. »Nehmt schön eure Pfoten hoch, oder ich knacke euch ein paar Rippen.« Es gab ein zischendes Geräusch. Sehr kurz nur. Danach stank es verbrannt. Übergangslos fiel das Licht aus. Kurzschluss! Der Teufel griff ein. Sofort sprang ich zurück, bis ich die Flurwand hinter mir spürte. Dazu fächerte ich mit dem 45er. Wenn dieser auf Widerstand stoßen sollte, brauchte ich nur abzudrücken. Aber so weit kam es nicht. Ich hörte lautes Klappern, dann das Klirren von Glas. Die Wesen aus dem Totenreich waren zum Fenster hinaus gesprungen. * Mit dem Licht des Feuerzeuges suchte ich meine Taschenlampe. Als ich sie fand und anknipste, fiel der Strahl auf Mrs. Torry. Die Geliebte des verstorbenen Burgherrn saß verkrampft und stumm vor Angst im Sessel. Ihr Mund war zum lautlosen Schrei geöffnet, die Augen rollten irre in ihren Höhlen. Ich packte sie an den Schultern und schüttelte sie kräftig durch. Zuerst ein greller Schrei, dann Schluchzen. Der Schock begann sich zu lösen. Den Whisky musste ich ihr aufzwingen, aber er weckte ihre Lebensgeister. Sie verlangte nach einer Zigarette. 75
Mrs. Torry rauchte stumm und ich war nahe dran ihr anzubieten, sie nach Hause zu bringen. Da gab sie sich einen Ruck und begann zu erzählen: »Jetzt muss ich es jemandem sagen. Diese fürchterlichen Gestalten, denen der Tod auf den Fuß folgt, müssen dahin zurück, von wo sie Reginald gerufen hat.« Ich verbrannte mir die Finger an meiner Zigarette, die ich ungeschickt vor lauter Überraschung, an der falschen Seite angefasst hatte. »Reginald rief die Geister? Der neue Earl von Deer Abbey Castle?« »Er ist noch kein Earl«, wütete Mrs. Torry, »und wird es nie werden. Zeb hat ihn in seinem Testament Aufgaben gestellt, die er nie lösen kann.« Erschöpft hielt sie inne und griff nach dem Glas. Es war schon eine gespenstische Szene. Ringsum Finsternis. Nur der schmale Strahl meiner Taschenlampe spendete Licht, riss Mrs. Torrys blasses Gesicht plastisch hervor. Mich konnte sie nicht sehen, denn ich saß auf der Bettkante, hinter der Lampe. Ich räusperte mich und suchte nach Worten. Klar, dass mich diese Nachricht überrascht hatte. Krach zwischen den mächtigen McWatfords, Enterbung vielleicht und was weiß ich nicht noch alles... »Mr. Sheehan...?« »Ja?« »Ich kann doch Vertrauen zu Ihnen haben? Thomas meinte, Sie wären ein Pfunds-Kerl.« »Oh, da habe ich wohl einen Freund gefunden?« »So kann man es auch nennen.« Ich zündete die nächste Zigarette an der Kippe der vorhergehenden an, bevor ich antwortete: »Sprechen Sie sich aus, Mrs. Torry. Wenn es Ihnen hilft: Ich arbeite für Sir Bromfild, der ja ein Freund des Verstorbenen war. Dass mich Reginald versuchte zu zwingen, die O'Haras zu jagen, tut nichts zur Sache. Ich stehe auf Ihrer Seite.« »Danke«, klang es leise zurück. Dann, nach zwei Zügen an der Zigarette: »Sie werden den Grund wissen wollen?« »Das ist wichtig, sozusagen unumgänglich.« »Ich verstehe. Also da...« Mitten im Satz brach sie ab, weil eine andere, lautere Stimme sie übertönte. 76
Meine Stimme. Aber sie kam nicht von mir. Mein ›Schutzengel‹ musste sich draußen auf dem Flur befinden. »Schicke die Verräterin fort, Black Lobo und verpflichte sie zu schweigen. Was sie dir sagt, muss nicht die Wahrheit sein. Wenn es aber stimmt, werden viele sterben müssen, sterben...« Mit einem Missklang endete die Stimme. Ich sprang auf, rannte zur Tür und riss sie auf. Wie vermutet, war nichts zu sehen. Resigniert ging ich zurück. Da sagte Mrs. Torry dumpf und schwer: »Das hat Zeb die letzten Tage, an denen er mit dem Tod rang, den Rest gegeben.« Ich wollte mich setzen, blieb stehen und stieß hervor: »Was? Schon der Earl hat seine eigene Stimme gehört?« »Ja. Ich war mehrmals dabei. Seit diesem Tag, als wir sie zum ersten Male hörten, fand ich keine Ruhe mehr. Zeb meinte, da stecke bestimmt Reginald dahinter. Er hat ihn, bevor er bettlägerig wurde, belauscht und dabei gehört, wie Reginald die Hölle anrief.« »Langsam«, unterbrach ich. »Zuerst: Was hat Reginald gesagt, welche Worte gebraucht? Dann: Aus welchem Grund?« Mrs. Torry wusste, was ich meinte, sie sah mich an, quälte sich ein gezwungenes Lächeln ab und sagte: »Zeb war sehr ehrenhaft, aber Reginald schrie immer, die O'Haras sollten auferstehen, wenn Zeb ihm die Leviten verlas. Sie müssen wissen, Mr. Sheehan, Reginald war und ist dem Spielteufel verfallen, ein haltloser Mensch, der viel Schulden machte.« »Da fehlt noch was«, sagte ich grüblerisch, mehr so für mich. »Natürlich konnte der alte McWatford seinen Sohn wegen Spielschulden enterben, aber ganz passt das Bild nun doch nicht.« Ich hob den Kopf und blickte Mrs. Torry an. »Was wissen Sie noch?« »Zeb sagte, kurz bevor er starb, er würde aus dem Jenseits auf Reginald spucken und wenn er könnte, würde er drüben dafür sorgen, dass Reginald einen besonderen Platz in der Hölle bekäme. Er wollte auch einmal versuchen, mit dem Teufel zu reden, dass er Reginald bald holen würde.« So musste sein Vater sterben... 77
Als ich die Gläser nachgeschenkt hatte, fragte ich weiter: »Aber da muss noch etwas sein. Bitte, sagen Sie es mir.« Sie rang mit sich, versuchte ihre Angst zu unterdrücken. Um ein Haar hätte es geklappt, denn ich sah, wie sie energisch nickte und den Mund öffnete. Da brüllte meine Stimme, die ich zu hassen begann: »Wenn du den Mund aufmachst, Verräterin, wirst du dein Kind nicht mehr wieder sehen.« Mrs. Torry verschloss sich wie eine Auster. Ich fuhr sie heim und wartete vor ihrem Haus so lange, bis sie mir den kleinen Thomas zeigte. Dem Jungen war nichts geschehen. Noch nicht. Zehn Minuten später saß ich Sergeant McEvans gegenüber. »Und Sie meinen, man will sich an einem Kind vergreifen?«, fragte er ungläubig. »Ich meine nicht. Ich weiß. Veranlassen Sie Polizeischutz für die Torrys.« * Es war 23 Uhr, wie ich auf dem Leuchtzifferblatt meiner Armbanduhr feststellen konnte. Ich hockte auf den Absätzen und starrte zum Berg hinauf, der links von Deer Abbey Castle emporragte; ein drohender Schatten, dessen düstere Gipfel, Schluchten und Steilhänge das schottische Bergland geprägt hatten und selbst Eingang in die Gedanken der hier wohnenden Menschen gefunden zu haben schien. Ich atmete tief die frische Nachtluft ein. Der Schweiß auf meiner Stirn verdunstete und hinterließ ein Gefühl der Kühle. Noch immer zuckte Wetterleuchten über den Himmel. Unten im Tal schlief die kleine Stadt. Vereinzelt blinzelten die winzigen Punkte der Laternen zu mir herauf und erinnerten mich daran, dass nur wenige Minuten von mir entfernt Wärme, Leben und Sicherheit existierte. Wenige Minuten querfeldein nur und doch hätte New Pitsligo auch am Ende der Welt liegen können. 78
Der Wind wurde stärker und rüttelte an den knorrigen Ästen der Bäume, drückte die Büsche zu Boden und zerzauste die grünen Moospolster. Alles deutete auf ein schweres Gewitter hin. Ich machte mich wieder auf die Socken. Der Berg stieg zwar nur langsam an, aber das glitschige Moos, die Luftwurzeln und das Unterholz machten den Aufstieg schwierig. Licht durfte ich nicht benutzen, denn ich war dabei, einen Geisterbesuch abzustatten. Mehrmals unterbrach ich den Aufstieg. Das Mondlicht, wenn es durch die schnell dahin ziehenden Wolken brach, schuf bizarre Schattengestalten, die mich stark an die O'Haras erinnerten. Langsam kam ich dem Gipfel näher. Ich musste grinsen, weil es wieder einmal stark auf die Geisterstunde zuging. Der Baumbestand trat zurück und vor mir breitete sich der riesige Park von Deer Abbey Castle aus. Ich verbarg mich hinter den letzten Stämmen und maß die Entfernung bis zur alten, teilweise eingefallenen Wehrmauer. Fast zweihundert Meter. Zweihundert Meter freie Fläche, auf der mich, wenn der Mond durchkommen sollte, jeder sehen konnte, der auch nur müde aus einem Fenster blinzelte. Ich schlug mich nach rechts, hinüber zu den Koppeln, in denen tagsüber die Reit- und Wagenpferde der McWatfords grasten. Mit einem Satz überwand ich den Stacheldraht, duckte mich und lauschte in die Nacht. Nichts regte sich. Das Glück schien auf meiner Seite zu sein. Mit eingezogenem Kopf lief ich am Zaun entlang, bis ich zu den Stallungen kam, aus denen mir warme Luft, Schnauben und Hufgestampfe entgegenschlug. Weiter! In diesem Augenblick schlug ein Hund an. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Zornig und drohend hallte das Bellen durch die stille Nacht. Das Hundevieh musste mich gehört oder gewittert haben. Im Stall erklang nervöses Schnauben, gefolgt von einem verängstigten Gewieher. 79
Also wechselte ich nochmals die Richtung und ging direkt auf mein Ziel zu dem eingefallenen Eckturm. Jähes Mündungsfeuer blendete mich. Den Schmerz spürte ich erst, als die Schussdetonation an meine Ohren drang. Irgendwo lauerte ein Mörder. Da hörte ich ihn auch schon lachen, roh und brutal. Ein Mörderlachen. Mühsam humpelte ich zur Seite. Meine rechte Wade schmerzte bei jedem Schritt und ich fühlte etwas Warmes, Klebriges das Bein herunter rinnen. Blut! Kaum hatte ich meinen Standort gewechselt, da schoss ich zurück, platzierte zwei Kugeln auf die Stelle, an der mich der Heckenschütze überrascht hatte und von wo das Lachen gekommen war. Das Hundegebell wurde lauter. Wie rasend kläffte der Köter. Bald mussten alle wach sein. Dann hörte ich das Rascheln. Kurz danach sich eilig entfernende Schritte. Schon wollte ich einen neuen Schuss abgeben, ungezielt, der Dunkelheit wegen. Doch da brach der Mond durch und bevor ich reagieren konnte, stieg einer der heimtückischen O'Haras doch direkt vor mir in den Himmel, wurde getragen von dem einsetzenden Sturm, der das Gewitter schnell heranbrachte. »Himmel, Arm und...« Resigniert brach ich meine Flüche ab. Einem entschwindenden Geist heißes Blei nachzuschicken, wäre sinnlos gewesen. In einem Busch untersuchte ich meine Wunde. Es handelte sich um einen stark blutenden Wadenstreifschuss. Ich presste mein Taschentuch darauf und schlich weiter. Im Herrenhaus war es hell geworden. Überall gingen die Lichter an. Eine tiefe, verschlafene Stimme schrie etwas. Ich begann zu rennen. Es war mehr ein Humpeln, aber es brachte mich vorwärts, weg von den Menschen, denen ich nicht trauen konnte. Mit einer Ausnahme: Glende! Der Gedanke an die Komtess machte mich heiß. 80
Zweige peitschten mir ins Gesicht, Dornen schabten glühend an meinem verletzten Bein entlang. Das Tempo konnte ich nicht steigern. Es wäre nötig gewesen, kam doch das Hundegebell näher. Mein Versuch, heimlich auf das Gelände von Deer Abbey Castle zu gelangen, um nach Sir Bromfild zu suchen, schien sich als Fehler zu erweisen. Regen setzte ein und schlug mir ins Gesicht, machte die Sicht noch schlechter. Und immer näher hechelte der Köter... Als es plötzlich donnerte und ein Blitz in der Nähe einschlug, der alles für Sekunden taghell erleuchtete, sah ich gleich zwei Gefahren, einer riesigen Meereswoge auf mich zukommen. Rechts befand sich die Burgmauer, an ihrem Ende die Ruine des Wehrturms. Ich befand mich knapp vor meinem Ziel. Aber da kam von links ein Kerl über die Wiese gerast, so schnell, dass ich seinen Lauf kaum verfolgen konnte. Es war erstaunlich, dass er so schnell rennen konnte, blähte doch hinter ihm her ein weiter langer Umhang. Eigentlich hatte es ihm die Luft abdrosseln müssen, war doch der riesige Stofffetzen um seinen Hals geschlungen, also praktisch an ihm befestigt. Das Ungeheuer entdeckte mich im grellen Schein des Blitzes. Sofort stieß es einen gellenden Schrei aus, der aus anderen Richtungen erwidert wurde. Ich hatte die O'Haras auf meiner Fährte! Aber das allein genügte dem Teufel nicht, der es in dieser stürmischen Nacht ganz genau wissen wollte. Hinter mir her hetzte der Hund. Das Vieh raste noch schneller als der Geist des alten Recken. Im zuckenden Licht des Blitzes war er nur als tief geduckter graubrauner Strich auszumachen. Und das Biest bellte nicht mehr. Der Großvater meiner Mutter musste noch sein Leben gegen Wölfe verteidigen. Als Häuptling war er der Stammesehre verpflichtet und durfte ein Raubtier, gleich welcher Art, nur mit dem Messer töten. 81
Mein Leben verlief genauso gefährlich, nur mit einer Ausnahme, dass die Raubtiere, gegen die ich mich verteidigen muss, zwei Beine haben. Es war also zum ersten Male, dass ich gegen einen Bluthund kämpfen musste. Und es musste lautlos geschehen, um nicht noch mehr Verfolger hinter mich herzulocken. Es blieb nur das Messer. Ich verlangsamte meinen Lauf und zog die Jacke aus, wickelte sie um meinen linken Arm. Dann lauschte ich, versuchte das Hecheln des Hundes aus dem Prasseln des niedergehenden Regens herauszuhören. Der Regen rauschte zu stark. Ich konnte mich nur auf meinen Instinkt verlassen. Wenn der nicht funktionierte, mussten bald spitze Hundezähne in mein Genick schlagen. Als ich meinte, jetzt müsste der hechelnde Tod nahe genug heran sein, wirbelte ich herum. Kein Blitz erhellte jetzt die tintenschwarze Nacht. Und doch sah ich einen lang gestreckten Körper auf mich zufliegen. Ich streckte den linken, von der Jacke umwickelten Arm vor. Augenblicklich sprang der Schatten in die Höhe und ich hörte das laute Zuklappen des fürchterlichen Gebisses. Vier kratzende Pfoten bearbeiteten meine Beine. Die Schusswunde begann höllisch zu brennen. Dazu knurrte die Bestie und zerrte an meinem Arm. Ich griff zur Nackenscheide. Mein Wurfmesser hätte allem ein Ende gesetzt. Der härteste Knochen besitzt eine schwache Stelle. Ich mache darin keine Ausnahme. Während meine Hand den Messergriff umklammerte, kam mir der Gedanke an die Treue des Tieres, das nur seiner Pflicht nachkam. Sollte ich es deswegen töten? Das Biest zappelte, kratze und zerrte. Mit meiner Beinwunde wurde es immer schlimmer. Vielleicht roch der Köter das Blut. Es fiel mir gar nicht leicht, den Colt aus dem Gürtelhalfter zu angeln und noch schwerer, den richtigen Augenblick und die richtige Stelle zu treffen. Noch immer kein hilfreicher Blitz... 82
Ich schlug zu. Das Knurren erstarb und der schwere Körper wurde noch schwerer. Meine Jacke ließ sich nur langsam aus den Fingen lösen. Sicher wies sie eine Menge Löcher auf - und mein vierbeiniger Gegner würde nach einer halben Stunde Kopfschmerzen haben. * Geduckt schlich ich weiter und hoffte trotz der Finsternis, die Reste des Wehrturms zu finden. Ich musste an Sir Bromfild denken, der tief unter der Erde auf Befreiung hoffte. Ich musste es einfach schaffen. Denn da waren die vom Teufel wieder zu gespenstischem Leben erweckten O'Haras, die bereits ausgeschwärmt waren, um mich zu eliminieren. Diese Höllenhunde hatten Sir Bromfild gefangen genommen. Es bestand die Möglichkeit, dass sie den Notar in ihr nun freies Grab gelegt hatten. Eine regnerische Nacht kann eine Stimmung wie diese entstehen lassen. Sie kann den ganzen Lauf der Ereignisse ändern. Sie scheint die Zeit zurückzudrehen. Mir war es, als befände ich mich auf einmal im tiefsten Mittelalter. Ich kam mir vor wie einer, der in Acht und Bann geschlagen worden war. Um mich herum wurde die Nacht lebendig. Kehlige Zurufe zwangen mich, die Richtung zu ändern. Stur wie ein Panzer raste ich auf die brüchige Wehrmauer zu und als ich sie erreicht hatte, zog ich mich an ihr hoch. Oben auf der Krone verschnaufte ich. Ich hob gerade den Kopf, um mich zu orientieren, da trafen sich meine Augen mit den toten schwarzen Höhlen eines Knochengesichts, die rot glühend auf mich gerichtet waren. Ein paar Ellen von mir entfernt stand ein Skelett auf der Mauer. Der Tod! Ihm fehlte nur die Sense, mit der er mich niedermähen konnte. 83
Der knöcherne Tod hielt etwas anderes in seiner bleichen Hand: einen Degen! Jetzt, wo ich ihn ganz bestimmt nicht gebrauchen konnte, erhellte ein mehrfach gezackter Blitz den regenschweren Himmel. Im grellen Gleißen leuchtete das Skelett grünlich auf und ich sah, wie das Regenwasser an den Knochen herunter lief. Mein Körper wurde starr. Ich hatte das Gefühl, über ein Grab zu schreiten. Nun hatten sie mich doch erwischt... Nur meine Augen lebten und die starrten unverwandt auf die gespenstische Erscheinung. Der Tod zeigte keine Regung, keine Bewegung, noch gab er einen Ton von sich. Er wartete, so wie ein Geier darauf wartet, dass ein Tier verendet, damit er zu seinem Schmaus kommt. Zwei Meter unter mir hörte ich plötzlich eilige Schritte. Noch ein Verfolger. Abrupt verhielt er. Dann stieß er einen gellenden Schrei aus. Sicher hatte er jetzt das Skelett auf der Mauerkrone entdeckt. Ein dumpfer Fall drang zu mir herauf. Bestimmt war der arme Kerl - ich vermutete den Hundeführer - in Ohnmacht gefallen. Der Umgang mit Ausgeburten der Hölle ist längst nicht jedermanns Sache, solche Erlebnisse wirken meistens lange nach. Mir gab das Erscheinen des schreckhaften Mannes eine Chance. Der Geist hatte sich umgedreht, starrte in die Nacht, wo der Mann hingefallen war. Zu sehen war nichts. Die Finsternis ringsum machte eine Orientierung unmöglich. Aber da streiften mich Äste, wenn der Wind sie bewegte. Ganz in der Nähe stand eine riesige Kastanie. Ich wusste nicht, wie sehr und wie weit Geister sehen können, noch kannte ich ihr Gefühlsempfinden. Ich wagte es trotzdem. Noch schaute der alte O'Hara, ein Mann vergangener Jahrhunderte, hinunter auf die Wiese. Sicher vermutete er dort Feinde, war er doch zu seinen Lebzeiten niemals seines Lebens sicher gewesen. Damals machten Schnapphähne ganze Landstriche unsicher. Wer reich war, musste um seinen Besitz bangen. 84
Ich spannte die Muskeln. Lodernden Feuers gleich, raste der Schmerz durch mein verletztes Bein. Doch es war nicht die Zeit Wehwehchen nachzugehen. Als ich meinte, genügend vorbereitet zu sein, hechtete ich mich von der Mauer ab, sprang hinein in das unbekannte Zweigwerk des Kastanienbaums. Blätter und biegsame Zweige streiften mich - bis feste, knorrige Äste meinen Flug stoppten. Mit beiden Händen griff ich zu, bekam einen dicken Knüppel zu packen, an dem ich mich hochziehen konnte. Kaum hatte ich mich auf einen starken Ast gesetzt, da ging das Gebrüll schon los. Mein lieber Mann, die Apachenkrieger meines Urgroßvaters konnten ihre Kriegsschreie nicht lauter gebrüllt haben als der skelettartige Geist auf der Mauerkrone. Für ihn musste mein plötzliches Verschwinden geradezu mit übernatürlichen Kräften stattgefunden haben. Vielleicht, so hoffte, glaubte er, ich wäre auch ein Jünger der Schwarzen Magie. Das Gebrüll wollte nicht enden. Es lockte sogar die drei Söhne herbei, deren gemeinsames Bestreben darin bestand, mich zu finden. Die Lichter im Herrenhaus brannten weiter. Durch die hohen Bogenfenster fielen gelbe Bahnen in die schwarze Nacht, zauberten Pfade, durch die der Regen wie mit Bindfäden gezogen fiel. Leise brauchte ich nicht zu sein, denn der Regen, vermischt mit Donnergrollen, fiel dicht und laut. So gab ich mir auch gar keine Mühe, einen belaubten Zweig abzubrechen, um einen Guck zu bekommen. Freunde, ich hätte es nicht tun sollen, denn ich sah mich plötzlich vier Geistern gegenüber. Der alte O'Hara mit dem starren Totengesicht hatte aufgehört zu brüllen. Er stand wie ein Tier bewegungslos auf der Mauer und beobachtete seine drei Söhne mit rot glühenden, kreisrunden Augen. Seinen Skelettkörper beugte er vor und dann begann er zu toben mit einer Stimme, die an das Kreischen von rostigen Türangeln erinnerte: »Ihr Nichtsnutze habt wohl geschlafen? Wie kann ein verwundeter Mann vier Häschern entkommen?« 85
Einer seiner Söhne antwortete aufsässig: »Du warst dem Hund so nahe, dass du ihn hättest von der Mauer stoßen können. Warum hast du ihn nicht...« Der Alte duldete keinen Vorwurf, schon gar nicht, wenn er von seinen eigenen Söhnen kam. Mit einer schnellen, plötzlichen Bewegung schlug er zu und der Aufsässige kippte aus den Stiefeln. Nach dem dumpfen Fall griff einer zum Degen, zog ihn und richtete ihn gegen den Vater. »Du bist zu weit gegangen, Henry O'Hara. Dein unstillbarer Hass wird uns zurück in die Hölle bringen.« »Aus der du kommst«, grollte es zurück. »Macht nur weiter so und uns wird am Ende nichts, gar nichts gehören. Arm wie Leibeigene werden wir umherirren. Noch einmal bekommen wir keine Chance.« »Verflucht, Alter, wir glauben nicht daran, denken eher, dass du einer fixen Idee nachrennst.« Als der Vater der drei widerspenstigen, aufmuckenden Söhne antwortete, war in seiner dumpfen Stimme ein Klang von Ratlosigkeit: »Seid vernünftig. Ich jage keinem Hirngespinst nach. Wer Deer Abbey Castle erbt, wird zahlen. Außerdem befinden sich unter diesen alten Mauern, die wir besser kennen als jeder andere, Truhen voller Gold, Geld und Schmuck...« Hart und zänkisch unterbrach der jüngere Knochengeist. »Unter diesen alten Mauern, Alter? Wo denn? Weißt du überhaupt, wie sehr die Jahrhunderte alles verändert haben? Schon allein die Erde hat sich bewegt. Was damals einen Meter tief war, kann heute mindestens zehn Meter tief liegen.« »Aber nicht das Mauerwerk. Zugegeben, Gänge und unterirdische Kammern können verschüttet sein - aber vorhanden ist es. Ich verpfände dafür meinen Kopf.« Das Gehörte durchfuhr mich siedend heiß. Der Schatz von Deer Abbey Castle. Gemunkelt wurde viel von dem versteckten Gold, aber... Vielleicht gab es irgendwo Höhlentempel und Schlösser, vielleicht auch Königsgräber voller Schätze. Doch das waren phantastische Gedanken. Vor mir, zum Greifen nahe, standen die Knechte des Teufels und sie wollten meinen Tod. 86
Unter mir war die Nacht zu dunkel, als dass ich hätte etwas ausmachen können. Ich musste es einfach so riskieren. Aus der Jackentasche klaubte ich drei Patronen, wartete, bis der Wind eine Pause einlegte und warf sie weit ins offene Gelände. Dann lauschte ich. Mein Trick schien geklappt zu haben. Als die Patronen ins Nasse Gras platschten, ruckten die Totenköpfe der knöchernen Gespenster hoch. Zwei, drei Sekunden verharrten sie reglos. Bis einer schrie: »Los, ihm nach. Er darf uns nicht entkommen!« * Ich umschlich die Ruine des Wehrturms wie ein Wolf, der eine Falle wittert. Tagsüber wäre die Suche erfolgreicher gewesen, aber da hätte man mich gesehen. Also setzte ich alles aufs Spiel und begann laut nach Sir Bromfild zu rufen. Wenn sich irgendwo in dem brüchigen Gemäuer eine Spalte befand, durch die der Notar seine Brieftasche geschoben hatte, dann musste er mich hören - wenn er noch lebte. Immer wenn ich auf Antwort lauschte, fühlte ich mein Herz klopfen und sah mich suchend um, darauf gefasst, jeden Augenblick eines der grün schillernden Skelette auftauchen zu sehen. Mein lautes Rufen konnte nicht ungehört bleiben. Öfter legte ich mein Ohr an Mauerspalten, um ja nicht Sir Bromfilds eventuelle Rufe zu überhören. Doch die alte Raubritterburg gab ihr Geheimnis nicht preis. Bedrückende, dumpfe Stille drang aus dem Schutthaufen. Sonst nichts. Die unwirklichen Körper der Wiedererweckten leuchteten durch die Finsternis. Jeden einzelnen Knochen konnte ich zählen, wenn der Wind die Umhänge zur Seite fegte. Sie rückten näher, breit gefächert. Ein geisterhaftes Heulen ertönte. Es schien von überall und nirgends zu kommen. Der Wind trug es über die weite Landschaft. Fremdartig und schaurig. Mir blieben nur noch Minuten. 87
Düster und feindselig ragten die verwitterten grauen Mauern der Burg vor mir auf. Ich wählte das dem Wehrturm am nächsten stehende Haus. Auf den ersten Blick, von einem grellen Blitz erleuchtet, sah es nicht besonders einladend aus. Eher bedrohlich. Es war groß, mit drei Stockwerken, hatte zahlreiche Veranden und Balkone und ein Schieferdach, das steil abfiel. Im Innern war es dunkel und still. Das Haus schien in atemloser Spannung auf etwas zu warten. Die Fenster in der langen Front glotzten wie die ausdruckslosen Augen von Erdrosselten. Eigenartig schien es, dass die untere Reihe sehr hoch gebaut war. Um an eines dieser Fenster zu gelangen, musste eine drei Meter hohe Mauer, besser gesagt Hauswand, überwunden werden. Ich hangelte am wilden Wein hoch, bis ich auf einer Fensterbank Fuß fassen konnte. Das Eindringen war ein Kinderspiel. Scheiben waren nicht vorhanden und die Reste eines Rahmens so morsch, dass sie beim Anfassen zerbröckelten. Ich vernahm ein schlürfendes Geräusch, als ich das Zimmer durchschreiten wollte. Es war nicht nah, aber auch nicht allzu fern. Bei dem Türdurchbruch zum Nebenraum bewegte sich etwas. Geister schlafen nicht. »He, Sie da«, rief ich leise und ließ dabei den Hahn des Colts zurückschnappen. Das kleine metallene Geräusch wirkte wie eine Explosion in der Grabesstille des leer stehenden Hauses. Die von mir gesichtete Gestalt verschmolz mit der Wand, wurde eins mit dem Nachtschatten. Mit jeder Faser spürte ich ihre Anwesenheit. Wenn da hinten eine Geheimtür vorhanden war, so wurde sie nicht begangen. Der Schatten lauerte. Das Belauern eines versteckten Feindes gehörte zu den Spezialitäten der Apachen. Stundenlang konnten die Krieger auf ihren Hacken sitzend warten, ohne sich dabei zu verraten. Sogar ihr Atem wurde flach - wie jetzt bei mir. Ich rührte mich nicht, stand stocksteif und ließ 88
nur die Augen wandern, allerdings halb verdeckt unter den Lidern, um mich nicht durch das Weiß in ihnen zu verraten. Immer besser konnte ich sehen und so entdeckte ich das unförmige Gebilde neben der Tür. Wenn es sich um einen Menschen handelte, dann musste er nicht nur dick, sondern geradezu ein fetter Klumpen sein, der sich gegen die Zimmerwand drückte. »He, Fettwanst, ich habe dich genau im Visier.« Kaum hatte ich meine Warnung ausgestoßen, da meinte ich, mich träfe der Schlag. »Sage noch einmal Fettwanst, du ungehobelter Klotz!«, drohte mir meine eigene Stimme entgegen. Ich japste nach Luft und brachte kein Wort hervor. Der Schreck, aber auch die Genugtuung, endlich meinen ›Schutzengel‹ greifbar nahe vor mir zu haben, setzte mir zu. Schnell aber fing ich mich wieder und schlug vor: »Zeige dich, wenn du mein Freund bist. Ich weiß so etwas zu würdigen.« »Scheinbar nicht«, musste ich mir sagen lassen und schon fuhr meine Stimme fort: »Ich habe dir mehrmals geraten, herüber zu kommen, wo du frei bist, ledig aller Sorgen. Du lehntest es jedes mal ab, meinen Rat zu befolgen.« Mir reichte es jetzt, ein für allemal. Entsprechend fiel meine Antwort aus. »Zur Zeit gehen mir zu viele Schutzengel um. Die reinste Invasion. Von jedem, mit denen ich sprach, hörte ich, dass ihn sein Schutzengel den Tod empfahl. Mir scheint das ein wenig übertrieben.« Kaum hatte ich ausgesprochen, da wusste ich schlagartig, was jetzt kam. Ich konnte es geradezu riechen. Ich machte einen wilden Satz nach links und ließ mich reaktionsschnell zu Boden fallen. Fast hätte ich es geschafft und wäre dem Todesstaub entronnen, der aus Richtung Geist auf mich zugeweht kam wie eine weiße Wolke. Ein Teil traf mich. Sofort begannen die Augen zu tränen. Starker Nies- und Hustenreiz setzte ein. Ich war für Minuten kaltgestellt. Jäh und lautlos hatte sich das abgespielt - wie ein Spuk, wie eine Vision mitten im Schweigen des gottverlassenen Hauses. 89
Zum Glück entpuppte sich der Todesstaub als weißer Pfeffer. Daran zu kauen hatte ich trotzdem. * Der Strahl meiner mitgebrachten Taschenlampe schnitt einen schmalen Pfad durch die pechschwarze Finsternis, riss die Spur eines kleinen Fußes sichtbar aus dem Staub, die sich weiter hinten in der Weite des Hauses verlor. Der kleine Fuß passte zu einem Engel, alles andere aber war der Hölle entsprungen. Als ich den Abdrücken folgte, rechnete ich mit einem Hinterhalt, aber nicht damit, dass mein ›Schutzengel‹ aus Angst vor mir floh. Es musste die Angst gewesen sein, die das astrale Wesen in die Finsternis trieb und in die Gefahr, sich in dem leer stehenden riesigen Gebäude zu verirren. Nach einer Viertelstunde wusste ich, dass die Flucht in eine bestimmte Richtung ging. Das erkannte ich, als ich einen Raum durchhastete, den ich schon vor Minuten betreten hatte. Mein ›Schutzengel‹ flüchtete zurück zu der Stelle, an der ich ihn entdeckt hatte, somit in die südliche Spitze der Burg, an der sich die Ruine des geheimnisvollen Wehrturms befand. Der kleine Fußabdruck, ich tippte auf Sandalen, weil ich den Absatz vermisste, endete vor einer Mauer. Der Geist, wo immer er hergekommen war, musste durch die Wand gegangen sein. Ich verschenkte wertvolle zehn Minuten auf der Suche nach einer Geheimtür. Wenn eine vorhanden war, ich fand sie nicht. Also machte ich kehrt und begab mich in den Flur, von dem aus eine Treppe in den Keller führte. Mein mitgeführtes Licht brachte mich sicher nach unten. Anfangs wollte mich die Enttäuschung übermannen, denn der Keller wies nichts Bemerkenswertes auf, außer, dass er leer und voller Dreck, Staub und Spinnweben war. 90
Rechtzeitig fiel mir ein, dass die Erbauer von Wehrburgen mehrgeschossige Keller anlegten, für Fluchtzwecke, aber auch als Gefängnis für die zahlreichen Feinde. Es galt nur, den Zugang zum Unterirdischen zu finden. Ich bog gerade um eine Ecke, als etwas Schweres meinen Arm traf. Vor Schmerz und Schreck ließ ich die Taschenlampe fallen. Sie knallte auf den steinernen Boden. Das Glas zerbrach, dann noch ein kurzes Flattern und ich stand im Dunkel. Um mich wurde es finster - wie in einer Mördergrube. Natürlich ging ich nicht weiter, sondern bemühte mich, so schnell wie möglich den 45er zu ziehen. Da sah ich zwei glühende Punkte, die mich belauerten. Die Augen eines Dämons. Dann traf mich die Stimme des alten O'Hara, die dumpfe, harte Stimme des Geistes, dem ich vor einer halben Stunde entkommen war. Die Stimme klang so, als wäre sie mit Muskeln ausgerüstet, als schnalzte der Recke unentwegt mit der Zunge. »Du kommst spät. Ich musste lange auf dich warten.« »Na, so was«, sagte ich darauf und tastete mich zur gegenüberliegenden Wand, was völlig geräuschlos vor sich ging. Der Geist des rachsüchtigen Alten war mir in den Kellergewölben über. Nicht nur, dass er sich hier unten bestens auskannte, schien er dazu noch mit Katzenaugen ausgestattet zu sein, die durch die Dunkelheit dringen konnten. Dieser Hundesohn musste meinen Stellungswechsel beobachtet haben, schlug doch genau über meinem Kopf eine Kugel in die Wand. Einen Zentimeter tiefer und ich wäre im Klub der Geister aufgenommen worden. »Elender Bastard. So nicht!« Ich brüllte mir die Wut aus dem Bauch, ging in die Knie und fächerte mit der linken Hand über den Hammer des Colts. So schnell kann man gar nicht hören, wie sich die einzelnen Schüsse lösten - bis auf den letzten. Der war für mich bestimmt, wenn alles schief gehen sollte. 91
Der Pulverdampf verzog sich nur träge, beizte die Augen und Nase. Auf allen vieren robbte ich vorwärts und als meine tastenden Hände den Mauervorsprung erfühlten, schielte ich um die Ecke. Ich erwartete ein leuchtendes Skelett und glühende Augen, statt dessen empfing mich undurchdringliche Finsternis und tödliche Stille. Sollte es mir gelungen sein, den unseligen Geist eliminiert zu haben? Dann musste er vor mir auf den Steinen liegen. Ich duckte mich hinter dem Mauervorsprung und griff nach meiner Brieftasche, in der ich einige unbezahlte Rechnungen aufbewahrte. Drei davon knüllte ich zu einem Ball und setzte diesen mit dem Feuerzeug in Brand. Als die Flammen zu züngeln begannen, warf ich die provisorische Fackel vor mir in den Gang. Sicher riskierte ich, angegriffen zu werden, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich schob meinen Kopf, zusammen mit dem 45er, um die Ecke. Der Papierball brannte und erhellte einen weiten Teil des lang gestreckten Ganges, auch den Durchbruch, an dem sich früher eine Tür befunden haben musste. Meine Freunde, die Lumpen O'Haras, waren verschwunden. Dass Geister offenes Feuer scheuen, ist bekannt. Vielleicht hatten sie sich verdrückt. Vielleicht in den Mauerdurchbruch. Als ich davor stand und mit dem Feuerzeug hineinleuchtete, gähnte mir modrige Dunkelheit entgegen - und glitschige Stufen, die steil in die Tiefe führten. Klar, dass ich hinunter steig. Ich wollte schließlich Sir Bromfild finden, nach Möglichkeit lebend. Es war ein Gewirr von Gängen, Kammern, Nischen und Gruben, in das ich geriet. Mit dem Lauf des Colts ritzte ich mir Zeichen in die Wand, um den Rückweg zu finden. Ich war gewillt, so lange zu suchen, bis sich mein Feuerzeug, ein Tausendzünder, verbraucht hatte. Interessant wurde es, als ich an eine hölzerne, mit Eisen beschlagene Tür kam, die im Laufe der Jahrhunderte selbst zu Stein geworden war. Besonders fiel mir die Stelle auf, weil sie weiß hervorleuchtete, an der ein Kreuz gehangen haben musste, groß wie ein Lineal. Das heilige 92
Zeichen hatte jemand gewaltsam entfernt, deutlich an den Kerben zu erkennen, die Werkzeug hinterließ. Schon komisch, was man so alles in alten Raubritterburgen vorfinden kann... Die Tür war angelehnt. Ich stieß sie mit dem Lauf des 45er auf und achtete dabei auf den immer größer werdenden Spalt, dass mir keiner entgegen gesprungen kam. Nichts geschah. Die Luft in diesem Verlies war noch verbrauchter als im Gang, aber in ihr schwang ein Hauch von Tabak mit. Jemand musste hier kürzlich eine Zigarre geraucht haben, ein verdammt gutes Kraut sogar. Ein großer Raum mit verschimmelten Regalen an der rechten Wand und einem gleichwertigen Tisch in der Mitte boten sich meinen Blicken dar. Neben dem Tisch - beim Großen Manitou - lagen die Reste von vier Menschen. Das Grab der O'Haras! Für mich gab es keinen Zweifel. Ich hatte das Verlies gefunden, in dem die Urbesitzer von Deer Abbey Castle ums Leben gekommen waren, weil jemand die Tür hinter ihnen verschloss. Waren so die McWatfords zu ihrem Vermögen gekommen? Viele Fragen überfielen mich in diesem Moment. Mir blieb aber nicht die Zeit, nach Antworten zu suchen. Eine Stimme schreckte mich auf. »Wenn Sie an Gott glauben, dann helfen Sie mir bitte.« Die Stimme sprach leise. Eine sanfte, ruhige Stimme, schwächer als Geflüster. Ich blieb abrupt stehen, sprungbereit. Trippelnde Schritte kamen näher. Eine welke Hand legte sich von hinten auf meine Schulter. Ich zuckte zusammen, als wäre ich mit Strom in Berührung gekommen. Mir wurde so richtig komisch zumute. Ich hatte ein uraltes Verlies entdeckt, in dem die Reste von vier Toten lagen - und nun legte sich eine Hand auf meine Schulter. So etwas bringt leicht den Glauben an Geister zurück. 93
»Bitte, helfen Sie mir. Ich werde hier gewaltsam gefangen gehalten. Viele Tage schon. Genau weiß ich es nicht mehr. Um mich ist nur Dunkelheit. Ab und zu kommt jemand und schiebt mir Wasser und Brot zu. Bisher habe ich geraucht. Aber mein Vorrat an Zigarren ging gestern zu Ende.« Die Stimme, sie gehörte zu einem Mann, dessen Hand sich in meine Schulter krallte, klang leise und zitternd und war mit jedem Wort, das gesprochen wurde, spürbar nervöser geworden. Ich traute nicht mich umzudrehen. Die üblen Tricks der gespenstischen O'Haras waren mir hinreichend bekannt. Aber der Ton in der Stimme... »Wer sind Sie?«, fragte ich. »Bromfild, Notar Bromfild.« Jetzt fuhr ich herum, ohne Rücksicht auf eventuelle Hinterhältigkeiten. Ein alter Mann taumelte, fiel gegen mich. Tagealte Bartstoppeln bedeckten sein Gesicht. »Sie sind Mr. Bromfild?« »Ja, der bin ich. Und Sie?« »Paco Sheehan, der Privatdetektiv, den Sie telefonisch engagierten. Mann, äh, Sir, was freue ich mich, Sie endlich gefunden zu haben. Ich war nahe daran, das ganze alte Gemäuer abbaggern zu lassen.« Er rückte seine Nickelbrille zurecht und musterte mich über die Flamme des Feuerzeugs hinweg. »Sheehan, der Indianer?« »Ja, Sir. Der Indianer.« Dann taumelte er. Ich fing ihn auf und trug den leichten Körper in die kühle Luft der Nacht, ohne von einem Geist behindert zu werden. * Ich schaute an Sir Bromfild vorbei auf das unheimliche, leer stehende Haus, dessen Kellergewirr ich soeben entronnen war. Meine Hand kroch zum Gürtelhalfter. Da war eben etwas gewesen. Das dumpfe Pochen wiederholte sich, nahm an Lautstärke zu. 94
Einer kam den mit morschen Dielen belegten Gang entlang, einer, der auch im Haus gewesen war. Gleich musste er im Türrahmen erscheinen. »Keinen Muckser«, warnte ich den Notar, dem die frische Nachtluft gut bekam. »Es könnte mein Essenbringer sein«, flüsterte er mir zu, um dann zu verstummen. Tatsächlich erschienen die Umrisse einer Männergestalt in der Tür, die in der linken Hand eine Stalllaterne trug. Sir Bromfild stieß mich leicht an. »Das ist Reginald«, flüsterte er mir ins Ohr. »Reginald McWatford? Glendes Vater?« »Ich bin ganz sicher, Mr. Sheehan.« Der Burgherr konnte uns nicht sehen und ich hütete mich, in den Lichtkreis der Stalllaterne zu treten. Noch nicht. »Was mag der hier wollen, zu dieser Zeit?«, fragte ich ebenso flüsternd den Notar. »Tja, wissen Sie, der ist hinter dem versteckten Gold her. Seit Jahren schon sucht er und sucht und sucht...« »Welches Gold, Sir?« Sir Bromfild trat von einem Fuß auf den anderen. Der starke Regen machte ihm zu schaffen; er wollte schnell ins Trockene. Nur aus diesem Grund wahrscheinlich klärte er mich auf. »In der alten Burgbibliothek befindet sich der Fetzen eines Pergaments, von dem über die Hälfte fehlt. Darauf steht, dass die Truhen der Erde übergeben wurden, um den Besitz zu retten, da die gierigen Hände der M... Hier endet es. Irgendwann muss es irgend jemand abgerissen haben. Man weiß heute noch nicht, wer das einst niederschrieb und wer mit M gemeint ist.« »Vielleicht die McWatfords?«, warf ich ein. Verhaltenes Lachen. Dann: »Beweisen Sie es, Mr. Sheehan.« »Ich kann mich beherrschen.« »Ist ja auch egal. Bedenken Sie: Das Pergament ist an die vierhundert Jahre alt.« 95
Ich gab noch etwas von mir: »Reginald kennt die Hinterlassenschaft dieses, na, sagen wir Urahnen und seit dem sucht er, nicht wahr?« »Er ist geradezu besessen.« »Glauben Sie, dass er es war, der Ihre Entführung veranlasste?« Ich hatte den alten Fuchs am entscheidenden Punkt. Er erging sich nicht in Ausflüchte. Er schwieg einfach. »Bockmist«, fluchte ich und wandte meine Aufmerksamkeit dem zukünftigen Burgherrn zu, der zur rechten Zeit am unrechten Ort aufgetaucht war. Reginald McWatford war für mich der Typ, der seinen Vater die Hand schüttelt und hinterher seine Finger zählt, ob er sie noch alle hat. Genauso misstrauisch und verschlagen bewegte er sich von dem leer stehenden Haus fort. Der Regen gab eine gute Geräuschkulisse ab. Unhörbar konnten wir ihm folgen. Auf dem Weg zum Herrenhaus, begann meine Wade wieder zu brennen. Es wurde höchste Zeit für einen richtigen Verband. Reginald hatte die Suche nach dem mysteriösen Schatz für diese Nacht aufgegeben. Ich sah noch, wie er die Stalllaterne ausblies und im Herrenhaus verschwand. Sehr leise, als hätte er etwas zu verbergen. Dazu völlig rätselhaft, dass ausgerechnet ihn die O'Haras in Ruhe gelassen hatten. * Sir Bromfild wurde nicht nur entführt, sondern man stahl auch das Testament des Burgherrn, des verstorbenen Zeb McWatford. Dem Testament bei lag ein Brief, geschrieben von dem Dienstmädchen, das Selbstmord beging, weil es von Reginald ein Kind bekommen sollte. Auch dieser Brief wurde gestohlen. Er hätte Aufschluss über die Gerüchte geben können, ob das Mädchen wirklich Selbstmord beging oder gewaltsam in den Tod getrieben wurde. Das Dumme an allem 96
war, dass Sir Bromfild den Inhalt des Testaments und des Briefes nicht kannte. Sein Freund und Klient hatte ihm beides besiegelt übergeben. Ich musste unter allen Umständen ins Haus, heimlich Zeb McWatfords Arbeitszimmer aufsuchen und nach dem Duplikat des Testaments suchen. Vielleicht auch hatte der misstrauische und seinen Sohn hassende Kranke eine Abschrift des Briefes angefertigt. Sir Bromfild bediente den Türklopfer. Ich hielt mich etwas zurück. Als geöffnet wurde, fiel der Lichtschein nur auf den Notar. Ich hörte einen erschrockenen Ausruf und erst viel später die erstaunten Worte. »Sir, ich, ich glaube, ich träume.« »Das tun Sie nicht, John. Ich bin es wirklich, kein Geist. Allerdings, wenn mich Mr. Sheehan nicht gefunden hätte...« »Black Lobo, wie man den verdammten Indianer nennt, Sir?« »Genau der, John«, sagte ich und trat ins Licht. Der sich immer so steif gebende Butler trat hastig zurück. In sein teigiges Gesicht schoss Röte. »Sir, ich...« »Geschenkt, mein Lieber. Sagen Sie mir nur, warum Sie mich nicht mögen, gelinde ausgedrückt.« Als keine Antwort erfolgte, gab mir Sir Bromfild Schützenhilfe. »John«, mahnte er. »Ich möchte auch, nach alldem, was ich durchgemacht habe, dass du mit der Wahrheit herausrückst.« »Das rate ich Ihnen auch«, drohte ich mit erhobener Stimme. Der Blick, mit dem John mich betrachtete, verriet, dass ich bei diesen Worten nicht gerade hübsch aussah. Zweimal hüpfte sein Adamsapfel auf und nieder. Dann zerbrach etwas in ihm. »All right, Sir. Ich sage es Ihnen gern. Sir Reginald ist mir seit seiner Geburt bekannt und vertraut. Er mag etwas haltlos sein, aber ein schlechter Mensch, der anderen Böses tut, ist er nicht. Alle sind gegen ihn, Gentlemen. Auch Sie, Mr. Sheehan.« »Nur deshalb sind Sie so grantig zu mir?« »Ja, Sir.« »Dann kann ich Sie beruhigen, John. Wenn Ihr Herr eine saubere Weste hat, wird ihm nichts geschehen.« Während der Butler endlich die Tür frei gab, sagte er leise: »Danke, Sir.« 97
Ich machte mit Sir Bromfild aus, dass er mir die Meute vom Halse halten sollte, was er auch augenzwinkernd versprach. Ich war sofort in einem Nebengang verschwunden, als er mir den Weg beschreiben wollte. Die Augen des Butlers verfolgten mich so lange, bis ihm der Notar etwas zuflüsterte. Den südlichen Teil des Herrenhauses hatte sich Zeb McWatford vorbehalten. Jetzt, wo er tot und begraben war, herrschte eine Stille, die mir regelrecht an die Nieren ging. Ich kam mir vor wie in einem Mausoleum. Ging ich ein paar Schritte neben dem Läufer her, so schickten meine Absätze ein hohl klingendes Echo durch die Gänge. Es wurde immer unheimlicher, je tiefer ich in Zeb McWatfords Reich eindrang. An den Wänden hingen brennende Kerzen, die Schatten warfen. Alles war überlagert von einem merkwürdigen Duft, der vielleicht von den Blumen und Kränzen herrührte, als der Herr von Deer Abbey Castle hier aufgebahrt lag. Die Kerzen wurden spärlicher, das Licht diffuser. Und meine Taschenlampe lag zerbrochen in einem tiefen Keller. Aber ich kannte den Weg. Noch eine Abbiegung, dann die zweite Tür rechts. Mrs. Torry hatte mir alles haarklein beschrieben. Sie musste es wissen, schließlich war sie Zeb McWatfords Geliebte gewesen. Ich bog in den beschriebenen Gang ein, der nur von einer einzigen schwarzen Kerze dürftig erhellt wurde. Wie bei den Teufelanbetern... Es waren nur noch ein paar Schritte, aber ich konnte sie nicht gehen. Irgendwie kam es mir vor, als schliche eine Gestalt, ein Schatten, lautlos wie auf Katzenpfoten, hinter mir her. Jemand, der versuchte, möglichst unentdeckt zu bleiben. Es gab keine Nische, keinen Winkel, wo ich mich hätte verbergen können, um aus sicherer Deckung heraus zu beobachten, wer mich verfolgte. Es blieb nur das Arbeitszimmer des Verstorbenen, dem ich sowieso einen heimlichen Besuch abstatten wollte. Ich schaffte es nicht ganz. Denn plötzlich war sie da, knapp neben der schwarzen Kerze, die weiter ruhig brannte, als habe kein Luftzug sie getroffen. 98
Ich staunte die Frau an, denn sie war mehr als schön, sie war rassig schön, rothaarig und grünäugig. Sie glich gewiss den Bildern, die Männer sich nur in ihren Träumen von Frauen machen, wohl wissend, dass es diese Traumwesen in Wirklichkeit niemals gibt. Aber diese da, die gab es. Der Kerzenschatten tanzte über ihr Gesicht und verlieh ihrer Schönheit ein ganz neues Leben. Ihr Haar war wie ein tiefes, mitternächtliches Glühen und ihr voller Mund war rubinrot. Mein Blut wurde richtig heiß und meine Stimme heiser. »Glende, Darling, du verstehst es wirklich, mich zu überraschen.« Es gab überall tiefe Schatten in der Runde. Schweigen, Ruhe. Stillstand der Zeit. Das Schweigen des Todes. Denn die Frau, deren weißes Gewand geradezu durchsichtig wirkte und die mich so stark an Glende erinnerte, schwieg sich aus. Sie bewegte sich nicht einmal. Je mehr ich sie betrachtete, um so durchscheinender kam sie mir vor. Fast wie dicker Nebel. Ich erkannte, dass es nicht Glende war, die mich stumm aus wissenden Augen anstarrte. Je länger das Starren anhielt, um so ungemütlicher wurde mir zumute. Eine böse Ahnung rieselte mir über den Rücken, als würde ich die Überraschung des Jahres erleben. Ich machte einen zögernden Schritt auf die überirdisch schöne Frau zu. Um meine Lippen spielte ein Lächeln. Sehr verkrampft. Plötzlich hob sie den Arm. Es war eine leichte Bewegung, wie wenn der Wind eine Wolke treibt. Das weiße Gewand ging mit in die Höhe. Erst jetzt bemerkte ich, dass es keine Ärmel besaß, mehr ein Umhang war. »Suchst du auch?«, fragte mich ihre sanfte Stimme. Sie klang wie ein Hauch aus dem Jenseits und berührte mich eigenartig. »Wie bitte, Lady?«, stotterte ich und ging weiter auf sie zu. Ihre erhobene Hand, fast durchsichtig und weiß, senkte sich ein wenig. »Bleibe, wo du bist.« Noch immer besaß die Stimme das leise, flüsternde Wehen. »Antworte mir. Suchst du auch?« Impulsiv antwortete ich: »Ja, Zeb McWatfords Arbeitszimmer.« »Wer ist Zeb?« 99
Ich stutzte, fing mich, antwortete: »Der vorgestern verstorbene Herr von Deer Abbey Castle.« »Der ist schon lange tot.« Das Lächeln, das bei diesen Worten ihren schönen Kussmund umspielte, ließ mein Blut in den Adern gefrieren. Es war das Lächeln eines Rachegottes. »Das muss ein Irrtum sein«, widersprach ich und staunte über das Kratzen meiner Stimme. »Kein Irrtum«, kam es hohl zurück. »Der Herr von Deer Abbey Castle ist Trutzo McWatford - mein Mann.« »Ihr Mann?«, echote ich. »Er und seine Freunde waren Lumpen. Ich hoffe nur, dass er in der Hölle schwitzt.« Ich war verwirrt. Das durfte es einfach nicht geben. Aber die Frau, deren Mann Trutzo, der Mörder der O'Haras gewesen sein soll, sprach weiter: »Ich weiß alles und darum finde ich keine Ruhe. Niemand kann mich von der Qual der Mitwisserei erlösen. Das einzige, was ich tun kann, ich kann den Schatz der Unglücklichen bewachen. Wer ihn trotzdem findet, wird von dem Fluch getroffen werden, der auf ihm lastet.« Herb brach die schöne Frau ab, von der ich annehmen musste, dass sie nicht wirklich existierte. In meinem Schädel kreisten die Gedanken. Ich kam auf keinen Nenner. Da ging plötzlich ein grausames Gebrüll los. Niemals hätte ich geglaubt, dass eine so zierliche Frau derart laut und hysterisch brüllen könne. Die schrillen Schreie wurden immer greller, überschlugen sich, durchbohrten meine Ohren. Abrupt brachen die Schreie ab und die Frau wich zurück, vom Entsetzen gepackt. Mit erstickter Stimme flehte sie: »Nicht, Trutzo, tue es nicht. Du darfst dir die Hände nicht blutig machen. Lass sie wieder ihres Weges ziehen. Denke an unsere Liebe.« Dann, ganz laut wie ein Knall. »Nein, Trutzo, nein. Sei verflucht bis in alle Ewigkeit.« Endlich zerriss der Schleier, den die Geisterfrau über mein Gehirn gelegt hatte - aber da war es zu spät. Wieder setzte das Schweigen ein, nach diesen Augenblicken der Wahrheit. * 100
Die Tür war verschlossen. Ich musste meinen Spezialdietrich einsetzen. Als mir die Dunkelheit entgegenschlug, tastete ich nach dem Lichtschalter. Eine alte Lampe, umhängt von Stoff, erhellte warm das Arbeitszimmer, in welchem über achtzig Jahre Zeb McWatford residierte. Nach einem genauen Rundblick konzentrierte ich mich auf den wuchtigen, handgearbeiteten Schreibtisch. Wahrlich, so ein altes Ding konnte zehn Geheimfächer haben. Trotzdem machte ich mich sofort an die Arbeit. Vorsichtig tatstete ich über Ornamente und Leisten. Auf einmal merkte ich, dass sich eine der geschnitzten Lilien verschieben ließ. Der Erfolg blieb aus. Ich überlegte. Die Logik sagte mir, dass der Schlüssel zum Geheimfach eine systematische Anordnung von Lilien sein könnte. Behutsam berührte ich die Lilie an der anderen Seite der Schublade und dann noch die, die genau über dem Knauf eingeschnitzt war. Kaum hatte ich die letzte Verzierung ein paar Millimeter gedreht, als es ein leises Knacken gab. Mit Zufriedenheit stellte ich fest, dass ein Türchen an der linken Seite sich öffnete, das zuvor unsichtbar gewesen war. Ich hatte das Vermächtnis des Zeb McWatford gefunden. Nun nahm ich mir Zeit zum Lesen. Ich brannte mir eine Zigarette an und pflanzte mich in den breiten Sessel. Schon nach den ersten Sätzen begann ich zu grinsen. * Hinter mir sagte eine raue Stimme: »Umdrehen, Black Lobo.« Ich legte die Papiere auf den Schreibtisch. »Aufstehen«, sagte der Kerl mit der rauen Stimme. Und dann sah ich sie. Alle vier. Es war schrecklich. Eine solche Konzentration der Stupidität hatte ich noch nie gesehen. Es waren die Knochenmänner. Die aus dem Grab gekommenen O'Haras. »Aufstehen«, sagte der mit der rauen Stimme wieder. 101
Ich sah zu ihm hoch, blickte in sein knöchernes Gesicht und wünschte sofort, es nicht getan zu haben. So etwas, jetzt bei Licht besehen, konnte und durfte es einfach nicht geben. »Also, Black Lobo«, höhnte er, meinen Kriegsnamen lang ziehend. »Wo sind die Papierchen?« Knallkopf!, dachte ich, weil ich das Gesuchte mit meinem Rücken verdeckte. Laut fragte ich: »Wovon ist die Rede?« Die Faust kam schnell. Ich konnte ihr nicht ausweichen. Also stemmte ich mich ihr entgegen, packte sie mit beiden Händen und knallte sie auf die hölzerne Lehne des Sessels. Noch bevor die anderen mit der neuen Situation fertig werden konnten, ging ich auf den nächsten zu und trat ihm vors Schienbein. Er wäre hingefallen, aber das wollte ich nicht. Ich packte ihn mit der linken Hand und hielt ihn an mich gepresst. Der Colt lag in meiner rechten Faust. Ich hatte den Finger am Abzug und schrie die anderen an: »Pfoten hoch.« Ich brauchte nicht mehr zu sagen, denn ein Mann mit einer Kanone in der Hand ist immer ein stärkeres Argument als alle Worte, selbst Geistern gegenüber. Nur der eine, den ich am Sessel zusammenschlug, schien sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Er griff zum Degen, zog ihn und stach nach mir. Ich schoss zweimal und die blanke Waffe flog davon. Zurück blieb der verblüffte Geist, der auf den roten Striemen starrte, der seine bleiche Hand zierte. Ich kaufte mir den alten O'Hara und riss ihm die Totenkopfmaske vom Gesicht. McMahoney, Reginalds Schwager, kam zum Vorschein. »Haben Sie Sir Bromfild Wasser und Brot gebracht, oder tat das einer Ihrer angeheuerten Spießgesellen?«, fragte ich, nachdem ich den Obergeist entlarvt hatte. »Sie wollten jetzt das zweite Testament an sich bringen, nachdem Sie das Original vernichteten. Wie konnten Sie nur so blöd sein und glauben, das McWatfordsche Vermögen an sich zu reißen?« Er schwieg und ich betrachtete mir in der Zeit seine Spießgesellen genauer. Wirklich, die Totenkopfmasken waren perfekt, es fehlte nicht einmal die Batterie, die die Augen leuchten ließ. Und die Skelettkno102
chen der Körper waren mit Phosphor auf schwarze Trikots gemalt worden, unter denen Kugelwesten getragen wurden, stich- und schussfest. Die fliegenden und sich auflösenden Geister trug McMahoney bei sich: Aufblasbare Gummipuppen. Und ich Trottel hatte sie für echte Geister gehalten... Mir fiel etwas ein und ich fragte: »Wie habt ihr das mit der laufenden Rüstung gemacht?« McMahoney, der alles auf eine Karte setzte und verlor, lachte: »Ferngesteuert wie bei einem Modellschiff. He, Black Lobo, was haben wir über dich gelacht.« »Du Laus hast also im Testament gelesen, dass Reginald einem Dienstmädchen ein Kind andrehte, wie? Mich interessiert nur, warum er sich von dir erpressen ließ, denn das Mädchen schied freiwillig aus dem Leben, weil es krank war, nicht des Kindes wegen.« »Ha, den Trottel kann man mit allem erpressen. Er kannte doch den Brief gar nicht. Sein Alter verheimlichte ihm das Schreiben.« »Noch eins, Lump. Wer von euch machte meine Stimme nach?« Verblüffte Gesichter, verständnisloses Gestammel. Ich hatte eine Niete gezogen. Also ging in Deer Abbey Castle doch ein Geist um... * Jeder in der Burg wusste, dass ich Zeb McWatfords Testament gelesen hatte und jeder wunderte sich, warum ich es nicht Sir Bromfild, dem Notar, übergab. Ich besuchte Glendes Vater. Als ich ohne anzuklopfen in sein Zimmer trat, zuckte er heftig zusammen und fuhr mit der rechten Hand in die Tasche seines seidenen Hausmantels. »Was wollen Sie, Sheehan?« Ich zündete mir eine Zigarette an und tat einige Züge, genoss seine Verwunderung. Dann fragte ich: »Wie viel haben Sie für das edelsteinbesetzte Kreuz bekommen, das als Bannmal an der Tür zum steinernen Verlies hing, in dem die O'Haras umkamen?« »Barny McMahoney, mein Schwager, erfand die O'Haras.« 103
»Hm, aber im Keller liegen die Reste ihrer Skelette, über dreihundert Jahre alt und McWatfords ließen das Kreuz an der Tür, damit nicht der Fluch der bösen Tat über sie kommen sollte.« Reginalds Hand begann in der Manteltasche zu zucken. Ich sprang vor und riss die Hand samt Pistole hervor. »Sie wollten doch nicht auf mich schießen, Sir?« »Alle sind gegen mich. Alle wollen mich...« »Ich nicht, Sir.« Dann holte ich die Kugeln aus dem Rahmen der Beretta und die eine aus der Kammer und gab ihm alles einzeln zurück. Er blinzelte zweimal, erschlaffte und erklärte: »Der Trödler haute mich übers Ohr. Aber ich brauchte Bargeld, um nicht als Mörder durch die Presse gezogen zu werden. Woher sollte ich wissen, dass mein eigener Schwager in der Maske eines Geistes...« »Vergessen Sie es, Sir. Es ist vorbei.« »In Deer Abbey Castle ist es nie vorbei, Mr. Sheehan.« »Richtig, Sir. Da wäre noch diese Stimme, die eigene Stimme, zum Beispiel.« Wieder erblasste er unter der Haut. Keuchend sagte er: »Das ist sicher Delia McWatford, unsere Ahnfrau.« »Trutzos Frau, nicht wahr?« »Sie wissen wohl alles?« »Es ist mein Beruf, Sir. Auch warum ich überhaupt gekommen bin.« »Ja?« »Ich möchte gerade jetzt, bevor der Tag anbricht, noch einmal die Burg inspizieren. Sie gestatten es doch?« »Sie meinen...?« »Hoffnung und Glück sind oft starke Bundesgenossen. Sir.« * Es war dunkel in der verwitterten Burg, aber das Morgenrot zog schon ein breites leuchtendes Band über den Himmel, fiel durch die hohen Bogenfenster und erhellte ein wenig den langen Flur. 104
Ich war auf der Suche nach einem bestimmten Gästezimmer. Noch immer beherbergte Deer Abbey Castle eine große Trauergemeinde, Bekannte, Freunde - und habsüchtige Verwandte. Die Tür zur Burgkapelle stand offen. Neugierig geworden, trat ich lautlos ein. Vor dem Altar kniete Glende im lauten Gebet. Aus dem Gestammel ihrer Worte entnahm ich, dass ihre eigene Stimme sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Der Hass aller auf mich war noch stärker geworden, weil ich noch das nicht verlesene Testament bei mir trug; ein Lockmittel, mit dem ich den ›Schutzengel‹ hervorlocken wollte. Vielleicht brauchte ich das Schriftstück gar nicht mehr. Denn da hörte ich Glende laut zu sich selbst sagen, nur dass ihre Stimme weit weg war: »Bete - und dann springe aus dem Fenster.« Die Stimme kam von oben. Nicht vom Himmel. Ich raste die Wendeltreppe hoch und bekam fast den Drehwurm. Fast oben angelangt, schreckte mich ein wütendes Zischen zurück. Unten wimmerte Glende. Sie war fast am Ende ihrer nervlichen Kraft. Ich rief ihr laut zu: »Keine Angst, mein Darling. Ich bin gleich bei dir.« Dann raste ich hinter dem unförmigen Schatten her, bekam ihn von hinten zu packen, als er sich durch die enge Pforte des Organisten zwängen wollte. Ich fühlte viel fettes, wabbeliges Fleisch zwischen den Fingern und musste derb zugreifen, bis der ›Schutzengel‹, der stets den Tod forderte, einen Quieker von sich gab. Die voll gefressene, juwelenbehangene Lady Isabel Randell hatte nicht vergessen, dass ich sie kürzlich Fettwanst genannt hatte. Jetzt, wo ich sie festhielt, spuckte sie mich an und keifte: »Dass ausgerechnet ein schmutziger Mestize mich überführen musste...!« * 105
Ich brachte Glende in ihr Zimmer. Und dort musste ich erfahren, dass auch eine Handvoll Nylonwäsche die Brisanz einer mittleren Atombombe haben kann. Als der Hunger sich meldete, gingen wir nach unten. Spannung lag im Frühstücksraum. Sie zeigte sich an der Art, wie sie alle steif herumsaßen. Ich störte, indem ich Sir Bromfild das Testament nebst Anhang übergab, so dass Glendes Vater nunmehr das Erbe übernehmen konnte. Seine erste Amtshandlung bestand darin, die liebe, raffsüchtige Isabel Randell zum Teufel zu jagen, ohne sie allerdings anzuzeigen, denn das tun feine Leute nicht untereinander. Als dann einer mit einem Fotoapparat ankam und mein Magen immer lauter knurrte, bellte ich: »Legen Sie erst mal einen Film ein, Freund, auf dass es Ihnen nicht so ergeht wie Joe, dem Reporter.« Ich schielte Glende an. Die prachtvollste aller Komtessen schüttelte ihre Locken und flüsterte: »Wenn du jetzt Vater von uns erzählst, dreht er durch. Schließlich bin ich seit dem zwölften Lebensjahr Gilbert Lathrop versprochen. Du hättest nur eine Chance, wenn du den ominösen Schatz findest.« »Schei...« Glendes zarte, kosende Finger schlossen meinen Mund. Ich wollte gerade Glende an den Tisch führen, als ich hinter mir eine leise, flüsternde Stimme hörte. »Sucht nicht, es bringt euch nur den Tod.« Ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass es die Geisterfrau, Lady Delia McWatford, gewesen war. Ende
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