Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 706
Geheimnisvolles Zyrph Auf der Welt der Widersprüche
von H.G. Francis
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 706
Geheimnisvolles Zyrph Auf der Welt der Widersprüche
von H.G. Francis
Auf Terra schreibt man gerade die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide, eben noch dem sicheren Tode nahe, sich nach einer plötzlichen Ortsversetzung in einer unbekannten Umgebung wiederfindet, wo unseren Helden alsbald ebenso gefährliche Abenteuer erwarten wie etwa in der Galaxis Alkordoom, der bisherigen Stätte seines Wirkens. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die fremde Sterneninsel zu bereisen, um die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wiederaufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für manche Überraschung - ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. Die Daten des Psi-Spürers der STERNSCHNUPPE bringen Atlan dazu, den Planeten Cairon anzufliegen. In der Maske eines Eingeborenen besucht er diese Welt, deren Bewohner, wie er meint, vom Erleuchteten bedroht werden. Atlan erkennt seinen Irrtum im »Tal der Götter«. Mit der STERNSCHNUPPE tritt er die Flucht von Cairon an und wird prompt von einem großen Raumschiff eingefangen. Dieses Schiff bringt ihn und seinen jungen Begleiter zum Planeten Zyrph, der sich als Ort der Widersprüche und Rätsel erweist – kurzum als GEHEIMNISVOLLES ZYRPH…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Arkonide auf dem Planeten Zyrph. Chipol – Atlans junger Begleiter. Wyreth – Kommandant der ZYRPH’O’SATH. Brutus – Ein Stahlmann. Mrothyr – Ein Systemveränderer. Tarlos – Ein Biologe.
1. Einige Zeit war vergangen, seit die STERNSCHNUPPE gekapert worden war. Chipol und ich verließen das Schiff. Es blieb uns nichts anderes übrig. Von der Hauptschleuse war eine Gruppe von düsteren Gestalten aufgezogen. Diese abenteuerlich aussehenden Wesen nannten sich Zyrpher. Ich hob meine Hände, um ihnen anzuzeigen, daß ich unbewaffnet war. Dann trat ich in den Hangar hinaus. Chipol folgte mir. Furchtlos blickte er die Geschöpfe an, die uns gegen unseren Willen an Bord ihres Raumers genommen hatten. Es waren Hominiden, die einige Zentimeter größer waren als ich. Sie hatten massige Körper und wirkten irgendwie plump und unbeholfen. Mit bernsteingelben Augen blickten sie uns an. Einige von ihnen zeigten uns drohend ihre Zähne. Ihr Gebiß ließ mich an Raubtiere denken. Die jüngeren Zyrpher hatten eine glatte, schiefergraue Haut und einen dichten Haarschopf. Andere, die wesentlich älter zu sein schienen, waren kahlköpfig. Anstelle von Augenbrauen hatten sie dicke Wülste, so daß es schien, als lägen ihre Augen tiefer im Schädel als bei den jüngeren. Zwei Zyrpher, die mittleren Alters sein mochten, trugen weiße Hüte mit weit ausladenden Krempen und farbigen Federbüschen daran. »Kommt mit«, befahl einer von ihnen. »Wir gehen zum Kommandanten.« »Sieh an«, entgegnete ich, während Chipol und ich ihm folgten. »Einen Kommandanten habt ihr auch? Ich nehme an, du meinst Wyreth.« Der Anführer der Gruppe, ein kahlköpfiger Mann mit tiefschwarzer Haut, blickte mich überrascht an. »Du kennst ihn?« Ich lachte ihm ins Gesicht. »Stell dir vor, wir haben so etwas wie Funkgeräte an Bord. Wir haben uns in eure Gespräche eingeschaltet und konnten einiges von dem hören, was ihr geredet habt.« »Dabei wurde Wyreth als Kommandant genannt.« »Du bist ja ein ganz Gescheiter!« Er knurrte mich wütend an, wobei er die Lippen weit über die Zähne zurückzog. Er hatte ein prachtvolles Gebiß mit fingerlangen Reißzähnen. »Du bist Zysc«, bemerkte Chipol, der Junge aus dem Volk der Daila. »Ich erkenne dich wieder. Von dir war auch die Rede.« Der Zyrpher blieb stehen. Seine Augen leuchteten auf. »Ach, tatsächlich? Was hat man denn über mich gesagt?« »Daß du ein dummer Affe bist«, verriet Chipol fröhlich. Seine Augen blitzten. »Noch eine solche Frechheit, und ich bringe dich um«, brüllte Zysc. Er machte Anstalten, sich auf den Kleinen zu stürzen, doch ich vertrat ihm den Weg. »Ich habe dir nur gesagt, was ich gehört habe«, erklärte Chipol, wobei er sich Mühe gab, ernst zu bleiben. Ich kannte ihn jedoch gut genug. Seine Stimme verriet mir, daß er beinahe barst vor Vergnügen. Der Übermut trieb ihn dazu, hinzuzufügen: »Ich könnte dir noch mehr verraten. Willst du wissen, wie der Kommandant dich genannt hat?« Zysc drehte sich wütend herum und ging schweigend weiter. »So ein Dummkopf«, kicherte der Daila hinter mir. »Wyreth hat ihn gelobt.« »Tatsächlich?« zweifelte ich. »Ja. Er hat gesagt, daß niemand so gut Staubwischen kann wie Zysc.« Ich lachte. Einer meiner Begleiter warf mir einen mitleidigen Blick zu. Ich wurde mir dessen bewußt, daß ihm mein Gebiß geradezu kindlich erscheinen mußte, da man bei mir höchstens von
Eckzähnen, nicht aber von Reißzähnen sprechen konnte. Das Schott zur Hauptleitzentrale glitt zur Seite. Ich sah Wyreth, den Kommandanten. Er trug eine feuerrote Kombination, die allerdings ein wenig zu eng für seinen mächtigen Körper zu sein schien. Der Stoff spannte sich etwas über dem Bauch. Eine silbern schimmernde Pelzmütze überdeckte seinen Schädel. Es mußte ziemlich warm darunter sein, denn Schweißtropfen rannen dem Zyrpher über die Stirn herab. »Was wollt ihr hier?« fragte der Kommandant. »Das will ich dir gern beantworten, wenn du mir verrätst, warum du unser Raumschiff gekapert hast. Ist dir entgangen, daß wir nicht freiwillig an Bord deines Raumschiffs sind?« Er blickte mich an, als zweifelte er an meinem Verstand. »Ihr seid gekommen, weil ihr einer Horde von Piraten angehört«, beschuldigte er uns. »Bildet euch nur nicht ein, daß ihr sie befreien könnt. Es wird euch nicht gelingen. Niemals!« Kaum waren diese Worte über seine hornigen Lippen gekommen, als ein Alarm durch die Zentrale schrillte. Auf den Ortungsschirmen erschienen eine Reihe von leuchtenden Reflexen. In ungeordneter Formation näherten sich Dutzende von offensichtlich kleinen Raumschiffen der ZYRPH’O’SATH. »Das habe ich mir gedacht«, knurrte der Kommandant. Er trat dicht an mich heran, beugte sich zu mir herab und starrte mir in die Augen. »Aber auch damit schafft ihr es nicht.« Ich drückte ihm die Hände vor die Brust und trat einen Schritt zurück. »Du hast einen Mundgeruch, der einen erwachsenen Mann umwerfen kann«, bemerkte ich. »Hüte deine Zunge«, fauchte er mich an. Er hob seine Hände und schnippte mit den Fingern. Er hatte an jeder Hand vier Finger. »Ein Zeichen von mir, und du bist einen Kopf kürzer. Glaube nur nicht, daß es mir etwas ausmachen würde, dich in den schwarzen Durchgang zu befördern.« Narr! schalt mich mein Extrasinn. Du überspannst den Bogen. Er sieht nicht gerade aus, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen, dennoch ist durchaus möglich, daß sein Volk die ZYRPH’O’SATH gebaut hat. Er ist kein Geistesriese, und die anderen Zyrpher, die du gesehen hast, sind es auch nicht. Deshalb sind sie jedoch noch lange nicht repräsentativ für alle Zyrpher. Ich mußte ihm recht geben. Es war gefährlich, den Kommandanten zu unterschätzen, und es war hochmütig, ihn zu provozieren. »Wir haben mit denen da nichts zu tun«, beteuerte ich deshalb und zeigte auf die Ortungsschirme. »Wir gehören nicht zu den Piraten, und wir haben auch nicht vor, sie zu befreien.« »Dann weißt du also, daß sie an Bord sind«, triumphierte er. Ich schüttelte den Kopf. »Du hast es mir eben selbst gesagt.« »Das stimmt«, bestätigte Zysc. Wyreth fuhr herum, und jetzt endlich erteilte er die Befehle, die er längst hätte geben müssen. Damit eröffnete er den Kampf gegen die kleinen, wendigen Raumschiffe, die bereits bedrohlich nahe gekommen waren. Niemand beachtete Chipol und mich jetzt noch. Wir blieben in der Hauptzentrale und verfolgten mit Hilfe der Bild- und Ortungsschirme den Kampf, bei dem sich die ZYRPH’O’SATH als deutlich überlegen erwies - dies vor allem, nachdem sie Dutzende von Beibooten ausgeschleust hatte. Die Schlacht währte nur kurz, dann zogen sich die kleinen Raumschiffe zurück. Zwei von ihnen glitten antriebslos durch den Raum. Sie hatten Treffer erhalten und konnten nicht mehr manövrieren. Wyreth befahl, die Besatzungen an Bord der ZYRPH’O’SATH zu holen.
Ein weiteres, kleines Raumschiff näherte sich. Es hatte eine längliche Form und unterschied sich somit deutlich von den Raumern der Angreifer. »Sie schießen nicht auf dieses Raumschiff«, flüsterte Chipol mir zu. »Es muß zu ihnen gehören.« Wyreth erhob sich aus seinem Sessel. »Beunruhigt es euch nicht?« fragte er. »Das Schiff?« entgegnete ich. »Warum sollte es das?« Wyreth lachte drohend. »Wir werden jetzt erfahren, was ihr auf Cairon angestellt habt«, rief er. »Danach wirst du wohl etwas vorsichtiger sein mit deinen Reden.« »Ich habe keine Ahnung, wovon er spricht«, flüsterte Chipol. »Ich auch nicht.« Das kleine Raumschiff schwebte in eine der Schleusen. Schweigend beobachtete Wyreth mich. Der Schweiß rann ihm über die Stirn und die Augenwülste. Mir fiel auf, daß diese Wülste bei den jüngeren Zyrpher noch nicht ausgebildet waren, bei den älteren aber um so stärker hervortraten. Unter der Mütze lugten einige Haarbüschel hervor. Aus ihnen rieselten vereinzelte Haare herunter. Der Kommandant schien unter starkem Haarausfall zu leiden. Wahrscheinlich trug er deswegen die Mütze. Minuten vergingen, ohne daß ein Wort fiel. Dann öffnete sich das Schott – ich hielt die Luft an. Chipol pfiff leise durch die Zähne. Er blickte mich erstaunt an. Ein Stahlmann, wie wir sie im Tal der Götter angetroffen hatten, betrat die Zentrale. Wyreth machte die Überraschung komplett. Er fiel auf die Knie, beugte sich weit vor und schlug die geballte Faust dreimal auf den Boden. Dann wischte er mit der linken Hand bogenförmig durch die Luft und erhob sich. »Das ist nicht notwendig«, erklärte der Stahlmann. »Ich stehe nicht über dir.« »Ich gehöre der Glaubensgemeinschaft der Brüder vom 6. Baum an«, erläuterte der Kommandant sein seltsames Verhalten. »Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn ich auf diese Geste verzichtet hätte. Sie ist uns vorgeschrieben gegenüber allen Symbolen der neuen Zeit.« »Wenn du dich der neuen Zeit unterwerfen willst, ist das deine Sache«, erklärte der Roboter. »Ich akzeptiere.« »Es war keine Unterwerfung«, erwiderte Wyreth. »Aber lassen wir das. Was führt dich zu uns, Stahlmann?« Der Roboter sah nur Wyreth an. Chipol und mich schien er nicht zu bemerken. Er berichtete nun umständlich von jenen Vorgängen, die dazu geführt hatten, daß die ZYRPH’O’SATH zu Hilfe gerufen worden war. Seiner Darstellung nach wußte man schon seit geraumer Zeit, daß zwei Raumschiffe unbekannter Herkunft auf Cairon gelandet waren, man war sich jedoch nicht darüber schlüssig, ob von diesen beiden Raumschiffen eine Gefahr ausging. Offensichtlich hatten die Stahlmänner auch von den Landungen der Daila gewußt und sie als harmlos eingestuft. Ich hörte staunend zu. Der Roboter ließ nicht durchblicken, wen er mit »man« meinte, mir war jedoch klar, daß er von den Hintermännern des Geschehens sprach, um die es mir eigentlich ging. Ich hoffte, irgendwann in naher Zukunft mehr über sie zu erfahren. »Vor kurzem hat sich gezeigt, daß zumindest eines der beiden Raumschiffe den Piraten gehörte«, fuhr der Stahlmann fort. »Es dürfte bekannt sein, daß die Piraten wegen der Anwesenheit der Hyptons auf verschiedenen Planeten in diesem Raumsektor überaus beunruhigt sind.«
»Ja, das ist mir zu Ohren gekommen«, bestätigte Wyreth. »Es ist daher keineswegs verwunderlich, wenn die Piraten gewisse Störmanöver unternehmen.« »Nein, überraschend ist das wohl nicht.« Der Zyrpher ging zu seinem Sessel und setzte sich. Der Roboter folgte ihm und blieb zwei Schritte von ihm entfernt stehen. »Ein Pirat namens Chossoph konnte sich unbemerkt ins Lager schleichen«, setzte der Stahlmann seinen Bericht fort. »Er hätte ohne weiteres mehrere Hyptons töten können, und er hätte es wohl auch getan, wenn sich nicht ein Nomade namens Atlan so beherzt dazwischen geworfen hätte.« Ich glaubte, meinen Ohren nicht trauen zu dürfen, als ich hörte, wie mein Name erwähnt wurde. Der Besuch des Roboters entwickelte sich immer überraschender. Der Stahlmann war noch nicht fertig mit seinem Bericht. »Atlan, der Nomade, ist von den Daila entführt und als Verbindungsmann und Informant geschult worden.« Wyreth fuhr sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn. Immer wieder blickte er zu mir herüber. Ich war sicher, daß er wußte, wer ich war. »Den Daila war ursprünglich nur daran gelegen, den Planeten Cairon zu erforschen«, fuhr der Roboter mit unmodulierter Stimme fort. »Da nach neuesten Erkenntnissen die Familie Sayum spurlos verschwunden ist, hatte Chipol, der letzte Überlebende der Familie, gar keine andere Wahl, als mit dem für diese Aufgabe vorbereiteten Atlan nach Cairon zu kommen.« Ich hörte, daß mein junger Freund die Luft scharf einzog. Der Bericht des Stahlmanns wühlte ihn auf. »Der Zwischenfall mit Chossoph hat bei den beiden fraglos eine panische Reaktion ausgelöst. Damit ist ihre Flucht hinreichend erklärt.« »Na schön«, sagte der Kommandant. »Und was habe ich zu tun?« »Gib Atlan und Chipol mit ihrer STERNSCHNUPPE frei, oder gewähre ihnen Asyl auf Cairon oder noch besser auf Zyrph, vorausgesetzt, sie sind damit einverstanden.« Wyreth streckte einen Arm aus und zeigte auf uns. »Ich nehme an, du sprichst von den beiden da.« Jetzt endlich nahm der Stahlmann Notiz von uns. Er drehte sich um, und blickte uns an. »Selbstverständlich«, erklärte er. Ich war mir noch nicht sicher, was ich von dem Roboter halten sollte. Führte er irgend etwas im Schilde? Es war sicherlich ratsam die ZYRPH’O’SATH so schnell wie möglich zu verlassen. Deine Suche kann sich nun nicht mehr allein auf den Erleuchteten beschränken, stellte mein Extrahirn klar. Du mußt auch die Hyptons im Auge behalten. Genau das habe ich vor, antwortete ich in Gedanken. Es sind die Zyrpher, die diese unangenehmen Invasoren bewachen und beschützen, erkannte der Extrasinn. Das ist mir nicht entgangen, erwiderte ich. Wir werden dieser Fährte folgen. Kluger Junge, spöttelte der Logiksektor. Wyreth wandte sich uns zu. Er hatte über das nachgedacht, was er gehört hatte. »Der Bericht des Stahlmanns läßt euch natürlich in einem anderen Licht erscheinen«, sagte er. »Ich habe mich geirrt, als ich dachte, ihr gehört zu den Piraten. Und mir ist jetzt auch klar, daß ihr nicht hier seid, um die Gefangenen zu befreien, die wir an Bord haben. Was werdet ihr tun?«
»Was meinst du, Chipol?« fragte ich meinen jugendlichen Begleiter. Er lächelte. »Ich bin dabei«, erwiderte er, ohne daß ich ihm etwas zu erklären brauchte. »Dann ist alles klar, Wyreth. Wir werden nach Zyrph gehen.« Der Kommandant schien unsere Entscheidung zu begrüßen. Möglicherweise genossen die Daila auch einen gewissen Ruf in diesem Raumsektor. Ich beschloß, Chipol bei Gelegenheit danach zu fragen. »Ausgezeichnet«, freute sich der Kommandant. »Es ist mir nur recht, daß die Lage sich geändert hat. Ich hätte ohnehin kaum Zeit gehabt, mich mit euch zu befassen, da ich Piraten an Bord habe. Ich muß sie verhören, und das ist eine schwere und anstrengende Arbeit. Ihr beiden seid meine Gäste. Ihr könnt euch frei an Bord bewegen. Der Stahlmann wird euer Beschützer sein – vorausgesetzt, er ist mit dieser Rolle einverstanden.« »Natürlich bin ich das«, erwiderte der Roboter. »Wir können uns frei bewegen«, wiederholte ich. »Wir können also auch mit den Piraten sprechen, wenn wir wollen?« »Ich habe nichts dagegen einzuwenden. Im Gegenteil. Vielleicht erfahrt ihr das eine oder andere, was sie mir nicht anvertrauen würden.« Damit drehte er sich um und kehrte zu seinem Sessel zurück. Er nahm einige Schaltungen am Instrumentenpult vor. Wir waren entlassen. »Ich werde dich Brutus nennen«, erläuterte ich dem Roboter, als wir durch das Hauptschott hinausgingen. Der Name Brutus sagt dem Stahlmann überhaupt nichts, kritisierte der Logiksektor. »Ich werde auf den Namen Brutus reagieren«, versprach die Maschine. »Hat er irgendeine Bedeutung für dich?« »Brutus war ein Mann, der… nun, sagen wir einmal, der einen Fehler gemacht hat.« »Ich bin mir keines Fehlers bewußt«, beteuerte der Roboter. Er ist sich keines Fehlers bewußt, wiederholte der Extrasinn. Entweder hat der Roboter die Ereignisse auf Cairon tatsächlich falsch eingeschätzt, oder jemand hat seine Programmierung geändert. Wer sollte das getan haben? Etwa einer der Piraten? Das war kaum anzunehmen. »Was tun wir jetzt?« fragte Chipol. »Was wir uns vorgenommen haben. Wir gehen zu den Piraten«, antwortete ich. *** Die Gefangenen hatten keinerlei Ähnlichkeit mit den Nomaden. Es waren größtenteils vierbeinige Geschöpfe mit gedrungenem Rumpfkörper, einem langen Hals und kantigem Schlangenkopf. Auf dem Rücken hatten sie weiße Flügel, unter denen sich zierlich wirkende Hände verbargen. Ein unangenehmer Geruch schlug Chipol und mir entgegen, als wir die Messe betraten, in der die Piraten gefangengehalten wurden. Brutus folgte uns und stellte sich vor der Tür auf. An ihm würde keiner vorbeikommen. In einer Ecke kauerte ein humanoides Wesen. Es hatte ein schwarzes, stark glänzendes Fell, das seinen ganzen Körper überzog, das Gesicht jedoch freiließ. Über den ausdrucksvollen, grünen Augen wölbte sich ein leuchtend gelber Streifen. Unter den Augen befanden sich zwei blaue Farbtupfer, die sich strahlenförmig zu den Seiten hin ausbreiteten. Der Mund lag unter einem zottigen, roten Bart verborgen, der das Kinn jedoch freiließ.
Ich ging zu dem Hominiden hin und ließ mich neben ihm auf den Boden sinken. »Wer bist du?« fragte ich. »Trom«, antwortete er, ohne zu zögern. »Hast du schon einmal etwas von Chossoph gehört?« »Noch nie.« »Könnte es sein, daß die anderen…?« »He«, brüllte er. »Ist euch jemand bekannt, der Chossoph heißt?« Die Schlangenköpfe wandten sich uns zu, doch das war auch alles. Niemand kannte Chossoph. »Wir fliegen nach Zyrph«, sagte ich. »Schon mal dort gewesen?« »Und ob. Mehrmals.« »Kannst du mir etwas über Zyrph sagen?« »Was willst du wissen?« »Was dir gerade einfällt.« Er blickte mich seltsam an. »Zyrph ist eine Sauerstoffwelt. Der vierte Planet einer heißen, blauweißen Sonne. Eine völlig industrialisierte Welt, die schon seit geraumer Zeit Kontakt mit raumfahrenden Zivilisationen unterhält – mit allen positiven wie auch negativen Folgen, die damit verbunden sind. Zyrph soll einst eine an Rohstoffen sehr reiche Welt gewesen sein. Jetzt aber habe ich gehört, daß die Reserven fast erschöpft sind. Man braucht Nachschub.« »Da scheint jemand schlecht gewirtschaftet zu haben.« »Es sind die Reichen, die den Planeten rücksichtslos ausbeuten. Sie haben die Macht. Die Armen werden wie Sklaven gehalten. Es ist der übelste Kapitalismus, der mir je begegnet ist.« »Und niemand wehrt sich dagegen?« »Dafür ist es zu spät«, erklärte Trom. »Zyrph wird von einer Oligarchie beherrscht. Das heißt, es gibt nur einige wenige Reiche, denen wirklich alles gehört.« »Das hört sich nicht gerade gut an.« »Ist auch nicht gut. Auf Zyrph lebt es sich nur gut, wenn man in die Residenzen der Ausbeuter eingelassen wird. Wer dort keinen Zutritt hat, wäre besser in der Hölle geblieben.« »Sicher ist dir bekannt, was man gegen die Rohstoffknappheit unternimmt. Oder nicht?« Trom lehnte sich seufzend zurück. »Doch, doch«, erwiderte er. »Das liegt auf der Hand. Man hat sich mit den Hyptons eingelassen. Ein Gerücht besagt, daß diese versprochen haben, andere Welten für die Zyrpher zu erschließen.« »Zu erschließen? Wie soll ich das verstehen?« »Im Klartext heißt das: Die auf den anderen Planeten ansässigen und meist in technischer Hinsicht völlig unbedarften Intelligenzen werden von den Hyptons auf die übliche Weise in Sklaven umgeformt, so daß die Zyrpher ohne besondere Mühe an die Bodenschätze kommen können.« »Das hört sich noch übler an.« »Ist es auch. Ich glaube aber, das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen. Auf Cairon zum Beispiel ist man gerade erst dabei, die entsprechenden Proben zu gewinnen.« »In Form der Opfergaben, die die Nomaden den Göttern darbringen.«
»Genau das meinte ich damit.« »Warum brauchen die Zyrpher die Hilfe der Hyptons?« fragte ich. »Wenn sie eine eigene Raumfahrt haben, können sie auch ohne sie Handel treiben, was letztendlich noch einträglicher ist als reine Plünderei.« »Oho, Freundchen, da hast du mich aber falsch verstanden. Die Zyrpher haben keine eigene Raumfahrt. Sie mußten sich die Raumschiffe kaufen, weil sie selbst nicht in der Lage waren, sie zu bauen. Natürlich haben sie mit Rohstoffen bezahlt, wodurch der Mangel noch deutlicher wurde.« »Also sind die Zyrpher im Grunde genommen nichts weiter als Opfer eines raffinierten Ausbeutungsprinzips.« Trom lachte. »Genau das ist richtig, Fremder«, entgegnete er. »Dabei darfst du jedoch nicht übersehen, daß die Kapitalisten das Geschäft machen. Sie beteiligen sich an der Ausplünderung des eigenen Volkes und leben prächtig dabei.« Ich stutzte. Na endlich! spöttelte mein Extrahirn. Du hast es begriffen. Die ZYRPH’O’SATH ist auch nichts weiter als eine Leihgabe. Vermutlich ist das Schiff noch längst nicht bezahlt. Sperr die Augen auf. Wahrscheinlich wirst du feststellen, daß es an Bord Einrichtungen gibt, mit denen die Zyrpher nichts oder nur wenig anfangen können. In diesem Sinne dürfte Wyreth auch kein echter Kommandant sein. Er ist ausführendes Organ. »Irgend jemand zieht also im Hintergrund die Fäden«, sagte ich laut. »Richtig«, bestätigte Trom. »Jemand zieht die Fäden und gibt die Anweisungen.« »Und wer ist das?« »Wahrscheinlich ein Angehöriger jenes Volkes, mit dem die Zyrpher diese selbstmörderische Art von Handel treiben.« »Was ist das für ein Volk?« »Du fragst einem ein Loch in den Bauch.« »Antworte mir, wenn du kannst.« »Ich spreche von den Naldrynnen. Keine Ahnung, wer das ist. Ich habe nur den Namen gehört, aber nie einen Naldrynnen gesehen.«
2. Als ich mit Chipol in die Hauptleitzentrale zurückkehrte, näherte sich die ZYRPH’O’SATH dem Planeten Zyrph. Die weißblaue Sonne und der Planet zeichneten sich deutlich auf den Bildschirmen ab. Wir sahen ausgedehnte, blaue Meere auf Zyrph und auffallend verwirbelte Wolkenbänke, die weite Teile dieser Welt überzogen. »Scheint eine windige Ecke zu sein«, bemerkte Chipol. »Sieht ganz so aus«, bestätigte ich. »Vielleicht ist das eine Folge der rücksichtslosen Ausplünderung des Planeten. Der Naturhaushalt könnte nachhaltig gestört sein.« Wyreth wandte sich mir zu. »Das war nicht gerade viel, was dieser Trom dir zu erzählen hatte«, sagte er. »Für mich waren das jedenfalls keine Neuigkeiten – abgesehen davon, daß seine Schilderung der politischen und wirtschaftlichen Lage auf Zyrph eine einzige Lüge war.« Er lachte brüllend. Er schien sich maßlos darüber zu freuen, daß der Pirat mir die Unwahrheit gesagt hatte. »Was ist falsch daran?« fragte ich, während mir aufging, daß er mich auf Schritt und Tritt mit allen Mitteln der ihm zur Verfügung stehenden Technik beobachtet hatte. »Alles«, behauptete er. »Niemand wird auf Zryph ausgebeutet. Alle leben in einer Gesellschaft voller Glück und Zufriedenheit. Man hat ein gerechtes Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit gefunden. Das heißt, eine kleine Ausbeutung ist doch da.« »Und welche ist das?« »Ausbeutung der Intelligenz.« »Das verstehe ich nicht«, gestand Chipol. »Was willst du damit sagen?« »Es gehört nun einmal mehr Intelligenz dazu, einen Industriekonzern zu leiten, als Kinder in der Schule das Schreiben beizubringen. Die Gesellschaft der Zyrpher hat einen Weg gefunden, die Intelligenz zur Höchstleistung zu motivieren – zum Nutzen der anderen. Bezahlt aber wird das, was gerade nötig ist. Dazu kommt eine Propaganda, die den Neid gegen die Intelligenz schürt, und die sich bemüht, das Ansehen der Intellektuellen so weit wie möglich herabzusetzen.« »Aber das ist doch Blödsinn«, rief Chipol. »Du lügst.« Wyreth lachte nur und wandte sich seinen Instrumenten wieder zu. »Werden wir mit der ZYRPH’O’SATH auf Zyrph landen?« fragte ich. »Wir bleiben in einer Umlaufbahn. Du gehst mit der STERNSCHNUPPE runter. Einige Beiboote werden dich begleiten.« »Der Pirat hat die Naldrynnen erwähnt«, sagte ich. »Kennst du sie? Kannst du mir sagen, wer sie sind und wie sie aussehen?« »Ja, das könnte ich. Aber wozu sollte ich das? Du wirst ihnen selbst begegnen.« Ich betrachtete ihn nachdenklich, denn ich wußte nicht, was ich von ihm halten sollte. Ganz sicher hatte er es ebenso gemacht wie Trom. Er hatte mir ein Gemisch aus Wahrheit und Lüge aufgetischt. Aber warum? Wollte er sich über mich lustig machen, oder verfolgte er einen bestimmten Plan damit? Ich konnte diese Fragen nicht beantworten. »Ich führe euch zur STERNSCHNUPPE«, erklärte der Stahlmann. »Wir können in wenigen Minuten starten.« Jede weitere Frage ist überflüssig, signalisierte mir der Logiksektor. Wyreth gibt dir keine
Informationen mehr. Ich legte Chipol die Hand auf die Schulter und ging mit ihm hinaus. Brutus folgte uns, drängte sich aber bald an uns vorbei. »Ich zeige euch, wo die STERNSCHNUPPE steht«, rief er, und es nützte nichts, daß der Junge ihm erklärte, wir wüßten Bescheid. Der Stahlmann gebärdete sich wie ein Beschützer, der es mit hilflosen Kindern zu tun hatte. Du mußt ihn zurechtstutzen oder irgendwann eliminieren, stellte das Extrahirn fest. Tust du es nicht, geht er dir derart auf den Geist, daß du den Durchblick verlierst. Als die STERNSCHNUPPE die ZYRPH’O’SATH verlassen hatte und verzögerte, nahm ich Verbindung mit der Bodenkontrolle auf. »Im Dienst des Volkes«, meldete sich eine kahlköpfige Zyrpherin. Sie hatte aufgeworfene, fast schwarze Lippen. »Du wirst in Strothgarf landen.« Sie blendete eine Karte ein. Ich sah einen Kontinent, dessen Form mich an eine Sanduhr erinnerte. Allerdings hatte er zwei dicht übereinander liegende Einschnürungen. »Der Raumhafen Strothgarf befindet sich im Nordosten von Mhyn-Ha-Heth«, fuhr sie fort. »Von dort empfängst du ab jetzt ein Peilsignal.« Auf dem Bildschirm erschien ein blinkender Punkt. Er zeigte mir an, wo der Raumhafen war. Zugleich meldete sich Wyreth. Ich sah sein düsteres Gesicht auf dem Bildschirm daneben. »Ich habe ein Gespräch mit der Regentin Mhyn geführt«, eröffnete er mir. »Sie ist die Herrscherin des Bundesstaates Mhyn im Süden des Kontinents. Sie hat eine Einladung für Chipol und dich ausgesprochen. Sie erwartet, daß ihr euch unverzüglich auf den Weg zu ihr macht.« »Im Süden des Kontinents Mhyn-Ha-Heth?« fragte ich verwundert. »Willst du damit sagen, daß wir nicht in Strothgarf landen sollen?« »Selbstverständlich sollt ihr das«, erwiderte er. »Kommt nur nicht auf den Gedanken, irgendwo anders als auf dem Raumhafen im Norden herunterzugehen. Das würde euch niemand auf Zyrph verzeihen.« »Habe ich dich richtig verstanden? Es gibt auf dem riesigen Kontinent nur diesen einen Raumhafen?« »Nur diesen.« »Und wie kommen wir von ihm in den Süden?« Wyreth schüttelte verwundert den Kopf. Er schien nicht zu begreifen, daß ich Fragen stellte, anstatt alles auf mich zukommen zu lassen. »Es gibt eine Magnetschwebebahn«, erläuterte er dann. »Damit seid ihr in zwei Tagen am Ziel. Der Flugverkehr über Mhyn-Ha-Heth ist allen verboten, die nicht über eine Sonderlizenz verfügen, wie sie von der Zentralregierung für besondere Leistungen im Dienst des Volkes vergeben werden.« Da war es wieder, dieses im Dienst des Volkes. »Wie langweilig«, maulte Chipol. »Zwei Tage mit der Bahn, wo wir mit der STERNSCHNUPPE in ein paar Minuten am Ziel sein könnten. Ein Beiboot der ZYRPH’O’SATH könnte uns hinbringen.« »Ihr werdet euch nach den Gesetzen unserer Völker richten«, entgegnete Wyreth ärgerlich. Seine bernsteingelben Augen schienen heller zu werden. Durchdringend blickte er mich an, und zugleich entblößte er seine Zähne. Ich hatte das Gefühl, daß er mir an die Gurgel gehen würde, wenn ich mich ihm nicht beugte. Dies war nicht mehr der Mann, der sich vor einem Roboter auf den Boden geworfen hatte. Dies war ein wilder Kämpfer, der bereit war, jede Herausforderung anzunehmen. »Vergeßt nur nicht, daß ihr Gäste auf diesem Planeten des Friedens und der Ehrbarkeit seid. Und
redet nicht abfällig von ihm. Es ist meine Heimat.« »Natürlich vergessen wir nicht, daß wir Gäste sind«, beruhigte ich ihn. Minuten später schwebte die STERNSCHNUPPE auf einen ausgedehnten Raumhafen hinab, der an der Küste des Nordkontinents lag. Erst jetzt, als wir die Wolken durchstießen, konnte ich einen Teil des Landes sehen. Hohe, karstige Hügelketten schirmten das Land zum Norden hin ab. Die Ebenen, die sich nach Westen hin erstreckten, hätten in dieser Klimazone eigentlich grün und fruchtbar sein müssen. Sie waren jedoch weitgehend versteppt. In einigen Tälern lagen ausgedehnte Städte, die nach keinem bestimmten architektonischen Plan angelegt worden zu sein schienen. Ein heftiger Wind trieb überall Staubwolken hoch. Das Land macht einen ausgebeuteten Eindruck, stellte mein Extrasinn nüchtern fest. Niemand scheint sich Gedanken über eine langfristige Pflege der Umwelt zu machen. Auf dem Raumhafen verloren sich drei langgestreckte Raumschiffe. Es wäre Platz für weitaus mehr als hundert gewesen. Wir landeten am westlichen Rand der Betonpiste, etwa zwei Kilometer von vier flachen Gebäuden am Nordrand des Hafens entfernt. Diese wurden von der Schleife tangiert, die das hochbeinige Geleis der Magnetschwebebahn bildete. Auf dem Landefeld war es ruhig. Ich sah weder auf ihm noch bei den Gebäuden irgend jemanden. Der Raumhafen schien verlassen worden zu sein. Ein steifer Wind trieb Staubwolken und Abfälle vor sich her. »Seltsam«, sagte Chipol. »Eigentlich müßten doch Roboter unterwegs sein und die Schiffe ent- oder beladen. Aber es ist überhaupt nichts los.« »Wir verlassen die STERNSCHNUPPE«, entschied ich, nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß die Beiboote der ZYRPH’O’SATH ebenfalls gelandet waren. Die Besatzungen würden allerdings nicht aussteigen, sondern wieder starten, sobald sie einige dringend benötigte Versorgungsgüter aufgenommen hatten. Als sich das Schleusenschott öffnete, schlug uns der Wind entgegen. Er kam vom Meer her und war unangenehm heiß. Die Luft brannte auf unseren Gesichtern. »Sie hätten uns wenigstens ein Fahrzeug schicken können«, beschwerte sich Chipol. »Es ist ganz schön weit bis zu den Gebäuden.« »Ich könnte dich tragen«, bot sich Brutus sogleich an. »Laß nur«, winkte der Daila ab. »Ich werde es schon überstehen.« Wir marschierten los, und noch immer blieb alles ruhig. Auch bei den Gebäuden regte sich nichts. Als wir uns den Gebäuden bis auf etwa fünfhundert Meter genähert hatten, gingen wir an einem pfeilförmigen Raumschiff vorbei. In diesem Moment krachte es nördlich von uns. Ein Geschoß raste zischend über uns hinweg und schlug in die Flanke des Raumers. Eine Stichflamme stieg auf, und eine Druckwelle schleuderte Chipol und mich zu Boden. Brutus hielt sich auf den Beinen. Er breitete die Arme aus. Ich hörte, wie Stahlsplitter gegen seinen Körper schlugen. »Weg hier«, rief ich. »Weiter. Schnell.« Ich riß den Jungen mit hoch, blickte kurz zur STERNSCHNUPPE zurück und entschloß mich dann für den kürzeren Weg zu den Gebäuden. Einige weitere Geschosse flogen heulend über uns hinweg. Wir spürten den Luftzug und die Hitze, die von ihnen ausging. Hinter uns hörten wir die krachenden Explosionen. Ihnen folgte das Fauchen explosionsartig verdrängter Luft, als die Besatzung des Raumschiffs die Defensivschirme aufbaute. Chipol und ich konnten uns nicht auf den Beinen halten. Der tosende Luftstrom riß uns zu Boden und wirbelte uns einige Meter weiter, ohne daß wir etwas tun konnten. Brutus eilte hinter uns her, packte uns an den Armen und zog uns wieder hoch. Er schien keine
Schwierigkeiten zu haben. »Da drüben«, schrie der Daila und deutete zum Rand des Landefelds hinüber. Erschrocken fuhr ich zusammen. Aus der Deckung der Büsche und Schallwände brachen Dutzende von Zyrphern hervor. Auf den ersten Blick erkannte ich, daß es überwiegend junge Männer waren. Sie hatten langes, wehendes Haar, und ihre Gesichter waren schiefergrau. In den Händen hielten sie Energiestrahler und Mikroraks. Pausenlos feuernd Stürmten sie heran. »Atlan, wohin?« schrie Chipol, während ich den Arm um ihn legte und mich mit ihm zusammen auf den Boden warf. »Ich weiß es nicht«, antwortete ich. Zur STERNSCHNUPPE konnten wir nicht zurück, denn auch von dort stürmten Bewaffnete heran. Am kürzesten war der Weg zu den Raumhafengebäuden. Bis dorthin waren es höchstens noch zweihundertfünfzig Meter. Aber zwischen uns und ihnen lagen Dutzende von Zyrphern auf dem Boden und schossen mit kleinen Raketenwerfern auf das Raumschiff. Uns beachteten sie nicht. Sie hätten uns mühelos töten können, doch daran schien glücklicherweise niemand interessiert zu sein. Die Geschosse rasten über uns hinweg und explodierten am Energieschirm des Raumers. Und jetzt antworteten die Geschütze des Schiffes. Ich sah es sonnenhell aufblitzen. Ein armdicker Energiestrahl traf etwa hundert Meter vor uns auf den Betonboden und schuf in Sekundenbruchteilen einen glutflüssigen Krater. Rötlichgelbe Massen spritzten unter der Wucht der einschlagenden Energien auf. »O Jammer«, brüllte Brutus. »Das überleben wir nicht.« Der Wind trieb uns die nahezu unerträgliche Hitze entgegen. Die Angreifer stürmten durch die sich rasch ausbreitenden Rauchwolken heran. »Nicht schießen«, schrie der Stahlmann. »Seht ihr denn nicht, daß wir nichts mit dem Mist zu tun haben, den ihr hier veranstaltet?« Er wurde mir zum erstenmal sympathisch. Das waren ja geradezu menschliche Züge an ihm. Ich hatte sie nicht erwartet. »Weiter«, keuchte ich. »Wir dürfen nicht hierbleiben. Es würde uns umbringen.« Chipols Gesicht war von Rauch und Schmutz geschwärzt. Er klammerte sich an meinen Arm. »Das ist doch Wahnsinn«, stammelte er. »Warum tun die das?« »Ich habe nicht die Spur einer Ahnung«, erwiderte ich. Ein hochgewachsener Zyrpher stürmte an mir vorbei, und für einen kurzen Moment begegneten sich unsere Blicke. Der Mann trug eine grün und blau gestreifte Fellmütze auf dem Kopf. Von ihr fiel im Nacken ein breiter, orangefarbener Schwanz bis zu den Hüften herab. So kurz der Kontakt mit diesem Mann auch gewesen war, ich war überzeugt, daß er der Anführer der Angreifer war. Er besaß das Charisma einer großen Persönlichkeit. In seinen leuchtend gelben Augen brannte ein Feuer, wie ich es nur bei Männern gesehen hatte, die von ihrer Aufgabe besessen waren. Wir hatten keine andere Wahl. Wir mußten laufen. Wir durften nicht länger im Kampfgebiet bleiben. Allzu leicht hätte uns eine verirrte Kugel oder ein abgeleiteter Energiestrahl treffen können. Ich faßte den Daila an der Hand und rannte mit ihm so schnell ich konnte zum nächsten Raumhafengebäude hinüber. Wir erreichten es, als eine dumpfe Explosion die Fassade des Gebäudes erschütterte. Ich blickte zurück und sah, daß der Raumer auf die Betonpiste stürzte. Die Landestützen waren zusammengebrochen, und eine Stichflamme schoß aus seinem Bug bis zu den Wolken hinauf. Dann toste eine Druckwelle über uns hinweg, die uns durch die sich öffnende Tür in das Innere des Gebäudes beförderte. Zweifellos wären wir erneut gestürzt, wenn der Stahlmann uns
nicht gehalten hätte. Die transparenten Scheiben des Gebäudes schirmten uns gegen das Geschehen draußen ab. Wir hörten kaum noch etwas vom Kampflärm. Wir sahen es draußen nur immer wieder aufblitzen. Der Kampf schien weitgehend entschieden zu sein. Mich überraschte dabei, daß die Angreifer siegreich zu sein schienen. Das Raumschiff war kaum mehr als ein Wrack. »Ich hätte nicht gedacht, daß die Männer gewinnen«, sagte der Daila erstaunt. Er strich sich mit den Händen über das Gesicht, um Schmutz und Rauch zu entfernen. Ich sah mich in dem Raum um, in dem wir gelandet waren. Er enthielt lediglich eine Reihe von Sesseln. Sie standen vor einem Abfertigungsschalter und einem elektronischen Gerät für die Gepäckkontrolle. »Wir sollten uns nicht mehr länger hier aufhalten«, sagte der Roboter zu Chipol. »Ich kann nicht ausschließen, daß die Kämpfe noch einmal in voller Heftigkeit aufflammen und dann bis in diese Räume hineingetragen werden.« »Er hat recht«, stimmte ich zu. »Es ist besser, wenn wir verschwinden.« »Wir haben Glück gehabt«, stöhnte der Daila. »Ich dachte nicht, daß wir unverletzt davonkommen würden. Es wäre so leicht für diese Männer gewesen, auf uns zu schießen.« Ich öffnete eine Tür, und wir kamen über einen kurzen Gang in eine Halle, in der sich nahezu hundert Zyrpher aufhielten. Die meisten diskutierten miteinander. Einige blickten zu Bildschirmen hoch, auf denen sie das Geschehen auf dem Landefeld verfolgen konnten. Der Lärm der Stimmen erfüllte die Halle. Fast alle Zyrpher hatten Gepäck dabei. Sie warteten darauf, an Bord eines der Raumschiffe gehen zu können. Sie würden sich nun wohl Zeit nehmen müssen. Als wir zu einer gegenüberliegenden Tür hinübergingen, blickten einige von ihnen Chipol verwundert an, während sie Brutus und mich kaum beachteten. Ein junger Zyrpher mit einem gewaltigen, grauen Haarschopf wandte sich mir zu. »Ihr habt Glück gehabt«, sagte er. »Mrothyr hätte euch umbringen können.« »Wer ist Mrothyr?« fragte Chipol. Donnernd barst eine der Türen, und mehrere bewaffnete Zyrpher stürmten in die Halle. Sie feuerten aus ihren Handwaffen gegen die Decke. Trümmerstücke regneten von dort herab. Ich riß den Daila mit mir. »Dort hinaus«, rief ich ihm zu. Während hinter uns weitere Schüsse fielen, flüchteten wir durch eine Tür in einen langgestreckten Kuppelbau. Drei silbrig schimmernde Waggons einer Schwebebahn standen vor uns. Durch die Fenster blickten uns einige Zyrpher an. Ich überlegte nicht lange und schob Chipol durch eine offene Tür in einen der Wagen. Brutus folgte uns schweigend. »Hoffentlich fährt der Zug bald los«, seufzte der Junge und ließ sich in die Polster seiner Sitzbank sinken. Ich setzte mich neben ihn, während Brutus an der Tür zum Gang stehenblieb, der zu den anderen Abteilen führte. Ein kahlköpfiger Zyrpher teilte das Abteil mit uns. Er war dick wie ein Buddha, und seine scharf gebogene Nase war von geradezu abenteuerlicher Größe. Er war in mehrere flammend rote Tücher gehüllt, so daß es schien, als verstecke er sich unter einem Berg von Stoff. An den Seiten ragten die kurzen, dicken Arme hervor, unten die mit weißen Bändern umwickelten Beine. Die Füße steckten in geschnürten Sandalen. »Ihr seid recht vorlaut, meine Kinder«, ächzte der Mann und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Ich habe nur gesagt: Hoffentlich fährt der Zug bald los«, verteidigte sich Chipol. Im gleichen Moment hoben sich die Waggons von den Magnetschienen und beschleunigten. Wir wurden in die
Polster der Sitze gedrückt, als der Zug mit rasch wachsender Geschwindigkeit das Raumhafengebäude verließ. Unwillkürlich blickten wir zu dem Raumschiff hinüber, das vorhin umkämpft worden war. Von ihm war nur noch ein rauchender Trümmerhaufen übriggeblieben. Fragt sich, ob die Angreifer sich dessen bewußt sind, daß sie Millionenwerte vernichtet haben, die mit unersetzlichen Rohstoffen bezahlt werden müssen, meldete sich mein Extrasinn. Chipol stieß einen spitzen Schrei aus. »Oh, Mutter«, stammelte er. »Ich will hier raus.« Ich blickte ihn verwundert an, da ich nicht wußte, warum er das Abteil so bald wieder verlassen wollte. Er zeigte mit zitternder Hand auf die Füße unseres Gegenübers. Zwischen ihnen kauerte ein Wesen, das wie eine Kreuzung aus Riesenspinne und Skorpion aussah. Drohend hob es uns den Schwanz mit dem Giftstachel entgegen. »Das sieht nicht gerade freundlich aus«, bemerkte ich, während der Daila furchtsam seine Füße auf den Sitz hob. »Ist es auch nicht«, erwiderte der fette Zyrpher. »Es ist ein Aradik. Ich kann euch nur vor ihm warnen. Er ist sehr reizbar, und sein Gift wirkt in Bruchteilen von Sekunden.« »Dann nimm lieber die Füße hoch, alter Mann«, stöhnte Chipol. Der Zyrpher lachte kehlig. »Mir tut der Aradik nichts.« Ich spürte, wie es mir kalt über den Rücken lief, denn ich sah ein zweites Tier dieser Art, das dicht unter seinem Arm unter den Tüchern hervorkam und langsam über das Polster seines Sitzes kroch. Und dann war mir, als ob ich von einer eisigen Lähmung erfaßt würde, denn ich vernahm ein leises Kratzen neben mir. Langsam drehte ich den Kopf und schielte nach unten. Direkt neben meiner Hand kauerte ein weiteres dieser Biester auf dem Sitz. Seine behaarten Spinnenbeine waren nur Millimeter von meiner Hand entfernt. Der Schwanz mit dem Giftstachel konnte mein Handgelenk im Bruchteil einer Sekunde erreichen. Ich wagte nicht, die Hand zu bewegen. »Wie kannst du mit solchen Tieren leben?« fragte der Daila furchtsam. Seine Stimme bebte. Ich beobachtete, daß ein Aradik über seine Oberschenkel hinwegkroch. Unser Gegenüber lachte dröhnend. »Ich bin ein Invast«, antwortete er mit sichtlicher Befriedigung. »Es geschieht euch nur recht, daß ihr für eure Respektlosigkeit in dieser Weise bezahlen müßt.« »Aber wir wußten weder, daß du ein Invast bist, noch was das überhaupt ist«, beteuerte Chipol. »Bitte, nimm das Biest weg. Ich will nicht sterben.« Der dicke Zyrpher beugte sich vor und griff mit der bloßen Hand nach dem Tier, das auf den Beinen des Daila kauerte. Dann lehnte er sich behaglich wieder zurück und sah zu, wie das giftige Geschöpf sich tastend über seine Hand, seinen Arm und seine Schulter bewegte. Er schmunzelte, als es seinen kahlen Schädel erkletterte und sich schließlich darauf sinken ließ. Es sah aus, als habe er sich das Tier als Mütze auf den Kopf gesetzt. »Mutter«, stammelte Chipol entsetzt. »Wie kannst du so etwas tun?« »Bewege dich nicht«, befahl der Invast. »Der Aradik neben deinem Hals könnte dich stechen.« In diesem Augenblick reagierte Brutus. Er stürzte sich hinein, trat blitzschnell zwei der Tiere tot, die neben unseren Füßen auf dem Boden kauerten, packte das Insekt neben Chipols Hals und schleuderte es dem Invast vor die Brust. »Aufstehen! Schnell«, rief er. Seine Hände klatschten auf die Polster und den Boden. Dann zerrte er den Daila und mich auch schon aus dem Abteil.
Der Invast sprang brüllend vor Wut auf. Sein Gesicht schwoll an, und die Augen schienen tief in den Höhlen zu versinken. Die Lippen glitten zurück und entblößten ein gewaltiges Gebiß. Wütend schleuderte der Invast die giftigen Tiere nach uns. Brutus fing sie jedoch alle in der Luft ab und warf sie auf die Polster zurück, ohne sie zu töten. Chipol und ich flüchteten über den Gang. Doch wir kamen nicht weit. Plötzlich tauchte jener Zyrpher vor uns auf, der mir schon auf dem Landefeld des Raumhafens aufgefallen war. Er trug noch immer die eigenartig gestreifte Fellmütze auf dem Kopf. Der orangefarbene Schwanz wies Brandflecken auf. In den Händen hielt er eine Mikrorak. Er verharrte für einen kurzen Moment vor mir, und seine gelben Augen blickten mich forschend an. Ich glaubte, unmittelbaren Einblick in das Böse zu bekommen. Ein Abgrund schien sich vor mir aufzutun. Ich war maßlos verwirrt. Wer war dieser Mann, und was fesselte mich so sehr an ihm? Wofür kämpfte er? Ich zog Chipol zur Seite und machte Platz. Dann drängte sich der Zyrpher auch schon an uns vorbei. Er feuerte auf Brutus, von dem er sich offenbar bedroht fühlte. Ich sah, daß die winzigen Raketengeschosse auf den Stahlmann zurasten, ihn an der Schulter trafen, aber von seinem Körper abprallten und als Querschläger gegen die Decke des Wagens wirbelten. »Komm heraus, Invast«, schrie der junge Mann. Gleichzeitig warf er einen eiförmigen Gegenstand in das Abteil, in dem der fette Zyrpher saß. Hustend kam dieser aus einer sich ausbreitenden, grünen Wolke hervor. Aus seinen Kleidern fielen Insekten heraus. Sie blieben krampfhaft zuckend auf dem Boden liegen. »Du gehst in eines der Abteile«, raunte ich dem Daila zu. Ich wollte nicht tatenlos zusehen, wie der wehrlose Invast umgebracht wurde. Dieser feiste Mann war mir ganz und gar nicht sympathisch, ich wollte jedoch einen Mord nicht zulassen. Doch ich kam nicht dazu, irgend etwas zu unternehmen, denn plötzlich öffnete sich eine Tür neben mir, und eine junge Frau zielte mit einer Schußwaffe auf mich. »Ganz ruhig«, warnte sie und zeigte mir drohend ihre Zähne. »Du wirst dich raushalten, oder es ist aus mit dir.« »Schon gut«, besänftigte ich sie. »Ich werde nichts unternehmen, aber vielleicht könnte mir mal jemand erklären, was das eigentlich alles zu bedeuten hat.« . Der Zug hielt. »Dies ist nur eine kleine Entführung im Dienst des Volkes«, antwortete sie, wobei sie mir die Mündung ihrer Waffe in den Bauch drückte. »Der Invast wird uns ein Stückchen begleiten. Außerdem haben wir den Zug von giftigem Ungeziefer gereinigt.« Sie lächelte. »Mrothyr kämpft für die Qurailequyren«, erklärte sie. »Er steht im Dienst des Volkes wie niemand sonst auf diesem Planeten.« »Könnte es sein, daß manche ihn einen Terroristen nennen?« fragte ich. Sie schlug mir die flache Hand ins Gesicht. »Verblendeter«, zischte sie, schob sich an mir vorbei und eilte zu Mrothyr. Dieser drückte dem Invast die Mündung seiner Minirak unter das feiste Kinn und führte ihn zur Tür, die mittlerweile von draußen geöffnet worden war. Er drängte ihn in den Sturm hinaus, der über das Land fegte. Die mit Magnetspulen bepackten Geleise führten hier kaum anderthalb Meter an der Kante eines Felsens vorbei, so daß es ein leichtes war, vom Zug auf den Felsen hinüberzuspringen. Das Mädchen folgte Mrothyr rückwärtsschreitend, wobei sie ständig auf mich zielte. Erst als sie sicher war, daß ich sie nicht mehr angreifen konnte, schnellte sie sich durch die Tür zu Mrothyr hin und rannte mit ihm und dem korpulenten Invast zu einigen Bäumen. Hier parkte ein Gleiter. Zwei junge
Zyrpher standen bei dem Fluggerät. Sie hielten langläufige Raketenwerfer in den Händen und waren fraglos bereit, auf jeden zu feuern, der ihnen Widerstand leistete. Während der Magnetzug sich wieder in Bewegung setzte, stiegen Mrothyr, der Invast und das Mädchen in den Gleiter. Die Türen neben uns öffneten sich. Erregte Zyrpher traten auf den Gang heraus. Sie redeten wirr durcheinander, so daß wir kaum etwas verstehen konnten. Dennoch wurde uns klar, daß sie maßlos empört über die Entführung des Invast waren, der in ihren Augen ein heiliger Mann war. »Scheint so, daß Mrothyr einen ungeheuren Frevel begangen hat«, sagte Chipol leise. »Er ist abgrundtief böse. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der mir so Angst gemacht hat wie er. Hoffentlich begegnen wir ihm nie wieder.« Brutus kam zu uns. »Ist ja allerhand los auf diesem Planeten«, stellte er in einem Tonfall fest, als sei er höchst erfreut.
3. Der Zyrpher verneigte sich ehrerbietig vor Chipol. »Ich bin froh, daß dir nichts passiert ist«, sagte er. »Dies alles war schon schlimm genug.« Er blickte kurz hinaus auf die vorbeihuschende Landschaft. Der Zug rarste nahezu lautlos durch eine karstige Steppe, in der es nur wenige Bäume und Sträucher gab. Tiere waren überhaupt nicht zu sehen. Der Zyrpher war der einzige, der von uns Notiz nahm. Die anderen palaverten noch immer über den Überfall auf den Invast und den Tod seiner Tiere. »Waren diese Insekten tatsächlich so gefährlich?« fragte der Daila, während ich mich abwartend zurückhielt, da der Zyrpher ohnehin keine Notiz von mir nahm. Wir standen auf dem Gang vor den Abteilen. »Das sind sie wirklich«, bestätigte der dunkelhäutige Mann. Er hatte eine rote Mähne, die ihn noch viel größer erscheinen ließ, als er ohnehin schon war. Ich schätzte ihn auf etwa 2, IQ Meter. In dichten Locken fiel ihm das Haar bis auf die Hüften herab. Er trug einen türkisfarbenen Rock über einer weißen Kombination. Ein gelber Gürtel spannte sich um seine Hüften. In den weißen Stiefeln steckten zwei Messer. Der Mann hatte sich uns als Tarlos vorgestellt. »Das Gift wirkt in wenigen Sekunden. Es sind die giftigsten Tiere, die es auf diesem Planeten gibt.« »Aber dem Invast tun sich nichts?« »Nein. Es gibt auf dieser Welt nur zwei oder drei Zyrpher, die entweder immun gegen das Gift sind, oder die aus unbekannten Gründen nicht von den Aradiks angegriffen werden. Nur diese Männer können Invast werden.« »Und warum hat Mrothyr den Invast entführt?« »Dieser Narr will die Welt verändern«, erwiderte Tarlos, »aber mit einem derartigen Verbrechen wird er es nicht erreichen. Es wird alles hoffentlich so bleiben, wie es ist.« Chipol blickte mich flüchtig an. »Ich bin erst seit etwa einer Stunde auf Zyrph«, erklärte der Junge. »Ich weiß nicht, wie die Zustände hier sind. Bist du mit ihnen einverstanden?« »Warum nicht?« Tarlos lachte. Die Frage des Daila amüsierte ihn. »Für mich herrschen geradezu ideale Zustände. Wir haben eine Wirtschaftsform gefunden, mit der alle einverstanden und zufrieden sind. Mit der Ausnahme von Mrothyr und seinen Anhängern. Aber das sind kaum mehr als zwanzig Männer und Frauen.« »Was ist das für eine Form?« fragte Chipol. »Wir richten uns nach den Gesetzen des Markes, wobei es allerdings einige Einschränkungen gibt, weil wir die sozial Schwachen schützen müssen. Alle sind damit einverstanden. Jeder verdient soviel, daß keiner arm ist, und niemand kann so reich werden, daß er versucht ist, seine Macht zu mißbrauchen.« »Eine ideale Welt«, warf ich ein. »Man könnte richtig gerührt sein.« Er preßte die Lippen zornig aufeinander, beachtete mich aber ansonsten nicht. »Mrothyr ist ein gefährlicher Mann«, sagte er. »Er gilt als unbesiegbar. Es gibt genügend Zeugen, die beschwören, daß keine Kugel seine Haut durchdringen kann. Sie haben gesehen, daß die Kugeln von seiner Brust abgeprallt sind. Einige Geschosse sollen in seine Arme gedrungen sein, aber er hat sie mit bloßen Fingern wieder herausgeholt, ohne daß Blut geflossen ist.« Seine Gestik ließ erkennen, daß der dem Phänomen Mrothyr fassungslos gegenüberstand.
Der Zug verzögerte, und Tarlos blickte erstaunt aus dem Fenster. »Wieso fahren wir langsamer?« fragte er. »Hier ist kein Halt vorgesehen. Dies ist ein reines Bergbaugebiet. Normalerweise fährt der Zug mit hoher Geschwindigkeit durch.« Ein heftiger Schlag erschütterte den Wagen. Dann bremste der Zug scharf ab. Wir konnten uns nicht mehr halten und stürzten zu Boden. Ich sah, daß die Fahrgäste in den Abteilen aus ihren Sitzen gerissen und nach vorn geschleudert wurden. Der Zug ist auf ein Hindernis gefahren, erkannte der Logiksektor. Ein unglaubliches Gebrüll ertönte, während der Wagen sich in Fahrtrichtung steil aufrichtete. Ich zog mich an einer Verstrebung hoch. Da die Scheibe herausgesprungen war, konnte ich mich aus dem Fenster beugen. Ich dachte, der Sturm habe ein Hindernis auf die Schienen geweht. Doch ich irrte mich. Der Sturm war abgeflaut. Die Gefahr kam aus einer ganz anderen Richtung. Etwa fünfzig Meter neben dem Schienenstrang gähnte ein großes Loch im Boden. Durch dieses war ein Wesen herausgebrochen, das aussah wie ein Strang grob zusammengefügter Riesenkristalle. Es war etwa dreißig Meter lang und hatte einen Durchmesser von ungefähr vier Metern. An seiner Vorderseite hatte es sechs spitz auslaufende Kristalle. Sie sahen aus wie die Zähne eines mächtigen Gesteinsbohrers. Damit stieß das bizarre Geschöpf immer wieder gegen den Zug. Den mittleren der drei Waggons hatte es vollkommen zertrümmert. Erstaunlicherweise war es den Insassen gelungen, daraus zu fliehen. Sie flüchteten nun in panischer Angst in eine Landschaft hinaus, die durch endlose Ketten von Abraumhalden geprägt war, und in der es keinerlei Vegetation mehr gab. Doch das Kristallwesen war nicht das einzige, das aus der Tiefe heraufgekommen war. Ich entdeckte drei weitere Geschöpfe dieser Art etwas weiter entfernt von uns. Sie zertrümmerten verschiedene Bergbaumaschinen und Fördertürme. »Bei meiner Mutter, was ist das?« schrie der Daila. »Ich weiß es nicht«, stöhnte Tarlos. Seine Augen waren vor Entsetzen geweitet. »Ich habe so etwas noch nie gesehen, und ich habe auch noch nie von Wesen solcher Art gehört. Niemand hat das. So etwas kann es doch auf Zyrph gar nicht geben.« »Wir müssen raus«, rief ich Chipol zu. Er begriff. Das Kristallwesen hatte es fraglos auf den Zug abgesehen. Deshalb war es draußen weitaus weniger gefährlich als im Waggon. Das hatten mittlerweile die Zyrpher auch erkannt. Wild durcheinander schreiend kämpften sie sich zu den Türen vor, wobei sie rücksichtslos an anderen vorbeizukommen versuchten. Ich sprang durch das Fenster hinaus und half Chipol. Der Roboter zerschlug eines der anderen Fenster und stieg dadurch auf das Magnetschienengerüst herab. Wir befanden uns nun noch etwa zehn Meter über dem Boden. Kaum fünfzehn Schritte von uns entfernt stießen die messerscharfen Kristalle des Wesens aus der Tiefe gegen das Gerüst. Chipol begann zu schreien. Bevor ich ihn halten konnte, rutschte er an einem Stahlträger herunter, der sich plötzlich absenkte. Er glitt direkt auf das Kristall wesen zu. »Brutus«, brüllte ich. »Hilf mir.« Der Stahlmann reagierte augenblicklich. Er kam zu mir, glitt jedoch auf dem Träger aus, stürzte nach vorn, fiel gegen mich und warf mich dadurch um. Ich umklammerte den Stahlträger und folgte Chipol. Dieser hatte das Kristallwesen mittlerweile erreicht, und er tat das einzige, was ihm in dieser Situation blieb. Da er nicht von den spitzen Gebilden am Kopf aufgeschlitzt werden wollte, schnellte er sich in die Höhe und klammerte sich dann an die Kristalle hinter dem Kopf. Bevor ich mich’s versah, war ich bei ihm. Brutus versuchte, uns zu folgen, doch er war etwas zu langsam. Das exotische Wesen aus der Tiefe fuhr ruckartig herum und prallte gegen den Roboter: Dieser wirbelte
durch die Luft und stürzte in den Staub. »Lauf, Brutus«, brüllte Chipol. »Oder das Ding erwischt dich.« Der Stahlmann schien nicht gehört zu haben, denn er verharrte auf der Stelle. Aber auch das Kristallwesen griff noch nicht an. Ich hatte den Eindruck, als schrecke es vor Brutus zurück. Doch das war sicherlich ein Irrtum. Es hat nie einen Roboter gesehen, erkannte mein Extrahirn. Woher auch? Es kommt aus der Tiefe. Normalerweise steigen diese Wesen nie zur Oberfläche. Sie leben im Boden. Tausend oder noch mehr Meter tief. »Ach, tatsächlich?« entgegnete ich laut. »Warum sind sie denn jetzt hochgestiegen?« Ihnen ist es gegangen, wie vielen anderen auch! Irgendwann platzt einem der Kragen, und dann schlägt man zu. Fällt dir nicht auf, daß wir uns mitten in einem Bergbaugebiet befinden? Diese Wesen sind durch den Bergbau seit vielen Jahren belästigt worden. Jetzt wurde es ihnen zuviel. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, daß irgendwo weit unter uns Kristallgebilde dieser Art durch das Gestein wanderten und ihm die lebensnotwendigen Mineralien entnahmen. Und doch mußte es so sein. Auch die Zyrpher hatten bis zu diesem Tage nichts davon gewußt. Wenn dies der Öffentlichkeit bekannt wird, findet sich in Zukunft auf ganz Zyrph kein Bergmann mehr, der bereit ist, in die Tiefe zu fahren, stellte das Extrahirn leidenschaftslos fest. Der Kampf um die Rohstoffe dieser Welt dürfte nun nahezu aussichtslos werden. Brutus wirbelte herum und suchte sein Heil in der Flucht. Laut brüllend setzte das Kristallwesen hinterher. Chipol und ich klammerten uns an die Kristalle. Sie fühlten sich seltsam warm an. Ich merkte, daß sie nur an der Oberseite eines wurmartigen Körpers saßen. Das Tiefenwesen krümmte sich zusammen wie eine Raupe und streckte sich dann so schnell und heftig aus, daß wir uns kaum noch halten konnten. »Mutter – nein«, schrie Chipol. »Ich will nicht mehr. Ich will weg von diesem Biest.« Mir war klar, daß wir uns auf dem Rücken dieses Ungeheuers nicht ewig halten konnten. Aber wo sollten wir hin? Brutus rannte mit weit ausgreifenden Schritten vor uns her. Doch wie wollte er den Kristallwesen entkommen? Die anderen näherten sich uns. Sie schienen von dem Stahlmann angelockt zu werden. »Ich will runter«, brüllte der Daila. Er flog etwa anderthalb Meter in die Höhe und wäre sicherlich auf den Boden gestürzt, wenn ich ihn nicht an mich gerissen hätte. Ich stolperte und fiel kopfüber zwischen die klirrenden Kristalle. Mühsam kämpfte ich mich wieder hoch, und jetzt war es der Daila, der mich hielt. Er war jedoch nicht kräftig genug. Das Kristallwesen krümmte sich ruckartig, und wir verloren beide den Halt. Vergeblich versuchten wir, uns irgendwo festzuklammern. Wir rutschten an der Flanke des Tieres herunter und landeten schließlich im Kohlenstaub auf dem Boden. Der mächtige Leib des Kristallwesens schob sich ruckend, zuckend und klirrend an uns vorbei. Wir wälzten uns zur Seite, um den unberechenbar hin und her schlagenden Kristallen zu entgehen. Dann endlich war das Geschöpf aus der Tiefe an uns vorbeigekrochen. »Es ist hinter Brutus her«, bemerkte ich. »Und das ist gut so. Das verschafft uns zumindest eine kleine Atempause.« Chipol ließ sich erschöpft auf den Boden sinken. Er schlug die Hände vor das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich spinne«, sagte er. »Diese Welt ist total aus den Fugen geraten.«
Ich blickte hinter dem Kristallwesen her, das nun hinter einer Geröllhalde verschwand. Auch als ich es nicht mehr sehen konnte, war das Klicken und Rasseln der aneinanderschlagenden Kristalle noch zu hören. »Alle Flöhe dieser Welt sollen mich beißen, wenn ich weiß, woher diese Biester gekommen sind«, jammerte Tarlos, der unversehens bei uns auftauchte. Ich hatte ihn nicht kommen sehen. Wie aus dem Boden gewachsen stand er vor uns. Er strich sich das flammend rote Haar aus dem Gesicht und über die Schultern zurück und klopfte sich dann den türkisfarbenen Rock ab, der schmutzig geworden war. »Ich bin Biologe. Ich verstehe eine Menge von diesen Dingen, aber so etwas habe ich noch nie gesehen. Ich wünschte, ich hätte die Möglichkeit, diese Geschöpfe wissenschaftlich zu untersuchen.« »Mir ist das egal«, erwiderte Chipol. »Ich möchte nur wissen, wie wir von hier verschwinden können. Der Zug ist nur noch ein Trümmerhaufen.« »Das ist nicht richtig«, widersprach Tarlos. »Der erste Wagen ist noch in Ordnung. Das Dach und die Rückwand fehlen, aber sonst scheint alles heil zu sein.« »Was nützt das?« rief der Daila verzweifelt. »Es ist ein Magnet-Schwebezug, und das Stromnetz ist unterbrochen. Du kannst doch selber sehen, was von dem Gleisgerüst übrig geblieben ist.« »Die Strecke hinter uns ist mehrfach unterbrochen«, stimmte der Zyrpher zu, »aber vielleicht sieht es vor uns ganz anders aus. Das können wir von hier aus nicht erkennen. Wir müßten etwa hundert Meter weitergehen.« Chipol schoß mit einem Schrei in die Höhe, denn Brutus stürmte um eine der Halden herum genau auf uns zu. »Nicht doch hierher«, schrie der Daila. »Bist du verrückt geworden?« Das Kristallwesen folgte dem Stahlmann, und dieser schien nicht gehört zu haben, was Chipol gesagt hatte. Er rannte weiterhin auf uns zu. Voller Verzweiflung blickte der Junge mich an, aber ich konnte ihm nicht helfen. Ich hatte keine Waffe, mit der ich das Kristallwesen hätte abwehren können. Tarlos hatte immerhin zwei Messer. Sie steckten noch in seinen Stiefeln. Ich zog sie rasch heraus und schleuderte sie dem bizarren Angreifer entgegen. Die Stahlklingen prallten klirrend von den Kristallen ab, ohne die geringste Wirkung zu erzielen. Wir wandten uns um und flüchteten. Brutus holte uns ein. »Er hat mich nicht erwischt«, rief er. »Das Ding ist nicht schnell genug für mich.« »Schade«, brüllte Chipol wütend. »Recht hat er«, schrie Tarlos, der sich uns angeschlossen hatte. »Bleib endlich stehen, verdammter Roboter, und laß dich von dem Ding auseinandernehmen.« »Befehle von dir nehme ich nicht entgegen«, antwortete Brutus. »Chipol ist mein Herr.« Links und rechts gähnten wahre Schluchten zwischen den Abraumhalden. Aus ihnen kamen sieben Kristallwesen auf uns zu, eines größer und gefährlicher als das andere. Und dann brach etwa hundert Meter vor uns der Boden auf, und ein weiteres Geschöpf dieser Art schob sich aus dem Boden hervor. Wir waren eingekesselt. Mit fliegenden Atem blieben wir stehen. »Wohin?« keuchte Tarlos. »Sie kommen von allen Seiten.« Ich blickte zur Kuppe der Halde neben uns auf. Sie reichte bis zu einer Stahlbrücke heran, unter der die Gondel einer Seilbahn hing.
Es ist eure einzige Chance, stellte der Logiksektor fest. »Dort hinauf«, rief ich. Chipol und Tarlos blickten mich an, als hätte ich den Verstand verloren, aber sie folgten mir, als ich die Halde hinaufkletterte. Brutus bewies, daß er noch verborgene Talente hatte, von denen wir bisher nicht die geringste Ahnung gehabt hatten. Er fluchte so extrem, daß ich ihm den Mund verbieten mußte. Er wollte aufbegehren. »Sei endlich still«, schrie Chipol ihn an. »Wir wollen das nicht hören. Hilf uns lieber.« »Wie du möchtest, Herr«, erwiderte er und drückte uns seine Hände in den Rücken. Nun rutschten wir nicht mehr ständig auf dem nachgebenden Gestein ab und kamen schneller voran. Dennoch rückten uns die Kristallwesen immer näher. Sie waren schneller als wir, und sie hatten nicht die geringste Schwierigkeit, über das Geröll hochzuklettern. Erst jagte nur eines von ihnen hinter uns her, dann aber wurden es mehr und mehr. Die Bestien hatten erkannt, daß sie uns einholen konnten. »Schneller«, brüllte ich Chipol und Tarlos an. »Beeilt euch.« »Ich kann nicht mehr«, klagte der Zyrpher. Mühsam rang er nach Luft. »Du darfst dich nicht aufgeben«, schrie ich. »Ein Mann gibt sich nicht auf.« Diese Worte erzielten eine ungeahnte Wirkung. Tarlos kämpfte. Er arbeitete sich so schnell voran, daß er Chipol und mich sogar überholte, obwohl wir beide die Hilfe des Roboters hatten. Immer wieder blickte ich zurück. Unser Vorsprung schmolz in beängstigendem Tempo zusammen, und der Weg bis zur Gondel schien endlos zu sein. Ich blieb stehen, bückte mich, ergriff einen Stein und schleuderte ihn dem nächsten Kristallwesen gegen den Kopf. Es klirrte vernehmlich, als ich traf, aber das war auch alles. Ich hatte etwa zwei Meter verloren und mußte nun noch mehr kämpfen als zuvor. Als ich Tarlos beinahe eingeholt hatte, rutschte ich ab. Haltsuchend streckte ich die Hände aus. Die roten Haare des Zyrphers gerieten zwischen meine Finger. Tarlos schrie auf, und blickte betroffen auf das Büschel Haare, das ich in der Hand hielt. »Du Teufel«, schrie der Zyrpher. »Das werde ich dir nie verzeihen. Noch nie hat mich jemand derart beleidigt.« »Es tut mir leid«, entschuldigte ich mich. »Ich wollte, ich könnte dir von meinen Haaren etwas abgeben.« Er wandte sich mit flammenden Augen ab und stürmte weiter die Halde hinauf. Die Kristallwesen brüllten, und eines von ihnen schmatzte voller Vorfreude auf den Leckerbissen, den es zu erbeuten hoffte. Chipol erreichte die Gondel als erster. Er sprang hinein, und sie setzte sich in Bewegung. Knirschend glitt sie am Seil entlang. »Nein! Warte«, schrie Tarlos entsetzt. Er hechtete hinterher und sorgte dadurch dafür, daß die Gondel sich noch ein wenig schneller von mir entfernte. Doch wirklich gefährlich wurde es erst für mich, als der Roboter sich gegen das schaukelnde Fahrzeug warf. Es bekam einen gehörigen Schwung und entfernte sich von der Kuppe des Berges. Mir blieb nur noch eine einzige Chance. Ich schnellte mich blindlings voran und hielt mich fest, als meine Hände einen Haken an der Unterseite des Transportgeräts zu fassen bekamen. Die Kristallwesen kamen um Bruchteile von Sekunden zu spät. Ich spürte noch eine leichte Berührung am Rücken, aber sie erwischten mich nicht. Ihre wütenden Attacken gingen ins Leere. Die Gondel aber beschleunigte immer mehr an dem schräg in die Tiefe führenden Seil, und ich hing
an ihrer Unterseite. Chipol schrie wie am Spieß nach mir, bis Brutus ihm mitteilte, daß ich in seiner unmittelbaren Nähe war. Da beugte er sich aus der Gondel und blickte zu mir herab. »Wir sind verloren«, brüllte er. »Jetzt ist es wirklich aus. Sieh doch mal nach vorn.« Bisher war es mir entgangen, aber jetzt bemerkte ich es. Die Seile der Drahtseilbahn führten über einen weiteren Geröllberg hinweg zu einem Trümmerhaufen aus Metallpfosten, Gondeln und Gesteinsbrocken. Die nächsten Pfeiler der Streckenführung waren zusammengebrochen. Wenn wir die Gondel nicht verließen, würden wir mit ungeheurer Wucht in dem Metallgewirr aufprallen. »Herr der endlosen See, wäre ich doch bloß nicht bei euch geblieben«, jammerte Tarlos. »Das überleben wir nicht.« Ich blickte zur Magnetbahn hinüber. Der erste Wagen des Zuges, der lediglich das Dach und die Rückwand verloren hatte, sonst aber unbeschädigt geblieben war, rollte auf seinen Reserverädern langsam über das Gleis. Vielleicht wäre alles viel besser für uns gekommen, wenn wir uns zu ihm durchgeschlagen hätten. »Wir springen an der nächsten Halde ab«, rief ich nach oben. »Ganz gleich, wie schnell wir sind, es ist unsere einzige Chance.« »Das ist doch Wahnsinn«, protestierte Tarlos. »Wir brechen uns sämtliche Knochen.« »Na und?« schrie ich zurück. »Dann bleib doch in der Gondel.« Rasch näherten wir uns dem nächsten Schuttberg. Wir bereiteten uns auf den Absprung vor. Chipol rollte ein großes Tuch aus, das er in der Gondel gefunden hatte. Er hoffte, damit die Gondel abbremsen zu können. Das Tuch breitete sich jedoch lediglich vor mir aus, flatterte gegen mich und nahm mir jegliche Sicht. »Nimm das Tuch weg«, forderte ich. Er antwortete nicht, und als das Tuch für einen kurzen Moment zur Seite wehte, erkannte ich auch, warum er schwieg. Auf der Spitze des nächsten Schuttberges lauerte ein Kristallwesen auf uns. »Zyrph ist die Hölle«, rief Chipol. »Warum sind wir nur hier gelandet? Wir hätten einen weiten Bogen um diesen Planeten machen sollen.« »Zyrph ist eine wundervolle Welt«, widersprach Tarlos wütend. Mit beiden Händen hielt er sich das wehende Haar, um die Augen frei zu halten. Seine bernsteingelben Augen schienen von innerer Glut erfüllt zu sein. »Du hast ja noch nichts von Zyrph gesehen, und von diesen Bestien wußte ich bisher selbst noch nichts.« »Ihr müßt abspringen«, rief ich dem Jungen zu. »Versucht, dem Kristallwesen das Tuch über den Kopf zu werfen.« »Ja, du hast recht«, antwortete er. Rasend schnell kam der Schuttberg näher. Ich ließ mich mit einer Hand los und versuchte, das Tuch zur Seite zu schlagen. Es gelang mir nicht. Es schlug mir immer wieder ins Gesicht. Dann hörte ich Chipol schreien. »Jetzt«, kreischte Tarlos. Ich blickte nach unten und sah eine steil aufsteigende Schuttwand. Ich mußte es riskieren. Ich sprang. Neben mir polterte und krachte es. Das Kristallgeschöpf bäumte sich auf, und die Gondel prallte wuchtig gegen es. Ich stürzte zu Boden und rutschte auf die Bestie zu. Dabei sah ich, daß es Chipol geschafft hatte. Das Tuch verhüllte die dunklen Kristalle am Vorderteil des Wesens. Bevor ich noch
mehr erkennen konnte, rutschte ich auf eben diese Kristalle zu und landete zwischen ihnen. Die Bestie versuchte, das Tuch loszuwerden, bäumte sich dabei auf, riß mich mit hoch und wirbelte mich davon. Starr vor Schrecken flog ich durch die Luft und prallte einige Meter weiter gegen die davontaumelnde Gondel. Instinktiv packte ich zu und hielt mich fest. Die Fahrt ging weiter, während Chipol, Tarlos und der Roboter am Schuttberg herunterliefen. Von dem Kristallwesen war nichts mehr zu sehen. Ich vermutete, daß es sich auf der anderen Seite des Berges befand. Ich blickte nach vorn, bemerkte, daß sich etwa zehn Meter unter mir ein See befand, und ließ mich fallen. Mit ausgestreckten Beinen stürzte ich wenige Meter neben einer kleinen Insel ins Wasser, tauchte kurz unter und schwamm dann zur Insel. Erschöpft kletterte ich hinauf und setzte mich hin. Inzwischen hatte die rasende Fahrt der Gondel ein Ende gefunden. Die Metallschale war krachend in den Trümmerhaufen gefahren und dabei total verformt worden. Wir hätten ganz sicher nicht überlebt, wenn wir in ihr geblieben wären. Chipol, Tarlos und der Stahlmann kamen zum See. Der Zyrpher und der Junge ließen sich am Ufer auf den Boden sinken. Sie blickten zu mir herüber. Das rote Haar des Zyrphers glänzte im Licht der Sonne. Es sah aus, als sei sein Kopf von Flammen umgeben. »Ich bin geschafft«, sagte der Daila. Obwohl er etwa fünfzig Meter von mir entfernt war, konnte ich das Blau seiner Augäpfel sehen. »Jetzt möchte ich mal für fünf Minuten Ruhe haben. Was machen wir denn, wenn diese Biester wieder angreifen?« Ich deutete zum Wagen der Magnetbahn hinauf, der inzwischen wieder zum Stehen gekommen war. »Wir klettern an einem Stützpfeiler hoch und fahren mit dem Wagen weiter«, antwortete ich. »Hast du nicht gesehen, daß die Geleise abwärts führen? So weit du sehen kannst, geht es nach unten. Wenn wir in den Wagen steigen und ihn ins Rollen bringen, kommen wir ein ganzes Stück weiter.« »Eine gute Idee«, lobte Tarlos. »Komm endlich zu uns rüber, damit es losgehen kann. Wir sollten uns wirklich beeilen. Wer weiß denn schon, wann die Kristallwesen wieder angreifen?« Ich mußte ihm recht geben. Dennoch sagte ich: »Eine kleine Pause noch. Ich will erst mal wieder zu Atem kommen. Wer weiß, was in diesem Wasser auf mich lauert, wenn ich rüberschwimme.« Tarlos winkte lachend ab. »Sei nicht albern«, erwiderte er. »Auf Zyrph gibt es keine wilden Tiere – jedenfalls nicht in so einem Gewässer. Zyrph ist die schönste Welt, die ich kenne.« »Wie viele kennst du denn?« fragte Chipol. Tarlos wand sich verlegen. »Na ja, eigentlich kenne ich nur Zyrph«, gestand er. »Aber ich habe Filmberichte von anderen Planeten gesehen. Ich kann mir ein Urteil erlauben.« »Was wir bisher gesehen haben, war wirklich nicht überzeugend«, sagte ich. »Außerdem scheint es hier nicht gerade ungefährlich zu sein.« Er lachte erneut. »Zyrph ist eine friedliche, eine zivilisierte Welt. Deshalb ist mir auch unverständlich, daß dieser Mrothyr Terrorakte begeht. Unsere politische und wirtschaftliche Ordnung ist gerecht und bietet allen den Platz, der ihrer Würde entspricht.« »Hehre Worte«, erwiderte ich. »Hoffentlich ist es wirklich so.«
4. Das Wasser war angenehm kühl. Daher schwamm ich langsam zu den anderen hinüber. Dabei überlegte ich, wie es weitergehen sollte. Ich mußte so schnell wie möglich zu einer Stadt kommen. Ich brauchte Informationen. Zyrpher waren es, die die unheimlichen Hyptons bewachten und beschützten. Ich mußte herausfinden, warum das so war. Irgendwo auf Zyrph mußte es Hyptons geben. Waren sie es, die aus dem Hintergrund die Fäden zogen? Dafür gibt es vorläufig noch keinen Beweis, widersprach mir der Logiksektor. Es könnte durchaus Zyrpher geben, die weitaus größere Fähigkeiten haben als Tarlos. »Richtig«, murmelte ich. »Es könnte Zyrpher mit ausgeprägten Psi-Kräften geben, die stärker sind als die der Hyptons. Sie könnten die wahren Drahtzieher sein.« Chipol und Tarlos standen auf und blickten zu mir herüber. Ihre Augen weiteten sich, und ich hatte plötzlich das Gefühl, daß irgend etwas nach mir griff. Ich schwamm schneller und erreichte ungeschoren das Ufer. »Was war denn da?« fragte ich. »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen«, erwiderte der Junge, »aber ich muß mich wohl geirrt haben.« »Also gut. Steigen wir zu dem Wagen der Magnetbahn hinauf, vielleicht können wir ihn in Bewegung setzen.« Hinter mir klatschte es laut, und ein Wasserschwall ergoß sich über uns. Erschrocken fuhren wir herum. Ich sah den langgestreckten Körper eines Reptils dicht unter dem Ufer vorbeigleiten. Das Tier war wenigstens fünf Meter lang. »Es gibt keine gefährlichen Tiere auf Zyrph, wie?« rief Chipol wütend. Er trat Tarlos an die Beine. »Das Biest hätte Atlan umbringen können.« »Tut mir leid«, stammelte der Zyrpher. »Ich habe noch nie davon gehört, daß diese Reptilien so weit hier oben im Norden vorkommen. Sonst gibt es sie nur in den Tropen.« »Das nächste Mal hören wir besser nicht auf dich«, sagte der Daila. Tarlos entschuldigte sich wortreich. Er redete ununterbrochen, obwohl wir gar nicht auf seine Worte reagierten. Er verstummte erst, als wir den stählernen Stützpfeiler der Magnetbahn erreichten. »Ich steige zuerst hoch«, entschied ich. »Ich will nachsehen, ob wir überhaupt etwas mit dem Wagen anfangen können.« »Traust du mir das nicht zu?« fragte Tarlos. Er fühlte sich brüskiert. »Natürlich kannst du das auch, aber ich werde es tun«, entschied ich, da ich fürchtete, der Zyrpher werde den Wagen in Bewegung setzen, bevor Chipol und ich darin waren. Ich kletterte zu den Schienen hinauf und umrundete den Waggon. Er ruhte tatsächlich auf vier Rädern, die ein Notsystem für den Fall darstellten, daß die Magnete ausfielen. Drei Räder waren frei. Vor dem vierten lag ein kleines Metallstück. Es hatte den Wagen abgebremst und schließlich angehalten. Wenn ich es entfernte, würde er weiterlaufen. Ich richtete mich auf und blickte am Schienenstrang entlang. Er führte tatsächlich kilometerweit geradeaus und fiel dabei sanft ab. »Nun, wie sieht es aus?« fragte Tarlos, der mir zusammen mit Brutus und Chipol gefolgt war. Er befand sich noch unterhalb der Magnetschienen im Gerüst des Pfeilers. »Kommt hoch«, antwortete ich. »Es kann losgehen.« Ich half dem Jungen zu mir herauf und in den Wagen. In den Abteilen lag noch das Gepäck der
anderen Reisenden, von denen nicht die geringste, Spur zu sehen war. Ich wollte niemanden zurücklassen, bemerkte jedoch keinen einzigen Zyrpher zwischen den Schutthalden. Auch die Kristallwesen waren verschwunden. Ich vermutete, daß sie unter die Erde zurückgekehrt waren. »Starten wir«, sagte ich voller Optimismus, stieg wieder aus und entfernte das Metallstück von der Schiene. Dann rief ich den Stahlmann zu mir und befahl ihm, den Wagen anzuschieben. Er stemmte sich dagegen und setzte ihn ohne großen Kraftaufwand in Bewegung. Als wir schnell genug rollten, stieg auch er auf. »Du bleibst hier am Heck stehen und paßt auf«, sagte ich. »Worauf?« fragte er und wandte mir sein stilisiertes Gesicht zu. »Das weiß ich auch nicht«, entgegnete ich. »Mir scheint jedoch, daß wir nie vor Überraschungen sicher sein können. Sieh also zu, daß uns wenigstens aus dieser Richtung niemand bedrohen kann.« Während der Wagen immer mehr beschleunigte, ging ich zu den, anderen. »Hat der Wagen eigentlich so etwas wie eine Bremse?« fragte der Daila. »Ich habe nichts dergleichen bemerkt«, erklärte ich. »Wir brauchen keine. Der Zug ist auf hohe Geschwindigkeiten ausgelegt. Die Schienen verlaufen schnurgerade. Irgendwann werden sie wieder ansteigen. Dann rollt der Wagen von alleine aus, so daß wir abspringen können.« »Nein, wir brauchen uns wirklich keine Sorgen zu machen«, stimmte Tarlos zu. »Ich werde mich ein wenig umsehen«, sagte Chipol. »Es liegt allerlei Gepäck herum. Vielleicht finde ich irgendwo eine Waffe.« »Du kannst nicht einfach das Gepäck von anderen Leuten durchwühlen«, protestierte der Zyrpher. »Außerdem – was willst du mit einer Waffe? Ich erwähnte schon, daß Zyrph eine friedliche und zivilisierte Welt ist. Hier wird nicht geschossen und gemordet.« »Aber wenn man Pech hat, wird man von Kristallbiestern gefressen«, entgegnete der Daila. »Ich bin deiner Meinung«, pflichtete ich Chipol bei. »Es ist besser, wenn wir eine Waffe haben. Ich werde auch suchen.« Tarlos preßte die Lippen zusammen und blickte schweigend zum Fenster hinaus. Die Landschaft glitt schnell an uns vorbei. Wir hatten erheblich an Fahrt gewonnen, und wir wurden noch schneller, weil die Strecke steiler abfiel. Die ersten Gepäckstücke, die ich öffnete, enthielten lediglich Kleidungsstücke und kleine Geschenke, Geschäftspapiere und positronische Kleinstgeräte. Dann aber stieß ich auf eine Ledertasche, in der ein handlicher Energiestrahler und ein stabförmiger Mikroantigrav steckten. Ich nahm die Waffe an mich und zeigte sie dem Daila, der einige Abteile von mir entfernt suchte, aber weniger Erfolg hatte als ich. Tarlos war bei ihm. »Ganz so friedlich scheinen deine Leute doch nicht zu sein«, sagte ich zu dem Zyrpher. »Oder wozu führen sie sonst ein solches Ding mit sich herum? Sie brauchen es bestimmt nicht, um sich ein Pfeifchen anzustecken.« »Findest du nicht, daß wir zu schnell fahren?« Er tat, als bemerke er den Strahler in meiner Hand nicht. »Ich meine, es sollte vielleicht mal einer von uns nach vorn sehen. Wer sagt uns denn, daß die Schienen in Ordnung sind? Könnte es nicht sein, daß sie irgendwo vor uns zusammengebrochen sind?« »Ist die Waffe geladen?« fragte der Daila. Er schien die Worte des Zyrphers nicht gehört zu haben. Ich richtete sie schweigend nach oben und löste sie aus. Ein nadelfeiner Energiestrahl blitzte durch das offene Dach hinaus. »Toll«, strahlte Chipol. Mit beiden Händen strich er sich durch das dunkle Haar. Er verengte die
Augen und blinzelte mir kurz zu. In diesem Moment sah er wirklich aus wie ein Terraner asiatischen Typs. Ich erfaßte, was er mir zu verstehen geben wollte. Er wäre froh gewesen, wenn Tarlos nicht bei uns gewesen wäre. Der Zyrpher belastete uns nur. Ich setzte mich und legte die Füße auf die gegenüberliegende Bank. »Ich habe verschiedene Versionen über das politische und das wirtschaftliche Leben auf Zyrph gehört«, sagte ich. »Jetzt möchte ich die Wahrheit wissen. Gibt es auf dem ganzen Planeten ein einheitliches Wirtschaftssystem, oder gibt es verschiedene?« »Es gibt nur eine Einheit«, erwiderte Tarlos, und seine Augen leuchteten auf. »Eine wundervolle Harmonie. Die Wirtschaft wölbt sich wie ein Schirm über uns allen und behütet uns, so daß alle im Wohlstand leben können.« Er sagt nicht die Wahrheit, erkannte der Logiksektor. Irgend etwas stimmt nicht. Chipol blickte Tarlos nachdenklich an. Als dieser zu weiteren Erklärungen ansetzte, seufzte er gelangweilt, stieg auf den Sitz und kletterte an der Abteilwand hoch, bis er sich auf eine Leiste stellen und nach vorn auf die Schienen sehen konnte. Erschrocken schrie er auf. Zugleich rutschte er ab, stürzte Tarlos auf den Kopf und fiel dann auf meinen Schoß. »Das geht zu weit«, rief der Zyrpher ärgerlich, als er sah, daß zwei dicke Haarbüschel zwischen den Fingern des Jungen hingen. »Ständig reißt er mir Haare aus.« »Atlan«, wimmerte der Junge. »Es geschah nicht mit Absicht«, lächelte ich, während ich Chipol sanft anhob und auf die Beine stellte. »Hast du nicht gesehen, er ist abgestürzt. Er hat irgendwo Halt gesucht.« »Atlan!« »Ja, was ist denn?« fragte ich. Chipol krallte sich an mich und blickte mich mit angstvoll geweiteten Augen an. Seine Lippen zuckten. Er wollte mir etwas mitteilen, aber seine Stimme versagte. »Vorn«, röchelte er schließlich. »Keine Schienen.« »Was sagst du da?« rief Tarlos. »Es sind keine Schienen mehr da? Aber das ist unmöglich.« Ich kletterte ebenso wie Chipol vorher an der Wand hoch und blickte durch das offene Dach des Wagens nach vorn. Der Atem stockte mir. Vor uns lag eine viele Kilometer breite Schlucht, die im Lauf der Jahrmillionen ausgewaschen worden war. Die verschiedenen Sedimentschichten leuchteten in den unterschiedlichsten Farben. Der Schienenstrang führte etwa zweihundert Meter in die Schlucht hinein und brach dann ab. Der Daila hatte recht. In der Brücke, die wir in wenigen Sekunden erreichen würden, klaffte eine breite Lücke. Ich schätzte, daß sie auf einer Länge von wenigstens einem Kilometer zusammengebrochen war. Wir rasten durch ein Gelände, das so wild und unübersichtlich war, daß wir auf keinen Fall abspringen konnten. Sobald wir jedoch die Schlucht erreicht hatten, gab es überhaupt keine Rettung mehr. Ich ließ mich fallen. »Wir müssen runter«, rief ich. »Wir müssen abspringen.« »Das ist unmöglich«, erwiderte Tarlos entsetzt. »Sieh dir doch an, wie es draußen aussieht. Überall scharfkantige Felsen. Das würde keiner von uns überleben.« Und dann war es auch schon zu spät. Der Wagen rollte auf die Brücke und in die Schlucht hinein. Chipol wich erschrocken vom Fenster zurück. Unter uns gähnte ein grauenhafter Abgrund.
»Gibt es keine Bremsen?« stammelte der Junge. »Brutus«, keuchte ich. »Er muß uns helfen.« Ich fuhr herum und rannte aus dem Abteil zum Heckende des Wagens hin, wo der Roboter stand und Wache hielt. Er hätte vorn stehen müssen, bemängelte der Logiksektor. Dort wäre er nutzbringend gewesen. Das hättest du mir auch früher sagen können, gab ich wütend zurück. »Brutus«, schrie ich. »Du mußt bremsen.« »Das geht nicht«, erwiderte der Stahlmann so ruhig, als trennten uns nicht nur noch wenige Sekunden vor dem sicheren Tod. »Der Wagen hat keine Bremsen.« »Anhalten«, schrie ich. »Laß dir etwas einfallen. Du mußt den Wagen anhalten.« Er sprang ab, ohne den Wagen loszulassen. Wie durch ein Wunder gelang es ihm, sich trotz der rasenden Geschwindigkeit des Wagens sofort mit beiden Füßen gegen die Schienen zu stemmen. Einem Menschen wären ganz sicher die Beine weggerissen worden. Er aber hielt sich. Die Funken sprühten unter seinen Stahlsohlen hervor, aber natürlich wurde der Wagen nicht langsamer. Ich blickte nach vorn. Das Herz blieb mir stehen. Es waren nur noch etwa dreißig Meter bis zum Abgrund. Ich fuhr herum und hetzte zu dem Abteil, in dem Chipol und Tarlos wie gelähmt vor Entsetzen standen. Kurz bevor ich sie erreichte, meldete sich mein Extrasinn wieder: Der Mikroantigrav könnte dich retten. Ich zuckte wie vom Schlag getroffen zusammen, wirbelte herum, stürzte, raffte mich wieder auf und hechtete in das Abteil, in dem ich die Waffe gefunden hatte. Als ich das Gepäckstück aufriß, spürte ich einen Ruck. Ich verlor den Boden unter den Füßen, und ein unangenehmes Gefühl des Fallens stellte sich ein. Chipol und Tarlos schrien, als der Wagen über das Ende der Schienen hinausschoß und mit dem vorderen Teil nach unten kippte. Jetzt ging es unaufhaltsam in die Tiefe. Ich klammerte mich an die Polster und blickte unwillkürlich zum Fenster hinaus. Ich erkannte, daß der Abgrund an dieser Stelle wenigstens einen Kilometer tief war. Es würde lange dauern, bis wir auf dem Grund der Schlucht aufschlugen. Wo war das Antigravgerät? Es mußte doch in dem Gepäckstück sein. Ich wühlte zu heftig darin herum, und es entglitt meinen Händen. Mühsam kämpfte ich mich wieder heran, und dieses Mal war ich vorsichtiger. Brutus, der Stahlmann, hangelte sich am offenen Dach entlang. Ich bemerkte ihn aus den Augenwinkeln. »Wir stürzen«, meldete er. »Das habe ich auch schon gemerkt«, stöhnte ich. »Es tut mir leid«, fuhr er fort, »aber ich konnte den Wagen nicht mehr anhalten.« Ich beschloß, ihn nicht mehr zu beachten. Endlich fand ich das winzige Antigravgerät. Ich schob es in meine Hosentasche. Dann zog ich mich an der Abteilwand entlang auf den Gang hinaus. Fünf Meter von mir entfernt klammerten Tarlos und Chipol sich an einen offenen Fensterrahmen. Ich hörte es bedrohlich krachen. Für einen Moment war ich unsicher, aber dann begriff ich. Der Waggon bricht auseinander, meldete das Extrahirn. Das gibt euch den Rest.
Nicht nur uns! Dir auch, gab ich zurück. Hilf uns. Verdammt! Ich stieß mich ab und flog taumelnd zu Tarlos und dem Daila hinüber. »Atlan«, schrie Chipol. »Mein Gott, Atlan, hilf mir.« Mit einem ohrenbetäubenden Krachen brach der Wagen auseinander, und ein scharfer Wind schlug uns ins Gesicht. Chipol, Tarlos und ich hingen an einer Seitenwand, die sich rasch von dem Rest des Wagens entfernte. Wir hatten Mühe, uns zu halten. Wie ein starres Segel glitt es auf einem Luftpolster in die Schlucht hinein. Jetzt waren wir bereits über vierhundert Meter in die Tiefe gestürzt, und wir näherten uns einer Felskante, die weit in die Schlucht hineinragte. »Wir müssen versuchen, daran vorbeizukommen«, bemerkte Brutus hinter mir. Ich hatte nicht bemerkt, daß er sich ebenfalls an dieses Seitenstück gehängt hatte. Ich antwortete nicht. Wozu auch? Der Stahlmann tat, als hätten wir die Möglichkeit, das Seitenteil des Wagens in irgendeiner Weise zu steuern. Wir konnten nichts tun. Wenn es gegen die Felsen prallte, war es aus mit uns. Wir hatten Glück. Wir segelten in wenigen Metern Entfernung daran vorbei, und dann gähnte wieder ein etwa fünfhundert Meter tiefer Abgrund unter uns. »Wäre ich nur nicht mit euch gegangen«, jammerte Tarlos. »Warum mußte ich mich euch anschließen? Es war die größte Dummheit meines Lebens.« Ich kämpfte mich näher an ihn und Chipol heran. Tarlos war grau im Gesicht. Seine bernsteingelben Augen waren geweitet. Wild flatterte das feuerrote Haar um seinen Schädel. Der Wind zerrte daran und riß dicke Büschel daraus hervor. »Ich habe ein kleines Antigravgerät«, rief ich den beiden zu. »Wir müssen uns aneinander klammern, wenn es soweit ist. Ich weiß nicht, ob das Gerät genügend Leistung bringt. Vielleicht ist es viel zu schwach für uns drei, aber wir müssen es versuchen.« »Wir sind aber vier, Atlan«, sagte Brutus vorwurfsvoll. »Oder willst du nicht versuchen, dich auf diese Weise zu retten? Denkst du nur an uns drei?« »Sieh zu, wie du es schaffst«, antwortete ich. »Für dich können wir nichts tun.« »Wäre ich nur nicht bei euch geblieben«, schluchzte Tarlos. »Ja, ja«, schrie Chipol genervt. »Das haben wir schon einmal gehört.« Nur noch etwa zweihundert Meter. Unter uns lag eine kleine Siedlung. Sie war in einer Flußschleife errichtet worden. Ich sah, daß zahlreiche Hominiden zwischen den kreisförmig angeordneten Häusern der Siedlung standen und zu uns hochblickten. Ich schob meine Hand unendlich vorsichtig in die Hosentasche, ertastete den Mikroantigrav mit %den Fingern und zog ihn langsam heraus. Ich bebte innerlich, als mich alptraumartig die Angst befiel, ich könnte das kleine Gerät verlieren. Nur noch hundert Meter. Ich hielt das Gerät in der Hand. Chipol und Tarlos krallten sich an mich, und dann spürte ich auch die Stahlarme von Brutus. Ich schaltete den Antigrav ein, und schlagartig entfernte sich die Seitenwand des Wagens von uns. Das Gefühl des Fallens wich von uns. Wir schwebten in die Tiefe und verloren dabei rasch an Geschwindigkeit. Immerhin kamen wir noch recht heftig auf. Wir stürzten ins Wasser, wurden einige Meter weit mitgerissen und schafften es dann, ans Ufer zu kommen. Knapp fünfzig Meter von uns entfernt war die Seitenwand an den Felsen zerschellt.
Chipol schlug plötzlich die Hände vors Gesicht. Er lachte laut auf und ließ sich auf die Knie sinken. Tränen schossen ihm aus den Augen, und ein Lachanfall erschütterte seinen Körper. »He, Kleiner, was ist los mit dir?« fragte ich. Ich beugte mich über ihn, um ihn zu beruhigen. »Tarlos«, brachte er mühsam und immer wieder von Lachanfällen unterbrochen hervor. »Sieh ihn dir doch an.« Der Zyrpher stand noch immer im Wasser. Er hielt sich den Kopf mit beiden Händen – den nunmehr völlig kahlen Kopf. Von der leuchtendroten Haarpracht war nicht das geringste übriggeblieben.
5. »Wo sind die Dorfbewohner geblieben?« fragte Atlan verblüfft, als Chipol sich endlich wieder beruhigt und Tarlos seinen Wutanfall überwunden hatte, der durch Chipols Gelächter ausgelöst worden war. Der Zyrpher kauerte auf einem Stein und hielt sich mit beiden Händen den Schädel. Dumpf trauernd blickte er auf seine Füße. Er schien die Frage des Arkoniden nicht gehört zu haben. »Wieso?« entgegnete der Daila. »War vorher jemand in diesem Dorf?« »Ja. Ich habe Zyrpher gesehen.« Ich war ganz sicher, daß ich die Hominiden gesehen hatte, aber ich wußte auch, daß diese in den wenigen Sekunden, die ihnen für eine Flucht geblieben waren, nicht weit gekommen sein konnten. Doch die Häuser waren verlassen. Neben ihnen standen etwa hundertfünfzig Holzpfahle. Sie ragten etwa drei Meter hoch auf und schienen keinerlei Funktion zu haben. Langsam ging ich auf die Häuser zu. Chipol schloß sich mir an. »Ein Glück, daß du den Antigrav gefunden hast«, sagte er leise. »Ja, sonst hätten wir eine ziemlich unsanfte Landung gehabt.« Ich blickte zum oberen Rand der Schlucht hinauf. Deutlich waren die beiden Teile der Brücke zu erkennen, die von den Seiten in die Schlucht ragten. Ein etwa tausend Meter langes Stück in der Mitte fehlte. Wir untersuchten die Hütten, die bei weitem nicht so primitiv waren, wie sie auf den ersten Blick aussahen. Sie waren aus industriell vorgefertigten Teilen errichtet worden. »Es sind Vorratshäuser«, sagte Chipol erstaunt, als wir sie untersucht hatten. »Und ich dachte, die Leute wohnen darin.« In den Häusern lagerten die unterschiedlichsten Dinge wie getrockneter Fisch, Früchte, Korn, Eier, Werkzeug, positronische Geräte, Ersatzteile für Transportfahrzeuge modernster Art und Kleidungsstücke. »Das sieht nicht nach dem Dorf eines primitiven Volksstamms aus«, stellte Chipol fest. »Nein«, stimmte ich zu. »Es scheint eher eine Art Wochenend-Domizil zu sein.« »Aber wo sind die Leute?« Wir verließen das Haus, das wir untersucht hatten, und traten in die Sonne hinaus. Diese hatte den Rand der Schlucht erreicht. Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Ein Teil der steil aufsteigenden Felsen lag bereits im Schatten. Zwischen den Häusern und den Felswänden befand sich ein freier Streifen, der etwa hundertfünfzig Meter breit war. Selbst wenn die Zyrpher, die ich gesehen hatte, exzellente Läufer waren, konnten sie diese Strecke nicht in so kurzer Zeit zurückgelegt haben, ohne daß ich es bemerkt hätte. »Sie können sich nicht in Luft aufgelöst haben«, sagte der Daila. »Das ist unmöglich.« Tarlos schien sich von seinem, Schock erholt zu haben. Hinkend kam er heran. Er war etwas unglücklich im Wasser aufgeschlagen und hatte sich einen Fuß verstaucht. »Ich muß eine Mütze haben«, sagte er mit schwankender Stimme. »Ich muß meine Schande bedecken.« »Warum Schande?« fragte ich. »Viele Zyrpher haben einen kahlen Schädel.« »Das ist richtig«, bestätigte er, »aber nicht in meinem Alter. Ich hätte noch etwa zehn Jahre Zeit gehabt. Aber mir sind die Haare viel früher ausgefallen. Ich mußte allzu viele Schrecken überstehen.« »Da können einem schon die Haare ausgehen«, gluckste Chipol. »Ich verstehe das.«
Brutus gesellte sich zu uns. »Ich sehe die Leute nicht, die hier siedeln«, bemerkte er. »Ach, tatsächlich?« erwiderte der Daila. »Stell dir vor, wir auch nicht.« »Das ist interessant«, entgegnete der Roboter. »Dein Wahrnehmungssystem funktioniert etwas anders als meines. Es hätte sein können, daß du sie siehst.« »Ihr habt euch geirrt«, sagte Tarlos. »Hier war niemand.« »Überall sind Fußspuren.« Brutus deutete auf den Boden. »Wo denn?« fragte der Zyrpher. »Für mich ist da nur Fels und Geröll.« »Wohin führen die Spuren?« fragte ich. »Zu den Pfählen«, antwortete der Stahlmann zu unserem Erstaunen. Ich musterte den Roboter. Sollte er beim Sturz einen Schaden erlitten haben? Tarlos hatte seine Haare verloren. Sollte der Stahlmann in seiner Positronik gelitten haben? Ich konnte keine Spuren sehen, und wenn sie tatsächlich vorhanden waren und zu den Pfählen führten, dann mußten die Dorfbewohner oben auf den Pfählen sitzen. Aber da war niemand. Chipol trat dem Roboter gegen die Beine. »Dir ist das Wasser nicht bekommen. Du leidest unter Gehörmuscheltrompetenklappenverrostung.« Doch Brutus überraschte uns alle. Er bat uns, ihm zu einigen Pfählen zu folgen, die etwas abseits standen. Hier war der Boden weicher, und er konnte uns einige Fußabdrücke von vierzehigen Zyrphern zeigen. Sie führten zu den Pfählen hin. Direkt an den Pfählen hatten sich die Fußballen auffallend tief eingedrückt. »Hier hat sich jemand auf die Zehenspitzen gestellt«, stellte ich fest. »Da ist also jemand gewesen und hat sich aufgerichtet, um dann an dem Pfahl hochzuklettern.« »Das muß aber schon einige Zeit her sein, denn jetzt sitzt er nicht oben drauf«, entgegnete Tarlos. Er wollte noch mehr sagen, doch die Worte blieben ihm buchstäblich im Halse stecken, denn über uns wurde plötzlich ein nackter Fuß sichtbar. Es war der linke Fuß eines Zyrphers. »Der könnte auch mal wieder gewaschen werden«, stammelte Chipol. Der Fuß schwebte neben der Pfahlspitze, und er senkte sich nun langsam herab. Dabei wurde auch der dazugehörige Unterschenkel sichtbar. Das Knie, der Oberschenkel, ein zweiter Fuß und ein rechter Unterschenkel folgten, und dann glitt ein Zyrpher am Pfahl herab. Ein schriller Schrei hallte von den Felswänden wider* Unwillkürlich blickte ich hoch. Ich sah auf einem Felsvorsprung eine etwa sieben Meter lange, grüne Echse, die mit gelb glühenden Augen zu uns herabblickte, sich dann aber rasch wieder in eine Höhle zurückzog. Der Zyrpher sprang auf den Boden herab. Er war etwas größer als ich. Sein kahler Schädel wies ihn als einen Mann aus, der wenigstens zehn Jahre älter war als Tarlos. Er hatte dicke, weit vorspringende Augenwülste, die seine hellbraunen Augen nahezu überdeckten. Ein leichtes Lederhemd umhüllte seinen Oberkörper, ließ aber die muskulösen, kurzen Arme frei. Die Beine steckten in halblangen, gelben Hosen. »Ihr habt uns erschreckt«, sagte er mit kehliger Stimme. »Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte ich und deutete zu den Resten der Brücke hinauf. »Leider konnten wir es uns nicht aussuchen.« »Wie ist es möglich, daß ihr noch lebt?« fragte der Zyrpher. »Kein Mensch kann so einen Absturz überstehen.«
»Sie haben ein Gerät der Neuen Technik bei sich«, warf Tarlos ein. Er trat vor, neigte den Kopf und nannte seinen Namen. »Damit konnten wir uns retten.« »Ich bin Mrhurtehay. Ihr seid mir willkommen. Wir werden mit euch essen.« »Oh, ja«, rief Chipol. »Ich habe einen Bärenhunger.« Ich blickte zum Pfahlende hinauf. »Mir ist nicht ganz klar, woher du gekommen bist«, bemerkte ich. Mrhurtehay schüttelte lächelnd den Kopf. Er drehte sich um, kletterte unglaublich geschickt am Pfahl hoch und verschwand an seinem oberen Ende. »Jetzt hast du ihn vertrieben«, warf der Daila mir vor. »Und ich habe mich schon so auf das Essen gefreut.« Doch er irrte sich. Plötzlich wurde es auf allen Pfählen lebendig. Überall erschienen Zyrpher und Zyrpherinnen. Viele von ihnen trugen Kinder auf den Schultern, und mit einem Mal befanden wir uns mitten in einem von Leben erfüllten Dorf. Es schien, als habe Mrhurtehay alle anderen aufgefordert, sich sehen zu lassen. Tarlos war fassungslos. »Ich habe von den Pfahlmenschen gehört«, erklärte er. »Es gibt viele Gerüchte über sie, aber ich habe ihnen nie geglaubt. Ich dachte immer, sie seien eine Erfindung. Jetzt weiß ich, daß die Pfahlmenschen wirklich existieren.« Er stöhnte verzückt, als einige Frauen an ihnen vorbeigingen und sie neugierig musterten. Die Frauen hatten dichtes, schwarzes Haar, das sie zu einer Art Krone aufgetürmt hatten. Sie trugen kurze, stramm sitzende Hosen in leuchtend hellen Farben, und seidigzarte Blusen, die ihre Oberkörper locker umschlossen, dabei jedoch so weit ausgeschnitten waren, daß sie aufreizend tiefe Einblicke gewährten. Die Augenwülste waren rot eingefärbt, und Puder auf den Wangen verlieh ihrer Haut ein gelbliches Aussehen. »Ich habe noch nie so schöne Frauen gesehen. Es ist überwältigend.« Meinem Schönheitsideal entsprachen die Damen nicht. Sie waren ausgesprochen korpulent, um nicht zu sagen fett, und ihre weiblichen ’Formen waren allzu üppig. Doch das schien ganz nach dem Geschmack meines Reisebegleiters zu sein. »Wohin verschwinden sie, wenn sie die Pfähle hinaufklettern?« fragte Tarlos. »Ich habe keine Ahnung«, gestand ich. »Aber das werden wir sicher noch erfahren.« Mrhurtehay eilte durch das Dorf und redete mit mehreren Frauen und Männern. Erstaunlich schnell organisierte er das Essen, das auf einfachen Tischen serviert wurde. Es war schmackhaft und reichlich, und wir sprachen ihm kräftig zu. Mrhurtehay erwies sich als einer der besten Esser. Doch das war ihm nicht anzusehen. Im Vergleich zu den anderen Zyrphern war er schlank. »Erzähle mir, wie das alles passiert ist mit dem Zug«, bat er mich, als wir zusammen am Tisch standen und einige Früchte verzehrten. Ich interessierte mich nur wenig für ihn und wollte so schnell wie möglich weiter, da ich mir sagte, daß ich von ihm ganz sicher keine wichtigen Informationen erhalten würde. Er lebte mit seinen Leuten weitab von jeglicher Zivilisation. Was konnte er mir schon sagen? Ich berichtete ihm, was geschehen war, und er hörte mir gebannt zu. »Ich weiß nicht, weshalb die Brücke zusammengebrochen ist«, sagte er, als ich ihm alles erzählt hatte. »Heute morgen, als wir rauskamen, fehlte das Mittelstück. Ich kann mir denken, woran es gelegen hat.«
»Wirklich? Woran denn?« »Es ist die Gesellschaftsordnung, die sich die Zyrpher gegeben haben, die alles Leben erstickt, die Bauten wie diese Brücke verrotten und zusammenbrechen läßt.« »Das sagst du so, als seist du kein Zyrpher.« »Ich bin ein Zyrpher, aber ich habe mit den Leuten in den Städten nichts zu tun. Das Leben dort ist unerträglich geworden. Früher waren meine Leute und ich oft in den Städten, ohne daß man uns erkannt hat. Seit etwa sechzig Jahren gehen wir nur noch hin, wenn es sich nicht vermeiden läßt, und wenn wir etwas benötigen, was wir nur dort erhalten können.« Irgendeine fremde Macht zog die Fäden aus dem Hintergrund. Das stand für mich fest. Hatte Mrhurtehay das herausgefunden, und war es das, was ihn abstieß? Ich mußte versuchen, mehr darüber herauszufinden. Plötzlich erschien dieser Zyrpher mir doch recht interessant zu sein. Vielleicht konnte er mir gerade deshalb Informationen geben, weil er nicht zu der Gesellschaft der anderen Zyrpher gehörte, die in den Städten lebten. »Was stört dich an dem Leben in der Stadt? Ist es die schamlose Ausbeutung durch die Reichen?« Er blickte mich verwundert an. »Du weißt wohl überhaupt nicht, wie es wirklich ist – oder?« »Ich bin erst seit ein paar Stunden auf diesem Planeten«, erwiderte ich. »Während dieser Zeit hatte ich keine Gelegenheit, mich zu informieren.« »Unsere Gesellschaft ist in Bürokratie und Planung erstarrt«, erklärte er. »Es gibt kaum noch Bewegung, keine Innovation, keine Impulse, keine Phantasie und keine Kreativität. Die Vertreter der Qurailequyren haben die Macht übernommen. Sie sitzen wie Könige an den Schaltstellen der Macht, aber sie denken nicht daran, wirklich das zu tun, was für alle Zyrpher am besten wäre. Sie wirtschaften ausschließlich in ihre eigene Tasche und schieben sich gegenseitig die einträglichen und einflußreichen Posten zu. Sie sind Bürokraten, die höchstens verwalten, aber nichts Neues schaffen können. An ihnen erstickt alles Leben auf diesem Planeten.« Eine weitere Version über die Zustände auf Zyrph. War dies die Wahrheit? Ich konnte es nicht erkennen. »Aber hinter ihnen steht noch jemand, der die wirkliche Macht hat. Der Drahtzieher. Was weißt du von ihm?« Er blickte mich mit wachen Augen an. »Du meinst also auch, daß es Hintermänner gibt, die das Leben auf Zyrph manipulieren. Du bist ein kluger Mann.« »Wer sind diese Drahtzieher?« »Ich weiß es nicht. Ich kann nur vermuten, daß es die Naldrynnen sind.« »Die Naldrynnen? Wer ist das?« »Mir ist nie einer begegnet, aber ich habe von ihnen gehört. Es sind gnomenhafte Wesen, die uns beiden kaum bis an den Nabel reichen dürften. Sie sollen aber unglaubliche Kräfte haben. Es heißt, daß sie einen grünen Pelz haben.« »Und? Weiter? Was weißt du sonst noch von ihnen?« »Tut mir leid. Mehr kann ich dir nicht sagen«, bedauerte Mrhurtehay. »Warum suchst du nach ihnen?« »Sie sollen mich zu anderen führen, die noch mächtiger sind als sie.« Das schien ihn zu überzeugen. Er schenkte mir Wein ein und prostete mir zu. Ich kam erneut auf die
Naldrynnen zu sprechen und hoffte, mehr über sie zu erfahren. Doch Mrhurtehay wußte nichts, was er mir hätte verraten können. »Darf ich dir eine weitere Frage stellen, Mrhurtehay?« »Nur zu«, erwiderte er. »Ich werde sie dir beantworten, wenn ich kann und darf.« Ich war vielen Völkern begegnet, und ich wußte, daß manche in gewisser Hinsicht äußerst empfindlich waren und Fragen zu einem bestimmten Thema als beleidigend empfanden. Deshalb steuerte ich vorsichtig an, um was es mir eigentlich ging. »Du kannst dir vorstellen, daß wir erstaunt waren, als wir euer Dorf betraten. Ich hatte euch wenig vorher gesehen, und dann war mit einem Mal niemand mehr da.« Er lachte. »Wir sind auf die andere Seite geflüchtet. Wir waren sehr erschrocken, und wir fürchteten, von den Trümmern getroffen zu werden.« »Das kann ich verstehen.« »Es ist sicher verblüffend für alle Nichteingeweihten, wenn wir plötzlich verschwinden.« »Das ist es. Kannst du mir sagen, wohin ihr geht? Oder versteht ihr es, euch unsichtbar zu machen?« Er blickte mich freundlich an. »Es hat nichts mit Unsichtbarkeit zu tun, sondern mit einem anderen Raum. Die Wissenschaftler meines Volkes versuchen schon lange zu klären, wohin wir gehen, und was da eigentlich geschieht. Es ist ihnen noch nicht gelungen. Mehr darf ich dir nicht sagen.« »Ich danke dir, Mrhurtehay.« »Vielleicht noch eines, Atlan. Euch und jedem Fremden ist es bei Todesstrafe verboten, einen der Pfähle zu erklettern und uns zu folgen.« »Das würde keiner von uns tun«, beteuerte ich. »Niemand würde es wagen, die heiligen Gefühle deines Volkes zu verletzen.« Mrhurtehay prostete mir erneut zu, dann verließ er mich für einige Zeit, um mit Tarlos zu plaudern. Ich wandte mich einigen der Frauen zu. Das Essen war zu Ende, und die ersten der Zyrpher kletterten an den Pfählen hoch und verschwanden. Immer wieder fragte ich mich, durch welches kosmophysikalische Phänomen dieser Effekt ausgelöst wurde. Ich hielt es durchaus für möglich, daß sie in Hyperraumnischen oder in ein Paralleluniversum überwechselten, und ich hätte mich gern mit einem ihrer Wissenschaftler über diese Frage unterhalten. Ich tat es jedoch nicht, weil Mrhurtehay mich vor allzu großer Neugier gewarnt hatte, und weil ich letztendlich nicht auf Zyrph war, um hier wissenschaftliche Phänomene zu klären, sondern um herauszufinden, wer die Zyrpher manipulierte.
6. Ich hätte es eigentlich wissen müssen. Tarlos verhielt sich nicht so, wie er es als Gast hätte tun müssen. Mitten in der Nacht wurde ich durch einen Schrei geweckt. Ich führ aus dem Schlaf hoch und blickte benommen um mich. Dunkle Gestalten kamen von den Pfählen herunter. Tarlos lief gestikulierend auf mich zu. »Wir müssen weg«, brüllte er. »Schnell. Sie bringen uns um.« Vereinzelte Schüsse fielen, und Kugeln flogen jaulend über uns hinweg. Wir rafften uns auf und flüchteten vom Fluß weg zur steil aufsteigenden Felswand hin. »Brutus, du mußt sie zurückhalten«, rief Chipol. Der Roboter gehorchte. Er warf sich den erregten Zyrphern entgegen. Abermals fielen Schüsse. Ich hörte, wie die Kugeln gegen den Stahl des Automaten schlugen und von ihm abprallten. »Was hast du angerichtet, Tarlos?« fragte ich. »Später, später«, wehrte er ab. »Erst müssen wir weg.« »Wohin denn?« schrie der Daila wütend. »Gleich sind wir bei den Felsen. Dann ist es aus.« »Nein, überhaupt nicht«, protestierte der Zyrpher. »Ich habe vorhin gesehen, daß ein Pfad nach oben zu den Ayklisty führt.« »Ayklisty?« fragte ich. »Wer ist das?« »Das sind die Reitechsen, die wir gesehen haben.« Ich erinnerte mich an den Schrei, den wir gehört hatten, und an die sieben Meter lange Echse. Mir lief es kalt über den Rücken. Das Reptil hatte gefährlich ausgesehen. Narr! tadelte mich mein Extrasinn. Warum erschrickst du? Tarlos hat von Reitechsen gesprochen. Es sind zahme Tiere, die euch in Sicherheit bringen werden. Wir hetzten die Felsen hoch. Neben uns schlugen die Geschosse ein und sprengten das Gestein auf. Wie durch ein Wunder blieben wir unverletzt. Der Stahlmann sorgte dafür, daß die Zyrpher nicht aufholen konnten. Er war ihnen offenbar weit überlegen. »Weiber«, keuchte Tarlos voller Verachtung. »Diese verdammten Weiber! Daß man immer wieder auf sie hereinfällt.« Ich ahnte, was geschehen war. »Du Idiot«, schrie Chipol wütend. Er hatte nicht den geringsten Respekt vor Tarlos. »Du bist natürlich auf einen Pfahl geklettert, obwohl Mrhurtehay uns das verboten hat.« »Ja, verdammt, ich habe es getan«, gestand der Zyrpher. Wir waren jetzt schon etwa hundert Meter über dem Fluß. Das erste Sonnenlicht fiel in die Schlucht. So konnten wir erkennen, daß uns annähernd hundert Männer verfolgten. »Aber warum?« fragte Chipol. »Ich habe mich so wohl bei den Pfahlmännern gefühlt. Ich wäre gern noch geblieben.« »Das verstehst du nicht«, wehrte Tarlos ab. »Wo weibliche Schönheit lockt, ist es gerade für einen gestandenen Mann wie mich besonders schwer zu widerstehen.« »Du bist also am Pfahl hochgestiegen«, stellte ich fest. »Und dann? Was war dann? Was hast du gesehen?« »Es war verrückt«, erwiderte der Zyrpher. »Als ich am Ende des Pfahls war, konnte ich in einen wundervoll ausgestatteten Raum sehen. Sie Sonne schien durch ein Fenster herein. Es war eine
rötliche Sonne, die ein warmes Licht spendete. Eine Frau war dort. Die Frau, zu der mich meine Sehnsucht trieb.« »Aber sie war nicht allein«, bemerkte ich. »Nein, ein Kerl war bei ihr. Er entdeckte mich, und dann schlug er auch schon Alarm.« Eine Kugel flog so dicht an meinem Kopf vorbei, daß sie mein Haar aufwirbelte. Erschrocken duckte ich mich. Vor uns gähnte eine tiefschwarze Öffnung. Ich hörte ein dumpfes Grollen, und ich dachte unwillkürlich an ein gefährliches Raubtier. »Die Ayklisty«, jubelte Tarlos. »Hier sind sie.« Furchtlos rannte er in die Höhle, und dann vernahmen Chipol und ich ein wütendes Gebrüll. Wir fürchteten, der Zyrpher werde von den Echsen zerrissen. Doch Tarlos rief unsere Namen. »Kommt endlich her«, brüllte er. »Beeilt euch. Oder wollt ihr warten, bis die Pfahlmänner euch eingeholt haben? Sie bringen euch um.« Das war allerdings richtig. Mrhurtehay und seine Männer waren so erzürnt, daß wir keine Gnade von ihnen zu erwarten hatten. Das hatte selbst Brutus erkannt, denn er bemühte sich nun nicht mehr, die Verfolger möglichst lange aufzuhalten. Er kletterte in höchster Eile hinter uns her. »Los«, sagte ich, und dann liefen wir in die Höhle. Wir konnten kaum etwas erkennen. »Hierher«, rief Tarlos. Eine Hand packte mich und zog mich zur Seite, ich spürte die rauhe, kalte Haut des Reptils und saß im nächsten Moment hinter Tarlos auf dem Rücken des Tieres. Ich spürte, daß der Daila sich an mich klammerte. Tarlos trieb die riesige Echse mit lauten Rufen hoch, und plötzlich stürzte sie sich brüllend voran. Wir zogen unwillkürlich die Köpfe ein. Lautes Gebrüll erschütterte die Höhle. Wir wurden nach vorn gerissen. Der mächtige Leib unter uns streckte sich. Durch die Dunkelheit ging es voran. Wir spürten die Nähe der Felswände, ahnten, daß wir uns durch einen Tunnel bewegten, und wir atmeten erleichtert auf, als wir endlich ins Sonnenlicht hinausstürmten. Vor uns lag eine Steilwand. Sie schien unbesteigbar zu sein. Die Ayklisty-Echse aber jagte ungemein geschmeidig die Felsen hoch, überwand dabei auch Steigungen, an denen wir allein ganz sicher gescheitert wären, und sie gehorchte Tarlos aufs Wort. Ich klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, als wir nach etwa einer Stunde den oberen Rand der Schlucht erreicht hatten. – »Gut gemacht, Tarlos.« Er wandte sich mir zu, und ich bemerkte erstaunt, daß er die beiden langgestreckten Ohrmuscheln des Tieres zwischen seinen Zähnen hielt und die Echse auf diese Weise lenkte. »Wir sind noch lange nicht in Sicherheit«, wehrte er ab. »Sie verfolgen uns, und sie können besser mit diesen Tieren umgehen als ich.« Erschrocken blickte ich zurück. Ich sah, daß etwa dreihundert Meter unter uns wenigstens zwanzig Ayklisty über die Felsen krochen. Auf ihren Rücken kauerten die Pfahlmänner und trieben sie an. Von Brutus war nichts zu sehen. Ich war überzeugt, daß unser Vorsprung ausreichte. Unsere Echse rannte mit weit ausgreifenden Schritten durch steppenartiges Land. Staubwolken wirbelten unter ihren Tatzen auf und nahmen mir die Sicht auf unsere Verfolger. »Wir schaffen es«, rief Chipol voller Optimismus. »Unser Vorsprung ist viel zu groß für sie.« »Freut euch nur nicht zu früh«, erwiderte Tarlos. »Die Ayklisty sind unberechenbar. Die Reittiere sind alles Bullen. Wenn sie ein weibliches Tier wittern, brechen sie aus und sind nicht mehr zu halten.«
»Genau wie du«, rief der Daila fröhlich. Tarlos wandte sich ärgerlich ab. Er verzichtete auf eine Antwort. Bald darauf erreichten wir eine Bergkette mit tiefen Taleinschnitten. Jetzt wurde die Vegetation üppiger, und das Land sah nicht mehr gar so ausgedörrt aus. Ich blickte zurück und stellte erleichtert fest, daß unser Vorsprung größer geworden war. Tarlos schien sich geirrt zu haben. Doch dann bäumte sich die Echse urplötzlich auf und warf sich gleichzeitig zur Seite. Wir konnten uns nicht halten und flogen im hohen Borgen von ihrem Rücken herunter. Der Ayklisty raste auf einen Berghang zu und verschwand in einer Höhle. »Das ist es, was ich befürchtet hatte«, sagte Tarlos niedergeschlagen. »Das Biest hat ein Weibchen gewittert. Jetzt ist alles aus.« Ich wollte nach dem Energiestrahler greifen, den ich mir in den Gürtel gesteckt hatte. Doch die Hand glitt ins Leere. Ich hatte die Waffe verloren. Chipol blickte mich hilfesuchend an. Ich zuckte mit den Schultern, denn ich wußte nicht, was ich ihm sagen sollte. Wir hatten keine Chance mehr, da wir nichts in den Händen hatten, womit wir uns hätten wehren können. Die ersten Schüsse krachten, und die Kugeln pfiffen an uns vorbei. Tarlos warf sich auf den Boden. »Gnade«, wimmerte er. Chipol ließ die Arme hängen. Er gab sich auf. Mein Extrasinn schwieg. Er verzichtete darauf, mich mit einer ironischen Bemerkung auf das Ende vorzubereiten. Nur noch etwa fünfzig Meter trennten uns von den heranstürmenden Echsen und den triumphierend jubelnden Pfahlmännern. Jeden Moment mußten die tödlichen Kugeln uns treffen. Ich spürte, daß ein Geschoß meinen rechten Oberschenkel streifte. Da zuckte ein sonnenheller Blitz aus den Felsen und schlug zwischen den Pfahlmännern und uns ein. Glutflüssiges Material spritzte explosionsartig in die Höhe. Mrhurtehay und seine Männer schrien entsetzt auf. Die Ayklisty bäumten sich auf und warfen ihre Reiter ab. Ein zweiter Energiestrahl raste an den Pfahlmännern vorbei und trieb sie zurück. Die Zyrpher, die von den Echsen gestürzt waren, rafften sich auf und flüchteten. Die anderen rissen ihre Ayklisty herum und zogen sich zögernd mit ihnen zurück. Doch dann fiel der dritte Energieschuß, und jetzt gab es für die Pfahlmänner kein Halten mehr. Sie erfaßten, daß sie es mit einem Gegner zu tun hatten, der über eine weit überlegene Waffe verfügte. Auf einen Kampf mit ihm konnten sie sich nicht einlassen. Tarlos richtete sich vorsichtig auf. »Wir haben sie vertrieben«, stammelte er. »Sie hatten schließlich doch nicht den Mut, mit uns zu kämpfen.« »Ja«, entgegnete Chipol. »Sie haben dich im Staub liegen gesehen und waren darüber so erschrocken, daß sie voller Angst abgehauen sind.« Der Zyrpher preßte die Lippen zusammen und fuhr sich verlegen mit der Hand über die Augen. »Na ja«, murmelte er. »Ich bin gestolpert. Das kann schon mal vorkommen.« Chipol brachte ihn mit einer heftigen Geste zum Schweigen, denn aus den Felsen schwebte ein grauer Gleiter hervor. Er näherte sich uns langsam, und wir sahen, daß am Steuer ein Zyrpher mit blaugrün gestreifter Fellmütze saß.
»Es ist Mrothyr«, sagte Tarlos mit mühsam beherrschter Stimme. »Der Terrorist. Der schwarze Durchgang möge sich mir öffnen! Warum mußte ich mich euch anschließen? Es war die größte Dummheit, die ich je begangen habe.« Der Gleiter landete neben uns, und als Mrothyr ausstieg, wirbelte der Wind den orangefarbenen Pelzschwanz in seinem Nacken auf. Kühle Augen musterten mich. »Danke, Mrothyr«, sagte ich. »Deine Hilfe kam im letzten Moment. Wir hatten schlechte Karten.« »Warum wollten die Pfahlmänner euch töten?« fragte der Terrorist. »Weil Tarlos unbedingt in ihr Schlafzimmer gucken mußte«, erwiderte Chipol. »Es war ein Mißverständnis«, verteidigte ich unseren Weggefährten. »Steigt ein«, lud Mrothyr uns ein. »Hier könnt ihr nicht bleiben.« »Wohin bringst du uns?« fragte Tarlos. »Das wirst du schon sehen. Wenn du nicht willst, lassen wir dich zurück. Auf dich kommt es nicht an.« Tarlos hustete und sah sich flüchtig um. Weit und breit war nichts von einer Siedlung zu erkennen. Wir befanden uns mitten in der Wildnis. Angesichts dieser Tatsache hielt er es für besser, sich uns anzuschließen. Wir stiegen in den Gleiter, und Mrothyr startete. »Warte«, rief Chipol. »Bitte, warte noch. Da kommt der Stahlmann.« Brutus rannte mit überraschend hoher Geschwindigkeit durch den Busch auf uns zu. Seine Metallrüstung blitzte in der Sonne. »Ich wußte gar nicht, daß er so schnell rennen kann«, sagte der Daila. »Wahrscheinlich hat er Angst, daß er uns nicht mehr findet, wenn wir wegfliegen.« Mrothyr senkte den Gleiter ab und öffnete eine der hinteren Türen. Brutus eilte heran und blieb vor uns stehen. »Du hättest dich ruhig ein wenig beeilen können«, sagte Tarlos. »Immer bringst du uns in Schwierigkeiten.« »Das stimmt gar nicht«, widersprach Chipol. »Mach dir nichts draus, Brutus. Steig ein. Du warst schnell genug.« Der Roboter gehorchte schweigend und setzte sich zu Tarlos und dem Daila auf die hintere Sitzbank. Mrothyr startete. »Du hast ein Raumschiff im Wert von vielen Millionen vernichtet«, sagte Tarlos vorwurfsvoll zu dem jungen Mann mit der blaugrünen Fellmütze. »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Du behauptest, im Dienst des Volkes zu stehen, aber das Volk ist es, das für den Schaden aufkommen muß.« »Ich werde nicht mit dir über diese Dinge diskutieren«, entgegnete Mrothyr gelassen. »Du würdest doch nichts begreifen.« »Oho, mein Lieber. Das ist wohl nicht die rechte Art, mit mir zu reden. Wenn ich will, dann…« »Du kannst noch immer aussteigen.« Tarlos schlug ärgerlich die rechte Faust in die linke, offene Hand. »So sind sie, diese Terroristen. Sie meinen, daß sie recht haben, und an ihrer Meinung ist nicht zu rütteln.« »Wir sind nicht mehr die Herren unseres eigenen Planeten«, stellte Mrothyr ruhig fest. »Fremde plündern uns aus. Sie zwingen uns, ganze Fabrikanlagen zu kaufen, mit denen wir nicht das
geringste anfangen können. Dafür müssen wir mit Rohstoffen bezahlen, die wir auf Zyrph schon gar nicht mehr finden, sondern auf anderen Welten organisieren müssen. Und das soll in Ordnung sein? Dagegen sollen wir uns nicht wehren dürfen?« Er schürzte verächtlich die Lippen und gab mit einer Geste zu verstehen, daß für ihn die Diskussion beendet war. Ich mußte ihm recht geben. Wenn die Zustände wirklich so waren, wie er sie geschildert hatte, dann mußte die bestehende Machtstruktur auf diesem Planeten zerschlagen werden. *** Mrothyr und seine Mitkämpfer hatten ihr Camp in einer unzugänglichen Felsschlucht errichtet. Ihre Häuser standen unter überhängenden Felswänden, so daß sie von oben nicht gesehen werden konnten. Als der Gleiter landete, kamen etwa vierzig junge Männer und Frauen heran, um Chipol, Tarlos und mich zu begrüßen. »Wir haben in letzter Zeit recht erfolgreich gekämpft«, erklärte Mrothyr, während er uns Quartiere zuwies. »Man jagt uns auf dem ganzen Planeten, aber niemand ahnt, daß wir hier sind.« Er lächelte stolz. »Irgendwann werden sie euch finden«, entgegnete Tarlos. »Und sie werden euch ausräuchern.« »Du solltest lieber still sein«, mahnte ich. »Hast du schon vergessen, daß wir tot wären, wenn Mrothyr uns nicht geholfen hätte?« »Sie hätten nicht gewagt, das zu tun«, behauptete er, ging zu einem Fenster, wandte uns den Rücken zu und blickte hinaus. Ich beobachtete ihn. Tarlos gefiel mir nicht. Er hatte sich verändert, seit wir Mrothyr getroffen hatten. Es schien ihm nicht recht zu sein, daß er ausgerechnet von einem Mann gerettet worden war, der von ihm als Terrorist eingestuft wurde. Ich sah es anders. Mrothyr war in meinen Augen ein Mann, der Widerstand gegen eine Invasion aus dem Raum leistete. Er wollte sich nicht damit abfinden, daß sein Volk von einer fremden Macht unterjocht und ausgebeutet wurde. In diesem Sinn war er ein Verbündeter für mich. Durch ihn hoffte ich, endlich die Informationen zu erhalten, die ich brauchte. Vielleicht gelang es mir sogar, mit ihm zusammen in die Front der geheimnisvollen Fremden einzubrechen und ihren Einfluß zurückzudrängen. Ich beschloß, auf Tarlos zu achten, damit dieser uns nicht noch einmal einen Strich durch die Rechnung machen konnte. Ich fragte mich, warum Mrothyr uns geholfen hatte. Daß er es ohne jeden Hintergedanken getan hatte, konnte ich mir nicht vorstellen. Ich brauchte nicht lange zu warten, bis er es mir sagte. Er bat mich, ihn zu begleiten. Tarlos wollte sich uns anschließen, doch der Anführer der Rebellen wies ihn zurück. »Wenn ihr Geheimnisse vor mir habt, geht nur«, sagte Tarlos. Er ließ sich in seinen Sessel sinken und blickte beleidigt zum Fenster hinaus. Mrothyr ließ sich davon nicht beeindrucken. »Der Mann könnte uns gefährlich werden«, sagte er, als wir das Haus verlassen hatten und zu einer Höhle hinübergingen. »Er begreift nicht, worum es geht. Er könnte uns verraten.« »Das fürchte ich allerdings auch«, erwiderte ich. »Wir müssen einen Weg finden, ihn zur Vernunft zu bringen.« Mrothyr blickte mich erstaunt an. »Zur Vernunft?« Ich eröffnete ihm, was ich über die Lage auf Zyrph dachte und was ich hinsichtlich der Hyptons
vermutete. »Du hast recht«, erwiderte er. »Auch ich glaube, daß es so ist. Ich will die Drahtzieher zwingen, aus dem Hintergrund hervorzukommen und sich zu zeigen, denn nur dann können wir sie bekämpfen.« »Ich brauche Informationen«, erklärte ich. »Wir werden dir sagen, was du wissen mußt«, versprach er mir, während wir die Höhle betraten. Sie wurde durch einige Lampen erhellt. Im Hintergrund öffnete sich ein Tunnel, der durch Leuchtelemente an der oberen Wölbung in weißes Licht getaucht wurde. Er war offensichtlich schon vor langer Zeit und von einer hochstehenden Technik angelegt worden. »Was ist das für ein Gang?« fragte ich. »Wir haben ihn zufällig entdeckt. Er endet in einer Transmitterkammer.« Erstaunt folgte ich ihm. Der Gang führte etwa hundert Meter weit in den Berg hinein, dann bog er scharf nach Norden ab zu einer Kuppel hin. In dieser stand der Transmitter. Es war ein einfaches Gerät, das mit einer überholten Technik arbeitete, aber es war immerhin ein Gerät, das auf keinen Fall von Zyrphern gebaut worden sein konnte. Ich erinnerte mich daran, wie Wyreth, der Kommandant der ZYRPH’O’SATH, sich Stahlmann Brutus gegenüber verhalten hatte. Auch dieser war nicht von Zyrphern’ konstruiert worden. Er war ein Produkt dessen, was Wyreth Neue Technik genannthatte, und was ihm offensichtlich höchsten Respekt abnötigte. Auch dieser Transmitter war ein Erzeugnis dieser Neuen Technik, und jetzt wußte ich, warum Mrothyr uns vor dem sicheren Tod gerettet hatte. Er brauchte meine Hilfe. »Was kann ich für dich tun?« fragte ich ihn. Er blickte mich forschend an. Seine Augen waren klar, und es lag nichts Böses darin. Ich verstand nicht, daß Chipol in ihm geradezu die Verkörperung des Bösen gesehen hatte. »Wir haben den Transmitter gefunden, und wir wissen auch, wo die Gegenstation ist. Auf einem der Monde unseres Nachbarplaneten. Aber wir wissen nicht, wie wir den Transmitter bedienen müssen, um dorthin zu kommen und wieder von dort zurückkehren zu können.« So etwas Ähnliches hatte ich mir gedacht! Mrothyr hatte mich am Raumhafen gesehen, und er wußte natürlich, daß ich von einem anderen Planeten kam. Daß ich vom fernen Arkon stammte, und wie weit diese Welt von Zyrph entfernt war, das konnte er sich vermutlich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen. Er hatte überlegt, und er hatte begriffen, daß ich der einzige war, der ihm helfen konnte - vorausgesetzt, ich verstand genügend von der Neuen Technik. »Wirst du dich für unsere Seite entscheiden?« fragte er. »Das habe ich bereits getan«, beteuerte ich. »Mit Transmittern habe ich schon viel zu tun gehabt. Es müßte mir eigentlich gelingen, auch mit diesem Typ fertig zu werden.« »Ich hoffe, du verstehst, daß wir dich nicht gehen lassen können, wenn du es nicht schaffst«, sagte er. »Dich und deine Freunde nicht.« »Natürlich nicht.« »Ich könnte niemals sicher sein, daß ihr dieses Versteck nicht verratet.« »Das ist mir klar.« »Meine Leute haben den Stahlmann untersucht. Er hat keine Möglichkeit, irgend jemanden über Funk zu informieren.« »Das ist gut so. Der Junge und ich haben nicht vor, euch zu verraten.«
»Aber mein eigener Landsmann?« »Du müßtest ihn davon überzeugen, daß dein Weg richtig ist.« »Wir werden es versuchen.« Ich ging zum Transmitter und untersuchte ihn, und es dauerte nicht lange, bis ich sicher war, daß ich ihn bedienen konnte. »Was hofft ihr, auf dem Mond zu finden?« fragte ich. Mrothyr hockte sich auf den Boden und legte seine Unterarme quer über die Knie. Mit seinen bernsteingelben Augen blickte er mich durchdringend an. »Waffen«, antwortete er schließlich. »Wir haben die Information von einem Raumfahrer, der dort gewesen ist, aber nichts mitnehmen konnte. Er hat uns eine Symbolkette gegeben, mit der der Transmitter auf dem Mond gekennzeichnet ist.« Er reichte mir einen Streifen Papier, auf dem die Symbole festgehalten worden waren. Ich sah mir den Streifen an und stutzte. Irgend etwas stimmte nicht. »Ich brauche Zeit«, sagte ich. »Warum?« fragte er argwöhnisch. »Stört es dich, daß es um Waffen geht?« »Nein – aber ich furchte, diese Information ist falsch.« »Falsch? Wie meinst du das?« »Du hast gesagt, daß die Gegenstation auf dem Mond des Nachbarplaneten steht. Wenn ich diese Symbole hier jedoch richtig deute, beziehen sie sich auf einen Transmitter, der sehr viel näher ist.« Seine Augen leuchteten auf, und ein Lächeln glitt über seine Lippen. Er griff mit beiden Händen nach seiner Mütze und rückte sie zurecht. Für einige Sekunden lag sein Gesicht im Schatten. Er wollte es vor mir verbergen, damit ich seine Gedanken nicht erriet. Dann wandte er sich mir jedoch offen zu und griff nach meiner Hand. Ich spüre, daß er Vertrauen zu mir faßte, und ich wußte, daß er aufrichtig zu mir war. »Jetzt weiß ich, daß ich dir meine verborgensten Gedanken öffnen kann«, sagte er. »Du hast recht. Die Gegenstation befindet sich in der Nähe. Die Information stammt von einem Verräter. Ich wollte dich prüfen. Verzeih mir!«
7. Als sich der Abend herabsenkte, saßen Mrothyr und ich an einem kleinen Lagerfeuer unter den Felsen. Brutus stand in unserer Nähe. Chipol war müde. Er hatte sich bereits hingelegt. Tarlos dagegen hatte es abgelehnt, sich zu uns zu setzen. Für ihn waren Mrothyr und seine Leute Terroristen. Tatsächlich waren sie gerade das nicht. Sie kämpften für ihre Freiheit ihres Planeten und dachten nicht daran, sich mit einer Macht zu arrangieren, die Zyrph in den Ruin führen würde. »Meine Männer brauchen noch etwas Zeit«, sagte Mrothyr. »Sie haben einige schwierige Einsätze hinter sich, und die Waffen auf dem Mond laufen uns nicht weg.« »Wer sind die Naldrynnen?« fragte ich. Sein junges Gesicht verzerrte sich. Haß verdunkelte seine Augen. »Die Naldrynnen sind diejenigen, die wir bekämpfen«, antwortete er. »Um sie allein geht es uns. Sie sind es, die sich irgendwo auf Zyrph verbergen und die Fäden ziehen. Unsere führenden Persönlichkeiten sind nichts weiter als Marionetten, die genau das tun, was die Naldrynnen ihnen vorschreiben.« »Kannst du mir mehr über sie sagen? Hast du je einen von ihnen gesehen?« »Und ob ich das habe. Die Naldrynnen sind gnomenhafte Wesen. Sie sind zwischen 60 cm und einem Meter groß und fast ebenso breit. Sie haben einen dichten, olivgrünen Pelz, vier sehr kurze, dicke Beine und zwei ebenfalls kurze, aber dehnbare Arme mit hornigen Krallenhänden, an denen jeweils sieben dürre Finger sitzen.« »Recht auffallende Erscheinungen also.« »Ja, das ist richtig. Sie haben zwei sehr große, schwarze Augen und einen dreieckigen Mund, der aber bei vielen Naldrynnen unter dem Pelz verborgen bleibt. Sie sehen auf den ersten Blick eigentlich sogar recht angenehm aus, aber man darf sich durch ihr äußeres Bild nicht täuschen lassen. Sie sind skrupellose Geschäftsleute, die ihre Ziele mit allen Mitteln durchzusetzen pflegen.« »Und wie treten sie auf?« fragte ich. »Sie müssen geschickte Verhandlungspartner sein.« »Das sind sie. Und wie sie auftreten? Das ist vermutlich ein Teil ihrer Täuschungsmanöver. Sie haben ihre Familie immer bei sich – ihre Frau und ihre meist zahlreichen Kinder. Ein Freund, der mit Naldrynnen zu tun gehabt hat, erzählte mir, daß die Kinder wahre Quälgeister sind, die sich Fremden gegenüber unverschämt benehmen und diese gerade bei Verhandlungen ablenken und stören, wo sie nur können. Das führt in vielen Fällen dazu, daß Verträge, unterzeichnet werden, bevor die eigentlichen Verhandlungen zu Ende sind, nur weil man die Kinder nicht mehr erträgt und sich Ruhe verschaffen will.« Ich glaubte bereits, mir ein Bild von den Naldrynnen machen zu können. »Die Erwachsenen sind körperlich sehr stark und auch sehr schnell. Ich habe gesehen, daß einer von ihnen einen wirklich kräftigen Mann mit einem einzigen Schlag gefällt hat. Der Naldrynne ist einfach an ihm hochgesprungen und hat ihm seine Faust unter das Kinn geschlagen. Aus dem Stand hat er sich mehr als zwei Meter hochgeschnellt.« »Sie können also auch gut springen«, stellte ich fest. »Nun, ihr gedrungener Körperbau, ihre Kraft und ihre Beweglichkeit lassen darauf schließen, daß sie von einem Planeten mit hoher Schwerkraft stammen.« »Es ist vermutlich eine düstere Welt, denn die Naldrynnen sind lichtempfindlich.« »Was hattest du mit ihnen zu tun?« Mrothyr zögerte mit der Antwort. Nachdenklich blickte er in die Flammen. Die Wangenmuskeln traten hart hervor.
»Sie haben meine Familie ruiniert«, eröffnete er mir, nachdem er einige Minuten lang schweigend ins Feuer gestarrt hatte, so daß ich bereits glaubte, er wolle mir nicht antworten. »Wir gehörten zu den letzten auf diesem Planeten, die noch über privates Eigentum verfügten. Wir haben es eingesetzt, weil wir hofften, die Energieversorgung einer ganzen Region durch unsere Initiative sichern zu können. Die Naldrynnen haben dafür gesorgt, daß wir nahezu alles verloren haben. Und was dann noch blieb, das haben die Funktionäre der Arbeit im Dienst des Volkes, wie es so schön heißt, vernichtet. Sie haben den letzten Funken erstickt, der noch geblieben war. Jetzt sitzen die Naldrynnen in der Region. Sie haben den Regierungsfunktionären große Anlagen zur Stromerzeugung verkauft, die niemand benötigt hätte, wenn man das Werk meines Vaters nicht zerstört hätte. Jetzt hat sich die Regierung Schulden aufgeladen, die man nur dadurch bezahlen kann, daß man Raumschiffe bei den Naldrynnen kauft, um Rohstoffe auf anderen Planeten zu gewinnen. Mit den Rohstoffen werden die Naldrynnen bezahlt.« »Aber natürlich ist der Aufwand so groß, daß so gut wie kein Gewinn übrigbleibt«, ergänzte ich. »Die Schulden sind auf diesem Weg kaum zu tilgen.« »Nein, man ist meistens nur in der Lage, die Zinsen zu begleichen. Für die Naldrynnen ist das ein glänzendes Geschäft. Sie behalten uns auf unabsehbare Zeit im Würgegriff. Wir müssen tun, was sie verlangen.« »Oder sie lassen die Wirtschaft zusammenbrechen. Sie hätten es in der Hand, eine weltweite Katastrophe auszulösen.« »Genauso ist es, Atlan«, bestätigte er. »Das ist die Tragödie meines Volkes.« »Ja, ich habe verstanden.« Er blickte mich an. Trauer zeichnete sein Gesicht. Die Flammen des Feuers schufen in seinen Augen eigenartige, tanzende Reflexe. »Die Naldrynnen stünden auf verlorenem Posten, wenn es nicht so viele Zyrpher gäbe, denen völlig egal ist, was aus unserem Volk wird, solange es ihnen selbst gutgeht. Sie sitzen an den Schaltstellen der Macht, führen die Befehle der Naldrynnen aus und bereichern sich, wo immer sie können.« »Warum setzt sie niemand ab? Warum jagt ihr sie nicht davon?« »Einer schützt den anderen. Es ist ein bürokratisches System, das bis in die äußersten Ausläufer verfilzt ist. Wer erst einmal in dieses System integriert ist, hat für sein Leben ausgesorgt.« »Ich verstehe«, sagte ich. »Deshalb bekämpft man lieber dich und deine Organisation, als sich gegen die Naldrynnen zu wehren. Wenn man dich ausschaltet, hat man seine Ruhe und kann weiterhin seine Pfründe genießen. Bricht man die Macht der Fremden, steht man zunächst einmal vor dem Nichts und muß ganz unten anfangen. Da das Leben kurz ist, denken die meisten gar nicht daran, auf ihre Vorteile zu verzichten. Sie machen nach dem Motto weiter: Was nach mir kommt, geht mich nichts an.« »Ich sehe, du hast die Lage wirklich erkannt«, sagte Mrothyr. »Genau das ist das Problem.« Er blickte in die Dunkelheit hinaus, und ich wußte, woran er dachte. Es gab allzu viele Zyrpher wie Tarlos, die einfach nicht begriffen, um was es ging. Sie glaubten der Propaganda, die die Wahrheit verschleierte, und sie verurteilten jene, die für die Freiheit kämpften, als seien sie Verbrecher. Wer war Tarlos? Du weißt nichts über ihn, bemerkte das Extrahirn. Er ist ein unbeschriebenes Blatt für dich. Du weißt lediglich, daß er nicht besonders mutig ist. Das war richtig. Ich hatte nie daran gedacht, ihn zu fragen, welcher Beschäftigung er nachging. War Tarlos einer jener mächtigen Bürokraten, von denen Mrothyr gesprochen hatte? War er von einem Raumflug zurückgekehrt? Und was hatte er auf anderen Planeten getan? Hatte er sich in das Ausbeutungswerk der Naldrynnen einschalten lassen? War er vielleicht gar jemand, der an den
Hebeln der Macht saß? Ich blickte zu Brutus hinüber, der nach wie vor einige Schritte von uns entfernt war. Der Widerschein der Flammen ließ seine Rüstung hin und wieder aufleuchten. Ich hatte viele verschiedene Versionen über das politische und wirtschaftliche Leben auf Zyrph gehört. Jetzt war mir auch klar, warum. Der eine glaubte der offiziellen Propaganda, andere glaubten ihr nicht und konstruierten sich mangels Information ein eigenes Gebilde, das sie für treffend hielten, oder sie hatten versucht, mich zu täuschen – aus welchen Gründen auch immer. Zu jenen, die gelogen hatten, gehörte Tarlos. Er hatte von einer glücklichen Welt gesprochen, auf der allgemeiner Wohlstand herrschte. Er hatte eine Marktwirtschaft erwähnt, die auf die sozial Schwachen Rücksicht nahm. Tatsächlich existierte eine absolute Planwirtschaft, in der niemand mehr Bewegungsfreiheit hatte. Nach seinen Worten waren alle mit den existierenden Bedingungen einverstanden - nur nicht Mrothyr und seine Anhänger. Es war wirklich nicht Verwunderlich, daß Tarlos sich nicht mit Mrothyr ans Feuer setzen wollte. Warum aber hatte Tarlos gelogen? Darauf gab es nur eine Antwort: Er war ein hoher Funktionär, den nichts weiter interessierte als seine Pfründe. Mrothyr ist bisher der einzige, der die Wahrheit gesagt hat. Demnach gibt es auf Zyrph eine Planwirtschaft mit allen ihren negativen Auswüchsen, faßte das nüchtern denkende Extrahirn zusammen, und es fügte hinzu: Dir steht noch einiges bevor. Einige Frauen bauten ein Gerüst über dem Feuer auf, um Fleisch zu grillen. Wir wandten uns unverbindlichen Themen zu. *** Am nächsten Morgen weckte Mrothyr mich. »Bist du bereit?« fragte er leise. »Für den Transmitter?« entgegnete ich. »Natürlich.« Ich erhob mich und verließ den Raum. Chipol schlief noch. Die Strapazen der letzten Tage waren ein wenig groß gewesen. Er holte den Schlaf nach, den er versäumt hatte. Ich machte mich frisch und aß etwas Brot. Dann begleitete ich Mrothyr zur Transmitterkuppel. »Tarlos schläft auch noch«, erklärte der Anführer der Freiheitskämpfer. »Er wird uns keine Schwierigkeiten machen.« Vor dem Transmitter warteten vier kahlköpfige Männer. Mrothyr stellte sie mir vor. Ihre Namen waren Corghout, Quoukant, Simsorth und Carshquyrt. »Sie bleiben hier beim Transmitter und nehmen die Waffen in Empfang, die wir ihnen senden«, erklärte er. »Ich möchte hier Freunde haben, die dafür sorgen, daß uns niemand den Rückweg abschneiden kann.« Ich zeigte den vier Männern, wie der Transmitter geschaltet werden mußte, dann betraten Mrothyr und ich den tonnenförmigen Transportraum, der das eigentliche Herz der Anlage bildete. Wenig später spürten wir den Entzerrungsschmerz der Entmaterialisation, und dann befanden wir uns auch schon im Transmitter der Gegenstation, in der es vollkommen dunkel war. Eine Zentnerlast drohte uns zu Boden zu drücken. Die Schwerkraft war deutlich höher als auf Zyrph. »Wir sind beim richtigen Transmitter angekommen«, ächzte Mrothyr. »Dies kann nicht der Mond von Trhag sein.«
»Oder die Scherkraft wird künstlich reguliert«, entgegnete ich. Wir verließen den Transmitter. Mrothyr hatte einen Handstrahler dabei. Damit leuchtete er einen Raum aus, in dem verschiedene fremdartige Maschinen standen. Ich nahm ihm die Lampe ab. »Irgendwo muß ein Schalter sein«, sagte ich. »Energie ist genügend vorhanden, sonst hätte der Transmitter nicht gearbeitet, und die Schwerkraft wäre nicht so hoch.« Neben einem Türschott fand ich eine Schaltleiste. Ich zögerte. »Weißt du, ob diese Station besetzt ist?« fragte ich. »Wird sie von den Zyrphern oder von den Naldrynnen betrieben?« »Soweit ich weiß, wird sie von unseren Leuten als logistische Basis benutzt«, erwiderte er. »Sie ist jedoch nicht ständig besetzt, sondern wird von Stahlmännern gewartet.« Ich berührte einen der Schalter, und Licht flammte auf. »Warum hast du es nicht gleich eingeschaltet?« fragte der Zyrpher verwundert. »Weil es sein könnte, daß ich damit gleichzeitig einen Alarm auslöse.« Er nickte. Er hatte verstanden. Ich sah mich in der Halle um, in der wir angekommen waren. In der Nähe standen einige Maschinen. Ich wußte nicht, wozu sie dienten. Sie ließen auf den ersten Blick einen hohen technischen Standard erkennen. Für die Zyrpher standen sie vermutlich noch über der Neuen Technik. Hinter einer transparenten Wand lagerten Hunderte von Kleincontainern. »Die Waffen sind da drüben«, sagte Mrothyr. »Los. Beeilen wir uns.« Schwerfällig ging er voran zu einer Tür. Die hohe Schwerkraft zerrte an uns und zwang uns zu vorsichtigen Bewegungen. Ein Sturz unter solchen Bedingungen konnte verheerende Folgen haben. Ich blieb auf halben Weg bei einer Maschine stehen, die mir in ihrem Aufbau irgendwie bekannt vorkam. Ich hantierte daran herum, kam jedoch nicht darauf, wozu sie diente. »Was ist denn«, rief Mrothyr ungeduldig. »Warum kommst du nicht?« »Schon gut«, erwiderte ich und folgte ihm. Mühelos öffneten wir die Tür zum Nebenraum. Der Zyrpher kniete vor einem der Container nieder und öffnete ihn. Strahlend blickte er mich an. »Das hatte ich gehofft«, sagte er voller Begeisterung. »Energiestrahler. Damit läßt sich etwas anfangen. Jetzt werden wir die Nester der Naldrynnen ausheben.« Er kroch weiter zu den nächsten Behältern und fand auch in ihnen die Waffen, die er für seinen Kampf dringend benötigte. »Es ist alles vorhanden«, rief er. »Blaster, Sprengladungen, Schallfallen, Energiefeldprojektoren, Funkgeräte – einfach alles.« Ich nahm einen der Energiestrahler auf. Die Waffe lag gut in meiner Hand, war jedoch zu klein für mich. Die Zyrpher würden noch mehr Schwierigkeiten als ich haben, sie richtig zu halten. »Könnte es eine naldrynnische Waffe sein?« fragte ich. Er blickte mich verblüfft an. Auf diesen Gedanken war er bisher noch nicht gekommen. »Natürlich«, rief er. »Du hast recht. Dies ist eine Station der Naldrynnen.« Wir nahmen soviel Waffen auf, wie wir tragen konnten, und schleppten sie zum Transmitter. Mrothyr hatte sich wieder gefangen. Er arbeitete schweigend und mit verbissenem Eifer. Er wollte so schnell wie möglich nach Zyrph zurückkehren, während ich dafür war, die Mondstation näher zu untersuchen. »Du mußt dafür sorgen, daß du immer wiederkommen kannst«, riet ich ihm. »Wir müssen alle
Spuren beseitigen. Nichts darf darauf hinweisen, daß du die Waffen geholt hast.« »Sie sollen wissen, daß ich es war«, erklärte er und richtete sich stolz auf. Sein Gesicht straffte sich, und in seinen gelben Augen loderte ein leidenschaftliches Feuer. »Sie sollen nicht den geringsten Zweifel haben. Die Furcht soll sie lähmen. Sie sollen wissen, daß endlich eine neue Zeit angebrochen ist, in der es mehr Gerechtigkeit für alle geben wird.« Ich fand sein Verhalten taktisch unklug, verzichtete jedoch darauf, ihm dies zu sagen. Ich hätte ihn kaum umstimmen können. Wenig später – als Mrothyr einen Behälter mit Sprengsätzen zum Transmitter trug, blieb er plötzlich stehen und schüttelte das rechte Bein. Dann schrie er auf und stellte den Kleinstcontainer ab. »Roboter«, schrie er. »Es sind Roboter.« Verblüfft blickte ich ihn an. Ich sah keine Roboter. Er kam einige Schritte auf mich zu, bückte sich dann und versuchte, kleine, metallische Gebilde von seinen Beinen abzustreifen. Es gelang ihm nicht. Roboter müssen nicht immer groß sein, signalisierte mein Extrasinn. Dann spürte ich einen stechenden Schmerz in der Wade. Ich zuckte zusammen und griff nach meinem Bein. Meine Finger umfaßten einen der Roboter. Unwillkürlich hob ich ihn an. Ich sah, daß es ein vierbeiniges Ding mit einem kastenförmigen Körper und zwei Greifarmen war. Bevor ich recht begriff, drückten sich die Arme gegen meinen Handballen und quetschten ihn. Erschrocken ließ ich den Roboter fallen. Gleichzeitig sah ich, daß Dutzende von Maschinen dieser Art auf mich zukrochen, und ich spürte, wie andere an meinen Beinen hochkletterten. Mrothyr sprang panikerfüllt auf eine der Maschinen. An seinen Beinen, den Armen und am Rücken zogen sich wenigstens dreißig Roboter hoch. Ihr Ziele schien sein Kopf zu sein. Er schrie immer wieder auf, wenn es ihm gelang, einen der kleinen Automaten zu fassen oder abzustreifen. Mir erging es nicht besser als ihm. Auch an meinen Beinen krochen die winzigen Roboter hoch, und von allen Seiten rückten Hunderte von ihnen nach. »Wir müssen zurück«, rief ich. »Dagegen können wir uns nicht wehren.« Ich kämpfte verzweifelt gegen die kleinen Kampfmaschinen, und es gelang mir, eine Reihe von ihnen abzuschütteln, doch dann wurden es mehr und mehr, die mich attackierten. Ich spürte, wie sie mich an den Armen, am Nacken und an den Ohren kniffen, und als einer versuchte, meine Schädeldecke zu durchbohren, begriff ich, daß sie mich töten würden, wenn es mir nicht gelang, ihnen zu entkommen. Mrothyr stürzte schreiend zu Boden. Er schlug ebenso wild wie wirkungslos um sich. Hunderte von Kleinstrobotern bedeckten ihn und immer noch mehr eilten zu ihm hin. Sie hatten einen außerordentlichen Vorteil, weil sie sich unter den Bedingungen der hier herrschenden Schwerkraft viel leichter bewegen konnten als wir. Die Maschine! schrie mein Extrahirn. Damit kannst du extrem starke Magnetfelder erzeugen. Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Mir blieben vielleicht noch zwei oder drei Sekunden, dann würde auch ich zusammenbrechen. Und ich wußte, daß ich verloren war, wenn ich erst einmal auf dem Boden lag. Ich arbeitete mich taumelnd zu der Maschine durch, wobei ich alle Hände voll zu tun hatte, die Kleinstroboter von meinem Kopf abzuhalten. Da ich mir das Gerät schon vorher angesehen hatte, fand ich den Schalter augenblicklich. Starke Magnetfelder bauten sich zwischen den beiden Polen des wannenförmigen Innern auf. Ich wußte nicht, wozu dieses Gerät normalerweise benutzt wurde. Möglicherweise stellte man Computer-Tomographien damit her. Es war mir egal. Mir kam es nur auf die Magnetfelder an.
Ich ließ mich in das wannenförmige Innere sinken und geriet damit unter den Einfluß der Magnetfelder – ebenso wie die Kleinstroboter. Deren Programmspeicher brachen augenblicklich zusammen, und die kleinen Automaten fielen von mir ab. Kein einziger funktionierte noch. Ich stieg erleichtert aus der Wanne und kämpfte mich zu Mrothyr hinüber, der mittlerweile das Bewußtsein verloren hatte und unter dem Berg kriechender und kneifender Roboter kaum noch zu sehen war. Ich hob ihn auf und schleppte ihn zu der Wanne. Die Roboter krochen über meine Arme und Beine an mir hoch. Sie schienen es besonders eilig zu haben, als ob sie erkannt hätten, welche Gefahr ihnen drohte. Ich ließ Mrothyr in das Magnetfeld sinken, und wie erwartet fielen die Roboter von ihm ab. Mir blieb keine andere Wahl. Ich mußte mich zu ihm legen, um mich ebenfalls von den Automaten zu befreien. Dann warf ich alle Roboter aus der Wanne, die sich mittlerweile darin abgelagert hatten. Ich sah, daß weitere Roboter von allen Seiten heranrückten. Sie stiegen an den Seiten der Maschine auf und stürzten sich auf uns, wobei sie gleichzeitig neutralisiert wurden. Ich konnte die ausgeschalteten Maschinen kaum so schnell hinausbefördern, wie neue nachrückten. Mrothyr kam zu sich. Er schrie und schlug in Panik um sich, bis es mir gelang, ihn zu beruhigen. »Der schwarze Durchgang soll mich holen«, keuchte er. »Das sind Hunderttausende. Sieh doch, überall an den Wänden sind kleine Türen. Durch sie kommen immer neue herein. Wir müssen weg. Wir müssen mit dem Transmitter verschwinden.« Ich schlug einige Roboter vom Schalter des Geräts, als ich bemerkte, daß sie dieses ausschalten wollten. Die winzigen Positronenhirne hatten die Ursache ihrer Niederlage erkannt. »Fast alle Roboter sind bei uns«, erwiderte ich. »Beim Transmitter hält sich kein einziger von ihnen auf. Wir könnten es schaffen.« »Wieviel Zeit brauchst du, den Transmitter einzuschalten?« »Ein paar Sekunden.« »Das muß genügen.« Wir nickten uns zu. Mrothyr sah arg zerschunden aus. Im Gesicht blutete er aus zahllosen Wunden, die die winzigen Krallen der Roboter gerissen hatten. »Ich gehe zuerst«, sagte ich. »Sobald ich dir ein Zeichen gebe, kommst du nach. Einverstanden?« »Einverstanden.« Ich zögerte keine Sekunde und verließ die Wanne. Unter meinen Füßen spürte ich die Roboter. Sie versuchten augenblicklich, sich an mir festzuhalten, doch das gelang nur wenigen. Ich schritt über sie hinweg zum Transmitter hin, und in wenigen Sekunden konnte ich Mrothyr tatsächlich das Zeichen geben. Während ich auf ihn wartete, warf ich Waffen in die Transmitterkammer – vor allem Handstrahler und Sprengsätze. Brüllend kam Mrothyr zu mir. Er taumelte von einem Bein auf das andere und schlug dabei matt auf die Roboter ein, die ihn befallen hatten. Er war am Ende seiner Kräfte, da er es nicht gewohnt war, sich unter derart schwierigen Gravitationsbedingungen zu bewegen. »Laß sie«, rief ich. »Auf sie kommt es nicht an. Wir dürfen nicht länger warten, sonst haben wir gleich wieder alle auf dem Hals.« Er sah ein, daß es sinnlos war, sich gegen einzelne der Kleinstroboter zu wehren. Zusammen mit mir stieg er in die Kammer. Dabei nahm er noch einige weitere Waffen mit. Dann schaltete ich den Transmitter auch schon ein. Die Halle verschwand. Ein heftiger Schmerz durchzuckte mich, und ich glaubte, fühlen zu können, daß sich mein Körper in Atome auflöste, die weiter und weiter auseinanderstrebten, bis ich geradezu kosmische Dimensionen erreicht hatte. Dann aber erschien die Kuppel vor mir, und ich blickte in die erwartungsfrohen Gesichter der Zyrpher.
Mrothyr sprang keuchend aus dem Transmitter. Er schüttelte die Roboter ab und trat mit Füßen auf ihnen herum, konnte sie dabei jedoch nicht zerstören. Erst als ihm seine Freunde zu Hilfe kamen, gelang es ihm, die kleinen Maschinen unschädlich zu machen. Inzwischen hatte auch ich mich von allen Quälgeistern befreit. *** Tarlos blickte mich eigenartig an, als ich in das Haus zurückkehrte, in dem wir untergekommen waren. »Ich vermute, du hast dich an einer ungesetzlichen Aktion beteiligt«, sagte er. Ich nahm mir etwas zu trinken und setzte mich zu Chipol auf eine Sitzbank. »Es könnte sein, daß ich den Naldrynnen etwas weggenommen habe«, erwiderte ich. »Das ist ungesetzlich. Ich habe es gewußt. Sie haben dich zum Verbrecher gemacht.« »Ich bin kein Zyrpher, und außerdem ist es nicht auf diesem Planeten passiert. Es geht dich nichts an, und eure Justiz schon gar nicht.« Er setzte sich ebenfalls. Harte Linien bildeten sich um seinen Mund. Ihm war anzusehen, daß er scharf verurteilte, was ich getan hatte. Mit unnachsichtiger Strenge blickte er sich an. Ich bin sicher, daß er sich in diesem Moment wie ein Vater vorkam, der seinen ungeratenen Sohn zurechtweisen muß. »Sprechen wir lieber von dir«, sagte ich. »Du hast uns noch immer nicht erzählt, wer du eigentlich bist.« »Ich habe keinen Grund, dir etwas zu verheimlichen. Ich arbeite im Dienst des Volkes. Die Qurailequyren haben mich gewählt. Ich fühle mich ihnen verpflichtet, weil sie die ewig Unterdrückten und Ausgebeuteten sind. Ich lebe dafür, ihr Schicksal zu verbessern.« Hehre Worte! spöttelte das Extrahirn. Nur ist davon kein Wort wahr. Er dient den Qurailequyren ganz gewiß nicht, sondern lebt auf ihre Kosten wie die Made im Speck. Jetzt hatte ich die Bestätigung. Tarlos war ein hoher Funktionär, dem es ausschließlich um seine eigenen Vorteile ging. Er zitterte vor Mrothyr, weil er fürchtete, daß dieser ihn um seinen Posten bringen würde. Ich erinnerte mich daran, daß Mrothyr unverletzbar sein sollte. Die Ereignisse auf dem Mond hatten das Gegenteil bewiesen. Die Kleinstroboter hatten ihm schwer zugesetzt. Ich war sicher, daß er auch gegen Kugeln nicht gefeit war. »Ich kann dir nur raten, dich zurückzuhalten«, sagte ich zu Tarlos. »Wenn Mrothyr und seine Freunde merken, daß du zu jenen gehörst, die er bekämpft, hast du keinen leichten Stand.« »Das ist mir schon lange klar.« Tarlos beugte sich zu mir hin und blickte mich beschwörend an. »Deshalb kann es nur eins für uns geben: Wir müssen weg von hier. So schnell wie möglich.« »Warum sollte ich diese Schlucht verlassen?« »Hast du den Auftrag vergessen? Kommandant Wyreth will, daß du zur Regentin von Mhyn gehst. Du wirst ganz erhebliche Schwierigkeiten bekommen, wenn du seinen Wünschen zuwiderhandelst.« »Er hat recht«, warf Chipol ein. »Außerdem haben wir ja andere Ziele.« Damit erinnerte er mich daran, daß es darum ging, dem Erleuchteten auf die Spur zu kommen. Wir durften die klare Linie nicht verlieren, so wichtig es auch sein mochte, Mrothyr in seinem Kampf zu unterstützen. »Ohne die Genehmigung Mrothyrs können wir das Lager nicht verlassen«, betonte ich.
»Es sei denn, wir verschwinden heimlich«, fügte Tarlos hinzu. Ich schüttelte den Kopf. Damit war ich auf keinen Fall einverstanden. Tarlos stand auf und ging einige Schritte hin und her. Dann blieb er vor mir stehen. »Wenn du auf die Seite der Zivilisation zurückkehren willst«, sagte er, »dann gibt es nur eine Möglichkeit. Du mußt dich von den Terroristen lossagen und dich in den Dienst des Volkes und damit auf die Seite der Einheitsregierung stellen.« »Du solltest die Lage nicht komplizierter machen, als sie ohnehin schon ist«, empfahl ich ihm. »Du scheinst vergessen zu haben, daß wir bereits tot wären, wenn diese Leute uns nicht gerettet hätten, und wir wären gar nicht erst in eine solche Gefahr geraten, wenn du nicht nach Weiberröcken Ausschau gehalten hättest.« Er preßte die Lippen zusammen, wandte sich ruckartig ab und ging hinaus. »Der Mann ist gefährlich, Atlan«, sagte Chipol. »Er ist unberechenbar, und ich bin ganz sicher, daß er uns verrät, wenn er einen Vorteil davon hat. So hat noch niemand mit ihm geredet, und nun ist er sauer.« Mrothyr kam herein. Er hatte sich umgezogen und schien sich gut erholt zu haben. Sein Gesicht war von den zahllosen Quetschungen allerdings leicht geschwollen. »Es geht los«, sagte er. »Wir greifen an.« »Was greift ihr an?« fragte ich. »Den anderen Transmitter«, erwiderte er und blickte mich erstaunt ’an. Er schien nicht fassen zu können, daß ich nicht von selbst daraufgekommen war. »Den Transmitter, der in der Stadt Bhalath steht, dem Verwaltungszentrum der nördlichen Region.« »Und wie willst du das machen?« »Ganz einfach«, erwiderte er. »Wir schicken ihnen einen Sprengsatz hinüber, der hochgeht, sobald er angekommen ist.« »Dabei würdet ihr viele Männer und Frauen töten«, rief Chipol. »So etwas macht Atlan auf keinen Fall mit.« »Keine Sorge«, besänftigte Mrothyr ihn. »Wir haben einen Verbindungsmann dort. Er sorgt dafür, daß wir einen Zeitpunkt erwischen, an dem sich niemand beim Transmitter aufhält. Ich habe nicht vor, irgend jemanden zu töten.« »Ist das sicher?« »Du kannst dich auf mich verlassen«, sagte Mrothyr, und ich glaubte ihm.
8. Die Mitkämpfer Mrothyrs waren ausnahmslos in der Kuppel versammelt, als wir dort eintrafen. Einer von ihnen saß an einem Funkgerät. »Er hat Verbindung mit unserem Agenten«, erläuterte Mrothyr mir. »Glaube mir, wir kämpfen für die Zyrpher. Wir töten niemanden, eher ziehen wir uns zurück und schlagen bei anderer Gelegenheit zu.« Ich ging zum Transmitter und überprüfte den Sprengsatz, den wir abstrahlen wollten. Er war gut und richtig vorbereitet worden. Daran gab es nicht mehr viel zu tun. Jetzt kam es nur noch auf den Transmitter an. Ich richtete ihn auf die Gegenstation aus, und Mrothyr legte den Sprengsatz in die Transportkammer. »Noch nicht«, sagte der Mann am Funkgerät. »Es ist jemand in der Nähe.« »Der Transmitter steht im Palast des Volkes in Bhalath«, eröffnete der Anführer der Freiheitskämpfer mir. »Palast des Volkes – der Name ist blanker Hohn. In diesem Palast residiert seit dreißig Jahren der gleiche Mann. Damals ist er von allen gewählt worden, die mit der Landwirtschaft zu tun haben. Seitdem herrscht er wie ein Fürst. Wer es wagt, irgendeine seiner Entscheidungen in Frage zu stellen, hat ausgespielt. Der Verlust des Transmitters würde ihn hart treffen, denn es ist der einzige Transmitter, den es außer unserem auf Zyrph noch gibt. Wenn er ihn verliert, büßt er zugleich an Macht und Ansehen ein.« »Es ist soweit«, rief der Funker. »Der letzte Mann hat die Kellerräume des Palasts verlassen.« »Also dann«, sagte Mrothyr. »Hoffen wir, daß es klappt.« Ich schaltete den Transmitter ein. Das Transportfeld baute sich auf, und im nächsten Moment war der Sprengsatz verschwunden. Gebannt und voller Erwartung blickten wir auf den Funker. Einige Sekunden verstrichen, dann hob er triumphierend einen Arm. »Es hat geklappt«, schrie er, und unbeschreiblicher Jubel brach in der Kuppel aus. Mrothyr und seine Freunde lagen sich in den Armen. Sie feierten ihren Sieg. »Jetzt gibt es nur noch zwei Transmitter in unserem Sonnensystem«, sagte Mrothyr. »Diesen und den auf dem Mond des Nachbarplaneten. Wir werden uns noch einmal in das Waffenarsenal versetzen lassen, und wir werden mehr Waffen mitbringen als beim ersten Mal.« Chipol zupfte mich am Ärmel. »Wo ist Tarlos?« fragte er leise. »Er war vorhin noch hier.« Ich blickte mich suchend um, konnte unseren Reisegefährten jedoch nicht sehen. Der Funktionär hatte die Kuppel verlassen. Mir schwante Böses. Chipol folgte mir. »Brutus ist ja auch nicht da«, sagte er. Unwillkürlich blieb ich stehen. Ich wurde mir dessen bewußt, daß ich einen schweren Fehler gemacht hatte. Ich hatte Brutus als völlig wertfrei angesehen. Ich hatte selbst lange genug in der USO und verschiedenen anderen Abwehrorganisationen gearbeitet, um zu wissen, welch verschlungene Wege man manchmal gehen mußte, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Der Roboter war plötzlich an Bord der ZYRPH’O’SATH aufgetaucht und hatte dort bemerkenswerte Informationen über mich zum Besten gegeben. Danach hatte er sich uns wie selbstverständlich angeschlossen, und ich hatte durchaus nichts dagegen, daß er bei uns blieb, versprach ich mir doch eine Verstärkung durch ihn. Außerdem hatte ich gehofft, sein positronisches Hirn nutzen zu können.
Wie aber, wenn bestimmte Kreise auf Zyrph von Anfang an keine andere Absicht gehabt hatten, als mich in die Jagd nach Mrothyr einzuschalten? War nicht vorherzusehen gewesen, daß der Anführer der Freiheitskämpfer sich für mich, das kosmische Wesen, interessieren würde? Hatte man mir den Roboter deshalb zugespielt? Wollte man durch ihn an Mrothyr herankommen? Es sah so aus. Mir wurde siedend heiß bei diesem Gedanken. Mrothyr vertraute mir. Mußte er mich nicht für einen Verräter halten, wenn Brutus, der mit mir gekommen war, ihn und seine Leute verriet? Ich trat in die Schlucht hinaus. Helles Sonnenlicht fiel mir ins Gesicht und blendete mich, so daß einige Zeit verstrich, bevor ich etwas erkennen konnte. Niemand hielt sich in meiner Nähe auf. »Wo sind sie?« fragte Chipol. »Ob sie ins Haus gegangen sind?« »Komm. Wir sehen nach.« Wir eilten durch die Schlucht zu unserem Haus hin, fanden Tarlos und den Roboter aber auch dort nicht. »Ich verstehe das nicht«, sagte Chipol. »Ob sie uns verraten wollen?« »Wie könnten sie das?« Ich dachte daran, daß wir hier in dieser Schlucht weitab von jeglicher Zivilisation waren. Wenn Mrothyr mich richtig informiert hatte, war die nächste Stadt über fünfhundert Kilometer entfernt. Wie sollte Tarlos ohne technische Unterstützung dorthin kommen? Ich wußte, daß die Freiheitskämpfer ihre drei Antigravgleiter positronisch blockiert hatten, so daß niemand gegen ihren Willen damit starten konnte. Wirklich niemand? Was wußte ich denn schon von den Fähigkeiten des Roboters? Wie konnte ich so sicher sein, daß er die positronische Sperre nicht brechen konnte? Und das Funkgerät? fragte das Extrahirn mit dem bekannten ironischen Unterton. Das war unter Umständen nicht gesperrt. »Chipol, weißt du, wo die Gleiter stehen?« »Willst du fliehen?« Der Junge blickte mich entsetzt an. »Unsinn«, antwortete ich. »Tarlos könnte über Funk Hilfe rufen. Das müssen wir verhindern.« Der Daila stieß sich den Handballen der rechten Hand mehrmals gegen die Stirn. »Oh, Mann«, stöhnte er. »Du hast recht.« »Sage mir endlich, wo die Gleiter stehen.« »Komm. Hier entlang.« Er zeigte auf eine senkrecht aufsteigende Felswand. Ich konnte daran nicht die geringste Unebenheit erkennen. Ich stutzte, und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich war es kein Felsen, sondern ein energetisches Prallfeld, das das Gestein nur vortäuscht. »Irgendwo an der rechten Seite ist ein Schalter«, rief Chipol, während wir darauf zuliefen. »Ich habe gesehen, daß Mrothyr ihn betätigt hat.« Plötzlich war ich ganz sicher, daß Tarlos alles tun würde, um die Freiheitskämpfer ans Messer zu liefern. Damit konnte er sich auszeichnen und seine eigene Position verbessern. Vielleicht rechnete
er sich eine Beförderung aus. Ganz bestimmt sogar! bestätigte der Logiksektor. Chipol eilte auf eine Felsspalte zu und hob die rechte Hand, um hineinzugreifen, fuhr dann aber wie von der Tarantel gestochen zurück. »Nein«, ächzte er und fiel mir in die Arme, als ich an ihm vorbeigehen wollte. »Was ist los, Kleiner?« »Sie haben uns hereingelegt.« Er war blaß geworden. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen, und seine Augen waren unnatürlich geweitet. »Wieso? Ich verstehe dich nicht.« »Sieh doch hin«, wimmerte er. Ich warf einen Blick in den Felsspalt und begriff. Auf dem Schalter kauerten drei Aradiks, jene Insekten, die aussahen wie eine Kreuzung zwischen Spinne und Skorpion. Ich erinnerte mich allzu deutlich daran, daß der Invast solche Tiere bei sich gehabt hatte. Das Gift dieser Großinsekten tötete innerhalb weniger Sekunden. »Wir müssen es mit einem Stück Holz versuchen«, sagte der Daila. »Unmöglich«, erwiderte ich. »Wir müssen den Schalter drehen. Das geht nicht mit einem Holz.« »Aber du kannst ihn unmöglich anfassen.« »Brutus könnte es.« »Der ist nicht da.« Narr! Kannst du nicht denken? fragte der Logiksektor. Wer könnte die Aradiks denn schon dorthin gesetzt haben? Ich zuckte zusammen. Daß ich nicht früher darauf gekommen war. »Was hast du, Atlan?« Chipol griff nach meinem Arm. »Du bist plötzlich so blaß, und deine Augen tränen. Warum weinst du?« Ich brachte ein Lächeln zustande. »Ich weine nicht, Kleiner«, erwiderte ich. »Meine Augen tränen immer, wenn ich erregt bin.« »Und warum bist du erregt? Wegen der Aradiks?« »Nein. Weil ich soeben begriffen habe, daß nur Brutus sie dort hingesetzt haben kann. Er kann diese Tiere als einziger anfassen, ohne ihre Stiche fürchten zu müssen.« »Der Invast kann es auch.« Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn. Was war los mit mir? Konnte ich nicht mehr klar denken? Die Kleinstroboter auf dem Mond haben dich vergiftet, erkannte das Extrahirn. Eine andere Möglichkeit existiert nicht. Das Gift ist nicht besonders wirksam und wird bereits vom Zellaktivator neutralisiert, aber es schränkt deine geistige Tätigkeit tatsächlich ein. Mrothyr und seine Leute hatten den Invast aus dem Zug entführt. Wohin konnten sie ihn schon gebracht haben, wenn nicht hierher in ihr Versteck? Der von den meisten Zyrphern als heilig angesehene Mann war wahrscheinlich von Tarlos befreit worden und befand sich jetzt mit ihm zusammen bei den Gleitern.
Ich sah mich nach einem Stock um, den ich als Werkzeug benutzen konnte, um die Großinsekten entweder vom Schalter zu vertreiben oder zu töten, fand jedoch keinen. Dafür war Chipol erfolgreicher. Er brachte mir einen vertrockneten Zweig, der etwa vierzig Zentimeter lang war. »Er ist zu kurz«, sagte der Daila, »aber einen längeren scheint es hier nirgendwo zu geben. Du solltest es lieber nicht versuchen.« »Geh etwas zur Seite, Chipol«, sagte ich. »Und mach dir keine Sorgen. Paß nur auf, daß du nicht gestochen wirst.« Ich stieß mit dem Stock nach den Insekten. Sie wichen mir verblüffend schnell aus und streckten mir gleichzeitig den Giftstachel entgegen. Auch ein zweiter Angriff auf sie scheiterte, weil sie sofort reagierten. »Lauf zum Haus und hole mir einen Lappen«, bat ich den Jungen. »Beeile dich.« »Du willst dir etwas um die Hand binden und dann nach den Biestern greifen? Das lasse ich nicht zu, Atlan.« »Beeile dich, Kleiner.« Er blickte mich mit großen Augen an, als zweifle er an meinem Verstand. »Los doch«, drängte ich. »Wir dürfen keine Zeit verschwenden.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist Wahnsinn. Du darfst nicht mit den Händen danach greifen. Das überlebst du nicht.« »Sie werden mich ebensowenig stechen wie den Invast. Wenn du mir keinen Lappen holst, riskiere ich es mit ungeschützten Hängen. Wir müssen verhindern, daß der Invast flieht. Ist dir das klar? Wenn Tarlos mit dem Invast entkommt, ist es aus mit Mrothyr und seinen Leuten.« Das sah der Daila ein. Er fuhr herum und rannte zum nächsten Haus hinüber. Wenige Minuten später kehrte er mit zwei dicken Tüchern zurück. Ich nahm sie entgegen und wickelte sie mir um die rechte Hand, so daß sie einen Fausthandschuh bildeten. »Nein«, flüsterte Chipol. »Tu es nicht, Atlan.« »Es wird schon gutgehen.« Blitzschnell stieß ich meine Faust in den Spalt, und diesmal wichen die Aradiks nicht weit genug aus. Ich spürte, daß ich sie traf und zerdrückte. Als ich die Hand zurückzog, sah ich, daß ich sie alle drei getötet hatte. Ich wickelte die Tücher ab und warf sie achtlos weg. Chipol würgte. Er ekelte sich vor den Großinsekten. Er griff nach meinem Arm, und ich fühlte, daß seine Hände zitterten. Tränen standen in seinen Augen. »Ich dachte nicht, daß du es schaffen würdest«, brachte er mühsam hervor. »Es war halb so schlimm«, lächelte ich und griff nach dem Schalter. Als ich ihn drehte und damit den Energiefluß für den Prallschirm unterbrach, zuckte einer der Giftstachel vor, und mit letzter Kraft preßte mir ein sterbender Aradik das tödliche Gift unter die Haut. Chipol sah es. Er schrie gellend auf. Ich zog die Hand zurück und riß den Giftstachel heraus. Ich verspürte ziehende Schmerzen von der Wunde bis hoch zur Schulter. Schon als ich den ersten Schritt machte, strahlten die Schmerzen bis in meinen Brustkorb aus. Der Prallschirm war zusammengebrochen. Ich konnte Tarlos und den Invast sehen, die bei einem der drei Gleiter standen. Sie beobachteten Brutus, der in der Maschine saß und am Funkgerät hantierte. Ich ging auf sie zu. Mein rechter Arm fiel schlaff an meiner Seite herunter. Ich konnte ihn nicht mehr bewegen, und jeder Schritt war mit unsäglichen Qualen verbunden. Vor meinen Augen
flimmerte es. Für einen kurzen Moment glaubte ich, nicht den Invast, sondern Mrothyr vor mir zu haben. »Atlan«, schluchzte der Daila. »Nein, es ist nicht wahr. Ich glaube es nicht.« Tarlos und der feiste Invast wandten sich mir zu. »Was für eine Überraschung«, sagte der heilige Mann. »Du hast es tatsächlich gewagt, deine Hand nach dem Schalter auszustrecken. Ich habe die gefährlichsten Aradiks als Wachen zurückgelassen. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß sie ganze Arbeit geleistet haben.« Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten und stürzte auf die Knie. Rasende Schmerzen in Arm und Kopf ließen mich aufstöhnen. Ich spürte das Stakkato der Impulse, die von meinem Zellschwingungsaktivator ausgingen. Das Gerät kämpfte mit ganzer Kapazität gegen das tödliche Gift an, aber ich zweifelte daran, daß es erfolgreich sein würde. Das Entsetzen über das nahe Ende lähmte mich. Ich blieb auf den Knien hocken und blickte die beiden Zyrpher vor mir an, ohne sie wirklich wahrzunehmen. »Ihr Verbrecher«, schrie Chipol. »Ihr habt ihn getötet.« Steh auf, schrillte das Extrahirn. Sterben? Nein, ich wollte nicht sterben. Ich mußte mich gegen das Gift wehren. Ich durfte nicht aufgeben. Niemals. Ein Mann muß kämpfen, und wenn es noch so schwer ist. Er hat erst dann verloren, wenn er sich aufgibt. Ich stemmte mich mühsam hoch. Vor meinen Augen tanzten die Sterne. Als ich jedoch wieder auf den Beinen stand, wichen sie Schleiern in schrillen Farben. Aus ihnen tauchten die Gesichter der beiden Zyrpher. Ich sah den gehässig grinsenden Invast und die erwartungsvoll geweiteten Augen von Tarlos. Der eine war sich dessen ganz sicher, daß ich so gut wie tot war, der andere wartete voller Ungeduld darauf, daß ich endlich zusammenbrechen würde. »Gib mir einen Stein, Chipol!« Ich glaubte, diese Worte mit ganzer Stimmkraft herauszubrüllen. Sie dröhnten in meinen Ohren und hallten in meinem Schädel wider, als würden sie von Donnerschlägen begleitet. Tatsächlich sprach ich so leise und undeutlich, daß Tarlos und der Invast mich nicht verstanden. Der Daila aber begriff. Ich spürte, daß er mir einen Stein in die Unke Hand drückte. Ein Glücksgefühl durchströmte mich. Ich war froh, daß er sich für die linke Hand entschieden hatte, denn in der rechten hätte ich ihn nicht halten können. »Es ist uns gelungen, den Gleiter startklar zu machen«, verkündete Tarlos. »Brutus hat die Positronik überwunden. Wir werden jetzt starten. Mrothyr und seine Terroristen haben ausgespielt.« Brutus! Der Name war richtig gewählt! Ich blickte auf das Funkgerät, an dem Brutus arbeitete. Nichts anderes als dieses Funkgerät interessierte mich jetzt. Mit ganzer Kraft konzentrierte ich mich auf dieses Ziel, und ich merkte dabei nicht, daß der Daila sich mit der Schulter gegen meine Beine stemmte, damit ich nicht umkippte. »Wieso wirkt das Gift nicht bei ihm?« fragte Tarlos den Invast. »Er müßte doch längst tot sein.« »Bei manchen geht es schneller, bei manchen langsamer«, erwiderte der feiste Zyrpher. »Er hält erstaunlich lange durch, aber verlaß dich darauf, überleben wird er es nicht. Sieh doch, seine ganze rechte Seite ist gelähmt. Er steht nur noch auf dem linken Bein. Ich brauche ihn nur mit einem Finger anzustoßen, und er fliegt auf den Boden.« Jedes dieser Worte traf meine Seele. Jedes rief ungeheure Schmerzen in mir hervor. Die Schwingungen dieser Stimme schienen genau
das zu sein, was meine Nerven unter dem Einfluß des Insektengifts nicht ertragen konnten. Ich ließ mich vornüber kippen, holte mit letzter Kraft aus und schlug den Stein mitten in das Funkgerät, an dem der Roboter arbeitete. Kleine, grelle Blitze umzuckten meine Hand. Ich sah sie und dachte vergeblich darüber nach, was sie bedeuteten. Meine Gehirne funktionierten nicht mehr. Sie gerieten immer mehr unter den Einfluß des Gifts. »Er hat das Funkgerät zerschlagen«, erklärte der Roboter. »Jetzt kann ich es nicht mehr reparieren.« Ich hörte ihn, und ein angenehmes Gefühl kam in mir auf. Die Schmerzen flauten ab, und eine wohlige Lähmung erfaßte mich. Die Vorstufe des Todes. »Brutus, auf den Rücksitz mit ihm. Wir nehmen ihn mit. Und den Jungen auch. Greife ihn dir.« »Laß mich los«, sagte Chipol traurig. »Ich bleibe bei Atlan. Wenn er stirbt, will ich bei ihm sein.« »Wir starten«, entschied der Invast. »Das hätten wir schon viel früher tun sollen.« Diese Worte hörte ich noch. Dann versank ich in tiefe Dunkelheit. Meine letzten Gedanken galten Mrothyr. Er mußte glauben, daß ich ihn verraten hatte. ENDE
Je länger Atlan und Chipol, der junge Daila, sich auf dem Planeten Zyrph aufhalten, desto klarer wird ihnen, daß hier eine ganze Welt zuungunsten seiner Bewohner gelenkt und manipuliert wird. Ein junger Zyrpher hat das ebenfalls ganz klar erkannt. Zusammen mit einem Häuflein Gesinnungsgenossen betätigt er sich als Systemveränderer. Er ist Mrothyr, der Todesbote… MROTHYR, DER TODESBOTE – so lautet auch der Titel des Atlan-Bandes der nächsten Woche. Der Roman wurde ebenfalls von H. G. Francis geschrieben. p
ATLANS EXTRASINN Hyptons Das Auftauchen der Hyptons in Manam-Turu läßt manches unter ganz neuen Blickwinkeln erscheinen. Zweifellos muß es eine Verbindung zwischen den Hyptons und dem Erleuchteten geben. Atlans Aufgabe ist damit noch komplexer geworden. Ich erinnere mich an das Terra-Jahr 3459, also an eine Zeit, die nun 360 Jahre zurückliegt. Damals waren die Laren, die Eroberer des Konzils der Sieben Galaxien, in der Milchstraße aufgetaucht. Sie hatten für das Konzil ihre Machtansprüche geltend gemacht und damit die Erde auf lange Zelt in schwerste Bedrängnis gebracht. Schon bald machten damals die Menschen auch erste Bekanntschaften mit dem zweiten Konzilsvolk, mit den Hyptons. Diese galten als die Planer, Umgestalter und Regulatoren des Konzils. Auch einige Machtansprüche waren erkennbar geworden. Die Hyptons stammten aus der Galaxis Chmacy-Pzan, wo sie praktisch alle Völker unterjocht hatten. Manam-Turu kann also nicht Chmacy-Pzan sein. Die Hyptons sind koboldartige Wesen von 60 bis 70 Zentimetern Größe. Sie ähneln terranischen Fledermäusen, sind nur entsprechend größer. Von den Händen über die Arme und an den Beinen entlang bis hinunter zu den Füßen spannen sich Flughäute. Die beiden Arme und Beine enden in vierzehigen Greifhänden mit jeweils einem Daumenglied. An den Köpfen fällt die plumpe Schnauze auf. Ohren sind nicht vorhanden. Der Hörsinn verbirgt sich in einem trichterförmigen, filigranartigen Geflecht an beiden Schädelseiten. Diese rosafarbenen Sinne vermögen normalen Schall und Ultraschall aufzunehmen. Die weiße Haut der Hyptons ist völlig haarlos. Sie verfärbt sich gelegentlich bei großen Anstrengungen und wird dann fast transparent, so daß die inneren Organe sichtbar werden. Mit dieser instinktiven Verfärbung geben die Hyptons fünfdimensionale Schutzimpulse ab. Die Impulse bewahren sie vor Extremtemperaturen und auch vor geistigen Einflüssen anderer Wesen. Auffallend sind die übergroßen Augen. Sie sind so groß wie Billardkugeln, rund, weit hervorquellend und starr. Trotz Ihrer schwarzen Farbe wirken sie sanftmütig. Erst bei längerer Betrachtung empfinden andere Wesen den Blick als unangenehm und zwingend. Die Hyptons sind weder kriegerisch veranlagt, noch neigen sie zu direkten Gewalttätigkeiten. Sie besaßen vor 360 Jahren keine eigenen Raumschiffe und auch keine nennenswerte Technik. Daran dürfte sich bis heute auch kaum etwas geändert haben. Die Hyptons sind also stets auf Helfer in der Form anderer Intelligenzen oder Roboter angewiesen. Daß sie dennoch ihre ganze Heimatgalaxis unterjochen konnten, liegt an ihrer Fähigkeit, anderen Wesen unbemerkt ihren Willen aufzuzwingen. Damit sind sie im eigentlichen Sinn noch keine Mutanten. Ihre abstrakte Gabe ist vielmehr das Resultat einer normalen Evolution. Die Hyptons entwickelten sich auf eisbedeckten Planeten aus Flugsäugetieren. Die rauhe Umwelt prägte nach dem natürlichen Ausleseprinzip die besonderen geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Sie werden daher als ParalogikPsychonarkotiseure bezeichnet. Sie beeinflussen andere Wesen nicht direkt. Ihre Gabe wirkt zwar
wie eine leichte Narkose, aber wird erst mit der Zeit effektiv. Wer den Hyptons gegenübersteht, spürt nichts von der durchdringenden Kraft ihrer Para-Impulse. Er glaubt, eine sanfte Unterrichtung zu erfahren. In Wirklichkeit bekommt er unbemerkt einen fremden Willen aufgezwungen. Diesen interpretiert der Unterjochte jedoch als seinen eigenen Willen. Sie treten immer in Gruppen auf, die in Form einer Traube von einer Decke oder Ähnlichem herabhängen. Der unterste Hypton der ineinander verkrallten Leiber ist dabei in der Regel der Sprecher der ganzen Traube. Normalerweise tragen die Hyptons weite, wallende und durchsichtige Gewänder, die in erster Linie zum Schutz gegen Wärme oder Kälte wirken. Wenn sie fliegen wollen, und sie sind geschickte Flieger, klappen sie die Kleider vor der Brust zusammen, so daß die Flughäute frei werden. Die Gewandhüllen ziehen sich dann zu kleinen, ringförmigen Wülsten zusammen. Darunter sitzen mikroskopisch kleine Kühlanlagen mit separaten Energieversorgungssystemen am Körper. Die Hyptons sprechen mit ihren natürlichen Sprechwerkzeugen fast wie Menschen. Ihre Stimmen sind hoch, etwas piepsig, aber nicht unangenehm. Früher traten sie immer dann auf, wenn die Laren eine heue Galaxis gewaltsam eingenommen hatten. Dann waren sie sogar gegenüber diesen weisungsbefugt gewesen. Von den eigenen Machtbestrebungen hatten die Menschen nur indirekt etwas erfahren. Ich bezweifle aber nicht, daß dieser Wille noch heute ungebrochen bei den Hyptons vorherrscht. Was sich daneben noch in den vergangenen 360 Jahren ereignet hat, ist nur schwer zu beurteilen. Das Konzil wurde zerschlagen, so daß ich davon ausgehen kann, daß die Hyptons nun wieder allein agieren. Ihr Interesse an der Milchstraße war deutlich gewesen. Ich muß daher das Schlimmste befürchten. Und das heißt: Die Hyptons bauen ein neues Machtinstrument auf, um damit in Richtung Terra vorzustoßen. Wie Atlan diese Erkenntnis annimmt und mit seinen Plänen vereinigt, muß ich abwarten. Einfacher geworden ist es für ihn jedenfalls nicht